Skip to main content

Full text of "Encyklopädie der gesammten medicinischen und chirurgischen Praxis, mit Einschluss der Geburtshülfe, der Augenheilkunde und der Operativchirurgie; im Verein mit mehreren praktischen Ärzten und Wundärzten bearb. und hrsg"

See other formats


322  North  Craig  St, 
?*n"iSBURGH,   ^  PA. 


FTTTPBTTBQTT  AOADEMY  OF  MEDlOT^ 
-^^         822  Korth  Oraig  St., 
*^      PITTSBTJEGH,    ^X 


Gncylclopädie 

der 

gesammten  medicinischen  und 
chirurgischen  Praxis, 

mit  Einscliluss    ' 

der  GeburtsMlfe^  der  Augenheilkunde 
und  der  Operativchirurgie. 


Im  Verein  mit  mehreren  praktisichen  Ärzten 
lind  Wundärzten 

bearbeitet  und  herausgegeben 


Doctor  der  Philosophie,  Medicin  und  Chirurgie,    akademischem  Lehrer,  praktischem 

Arzte,  Wundärzte  und  Geburtshelfer  zu  Rostock,    mehrerer  gelehrten  Gesellschaften 

des  In-  und  Auslandes  ordentlichem,  correspondirendem  und  Ehrenmitgliede. 


Zweite  i  stark  vermehrte  und  verbesserte  Auflage» 


Erster  Band. 
A —  Humectantia. 


Leipzig: 

F.    A.     B  r  0  c  k  h  a  u  s. 

18  3  6. 


13^1  S13i 


der 

gesammten   medicinischen    und    chirurgischen 

Praxis,  mit  Einschluss  der  Geburtshülfe,   der 

Augenheilkunde  und  der  Operativchirurgie. 


Erster     Band* 


^3'\G 


9n 


Vorrede  zur  zweiten  Auflage. 


JJLfie  erste  Auflage  der  „  Encyklojnidie  der  mediciriischen  und 
chirurgischen  Praxis",  welche  im  Jahre  1834  erscliien,  hat  bei  dem 
medicinischen  und  chirurgischen  Publicum  eine  so  günstige  Aufnahme 
sow'ol  im  Vaterlande  als  im  Auslande  gefunden ,  dass  binnen  18  Mo- 
naten die  sänuntlichen  Exemplare  der  bedeutend  starken  Edition  ver- 
griffen sind  und  die  Bearbeitung  einer  zweiten  Auflage,  nöthig  ward. 
Auch  ist  in  Amsterdam  eine  Übersetzung  derselben  in  holländischer 
Sprache  eischienen.  Dieselbe  führt  den  Titel:  Encyclopedisch  wor*- 
denboek  der  practische  Genees-heel-en  verloskunde.  Naar  de  beste 
bronnen  en  eigene  ondervinding,  in  verband  met  onderscheidene  pra- 
ctische genees-en  heelkundigen ,  bewerkt  en  uitgegeven,  Naar  het 
Hoogduitsch.  Amsterdam,  Sulpke;  1836.  (S.  Blätter  für  literarische 
ünterlialtung.  März,  18305  Nr.  82). 

Dass  dem  Herausgeber  dieser  Umstand  ebenso  angenehm  seyn 
musste ,  als  für  ihn  die  zahlreichen  günstigen  Recensionen  des  Werks 
i  den  kritischen  Blättern  höchst  seh m eich elkaft  sind,  liegt  am  Tage. 
Der  geehrte  Receusent  in  der  Allgem.  medic.  Zeitung ;  Altenb. ,  1833, 
Nr.  72,  79  und  96;  und  1834,  Nr.  70,  empfiehlt  das  Buch  nicht 
aliein  Jüngern,  sondern  auch  altern  Praktikern  aufs  angelegentlichste, 
und  sagt  unter  andern:  „Der  Verf.  stellt  aus  den  besten  Quellen  die 
Sachen  gut  und  bündig  zusammen,  und  es  fehlt  den  einzelnen  Ab- 
handlungen auch  die  Kritik  nicht.  Auch  finden  wir  überall,  dass  er 
■^»idne  individuellen  Ansichten  und  Erfahrungen  eingewebt  hat.  Man 
kann  mit  Recht  sagen,  dass  dieses  Werk  viel  Eigenthümliclies  ent- 
hält. Obschon  es  mehr  iürs  Leben,  .ils  für  die  Schule  bearbeitet 
ist  und  die  Tendenz  des  rein  Praktischen  unverrückt  festhält,  so  ist 
doch  eine  gesunde ,  verständige  Theorie ,  wie  sie  für  den  praktischen 
Arzt  brauchbar  ist,  nicht  vernachlässigt.  Der  Fleiss  des  Verfs.,  wo- 
mit er  das  Wichtigste,  Wissenswürdigste  und  das  für  den  Praktiker 
Nöthigste  mit  Ausscheidung  alles  für  dessen  nächsten  Zweck  Un- 
nützen und  Unnöthigen  wohlgeordnet  zusammengestellt  hat,    verdient 


ij  Vorrede  zur  zicciten  Auflage. 

Anerkennung  und  Bewunderung? ;  denn  die  allermeisten  Artikel  hat 
er  selbst  bearbeitet  und  zu  denen  seiner  Mifarbeifer  hat  er  sehr 
schäizbare  und  er,ü;änzende  Nachträge  geliefert.  Besonders  dankens- 
wcrlh  sind  die  Abhandinngen  desselben  über  die  Imponderabiüen, 
mit  deren  Beiiufzung  zum  Heilzwecke  der  Verf.  sich  lange  Zeil  mit 
besonderer  Vorliebe  und  günstigem  Erfolge  beschäftigt  hat.  Knrz ! 
Ref.  hält  diese  Encyklopudie  ausÜbces^eiigung  fiir  liöch^t  brauchbar  und 
empfiehlt  sie  naniontlich  allen  seinen  Jüngern  Kunstgenossen  angile 
gentlichst.  Bei  aller  Compendiosität  und  A^'ohlfeilhoit  enthält  sie  einen 
ausserordentlichen  Reichfhum  ärztlichen  und  chirurgischen  Wissens." 

Der  gelelirte  Choulant  gesteht,  dass  diese  Encyklopädie  ihm 
aus  triftigen  Gründen  weit  mehr  zugesagt  habe,  als  die  deutsche 
Bearbeitung  des  „Universallexikons  der  praktischen  Medicin  und  Chir- 
urgie von  Andral,  Begin  etc.,  und  die  von  Kaiisch  besorgte 
Übersetzung  des  englichen  Werks:  „EncyklopädiscJies  Wörterbuch 
der  prakt.  Medicin  mit  inbegiür  der  allgera.  Pathologie,  Therapie 
und  patiiol.  Anatomie  von  Jam.  Copland",  welche  jüngst  erschie- 
nen sind  (vergl.  Ergänz. -Bl.  zur  Allgcm.  Lit.-Zeit.,  1835,  Nr.  48, 
S.  379).  EI)enso  belobend  sind  die  Kritiken  des  Werks  in  andern 
literarischen  ZeitscJjriften  (s,  Berliner  raedic.  Centralzeitung,  1833, 
Nr.  34.  I^uchner's  Zeitschrift.  Berlin,  18%  etc.).-  Nur  die  Ver- 
fasser einer  mangelhaften  Kritik  in  Heck  er' s  Wissensch.  Annalen 
und  einer  höchst  einseitigen  Kritik  in  der  Jenaer  Lit.- Zeitung  schei- 
nen sich  nicht  recht  lobend  übei-  meine  Encyklopädie  aussprechen  zu 
Avollen.  Beide  Receusionen  rüjjien  von  jungen,  mir  persönlich  be- 
kannten unerfaJirenen  Ärzten,  die  noch  voll  von  der  eitlen  Schul- 
weisheit, von  Vorurtheilen  und  irrthümern  sind,  her,  und  der  eine 
von  ihnen,  der  in  Berlin  wohnte,  ist  leider!  schon  gestorlicn.  Ein 
Mehreres  darüber  kommt  im  Artikel  Medicus  im  zweiten  Bande  vor. 

Je  schmeicheiiiafter  nun  einerseits  dem  Heiausgeber  diese  so 
-günstigen  Beurtheiluugen  des  Werks  sind  (die  ihn,  wohl  einsehend, 
«lass  auch  er  bei  dem  besten  Willen  und  der  grössten  Anstrengung 
nur  etwas  Uiivoilkommncs  liefern  konnte ,  fast  beschämt  gemacht  ha- 
ben), um  so  mehr  hielt  er  es  andererseits  für  die  erste  und  vor- 
nehmste Pflicht,  bei  Bearbeitung  der  gegenwärtigen  zweiten  Auflage 
alle  jene  zur  Verbesserung  und  Vervollständigung  dieser  EucykIo{lH-f 
die  dienenden  AVinke  und  Fingerzeige  seiner  Recensenten  nach  Kj-äi- 
ten  zu  benutzen.  Ausserdem  lag  zwisclien  der  Absendung  des  gan- 
zen Maunscripts  der  ersten  Auflage  und  zwischeh  der  Beendigung 
des  Drucks  beinahe  ein  Zeitraum  von  drei  JiiJiren,  so  dass  die  al- 
leineuestc  Liteialur  der  Medicin   und  Cliiruigie  und   manche    beachn 


Vorrede  zur  :^weiteit,  Auflage.   '  m 

tiitii^sworthe  neue  Enüleckuugen  und  Eifiihrungen  in  unserer  Kunst 
und  Wissenschaft,  die  in  diese  Zeit  lallen,  zwar  nicht  raehr  mit 
anfgeiiorainen  werden  konnten,  ab' r  nichtsdestoweniger  vom  Her- 
ausi^eber  zum  Behuf  einer  neuen  Auflage  benutzt  worden  sind. 

Nur  in  einem  Punkte  hat  der  Herausgeber  mit  mehreren  sei- 
ner llecensenten  niclit  libereinstiramen  können,  nämlich  im  Betreu'  der 
zahlreichen,  im  Werke  Torkoramenden  complicirten  Arzneiformeln, 
welclie  jene  verringert  und  vereinfacht  wünschen.  Hier  muss  der 
Herausgeber  sich  a)  auf  eigene  Erfahrung-  über  die  bedeutend  grös- 
sere Wirksamkeit  solcher  Compositionen  vor  den  sogenannten  Sim- 
jdicihns  und  b)  auf  dasjenige  stützen,  was  unser  würdiger  Sfaafsrath 
Ilufeiand  über  die  Vortheile  der  Zusamraenselzung'  der  Ajzneimittel 
sagt  (>i.  dess.  Journal  für  prakt.  Heilkunde,  1834;  St.  1),  Hier  l.eisst 
es  mit  Recht:  „Das  Princip  der  freien  Zusammensetzung*  meh.rerer 
Heilmittel  ist  eines  der  wiciitigsten  und  fruclitbiingendsten  der  Reil- 
kunst,  und  das  Recht  dazu  ein  Recht,  was  sich  der  Heilkünsller 
auf  keine  Weise  rauben  lassen  darf.  —  Wir  waren  schon  zweinial 
in  grosser  Gefi^hr,  es  zu  verlieren.  Das  eine  Mal  durch  die  Che- 
mie, die  uns  unter  ihre  Meisterschaft  zu  ziehen  suchte,  und  uns 
schlechterdings  keine  Zusammensetzungen  erlauben  wollte,  die  sich 
nicht  mit  den  Gesetzen  der  chemisclieu  Verwandtschaft  vertrugen.  — 
Das  andere  Mal,  als  ein  S)stem  seine  eiserne  Ruthe  auf  nns  legte, 
das,  nach  einer  selbsfgeschalFenen  Einfheilung  aller  Mittel  in  zwei 
entgegengesetzte  Classen,  es  Unsinn  nannte,  zwei  Mittel  aus  diesen 
Classen  zu  verbinden,  die  sich  nothweudigerweisc  gegenseitig  anni- 
hiliren  müssten.  Beide  Gefahren  sind  glücklich  vorüber.  Vernünf- 
tige Chemiker  geben  jetzt  selbst  zu,  dass  sich  die  Herrschaft  der 
Chemie  nicht  in  die  Regionen  des  Lebens  erstrecke,  und  dass  ein 
chemisch  widersprechend  erscJieineudes  Gemisch  dennoch  im  Leben- 
den neue  ungeahnet^  und  eigenthüiulich  heilsame  Wirkungen  her- 
vorbringen könne^  Und  was  die  Theorie  der  Keilkunst  betiilTt,  so 
ist  sie  jetzt  selbst  so  weit  gediehen,  der  Erfahrung  keine  Geseize  a 
priori  auldringen  zu  wollen.  —  Aber  es  droht  jetzt  zum  dritten  Mal 
Gefahr,  und  zwar  von  Seiten  der  Homöopathie,  welche  geradezu 
alle  Zusammensetzungen  von  Heilmitteln  verwirft,  und  sie  als  wider- 
sinnig und  schädlich  ganz  verbannt.  —  Es  scheint  nun  also  an  der 
Zeit  zu  seyn,  diesen  Gegenstand  einer  genauen  Erörterung  zu  wei- 
hen, und  die  Ärzte  theils  auf  die  unschätzbaren  Vortheile 
aufmerksam  zu  machen,  welche  aus  der  Zusammensetzung  der  Arz- 
neimittel hervorgehen,  theils  auf  die  Gründe,  die  uns  dazu  besiiin- 
men  und  bestimmen  mussten.      Sie  sind  folgende:   Zuerst,   dass  \\'\x 


IV  Vorrede  zur  ztneilen  Auflage. 

dadurcli  —  ein  Fall,  der  gar  nicht  selten  vorkommt  —  in  den  Stand 
gesetzt  werden,  mehreren  Indicationen  zugleich  hei  der  Cur  Genüge 
zu  thun.  Welchem  Arzte  ist  es  unbekannt,  dass  ein  Kranker  an 
mehreren  Kranltheiten  zugleich  leiden  kann,  welche  zugleich  Hülfe 
verlangen,  oder  wol  gai-  sich  gegenseitig  bedingen,  wie  z.  B.  die 
Vcrbiiulung  von  gastrischen  Anliaufungen  mit  Schwäche.  Wie  herr- 
lich wirkt  da  die  Verbindung  von  Rhabarber,  Taraxacum,  Salzen 
mit  China!  Oder  die  Verbindung  einer  Nervenkrankheit  mit  einer 
rheumatischen  oder  psorischen  Djskrasie  als  ihrer  ßasis ;  hier  ist  die 
Verbindung  der  nöthigen  Nervenmittel  mit  den  anti rheumatischen  und 
anlipsorischen  (Schwefel,  Antimoninm  mit  Valeriana  und  dergl.),  so- 
wie mit  der  ganzen  antirheumatischen  und  anti  psorischen  Methode, 
zur  gründlichen  Cur  ganz  unentbehrlich." 

„Zweitens,  die  Erhöhung  und  bestimmte  Determinalion  der  Kraft 
eines  Arzneimittels.  Wir  wenden  ein  Ptoborans  (China,  Quassia)  an, 
und  es  will  nicht  stärken,  es  spricht  nicht  an;  wir  verbinden  ein 
flüchtiges  Reizmittel  (Serpentaria,  Wein,  Alkohol)  damit,  und  so- 
gleich tritt  die  stärkende  Kraft  in  vollem  Glänze  hervor.  Aber  nicht 
blos  von  stärkenden  Älitteln,  sondern  von  allen,  auch  den  specifi- 
schen,  gilt  dieser  Vortheil  der  Zusammensetzung;  so  z.  B.  die  hen- 
liche  Verbindung  des  Mercurs  mit  dem  Alkohol  (Aether  mercurialis) ; 
sie  giebt  dem  Mittel  gleichsam  Flügel.  Oder  bei  der  Wassersucht, 
wenn  die  Diuretica  und  andere  ausleerende  Mittel  nicht  wirken  wol- 
len ,  verbinden  wir  W  ein  damit ,  und  sogleich  erhalten  sie  ihre  Wirk- 
samkeit. —  Ebenso  wichtig  und  heilbringend  ist  oft  der  Zusatz  ei- 
nes Älittels,  um  dem  Hauptmittel  eine  bestimmte  Richtung  auf  ein 
Organ,  auf  ein  System  des  Organismus,  und  auf  einen  bestimmten 
Krankheitsprocess  zu  geben.  Ich  will  hier  nur  an  den  Zusatz  von 
Vin.  antimon.  oder  Tart.  eraet.  zu  den  antiphlogistischen  Mixturen 
bei  Entzündungsfiebern,  besonders  Brastentzündungen ,  erinnern,  wo- 
durch dem  Ganzen  eine  so  heilbringende,  den  Haulkrampf  lösende, 
die  Ausdünstung  der  Haut  und  Lungen,  die  Kiise  befördernde  Kraft 
milgelheilt  wird,  so  dass  ich  es  in  solchen  Kiankheiten  jederzeit  in 
meiner  Praxis  für  eine  Hauptregel  gehalten  habe,  die  Fiebermixluren 
zu  antimonialisiren.  So  verbinden  wir,  wenn  die  China  allein  das 
Fieber  nicht  heben  will,  Opium  damit,  und  sie  erreicht  dadurch  so- 
gleich ihren  Zweck.  Ja  bei  der  Febr.  intermitt.  perniciosa,  dem  so- 
genannten Todtenfieber,  hängt  die  Rettung  des  Lebens  lediglich 
von  diesem  Zusatz  des  Opiums  ab," 

„Drittens,  Milderung,  Verbesserung,  Regulirung  der  Wirksam- 
k«it  der    Arzneimittel.  —      Wie  oft  sind   wir  nicht  genöthigt,    bei 


Vorrede  zur  zweiten  Auflage.  r 

sehr  erhßhter  Reizbarkeit  des  Magens,  des  Darmcanals,  oder  des 
Nervensystems  überhaupt,  unsern  Mitteln  ein  besänftigendes,  ein  ge- 
lindes Narcoticura,  beizumischen,  um  sie  wohlthäfig,  ja  nur  erträg;- 
lich  zu  machen!  Ich  kann  versichern,  dass  ich  in  solchem  Falle 
einem  Zusätze  von  Extr.  Hjoscjam.  oft  den  ganzen  Success  meiner 
Cur  verdankte.  —  Oder  wir  wollen  Quecksilber  geben,  ohne  den 
Kranken  in  Gefahr  des  lüstigen  Speichelflusses  za  setzen;  ein  Zu- 
satz von  Schwefel  sichert  ihn  dafür;  wir  wollen  verhüten,  dass  bei 
dem  Gebrauch  des  Antimoniuras  die  etwa  im  Magen  anwesende  Säuie 
kein  Brechen  erregendes  Antimonialsalz  bilde,  und  sichern  dafür 
durch  einen  Zusatz  von  Magnesia," 

„Viertens,  qualitativ  chemische  Zersetzung,  Verbindung  und  Er- 
zeugung ganz  neuer  Heilmittel,  —  Ich  will  nur  an  die  so  sciiät^- 
bare  Verbindung  des  Alkali,  oder  der  Magnesia  mit  Acid.  tart.,  oder 
Sncc.  cit.  (das  Pulvis  aerophorus,  die  Potio  Riverii)  erinnern.  Ent- 
steht da  nicht  ein  ganz  neues,  eigenthümlich  wirkendes,  Heilmittel, 
und  welcher  Arzt  möchte  ohne  dasselbe  Arzt  seyn?  Desglcich'en 
die  nicht  genug  zu  preisende  Vereinigung  des  Sulplmr  oder  Anti- 
monium  mit  Mercur  (Aethiops  miner.,  Pulvis  Plummeri).  Heilen  wir 
nicht  dadurch  unaUhlige  Dyskrasien,  gegen  welche  einer  dieser  Be- 
standtheile  allein  vergebens  angewendet  ward?  —  Die  Verbinduno- 
des  Gerbestoffs  (Tannin)  mit  Metallsalzen  erzeugt  Zersetzung,  aber 
es  entsteht  dadurch  ein  neues  Product,  welches  in  vielen  Füllen  von 
unschätzbarem  Werthe  ist,  z.  B.  die  Auflosung  des  Tart.  emet. ,  des 

Mercur.  sublimat.,    des  Bleizuckers   in  Decoct.  chin.   oder  salic.  

Ich  will  hier  noch  ein  Beispiel  geben,  was  mir  selbst  in  frühern 
Jahren  meiner  Praxis  begegnete.  Ich  verband  bei  manchen  Füllen 
von  acuten,  besonders  entzündlichen,  Fiebern  mit  gastrischer  Cora- 
plication,  das  Nitrum  mit  Sal  mirab.  Glaub.,  um  den  Darmcanal» 
mehr  zu  reinigen.  Aber  ich  fand,  dass  nun,  statt  dass  diese  IVIi- 
schung  stürker  laxiren  sollte,  vielmehr  nur  sehr  massige,  aber  heil- 
same, Ausleerungen  entstanden,  dagegen  die  Fieberbeweguiig  sich 
auffallend  besserte,  und  allgemeine  Krisen  erfolgten ,  welche  die  Hei- 
lung unter  dem  Fortgebrauch  dieser  Mischung  vollkommen  herbei- 
führten. Ich  gestehe,  dass  ich  dieses  lange  nicht  begreifen  konnte, 
bis  ich  hinterher  entdeckte,  dass  sich  durch  obige  MiscJiung  ein 
Natron  nitricum  oder  Nitrum  cnbicnm  erzeugt,  und  ich  also,  ,ohne 
es  zu  wissen,  dieses  gegeben  hatte,  welches  ich  alsdann,  als  eines 
der  tretfJichsten  Mittel  bei  Fiebern,  wo  das  Kali  nitricum  zu  schwü- 
ehend  oder  zu  stark  abführend  wirkt,  in  meiner  Praxis  beibehalten 
habe." 


VI  Vorrede  zur  xweiteu  Auflage, 

„Aber  nicht  blos  chemisch,  sondern  anch  dynjimisch,  bilden 
sich  dnrch  solche  Ziisainmensetzungcn  g'anz  neue  Heilkräfte,  wie  die 
ausgezeichnet  treffliche  Wirkung"  solcher,  zum  Theil  widersinnig 
scheinender,  Mischungen  bezeugt.  AVir  wollen  nur  an  die  Pilul. 
hjdragog.  Janin.  und  an  das  Decoct.  Zitdnanni ,  sowie  an  die  Pilul. 
balsam.  HoH'inann. ,  die  Elixiria  proprietatis  und  aperitiva  der  ehrwür- 
digen alten  Schule  erinnern.  Sind  es  nicht  eben  so  viele  neue  Mit- 
tel, von  denen  man  nicht  einen  Beslandtiieil  ändern  kann,  ohne  der 
Wirksamkeit  Schaden  zu  (hun?" 

„Fünftens  endlich  macht  es  ja  oft  die  individuelle  Constitution 
des  Kranken,  oder  eine  besondere  Idiosynkrasie,  unumgänglich  noth- 
wendjg,  melucre  Hauptraittel  mit  eineju  andern  zu  verbinden,  was 
hierauf  berechnet  ist." 

„Und  alle  diese  Vortheile  eoUlen  wir  uns  rauben  lassen  durch 
eine  zu  weit  getriebene,  falsch  verstandene,  Simplicitäfslehie'?  — 
Nimmermehr!  —  Es  kann  Niemand  mehr  durchdrungen  sejn  von 
der  Achtung  für  wahre  Simplicität  in  der  Mcdicin,  als  ich;  ja  ich 
gebe  gern  zu,  dass ,  wenn  es  darauf  ankommt,  die  ganze  Kraft  ei- 
nes wichtigen  Heilmittels  ungestört  zu  erfahren  und  zu  erhalten,  es 
Pflicht  ist,  dasselbe  möglichst  rein  und  ungemischt  anzuwenden; 
aber  keineswegs  schliesst  dies  in  andern  Fällen  die  Heilsajukeit,  ja 
Nothwendigkeit,  der  Verbindung  mit  andern  Mitteln  aus,  und  nie- 
mand soll  uns  diese  Freiheit  der  Kunstausübung  beschränken,  und 
uns  das  unschätzbare  Vorrecht  rauben,  selbst  neue  Schöpfungen  zum 
Heil  der  Menschheit  hervorzubringen." 

„Aber  fürwahr,  der  ganze  Angriif  beruht,  genau  betrachtet,  auf 
Lrthum  und  Täuschung.  Haben  denn  die  Verlheidiger  der  neuen 
Lehre,  die  heftigen  Widersacher  der  zusammengesetzten  Mittel,  nicht 
•daran  gedacht,  dass  ihre  sogenannten  einfachen  Mittel  es  gar  nicht 
sind'?  —  In  der  ganzen  Natur  giebt  es  nichts  Einfaches,  ausser 
den  Geist.  —  Alle  Materie  ist  zusammengesetzt,  und  so  auch  jede 
Arzneisubslanz.  Rhabarber,  China,  Ipecacuanha,  genug  alle  die 
Mittel,  die  sie  als  einfach  anwenden,  sind  ja  schon  Coniposila;  die 
Mineralwässer  an  der  Spitze.  —  Und  das,  was  die  Natur  selbst 
Üuit,  sollte  der  Arzt  nicht  nachahmen?  —  Ja,  was  noch  mehr  ist, 
das  einfachste  Mittel  wird,  sobald  es  in  den  Magen  kommt,  ein  Zu- 
sammengesetztes ,  durch  die  Beimischung  der  Magensäfte  und  ihrer 
chemischen  Einwirkung,  ja  selbst  durch  das  Vehikel  des  Wassers, 
mit  welchem  es  der  Kranke  nimmt.  —  Wir  wollen  jedoch  hier- 
durch keineswegs  die  Vertheidiger  der  ellenlangen  Receple  und  über- 
häuften Compositionen   mancher  Ärzte  werden;    denn  die  Hauptregel 


Vorrede  %ur  zweiten  Auflage.  tu 

bleibt  immer:  Keine  Verbindung-  von  Mitteln,  welche  chemisch  oder 
,d7namisch  die  Grundwirkung-  vernichtet,  z.  B.  wenn  man  Säuren 
anwenden  will,  kein  Alkali  zuzusetzen." 

Wenn  sich  einer  unserer  ersten  und  erfahrensten  Ärzte  Europas 
am  Abende  seines  Lebens,  welches  er  über  ein  halbes  Jahrhundert 
der  Heilkunst  widmete,  so  vortheilliaft  über  die  Arzneicorapositionen 
ausspricht;  so  gilt  diese  Autorität  schon  sehr  viel.  Auch  ich  bin 
schon  lange  von  der  tiefen  Wahrheit  des  hier  Gesagten  überzeugt 
lind  kann  daher  nichts  an  den  milgctheilten  Receptformeln  ändern, 
weiss  auch  recht  gut,  dass  jeder  ältere  Praktiker  mir  darin  nur  bei- 
stimmen wird,  meine  Jüngern  Mitcollegen  aber  in  späterer  Zeit  uifd 
bei  grösserm  Reiehthum  eigener  praktischer  Erfahrungen  gleichfiüis 
dieser  Ansidit  beitreten  werden. 

So  erscheint  denn  diese  zweite  Auflage  als  eine  durchaus  ver- 
mehrte und  verbesserte,  wovon  bei  einer  Vevgleichung  beider  Auf- 
lagen jede  Seite  den  Beweis  liefert.  Denn  es  sind  nicht  allein  sehr 
viele,  nur  dürftig  bearbeitete  Artikel  ausführlicher  und  gründlicher 
behandelt,  sondein  auch  mehrere  hundert  neue  hinzugefiigt  und  viele 
gänzlich  umgearbeitet  worden,  als:  Autocratia,  Auscullatio,  Ab- 
scessus  etc.  Vorzugsweise  sind  es  die  chirurgischen,  in  der  ersten 
Auflage  oft  stiefmütterlich  bedachten  Artikel,  die  hier,  selbst  die  ge- 
naue Beschreibung  aller  grossen  und  kleinen  Operationen  (nach 
Rust,  V.  Gräfe,  Langenbeck,  Zang,  Textor,  Blasius, 
Dupuytren  u.  A.  mehr)  mit  eingeschlossen,  besser  gewürdigt  wor- 
den sind,  so  dass  das  Werk  jetzt  auch  dem  operirenden  Arzte  und 
Wundarzte,  wie  dieses  mehrere  meiner  Herren  Recensenten  wünsch- 
ten, genügen  wird;  daher  denn  auch  der  Titel  den  neuen  Zusatz: 
„mit  Einschluss  der  Operativchirurgie"  erhalten  hat.  Theils  sehr 
vermehrt  und  verbessert,  theils  neu  hinzugekommen  sind  im  ersten 
Bande  die  Artikel:  Ahnormitas,  AbsxessuSj  Auscultatio,  Absci'ssto, 
Ampuialto,  Airesia,  Coiicretio  polypiformis ,  Callus^  Castratio, 
Chirurgia,  Cancer^  Cataplasma,  CicalrisuUo^  Cheiloplastice^  Cir- 
cumcisio,  Co7nbusiio,  CoUuiorium^  Cojidylomata^  Corpora  aliena 
inserta,  Derivaiio,  Decapitalio^  Electricitas,  Empyema.,  Exslir- 
patio,  Frictio  (Metliode  endermique),  Fungtis,  Fistula,  Fomentatio^ 
Fibulatio,  Galvamsmus^  Gonorrlioea  u.  s.  f.  Auch  die  ophthal- 
raologischen  Artikel  haben-  bedeutende  Zusätze  erhalten.  Man  ver- 
gleiche nur  die  Artikel:  Amblyopia^  Amaurosis,  Blennorrhoea 
oculi^  Dacryops,  Diae/a  pro  oculis  etc.  Als  neue  Artikel  im  zweiten 
Bande  nenne  ich:  Hydrops  glotiidis^  —  ovarii,  Ichor,  IcMhyosis, 
Impetigo,  Incontinentia  seminis,  Infusio  et  Transfusio,   hisilio 


/ 


/ 


vin  Vorrede  zur  zweiten  Auftage, 

dentmm^  Intemperies,  Kakophoria,  Laparoscopia,  Laparo-colo- 
iomia,  Laparotomiu,  Ligatura,  Lnthotomia^  Lithotritia,  Lox- 
arfhron,  Lupus,  31ama  a  potu,  Mania  puerperarum,  3Iedicut, 
Mefastam^  ßlo/luscum,  Morbus  cardiacus,  — foetus,  — infan- 
tum. —  placentae^  — sennm,  Nephrotomia,  Ojiania,  OphthaJ- 
mosropia,  Paraholanologia ^  Percussio^  Perforation  Psoriasis^ 
P/j/a/ismus,  Punctio,  Befinio,  Revulsio^  Sectio  cadaveriSj  Sina- 
pismus,  Stap/iJ/lorrhaphia ,  Spicfwjidrotomia ,  Tarantismus ,  Tre- 
paiiatio  cranii,  Tuberculosis.  Sehr  vennehrt  und  verbessert  sind 
im  zweiten  Bande  die  Artikel:  Incontinentia  nrinae,  Induration  In- 
fiammatiOn  Influenza^  Insolaiio,  Intoxicatio,  Inunciio,  Ldthiasis^ 
Magnetismus  animalis  et  mineralisn  Malacosis.  ßlelatiosiSn  Morbus, 
Oedema,  Orthopaedia,  Osteosarcoma,  Ofalgia,  Ozaena,  Paraly- 
sis,  Partus,  Pediluvium,  Phthisis.  Ruptur a  uteri,  —  vaginae, 
Sckerlicvo.  Spasmus,  Sjnizesis,  Syphilis,  Tetanus,  Tinea  capitis, 
Ulcus,  Variolae  vaccinae  und  Venaesectio.  Ausser  einem  neuen 
Mitarbeiter,  dem  Herrn  Chirurgus  Neese  hieselbst,  hat  besonders 
mein  verehrter  College,  der  Herr  Bataillons -Chirurgus  Dr.  Wie- 
dow  hieselbst,  die  Güte  gehabt,  mehrere  schätzbare  chirurgische 
Artikel,  als  z.  B.  Decapitatio,  Casiratio,  EüCstirpatio ,  Fractura, 
Ldlhotomia,  lAthotritia  etc.  zu  liefern.  Die  meisten  übrigen  neuen 
Artikel,  Zusätze  und  Verbesserungen  der  gegenwärtigen  Auflage  hat, 
die  Artikel  Aneurysma,  Cardialgia  und  Catalepsis,  welche  vom 
Hrn.  Dr.  Schröder  hieselbst  herriUiren,  ausgenommen,  der  Her- 
ausgeber selbst  bearbeitet.  Die  übrigen  aus  fremder  Feder  geflosse- 
neu Artikel  enthalten,  wie  in  der  ersten  Auflage,  auch  hier  die  Na- 
mensunlerschrift  der  geelirten  Herren  Mitarbeiter;  daher  eine  beson- 
dere Aufzählung  derselben  hier  überflüssig  ist. 

Wenn  unter  solchen  Umständen  die  gegenwärtige  Auflage  der 
Encjklopädie  um  viele  Druckbogen  stärker,  als  die  erste  Auflage 
erscheint,  so  liegt  dies  lediglich  in  der  grossem  Sorgfalt,  womit 
dieselbe,  trotz  der  beibehaltenen  Kürze  und  Bündigkeit  der  Schreib- 
art, vom  Herausgeber  vermehrt  und  verbessert  worden  ist. 

Rostock,  am  25.  April  1836. 


Der  Herausgeber. 


j(ho  Im; 


E  i  n  l  e  i  t  u  n  g. 


Non  eruditiSi  sed  erudiendis. 

MJie  praktische  Heilknncle,  die  Chirurgie,  Geburtshülfe  und  Ophthal- 
mologie h.ihen  seit  den  letzten  Decennien  durch  so  zahlreiche  Ent- 
deckungen, Verbesserungen  und  Berichtigungen  in  Betreff  der  Symr 
ptoräatologie,  Ätiologie,  Diagnose  und  der  Curmethode,  sowie  durch 
die  Bereicherungen  mit  wiiiksamen,  theils  neuen,  theils  der  Verges- 
senheit entrissenen  Heilmitteln,  auf  so  mannigfaltige  Weise  gewon- 
nen, —  die  grossen  Forfsphritte  in  den  Naturwissenschaften  haben 
auf  die  Medicin  und  Cliirurgie  so  sichibar  eingewirkt  und  so  man- 
ches Herrliche  zu  Tage  gefördert  (und  werden  dies  fernerhin  noch 
weit  mehr  thun),  dass  ein  Werk,  welches  die  Tendenz  hat,  in  ge- 
drängter Kürze  und  dem  gegenwärtigen  Standpunkte  der  medicinisch- 
chirurgischen  Doctrinen  geraäSiS,,  alles  Neue  und  durch  die  Erfah- 
rung Geprüfte  mit  den  feststehenden,  unerschütte^jJjjOhen  Wahrheiten 
einer  frühern  Zeit  zu  vereinigen,  nicht  anders  als  wünschenswerth 
genannt  werden  kann.  Dass  Scharfsinn,  reife  Beurtheilungsgabe, 
.  ]Bekanntscl»aft  mit  unserer  filtern,  und  neuern  Literatur  und  ein  prak- 
tischer Blick,  Freiheit  in\  Denken,  Wollen,  .Empfinden  und  Handfil», 
fern  von  AuAolritätsglaBben  und  Vorurtheilen,  und  die  Gabe ,-  sich 
deiuUich,  khi'r,; richtig  und  kurz  auszudrückeu ,!)  zur  Abfassung  einei- 
solchen;  umfassenden  und  mühevollen  Arbeit  gehören,  dass  nur  un- 
tOr  diesen  Bedingungen  die  Idee  dazu  realisirt  werden  könne,  dieses, 
habe  ich  immer  mehr  und  mehr  gefülilt,  als.ich  vor  zwölf  Jahren 
H^nd  ans  WerJc  legte,  und  nicht  ohne  Schüchternheit  traß  ich  mit 
demselben  vor  zwei  Jahren  hervor  und  legte  es  vor  den  Riehterstuhl 
der.  prüfenden  Kritik,  bittend  um  Nachsicht,  wenn  bei  deitf  einmal 
vorgeschriebenen  Plane  und  der  Kürze,  welche  nothwendig  bei  der 
Enge  des  Raums  stets  festgehalten  werden .  musste ,  nicht  jeder  Arti- 
kel so  ausführlich  bearbeitet, i werden  konnte, .  als  es  unter  andern 
Umstilnden  und  Verhältnisgefl)  und  bei  ejnem  bändereichern  Wprke 
möglich  gewesen  wärie^.'     ,^1  ..i)..    ^i..       .  i;!  ,.  !:>1.. 

Seit  einer  Reihe  ton  Jahreü  sammelte  ich  Materialien  zur  Be- 
arbeitung eines  solchen  Werks,    benutzte   nach   Kräften   öffentliche 


VI  Einleitung, 

und  PrlvatbibUothelcen ,  suchte  daneben  meine  Kenntnisse  am  ICran- 
kenbette  und  durch  Reisen  zu  bedeutenden  Städten  und  klinischen 
Anstalten  des  In-  und  Auslandes  nach  Möglichkeit  zu  bereichern, 
und  bestrebte  mich,  auf  echt  praktischer  Bahn  zu  wandeln.  Aber 
ich  fühlte  auch  täglich  mehr  und  mehr,  dass  selbst  bei  dem  fleissig- 
sten  Studium  unserer  Literatur  und  bei  einer  nicht  unbedeutenden 
zwanzigjährigen  Ausübung  der  Medicin,  Chirurgie  und  Gebnrtshülfe, 
dennoch  die  eigene  Kraft  allein  zur  Ausarbeitung  eines  solchen 
Werkes  nicht  ausreichen  würde  J  dfiher'  ich  mich  denn  entschloss, 
dasselbe  in  Verbindung  mit  mehreren  praktischen  Ärzten  und  Wund- 
ärzten meiner  Bekanntschaft  herauszugeben,  und  deshalb  eine  Auf- 
forderung und  Bitte  an  Letztere  ergehen  Hess,  die,  wie  ich  es' 
wünschte,  theilweise  ein  geneigtes  Gehör  fand. 

Die  nähere  Tendenz  dieses  Werks,  zu  dessen  Vollendung  ich 
bei  meiner  Praxis  auch  die  der  Erholung  bestimmten  Stunden  ver- 
wenden musste,  ist  die :  vorzugsweise  dem  anfangenden  jungen  Prakti- 
ker ein  Handbuch  zum  Nachschlagen  zu  liefern ,  welches  im  echt 
praktischen  Sinne  Alles  dasjenige  enthält,  was  uns  am  Kranken- 
bette zu  wissen  Noth  thut,  und  aus  welchem  wir  uns  bei  der  gros- 
sen Masse  des  noth  wendig  Wissenswürdigen  in  jedem  einzelnen  Falle 
Raths  erholen  können,  ohne  die  Mühe  zu  haben,  lange  umherzu- 
suchen  in  unsern  mehr  oder  minder  vollständigen  medicinischen 
Handbüchern,  worin  ausserdem  nicht  selten  theils  die  einzelnen  Ar- 
tikel höchst  zerstreut,  theils  zu  weitläulig  und  mit  zu  vielem  Hypo- 
thetischen vermischt,  theils  ohne  gehörige  Würdigung  der  neuesten 
Entdeckungen  abgehandelt  sind.  Das  Weik,  worin  indessen  auch 
der  ältere  Praktikb*  manchen  Artikel  mit  Yergnügea  lesen  und  man- 
che Nachweisungen  finden  wird,  ist  demnach  kein  streng  wissen- 
schaftliches 5  und  daher  ist  auch  die  alphabetische  Form  gewählt, 
auch  in  der  Regel  alles  Dasjenige  vermieden  worden,  was  von  rein 
historischem  Interesse  ist.  Alles  streng  Wissenschaftliche,  Hypothe- 
tische und  Theoretische  ist,  insofern  es  nicht  ganz  einfach  aus  That- 
sachen  gefolgert  werden  kann,  so  selten  als  möglich  berührt  wor- 
den, eben  weil  das  Werk  nur  für  den  Praktiker  bestimmt  ist,  nicht 
aber  für' den  Stubengelehrten,  oder  um  das  todte  Wissen  oder  die 
Schül^elehrsamkeit  zu  fördein.  Dies  geschah  theils  aus  Ökonomie 
für  den  Raum,  theils  auch  aus  andern  Gründen.  Was  nämlich  aus 
dem  Begriff  auf  wissenschaftlichem  Wege  abgeleitet  werden  kann, 
daraus  kann  unmittelbar  nie  etwas  Besonderes  oder  Wirkliches  wer- 
den, und  wenn  die  Theorie  das  Gemeinschaftliche  aus  den  einzel- 
nen Fällen,  welche  die  Erfahrung  darbietet,  abzieht,  so  wird  daraus 
doch  nie  ein  vollendetes  wissenschaftliches  System.  Es  ist  für  eine 
solche  Theorie  ein  Fehler,  wenn  sie  über  das,  was  die  Erfahrung 
darbietet,  nach  Einheit  hinausstrebt.  Die  praktische  Heilkunde  hat 
daher  mehr  Gutes  der  Empirie,  als  der  Theorie  zu  verdanken,  ob- 
gleich letztere  für  erstere  nothwendig  ist;  sie  ist  mehr  Kunst,  als 
Wissenschaft;    und   daher  ist  die  rationelle  Empirie  (nicht  die  rohe, 


Einleitung.  VII 

irrationeUe  der  Homöopathen,  welche  hier  ganz  mit  Stillschweigen 
übergangen  worden,  es  sey  denn,  dass  man  den  Artikel  Homöo- 
pathie hieher  rechnete)  auch  einzig  und  allein  das  Fundament  die- 
ses Werks. 

Wir  besitzen  in  unserer  Literatur  eine  grosse  Menge  von  Schrif- 
ten, worin  die  einzelnen  Doctrinen  der  Medicin  mehr  oder  weniger 
systematisch  bearbeitet  worden  sind,  wir  besitzen  zahlreiche  Hand- 
bücher der  Pathologie  und  Therapie ,  der  generellen  wie  der  speciel- 
len,  nach  diesem  Zuschnitte,  wenigstens  führen  sie  das  Wort  Sy- 
stem auf  dem  Titelblatte;  aber  an  solchen  Schriften,  welche  die 
praktische  Medicin  und  Wundarzneikunst  naturgemäss  empirisch  dar- 
stellen, haben  wir  noch  ganz  und  gar  keinen  Überfluss;  ja  unser 
Jahrhundert  hat  sich  so  sehr  in  eingebildetes  Wissen  und  Gelehrt- 
thun  verloren,  man  hat  sich  so  sehr  bestrebt,  streng  systematisch 
zu  seyn,  recht  gründlich  zu  scheinen  und  den  Weg  der  Induction 
2U  gehen,  dass  an  echt  praktischen  Schriften  in  der  neuern  Zeit 
gar  kein  Überfluss  vorhanden  ist.  Schriften,  wie  G.  A.  Richter's 
specielle  Therapie ,  Berends'  Vorlesungen,  S.  G.  v.  Vogel's  und 
Conrad! 's  Handbücher  u.  a.  m.  kann  natürlich  dieser  Tadel  nicht 
treffen.  —  Der  Praktiker  muss  fertig  seyn,  ehe  der  Theo- 
retiker auch  nur  die  Feder  ansetzen  darf.  Dies  sollten  wir 
stets  bedenken. 

Viele  unserer  neuern  Handbücher  der  generellen  und  speciellen 
Heilkunde  sind  von  Anfängern  geschrieben,  die  keine  hinreichende 
Erfahrung  '■■  am  Krankenbette  gereift  hatte ,  die  der  medicinischen 
Theorie  eine  falsche  Grundlage  unterlegten.  Mit  wahrer  Freude  las 
ich  in  der  Zeitschrift  für  Natur-  und  Heilkunde  Bd.  I.  Heft  2. 
S.  313 — 324,  dass  auch  der  scharfsinnige  Choulant  völlig  mit 
meinen  Ansichten  übereinstimmt,  indem  er  solche  Grundzüge  für  die 
selbstständige  Bearbeitung  der  Medicin  aufstellt,  welche  als  die  ein- 
zig wahren  und  nützlichen  alle  Beherzigung  verdienen.  Mit  Recht 
beklagt  der  gelehrte  Verfasser  die  Vernachlässigung,  welche  bei 
den  Ärzten  unserer  Zeit  die  Kenntniss  und  Behandlung  der  Innern 
Krankheiten  im  Vergleich  zu  dem  Anbau  der  theoretischen  Zweige 
und  .der  Hülfs Wissenschaften,  ingleichen  mancher  einzelner  Fächer 
der  Medicin  erfahren  habe.  Eine  Unzahl  neuer  Mittel  ist  in  Vor- 
schlag gekommen,  aber  dies  ist  keine  Bereicherung  der  Therapie, 
sondern  nur  ein  Zeichen,  dass  wir  die  alten  nicht  zu  gebrauchen 
wissen.  Auch  wird  man  das  bunte  Gewühl  von  Systemen,  Erklä- 
rungen und  sogenannten  merkwürdigen  Füllen  nicht  für  Anbau  der 
Pathologie  halten. 

Die  praktische  Heilkunde  ist  mit  Materialien  und  sogenannten 
Beobachtungen  überhäuft  worden.  Schon  Reil  klagte  seiner  Zeit 
darüber,  dass  man  zu  viel  beobachtet  und  zu  wenig  gedacht  habe, 
und  dieselben  Klagen  sprachen  noch  kürzlich  und  mit  vollem  Rechte 


YllI  ^Einleitung, 

Hohnbaum  und  Jahn  (Medic.  Conversationsblatf ,  1830.  Nr.  4) 
aus ,  und  ihre  daselbst  bemerkten  Desideria  zur  Vervollkommnung  der 
Medicin:  eine  bessere  pathologische  Anatomie,'  eine  Hi- 
stologia  pathologica,  die  uns  noch  gänzlich  mangelt,  eine,  ge- 
nauere Ätiologie  und  Diagnostik  etc.,  verdienen  die  höchste 
Beachtung  aller  denkenden  Ärzte;  sowie  denn  iäuch  schon  Allen 
(Synopsis,  universae  medicinae  practicae  1730.  Pi'aefat.):  vor  hundert 
Jahren -sagte,  was  auf  unsere  Zeit  vollkommen  passt:  „Medicina, 
omhium  artium  nobilissima,  si  ad  ejusdem  praecognita,  institutiones 
et  theorijim  spectemus,  nuperis  annis  progressus  et  incrementa  ad- 
miranda  «ccepit,  agnoscendum  est  tarnen  et  veliem enter  dolendutn^ 
quod'pr'axis,  pars  ejus  longe  utiHssima^  haud  pari  passu  prO' 
ces&erit'i^':  Sehr  wahr  sagt  Choulant:  „Die  Behandlung  innerer 
Krankheiten  ist  zu  einem  wenig  beacihteten  Anhange  in  der  Bildung 
junger.; Ärzte  geworden,  der,  wie  man  glaubt,  aus  den  andern  Stu- 
dien sich  von  selbst. finde,  der  eines  besondern  Studiums  nicht  be- 
dürfe,, und  weder  Kunst  in  der  Anwendung,  (noch  Wissenschaft  in 
seinen  Riegeln  habe;  dither,  die  Klage ,,  dass:  die  praktische  Medicin 
keine  Sicherheit ,  keine  haltbare  theoretische  Gründlage  besitze. 
Diese  Unsicherheit  ist  aber  die  Folge  einer  Selbstüberschätzung  un- 
serer geistigen  Kräfte,  indem  wir  uns  nicht  nur  anmassen,  das  Un- 
erkennbare, die  innern  Vorgänge  bei  Krankheiten  erkennen  zu  wol- 
len, sondern  sogar  dieses  ünerfoiscliliche  zur  Grundlage  unserer 
medicinischen  Theorien  machen.  Die  Alten  gingen  bescheidener  zu 
Werke.  Sie  fassten  bei  Beurtheilung  der  Krankheiten  nur  das  Er- 
kennbare in  die  Augen,  beobachteten  dies  aber  so  vielseitig  und  so 
unbefangen  als  möglich,  und  handelten  dann  hiernach  bei  unendlich 
geringerm  Wissen  doch  mit  Glück  als  Ärzte.  Sie  bildeten  mit .  rich- 
tigem Sinn  vor  Allem  die  Ätiologie  und  Semiotik  aus , .  und  akellten 
die  Erklärung  der  Kränkheitsivorgänge  in  den  Hintergrund.  Dadurch 
gewann  die  praktische  Erkenntniss  der  Krankheiten  und  das  ärzt- 
liche Handeln  eine  Sicherheit,  die  dem  Talente 'ilie  freie  Kunstüljung 
und  der  Wissenschaft  die  fortschreitende  Entwickelung  gestatteten. 
Wir  haben  in  unserer  Zeit  leider!  den  entgegengesetzten  Weg  ein- 
geschlagen: wir  haben  das  Unsicherste  der  ganzen  Wissenschaft, 
unsere,  vermeinte  Kenntniss  der  nächsten  Ursache  (die,  dmchaus 
unerklärbar,  von  der  Wissenschaft  nur  geahnt  werden  kann,  nur 
das  Ziel  ist,  nach  welchem  sie  strebt,  nicht  aber  der  Boden,  von 
dem  sie  ausgehen  kann)  als  Grundlage  gesetzt,  und  lassen  Ätiologie 
und  Semiotik  als  Nebenzweige  theoretisch  daraus  hervorwaclisen,  sie 
benutz(!nd  und  beschneidend,  wie  es  jener  pathogenischen  Grundlage 
gemäss  erscheint.  Wir  erkennen  die  Krankheiten,  wie  sie 
seyn  könnten,    nicht  wie  sie  wirklich   sind." 

Nachdem  nun  Choulani  sich  über  die  wahre  Grundlage  der 
medicinischen  Theorie  ausgesprochen,  nennt  er  sehr  treffend  das 
Bestreben,  die  Krankheiten  maturhistorisch  nach  Gattungen  und  Arten 
zu  classiliciren   oder  den  Innern  Grund  der  Krankheiten   auf  anato- 


J^.ln  l  e  i  t  u  n  g,  VUL 

misch -physiologischem  Wege  erforschen  zu  wollen,  die  jswel  ver- 
derblichsten Feinde  der  praktisch -medicinischen  Wissenschaft}  und 
s*g^:  ;„J)ie  Classification  der  Krankheiten  nach  Gattungeik  und  Arten 
ist,  die  grösste. Verwirrung;  sie  trennt  das  Verwandteste  und  verßint 
das,  Fremdeste;  ihr  Namen  werk  führt  zu  geistloser  Routine."  ' 

,  j  „  Systematische  Bearbeitungen  der  medicinischen  Wissenschaft 
werden  zwar •  durch  lexikpgraphische  Werke,  wie  das  vorliegende^ 
nicht  entbehrlich  gemacht;  aber  der  Hauptgewinn  eines  mediciniscHen 
Realwörterbuchs  besteht  darin,  dass  jeder  einzelne  Gegenstand  we- 
niger einseitig  (nachdem  Systeme),  sondern  mehr  in  allen  seinen 
Beziehungen  ins  Auge  ge|asst  werden  kann,  wodurch  die  Erlicnntr 
niss  lebendiger  wii,-^,  die  Anschauung  mehr  ins  Specielle  geht,  die 
T,endenz  also  meÜr  als  jede  audere  echt  praktisch  genannt  zu  wer- 
den verdient,  purcli  das  System  wirH  die  Einheit  beeinträchtigt,  die 
durc^  alphabetische  Bearbeitungen,  wenn  sie  liieine  Lücken  enthalteinj 
wieder  hergestellt  wird.  Die  gelehrten  Herausgeber  des^  berliner 
Encyklopädischen  W'^J^'^erbuchs  der  medicinischen  Wissenschaften 
sagen  in  der  Vof rede  des  > im  J.  1828  erschienenen  ersten  Bandes: 
„Das  Nützliche  guter  encyklopädisdier  Wörterbücher  ist  ^yon  jeher 
gefühlt  worden;  jiber nirgends  ist  ihr  Bedürfniss  so  gross,  als  in 
der  Bledicin.  Denn  keine  Wissenschaft  greift  so  sehr  in  alle  andern 
ein  und  macht  ihre  Kenntnis«  go  notliwendig: ,  als  diese,  da  ihr  Ge- 
geastiind  der  Mensch,  der  Inbegritf  der  ganzen  Natur,  und  Alles, 
was  auf  den  Menschen  wirkt  und  ihn  afficirt,  also  in  der  That  das 
ganze  Universum  ist."  Und  der  gelehrte  Pierer  sagt  sehr  wahr 
in  der  Vorrede  S.  X  zu  Bd.  I  seines  vortrefflichen  Anatora. -physiol» 
Refilwörterbuchs :  „Unter  allen  Wissenschaften  ist  vielleicht  keine 
mehr  geeignet^  ausser  systematischem  Zusammenhang,  ihren  Ele- 
inenten  nach,  in  einer  Form,  die,  wie  die  alphabetische  Fplgereihe, 
die  Füglichkcit!  darbietet,  sich  über  jeden  Gegenstand  eine  urafas- 
se^i^e  Übersicht  zu  verschaffen,  dargpsteUt  zu,  werden ,  als  die  Heil- 
kunde.''       .   ;;.,;;  .,.■  ■,.:;.■..  1   ■,  .•    !    -^   'i;  •   •    TS 

"  G^nz  Recht  hat  auch  der  Ree.  cles  Rust'schen  The(>ret.-praktl 
Handbuchs  der  Chirurgie,  mit  EinSdhltiss  der  sypbilit.  u.  d.  Augen-^ 
krankheiten  in  alphabef.  Ordnung.  Berlin,  1830,  wenn  er  über  die^^ 
'Söh  Gegenstand  in  der  Jen).  Allgem.  Li't.-Zeitung  1832,  Febr.  Nr.36j 
S.  SSj,  Folgendes  sagt:  ,5 Da  die  medicinischen  WissiehschafteriJ  in 
«h'serer  Zeit,  gleich  den  Staatsverhältnissen,  in  einer  tlevolutibni 
öder  richtiger  gesagt,  in^iner  Evolution  begriffen  sind,  so  musste 
bei  solcher  Lage  der  Diiige  die  alte  ^Einheit,  die  sich  blos  im  Ruhe- 
zustande behaupten  kanii,'  verloren  gehen,  um  ein«r  neuen  kräftigen, 
Welche  das  allwaltende  uiid  ordnende  Princip  sicherer  auffindet,  Platz 
zu  machen  *).  Unter  solchen  interimistischen  Verhältnissen  bedarf 
es.  im  Reiche  der  Wissenschaften  eines  provisorischen  Ersatzes  für 

■  ■  *)  Wir  wünschet  dSös  zwar,  glauben  aber  nicht,  dass  unser  Wunsch 
in  Eifüllung  gehtw  .:,; 


Xil  Einleitung, 

wird.  :  Bie, Naturlehre  soll  die  allgemeinste  (wundläge  der  Medicin 
sieyn;  aber  unsere  grossten' Praktiker  stvidiren  sie  nur  •wenig,  und 
der  Einäuss  der  Physik  und  ihrer  grossen  Fortschritte  und  Entdek- 
kungln  auf  die  praktische  Heilkunde  ist. daher  bis  jetzt  nur  gering 
gewesen.  Unsere  echten  Praktiker  huldigen  der  rationellen  Empirie, 
s<>  wie  unsere  Homöopathen  dem  rohen  Empirismus;  gute  praktischft 
Ärzte  fragen  sich  selbst  in  jetziger  Zeit,  ob  üiierhaupt  Theorie  unft 
Wissenschaft  für  den  ausübenden  Arzt  nöthig  und  nützlich  sey  oder 
nicht?.  Manche  junge,  unerfahrene  Ärzte  spielen  entweder  auf  gut 
horaöopathisph  mit  Oclilliontheilchen  eines  Grans  Arznei,  öder  sie 
greifen  imit  grossen  Dosen  stark  wirkender.  Mittel  heroisch  als  Con- 
trastimuli'sfen  in  den  kranken  Organismus  ein,  verspotten  die  Auto^ 
kratie  der  Natur,  diesi«  niqht  kennen,  appliqiren,  nach  Broussaia 
allenthalben,  Entzündung  witternd.,,  die  nicht,  da  ist,  fast  bei  jedem 
Übel  eine  Unzahl  Blutegel,  und  lassen  gar  häufig  ihre  Kranken 
nicht  an  der  Krankheit,  sondern  an  dem  vermeinten  Hülfsmittel  ster- 
bdh.  Betrachten  wir  zugleich  die  Medicin  rnsei'er  Tage,  wie  sie 
die  meisten' Handbücher  darbieten  i  mit  echt  "praktischem  Sinne  etwas 
genauer,,  so  geht  auch  daraus  nur  ein  betrübiendes  Resultat  hervor. 
Denn  eine'  allg-emeine  Pathologie  existirt  -  bis  jetzt  nur  dem  Namen 
n^ch,  unsere  Diagnostik  steht,  wollen  wii^  wiihr  reden,  trotz  ihres 
Nimbus,  ihrer  Subtilitäten  und  Kleinigkeitskrämerei,  auf  schwachen 
Füssen  (s.  den  Artikel  pilagnoEstlca  döctrina),  und  mit  unserer 
Prognostik  sieht  es  auch  nicht  viel  besser  aus;  in  unserer  Patholo- 
gie und  Therapife  hen'scht  Dunkelheit,  in  unserer  Terminologie  ba- 
bylonische Sprachverwirrung;  und  bis  jetzt  sind  alle  Bemühungen, 
ein  nur  hijilbweg  haltbares  raedicinisches  System  zu  begründen,  ver- 
gebens gewesen;  denn  die  medicinische  Wissenschaft  steht  zum  Le- 
ben noch  gar  nicht  in.  ausreichendem  Verhältnisse ;  sie  riecht  noch 
nach  der  Klosterluft  des  Mittelalters  und  den  Schulen  der  ärztlichen 
Priester,  sie  ist  ein  mattgeschliffener  Spiegel,  der  nur  einen  sehr 
^eirjh^en  Theil  des  Lebens  reflectirt,  und  unsere  Gelehrten  aus  den 
StudirStubQn,  umgeben  mit  verjährtem  Moder  und  Dunst,  mit  ter- 
iföstetBU  Institutionen ,  schleifen  diesen  Spiegel,  indem  sie  an  eigner 
Unsterblichkeit  hämmern,  immer  matter,  bis  dann  ein  genialer  Kopf 
auftritt-,  der  ihn  völlig -zerbricht,  indem  er  ein  neues  System  schafft, 
das  bald  das  Schicksal  seiner  Vorgänger  hat,  weil  es  zwar  seine 
ästhetischen  Schönheiten-  besitzt,  gleich  jedem  guten  Romane,  jeder 
F*arce,  jedem  vollendeten  Gedichte,  aber  dennoch  nor  als  das  Pro- 
dact'der  tkantasie  und  des  Scharfsinns  eines  sicTi  selbst  Täuschen-^ 
den  oder  Andere  täuschen  Wollenden  betrachtet  werden  darf,  das  die 
Sirf'ahrung,  worauf  es  nicht  basirt  ist,  nicht  als  wahr  und  gut  be- 
s'tkligt."  So  gina:  x.  B.,  wie  Heck  er  richtig  bemerkt  (berliner  En- 
cykiop,'  ■d."med.''Wissensch.  Bd".  M.  S.  283),  seit  den  Jahren  1798 
bis  1806\  wo  das  Brown'sche  System  in  Deutschland  leider!  Ein- 
gang gefunden,  fast  keine  einzige  unbefangene  Beobachtung  und 
Nalurforschüng  aus  diesem  Zeiträume  hervor,  und  die  Literatur  des- 
selben muss  als  unbrauchbar  und  verloren  betrachtet  werden.    Auch 


JS.  i- n  he  i  t  u  n  g.  XIII 

Bind  noch  gegenwärtig  die  gesunden  Ideen .  der  pralctischen  Arunei- 
mssenscliaft  unter  einer  Masse  von  Formen  'so  tief  begraben,  däsa 
der  Geist  des  Arztes  sich  nur  mit  Mühe  hindurch  arbeiten  kann; 
die  Hauptsache:  die  Erkenntniss  und  Cur  der  Krankheiten,  schwebt 
nicht  immer  klar  vor  Augen,  und  Nebendinge  sind  oft  zur  Haupte 
Sache  erhoben  worden:  Wortklauberei ,  Pedantismus ,  weitläufige  De- 
finitionen von  Dingen,  die  wir  auch  ohne  Definition  aus  dem  Leben 
hinreichend  kennen  lernen. 

Die  Ideen  von  Gott,  Natur,  Leben,  Geist,  Seele  etc.  sind  bis 
jetzt  uns  ein  Geheimniss  geblieben  und  werden  es  ewig  bleiben; 
wie  lächerlich  also,  auf  solche  Geheimnisse  ein  raedicinisches  Sy- 
stem zu  bauen!  Wer  die  Idee  des  Lebens  lebendig  erfasst  hat,  so- 
wol  die  des  gesunden,  als  die  des  kranken  Lebens,  wird  nie  den 
Versuch  machen,  ^'e  Wissenschaft  des  Lebens  in  die  Fesseln  eines 
Systems  zu  zwangen;  Mag  auch  dieses  eitle  Streben  seinen  Nutzen 
haben,  mag  es  den '!",  "derstreit  beleben,  den  Scharfsinn  erwecken, 
den  Verstand  ausbilden  und  das  Einschläfern  der  Geister  hindern; 
genug,  Deutschlands  Heroen  am  Horizonte  der  Medicin  sind  mit  mir 
von  der  Wahrheit  des  obigen  Satzes  überzeugt,  und  die  Zeit  ist 
gekommen,  wo  wir  dieLnst,  neue  Systeme  zu  fabriciren,  dem  An s-^ 
länder  überlassen.  Denr  "  trotz  der  widerstrebenden  Elemente  und 
des  revolutionairen  Geistes  in  unserer  gegenwärtigen  Medicin  ver- 
dient sie  doch  seit  dem  letzten  Decennium  eine  wahrhaft  kritische 
genannt  zu  werden;  es  ist  eine  Zeit  der  Zersplitterung,  Sonderung 
und  Vereinzelung  eingetreten,  mit  mächtigem  Streben,  treu  die  Na- 
tur zu  beobachten,  woraus,  nach  Damerow's  richtigem  Ausspruche, 
nur  Gutes  für  die  nächste  Zukunft  hervorgehen  kann  (s.  Damerow, 
Die  Elemente  der  nächsten  Zukunft  der  Medicin.  Berlin,  1829; 
Heck  er 's  Lit.  Aunal.  1831,  Januar,  S.  96) ,  indem  wir  auf  solche 
Weise  Hippokrates,  Sydenham,  Frank,  Vogel,  Richter 
und  Andere  zu  Mustern  nehmen, 

Doch  ist  dies  leider!  noch  nicht  allenthalben  der  Fall;  vielleicht 
(numphirt  man  zu  früh ,  und  auch  bei  uns  ist  die  Medicin  noch  nicht 
mündig'.  Wenn,  wie  Heck  er  mit  Recht  sagt;'  für  die  medicinische 
Praxis  die  ganze  Periode  des  herrschend  gewesenen  Brownianismus 
als  unbrauchbar  verloren  gegangen  ist,  so  hat  diese  Irrlehre  freilich 
bald  ihren  Untergang  gefunden;  dagegen  haben  andere  Irrthümer  ihr 
Haupt  erhoben  und  die  letzten  Jahre  haben  es  in  Deutschland  hin- 
länglich bewiesen,  dass  theils  unsere  jüngeren  Ärzte  blinde  Nachbe- 
ter von  Broussais  sind  und  allenthalben  Entzündung  sehen,  theils 
sie,  und  selbst  ältere  Praktiker,  hundertjährige  Erfahrungen  urastos- 
sen  wollen,  z.  B.  bei  der  Heilung  der  Syphilis  und  anderer  Krank- 
heiten, und  dass  man  sich  endlich  in  der  neuesten  Zeit  die  Mühe 
giebt,  den  Erbfeind  der  medicinischen  Praxis  (nach  Choulant), 
eine  sogenannte  Naturgeschichte  der  Krankheiten,  zu  entdecken  und 
aufzustellen.     So  erhebt  denn  schon  wieder  der  Geist  des  Schlim- 


XrV  Einleitung, 

mem  sein  Haupt,  nm  die  befangeDen  Köpfe  zu  blenden  und  die  Ein- 
Beitigen  irre  zu  führen! 

Ich  verachte  nicht  den  Versuch ,  die  Kranlcheiten  naturgeschicht- 
lich nach  Classen  zu  ordnen ;  aber  ich  erinnere  nur  daran ,  die  Gren- 
zen nicht  zu  ühersehen,  in  wie  weit  dieses  uns  möglich  und  über- 
haupt für  das  Leben  nützlich  ist.  Haben  wir  doch  noch  kein  voll- 
ständiges System  der  Arzneimittel;  wie  sollte  uns  dies  bei  den  so 
verwickelten,  in  Zeit  und  Raum  wandelbaren  Krankheiten  möglich 
seyn"?  Was  für  grosse  Nachtheile  erzeugte  das  Studium  der  Noso- 
logia  methodica  eines  Sau  vages  bei  schwachen  Köpfen?  Wieviel 
lesen  wir  darin,  wovon  gute  Praktiker  nichts  wissen  wollen,  schlechte 
noch  mehr  verwirrt  und  Anfänger  auf  Irrwege  geführt  werden?  — 
Welch  ein  grosses  Genie  zeigte  Linne  bei  Schöpfung  seines  Pllan- 
zensystems;  aber  wie  bescheiden  trat  er  auf!  Er  wusste,  dass 
Sterbliche  nichts  Vollendetes  schaffen  können ;  er  war  überzeugt, 
dass  noch  nach  Jahrhunderten  sein  System  vervollkommnet  werden 
könne  und  müsse,  was  unsere  Zeit  auch  hinlänglich  bestätigt  hat. 

Ich  weiss,  welchen  Reiz  für  Anfänger  und  Schüler  die  schein- 
bar strengwissenschaftliche  Bearbeitung  der  Heilkunde  hat;  aber  ich 
weiss  auch  recht  gut,  wie  es  nachher  mit  auf  solche  Weise  gebi'de- 
ten  Ärzten  in  der  ersten  Zeit  der  Praxis  aussieht,  wieviel  ihnen  in 
den  Hospitälern  zu  lernen  übrig  bleibt,  sollen  sie  nur  einigem  s'pen 
mit  Geschick  ins  praktische  Leben  treten,  wieviel  man  davon^^ver- 
gessen  lernen  muss ,  um  ein  guter  Praktiker  zu  werden ,  wie  hier 
Dinge  zu  wissen  Noth  thun,  von  denen  mancher  gelehrte  akade-ii- 
sche  Lehrer  sich  nichts  träumt,  weil  die  Schule  und  das  Leben 
zweierlei  sind  und  beide  mit  einander  nicht  hinreichend  harmoniren. 
Soll  z,  B.  der  junge  Arzt  ein  Recht  haben,  jeden  Verhungerten  an- 
tiphlogistisch mit  Blutegeln  und  Aderlass  zu  behandeln,  weil  bei  sol- 
chen die  Section  Magen  und  Dünndarm  nach  jetzigem  Sprachg^rs» 
brauch  entzündet  zeigt?  Nein,  wir  wollen  auf  Hippokratische  Weise 
die  Natur  beobachten  und  uns  weder  vom  Leben  entfernen,  noch 
das,  was  uns  die  sinnliche  Anscha  ung  und  der  gesunde  Menschen- 
verstand darbieten,  unserm  System  zur  Liebe  und  den  Laien  zum 
Hohne,  vernachlässigen.  Der  Jüngling,  der  das  Mass  seiner  Kräfte 
überschätzt,  unternimmt  die  kühnsten  Dinge,  er  wagt  Alles,  weil  er 
aus  Mangel  an  Kenntniss  und  Umsicht  die  Gefahren  nicht  kennt, 
die  damit  nothwendig  verbunden  sind.  Dieser  Muth,  dieses  Streben 
erwecken  als  solche  Achtung  und  Bewunderung;  wir  würden  sie  ihm 
zollen,  selbst  wenn  er  es  versuchte,  mit  einem  Sprunge  die  Spitze 
des  Montblanc  zu  erreichen.  Doch  der  erfahrene  Mann,  der  ruhige 
Zuschauer  wird  ein  Lächeln  nicht  unterdrücken  und  denken:  „Jun- 
ger Thor,  junger  Brausekopf,  die  Zeit  und  der  Erfolg  werden  Dich 
eines  Bessern  belehren!  Auch  ich  stand  einst  da,  wo  Du  jetzt  stehst, 
und  dachte  ebenso;  doch  jetzt  denke  ich  ruhiger  und  hüte  mich  vor 
Einseitigkeit."     Ebenso  ladelnswerth  ist  es  vom  akademi.  hen  Leh- 


Einleitung,  XV 

rer,  wenn  er  dem  Schüler,  der  für  die  medicinische  Praxis  gebildet 
werden  soll,  in  den  Vorlesungen  Alles  recht  gelehrt  deduciren  und 
definiren  will ,  wodurch  die  Studirzeit  den  nützlichem  Dingen  und 
deren  Erlernung  geraubt  wird.  Definitionen  von  Gehen,  Stehen, 
Riechen,  Schmecken,  Fühlen,  Hören,  Sehen,  Kranksejn,  Wohl- 
sejn  etc.  sind  überflüssig,  da  der  gesunde  Menschenverstand  solche 
Dinge  schon  erkennt  und  unterscheidet;  ebenso  ists  der  Fall  mit  vie- 
len Definitionen  über  einzelne  Krankheiten. 

Ohne  den  Werth  der  Medicin  als  Wissenschaft  herabzusetzeo, 
wird  mir  ein  jeder  Praktiker  doch  Recht  geben,  dass  zwischen  Theo- 
rie und  Praxis  noch  immer  ein  ebenso  grosser  Unterschied  stattfin- 
det, als  zwischen  Wissen  und  Können,  dass  eben  deswegen  der 
grosse  Theoretiker  oft  ein  schlechter  Praktiker  und  der  gute  Prakti- 
ker oft  kein  grosser  Theoretiker  ist;  dass  der  Letztere  so  häufig 
das  Scheimvissen  für  ein  wahrhaftes  Wissen  hält ,  eben  w  eil  ihm  die 
Überzeugung  abgeht,  dass  wir  eigentlich  Alle  nicht  viel 
wissen,  dass  viel  unseres  Wissens  zu  Nichts  nützt,  und 
dass  das  Wissen  des  Nichtwissens,  wie  dies  Schleier- 
macher  (Vorles.  über  Dialektik)  richtig  bemerkt,  d.  h.  die  klare 
Überzeugung,  dass  wir  dies  und  Jenes  nicht  wissen,  ein  höhe- 
rer Grad  des  Wissens  ist,  als  die  blindgläubige  Viel- 
wisser ei  eines  ganzen  Jahrhunderts.  —  Auch  ist  es  eine 
reine  Thatsache,  dass  wir  praktische  Ärzte,  besitzen  wir  nur  echten 
Kun-iisinn,  am  Krankenbette  oft  recht  viel  können,  ohne  gerade 
viel  Gelehrtes  zu  wissen,  dass  auch  hier  das  Genie  geboren  wird, 
m"„v  man  es  nun  praktischen  Tact  oder  anders  nennen;  genug,  die 
Sä'cje  ist  nicht  zu  leugnen,  und  es  ist  hier  nur  unsere  Pflicht,  um 
unser  Geschäft  zur  wahren  Kunst  zu  erheben,  Rewusstsejn  in  die- 
ses Können  zu  bringen  oder,  was  dasselbe  ist,  das  Wissen  des 
Könnens  zu  erlangen. 

Und  so  passt  auch  auf  uns  Arzte,  was  Goethe  sagt: 

„Irrthum  verläset  uns  nie,  doch  zieht  ein  höher  Bedürfniss 
Immer  den.  strebenden  Geist  leise  zur  Wahrheit  hinan." 

Jede  systematische  Theorie,  also  auch  die  medicinische  eines 
Brown,  Broussais,  Rasori,  Himlj,  Schönlein,  Eisen- 
mann u.  A.  m. ,  bezieht  sich  auf  etwas  Allgemeines,  sie  ist  gleich 
dem  todten  Buchstaben ;  die  Praxis  dagegen  geht  aufs  Besondere;  sie 
ist  das  wahre  Leben,  ein  Complex  von  sich  einander  bald  bestäti- 
genden, bald  widersprechenden,  bald  vereinigenden  Theorien,  die  je- 
ner systematischen  Theorie,  d.  h.  Theorie  im  weitern  Sinne  des 
Wrots,  weit  überlegen  sind,  indem  sie  ihr  als  Gebieterin  und  Rich- 
terin vorstehen  müssen.  Und  wenn  jener  jugendliche  Rec.  in  der 
Jenaer  Allg.  Lit. -Zeitung ,  1835,  Nr.  222,  wissenschaftliche  Auf- 
fassung der  Medicin,  vorzüglich  durch  vergleichende  Anatomie  und 
Physiologi-^,  und  auf  diesen  beruhende  Pathologie :   Darstellung  der 


Üil  E  i  fi'l  e  i  t  u  n  g. 

Krankheiten  nicht  in  ihren  oberflächlichen  Formen,  sondern  in  ihrer 
Gesammtheit  als  sich  entwickelnde  Processe  imd  eine  daraus  herg-e- 
leitete  Beh.indlung  verlangt,  —  so  ist  dies  recht  schön,  recht  wün- 
ßchenswerth,  klingt  auch  recht  lieblich.  Aber  am.Können  ists  ge- 
len^en.  Aus  dem  ganzen  Satze  geht  nur  Charlatanerie  der  Worte, 
Überschätzung  medicinischen  Wissens  und  Selbstüberschriizung  eige- 
ner'Kraft  hervor  (s.  den  Artikel  Medicus).  Nur  frisch  Hand  ans 
Werk  gelegt,  mein  gelehrter  junger  Mann!  Ich  rufe  Ihnen  hier  ein: 
Hie  Rhodus,  hie  saltal  entgegen,  und  gratulire  im  Voraus  zum 
Salto  mortale!  Nor  der  verkehrte ,  arrogante,  sich  plülosophisch  nen- 
nende ignorante  Geist  der  Medicin  kann  glauben,  dass  die  oberfläch- 
lichen, sinnlich  wahrnehmbaren  Formen  der  Krankheiten  nicht  so 
wichtig  für  den  Praktiker  sejen,  als  die  unsichtbare  Entwickelung 
der  innern  Kranldieitsprocesse ,  worüber  Mir  oft  so  viel  faseln  un4 
raisonniren,  von  welcher  w'r  aber  in  Wahrheit  blutwenig  wissen, 
wie  wir  dies  oben  mit  Choulant  schon  gesagt  haben. 

Unsere  Zeit  begnügt  sich  nicht  mehr  mit  dem  Allgemeinen,  das 
mehr  ein  Scheinwissen,  als  ein  wahres  Wissen  begründet  und  Das, 
■worauf  es  eigentlich  ankommt:  wahre  Einsicht  in  den  Gegen- 
stand, in  den  Hintergrund  stellt;  sie  fordert  ein  Eingehen  in  das 
Specielle  und  Individuelle,  kura,  sie  hat  eine  nützliche,  praktische 
Tendenz, 

' '  Nur  durch  die  Kunst  gelangen  wir  zur  Geschicklichkeit,  ün- 
Iiefangene  und  sogenannte  natürliche  Leute  können  aber  über  ■  die 
Kunst  oft  besser  urlheilen,  als  solche,  die  Kennerschaft  besitzen 
wollen  und  den  Verstand  allein  in  Anspruch  nehmen,  der  sich  mit 
Worten  und  Kenntnissen  blähet.  Die  Kunst  ist  ebenso  vielseitig 
und  unerschöpflich,  als  das  Leben,  von  welchem  sie  eine  gewühlte 
Darstellung  ist.  Das  Leben  ist  in  seiner  organischen  Tiefe  unend- 
lich, ebenso  die  Kunst  in  ihren  Bemühungen,  die  Tiefe  klar  zu 
machen,  unergründlich,  —  der  wahre  Kunstkenner  und  Lebensken- 
ner sind  eins.  Der  wahre  praktische  Arzt  muss  Kunstkenner  und 
Lebenskenner  sejn;  ihn  ekelt  alles  Fach-  und  Classenwerk  an,  das 
man  der  Natur  oft  so  unkünstlerisch  aufdrückt;  denn  es  giebt,  wie 
der  grosse  Alex,  von  Humboldt  so  scharfsinnig  sagt,  in  der  Na- 
tur wie  im  Leben  keine  Genera  und  Species ,  nur  Individuen ;  der 
echte  Praktiker  ist  auch  kein  Freund  jener  Philosophie ,  die  sich  so 
stolz  Naturphilosophie  nennt,  aber  beim  rechten  Lichte  besehen,  nur 
eine  neue  Auflage  der  Lehre  des  Paracelsus  ist,  die  sich  ver- 
misst,  den  letzten  Grund  der  Wissenschaft  zu  ergründen,  sich  aber 
in  Träumereien ,  Allgemeinsätzen  und  Gemeinplätzen  verliert,  die  am 
Krankenbette  nichts  nützen,  und  uns  zu  echten  Weisheitsnarren  stem- 
pelt, wie  sie  Erasmus  in  seinem  „Laus  stultitiae"  schildert. 
Der  wahre  Arzt  kann  weder  am  Brownianismus ,  noch  an  der  Ho- 
möopathie ,  noch  an  irgend  einer  andern  Ausgeburt  der  Phantasie 
Gefallen  linden;  er  liebt  allein  dieHippokratisch-Galenisch«  Medicin 
und  alle   echten  Schüler  derselben;   jene  Medicin,    deren  Grundlage 


Einleitung.  XVU 

ein  Reichthum  sinnlicher  Kenntnisse  aasmacht.  Er  wünscht  sich 
Schüler,  die  mit  gesundem  Menschenverstände,  mit  scharfen  Sinnen, 
richtigem  Gcfühlsvermögen ,  guter  Combiuationsgabe,  lebhafter,  aber 
geregelter  Phantasie  und  mit  starkem  Auffassungsvermögen  ans 
Krankenbette  treten,  und  sich  durch  Hülfe  dieser  Eigenschaften  zu 
echten  praktischen  Ärzten  bilden,  die  die  Autokratie  der  Natur  ken- 
nen und  unsere  altern  und  neuern  classischen  Arzte:  Hippokra- 
tes,  Galen,  Celsus,  Boerhaave,  van  Swieten,  Syden- 
ham,  Frank,  Richter,  Stell,  Vogel,  Hufeiand,  Heim, 
Berends,  Rust,  Kopp,  Stieglitz,  Schmidtmann  u.  A.,  sich 
zum  Muster  nehmen. 

Jeder  gute  Praktiker  wird  mir  beistimmen,  wenn  ich  behaupte, 
dass  es  sehr  viele  Fälle  am  Krankenbette  giebt,  wo  wir  rein  empi- 
risch verfahren  und  wogegen  wir  Mittel  anwenden  müssen,  deren 
Wirkungen  wir,  wollen  wir  aufrichtig  sejn,  noch  sehr  wenig  ken- 
nen. Dazu  kommt,  dass  die  Masse  des  empirischen  Wissens  schon 
an  sich  sehr  gioss  ist  und  sich  täglicli  immer  mehr  häuft,  so  dass 
es  fast  unmöglich  wiid ,  sie  in  dem  kurzen  Erdenleben  ganz  zu  um- 
fassen, man  müsste  denn  das  ausgezeichnetste  Genie  seiner  Zeit 
sejn,  wozu  ons  die  Eigenliebe  so  gern  überreden  möchte,  wüssten 
wir  nicht,  dass  es  auch  hier  laut  der  Erfahrung  heisst:  „Nur  we- 
nige Auserwählte  kommen  in  den  Garten  des  Herrn."  —  Auch  be- 
darf es  keines  Beweises,  um  darzuthun,  dass  es  keinen  einzigen 
bekannten  Krankheitsfall  giebt,  für  den  nicht  eine  solche  Curme- 
thode  sich  fände,  die  füi'  die  gegenwärtige  Zeit,  den  Aussprüchen 
der  besten  Praktiker  und  den  Erfahrungen  am  Krankenbette  gemäss, 
für  die  einzig  beste  und  brauchbarste  gehalten  werden  könnte. 
Dies  giebt  der  praktischen  Heilkunde  und  daher  auch  dem  vorliegen- 
den Werke  etwas  Positives,  welches  als  solches  so  lange  bestehen 
wird,  bis  eine  spätere  Zeit,  die  unserer  Enkel,  wie  wir  hoffen  und 
wünschen,  etwas  Besseres  dafür  substituirt.  Bis,  d<ihin  wollen  wir 
uns  an  das  Bestehende,  Bewährte  halten,  und,  ehe  wir  uns  den  yie- 
len  Neuerangen  und  dem  Ungewissen ,  dem  noch  nicht  genug  durch 
reife  Erfahrung  am  Krankenbette  Bestätigten  hingeben,  uns  bemü- 
hen, hierin  duicli  sorgfältiges  praktisches  Studium  recht  yiel  zu  lei- 
sten, und  dabei  recht  emsig'  die  so  sehr  vernachlässigte  generelle 
Pathologie  und  Therapie  anbauen,  die  Krankheiten  also  generalisi- 
ren,  die  Kranken  aber  individualisiren,  damit  die  beste  Anleitung 
zum  Handeln  uns  zu  Theil  werde.  Hierzu  kommt,  dass  sich  in  die 
praktisch -medicinischen  Disciplinen,  besonders  aber  in  die  allgemeine 
Pathologie  und  Therapie,  eine  grosse  Menge  Begriffe  eingeschlichen 
haben,  denen  gar  keine  reale  Wahrheit  zukommt,  wie  dieses  C. 
Vogel  (Grundlehren  der  ärztl.  Praxis  in  ihrem  gesammten  Umfange. 
Jena,  1832)  ganz  richtig  bemerkt.  Diese  täuschen  leicht  den  An- 
fänger, der  sie  für  Wahrheit  nimmt;  und  daher  wäre  eine  g-anz 
neue  Bearbeitung  dieser  Doctrinen  sehr  wünschenswerth. 

*  ♦ 


XVllI  E  i  n  l  €  t  l  u  n 


o 


Vorliegendes  >York  umfasst  folgende  Gegenetändc  des  ärztliilien 
praktischen  Wissens : 

1)  Eine   ausführliche  specielle  Pathologie   und  Thera- 

pie aller  innern  acuten  und  chronischen  Krankhei- 
ten, mit  licsondercr  Benuksichtiirung  der  Semiotik,  Ätiologie, 
Diagnostik,  und  der  bei  der  Behandlung  bewährtesten  Heilmittel 
und  Arzneiformeln;  hier  und  da  durch  kurze  Andentungen  und 
Miltheilungen  aus  eigner  Erfahrung  unterstützt ; 

2)  eine    ausführliche   medicinischc  Chirurgie,    mit  Ein- 

schluss  der  gesammten   Operativchirurgie; 

3)  eine  kurze  Geburtshülfe  und  Ophthalmologie,  mit  Be- 

rücksichtigung der  dabei  am  häufigsten  vorkommenden  Ope- 
rationen ; 

4)  eine  kurze   allgemeine  Pathologie  und  Therapie,    im 

gewöhnlichen  Sinne  des  Worts; 

5)  die   allgemeine  Heilmitlellehre   aus  dem  praktischen  Gc- 

sichtspunlcte ;  endlich 

6)  eine  kurze  allgemeine  und  specielle  Pathologie    und 

Therapie  der  Seelenstörungen. 

Ausserdem  ist  auf  eine  ausführliche  deutsche  und  lateini- 
sche Terminologie  zum  leichtern  Verstehen  der  altern  und  iH'uern 
raedicinischen  Autoren  zum  Behuf  der  Anfänger  um  so  mehr  Rück- 
sicht genommen  worden,  da  uns  bis  jetzt  leider!  eine  gute  medici- 
nisch- chirurgische  Synonymik  fehlt.  —  Etymologische  Erörterungen 
der  griechischen  und  lateinischen  Namen,  an  welchen  die  Mediciu 
und  Chirurgie  so  grossen  tberfluss  hat,  habe  ich  wegen  IVIan^els 
an  Raum  ausser  Acht  lassen  müssen,  da  sie  leicht  in  den  Wörter- 
büchern von  Blancard  (Lexicon  novuin  medicum  graeco-lalinum. 
Edit.  Kühn.  1832)  und  Kraus  (Krit.-elymolog.  medicin.  Lexikon. 
2te  Aufl.  Götting.  1826  und  Nachtrag  lb32)  nachgeschlagen  wer- 
den können. 

Die  Mitarbeiter  des  Werkes  sind  sämmtlich  praktische  Arzte 
und  Wundärzte,  die  ihr  Beruf  täglich  ans  Krankenbette  führt.  Die 
Mehrzahl  «1er  Abhandlungen  gehört  dem  Herausgeber  an ;  die  s.'inimt- 
lichen  mit  einem  (*)  bezeiciineten  Artikel  sind  die  der  Heiren  ]Mit- 
arbeiter,  denen  ich  hiermit  für  ihre  tliätige  Theiln;iliuie  an  meinem 
Unternehmen  den  verbindliclisten  Dank  abstatte.  Ein  jeder  von  «len 
rcsp.  Mitarbeilein  ausgearbeitete  Artikel  enthält  die  Namensunter- 
schrift des  Verfassers,  und  wo  der  Herausgeber,  welcher  der  Kürze 
des  Styls  wegen  fast  jede  einzelne  Abhandlung  überaibeilen  mussle, 
noch  etwas  nachzulmiien  für  nölliig  fanil ,  da  ist  dies  bald  in  Paren- 
Ihescn  des  Textes,  bald  in  einer  Nachschrift  geschehen.  Die  selbst 
gemachten  Beoltarbfungen  und  Erfaliiungen  bat  jeder  rcsp.  Miiarbei- 


E  i  n  l  €  i  t  u  n  g.  XIX 

ter  dadurch  bezeichnet,  dass  sein  Name  oder  dessen  Anfangsbuch- 
stabe (bei  dem  Herausgeber  der  Buchstabe  M.  oder  der  volle  Name) 
dem  Satze  in  Parenthese  jedesmal  beigefügt  worden  ist.  Ausserdem 
ist  der  Kürze  wegen  bei  bekannten  Sachen  keine  zu  weitläiiftige 
Literatur,  auch  keine  fremde  oder  eigene  Autorität  angeführt;  nur 
bei  neuern  und  weniger  bekannten  Gegenständen,  z.  B.  bei  den  Ar- 
tilceln  Cholera,  Malacosis,  Melanosis  u.  a.  m, ,  sowie  bei  eigen- 
thümlichen  Ansichten  und  Curmethoden,  ist  der  Name  der  Autoren 
und  auch  die  nöthige  Literatur  beigefügt  worden.  Die  sämmtlichen 
Quellen,  woraus  im  Allgemeinen  geschöpft  worden,  sind  die  neue- 
sten und  besten  Handbücher  über  alle  in  diesem  Werke  vorkommen- 
den Gegenstände ,  die  neuesten  und  besten  Monographien ,  die  ältere 
und  neuere  medicinisch- chirurgische  Literatur,  die  der  Journalistik 
des  In-  und  Auslandes,  und  endlich  die  eigene  oft  vieljähriga  Er- 
fahrung am  Krankenbette. 

Dass  hie  und  da  auch  Theorien,  Hypothesen  und  Vermuthun- 
gen  zur  Aufliellung  schwieriger  pathologischer  und  therapeutischer 
Vorgänge  aufgestellt  und  benutzt  worden  sind,  kann  diesem  Werke 
wol  nicht  zum  Vorwurfe  gereichen,  wenn  wir  anders  die  Tendenz 
der  Medicin  überhaupt  und  die  Aufgabe  des  praktischen  Arztes,  so- 
wie den  Umstand  berücksichtigen,  dass  die  Medicin  als  empirische 
Wissenschaft,  wenn  Hypothesen  and  Theorien  richtig  benutzt  werden, 
dadurch  nur  der  Vollendung  näher  gebracht  wird.  Möge  es  mir  ge- 
stattet seyn,  hierüber  noch  Einiges  in  der  Kürze  anzuführen  und 
meine  Ansichten  über  Empirie  und  Theorie,  über  Hypothesen  und 
Vermuthungen ,  insofern  diese  in  der  Medicin  nicht  entbehrt  werden 
können,  hier  etwas  umständlicher  auszusprechen,  also  den  oben  ver- 
lassenen Faden  wieder  anzuknüpfen. 

Es  giebt  in  gewisser  Beziehung  allerdings  eine  medicinische 
Wissenschaft.  Ihr  Gegenstand  ist  das  Menschenleben  in  sei- 
nem ganzen  Umfange  und  Gehalte,  in  seinen  Berührungen  und  Wech- 
selwirkungen mit  dem  Leben  ausser  ihm,  in  seinem  normalen  und 
abnormen  Zustande.  Nicht  blos  aus  den  historischen,  mathemati- 
schen und  logischen,  sondern  aus  allen  Classen  von  Wahrheiten 
schöpfen  wir  Erkenntnisse  über  das  Menschenleben.  Nicht  ganz  un- 
bedeutend, wenn  auch  noch  mehr  oder  weniger  unvollkommen,  sind 
unsere  naturhistorischen  Kennt^psse  über  die  äusserliche  Erschei- 
nung des  Körperlebens,  von  dem  Keime  seines  Daseyns  an  durch 
seine  ganze  Entwickelung  bis  zum  Ablauf  seines  Lebenscyklus ; 
ebenso  von  der  Entwickelung  und  den  Äusserungen  der  psychischen 
Seite  des  Lebens.  „Wir  kennen  —  sagt  Grein  er  —  die  Bezie- 
hungen des  Menschenlebens  zu  dem  Naturleben  ausser  ihm;  wir 
kennen  den  innern  Bau  des  menschlichen  Körpers  als  die  Offeuba- 
rungsweisen  der  Naturideen;  Avir  kennen  die  Äusserungen  des  psy- 
cliischen  Lebens,  die  Gesetze  desselben  in  der  besondern  Richtung 
des  Geistes,   die  nothwendiiren  Gesetze   des  Formellen  in  dem  Seyn 

**2 


XX  Einleitung. 

der  Dinge  und  lernen  sie  in  Anwendang  bringen,  theils  um  die  uns 
schon  erworbenen  Kenntnisse  zu  prüfen  und  zu  ordnen,  theils  um 
immer  noch  neue  aufzufinden."  Wie  viel  und  anic  wenig  au  diesen 
Kenntnissen  aber  wahr  oder  falsch  sey,  —  das  stellt  noch  dahin. 

Die  Medicin  hat  eine  zweifache  Tendenz:  erstens  als  Theo- 
rie, wo  sie  Gesundheit  und  Krankheit  nach  ihrer  Möglichkeit  und 
WirklicJikeit  construiren  soll;  zweitens  als  Kunst,  als  ärztliche 
Function.  J  er  Arzt  bedarf  daher  einer  theoretisch  -  wissenschaftli- 
chen und  einer  künstlerischen  Bildung.  Die  Medicin  als  Empirie 
kennt  ihre  Objecto  nur  im  Phänomen,  als  Theorie  sucht  sie  den 
Grund  der  Erscheinung  auf.  Volle  Einsicht  in  das  Object  kann  nur 
aus  der  Ühereinstimmung  beider  geschöpft  werden.  Die  Theorie 
geht  von  der  Idee  der  möglichst  freien  Äusserung  der  organischen 
Selbstthätigkeit :  der  Gesundheit,  aus,  basirt  auf  Physiologie, 
welche  letztere  frei  und  ohne  Rücksicht  auf  das  Interesse  des  Orga- 
nismus die  verschiedenen  Verhältnisse  seines  Daseyns,  die  Verschie- 
denheit im  Gegensatze  der  organischen  Thätigkeit  gegen  die  äussern 
Einflüsse  etc.  aufhellen  soll.  Sie  zeigt  in  der  Gesundheit  die  Mög- 
lichkeit des  Erkrankens ,  und  so  entspringt  die  Nosologie ,  wie  wir 
sie  zeither  genommen,  aus  der  Gesundheitslehre.  An  die  Idee  der 
Krankheit  knüpft  sich  nach  einer  entgegengesetzten  Piichtung  die 
Therapie.  Sie  verfährt  synthetisch,  indem  sie  von  den  beiden  Ex- 
tremen Gesundheit  und  Krankheit  zum  gemeinschaftlichen  Mittel- 
punkte dieser  Linie  führt.  Die  synthetisirte  Krankheit  ist  Gesund- 
heit, Die  wissenschaftliche  Tendenz  der  Medicin  geht  dahin,  das 
Zufällige  der  Empirie  zum  Bcwusstseyn  und  zur  Noth wendigkeit  zu 
erheben.  Empirie  und  Theorie,  sind  sie  mit  einander  verbunden 
und  in  ihrer  Vollendung  zum  Bewusstseyn  gekommen,  lösen  die  Auf- 
gabe des  Arztes  mit  Sicherheit.  Verschieden  sind  die  Wege,  die  der 
Arzt  einschlagen  kann ,  um  zu  seinem  Zwecke  zu  gelangen ;  doch 
führt  der  eine  Weg  viel  früher  zum  Ziele  als  der  andere.  Aber  das 
Subjective  des  Arztes  trübt  oft  das  Objective :  die  Krankheit.  Er 
erkennt  sie  nun  nicht  richtig  und  kann  sie  dann  auch  nicht  richtig 
heilen;  ja,  machte  die  Naturautokratie  den  Schaden  nicht  häufig 
wieder  gut,  so  sähe  es  oft  schlimm  aus.  Nur  eine  genaue  und 
strenge  Unterscheidung  des  Subjectiven  und  Objecüven  beim  Denken, 
•Prüfen,  Urtheilen  und  Handeln,  eine  strenge  Erkenntniss  seiner 
gelbst,  seines  Gemüths,  seiner  Tempgramentsanlagen  kann  selbst  den 
sonst  saclikundigen  Arzt  kaum  vor  Missgriffen  bewahren,  geschweige 
den  unlcundigen  Heilkünstler.  Der  wahre  Praktiker  muss  ^e^en 
sich  selbst  und  gegen  Andere  zweifeln,  wenig  glauben,  wenig  auf 
Autoritäten  bauen;  er  muss  eigene  und  fremde  falsclie  Erfahrungen 
muthraassen  und  in  den  meisten  Fällen  voraussetzen,  dieser  Voraus- 
setzung gemäss  bei  jedem  vorkommenden  Krankheitsfalle  Alles  noch 
einmal  genau  und  mit  Ruhe  der  Seele  prüfen,  mit  Scharfsinn  und 
gehöliger  Umsicht  untersuchen,  und  sich  so  eine  möglichst  voll- 
iiommue  Einsicht  der  Krankheit   verschaffen,    also   mit  Bewusstsevn 


Einleitung.  XXI 

handeln.     So  bildet  sieh  der  Arzt  zum  wahren  Heilkünsller ,  so  blü- 
het die  Medicin  als  Kunst. 

Der  praktische  Arzt  hat  eine  doppelte  Aufgabe  zu  benicksichtir 
gen;  die  Erkenntniss  und  die  Heilung  der  Krankheit.  Die 
Diagnose  ist  zur  Erlangung  der  erstem  zwar  höchst  nothwendig, 
weil  wir  uns  oline  sie  überall  Verwechselungea ,  Vermenguiigen  und 
Täuschungen  zu  Schulden  kommen  lassen  würden,  worauf  nothwen- 
dig  MissgrifFe  in  der  Praxis  folgen  müssen ;  aber  auch  sie  muss  eine 
praktische  Tendenz  haben  und  den  Gelehrtenmantel  ablegen,  den 
man  ihr  heut  zu  Tage  umgehangen  hat,  soll  sie  waluhaft  nützlich 
sejn  und  nicht  in  Kleinigkeitskrämerei  ausarten. 

Die  Medicin  wird  weder  als  Wissenschaft  noch  als  Kunst  ge- 
fördert, so  lange  die  Arzte  als  Anhänger  der  sogenannten  Naturphi- 
losophie mehr  vom  Hjperphjsischen  als  vom  Pliysischen  angezogen 
werden,  sich  in  transscendentale  Speculationen  verlieren,  von  Welt- 
seele, Weltmagnetismus  efc.  träumen  und  zu  sehr  ins  Abslracte  ge- 
hen. Die  Wissenschaft  verliert  dann  ihr  wahres  Fundament,  und 
mit  der  Kunst  am  Krankenbette  sieht  es  schlimm  aus.  Weit  mehr 
leistet  hier  der  Arzt,  weit  heilbringender  ist  er,  wenn  er  sich  ledig- 
lich darauf  beschränkt,  die  Natur  nach  formaler  Bedeutung 
des  Worts  zu  erforschen,  d.  h.  den  Inbegriff  aller  Kräfte  und 
Eigenschaften  der  organischen  und  anorganischen  Welt,  in  Beziehung 
und  Wechselwirkung  auf  den  lebenden  gesunden  Organismus,  um 
so  bessere  Einsicht  ins  kranke  Leben  zu  erlangen.  Für  den  prakti- 
schen Arzt  ist  also  nicht  der  heliocentrische ,  sondern  der  geocentri- 
sche  Standpunkt  der  brauchbarste.  Obgleich  dies  jetzt  mehr  als  vor 
zehn  und  zwanzig  Jahren  von  unsern  Ärzten  eingesehen  wird,  so 
giebt  es  doch  noch  eine  grosse  Menge  derselben,  die  sich  von  je- 
nem falschen  Standpunkte  nicht  ganz  losmachen  können,  wie  dieses 
aus  sonst  guten  Schriften,  selbst  in  unserer  neuesten  Literatur,  zu 
ersehen  ist;  und  ist  auch  der  Gebrauch  der  Hypothesen  und  Theo- 
rien zur  Förderung  der  praktischen  Heilkunde  nothwendig,  wie  wir 
gleich  zeigen  werden,  so  dürfen  dennoch  auch  diese,  soll  die  Wis- 
senschaft in  ihrer  Reinheit  bewahrt ,  richtig  erkannt  und  geachtet 
werden,  soll  sie  nicht  zur  rohen  Empirie  herabsinken,  nur  vom  geo- 
centrischen  Standpunkte  ausgehen. 

Sowie  die  Naturwissenschaften  fortschreiten,  erweitern  sich  un- 
bewusst  die  Grenzen  der  praktischen  Heilkunde;  jene  geben  eine 
Menge  Thatsachen,  die  diese  benutzt,  die  Wissenschaft  erhält  eine 
bessere  Form,  und  denkende  Köpfe  geben  sich  Mühe  die  Gesetze 
aufzufinden,  die,  aus  dem  Besondern  entnommen,  zur  allgemfinen 
Regel  dienen  können.  Das  erapiiische  Studium  der  Natur-  und  Heil- 
kunde brachte  daher  zu  allen  Zeiten  Gewinn;  denn  es  steht  in  un- 
mittelbarer Beziehung  zu  dem  Menschen  und  zu  seinen  Krankheiten; 
es  giebt  uns  praktische  Regeln  und  Winke ,    wodurch  uns  die  Er- 


XXII  Einleitung. 

kenntiiiss  und  Heilung  einzelner  Krankheiten  besser  gelingt.  Dage- 
gen sind  alle  Versuche,  die  Natur-  und  Heilkunde  tou  einem  an- 
dern als  dem  empirischen  Standpunkte  aus  zu  bearbeiten,  zeither 
missglückt  und  werden  auch  ferner  missglüelcen. 

Aber  der  Geist  strebt  nach  Einheit  im  Mannigfaltigen,  sie  ist 
für  ihn  ein  ebenso  nothwendiges  ßedürfniss,  vfie  für  den  Körper 
Speise  und  Trank,  imd  er  sucht  sich  d;:her  jene  Einheit,  waim  sie 
ihm  die  ErfaJirung  nicht  geben  kann,  durch  Yernuithungen  zu  ver- 
schaffen. Jede  empirische  Wissenschaft,  also  auch  die  Medicin,  ist 
aber  noch  sehr  weit  von  jener  Stufe  entfernt,  wo  das  Feld  der  Er- 
fahrungen durchgängig  cultivirt  worden  wäre  und  keine  unangebau- 
i^n  Stellen  mehr  hätte.  Mit  Recht  sagt  Berndt:  „Wenn  eine  em- 
pirische Wissenschaft  nie  als  vollendet  gedacht  werden  kann,  so  ist 
auch  die  Arzneiwissenschaft,  wie  alle  anderen  mit  üir  mehr  oder 
weniger  zusammenhängenden  empirischen  Wissenschaften,  noch  sehr 
vom  denkbaren  Grade  der  Vollendung  entfernt,"  AVol  nie  wird  die 
Medicin  jene  Stufe  der  Vollkommenheit  erreichen,  wo  alle  Lücken 
im  empirischen  Theile  derselben  als  ausgefüllt  betrachtet  werden 
könnten,  weil  die  lebende  Natur  eine  fortschreitende  ist  und  der 
Mensch,  der  einen  Theil  der  Natur  und  das  Heilungsobject  aus- 
macht, als  Gattung  betrachtet,  nicht  zu  allen  Zeiten  derselbe  bleibt, 
im  Laufe  von  Jahrhunderten  in  intellectueller,  moralischer  und  phy- 
sischer Hinsicht  fortschreitet,  und  mit  diesem  Fortschreiten  neue  Be- 
dürfnisse kennen  lernt,  eine  neue  Lebensweise  führt  und  neuen, 
sonst  nicht  gekannten  Kranldieiten  unterworfen  ist,  wovon  uns  die 
Geschichte  der  Medicin  so  manche  Beispiele  giebt  und  auch  die  ge- 
genwärtig herrschende  asiatische  Cholera  zum  neuen  Belege  dient. 
Ein  grosses  Desiderium  in  der  raedicinischen  Literatur  ist  noch  im- 
mer das  einer  ausführliclien  Sclirift  über  den  Ursprung,  den  Verlauf 
und  die  Veränderungen  der  Krankheiten ,  zumal  der  epidemischen, 
contagiösen,  zu  verschiedenen  Zeiten  und  in  verschiedenen  Ländern, 
nebst  dem  Einfluss,  den  politische  Ereignisse,  Fortschritte  in  der 
Civilisation,  in  der  Cultur  des  Bodens,  in  der  Veränderung  des  Kli- 
mas etc.  darauf  äussern,  wozu  Schnurrer's  Seuchenlehre  und 
Finke's  Medic.  Geographie  gute  Beiträge  liefern. 

Da  nun  also  die  Medicin  als  Empirie  nie  vollendet  erscheinen 
wird,  das  Streben,  Einheit  im  Mannigfaltigen  zu  finden,  aber  ein 
Bedürfniss  des  Geistes  ist ,  ohne  welches  kein  Fortschreiten  zum 
Höhern,  kein  Ringen  nach  dem  Vollkomranern  gedacht  werden  kann: 
so  ists  Jiusgemacht,  dass  es  sowol  in  der  Natur-  als  in  der  Heil- 
kunde Gegenstände  genug  giebt,  avo  Wahrscheinlichkeit  die  Stelle 
der  Gewissheit  vertreten  muss.  AVer  Vermuthungen  und  Hypothe- 
sen, mit  Umsicht  und  echter  Skepsis  gebraucht,  aus  Erfahrungs- 
wissenschaften verbannt,  der  versperrt  die  Bahn  zu  allen  künftigen, 
fernem  Erfahrungen.  Denn  um  zu  beobachten,  müssen  wir  wissen, 
worauf  wir  unser  Augenmerk  zu  richten  haben.     Aber  woher  können 


E  i  n  i  e  i  l  u  n  g.  XXUI 

wir  dieses  wissen,  wenu  wir  nidit  vorlier  einen  luöylidien,  wahr- 
scheinlichen Erfolg  erwarten,  d.  h.  wenn  wir  nicht  Aorher  eine  Yer- 
inuthung ,  eine  Hj|iothese  darüher  aufstellen  ?  Der  liefdeakende 
TrCA^iranus  sagt  sehr  wahr  (Biologie,  Bd.  I.  Cap.  5):  „Die 
Naturwissenschaften  w iirden  geistlose  Namenregister  sejn ,  wenn  juan 
sich  bios  auf  das  Sammeln  von  Thatsachen  eingeschränkt  hätte.  Sie 
wurden  das,  Avas  sie  sind,  mir  dadurch,  dass  man  das  Sichtbare  an 
das  höhere  Unsichtbare  knüpfte,  ihm  dadurch  Sinn  und  Deutung  gab, 
hnd  so  in  das  Mannigfaltige  der  Erscheinungen  Einlieit  brachte." 
Ebenso  ists  mit  der  Medicin  als  integrirendem  Theile  der  Naturwis- 
senschaften der  Fall.  Möchten  doch  alle  praktisdie  Ärzte  es  recht 
innig  beheizigen,  was  schon  vor  dreissig  Jahren  der  würdige  Tre- 
viranus  in  seiner  Biologie  über  die  Nothwendigkeit  des  Gebrauchs 
der  Hypothesen  und  Theorien  für  Natur-  und  Heilkunde,  über  Em- 
pirie und  Speculation,  sowie  über  die  Schranken  der  praktischen 
Heilkunde  so  schön  und  treffend  gesagt  hat  I  Seine  Untersuchungen 
geben  folgende  Resultate  :  ^ 

1)  Die  Biologie  oder  Philosophie  der  lebenden  Natur ,  d.i.  Phy- 
siologie im  weitesten  Sinne  des  Worts ,  nicht  die  Philosophie  unserer 
sogenannten  Philosophen  (die  mit  dem  Absoluten  beginnen),  muss 
die  Grundlage  der  praktischen  Heilkunde  seyn. 

2)  Letztere  muss  in  engere  Grenzen  eingeschlossen  werden  als 
bisher  geschah.  Sie  muss  nicht  bei  den  Sonnensystemen  anfangen 
und  mit  den  Krankheiten  der  Menschen  und  den  Heilmitteln  endigen, 
soll  sie  Nutzen  bringen  und  nicht  ein  Labyrinth  geträumter  hyper- 
physischer Speculationen  werden. 

3)  Ohne  Dogmatismus  und  Theorie  ist  keine  medipinische  Pra- 
xis möglich,  und  es  ist  leere  Prahlerei,  das  Gegentheil  zu  behaup- 
ten. Blosse  Empirie  kann  durchaus  nicht  als  Richtschnur  in  der 
Medicin  dienen,  und  wenn  der  Missbrauch  mit  den  Theorien  vjnd 
Hypothesen  hier  auch  höchst  nachtheilig  gewesen  ist,  so  hebt  dieser 
doch  den  rechten  Gebrauch  derselben  nicht  auf. 

4)  Alle  bisherigen  medicinischen  Systeme  sind  zu  einseitig  bear- 
beitet worden,  weil  ihre  Schöpfer  stets  gewissen  Lieblingsideen  hul- 
digten und  alles  durch  gefärbte  Gläser  ansahen.  Der  einseitige  Kopf 
ist  aber  zum  Wahrheitsforscher  verdorben.  Nur  Vielseitigkeit  ist  das 
Mittel,  uns  vor  dieser  Klippe  zu  bewahren.  Diese  Vielseitigkeit  er- 
langen wir  nur  dadurch,  dass  wir  uns  einen  Überblick  über  das 
ganze  Feld  des  menschlichen  Wissens  zu  erwerben,  den  Zusammen- 
hang der  einzelnen  Theile  desselben  einzusehen  und  den  gegenseiti- 
gen Einfluss  der  letztern  zu  erforschen  suchen,  wie  dieses  Bacon, 
Descartcs,  Leibnitz,  Newton  und  Kant  thaten.  Auf  unsere 
altern,  neuern  und  neuesten  Systeme  der  Medicin  (Schönlein, 
Eisenmann  etc.)  findet  das,  was  Treviranus  noch  neuerlich  in 
seiner  herrlichen  Schrift:  Die  Erscheinungen  und  Gesetze  des  orga- 
nischen Lebens  (Bremen,  1831 5  Bd.  L  S.  24)  in  Bezug  auf  Natur- 


XXIV  Einleitung. 

geschichte  sagt,  gleichfalls  seine  Anwendung.  Hier  heisst  es:  „Seit 
die  Nafnrgeschichte  nicht  mehr  eine  Sammlung  unzusaramenhängen- 
der  Nachrichten  und  Sagen  war,  strebten  aile  Naturforscher  nach 
der  Entdeckung  einer  Eintheilung,  Avorin  die  Naturkörper  nach  ihrer 
natürlichen  Verwandtschaft  geordnet ,  zugleich  aber  die  Charaktere 
der  Abtheiiungen  möglichst  einfacli  und  Ton  einem  einzigen  organi- 
schen Systeme  liergenoraraen  wären.  Dieses  Suchen  ist  dem 
nach  dem  Stein  der  Weisen  gleichzusetzen,  wenn  eine 
und  dieselbe  Eintheilung  sowol  dem,  welchem  sie  nur  IVIitlel  sejn 
soll,  um  blos  die  Namen  gegebener  Thiere  und  Pflanzen  so  leicht 
wie  möglich  aufzufinden,  als  dem  philosophischen  Naturforsf*her,  für 
den  sie  einen  höhern  Zweck  haben  muss,  genügen  soll.  Dem  Er- 
stem können  blos  äussere  Merkmale  dienen,  für  Letztern  ist  die 
Eintheilung  um  so  vollkomraner,  jeraehr  der  ganze  äussere  und  in- 
nere Bau  in  ihr  abgedruckt  ist  und  je  weniger  yerschiedenarlig  die 
Theile  sind,  wovon  die  Charaktere  hergenommen  wurden."  Möch- 
ten dieses  doch  unsere  modernen  Sjstemmacher  der  Medicin  wohl  be- 
herzigen I   — 

5)  Die  Lehre  von  der  lebenden  Natur  muss  mit  der  Pjiysik  und 
Chemie  in  den  engsten  Bund  treten;  denn  jene  wird  durch  diese  und 
diese  werden  durch  jene  vervollkommnet.  Ist  eine  praktische  Heil- 
kunde möglich,  die  auch  positiv  nützen  kann,  so  werden  wir  sie  nur 
auf  diesem  Wege  erhalten. 

6)  Alle  medicinische  Erfahrung  beruhet  meist  nur  auf  Wahr- 
scheinlichkeit, selten  auf  Gewissheit,  weil  der  grösste  Theil  dersel- 
ben subjectiv,  nicht  objectiv  ist,  und  es  giebt  Falle,  wo  gar  keine 
medicinische  Erfahrung  möglich  ist  (s.  Treviranus'  Biologie, 
Bd.  L  Cap.  3). 

Aus  der  Vernachlässigung  der  Biologie ,  der  Physik  und  Che- 
mie in  Beziehung  auf  die  Medicin  sind  unzählige  Irrthümer  für  letz- 
tere hervorgegangen.  Gross  sind  zwar  die  Fortschritte ,  die  diese 
Doctrinen  gegenwärtig  gemacht  haben,  zahlreich  sind  die  Entdeckun- 
gen in  iJinen,  dienend  zu  ihrer  Bereicherung  und  Vervollkommnung; 
ja,  sie  vermehren  sich  von  Tage  zu  Tage,  es  machen  die  Natui-- 
wissenschaften  durch  Hülfe  der  Thatsachen  und  auf  dem  Wege  des 
Experiments  Riesenfortschritte;  —  aber  die  praktische  Heilkunde 
hinkt  träge  und  ohnmäclitig  hinter  ihnen  her.  Das  Meiste  von  den 
neuen  Wahrheiten,  gehört  noch  der  Schule,  nicht  dem  Leben  an,  nur 
wenig  davon  ist  bisher  ins  Leben  getreten.  Wie  sparsam  sind  noch 
bis  jetzt  die  Beziehungen  jener  Entdeckungen  zur  praktischen  Heil- 
kunde ausgefallen!  —  Wo  ist  das  einigende  Princip  zwischen  ihnen 
und  der  letztern?  Wo  finden  wir  den  Arzt,  der  die  medicinische 
Praxis  nur  zur  Hälfte  nach  den  sichern  Resultaten,  die  uns  die  Na- 
turwissenschaften gegeben  haben ^  am  Krankenbette  ausübte?  — 

So  lange  die  Medicin,  die  als  blosse  Theorie  einem  aus  dem 
Bette  getretenen  Strome,   und  als  blosse  Empirie  dem  verirrten  und 


Einleitung.  XXV 

sich  nun  dem  Zufalle  hingebenden  Wanderer  oder  dem  blind  han- 
delnden Quacksalber  gleicht,  noch  nicht  wieder  zuivjclcgekelirt  ist  in 
ihre  natürlichen  Grenzen,  so  lange  diese  empirische  Wissenschaft 
durch  yernünftige  Theorien  nicht  erleuchtet  seyn  will,  oder  umge- 
kehrt, zu  viel  theoretisirend ,  den  eitlen  Versuch  wagt,  aus  ihrer 
natürlichen  Grenze :  dem  Physischen,  ins  Hjperphjsische  zu  gelien ;  — 
so  lange  wird  sie  auch  nicht  Hand  in  Hand  mit  den  Naturwissen- 
schaften fortschreiten ,  und  letztere  werden ,  mag  ihr  Gebiet  auch 
noch  so  sehr  durch  grosse  Entdeckungen  erweitert  worden  sejn ,  für 
die  praktische  Heilkunde  nur  wenig  Früchte  tragen.  Freilich  stellen 
auch  die  zahlreichen  Entdeckungen  unserer  Physiker  und  Chemiker 
leider.',  noch  einzeln  da,  und  unter  den  Erstem  sah  kürzlich  selbst 
ein  Biot  die  grosse  Schwierigkeit  ein,  sie  alle  aus  einem  obersten 
Gesichtspunkte  abzuleiten,  dass  er  dadurch  der  Schöpfer  einer  wah- 
ren Wissenschaft  geworden  wäre;  daher  er  selbst  von  einem  Ver- 
suche der  Art  abzustehen  sich  genöthigt  sah.  Unsere  heutige  Phy- 
sik hat  sich  in  eine  traurige  Atomistik  verloren,  und  Leben  und 
Geist  ist  aus  ihr  verbannt,  und  dies  ist  wol  mit  ein  Grund,  warum 
unsere  Medicin  sich  nicht  so  sehr  mit  ihr  befreunden  kann,  als  es 
unter  andern  Umstünden  möglich  gewordeu  wäre,  besonders  da  letz- 
tere noch  immer  den  Eigendünkel  besitzt  zu  glauben,  dass  niire  Ba- 
sis eine  höhere  als  die  Physik  sey. 

Mag  immerhin  in  der  neuesten  Zeit  die  Chemie  mit  ihren  stö- 
chiometrischen  Formeln  unsere  Kenntnisse  über  die  Wirkungen  der 
Arzneistoffe  ein  bischen  bereichert  haben,  mögen  wir  immerhin  es 
ihr  nur  verdanken,  dass  eine  Toxikologie,  wie  wir  sie  jetzt  durch 
Orfila's,  Magendie's,  Buchner's  und  Marx's  Verdienste 
besitzen,  entstehen  konnte;  so  bleibt  es  doch  ausgemacht,  dass  wir 
Ärzte  bis  jetzt  zu  wenig  von  dem,  was  zeither  Physiker  und  Che- 
miker uüs  dargeboten,  für  die  praktische  Heilkunde  in  Anspruch  ge- 
nommen haben,  was  ausser  den  angegebenen  Gründen  auch  darin 
seine  Ursache  finden  mag,  dass  praktische  Arzte  meistens  zu  wenig 
Physiker  und  Chemiker  sind,  um  die  nothwendige  Technik  beim 
Experimentiren  genau  zu  kenneu  und  sie  am  Krankenbette  auf  die 
zweckmässigste  Weise  anzuwenden. 

Die  Lehren  vom  Lichte  und  von  der  Luft,  von  der  Elektricität, 
der  Wärme,  dem  Magnetismus  und  dem  Elektro -Magnetismus,  wie 
sehr  sind  sie  nicht  durch  Humboldt,  Scherer,  de  Luc,  Gil- 
bert, Oleen,  Steffens,  Biot,  Ampere,  Oersted,  Faraday^f 
Schweigger,  Brandes,  Pfaff  u.  A.  gefördert  Avorden,  aber  wie 
sparsam  ist  bis  jetzt  ihre  Nutzanwendung  für  die  praktische  Heil- 
kunde gewesen]  Alles,  was  uns  zeither  die  Piiysiker  Neues  und 
Grosses,  mit  einer  dem  Zeitgeschmack  angemessenen  Brühe  voll  ato- 
mistischen  Gewürzes  und  atomistisch- mathematischer  Formeln  auf- 
getischt, dargeboten  haben,  muss,  wird  es  geistig  durch  scharfsinnige 
Köpfe  so  bearbeitet,   dass  wir  mehr  in   sein  Wesen  eindringen  und 


XXYI  Einleitung. 

niclit  die  Form  für  dieses  nehmen,  für  die  Medicin  von  solcheia 
Nufzen  sejn,  dass  sein  Einfluss  auf  die  Gestaltung  und  Verbesse- 
rung der  letztern  gegenwärtig  nocli  gar  nicht  zu  berechnen  ist. 

Welchen  Einfluss  werden  hier  Oersted's  und  Faradaj's- 
grosse  EnIdeckuDgen  des  Elektro -Magnetismus  und  des  Magneto - 
Elektrismus  haben"?  Wozu  können  die  Arzte  Moricliini's  Ent- 
deckung, der  zuerst  durch  das  violette  Licht  des  prismafisclien  Far- 
benspiegels, mit  einem  ßrennglase  gesammelt,  eine  nicht  magneti- 
sche Nadel  magnetisch  machte,  benutzen?  Welclien  Einfluss  hat 
das  violette,  welchen  das  rothe  Licht  in  Krankheiten,  besonders  in 
Krankheiten  des  Nervensystems?  (Dass  unter  einer  violett  gefärb- 
ten Glasgloclce  alle  Vegetation  verkümmert,  unter  einer  rothgefärbten 
dagegen  ausserordentlich  florirt,  dies  hat  Hr.  Dr.  Schmeisser  in 
Hamburg  mir,  gestützt  auf  seine  Expeiimente,  mündlicli  versichert). — 
Wenn  Liclit  und  Wärme,  diese  beiden  so  nothwendigen  Requisite 
alles  organischen  Lebens,  ihrem  Wesen  nach,  wie  Grotthuss  so 
scharfsinnig  dargethan.  Eins  sind  und  unter  dem  hohem  Einflüsse 
der  Elektricifät  stehen, —  wenn  uns  die  Erscheinungen  in  der  an- 
organischen Natur  überzeugen,  dass  die  Elektricität  die  letzte  Trieb- 
feder chemischer  Wirksamkeit  sey,  —  wenn  der  Chemismus  auclj 
in  der  organischen  Welt  eine  so  grosse  Rolle  spielt,  —  wenn  es 
den  Physiologen  immer  deutlicher  wird ,  dass  die  Verrichfungen  des 
Nervensystems  durch  eine,  der  elektrischen  höchst  analoge  Kraft 
hervorgebracht  werden  (James  Hood,  Prochaska,  Weinhold, 
Burdach  u.  A.);  —  welchen  Einfluss  kann  und  wird  demnach  für 
die  Folge  die  Elektricität  und  der  mit  ihr  identische  Magnetismus 
(s.  im  Werke  diese  Artikel)  auf  die  praktische  Heilkunde  ausüben'?  — 
Je  mehr  die  Lebensverriciitungen  im  kranken  Oiganismus  sich  als 
chemische  darstellen,  z.  3.  die  Gasentwickelungen  und  die  Annähe- 
rung zur  Fäulniss  im  Blute  bei  putriden  Fiebern,  besonders  aber 
hei  epidemischen,  contagiosen  Krankheiten;  desto  wichtiger  und  lieil- 
bringender  wird  die  frühe  und  zweckmässige  Anwendung  der  Elektri- 
cität und  des  Sonnenlichts  seyn.  Die  Erfahrung  bestätigt  durch 
manche  zufällige  Beobachtungen  die  Richtigkeit  dieses  Satzes.  Zu 
der  Zeit,  wo  in  den  Tropen  das  gelbe  Fieber  herrscht,  scheint  alle 
Luftelektricität  verschwunden  (Shecut  in  Hufeland's  Journ.  Bd. 
LIX.  St.  0.  S.  141),  und  auch  zur  Zeit  der  herrschenden  asiati- 
schen Cholera  bemerkte  man  Ähnliches,  sowie  denn  auch  an  man- 
chen Orten  beide  Seuchen  plötzlich  aufhören ,  oder  w  enigstens  ge- 
linder werden,  sobald  ein  starkes  Gewitter  eingetreten  ist.  (Vergl, 
Protokoll -Extracte  der  Rigaer  Ärzte  über  die  Cholera.  Hamburg, 
18  31.  S.  130.  J.  V.  Meyer,  Nene  Beohacht.  über  das  Wesen  d. 
Cholera  etc.  Wien  1831.  Strecker  in  d.  AUgem.  med.  Zeitung. 
Altenburg   1833.  Nr.  9.    S.  136). 

Ist  die  Medicin  erst  wieder  in  ihre  natürlichen  Grenzen  zurück- 
gekehrt, dann  wird  auch  der  praktische  Arzt,  der  Brotgelehrte  solche 


E  i  n  l  e  i  t  u  n  g.  '  XXYIl 

Gegenstände  nicLt  als  fremdartiges  Studium  ansehen,  die  N.iturwis- 
senschaften  oder  die  physischen  Wissenschaften  im  engern  Sinne:  die 
Physik,  Chemie  etc.,  werden  mit  der  Arzneikunde  in  nähere  Ver- 
bindung treten  und  wir  Alle  werden  auf  der  neuen  Bahn  wandeln, 
die  gegenwärtig  schon  durch  einige  unserer  bessern  Naturforscher 
und  Ärzte,  welche  die  Krankheiten  des  Menschengeschlechts  auf  hi- 
storischem und  geographischem  Wege  bearbeiteten,  eine  Physiologie 
als  Erfahrungswissenschaft,  eine  physiologische  Chemie,  eine  ver- 
gleichende Pathologie  etc.  schufen  (Schnurrer,  Burdach,  Hü- 
nefeld, Magendie,  Andral,  Louis  u.  A.),  eröffnet  worden 
ist.  Nur  auf  solcliem  Wege  wird  unsere  Kunst  und  Wissenschaft 
wahrhaft  gefördert  und  die  Schuld  getilgt  werden,  welche,  nach 
Treviranus,  unsere  Physiologen  noch  immer  (Wenige  ausgenom- 
men) belastet.  Nur  auf  dem  Wege  des  Experiinentirens,  nicht  durch 
apriorische  Sätze  und  Systemsucht,  können  Physiologie  und  Patho- 
logie wahrhaft  gedeihen;  um  aber  mit  Nutzen  experimentiren  zu 
können,  müssen  wir  Hypothesen  und  Yerniuthungen  aufstellen,  — 
eine  Wahrheit,  zu  deren  Einsicht  wir  endlich  gelangt  sind,  nach- 
dem sie  uns  früherhin  trotz  der  Bemühungen  und  Verdienste  eines 
Bacon,  Haller  u.  A.  nicht  einleuchten  wollte. 

Es  bedarf  demnach  die  Mediciri,  soll  sie  nicht  alle  wissenschaft- 
liche Tendenz  verlieren  und  in  rolie  Empirie  ausarten,  der  Theo- 
rien, Hypothesen  und  Yerrauthungen;  denn  diese  sind  die  Brücken, 
die  uns  das  Gebiet  der  Wissenschaft  erweitern  helfen,  und  Ärzte, 
die  dieses  nicht  einsehen,  täuschen  sich  selbst,  indem  sie  sich  Ver- 
wechselungen der  Begriffe  zu  Schulden  kommen  lassen  oder  gar 
über  Theorie  und  Empirie,  über  Wissenschaft  und  Kunst,  über 
Speculation  und  Erfahrung  zu  keinen  klaren  Begriffen  gelangt  sind. 
Soll  die  Medicin  iilso  wahrhaft  gefördert  werden,  soll  sie,  wie  lei- 
der! dies  die  Homöopathie  heutiges  Tages  genug  zeigt,  keine  Rück- 
schritte machen,  so  müssen  die  Gre^izen  der  Medicin  als  Wissen- 
schaft enger  gesteckt,  die  Grenzen  derselben  als  Kunst  und  im 
empirischen  Theile  aber  durch  Hülfe  guter  Theorien,  aus  der  Er- 
fahrung und  den  Naturwissenschaften  geschöpft,  erweitert  werden. 
So  nähert  sich  der  Theoretiker  dem  Praktiker,  und  dieser  wieder 
jenem,  der  Eine  hilft  dem  Andern,  und  beide  fördern,  indem  sie 
sich  freundlich  die  Hand  bieten,  das  grosse  Gebiet  der  medicinischen 
Wissenschaften.  —  Nach  dieser  Episode  kehre  ich  zu  vorliegendem 
Werke  wiederum  zurück,  um  noch  dieses  und  jenes  darüber  anzu- 
deuten. 

Es  bedarf  freilich  nicht  immer  der  neuen  Beobachtungen  und 
Entdeckungen,  um  die  medicinischen  Wissenschaften  zu  fördern; 
auch  schon  durch  gehörige  Würdigung  des  früher  Bekannten,  viel- 
leicht in  Vergessenheit  Gerathenen,  durch  zweckmässige  Zusammen- 
stellung desselben  und  des  Bewährten,  durch  Beleuchtung  der  Irr- 
Ihümer  und  der  falschen  Maximen  bei  Bearbeitung  medicinischer 
Schriften,    durch  strenge  Kritik  der  nothwendigen  Hypothesen  und 


XXVm  E  i  n  l  e  i  t  u  n  g. 

Tlieorien,  der  modernen,  oft  auf  Einseitigkeit  nnd  Autoritiitsglauben 
gestützten  pathologischen  Ansicliten  und  therapeutischen  Handlimgs- 
maxiraen,  wird  dieses  umfassende  Feld,  das  nicht  allein  im  theore- 
tischen, das  ja  auch  im  empirischen  Theile  so  viele  Lücken  darbie- 
tet und  nie  vollendet  dastehen  wird,  auf  eine  fruchtbringende  Weise 
cultivirt.  Indessen  schmeichle  ich  mir,  in  dieser  Encyklopädie  nicht 
allein  zu  dem  eben  genannten  Zwecke  nach  Kräften  beigetragen  zu 
haben,  sondern  ich  habe  daneben  auch  auf  manches  Nene  und  Un- 
beaclitete  in  diesem  Gebiete  und  auf  manches  Wirksame  in  der  or- 
ganischen und  unorganischen  Natur  aufmerksam  gemacht,  und,  wenn 
auch  oft  nur  angedeutet,  manche  eigenthümliche  Ansicht  und  Cur- 
methode,  hervorgegangen  aas  eigner  Erfahrung,  mitgetheilt.  In  die- 
ser Hinsicht  will  ich  nur  auf  die  Artikel  Catalepsis,  JEpilepsia, 
Pebris,  Fehris  puerperalis,  Fermentation  Galvanismus,  Gastro- 
malacia,  Homoeopathia ,  Hydrophobia^  Hysteria^  Inflammatio, 
Magnetismus,  Spasmus  und  auf  mehrere  ähnliche  aufmerksam 
machen. 

Dem  möglichen  Vorwurfe,  dass  wir  gegenwärtig  encyklopädi- 
sche  Wörterbüc]ier  der  Medicin  genug  besitzen  und  dass  diese  Schrift 
daher    eine  überflüssige    sey,    setze   ich    folgende   Gründe    entgegen: 

1)  Werke  dieser  Art  besilzen  wir  allerdings  mehrere;  aber  sie  sind 
fast  alle  so  grossartig  angelegt  und  sie  umfassen  das  Ganze  der 
Naturwissenschaften  dergestalt,  dass  sie,  sind  sie  dereinst  vollendet, 
40  und  mehrere  Bände  füllen  werden.  Dies  ist  z.  B.  mit  der  Pie- 
rer'schcn  medicin.  Realencyklopädie  der  Fall,  deren  Vollendung  wir 
vielleicht  noch  nicht  in  dreissig  Jahren  erleben,  da  der  erste  Cyklus 
(Anatomie  und  Physiologie)  kaum  im  Verlaufe  von  19  Jahren  been- 
digt worden,  und  das,  was  den  Praktiker  zunächst  interessirt;  Pa- 
thologie, Therapeutik,  Diätetik,  Pharmaceutik,  Klinik,  Chirurgie,  Ge- 
burtshülfe  etc.  noch  nicht  bearbeitet  und  im  Druck  erschienen  ist.  — 

2)  Auch  die  seit  dem  Jahre  1828  begc  neue  berliner  Medic.  -  chirur- 
gische Encyklopädie,  betitelt:  Encyklopädisches  Wörterbuch  der  me- 
dicin. Wissenschaften,  herausgegeben  von  Busch,  v.  Gräfe,  Hu- 
feland, Link,  Müller,  hat  in  den  bis  jetzt  erschienenen  12  Bän- 
den, die  mehrere  hundert  Druckbogen  in  Lexikonformat  umfassen 
und  jetzt  schon  über  30  Thaler  kosten,  noch  nicht  den  Buchstaben 
G.  beendigt,  so  dass  wir  auch  ihre  Vollendung  erst  nach  vielen 
Jahren  erwarten  können.  —  3)  Der  Plan  zu  beiden  übrigens  höchst 
schätzbaren  Werken  ist  zu  grossarlig  angelegt.  Die  Idee  dazu  ist 
allerdings  leicht  gefasstj  aber  wieviel  Zeit  und  IMühe  die  Realisirung 
derselben  eifordert,  wie  sehr  bei  dem  besten  Streben  die  Ausführung 
hinter  der  Idee  zurückbleibt;  —  dieses  sieht  man  erst  bei  der  Be- 
arbeitung und  Beendigung  eines  solchen  Werks  ein.  Auch  ists  ein 
vergebliches  Bemühen,  ganze  Bibliotheken  durch  solche  Scliriften 
ent])ehrlich  oder  überflüssig  machen  zu  wollen.  Dies  kann  und 
darf  nie  der  Fall  werden,  oder  die  Wissensdiaft  muss  nothwendig 
leiden.     Der  Nutzen   solcher  Schriften  ist   ein   anderer.     Sie  sollen 


Einleitung.  XXIX 

a)  deutHch,  klar  und  doch  dabei  kurz  abg^efasst  seyn,  damit  sie 
ohne  vielen  Wortkram,  ohne  Weitschweifigkeit  die  ^)uintessenz  des 
bearbeiteten  Gegenstandes  enthalten:  dazu  gehört  Batürlich  Kürze  im 
Ausdruck^  leider!  nicht  das  Eigenthura  eines  jeden  Autors;  b)  sie 
sollen  dem  Leser  mehr  zum  Nachschlagen  als  zum  Studium  dienen, 
und  ihm  durch  leichtes  Auffinden  der  Gegenstände  Zeit  und  Mühe 
ßparen;  c)  sie  sollen  Vieles  nur  andeuten  und  dadurch  das  Studium 
neuer  Gegenstände  rege  machen;  d)  sie  sollen  uns  mit  allen  neuen, 
wichtigen  Entdeckungen  im  Gebiete  der  abzuhandelnden  Gegenstände 
und  mit  der  neuesten  Literatur  derselben  bekannt  machen;  endlich 
e)  sollen  sie  auch  dazu  dienen,  die  Wissenschaft  mehr  fürs  Leben 
als  für  die  Schule  zu  bearbeiten,  und  also  mehr  für  das  Nützliche, 
Brauchbare,  Praktische,  als  für  die  blosse  Gelehrsamkeit  leisten. 

Diese  Punkte  sind  bei  Bearbeitung  vorliegender  Encjklopädie 
besonders  berücksichtigt  worden.  Da  nun  die  neuesten  medicinisch- 
chirurgischen  Encjklopädien  erst  ia  ihrem  Entstehen  begriffen  sind 
und  wegen  des  umfassenden  Plans  noch  viele  Jahre  zu  ihrer  Been- 
digung gebrauchen,  die  neueste  Zeit  aber  für  die  praktische  Heil- 
kunde und  Chirurgie  viel  Neues  und  Gutes  zu  Tage  gefördert  hat, 
was  in  altern  medicinisch- chirurgischen  Schriften  und  solchen  En- 
cjklopädien nicht  enthalten  sejn  kann ,  —  so  gehört  eine  compen- 
diöse  Schrift  der  Art,  berechnet  auf  nur  zwei  Bände,  die  obendrein 
blos  die  specielle  Tendenz  des  rein  Praktischen  hat,  noch  immer 
zu  den  Bedürfnissen  der  Gegenwart,  zu  denjenigen  Schriften,  nach 
welchen  sich  der  Herausgeber  und  mit  ihm  gewiss  eine  grosse  Menge 
praktischer  Ärzte  und  Wundärzte  zeither  vergebens  umgesehen  haben. 
Ausserdem  gewinnt  die  Wissenschaft  durch  jede  neue  Bearbeitung, 
so  auch  die  Medicin;  indem  die  Eigenthümlichkeit  der  Form,  der 
Darstellung,  das  Hervorheben  wichtiger  Gegenstände,  verbunden  mit 
echter  Kritik,  also  die  Subjectivität  des  Autors  bei  der  Darstellung 
des  vorherrschenden  Objectiven,  den  Gegenständen  einen  vielleicht 
neuen  Reiz  giebt  und  das  Studium  von  solchen  Dingen  anregt,  die 
mit  Unrecht  im  Strome  der  Zeit  oft  der  Vergessenheit  übergeben 
worden   sind. 

Vielleicht  glauben  manche  Leser,  dass  die  nach  dem  Dic^tion- 
naire  de  Mödecine  vom  Dr.  Meissner  bearbeitete  tJberset;Eung, 
welche  in  der  Fest'schen  Buchhandlung  zu  Leipzig  (a  Bd.  2  Thlr. 
12  Gr.)  erschienen  ist,  mit  vorstehendem  Werke  eine  und  die- 
selbe Tendenz  hätte.  Dies  ist  aber  durchaus  nicht  der  Fall ;  denn 
auch  sie  hat  mehr  die  Theorie  als  die  Praxis,  mehr  die  Hülfswis- 
senschaften  der  Medicin  als  die  praktische  Heilkunde  im  Auge 
behandelt  daher  Anatomie,  Physiologie,  Chemie,  Pharmacie,  Bota-> 
nik  etc.  oft  sehr  weitläufig,  und  berücksichtigt  dagegen  weniger 
das  für  den  Praktiker  so  nothwendige  Specielle  der  Pathologie  und 
Therapie,   sowie  die  praktischen  Cautelen  am  Kranlcenbette. 

Dagegen  sind  die  chirurgischen  Artikel  weit  ausführliclier  als 
die  medicinischen   behandelt,    eben   weil   die   Franzosen   bekanntlich 


XXX  Einleitung. 

bessere  AVundiirzte,  als  Ärzte  sind.  Aitsserdera  ist  und  bleibt  es 
das  Werk  einer  fremden  Nation,  der  A\ir  Deutsche  in  Betreff  der 
jnnern  Heilkunde,  wegen  uusers  eisernen  Fleisses,  unserer  ruhigem 
und  bessern  Beobachtungsgabe,  hervorgegangen  aus  einem  weniger 
sanguinischen  Temperamente  und  weniger  krankhaft  überspannter 
Reizbarkeit,  unserer  grössern  Umsicht  und  strengern  Kritik,  stets 
den  Rang  streitig  machen  können,  —  einer  Nation,  die  einseilig 
genug  ist,  den  innern  Grund  der  Krankheiten  auf  anatomisch -phy- 
siologischem und  pathologisch- anatomischem  Wege  einsehen  zu  wol- 
len. Endlich  fehlen  in  dieser  durch  Meissner  auf  unsern  Boden 
Terpflanzten  Encjklopädie  manche  Artikel  der  praktischen  Heilkunde 
gänzlich.  Die  ganze  Tendenz  dieses  französisclien  Werks  geht  mehr 
dahin,  die  Gelehrsamkeit  und  das  Wissen,  als  die  Praxis  und 
das  Können  zu  befördern,  und  ausserdem  ist  die  deutsche  Über- 
setzung doch  ziemlich  theuer,  da  die  10  Bände  zusammen  25  Tha- 
ler kosten. 

Vergleichen  wir  alle  bis  jetzt  erschienenen  neuern  Encyklopä 
dien  der  Medicin  und  Chirurgie  mit  einander,  so  Averden  wir  finden, 
dass  sie  alle  den  Fehler  an  sich  tragen,  dass  darin  bei  der  Cur 
der  Krankheiten  (ein  abermaliger  Beweis  ihrer  mangelhaften  prakti- 
schen Tendenz)  auf  gute  und  bewährte  Receptformeln  und  Äiznei- 
compositionen  fcist  gar  nicht  gesehen  worden  ist.  Der  junge,  uner- 
fahrne Arzt  hält  dies  zwar  für  Nebensache;  er  glaubt  selbst  genug 
componiren  zu  können.  Der  wahre  Praktiker  dagegen  weiss,  wie- 
viel gerade  auf  bewährte  Arzneicompositionen,  die  oft  erst  durch 
eine  vieljährige  Praxis  und  durch  lange  Erfahrung  gewonnen  werden, 
ankommt,  will  er  anders  mit  Glück  am  Krankenbette  handeln.  Er 
sieht  es  ein,  dass  eigenfhümliche  Mischungen  von  Arzneikörpern  oft 
ganz  besonders  wirksam  sind,  wenn  wir  uns  das  Nähere  darüber 
auch  nicht  immer  erklären  können.  Er  achtet  diesen  Gegenstand 
sehr  hoch  und  bemitleidet  den  jungen  Arzt,  der  diese  oder  jene  Re- 
ceptioimel  tadelt,  weil  sie  nicht  immer  schulgerecht  nach  den  stren- 
gen Regeln  der  sogenannten  Receptirkunst,  wie  sie  nach  chemischen 
Grundsätzen  ein  Trommsdorff  u.  A.  bearbeitet  haben,  abgefasst 
Avorden; —  er  weiss,  dass  sich  die  Arzneien  oft  zersetzen  müssen, 
sollen  sie  für  specielle  Fälle  wirksam  werden,  und  dass  das,  was 
sich  im  Magen  nicht  zersetzt,  oft  auch  unwirksam  bleibt  oder  als 
unverdauet,  als  nicht  in  succum  et  sanguinem  vertirt,  vom  Digestions- 
apparat wieder  ausgestossen  wird,  und  diesen  obendrein  schwächt; 
ja,  der  erfahrne  Praktiker  will  oft  selbst  eine  Zersetzung  der  Arz- 
neien im  Medicinglase,  wodurch  dann  ein  neues  Product  entstellt, 
welches  er  als  besonders  wirksam  kennt,  das  in  der  Apotheke  aber 
für  sich  nicht  zu  finden  ist.  Je  complicirter  z.  B.  unsere  Formeln 
der  Roborantia  sind,  desto  schneller,  sicherer  und  kräftiger  wirken 
sie  bei  der  Reconvalescenz  oder  bei  rein  adjnamischcn  Krankheiten, 
und  desto  v»ohlfeiler  wird  die  Cur,  indem  nach  meinen  zahlreichen 
Erfahrungen  ein  solches  Compositum,  acht  Tage  gebraucht,  hier  oft 


Einleitung.  XXXI 

mehr  thut,  als  der  vierwöelientlielie  Gebrauch  jedes  einfachen  stär- 
kenden IVIittels,  einzeln  und  nach  einander  gereicht.  Es  verhält  sich 
hier  gerade  so,  wie  mit  der  Ptumford'schen  Suppe  für  Arme.  Je 
coraplifirter  sie  ist,  je  mannigfaltiger  die  Ingredienzien:  Erbsen, 
Fleisch,  Speck,  Kartoffeln,  Rüben,  Mehl  etc.  sind,  die  hier  zusam- 
men gekocht  werden,  desto  mehr  Nährkraft  giebt  sie,  weil  dann  in 
ihr  mehr  Theile  enthalten  sind,  die  alle,  indem  ein  Theil  den  an- 
dern unterstützt,  in  stärkere  Beziehung  zum  Organismus  treten.  Man 
weiss  aus  Erfahrung,  dass  eine  solche  complicirte  Suppe  gerade 
noch  einmal  so  viele  Personen  vollkommen  sättigt,  als  gesättigt  seyn 
würden,  wenn  jeder  Bestandtheil  derselben  einzeln  gekocht  und  ge- 
nossen worden  wäre.  In  der  Kunstausübung  des  Praktikers  giebt 
es  viele  Dinge,  die  wir  nicht  auf  Akademien  erlernen,  die  wir  an- 
dern Praktikern  von  den  Händen  al)sehen,  ja  mit  den  Augen  stehlen 
müssen,  wollen  wir  eben  so  glücklich  am  Krankenbette  sejn,  als 
sie;  dahin  gehört  auch  das  richtige  Gpmponiren  der  Arzneien.  Alle 
ältere  und  neuere  berühmte  Ärzte:  Boerhaave,  van  Swieten, 
Sydenham,  Gaubius,  Morton,  Stahl,  Richter,  Stell, 
Quarin,  P.  Frank,  S.  G.  Vogel  u.  A.  m.  gaben  daher  in  ihren 
Schriften  gute  Reccptforraeln  an ;  warum  sollten  wir  ihnen  nicht  auch 
darin  nachfolgen'?  —  Ich  habe  diesen  Umstand  in  meiner  Encj- 
klopädie  besonders  berücksichtigt,  in  der  festen  Überzeugung,  dass 
das  Werk  dadurch  für  den  Praktiker  einen  höliern  Werth  erlangen 
wird.  Denn  in  der  Ausübung  der  Heilkun^t  ist  gerade  die  Mannig- 
faltigkeit der  Heilmittel  und  Curarten  nothwendig,  Iheils,  um  das 
Heilverfahren  den  verschiedenen  Graden,  Modificationen  und  Com- 
plicationen  der  Krankheit  und  den  Innern  und  äussern  Lebenszustän- 
den  des  Kranken  anzupassen,  theils  auch,  um  bei  langwierigen 
Krankheiten  mit  den  Mitteln  zu  wechseln  und  so  durch  den  Reiz 
der  Neuheit  auf  den  Organismus  (ein  Pieiz,  der  eben  so  wirksam 
aufs  Somatische,  als  aufs  Psychische  ist)  die  Cur  zu  erleichtern 
und  zu  beschleunigen,  wie  dies  der  unsterbliche  Stell  (Rat.  med. 
P.  III.  p.  432)  schon  richtig  bemerkt. 

Mein  ernstlicher  Vorsatz  ist,  weder  Fleiss  noch  Mühe  zu  spa- 
ren, um  die  Mängel  und  Unvollkommenheifen  des  vorliegenden  Wer- 
kes durch  Beherzigung  fremder  und  fortgesetzter  eigener  Erfahrung 
am  Krankenbette,  und  durch  die  Winke  und  Bemerkungen  gründ- 
licher und  unbefimgener  Recensenten  nach  Möglichkeit  zu  verbessern 
(denn  eine  Schrift  dieser  Art  ist  nicht  eines  Menschen  Werk.'), 
und  es  ergeht  daher  an  Letztere  ganz  besonders  die  Bitte:  die  Män- 
gel desselben  im  Allgemeinen,  wie  in  den  einzelnen  Artikeln,  nebst 
den  Mitteln,  ihnen  abzuhelfen,  genau  anzuzeigen,  überhaupt 
die  Schrift  unparteiisch,  umsichtig  und  gründlich,  der  Wichtigkeit 
des  Gegenstandes  gemäss,  zu  prüfen  —  denn  sie  enthält  viel  Ei- 
genthümliches  und  eröffnet  eine  Opposition  gegen  alles  Einseitige  der 
neuem  Schulen  und  gegen  die  Schwächen  unserer  Zeit  — ,  und  ein 
i»nf  Recht,  W^ahrheit  und  Billi;>keit  basirtes  Urtheil   darüber  zu  fäi- 


XXXII  E  i  n  l  e  i  t  u  n  ": 


O' 


len,  —  damit  die  näclis(fol,ü;ende  dritte  Auflage  derselben  sie  dem 
Grade  der  Vollkommenheit  näher  führe,  der  bis  jetzt  bei  dem  besten 
AVillen  und  der  grüssfeu  Anstrengung  noch  nicht  erreicht  weiden 
konnte, 

Sdiliesslich  bemerke  ich  noch,  dass  die  von  mir  abgehandel- 
ten Gegenstände  manche  fremde  Autorität  in  Parenthese  enthalten, 
die  sich  nicht  auf  literarische  Arbeiten ,  sondern  auf  persönliche  Be- 
kanntschaft, auf  mündliche  oder  schriftliche  Mittheilang  vieler  ausge- 
zeichneten Ärzte  des  In-  und  Auslandes  stützt.  Auch  ist  Manches 
aus  der  neuern  Zeit  deshalb  mit  Stillschweigen  übergangen  worden, 
weil  es  mir  für  die  Praxis  zu  unwichtig  schien,  um  wichtigern  Ge- 
genständen derselben  dadurch  den  Platz  zu  rauben. 

Möge  dieses  Werk  zum  Besten  der  leidenden  Menschheit  und 
zur  Ausbildung  junger  Arzte  für  die  praktische  Laufbalin,  wie  ich 
es  wünsche,  auch  fernerhin  recht  kräftig  beitragen! 

Rostock,  im  April  1836, 


Der   Heranseeber. 


A. 


i\l)articnlatio>  Verrenkung,  s.  Luxatio. 
Al>lactatio $  Apogalnclismus ,  das  Entwöhnen  von  der  Mut- 
terbrust. Die  Zeit,  Avie  lange  der  Säugling  gestillt  werden  soll,  lässt 
sich  nicht  genau  bestimmen.  Schwächliche  Kinder  müssen  länger  als  stark« 
gestillt  werden.  Als  Regel  lässt  sich  annehmen ,  dass  das  Kind  die  Brust 
entbehren  kann,  sobald  es  8  bis  10  Zähne  hat,  also  in  dem  Alter  von  10 
bis  12  Monaten.  Ein  sehr  schwächliches  Kind  kann  ohne  Schaden  bis  zum 
18ten,  SOsten  Monate  gestillt  werden ,  wenn  anders  die  Muttermilch  gesund 
ist ,  die  Brüste  nicht  welk  und  schlaff  sind  und  keine  neue  Schwangerschaft 
da  ist.  Auch  halten  viele  Ärzte  das  Fortstillen  fürs  Kind  nachtheilig,  so- 
bald die  Mutter  wieder  menstruirt  worden  ist.  Dies  ist. aber  nicht  immer 
der  B'a'.l,  und  oft  befindet  sich  der  Säugling  wohl  dabei.  Alsdann  kann 
^dreist  fortgestillt  werden,  besonders  wenn  das  Kind  noch  keine  8  Monate 
alt  ist.  In  Betreff  des  Entwöhnens  lassen  sich  manche  stillende  Mütter 
Fehler  zu  Schulden  kommen ,  wofür  nicht  allein  der  Säugling,  sondern  auch 
sie  büssen  müssen.  Die  Mutter  muss,  will  sie  ihr  Kind  entwöhnen,  diesem 
nicht  auf  einmal  die  Brust  entziehen ,  sondern  wenigstens ,  um  das  Entwöh- 
nen einzuleiten,  8  Wochen  dazu  gebrauchen.  Sie  muss  anfangs  dem  Säug- 
linge bei  Tage  nur  viermal ,  dann  dreimal ,  dann  zweimal ,  noch  später  nur 
einmal ,  endlich  bei  Tage  gar  nicht ,  nur  des  Nachts  die  Brust  reichen.  In 
der  letzten  Woche  muss  er  auch  des  Nachts  höchstens  zweimal  angelegt 
werden.  Er  wird  während  dieser  Zeit  allmälig  an  andere  Nahrung  gewöhnt, 
welche  leicht  verdaulich  und  einfach  seyn  muss,  z.  B.  gestossener  Zwieback, 
Zucker  und  gekochtes  Wasser,  Wasser  und  Milch.  Auf  diese  Weise  ver- 
geht die  Milch  in  den  Brüsten  allmälig,  es  kostet  dem  Kinde  kein  so  grosses 
Opfer,  der  Brust  entsagen  zu  müssen ,  und  es  werden  viele  Krankheiten  der 
weiblichen  Brust :  Entzündung ,  Milchknoten ,  Geschwüre,  Verhärtungen  etc. 
verhütet  (Jönj ,  Oslander,  v.  Froriep,  v.  Siehold).  Eine  Wöchnerin,  wel- 
che nicht  stillen  kann,  vertreibt  die  Milch  am  besten  dadurch,  dass  sie  sich 
einige  Tage  ins  Bette  legt,  viel  Fliederthee  zum  SchAvitzen  trinkt,  und  die 
Brüste  mit  weichen  gewärmten  Servietten  fest  zudeckt ;  auch  letztere ,  so- 
bald sie  von  Schweiss  triefen,  mit  trocknen  vertauscht.  Ist  der  Andrang 
der  Milch  dennoch  sehr  gross ,  so  giebt  man  nach  S  Tagen  ein  gelindes 
Laxans  aus  Kalbfleischbrühe  mit  einigen  [Theelöffeln  voll  Glaubersalz  (J.  F. 
Osiander).     S.  Abscessus  lacteus  mammarum. 

A1>lnentia ,  reinigende  Mittel ,  s.  Abstergentia. 

AbnorinitaiS ,  Abnormität,  Abweichung  von  der  Regel 
(Norma).  Ist  gleich  bedeutend  mit  Anomalie  (S.  Anomalia).  ,,  Man  hat 
sich  oft  —  sagt  mit  Recht  Heclcer  in  Rusfs  Handbuch  d.  Chirurgie,  Bd.  I. 
S.  4f>.  —  die  Krankheiten  als  Abnormitäten  der  Gesundheit  vorgestellt,  ohne 
durch  diese  Vorstellung  auf  einen  klaren  und  fruchtbringenden  Begnff  zu 
kommen,  indem  die  Krankheit  als  eine  bestimmte  Richtung  des  Lebenspro- 
cesses  ^  eben  sowohl  ihre  Gesetzmässigkeit  hat ,  wie  die  Gesundheit  selbst, 
und  mithin  alles  in  ihr  von  der  Norm  dieser  Richtung  Abweichende  auf 
gleiche  Weise  als  Abnormität  zu  betrachten  ist.  "  So  gut  wie  man  von 
Anomalien  im  Verlaufe  verschiedener  Krankheiten  redet ,  also  von  Abnorpü- 
täten  irgend  einer  Abnormität  der  Gesundheit,  mit  demselben  Rechte  kann 
man  auch  von  den  Krankheiten  der  Krankheiten  reden,  wie  denn  auch  kürz- 
lich eine  solche  kleine  Schrift  zu  Tage  gefördert  ist.  (S.  J.  F.  A.  Guizetii, 
lieber  die  Krankheiten  der  Krankheiten,  und  die  Krankheitea  der  Krank- 
Most  Encyklopädie.  2te  Aufl.  I.  1 


2  ABORTIYA 

heitpn  der  Krankheiten  ( ! ! ).  Wüi-zburg  1832.)  Der  barbarische  Titel  mus» 
nicht  vom  Lesen  dieser  scharfsinnig  geschriebenen  Schrift  abhalten.  Sie  ent- 
hält manche  gute  Ideen ,  entnommen  der  sog.  Naturphilosophie ,  wie  sie  ein 
Schclluii/ ,  Troxler ,  Himhj  lehrten ,  und  an  Scliüulcin  einen  der  neuesten 
Jünger  hat.  Der  Organismus  bildet  nach  G.  aus  sich  selbst  auch  seine  Krank- 
heilen ,  das  Erkranken  ist  ein  Lebensact  des  Organismus  selbst;  die  Krank- 
heit entsteht  daher  nur  von  innen  nach  aussen ,  der  Körper  selbst  ist  der 
Grund  der  Krankheit.  Nicht  der  Ansteckungsstoil  einer  Krankheit  bringt 
diese  hervor ,  sondern  der  durch  denselben  auf  irgend  eine  Art  bedingte 
Körper.  Das  kranke  Leben  hat  auch  seine  Gesetzmässigkeit  (Norm)  ,  die 
Krankheit  ist  nichts  sich  selbst  Widersprechendes,  Zerstörendes,  wie  Manche 
behauptet  haben  ;  sie  hat  Einheit  in  sich  selbst ;  daher  ist  sie  etwas  Orga- 
nisches, —  ein  eigenthümlicher  Lebensact  des  Organismus.  —  Aber  auch 
die  Krankheit  selbst  kann  krank  werden.  Die  Krankheiten  der  Krank- 
heiten umfassen  Alles,  was  man  gewöhnlich  zu  den  Anomalien  der  Krank- 
heiten rechnet.  Dieses  sind  sie  aber  nur  in  einseitiger  Beziehung ,  nämlich 
in  der  auf  die  Gesetzmässigkeit  der  ursprünglichen  Krankheiten,  so  wie  diese 
selbst  Anomalien  sind  in  Bezug  auf  die  Gesundheit.  So  wenig  aber  die 
Krankheilen  für  sich  selbst  Anomalien  sind,  eben  so  wenig  sind  es  auch  die 
Ki"inkheiten  der  Krankheiten  ;  in  beiden  ist  nichts  Zufälliges  ,  nichts  Verwor- 
renes ,  und  diese  haben  eben  so  ihre  bestimmten  Gesetze ,  wie  jene ;  so 
Z..B.  die  Kuhpocken,  die  anomale  Gicht.  Seite  14  heisst  es:  „Die  Hei- 
lung der  wenigsten  Krankheiten  steht  in  der  Macht  des  Arztes.  Niemand 
vsird  sich  rühmen,  einen  Typhus,  einen  Hautausschlag  geheilt  zu  haben; 
selbst  die  Gicht  zu  heilen  erklären  S>/denhnm  und  Boerhnitvc  fTir  ein  thöri- 
ges  Unternehmen,  —  Zwei  verschiedene  Hauptaufgaben  sind  der  Hauptin- 
halt des  ärztlichen  Berufs;  die  erste  ist:  die  Krankheiten,  die  andere:  die 
Krankheiten  der  Krankheiten  zu  heilen.  INlit  den  letztern  hat  es  der  Arzt 
meistens  zu  thun ,  jene  liegen  fast  ganz  und  gar  ausser  seinem  Bereiche. " 
.,  Vielleicht  kommt  einst  die  Zeit  —  sagt  ö.  ferner  S.  15  u.  f.  — ,  wo  un- 
sere Kunst  so  lioch  gebildet  ist,  dass  sie  jene  Forderung  erträgt  und  er- 
füllt ,  wo  der  Arzt  so  tief  einzugreifen  vernmg  in  die  Lebensbedingungen 
des  Organismus,  dass  er,  ohne  diesen  selbst  aufzuopfern,  die  Verhältnisse 
zu  zerstören  wagen  darf,  welche  die  Ausbildung  der  Krankheit  bedingen, 
wo  er  einen  Typhus  abdominalis  heilt  vielleicht  durch  Erzeugung  eines  äus- 
sern Hautausschlags  etc."  —  Der  Arzt  muss,  wie  ein  Kindererzieher,  viele 
Krankheiten  hegen  und  pflegen ,  und  nur  dann  darf  er  gegen  sie  einschrei- 
ten, wenn  sie  anomal  werden.  Er  muss  hier,  was  der  ganzen  Aufgabe  des 
ärztlichen  Berufs  zu  widersprechen  scheint,  häufig  die  nicht  vollständig  aus- 
gebildeten Krankheiten  anspornen  und  zur  regelmässigen  Entwickelung  zu 
bringen  suchen.  Hier  ist  also  der  Arzt  wirklicher  Nosogoge.  —  Aus  den 
Gesetzen  der  Gesundheit  lassen  sich  die  Gesetze  der  Krankheiten  nicht  al- 
lein erklären,  weil  das  kranke  Leben  ein  anderes  als  das  gesunde  ist;  des- 
halb können  auch  die  Krankheiten  der  Krankheiten  aus  der  Krankheit  allein 
nicht  erklärt  werden.  —  Die  exspectative  Behandlung  der  Krankheiten  ist 
meist  eine  prophylaktische  gegen  die  Krankheiten  der  Krankheiten.  Jede  der 
letztern  ist  schlimmer  als  die  Krankheit  selbst,  und  ihre  Gefährlichkeit  steht 
im  geraden  Verhältnisse  mit  der  Entfernung  vom  ursprünglichen  Eiitwicke- 
lungstypus  derselben.  G.  versucht  es,  eine  Einthcilung  der  Krankheiten  der 
Krankheiten  aufzustellen  nach  dem  Grade  oder  Masse  (Mangel-  und 
Uebermassformen) ,  nach  der  Art,  nach  der  Ordnung  und  Folge,  und 
zuletzt  handelt  er  über  die  Krankheiten  der  Krisen,  als  Acrisia,  Crisis  exi- 
gua ,  nimia,  u.  s.  f. 

Abortiva»  AmhJntka.  Sind  solche  Mittel,  die  den  Abortu.s  beför- 
dern. Si<'  \\ irkin  «iirect  oder  indirect  auf  die  Frucht  oder  auf  den  Uterus, 
reizen  letztem  zn  Contrjiciionen  und  geben  so  zum  ,\l>ortus  o<ler  zur  Früh- 
(jteburt  Aidass.     Ihre  Wirkung  ist  theils  dynamisch,  tluils  mechanisch,  iheils 

temi^cht.     Gelinde  Aboriiva  sind:  all«-  Mittel,  die  stark»-  Blutcongestiun  zum 
«tcrus  machen,  oft  wicderhuUv  Aderlässe  aui  Fussc;  die  gelinden  Eunuena- 


ABORTUS  3 

goga :  Theo^  ron  Chamillen ,  Melisse ,  Arnlca ,  ßchwarzep  starker  Kaffee. 
Heftiger  wirken  alle  Purganzen:  Fol.  sennae,  Aloe,  Jalape,  Gumm.  guttae, 
Ol.  croton.,  Rheum  in  grossen  Dosen ,  besonders  Tinct.  rhei  yinosa  (w.  Sie- 
hold)  ;  ferner  Borax ,  Crocus ,  Hb.  rorisinarini ,  Phallus  impudicus  ,  Sabina, 
Taxus,  Castoreum,  Seoale  cornutum,  Mercur.  dulc,  Merc.  gummös.  Plenck^ 
Merc.  sublim,  corros.  (^Kluge),  Ol.  animale  Dipp.,  Ol.  chamom.,  junip.,  sa- 
binae,  das  Extr.  panchymagog.  CroUii,  die  Pil.  baisam.  HofFmanni,  das  Elix. 
Proprietät.,  die  meisten  gegen  Bandwurm  empfohlenen  Mittel.  —  Zugleich 
mechanisch  und  dynamisch  wirken :  starke  Brech  -  und  Niesemittel ,  elektri- 
sche Schläge ,  Einschnürung  des  Unterleibes  durch  Corsetts ,  äusserliches 
Reiben  und  Drücken  des  Uterus  mit  der  Hand,  Stösse,  Schläge,  Ti'itte, 
ortliche  Reizungen  des  Muttermundes  durch  grobes  Touchiren,  durch  Press- 
schwamm ,  spitzige  Werkzeuge ,  durch  den  Eihautstich ,  durch  unzeitige  ge- 
missbrauchte  Erregung  der  künstlichen  Frühgeburt; —  Reizungen  per  anura 
durch  reizende  Klystiere,  Masturbationen  etc.    s.  Abortus. 

Abortus,  Ahorsus,  Abordo,  Ambloma,  Amhlosis,  Omotocia  (^Fnusse- 
couche) ,  Fehlgeburt,  unzeitig  e  Geburt,  Missfall,  Umschlag. 
Erfolgt  dia  zu  frühe  Geburt  vor  der  16ten  Schwangerschaftswoche,  so  heisst 
sie  im  engern  Sinne  Abortus  und  geht  gewöhnlich  mit  unverletzten  Eihäuten 
ab.  Erfolgt  sie  zwischen  der  löten  und  28sten  Woche,  so  heisst  sie  nn- 
zeitig  (Partus  immaturus  s.  Ectrosis);  stellt  sie  sich  erst  zwischen  der 
28sten  und  S7sten  Woche  der  Schwangerschaft  ein,  so  nennt  man  sie  eine 
frühzeitige  Gebuit  (Partus  praematurus).  Bei  letzterer  kann  der  Fötus 
fortleben ,  und  es  gehört  zu  den  Fortschritten  in  der  Geburtshülfe ,  dass 
man  sie  künstlich  in  solchen  Fällen  anwendet ,  wo  sonst  wegen  Enge  des 
Beckens  keine  lebenden  Kinder  zur  gewöhnlichen  vollen  Zeit  der  Schwan- 
gerschaft geboren  werden  können  (s.  Partus  praematurus  artifi Cia- 
lis). Vorboten  und  Zeichen  sind:  Schwere,  Mattigkeit,  Kälte  und  Er- 
starrung in  den  Gliedern,  Frösteln,  Schauer,  Schwindel,  Ohnmächten,  Kopf- 
weh, Schwere  und  Spannung  im  Leibe,  in  den  Lenden,  im  Kreuze,  Schlaf- 
losigkeit, blasse  Gesichtsfarbe,  trübe  Augen,  blaue  Ringe  um  dieselben,  Man- 
gel an  Appetit,  belegte  Zunge,  übler  Geruch  aus  dem  Munde,  Drängen  zum 
Urinlassen,  Wehen,  tiefe  Senkung  des  untern  Abschnitts  des  Uterus  und  der 
Portio  vaginalis,  Erweiterung  des  Muttermundes  unter  den  Wehen,  Abfluss 
von  Schleim,  Blut,  Kindswasser  aus  der  Scheide,  oft  Metrorrhagia  und  Co- 
lica  abortlva,  besonders  bei  Partus  immaturus  und  praematurus.  Dauer, 
Ausgänge  und  Verlauf.  Geht  der  Abortus  wirklich  vorsieh,  so  ei-folgt 
er  zuweilen  schon  binnen  2  bis  5  Stunden ;  oft  dauert  er  aber  2  bis  3  Tage, 
seltener  selbst  Wochen  lang.  Li  den  ersten  3  Monaten  geht  das  Ei  meist 
unverletzt  ab  ,  und  der  Abortus  erfordert  längei'e  Zeit  als  der  Partus  imma- 
turus. Hier  verlängert  aber  das  Nachgeburtsgeschäft  nicht  selten  den  Krank- 
heitszustand. Zuweilen  stirbt  das  Ei  früh  ab,  ohne  dass  es  sich  entleert 
oder  sogleich  abgeht.  Hier,  so  wie  in  den  Fällen,  wo  das  Ei  sich  zu  einer 
Mole  oder  Hydatide  verwandelt,  hören  die  Symptome  der  dagewesenen 
Schwangerschaft  auf,  die  Frauen  leiden  an  Übelkeit,  Erbrechen,  Erschlaf- 
fung ,  haben  des  Nachts  viele  Hitze ,  die  Brüste  sinken  ein ,  werden  schlaff, 
der  Unterleib  fühlt  sich  kalt  an,  es  stellen  sich  häufige  Frostschauer  ein 
(im  Augenblick  des  Absterbens  des  Fötus  ein  Schüttelfrost),  Olmmachten, 
Gesichtsblässe,  übelriechender  Athem  etc.  Ursachen  des  Abortus  und 
der  Frühgeburt  im  Allgemeinen.  Von  Seiten  der  Mutter  sind  ge- 
legentliche und  prädisponirende  Ursachen :  verweichlichte  Lebensart ,  enge, 
drückende  Kleidung  (Schnürbrüste) ,  nervöse  Ccnstitution,  Vollblütigkeit, 
allgemeine  Schwäche  des  Körpers ,  erste  Schwangerschaft  in  sehr  frühem 
oder  in  spätem  Alter,  Conception  kurz  vor  oder  während  der  Menstruation, 
Menstruation  während  der  Schwangerschaft,  anhaltender  weisser  Fluss ,  orga- 
nische Fehler  und  fehlerhafte  Lagen  des  Uterus,  unvoUkomranes  Conceptions- 
vermögen,  z.  B.  bei  Frauen,  die  jedesmal  abortiren,  wenn  sie  nicht^  zu  einer 
bestimmten  Zeit  concipiren  (El.  v.  Siebold);  ferner  manche  epidemische 
acute ,  asthenische  Krankheiten ,  heftige  Gemüthsbewegungen ,  Zorn,  Ärger, 

1* 


4  ABORTUS 

Kummer,  Gram,  die  Macht  der  Gewohnheit,  welche  bewirkt,  da.<s  einmali- 
ges Abortiren  die  Neij;iing  zu  mehrmaligem  befördert,  verschiedene  treibi-iidü 
Arzneien  (s.  Abort  iva),  woliin  auch  noch  die  kaiischen  Mittel:  fixe  I^iift, 
Sal.  tart.  depur. ,  der  innerliche  Gebrauch  der  Seife  (besonders  in  ui:serer 
Gegend  unter  Landdirnen  oft  gemissbrauchl)  gehören;  auch  manche  atmo- 
spliärische  KinHiisse  sind  wichtige  ursächliche  Momente  zur  Beförderung  des 
Abortus,  besonders  strenge  \V  interkälte,  anhaltend  nasskalte  ^Vitti-iung, 
grosse  Sommerhitze,  trockner  Frühling  etc. ,  desgl.  manche  Krankheiten, 
z.  B.  Febr.  intermittens,  Inflammatio,  Haemorrhoides,  Varices  uteri,  manche 
chron,sche  Krankheiten,  schlechte  Diät:  erhitzende  Getränke,  übermässiger 
Coitus,  Erkältung  etc.  Nach  Chastniniit  (Nouv.  Bibliolh.  Dcbr.  1826) 
abortiren  Frauen  leicht,  deren  an  Syphilis  leidende  Männer  sich  vor  ihrer 
Verheiraihung  keiner  gründlichen  Cur  unterzogen  hatten.  Von  Seiten  des 
Fötus  begünstigen  den  Abortus:  zarte  und  junge  Bildung  des  Eies,  Miss- 
bildungen des  Fötus  ,  z.  B.  Wasserkopf,  .\kephalie ,  Absterben  desselben, 
wobei  der  Zusammenhang  des  Eies  und  der  Gebärmutter  aufgehoben  wor- 
den ,  zu  schnelles  Wachsthum  des  Fötus ,  verschiedene  Krankheiten  dessel- 
ben (gut  beschrieben  von  Ilitfclaiid^ ,  Abnoi'mitäten  der  Eihäute  und  des 
Mutterkuchens,  besonders  wenn  letzterer  sich-an  der  tiefsten  Stelle  der  Ei- 
häute schon  bei  der  ersten  Bildung  entN>ickelt ,  ^vo  dann  eben  so,  wie  spä- 
terhin bei  Placenta  praevia,  Blutungen  entstellen  müssen,  wovon  Aboriu.s 
odcj:  Frühgeburt  so  häufig  Folge  sind  (Carl  IVeuzcl^  Folgen  des 
Abortus  für  die  Mutter.  Sie  sind  oft  sehr  bedeutend.  Der  nicht  selten 
heftige  Blutfiuss  schwächt  die  Constitution ,  es  erfolgen  Anomalien  der  Re- 
geln,  Metrorrhagla ,  Hysteria,  IVIigräne,  Fluor  albus,  örtliche  Krankheiten 
des  Uterus,  Carcinoma  uteri,  Febris  lenta,  Abzehrung,  Phlhisis.  Erfolgt 
der  Abortus  schnell,"  ohne  viele  Schmerzen,  ohne  bedeutende  und  anhaltendo 
Blutung,  so  ist  die  Prognose  besser.  Behandlung.  1)  Bei  Frauen,  die 
schon  öfter  abortirt  haben,  suche  man  bei  den  ersten  Vorboten  des  Übels 
Alles,  was  früher  Abortus  erregte,  zu  entfernen,  und  schon  zu  Anfange  der 
Schwangerschaft  ist  hier  eine  besondere  Diät  nothwendig:  einfache,  leicht- 
verdauliche Speisen,  ruhiges,  einfaches  Leben,  Vermeidung  aller  heftigen 
Körper-  und  Gemülhsbewegungen,  der  Erhitzung  und  Erkältung,  einfache, 
leichte,  nicht  drückende,  pressende  Kleidung;  dabei  Ruhe  und  horizontale 
Lage  der  Schwangern,  besonders  in  der  Zeit,  wo  früher  der  Abortus  er- 
folgte, und  zwar  6  bis  8  Wochen  lang.  Ist  Plethora  da,  dann  massige 
Aderlässe,  mehrere  Monate  hindurch  wiederholt  (^iiivcriiis).  Ein  kleiner 
revulsorischer  Aderlass  ist  das  grösste  Präservativ  bei  den  ersten  Vorboten 
des  Abortus  ;  selbst  bei  schwächlichen,  hysterischen,  nervösen  Naturen  ver- 
säume man  ihn  nicht;  man  lasse  hier  nur  2 — 3  Unzen  Blut  am  Arme,  und 
rathe  Ruhe  und  horizontale  l^age  an  ( i'V/. )  ;  wiederhole  auch  den  kleinen 
Aderlass,  wenn  wieder  Ahortivsymptome  sich  einstellen,  alle  vier  Wochen. 
Daneben  ist  hier  eine  nährende  Diät  nebst  stärkenden  Arzneien  indicirt. 
Man  verordne  Fol.  aurantior.,  Extr.  trifol.  fibrini,  Quassia.  aromatische  Bä- 
der, Einreibungen  in  den  Unterleib  von  Lin.  volat.  camph.  mit  Ol.  hyoscyami 
ana  ^j.,  Laudani  liquid.  Sydenh.  5j'  "•  dergl.  Bei  wirklicher  Plethora  pas- 
sen diese  Mittel  nicht ,  hier  sind  neben  dem  Aderlass  und  der  Ruhe  küh- 
lende Mittel:  Crem,  tartar. ,  Nitrum  etc.  zu  verordnen,  desgleichen  eine 
-weniger  nährende,  mehr  vegetabilische  Diät.  Ist  Retroversio  uteri  Ursache, 
desgl.  Prolapsus  uteri,  so  folgt  leicht  im  zweiten,  dritten  Monate  der  Abor- 
tus unter  Vorboten  von  Ziehen  im  Kreuze,  Drängen  nach  den  Genitalien, 
Urinvejhaltung.  Hier  verbessere  man  die  abnorme  Lage  des  l'riTHS  durch' 
horizontale  Körperlage  mit  erhöhtem  Kreuze,  durch  das  mechanische  Ver- 
fahren (s.  Retroversio  uteri),  gebrauciic  beim  Prolapsus  einen  zarttn 
Scluvainm,  aber  kein  Tcssarium  (u.  Sichold)  ,  besonders  auch  da,  wo  das 
Becken  zu  weit  ist,  sorge  für  tägliche  Li-ibcsöffnung  mittelst  Klystiere. 
2)  Selbst  bei  den  Zcichiii  des  nahe  eintretenden  Abortus  kann  dieser  durcti 
einen  kleinen  Aderlass,  durch  kühlende  .Mittel,  ruhige  horizontale  Lage,  ist 
hohe  Sihuächo  und  Krampf  da,  durch  die  Mcthodus  anlispasmodica.  exci'ans. 


^ABORTUS  5 

bei  Plethora  durch  einen  Aderlass  am  Arme  von  6  —  8  Unzen  und  die  Me- 
thodus  antiphlogistica :  Mandelemulsion  mit  Nitrum ,  z.  B.  Rr  Emah.  nmijgda- 
htr.  dulc.  rec.  cjcpr.  §vjjj,  Nitri  depurati  5jjj,  Tart.  vitriohiil  gß ,  Sijr. 
sacchari  5].  M.  S.  Stündlich  1 — 2  EsslöflFel  voll,  verhütet  werden.  Bei 
heftigen  Blutflüssen  dienen  innerlich  Elix.  acid.  Halleri,  Tinct.  cinnamoni., 
kalte  Umschläge  ,  Tampons  mit  Wasser  und  Essig  mittels  Charpie  in  die 
Vagina  bis  an  den  Muttermund.  3)  Geht  der  Abortus  wirklich  vor  sich, 
kann  er  nicht  mehr  verhütet  werden  (  Abfluss  von  Kindswasser  und  starke 
Blutung  deuten  darauf  hin),  so  ist  die  erste  Indicatlon :  Verminderung  der 
Gefahr  desselben.  Ist  die  Schwangere  noch  nicht  über  drei  Monate  schwan- 
ger ,  so  rathe  man  eine  reclinirte  Lage  an ,  vermeide  jedes  Beförderungs- 
mittel der  Geburt,  und  überlasse  auch  die  Heraustreibung  der  Placenta  der 
Natur.  Anders  verhält  es  sich  aber  bei  der  Frühgeburt  und  beim  Partus 
immaturus.  Ist  hier  das  Kindwasser  schon  abgeflossen ,  liegt  der  Kopf  oder 
Steiss  oder  die  Placenta  vor ,  ist  ein  gefährlicher  Blutfluss  eingetreten  ,  so 
gehe  man  längs  des  Kreuzbeins  vorsichtig  mit  zwei  Fingern  bis  an  den  Kopf 
und  Rücken  des  Fötus  ein  und  leite  denselben  behutsam  heraus.  Ist  keine 
dringende  Gefahr  durch  Blutung  da ,  so  überlasse  man  das  Nachgeburtsge- 
schäft der  Natur,  da  die  Placenta  oft  mehrere  Tage  ohne  Nachtheil  zu- 
rückbleibt (u.  Siehold").  Man  mache  hier  vorerst  Injectionen  von  Infus, 
chamom.  mit  etwas  Alkohol,  bringe  einen  Schwamm,  der  in  Haferschleim 
getaucht  ist ,  bis  an  den  Muttermund ,  und  die  Reste  der  Eihäute  oder  Pla- 
centa werden  sich  allmälig  lösen.  Späterhin  mache  man,  um  Fäulniss  zu 
verhüten ,  InjecSionen  von  Dect.  quercus  ,  chinae  ,  Tinct.  myrrhae.  Oft  ists 
nöthig,  die  zerrissene  Placenta,  wenn  die  Blutung  Gefahr  droht,  mit  Oshin- 
dcrs  Nachgeburtszange  zu  holen.  Ist  dies  nicht  möglich,  so  gebe  man  alle 
halbe  Stunden  25  Tropfen  Elix.  acid.  Halleri  mit  40  Tropfen  Tinct.  cin- 
nam.  in  Haferschleim ;  steht  dann  die  Blutung  nicht  bald ,  so  versuche  man 
den  mit  Sand  angefüllten  Beutel,  auf  den  Unterleib  gelegt  (^Kluffe^  ,  oder 
im  höchsten  Nothfalle  die  Compression  der  Aorta  descendens  per  vaginam 
oder  von  aussen  her  mit  zwei  Fingern  (d.  SichoJd).  —  Die  Dispositio  ad 
abortum  ist  oft  schwer  zu  heben;  besonders  bei  Fi'auen  ,  die  schon  10  — 12 
mal,  und  zwar  immer  in  einem  und  demselben  Monate  abortirt  haben  (Abor- 
tus habitualis).  Hier  ist  Zweierlei  zu  berücksichtigen:  1)  entweder  das 
Uterinsystem  ist  hier  höchst  reizbar,  die  Productivität  vorherrschend  und 
Plethora  da ,  die  Person  irritabel ,  vollblütig.  Alsdann  passen  besonders  in 
der  Schwangerschaft:  kühlende,  vegetabilische  Diät,  Ruhe,  öftere  kleine 
Aderlässe,  Vermeidung  des  Weins,  Kaifees,  Thees;  —  oder  2)  wir  finden 
eine  eigenthümliche  Schwäche  des  Uterinsystems  ,  vermöge  welcher  die  Er- 
haltung des  Fötus  nur  bis  zu  einem  gewissen  Zeiträume  möglich  ist  Hier 
passen  Roborantia:  Chinin,  sulphur.,  die  Eisentincturen  ,  die  Eisenbäder  imd 
das  Trinken  des  Wassers  von  Pyrmont,  Driburg,  Schwalbach  (^Hufcland^. 
Selbst  während  der  Schwangerschaft  kann  man  vorsichtig  Tinct.  martialis 
aetherea  in  kleinen  Gaben  reichen,  um  Abortus  bei  solchen  Personen  zu  ver- 
hüten ,  doch  niuss  man,  sobald  Congestionen  nach  Kopf  und  Uterus  darauf 
folgen ,  das  Mittel  aussetzen.  Sehr  wirksam  sind  hier  auch  die  lauen  Bäder 
von  aromatischen  Kräutern ,  die  Schwefelbäder  von  Elisen ,  Nenndorf,  auch 
die  lauen  Salzbäder,  hinterher  Eisenbäder  (Liq.  ferri  muriat.  oxydulati  3)^ 
auf  ein  Bad)  und  das  Seebad  als  Nachcur  (versteht  sich,  bei  nicht  Schwan- 
gern). Sind  partielle  Congestionen  nach  dem  Uterus  und  dadurch  entstan- 
dene Metrorrhagie  die  Ursache  des  Abortus,  so  dienen  zur  Verhütung  solche 
Mittel ,  die  den  Bluttrieb  von  innen  mehr  nach  der  Peripherie  leiten ,  z.  B. 
Tinct.  digitalis  mit  Tinct.  hyoscyami  und  dann  und  wann  einige  Gran  Kam- 
pher. (Vergl.  Bums  und  Sundelin  in  Horn's  Archiv  1825;  Jfuli ,  August.) 
Meissner  fand ,  was  mehrere  andere  Aerzte  auch  beobachtet  haben ,  dass 
Frauen ,  welche  ohne  alle  bemerkbare  Veranlassung ,  in  Folge  von  Atonie 
der  Geschlechtsorgane  mehrmals  hinter  einander  abortirten ,  ausgetragene 
Kinder  gebären,  wenn  mau  ihnen  kurze  Zeit  vor  dem  Termine,  wo  die 
Feliigeburt  gewöhrJlch  eintritt,    von  folgender   Mischung  alle  Abend  1  Eäs- 


6  ABRASIO  CALCULI  DENTALIS  —  ABSCESSUS 

löffel  voll  glebt:  I^f  Liq,  anocbjn.  martinl.  Klnpr.  oj-  ■^7-  cinnamom.  vinos. 
§vj;  und  mit  dem  Gebrauche  dieses  Mittels  dergestalt  furtfährt,  dass  maa 
einen  Monat  nach  dem  Termine  obiges  Mittel  nur  alle  2  Abende  einmal, 
und  in  der  letzten  Zeit  der  Schwangerschaft  nur  wöchentlich  zweimal  neli- 
men  lässt.  Ein  sehr  einfaches  Verfahren  zur  Verhütung  und  Beseitigung 
sogenannter  habituell  gewordener  Fehlgeburten  hat  sich  dem  Dr.  Streit  oft 
bewährt.  Häufig  ist  der  mechanische  Druck  und  die  Beschränkur.g  des 
B-aunis  für  den  Uterus,  entstanden  durch  Anhäufung  des  Darmkoths  im  Re- 
ctum, die  Ursache  eines  solchen  Abortus,  zumal  bei  reizbaren  Frauen,  die 
Neigung  zu  Krämpfen  und  Obstructio  alvi  haben.  Er  lässt  nämlich  4  Wo- 
chen, 14  Tage  vor  und  14  Tage  nach  der  gewöhnlichen  Zeit,  wo  der 
Abortus  einzutreten  pflegt ,  alle  2  Abende  ein  Klystier  aus  warmem  (ge- 
kochtem) Wasser  mit  1  —  2  Esslöffel  voll  Lein  -  oder  Baumöl  setzen.  Er- 
folgt keine  Öffnung,  so  wird  es  den  Tag  darauf  wiederholt.  Die  Frau 
luuss  sich  bei  Application  des  Klystiers  auf  die  rechte  Seite  legen,  darf  es 
sich  aber ,  um  einen  schädlichen  Reiz  zu  verhüten ,  nicht  selbst  setzen. 
(S.  V.  SicLohVs  Journ.  f.  Geburtshülfe  etc.  Bd.  XIV.  St.  1.  1834.  S.  92  ff.) 

Alirasio  calculi  dcntalis,  Entfernung  des  Weinsteins 
an  den  Zähnen.  Oft  setzt  sich  sogenannter  Weinstein  an  die  Zähne 
(Calculus  dentalis),  welcher  dieselben  theils  verunreinigt,  theils  verunstaltet. 
Man  entfernt  ihn  am  besten  durch  mechanische  Mittel:  Zahnsteininstrumente, 
die  der  Zahnarzt  zu  handhaben  versteht.  Das  Reiuigen  der  Zähne  mit  schar- 
fen Säuren,  damit  sie  recht  weiss  werden  sollen ,  ist  höchst  schädlich.  Man 
entzieht  dadurch  dem  Schmelz  der  Zähne  das  nothwendige  Fett,  wodurch 
die  Glasur  wohl  feiner,  aber  auch  zerbrechlicher  wird.  Will  man  sich  durch 
einen  Zahnarzt  die  Zähne  reiuigen  lassen ,  so  wähle  man  dazu  trocknes  und 
warmes  Wetter,  weil  hinterher  die  Zähne  gegen  W itterungseintiüsse  sehr 
empfindlich  sind  und  leicht  somit  Zahnschmerzen  entstehen  können  {^Cnrnbcll'i). 

AllSCessnS 9  Aposlema,'  Apostasis,  Eitergeschwulst,  Eiter- 
hohle, Abscess.  Ist  eine  an  den  meisten  Organen  und  Theilen  des  Kör- 
pers stattfindende,  bald  grössere,  bald  kleinere  begrenzte  Geschwulst,  die 
ein  flüssiges  Contentum  als  pathologisches  Secret  (Eiter  oder  eiterartige 
Flüssigkeit)  enthält,  welches  Neigung  hat,  zum  Excret  zu  werden.  Der' 
Eiter  ist  bald  echt,  bald  unecht  (Jauche),  doch  ist  es  trotz  der  verschiede- 
nen Methoden,  den  Eiter  zu  prüfen,  bis  jetzt  nicht  gelungen,  eine  genaue 
Grenzlinie  zwischen  Eiter  und  Jauche  zu  ziehen.  Soviel  ist  indessen  ausge- 
macht, dass  wahrer  Eiter  unter  dem  Mikroskop  in  Kugelform  erscheint 
(^Hunter,  Hume,  Griüthuisen,  Pearson^,  und  dass  er  sich  ohne  vorherge- 
gangene Entzündung  nicht  bilden  kann.  Der  Elter  ist  Product  eines  krank- 
haft abgeänderten  Ernährungsprocesses  der  Faser  oder  eines  krankhaften 
Secretionsprocesses  der  secernirenden  Flächen.  Er  hat  eine  verschiedene 
Beschaffenheit  nach  Verschiedenheit  der  Körperconstitution ,  der  eiternden 
Theile,  der  Diät  des  Kranken  etc.  Hirneiter  schmeckt  salzig,  brenzlich, 
Nerveneiter  säuerlich,  Knocheneiter  enthält  Phosphor,  Lebereiter 
sieht  rothbraun  aus.  Guter  Eiter  ist  undurchsichtig ,  gelblichweiss ,  gleich- 
artig gemischt,  er  zeigt,  verdünnt  mit  Wasser,  kleine  Kügelchen,  ist  schwe- 
rer als  Wasser  und ,  so  lange  er  frisch  ist ,  klebrig,  süsslich  von  Geschmack 
und  Geruch  (^Grasmojer).  —  Eintheilung  der  Abscess e.  1)  Hin- 
sichtlich des  Zustandes  der  Vitalität  giebt  es  «)  entzündliche  und  &)  kalte 
Abscesse  (Absc.  acutus,  inflammatorius  und  Absc.  chronicus,  frigidus)  ;  2)  in 
Betreff  der  Tendenz  zur  Heilung  Absc.  suppurativus,  ulcerativus  (mit  Jauche 
und  Neigung  zum  Ulcus)  und  Absc.  gangraenosus ,  welcher  leicht  in  Brand 
übergeht,  z.  B.  die  Pestbeule,  der  Carbunkel ;  3)  in  Hinsicht  der  Entste- 
hung und  Ursachen  nimmt  man  primäre,  idiopathische,  topische,  von  äussern 
örtlichen  Ursachen  entstandene,  und  secundäre,  deuteropathische  (metastati- 
sche, kritische,  symptomatische)  an,  die  von  allgemeinen  Krankheitsursachen 
entstehen.  Ausserdem  theilt  man  sie  nach  dem  Orte  und  der  Verschieden- 
heit der  Organe  in  innere,  verborgene,  und  äussere  ein,  in  Zellhaut-,  Fett- 


ABSCESSÜS  7 

haut-,  Gehirn-,  Lungen-,  Leber-,  Nieren-,  Psoas-,  Knochen-Abscesse etc. 
(Rtc7i<er).  Zeichen  der  beginnenden  Eiterung.  Die  Eiitzündnngs- 
zufälle:  Hitze,  Schmerz,  Röthe  des  Theils ,  Fieber,  die  bei  den  meisten 
Abscessen  vorhergehen ,  lassen  ohne  Krisen  durch  Schweiss,  Urin  etc.  nach ; 
es  entsteht  öfteres  Frösteln,  im  leidenden  Theile  Schwere,  Kälte,  stumpfer, 
dumpfer  Schmerz,  klopfendes  Gefühl;  der  Theil  v^ird  weicher,  bleicher,  oft 
fühlt  man  an  der  erhabensten  Stelle  desselben  schon  Fluctuation  des  Eiters, 
besonders  da ,  wo  die  Entzündung  am  frühesten  und  stärksten  stattfand,  oft 
wird  nun  die  Geschwulst  schon  prall ,  die  früher  dagewesene  Härte  verliert 
sich:  der  Abscess  ist  reif.  Alle  diese  Zeichen  varüren  sehr  nach  Verschie- 
denheit des  leidenden  Theils  und  der  Natur  des  Absces«es.  Bei  phlegmonö- 
sen Abscessen  ist  die  Höhle  desselben  durch  eine  Haut  begrenzt,  welche 
das  Absonderungsorgan  des  Eiters  und  aus  Zellstoff  gebildet  zu  seyn  scheint 
(Hunier,  Laenncc,  Bresclici).  Verlauf  und  Ausgänge.  Sind  verschie- 
den. Bei  gutartiger  Eiterung  hat  schon  wenige  Tage  nach  Öffnung  de« 
Abscesses  dieser  die  Tendenz  zur  Heilung,  und  es  zeigt  sich  schon  Granu- 
lation desselben,  Schwinden  des  Umkreises,  Verminderung  der  Geschwulst. 
Enthält  der  Abscess  aber  Jauche  und  ist  er  torpider  Natur,  so  werden  die 
Ränder  leicht  callös,  die  obern  Theile  leicht  zerstört,  es  bilden  sich  Fisteln, 
wahre  Geschwüre,  die  Monate  lang  Avähren  können.  Fehlt  es  ganz  an  Le- 
bensthätigkeit  im  leidenden  Theile,  so  stirbt  das  Zellgewebe  ab,  die  Jauche 
ist  von  fauliger  Beschaffenheit,  das  Geschwür  greift  um  sich,  die  Kräfte  des 
Kranken  sinken  und  es  ist  ein  brandiges  Geschwür  da,  z.  B.  ein  Carbunkel. 
Ursachen.  Örtliche  Reize  sind  eine  seltene  Ursache  der  Abscesse,  und 
dann  nur  heilsame  Bestrebungen ,  z.  B.  um  eingedrungene  fremde  Körper : 
Holzsplitter ,  Knochensplitter ,  durch  die  Eiterung  zu  lösen  und  zu  entfernen. 
Dagegen  erregen  alle  Dyskrasien :  Scrophulosis,  Arthritis,  Syphilis,  Cachexia 
herpetica,  Rheumatismus,  desgleichen  idiopathische  Entzündungen,  allge- 
meine heftige  fieberhafte  Krankheiten,  durch  Krisen  und  Metastasen  häufig 
Abscesse  von  verschiedener  Natur.  Prognose.  Sie  richtet  sich  nach  den 
Ursachen ,  dem  Sitze ,  der  Grösse  und  dem  ; Vitalitätszustande  des  Abscesses 
tind  ergiebt  sich  daraus  von  selbst.  Behandlung.  Ist  theils  allgemein, 
theils  örtlich.  Erstere  erfordert  bald  Antiphlogistica ,  bald  Derivantia, 
Excitantia ,  Roborantia ,  bald  Alterantia  nach  Beschaffenheit  des  Allgemein- 
leidens. Indicationen  bei  der  örtlichen  Behandlung  sind :  Be- 
förderung der  Eiterung,  sobald  die  Zertheilung  der  Entzündung  nicht  mehr 
bezweckt  werden  kann ,  Öffnung  des  Abscesses  und  Entleerung  des  Fluidum, 
und  Heilung  desselben.  Folgende  Punkte  sind  hier  zu  berücksichtigen. 
1)  Ein  gewisser  Grad  von  Fieber  und  !^ntzündung  ist  zur  Beförderung  der 
Eiterung  nothwendig ;  daher  passen  die  Antiphlogistica  in  der  Regel  nicht; 
nur  da ,  wo  Fieber  und  Entzündung  durch  Übermass  der  Säftemasse,  durch 
gesteigerte  Vitalität  des  leidenden  Theils  (bei  jungen,  vollblütigen,  starken 
Subjecten)  zu  heftig  sind,  wo  in  der  Geschwulst  deshalb  viel  Reiz,  Con- 
gestion ,  heftige  Spannung  und  bedeutende  Schmerzen  stattfinden ,  lasse  man 
die  Antiphlogistica  fortgebrauchen.  Man  gebe  z.  B.  eine  Mandelemulsion  mit 
Nitrum  innerlich  (s.  Abortus),  setze  im  Nothfalle  Blutegel  an  den  lei- 
denden Theil,  wende  äusserlich  blos  erweichende,  nicht  reizende  Mittel: 
Kataplasmen  von  Semmelkrumen,  Hafergrütze  etc.  an,  lasse  eine  dünne, 
sparsame  Fieberdiät  halten,  und  vermeide  die  abführenden  Mittel,  wenn  sie 
auch  kühlend  wirken ;  befördere  dagegen  die  Leibesöffnung  durch  Clysmata 
emoUientia.  Sehr  gut  ists ,  wenn  die  Breiumschläge  von  Semmelkruraen, 
Hafergrütze,  Jjeinsamen,  die  in  Milch  und  Wasser  gekocht  werden  müssen, 
auf  Leinwand  fingersdick  gestrichen  und  so  warm  aufgelegt  werden,  als  es 
der  Kranke  ertragen  kann.  Kalt  dürfen  sie  nicht  werden,  sonst  schaden 
sie ;  deshalb  legt  man  des  Nachts  dieselben  auch  nicht  über ,  sondern  ge- 
braucht statt  ihrer  nach  den  Umständen  milde  oder  mehr  reizende  Pflaster, 
z.  B.  bei  heftigen  Schmerzen  und  bedeutender  Entzündung  Empl.  melilot., 
bei  geringen  Schmerzen  Empl.  diachyl.  gummosum.  Ist  der  Abscess  nach 
den  Regeln  der  Kunst  (mittels  der  Lanzette,   des  Haarseils ,.    des  Troikars, 


8  ABSCESSUS 

des  S-tzmittels  nach  Beschaffenheit  der  Natur  des  Abscesses),  oder  durch 
die  Natur  geöffnet  und  hat  die  völlige  oder  theilweise  Entleerung  des  Ei- 
ters (Pyocenosis)  stattgefunden,  so  verbindet  man  mit  Unguent.  digestivum, 
auf  Charpie  gestrichen,  und  legt  ein  Einplast.  diachyl.  gummös,  über. 
2)  Ist  der  Kranke  schwach,  mager,  abgezehrt,  kachektisch,  ist  kein  inflam- 
matorisches Fieber ,  sondern  Febris  lenta  zugegen ,  ist  wenig  Sciimcrz ,  we- 
nig Entzündung ,  aber  viel  Härte  in  dem  Abscess  und  um  denselben  ,  so 
gebe  man  innerlich  reizende  stärkende  Mittel ,  z.  B.  I^  Cort.  chbutc  reij., 
Rad.  gel  nrhan. ,  Rad.  cahnn.  arom.  ana  5^ ,  infunde  et  coq.  c.  aq.  fontati. 
5XVJ ,  ut  rem.  3X,  cohit.  adde  Tinct.  aurant. ,  Thicf.  vnlerianne  anodi/n.  ana 
3jlv.  M.  S.  Alle  1  —  2  Stunden  einen  Esslölfel  voll  (3f.)  ,  daneben  Fleisch- 
brühen, etwas  Wein.  Äusserllch  passen  hier  Emollientia,  Irritantia :  Um- 
schläge von  Flor,  arnicae,  Semmelkrumen,  Honig,  Seife,  Sauerteig,  Zwie- 
beln, Gumm.  ammon.  in  Essig  aufgelöst,  Empl.  mercurial.  ,  Empl.  resolv. 
Schmucken.  Zuweilen  geht  hiernach  die  Entzündung  zurück ,  der  Abscess 
mit  torpider  Entzündung  zertheilt  sich  ,  und  die  Flüssigkeit  darin  wird  re- 
soi-birt.  Dieser  Ausgang  bringt  nur  dann  Gefahr ,  wenn  der  Abscess  ein 
kritischer  oder  metastatischer  ist.  Folgendes  ist  hier  ,oft  sehr  wirksam : 
Kf  Saponis  nujri  3Jjj ,  Atf.  fervidae  533,  chiiU.  Icni  calore  7nonien1um,  tum  ad~ 
misce  Ccpctr.  sub  cinere  assnt.  gjjj,  Farin.  sem.  sinnp.  gly  —  5JJ.  Ebull.  miissa 
dcnuo  Jeni  calore  per  hreve  temporis  spalium  saepius  aijitamlo  et  ab  üjne  re- 
tnoventur.  {Ke.rmU.')  Man  überlässt  hier  die  Öffnung  des  Abscesses  wo  mög- 
lich der  Natur,  oder  man  bewirkt  sie  durch  ein  Causticum,  z.  B.  Lap. 
caust.  oder  infernaüs  pulv.  (^  Cläre,  Zamj^,  oder  den  Sublimat  in  Form  ei- 
ner Salbe  (ü.  Gräfc^  ,  mittels  eines  Empl.  fenestrat.  aufgelegt.  3)  Abscesse 
in  drüssigen  Theilen ,  entzündete  Bubouen ,  Milchknoten  in  den  Brüsten  etc. 
muss  man  nicht  zu  früh  öffnen  ;  häufig  die  Öffnung  der  Natur  überlassen. 
4)  Dagegen  ei'fordern  eine  frühe  Öffnung  alle  Abscesse  nahe  an  Flechsen, 
Knochen,  Gelenkkapseln,  am  Halse,  Auge,  am  After,  am  Mittelflelsclie  etc., 
wo  wichtige  Thetle  durch  Senkung  des  Eiters  leiden  können.  5)  Da  die 
atmosphärische  Luft  jede  gute  Eiterung  stört,  so  verhüte  man  beim  Öffnen 
und  Verbinden  des  Abscesses  so  viel  als  möglich  das  Eindringen  derselben 
in  die  Eiterhöhle ,  entferne  daher  auch  nicht  eher  den  alten  Verband ,  als 
bis  der  neue  verfertigt  worden  ist  und  zum  Auflegen  bereit  liegt.  6)  Man 
leere,  besonders  wenn  noch  viel  Härte  da  ist,  nicht  zu  viel  Eiter  auf  ein- 
mal aus;  denn  letzterer  ist  das  beste  Mittel  zur  Schmelzung  der  Härte. 
7)  Ist  der  Abscess  wegen  Reizbarkeit  und  Empfindlichkeit  des  Kranken 
(bei  zarten  Frauenzimmern,  bei  Kindern)  sehr  schmerzhaft,  so  wende  man 
Kataplasmen  von  Herb,  oicutae,  hyoscyami,  Capit.  papaver. ,  mit  Semmel- 
krumen und  in  Milch  gekocht,  warm  an,  bestreiche  die  Fläche  auch  mit 
erwärmtem  Ol.  hyoscyami  infusum.  8)  Ohne  Wärme  kann  sich  kein  Eiter 
bilden;  man  verhüte  daher  Alles,  was  Kälte  im  Abscess  macht.  9)  Ist  die 
Eiterung  sehr  stark ,  ohne  dass  Eitergänge  da  sind  (ein  Missverhältniss  zwi- 
schen der  in  einer  gegebenen  Zeit  abgesonderten  Quantität  des  Eiters  und 
der  Grösse  des  Abscesses ,  desgleichen  eine  schlechte  Qualität  des  Eiters 
lassen  diese  vermuthen) ,  so  verbinde  man,  besonders  in  heisser  Jahreszeit, 
täglich  2  —  3mal  das  Eitergeschwür  mit  trockner  Charpie,  die  man  ab  und 
zu  wol  auch  mit  Tinct.  myrrhae  befeuchtet,  vermeide  aber  alle  fettige  Sal- 
ben, 10)  Ist  die  Eiterung  hingegen  zu  schwach,  das  Geschwür  leblos,  blas.s, 
gefühllos,  so  verbinde  man  mit  reizenden  Salben,  z.B.  I^  Unguent.  dii/csfiuiy 
Bah.  Arcnei  ana  5],  Pulv.  mcrc.  praecip.  rubr.  ^j  —  5lv-  ^I-  ^0  0*t  wird 
durch  eintretende  Menstruation,  durch  Diätfehler,  durch  Missbrauch  geisti- 
ger Getränke ,  zu  nahrhafter  Speisen  etc.  die  Eiterung  durch  Erwecl.ung 
einer  neuen  Entzündung  gestört.  Hier  passen :  Ruhe  des  leidenden  Theils, 
hohe  Lage  desselben ,  seltener  Verband  ,  sparsame  Diät ,  und  innerlich  3 — 4 
mal  täglich  ein  Theelöffel  voll  Cremor  tartari.  12)  Zeigt  sich  ein  zu  star- 
ker Productionstrieb ,  Wucherung,  sogenanntes  wildes  Fleisch  (^Cnro 
luxuriav.f')  im  Abscesse,  d.  h.  ist  die  Granulation  zu  stark,  das  junge  Fleisch 
schwammig,  blutend,  so  betupfe  man  es  mit  Lap.  infernal,  oder  Lap.  caustic. 


ABSCESSUS  9 

rtjrbinde  mit  trockner  Charpie  und  lege  den  Verband  etwas  fest  an.  13)  So- 
bald der  Abscess  rein  ist ,  müssen  die  harzigen  Salben :  Unguent.  digestiv., 
^"  Ungt.  basilic. ,  Bals.  Arcaei  etc.  vermieden  und  nur  mit  Unguent.  simpl., 
Ungt.  cetac. ,  oder  mit  trockner  Charpie  verbunden  wefden.  Alsdann  heilt 
\  der  Abscess  bald,  indem  die  Natur  ihn  durch  Verlängerung  der  äussern 
,s  Haut  schliesst.  Letzteres  wird  besonders  duixh  Heftpflasterstreifen,  womit 
I  man  die  Wundränder  zusammenzieht ,  und  durch  leises  Berühren  der  letztern 
,.  mit  Lapis  infern,  befördert  (JVeinhold,  Lnvgenhcclc).  Die  Bildung  hSsslicher, 
verunstaltender  Narben  wird  durch  Einreibungen  von  Ol.  amygdal.  dulc.  in 
die  vernarbten  Stelleu  verhütet.  —  Sommer  (Ums/s  Chirurgie,  Bd.  I.  S.  54.) 
giebt  folgende  Definition  -der  Eiterbeule,  die,  nach  ihm,  bei  der  anerkann- 
ten Schwierigkeit  des  Gegenstandes ,  sich  der  Wahrheit  noch  am  meisten 
nähert.  Er  sagt:  ,,Der  Abscess  ist  eine,  in  dem  organischen  Gewebe  be- 
findliche Höhle,  welche  Eiter,  oder  eine  dem  Eiter  mehr  oder  minder  ver- 
wandte, pathologische,  zur  Ausstossung  bestimmte  Flüssigkeit  enthält,  und 
bis  zu  ihrer  Wiederverwachsung  absondert."  Nach  ihm  ist  jeder  Abscess 
im  Wesentlichen  ein  für  einige  Zeit  bestehendes  Absonderungsorgan,  in  wel- 
chem ein  flüssiger  thierischer,  zum  Rücktritt  in  das  Blut  nicht  geeigneter 
Bildungsstoif  bereitet  wird ,  den  der  Organismus  einerseits  ,  zumal  wenn  er 
sich  in'grösserer  Quantität  absondert,  als  fremden  Körper  behandelt  und 
auszustossen  strebt.  Ob  dies  letztere  richtig  sey,  muss  ich  bezweifeln. 
Denn  wenn  Sommer  (a.  a.  O.  S.  55.)  ganz  richtig  bemerkt ,  dass  sogenann- 
ter guter  Eiter  (jms  leiui/imm')  nächst  dem  Blute  die  reinste  Tendenz  zur 
Stott'bildung  und  Krystallisation  zeige  und  sich  in  einem  solchen,  damit  ver- 
sehenen Abscesse  die  Heilkraft  am  reinsten  und  kräftigsten  ausspreche;  so 
fragen  wir  ihn ,  ob  ein  solches ,  dem  Blute  analoges  Fluidum  wol  als 
fremder  Körper  betrachtet  werden  könne?  Keinesweges ;  so  wenig  das  Blut 
dem  Organismus  heterogen  ist,  so  wenig  ists  der  gute  Eiter  der  Abscesse. 
Dass  aber  dieser  ganz  und  gar  nicht  zum  Rücktritt  ins  Blut  geeignet  sey,  — 
dies  ist  ein  anderer  Satz ,  der  noch  in  Frage  steht.  Denn  1)  wissen  wir, 
dass  es  Fieber  giebt,  die  treue  Beobachter  von  der  Resorption  des  Eiters 
und  dessen  Übertritt  ins  Blut  ableiten  ,  da  wir  nicht  annehmen  dürfen,  dass 
der  in  den  Venen  und  selbst  in  den  Arterien  vorgefundene  Eiter,  oder  der 
•  bei  metastatischem  Abscess,  stets  auch  an  demjenigen  Platze  gebildet  wor- 
den sey ,  wo  wir  ihn  angetrofi^en  haben ,  und  2)  lässt  es  sich ,  gestützt  auf 
die  bessern  Ansichten  der  Physiologie ,  nicht  annehmen ,  dass  In  irgend  ei- 
nem Fluidum  eine  Tendenz  zur  Stoffbildung  stattfinden  könne,  ohne  dass 
das  Blut  hier  als  Vermittler  aufträte.  —  Bei  denjenigen  Abscessen,  wel- 
che ohne  alle  Spur  vorhergegangener  Entzündung ,  —  was  die  seltenern 
Fälle  sind  —  auftreten ,  nimmt  von  Wallher  (s.  dess.  u.  v.  Gräfc^s  Journ.  f. 
Chirurgie  etc.  1820.  Bd.  1,,  1825.  Bd.  IX.)  eine  purulente  Diathese  an,  bei 
der  der  Eiter  sich  schon  innerhalb  der  Blutgefässe  bildet  (vielleicht  in  Folge 
einer  sog.  Phlebitis) ;  und  ist  dies  naturgemäss ,  so  lässt  sich  auch  umge- 
.,  kehrt  Resorption  des  Eiters  in  die  Blutgefässe  als  etwas  nicht  Unerhörtes 
denken;  ja,  ohne  Blut  ist  gar  keine  Eiterbildung  möglich.  Sommer  sagt 
mit  Recht :  „Untersucht  man  Abscesse  ,  besonders  solche ,  die  auf  deutlicher 
Entzündung  beruhen  ,  vor  dem  Eintritte  der  Eiterung  anatomisch ,  so  findet 
man  in  der  Mitte  der  durch  sie  gebildeten  Geschwulst  eine  Quantität  ausser 
Circulatlon  gesetzten ,  zwischen  die  Platten  des  Zellgewebes  des  ergriffenen 
Organs  ergossenen  Blutes  ,  worin  sich  nach  einiger  Zeit  hie  und  da  zer- 
streute Eiterpunkte  zeigen,  deren  Anzahl  nun  von  Stunde  zu  Stunde  grösser 
■wird.  Dies  Factum,  was  sich  auf  die  Untersuchungen  von  Bcdard,  Pre~ 
vost,  Dumas,  Vncca,  AlUm,  Wilson  -  Philip  ,  Lnennec ,  Gcndrin  stützt,  giebt 
einerseits  Aufschluss  über  das  räumliche  Verhältniss  bei  der  Entstehung  der 
Abscesse ,  deren  Höhle  sich  allermeistens  blos  durch  Auseinanderdrängen  der  • 
einzelnen  Platten  des  Zellgewebes  der  Organe  bildet,  theils  zeigt  es  die 
sehr  nahe  Verwandtschaft  des  Blutes  mit  dem  Eiter,  und  die  Leichtigkeit 
der  Verwandlung  von  jenem  in  diesen.  Diese  letztere  tritt  noch  besonders 
deutlich  hei^vor  bei  Abscessen    in  durchsichtigen  Gebilden ,    z.  B.  unter  dem 


10  ^  ABSCESSUS 

Nagel,  in  der  vordem  Augenkanimer,  zwischen  den  Platten  der  Hornhaut  etc., 
wo  wir  den  Abscessraum  erst  mit  Blut,  dann  mit  Eiter  angefüllt  sehen. 
Auch  wird  durch  häufige  Beobachtung  erwiesen,  dass  in  der  Regel  der  er- 
ste, aus  acuten,  ja  aus  \ielen  chi-onischen  Eitergeschwülsten  hervorkom- 
mende Eiter  blutig  ist,  und  bei  sehr  hohem  Grade  der  Entzündung  oft  noch 
blutig  bleibt.  Endlich  giebt  es  nicht  selten  Abscesse,  die  schon  seit  gerau- 
mer Zeit  eiterten,  nach  einer  neuen  entzündlichen  Aufregung  aber  statt  des 
Eiters  reines  Blut  absondern."  Die  Abscesshöhle,  Avorin  sich  der  Eiter  auf- 
hält, ist  mit  wenigen  Ausnahmen,  sowohl  beim  acuten,  als  beim  chronischen 
Abscesse,  mittels  einer  anfangs  weichen,  flockigen,  sich  leicht  trennenden, 
später  härtern,  festern,  sackartigen  Membran  ausgekleidet,  welche  oft  be- 
deutend dick  und  derb  wird  (Eitersack ,  Eiterstock) ,  selbst  bis  zur  fibrös- 
knorpligen Beschaö'enheit ,  und  sowohl  ein  secernirendes  als  resorbirendes 
Organ  darstellt,  —  eine  Pseudomembran,  worin  so  gut,  wie  im  Zellge- 
webe, unaufhörlich  Abscheidung  und  Aufnahme  seröser  Flüssigkeiten  Aor 
sich  geht.  Nur  im  Abscessus  gangraenosus  und  dem  sogenannten  Pseudo- 
erysipelas,  so  wie  in  den  Eiteransamralungen  unter  Flechsen  und  aponeuro- 
tischen  Scheiden  fehlt  diese  Membran ,  welche  theils  durch  die  plastische 
Kraft  des  Eiters  selbst,  theils  durch  die  Reaction  der  nächsten  Weichgc- 
bilde  auf  den  Eiter  als  pathologisches  Fluidum,  -r-  wenn  anders  die  Lebens- 
kraft nicht  zu  schwach  ist  —  gebildet  wird.  Diese  innere  Haut  des  Absces- 
ses  ist  nicht  mit  den  Säcken  oder  Bälgen  der  Tumores  cystici,  welche  eher 
als  ihr  Contentum,  nicht  gleichzeitig  mit  oder  nach  diesem ,  Avie  der  Eiter, 
gebildet  werden,  zu  verwechseln.  „Ausser  der  im  Abscess  vorhandenen 
Flüssigkeit  und  der  sie  umgebenden  Haut  finden  wii-  —  sagt  Sommer,  ■ — 
in  seiner  Höhle  noch  zahlreiche,  quer  durch  oder  an  den  Wänden  hinlau- 
fende Filamente:  die  Überbleibsel  von  Nerven,  Gefässen  und  von  Zellge- 
webe, welche  im  Bereich  des  Abscesses  lagen,  und  bei  dem  Auseinander- 
drängen des  organischen  Gefüges  weder  ausweichen  konnten,  noch  resorbirt 
wurden.  Diese  Filamente  sind  meistentheils  ohne  alles  Leben ,  bisweilen 
jedoch  führen  sie  noch  Blut,  und  ergiessen  dieses,  wenn  sie  zerrissen  wer- 
den." Was  die  allgemeinen  Ursachen  der  Abscesse  betrifft .  so  ste- 
hen die  in  der  Constitution  des  Körpers  beruhenden  oder  aus  einzelnen  Sy- 
stemen und  Organen  hen  ergehenden  Veranlassungen  oben  an ,  als  z.  B.  alle 
Dyskrasien  (Syphilis,  Scrophulosis ,  Arthritis,  Rheuma,  Herpes),  aufgeso- 
gene Contagicn,  eingebrachte  Gifte,  Exanthemata  repulsa,  Fauljauche  etc. 
(^Som7ncr^.  Ausserdem  ist  der  Abscess  häufig  Begleiter  acuter  Krankheiten, 
und  er  tritt  daher  bei  Fiebern  und  Entzündungen  bald  kritisch,  bald  meta- 
statisch, bald  als  blosses  Symptom  auf,  je  nachdem  die  Natur  entweder  den 
allgemeinen  Krankheit sprocess  auf  ein  Organ  überträgt,  z.B.  die  kritischen 
Pestbeulen  in  der  Pest ,  die  kritische  Parotitis  bei  Typhus ,  —  oder  durch 
Bildung  einer  aussergewöhnlichen  Absonderung  das  Gleichgewicht  unter  den 
Functionen  wieder  herzustellen  strebt;  z.  B.  bei  der  INletastasis  lactea,  bei 
Abscessus  lacteus  metastaticus.  —  Hinsichtlich  der  Cur  der  Abscesse 
im  Allgemeinen  stellt  Sommer  folgende  Indicationen :  1)  zweckmässige  Ein- 
wirkung auf  den  Gang  des  der  Eiterung  zum  Grunde  liegenden  entzünd- 
lichen Processes  und  der  Suppuration  selbst ;  2")  Entfernung  des  secernirten 
Eiters;  3)  Behandlung  der  entstandenen  Secretionsfläche;  4)  Beseitigung  der 
stattfindenden  Complicationen.  In  Betreff  der  ersten  Indication  kann  ent- 
weder die  schon  beginnende  Eiterung  rückgängig  gemacht,  der  Abscess  zer- 
theilt,  oder  sie  kann  befördert,  der  Abscess  zur  Reife  gebracht  werden. 
„Die  Zertheilung  von  Abscessen  —  sagt  Sommer,  —  wird  zwar  nicht  häu- 
fig eingeleitet,  ist  aber  doch  in  einzelnen  Fällen  nöthig,  namentlich  da,  wo 
wir  ein  Organ,  z.  B.  das  Auge,  die  Prostata  etc.  vor  den  zerstörenden 
Wirkungen  der  Ausbildung  des  Abscesses  schützen  wollen ,  wo  derselbe  noch 
nicht  weit  vorgeschritten  ist ,  und  sein  äusserst  langsames  Heranreifen  die 
spätere  Entstehung  von  bösartigen  Geschwüren,  Fisteln  etc.  besorgen  lässt. 
Ferner  ist  die  theilweise  Resorption  von  Abscessen,  bei  der  Behandlung  von 
Congestionsabscessen,  Lymphgeschwülsten,  ein  Heilungsvorgang,  der  in  vie- 


ABSCESSUS  11 

len,  ja  den  meisten  Fällen  eben  so  gute  und  oft  weit  sichrere  Hülfe  bringt, 
als  die  Operation  selbst ,  und  deshalb  fast  immer  zu  bewii-lcen  Yersucht  wird. 
Dagegen  ist  es  nicht  räthlich,  die  Zertheilung  zu  yersuchen,  wenn  der 
Abscess  gutartig  ist,  an  keiner  gefährlichen  Stelle  liegt,  kein  Organ  be- 
droht ,  schnell  zur  Reife  kommt ,  als  Krise  oder  Metastase  auftritt ,  oder 
auf  materiellen  Ursachen:  eingedrungenen  fremden  Körpern,  Fötalüberre- 
sten etc.  beruht."  —  Der  scharfsinnige  Rust  sagt  in  s.  Handbuche  d.  Chirur- 
gie Bd.  I.  S.  73  u.  f. ,  in  einem  Zusätze  zu  Sommers  Abhandlung  Ahsccssus, 
über  die  Zertheilung  dieses  Leidens  Folgendes;  ,,Soll  ein  Abscess  zer- 
theilt  werden,  so  muss  Tor  Allem  der  vorhandene  Vitalitätszustand  dessel- 
ben genau  berücksichtigt ,  und  hiernach  die  Zertheilungsmethode  besonders 
bestimmt  werden.  Dieser  Vitalitätszustand  kann  nun  allerdings  höchst  ver- 
schieden und  selbst  specifisch  alienirt  seyn ,  lässt  sich  aber  dennoch  auf  zwei 
Grundformen  —  auf  ein  Plus  oder  Minus  —  zurückführen,  auf  deren  Be- 
achtung es  hauptsächlich  bei  der  Behandlung  dieser  Krankheitsform  über- 
haupt ankommt,  und  wornach  die  anzuwendenden  Mittel,  aller  Erfahrung 
gemäss,  ausgewählt  werden  müssen,  wenn  man  nicht  aufs  Gerathewohl 
hin  curiren ,  mehr  schaden  als  nützen ,  oder  nicht  gerade  das  Gegentheil 
von  dem  erzielen  will ,  was  man  eigentlich  beabsichtigte. "  Er  empfiehlt 
nun  bei  hohem  Grade  von  Vitalität  (hohe  oder  dunkle  Röthe,  heftiger 
stechender,  klopfender  Schmerz,  starke  Spannung,  Hitze  des  Theils ,  alle 
Symptome  der  allgemeinen  entzündlichen  Aufregung,  des  inflammatorischen 
Fiebers  etc.)  behufs  der  Zertheilung  den  ganzen  antiphlogistischen  Apparat, 
Blutausleerungen,  selbst  wiederholt,  antiphlogistische,  nicht  drastische  Pur- 
ganzen:  Manna,  Mittelsalze,  besonders  aber  Kalomel,  p.  d.  zu  6 — 10  Gra- 
nen, Mercurialeinreibungen  von  5lv  —  3j  in  die  Umgebung  des  Abscesses,  — 
Fomentationen  von  kaltem  Wasser  in  allen  Fällen ,  wo  die  Anwendung  der 
Kälte  nicht  geradezu  nachtheilig  auf  die  übrigen  Theilsysteme  des  Orga- 
nismus oder  auf  die  eigenthümliche  Natur  des  Abscesses  einwirken,  und  eher 
chronische  Verhärtung  als  Zertheilung  zu  bewirken  pflegt,  und  wo  sodann 
lauwarme  Umschläge  mit  Bleiwasser,  besonders  Infus,  flor.  chamomill.  fö/, 
Acet.  saturni  jj,  Tinct.  opii  SÜJ  ■,  —  hei  strenger  Ruhe  des  ganzen  Körpers 
und  besonders  des  leidenden  Theils,  einer  kühlen  Umgebung,  und  sehr  ma- 
gern, hauptsächlich  vegetabilischen  Diät,  die  gewünschte  Wirkung  herbei- 
zuführen pflegen.  Alle  direct  reizenden  Mittel:  die  sog.  zertheilenden  Pfla- 
ster und  Linimente,  alle  blos  erweichenden  und  erschlaffenden  Umschläge 
und  Linimente  verwirft  er,  „weil  sie  eher  den  Übergang  der  Entzündungs- 
geschwulst in  brandige  Zerstörung  und  Eiterung  begünstigen,  als 
Zertheilung  bewirken  können."  —  „Ist  dagegen  —  heisst  es  ferner  ■ — •  der 
Verlauf  der  Eazündungsbeule  ein  mehr  chronischer,  der  Vitalitätszustarad. 
derselben  ein  zu  geringer,  der  Abscess  daher  statt  lebhaft  geröthet  mehr 
blass  oder  blauroth,  mehr  teigig  als  gespannt  anzufühlen,  wenig  oder  gar 
nicht  schmerzhaft  etc. ,  so  muss  die  Thätigkeit  der  Gefässe  erhöht  werden, 
um  Resorption  und  durch  dieselbe  Zertheilung  der  Geschwulst  herbeizufüh- 
ren."  Hier  passen  warme  aromatische  Fomentationen,  Linim.  volat.  mit 
und  ohne  Zusatz  von  Kampher  und  Opium,  Opodeldoc,  eine  Mischung  des 
Unguent.  nervini  und  Unguent.  mercurial.  einer.,  die  lodinsalbe  (5tK^ — 3j 
Kali  hydroiod.  auf  eine  Unze  Fett  oder  Unguent.  digitalis),  besonders 
aber  die  oft  wunderbar  zertheilende  Kräfte  besitzenden  ,  in  neuerer  Zeit  mit 
Unrecht  durch  die  üblichem  Salben  und  Linimente  verdrängten,  klebenden, 
gelinde  reizenden  Pflaster:  Empl.  de  galb.  crocat.,  Empl.  ex  gummi  ammo- 
•  niaco ,  Empl.  mercuriale  einer. ,  wo  man  auf  die  Unze  Pflaster  dann  noch 
■^j  — 5f5  Kampher  und  Opium  zusetzt.  Das  mächtigste  Zertheilungsmittel, 
jedoch  auch  nur  in  diesen  Fällen,  ist  aber  ein  anfänglich  gelinder,  anhal- 
tender und  allmälig  gesteigerter  Druck  auf  die  Entzündungsbeule  selbst, 
applicirt  durch  passende  Binden,  gefederte  Pelotten,  durch  Aufbinden  von 
Blei-  und  Steinplatten,  durch  methodische ,  kreis  -  oder  sternförmige  Anwen- 
dung von  Heftpflasterstreifen.  Dagegen  passen  auch  hier  alle  rothmachen- 
den,   stark  reizenden,   so  wie  alle  erschlaffenden  und  erweichenden  Mittel 


12  ABSCESSÜS 

nicht,  denn  sie  bewirken  eher  Zersetzung  und  Verschwärung  des  so 
gearteten  Abscesses,  als  Zertheilung.  —  Auch  bei  Abscesseu,  die  in  Ei- 
terung gesetzt  werden  sollen,  sind  die  Mittelnach  dem  jedesmaligen  vor- 
handenen Vitalitälszustande  auszuwählen;  denn  es  giebt,  wie  Rttst  richtig 
sagt ,  so  wenig  positiv  eitermachende  oder  auch  nur  die  Eiterung  befür- 
dernde  Mittel,  als  es  solche  zertheilende  Mittel  giebt,  und  nur  eine  zweck- 
mässige Leitung  der  vorhandenen  Lebensthätigkeit  ist  es  allein ,  w  eiche  di$ 
beabsichtigte  Wirkung  herbeiführen  kann.  Daher  bei  gesteigertem  Yitali- 
tätsgrade  antiphlogistisches  Verfahren,  doch  nicht  übertrieben;  in  der  Regel 
keine  allgemeine  Aderlässe,  keine  stark  poi-girenden  Mittel,  —  weil,  soll 
Eiterung  eintreten ,  ein  ziemlich  hoher  Grad  von  Entzündung  notiiwendig 
ist,  —  sondern  kleine  Dosen  Mittelsalze,  besonders  Nitrum  und  Acld.  tar- 
taric. ,  einhüllende,  kühlende,  säuerliche  Getränke,  vegetabilische  leichte 
Nahrung ,  bei  vorwaltendem  Nervenerethismus  gleichzeitig  mit  Hvoscyamus, 
Aqua  laurocerasi,  selbst  Opium  in  kleinen  Dosen,  hier  angezeigt  sind.  Auch 
die  topischen  Mittel  dürfen  nur  Mässigung  der  zu  heftigen  Spannung  und 
Entzündung,  keinesweges ,  soll  Eiterung  eintreten,  Aufhebung  derselben  be- 
absichtigen. Feuchte  Wärme,  Kataplasmen  von  Hafergrütze,  Leinsamen- 
mehl ,  von  Weissbrot  mit  Wasser  und  IMilch  gekocht ,  sind  hier  hinreichend, 
und  den  theuren  Spec.  emollient.  vorzuziehen.  Nur  bei  zu  hohem  Grade 
von  Entzündung,  bei  krampfhafter  Verschliessung  der  Gefässe,  bei  hohem 
Grade  von  Spannung  und  Schmerz,  wo  Übergang  in  Brand  zu  besorgen 
steht,  sind  reichliche  örtliche  Blutsausleerungen  angezeigt.  Um  die  Wärme 
länger  anzuhalten,  ist  es  besser,  die  warmen  Umschläge  nicht  unmittelbar, 
sondern  zwischen  zwei  einfache  Linnen  geschlagen  in  Anwendung  zu  setzen. 
Zusätze  von  Herb,  hyoscyami,  meliloti ,  cicutae,  Crocus  u.  dgl.  hält  Rust 
für  nutzlos ,  was  indessen  wol  zu  viel  gesagt  ist.  .Die  Kataplasmen  müssen 
recht  gross  seyn,  so  dass  sie  auch  die  gesammte  Umgegend  der  Eiterbeule 
bedecken ;  auch  ists  gut ,  bei  jedem  Wechsel  Wachstalfet  oder  dünne  Wachs- 
leinwand von  aussen  darüber  zu  legen ,  unter  der  sie  viele  Stunden  länger 
warm  erhalten  werden,  als  wenn  man  dies  zu  thun  unterlässt.  „Ausser  den 
Breiumschlägen  • —  sagt  ferner  mit  Recht  Rust  —  sind  andere  örtliclie  Mit- 
tel ganz  überflüssig;  denn  keine  der  diesfalls  gerühmten  emollirenden  Sal- 
ben und  Pflaster  besitzt  gleich  jenen  Breiumschlägen  die  ausgezeichneten 
Kräfte:  Stockungen  der  Säfte  und  krampfhafte  Yerschliessungen  der  Ge- 
fässe aufzulösen,  schmerzhafte  Spannungen  zu  mindern,  und  die  Kochung 
des  Eiters  zu  fördern.  Sie  können  daher  auch  durch  kein  anderes  Mittel 
ersetzt  werden.  Reiz-  und  Zugmittel  hingegen,  wodurch  der  Uner- 
fahrene so  oft  den  Gang  der  Eiterung,  ohne  gehörige  Rücksicht  des  "Sitali- 
tätsverhältni.sses  des  Abscesses,  zu  fördern  wähnt,  sind  hier  durchaus  ver- 
werflich und  eher  geeignet,  brandige  Zerstörung  oder  eine  zu  früh- 
zeitige Eiterung  des  Abscesses,  was  nie  ungestraft  geschehen  kann, 
als  Schmelzung  und  Beförderung  der  Eiterung  zu  bewirken. "  Ist  aber  bei 
einem  zu  vereiternden  Abscess  der  zur  Bereitung  des  Eiters  noth\>  endige 
Entzündungsgrad  nicht  zugegen,  ist  er  unschmerzhaft,  torpid;  so  pas.sen 
die  reizenden,  rothmachenden,  sog.  Zugmittel  als  Suppurantia  einzig  und 
allein ,  z.  B.  das  Empl.  diachyl.  gunnnos.,  die  Kerndr.schen  Kataplasmen,  — 
ersteres  am  besten  zur  Nachtzeit,  letzteres  bei  Tage.  Hier  passt  auch, 
sollten  nicht  besondere  Krankheitszustände  und  Dyskrasien  es  verbieten, 
eine  mehr  nährende,  kräftige  Diät,  der  massige  Genuss  des  Weins  etc. 
Ist  der  Abscess  reif,  so  muss  der  Eiter  entleert,  also  der  Abscess  durch 
die  Kräfte  der  Natur  oder  durch  Kunsthülfe  geöffnet  werden.  Ob  der  eine 
oder  der  andere  Weg  einzuschlagen  sey,  i.st  für  den  Erfolg  keinesweges 
gleichgültig.  Rust  sagt  darüber  dieses:  „Kleine,  nahe  unter  der  Haut  lie- 
gende Abscesse,  alle  DrüseuAereiterungen  oder  Abscesse  in  drüsenreichen 
Organen,  gleichviel,  ob  sie  dyskrasisciun- Natur  sind  oder  nicht,  sowie  alle 
Abscesse,  denen  es  an  Energie  der  Leben.sthätigkeit  mangelt,  die  daher  wenig 
schmerzhaft ,  nicht  lebhaft  entzündet  sind ,  und  in  denen  die  Eiterung  und 
mit  derselben  die  Schmelzung  der  den  Abscess  umgebenden  Härte  nur  träge 


ABSCESSUS  13 

vorwärts  schreitet ,  sollen  in  der  Regel  zu  ihrer  Eröffnung  nicht  allein  der 
Natur  überlassen  werden ,  sondern  man  thut  sogar  wohl ,  auch  ihre  zu  früh- 
zeitige Selbstöffnung  durch  Yermeidung  der  Anwendung  zu  starker  Zugmit-' 
tel  nach  Möglichkeit  zu  verhindern ,  so  lange  durch  die  fortgesetzte  Eiter- 
bildung nicht  alle  Härte  im  Umfange  des  Abscesses  geschmolzen  erscheint. 
Dagegen  verdient  die  Eröffnung  des  Abscesses  durch  die  Kunst  den  Vorzug, 
oder  sie  muss  vielmehr,  wenn  nicht  nachtheilige  Folgen  aus  ihrer  Unter- 
lassung hervorgehen  sollen,  vollzogen  werden,  wenn  der  Abscess  vollkom- 
men reif,  d.  h.  wenn  alle  Härte  geschmolzen  und  derselbe  gleichförmig  flu- 
ctuirend  anzufühlen  ist,  sich  aber  dennoch  nicht  von  selbst  eröffnen  will;  — 
wenn  ferner  derselbe  tief  unter  der  Haut  oder  unter  einer  sehnigen  Ausbrei- 
tung liegt ,  die  vom  Eiter  nicht  leicht  durchbrochen  werden  kann ,  —  wenn 
nahe  gelegene  wichtige  Theile  in  Gefahr  kommen,  vom  Eiter  angegriffen 
zu. werden,  eine  Absterbung  der  Sehnen,  Knochenfrass  u.  dergl.  zu  besor- 
gen steht,  und  wenn  endlich  Gefahr  vorhanden  ist,  dass  der  zu  lange  ver- 
haltene Eiter  sich  nach  innen  in  eine  Höhle  ergiessen ,  durch  seinen  Druck 
auf  edle  Organe  oder  dvu'ch  seine  Versenkung  in  entferntere  Theile  nach- 
theilige und  selbst  lebensgefährliche  Folgen  veranlassen  könnte. "  —  „  Ist 
nun  in  dem  einen  oder  andern  der  angegebenen  Fälle  die  künstliche  Eröff- 
nung indicirt ,  so  muss  sie  besonders  dann ,  wenn  Gefahr  beim  Verzuge  und 
zu  besorgen  ist,  dass  der  verhaltene  Eiter  theils  durch  seinen  Druck  auf 
die  Nachbargebilde,  theils  durch  seine  Ergiessung  nach  innen,  lebensge- 
fährliche Zufälle  veranlassen  könnte,  sogleich  unternommen  werden,  sobald 
man  von  der  Gegenwart  desselben  überzeugt  ist ;  in  allen  übrigen  Fällen 
ist  es  jedoch  rathsam  und  erspriessllch,  die  völlige  Reife  des  Abscesses  ab- 
zuwarten ,  ehe  man  ihn  öffnet. "  „  Es  ist  ein  bekannter  Erfahrungssatz, 
dass  Abscesse,  deren  Eröffnung  der  Natur  überlassen  wurde,  in  der  Mehr- 
zahl der  Fälle  schneller  heilen,  als  Abscesse,  die  durch  die  Kunst  geöffnet 
worden  sind.  Betrachten  wir  die  Vorgänge ,  welche  die  Natut  bei  der 
Selbsteröffnung  der  Abscesse  herbeiführt ,  etwas  genauer ,  so  wird  uns  der 
Grund  dieser  Erscheinung  nicht  allein  erklärbar,  sondern  auch  die  Maximen 
werden  uns  einleuchtend,  nach  denen  wir  bei  der  künstlichen  Eröffnung  der 
Abscesse  verfahren  müssen ,  um  einen  gleichen  Erfolg  herbeizuführen.  — 
Ehe  die  Natur,  sich  selbst  überlassen,  die  Eröffnung  eines  Abscesses  be- 
wirkt, steigt  die  Entzündung  der  Hautdecken  aufs  Höchste,  Spannung  und 
Schmerz  werden  unerträglich ,  't>is  sich  an  einer ,  gewöhnlich  der  erhabensten, 
seltener  an  der  abhängigsten  Stelle ,  die  nun  vollständig  fluctuirende  Eiter- 
beule zuspitzt,  gelblich  wird  und  aufbricht.  Sobald  der  Eiter  ausgeflossen, 
sinkt  die  Geschwulst  zusammen,  wird  allmälig  platter,  und  die  kiu"z  vorher 
noch  höchst  entzündeten  Hautdecken  vereinigen  sich  leicht  mit  dem  Herda 
des  Abscesses,  ohne  ein  Hohlgeschwür  zu  bilden,  worauf  dann  die  Heilung 
und  Vernarbung  der  durchbrochenen  Hautstelle  zu  erfolgen  pflegt.  Ganz 
anders  ist  aber  der  Fall  und  der  Verlauf  des  Übels  bei  der  gewöhnlichen 
Methode,  Abscesse  zu  eröffnen.  Der  Wundarzt  wartet  nicht  den  höchsten 
Grad  der  Entzündung  der  Hautdecken,  die  Zuspitzung  der  Geschwulst,  oft 
nicht  einmal  die  vollkommne  Schmelzung  aller  entzündlichen  Härte  ab ,  son- 
dern eröffnet  den  Abscess,  sobald  er  an  der  einen  oder  andern  Stelle  Flu- 
ctuation  entdeckt,  und  glaubt  wol  gar  noch  dem  Kranken  einen]  wesent- 
lichen Dienst  zu  leisten,  wenn  er  ihn  dadurch  des  spannenden  und  klopfen- 
den Entzündungsschmerzes,  der  in  der  Regel  jedem  Selbstaufbruche  des 
Abscesses  vorangeht,  zu  überheben  sucht.  Allein  durch  die  zu  frühe  Ent- 
leerung des  Elters  und  die  plötzliche  Aufhebung  aller  Spannung  erlischt  die 
noch  nicht  aufs  Höchste  gesteigert  gewesene  Entzündung  und  Eiterung  fast 
gänzlich ;  die  Schmelzung  der  noch  vorhandenen  Härte  kann  ohne  Erregung 
einer  erneuerten  Entzündung  und  Eiterung  nicht  vor  sich  gehen,  die  der 
erhöhten  Vitalität  beraubten  Hautdecken  können  sich  mit  dem  Grunde  oder 
Herde  des  Abscesses  nicht  vereinigen,  und  so  bildet  sich  ein  Hohlgeschwür 
aus,  das  erst  nach  Aufhebung  seiner  Form  und  immer  nur  sehr  langsam, 
oft  erst  nach  Monate  langem  Bemühen   zur  Heilung  gelangen  kann. "     Rust 


14  ABSCESSU3 

hält  es  daher  für  eine  sehr  wichtige  Regel ,  keinen  Abscess  ohne  Noth  ror 
seiner  vollendetsten  Reife  und  ehe  die  Natur  die  zur  Wiedervereinigung  des 
getrennten  Zusammenhanges  erforderlichen  Bedingnisse  selbst  herbeigeführt 
hat,  zu  eröffnen.  Bei  den  sogenannten  kalten,  schmerzlosen  Abscessen,  bei 
der  Lymphgeschwulst,  bei  dem  metastatischen  Congestionsabscesse  etc.  folgt 
nach  ihrer  unmittelbaren  Eröffnung  aus  diesem  Grunde  Yerschlimmerung,  — 
es  bildet  sich  ein  Hohlgeschwür,  der  dünne  zersetzte  Eiter  erschöpft  den 
Kranken,  es  tritt  in  der  Regel  Febris  hectica  hinzu,  und  nicht  selten  ist 
der  Tod  aus  Entkräftung  das  Ende  eines  solchen  Leidens.  Sucht  man  da- 
gegen den  hier  gänzlich  oder  grösstentheils  fehlenden,  aber  zur  Heilung 
des  Abscesses,  zur  Verhütung  der  Bildung  eines  Ulcus  sinuosum  so  höchst 
nothw endigen  Entzündungszustand  in  den  Hautdecken  hervorzurufen,  be- 
folgt man  die  Regel,  durch  Anwendung  der  Caustica,  z.  B.  durch  Lap. 
caust. ,  Lap.  infernalis  (bei  grossen  Abscessen  an  mehreren  Stellen,  y,  Zoll 
von  einander  damit  geätzt),  der  Brenncj linder ,  selbst  des  Glüheisens, — 
bevor  die  Öffnung  eines  solchen  Abscesses  erfolgt ;  —  so  ist  der  Erfolg 
weit  glänzender  (s.  Abscess us  lymphaticus).  Bei  allen  mehr  acu- 
ten Abscessen,  die  man  früher  wol  oft  aus  keinem  andern  Grunde,  als 
Aveil  der  Kranke  das  Messer  scheut,  mit  einem  Causticum  geöffnet  und 
dadurch  unnöthige  Schmerzen  ei'regt  hat,  zieht  Rust  mit  Recht  den  Schnitt 
mittels  der  Lanzette  dem  Causticum  oder  der  Anwendung  des  Haarseils 
vor;  nur  muss  gehörige  Reife  des  Abscesses  zugegen  seyn.  Der  Schnitt 
muss  gehörig  gross  gemacht  werden,  nicht,  wie  dies  Manche  thun,  in 
einem  blossen  Einstiche  bestehen.  Das  Eindringen  von  Luft  in  die  Eiter- 
höhle braucht  man  nicht  zu  fürchten ,  denn  dieselbe  verdirbt  oder  zer- 
setzt den  Eiter  nicht,  wie  man  wol  früher  geglaubt  hat.  Findet  eine 
solche  Zersetzung  statt ,  so  beruhet  sie  auf  ganz  andern  pathologischen 
und  chemischen  Processen  und  hat  ganz  andere  Ursachen  (schlechte  Säfte 
in  Folge  verschiedener  Dyskrasien,  unzweckmässiger  Verband  und  solche 
topische  pharmaceutische  Mittel  etc. ).  Nur  bei  einem  massigen  Grade 
Von  Vitalität  des  Abscesses  ist  die  Absonderung  eines  guten  Eiters  in  er- 
forderlicher Menge  und  die  davon  abhängende  Bildung  neuer  Fleischwärz- 
chen (Granulationen)  möglich,  welche  vom  Boden  der  Secretionsfläche  em- 
porschiessen ,  gehörig  roth,  massig  fest,  empfindlich  und  nicht  zu  leicht 
blutend  sind,  die  vorhandene  Höhle  allmälig  ausfüllen  und  so  die  Vernar- 
bung herbeiführen.  Hier  ist  das  wichtigste  Geschäft  des  Wundarztes  die- 
ses ,  dass  er  Alles,  was  diesen  Naturprocess  stört,  abzuwen- 
den sucht.  Der  Kranke  muss  daher,  nach  Rust,  bei  seiner  gewohnten 
Lebensweise  und  Nahrung  bleiben  und  nur  stark  gezalzene,  geräucherte, 
gepökelte  Speisen  und  spirituöse  Getränke  vermeiden,  sowie  den  Aufent- 
halt in  einer  schlechten  Atmosphäre ,  welche  laut  der  Erfalnrung  einen 
höchst  nachtheiligen  Einfluss  auf  eiternde  Secretionsflächen  äussern.  „Nichts 
ist  schädlicher  und  den  normalen  Gang  der  Eiterung  störender,  als  ein  zu 
häufig  gewechselter ,  drückender  und  undurchdringlicher  Verband ,  ein  zu 
sorgfältiges  Reinigen  der  Secretionsflächen,  und  die  Anwendung  von  soge- 
nannten Heilsalben.  Es  ist  vollkommen  hinreichend  und  der  Absicht  ent- 
sprechend ,  wenn  die  so  geartete  eiternde  Fläche  täglich  durch  laues  Was- 
ser ,  mittels  eines  übergehaltenen  damit  getränkten  Schwammes ,  ohne  mit 
demselben  die  Wundfläche  selbst  zu  berüluen.  gelinde  abgespült  und  so 
von  ihrem  überfliessenden  Eiter  gereinigt,  dann  mit  einem  einfachen  leine- 
nen Läppchen  oder  mit  einem  Plumaceau  leicht  bedeckt,  und  dieses  durch 
eine  einfache  Binde  oder  mittels  ein  paar  Streifchen  Heftpflasters  befestigt 
•wird.  Wer  sich  vom  Salbenverbande  unter  keinerlei  Umständen  zu  trennen 
vermag,  der  bestreiche  das  Leinwandläppchen  oder  Plumaceau  mit  etwas 
Rosenpomade  oder  einer  frisch  bereiteten  Salbe  aus  Wachs,  Öl  und  Eidot- 
ter." Vermindert  sich  nun  der  Umfang  der  Secretionsfläche,  sinken  die 
anfangs  erhabenen  und  angeschwollenen  Hautränder  und  will  der  Abscess 
durcli  die  Vernarbung  heilen,  so  kann  man  letztere  dadurch  beschleunigen, 
dass  man  durch  Heftpflasterstreifen  die  Wundränder  an  einander  zieht,  da- 


ABSCESSU9  15 

durch  die  Haut  verlängert  und  zuletzt  austrocknende  Mittel;  Aq.  Goulardi, 
eine  schwache  Solution  von  Höllenstein  anwendet.  Geht  die  Eiterung  nicht 
gehörig  von  Statten,  wird  zu  wenig  Eiter  abgesondert,  so  ist  die  Ursache 
davon  bald  ein  zu  hoher,  bald  ein  zu  geringer  Yitalitätszustand  des  lei- 
denden Theils.  Im  ersten  Falle,  wo  die  Secretionsfläche  dunkel-  oder 
braunroth  aussieht,  oft  spiegelglatt,  schmerzhaft  und  hart  anzufühlen  ist, 
weil  der  Abscess  meist  zu  früh  geöffnet  worden,  wende  man  warme  Um- 
schläge von  Hafergrütze  und  Leinsamenmehl  an;  dabei  erhöhte  Lage 
des  Theils,  Vermeidung  jeder  Reizung  durch  drückenden  Verband,  Bewe- 
gung des  Gliedes,  durch  reizende  Salben  und  Pflaster,  die  in  den  Händen 
der  gemeinen  Chirurgen  stets  so  viel  Unheil  angerichtet  haben,  und  man 
continuire  mit  diesen  Mitteln  so  lange,  bis  Härte,  Schmerz  und  dunkle 
Farbe  verschwunden  und  gute  Eiterung  eingetreten  ist.  —  Sondert  aber 
der  Abscess  zu  wenig  Eiter  ab,  weil  Schwäche  oder  Torpidität,  zu  geringe 
Vitalität  zum  Grunde  liegt ,  wo  er  bleich  und  schlaff  aussieht ,  weil  die  Ei- 
terung entweder  schon  zu  lange  dauerte,  das  antiphlogistische  Verfahren 
überti-ieben  ward,  oder  schwächende  Einflüsse,  Erschöpfung  durch  Aus- 
schweifungen ,  Onanie ,  Coitus ,  Mangel  an  guter  Nahrung  etc.  stattfan- 
den ,  —  so  sind  zum  Verbinden  die  reizenden  Salben  an  ihrer  Stelle ;  z.  B- 
I^  IJnguent.  hasUici  5J,  Tinct.  myrrhae  5jjj-  M.  {Rnst.^  Oder  auch  R/  Merc, 
praec.  mbr.  5j — ö]]-,  Unguent.  halisic.  5J.  M.  Dabei  ist  der  leidende  Theil 
etwas  abhängig  zu  lagern,  odei-  man  vermehrt  den  Zufluss  der  Säfte  nach 
demselben  durch  Anwendung  von  aromatischen  Bähungen ,  Sinapismen ,  Fri- 
ctionen.  „Wird  dagegen  —  sagt  ferner  Rust  a.  a.  O.  Th.  I.  S.  87  —  des» 
Eiters  zu  viel  abgesondert,  so  ist  der  Fall  wieder  zweifach.  Entweder 
ist  der  Eiter  zugleich  von  guter  Beschaffenheit,  und  in  diesem  Falle  füllt 
sich  die  Secretionsfläche  schnell  mit  gesundem  Fleische  aus,  allein  die  Re- 
production  geht  über  die  Grenze  der  Norm  hinaus ,  erhebt  sich  über  die 
Hautränder,  und  die  Vernarbung  der  Wunde  oder  sonstigen  Eiterfläche 
kann  nicht  zu  Stande  kommen;  —  oder  der  Eiter  ist  zugleich  von  schlech- 
ter, jauchiger  Beschaffenheit.  Hier  ist  die  Reproduction  entweder  ganz 
verloschen,  oder  von  eben  so  anomaler  Beschaffenheit,  wie  der  Eiter  selbst. 
Es  erzeugt  sich  sogenanntes  wildes  Fleisch  —  bleiche,  schlaffe,  leicht  blu- 
tende Granulationen ,  —  wobei  die  ganze  Secretionsfläche  ein  schlaffes  miss- 
farbiges Ansehen  gewinnt.  Ln  ersten  Falle  liegt  der  zu  häufigen  Eiter- 
absonderung offenbar  eine  über  die  Norm  gesteigerte  Reproductionsthätig- 
keit  zum  Grunde.  Häufig  hat  ein  zu  warmer  und  complicirter  Verband ,  die 
Behandlung  der  übrigens  normalen  Secretionsfläche  mit  reizenden  Salben, 
und  eine  zu  nährende  und  gewürzhafte  Kost  Schuld  an  diesem  Fehler,  und 
lässt  sich  auch  nur  durch  Vermeidung  dieser  Dinge  am  sichersten  verhüten. 
Ist  er  aber  einmal  vorhanden ,  so  sucht  man  durch,  Anordnung  einer  magern 
und  vegetabilischen  Diät,  durch  wiederholte  Darmentleerungen,  besonders 
Mercurlalpurganzen ,  sowie  durch  Hülfe  eines  trocknen,  etwas  festen  Ver- 
bandes, durch  die  erhabene  Lage  des  leidenden  Theils  und  die  Einwicke- 
lung  desselben ,  um  den  Zufluss  der  Säfte  zur  secernirenden  Fläche  zu  min- 
dern, oder  durch  Anwendung  des  Bleiwassers  oder  der  Kälte  der  fortschrei- 
tenden Eiterung  und  Reproduction  Grenzen  zu  setzen.  Unstreitig  ist  die 
Anwendung  der  Kälte  das  kräftigste  Mittel,  um  bei  einer  zu  hoch  gestei- 
gerten vegetativen  Thätigkeit  eine  Rückbildung  zu  bewirken,  nur  ist  sie 
nicht  allenthalben  mit  Sicherheit,  ohne  schädliche  Nebenwirkungen  zu  ver- 
anlassen, in  diesen  Fällen  anwendbar."  —  Wenn  hier  Rust  zwar  die  Kälte 
andern  Mitteln  vorzieht,  so  ist  dennoch  der  Mercur  wol  das  grösste  an- 
tiproductive  Mittel ,  wie  dieses  zahlreiche  Versuche  bestätigen.  Einreibun- 
gen des  Kalomelpulvers  mit  Speichel  in  die  ganze  Peripherie  der  eiternden 
Fläche  leisten  hier  nach  meinen  Erfahrungen  viel.  (M.)  „Im  zweiten 
Falle  —  fährt  der  letztgenannte  Autor  fort  —  liegt  der  zu  häufigen  und 
zugleich  qualitativ  abnormen  Eiterabsonderung  allgemeine  und  örtliche  zu 
tief  gesunkene  Lebensthätigkelt  und  Schwäche  zum  Grunde.  In  wiefern 
dieselbe  nicht   zugleich   auf  einem  allgemeinen  dyskra.sischen  Verhältnisse 


16  ABSCESSUS 

oder  in  einem  besondern  örtlichen  Fehler  der  Geschwürsform  beruhet ,  Avelche 
Fälle  besonders  berücksichtigt  werden  müssen  (s.  Ulcus),  beruhet  die 
Behandlung  auf  einem  die  Kräfte  erhebenden  und  die  Absonderung  beschrän- 
kenden und  rerbessernden  Verfahren.  Neben  einer  mehr  trocknen  als  ilüs- 
sigen ,  zugleich  aber  gelind  erregenden  Nahrung,  wird  auch  der  Gebrauch 
der  China ,  des  isländischen  Mooses ,  des  aromatischen  Calmus  und  anderer 
bitterer,  zugleich  gewürzhafter  Mittel  die  örtliche  Behandlung  der  Secre- 
tionsfläche  unterstützen  müssen.  In  letzterer  Hinsicht  sucht  man  die  zu 
häutige  Absonderung  des  dünnflüssigen  Eitei's  zu  beschränken ,  dessen  Qua- 
lität chemisch  umzuändern ,  und  zugleich  erregend  und  umstimmend  auf  die 
erschlaffte  Faser  einzuwirken.  Diesen  Indicationen  entsprechen  eine  anfäng- 
lich mehr  trockne  als  feuchte  Behandlung  der  Geschwürsfläche ,  Einstreu- 
pulver  Yon  aromatischen ,  gelind  adstringirenden  und  solchen  Substanzen, 
die  aller  Erfahrung  zufolge  eben  so  chemisch  verbessernd  auf  die  Abson- 
derung,  als  vital  umstimmend  auf  die  Secretionslläche  selbst  wirken.  Zu 
den  wohlfeilsten  und  zugleich  vorzüglichsten  dieser  .^st  gehören  fein  gepul- 
verte Chamillenblüten  inid  Kohle,  mit  und  ohne  Zusatz  von  Mjrrhe  und 
Kampher ,  und  bei  hoher  Entartung  das  Bestreuen  der  SecretionsBäche  mit 
rothem  Präcipität.  Ausserdem  ist  die  Anwendung  mittels  getränkter  Lein- 
wandläppchen von  A(jua  phagedaenica,  oder  ^:  Cnlcar.  oxymurini.  5j  —  511, 
Äq.  desiillatae  fij.  col.,  oder  ly  Lap'uL  infcrnalis  5f)i,  Aq.  chnmomiU.  3VJ, 
Tinct.  opii  5j|v-  M. ,  oder  des  ausgepressten  Safts  von  Plantago  angustifol. 
und  des  Vini  camphorati  (Camphorae  gm.  arab.  ti'it.  5jjj ,  ^  ini  boni  fij. 
besonders  dann  empfehlungswerth ,  wenn  die  Absonderung  sich  bereits  ver- 
mindert, die  Geschwürsfläche  aber  noch  ein  abnormes  und  erschlafftes  An- 
sehen hat,  wo  sodann  durch  die  Verbandmittel,  die  im  benannten  Falle  al- 
len Salbenformen  vorzuziehen  sind  und  denen  ich  aus  Erfahrung  vor  vielen 
ähnlichen  eine  ausgezeichnete  Wirkung  beilege,  dieselbe  bald  zur  Normali- 
tät, und  somit  zur  Heilung  geführt  zu  werden  pflegt."  Ich  habe  hier  bei 
diesem  Gegenstande  die  Ansichten  und  Curmethoden  von  Ritst  um  so  mehr 
ausführlich  mitgetheilt,  da  bekanntlich  die  Verdienste  desselben  in  Hinsicht 
der  Helkologie  es  waren ,  die  ihm  von  Wien  aus  in  Berlin  mit  Recht  den 
ersten  Ruf  begründeten.  Jetzt  nur  noch  Einiges  über  die  Abscesse  im  Spe- 
ciellen ;  die  meisten  derselben  an  einzelnen  Organen  sind  zwar  nur  Aus- 
gänge der  vorhergegangenen  Entzündung ,  und  daher  ist  ihrer  zum  Theil 
schon  beim  Artikel  Inflammatio  gedacht  worden;  dennoch  verdienen  die 
Vereiterungen  an  einzelnen  Organen  und  die  Abscesse  von  eigenthümlicher, 
.specifischer  Natur ,  obgleich  fast  alle  Folgezustände  von  Entzündungen  oder 
innern  Leiden  der  Säfte  sind,  ihrer  Wichtigkeit  wegen  hier  eine  besondere 
Betrachtung. 

Ahscessiis  aldominalis ,  der  Bauchabscess,  auch  Coeliopyosis  ge- 
nannt,  ist  seiner  Lage  nach -entweder  ein  äusserer  oder  innerer.  Die 
Cocli'ipi/osis  externa  seu  Myocoelitis  suppuratoria  zeigt  sich  an  den"  Bauch- 
decken in  Folge  von  Verwundungen,  entzündlichen  Reizen,  fremden  einge- 
drungenen Körpern ,  von  zu  starken  Geburtsanstrengungen.  Die  hier  ge- 
bildete umschriebene  schwappende  Geschwulst  lässt  sich  nicht  nach  innen 
zurückdrücken ,  sie  verhält  sich ,  wie  jeder  Abscess ,  und  w ird  auch  so  be- 
handelt. (S,  Journal  de  Medecine,  T.  43.  p.  64.  Arnemann^s  Magazin, 
Bd.  1.  S.  175.  Kilc  in  Medical  Communications  II.  No.  6.).  Die  Coelio- 
jiyosis  interna  ist  dagegen  viel  bedeutender ,  häufig  Folge  von  Perito- 
nitis,  Hepatitis,  Nephritis,  Splenitis  ^  von  Verwundungen,  Fotalüberresten 
etc.  (S.  Lieutaud  Hist.  anat.  med.  L.  II.  Obs.  150.  Richters  Chir.  Bibl. 
Bd.  IX.  S.  359.  FranTc,  de  cur.  hominum  morbis  L.  II.  p.  206.)  —  Die 
Diagnose  ist  schwierig.  Die  vorhergegangenen  Entzündungssymptome, 
die  ohne  kritische  Ausleerungen  verschwanden  ,  die  Zeichen  der  eintretenden 
Eiterung,  das  sog.  Eiterungsfieber,  der  stumpfe,  drückende,  klopfende 
Schmerz  an  irgend  einer  bestimmten  Stelle  des  Unterleibes,  das  allmälig 
eintretende  hektische  B^ieber,  die  Abmagerung,  Entkräftung,  die  Nacht- 
ßchweisse    etc. ,  —  diese  Zeichen    lassen   einen   solchen  Abscess   verrauthen. 


ABSCESSUS  17 

Sicherer  Avird  die  Diagnose,  wenn  der  Abscess  oberßäclilich  liegt  und  «ich 
als  flnctulrende  Geschwulst  äusserliqh  zu  erkennen  giebt.  Zuweilen  ist  der 
Elter  in  einer  sackförmigen .  Hüüe  eingeschlossen ,  die  oft  lange  Zeit  aljt 
Vomica  abdominalis  clausa  fortbestehen  kann.  Öffnet  sich  die  Eiterge- 
schwulst nach  aussen ,  durch  den  Darmkanal ,  die  Blase ,  den  Uterus ,  oder 
indem  er  sich  in  die  Leistengegend  senkte  so  kann  noch  das  Leben  gerettet 
werden  und  selbst  Gesundheit  folgen,  tritt  der  Eiter  aber  in  die  Bauch- 
höhle, so  ist  das  Übel  meist  tödtlich.  Die  Cur  ist  eine  mehr  passive,  al» 
active,  —  nur  wenn  die  Geschwulst  äusserlich  sichtbar  und  gehöng  fluctui- 
rend  ist,  kann  man  sie  öffnen  und  den  Eiter  entleeren. 

Abscessus  adevosus.  Die  Drüseneiterung  findet,  wie  die  acute 
Adentis,  häufiger  in  den  conglomerirten ,  als  in  den  conglobirten  Drüsen 
»x'att ;  sie  zeigt  sich  überhaupt  nicht  häufig ;  man  findet  hier  mehrere  isolirte 
Eiterherde ,  die  wässerigen  Eiter  enthalten  und  zwischen  welchen  die  Drü- 
senmasse fest  und  gesund  erscheint.  Symptome  des  Drüsenabscesses 
sind:  langsamer,  träger  Verlauf,  kalte,  farblose,  langsam  sich  vergrössernde 
Geschwulst,  anfangs  wenig  Schmerz,  wenig  Tendenz  zur  Öffnung,  wie  zur 
baldigen  Heilung.  Der  Eiter  ist  wässerig,  missfarbig,  vermischt  mit  Faden, 
Flocken ,  käsigen  Klümpchen ;  zuweilen  verschwindet  die  Eiterung  plötzlich 
und  erscheint  in  andern  Gebilden.  Gewöhnlich  gebraucht  ein  solcher  Ab- 
scess bis  zur  Reife  und  Heilung  eben  so  viele  Wochen  als  ein  anderer  Ab- 
scess Tage,  z.  B.  der  Bubo ,  die  Scrophelgeschwulst,  doch  verläuft  die  Par- 
otitis ,  wenn  sie  in  Eiterung  geht ,  sowie  die  Drüsengeschwulst  bei  Scar- 
latina  und  Typhus,  rascher.  Ursachen  sind:  vorzüglich  Scrophulosis, 
Syphilis,  Variola,  Scarlatina,  Rheuma,  Arthritis,  Herpes;  Gelegenheit  ge- 
ben bei  dyskrasischen  Personen  oft  Stoss,  Schlag,  Quetschung.  • —  Cur. 
Neben  richtiger  Behandlung  des  bald  acuten ,  bald  chronischen  Allgemein- 
leidens müssen  wir  bei  der  örtlichen  Behandlung  dahin  sehen,  dass ,  wenn 
er  kalter  Natur  ist ,  die  Öffnung  der  Natur  überlassen  bleibt ,  weil  die 
künstliche  Öffnung  leicht  hässliche  Geschwüre  giebt,  die  callöse  Ränder  be- 
kommen, schwer  heilen  und  meist  Induration  hinterlassen.  Die  Eiterung 
wird  durch  meist  reizende  Mittel  befördert  und  die  Öffnung  allenfalls  durch 
ein  Causticum  bezweckt.  Die  mehr  acuten,  schmerzhaften  Drüsenabscesse, 
z.B.  nach  Mastitis,  Parotitis ,  Scarlatina ,  kann  man  dagegen  ^  wenn  hinrei- 
chende Fluctuation  da  ist ,  durch  einen  oberflächlichen  Einstich  öffnen ,  und 
so  dem  Kranken  Erleichterung  v'erschaffen.  In  diesen  Fällen  heilt  der 
Abscess  oft  in  wenigen  Tagen  nach  der  Öffnung ,  wenn  sonst  der  Eiter 
nicht  jauchig  und  stinkend  ist ;  aber  etwas  Verhärtung  bleibt  zurück,  die 
durch  Einreibung  von  Unguent.  mercuriale  allmälig  verschwindet.    (Mosf.) 

Ahscessus  nni ,  ProcIaJtjln  (iposlemntica ,  Gesässabscess,  Abscess 
am  After.  Ist  eine  Abscessforin  ,  welche  häufig  verkannt  und  zu  allge- 
mein mit  dem  Namen  Fistula  ani  belegt  worden  ist.  Häufig  ists  nur  ein 
in  Entzündung  und  Eiterung  übergehender  Hämorrhoidalknoten,  der  sich 
dann  oft  periodisch  als  ein  am  After  liegendes  schmerzhaftes  Knöllchen 
zeigt ,  oberflächlich  liegt  und  in  Eiterung  übergeht ,  aber  auch  bald  heilt. 
Zuweilen  sind  mehrere  solche  Abscesse  zu  gleicher  Zeit  da ,  die  ohne  Kunst- 
hülfe durch  blosse  Reinlichkeit  und  Vermeidung  von  Reiz  heilen,  „Weit 
wichtiger  —  sagt  Sommer  (ßiwt's  Chirurgie,,  Bd.  I.,  S.  94)  —  jst  der  phleg- 
monöse Gesässabscess.  Dieser  tritt  unter  heftigen  örtlichen ,  meistens  auch 
allgemeinen  Entzündungssyniptouien,  beträchtlicher,, klopfender,  harter,  durch 
den  Mastdarm  fühlbarer  Geschwulst  der  Affergegend,  nicht  selten,  dpx  gan-, 
zen  Hinterbacke,  grosser  Spannung,  ungeheuren  Schmerzen  auf,  isit  yon 
l^ieber,  Strangurie,  Dy,surie,-  Stuhlzwang,  bei  Weibern  llerabtreten  der 
Gebärmutter ,  Stuhlverstopfung  oder  Durchfall ,  heftigem  Ansch.veUen  vor- 
hjindener  Goldaderknoten  begleitet ,  und  geht  in  der  Regel  nach  2,  S^6 
Tagen,  unter  einiger  Milderung  der  Zufälle  und  den  die  Eiterung  beglei- 
tenden Erscheinungen,  ,in  Suppuration  über.  In  manchen  Fällen  geschieht 
dies  jedoch  nicht;  die  Ausbildung  bleibt  unvollendet,  und  bei  Abnahme  der 
angegebenen  Zeichen  entsteht  eine  weit  verbreitete ,  rothlaufartige  Härte, 
Most  EncyklopäUie.  2te  Aufl.  I.  2 


18  ABSCESSUS 

die  erst  nach  längerer  Zeit ,  auch  wol  nur  unvollkommen  verschwindet, 
und  in  diesem  Falle  zur  Wiederkehr  der  entzündlichen  Symptome  Anlass 
giebt ,  oder  auch  schnell  in  eine  oberflächliche ,  weithin  verbreitete  Abster- 
bung des  benachbarten  Zellgewebes  übergeht."  Ausserdem  ist  es ,  nach 
Sommer,  bei  kachektischen ,  geschwächten  Personen  zuweilen  der  Fall,  dass 
die  Geschwulst  nach  vorhergegangenen  bedeutenden  EntzündungszuföUen 
plötzlich  zusammenfällt,  gefühllos  wird,  eine  dimkel  purpurrothe  Farbe  an- 
nimmt und  in  kurzer  Zeit  brandig  wird,  indem  die  Kräfte  sinken,  der  Puls 
klein ,  kaum  fühlbar  wird ,  Delirien  und  Zeichen  der  Paralyse  auftreten. 
Die  Öffnung  des  Abscesses  erfolgt  entweder  nach  aussen,  oder  in  den  Mast- 
darm, oder  gleichzeitig  an  beiden  Stellen.  Meist  sind  mehrere  Öffnungen, 
gleichzeitig  am  After ,  in  der  Darmgegend ,  im  Rectum  da.  Die  Durchboh- 
rung der  einen  Wand  des  Mastdarms,  welche  häufig  und  durch  allmäliga 
Auflösung  der  Darmhäute  erfolgt,  tritt  noch  häufiger  in  dem  Falle  ein,  wo 
die  Ursache  der  vorhergegangenen  Rectitis  im  Recto  selbst  lag ,  und  ein 
eingedrungenes  Knochenstückchen ,  eine  Fischgräte ,  eine  zu  Ansammluiigen 
von  Faeces  Anlass  gebende  Schrunde  zwischen  dessen  Falten  war.  Der 
Eiter  fliesst  nach  der  erfolgten  Öffnung  des  Abscesses  ohne  oder  mit  dem 
Stuhlgange  durch  den  After  ab ,  wobei  grosse  Erleichterung  der  ZuföUe 
wahrgenommen  wird ,  und ,  wenn  das  Übel  nicht  Reflex  eines  Allgemein- 
leidens ist,  die  Heilung  bald  erfolgt.  Ist  aber  letzteres  der  Fall,  so  bilden 
sich  fistulöse  Geschwüre  ,  deren  Grund  oben ,  deren  Lumen  neben  der  Af- 
termündung oder  im  Mastdarm  selbst  liegt ,  und  in  deren  Höhlung  manch- 
mal ein  von  allem  Zellgewebe  ringsum  entbtösstes  Stück  des  Mastdarms  be- 
findlich ist.  Dies  ist  dann  die  in  Folge  eines  Abscesses  entstandene  Mast- 
darmfistel (s.  Fistula  ani).  Auch  kann  sich  im  Recto  eben  so,  wie  in  der 
Inguinalgegend ,  ein  Congestionsabscess  ereignen.  Ursachen  sind:  theila 
örtliche,  theils  allgemeine,  die  zunächst  eine  Entzündung  des  Zellgewebes, 
des  Fetts  und  der  Muskeln ,  welche  das  Rectum  und  dessen  Mündung  uni- 
geben ,  erregen.  Anlage  dazu  geben  die  spätem  Lebensjahre ,  träge  Blut- 
circulation  und  erhöhte  Venosität ,  entstanden  durch  Vita  sedentarla,  Ob- 
structio  ahi  habitualis,  wo  das  Übel  oft  als  wohlthätige  Krise  der  krank- 
haft erhöhten  Venosität  erscheint.  Gelegentliche  Ursachen  sind  ,  zumal  bei' 
solcher  Anlage,  Druck,  Stoss,  Knochensplitter,  Fischgräten,  die  oft  durch 
den  Mund  in  den  Mastdarm  gelangt  und  vor  dem  Schliessmuskel  stecken 
geblieben  sind  (s,  Döring's  und  Snlomon's  Journal  für  die  neueste  lloUänd. 
Literatur,  Bd.  I.  S.  315),  ungeschickt  oder  zu  heiss  angewandte  Klystiere, 
sehr  entzündete  Hämorrhoidalknoten,  Ausschweifungen  in  Baccho  et  Venere, 
Missbrauch  des  Mercurs ,  verschiedene  Metastasen  ,  Gicht ,  Rheuma ,  Syphi* 
lis ,  Herpes  etc.  Cur.  Da  fast  immer  Eiterung  folgt,  weil  keine  Neigung 
zur  Zertheilung  da  ist,  so  befördern  wir  bald  durch  antiphlogistische,  bald 
durch  gelind  reizende  Mittel ,  je  nach  dem  vorhandenen  Vitalitätszustande, 
die  Suppuration  (s.  oben  Abscessus),  und  öffnen ,  um  Fisteln  vorzubeu- 
gen ,  sehr  früh  ;  denn  warten  wir  bis  zur  Selbstöffnung  des  Afterabscesses, 
so  geht  es  fast  nie  ohne  Fistula  ani  ab.  Man  muss  dazu  die  Lanzette, 
nicht  das  unsicher  wirkende  Causticum  ,  nehmen ,  und  stets ,  um  den  freien 
Eiterabiiuss  zu  begünstigen  und  jede  Versenkung  desselben  zu  verhüten, 
einen  grossen  Einschnitt  machen.  Sollte  eine  Spalte  im  Mastdarm  und  da- 
durch erfolgtes  Austreten  von  Faeces  Ursache  des  Abscesses  seyn ,  so  muss, 
nach  Rust  und  Sommer ,  der  Einschnitt  gleich  mit  auf  das  Rectum  ausge- 
dehnt werden,  wozu  man  sich  des  Pott'schen  Bistouris  und  des  in  den 
Mastdarm  eingebrachten  hölzernen  Gorgerets  bedient  (s.  Fistula  ani); 
dabei  Sorge  für  Leibesöffnung ,  einfacher  Verband  mittelst  Charpie  und 
T-Binde.  Wird  die  Eiterung  schlecht,  so  wenden  wir  die  dagegen  bekannten 
örtlichen  und  allgemeinen  Mittel  an  (s.  Abscessus  und  Fistula  ani). 
Ist  das  Rectum  ringsum  vom  Zellgewebe  entblösst  und  liegt  es  mitten  in 
der  Höhle  des  Abscesses ,  so  muss  man ,  auch  Avenn  es  nicht  durchbohrt  ist, 
die  Vereinigung  desselben  durch  einen  grossen,  dreisten  Schnitt,  mittelst 
eines  gekrümmten,  schmalen ,  sondenartig  zugespitzten  Messers ,  zu  bewirken 


ABSCESSUS  19 

suchen.  Stellt  steh  im  Abscesse  der  Brand  ein,  ßo  mache  man  einen  tiefen 
dreisten  Einschnitt,  und  wende  hinterher  warme,  geistige  antiseptische  Fo- 
mente ,  auch  innerlich  Arnica,  China,  bei  sehr  gesunkener  Lebenskraft  selbst 
Kampher,  Moschus  an, 

Ahscessus  aniri  Highmori,  A.  sinus  maxillnrts.  Ist  Folge  von  der 
Entzündung  der  Mucosa  der  Oberkieferhöhle ,  die  fast  immer  in  Eiterung 
übergeht.  Das  Übel  ist  nicht  mit  den  Eiterergiessungen  aus  den  benach- 
barten Theilen  in  die  gesunde  Highmoi'shöhle  zu  verwechseln.  Ursachen 
der  Inflammatio  mucosae  dieser  Höhle  sind :  scharfe  Luft ,  metastatischa, 
dyskrasischc  Schärfen,  Schlag,  Stoss ,  Quetschung  der  Wangengegend, 
Zahnkrankheiten,  besonders  der  obern  Augenzähae,  heftige  Katarrhe.  Letz- 
tere erregen  aber  mehr  Auflockerung  und  Schleimsecretion ,  die  metasta- 
tische und  dyskrasischc  Entzündung  dagegen  häufiger  Ulceration  uqd  ca- 
riöse  Zerstörung  der  Knochen.  Der  Verlauf  dieser  Entzündung  ist  bald 
acut,  z.B.  wenn  mechanische,  traumatische  Ursachen,  Zahni'eiz  etc.,  statt- 
fanden, —  bald  mehr  chronisch.  Im  ersten  Falle  ist  das  erste  Symptom 
ein  klopfender  Schmerz,  welcher  sich  durch  die  ganze  Kieferhöhle  und  mehr 
in  die  Tiefe,  als  nach  aussen  hin  erstreckt,  ein  angebrachter  Druck  auf 
die  Gegend,  selbst  wenn  noch  keine  Geschwulst  sichtbar  ist,  erregt 
Schmerz  im  Auge  und  Ohr  der  leidenden  Seite;  —  häufig  leidet  auch  die 
innere  Nase ;  —  daher  oft  Verwechselung  des  Übels  mit  heftigem  Katarrh, 
mit  rheumatischem  Zahnschmerz  vorkommt,  und  so  zum  grossen  Schaden 
des  Kranken  die  passendste  Zeit  zur  Zertheilung  dieser  Entzündung  durch 
Antiphlogistica ,  Derivantia,  durch  kühlende  Laxanzen ,  durch  Application 
von  Blutegeln  etc.  versäumt  wird.  Sind  Krankheiten  der  Zähne  oder  des 
Alveolarrandes  Schuld ,  so  geht  die  Entzündung  oft  sehr  schleichend  vor 
sich.  „Der  Kranke  empfindet  dann  —  sagt  Dieffeiihach  (^Rusfs  Chirurgie, 
Bd.  I.  S.  100)  —  fast  nichts  als  einen  dumpfen  Druck,  eine  Spannung  tief 
in  der  Wange,  ein  Gefühl  von  Schwere  in  derselben  und  eine  Art  von 
Stockschnupfen.  Sobald  Eiterung  eintreten  will,  wird  der  eigentliche 
Schmerz  etwas  undeutlicher,  aber  meist  klopfend,  und  ein  anhaltendes  Ge- 
fühl von  Taubheit  in  der  Kinnbackenhöhle  belästigt  den  Kranken.  Ge- 
wöhnlich schreitet  nun  die  Bildung  des  Eiters  rasch  vorwärts,  und  erst, 
wenn  die  Ansammlung  desselben  auf  die  Wände  der  Kinnbackenhöhle  zu 
wirken  beginnt ,  gelangt  man  zur  genügenden  Überzeugung.  —  —  " 
„Meistens  sucht  sich  der  Eiter  gegen  den  Processus  alveolaris  hin  einen 
Ausweg  zu  verschaffen  ,  und  er  erregt  dann  hier  durch  seine  Einwirkung 
auf  die  Zahnnerven  einen  heftigen,  anhaltenden  Schmerz.  Man  muss  daher 
bei  zweifelhafter  Diagnose  die  Zähne  untersuchen  und  auf  den  klopfenden 
Schmerz  oberhalb  derselben,  auf  das  Gefühl  von  Taubheit  und  Schwere 
im  Antrum  Rücksicht  nehmen.  Zuweilen  wird  durch  Schnauben  eiterartige 
Flüssigkeit  aus  der  Nase  geworfen ,  oder  es  fliesst  der  Eiter  von  selbst 
aus ,  Avenn  der  Kranke  sich  auf  die  entgegengesetzte  Seite  legt.  Meistens 
jedoch  ist  durch  die  vorhergegangene  Entzündung  der  Eingang  der  Ober- 
kieferhöhle in  der  Nase  mehr  oder  weniger  verschlossen,  und  der  Eiteraus- 
fluss  ist  entweder  gar  nicht  da ,  oder  zu  gering.  Die  Verhaltung  des  Ei- 
ters bewirkt  eine  immer  mehr  zunehmende  Veränderung  der  knochigen 
Wände  des  Antrum,  dieselben  dehnen  sich  immer  mehr  aus  und  werden 
dünner,  die  Kinnbackenhöhle  sch\villt  in  ihrem  ganzen  Umfange  stärker  an, 
und  erhebt  sich  an  der  Stelle,  wo  der  Eiter  sich  am  meisten  hinsenkt, 
höckerartig."  Nach  Dieffcnbnch  zeigt  sich  diese  am  häufigsten  unter  dem 
Jochbeine  oberhalb  des  zweiten  und  dritten  Backenzahns.  Zuweilen  schwillt 
das  Antrum  auch  nach  der  Nase  zu  an,  die  eine  Seite  derselben  ist  dann 
so  verengert,  dass  das  Athmen  beschwerlich  wird  und  man  an  einen  Nasen- 
polypen denken  könnte.  Oder  die  Geschwulst  geht  nach  der  Orbita,  drängt 
den  Augapfel  aus  seiner  Höhle ,  dessen  Bewegung  gehindert  Avird ,  so  dass 
Störung  des  Gesichtssinns  und  Schielen  erfolgt.  Oder  es  Avird  auch  der 
harte  Gaumen ,  indem  die  Geschwulst  nach  unten  drängt ,  hinabgetrieben 
und  so  die  Mundhöhle  verengert*     Der  Knochen  ist  an  der  Stelle  der  Auf^ 

2* 


20  ABSCESSU9 

treibung,  sie  mag  stattfinden,  wo  sie  wolle,  stets  verdünnt  und  aufge- 
lockert ,  so  dass ,  wenn  man  auf  die  Geschwulst  drückt ,  die  Wand  nach- 
giebt  und  nur  ein  Übel  der  Weichtheile  da  zu  seyn  scheint.  Hierdurch 
uiuerscheidet  sich  die  Krankheit  von  der  Exostose  des  Wangenknochens.  ■ — - 
Beim  Fingerdruck  fühlt  man  Fluctuation ,  und  der  Kranke  empfindet  an  der 
entgegengesetzten  Stelle  wegen  des  Zurückweichens  der  Eitermasse  als- 
dann Schmerz.  An  der  hervorragenden  Stelle  wird  später  die  Knochenwand 
diuch  Caries  zerstört,  der  Eiter  erhält  somit  Abfluss,  es  bilden  sich  Fistel- 
öfliiungen ,  die  ins  Antrum  gehen,  wie  die  Sonde  anzeigt.  Auch  dicht 
oberhalb  und  zwischen  den  Alveolen  entstehen  cariö^e  Öffnungen ,  die  Zalm- 
wurzeln  werden  cariös ,  es  treten  heftige  Zahnschmerzen  auf  und  einzelne 
Zähne  gehen  verloren.  Die  Prognose  ist  nicht  die  beste.  Der  langsame 
Verlauf  des  Übels,  die  vielen  Schmerzen  wirken  oft  auf  die  ganze  Consti- 
tution nachtheilig;  das  Antlitz  wird  oft  hässlich  entstellt,  und  es  giebt  sel- 
tene Fälle,  sagt  Dicffcnhnch,  in  denen  zur  Entzündung  und  Eiterbildung 
d.es  Antrum  ein  nervöser  Zustand  und  eine  consecutive  Reizung  des  Ge- 
hirns, zumal  wenn  Schlag,  Stoss,  Quetschung  Veranlassung  waren,  sich 
hinzugesellte  und  das  Übel  lethal  wurde.  Alsdann  pflegt  sich  eine  pseudo- 
erysipelatöse  Entzündung  der  ganzen  kranken  Gesichtshälfte  und  ein  gerin- 
ger,  fast  unmerklicher  nei-vöser  Zustand  auszubilden,  welcher  ein  böses 
prognostisches  Zeichen  ist.  —  Ist  das  Übel  aber  rein  örtlich  geblieben ,  der 
Kranke  nicht  djskrasisch,  bei  guten  Kräften,  ist  die  Knochenauftrcibung 
nicht  bedeutend,  hat  sich  der  Eiter  nach  den  Alveolen  gesenkt,  so  ist  die 
Prognose  günstiger ,  als  wenn  die  Auftreibung  nach  der  Nase  oder  dem 
Auge  geht ,  wo  dann  durch  Caries  und  Febris  hectica  leicht  der  Tod  er- 
folgt. Cur.  Da  man  auf  den  natürlichen  Abfluss  des  Eiters  durch  den 
Nasengang  nicht  rechnen  kann,  so  muss  man,  wenn  die  Eiterbildung  im 
Antro  durch  antipUogistisches  Verfahren  nicht  mehr  verhütet  werden  kann, 
die  Kieferhöhle  von  aussen,  oder  indem  man  einen  Zahn  wegnimmt,  anboh- 
ren ,  und  so  dem  Eiter  freien  Ausfluss  verschaffen ,  bevor  Zerstörung  durch 
Caries  eintritt.  Die  innere  Behandlung  richtet  sich  nach  den  Umständen, 
nach  der  Constitution  des  Kraiiken,  nach  dem  Allgemeinbefinden,  den  Com- 
plicationen  etc. 

Abscessus  nposiematicus ,  Apostemn,  Vomica.  So  heisst  jeder  reife  Ab- 
scess,  wo  unter  Nachlass  der  entzündlichen  Symptome  und  Eintritt  des  Ei- 
terungsfiebers ,  die  Geschwulst  gelblich  glänzend  aussieht ,  grösser  und 
weicher  wird,  sich  zuspitzt,  deutlich  fluctuirt  und  wirklichen  Eiter  enthält, 
der  sich  nicht  nach  innen  wegdrücken  lässt ,  beim  Aufbruch  in  verhältniss- 
•Inässiger  Menge  hervorquillt  und  keinen  Eiterstock  in  seiner  Mitte  hat. 
(Sommer). 

Abscessus  aurium ,  Ohrenabscess.  Wir  unterscheiden  hier,  nach 
Beck,  1)  den  Abscess  der  Ohrmuschel,  welcher  meist  an  der  hintern 
Fläche  desselben  vorkommt,  wenig  bedeutend  ist  und  nach  Anwendung  der 
Emollientia  und' nothwendiger  frühzeitiger  Öffnung  bald  heilt;  —  2)  Ab- 
scess des  äussern  Gehörganges.  Hier  bildet  sich  der  Eiter  im  Par- 
enchym  des  Meatus  externus,  gewöhnlich  an  der  Stelle,  wo  der  knö- 
cherne Theil  desselben  mit  dem  knorpligen  sich  verbindet.  Er  bildet 
entweder  eine  in  den  Gehörgang  selbst  eintretende  und  diesen  dadurch  ver- 
schliessende  Geschwulst ,  oder  der  Eiter  dringt  durch  die  Verbindung  des 
knorpligen  und  knöchernen  Gehörganges  und  bildet  hinter  dem  Ohre  in 
der  Gegend  des  Processus  mastoideus  eine  Geschwulst ,  welche  fluctuirt, 
nachdem  Entzüudungszufälle  vorhergegangen  sind  (s.  Inflamraatio  au- 
ris).  Auch  hier  muss  der  Abscess  frühzeitig  geöffnet  wejden,  damit  keine 
Fisteln,  Verderbniss  des  knorpligen  Gehörgangs,  Caries,  Durchlöcherung 
des  Paukcnfells ,  Erguss  des  Eiters  in  die  Tronmielhöhle  etc.  erfolgen, 
3)  Abscess  der  Paukenhöhle  und  des  innern  Ohres.  Ist  nicht 
selten  Ausgang  der  Otitis  (s.  Inflammatio  auris).  Zuweilen  mündea 
in  der  Nähe  des  Ohres  sich  bildende  Abscesse  in  das  innere  oder  äussera 
Ohr,    wo    dann    der   Eiter   Entzündung,    Blennorrhoe,   Ulceration    erregen 


ABSCESSUS  21 

kann.  Solche  sind  a)  Ab  Seesens  parotidis.  Erkannt  wird  das  Übel, 
wenn  bei  stattgefundener  Parotitis  diese  sich  nicht  zertheilt ,  dabei  Eiter  aus 
dem  Ohre  liiesst,  und  dieser  Ausfluss,  indem  man  auf  die"geschwollene  Par- 
otis drückt,  stärker  wird.  Man  suche  hier  durch  Einspritzungt;n  von  In- 
fus, herb,  salviae,  durch  richtige  Behandlung  des  Abscesses  der  Parotis  da» 
Übel  zu  heilen,  b)  Der  C  ereb  ralabscess.  Geschwüre  im  Gehirne  ver- 
echaffen  sich  oft  einen  Ausgang  durch  das  Gehörorgan  (s.  Bonet ,  Sepulch. 
L.  I.  Sect.  19.  Obs.  1.  —  Martin  in  Journal  de  Medecine.  T.  42.  p.  448). 
Die  vorhergehenden  Zufalle  sind  verschieden,  je  nachdem  das  Hirnleiden 
mehr  acuter  oder  chronischer  Natur  ist  (s.  Inflammatio  cerebri).  Im 
Allgemeinen  ist  eine  solche  primitive  Cerebralotorrhöe  ein  gutes  Zeichen, 
indem  mit  dem  Abfluss  des  Eiters  alle  die  schlimmen  Zufälle:  Sopor,  Stu- 
por, Convulsionen ,  Blindheit  etc.  oft' rasch  nachlassen  oder  ganz  schwin- 
den; am  öftersten  ist  dies  aber  nach  acuter,  weit  seltener  nach  chronischer 
Encephalopyosis  der  Fall ,  die  in  der  Regel  tödtlich  abläuft.  Letztere  be- 
ginnt oft  zuerst  mit  Schmerz  im  Ohre,  so  dass  man  einige  Zeit  hier  ein 
Leiden  dieses  Organs  vermuthen  sollte.  Zuweilen  fliesst  der  Eiter  aus  dem 
Ohre ,  aber  die  Entleerung  hebt  den  Schmerz  nicht ,  der  Kranke  wird 
Bchläfrig,  verfällt  in  Irrereden  und  Schlafsucht.  In  andern  Fällen  findet 
kein  Ausfluss  statt,  der  Kranke  wird  unruhig,  vergesslich,  fallt  in  Schlaf- 
sucht ,  bessert  sich  heute  scheinbar ,  wird  morgen  wieder  schlimmer ,  fällt 
später  in  mehrere  Tage  anhaltenden  Sopor,  Stupor  und  stirbt  (^Ahercrom- 
hie  über  die  Krankheiten  des  Gehirns.  Deutsch  von  Blois.  Bonn,  1821. 
S.  56).  Drei  solcher  Fälle  von  chronischer  Encephalitis  und  Encephalo- 
pyosis beobachtete  ich  noch  kürzlich,  und  zwar  1)  bei  einem  9jährigen 
Knaben.  Hier  trat  das  Übel  mit  epileptischen  Zufällen  auf,  welche  14 
Tage  fast  täglich  2 — 3  Mal  sich  einstellten.  Nach  dieser  Zeit  bekam  der 
Kranke,  der  alle  paar  Tage  auch  ein-  oder  zweimal  freiwilliges  Erbrechen 
erlitten,  einen  heftigen,  fixen,  mehrere  Tage  ti'otz  der  kräftigsten  Mittel 
anhaltenden  Kopfschmerz  an  der  rechten  Seite ,  der  dann  plötzlich  nach- 
liess  ,  worauf  weite  unbewegliche  Pupille,  Sopor  und  Stupor  folgten,  des- 
gleichen Lähmung  der  linken  Körperhälfte.  Unter  dem  rechten  obern  Au- 
genlide ,  sowie  aus  dem  rechten  Ohre  flössen  in  dieser  Zeit  ein  paar  Tliee- 
löffel  voll  Eiter  aus.  Dieser  Ausfluss  verbesserte  aber  den  Krankheitszu- 
etand  keinesweges,  denn  einen  Tag  später  trat  der  Tod  ein.  2)  In  dem 
zweiten  Falle  zeigte  sich  bei  der  Hirnaffection  auch  eigentlich  kein  Fieber; 
der  Puls  ging  nur  sehr  unregelmässig.  Zuweilen  besserte  sich  das  Kind  — 
CS  war  ein  Mädchen  von  7  Jahren  —  auf  24  Stunden  scheinbar  so  sehr, 
dass  es  beinahe  hergestellt  schien,  aber  am  andern  Tage  war  alles  wieder 
schlimmer.  Der  Tod  folgte  soporös  am  21.  Tage.  Erbrechen  und  Leibes- 
verstopfung fand  oft  in  mehreren  Tagen  nicht  statt.  Die  Eltern  dieses 
Kindes  hatten  binnen  20  Wochen  3  ihrer  Kinder  —  die  andern  beiden  wa- 
ren von  andern  Ärzten  behandelt  worden  —  an  dieser  schrecklichen  Krank- 
heit verloren.  Unstreitig  war  hier  Dispositio  hereditaria.  Als  eine  auffal- 
lende Beobachtung  theilte  mir  die  Mutter  dieser  Kinder  den  Umstand  mit, 
dass  sie  sämmtlich  in  gesunden  Tagen  oft  plötzlich  des  Nachts  erwacht  wä- 
ren und  ein  durchdringendes  Angstgeschrei  ausgestossen,  wobei  sie  oft  meh- 
rere Minuten  am  ganzen  Körper  gezittert  und  wie  rasend  sich  gehabt  hät- 
ten. Bekanntlich  ist  dies  ein  auf  Hirnleiden  sicher  deutendes  Leiden.  - 
Der  dritte  Fall  war  dem  ersten  ähnlich.  —  „Bei  der  primitiven  Cerebralotor- 
rhöe —  sagt  Becl:  —  beschränkt  sich  die  Behandlung  darauf,  dass  man 
den  Ausfluss  ungestört  fortbestehen  lässt,  dieser  nicht  durch  den  gerinnen- 
den Eiter  gehemmt  werde,  weshalb  grosse  Reinlichkeit  zu  empfehlen  ist. 
Der  Andrang  zum  Kopfe  werde  durch  Vermeidung  der  Congestion  veran- 
lassenden Schädlichkeiten  und  durch  Anwendung  eines  ableitenden  Verfah- 
rens verhütet."  • —  c)  Abscesse  wegen  erweichter  und  eiternder  Tuberkeln 
können  bei  scrophulösen  Subjecten  in  der  Nähe  des  Kiefergelenks,  auf  dem 
Processus  mastoideus,  auf  dem  Felsenbeine  vorkommen,  und  die  Ausleerung 
des  Eiters  kann  «owol  nach  aussen,    als  durch  den   äussern  Gehörgang  er- 


22  ABSCESSU3 

folgen.  Liegt  der  Abscess  auf  dem  Zitzenfortsatze ,  so  kann  der  Eiter  sich 
nach  aussen  oder  in  den  Zitzenfortsatz  einen  Weg  bilden.  Häufig  leiden 
hier  die  Hirnhautpartien  mit,  zuweilen  selbst  auch  das  Gehirn  (JScc/c). 
Den  Zufällen  der  Taubheit  und  den  heftigsten  mit  Ohrenbrausen  verbunde- 
nen Ohrenschmerzen  folgt  dann  heftiger  Kopfschmerz ,  welcher  in  einem 
Falle  nach  4  Tagen  in  tödtliche  Apoplexie  überging  (Beck.)  Liegt  der 
Abscess  auf  dem  Zitzenfortsatze,  so  öffne  man  ihn  bald;  steht  die  Fistel 
mit  den  Zellen  desselben  in  Verbindung,  so  mnss  die  angegriffene  Knochen- 
partie entblösst  und  die  Exfoliation  des  Erkrankten  befördert  werden, 
wozu  die  Anwendung  des  Glüheisens  oft  erforderlich  ist.  Zuweilen  folgt 
Caries,  oder  diese  ist  das  Primitive  und  die  über  der  Knochenpartie  lie- 
genden Weichtheile  werden  secundär  ergriffen ,  was  bei  allgemeiner  Scro- 
phulosis  und  Syphilis  zuweilen  vorkommt.  Der  Sitz  einer  solchen  Caries  ist 
entweder  der  äussere  knorplige  oder  knöcherne  Theil  des  Gehörganges,  oder 
die  Trommelhöhle,  oder  sie  findet  auch  im  Labyrinthe  oder  Zitzenfortsatze 
statt,  oder  in  mehreren  dieser  Theile  zu  gleicher  Zeit,  und  verbreitet  sich 
von  da  über  andere  Theile  der  Pars  petrosa  des  Schläfenbeins.  Der  Ohren- 
fluss  ist  dann  blutig,  jauchig,  übelriechend  und  färbt  die  silberne  Sonde 
bronzefarbig,  doch  kann  diese  Farbe  auch  durch  stockenden  Eiter  ohne 
gleichzeitige  Caries  erfolgen.  Das  Wahrnehmen  der  cariösen  Stelle  durch 
die  Sonde  oder  durchs  Gesicht ,  oder  die  die  cariöse  Stelle  bedeckenden 
schwammigen,  leicht  blutenden,  oft  polypenartigen  Auswüchse  dienen  zur 
Diagnose.  Ist  der  Sitz  die  Trommelhöhle ,  so  wird  das  Trommelfell  oft 
durchfressen  und  die  Gehörknöchelchen  fliessen  successive  einzeln  mit  der 
stinkenden  Jauche  aus  dem  Ohre.  Zuweilen  geht  der  Eiter  auch  durch  die 
Eustachische  Röhre,  macht  Ohrenschmerz,  üblen  Geschmack  im  Munde, 
stinkenden  Athem,  Übelkeit  etc.  Sitzt  die  Caries  im  Labyrinthe,  so  kann 
die  Jauche  das  Innere  des  Schädels  erreichen  und  Krämpfe  und  Lähmung 
der  Gesichtsmuskeln  zur  Folge  haben.  Cur  der  Caries.  Man  berück- 
sichtige das  häufig  stattfindende  Allgemeinleiden,  gebe  daher  Antivenerea, 
Antiscrophulosa  etc.,  achte  darauf,  dass  der  Ausfluss  der  Jauche  nicht  ge- 
hemmt werde ,  befördere  ihn  durch  milde  Injectionen ,  öffne ,  wenn  die  An- 
sammlung in  der  Paukenhöhle  oder  im  Zitzenfortsatze  stattfindet  und  heftige 
Schmerzen,  Hirnaffectionen  erregt,  den  genannten  B'ortsatz  oder  die  Pau- 
kenhöhle, verbinde  den  cariösen  entblössten  Theil  des  Processus  mastoideus 
mit  Mercurialsolutionen ,  wende  das  Cauterium  actuale  oder  potentiale  an 
(^Severin,  Chopart,  Dcsault ,  Richerand)  etc.  „Wenn  eine  consecutive  Cere- 
bralotorrhöe  —  sagt  Beck  —  stattfindet ,  so  kann  die  Trepanation  des 
Schläfenbeins  eine  schwache  Möglichkeit  der  Genesung  gewähren ,  wenn 
nicht  bedeutende  Störungen  des  Geliirns  oder  der  Hirnhäute  bestehen ;  ge- 
wöhnlich hat  man  in  solchen  Fällen  auf  ein  ableitendes  Verfahren  sich  zu 
beschränken." 

Ahscessus  axillaris.  Der  Achselhohlenabscess  hat  entweder  sei- 
nen Sitz  in  der  Haut,  im  Zellgewebe  dieser  Theile,  wo  ihn  oft  allein  ört- 
liche Reize:  Druck  enger  Kleidungsstücke  etc.  erregen;  —  oder  es  ist  ein 
Drüsen-,  Gelenk-,  Congestionsabscess.  Im  letztern  Falle  kann  der  Eiter- 
herd am  Kopfe,  Halse,  an  den  Schädel-,  Gesichtsknochen,  den  Halswir- 
beln seyn.  Jeder  bedeutend  grosse  Drüsen  -  oder  Gelenkabscess  muss  uns 
aufmerksam  machen,  ob  auch  ein  Allgemeinleiden,  zumal  Syphilis,  Arthri- 
tis ,  Scrophulosis ,  Rheuma ,  zum  Grunde  liegt ,  oder  ob  das  Übel  kritisch, 
metastatisch  Ist,  z.  B.  bei  Typhus,  Scarlatina  etc.  Die  Cur  ist  die  allge- 
meine der  Abscesse ,  mit  Berücksichtigung  der  Localität  und  der  etwa  ob- 
waltenden Innern  Ursachen ,  des  Umstandes ,  ob  das  Übel  mehr  acut  oder 
chronisch ,  kalt  ist.  In  der  Regel  muss  man  den  Abscess ,  um  Senkung  des 
Eiters  zwischen  die  Brustmuskeln  und  Fisteln  zu  verhüten,  früh  öffnen. 
Ich  kenne  einen  Fall ,  wo  der  Eiter  aus  der  Achselhöhle  in  die  Brust  drang 
und  ausgehusteit  wurde,  —  später  floss  er  nur  aus  dem  Abscesse  nach 
»ussen,  und  der  Kranke  wurde  völlig  hergestellt  {Most). 

Alscessu^  lursalis,   Schlei mbeutelabscess.     Ist  Folgezustand  von 


Ä^^CßSSUS  23 

Hjdx'ops  biirsae  mucosae  (s.  d.  Art.) ,  wenn  diese  zufällig  oder  indem 
man  dadurch  Hellung  bewirken  will,  in  Entzündung  und  Eiterung  über- 
geht. Ist  das  Übel  am  Knie,  so  verbreitet  sich  die  Geschwulst  oft  über 
das  ganze  Gelenk,  oder  über  einen  grossen  Theil  desselben,  der  Schmerz 
ist  meist  gering,  die  Haut  auch  nur  wenig  geröthet,  der  Verlauf  fast  im- 
mer chronisch,  —  der  Eiter  lässt  sich  im  Abscesse  hin  und  her  drücken; 
er  ist  meist  dünn,  oder  gallertartig,  zuweilen  enthält  er  hirsekorngrosse 
Knörpelchen;  nicht  selten  erfolgen  bedeutende  Infiltrationen  des  Eiters  un- 
ter der  Haut  hin,  die  die  Heilung  erschweren.  Behandlung.  Man  öffne, 
wenn  der  Abscess  nicht  acut  ist,  mittelst  eines  Causticums,  verbinde  dann 
mit  Digestivsalbe  und  Präcipitat,  und  später  mit  trockner  Charpie,  bis  zur 
Heilung,  die  auch  durch  eine  schwache  Solution  von  Lap.  infernalis  be- 
günstigt wird. 

Abscessus  capitis,  Kopfabscess.  Ist  entweder  ein  äusserllcher  oder 
ein  unter  dem  Hirnschädel  befindlicher.  Ersterer  (C  ephalopy  osis  ex- 
terna) tritt  unter  den  gewöhnlichen  Symptomen  äusserlich  am  Kopfe  auf, 
ist  nicht  gefährlich,  ein  Druck  auf  den  Abscess  erregt  keine  Hirnzufälle,  wenn 
gleich  derselbe  unter  der  Galea  aporeurotica  befindlich  ist;  seine  Ränder 
fühlen  sich  hart  und  hervorragend  an ,  sind  daher  nicht  mit  Exostosen ,  mit 
Caries  der  Kopfknochen  und  Durchbruch  derselben  zu  verwechseln ;  anch 
darf  dieser  Abscess  nicht  mit  Caput  succedaneum,  mit  Fungus  durae  matris 
et  cerebri ,  mit  Cephalaematoma  und  Cephalopyosis  interna  verwechselt  w  er- 
den. Cur.  In  der  Regel  frühe  künstliche  Eröffnung  des  Abscesses;  die 
übrige  Behandlung  ist  die  gewöhnliche  (s.  Abscessus).  —  Der  innere 
Kopfabscess  (Cephalopyosis  interna,  Abscessus  cerebri  seu  encej)hali, 
Apoplexia  purulenta ,  Phrenitis  seu  Encephalitis  suppv/ratoria)  ist  dagegen 
weit  bedenklicher  (s.  Avicenna,  Canon.  L.  3.  Fen  1.  Tract.  3.  cap.  1. 
Hippocratcs ,  ntQt  vovawv  II.  N.  Sammlungen  med.  Wahrnehmungen.  Bd.  8. 
S.  373).  Symptome.  Sind  im  Allgemeinen,  besonders  wenn  keine  acute 
Encephalitis,  sondern  mehr  solche  Zeichen,  welche  die  chronische  Hirnent- 
zündung anzeigen ,  vorhergegangen  sind ,  etwas  trügerisch  (s.  I  n  f  1  a  m  m  a- 
tio  cerebri  et  meningum),  und  die  Section  der  Leiche  glebt  häufig 
erst  volle  Gewissheit.  Hat  sich  bei  der  hitzigen  Hirnentzündung  das  Übel 
zwischen  dem  9.  und  21.  Tage  ohne  die  bekannten  Krisen  gemindert,  zei- 
gen sich  öfteres  Frösteln,  Gefühl  von  Kälte  an  einer  bestimmten  Stelle  des 
Kopfs ,  dem  Sitze  des  Eiters ,  die  Zeichen  von  Druck  oder  Reiz  aufs  Ge- 
hirn, oft  von  beiden  zugleich,  als:  Sopor,  Convulsionen,  Lähmungen,  Er- 
brechen (s.  Commotio  cerebri),  gingen  mechanische  Verletzungen  des 
Kopfs  kürzere  oder  längere  Zeit  vorher ,  welche  vielleicht  Eiterung  auf  der 
Innern  Fläche  der  Schädelknochen  zur  Folge  hatten;  so  steht  die  Diagnose 
noch  ziemlich  fest.  Ist  der  Verlauf  aber  mehr  chronisch,  so  ist  sie  weit 
schwankender  und  manchen  Täuschungen  unterworfen.  Hier  können  Ma- 
gen -  und  Darmleiden ,  Gesichtsrose ,  Icterus  ,  Steifheit  des  Kiefers ,  Schmer- 
zen beim  Drehen  des  Kopfs,  Taubheit,  wüthende  Kopfschmerzen ,  die  selbst 
Intermissionen  machen,  Raserei,  Verstandesschwäche,  Blödsinn,  Epilepsie 
etc.  begleitende  Symptome  seyn.  Unter  Fortbestehen  oder  Zunahme  dieser 
Leiden  stirbt  dann  der  Kranke  soporös,  während  Lähmungen  und  Convul- 
sionen eintreten ,  wenn  nicht  durch  Kunst  -  oder  Naturhülfe  der  Eiter  einen 
Ausweg  durch  die  Nase,  die  Ohren,  durch  äussern  Kopfabscess,  besonders 
bei  Kindern,  wo  zuweilen  die  einzelnen  Suturen  der  Ossa  cranii  auseinan- 
der treiben,  findet.  Die  Section  zeigt  dann  den  Eiter  entweder  in  einer 
gewissen  Partie  der  Hirnmasse  tropfenweise  vertheilt  und  eine  bedeutende 
Anzahl  kleiner  Zellen  bildend,  oder  er  ist  in  grössern  Höhlen  vorhanden, 
in  deren  Umgebung  bei  acutem  Verlaufe  die  Hirnsubstanz  geröthet  ist ,  bei 
chronischem  Verlaufe  sich  aber  Pseudomembranen  zeigen,  worin  der  Eiter 
eingeschlossen  ist.  In  seltenen  Fällen  wird  dieser  resorbirt,  es  bleibt  an 
eirter  solchen  Stelle  eine  Narbe  zurück,  und  das  Leben  kann  erhalten  wer- 
den. Solcher  Eiter  ist  bräunlichgelb,  käsig,  mit  weissen  Klümpchen  ver- 
mischt,   schmeckt   salzig,    fast    brennend.    —    Die    Prognose    ist   sehr 


Z4  ABSCETSStJS 

schlimm,  Ton  10  Kranken  sterben  meist  6,  und  die  am  Leben  gebliebenen 
leiden ,  wenige  ausgenommen ,  ausserdem  noch  an  den  traurigsten  Nach- 
krankheiten, als  Blödsinn,  Lähmungen,  Epilepsie,  Narrheit,  —  weil,  wenn 
die  Diagnose  auch  fest  steht,  es  sehr  schwierig,  oft  unmöglich  ist,  die  nö- 
thige  Kunsthülfe  an  den  rechten  Ort  gelangen  zu  lassen  (^Sommer).  Ur- 
eachen. Sind  dieselben  der  Hirnentzündung  (s.  Inflammatio  cerebri). 
Cur.  Man  suche  das  Übel  durch  frühe  [Anwendung  solcher  Antiphlogistica, 
welche  zur  Zertheilung  der  Encephalitis  am  geeignetsten  sind ,  zu  verhüten. 
Dies  gelingt  in  vielen  Fällen,  doch  giebt  es  nach  meinen  Beobachtungen  in 
einzelnen  Familien  eine  besondere  Anlage,  wo  jedesmal  Eiterung  folgt, 
selbst  wenn  die  früheste  und  zweckmässigste  Kunsthülfe  stattfindet.  Diese 
Anlage  drückt  sich  durch  folgende  äussere  Merkmale  aus :  Die  Kinder  ha- 
ben, ähnlich  ihrem  Vater,  eine  kurze  Stirn,  tiefliegende  Augen,  welche 
vor  dem  Oberaugenlide ,  zumal  am  äussern  Augenwinkel ,  bedeutend  bedeckt 
werden,  also,  nach  Gnll,  Spurzheim ,  Combe  etc.  einen  stark  entwickelten 
Gedächtnisssinn ,  —  die  Physiognomie  hat  etwas  B^insteres ,  indem  die  Men- 
schen ein  sogenanntes  dunkles  Schauer  mit  Runzeln  in  der  Mitte  der 
Stirn  und  finsterm ,  verdriesslichem  Blick  periodisch  (beim  Nachdenken ,  Le- 
sen ,  bei  Geistesanstrengungen)  zeigen  (^Mosl).  Ist  der  schlimme  Ausgang 
in  Encephalitis  suppuratoria  schon  da,  so  versuchen  wir  innerlich  noch  wol 
Kalomel ,  äusserlich  Derivantia ,  kalte  Kopfumschläge ,  Breiumschläge  an  die 
Ohren,  die  Nase,  um  den  Eiter  zu  locken,  selbst  Niesemittel,  doch  ist 
meist  Alles  fruchtlos;  die  Convulsionen  und  Lähmungen  einzelner  Glieder, 
oft  der  einen  ganzen  Körperhälfte ,  treten  ein ,  und  der  Tod  bleibt  nicht 
aus.  Auch  Hörn  beobachtete  stets  bei  der  Encephalitis  infantum ,  sobald 
an  der  einen  Körperhälfte  Lähmung ,  an  der  andern  Convulsionen  eingetre- 
ten waren,  einen  tödtlichen  Ausgang  des  Übels.  —  Höchst  wichtig  ists  da- 
her, recht  früh  die  noch  beginnende  Encephalitis  zu  erkennen,  bevor  es  zu 
spät  ist ,  sie  zu  zertheilen.  Ich  habe  Fälle  beobachtet ,  wo  ausser  fortwäh- 
rendem Erbrechen,  schnellem  Pulse  und  Neigung  zum  Schlafe  in  den  ersten 
4  Tagen  der  Krankheit  kein  anderes  Symptom  der  Hirnentzündung  statt- 
fand. Merkwürdig  ist  es ,  dass  hier  die  Obstructio  alvi ,  eben  so ,  wie  bei 
chronischem  Hydrocephalus ,  selbst  bei  dreijährigen  Kindern  grosse  Dosen 
Kalomel ,  selbst  mit  Jalape ,  erfordert ,  und  dennoch  der  Darmkanal  träge 
bleibt.  Um  den  Eiter  aus  dem  Gehirn  zu  entfernen,  räth  man  Trepana- 
tion an.  Es  ist  aber  schlimm,  dass  wir  selten  genau  wissen,  wo  wir  tre- 
paniren  sollen ;  denn  selbst  das  Zeichen  des  automatischen  Greifens  des 
Kranken  nach  einer  bestimmten  Stelle  des  Kopfs  lehrt  nichts,  da  häufig, 
wenn  der  Eiter  an  einer  Stelle  des  Gehirns  sich  bildet,  die  Reaction  in  der 
entsprechenden  Partie  der  andern  Seite  sich  äussert  (Dieffcnhach.)  Ist 
das  Übel  Folge  von  traumatischen  Kopfverletzungen  und  der  Hirnschädel 
verletzt ,  so  giebt  die  verletzte  Stelle ,  die  oft  noch  trepanirt  werden  muss, 
eine  günstigere  Prognose ,  indem  wir  dadurch  dem  Eiter  Ausfiuss  verschaf- 
fen können.  Sind  schon  Lähmungen  eingetreten ,  so  ist  die  Trepanation 
ohnehin  unnütz  und  verkürzt  das  Leben.  Folgenden  merkwürdigen  Fall 
von  chronischem  Verlauf  der  Hirneiterung  erzählt  Dicffenhach  in  Rust^s  Chi- 
rurgie ,  Bd.  I.  S.  133,  Anmerkung:  Ein  Mann  stürzt  beim  Reiten  vom 
Pferde,  beschädigt  sich,  dem  Anscheine  naffc'h,  unbedeutend  den  Kopf,  bleibt 
aber  besinnungslos  liegen.  Er  wird  durch  die  gewöhnliche  Behandlung  wie- 
der hergestellt,  behält  aber  ein  von  Zeit  zu  Zeit  sich  einfindendes  halbsei- 
tiges Kopfweh  zurück ,  gegen  welches  alle  erdenkliche  Curmethoden  Jahre 
lang  fruchtlos  versucht  wurden ,  und  das  ihn  endlich  zwang  —  da  die  An- 
fälle äusserst  heftig  waren  und ,  wie  es  schien ,  durch  angestrengte  Kopfar- 
beiten häufiger  hervorgerufen  wurden,  —  seinen  Dienst  (er  war  Justiz- 
beamter)  aufzugeben.  Nach  Verlauf  von  vollen  dreizehn  Jahren  will  des 
Zufall ,  dass  er  abermals  einem  lebensgefährlichen  Sturze  vom  Pferde  aus- 
gesetzt wird.  Er  bleibt  als  todt  liegen,  erholt  sich  aber  nach  kurzer  Zeit 
von  selbst,  und  bemerkt  nun  erst,  dass  ihm  aus  dem  linken  Ohre  Blut  und 
klarer  Eiter  ausfliesst.     Der  Eiterausfluss  dauerte  mehrere  Tage  fort,   be- 


«  »c«. 


ABSCKSSUS  25 

trug  mehrere  Unzen,  and  der  Ki'ahke  befand  sich  von  dem  Augenblick  an 
nicht  aliein  von  seinem  Kopfschmerze  gänzlich  befreit,  sondern  auch  voll- 
ständig gesund,  w^as  er  auch  noch  viele  Jahre  blieb." 

Abscessns  capitis  sanguinens  neonatorum.  Ist  Eiterbildung  bei  Kopfblut- 
geschwulst der  Neugebornen,  die  ihren  Sitz  zwischen  den  Schädelbedeckun- 
gen und  dem  Pericranium  hat  (s.  Ecchymoma  capitis  neonatorum). 
Hat  man  die  Zertheilung  durch  aromatische  Fomentationen ,  durch  Decoct. 
quercus  mit  Alaun  etc.  fruchtlos  8  Tage  lang  versucht,  zeigt  sich  noch  im- 
mer starke  Spannung  der  Hautdecken,  eine  glänzende,  marmorirte  Ober- 
fläche ,  so  öffne  man  dieselbe  durch  einen  höchstens  V^  Zoll  grossen  Ein- 
stich, drücke  das  Blut  aus  und  verbinde  mit  trockner  Charpie,  bevor  die- 
selbe blutige  Jauche  enthält  und  der  Knochen  cariös  oder  nekrotisch  wird. 
Dieffenhach  räth,  die  Charpie  mit  4  —  6  Theilen  Unguent.  rosat.  und  einem 
TheJl  Unguent.  daphn.  mezerei  zu  bestreichen ,  und  später  die  Wundränder 
mit  Heftpflasterstrelfen  zusammenzuziehen.  Von  Caput  succedaneum  unter- 
scheidet sich  die  Kopfblutgeschwulst  dadurch,  dass  letztere  nur  anfangs 
weich,  später  prall  und  elastisch  ist,  dass  man  meist  einen  scharfen  be- 
grenzten Rand  in  ihrem  Umkreise  fühlt ,  als  fehlte  ein  Stück  an  der  Schä- 
deldecke, und  man  beim  Druck  mit  der  Hand  ein  eigenes  Schwirren  in  der 
Geschwulst  fühlt,  dass  sie  am  häufigsten  an  den  Scheitelbeinen  und  fast 
immer  nur  nach  leichten  Geburten  vorkommt,  dass  sie  die  Kinder  als  eine 
kleine,  bohnengrosse  Erhabenheit,  die  später  erst  grösser  wird,  selbst  bis 
zur  Grösse  einer  Faust,  mit  auf  die  Welt  bringen,  die  anfangs  ganz  fai'b- 
los  ist,  und  dass  sie  selbst  nach  Steissgeburten  beobachtet  worden  ist. 
Dagegen  bildet  sich  die  Kopfgeschwulst  (Caput  succedaneum,  Tumor 
sanguineus  aquosus)  nur  unter  der  Geburt  .und  wenn  der  Kopf  lange  ein- 
gekeilt war.  Sie  ist  teigig  anzufühlen,  von  dunkelrother ,  blauer  Farbe, 
hintei'lässt  beim  Fingerdruck  Gruben ,  die  bald  verschwinden ,  und  sie  zeigt 
sich  an  allen  Stellen  des  Kopfs,  und  zwar  an  derjenigen,  welche  vor  dem 
Orificium  uteri  lag,  daher  bei  Gesichtsgeburten  selbst  an  der  Wange,  in 
der  Nähe  des  Mundes  etc. 

Ahscessus  cerehri,   s.  Abscessus   capitis. 

Abscessus  colli,  Eiter ges  chwulst  am  Halse.  Sie  hat  entweder 
ihren  Sitz  in  den  häutigen ,  musculösen ,  drüsigen  Theilen  des  Halses ,  oder 
es  ist  ein  Congestionsabscess,  sein  Sitz  die  Kopfdecken,  die  Tonsillen, 
Luftröhre,  der  Schlund.  Behandlung.'  Ist  die  gewöhnliche,  doch  muss 
man  früh  durch  Kunsthülfe  dem  Eiter  Ausfluss  verschaffen ,  weil  er  sich 
sonst  leicht  versenkt,  Fisteln  erregt;  auch  kann  Dyspnoe,  Orthopnoe,  selbst 
schneller  Tod  folgen ,  wenn  ein  in  der  Gegend  des  Kehlkopfs  und  der  Luft- 
röhre sich  befindender  Abscess  plötzlich  berstet  und  sich  der  Eiter  nach  in- 
nen ergiesst.  Daher  ist  nöthig,  ihn  schnell  in  Eiterung  zu  setzen  und  bald 
zu  öffnen.  Bei  der  Schliessung  der  seitlichen  Halsabscesse  achte  man  dar- 
auf, dass  durch  die  Narbe  die  Haut  nicht  verkürzt  werde  und  so  Obstipi- 
tas  cutanea  folge.  S.  Caput  obstipum  (vgl.  Bums  in  Haller's  Bibl.  Chi- 
rurg. II.  p.  6S0.     Mem.  de  l'Acad.  de  Chirurgie  I.  p.  468). 

Ahscessus  coiigestivus ,  s.  Abscessus  Symptom aticus. 

Ahscessus  corneae,  s.  Abscessus  oculorum. 

Ahscessus  encephali,  s.  Abscessus  capitis. 

Ahscessus  faciei,  Gesichtsabscess.  Ist  am  häufigsten  Folge  von 
Gesichtsrosen,  Wunden,  Insectenstichen ,  von  Knochenleiden  bei  allgemeiner 
Syphilis ,  Scrophulosis  ,  oft  liegt  auch  Rheuma ,  Arthritis ,  abnorme  Men- 
struation, Schärfe  der  Säfte  zum  Grunde.  Symptome.  Sind  die  bekann- 
ten jeder  Eiterbeule.  Cur.  Man  öffne,  um  schlechte  Nariaen  zu  verhüten, 
den  Abscess  mittelst  der  Lanzette,  bevor  er  von  selbst  berstet,  und  ver- 
binde hinterher  und  am  Ende  der  Heilung  nicht  mit  Zink  -  oder  Bleimitteln, 
sondern  mit  einer  milden  Salbe. 

Ahscessus  faucium ,  der  Räch  enabscess.  Ist  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  Folge  von  Angina  faucium,  wobei  der  Kranke  oft  gar  nicht  schlucken, 
Hur  mit  Angst  athmen  und   oft  selbst  den  Mund   nicht  öffnen,   ja  an  Er- 


2f  ABSCESSUS 

sdckung  sterben  kann.  Der  Abjsce^s  zeifi;t  sich  meist  am  4. ,  5.  Tage  der 
Eiitzüiidun};,  und  tlie  {jefahrvoilen  Zufalle  daiu-rn,  »eiin  keine  Kunt>thülfe 
uder  der  Tod  eintritt,  24  —  48  bis  H  Stunden,  in  welclior  Zeit  der  Ab- 
jicess  berstet,  eine  presse  Menge  höchst  stinkenden  Eiterü  entleert,  und  dünn 
presse  Erleichterung  und  baldige  Genesung  eintritt.  Cur.  Man  entferne 
durch  gelindere  oder  stärkere  Antiphlogisticti  je  nach  den  Lin>tänden  die 
noch  Yurhandeneii  Entzündungsreste,  und  beltirdere  die  Eiterung  dui;ch  en- 
»eichende  Mund-  und  GurgeUvasser,  durch  erweichende  Breiumschläge  um 
den  Hals,  \>uhin  auch  der  fcjchwalbcnnestdreck ,  mit  Milch  gekocht,  gehört, 
niache  Jnjeclionen  von  Gurgelkräutern  und  suche  Erbrechen  zu  erregen. 
ülFnet  sich  der  Abscess  dadurch  nicht,  und  ist  die  Erstiikungsgefahr  gross, 
so  ölTne  man  ihn  mittels  des  Pharjngotoins  oder  mittels  eines  bis  an  die 
8i)itze  umuickelten  geraden  Scalpells.  Lauwarme  Mundwasser  befördern  die 
Entleerung  des  Eiters,  und  weiter  ist  auch  zur  Heilimg  nichts  nölhig.  Di« 
stark  adstringirenden  GurgeUvasser  sind  oft  schädlich,  indem  sie  Induration 
begünstigen.  Bei  grosser  Erstickungsgefahr  und  wenn  man  an  den  Abscesü 
nicht  kununen  kann,  hat  man  die  Tracheotomie  oder  Einsprituungen  einer 
Solut.  tart.  eniet.,  um  Erbrechen  zu  erregen,  vorgeschlagen.  {Rusf).  Doch 
miv>s  man  sich  von  der  schon  gebildeten  Eiterbeule  überzeugt  haben  und 
keine  heftigen  Entzündungszufälle,  welche  oft  ein  paar  Dutzend  Blutegel 
und  derivirende  Mittel  erfordern,  damit  verwechseln. 

Ahscessiis  ffnnijraenosns ,  s.  Anthrax.  Rust  tadelt  mit  Reciit,  da£S 
man  diese  Benennung  gleichbedeutend  mit  Anthrax  und  Carbunkel  genom- 
men ,  indem  auch  Frostbeulen ,  Bubonen  ,  erysipelatöse  Entzündungen .  und 
bei  Dyskrasien,  sowie  bei  schlechter  Hospitalluft  jede  Wunde,  jeder  Ab- 
scess brandig  werden  kann  (s.  Gangraena  n  o  so  co  mi  aus). 

Abscessus  ij'tngivne.  Ist  meist  die  Folge  von  Parulis ,  welche  oft  binnen 
48  Stunden  in  Eiterung  übergeht,  sich  schnell  öffnet,  grosse  Erleichterung 
gewährt  und  dann  bald  heilt.  Veranlassung  geben:  Syphilis,  Scorbut,  Mer- 
curmissbrauch ,  hohle  Zäinie,  künstliche  Zähne.  Cur.  Zuerst  erweichende 
Mundwässer,  z.  B.  Decoct.  capit.  papav.  oder  Infus.  Rhoeados  mit  Mel 
rosar. ,  Feigen  in  Milch  gekocht ;  dann  öffne  man ,  zumal  bei  grossen  Ab- 
scessen,  früh,  gebrauche  zur  Reinigung  des  Abscesses  anfangs  noch  die  ge- 
nannten Mundwasser,  später  Aq.  calcis  mit  Mel  rosar.,  Decoct.  quercus  mit 
Tinct.  myrrhae  ,  katechu,  kino. 

Ahscessus  hej)atis,    s.  Inflammatio  hepatis. 

Ahsccsstis  itK/uiunlis ,  Leistenabscess.  Er  sitzt  entweder  in  den 
häutigen,  musculösen ,  zellgewebigen  oder  drüsigen  Theilen  der  Leistenge- 
gend ,  oder  es  ist  ein  Congestionsabscess ;  —  er  darf  nicht  mit  Hernia  in- 
carcerata  et  non  incarcerata  verwechselt  werden.  Behandlung.  Ist  die 
bekannte  der  Abscesse  (s.  Syphilis  und  Bube)  mit  Berücksichtigung  der 
Ursachen  und  der  Natur  des  Übels. 

Abscessus  internus.  Ist  ein  ungünstiger  Ausgang  der  Hepatitis,  Perito- 
nitis, Nephritis,  Enteritis  u.  a.  innerer  Organe.  Die  Diagnose  ist  schwie- 
rig. Die  allgemeinen  Merkmale  innerer  Eitenmgen  müssen  hier  leiten.  Sie 
sind  :  Verminderung  der  Entzündungszufälle  ohne  deutliche  Krisen  und  ohne 
Yollkommene  Schmerzlosigkeit  und  Leichtigkeit  im  leidenden  Theile,  der 
seiner  Function  nicht  völlig  wieder  vorstehen  kann,  mehrmals  eintretender, 
bald  gelinderer,  bald  stärkerer  P'rost ,  worauf  Schweiss  und  Mattigkeit  fol- 
gen ,  welche  Zufälle  in  Febris  hectica  übergehen .  Gefühl  von  Driu  k  ,  Kälte 
und  Schwere  im  kranken  Organe,  Brennen  in  den  Handflächen  und  Fu.ss- 
sohlen,  fliegende  Hitze  im  Gesichte  nach  Körper-  und  Geistesnnstrengnngen, 
nach  reichlicher  Mahlzeit,  Nachtschweisse ,  Abmagerung,  ('olli(|nationen. 
Diagnose  und  Cur.  S.  Febris  hectica,  Phthisis,  Inflammatio 
int  es  t  inoru  m,  hepatis,  renum,    musc.  psoas,  peritonaei  etc. 

Abscessus  ischinJicM,  A.  coTnrius,  Coxnirfin  jturulcnta,  A.  ischimlicus  in- 
tornus.    Ist  das  dritte  Stadium  des  Hüftgelcnkwinddorns.     S.  .\rthrocace. 

Abscessus  litbwrum ,  Lip pen abs ccss.     Ist  eine  entzündliche  Affection 


ABSCESSUS  27 

in  einer  oder  beiden  Lippen,  mit  Geschwulst,  Rothe,  heftigen  Schmerzen, 
gelbst  Fieber,  worauf  sich  nach  einigen  Tagen  ein  Abscecs  bildet,  der  ber- 
stet und  bald  heilt.  Ursachen  sind  dieselben  des  Gesichtsabscesses  (s. 
Abscessus  faciei).  Cur.  Man  wende  lauwarme  Umschläge  von  Ha- 
fergrütze in  Milch  gekocht  an  und  öf&ie  dann  den  Abscess  mittels  der 
Lanzette. 

Ahscessus  lacteus  mammarum ,  Milchabscess  der  weiblichen 
Brüste.  Nicht  jede  Entzündung  der  weiblichen  Brust  geht  in  Eiterung 
über,  nur  eine  solche,  die  einen  hohen  Grad  erreicht  hat.  Ursachen. 
Anhäufung  und  vcrhmderte  Ausleerung  der  Milch  bei  nicht  selbst  stillenden 
Wöchnerinnen,  bei  solchen  Frauen,  welche  plötzlich  und  auf  einmal  ihr 
Kind  entwöhnen  (s.  Ablactatio);  ferner  wunde  Brustwarzen,  die  durch- 
gesogen sind.  Cur.  1)  Prophylaktisch  dienen  bei  starker  Milchanhäufung: 
Aussaugen  durch  Kinder ,  Frauen ,  Milchpumpen.  Zur  Vertreibung  der 
Milch  beim  Entwöhnen  setze  man  2  —  3  trockne  Schröpfköpfe  in  die  Ellbo- 
genbiegung eines  jeden  Arms ,  lasse  sie  eine  Viertelstunde  ziehen  und  wie- 
derhole dies  dreimal  täglich.  Über  die  Brüste  lege  man  ein  Pflaster  von 
gleichen  Theilen  Empl.  diachyl.  compos.  mid  Sapo  venet. ,  auf  Leder  gestri- 
chen, und  lasse  es  9  Tage  liegen.  Auch  folgendes  Gerat,  dünn  auf  Lein- 
wand gestrichen,  ist  sehr  wirksam:  I^  Sevi  cei-vini,  Cerae  nlhae,  Spcrmat. 
Ceti  ana  gß:,  Ol.  amygdal.  duJc.  5J1I.  M.  f.  Gerat.  (^Most.)  Es  passt  beson- 
ders da ,  Avo  die  Mutter  gleich  nach  der  Niederkunft  eine  Amme  fürs  Kind 
annehmen  muss  imd  die  Milch  vertrieben  haben  will.  Sie  muss  beim  Ge- 
brauch desselben  die  Brüste  aufwärts  binden ,  eine  wenig  nährende  Diät 
beobachten  imd  für  tägliche  LeibesöfTnung  durch  eröffnende  Klystiere  sor- 
gen. Ists  aber  der  Fall,  dass  sie  im  9ten,  12ten  Monate  nach  der  Nieder- 
kunft das  Kind  entwöhnen  will,  und  vertreibt  das  langsame  Entwöhnen 
(Ablactatio)  nicht  schon  von  selbst  die  Milch ,  so  passt  das  oben  genannte 
Pflaster,  eine  kühlende  Diät  und,  ist  die  Mutter  sonst  gesund,  ein  gelindes 
Laxans ,  z.  B.  I^/  Infus.  Jaxnt.  Vienn. ,  Aquae  chamomill. ,  Aq.  foenicuU  ana 
5Jj ,  Syr.  mannac  5J ,  Sal.  Gtauhcri  5vj.  M.  S.  Alle  10  Minuten  1  Esslöf- 
fel voll  bis  zur  Wirkung.  (M.)  2)  Wundwerden  der  Brustwarzen  verhütet 
man  durch  tägliches  Waschen  mit  Branntwein  und  Wasser  zu  gleichen  Thei- 
len ,  und  durchs  Bedecken  mit  einem  Brustwarzenhütchen ,  6  Wochen  lang 
bis  zur  Niederkunft  gebraucht,  durchs  Abwaschen  mit  kaltem  Wasser  nach 
jedesmaligem  Stillen  des  Kindes.  Ist  das  Übel  da,  so  heilt  die  Warze  nur 
dann,  wenn  das  Kind  nicht  unmittelbar  aus  derselben  trinkt.  Man  lässt  es 
daher  durch  ein  mit  einer  gegerbten  Kuhzitze  versehenes  oder,  noch  bes- 
ser, aus  einem  von  Gummi  elasticum  verfertigten  Brustwarzenhütchen  trin- 
ken. Letztere  werden  in  Paris  unter  dem  Namen  Mamillieres  bei  Mr.  de 
la  Motte,  Rue  J.  J.  Rousseau,  gut  verfertigt  und  das  Stück  zu  1  Fr.  ver- 
kauft. Ausserdem  bestreicht  man  die  wunden  Warzen  dreimal  täglich  mit 
folgendem  Mittel :  1^  Bals.  pcruvian.  5j ,  tere  c.  vitell.  ovi  N.  j.  ,  ndde 
Aquae  vulnernr.  Tfted.  seu  Spirit.  serpylli  5JJJ.  (^Jahni)  Oder  man  gebraucht 
dieses:  Vy  Buiyr.  de  Cncao  gjj^,  Bah.  peruv. ,  Tinct.  thehnic.  ana  3J1>.  M.  S. 
Nach  jedesmaligem  Stillen  mit  Gharpie  aufzulegen.  (Dr.  Mappes.^  Sind  die 
Wunden  tief  eiternd,  so  versuche  man  erst:  I^  Lap.  itifernal.  gr.  jj.  solv. 
in  Aq.  cerns.  nigr.  5^'j  ?  Tinct.  thehnicae  5l^  ,  ipit  Gharpie  aufzulegen ;  oder 
ätze  dieselben  (Sie^'oW).  In  leichtern  Fällen  passt  folgendes  Liniment: 
^'  Borne,  venet.  5j  >  VileU.  ovi,  Alhum.  ovi  ana  Sjj?  Ol.  amygd.  dulc.  reo. 
eorpr.  5J ,  Bals.  peruv.  nigr.  SJÜ-  (Harless.')  Auch  das  Betupfen  der  Warzen 
mit  Folgendem  ist  empfohlen :  R  Extr.  opii  aquos.  gr.  j ,  solve  in  Aq.  cnl- 
car.  ust.  nuper  parat.,  Ol.  amygdal.  dulc.  rec.  expr.  ana  3jjj-  (Sihergundi.') 
Nässen  die  Warzen  sehr,  dann  passt  Rr  Sem.  lycopodii,  Flor,  zinci  pulv. 
ana  5j ,  Unguent.  pomad.  S^i-  M.  f.  Ungt.  {Pitschaft.^  Höchst  wirksam  ist 
das  Betupfen  der  wunden  Warzen  mit  einer  Sublimatsolution  (2  —  3  Gran 
in  5J  Aq.  rosar.') ;  doch  hüte  man  sich,  dass  der  Säugling  nichts  davon  be- 
kommt (^Wedelnnd ,  Feist.')  3)  Ist  die  Vorbauungscur  zur  Verhütung  des 
Milchabscesses  versäumt,  ist  die  Brustdrüse  schon  sehr  hart,  entzündet  und 


2S  ABSCESSUS 

schmerzhaft,  stellt  sich  Fieber  ein,  so  verordne  man  Mandelemulsion  mit 
Nitr.  und  Tart.  vitriolat.  (s.  Abortus),  eine  kühlende  Diät,  Gerstenwas 
»er  zum  Getränk  und  Abends  ein  eröffnendes  Klystier.  Man  behandle  die 
JEntzündung  der  weiblichen  Brust  (Mastitis)  wie  jede  andere  Entzündung, 
setze  einige  Blutegel  an  die  Brust,  vermelde  alles  Reizende,  Erhitzende, 
dulde  weder  Milchpumpen,  noch  Aussaugen,  lasse  den  Säugling  auch  nicht 
an  die  gesunde  Brust  legen,  gebe  bei  der  gewöhnlich  hartnäckigen  Leibes- 
verstopfung Infus,  sennae  compos. ,  alle  2  .Stunden  2  Esslöffel  voll ,  oder, 
wenn  die  Mutter  nicht  mehr  stillt ,  Merc.  dulcis ,  und  verordne  darauf  ge 
linde,  nicht  reizende  warme  Kataplasmen  von  Spec.  emoUient.  mit  Semmel 
krumen  und  Milch  gekocht,  bei  heftigen  Schmerzen  mit  Herb,  cicutae, 
hyoscyami  versetzt ,  bei  weniger  Schmerzen  von  Hafergrütze  und  gequetsch- 
tem Sem.  lini.  Sehr  wirksam ,  erweichend  und  schmerzlindernd  ist  ein  Zu- 
satz von  Pulv.  opii  ^j.  und  Sal.  tartari  5jli  zu  jedem  Umschlage  (M.). 
Dabei  vermeide  man  alles  Kalte  und  Nasskalte  und  lege  des  Nachts ,  wenn 
die  Zertheilung  nicht  erfolgte  und  die  Eiterbildung  schon  beginnt ,  Empl. 
diachyl.  gumm.  und  Empl.  melilot.  ana  über  die  kranke  Brust.  Die  em- 
pfohlenen warmen  Bähungen  passen  des  Nachts  nicht,  sie  erkälten  die  Brust 
und  hinterlassen  schlimme  Drüsenverhärtungen  (3f.).  ftlan  öffne  alsdann  den 
Abscess  ja  nicht  zu  früh,  überlasse,  wo  möglich,  die  Öffnung  der  Natur, 
ausgenommen  da,  wo  bei  heftigem,  klopfendem  Schmerzgefühl  der  Abscess 
sehr  tief,  auf  dem  Brustmuskel  seinen  Sitz  hat;  setze  auch  nach  der  Öff- 
nung des  Geschwürs,  das  nun  mit  Digestivsalbe  A'erbunden  wird,  die  er- 
weichenden Umschläge  noch  einige  Tage  lang  fort,  behandle  den  Abscess 
nach  den  allgemeinen  Kunstregeln  (s.  Abscessus),  gebrauche  höchstens 
2— -3  Tage  die  spitzigen  Wieken,  verbinde  nachher  mit  Plumaceaux,  wor- 
auf Ungt.  digestiv,  gestrichen ,  lasse  den  Abscess ,  Avenn  die  Eiterung  sehr 
gering  ist ,  dreist  zuheilen ,  drücke  beim  Verbinden  nicht  daran ,  und  lege 
zur  Zertheilung  der  nachgebliebenen  Härte  noch  längere  Zeit  folgendes  Pfla- 
ster, auf  weiches  Leder  gestrichen,  über  die  ganze  Brust:  fy  Empl.  diachifl. 
gunvnos.  gj ,  Empl.  cicutne ,  Empl.  hijoscyrnni ,  Empl.  mcrc.  ana  5jj-  M. 
(^Most  sen. ).  Ein  neues  Mittel  wider  die  Beschwerden  der  Milchsecretion, 
gegen  Geschwulst  und  Schmerz  in  den  Brüsten ,  also  bei  den  ersten  Zei- 
chen der  Mastitis,  ist  folgendes,  welches  auch  ich  sehr  wirksam  gefunden 
habe:  fy  Aq.  Inurncerasi  5Jj,  E.T(r.  helladomiae  ^)v,  Lkiuor.  anodi/n.  jj.  M.  S. 
Wohl  umgeschüttelt  2mal  täglich  in  die  Achselhöhle  und  in  die  ganze  Brust 
einzureiben.  Dies  Mittel  wirkt  auf  das  mit  dem  Drüsensystem  so  eng  ver- 
bundene Nervensystem,  da  letzteres  als  der  Grund  aller  Secretionen  ange- 
sehen werden  muss.  Nach  Beobachtungen  von  Rnmfuc  im  Hotel -Dien  zu 
Paris  heilte  dies  Mittel  den  Abscess  schon  in  3 — 4  Tagen.  (Vergl.  Froriep's 
Notiz.  Nr.  512.). 

Abscessus  lucteiis  vieiastniicus,  s.  Metastasis  lactca,  der  raetasta- 
tische  Milch  abscess,  auch  Decubitus  lactis  genannt.  Ist  eine  Ab- 
lagerung eines  milchähnlichen  Fluidums  ins  Zellgewebe,  die  als  eine  dem 
Abscess  ähnliche,  lluctuirende  Geschwulst  in  Folge  unterdrückter  Milchsecre- 
tion, also  als  Metastase  erscheint.  Im  Ganzen  kommt  dieser  Abscess  selten 
vor,  und  dann  nur  auf  plötzliche  Erkältung  der  Brüste,  starke  Gemüthsbe- 
wegungen.  Ich  sah  ihn  einst  am  Schenkel  bei  einem  Mädchen,  das  durch 
Umschläge  von  kaltem  Wasser  auf  die  von  Milch  strotzenden  Brüste  sich 
die  Milch  schnell  vertrieben  hatte.  Er  kommt  am  Schenkel ,  in  der  Len- 
dengegend, am  Rücken,  seltener  am  Halse  und  in  der  Achselgrube  vor. 
Zuweilen  geht  die  Metastase  nach  dem  Gehirn  oder  nach  den  Lungen,  oder 
nach  dem  Bauchfell,  wo  dann  Raserei,  Pneumonie,  Zeichen  von  Peritonitis 
und  oft  schon  am  5ten  Tage  der  Tod  folgen.  Symptome  sind:  zuerst 
starker  Fieberfrost,  dabei  ziehende,  reissende,  knebelnde  Schmerzen  in  den 
Gliedern,  Übelkeit,  schon  am  2ten ,  3ten  Tage  schnelle  Bildung  und  Zu- 
nahme der  Geschwulst,  so  dass  sie  oft  mehrere  Quart  Flüssigkeit  enthält. 
Der  Abscess  erregt  wenig  Schmerz ,  kommt  auch  langsam  zur  Reife ;  er  ver- 
schwindet zuweilen  plötzlich  und  dann  folgen  die  genannten   schlimmen  Zu- 


ABSCESSUS  29 

falle  der  Affection  innerer  edler  Organe.  Cur.  Wiederherstellung  der  Milch- 
secretion  durch  warme  Bähungen  und  Dämpfe  von  Flor,  chamomillae  und 
sambuci,  trockne  Schröpfköpfe,  Senfteige  auf  die  Brüste,  durchs  Anlegen 
des  Säuglings,  der  Saugpumpen.  Auf  die  Geschwulst  lege  man  ja  keine 
kalte ,  zurücktreibende  Mittel ;  am  besten  sind  warme  Umschläge  von  Sem- 
melkrumen mit  Milch,  bei  Reizlosigkeit  mit  etwas  Senfpulver.  Die  inner« 
Behandlung  richtet  sich  nach  der  Constitution  und  dem  Allgemeinleiden  des 
Kranken.  Man  hüte  sich  vor  zu  heftigem  activen  Verfahren  und  wende  nur 
bei  Vollsaftigen  Antiphlogistica  an.  In  der  Regel  passen  kühlende  Diapho- 
retica:  Spirit.  Mindereri  mit  Salmiak,  Aq.  flor.  sambuci  und  Tart.  emet.  in 
refr.  dosi.  Bei  schwächlichen,  sensiblen  Frauen  Infus,  valerianae,  cal.  aro- 
mat. ,  flor.  sambuci.  Stellt  sich  ein  weisser  Bodensatz  im  Urin  ein ,  so  ist 
dies  kein  übles  Zeichen ;  will  die  Milchsecretion  nicht  wieder  zum  Vorschein 
kommen,  so  gebe  man,  gind  fruchtlos  einige  Tage  verflossen  und  hat  di» 
Diaphoresis  die  allgemeinen  Zufälle  nicht  gemindert,  ein  Infus,  laxativ.  mit 
Tinct.  rhei  und  Purgirsalz. 

Abscessiis  laryngis,  Kehlkopfabscess.  Ist  bei  Phthisischen  nicht 
selten  der  traurige  Ausgang  einer  chronischen  Laryngitis ;  in  andern  Fällen 
war  die  Entzündung  des  Larynx  mehr  acut ,  wobei  das  Fieber  und  die  Er- 
stickungsangst oft  recht  bedeutend  sind,  und  sich  dann  am  5ten,  6ten  Tage 
der  Krankheit  der  Eiter  bildet ,  indem  zahlreiche  kleine  Eitersäcke  von  der 
Grösse  einer  Erbse  bis  zu  der  einer  Haselnuss  sich  unter  der  innern  Haut 
des  Kehlkopfs  aufhalten,  welche,  wenn  sie  nicht  bersten,  das  Lumen  des- 
selben so  verengern,  dass  der  Kranke  den  Erstickungstod  stirbt.  So  er- 
stickten vor  einigen  hundert  Jahren  in  Spanien  und  Italien  viele  tausend 
Knaben  an  einer  solchen  in  Verschwärung  und  Brand  übergehenden  Bräune 
(s.  Angina  gangraenosa).  Zuweilen  ist  die  anfangs  stark  geröthete 
Schleimhaut  des  Kehlkopfs  fast  überall  mit  zähem  eiterartigen  Secret  über- 
zogen ,  die  Mucosa  ist  aufgelockert ,  verdickt ,  und  wenn  der  Eiter  auch 
durch  den  Mund  unter  Husten  ausgeleert  wird  und  der  Kranke  sich  sehr 
erleichtert  fühlt,  so  bleibt  die  Prognose  doch  häufig  ungünstig,  indem  sich 
später  Phthisis  laryngea  ausbildet.  Zuweilen  sind  nur  2,  3  und  mehrere 
grössere  Abscesse  da,  wo  sich  dann  mitunter  der  eine  Abscess  öff'net,  wäh- 
rend der  andere  noch  geschlossen  ist,  manchmal  auch  Infiltrationen  nach  den 
Nachbartheilen  entstehen,  die  oft  grosse  Zerstörungen  anrichten.  (S.  Horri's 
Archiv  1811.  Jan.  S.  142.  Morgagni  de  sedib.  et  causis  morborum.  Ep.  XV, 
art.  13.  Flormann  in  Samml.  auserlesner  Abhdl.  für  pr.  Ärzte  Bd.  14.  S.  467.) 
Cur.  Man  verhüte  durch  kräftige  antiphlogistische  und  derivirende  Mittel 
den  schlimmen  Ausgang  der  Laryngitis  in  Eiterung.  Ist  diese  nicht  mehr 
zu  verhüten ,  so  legen  wir  Vesicatorien  auf  die  Brust ,  Breiumschläge  um 
den  Hals,  lassen  warme  Dämpfe  einathmen  ,  geben  ein  Vomitiv,  auch  Pur- 
ganzen aus  Kalomel.  Ist  die  Gefahr  der  Erstickung  sehr  gross  und  schon 
das  Schlucken  unmöglich,  so  bleibt  nur  noch  die  Injection  einer  Auflösung 
von  Tart.  emet.  oder  Zinc.  sulphuric.  in  die  Armvene  zur  Erregung  des 
Erbrechens  und  die  Tracheotomie  als  Palliativ  zu  versuchen  übrig.  (S.  Rusfs 
Magazin.  Bd.  7.  p.  128.) 

Ahscessus  lienis,  Mi  Izabscess.  Er  kommt  nur  selten  vor,  weil  die 
entzündete  Milz  häufiger  in  Induration  oder  in  Auflockerung  übergeht.  Ist 
er  gross ,  so  kann  er  beim  Bersten  oft  plötzlichen  Tod  erregen ,  indem  der 
Eiter  und  der  bräunlich  graue,  mit  schwarzem  Blute  vermischte  Brei,  worin 
die  Milz  dann  theilweise  metamorphosirt  wird ,  in  die  Bauchhöhle  tritt. 
Glücklicher  ist  der  Ausgang,  Svenn  der  Abscess  sich  in  den  Darrakanal  öfl^net. 
Symptome.  Zuerst  treten  die  Zeichen  der  acuten  oder  chi-onischen  Sple- 
nitis  auf,  dann  die  jeder  innern  Eiterung  (s.  Ahscessus  internus):,, 
wobei  die  Entzündungssymptome  theilweise  noch  stattfinden.  Cur;  s.  Ini 
flammatio    splenis. 

Alscessus  lumhalis,    s.  Inflamm atio  mu sc.  Psoas. 

Ahscessus  lymphaiicus ,  Tumor  lympJiaticus ,  Lymphgeschwulst, 
kalte  Geschwulst,  Lymphabscess.     Ist  eine  Austretiuig  der  Ly»nph« 


30 


ABSCESSUS 


aus  lymphatischen  Gelassen,  ohne  dass  Entzündung  vorhergegangen  o3er 
zugegen  ist.  Symptome.  Es  zeigt  sich  eine  kleine,  elastische,  iluctuirende 
Geschwulst,  am  häufigsten  am  Schenkel,  auf  der  Schulter,  am  Halse,  ara 
Nacken,  auf  der  Brust,  welche  ohne  Röthe  und  fast  schmerzlos  ist,  und  sich 
binnen  wenigen  Wochen,  Monaten  dergestalt  vergrössert,  dass  sie  oft  meh- 
rere Maass  Flüssigkeit,  die  anfangs  klar,  nachher  trübe,  gelblich,  röthlich, 
stinkend  ist,  enthält.  Zuletzt  bricht  der  Abscess  von  selbst  auf,  entleert 
viel  Flüssigkeit,  die  sich  täglich  in  Menge  einstellt;  die  Kräfte  des  Kranken 
sinken ,  er  magert  ab ,  bekommt  hektisches  Fieber  und  stirbt  an  Schwäche 
und  Abzehrung.  Ursachen.  1)  Am  häufigsten  schlechte  Beschaffenheit  der 
Säfte,  Dyskrasie  durch  Lues,  Scrophulosis ,  Gicht,  —  ein  Allgemeinloiden 
des  Lymphsystems,  avo  also  der  Tumor  lymphaticus  als  Symptom  des  Allge- 
meinleidens auftritt  (^Kluge).  Eintheilung.  Man  kann  annehmen  1)  die 
wahre  Lymphgeschwulst,  diese  ist  «)  eine  idiopathische,  von  äussern  Um- 
ständen entstanden,  und  kann  sowohl  acut,  als  chronisch  seyn ;  1i)  eine 
symptomatische ,  aus  innern  Ursachen  als  Folge  allgemeiner  Krankheit  des 
Lyraphsystems  entstanden;  2)  die  falsche  Lymphgeschwulst,  der  lymphati- 
sche Abscess  nach  Walthcr.  Letzterer  nimmt  jedesmal  wahren  Eiter  im 
Abscesse  an,  eine  einseitige  Ansicht,  die  nur  für  die  spätem,  nicht  für  die  i 
frühern  Stadien  des  Übels  passt,  da  zu  Anfange  wahre  Lymphe ,  später  erst 
Eiter  im  Tumor  gefunden  wird.  Diagnose.  Ist  leicht,  man  berücksichtige 
den  ganzen  Verlauf  und  die  Entstehung  des  Übels,  und  man  wird  es  leicht 
vom  Absc.  des  Psoas,  Fungus  articuli,  Tumor  cysticus  etc.  unterscheiden. 
Cur.  Indicationen  sind:  1)  Man  gebe  den  krankhaften,  atonischen  Lymph- 
gefassen  ihre  verlorne  Reizbarkeit  wieder,  2)  man  befördere  ihre  Contracti- 
lität  und  erhöhe  3)  die  Resorption.  Man  versuche  zu  Anfange  der  Krank- 
heit stets  die  Zerthellung.  Man  setze  Blutegel  im  Umfange  der  Geschwulst, 
mache  kalte  Umschläge  von  Eis,  Wasser,  Schmucker's  Fomentation  ,  Kam- 
pherspiritus, wende  einen  gleichmässigen  Druck  durch  einen  zweckmässigen 
Verband  an,  lege  2  —  3  Fontanellen  in  die  Nähe  des  Tumor,  und  gebe  in- 
nerlich bei  offenbarem  Allgemeinleiden  und  noch  kräftiger  Constitution  alle 
3  —  4  Tage  ein  Purgans  aus  5  —  8  Gran  Merc.  dulcis  und  -)j  bis  5lv  Rad. 
jalapae.  Ist  das  Übel  rein  mechanisch  entstanden,  der  Kranke  selbst  bei 
guter  Säftebeschaffenheit,  so  gelingt  die  Heilung  auf  die  angegebene  Weise, 
besonders  durch  zweckmässige  Compression,  ohne  alle  innere  Mittel.  Gelingt 
bei  der  symptomatischen  wahren  Lymphgescbwulst  dnrch  solche  Mittel  die 
Zertheilung  nicht ,  so  gebe  man  die  Hoffnung  dazu  nicht  gleich  auf.  Man 
versuche  Vesicatorien ,  lege  sie  14  Tage  lang  auf  den  Tumor  (^Langcnhccli)^ 
oder  man  ätze  denselben  mehrere  Wochen  lang  mit  Lap.  infernalis  \Venntj), 
oder,  was  noch  wirksamer  ist,  man  verbinde  zweimal  täglich  die  ganze 
Oberfläche  des  Tumor  mit  Liquor  hydrargyri  nitrici  (Mosi') ,  setze  diese  Cur 
lange  fort,  doch  so,  dass  die  Oberfläche  des  Tumor  nicht  ganz  durchgeätzt 
wird,  und  man  wird  mit  Verwunderung  wahrnehmen,  dass  die  Geschwulst 
von  Tage  zu  Tage  kleiner  wird  und  Resorptio  fluidi  und  Zusammenfallen  des 
Cavum  erfolgt.  Sollte  dies  aber  nicht  der  Fall  seyn,  so  befördere  man  eine 
kräftige  Entzündung  und  Eiterung,  und  ölTne  den  Abscess,  doch  so,  das» 
er  sich  nicht  plötzlich  entleert;  sonst  füllt  er  sich  bald  wieder,  die  Kräfte 
des  Kranken  sinken  schneller  wegen  grösseren  Säfteverlustes,  und  der  Tod 
wird  dadurch  befördert.  Die  Hauptindicationen  sind  hier  n)  Unterstützung 
der  Lebenskräfte  durch  gute  animalische  Kost,  Fleischsuppen,  Wein,  durch 
Decoct.  chinae,  ratanhiae,  gei  urbani.  Infus,  cal.  aromat.  (s.  unter  Absces- 
Bus  die  Formeln.)  V)  Berücksichtigung  der  Dyskrasie  durch  innere  Mittel,  da- 
her nach  den  Umständen  Antiscrophulosa,  Antivenerea,  Antarthritica,  nament- 
lich Terra  ponderos.  salita,  Digitalis,  Rlercurialia,  Antimonialia,  in  Verbin- 
dung mit  den  stärkenden  Rütteln ,  mit  aromatischen  Bädern,  r)  Erregung 
eines  kräftigen  Entzündungsprocesses  im  Abscesse,  wodurch  plastische  Ex- 
gudation ,  Annäherung  der  obern  und  untern  Fläche ,  kräftige  Resorption  und 
Schliessung  bezweckt  werden  soll.  Man  legt  in  dieser  Absicht  2  —  6  Empla- 
itra  fenestrata,    je  nachdem   die  Geschwulst  gross  oder  klein  ist,    mit  Lap. 


ABSCESSUS  31 

Infernal,  oder  Lap.  caust.  auf  dieselbe ,  verbindet  am  andern  Tage  die  ge- 
bildete Borke  mit  Unguent.  digest.  3J,  worein  5|*  fother  Präcipitat  gemischt 
worden,  und  unterhält  so  die  Hautgeschwüre,  durch  welche  sich  nur  allmä- 
iig  etwas  Lymphe  entleert;  man  fährt  so  fort,  bis  die  Geschwulst  durch 
Resorption  verschwunden  ist.  Man  vergesse  nicht,  noch  obendrein  1  —  2 
grosse  Fontanellen  in  die  Nähe  des  Tumor  zu  legen  und  mit  der  letztge- 
nannten Salbe  zu  unterhalten.  Einige  rathen  bei  noch  guten  Kräften  des 
Kranken  die  Geschwulst  durch  den  Schnitt  zu  öffnen ,  die  Flüssigkeit  auf 
3  Mal  binnen  24  Stunden  zu  entleeren ,  das  Gavum  mit  kochendem  Wasser 
auszuspritzen  (iJjist),  und  aromatische,  spirituöse  Umschläge  anzuwenden. 
Man  kann  zweckmässiger  statt  des  siedenden  Wassers  2 — 3mal  lauwarm 
folgende  Mittel ,  abwechselnd  gebraucht,  einspritzen:  ^'  Merc.  suhlimat.  cor^ 
ros.  gr.  X — XV,  Aquae  destillatae  ^^'i ,  und  I^r  Lapid.  infernal.  3j  —  3flj 
Aquae  rosnrum,  Aq.  opii  destill.  ana  5JJ1y.  (M.)  Andere  loben  die  Ligatur. 
Sie  wird  durch  die  ganze  Geschwulst  gezogen,  wobei  die  Lymphe  nur  lang- 
sam abfliesst.  Sie  muss  durch  allmäliges  Anziehen  zuletzt  den  ganzen  Tumor 
durchschneiden,  dann  entsteht  vom  Grunde  desselben  aus  ein  guter  Granu- 
lationsprocess  (Langenhecli).  Man  verbindet  die  Geschwulst  mittels  der  Li- 
gatur täglich  1 — 2mal  zweckmässig  mit  folgender  Salbe:  I^  Unguent.  dige~ 
stivi  5Jj ,  Pulv.  merc.  prnecip.  rubr.  5jV>  Pulo.  Inpid.  infern.  9j .  Pulv.  cnn- 
iharid.  Sj-  M.  f.  Unguent.  (Most  sen. ).  Auch  hat  man  wol  das  ganze  Ca- 
vum  geöffnet  und  auf  einmal  entleert,  dann  dasselbe  mit  Charpie,  die  mit 
ähnlichen  reizenden  Salben  bestrichen  worden,  ausgestopft  (^Langenheclt'); 
doch  ist  dies  nach  neuern  Erfahrungen  nicht  nachzuahmen ;  sondern  die  theil- 
weise  Zertheilung  durch  Resorption  mit  unbedeutendem  Lymphverlust  durch 
die  kleinen  Offnungen  des  Cavum  vorzuziehen.  Dabei  versäume  man  nie, 
durch  einen  zweckmässigen  Expulsiwerband  (^Theden's  Einwickelung)  ein« 
gelinde  andauernde  Compression  anzuwenden,  die  zur  schnellern  Heilung  so- 
wol  bei  dem  eiternden  Abscess,  als  auch  zur  schnellern  Zertheilung  des  Tu- 
mor beiträgt.  Wird  die  Eiterung  bei  ersterm  gut,  so  darf  man  die  Charpie 
oder  Ligatur  nicht  mehr  mit  den  reizenden  Salben  verbinden ;  auch  muss  die 
Ligatur  dann  herausgenommen  und  ein  etwas  festerer  Verband  angelegt  wer- 
den. —  Nach  diesen  Cautelen  sieht  man  ein,  dass  das  operative  Verfahren 
hier  im  Anfange  rein  mechanisch  (Compression) ,  oder  rein  chemisch ,  oder 
gemischt  (chemisch  und  mechanisch)  seyn  muss  (Kluge^.  Darauf  stützen  sich 
die  verschiedenen  operativen  Verfahrungsarten  nach  Volpi,  Rust ,  Langerir- 
bccTc,  Jacobi,  Znng ,  Beinl ,  Nasse  und  Kluge,  welche  Dr.  Zemhsch  (^Rusfs 
Magaz.  1828.  Bd.  XXVII.  Hft.  1.)  gesammelt  hat.  DerRecensent  der  Langen- 
&cc/c'schen  „Nosol.  u.  Therapie  d.  chir.  Krankheiten"  in  der  Jenaischen  Lit. 
Zeitg.  Ergänzungsbl.  1827.  Nr.  82 — 84  tadelt  beim  Lymphabscess  das  Ope- 
riren und  Haarseilziehen,  und  versichert ,  dass  er  seit  dem  Jahre  1812  alle 
solche  sog.  kalte  Abscesse ,  selbst  wenn  sie  kannenweise  Flüssigkeit  enthiel- 
ten, nur  ein-  bis  zweimal  mit  Liquor  hydrargyr.  nitric.  behandelt  und  sia 
so  alle  ohne  Ausnahme  in  kurzer  Zeit  geheilt  habe. 

Ahscesstis  malae,    W  angen  ab  s  ces  s,     s.   Abscessus  faciei. 

Abscessus  niammnrum^  s.  Abscessus  lacteus  mammarum  imd  In- 
flam matio  glandularunl. 

Abscessus  metastaficus.  Ist  ein  nach  cessirenden,  gesunden  oder  krank- 
haften Absonderungen  einzelner  Organe  oder  ganzer  Systeme  erscheinender 
Abscess  (Sommer).  Er  entsteht  bald  schnell,  bald  langsam,  folgt  auf  zahl- 
reich^ acute  und  chronischej  innere  und  äussere  Krankheiten,  und  zeigt  sich 
dann  in  verschiedenen  Organen ,  zumal  i«  solchen,  die  mit  dem  früher  ange- 
griffenen Theile  in  Mitleidenschaft  stehen  oder  mit  ihm  durch  die  eigen- 
thümliche  Organisation  ,  Structur ,  Function  verwandt  sind.  So  sind  z.  B, 
die  Furunkel  oft  metastatische  Abscesse  in  Folge  unterdrückter  oder  retar- 
dirter  Menses,  solcher  Hämorrhoiden;  der  metastatische  Milchabscess  folgt 
auf  zu  schnelle  Vertreibung  der  Milch  in  den  Brüsten  u.  s.  f.  Symptome. 
Häufig. tritt  der  raetaStatische  Abscess  mit  mehr  oder  weniger  stürmischen 
Symptomen,   gerade  wie   die  der  Kxise   in  acuten  Krankheiten,   mit  Fieber, 


32  ABSCESSUg 

Delirien,  Convulsionen ,  heftigen  Schmerzen  In  irgend  einem  Organe,  afff, 
welche  aber,  so  wie  sich  der  Abscßss.  zeigt,  meist  von  selbst  verschwinden 
und  kein  actives  Verfahren  von  Seiten  des  Arztes  erheischen.  Der  Abscess  ist 
gelten  stark  entzündet,  meist  ist  die  Geschwulst  Jtalt,  weich  und  fluctuirend. 
Behandlung,  Man  massige  die  allgemeinen.  Zufälle  durch  gelinde  küh- 
lende und  diaphoretische  Mittel,,  yprmeide  Erkältung  .de^  leidenden  Theil» 
und  suche  den  Abscess  nach  allgemeinen  Regeln ,  durch  ;Emollientia  und  Ir- 
ritantia  stets,  in  Eiterung  zu  bringen,  überlasse  auch,  wenn  keine  Gefahr 
vorhanden  ist,  die  Öffnung  desselben  der  Natur.  Jeder  Versuch,  solche 
Abscesse  zu  zertheilen,  ist  der  Natur  des  Übels  nach  ^yidersinnig. 

AbsceSsus  musciilorum  tJwrncis.  Er  erfordert  neben  der  bekannten  Be- 
handlung besondere  Aufmerksamkeit,  dass  keine  Versenkung  des  Eiters  statt- 
findet, dass  er  nicht  nach  innen  in  einen  oder  den  andern  Sack  der  Pleura 
dringt,  dass  man  das  Empyem  niqht  mit  ihm  verv\echselt,  u.  s.  f.  Sitzt  er 
luiter  dem  Schulterblatte,  so  muss  man,  um  den  Eiter  Abfluss  zu  verschaf- 
fen ,  in  einzelnen  Fällen  dasselbe  selbst  trepaniren  (MarechnT). 

Abscessus  nnrium.  Er  kann  sowol  äusserlich  an  der  Nase,  als  inwen- 
dig vorkommen.  Im  letztern  Falle  geht  entweder  Entzündung  der  Nasen- 
Bchleimhaut  vorher ,  oder  es  ist  auch  ein  Congestionsabscess ,  wo  der  Eiter- 
herd in  den  Stirnhöhlen,  selbst  im  Gehirn  liegt.  Ursachen  sind:  Syphilis, 
Scrophulosis ,  heftiger  Nasenkatarrh,  mechanische  und  chemische  Reize, 
fremde,  in  der  Nase  stecken  gebliebene  Körper,  Erbsen,  Bohnen,  kleine 
Steine ,  zumal  bei  kleinen  Kindern ,  die  man  daher  mit  solchen  Dingen  niciit 
spielen  lassen  muss;  —  ferner  Insectenstiche,  eingekrochene  Insecten,  sol- 
che Larven;  auch  können  durch  ihren  Stich  Insecten  das  Milzbrandconta- 
gium  auf  deu  lebenden  Körper  übertragen.  Die  Zufälle  sind  oft  gelinde, 
oft  aber  auch  heftig,  so  dass  Fieber,  Hirna^ectjionen  auftreten.  Die  Be- 
handlung richtet  sich  nach  Beschaffenheit  des  Allgemeinleidens  vmd  des 
örtlichen  Übels.  Bei  Gehirnzufällen  versäume  man  nicht,  diese  durch  Ader- 
lassen, Blutegel  und  kühlende  Purganzen  zu  massigen;  topisch  wende  man 
nicht  reizende,  erweichende  Umschläge  an,  und  vermeide  alle  reizende  Mit- 
tel, weil  sonst  leicht  üble  Geschwüre  zurückbleiben.  Die  blutigei\  Ge-: 
schwülste  des  Septums  sind  Ecchyraosen  und  stets  Folge  mechanischer  Ver^^ 
letzungen;  sie  sind  dunkelroth,  glatt  und  glänzend;  dabei  Vollheit  und  Ver- 
stopftheit  der  Nase ,  ohne  wahrnehmbare  Contusion  der  Hautbedeckungen. 
Kalte  Umschläge,  und  wenn  nicht  bald  Zerthellung  folgt,  das  Öffnen  der 
Geschwulst  mit  einer  Lanzette  ist  hier  das  Beste.  Zuweilen  bildet  sich  eia 
Abscessus  septi ,  welcher  entweder  acut  oder  chronisch  ist.  Zuweilen  ist 
dieser  Folge  von  Scropheln ,  Blattern,  Masern,  Scharlach  etc.  Oft  ist  dann 
die  ganze  Membrana  pituitarla  geschwollen,  so  wie  der  das  Septum  be- 
deckende Theil.  Der  Schmerz  verbreitet  sich  bis  zur  Stirnhöhle  und  zu 
den  Thränenkanälen ,  daher  Thränenfluss  entsteht.  Man  muss  bei  den  Ver- 
letzungen der  Nase  von  Anfang  an  alles  Mögliche  thun ,  um  Eiterbildung 
zu  verhüten,  und  ist  Eiter  da,  diesen  sobald  als  möglich  durch  eine  .Tnci.-, 
ßion  zu  entleeren  suchen.  Im  entzündlichen  Stadium  sind  Blei  -  und  Zink- 
mittcl,  bei  chronischem  Verlauf  die  schwarzen  und  gelben  Mercurialfomen- 
tationen,  so  wie  verdünntes  U:iguent_.  citrin.  und  Unguetit.  zinci  nützlich.. 
Bei  den  idiopathischen,  aus  imiern,  Ui'sachen  entstehenden  Nasenabscessen 
ist  das  entzündliche  Stadium  oft  gering  und  der  Schmerz,  die  Spannung  un-. 
bedeutend,  die  Farbe  nicht  so  dunkelroth.  Hier  dient  äusserlich  nach  ge~- 
ßchehener  Öffnung  oft  Solutio  argenti  nitrici.  (S.  Fleimnin^  in  Dubl.  Journ, 
of  med,  and  chir.  Science  Vol.  IV.  Nr.  10.  Septbr.  1833.),  Dass  man. 
gegen  die  sonstigen  Ursachen ,  gegen  Syphilis ,  Scrophulosis  etc.  auf  be- 
kannte Weise  darneben  zu  wirken  habe,  versteht  sich  von  selbst.  (S.  De-. 
champ ,  Journ,  general  de  Medecine.  T,  XIX.  p.  201.  vo7i  Griifes  und  v. , 
Waltlm-'s  Journ.  f.  Chirurg,  etc.    Bd,  XX.   Hft.  4.  S.  622.). 

Abscessus  nudcntus,   s.  Furunculus. 

Abscessus  oculorum,    der  Abscess  an   den  Augen.     Ist  jede  Eiter- 
ansaramlung',    welche  sich  in  einer   neu  gebildeten  Höhle   im  Auge  oder  in 


ABSCESSUS     .  33 

dessen  Umgebungen  erzeugt,  und  zwar  in  Folge  von  Entzündung,  die  wo- 
gen mangelnder  oder  veikehrter  Kunsthülfe  oder  aus  andern  in  der  specifi- 
schen  Natur  der  Entzündung  liegenden  Ursachen  nicht  zertheilt  worden. 
Die  Symptome  dieser  Abscesse  ■  sind  die  jeder  Eiterung,  also  statt  der 
stechenden,  reissenden,  oscillirenden  Schmerzen  wird  der  Schmerz  drückend, 
pressend ,  klopfend ,  dabei  Gefühl  von  Kälte  imd  Schwere  im  leidenden 
Theile,  Weicherwerden  und  Fluctuation  der  früher  harten,  gespannten  Ge- 
schwulst etc.  Ausserdem  schwillt  nicht  selten  die  leidende  Seite  des  Ge- 
sichts erysipelatös  und  ödematös  an,  wozu  sich  Kopfweh,  Fieber,  Hirn- 
affectionen,  Obstructio  alvi  gesellen.  Jüngicen  unterscheidet  nach  dem  Sitze 
hier  folgende  Abscesse:  1)  solche  in  der  Umgegend  der  Augen  und  an  den 
Augenlidern  (Anchylops,  Dacryocystitis ,  Canthitis ,  Blepharophthalmitis, 
Hordeolum);  2)  solche,  die  in  der  Augenhöhle  zwischen  den  Orbitalwänden 
und  dem  Bulbus  sitzen  (Periorbitis,  Dacryoadenitis) ;  3)  solche,  die  am  Bul- 
bus oculi  stattfinden  und  zwar  in  Folge  von  Conjunctivitis,  Corneitis,  Iritis.  — 
Ihrer  Natur  und  den  Ursachen  nach  sind  sie  entweder  echte  entzünd- 
liche, oder  falsche  kalte  Abscesse.  Zu  letztern  gehören  die  metasta- 
tisohen,  kritischen  und  Congestionsabscesse.  Der  sog.  Onyx,  wo  sich  der 
Eiter  aus  einem  Ulcus  corneae  zwischen  die  Lamellen  der  Hornhaut  nach 
unten  begiebt,  ist  z.  B.  ein  solcher  Congestionsabscess.  Die  dyskrasischen 
und  traumatischen  Augenentzündungen  gehen  am  leichtesten  in  Eiterung  über. 
Die  Cur  ist  im  Allgemeinen  dieselbe ,  wie  die  der  Abscesse  überhaupt. 
Fremde  Körper  sind  zu  entfernen ,  Augenwunden  wo  möglich  ohne  Eiterung 
zu  heilen,  die  vorhandenen  Dykrasien  zu  berücksichtigen,  die  Entzündung 
zu  massigen  etc.  Topisch  dienen  bei  Abscessen  in  der  Umgegend  des  Auges 
und  an  den  Augenlidern  warme  Breiumschläge  von  Semmelkrumen ,  in  Milch 
gekocht  und  etwas  Safran  zugesetzt,  auch  von  Farina  sem.  lini,  bei  starken 
Schmerzen  mit  Zusatz  von  Herba  hyoscyami,  cicutae;  bei  Abscessen  am 
Augapfel  Infusionen  von  Capit.  papav. ,  flor.  malvae ,  mit  Compressen  warm 
übelgeschlagen,  übexhaupt  so  warm,  als  der  Kranke  es  ertragen  kann* 
Ist  der  Abscess  in  der  Nähe  des  Auges  schmerzlos,  kalt,  so  legt  man  Em- 
plastr.  de  galb.  crocat. ,  Empl.  diachyl  composit.  auf.  Bei  den  Abscessen 
am  Augapfel  suche  man,  damit  die  Eiterung  keine  Zerstörung  anrichtet, 
durch  Einreiben  der  grauen  Mercurialsalbe  in  die  Umgegend  des  Auges  di« 
Resorption  zu  begünstigen,  gebe  auch  innerlich  ein  paar  grosse  Dosen  Ka- 
lomel,  oder  auch,  was  nach  Schmalz  sehr  wirksam  ist:  ^  Rad.  senegae, 
Magnes.  carJjon.  ana  ^jj,  Kali  tarlaric.  §j.  M.  f  pulv.  S.  Smal  täglich  einen 
Theelöffel  voll.  —  Die  Öffnung  des  Abscesses  an  der  Cornea  muss  man  stets 
der  Natur  überlassen,  weil  das  Geschwür  alsdann  bes^ei-  heilt.  Abscesse  an 
der  Conjimctiva  scleroticae  kann  man  dagegen  dr«ist  öffnen.  Ein  Mehrere» 
über  diesen  Gegenstand  ist  unter  den  Artikeln  Aegilops,  Blepharo- 
phthalmitis, Dacryocystitis,  Prolapsus  sacci  lacrymalis, 
Hordeolum   und    In  flamm  atio   oculi  nachzuTesen. 

Ahscessm  ovarii.  Dieser  Abscess  kann  in  einem  oder  in  beiden  Eier- 
stöcken in  Folge  acuter  oder  chronischer  Oophoritis  (s.  Inflammatio 
ovarii),  oder  durch  Graviditas  extrauterina  vorkommen;  auch  bei  Unver- 
heiratheten,  welche  Onanie  treiben,  hat  man  ihn  beobachtet.  Symptome. 
Durch  die  Bauchdecken  und  durch  die  Untersuchung  per  vaginam  fühlt  man 
an  der  einen  oder  andern  Seite  des  Körpers  eine  leicht  bewegliche,  scharf 
begrenzte,  sehr  empfindliche,  schmerzhafte,  derbe,  doch  nicht'  steinharte, 
später  klopfende ,  weiche  und  fluctuirende  Gesichwulst  in  der  Inguinalgegend^ 
die  sich  selbst  bis  zum  Nabel  erstreckt  und  dann  von  Schwangerschaft  oft 
schwer  zu  unterscheiden  ist.  Dabei  Gefühl  von  Druck  und  Schwere  im  Be-; 
cken,  Mangel  an  Appetit,  Febris  lenta,  Abmagerung.  Die  Menses  stocken!, 
die  Ausleerung  des  Stuhls  und  Harns  macht  -viel  dmckenden  Schmerz,  die 
Kranken  leiden  an  verschiedenen  dyspeptischen  BeschweMen ,  an  Erbrechen^ 
die  Brüste  fallen  ein,  es  zeigt  sich  Leukorrhoe,  Eljtroncus,  Asthma,  pferio- 
disch  stellt  sich  ein  wehenartiger  Schmerz  ein,  später  Icterus,  Hydrops. 
Bricht  der  reife  Abscess  auf,  so  entleert  er  durch  das  Rectum,  durch  die 
Mo  8t  Encyklopädie.  2te  Aufl.  I.  3 


34  ABSCESSUS 

Vagina  oder  in  der  Leistcnfregend  oder  am  Abdomen  eine  Menge  stuiken- 
den,  oft  mit  Haaren,  Zähnen,  Fötalüberresten  etc.  vermischten  Eiters. 
Die  Prognose  ist  schlimm.  Die  Cur  ist  bei  solchem  Ausgange  der  Ent- 
zündimg meist  auch  nur  eine  palliative.  (^FrniiJ: ,  Acta  Instil.  clin.  Vilnens. 
Ann.  I.  p.  120.).     S.  Inflammatio  ovarii. 

Alscessus  pftrofidis.  Der  Ohrspeicheldrüsenabscess  ist  häufig 
ein  metastatisches  oder  kritisches  Übel,  das  man  daher  in  Eiterung  bringen 
muss,  z  B.  bei  Typhus,  Scarlatina,  nach  unterdrückten  Kopfschweissen,  bei 
Nervenfiebern.  Ist  der  Schmerz  unbedeutend  und  die  Geschwulst  mehr  kal- 
ter Natur ,  so  dienen  warme  Umschläge  von  Senfmelü ,  Zwiebeln,  Sauerteig ; 
nlsdann  öffnen  wir,  wenn  Fluctuation  da  ist,  mittels  eines  Causticums  den 
Abscess,  und  verbinden  mit  gelind  reizenden  Salben.  Versenkungen  des 
Eiters  können,  wenn  man  die  Öffnung  der  Natur  überlässt,  am  Rande  des 
Sternocleidomastoideus  abwärts  stattfinden  und  am  untern  Theile  des  Halses 
eine  fluctuirende  Geschwulst  bilden,  während  die  Drüsengeschwulst  ober- 
halb schnell  kleiner  wird.  Hier  muss  man  schnell  auf  den  Congestionsabscess 
ein  Causticum  legen,  wodurch  Entzündung  und  Entleerung  des  Eiters  be- 
wirkt, die  weitere  Senkung  verhütet  und  unter  Anwendung  eines  massig 
comprimirenden  Verbandes  die  Schliessung  des  Ganges  und  des  Apostems 
bewirkt  wird.  Vergl.  auch  Inflammatio  parotidis.  (S.  Spauijenherg 
in  Hont's  Archiv  1812.  März.  S.  247.  Autenrieth,  Diss.  de  natura  paroti- 
dum  malignarum  in  morbis  acutis.  Tübingen  1809.  Salzb.  med.  chir.  Zei- 
tung 1811.  I.  p.  S81.     SeJillot,  Journ.  de  M^decine  1812.  Janiner.  p.  108). 

Ahscessus  pectoris  internus,  innerer  Brust  ab  scess,  Eiteran- 
sammlung innerhalb  der  Brusthöhle.  Es  können  sich  an  allen 
Stellen  der  Brusthöhle  Abscesse  bilden.  Boijer  unterscheidet  folgende  For- 
men nach  Verschiedenheit  ilires  Sitzes:  1)  Eiterbildung  im  Zwischen- 
zellgewebe zwischen  dem  Brustfell  und  den  Wänden  der 
Brusthöhle.  Ist  Folge  der  Entzündung  der  Intercostalmuskeln  durch 
Schlag,  Stoss,  Quetschung,  Verwundung,  oder  Folge  von  Pleuritis.  Der/ 
Kranke  fühlt  Schmerz  in  der  leidenden  Seite  der  Brust,  der  bei  Körperbe- 
wegungen und  bei  der  Inspiration  zunimmt ;  daher  letztere  kurz  ist  und 
Zwerclifell  und  Bauchmuskeln  zu  Hülfe  genommen  werden.  Bei  Pleuritis 
ist  mehr  Fieber  imd  trockner  Husten ;  der  Schmerz  ist  begrenzt ,  die  Per- 
cussion  mittels  des  Fingers  an  der  leidenden  Seite  giebt  einen  dumpfern  Ton 
als  an  der  gesunden;  die  Auscultation  leistet  hier  weniger.  Ein  Finger- 
druck, tief  in  die  Intercostalräume  applicirt,  vermehrt  den  Schmerz  bedeu- 
tend. Bei  chronischer  Entzündung  aus  dy.skrasischen  Ursachen  ist  die  Dia- 
gnose schwieriger.  Späterhin  bildet  sich  unter  den  bekannten  Zeichen  inne- 
rer Eiterbildung  (s.  Abscessus  internus)  bald  früher,  bald  später,  je 
nachdem  die  Entzündung  acut  oder  subacnt,  oder  chronisch  war,  binnen  5, 
10,  20 — 30  Tagen,  äusserlich  an  der  kranken  Seite  der  Brust  zwischen  2 
Rippen  unter  Dyspnoe  eine  teigige,  weiche,  fluctuirende  Geschwulst,  wel- 
che sich  zuspitzt,  an  einer  kleinen  Stelle  öffnet  und  Eiter  in  Menge  giebt; 
alsdann  verschwinden  oft  alle  Beschwerden  beim  Athmen.  Die  Pleura  selbst 
vereitert  dabei  höchst  selten  ;  dies  ist  nur  bei  Personen  mit  schlechten  Säf- 
ten und  ungesunder  Natur  und  bei  gleichzeitigem  Lungenleiden  möglich; 
alsdann  ergiesst  sich  der  Eiter  in  einen  Sack  der  Pleura  und  bildet  die  so- 
genannte Eiterbrust  (s.  Empyema  und  Phthisis  pulmonalis  ex u Ice- 
rat a),  oder,  was  häufiger  ist,  er  bildet  nach  aussen,  am  Zwerchfell,  am 
schwertförmigen  Knorpel  des  Brustbeins,  zwischen  Pleura  und  Intercostal- 
muskeln einen  Congestionsabscess.  Sitzt  der  Abscess  in  der  Gegt»nd  des  Her- 
zens, so  pulsirt  er;  und  der  Unkundige  meint,  es  sey  eine  Pulsadergeschwnlst. 
Fühlt  aber  der  Kranke  beim  Druck  Schmerz,  und  verkleinert  sich  die  Ge- 
schwulst dadurch  nicht ,  so  kann  man  mit  Wahrscheinlichkeit  darauf  rech- 
nen ,  dass  es  kein  Aneurysma  ist.  Das  spätere  Spitzwerden  und  Sichöffuen 
der  Geschwulst  mit  EiterausHuss  macht  die  Diagnose  gewiss.  Sehr  leicht 
bildet  sich  bei  solchen  Abscessen  eine  Fistel  mit  jauchiger  Absonderung, 
häufig  auch  Caries  sterni  et  costanim.     Das  Übel  ist,  wenn  auch  nicht  le- 


ABSCESSUS  35 

bensgeföhrlich ,  doch  fast  immer  sehr  langwierig,  besonders  wenn  der  EÜfer 
in  Folge  chronischer  Entzündung  übelriechend  nnd  ichorös  ist.  Cur.  Bei 
deutlicher  Fluctuation  und  noch  bestehender  Härte  schlage  man  Cataplasmata 
emoUIentia  über  die  Geschwulst,  und  mache,  wenn  hinreichende  Maturation 
eingetreten  ist,» mittels  der  Lanzette  einen  grossen  Einschnitt  und  in  gehö- 
riger Entfernung  vom  untern  Kande  der  obern  Rippe,  damit  die  Art.  inter- 
costalis  nicht  verletzt  werde.  Man  giebt  ihm  gern  eine  trichterförmige  Ge- 
stalt, so  dass  die  äussere  Öffnung  am  weitesten  ist.  Ist  der  Abscess  kalt, 
ohne  Entzündung  und  chronisch,  so  öffne  man  durchs  Causticum,  durch 
Lap.  infernalis  oder  Lap.  caiistic.  mittels  eines  Empl.  fenestratum.  Der 
Kranke  muss  auf  der  leidenden  Seite  liegen ,  damit  der  Eiter  gut  abfliessen 
kann.  Bei  Fistelgängen  muss  man  oft  eine  Gegenöffnung  machen.  2)  E  i  - 
teransammlung  im  Mediastinum.  Sie  findet  am  häufigsten  im  vor- 
dem Mittelfell  in  Folge  von  Inüammatio  telae  cellulosae  zwischen  beiden 
Blättern  des  Mediastinums  statt ,  veranlasst  durch  Dyskrasien ,  Metastasen 
und  traumatische  Schädlichkeiten.  Der  Verlauf  ist  bald  acut,  bald  chro- 
nisch, die  Diagnose  schwierig.  Die  Zufälle  sind  anfangs  fast  dieselben  der 
Pleuritis  und  Pleuropneumonie  :  Dyspnoe ,  Fieber ,  Durst,  tiefer ,  klopfender, 
dumpfer  Schmerz  unter  dem  Sternum,  selbst  bis  in  den  Rücken,  trockner 
Husten  etc.  Später  zeigt  sich  dicht  über  dem  Manubrium  sterni  oder  zu  den 
Seiten  des  Brustbeins,  oder  an  seiner  Spitze,  eine  Geschwulst,  oder  das 
schwammige  Brustbein  wird  an  einer  Stelle  in  die  Höhe  getrieben,  aufge- 
lockert, cariös,  und  hier  entleert  sich  der  Eiter.  Durchs  Sondiren  entdeckt 
man  dann  den  Eiterherd  hinter  dem  Brustbeine  im  Mediastinum.  Die 
Prognose  ist  hier  schlimm;  der  Knochenfrass  des  Brustbeins  theilt  sich 
leicht  den  Rippenknorpeln  mit,  der  Eiter  fliesst  nicht  immer  nach  aussen, 
macht  durch  den  Druck  auf  Pleura  und  Pericardium  Angst,  Herzklopfen, 
Dyspnoe,  Congestionen  nach  dem  Kopfe.  Cur.  Vor  allem  sorge  man  da- 
für, dass  der  Eiter  frei  ausfliessen  kann,  trepanire,  wenn  das  Sternum  sich 
erhoben,  dieses  (s.  Caries  sterni)  —  wenn  anders  die  schwierige  Diagnose 
fest  steht  — ,  erweitere  die  von  der  Natur  gebildeten  Öffnungen,  mache 
milde  Einspritzungen  von  warmen  Chamillenthee ,  Infus,  herbae  salviae,  bei 
übelriechendem  Ausfluss  mit  Zusatz  von  Tinct.  myrrhae,  und  sorge  für 
zweckmässige  Lage  auf  dem  Bauche.  S)  Geschlossene  Eiteransamm- 
lung im  Lungenparenchym  (Vomica,  Absc.  pulmonum).  S.  Phthisis 
pulmonalis.  4)  Geschlossene  Eiteransammlung  in  den  Adhä- 
sionen zwischen  Lungen  und  Pleura.  Sie  sind  selten  und  dann  nur 
Folge  einer  heftigen,  schlecht  behandelten  Pleuropneumonie.  S.  Inflam- 
matio  pulmonum  et  pleurae.  5)  Fr eie  Eit er ansammlung  in- 
nerhalb der  Brusthöhle  (Empyema,  Pyothorax,  Hydrops 
pectoris  purulentus),  Eiterbrust,  hitzige  Brustwassersucht. 
Hier  hat  man  verschiedene  Zustände  nicht  gehörig  unterschieden ;  daher 
trennt  man  d)  Empyema  per  exsudationem;  ist  ähnlich  der  Peritoni- 
tis exsudativa,  indem  in  Folge  von  Pleuropneumonie  eine  purulente  Flüssig- 
keit innexhalb  der  Pleiura  exsudirt.  Dies  ist  der  wahre  Hydrops  pecto- 
ris purulentus,  wobei  nach  den  vorangegangenen  Zeichen  der  Entzün- 
dung Dyspnoe,  dumpfer  Wiederhall  der  Percussion,  Angst,  periodische  Or- 
thopnoe bei  jeder  Körperbewegung,  Husten,  Frösteln,  Lage  auf  der  Seite, 
welche  leidet,  bei  Erguss  in  beide  Pleurasäcke  nur  allein  die  Lage  auf  dem 
Rücken  mit  erhöhtem  Kopfe  und  Oberleibe,  grössere  Ausdehnung  der  lei- 
denden Seite,  selbst  von  1  —  2  Zoll,  als  die  der  gesunden,  Abwesenheit 
des  Laennec'schen  Respirationgeräusches  an  der  leidenden  Brust  hälfte,  auch 
wohl  Aegophonie  etc.  bemerkt  werden.  6)  Empyema  per  infiltratio- 
nem.  Es  soll  durch  Aufbruch  einer  Vomica  und  Entleerung  des  Eiters  in 
die  Brusthöhle  entstehen,  wo  denn  der  Reiz  des  letztern  bald  eine  sympto- 
matische Pleuropneumonie  zur  Folge  habe ;  diese  secundäre  Krankheit  findet 
dann  ebenfalls  ihren  Ausgang  in  purulenter  Exsudation,  wie  Lnennec  u.  A. 
meinen.  Dieff'enlach  (Rust''s  Handb.  d.  Chirurgie,  Bd.  I.  S.  188.  Anmerk.) 
ist  aber  der  Meinung,  das«  jeder  Eitererguss  aus  einem  Lungen geschwür  in 

3* 


36  ABSCESSU3 

den  Sack  der  Pleura  unmöglich  sey,  weil  die  innere  Fläche  des  Thorax 
sich  keinen  Augenblick  von  der  Oberfläche  der  Lungen  entferne,  ausgenom- 
men da,  wo  Luft  oder  eiterartige  Flüssigkeit  auf  den  einander  zugekehrtea 
Flächen  des  Brustfells  gebildet  werde.  Wenn  eine  Vomica  die  Oberflächa 
der  Lunge  durchbreche ,  so  verwachsen  beide  seröse  Oberflächen  >  orher  mit 
einander.  Die  Prognose  des  Empyems  ist  schlimm;  denn  häufig  folgt  der 
Tod  durch  Phthisis  pulmonalis;  in  einzelnen  Fällen  rettete  die  Operation; 
doch  war  Laenncc  darin  nicht  glücklich,  glücklicher  waren  Lnnijcnhcck, 
Himly,  Dzondi  und  Diefj'euhnch.  {Frank  Acta  Instit,  cUn.  Viln.  IIL  p.  23  — 
StollRsiU  med.  I.  p.  158.  —  Oslhoff  m  v.  Siehohrs  Chiron.  Bd.  II.  p.  517.) 
S.  Phthisis   pulmonalis- 

Abscessus  pemiaci.  Der  Mittelfleischabscess  ist  entweder  ein  rein 
ortliches  Übel,  oder  der  Eiterherd  befindet  sich  in  der  Blase,  der  Prostata, 
im  Mastdarm,  in  den  Ovarien.  Er  ist  nicht  mit  Absc.  ischiadicus  und  Her- 
nia  perinaei  zu  verwechseln  (s.  diese  Artikel).  Nach  den  verschiedenen  Ur- 
sachen ist  die  Heilung  bald  leichter,  bald  schwerer.  Schnelle  Maturation 
luid  frühes  Öffnen  des  Abscesses  sind  nothwendig,  weil  sonst  leicht  Harn- 
fisteln folgen.  Ist  dies  schon  der  Fall,  so  muss  man  in  die  Harnröhre  ei-? 
nen  biegsamen  Katheter  einlegen.     S.  Fistula  urinaria. 

Abscessus  pcritonaei.  Der  Bauch fellabscess  sitzt  entweder  zwischen 
den  Lamellen  und  Fortsätzen  der  Bauchhaut,  oder  zwischen  ihr  und  den 
Bauchmuskeln  ,  Lendenmuskeln  etc. ,  entstanden  in  Folge  von  acuter,  sub- 
acuter oder  chronischer  Ptritonitis  (s.  d.  Art.). 

Abscessus  pestUeniiaUs.  Dieser  bösartige  Abscess,  der  vorzüglich  in  der 
Leistengegend,  unter  den  Achseln  etc.  vorkommt,  ist  nur  ein  Symptom  der 
Pest,  die  bei  uns  Gott  Lob  seit  vielen  Jahren  schon  ausgerottet  ist.  Be- 
handlung.    Wie  bei  Carbunculus.  (S.  Anthrax.) 

Abscessits  pharyngis.  Im  Schlundkopfe  kommen  selten  Abscesse  vor, 
und  nur  in  Folge  von  Laryngitis.  Dyspnoe,  Dysphagie,  convulsivischer 
Husten  bei  jedem  Genuss  von  Speisen  und  Getränken ,  —  diese  und  die 
Anamnese  dienen  zur  Erkenntniss  des  Übels.  Cur.  Ist  die  des  Absc.  fau- 
cium  (s.  d.  Alt.).  * 

Abscessm  phlegmonodes .  die  Entzündungsbcule,  So  heisst  jeder 
noch  nicht  reife,  also  no<:h  mit  Härte  und  Entzündung  verbundene,  dem- 
nach noch  in  der  Bildung  begriffene  Abscess,  im  Gegensaitze.  d«p:  Absc. 
aposteiüaticus.  .     •  ■  ■:  << ,    . 

Abscessus  prostatae.  Nur  selten,  und  dann  nur  b^i  recht  heftiger  Ent- 
zündung geht  die  Vorsteherdrüse  in  Eiterung  über  (s.  Inflammatio  pro- 
statae), wo  dann  nicht  der  Körper,  nur  die  Seitenlappeu  dieses  Or- 
gans in  Suppuration  übergehen  {Desault}.  Symptome:  ausser  denen  der 
Prostatitis ,  als  heftige  Schmerzen ,  Strangurie ,  Cystospasmus ,  Ischurie, 
Schleimabgang  durch  den  Urin,  Jucken  an  der  Eichel,  Unruhe,  Angst, 
Fieber,  Obstructio  alvi,  welche  vorhergehen  etc.,  fühlt  man  bei  der  Unter- 
snichung  durchs  Rectum  die  Prostata  hart,  von  der  Grösse  eines  Hühner- 
eies bis  zu  der  eines  Gänseeies  angeschwollen,  sehr  heiss ,  sehr  schmerz- 
haft, später  an  einer  oder  beiden  Seiten  fluctuirend;  die  Blutadern  am  Mast- 
darm sind  aufgetrieben,  Stuhl-  und  Urinabgang  erregen  heftigen  Schmerz, 
der  Kranke  hat  solche  Unruhe,  dass  er  keine  Minute  auf  einer  Steile  zu 
stehen  oder  zu  liegen  vermag  (^Rust).  —  Selten  öffnet  sich  der  Abscess 
nach  aussen,  selten  erlaubt  die  Lage  desselben  eine  künstliche  frühzeitige 
Öffnung,  so  nothwendig  dies  auch  wäre,  —  die  tiefliegenden  Abscesse  öff- 
nen sich  fast  immer  in  die  Blase,  oder  in  den  After,  oder  in  die  Harnröhre, 
erregen  dann  fast  inmier  fistulöse  Geschwüre,  Harafisteln,  Infiltrationen, 
Versenkungen  des  Eiters  nach  dem  Scrotum ,  nach  den  Schenkeln ,  in  die 
Beckenhöhle,  Febris  hectica,  Schwindsucht,  selbst  Brand,  Febris  putrida,  — 
worauf  im  letztern  Falle  der  Tod  zu  folgen  pflegt.  Der  günstigste  Ausgang 
bleibt  der,  wenn  der  Abscess  oberflächlich  liegt  und  sich  entweder  ins  Mit- 
telfleisch oder  in  die  Harnröhre,  wo  der  Eiter  mit  dem  Urin  fortgespölt 
wild,  öffnet,     Dennoch  bleiben  auch  lüer  nicht   selten  Stricturen   der  Harn- 


ABSCESSUS  37 

röhre,  Disposition  zu  Cystitis  und  neuer  Prostatitis,  grosse  Relzbarteit  der 
Harnorgane,  Dysurie  nach  der  geringsten  Erkältung,  Blennorrh»ea  vesicae 
urinariae  zurück.  Sind  zugleich  die  Ductus  ejaculatorii  durch  Eiterung  zer- 
stört,  so  leitet  der  Mensch  hinterher  oft  auch  an  PoUutio  diurna.  Be- 
handlung. Man  suche  die  noch  stattfindenden  entzündlichen  Zufälle  durch 
Antiphlogistica  und  knappe,  kühlende  Diät  zu  beseitigen,  und  dann  die  bal- 
dige Entleerung  des  Eiters  durch  erweichende,  nicht  reizende  Klystiere  Ton 
Oel  und  Haferschleim,  durch  Sitzbäder,  Breiumschläge  ins  Perinaeum,  durch 
Mercurialfrictionen  dahin  etc.  zu  begünstigen.  Wird  dadurch  die  Ischurie 
nicht  bald  gehoben ,  so  muss ,  so  schwierig  dies  auch  seyn  mag ,  nach  Som- 
vier,  der  Katheter  angewandt  werden,  wodurch  einerseits  die  Nothwendig- 
keit  des  Blasenstichs  umgangen,  andererseits  häufig  selbst  der  Abscess  ge- 
öffnet wird,  und  der  Eiter  dann  mit  dem  Harne  abtiiesst.  Der  Katheter 
muss  während  der  ganzen  Cur  in  der  Blase,  so  lange  als  Eiter  mit  dem 
Urin  abgeht,  liegen  bleiben,  um  Infiltrationen  des  Harns  in  die  Höhle  des 
Abscesses  zu  verhüten.  Am  zweckmässigsten  sind  deshalb  elastische  Kathe- 
ter, die  man  vor  dem  Einbringen,  weil  immer  etwas  Krampf  in  der  Harn- 
röhre stattfindet,  mit  etwas  Extr.  belladonnae,  mit  Ol.  hyoscyami  zusam- 
mengerieben, bestreicht  (^Most}.  Innerlich  passen  Emuls.  sem.  papaver  mit 
Sal  anglic. ,  um  auf  den  Stuhlgang  zu  wirken.  Fluctuirt  der  Abscess  deut- 
lich nach  dem  Mastdarme  hin,  so  kann  man  ihn  durch  einen  die  Mastdarm- 
wand trennenden  Einschnitt  öffnen,  doch  ist  dieser  Fall  selten.  (Vergl. 
Rusfs  Magazin.  Bd.  II.  S.  199.  Söminerring,  Über  tödtliche  Krankheiten  der 
Harnblase  und  Harnröhre  alter  Männer.  Frankfurt  1822.  Home,  Praktische 
Beobachtungen  über  die  Vorsteherdrüse.  Aus  d.  Engl.  v.  W.  Sprengel. 
Halle  1817.  Clwpart ,  Trait^  des  maladies  des  voies  urinaires.  Paris.  1821. 
Schmid,  W.,  Über  die  Krankheiten  d.  Harnblase,  Vorsteherdrüse  etc.  Wien 
1806.  Johnson,  Practical  observations  on  urinarj  gravel  and  stone -  disease 
of  the  prostate  gland  etc.  London  1806.  Fragile ,  de  curand.  hom.  mor- 
bis.    L.  VI.  I.  p.  520.). 

Abscessns  psoadicus,  der  Psoasabscess,  Lendenabscess.  Ist  ent- 
weder ein  Congestionsabscess  in  Folge  einer  Caries  der  Rückenwirbelbeine, 
oder  er  folgt  auf  acute  oder  chronische  Psoitis.  (S.  Inflammatio  musculi 
Psoas),  Symptome.  Unter  den  Zeichen  innerer  Eiterung  und  nach  vor- 
hergegangener Psoitis  acuta  oder  chronica  zeigt  sich  entweder  in  der  Len- 
dengegend ,  oder  am  Rücken ,  After ,  Mittelfleische ,  im  Hodensacke ,  am 
häufigsten  aber  an  der  Innern  Seite  des  Schenkels,  eine  bald  flu- 
ctuirende,  bald  pralle,  gleich  einem  Tumor  cysticus  anzufühlende,  und  be- 
sonders dann,  wenn  die  Geschwulst  an  der  Innern  Seite  des  Schenkels  er- 
scheint ,  von  einer  Balggeschwulst  gar  nicht  sinnlich  unterscheidbare  Eiter- 
geschwulst,  welche  früher  oder  später  aufbricht,  und  sich  nun  auch  wieder 
wie  ein  Bauch-  od«r  Congestionsabscess  verhält.  Die  Ursachen  sind  die- 
selben der  Psoitis  und  der  Caries  vertebrarum:  mechanische  Gewaltthätig- 
keiten ,  anhaltendes  Reiten ,  heftiger  Sprung ,  Tragen  schwerer  Lasten, 
Myelitis  im  Wochenbette  ,  Milchmetastasen ,  die  Operation  der  Synchondro- 
tomie ,  das  von  selbst  in  der  letzen  Zeit  der  Schwangerschaft  und  während 
der  Geburt  erfolgte  Auseinanderweichen  und  die  darauf  folgende  Eiterung 
der  Beckensymphysen  (s.  Malacosis  cartilaginum);  —  ferner  Gicht, 
Rheuma,  Syphilis,  Scropheln  etc.  Die  Prognose  ist  im  Ganzen  schlimm. 
Die  Cur  ist  die  der  Psoitis  und  des  Congestionsabscesses.  {Horns  Archiv. 
1809.  Mai.  S.  103 ,  Septbr.  S.  S07.  Journ.  de  M^decine  contin.  T.  XVII. 
p.  268.) 

Absccssus  pulmonum,  s.  Abscessus  pectoris  internus,  Inflam- 
matio pulmonum  und  Phthisis    pulmonalis    exulcerata. 

Ahscessus  rcmim ,  s.  Inflammatio  renum.  jWenn  nach  Nephritis 
acuta  oder  chronica  unter  den  Zeichen  innerer  Eiterung  (s.  Abscessus 
internus),  unter  fortdauernden  Harnbeschwerden,  beständigem  Klopfen 
in  der  leidenden  Stelle ,  unter  stumpfen ,  tauben  Schmerzen  und  lange  fort- 
währendem, nicht  dirch  Krisen  sich  entscheidendem,  plötzlich  gelinder  wer- 


aS  ABSCESSUS 

dendera  Fieber  eine  nach  aussen  In  der  Nierengegend  sicli  bildende,  weiche, 
fluctuirende  Geschwulst  zeigt ;  so  ists  gewiss ,  dass  es  ein  Nierenabscess  ist. 
Ging  chronische  Nephritis  vorher,  so  bildet  er  sich  langsam,  es  gehen  Wo- 
chen ,  Monate  darauf  hin;  er  nimmt  aber  immer  melir  an  Grösse  zu,  selbst 
bis  zu  14  S  (Porto?)»  J^  sogar  63  'S  Gewicht  und  4^4  Fuss  Umfang. 
Hier  ist  die  Niere  dann  in  eine  Art  häutiger  Tasche  verwandelt ,  welche 
graue ,  gleichförmige  und  feste  Wände  hat.  Oft  findet  man  statt  der  Niere 
nur  einen  blasigen ,  gefässreichen  Körper ,  in  welchem  der  Urin  gleichsam 
durch  blosse  Absieperung  bereitet  wird,  und  wo  man  von  den  Harnleitern 
aus  sogar  Luft  bis  in  die  Nierenarterien  blasen  kann  (^Sommer).  Zuweilen 
ist  der  Sitz  des  Abscesses  die  Nierenkapsel  oder  das  diese  umgebende  fettige 
Zellgewebe,  wo  dann  die  Niere  unverletzt  in  einem  grossen  Eitersacke  liegt. 
Sind  in  der  Niere  mehrere  kleine  Abscesse,  so  enthält  sie  in  ihrer  Höhlung 
oft  auch  kleinere  oder  grössere  Steine,  die  sich  bei  der  Stockung  des  Urins 
im  Abscesse  leicht  erzeugen  und,  nach  der  Erfahrung,  demnach  häufiger 
Folge  als  Ursache  der  Nierenvereiterung  sind.  —  Bei  jedem  Nierenabscess 
leidet  das  Allgemeinbefinden,  wegen  der  Schmerzen,  des  Säfteverlustes  und 
des  fortwährenden  zur  Febris  hectica  übergehenden  Fiebers.  Der  günstigste 
Ausgang  ist  der,  wo  sich  der  Abscess  nach  aussen  öffnet  und  so  der  Eiter, 
mit  welchen  meist  auch  Nierensteine  zu  Tage  kommen,  Ausfluss  erhält. 
Leert  sich  der  Eiter  durch  einen  andern  Weg  aus,  z.  B.  durch  die  Gedärme, 
durchs  Zwerchfell  nach  den  Lungen,  so  ist  dies  nicht  so  erwünscht.  Zu- 
weilen bildet  er  Congestionsabscesse ,  indem  er  sich  nach  der  Inguinalge- 
gend,  nach  dem  Hodensack,  durch  die  Lenden  -,  Bauch  -  und  Schenkelmus- 
keln bis  nach  der  Wade  hin  senkt,  doch  ist  dies  selten,  und  der  häufigste 
Ausgang,  den  nach  aussen  abgerechnet,  ist  der,  dass  der  Eiter  duich  die 
Harnleiter  in  die  Blase  geht,  wo  dann  heftige  Schmerzen,  Ohnmächten, 
Krämpfe ,  plötzliche  Ischurie  sich  einstellen ,  die ,  wie  die  Nierenaffection, 
schnell ,  sobald  der  mit  Eiter  vermischte  Harn  wieder  in  Fluss  kommt,  ver- 
schwinden. Die  Prognose  ist,  selbst  bei  anscheinend  guten  Verhältnissen, 
ungünstig  zu  stellen,  indem  der  Kranke  entweder,  was  oft  geschieht,  plötz- 
lich stirbt,  oder  langwierigen  Nierenfisteln,  Nieren  -  und  Blasensteinen ,  dem 
Eiterverluste,  hektischem  Fieber,  wozu  sich  Hydrops  gesellt,  endlich  unter- 
liegt (Sojunicr) ,  d.  h.  an  Phthisis  renalis  und  deren  Folgen  stirbt.  S.  d.  Art. 
(S.  Bonnet  Sepulchr.  anat.  L.  HL  Sect.  2L  obs.  8,  obs.  23.  Morgagni 
Ep.  XL.  art.  12.  18.  42.  art.  13.  20.  28.  Zeviani  in  WeigcVs  med.  chir. 
Bibl.  II.  St.  2.  p.  215.  Ruijsch  Obs.  anat.  chir.  n.  13.  Dcschnmps  in  Journ. 
gen.  de  Medec.  T.  XXVI.  p.  276.).  Cur.  In  acuten  Fällen  ist  die  Behand- 
lung wie  bei  Nephritis,  in  chronischen  wie  bei  Phthisis  renalis  hinsichtlich 
der  Innern  Cur ,  wo  wir  stärkende ,  nährende  Mittel ,  nach  den  Umständen 
Kalkwasser,  Selterwasser  mit  Milch,  Salep,  Arrowroot,  China,  isländisches 
Moos  etc.  verordnen  (s.  Rust's  Magazin,  Bd.  XXIV.  S.  439.),  Ruhe  des 
Kranken,  zweckmässige  Lage  auf  der  leidenden  (meist  der  linken)  Seite, 
Kataplasmen  von  erweichenden  Mitteln ,  Schröpfköpfe  in  die  leidende  Ge- 
gend, bei  kaltem,  chronischen,  nicht  mehr  mit  Entzündungszufällen  verbun- 
denen Abscess  Vesicatorien  dahin ,  um  den  Abscess  nach  aussen  zu  leiten,  • — 
eine  halb  aufrecht  sitzende  Stellung  und  sanfte  Erschütterungen  des  Körpers 
durch  Husten ,  Niesen  etc. ,  um  den  Eiter  nach  den  Harnleitern  und  der 
Harnblase  zu  führen,  —  diese  Mittel  hat  man  empfohlen.  Bildet  der  Eiter 
äusserlich  eine  fluctuirende  Geschwulst ,  so  öffne  man  früh ,  und  sorge  be- 
sonders dafür ,  dass  die  im  Abscesse  festsitzenden  Steine  entfernt  werden. 
Hat  sich  ein  Congestionsabscess  in  der  Leistengegend,  am  Schenkel ,  an  der 
Wade  gebildet;  so  behandle  man  diesen  nach  den  Kunstregeln.  S.  Absces- 
sus    congestivus. 

Ahscessus  sncci  lacrymalis,  s.  Dacryocystitis  und  Fistula  la- 
crymalis. 

Ahscessus  sangmneus ,  Blutabscess.  Bedeutende  Contusionen ,  z.  B. 
am  Kopfe  der  Neugebornen  durch  schwere  Geburt ,  Blutaderknoten  gehen 
zuweilen   in  Eiterung  über;    der  Eiter  ist   hier  schwärzlich,   blutig.     Cur. 


ABSCESSUS  39 

Die  allgemeine  der  Abscesse.  Man  verbindet  iiiit  Decoct.  chinae^  quercus, 
macht  spirituöse  Umschläge  ,  welche  Mittel  dem  Übel  auch  vorbeugen  ,  und 
vermeidet  alle  fettige  Salben  und  Pflaster.  Ist  die  Blutgeschwulst  bei  Neu- 
gebornen  sehr  gross ,  schon  über  8  Tage  alt  und  sind  die  gewöhnlichen  Mit- 
tel gegen  Quetschung  (aromatische  UmscWSge  mit  Wein,  Wein  und  Essig  etc.) 
fruchtlos  angewandt  worden,  so  säume  man  nicht,  dieselbe  zu  öffnen  und 
den  Blutklumpen  auszudräcken,  sonst  entsteht,  wartet  man  hier  die  Eitei-ung 
ab,  leicht  Caries  der  Kopfknochen  (s.  Contusio  und  Cephalophyma). 

Abscessus  santiuineus  capitis  neonatorum,    s.  Abscessus  sanguineus. 

Ahscessus  scroti.  Der  Hoden sackabsccss  ist  entweder  ein  auf  Ent- 
zündung des  Scrotums  (die  häufig  erysipelatöser  Natur  ist)  folgendes  Übel, 
wo  der  Abscess  oft  die  Natur  eines  Furunkels  hat ;  oder  es  ist  ein  Con- 
gestionsabscess ,  und  der  Eiterherd  die  Prostata ,  die  Niere ,  der  Psoasmus- 
kel ,  das  Hüftgelenk  etc. ;  oder  Harninfilti'ationen  im  Scrotum  erregen  durch 
ihren  Reiz  erysipelatöser  Entzündung  und  Exulceration  mit  brandiger  Zer- 
störung, oft  des  ganzen  Scrotums,  so  dass  es  abfällt  und  der  Hoden  ent- 
blösst  daliegt.  Aber  trotz  der  furchtbaren  Aussenselte ,  die  eine  solche  ulce- 
rative  Zerstörung  darbietet  —  sagt  Rust ,  —  hat  sie  dennoch  in  der  Regel 
wenig  zu  bedeuten  ;  denn  die  Natur  ersetzt  oft  In  sehr  kurzer  Zeit  und  bei 
der  einfachsten  Behandlung  mittels  lauer  Fomente  alles  Verlorengegangene 
durch  Bildung  eines  neuen  Überzuges  oder  Pseudoscrotums.  Cur  der  Ho- 
densacksabscesse.  Ist  die  gewöhnliche  der  Abscesse,  des  Furunkels, 
des  Congestlonsabscesses  etc. ,  nach  den  bekannten  Regeln.  (S.  auch  I  n  - 
flammatio  scroti.) 

Alscessus  Sintis  frontalis.  Ist  selten,  weil  die,  die  Stirnhöhlen  aus- 
kleidende Schleimhaut  nach  Entzündung  eher  zur  Auflockerung,  Verdickung 
und  Polypenbildung ,  als  zur  Eiterung  neigt.  Am  häufigsten  folgt  der  Ab- 
ecess  noch  auf  mechanische ,  traumatische  Verletzungen  :  Stoss ,  Schlag , 
Quetschung,  Verwundung  und  daher  rühiende  Entzündung  (s.  Inflamma- 
tio  sinuum  frontalium),  wenn  die  Zertheilung  nicht  bewirkt  wird. 
Der  Schmerz  ist  alsdann  fix ,  klopfend ,  bohrend ,  dabei  Druck ,  Schwere  in 
■  der  leidenden  Stirnhöhle,  Stockschnupfen  an  der  correspondirenden  Nasen- 
hälfte ,  Anschwellen  des  obern  Augenlides  luid  der  leidenden  Hälfte  der 
Stirn,  zuweilen  Ausfluss  eines  elgenthümllch  stinkenden,  höchst  widerlich  rie- 
chenden Elters.  Später  dehnen  sich  die  Stirnhöhlenwände  aus,  häufiger  die 
hintere  als  die  vordere  Wand,  weil  sie  dünner  ist  und  weniger  Widerstand 
leistet  (Boyer).  Sie  wölbt  sich ,  drückt  aufs  Gehirn ,  worauf  Stumpfheit 
der  Sinne,  Schwindel,  Amaurose,  gestörte  Denkkraft  folgen.  Zuweilen  bil- 
det sich  aber  auch  die  Eiterung  langsam,  und  die  Zufälle  sind  dann,  indem 
sich  das  Gehirn  allmällg  an  den  Druck  gewöhnt,  nur  gering  (DieffcnhacK). 
Der  glücklichste  Ausgang  ist  der,  dass  sich  der  Eiter  früh  genug  in  die 
Nase  entleert,  worauf  selbst  die  Ausdehnung  der  knochigen  Wände  sich 
allmällg  giebt,  was  Dieff'enhach  mehrere  Male  beobachtete;  mit  glücklichem 
Erfolge  entleerte  sich  dann  wol  eine  Unze  dünnen,  gelblichen  Eiters.  Häu- 
fig ist  aber  der  Nasengang  (bekanntlich  der  mittlere) ,  der  mit  der  Stlrur 
höhle  zusammenhängt,  wegen  seiner  Länge  und  Enge  zu  eng,  um  dem  Ei- 
ter gehörigen  Abfluss  zu  verschaffen.  Daher  Ist  der  schlimmere  Ausgang  in 
Verdünnung  und  Ausdehnung  der  Knochenwände  weit  häufiger,  und  leidet 
vorzüglich  die  hintere  Wand,  so  bricht  diese  zuletzt,  der  Eiter  dringt  in 
die  Schädelhöhle  und  erregt  Lähmungen,  Convulslonen ,  schleichende  Ence- 
phalitis erysipelatodes  und  Tod.  Cur.  Man  muss  vor  allem  dem  Eiter 
einen  freien  Abfluss  verschaffen,  bevor  schon  Knochenauftrelbung,  beson- 
ders nach  hinten  zu ,  oder  gar  Eltererguss  in  das  Gehirn  erfolgt  ist.  In 
dieser  Absicht  bohren  wir  mittels  der  Trephlne  oder  eines  Trepans  die 
Stirnhöhle  früh  genug  an,  bevor  Amaurose  und  die  übiügen  secundären 
Hirnleiden  sich  zeigen.  Ist  der  Elter  dadurch  entleert,  so  sorge  man  für 
freien  Abfluss  desselben  durch  Einlegen  von  spitzen  Wieken,  und  achte  auf 
den  Zustand  der  Schleimhaut  und  der  Knochenwände.  Zuweilen  werden 
noch  erschlaffende,   häufiger  reizende,   austrocknende  Uinscliläge,  besonders 


40  ABSCESSÜS 

aber  solche  Einspritzungen  erforderlich;  z.  B.  R;  Infus,  flor.  chamomill.  ^vj, 
Land,  liquid.  Syd.  5j-  M.  Oder  auch,  wenn  der  Elter  sehr  stinkend  ist: 
i^  Aquae  Icreosotae,  —  chamomiUae  ana  jjj.  M  (Most),  desgleichen  fol-^ 
gendes :  I^r  Aqnnc  calcar.  tisinc  3IV.  Tinct.  iivjrrhac  5IV.  M.  Sind  schon  Sin- 
nesstumpfheit, Lähmungen  und  andere  Hirnaffectionen  eingetreten,  so  folgt 
in  der  Regel  der  Tod.  (S.  auch  Beer's  Lehre  von  den  Augenkrankheiten. 
Wien,  1817.  Bd.  IL  p.  566.  Lnn.jcnhccVs  Bibliothek,  1806.  Bd.  1.  Dcs- 
chnmps  le  jeune,  Traite  des  maiadies  des  fosses  nasales  et  de  leurs  sinus. 
Paris.  An.  XL  Richier,  Med.  u.  Chirurg.  Bemerkungen.  L). 

Ähscessus  sinus  maanllaris,  s.  Abscessus   antri  Highmori. 

Ahscessus  spurius,  Pscttdoahscessus ,  Tumor  puriforviis.  Ist  die  Folge 
oder  das  Product  exsudativer  und  lymphatischer  Entzündung,  eine  ohne 
die  Zeichen  der  Abscessbildung  entstehende  Geschwulst ,  die  ein  schmieri- 
ges ,  gelatinöses ,  wildes ,  geruch  -  und  geschmackloses,  eiweiss^itoffiges  Flui- 
dum  (keinen  Eiter)  enthält,  kein  Eiterungsfieber,  keine  Zerstörung  organi- 
scher Gebilde  herv-orbringt ,  und  entweder  so  verschwindet ,  oder  Indura- 
tion, Afterorganisation  hinterlässt. 

Ahscessus  symptomaticits ,  Atsccssus  pet  congesiionem ,  Dcp&t  bei  den 
Franzosen,  der  Congestionsabscess.  So  werden  alle  jene  Abscesse 
genannt ,  welche  als  Symptom  irgend  einfer  andern  Kranklieit ,  die  das 
Grundübel  ist,  auftreten.  Dahin  gehören  als  dyskrasischen  Abscesse,  her- 
rührend von  Syphilis,  Scrophulosis ,  Arthritis,  Scorbut  etc.,  alle  aus  Hä- 
morrhoidal  -  und  Menstnialataxien  entstandene  Abscesse  (Furunkeln),  die 
Congestionsabscesse  in  Folge  von  Caries  vertebrarum,  von  Psoitis,  Ne- 
phritis ,  die  kritischen  und  metastatischen  Abscesse  etc. ,  deren  Behand- 
lung stets  mit  Berücksichtigung  des  Grundübels  und  der  Natur  des  topi- 
schen Leidens  eingeleitet  werden  muss.  Der  Congestionsabscess  tritt  meist 
sehr  langsam,  ohne  alle  Entzündung,  wie  ein  Absc  lymphaticus  auf,  dage- 
gen der  raetastatische  Abscess  sich  schnell  und  unter  entzündlichen  Zufallen 
ausbildet.  Der  Sitz  dieser  Eiterdepots,  Avie  die  Franzosen  den  Congestions- 
abscess richtig  nennen,  ist  zwischen  dem  Zellgewebe,  zwischen  den  Mus- 
keln ;  vorzüglich  kommen  sie  in  der  Lenden  -  und  Leistengegend  (Absc. 
iumbalis ,  psoadicus)  ,  am  Becken ,  an  den  Glutäen  ,  am  Scrotum ,  an  den 
Schenkeln,  am  Halse,  an  der  Wade  vor.  Symptome  sind:  oft  wenig 
Schmerz ,  Taubheit  im  leidenden  Gliede ,  Prickeln ,  Stechen ,  gesteigerte 
Empfindlichkeit  an  einigen  Stellen  des  Rückgrats,  auffallendes  Hervorstehen 
einiger  Stachelfortsätze  der  W^irbelbeine;  oder  es  sind  die  Zeichen  einer  in 
Eiterung  übergegangenen  Hepatitis,  Nephritis,  Peritonitis  vorhergegangen. 
Cur.  Wir  berücksichtigen  das  Grundübel,  brennen  mit  einem  Glüheisen 
einige  Zoll  lang  zu  beiden  Seiten  die  verdächtige  Stelle  des  Rückgrats, 
welches  Mittel  allen  andern  vorzuziehen  ist  (Riist) ,  behandeln  die  Psoitis, 
Hepatitis ,  Nephritis  etc. ,  geben  bei  hektischem  Fieber  China ,  gute  Nu- 
trientia  u  s.  f.  Örtlich  behandeln  wir  den  Eiterdepot  dergestalt,  indem 
wir  den  Abscess  von  oben  bis  unten  durch  einen  grossen  Schnitt  spalten 
(sobald  wir  Caries  vermuthen) ,  sonst  kann  man  ihn  durch  die  Punction 
oder  durch  ein  Causticum  öffhen;  besser  bleibt  aber  der  Schnitt  und  die 
dadurch  erregte  Entzündung. 

Alscesstts  tesliculorum ,  HodenabscesS.  Ist  zuweilen  der  Ausgang 
acuter  oder  chronischer  Entzündung  des  Parenchyms  oder  der  Hüllen  des 
Hodens  oder  Nebenhodens,  wobei  sich  diese  nicht  zertheilt,  sondern  unter 
wiederholten  Frostanlallen ,  äusserst  h'eftigen  klopfenden  Schmerzen  und 
allmälig  deutlicher  werdender  Fluctuation  einen  Abscess  bildet.  Der  Eiter 
hat  einen  .salzigen  Geschmack,  riecht  eigenthümlich  stinkend,  sielit  grünlich 
aus  und  zieht  Fäden.  Das  Übel  ist  selten  ,  doch  in  sparsamen  Fällen  von 
Bnillie ,  Sömmerrivg  und  Lnrrcy  beobachtet  worden.  Wichtig  ist  der  Um- 
stand, dass  die  Heilung  des  Abscesses  oft  nur  unvollkommen  stattfindet,  so 
dass  eine  Samenfistel  (Fistula  seminalis)  zurückbleibt,  die  den  Kranken  in 
Hektik  stürzen  und  den  Tod  (durch  den  fortwährenden  starken  Sanienver- 
lüÄt)  herbeiführen  kann,    wenn  die  Heilung  nicht  gelingt  und  dann  die  Ca- 


ABSCESSÜS  41 

stration  nicht  bald  vorgenommen  wird.  (^Acrel ,  Chirurg.  Vorfiille.  I.  S.  46S. 
—  Petit,  Traite  des  malad,  chirurg.  II.  p.  513.  —  v.  Siehohrs  Samml.  Chi- 
rurg. Beobacht,  IJI.  S.  387).  Cur.  Wegen  der  Schwierigkeit,  sich  von 
der  Gegenwart  des  Eiters  in  Folge  von  Orchitis  zu  überzeugen,  da  am 
Hoden  nicht  jede  Fluctuation  auf  Eiter  deutet,  übereile  man  sich  mit 
der  Eröffnung  solcher  Hodenabscesse  nicht ,  und  man  fahre  mit  den  zerthei- 
lenden  aromatischen  Fomenten  und  Umschlägen,  mit  den  Mercurialfrictio- 
nen  etc.  so  lange  fort,  bis  man  von  der  Gegenwart  des  Eiters  völlig  über- 
zeugt und  der  Aufbruch  des  Abscesses  nahe  ist.  Dann  öffne  man  am  Hoden 
selbst  (nicht  am  Nebenhoden ,  wo  man  die  Samenkanälchen  verletzen  kann), 
die  Elt  erbeule  durch  einen  nur  oberflächlichen  Lanzetten  stich.  Hat  die  Eite- 
rung das  Hodengewebe  selbst  schon  ergriffen ,  wobei  der  Eiter  den  specifi- 
schen  ammoniakalischen  Samengeruch  hat  und  mit  langen  Aveisslichen  Fäden 
gemischt  erscheint ,  so  darf  man  die  erweichenden  Umschläge  nicht  mehr 
fortsetzen ,  sondern  muss  dagegen  Überschläge  von  Aq.  Goulardi  machen 
(^Rust).  Alle  Salben  müssen  vermieden  und  der  Abscess  trocken  verbunden 
werden.  Zur  Unterstützung  der  Kräfte  dienen  China,  Mineralsäuren,  Quas- 
sia ,  gute  animalische  Kost ,  und ,  um  die  Samenabsonderung  zu  verringern, 
auch  einzelne  Dosen  Kampher.  Bleibt  eine  Fistula  seminalis  zurück ,  so  ver- 
suche man  sie  durch  das  Betupfen  mit  Höllenstein ,  dui'chs  Glüheisen ,  zu 
heilen;  gelingt  es  nicht,  so  muss  der  leidende  Testikel  ausgeschält  werden. 
(Vergl.  Castratio). 

Acscessus  ionsillanim,  s.  Angina  suppuratoria  und  Angina  ton- 
sillaris. 

Ahscessus  irachealis.  Er  ist  der  seltene  Ausgang  derjenigen  Art  Tra- 
cheitis ,  welche  man  Tracheiiis  sicca ,  musculnris ,  frofunda  nennt ,  welche 
mehr  bei  Erwachsenen  vorkommt ,  dagegen  die  Tracheitis  infantills  (^Croup) 
nur  den  Ausgang  in  Exsudation  nimmt.  Die  Zufälle  sind  denen  der  Angina 
merabranacea  sehr  ähnlich,  die  Erstick  ingsnoth  oft  gross;  dabei  convulsivl- 
sche  Respiration ,  Fieber ,  trockner  Husten ,  Krämpfe  etc.  Der  Abscess 
bricht  im  günstigsten  Falle  unter  heftigem  Husten  auf,  und  der  Eiter  wird 
durch  den  Mund  entleert.  Zuweilen  erstickt  der  Kranke  vor  Aufbruch  des 
Abscesses.  Das  schlimme  Übel  ist  selten ,  kommt  meist  nur  bei  Erwachse- 
nen mit  Habitus  phthisicus  vor,  und  hinterlässt  dann  fast  immer  Phthisis 
trachealis.  Behandlung.  Ist  anfangs  die  antiphlogistische,  derivirende, 
später  bei  den  Zeichen  der  Eiterbildung  die  des  Kehlkopfabscesses  (s.  Absc. 
laryngis).  Viele  von  den  Autoren  angeführte  Fälle  von  Croup  bei  Er- 
wachsenen gehören  hieher,  indem  man  eine  Tracheitis  muscularis  mit  Angina 
merabranacea  verwechselte  (s.  Horn's  Archiv  1811.  Jan.  S.  142). 

Ahscessus  tr actus  intestinalis.  Darmabscesse  kommen  nur  selten  in 
Folge  von  Enteritis  vor,  die  häufiger  in  Brand  übergeht  (s.  Inflamma- 
tio  intestinorum).  Waren  ehi gedrungene  fremde  Körper  Veranlassung 
der  Entzündung,  oder  haben  sich  Spulwürmer  an  einer  Stelle  des  Darmka- 
nals angehäuft  und  festgesetzt,  so  kann  die  Eiterbildung,  nach  Rust  (s. 
dess.  Magaz.  Bd.  27.  S.  389),  noch  am  ersten  stattfinden.  Symptome 
des  Darmabscesses  sind:  Nachlass  der  Entzündungszufälle  ohne  die  be- 
kannten Krisen ,  fortwährendes  Erbrechen,  Obstructio  alvi,  dumpfer  Schmerz 
und  Auftreibung  des  Unterleibes ,  kleine  Frostanfalle ,  Ohnmächten ,  Angst, 
Schluchzen ,  Mattigkeit ,  Febris  remittens ,  Abendexacerbationen ,  später  Fe- 
bris  hectica.  Nach  14  —  SOlägigem  Verlauf  solcher  Zeichen  innerer  Eiter- 
bildung geht  mit  dem  Stuhlgange,  zuweilen  auch  mit  dem  Urin,  Eiter  ab, 
und  die  purulente  Diarrhöe  ist  oft  anhaltend.  Cur.  Vermeidung  alles  Rei- 
zenden, innerlich  nur  Emulsionen,  Milchdiät,  schleimige  Suppen,  Selter- 
wasser, Kalkwasser  mit  lauwarmer  Milch ,  Liehen  islandicus  etc.  (s.  Phthi- 
sis intestinalis).  Zuweilen  bricht  der  Abscess  nach  aussen  auf  und  es 
folgen  dann  Darm-  und  Kothfisteln  (s.  Fistula  stercorea). 

Ahscessus  uretKrac,  Harnröhrenabs c es s.  Er  ist  einer  der  Aus- 
gänge der  Entzündungsgeschwulst  der  Harmöhre  (ä.  Inflammatio  Ure- 
thra e),  wo  dann,  wenn  sie  acut  ist,  grosse  Empfindlichkeit  im  Rlittelflei- 


42  ABSCESSUS 

sehe,  Hitze,  Geschwulst,  Strangurie,  blutiger,  eiteriger  Ausfluss  aus  der 
Harnröhre,  Vergrösserung  der  Geschwulst  während  des  Hamens,  Verminde- 
rung, selbst  Verschwinden  derselben  gleich  nach  angewandtem  Druck,  wo- 
bei Urin  und  Eiter  ausfiiesst ,  —  im  spätem  Verlaufe  und  bei  mehr  chro- 
nischem Leiden  eine  harte,  callöse,  vom  Damm  oder  Scrotum  ausgehende, 
bis  nach  der  Urethra  sich  erstreckende,  durch  Urininfiltrationen  entstandene 
Geschwulst,  als  diagnostische  Zeichen  auftreten.  Ursachen  sind:  häufig 
Stricturen ,  wodurch  der  Urin  zurückgehalten  wird  und  sich  dann  der  Ab- 
scess  über  der  Strictur  bildet  (s.  Strictura  Urethra  e)",  rohes  Kathete- 
risiren  ,  unvorsichtige  Anwendung  des  Causticums  bei  Stricturen  (ich  habe 
diese  letztecn  durch  fortgesetzte  Anwendung  gewöhnlicher,  allmälig  dicker 
ausgewählter  Bougies  fast  immer  entfernt  und  bin  von  der  Application  des 
Causticums  ganz  zurückgekommen;  Most),  —  Abscesse  der  Prostata.  Cur. 
Ist  die  der  Urinabscesse  und  der  unvoUkommnen  Innern  Harnfistel  (s.  Ab- 
scessus  urinosus  und  Fistula  urinaria). 

Ahscessus  m'inosus ,  Urinabscess,  Harngeschwulst.  Ist  ein  Ab- 
scess ,  der  diu^ch  Extravasation  des  Harns  aus  einem  mechanisch  oder  dyna- 
misch verletzten  Harnbehälter  entstanden  ist.  Ursachen  sind :  Harnsteine, 
Stricturen,  welche  den  Urin  zurückhalten,  VerwTindung,  Quetschung  des 
Mittelfleisches  mit  Zerreissung  der  Harnblase,  der  Urethra,  Durchstossung 
der  Pars  membranacea  bei  ungeschickter  Anwendung  des  Katheters ,  der 
Bougies ,  heftige  Erschütterung  bei  voller  Blase ,  Abscesse  in  der  Nähe  der 
Harnbehälter.  Symptome.  Sind  nach  Verschiedenheit  der  verletzten 
Theile  und  ihrer  Lage,  und  je  nachdem  der  Harnabgang  noch  frei  oder  gehin- 
dert ist ,  verschieden.  Ist  das  Nierenbecken  oder  der  obere  Theil  des 
Harnleiters  durchbrochen,  so  tritt  der  Urin  gewöhnlich  in  die  Regio  lura- 
balis  und  iliaca  in  das  Zellgewebe  zwischen  dem  Damm  und  der  Nach- 
barschaft desselben.  Ist  der  untere  Theil  eines  Ureters  oder  die  Harnblase 
in  der  Gegend  ihrer  Suius  verletzt ,  so  dringt  der  Urin  meist  immer  in  die 
Beckenhöhle ;  —  ist  in  Folge  hartnäckiger  Ischurie  und  bei  höchst  ausge- 
dehnter Blase  durch  vernachlässigte  Hülfe  (Blasenstich)  die  Harnblase  aii 
den  vordem  Wandungen,  am  Fundus,  geplatzt  (hier  die  gewöhnliche 
Stelle) ,  so  Avird  der  Urin  in  die  Schamgegend  ergossen ,  steigt  dann 
mitunter  selbst  zwischen  dem  Bauchfell  und  den  Bauchnuiskeln  in  die  Höhe, 
oder  er  tritt  —  der  häufigere  Fall  —  durch  den  Bauchring  in  die  Inguinal- 
gegend ,  bei  Männern  ins  Scrotum ,  bei  Frauen  längs  der  breiten  Mutter- 
bänder in  die  Schamlefze.  Ist  endlich  die  Trennung  in  der  Harnröhre  er- 
folgt, so  senkt  sich  der  Harn  nach  dem  Damm  und  Scrotum.  Übrigens  mo- 
dificiren  zufällige  Umstände ,  die  Lage  des  Kranken  etc. ,  oft  diese  Directio- 
nen.  Zuweilen  verbreitet  sich  der  extravasirte  Harn  über  einen  grossen 
Theil  des  Körpers ,  .selbst  bis  unter  die  Haut  des  Abdomen  oberhalb  der 
Hypochondrien,  an  den  Seiten  der  Brust,  nach  ujiten  bis  in  den  Penis,  zu 
den  Schenkeln,  den  Nates  etc.  Unbedeutender  ist  diese  Erscheinung,  wenn 
der  Urin  wieder  auf  natürlichem  Wege  ausfiiesst  und  sich  nui*  in  einen  be- 
sondern Sack  ergossen  hat.  Die  Diagnose  ist  am  schwierigsten  ,  wenn 
sich  die  Urinextravasation  auf  die  Regio  lumbalis ,  iliaca  und  das  innere 
Becken  beschränkt ,  und  sich  nicht  äusserlich  offenbart.  ,,!Man  kann  sie 
muthmassen,  —  sagt  Ecli  in  RusVs  Chirurgie,  Bd.  L  S.  212  ff.  —  wenn 
z.  B.  nach  einer  Ischuria  ureterica  oder  vesicalis  der  Patient  mit  einemmale, 
ohne  dass  der  Urin  auf  dem  natürlichen  Wege  abgeflossen  ist ,  eine  grosse 
Erleichterung  spürt,  in  demselben  JNIomente  aber  auch  eine  Art  von  Prickeln 
in  der  Lenden-  oder  Beckenge^end  fühlt,  und  auf  die  Erleichterung  sehr 
bald  noch  üblere  Symptome  als  die  früher  bestandenen,  namentlich  nervöser 
Art:  Schluchzen,  Erbrechen,  hitziges  Fieber  etc.  folgen.  Der  Tod  ist  hier 
der  gewöhnliche  Ausgang."  Weniger  gefährlich  für  den  Augenblick  und 
sicherer  in  der  Erkenntniss  ist  das  äusserlich  sichtbare  Übel ,  wo  der  Harn- 
abscess  (richtiger  die  Harn  enthaltende  Geschwulst ,  Most)  nach  vorherge- 
gangoner  Ischurie  und  unter  plötzlichem  Nachlass  der  Beschwerden,  am 
Mitteltteische ,    Hodensack,    an  der  Lende,    zwischen  der  Wurzel  des  Penis 


ABSCESSUS  43 

und  der  Schambeinvereiingung ,  als  eine  schwappende ,  beim  Druck  etwas 
knisternde ,  gespannte ,  ödematös  glänzende  Geschwulst  erscheint ,  die  in 
wenigen  IVIinuten  zusehends  grösser  wird  und  sich  dann  bald  unter  dem  Zell- 
gewebe weiter  und  weiter  ausbreitet.  Wird  nun  schnell  dem  Harn  durch 
einen  Einstich  Abfluss  Terschafft  (leider!  kommt  man  in  der  Regel  nicht 
früh  und  schnell  genug  in  der  Privatpraxis  zu  solchen  Kranken) ,  so  ver- 
breitet sich  die  Geschwulst  nicht  weiter,  und  es  wird  den  schlimmen  Fol- 
gen (pseudoerysipelatöse  Entzündung  und  brandige  Zerstörung  grosser  Flä- 
chen des  Zellgewebes)  vorgebeugt.  —  In  andern  Fällen  erfolgt  die  Extra- 
vasation  nicht  so  plötzlich  und  nicht  in  so  grossen  Massen ;  der  Verlauf  ist 
hier  mehr  chronisch,  die  Zufälle  sind  ganz  anders,  indem  z.  B.  der  Harn 
nur  tropfenweise  und  periodisch ,  zumal  beim  Drängen  und  Harnlassen ,  ins 
Zellgewebe  infiltrirt.  Hier  ist  die  Geschwulst  nicht  fluctuirend,  nicht  ent- 
zündet, sondern  hart,  wie  Knochen,  von  Gestalt  rundlich,  strickförmig ,  sie 
lässt  sich  nicht  frei  umgreifen ,  erstreckt  sich  stets  bis  zur  Stelle ,  wo  die 
Harnröhre  oder  Harnblase  geplatzt  ist ,  sitzt  meist  am  Damm  ,  in  der  Ge- 
gend des  Hodensacks,  und  könnte  mit  Exostose,  mit  scirrhösei!-  Drüsenver- 
härtung leicht  verwechselt  werden,  wenn  der  Umstand,  dass  sie  variabel 
ist,  d.  h.  an  einem  Tage  grösser,  härter,  strickartiger,  zu  anderer  Zeit 
kleiner  erscheint ,  nicht  einiges  Licht  gäbe.  Die  hier  constante  Härte  ist 
Px'oduct  einer  sog.  schleichenden  durch  den  Reiz  des  Harns  im  Zellgewebe 
hervorgerufenen  Entzündung  und  Induration ,  und  die  Metamorphose  we- 
sentlich wol  eins  mit  der  Induratio  telae  cellulosae  neonatorum  (M.)  In 
diesem  Zustande  kann  die  Harngeschwulst  oft  viele  Monate  verharren ,  ehe 
sie  aufbricht  und  zur  Harnfistel  wird.  Behandlung.  Bei  innern  Harn- 
extravasationen  vermag  die  Kunst  nichts ,  —  der  Mensch  stirbt !  Äussere 
Harngeschwülste ,  z.  B.  in  der  Lendengegend ,  öffnen  wir  und  suchen  den 
Harnfluss  auf  dem  normalen  Wege  durch  Entfernung  der  Ursachen ,  der 
Strictur,  des  etwa  eingeklemmten  Steins  etc.,  wieder  herzustellen.  Oft 
sitzt  ein  Stein  im  Grunde  der  Geschwulst ,  den  wir  mit  der  Zange  entfer- 
nen. Wo  es  irgend  angeht,  müssen  wir  einen  elastischen  Katheter  in  die 
Blase  bringen  und  ihn ,  um  den  Harnfluss  zu  regeln ,  fortwährend  liegen 
lassen.  Bei  kleinen  Harngeschwülsten  ist  dies  oft  allein  hinreichend,  und 
die  Öffnung  derselben  nicht  einmal  immer  nöthig.  Hat  sich  der  Harn  weit 
im  Zellgewebe  verbreitet,  so  müssen  oft  mehrere  Einschnitte  mit  dem  Bi- 
stouri an  verschiedenen  Stellen  gemacht  werden ,  die  tief  genug  sind  ,  damit 
der  Harn  ausfliessen  kann,  was  durch  Drücken  und  Streichen  noch  beför- 
dert wird.  Selten  gelingt  es,  die  einmal  mit  dem  Urin  in  Berührung  ge- 
tretenen Theile  vor  der  Zerstörung  zu  retten,  wogegen  innerlich  Roborantia 
und  äusserlich  Antiseptica  zu  versuchen  sind.  Ist  der  Zellstoff  sehr  verhär- 
tet, z.  B.  bei  der  langsam  entstandenen  steinharten  Harngeschwulst;  so 
dienen  nach  gemachter  Öffnung  erweichende  Kataplasmen  und  Pflaster, 
auch  Unguent.  mercuriale ,  Ol.  terebinth. ,  Linim.  volatile  zum  Einreiben  (s. 
Bell,  Abhandl.  über  die  Krankh.  d.  Urethra,  der  Harnblase,  der  Prostata 
und  des  Mastdarms.  1820.  A.  d.  Engl,  übers,  in  der  chirurg.  Handbibliothek, 
Bd.  IL  Weimar  1821.  S.  224  u.  f.). 

Ahscesstis  uteri.  Der  Gebärmutterabscess  ist  höchst  selten,  weil 
bei  Metritis  weit  häufiger  Zertheilung  oder  Induration ,  oder  der  Brand  folgt 
(s.  Inflammatio  uteri).  Zeichen  sind:  Nach  voraufgegangenen 
Symptomen  der  Metritis  Nachlass  der  Beschwerden  ohne  die  bekannten  Kri- 
sen ,  dagegen  dumpfer  klopfender ,  drückender,  mit  Kältegefühl  und  Schwere 
verbundener  Schmerz  im  ganzen  Becken,  wiederholtes  Frösteln,  remittiren- 
des  Fieber  mit  Abendexacerbationen  etc.  Die  Exploratio  externa  und  in- 
terna findet  zuletzt  eine  deutlich  fluctuirende  Geschwulst,  die,  wenn  sie  reif 
ist ,  im  günstigen  Falle  sich  in  das  Cavum  uteri  öffnet ,  und  dann  mit 
grosser  augenblicklicher  Erleichterung  der  Eiter  aus  der  Scheide  und  J)eim 
Urinlassen  abfliesst.  Schlimmer  ists,  wenn  der  Abscess  sich  durch  die 
Blase,  den  Mastdarm,  oder  höher  in  den  Darmkanal,  in  der  Leistengegend, 
oder  an  den  äussern  Bauchdecken  öffnet;   am  schlimmsten,   wenn  er  sich  in 


44  ABSCESSUS 

die  ßanchhohle  ergiesst ,  wo  schneller  Tod  die  Folge  ist.  Die  Behand- 
lung ist  nach  diesen  Umständen,  nach  dem  acuten  oder  chronischen  Verlaufe 
der  Metritis  und  nach  Beschaffenheit  des  Fiebercharaklers  verschieden.  In 
einigen  Fällen  folgt  auf  die  ÖfTnung  der  Geschwulst  baldige  Heilung  durch 
die  Naturkraft,  wir  sorgen  nur  für  Reinigung  der  GeschAÜrstliiche  durch 
sanfte  laue  Injectionen  von  Inf.  flor.  chamomillae  in  den  Uterus,  oder  durch 
einfachen  Verband  beim  äussern  Abscesse.  Zuweilen  dauert  die  Entzündung 
des  Uterus  lange  Zeit  fort  und  erfordert  eine  reizlose  Diät  und  solche 
Mittel;  die  Eiterung  beschränkt  sich  nur  auf  eine  kleine  Stelle;  der  erste 
Abscess  schliesst  sich,  es  bilden  sich  aber  neue  an  andern  Stellen,  der  Ei- 
ter wird  übelriechend,  jauchig,  und  so  entwickelt  sich  unter  Hektik  und 
Mattigkeit,  unter  grosser  Schwäche  die  sog.  Phthisis  uterina;  es  fol- 
gen CoUiquationen  und  Tod.  Selbst  bei  günstigem  Ausgange  sitid  Verhär- 
tungen, Verwachsungen  einzelner  Stellen  des  Uterus,  hysterische  Beschwer- 
den häufig  die  Folge  von  Gebärniutterabscessen  (Äonimer). 

Ahscessus  vnrfivae.  Der  Scheidenabscess  ist  nicht  selten  Ausgang 
derColpitis,  des  Elytroncus  cruentus,  inflammatorius,  oedematosus,  pituito- 
sus  (s.  diese  Art.);  —  zuweilen  ist  Complication  mit  Syphilis  da,  wo  dann 
schmerzhafte,  fressende,  bösartige  Geschwüre  entstehen.  Cur.  Ist  die  be- 
kannte der  Abscesse  nach  den  bekannten  Regeln  und  der  Natur  des  Ab- 
scesses  (s.  Brüchnann  in  Horii's  Archiv.   1810.  Jul.  S.  260). 

Ahscessus  ventriculi ,  Magenabscess.  Hier  bildet  sich  zwischen  den 
Magenhäuten  in  Folge  von  Gastritis  unter  den  allgemeinen  Zeichen  innerer 
Eiterung  (s.  Ahscessus  internus)  eine  äusserlich  oft  deutlich  zu  fühlende 
fluctuirende  Geschwulst,  welche  sich  nach  einiger  Zeit  entweder  nach  oben 
oder  unten  öffnet  und  so  den  Eiter  unter  sehr  schlimmen  Zufällen  (Erbre- 
chen, Blutsturz,  Ohnmächten,  Schluchzen,  Convulsionen)  durch  den  Mund 
oder  After  entleert ;  —  oder  der  Abscess  öifnet  sich  äusserlich  in  der  Ma- 
gengegend,  oder  er  ergiesst  sich  in  die  Brusthöhle,  wohin  er  sich  einen 
Weg  bahnte ,  oder  endlich  in  die  Unterleibshöhle ,  wo  unter  den  Zeichen 
von  Ascites  purulentus  schneller  Tod  folgt  (s.  Ahscessus  pectoris  in- 
ternus N.  5.  a,  und  Hydrops  pectoris).  Beim  Aufbruch  nach  aussen 
bleiben  häufig  Magenfisteln  zurück  (s.  Fistula  ventriculi),  wol  auch 
Caries  costarum,  der  Eiter  senkt  sich  nach  unten,  —  die  Kranken  erbre- 
chen nach  jedem  Genuss,  der  Eiter  wird  bald  jauchig,  stinkend,  scharf, 
so  dass  er  bei  der  Entleerung  nach  oben  im  Halse  wie  Feuer  brennt ;  da- 
bei öftere  Koliken,  Pyrosis,  Febris  hectica,  wodurch  sich  dann  die  Phthi- 
sis ventriculi  zu  erkennen  giebt  und  der  Kranke  seine  traurige  Existenz 
oft  noch  Monate  lang  hinschleppt.  Der  Ausgang  des  Magenabscesses  in 
völlige  Genesung  ist  selten ,  weil  seine  Function  und  jeder  Genuss  von 
Speise  oder  Trank  die  Heilung  stört.  Cur.  Man  suche  den  Ausbruch  des 
Abscesses  nach  aussen  durch  trockne  Schröpfköpfe ,  warme  Umschläge, 
durch  die  Bauchlage  zu  befördern ,  vermeide  alles  Reizende ,  gebe  innerlich 
Emuls.  amygdal.  dulc.  mit  etwas  Opium ,  ausserdem  viel  Eidotter ,  viel 
Milch,  Selterwasser,  und  sonst  gar  keine  andere  Nahrung,  und  behandle 
den  Abscess  und  die  zurückbleibende  B^istel  nach  bekannten  Regeln. 

Ahscessus  vesicae  felleac,  Gallenblasen  abscess  Sein  Auftreten  in 
Folge  von  Entzündung,  zumal  der  Innern  Schleimhaut  der  Gallenblase,  in 
Folge  profunder  Hepatitis  als  der  einzigen  Vorläufer  (s.  Inflammatio  ve- 
sicae felleae)  ist  im  Allgemeinen  selten,  und  die  Diagnose  oft  schwierig. 
Kirl-lnnd,  Söimnerrivi/ ,  Strnuh  und  Gemhin  führen  Fälle  an,  wo  sich  bei 
verschlossenen  Gallengängen  eine  Menge  Galle  und  Eiter  in  Folge  von  Cy- 
stitis  fellea  acuta  et  chronica,  eingeschlossen  in  kleinen  Abscessen  der  Blase, 
bei  der  Section  vorfand.  Symptome.  Sind  fast  so,  wie  bei  Ahscessus 
hepatis ;  doch  ist  der  Verlauf  langsamer ,  die  Geschwulst  genau  umschrie- 
ben ,  im  Umfange  nicht  hart ;  sie  sitzt  isolirt  unter  den  falschen  Rippen, 
verändert  sich  nicht  und  zeigt  deutliche  Schwappung;  ausserdem  icterische 
Zufalle,  gestörte  GfiUeiiexcretion ,  thonartige,  weissliche  Sedes  etc.  Häufig 
litten   die   Menschen   früher   auch   an   Gallensteinkolik.     Cur.     Ist  dieselbe 


ABSCISSIO  TONSILLARUM  45 

des  Leberabscesses  (s.  Inflammatio  hepatis).  Bei  deutlicher  Fluctua- 
tion  öffne  man  vorsichtig  die  Geschwulst  und  suche  die  etwa  darin  befind- 
lichen Gallensteine  zu  entfernen.  Erweiterungen  der  Öffnung  sind  am  si- 
chersten mit  Quellmeissel  zu  machen,  nicht  mit  dem  Messer,  weil  sonst 
leicht  Adhäsionen  getrennt  werden  können  und  durch  den  Erguss  Yon  Galle 
in  die  Bauchhöhle  plötzlicher  Tod  folgt  (s.  auch  Fistula  biliosa). 

Ahscessus  vesicne  urinariae.  Bei  bedeutender  acuter,  sowie  bei  chroni- 
scher Cystitis  dyskraslscher  Personen  kann  die  Harnblase  theiiweise  in  Ei- 
terung übergehen,  und  sich  in  oder  an  ihr  ein  Abscess  bilden,  der  in  ver- 
schiedenen Richtungen  aufbricht 5  entweder  ins  Cavum  abdominis,  worauf 
schneller  Tod  folgt,  oder  ins  Colon,  nachdem  sich  vorher  durch  adhäsive 
Entzündung  zwisclien  ihm  und  der  Blase  eine  Verwachsung  gebildet  hat 
und  der  gallige  Eiter  mit  dem  Stuhlgange  abgeht;  —  oder  der  Eiter  zeigt 
sieh  als  Congestiönsabscess  am  Schenkel,  Scrotum,  in  den  Leisten,  an  den 
Natibus,  am  Unterleibe,  über  den  Schoossbeinen  gegen  den  Nabel  hin; 
oder  die  Blase  erregt  Adhäsionen  mit  der  Vagina,  wo  dann  der  Eiter  per 
vaginam  abgeht.  In  allen  diesen  Fällen  kann  das  Leben  noch  erhalten 
werden,  obgleich  die  Prognose  im  Allgemeinen  sciüimm  ist,  zumal  bei  theii- 
weise oder  gänzlich  gesperrter  Harnröhre ,  bei  grossem  Substanzverlust  der 
Blase ,  bei  Communication  der  Blase  mit  dem  Darm ,  woran  man  nicht  mit 
uiisern  Mitteln  kommen  kann,  bei  Schwäche  des  Krankert,  w^i|  i/«mplica- 
tionen  mit  Caries  der  Beckeuknochen ,  Krankheiten  der  Prostata ,  der  Ova- 
rien, des  Uterus  etc.  da  sind.  Cur.  Sorge  für  häufige  und  vollkommne 
Hai'nausleerung  durch  Katheter,  bei  Stricturen  durch  feine  hohle  Bougies. 
Zeigt  sich  am  Damm,  am  Scrotum  der  Harnabscess,  so  schneiden  wir  ihn 
auf,  öffnen  jeden  Nebengang,  sorgen  für  guten  Eiterabfluss ,  machen  bei 
Callositäten  warme  Breiumschläge,  entfernen  steiuaxtige  Concremente  und 
machen  aus  dem  Abscess  eine  einfache  Blaseafistel ,  die  wir  dann  zu  heilen 
suchen  (s.  Fistula  urinaria);  daneben  Sorge  für  grosse  Reinlichkeit, 
gegen  den  Reiz  lauwarme  Halbbäder,  reizmildenide  Überschläge.  Fehlt  die 
Leibesöifnung ,  so  dienen  nur  gelind  eröffnende  Mittel:  Manna,  Ol.  ricini; 
Klystiere  sind  nur  mit  der  grössten  Vorsicht  zu  appliciren.  Sehr  gut  sind 
auch  laue  Injectionen  von  Olivenöl ,  Gerstendecoct  in  die  Blase,  InnerlicU 
passen  Rad.  columbo,  Folia  uvae  ursi ,  Kalkwasser  mit  Milch,  Seiter-  oder 
Spaawasser,  bei  vielen  Schmerzen  Einuls.  sem.  papav.  albi  mit  Extr.  opii, 
hyoscyanji.  Aqua  laurocerasi  etc.,  doch  wirkt  das  Opium  am  besten  ano- 
dyn;  darneben  milde  Kost,  viel  Milch,  Eidotter,  schwache  Fleischbrühen 
(s.  Th.  V.  SÖmmerring  i  Tödtliche  Krankheiten  der  Hainblase  etc.  2.  Aufl. 
Frankf.  1822,  und  RoJj.  Binghani's  Preissch.  über  Krankheiteu  und  Ver- 
letzungen der  Blase.    A.  d.  Engl.  \oi\  Dohlhojf,    Magdeb.   1823.  S.  194  u.  f.) 

Abscessus  vulvae.  Der  Schaml  efzenabsces  s  ist  bald  ein  gewöhnli- 
cher Abscess  an  d>er  Schamlefze,  oder  ein  Congestiönsabscess,  wornach  die 
Behandlung  verschieden  ist ,  übrigens  aber  von  der  allgemeinen  der  Eiterge- 
schwülste nicht  abweicht  (s»  Abscessus). 

Aliscissio  tonsillarum ,  Abkürzung  der  Mani^ili.  ;  JDies» 

Operation  wird  bei  chronischer  Aufwulstung  der  Mandeln  in  Folge  öfters 
überstandener ,  habituell  gewordener  Angina  tonsillaris,  wenn  sie  das  Spre- 
chen und  Schlucken  beeinträchtigen,  mit  Nutzen  verrichtet.  Eün  Mundspa- 
tel, die  Wasserfuhr'sche  oder  Leber'sche  Zange  mit  stumpfem  Haken,  ein 
Pott'sches  BIstoui-i ,  das  geknöpft  und  bis  auf  das  vordere  Drittel  umwickelt 
ist,  das  Leber'sche  Scalpell,  die  sumpfspitze,  auf  dem  Blatte  gebogen« 
Scheere  von  Völker,  kaltes  Wasser,  Essig  sind  dabei  nothwendig.  Man 
fixirt  die  Mandel  mit  dem  Haken  oder  der  Zange,  während  ein  Kork  zwi- 
schen den  Zähnen  des  Kranken  sitzt  und  der  eine  Gehülfe  mit  dem  Mund- 
spatel die  Zunge  wegdrückt,  der  andere  aber  mit  beiden  Händen  den  Kopf 
fixirt.  Man  kann  nun  mit  der  Scheere  oft  mit  einem  nicht  zu  tief  geführ- 
ten Schnitt  die  ganze  Mandel  wegschneiden,  hat  sie  aber  eine  breite  Basis, 
so  verdient  das  Messer,  womit  man  mehrere  Schnitte  (von  unten  nach  obea 


46  ABSORBENTIA  ~  ABSTERGENTU 

und  umgekehrt)  macht,  den  Vorrang.  Treffen  diese  Schnitte  nicht  genau 
in  der  Mitte  zusammen ,  so  schneidet  man  den  Rest  mit  der  Scheere  weg. 
Die  Blutung  ist  gewöhnlich  gering,  man  entfernt,  ist  sie  etwas  stark,  schnell 
die  Instrumente  aus  dem  Munde ,  der  Kranke  muss  sich  vorwärts  beugen, 
und  mit  kaltem  Wasser,  Aqua  Thedenii ,  den  Mund  ausspülen.  Hilft  dies 
nicht,  so  versuchen  vnr  die  Compression  mittels  einer  mit  Charpie  umwickel- 
ten Sonde ,  im  Nothfall  selbst  mit  dem  Glüheisen.  Auf  die  Nachblutung 
und  das  Verschlucken  des  Bluts  muss  man  besonders  achten;  sie;kann  heim- 
lich und  oft  der  Blutverlust  bedeutend  seyn,  auch  das  Blut  die  Digestions- 
organe belästigen.  Zur  Heilung  der  Wundttäche  dienen  anfangs  Infus,  flor. 
chamomillae,  später  Aq.  calcis  mit  Mel  rosar. ,  Decoct.  quercus  etc. 

Ahscissio  uvulae.  Die  Abkürzung  des  Zapfens  mittels  der  Coo- 
per'schen  Scheere  oder  dem  geknöpften  Pott'schen  Bistouri,  indem  man  vor- 
her einen  Kork  zwischen  die  hintersten  Backzähne  des  Kranken  gesteckt 
und  mit  einer  Hakenpincette  die  Uvula  hervorgezogen  hat,  ist  eine  leichte 
Operation ,  die  man  bei  bedeutender  Verlängerung ,  Aufwulstung ,  scirrhöser 
Entartiuig  dieses  Theils  vornehmen  kann ,  wenn  pharmaceutische  Mittel 
nichts  fruchteten  und  der  Zapfen  so  gross  und  lang  ist,  dass  er  undeut- 
liches Sprechen  ,  öfteres  Würgen ,  Erbrechen,  Erstickungsgefahr  etc.  erregt. 

Absorbentia  (medicaminn^.  Sind  solche  Mittel,  die  die  Säure  in 
den  ersten  Wegen  einsaugen  und  neutralisiren,  und  so  auch  bei  Krankheiten, 
wo  Säure  in  den  zweiten  Wegen  obwaltet  (Rhachitis ,  Gicht ,  Calculus), 
wohlthätig  wirken.  Es  gehören  hierher  Magnesia  ,  Lapides  cancror. ,  Con- 
chae  praeparatae,  Creta ,  Bolus ,  Terra  sigillata ,  Kali ,  Natrum  und  Ammo- 
nium und  deren  Präparate :  Seife ,  Hepar  sulphuris.  Die  meisten  dieser 
Mittel  bilden,  indem  sie  sich  mit  der  Magensäure  verbinden,  schwerauf- 
lösliche  Salze  (Kalkerde  bildet  Gyps)  ,  wodurch  die  Verdauung  geschwächt 
wird.  Daher  ist  die  Magnesia,  indem  sie  etwas  Purgiren  erregt ,  jetzt  am 
gebräuchlichsten.  Noch  besser  ist  das  Kali  carbonicum,  z.  B.  als  Liq.  kali 
carbonici,  welches  bei  zarten  Subjecten,  bei  Kindern  wegen  seiner  Milde 
den  Vorzug  verdient.  Bei  Säuglingen  wirkt  es  mit  Aq.  foenic.  und  Syr. 
rhei  sehr  gut  gegen  Krämpfe,  Magensäure,  grüne  Stühle:  z.  B.  I^  Liq.  Tcnli 
carhon.  3li>  Aquae  foeniculi  5J)v,  Sijr.  rhei,  —  mannnc  ana  5f?^.  M.  S. 
S — 4raal  täglich  1  Theelöffel  voll  (M.).  Ist  Säure,  Magenschwäche,  Sod- 
brennen bei  nervösen ,  krampfhaften  Pei'sonen  zugegen ,  so  wirken  die  kali- 
ßchen  Mittel  auch  ganz  vortrefflich  gegen  die  Krämpfe  und  die  schlechte 
Verdauung,  wenn  man  sie  mit  aromatischen  und  bittern ,  stärkenden  Mitteln 
verbindet,  indem  sie  so,  ähnlich  dem  obsoleten  Pulv.  Marchionum,  die  Sen- 
sibilität der  Magen  -  und  Darmnerven  herabstimmen ,  z.  B.  folgende  oft  er- 
probte Mischung :  I^  SdJ.  titrt.  depur.  5j  ■>  Eu'lr.  rutae  3jjj ,  Ejclr.  card.  Ite- 
ned.  öi\}i  Aquiie  menth.  er.  ^vj,  Aq.  chamomill.  §jj ,  Tinct.  nurantior.  scu 
Elix.  visceral.  HofJ'm.^^,  Liquor,  anodijn.  5j-  M.  S.  Täglich  3 — 4  mal 
wohl  umgeschüttelt  1  Esslöffel  voll  zu  nehmen,  (itf.). 

Absterg^Cnti»)  Dctergentia,  Rhypticn,  Traumatica,  Ahluenlia.  Sind 
diejenigen  äussern  Heilmittel ,  wodurch  Wunden  von  sogenannten  Unreinig- 
keiten,  von  fremden  Körpern  gereinigt  und  bösartige  Wunden  und  Geschwüre 
in  gutartige  verwandelt  werden.  In  altern  Zeiten  gebrauchte  man  verschie- 
dene Pflaster  und  Salben ,  bestehend  aus  aromatischen ,  balsamischen ,  zum 
Theil  kaustischen  Ingredientien  (Grünspan ,  Vitriol ,  Kampher ,  Spirituosa), 
denen  man  diese  Wirkung  zuschrieb.  Die  neuere  Chirurgie  lehrt,  dass  sie 
nutzlos  und  sogar  schädlich  sind,  dass  laues  Wasser  und  eine  höchst  einfache 
Salbe  neben  einem  zweckmässigen  Verbände  das  beste  Reinigungsmittel  der 
Wunden  sind.  Sind  letztere  in  schlechter  Eiterung  oder  wollen  sie  brandig 
werden  (Hospitalbrand  etc.) ,  so  sind  alle  diejenigen  Mittel  die  besten  Ab- 
stergentia ,  welche  nach  den  Regeln  der  Kunst  als  Heilmittel  hier  indicirt 
sind.  Einige  Schriftsteller  gebrauchen  die  Benennung  Abstergentia  auch  für 
diejenigen  Innern  Mittel ,  welche  die  ersten  Wege  reinigen  (Fourcroy'). 


.  ABÜLIA  —  ACINESUTROPHIA  47 

AbuliAf  Ist  eine  bestimmte  Art  von  Wahnsinn ,  mit  Mangel  an  Über- 
legung {Lewpoldl).     S.  Mania,  Melancholia. 

Acampsia,  falsche  Lähmung,  s.  Paralysis. 

AcataposiSj  das  Unvermögen  zu  trinken  oder  überhaupt 
zu  schlucken,  z    B.  bei  Angina. 

Acesia,  die  Heilung,  s.  Medela. 

Acesma,  ein  Heilmittel. 

Acestor,  der  Retter,  der  glücklich  heilende  Arzt,  s.  Medicus. 

Achariston  (niedkamcn').  Ist  bei  Galen  ein  gewisses  Gegengift, 
bei  spätem  Ärzten  jede  angeblich  schnell  heilende  Arzneiverbindung. 

Actiilleum,  s.  Cancer  cutis. 

Achlyis,  nebelartiger  Hornhautfleck,  Hornhautblaiter ,  s.  Macula 
corneae. 

Aclior,  Favus,  Kopfausschlag  mit  kleinen  Geschwüren,  s.  Tinea 
capitis.  ,  cii-'^.C'^ 

Actaroinasia ,  Farbenlosigkeit ,  kachektisches  Ansehn  ,.'8r  Ca -^ 
c  h  e  X  i  a. 

Achroinatopsia.  Ist  das  Unvermögen,  Farben  zu  unterscheiden, 
eine  Art  Idiosynkrasie,  die  bei  manchen  Personen  vorkommt,  wo  die  Em- 
pfindlichkeit des  Gesichtssinnes  für  Farben  mangelhaft  ist ,  wo  theils  ein- 
zelne Farben :  die  rothe  (Anerythroblepsie),  die  blaue  (Akyanoblepsie) ,  theils 
die  Farben  des  Bunten  nicht  unterschieden  werden  können.  Die  Heilung  ist 
hier  wohl  sehr  schwer. 

Acida  {medicamina') ,  Säuren.  Die  einfachen  Säuren  (Acid.  nitric.^ 
—  sulphuric. ,  —  muriatic. ,  —  aceticum,  —  carbonicum,  —  oxymuriat., — 
phosphoricum ,  —  succiniouni  etc.)  sind  soavoI  innerlich  als  äusserlich  höchst 
wichtige,  unentbehrliche  Heilmittel .  sowol  bei  acuten  als  chronischen  Krank- 
heiten. Innerlich  passen  sie  zwar  nicht  bei  hitzigen,  sthenischen  Fiebern 
mit  Localentzündungen ,  desto  mehr  aber  in  den  verschiedenen  Formen  des 
Typhus ,  bei  höchster  Schwäche ,  wo  der  Todeskrampf  im  Typhus  schon 
einzutreten  droht  (^ReicJi) ,  bei  fauliger  und  gallig  -  fauliger  Diathesis ,  bei 
galligen  Faulfiebern,  Colliquation  der  Säfte,  bei  schleichenden  Nervenfie- 
bern ,  bei  fieberlosen  Blutwallungen  in  der  Decrepitätsperiode  der  F'rauen 
(Elix.  acid.  Halleri) ,  bei  Blutungen  asthenischer  Art ,  bei  Schwäche  der 
Muskelkraft,  colliquativen  Schweissen',  Pollutionen,  bei  Scrophulosis,  Sy- 
philis inveterata  etc.  Das  Nähere  lehrt  die  Materla  mcdica  und  Therapie. 
Doch  kann  ich  nicht  umhin ,  hier  auf  die  herrlichen  Wirkungen  der  über- 
salzsauren  Räucherungen  zur  Zersetzung  von  Contagien ,  der  Aqua  oxymu- 
riatica  bei  Scharlachbräune,  Febris  mesenterica,  Scrophulosis,  Scorbüt,  bei 
Storaacace,  bei  Gastromailacia  infantum  (§f^  in  gjjj  Decoct.  rad.  althaeae, 
stündlich  %  Essl.  voll),  des  Acidi  nitrici  diluti,  dreimal  täglich  zu  lO — 15 
Tropfen  in  Haferschleim  gegen  chronische  Leberfehler,  des  Acidi  sulphurici 
diluti  gegen  asthenische  Blutungen  des  Uterus,  bei  Scorbut,  der  Salzsäuren 
Bäder  gegen  Arthritis  (^Kopp") ,  gegen  Scropheln ,  Herpes  etc. ,  des  Acidi 
pyrolignosi  diluti  innerlich  gegen  Gastromalacie ,  äusserlich  bei  faulen  Ge- 
sjchwüren,  bei  gangränösen  Theilen,  bei  asthenischen  Blutungen,  Stomacacö 
etc.  (^Schneider)  zu  erwähnen. 

Acidulae»  Sauerbrunnen,  Säuerlinge,  säuerliche  Mine- 
ralwasser. Dahin  gehören  das  Seiter-,  Fachinger-,  Biliiier-,  Pyrmoiv- 
ter-,  Schwalheimer  -  und  andere  Wasser.  Sie  enthalten  alle  Kohlensäure, 
vermehren  die  Harnabsonderung ,  stärken  die  Verdauung ,  verbessern  die 
ki-ankhafte,    exaltirte  Thätigkeit  der  Leber,    wirken  gegen  Erbrechen,  etc. 

Acinesia.     Ist  Unbeweglichkeit  des  ganzen  Körpers  oder 
einzelner  T  heile,  wie  z.  B.  bei  Lähmungen,    bei  Ohnmächten  etc. 
Acinesiatrophia«     Ist,  nach  Hutin,  Darrsucht  aus  vernach- 


48  ACMAE  —  ACOLOGIA 

läsBsigter  Bewegung,  die  bei  sitzenden  Ständen:  Schneidern,  N^hte- 
rinnen ,  besonders  aber  bei  Kindern  in  Hamburg  und  andern  volkreichen 
Städten  mit  engen  Strassen  und  hohen  Häusern  häufig  vorl^onaut  luid  wobei 
der  Mangel  an  hinreichendem  Sonnenlichte  und  frischer  reiner  Lufc  mit  ia 
Anschlag  gel)racht  werden  muss.  S.  Atrophia  infantum,  Scrophu- 
iosis,  Rhachitis. 

Acmae»  Warzen,  unrichtige  Benennung  statt  Acne. 

AciuCj  Status,  Fastigium  morhi.  Ist  die  Höhe,  der  Gipfel,  die 
höchste  Blüte  einer  Krankheit;  in  Fiebern  der  Mittelpunkt,  wo 
die  Krankheit  den  höchsten  Grad  erreicht  hat ,  worauf  bald  die  Entschei- 
dung ,  entweder  zum  Tode  oder  zur  Krise  und  Besserung  folgt  Qlufelanit), 
Im  Stadio  incrementi  einer  Krankheit  muss  der  Arzt  durch  Kunst  dahin  zie- 
len ,  dass  die  Natur  die  Krankheit  besiegt,  dagegen  muss  er  in  der  Acme 
mehr  den  Zuschauer  machen ,  wenigstens  nichts  thun ,  was  die  bevorstehende 
Krise  stören  und  dadurch  das  Übel  verschliumiern  oder  gar  den  Tod  her- 
beiführen könnte  (Af.  Caille). 

A.cne5  eine  Hautfinne,  Kupferfinne  Im  Gesicht  (TFi??«?«)  i  s.  Gutta 
rosacea.  Alihert  und  Biett  rechnen  dieses  chronische,  besonders  in  der 
Pubertät  vorkommende  Hautübel  fälschlich  zu  den  pustulösen  Affectionen. 
Blasius  (s.  RusVs  Chirurgie,  Bd.  I.  S.  277)  statuirt  3  Arten  von  Acne. 
1)  Acne  simplex,  2)  Acne  indurata,  S)  Acne  rosacea.  Die  er- 
sten beiden  Arten  haben  Vieles  gemein  und  lassen  sich  nicht  scharf  tren- 
nen. Vollblütige  Mädchen,  Onanisten  leiden  besonders  daran.  Starke  Er- 
hitzungen ,  Weingenuss ,  rascher  Tempeiaturwechsel ,  Digestionsbeschwer- 
den  etc.  gehen  dem  Ausbruch  dieser  kleinen ,  theilweise  in  Eiterung  über- 
gehenden Tuberkeln  oft  vorher.  Sie  kommen  am  häufigsten  im  Gerichte, 
auf  der  Brust ,  am  Halse ,  im  Nacken  vor ,  und  entstellen  oft  die  jugend- 
liche äussere  Schönheit.  Die  Acne  simplex  besteht  in  kleinen,  einzeln  ste- 
henden, schmerzlosen  Knötchen ,  welche  roth,  glänzend,  hart,  beim  Druck 
empfindlich  sind,  nach  einigen  Tagen  eine  gelbliche,  wässerige,  blutige 
Flüssiglceit  enthalten  und  unter  dünnen  gelblichen  Schorfen,  die  nach  drei 
Wochen  abfallen ,  vertrocknen.  Bei  Acne  indurata  ist  der  Verlauf  chroni- 
scher, die  Tuberkeln  sind  grösser,  härter,  oft  kegelförmig,  empfindlich, 
rosenroth,  purpurroth  und  gehen  erst  nach  vielen  Wochen  in  Suppuration 
über;  auch  kommen  die  neu^n  Eruptionen  nicht  so  häufig,  als  bei  der  A. 
simplex.  Cur.  .Äusserlich  schleimige  Dinge :  Emuls.  amygdalar.  amarar. , 
so  lange  sie  sehr  reizbar  sind ;  später  spirituöse  Waschwasser :  Spirit.  ser- 
pylli  mit  Aq.  rosarum ,  bei  mangelnder  Reizung  Ify  Liq.  Inli  carhon.  5j> 
Aq.  destillut.  y],  oder  Sublimat  (gr.  vj  auf  gvj  Aq.  destill.),  Solut.  borac. 
mit  Tinct.  benzoes ;  bei  Acne  indurata  besonders  die  stärkern  Reizmittel : 
Acet.  aromat. ,  Liq.  ammon.  acet.  mit  Emuls.  amygdal.  amararum.  Bietf 
lobt  hier  zum  Einreiben  folgendes:  I^-  Hijilrnrgijr.  ammon.  nmriat.  $j  —  5j» 
Vmjmiit.  rosnt.  5J.  M.  Noch  wirksamer  ist  nach  ihm  eine  Salbe  aus  12 — 24t 
Gran  Schwefeliodine  auf  1  Unze  Fett.  Dabei  reizlose,  vegetabilische  Diät, 
zumal  bei  Vollblütigen,  wo  auch  Blutentziehungen  nützlich  süid.  Häufige 
drastische  Purganzen  sind  schädlich,  nützlicher  der  innere  Gebrauch  voa 
Schwefel,  Antimonium  etc.  Abbildungen  der  verschiedenen  Acnearten  findet 
man  in  Froriciis  chirurg,  Kupfertafeln.  Tab.  CL — CLL 

Acne  rosacea y  s.  Gutta  rosacea. 

Acne  punctata,  s.  Comedones. 

Acoenietrum,  Gehörmesser.  Ist  ein  Instrument,  das  nach 
Graden  schv>ächern  oder  stärkern  Schall  von  sich  giebt,  zur  Bestimmung 
des  Grades  der  Taubheit. 

Acolog^iaj  die  Heilmittellehre.  Man  versteht  besonders  die 
rhirurwische  Heilmittellehre,  die  Lehre  von  den  schneidenden  und  andern 
chirurgischen  Instrumenten  und  deren  Anwendung  darunter.  Doch  Avird  da.s 
Wort  als  solches,  das  die  Instrumenten-  und  Bandagenlehre  bezeichnet, 
wegen  seiner  unbestimmten  Grenze  von  Neuern  mit  Recht  getadelt. 


ACOR  —  ACUPUNCTUR4  49 

Acor,  8.  Ructus  acidus. 

Acosinia,  Farblosigkeit,  Veränderung  der  Farbe,  ein  Zustand  bei 
Kachexien  und  Dyskrasien ,  z.  B.  Icterus,  Chlorosis ,  Cyanosis  {Itufelandi). 

Acrasia,  üble  Mischung  der  Säfte,  s.  Dyscrasia. 

Acratia,  Kraftlosigkeit,  Ohnmacht,  Schwäche  und  Unvermögen  sich 
zu  bewegen,  die  theils  örtlich,  theils  allgemein  sejn  kann  {Vicq  d'Jzyr). 
(S,  Adynamia). 

Acria  {medicamina) ,  scharfe  Mittel.  Hierher  gehören  nach  neue- 
rer Eintheilung  in  der  Heilmittellehre  alle  Mittel,  die  ein  scharfes  Princip 
enthalten  und  mehr  oder  weniger  reizend  wirken,  z.  B.  Cochlearia,  Jacea, 
Chelidonium,  Pulsatilla,  Rhus  toxicodendron  und  radicans,  Senna,  Gratiola, 
Helleborus,  Ipecacuanha,  Senega,  Jalapa,  Squilla,  Arnica,  Rheum,  Aloe, 
Agaricus,  Gutti ,  Guajacum ,  Cantharides ,  Mezereum.  Sie  erregen  in 
grossen  Dosen  Brechen  und  Purgiren.  Vergiftung  durch  sie  wird  mit  ein- 
hüllenden Mitteln  behandelt,  sobald  Erbrechen  genug  von  selbst  erfolgt. 

Acridopbagia.  So  heisst  ein  herpetisches  Übel  in  Äthiopien  mit 
tiefen  Hautgeschwüreu ,  worin  sich  geflügelte  Insecten  (daher  der  Name) 
bilden.    (S.  Rusfs  Chirurgie,  Bd.  I.  S.  284). 

Acrocbordon.  Ist  eine  an  den  Augenlidern  vorkommende,  mit 
einem  Stiele  versehene  Warze  ,  s.  H  y  d  a  t  i  s. 

Acroinpbalon 9  anfangender  Nabelbruch,  s.  Hernia  umbili- 
calis. 

Acroteriasis.     Ist  Abnahme,  Amputation  äusserer  Gliedmassen. 

Acupunctura,  die  Acupunctur,  der  Nadelstich.  Ist  ein  ein- 
faches ,  neuerlich  sehr  empfohlenes  operatives  Verfahren ,  von  den  Chinesen 
und  Japanesen  entlehnt,  das  mit  Nutzen  gegen  locale  rheumatische  und 
gichtische  Schmerzen,  bei  Cephalalgien,  Gesichtschmerz,  gegen  Neuralgien, 
Trismus,  Anasarka,  Epilepsie,  Lumbago,  Magenkrampf,  Augenübel  etc. 
(Cloquet ,  Bnlly ,  Blümlein,  Pelletan,  Demours,  Finch,  Michaelis,  Peyron, 
Bellini,  Most')  angewandt  wird.  Die  Nadeln  bestehen  aus  Gold,  Silber, 
Piatina,  Stahl,  Kupfer,  sind  sehr  dünn  und  2 — 4  Zoll  lang.  Will  man 
sie  in  den  schmerzhaften  Theil  stechen,  so  bildet  man  mit  zwei  Fingern 
eine  Hautfalte,  sticht  die  Nadel  mit  oder  ohne  Nadelhalter,  je  nachdem 
man  geübt  ist ,  ein  und  schiebt  sie  dann ,  drehend  und  drückend ,  tiefer  ein, 
was  sehr  leicht  geht.  Der  Schmerz  dabei  ist  höchst  unbedeutend.  Man 
lässt  die  Nadeln  (in  der  Regel  bringt  man  2  bis  8  oder  mehrere  zu  gleicher 
Zeit  em)  15  Minuten,  ja  stunderdang  stecken,  bis  alle  Schmerzen  vorüber 
sind.  Sind  die  Nadeln  sehr  fein ,  wie  z.  ß.  die  von  Sandnliere  und  Cloquet 
angegebenen,  so  kann  man  sie  ohne  Schaden  selbst  in  Arterien,  Venen, 
Nerven ,  in  die  Eingeweide  einstechen.  Viele  Versuche  an  Hunden  haben 
bewiesen,  dass  selbst  dass  Einstechen  der  Nadeln  ins  Gehirn,  in  die  Lungen, 
ins  Herz,  in  den  Magen,  in  die  Leber  weder  nachtheilig,  noch  schmerzhaft 
Mv&r  (^Cloquet ,  Haime,  Bretonneau,  Felpenu,  Meyrnnz).  Doch  wird  der  vor- 
sichtige Arzt  sie  hier  nicht  ohne  die  grösste  Noth  anwenden,  so  wie  denn 
auch  die  Acupunctur  des  Herzens  von  der  Acad.  royale  de  M6d,  nur  als 
letztes  verzweifeltes  Mittel  beim  Scheintode  mit  völliger  Unbeweglichkeit 
des  Herzens  vorgeschlagen  worden  ist  (s.  Archiv,  gen^r.  de  Med.  Mai  1827). 
Die  Wirkung  der  Acupunctur  beruhet  theils  auf  Oxydation  (die  blankpo- 
lirtesten  Nadeln  werden  bald  oxydirt,  was  beim  Herausziehen  zu  sehen  ist), 
theils  auf  feinen  elektrischen  Verhältnissen  und  Leitung  der  Elektricität  aus 
dem  leidenden  Theile.  Man  wählt  daher  auch  gern  Nadeln  von  Metallen, 
die  eine  elektrische  Spannung  erregen,  z.B.  goldene  und  silberue,  kupferne 
und  goldene,  und  verbindet  je  zwei  solcher  Nadeln,  wenn  isie  eingebracht 
worden  sind,  mit  einem  feinem  Metalldrahte.  Auch  mit  Gatvanismus  und  Elek- 
tricität (Electropunctura)  hat  man  sie,  um  die  Wirkungen  zu  verstär- 
ken ,  in  Verbindung  gebracht  (Magendie').  So  z.  B.  bringt  man  bei^Asphyxien 
durch  Blitz,  durch  Ertrinken,  einige  Nadeln  in  die  Herzgrube  ein,  und 
Most  Encyklopädie.  2te  Aaü.  I.  ^    4 


50  -        ACÜRGIA  —  ADENONCUS 

Terbindet  diese  mit  einer  kleinen  Voltasäule  etc.  (S.  ChwrcMll  "über  Acn- 
punctur,  übers,  v.  Friedreich.  Bamberg,  1824).  Die  Elektropunctur  er- 
regt an  den  angewandten  Hautstellen  Sugillationen ,  zuweilen  kleine  emphy- 
seraatische  Auftreibungen,  die  -von  selbst  ohne  Nachtheil  nach  einiger  Zeit 
vergehen.    (M.) 

Acurg^ia»  Acidurgia,  unrichtige  Benennung  für  Acologta. 

AcustiCA  (remedia),  Mittel  gegen  schwaches  oder  mangelndes  Ge- 
hör, s.  Cophosis. 

Acntas  inorlluS}  Morhts  praeceps,  celer,  hitzige  Krankheit, 
hitziges  Fieber;  eine  Krankheit  mit  vermehrter  Hitze ,  die  sich  in  we- 
nigen Tagen,  höchstens  2 — 3  Wochen,  entscheidet.  Endet  sie  vor  dem 
siebenten  Tage,  so  heisst  sie  Morbus  acutissimus;  entscheidet  sie  sich 
am  siebenten  Tage:  M.  peracutus;  dauert  sie  bis  zum  21sten  Tage,  M. 
acutus.  Das  Wesentliche  solcher  Krankheiten  besteht  in  einer  eigenthüm- 
lich  erhöhten  Lebensthätigkeit  im  Blute  und  Blutsysteme,  begleitet  von  ver- 
mehrter Wärmeerzeugung,  ist  also  ein  erhöhter  und  beschleunigten  Lebens- 
nnd  Combustionsprocess ,  worauf  entweder  Tod ,  o3er  völlige  Gesundheit 
oder  Ausgang  in  eine  chronische  Krankheit  folgt.  Die  Heilkraft  der  Natur 
ist  in  hitzigen  Krankheiten  weit  thätiger  als  in  chronischen ;  daher  sind  hier 
auch  die  Stadien  und  Krisen  deutlicher  und  es  bedarf  hier  mehr  einer  guten 
Diät  als  vieler  Arzneien,  die  häufig  (besonders  die  reizenden,  erhitzen- 
den) schaden. 

Acyesis»  Unvermögen  zu  empfangen,  s.  Sterilita s. 

Adecll  oder  Aniadics  ist  bei  Theoph.  Pnracelsus  der  geistige  Mensch. 

Ad.eliparia'»  Ohesitas  morhosa,  Fettsucht,  s.  Adiposis.  ,,;j 

Adenalgia y  Drüsenschmerz,  schmerzhafte,  entzündete  Drüseng«^^ 
schwulst,  s.  Adenitis. 

Adenectopia»  Ist  Verschiebung  einer  Drüse  aus  ihrer 
normalen  Lage,  z.  B.  der  Parotis  durch  Steatom  am  Halse  etc. 

AdenempIll'a'Xls 9  eine  wirkliche  oder  vermeintliche  Drüsenver- 
stopfung. Häufig  ist  das,  was  die  Alten  so  nannten,  im  leidenden  Theile 
Wucherung,  PseudoOrganisation,  also  mehr  das  Gegentheil  von  Versto- 
pfung, wie  dies  die  anatomisch  -  pathologischen  Untersuchungen  beweisen. 

Adenitis 9  Drüsenentzündung.  Die  Glandulae  congloraeratae 
entzünden  sich  leichter  als  die  conglobatae,  weil  sie  mehr  Blutgefässe  ent- 
halten ;  die  Entzündung  kann  hier  einen  so  hohen  Grad  erreichen ,  dass  sie 
in  Eiterung  und  Brand  übergeht.  Beschränkt  sie  sich  blos  aufs  drüsige 
Gewebe,  so  nimmt  sie  einen  chronischen  Charakter  an.  Die  Lymphgefassö 
werden  im  leidenden  Organe  nun  grösser,  stärker,  zahlreicher,  die  Blutge- 
fässe werden  sparsamer  und  zuletzt  beinahe  verdrängt,  was  der  Grund  von 
jener  merkwürdigen  Degeneration:  der  Tuberkel-  und  Knoteiibildung  ist 
(^Netimnnn').  Die  Drüse  wird  nun  härter ,  schwillt  an ,  ihre  Farbe  wird 
weisslichgrau ,  blaugrau,  ihre  Consistenz  käseartig.  Zuweilen  ist  die  Dege- 
neration selbst  knorpel  -  und  knochenartig.  Bei  der  acuten  Drüsenentzün- 
dujig ,  z.  B.  bei  Parotitis ,  Pancreatitis ,  Nephritis  etc. ,  erfordert  die  Be- 
handlung mehr  ein  antiphlogistischen  Verfahren ;  s.  diese  Artikel  und  I  n  - 
flammatio  glandularum. 

Adenocbirapsolog^ia.  Ist  die  Lehre  von  den  Scropheln 
oder  vom  Kröpfe  (^Kraus).  Ptoucquet  nennt  sie  weniger  richtig  Adeno- 
choiradologie. 

Adenomenlng^ea  (fc&rjs).  So  nennt  Pinel  das  Schleim fi eher, 
weil  dabei  die  Schleimbälge  der  Innern  Magen-  und  Darmhaut  leiden  sollen. 
S.  Febris  pituitosa. 

AdeifiOnCas*  Ist  eine  harte  Drüsengeschwulst,  im  Gegen- 
sätze der  Vielehen  Drüsengeschwulst  (Adenophynia) ,  s.  Panu». 


ADENOPHTHALMIA  —  ALIPOSIS  51 

Adenoplltlialinia t  Augendrüsenentzündung ,  s.  Blepharoph- 
th  almia. 

Adenosis.  Ist  1)  nach  Alibert,  jede  Drüsenkrankheit,  2)  nach  An- 
dern die  Scrophelkrankheit.     S.  Sero  phulosis. 

Adepbag^ia  infantum.  Gefräs  sigkeit  der  Kinder.  Ist  ein 
Symptom  von  schlechter  Digestion  und  Nutrition,  z.  B.  bei  Scrophela, 
Rhachitis,  Wurmkrankheit.  Die  Cur  erfordert  die  richtige  Behandlung  des 
Grundübels.  Nicht  selten  haben  Kinder  den  Instinct,  Kreide  und  Kalk  za 
verschlingen.  Dies  zeigt  an,  dass  ein  Übermass  Yon  Säure  da.  ist,  woge- 
gen säuretilgende  Mittel  nützlich  sind;  s.  Absorb entia. 

Adessi.    So  nennt  Theophrastus  die  Grundmateric  der  Nahrungsstoffe, 

Adliaesio  linj^iiae»  s.  Ancyloglossum. 

Adhacsio  visceruin,  Anchßomerisma ,  Verwachsung  der  Ein^ 
geweide,  z.  B.  der  Lungen  mit  der  Pleura  etc.  Ist  in  der  Regel  Folge 
von  Entzündungen  dieser  Theile.  Die  Symptome  sind  hier  abnorme  Re- 
spiration, Gefühl  von  Druck  an  irgend  einer  Stelle  der  Brust  bei  jeder  tie- 
fen Inspiration,  Dyspnoe  etc.  Cur.  Eine  richtige  Behandlung  der  Pneu- 
monie, Pleuropneumonie  verhütet  sie  oft,  besonders  Wenn  man  am  Ende  3er 
Entzündung ,  am  8ten ,  9ten  Tage  der  Krankheit  nach  vorhergegangenen 
Venaesectionen  und  andern  Antiphlogisticis  Abends  und  Morgens  gr.j.  Merc. 
dulc.  mit  gr.f^.  Sulph.  aurat  giebt,  welches  Mittel  die  Bildung  plastischer 
Exsudationen ,  die  Ursache  der  Adhäsion ,  am  besten  beschränkt.  Ist  das 
Übel  schon  alt,  so  gebrauche  man  dennoch  dasselbe  Mittel  14  Tage  lang, 
imd  trage  l'/,  Jahr  lang  auf  der  Brust  eine  grosse  Fontanelle. 

Adiaplioresist ,  die  Adiaphorese,  d.  i.  mangelnde  Haut- 
ausdünstung, wie  z.  B.  an  Stellen,  wo  früher  Blasenpflaster  gelegen 
haben ,  daher  hier  wegen  zurückgehaltenen  Kohlenstoffs  auch  die  Hautfarbe 
dunkler  ist ,  —  ferner  im  Stad.  efflorescentiae  variolarum ,  morbillorum, 
scarlatinae  etc.,  bei  Rheuma,  Hautverbrennungen.  Die  physiologischen  An- 
sichten über  die  Diaphorese  sind  noch  eben  so  mangelhaft  als  die  Ansichten 
der  Ärzte  über  Erkältung ,  unterdrückte  Hautausdünstung  und  daher  entste- 
hende Krankheiten.  Man  muss  Evaporatio  ui!d  Transsudatio  stren- 
ger unterscheiden.  Erstere  ist  ein  rein  physischer  Vorgang,  der  nicht  al- 
lein in  lebenden,  sondern  auch  in  todten  Körpern  stattfindet;  letztere  ist 
die  Wirkung  der  lebendigen  Thätigkeit  des  Organismus,  Sie  kann  eben 
so,  wie  der  Krampf,  aus  zwei  entgegengesetzten  Ursachen  (aus  Repletio 
und  Inanltio  nach  Hippohrntes')  unterdrückt  seyn,  und  sie  erfordert  daher 
bald  schwächende ,  bald  reizende ,  belebende  Mittel.  Alles ,  was  die  Evapo- 
ration  vermindert,  z.  B.  schnell  angewandte  Kälte,  vermehrt  die  Transsu- 
dation,  und  umgekehrt.  Hätten  wir  dieses  Gesetz  damals  mehr  berücksich- 
tigt, als  bei  uns  die  asiatische  Cholera  heiTSchte,  wir  würden  das  Nutzlose, 
ja  Schädliche  der  Dampfapparate  und  deren  Anwendung  bei  Cholerakranken 
eingesehen  haben ,  ehe  die  Erfahrung  uns  dasselbe  lehrte  (vergi,  auch  Ed- 
wards in  Froriep's  Notiz.  Bd.  VII.  S.  276.  —  Locher- Baiher  in  HecJcer^s 
Lit.  Annalen ,  1827.  Septbr.  —  und  die  Artikel  Diaphoretica  und  Re- 
frigeratio). 

Adiposis»  Adeliparia,  Ohesitas  morhosa,  Plethora  ohesn,  Polysnrcia^ 
Phjsconia  adiposa,  Pohjpionia ,  Fettsucht,  Fettheit,  krankhafte 
Fettleibigkeit.  Ist  die  Neigung  des  Körpers  zu  übermässiger  krank- 
hafter Fettbildung  wegen  eines  tiefen  Leidens  der  Vegetation  und  Produ- 
ction,  die  hier  das  normale  Mass  überschreiten.  Ist  sie  blos  örtlich,  z.  B. 
in  den  Eingeweiden,  der  Leber,  so  heisst  sie  Physconia  adiposa ;  ist  sie 
allgemein  ,  so  ists  oft  schwer  zu  bestimmen  und  die  Grenze  anzugeben  ,  wo 
der  sogenannte  Embonpoint,  di6  Wohlbeleibtheit,  krankhaft  zu  werden  be- 
ginnt, oder  sich  noch  in  den  Grenzen  der  Gesundheit  hält,  so  wie  über- 
haupt die  Grenze  zwischen  Gesundheit  und  Krankheit  schwer  zu  ziehen  ist. 
Es  hat  Personen  gegeben,   die  sich  wegen  ihrer  Fettleibigkeit,  ilurer  Dicke 

4* 


52  .ADIPOSIS 

und  ihres  bedeutenclcn  Gewichts  für  Geld  sehen  Hessen,  welche  ein  Kör- 
pergewicht von  200,  SOO,  450,  609,  619,  ja  von  800  Pfd.  hatten.  — 
Symptome.  Verunstaltete,  aufgedunsene  Körperform,  Ausdrucklosigkeit 
des  Gesichts ,  starkes  Unterkinn ,  kurzer  Hals ,  keine  Spur  von  Muskelbe- 
grenzung an  den  Gliedmassen ,  herabhängender  Unterleib ,  herabhängende 
Brüste ,  kleine  ,  hervorquellende ,  im  Fett  liegende  Augen  etc.  Dies  ist  der 
allgemeine  Habitus  der  Fettsüchtigen,  den  auch  der  Laie  kennt.  Der  Kranke 
liebt  die  Ruhe,  Bequemlichkeit,  Unthätigkeit,  scheuet  jede  Körperanstrea- 
gung ,  und  es  fehlt  ihm  auch  die  Muskelkraft  dazu.  Sein  Temperament  ist 
phlegmatisch,  sein  Ansehn  in  der  Regel  bleich,  leukophlegmatisch.  Hier  ist 
die  Fettsucht  fast  mit  der  Wassersucht  identisch,  mit  dem  Unterschiede, 
dass  statt  Wasser  halbflüssiges  Fett  abgesondert  wird.  Die  Folgen  der 
Adiposis  im  höhern  Grade  sind  sehr  bedeutend:  Störungen  in  der  Blutcircu- 
lation,  besonders  des  Herz  -  und  Pulsschlages  bei  Obesitas  pectoralis;  da- 
her kleiner,  träger  Puls ,  Congestionen  zum  Kopfe  und  Unterleibe ;  Schwii\- 
del,  Ohnmächten,  Zittern,  Betäubung,  Sopor,  Apoplexie ;  ferner  Verdauungs- 
beschwerden ,  Heisshunger ,  Vielfrässigkeit ,  Erbrechen  nach  dem  Essen, 
Leibesverstopfung ,  verminderte  Diuresis  und  Diaphoresis  ,  häufiger  aber  ein 
zu  weicher  Stuhlgang;  krankhaftes  Hautsystera:  ein  nach  Fett  unangenehm 
riechender  Schvveiss ,  der  oft  die  in  Falten  geschlagene  Haut  excoriirt  und 
scharf  ist;  öfters  Furunkeln,  Mitesser,  chronische  Exantheme;  Respirations- 
besch werden:  Dyspnoe,  Asthma,  Zufälle  von  Brustbräune;  bei  Männern  Im- 
potenz, bei  Frauen  sparsame  Menstruation  und  Sterilität.  Ursachen. 
Die  wahre  Ursache  des  Übels  kennt  man  noch  nicht.  Gelegentliche  und 
prädisponirende  Ursachen  sind:  phlegmatisches  Temperament,  starker  Appe- 
tit, übermässiger  Genuss  animalischer  Kost  und  ^'ieler  geistigen  Getränke, 
zu  viel  Ruhe,  Schlaf,  zu  wenig  Bewegung  des  Körpers,  geistige  Unthätig- 
keit, Aufenthalt  in  animalisirter  Luft,  z.  B.  in  Fleischscharren,  Schlacht- 
häusern etc. ,  ohnstreitig  ein  Umstand ,  der  zum  öfteren  Fettwerden  der 
Schlächter  mit  beiträgt.  In  einzelnen  Fällen  sind  diese  Ursachen  nicht  vor- 
handen ,  und  dennoch  zeigt  sich  die  krankhafte  Fettleibigkeit ,  z.  B.  bei  Kin- 
dern ,  bei  thätigen  Frauen  in  den  vierziger  Jahren.  Da  vorzüglich  Schläch- 
ter, Wursthändler,  auch  Anatomen  fett  werden,  so  ists  nicht  unwahrschein- 
lich, dass  die  nächste  Ursache  des  Übels  ein  Übergewischt  des  hydrogeni- 
sirenden  Processes,  entstanden  durch  Übermass  animalischer  Kost  und  durch 
animalische  Dünste,  ist  (v.  Gräfe).  Dies  beweiset  zum  Theil  auch  die  Se- 
ction  solcher  Personen ;  denn  die  Leber  ist  hier  sehr  gross  inid  in  der  Regel 
krankhaft,  die  Lungen  sind  dagegen  klein  und  zusammengefallen,  desglei- 
chen das  Herz.  Eine  häufige  Folge  der  Fettsucht  ist  die  Wassersucht, 
woran  die  meisten  Kranken ,  wenn  sie  schon  im  Alter  vorgerückt  sind,  ster- 
ben, und  zwar  unter  den  Zufällen  von  Erstickung  oder  später  von  Abzeh- 
rung. Prognose.  Ist  im  Allgemeinen  imgünstig,  doch  kann  durch  zweck- 
mässige Diät  und  kräftige  Arzneien,  anhaltend  gebraucht,  bei  nicht  zu  hohem 
Grade  des  Übels  noch  viel  ausgerichtet  werden.  Cur.  Sie  besteht  darin, 
1)  die  gefahrlichen  Erstickungszufälle  zu  beseitigen.  Dies  geschieht  durch 
grosse  Aderlässe  von  jx  bis  Sj  Blut,  aber  nicht  zu  oft  wiederholt;  diese 
machen  nicht  fetter,  wol  aber  die  kleinen  Aderlässe.  2)  Um  radical  zu  hei- 
len, müssen  wir  die  zu  starke  Vegetation  beschränken,  die  Assimilation 
schwächen,  die  zu  starke  Blutbereitung  hindern  und  die  Resorption  durch 
Beförderung  aller  Excretionen  vermehren.  Selxr  wirksam  sind  anhaltend  ge- 
brauchte Purganzen  (Kröcher,  Khnj,  Lang,  v.  Gräfe),  besonders  solche,  die 
höchst  feindlich  aufs  vegetative  Leben  wirken ,  z.  B.  der  Mercur.  So  gab 
V.  Gräfe  seinem  Kranken  täglich  12  —  20  Gran  Merc.  dulo. ,  worauf  16  bis 
SO  Stuhlgänge  folgten.  Als  das  Kalomel  nicht  mehr  hinreichend  ausleeren 
AvoUte ,  wurde  Gutti ,  Jalape  und  Aloe  gereicht.  Au«;h  diese  Mittel  wirkten 
späterhin  nicht  hinreichend,  deshalb  wurde  Folgendes  verordnet:  ly»  Sah 
Glfiuberi^}],  Alocs  sitccotr.  gr.  xjj,  Extr.  hyoscyami  gr.  jj,  Aqune  foejiiciili 'ü']. 
Dieser  Laxirtrank,  des  Tags  gegeben,  veranlasste  binnen  24  Stunden  20 — SO, 
ja  .sogar  einigemal  60  copiöse  wässrige,  einen  süsslichen  Fettgeruch  darbie- 


ADIPSIA  53 

tcnde  Sedes.  Es  erfolgten  Appetitlosigkeit,  Widerwille  gegen  animalische 
Kost ,  und  in  der  dritten  Woche  verliess  der  Kranke  schon  das  Bett.  Nun 
wurden  folgende  Pillen  verordnet:  I^  Sapon.  medic,  Heshi.  jalap.  aua  gp, 
Gumm.  guttae  gr.  xjj.  M.  f.  pil.  pond.  gr.  j. ,  wovon  dreimal  täglich  8  Stück 
genommen  ^vurden,  und  der  Patient  jedesmal  eine  Tasse  Pülnaer  Bitterwas- 
ser nachtrank.  In  4  Wochen  hatte  er  50  Pfd.  Fett  verloren.  Des  vielen 
Laxirens  war  derselbe  überdrüssig,  auch  schien  es  jetzt  nicht  mehr  viel  zu 
wirken.  Daher  verordnete  v.  Gräfe  nun  die  Tinct.  iodinae  (I^  lodinae  gr.  j, 
Spirit.  vin.  rectificntiss.  3j.),  4mal  täglich  20  Tropfen  in  einer  Tasse  Zucker- 
wasser, und  alle  5  Tage  ein  gelindes  Abiuhrmittel.  Nach  Verlauf  von  4  Mo- 
naten hatte  der  Patient  100  Pfd.  an  Gewicht  verloren^  er  verrichtete  nun 
wieder  seine  Geschäfte ,  gehrauchte  aber  noch  2  Monate  die  lodine  und  die 
intercurrenten  Laxanzen  fort,  und  wurde  in  dieser  Zeit  wiederum  40  Pfd. 
leichter.  Nun  wurde  nicht  ferner  medicinirt,  doch  verminderte  sich  das 
Körpergewicht  des  Kranken  noch  um  18  Pfd. ,  so  dass  derselbe,  der  Kröcher 
heisst  und  noch  in  Berlin  als  Schlächtermeister  lebt,  jetzt  nur  noch  209  Pfd. 
wiegt,  vor  der  Cur  dagegen  363  Pfd.  schwer  war.  (S.  v,  Gräfe  u.  v.  Wal- 
ther's  Journal  f.  Chirurgie  u.  Augenheilkunde  Bd.  IX.  Hft.  3.  S.  367.).  Von 
grosser  Wichtigkeit  ist  bei  der  Adiposis  eine  gute  Diät.  Vermeidung  von 
Fleischspeisen,  säuerliche,  vegetabilische  Kost,  zum  Frühstück  Thee ,  zum 
Wittag-  und  Abendessen  Frucht  -  und  Semmelsuppen,  viel  Limonade  zum 
Getränk,  auch  Essig  und  Wasser  unterstützen  die  Cur  ganz  bedeutend,  be- 
sonders in  solchen  Fällen,  wie  der  von  Gräfe'sche  ist.  —  Wer  Anlage  zur 
Fettleibigkeit  hat,  muss  täglich  durch  Gehen,  Reiten  sich  stark  bewegen, 
wenig  essen ,  viel  wachen  und  nicht  zur  Ader  lassen  ( HippoTcrates ,  Cehus, 
Aurelinn')^  er  muss  sich  besonders  viel  im  Sonnenschein  bewegen  und  den 
Schweiss  dadurch  befördern  (^ctiws) ,  den  Körper  täglich  anhaltend  mit  Fla- 
nell reiben  (^Galeri)  und  Thee  von  Rad.  gramin.  und  liquLrit.  kalt  trinken; 
auch  die  kalten  Seebäder  sind  als  Präservativ  zu  empfehlen  (M.).  Ausser 
dieser  von  Hen'n  v.  Gräfe  beschriebenen  und  glücklich  geheilten  Adiposis 
giebt  es  noch  eine  andere  Art  krankhafter  Fettleibigkeit,  welche  nicht  vom 
Übermass  animalischer  Kost,  sondern  von  ganz  andern  Ursachen  entsteht. 
So  sehen  wir  oft  nach  schwächenden  Einflüssen,  nach  öfters  wiederholten 
Venaesectionen ,  nach  übermässigem  Coitus,  nach  Mercurialmitteln,  anhaltend 
gebraucht,  nach  Scorbut,  Chlorosis,  nach  Typhusfiebern  bei  der  Reconva- 
lescenz  Fettleibigkeit  entstehen.  Hier  ist  offenbar  Schwäche  vorhanden. 
Hier  würden  häufige  Purgirmittel ,  Mercur  und  lodine  den  grössten  Schaden 
bringen  und  die  Wassersucht  erregen.  In  mehreren  B^ällen  der  Art  fand  ich 
blondes  Haar,  schlaffe  Faser,  phlegmatisches  Temperament.  Herrliche  Dien- 
ste leisteten  bittere  Extracte,  China,  Eisen,  Stahlbäder,  tägliches  Reiben 
des  Körpers,  viel  Bewegung  in  freier  Luft,  der  anhaltende  Gebrauch  säuer- 
licher Mittel ,  besonders  des  Elix.  vitrioli  Mynsichti ;  daneben  wenig  Suppen, 
wenig  Vegetabilien ,  mehr  gebratenes  Fleisch,  pikante  Dinge:  Meerrettig, 
Senf,  Zwiebeln,  geräuchertes  und  gepökeltes  Fleisch ,  täglich  1  bis  2  Gläser 
guter  Rothwein,  auch  Portwein  und  der  gl.  Ich  schlage  vor,  dieses  Übel 
zum  Unterschiede  der  Adiposis  Graefii,  die  wol  nur  vom  Übermass  animali- 
scher Kost  entsteht,  Adiposis  aquosa  s.  hydropica  zu  nennen,  um  damit 
theils  den  Schwächezustand  der  Kranken ,  theils  den  Ausgang  in  Wasser- 
sucht anzudeuten.  Zu  tadeln  ist  es,  dass  Herr  Dr.  A.  L.  Richter  in  Berlin 
dieser  Art  Fettsucht  in  seiner  Abhandlung  (in  dem  Encyklop.  Wörterbuch 
d.  medic.  Wissenschaften  von  v.  Gräfe,  Hufeland  etc.  Bd.  I.  Berlin,  1828. 
S.  433.  u.  f)  gar  nicht  gedacht  hat. 

Adipsia,  Aposia,  Durstlosigkeit.  Ist  in  hitzigen  Fiebern,  im 
Typhus,  ein  gefährliches  Symptom,  besonders  zu  Anfange  derselben.  In 
der  Akme  ists  dagegen,  wenn  zugleich  die  brennende  Hitze  abnimmt,  der 
schnelle  Puls  langsamer  wird ,  und  die  Delirien  sich  vermindern ,  ein  gutes 
Zeichen.  Oft  ist  in  bösen  Fiebern  der  Durst  da,  aber  der  Kranke  liegt  so 
sehr  in  Betäubung,  dass  er  sein  Verlangen  nach  Getränk  nicht  zu  erkennen 
geben  kann.    Hysterische  und  hypochondrische  Personen  trinken  oft  wochen- 


54  ADJUVANTIA  —  ADYNAMIA 

lang  sehr  wenig  und  haben  keinen  Durst ;  auch  zeigt  bei  chronischen  Übeb» 
die  Adipsie  atrabilarische  Constitution  und  venöse  Blutanhäufungen  im  Uiiter- 
leibe,  im  PfortadersYstem,  in  der  Leber,  Milz  und  den  Hämorrhoidaigefässen  an. 

A.d]uvaiitia  (tnedicaminn),  Unterstützungsmittel.  Sind  solche 
Arzneimittel,  wodurch  das  Hauptmittel  (Basis)  nach  den  Regeln  der  Receptir- 
kunst  unterstützt  oder  sicherer  gemacht  werden  soll.  Ist  die  Basis  gut  ge- 
wählt, so  ist^  das  Adjuvans  oft  zu  entbehren.  Oft  ists  aber  für  den  ächtea 
Praktiker  unentbehrlich,  weil  er  in  der  Apotheke  kein  einzelnes  Mittel  findet, 
welches  für  den  individuellen  Krankheitsfall  vollkommen  passt.  Hier  soll  die 
Basis  und  das  Adjuviyis  nur  als  Ein  Mittel  angesehen  werden ;  z.  B.  Decoct. 
chinae  mit  Infus,  rad.  valcrianae,  calam.  arom  und  Liquor,  anodyn.  nur  als. 
ein  Roborans ,  welches  gerade  für  den  Grad  der  Schwäche ,  woran  der 
Kranke  N.  N.  leidet ,  völlig  passt ,  da  die  China  allein  hier  zu  schwer  ver- 
daulich, grob  und  fix,  dagegen  die  Valeriana,  der  Kalmus  und  Liquor  allein 
zu  flüchtig  und  excitirend  wirken  würden.  So  schafft  sich  der  wahre  Prakti- 
ker durch  sorgfältige  Mischung  und  Zusatz  der  Adjuvantia  ein  nicht  stopfen- 
des Opium,  eine  nicht  reizend  purgirende  Aloe,  ein  nicht  purgirendes  Kalo- 
mel,  ein  nicht  die  Verdauung  schwächendes  Eisen  u.  s.  f. 

Adstring^entia »  zusammenziehende  Mittel.  Sie  vermehren 
die  Cohäsion  der  Faser,  daher  den  Tonus,  und  wirken  somit  unmittelbar 
stärkend,  indem  sie  die  Erschlaffung  heben,  die  übermässige  Keceptivität 
und  Sensibilität  herabstimmen  und  die  durch  Schwäche  und  Erschlaffung 
vermehrten  Se-  und  Excretionen  vermindern.  Hierher  gehören  Cort.  chinae, 
quercus,  hippocastan. ,  Salicis,  Herb,  salviae,  Cort.  adstringens  Brasiliensis, 
Spiraea  tomentosa ,  Cort.  et  folia  betulae ,  Verbena  officinalis,  Folia  hederae, 
vitis  viniferae,  'Rad.  tormentillae,  ratanhiae,  Gummi  katechu,  kino,  Alumen, 
Acid.  sulphuric. ,  Vitriol,  martis,  cupri,  zinci.  Eisen,  Blei  und  die  Kälte. 
Die  Zahl  der  äusserlich  anzuwendenden  Adstringentia  ist  mit  Einschluss  der 
oben  genannten  noch  grösser.  Besonders  adstrmgirend  wirken  äusserlich  das 
kalte  Wasser,  Aq.  Goulardi,  Vitiüol.  album,  coerul. ,  Lap.  divinus,  Alaun, 
Tinct.  katechu ,  Pulv.  gall.  quercinar. ,  Cort.  quercus  etc.  in  Form  von 
Waschwassern,  Umschlägen,  Gurgelwassern,  Einspritzungen  (gegen  chroni- 
sche Blennorrhöen,  Prolapsus,  Nabelbrüche,  chronische  Ophthalmien,  bei 
stark  eiternden  Wunden  und  Geschwüren  mit  Caro  luxurians  und  Neigung 
zur  Fäulniss).  Contiaindicirt  sind  die  Adstringentia  bei  äusserlichen  heftigen 
Entzündungen ,  bei  kritischen  Ausscheidungen ,  kritischen  chronischen  Aus- 
schlägen, indem  sie  hier  leicht  Rletastasen  nach  Innern  edlern  Theilcn  erre- 
gen ;  besonders  ist  dies  bei  der  Anwendung  des  Bleies  zu  befürchten. 

Adynamia',  Asthcnia,  Dehilitis  corporis,  Schwäche.  Ein  höchst 
relativer,  nur  zu  häufig  im  gemeuien  Leben,  wie  in  der  Heilkunst  gemiss- 
brauchter  Begriff.  Selten  wird  der  Praktiker  das  Lager  eines  Kranken  ver- 
lassen ,  ohne  das  dritte  Wort  im  Munde  der  Laien:  „Ach!  wie  schwach  ist 
das  Kind  oder  die  Frau,  der  Mann"  etc.  gehört  zu  haben,  und  Wehe  ihm 
und  dem  Kranken,  wenn  er  s4ch  dann  gleich  verleiten  lässt,  Excitantia  und 
Roborantia :  Kampher,  Opium,  Serpentaria,  China  etc.  zu  verschreiben.  — 
Zu  allen  acuten  und  chronischen  Krankheiten  kann  Schwäche  hinzukommen, 
die  theils  mit  erhöhter,  theils  verminderter  Reizempfanglichkeit  verbunden 
«eyn  kann ,  und  die  Adynamie  behauptete  von  jeher  in  der  praktischen  \le- 
dicin  unter  den  Benennungen  Malignität ,  bösartiger,  pestilenzialischer  Cha- 
rakter, Fäulniss,  Faulfieber,  bei  Brown  Asthenie,  bei  Rcil  u.  A.  Lähmung, 
bei  Neueren  Passivität,  Venosität  etc.  eine  Hauptstelle.  Bei  näherer  Be- 
trachtung dieses  Gegenstandes  ist  für  den  Praktiker  höchst  wichtig  der  Un- 
terschied zwischen  wahrer  luid  scheinbarer  oder  falscher  Schwäche  (Debilitan 
Tcra  et  spuria).  Die  wahre  Schwäche  entsteht  entweder  durch  Erschöpfung 
der  Lebenskraft,  durch  Überreizung  (indirecte  Asthenie  nach  Brottfii'),  oder 
durch  mangelnde  Nahrung  u.  Erregung  der  Kraft  (Asthenia  directa  Broivnii). 
Wir  theilea  sie  am  besten  in  die  irritable,  erethistische ,  und  in  die  torpide 
•in.     Zeichen  der  wahren  Schwäche:  Wirklicher  Mangel  an  lebendi- 


AEDOEAGRA  —  AEDOEOPSIA  55 

ger  Kraft  und  Kraftänsserung,  daher  Unvermögen  zu  gehen ,  zu  stehen  oder 
aufrecht  zu  sitzen,  Ohnmächten,  Gesichtsblässe  bei  aufrechter  Stellung,  Zit-^ 
tern  der  Glieder,  unveränderte  Lage  im  Bette,  Schlaffheit  und  Mattiglceit 
in  den  Gliedern ,  äusserst  kleiner  geschwinder ,  kaum  fühlbarer ,  unter  dei* 
Hand  leicht  wegzudrückender  Puls,  schnelle,  ungleiche,  ängstliche  Respira- 
tion, zusammengezogene,  kleine  Pupillen^  grosse  Gleichgültigkeit  des  Kranken. 
Wenn  bei  einem  Fieberkranken  diese  Symptome  zugegen  und  anhaltend, 
nicht  vorübergehend ,  wie  bei  Hysterismus  und  andern  Neurosen,  sind ,  ist  an 
wahrer  Schwäche  nicht  zu  zweifeln.  Zeichen  der  falschen  Schwäche. 
Robuste  Constitution,  mittleres  Alter,  Fieber  mit  Frostanfallen  und  geschwin- 
dem, aber  nicht  leicht  wegzudrückendem  Pulse,  Zerschlagenheit  und  Mattig- 
keit in  den  Gliedern ,  die  aber  mit  einem  Gefühl  von  Steifheit  verbunden  ist.. 
Der  Kranke  leidet  nicht  an  anhaltenden  Schweissen  oder  Durchfällen,  er 
phantasirt  vielleicht  viel,  kann  sich  aber  allein  aufrichten,  wird  nicht  ohn- 
mächtig dabei,  ist  höchst  unruhig,  leidet  vielleicht  an  innern  örtlichen  Ent- 
zündungen ,  hat  grosse  Angst ,  des  Abends  nimmt  das  Fieber  zu  u.  s.  w. 
Hier  ist  scheinbare  Schwäche  aus  Unterdrückung  der  Kraftäusserungen  (De- 
bilitas  spuria,  ab  oppressione  virium  orta).  Ein  solcher  Kranker  ist  eben 
«0  wenig  schwach  zu  nennen,  als  der  kraftAolle  Mann,  der,  weil  man  ihn 
gefesselt  hat,  sich  nicht  bewegen  kann.  Hier  hebt  ein  Aderlass  oft  die 
Bcheinbare  Schwäche.  Hierher  gehören  die  Debilitas  plethorica,  gastrica, 
metastatica  der  Alten,  wo  der  Kranke  wegen  Überfüllung  der  Blutgefässe, 
Überladung  des  Wagens,  gastrischer  Anhäufungen,  wegen  gebundener  Kraft, 
entstanden  durch  mechanischen  Druck,  Unterbindiing,  durch  Lähmungen  ein- 
zelner Theiie:  des  Gehirn»,  durch  Exsudatiorven ,  Extravasate,  Metastase» 
etc.  scheinbar  schwach  ist,  durch  Entfernung-  der  Ursache  aber  ohne  da» 
geringste  Stärkungsmittel  wie  neu  belebt  erscheint.  Auch  die  Debilitas  Kd 
sensum ,  entstanden  durch  Nervenverstimmung,  die  Gefühl  von  Schwäfche 
hervorbringt,  ist  eine  falsche  Schwäche,  die  wir  fast  bei  jedem  Fieber- be- 
merken. Wahre  erethistische  Schwäche  finden  wir  bei  der  Febris  nervosa 
versatilis ,  auch  Typhus  cum  erethismo  genannt ,  wahre  torpide  Schwäche 
bei  de;*  Febris  nervosa  stupida  s.  Typhus  cum  torpore;  s.  diese  Artikel.  Da 
die  wahre  Schwäche  bei  den  meisten  Fieberkranken  J  die  nicht  an  Hunges 
und  Kummer  gelitten  haben,  in  unsern  Gegenden  von  Norddeutschland,  sel- 
tene Fälle  und  seltene  Zeiten,  wo  ungewöhnlich  bösartige  Epidemien  herr- 
schen ,  ausgenommen ,  nicht  stattfindet ,  wenigstens  nicht  in  den  ersten  neun 
Tagen  der  Krankheit ,  da  sie  aber  am  häufigsten  aus  Erschöpfung  der  Kraft, 
durch  Überreizung  erfolgt ,  so  hüte  sich  der  Arzt .  vor  der  frühen  Anwen- 
dung reizender,  erhitzender,  vermeintlich  stärkender  Arzneien,  um  durch 
seine  Kunst  oder  richtiger  Unkunst  solche  Febi'es  nervosae  versatües  aut 
i^tupidae  nicht  hervorzubringen. 

Aedoeag^ra,  Schmerz  der  Genitalien,   s.Pudendagra. 

Acdoeoblennorrhoea,  Schleimfluss  aus  ^en  Genitalien,  s,  -Leu- 
^^rrhoea,   Gonorrhoea. 

-,;  Aedoeoitis  ,  Entzündung  der  äussern  Geschlechtstheile,  s.  Inflam- 
matio  vaginae,  urethrae,  Gonorrhoea,  Ijifl^W.iA.atio  l^l^iorum 
vulvae,    scroti,    Balanitis.  .^  !  (  .,  .    -jv  rv.i'f    ■ 

Aedoctopflia,  Aedoeo^sis,  das  Sehen,  die  B.esioKtigungide'r 
Scham.  Ist  bei  den  verschiedenen  Krankheiten  der  männlichen,  besonders 
aber  der  weiblichen  Geschlechtstheile  sehr  wichtig.  Wir  unterscheiden} 
1)  Aedoeopsis  uterina  et  vaginalis.  Um  die  tiefer  gelegenen  Par- 
tien der  Mutterscbeide ,  die  Portio  vaginalis  uteri  zu  beschauen ,  bedienen 
wir  uns  des  von  Recamier  erdachten,  von  Dwpuijfren  wesentlich  verbesserten 
Speculum  vaginae  et  uteri,  das  allgemeiner  verbreitet  zu  werden  ver- 
dient, da  wir  mit  ihm,  wenn  es  in  die  Vagina  gebracht  worden  ist  und 
Y»ir  vor  seine  äussere  Öffnung  eine  angezündete  Kerze  halten  oder  das  Ta- 
geslicht hinein  fallen  lassen,  die  Scheidenportion  der  Gebärmutter  und  die 
Wandungen  der  Vagina  deutlich  sehen  können.     Man  hat  selche  Specula  von 


56  AEDOEOPSOPHIA  —  AEGILOPS 

▼erschiedener  Grösse,  je  nach  der  Enge  oder  Weite  der  Vagina;  ihre  Ap- 
plication ist  ganz  schmerzlos,  indem  das  äusserlich  mit  reinem  Öl  bestrichene 
erwärmte  Instrument,  nachdem  man  vorher  sich  durchs  Zufühlen  mit  dem 
Finger  vom  Stande  der  Vaginalportion  überzeugt  hat,  rotirend  und  in  der 
Richtung  der  Scheide  in  letztere  eingebracht  wird.  Drehet  man  den  einge- 
brachten Spiegel  langsam  um  seine  Achse,  so  kann  man  durch  die  ange- 
brachte Längenspalte  des  Cylinders  nach  und  nach  jeden  Theil  der  Vagina, 
durch  die  hintere  Öffnung  aber  die  Vaginalportion  beschauen.  Um  die  Dia- 
gnose bei  Geschwüren  aller  Art,  besonders  bei  syphilitischen,  bei  Fistelgän- 
gen in  der  Vagina  und  am  Mutterhalse,  bei  Blasenscheiden-  und  Mastdarra- 
scheidenfisteln  etc.  zu  sichern ,  ist  ein  solches  Speculum  höchst  nothwendlg. 
Jeder  Arzt  oder  Wundarzt,  der  die  Besichtigung  der  Freudenmädchen  sich 
zur  Pflicht  gemacht,  muss  diesen  Spiegel  anwenden;  denn  häutig  ist  ea  vor- 
gekommen, dass  solche  Dirnen  an  den  äussern  Genitalien  und  so  weit  man 
bei  auseinandergehaltenen  Schamlefzen  in  die  Mutterscheide  sehen  kann,  ganz 
gesund  aussehen,  und  dennoch  haben  sie  venerische  Geschwüre  oft  schoii 
Wochen  lang  in  der  Tiefe ,  die  nur  das  Speculum  allein  entdeckt ,  wie  die- 
ses Dr.  Ricohl  in  Paris  bei  seinen  zahlreichen  Untersuchungen  häufig  ge- 
funden hat.  (Vgl.  d.  Art.  Exploratio  obste  tricia).  Auf  solche  Weise 
erklärt  es  sich  auch ,  wie  von  solchen  Freudenmädchen  häufig  Männer  ange- 
steckt werden,  denen  der  untersuchende  Wundarzt,  wenn  er  sich  des  Spie- 
gels nicht  bedient,  das  Zeugniss  der  Gesundheit  gegeben,  wie  denn  vor 
zwei  Jahren  in  Dobberan  zwei  Fälle  der  Art,  nach  des  Leibarztes  Sachse 
Meinung,  wahrscheinlich  vorgekommen  sind.  (S.  Cnsper^s  Wochenschrift  f. 
die  ges.  Heilkunde.  1833.  Nr.  16.  S.  297.  RhsVs  Magaz.  Bd.  VIL  S.  Ii8. 
Ammon's  Parallele  d.  französ.  und  deutschen  Chirurgie.  1823.  S.  258.).  — 
2)  Aedoeopsis  vesicalis,  Autopsia  vesicae  urinariae,  die  An- 
schauung des  Innern  der  Harnblase.  Zu  diesem  Zwecke  hat  Scya- 
las  einen  ßleisenspiegel  erfunden,  ein  Speculum  urethro - cysticura ,  welches 
auch  sehr  instructiv  eingerichtet  ist  und  seinem  Zwecke  bei  richtiger  An- 
wendung ziemlich  entspricht. 

Aedoeopsophia,  Mutterwindsucht,  Auftreibung  der  Ge- 
bärmutter durch  Luft,  welche  oft  mit  hörbarem  Geräusche  abgeht. 
Zuweilen  ereignet  sich  dieses  Symptom  bei  Hysterischen  nach  heftigen  An- 
fällen des  Übels,  verschwndet  alsdann  meist  von  selbst  (M.).  Einige  ver- 
stehen unter  dem  Worte  den  Abgang  von  Luft  sowol  aus  dem  Uterus  durch 
die  Vagina,  als  aus  der  Blase  durch  die  Harnröhre.  (Vergl.  Tympanitis 
uteri  und  Ficq  d'Azyr  in  Encyclop.  m^thodique  T.  XXXVII.  p.  229.). 
Dass  zuweilen  bei  hysterischen  Frauen  Betrügerieien  stattfinden,  und  die  äb- 
gehende  Luft  durch  einen  Katheter  eingeblasen  wurde,  hat  noch  neulich  die 
famös  gewordene  kopenhagener  Kranke  bewiesen,  welche  lange  Zeit  ihre 
Ärzte  hinterging. 

Aeg^opS,  Augen  wink elg es chw Gr.  Ist  ein  Geschwür  im  inne- 
ren Augenwinkel  in  der  Gegend  des  Thränensacks,  das  in  der  Carunkel,  in 
der  halbmondförmigen  Falte  seinen  Sitz  hat,  zuweilen  aber  auch  den  Thrä- 
nensack  mit  angreift ,  nur  oberflächlich  eitert  und  Folge  einer  Augenwinkel- 
geschwulst (Anchilops)  ist.  Es  giebt  eine  Anchilops  inflammatoria ,  cystica, 
scirrhosa,  cariosa,  je  nachdem  das  Übel  blos  in  Entzündung,  oder  in  einer 
Verhärtung,  oder  in  Caries,  oder  in  einer  Balggeschwulst  besteht.  Ein  sol- 
ches Geschwür  imterscheidet  sich  von  der  ächten  Thränensackfistel  dadurch, 
dass  die  thränenabführende  Partie  primär  nicht  krankhaft  ergriffen  ist ,  der 
Abscess  liegt  unmittelbar  unter  der  Haut,  ist  hart,  die  Geschwulst  des 
Thränensacks  dagegen  elastisch;  auch  ist  bei  Anchilops  der  Thränenausfluss 
durch  die  Nase  nicht  gehemmt,  es  müsste  denn  durch  Affection  des  Thrä- 
nensacks die  unächte  Thränenfistel  (nach  Acer)  entstanden  seyn.  Symptome, 
Bei  Anchilops  simplex  drückendes,  spannendes  Gefühl  in  der  Gegend  des  in- 
nern  Augenwinkels,  geringe  Geschwulst  daselbst,  die  bald  härter,  schmerz- 
hafter und    roth  wird,    geringe  Anschwellung   der  Thränencarunkel .    Röthe 


AEGIS  —  AEROPHTHORA  57 

des  innem  Augenwinkels  und  der  Augenlidränder.  Geht  das  Übel  in  Aegi- 
lops,  in  Eiterung  über,  so  entstehen  lebhaftere  Schmerzen,  die  Geschwulst 
spitzt  sich  zu,  bekommt  eine  weisse  Erhöhung  und  fluctuirt.  Ursachen*, 
plötzliche  Einwirkung  kalter  Luft,  starkes  Weinen  (Beer),  gastrische  Reize, 
Scropheln.  Cur.  Zu  Anfange  setzt  man  einen  Blutegel  an  den  untern  Rand 
der  Geschwulst,  und  macht  Fomentationen  von  Aq.  Goulardi  mit  etwas 
Tinct.  opii.  Ist  die  Entzündung  von  erysipelatösem  Charakter,  so  vermei- 
det man  die  Nässe  und  wendet  Spec.  resolvent.,  aromaticae  in  Kräutersäck- 
chen  an.  Zeigen  sich  die  geringsten  Spuren  der  Eiterung,  so  lasse  man 
erweichende  Breiumschläge  auflegen ,  und  öffne  mit  einer  Lanzette  bei  den 
ersten  Zeichen  von  Fluctuation.  Man  steche  aber  nicht  zu  tief  ein ,  sonst 
verletzt  man  die  vordere  Wand  des  Thränensacks.  Man  verbinde  den  Ab- 
gcess  mit  gar  keinen  Salben  oder  Pflastern,  sondern  lasse  nur  einigemal  täg- 
lich das  Auge  mit  lauem  Wasser  reinigen,  lasse  auch  noch  die  Cataplasmata 
emoUientia,  mit  etwas  Tinct.  opii  versetzt,  fortsetzen,  bis  alle  Härte  ver- 
schwunden ist.  Bei  Scrophulosis  lege  man  Compressen  mit  Aq.  rosarj  und 
Tinct.  opii  über,  und  gebe  innerlich  Ahtiscrophulosa.  Ist  schon  Caries  da, 
so  verbinde  man  mit  Tinct.  myrrhae,  Tinct.  aloes.  Bei  Anchilops  cystica 
reibe  man  Unguent.  mercuriale  ein ;  hilft  dies  nichts ,  so  schäle  man  es  mit 
dem  Messer  aus-  Leicht  erzeugen  sich  solche  Abscesee  von  Neuem ,  beson- 
ders wenn  Syphilis,  Gicht  aum  Grunde  liegt.  Hier  sind  innere,  gegen  das 
Grundübel  gerichtete  Mittel :  Mercurialia ,  Antimonialia,  Decoct.  rad.  sarsa- 
parill. ,  Spec.  lignor.  etc.  anzuwenden.  Die  Erkenntniss  der  Anchilops  com- 
plicata ist  oft  schwer;  s.  Fistula  sacci  lacrymalis  spuciai)' 
Aegis,  Aigis,  Hornhautfleck,  s.  Macula  corneae.  '  '•/'■'' 
Aeg^ophonia s  die  Aegophonie.  Ist  ein  besonderer  mecTcernd«^" 
Ton,  Laennec's  meckernde  Pectoriloquie^,  die  man  bei  Anwendung ' des , Ste-^ 
thoskops  in  verschiedenen  Brnstübeln ,  wahrnimmt.  Sie  deutet  auf  massige 
seröse  Ergiessung  zwischen  den  Blättern  der  Pleura ,  und  ist  iii  Pleuritis 
gerade  kein  schlimmes  Zeichen  (haenncc,  Scudnmore). 
AegritudOj  Unpässlichkeit ,   s.  Morbus. 

Acrophobia,   Luftscheu,  s.  Hydrophobia.  ...Sa     .:;  i.l -?//:, , 

Aeropbthora ,  Luftverderbniss,  unreine  Luft,,  werdior-r. 
bene  Luft.  Ist  eine  solche  Atmosphäre,  die  durch  Änderung  der  :Mi-* 
fichungsverhältnisse  ihrer  eigenthümlichen  Bestandtheile  (21  Theile  Sauer- 
stofl'gas ,  78  Theile  Stickgas  und  1  Theil  Kohlensäure )  oder  durch  Beimi- 
schungen anderer  Gasarten  dahin  verändert  wird ,  dass  sie  zum  Unterhalte 
des  organischen  Lebens  nicht  ferner  tauglich  ist.  Es  kann  zwar  durch  Ab- 
normitäten im  Normalverhältnisse  imponderabler  Stoffe  :  der  Elektrioitäü^  ■  des 
Erdmagnetismus,  der  Wärme  und  Kälte,  der  Trodkenheit  und  Feuchtigkeit, 
die  Atmosphäre  auf  das  organische  Leben  schädlich  wirken;  doch  ist  dieä- 
keine  Luftverderbniss  zu  nennen.  Erdbeben,  vulkanische  Eruptionen,  Sumpf- 
ausdünstungen ,  kosmische  Einflüsse  durch  den  Stand  der  Sonne  luid  des 
Mondes,  Überreste  der  Mondatmosphäre  zur  Zeit,  wo  die  Erde. im  Welten- 
raume  gerade  die  Stelle  durchläuft ,  auf  welcher  noch  wenige  Stunden  .vor- 
her der  Mond  sich  befand  {lAclüenherg) ,  Exhalationen  verschiedener  irrespi- 
rabler  Gasarten  aus  dem  Innern  der  Erde,  zumal  bei  Erdbeben  ganzer  iLäh- 
der,  die  Nähe  von  grossen  Kometen,  —  alle  diese  Dinge  können  die 
Atmosphäre  auf  küi'zere  oder  längere  Zeit  und  über  grössere  oder  kleinere. 
Länderflächen  dergestalt  umändern ,  dass  eine  ungewöhnliche  Witterung  ein- 
tritt, dass  dynamische  und  chemische  Abnormitäten  der  Luft  stattfinden,  die 
der  Gesundheit  nächtheilig  sind  und  somit  selbst  grosse  Weltseucheri',  her-; 
vorrufen,  wie  in  unserer  Zeit  dies  die  asiatische  Cholera,  die  bestiäiunt  mi(i 
einer  schädlichen  Atmosphäre  in  ursächlichem  Zusammenhange  steht ,  [gezeifb 
hat.  Es  ist  Thatsache,  dass  allen  grossen  verheerenden  Epidemien  äUereh 
und  neuerer  Zeit,  selbst  dem  ersten  Aüsbtuche  der  Cholera  in  Indien  (1817),. 
grosse  Erdbeben,  vulkanische  Erscheinungen,  Überschwemniungeii ,  bedeu- 
tende und   zahlreiche  Meteore  vorhergingen  und  'damit  im  ZusammeohaHge 


S8  AEROPHTHORA 

stehen.  Sie  alle  deuten  auf  Luftverderbnisse ,  indem  h!er  auf  dem  Erdbali 
im  Grossen  durch  die  Erdbeben  das  geschieht ,  was  wir  im  Kleinen  beim 
Umbrechen  des  mit  vielem  Humus,  mit  verwesten  organischen  Stoffen  ge- 
ficbwäjigerten,  in  Niederungen  der  Flüsse  gelegenen  Erdbodens  wahrnehmen, 
d.  i.  schädliche  Luftausdünstungen.  Je  grösser  und  älter  die  Städte 
Bind,  desto  mehr  und  desto  bedeutender  sind  diese  Lager  von  organischem 
Schutt ,  so  dass  man  mit  Recht  sagen  kann ,  sie  sind  auf  den  Gräbern  der 
Vorzeit  gebauet.  Daher  dann  hier  die  grössere  Luftverderbniss ,  die  Ent- 
^ckelung  von  Miasmen ,  die  selbst  Contagien  bilden  können ,  —  daher  das 
sonst  so  Räthselhafte  in  der  Verbreitung  der  Cholera ,  daher  die  Menge  der 
Meteore,  die  gleichsam  als  grosse  Irrlichter,  als  in  Entzündung  übergegan- 
gene schädliche  Gasarten,  womit  die  Luft  überhäuft  ist,  zu  betrachten  sind. 
Sehr  nachtheilig  wirkt  die  Luft  in  eingeschlossenen  Räumen,  in  Cloaken, 
in  manchen  Bergwerken ,  in  verschlossenen  Brunnen ,  in  feuchten  Wohnun- 
gen und  besonders  in  dumpfigen,  der  Luft  und  dem  Lichte  nicht  zugäng- 
lichen Gefängnissen,  wo  sie  mit  Kohlenstoff,  Stickstoff,  gekohltem  Schwe- 
felwasserstoffgas etc.  überladen  wird,  und  es  ist  ein  wichtiger,  leider!  in 
Deutschland  noch  zu  wenig  von  der  Gesundheitspolizei  beachteter  Gegen- 
stand, darauf  zu  achten,  dass  sowol  beim  Bauen  der  Häuser  auf  gesunde 
Wohnungen  gesehen  und  diese  nicht  zu  früh,  ehe  sie  trocken  geworden, 
verklebt  und  bezogen  wird ,  als  auch  dass  die  Gefängnisse ,  die  hie  und  da 
noch  wahre  .Mordlöcher  der  Gesundheit  sind,  zweckmässiger  eingerichtet 
■werden,  damit  sie  der  Gesundheit  der  Gefangenen  nicht  schaden.  —  Um 
die  Stickluft  aus  auszubessernden  tiefen  Brunnen  zu  entfernen  ,  reicht  das 
Anzünden  von  Holz,  Scbiesspulver  etc.  selten  hin.  Das  Beste  ist,  dass  man 
auf  einmal  160  bis  200  Quart  kochendes  Wasser  hineingiesst.  Dies  hat  die 
Wirkung,  dass  sich  sofort  undurchsichtige  Dämpfe  entwickeln,  die  oft  Y4 
Stunde  emporsteigen,  wodurch  die  Stickluft  gänzlich  aus  dem  Brunnen  ent- 
fernt wird,  was  man  daran  erkennen  kann,  dass  ein  hinuntergesenktes  Licht 
darin  brennen  bleibt.  Alsdann  können  die  Arbeiter  ohne  Lebensgefahr  hin- 
einsteigen und  an  die  Arbeit  gehen.  —  Die  Gasarten,  die  sich  beim  Aus- 
räumen des  Mistgruben ,  vorzüglich  während  des  Wegschaffens  der  Jauche 
entwickeln ,  schaden  nicht  blos  den  Arbeitern ,  sondern  auch  den  Bewohnern 
des  Hauses,  die  Kopfschmerz,  Unruhe,  Schlaflosigkeit,^  Übelkeit  davoii  em- 
pfinden. Man  sichert  sich  am  besten  vor  dem  Eindringen  solcher  Gase  in 
die  Zimmer  dadurch,  dass  man  die  Öffnungen  mit  Tüchern  verhängt,  wel- 
che mit  Chlorkalkauflösung  befeuchtet  worden  sind.  Bekanntlich  ist  jede 
eingeschlossene  Luft  in  Gemächern,  wo  viele  Menschen  athmen  und  viele 
Lichter  brennen,  die  das  Oxygen  schneller  verzehren,  wie  in  überfüllten 
Schauspielhäusern,  Teinzsälen,  in  schlecht  eingerichteten  Spitälern,  auf  über- 
füllten Schiffen  ( z.  B.  auf  den  Sklavenhändlerschiffen ) ,  sehr  schädlich ,  in- 
dem bösartige  contagiöse  Krankheiten:  Lazareth-,  Kerker-,  Schiffsfieber, 
Fleck  -  und  Faulfieber  daraus  entstehen  können.  Eine  mit  verdorbenen  ani- 
malischen Stoffen  zu  sehr  geschwängerte  Luft  in  Krankenhäusern  ist  häufig 
die  Ursache ,  dass  die  einfachsten  Wunden  und  Geschwüre  stets  brandig 
werden  (s.  Gangraena  nosocomialis)  und  die  luftreinigenden  Räuche- 
rungen von  Guyton  ~  Morycrtu  u.  A.  haben  Tausenden  Leben  und  Gesund- 
heit gerettet.  (S.  Fumigatio).  Zur  Desinfection  jeder  durch  faulige,  in 
Verwesung  übergegangene  animalische  Stoffe  ■  verdorbenen  Luft ,  z.  B.  bei 
Sectionen  schon  sehr  in  Verwesung  begriffener  Leichen,  ist  die  Chlorkalk- 
auflösung allen  andern  Mitteln  vorzuziehen ,  zumal  wenn  man  zu  letzterer 
noch  etwas  Schwefelsäure  zusetzt.  — •  Wenn  die  sitzenden  Stände,  Gelehrte, 
Schneider,  Schuster,  Nähterinnen,  besonders  wenn  sie  sich  in  engen  niedri- 
gen und  wenig  gelüfteten  Zimmern  aufhalten,  blass  und  hager  aussehen, 
so  ist  die  schlechte  Zimmerluft  die  Hauptveranlassung  dazu,  öfteres  Lüften 
der  Zimmer,  Wohnungen,  welche  die  Sonne  bescheinen  kann  und  nach  Sü- 
den liegen ,  fteissige  Bewegung  im  Freien  und  vieles  Wassertrinken  sind  die- 
jenigen Mittel,  die,  anhaltend  gebraucht,  solchen  Leuten  weit  nützlicher 
•ind,  aU  alle  Arzneien^.    Auf  die  Srhiafzimmer  und  die  Salubrität  der  darin 


AEROPHTHORA  |i^ 

enthaltenen  Luft  sehen  die  vremigsten  Menschen,  obgleich  sie  ftbep/Y«  ihre« 
ganzen  Lebens  darin  athmen  und  sich  aufhalten.  Das  Schlafen  in  enget^ 
dumpfigen  Alkoven  ist,  wie  Dzondi  ,gan?  recht  bemerkt,  höchst  ungesund; 
ich  habe  manchen  Asthmatischen,  Gichtischen,  Dyskrasischen  nicht  eher  hei- 
len können,  als  bis  er  das  enge,  dunkle,  dumpfige,  parterre  befindliche 
Schlafzimmer  mit  einem  luftigen,  geräumigen,  hellen,  an  der  Sonnenseite  be- 
findlichen Saale,  der  nun  zum  Schlafeimmer  dienen  musste,  eine  Zeit  lang 
vertauscht  hatte.  Hier  in  Rostock  giebt  es  viele  ungesunde  Wohnungen, 
besonders  in  der  Nähe  des  Strandes;  auch  viele  neue  Wohnungen  sind  höchst 
feucht  und  ungesund,  weil  sie  von  Baumeistern  auf  Speculation  gebauet, 
schnell  vollendet ,  verkauft  und  von  den  Eigenthümern  bezogen  vvorden,  be- 
vor sie  gehörig  ausgetrocknet  waren ,  und  es  gereicht  unserer  Polizei  zum 
grossen  Vorwurfe,  dass  sie  darauf  gar  nicht  achtet.  In  einer  solchen  feuch- 
ten Wohnung  lebte  ein  Mann  mit  Familie,  wo  jedes  Mitglied  derselben  jähr*' 
lieh  wenigstens  einmal  erkränkte,  so  dass  ich  vollauf  zu  thnn  und  voö  die- 
ser Familie  jährlich  ein  nicht  geringes  Honorar  zu  erwarten  hatte.  Ich  sagta 
vor  6  Jahren  dem  Manne,  dass  allein  die  feuchte  Wohnung  Schuld  an  de» 
jährlichen  Krankheiten,  woran  er  selbst  und  seine  Familie  litt,  sey,  rietb 
ihm,  eine  gesunde  trockne  Wohnung  zu  kaufen;  —  er  that  es,  und  seit  der 
Zeit  sind  die  Leute  so  gesund  geblieben,  dass  ich  mich  in  5  Jahren  auch 
nicht  eines  einzigen  Krankheitsi^llcs  in  dieser  Familie  zu  erinnern  weiss. 
Stark  riechende  Pflanzen,  besonders  die  Blüten  von  weissen  Lilien,  Hya-n 
cinthen,  von  Philadelphus  coronarius,  Citrus  medica  und  Aurantium,  '^on 
Ligusticum  levisticum ,  Lonicera  caprifolium  etc.  erregen ,  indem  sie  Wasser- 
stolfgas  im  Schatten ,  in  verschlossenen  Zimmern  ausdünsten ,  dadurch  bei 
empfindlichen  Personen  oft  Ohnmächten ,  Kopfschmerz,  Schwind^»  Übelkeit, 
Krämpfe,  Scheintod,  selbst  Tod,  wogegen  die  frühe  Anwendung'  reiner  fein 
scher  Luft  und  belebender  Mittel  die  beste  Hülfe  leistet.  Der  Dampf  Toa 
glühenden  Holzkohlen  verunreinigt  die  Luft  mit  KohlenstofFoxydgas ,  wplches» 
Kopfweh,  Schwindel,  Angst,  Betäubung,  blaue  Gesichtsfarbe,  Schl^gfluss» 
Lähmungen,  Delirien,  Scheintod  und  wirklichen  Tod  schon  binnen  sehr, kur- 
zer Zeit  erregen  kann,  wenn  d^r  Mensch  nicht  bald  an  die  frische  Luft  gen 
bracht  und  mit  Essig  etc.  gewaschen  wird.  (S.  Asphyxie  durch  Kohlen- 
stoffgas).—  Die  sog.  schlagcndenWetter,  Schwaden,  bösea 
Wetter  in  den  Bergwerken  bestehen  auS:  einem  Gemisch  von  Kohlei^^äure 
und  Kohlenwasserstoffgas,  welches,  wenn  ein  Licht  in  die  Nähe  kommt, 
detoijirt  und  den  Bergleuten  ausser  Erstickungsanfälkn  noch  mechs^lliiscKQ 
Verletzungen  zu  Wege  bringt.  Am  besten  schützen  sich  die  Bergleute  da- 
gegen durch  die  Davy'sche  Sicherheitslampe.  Die  thSnernen  Öfen  sind,  sjUx 
mal  in  engen  und  niedrigen  Stuben,  deshalb  schädlich,  weil  sie,  n^h.^tiTn- 
loldi,  den  Sauerstoff  anziehen  und  dagegen  mephitische  Gasarjteii  g^wsdüi^. 
sten ,  weshalb  in  manchen  Gegenden  der  arme  Landmann ,  bei  xjhs-  d^.r  ,Ka- 
thenmann,  oft  Nachtheil  an  der  Gesundheit  nimmt,  zumal  die  kleben  Kin- 
der und  solche,  die  sich  die  meiste  Zeit  in  dergleichen  Stuben^  aufhalten 
müssen.  —  Auch  verschiedene  Handwerker  leiden  durch  Verurvreihigung 
imd  giftige  Beschaffenheit  der  Luft  durch  Stoffe ,  ■  die  sie  zur  Betreibung  ih- 
res Geschäfts  nicht  entbehren  können.  So  leiden  die  Goldarbei,ter  .oft  dufch. 
Quecksilberdünste,  besonders  die  Vergolder,  die  Klempner  durpli ,  K^OJilen- 
dunst,  der  Kürschner  durch- T hierhaare;  besonders  nachtheilig  ist;  die  Luft 
in  Gypsmühlen  u.  s.  w.  (S.  Hufeland  in  dess.  Journal  1810.  Novbr.  Portal^ 
Über  die  Wirkungen  der  mephitischen  Dünste,  und  vorzüglich  des  Kohlen- 
dampfs auf  den  menscW.  Körper.  Frankfurt  u.  Leipzig  1778.).  Dureh  Koh- 
lenstoffoxydgas, das  sich  bekanntlich  durch  den  Gebrauch  der  Kohlenbecken 
und  FeuerkUcen  im  Zimmer  entwickelt,  oder  auch  dadurch,  daa«.bM  ÖÖsern 
Holzöfen  das  sogenannte  Schoss  oder  Schloss ,  bevor  die  glühenden  Kohlen 
ausgebrannt  sind,  zu  früh  zugemacht  wird,  welches  nachlässige  VeditLiureii 
noch  kürzlich  einigen  Menschen  hieselbst  datf  Leben  gekostet^  babeo  uniäii- 
iige  Menschen  ihren  Tod  gefunden^ 


ad  AEROT^HORAX  —  AGEUSIS 

Aei^othoi'ax j  Luft-brust.  So  nennt  Kraus  den  Pneumothorax  Und 
zieht  diesen  Namen  letzterm  vor;    S.  Asthma  aSreUm  a  physothorace. 

Aestates,  Hitzblattern,  ß.  Hydroa.     ,     •,      ',,    . 

_       ,,  ,  •';  '  '    j'  .i.'jilMlU/,  ,<>< 

ACMOloifia»  Aetiologie,  die  Lehre  vop  den-  Ursachen  der 
Krankheiten,  d.  i.  die  Untersuchung,  \vie  diese  Ursachen  wirken,  und 
wie  hieraus  der  kranke  Zustand  hervorgeht;  ein  höchst  -wichtiger  Gegen- 
stand für  rationelle  Heilkunst ;  nur  der  rohp  Empiriker  verachtet  oder  ver- 
nachlässigt diese  Lehre,  ohne  welche  keine  Einsicht  in  das  Wesen  der  Krank- 
heiten möglich  ist,  und  keine  rationelle  Cur  gedacht  worden  kann;  s.  Mor- 
bus. Einen  recht  lehrreichen  und  schönen  Aufsatz  über  die  Ätiologie  der 
Krankheit  im  Allgemeinen  hat  uns  jüngst  Ph.  v.  Wnlthcr  (s.  v.  Gräle' s  und 
t;.  Wnlther's  Journal  für  Chirurgie.  Bd.  XXI.  Hft.'  1.  l834.)  geliefert,  der 
aUe  Beachtung  verdient.        ,,  ,,  ,^        -  ,  ,  ; 

•  'Affectio,  AffectioB.  '  Dieses  Wort  drückt  -weiter  nichts  aus,  als 
dass  ein  einzelnes  Organ,  oder  auch  der  ganze  Organismus,  in  eine  Abwei- 
chung vom  Normalzustande  verfallen  ist,  ohne  aber  übe«*  die  Natur  und  den 
Charakter  dieser  Abweichung  etwas  zu  bestimmen.  Eine  solche  Bezeichnung 
hai  den  negativen  Vortheil ,  uns  im  Anfangej'so  lange  die  Sache  noch  nicht 
entschieden  ist ,  vor  einem  andern  bestimmten ,  ■\ielleicht  falschen  Namen  zu 
verwahren ,  und  uns  so  vor  irrigen  Voraussetzungen  und  unrichtigen  Hand- 
lungsweisen zu  schützen.  Aber  selbst  positiv  praktisch  ist  sie  wichtig,  inso- 
fern nicht  selten  AfFectionen  mit  einfachem  nnbestimmbarem  Charakter  vor- 
kommen, bei  welchen  wir  die  Heilmittel  ganz  empirisch  anwenden  müssen. 
(^ilufelanä'). 

A.gala,etia,f  Defectus  Inctis,  OUgognlia,  Mangel  an  Muttermilch. 
Oft  fehlt  es  der  Mutter  nach  der  Niederkunft  nicht  an  Milch ,  sie  vermin- 
dert sich  nur  allmälig,  weil  das  Stillungsgeschäft  Hindernisse  macht,  z.  B. 
wegen  wunder  Brustwarzen;  s.  Abscessus  lacteus.  Wo  wirklicher 
Milthmangel  stattfindet,  d^v  sind  die  Brüste  welk,  schlaff,  das  Kind  fasst 
.die  Warze,  lässt  sie  aber  bald  los  und  schreit.  Ursachen.  Erkältung  der 
Brüste,  der  Arme  (kurze, Ärmel  in  der  Kleidung  geben  dazu  oft  Veranlas- 
sung), der  Füsse ,  Mangelan  guter  Nahrung,  Erhitzungen  dos  Kf'rpers 
durch  heftige  Bewegungen :  Tanzen ,  durch  geistige  Getränke ,  durch  über- 
mässigen Coitus;  deprimirende  Leidenschaften,  z.  ß.  Sorge,  Gram;  Kümmer. 
Cur.  Wärmerhalten  der  Brüste ,  der  Arme  und  Füsse ,  Älässigkeit  In  allen 
Dingen  (besonders  bei  sangujnis'chen  Frauen  zu  beobachten) ,  tägliche  mas- 
sige Bewegung  in  freier  Luft  (am  nothwendigsten  Stillenden  mit  deprimiren- 
den  Leidenschaften  und  melancholischem  Temperamente),  gute  Nahrung,  be- 
sonders Milch- und  Biersuppen,  rtiit  Eigelb  abgerührt,  weichgekochte  Eier, 
Chocolade  ohne  Gewürz.  Zugleich  trinke  die  Stillende  täglich  5  bis  6  Tas- 
sen von  folgendem  Thee:  I^  iScm.  foenicuU  §j ,  Herh.  cacrcfoUi,  —  menth. 
crisp.f  Rad.  liquiritiae  aüa.  ^jjj'.  M.  c.  c.  S.  Thee  auf  8  Tage.  Auch  das 
Pulv.  galactop.  Rosenstein.,  wovon  dreimal  täglich  ein  Theelöffel  voll  mit 
Wasser  genommen  wird,  desgleichen  folgendes  Pulver  befördern  sehr  die 
Milch,  i^  Matjnes.  «Z&ctc  öjjjs  Vort.  aurantlor.,  Sem.  focniculi ,  Sacch.  alhi 
ana  3j-  M.  f.  pulv.  S.  Viermal  täglich  einen  Theelöffel  voll  (^Hufclnnd'). 
Manche  Stillende  versehen  es  damit,  dass  sie  ihren  Säugling  zu  selten  (sel- 
tener als  alle  2  bis  3  Stunden)  anlegen,  und  beim  Stillen  nicht  die  gehörige, 
hier  so  nöthige  Gemüthsruhe  beobachten. 

A^^nensis,  Agcnesia.  Ist,  nach  Bcffin ,  Unfruchtbarkeit  bei  Frauen 
und  männliches  Unvermögen.     S.  Impotentia   virilis. 

Ag^eufliSy  AgeitsHa,  verminderte  Empfindlichkeit  des  Ge- 
schmacksinns, Geschmacklosigkeit.  Ist  nur  Symptom  anderer 
Krankheiten,  z.B.  der  Blennorrhoe  der  Mundhöhle,  der  Zunge,  bei  Status 
pitnitosus  des  Magens,  der  Gedärme,  bei  stark  belegter  Zunge,  bei  Paralyse 
nach  Schlagflüssen.  Cur.  Die  der  Grundkrankheit,  daher  bei  Blennorrhöen 
und  Katarrhen  Diaphoretica,  Resolventia,  bei  Status  pituitosus  Neutralsalze, 


AGGLUTINANTIA  —  ARIURGU  61 

Rheum,  Salmiak  mit  Tart.  emet.,  bei  Paralyse  äusserlich  Einreibungen  Ton 
ätheriischen  Ölen ,  flüchtigen :  Salben  hinter  den  Process.  mastoid. ,  in .  den 
Nacken,  in  die  Zunge,  reizende  Gurgelvyässer  vpjn  Senf,  Pfeffer,  Senega, 
Tabaksdecoct  mit  Tinct.  piper.,  Tinct.  squillae,  die  der  Kranke  längere  Zeit 
im  Munde  hält.  Auch  giebt  man  einigemal  täglich  2  bis  4  Tropfen  Ol.  cin- 
nam.,  juniperi,  sassafr.  aether.  mit  Zucker,  und  lässt  dies  auf. der  Zunge 
schmelzen,  legt  ein  Yesicator  unter  das  Kinn,  wendet  yorsichtig  die  Elektri- 
cität,  den  Galvanismus  an,  giebt  innerlich  Arnica,  Nux  vomica,  Rad.  pyre- 
thri,  Phosphor  etc. 

Agglutinantia-j  Conglutinantia  (^medkamina^ .,  verklebende, 
verleimende  Mittel.  Sind  äusserlich  anzuwendende  Mittel  in  Pulver- 
form ,  welche  in  und  auf  Wutende  Wunden ,  Geschwüre ,  Hautexcoriationen 
gebracht  werden,  damit  sie  sich  mit  den  ausfliessenden  Feuchtigkeiten  ver- 
binden ,  einen  klebrigen  Überzug  bilden  und  so  zu  starke  Ausflüsse  von  Säf- 
ten verhindern  ,  gegen  die  Einwirkung  der  Luft  und  andere  Reize  schützen, 
ohne  chemisch  oder  dynamisch  nachtheilig  zu  wirken,  und  selbst  Schmerzen 
lindern,  z.  B.  Gummi  arabicum,  Amylum,  Bolus  alba  et  rubra.  Kreide  beim 
Wundseyn  der  Kinder  (s.  Intertrigo);  Pulv.  styptic.  bei  Blutungen  u.  s.  f. 

Ag^rippae  partas,  ngrippinus  pnrltis.  Ist  diejenige  Geburt,  wo- 
bei das  Kind  mit  den  Füssen  zuerst  geboren  wird;    s.  Partus. 

Ag^rypnia,  Amjpnia,  Ai^pnin  (^Aretaetts"),  Typhomaiiia,  Pcrvigilitim, 
Mangel  des  Schlafs,  Schlaflosigkeit..  Ist  ein  Symptom  der  mei- 
sten fieberhaften  Krankheiten ,  desgleichen  des  Alters.  Bei  Gesunden  ent- 
steht die  Schlaflosigkeit  oft  durch  Gemüthsunruhe,  'unfgewohnte  Läge,  Le- 
bensart etc.  Es  ist  höchst  falsch,  wenn  der  Arzt  sich  verleiten  lässt,  zu 
Anfange  fieberhafter  Krankheiten  Opium  etc.  gegen  Schlaflosigkeit  zu  ver- 
ordnen ,  da  solche  Mittel  in  den  meisten  Fällen  nachtheilig  sindk  und  nicht 
selten  das  Fieber  vermehren.  Die  Agrypnia  senilis  ist  die  Folg«  der  ein- 
tretenden Altersschwäche.  Hier  hilft  oft  ein  Glas  süsser  starker  Wein,  vor 
dem  Schlafengehen  genommen  (Hufehmd).  Sensible,  reizbare,  schwächliche 
Personen  leiden  oft  an  Schlaflosigkeit;  hier  passt  vor  allem  active  Be- 
wegung in  freier  Luft,  Waschen  des  Kopfs  mit  kaltem  Wasser  und  anhal- 
des  Reiben  der  Füsse  durch  die  weiche  Hand  eines  Andern ,  besonders  kurz 
vor  dem  Schlafengehen;  auch  das  indische  Schampaen,  das  Richten  der 
Aufmerksamkeit  auf  einen  Gegenstand,  das  Lesen  langv^eiliger  Geschich- 
ten ,  eine  eintönige ,  sanfte  Musik ,  Abkürzung  des  Schlafs  durch  frühes  Auf- 
stehen sind  empfohlen  worden.  Bei  Wöchnerinnen  befördert  das  Aufhängen 
einiger  Sträusse  von  Schafgarbe  (Achillea  millefol.)  im  Schlafzimmer,  bei 
denen ,  die  an  atonischer  Gicht  leiden ,  Thee  oder  starker  Kaffee,  des  Abends 
spät  getrunken  (Conradi),  bei  hysterischen  Weibern  ein  Klystier  von  Cha- 
millenthee  und  das  Wiegen  in  einer  grossen  Wiege ,  bei  Hämorrhoidarien  ein 
russisches  Gericht:  rohes  Sauerkraut  mit  Öl,  und  das  Schlafen  auf  Pferdö- 
haarmatratzen  den  Schlaf, 

Ag^rypnocoma,  s.  Coma  vigil. 

Aipatbia»  ein  andauerndes  Leiden,  anhaltendes  Kränkeln,  eine  un- 
heilbare Krankheit. 

Akiur^ia,  Acidurgia,  Acurgia,  Cursus  operationum  cliirv/rgicarvm, 
die  Operationslehre,  die  Lehre  oder  Wissenschaft  von  den 
blutigen  chirurgischen  Operationen.  Die  Chirurgie  kann  zwar 
eben  so  wenig  wie  die  Arzneikunst  der  dynamischen  Heilmittel  entbehren, 
aber  sie  benutzt  noch  vorzugsweise  auch  die  mechanischen,  die  Binden,  Ma- 
schinen und  Instrumente  (Desmologie,  Mechanol  ogie,  Akologie). 
An  die  Akologie  lehnt  sich  die  Akiurgie  an,  und  ist  demnach  dieselbe  ein 
Zweig  der  chirurgischen  Heilmittellehre ,  betrachtend  die  chirurgischen  Instru- 
mente, ohne  sich  um  ihre  Beziehung  zum  Operateur  und  Kranken  zu  be- 
kümmern, nur  als  Gegenstand  technisch  -  wissenschaftlicher  Beschäftigung. 
Die  specielle  Akiurgie  handelt   die   einzelnen    chirurgischen  Operationen  ab. 


(12 


AKOLOGU  —  ALLOTRIODONTIA 


ob  sie  Ihdicirt  itnd  oder  nicht.  Schreger  unterscheidet  6  Classen  derselben: 
1)  Operationen  «ur  Vermittelung  organischer  Cohäsion ;  2)  die  zur  Beseiti- 
gung abnormer  Cohäsion;  3)  zur  Wiederherstellung  der  Normallage  ver- 
rückter Gebilde;  4)  zur  Entfernung  zweckwidriger  Stoffe  und  Gebilde  aus 
ihrem  '  brganischeh  Zusammenhange ,  oder  ganz  aus  der  Sphäre  des  Orga- 
nbmus ;  5)  zur  Aneignung  fremder  Stoffe ;  und  6)  zur  Beseitigung  krank- 
hafter Affectionen.  Eine  nähere  Kenntniss  von  den  erforderlichen  Eigen- 
«chaften  eines  guten  Operateurs  (scharfe  Sinne,  zumal  feines  Gefühl  in  den 
Händen,  Körpergewandheit,  technisches  Erfindungstalent,  echte  Kunstfer- 
tigkeit ,  Reinheit  des  Gemüths ,  echte  Humanität ,  Muth  und  Entschlossen- 
heit ohne  Tollkühnheit,  schneller  Überblick,  Geistesgegenwart,  Ruhe  und 
Besonnenheit  ohne  quälende  Langsamkeit,  genaue  anatomische  Kenntniss, 
Bekanntschaft  mit  der  Mathematik,  Mechanik,  Physik,  Fertigkeit  im  Zeich- 
nen ) ,  die  generelle  Exposition  der  Operation  selbst ,  ihrem  Begriffe  und 
Zwecke  nach,  so  wie  in  Hinsicht  ihrer  primären  und  secundären,  ihrer  me- 
chanischen und  dynamischen  Wirkung,  ihrer  Indication  und  Contraindication, 
der  Vorbereitung,  des  richtigen  Zeitpunktes;  die  Bestimmung  und  Wahl  der 
Operationsmethode,  der  Instrumente,  des  Locals  U.S. f.;  —  alle  diese  Dinge 
«ind  Gegenstände  der  generellen  Akiurgie, 

Akolog^i»,  s.  Acologia. 

A]£yano1>Iepsia«  Unvermögen,  die  blaue  Farbe  zu  unterscheiden^ 
a.  Achro  matopsia. 

Alalia,  Sprachlosigkeit,  Verlust  der  Sprache,  grosse  Heiserkeit. 

Alantotoxicon«  das  Wurstgift,  das  in  verdorbenen  Blut-  und 
Leberwürsten  sich  entwickelt,  durch  deren  Genuss  oft  schneller  Tod  er- 
folgt.    S.  Intoxicatio. 

Alltinos,  Kakerlake,  s.  Leucaethiopia. 

Alboras.     So  nennt  Theophrast  eine  Art  Aussatz. 

A.11>ug^o  oculi»  weisser  Hornhautfleck,    s.  Macula  corneae. 

Alcbaest*     Ist  bei  Theoph.  ParnceJsus  ein  Quecksilberpräparat. 

Alcola*  So  nennt  Paracelsus  den  Harngries;  arabische  Ärzte  verste- 
hen darunter  sehr  schmerzhafte  Mundgeschwüre,  Aphthen  {Kraus'). 

AlexiplkB.rmtlca,  (medicamina),  Alexiteria,  giftabhaltende,  gift- 
tilgende Mittel.  Die  altern  Ärzte  verstanden  darunter  alle  stark  erhitzenden, 
reizenden  Mittel ,  als  Kampher,  Ammonium,  Opium ,  Moschus,  Olea  aetherea 
etc.  und  gaben  diese  nicht  allein  bei  Vergiftungen,  jwo  sie  oft  nützlich  sind, 
sondern  auch  bei  hitzigen  Fiebern  in  der  Absicht,  das  supponirte  Krank- 
heitsgift auszutreiben  und  durch  Schweiss  zu  entfernen.  So  richteten  sie 
viel  Unheil  an  ,  da  bekanntlich  die  wenigsten  Fieber  mit  wahrer  Schwäche 
verbunden  sind  (a.  Adynamia),  was  vorzüglich  im  Stadio  primo  der  Fall 
ist,  dagegen  gar  häufig  Localentzündungen  zur  Ursache  haben,  die  den  gan- 
zen antiphlogistischen  Apparat  und  die  kühlendste  Behandlung  erfordern. 

AlienatiOy  Abnormität,  Abweichung  vom  normalen,  naturgemässen 
Zustande,    sowol  in  Hinsicht  der  Qualität  als  Quantität. 

Alicnnlio  mentis  ist  Delirium. 

Allocbezia»  AHotriochezin.  Ist  Abgang  fremdartiger  Stoffe 
durch  den  After,  auch  des  Kothes  durch  eine  abnorme  Öffnung. 

AUopathia,  ein  durch  fremde  Einwirkung  entstandenes 
Leiden,  Übertragung  eines  Leidens  auf  andere  Organe.  Neuerdings  be- 
zeichnet man  damit  das  Gegentheil  der  Homöopathie,  also  jede  rationelle 
Curmethode  im  Gegensatze  der  rohen  Hahnemann'schen  Empirie.  S.  Ho- 
moeopathia.  Seit  ein  paar  Jahren  schreiben  Hahnemann  und  seine  An- 
hänger nicht  mehr  Allopathie,  sondern  Alloeopathie. 

Allotriodontiay  das  Einsetzen  eines  fremden  Zahns,  be- 
kanntlich ein  einträgliches  Geschäft  unserer  Zahnärzte ,  die  ofk  eine  grössere 
Einnahme  haben,   als  der  geschickteste  Arzt> 


ALLOTRIÜRIA  —  ALOPECU  ^ 

'  Allotriaria,  Abgang  fremder  Stoffe  mit  deiti  &«rii«^  %.  Bk 

des  Grieses ,  Schleiras ,  Blutes ,  Eiters.  .        . 

Allucmationc« ,  s.  Hallucinaiiones. 

Alopecia»  Area,  die  Fuchsräude,  das  Ausfallen  der  Haare. 
Entsteht  nach  heftigen  fieberhaften  Krankheiten,  nach  Typhus,  schwereA 
Wochenbetten,  Febris  puerperarum ,  Bieikolik,  nach  Kopfwunden,  Kopf- 
grind, Läusesucht,  nach  heftigen  Kopfschweissen ,  z.  B.  im  Stadio  colliqaa- 
tivo  der  Schwindsuchten ,  nach  dem  Missbrauche  des  Mercurs ,  nach  Flech- 
ten, Ausschweifungen  in  Baccho ,  Venere,  Minerva  et  ApoUinCj  durch  Sy- 
philis. Doch  ist  letztere  selten  Ursache  urtd  man  findet  unter  1500  —  2000 
Syphilitischen  kaum  eine  Alopecia  syphilitica  (L.  V.  Lagneau).  Gewöhnlieh 
zeigt  sich  das  Übel .  am  Kopfe ,  zuerä't  am  Scheitel  und  am  "Vorderkopfe 
(Kahlheit,  Calvities);  seltener  am  Barte  und  an  andern  behaarten  Thei- 
len.  Die  Alten  gaben  dem  Übel  verschiedene  Namen:  MadesiSy  wenn  dai 
Ausfallen  der  Haare  vorübergehend  ist,  Ophiasis,  wenn  es  in  Form  von 
Schlangenwindung  nur  theil weise  am  Kopfe  bemerkbar  ist,  Phalaerosis,  Phit- 
lacrosis ,  Phalacra ,  Phalacroma,  wenn  es  blos  am  Vorderkopfe,  wie  z.  B. 
die  Kahlheit  der  Greise  (Calvities  senum) ,  stattfindet.  Letzteres  ist  eigent- 
lich keine  Krankheit,  sondern  ein  ähnlicher  Naturhergang,  wie  das  Härter- 
werden der  Knochen  ,  das  schwächere  Wachsthum  der  Nägel  etc.  Dagegen 
ist  die  Alopecia  juvenum  stets  Krankheit.  Hier  spalten  sich  entweder  die 
Baare  (Dichophyia) ,  oder  sie  werden  vor  dem  Ausfallen  erst  grau  und  tro- 
cken, oder  sie  fallen  ohne  difese  Vorgänge  mit  oder  ohne  Wurzeln  ans.  Cur» 
Entstand  das  Übel  nach  heftigen  Krankheiten,  so  gebe  man  gute  Nutrientia, 
Roborantia ,  alsdann  wird  der  Haarwuchs  bald  stärker ,  sowie  die  Körper- 
schwäche gehoben  ist.  Bei  chronischem  Übel  und  sonst  gesunden  Personen 
suche  mau  die  Ursachen  desselben  zu  entfernen  und  den  Haarwuchs  zu  be- 
fördern 1)  durch  regelmässige  Lebensweise,  stärkende  Nahrung  und  tägliche 
Bewegung  in  freier  Luft ;  2)  durch  den  anhaltenden  Gebrauch  folgender 
Tropfen:  I^  Elix.  vitrioli  Mynsichti  §j,  Tinci,  chinae  compos.  gjj.  M. ,  wo- 
von 2  —  Smal  täglich  30  —  40  Tropfen  mit  etwas  Wein  genommen  werden 
(M.) ;  3)  äusserlich  dient  öfteres  Abschneiden  des  noch  vorhandenen  Haars» 
Warmhalten  des  Kopfs,  das  Tragen  einer  Pelzmütze  im  Winter  und  dei 
Nachts ,  öfteres  Einreiben  des  Kopfs  mit  guter  Pomade ,  mit  dem  Mark  aus 
Pferdeknochen,  mit  Bärenfett,  tägliches  Waschen  des  Kopfs  mit  Folgendem« 
f^  Rad,  hardanae  ^jj ,  coq,  c.  aq.  fonfan.  ^xvj ,  ttt  rem.  3v3jj ,  col.  expr, 
I  adde  Spirit.  vini  gattici  grv.  M»  S.  Zum  Waschen  (3f .).  Sehr  empfohlen 
wird  das  tägliche  Reiben  des  Kopfs  mit  Zwiebelsaft ,  mit  Baumöl ,  das  übef 
zerstossenen  Wacholderbeeren  gestanden,  mit  einem  Decoct  der  Pinguicula 
vulgaris,  der  Rad.  rhodiol.  ros.  {^Grunner^ ,  das  Bepudern  des  Kopfs  als 
Präservativ  (JReuss'),  bei  Kindern  und  nach  heftigen  Fiebern  das  Waschen 
des  Kopfs  mit  kaltem  Wasser,  und  bei  völliger  Kahlheit  des  Kopfs  das  öf-* 
tere  Belegen  der  kahlen  Stellen  mit  Vesicatorien  (^Altenhoff'er').  Sehr  wirk- 
sam ist  Folgendes,  womit  dreimal  täglich  der  kahle  Kopf  gewaschen  wird« 
I^'  Vitrioli  ctipfi  3jj ,  Spirit.  vini  gallici  gvjjj ,  infunde  per  aliquot  dies  et 
filtra.  (^ Rademacher').  Blasius  unterscheidet  Alopecia  und  Calvities. 
Letztere  folgt,  nach  ihm,  auf  Mangel  an  ernährenden  Feuchtigkeiten  der 
Haare;  erstere  dagegen  wird  durch  einen  scharfen  Stoff,  durch  dyskrasi- 
sches  Allgemeinleiden  bewirkt,  daher  sie  auch  mit  krankhafter  Veränderung 
der  betreffenden  Hautstelle  verbunden  ist.  Auch  bezeichnet  das  Wort 
Alopecie  bald  noch  einen  geringern  Grad  des  Aussatzes:  Alopecia  seu  Area 
Sycosis  am  Kinn  und  zwischen  dem  Kopfhaar,  Area  Metitagra,  bald  eine 
Form  des  vollständigen  Aussatzes,  nämlich  die  Lepra  rubra,  weil  dabei  die 
Haare  ausfallen.  Gegen  das  frühe  Ausfallen  der  Haare  und  daher  entste^ 
hende  Calvities  empfiehlt  v.  Gräfe:  ^/  Extr.  chinae  frig.  parat.  3j>  Axungio 
porci  ^ ,  Ol.  amygdalar.  amarar.  gutt.  quinqiiaginta.  M.  S.  Abends  den  kah- 
len Kopf  damit  einzureiben.  Trommsdorf  räth  folgende  Pomade  an ,  weldi» 
Blasim  sehr  wirksam  nennt?  fy  Macis,  Canjophyllor.  anagj^,  Cardamom.  §j» 


6||  ALPHITIDON  —  ALYINAE  CONCRETIONES 

Fol.  IfUiH  rcoent.  31! ,  conc.  cont.  adnwsce  MeduU.  ossium  Sj,  diijere  in  htgena 
vitr.  clausa  p.  hör.  vj,  adhuc  cdlide  colent.  Colat.  expr.  D.  S,  Zum  Einrei- 
ben. Benuchamps  (s,  Dublin  Journal  und  Behrendts  Repertor.  d.  ausländ, 
med.  chir.  Journalistik,  1834.  Mai.  S.  78  u.  f.)  lobt  gegeti  das  kranke  Aus- 
fallen der  Haare  in  Folge  acuter  Krankheiten ,  einer  Mercurialcur ,  nervöser 
Leiden  etc.,  so  vne  gegen  den  sog.  Porrigo  decalvaps  (Schilver  oder  sog. 
Schinn  auf  dem  Kopfe),  nach  zahlreichen  eigenen  und  fremden  Erfahrun- 
gen ,  wenn  die  Kopfhaut  nicht  roth ,  entzündet  ist ,  sonst  nach  vorheriger 
Anwendung  von  Blutegeln,  eine  Solutio  tartari  emetici,  5  Gran  in  3J,  Aqua 
destillata ,  Smal  täglich  auf  die  kahlen  Stellen  einzureiben.  Leidet  das  ge- 
sammte  Kopfhaar,  so  wird  der  ganze  Kopf  vorher  kahl  abgeschoren.  Eine 
concentrirtere  Solution  passt  nichts  weil  sie  Pusteln  erregt.  Das  Haupt 
bedeckt  sich  allmälig  mit  schönem  gleichfarbigem  Haar. 

Alopecia  unguium,  das  Abfallen  der  Nägel,   s.  Onychexallaxis. 

Alpbitidon.  Ist  ein  Knochenbruch  mit  Zermalmung,  also 
gleichbedeutend  mit  Fractura  comminuta  sive  multiplex.     S.  Fractura. 

AlphuSlj  Vitiligo  alha,  Mehlfleck,  weisser  Aussatz,  weisse  Räude; 
s.  Lepra  maculosa  alba.  Hippocratcs  bezeichnet  mit  dem  Worte  ä/.qoi 
einen  ganz  flachen,  kaum  über  der  Haut  erhabenen  Fleck,  dessen  Farbe 
sehr  verschieden ,  weiss ,  gelblich ,  braun ,  schwärzlich  oder  bläulich  ist ;  da- 
her er  AlpTius  albus  und  hru/nneus  (^dlcpog  levxri  und  ifaxog^  unterschied. 
Bei  spätem  Autoren  ist  es  gleichbedeutend  mit  Morphaea  alba,  und  bedeu- 
tet milchweisse ,  trübe  ,  empfindungslose ,  etwas  vertiefte  ,  isolirt  stehende 
Flecke  ohne  Hautdesorganisation,  die  vorzüglich  im  Gesichte,  an  der  Stirn, 
den  Genitalien  und  Extremitäten  vorkommen.  Ist  die  Haut  schon  desorga- 
nisirt,  sieht  der  Fleck  schneeweiss  und  glänzend  aus,  so  heisst  er  Leuce, 
Nicht  immer  folgt  jedoch  auf  den  Alphus  der  Aussatz  (Zf?«stws). 

Althesteria  (niedicamina} ,  äussere,  wunden  heilende  Mittel. 
Die  vorzüglichsten  sind  Reinlichkeit,  Entfernung  alles  Fremdartigen,  Abhal- 
tung der  atmosphärischen  Luft  durch  gute  Bedeckung:  Pflaster,  Bandagen 
etc.     S.  Vulnus. 

Alvi  adstrictio»  Leibesverstopfung;  s.  Obstructioalvi. 

Alviduca  (inedicamina') ,  veraltete  Benennung  für  Laxantia. 

Alvi  fluXUS,  Durchfall,  s.  Diarrhoe  a. 

Alvinae  Concretiones ,  die  sogenannten  Darmsteine.  Sind 
Anhäufungen  und  Verhärtungen  von  Darmkoth,  welche  in  Gestalt  von  Bal- 
len im  Dickdarm,  Coecum,  im  Rectum,  in  alten  Brüchen  zuweilen  vorkom- 
men und,  hartnäckige  Verstopfung  machen.  Oft  ist  letztere  aber  mehr  die 
Ursache  derselben,  besonders  bei  Hypochondristen  und  Hysterischen.  Zu- 
weilen findet  man  in  der  Mitte  dieser  unpassend  genannten  Darmsteine,  wo- 
mit man  die  wiiklichen  Steinconcretionen  im  Processus  vermiformis  nicht  ver- 
wechseln darf  (s.  Lithiasis),  einen  Gallenstein,  einen  Kirsch-  oder  Pflau- 
menkern.  Oft  sind  diese  Kothverhärtungen  4 — 6  Zoll  lang,  oft  rund,  oder 
abgeplattet,  stets  aber  steinhart  und  dabei  leicht.  Grosse  Trägheit  des 
Darmkanals  ist  da ,  wo  keine  mechanische  Hindernisse  obwalten ,  die  vor- 
züglichste Veranlassung  dazu,  zumal  bei  Hypochondristen  und  Vita  seden- 
taria,  bei  Opiophagen,  nach  dem  Missbrauche  drastischer  Purganzen.  Sie 
erregen  Ekel ,  Leibweh ,  Auftreibung  des  Unterleibs ,  Flatulenz ,  Gefühl 
von  Schwere,  selbst  Harnverhaltung,  Convulsionen ,  Kotherbrechen,  wenn 
die  oft  mehrwöchentliche  Obstructio  ahi  nicht  gehoben  wird  ;  dabei  Abma- 
gerung, Facies  abdominalis.  Zuweilen  ist  das  Übel  recht  clironisch,  mit- 
unter auch  acut,  wo  denn  Peritonitis,  Brand  und  Tod  oft  rasch  folgen. 
Die  Diagnose  ist  häufig  schwierig.  Dieffeiibach  sagt  mit  Recht:  „Manch- 
mal, wenn  des  Concrement  an  einer  Stelle  des  Colons  festsitzt,  die  Ausdeh- 
nung äusserlich  fühlbar  ist  und  der  Kranke  abmagert,  keinen  Appetit  hat 
und  an  häufigen  Vomituritionen  und  Kolikschmerzen  leidet,  möchte  man 
sich  versucht  fühlen ,  das  Übel  für  einen  Scirrhus  oder  eine  andfere  Verhär- 


ALYSSUM  —  AMARA  65 

tung  im  Unterleibe  zu  halten.  In  andern  Fällen ,  wenn  die  Krankheit  sich 
ihrem  Ende  nähert,  Kotherbrechen  eingetreten  und  der  Verlauf  schneller 
ist,  ist  die  Verwechselung  mit  dem  Vohulus  und  Verwachsungen  der 
Därme  ausserordentlich  leicht.  Nur  wenn  die  Ballen  dicht  oberhalb  des 
Vfters  sitzen,  so  dass  man  sie  mit  dem  Finger  oder  der  Sonde  erreichen 
sann,  ist  die  Diagnose  leichter.  Aber  auch  hier  wird  die  zur  Erkenntniss 
rtöthige  Untersuchung  oft  durch  die  gewöhnlich  stark  hervorgetretenen  Hä- 
morrhoidalgeschwülste  (auch  durch  Stricturen  des  Rectums,  M. )  sehr  er- 
schwert und  getrübt."  (S.  Rust's  Handb.  der  Chirurgie,  Bd.  I.  S.  461.). 
Dur.  Sitzt  die  Kothverhärtung  im  Mastdarm,  wo  sie  oft  bedeutend  gross 
st;  so  muss  sie,  bevor  sie  auf  mechanische  Weise  entfernt  wird,  wegen  ih- 
•er  Härte  oft  erst  mittels  einer  Zange  zerbrochen  werden  (^Dieff'enbach')^ 
luch  werden  sie  durch  Klystiere  von  Milch  und  Ol.  ricini,  von  Haferschleim, 
ifters  angewandt,  erweicht  und  so  ihr  Abgang  durch  den  After  erleichtert, 
innerlich  gebe  man  Ol.  ricini,  auch  wol  Ol.  crotonis  nach  applicirten  Kly- 
itieren.  Hat  sich  der  Köth  in  veralteten  Brüchen  verhärtet,  so  sind  kalte 
Jmschläge  anzuwenden.  Sind  die  Kothverhärtungen  entfernt,  so  muss  die 
■Nachbehandlung  darin  bestehen,  1)  wenn  noch  Schmerzen  da  sind,  diese 
lurch  ölige,  schleimige  Getränke,  durch  schmerzstillende  Klystiere  zu  min- 
lern, 2)  etwanigen  Entzündungszufällen  durch  Antiphlogistica  zu  begegnen, 
J)  die  Wiedererzeugung  der  Kothverhärtungen  zu  verhüten.  Man  dulde  nicht, 
lass  beim  Genuss  von  Kirschen,  Pflaumen  die  Kerne,  was  besonders  Kinder 
rem  thun,  mit  verschluckt  werden.  Man  belebe  bei  Erwachsenen  den  zu 
ragen  Darmkanal  durch  gelind  eröffnende  Mittel,  durch  reizende  Klystiere, 
md  achte  besonders  bei  Hypochondristen  und  Hysterischen  darauf,  dass  sie 
äglich  Leibesöffnung  haben  und  dulde  keine  mehrtägige  Leiberverstopfung. 
im  besten  passen  hier  antispasmodische  Mittel,  mit  Rheum,  Senna  verbun- 
len ;  z.  B.  für  hysterische  Damen :  I^  Rad.  nngelicae,  —  calam.  ttrom. ,  — 
mlerianae,  Herh.  melissae  ana  Sjf^j  Fol.  sennne,  Sem.  foenic.  ana  5j.  M.  c.  c. 
iisp.  dos.  X.  S.  Alle  1  —  2  Tage  eine  Portion  zum  Thee,  lauwarm  oder 
calt  getrunken.  Für  Hypochondristen  dient  Rheum,  Aloe,  Tart.  tartarisat. 
md  der  tägliche  Genuss  von  10 — 12  Flaschen  kalten  Quellwassers  neben 
ünreichender  Körperbewegung  (s.  Hypochondria,  Hysteria).  Auch 
cägliche  Klystiere  von  kaltem  oder  lauem  Wasser,  so  dass  jedesmal  2 — 4  S 
•Flüssigkeit,  oft  noch  mehr,  eingespritzt  wird,  sind  anzurathen.  Vergl. 
W.  Jäger:  Über  die  Darmsteine  der  Menschen  und  Thiere.  Berlin.  1834, 
welche  Schrift  das  Wissenswürdigste  und  auch  eine  ausführliche  Literatur 
iber  diesen  Gegenstand  enthält. 

Alyssiun.  Ist  bei  den  Alten  ein  Mittel  gegen  das  Schluchzen;  s. 
Singultus.  Bei  einigen  Neuern  gleichbedeutend  mit  Antilyssum.  PK- 
nius  versteht  unter  Alyssum  den  vermeinten  Toll  wurm  unter  der  Zunge  der 
naännlichen  Hunde  ,  den  noch  heut  zu  Tage  als  Präservativ  vor  der  Hunds- 
wuth  manche  Jäger  ihren  Hunden  wegschneiden,  indem  sie  ihnen  eine  kleine 
Drüse  unter  der  Zunge  entfernen.  Durch  die  Marochetti'schen  Wuthbläs- 
chen  unter  der  Zunge  bei  von  tollen  Hunden  gebissenen  Personen  hat  die- 
ser sogenannte  TollwTirm  wieder  einige  Aufmerksamkeit  erregt ,  um  die  Sa- 
che näher  zu  untersuchen.     S.  Hydrophob! a. 

Amara,  bittere  Mittel.  Die  bittern  Mittel  aus  dem  Pflanzen- 
reiche enthalten  einen  Bitterstoff  (L'amer)  und  einen  bittern  Extractivstoff 
(Principe  amer).  Sie  wirken  stärkend ,  lange  andauernd ,  besonders  auf  die 
Organe  der  Vegetation ,  der  Digestion ,  auf  alle  Se  -  und  Excretionen,  vor- 
züglich auf  die  Schleimhäute,  deren  Absonderung  sie  vermindern,  aufs  Mus- 
kel -  und  Gefässsystem.  Wir  verordnen  sie  gegen  Schwäche  des  Darmka- 
nals, gegen  Verschleimung  und  Säure  des  Magens,  gegen  Krankheiten  der 
Leber,  des  Pankreas,  gegen  Würmer,  gegen  Wechselfieber,  Gicht,  Kachexien, 
doch  müssen  die  ersten  Wege  vorher  gereinigt  werden.  Wir  unterscheiden 
rein  bittere  Mittel  (Ämara)  und  solche,  die  bitter  -  ätherisch  sind  (Amaro- 
aetherea).  Wollen  wir  diese  Mittel  bei  chronischen  Übeln  der  Verdauung- 
Most  Eucyklopädie.  2te  Aufl.  I.  5 


66  AMASESIS  —  AMAUROSIS 

anwenden  (in  acuten  Kranlcheiten,  besonders  in  Fiebern  mit  Localentzfindun- 
gen,  passen  sie  nicht),  so  jnüssen  wir  sie  für  den  Grad  der  Verdauungskraft 
auswählen,  bei  hohem  Grade  von  Schwäche  mit  den  leichtverdaulichem  und 
bitter  -  ätherischen  anfangen  und  erst  später  zu  den  rein  bittern  übergehen. 
Wir  verordnen  z.  B.  erst  Extr.  rutae,  aurantior. ,  taraxaci,  fumar.  ,  cardui 
benedicti,  trifolii  mit  aromatischem  Wasser,  Infus,  rad.  cal.  aromat.,  dann 
Extr.  gentianae ,  Fei.  taur.  inspiss. ,  Decoct.  caryophj  Hat. ,  angusturae ,  co- 
lurabo,  Decoct,  chinae  mit  Tinct.  chinae,  Extr.  absinthii,  Fei.  taur.,  noch 
später  erst  Quassia,  die  dann  den  Übergang  zu  andern  Mitteln,  z.  B.  zu 
den  ätherischen  Eisentincturen  macht.  Erst  passt  Tinct.  nervina  Bestuchef., 
-dann  Tinct.  martis  cydoniata,  dann  Tinct.  ferri  muriat.,  dann  erst  Limatura 
martis.  Wenn  der  Arzt  bei  der  Auswahl  dieser  und  anderer  Arzneien  stets 
den  Magen  des  Kranken  und  dessen  Verdauungskraft  berücksichtigt  und  den 
Unterschied  der  stärkenden  Arzneien  in  Betreff  ihrer  Leicht  -  oder  Schwer- 
verdaulichkeit (die  ätherisch  -  flüchtigen  Roborantia  sind  leichtverdaulicher, 
aber  auch  wenig  andauernd  wirkend,  die  Amara  dagegen  schwerverdaulicher, 
aber  auch  am  meisten  andauernd  wirkend)  genau  kennt,  so  wird  es  in  sei- 
ner Praxis  selten  vorkommen,  dass  seine  Kranken  die  verordnete  Arznei, 
wie  man  wol  zu  sagen  pflegt,  nicht  vertragen  können.  Unter  dem  Namen 
Spec.  ammae  usitatae  besteht  seit  vielen  Jahren  auf  unserer  Hirschapotheke 
in  Rostock  folgende  Mischung,  welche  die  Einwohner  hiesiger  Gegend  häufig 
als  ein  wirksames  Hausmittel  gegen  chronische  Digestionsfehler,  Obstructio 
alvi,  Status  pituitosus,  Rheuma,  Gicht,  Hämorrhoidaldiathese  etc.  gebrau- 
chen: I^  Camphorne,  Myrrhae  ana  3J5  AJoes  3JJJ5  Rad.  rhei  3f>  —  zedoar. 
3jj  —  gentian.  3vj,  Croci  orientnl.  gr.  vjjj.  M.  f.  pulv.  grossiusc.  Eine 
solche  Portion  wird  mit  1  Pott  (2  ß)  Branntwein  einige  Tage  digerirt,  und 
davon  alle  2 — 3  Abende  vor  dem  Schlafengehen  ein  Schnapsglas  voll  da- 
von getrunken.  Ich  habe  dieses  Mittel  bei  Männern  zwischen  30  und  50 
Jahren  und  mit  vorherrschender  Venosität  und  deren  Folgen:  Blennorrhoe, 
Gicht ,  Goldadern,  welche  Übel  hier  in  Folge  de*  Klimas  und  der  kräftigen 
Lebensweise  im  Essen  und  Trinken  so  überaus  häufig  sind,  recht  wirksam 
gefunden. 

Amasesis  9  das  Unvermögen  zu  kauen ,  z.  B.  beim  Trismus ,  bei 
Angina  parotidea,  Glossitis ,  Luxatio  max.  inferior,  etc. 

Amatoria  febris,  s.  Icterus  albus. 

Amaurosis»  Guttn  serenn,  der  schwarze  St  aar.  Dieses  Übel 
besteht  bei  völliger  Ausbildung  in  einer  Lähmung  der  Netzhaut,  nicht  selten 
auch  des  Sehnerven ,  wodurch  Blindheit  bei  völliger  Klarheit  der  durchsich- 
tigen Theile  des  Auges  und  bei  schwacher  oder  mangelnder  Beweglichkeit 
der  in  den  meisten  Fällen  erweiterten  Pupille  durch  Lichtreiz  entsteht.  Ge- 
wohnlich fängt  diese  schlimme  Krankheit,  wobei  äusserlich  nichts  Krank- 
haftes am  Auge  zu  sehen  ist,  ganz  allmälig  an,  das  Sehvermögen  ist  nur 
vermindert,  die  Function  der  Netzhaut  und  des  Augennerven  gestört,  letz- 
tere aber  noch  nicht  gelähmt,  die  Menschen  sehen  wie  durch  einen  Nebel 
(Amblyopia  amaurotica),  wobei  häufiger,  als  man  wol  geglaubt  hat,  ein 
Erethismus  des  Sehorgans  stattfindet;  manche  sehen  Blitze,  Funken,  Flam- 
men, schwarze  Punkte  vor  den  Augen,  Dieser  Zustand  kann  viele  Monate 
lang  währen,  ehe  er  in  den  ausgebildeten  schwarzen  Staar  übergeht;  doch 
entsteht  letzterer  auch  plötzlich,  obgleich  dies  selten  der  Fall  ist,  z.  B.  als 
Folge  einer  Ophthalmitis  interna.  —  Diagnose  und  Behandlung.  Man 
hat  nach  den  Ursachen  die  Amaurosen  in  zwei  Arten  eingetheilt :  in  Amauro- 
sen aus  irritabler  und  in  solche  aus  sensibler  Schwäche  (tfj'ni?»/). 
Symptome  der  A.  mit  irritabler  Schwäche.  Wir  finden  hier  hell- 
farbige, blaue  Augen ,  blondes  Haar ,  jüngeres  Alter ,  schwächende  Einflüsse 
durch  Onanie,  Branntweintrinken,  Liederlichkeit;  zu  Anfange  lichtscheues 
Auge,  Bessersehen  in  der  Dämmerung,  gleich  nach  der  Mahlzeit,  nach  dem 
Genüsse  des  Weins ,  nach  starker  Körperbewegung ,  Schlechtersehen  bei 
hellerm  Lichte.     So  vsie  hier  das  Gesicht  abnimmt,    erscheinen  alle  Farben 


AMAUROSIS  67 

heller,  die  hellgelbe  und  graue  Farbe  ist  dem  Kranken  weiss;  er  sieht  •wie 
durch  einen  blendenden  Nebel ,  sieht  Funken  sprühen ,  Lichter ,  Sterne  und 
Feuerräder  im  Finstern,  die  Objecte  bei  Tage  haben  keine  festen  Grenzen, 
sie  scheinen  zu  schwanken  ,  zu  hüpfen  ;  die  Pupille  ist  meist  klein ,  zusam- 
mengezogen, zuweilen  sehr  beweglich,  so  wie  das  ganze  Äuge.  Cur.  Bei 
dieser  Art  von  schwarzem  Staar  räth  Himhj  (Vorlesungen  über  Ophthalmo- 
logie, 1816.  Mscr.)  Einreibungen  in  die  Augengegend  von  Unguent.  nervi- 
num  und  Folgendes  zum  Waschen  der  Stirn  und  Augengegend :  I^  Ol.  caryo- 
phyllor. ,  —  anthos ,  —  hergamott. ,  —  succini ,  Bnls.  peruv.  nigr.  ana  ^ijr. 
mixtis  adde  Alcoh.  vini  ^],  Spirit,  serpylli  §iv, —  sal.  dulc.  5vj.  M.  (Jlimhj). 
Zugleich  soll  man  innerlich  alle  zwei  Abende  3  —  6  Gran  Herb,  belladonnae 
und  täglich  2  —  Smal  2 — 6  Gran  Kampher  p.  d.  in  Pulverform  geben. 
Symptome  der  A.  aus  sensibler  Schwäche.  Dunkles  Haar,  schwarze 
Augen ,  höheres  Alter ,  Vollblütigkeit  bei  sitzender  Lebensart ,  entstanden 
durch  den  täglichen  Genuss  starkgehopfter  Biere ,  bitterer  Mittel ;  die  Kran- 
ken sehen  am  besten  im  hellen  Lichte,  des  Morgens,  ehe  sie  gefrühstückt 
oder  sich  bewegt  haben,  sie  sehen  schlechter  nach  der  Mahlzeit,  in  der 
Dämmerung,  nach  starker  Körperbewegung;  alle  Farben  erscheinen  ihnen 
dunkler ,  glänzende  Körper  weiss ,  weisse  grau  etc. ;  auch  sehen  sie  alle 
Objecte  kleiner,  und  es  scheint  ihnen  ein  schwarzer  Flor  vor  den  Augen  zu 
hängen,  der  späterhin  mit  der  Zunahme  des  Übels  zu  einem  dunklen  Tuche 
wird.  Manche  Körper  werden  nur  halb,  manche  von  der  Seite  gesehen; 
die  Pupille  ist  sehr  erweitert,  das  Auge  trocken,  es  fühlt  sich  hart  imd  ge- 
spannt an;  auch  leiden  die  Kranken  oft  an  Leibesverstopfung  (Himhj).  Cur. 
Bei  Vollblütigkeit  zu  Anfange  Blutegel  um  die  Augen,  darauf  ein  Haarseil 
in  den  Nacken,  Einreibungen  der  Autenrieth'schen  Pustelsalbe  in  die  Schlä- 
fen; dabei  eine  knappe  Diät,  öftere  Purganzen,  z.  B.  aller  acht  Tage  ein 
Infus,  laxat.  Vienn.  31V.  mit  Tinct.  rhei  aquos.  und  Sal.  Glauberi  ana  Syj- 
Ist  die  Vollblütigkeit  gehoben ,  dann  gebe  man  Lac  ammoniacale ,  dreimal 
täglich  5,  10 — 15  Tropfen  in  Wasser;  auch  folgende  Mischung:  1^  Ol.  rtni- 
mal.  Dippel.  5j ,  Naphth.  vitrioU  qu.  sat.  ad  perfect.  solut.  S.  Dreimal  täg- 
lich 5 ,  10  —  25  Tropfen.  Auch  folgende  Mixtur  ist  hier  sehr  wirksam : 
I^  Flor,  arnicae  3jj  —  5jjj»  infmid.  c.  aq.  ferv.  q.  s.  ut  remnn.  ^vjjj,  col. 
expr.  adde  Sal.  volat.  c.  c.  ^jj ,  Mucil.  gumm.  arab.  gjf^.  M.  S.  Viermal 
täglich  einen  Esslöffel  voll.  Ein  Infus,  flor.  arnicae  (5j  auf  ^vjjj)  mit  ei- 
nem Zusätze  von  1  Gran  Tart.  emetic.  in  steigender  Dose  bis  zu  3  Granen 
gereicht,  so  dass  öfter  Erbrechen  erfolgte,  beseitigte  in  18  Tagen  eine 
merkwürdige,  mehr  als  20jährige  Amaurose  (Hecher's  Lit.  Annalen  1827. 
März.  S.  351.).  Zugleich  lasse  man  öfters  an  Spirit.  sal.  ammon.  caust. 
riechen  und  folgende  Schnupfpulver  abwechselnd  gebrauchen:  I^  Turpeth. 
tnineral.  ^jl,  Sacch.  alhi,  Rad.  liquirit.  ana  ofl-  M.  f.  pulv.  S.  Schnupf- 
tabak (Ware).  Ferner:  ^' Radicis  hcllebori  nigri,  Cortic.  peruviani  ana  gr.  v, 
Sacchari  cand.,  Resin.  gunjaci,  Camphorae  ana  ^jj,  Merc.  dulcis  gr,  x,  Ol. 
cajeputi  gtt.  v.  M.  f.  pulv.  S.  Schnupftabak  (Kieler).  Dieser  Schnupftabak 
soll  in  20  Tagen  verbraucht  werden.  Ausserdem  leistet  der  14tägige  Ge- 
brauch der  Autenrieth'schen  Pustelsalbe,  in  die  Gegend  beider  Speicheldrü- 
sen so  lange  eingerieben,  bis  starke  Geschwulst  entsteht,  in  hartnäckigen 
Fällen  der  Art  oft  gute  Dienste  (M.).  Was  die  Prognose  der  Amaurose 
im  Allgemeinen  betrifft,  so  ist  sie  um  so  günstiger,  je  jünger  das  Übel  ist 
und  je  leichter  die  Ursache  desselben  gehoben  werden  kann.  Oft  ist  die 
Krankheit  unheilbar,  weil  ein  organischer  Fehler  im  Gehirn  obwaltet,  der 
die  Hauptursache  des  Staars  ist  und  den  die  Section  erst  entdeckt.  —  Ob- 
gleich die  genaue  Bestimmung  der  beiden  oben  angegebnen  Arten  der  Amau- 
rose (nach  Himhj)  nicht  ganz  ohne  praktischen  Werth  ist,  indem  sie  uns 
den  Standpunkt  und  das  Verhältniss  des  Grades  der  Irritabilität  und  Sen- 
sibilität des  Kranken  deutlicher  bezeichnet,  so  finden  wir  dennoch  in  der 
Praxis  die  Fälle  höchst  selten  rein  und  unvermischt;  auch  haben  wir  es  weit 
öfter  mit  der  Amblyopie  als  mit  dem  ausgebildeten  Übel  zu  thun,  und  es 
ist  daher  erforderlich,    dass  wir  die  Ursachen  des  Übels  und  die  speciellern 

5* 


68  AMAUROSIS 

Fälle  genauer  berücksichtigen.  —  Sehr  wichtig  ist  für  die  Praxis  die  Ein- 
theilnng  in  primäre  und  secundäre  Amaurosen.  Bei  erstem  liegt  die 
Ursache  im  Sehorgane  selbst,  und  zwar  in  den  sensiblen  Gebilden  desselben, 
bei  letztern  in  entfernten  Theilen,  welche  erkrankt  sind  und  consensuell  aufs 
Gesicht  einwirken,  z.  B.  in  Fehlern  des  Unterleibs,  der  Nervengeflechte,  in 
metastatischen  Ursachen  (Benedict}.  Eine  andere,  höchst  wichtige  Einthei- 
lung  für  die  Praxis,  welche  die  Himly'sche  an  Werth  bedeutend  übertriift, 
ist  die,  welche  auf  dem  Grundcharakter  der  Amaurose  (der  noch  tiefer  als 
in  Sthenie  und  Asthenie  gesucht  werden  muss)  beruhet.  Hiernach  nimmt 
Benedici  (Encyklop.  Wörterbuch  d.  raedic.  "Wissenschaften  Bd.  2.  Berl.  1828, 
S.  131.)  drei  Arten:  die  erethistische ,  die  Congestionsamaurose  und  die  mit 
dem  Charakter  der  Lähmung  an.  Die  beiden  ersten  Arten  gehen  häufig  in 
die  letztere  über,  und  dann  ist  das  Übel  fast  immer  unheilbar. 

A.  Die  erethistische  Amaurose.  Sie  tritt  theils  primär,  theils 
secundär  auf  (Folge  von  Krämpfen  aller  Art,  Wurmreiz).  Symptome. 
Zu  Anfange  vermehrte  Empfindlichkeit  des  Auges,  Deutlichersehen  in  der 
Dämmerung,  Gefühl  von  Vollheit  und  Spannung  im  Auge,  Nyktalopie,  grel- 
les Licht  erregt  Schmerzen,  Thränenfluss,  die  braune  Farbe  sieht  der  Krank© 
röthlich ,  gelblich ,  die  weisse  glänzend ;  späterhin  Chrupsia ,  wo  die  Ränder 
der  Objecte  Regenbogenfarben  für  den  Kranken  haben.  Kleine,  sehr  leb- 
hafte, oscillirende ,  späterhin  ungleich  werdende  Pupille,  die  Ecken  und 
Winkel  bekommt  und  ganz  unbeweglich  wird.  Das  Übel  macht  oft  Remis- 
sionen ;  bei  Zunahme  desselben  zeigen  sich  feurige  Erscheinungen ,  zuweilen 
Röthe  der  Augenlider;  es  erscheinen  nun  bald  einzelne  schwarze  Punkte  vor 
den  Augen ,  die  immer  grösser  werden ,  sowie  das  Übel  in  Lähmung  über- 
geht. Ursachen.  Habitus  phthisicus,  scrophulosus,  Hysterismus,  deprirei- 
rende  Leidenschaften ,  vieles  Weinen,  Onanie,  übermässiger  Coitus,  Anstren- 
gung der  Augen  durchs  Lesen  kleiner  Schrift  auf  sehr  weissem  Papiere  (da- 
her ist  der  moderne  compresse  Druck  und  das  weisse  Papier  für  die  Augen 
nachtheilig) ,  das  unnöthige  Tragen  convex  geschliffener  Brillen ;  die  grösste 
Anlage  zu  dieser  Form  des  Staars  haben  Personen  mit  blondem  Haar  und 
hellen  blauen  Augen.  Cur.  Eine  gute  Diät  und  Lebensweise,  welche  den 
Ursachen  des  Übels  entgegengesetzt  ist,  macht  die  Hauptsache  aus.  Dahin 
gehört  Aufenthalt  in  reiner  Land-  und  Bergluft,  wo  sich  das  Auge  durchs 
frische  Grün  der  Umgebungen  erquickt,  Veränderung  des  Standes  und  Ge- 
werbes ,  wenn  diese  den  Augen  schädlich  sind,  desgleichen  Wechsel  des  Kli- 
mas. „  Die  Anwendung  örtlicher  Mittel  —  sagt  Benedict  —  so  sehr  diesel- 
ben auch  empfohlen  worden  sind,  ist  bei  der  erethistischen  Amaurose  wol  in 
den  meisten  Fällen  für  unnütz  zu  erklären.  Alle  Narcotica,  so  sehr  sie  dem 
Anscheine  nach  bei  dieser  Form  wohlthätig  wirken  sollten ,  bringen  in  der- 
selben einen  nachtheiligen  Erfolg  hervor.  Sie  mindern  zwar  scheinbar  die 
Sensibilität,  allein  auf  eine  so  heftig  eingreifende  Weise,  dass  fast  jederzeit 
die  Paralyse  an  der  Stelle  des  Erethismus  bei  dem  Gebrauche  dieser  Mittel 
sich  einstellt  und  der  Kranke  dadurch  in  eine  noch  viel  hoffnungslosere  Lage 
versetzt  wird.  Ref.  glaubt  davon  kein  einziges  örtliches  Mittel  aus  dieser 
Classe ,  von  dem  vegetabilischen  Schleime  an  bis  zu  dem  Kirschlorbeerw  asser 
und  dem  Belladonnaextract,  ausnehmen  zu  dürfen.  Sie  haben  sämmtlich  eine 
verdächtige  Wirkung,  und  es  ist  besser  sich  derselben  gän/lich  zu  enthalten." 
Diesen  Ausspruch  muss  ich,  nachdem  ich  seit  13  Jahren  viele  solche  Amau- 
rosen behandelt  habe,  völlig  unterschreiben,  und  auch  mein  Lehrer  Uimly 
wird  seine  frühem,  hiermit  widersprechenden  Ansichten  (s.  oben  Amausose 
mit  irritabler  Schwäche)  längst  berichtigt  haben.  Überhaupt  lehrt  die  Praxis, 
dass  man  sich  im  Ganzen  bei  der  Auswahl  der  Mittel  gegen  Amaurose  sehr 
zu  hüten  habe,  dass  sie  nicht  überreizen  und  die  Congestion  vermehren. 
Dahin  rechne  ich  das  Riechen  an  Salmiakgeist,  die  oben  angegebenen  reizen- 
den Schnupfpulver,  die  reizenden  Augenwasser ;  sie  alle  verschlimmern,  weim 
es  keine  paralytische  Amaurose  ist,  das  Übel.  Umschläge  von  kaltem  Was- 
ser, schwachem  Bleiwasser  aufs  Auge,  täglich  emigenial  wiederholt,  zugleich 
abwechselnd  Senfteige  in  den  Nacken,  aiS"  den  Oberarm,  Einreibungen  von 


AMAUROSIS  69 

Tart.  emet.  In  Salbenform  ins  Genick,  sind  die  einzigen  zweckmässigen  ort- 
lichen Mittel  gegen  erethistische  Amaurose  (Benedict').  Innerlich  passen  Anti- 
hysterica,  Antepileptica ,  Antispasmodica ,  Antiverminosa ,  Antihydrocepha- 
lica  etc.  gegen  das  Grundübel.  Die  primär  erethistische  Amaurose  erfordert 
eine  gelind  antiphlogistische  Behandlung ;  kleine  Dosen  von  Abführungsmit- 
teln,  Emulsionen  mit  kleinen  Dosen  Aq.  laurocerasi,  Aq.  amygd.  amarar. ; 
wo  Sch\Yäche  durch  Ausschweifungen  stattfindet:  Infus,  rad.  valer. ,  Infus, 
fol.  aurantior. ,  kräftige  Diät,  China,  später  Elsen. 

B.  Die  Congestionsamaurose.  Die  nächste  Ursache  derselben, 
ist  heftige  Blutcongestion  nach  den  Gefässen  der  Retina  und  des  Nervus 
opticus.  Primär  entsteht  sie  durch  unterdrückte  Blutflüsse,  diurch  Missbrauch 
reizender  Speisen,  Getränke  und  Arzneien,  durch  Störungen  in  der  Circula- 
tion  mittels  enger  Kleider,  der  Corsetts ,  —  secundär,  consensuell  oder  sym- 
pathisch folgt  sie  auf  Rheumatismen,  Fehler  der  Digestionsorgane,  unter- 
drückte Hautausschläge,  durch  Congestlon  und  Entzündungen  des  Gehirns 
und  seiner  Häute,  durch  unterdrückten  Schnupfen,  Gicht,  Febris  intermittens 
larvata ;  Menschen  mit  Habitus  apoplecticus  (s.  d.  Artikel) ,  von  athletischem 
Körperbau,  mit  brauner  Iris,  die  eine  reizende  Diät  und  sitzende  Lebensart 
führen,  oft  an  Leibesverstopfung  leiden,  sind  am  meisten  zu  dieser  Form 
von  Amaurose  disponirt.  Symptome.  Der  Kranke  sieht  schwarze  Punlcte 
oder  Striche  von  verschiedenartiger  Gestalt,  die  an  Zahl  zunehmen;  dabei 
ist  ein  dunkler  Flor  vor  den  Augen,  drückender  Schmerz  in  der  Sürnge- 
gend,  trockne  Nase,  Gefühl  von  Spanniuig  darin,  alle  Farben  erscheinen 
dunkler;  Alles,  was  Congestlon  macht:  heftige  Bewegungen  des  Körper« 
nnd  Gemüths ,  reizende  Nahrung,  vermehren  die  Zufalle ;  Schlechtersehen  ia 
der  Dämmerung  als  bei  Tage,  kurz  das  GegentheU  der  vorigen  Art  oder 
dasselbe  Übel,  was  Himly  Amaiirose  aus  sensibler  Schwäche  nennt  (s.  oben). 
In  einigen  Fällen  bildet  sich  das  voUkommne  Übel  hier  allmällg,  in  andern 
fast  plötzlich  aus  (s.  unten  Amaurose  durch  örtliche . Blutcongestion ).  Be- 
handlung im  Allgemeinen.  Man  suche  die  Congestlon  durch  Aderlässe, 
Blutegel ,  kühlende  Laxanzen,  durch  eine  knappe  Diät ,  durch  reizende  Fuss- 
bäder,  kalte  Umschläge  auf  den  Kopf  zu  heben,  und  verordne,  vs'enn  der 
Blutandrang  und  die  Schmerzen  weg  sind,  den  Tart.  emeticus  als  Ekelcur, 
oder  auch  als  Vomitiv ;  sehr  zweckmässig  verbindet  man  auch  den  Tart. 
emeticus  mit  kleinen  Dosen  auflösender  Mittelsalze  (^Benedict),  Alle  äussern 
Mittel:  spirituöse  Einreibungen,  Augenwässer,  Elektricität ,  innerlich  Arnica 
und  andere  reizende  Dinge  passen,  nach  Benedict,  hier  nicht. 

C.  Amaurose,  durch  Lähmung  bedingt.  Primär  kann  dieser 
Staar  sich  sehr  langsam  ausbilden,  indem  das  Gesicht  abnimmt  ohne  die 
Symptome  der  Congestlon  und  des  Erethismus.  Hier  Ist  das  Übel  entweder 
Localübel  des  Auges:  Gesunkenseyn  des  Lebens  im  Sehorgan,  oder  Symptom 
allgemeiner  Abnahme  der  Lebenskräfte,  z.  B.  durch  grossen  Säfteverlust, 
durch  Marasmus,  nach  Typhusfiebern,  nach  Apoplexien.  Der  Sitz  ist  blos 
im  Sehorgane,  wenn  das  Übel  durch  unvorsichtige  Anwendung  der  Bella- 
donna ,  durch  übermässige  heftige  Anstrengung  der  Augen ,  durch  heftigen 
Lichtreiz  etc.  entstand.  Symptome.  Sind  im  Ganzen  denen  der  Conge- 
stionsamaurose ,  mit  Ausnahme  der  Zeichen  vermehrter  Congestlon ,  ähnlich. 
Die  Pupille  ist  fast  Immer  erweitert  und  wenig  beweglich ,  starkes  Licht 
verbessert  auf  Augenblicke  die  geschwächte  Sehkraft.  Cur.  Man  entferne 
die  Ursachen,  verordne  eine  dem  Krankheitszustande  angemessene  Diät,  ver- 
ordne innerlich  Kampher,  Valeriana ,  Serpcntaria ,  und,  entstand  das  Übel 
nach  Apoplexie ,  besonders  Arnica.  Örtliche  Augenmittel  passen  auch  hier 
selten  (Benedict) ,  dagegen  sind  Haarselle  in  den  Nacken ,  reizende ,  pustel- 
erregende Salben  hinter  die  Ohren,  auf  den  Processus  maraillaris,  sehr  nütz- 
lich. In  mehreren  Fällen  wirkte  das  Strychnin,  äusserlich  täglich  % — 4 
Gran  in  jede,  durch  Vesicatorien  entblösste  Schläfengegend  angewandt  und 
Wochen  lang  fortgesetzt,  ganz  vortrefflich  und  hellte  Amaurosen,  die  schon 
viele  Jahre  alt  waren.  Entstehen  Kopfweh,  Frost,  Schwindel  und  Übelkeit, 
so  wird  das  Mittel  einige  Tage  ausgesetzt  und,  sind  die  Zufälle  bedenklich, 


70  AMAUROSIS 

innerlich  Kampher  und  äusserlich  auf  die  entblösste  Hautstelle  eine  kleine 
Gabe  Morphium  verordnet  (s.  Th.  Short  in  Edinb.  med.  and  surgical  Joiur- 
nal.  Octbr.  1831.  —  Grüfe's  u.  WaHher's  Journ.  f.  Chirurgie  u.  Ophthal- 
mologie 1831.  Bd.  XV.  Hft.  2.  S.  334.).  Nach  diesen  allgemeinen  Grund- 
sätzen wird  der  ächte  Praktiker  seine  Heilmethoden  für  die  epeciellen  Fälle 
gehörig  modificiren ;  doch  mögen  folgende  nähere  Erörterungen  hier  noch 
einen  Platz  finden 

Amaurosis  nach  äussern  Verwundungen  der  Augenbrauen- 
gegend. Amblyopie  und  später  völlige  Blindheit  sind  nicht  selten  Folge 
unbedeutender  Schnitt-  oder  Stichwunden  der  Augenbrauengegend.  Cur. 
Man  wende  örtlich  reizende,  spirituöse  Einreibungen  an  (s.  oben  die  Himly- 
sche  Formel  bei  A.  aus  irritabler  Schwäche).  Ist  das  Übel  hartnäckig,  so 
versuche  man  das  mehrfache  Zerschneiden  des  Nervus  supraorbitalis  rings 
um  die  Narbe  herum,  und  äusserlich  das  Strychnin. 

Amaurosis  durch  örtliche  Blutco  ngestion.  Entsteht  oft  plötz- 
lich durch  schwere  Geburtsarbeit,  anhaltendes  Bücken,  Tragen  schwerer 
Lasten,  besonders  bei  erhitztem  Körper  und  in  heisser  Luft,  wodurch  der 
Mensch  binnen  wenigen  Minuten  blind  wird.  C  u  r.  Blutegel  an  die  Augen- 
gegend, bei  Vollblütigen  Aderlass,  kalte  Umschläge  auf  Kopf  und  Gesicht, 
innerlich  Sal  Glauberi  zum  Purgiren;  ein  Vesicatorium  in  den  Nacken,  spä- 
terhin 5  wenn  alle  Congestion  vorüber  ist ,  ein  Infus,   arnicae. 

Amaurosis  durch  unterdrückte  Blutungen,  durch  unzeitig  ge- 
stopftes Nasenbluten,  unterdrückte  Menses  und  Hämorrhoiden.  Cur,  Ört- 
liche und  allgemeine  Blutausleerungen,  knappe  Diät,  kühlende  Purgsuizen, 
Vesicatorien  auf  die  Arme,  Senfpflaster  an  die  Waden. 

Amaurosis  durch  heftige  Quetschung  des  Auges.  Cur.  Zu 
Anfange  Blutegel,  Aderlässe,  dann  kalte  Umschläge  von  Wasser,  von  Essig 
und  Wasser  aufs  Auge,  innerlich  Purgirsalze,  antiphlogistische  Diät;  später- 
hin innerlich  Infus,  flor.  arnicae ,  und  äusserlich  Unguent.  nervin. ,  auch  spi- 
rituöse Wässer:  Eau  de  Cologne  etc.  in  die  Augengegend. 

Amaurosis  durch  heftige  Anstrengung  des  Auges,  durch  Blitz- 
strahl ,  anhaltendes  Sehen  auf  kleine ,  glänzende  Gegenstände  ,  bei  Uhrma- 
chern ,  Miniaturmalern  etc.  Cur.  Aufenthalt  im  Dunkeln ,  völlige  Ruhe  des 
Auges,  später  das  Ti'agen  grüner  Brillen,  Landluft,  Spazieren  auf  grünen 
Wiesen ,  Wohnen  in  grüngemalten  Zimmern. 

Amaurosis  durch  Onanie,  Ausschweifungen  in  Venere.  Cur. 
Vermeidung  des  schwächenden  Samenverlustes,  gute,  nicht  reizende  Nutrien- 
tia ,  viel  frische,  ungekochte ,  noch  warme  Milch  als  Getränk ;  innerlich  zu- 
erst Arnica,  Valeriana,  dann  China,  Eisenmittel  (s.  Amara);  äusserlich 
Unguent.  nervinum. 

Amaurosis  durch  Venerie.  Entsteht  oft  bei  Lues  larvata,  oft  viele 
Jahre  nach  der  Ansteckung  des  venerischen  Gifts.  Symptome.  Druck 
und  Schmerz  in  der  Orbita,  rheumatische  Gliederschmerzen,  Knochenschmer- 
zen des  Nachts,  die  Kranken  schielen  häufig;  man  bemerkt  auf  der  Brust, 
am  Nacken,  am  Halse,  in  der  Leistengegend  die  bekannten  venerischen 
Hautflecke  (Liehen  syphiliticus  Willan^ ,  mitunter  auch  das  ciikelrunde, 
linsengrosse ,  röthliche  venerische  Exanthem.  Cur.  Innerlich  Sublimat  (gr. 
j.  in  5vjjj  Aq.  destill,  mit  gjiy  Mucil.  gumm.  arab.)  dreimal  täglich  1  Essl. 
voll ,  oder  die  Dzondi' sehen  Pillen ,  vier  Wochen  lang  gebraucht.  Hilft  dies 
nicht,  dann  die  Louvrier-Rust'sche  Schmier-  und  Hungercur  (s.  Syphilis). 

Amaurosis  nach  unterdrückten  Kop  fsch  weissen.  Cur.  Täg- 
liches Reiben  und  Bürsten  des  Kopfs ,  deis  Tragen  einer  Kappe  von  Wachs- 
tafFet,  um  den  Kopf  in  Schweiss  zu  bringen.  Hilft  dies  nicht,  so  reibe 
man  die  Brechweinsteinsalbe  in  den  abgeschornen  Kopf,  oder  folgende  Mi- 
schung: Rr  Tinct.  cantharid.  §ft  ,  Spirit.  sal.  amTnon.  caust.  53,  Spirit.  ser- 
pfßli  gjj.  M.  Auch  folgende  Salbe,  welche  vor  der  Autenrieth'schen  Brech- 
weinsteinsalbe Vorzüge  hat  und  wovon,  um  Ausschlag  zu  erregen,  täglich 
dreimal  einer  Bohne  gross  eingerieben  wird ,  ist  sehr  wirksam :  1^  Mercur. 
jwaecip,   alh.  5j»    Ungueitt.   digital,  purptir.  5J.   M.   exactiss.  {Kopp).     Det 


AMAUROSIS  71 

eingeriebene  Theil  wird  darauf  mit  feinem  Wachstaffet  bedeckt.  Ausserdem 
lege  man  dem  Kranken  noch  ein  Vesicatof  in  den  Nacken ,  erhalte  die» 
4  Wochen  in  Eiterung  und  gebe  innerlich  kleine  Dosen  Antimonialmittel.  mit 
Guajak  ,  z.  B.  (für  einen  Erwachsenen)  F^  Aethiop.  antimonial.  gr.  v,  Gumm. 
guajnci  gr.  vjjj,  Magnes.  carbonic,  Elaeos.  citri  ana  gr.  vj.  M.  f.  p.  dißp 
dos.  x\j.  S.    Dreimal  täglich  ein  Pulver  mit  Wasser  zu  nehmen  (M.) 

Amaurosis  durch  unterdrückten  Schnupfen.  Trockenheit  in 
'der  Nase ,  Gefühl  von  Spannung  und  Druck  darin  sind  Zeichen  der  Gefäss- 
oder  Congestionsamaurose  und  beweisen  nur  dann  die  Gegenwart  dieser 
Amaurose,  wenn  wirklich  nach  schnell  unterdrücktem,  heftigem  Katarrh  un- 
mittelbar das  Übel  entstand  und  die  Kranken  vorh«r  häufig  an  Katarrh  und 
Katarrhal  fiebern  litten,  die  nun  gänzlich  aufgehört  haben  sich  wie  sonst 
einzustellen.  Cur.  Warme  Dampfbäder  von  Fliederthee,  laue  Milch  zum 
Einschnupfen  in  <iie  Nase,  täglich  und  anhaltend  gebraucht,  warme  Fuss- 
bäder,  ableitende  Hautreize,  die  innere  Anwendung  des  Brechweinsteins  Alt 
Salmiak  (Tart.  emet.  gr.  jj,  Säl.  ammon.  dep. ,  Succ.  liquir.  dep.  ana  3jjj» 
Aq.  flor.  sarab.  gvj.  Dreimal  täglich  1  Essl.  voll).  Erst  späterhin,  wenn 
alle  Congestion  weg  ist ,  passen  reizende  Schnupftabake ,  z.  B.  die  oben  bei 
Amaurose  aus  irritabler  Schwäche  angegebenen  Formeln. 

Amaurosis  gastrica.  Diese  Form  kommt  häufig  als  secundäre  Conge- 
stionsamaurose vor ,  ihr  Charakter  ist  oit  rein  chronisch.  Cur.  Zuweilen 
ein  Vomitiv  aus  B  rech  Weinstein ,  ausserdem  auflösende  Vlittelsalze  mit  Extir. 
taraxaci ,  graminis ,  strenge ,  sparsame  Diät ,  viel  Bewegung  in  freier  Luft, 
tägliche  Sorge  für  Leibesöffnuüg  4urch  gelinde  Purg^rsalze,  reizende  Fuss- 
-bäder,  ein  Haai-seil  in  den  Nacken.  Übrigens  die  Behandlung  der  Amau- 
rosis ex  abdomine ,  wozu  diese  Form  gehört  (s.  diesen  Artikel). 

Amaurosis  arthritica.  Der  gichtische  schwarze  Staar  ist  leidOT  sehr 
häufig  und  meist  schwer  zu  heilen;  er  entsteht  sehr  langsam,  gebraucht  zu 
seiner  vollen  Ausbildung  selbst  Jahre,  und  das  Gesicht  wird  hier  nur  all<- 
mälig  schwächer.  Ein  charakteristisches  Zeichen  ist  eine  eckig  aussehende 
Pupille.  Zuweilen  geht  Oplithalmia  arthritica  vorher,  oft  aber  auch  nicht; 
es  entsteht  im  ersten  Falle  nicht  selten  grosse  Varicosität  des  Auges,  Glau- 
coma ,  Vergrösserung  des  Bulbus ,  hinterher  Atrophia  bulbi ;  dabei  heftige 
Schmerzen,  Kopfweh,  Schwindel,  auch  bald  Affection  des  andern  Auges, 
Cur.  Zu  Anfange,  wenn  heftige  Augenentzündung  da  ist.,  Blutegel  an  die 
Schläfen  und  antiphlogistische  Purgirmittel  ,  späterhin  bei  anfangendem 
Gichtstaar  kleine  Dosen  Antimonialmittel  nüt  Guajak,  Lac  ammoniacale, 
ein  Vesicator  in  den  Nacken ,  alle  3  bis  5  Tage  eine  Laxanz  aus  Jalape 
und  Merc.  dulcis.  Auch  die  Dzondi'schen  Sublimatpillen,  29  Tage  lang 
nach  DzondCs  VIethode  gebraucht,  leisteten  in  einem  Falle  gute  Dienste 
(Af.) ,  desgleichen  Folgendes :  11-  Flor,  sulphuris  ^fj. ,  Ocul.  cancror. ,  Resirt. 
guajaci  ana  5jj.  Magnes.  carhon.  3j>  Antimon,  crudi,  Liquirit.  coctae  ana 
5jij.  M.  f.  p.  dent.  in  scatula  S.  Viermal  täglich  einen  Theelöffel  voll  mit 
Wasser.  (M.) 

Amaurosis  ex  ahdomine.  Band-  und  Spulwürmer  erregen  selten  Blind- 
heit ,  häufiger  Hämorrhoidal  -  und  Menstrualcongestion ,  chronische  Fehler 
<les  Magens,  der  Leber,  der  Milz,  bei  Hypochondristen ,  Melancholischen 
etc.  mit  atrabilarischer  Constitution.  Cur.  Man  behandle  das  Grundübel: 
treibe  die  Intestinalwürmer  ab  ,  gebe  bei  Hämorrhoiden  innerlich  Flor,  sul- 
phuris ,  Visceralmittel ,  Viscexalklystiere ,  folgende  PUlen :  I^  Gumm,  asaa 
foetid.,  Fell,  tauri  inspissati,  Saponis  venet.  ana  3jj-  Mercwr.  du?c.  3^?  Pulv. 
rhei.  q.  s.  fiat  mass.  pil.  p.  gr.  ij.  consp.  lycop.  S.  Dreimal  täglich  8 — 10 
Stück.  Den  wahren  Hypochondristen  gebe  man  Helleborus ,  Gratiola ,  ver-- 
ordne  die  Ekelcur  (kleine  Dosen  Tart.  .emet.),  die  Hungercur.  Höchst 
wirksam  ist  bei  Amaurose  aus  Menstrual-  und  Hämorrhoidalcongestion  das 
natürliche  und  künstliche  Karlsbader  Wasser  (Af.).  In  einem  Falle  leistete 
das  tägliche  Trinken  von  1  —  3  Mass  kaltem  Flusswasser,  3  Monate  lang 
fortgesetzt,  Heilung  (3f.).     Örtliche  Mittel  helfen  hier  wenig. 

Amaurosis  hystericn.     Ensteht  zuweilen  nach  einem  heftigen  Anfalle  der 


72  AMAUROSIS 

Hysterie  tind  verschwindet  dann  meist  binnen  wenigen  Stunden  von  selbst. 
Cur.  Frische  Luft,  innerlich  Antispasmodica,  z.B.  Tinct.  castorei  3j»  Liq. 

c.  c.  succin. ,  Liq.  anodyn.  ana  3jj-     Alle  IV2  St.  10 — 20  Tropfen. 

Amaurosis  recoTwalcscentium.  Entsteht  aus  allgemeiner  Schwäche  des 
Korpers.  Man  gebe  gute  Nahrungsmittel,  verordne  innerlich  China;  dann 
verschwindet  sie  allmälig  von  selbst. 

Ammirosis  nach  schnell  geheilten  Kopfausschlägen.  Hier 
wende  man  Einreibungen  von  Ungt.  tart.  emetici,  oder  die  Kopp'sche  Salbe 
auf  den  abgeschornen  Kopf  an,  gebe  innerlich  Aethiops  antimonialis ,  Flor, 
sulphuris  u.  dergl. 

Amaurosis  nach  unterdruckten  Fuss  schwel  ssen.  Man  lasse 
hier  dreimal  täglich  die  Füsse  in  trocknen ,  warmen  Sand  setzen ,  reibe  und 
bürste  die  Schenkel,  lege  Senfpflaster  an  die  Waden,  gebe  innerlich  Dia- 
phoretica  und  lasse  späterhin  Strümpfe  von  Wachstaffet  tragen. 

Amaurosis  rheumatica.  Ist  meist  gut  zu  heilen ,  besonders  zu  Anfange 
des  Übels.  Gefühl  von  Steifheit. in  den  Augenlidern,  zugleich  oft  Ptosis 
palpebrar.  super. ,  kleine  Pupille ,  schweres  Gehör  an  der  leidenden  Seite, 
Taubheit  in  der  Wange ,  die  rheumatische  Constitution ,  vorhergegangene 
Erkältung  etc.  machen  die  Erkenntniss  und  Diagnose  des  Übels  leicht.  Cur. 
Ein  Vesicatorium  in  den  Nacken ,  innerlich  ]^  Spirit.  Mindereri  gjj ,  Aq.  flor. 
»amhuci  51V,  Vini  nntim.  Huxh.  5|^?  S.  Stündlich  1  Esslöffel  voll.  Später 
f^  Camphorae  gr.  jj — jjj,  Nitri  depur.  gr.  vjjj.  Sacchari  ^j.  S.  Dreimal  täglich 
ein  solches  Pulver  zu  nehmen.  Zuletzt  verordne  man  2  —  3  Wochen  lang.  Pulv. 
herb.  Belladonnae  gr.  jj  —  vj.  S.     Alle  1  —  2  Abende  ein  solches  Pulver. 

Jüngken  theilt  die  Amaurosen  in  idiopathische',  sympathi- 
sche,   specifisch>e    und    symptomatische   (s.  Rusfs   Handbuch 

d.  Chirurgie,  Bd.  I.  S.  469  u.  f.).  Nach  ihm  sind  idiopathische  Amblyo- 
pien und  Amaurosen :  1)  Amhlyopia  und  Amaurosis  irnumaiica.  Sie  entsteht 
durch  mechanische  Verletzungen,  Stoss,  Schlag,  Druck  in  der  Umgegend 
des  Auges  oder  am  Augapfel  und  ist  eine  wahre  Paralysis  traumatica  reti- 
nae,  eine  Commotio  bulbi.  Symptome  sind:  Dunkelheit  vor  dem  Auge, 
Funkensehen,  unbewegliche  Iris,  erweiterte,  meist  nach  einer  Seite  verzo- 
gene Pupille ,  Blutextravasat  im  Auge ,  heftiger  Schmerz.  Das  Gesicht 
kehrt  allmälig  zurück,  doch  leidet  der. Mensch  hinterher  häufig  an  Visus 
dimidiatus.  Cur.  Anfangs  streng  antiphlogistisch ,  selbst  Venaesectio,  kalte 
Umschläge,  Blutegel  in  der  Nähe  des  Auges,  kühlende  Abführungen,  Kalo- 
mel  in  grossen  Dosen.  Nach  einigen  Tagen  Unguent.  mercuriale  in  die 
Augengegend,  später  aromatische  Ki'äuterinfusionen  zu  Umschlägen,  Wa- 
schung der  Augengegend  mit  Spirituosis  ,  innerlich  Arnica.  2)  Amhlyopia 
seu  Amaurosis  inftammatoria.  Ist  eine  Inflammatio  retinae,  die  oft  rasch, 
binnen  48  Stunden,  blind  macht,  oft  auch  langsamer  verläuft.  Ursachen 
sind:  plethorische  Constitution,  reizende  Lebensweise,  jugendliches  Alter, 
heftige  Anstrengung  der  1  Augen.  Symptome:  Gefühl  von  Vollseyn  des 
Bulbus,  als  hätte  er  keinen  Raum  in  der  Orbita,  Verminderung  des  Seh- 
vermögens ,  Photopsie  ,  Photophobie ,  betäubender  Kopfschmerz ,  Anschwel- 
lung des  Bulbus,  später  unbewegliche  Iris,  erweiterte  Pupille,  geröthete 
Conjunctiva  scleroticae.  Cur.  Ist  die  der  Amaurosis  traumatica.  3)  Am- 
blyopia  seu  Amaurosis  ex  abusu  oculorum.  Sie  erscheint  am  reinsten  bei 
Kindern  und  jungen  Leuten  in  Folge  zu  starker  Anstrengung  der  Augen; 
bei  bejahrten  Leuten  ist  sie  meist  mit  Abdominalbeschwerden  verbunden. 
Gelegenheit  geben :  anhaltende  Anstrengung  der  Augen  bei  zu  hellem ,  blen- 
dendem, oder  zu  schwachem  Lichte,  Beschäftigung  mit  feinen,  glänzenden 
Gegenständen,  bei  Uhrmachern,  Goldarbeitern.  Symptome:  grosse  Em- 
pfindlichkeit der  Augen,  kleine,  sehr  bewegliche  Pupille,  die  später  unbe- 
weglich und  starr  wird.  Nach  Anstrengungen  wird  das  Auge  roth  und 
thräncnd,  dabei  Photopsie,  selbst  bei  geschlossenen  Augen,  eine  Erschei- 
nung, wie  ein  Goldregen  vor  den  Augen,  allmäligcs  Verschwinden  des  Seh- 
vermögens. Cur.  Schonung  der  Augen,  Aufenthalt  im  Freien,  Reisen, 
der  Anblick  grüner  Wiesen ,  Fussreisen  in  Gebirge :  örtlich  kalte  Umschläge, 


>^. 


AMAUROSIS      ♦  73 

kalte  Douche,  taglich  2  —  Smal,  eine  halbe  Stunde  lang  applicirt,  Einrei- 
bungen von  Opium  mit  Speichel  um  die  Augen.  Reizende,  spirituöse,  aro- 
matische Mittel  verschlimmern  leicht  den  Zustand  bis  zur  völligen  Blindheit. 
4)  Amhlyopia  seu  Amaurosis  ex  anopsia.  Sie  entsteht  aus  mangelnder  Übung 
der  Sehkraft ,  indem  der  Kranke ,  mit  oder  ohne  Willen ,  nur  mit  einem 
Auge  sieht  und  das  andere  ruhen  lässt.  Er  öffnet  beide  Augen  gleichmässig, 
richtet  aber  nur  das  eine  auf  den  zu  beschauenden  Gegenstand,  während 
er  das  andere  ruhen  und  den  zufälligen  Bewegungen  der  Augenmuskeln  über- 
lässt,  durch  welche  es  aus  der  Richtung  der  Sehaxe,  am  häufigsten  nach 
dem  innern  Augenwinkel,  nach  einer  andern  Seite  schielt.  Manche  Kranke 
kennen  ihr  Übel  nicht  einmal,  bis  sie  zufällig  die  Sehkraft  jedes  einzelnen 
Auges  versuchen ,  wo  sie  dann  mit  Schrecken  den  blöden  Gesichtszustand 
des  einen  Auges  wahrnehmen.  Bei  allen  Schielenden  finden  wir  das  Übel 
auf  dem  am  meisten  schielenden  Auge ;  zuweilen  ist  dessen  Hornhaut  auch 
trübe,  und  das  Auge  thränt,  wenn  es  gewaltsam  angestrengt  wird.  Cur. 
Sind  keine  organische  Hindernisse  zugegen,  als  Maculae  corneae  etc.,  so 
dient  tägliche  Übung  des  Auges ,  indem  das  gesunde  Auge  verhängt  und 
dadurch  das  kranke  zur  Übung  gezwungen  wird.  Sind  Trübungen  der 
Hornhaut  da,  so  müssen  diese  zuvor  beseitigt  werden  (s.  Maculae« or- 
neae).  —  Zu  den  sympathischen  und  specifiken  Amblyopien  und  Amaurosen 
rechnet  Jüngken:  1)  Amblyopia  oder  Amaurosis  congestiva  seu  sanguinea, 
wozu  die  A.  menstrualis  und  hncmorrhoidalis  gehören.  2)  Amblgopia  oder 
Amaurosis  nervosa,  wohin  er  die  J.  ex  onania,  die  A.  hjpochondriaca,  hy~ 
sterica,  spasmodica  und  die  A.  puerperalis  rechnet  (s.  oben  Amaurose  mit 
irritabler  Schwäche).  Bei  Hysterischen  empfiehlt  hier  Jünglcen  besonders 
Asant  und  andere  Antispasmodica ,  äussei'lich  aromatische  und  ätherische 
Miftel ,  bei  Onanisten  Valeriana ,  China ,  Eisen ,  kalte  Douche  aufs  Kreuzj 
bei  der  A.  puerperalis  Einreibungen  von  Opium,  Hyoscyamus,  Cicuta,  in- 
nerlich Valeriana,  China,  bittere  Extracte,  keine  reizende,  erhitzende  Au- 
genmittel ,  blos  Schonung  und  Beschattung  der  Augen ,  massige  Beschattung 
des  Zimmers.  3)  Amhhjopia  oder  Amawosis  abdominalis  et  verminosa,  wo- 
bei Status  gastricus ,  Dyspepsie ,  Obstructio  alvi ,  Kopfschmerzen  ,  Nebelse- 
hen, grösseres  Lichtbedürfniss,  träge  Iris ,  erweiterte  Pupille ,  eine  Ab-  und 
Zunahme  der  Sehkraft  zu  gewissen  Zeiten  etc.  stattfinden.  >  4)  Amhtyopin 
oder  Amaurosis  rheumatica.  Hier  lobt  Jüngken  Pulv.  ipecac.  compos.  Spirit. 
Mindereri,  Salmiak  mit  Tart.  emet.  in  refr.  dosi;  auch  wiederholt  ange- 
wendete Emetica.  Letztere  quälen  indessen,  alle  paar  Tage  angiewandt, 
den  Kranken  sehr  viel ,  iind  deshalb  gebe  ich  sie ,  da  wir  ja  auch  mit  an- 
dern Mitteln  auskommen  können ,  nicht ,  dagegen  sind  sie  zu  Berlin  in 
Jüngken^s  ophthalmologischer  Klinik,  wie  ich  mich  im  Jahre  1829  überzeugt 
habe,  recht  an  der  Tagesordnung.  5)  Amhhjopia  oder  Amaurosis  nrtbritica. 
6)  A.  oder  Amau/rosis  syphilitica.  7)  A.  oder  Amaurosis  scrophulosa.-  8)  A, 
oder  Amaurosis  metastatica ,  die  nach  unterdrückten  Fussschweissen ,  Ge- 
«ch\vüren ,  Ausschlägen  ,  fiiessenden  Ohren  ,  Balggeschwülsten ,  Weichselzopf 
und  ähnlichen  Krankheitsformen  entsteht,  die  nach  ihrem  Verschwinden 
durch  trübes  Sehvermögen,  Druck  und  Schwere  im  Auge,  Andrang  des 
Bluts  zum  Kopfe,  zuweilen  durch  Visus  dimidiatus  sich  zu  erkeimen  giebt.  — 
Zu  den  symptomatischen  Amblyopien  und  Amaurosen  rechnet  Ji'mgken : 
1)  Amhl.  oder  Amaur.  apoplectica,  als  Symptom  der  Apoplexie,  verbunden 
mit  Blepharoptosen  und  Strabismus,  wobei  die  Pupille  eng,  die  Iris  starr 
und  das  Sehvermögen  oft  schnell  verschwunden  ist.  Ist  kein  Blutandrang 
da,  so  soll  man  hier,  nach  ihm,  hinter  dem  Ohre,  zwischen  dem  Unterkie- 
ferwinkel und  dem  Proc.  mastoideus  eine  Moxa  setzen  oder  ein  Causticum 
legen ,  und  die  Stelle  später  in  starker  Eiterung  erhalten ;  auch  kann  man 
die  Elektropunctur  anwenden,  wobei  die  Nadeln  durch  die  Augenlider,  um 
den  Augapfel  herum,  bis  tief  in  die  Orbita  gestochen  werden  können,;  auch 
Moxen  an  Stirn  und  Schläfe ,  reizende  Einreibungen.  2)  Amhl.  oder  Amaur. 
hydrocejihalica.  Sie  wird  nur  durch  Entfernung  des  Grundübels  gehoben 
(s.   Hydrops    cerebri).      3)  Ambl.    oder   Amaur.    tahidormn.      Ist    eine 


7#  AMBLOTICA  —  AMENIA 

Amaur.  nervosa  durch  Tabes  dorsalis,  wogegen  örtliche  Mittel  wenig  leisten, 
nur  die  Tabes  gehoben  A\erden  muss.  4)  Amhl.  oder  Amaurosis  intermit- 
tens.  IiSt  eine  periodisch  eintretende  Blindheit  als  Febris  intermittens  lar- 
vata, und  weicht  der  China  und  dem  Chinin.  5)  Amhl.  oder  Amaurosis 
gravidarum.  Bei  einzelnen  Schwangern  dauert  das  Übel  nur  bis  zur  Hälfte, 
bei  andern  bis  nach  der  Entbindung. .  Meist  ist  Turgescenz  der  Säfte  zum 
Kopfe  da,  wogegen  dann  gelinde  kühlende  Abführungen  und,  wenn  Nei- 
gung zu  Obstructio  alvi  da  ist,  Klystiere  nützlich  sind,  dabei  Vermeidung 
aller  reizende  Dinge ,  des  grellen  Lichts ,  der  hellen  Zimmer ,  der  Spirituosa. 
6)  Amhl.  oder  Amaur.  als  Symptom  organischer  Fehler  des  Aug- 
apfels; 7)  als  Symptom  organischer  Fehler  in  der  Umgegend 
des  Auges:  Exostosen  in  der  Orbita,  Ozäna  der  Ätirn-  und  Oberkie- 
ferhöhlen, Afterorganisationen  etc.  Noch  gehören  hieher  8)  die  von  Jimg- 
Tcen  nicht  angeführte  Amhlyopin  et  Amaurosis  ex  colica  satur7iina,  welche 
nach  der  Cur  der  Bleikolik  durch  Opium,  Alaun,  Purganzen  etc.  von  selbst 
»vergeht  (s.  Divplaij  im  Archires  gen.  de  Medecine.  Mai  1834.  p.  1  —  32); 
9)  die  Amblijopie  bei  Personen  mit  Leber-  und  Milz  fehlem,  oft  gleich- 
zeitig mit  Schwerhörigkeit  des  einen  Ohrs ,  wobei  Resolventia  und  Karlsbad 
periodische  Besserung  gewähren.  10)  Die  Amaurose  als  Folge  von 
Prosopalgie,  worüber  noch  kürzlich  Herziq  einen  interessanten  Fall  mit- 
theilte (s.  V.  Amvioii's  Zeitschrift  f.  Ophthalmologie,  1835.  Bd.  IV.  S.  309), 
und  11)  Amaurosis  mercurialis,  als  Folge  allgemeiner  Mercurialkrankheit, 
•oder  auch  als  Metaschematismus  statt  der  Salivation,  wenn  diese  unterdrückt 
oder  unvollkommen  entwickelt  ist,  worüber  Haffner  (v.  Ammo^i^s  Zeitsch.  f. 
Ophthalm.  1835.  Bd.  IV.  S.  317  ff.)  weitläufig  handelt.  Symptome  und 
Verlauf,  nach  Haffner.  Unter  Fieberschauern  und  Kopfweh  erscheint  am 
obern  Rande  der  Hornhaut  eines  Auges  (gewöhnlich  des  linken)  ein  Convo- 
lut  aufgetriebener  Blutgefässe,  zwischen  welchen  und  umher  sich  eine  graue 
Trübung,  wie  beim  Pannus,  verbreitet.  Binnen  2  —  3  Tagen  ist  die  ganze 
Cornea  undurchsichtig  geworden,  gleich  mattgeschüffenem  Glase,  am  stärk- 
sten in  der  Mitte  vor  der  Pupille;  der  äussere  Ring  der  Iris  sieht  grün 
aus ;  dabei  Lichtscheu ,  Thränenfluss ,  bedeutend  vermindertes  Sehvermögen, 
oft  schon  Tage  lang  vorher  kleiner,  harter,  schneller  Puls,  Kälte  der 
Glieder  und  andere  Vorboten  der  Salivation.  In  kurzer  Zeit  scheint  das 
Auge  zerstört ;  dennoch  heilt  die  Natur  oft  das  Übel ,  so  dass  bei  wieder?- 
erlangter  Körperkraft  das  Auge  gesund  und  wieder  klar  wird.  Durcb 
Kunsthülfe  erfolgt  die  Heilung  binnen  3  Wochen.  Cur.  Strenge  Entfer- 
nung alles  Quecksilbers,  innerlich  keine  antiphlogistische,  auflösende,  aus- 
leerende Mittel.  Sie  schaden  nur.  In  jedem  Stadium  gab  Haffner  stets 
allein  mit  Nutzen  das  Ferrum  sulphuricum,  p.  d.  3  —  5  Gran,  3  bis  4  mal 
täglich  innerlich.  Äussere  Mittel :  Tinct.  opii  etc.  leisteten  wenig.  Endlich 
theilt  Jüngken  die  Amaurosen  noch  in  Amaurosis  sensihilis ,  irritahilis  und 
iorpidn,  gesteht  aber,  dass  diese  Eintheilung,  wie  wir  schon  bemerkt  ha- 
ben, nur  von  untergeordnetem  Werthe  sey.  Allerdings  ist  sie  dies,  obgleich 
sie  dem  Systematiker  mehr  als  dem  Praktiker  zusagt,  wovon  der  Grund 
nicht  schwer  aufeufinden  ist. 

Amblotica,  fruchtabtreibende  Mittel,  s.  Abortiva. 

Amblyaphia,  Stumpfheit  des  Gefühls.  Ist  Symptom  vieler 
Nervenübel,  der  Febris  nervosa  stupida  etc. 

Amblyopie  aina<arotica< »  anfangender  schwarzer  Staar,  s. 
Amauro  sis. 

Amhlyopia  crepuscularis,  s.  Visus  diurnus  et  nocturnu». 

Amhhjopia  dissitorum,  s.  Myopia. 

Amhlyopin  proximorum,  s.  Presbyop! a. 

Ajnbustio t  Verbrennung ,  s.  Combustio. 

Amenia.  So  nennt  Begin  ein  Frauenzimmer  mit  mangelndenk  Mo- 
natsQ\>ssc.     S.  Menstruatio  retenta,  suppressa. 


AMENORRHOEA  EMANSIONIS  —  AMPHOTERODIPLOPIA  75 

Amenorrhoea  emansionis $  s.  Menstruatio  r«'tenta. 

Amenorrboea  sappressioms,   s.  Menstruatio  suppressa. 

Ainentias  Anoea ,  Dementia  ,  Fntuiias  ,  Imhecillitas  ,  Blödsinn. 
Der  angeborne  Blödsinn  ist  fast  immer  unheilbar.  Ist  er  als  Folge  von  in- 
nern  oder  äusserlichen  Verletzungen  des  Gehirns,  als  Folge  der  Epilepsie, 
Apoplexie  etc.  entstanden ,  so  behandle  man  das  Grundübel  und  suche  die 
Ursachen  zu  entfernen.  Die  Symptome  des  Blödsinns  sind  im  Allgemeinen 
die ,  welche  sich  durch  allgemeine  Schwäche  des  Verstandes ,  Verkehrtheit 
der  Vorstellungen  und  Handlungen  und  durch  den  eigenthümlichen  Habitus 
dieser  Unglücklichen  (allgemeine  Trägheit  der  willkürlichen  Muskelbewe- 
gungen, schlotternder,  träger  Gang,  mattes,  unstätes  Auge,  bleiches,  ge- 
dunsenes Gesicht  etc.)  zu  erkennen  geben.  Es  giebt  verschiedene  Grade 
des  Blödsinns.  Der  erste  und  schwächste  Grad  ist  die  Verstandesschwäche 
(Hebetudo  animi),  der  zweite  die  Albernheit  (Fatuitas) ,  der  dritte  die 
Dummheit  (Stupiditas)  ,  der  vierte  die  Einfalt  (Imbecillitas)  ,  der  fünfte  die 
Stumpfheit  (Vecordia)  und  der  sechste  und  höchste  Grad  ist  der  Cretinis- 
mus  (s.  Haindorf,  Pathologie  und  Therapie  der  Geistes  -  und  Gemüthskrank- 
heiten).  Ursachen  sind :  erbliche  Anlage ,  organische  Fehler  des  Schä- 
dels und  des  Gehirns ,  Gehirnerschütterungen ,  Eiterungen  und  Exsudatio- 
nen ,  Hydatiden ,  Verhärtungen  und  Scirrhositäten  des  Gehirns ,  chi'onische 
Entzündung  desselben  als  Folge  von  Metastasen ;  unterdrückten  Blutflüssen, 
Exanthemen,  Fussschweissen ,  Erysipelas  retropulsum,  psychische  Schädlich- 
keiten :  mangelnde  Geistesausbildung  durch  fehlerhafte  Erziehung,  hohes 
Alter ,  eine  warme ,  feuchte ,  schwüle ,  drückende  Atmosphäre ,  die  Luft  in 
tiefen  Thälern,  übermässige  Geistesanstrengung,  deprimirende  Leidenschaf- 
ten ,  Ausschweifungen  in  Baccho  et  Venere ,  narkotische  Gifte  etc.  Cur. 
Je  leichter  die  Ursachen  zu  heben  sind ,  und  je  jünger  das  Subject  ist, 
desto  eher  kann  man  noch  Heilung  erwarten.  Frische,  reine  Bergluft,  täg- 
liche Bewegung  im  Freien,  stärkende  Bäder,  spirituöse  Einreibungen  des 
Kopfs,  des  Rückens,  bei  Reizlosigkeit  innerlich  Kampher,  Serpentaria,  Va- 
nille, Gewürze,  scharfe  Vegetabilien :  Kubeben,  schwarzer  Pfeffer,  Senf, 
gute,  kräftige  Weine,  Vesicatorien  auf  den  abgeschornen  Kopf,  Haarseile' 
und  Fontanellen  in  den  Nacken ,  starke  Niesmittel ,  das  Einathmen  von  sal- 
petersaurem  Gas  (^Haindorf},  sind  in  einzelnen  Fällen  nützlich  gewesen. 
Auch  die  Kälte,  entweder  blos  auf  den  Kopf  oder  auf  den  ganzen  Körper 
angewandt,  z.  B.  plötzliches  Untertauchen  in  kaltes  Wasser,  hat  man  mit 
Nutzen  versucht. 

Ajnetbysta.  Sind  Mittel  wider  den  Rausch,  s.  Asphyxie  durch 
Berauschung. 

Ammochosia 5   das    Sandbad.      S.  Arenatio   und   Balneum 

terrestre. 

Anmesia,  Delilitas  memoriae,  Gedächtnissschwäche.  Ist  T?ei  alten 
Leuten  unheilbar.  Bei  Jüngern  Subjecten  ist  sie  oft  Folge  von  Verstandes- 
schwäche, Mangel  an  Aufmerksamkeit.  Cur.  Tägliche  Übung  des  Ge- 
dächtnisses, reizende  Nahrung,  besonders  viel  Senf^  Meerrettig,  Ingwer, 
viel  Bewegung  im  Freien. 

Amphamphoterodiopsia.  Ist  Doppelsehen  auf  beiden  Augen 
zugleich  und  mit  jedem  einzelnen  Auge  besonders.     S.  D  i  p  1  o  p  i  a. 

Amphiblestroditis.  Ist  nach  Galen  und  A.  Entzündung  der  Mem- 
brana chorioidea  des  Auges  (s.  Iritis).  Einige  Neuere  verstehen  unter  der 
Benennung  Netzhautentzündung,  Andere  Entzündung  der  Membr.  hya- 
loidea  (s.  Kraus  Nachtr.  zu  dem  kritisch -etymol.  med.  Lexikon.  1832.  S.  17). 

Ampbiblestroiditis ,  s.  Amphiblest^oditis. 

Amphimer jna ,  s.  Febris  quotidiana. 

Amphodiplopia.  Ist  Doppelsehen  mit  beiden  Augen  zugleich. 
S.  D  ip  1  o  p  ia. 

Amplioterodiplopl»»    Ist  Doppelsehen  auf  jedem  Auge  besondere. 


76  AMPUTATIO 

Ampntatio  (nrtuum'),  die  GHederabs  etzung,  Glied  erablö- 
s  u  n  g.  Ist  diejenige  chirurgische  Operation ,  vermittelst  welcher  ganze 
Glieder  oder  Theile  des  Körpers ,  sammt  ihren  knöchernen  Grundlagen ,  ent- 
fernt werden.  Amputation  sensu  strictiori  ist :  Trennung  der  Knochen  ia 
ihrer  Continuität,  im  weitern  Sinn  begreift  man  auch  darunter  die  Glie- 
derauslösung  (^Exarticulaüo ,  Amputntio  ex  articulo ,  Enucleatio ,  Excisio, 
Exstirpatio  nrtuuni).  Man  amputirt,  um  solche  kranke  Gliedmassen  zu  ent- 
fernen, welche  nach  dem  gegenwärtigen  Standpunkte  der  Heilkunde  und 
nach  den  innern  und  äussern  Verhältnissen  des  kranken  Individuums  als  un- 
heilbar betrachtet  werden  müssen,  und  die  dabei  das  Leben  des  Kranken 
gefährden ,  oder  ihm  doch  fortwährend  den  Genuss  des  Lebens  verkümmern. 
Rust  (s.  dess.  Handbuch  d.  Chirurgie,  Bd.  I.  538  u.  f)  findet  daher  bei 
folgenden  Zuständen  die  Amputation  indicirt:  1)  Wenn  ein  Glied  durch 
äussere  Gewalt:  Kanonenkugeln,  Maschinen  etc.  theil weise  weggerissen 
■wurde,  wo  die  gequetschte  Wunde,  die  Form  der  Verletzung,  der  Hautde- 
fect ,  die  Prominenz  des  Knochens  etc. ,  die  Verwandlung  in  eine  reine 
Schnittwunde ,  soll  sie  heilen  und  nicht  in  Gangrän  übergehen,  nothwendig 
erfordert.  2)  Wenn  durch  äussere  Gewalt  der  Knochen  eines  Gliedes  zer- 
splittert und  die  Weichgebilde  gleichzeitig,  wenn  auch  nur  theilweise, 
zerrissen ,  zermalmt  oder  hinweggenommen  sind ,  so  muss ,  iim  einer  tödtli- 
chen  Verjauchung  vorzubeugen  ,  amputirt  werden.  S)  Wenn  auch  bei  un- 
verletztem Knochen  die  Weichgebilde  eines  Gliedes ,  zumal  die  grössern  Ge- 
fasse  und  Nervenstämme ,  weggerissen  oder  zerquetscht  sind,  so  muss  gleich- 
falls, um  Brand  luid  Tod  zu  verhüten,  amputirt  werden.  4)  Desgleichen, 
wenn  ein  Glied  von  einer  Kanonenkugel  in  schiefer  Richtung  oder  von  einem 
Luftstreifschusse  dergestalt  verletzt  wrd,  dass,  bei  anscheinend  gesunden 
Weichgebilden,  dennoch  die  Gefässe  geborsten  oder  die  Knochen  zerschmet- 
tert worden  sind,  wo  die  Heftigkeit  der  Erschütterung  und  die  zermalmten 
Theile  Paralyse  imd  Brand  erregen.  5)  Wenn  ein  Gelenk,  besonders  eini 
charnierförmiges  (Knie  -  oder  Ellbogengelenk)  bedeutend  verletzt  wird  durch 
Quetschung ,  Zerreissung  der  Gelenkbänder ,  Verrenkung ,  Fissuren  oder 
Zermalmung  der  Gelenkenden,  Einkeilen  stumpfer  Körper  mit  Ausfluss  der 
Synovialfeüchtigkeit  oder  heftiger  Blutergiessung  im  Gelenke,  so  amputirt 
man,  um  den  fürchterlichen  Folgen  durch  Entzündung,  Trismus,  Tetanus, 
Caries ,  Brand  vorzubeugen.  6)  Wenn  durch  äussere  Verletzung  oder  durch 
Krankheit  Vereiterung,  Brand  oder  Erweiterung  der  Arterien  und  Venen 
eines  Gliedes  eine  Blutung  herbeigeführt  wird  ,  die  wegen  der  Unzugäng- 
lichkeit oder  besondern  Beschaffenheit  der  blutenden  Gefässe ,  durch  die  be- 
Icannten  Blutstillungsmittel ,  die  Unterbindung  mit  eingerechnet ,  gar  nicht 
oder  nur  auf  kurze  Zeit  gehoben  werden  kann ,  so  ist  die  Amputation  das 
einzige  Mittel ,  das  Leben  zu  retten.  7)  Wenn  geschwürige  Metamorphosen 
der  WeichgebUde,  oder  geschwulstartige  Afterorganisationen  den  grössten 
Theil  eines  Gliedes  einnehmen  (Pseudoerysipelas ,  Balg-  und  Schwannnge- 
wächse,  Elephanthiasis,  Aneurysma  mit  Entartung  nahe  liegender  Gebilde), 
dessen  normale  Function  aufheben ,  durch  Schmerz ,  Säfteentziehung  vaiA 
Säfteverlust,  Einsaugung  und  ähnliche  Rückwirkungen  auf  den  Gesammtor- 
ganismus  dem  Leben  gefährlich  werden,  so  ist  nur  die  Amputation  im  Stande, 
dem  langsamen  Dahinwelken  und  dem  bereits  vorhandenen  Zehrfieber  Ein- 
halt zu  thun  und  so  das  Leben  zu  erhalten.  Dasselbe  gilt  8)  wenn  der- 
gleichen krankhafte  Metamorphosen  die  Knochen  eines  Gliedes  dergestalt 
ergriffen  haben  ,  dass  eine  isolirte  Exstirpation  nicht  mehr  stattfindet,  sie 
mögen  nun  in  Veränderung  der  Knochensubstanz  in  eine  fleischige ,  speckige 
oder  ähnliche  Masse,  in  Knochenwucherung  oder  Auflösung  des  Knochens 
bestehen  (Spina  ventosa,  Caries,  Malacosis  ossium);  —  sowie  9)  bei  un- 
heilbar gewordenen  Gelenkleiden  (Tumor  albus,  Ajrthrocace,  Arthropyosis 
neglecta  etc.).  „  Ich  will  nicht  leugnen  —  sagt  Rust  —  dass  es  unter  den 
angeführten  Krankheitsfällen,  die  meines  Erachtens  die  Amputation  unbe- 
dingt erheischen ,  viele  giebt ,  welche  hier  und  da  ohne  Amputation  geheilt 
worden  sind ;  allein  dergleichen  seltene  Fälle ,    in  welchen  eine  Menge  gün- 


AMPUTATIO  77 

stiger  Verhältnisse  zufällig  zusammentreten,  können  nicht  als  Norm  dienen. 
Wir  müssen  bedenken ,  dass,  während  die  Wenigen ,  welche  so  erhalten  wur- 
den, zwar  oft  viele  Jahre  lang  lebend  umherwandeln  und  so  den  Gegnern 
der  Amputation  als  sprechende  Beweise  für  ihre  Behauptungen  dienen  kön- 
nen, andererseits  Tausende,  die  als  Opfer  der  unterlassenen  Operation  star- 
ben ,  unerwähnt  und  vergessen  in  der  Erde  modern.  Nur  die  Mehrzahl  der 
Fälle  kann  als  Richtschnur  für  unser  Handeln  dienen,  und  ich  wenigstens 
mag  nicht  99  unamputirt  sterben  lassen,  um  an  dem  Hundertsten  ein  Bei- 
spiel zu  erleben,  dass  man  auch  ohne  Amputation  einen  Krüppel  am  Leben 
erhalten  kann."  Auch  bei  an  sich  heilbaren  Verletzungen  muss,  nach  Rttstf 
unter  Umständen  die  Amputation  vorgenommen  werden,  wenn  10)  in  der 
Individualität  des  Kranken  oder  in  den  äussern  Verhältnissen  desselben  ein 
Mangel  der  zur  Heilung  nöthigen  Bedingungen  begründet  ist.  So  kann 
z.  B.  jeder  sehr  complicirte  Beinbruch ,  jede  eindringende  Gelenkswunde  etc. 
im  Kriege ,  auf  Rückzügen ,  beim  Mangel  an  erforderlichen  Heilapparaten, 
an  erforderlicher  Pflege  und  Ruhe,  an  auserlesenen  Transportmitteln,  die 
Amputation  erheischen  und  dem  Kranken  unter  solchen  Verhältnissen  oft  al- 
lein das  Leben  retten ,  obgleich  er ,  wären  letztere  günstiger  gewesen ,  auch 
ohne  Amputation  hätte  geheilt  werden  können.  11)  Wenn  eine  äussere 
Verletzung  oder  krankhafte  Metamorphose  zwar  dem  Leben  nicht  gefährlich 
und  selbst  heilbar  ist ,  aber  unter  solchen  Umständen  nur  geheilt  werden 
kann ,  welche  dem  Gliede  eine  geringere  Brauchbarkeit  geben ,  als  die  eines 
künstlichen  Gliedes ,  und  wenn  endlich  12)  ein  Glied  so  verbildet  und  ver- 
krüppelt ist ,  dass  es  dem  Kranken  hinderlich  wird ,  imd  weniger  als  ein 
künstliches  Glied  leistet,  z.  B.  bei  Ankylose  der  Gelenke  mit  unbequemer 
Stellung  der  Glieder ,  bei  Articulus  praeternaturalis  der  untern  Extremität, 
sobald  die  Heilung  desselben  misslungen,  bei  überflüssigen  Fingern  etc, 
„Der  Brand  kann  als  solcher  nach  dem  heutigen  Standpunkte  der  Heil- 
wissenschaft nie  die  Amputation  erheischen ,  denn  wenn  er  erst  be- 
ginnt —  sagt  Riist  —  so  ist  es  unverantwortlich ,  zu  operiren ,  weil  die 
Erfahrung  gelehrt  hat,  dass  die  Natur,  von  einem  zweckmässigen  Heilver- 
fahren unterstützt ,  oft  Wunder  in  der  Restitution  von  Theilen  thut ,  die 
anscheinend  ganz  abgestorben  sind,  die  aber  in  der  Tiefe  noch  ein  reges 
Gefässleben  verbergen.  Ist  aber  der  Brand  vollkommen  ausgebildet,  so 
können  nur  zwei  Fälle  stattfinden:  entweder  der  Brand  ist  noch  im  B'ort- 
schreiten  begriffen ,  oder  er  hat  sich  schon  begrenzt.  Im  erstem  Falle  ver- 
mag die  Operation  die  Disposition  zum  Brande  nicht  zu  heben,  sondern  sie 
vermehrt  sie  noch  durch  die  nachtheiligen  physischen  und  psychischen  Ein- 
flüsse, die  sie  in  ihrem  Gefolge  führt.  Es  ist  daher  mit  Gewissheit  zu  er- 
warten, dass  der  Brand  in  der  Amputations wunde  aufs  Neue  und  nur  den 
Centralorganen  näher  wieder  erscheine.  Im  zweiten  Falle  ist  die  Operation 
unnöthig,  weil  die  Natur  allein  auf  einem  viel  mildern  Wege  die  Trennung 
des  Todten  vom  Lebendigen  bewirkt.  Auch  die  Rückwirkung  des  Brandes 
auf  den  Gesammtorganismus ,  die  Gefahr,  die  aus  der  Resorption  der  Brand- 
jauche ins  Blut  etc.  entstehen  könnte,  giebt,  wie  Einige  glauben,  keine 
Indication  zur  Amputation;  denn  so  lange  der  Brand  nicht  steht,  so  lange 
sich  keine  Demarcationslinie  erzeugt,  keine  bestimmte  Abgrenzung  zwischen 
dem  Todten  und  Lebenden  gesetzt  ist ,  so  lange  ist ,  wie  aus  dem  Gesagten 
erhellet,  an  eine  Amputation  nicht  zu  denken,  oder  man  müsste  nur  im 
Brandigen  selbst  amputiren  wollen ,  um  die  Masse  des  Letztern  und  somit 
die  Gefahr  der  Rückwirkung  desselben  auf  den  Organismus  zu  mindern, 
was  aber  wieder  mit  einer  solchen  Menge  von  Inconvenienzen  verbunden 
ist,  dass  der  dadurch  etwa  zu  erreichende  Vortheil  für  den  Kranken  durch 
die  nachtheiligen  Eingriff"e ,  die  dadurch  herbeigeführt  werden ,  zehnmal  auf- 
gehoben wird.  Ist  aber  der  Brand  bereits  begrenzt,  so  ist  laut  aller  Er- 
fahrung von  der  Resorption  der  Brandjauche  nichts  mehr  zu  besorgen,  auch 
bei  der  ganz  entgegengesetzten  Reaction  der  Gefässe  und  bei  der  vorherr- 
schenden Tendenz  des  Organismus ,  das  Todte  vom  Lebenden  ■  abzustossen, 
nicht  füglich  möglich."    Über  die  Zeit  der  Amputation,  d-L  bei  der  durch 


78  AMPUTATIO 

mechanische  Verletzung  indicirten,  sind  die  Meinungen  verschieden,  und 
doch  ist  die  Bestimmung  des  rechten  Zeitpunkts  für  den  Erfolg  der  Ope- 
ration sehr  wichtig.  Man  muss  ^\■eder  zu  früh,  noch  zu  spät  amputiren ; 
am  besten  ists,  die  Operation  zu  einer  Zeit  zu  unternehmen,  wo  im  Ge- 
sammtorganismus  kein  bedeutendes  Leiden  vorhanden  ist,  welches  durch  die 
Complication  mit  der  Operation  und  ihrer  Reaction  auf  eine  das  Leben  ge- 
fährdende Höhe  gesteigert  werden  könnte.  Daher  muss  man  entweder  noch 
vor  dem  Eintritt  des  jede  grosse  Verletzung  begleitenden  Gefässfiebers  oder 
nach  gänzlicher  Beendigung  desselben  amputiren.  Leider!  geschieht  dies 
nicht  immer,  zumal  im  Kriege,  und  daher  sterben  so  viele  Amputirte.  — 
„Wie  lange  eine'  Verletzung  sich  selbst  überlassen  bleiben  kann  —  sagt 
Rust  —  ehe  sie  aufhört,  ein  rein  örtliches  Übel  zu  sejTi,  lässt  sich  im  All- 
gemeinen nicht  bestimmen,  da  dies  von  der  Beschaffenheit  der  Verletzung 
und  des  verletzten  Individuums  abhängt.  Je  grösser  der  Umfang  der  Ver- 
letzung ist,  je  mehr  sie  edle  und  sensible  Theile  ergriffen  hat  und  je  irri- 
tabler das  verletzte  Subject  ist,  um  so  schneller  wird  auch  die  Einwirkung 
auf  den  GesammtorganLsmus  erfolgen.  So  viel  ist  indessen  gewiss,  dass 
nach  Verlauf  der  ei'sten  24  Stunden  nach  erlittener  Verletzung  der  gün- 
stigste Zeitpunkt  zur  Amputation  bereits  verstrichen  ist,  und  dass  man  sich 
einen  um  so  günstigem  Erfolg  versprechen  kann,  je  früher  die  Operation 
innerhalb  dieser  24  Stunden  verrichtet  Avird.  Hier  setzt  man  den  Kranken 
keiner  andern  Gefahr  aus  als  der  der  Amputation  selbst,  welche  in  der  Re- 
gel geringer  ist  als  die,  welche  von  der  sich  selbst  überlassenen  Verletzung 
entstehen  könnte.  Hier  hat  der  Kranke  mit  keinem  zwiefachen  Gefässfieber, 
mit  keiner  gewaltsam  gestörten  Krise  zu  kämpfen,  und  der  Erfolg  wird 
meistens  glücklich  seyn.  Ist  aber  dieser  günstige  Zeitpunkt  verstrichen, 
ist  bereits  das  Gefäss-  und  Nervensystem  in  Aufruhr^  die  verletzte  Stelle 
äusserst  schmerzhaft ,  entzündet ,  geschwollen ,  so  darf  meiner  Überzeugung 
nach  die  Amputation  nicht  mehr,  wenigstens  nicht  eher  unternommen  wer- 
den, als  bis  diese  allgemeinen  und  örtlichen  Zufälle  beseitigt  sind  und  der 
ganze  Organismus  in  eine  zu  erneuten  blutigen  Eingriffen  günstigere  Stim- 
mung vei'setzt  ist.  Stirbt  der  Kranke  in  der  Zwischenzeit,  so  kann  man 
sich  mit  der  Überzeugung  trösten,  dass  er  auch  mit  der  Amputation,  und 
dann  wahrscheinlich  noch  früher,  gestorben  wäre.  Übersteht  er  aber  die- 
sen Kampf  der  Natur,  so  kann  später  die  Operation,  meiner  Erfahrung  ge- 
mäss, unter  einer  noch  weit  günstigem  Prognose,  als  wenn  sie  auch 
noch  so  früh  verrichtet  worden  wäre,  unternommen  werden.  —  Wann  die- 
ser Zeitpunkt  der  später  vorzunehmenden  Operation  eintrete,  darüber  las- 
sen sich  keine  bestimmten  Vorschriften  geben;  oft  ist  nach  15  Tagen  der 
günstigste  Zeitpunkt  schon  verstrichen ,  und  öfter  noch  am  25sten  bis  SOsten 
Tage  nicht  eingetreten.  Alles  hängt  hier  von  der  Beschaffenheit  der  Ver- 
letzung, des  verletzten  Individuums  und  der  begleitenden  Umstände  ab,'* 
Über  den  Ort,  wo  amputirt  werden  soll,  ist  nach  demselben  Autor  der 
beste  Grundsatz  dieser:  Man  soll  an  jeder  Stelle  des  Gliedes,  gleichviel, 
ob  sie  in  oder  ausser  dem  Gelenke ,  höher  oder  tiefer  in  der  Continuität 
des  Knochens  liegt,  amputiren,  wenn  sie  als  die  geeignetste  für  den  Heil- 
zweck und  für  die  Bequemlichkeit  de^  Kranken  beim  nachherigen  Gebrauche 
des  Stumpfes  erscheint.  Die  Erfordernisse,  um  zweckmässig,  möglichst 
vollständig  und  schonend  für  den  Kranken  zu  amputiren,  sind:  1)  dass  der 
Wundjirzt  eiiien  guten  und  zweckmässigen  Amputationsapparat  besitze, 
2)  durch  unterrichtete  Gehülfen  unterstützt,  3)  der  Kranke  selbst  aber  auf 
eine  kunstgeraässe  Weise  vorbereitet  und  darm  4)  nach  einer  solchen  Me- 
thode operirt  werde ,  die  seinem  Krankheitszustande  angemessen  ist.  Zum 
Amputationsapparate  rechnet  man  a)  den  Apparatus  instrumen- 
torum.  Dazu  gehören:  2  Tourniipiets  (das  beste  ist  das  Petit-  Mo- 
rell'sche,  welches  die  Vortheile  der  Schraube  und  der  gleichmässigen  Um- 
schnürung des  Gliedes  vereinigt),  ein  Bändchen  oder  Riemen,  um  die 
laxen  Welchtheile  oberhalb  des  Schnitts  zu  fixiren,  nach  Zenker,  fer- 
ner:   mehrere    Amputationsmesser   von   verschiedener    Grösse,    ehischneidig 


AMPUTATIO  19 

zum  Cirkelschnitt ,  zweischneidig  zur  Lappenamputation.  Sie  müssen  ge- 
rade, nicht,  wie  ehemals,  sichelförmig  seyn.  Das  kleinste  (vorn  zweischnei- 
dige) Amputationsmesser  ist  da&  von  Langenbeeh,  das  grösste  (lOy,  Zoll 
haltend)  von  Znng;  —  ein  gei-ades  oder  bauchiges  Bistouri  zum  Abtren- 
nen der  Haut,  —  ein  Zwischenknochenmesser,  —  ein  Beinhautmes- 
ser, —  Retractoren,  d.  i.  eine  kleine  Compresse,  welche  einmal,  oder 
für  die  zweiröhrigen  Glieder,  zweimal  gespalten  ist.  Der  mittlere  Kopf 
wird  dann  mittels  des  Fingers,  einer  Pincette,  zwischen  die  Knochen  ge- 
führt. Simmons  gebrauchte  als  Retractor  ein  seidenes  Netz;  —  mehrere 
Amputationssägen,  z.  B.  die  von  Brihminghausen ,  Rust,  Guthrie,  Rud- 
toirffer.  Zur  Entfernung  von  Splittern  dient  Knauer^s  Phalangensäge,  Sa- 
vigtiVs  Knochenzange ,  Simmons'  Feile»  Endlich  gehören  zum  Instrumen- 
tenapparate noch :  Unterbindungsgeräthe :  Pincetten  mit  einem  Schieber, 
z.  B.  die  von  Schmuclcer,  Brünninghausen ,  Gräfe;  Arterienhaken,  Ligatur- 
faden, für  einzelne  Fälle  Heftnadeln,  Pulv.  stypticus.  —  b)  Der  Verb  an  d*- 
a  p  p  a  r  a  t.  Hieher  gehören  :  warmes  und  kaltes  Wasser ,  Waschschwämme; 
Charpie,  Plumaceaux,  gut  klebende,  auf  Band  gestrichene  oder  bandförmig 
geschnittene  Heftpflaster ,  Compressen ,  Longuetten ,  ein  Malteserkreuz, 
Binden j  Stecknadeln.  —  c)  Lab  e mittel :  kaltes  Wasser,  Essig,  Naphtha, 
Wein,  Zucker  sind  hierzu  hinreichend.  Gut  unterrichtete  Gehülfen  sind 
das  wichtigste  Erforderniss  bei  einer  Amputation.  Man  hat  deren  zum  we- 
nigsten drei  nöthig  (eigentlich  fünf),  und  zwar  einen  zur  Fixirung  des 
Gliedes  oberhalb  der  Amputationsstelle,  einen,  der  es  unterhalb  derselben 
festhält.  Ein  dritter  sorgt  für  den  Kranken ,  und  unterstützt  den  Operateur 
bei  vorkommenden  H^dleistungen ,  Blutungen  u.  dergl. ;  der  vierte  sorgt 
für  die  richtige  Handhabung  des  Tournicjuets ,  und  der  fünfte  reicht  die  In- 
strumente und  Verbandstücke  in  der  Ordnung  dar,  wie  sie  der  Reihefolga 
nach  gebraucht  werden,  und  wie  man  sie,  doch  Instrumente  und  Verband- 
stücke getrennt ,  schon  vorher  ordnungsmässig  zurecht  legt.  Das  Opera- 
tionszimmer muss  im  Winter  massig  ersYärmt  seyn  (16  —  IS^R^aum.)  und 
eine  gute  Beleuchtung  haben.  Zur  Vorbereitung  des  Kranken  gehört, 
dass  man  sein  Vertrauen  belebe  und  ihm  Math  mache,  sein  Gemüth  aber 
so  ruhig  als  möglich  stimme,  dass  man  ihn  zweckmässig  lagere  und  durch 
vorsichtige  Anwendung  des  Tourniquets  gegen  Schmerz  und  Blutung  nach 
Möglichkeit  sichere.  Dem  Kranken  vor  der  Operation,  wie  manche  Wund- 
ärzte thun,  Opium  zu  geben,  tadelt  Rust;  denn  kleine  Dosen  helfen  nichts 
und  grosse  schaden,  weil  sie  Gefasserethismus  machen  und  zu  gefahrlichen 
Nachblutungen  Anlass  geben.  Das  Moor'sche  Nervencompressorium  ziur  Lin- 
derung des  Schmerzes  hat  wenig  Beifall  gefunden.  —  Was  die  Lagerung 
des  Kranken  betrifft,  so  kann  derselbe  bei  Amputationen  an  den  obern  Ex- 
tremitäten auf  einem  Stuhle  oder,  wenn  es  ein  Kind  ist,  auf  dem  Schoosse 
eines  Erwachsenen  sitzen.  Bei  Amputationen  an  den  untern  Gliedern  ist  die 
Lage  auf  einem  Bette  oder  auf  einem  festen,  hinreichend  hohen  Tische  nö- 
thig ,  welche  mit  einer  Matratze  und  einigen  Kissen  versehen  und  mit  einem 
Stück  Wachstuch  bedeckt  ist.  Den  gesunden  Fuss  stützt  der  Kranke  auf 
einen  Stuhl.  Ein  mit  einem  Tuche  bedecktes  Gefäss ,  z.  B.  eine  Mulde ,  ist 
bereit  zu  halten,  um  das  abgenommene  Glied  den  Augen  des  Kranken  zu 
entziehen.  Die  Anlegung  des  Tourniquets  muss,  wo  irgend  Raum  ist,  so 
geschehen,  dass  man  sich  zweier  Tourniquets  bedient,  von  denen  das 
eine  (am  besten  das  Schraubentourniquet  nach  Petit)  mehr  nach  oben  zur 
Comprimirung  des  Hauptstammes  der  Arterie ,  xmd  das  andere  mehr  naclv 
unten  und  zwar  so  nahe  als  möglich  über  der  Amputationsstelle  angelegt 
und  fest  zusammengezogen  wird;  durch  letzteres  werden  —  wird  es  gleich- 
massig  zusammengeschnürt  —  die  so  empfindlichen  Hautnerven  betäubt  und 
so  die  Schmerzen  der  Operation  sehr  gemindert.  Allgemeine  Regeln  zur 
Ausführung  der  Amputation  sind  folgende:  1)  man  achte  darauf,  dass  alles. 
Erkrankte  entfernt  werde,  dass  die  Operationslinie  nicht  bloss  äusscrlich  in 
das  Gesunde  falle,  sondern  auch  innerlich  über  die  gequetschten,  erschüt- 
terten, entarteten,  weichen  und  festen  Theile  hinausreiche;  bei  bedeutenden 


r**»,    ' 


80  AMPUTATIO 

mechanischen  Verletzungen  eines  Knochens,  eines  ganzen  Gliedes  mnss  da- 
her oft  in  oder  über  dem  nächsten  Gelenke  amputirt  werden.  2)  Man  sorge 
dafür,  dass  fler  Rumpf  hinreichend  mit  weichen  Theilen  zur  Verwachsung 
bedeckt  werde  ;  dies  ist  auch  der  Grund ,  warum  viele  Wundärzte  die  Ex- 
articulation  des  Ellbogen  - ,  Knie  -  und  Fussgelenks  verwerfen ,  und  die 
Amputation  über  den  genannten  Stellen  vorziehen.  3)  Man  muss  von  dem 
Gliede  so  viel  erhalten  als  möglich  ist,  um  dem  Überrest  Brauchbarkeit  zu 
geben ,  wenigstens  zur  Befestigung  und  zum  Gebrauch  eines  künstlichen 
Gliedes;  deshalb  exarticulirt  man  lieber  die  Ossa  metacarpi  und  raetatarsi, 
wo  es  irgend  möglich  ist,  als  dass  man  den  Vorderarm  und  Unterschenkel 
amputirt,  wodurch  ein  künstliches  Glied  völlig  entbehrlich  gemacht  wird. 
Um  einen  künstlichen  Fuss  besser  befestigen  zu  können  und  dem  Amputir- 
ten  den  Gebrauch  des  Kniegelenks  zu  erhalten,  amputirt  Rust  den  Unter- 
schenkel gern  dicht  über  dem  Fussgelenke ,  oder  doch  unterhalb  der  Wade ; 
nur  dann ,  Avenn  der  Kranke  so  arm  ist ,  dass  er  statt  eines  künstlichen 
Fusses  einer  Stelze  sich  bedienen  muss ,  amputirt  er  dicht  unterm  Kniege- 
lenk. 4)  Man  beschleunige  so  viel  als  möglich  den  ganzen  Operationsact 
und  die  damit  verbundene  Schmerzenszeit.  Einstudirte  Kaltblütigkeit  und 
Langsamkeit,  absichtliche  Verlängerung  des  Actes  von  Seiten  des  Operateurs, 
vielleicht  gar  anatomische  Demonstrirung  der  durchschnittenen  Theile,  ist  bar- 
barisch, empörend  und  unmenschlich,  und  manche  nervenschwache,  reizbare 
Ki'anke  müssen  dies  mit  dem  Leben  büssen.  Die  Operation  muss  durch  -^le- 
nige,  aber  regelrechte  und  schnell  hintereinander  folgende  und  mehr  mit 
Zug  als  Druck  vollführte  Schnitte  geschehen,  und  die  Instrumente  müssen 
scharf  und  vorher  mit  lauwarmem  Öl  eingeölt  seyn.  Sind  die  zu  durch- 
schneidenden Theile  lax,  schlaff,  so  muss  ein  Gehülfe  sie  anspannen  und'fixi- 
ren.  Wo  die  Hände  des  G^hülfen  zu  diesem  Zwecke  nicht  ausreichen,  lege 
man  unmittelbar  oberhalb  der  Amputationsstelle  ein  Band  um,  und  halte  das 
Glied  in  einer  Stellung  zwischen  Flexion  und  Extension.  Auch  hüte  man 
sich  nach  verrichteter  Operation  Nerven  mit  zu  unterbinden ,  die  die  grossen 
Gefässe  begleiten.  Auf  solche  Weise  ist  alles  geschehen ,  um  die  unvermeid- 
lichen Schmerzen  möglichst  zu  mindern.  5)  Man  sehe  darauf,  dass  eine 
schnelle  und  besonders  vollständige  Blutstillung  erfolgt.  Die  traurigen 
Folgen  eines  starken  Blutverlustes,  zumal  bei  schwächlichen  Kranken,  sind 
bekannt.  Der  Operirte  sehnt  sich  nach  beendigter  Operation  nach  Ruhe, 
xind  die  zwar  geringen  aber  oft  wiederholten  Schmerzen  bei  der  Arterien- 
imterbindung  sind  für  den  Kranken  höchst  quälend ;  eben  so  das  Abnehmen 
des  ersten  Verbandes  vor  den  ersten  48  Stunden,  was  bei  Nachblutungen 
so  oft  nöthig  ist,  die  auch  auf  das  Gemüth  des  Kranken  höchst  nachtheilig 
wirken.  In  den  meisten  Fällen  lassen  sich  solche  Vorfälle  durch  Umsicht 
und  Aufmerksamkeit,  durch  richtige  Auswahl  und  Anwendung  der  besten 
Vorkehrungsmittel  zur  Blutstillung  vor,  Avährend  und  nach  der  Operation 
vermeiden.  Dies  geschieht:  a)  durch  die  Wahl  der  Amputations- 
stelle. Kleine  Gefässe  in  der  Nähe  solcher  Stellen,  welche  der  Sitz  jahre- 
langer organischer  Leiden  gewesen,  sind,  wie  die  Erfahrung  lehrt,  meist 
erweitert  und  sonst  krankhaft  beschaffen;  daher  sie  sich  wenig  verengern 
und  zurückziehen  und  ungewöhnlich  stark  bluten ;  auch  sind  solche  entartete 
Gefässe  in  der  nächsten  Umgegend  schon  vernarbter  Flächen  oft  in  grosser 
Menge  vorhanden,  und  das  hier  wie  aus  einem  Schwämme  hervorquellende 
Blut  ist  oft  sehr  schwer  zu  stillen.  Der  erfahrne  Operateur  vermeidet  da- 
her solche  Stellen  und  amputirt  an  einer  höhern  Stelle  des  Gliedes.  — 
b)  Durch  Anwendung  des  Tourniquets  und  anderer  Compres- 
sorien.  Das  Tourniquet  muss  sorgfältig  angelegt  werden,  so  dass  die 
Pelotte  die  Hauptarterie  des  Gliedes  sicher  und  so  fest  comprimirt,  dass 
man  unterhalb  kein  Pulsiren  mehr  fühlt,  oberhalb  der  Pelotte  aber  der 
Kranke  selbst  ein  vermehrtes  Klopfen  wahrnimmt.  Fehlt  dieses  Zeichen  der 
gelungenen  Compression ,  so  muss  wenigstens  unausbleiblich  geminderte  Em- 
pfindung des  Gliedes  eintreten,  ehe  man  zur  Operation  schreiten  kann. 
Wo  es  nicht   angeht,   ein  zweites  Tourniquet  anzulegen  (doch  dieses  ohne 


.     ÄMPUTATIÖ  81 

Pelotte),  z.  B.  hoch  am  Oberschenkel,  da  i>e(ll«ie  man  sich  gleichzeltiig 
noch  eines  Cömpressoriums  ,  z-J'Bi  der  Ehrlith'schen  Krücke  öder  des  Dau- 
mens eines  geschickten  Gehülfen.  -Bei  der 'Amputation  variköser  Glieder  und 
b  i  recht  blutarmen  Subjecten  ist'  Brürminghn'Usen's  Rath:  das  ganze  zu  ara- 
putirende  Glied  mit  einer  B-lanellbinde  bis  nahe  an  die  Operationsstelle  hin;^ 
auf  einzuwickeln,  sehr  gut;  es  wird  dadurch  viel  venöses  Blut  gespart,  was 
sonst  ausfliesst.  —  c)  Durch  Vermeidung  des  zu  frühen  Durch- 
schneidens der  grössern  Blutgefässe.  Bei  Exarticulationen  und 
Amputationen  grösserer  Gliedmassen  nahe  am  Gelenk,  wo  das  Tourrtiquet 
gar  nicht  oder  nicht  mit  Sicherheit  angelegt  werden  kann,  wähle  man  da- 
her eine  Operationsmethode,  bei  der  es  möglich  wird,  den  Hauptstamm  der 
Arterie  erst  im  letzten  Acte  der  Operation  zu  durchschneiden ,  oder  ihn  auch 
wol  noch  vor  dessen  Durchschneidung  unterbinden  zu  können,  d)  Durch 
schnelle  und  vollständige  Unterbindung  der  Blutgefässe 
und  Anwendung  anderer  zweckmässiger  Blutstillungsmit- 
tel nach  verrichteter  Amputation.  Die  Ligatur  ist  das  einzige  sichere 
Blutstillungsmittel  und  sicherer  als  die  Uro  schlingung  der  Gie'fässe 
und  die  Torsion,  w-elche  letztere  bis  jetzt  noch  viele  Gegner  gefimden 
haben.  Alles  was  als  Tadel  gegen  die  Unterbindung  der  Blutgefässe  auf- 
gestellt wurde,  ist  der  ungeschickten  und  zweckwidrigen  Verrichtung,  also 
dem'  Operateur  und  nicht  dem  Mittel  zuzuschreiben.  Die  wenigen  Fälle 
ausgenommen,  wo  eine  starke  Blutung  aus  einer  Knochenarterie ,' aus  der 
Markhöhle  des  Knochens,  die  Tampon  ade,  das  Eindrehen  einer  Oharpie- 
■wieke  oder  eines  Wachskügelchens,  oder  die  Anwendung  agglutinirend^r  Mittel 
nöthig  macht,  beschränkt  man  sich  daher  auf  die  Unterbindung  und  das  kalte 
Wasser.  ,,Die  Hauptgefösse  — >  sagt  Rust  —  bntetbindet  man  bei  geschlöä- 
seuem  Tourniquet ;  um  die  übrigen  zu  finden  lüftet  man  dasselbe  vorsichtig, 
dreht  es  aber  sogleich  wieder  zuy  sobald  man  eine  blutende  Stelle  fesi;  ins 
Auge  gefasst  hat,  um  sie  ebenfalls  unterbinden  zu  könneii.  Sind  alle  Blut- 
gefässe unterbunden,  so  muss  das  Tourniquet  gänzlich  gelöst  werden,  theitä 
um  sich  zu  überzeugen,  ob  noch  einzelne  Arterien  spritzen,  theils  ximi  die 
parenchymatöse  und  venöse  Blutung  aus  dem  Gliederstumpfe ,  die  durdh  jede 
fest  anliegende  Binde  oberhalb  der  Verwundung  in  der  Regel  vermehrt  wird, 
ebenfalls  zu  heben,  theils  endlich  auch  um  deh  Kranken  von  dem  lästigen 
Drucke  befreien,  den  das  zusammengezogene  Tourniquet  ausübt';  auch' ■Vvirkt 
nichts  schädlicher,  nichts  nachtheiliger  auf  den  Kranken'  ein,  als  eine  an 
anhaltende  Compression  des  Gliedes.  Ärzte,  welche  nicfet  sorgfältig  genug 
bei' der  Unterbindung  Wütender  Gefässe  verfahren,'  iDd^r  der  blutisfillenden 
Kraft  des -Wassers  zu  viel  vertrauen*,  und  sich  dann  durch'«in  längere«  Ein- 
wirken des  Tourniquets  vor  Nachblutungen  zu  sichern  suchen  y 'bereiten' da- 
durch iliren  Amputirten  eine  Höllemnarter ,  die  kein  Kranker  zu'  fertipagen 
im  Stande  ist,  ziehen  ihnen  nachfolgende  brandige  Zerstörungen  -Und^Auo- 
roalien  aller  Art  zu  und  opfern  <  sie  wol  auch  '  leichtsinnig  dem  Tode.^  Ob 
der  Schfehkel  nahe  am  Gelenke  amputirt  'öder '  zusammengeschnürt  vvird^ 
kommt  hinsichtlich  der  Gefahr  auf  den  Ausgiang'  der  Ojjeration  so' tiiefnlich 
auf  Eins  heraus.  Die  im  Circulätiohssystem  »veranlaisstfe  Störung ,  die  Rück- 
wirkung der  gehemmten  Blutwelle  auf  das  He'i*z'  und  die'LuUgenorgatte^  der 
heftige  Aufruhr ,' der  dadurch  ii»' allen  Systemen  nothwendig  herb^geführt 
werden  muss,  sind  momentan  ganz  dieselben ;  gl'ächviel'^b  die  Arterie  blos 
i|  zusammengedrückt ,  oder  durchschnitten  und  «BWei'bunden-ist.  Im  GegeU'»: 
ij  theil  ist  im  erstem  Falle  wegen  gleichzeitiger  Zusammettschnürung  alle* 
ll  Nervenstämme  der  Schmerz  viel  grösser'  als  bei  der  blossen  Trennung  der» 
ll  selben,  und  daher  auch  die  Reacfcion  auf  das-ganze  Nerven-- und  Gefäss- 
i  System  viel  "bedeutender."'  Über  die  Zeit  der  Ojieration  hinaus  darf  da» 
i  Tourniquet  nie  einwirken ;  man  lässt  es  nur  aus  Vorsicht  vor  möglichen 
Nachblutungen  ganz  lose  liegen,  um  es' dann  sogleich  anziehen  zu  können. 
Man  überzeugt  sich  daher  vollständig  von  der  wirk'liöhen  Stillung  des  BlutSj 
ehe  man  den  Kranken  der  Ruhe  überlässt.  Oft  steht-  die  Blutung  hur  mo- 
!  mentan,  wejl  der  Kranke  'etsclwpft  und  ohnmächtig  IäC.'  Man  gönne  ihm 
I      Most  Eucyklopüdie.  2te  Aufl.  I.  ß 


82  AMPUTATIO 

bei  vollständig  gelockertem  Torniquet  einige  Erholung,  reiche  ihm  ein  La- 
bemittel und  bähe  die  Wujidfläche  mit  lauem,  nicht  kaltem  Was.ser;  zeigen 
sich  dann  keine  spritzenden  Gefasse  weiter ,  die  sonst  sogleicli  hervorgezo- 
gen und  unterbunden  werden  müssen,  so  kann  man  vor  jeder  Nachblutung 
sicher  seyn.  Kleine  parenchymatöse  Blutungen  stillt  man  sodann  duroli  wie- 
derholte Anwendung  von  Eiswasser,  welches  man  aus  einem  Schwamm  über 
die  Wundfläche  fliessen  lässt.  Das  kalte  Wasser  macht  andere  Blutstil- 
lungsmittel, die  ohnehin,  durch  ihren  Reiz  leicht  schaden:  Thedeiis  Schuss- 
wasser, Solutio  aluminis,  Branntwem  etc.,  völlig  entbehrlich.  Wo  Aggluti- 
nantia  nöthig  sind,  z.B.  bei  Blutungen  aus  Knochen,  da  ist  das  gepulverte 
Kolophonium  mit  Weingeist  allen  übrigen  Klebemitteln  vorzuziehen  (^Kluge). 
Aniputationsmethodeu  und  deren  therapeutische  Würdigung» 
Was  die  Methode  betrifft,  nach  welcher  amputirt  werden  soll,  so  ist  dahin 
zu  sehen ,  durch  eii\e  angemessene  Wunde  die  ;schnelle  und  vollständige  Hei- 
lung und  eine  hiivreichende  Bedeckung  für  den  entblössten  Knochen  zu  er- 
zielen. So  entstaitden  zahlreiche  Methoden,  welche  indessen  unter  folgende 
drei  Hauptmethodeii  zusammer>gefasst  .  werden  können :  1)  Der  Cirkel- 
schnitt,  wovon  es  2  Arten  giebt  j  a)  der  einfache  Cir  kelschn  itt, 
der  schön  länger  ^s  1500  Jahre  bekannt  ist  und  wo  m  einer  Kreislinie 
sämmtliiqhe  Weichgebilde  bis  auf  den  Knochen  durchschnitten  \%erdea ,  die 
man  dann  stark  ztuückzieht  und  daiauf  den  Knochen  dicht  an  d«n  zorüfok^ 
gezogenen  Muskeln, dwrphsägt;  ■ —  ein  Verfahren,  das  indessen  für  letztera 
keine  hinreichende  Bedeckung  gewälirt,  dfth^r  zii.  Anfange  des  18.  Jalirhun- 
derts  b)  der  zweizeitige  oder  doppelte  Cirkelschnitt  (^Ampulniion 
enden-vlemps) ,  den  zuerst,  Cheselden  und  Pclif  ausübten,  so.syik  Sdhafier^ 
Mursmna,  BrünimijfiAusen ,  Roux  und  die;  ineisten  französischen  WuitdärztCj 
erfunden  wurde.  Hier  durchschneidet  ma^>  zuerst  die.  zurückgezogene  Haut 
allein  (nach  Petit  ßtvva  1  ZpU  wnter  der  Durchsägungsstelle  des  Knochens), 
lässt  sie  dann  stark  zurückziehen,  oder  wenn  dies  nicht  angeht,  so  präpa- 
rh't  '  man  sie  von  den  unterliegenden  Theilen  los  und  schlägt  sie ,  zurück, 
durchschneidet  dann  dicht  am  Rande  demselben  die  Muskeln,  :zieht  auch 
dlesfe  möglichst  stark  zurück,  wobei  man  sie  auch  wol  etwas  vom. : Ktioch^sn 
It^streiTint ,  und  durchsägt  dann  letzteren  so  hoch  als  möglich.  Diese  etwa$ 
bessere  Methode  hat,  zumal  bei  den  Qliedern  mit  2  Knochen ,  doch  den 
Njachthieil,  dass  die  Dnf«h*chneidung  und  Zurückziehung  der  Müsculatur 
flicht  immer  vollständig  und  ,  ohne  grosse  .Mühe  bewirkt  werden  kann;  wes- 
halb das  den  Stua^pt.  b^ed^ckende  Polster  oft  mehr  Haut-  alä3Iuskelsub- 
:*ta'az  löftthält.  Indessien  ist  nach  Rnst''s  und  anderer  neuer  Wundiürzte  An- 
sichten, es.  gar  oictkt  SO  nöthig,  viel  Muskelsubstanz  zu  sparen,  da  diesö 
sp^fterhin  dach  grösstentheils  resorbirt  wird.  In  d^r  Mehrzahl  de*-- Fälle  ist 
^idaJae«  hinreichend;  nur  von  der  Haut  öo;vieJ  als  nöthig  ist  zu  efhalten. 
AJ^fff^inntf,  Kluge,  v.  Gräfe,  Zang  u.  A.  ..machen  den  Cirkelschnitt  in  einea» 
Zl^e;.  nachdem  nämlich  von  dem  Gehülfen  djß.  Haut  über  der  zu  ainputireu- 
^^n. Stelle  stark  angespannt . und  rcstrahir^  worden,  lässt  sich,  dier  Operateut 
bei  deft»  Kranken  auf,)eiu  Knie,  nieder,  ergpeift  das  M^SSer  und  setzt  es,  dia 
Spitze  nach  unten  gol^ehrt,  mit  .seinem  Heftende  aUf  der  ihm  zugekehrteiik 
k-rftnken  Seite  des '  Gliedes  auf  die  Haut;,  zieht  es  nun  im  gleichen  Kreise 
herum  "und  erhebt  sich  mit  d,Wi  Kiiie,  um  von  unten  in  den  alten  Schnitt 
zu  kommen.  Auf,  diese  Weise  wird  der  Schnitt  durch  die  Muskeltheile  voll- 
zogen, und  zwar,  wie  die  meisten  Wundärzte  thun,  mit  einem  und  dexnsei- 
ben  Amputationsmesser.  Da  es  schwieiüg  ist ,  diese  Schnitte  mit  einem 
Zuge  zu  vollführen,  so  haft  man  verschiedene  Handgriffe  zu  diesem  Zwecke 
angegeben,  mid  so  hält  z.  B,  ■».  Gräfe  das  Messör,  wenn  er  mit  demselben 
aj).-dle  untere  Seite  des  Gliedes  gekommen  wt,  mit  den  Fingern  der  linken 
Hand,  an  der  Spitze  fest,  und  dreht  dann  die :  Hand  so  um  den  Griff,  dass 
der  Daumen ,  welcher;  aMf  der  Schneideseite  des  Heftes  lag ,  jetzt  auf  die 
Rückseite  desselben  zu  liegen  kommt.  Mursinnn  setzt  das  Messer  mit  der 
Spitze  an  der  änss^ru  ;Seite  des  Gliedes  an,  führt  es  schneidend  abwärts 
fei«,  das  Hefteade  da' zu  liegen  kommt,   wp  sich   vorher  die  Spitze  befand. 


AJWPUTATIO  83 

•und  Vollf5hrt  nun  den  Schnitt,  indem  er  das  Messer  in  entgegengesetzter 
Richtung  ums  Glied  bewegt.  Ähnlich  operirt  auch  Zang.  Nach  RusVa 
Meinung  ist  es  unnütz,  sich  mit  Einem  Schnitte  zu  quälen,  wienn  man  auf 
eine  leichtere  Weise  und  in  kürzerer  Zeit  mit  2  Schnitten  denselben  Zweck 
erreichen  kann ,  ganz  abgesehen  davon ,  dass  man  mit  einem  Schnitt  schwer- 
lich immer  die  Haut  in  gleichmässiger  Tiefe  zu  durchschneiden  im  Stande 
ist,  und  es  auch  einige  Übung  voraussetzt,  wieder  in  den  Anfang  des 
Sdiuitts  zu  kommen;  er  verrichtet  daher  den  Cirkelschnitt  mit  2  Messerzü- 
gen, ;  die  beide  von  innen  nach  aussen  geführt  werden  und  in  ihren  End- 
punkten so  zusammentreffen,  dass  ein  regelmässiger  Kreisschnitt  gebildet 
wird,  wobei  der  Wundarzt  noch  den  Vortheil  hat,  stehend  operiren  zu 
können.  Das  Messer  wird  mit  seinem  Heftende  zuerst  an  der  dem  Opera- 
teur'entgegengesetzten  Seite  des  Gliedes  angesetzt  und  so  die  untere  Haut- 
hälfte des  letztern  durch  einen  bis  zur  Spitze  geführten  Zug  getrennt,  urtd 
auf  ähnliche  Weise  die  Durchschneidung  der  obern  Hälfte  vollzogen.  Hier 
kann  der  Schnitt  mehr  durch  Zug  als  durch  Druck  gemacht  werden,  han- 
genbeclc  operirt  jetzt  auf  ähnliche  Weise,  trennt  aber  die  obere  itälfte  der 
Wpichgebilde  2;uerst.  Der  Müskelschnitt  wird  am  Rande  der  von  dem  Ge- 
hülfen stark  zurückgezrogenen  Haut  ganz  eben  so  wie  der  Hautschnitt,  nur 
mit  kräftigern  Zügen  vollführt,  um  alle  Weichgebilde  bis  auf  den  Knochen 
zu  trennen.  Gewöhnlich  muss  man  die  Haut  mit  dem  Messer  zur  besserh 
Zurückziehung  derselben  zu  lösen ;  man  braucht  hier  aber  nicht  mit  dem 
Messer  zu  wechseln,  da  lUeist  einige  senjcrechte  ah  dem  freien  Hautrande 
geführte  und  bis  zur  sehnigen  Muskeldecke  eindringende  Einschnitte,  die 
man  mit  dem  Amputationsmftsser  machen  kann,  zur  vöHigert  Trennung  hin- 
reichen. Höchst  selten  ist  es  uöthig,  die  '  losgetrennte  Haut  völlig ' ufdz\/- 
Btülpen.  Die  Länge  des  zu  trennenden  Haut«tückfe  hiuss  ein  Sechstheil  dx*s 
Umfangs  oder  ein  Drittheil  des  Durchmessers  des  Gliedes  betragen.  Die 
Modificationen  dieser  Methode ,  welche  Louis ,  Valentin ,  Portal ,  'Goöch  und 
B,  Bell  empfehlen,  sind  grösstentheils  Unwesentlich,  umständlich  und  aucl» 
zum  Theil  imrichtigr  2)  Der  Lappenschnitt  (:4m/)Mfrt<ton  h 'lajnhean). 
Er  wurde  besonders  für  den  Unterschenkel  in  Anwendung  gebracht,  und 
ist  schon  älter,  als  die  Amputation  eri  deilx  tempisi  Wir  unterscheid eriä)  den 
einfachen  Lappens<ihnitt.  Man  sticht  ein  hinreichend  langes' zwei- 
Köhneidiges  Messer  »iV  der  Stelle,  wo  das  Glied' a'bgeteetzt  worden  soll,  durch 
Haut  und  Muskeln  ein-,  führt  ies  dicht  an  den  Knochen,  avo  der  Lappen  ge- 
bildet werden  soll,  jqwei^ ■  •  duifch  das  Glied  und  zieht  es,  sobald  liiaA  den 
Ausstich  gewonnen  bat  j  in  schräger  Richtuhg  nadh  unten  und  zugleiipll  häfch 
aussen;  Den  so  gebildöteh  Lappen  lässt  Inän  aufhebeh ,  und  durchschneidet 
an  der  Basis  desselben  auf  döf  entgegengesetzten  Seite  die  Hailt',  'so  wite  die 
übrig'ert' Weichgebilde  rtitt  6inem  halbkreisförmigen  Schnitte  bis  riuf  dife  Knp^ 
chen /' hierauf  wei^äert-'die  2Uischen  den  Knochen  befindlichen  ThCTJe  gfe- 
(iremit  ,•  und  nach  fetfolgtter^ürückziehün'g'  säirlittUifcher  Weichgebilde  die 
Knochen  so  nahe  als- möglich  an' der^  F'le'is^hmasse  hbgesägt:  Die  Lange  des 
fcü'  bildenden  Lap^öhf^soll  in'lSei'^R^gel  eirt  bi-itthöil  dfes.  Umfärigs  des  Glie- 
des' betragen ;  ■  doch  'tiitdeit' V^ele'  Ausriahmert  rtat*:  '  Die  'V6i-fahruhgsärte'n  von 
'L6tiis' *inä  Treö&inrt>,;-G((i'i^jeoty  Älmisön -n/  k.  dind  Mödificationöh'  dös 
einfachen  Lappens*Miits.'b)''D'er'  dopptel't'fe  ir'äp.De'n^chUitt  (^Ampö^ 
1rtiiofit''it'deu3i;  läntht^äit^}/'  Yßt'üngei'Aht'  ibO'JdhV^  wtii'de  der  uT'Sfitüngli<i^ 
Cöf  dein  ■  itlHtei-scher(Wfel"bfere'dWi'eie'  Lappensehnitt  auch  auf  ■  dön  Oberschenkel 
anj^etvdftdöt ■  u«vd  di^W  iftodifidl^tj  dass'dtfrch  Bildung  zWeier  Lappen  aus 
dttt' Wielichf^eilert  dfein^iKnochdistumpfe  ein  'irollko'nTmen  genügendes' Polstet 
Von 'Haut  Tind- Fleisch- gegfebfeii'\terdeir  koWrrte.  Matt'  inachte  dieser  Methode 
d€!rt'\^örU'«rf,  dass^'S^e'^rte  gfSssere  Wöitdfläche  bilde  und  daäs  in  Folgie 
d6t<  Schiefen  Durchsch»4eidüng  zä'hlreichtei'  Blutgefässe  letztere  sich  nicht  ge- 
hörig ^uS&mmenziehen  können,  auch  der  Schmerz  stärker  '  und'  die  Blütürtg 
bedeutender  sey,  dennckih  •  üben  dieselbe  yifele  FranzoSön,  unter  den  Deut- 
schen auch  Löffler,'  Ltmpenheck,  Klein,  Bech  und  Textor,  für  geeignete 
Fälle.     Volpi  erklärt -sith^ gänzlich  gegfen- d4eselbe,   und  nach  S.  Coopcf  hä- 

6* 


84  AMPUTATIO 

bell  allö  englischen  Wundärzte  sie  jetzt  verlassen ,  nachdem  sie  noch  vor 
wenigen  Decennien  derselben  den  Vorzug  gaben.  Sie  hat  nach  RuM  grosse 
Vortheile ,  indem  sie  eine  gute  Fleischdecke  für  den  Knochen  bildet ,  leicht 
auszuführen  ist  und  vorzüglich  di«  schnelle  Vereinigung  der  Wunde  begün- 
stigt, auch  die  ilir  aufgebürdeten  Nachtheile  durch  die  schiefe  Durchschnei- 
dung der  Blutgefässe  etc.  nach  der  Erfahrung  nicht  stattfinden.  Man  ver- 
richtet sie  auf  folgende  Weise»  Man  sticht  ein  gehörig  grosses  zweisclmei- 
diges  Messer  an  der  abzusägenden  Stelle  des  Knochens  ein ,  doch  nicht  auf 
der  Mitte  des  Knochens,  sondern  auf  der  des  Gliedes,  weil  sonst  der  innere 
Lappen  bei  weitem  zu  gross  wird ,  führt  dann  die  Spitze  desselben  um  dea 
Knochen ,  falls  man  wirklich  auf  denselben  trifft ,  und  ajif  der  hintern  Seitei 
gerade  dem  Einstichspunkte  gegenüber,  wieder  heraus  und  bildet  nun  durch 
sägeförmiges  Ab  -  und  Ausvvärtsführen  des  Messers  den  iimern  Lappen  zuerst. 
Auf  ganz  ähnliche  Weise  wird  auch  der  äussere  Lappen  gebildet,  indem 
man  das  Messer  auf  der  alten  Stelle  einsticht,  die  Spitze  desselben  (nun 
aber  ganz  bestimmt)  um  den  Knochen  herumführt,  dann  gerade  nach  ab- 
oder  rückwärts  stösst ,  und  sobald  man  den  Ausstichspunkt  erreicht  hat ,  das- 
selbe nach  ab-  und  auswärts  führt  und  einen  gleich  langen  zweiten  Lappen 
bildet,  wobei  es  vortheilhaft  ist,  die  Vollführung  des  Schnitts  mit  der  lin- 
ken Hand  zu  machen.  Um  die  Lappen  von  erforderlicher  und  gleichittässi- 
ger  Länge  zu  bilden,  kann  sich  der  Ungeübtere  die  Stelle,  wo  deren  Spitae 
hinfallen  soll,  durch  einen  umgelegten  Heftpflaster^treifen  bezeichnen.  Sind 
die  Lappen  gebildet,  so  werden  sie  zurückgeschlagen,  die  an  der  Basis  der- 
selben zurückgebliebenen  Muskelbrücken  und  das  Periosteum  getrennt  und 
der  Knochen  so  hoch  als  möglich  abgesägt.  Die  gleichmässige  Länge  ,  der 
Lappen  muss  nach  Massgabe  des  Gliedes  wenigstens  3 — 4  Zoll  betragen. 
Da  man  bei  der  zuerst  bewirkten  Bildung  des  Innern  Lappens  die  Arteria 
gleich  durchschneidet,  so  muss  sie  ein  Gehülfe  gut  comprimiren;  auch  kana 
man  sie  im  Nothfall  vor  der  Bildung  des  äussern  Lappens  unterbinden. 
Chclius  bildet  den  äussern  Lappen  zuei-st ,  und  zwar  durch  Fühnuig  des 
Messers  von  aussen  nach  innen  und  oben,  so  wie  Poit,  Langcnli.ecTi  u..  A-, 
dann  den  innern  durch  Einstechen  des  Messers  in  den  obern  Wundwinkel, 
und  durch  Herab  -  und  Durchführung  desselben  von'  innen  nach:  aussen, 
jZum  Behuf  der  Exarticulation  wurde  der  doppelte  Lappenschnitt  verschieden 
modificirt.  3)  Der  Trichter-,  Hohl-,  Kegel-Schnitt.  Er  >yurde  im 
J..  1779  von  Alnnson  zuerst  in  Anregung  gebracht.  Nftbhdem  die  Hau-  yor^ 
her  cirkelförmig  durchschnitten,  abgelöst  und  zurückgelegt  worden,  "swd» 
indem  man  das  Messer  schief  nach  oben  und  einwärts  richtet ,  um  den  Kno^ 
chen  eine  trichterförmige  Wunde  gebildet,  deren  Spitze  dalün  fällt,  wo  d*K 
Knochen  durchsägt  werden  soll.  Diese  Me(;hode  ist  sehr  schwierig  ^uszu-^ 
.fiihreiv,,  ^^-fordert  mehrere  Muskelschnitte,  mehrerei  Messei-  und  hat  gar 
iiicht.die  grossen  Vortheile  der  Lappenamputation.  Miß  französisclven:  Wund- 
.ärzte,.wfi,d  unter  den  deutschen  vorzüglich  j>fwm»jHrt  }^n^  Ricläer,  verwarfei» 
sie  gänzlich,  doch  nahm  sie  Loder  sehr  in.^Schutz.  Z/^i;  suchte  der  Abj» 
4)\ita,tions\yunde  dadurch  eine  trichterförmige  Gestalt  ?u,, geben,  dass  er  uaph 
.durc^schnittner ,  hinreichend  abgelöster  und,  omgeMülpt,^r  Haut,  ungefähr 
ja  Linien  vor  derselben,  das  grosse  Amputat.i<?nsraesser,  iu  einep  mit  d^ 
.^chneide  von  unten  nach  oben,  schief  stehpnden  B^i^htung  ansetzt  und, 
.sämmtliche  Muskeln  bis  auf  den^nochen  tjjei>n^d ,,  krqi^fpriuig  hernnizieht, 
Hierauf  werden  die  durchschnitl;enen  Muskeltheile  von,  dpm  Gehülfon  .gefaisöt 
und  möglichst  zurückgezogen,  wodurch  sich  ein  yoi-.idw  Häxiden;  de<>  >G)er 
hülfen  hervorstehender  Fleischkegel  bildet ,  dessen  B^^if  mittels  .feiue*-  wie^r 
derholten,  ganz  einfachen  Kreischiiittes  getrennt,  wird,,  worauf  euie  abermar 
lige  Zurückziehung  der  getrennten  Muskelmasse  u^d  ^ine  wiederholte  Trenfr 
liung  derselben  stattfinden  soll,  um  hierauf  nacli  gleichzeitig  kreisförmig 
durchschnittenem  Periosteum  den  Knochen  weit  höher  absetzen  ?su  können, 
als  dies  ohne  die  vorherigen  wiederholten  Kreisschnitte  möglich  gewesen 
wäre.  Dieses  ist  die  beste  Methode  des  Trichter- ,  Hohl-,  Kegel  -  Schnitts, 
w^lc)ie  auch  Rust  ausschliesslich  und  vorzüglich  bei  Amputation  des  Ober- 


AMPUTATIO  85 

schenk  eis  in  solchen  Fällen  übt,  •wo  die  Lappenamputatlon  liicht  stattfinden 
kann ;    nur   hält   er   es    für    ganz   überflüssig   und  beschwerend ,    den  ersten 
IMuskelschnitt   mit   schräg   angesetztem   Messer    zu   -vollführen.     Er  zieht   es 
vor,   dasselbe  unmittelbar  an  dem  Rande  der  getrennten  und  zurückgezoge- 
nen Haut  anzusetzen  ,   und  mit  ganz  geraden  bis  auf  den  Knochen  dringen- 
den Messerzügen  die  Musculatur  zu  durchschneiden,    solche  dann   stark  zu- 
rückziehen  zu  lassen  und  durch    so  oft  wiederholte  Cirkelschnitte   die   noch 
am  Knochen  haftenden  sehr  flachen  Muskelpartien  zu  trennen,  bis  der  Kno- 
chen hoch  genug  entblösst  ist  und  abgesägt  werden  kann.    Dieses  Manoeuvre  - 
ist  leicht  zu  voUfüiiren,  denn  die  Muskelfasern  hängen  nur  schwach  mit  deitt 
Knochen  zusammen  und  lassen  sich  leicht  durch  einfache,  schnell  hinter  ein- 
ander geführte  Cirkelschnitte  und    ein  fortwährendes  Zurückziehen  von  dem 
Knochen  lösen,    wodurch  die  Wunde   eine  vollständige  Trichterforra   erhält. 
Gräfe  vollführt    den  Trichterschnitt  mit   einem  beilförmigen  Messer ,   seinem 
sogenannten  Blattmesser;   da  letzteres  aber  mehr  drückend  und  reissend  als 
schneidend  wirkt,  auch  das  ganze  Verfahren  nicht  sehr  einfach  ist,   so  hält 
Rust  diese  Methode  für  entbehrlich.     Zur  Beantwortung  der  Frage,  welche 
von   den  verschiedenen  Hauptmethoden   die  beste    sey,    würde    die  Antwort 
dahin  zu  stellen   seyn ,    dass   keine  derselben  weder   ganz   verworfen ,    noch 
ausschliesslich  vorgezogen  werden  könne  ,  sondern  jede  in  besonderer  Bezie- 
hung  zu    dem    Subjecte ,    dem    Orte ,    dem   Localleiden   und    selbst   zu   den 
Aussenverhältnissen   ihre  Vorzüge    vor  den  übrigen  hat.     1)  Celsus^  einfa- 
cher Cirkelschnitt   passt   besonders  bei  magern  und  entkräfteten,    da- 
her leicht  verwundbaren  Subjecten  mit  schlechter,  sehr  dehnbarer  Haut  und 
Musculatur,    am   Oberarm   und   bei    mehreren   Amputationen   kleiner   Glied- 
massen.     2)  Chcselderi's  und  Petifs   doppelter  Cirkelschnitt   ist  vor- 
zuziehen bei   rigiden ,   nicht  zu  muskulösen ,   aber  leicht  verwundbaren  Sub- 
jecten  an   den    beiden   untern  Drittheilen   des  Oberarms,    am  Oberschenkel, 
nahe  überm  Knie,    am  Unterschenkel    über    und  unter  der  Wade,    am  Vor- 
derarm knapp   überm  Handgelenk ,    sowie  in  allen  den  Fällen ,    wo  die  Ara- 
putations wunde    durch  Eiterung   geheilt  werden   soll.      3)  Der    einfache 
Lappenschnitt    ist   vorzuziehen   an   fleischigen   Theilen    des    Vorderarms 
und  am  Unterschenkel  in    der  Gegend   der  Wade ,    an  welchen  Theilen  die 
Haut  und  Weichgebilde  wegen    der  festen  Verwachsung   mit  den   doppelten 
Knochen   und    den  Ligamentis   interosseis    nicht   stark  genug   zurückgezogen 
werden    können   und  dennoch   ein  Fleischpolster   für  das   spätere   künstliche 
Glied   nothwendig   ist.      Auch    passt    er    am   Oberarm   und  Oberschenkel    in 
Fällen ,  wo  die  Haut  an  der  einen  oder  anderen  Seite  hoch  hinauf  destruirt 
ist  und  sonach  bald  ein  vorderer,   bald  ein  hinterer  oder  auch  ein  seitlicher 
Lappen  zur  Bedeckung  der  Amputationswunde  noch  gewonnen  werden  kann, 
wälu:end,   um  den  Cirkelschnitt  zu  verrichten,    viel  höher    amputirt  werden 
muss.    Lowdham  verrichtete  den  einfachen  Lappenschnitt  zuerst  in  der  Mitte 
des  17.  Jahrhunderts.      4)  Der   doppelte   Lappenschnitt    nach  Ver- 
male passt  bei  nicht  zu  vulnerabeln  und  entkräfteten  Subjecten  und  da,  wo 
durch  schnelle  Vereinigung   geheilt  werden   soll ,    zumal    am  obern  Drittheil 
des  Oberschenkels  und  Oberarms  ;    ferner  allenthalben  da ,    wo  wegen  zahl- 
reicher Gefässausdehnung  der  Nachblutung   am   sichersten   durch    die  Tam- 
ponade mit   dem  gegenüberstehenden  Lappen  vorgebeugt  werden  kann,    wo 
es  an  eingeübten  Gehülfeu  fehlt ,  wo  man  mit  einem  und  demselben  Messer, 
z.  B.  auf  dem  Schlachtfelde,    viele  Operationen  hinter   einander    zu  machen 
hat.     Auch  ist   zur  Bedeckung   der  Amputationswunde,    nach  Exarticulatio- 
uen ,  bald  der  einfache ,  bald  der  doppelte  Lappenschnitt  ganz  unentbehrlich. 
6)  Bei  derben ,    muskulösen ,    leicht  verwundbaren   Subjecten ,    am   Oberarm 
und   Oberschenkel,    wo   schnelle  Vereinigung   der  Wundfläche   bewirkt   und 
ein    gutes    Fleischpolster    gebildet    werden    soll,     passt    endlich    noch    der 
Trichterschnitt.  —  Sind  nun  auf  eine  oder  die  andere  Weise  die  Weich- 
gebilde  durchschnitten,    so   zieht   man   sie   mittels    eines  Retractors   zurücky 
und  zwar  bei  einfachen  Knochen  nimmt  man  dazu  eine  einfach,  bei  doppel- 
ten  eine   zweifach   gespaltene   Compresse,    welche  dei*  Gehülfe  unter  dem 


86  AMPUTATIO 

Gllede  anlegt,  bei  doppelten  Knoctieu  den  mittlem  Kopf  derselben  nilttel.4 
des  Fingers  oder  einer  Pincette  zwischen  beide  durchsteckt,  die  Köpfe  auf 
dem  obern  Theile  des  Stumpfes  kreuzt,  und  so  alle  Weichtheile  mit  dersel- 
ben bedeckt  und  zurückzieht.  Bei  geschehener  Lappenbildung  dagegen  wer- 
den die  Lappen  selbst  zurückgeschlagen  und  mit  den  Händen  retrahirt. 
Nun  geschieht  die  Trennung  des  Periosteums  vom  Knochen,  und  zwar  nicht 
durch  das  zeitraubende ,  schmerzhafte  und  gänzlich  nutzlose  Abschaben  der 
altern  Wundärzte,  sondern  durch  einen  Kreisschnitt  um  den  Knochen  an 
derjenigen  Stelle ,  wo  derselbe  abgesägt  >terden  soll.  Letzteres  geschieht 
unmittelbar  nachher;  der  Operateur  setzt  nämlich  den  Nagel  des  linken 
Daumens  in  die  Rinne  der  getrennten  Knochenhaut,  ergreift  die  ihm  darge- 
botene und  beölte  Säge,  setzt  sie  mit  ihrem  Heftende  perpendiculär  auf  den 
Knochen ,  macht  den  ersten  Zug  gegen  sich  und  zwar  gegen  seine  rechte 
Seite  hin  und  wirkt  dann  ferner  damit,  und  zwar  anfänglich  mit  langsamen 
und  kurzen  Zügen,  bis  sich  eine  Rinne,  in  der  die  Säge  sicher  gleitet,  ge- 
bildet hat,  dann  mit  grossen  und  geschwinden,  und  am  Ende  wieder  mit 
kurzen  und  langsamen  Zügen  bis  zur  völligen  Trennung.  Den  zu  trennen- 
den Theil  des  Knochens  fasst  der  Gehülfe  dicht  unterhalb  der  Trennungs-f 
stelle  und  handhabt  ihn  so,  dass  er  anfangs  das  Glied  etwas  abwärts  sin- 
ken lässt,  damit  die  Rinne  sich  öffne  und  die  Säge  nicht  geklemmt  werde, 
sobald  letztere  aber  ein  Drittel  des  Knochens  durchschnitten  hat,  denselben 
ganz  gerade ,  und  gegen  das  Ende  der  Sägenzüge  etwas  gehoben  hält ,  da- 
mit jede  Splitterung  und  gewaltsame  Knochenzerbrechung  sicher  vermieden 
werde.  Nach  Durchsägung  des  Gliedes  untersucht  man,  ob  Knochenspitzen 
zurückgeblieben  sind ,  die  man  alsdann  mit  der  Knochenzange  oder  mit  der 
Knauer'schen  Säge  entfernt.  Den  scharfen  Knochenrand  mit  der  Feile  ab- 
zustumpfen, wie  Einige  anrathen,  ist  überflüssig.  Nun  unterbindet  man 
nach  den  bekannten  Regeln  die  Gefässe,  legt  einen  entsprechenden  Verband 
an  und  bringt  den  Kranken  unter  Aufsicht  eines  verständigen  Gehülfen  zur 
Ruhe  (s.  auch  Ligatura  arteriarum). 

Was  die  Nachbehandlung  betrifft,  so  mussjüe  eine  solche  seyn ,  Aiet 
nicht  blos  auf  die  gegenwärtige  Verletzung  allein,  sondern  auch  auf  das  früher 
bestandene  Leiden  gerichtet  ist,  welches  die  Amputation  erforderte  und  w eiche» 
in  seinen  Folgen  für  den  Organismus  noch  längere  Zeit  fortbesteht,  w  enn  gleich 
das  Substrat  desselben  plötzlich  entfernt  wurde.  Von  jeher  suchte  man  durch 
schnelle  Vereinigung  die  Heilung  der  Wunde  zu  bewirken,  und  diesem  Bestre- 
ben haben  auch  zum  Theil  die  mannigfaltigen  Operationsmethoden  ihr  Daseyn 
zu  verdanken.  Nächst  einer  sorgfältigen  Reinigung  der  Wunde  von»  Blut- 
coagulum  und  Entfernung  der  etwa  zum  Tamponiren  gebrauchten  Charpie 
sah  man  vorzüglich  auf  die  Ligaturfäden,  welche  als  fremde  Körper  dio 
Vereinigung  hindern  und  doch  nicht  entbehrt  werden  können.  Delpech, 
Latvrencc  und  Heimen  schneiden  zwar  die  Fäden  dicht  am  Knoten  ab ,  doch 
wirkt  letzterer  oft  noch  als  fremder  Körper,  und  die  Wunde  kann  noch  in 
der  5ten,  ja  8ten  Woche  aufbrechen,  so  dass  fistulöse  Gänge  entstehen 
(^Schregcr ,  Rust).  Auch  Darmsaiten  wirken  ebenso  fremdartig,  wie  Liga- 
turfäden von  Pflanzenstoff.  Eine  nützliche  Vorsicht  ist  es ,  das  eine  Faden- 
ende  wenige  Linien  unter  dem  Knoten  abzuschneiden ,  oder  beide  zusannnen 
au  drehen,  damit  nicht  eine  zwischen  2  zusammengehörende  Fadenenden  er- 
folgende Verwachsung  die  Aussonderung  derselben  verhindere.  Kluge  hat 
für  den  letztern  Fall  ein  eigenes  Verfahren  angegeben  ;  er  knüpft  nämlich 
die  heraushängenden  Enden  zusammen ,  steckt  ein  Stück  Pressschwamm  in 
die  so  gebildete  Schlinge,  legt  ein  Kataplasma  darüber,  um  den  Schwamm 
anzuschwellen  ,  und  hebt  so  nach  und  nach  die  Ligatui"  heraus  (s.  Rus(.s 
Magazin,  Bd.  XXIV.  S.  S).  —  Auch  an  der  Lagerung  der  Ligatur  hat  man 
viel  gekünstelt;  am  besten  ists:  man  legt  sie  an  den  untersten  Wundwinkel, 
gleichviel  ob  er  der  näciiste  oder  der  entfernteste  ist.  Eine  wichtige  Be- 
dingung fürs  Gelingen  einer  scluif^üen  Vereinigung  ist  die  nicht  sehr  leichte 
AUeinanderlegung  gleichartiger  Theile:  Muskel  zu  Muskel,  Sehne  zu  Sehne 
etc.,   deshcdb  allein  geben  viele  Operateure  der  Amputation  vor  der  Exar- 


AMPUTATIO  87 

tictilation  den  Vorzug,  und  In  gleicher  Absicht  bilden  WaUfier  und  Bi'ün- 
mnghaitsen  durch  Ablösen  der  Beinhaut  vor  dem  Durchsägen  des  Knocheas 
eine  IV2  —  ^I^TioW  lange  Kappe,  damit  dieser  Zwischenkörper,  welcher  dem 
Muskel  sowol  als  dem  Knochen  homogen  ist,  eine  leichtere  Verwachsung 
beider  heterogenen  Gebilde  vermittle.  Ob  die  Richtung,  in  welcher  die 
Weichgebilde  vereinigt  werden ,  eine  horizontale  oder  diagonale  oder  verti- 
cale  seyn  müsse,  darüber  lässt  sich  im  Allgemeinen  nichts  bestimmen.  Auch 
hat  man  durch  Heftpflaster,  Longuetten,  Binden,  Kappen,  selbst  durch  die 
blutige  Nath  etc.  die  schnelle  Vereinigung  zu  bewirken  versucht.  Rusl 
(Handbuch  der  Chirurgie,  Bd.  I.  S.  582)  sagt  darüber:  „eine  langjährige 
Erfahrung  hat  mich  gelehrt,  dass  alle  diese  Bemühungen,  die  Wunde  ge- 
nau zu  vereinigen,  dieses  Trachten  nach  dem  eitlen  Ruhme,  seine  Ampu- 
tirten  so  schnell  als  möglich  geheilt  zu  entlassen ,  theils  das  Verderben  ei- 
ner grossen  Zahl  von  Amputirten  nach  sich  ziehen ,  theils  zu  Nichts  füh- 
rende Künsteleien  sind.  Durch  ein  solches  Verfahren  wird  die  freie  Ausbil- 
dung der  durch  die  Operation  selbst  gesetzten  Entzündungsgeschwulst  und 
nicht  selten  auch  ein  dem  Organismus  zur  Gewohnheit  gewordenes  Vicärlei-' 
den  plötzlich  unterdrückt ;  die  Folge  davon  ist  nur  zu  häufig  die  Hervör- 
rufung  einer  so  heftigen  Reaction  des  ganzen  Gefäss  -  und  Nervensystems, 
dass  sich  der  verwundete  und  oft  noch  ausserdem  kranke  Organismus  un- 
möglich dagegen  behaupten  kann.  Diese  Reaction  erscheint  in  der  Mehr- 
zahl der  Fälle  unter  der  Form  eines  perniciösen  Wechselfiebers ,  gegen 
welches. weder  Aderlass  noch  Opium,  weder  China  noch  Arsenik  helfen  und 
welches  den  Kranken ,  welchen  man  schon  ausser  Gefahr  glaubte ,  im  Sten, 
höchstens  4ten  Anfall  unfehlbar  tödtet.  In  andern  Fällen  sind  Metastasen 
nach  edlen  Organen  oder  tiefe  Vereiterungen  mit  Knochenleiden  und  Zehr- 
fieber die  Folgen  solcher  Suppressionen ,  deren  Gefahr,  so  oft  sie  auch  von 
den  Dächern  gepredigt  worden  ist,  noch  immer  zu  wenig  Beachtung  findet. 
Nur  manchmal  gelang  es  mir,  Amputirte  von  einem  durch  zu  schnelle  Ver- 
narbung hervorgerufenen  Vicärleiden  noch  durch  Einbrennung  des  Amputa- 
tionsstumpfes mittels  des  Glüheisens  zu  retten."  Nach  Rust  darf  und  soll 
man  nur  da  die  schnelle  Vereinigung  unternehmen ,  wo  man  bei  einer  reinen 
mechanischen  Verletzung  früh,  d.  h.  vor  Eintritt  der  allgemeinen  Reaction, 
amputiren  konnte;  hieher  gehören  auch  die  seltenen  Fälle,  wo  die  Opera- 
tion nicht  durch  Krankheit,  sondern  nur  durch  ihre  Folgen,  Verkrüppehui^ 
gen  und  dergl.  indicirt  wird.  In  den  bei  weitem  häufigeren  Fällen  aber, 
wo  bereits  längere  Zeit  hindurch  Eiter  und  Jauche  abgesondert  wurde,  wo 
das  örtliche  Leiden  durch  Gicht ,  Scropheln ,  Rhachitis  u.  a.  Dyskrasien  be- 
dingt wird,  da,  wo  die  Verletzung  und  das  Subject  von  der  Art  sind,  dass 
man  Nervenzufälle  befürchten  muss,  bei  grosser  Blutfülle,  Neigung  zu  ge- 
fährlichen Congestionen ,  und  überhaupt  da,  wo  man  .spät  amputirt,  ist  die 
Heilung  auf  dem  langsamen  Wege  der  Eiterung  angezeigt ,  und  selbst  dabei 
ist  es  noch  rathsam,  die  Wunde  nicht  vernarben  zu  lassen,  ohne  einVicäi'- 
leiden  durch  künstliche  Geschwüre  in  der  Nähe  des  Stumpfes  hervorzuru- 
fen. —  Auch  da,  wo  Rmi  durch  schnelle  Vereinigung  heilt,  tadelt  er  das 
zu  sorgfältige  Vereinigen  der  Wunde  gleich  nach  der  Amputation  auf  allen 
Punkten  durch  Heftpflasterstreifen ,  allerlei  Verbände ,  oder  wol  gar  durch 
blutige  Hefte  etc.  Er  hält  es  für  unnütz,  weil  es  wegen  der  Ligaturfäden 
doch  nicht  vollständig  gelingt,  und  als  schädlich,  weil  es  den  freien  Abttuss 
des  Wundsecrets  hindert.  Er  nähert  die  Wundränder  nur  ganz  lose  durch 
Heftpflasterstreifen  an  einander,  die,  sobald  eine  Spannung  eintritt,  durch- 
schnitten werden.  Erst  wenn  die  entzündliche  Anschwellung  der  Wundrän- 
der vorüber  ist ,  ist  es  Zeit  die  genaue  Berührung  der  Wundflächen  zu  be- 
wirken und  durch  zweckmässig  angelegte  Heftpflasterstreifen  zu  erhalten. 
Auf  diese  Weise  ist  die  Vernarbung  des  Stumpfes  mit  weniger  schmerzhaf- 
ten und  gefahrlichen  Zufällen  verbunden  und  wird  dennoch  eben  so  schnell 
erzielt ,  als  auf  die  andere  Vei-fahrungs weise.  In  den  Fällen ,  wo  für  den 
Organismus  eine  längere  Eiterung  nützlich  ist,  muss  man  sogar  die  frühe 
Vereinigung   der   Hautlappen    durch   Einlegen    von   Charpie    zu   verhindern 


88  AMPUTATIO 

trachten,  so  dass  öe  Vernarbung  des  Stumpfiä  auf  dem  langsamem  Wege 
der  Granulation  erfolgt  Sobald  die  Wunde  anfängt  trocken  zu  werden, 
ist  es  hohe  Zeit ,  zu  jeder  Seite  des  Stumpfes  eine  Fontanelle  zu  setzen 
und  erst  dann,  wenn  diese  in  voller  Eiterung  sich  befinden,  darf  man  es 
wagen ,  diu-ch  mehr  austrocknende  Mittel  die  Vernarbung  der  Amputations- 
wunde  zu  bewerkstelligen.  Die  specielle  Behandlung  der  Wunde  wird  nach 
allgemeinen  Grundsätzen  geleitet.  Für  die  Mehrzahl  der  Fälle  passen  in 
den  ersten  Tagen  kalte  Überschläge,  fängt  die  Wunde  an  zu  eitern,  dann 
laue  erweichende  Fomente,  später  Salben  und  sonstige  Verbände.  Alle  me- 
chanische und  chemische  Eingriffe  auf  den  etwa  necrotischen  oder  promini- 
renden  Knochen ,  z.  B.  Betupfen  mit  Liq.  Beilostii ,  Ol.  terebinth.  etc. ,  sind 
durchaus  verwerflich,  man  überlässt  die  Absonderung  desselben  am  besten 
allein  den  Naturkräften.  Die  allgemeine  Behandlung  der  Kranken  richtet 
sich  nach  den  Umständen  und  Symptomen ,  nach  der  Constitution  etc.  Bei 
robusten  Kranken  erfordert  das  Entzündungsfieber  streng  antiphlogistische 
Behandlung :  Aderlässe ,  Nitrum ,  und  bei  bedeutendem  Nervenerethismus 
mit  beruhigenden  Mitteln  verbunden,  z.  B.  mit  Hyoscyamus,  Aqua  lauroc, 
doch  übertreibe  man  auch  das  Schwächen  nicht  (s.  Febris  vulneraria). 
Die  gallige  und  gastrische  Complication  ist  hier  wegen  der  bedeutenden 
psychischen  Eindrücke  sehr  häufig ,  hier  dienen  gelind  eröflTnende  und  säuer- 
liche IVIittel,  Creraor  tart. ,  Acidum  tartar. ,  Tamarinden,  Manna  etc. ;  selte- 
ner als  man  gewöhnlich  glaubt ,  ist  im  spätem  Verlauf  der  Behandlung  eine 
stärkende  Nachcur  durch  China ,  Manna  etc.  nötliig.  Die  besten  Schriften 
über  Amputation  im  Allgemeinen  und  Besondem  sind  folgende  :  Walther, 
Ph.  F.  V. ,  Abhandlungen  aus  dem  gesammt.  Gebiet  d.  Medic. ,  besonders  der 
Chir.  Bd.  I.  Landsh.  1810.  —  v.  Gräfe,  Normen  für  d.  Ablösung  gross. 
Gliedmassen,  Berl.  1812.  —  Kern,  Über  d.  Handlungsweise  bei  Absetzung  d. 
Glieder.  Wien,  18 14.  —  Brünninghausen ,  Erfahrg.  u.  Bemerkung,  über  d. 
Ajnputation.  Würzburg,  1818.  —  Beck,  Über  d.  Vorzüge  d.  Lappenbildung 
bei  d.  Amputation  in  d.  Continuität  d.  Gliedmassen.  Freiburg,  1819.  — 
Riist ,  Über  d.  Amputation  gross.  Gliedmassen ,  in  dess.  Magazin ,  Bd.  VII. 
Hft.  2.  St.  307,  1820,  —  Zang ,  Darstellung  blutiger  heilkünstlerischer 
Operationen,  Bd.  IV.  —  Schrcger,  Grundriss  der  chir.  Operat.  Th.  II. 
Nürnberg,  1824.  —  Blasius ,  Handbuch  der  Akiurgie,  Th.  III.  1823.  — 
E.  L.  GrossJicim,  Lehrbuch  d.  operativen  Chiruigie ,  3  Thle.  Berlin,  1835.  — 
C.  Textor's  Grundzüge  zur  Lehre  der  chirurgischen  Operationen  etc.  Würz- 
burg, 1835.  —  hisfrmic  de  St.  Martin,  Nouvelle  methode  operat.  pour  l'ara- 
putation  part.  du  pied  dans  son  articulation  tarso  -  metatarsienne.  Paris, 
1815.  —  Maingault,  Medecine  operatoire  etc.  Paris,  1822.  —  H.  Scoutetten, 
La  methode  ovalaire,  ou  nouvelle  methode  poiu'  amputer  dans  les  articulations. 
Paris,  1827.  —  Wir  betrachten  jetzt  die  einzelnen  Amputationen  insbesondere. 
Amputatio  antibracliii.  Die  Werkzeuge  und  Verbandstücke  dazu ,  welche 
wir  vor  der  Operation  bereit  halten  müssen,  sind:  1)  ein  Tourniquet,  nebst 
Longuette  und  graduirter  Corapresse ,  2)  ein  nicht  zu  grosses  gerades  Am- 
putationsmesser, 3)  ein  gewölbtes  Bistouri  oder  Scalpell ,  4)  ein  zweischnei- 
diges Messer  zur  Lappenbildung,  5)  ein  zweischneiges ,  sehr  schmales  Zm- 
ßchenknochenmesser ,  6)  eine  zweifach  gespaltene  Compresse  mit  scluualen 
Köpfen,  7)  eine  Säge,  8)  eine  Knochenzange,  9)  Arterienpincetten  und 
Haken,  Unterbindungsnadeln,  mehrere  Ligaturfaden,  10)  eine  gewöhnliche 
Schere,  11)  mehrere  Waschschwämme,  warmes  und  kaltes  Wasser,  gepul- 
vertes Kolophonium  und  Weingeist ,  Baumöl ,  ein  Gefass  zum  Aufnehmen  des 
Bluts  und^des  abgenommenen  Gliedes ,  ein  Handtuch  luid  12)  als  Verband- 
stücke mehrere  Klebpflasterstreifen,  y,  Zoll  breit  und  18  Zoll  lang,  meh- 
rere gespaltne  lund  ungespaltne  Longuetten  und  Rollbinden ,  Plumaceaux, 
einige  Stecknadeln,  ein  Häckerlingskissen  und  ein  Stück  Wachsleinwand. 
Auch  darf  es  nicht  an  Labemitteln  für  den  Kranken  fehlen.  Der  Operateui* 
legt  in  der  Mitte  des  Oberarms  zuerst  die  Longuette'_und  graduirte  Com- 
presse so  an ,  dass  sie  unmittelbar  auf  den  Stamm  der  Art.  brachialis  und 
unter    die    Pelotte  des    anzulegenden    Tourniqvets   zu    liegen   kommt,    und 


AMPUTATIO  89 

schraubt  letzteres  so  fest  zu,  dass  aller  Ein-  und  Rückfluss  des  Blutes  si- 
cher gehemmt  ist,  worauf  die  weitere  Handhabung  des  Tourniquets  einem 
Gehülfen  übergeben  vnvd.  Der  Kranke  wird,  wenn  er  noch  kräftig  ist,  auf 
einen  Stuhl  gesetzt,  sonst  so  auf  ein  Bette  dicht  am  Rande  desselben  gela- 
gertv  dass  Operateur  und  Gehülfen  freien  Zugang  haben.  Der  Oberarm 
muss  in  einer  fast  zum  Rechtwinkel  erhobenen  Stellung  und  der  Vorderarm 
in  sanfter  Beugung,  die  Hand  dagegen  wo  möglich  ausgestreckt  und  in  a^oII- 
kommner  Pronation  erhalten  werden.  Gehülfen  sind  4  erforderlich ,  der 
Bürste  steht  beinahe  hinter  dem  Kranken  und  hält  und  leitet  das  Tourniquet ; 
der  Zweite  steht  vor  dem  Ersten,  fixirt  das  Glied  am  Ellenbogen  und  be-. 
sorgt  die  Retraction  der  über  der  Operationsstelle  befindlichen  Weichgebilde; 
der  Dritte  steht  nach  innen  und  fixirt  das  Handgelenk,  hilft  auch  später 
bei  der  Unterbindung,  und  der  Vierte  reicht  dem  Operateur  die  Instru- 
mente und  Verbandstücke  in  der  Ordnung  ,  in  der  sie  nach  einander  ge- 
braucht werden.  Der  Operateur  stellt  sich  am  besten  an  die  äussere  Seite 
des  Gliedes  und  so ,  dass  die  Säge  beide  Knochen  zugleich  treffen  und  ab- 
wärts geführt  werden  kann.  Die  besten  Operationsmethoden  sind :  a)  der 
doppelte  Cirkelschnitt.  Etwa  2  Zoll  unter  der  Stelle,  wo  der  Kno- 
chen abgesägt  werden  soll,  wird  der  Hauptschnitt  in  2  Zügen  so  vollführt, 
dass  der  Operateur  mit  unter  dem  Arme  hingeführter  Hand  das  Messer  an 
seinem  Schneidende  ansetzt  und  indem  er  solches  bis  auf  die  Spitze  hinaus- 
laufen lässt ,  die  untere  Hauthälfte  bis  auf  die  Sehnenhaut  trennt ;  hierauf 
setzt  er  das  Messer  in  gerade  umgekehrter  Richtung  oberhalb  des  Arms,  und 
dessen  Spitze  nach  unten  gekehrt  haltend,  abermals  an  seinem  Schneidende 
in  den  Innern  Wundwinkel  an,  und  trennt  so  in  einem  halbbogenförmigeii 
Schnitt,  der  sich  genau  am  äussern  Wundwinkel  endigt,  die  obere  Hälfte 
der  Haiitdecke.  Der  Gehülfe  zieht  nun  die  durchschnittne  Haut  stark  zu- 
rück und  der  Operateur  trennt  und  löst  dieselbe  da ,  wo  sie  sich  noch 
spannt  und  mit  der  Sehnenhaut  in  Verbindung  steht,  durch  kurze  senkrechte 
Einschnitte ;  geht  dies  wegen  zu  starker  Adhärenz  nicht  an ,  so  fasst  er  den 
Hautwundrand  selbst  mit  dem  Daumen  und  Zeigenfinger ,  hebt  ihn  etwas 
empor  und  trennt  ihn  mit  der  Spitze  des  Amputationsmessei'S  (der  Ungeübte 
nehme  ein  gewölbtes  Scalpell  oder  Bistouri)  in  einigen  Messerzügen  sammt 
allem  Zell-  und  Fettgewebe  rein  von  der  Sehnenhaut  rings  um  auf  1  —  IV2 
Zoll  ab.  Am  Rande  der  nun  getrennten  und  zurückgezogenen  Haut  wird 
nun  das  Amputationsmesser  eben  so  wie  beim  Hautschnitt  angesetzt  und  in 
2  halbkreisförmigen,  nur  kräftigern  Zügen  der  Muskelschnitt  vollzogen,  so 
dass  alles  Fleisch  bis  auf  den  Knochen  getrennt  wird.  Jetzt  wird  das  Li- 
gamentum interosseum  getrennt ,  der  Operateur  bringt  den  Arm  wieder  un- 
ter das  Glied,  sticht  das  schmale  Zwischenknochenmesser  an  der  Schnitt- 
fläche der  getrennten  Muskeln  an  der  innern  hintern  Seite  zwischen  beiden 
Knochen  ein  und  nach  aussen  durch ,  trennt  das  Zwischenknochenband  und 
umkreiset  beide  Knochen  zur  Hälfte,  indem  er  alle  sie  umgebenden  Weich- 
gebilde sammt  dem  Knocheuhäutchen  trennt,  dann  bringt  er  das  Messer  an 
derselben  Stelle  von  aussen  nach  innen  zwischen  beide  Knochen,  um  das- 
selbe zu  verrichten.  Jetzt  wird  die  doppelt  gespaUne  Compresse ,  deren 
mittler  Kopf  zwischen  beide  Knochen  geschoben  wird,  so  angelegt,  dass 
alle  4  Enden  gehörig  ausgebreitet  und  sich  oberhalb  kreuzend  von  dem  Ge- 
hülfen gefasst  und  mittels  derselben  nicht  allein  alle  getrennten  Weichge-» 
bilde  gehörig  bedeckt  und  zurückgezogen,  sondern  auch  in  solcher  Lage  er- 
halten werden  können.  Alle  Weichtheile  um  beide  Knochen  müssen  an  der 
Stelle,  wo  abgesägt  wird,  vollständig  getrennt  werden,  die  Stelle  selbst 
darf  nicht  von  der  Compresse  bedeckt  seyn,  und  die  Säge  muss  beide  KnocheJi 
zugleich  durchsägen,  daher  man,  wenn  hoch  amputirt  wird,  die  Säge  zuerst 
an  die  Ulna,  und  wenn  in  der  Mitte  oder  nahe  am  Handgelenk  amputirt  wird, 
an  den  Radius  zuerst  setzen  muss.  Zur  Unterbindung  der  Art.  radialis,  uinaris 
und  interossea  reichen  4  Ligaturen  aus.  Zur  sichern  Schonung  der  Nerven  führe 
man  den  einen  Arm  der  Unterbindungspincette  in  die  grössern  Arterienstäm- 
me ,   um  sie ,   ehe  man  sie  unterbindet ,   vom  Nerven  abzuziehen.      Die  Blu- 


flO  AMPUTATIO 

tung  der  kleinen  Geßsse  wird  durch  kaltes  Wasser  gestillt,  die  Wunde 
von  allem  Blutcoagiilum  gereinigt  und,  nach  Umständen  alsdann,  je  nach- 
dem Vereinigung  oder  Eiterung  stattfinden  soll ,  kunstmässig  verbunden. 
}))  Der  Lappen  schnitt.  .\m  obern  muskulösen  Theile  des  Vorderarm» 
bildet  man  gern  nur  einen  Lappen.  Der  Operateur  sticht  das  zweischnei- 
dige Lappenmesser  an  der  zu  amputirenden  Stelle  des  von  einem  Gehülfen 
nmfassten  ausgestreckten ,  in  halber  Pro  -  und  Supination  sich  befindenden 
Arms  ein,  und  zwar  von  der  Radialseite  aus  dicht  vor  beiden  Knochen, 
Sticht  es  durch  und  bildet  einen  S'/j  Zoll  langen  Lappen  aus  der  Volarfläche 
des  Gliedes.  Nachdem  der  Lappen  zurückgeschlagen,  wird,  etwa  V^  Zoll 
unterhalb  der  Wundvvinkel,  ein  halber  Kreiscirkelschnitt  auf  der  Rückseite 
des  Gliedes  zur  Trennung  der  Haut  vollführt,  und  diese  bis  zur  Basis  des 
Lappens  zurückpräparirt.  Nun  werden  mit  dem  Z wisch enknochenmesser 
beide  Knochen  von  allem  Fleische  und  der  Beinhaut  getrennt,  die  gespal- 
tene Compresse  angelegt  und  die  Knochen  abgesägt.  —  Der  Schnitt  mit 
zwei  Lappen  wird  eben  so  gemacht,  doch  wird  statt  des  halben  Cirkel- 
schnitts  auf  dem  Armrücken  der  Lappenschnitt  wiederholt,  c)  Amputa- 
tion im  Gelenke.  Rust  zieht  die  Amputation  am  Oberarme  vor.  Bras- 
dor  macht  einen  Queerschnitt  über  dem  Olecranon  durch  Haut  und  Sehnen^ 
dringt  dann  von  hinten  aus  ins  Gelenk,  und  bildet  nach  der  Exarticulation 
den  Lappen  aus  den  Muskeln  an  der  Volarfläche  des  Vorderarms. 

Ampulntio  hrnchii,  die  Absetzung  des  Oberarms.  Die  Vorrich- 
tung der  Werkzeuge  und  Verbandstücke  ist  wie  bei  Amputatio  antibrachii. 
Eines  Zwischenknochenmessers  und  der  doppelt  gespaltenen  Compresse  zur 
Zurückziehung  des  Fleisches,  wozu  eine  einfach  gespaltene  genügt,  bedarf 
es  hier  nicht.  Das  Tourniquet  muss  so  hoch  als  möglich  angelegt  werden  ; 
bei  der  Exarticulation  muss  die  Art.  subclavia  gegen  die  erste  Rippe  com- 
primirt  werden,  und  zwar  bei  gesenktem  Arme  über  der  Clavicula,  am  hin- 
tern äussern  Rande  des  Muse,  sternocleidomastoideus,  bei  rechtwinklig  erho- 
benem Arme  aber  unter  dem  Schlüsselbeine ,  zwischen  dessen  Schulterende, 
dem  Processus  coracoideus  und  dem  Muse,  pectoralis  minor,  indem  ein  Ge- 
hülfe den  Daumen  oder  EhrlicVs  Krücke  fest  aufsetzt.  Auch  hat  man  zu  die- 
sem Zweck  Compressorien  von  Ilesselbnch,  Brünmnghaiisen ,  Bald  und  MoTi- 
renheim.  Aber  keins  dieser  Verfahren  hält  Ritst  für  sicher.  Ihm  ist  ein 
kräftiger  Druck  mittels  eines  tief  in  die  Achselhöhle  geschobenen  dicken 
Ballens  das  wirksamste  Compressionsmittel ;  auch  kann  bei  der  Exarticula- 
tion ein  Gehülfe  die  Art.  axillaris  noch  vor  dem  Durchschneiden  oder  gleich 
hinterher  mit  einem  Lappen  comprimiren.  Nur  bei  Mangel  an  Gehülfen  ist 
es  rathsam,  noch  vor  der  Operation  die  Arterie  zu  unterbinden.  Der  Kranke 
muss  so  auf  dem  Stuhle  sitzen  oder  am  Rande  eines  Bettes  liegen ,  dass  die 
Schulter  etwas  hervorragt,  —  der  Oberarm  wird  bei  halb  flectirtem  Vorder- 
arme so  hoch  aufgehoben ,  dass  er  mit  dem  Körper  fast  einen  rechten  Win- 
kel macht ;  die  Gehülfen  werden  gerade  so ,  wie  bei  Amputatio  antibrachii 
angestellt,  und  der  Operateur  nimmt  eine  solche  Stellung,  dass  er  bei  Am- 
putation des  rechten  Arms  an  der  äussern ,  bei  der  des  linken  Arms  an  der 
innern  Seite  desselben  sich  befindet,  um  Messer  imd  Säge  n«t  der  rechten 
Hand  führen  zu  können ;  auch  kann  er  so  durch  Anlegung  des  linken  Dau- 
raennagels  am  besten  das  Fleisch  vor  dem  Eingriife  der  Säge  schützen  und 
ietztere  gehörig  leiten.  —  Wir  nnterscheiden:  I,  die  Amputation  in 
der  Continuität  des  Knochens.  Sie  kann  durch  den  einfachen  und 
doppelten  Cirkelschnitt,  durch  den  Lappen  -  und  den  Trichterschnitt  gemacht 
werden.  Der  erste  ist  indicirt  bei  sehr  magern ,  mit  laxer  Haut  versehenen 
Personen  und  wenn  die  Amputationsstelle  am  untern  Theile  des  Gliedes  ist, 
der  zweite  passt  am  untern  und  mittlem  Theile  bei  weniger  mogern  Perso- 
nen,  der  Hohl-  und  Lappenschnitt  am  obern  Drittheile  des  Gliedes,  und 
der  Lappenschnitt  besonders  noch  da,  wo  der  Arm  nicht  hinreichend  vom 
Stamme  abgeführt  werden  kann  ,  die  Amputationsstelle  sehr  hoch  und  Man- 
gel an  Gehülfen,  um  gegen  Blutung  sicher  zu  seyn ,  da  ist.  Der  einfache 
Cirkelschnitt  ist  eine  leichte  Operation.     Nach  gehöriger  Anlegung  des 


AMPUTATIO  91 

Touriiiquets  und  starker  Zurückziehung  der  Haut  durch  den  Gehulfen  durch- 
fithneidet  man  mit  zwei  halbkreisförmigen  Schnitten  (einem  untern  und  obern) 
alle  WeichgebUde  bis  auf  den  Knochen,  lässt  die  durchschnittenen  Weich-' 
theile  noch  einmal  zurückziehen  und  umkreiset  den  dadurch  sich  bildenden 
kleinen  Fleischkegel  noch  einmal  mit  dem  Messer,  ußd  trennt  zugleich  das 
Periosteum  an  der  Stelle,  wo  der  Knochen  abgesägt  werden  soll,  legt  die 
gespaltene  Compresse  an  und  sägt  den  Knochen  ab.  Der  zweizeitigö 
oder  doppelte  Cirkel-  und  Kreis kegelschnitt.  Hier  macht  man' 
den  Hautschnitt  um  ein  Sechstheil  des  Umfanges  oder  um  einen  halben  Durch- 
messer des  Gliedes  tiefer,  als  die  Durchsägung  des  Knochens  geschehen  soll, 
wie  bei  der  Absetzung  des  Vorderarms,  und  die  beiden  halbkreisförmige» 
Schnitte  werden  nur  bis  auf  die  Sehnenscheide  vollführt;  auch  die  Haut 
wird  nur  auf  eijier  Strecke  "von  höchstens  1  Zoll  bei  fortgesetzter  Retraction 
gelöst.  Beim  Muskelschnitt,  mit  senkrecht  aufgesetztem  Amputationsmesser 
am  Rande  der  zurückgezogenen  oder  umgestülpten  Haut,  durchschneidet  man 
alles  Fleisch  bis  auf  den  Knochen  mit  einem  Male ;  es  werde  das  Muskel- 
fleisch nun  stark  zurückgezogen ,  der  dadurch  sich  bildende  Fleischkcgel  an 
der  Basis  noch  einmal  mit  dem  Messer  umkreist,  das  Periosteum  gelöst,  die 
gespaltene  Compresse  angelegt  und  der  Knochen  nach  oben  angegebenen 
Regeln  abgesägt.  Der  einfache  Lappenschnitt  ist  am  Oberarme  nur 
bei  einseitiger  Zerstörung  der  Weichtheile  angezeigt.  Es  wird  hier  an  der 
Stelle ,  wo  der  Knochen  durchsägt  werden  soll ,  ein  zweischneidiges  Messer, 
nachdem  der  Gehülfe  die  Haut  angezogen,  gerade  auf  dem  Knochen  einge- 
stochen, mit  der  Spitze  des  Messers  derselbe  nach  der  Seite  hin,  wo  der 
Lappen  gebildet  werden  soll ,  umgangen ,  und  dem  Einstichspunkte  gegen- 
über dasselbe  von  hinten  wieder  ausgestochen.  Man  zieht  nun  das  Messerj 
dessen  Fläche  bei  auf-  und  abwärtsstehenden  Schneiden  stets  den  Knufchen 
berührt,  ly^  bis  2  Zoll  sägeförmig  nach  abwärts,  indem  man  dann  schief 
nach  ab-  und  auswärts  schneidet,  und  bildet  so  einen  Lappen,  der  gross 
genug  ist,  die  Wundfläche  zu  bedecken.  Seine  Länge  muss  wenigstens  zwei 
Drittheile  vom  Durchmesser  des  Gliedes  betragen.  Der  Gehülfe  schlägt  den 
Lappen  in  die  Höhe,  der  Operateur  trennt  an  der  entgegengesetzten  Seite 
die  Haut  durch  einen  von  den  Wundwinkeln  ausgehenden  halbkreisförmigen 
Schnitt,  löst  sie  los,  und  bildet  so  einen  kleinen,  an  seinem  längsten  Durch- 
messer etwa  V2  Zoll  betragenden  Hautlappen,  schneidet  dann  sämmtliche, 
der  Basis  des  Muskellappens  gegenüberliegende  Weichgebilde  bis  auf  den 
Knochen  mit  einem  Kreisschnitte  durch,  und  sägt  den  Knochen  ab  Die 
Amputation  mit  zwei  Lapppen  verdient,  wo  sie  ausfühi'bar  ist,  vor  der 
mit  einem  Lappen  stets  den  Vorzug.  Man  bildet  hier  stets ,  wenn  es  mög- 
lich ist,  einen  äussern  und  Innern  (nicht  vordem  und  hintern)  Lappen.  Um 
sich  den  Ausschnittspunkt  zu  bezeichnen  und  beide  Lappen  gleich  lang  zu 
bilden,  legt  man  2 — ^'/n  Zoll  unterhalb  der  Stelle,  wo  der  Knochen  abge- 
sägt werden  soll ,  einen  Klebpflasterstreifen  rings  um  das  Glied.  Man  setzt 
das  zweischneidige  Messer ,  die  eine  Schneide  nach  oben ,  die  andere  nach 
unten' gekehrt,  auf  den  Mittelpunkt  der  vordem  Fläche  des  Ai'ms ,  da,  wo 
der  Knochen  abgesägt  werden  soll,  sticht  mit  demselben  in  die  Tiefe,  und 
gcräth  gewöhnlich  mit  der  Spitze  auf  den  Knochen;  diesen  umkreist  man, 
sich  genau  an  denselben  haltend,  nach  der  äussern  oder  innern  Seite,  je 
nachdem  der  eine  oder  andere  W«g,  den  Knochen  zu  umgehen,  der  kürzere 
ist  und  melir  oder  weniger  Muskelfleisch  auf  der  einen  oder  andei'n  Seite  ist, 
sticht  sodann  dem  Eingangspunkte  gegenüber  das  Messer  hinten  durch,  und 
bildet  durch  Ab  -  und  Auswärtsziehen  des  Messers  den  einen  Lappen.  Dann 
setzt  man  das  Messer  wieder  in  den  Einstichspunkt,  umgeht  den  Knochen 
•von  der  andern  Seite,  sticht  das  Messer  nach  hinten  aus  und  bildet  den 
zweiten ,  gleich  grossen  Luppen.  Beide  Lappen  werden  zurückgeschlagen, 
und  durch  einen  Kreisschnitt  an  der  Basis  der  Lappen  alle  am  Knochen  noch 
stehenden  Weichtheile  und  die  Knochenhaut  getrennt ,  die  gespaltene  Com- 
presse angelegt  und  der  Knochen,  zumal  wenn  er  hoch  abgesetzt  werden 
soll,  mit  einer  Bogensäge  mit  schmalem  Sägeblatte,   deren  Bogen  den  emen 


m 


AMPUTATIO 


Lappen  aufnehmen  kann,  abgesägt.  Entsteht  bei  der  Bildung  des  hinern 
Lappens  eine  Blutung  aus  der  A.  brachialis,  so  ergreift  ein  Gehülfe  schnell 
den  Lappen  an  seiner  Basis,  comprimirt  das  Gefäss,  und  der  Operateur 
schreitet  ohne  Aufschub  zur  Unterbindung  desselben.' —  II.  Die  Amputa- 
tion im  Gelenke  (^Exartiadatio ,  Amputnlio  humeri').  Sie  wird  meist 
durch  doppelte,  seltener  durch  einfache  Lappenbildung,  von  v.  Grüfc  allein 
durch  den  Trichterschnitt  verrichtet.  Für  die  verschiedenen  Fälle,  wo  diese 
Operation  indicirt  ist,  giebt  es  verschiedene  Methoden,  die  der  Wundarzt 
kennen  muss.  Le  Dran  sen.  nnd  Morand,  welche  die  Amputatio  hnmeri  zu- 
erst ausübten ,  führten  in  der  Achsel  eine  Ligatur  mit  einer  grossen  Heft- 
nadel dicht  am  Knochen  vorbei,  umfassten  mit  derselben  Haut,  Muskeln, 
Nerven  und  Gefasse,  um  sich  gegen  Vex'blutung  zu  sichern,  durchschnitten 
dann  den  M.  deltoideus  quer  bis  aufs  Gelenk,  öffneten  das  Kapselband, 
richteten  dann  den  Gelenkkopf  in  die  Höhe  und  zugleich  nach  aussen ,  gin- 
gen mit  deju  Messer  hinter  denselben  schneidend  bis  imter  die  angelegte 
Ligatur  am  Knochen  hinab,  und  trennten  dann  die  innern  Weichtheile,  in- 
dem sie  einen  stumpfen  dreieckigen  Lappen  bildeten,  welcher  die  Gefasse 
enthielt.  Diese  wurden  unterbunden,  und  dann  die  frühere  Ligatur  getrennt. 
Langenhech  lässt  die  Art.  axillax-is  oberhalb  der  Clavicula  mit  dem  Daumen 
des  Gehülfen  comprimiren ,  legt  keine  Ligatur  in  der  Achsel  an ,  bildet  den 
innern  Lappen  nicht  zu  kurz ,  weil  sich  sonst  die  Arterie  leicht  zurückzieht, 
und  schneidet  diese  zuletzt  durch.  Er  operirt  bei  am  Thorax  herunterhän- 
gendem Arme ,  Aveil  sonst  die  Clavicula  zu  hoch  hinaufgeschoben  wird ,  um 
die  A.  axillaris  gut  comprimiren  zu  können.  Er  macht  zuerst  unter  dem 
Acromion  scapulae  auf  der  sichtbaren  runden  Erhöhung  des  Caput  ossis  hu- 
meri am  innern  Rande  des  Deltoideus  einen  Longitudinalschnitt,  4  Zoll  lang, 
ohne  die  Art.  bx'achialis  zu  verletzen ,  von  oben  nach  unten ,  dann  einen 
gleichen  Schnitt  am  äussern  Rande  des  Deltoideus,  so  dass  beide  4  Zoll  von 
eüiander  entfernt  sind.  Beide  Schnitte  werden  durch  einen  Querschnitt  ver- 
einigt und  so  der  Lappen  vom  Knochen  abpräparirt,  so  dass  das  Kapselband 
bloss  liegt.  Die  blutenden  Gefasse  (Art.  circumflexa  humeri  externa  mid  in- 
terna) werden  jetzt  erst  unterbunden  und  so  lange  die  Art.  axillaris  nicht 
comprimirt.  Den  Lappen  hält  ein  Gehülfe  in  die  Hohe ,  der  Ellbogen  des 
Kranken  Avird  fest  am  Thorax  nach  vorn  hingebogen ,  so  dass  nach  Durch- 
schneidung des  Kapselbandes  das  Caput  ossis  humeri  aus  der  Gelenkhöhle 
tritt.  Zwischen  letzteres  und  das  Acromion  führt  man  das  Messer,  während 
der  Ellenbogen  immer  mehr  nach  hinten  rückt,  so  dass  der  hervorgetretene 
Gelenkkopf  mit  der  linken  Hand  des  Operateurs  gefasst  werden  kann.  Man 
führt  nun  die  Schneide  des  Messers  hart  an  der  innern  Seite  des  Knochens, 
ohne  die  A.  axillaris  zu  verletzen  und  bildet  so  den  zweiten  Lappen,  indem 
der  Kopf  des  Knochens  immer  stärker  angezogen  wird.  Ehe  man  den  in- 
nern Lappen  durchschneidet,  fasst  ihn  ein  Gehülfe,  um  die  Arterie  zu  com- 
pi'imiren,  während  die  Axillaris  oberhalb  der  Clavicula  gegen  die  erste  Rippe 
besonders  gut  comprimirt  werden  muss.  Nach  der  Durchschneidung  des 
Hauptgefässes ,  selbst  oft  schon  vorher,  unterbindet  man  es.  Auch  die  Art. 
thoracica  und  der  Plexus  brachialis  müssen  unterbunden  werden.  Lisfrancs 
Verfahren,  dessen  sich  auch  litist  bedient,  weil  es  sehr  schnell  geübt  wer- 
den kann  und  gegen  Blutung  am  meisten  sichert ,  ist  Folgendes :  Er  um- 
fasst  mit  der  linken  Hand  das  Schulterende  des  Oberanns  und  entfernt  es 
3  —  4  Zoll  vom  Stamme;  mit  fler  rechten  Hand  sticht  er  ein  8  Zoll  langes 
und  8  Linien  breites,  zweischneidiges  Messer  dergestalt  in  schiefer  Richtung 
zwischen  dem  Gelenkkopfe  und  dem  Acromion  durch  die  Gelenkkapsel,  dass 
die  vordere  Wundmünduug  siel»  oberhalb  der  Spitze  des  Processus  coracoi- 
deus,  die  hintere  am  hinteru  Rande  des  Deltoideus  in  der  Höhe  des  Halses 
des  Oberarmknochens  befindet.  (An  der  rechten  Schulter  wird  das  Messer 
vorn  eingestochen  und  abwärts  gerichtet,  an  der  linken  wird  es  von  hinten 
nach  vorn  und  oben  geführt;  in  beiden  Fällen  aber  muss  die  Fläche  der 
Messerklinge  mit  der  dos  Acromion  parallel ,  d.  h.  horizontal  liegen).  Dann 
führt  er   das  Messer  dicht  an  der   äussern  Seite   des  Oberarmknochens  nach 


,    AMPUTATIO  93 

unten  bis  zur  Insertion  des  Deltoideus,  und  bildet  so,  indem  er  es  nun  noch 
nach  aussen  wendet,  einen  ohngefähr  3  Zoll  langen  keilförmigen  Lappen. 
Nachdem  dieser  durch  einen  Gehülfen  aufgehoben  worden,  dringt  der  Ope- 
rateur mit  dem  mittlem  Theile  des  Messers,  indem  er  zugleich  den  Arm  et- 
was tiefer  fasst,  in  das  bereits  geöffnete  Gelenk,  umgeht  djn  etwas  von  der 
Gelonkhöhle  entfernten  Kopf  des  Os  humeri ,  führt  das  Messer  an  der  Innern 
hintern  Seite  des  Knochens  abwärts  und  bildet  so  einen  zweiten  keilförmigen 
Lappen,  der  nicht  eher  durchschnitten  wird,  als  bis  ein  Gehülfe  die  darin 
enthaltenen  Gefässe  comprimirt  hat.  „Ich  itiache  -r  sagt  Rust  in  seinem 
Handbuche  d.  Chirurgie,  Bd.  I.  S.  603.  —  einen  bis  auf  den  Knochen  drm- 
genden  Längenschnitt  vom  Acromion  bis  zur  Insertion  des  I>eltoideus.  Dieser 
Schnitt  setzt  mich  in  den  Stand ,  den  Knochen  genau  zu  untersuchen  und 
falls  derselbe  unter  dem  Kopfe  noch  gesund  ist,  statt  der  Exarticulation 
des  Gliedes  allenfalls  nur  die  Decapitation  zU  verrichten  und  das  Glied,  zum 
Theil  noch  zu  erhalten.  Ist  aber  die  Entfernung  des  Arms  nöthig,  so  führe 
ich  von  dem  Längenschnitte  aus  in  der  Höhe  des  Gelenkkopfs  zwei  schräge 
von  vorn  mid  oben  nach  ab -und  rückwärts  laufende:  Schnitte,  deren  einer 
sich  in  die  Achselhöhle,  der  andere  nach  aussen  gegen  die  Schulter  endigt. 
Die  dadurch  gebildeten  beiden  dreieckigen  Lappen  werden  losgelöst  und  nach 
aussen  und  innen  zui-ückgeschlagen.  Nun  wn-d  ein  zweischneidiges  Messer 
flach  zwischen  das  Acromion  und  den  Gelenkkopf,  indem  man  zugleich  den 
Arm  etwas  aufhebt,  eingestochen  und  so  Von  innen  nach  aussen  nicht  allein 
die  Gelenkkapsel  geöffnet ,  sondern  auch  die  Sehne'  des  Biceps  getrennt, 
worauf,  an  der  Innern  Seite  des  Kopfes  mit  dem  Messer  herabgehend,  man 
einen  hintern  und  untern  dreieckigen  Lappen  zu  bilden  sucht ,  der  beim 
Verbände  gegen  die  beiden  obern  angelegt  wird.  '*^  ■  Unter  der  Benennung 
Ovalärmethode  (Methode  ovnlairc)  hat  Scoutelten  ein  Verfahren  zur  Ex- 
articulation nicht  allein  des  Oberarms,  sondern  selbst  der  meisten'' Gelenke 
angegeben,  das  mit  der  Methode  von  Guthrie,  der  keine  Längenschnitta 
macht,  fast  übereinkommt,  zwischen  Cirkel  -  und  Lappenschnitt  in  der  Mitte 
steht  und  schon  lange  von  Lnntjenleclc  zur  Absetzung  und  Exarticulation  der 
Mittelhandknochen  angewendet  worden  ist.  Scoutetten  bildet  nämlich  eine 
ei-  oder  birnförmige  Wunde  durch  zwei  Schrägschnitte,  die  über  dem  Ge^ 
lenke  und  an  der  Vorderseite  des  Gliedes  in  einen  spitzen  Winkel  convergi- 
ren ,  und  unter  dem  Gelenke  an  der  Rückseite  des  Gliedes  sich  in  einer 
Kreislinie  vereinigen.  Der  erste  Schnitt  wird  von  oben  und  vorn  nach  im- 
ten  luid  hinten  geführt;  der  zweite  fängt  von  seinem  Endpunkte  an,  und 
wird  in  entgegengesetzter  Richtung  zum  Anfangspunkte  geführt.  Nach  der 
Abtrennung  und  Entwicklung  des  Knochens  bildet  die  vereinigte  Wundspalte 
-eine  senkrechte  Linie.  Bei  der  Ausschneidung  des  Oberarms  vereinigt  eie 
erst  dann  seine  beiden  Schrägschnitte,  wenn  der  Gelenkkopf  exarticulirt  und 
die  Gefässe  cömprimirt  worden  sind.  Gräfe  vollführt  die  Exarticulation  mit-; 
■tels  des  Trichterschnittes  auf  die  bekannte  Weise  bei  horizontal  gehaltenem 
Arme,  3  Querfinger  unter  dem  Acromion y  >so' dass  der  Hohlschnitt  bis  zum 
Gelenke  reicht.  Da  die  Armarterie  hier  sehr  früh  durchschnitten,  wird,  so 
ist , dißs ,  Verfahren  nicht  zu  empfehlen;  denn  man  kann  vor  Beendigung  der 
Operation  der  gefährlichen  Blutung  nicht  vollständig  Herr  werden.  Nach 
volleiideter' Exarticulation,  gleichviel  bei  welcher  Operationsmetbode,  haben 
einige ; Wundärzte  es  für  nöthig  gehalten,  die  Gelenkfläche  und  den  vorra- 
genden Thell  des  Acromion;der  Art  zu  behandeln^  dass  der  Processus  cora- 
iCoideus  weggesägt  und  die  Gelenkknorpel  mit  dem  Messer  abgetragen  ^v'er- 
.den,  doch  ist  dieses  nur  dann  nöthig >,  wenn  diese  .'rheile  wirklich  krankhaft 
.ergriffen  angetroffen  werden.  Um  die  Blutung  zu  stillen,  unterbindet  man 
mach  der  Amputation,  ehe  man  das  Tourniquet  löst i.  die  Art.  brachialis  iin<J 
4ie  Art.  profunda  humeri ,  nicht  selten  auch  die  Art.  radialis  dicht  an  der 
Art.  brachialis;  nach  der  Exarticulation  die  Art,  axillaris  und  die  Art.  cir- 
cumflexa  humeri ,  desgleichen  die  kleinern ,  nach  Öffnung  des  Tourniqußts 
spritzenden  Arterien.  Die  Ligaturfäden  Werden  am  untern  Wundwinkel  lo- 
cker gelagert  und  mit  Heftpflaster  befestigt.     Die  Wundränder  erhält  mau 


AMPUTATIO    • 

am  ziveckmässigsten  nur  durch  Heftpflaster  vei'eimgt  oder  genähert,  iadem 
man  zuerst  ejft  etwas  breites  Circulärpflaster  um  den  Gliederstumpf  dicht 
übet  den  abgesetzten  Knochen,  doch  ohne  dessen  scharfe  Kante  zu  berühren 
und  jart  die  Weichgebild^,,  anzudrücken,  anlegt  und  dann  einige  sclunälere 
ileftpflasterstreifen  über  die  Wundspalte  führt.  Die  Cirkelbinde  rauss,.  da- 
nüt  .^e  nicht  abgleitet,  in  eine  Spica  humeri  übergehen.  In  den  ersten  Ta- 
gen nach  der  Operation  wendet  man  kalte  Umschläge  an,  giebt  dem  Kran- 
Jcea  eine  erhöhtö  Rückenlage  und  schiebt  ein  Polster  unter  die  Achsel. 
ij  :  .  Amputaiio  carpi  (mffnws),  Amputation  der  Hand  oder  Hand-- 
-wuTzel.  Diese  Operation  verrichtet  mau  in  der  Contiguität  (^ExnrticulaÜo 
tnantis^  a)  durch  den  Cirkelschnitt  nach  der  Methode  von  Fahriciua 
'Hildanas.  Man  zieht  die  Haut  stark  hinauf  und  tremit  die  Weichgebildo 
<lürch  einen  Cirkelschnitt,  die  Gelenkflächen  und  Gelenkverbindung  aber, 
indem  man.  die  Hand  beugt.  Um.  mehr  Haut  zu  sparen,  trennen  Bvasdor 
uiül  Sahntier  die  zurückgezogene  Haut  1  Zoll  unter  dem  Gelenke,  ziehen 
sie  dann,  von  Neußoi  zurück,  und  trennen  darauf  die  Sehnen  und  Bänder  bei 
ai»ducirter  Hand  vom  iGrifl'elfortsatze  der  Speiche  bis  zu  dem  der  Ulna. 
b)  Durch  den  Lappens  chni.tt  amputirt  mit  einem  Lappen  Lnngenheek 
Und  Maingimlt  aus  der  Yolarfläche  folgendermassen :  der  Arm  wvcA.  Tom 
Körper  etwas  entfernt  und  die  Hand  in  Pronation  gebracht.  Ein  an  der 
äussern  Seite  des  Gliedes  .  betuidliclier  Gehüife  zieht  oberhalb  des  Gelenks 
die  Haut  zurück.  :  Der  Operateur  ^ergreift  mit  der  linken  Hand  den  erkrank- 
ten Thejl ,  so  dass  d^er.  Daumen  auf  die  Dorsalfläche  desselben  zu  liegen 
kommt,  und  zieht  die  Hand  an;  er  führt  nun  mit  einem  kleinen  schmalen 
Amputatiousmesser:  voH  dem  finde  des  Griffelfortsatzes  eines  Vorderarmkno- 
phens  bis  zu  dem  des  andern  einen  Querschnitt  über  das  Gelenk  und  trennt 
SD'Haut-  w>nd  Muskelsehnen«  Die  Hand  (rechte)  wird  nun  gebeugt  und  ad- 
ducirt ,  '  das  dadurch  gespannte  Ligamentum  cubitale  des .  Handgelenks  dicht 
am' Ende  des  GrifFelfortöatzeS  der  Ulna,  wobei  man  die  Schneide  des  Mes^ 
sersnach  oben  und  innen  gerichtet  halten  muss,  und  ebenso  das  gespannüe 
Ka>pselligaraent  an  seiner  Dorsalseite  durchschnitten ,  hierauf  die  Hand  ab- 
ducirt,  und  das  dadurch  ajjgespannte  Ligamentum  radiale  artic.  manus  eben^ 
falls  getrennt.  Ist  auf  diese  Weise  das  Gelenk  geöffnet ,  so  beugt  man-  die 
Hand  so  stark,  dass  die.  Gelenkfläche  des  Cacpus  .'hervortritt,  föhrt  das 
Messer  in.  das  Gelenk  hinter  die  Volarseite  der  arfeioolirenden  Elüche  des 
Garpiosiv : und  bildet  mm,  durch  sägeförmige  Schnitte(^  indem  man  das  Messer 
mit  der  Fläche  dicht  an  die  Volarfläche  des  Carpus  hält,  aus  den  idieiHand^ 
w4rael'  bede^ckenden  Weichgebild<2n  einen  halbiuöndförmigen  zur  Bedeckung 
dar  Gelenkfläche  hinreichend  grossen  Lappen,  ftlan  muss  Idabei  das  Os  pisi»- 
forraß!  durch  eine  geringe  Wendung  des  Messers  umgehen;,  die:  etwa  hervor'- 
rageuden  .SehnenendeÄ  \ye"rden,  mit:  der  Scheere  abgeschuitten.  -^.  iDie  Am- 
iMitatioitt  ahS'der  Dorisalfläche.  der  Hand  nach  Rieherand'  xmA  Zang  '\6i  d5e.se': 
die  stark,  zuxückgeziogene-  Haut  >wirdi  an  dem  Donsaiseite  halbnäondförmig 
durchschnitten,  das  Messer  am -rechten:  Arm  et>VJasunter  dem  Pröcistyiiforr- 
BÜs  .lilnae,  am  linken  unter  dem-.<les  Radius  mit /der  Spitze  eingesetzt  und 
zunächst  längsJ  der  Seite :  der  Hand;wurzel  gerade  abwärts  fort.geföhrt;  man 
vrandet  es  dann  in  einem  Bogen  füber  die  Gelenkendeii  des  Metacarpußy  uRd 
nun  in  derselben  Richtung  wie  anfangs  ziun  Gxiffelförtsatz  der  entgegertge^ 
setzten  Seite  zurück.  Der  so  gebildete  Hautlappen' wird  sammt  aHem'.4ar^ 
unter  gelegenen  Zellgewebe  (mit  Zurücklässungider  SeÄnen)  getrennt  und 
aufwärts  geschlagen,  die  Gelenkverbindung  dicht  !am  Vorderarmknochen 
äarohschfcitten ,  worauf  dann  dieiWeichgebilde  an  der  Volarseite  duvch  ei^ 
rien-  Schnitt  senkrecht  getrennt  werden.'  Waltlicr's- Methode  mit  zw« i  L a p- 
teen  zü-:*mputiren  ist  diese:  die  Hand  wird  zuerst  in  Pronation  ge'bradht?B«d 
von  einem  Randb  des  Haudwurzelgelenks  bis  zum  andern  ein  halbmoridför- 
mi^er  Schnitt,  dessen  Convex'ität  nach  unten,  gerichtet  ist,  übet  den  Hand- 
rüdken durch  Haut  und  Zellgewebe  geführt.:-  Der  Hautlappen  wird  nun  ■Von 
der  aponeurotischen  Ausbreitung  bis  zum  Gelenk  losgetrennt.  Dann  bitdet 
man  einen  ähnlichen  Lappen  an  der  Volai-fläche  bei  in-  Supination  gebrachter 


AMPUTATIO  ,  95 

Hand,  indem  man  das  Messer  ia  die  Winkel  des  ersten  Schnitts  einsetzt. 
Sehnen  und  Gelenkbänder  werden  in  der  Mittellage  zwischen  Pronation  und 
Süpination  vom  Radius  aus  bis  zur  Ulna, .  mit  «chief  nach  oben  gerichteter 
Messersoheide ,  der  Geienkfläche  entsprechend,  durciischnitten,  Musfs  Me- 
thode ist  folgende:  von  ,dcri  Enden  der  Griffelfortsätze  des;  Radius  und  der 
Ulna  werilen  bei  etwas  zurückgezogener  Haut  am  Ulnar-  und  Ratlialrande 
der  Handwurzel  zwei  ■74 — -l.Zoli  langp  Hautschnitte  gerade  nach  abwärts 
geführt,  und  beide  an  der  I>orsalflücbe  dicr  Hand  durch  einen.  Haut  und 
Zellgewebe  .trennenden  Quei*schnitt  veibundeu.  Der  eine  Längenschnitt  wird 
zuerst  mit  der  ILiken  Hand  verrichtet,  dann  da!s  Messer  in  dae  rechte  ge- 
nommen, womit  die  Operation  bis  zu  Ende  vollzogen  wird;  Der  viereckige 
Lappen  wird  bis  zum  Gelonke  aufwärts  getrennt,  zm'ückgeschlagen ,  das 
Gelenk  geti-ennt  uhdi.dkiin-derVolarlap'pen^so  gross,  als  erforderlich  ist,  ger 
bildet.  Nax;h  den  Individueilen  Umstäudea  wählt  der  Operateur  ehie  dieser 
4  Methoden  der  Exarticulatio  manus.  Nach  der .  Operation  unterbindet  man 
Art.  radialis,  cubitalis  mid-  interossea,  befestigt  drie  Untecbindungstaden  in 
den  Wandw  iukeln  locker  durch  Heftpflaster ,  veoeinigt  sorgfältig  die  Lappen 
durcli  Pflasterstreifen^  und. legt  darüber  eui ,  paar 'Longuetteia.  mit  einer  vom 
Vorderarm  abwärts  geführten  Rollbinde,  l    -- .       ..;  :   ' 

Amputatlo  cruris,  Absetzung  des  Unterschenkels.  Die  Vor- 
richtung der  Insti^umehte  und  Verbandstü«ke:  ist , ■die  wie  bei  Annputatio  aati" 
Ibrachii,  wozu  noch  eui  zweites  Tdurniqüet\gehßrt,  welches  man  zur  Sicher- 
ibeit  wie;  bei  Amp^utatio  femoris  anlegt,,  während,  das  gewöhnliche . 3 ;  Quer- 
fiuger  tiber. dem  Knie  einwärts  dai,  Wto  idie..Art«**ie  deni  TrftejKS -diuchbohrt, 
angelegt  wird.  So  macht  e4  auch  v,  Giriifet,'  A&c:  ^as  zweite.  Tourniquet  6 
Zoll  über  der  Durchsägungsstelle  anlegt.'  Der  Kranke  wird;  auf- einen  mit 
einer  Matratze  bedfeckten!  Tisch  gelegt  1,  so.  dass  die  Schenkel  .überhängen, 
das  k^ranke  Glied  wird  im  Hüft-  und  Kniegelenk  massig  gebogen.,;  der  zu 
amputirende  Schenkel  aber  in  horizontaleji  Richtung  gelialteo  und  der  ge^ 
iunde  Fuss  auf  einen  Stuhl  ge,stützt.  Zar  Hülfe  diened  4  Gehülfen,  v«(ovoo 
ier  Eirste  gegen  die  Hüfte  der  kranken  Seite  jgestellt  wird,  um. das  Touh- 
aiquet  handzuhäbeni; .  der  Zweite  an  idaci  äuÄsera  .Seite 'des  .zai^^mputirentlen 
GUedes);  er  stellt  sich  vor  den  Ersten  ,;umfa$st  deii  Schenkel  oberhalb  der 
Ariiputationsstelle ,  spannt  und  zieht  die  Hau-t  u»d  die  dlirchschnittenen  Mi^it- 
kdn  gleichmäs:sig  und  ^tark  zurück,  ttnd<  handelt  sodann  init;.'4eic  gespalten 
neu  Compresse;  der  Dritte  muss  an  der  Innern  Seite  des  Gliedes  oder,  vor 
demselben  stehen  und  es  uitterhalb  der  Araputationsstelle  uulfassen,  und  der 
VieHe.  reicht  die  la^truiuiente  her.  Der  0{J6rateur  steiit  sich.' am  besten  aa 
dJie  rechte  Seite  des.  Gliedes,  am  rechten. Schenkel  an  der  äussern,  am  lin- 
ken an  der  innern  Seite;  bei  der  Lappeaampatatioa  stets  aaider  Innern  Seite. 
©iß  vorhandenen  Haano*  an  der  Amputäüo^isstelLe.  werden  vorher  abgeschoren. 
Bei  der;  Operation  in  der  Continuität)djefc  Knochens^' betrachten  wir 
iuerst.den  Cirkelscihnitt;  er  findet;^tattj  wenn. man  über  und  unter  der 
Wade  amputireni und  durch! Eiterung  heilen  rausi;  dagegen  nian  -den.  Lap'- 
penschnitt  vorzieht,  wenn  man  in  der ; Gegend'  der  Wade  ampdtirt  und 
durch  schnelle  Vereinigung,  heilen  darf.  Der  Cirkelg  chm übt;;  wird  wie 
tei  Ampntatio.  äatibrachii  und  brachii .vollführt ,  nur  ist,  die  LösiMig  der  Haut 
hiier  »ohwiöiigec  v  .  *nd  raüss~  besonders ;  vori'ie  an  der  Tibia  -  mit  möglicbs.ter 
Ef.spacung  des  •  Jäellstoffes.  Abpräparirt'  'und;  i «lanai  üZorückgeBchiag^n  iwer^len. 
(V.raputirt  man  gleich  unter  der  Wade,'  so;  ist  die 'Zurückschiebung  der  Haut, 
wegen  schnellen  Dickerwerdens  des  Gliedes,  noch  vifel  söhwierige^.^  •  Hier 
Icaan  man  nach  gemachtwi  Clrkelhautschrntte- die  Haut,  durch '2  auf  densel- 
ben senkrecht  einfalhinde  Langenschnittft  spalten  und  so  durch  Ab präp^rireh 
die  Hautlappen,  den  äussern  und  innern,  bildeiiv'  Die  so  aipräjiarirt^  und 
ersparte  Haut  muss  wenigstens  den.  diitben:  Theil  des  Durchmessers  des  Gli^ 
des  an  der  Stelle,  wo  die  Knochen  getrennt'. werden  sollen,  betrafen.  'Döi- 
Muskelsclmitt  wird  eben  so  wie  beim  Vorderarm  verübt  u«d-dann  das  ZvvJ* 
schenknochenmesscr  '  und  die  doppelt  ge.spaltene  Compresse  in  Anwendung 
gebracht.     Der  Lappenschnitt  wird  am  h&skeit  folgendermaasen  verrieh^ 


98  AMPUTATIO 

tet :  der  an  der  Snnern  Seite  des  Gliedes  stehende  Operateur  er^eift  nnt 
seiner  linken  Hand,  dicht  unter  der  Stelle,  wo  die  Knochen  getrennt  wer- 
den sollen,  das  Glied  so,  dass  der  Zeigefinger  «einer  linken  Hand  auf  das 
Wadenbein  da,  wo  das. .Messer  ausgestochen  wejtdeh  soll,  und  die  übrigen 
Finger  auf  die  iimere  und  hintere  Fläche  der  Wade  zu  liegen  kuniinen ,  mit 
denen  er  zugleich  die  Wade ,  wenn  es  erforderlich  ist ,  nach  aussen  ziehen 
kann.  Nun  sticht  er  an  der  Stelle ,  .  avo  die  Knochen  abgesägt  werden  sol" 
len,  das  zweischneidige  Lappeniucsser  flach  am  innern  vordem  Rande  des 
Schienbeins  durch  Haut  und  Muskeln ,  in  schiefer  Richtung  von  innen  nach 
aussen  und  hinten  ein,  und  gegen  das  Wadenbein  so  hin,  dass  es,  an  des- 
sen liinterer  Fläche  vorbeistreifend,  wieder  ausgestochen  wird.  Das  Messer 
vnrd  nun  sägeföi-inig  nach  unten  und  sodann  nach  aussen- geführt ,  und  so 
ein  Lappen  gebildet,  dessen  Länge  2  Dritthelle  des  DuEchmessers  des  Glie- 
des an  der  Stelle,  wo  die  Knochen  abgesägt  werden  sollen,  betragen  muss. 
Nun  nimmt  der  Operateur,  der  sich  an  die  äussere  Seite. des  Gliedes  stellt, 
ein  gewölbtes, Scalpell  und  trennt  die  Haut  auf  der  entgegengesetzten  Seite 
entweder  durch  einen  halbmondförmigen,  v6n  einem  W^undwhikel  zum  andern 
hinlaufenden,  oder  durch  leinen  geraden  halbkreisförmigen,  einen  halben  Zoll 
unterhalb  der  Basis  des  Lappens  geführten,  Schnitt,  und  löset  die  dadurch 
in  Ersparung  kommende  allgemeine  Decke  bis  zur  Basis  des  Lappens  los, 
worauf  dann  mit  dem  Zwischenknbchenmesser  alle  noch  haftende  Weichtheile 
bis  auf  die  Knochen  sammt  den  Zwischenknoohehbändern  und  dem  Knochen- 
häutchen gelöst  Werden  müssen.  .  •  Bei  der  Trennung  der  Knochen  muss  det 
Operateur  da^  Glied  mit  der  linken  Hand  so  umfassen,  d*ss  der  Daumen 
aufs  Schienbein ,  der  Zeigefinger,  z^vischen  beide  Knochen ,  der  Mittelfing^er 
hinter  das  Wadenbein  zu  liegen  kommen ,  und  muss  zumal  das  Wadenbeia 
mit  letztgenaiuiten  Fingern  so  halten,  das^  der  obere  Gelenktheil  desselben 
durch  das  Sägen  nicht  erschüttert  wird  Uiuit  sägt  die  Fibula  y.  Zoll  höher 
als  die  Tibia  ab;  selbst  vor  Durchsägung  der  letztern,  oder  nachträglich 
am  besten  mit  der  Knauer'schen  Bogensäge,  wo  man  die  bereits  abgesägte 
BMbula,  um. sie  noch  höher  absägen  zu  können,  zur  bessern  Fixirung  mit  ei- 
ner Zange  £asst.  Die  Exarticulatiun  im  Knie^gelenk  ist  eine  sehr 
ßeltene  Operatioii.  Sie  kann  nur  da.  stattfinden ,  wo  die  Erhaltung  des  Le- 
bens von  der  schnellen  Absetzung  des-  Unterschenkels  abJiängt ;  und  wird 
meist  durch  die  Amputation'  über  dem  Knie  entbehrlich  gemacht.  Nach  der 
Amputation  unterbindet  man ;  die  Art.  tibialis  antica,  postica  und  perohaea, 
zuweilen . auch  die  Art.  nutrit.  tibiae  und,  wo  möglich, lisolirt.  Der  Verband 
ist  wie  beim  .ViOrderarm.  Die  Cirkelbinde  muss  hier  über  djis  Knie  geführt 
und  der  .Stumpf  etwas  abhingig  , auf  ein  Polster  hoch^ gelagert  Tuid  mit  ei- 
nem Reifbogen  überstellt  werden.     '    •,■,  ;  > 

Amjmtatio  iliffilorum  manus  et  pedis ,  die  Abna'hfneder  Finger  und 
Zehen.^  Die.  Operation  in  der  Continuität  findet  weit  seltener  stivtt,  als 
diiB  in  den  Gelenken.  Am  besten  geschieht  sie  in.  .den  Mittelfussgelenkon, 
wenn'  Zehen  amputirt  werden  sollen/  Sie  ist  eben  so  leicht  und  gefahrlos 
als  die  Amputation  der  Füiger  der  Hand.  Man  gebcautlit  dazu  ein  gerades 
schmales  und  eih  convexes  Scalpell  etc.  Die  Aidegung  eines  Tournitpu-u 
ist  meist  nicht  nöthig.  Die  Exar.ticulation  s  am  rat  lieh  er  4  Fingor 
oder  Zehen  aus  den  ;  Mittelhand  -  oder  Mi  tteif  uss  -  G  elenk  en 
geschieht  nach  Ligfranc  auf.  folgende  Weise:  die  Hand  wird  in  Pronation 
gebraclit  und  Von  d^m  Gehülfen  unterstützt.  Der  Operateur  legt  den  1). 
men  der  linkejj.Hand  auf  die  Radialflüclie  des  Mittelhandfingergelenks  > 
Zeigefingers  (wenn  an  der  linken  Hand  operirt  wird)  und  seinen  Zeige fin^tr 
auf  die  IJllUirfläche  des  Mittelhauidfingergelenks  des  Goldfingers.  Nun  macht 
er  mit  de^  .rechten  Hand  mittels  des  .oonvcxen  ScedpelLs  einen  bogenformijft'n 
nac4x  den  Fhigern  hin  convexen  ScJxriitt ,  von.  der  RadiaLsoite  des  zweiten 
RJittelhaiidknochens  aus  bis  au  die  Llnarseite  des  fünften  Mittclhandknocheiis ; 
hierauf  \)iud  ein  kleiner  Dorsallappen  gebildet.  Der  Operateur  ergreift  mm 
die  Finger  und  beugt  sie  in  den  zu  trennenden  Gelenken,  durchschneidet 
die  Sehnen  des  Streckmuskels  und  die  einzelnen  Gelenke,  \vährcnd  ein  Ge- 


AMPUTATIO  97 

hülfe  die  Haut  an  der  Volarseite  zurückzieht;  hierauf  nimmt  der  Operateur 
ein  schmales  Amputationsmesser,  dringt  damit  in  sämmtliche  schon  getrennte 
Gelenke,  macht  einige  kleine  Messerzüge  bis  zur  Volarfläche  der  Phalangen, 
hält  die  Fläche  des  Messers  dicht  an  den  Knochen  und  bildet  einen  Lappen 
aus  den  Weichgebilden  am  vordem  Theile  der  Volarfläche  der  Mittelhand. 
Operirt  man  an  der  rechten  Hand,  so  befolgt  man  die  eben  angegebenen 
Regeln  in  entgegengesetzter  Richtung.  Am  Fusse  wird  die  Operation  eben 
so  wie  an  der  Hand  geübt;  doch  muss  man  hier,  um  den  Stumpf  besser 
bedecken  zu  können,  den  Gelenkkopf  des  Mittelfussknochens  der  grossen 
Zehe  durch  die  Säge  verkürzen,  was  bei  jugendlichen  Subjecten  durchs 
Knorpelmesser  geschieht. —  Die  Exarticulation  der  Phalangen  der 
Finger  und  Zehen  in  ihren  Gelenkverbindungen  unter  sich 
geschieht  a)  durch  den  Cirkelschnitt,  b)  durch  den  Lappenschnitt, 
nach  der  Methode  von  Lader,  Langenheck,  Lisfrnnc,  Walther  etc.  Rxist 
operirt  so:  er  macht  2  vom  Gelenke  ausgehende  seitliche  Schnitte,  vereinigt 
beide  auf  der  Dorsalfläche  mit  einem  halbkreisförmigen  Querschnitte  und  bil- 
det durch  Abtrennen  und  Zurückziehen  der  Haut  einen  vordem  kurzen  Lap- 
pen, trennt  hierauf  in  der  Flexion  das  Gelenk,  und  bildet  erst  nachher  ei- 
nen hintern  etwas  grössern  Volarlappen.  Ist  nun  die  Amputation  geschehen 
und  die  Blutung  gestillt,  so  vereinigt  man  die  Wunde  durch  Heftpflaster- 
streifen. 

Amputaiio  epiphjsium,  s.  Decapitatio  ossium. 

Amptiiatio  femoris,  Absetzung  des  Oberschenkels.  Die  Werk- 
zeuge und  Verbandstücke  sind  wie  bei  Amputatio  antibrachii,  doch  müssen 
die  Messer  von  grösserer  Art,  und  die  gespaltene  Compresse  nur  einfach 
gespalten,  aber  stark  und  etwa  12  Zoll  breit  seyn.  Nur  dann,  wenn  man 
am  untern  Drittel  des  Schenkels  amputirt,  kann  man  vom  Tourniquet  Ge- 
brauch machen ,  die  Pelotte  des  letztern  kommt  auf  die  Art.  cruralis  zu  lie- 
gen, da  wo  diese  aus  dem  Schenkelringe  tritt;  nachdem  eine  graduirte  Com- 
presse der  Länge  nach  auf  dieselbe  gelegt  worden  ist.  Der  Kranke  wird 
horizontal  mit  etwas  erhöhter  Rückenlage  am  Rande  eines  Bettes  oder  Ti- 
sches so  gelagert ,  dass  die  Schenkel  bis  an  die  Hinterbacken  überhängen, 
das  kranke  Glied  im  Hüft-  und  Kniegelenk  sanft  gebogen  ist,  der  gesunde 
Schenkel  aber  auf  einen  Stuhl  gestützt  oder  von  einem  überzähligen  Ge- 
hülfen gehalten  wird.  Bei  der  Exarticulation  machen  einige  Methoden  eine 
Bauch-  oder  Seitenlage  nothwendig.  Die  5  Gehülfen  werden  folgender- 
massen  angestellt:  der  Erste  steht  an  der  Hüftseite,  handhabt  das  Tourni- 
quet oder  verübt  die  Compression  des  Hauptstammes,  Mit  dem  Daumen  die 
Arterie  da,  wo  sie  unter  dem  Poupart'schen  Bande  fortgeht,  zu  comprimiren, 
dies  ist  für  den  Gehülfen  sehr  lästig,  daher  hierzu  Ehrlich's  Compressoriuiü 
vorzuziehen  ist.  Aufs  Tourniquet  allein  kann  man  sich  hier  nicht  verlassen. 
Der  Zweite ,  an  der  äussern  Seite  stehend ,  umfasst  den  Oberschenkel  ober- 
halb der  Amputationsstelle  und  besorgt  die  Zurückziehung  der  Haut  und  der 
durchschnittenen  Muskeln  mittels  der  gespaltenen  Compresse.  Der  Dritte, 
an  der  Innern  Seite  des  Gliedes  oder  vor  dem  Knie  stehend,  umfasst  das 
Glied  kurz  unterhalb  der  Amputationsstelle,  so  dass  es  cylindrisch  geformt 
wird  und  die  Haut  keine  Falten  bildet;  der  Vierte  hält  den  Unterschenkel 
und  der  Fünfte  reicht  die  Instrumente  und  Verbandstücke  zu.  Der  Opera- 
teur steht  am  bequemsten  an  der  rechten  Seite  des  abzunehmenden  Gliedes, 
beim  linken  Schenkel  also  an  der  innern  Seite,  um  im  Nothfall  mit  der  lin- 
ken Hand  die  Gefasse  selbst  comprimiren  zu  können.  Bei  der  Exarticula- 
tion ist  die  Stellung  an  der  äussern  Seite  des  Schenkels  in  den  meisten  Fäl- 
len die  beste.  Bei  der  Operation  in  der  Continuität  des  Kno- 
chens bedient  man  sich  a)  des  zweizeitigen  Cirkel-  und  Trich- 
terschnitts. Er  wird  im  Allgemeinen  wie  am  Oberarm  vollführt  (s.  Am- 
putatio brachii).  b)  Des  Lappenschnitts.  Sowol  der  einfache  als 
doppelte  werden  eben  so,  nui*  mit  einem  grössern  Lappenmesser,  wie  beim 
Oberarm  verrichtet.  Die  Lappen  müssen  behiahe  4  Zoll  messen.  Die  wegen 
Verletzung  so  vieler  Blutgefässe  missliche  Ampu^tation  im  Hüftgelenke 
Most  Encjklopädie.  2te  Aufl.  I.  J 


98  AMPÜTATIP 

ist  nur  da  hidiclrt,  wo  »ie  als  einziges  übriges  Mittel  zur  Lebenserhai« 
tung  noch  dienen  kann.  Die  verschiedenen  Methoden  sie  zu  verrichten ,  die 
»ich  nach  der  Locaiität  der  Verletzung  eignen,  sind  a)  der  Cirkelschnitt. 
Ravnton  spaltet  den  Schenkel  an  seiner  äussern  Seite  durch  einen,  vom  Tro- 
chanter  bis  zur  Mitte  des  Gliedes  geführten  senkrechten  Schnitt ,  löst  deli 
Knochen  aus  den  Muskeln  und  dem  Gelenke,  und  durchschneidet  dann  die 
Weichtheile  des  Schenkels  in  der  Mitte  des  letztern  mit  einem  Kreisschnitte. 
Scouteiten  schlägt  auch  hier  seine  Ovalärmethode  vor.  Er  macht  2  schräge 
Schnitte,  von  denen  der  eine  dicht  über  dem  grossen  Trochanter  anfängt 
und  mit  der  Plica  inguinalis  parallel  4  Quertinger  unter  derselben  nach  in- 
nen und  hinten  geführt  wird;  der  zweite  fängt  am  Endpunkte  des  ersten  an, 
und  wird  an  der  äussern  Seite  bis  zum  Trochanter  aufwärts  geführt.  Nach 
der  Auslösung  des  Knochens  werden  die  Wundränder  in  eine  senkrechte  Linie 
vereinigt,  b)  Der  einfache  Lappenschnitt.  Wähler  unterbindet  zu- 
erst  die  durch  einen  Einschnitt  entblö.-s  en  Schenkelgefässe  nahe  am  Leisten- 
bande. Dann  wird,  während  der  Kranke  auf  dem  Bauche  liegt,  2  Quer- 
finger unter  dem  Tuber  ischii  an  der  Hinterseite  des  Schenkels  die  Muscu- 
latur  quer  durchschnitten  und  in  Form  eines  Lappens  in  die  Höhe  geschla- 
gen, die  am  Trochanter  befestigten  Muskeln  werden  bis  zum  Gelenk  abge- 
trennt und  nach  der  Exarticulation  die  Muskeln  der  äussern  und  vordera 
Fläche  des  Schenkels  getrennt.  Der  hintere  Lappen  wird  zur  Deckung  der 
Wunde  nach  vorn  und  oben  gebracht.  Kern  liess  den  Oberschenkel  im 
Rechtwinkel  flectiren,  führte  dann  zwei  Hautschnitte  vom  grossen  Trochan- 
ter nach  hinten  und  vorn  schräg  abwärts ,  bis  zur  Entfernung  von  etwa  2 
Zoll  von  der  A.  cruralis ,  trennte  in  der  Richtung  des  hintern  Schnittes  die 
Muskeln  bis  auf  den  Knochen,  lösste  diesen  aus  dem  Gelenk  und  von  den 
vordem  Muskeln ,  und  durchschnitt  den  Innern  Lappen ,  nachdem  er  ihn 
samrot  der  darin  liegenden  Arterie  zusammengedrückt  hatte,  4  Zoll  unter 
den  Leistenbande.  c)  Der  doppelte  Lappenschnitt.  Larrey,  der 
schon  im  J.  1816  die  Excisio  ossis  femoris  Sraal  gemacht  hatte,  legt  zuerst 
die  A.  cruralis  durch  einen  Schnitt  in  der  Weiche  blos,  und  unterbindet 
diese  mit  der  Vene.  Er  führt  nun  ein  gerades  Messer  von  der  Wunde  aus 
durch  den  Schenkel,  zwischen  der  Basis  des  Schenkelhalses  und  den  Flech- 
sen am  kleinen  Trochanter  nach  hinten  gestochen,  und  bildet  nun,  mittels 
Durchschneidung  aller  Muskeln  der  innern  Fläche  des  Schenkels  einen  — 
jedoch  nicht  zu  grossen  —  innern  Lappen ,  der  von  einem  Gehülfen  gegen 
die  Schamtheile  gehalten  wird.  Die  blutenden  Gefasse,  als  Art.  obturatoria. 
Äste  der  Profunda  etc.,  werden  sogleich  unterbunden.  Indem  das  Gelenk 
hiedurch  nach  innen  entblösst  wird ,  bringt  man  den  Schenkel  in  starke  Ab- 
duction,  trennt  mit  einem  Bistouri  den  innern  Theil  des  Kapselbandes,  und 
dringt  mit  dem  Messer  in  die  Gelenkhöhle,  trennt  das  Ligamentum  teres, 
luxirt  den  Schenkelkopf  und  bildet  nun  durch  Herabiuhren  des  Messers  nach 
unten  und  aussen  den  äussern  Lappen.  Nach  geschehener  Blutstillung  und 
Unterbind\mg  selbst  der  kleinsten  Arterien  heftet  Larrey  die  Wunde  mit  nur 
durch  die  allgemeinen  Decken  gehenden  Nadelstichen  und  Fäden.  Die  vor- 
züglich zweckmässige  Methode,  nach  -welcher  Lnnyeulecl:  operirt  (s.  dess. 
Bibliothek,  Bd.  I.),  ist  folgende.  Er  bildet  zuerst  einen  äussern  Lappen 
(wenigstens  in  früherer  Zeit)  —  jetzt  macht  er  einen  Querschnitt  von  der 
vordem  Bräche  des  Schenkels  aus  an  der  äussern  herum  bis  gegen  den  Sitz- 
knorren hin,  der  die  Weichtheile  bis  zum  Schenkelhalse  spaltet,  hierauf 
exarticulirt  er  das  Caput  ossis  humeri,  indem  ein  Gehülfe  den  zu  entfernen- 
den Schenkel  immer  stärker  und  stärker  über  den  gesunden  Schenkel  zieht, 
durchschneidet  das  Lig.  capsulare  und  dann  das  Lig.  teres,  unterbindet  jetzt 
schon  alle  blutenden  Gefasse,  und  bildet  darauf  den  iiuiern  Lappen  durch 
eine  Kreisumschneidung  der  innern  Schenkelfläche ;  nur  bei  gänzlicher  Weg- 
nahme des  Schenkels,  am  Ende  der  Operation,  wenn  schon  alle  andern  Ge- 
lasse unterbunden  sind ,  durchschneidet  er  beim  letzten  ,  den  innern  Lappen 
bildenden  Schnitt,  während  der  Gebülfe  mit  Ehrliches  Krücke  gut  die  Stelle 
UV  der  Mitte  zwischen  Spina  anterior  superior  cristae  ossis  ilei  und  Sjmphj- 


ÄMPÜTATIO  99 

0I9  o*s.  pubSs,  und  so  die  Cruralis  gegen  das  Schambenn  pomprimirt,  di« 
Cruralis.  Der  Verband  ist,  wie  bei  Excisio  humeri.  Nach  Lisfrimc  unter- 
bindet man  zuerst  die  A.  cruralis  dicht  untrer  dem  Poupart'schen  Bande,  als- 
dann wird  ein  zweischneidiges  Messer  in  der  Gegend  der  Pfanne  einge- 
Ätossen;  ist  man  auf  den  Gelenkkopf  gekommen,  so  führt  man  es,  alle  dar- 
über liegenden  weichen  Theile  durchschneidend,  in  der  Richtung  des  Collum 
femoris  bis  zur  Basis  des  grossen  Trochanter,  stösst  es  hier  durch  sämmt- 
Jiche  Muskeln  nach  hinten  durch ,  und  bildet  den  äussern  Lappen.  Diesen 
Schnitt  setzt  man  gegen  das  Gelenk  fort,  indem  man  oberhalb  des  Collum 
femoris  zur  Pfanne  zurückkehrt,  das  Kapselband  eröffnet,  den  Gelenkkopf 
hervorzieht,  sein  Ligamentum  tei-es  durchschneidet,  über  ihn  hinweggeht, 
«nd  aus  den  Adductoren  des  Schenkels  den  innern  Lappen  bildet,  dessen 
Grösse  man  möglichst  genau  der  Gestalt  des  äussern  entsprechend  zu  ma- 
chen sucht,  d)  Der  Trichterschnitt.  Diesen  hat  nur  d.  Gräfe  in  Vor- 
schlag gebracht ,  er  ist  aber  ganz  entbehrlich.  Der  Verband  muss  bei  der 
Excisio  femoris  ganz  einfach  seyn.  Die  Wundflächen  werden  einfach  an  ein- 
ander gelegt  und  mit  Heftpflasterstreifen  befestigt,  worüber  eine  Cirkel binde, 
die  in  eine  Spica  coxae  übergeht,  gelegt  wird.  Auch  kann  hier  dann  die 
Fascia  pro  excisione  femoris  ihre  Anwendung  finden.  Die  Anwendung  der 
blutigen  Nath  zur  Vereinigung  der  Wundränder  ist  überflüssig.  Der  Kranke 
IDUSS  in  der  Rückenlage  ruhen,  und  bei  Amputatio  femoris  in  der  Continuität 
des  Knochens  der  halb  flectirte  Stumpf  mit  einem  Polster  unterstützt  und 
darüber  ein  Reifbogen  gesetzt  werden. 

Amputatio  humeri,  s.  Amputatiobrachii.        • 

Amputatio  mammae,  Exstirpatio  mammae,  Absetzung  der  Brust. 
Ist  diejenige  Operation,  vermöge  welcher  man  entweder  die  ganze  weibliche 
Brust,  oder  doch  wenigstens  einen  krankhaften  TheU  derselben  vom  Thorax 
entfernt. —  In  dicationen  geben:  Scirrhus  und  Karcinom  der  Brustdrüse; 
ferner  jede  anderweitige  Entartung  derselben,  die  einen  kachektischen  Zu- 
stand und  hektisches  Fieber  herbeiführt  und  durch  andere  Mittel  sich  nicht 
heben  lässt,  z.  B.  ausgedehnte  Fistelgänge  in  und  unter  der  Drüse.  — 
Contrain  dicationen  sind:  Entartungen  der  Brustdrüse,  die  ihren  Grund 
in  einer  allgemeinen  krebshaften  Kachexie  haben,  oder  wenn  andere  mit  der 
Brust  durch  Consensus  in  Verbindung  stehende  Organe  mit  krank  sind,  so 
der  Uterus ;  wenn  man  nicht  im  Stande  ist ,  alles  Krankhafte  zu  exstirpiren, 
z.  B.  wenn  Pleura  und  Rippen  schon  mit  ergriffen  sind ;  endlich  hohes  Alter 
und  grosse  Schwäche,  Aufschieben  muss  man  die  Operation  beim  Eintritt 
©der  während  der  Menses,  bei  Gegenwart  anderer,  aber  vorübergehender 
Krankheiten  und  bei  der  Schwangerschaft.  Bei  dieser  letztern  kann  jedoch 
in  den  ersten  Monaten ,  wenn  die  Gefahr  gross  ist ,  die  Operation  noch  vor- 
genommen werden.  —  Methoden  hat  man  3 :  die  Wegnahme  der  Brust 
mit  ihrer  Hautbedeckung  (^Amputatio  ninrnnirtc);  die  Wegnahme  der  ganzen 
Drüse  mit  Zurücklassung  der  Haut  (^Etrstirpatio  glanduJae  mammae  totalis'), 
und  die  Wegnahme  eines  Theils  derselben  (^Exstirpatio  glandulae  tnammae 
fiartialisy  ■ —  Die  Instrumente,  die  man  zu  dieser  Operation  bedarf, 
sind  folgende:  ein  gerades  und  ein  convexes  Scalpell,  eine  Pincette,  ein 
spitzer  Haken,  2  stumpfe  Haken,  eine  Hohlsonde,  eine  Hohlscheere,  Blut- 
stillungsmittel, Schwämme,  kaltes  und  warmes  Wasser,  Restaurationsmittel 
und  Verbandstücke.  Zu  diesen  letzteren  sind  erforderlich:  Heftnadeln  und 
Fäden,  Charpie ,  Heftpflasterstreifen  von  1  Fuss  Länge,  eine  grosse  vier- 
eckige Compresse,  die  viereckige  Brustbinde  und  ein  Tuch  zur  Mitella.  — 
Gehülfen  sind  4  erforderlich.  Der  Eine  steht  hinter  der  auf  einem  Stuhle 
reclinirt  sitzenden,  oder  auf  einem  Tische  mit  erhöhtem  Kopfe  liegenden 
Kranken  und  fixirt  den  obern  Theil  des  Körpers,  ein  Anderer  hält  den  Arm 
der  leidenden  Seite  in  einer  solchen  Richtung  vom  Körper  ab,  dass  jener 
mit  diesem  einen  Rechtwinkel  bildet,  um  den  Musculus  pectoralis  major 
anzuspannen;  die  beiden  andern  assistiren  dem  Operateur  und  stehen  diesem 
gegenüber,  der  an  der  rechten  Seite  der  Kranken  steht  oder  sitzt.  —  Wir 
betrachten  hier:    1)  Amputatio  mammae,    die   Wegnahme  der  Brust- 

7* 


100  AMPÜTATIP 

drüse  mit  ihrer  Hautbedecknng,  Sie  ist  dann  indicirt,  wenn  die 
Haut  ganz  oder  doch  theilweis  vom  Krebs  so  mit  ergriffen  ist ,  dass  der 
Hautrest  die  Wunde  nicht  mehr  gänzlich  zu  decken  im  Stande  ist ,  also 
doch  Eiterung  entstehen  würde.  Die  Operation  selbst  besteht  in  3  Acten- 
Erster  Act:  Hautschnitt.  Ein  Gehülfe  setzt  nahe  über  der  Stelle,  wo 
der  Operateur  den  ersten  Schnitt  beginnen  will,  einen  Finger  fest  auf  die 
Haut,  damit  diese  dem  Messerzuge  nicht  folge;  zugleich  breitet  er  seine 
andere  Hand  zur  linken  Seite  der  Brust  aus,  um  die  Haut  anzuspannen, 
während  der  Operateur  selbst  seine  linke  Hand  flacK  auf  die  Brust  legt, 
um  damit  ebenfalls  die  Haut  anzuspannen.  Nun  durchsticht  der  Operateur 
mit  dem  convexen  Scalpell  am  obern  Umfange  der  Brust  Haut  und  Zellge- 
webe und  führt  so  das  Messer  in  einem  halbkreisförmigen  Schnitte  von  oben 
nach  unten  durch  die  ganze  linke  Hälfte  der  Brust  bis  zur  Basis  derselben. 
Jetzt  wechseln  Operateur  und  Gehülfe  die  Hände ,  und  zwar  so ,  dass  der 
Operateur  seine  linke  Hand  zur  rechten  Seite  der  Brust,  der  Gehülfe  aber 
die  seine  auf  diese  selbst  legt,  um  auch  hier  die  Haut  anzuspannen.  Der 
Operateur  durchschneidet  Haut  und  Zellgewebe  hier  auf  dieselbe  Weise, 
aber  von  unten  nach .  oben.  Beide  Schnitte  müssen  nun  so  geführt  seyn, 
dass  ihre  Endpunkte  sich  vereinigen,  und  wenn  die  Haut  noch  über  die 
Brust  hinaus  krankhaft  ist,  auch  diesen  Theil  zugleich  mit  einschliessen. 
Zweiter  Act:  Lostrennung  der  Drüse.  Der  Operateur  fasst  die 
Drüse  an  ihrem  untern  Theile  mit  der  linken  Hand,  oder  mit  dem  spitzen 
Haken,  zieht  dieselbe  damit  vom  Brustmuskel  ab  und  trennt  sie  von  unten 
nach  oben  nebst  der  Hautdecke  und  sämmtlichera  Zellstoff  mit  flach  geführ- 
ten langen  Messerzügen  von  demselben  ab.  Diese  Lostrennung  muss  nun 
deshalb  von  unten  nach  oben  geschehen,  damit  die  nächsten  Messei'züge 
nicht  vom  herabfliessenden  Blute  bedeckt  werden.  Zugleich  muss  der  Ope- 
rateur die  Lostrennung  der  Drüse  mit  Vorsicht  unternehmen ,  um  nicht  die 
Insertionspunkte  des  Pectoralis  major  mit  zu  trennen.  Nur  dann,  wenn  man 
auf  eine  krankhafte  Stelle  dieses  Muskels  stösst,  muss  diese  mit  entfernt 
werden  und  man  muss  das  Krankhafte  selbst  bis  zur  Pleura  verfolgen,  wenn 
es  sich  bis  dahin  erstreckt.  Ist  eine  Rippe  mit  ergriffen,  so  schabt  man 
diese  Stelle  ab  oder  brennt  sie.  Ist  die  ganze  Drüse  entfernt ,  so  muss  der 
■Operateur  die  Wunde  sorgfältig  untersuchen,  ob  auch  noch  hier  imd  da 
krankhafte  Stellen  zurückgeblieben  sind;  findet  er  solche,  so  muss  er  sie 
mit  dem  spitzen  Haken  fassen  xmd  mit  dem  Messer  oder  der  Hohlscheero 
entfernen.  Ein  Gehülfe  tröpfelt  mittels  eines  Schwammes  fortwährend  kal- 
tes Wasser  auf  die  Wunde ,  um  dadurch  die  Blutung  in  etwas  zu  stillen, 
kleinere  Arterien  compiimirt  ein  anderer  Gehülfe  mit  den  Fingern,  um  sie 
nachher  zu  unterbinden  und  grössere  müssen  auf  der  Stelle  unterbunden  wer- 
den. Während  der  Operation  entstehen  nicht  selten  Zuckungen  und  Ohn- 
macht, und  diese  Zustände  erfordern  die  bekannten  Mittel.  Dritter  Act: 
Oft  sind  auch  die  Achseldrüsen  mit  ergriffen  und  diese  müssen  dann 
ebenfalls  entfernt  werden.  Der  Operateur  verlängert  nun  den  Schnitt ,  so 
weit  wie  die  krankhaft  ergriffenen  Drüsen  sich  erstrecken ,  und  schält  sie 
mit  der  grössten  Sorgfalt  aus,  um  nicht  grosse  Arterien  (Art.  axillaris  etc.) 
zu  verletzen.  Wenn  im  übrigen  Umfange  der  Brust  sich  noch  entartete 
Drüsen  vorfinden ,  so  müssen  dieselben  ebenfalls  blossgelegt  und  ausgeschnit- 
ten werden,  und  dies  muss  so  lange  geschehen,  bis  man  auf  einen  gänzlich 
gesunden  Grund  trifft.  Zeller,  Kern  und  Bernstein  wollen  keine  Unterbin- 
dung der  spritzenden  Gefasse,  indem  sie  die  Blutung  durch  Überlegen  eines 
feinen  Leinwandläppchens  und  darüber  in  kaltes  Wasser  getauchte  Schwämme 
zu  stillen  suchen.  Dies  Verfahren  ist  jedoch  unsicher ,  welches  der  Letztere 
auch  selbst  eingesteht.  —  2)  Exstiiyatio  glandulae  manvnae  partinlis,  die 
Wegnahme  eines  Theils  der  Brustdrüse  mit  Zurücklassung 
der  Haut.  Diese  Operation  ist  indicirt  bei  theilvveiser  Entartung  der  Brust- 
drüse mit  gesunder  Haut  und  wird  folgendcrmassen  verrichtet:  Der  Opera- 
teur spannt  die  Haut  über  der  entarteten  Stelle  und  spaltet  diese  der  Länge 
nach,    lässt  dann  durch  Gehülfen  mittels   der  stumpfen  Haken  die  Wunde 


AMPUTATIO  101 

aoäeinancler  halten,  trennt  die  Haut  zu  beiden  Seiten  Ton  der  entarte- 
ten Stelle  los  und  schält  nun  das  Entartete,  indem  er  es  mit  dem  spitzen 
Haken  hält,  aus.  Das  Messer  muss  aber  überall  im  Gesunden  geführt  wer- 
den, damit  nichts  Krankhaftes  zurückbleibt.  Manche  wollen  das  Ausschälen 
mit  stumpfen  Instrumenten  gemacht  wissen,  dieser  Rath  ist  aber  nicht  zu 
befolgen,  indem  dadurch  immer  eine  nachtheilige  Quetschung  entsteht.  Nach 
der  Ausschälung  muss  die  Wunde  sorgfältig  untersucht ,  und  wenn  sich  noch 
etwas  Krankhaftes  vorfindet,  dasselbe  entfernt  werden.  —  S)  Exstirpatio 
glnndulae  mammae  totalis,  die  Wegnahme  der  ganzen  Brustdrüse 
mit  Zurücklassung  der  Haut,  ist  indicirt:  wenn  die  ganze  Drüse  ent- 
artet ,  dabei  die  Haut  aber  ganz  oder  doch  soweit  gesund  ist ,  dass  der  Rest 
derselben  die  Wunde  noch  bedecken  kann.  Sie  besteht  in  3  Acten.  Erster 
Act:  Trennung  der  Haut.  Man  spannt  und  trennt  die  Haut  auf  die- 
selbe Weise  und  durch  ähnliche  Schnitte  wie  bei  der  Amputatio  mammae. 
Ist  dies  geschehen,  so  fasst  man  erst  den  Hautrand  der  einen  Seite,  dann 
den  der  andern  mit  der  Pincette  und  trennt  nun  die  Haut  mit  möglichst 
langen  Messerzügen  von  der  Drüse  los.  Hierbei  muss  an  der  Haut  so  viel 
Zellstoff  wie  möglich,  aber  ja  nichts  Krankhaftes  zurückgelassen  werden. 
Hat  man  die  Haut  so  weit  gelöst,  dass  man  sie  mit  den  Fingern  halten 
kann,  so  lege  man  die  Pincette  weg  und  stülpe  die  Haut  etwas  um,  damit 
man  dieselbe  bis  zur  Peripherie  der  Drüse  überall  vollständig  lösen  kaiin. 
Sind  einzelne  krankhafte  Hautstellen  zugegen,  so  müssen  diese  ausgeschnit- 
ten werden.  Eben  so  angegriffene  Achseldrüsen.  Zweiter  Act.  Die 
Ausschälung  der  Drüse  wird  ganz  so  verrichtet,  wie  bei  der  Amputa- 
tion, nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  ein  Gehülfe  die  Haut  nach  der  Peri- 
pherie hin  zurück  halten  muss.  Ist  die  Drüse  ausgeschält,  so  untersuche 
der  Operateur  die  Oberfläche  derselben  sehr  genau,  ob  sich  auch  durch- 
schnittene ligamentöse  Streifen  auf  ihr  befinden;  ist  dies  der  Fall,  so  muss 
er  deren  Fortsetzung  aus  den  Hautstellen  oder  diese  ganz  entfernen.  Drit- 
ter Act.  Wird  ganz  so  verrichtet,  wie  bei  der  Amputatio  mammae.  Ver- 
band und  Nachbehandlung.  Das  Erste,  worauf  der  Operateur  sein 
Hauptaugenmerk  zu  richten  hat,  ist  die  Blutstillung  der  blutenden  Gefässe, 
dann  reinigt  er  die  Wunde  und  deren  Umgegend  vom  Blute,  führt  die  Li- 
gaturfäden auf  dem  kürzesten  Wege  aus  der  Wunde,  befestigt  sie  hier,  ohne 
sie  zu  zerren,  und  legt  dann  den  Arm  an  die  Seite  des  Körpers.  Nun  be- 
deckt er  die  Wunde,  wenn  nämlich  amputirt  ist,  mit  Charpie,  die  mit 
lauem  Wasser  befeuchtet  ist,  legt  hierüber  eine  Compresse,  befestigt  das 
Ganze  mit  der  viereckigen  Brustbinde  und  lässt  den  Arm  in  eine  Mitella 
legen.     Ist  aber  exstirpirt,  so  vereinigt  er  die  ersparte  Haut  mit  Heft- 

fiflasterstreifen  und,  wo  die  Haut  nicht  ausreicht,  durch  einige  blutige  Hefte, 
egt  hierüber  trockne  Charpie  und  verfahrt  im  Übrigen  eben  so,  wie  nach 
der  Amputation.  Ist  der  Verband  besorgt,  so  gebe  er  der  Operirten  eine 
bequeme  Lage  im  Bette,  gebiete  strenge  Ruhe,  und  ist  die  Kranke  sehr  an- 
gegriffen, so  verordne  er  ein  Opiat.  Die  erste  Zeit  muss  ein  nicht  ganz 
Unkundiger  bei  der  Kranken  wachen  und  namentlich  auf  die  nicht  seltene 
Nachblutung  achten;  tritt  eine  solche  ein,  so  fliesst  das  Blut  nach  dem 
Rücken  und  wird  häufig  übersehen;  hier  müssen  dami  sogleich  anhaltend 
kalte  Umschläge  angewandt  werden.  Hilft  dies  nicht,  so  nehme  er  den  Ver- 
band ab  und  unterbinde  die  blutenden  Gefässe.  Tritt  Entzündung  des 
Musulus  pectoralis,  der  Pleura  oder  der  Lungen  ein,  so  muss  der  Verband 
gelöst  und  antiphlogistisch  verfahren  werden.  Will  man  bei  ersparter  Haut 
per  primam  intentionem  heilen,  so  nehme  man  die  Heftpflasterstreifen  nicht 
eher  ab ,  bis  sie  sich  von  selbst  lösen ;  geschieht  dies ,  so  ziehe  man  die 
Wundränder  durch  frische  Heftpflasterstreifen  fester  zusammen  und  lege  den 
Verband  aufs  Neue  wieder  an.  Beabsichtigt  man  aber  die  Heilung  per  se- 
cundam  intentionein,  dann  verbinde  man  bis  zur  Heilung  mit  lauem  Wasser. 
Ferner  muss  man  auch  noch  Erkältung,  Digestionsfehler  und  Gemüthsaffecte 
zu  verhüten  suchen;  denn  hierdurch  entsteht  nicht  selten  eine  schlechte  Eite- 
rung und  selbst  Trismus  {Blnsias).     Während  der  Menses  entsteht  oft  ent- 


102  4MPUTATI0 

fTeder  ein  Stillstand  h\  der  Heilung,  oder  die  Eiterung  wird  während  der- 
selben schlecht;  dies  ist  aber  keine  Ursache,  um  von  dem  einfachen  Ver- 
Ibande  abzugehen.  In  6  bis  8  Wochen,  bei  kräftiger,  leicht  verdaulicher 
-Nahrung  ist  die  Wunde  geheilt.  —  Eitersenkungen  erfordern  blutige 
Erweiterungen.  Neue  krebshafte  Aus  Wucherungen  suche  man  durch 
das  Messer,  oder  durch 'Atzmittel ,  oder  durch  das  glühende  Eisen,  oder, 
nach  Chelius,  durch  das  Hellmund'sche  Mittel  zu  bekämpfen.  Ist  die  Wunde 
auch  schon  gänzlich  vernarbt,  so  muss  sie  doch  noch  sehr  sorgfältig  gegen 
Äussere  Einflüsse  durch  das  Tragen  von  Hasen  -  oder  Kaninchenfellen  ge- 
schützt werden;  die  Kranke  muss  dabei  stets  ein  geregeltes  Leben  führen. 
Auch  ist  es  gut,  in  der  Nähe  der  Brust  (an  den  Armen)  Jahre  lang  Fon- 
tanellen zu  tragen.  G.  Neese. 

Amputatio  mantts,  s,  Amputatio  carpi. 

Amputatio  metacarpi  et  metniarsi,  Absetzung  der  Mittelhand 
tind  desMittelfusses.  Hier  ist  eben  so,  wie  bei  der  Amputation  der 
Finger ,  die  Ablösung  aus  den  Gelenken  vorzuziehen ;  doch  verdient  die  Am- 
putation in  der  Continuität  der  Mittelfussknochen  der  grossen  und  kleinen 
Zehe  vor  der  Exarticulation  dieser  Knochen  den  Vorzug;  denn  durch  letz- 
tere verliert  beim  Mittelfussknochen  der  grossen  Zehe  der  Operirte  den  Bal- 
len, der  so  wesentlich  beim  Gehen  und  Stehen  zur  Stütze  dient;  nur  da», 
wo  das  Glied  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  schadhaft  ist,  verdient  die  Ex- 
articulation vor  der  mit  geringerer  Verletzung  verbundenen  Amputation  den 
Vorzug.  Die  Amputation  sämmtlicher  Mittelhand  -  und  Mittelfussknochen  in 
ihrer  Continuität  ist  viel  schmerzhafter  und  schwieriger,  als  die  Exarticula- 
tion dieser  Glieder.  Zang  und  Langenheck  geben  aber  der  Amputation  de» 
dritten  und  vierten  Mittelhand  -  und  Mittelfussknochens  in  der  Continuität 
den  Vorzug ,  weil  bei  der  Excision  dieser  Knochen  zu  viele  Bänder  verletzt 
werden,  die  kleinen  Ossa  carpi  und  tarsi  zu  sehr  leiden  und  sehr  leichfc 
Entzündung  und  Caries  dieser  Knochen  darauf  entsteht.  Die  Erfahrungen 
RusVs,  WnltJier's ,  Hey's  u.  a.  Ärzte  sprechen  indess  dagegen,  so  dass  auch 
hier  die  Exarticulation  den  Vorzug  verdient ,  zumal  wenn  die  Kranken  nicht 
«ehr  vulnerabel  oder  dyskrasisch  shid.  Die  Instrumente  und  der  Verband- 
apparat bestehen  aus  einem  Tourniquet ,  einem  schmalen  bauchigen  und  spi- 
tzigen Scalpell,  einem  kleinen  Amputationsmesser,  einer  kleinen  Bogensäge, 
einer  6  Zoll  langen,  l'/o  Zoll  breiten,  nicht  dicken  hölzernen  Schiene  oder 
ahnlich  geformten  Bleiplatte ,  aus  Pincetten  und  Unterbindungshaken ,  au9 
einer  einfach  gespaltenen  Compresse,  aus  Plumaceaux,  Rollbinden  etc.  Der 
eine  Gehülfe  besorgt  das  Tourniquet,  ein  Zweiter  stellt  sich  an  die  äussere 
oder  innere  Seite  des  Gliedes  und  fixirt  den  Tarsus  oder  Carpus,  ein  Drit- 
ter reicht  die  Instrumente  zu.  Bei  der  Amputation  an  der  Hand  sitzt  der 
Kränke  auf  einem  Stuhl  oder  im  Bett,  man  entfernt  das  Glied  vom  Körper; 
bei  der  am  Fusse  wird  der  Kranke  auf  einen  Tisch  am  besten  so  gelegt, 
dass  das  kranke  Glied  bis  an  die  Wände  über  den  Rand  desselben  hervor- 
steht. Das  Tourniquet  wird  am  Arm  auf  die  Mitte  der  Art.  brachialis,  beim 
Fusse  nahe  oberhalb  des  Kniees  angelegt.  Bei  der  Amputation  des  Mittel- 
handknochens, des  Mittel-  und  Ringfingers,  des  zweiten  und  dritten  Mittel- 
fussknochens macht  Lani;enheclc  einen  Hautschnitt  in  Gestalt  eines  Lateini- 
schen \,  in  welchem  die  kranke  Haut  begriffen  ist,  trennt  dann  die  wei* 
eben  Theile  vom  Knochen  so  ,  dass  dieser  ganz  entblösst  im  Fleischpolster 
liegt,  nimmt  dann  eine  Messersäge  und  sägt  denselben  damit  ab.  Die  Blu- 
tung ist  unbedeutend;  die  Hautränder  werden  mit  Heftpflaster  zusammenge- 
zogen. Eben  so  verrichtet  man  die  Amputation  der  Mittelfussknochen  in  der 
Contintiität.  Dieselbe  Operation  verrichtet  Zang  folgendermassen ,  z.  B.  am 
Mittelhandknochen  des  rechten  Mittelfingers:  ein  Gehülfe  fasst  die  Hand 
oberhalb  der  Operationsstelle  und  zieht,  zumal  an  der  Rückenfläche,  die 
Haut  stark  zurück,  ein  Zweiter,  an  der  äussern  Seite  des  Gliedes  stehend, 
ergreift  mit  beiden  Händen  die  benachbarten  Finger  und  entfernt  sie  vom 
kranken  Finger.  Der  Operateur,  der  das  ganze  Glied  selbst  mit  der  rech- 
ten Hand  hält,    macht  zuerst  mit  der  linken  an   der  Ulnarseite  des  Mittel- 


AMPUTATIO  103 

handknochens  ebiei>  Längenschnitt  durch  die  Dicke  der  Hand  bis  zur  Kh^ 
sägungsstelle  des  Knochens,  einen  zweiten  an  der  Radialseite  desselben  mit 
der  rechten  Hand.  Beide  Schnitte  werden  so  geführt,  dass  sie  an  der  Vo- 
larfläche  auch  ^  förmig  in  einander  laufen,  der  innere  jedoch  an  der  Dorsal- 
«eite  um  3  bis  4  Linien  (an  der  linken  Hand  der  äussere)  kürzer  ist  als  der 
entgegengesetzte.  Hierauf  werden  beide  Schnitte  am  Rücken  der  Hand  in 
ihren  Elndpunkten  durch  einen  schiefen  Schnitt  vereinigt.  Ist  dies  gesche- 
hen ,  so  wird  die  Haut  von  Neuem  zurückgezogen ,  man  zieht  die  benach- 
barten Mittelhandknochen  vom  kranken  Knochen  noch  stärker  ab  und  trennt 
die  Weichtheile  und  Sehnen  in  der  Richtung  des  schiefen  Dorsalschnitte» 
durch  einige  halbcirkelförmig  um  den  Knochen  geführte  Schnitte.  Nun  zieht 
man  die  Weichtheile  durch  eine  gespaltene  Compresse  zurück,  führt  die  le- 
derne oder  hölzerne  Schiene  in  den  Winkel  des  länger  geführten  Längen- 
Schnittes,  und  sägt  gegen  diese  in  der  schiefen  Richtung  des  Hautschnitte» 
den  Mittelhandknochen  durch,  wobei  die  übrigen  Mittelhandtheile  zwischen 
das  Blatt  und  den  Bogen  der  Säge  zu  stehen  kommen.  Der  an  der  Dorsal- 
iläche  gebildete  kleine  Hautlappen  wird  zur  Bedeckung  des  Knochenstumpfs 
benutzt ,  und  die  getrennten  Theile  durch  quer  über  die  Hand  gelegte  Heft- 
pflasterstreifen möglichst  vereinigt.  Nachher  schlägt  man  mehrere  Tage  lang 
kaltes  Wasser  über,  um  starke  Entzündung  und  Eitersenkung  in  die  Seh- 
nenscheiden zu  verhüten.  Auf  ähnliche  Weise  wird  die  Operation  auch  am 
Fusse  vollführt.  Bei  der  Amputation  der  Mittelfussknochen  der 
grossen  und  kleinen  Zehe  in  der  Continuität  verrichtet  Zanff 
diese  Operation  mit  Lappenbildung  an  der  Sohlenfläche;  Lisfrnnc  mit  Lap- 
peiibildung  an  der  innern  Seite.  Andere  bilden  den  Lappen  an  der  Rücken- 
fläche.  Die  Exarticulation  der  4  Mittelhandknochen  mit  Er- 
haltung des  Daumens  macht  MaingauU  auf  folgende  Weise:  die  Hand 
wird  in  Supination  gebracht  und  durch  einen  Gehülfen  an  der  Handwurzel 
gehalten;  dann  sticht  er  ein  kleines  zweischneidiges  Amputationsmesser  von 
der  Ulnarseite  an  der  Gelenkverbindung  des  fünften  Mittelhandknochens  ein, 
führt  es  zwischen  der  Volarfläche  der  übrigen  Mittelhandknochen  und  den 
diese  bedeckenden  Weichtheilen  fort,  und  sticht  es  an  der  Gelenkverbin- 
dung des  zweiten  Mittelhandknochens  bei  abducirtem  Daumen  wieder  au». 
Durch  sägeförmiges  Abwärtsziehen  des  Messers  wird  nun  ein  halbmondför- 
miger und  hinreichend  grosser  Lappen  aus  den  Weichtheilen  des  Handteller» 
gebildet.  Hierauf  wird  die  Hand  in  Pronation  gebracht,  die  Haut  zurück- 
gezogen, das  Messer  am  Rücken  derselben  einen  Zoll  breit  vor  dem  Hand- 
_  gelenk  angesetzt  und  ein  schwach  gebogener  mit  der  Convexität  nach  unten 
gerichteter  Schnitt  über  die  Gelenkverbindungen  der  Mittelhand  mit  der  Hand- 
wurzel gefiihrt ,  welcher  alle  hier  gelegenen  Weichtheile  trennt  und  sich  mit 
den  Winkeln  des  ersten  Lappenschnittes  zu  beiden  Seiten  vereinigt.  Jetzt 
wird  die  Hand  wieder  supinirt,  der  Volarlappen  zurückgeschlagen  und  die 
Gelenke  von  dieser  Seite  aus  getrennt.  Die  blutenden  Arterien  werden  un- 
terbunden und  der  genau  angelegte  Lappen  mit  Heftpflaster  und  Binden  be- 
festigt. Die  Exarticulation  sämmtlicher  Mittelfussknochen 
verrichtet  Lisfrnnc  folgendermassen :  ein  Gehülfe  unterstützt  den  Fus»,  in- 
dem er  die  Daumen  beider  Hände  auf  den  Fussrücken  vor  das  Fussgelenk, 
die  übrigen  Finger  an  die  Plantarfläche  des  Hackens  legt.  Der  Operateur 
ergreift  mit  der  linken  Hand  das  zu  amputirende  Glied,  legt  Daumen  und 
Zeigefinger  auf  dessen  Dorsalfläche ,  die  übrigen  an  die  Fusssohle ,  und  sucht 
nun  mit  dem  Zeigefinger  der  rechten  Hand  nach  der  Tuberosität  des  fünf- 
ten Mittelfussknochens.  Auf  diese  legt  er  am  rechten  Fusse  den  Zeigefinger, 
am  linken  den  Daumen.  Eben  so  geht  er  an  der  innern  Seite  des  ersten 
Mittelfussknochens  aufwärts,  um  dessen  Gelenkverbindung  mit  dem  Os  cunei- 
forme  primum  aufzufinden,  und  bezeichnet  die  Lage  derselben  durch  den 
zweiten  auf  dem  Fussrücken  liegenden  Finger  seiner  linken  Hand,  indem 
er  ihn  auf  die  Hervorragung  des  ei'sten  Mittelfussknochens  legt.  Sind  diese 
Stellen  bezeichnet,  so  macht  man  auf  dem  Rücken  des  Fusses  einen  halb- 
»Hondförmigen,  nach  den  Zehen  hin  convexen  Schnitt,  ungefähr  '/,  Zoll  vor 


104  AMPUTATIO 

dem  an  der  äussern  Sehe  des  Fusses  bezeichneten  Punkte,  der  sich  vor 
dem  die  Articulation  des  ersten  Mittelfussknochens  bezeichnenden  Finger  en- 
digt. Der  Gehülfe  zieht  nun  die  Haut  am  Fussrücken  zumck,  der  Opera- 
teur drückt  den  Fuss  abwärts  und  trennt  zuerst  die  Gelenkverbindung  des 
Os  cuboideum  mit  dem  fünften  Mittelfussknochcn.  Hierauf  giebt  man  dem 
Messer  die  Richtung  einer  Linie,  welche,  von  der  äussern  Seite  dieser  Ar- 
ticulation ausgehend,  das  vordere  Ende  des  ersten  Mittelfussknochens  treffen 
würde.  Die  3  folgenden  Gelenke  werden  mit  einer  weniger  schiefen  Rich- 
tung des  Messers  durchschnitten  und  dabei  der  Fuss  nach  innen  gebogen, 
die  Gelenkverbindung  des  ersten  Mittelfussknochens  dagegen  bei  abducirtera 
Fusse  vom  innern  Rande  des  Fusses  aus  geöffnet,  wobei  man  von  unten 
nach  oben,  von  hinten  nach  vorwärts,  und  in  der  Richtung  einer  Linie  sc-iinei- 
det,  welche,  vom  innern  Rande  dieses  Gelenkes  a\isgehend,  den  mittlem 
Theil  des  fünften  Mittelfussknochens  treffen  würde.  Hierauf  senkt  man  die 
Spitze  des  Mes.sers  mit  nach  den  Zehen  hin  gerichtetem  Rücken  desselben, 
zwischen  den  Vorsprung  des  Os  cuneiforme  primum  und  des  Os  metatarsi 
secimdum,  und  treruit,  die  Spitze  des  Messers  aufwärts  drückend,  die  hier 
noch  vorhandene  Verbindung.  Nachdem  nun  der  Fuss  mit  Kraft  abwärts 
gedrückt  worden ,  werden  mit  der  Spitze  des  Messers  die  ligamentösen  Ver- 
bindungen der  Mittel fussknochen  an  ihren  Plantarflächen  getrennt,  darauf 
das  Messer  mit  voller  Schneide  zwischen  die  Mittelfussknochcn  und  die  die 
Sohle  bildenden  Weichtheile  geschoben  und  durch  sägeförmige  Züge,  wobei 
die  Fläche  des  Messers  die  Knochen  mcht  verlassen  darf,  ein  Lappen  ge- 
bildet, der  an  der  innern  Seite  2  Zoll,  an  der  äussern  V/2  Zoll  lang  ist. 
Die  Exarticulation  des  Mittelhandknochens  des  Daumens 
verrichtet  Langenheck  am  linken  Gliede  so,  dass  er  den  Daumen  der  zwi- 
schen Pro  -  und  Supination  befindlichen  Hand  des  Kranken  mit  seiner  linken 
Hand  am  Mittelhandfingergelenke  ergreift,  ihn  abwärts  beugt,  dann  mit  dem 
Zeigefinger  der  rechten  Hand  an  der  Dorsalfläche  des  auszulösenden  Kno- 
chens aufwärts  geht,  bis  er  eine  kleine  Hervorragung  fühlt,  hinter  welcher 
eine  kleine  Vertiefung  (die  Stelle  des  Gelenks)  sich  befindet,  diese  markirt 
er  mit  dem  rechten  Zeigefinger  und  fixirt  das  Glied  selbst  mit  dem  Ring- 
und  Goldfinger  derselben  Hand.  Alsdann  vollführt  er ,  zuerst  mit  der  lin- 
ken Hand  die  Spitze  des  Messers  ansetzend,  einen  schief  von  der  Articula- 
tionsstelle  über  die  Radialseite  bis  in  die  Hautfurche,  welche  die  vordere 
Fläche  des  Ballens  des  Daumens  von  der  gleichnamigen  seiner  ersten  Pha- 
lanx scheidet,  verlaufenden  Schnitt,  der  bis  über  die  Mitte  der  genannten 
Fläche  reicht.  Dann  fasst  man  den  Daumen  mit  der  linken,  das  Messer  mit 
der  rechten  Hand,  abducirt  ersteren,  setzt  das  Messer  in  den  ersten  Ein- 
stichspunkt wieder  ein  und  vollführt  an  der  Ulnarseite  des  Gliedes  einen 
ähnlichen  zweiten  Schnitt,  welcher  durch  die  Mitte  der  Commissur  des  Dau- 
mens und  Zeigefingers  geht  und  sich  mit  dem  erstem  an  der  Volarfläche  in 
der  genannten  Furche  vereinigt.  Nachdem  diese  ovale  Incision  der  Haut 
gemacht  worden,  zieht  der  Gehülfe  die  letztere  von  allen  Seiten  zurück, 
und  der  Operateur  trennt  die  Muskeln  vom  Knochen,  was  an  beiden  Seiten 
in  der  ganzen  Länge  des  Os  metacarpi  an  der  Volarfläche  nur  bis  zur  Mitte 
geschehen  muss.  Hierauf  wird  das  Glied  von  Neuem  gebeugt,  die  Streck- 
sehnen am  Gelenk  durchschnitten,  letzteres  mit  der  Spitze  des  Messers  ge- 
öffnet, vollständig  getrennt  und  der  Gelenkkopf  luxirt,  indem  man  den  Zei- 
gefinger vmter  das  Os  metacarpi  bringt  und  mit  dem  Daumen  auf  sein  un- 
teres Ende  drückt.  Jetzt  ist  nun  noch  übrig,  die  an  der  Volarfläche  hän- 
genden Muskelfasern  vollends  zu  trennen.  Nach  der  Unterbindung  der  Ar- 
terien wird  die  ovale  Wunde  durch  Heftpflasterstreifen  zu  einer  Längen- 
spalte vereinigt.  Am  rechten  Gliede  macht  man  mit  der  linken  Hand  den 
ersten  Schnitt  an  der  Ulnarseite  des  Knochens.  Da,  wo  die  Weichgebilde 
sich  zur  Lappenbildung  nicht  eignen,  passt  Bcdard's  Methode:  man  bringt 
den  Daumen  in  Abduction ,  trennt  dann  die  Weichtheile  zwischen  den  Mit- 
telhandknochen des  Daumens  und  Zeigefingers  zuerst  durch  einen  halbmond- 
förmigen Schnitt  an  der  Dorsalseite,  welcher  vom  Gelenk  aus  beginnt,  dann 


AMPÜTATIO  '       105 

durch  einen  ähnlichen  Schnitt  an  der  Volarseite,  welcher  zu  beiden  Seiten 
in  den  erstem  übergeht.  Nun  wird  das  Gelenk  von  der  Dorsalseite  geöff- 
net, getrennt,  der  Knochen  durch  Beugung  luxirt  und  aus  den  Muskeln 
geschält.  So  werden  keine  Lappen,  sondern  eine  elliptische  Wundfläche  ge- 
bildet, die  sich  indess  zu  einer  Längenspalte  vereinigen  lässt.  Die  Exar- 
ticulation  des  Mittelhandknochens  des  Zeigefingers  verrichtet 
Walther  eben  so,  wie  die  des  Mittelhandknochens  des  Daumens;  da  aber 
die  Exarticulation  hier  viel  schwieriger  ist,  so  stosst  Scoutctten  die  Spitze 
des  Messers  an  der  Radialseite  des  Gelenks  in  einer  Richtung  ein,  als  wolle 
man  nach  dem  Proc.  styloideus  der  Ulna  hin  schneiden.  Hierauf  öffnet  er 
von  der  Dorsalseite  durch  einen  Querschnitt  das  Gelenk,  stösst  dann  die 
Spitze  des  Messers  zwischen  die  Gelenkköpfe  des  2ten  und  Sten  Os  meta- 
carpi,  und  hebt  das  Instrument  im  rechten  Winkel  zur  Trennung  der  hier 
die  Knochen  verbindenden  Bänder  in  die  Höhe.  Die  Exarticulation 
des  Mittelhandknochens  des  Mittel-  oder  Ringfingers,  welche 
viel  schwieriger  als  die  des  Zeige  -  und  Kleinfingers  ist ,  wird  nach  Rust  auf 
folgende  Weise  verrichtet:  Man  macht  auf  beiden  Seiten  des  Knochens  einen 
Längenschnitt  durch  die  ganze  Dicke  der  Hand  bis  zum  Gelenk ,  wobei  ein 
Gehülfe  die  benachbarten  Finger  abducirt  und  die  Haut  anspannen  musa. 
Das  Messer  selbst  muss  mit  seiner  Fläche  stets  dicht  an  der  Fläche  des  zu 
exstirpirenden  Knochens  geführt  werden.  Beide  Längenchnitte  werden ,  so- 
wol  an  der  Dorsal  -  als  Volarfläche,  einige  Linien  vor  der  Gelenkverbin- 
dung durch  einen  ^förmigen  Schnitt  vereinigt,  die  Finger  sodann  seitwärts 
«0  stark  angezogen,  dass  man  zur  Trennung  des  Gelenks  selbst  Raum  ge- 
winnt. Ist  letzteres  geschehen,  so  begünstigt  man  die  Exarticulation  durch 
kräftiges  Ab  -  und  Seitwärtsdrücken  des  zu  exarticulirenden  Knochens.  Die 
Blutimg  stillt  man  durch  kaltes  Wasser,  im  Nothfall  durch  die  Unterbin- 
dung, und  die  getrennte  Mittelhand  wird  durch  quer  rings  um  die  Hand 
gelegte  Heftpflasterstreifen  vereinigt.  In  den  ersten  Tagen  sind  kalte  Um- 
Bchläge,  öftere  Anwendung  von  Blutegeln,  strenge  Ruhe  und  später  Ein- 
reibung von  Mercurialsalbe  nothwendig,  um  die  Entzündung  und  Eiterung 
in  den  Sehnenscheiden  am  sichersten  zu  verhüten. 

Amputatio  pedis ,  Abnahme  des  Fusses.  Die  Ablösung  des  ganzen 
Kusses  im  Gelenke ,  von  Brasdor  empfohlen ,  ist  eine  durchaus  zu  verwer- 
fende Operation;  denn  sie  ist  nicht  allein  sehr  schwierig,  sondern  leistet 
dem  Kranken  auch  keinen  Nutzen ,  da  die  zu  beiden  Seiten  der  Gelenk- 
fläche hervortretenden  Knöchel  durch  den  Druck  auf  die  Narbe  jeden  Ge- 
brauch des  Gliedes  unmöglich  machen.  Ist  es  nothwendig,  den  ganzen  Fuss 
zu  entfernen,  so  ist  er  stets  am  Unterschenkel  zu  amputiren  (s.  Amputa- 
tio cruris).  Nur  einzelne  Theile  am  Fusse  können  mit  Erfolg  und  Nu- 
tzen amputirt  werden  (s.  Amputatio  metatarsi,  tarsi,  und  Amput. 
digitorum). 

Amputatio  pcnis ,  die  kunstgemässe  Abnahme  des  männlichen 
Gliedes  durchs  Messer  oder  durch  die  Ligatur.  Sie  ist  eine 
wichtige  chirurgische  Operation,  um  einen  krankhafüi  entarteten  Theil  der 
Ruthe  vom  Körper  zu  entfernen  (z.  B.  Krebs).  Nimmt  der  Cancer  penis 
nur  die  Vorhaut  ein ,  so  bedarf  es  nur  der  Operation  der  Phimose.  Hat  die 
Krankheit  aber  sich  schon  über  die  Eichel  und  weiterhin  verbreitet,  so  ist 
die  Ablösung  des  Gliedes  das  einzige  Rettungsmittel ,  und  sie  hat  sich  hier 
im  Ganzen  viel  heilsamer  gezeigt,  als  die  Ausrottmig  des  Krebses  an  andern 
Theilen.  Contraindicirt  ist  die  Operation:  wenn  sich  schon  an  der  Haut 
der  Schamgegend  und  Inguinaldrüsen  scirrhöse  Verhärtungen  zeigen,  ein 
grosser  Theil  des  Gliedes  zerstört ,  allgemeine  Dyskrasie  und  Zehrfieber  zu- 
gegen ist  und  schon  secundäre  Scirrhen  sich  gebildet  haben.  Syphilitische 
und  scrophulöse  Geschwüre  des  Penis,  die  ein  karcinomatöses  Äussere  ange- 
nommen, muss  man,  nach  Zanff,  nicht  operiren,  sondern  durch  zweckmässige 
innere  und  äussere  Mittel  beseitigen.  Bei  Aneurysma,  Vulnus  und  Gangraena 
penis  hat  man,  sobald  die  vorhandene  Blutung  durch  andere  Mittel  nicht 
gesjillt  werden  kann,    auch-  die   Operation  vorgenommen;   im  erstem  Falle 


106  ÄMPÜTATIO 

icann  man  znweilea  abe»  noch  die  Art.  dorsalia  penfs  allein  nntcrbhiden. 
Bei  Quervvunden  ist  die  Amputation  gleichfalls  selten  nöthig,  da  man  die 
halb  durchschnittenen  Arterien  völlig  trennen  und  unterbinden  kann.  Beim 
Brande  des  männlichen  Gliedes  können  in  der  Regel  die  gefährlichen  Blutun- 
gen durch  das  Glüheisen  dauernd  und  sichernd  gestillt  werden.  Beide  Me- 
thoden, sowol  die  mit  dem  Messer  als  die  mittels  der  Ligatur,  haben  ihre 
VortheUe  und  Nachtheile,  Die  Ligatur  ist  nur  im  ersten  Moment  sehr 
Bchmerzhaft,  sichert  vollständig  gegen  Blutung,  ist  daher  bei  alten,  schwa- 
chen, blutarmen  Personen  nützlich;  sie  lässt  nur  eine  kleine  eiternde  Wunde 
zurück,  die  bald  heilt,  hat  aber  den  Nachtheil,  dass  sie  durch  Brand  die 
Ablösung  bewirkt,  der  sich  zuweilen  weiter  verbreitet,  als  er  soll;  auch  ist 
der  üble  Geruch ,  sowol  für  den  Kranken  als  für  die  Umgebung ,  unange- 
nehm. Die  Amputation  dagegen  giebt  eine  reine  Wunde,  die  aber  wegen 
des  immer  benetzenden  Urins  schwer  heilt;  auch  stellen  sich,  selbst  nach 
Tollständiger  Unterbindung  der  Gefässstämme ,  dabei  leicht  parenchymatöse, 
oft  schwer  zu  stillende  Nachblutungen  ein,  die  in  mehreren  Fällen  den  Tod 
herbeiführten.  Doch  hat  sie  den  Vortheil,  dass  sie  weniger  schmerzhaft  ist 
und  das  kranke  Glied  rasch  entfernt.  Auch  ist  die  Blutstillung  oft  schwie- 
rig, wenn  das  Glied  in  der  Nähe  des  Schoossbogens  amputirt  wird,  wo 
sich  der  Stumpf  oft  stark  zurückzieht,  weshalb  hier  nach  den  Methoden  von 
ßust  und  Schretjer  operirt  werden  muss.  Bei  beiden  Arten  zu  operiren  bleibt 
es  Hauptregel :  alles  Entartete  wegzunehmen ,  doch  schone  man  auch  wie- 
der so  viel  als  möglich  vom  Gliede ,  um  die  Urinexcretion  nicht  zu  sehr  zu 
behindern  und  vielleicht  selbst  die  Fähigkeit  zum  Beischlaf  noch  zu  erhalten. 
Nach  Rust  hat  die  Amputation  im  Allgemeinen  einen  weit  glücklichern  Er- 
folg gehabt,  als  die  Unterbmdung,  welche  plötzlich  alle  Excretionen  unter- 
drückt und  daher  leicht  ein  ähnliches  Vicärleiden  in  den  Leistendrüsen  her- 
vorruft. —  I.  Ablösung  des  Penis  durch  die  Unterbindung.  Sie 
■wird  nach  v.  Gräfe  folgendermassen  gemacht:  Man  bringt  einen  silbernen 
Katheter  in  die  Blase,  legt  eine  hinreichend  starke  seidene  Schnur  über 
dem  erkrankten  Theil  im  Gesunden  an  ,  zieht  diese  durch  das  verbesserte 
Gräfe'sche  Ligaturwerkzeug ,  und  befestigt  sie  so  daran ,  dass  die  Schlinge 
das  Glied  schon  vor  der  Zusammenschnürung  eng  umschliesst.  Hierauf 
schraubt  der  Operateur  das  Instrument  so  stark  zu,  dass  der  unter  der 
Ligatur  gelegene  Theil  jede  Empfindung  verliert;  alsdann  wird  das  Unter- 
bindungswerkzeug mit  Heftpflastern  befestigt  und  der  krebshafte  Theil  mit 
trockner  Charpie  und  Compressen  bedeckt.  Klagt  später  der  Kranke  über 
erneuerte  Schmerzen,  so  wird  die  Ligatur  wieder  fest  angezogen.  Schon 
am  4ten,  5ten  Tage  ist  der  unterbundene  abgestorbene  Theil  bereits  durch 
Eiterung  abgestossen.  Strenge  Ruhe  im  Bette,  antiphlogistische  Behandlung 
und,  zur  Bekämpfung  des  üblen  Geruchs,  Umschläge  von  Acidum  pyroligno- 
snm,  oder  Entfernung  eines  Theils  des  Abgestorbenen  mittels  der  Scheere 
schon  am  2ten  Tage ,  sind  hier  zu  berücksichtigen.  Die  zurückbleibende 
Eiterfläche  ist  klein  und  heilt  bei  einfacher  Behandlung  meist  in  14  Tagen. 
Die  Öffnung  des  Katheters  muss  mit  einem  Pfropfen  verschlossen  werden. 
Auch  kann  man  statt  des  Katheters,  sollte  er  Reiz  in  der  Blase  erregen, 
eine  kurze  starke  silberne,  mit  2  Ringen  am  dicken  Ende  versehene  Röhre 
einlegen  und  diese  dann  nach  Riccio^s  Weise  befestigen,  wo  dann  aber  das 
Entfernen  des  Brandigen  mit  der  Scheere  unterbleiben  muss.  U.  Ablösung 
des  Penis  durch  das  Messer.  Instrumente  dazu  sind:  ein  kleines  Am- 
putationsmesser, ein  gerades  und  gewölbtes  Bistouri,  Ligaturen,  Pincetten 
und  Haken,  eine  passende  silberne  Röhre  mit  2  Ringen  (nach  BeW),  oder 
dn  Stück  eines  elastischen  Katheters,  dessen  eines  Ende  konisch  zuläuft. 
Waschschwämme,  kaltes  Wasser;  Pulvis  stypticus  etc.  Zum  Verbände  die- 
nen Charpie ,  Heftpflasterstreifen ,  eine  malteserkreuzförmige ,  in  der  Mitte 
durchlöcherte  Compresse,  eine  schmale  Rollbinde  und  die  T-Binde.  Noth- 
Tvendig  sind  3  Gehülfen:  der  Eine  hält  das  Glied  fest,  der  Andere  reicht 
die  Instrumente  hin  und  hilft  bei  der  Unterbindung  der  Gerässe,  und  der 
Dritte  «orgt  für  i&A  ruhige  Verhalten  dea  Kranken.    Letzterer  legt  sich  an 


8!ö  Knke  Seite  des  Bettes  oder  Operationstischeg  hoinfeontal  hin  und  entfernt 
die  Schenkel  von  einander.  Blase  und  Mastdarm  werden  vor  der  Operatioa 
entleert  und  die  Haare  am  Schambogen  abgeschoren.  Ein  Tourniquet  vor 
der  Operation  anzulegen,  ist  überflüssig,  da  man  in  allen  Fällen,  wo  maa 
in  einiger  Entfernung  vom  Schambogen  amputirt,  dui'ch  einen  Gehülfen  den 
Penis  comprimiren  lassen  kann ;  in  den  Fällen  aber ,  wo  man  das  Glied  ait 
flein^r  Wurzel  ablöst,  ein  Druck  mittels  einer  Rollbinde  oder  Pelotte  gegea 
den  Schambogen  völlig  hinreicht.  Bei  der  Operation  unterscheiden  wir,  nach 
der  Localität:  1)  Abnahme  des  Penis  am  vordem  und  mittlem 
Theil.  Der  Operateur  stellt  sich  an  die  linke  Seite  des  Kranken,  ergreift 
mit  der  linken  Hand  den  vorher  mit  Leinwand  umwickelten  kranken  Theil 
des  Gliedes,  während  der  Gehülfe  mit  Daumen  und  Zeigefinger  den  Penis 
hinter  der  erkrankten  Stelle  fixirt  und  bis  nach  der  Unterbindung  der  Ge- 
fässe,  deren  6  sind,  comprimirt.  Hierauf  zieht  der  Operateur  das  Glied 
etwas  an  und  trennt  dasselbe  durch  einen  einzigen  Messerzug  von  oben  nacti 
unten  ab ,  worauf  dann  die  Gefasse  unterbunden  werden.  Ist  die  Blutung 
aus  den  schwammigen  Körpern  durch  kaltes  Wasser,  im  Nothfall  durch 
Styptica,  gestillt,  so  legt  man  die  silberne  Röhre  oder  das  Stück  eines  ela- 
stischen Katheters  in  die  Schnittöffnung  der  Harnröhre ,  ordnet  die  Ligatur- 
faden gehörig  an  und  vereinigt  die  Wundränder  durch  Heftpflaster  von  einer 
Seite  zur  andern.  Auf  die  Wundspalte  legt  man  ein  Phimaceau,  dünn  mit 
Gerat  bestrichen,  darüber  die  malteserkreuzförmige  Compresse,  und  befe- 
stigt diese  mit  der  schnialen  Rollbinde.  Das  eingelegte  Röhrchen  wird  durch 
ein  schmales,  durch  seine  Ringe  gezogenes  Bändchen  mittels  eines  Heftpfla- 
sterstreifens am  Gliede  selbst  befestigt.  Kann  die  Blutung  auf  gewöhnliche 
Weise  nicht  gestillt  werden,  so  muss  man  das  Glüheisen  anwenden.  Ziehen 
sich  die  Gefasse  gleich  nach  der  Durchschneidving  so  stark  zurück,  dass  sie 
nicht  unterbunden  werden  können,  so  legt  man  zur  Verhütung  einer  Nach- 
blutung einen  comprimirenden  Verband  an  und  macht  Umschläge  von  kaltem 
Wasser.  2)  Amputation  des  Penis  in  der  Nähe  des  Schoossbo- 
gens.  Hier  ist  die  Operation  schwieriger,  als  an  irgend  einer  andern  Stelle, 
weil  man  hier  die  blutenden  Gefasse  nicht  so  leicht  unterbinden  kann  und 
die  Corpora  cavernosa  nach  der  Durchschneidung  sich  gleich  stark  zurück- 
ziehen ,  dagegen  die  Haut  des  Penis  stark  hervortritt ,  wodurch  eben  so 
sehr  als  durch  das  im  Zellgewebe  sich  ansammelnde  und  coagulirende  Blut 
es  schwer  wird ,  die  Mündung  der  Harnröhre  zur  Einführung  des  Röhrchens 
und  die  blutenden  Gefasse  aufzufinden.  Um  diese  Schwierigkeiten  zu  besei- 
tigen empfiehlt  Rust  folgende  Operationsmethode:  Der  Kranke  muss  vor  dem 
Fussende  eines  Bettes  oder  nicht  zu  hohen  Tisches  stehen  und  die  Schenkel 
ausspreizen.  Ein  zur  Seite  des  Kranken  knieender  Gehülfe  zieht  von  hinten 
her,  zwischen  die  Schenkel  des  Kranken  mit  seiner  Hand  den  Hodensack 
zurück  und  sucht  den  Penis  ,  wenn  er  nicht  dicht  an  seiner  Wurzel  abge- 
schnitten werden  soll ,  mit  Daumen  und  Zeigefinger  zu  fassen  und  so  stark 
als  möglich  zusammen  und  an  den  Schambogen  anzudrücken.  Der  vor  dem 
Kranken  stehende  Operateur  ergreift  das  Glied  nun  mit  der  linken  Hand 
und  zieht  die  Haut  desselben  so  stark  als  möglich  nach  sich  an ,  setzt  das 
Amputationsmesser  nahe  an  seinem  Hefte  unterhalb  des  Gliedes,  die  Schneide 
nach  aufwärts  gerichtet  an  der  Stelle  an,  wo  das  Glied  abgesetzt  werden 
muss,  und  schneidet  dasselbe  durch  einen  einzigen,  aber  kräftigen,  von  un- 
ten nach  oben  geführten  Messerzug  ab.  In  dem  Augenblicke,  wo  dies  ge^ 
schehen ,  muss  der  Kranke ,  seine  Füsse  am  Boden  fixirt  haltend ,  mit  dem 
Obertheil  des  Körpers  in  eine  mehr  liegende  Stellung  gebracht  werden,  tO 
dass  der  Schambogen  der  höchste  Punkt  wird,  worauf  dann  der  sich  so- 
gleich stark  zurückziehende  Stumpf  des  Gliedes  durch  die  Hautwunde,  die 
zugleich  von  dem  Gehülfen  sammt  dem  Scrotum  zurückgezogen  erhalten 
wird,  wieder  hervortritt  und  die  spritzenden  Blutgefässe  mit  Leichtigkeit 
unterbunden  werden  können.  Hierauf  wird  sogleich  eine  Röhre  in  die  Harn-» 
röhre  eingeführt  und  der  oben  angegebene  Verband  angelegt,  and  dieser 
durch  die  T-Binde  unterstützt,   woran  auch  da«  Röhrchen  durch  tiA  Paar 


108  AMPÜTATIO 

Bändchen  befestigt  wtri  Auf  diese  Rust'sche  Manier  operiren  auch  mehrere 
fianzösische  Chirurgen ;  da  sie  aber  die  Auffindung  der  Harnröhre  nach  Ab- 
schneidung des  Penis  fürchten ,  so  legen  sie  noch  vorher  einen  elastischen 
Katheter  ein  und  schneiden  dann  den  Penis  sammt  dem  Katheter  durch,  des- 
sen eines  Ende  sie  dann  mit  der  Pincette  etwas  hervorziehen  und  befestigen. 
So  führt  auch  Ruggieri  in  Italien  vorher  einen  silbernen  Katheter,  der  an 
dem  Ende,  welches  in  die  Blase  kommt,  von  Gummi  elasticum  ist,  ein 
und  schneidet  den  gegen  den  metallenen  Theil  des  Instruments  von  dem 
Gehülfen  fest  angedrückten  Penis  kreisförmig  um  den  Katheter  ab.  Schre- 
ger^s  und  Lmigenheck' s  Methoden  sind  folgende:  Nach  Ersterm  drückt  ein 
Gehülfe  vom  Damme  aus  den  Bulbus  urethrae  vorwärts  gegen  den  »Schooss- 
beinwinkel.  Der  Operateur  durchschneidet  am  Rücken  des  Gliedes  die  Haut 
quer,  und  unterbindet  dann  die  hiedurch  zerschnittenen  Arteriae  dorsales, 
dann  trennt  man  in  derselben  Richtung  die  Corpora  cavernosa  und  unter- 
bindet deren  Arterien,  dann  wird  auf  dieselbe  Weise  die  Harnröhre  zur 
Hälfte  getrennt  und  nach  Unterbindung  der  Pulsadern  das  Übrige  vollends 
durchschnitten.  So  wird  zwar  das  Zurückziehen  der  schwammigen  Körper, 
so  wie  eine  bedeutende  Blutung  verhindert,  jedoch  die  schmerzhafte  Opera- 
tion verlängert.  Besser  wäre  es ,  nach  Unterbindung  der  Arterien  der  Harn- 
röhre sogleich  einen  Katheter  einzufuhren ,  dessen  Einführung  später  Schwie- 
rigkeiten macht ,  da  die  Blutung  das  Einführen  desselben  sehr  erschwert. 
Langenheck  durchschneidet  die  Corpora  cavernosa  durch  den  Rücken  des 
Penis  so  tief,  dass  der  weisse  Rand  und  das  Septum  sichtbar  werden,  zieht 
dann  durch  diese  eine  Schlinge,  und  dadurch  nach  vollendetem  Schnitt  den 
Stumpf  aus  der  Hautwunde  hervor  und  unterbindet  die  Gelasse.  Nach  der 
Erfahrung  geht,  selbst  bei  der  sorgfältigsten  Vereinigung,  nie  durch  eine 
primäre  Verwachsung  der  Haut  mit  den  schwammigen  Körpern ,  sondern  nur 
durch  Eiterung  die  Heilung  vor  sich.  Daher  muss  der  erste  Verband  bis 
zum  Eintritt  der  letztern  liegen  bleiben,  der  Kranke  sich  so  lange  in  hori- 
zontaler Lage  verhalten  und ,  um  Nachblutungen  zu  verhüten ,  streng  anti- 
phlogistisch behandelt  werden.  Dienlich  sind:  kühlende,  schleimige  Getränke, 
um  die  Schärfe  des  Urins  zu  mildern,  der  fast  immer  neben  dem  Katheter 
vordringt  und  die  Wunde  benetzt.  Katheter  oder  Kanäle  müssen  bis  zur 
vollkommnen  Vernarbung  liegen  bleiben.  Die  anfangs  stets  übelartig  rie- 
chende Eiterung  wird  ihrem  Charakter  gemäss  behandelt.  Bei  alten  Perso- 
nen muss  man  bald  zur  reizenden  und  stärkenden  Methode  übergehen.  Sind 
alle  Gefässe  richtig  unterbunden,  so  stillt  man  die  Nachblutungen  durch 
Druck  und  Tamponade.  Verengert  sich  die  Harnröhre  nach  Entfernung  der 
Kanäle  zu  sehr,  so  bringt  man  später  Bougies  ein.  Ist  der  Stumpf  sehr 
kurz,  so  bedient  sich  der  Kranke  einer  blechernen  Röhre,  um  das  Harnen 
ohne  Benetzung  der  Kleider  vollführen  zu  können.  Dem  Trübsinn ,  welcher 
sich  immer ,  selbst  bei  nicht  mehr  Zeugungsfähigen ,  nach  dieser  Operation 
einfindet,   begegnet  man  durch  angemessene  psychische  Mittel. 

Ampuialio  tarsi  (pedis},  Absetzung  der  Fusswurzel  (des  Fusses). 
Die  Gelenkverbindung  zwischen  Astragalus  und  Calcaneus  und  zwischen  Ös 
na^äculare  und  cuboideum  ist  die  geeignetste  Stelle  zur  Auslösung  des  Fusses. 
Sie  kann  sicher  und  schnell  ausgeführt  werden,  und  gewährt  den  grossen 
Vortheil,  dass  sie  dem  Kranken  den  zur  Fortbewegung  wcsentlichsteu  Theil 
des  Fusses,  das  ganze  Fersenstück,  in  einer  vollkommen  beweglichen 
Verbindung  mit  dem  Unterschenkel  erhält  und  somit  Krücke,  Stelzfuss  und 
künstliches  Glied,  ja  mit  der  Zeit  selbst  die  Hülfe  des  Stocks  beim  Gehen 
entbehrlich  macht.  Bei  allen  Zerschmetterungen  oder  cariösen  Zerstörungen, 
welche  die  Fusswurzelknochen  der  hintern  Reihe  noch  nicht  ergriffen  haben, 
selbst  bei  cariöser  Zerstörung  der  Ossa  metatarsi,  verdient  diese  Exarticu- 
lation  den  Vorzug  vor  jeder  andern  Ablösung  des  Fusses.  Vor  der  Opera- 
tion muss  sich  der  Operateur  von  dem  Lageverhältniss  der  einzelnen  Theile 
des  Fusses,  zumal  in  Bezug  auf  die  zu  trennende  Gelenkverbindung,  beson- 
ders bei  Klumpfüssen,  genau  orientiren.  Wichtig  ist  der  genaue  Hinblick 
auf  den  Vorsprung,    der  am  Innern  Rande  de«  Fusses  etwas  tiefer  als  der 


AMPUTATID  109 

innere  Knöchel  und  meist  eineii  kleinen  Fingfe^  breit  vor  demselben  das 
Tuber  ossis  navicularis  bildet;  onndttelbar  hinter  diesem  Vorsprunge  be- 
ginnt der  innerste  Theil  der  zu  lösenden  Gelenkverbindung.  Am  äussero 
Kande  des  Fusses  fasst  man  einen  andern  Voxsprung,  nämlich  das  mehr 
vorwärts  gelegenene  Tuberculum  am  hintern  Ende  des  Os  metatarsi  digiti 
quinti  ins  Auge ;  zwischen  ihm  und  dem  äussern  Ende  jener  Gelenkverbin- 
dung ist  hier  nun  zwar  noch  das  Os  cuboideum  befindlich;  allein  das  ge- 
nannte Tuberculum  springt  nach  der  Planta  zu  so  bedeutend  nach  hinten 
zurück,  dass  seine  Gelenkverbindung  selbst  nur.  einen  kleinen  Finger  breit 
dahinter  befindlich  ist.  Eine  Linie  also ,  welche  am  Innern  Fussrande,  dicht 
hinter  dem  fühlbaren  Tuber  ossis  navicularis  beginnt,  über  den  Fussrücken 
nach  aussen  und  ein  wenig  vorwärts  läuft,  und  einen  kleinen  Finger  breit 
hinter  dem  Tuberculum  ossis  metatarsi  quinti  am  äussern  Fussrande  endet, 
deutet  an  jedem  Fusse  die  Richtung  des  Gelenkes  an,  in  welchem  die  Aus- 
lösung gemacht  werden  soll.  Die  besten  Methoden  zu  operiren  siiid  die  nach 
Walther  und  Rust;  wobei  man  auf  Folgendes  achtet:  1)  ein  an  der  Spitze 
stechendes  scharfes  Bistouri  wird ,  während  die  eine  Hand  den  Vorderfuss 
hält  (am  linken  Fuss  zuerst  am  Innern,  am  rechten  zuerst  am  äussern  Fuss- 
rande) ,  einige  Linien  hinter  und  unter  der  eben  bezeichneten  zu  trennenden 
Gelenkverbindung  eingestochen,  und  mit  dem  vorwärts  gewandten  Messer 
nunmehr  der  seitliche  Längenschnitt  bis  zur  Gegend  der  vordem  Gelenk- 
köpfe des  Metatarsus  geführt.  Nach  gewechselten  Händen  wird  der  näm- 
liche Schnitt  auch  auf  der  andern  Seite  mit  der  rechten  vollzogen,  so  wi« 
der  erste  Schnitt  mit  der  linken  geschah.  Beide  Schnitte  laufen  längs  den 
Rändern  des  Fusses,  mithin  nicht  leicht  über  %  Zoll  von  der  Sohle  entfernt, 
ja  der  äussere  besonders  vorwärts,  tiefer  noch  als  der  innere  Schnitt.  2)  Mit 
dem  nämlichen  Messer  wird  nun  der  Dorsalquerschnitt,  und  zwar,  je 
nachdem  es  der  Zustand  der  Weichthelle  gestattet,  3  —  4  Querfinger  weit 
vor  dem  Ende  der  Tibia  dergestalt  verrichtet,  dass  mit  einem  Zuge  Haut, 
Muskel  und  Sehnen  bis  auf  den  Knochen  durchschnitten  werden.  Hieraul 
bildet  man  einen  Dorsallappen  mit  sorgfaltiger  Benutzung  sämmtlicher  Weich  - 
gebilde ,  indem  man  einen  Querschnitt  über  die  MIttelfussknochen  macht,  den 
beide  Längenschnitte  vereinigt,  welchen  viereckigen  Lappen  man  bis  in  die 
Gegend  des  zu  trennenden  Gelenks  ablöst  und  In  die  Höhe  klappt.  Dieser 
wird  von  einem  Gehüifen  zurückgehalten  und  nun  drückt  der  Operateur 
mit  seiner  linken  Hand  die  Zehen  abwärts,  um  die  Ligamente  der  Fuss- 
wurzelknochen  zu  spannen,  und  trennt  noch  mit  dem  nämlichen  Messer, 
indem  er  damit  vom  Innern  Fussrande.  anhebt  und  nach  dem  äussern  fort- 
geht, das  Gelenk  selbst.  3)  Nun  ergreift  der  Operateur  das  zweischneidige 
Amputationsmesser ,  dringt  mit  der  ganzen  Schneide  desselben  in  die  Gelenk- 
höhlen bis  zur  untern  Seite  derselben  ein,  während  er  den  vordem  Theil 
des  Fusses  anhaltend  und  immer  mehr  herabdrückt ,  geht  hierauf  mit  dem 
Messer ,  ohne  jemals  die  Knochen  zu  verlassen ,  damit  möglichst  alles  Fleisch 
mit  gefasst  werde,  an  der  Plantarfläche  des  Fusses  herab  und  endet  den 
Schnitt,  die  Messerschneide  nach  unten  wendend,  5  Querfinger  breit  vor 
der  Gegend  der  beiden  Knöchel.  So  werden  ein  oberer  kleiner  und  ein  un- 
terer grösserer  Lappen  zur  Bedeckung  der  Knochen  gebildet.  Letzterer 
muss  bis  in  die  Gegend  des  Ballens  der  grossen  Zehe  reichen.  Das  über 
dem  Knie  angelegte  Tourniquet  wird  nun  ein  wenig  gelüftet  und  die  spri- 
tzenden Gefässe  unterbunden.  Die  beiden  Lappen  werden  aneinander  gelegt 
und  durch  lange  Heftpflaster,  von  der  Wade,  Ferse  und  Sohle  her  über 
dem  Rücken  des  Fusses  und  eben  so  von  der  einen  Seite  des  Stumpfs  zur 
andern  befestigt  (nicht  aber  durch  blutige  Hefte  nach  Guthrie'),  das  Glied 
flectirt  und  die  Wade  mit  einer  Binde  umwickelt,  nachdem  mit  Charpie  und 
4  theils  gespaltenen ,  theils  ungespaltenen  Compressen  der  Stumpf  von  allen 
Seiten  bedeckt  worden  ist.  Lnngenbeck  hält  den  obern  Lappen  für  zweck- 
widrig, wie  auch  Klein,  schneidet  daher  den  Fussrücken  1  Querfinger  breit 
Yon  der  Tibia  quer  ein  und  bildet  ohne  alle  seitliche  Schnitte  nur  einen 
Plantarlappen,    den  er  vor  der  Durchschneidung  gegen  den  Stumpf  beugt 


110  AMÜLETÜM  —  ANADROMB 

und  an  demselben  abschneidet,  damit  er  die  gehörige  Länge  habe  und  Ifl 
der  Form  dem  Schnitt  am  Fussrücken  entspreche,  welche  Methode  noch  einr- 
facher  und  leichter  als  die  oben  allgegebene  auszuführen  ist.  —  Von  de« 
höchsten  Wichtigkeit  ist  es,  um  die  leicht  folgende  Eiterung  zu  verhüten, 
die  ersten  3  bis  4  Tage  lang  die  Kälte,  am  besten  mit  Eisblasen,  rund  um 
auf  den  Stumpf  einwirken  zu  lassen,  auch  den  Verband  nicht  vor  dem  secha- 
ten  Tage  zu  lüften,  und  die  Compression  durch  Heftpflaster  und  Binden, 
.selbst  wenn  die  Wundränder  schon  äusserlich  vereinigt  sind ,  nicht  gleich 
wegzulassen.  Eine  geringe  Eiterung  bildet  sich  dennoch  jedesmal  schoo 
wegen  der  Unterbindungsfäden,  weshalb  der  B'uss  seitlich  gelagert  auf  ein 
Pferdehaarpolster  gelegt  und  nöthigenfalls  reinigende  Einspritzungen  ange^ 
wandt  werden  müssen.  Eine  schnelle  Heilung  ist  hier  gerade  nicht  wüni» 
ßchenswerth.  Zu  früh  muss  der  Kranke  auch  nach  scheinbar  vollendetor 
Heilung  den  Fuss  nicht  bewegen.  Ein  gewöhnlicher,  vorn  mit  Rosshaarea 
ausgestopfter  vStiefel  mit  ebener  und  fester  Sohle  und  weichem  Oberleder 
dient  nachher  zur  Unterstützung  und  ist  allen  künstlichen  Mechanismen  vor- 
zuziehen, da  er  den  Gebrauch  des  Gliedes  sichert  und  die  Verstümmlung 
bedeckt.  Eck  lässt  die  Rosshaare  darin  zu  Abhaltung  der  Nässe  mit  ein«K 
Blase  umhüllen,  was  sehr  zweckmässig  ist, 

Amuletnm,  das  Amulet,  ein  Anhängsel  als  vermeintlicher  Schuta 
^egen  Krankheiten  und  sonstige  Unglücksfälle.     Die  Amulete   sind  nicht  al- 
lein im  ganzen  Orient  im  Gebrauch,    sondern  werden  auch  noch   häufig  bei 
uns ,    und   nicht   allein   immer   in   den   niedern  Ständen ,    in  Anwendung   ge-  [j 
i)racht.     Ihr  Nutzen,   indem  sie  auf  psychische  Weise  ableitend  wirken  und  '! 
durch    Glauben    und    Vertrauen    das   Nervensystem    heben    und    gegen   Aiv-  |^ 
Bteckungsstoffe   unempfindlicher   machen ,    ist    über    allem   Zw  eifel    erhaben. 
Poch  heisst  es  hier  mit  Recht,    wenigstens  bei  solchen  Amuleten,    die    ganz 
indifferente  Stoffe   enthalten :    der  Glaube    macht   selig !     Doch   kann  dieser 

{*a,    nach  der  Schrift,  selbst  Berge  versetzen.      Die  aus  Arzneistoffen  best&- 
lenden  Anhängsel    sind  indessen    oft  recht  wirksam ,    da    sie  meist   alle   aui 
der  Herzgrube   getragen   werden  und   diese  Gegend   wegen  der  zahlreichen  1, 
dort   befindlichen    nervenreichen  Theile   höchst    empfanglich  für  die  Einwir- 
kung äusserlicher  Arzneien  ist,    z.  B.  ein  Beutel  mit  Flor,    sulphuris  5j  und  jj 
Moschus    gr.  V  gefüllt,   als  Präsei-vativ  vor   dem  Keuchhusten  (Miihrheck  in 
Rrnfs  Magazin,    Bd.  XXIX.  Heft  1).      Im    Decbr.    1829    bis   Ende   Febr.  \ 
18S0  bekam  ich  einen  14jährigen  Knaben  mit  Chorea  St.  Viti  und  Epilepsie 
in  die  Cur,      Vorhergegangen  waren  :    heftige  Erkältung  im   kalten  Wasser 
xmd  starker  Rausch ;   in  der  Familie   war  erbliche  Disposition   zu  Epilepsie. 
Ausser    den  gewöhnlichen  Mitteln    Hess  ich   folgenden  Bolus,    in  rothe  Seide 
genäht,    mittels  eines    seidenen  Bändchens   um  den  Hals   auf  der  Herzgrube 
tragen:    ^  Gumm.    asae  foctid.  gr.  xv,  Ferri    jmlvemH  gr.  x,    Sem.  stranu 
concis.  gr.  v,  Exir.  hyoscyami  ^\i.  M.  f.  bol.  S.    Zum  äusserlichen  Gebraurli. 
Hiernach  zeigte   sich  eine  so  merkwürdige  Anziehung   zu  allem  Eisen,    d 
die  Glieder  des  Knaben  stets  nach  dem  Orte,  wo  es  sich  befand,  hingezi 

fen  wurden,    und    es    ihm   ein  widriges  Gefühl   erregte.      Nach  Entfernung 
es  Amulets  verschwand  sogleich  dieses  Symptom  von  selbst. 

Amyg'dalitis  ,s.  Anginatonsillaris. 

AnJiliasis.     Ist  Zunahme  einer  Krankheit  bis  zur  Acrae. 

/knaliexis »  das  Aufhusten ,  Heraufbringen  von  Schleim  durch  HusteiL 

AnalirocbismuSj  das  Abbinden,  z.  B.  eines  stielförmigen  Ge- 
wächses durch  die  Schlinge  etc. 

Anabrosist,  Erosio.  Ist  Zerstörung  eines  Theils  des  Körpers  diuxb 
Jauche,   Ätzmittel  etc. 

üjnacatbartica.  Sind  Mittel,  welche  eine  Reinigung  oder  Auslee- 
rung des  Körpers  nach  oben  durch  Erbrechen,  seltener  durch  Salivation, 
Expectoration  etc.  bewirken. 

AA^djTOm^s  Anndqiis.     Ist  Aufsteigen  der  Säfte  oder  Krankheits- 


ANAEMU  —  ANAPHLASMÜS  111 

materiea   ron   ontea   nach   oben,    Congestioa   des  BhiU   nach  dea    obem 
Theilen  etc. 

Anaemfia,  Annemosis,  Oligatmia,  Blutlecrheit,  BlutmangeL 
Ist  ein  Symptom  nach  starken  Blutflüssen,  in  der  Bleichsucht.  In  neuerer 
Zeit  hat  man  damit  einen  Krankheitszustand  bezeichnet,  der  sich  durch 
eine  äusserst  verminderte  Quantität  des  Bluts  und  daraus  erfolgende  allgo- 
jueine  Störung  der  Reproduction  auszeichnet,  und  woran,  ohne  die  Ursacho 
bestimmt  zu  kennen,  im  Jahre  1799  viele  Arbeiter  eines  Steinkohlft-.iberg- 
werks  in  der  Gegend  von  Valenciennes  litten ;  s.  Dict.  des  scienc.  mdd. 
Par.  1812.  Tom.  II.  p.  81.     Eisenmittel  konnten  hier  allein  nur  retten. 

Anaesthesia ,  Unempfindlichkeit,  sowol  irritable  als  paraly- 
tische 'torpidität.  Greiner  (s.  dess.  Arzt  im  Menschen  etc.)  theilt  alle  Neb- 
ropathien  in  Neuralgien,  Anästhesien,  Dysneurien  und  Paraphrosynea. 

Analepsia,  s.  Epilepsia. 

Analeptica.  Sind  reizende,  «lifegende,  erquickende,  belebende 
Arzneimittel;  s.  Excitantia,  Nervina. 

AnsklgCfiia, t  Schmerzlosigkeit  bei  vorhandenem  Grunde 
des  Schmerzes.  Dieser  häufig  vorkommende  Zustand  beruhet  entweder 
auf  Mangel  an  Empfindung,  Lähmung  der  Nerven,  z.  B.  bei  Paresis  und 
Paralysis,  oder  der  Theil  ist  völlig  abgestorben  (Gangrän),  oder  gross« 
Nervenstämme  sind  verletzt,  werden  durch  Druck  von  Geschwülsten,  durch 
starken  Blutandrang ,  der  im  Begriff  steht ,  Lähmung  zu  bewirken  oder  dies« 
schon  bewirkt  hat  etc. ,  in  ihrer  Function  gestört.  Stets  werden  fiur  die- 
jenigen Theile  empfindungslos,  die  von  dem  gedrückten  oder  anderweitig  in 
geiner  Function  behinderten  Nerven  Äste  erhalten.  Die  aus  reiner  Lähmung 
oder  Vernichtung  der  Nervenfimction  erfolgende  Schmerzlosigkeit  ist  unter 
allen  Verhältnissen  ein  bedenklicher  Zustand,  dagegen  ist  die  blosse  Hinde- 
rung der  Nerventhätigkeit ,  als  ein  gebundener  Zustand  derselben,  leicht  zu 
heben ,  wenn  das  zum  Grunde  liegende  Hinderniss  (die  Geschwulst ,  das 
Aneurysma  etc.)  entfernt  werden  kann  (Hecker).  ,     " 

Analosis.  Ist  nach  JBe^in  Abzehrung,  Schwindsucht  S.Phthisis 
wnd  Tabes. 

Anamnesifil y  die  Rückerinnerung,  Anamnese.  Die  Anamne- 
stik  als  Resultat  der  Anamnese  ist  die  Lehre  von  den  früheren  Umständen 
eines  Kranken ,  insofern  solche  für  die  Beurtheilung  des  gegenwärtigen  Zu- 
stande» von  Wichtigkeit  sind.  Die  anamnestischen  Zeichen  sind  für  Dia- 
gnose, Prognose  und  Heilverfahren  von  so  hoher  Wichtigkeit ,  dass  kein  ra- 
tioneller Arzt  sie  je ,  wo  sie  zur  Aufhellung  des  individnelleu  Falles  dienen 
können,  übersehen  wird. 

Anapetia«     Ist  bei  Galen  dasselbe,  was  Angiectasis. 

Anapliia,  verminderte  Empfindlichkeit  des  Hautorgana. 
Sie  ist  ein  Symptom  bei  verschiedenen  Krankheiten,  und  entweder  Folge 
eines  lähmungsartigen  Zustandes,  woran  die  peripherischen  Nervenendigungen 
Iheilnehmen ,  z.  B.  bei  Scheintod ,  Apoplexie ,  Paralyse ,  wo  selbst  heftige 
äussere  Reizmittel :  Vesicatorien ,  Senfpflaster ,  keine  Empfindung  erregen ; 
oder  sie  entsteht  auf  antagonistische  Weise  bei  Exaltation  des  Gehirns,  wo- 
durch die  Reizbarkeit  des  Hautorgans  herabgesetzt  wird,  wie  dies  bei  M^- 
nie ,  Melancholie,  bei  Hypochondrie,  bei  hysterischen  Anfallen  zuweilen  des 
Fall  ist.  Cur.  Sie  ergiebt  sich  von  selbst  aus  den  angeführten  Ursachen. 
Senfbäder,  Reiben  und  Bürsten  der  Haut,  Senfteige,  Vesicatorien,  Einrei- 
bungen von  aromatischen,  Spirituosen  Dingen  (s.  die  Formel  bei  Amaurosis), 
sind  hier  passend.  Nach  Kühn  und  Kraus  hat  Hippokrates  mit  dem  Worte 
A  n  a  p  h  e  seu  A  n  a  p  h  i  a  gerade  das  Gegenthell  der  Neuem ,  also  denjeni» 
gen  Zustand  verstanden,  der  keine  Berühi'ung  zulässt,  oder  in  >velchem 
durchs  Gefühl  des  Untersuchenden  nichts  erkannt  wird.  ge- 

AnapUasmiui.  Ist  gleichbedeutend  nütSelbstheJEleckung,  Mas  «de, 
bation;  s.  Onania.  losen 


112  AJJAPHRODISU  —  ANCYLOBLEPHARUM 

t' <>  '  .Ainaplurodisia»  Agenesia  (^  Vogel"),  Atecnia  { lAnnc) ,  FenenWe-! 
fectus ,  Reizlosigkeit  der  Geschlechtstheile  bei  beiden  Ge- 
schlechtern. Man  begreift  hierunter  sowol  das  männliche  Unvermögen, 
als  die  Unfruchtbarkeit,     S.  Impotentia  vi  rill  s. 

Anaplirodisiaca ,  s.  Aphrodisiaca. 

jLnaplasiSy  Conformatio,  Coaptatio,  die  Einrichtung,  künst- 
liche Aneinanderfügung  zerbrochener  Knochen,  die  der  Wund- 
arzt, wenn  Extension  und  Contraextension  hinreichend  gewirkt  haben,  nüt 
seinen  Händen  verrichtet'.     S.  Fractura. 

Anapier otica ,  ausfüllende  Mittel,  z.  B.  in  grosse  Wunden, 
oder  bei  Blutvez-lust  die  Transfusion  des  Bluts. 

Anapnoica»  Mittel,  die  das  Athraen  oder  die  Expectoration  beför- 
dern.    Auch  gelinde  Diaphoretica  nennen  die  Alten  so. 

Anaptysis»  das  Ausspeien,  Aufhusten,  die  Expectoration.  Mittel 
zur  Beförderung  desselben,  s.  Expectorantia. 

Anairrlioea »  Annrrhopin,  das  Aufsteigen  der  Säfte,  besonders  des 
Bluts  nach  den  obern  Theilen,  die  Congestion  zum  Kopfe. 

Anasarca,  Haut  Wassersucht ,  s.  Hydrops  cutaneuB. 

Anaseisis»  die  Erschütterung,  s.  Commotio. 

Anaspadiaeus,  s.  Hypospadiaeus. 

Anastaltica  (remedia^.  So  nennt  man  stark  zusammenziehende  Mit- 
tel, z.  B.  die  Holzsäure,  Decoct.  quercus  mit  Alaun,  Tinct.  gallar.  tmxic. 
etc.     S.  Adstringentia. 

AnastasiSj  das  Aufstehen  vom  Krankenbette ,  die  Genesung  Re- 
convalescenz. 

Anastroplie«  die  Umkehrung,  z.  B.  des  Uterus,  der  Harnblase,  s. 
Inver  sio. 

Anatasi.«!»  Earlensio,  die  Ausdehnung,  d.  i.  derjenige  Kunstact, 
diu-ch  welchen  man  bei  dislocirten  Knochenbrüchen  die  Knochenstücke,  ura 
sie  einzurichten,  von  einander  zu  entfernen  sucht.    S.  Fractura. 

Anatbymia&lis»  das  Aufstossen,  z.B.  die  Vapeurs  bei  Hysterischen, 
s.  Hysteria. 

AnatrepsiS,  die  Wiederernährung,  ein  erneuertes  Ernähren,  z.  B. 
nach  einer  erschöpfenden  Krankheit,   die  Erhohing  nach  einer  Erschöpfung. 

Anatripsis*  Bedeutet  1)  das  Einreiben,  z.  B.  eines  Liniments; 
2)  das  Abreiben  von  Auswüchsen,  z.  B.  der  Hornhautflecke  durch  rauhe 
mechanische  Mittel ,  durch  Pulver  von  Bimstein ,  Os  sepiae ;  o )  Kratzen, 
Jucken  der  Haut;  daher  auch  die  Krätze;  4)  das  Zermalmen  steiniger  Con- 
cremerite  in  der  Harnblase.  Doch  ist  für  letzteres  das  Wort  Lithontritie  ge- 
bräuchlicher. —  Vgl.  Frictio. 

Anaudia,  Sprachlosigkeit,  ein  hoher  Grad  von  Heiserkeit.  Bei  ho- 
hen Graden  von  Angina,  Glossitis  etc.  kann  der  Kranke  nicht  sprechen, 
desgleichen  nach  heftigen  Apoplexien ,  wo  die  Sprache  wegen  Paralyse  der 
Nerven  dieser  Organe  mangelt.  Die  Cur  ist  darnach  verschieden.  Bei  chro- 
nischer Sprachlosigkeit  aus  paralytischen  Ursachen  half,  obgleich  das  Übel 
schon  sechs  Jahr  alt  war,  die  vorsichtige  sechswöchentliche  Anordnung  des 
Galvanismus  an  Kehlkopf  und  Zunge  (M.).     S.  Aphonia. 

Ancbilops,  Augenwinkelgeschwulst,  s.  Aegilops. 

Ancteriasmus ,  s.  Fibulati o. 

Ancylolllepliaruin ,  Pnipehrarum  coalittis ,  Verwachsung  der 
Augenlider  unter  sich.  Ists  Verwachsung  mit  dem  Augapfel,  so  heisst 
ru.  Symblepharum.  Man  unterscheidet  Ancyloblepharum  verum  und  spurium. 
Exzteres   ist  Verklebung  der  Augenlider    durch  Schleim   aus   den   Meibom- 

n  Drüsen,    durch  Eiter,   bei  den  Pocken,    bei   Herpes   faciei,    Crusta 


ANCYLOGLÜSSUM  —  ANCYLOSIS       113 

lacte».  Hier  welche  man  die  Augienlider  durch  laue  Milch  etc.  auf,  sonst 
stockt  die  Thränenfeuchtigkeit.  Bei  der  wahre«  Verwachsung  der  Augen- 
lider unter  sich  (A.  verum)  ist  das  Übel  (entweder  angeboren  (adnatuin)  oder 
durch  Entzündung  entstanden  (ac(juisitum).  Ur'sachen  des  letztern  sind: 
vorzüglich  die  Menschenblattern,  Verbrennung  des  Gesichts  mit  kochendem 
Wasser,  ungelöschtem  Kalk,  ferner  die  Gesichtsrose.  Cur.  Man  verhüte 
bei  vorkommenden  Fällen  das  Übel  durch  öfteres  Offnen  und  Scliliessen  der 
Augenlider,  durch  Anwendung  von  ZHuk^albe  unter  die  entzündeten  Augen- 
lider, durch  leichtes,  schwaches,  schnelles  .Bestreichen  mit  Lapis  infernalis. 
Ist  die  V^ervvachsung  schon  da,  so  muss  man  mit  einer  feinen  gebogenen 
Uohlsonde,  die  man  unter  das  Augenlid  bringt,  oder  durch  ein  kleines  Si- 
chelmesser die  Trennung  bewirken  und,  um  neue  Verwachsung  zu  verhüten, 
mit  Zinksalbe  verbinden,  auch  den  Kranken  die  ersten  Nächte  hindurch  oft 
wecken ,  damit  er  die  Augen  nicht  mehrere  Stunden  lang  geschlossen  hält. 
Auch  das  Symblepharum  erfordert  eine  ähnliche  Behandlung,  ist  aber  oft 
schwer  zu  heben,  weil  es  schwierig  ist  die  neue  Verv%achsung  zu:  verhüten. 
Um  letzteren  Zweck  zu  erreichen,  hat  man  angerathen,  kleine  Schälchen 
von  Zinn  oder  Blei  unter  das  Augenlid  zu  schieben  (^Uimly). 

Ancylog^lossum ,  Adhacsio  lini;uae ,  angewachsene  Zunge. 
Hier  erstreckt  sich  das  Zungenbändchen  zu  weit  nach  vorn  unter  die  Zunge, 
so  dass  das  Kind  nicht  saugen,  die  Zunge  nicht  unter  die  Unterlippe  brin- 
gen und  nicht  gehörig  reden  kann.  Cur.  Ohne  chirurgische  Hülfe  durch 
die  Operation  ist  dieser  angeborne  Fehler  nicht  zu  heben.  Man  schnieidet 
einen  Theil  des  Zungenbandes  von  vorn  nach  hinten  mit  einer  stumpfen  ge- 
krümmten Scheere  durch,  nachdem  man  das  Kind,  auf  den  Rücken  gelegt 
und  ihm  die  Nase  zugehalten  hat,  worauf  es  von  selbst  den  Mund  öffnet. 
Ehe  man  den  Schnitt  macht,  schiebt  man  vorher  einen  Mundspatel  derge-' 
stalt  unter  die  Zungenspitze,  dass  das  durchzuschneidende  Zungenbändchen 
in  die  Spalte  des  Spatels  zu  liegen  kommt.  Die  Blutung  ist  meist  unbedeu~ 
tend,  daher  es  keiner  fernem  Mittel  bedarf.  Es  giebt  ausser  dem  angebor- 
nen  Ancyloglossum ,  das  meist  hart  und  verdickt  ist ,  auch  noch  ein  Anaß, 
acquisitum,  als  Folge  von  Geschwüren  und  schlechter  Vernarbung  der  Znn- 
genwunden,  dessen  schon  Aelius  (VIU.  38)  gedenkt.  Hier  sucht  man  die 
schlechten  Narben  mit  dem  Messer  oder  der  Scheere  zu  trennen  und  dann 
anfs  Neue  besser  zu  heilen.  Oft  glauben  stillende  Mütter,  wenn  der  Säug- 
ling nicht  ordentlich  saugen  will,  dass  die  Zunge  angewachsen  sey.  Eine 
genaue  Untersuchung  zeigt  dann  die  Zunge  lang  genug,  aber  die  Mutter 
ist,  zumal  wenn  sie  zum  erstenmal  stillt,  ungeschickt  bei  der  Anlegung  des 
Kindes  an  die  Brust,  so  dass  die  Warze  den  Mund  nicht  gehörig  verschliesst 
oder  die  Nasenlöcher  des  Säuglings  sich  in  die  Brust  drücken  und  das  Kiiul 
aus  Mangel  an  Luft  den  Mund  öffnen  und  die  Warze  fahren  lassea  XOBSs, 
Ajicylomerisma ,  s.  Adhaesio  viscerum.  <i\  •utun 

Ancylosis,  Gelenksteifigkeit.  Bei  der  wahren  Ankylose  (Ä. 'V4 ra} 
sind  die  Knochen  an  den  Gelenken  mit  einander  verwachsen,  ffier  ist  das 
Übel  meist  unheilbar.  Dagegen  lässt  sich  die  A.  spuria ,  wo  die  Beweglich- 
keit des  Gelenks  nur  vermindert  ist,  oft  noch  heilen.  Ursachen  sind: 
Fracturen  nahe  am  Gelenke,  Luxationen,  Caries,  Hydrops  articuli,  Aneu- 
rysmata, Rhachitis,  starke  Contusionen ,  Gicht,  Lähmung,  Gliedschwarara, 
Gewächse  und  Eiterung  im  Gelenke.  Cur.  Ist  nach  den  Ursachen  ver- 
schieden. Sind  letztere  gehoben  (Fracturen  und  Luxationen  eingerichtet, 
Caries  geheilt,  Pulsadergeschwülste  durch  Compression,  durch  Unterbindung 
der  Arterie  entfernt  etc.);  so  gebrauche  man  bei  der  zurückbleibenden  Ge- 
lenksteifigkeit  örtliche  erweichende  Mittel :  warme  Wasserdämpfe ,  warme 
Bäder ,  Kinreibungen  von  Ungt.  mercuriale ,  Ungt.  althaeae ,  Linim.  volat. 
terebinthinat. ,  Gänsefett,  Rindsmark,  Schweinefett;  man  lässt  das  Glied 
oft  in  die  Eingeweide  von  frischgeschlachtetem  Vieh  halten,  wendet  allge- 
meine Bäder  und  die  Douche  aufs  Gelenk  an,  desgleichen  tägliche  gelinde, 
ailmälig  verstärkte  Bevsegungen  des  Gliedes.  Bei  unheilbaren  Aiikyloseu 
Munt  Euc^klopädie.  2te  Aufl.    i.  g 


114  ANDROMANIA  —  ANEURYSMA 

hat  man  vorgeschlagen,  ein  künstliches  Gelenk  zu  machen,  und  hat  dies 
mit  dem  besten  Erfolge  verrichtet.  (^Barton  in  Gerson  und  Julius  Magazin 
der  ausländ.  Literatur  1827.  Juli  und  August).  Auch  verschiedenemal  wieder- 
holte Einschiutte  in  allen  Richtungen  im  Umfange  des  Gelenkes  sind  mit 
Nutzen  angewandt  worden;;  •  (Gidhella  in  Gerson  und  Julius  Vlagaz.  März. 
1827).  Die  Gelenks  teifigkeit,  auch  Jnc%?osi«,  Ancyle ,  Orthoaßlosis 
genannt,  ist  nur  in  den  Fällen  als  selbstständige  Krankheit  zu  betrachten, 
wo  die  articiüirten  Knochenüächen  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  verwachsen 
und  die  Knochen  also  zu  einem  einzigen  verschmolzen  sind,  so  dass  ihre 
Grenzen  durchs  Gefühl  nicht  unterschieden  werden  können.  Am  häufigsten 
kommt  das  Übel  am  Ellbogen  -  und  Kniegelenke  vor ;  zuweilen  finden  sich, 
an  einem  Individuum  gleichzeitig  mehrere  Ankylosen,  wo  dann  in  der  Regel 
Scrophulosis ,  Rhachitis  oder  Gicht  zum  Grunde  liegen.  Zu  den  seltenen 
Ankylosen  gehört  die  Verknöcherung  der  Rippen  mit  dem  Brustbein,  des 
Zungenbeins  mit  dem  Kehlkopfe,  die  Ankylose  der  Unterkinnlade.  Merk- 
würdige Skelete,  woran  diese  oder  auch,  allgemeine  Ankylosen  vorkommen, 
findet  man  im  anatomischen  Museum  zu  Berlin ,  in  dem  der  Ecole  de  M6~ 
decine  und  in  andern  ähnlichen  Museen  und  Cabineten.  —  Wo  die  Anky- 
lose als  ein  günstiger  Ausgang  einer  vorgeschrittenen  Gelenkkrankheit,  z.B. 
der  Arthrocace,  zu  betrachten  ist,  muss  die  Bildung  derselben  durch  ruhige 
Lage  des  Gliedes  befördert  und  das  Glied  wo  möglich  in  eine  solche  Stel- 
lung gebracht  werden,  dass  dasselbe  später  dem  Kranken  Dienste  leisten 
kami.  Man  bemühe  sich  daher,  das  Ellbogengelenk  und  die  Fiiigergelenke 
in  gebogenef,  das  Hüftgelenk  und  Knie  in  ausgestreckter,  das  Schnlterge- 
lenk  in  abducirter  Lage  des  Gliedes  ankyloslren  zu  lassen.  Man  lässt  mit 
dem  Gelenke  zu  diesem  Zwecke,  sobald  es  der  Zustand  erlaubt,  neben  der 
Behandlung  des  primären  Leidens  an  und  für  sich  (der  Fractur,  Luxation, 
Gelenkentzündung),  kleine  Be\\eg\ingen  vornehmen,  diese  jedoch,  sobald 
sich  Schmerz  einfindet,  einstellen.  Diese  Bewegungen,  bei  denen  man  an- 
fangs ein  knarrendes  Geräusch  im  Gelenke  hört ,  müssen  sehr  behutsam  vor- 
genommen und  allmälig  verstärkt  werden.  Bei  Fracturen  und  Luxationen 
stellt  man  sie  vor  der  jedesmaligen  Ei'neuerung  des  Verbandes  ein.  Bei 
Ankyl.  spuria  und  incompleta  sind  diese  Bewegungen  ein  kräftiges  Unter- 
stützungsmittel der  Cur  (s.  Botjer,  Sur  les  maladies  des  os.  Tom.  II.  Peiity 
Traite  des  maladies  des  os.  T.  IL  Hufelnnd's  Journ.  Bd.  IV.  S.  61.  Por- 
tal, Cours  d' Anatomie  medicale.  T.  I.  p.  14.  Salzb.  med.  chli-.  Zeitung^ 
1802.  T.  III.  p.  219.  Journal  de  Medecine,  T.  LXVIIL  p.  131). 
Andromania»  die  Manntollheit ,  s.  Nymphoman! a. 
AnegerticCs  Ars  vitam  hominum  as^ihydicorum  rcsuscitandi ,  die  Kunst 
Scheintodte  wieder  zu  beleben ,  s.  A  s  p  h  y  x  i  a. 

Anepitbymia ,  Mangel  an  Begierde  und  Abscheu.  Ist  Symptom 
mancher  schweren  nervösen  Fieber,  desgleichen  Symptom  des  Blödsinns, 
des  Cretinismus  u.  s.  f. 

Aneretbisia  9  Reizlosigkeit,  Mangel  an  Reizbarkeit.  Ist 
Symptom  vieler  Krankheiten:  der  chronischen  Blennorrhoe,  der  Febr.  ner- 
vosa stupida ,  des  Faulfiebers ,  der  Febr.  lenta  paralytica  etc. ,  wogegen 
Excitantia  und  Roborantia  gut  sind.  Einige  verstehen  unter  dem  Worte 
auch  eine  neue ,  wiederholte  Aufreizung. 

*  Aneurysma,,  Dilatntio  arteriarum,  Ectasia,  Pulsadergeschwulst. 
Ist  eine,  an  einer  Arterie  selbst  oder  in  deren  nächster  Umgebung  vorkom- 
mende, mehr  oder  weniger  fluctuirende  Geschwulst  von  verschiedener  Grösse, 
Ausbreitmig  und  Form,  welche  in  ihrer  Höhlung  Blut  enthält,  in  den  mei- 
sten Fällen,  wenigstens  zu  Anfange,  pulsirt,  und  bei  angewandtem  Drucke 
entweder  verschwindet  oder  doch  ihren  Umfang  verringert,  nach  Entfernung 
desselben  aber  ihre  vorige  Beschaffenheit  wieder  erhält.  Im  Allgemeineii 
besteht  das  Aneurysma  in  einer  widernatürlichen  Erweiterung  derjenigen 
Grenze,  in  welche  das  arterielle  Blut  im  normalen  Zustande  durch  die  Ar- 
terienhäute eingeschlossen  wird.     Je  nachdem  diese  erweiterte  Grenze  aar 


ANEURYSMA  115 

von  der  Ausdehnung  einer  oder  aller  ArterieiUtäuta  selbst  herrührt,  oder  gar 
nicht  von  letztern  gebildet  wird,  je  nachdem  die  Geschwulst  an  äussern 
oder  innern  Theilen  vorkommt,  und  nach  ihrer  sonstigen  Beschaffenheit, 
wird  sie  in  verschiedene  Arten  und  Untersirten  getheilt  (s.  unten).  Ursa- 
chen. Sind  theils  innere,  theils  äussere.  Zu  erstem  gehören  rheumatische, 
gichtische,  scrophulöse,  syphilitische  Dyskrasien,  Mercurialkachexie ;  die 
durch  Einathmen  verdorbener,  mit  faulen  Dünsten  angehäufter  Luft  veran- 
lasste, schlechte  Beschaffenheit  der  Säftemasse,  wie  sie  sich  bei  Kloakenar- 
beitern,  Aiiatomiewärtern  und  A.  durch  ein  bleiches  Aussehen  schon  äusser- 
iich  zu  erkennen  giebt,  prädisponirt  zum  Aneurysma.  In  einigen  Ländern, 
wie  z.  B.  in  Italien,  scheint  die  Krankheit  verhältnissmässig  häufiger  vor- 
zukommen. Frauen  leiden  seltner  als  Männer  an  ihr,  was  zum  Theil  von 
der  Beschäftigung  der  letztem  abhängig  seyn  mag.  Das  Verhältniss  ist  nach 
Hodgson  wie  9  zu  1.  So  findet  sich  das  Aneurysma  am  öftersten  bei  Rei- 
tern, Postknechten,  Seiltänzern,  Ferner  ist  das  hohe  Alter,  wegen  der 
häufigen  Verknöcherung  mancher  Arterien,  der  Krankheit  mehr  ausgesetzt, 
als  das  mittlere  und  jugendliche.  Ferner  sind  Ursachen:  übermässiger  Ge- 
nuss  spirituöser  oder  auch  erschlaffender  Getränke,  allgemeine  Atonie  des 
ganzen  Körpers  und  besonders  des  Gefässsystems ,  Bleichsucht,  Ausschwei- 
fungen, Onanie,  heftige,  besonders  deprimirende  Leidenschaften,  Säftever- 
lust, Anschwellungen  und  Verhärtungen  der  Eingeweide,  starke  Anstren- 
gungen beim  Blasen  der  Blasinstrumente ;  beim  Erbrechen ,  beim  Husten  etc. 
Äussere  Ursachen  sind:  alle  schneidende,  stechende,  zerreissende  Verletzun- 
gen der  Arterienhäute,  durch  von  Aussen  eindringende  Körper  oder  durch 
Knochensplitter,  durch  Erschütterungen  des  gsmaen  Körpers  beim  Springen, 
durch  übermässige  Kraftanstrengung,  z.  B.  beim  Verarbeiten  der  Geburts- 
wehen, und  durch  Hemmung  der  Circulation  des  Bluts,  durch  Druck,  Schnür- 
brüste etc.  Übermässiger  Druck  des  Bluts  auf  die  Gefässwandungen  über- 
haupt ist  die  erste  Veranlassung  zum  Aneurysma  (s.  Hope's  Herzkrankheiten, 
übers,  v.  Becker),  und  zwar,  weil  entweder  der  Druck  absolut  zu  gross  ist, 
oder  weil  die  Gefässhäute  eine  krankhafte  Nachgiebigkeit  zeigen.  Ein  sol- 
cher Druck  hat  eine  gesteigerte  Ernährung  der  Gefässwandungen  zur  Folge, 
um  vermittelst  gesteigerter  Gefassthätigkeit  jener  zu  widerstehen.  Man  fin- 
det daher  nach  Hope  die  Wandungen  der  aneurysmatischen  Aorta  z.  B.  sel- 
ten verdünnt,  sondern  zuweilen  sogar  verdickt,  die  fibröse  mittlere  Haut 
stark  entwckelt  und  Ablagerungen  von  Knochen  - ,  Knorpel  -  oder  Kalksub- 
stanz  zwischen  den  Schichten  derselben.  Die  äussere  Zeilhaut  erscheint 
alsdann  verdickt  und  an  der  innern  Fläche  derselben  bildet  sich  eine  der 
fibrösen  Haut  analoge  Schicht,  wenn  letztere  durchbrochen  ist.  Die  innere 
Haut  kommt  nach  Hope  gar  nicht  in  der  aneurysmatischen  Anschwellung 
vor,  und  es  finde  kein  Hervortreiben  derselben  statt,  wenn  die  mittlere 
Haut  verletzt  werde,  wie  man  solches  durch  Versuche  erweisen  könne,  son- 
dern eine  glatte,  der  innern  Arterienhaut  ähnliche  Wandung  bilde  sich  selbst 
in  dem  von  den  aneurysmatischen  Sack  eingeschlossenen  Gerinnsel,  wenn 
das  Blut  durch  dasselbe  einen  Weg  sich  bahne.  Ausgänge  des  Übels. 
Sind  verschieden.  1)  Es  berstet  die  Geschwulst,  nachdem  sie  den  möglich- 
sten Grad  der  Ausdehnung  erreicht  hat,  entweder  von  selbst  oder  bei  Ge- 
legenheit einer  äussern  Erschütterung,  und  es  entsteht  eine  gefahrdrohende 
Blutung.  Gewöhnlich  hat  vorher  der  Brand  die  Geschwulst  ergriffen. 
2)  Die  Geschwulst  entzündet  sich,  sowie  selbst  die  Arterien,  bedeutend, 
worauf  Obliteration  derselben  folgen  kann.  In  diesem  Falle  entsteht  beim 
Bersten  des  Sacks  keine  Blutung.  3)  Das  Aneurysma  coraprimirt  die  Arte- 
rie, und  diese  obliterirt  nach  und  nach.  4)  Das  Blut  coagulirt  im  aneurys- 
matischen Sacke  und  verschliesst  die  Arterie  nach  und  nach  bis  zum  näch- 
sten CoUateralaste.  5)  Das  Blut  coagulirt  im  Sacke  und  wird  allmälig  in 
eine  fleischartige  Masse  verwandelt,  welche  endlich  mit  dem  aneurysmati- 
schen Sacke  selbst  absorbirt  wird,  wobei  das  Lumen  der  Arterie  erhalten 
wird  (Chelius').  Die  Prognose  ergiebt  sich  aus  dem  Vorhergehenden.  Sie 
ist   schlimmer  bei  alten   kaehektisdien  Leuten    und  wo  sich   das  Aneurysma 

8* 


116  ANEURYSMA 

aus  inuern  Ursachen  entwickelt,  schlimmer  bei  solchen  Aneurysmen,  zu  de- 
nen die  chirurgische  Kunsthülfe  schwer  oder  gar  nicht  hinzutreten  kann  etc. 
Cur.  Man  hat  zwar  die  Behandlung  des  Aneurysma  zeither  vorzüglich  nur 
aus  dem  chirurgischen  Gesichtspunkte  betrachtet,  dennoch  ist  die  medicini- 
sche  Behandlung  nicht  immer  ohne  glänzenden  Erfolg  geblieben,  die  daher 
in  den  meisten  Fällen  zweckmässig  mit  der  chirurgischen  verbunden  werden 
nmss  und  in  einigen  fast  nur  allein  anwendbar  ist ,  besonders  da ,  wo  die 
sogenannte  aneurysmatlsche  Constitution  (eine  Benennung  für  einen  dem 
Wesen  nach  noch  dunklen  pathologischen .  Zustand )  stattfindet,,  wo  das 
Aneurysma  aus  iunern  Ursachen,  besonders  aus  den  oben  genannten  DyS" 
krasien  entsteht,  die  eine  gleichsam  entzündliche,  nlceratöse,  aufgelockerte 
Beschatfenheit  der  Arterienhäute  erregen ,  die  dann  wieder  zu  krankhafter 
Ausdehnung  und  Zerreissbarkeit  der  letztern  prädisponirt.'  Die  Palliativcur, 
welche  oft  zur  radicalen  wird,  indem  sie  die  Bedingungen  zu  einem  glück- 
lichen Ausgange  des  Übels  und  die  Autokratie  der  heilenden  Natur  begün- 
stigt, besteht  in  der  Anwendung  kühlender,  den  Kreislauf  des  Bluts  beru- 
higender und  die  Blutmasse  vermindernder  IVIittel ;  daher  in  einer  streng  an- 
tiphlogistischen Diät,  strenger  Ruhe,  erhabener  Lage  des  leidenden  Theil» 
und  in  der  Anwendung  äusserlicher  zusammenziehender  und  ableitender  Mit- 
tel. Eine  höchst  knappe  Diät ,  strenge  Vermeidung  aller  erhitzenden ,  zä- 
hen und  blähenden  Speisen,  wobei  die  Manschen  ■  stets  nur  kleine  Mahlzei- 
ten halten  und  sich  so  zu  sagen  nur  halb  satt  essen  dürfen,  ist  höchst  noth- 
wendig.  Obst  und  Milchspeisen  bekommen  meist  am: besten.  Bei  vorhande- 
ner specifischer  Krankheitsursache  werden  die  dieser  entsprechenden  Heil- 
mittel mit  besonderer  Berücksichtigung  des  Hauptleidens  angewandt.  Daa 
Heilverfahren  auf  operativem  Wege,  lehrt  die  Chirurgie.  Es  ist  seit  weni^ 
gen  Jahren  sehr  vervollkommnet  worden;  man  hat  mit  Glück  schon  dio 
linke  gemeinschaftliche  Ko\)iäch\agader  (Magendie ,  J.  Wardrop,  Coojyer^f 
desgleichen  die  Arteria  iliaca  communis  (Mo/l)  wegen  Aneurysmen  unterbnn-H 
den,  nicht  zu  gedenken  der  zahlreichen  Fälle,  wo  dies  mit  gutem. Erfalga 
bei  der  Carotis,  Cruralis,  Poplitea  etc.  geschah.  /  '   i 

Aneurysma  aortae ,  s.  Aneurysma  internum. 

Aneurysma  cotisecutivuin,  die  nachfolgende  Pulsadergeschwulst. 
Ist  eine  solche,  welche  aus  einer  vorhergegangenen  ächten  Pulsaderge- 
schwulst entstanden  ist  (s.  A.  verum).  Dieser  Übergang  bildet  gewöhn- 
lich eine  besondere  Gattung  oder  Unterart  der  falschen  Pulsadergeschvvulst 
(s.  A.  spurium  circumscrip tum).  ./.  . 

Aneurysma  cordis,  s.  Aneurysma  internum.  ; 

Aneurysma  extemuni,  die  äussere  Pulsadergeschwulst.  Die 
mehr  an  der  äussern  Oberfläche  des  Körpers  vorkommenden  Aneurysmen 
sind  entweder  ächte,  oder  falscl(e  (s.  A.  verum, luid  spurium).  Sie  sind 
nicht  so  häufig  als  die  Innern  Pulsadergeschwülste ,  und  finden  am  häufig- 
sten ander  Arteria  carotis,  poplitea,  inguLnalis,  intercostalis  und  humcralis, 
nach  äussern  Verletzungen  am  häufigsten  an  der  Art.  brachialis  (bei  un- 
glücklichem Aderlasse)  statt.  Symptome.  Gewöhnlich  zu  Anfange  kein 
Schmerz  in  der  farblosen  Geschwulst,  die  sich  aber  bald  bedeutend  im  Um- 
fange vergrössert,  schmerzhaft  wird  und  sich  mit  varikösen  Gefässen  be- 
deckt. Die  leidende  Extremität  leidet  durch  Druck  und  gestörte  Ernäli- 
rung,  wird  welk,  verliert  ihre  Wärme  und  Muskelkraft,  scliwillt  ödematös 
an,  der  Kranke  fühlt  ein  Kriebeln  in  dem  Gliede,  welches  sidi  auch  äusser- 
lich  durch  die  aufgelegte  Hand  als  eine  schwirrende  Bewegung  wahrnehmen 
lässt,  und  diurch  da,s  Stethoskop  als  hörbares  Geräusch  zu  erkennen  giebt; 
der  Pulsschlag  unterhalb  der  Geschwulst  ist  klein,  schwach,  oft  gar  nicht 
EU  fühlen,  und  das  Glied  stirbt  am  Ende  wol  gai»z  ab.  Selbst  dio  angren- 
zenden Knochen  können  durcU  den  anhaltei\den  Druck  und  wegen  mangeln- 
der Ernährung  in  cariö^je  Zerstörung  übergehen.  Mit  der  Zeit  erlischt  das 
fühlbare  Klopfen  in  der  Geschwulst.  Prognose  und  Cur.  Sie  ist  hier 
günstiger  als  bei  A.  interlmm,  da  hier  die  chirurgische  Hülfe  (Unterbindung 
der  Aiierie)  angewendet  werden  kann.    Doch  ehe, man  zu  dieser,  allerdings 


,  ANEURYSMA  117 

bed«iifenden   Operatioh   «clireitet ,   versuche  man    kalte  Umschläge' von  ge- 
stossenem ■  Eise ,    von    Schnee,    adstringirende    Fomentationen    von   Decoct. 
qüercus ,   cliinae ,   ratanhiae,    tormentillae,    worin  Alaun,    Vitr.    alb. ,    Vitr. 
cupri  etc.'  aufgelöst  worden  ist.    Dabei  berücksichtige  man  die  etwanige  in- 
nere specüische  Krankheitsursache  und  wende  dagegen  zweckdienliche  Mit- 
tel an.     Auf   solche  Weise   in  Verbindung  mit   der  Compression   hellte  noch 
küEzlich  Dr.  Wolf  ein  Aneurysma  der  Kniekehle  ohne  0{)^eration  (s.  Abhandl. 
a.  d.  Gebiete   der  Heilkunde  v.  e.  Gesellschaft   prakt.  Ärzte   zu  Petersburg 
1825.  3tc  Samml.  S.  169).     Breschet  machte  auf  das  Vorkommen  der  Aneu- 
rysmen an. den   in  den  Knochen   liegenden  Arterien    in    seiner    gehaltreichen 
Schrift:    Observation    sur   une  tumeur   aneurysmale   accompagnee  d'une  cir- 
constnnoe   insolite,    par  M.  Lalk'mand ,    Prof.  etc.  ;    suivie   d'observations  et 
de   retiexions   sur  des  tumeurs  sanguines  d'un   caractere  eqnivoque,   qui  pa- 
roissent  etre  des  aneurysmes  des  arteres  des  os.  Par.  1827,  4.,  aufmerksam. 
+-^   Vel'peau  (Nouveaux   Clemens   de   medecine  op^ratoire.    Par.  1832)    ward, 
indem  er   in    die  Schenkelarterie   eines  Hundes    eine  Nadel   einstach  ^  über- 
zeugt ,    dass  ein  Gefäss ,    von  der  Dicke   einer  Schreibfeder ,    durch  die  auf 
diese  Art  erregte  Entzündung  in  den  Arterienwandungen,  diese  zur  Oblite- 
ration  bringe,    und   schlägt   zur  Verschliessung    grösserer  Arterien   die  Ein- 
bringung von   2 — 6   Puncturnadeln ,   in    einer  Entfernung  von  5  —  6  Linien 
von  einander,    vor.      Ich  habe  bei  Thieren    eine  Nadel   in  grössere  Arterien 
eingebracht  und  sie  mit,  dem  Sauerstoffpol   der   galvanischen  Säule   Verbun- 
den,  worauf  ich  fast   augenblickliches  Gerinnen   des  Bluts  in    den  Gelassen 
beobachtete     (s,  meiiien  Aufs. :  der  Galv^nism.  in  Bezieh,   auf  s.  chemisch., 
pharjmac,  u,  Übertrag.'- Wirk,  im  Organism.  iä  HüfelaniVs  Journ.  der  prakt. 
Hellk.  1834,    8.  St).,  Es,  lässt  sich  erwarten,  dasfe  diese  Art  def  Elektco- 
puiictur  zur  Operation  d,es  Aneurysma  von  Nutzen  seyn  werde ,  wofür  selbst 
schon   die   analoge  Dävel'Äche .  Behandlung  der  Varices,    durch  Obliteratio«» 
der  Venen  <  sowie  die  Fricke'sche  der  Varicocele  zu  sprechen  scheint,  jedoch 
sind ,   so  viel    mir   bekannt ,    bis  jetzt   noch  kleine   ähnliche  Heilversuche  bei 
Aneurysmen  angestellt  worden.:    Schlimme  Folgen   sind  bei   dieser  Obliterä- 
tionsmethode  wol  kaum  zu  erwarten.     Davel  fand  nach  derselben  die  Venen, 
ober  -  und    unterhalb   der   operirf en   Stelle ,    zu   einem   runden   ligamentösen 
Sträng,    bis  zur  nächsten  Anastomose ,   verwachsen,   diese  etwas   erweitert^ 
und   die   übrigen  Theile   dier  Vene ,    sowie   das   sie   umgebende   Zellgewebe, 
im    völlig    normalen   Zustande      Das   gleich   nach    der  Operation    gerinnende 
Blut  wird  absorbirt  und  tnan  findet  nach  8^ — 14  Tagen   keine  Spur  dessel- 
ben ,    sowie  von  Entzüadurig   liiehr.     Üble  Zufälle  finden  bei  Thieren    nicht 
statt,   sondern  Esslust   und  Munterkeit  kehren  bald  zurück.      Lisfrunc  (Des 
diverses  meth.    et  des  differ.   procedes  pour  l'obliterat.  des  arteres  etc.   und 
dessen:' Behandlung  d«r  Aneur.  durch  die  3  Hauptmeth.  z.  Schliess.  der  Gef. 
Par.  1834)   berührt   die  Elektropunctur  nur  flüchtig  und  befürchtet  Nach- 
theile, von   der  Anwönduag-des  Haarseils,    der  Acupunctur ,    dem  Refoule^ 
ment  und  dem  jnechitni&chen  Pfropfe  ohne  Ligatur.     Die  mittel  -  und  unmit- 
telbare Compression,  sowie  die  Ligatur,  erklärt  er  für  unbequem  und  nicht 
gefahrlos ,  von  der  Tor<svon  und,  der  Machure  mit  Ligatur  verspricht  er  sich 
abfer   grossen  Vortheil.  .  J»  Fäll   der  Nichtanwendbarkeit   dieser  Methoden 
vyegen   Verknöcherung  ,ötcw   gifebt    eri-deri  Conlpre.'Jsion    nach  Main (ßo ,    oder 
dem  Wachspfropf   und   d^  Ligatur   nach  Rvux  und.  DupwßreH  den  Vorzug. 
S.  Cöoper  machte    in  Med-   chir,   Traiisact.   darauf  aufmerksam ,    dass   das 
Auf höxen  der  Pulsation  beim.  Aneurysma  arteriae    popliteae   sowol  von  einer 
Annäherung  2ur  Heilung,    als    auch  von  Zeireissuhg.  herrühren   köniie.      Er 
hebt  hierbei  die  Vojftheilev  welche  die  Auseultation    gewährt,   hervor,    und 
räth  die  Unterbindung  zu  unterlassen,   wenn  man  sieh  auf  diese  Weise  .von 
4em  Fehlen  des  Geräusches ,   wölches  der  Blutdilrchgang  verursacht ,  über- 
zeugt hat.     Die  Ruptur  erkeimt  man  ausserdem  'an-  der  Beschleunigung   des 
Pulses   bei   aufgehobenem   Klopfen  ün  Aneurysma,    uiid   an   der   röthlichen, 
achmuzigen    Farbe    eiliiger    Stellen    der   Oberfläche    des   Gliedes.   —  Noch 
verdient  hier  die  kürzlich  von  Eslrami)^  in  Dublin  einpfohlene,    «oh«  zweck- 


118  ANEURYSMA 

massige  Aneurysman&del  (s.  Froriep's  Not.  aus  dem  Geb.  der  Nattir-  und 
Heilk.  Bd.  XXXIV.  No.  9),  sowie  das  durch  v.  Gräfe  in  dessen  Journ. 
Bd.  XVII.  S.  205  angegebene  Compressorium ,  angeführt  zu  werden.  —  Die 
Compression  der  Aneurysmen  ist  nur  anwendbar,  wo  letztere  keinen  zo 
grossen  Umfang  haben,  wo  die  Gefahr  der  Berstung  nicht  durch  sie  ver- 
mehrt wird ,  und  wo  keine  Verknöcherung  und  Dyskrasie  dem  Übel  zum 
Gi'unde  liegt.  Eine  gute,  hierher  gehörende  Monographie  ist:  G.  L.  Die- 
terich: das  Aufsuchen  der  Schlagadern  behufs  der  Unterbindung  von  Aneu- 
rysmen, nebst  Geschichte  der  Unterbindungen.  Nürnberg,  1831. 

Aneurysma  intcrnum,  die  innere  Pulsadergeschwulst.  Sie  ent- 
steht am  häufigsten  an  der  Aorta,  besondere  an  der  Curvatiur  derselben,  und 
am  Herzen,  und  sie  kann  sowol  ein  A.  verum,  als  spurium  seyn.  So  lange 
ein  solches  Aneurysma  klein  ist,  fühlt  der  Kranke  nur  geringe  Beschwer- 
den ;  diese  nehmen  aber  mit  der  Vergrösserung  desselben  immer  mehr  zu 
und  die  B'unction  des  Organs,  worin  es  seinen  Sitz  hat,  wird  bedeutend 
gestört.  Symptome.  Erschwertes,  langsaiues  Athemholen,  Angst,  die 
späterhin  eine  ausserordentliche  Höhe  erreicht,  periodisch  wiederkehrendes 
Herzklopfen,  in  der  Folge  starkes  Pulsiren  der  Karotiden,  Schmerzen  in 
der  Herzgegend,  Husten  ohne  allen  Auswurf  oder  mit  schleimiger,  glasarti- 
ger Expectoration ,  Ohnmächten,  Gefühl  von  Zusammenziehung  des  Schlun- 
des, Dysphagie,  Krämpfe,  Zuckungen,  schneller,  kleiner,  intermittirender, 
zuckender,  wellenförmiger  Puls;  die  auf  die  Brust  oder  auf  die  linke  Seite 
des  Rückens  gelegte  Hand  nimmt  eine  zitternde,  wellenförmige  Pulsatioa 
wahr.  Puls-  und  Herzschlag  sind,  der  Kraft,  Stärke  und  Schnelligkeit 
nach,  höchst  unregelmässig,  letzterer  bald  mehr  in  der  rechten,  bald  mehr 
in  der  linken  Seite,  bald  mehr  in  der  Magengegend,  oder  in  beiden  Gegen- 
den zugleich  sowol  fühlbar  als  sichtbar;  Habitus  apoplecticus ,  phthisicus, 
nicht  selten  ein  rothes ,  oft  aufgetriebenes  Gesicht ;  bei  horizontaler  Lage 
befindet  sich  der  Kranke  am  erträglichsten,  zuweilen  ist  jedoch  die  Lage 
auf  der  rechten  Seite  unmöglich;  alle  Zufälle  vermehren  sich  nach  der 
Mahlzeit,  nach  Bewegungen  des  Körpers  und  nach  Gemüthsbewegungen 
ausserordentlich.  Bei  Zunahme  des  Übels  erhalten  die  Fingerspitzen  dea 
Kranken  nicht  selten  eine  eigene  Form ;  sie  werden  dick  und  kolbenförmig 
(S.) ;  es  stellen  sich  ein :  Blässe  des  Gesichts ,  bläuliche  Farbe  demselben, 
Aufgedunsenheit,  Leukophlegmätie ,  ödematöse  Geschwulst  der  Füsse  und 
mancherlei  Anomalien  der  Verdauung.  Selbst  einzelne  Glieder  werden 
brandig ,  oder  taub  und  lahm ,  und  die  mit  der  Gefechwulst  in  Verbindung 
stehenden  festen  Theile ,  Rippen  ,  Knorpel ,  Wirbel' ,  werden  zerstört.  Zu- 
weilen entsteht  im  Verlaufe  des  Übels  äusserlich  eine  »klopfende  Geschwulst, 
welche  das  Übel  deutlicher  zu  erkennen  giebt.  Beim  A.  aortae  bemerkt 
man  besonders  ein  Klopfen,  das  sich  hoch  hinauf',  bis  unter  die  Clavic\da 
erstreckt ;  der  Puls  des  Kranken  ist  häufig  an  beiden  Handwurzeln  ungleich, 
die  Rückenlage  bekommt  nicht  gut,  es  stellen  sich  Schmerzen  im  Schultcr- 
blatte,  desgleichen  plötzliches,  periodisches  Blutspeien  ein ,  welches  aber 
bald  wieder  vorüberzugehen  pflegt ;  nicht  selten  glaubt  der  Kranke  eine 
Bewegung  in  der  Brust  zu  empfinden,  als  wenn  Wasser  mit  Geräusch  au$- 
gegossen  wird.  Diagnose.  Sie  ist  sehr  schwierig,  docb  kann  der  Geübte 
durch  die  Anwendung  des  Laennec'schen  Stethoskops  in  Verbindung  mit 
andern  Zeichen  unterscheiden ,  ob  das  Übel  ein  Aneurysma  cordis  activum 
«der  passivum  (^Corvisnrt'),  oder  ein  A.  aortae  ist.  Die  Schriften  und  Beob- 
achtungen über  Herzkrankheiten  von  Krcysuj ^  Portal,  Testa,  Laenncc,  Ber- 
tin und  Corsivnrt  haben  h?er  viel  Licht  verbreitet.  Von  Hydrops  pectoris 
sind  die  Zufalle  des  A.  internum  oft  schwer  zu  unterscheiden,  besonders  da 
sich  häufig  die  Brustwassersucht  in  der  Folge  zu  ihnen  hinzugesellt;  Zur 
Unterscheidung  dient  die  Angst,  welche  Brustwassersüchtige  bei  horizonta* 
1er  Körperlage  befallt,  und  die  ängstliche,  kurze,  fast  unmögliche  Inspira- 
tion ;  dagegen  ist  bei  A.  internum  die  tiefe  Inspiration  nicht  sehr  gehindert, 
obgleich  sie  keine  Erleichterung  bringt,  und  die  Rückenlage  wird  ohne 
plötzliches  Eintreten  jener   fürchterlichen  Angst  ertragen,  erleichtert  sogar 


ANEURYSMA  119 

auf  Augenblicke.  Von  Lungenkrankheiten,  die  nicht  selten  mit  Herzkrank- 
heiten verbunden  sind,  unterscheidet  sich  das  Aneurysma  nur  unvollkommen 
dadurch,  dass  bei  ersteren  mehr  die  sitzende  Lage  Erleichterung  bringt  und 
dass  ein  kurzer,  röchelnder  Athem  mit  ihnen  verbunden  zu  seyn^  pflegt; 
wichtiger  ist  die  gehörige  Beachtung  des  verschiedenen  Verlaufs  beider 
Übel;  zuweilen  ist  das  Aneurysma  auch  Folge  von  Lungenübeln.  Zur  Un- 
terscheidung des  Aneurysma  von  der  Phthisis  hat  man  (s.  Berl.  Encyclop^j 
Wörterb.  Bd.  II.  Art.  Aneurysma)  auch  angegeben,  dass  der  Auswurf  bei 
jenem  diinnschaumig,  ziegelroth  oder  blutstreifig  sey,  wohingegen  der  der 
Lungensüchtigen  sich  klumpig  zeige ,  dass  Brustaneurysnien  mit  Deglutitions- 
beschwerden  verbunden  seyen.  Jeder  praktische  Arzt  aber  weiss ,  dass  letz- 
tere sehr  oft  die  Phthisis  begleiten ,  dass  ziegelrother  und  blutstreifiger  Aus- 
wurf ebenfalls  bei  dieser,  und  zwar  häufiger  als  beim  Aneurysma ,.  vor- 
kommt, und  dass  er  auch  bei  ihnen  nicht  selten  dünnschaumig  ist.  —  Ein 
merkwürdiger  Fall ,  wo  Fehler  der  Leber  und  Milz  die  täuschenden  Symptome 
eines  Aneurysma  aortae  darstellten ,  findet  sich  aufgezeichnet  in  Froriep's 
Not.  aus  dem  Geb.  der  Natur-  u.  Heilk.  Bd.  XXXIII.  No.  19.  Ein  ande- 
rer, wo  ein  Aneurysma  den  Verdacht  von  vorhandener  Schwangerschaft  er- 
regte, in  Casper^s  Wochenschr.  f.  d.  gesammte  Heilk.  Bd.  XIII.  S.  10.  Cur. 
Radicale  Hülfe  vermag  der  Arzt  hier  nicht  zu  geben,  wenn  sie  die  Natur, 
was  aber  auch  nur  höchst  selten  der  Fall  ist ,  nicht  schafft ,  und  operireu 
wie  beim  A.  externum  können  \vir  attch  nicht.  Die  Prognose  ist  daher  sehr 
schlimm.  Ausserdem  entstehen  beim  A.  cordis  und  aortae  in  Folge  des 
Drucks  leicht  cariöse  Zerstörung  der  Wirbelbeine,  Anhäufungen  von  Was- 
ser in  der  Brusthöhle,  und  der  Kranke  stirbt  an  Erstickungszufallen,  apo- 
plektisch,  oder  an  gänzlicher  Entkräftung,  oder  auch  während  einer  meh- 
rere Stunden  dauernden  Ohrtmacht  und  Asphyxie.  Die  Hauptmittel,  die 
noch  das  Meiste  beim  A.  intemum  geleistet  haben ,  sind :  Digitalis  und 
Aderlässe.  Die  Digitalis  hat  in  mehreren  Fällen  selbst  radicale  Hei- 
lung bewirkt;  am  besten  wird  sie  in  grossen,  seltenen  Gaben,  nach  vorher- 
gegangenem Aderlasse  angewandt  (^Berends).  Man  lässt  z.  B.  2 — 3  Gran 
Herb,  digital,  mit  Zucker  auf  einmal  nehmen.  Eine  solche  Gabe  verschafft 
oft  auf  mehrere  Tage,  ja  sogar  Wochen  lang  Erleichterung;  daher  sie  auch 
nur  selten  wiederholt  zu  werden  braucht.  Dabei  bat  sich  der  gleichzeitige 
Gebrauch  der  Alaunmolken  oft  wirksam  bewiesen  (Ridiler).  Der  Aderlass 
und  die  übrigen  antiphlogistischen  Mittel  dürfen  nur  mit  Vorsicht  angewandt 
werden ,  besonders  da ,  wo  eine  allgemeine  Schwäche  und  Atonie  die  Ur- 
sache des  Aneurysma  ist,  oder  wenn  sie  bereits  als  Folge  eintrat.  Wo  die 
Venaesection  indicirt  ist,  wiederholt  man  sie  in  Zwischenräumen  von  4  —  6 
Wochen,  uftd  lässt  jedesmal  nur  wenig  Blut,  etwa  3 — 4  Unzen,  weg.  Der 
Puls  kann  hierbei  nicht  zur  Richtschnur  dienen,  wol  aber  die  Constitution, 
das  Alter,  Geschlecht  etc.  des  Kranken.  Bei  heftigen  periodischen  Anfällen 
von  Angst,  Dyspnoe  setze  man  8  — 10  Blutegel  auf  die  Brust,  und  verordne 
warme  Hand  -  und  Fussbäder.  Fast  immer  ist  eine  erhöhte  Nervenempfind- 
lichkeit vorherrschend,  die  die  Anwendung  der  sogenannten  Nervina  er- 
heischt, doch  solcher,  die  nicht  erhitzen,  z.  B.  Flor,  chamomillae,  Rad. 
valeriauae,  Flor,  zinci,  Extr.  hyoscyami,  Moschus.  Nur  bei  gefahrdrohen- 
den Ohnmächten  und  Asphyxie  darf  man  Naphthen  etc.  anwenden.  Bei  hef- 
tigem Herzklopfen  schafft  zuweilen  eine  Handvoll  eiskalten  Wassers,  in  der 
Herzgegend  gegen  die  Brust  gebracht,  schnelle  Linderung.  Ist  das  Aneu- 
rysma B'olge  allgemeiner  Atonie  und  durch  schwächende  Einflüsse  entstan- 
den, so  passen  stärkende  Mittel:  Milchdiät,  eisenhaltige  Mineralwasser,  be- 
sonders Driburger  Brunnen  (s.  Hufeland's  Journ.  Bd.  XXIII.  St.  S),  ferner 
Ammonium  rauriat.  martiat.  ,  bittere  Mittel:  ^!  Ammon.  murint.  martidt. 
^j  —  3llr»  ExW.  Card,  hened,  3jjj »  ^qfM«e  for.  auraniior.  gvj.  M.  S.  Zwei- 
stündlich 1  Esslöffel  voll.  Die  Anwendung  der  fixem  und  besonders  der 
erhitzenden  Roborantia  erfordert  Vorsicht,  da  sie  leicht  die  Thätigkeit  des 
Herzens  zu  sehr  vermehren  und  Leibesverstopfung  machen.  Die  Mineral - 
säuren  sind  auch  mit  Nutzen  angewandt  worden  (ßiclUer).    Ist  Syphilis  die 


120  ANEURTSiVIA 

Ursache  des  Übel« ,  so  sind  zwar  Mercurlalia  anzuwenden ,  z.  B.  Merc.  Julc. 
gr.  j,  Herb,  digital,  gr.  jj.  S'.  Alle  Abende  ein  solches  Pulver;  jedoch  müs- 
sen die  Quecksilbermittel  hier  mit  Vorsicht  angewandt  werden,  indem  sie 
selbst  Aneurysma  erzeugen  können  (Kre\isig).  Bei  Arthritis  incongrua  pas- 
sen Antimonialia,  Aconitum,  und  hier,  wie  in' ähnlichen  Fällen ,  sind  äussere 
ableitende  Mittel ,  Zugpflaster  etc. ,  anzuwenden ,  z.  B.  F^.  Emplast.  vesicat. 
perpet.,  Empl.  litJiargyr.  compos,  ana  5J.  Liquef.  f.  e:mpl.  S.  Auf  Leder  ge- 
strichen auf  die  Brust  zu  legen.  Ferner  Blasenpfla^ter ,  Fontanelle,  Haar- 
seile ,  Seidelbast ,  Moxa  etc.  Um  die'  Kraft  und  die  Schnelligkeit  des  Herz- 
und  Pulsschlages  zu  vermindern ,  hat  man  in  neuestöi'  Zeit  die  Darreichung 
grosser  Gaben  von  Tart.  emetic.  empföhlet! ,  .aber,  so  viel  ich  weiss,  bis 
jetzt  nicht  in  Anwendung  gebracht,  was  auchj  in  manchen  Fällen  wenig- 
stens,.kaum  räthllch  seyn  dürfte.  Die  Diät  ist  sehr  wichtig.  Der  Kranke 
darf  nur  wenig  gemessen ;  die  Nahhingsmittcl'  müssen  leicbt  verdaulich, 
nicht  reizend ,  nicht  erhitzend  seyn,  unid  dürfen  nur  in  solchen  Portionen 
genossen  werden,  als  zur  Frist ung  des  Lebens  nöthwendig  ist  (Mor'gngni). 
Passive  Bewegungen  (sanftes  Fahren)  in' freier  Luft ,  möglichst  heitere  Stim- 
mung des  Gemüths,  Vermeiduhg  aller  Aufre^un|r  desselben  sind  von  grossem 
Vortheile.  DaJjei  sorge  maü  für  tägliche! Leibesöffnung  durch  Klystiere, 
durch  kühlende  Abführungen >  besonders  Tamarinden,  und  dulde  durchaus 
keine  Stuhlverhaltung.  1 

li  Aneurifsnia  mixtum  ,  ^\e.  gemischtb  oder  iz  us  ammengesetzt  e 
Pa Isadergeschwulst.  Man  versteht  darunter  .die  widernatürliche  Er- 
weiterung der  inixern  Art erierihaut ,'  entstanden  duFch  eine  Spaltung  de^ 
äussern  Häute  in  Fx)lgeiiiechanischer  Verletzung '(Schnitt,  Stich),  wodurch 
sie  gedrungen  und  vom  ajndrihgenden  Blute  säckforaüg  ausged^-hnt  ist.  Oder 
man  .begreift  darunter  auch  deij  tim^ekehrtesn  B^aü,  r>vo  nämlich  eine  Erwei- 
terung sämmtlicher-Arterienhäate  an  :irgend  einer.  Stelle  stattgefunden  hat, 
die  äussere  Haut- aber  geborgten  und  die  innere  ini:  ausgedehnten  Zustande 
zurückgeblieben  ist.  '  Beide  Fälle  existiren  aber  nach  neuern  Untersuchun- 
gen "nicht  {Chelius).  Ferner  belegt  man  mit  diesem  Namen  eine  durclis 
Bersten  eines  A.-: verum  ehtstanderie  Pulsader'geschwulst ,  wobei  jdas  Blut 
sich  ins- Zellgewebe  ergiesst.'.'  Dies  ist  aber  kein  A. .  mixtum ,  sondern  ein 
Au  spurium  diffusum  (s.idieiseh -Artikel), .  '        ,.  . 

->i;I  JncKrysnirt  .f?«^  mtni/oniesm,  s.  TePa'ngiectabia.  '  "il>  'liitiiil-il) 
'■  '  Aneurysmn  pritiiiüvum ,  die  utsprünglichePiilsader  ges  c  hwu  Ist; 
Ist  eine  solche  falsche  oder  wahi'e  Pulsadergeschwulst,  die  nicht  aus  einer 
andern  verhergegangehen  ihren  Uirspiriuig  nimmt  (s. -Aneurysjoda  verara 
und  A.  spurium  diffusum).  '      ■  '     '     .  "'i  i;<i!!,"i- >'(!••/ 

Aneurysma  spongiosum,  6.  Telängiectasia.' 1  ■'■   I'  n  .  .-i.' <•>•''' 

Aneurysma  spontnneum ,  s.  ■  A.  v  e  r  n  m.  '  ■"■'    >■  >    ■ 

Anetirysma  spurium ,  d i e'  f a  1  s  c h  e  P  u  1  s  a  d'e rg e s  c h  w  u  I s t.  Ist  eine 
solche,  an  tiefera  öder-  oberflächlich  liegenden  Arterien  vorkömmende  Ge^ 
schwulst  von  oben  erwähnter  charakteristischer  Beschaffenheit  {s.  Aneu- 
rysma), die  sich  von  dem  wahren  Aneui-ysma  dadurch  unterscheidet,  dass 
die  Höhlung,  welche  sie  bildet,  nicht  der  erweiterte  Durchmesser  der  Ar- 
terie selbst  istj  sondern  dass  das  Blut,  welches  sie  enthält,  mit  dem  Arte- 
rienblute  nur  durch  die  dui^chlöcherten  Arterienhäute  in  .Verbindung  steht, 
dass  die  den  Sack  der  Geschwfulst  bildende  äussere  Umgrenzung  des  Bluts 
entweder  gar'  keine  Arterienhaut  ist,  oder  hur  von  der  äussern  Zellhaut  der 
Arterie  allein  gebildet  wird.  Die  falsche  Pulsadergeschwulst,  welche  sich 
au<i;h  dadurch  von  der  wahren  unterscheidet,  dass  sich  nur  in  ihr  geronne- 
nes Blut  bildet,' zeffällt  aus  der  angegebenen  Verschiedenheit  in  die  beiden 
hier  folgenden  Unterarten.  Neuern  Untersuchungen  zufolge  soll  das  Aneu- 
rysma spurium  in.  der  hier  angegebenen!  Bedeutuhg  nicht  vorkonlmeri ,'  son- 
dern der  Sack  soll  von  denselben  Häuten  der  Arterie  wie  beibi  Aneurysma 
verum  gebildet  seyn,  oder  das  Blut,  nachdem  eämmtliche  Arterienhäute  ge- 
borsten sind,  ini  ZeUgewebe  ergossen  werden.  Es  scheinen  diese  Unter- 
suclmngcn,    obgleich  sie  jnait  grossem   Eifer  betrieben   worden   sind,   noch 


ANEimYSMA  121 

nicht  za  einem  slcheni  ResuKat  geführt  za  "hab'dn  (s.  Aneurysma,  nntef 
Lrsachen),  weshalb  die  bisher  gewöhnlidhe  Einlheilung  des  Aneur.  spur, 
hier  beibehalten  worden  ist.  ''■■■'  ;; 

Aneurysma  spurium  cirtumscriptuni  yj  consecutivum ,  die  unächte  umU 
»chriebene  oder  nachfolgende  P-ü  Isadergeschwulst.  Hier  wird 
d«i*  aneurysmatische -Sack  von  der  äussern!. Zellhaut  der  Arterie  gebildet, 
lund  das  Übel  ist  ^tets  Folge  eines  A. '  vei-um ,  dessen  innere  Häute  gebor- 
sten sind,  was  auch  bei. dem  A.  spurium' diffusum  der  Fall  ist,  nur  die 
Zellhaut  der  Arterie  ist  nicht  geborsten.  Kennzeichen  und  Diagnose. 
Schwächere  Pulsation,  wie  bei  A.  verum,  die  auch  früher  bei  Vergrösse- 
rung  der  Geschwulst  gänzlich  aufhört ,  wo  das  angesammelte  Blut  stockt^ 
coagulirt  und  sich  daher  das  Aneurysma  härter  als  das  wahre  anfühlt,  auch 
bei  angebrachtem  Druck  langsamer  verkleinert  j  bei- Aufhören  desselben  lang-, 
samer  vergrössert,  wie  bei  A.  verum.  Oft  ist  hi'er  das  Ab-  und . Zutliessen 
des  Bluts  mit  deutlichem  Geräusch  verbunden.  Je  grösser  das  A.  spurium 
circumscriptum  ist,  desto  mehr  verdickt  sich  dessen  umgebende  Haut-,  das 
Gegentheil  findet  statt  beim  A.  verum  cii'cjumscriptum.  Letzteres  verklei- 
nert sich  selbst  nach  dem  Tode,  dagegen  erster^  auch  in' der  Leiche  die 
äussere  Form  behält.  Ursachen  und.  BehaUd  lung.  Wie  bei  A.  verum, 
wovon  es  Folge  ist.  Cusnci!  mächte  in  .'dem  Dublin  Jburn.  of  medic.  an<j 
ehem.  Sc.  No.  2,  May  1832  einige  Bemerkungen  über  das  Aneurysma  spur, 
bekannt.  Ein  solches  war  in  Folge  eines  Aderlasses  am  Arm  entstanden, 
und  wurde  durch  massig  aatiphlogistisches  Verfahren,  Bedeckung  der  Ge- 
schwulst mit  Compressen ,  nasser  Charpie  und  Einwickelung  von  den  Fin-r 
gerspitzen  bis  zur  Armbeuge,  mittels  CirkeUoucen,.  die  auf  der  Geschwulst 
»ehr  Wcker  auflagen,  nach  30  Tagen,  ohne  Obliteration  der  Art;  brathia-r 
lis, geheilt.  Aus  diesem  und  mehreren- adderen  Fällen  zieht  C  dän  ScMuss, 
dass  die  Obliteration  bei  der  Heilunig  des:  Aneurysma  seltener  riothi^  sey, 
als  man  gewöhnlich  glaube ,:  dass  ferner  der  auf  ein  Aneurysma  spurium.  ;eir- 
cumscript.  angewandte  Druck  nicht  zu  «chacf  sdyn  dürfe,,  weil  son^t  das 
Aneurysma I  cii-cilmdcriptum  in' ein  diffusum' verwandelt  werde,' dass  endlich 
der  Druck  vorzüglich  da  seiae  Anwendung  .finden  müsse,  wo  sowol  .der 
anenrysmatische   SaJck  >als:(aiufih  .'desseri  Umgebung  noch  frei  von   EntKÜa-^ 

düng  seyen.  '      ' •••'  -•?    -'■■.\r-:     ,•■'•.    ■         ■.■■!>.'    •.      •■•;    ■,  ,<( 

i  •  '  'Aneurysma  spuritmt  diffusum  s.  prim-kivüni',  <lie  falsche  a  u  s  g  e'b  r  e  i  - 
t^ete  oder  ursprüngliche  Puls  adergeschwulst'.  Hier  Ist  das  Bliit 
unmittelbar  im  Zellgewebe  ^ .  nicht  in  einer  der  Artedenhäute  enthalten  ^  da 
es  Folge  einer  Durchlöcherung:  sämmtlichen  die  AHerie  bildenden  Häutie  ist. 
Zeichen,  Die  Geschwulst  ist  üngleichmässig  länglich ,  erstreckt i sieht  mehr 
oder  weniger  oberhalb  und  unterhalb  der  Arterienöffnung ,  ist .  bei  bedeubeh- 
dein  Umfange  höchst  schmerzhaft  und  die  sie  bedeckende  Haut 'sieht ;r6th^ 
blau,  zuletzt  selbst'  schwärzlich  ausl  .  Vera  nlas. jungen.  ,  Dife  häufigste 
ist  ein  fehlerhafter  Aderlass,  wo  statt  der  Vene  die! Arterie  getroffen iwisd; 
Das  Blut  spritzt  bei  solcher  unglücklichen  Venaesection  in  einem  Uäge^iCihn-r 
lieh  starken,  ungleichmässigen ,  unterbrochenen  Strome  und  ^ieht  „helLröth 
aus,  weil  es  Arterienblut  ist;  die  Blutung  wird  weniger  heftig  Und  !gleich- 
mässig  nach  angewandtem  Druck  oberhalb  der  Aderwunde.  B  e handeln ng. 
Ist  hier  chirurgisch.^  Man  lässt  eine  bedeutende  Menge  Blut  fliessen,  bi« 
Ohnmacht 'erfolgt ,  legt  Compression  an,;  wickelt  das  ganze  Glied  ein  etc.  , 

Aneurysma  vnricosum  s.  venosum,  Phleharteriodiahjsis ,  die  P.uls-Blut- 
ader^eschwulst.  Ist  eine  in  der  Nähe  einet  Arterie  und  Vene  vorkom- 
kommende,  fluctuirende,  elgenthümlicb  schwappende,  gering  pulsirende  Ge- 
schwulst von  bläulicher  Farbe,  welche  sich  beim  Druck  auf  dieselbe . ver- 
kleinert und  unter  zischendem  Geräusch  gänzlich  verschwindet,  bei  Com- 
pression der  Vene  unterhalb  ihres  äüs.sern  Umfänges  an  Grösse  zunimmt, 
un^  .bei  Compres.siön  der  Arterie  oberhalb  ihres  Umfänges  ihre  Pulsation 
verliert.  Der  oberhalb  der  GeschwTÜst  liegende  Theil  der  Arteiie.  ist  aus- 
gedehnt, der  unterhalb  derselben  liegende  dagegen  im  Durchmesser  vecklei- 
niert,     Ursachen.     Sind    immer   Verwundungen,     welche  die    Arterie   und 


122  ANEimTSMA 

Vene  zugleich  treffen ,  z.  B,  ein  Aderlass  am  Arme ,  wo  die  Vena  median: 
zugleich  mit  der  obern  Wand  der  Arteria  brachialis  durchgeschlagen  ist 
Bleiben  hier  die  Öffnungen  der  Vene  und  Arterie  in  unrerrückter  Lage ,  s< 
fliesst  das  Blut  unmittelbar  aus  der  Arterie  in  die  Vene  über  und  es  ent 
steht  ein  aneurysroatischer  Varix  (s.  Varix  aneurysma  ticns).  Wir( 
aber  die  Öffnung  der  Ai'teric  oder  Vene  verschoben,  so  häuft  sich  das  Blu; 
in  der  die  Arterie  und  Vene  verbindenden  Zellliaut  und  bildet  das  Aneu- 
rysma varicosum.  Cur.  Ist  rein  chirurgisch  (s.  die  Handbücher  der  Chi- 
rurgie). 

Aneurysma  verum,  s.  primitivum,  s.  spontaneum,  die  wahre  Ursprung 
liehe  Pulsadergeschwulst.  Sie  kommt  sowol  äusserüch,  als  inner- 
lich vor  (A.  externum  et  internum),  hat  die  oben  (s.  Aneurysma)  ange- 
gebenen Merkmale,  besteht  also  in  einer  abnormen,  sowol  theUweisen,  ah 
völligen  Erweiterung  der  Arterienhäute  an  einer  oder  der  andern  Stelle  ei- 
ner Pulsader,  Die  Geschwulst  enthält  niemals  coagulirtes  Blut  in  ihrei 
Höhle,  kann  also  als  solche,  wenn  sie  nicht  in  ein  A.  spurium  übergeht, 
nie  die  oben  unter  Aneurysma  (No.  8,  4,  5)  angegebenen  Ausgänge  neh- 
men. Der  Sack  des  wahren  Aneurysma  wird  bei  zimehmendem  Übel  till- 
mälig  dünner  luid  seine  Gestalt  ^^'ird,  we  schon  gesagt  worden  (s.  A.  spu- 
rium circumscriptum),  nach  dem  Tode  verändert.  Ursachen  und 
Behandlung.  Wie  bei  Aneurysma  im  Allgemeinen;  ist  verschieden,  je 
nachdem  es  ein  A.  externnm  oder  internum  ist. 

Aneurysma  verum  circumscriptum,  die  wahre  umschriebene  Puls 
adergeschwulst.  Ist  eine  Unterart  des  wahren  Aneurysma,  die  sich 
dadurch  charakterisirt ,  dass  sie  nur  eine  kleine  Strecke  in  dem  Verlauf  ei- 
ner Arterie  einnimmt.  Der  ganze  Unterschied  hat  wenig  praktischen  Werth, 
da  die  Behandlung  ganz  wie  bei  A.  verum  ist.  Joh.  Schröder. 

Nachschrift  des  Herausgebers.  Über  die  medicinisch- chirur- 
gische Behandlung  der  Pulsadergeschwülste,  insbesondö-e  des  Aneurysma 
cordis,  hat  Larrey  seine  Erfahnuigen  bekannt  gemacht,  welche  von  hohem 
Interesse  sind  (s.  v.  Gräfe's  und  v.  Walther^s  Journ.  f.  Chirurgie,  183 1. 
Bd.  XV.  Heft  3.  S.  449),  Larrey  unterscheidet  mit  Corvisart  ein  Aneii- 
rysma  cordis  aictivum  et  passivum.  Die  Diagnose  ergiebt  hier  Folgendes ; 
Das  active  Aneurysma  des  Herzens  ist  weit  seltener  als  das  passive ,  und 
entwickelt  sich  vorzugsweise  bei  Menschen  von  nervös- sanguinischer.  Con- 
stitution. Es  charakterisirt  sich  durch  eine  gewisse  Störung  in  den  Fun- 
ctionen des  Athmens  und  der  Stimme,  welche  bei  längerer  Dautr  des  Übels  von 
einem  starken  Husten  und  Auswerfen  einer  schleimigen,  mit  Luftblasen,  häufig 
auch  mit  Blut  vermischten  Materie  verbunden  ist ;  ferner  durch  einen  dum- 
pfen und  drückenden  Schmerz  in  der  Herzgrube ,  durch  die  Ohnmächten 
und  Erstickungszufälle ,  Welche  plötzlich  eintreten ,  sowie  der  Kranke  sich 
auf  die  linke  Seite  legt.  Die  untern  falschen  Rippen  dieser  Seite  verlieren 
ihre  Beweglichkeit  und  bilden  später  nach  aussen  einen  Vorsprung.  Der 
Kranke  fühlt  starkes,  schmerzhaftes  und  tiefes  Herzklopfen,  welches  sich 
bei  starken  Bewegungen  bedeutend  vermehrt.  Der  Puls  ist  vibrirend,  schnel- 
lend, häufig  an  einer  Seite  mehr  comprimirt  als  an  der  andern;  die  Wan- 
gen, Ohren  und  Lippen  sind  blauroth,  überhaupt  tritt  die  Venosität  sehr 
hervor,  der  Kranke  ist  unruhig  uüd  sehr  zum  Zorne  geneigt;  der  Tod  folgt 
durch  Wassersucht  oder  Apoplexie;  die  Section  zeigt  verdickte  Wandungen 
des  Herzens.  Beim  passiven  Herzaneorysma  sind  letztere  verdünnt  und  die 
Fasern  sind  erschlafft ;  ihr  Mangel  an  Contractilität  hat  bedeutende  Erwei- 
terung des  Herzens  zur  Folge,  so  dass  die  linke  Lvuige  nach  oben  gedrängt 
und  durch  den  Druck  selbst  Caries  der  Rippen  hervorgebracht  wird.  Da 
die  rechte  Herzhöhle  sich  am  meisten  erweitert,  so  nimmt  man  die  Herz- 
schläge hier  in  den  Zwischenräumen  der  Rippen  selbst  durchs  Gefühl  wahr; 
auch  fühlt  man  sie  in  der  Gegend  des  linken  Schulterblatts.  Die  Tempe- 
ratur der  ganzen  Herzgegend  beträgt  hier  oft  32^  R.  und  mehr;  der  Puls 
ist  schnell,  irregulär,  klein,  gegen  Abend  zeigt  sich  ein  Fieberparoxysmus 
mit  intermittirendem  Charakter ;  der  Tod  erfolgt  diurch  Zerreissung  des  wei- 


ANEURYSMA  123 


hen  Herzend  und  daher  rührende  innere  Verblutung,  durch  Blutergiessung 
i  die  Bronchien,  in  die  Speiseröhre,  oder  durch  aligemeine  Wassersucht, 
ehandlung.  Da  Syphilis,  Rhachitis,  Scropheln,  Rheuma  oder  Herpea 
ie  vorzüglichsten  innern  Ursachen  des  Übels  sind,  so  verordnet  Larrey 
egen  diese  Dyskrasie  folgenden  Liquor :  I^  Merc.  sublim,  corros. ,  Snl.  am- 
lon.  dep.  ana  gr.  v,   solve   in  lAq.  anodyn.   m.  Hoffm.  q.  s.    ndde  Opii  puri 

Jr.  V,  in  Aq.   dest.   q.  s.  solut.   et  admisc.  Aq.  destillatac  S  j.    M.  S.     Zwei 
is  Smal   täglich  1  —  2  Theelöifel  voll  in  Milch.     Um   die  Turgescenz   des 
tluts  zu  vermindern,  werden  an  die  Rücken-  und  Lendengegend  öfters  blu- 
ige   Schröpfköpfe    gesetzt.      Dann   wendet    er    äusserlich   Eisumschläge   an, 
ur  nicht    bei  gleichzeitiger  Complication  mit  Lungenschwindsucht ,    um  das 
lerz  zu  verkleinern ;    später  wird  längs   des  Verlaufs   der  Intercostalnerven 
linter   das   linke  Hypochondrium   die  Moxa   applicirt,    und    die  Brandstelle, 
im  die  Eiterung  zu  verhüten,   mit  Liq.   ammon.  oder  Aq.  Coloniae  betupft. 
)ie  Moxaanwendnng  wird  binnen  1  bis  IV2  Jahren  18 — 20mal   wiederholt, 
iabei  eine  milde,  nährende,  reizlose  Diät  beobachtet,  und  der  Andrang  des 
Jlutes  zum  Herzen  durch    öftere  Application  der  Blutegel  verhütet.     Larrey 
ühmt  die  Digitalis  nicht ,  er  führt  mehrere  Fälle  an ,  wo  seine  Methode  den 
glänzendsten  Erfolg  hatte.  (S.  Amelung  in  v.  Gräfe'»  «.  v.   Waltlter's  Journ. 
Chirurgie,  Bd.  XV.  Heft  3).      In  England  kommen  Pulsadergeschwülste, 
vas  man  dem  Klima  und  der  Lebensart  zuschreibt,    häufiger  als  in  Frank- 
eich vor;    auch  leiden  die  innern  Pulsadern  wegen  ihres  mehr  gekrümmten 
I  i^erlaufs     und    ihrer    verhältnissmässig     dünnern    Wandungen     öfter    daran, 
ils  die  äussern.     Vorzüglich   findet  man  sie  am  Arcus    aortae.     Am   meisten 
lisponirt  dazu   das  Alter  zwischen   40  und  50  Jahren.     Der  Missbrauch  der 
Spirituosa,    sowie    die  genannten  Dyskrasien,    begünstigen- dann   häufig  die 
iog.  Diaihcsis  nneurysmaiica ,    wo  dann  oft   gleichzeitig  mehrere  Pulsaderge-^ 
schwülste   bei    einem   solchen   Individuum  vorkommen.      So   beobachtete    Ai 
Cooper  bei  einem  Menschen  7,  Michaelis  9,  Pelletan  65  Schlagadergeschwülse, 
and  Mantani   führt  einen  Fall  an,    wo  er  unzählige  Aneurysmen    durch  den 
ganzen   Körper    zerstreuet   vorfand.      Atonie   der   Gelasswandungen ,    häufig 
selbst  in  Folge  von  Arteriitis,  und  ulceröse  Ausartungen,   kalkartige  Meta-* 
morphosen  der  Tunica  intima,    die  sich  als  Incrustation   darstellen  und  wie 
Eierschalen  unter  den  Fingern  zerbrechen ,  sind  als  ursächliche  Momente  oder 
als  Coeifecte  des  Übels  oft  vorgefunden  worden,  desgleichen  Verdickung  und 
Malacosis  der  Schlagadern.      Zu  letzterer  mag  der  Missbrauch    des  Mercurs 
bei   syphilitischen    und    andern    Kranken    und   der    übermässige   Genuss    der 
Spirituosa  besonders  noch  Anlass  geben.     In  allen  solchen  Fällen,  wo  keine 
Diathesis    aneurysmatica  stattfindet,    kann  die  Operation,    lässt   sich  anders 
das  Gefass  unterbinden,  mit  Glück  ausgeführt  werden  und  einen  glänzenden 
Erfolg  haben.      So  unterband  mit  Glück  Magendie   die  linke   gemeinschaft- 
liche Kopfschlagader,    eben  so,    wie  eben   erwähnt,    Wardrop  und  Cooper  ^ 
indessen  heilte  doch  Dr.  Salter  ein  Aneurysma   an  der  Armschlagader  durch 
Druck  ohne  Obliteration  des  Gefasses  (s.  GersoWs  u.  Julius^  Magaz.  d.  ausl. 
Lit.  d.  ges.  Heilkunde  1828.  Juli  u.  August,  S.  93,  105  u.  114).     Obgleich 
der  Ausgang   der  Aneurysmen,    besonders   der  innern,    oft    tödtlich  abläuft, 
indem  der  Sack  platzt  und  der  Mensch  tödtlich  verblutet ,  so  gelang  es  doch 
in  mehreren  Fällen  der  Natürheilkraft ,    sie  zu  heilen,    und  zwar  unter  fbi-^ 
genden  Umständen :  1)  diu-ch  Ablagerung  von  coaguHrter  Lymphe ,  wodurch 
sowol  der   aneurysmatische  Sack,    als   auch  das   ganze  Lumen  des  Gefiisse» 
bis  zum  nächsten  CollateralaSt,    oberhalb  nnd  unterhalb,    verschlossen  wird 
(^rr/,   Petit,  DesauU,  Gkattmii,    Baillie  und  A.),   wodurch  die  Geschwulst 
allmälig  aufhörte  Zu  pulsiren ,    fester  wird  und   sich  nach  und  nach  verklei-i- 
nert,    so  dass  nur  öine   kleine  sarcomatöse  Geschwulst  übrig  bleibt.     2)  Es 
"wird    der    aneurysmatische    Sack    durch    Lymphcoagulum    verschlossen-,    da» 
Lumen   des    Gefasses  bleibt    aber   offen   (^Scarpa,    Petit,    Jones,    Hodtjson). 
3)  Die  Sehlagadergeschwulst  heilt  durch  Druck ,  indem  die  bedeutend  grosse 
Geschwulst    sich    gegen   den    zu  -    oder    ableitenden    Arterienstamm   anlegt, 
seine  Wandungen  m  gegenseitiger  Berührung  erhält,   in  ihm   eine  adhäsiv« 


124  ANEURYSMA 

Entzündung  und  hiefdarch  endlldi  eine  Verwachäung  hefrorbringt  (A.  Coo- 
per,  nod[ison)i  4)  Die  aneurysmatische  Gescliwulst  wrd  durch  Brand 
vertilgt,  indem  die  Ausdehnung  der  in  Entzündung  gerathenen  Geschwulst 
den  höchsten  Grad  erreicht  hait,  und  sich  nun  ein  brandiges,  fauliges  Ge- 
schwür bildet.  Reichen  die  Kräfte  des  Kranken  hin,  »o  stoäsen  sich  di« 
brandigen  Partien  los,  die  Geschwulst  berstet,  entleert  das  gesamnxelte 
Blut",  erzeugt  gute  Granulatio.n' und  Schliessung  der.  kranken  Stelle.  .Doch 
ist  dies  nicht  immer  der  Fall.  Vor  3  Jahren  bekam,  ich  einen  Wagenmein^: 
ster  mit  Aneurysma  popliteäe,  das  schon  geplatzt  war  und  höchst  cadaverös 
roch,  in  die  Cur.  Er  hatte  dasselbe  durch:  eilten  Sturz  vom  PoStwageji 
ein  halbes  Jahr  früher  erhalten,  war  jetzt  kacbektisch,  sehr  abgezehrt,  liti 
an  hektischem  Fieber  und  Colliquationen ;  -rr-  bedeutwde  Blutungen ,  dift 
sich  periodisch  eingestellt,  hatten  den  Kranken  sehr  geschwächt  und  aOI 
eine  Operation  (Amputation),  war  wegen  der  grossen  Schwäche  des  Krai^r 
ken,  der  .sich  Jahre  lang  schon  durch  Spirituosa  ruinirt  und  öfter  am  De-  1 
lirium  tremens  ,  selbst  in  der  letzten  Zeit  noch  gelitten  hatte ,  nicht  zu  denr. 
ken.  Es  blieb  daher  nur.  ein  palliatives  Verfahren  übrig.  Der  Kranke  ef;-, 
hielt  innerlich  China ,  Opium  Mnd  dergU ,  und  äusserlich  wurden  Ol.  tere-< 
binth. ,  Myrrha ,  Pulv.  cort.  quercus  etc.  angewandt.  Tfolz  dem  schritt 
der  Brand  vorwärts  und  dieser  hatte  alle  Geienktheile  und.  selbst  die  Kno- 
chen zuletzt  der  Art  zerstört,  dass  das  Bein  des  Kranken,  der  zuletzt  un^ 
ter  grosser  Schwäche  und  Sopor  den  Geist  aufgab,  beinahe  völlig  getrennt 
vom  Oberschenkel  war  und  nur  durch  ein  paar  Bänder  noch  zusammenhing; 
Mein  verehrter  College,  Herr  Oberarzt  Dr.  Dethnrdifig  jwi. ,  der  den  Kraji- 
ken  in  der  letzten  Zeit  mit  behandelte,  wair  mit  mir  über  die  grosse-  Zett\ 
Störung  des  ganzen  Gelenks  höchst  erstaunt.  —  Was  die.  medicinische  Be- 
handlung der  Innern  Pulsadergeschwülste  betrifft,  so  dienen  die  oft  empfon,- 
lenen  wiederholten  kleinen  Aderlässe  nicht  allein  dazu,  um  die  Blutmaisse  zu 
vermindern,  sondern  auch  dazu,  dass  die  Blutcirculation  langsamer  un4 
schwächet  wird,  wodurch  eine  grössere  Neigung  zui'  Absetzung  von  FasePr 
fitoff  hervorgebracht  werden  muss.  Grosse  Aderlässe, sind,  wie  schon  Aforr 
ffngni  bemerkt,  stets  geföhrlich ,  indem  sie  Ohnmacht,  .plötzliche  BJut$tagna-^ 
tioneu  und  dadurch  tödtliche  Zerreissung  der.  Geschwulst  ?ur  FQlg«,habqn 
können.  Eine  nur  aus  PHanzetikost  bestehende,  knappe  Diät  und  möglichste 
Geistes-  und  Körperruhe  Vermögen  auch  hier  sehr  viel ,  und  der  Arzt  muss 
daher  recht  streng  auf  deren  Befolgung  halten.  FäIsaUn''s  Verfahren  be- 
stand darin,  dass  nach  vorausgeschicktem  Aderlasse  dem  Kranken  täglich 
etwas  mehr  Speise  entzpgen  wurde,  bis  derselbe  zuletzt  nur  Morgens  '/j 
und  Abends  kaum  '/4  ß!  eines  Breies  neben  einer  ebenfalls  genau  zugemesse- 
nen Quantität  Wassers  erhielt,  welches  in  einzelnen  Fällen  mit  etvyas  fein 
gepulvertem  Beinbruchstein  (Lapis  osteocolla)  vermischt  war.  Hatte  die 
bald  eintretende  Schwäche  endlich  den  Grad  erreicht ,  dass  der  Patient 
kaum  noch  das  Vermögen  besass,  die  Hand  vom  Bette  zu  erheben,  so  wur- 
den durch  allmälige  Verstärkung  der  Quantität,  def  Nahrungsmittel  die 
Kräfte  wied^er  bis  zu  dem. Masse  erhoben,  dass  nöthigen  Falls  eine  Wieder- 
holung der  Cur  vorgenommen  werden  konnte.  Bei  bejahrten,  schwächlichen, 
kachektischen  Subjecten  passt  dieses  Verfahren  nicht ;  denn  sie  werden  leight 
ein  Opfer  dieser  Entziehuogscur.  Dass  es  höchst  falsch  sey,  bei  allgemei- 
ner aneurysmatischer  Diathese  die  Operation  '  mittels  der.  Ligatur  vorzuneh- 
men,! ist  eine  Thatsache,  die  sich  hier  noch  neuerlich  durch  ein  Beispiel  be- 
stätigte, wo  ein  Kranker ,  der  am  Aneur.  subclaviae  litt,,  unter  dem  Messer 
des  Operateurs,  äes  Prof,  Quitlenhaum,  starb,  indem  die  aneurysmatische 
Geschwulst  platzte  und  der  Kranke  an  Verblutung  starb.  Über  die  Art 
und  Weise  der  Operation  vergleiche  den  Artikel  Ligatura.  {Morgagni 
Epist.  XVII.  No.  30.  Hodgson,  Treatise  on  the  diseases  of  the  arteries  and 
veins  etc. ,  deutsch  von  Koherwein.  Hannov. ,  1817.  Samml.  einiger  Abhandl. 
von  Scarpa ,  Vacca  Berlinghia'i  u.  UlccUi  über  die  Pulsadergeschwülste.  A. 
d.  Ital.  mit  Zusätzen  von  Seiler.  Zürich,  1822.  Jtfn«noir,  Mem.  physiologique» 
et  pratii|ues  sur  Taneurysma  et  la  ligature  des  arteres.    Genev.  1810). 


ANGIECTASIS  125 

Ang^iectasif?,  Angiektasie,  Gefässaußdehnung,  Gefäss- 
erweiterung.  Dieser  krankhafte  Zustand  kann  sowol  an  Arterien,  als 
an  Venen  und  lymphatischen  Gelassen ,  sowol  'an  Hauptstämmen ,  als  an 
Ästen  und  Endzweigen  stattfinden.  Die  Ausdehnung  der  Gefässe  beim 
Wachsthum  des  Körpers  oder  einzelner  Organe ,  z.  B.  des  Uterus ,  der 
Brüste  in  der  Pubertät  und  Schwangerschaft,  gehört  nicht  hierher,  da  sie 
der  Gesundheit  angehört.  Symptome.  Ist  die  Angiektasie  an  der  Ober- 
fläche des  Körpers  befindlich,  so  ist  sie  leicht  zu  erkennen.  Bei  arterieller 
Form  erscheint  die  Haut  hellroth,  bei  yenöser  violett  oder  dunkelblau,  bei 
der  lymphatischen  Form'  weiss  oder  durchsichtig.  Tieferliegende  Angiekta- 
ßien  erkennt  man  an  d«r  Veränderung  des,  ümfangs  der  Geschwulst  auf  an- 
gewandten Druck.  Die  arterielle  Angiektasie  vergrössert  sich  nach  einem 
Drucke,  den  man  unterhalb  derselben  anbringt,  die  venöse  und  lymphatische 
nach  einem  oberhalb  a)igebrachten  Drucke ,  d.  h,  zwischen  der  Geschwulst 
und  dem  Herzen.  Un regelmässiger  Pulsschlag,  Gefühl  von  Druck  und  Span-*- 
nung  in  der  Brust  -  oder  Bauchhöhle,  das  sich  bei  Bewegung  des  Körpers 
vermehrt ,  bei  Ruhe  vermindert ,  lässt  innere  Angiektasien  vermuthen.  Aneu- 
rysmatische  und  varicöse  Ausdehnungen  der  Gefässe  der  Netzhaut  erregen 
Staar,  die  der  Vasa  thyreoidea  Stimmlosigkeit ,  die  der  Vasa  renalia  Ischu- 
rie,  die  der  Hirngefässe  Kopfschmerz,  Schwindel,  Geisteskrankheiten  und 
Apoplexie.  Will  man  indessen  von  diesen  Zufällen  auf  innere  Angiektasien 
schliessen,  so  müssen  auch  die  übrigen  K'rankheitserscheinungen  als  unmit- 
telbare Phänomene  verletzter  Gefässe  erkannt  worden  seyn  (y.  Gräfe).  Ur- 
sachen. Sind  theils  allgemeine,  theils  örtliche.  Alles,  was  Aneurysmen 
macht,  kann  auch  Angiektasien  erregen;  z.B.  Scrophulosis ,  Venerie,  Chlo- 
rosis,  Arthritis,  wodurch  die  Gefässe  erschlafft  und  geschwächt  werden. 
Auch  Scorbut,  Mercurialkrankheit ,  der  Missbrauch  der  geistigen  Getränks 
und  der  Narcotica,  Mangel  an  Licht,  an  gesunder  Luft,  z»  B.  in  Schach^ 
ten,  in  Gelanguissen  etc.,  gehört  hierher.  Oft  ist  erbliche  Anlage  da,  z.  Bj 
bei  Hämorrhoiden  des  Mastdarms  ^  der  Blase ,  welche  allerdings  anch  zu  den 
Angiektasien  gehören.  Gelegentliche  Ursachen  sind:  Reizung  und  Congestion 
an  irgend  einem  Theile;  so  sehen  wir  in  der  Peripherie  des  Krebses  ausge- 
dehnte Gefässe,  desgleichen  durch  zu  häufigen  Coitus  variköse  Ausdehnun- 
gen an  den  Genitalien;  ferner  öfter  wiederkehrende  Aufregungen  im  Blut- 
systeme  durch  Gemüthsbewegungen :  Zorn,  Schreck,  Furcht;  mechanische 
Anstrengungen  des  Körpers :  heftiges  Schreien ,  Singen ,  Heben  schwere^ 
Lasten,  schwere  Gebürtsarbeit ,  heftiges  und  anhaltendes  Erbrechen;  me- 
chanische Hindernisse  des  Kreislaufs:  Verwachsungen  der  Gefässe  nach  Un- 
terbindungen, Anschwellungen,  Verknorpelungen,  Verknöcherungen  und  dar- 
aus entstehende  Verengerungen  der  Valveln ;  Druck  durch  fremde  Körper, 
Steine,  Gewächse  auf  die  Gefässe.  Verlauf  Manche  Gefässausdehnungen 
nehmen  langsam,  manche  schnell  zu,  manche  nehmen  periodisch  ab  und  zu 
und  präserviren  vor  grössern  Übeln  ,  z.  B.  die  Hämorrhoiden.  Bei  bedeu- 
tender Zunahme  platzen  auch  manche  Angiektasien.  Prognose.  Im  Gan- 
zen bei  venösen  luid  lymphatischen  Ausdehnungen  günstiger  als  bei  aneu- 
rysmatischen.  Manche  Formen  sind  gar  nicht  gefährlich  ,  z.  B.  viele  Mut- 
termäler.  Sehr  beschwerlich  sind  die  Erweiterungen  der  Venen  des  Samen- 
ßtrangs ,  der  untern  Extremitäten.  Manche  Telangiektasien  sind  gefährlich, 
z.  B.  der  Fungus  haematodes.  Cur  im  Allgemeinen.  Beseitigung  der 
entfernten  Ursachen,  der  Schwäche  und  Erschlaffung  der  Gefässe,  Entfer- 
nung der  Gelegenheitsursachen,  z.  B.  bei  allgemeiner  Plethora;  durch  Adesr- 
lässe,  Laxanzen,  knappe  Diät,  bei  Aneurysma  internum  durch  Hungercur 
(^Valsalvd),  Digitalis  (s.  Aneurysma),  sind  die  Hauptindicationen.  Das 
Speciellere  wird  anderswo  betrachtet  werden  (s.  die  Artikel:  Haemor- 
rhoides,  Varicocele,  Haematocele,  Varices,  Naevi  materni, 
Telangiectasis,  Abscessus  seu  Tumor  lymphaticus  ex  causa 
externa).  Die  topische  Behandlung  oberflächlich  liegender  Angiektasien 
besteht  darin,  dass  man  1)  Adstringentia  zur  Stärkung  der  erschlafften  Ge- 
fässe anwendet:  Umschläge  von  Eis,  Sclmee,   Fomentatio  Schmücken,  von 


126  ANGINA 

Alaunauflosung,  Decoct.  quercus  (z.  B.  bei  Varfcocele),  2)  man  wendet  Com 
pression  an,  besonders  da,  wo  das  Übel  über  einem  Knochen  liegt,  oder 
Binwickelung ,  z.  B.  bei  Blutaderknoten  an  den  Schenkeln.  Oft  hilft  aber 
weder  Adstringens  noch  Compression  und  es  bleibt  nichts  weiter  übrig,  als 
S)  die  Gefässausdehnung  ausser  alle  Verbindung  mit  dem  Kreislaufe  zu  setzen. 
Dies  geschieht  entweder  durch  Unterbindung  des  Gefässstammes ,  z.  B,  bei 
Aneurysma,  oder  durch  Exstii-pation  der  ganzen  Geschwulst  aus  dem  ge- 
sunden, nicht  mit  krankhaft  erweiterten  Gefässen  versehenen  Fleische,  z.  B 
l>ei  Telangiectasis,  Fungus  haematodes  (s.  d.  Artikel). 

Ang'ina«  Cynnnche,  Isthmitis,  Bräune,  Halsgeschwulst,  Hals- 
entzündung. Ist  Entzündung  des  gemeinschaftlicheil  Vorhofes  der  Schling- 
und  Athmuugswerkzeuge  (Isthmitis)  oder  dieser  selbst ,  vom  Hintermunde  bi» 
aum  Magen,  und  vom  Kehlkopfe  bis  zur  Lunge,  wodurch  das  Schlucken  und 
Athmen,  von  geringer  Hinderung  bis  zur  Unmöglichkeit,  beeinträchtigt  wird 
(^Sachse).  Diese  Definition  schliesst  zwar  manche  Krankheitsform  aus,  wel- 
che deu  Namen  Angina  hat,  z.  B.  die  Angina  parotidea,  pectoris,  spasmo- 
dica;  dennoch  halte  ich  es  für  nothwendig,  in  einem  medicinisch  -  chirurgi- 
üchen  Wörterbuche  ihrer  wenigstens  unter  der  Rubrik  Angina  zu  gedenken, 
wenn  auch  auf  richtigere  Namen  verwiesen  wird,  damit  der  Anfanger  und 
Unkundige  nicht  vei'gebens  sucht,  ein  Umstand,  der  von  Hrn.  Geheimenrath 
JSachse  in  seiner  übrigens  vortrefflichen  Abhandlung  der  Angina  (Berliner 
med.  -  Chirurg.  Encyclopädie  Bd.  II.  S.  457  ff.) ,  woraus  ich  auch  hier  eini- 
ges Pi aktische  entlehne,  übersehen  worden  ist.  Zeichen.  Das  allgemein- 
ste und  charakteristische  Symptom  der  Bräune  ist  Entzündung,  also  Hitze, 
GeschwTilst,  Röthe,  Schmerz  an  den  Theilen,  welche  den  Rachen  bilden; 
andere  Symptome  gehen  hervor  aus  der  Störung  in  der  Function  des  lei- 
denden Organs ,  aus  dem  Nervenreize  und  der  Beschaffenheit  des  Fieber«. 
Eintheilung,  Man  theilt  die  Bräunen  1)  nach  Verschiedenheit  des  lei- 
denden Organs  in  A.  palatina,  tonsillaris,  pharyngea,  uvularis,  laryngea  etc.  ; 

2)  nach  Verschiedenheit  der  Ursachen  in  A.  arthritica,  rheumatica,  catar-r 
rhalis ,    venerea ,    mercurialis ,    exanthematica ,    scarlatinosa ,    morbillosa  eta  ; 

3)  nach  der  verschiedenen  Beschaffenheit  des  Fiebers  (eine  für  die  Praxis 
eehr  wichtige  Eintheilung)  in  A.  inflammatoria ,  exquisita ,  A.  catarrhalis^ 
biliosa ,  putrida,  intermittens,  acuta,  chronica.  Ausgänge.  Die  Entzün- 
dung zertheilt  sich  entweder,  oder  sie  geht  (bei  Vernachlässigung  und  Cora- 
plicationen)  in  Eiterung,  Brand,  Verhärtung ,  nach  verschiedener  Beschaf- 
fenheit des  leidenden  Organs  über  (s.  die  einzelnen  Artikel  Angina  ton- 
sillaris, gangraenosa  etc.),  oder  sie  befällt  die  benachbarten  Theile, 
z.  B.  die  Parotis,  den  äussern  Hals,  selbst  die  Lungen.  Prognose.  Ist 
sehr  verschieden.  Es  giebt  Bräunen,  welche  fast  ohne  Arznei,  allein  durch 
gute  Diät  gehoben  werden  können,  z.  B.  die  gewöhnliche  Angina  catarrha- 
lis;  andere,  die  in  den  meisten  Fällen  tödtlich  sind,  besonders  bei  Vernach- 
lässigung und  später  Hülfe  der  Kunst ,  z.  B.  jede  heftige  entzündliche  Bräune 
in  der  Luftröhre,  die  brandige  Scharlachbräune.  Der  Tod  erfolgt  hier  ent- 
weder durch  Eiterung,  Ausschwitzung,  Brand,  Erstickung,  oder  durch  Er- 
schöpfung :  Ohnmächten ,  Zuckungen ,  Nervenzufalle  aller  Art.  Manche 
Kranke  sterben  apoplektisch ,  manche  erst  an  Nachkrankheiten.  Die  A.  pha- 
ryngea ist  gefährlicher  als  die  tonsillaris,  die  A.  trachealis  gefahrlicher  als 
die  pharjngea;  geht  eine  Angina  in  Eiterung  über,  so  ist  die  Zertheilung 
bei  der  Wiederkehr  schwierig ;  Compücationen  der  Angina  mit  Pneumonie 
sind  sehr  schlimm;  bei  scrophulöser  Anlage  bleiben  leicht  Drüsenverhärtun- 
gen zurück.  Behandlung  im  Allgemeinen.  1)  Da  bei  uns  die  acht 
entzündlichen  Bräunen  am  häufigsten  vorkommen,  besonders  bei  jungen,  voll- 
saftigen Subjecten  und  im  Frühling  und  Herbst,  so  muss  der  Arzt  in  der 
Kegel  (wenn  das  Übel  noch  neu,  nicht  vernachlässigt  ist)  antiphlogistisch 
verfahren,  und  zwar  um  so  mehi-,  je  heftiger  die  Geschwulst,  das  Fieber 
und  dessen  inflammatorischer  Charakter,  je  deutlicher  die  Entzündung  eine 
Inflammatio  exsudativa  ist ,  je  heftiger  die  Respirationsbeschw  erden ,  Angst, 
Blutcungestioiien ,  Hindernisse  im  Schlingen,  undeutliche,  dumpfe  oder  ganz- 


MGINA  127 

üch  mangelnde  Sprache,  rothcs  aufgetriebenes  Gesicht,  rothe  hervorgetrie- 
bene Augen  etc.  zugegen  sind.  2)  Durch:  die  Zeichen  des  gewöhnlich  schnel- 
len, härtlichen,  zusamraengpzogenen ,  .oft  krampfhaften  Pulses  lasse  der  Arzt 
sich  nicht  irre  machen ;  die  Beschwerden  in  der  Respiration  machen  ihn  hier 
so  sciincll ,  er  hebt  sich ,  wird  voller  und  langsamer  nach  dem  Aderlass,  eben 
so  wie  bei  Pneumonie.  Die  Berücksichtigung  aller  übrigen  Sj-raptome,  de* 
Stadiums   der  Krankheit,    der    Constitution   des    Kränken   muss   entscheiden. 

3)  Das  erste  und  grösste  Anüphlogisticum  sind  hier  Blutausleerungen,  sowol 
örtliche  (Blutegel  an  den  Hals,  Scarificationen- des  Nackens;  Äopj)),  aU 
allgemeine.  Erst  diese  machen  nicht  selten  das  Schlucken  möglich,  z.  B. 
bei  heftiger  Angina  scarlatinosa ;  alsdann  verordne  man  Nitrum,  Tart.  \'itrio- 
latus,  besonders  aber  Purgirsalze,  welche  durch  Beförderung  der  Leibes- 
öiTnung  die  Congestion  vom  Kopfe  ableiten,  z.  B.  Sal  Glauberi,  Sal  anglic. 
mit.  Aq.   flor.   sambuci,    mit  Decoct.   fruct.   tamarindor. ,    Oxym.   siropl.  etc. 

4)  Man  sorge,  noch  ehe  diese  IVIittel  eingenommen  werden  und  wirken  kön^- 
nen,    dafür,  dass  der  Leib  durch  eröffnende  Klystiere  offen  erhalten  werde. 

5)  Man  vermindere  die  Congestion  des  Bluts  zum  Kopfe  auch  durch  rei- 
zende Fussbäder ,  wende  auch  andere  äussere  Reizmittel  an ,  um  abzuleiten, 
z.  B.  Senfteige  an  die  Waden,  an  die  Oberarme;  doch  hüte  man  sich  vor 
der  frühen  Anwendung  der  Vesicatorien ,  die  als  örtliche  Reize,  besonders 
wenn  sie  um  den  Hals  gelegt  werden,  den  allgemeinen  Fieberreiz  vermeh- 
ren. Erst  nach  vorhergegangenen  hinreichenden  Blutausleerungen  schaffen 
sie  Nutzen.  6)  Massige  Zimmertemperatur,  ein  gelindes  diaphoretisches  und 
kühlendes  Verhalten ,  strenge.  Vermeidung  aller  Erhitzungen  des  Körpers, 
eine  knappe,  düime,  wässrige  Diät,  Vermeidung  jedes  Temperaturwechsels 
sind  hier  noch  nothwendig  zu  berücksichtigende  Dinge.  7)  Bei  den  Blutaus- 
leerungen durch  Aderlässe  vergesse  man  nie,  eine  grosse  Aderöffhung  zu  ma- 
chen ,  und  daher  ist  die  Vfinaesection  am  Arme  der  am  Fusse  vorzuziehen. 
Doch  leistet  letztere  bei  heftigen  Congestionen  zum  Kopfe  und  bei  kalten 
Füssen  auch  sehr  gute  Dienste.  Ist  die  hintere  Partie  des  Mundes  fast  ganz 
verscliwoUen,  z.  B.  bei  heftiger  Angina  uvulari's  und  tonsillaris,  so  scarift- 
cire  man  die  Mand«ln,  auch  die  geschwollene  Zunge,  den  Zapfen  mit  einer 
rayrtenförmigen  Lanzette.  Es  giebt  Fälle ,  wo  nur  dadurch  der  Erstickung 
vorgebeugt  worden  ist.  Auch  blutige  Schröpfköpfe  im  Nacken ,  Blutegel 
auf  die  Brust  sind  in  einzelnen  Fällen  sehr  nützlich.  8)  Bei  Verordnung  der 
innern  Antiphlogistca  berücksichtige  man  ja  den  Grad  der  Entzündung  und 
des  Fiebers.  Ist  letzteres  heftig  und  erstere  bedeutend,  die  Constitution 
des  Kranken  robust,  vollsaftig,  die  Luft  rein  und  trocken  bei  Ostwinden, 
so  verordne  man  ja  Nitrum  mit  Tart.  vitriolatus ;  z.  B.  I^  Nitri  depurati  3jjj» 
Tart.  vitriolat.  3v,  Decoct.  rad.  althaeae  £j,  Tart.  emetiei  gr.  j,  Syr.  man- 
nae  5J.  M.  S. ,  wovon  man  stündlich  einen  Esslöffel  voll  giebt ,  und  ver- 
tändle die  Zeit  nicht  mit  Pot.  Riverii ,  Spirit.  Minderer!  u.  dergl. ;  nur  bei 
gelinden  Graden  der  Angina,  z.B.  bei  der  catarrhalis,  passen  letztere  Mittel. 
Auch  folgende  Mixtur  hat  mir  bei  heftigen  Zufällen  von  Entzündung  und 
Congestion  herrliche  Dienste  geleistet:  ^!  Aquae  ilw-,  santhuci  ^x,  Nitri  de- 
purati  5jj  1  Sal.  Glauhcri  3JIV ,  Oxym.  shnpl.  jjj ,  Mucil.  yumm.  arah.  3J, 
Tart.  emetiei  gr.  j.  M.  S.  Stündlich  1  —  2  Esslöffel  voll.  Um  die  Salze  in 
diesen  IVIixturen  für  die  entzündeten  Theile  beim  Einnehmen  reizlos  zu  ma- 
chen (manche  Ärzte  haben  eine  grosse  Furcht,  sie  hier  zu  verordnen,  die 
aber  ungegründet  ist) ,  lasse  ich  den  Kranken  A^or  dem  jedesmaligen  Einneh- 
men etwas  Haferschleim  trinken.  Ausserdem  ist  ja  in  vielen  Fällen  die  Hals- 
entzündung nnr  Symptom  einer  allgemeinen  heftigen  fieberhaften  Krankheit, 
Hier  würde  es  um  so  tadelnswerther  seyn,  das  Allgemeinleiden  weniger  als 
das  örtliche  Leiden  zu  berücksiclitigen  und  sich  vor  dem  Verordnen  der  küh- 
lenden Salze  zu  scheuen,  die  ein  Störk,  Reil,  Stall  so  dringend  empfehlen. 
9)  Ist  das  Übel  schon  sehr  fortgeschritten,  sind  die  frühen  Biutausleerungen 
versäumt,  kann  der  Mensch  nur  wenig  schlucken  und  fürchtet  man  durch 
die  kräftige  Anwendung  der  Blutentziehungen  (welche,  früh  angewandt,  oft 
schon  in   zwei   Stunden  das  sonst  unmögliche  Schlingen   möglich  uiul  fast 


128  ANGINA 

schmerzlos  niachen)  za.  sehr  zu  schwächen,  so  dient . als  Antiphlogisticum  und 
Purgansi'  der  Mercur.  dulcis,  am  besten  in  folgender ,  Mischung :  l^i.'Merc. 
duU.  gt.  jj,  Liquirit.  coctae  9j.  M.i.  pulv.  dispens.  dos.  vjjj.  S.  Täglich 
S-T-4mal^i  bei  dringender  GtJefahr  alle  iwei  Sturiden^  ein  Pulver  mit  Wasser. 
Helleboru», 'Jalapa,  Senna  und  andere  reizende  Mittel  zuzusetzen ,  halteich 
für  unnöthig,  Avenn  nicht  schädlich,  wenigstens  passea  sie  bei  reiner  Angina 
intiainmatoria  nicht,  obgleich  die  Engländer  und  auch  Albers  sie  bei  Angina 
scai'latin.  mit  Nutzen  gegeben  haben  (s.  Most,  Geschichte  d.  Scharlachtie- 
bers  Th.  II.  :S.  298  u.  f.) ,  besonders  um  der  Hirnentzündung  vorzubeugen. 
Die.  abführenden  Ahtiphlogistica  giebt  man  so  lange,  bis  merkliche  Besse- 
rung oder  die  Zeichen  der  Eiterung  eingetreten  sind.  Alsdann  passen  sid 
nicht  mehr'^  und  man  muss  sich  nun  zur  Verhütung  von  Leibesverstopfung 
auf  Klystiere  beschränken.  10)  Brechmittel  sind  bei  heftiger  entzündlicher 
Angina  schädlich,  sie  vermehren  die  örtliche  Entzündung,  das  Fiebet  uad 
die  .Congestion.  Obgleich  es  wol  einige  Formen  der  Angina  giebt,  wo.  sie 
passen,  so  werden  sie  doch  nie  die  Blutegel,  das  Aderlassen,  das. oft  so 
heilsame  Scarificiren  im:  JSacken,  im  Munde,  an  den  Mandeln,  und  den 
MeriE.  dulc.,  sowie  die  Purgirsalze  entbehrlich  machen  können.  11)  Mit  den 
äusserlichen  Mitteln  gegen  Angina  hat  man  oft  viel  Unfug  getrieben.  Die 
iiasswarmen  Umschläge  um  den  Hals  schaden  mehr  als  sie  nützen,  indeoi  sie 
leicht  den  Hals  erkälten;  die  von  den  Alten  so  sehr  gerühmten  Pflaster 
(Empl.  melilot.,  diachyl.simpl.)  dienen  mehr  bei  der  Angina  incipiens,  als 
bei  dem  völlig  au-sgebUdeten  Halsübel;  bemerkt  man  äusserlich  die  Zeichen 
eines  Abscesses ,  so  dienen  am  besten  Spec.  emoliientes ,  Semen  lini  mib 
Semmelkrumen  und'  Milch  gekocht  (bei  heftigen  Schmerzen  etwas  Opium  z»-- 
gesetzt).  In  manchen  Fällen  bei  anfangender  Bräune ,  bei  Angina  membrai- 
nacea  nach  vorhergegangenen  Blutentziehungen,  passt  Folgendes  zum  E^-A 
reiben:  1^  Ol.  hyoscyami  gj,  ZJnguent.  mercurial.  3j|l?  Spirit.  sal.  ammoa. 
caust.  31^.  M.  S.  Alle,  2  Stunden  1  Theelöffel  ■  voll  über  den  ganzen  Hals 
einzureiben.  12)  Über  die  Vesicatorien  habe,  ich  schon  oben  geredet;  bei 
hohem  Grade  der  Entzündung  passen. sie  nicht,  desgleichen  nicht,  wo  keine 
Blutausleerungen  vorangegangen  sind..  Nach  diesen  sind  sie  aber  höchst 
nützlich;  desgleichen  bei  Angina  incipiens ,  um  einen  hohen  Grad  von  Ent- 
zündung zu  verhüten.  Hier  kann  ich  sie  ('/,  Hand  gross  und  in  den  Nacken 
gelegt)  nicht  genug  empfelüen.  Auch  kann  man  sie  in  Form  eines  Bandes 
um  den  ganzen  Hals  legen,  wenn  einige  Stunden  nach  den  Blutausleerungen 
die  frühere  Heftigkeit  des  Übels  wieder  eintritt.  IS)  Gui-gelwasser ,  bal4 
erweichender ,  bald  zusammenziehender  Art ,.  hat  man  von  jeher  empfohlen. 
Sie  passen  aber  bei  hohem  Grade  der  Entzündung  gar  nicht,  verschiimraera 
das  Übel,  reizen  den  Hals,  auch  kann  sich,  der  Kranke  vor  Schmerzen  dann 
nicht  gurgeln.  Besser  sind  Dämpfe  von  Fliederthee.  und  Essig,  die  man 
mittels  eines  Trichters  vorsichtig  einathmet,  oder,  man  hält  öfters  ein  Gur- 
gelwasser, von  Spec.  ad  gargarism.  mit  Oxymel  simpl.  bereitet,  im  Munde, 
ohne  sich  zu  gurgeln.  Höchst  wirksam  sind  zur  Entfernung  des  Schleims 
in  der  Bräune  Einspritzungen  von  dem  eben  genannten  Gurgelwasser ,  so 
warm  als  es  ertragen  werden  kann,  angewandt.  Aber  auch  sie  passen  im 
recht  entzündlichen  Stadio  nicht  immer;  das  Gefühl  des  Kranken  muss  hier 
entscheiden;  machen  sie  heftigen  Schmerz,  so  muss  man  davon  abstehen. 
Man  schafft  unendlich  viel  Schleim  damit  weg,  selbst  das  Würgen  und  Er- 
brechen, das  dabei  zuweilen  eintritt,  ist  heilsam.  Ist  der  Mund  durch  Tris- 
mus  verschlossen ,  so  kann  man  bei  vorwärts  gebeugtem  Kopfe  des  Kranken 
durch  die  Nase  die  Einspritzungen  machen.  Am  Ende  der  Angina,  wenn 
die  Entzündung  meist  ganz  vorbei  ist,  kann  man  reizende  Dinge,  Decoct. 
herbae  sabinae,  Infus,  spec.  ad  gargarism.  mit  Tinct.  pimpinellae,  Korn- 
brauntwein,  Oxymel  etc.  einspritzen,  nur  passen  diese  Mittel  nicht  zu  An- 
fange des  Übels  und  bei  heftiger  Entzündung.  Hier  passt  anl  besten  De- 
coct. hordei  mit  Oxymel  simpl.  14)  Was  endlich  die  Diät  betrifft,  so  thut 
es  nichts,  wenn  der  Kranke  in  den  ersten  Tagen,  wenig  geniesst;  Hafer- 
schleim,   Graupendecoct ,   Malztrank,   Molken,   Pflauraenbrühen  sind  hinrei- 


ANGINA  129 

chend;  ist  das  Schlingen  aber  gar  zu  beschwerlich,  so  müssen  ernährende 
Klystiere  gegeben  werden.  Über  die  Erkeontniss  und  Behandlung  der  spe- 
ciellen  Fälle  von  Angina,  nach  Verschiedenheit  des  leidenden  Organs,  dos 
Verlaufs,  des  Fiebercharakters,  u,  s.  w.  werden  die  folgenden  Artikel  dei» 
Praktiker  Auskunft  geben. 

Angina  aphthosa,  Schwämmchen,  s.  Aphthae. 

Angina  aquosa,  s.  Angina  catarrhalis. 

Angina  nrihritica,  gichtische  Bräune.  Entsteht  zuweilen  als  Glchtme- 
tastase,  nach  zurückgetriebenem  Podagra,  ist  oft  ohne  alle  Geschwulst j  da- 
bei Stiche,  Schmerzen,  Trockenheit  im  Halse,  Abendfieber.  Cur.  Anti- 
phlogistica,  äussere  Hautreize,, JFussbäder,  auch  später  Diaphoretica.  •Per- 
sonen mit  Aithritis  anomala  leiden  oft  an  Angina  arthritica  chronica,  wobei 
das  eigenthümliche  Gefühl  ist,  als  stecke  ein  Ring  iin , IJalsc. ,  Hier  leisten 
Flor,  benzoes,  dreimal  tägUch  1— ^3  Gran,  mit  K^i^.  jpiner^ 
Dienste  (iW.).  ,,.,.:  .         ••  '  -     •■■,:.(     ,  ■,!,.. 

Angina  biliosa.  Gesellt  sich  leicht  zur  Febris  liepatica  Richten,  erfor- 
dert ein  Vomitiv  und  die  Behandlung  des  Fiebers  ,  der  gefährlichen  Zufalle. 
Auch  hier  versäume  man  zu  Anfa,nge  den  antiphlogistischen  Apparat  in  Ver- 
bindung mit  gelinden  Abführungen  von  Tamarinden,  JVlanna  u.  s.  w.  nicht. 
(S.  Febris  biliosa  hepatica  Richteri).  , 

Angina  catarrhalis,  lymphaiica,  pituitosa ,  oedemqiosa ,  spuria,  fiotha, 
aquosa,  serosa,  mucosa,  Bronchus,  die  katarrhalische  Bräune.  Sie 
kommt  sehr  häufig,  theils  epid^fiiisch,  theils  sporadisch .  vor.  Symptome. 
Die  des  Katarrhs  und  Katarrl^älfiebers  (s.  Blennorrhoea  und  Febris 
catarrhalis).  Ausserdem  stechende  Schmerzen  im  Halse,  sehr  häufig 
Angina  tonsillaris  und  uvularis,  wo  Mandeln  und  Z^pfpfiep  bei  der  Unter- 
suchung geschwollen  erscheinen ,  bedeutender  Schmerz  beim  Schlingein;  die; 
Geschwulst  sieht  bleich  aus  mit  gerötheten  Blutgefässen ,  die  Schleimabson- 
derung ist  bedeutend,  dabei  oft  kleine  Bläsch.en, , oberj^ächliche  Eliterung, .im, 
hintern  Theile  des  Mundes j,  übler  Geruch  aus  demselben,  vermehrte  Spei- 
chelabsonderung eines  langen,  zähen  Speichels.  Zuweilen  ist  Husten,  ge- 
VFÖhnlich  aber  nur  Hüsteln  und  Räuspern  dabei,  auch  nicht  immer  Heiser- 
keit. Im  hohen  Grade  schwillt  der  Hals  ganz  zu,  so  dass  ohne  baldige 
Hülfe  die  Kranken  ersticken  müggen ;  nicht  selten  gehen  die  Mandeln  ii>  Ei- 
terung über  (s.  Angina  suppurativa).  Ursachen.  Heftige ,  Erkältun- 
gen, bei  feuchter  FrüUings-  und  Herbstwitterung.  ,Cu^\  Höchst  falsch  ists, 
der  A.  catarrhalis  einen  typhösen,  asthenischen  Charakter  beizulegen.  Es 
ist  hier  zwar  nicht  immer  ein  heftig  entzündliches  Fieber,  aber  doch  auch 
keine  Schwäche.  Daher  gebe  man  hier  kühlende  Diaphoretica.  In  gelinden; 
Graden  reicht  Warmhalten  des  Halses  mittels  Flanells,  eines  Strumpfes,  und 
innerlich  Fliederthee  zum  Schwitzen  hin;  dabei  gleichraässige  Zimmertempe- 
ratur (15  — 14"  R. ),  Vermeidung  geistiger  Getränke  und  der  Erkältung. 
Bei  stärkern  Graden  der  Angina  geben  wir  Spirit.  Minderen,  Salmiak, 
kleine  Posen  Tart.  emetic. ,  auch  wohl  ein  Vonjitiv  ,  und  den  Tag  darauf 
eine  Dosis  Pilul.  purgant,  !ph.  Hannov.  (Sachse),  ^ehr  wirksam  ist  Folgen- 
des: JfJjS«?.  ammort.  dep.,  Smcc.  liquirit.  dep.  anaSjjj,  Aq-  fior.  samhuci  ^v]],. 
Tart,  etnetici  gr.  j,  Rob  samhuci  gjß.  M.  S,  Stündlich  einen  EsslöÖTel  voll., 
Späterhin  dient  folgendes  Pulver:  B^  Sacchnri  lactis  jj)^,  Magnes.  carhon., 
Ocul.  cancror.  ana  3}[^>  Rad.  Uqiiirit,  Sem.  fQeniciiJi  aua  ojjj  "Sm^?^'  "'**■"'* 
gr.  X.,  IVi.  f.  pulv.  S.  Viermal  täglich  1  Theelöffel  voll  mit  Thee.von  Spec. 
pector,  Ph.  Boruss.  Nicht  selten  bleiben  ödematöse  Anschwellung  der  Man- 
djcln  oder  habituelle  Anlage  zur  Bräune  nach  der  Angina  catarrhalis  zurück 
($,  Angina  habitualis).  Ausser  den  genannten  Mitteln  helfen  die  Cur, 
unterstützen :  Gurgelwasser  von  Spec.  ad  gargarism.  mit  Öxyrael  und  Brannt- 
wein, auch  Einspritzungen  davon,  hinterher  jedesmal  20 — 26  Tropfen  Tinct. 
pirapinellae  auf  Zucker;  späterhin  Decoct.  quercus,  Alaun  n.  s.  \v. 

Angina  epiglottidiea ,   Epiglottitis,   Entzündung    des   Kehldeckels. 
Sie    steht  zwischen    Ang;  pharyngea   und   laryngea   in    der  Mitte,    weil    dejr 
Kehldeckel  sowol  zum'  Athmen,    als  zum  Schlucken  dient;    daher  sind   hiei  : 
Most  Encyklopädie.  2te   Aufl.   1.  9 


130  ANGINA 

auch  beide  Functionen  erschwert.  Diese  Bräune  ist  gelten  rein  da ,  gewöhiv 
lich  bei  heftiger  entzündlicher  Bräune,  wo  alle  Theile  der  Mund-,  Rachen- 
und  Schlundhöhle  entzündet  sind,  zu  gleicher  Zeit  zugegen.  Zeichen. 
Verhindertes  Reden,  Athmen,  Schlingen;  die  geschwollene  Epiglottis  er- 
blickt man  als  einen  Wulst  oder  in  Form  einer  Eichel  an  der  Zungenwurzel. 
Cur.     Die  allgemeine  der  Angina. 

Angina  exanthemalka.  Am  häufigsten  kommt  sie  vor  als  Angina  scarla- 
firtosa,  die  in  der  Regel  mit  dem  Fieber  zu-  und  abnimmt.  Bei  robusten 
Kränken  ist  sie  oft  recht  heftig ,  das  Schlucken  ist  oft  schon  am  zweiten, 
dritten  Tage  der  Krankheit  gänzlich  gehindert,  die  Entzündung  bedeutend; 
dabei  ist  viel  Trockenheit  im  Munde ,  und  die  ganze  hintere  Partie  dessel- 
ben ist  geschwollen,  verschwollen,  mit  kleinen  rothen  Flecken  besetzt.  Cur, 
Zur  Vorbauung  bei  den  ersten  Vorboten  des  Scharlachfiebers  ein  Vomitiv 
aus  Ipecacuanha  (^Gmndmann  ^  Lentin,  Stieglitz^.  Ist  das  Übel  schon  aus- 
gebildet, dann  ein  Aderlass  am  Arme,  Blutegel  um  den  Hals,  innerlich 
Merc.  dulc. ,  Abends  und  Morgens  1 — 2  Gran,  und  stündlich  die  oben  (s. 
Angina)  angegebene  Mixtur  aus  Nitrum ,  Sal  Glauberi  etc.  Gurgelwas- 
ser, Einspritzungen  passen  zu  Anfange  nicht,  wol  aber  warme  Däm- 
pfe, äusserlich  trockne  Wärme  mittels  Flanells.  Diese  Behandlung  habe 
ich  in  mehreru  hundert  Fällen  als  die  zweckmässigste  gefunden.  Späterhin 
liess  ich  mit  Acid.  muriat.  oxygenat,  und  Aq.  menth.  crisp.  ana  gurgeln, 
wodurch  die  Entfernung  des  Schleims  und  die  Desquamation  im  Halse  sehr 
befördert  wird.  Die  Behandlung  der  bösartigen  Scharlachbräune,  die  Gott 
Lob!  nur  in  seltenen  Epidemien  beobachtet  worden  ist,  erfordert  einen  be- 
sonderen Artikel  (s.  AnginagangraenoSa). 

Angina  gangraenosa,  maligna,  puirida,  die  bösartige,  brandige 
Bräune;  auch  A.  ulcerosa,  Morbus  slrangulatorius ,  suffhcatorius,  Gulae, 
M.  puerorum  epidemicus,  P<;sHlens  faucium  afl'ectio,  Cynanche  maligna,  Ga- 
rotlillo  genannt.  Ist  eine  ansteckende,  schnell  in  Eiterung  und  Brand  über- 
gehende, rasch  sich  auf  die  benachbarten  Theile  des  Halses  verbreitende 
Entzündung,  welche  thcils  einzelne  Personen-  von  schlechter  Constitution 
sporadisch  befällt,  theils  ohne  Ausschlag  e|>idemiseh  erscheint,  theils  und 
wol  am  häufigsten  zu  Scharlachfiebern,  Frie'sel  und  Schwämmcheh  hinzu- 
tritt (Sachse).  Sie  war  laut  der  Geschichte  oft  die  Begleiterin  bösartiger 
Katarrhalfieber  (lufluenzepidemien) ,  bösartiger  Scharlach-  und  Frieselfiebet 
mit  galligem,  nervösem  und  putridem  Charakter,  die  Gott  Lob!  jetiit  mehr 
historisch  den  Arzt  interessiren ,  und  in  unsern  Zeiten  höchst  selten  Vorkom- 
men. Symptome.  Nicht  selten  geht  ein  Stadium  catarrhale  vorher,  wo- 
bei der  aus  Mund  und  Nase  füessende  Schleim  so  scharf  ist ,  dass  er  die 
Haut  wund  macht.  Auch  Heiserkeit,  geliiwies  Fieber,  abwechselnd  Frost 
und  Hitze  sind  zuweilen  Vorboten ;  nicht  selten  ein  infiamraatorisches  Fieber 
mit  Anschwellungen  der  Parotis,  das  aber  bei  übermässiger  reizender,  so- 
wie bei  zu  starker  antiphlogistischer  Behandlung  leicht  in  ein  wahres  Faul- 
fieber übergeht.  Zuweilen  ist  das  Faulfieber  ein  wahres  Gallenfieber  mit 
Ekel ,  Erbrechen ,  belegter  Zunge ,  üblem  Geiuch  aus  dem  Munde.  Am  öf- 
tersten ist  das  Fieber  asthenisch,  der  Puls  schnell,  klein,  leicht  Wegzug 
drücken J  die  Kranken  sehen  blass  aus,  leiden  an  Schwindel,  Ohnmächten, 
wahrer  Schwäche  (s.  Adynamia),  Kopfschmerz,  Delirien,  Schlaflosigkeit, 
zuweilen  Sopor.  Die  Krankheit  ergreift  gewöhnlich  die  Mandeln,  den  gan- 
zen Rachen,  der  glänzend  roth,  später  dunkelroth  aussieht,  dabei  bedeu- 
tende heisse  Geschwulst.  Es  bilden  sich  bald  (binnen  24  Stunden  bis  S  Ta- 
gen) hier  aschgraue ,  speckige  Flecken  mit  rothen,  blauen  Rändern ,  ähnlich 
den  Schwämmchen,  oft  Blasen,  die  bald  Schwarze,  graue  Krusten  bekom- 
men ;  sie  ergreifen  die  Zunge,  das  Zahnfleisch ,  die  Lippen,  die  Nasenhölile, 
den  Gaumen ,  das  Zäpfchen ,  die  Luftröhre ,  und  gehen  schnell  in  Versch wä- 
rung und  Brand  über,  wodurch  die  Theile  oft  scheuslich  zerstört  werden. 
Krämpfe,  Erstickungszufälle,  Singultus ,  Erbrechen,  Durchfressungen  des 
Halses,  aashafter  Geruch,  der  oft  schon  im  Stadio  inflamraationis  wahrnehm- 
bar ist,   sind  die  gewöhnlichen  Begleiter.      Auch  der  ausgeworfene  Schleiin 


ANGmA.  131 

riecht  cadaverSs.  Heisere  Stimme,  beschwerliches  Athmen,  Husten,  Räus- 
pern, mehr  ein  brennendes  Gefühl,  als  Schmerz  im  Halse,  der  beim  einge- 
tretenen Brande  fast  ganz  aufhört,  und  wenig  Beschwerden  des  Schlingend 
sind  charakteristische  Zeichen.  Zuweilen  zeigt  sich  äusserlich  eine  wässe- 
rige Geschwulst,  die  rund  umher  den  Hals  einnimmt  und  bis  an  die  Brust 
reicht ,  auch  Geschsvulst  der  Ohr  -  und  Subraaxillardrüsen.  Je  mehr  der 
Charakter  des  Fiebers  typhös  ist,  desto  schneller  zeigen  sich  CoUiquation 
der  Säfte:  Blutungen  aus  Nase,  Mund,  Ohren,  After,  klebrige,  stinkende 
Schweisse,  Petechien,  Blasenkrankheit,  Diarrhöe,  Schwämmchen  im  ganzen 
Darmcanale.  Ausgänge.  1)  Genesung  erfolgt,  wenn  die  Zufalle  nach- 
lassen ,  der  Brand  nicht  weiter  um  sich  greift ,  der  Harn  trübe  wird  und 
einen  dicken,  schwarzen,  stinkenden  Bodensatz  bekommt,  wenn  gelinder 
Speichelfluss  und  äussere  Halsgeschwulst  bei  Verminderung  der  Innern  ent- 
steht. In  seltenern  Fällen  zeigt  sich  ein  Abscess  der  Mandeln ,  der  Er- 
stickung droht,  sich  plötzlich  beim  Husten  öffnet,  worauf  Nachlassen  der 
Zufälle  eintritt.  Auch  Abscesse  der  Zunge  ereignen  sich  wol.  2)  Der  Tod 
erfolgt  oft  schon  am  ersten  Tage  durch  Erstickung,  gewöhnlich  am  Sten, 
5ten,  7ten  Tage  durch  Brand  des  Halses,  der  Lunge,  Entkräftung,  durch 
die  Complication  mit  Croup  und  Bildung  von  Pseudomembranen.  Ursachen. 
Faulige  Säftebeschaffenheit  durch  schlechte  Nahrung,  Missbrauch  der  Spiri- 
tuosa,  ungesunde,  feuchte  Wohnungen,  eigenthümliche  atmosphärische  Ein- 
flüsse, welche  auf  die  Vegetation  und  Productiou,  auf  Nntrition  und  Assi- 
milation, so  wie  aufs  Nervensystem  nachtheilig  wirken  und  den  Charakter 
aller  fieberhaften  Krankheiten  dergestalt  umändern  können,  dass  die  Diathe- 
sis  inflaromatoria  verschwindet  und  schnell  der  typhöse ,  gallig  -  nervöse  und 
putride  Charakter  auftritt,  wozu  die  entstandene  Verstimmung  und  Nieder- 
drückung des  Nervensystems  und  schlechte  Blutbereitung  das  ihrige  beiti-a- 
gen»  Weibliches  Geschlecht,  jugendliches  Alter  mit  schwächlicher  Consti- 
tution disponiren  am  meisten  zu  dieser  Brätifte.  Behandlung.  Mit  dem 
Aderlassen,  welches  "hier  mehre  ältere  Ärzte  anwandten,  sey  man  ja  vor- 
sichtig ,  selbst  zu  Anfange  der  Krankheit ;  wo  indessen  der  inflammatorische 
Fiebercharakter  deutlich  wahrzunehmen  ist,  setze  man  Blutegel  an  dert  Hals, 
scarificire  den  Nacken,  die  geschwollenen  Mandeln,  lasse  den  Mund  darauf 
mit  Aqua  oxymuriatica  und  Infus,  salviae  ana  fleissig  ausspülen.  Innerlich 
verordne  man  den  Merc.  dulcis.  p.  d.  zu  2 ■•—4  Gran,  in  Verbindung  mit 
gr.  fj  —  gr.  j  Opium,  2 — 3mal  täglich,  verbinde  ihn,  sobald  die  ersten 
Spuren  von  Brand  sich  zeigen,  mit  3 — 4  Gran  Kampher  p.  d.,  gebe  ein 
Infus,  serpentariae  mit  Spirit.  Minderen  und  Kampher,  versäume  auch  nicht, 
ein  Brechmittel  aus  Ipecacuanha  zu  geben,  besonders  zu  Anfange  des  Übels, 
verordne  bald  Decoct.  chinae  mit  Infus,  serpentar.  und  angelicae,  gebe  täg- 
lich bei  Schwäche  etwas  Roth  wein  u.  dergl.  Auch  der  kleine  rothe  oder 
Cajennepfeffer  innerlich  gegeben ,  hat  sich  als  belebendes  Mittel  sehr  wirk- 
sam in  der  brandigen  Bräune  bewiesen ,  z.  B.  folgende  Formel :  ^f  Piperis 
Cajennensis  pulv.  5J  —  5JIV,  Snlis  culintvr.  pulv.  gß ,  infunde  c.  aq.  fei'v.  Sj, 
post  refrigerat.  cola  addeque  Aceti  vini  opt.  ^vj.  M.  S.  Halbstündlich  einen 
Es»löffel  v^U  (^Stephen).  Sehr  zu  loben  ist  hier  auch  Decoct.  chinae  mit 
Acid.  sulphuricum  dilutum  und  Tinct.  opii.  Was  ■die  äusseriichen  Mittel  be- 
trifft, so  rathen  Einige  Vesicatorien  um  den  Hals  an.  Andere  nicht.  Bei 
hohem  Grade  der  CoUiquation  helfen  sie  sicher  nichts,  wol  aber  zu  Anfange 
des  Übels.  Einreibungen  von  Linim.  volat.  camphorat.  mit  Terpenthin  in  den 
Hals  sind  gleichfalls  nützlich,  desgleichen  zum  Pinseln  des  Halses :  I^  Spirit. 
sdlis  acid.  gutt.  xxx,  Mel.  rosar.  Jiv.  VI.  {Fordyte).  Und  zum  Einspritzen 
folgendes  Mittel :  "fy  Alum.  crudi  3J^,  solve  in  Aqune  fontan.  Sj.  M.  S.  Lau- 
warm einzuspritzen  (Dßjwm).  Dies  reinigt  die  Geschwüre  ganz  besonders; 
zur  .Heilung  wendet  man  dann  verdünnte  Tinct.  myrrhae  an.  Diät.  Fri- 
sche, reine,  aber  nicht  kalte  Luft  (die  Zimmertemperatur  muss  nie  über 
14f>  R.  seyn) ;  reichliche  stärkende  Nahrung :  Milch ,  Bouillon  von  Hühnern, 
Tauben,  stete  Reinlichkeit  des  Mundes,  des  Rachens,  sowie  des  Zimmers, 
der  Leib-  nnd  Bettwäsche,  zum  Getränk  Limonade,   etwas  Wein,  Zucker- 

9* 


132  AKGINA 

wasser,    angenehm   säuerlich   gemacht   mit  Acid.   sulphuric.   oder  Elix.  äcid. 
Halleri,  Weinmolken  u.  dergl,  mehr,  sind  zu  empfehlen. 

Anginn  gnnyrnenosa  gastrica.  Hier  ist  eine  wahre  Febris  'gaati'ica  neben 
der  Bräune  beobachtet  worden.  Hier  dienen  besonders  Vomitive,  xm  An- 
fange der  Krankheit  gereicht,  welche  nicht  selten  die  böse  üräune  imKeijn« 
ersticken  und  alle  gefährliche  Zufälle  verhüten.  Grosse  Angst,  Ek.«l,  VVür-? 
gen,  belegte  Zunge  sind  hier  Indicationen  dazu.  Späterhin  passen  die  ubdl 
angegebenen  Mittel ,  welche  der  scharfeinijige  Arzt  nach  deni  Grade  d«Sr 
Krankheit,  nach  ihrem  Fiebercharakter  und  der  Constitution' ides.Krandken 
aosvyählen  wird,  •  /  i;,.::    . 

Angina  hahitunlis,  periodica.  So  wie  es  Menschen  giebt,'  die  öfter  und 
nicht  selten  zu  bestimmten  Zeiten  an  Pneumonie,  an  Panaritium  leiden,  so 
kehrt  auch  die  Bräune  leicht  wieder.  Besondere  Neigung  zu  Recidivcn  hat 
die  Angina  membranacea  und  die  Angina  tonsillaris  mit  dem  Charakter  der 
A.  catarrhalis.  Ich  habe  Fälle  beobachtet,  wo  der  Kranke,  alle  BVühjakra 
oder  Herbste  die  Mandelbräune  bekam,  die  dann  fast  jedesmal  trotz,  döi' 
frühzeitigen  Hülfe  in  Eiterung  überging.  Präservativmittel.  Manisoil 
warme  Dämpfe  von  2  bis  3  Theilen  Fliederbhimenthee  lüit  .1  TheilWein- 
geist  einathmen  lassen;  auch  frühzeitig  eine  Dosis  Men:.  dülc.  geben  (^Richter'). 
Ich  habe  bei  einem  20jährigen.  Mädchen,  das  schon  siebenmal  aii  peschnüri- 
ger  Mandelbräune  gelitten  hatte,  Folgendes  verordnet,  wodurch  das  Übel 
dreimal  unterdrückt  ward  und  darauf  keine  Miene  machte  wieder  ru  kom- 
men. Ich  gab  ihr  bei  den  ersten  Vorboten  des  alle  Frühlinge  und  Herbsta 
wiederkehrenden  Übels  innerlich:  ]^  Extr.  dnturae  strnm.  gr.  j>,  Vastwei, 
Mercur.  dulc,  Sulph.  aurati  ana  gr.  j,  Liquir.  cocine  5j-  M.  f.  pulv.  dispens. 
dos.  jjj.  S.  Alle  Abend  ein  Pulver,  und  ausserdem  viel  Eliederthee  zum 
Schwitzen.  Des  Tages  über  musste  sie.  einige  kleine  Stückchen  Kaulpber 
kauen,  im  Munde  zerfliessen  lassen  und  langsam  verschlucket!.  ^  Ausserdem 
musste  sie  Monate  lang  eine  Flanellbinde.,  mit.  Linlm.  volat.  terebinthv  be- 
strichen, um  den  Hals  tragen.  Fontanellen  am  Arme,  jahrelang,  getragen, 
Terhüten  oft  die  habituelle  Bräune  {Bnglivi.,  St^chsey.  Auch  dienen  zur  Ver- 
hütung abhärtende,  ableitende  und  stäikende  Mittel:  öfteres  Ausspülen  des 
Mundes  und  Rachens  mit  kaltem  Wasser,  äussejfUch  Waschen  des  Halses, 
der  Brust  mit  kaltem  Wasser,  öfteres  Gurgeln'  OMtDecoct,,.  yuercus.  ^-v-j, 
worin  3jj  Alaun  aufgelöst  sind.  ..." 

Anginn  haeinorrhoidnJis ,  s.  Angina  me.nstruali»«.!  '  (/  j  .■  i; —  '  . 
Angina  herpetica,  s.  Aphthae  und  Herpes.  .  i>  i/iil  im/  ii'.:,- , 
Anginn  hyoidea.  Ist  Verschiebung  oder  Verrenkung  «tes  tZungÄiibein», 
wobei  sich  zwischen  dem  Kehlkopfe  ujid  dem  M.  sternocleidomäsioLdete  an 
der  einen  oder  andern  Seite  eine  bei  der  Berühriuig  schmerzhafUe  Geschwulst, 
auch  Unförmlichkeit  des  Pomum  Adami  zeigt  (s.  Luxatio  os.äis  Ir^AL'dei). 
Auch  wird  das  Übel  Dijsphiujia   Vulsalvianin  genannt.  i 

Angina  inflamviaioria  simpIcx,  die  einfache  entzündliche  Bräune..  Ist 
schon  oben  beschrieben ;  s.  Angina.  Ist  sie.  gelinde,  danj\  die^  Behandlung 
vrie  bei  A.  catarrhalis.  .     .      /       . 

Angina  iniermiilens ,  Bräune  mit  aussetzendem  F.^bercharakter./  JVI»n  hat 
sie  in  seltenen  Fällen  be^  typhöser  Scharlachbräune  (^Htish'),  so  NVie  b^im 
Croup  (Angina  membranacea  intermittens)  beobachtet  (^Bock,  Salomon  ^  He- 
cker d.  ä.y  Portal,  Autetirieth ,  Sachse").  Cur.  Hier  gebe  man  nach  über- 
standenem  Anfalle  von  Bräune  die  China,  um  einen  zweiten,  dritten  Anfall 
zu  verhüten  (fiusÄ,,  Stichel).  Im  Ganzen  sind  solche  Fälle  wol  sehr  selten 
und  dann  nur  in  den  Zeiten,  wo  Wecliselfieber  epidemisch  herrschten,  vor- 
.gekommen. 

Angina  laryngea,  s.  Angina  membranacea. 
Angina  laryngea  oedeinnlosn  ,  s.  Hydro  ps  glo  tti  d  is. 
.^ijina  linguaria.     So    hat  man  wol  die    Entzündung    der    Zung« 
genannt  (s.  Inflammatio  linguae). 

Angina  membranacea,  poli/pusa,  trnchealis,  humidn,  suffocalivii,  Suff'ucn- 
tio  utiidiiiit,  Laryngitis  et  Truiheitis  iufantilis,  I'aidumhoite ,  der  Croup,  di« 


ANGINA  133 

häutige  Bräune,  En'tzündung  des  Luftröhrenkopfes.  Wir  un- 
terscheiden zwei  Arten  der  entzündlichen  Bräune  in  den  Luftwegen:  n)  die 
Entzündung  der  Luftwege  ohne  Ausschwitzung  (Tracheitis  sicca,  musculari»,> 
profunda,  s.  Abscessus  trachealis);  1}  Entzündung  der  Luftwege  mit 
Ausschwitzung,  d.  i.  das  Wesentliche  des  Croups  (^Snchse).  (Vergl.  unten  d. 
Art.  Diphtheritis).  Hier  ist  nur  vom  Croup  die  Rede.  Symptome. 
Sie  sind  nicht  allein  Ärzten,  sondern  auch  den  gebildeten  Laien  so  bekannt,' 
dass  hier  dieselben  nur  mit  wenigen  Zügen  gezeichnet  zu  werden  brauchen. 
Sachse  schildert  die  Symptome  und  den  Verlauf  des  Übels  so  vortrefflich, 
dass  ich  mich  ganz  seiner  Worte  bediene :  „  Der  Croup  bricht  entweder' 
plötzlich  mit  fremdartig  klingendem  Krampfhusten  aus  oder,  was  häufiger 
geschieht,  es  gehen  einige  Tage  Katarrhalzufälle  und  Fieberchen  vorher^ 
deren  Übergang  in  den  Croup  jener  Husten ,  plötzlich  eintretende  oder  ver- 
stärkte Heiserkeit,  und  ein  hinzukommender,  pfeifender  Athem  bezeichnen. 
Da  aber  die  Kinder  wieder  zum  Spielen  und  Essen  Neigung  haben  und  je- 
nes verdächtige  Pfeifen  beim  Athem  wieder  verschwunden  ist,  oder  nur  beim 
Husten,  Schreien,  Sprechen,  Lachen  bemerkt  wird,  so  übersieht  es  der  ün-^ 
kundige  so  gut ,  als  das  eigenthümliche  Bellen  des  meistens  trocknen  Hustens, 
bis  dieser  noch  bellender  in  den  Nachmittags  -  oder  Ruhestunden  zurückkehrt 
und  von  leichten  Schmerzen  oder  vielmehr  Zusammenpressungen  in  der  Luft- 
röhre, und  von  noch  vernehmbarem  Pfeifen  beim  Einathmen  begleitet  wird. 
Dies  geschieht  mit  so  sichtbarer  Beschwerde,  dass  die  Kinder  im  Bette  auf- 
fahren, oder  ihre  Spiele  verlassen.  Ihr  Gesicht  wird  daBei  roth ,  die  Kopf- 
und  Halsadern  schwellen,  und  der  Puls  schlägt  gewöhnlich  hart  und  schnell. 
Aber  nach  %  bis  %  Stunden  spielen  oder  schlafen  die  Kinder  schon  wieder, 
und  man  könnte  sie  für  ganz  gesund  halten ,  wenn  der  Puls  nicht  seine  Fre- 
quenz behielte ,  die  Luftröhre  beim  Überhinstreichen  nicht  leicht  schmerzte, 
der  Husten  etwas  rauh  und  das  Athmen  etwas  schwerer  bliebe.  So  wie 
hier  die  Remissionen,  so  können  noch  mehr  wahre  Interraissionen  täuschen. 
Aber  bald  kehren  die  Erstickungsanfälle  häufiger  und  heftiger  zurück.  Je 
länger  der  Schlaf  dauert,  desto  lauter  und  schneller  wird  die  Respiration, 
bis  ein  neuer  Anfall  kommt;  dieser  wird  immer  ängstlicher,  wächst  von 
Stunde  zu  Stunde,  der  Husten  wird  immer  bellender,  bringt  anfangs  nur 
wässrige,  schaumige  Massen  auf,  welche  zuweilen  mit  Blutstreifen  gefärbt 
sind,  in  welchen  Fällen  dauin  die  Kranken  sich  gleich  nachher  über  heftige 
Schmerzen  in  der  Luftröhre  beklagen ;  oder  es  werden  gar  röhrenförmig» 
Canäle,  bald  mit,  bald  ohne  Erleichterung  ausgeworfen.  —  Die  Inspiration 
wird  nun  immer  lauter,  pfeifender,  schwerer,  der  Kopf  wird  dabei  nach 
hinten  gebogen,  die  Luftröhre  hervorgedrängt,  sie  schmerzt  beim  Überhin- 
streichen oder  auch  wol  ausserdem,  beim  Husten,  wird  etwas  geschwollen 
und  ganz  bestimmt  als  Sitz  des  erschwerten  Atheras  genannt.  Zuweilen  stel- 
len sich  im  Gesicht  und  an  andern  Orten  Convulsionen  ein.  Nun  wird  auch 
das  Fieber  immer  stärker,  Augen,  Gesicht  und  Hände  glühen,  und  obgleich 
die  Zunge  feucht  bleibt,  ist  doch  der  Durst  kaum  zu  löschen.  Das  Getränk 
wird  so  schnell  hinabgestürzt,  dass  es  zuweilen  durch  die  Nase  wieder  zu- 
rückkehrt. Der  Puls  bekommt  eine  kaum  zählbare  Schnelligkeit ,  verliert 
später  seine  Härte,  und  wird  zuletzt  sehr  schwach,  ja  intermittirend.  Die 
Angst  wird  nun  unbeschreiblich;  keine  Lage  ist  dem  Kranken  recht,  sie 
entspringen  dem  Bette,  reissen  Kehle  und  Zunge  hervor,  zerraufen  die  trie- 
fenden Haare  und  ihre,  so  wie  der  Wärterinnen  Kleider,  die  sie,  um  Luft 
fleheud  ,  umklammern;  sie  stemmen  Hände  und  Füsse  an,  um  nur  einen  tie- 
fen Athemzug  zu  gewinnen.  So  sieht  man  sie  dann  erbleicht,  blau,  gedun- 
sen und  erschöpft  auf  ihr  Lager  niedersinken  und  scheinbar  entschlummern, 
aber  sie  rollen  ihre  halboffenen  Augen  so  nach  oben ,  dass  man  nur  die  Al- 
buginea  sieht  und  zuweilen  wie  roth  ausgespritzt  erblickt.  Kaum  fängt  man 
an  Hoffnung  zu  schöpfen,  so  schrecken  die  Kranken  plötzlich  wieder  auf; 
man  fühlt  das  Zittern  ihres  Herzens,  das  Beben  der  Karotiden  am  aufge- 
triebenen Halse;  sieht,  wie  das  Zwerchfell,  während  die  Brust  zu  ruhen 
«cheint,  krampfhaft  arbeitet,  wie  die  Rippenknorpel,  ja  selbst  das  Bi-ustböi« 


134  ANGINA 

heftig  znriictgezogen  werden,  wie  die  Schultern  sich  bei  jedem  Athemzuge 
hoch  heben,  so  dass  über  den  Schlüsselbeinen  tiefe  Gruben  entstehen,  väe 
die  Bauchmuskeln  bis  an  den  Rücken,  der  Kehlkopf  bis  ans  Kinn  hinaufge- 
zogen werden,  wie  die  Nasenlöcher  sich  weit  öffnen,  wie  die  Augen  einsin- 
ken und  erlöschen,  mit  blauen  Rändern  umgeben  werden.  Man  hört  nur 
Doch  bei  höchst  verstärkter  Schnelligkeit  des  Athmens  ein  heiseres,  kräch- 
zendes, herausgestossenes  Gewimmer  nach  Luft  und  Getränken.  Schon  im 
Vorzimmer  hört  man  jetzt  ein  wahres  Gesäge  des  Athems,  der  nun  eben  so 
laut  beim  Exspiriren  als  beim  Inspiriren  wird,  auch  wol  seinen  Ton  verän- 
dert und  zuletzt  rasselnd  und  röchelnd  wird.  Der  Husten  schweigt  jetzt 
gänzlich ;  jede  Arznei  ergreifen  und  verschlingen  die  Unglücklichen  mit  vol- 
lem Verstände,  ja  Erwachsene  würgen  Zucker,  Brotrinden  etc.  hinab,  ura 
das  Hinderniss  des  Athmens  dadurch  zu  entfernen,  und  gestattet  es  ihnen 
ihi-e  unverständlich  leise  oder  erloschene  .Stimme  nicht  mehr,  so  flehen  sie 
noch  durch  Zeichen  um  Rettung.  Mit  Nägeln  und  Zähnen  zerfleischen  sie 
sich,  greifen  tief  zunj  Munde  hinein,  stürzen  sich,  nach  Luft  schreiend,  mit 
dem  Kopfe  so  lang  gegen  die  Wand,  bis  sie  todt  zur  Erde  sinken  (J/6crs), 
oder  sie  schaudern  oft  zusammen  und  sterben  in  Krämpfen;  oder  sie  werden 
so  ruhig,  als  habe  die  Krankheit  ganz  aufgehört,  und  sterben,  blau,  ge- 
dunsen ,  mit  kalten  Schweissen  bedeckt ,  wie  wenn  ein  Licht  verlöscht.  *' 
Prognose.  Da  der  Croup  schon  am  ersten ,  gewöhnlich  aber  am  zweiten, 
dritten  Tage  durch  Krampf,  Apoplexie,  oder  Erstickung,  Erschöpfung  töd- 
tet  (die  seltenen  Fälle  ausgenommen,  wo  Verhärtung,  chronische  Heiserkeit 
erfolgen) ,  so  kommt  Alles  auf  eine  frühe,  zweckmässige  Kunsthülfe  an.  Da- 
durch allein  wird  das  zweite  und  dritte  schreckliche  Stadium  der  Krankheit 
und  die  Lebensgefahr  verhütet;  auch  ist  man  dann  sicher,  dass  keine  be- 
schwerlichen Nachkrankheiten  erfolgen.  Ursachen  des  Croups.  Die 
nächste  Ursache  ist  Entzündung  mit  Neigung  zur  Ausschwitzung  in  den 
Luftwegen.  Prädisponirende  und  gelegentliche  Ursachen  geben  jugendliches 
Alter  und  besondere  atmosphärische  Einflüsse.  Das  Übel  kommt  epidemisch, 
endemisch  und  sporadisch  vor,  besonders  im  Frühling  und  Herbst,  bei  hel- 
lem Himmel ,  trocknen  Ost  -,  Nord  -  und  Nordostwinden ,  am  häufigsten  an 
den  Küsten  der  Nord  -  und  Ostsee,  auf  hohen  Gebirgen,  z.  B.  am  Harz, 
in  der  Schweiz;  Kinder  zwischen  dem  2ten  und  ISten  Lebensjahre,  häufiger 
robuste  und  vollsaftige  als  magere ,  häufiger  Knaben  als  Mädchen ,  haben 
die  meiste  Anlage  dazu ,  desgleichen  solche,  die  das  Übel  schon  einmal  über- 
standen haben  (s.  A.  habitualis).  Ansteckend  ist  die  Krankheit  nicht. 
Starke  Erhitzung  und  Erkältung  des  Körpers  und  eine  daraus  entstandene 
unterdrückte  Transspiration  geben  die  häufigste  Gelegenheitsursache; 
besonders  schädlich  ists ,  wenn  Kinder  unter  andern ,  das  Übel  begünstigen- 
den Umständen  hinsichtlich  des  genannten  Alters,  der  Constitution,  des  Kli- 
mas, der  Gegend,  Witterung  und  Jahreszeit,  durch  Spiele,  Laufen,  Schreien. 
Springen  in  der  Abendluft  sich  erhitzen  und  darauf  erkälten  {Löhcl,  SacJise). 
Schneller  Wechsel  der  Witterung,  besonders  in  feuchten,  sumpfigen  Gegen- 
den ist  auch  Gelegenheitsursache.  Diagnose.  1)  Von  Febris  catarrhalis 
unterscheidet  sich  der  Croup  «chon  anfangs  durch  die  Heftigkeit  des 
Fiebers,  besonders  des  Abends  durch  die  brennende  Hitze  der  Hände, 
durch  die  schnelle,  beschwerliche  Respiration,  durch  den  starken  Durst, 
durch  die  Neigung  zum  Plattliegen  und  durch  den  bald  eintretenden  eigen- 
thümlichen  Ton  beim  Husten  und  Schreien,  später  auch  beim  Inspiriren. 
2)  Asthma  Millari  und  Croup  könnte  man  verwechseln.  Ersteres  kommt 
aber  periodisch  vor,  besonders  in  der  Nacht  zwischen  1  und  3  Uhr,  wo, 
nach  meinen  Erfahrungen,  die  meisten  Nervenübel,  auch  Gichtanfälle  ex- 
acerbiren ;  es  ist  seiner  Natur  nach  ein  Krampfanfall ,  der  Ton  bei  dem  An- 
fall ist  nicht  pfeifend,  sondern  ein  dumpfer  Basston,  ähnlich  dem  Heulen 
eines  Hundes-  Die  Kinder  können  dabei  nicht  platt  liegen  Vvie  beim  Croup, 
sie  richten  sich  auf,  beugen  sich  vorwärts,  die  Giesichtsfarbe  wird  roth,  blau, 
bald  darauf  blass,  das  Schlingen  ist  beschwerlich,  da  beim  Croup  anfangs 
dasselbe   frei   und  die  Respiration  nur    beschwert  ist;    das  Übel   befällt  am 


ANGINA  135 

häufigsten  schwache,  reizbare,  zu  Kräojpfen  geneigte  Kinder,  und  zwar  als 
ein  Krampfanfall,  der  etwas  J'eriodisches ,  gleich  andern  Krämpfen  hat;  da- 
her in  einigen  Stunden  vorübergeht,  gewöhnlich  aber  nach  12,  18  bis  24 
Stunden  repetirt.  Auch  fehlt  beim  Asthma  Millari  der  Husten ,  die  Expecto- 
ration  lymphatisch- plastischer  Concreraente,  ja  jede  Expectoration ;  es  ist 
weder  Fieber,  noch  Schmerz  und  Geschwulst  am  Larynx  da;  dazu  koiijmt, 
dass  der  Croup  höchst  selten,  sobald  er  völlig  ausgebildet  ist,  intermittirt, 
was  beim  Asthma  Millari  der  Fall  ist ;  auch  der  wasserhelle  Harn  bei  Asthina 
Millari,  der  Fieberharn  bei  Croup  sind  (s.  Asthma  Millari)  sichere 
diagnostische  Zeichen.  Vorzüglich  unterscheidet  sich  der  Croup  von  diesem 
Übel  dadurch,  dass  er  nicht  so  plötzlich  und  heftig,  ohne  alle  Vorboten, 
eintritt  und  nicht  so  schnell  nachlässt,  als  Asthma  IVlillari.  Das  Wesen  des 
Croups  ist  nichts  Krampfhaftes,  sondern  seiner  Natur  nach  eine  Inflammatio 
laryngis  et  tracheae,  die  sich  oft  selbst  bis  in  die  Lungenzellen  erstreckt 
und  woran  die  Blutgefässe  grossen  Antheil  nehmen ;  die  Convulsionen ,  wel- 
che im  spätem  Zeiträume  zum  Croup  kommen,  sind  nur  Folge  der  gehin- 
derten Respii'ation  und  der  Blutcongestion  zum  Gehirn.  Cur.  Das  Wich- 
tigste ist  die  Präservativcur.  Verhütungsmittel  sind:  Belehrung  des 
Volks  über  Zeichen  und  Vermeidung  der  Gelegenheitsursachen  der  Krank- 
heit, vorsichtige  Gewöhnung  der  Säuglinge  an  die  erste  freie  Luft,  Ver- 
kleidung des  Haarschneidens  bei  rauher  Witterung,  tägliches  Waschen  des 
Halses  mit  kaltem  Wasser,  jedesmal  wenn  das  Gesicht  damit  gewaschen 
wird ,  Mässigung  der  wilden  Knabenspiele  in  der  frühen  Morgen  -  und  in 
der  Abendluft,  bei  Ost-  und  Nordwinden,  bei  schnell  veränderlichem  Wet- 
ter, nicht  zu  forcirte  Abhärtungen,  Vermeidung  nasser  Füsse,  dünner  Schuhe, 
feuchter  Wohnungen,  frisch  geweisster  Zimmer.  Behandlung  bei  ein- 
getretener Krankheit.  Antiphlogistische  Mittel,  früh  angewandt,  sind 
die  emzigen,  aber  auch  sichern  Rettungsmittel,  Sie  müssen  nach  dem  Grade 
und  der  Heftigkeit  des  Übels,  nacli  Beschaffenheit  der  Constitution  u.  s.  w. 
bald  im  stärkern,  bald  im  schwachem  Grade  angewandt  werden  (s.  unten 
die  praktischen  Cautelen).  Im  Allgemeinen  sind  folgende  Curindicationen  zu 
berücksichtigen  :  1)  verhüte  die  Erzeugung  der  krankhaften  Membranen  im 
Larynx  und  in  der  Trachea;  2)  löse  die  schon  gebildete  Haut  auf  und  ent- 
ferne sie;  3)  beuge  den  Krampfzufällen  vor.  Zur  Erreichung  dieser  Indi- 
cationen  dienen  folgende  Mittel:  a)  Blutausleerungen.  Diese  mindern 
am  besten  die  Inflammatio  exsudativa,  so  dass  keine  coagulable  Lymphe 
ausgehaucht  und  also  auch  keine  membranöse  Masse  gebildet  werden  kann. 
Robusten,  vollsaftigen  Knaben  von  7  bis  13  Jahren  lässt  man  am  Arme  zur 
Ader,  Jüngern  Kindern  setzen  wir  6 — 12  Blutegel  an  den  Hals,  noch  Jün- 
gern (von  2 — 4  Jahren)  an  die  Brust,  an  die  Füsse.  Wenn  Gesichtsblässe 
und  Anwandlung  von  Ohnmacht  erfolgt,  so  ist  dies  ein  Zeichen,  dass  wir 
hinreichend  Blut  gelassen  haben.  Oft  bluten  die  Blutegelstellen  dann  noch 
nach  ;  wir  stillen  das  Blut  in  solchen  Fällen  am  schnellsten  durch  folgendes 
styptische  Pulver:  I^  Gumtn.  qrnhic,  Gmnm.  ¥mo  ana.  Auch  steht  die  Blu- 
tung sogleich j  ^^enn  man  die  Stelle  schnell  abtrocknet  und  mit  Lapis  infer- 
nalis  ebi  wenig  betupft  (^^ust ,  Wedemeyer).  Bei  den  Complicationen  des 
Croups  mit  Pneumonie,  mit  Scharlachfieber  sind  die  Blutausleerungen  dop- 
pelt nöthig.  b)  M  er  curia  lia.  Sie  sind  nach  den  Blutausleenmgen  die 
wirksamsten  Mittel  zur  Verhütung  der  Erzeugung  membranöser  Massen  in 
den  Luftwegen.  Am  besten  passt  hier  der  Merc.  dulc. ,  ganz  rein  mit  Zu- 
cker oder  Liquir.  cocta  in  schnell  folgender  und  steigender  Dosis  gegeben, 
und  zwar  alle  2  —  3  Stunden  1,  2  bis  3  Gran  ,  so  dass  em  gelinder  Durch- 
fall entsteht  (^Richter).  Ihn  zu  Anfange  des  Übels  mit  Moschus,  mit  JS^tr. 
hyoscyami  etc.  zu  verordnen,  passt  nicht.  Länger  als  24 — 36  Stunden  dgn 
Merc.  dulc.  in  solcher  Dosis  zu  geben  ist  unnöthig,  da  sich  alsdann  das 
Übel  schon  meist  gegeben  hat,  vorausgesetzt ,  dass  man  vor  dem  Darreichen 
des  Mercurs  die  Blutausleerungen  nicht  versäumt  hat.  c)  Vomitoria.  Sie 
befördern  die  Expectoration  und  entfernen  die  Aftermembranen  in  den  Luft- 
wegen,     d)  Expectorantia.     Das  Elix.  pec.tor.  R.  D. ,    alle  2  Stunden 


136  ANGINA 

zu  10  bis  15  Tropfen,  auch  wol  mit  Syr.  senegae,  Guinm.  ammoniiic.  rer- 
Betzt,  befördert  sehr  die  E\pectoration  (Ijcntin,  Sachse);  desgleichen  Niese- 
iidttel ,  Dämpfe  von  warmem  Wasser,  Weinessig,  Fliederthee  (iJicft/er). 
Doch  wende  man  die  genannten  Expectorantia  ja  nicht  an ,  wenn  die  Ent- 
zündungszufälle noch  heftig  sind;  hier  schaden  sie  nur.  Einige  prakti- 
sche Cautelen  für  specielle  Fälle.  1)  Der  Croup  ist  immer  eine 
entzündliche  Krankheit,  die  nach  Beschaifenheit  der  Constitution  des  Kran- 
ken, des  Alters  etc.  bald  gelinder,  bald  heftiger  auftritt  und  deshalb  auch 
bald  nur  gelinder,  bald  stärkerer  Antiphlogistica  bedarf.  Doch  vergesse  man 
nie,  dass  beim  ausgebrochenen  Croup  das  Localleiden  gar  nicht  Schritt  mit 
dem  allgemeinen  hält,  und  dass  wir  uns  sehr  irren  würden,  wenn  ^vir  das 
Fieber  allein  zum  Massstabe  unsers  Handblns  nehmen  wollten  (^Snchse).  Ist 
daher  2)  die  Luftconstitution  entzündlich ,  was  aber  seit  dem  Jahre  1827 
bei  uns  nicht  mehr  der  Fall  ist,  befällt  das  Übel  starke,  schon  im  Alter 
■vorgerückte  Kinder,  und  zwar  plötzlich,  ist  der  Puls  schnell  und  hart,  oder 
unterdrückt,  scheinbar  schwach,  der  Athem  heiss  und  sehr  schnell,  das  Ge- 
sicht roth  und  gedunsen,  ist  der  Hals  heiser,  schmerzt  die  Luftröhre,  ist 
der  Husten  häutig,  heftig,  trocken,  klingend,  das  Einathmen  schwer  und 
pfeifend ,  das  Fieber  anhaltend ,  mit  grosser  Unruhe  oder  Betäubung  ver- 
bunden, verschlimmert  sich  das  Übel  stündlich  mit  nur  geringen  Nachlässen, 
erkalten  die  Extremitäten ,  während  das  Gesicht  schwitzt,  so  hat  man  einen 
hohen  Grad  des  entzündlichen  (sthenischen)  Croups  vor  sich.  Hier  sich  mit 
einigen  Blutegeln  zu  begnügen,  würde  sündlich  seyn.  Hier  ist  ein  Aderiass 
am  Arme  von  5  — 10  Unzen  (man  lässt  das  Blut  so  lange  fliessen ,  bis  das 
Gesicht,  die  Lippen  bleich  werden),  noch  besser  die  Durchschneidung  der 
Art.  temporalis  (^Alhers)  indicirt ;  doch  leistet  eine  hinreichende  Venaesection 
am  Arme  wol  dasselbe,  und  verhütet  die  nach  der  Arteriotomie  nicht  selten 
erfolgenden  Aneurysmen,  wovon  noch  kürzlich  Dr.  Jiushe  in  Irland  (Froriep's 
Notizen  1829.  Nr.  498.)  traurige  Fälle  mittheill;  nur  vollkommenes  Durch- 
schneiden der  Art.  temporalis  kann  dies  verhüten.  Darauf  giebt  man  inner- 
lich: ]^T  Nitri  depurnii  5j(^,  Tart.  vitriolat.  Sjjj,  ^</-  for.  samhuci  5v,  Mucil. 
gm.  arah,  gjj.  M.  S.  Halbstündlich  Y2  —  1  Esslöffel  voll;  zugleich  legt  man 
ein  grosses  Vesicator  auf  den  Rand  des  Brustknochens  (S«c/isc).  Ist  die 
Krankheit  dadurch  binnen  10  bis  12  Stunden  nicht  gehoben,  verschlimmern 
sich  die  Zufälle  aufs  Neue,  so  setzt  man  jetzt  6 — 12  Blutegel  an  den  Hals, 
in  den  Nacken,  an  den  Vorderhals  oder  an  eine  nicht  vom  Vesicator  be- 
deckte Stelle  der  Brust,  verordnet  darauf  ein  kräftiges  Vomitiv  (da  der  Ma- 
gen hier  wegen  des  Drucks  des  Blutes  aufs  Gehirn  wenig  empfindlich  ist), 
in  flüssiger,  nicht  in  Pulverform,  z.  B.  I^  Tnrt.  emetici  gr.  v,  Aquae  destil- 
latne  5ijj,  Syr.  sacchari  §fv.  VI.  S.  Alle  5  Minuten  1  Esslöffel  voll  bis  zum 
Erbrechen;  und  wirkt  dies  nicht  bald,  so  giebt  man  2  —  3  Gran  Viti-iol. 
alb.,  in  lauem  Wasser  aufgelöst  (selbst  3  —  6jährigen  Kindern.  Jurine,  Uo- 
Srtcfc),  verordnet  darauf  den  Merc.  dulc. ,  stündlich  zu  2  —  3  Granen  mit 
etwas  Magnes.  carbonica  und  Liquir.  cocta ,  auch  wol  mit  gr.  ß.  Sulph. 
aurat.,  legt  ein  zweites  Vesicator  auf  eine  andere  Stelle  der  Brust  (auf  den 
Kehlkopf  darf  man  kein  Zugpflaster  legen) ,  reibt  alle  Stunden  1  Theelöff"el 
voll  Unguent.  mercurial.  und  Linim.  volat.  ana  in  den  HeJs  und  erwartet 
nun  den  Erfolg.  Erneuern  sich  die  Zufälle  nach  einigen  Stunden  wieder 
mit  Heftigkeit ,  so  scheue  man  sich  nicht ,  zum  zweiten ,  drittenmal  Blut- 
egel anzusetzen ,  fahre  mit  dem  Merc.  dulc.  fort,  und  gebe  ausserdem  öfters 
(halbstündlich)  10  bis  15  Tropfen  Elix.  pectorale  R.  D.  in  einem  Esslöffel 
voll  folgender  Mischung:  I^-  Aq.  foenicuH  5V,  Syr.  senegae  ^j.  M.  Wenn 
Krüger  -  Hansen  in  seiner  kürzlich  erschienenen  Brochure:  „Normen  für  die 
Behandlung  des  Croups",  Rostock  und  Güstrow  1832,  gegen  Blutegel,  Ka- 
lomel  und  Brechmittel  eifert,  die  an  Croup  Leidenden  mehr  passiv  behan- 
delt wissen  will  und  versichert,  mehrere  Kranke  der  Art  durch  einfachen 
Lecksaft  geheilt  zu  haben,  so  muss  ich  ihn  um  so  mehr  für  einen  schlech- 
ten Diagnostiker  halten,  da  er  selbst  gesteht,  der  ganze  Croup  sey  nur  ein 
Katarrh  und   die   sich   bildenden  Concremeate   beständen   aus   vertrocknetem 


ANGINA  137 

Schleim,  wie  man  ihn  oft  in  der  Nase  finde  (!!).  Wenn  Öerr  K.  noch 
keine  Concremente  der  Art,  organisirt  and  mit  Blutgefässen  durchwebt,  ge-^ 
sehen  hat ,  so  mag  er  wol  nie  ein  Kind  der  Art  nach  dem  Tode  secirt  ha- 
ben, auch  unsere  Literatur  nicht  kennen  (s.  Ploucquet  Lit.  med.  digesta; 
Art.  Angina  membranacea).  S)  Beginnt  die  Krankheit  nicht  so  stürmisch, 
entwickelt  sie  sich  aus  Katarrhen;  ist  aber  der  Körper  nicht  schwach,  nicht 
abgezehrt,  dann  setze  man  sogleich  Blutegel,  verordne  gleich  darauf  deri 
Merc.  dulc.  zu  1  —  2  Gran,  alle  zwei  Stunden,  und  bei  Zeichen  der  Lösung 
gleich  ein  Brechmittel.  Auch  kommt  man  hier  oft  aus ,  wenn  man  nur  drei- 
mal täglich  2  Gran  Mercur  und  ausserdem  folgende  Mischung  giebt :  I^  SaL 
ammon.  dep-,  Succ.  liquir-  dep.  ana  5jj,  Aq.  flor.  sambuci  giv,  Sifr.  senegne 
^fi^,  Tnrt.  emet.  gr.  jj.  M.  S.  Stündlich  %  bis  1  Esslöffel  voll.  Ist  das 
Übel  rein  katarrhalischer  Natur,  ist  es  durch  Erkältung  ,  besonders  durch 
kalte,  feuchte  Witterung  entstanden,  so  kann  man  gleich  zu  Anfange  als 
Präservativ  vor  der  wirklichen  Ausbildung  des  entzündlich  -  katarrhalischen 
Croups  ein  allgemeines  Dampfbad  zur  Beförderung  einer  allgemeinen 
starken  Transspiration  anwenden.  Dies  verhütet  die  Ausbildung  der  mem- 
branösen  Concremente  und  löst  die  schon  stattfindenden.  Dieses  Bad  muss 
2 — 3  Stunden  lang  fortgesetzt  und  nöthigen  Falls  wiederholt  werden  (^Brehme 
in  den  Allgem.  medicinischen  Annalen  1828.  Hft.  5.).  Doch  vergesse  man 
zugleich  nicht,  die  übrigen  indicirten  Mittel  nach  den  individuellen  Umstän- 
den zu  verordnen.  4)  Sind  die  inflammatorischen  Zufälle  nur  schwach ,  ist 
die  Krankheit  mehr  remittlrend ,  ist  keine  starke  Congestion  zum  Kojvfe  da, 
das  Kind  schlaff  und  welk,  von  lymphatischer  Natur  mit  scrophulöser  An- 
lage, so  reichen  3  bis  5  Blutegel  an  den  Hals  gesetzt,  dann  alle  5  Stun-' 
den  1  Gran  Merc.  dulc.  mit  gr.  f\.  Sulphur.  aurat.,  ein  Brechmittel  mit  Syr. 
senegae  und  ein  Vesicator  hin.  5)  Befällt  der  Croup  auch  wahrhaft  schwa- 
che Kinder  sehr  stürmisch,  so  versäume  man  die  Application  einiger  Blut- 
egel dennoch  ja  nicht;  sollten  plötzlich  die  Kräfte  darnach  sinken,  so  passt 
hier  vortrefflich  der  Merc.  dulc.  mit  Moschus  ana  gr.  j^ — jj,  alle  2  Stunden 
(Wiffand,  Alhers ,  Most).  Oder  man  giebt:  Merc.  dulc.  gr.  j,  Sulph.  aurati 
gr.  fj ,  dreimal  täglich  ein  Pulver,  und  den  Moschus  in  Syr.  senegae  (gr. 
vj — vjij  in  2J),  stündlich  einen  Theelöffel  voll.  6)  Complicationen  des  Croups 
ntit  Scharlach,  Masern,  Pneumonie  erfordern  doppelt  streng  den  antiphlogi- 
stischen   Apparat ,     besonders   die   Blutausleerungen   und   den    Merc.    dulcis. 

7)  Höchst  wichtig  ist  die  Regel,  weder  Senega,  noch  Squilla,  weder  Elix. 
pector.  R.  D. ,  noch  Moschus  und  Sulph.  aurat.  zu  verordnen ,  bevor  nicht 
die  Heftigkeit  der  Zufälle  durch  Blutentziehungen  und  Merc.  dulc.  (ohne 
andern  Zusatz  als  Liquirit.  cocta)  gehoben  worden  sind.  Die  Senega  passt 
nur  im  spätem  Zeiträume,  wenn  die  Expectoration  sehr  schwer  und  röchelnd 
wird  und  man  schon  viel  Merc.  dulc.  gegeben  hat  (^Richter).  Hier  ist  fol- 
gende Formel  zu  empfehlen:  Rr  Rad.  pohjg.  senegqe  5 j j »  Rad.  althaeac  5t^, 
cor/,  c.  aq.  fontnn.  5x,  iii  rem.  5v,  col.  adde  Syr.  senegae  ^j.  M.  S.  Halb- 
stündlich Yo  —  1  Esslöffel  voll.  Opium,  Castoreum,  Moschus,  Extr.  hyoscyami, 
Kampher  etc.  passen  nie  im  entzündlichen  Stadio  oder  bei  achtem,  d.  h.  ent- 
zündlichem Croup;  auch  nicht  die  Asa  foetida ,  die  Schwefelleber,  die  man, 
■wie  den  Phosphor,  sogar  als  Specificum  empfohlen  hat  (!),  wofür  überhaupt 
weder  Theorie,  noch  Erfahrung  hinlänglich  sprechen.  Die  Krämpfe  werden 
am  besten  verhütet  durch  frühe  Blutausleerungen ,  Mercurialia  und  leichte 
Expectorantia  (Vomitive,  kleine  Dosen  Tart.  emet.);  alle  erhitzende,  an- 
tispasmodische   Mittel    sind  zu  Anfange    der   Krankheit    schädlich  (Ferriar). 

8)  Im  adynamischen  Stadio  des  Croups,  wo  der  Kranke  schon  rettungslos 
verloren  zu  seyn  schien,  hat  man  noch  durch  kalte  Begiessungen  des  Kopfs, 
des  ganzen  Rückens,  Körpers,  Nutzen  gesehen  (^Härder,  Aberlc).  Sie  kön- 
nen hier  dreist  angewandt  werden,  da  hier  doch  wenig  mehr  zu  verlieren 
ist;  wenigstens  erleichtern  sie  oft  auf  V^  bis  l'/;  Stunden  die  schrecklichen 
Zufälle ,  indem  sie  Ruhe  und  gleichmässige  Wärme  geben.  Ich  konnte  zwei 
Kinder,  bei  denen  frühe  Hülfe  versäumt  war,  nicht  mehr  dadurch  vom  Tode 
retten;    doch  erleichterten   sie  den  jämmerlichen  Zustand    der  Unglücklichen 


138  ANGELA 

«ngemeiii,  Anch  Dr.  Bntunhnch  vermochte  nicht,  durch  die  kalten  Sturz- 
bäder ein  Kind  im  letzten  Stadium  des  Croups  zu  retten  (s.  Himl's  Magaz. 
18:26.  Hft  2.  S.  34-1.).  —  P.  Bland  (Neue  Untersuchungen  über  den  Croup. 
A.  d.  Franz.  von  Clemens.  Frankf.  a.  M.  1826.)  unterscheidet  eine  Laryngo- 
tracheitis niucosa,  purulenta,  membranacea  etc.  Diese  Unterschiede  sind 
ohne  Werth  für  die  Praxis  und  nur  die  Ausgeburt  der  heutigen  Kleinig-^ 
keitskrämerei  in  der  Diagnostik;  denn  die  heutige  L.  mucosa  kann  morgen 
schon  eine  L.  membranacea  seyn,  und  der  fein  beobachtende  Praktiker  merkt 
die»  ohne  besondere  Norm  (s.  Med.  chir.  Zeitung.  Aug.  iS27.  Nr.  63  S.  259.). 
9)  Bekannt  ist  das  Lob,  das  man  dem  Cuprum  sulphuricum,  als  spe- 
cifik  gegen  den  Croup,  alle  1  —  2  Stunden  zu  '/■,  —  4  Gran  gereicht,  ertheilt 
hat.  Nachdem  es  zuerst  Hoß'mnnn  in  Ruf  gebracht  (s.  HufelaniVs  Journ. 
1821.  Stück  2),  wird  es  auch  von  -v-ielen  andern  Ärzten  gelobt.  Mir  geht 
es  gerade  wie  Dr.  Momhert.  Dieser  war  so  glücklich,  von  21  Kranken  20 
durch  Mercur  tmd  Blutegel  zu  retten ;  daher  er  keinen  Beruf  fühlt ,  andere 
Mittel  gegen  den  Croup  zu  versuchen.  Ausserdem  werden  beim  Kupferge- 
brauch die  Blutegel  in  vielen  Fällen  wol  erst  vorangehen  mü.ssen,  zumal  bei 
robusten  Kindern.  Bei  schwächlichen,  lymphatischen,  scropliuiösen  Subje- 
cten,  bei  feuchter,  katarrhalischer  Luftconstitution  ohne  Diathesis  intlamma- 
toriii,  kann  man  den  Kupfervitriol  wol  gleich  anfangs  in  Dosen  geben,  dass 
Krbrechen  erfolgt.  Hier  ists  aber  noch  fraglich,  ji)  das  Kupfer  anders  als 
jedes  andere  Emeticum,  die  Hajewisch  mit  Recht  so  sehr  lobt,  v^irktV  (s. 
Fielitz  in  HufelnmVs  Journ.  1831.  Stück  2.).  Auch  in  Mehlhausen's  P'ällen 
(^Rusfs  Magaz.  1830.  Hft.  2.  S.  386.)  waren  ausser  dem  Kupfer  Blutegel 
und  tüchtige  Vesicatorien  nöthig  (s.  auch  Körting  in  HufelnmVs  Journ.  1834. 
St.  7.  und  Zimmermann  Ebendas.  1835.  St.  8.).  Nicht  selten  lässt  sich  ein 
beginnender  Croup  allein  durch  Diaphoretica  interna  und  durch  Umschläge 
von  warmem  Wasser  um  Hals  luid  Brust  heilen,  wo  der  heisse  Wasserdampf 
mitwirkt  (s.  Wanner:  du  Croup  et  de  son  traitenient  par  la  vapeur  d'eau. 
Paris  1834.).  Die  Kranken  müssen  mehrere  Tage  in  den  Dünsten  von  war- 
mem Wasser  oder  Decoct,  malvae,  Flor,  sambuci,  verweilen  und  schwitzen. 
Wanncr  hat  in  vielen  Fällen  einen  ausgezeichnet  glücklichen  Erfolg  von 
«lieser  Cur  gesehen.  —  In  der  neuesten  Zeit  sind  mehrere  glückliche  Fälle 
bekannt  geworden,  wo  die  Traehe  o  t  omie  in  der  Höhe  des  Croups  noch 
das  Leben  rettete,  nachdem  schon  der  Husten  aufgehört  hatte,  die  Stimme 
erloschen  und  Gliederkälta  eingetreten  war.  In  einem  Falle  wurden  15  Tro- 
pfeh Solut.  alumin.  saturata  durch  die  in  die  Wunde  eingelegte  bleierne 
Röhre  in  die  Luftröhre  getröpfelt;  später  nahm  man  dazu  Lap.  infernal  5fi, 
Aq.  destill.  5iii  wovon  täglich  5  —  6mal  etwas  eingetröpfelt  wurde,  welches 
Husten  erregte  und  die  Luftröhre  frei  machte.  Diese  Mittel  erregen  weder 
Entzündung,  noch  Excoriation  (s.  Allgem.  Journ.  für  medic.  u.  chir.  Kennt- 
nisse, von  Armaiul,  Trousseau  etc.  Paris  1834.  Hft.  1.  S.  41  fl'.).  Auch  Prof. 
Gerdy  machte  die  Operation  bei  einem  ähnlichen  Croupkranken  neuerlich  mit 
Glück  (s.  A.  T.  Chresiien  in  Revue  med.  frone,  et  «Strang.  1831.  Octbr  ). 
Das  Röhrchen  lag  8  Tage  lang  in  der  Wunde  und  die  Luftröhre  wurde  gleich- 
falls mit  Solut.  argent.  nitric.  geätzt. 

Aiujinn  mcnstrunlis  und  hnemorrhoidniis.  So  hat  man  wol  die  Beobach- 
tung genannt ,  wo  eine  Frau,  die  im  Stadio  der  Decrepitität  an  Hämorrhoi- 
dal-  und  Menstrualbeschwerden  litt,  eine  Bräune  bekam,  wobei  die  Schmer- 
zen bald  ün  Kreuze  und  Ano,  bald  nur  im  Halse  waren  imd  abwechselten 
{Sachse^. 

Auijinn  mcrcnrialUi.  Symptome.  Bleiche  Röthc,  Brennen  im  Munde, 
.übler,  metallischer  Ger\ich,  kleine,  den  Chankern  ähnliche  Geschwürchen 
am  Velo  palatino  pendulo ,  an  den  Mandeln,  die  einen  Speckl)oden  haben, 
aschgrau,  wie  gekauetes  Löschpapier  aussehen,  die  wenig  liiben  haben,  ge- 
fühllos sind ,  mehr  in  die  Tiefe  als  Breite  fressen ,  und  w  ovon  oft  ganze 
Massen  au>geworfen  werden.  Ursachen.  Rascher  QvH'cksilbergebrauch ; 
besonder»  unvorsichtiges  Einreiben  der  Mercurialsalbe,  nach  Erkältung  un- 
terdrückte Salivation.     Mcnstruirtc  Frauenzinuucr  und  scorbutiache  Personen 


ANGINA  139 

saliviren  oft  schon  nach  wenigen  Granen  Merc.  dulc,  was  bei  Kindern  höchst 
selten  der  Fall  ist.  Cur.  Sind  heftige  Entzündungszufälle,  verschwollener 
Hals  u.  s.  w.  da,  dann  Blutegel,  Aderlässe,  kühlende  Purganzen  (Len^in); 
dies  ist  aber  selten  der  Fall.  Gewöhnlich  passt  ein  Infus,  sennae  mit  Sal. 
Polychr.,  noch  besser  Lac  sulphuris  mit  Magnes.  calcinata,  oder  Folgendes: 
^r  Hepat.  sulphur.  calcar.  3}])',  ^^-  fior.  sambuci,  Syr.  althneae,  Muc.  giimm. 
arnb.  ana  gjj^.  M.  S.  Alle  Stunden  1  Esslöffel  voll  (M.).  Daneben  giebt 
man  Abends  und  Morgens :  I^  CampJwrae  gr.  jj  ,  Sulph.  aurati ,  Opii  pur. 
ana  gr.  f^. ;  lässt  mit  Decpct.  quercus  3VJJJ ,  Alum.  crudi  5jj  gurgeln ,  und 
den  Kranken  warm  halten.  Ein  selu-  heilsames  Gurgelwasser  zur  Heilung 
dieser  Geschwüre  ist:  ly  Cupri  sulphurici  gr.  xv,  soloe  in  Aquae  destiUat. 
5vj.  M.  S.  Zum  Gurgeln  2  —  Smal  täglich  (^Krauel,  Most);  zugleich  wird 
zum  Pinseln  Folgendes  gebraucht:  I^  Eoetr.  cicutae,  Tinct.  Inno,  Tinct.  Tta- 
techu  ana  5jj »  McJl.  rosaruni  3JJ.  M.  (M.).  Innerlich  passt  am  Ende  De- 
coct.  chinae ;    s.  Morbus  mercurialis. 

An(/ina  mercurialis  chronica,  Angina  faucium  mercurialis.  Man  muss  diese 
chronische  Bräune  wol  von  secundären  syphilitischen  Geschwüren  unterschei- 
den;  desgleichen  von  der  oben  genannten  acutem  Ang.  mercurialis.  Sym- 
Stome.  Ziehen  und  Spannen  im  Gaumen  und, Oesophagus,  das  oft  mehrere 
lonate  nach  überstandenen  syphilitischen  Localleiden  sich  einfindet;  Be- 
schwerden beim  Schlucken,  Heiserkeit  der  Stimme,  besonders  Morgens  und 
Abends,  Gefühl  von  Ermüdung  beim  Sprechen ,  das  nicht  selten  in  Schmerz 
ausartet ,  der  sich  bis  in  die  Nasenhöhle ,  den  Hinterkopf  und  längs  der 
Eustachi'schen  Röhre  bis  ins  Ohr  erstreckt.  Schlund,  Uvula,  Gaumensegel 
und  Mündung  der  Tuba  Eustachii  sind  dunkelroth,  ins  Bläuliche  spielend, 
und,  mit  Ausnahme  der  einen  oder  andern  Tonsille,  nie  geschwollen.  Auf 
dieser  zeigen  sich  zuweilen,  nach  Erkältung ,  hitzigen  Geträiiken  etc.  kleine 
Geschwüre,  die  den  venerischen  ähnlich  sind,  doch  nicht  um  sich  greifen, 
auch  nicht  hellroth  aussehn.  Sie  verändern  oft  ihren  Platz  ,  was  die  syphi- 
litischen Geschwüre  nie  thun.  Cur.  Warmhalten  des  Halses,  Flanell;  in- 
nerlich Rad.  sassaparill. ,  Guajak ,  besonders  aber  Acid.  nitricum  dilutum, 
dreimal  täglich  10 — 15  Tropfen  in  einem  Glase  Haferschleim  (^Oppert). 

Angina  pnlntina,  Hijperoitis,  Entzündung  des  hängenden  Gau- 
mens. Ist  gewöhnlich  katarrhalischer,  seltener  rheumatischer,  noch  selte- 
ner brandiger  Natur.  Ist  sie  heftig ,  so  wird  das  Niederschlucken  durch  die 
Geschwulst  des  Velum  pendulum  oft  unmöglich.  Cur.  Die  allgemeine  der 
Angina  mit  Berücksichtigung  der  Zufälle. 

Angina  parahjtica,  6.  Atonia  oesophagi  und  Dysphagia  para- 
lytica. 

Angina  pnrotidea ,  s.  Inflammatio  parotidis. 

Angina  pectoris ,  Brustbräune,  auch  Asthma  convuJsivum ,  Arthritis 
dioffiliragmatica ,  Syncope  anginosa ,  Asthma  dolorificum ,  Stcrnalgia ,  Stenocar- 
dia  genannt  Symptome  sind:  periodische  Anfälle  eines  peinigenden  Zu- 
sammenziehens quer  über  die  Brust ,  mit  täuschendem  Gefühl  von  Mangel  an 
Athem,  die  schnell  kommen  und  verschwinden,  kein  unangenehmes  Gefühl 
hinterlassen,  nur  erst  bei  öfterer  Wiederkehr  Besorgniss  erregen.  Gele- 
gentliche Ursachen.  Heftige  Bewegungen  des  Körpers,  besonders  Berg- 
und  Treppensteigen,  wobei  es  dem  Kranken  ist,  als  wenn  ein  Strick  die 
Brust  zusammenzieht;  er  bleibt  nun  erschrocken  stehen,  und  nach  2 — 3  Mi- 
nuten ist  Alles  vorbei.  So  wie  das  Übel  aber  zunimmt,  erregt  schon  mas- 
sige Bewegung,  selbst  die  Mittagsmahlzeit  den  Anfall,  wobei  kein  Husten, 
aber  Rauhigkeit  im  Halse,  Schwindel,  Krampf  in  der  Kehle  und  Ameisen- 
kriechen in  den  Armen  bis  zu  den  Fingerspitzen  bemerkt  wird.  Später  er- 
regen schon  kleine  Gemüthsbewegungen  ohne  Berg-  und  Treppensteigen  den 
Anfall,  der  nun  öfter  wiederkehrt;  zuletzt  tödtet  die  Krankheit  plötzlich, 
der  Kranke  sinkt  ohne  asthmatische  Beschwerde  dahin  und  —  ist  todt. 
So  starb  der  berühmte  John  Huntcr.  Cur.  Da  das  Wesentliche  des  Übels 
ohnstreitig  eine  krankhafte  Aifection  der  Brustnerven  ist  (Jurine) ,  entstan- 
den durch  Arthritis  incongrua  (Eisner,  Lentüi),  oder  durch  Verknöoherungen 


140  ANGINA 

in  den  grossen  Gefassen  des  Herzens ,  in  deren  Vaiveln ,  In  den  Kranzadern 
des  Herzens ,  oder  auch  durch  Verdünnung  der  Wände  des  Herzens  (^Letson, 
Fothcrgill ,' Parry ,  Vf 'ichmann  ^  Kretjs'uj);  so  ist  die  Prognose  sehr  ungünstig 
und  die  Heilung  nur  in  seltenen  Fällen  geglückt.  Vesicatoria  perpetua,  Fon- 
tanellen auf  die  Brust  (^Fothergilf) ,  innerlich  Antarthritica ,  auch  Vitium  sti- 
biat.,  Aq.  calcis,  Zincum  sulphuric.  gr.  j,  Opü  puriss.  gr.  '/j,  Abends  und 
Morgens  ein  Pulver  (^PerJäng^ ,  selbst  der  innerliche  Gebrauch  des  Arsenik« 
{Alexander'),  leisteten  in  einzelnen  Fällen  Hülfe.  In  England  ist  das  Übel 
häufiger  als  bei  uns ;  vor  dem  40sten  Jahre  wird  selten  Jemand  davon  be- 
fallen ;  auch  bekommen  es  öfter  fette ,  als  magere  Menschen.  Eine  zweck- 
mässige Diät,  massige  Bewegung,  Vermeidung  alles  dessen,  was  Seele  und 
Körper  bewegt,  Flanellkleidtuig,  öftere  Fussbäder,  bei  den  Anfallen  kleine 
Aderlässe ,  gegen  Leibesverstopfung  gelind  ei-öffnende  Mittel ,  bei  Arthritis 
anomala  Guajak ,  Antimonialia ,  Asa  foetida,  Digitalis,  Sulphur  auratuui, 
Extr.  lactucae  viros.,  die  Tinct.  arsenical.  Fowleri,  täglich  zweimal  10  Tro- 
pfen, sparsame  Diät,  kleine  \%iederholte  Abführungen;  dies  sind  die  MitteJ, 
welche  empirisch  noch  am  meisten  leisteten  {Jiichicr').  S.  auch  Kleineres 
Repertorium  Jahrg.  I.  Hfr.  9.  S.  112,  Jahrg.  II,  Hft.  4.  S.  S'S,  Heherden 
fand  die  Anwendung  des  Aderlasses  im  Anfalle  fast  immer  schädlich  ,  dage- 
gen halfen  oft  50  Tropfen  von  Folgendem:  ^'  Tinct.  opü,  Vini  slihint.  ana 
3jj,  und  zugleich  ein  grosses  Vesicatorium  auf  die  Brust  und  in  den  Nacken, 
In  einem  Falle  verhütete  der  anhaltende  Gebrauch  der  Flor,  zinci  die  An- 
fälle (iH.). 

Angina  pharyngea,  Entzündung  des  Schlundes,  s.  Inflammatio  oe- 
aophagi. 

Angina  phtliisicorum ,  Bräune  der  Schwindsüchtigen.  Entsteht 
häufig  .  im  Stadio  colliquativo  der  Schwindsucht  durch  Schwämmchen;  s. 
A  p  h  t  h  a  e. 

Angina  rheumatica.  Symptome.  Heftige  Schmerzen  beim  Schlingen, 
ohne  dass  man  Geschwulst  im  Halse  sieht;  nur  geringe  Röthe,  zuweilen 
gestreift,  ist  zu  sehen.  Der  Sitz  des  Schmerzes  ist  vorzüglich  im  Saume 
des  Veli  palatini,  das  Sprechen  ist  verhindert,  weil  der  hintere  Theil  der 
Zunge  leidet..  Gegen  Abend  Verschlimmerung,  Anwesenheit  von  Ohren- 
schmerz. Cur.  Warme  Milch  im  Munde  öfters  gehalten,  kein  Gurgeln, 
weil  dies  den  Schmerz  vermehrt;  Warmhalten,  innerlich  Spirit.  Rlindereri 
mit  Aq.  fior.  sambuci  und  Vinum  stibiat.,  darauf  Abends  und  Morgens  Merc. 
dulc.  gr.  j. ,  Sulph.  aurat.  gr.  jy. ;  äusserlich  Linim.  volat.  camphor.  und 
Unguent.  mercuriale  ana  in  den  Hals  einzureiben.  Gewöhnlich  ist  die  Zunge 
bei  dieser  Bräune,  die  sich  oft  in  die  Länge  zieht,  feucht  und  rein,  der 
Puls  klein  und  krampfhaft ;  nicht  selten  sind  zugleich  rheumatische  Schmer- 
zen am  Halse,  Nacken,  in  der  Schulter  zugegen. 

Angina  srirrhosa.  Entzündliche  Bräiinen ,  besonders  die  Mandelbräuue, 
zertheilen  sich  nicht  immer  völlig,  gehen  auch  nicht  in  Eiterung  über,  son- 
dern es  bleibt  Drüsenverhärtung  zurück.  Die  Natur  solcher  Drüsengeschwül- 
ste ist  von  zweierlei  Art.  1)  Es  ergiesst  sich  im  Innern  und  Äussern  der 
Mandeln  ebenso  plastische  Lymphe,  wie  so  oft  bei  der  Pleuropneumonie  zwi- 
schen Lunge  und  Pleura.  Die  Folge  davon  ist:  krankhafte  Vergrö.sserung 
der  Mandeln,  höckerige  Form  derselben,  Härte,  ohne  dass  hier  etwas  Krebs- 
haftes stattfände.  Gewöhnlich  folgt  diese  Form  von  Ang.  scirrhosa  auf  vor- 
hergegangene heftige,  rein  entzündliche  Bräunen.  2)  Die  Verhärtung  ist 
Folge  seröser  Ergie.ssungen  ins  Zellgewebe  bei  Angina  serosa.  Hier  ist  die 
Geschwulst  aus  wirklicher  Schwäche  zurückgeblieben,  und  sie  erscheint  we- 
niger hart,  mehr  wässerig,  schwammig,  nicht  höckerig,  sondern  platt.  Cur. 
Bei  Nr.  1.  innerlich  Resolventia:  Extr.  taraxaci,  Cicuta,  Seifen,  Gumm. 
ammoniac,  Asa  foetida,  Mittelsalze,  Mercurialia,  innerlich  und  äusserlich, 
Elektricität  {Sachse').  Ist  das  Übel  nicht  so  bedeutend ,  dass  es  am  Schlu- 
cken und  Sprechen  hindert ,  so  überlasse  man  es  der  Natur ,  unterhalte  al- 
lenfalls 4  Wochen  lang  eine  spanische  Fliege  im  Nacken.  Ists  aber  bedeu- 
tend .    droht  es   in  Krebs  überzugehen ,    so  wende    man  mittel«   eine«  Röhr- 


ANGINA  141 

chens  Ätzmittel  an.  Hilft  das  nicht,  so  musi^idie  kranke  Mandel  exstirpirt 
werden,  wobei  wegen  Verletzung  benachbarter  Gefässe  Vorsicht  anzurathen 
ist.  Bei  Nr,  2.  dienen  reifende,  stärkende  Gurgelwasser  und  Einspritzungen 
von  Infiis.  sinap.  nigr.  mit  Rothwein,  Decoct.  quercus  mit  Alaun,  von  Acet. 
lithargyri,  mit  Wasser  verdünnt.  Nimmt  die  Ang.  pharyngea  und  Oesopha- 
gitis  den  Ausgang  in  Ang.  scirrhosa,  so  Entstehen  furchtbare  Dysphagien, 
wogegen  wenig  auszurichten  ist.  Elastische  Röhren  eingebracht,  fristen 
dann. oft  noch  das  Leben  (Richter).     S.  Dysphagia  scirrhosa. 

Aninnn  spasmodica  chronica.  Nach  acuten,; besonders  biliösen,  Bräunen 
bleibt  oft  ein  reiner  Krampf  zurück,  der  ohne  sichtbare  Röthe  und  Ge- 
schwulst beschwerliches  Sclüingen  und  Drücken  im  Halse  erregt.  Diese  Zu- 
fälle sind  oft  bedeutend,  besonders  bei  hysterischen  Personen,  und  hab6n 
etwas  IntermittirendeS.  Cur.  Eün  starkes  InfuSv  vaJerianae  (üicAtcr)  und 
andere  Antispasmodica.     S.  Hysterja.         , ;,    ;.,  ;  ;    ■,     .      ;  .    , 

Anginn  spuria.  So .  hat ;  man  wol ,  den  Nodus  hystericSis  genannt ;  j. 
Hysteria.  *'■   •,••'.    -^^  ".;  -  ;   .    ; 

Angina  suppuratoria ^  ulcerosa,  mucosn  Stör/r,  die  eiterige.  Bräun fe. 
Am  häufigsten  gehen  bei  vernachlässigter  Hülfe  und  Diätfehlerjx  die  Mandeln 
in  Bitej."ung  .über. ,  Oft  sieht  mau  bei  .dor  Angina !  tonsillaris  .schon  in  den 
ersten  Tagen  dieselben  mit'  plastischer  Lymphe,  mit  verdicktem  Schleime 
bedeckt,  der  oft  nur  ihre  Gruben  ausfüllt,,  während  die  Oberfläche  roth 
aussieht,  oft,  aber  auch  letztere  ganz  übörzieht.  Dies  muss.  man  nicht  für 
Eiterung  halten.  Es  ist  die  sogenannte  Ang.  suppuratoria  spuria.  Sym- 
ptome der  A.  suppuratoria  vera.  Es  erscheinen  kleine,  .gelbliche 
Pusteln,  wie  Krätzpusteln ,  welche  bedeutend  brennen,  bald,  platzen,  aber 
oberflächlich  bleiben,  nicht  in  die  Tiefe  fressen,  weisslich  ausSehn,  nicht 
grau,  pappartig  sind,  sondern  einen  weissen  Überzug  ohn^  Borken  bekom- 
men. Trennt  sich  die  weisse  Decke,  so  erblickt  man  eine  hochrothe,  sehr 
empfindliche  Fläche  darunter.  Der  Kranke  hat  keinen  üblen  Geschmack, 
keinen  stinkenden  Atheni-  Dies  ist  eipe  gutartige,  oberflächliche  Eiterung, 
die  keine  Neigung  hat.,  in  Brand  überzugehen.  Alsdann  sind  andere  Zei- 
chen da  (s.  Angina  gangraenosa).  Zuweilen  bildet  sich  ein  grx)sser 
Abscess  der  Mandeln,  der  Erstickungsgefahr  drohet,  sich  aber  gewöhnlich 
bald  öffnet,  wo  dann  plötzlich  mit  dem  Ausbrechen  von  vielem  Eiter  die 
Zufalle  der  Angst,  der  gehinderten  Respiration  aufhören.  Cur.  Man  lassd 
erweichende  Dämpfe  einathmen  und  lege  erweichende  Umschläge  um  den 
Hals,  z.  B.  von  Spec.  emoll.  mit  Semen  lini  und  B\ittef  oder  Öl.  Man 
mache  Einspritzungen  von  Flieder,  in  Milch  gekecht.  Einige  rathen,  man 
soll  früh  den  Abscess  mit  dem  Pharyngotom  oder  der  Lanzette  öffnen,  wenn 
er  auch  noch  nicht  reif  ist  (Richter ^  JDreyssig,-  Reeollin)^  dies  erleichtert  al- 
lerdings, hebt  auch  die  oft;  gefahrdrohende  Erstickung  (und  es  muss  im 
letztern  Falle  nicht  damit  gesäumt  werden),  aber  die  Folgen  davon  sind 
häufig  neue  Entzündung  und  Begünstigung  der  Ang.  scirrhosa  (Sachse). 
Oft  währt  es  lange,  ehe  der  Abscess  in  Eiterong  übergeht,  die  Entzündung 
ist  mehr  lymphatischer  Natur ,  der  Schitierz  ist  unbedeutend ;  hier  kann  man 
mit  Infus.-  sinap.  nigr.  gurgeln  lassen  (Reil).  Zeigt  sich  eine  äusserliche 
Geschwulst,  so  setze  man  sie  bald  in  Eiterung  und  öffne  den  Abscess ^  der 
oft  tief  lie^t,  verletze  aber  die  dort  liegenden  wichtigen  Nerven  und  Blut- 
gefässe (Nerv,  recurrens,  Art.  carotid. ,  Venae  jugular.  etc.)  nicht.  Sind 
die  Geschwüre  scorbutisch ,  dann  innerlich  Decoct.  chinae  mit  Elix.  äcid. 
Halleri,  zum  Pinseln  Bals.  peruv.  mit  Melrosar.,  und  zum  Gurgeln  Decoct. 
quercus  mit  Spirit.  salis  acidus.  - 

Angina  thyreoidea,  Thjreoadenitis  s.  Cynanche  thyreoidea,  die  Entzün- 
dung der  Schilddrüse.  Sie  ist  häufig  übersehen  worden,  doch  sah  sie 
V.  Weither  dreimal  acut  verlaufen.  Bei  der  Entstehung  des  Kropfs  ist  häufig 
eine  chronische  Thyreoadenitis  zugegen.  Die  acute  Form  hat  folgende 
Symptome:  heftiges  Fieber,  Frost,  Hitze,  Eingenommenheit  des  Kopfs, 
Ohrensausen.  Dabei  schwillt  xmter  tiefsitzenden  klopfenden,  heftigen  Schmer- 
zen die  Drüse  schnell,  oft  in  einer  Nacht,  zu  bedeutender  Grösse  an,    Di« 


142  ANGINA 

Gesell  willst  ist  massig  hart ,  klopfend ,  heiss ,  aber  nur  selten  über  die  ganz« 
Drüse,  meist  nur  über  ihren  Körper  oder  einen  der  Lappen  verbreitet;  da- 
bei oft  heftige  Dyspnoe,  verhinderte  Respiration  (bei  Entzündung  des  Cor- 
pus), und,  wenn  der  linke  Lappen  leidet,  Beschwerden  im  Schlingen.  Der 
Verlauf  ist  schnell;  wird  gute  Hülfe  versäumt,  so  geht  die  Drüse  leicht  io 
Eiterung  über ;  dann  bricht  der  Abscess  meist  in  der  Luftröhre  oder  in  dein 
Kehlkopfe  auf  und  kann  Erstickungszufälle  erregen  Seltener  ergiesst  sich 
der  Eiter  in  die  Speiseröhre  oder  nach  aussen.  Die  entfernten  Ursachen 
sind  noch  dunkel ;  durch  Erkältung  und  nach  heftigem  Drosseln  sah  sie  v. 
WuJther  einst  entstehen.  Die  Prognose  ist  bei  frühzeitiger  Hülfe  nicht 
ungünstig.  Cur.  Man  behandle  das  Übel  antiphlogistisch,  bei  Robusten 
dienen  Aderlass,  Blutegel  an  die  Seiten  des  Halses,  innerlich  Kaloniel, 
knappe,  magere  Diät.  Bildet  sich  ein  Abscess,  fühlt  man  in  der  Tiefa 
Schwappung,  so  öffne  man  früh,  um  den  Eitererguss  in  die  Luft-  oder 
Speiseröhre  und  die  Erstickungsgefahr  zu  verhüten.  Gegen  die  zurückblei- 
bende chronische  Anschwellung  der  Drüse  Einreibungen  und  Pflaster:  Li- 
nim.  volat.  camphorat.  mit  Unguent.  mercuriale ,  Unguent.  kali  hydriodin., 
Empl.  cicutae,  mercuriale  (JLangenheck ,  Bibl.  für  Chirurgie,  Bd.  IV.  Tfei- 
lenius,  Med.  chir.  Bemerkungen,  Th.  I.   J.  P.  Frank,  Interpret,  clin.  P.  I.) 

Angina  tonsillaris ,  Tonsillitis ,  Antiaditis,  Antiades,  Antiadoncus  inflanv- 
matorius,  Parisfhmitis ,  Entzündung  der  Mandeln.  Symptome  Sind 
verhindertes  Schlucken,  Ohrenschmerz,  Geschwulst  der  Mandeln,  die  inwen- 
dig zu  sehen  und  äussei'lich  zu  fühlen  sind.  Cur.  Die  allgemeine  der  An- 
gina inflaramatoria ,  catarrhalis;  am  häufigsten  ist  ihre  Natur  von  letzterer 
Art  (s.  Ang.  catarrhalis).  Sie  geht  sehr  leicht  in  superficielle  Eiterung 
über  (s.  Ang.  suppuratoria),  zuweilen  auch  in  Verhärtung  (s.  Ang. 
scirrhösa).  Die  linke  Mandel  wird  eben  so,  wie  die  linke  Lunge,  hSu- 
figer  entzündet,  a\ä  die  rechte  (Kojjp,  MeJilis  de  morb.  hominis  dextri  et 
sinistri). 

Angina  irnchcdlis,  s.  Angina  membranacea. 

Angina  traclienlis  chronica.  Während  der  Phthisis  trachealis  zeigen  sich 
im  Umfange  des  Geschwürs  oft  so  entzündliche  Anfälle,  dass  die.Krankea 
genau  den  Platz  bezeichnen  können ,  wo  sie  die  empfindlichsten  Schmerzen 
erleiden  (^Sachse).  Cur.  Einige  Blutegel  an  den  Hals,  innerlich  Pot.  Ri- 
verii  53J,  Aq.  foeniculi  3VJ,  Sal.  ammon.,  Succ.  liquir.  dep.  ana  3jj^  Syt. 
mannae  5J.    M.  S.     Stündlich  einen  EsslöfTel  voll  (3f.). 

.    Angiria   ulcerosa ,    s.  Angina   suppurat  o'ria,    desgleichen  Angina 
gangraenosa. 

Angina ,  uvularis ,  Uvulitis ,  Cionitis,  ÄfrtpftvZift*,  Entzündung  des 
Zapfens,  niedergeschossener  Hück.  Dieses  Übel  ist  in  der  Regel 
katarrhalischen  Ursprungs ;  es  kommt  entweder  allein  oder  in  Verbindung 
mit  Ang.  tonsillaris  vor.  Letzteres  ist  der  häufigste  Fall.  Symptome. 
Sind  bekannt..  Man  sieht  deutlich  das  geschwollene,  oft  verlängerte  Zäpf- 
chen, das  zuweilen  sogar  auf  den  untern  Theilen  wie  festgeklebt  ist.  Höchst 
quälend  ist  dabei  ein  widerlicher  Kitzel  im  Halse  und  das  Gefühl,  als  habe 
man  darin  einen  fremden  Körper  sitzen ,  der  durch  Räuspern  entfernt  wer- 
den müsse.  Cur.  Die  gewöhnliche  der  Ang.  catarrhalis.  Oft  bleibt  nach 
dem  ersten  Stadium  der  Krankheit  eine  Schwäche  und  Erschlaffung  des 
Zäpfchens  mit  Verlängerung  zuriLck  (Prolapsus  uvulae).  Hier  dienen  Decoct. 
quercuS  mit  Alaun  zum  Gurgeln ,  auch  Acid.  sulphuric.  in  Salbeiaufgus*« 
Doch  wende  man  solche  Mittel,  um  chronische  Verhärtung  zn  verhüten, 
nicht  zu  früh  an. 

Angina  Valsalviana,  s.  Angina  hyoidea. 

Angina  varicosa.  Sie  entwickelt  sich  oft  aus  der  Ang.  habitualis ;  man 
sieht  rothe  aufgetriebene  Adern  auf  den  geschwollenen  Mandeln;  häufig  lei- 
den die  Kranken  auch  an  andern  ähnlichen  Übeln,  z.  B.  an  Blutaderknoten 
der  Schenkel.  Cur.  Adstringentia:  Essig  und  Wasser,  Decoct.  quercud 
Sj   mit  Acid.  sulphur.   dilut.    5j  •    zum  Guigeln ,    öfterer   langsamer   Genuss 


ANGIOPATHIA  —  ANGLICUS  SUDOE  143 

des  Ei«c8,  öfters  Gurgeln  mit  recht  kaltem  Wasser.  Zuweilen  zeigen  »ich 
Blutungen.     Man  stillt  sie  durch  Alaun  und  giebt  innerlich  ein  Laxans. 

Anginn  vcneren.  Symptome.  Meist  gehen  venerische  Localgeschwür« 
voraus ,  alsdann  vierden  die  Mandeln ,  der  Zapfen ,  Schlund ,  Gaumen ,  mei- 
stens nur  einzeln,  ergrilfen.  Diese  Theile  werden  dunicelroth,  schwellen 
oft  an,  und  das  Schlingen  macht  Brennen.  Es  zeigen  sich  nun  kleine  Pü- 
etelchen  oder  flache  Erosionen,  woraus  sich  bald  die  kleinen,  runden,  weiss- 
grauen,  von  schmalen,  rothen,  hartanzufühlcnden  Rändern  umgebenen  Ge- 
schwüre bilden.  Das  Charakteristische  dieser  venerischen  Geschwüre  ist, 
dass  sie  wenig  Schmerz  erregen,  tief  eindringen,  dass  ein  eigenthümlicher 
Geruch  aus  dem  Munde  sich  einstellt,  däss  sie  zur  Nase,  zum  Gaumen, 
zum  Pharynx  gehen,  dann  dünnen,  übfelrifechenden  Nasenfluss  erregen,  oft 
die  Knochen  zerfressen  etc.  Cur.  Die  der  Syphilis  (s.  d.  Artikel).  Untei* 
allen  Mercurialpräparaten  Idstet  hier  der  Sublimat  (besonders  als  Dzondi'- 
sche  Cui-)  nach  A7h<;c'ä  Beobachtungen  in  der  Berliner  Charite  und  nach 
vielen  eigenen  Erfahrungen  ahi  meisten  (s.  Syphilis). 

AiKjiun  vt^-tebralis,  Angina  Hippocratis.  So  nannte  man  früher  unpas- 
send die  Si)ondylarthrocace.     S.  Arthrocace. 

Ann^iopathia.  So  nennt  man  jede  Krankheit,  jedes  Leiden  de» 
Gefiisssystcms ,  z.  B.  Aneurysmen,  Varices,  Angiektasien  etc. 

Angfiorrliag^ia,  Gefässzerreissyng.  Das  Wort  igt  richtiger  ala 
das  gewöhnliche  Haemorrhagia,  s.  Haettlot-rhagia, 

Ang^iostcg^notica  {reinedUi)  ,  Mittel ,  welche  die  Gefasse  zusammen- 
ziehen und  dadurch  Blutungen  stillen,  z.  B.  kaltes  Wasser,  Mineralsäuren, 
Adstringentia. 

An((iost08is,  Gefässverknöcherung.  Findet  im  Alter  als  Zei- 
chen de^  iMara.siuua  und  als  Folge  desselben  statt. 

Ani^licus  sudor»  das  englische  Schweissfieber.  Dies« 
Krankheil  herrschte  epidemisch  zuerst  in  England  im  J.  1485 ,  desgl.  1506, 
1516  — 18,  kam  15ä8  und  1529  auch  nach  dem  Continente,  besonders  nach 
Beutschland.  Sie  fmg  mit  heftiger  Hitze,  schnellem  Pulse,  schwerem  Ath- 
men,  Betäubung  und  heftig  stinkendem  Seh  weisse  an  und  tödtete  oft  schon 
binnen  drei  Stunden,  aber  schon  nach  24  Stunden  war  der  Kranke  ausseid 
Gi'fahr.  Wer  sich  im  geringsten  erkältete,  nicht  bis  an  den  Hals  in  Bet- 
ten lag,  war  ein  Kind  des  Todes  (^Neumami^.  Der  gelehrte,  um  die  Ge- 
.»(liichte  der  Medicin  so  hoch  verdiente  Professor  Hecker  hat  über  diese 
Krankheit  (den  englischen  Schweiss)  in  seinen  „Wissenschaftlichen  Annalen 
der  gerammten  Heilkunde,"  Januar  1833,  S^  10  u.  f.  ausführlich  berichtet. 
Zuerst  zeigte  sich  die  SeUche  am  Ende  des  Jahre:»  1485  unter  Heinrich'« 
Grafen  von  Richniond  Truppen ,  und  verbreitete  sich  binnen  wenigen  Wo- 
chen von  Wales  bis  London.  Es  war  ein  überaus  hitziges  Fieber,  das 
»ach  kurzem  Froste  die  Kräfte  wie  mit  einem  Schlage  vernichtete,  begleitet 
viiii  heftigem  Magendrücken,  Kopfweh,  grosser  An^st,  Dyspnoe,  Übelkeit, 
l'Ii  lirechen,  Sopor  und  stinkenden  Schweissen.  Jede  Abkühlung  der  tjuälen- 
drii  Hitze  brachte  den  Tod,  und  kaum  der  hundertste  Kranke  wurde  ge- 
iciu't.  Die  höhern  Stände,  der  Adel,  kräftige  Männer  wurden  am  häufig- 
:>!■  ii  ergriffen.  Das  einmalige  Überstehen  der  Krankheit  gab  keine  Sicher- 
lii  ii  ;  denn  es  folgten  oft  Recidive.  Das  beste  Verfahren  dagegen  war; 
»ich  ruhig  im  Bette  w  ohl  eingehüllt  aufzuhalten ,  sich  massig  warm  zu  hal- 
ten ,  keine  Nahrung,  nur  mildes  Getränk  zu  sich  zu  nehmen  und  den  Schweisg 
abzuwarten;  dabei  alle  gewaltsame  Arzneimittel  zu  vermeiden.  Die  Krank- 
heit ,  die  man  von  Englands  starken  Nebeln  und  der  Unmässigkeit  im  Es- 
sen und  Trinken  nicht  mit  Unrecht  ableitet,  hielt  man  nicht  für  ansteckend ; 
auch  überschritt  sie  Englands  Grenzen  nicht ;  denn  sie  kam  weder  nach 
Schottland  und  Irland,  noch  nach  Frankreich;  doch  war  eine  spätei*e  Epi- 
demie, wenn  wir  einer  historischen  Nachricht  aus  einer  altern  Chronik 
trauen  können ,  im  Jahre  1530  in  Rostock ,  wo  daran  viele  Professoren  und 


144      ANGUSTATIO  -^  ANIMl  DEFECTUS 

andere  Leute  , starben.  In  einer  alten  Chronik  von  Wismar,  gedruckt,!« 
J.  1743,.  lesQrt  A>ir  Folgendes:  „Im  J.  1592  ist  hier  eine  neue  unbekannt« 
Krankheit  ausgebrochen,  welche,  obgleich  gie  an  einem  Orte  kaum  12  Stun- 
den ge\väjir|t.,,  doch  viele  tausend  Menschen  hingeraft't  hat.  Man  nannte  si« 
den  englisch  en  Schweiss,  weil  sie  zuerst  in  Hamburg  auf  einem  eng- 
lischen Schifie  bemerkt  worden.  Die  Leute  fingen  an  zu  schwitzen,  hat- 
ten Herzensl)angigkeit,  schliefen  bald  darauf  ein  und  wachten  nimmer  wie- 
der auf.  Es  währte  nicht  drei  Tage,  nachdem  sie  in  Haipburg  sich  gezeigt, 
so  war  sie  schon  in  Lübeck,  und  lief  eilends  durcli Mecklenburg,  Pommeri^, 
Liefland  u.  s.  w."  '  ,  b 

Ang[UStatio.  Ist  regelwidrige  Verengerung  oder  gänzli- 
ches Verschwinden  des  Lumens  eines  Ca n als,  Gefösses,  Ausfül]-  , 
rungsganees.  Man  unterscheidet  davon  6  Arten :  1)  Emphraxis  s.  Ohstructio,, 
d.  i.  gestörte  DurcTigängigkeit  eines  Canals  durch  eine  darin  haftende  Masse, 
z,  B.  durch  einen. Blutpfropf,  in  einem  Blutgefässe,  durch  einen  Gallenstein 
im  Ductus  cystic'us  etq.,  ,  2)  Cktritr actio .  d.  i.  Verminderung  des  normalen 
Durchmessers  eines  Canäls  durch  absolute  Verstärkung  der  Contractivkraß 
seiner  Wände.  So  mag  Icterus  spasticus  nach  Erkältung,  nach  heftigem 
Zorn  durch  Contraction  der  Gallengänge  entstehen.  S)  Stenochoria  (^Obsti- 
pntio,  AntpiisHoi ,  Angusttit^  im  engern  Sinne).  Ist  Verkleinerung  des  l^ümen» 
eines  Canals  durch  Verdickung  seiner  Wandungen,  wozu  entzündliche  An^ 
Schwellung  der  H^ute ,  Hypertrophie  und  PseudoOrganisationen  Anlass  ge- 
ben. 4)  Cort7i/«s,  Concretio,  Con/esccn?in) ,  aufgehobene  Durchgängigkeit 
eines  Canals  durch  Verwachsung  seiner  Wände.  Der  Ausdruck  Symphysiis 
ist  hier  synionym ,  wird  aber  meist  nur  zur  Bezeichnung  der  unbeweglichen 
Verbindung  der  Knochen  gewählt.  '  5y  CoUapsus,  Zusammenfallen  der  Wan- 
dungen eines  Canals  in  Folge  aufgehobener  Expansivkraft  und  der  Entree- 
run'g  seines  Inhalts,  z.B.  wenn  der  zuführende  Stamm  von  Gefassen  unter- 
bunden wrd ,  deren  Wände  durch  eine  übermässige  Ausdehnung  gewisser- 
massen  paralytisch  sind  und  nur  nach  Abhaltung  des  Blutstroms  zusaiiinicn 
fallen.  6)  Thiipsis  (^Compressio^ ,  d.  i.  theilweise  oder  gänzliche  Unterbre- 
chung des  freien  Durchganges  durch  einen  Canäl  wegen  Gompression  seiner 
Wände ,  z.  B  durch  Anschwellung  der  umliegenden  Gebilde ,  durch  Ge- 
schwülste ,  welche  sich  in  der  Nähe  befinden  etc,  (Si.  Rusfs  Handbuch,  der. 
Chirurgie,  Bd.  IL  S.  131  u.  f.).  :  <i:.    .r  ;i,i 

Angustntio  seit  Stenochoria  puncii  lacrymalis,  Verengerung  de'js 
Thränenpun  kte.  Sie  entsteht  oft  durch  Geschwüre  in  der  Nähe  de« 
innern  Augenwinkels,  nach  Menschenpocken,  zumal  bei  schlechter  Behand- 
lung, hach  Verbrennungen  in  dieser  Gegend.  Die  Thränenwärzchen  sind 
meist  abgeflacht  und  eingezogen,  saugen  die  Tbränen  nicht  auf,  und  diese 
laufen  über  die  Wange;  dabei  trockne  Nase.  Das  Übel  ist,  wenn  es  be- 
deutend ist,  schwer  zu  heilen.  Die  dagegen  empfohlene  Einbringung  von 
Borsten,  Sonden  schadet  mehr,  als  sie  nützt,  .und  die  Kunst  vermag  wenig, 
diese  Verengerung  zu  heilen  (s.  J.  A.  Schmidt,  Über  die  Krankheiten  dei. 
Thränenorgans ,  S.  208). 

Ang^ustia ,  s.  Angustatio. 

AnhelatlOf  Respiratio  diffitilis,  parva,  schweres  Athmen.  Ent- 
steht bei  Gesunden  durch  zu  heftige  Bewegungen  des  Körpers  und  der 
Seele:  durch  Laufen,  Springen,  heftigen  Zorn.  Ausserdem  ists  ein  gewöhn- 
liches Symptom  in  Fiebern,  in  der  Wassersucht,  bei  Pleuresie,  Kardialgie,' 
Asthma  etc.;  s.  Dyspnoe a. 

Ani  fifitula,  Mastdarmfistef-,  •^•;'Fis^t«Ja. 

Aai   procidentia »    Mastdarmvorfall ,    s.    P r ola p s u s   in ^ s t i,H i^ 


rect). 


Aniadus    oder  Adech,     Ist  nach  TJieophrastus   dei-  geistige -Mensch.! 
Ammi  defectus,  Lipothymia,  Aniiiii  dcUquium,  Ohnmacht,  worin 

es    verschiedene    Grade    bis    zum    Scheintode    giebt  ,     s.    Asphyxia     und, 
Syacope. 


ANODIMA  —  ANOREXIA  145 

Anodynia,  Wehenmangel,  Abwesenheit  der  Geburtswehen;  ».Do- 
lores ad  partum. 

Anodyna  (remedia),  Sedantia,  schmerzstillende  Mittel.  Hier- 
her gehören  die  Antispasraodica  und  Narcotica,  besonders  Opium,  Hyoscya- 
mus  und  Stramonium  (s.  Antispasraodica,  Narcotica);  also  solche 
Mittel ,  welche  die  erhöhte  Empfindlichkeit  herunterstimmen  und  durch  Ab- 
stumpfung der  Nerven  Schmerzlosigkeit  (Anodynia)  erregen.  Bei  chroni- 
schen, oft  unheilbaren  Krankheiten,  z.  B.  beim  Krebs,  sind  sie,  besonders 
das  Opium,  eine  grosse  Wohlthat  für  den  Unglücklichen.  Bei  fieberhaften 
Krankheiten  berücksichtige  man  bei  Verordnung  solcher  Mittel  stets  den 
Fiebercharakter;  ist  diesem  das  Mittel  nicht  gemäss,  so  lasse  man  sich  ja 
nicht  durch  die  Klagen  des  Kranken  bewegen,  ein  Anodynum  zu  verordnen, 
das  für  den  Augenblick  zwar  erleichtert,  aber  fürs  Ganze  höchst  schädlich 
ist.  Der  wahre  Arzt  muss  über  Nebendinge  nicht  die  Hauptsache  verges- 
sen, also  stets  bedenken,  dass  Opium  und  ähnliche  Dinge  bei  synochischen, 
inflammatorischen  Fiebern,  bei  heftigen  innerlichen  Entzündungen  und  Blut- 
congestionen  höchst  schädlich  sind  und  leicht  indirecte  Asthenie  erregen. 
AnoeOif  Blödsinn,  s.  Amentia. 

Anomalia,  A b n 0 r m i t ä t ,  Anomalie,  Ungleichmässigkeit, 
Regelwidrigkeit,  Ist  jede  gesetzwidrige  Thätigkeit  eines  Organs  (Äu/ciand). 
j^noplircsia g  Anosphmsia ,  Geruchlosigkeit ,  s.  Anosmia. 
Anopbthalmia,  richtiger  wohl  Anophthalmos,  gänzlicher 
Mangel  der  Augen.  Ein  solcher  Fall  ist  als  vitium  primae  formationis  bei 
einem  4  wöchentlichen  Knaben,  dessen  übrige  Theile  vollkommen  ausgebildet 
waren,  von  Gescheidt  in  v.  Ammon's  Zeitschrift  für  Ophthalmologie,  1835, 
Bd.  IV.  S.  436  ff.  mitgetheilt  worden. 

Anopsia»  der  Mangel  des  Gesichts,  Blindheit,  entstanden 
durch  Krankheit  des  Auges ,  oder  angeboren. 

AnorcliuSj  ein  Mensch  männlichen  Geschlechts  ohne  Hoden.  Oft 
liegen  die  Hoden  nur  noch  im  Leibe  und  sind  noch  nicht  in  den  Hodensack 
gestiegen  (Cryptorchis) ,  was  nicht  mit  Anorchus  verwechselt  werden  darf, 

Anorexia 9  Appetitlosigkeit.  Ist  ein  Symptom  aller  acuten  und 
sehr  vieler  chronischen  Krankheiten,  besonders  organischer  Fehler  des  Ma- 
gens, der  Leber,  Milz,  des  Pankreas,  ferner  der  Verdauungsschwäche,  des 
Magenkrampfs,  der  Magensäure.  Oft  ists  Folge  von  Überladung  des  Ma- 
gens ,  vom  Genuss  roher  Speisen ,  von  zu  starker  Kopfanstrengung ,  Mangel 
an  Bewegung ,  von  vielem  Wein  -  und  Biertrinken  etc.  Prognose.  In 
Fiebern  hat  dies  Symptom  nichts  zu  bedeuten,  ist  im  Gegentheil  eine  gute 
Einrichtung  der  Natur;  schlimmer  ists  bei  Reconvalescenten.  Hat  sich  hier 
der  Appetit  noch  nicht  eingestellt  oder  ist  er  wieder  verschwunden,  so  ist 
ein  Rückfall  oder  Übergang  in  andere  Krankheit  zu  vermuthen.  Cur.  Sic 
richtet  sich  nach  den  Ursachen ;  diese  hebe  man ,  so  wird  der  Appetit  von 
selbst  kommen.  Man  behandle  also  das  Fieber  nach  seinem  Charakter ,  ent- 
ferne bei  Sordes,  bei  belegter  Zunge,  bitterm  Geschmack  etc.  nach  Unver- 
daulichkeit  durch  Vomitive ,  Laxative  die  fremden  Stoffe ,  verordne  bei  chro- 
nischer Schwäche  der  Digestion  als  Folge  nervöser  Affectionen  der  Ver- 
dauungsorgane gelinde  Salze  :  Sal  ammoniac.  mit  Pot.  Riverii  und  Aq.  menth. 
crisp. ,  Kali  carbon.  mit  aromatischem  Wasser,  Mineralsäuren,  Rad.  rhei, 
gelinde  bittere  Mittel,  z.  B.  folgende  Formel:  I^  Sal  tnrtmri  depur.  3j> 
Extr.  rutae ,  Extr.  Irifol.  fihr.  ana  3jjj  >  Aq.  menth.  crisp.  jvjj ,  Tinct.  rhei 
nquos.  5jjj.  M.  S.  Dreimal  täglich  einen  Esslöffel  voll ;  daneben  eine  gute, 
leichtverdauliche  Diät,  viel  Bewegung.  Späterhin  gebe  man  Elix.  vitrioli 
Mynsichti  mit  etwas  Wein ,  Extr.  gentianae ,  absinthii ,  cascarillae.  Man 
hüte  sich  aber,  solche  bittere  Mittel  gleich  anfangs  zu  geben;  nur  erst  nach 
vorhergegangenem  Gebrauche  von  Salmiak,  Pot.  Riverii,  Pulv.  aerophor. 
u.  dergl.  passen  sie.  Ist  das  Übel  anhaltend,  so  benihige  man  sich  ja  nicht 
bei  Verordnung  dieser  Mittel,  sondern  forsche  dem  tiefern  Grundübel  (im 
Magen,  Pankreas,  in  der  Leber,  Milz  etc.)  nach. 

Most  Eacyklopädie.  2te  Aufl.  I.  10 


146  ANOSMIA  —  ANTAGONISMUS 

AnOSmiA,  Anophresla,  Anosphrasia ,  Geruch losigkeit,  Maagol 
an  Geruch.  Ist  Abnormität  in  den  Functionen  des  Geruchsorgans  mit 
verminderter  Empfindlichiceit  desselben,  und  meistens  etwas  Symptomati- 
sches. Ursachen.  Organische  Fehler  des  Nervus  olfactorius  durch  Ver- 
letzungen, Wunden,  Caries,  Ulceration  der  Schneider'schen  Haut,  Scirrhus, 
Krebs,  Nasenpolyp ;  ferner  Folge  von  Trockenheit  und  unterdrückter  Schleim- 
absonderung ,  z.  B.  beim  Katarrh ,  Symptom  von  Lähmung  der  Geruchsner- 
ven  bei  Apoplexie ,  Hysterie.  Cur.  Die  Behandlung  des  Grundübels ;  zu- 
weilen hilft  ein  reizender  Schnupftabak  (s.  Amaurosis),  auch  vorsichtige 
Anwendung  der  Elektricität ,  des  Galvanismus ,  besonders  wenn  das  Übel 
Folge  der  Apoplexie  ist  (M.). 

Antacida,  säure  widrige,  säuretilgende  Mittel;  hierher 
gehören  alle  diejenigen  Mittel,  welche  die  Säure  in  den  ersten  Wegen  ein- 
saugen und  neutralisiren  (s.  Abs  or  b  entia). 

Antagonismus ,  Wechselkampf.  Ist  das  Bestreben  der  orga- 
nischen Thätigkeiten,  sich  gegenseitig  im  Gleichgewichte  zu  erhalten  (^Kraus), 
ein  Naturgesetz ,  das  in  pathologischer  und  therapeutischer  Hinsicht  für  den 
Arzt  sehr  wichtig  ist.  In  Krankheiten  ruft  der  Antagonismus  bei  Unter- 
drückung der  Thätigkeit  eines  Organs  eine  andere  hervor,  oder  die  erhöhte" 
Thätigkeit  eines  Organs  vermindert  die  Thätigkeit  eines  andern.  Beide, 
der  Consensus  und  Antagonismus,  lassen  sich  unter  den  Hauptbegriff:  Sym- 
pathie der  Theile  und  Thätigkeiten  des  Organismus  bringen  (^llufcland'). 
Wir  beobachten  emen  Antagonismus  zwischen  Geist  und  Leib  (übermässige 
Leibesanstrengung  vermindert  die  geistige  Thätigkeit ,  und  umgekehrt)  ,  zwi- 
schen Kopf  und  Magen,  zwischen  Darmcanal  und  Haut,  Nerv  und  Muskel, 
zwischen  Genitalien  und  Gehirn;  besonders  wichtig  ist  der  Antagonismus 
zwschen  den  Secretionen ;  so  z.  B.  übernimmt  die  Nieren-,  Darm-  und 
Lungenabsonderung  die  unterdrückte  Function  der  Hautabsonderung.  Die 
rheumatischen  Krankheiten  sind  antagonistische  Thätigkeiten  als  Folge  un- 
terdrückter Hautfunction ;  auch  manche  Arten  der  Phthisis ,  Diarrhöe ,  Dys- 
enterien, Diabetes,  Fluor  albus  gehören  hierher,  desgleichen  die  ganze 
Lehre  von  den  Metastasen.  Ein  grosser  Theil  unserer  wirksamsten  Curme- 
thoden  beruhet  auf  diesem  Naturgesetze.  Wir  erregen  nämlich  eine  neue 
Thätigkeit,  Reizung,  Secretion,  um  eine  vorhandene  krankhafte  aufzuheben. 
Darauf  beruhet  die  Anwendung  äusserlicher  Reizmittel ,  der  Senfpflaster, 
Vesicatorien ,  Fontanellen,  Haarseile  etc.  Der  Antagonismus  /wischen  Nerv 
und  Muskel  ist  bei  Nervenkrankheiten  nicht  zu  übersehen.  Viele  Nerven- 
übel haben  ihren  Grund  in  der  unterdrückten  Muskelthätigkeit  (Mangel  an 
Übung ,  körperlicher  Bewegung)  und  dadurch  erzeugtem  Übergewicht  der 
Nerventhätigkeit.  Oft  ist  hier  zur  ganzen  Cur  nichts  weiter  als  active  Be- 
wegung nothwendig.  Bei  jeder  Metastase,  die  wir  als  pathologischen  Anta- 
gonismus bezeichnen  könnten ,  muss  die  Hauptindication  auf  die  primitive 
Krankheit  gerichtet  seyn,  von  welcher  sie  herrührt,  und  die  Localbehand- 
lung  nie  durch  blosse  Localmittel,  sondern  im  Sinne  des  metastatischen  Cha.- 
rakters ,  durch  Erzeugung  neuer  unschädlicher  Metastasen  und  künstlicher 
Ausscheidung  des  Krankheitsstoffes  (Ableitung ,  Gegenreiz ,  künstliche  Ge- 
schwüre) bewirkt  werden.  Durch  Nichtbeachtung  dieses  Gesetzes  wurden 
und  werden  noch  alle  Tage  grosse,  unübersehbai'e  Übel  erzeugt.  Selbst  in 
der  operativen  Chirurgie  wird  dieses  Gesetz  anerkannt ,  da  die  Erfahrung 
lehrt,  dass  das  Wegschneiden  solcher  raetastatisch  entstandenen  Pseudoor- 
ganisationen  gar  oft  die  Erzeugung  weit  gefährlicherer  innerer  Krankheiten 
und  PseudoOrganisationen  hervorruft  (^Hufeland}.  Der  würdige  Staatsrath 
Hufeland  giebt  seit  langer  Zeit  als  Einleitung  zu  seinen  Vorlesungen  über 
die  chronischen  Krankheiten  einen  kurzen  Inbegriff  der  ganzen  Praxis  in 
wenigen  Grundindicationen ,  wobei  er  den  Artikel :  Antagonismus ,  Metasta- 
sis ,  besonders  hervorhebt.  Die  ganze  specielle  Therapie  mit  allen  ihren 
vielfältigen  Modificationen  löst  sich  am  Ende  in  wenige  Grundindicationen 
auf.     Die  Therapie  der  acuten  Fieber  in  die  eiafachen  Grundbegriffe:    Irri- 


ANTALGICA  —  AXTEMETICA  147 

tation,  Infiaramation ,  Nervöse,  Gastrose,  Adynamie,  die  Therapie  der  chro- 
nischen Krankheiten  in  die  Grundbegriffe  und  Heilungsobjecte  :  Congestion, 
Inflamraation,  Nervöse,  Adynamie,  Gastrose,  Obstruction,  Metastase,  Dys- 
krasie ,  Plethora ,  Atrophie ,  Desorganisation  ,  mit  der  gehörigen  Berücksich- 
tigung der  sehr  häufig  vorkommenden  Complicationen  und  Übergänge  des  einen 
Grundcharakters  in  den  andern  (s.  diese  Art.  u.  HufelamVs  Journ.  1829.  Jan.). 

ÜLntaln^ica  (remediit),  schmerzstillende  Mittel,  s.  Anodyna. 

Antaphroditica  {remedüi) ,  Antaphrodisinca ,  Anleroticn ,  Mittel, 
Tvelche  den  zu  starken  Geschlechtstrieb  vermindern,  wodurch 
sonst  oft  Geisteskrankheiten :  Nymphomanie ,  Satyriasis ,  entstehen.  Die 
wirksamsten  Mittel  der  Art  sind:  Fasten,  Beten  und  Arbeiten  {Hufeland'). 
Unter  den  Arzneimitteln  ist  hier  der  Kampher,  innerlich  und  zugleich  äusser- 
lich  in  der  Nachbarschaft  der  Genitalien  getragen ,  ein  Specificum ;  doch 
darf  er  nicht  zu  anhaltend  gebraucht  werden,  sonst  kann  selbst  wirkliche 
Impotenz  entstehen  ( Hufclnnd).  Auch  das  Stramonium  gehört  hierher ;  so 
bewirkt  die  Tinct.  sem.  stramon. ,  dreimal  täglich  zu  6  — 15  Tropfen ,  Ver- 
minderung des  zu  starken  Geschlechstriebes  hysterischer  Weiber  mit  Anlage 
zu  Nymphomanie;  und  ist  selbst  in  letzterer  Krankheit  sehr  wirksam  {We- 
dekind').    Ein  Mehreres  siehe  bei  Nymphoraania  und  Satyriasis. 

Antarthritica ,  Mittel  gegen  die  Gicht,  s.  Arthritis. 

Antasthmatica ,  Mittel  gegen  Engbrüstigkeit.  Hier  pas- 
sen verschiedene  expectorirende  und  krampfstillende  Mittel.  Besonders  wirk- 
sam zeigt  sich  beim  Asthma  chronicum  pituitosum  das  Rauchen  des  Tabaks 
mit  Herb,  stramonii,  zu  gleichen  Theilen  vermischt,  wovon  täglich  3,  6  und 
mehrere  Pfeifen  verbraucht  werden  {Cunningham ,  Meyer,  M.);  s.  Asthma. 

Antemetica,  Erbrechen  stillende  Mittel.  Sie  wiiken  ent- 
weder dadurch ,  das  sie  den  im  Magen  befindlichen  materiellen  Brechreiz 
einhüllen  und  verdünnen  (z.  B.  bei  manchen  scharfen  Giften  das  häufige 
Trinken  von  Milch),  oder  indem  sie  die  erhöhte  Magensensibilität  herab- 
stimraen  und  besänftigen.  Specifisch  wrirkt :  I^  Pot.  Riverii  cum  succo  citri 
pnrat.,  Aq.  chnmomill.  ana  3Jjj.  Alle  72 — 1  Stunde  1  EsslöfTel  voll;  auch 
das  bekannte  Brausepulver,  zugleich  äusserlich  warme  Umschläge  von  aro- 
matischen Kräutern  in  Wein.  Dass  man  ausserdem  die  verschiedenen  Ursa- 
chen des  Erbrechens  erforschen  und  heben  müsse  (eingeklemmter  Bruch, 
Krampf,  Vergiftung),  versteht  sich  von  selbst,  desgleichen  dass  manches 
Erbrechen  wohlthätig  wirkt  und  also  nicht  gestopft  werden  darf.  Erbricht 
ein  Mensch  nach  einem  zu  starken  Vomitiv  aus  Tart.  emet.  und  Ipecacuanha 
zu  heftig,  so  lasse  man  lauen  Haferschleim  trinken  und  gebe  10 — 15  Tro- 
pfen Opium  mit  eben  so  viel  Naphtha.  Gegen  das  furchtbare  Erbrechen  bei 
Enteritis  und  Hernia  incarcerata  wird  viel  kaltes  Wasser,  häufig  getrunken 
und  Umschläge  davon  auf  den  Leib  gemacht ,  als  sehr  wirksam  empfohlen 
(Brandis).  Im  chronischen  Erbrechen  dienen  warme  Bäder,  worin  man 
mehrere  Stunden  lang  verweilt;  in  der  Brechruhr  ^ird  lauwarme  Hühner- 
bouillon sehr  empfohlen  (Sydenliam).  Die  Übelkeit  der  Trinker  am  Morgen 
nach  überstandenem  Rausche  wird  gehoben  durch  das  E^sen  von  Sardellen, 
Häringen,  gesalzenem  und  gepökeltem  Fleische  {Cu^len,  Trotter'),  noch 
schneller  hilft  1  Esslöffel  voll  Kochsalz  in  einem  Glase  Wasser  aufgelöst. 
Gegen  das  Erbrechen  von  Gichtmetastase  dient ,  wenn  Entzündung  und  Fie- 
ber gering  sind,  eine  Tasse  recht  starker,  schwarzer  Kaffee  mit  Citronen- 
saft,  gegen  das  anhaltende  Erbrechen  der  Schwangern  wirkt  specifisch  Tinct. 
vanillae,  wovon  25  —  40  Tropfen  auf  einen  in  Rothwein  gelegten  Zwieback 
getröpfelt  und  mit  Vermeidung  jedes  Getränks  verzehrt  werden.  Gegen  die 
orientalische  Brechruhr  (Cholera  morbus)  geben  die  Engländer  bei  den  er- 
sten Vorboten  viel  Rheinwein  und  guten  Rum,  selbst  als  Präservativ;  be- 
sonders aber  eine  Mischung  aus  Rum,  Opium  und  Ol.  menth.  piperit.  Ein 
chronisches  Erbrechen,  das  allen  Mitteln  trotzte,  wurde  durch  den  anhal- 
tenden alleinigen  Genuss  von  frischer,  noch  warmer  Kuhmilch  gehoben  {Hörn). 
Siehe  auch  Emetica. 

10* 


148  ANTEPILEPTICA  —  ANTHRAX 

Antepileptica *  Mittel  gegen  die  Epilepsie.  Da  «las  Wesen 
dieser  Krankheit  noch  wenig  erkannt  worden  ist ,  so  giebt  es  eine  Meng« 
solcher  Mittel,  die  specifisch  wirken  sollen  und  theils  bekannt  sind,  theils 
geheim  gehalten  werden.  Da  ich  seit  12  Jahren  Gelegenheit  gehabt  habe, 
mehrere  hundert  Epileptische  zu  behandeln,  so  werde  ich  im  Artikel  Epi- 
lepsie ausführlich  darüber  reden  und  nicht  allein  die  Fälle  genau  bestim- 
laen,  wo  dieses  oder  jenes  Mittel  indicirt  oder  contraindicirt  ist,  sondern 
«uch  diejenigen  Formeln  und  Mischungen  angeben ,  die  sich  mir  am  meisten 
bewährt  haben,     S.  Epilepsia. 

Anteversio  uteri«  s.  Hysterolosis. 

Antbelininthica ,  wurm  widrige  Mittel.  Ihre  Zahl  ist  sehr 
gross,  sie  wirken  theils  abführend,  theils  auf  irgend  eine  Weise  dem  Leben 
der  Würmer  zuwider  (s.  Morbus  verminosus).  Die  gebräuchlichsten 
und  am  wenigsten  heftig  wirkenden  Wurmmittel  sind  Sem.  cynae ,  Rad.  va- 
lerianae ,  Ol.  rlclni ,  gelbe  Wurzeln  (Carotten) ,  Honig ,  viel  kaltes  Wasser, 
Salzwasser,  viel  Bewegung  im  Freien  (Fra/JÄ),  Eichelkaffee  {Pitschaft'), 
Zwiebeln,  Knoblauch,  bittere  Mittel:  Absinthium,  Ruta  etc. 

AjutbraciA  l'ubula.  So  nennt  Mnson  GooJ  die  Erdbeerpocke, 
Frnmboesia.     S.  diese  unter  Syphilis  spuria. 

Antbrax»  Carho,  Carhunculus,  Anthracosis,  Anthrocosia,  Anthrocoma, 
Codisella ,  Ruhinuis  verus ,  Granatrislum ,  Prima ,  Persicus  ignis ,  Carbun- 
kel,  Pestbeule.  Ist  eine  Entzündung  der  Haut  und  des  darunter  lie- 
genden Zellgewebes  (der  erysipelatösen  Entzündung  oft  ähnlich,  '»f.),  mit 
bedeutender  Geschwulst  und  grosser  Neigung  ihi'em  ganzen  Umfange  nach 
in  Brand  überzugehen,  ein  bösartiger  Blutschwär  (Furunculus  malignus), 
der  seiner  Natur  nach  weder  in  Zertheilung  noch  Eiterung,  sondern  in  Ver- 
jauchung oder  Brand  übergeht  und  deshalb  leicht  tödtllch  wird.  Symptome. 
Der  Carbunkel  ist  grösser  als  der  gewöhnliche  Furunkel ,  wird  oft  selbst  so 
gross  wie  ein  Teller,  in  seinem  Umfange  erzeugen  sich  rund  umher  kleine 
Blutschwäre,  die  bald  in  Brand  übergehen,  das  Fieber  ist  meist  nur  kurze 
Zeit  und  stets  nur  im  Anfange  entzündlich,  wird  bald  faulig,  nervös,  der 
Schmerz  fehlt  nie;  er  ist  in  der  Regel  stechend,  brennend  wie  eine  Kohle 
(daher  der  Name);  früher  oder  später  entstehen  in  der  Geschwulst  kleine 
Öffnungen ,  aus  welchen  eine  gelbe  Jauche  fliesst ,  die  Alles,  oft  bis  auf  den 
Knochen,  zerstört.  Nicht  selten  ist  wenige  Tage  nach  dem  Erscheinen  des 
Übels  der  Brand  schon  in  der  Tiefe,  hat  bedeutende  Zerstörungen  gemacht, 
ohne  dass  ein  Verderbniss  auf  der  Oberfläche  zu  sehen  ist,  eine  Art  des 
I'seudoerysipelas  (ßiist).  Der  Sitz  des  Übels  ist  gewöhnlich  zwischen  den 
Schulterblättern  und  auf  dem  Rücken.  Ursachen.  Das  Wesentliche  des 
Übels  ist  brandige  Verderbniss ,  deren  Folge  Zerstörung  der  unterliegenden 
Theile  ist.  Nicht  selten  ist  es  ein  Symptom  der  Pest  (ein  Symptom  des 
Milzbrandes  der  Thiere ,  übergetragen  bei  Unvorsichtigkeit  oder  durch  Flie- 
genstiche auf  Menschen*  oder  durch  den  Genuss  des  Fleisches  von  solchen 
kranken  Thieren,  Carbunculus  malignus,  Milzbrandblatter.  S.  medic.  Jahr- 
bücher des  Österreich.  Staates,  N.  Folge,  Bd.  III.  St.  3.  Wien  1827.  Hu- 
felnnd's  Journ.  Bd.  LXV.  St.  4.  Rust's  Magaz.  Bd  XXV.  Hft.  l.  Carus 
Zeitschrift  f.  Natur-  und  Hellkunde,  Bd.  V.  Hft.  1.  Dzondi  in  Allg.  Lit. 
Zeitung  1827.  März.  No.  56),  auch  Symptom  anderer  contagiöser  Krank- 
heiten; sporadisch  leiden  am  häufigsten  daran  Personen  mit  gichtischer  Dys- 
kiasie,  besonders  zwischen  den  Jahren  40  —  60;  oft  ists  F'olge  von  Lues, 
von  Entartung  des  Zellstoffs  der  Hautdrüsen.  Prognose.  Ist  schlecht, 
besonders  wenn  das  Übel  bei  der  Pest  entsteht,  oder  wenn  es  sich  zu  an- 
dern coiitagiösen  Krankheiten  gesellt.  Weniger  schlimm  ist  sie ,  wenn  der 
Carbunkel  blos  eine  örtliche  Verderbniss  ist,  jedoch  kann  die  darauf  fol- 
gende Febri»  hectica  durch  Entkräftung  oft  tödten.  Cur.  Ist  theils  allge- 
liiein,  theils  örtlich.  Zu  Anfange  scheint  das  Fieber  oft  rein  entzündlich  zu 
Keyn.  Hier  übertreibe  man  ja  nicht  die  antiphlogistische  Methode;  Aderlässe 
ei'fordtiii  grtssc  Vojbicht :  um  besten  ists,  ii:a:i  giebt  zuerst  ciü  jUakes  Vu- 


ANTHRAX  149 

mitiv,  daun  gelinde  Diaphoretica ,  z.  B.  Inftis.  valerianae,  Splrlt.  Ärinderen 
und  Vin.  stibiat. ,  und  bald  Mineialsäureu  (Elix.  acid.  Halleri  3iv  —  5jj  täg- 
lich Im  Wasser  als  Getränk),  China,  Kampher,  Serpentaria,  z.  B.  I^  Cort. 
cinnae  reif.  f,j,  coq.  c.  s.  q.  Aq.  fontan.  per  %  Jioram,  mth  fin.  coctionis  adJa 
llad.  ser\icntar.  vinj.  3jjj,  Stent  in  vas.  clmis.  p.  %  hör.  Colat.  admisce  EJU: 
vitrioli  Mynsichti  3jj ,  Syr.  cort.  nurnntior.  5J.  M.  S.  Stündlich  1  Esslöffel 
voll.  Man  bedecke  äusserlich  den  Carbunkel  reit  Kataplasmen  aus  Leinsa- 
men, Chamillen,  China,  Spirit.  camphoratus ,  Acid.  pyrolignos,  und  dergl. 
Sie  nützen  jedoch  in  der  Regel  nicht  sehr  viel ;  Alles  hängt  davon  ab ,  die 
tiefliegende  Jauche  schnell  zu  entfernen  und  die  CoUiquation  der  Säfte  zu 
beschränken.  Kann  man  Entzündung  und  Eiterung  hervorrufen,  so  ist  der 
Kranke  gerettet.  Man  öffne  daher  bald  die  Geschwulst  mit  einem  Kreuz- 
gchnitte  und  streue  Folgendes  ein :  I^  Cort.  chinae  snhtiliss.  pulv. ,  Flor,  cha- 
momill.  ana  ^j ,  Camphvrae  3jj »  Puh.  carhon.  lign.  til.  3jjv-  M.  S.  Zum  Ein- 
streuen. Darüber  lege  man  Läppchen ,  mit  Ol.  terebinth.  angefeuchtet. 
Helfen  alle  diese  Mittel  nicht,  so  bleibt  noch  das  glühende  Eisen  übrig; 
es  muss  stets  sehr  stark  glühend  angewandt  werden ,  damit  schnell  die 
brandigen  Partien  verkohlen.  Auch  hat  man  zu  diesem  Zweck  Kali  caustic, 
in  grossen  Dosen  eingestreut.  Diese  Mittel  rufen  die  gesunkene  Thätigkeit 
am  schnellsiten  hervor.  Darauf  verbinde  man  mit  reizenden  Salben:  Unguent.> 
digestiv.,  Bals.  Arcaei  ana  3J ,  Ol.  terebinth.  3jjj  (s.  Abscessus),  und 
vergesse  nicht ,  während  der  ganzen  Cur  durch  gute  Nutrientia ,  China» 
Wein  etc.  die  Kräfte  su  unterstützen.     (^A.  A.  0.   JValdow.')  ! 

Nachschrift  des  Herausgebers.  Die  Pestbeule  als  Symptom  der 
Pest  unterscheidet  sich  von  dem  gewöhnlichen  Carbunkel  dadurch,  dass  sie. 
gern  lockeres  Zellgew  ebe  zu  ihrem  Sitze  w  ählt ,  z.  B.  die  Achsel  -  und  Lei^ 
stengegend,  der  gewöhnliche,  häufig  arthritische  Anthrax  dagegen  festeal. 
Zellgewebe,  daher  den  Rücken,  die  Schenkel  etc.  sucht.  Ausserdem  unter- 
scheidet man:  Carhunculus  gallicus ,  polonicus  und  scptenlrionalis ,  welche  iif» 
südlichen  Frankreich,  in  Polen,  Schweden  und  Russland  häufig  vorkommen 
und  wo  das  Übel,  besonders  in  Polen,  oft  epidemisch  herrschen  soll.  Diese 
drei  Arten  sind  dem  Wesen,  wie  den  Zufällen  nach  wol  Eins  mit  der 
schwarzen  Blatter ,  Milzbrandblatter  (Carbunculus  malignus) ,  die  im  letzten 
Decennio  hier  und  da  auch  in  Deutschland  beobachtet  worden  und  durch 
am  Milzbrande  crepirtes  Vieh,  durch  deren  Berührung  oder  durch  Insecten, 
die  dasselbe  berührt  hatten  und  bald  darauf  den  Menschen  stachen,  über- 
tragen wurde.  Symptome.  Zuerst  zeigt  sich  unter  heftigem  Brennen 
und  Jucken  ein  bläuliches,  schwärzliches  Pünktchen  am  leidenden  Theile 
(Hand ,  Arm ,  Brust ,  Gesicht  etc.) ,  das  schnell  die  Grösse  einer  Linse  oder 
Erbse  erreicht  und  eine  bläuliche ,  schwarze  Blatter  bildet.  Dabei  bedeu- 
tende erysipelatöse  ,  ödematöse  Geschwulst  des  Gliedes  ,  Fieber  ,  Delirien, 
grosse  Mattigkeit,  Schwächegefühl,  Ohnmächten,  erschwertes  Athmen,  grosse, 
Angst,  Lethargie,  schneller  Übergang  des  Gliedes  in  Brand  und  oft  schon 
der  Tod  binnen  24  bis  48  Stunden  (M).  Cur.  Man  beize  die  Pustel  so-, 
gleich  mit  Lap.  causticus  (Dzondi),  mache  Umschläge  von  Aqua  oxymuria- 
tica,  von  Solutio  calcar.  oxymuriatic.  ,  schlage  Decoct.  quercus  etc.  über. 
Innerlich  gebe  man  gleich  anfangs  ein  Vomitiv,  darauf  Salmiak  mit  Infus, 
valerianae,  bei  schlimmen  Zufällen  und  in  höhern  Graden  Sal.  volatile,  Spi- 
rit. sal.  ammon.  caust. ,  Kampher,  Opium,  Moschus,  um  starke  Tran.'^&pira- 
tion  zu  bewirken;  auch  Arnica,  Mineralsäuren  und  China  sind  besonders  em- 
pfohlen (Dr.  HurMmd  u.  A.).  Viel  Ähnlichkeit  mit  dem  Carbunculus  ma- 
lignus haben  die  Zufälle,  welche  Chirurgen  und  Anatomen  bei  Sectionen 
von  Personen ,  die  an  bösartigen  Krankheiten  gestorben  .sind ,  dann  leicht 
bekommen,  wenn  sie  sich  zufällig  mit  dem  Sectionsmesser  verletzen.  Dio 
Cur  ist  auch  hier  ganz  die  eben  bei  Carbunculus  malignus  angegebene. 
Über  den  Milzbrandcarbunkel  (Vesicula  gangraenescens ,  Pustula  maligna) 
theilt  Dr.  Nicolai  in  Lübben  Fälle  mit,  welche  die  Contagiosität  des  Übels, 
die  Übertragung  auf  Menschen  ausser  allen  Zweifel  setzen.  Es  starb  in 
einem    Lohgerberhause    Euer«t    der    Vater,    nach    vollen    drei   Monaten   die 


150  ANTHYDROPICA  —  ANTICAUSOTICA 

Tochter,  bald  darauf  erkrankte  der  Bruder  und  nur  dieser  wurde  gerettet. 
Dr.  Thaer  fügt  den  Mittheilungen  des  Dr.  Nicolai  (s.  Casper's  Wochenschr. 
f.  d.  ges.  Heilkunde,  Berl.  1833,  No.  14)  seine  Beobachtungen  in  einer 
Nachschrift  mit.  Er  hatte  12  mal  Gelegenheit,  die  Übertragung  des  Gifts 
auf  Menschen  zu  sehen,  und  zwar  in  3  Modificationen.  Diese  sind  1)  der 
sogenannte  Milzbrandcarbunkel,  entstanden  bei  Leuten,  die  weder 
mit  krankem  Vieh,  noch  Fellen  in  Berührung  gekommen,  noch  solches 
Fleisch  gegessen  hatten.  Hier  ist  das  Glüheisen  oder  das  Ätzen  der  Pustel 
mit  concentrirter  Schwefelsäure  das  beste,  das  so  schnell  und  früh  als  mög- 
lich geschehen  muss.  2)  Häufige  Eruption  von  Brandblasen  am  Arm  bei 
Hirten ,  die  in  den  Mastdarm  der  erkrankten  Thiere ,  um  sie  von  vertrock- 
netem Miste  zu  befreien,  gegriffen  hatten.  Hier  genügte  das  Offnen  der 
Brandblasen,  das  Scarificiren  des  braunen  Grundes,  Umschläge  von  Decoct. 
chinae,  Chlorkalksolution ,  innerlich  erst  ein  Vomitiv,  und  dann  Decoct. 
chinae  mit  Acid.  sulphuric.  3)  Eine  Krankheit ,  deren  wesentliche  Symptome 
fast  nicht  zu  schildern  sind.  Anfangs  eine  schwappende,  unschmerzhafte, 
nicht  umschriebene  oder  geröthete  Geschwulst,  nebst  Anschwellung  der  nahe 
gelegenen  lymphatischen  Drüsen,  Übelkeit,  Mattigkeit,  Angst,  Erbrechen, 
Obstructio  alvi,  ohne  Fieber.  Nach  einigen  Tagen  verschwand  die  Ge- 
schwulst, es  trat  Allgemeinleiden ,  aber  kein  bedeutendes  Fieber  ein;  die 
Leute  gingen  umher,  der  Urin  war  sparsam,  aber  die  geistigen  Kräfte  nicht 
getrübt.  Heftige  Drastica  wirkten  wenig  auf  den  Darmcanal ,  es  zeigte  sich 
Fluctuation  im  Leibe ,  und  der  Tod  trat ,  bei  einem  Kranken  am  -Iten ,  bei 
einem  andern  am  15ten  Tage ,  bei  voller  Besinnung  ein.  Die  Section  zeigte 
das  Ileum  etwas  entzündet ,  das  Mesenterium  an  jenen  Stellen  schw  arzbraun. 
Der  Unterleib  enthielt  3  Quart  gelbes  Fluidum  (s.  auch  Meier  in  Hufeland^g 
Journ.  Bd.  LIV.  St.  3). 

Antbydropica  (remedia)^  Mittel  gegen  Wassersucht,  s.  Hydropa 
und  Diuretica. 

Anthypnotica ,  Mittel  gegen  den  Schlaf,  besonders  gegen 
den  krankhaften ;  z.  B.  kalte  Kopfumschläge ,  Sturzbäder  etc. 

Anthypocbondrlaca ,  Mittel  gegen  Hypochondrie,  z.  B. 
tägliche  Bewegung  im  Freien,  das  Solamen  hypochondriacum  Klcinii  etc.; 
8.  Hy  po  cho  n  dr  ia. 

AJitiaditiS}  Entzündung  des  Zapfens,  s.  Angina  tonsillaris. 

Antiadoncus ,  die  Mandelgeschwulst,  s.  Angina  tonsillaris,    x 

Anticaucrosa»  s.  Anticarcinomatosa. 

Auticarcinomatosa,  Mittel  gegen  Krebsgesohwüre.  Je 
unheilbarer  ein  Übel  ist ,  desto  grösser  ist  in  der  Regel  die  Zahl  der  dage- 
gen empfohlenen  Mittel  geworden.  So  ists  der  Fall  mit  der  Hydrophobie, 
der  Epilepsie  und  auch  mit  dem  Krebse.  Gegen  den  Scirrhus  hat  man 
vorzüglich  Cicuta ,  Belladonna ,  Digitalis ,  Aqua  laurocerasi  und  Mercurialien 
empfohlen;  gegen  den  ausgebrochenen  Krebs  äusserlich  Empl.  nigr.  suiphur. 
Bechholzii ,  das  Belladonnapflaster,  Guy's  Mittel ,  das  Cosme'sche  Mittel ,  das 
Hellmund'sche  Mittel,  das  Mittel  von  Rousselot,  den  Sublimat  in  Pflastern, 
künstliche  Wärme ,  Theer ,  Kali  hydriodinic.  in  Salben ,  den  Holzessig ,  Calx 
oxymuriat.  etc.  (s.  Cancer). 

Anticariosa,  Mittel  gegen  den  Knochenfrass.  Die  hierher 
gehörigen  innern  Mittel  richten  sich  nach  dem  Grundübel ,  je  nachdem  Lues, 
Scrophulosis ,  Gicht  etc.  die  Ursache  ist.  Äusserliche  Mittel  sind :  Decocte 
von  Cort.  quere. ,  —  peruv. ,  von  Rad.  calami ,  Herb,  sabinae ,  Cort.  nuc. 
jugland.  In  Caries  mit  schwammigen  Auswüchsen  passen  Tinct.  myrrhae, 
Liquor,  exfoliat.  Bellostii,  Aq.  phagedaenica,  verdünnte  Mineralsäuren ,  Acid. 
pyrolignos. ,  Tinct.  aloes ,  Solut.  lapid.  iufernalis  etc.  (s.  Caries). 

Antlcatarrlialia ,  Mittel  gegen  Katarrh ,  s.  Blennorrhoea  nasi. 

Aiiticaiuiotica,  Mittel  gegen  das  Brennfieber,  z.  B.  Crem, 
tartari ,  Nitrum  etc. 


ANTICAUSTKA  —  ANTIPATHIA  151 

ümitCAlMtlca,  Mittel  gegen  ätzen <le,  auf  den  Organismus  ein- 
wirlcende  Schädlichkeiten,  z.  ß.  Öle,  Schleime,  gegen  Kali  caust., 
Säuren  etc. 

Anticolica,  Mittel  gegen  Kolik,  s.  Coli  ca. 

Anticrisis,  die  Gegenkrise.  Ist  eine  der  Krisis  nicht  entspre- 
chende, entgegengesetzte  Erscheinung. 

Antidinica,  Mittel  gegen  den  Schwindel,  s.  Vertigo. 

Antidoton,  ein  Gegengift,  Antidot,  s.  Intoxicatio. 

Antifebrilia,  richtiger  Antipyretica ,  ftlittel  gegen  Fieber,  s.  An- 
t  i  p  y  r  e  t  i  c  a. 

Antibysterica •  Anihjsterica ,  Mittel  gegen  Hysterie.  Die 
palliativen  Mittel  im  Anfalle  sind  die  Antispasmodica  (s.  d.  Art.),  die  Ra- 
dicalmittel  sind  theils  diätetische,  theils  pharmaceutische.  Unter  letztern 
vorzüglich  Flor,  zinci,  Cuprum  ammoniacale,  Lapis  infernalis  innerlich,  des- 
gleichen in  manchen  Fällen  die  Belladonna;  s.  Hysteria.  Es  giebt  aber 
auch  Formen  der  Hysterie ,  wo  solche  Mittel  erst  dann  passen ,  wenn  dia 
vorhandene  Vollblütigkeit  und  die  Congestionen  gehoben  worden  sind. 

Antilepsis*  Ist  die  Anwendung  der  Heilmittel  auf  einen  dem  lei- 
denden entgegengesetzten  Theil  ( Hippolraies ) ,  also  etwa  dasselbe ,  wa« 
durch  Methodus  derivativa  und  revulsoria  bewirkt  "svird  (Krfljw). 

Antiloemica,  Mittel  gegen  die  Pest,  s.  Pestis. 

AntilySfiluin f  Mittel  gegen  die  Hundswuth.  Auch  hier  sind 
viele  Specifica  bekannt  geworden ,  welche  präserviren  sollen ;  z.  B.  gleich 
nach  dem  Bisse  innerlich  Belladonna,  schweisstreibende  Mittel  etc.;  s.  Hy- 
dro p  h  o  b  i  a. 

AntiparalytiCa,  Mittel  gegen  die  verschiedenen  Lähmungen,  «. 
Paralysis,  Amaurosis,  Cophosis  paralytica,  Aphonia  etc. 

Antipathia»  Widerwille,  Antipathie.     Ist  eine  Abneigung  ge- 
gen gewisse  Dinge,  z.B.  gegen  Arzneien,  was  wir,  weniger  richtig,  Idio- 
synkrasie nennen.     Oft  ist  eine  solche  Antipathie  erblich;    oft  anerzogen, 
in   den   meisten  Fällen   aber   in    einem   reizbaren  Nervensysteme   begründet ; 
daher  wir   auch    bei  Hysterischen  und  Hypochondristen   die  meisten  Antipa- 
thien (Idiosynkrasien)  finden.     Haben  Kranke  gegen  gewisse  Arzneien  einen 
unüberwindlichen  Widerwillen ,  so  setze  man  sie  ohne  die  grösste  Noth  nicht 
fort.     So   vertragen    z.  B.   Personen ,    die   gegen    Zwiebeln   und   Knoblauch 
Widerwillen   haben ,    selten  die  Asa   foetida.      Manchen  Frauenzimmern   be- 
kommt der  Kampher,    die  Aqua  flor.  til.   schlecht;    sie   bekommen  Würgen, 
Erbrechen   und   Krämpfe    darnach ;    Personen ,    die   nach  dem   Genüsse   von 
Krebsen,  Austern,  Koliken,  Fieber  und  Nesselausschlag  bekommen,  vertra- 
gen selten  Oculi  cancrorum,  desgleichen  Spirit.  salis  ammon.  caust.  und  ani- 
ßatus.,    Manche  Menschen  haben  Idiosynkrasie   gegen  Wildpret,    Honig  etc. 
In  Betreff  der  Verordnung    der  Arzneien    muss  der  Arzt  dahin   sehen,    das» 
die  Arznei  den  Kranken  nicht  unangenehm  afficirt  und  dadurch  Widerwillen 
erregt.      Bei  organischen  Fehlern  des  Magens  ,   bei  Vomitus   cruentus ,   Me- 
laena    ist  es  besonders  nöthig,    keinen    unangenehmen,    ekelerregenden  Ge- 
schmack der  Arzneien  zu  erregen  ,    weil  dadurch    so  leicht   das   so  quälende 
und    oft   nachtheilige  Erbrechen  befördert  wird.      Der    einfache   (rein  saure, 
süsse ,  bittere ,  salzige)  Geschmack  ist  in  der  Regel  angenehmer  als  der  ge- 
mischte ;    daher  passt  nicht  immer  der  Zusatz  von    süssen  Dingen :   Zucker, 
Syrup  etc.  zu  den  Arzneien;  er  passt  nur  bei  stark  säuerlich  schmeckenden, 
salzigen  Dingen,  nicht  bei  rein  bittern  Arzneien.     Letztere  werden  dadurch 
nur   unangenehmer,    dagegen    durch   Zimmt   angenehmer;    z,  B.    giebt   man 
Extr.  absinthii,  quassiae  mit  Aq.  cinnam.  s,  v.     Mittel,  welche  einen  faden, 
matten,    schleimigen  Geschmack   haben,    werden   angenehmer  durch  Beimi- 
schung fein  aromatischer  Dinge ;  so  z.  B.  setzt  man  zum  Infus,  radic.  ipecac. 
den  Syrup.  flor.   aurantii   (^Sundelin).     Auch  die  Form  der  Arznei  hat  Wer 


152         ANTIPEDICULOSA  —  ANTIPUTREDINOSA 

EInfluss.  So  werden  widerlich  schmeckende  Arzneien;  z.  B.,Pel  taur.  insp., 
Asa  foetid.  am  besten  in  Pillenform,  nicht  in  Latwergen-  oder  Pulverform 
gegeben. 

Antipediculosa,  richtiger  Antiphthiriaca,  Mittel  gegen 
Läuse,  überhaupt  Ungeziefer.  Gegen  Kopfläuse  wird  oft  das  sogenannte 
Läusepulver  von  Nichtärzten  aus  den  Apotheken  geholt  und  auf  den  Kopf 
gestreut.  Es  besteht  aus  solchen  Dingen  ,  die  theils  das  Ungeziefer  tödten, 
theils  es  vertreiben  und  krank  machen.  Das  Wirksamste  gegen  Kopf-, 
Leib-  und  Filzläuse  ist  das  Unguent.  mercuriale,  doch  muss  es  vorsichtig 
und  nur  in  kleinen  Portionen  auf  einmal  angewandt  werden,  damit  keine 
Salivation  entsteht.  Ist  zugleich  Kopf-  oder  Hautausschlag  da,  so  ver- 
meide man  alle  Antiphthiriaca  gänzlich ,  um  nicht  gefährliche  Metastasen 
nach  den  Gesichts-,  Gehörorganen  etc.  durch  Unterdrückung  derselben  zu 
befördern;  s.  Phthiriasis. 

Antiphlog^istica,  entzündungswidrige,  antiphlogistische 
Mittel  zum  Behuf  des  entzündungswidrigen  Heilverfahrens  (Antiphlogosis). 
Das  stärkste  Antiphlogisticum  ist  der  Aderlass,  dann  Blutegel,  dann  Nitrum 
mit  Tart.  vitriolatus ,  dann  Salmiak ,  Potio  Riverii ,  kühlende  Laxirsalze, 
Merc.  dulcis  etc.;  s.  Inflammatio  und  Febris  inf lammator ia. 

Antiplltliisica,  Mittel  gegen  Schwindsucht.  Gegen  die 
wahre  Phthisis,  die  sich  aus  den  Tuberkeln  bildet,  ohne  dass  merkliche 
Entzündung  vorhergeht,  giebt  es  wohl  gar  kein  Mittel,  man  müsste  denn 
die  strengste  Diät  und  eine  kühlende  Behandlung ,  die  den  Übergang  der 
Tuberkeln  in  Erweichung  verhütet,  dahin  rechnen.  Dagegen  sind  gegen 
Phthisis  pituitosa  manche  sehr  wirksame  Mittel  bekannt,  z.B.  I^  Sem.  phel- 
Inndr.  aquat.  gr.  vjjj ,  Herh.  digital,  purpur.  gr.  ^  —  gr.  j  ,  Nitri  depurnti 
gr.  X,  Eineos.  citri,  Liquir.  coctae  ana  gr.  xjj.  M.  f.  pulv.  dispens.  dos.  tal. 
xjj.  S.  Morgens  und  Abends  ein  Pulver  zu  nehmen.  Auch  das  Pulv.  pecto- 
ral.  Kurella  Ph.  Boruss.  ist  hier  sehr  wirksam.  Das  grösste  Schutzmittel 
gegen  Schwindsucht  ist :  viel  Bewegung  in  freier  Luft,  Reiten,  Fahren,  Acker- 
bau (Rtish,  Sydeiihnm,  Pringle'),  Landluft  und  Milchdiät  (^Aretaeiis ,  Hippo- 
Jrrates).  Was  die  empfohlenen  Heilmittel  betrifft,  darüber  s.  Phthisis 
pulmonalis  vera,  tuberculosa,  exulcerata. 

Antipodai^ica,  Mittel  gegen  Podagra,  s.  Arthritis. 

AntipracticitS ,  der  Praxis  widersprechend.  Dies  Wort  be- 
zeichnet sehr  gut  einseitige  Theoretiker  oder  Praktiker,  welche  glauben, 
dass  Theorie  und  Praxis  jede  für  sich  bestehen  könnten,  welche  nicht  be- 
greifen ,  dass  die  wahre  Theorie  zugleich  mit  der  Praxis ,  und  umgekehrt, 
die  einzig  wahre  Praxis  zugleich  mit  der  Theorie  gegeben  ist  (^Krnus). 

Antipsorica»  unrichtiger  Antiscabiosa,  Mittel  gegen  die  Krätze, 
s,  Scabies. 

Antiputredinosa,  richtiger  Antiseptica,  fäulnisswidrigc 
Mittel.  Wir  unterscheiden  Antiseptica  physica  und  A.  physiologica  (Gwer- 
scnf).  Letztere  interessiren  allein  den  Praktiker;  daher  erstere  hier  über- 
gangen werden.  Das  grösste  dieser  Mittel  ist  die  Lebenskraft;  ist  sie  ge- 
sunken, so  tritt  leicht  Fäulniss  ein,  theils  partielle  (Brand),  theils  allge- 
meine (Tod).  Alles,  was  daher  die  gesimkene  Lebenkraft  (in  typhösen, 
paralytischen,  putriden  Fiebern)  hebt,  wirkt  fäulnisswidrig.  Dahin  gehören 
vor  Allem  gesunde,  reine,  kühle  Luft,  gesundes,  reines  frisches  Wasser, 
Körperbewegung,  gute,  thierische,  der  Verdauungskraft  angemessene  Nah- 
rung, gutes  Bier,  täglich  einige  Gläser  guten  Weins,  Mineralsäuren,  Ser- 
pentaria,  Angelica  mit  Kampher,  China  in  Decoct-  und  Pulverform,  die 
Amara  (s.  d.  Art.)  mit  aromatischem  Wasser  und  Wein.  Zu  den  äusserli- 
chen  antLseptischen  Mitteln ,  die  der  Fäulniss  Einhalt  thun  und  die  Lebens- 
kraft im  leidenden  Theile  und  in  dessen  Peripherie  erwecken ,  rechnen  wir 
folgende :  milde ,  aromatische  Pflanzen :  Flor,  chamomillae ,  Herba  scordii, 
rutae,  absinthü,  Flor,  arnicae,  Rad.  serpentariae,  valerianae,  Spec.  aroma- 


ANTIPTRETICA  —  ANTISPASMODICA  153 

ticae,  in  Foi*m  von  Infusionen  mit  Zusatz  von  Wein  (gegen  starke  Quet- 
echungen  mit  Entzündung,  gegen  gelinde  B"'äulniss  in  Geschwüren,  als  Streu- 
pulver mit  Pulv.  carbon.  vermischt,  wenn  viele  Jauche  im  Geschwür  ist), 
ferner  bei  stärkerer  Fäulniss  Decoct.  quercus ,  Salicis ,  hippocast. ,  cort.  pe- 
ruv. ,  Alaun,  Borax,  Acid.  oxymuriat. ,  Acid.  sulphuric.  djlut. ,  Acid.  acetic, 
phosphoricum  (bei  veralteten  Quetschungen,  feuchtem  Brande,  Caries  der 
Knochen),  Kampher,  Myrrhe,  Aloe,  Unguent.  de  styrace,  Oleum  terebin- 
thinae  bei  noch  höhern  Graden  der  Fäulniss ;  und  endlich  bei  den  höchsten 
Graden  von  Brand  Acid.  pyrolignosum ,  Solut.  calcis  oxymuriat.  (2  Unzen 
in  4  Mass  Wasser  gelöst)  und  das  Glüheisen,  z.  B.  beim  Hospitalbrande, 
beim  Carbunkel  etc.  Da  viele  physische  Antiputredinosa  zugleich  auch  phy- 
siologische und  pathologische  sind,  z.  B.  die  vegetabilischen  und  minerali- 
schen Säuren ,  der  Terpenthin  ,  das  Kochsalz ,  der  Holzessig ,  das  Kreosot 
etc. ,  so  deutet  schon  dieser  Umstand  darauf  hin ,  dass  die  Gesetze  der  or- 
ganischen Natur  nicht  immer  so  bedeutend  von  denen  der  anorganischen 
Natur  differiren,  als  manche  Physiologen  und  Pathologen  glauben,  sondern 
dass  selbst  mehrere  der  erstem  von  den  Gesetzen  der  letzteren  abgeleitet 
werden  können  (s.  Grewe,  Diss.  de  putredine  et  antisepticis.    Duisb.   1782). 

Antipyretica ,  Antifehrilia ,  Mittel  gegen  das  Fieber,  beson- 
ders gegen  das  Wechsellieber;  dahin  gehören  vorzüglich  China,  Chininum 
sulphuric,  Chinin.  muriat._,  bittere  Mittel  (s.  Amara),  Gewürze:  Pfeffer, 
das  Binden  der  Glieder  kurz  vor  dem  Anfalle,  das  Einnehmen  von  Spinn- 
weben auf  Butterbrot  (Frtwst),  der  Genuss  von  bittern  Mandeln,  von  Po- 
meranzen ,  Citronensaft  mit  starkem  schwarzen  Kaffee ,  kurz  vor  dem  An- 
falle genommen  etc.  (s.  Febris  intermittens).  Die  Antifehrilia  im  wei- 
tern Sinne  sind  bald  Antiphlogistica  (in  den  allgemeinsten  Fällen),  bald  Ner- 
vina, Excitantia,  Roborantia,  Adstringentia,  nach  Verschiedenheit  des  Fie- 
bereharakters. 

Antiscabiosa»  Mittel  gegen  die  Krätze,  s.  Antipsorica. 

Antiscirrbosa ,  Mittel  gegen  den  Scirrhus ,  s.  Anticarcino- 
m  a  t  o  s  a. 

Antiscorbutica,  Mitte  gegen  den  Scorbut.  Zur  Verhütung 
dienen:  reine  gesunde  Luft,  vegetabilische,  säuerliche  Nahrung,  viel  Bewe- 
gung, froher  Muth,  der  tägliche  Genuss  von  1  bis  2  rohen  Kartoffeln.  Zur 
Cur  Acid.  muriat.  dilut.  ,  sulph.  dilut.,  Acetum  vini,  Decoct.  chinae  mit 
Elix.  acid.  Halleri,  der  tägliche  Genuss  des  Rothweins  etc.;  s.  Scorbutus. 

Antiscropblllosa,  Mittel  gegen  Scropheln.  Die  vorzüg- 
lichsten sind:  Terra  ponderosa  salita,  Antimonialia  mit  Absorbentien ,  Mer- 
curialia.  Herb,  cicutae,  Belladonnae ,  die  Salzbäder,  die  Jodine;  s.  Scro- 
phulosis. 

Antiseptica ,  s.  Antiputredinosa. 

Antisiala ,  Mittel  gegen  den  Speichelfluss ,  s.  Morbus  mer- 
c  uri  a  1  i  s. 

Antispasis»  die  Gegenreizung,  das  Hinziehen  der  Kräfte  nach 
einer  andern  Stelle;  auch  das  Ableiten  der  Säfte  oder  der  Krankheitsstoffe 
nach  einer  andern  Stelle  wird  darunter  verstanden,  also  theils  und  bald 
Revulsio,  Contrastimulatio ,  theils  Derivatio.  Die  hierzu  anwendbaren  Mit- 
tel s.  Antispastica. 

Antispasmodica,  krampfstillende  Mittel.  Das  beste  An- 
\  tispasmodicum  ist  die  Hebung  der  Ursache  des  Krampfs.  Da  nun  diese  bald 
Vili  Vollblütigkeit,  Congestion,  Diathesis  inflammatoria,  bald  in  Schwäche  des 
Witablen  Systems  mit  erhöhter  Nervenreizbarkeit  gesucht  werden  muss,  30 
nassen  bald  Antiphlogistica,  bald  sogenannte  Nervina,  Excitantia,  Roboran- 
t^'a,  also  die  sogenannten  Antepileptica,  Antihysterica.  Es  gehören  also  hier- 
Her  eine  grosse  Menge  in  ihren  Wirkungen  sehr  verschiedener  Arzneikörper, 
die  nach  der  Congestion  und  der  Ursache  des  Krampfs  ausgewählt  werden 
müssen,   z.  B.   Aderlassen,   Blutegel,    Nitrum,    Sal  Glauberi,   Pot.  Riverii. 


154  ANTISPASTICA  —  ANXIETAS 

Infus,  cliamomill. ,  valerianae,  fol.  aurantior. ,  Liquor  anodyn.  ,  c.  c  succin., 
Spir. ^sal.  ammoniaoi  anisatus,  Castoreum,  Moschus,  Flor,  ziiici,  Extr.  hy- 
oscyami,  Opium,  Datura  stramon.,  Nnx  vomica,  Magister,  bismuthi,  Cuprum 
ammoniacale ,  Rad.  artemisiae  vulgaris  etc.;  s.  Spasmus  und  Asthma 
spasmo  dl  cum.  Im  engern  Sinne  verstehen  wir  unter  der  Benennung  Au- 
tispasmodica  eine  gewisse  Classe  von  excitirenden  und  ditfusiblen  Ai-zneimit- 
teln,  die  man  bei  klonischen  und  ihtermittirenden  Krämpfen  der  Muskeln 
des  organischen  Lebens,  seltener  bei  intermittirenden  Krämpfen  der  Muskeltt 
des  animalischen  Lebens  anwendet.  Guersent  unterscheidet  hier  Antispasmo- 
dica  gummi - resinosa  (Asa  foetida  etc.),  camphorata  (z.  B.  Herba  salviae, 
menthae,  melissae,  Kampher) ,  aromatica  (Fol.  aurant.  etc.) ,  aetherea  (z.  B. 
Naphtha)  und  azotica  (z.  B.  Moschus,  Castoreum).  Die  Indicationen  zur 
Anwendung  dieser  verschiedenen  Arten  werden  anderswo  angegeben.  S. 
Spas mu  s. 

Antii^pastica,  Mittel,  welche  einen  Gegenreiz,  eine  Ab- 
leitung (Antispasis)  machen;  z.  B.  Senfteig,  Vesicatorien ,  Fontanellen, 
Haarseile,  Seidelbast,  Kopp's  und  Autenrieth's  Pustelsalben,  u.  a.  m. 

Antisypllilitica ,  Antwe7icrea,  Mittel  gegen  die  Lustseuche.  Da» 
vorzüglichste  ist  bekanntlich  der  Mercur;    s.  Syphilis. 

Antivenerea,  s.  Antisyphilitica. 

Antodontalg^ica,  Mittel  gegen  Zahnschmerzen.  Sie  sind 
theils  ableitende,  theils  betäubende,  theils  den  Zahnnerven  zerstörende  Mit- 
tel, die  nach  den  Ursachen  des  Zahnschmerzes  ausgewählt  werden  müssen 
(s.  Odontalgia).  Folgendes  Mittel,  mit  Baumwolle  davon  an  das  Zahn- 
fleisch oder  in  den  hohlen  Zahn  gebracht ,  hilft  in  den  meisten  Fällen : 
l^  Laud.  liquid.  Sydenh.  5]^,  Tinct.  guajaci  volat.,  Tinct.  cnntharidum  ana 
9j.  M.  (^Most  sen.).  Bei  rheumatischem  Zahnschmerz  leistet  folgendes  Mittel, 
welches  mit  Milch  gekocht  wird  und  wovon  man  öfters  lauwarm  etwas  in 
den  Mund  nimmt,  hen-liche  Dienste:  ^r  Sein,  pnpav.  alb.  3jjj  Sem.  hyoscyami 
5j  j  HerJ).  cicutae  3ly.   M.  (Fischer  in  Lüneburg). 

Antroversio  uteri,    s.  Retroversio  uteri. 

Anuresis,  Anuria,  mangelnde  Harnsecretion ,  s.  Retentio  urinae. 

Anus  artificialis,  der  künstlich  .,  After.  Ist  diejenige  Opera- 
tion, wo  man  durch  Kunst  in  der  rechten  oder  linken  Bauchseite  eine  Öff- 
nung macht,  um  bei  fehlendem  oder  ki-ankhaft  verschlossenem  After  den 
Darmexcrementen  einen  Ausweg  zu  verschaffen.  Das  Übel  ist  häufig  ange- 
boren, wo  entweder  das  Rectum  gänzlich  oder  theilweise  mangelt  oder  sich 
in  die  Harnblase,  oder  in  den  häutigen  Theil  der  Urethra  einmündet  (Atre- 
sia  ani  vesicularis  und  urethralis).  Bei  Erwachsenen  kommt  die 
Atresie  auch  zuweilen  vor,  zumal  wegen  Stricturen  des  Rectums,  die  nicht 
zu  beseitigen  sind ,  wegen  Verdickung  der  Wandungen  de$  Mastdarms,  oder 
verursacht  durch  polypöse,  steatomatöse,  fungöse,  varicöse ,  tuberculöse, 
scirrhöse,  carcinomatöse  Geschwülste,  die  im  Rectum  oder  in  dessen  Nähe 
ihren  Sitz  haben,  den  Darm  comprimiren  und  den  Durchgang  der  Excre- 
mente  verhindern.  Cur.  Ist  nach  den  Ursachen  verscliieden.  Ists  ein  Vi- 
tium congenitum  oder  lassen  sich  bei  der  Atresia  acquisita  die  Ursachen 
nicht  beseitigen,  z.  B.  durch-  den  Gebrauch  der  Kerzen,  Bougies ,  durch 
Exstirpation  der  Geschwülste  etc. ;  so  bleibt  nur  die  Operation  (Colotomia, 
Laparo -  Colotomia)  übrig,  die  indessen  nicht  immer  günstig  abläuft.  Man 
hat  bald  in  der  Regio  iliaca  sinistra,  bald  in  der  Regio  iliaca  dextra,  bald 
in  der  Regio  lumbaris  sinistra  operirt;  doch  ist  in  den  meisten  Fällen  er- 
stere  vorzuziehen.  Über  die  Operation  selbst  siehe  den  Artikel  Laparo- 
colo  tomia. 

Anus  praeternaturalis,  s.  Fistula  stercorea. 

Anxietas,  AnxieUido,  Abjsmn,  Dysjjhorin,  Angst,  Beängstigung. 
I.st  eigentlich  der  höch.ste  Grad  des  Schmerzes ,  ein  höchst  quälender  Zu- 
stand de«  Körpers  und  der  Seele ,  dessen  Ursache  bald  rein  psychisch ,  bald 


ANXIS  —  ÄPHONIA  155 

somatisch,  bald  gemischt  ist.  Wir  unterscheiden  daher  verschiedene  Arten 
von  Angst :  1)  Seelenangst  (Anxietas  psychica,  moralis) ,  ein  Gemüthsleiden, 
nicht  selten  aus  Immoralität  oder  unrichtigen  Vorstellungen  hervorgegangen; 
2)  nervöse  Angst  (Anxietas  spasmodica) ,  bei  Hysterie ,  Hypochondrie ,  Me- 
lancholie periodisch  (oft  durch  Wetterveränderung  hervorgegangen)  eintre- 
tend; 3)  Herzangst  (Anxietas  praecordialis,  abdominalis,  Alysma),  verbunden 
mit  einem  Zusammeuziehen  in  der  Herzgrube  und  dem  Unterleibe;  4)  Brust- 
angst (Anxietas  pneumonica),  ein  Symptom  der  meisten  Krankheiten  der 
Respiration :  der  Pneumonie,  Pleuresie,  des  Asthma  pituitosum,  des  Catarrhus 
sulfocativus ,  der  Dys  -  und  Orthopnoe ,  der  Angina  pectoris ;  5)  Herzens- 
angst (Anxietas  cardiaca) ,  ein  periodisch  eintretendes ,  constantes  Symptom 
der  Herzkrankheiten,  des  Aneurysma  aortae,  mit  Ohnmächten  begleitet; 
endlich  6)  die  Todesangst  ( Anxietas  agonistica ) ,  welche  die  meisten  tödt- 
lichen  Krankheiten  im  letzten  Stadio  begleitet.  Allgemeine  Hülfsmittel  sind: 
frische  Luft,  kaltes  Wasser,  an  den  leidenden  Theil  oder  in  die  Nähe  des- 
selben gebracht,  Lüften  der  Kleidung,  Zuspruch  von  Trost,  Hoffnung;  ge- 
gen A.  spasmodica  äussere  Hautreize ,  Diaphoretica ,  Anodyna ;  gegen  A. 
pneumonica  passt  häufig  ein  Aderlass,  desgleichen  gegen  A.  cardiaca. 

Anxi.«!,  die  Einklemmung,  Einschnürung;  daher  Anxis  recti, 
die  Einschnürung  des  prolabirten  Mastdarms.  Im  weitern  Sinne  ist  Anxia 
synonym  mit  Angst,  Brustbeklemmung. 

Aocblesia.     Ist  Empfindungslosigkeit;   s.  Stupor. 
Aorteurysma 9  krankhafte  Erweiterung  der  Aorta,  s.  Aneurysma 

internu  m. 

Apa^ma.     Ist  Dislocation,  z.  B.  einer  Fractur. 

Apanthisuius »  Olliteratio ,  die  Verwachsung,  wodurch  ein  da- 
gewesener Theil  ganz  verschwindet  oder  unkenntlich  wird,  z.  B.  im  reifen 
Fötus  die  Verwachsung  des  Ductus  arteriosus  Botalli ,  der  Vena  umbilicalis, 
der  Arteriae  umbilicales,  welche  zu  Ligamenten  werden. 

Apanthropia ,  Trübsinn  mit  Menschenscheu.  Ist  eine  oft 
schwer  zu  heilende  Seelenstörung,  mit  Anlage  zum  Selbstmorde,  hervorge- 
gangen durch  deprimirende  Leidenschaften,  Einsamkeit,  Fehler  der  Erzie- 
hung, organische  Unterleibsfehler. 

Apatbia»  Gefühllosigkeit,  Unerapfindlichkeit,  Gleich- 
gültigkeit.   Ist  in  nervösen  und  putriden  Fiebern  ein  schlimmes  Symptom. 

Apepsia ,  schwache  Verdauung  ,s.  Dyspepsia. 

Aperientia,  eröffnende  Mittel.  Sind  nach  altem  Sprachge- 
brauche solche,  die  theils  die  Hautporen  eröffnen  (Diaphoretica,  Sudorifera), 
theils  den  Unterleib  frei  machen  und  gelindes  Laxiren  erregen,  z.B.  Crem, 
tartari,  Manna,  Tamarinden,  verschiedene  Tisanen  von  sogenannten  blut- 
reinigenden Wurzeln:    Bardana,  Gramen  etc.;    s.  Resolventia. 

Apbag^ia,  das  Unvermögen  zu  schlucken,  zu  essen.  Ist  ein 
gewöhnliches  Symptom  der  heftigen,  ausgebildeten  Bräune  (Angina  exquisita) 
und  verschiedener  Verletzungen  der  Luft-  und  Speiseröhre,  odei;  durch  fremde 
Körper  in  ihnen  entstanden. 

Apbonia,  Ariaphthia,  Anaudia,  Loqueln  nholita,  Sprachlosig- 
keit, Stummheit.  Ist  häufig  Folge  von  Hirnerschütterung,  Epilepsie, 
Katalepsie,  Hysterie,  und  besteht  meist  in  einer  Paralyse  der  Sprachorgane. 
Die  angeborne  Taubstummheit  gehört  nicht  hierher,  eben  so  wenig  die 
Aphonie  als  Folge  von  Verwundungen  des  Halses.  Ferner  ist  die  Aphonie 
Folge  von  Apoplexie  oder  auch  heftiger  Eklampsie  der  Kinder  mit  zurück- 
bleibender Lähmung  der  Zunge  und  anderer  Organe.  Cur.  Wo  die  Ur- 
sache Paralyse  ist,  da  wenden  wir  reizende,  belebende  Mittel  an,  und  zwar 
ganz  dieselben ,  wie  bei  Geschmacklosigkeit  als  Folge  von  Lähmung  (s.  oben 
Ageusis).  Man  hat  auch  Tmct.  capsici,  in  die  Zunge  gerieben,  empfoh- 
len.    M.  A.  Trousseau  (Archiv,  g^nerales  de  raedec.  T.  XXVII.  Decbr.  1831. 


156  APHORU  —  APHTHAE 

p.  547.)  legte  mit  Erfolg  ein  Vesicatoriura  äusserlich  auf  den  Pharynx  und 
cauterisirte  liinterher  denselben  mit  Lapis  infernalis.  Höchst  wirksam  ist 
hier  die  vorsichtige  Anwendung  des  Galvanismus,  wodurch  ich  einst  ein  Mäd- 
chen,  das  mehrere  Jahre  stumm  war,  vollkommen  heilte.  (6r.  F.  Most,  Über 
die  Heilkräfte  des  Galvanismus  etc.  Lüneburg  1828.  S.  20.). 

Aphonia  Hippocratis ,  Schlafsucht,  s.  Carus  spontaneus. 

Aphoria,  Unfruchtbarkeit,  s.  Impotentia  und  Sterilitas. 

Aphrodisiaca,  Annphrodlsiaca,  Mittel,  die  zum  Beischlaf 
i-eiz  en.  Nichts  schwächt  den  Geschlechtstrieb  mehr  als  zu  häufiger  Bei- 
schlaf. Dies  ist  eine  weise  Einrichtung  der  Natur,  um  das  Leben  zu  scho- 
nen. Der  Wollüstling  ist  damit  aber  nicht  zufrieden;  er  wünscht  sich  Mit- 
tel, die  ihn  zum  Beischlaf  reizen  sollen.  Dergleichen  giebt  es  allerdings. 
"Wir  rechnen  hierher  alle  gelindern  und  stärkern  Diuretica :  Sellerie ,  Peter- 
silie, Spargel,  feine  Gewürze,  besonders  Tinct.  vanillae,  Tinct.  cinnamomi, 
auch  Tinct.  chinae  composita,  die  Gewürzchocolade;  reizende  Einreibungen 
in  die  Kreuzgegend  von  Ol.  terebinthinae ,  Tinct.  cantharidum  und  Spirlt. 
sal.  ammon.  caust. ,  kleine  elektrische  Schläge  durchs  Becken ;  selbst  der 
innerliche  Gebrauch  der  Tinct.  cantharidum.  Aber  alle  diese  Mittel  haben 
den  Nachtheil,  1)  dass  sie  so  leicht  durch  Überreizung  schwächen  und  da- 
durch früher  als  sonst  Impotenz  hervorrufen,  2)  dass  sie  nüttelbar  das  Le- 
ben verkürzen.  Der  vernünftige  Mensch  wird  sich  ihrer  daher  nicht  bedie- 
nen. Massiges ,  einfaches  tugendhaftes,  thätiges  Leben ,  frohes  Gemüth,  frei 
von  Gewissensbissen ,  viele  Bewegung  in  freier  Luft,  Vermeidung  vieler  gei- 
stiger Getränke  ,  diese  Dinge  erhalten  gesund  und  es  bedarf  unter  solchen 
Umständen  keiner  Aphrodisiaca.  Gegen  die  Lnpotenz  und  den  Mangel  an 
Geschlechtskraft  sind  noch  am  wenigsten  schädlich  manche  Nahrungsmittel, 
die  hier  zu  empfehlen  sind,  als  der  häufige  Genuss  von  Zwiebeln,  Rettige, 
Senf,  Kastanien,  Ingwer,  Chocolade,  Austern,  Rochen  und  anderer  See- 
fische ,  des  Johannislauchs ,  guter ,  alter  Wein  ,  die  Aalsuppe  und  Schildkrö- 
tensuppe der  Engländer  und  Hamburger.  Ist  allgemeine  Körperschwäche 
der  Grund,  so  gebe  man  innerlich  Tinct.  chinae  mit  Wein,  Eisenmittel,  und 
rathe  eine  Zeit  lang  Enthaltsamkeit  an. 

Apbrodisius  morbusr.  Ist  die  ungewöhnliche  Benennung  für 
Syphilis. 

Apbronesis,  Unverstand,  Thorheit,   Wahnsinn,    s.  Delirium. 

Aphrosyne*     Ist  dasselbe,  was  Aphronesis. 

Apbthae ,  Anginn  aphthosa ,  Mundschwämmchen,  Aphthen, 
Fasch,  Mehlhund,  Soor,  Mundsöhre,  Kahm,  das  Weissmäul- 
chen.  Zuerst  zeigen  sich  die  Schwämmchen  gewöhnlich  auf  der  Zunge, 
an  der  innern  Seite  der  Lippen  und  Wangen ,  in  einigen  Fällen ,  z.  B.  im 
Stadio  coUiquativo  der  Phthisis,  gehen  sie  auch  in  den  Schlund  und  verbrei- 
ten sich  über  den  ganzen  Darmcanal  bis  zum  .\fter.  Sie  erscheinen  als  kleine, 
weissgelbliche  Pusteln,  die  bald  früher,  bald  später  platzen  und  kleine,  ro- 
the ,  runde  Geschwürchen  von  der  Grösse  einer  Linse  bilden ,  w  eiche  hefti- 
ges Brennen,  das  durch  den  Genuss  von  Speisen  vermehrt  wird,  verursachen. 
Nicht  selten  fliessen  die  weissen  Flecken  ohne  Pustelbildung  zusammen ,  es 
bilden  sich  breite,  milchweisse  Flecken,  durch  die  man  auf  der  Zunge  die 
Zungenwärzchen  roth  durchschimmern  sieht.  Das  Übel  währt  ohne  Hülfe 
wochenlang.  In  seltenen  Fällen  sind  die  Flecken  bleifarben ,  schw  arz ,  ver- 
breiten einen  üblen  Geruch,  entzünden  Schlund  und  Luftröhre  (asthenische, 
brandige  Schwämmchen),  und  können  den  Tod  herbeiführen.  Cur.  Ent- 
stehen Schwämmchen  bei  sonst  gesunden  Kindern,  so  gebe  man  innerlich 
etwas  Tinct.  rhei  mit  Aq.  foeniculi  und  Syr.  mannae,  und  lasse  den  Mund 
mit  Borax  3|v,  Meli,  rosar.  3Jli  pinseln.  Zuweilen  erscheinen  die  Aphthen 
als  Symptom  gastrischer  Fieber,  die  oft  nur  sehr  leicht  sind  und  unrichtig 
den  Namen  Angina  herpetica  erhalten  haben.  Hier  dienen  äusserlich  zum 
Pinäelu   der  genannte  Saft    aus   Borax    und  Kosenhonig,    innerlich    Salmiak, 


APHTHAB  157 

Tamarinden,  kleine  Dosen  Tart.  emetic. ;  auch  ist  folgender  Pinselsaft  zo 
empfehlen:  I^»  Aquae  calcar.  ustae,  Syrup.  simplic.  ana  ^f^.  M.  {WeniW). 
Heften  asthenische  Aphthen,  bei  Phthisischen  etc.  passt  Folgendes:  ^.r  Bo- 
rrtfis  5jj,  Aquae  Sdlviae  ^j],  Tinct  myrrhae  5jj,  Meli.  deptirati^].M.  (^Wendt). 
Hilft  dies  nicht,  und  werden  die  Aphthen  langwierig,  so  dient  Folgendes: 
IV  Vitriol,  all.  crystaU.  ^js ,  Aq.  rosnrum  gjjj  ,  Syru/p.  7noror.  5Jiv.  \I.  S. 
Zum  Pinseln  {Bercmls).  Gegen  aschgraue,  brandige  Aphthen  (bei  typhösen,, 
putriden  Fiebern)  passt  folgender  Pinselsaft :  IV  Extr.  chinae  fritj.  parat.  5]], 
Aq.  rutae  gjj,  Spirit.  sah  dulc.  5jj,  Meli,  rosati  jj.  M.  (^Wendt).  Bei  Säug- 
lingen werden  die  Aphthen  am  besten  durch  tägliches  Auswaschen  des  Mun- 
des mit  kaltem  Wasser,  durch  einen  TheelöfFel  voll  kaltes  Wasser,  das  man 
täglich  ein-  bis  zweimal  den  Säugling  \'erschlucken  lässt,  gehoben.  Bei  den 
so  beschwerlichen  Schsvämmchen  der  Schwindsüchtigen  im  Stadio  coUiqua^ 
tionis  dienen  ausser  dem  angeführten  Pinselsafte  innerlich:  I^  Sacchnri  sa- 
turni  gr.  jj,  Opü  purissimi  gr.  iv,  Liquirit,  coctae  ^iv.  M.  f.  pulv.  divide 
in  vjjj  p.  aequal.  S.  Abends  und  Morgens  ein  Pulver.  Besonders  indicirt 
ist  dies  Mittel  bei  den  colliquativen  Diarrhöen.  In  hohen  Graden  des  Faid- 
fiebers  entstehen  oft  sehr  schlimme  Aphthen,  welche  eine  besondere  Behand- 
lung erfordern  (s.  Febris  putrida).  Früher  hielt  man  die  Aphthen  für 
kleine  Geschwürchen,  Exulceration ;  sie  sind  aber  richtiger  als  ein  eigen- 
thümliches  Exanthem  der  Schleimhäute  zu  betrachten,  das  zu  den  \esiculi8 
gehört  ( JT'illaii).  Kommt  das  Übel ,  was  der  häufigste  Fall  ist,  bei  Kindero 
vor  (^j^phthac  neonatorum  seu  lactantiwn,  Lactucimina ,  Lactumina^ ;  so  er- 
scheint es  am  häufigsten  im  ersten  Lebensjahre  ,  selbst  zuweilen  gleich  nach 
der  Geburt.  Die  vorzüglichsten  Ursachen  sind:  gastrische  Beschwerden 
des  Kindes,  schlechte  Ammenmilch,  Dyskrasien  der  Stillenden,  erhitzende 
Diät,  Gemüthsbewegungen  derselben,  Missbrauch  der  sogenannten  Lutsch- 
beutel, unreine  Luft,  vernachlässigtes  Waschen  und  Baden,  zu  grosse  Wärme, 
feuchte ,  moderige  Stubenluft,  In  feuchten  Zimmern ,  wo  an  den  Wänden 
Schimmel  und  Schwamm  bemerkt  werden,  leiden  die  Säuglinge  fast  immer 
an  Aphthen ;  häufig  finden  sie  sich  auch  bei  aufgefütterten  Kindern.  Nicht 
immer  ist  das  Übel  ein  örtliches,  häufig  leidet  der  Gesammtorganismus  da- 
bei, oder  ist  schon  vor  dem  Ausbruche  des  Übels  krank.  Daher  sind  Vor- 
boten oft  da,  als:  Unruhe,  Schlaflosigkeit,  Schwerathraen ,  Heiserkeit  der 
Kinder,  übler  Mundgeruch,  Leibesverstopfung,  saures  Erbrechen,  periodi- 
sches Schluchzen.  Alsdann  wird  das  Säugen  beschwerlich,  die  Zunge  schwillt 
etwas  an,  wird  trocken,  in  der  Mitte  pergamentartig,  ihre  Warzen  verlän- 
gern sich,  so  dass  sie  über  die  Oberfläche  hervorragen,  und  Mund  und  Hai» 
sind  geröthet  und  empfindlich.  Nun  erscheinen  die  Schwämmchen  zuerst  an 
den  Rändern  der  Zunge ,  an  der  Innern  Fläche  der  Mundwinkel  und  Lippen, 
und  zwar  zuerst  als  rothe  Flecke,  die  ein  weisses,  trübes  Bläschen  haben, 
das  sich  bald  in  einen  ^Yeisslichen  Schorf,  der  geronnenen  Milch  gleichend, 
verwandelt,  nach  kurzer  Zeit  sich  ablöst  und  eine  glatte,  rothe  Oberfläche 
zurücklässt.  Hierauf  bilden  sich  wieder  neue  Bläschen,  und  so  wiederholt 
sich  der  Verlauf  wol  6 — 8mal.  Das  Übel  dehnt  sich  nun  auf  die  ganze  in- 
nere Mund  -  und  Rachenfläche  aus ,  so  dass  sie  mit  einer  weisslichen  Borke 
bedeckt  erscheint  und  das  Saugen  dem  Kinde  immer  mehr  erschwert  wird. 
Manche  Aphthen  werden  bläulich,  schwärzlich,  manche  verschwären  unter 
den  Borken ,  und  greifen  dann  mehr  nach  Breite  und  Tiefe  um  sich ;  die 
Theile  schmerzen  sehr ,  luid  nicht  blos  das  Saugen,  auch  das  Schlucken  wird 
sehr  erschwert;  dabei  speicheln  die  Kinder  viel,  und  der  Speichel  ist  oft 
selbst  blutig.  Die  Aphthen  verbreiten  sich  darm  oft  durch  den  ganzen  Tra- 
ctus  intestinalis,  wie  Sectionen  gezeigt  haben  (s.  Camerarius  Thes.  med. 
pract.  Tub.  1693.  Ridlin  Lin.  Med.  1700.  p.  249.),  selbst  am  After,  an 
den  Genitalien  sind  sie  mitunter  sichtbar.  Dann  gesellen  sich  Erbrechen, 
Diarrhöen,  Tenesmus,  selbst  Fieber  und  Abmagerung,  und  Krämpfe  hinzu, 
die  mitunter  tödtlich  werden.  Je  länger  das  Übel  dauert,  desto  schlimmer 
ists.  Ich  habe  Kinder  behandelt,  die  Monate  lang  an  Schwämmchen  gelit- 
ten hatten.     Ist  da»  Übel  erst  einige  Tage  alt,    so  lässt  es  sich  ineist  bei 


158  APHTHAE 

guter  Behandlung  binnen  8  Tagen  Ireilen.  —  Bei  der  Cur  der  Aphthen  der 
Säuglinge  beseitige  man,  nach  Blnsius ,  zuerst  die  Ursachen ,  und  darauf  be- 
ruhet auch  die  Prophylaxis  des  Übels.  Ausser  sorgfältiger  Reinlichkeit  und 
Vermeidung  von  Allem,  was  die  Hautthätigkeit  stört,  ist  vorzüglich  auf  den 
Zustand  des  Magens  Rücksicht  zu  nehmen,  und  in  dieser  Hinsicht  verdient 
die  Nahrung  des  Kindes  besonders  beachtet  zu  werden.  Ist  dasselbe  an  der 
Brust,  so  regulire  man  Diät  und  Lebensweise  der  Säugenden;  wo  dies  nicht 
geht,  da  schaffe  man  eine  andere  Amme  an  oder  entwöhne  das  Kind,  wenn 
es  schon  6  Monate  und  älter  ist.  Oft  trinkt  das  Kind  zwar  gute  Milch, 
aber  in  zu  grosser  Quantität,  so  dass  der  Magen  belästigt  wird.  Der  Mund 
des  Kindes  muss  sehr  reinlich  gehalten  und  täglich  öfter  mit  kaltem  Was- 
ser ausgespült  werden.  Blasius  räth  bei  Säure  in  den  ersten  Wegen  zuerst 
ein  Brechmittel  aus  Vinum  stibiat.  zu  reicherf.  Dies  ist  theils  überflüssig, 
theils  schädlich,  indem  es  die  Digestionsorgane  zu  sehr  reizt,  und  wir  durch 
Liq.  kali  carbon.,  durch  Ocul.  cancror.  und  Magnesia  mit  Rheum  die  Säure 
bald  tilgen  und  den  Darmcanal  besänftigen  können.  Ist  das  Übel  alt,  der 
Darmcanal  voll  Aphthen  ,  sind  Diarrhöen  da ,  so  gebe  man  Salep ,  Columbo 
mit  Natr.  nitric. ,  aber  keine  Piu-girmittel.  Unter  den  äusserlichen  Mitteln 
fand  ich  Aq.  calcis  mit  Syrup  zu  gleichen  Theilen ,  zum  Pinseln  weit  wirk- 
samer, als  den  Borax.  Ist  der  Reiz  sehr  gross,  der  Mund  selir  schmerz- 
haft, zumal  in  der  Zeit,  wo  die  Krusten  abfallen,  so  dienen  nur  Mucilagi- 
nosa,  z.  B.  Milchrahm,  Eigelb  und  Syr.  papav.  zum  Pinseln  (van  Swieieti). 
Sind  die  Aphthen  hartnäckig,  livide,  dunkelblau,  so  lasse  man  mit  Folgen- 
dem pinseln :  f^  Sjrup.  mororum  3JJ ,  Acid.  sulphur.  diluü  gtt.  xxx  bis  lx  ; 
oder  ^t  Zinci  siilphurici  gr.  jj ,  Syr.  mororum  gjj ,  darneben  zum  Ausspülen 
des  Mundes  Decoct.  quercus ,  chinae ,  cascarillae.  Die  Schwämmchen  der 
Erwachsenen  (Aphthae  ndultoruni}  sind  stets  etwas  Symptomatisches,  und 
häufig  der  Begleiter  gastrischer,  galliger  und  katarrhalischer  Fieber,  znmal 
im  Herbste.  Auch  bei  Febris  putrida  »uid  bei  allen  Leiden  mit  CoUiquatio- 
nen ,  am  Ende  der  Atrophie ,  der  Scrophelkrankheit ,  der  Lungenschwind- 
sucht ,  der  Phthisis  hepatica,  renalis,  bei  Ruhren,  Wassersuchten ,  Chlorose, 
Scorbut,  stellen  sie  sich  ein.  Dürr  beobachtete  metastatische  Aphthen,  ent- 
standen durch  Unterdrückung  eines  Schleimtlusses  (s.  Hufelnnd's  Journ.  Bd. 
IX.  St.  3.  S.  177.).  Nicht  selten  verwechseln  die  Laien  die  Aphthen  mit 
Miliaria,  zumal  am  After,  da  beide  Übel  Ähnlichkeit  haben,  wie  schon  de 
Haen  (Opusc.  inedit.  P.  I.  1.  Nr.  21.)  bemerkt.  Auch  hier  ist  die  Behand- 
lung des  Grundübels  die  Hauptsache.  Da  dieses  oft  aber  unheilbar  ist,  so 
müssen  wir  eine  symptomatische,  palliative  Cur  in  Anwendung  bringen;  da- 
her schleimige,  beruhigende,  adstringirende  Phiselsäfte  und  Gurgelwasser: 
Solut.  aluminis ,  Tinct.  katechu  mit  6  Theilen  Wasser  vermischt ,  bei  fauli- 
ger Beschaffenheit  Aqua  oxymuriatica,  Decoct.  chinae  und  Acid.  sulphuri- 
cum  etc.  anwenden.  Rlitunter  hat  man  auch  die  Aphthen  epidemisch,  selbst 
contagiös  mit  Fieber  (Febi'is  aphthosa)  beobachtet  (s.  van  Swieien  Comment. 
in  Boerh.  Aphor.  T.  III.  p.  197.  Lentiii's  Beiträge  etc.  p.  246.  Colomhier 
in  Hist.  de  la  Societe  R.  de  M6decine  a.  1779.  p.  186.).  Diese  Febris 
aphthosa  ist  häufig  die  Folge  erhöhter  Venosität  oder  venöser  Dyskrasie  des 
Blutes  (Behrens^.  Willan  und  Baieman  beschreiben  noch  eine  dritte  Spe- 
cies ,  die  Aphtha  anginosa,  welche  bei  Frauenzimmern  und  Kindern  nach 
leichtem  Fieber  und  Angina  catarrhalis  im  Munde,  an  den  Seiten  der  Zunge 
erscheint.  Das  Übel  dauert  oft  3  Wochen  und  länger,  und  scheint  in  rheu- 
matischen Ursachen,  schlechter  Kost  und  eingeathmeten  schädlichen  Dingen 
seine  Veranlassung  zu  finden ;  daher  es  bei  Personen  vorkommt ,  die  viel  mit 
Kranken  umgehen,  die  an  confluirenden  Blattern,  an  bösartigen  Fiebern,  an 
Scarlatina  leiden.  Gefährlich  ist  das  Übel  nicht;  nur  eine  geregelte  Diät 
und  bei  Trägheit  des  Darmcanals  gelinde  Laxirmittel  sind  nützlich;  dage- 
gen Blutegel  und  Vesicatorion  mehr  schädlich  als  nützlich  schienen  (s.  Bla- 
sius in  Itust^s  Handb.  d.  Chirurgie,  Bd.  II.  S.  187.  Arnemann  Comment.  de 
aphthis.  Gotting.  1787.  StarJ;c,  Abhandl.  v.  d.  Schwämmchen.  Jena,  1748. 
Leniin  in  den  Abhandl.  für  prakt,  Ärzte.  Bd.  XV.  Stück  3.  S.  435.     Aetius 


APNOEA  —  APOLEPSIS  159 

Tetrabibl.  I.   Sermo  4.  cap.  15.     Caspari  Diss.  de  aphthSs.    Gotting.    1797. 
Woost  Diss.  de  aphtliis  infantum.  Viteb.  1790.     Sloll  Aphorism.  p.  273.). 
,     Aphthae  anijinosnc,  s.  Aphthae, 

Aphthne  indicae.  Diese  Art  Aphthen  kommen  vorzüglich  auf  Barbadoes 
und  andern  westindischen  Inseln  vor,  aber  auch  sonst  in  warmen  Ländern, 
selbst  in  England.  Nur  alte  Personen,  nie  Kinder,  werden  davon  ergriffen. 
Sie  sind  ohne  Fieber  und  können  mit  kurzen  Intervallen  Jahre  lang  dauern, 
bei  Vernachlässigung  auch  wol  früher  tödten  Die  Ursachen  sind  unbe- 
kannt. Symptome:  Zuerst  brennendes  Gefühl  in  der  Magengegend ,  wor- 
auf sich  zählreiche  Bläschen,  einen  Stecknadelknopf  gross,  im  Munde  ver- 
breitet, eine  scharfe,  durchsichtige  Lymphe  enthaltend,  zeigen.  Die  Haut 
über  ihiien  löst  sich  ab  und  lässt  eine  rothe ,  nie  geschwürige  Schärfe  zu- 
rück, so  dass  dadurch  die  Zunge  wie  ein  Stück  rohes  Fleisch  aussieht.  Zu- 
weilen verschwinden  sie  im  Munde  und  gehen  in  den  Magen  und  Darmcanal, 
erscheinen  auch  wol  an  den  Genitalien,  erregen  Erbrechen,  Durchfalle. 
Dann  gesellt  sich  grosse  Schwäche,  Trockenheit  der  Haut,  kleiner,  matter 
Puls,  Zehrfieber,  Abzehrung  hinzu,  und  so  folgt  dann  der  Tod  (^Blasius). 

Aphthne  leprosae.  Bei  Lepra  occidentalis ,  Elephantiasis ,  bei  Radesyge, 
Morbus  dithmarsicus ,  bei  der  krimmischen  Krankheit  etc.  leiden  die  gastro- 
pulmonalen  Schleimhäute  mit ;  sie  werden  von  Tuberkeln  befallen ,  welch« 
in  Geschwüre  übergehen ,  die  mit  syphilitischen  Geschwüren  Ähnlichkeit  ha- 
ben, aber  weniger  Schmerzen  erregen.  Diesen  Zustand  hat  man  Aphtha« 
leprosae  genannt.     S.  Lepra  und  Syphilis  spuria. 

Aphthae  mercnrialcs.  Sie  entstehen  oft  beim  Speichelfluss,  durch  Mer- 
cur  hervorgebracht.     S.  Febris   salivalis   und  Syphilis  spuria  Nr,  8. 

Apltthnc  neonatorum,  s.  Aphthae. 

Aphthae  sijphiliticae,    s.  Syphilis,    Ulcus  syphiliticum. 

Apnoea>9  Athemlosigkeit,  Erstickung.  Ist  ein  gewöhnliches 
Symptom  der  Asphyxie,  besonders  dui'ch  Ertrinken,  Ei'hängen,  Ersticken; 
gewöhnlich  geht  Schwerathmen  (Dyspnoea)  vorher.  Behandlung.  Sie 
richtet  sich  nach  den  Ursachen  der  Erstickung.  Fremde,  verschluckte  Kör- 
per in  den  Luftwegen  oder  in  der  Speiseröhre  müssen  entfernt  werden;  ist 
dies  nicht  gleich  möglich  und  die  Erstickungsgefahr  gross,  so  muss  mit  der 
Tracheotomie  nicht  gesäumt  werden.  Auch  hat  bei  acuter  und  chronischer 
Laryngitis  diese  Operation  schon  das  Leben  gerettet  ( Cooper  in  Froriep's 
Notizen,  1829.  Nr.  497.).  Die  Symptome  der  Apnoe:  grosse  Angst, 
höchst  beschwerliche  Respiration,  blaurothes  Gesicht,  sehr  schneller,  krampf- 
,  hafter  Puls  etc.    kennt  jeder  Arzt. 

Apocatbarsis ,  die  völlige  Reinigung,  besonders  des  Darm- 
canals  durch  Vomitive  und  Laxative. 

Apocenosis,  die  übermässige  Entleerung  der  Gefässe,  z.  B. 
durch  Blutverlust. 

Apocrisia,  Apocrisis.  Ist  Entfernung  überflüssiger  und 
krankhafter  Stoffe  durch  kritische  Ausleerungen. 

Apocrustica,  zurücktreibende  Mittel,  wodurch  Zurücktrei- 
bung (Apocrusis)  irgend  eines  kritischen  Ausschlags  etc.  erfolgt.  Einige 
verstehen  darunter  auch  abwehrende  Mittel. 

Apocyesis,  die  Geburt,  das  Gebären,  s.  Partus. 
Apog^alactisinus,  s.  Ablactatio. 

Apolepismus,  Abschuppung,  s.  Desquamatio    cutis. 

Apolepsis,  das  Ausbleiben  des  Athmens,  der  Sprache,  des 
Pulses,  daher  Symptom  des  Scheintodes  (s.  Asphyxia).  Auch  verstehen 
die  neuern  Ärzte  darunter  einen  Mittelzustand  zwischen  Lähmung  und  Schl2ig- 
fluss,  wobei  Bewusstseyn  und  Blutumlauf,  Respiration,  Sprache  und  Bewe- 
gung cessiren  {Kraus),  also  einen  Zustand,  der,  wenn  er  periodisch  ein- 
tritt, mit  Katalepsie  Ähnlichkeit  hat. 


160  APOPHLEGMATISMUS  —  APOPLEXIA 

Apophleg^matismus ,  die  Entfernung  des  Schleims  aus  dem  Kör- 
per durch  schleimausleerende  Älittel ,  z.  B.  beim  Status  pituitosus ,  s.  B 1  e  n  - 
norrhoea  ventriculi  et  int  est inor  u  m. 

*  Apoplexia,  Apilepsis,  Apoplexia  pnrnlysis,  Gutta,  Morlus  attoni- 
tus,  Resoluüo  nenortim,  Sidcratio ,  Schlag,  Schlag fluss,  plötzliche 
Gehirn lähmung.  Der  Schlagfluss  beruhet  auf  schnell  eintretenden  Hem- 
mungen und  Suspensionen  der  receptiven ,  wie  der  reactiven  Sensibilitäts- 
äusserungen im  grossen  und  kleinen  Gehirn  und  in  den  Nervenursprüngen ; 
und  zwar  entweder  in  dem  Gesammtumfange  des  Gehirns  oder  doch  in  den 
innern  und  für  die  Lebenskraft  wesentlichen  Centralpartien  desselben,  oder 
nur  in  einer  oder  der  andern  Hemisphäre  oder  in  einzelnen  Partien  dersel- 
ben, vei'bunden  mit  unmittelbar  auf  solche  centrale  Sensibilitätsniederlage 
folgender  Paralyse  der  Blutgefässe  des  Gehirns  oder  einzelner  Theile  des- 
selben, sowie  der  von  den  gelähmten  Nerven  im  Betreff  ihrer  Function  ab- 
hängigen Muskeln.  Die  Apoplexie  gehört  also  in  die  Kategorie  der  Lähmun- 
gen und  giebt  sich  durch  Suspension  des  Bewusstseyns,  der  Empfindung  und 
Bewegung  bei  fortdauernder  Respiration  und  Blutcirculation  zu  erkennen. 
Zum  klinischen  Zwecke  unterscheidet  man  Apoplexia  sanguinea,  serosa,  ve- 
nosa  und  asthenica  seu  adynamica. 

I.  Apoplexia  sanguinea,  vera,  Blutschlag  fluss.  Es  findet  hier  Blut- 
ergiessung  in  den  Gehirnventrikeln  als  bedingendes  Moment  der  cerebralen 
Sensibilitätsniedei'lage  etc.,  eine  Überwältigung  des  Gehirns  durchs  Blut  statt. 
Symptome:  rothes ,  aufgedunsenes ,  bläuliches  Gesicht ,  Aufschwellen  der 
Kopfgefässe,  hervorgetriebene  Augen,  harter,  voller,  meist  langsamer  Puls, 
tiefe,  schnarchende  Respiration  mit  Schaum  vor  dem  Munde,  Hitze  am  Kopfe, 
an  der  Brust ;  diese  Zufälle,  verbunden  mit  Mangel  an  Empfindung,  Bewusst- 
seyn  und  Bew egung ,  treten  plötzlich  ein ,  daher  der  Name.  Ursachen. 
Am  meisten  disponirt  zum  Schlagfluss  sind  Menschen  mit  Habitus  apoplecti- 
cus.  Dieser  ist  kenntlich  durch  einen  kurzen,  dicken  Hals,  breite  Schultern, 
untersetzten  Körperbau,  aufgetriebenes,  rothes  Gesicht,  häufig  rothe  Augen, 
Neigung  zu  periodischem  Schwindel ,  solchem  Nasenbluten ,  Flimmern  vor 
den  Augen  beim  Bücken,  Anschwellung  der  Halsvenen,  Neigung  zu  Fett- 
leibigkeit, unruhige  Träume,  grosse  Nervenreizbarkeit,  dabei  aber  durch 
Atonie  des  Körpers ,  durch  ein  stark  entwickeltes  Knochengebäude ,  durch 
einen  grossen  Kopf,  durch  starken  Appetit,  Neigung  zu  geistigen  Getränken, 
durch  Trägheit,  oft  aber  auch  durch  vielen  Geist.  Gelegentliche  Ursachen 
sind :  organische  Fehler  des  Gehirns ,  besonders  chronische  Entzündung  der 
Hirngefässe  (Botdllaud) ,  Fehler  des  Herzens  und  der  grossen  Gefässe ,  Ab- 
normitäten der  Unterleibseingeweide,  Krümmungen  der  Wirbelsäule,  Man- 
gel des  siebenten  Halbwirbels  (nicht  selten  bei  Habitus  apoplecticus),  Asthma, 
Brustwassersucht ,  zu  heftige  Geistes  -  und  Körperanstrengungen,  Ausschwei- 
fungen in  Baccho  et  Venere,  Mangel  an  reiner  Luft,  schneller  Temperatur- 
wechsel ,  nasskalte ,  veränderliche  Luft  neben  besondern ,  noch  nicht  genug 
erkannten  Einflüssen  der  Luftelektricität  (daher  die  häufigsten  Schlagflüsse 
in  der  Aquinoctialzeit ,  in  den  Monaten  Januar,  Februar,  Juli,  August  und 
September;  ihr  häufiges  Vorkoimnen  in  Neapel,  Holland,  Seeland);  die 
grösste  Disposition  giebt  das  männliche  Geschlecht,  besonders  zwischen  dem 
40sten  und  öOsten  Lebensjahre ,  nicht  selten  aber  auch  das  höhere  Alter  bei 
luxuriöser  Lebensart  und  Mangel  an  Bewegung  des  Körpers ,  an  Geistesbe- 
Bchäftigung.  Ferner  begünstigen  den  Schlagfluss:  Vollblütigkeit  des  Kör- 
pers, Erstickung  im  Wasser  (s.  Asphyxia),  Erdrosseln,  Einwirkung  ho- 
her Kältegrade,  entzündliche,  gastrische,  gallige  Fieber  bei  vollblütigen 
Subjecten ,  plötzlich  unterdrückte  Hämorrhoiden,  Katamenien,  Lochien,  Un- 
terlassung gewohnter  Blntentziehungen ,  überhaupt  Alles ,  w  as  Congestionen 
nach  dem  Gehirn  und  Extravasirung  von  Blut  in  dasselbe  zu  bewirken  im 
Stande  ist ;  daher  Missbrauch  narkotischer ,  bitterer  Mittel ,  stark  gehopfter  1 
Biere,  Neigung  zu  anhaltender  Leibes  Verstopfung  etc.  Vorboten,  die  Ta- 
ge ,  Monate ,  selbst  Jahre  lang  vorhergehen  können ,  sind :  Schwindel ,  Mü- 
digkeit,   Einschlafen    der    Glieder,    Kopfweh,    besonders   am   Hinterhaupte,, 


APOPLEXIA  161 

Stottern,  plötzliches  Erbrechen,  Gedächtnissschwäche,  unruhiger  Schlaf, 
grosse  Schläfrigkeit,  Reissen- und  Ameisenkriechen  in  den  Gliedern,  mannig- 
faltige spastische,  hypochondrische,  hysterische  Affectionen,  wankender  Gang, 
Klingen  und  Sausen  vor  den  Ohren,  Gliederzittern,  Incubus,  Amblyopie, 
Dysphagie,  Trismus,  kleine  Zuckungen  einzelner  Gesichtsmuskeln,  Druck 
in  der  Nasenwurzel  etc.  Kurz  vor  dem  Anfalle  verstärken  sich  diese  Vor- 
boten. Es  entstehen  drückende  Kopfschmerzen,  Kriebeln  in  der  Stirn,  zie- 
hender Schmerz  im  Nacken,  Angst,  Steifheit  in  der  Zunge,  stammelnde  Spra- 
che ,  Speichelfluss ,  und  unter  gewaltigen  Verdrehungen  des  Kopfs ,  Zucken 
der  Gesichtsmuskeln  und  convulsivischen  Bewegungen  der  Arme  nach  dem 
Kopfe,  der  Zunge,  dem  Herzen  und  dem  Unterleibe  tritt  der  apoplektische 
Anfall  (insultus  apoplecticus)  ein.  Diese  Art  Schlagfluss  tödtet  immer  erst 
nach  mehreren  Stunden ,  hinterlässt  aber  oft  Lähmungen ,  besonders  an  der 
einen  (meist  linken)  Körperhälfte,  Glossoplegie,  Gesichtslähmung,  Dysphagia 
paralytica,  Ptosis  palpebrarum,  eben  so  gut  aber  auch  Gedächtnissschwäche, 
Stumpfsinn;  Blödsinn,  Albernheit,  eine  Art  Weichmüthigkeit ,  Verlust  der 
Sprache,  Epilepsie,  Wassersucht  etc.  Es  kann  aber  auch  völlige -Genesung 
durch  kritische  Schweisse,  Bluttiüsse,  Diarrhöen,  kritischen  Urin  erfolgen, 
oft  wird  der  Tod  erst  durch  ein  Recidiv  herbeigeführt;  das  Extravasat  kann 
endlich  auch  resorbirt  werden,  indem  sich  um  dasselbe  eine  zarte  aushau- 
chende und  einsaugende  Membran,  die  der  serösen  analog  ist,  bildet,  durch 
ausgehauchtes  Serum  das  Extravasat  zuerst  erweicht  und  dann  resorbirt. 
Dieses  Blutextravasat  bei  Apopl.  sanguinea  erfolgt  durch  Exhalation  des 
Bluts   aus  den  Capillarge fassen ,   nicht  selten  aber   auch  durch  Zerreissung 

von  Arterien  oder  Venen  im   Gehirn. 

■  ■■ ,  I 

II.  Apojilexia  serosa,  seröser  Schlagfluss,  Gehirnlähmung  als  Folge 
von  Exsudation  seröser  und  lymphatischer  Feuchtigkeiten  in  die  Cavitäten 
des  Gehirns  und  der  Medulla  oblongata.  Es  kommt  diese  Species  von  Ap9.- 
plexie  als  Ausgang  der  Encephalitis,  beim  innern  Wasserkopfe,  'als  Folge 
von  rheumatischen,  arthritischen,  exanthematischen  und  erysipelatösen  Meta- 
stasen, bei  sehr  geschwächten  kachektischen  Subjecten,  besonders  auch  im 
höhern  Alter  vor.  Symptome.  Vorboten  sind:  Sopor  und  heftjger  Kopf- 
schmerz; beim  Anfalle  fehlen  die  Zeichen  der  Blutcongestion  zum  Kopfe; 
blasses  Gesicht,  verminderte  Haut-  und  Nerventhätigkeit ,  schwacher  Puls, 
leise,  freie,  nicht  röchelnde  Respiration,  Mangel  an  Empfindung,  Bewegung. 

III.  Apoplexia  venosa,  venöser  Schlagfluss.  Die  Gehirnläluwung 
(Suspension  des  Bewusstseyns,  der  Empfindung  und  willkürlichen  Bewegung) 
ist  hier  Folge  einer  venösen  Dyskrasie,  einer  anomalen  Mischung  des  Venen-, 
aber  auch  wol  des  arteriellen  Blutes  wegen  nicht  hinreichender  ,  Erregung 
und  Belebung  des  Gehirns  und  der  Nervenursprünge.  Es  finden  hier  oft 
blutige  Extravasate,  öfter  aber  nur  Überfüllung  des  Centralgefässsystems  mit 
einem  dunklen  Blute  statt.  Ursachen  sind:  das  EInathmen  irrespiraMer 
Gasarten,  Hindernisse  d^s  Bluts  im  Unterleibe,  Melaena,  Hypochondrie,  be- 
sonders zugleich  bei  Habitus  apoplecticus,  bei  atrabilarjscher  Constitution. 
Eine  Abart  der  venösen  Apoplexie  ist  die  pituitöse,  Apoplexia  pituitosa,  als 
Folge  der  pituitösen  Dyskrasie  zu  betrachten.  Das  Blut  ist  hier  arm  an  er- 
regendem Einflüsse  aufs  Nervensystem,  und  dieses  muss  daher  in  einen  tor- 
piden Zustand  verfallen.  Es  kommt  diese  Form  des  Schlagflusses],  die  man 
auch  Apoplexia  torpida  nennen  kann,  nur  im,  hohem  Alter,  bei  phlegmati- 
schen Constitutionen  vor.  Symptome  sind:  bleiches  Gesicht,  «Mangel  an 
Bewusstseyn,  Bewegung  und  Empfindung,  leukophlegmatisches  Ansehn,  da- 
her aufgedunsene  teigige  Haut,  ))esonders  im  Gesichte,  die  Respiration  ist 
röchelnd,  und  in  den  meisten  Fällen  tritt  Stickfluss  (Apoplexia  pulmonum») 
hinzu. 

IV.  Apoplexia  nsthenica,  ndynnmica,  asthenischer,  adynamischer 
Schlagfluss.  Hier  kann  man  zwei  Arten  unterscheiden.  A)  Apopleonn 
ttsthenica  sensu  strictiori,  asthenischer  Schlagfluss  im  engern  Sinne. 
Idiopathische,  vom  Gehirn  ausgehende  Hemmung  der  Sensibilitätsäusserungen 

Most  Enejklopädie.  2te  Aufl.  I.  H 


162  APOPLEXIA 

desselben,  Erschöpfung  der  Vitalität  des  Gehirns,  entweder  partielle  oder 
allgemeine ,  Hemmung  des  Bewiisstseyns ,  der  Empfindung  un4  willkürlichen 
Bewegung  charakterisiren  diese  Form.  Sie  hat  selten  Vorboten,  es  sey  denn, 
dass  man  die  ihr  vorhergehenden  Leiden,  ihre  gelegentlichen  Ursachen 
hierher  rechnete.  Diese  sind :  heftige,  anhaltende  Schmerzen,  wie  z.  B.  beim 
Durchgange  von  Harn-  oder  Gallensteinen  durch  die  Ureteren  und  den  Du- 
ctus choledochus,  bei  schweren  Geburten,  b^  langdauernden  Neuralgien, 
heftigen  Ki-ämpfen  und  Convulsionen  (NB.  ex  inanitione  ortis  M.).  Diese 
Apoplexie  ist  auch  das  Finale  bedeutender  chronischer,  die  Kräfte  erschöpfen- 
der Krankheiten ,  die  Folge  verekelter  Naturkrisen  wegen  Kraftmangels,  was 
zuweilen  bei  acuten  Fiebern ,  beim  Tj'phus ,  bei  Entsfvickelung  der  Gelenk- 
gicht der  Fall  ist;  nervöse  Fieber  enden  im  Stadio  acraes,  wie  in  dem  der 
Reconvalescenz  {HufeJand,  Tott)  oft  mit  dieser  asthenischen  Apoplexie.  Die 
Zeichen  von  Blutandrang  nach  dem  Kopfe  fehlen  hier,  das  Gesicht  ist  bleiclv, 
verfallen,  der  Aderschlag  schwindet  alhnällig,  der  Athem  dauert  ruhig  und 
leise  fort,  die  Hauttempei'atur  ist  vermindert,  Gesidht  und  Extremitäten  sind 
-kalt,  das  Übel  ist  meist  unheilbar,  und  es  ikann  blitzesschnell  tödten;  He- 
miplegie oder  partielle  Lähmungen  felüen,  folgen  hier  auch  niemals,  ^^ie  bei 
Apoplexia  sanguineä,-  und  der  ganze  Zustaad  hat  oft  das  Anselin  einer  tißr 
fen  Ohnmacht  (s.  Asphyxia).  ß)  Apoplexia  nervosa  seu  spasmodicn,  ner- 
vöser, ktarapfhafter  Schlagfluss.  Ist  ein  krampfhafter,  der  Asphyxie 
ähnlicher  Zustand,  als  Folge  der  voiher  schon  im  hohen  Grade  gesteigerten 
Empfindlichkeit  des  Gehirns  und  Nervensystems^  wobei  die  Recepti-tität  leicht 
^erschöpf bar  ist  und  daher  unterliegt.  Hypochondristen ,  Hysterische,  Kata- 
leptische  haben  die  meiste  Anlage  zu  dieset  Krankheitsform,  die  daher  auch 
häufig  mit  Ekstase. zusammentrifft  (^Sundelhi,  Tott}.  Starke  Gemüthsbewe- 
gungeh,  lieftige  Sintreseindrütke ,  heftige,  selbst  angenehme  Gerüche  sind 
oft  Gelegehheitsursache».  Symptome  sind:  ohnmachtartiges,  asphyktisches 
"Änsehn|,  trockne,,  verschlossene  Haut,  wassei-heller  Ürip ,  spastische,  convul- 
'^vische 'Bewegungen  der  Glieder,  nervöse  Constitution  mit  obwaltender  In- 
"temperatur  des  ganzen  Nervensystems.  Eine  für  die  Praxis  wichtige  Ein- 
'thefilung  des  Schlagttnsses  ist  die  in  Apoplexia  idiopatMca,  welche  vom  Ger- 
liim  ausgeht,  und  in  Apoplexia  sywpnthicu,  %\Qhei  heftig  \nrken<\e  gröberb 
^Reize  atif  entferntere  Nervenpartien  (Rüclcemriark,  Gangliensystem)  die  Ge- 
Ifirnfunction  sympathisch  suspendiren,  z.  B.  gastrische  Reize  durch  Überla- 
dung des  Magens,  durch  Würmer  (Apoplexia  stomachica);  auch  schnelle, 
beschleonigte  Entbindungen  erregen  oft  diese  Form.  Abarten  dieser  Species 
;sind  die  Apoplexia  aus  iftirückgetretener  anomaler  "Gicht,  ans  rheumatische^ 
Dyskrasie^  die  bald  mehr  eine  entzündlidiie ,  bald  mehr  eine  astbeniscite  Na- 
turzeigen;  ferner  die  Apoplexia  ehrioTutH,ietni(len1a,  Säuferschlag,  die 
meistens  wol  zur  Classe  des  Blutschlagflufss^s  gehört;  femer  die  Apoplexia 
toxicn  et  mejihiticn  als  Folge  der  Einwirkung  narkotischer  Gifte  oder  öiephi- 
t&cher  Gasarten;  die  Apoplexia  durch  Blitzstrahl,  Öie  mtsist  "astheni- 
-scher  Natur  ist;  die  Apoplexia  congelatoruvi ,  die  m  die  Kategorie  ^es  Bhrt- 
schlagflusses  gehört  (s.  Asphyxia  durch  Frost).  Noch  sind  hier  zu  er- 
wähnen: Apoplexia  epilepticorum ,  sie  ist  bald  eitie  Apopl.  sanguinea,  ba4d 
asthenica;  Apoplexia  ekhatiMormn ,  Schlag  durch  Erschöpfting;  sie  ge- 
hört zur  A.  asthenica  sensu  strictiori;  Apoplexia  pathematica,  erregt  am  häu- 
:&gsten  Herz  -  und  Lnngenlähmung,  seltener  Cerebralschlag  (s.  Asphyxia); 
Apopleäna  iraumnticH  als  Folge  von  Hirnverwundung,  Knochensplittern  im 
•Gehirn  etc.^  gehört  in  den  meisten  Fällen  zur  Classe  der  A.  sanguinea,  sel- 
tener der  A.  serosa;  eine  Abart  davon  ist  d*e  Apoplema  thUpticn^  die  ^urch 
eingedrückte  Knochenstücke,  Exostosen,  Geschwülste,  Abscesse  im  Gehirn, 
'durch  Druck  aufe  Gehirn  und  die  Medulla  oblbng«ta  entsteht. 

Apoplexia  mctnstatica ,  als  Folge  unterdrückter  Schweisse,  Ausschläge, 
habitueller  Helkosen,  gehemmter  Urinabsortderung ,  endet  entweder  durch 
vicariirende  Diurese,  Diarrhöen,  Katarrh,  oder  sie  bleibt  als  solche  beste-r 
hen  und  ist  entweder  mit  enlaüudlichen ,  congestiveii  Zu£llleu  verbujiden, 
oder  sie  trägt  den  Charakter  der  A.  asthenica  an  sich. 


APOPLEXIA  163 

Apoplexia  myeJUien  seu  medujlaris,  Küqkenniarksschlag;  geht  vom 

Ruckenmarke  und  der  M^diilla  oblongata  aus,  erzeugt  leicht  Lähmungen  de» 
Rumpfes,  bedarf  aber  noch  genauerer  Untersuchungen.  So  wie  die  Apoplexia 
cerebralis  als  Blut  -  oder  Nervenschlagfluss  auftreten  kann,  eben  so  können 
auf  dieselbe  Weise  Schlagflüsse  entstehen ,  wenn  die  jene  beiden  Formen  be^ 
dingenden  Ursachen  die  dejn  Herzen  zugehörige  Partie  des  Rückenmarks  und 
seine  Nerven  betreffen,  und  dadurch  seine  Vitalität  auflieben  und  vernichten. 
Fälle  der  Art  haben  du  Hamel,  Gautier  de  Clnubry  u.  A.  mitgetheilt  {Har- 
less  Jahrbücher  der  deutsch.  Medicin.  Bd.  H.  Hft.  2.  S.  250  u.  263.  Dess. 
neues  Journ.  d.  ausl.  med.  Lit,  Bd.  IX.  St.  2.  S.  181.  Cael.  Aiirelian  de 
tard.  passionib.  Libr.  II.  c.  1.  p.  348.).  Viele  hieher  gehörige  Fälle  findet 
man  unter  der  Rubrik  Asphyxie  und  Syncope  in  altern  Schriften  aufgeführt 
(s.  auch  C,  Hohnhnum   über  den  Lungenschlagfluss  etc.   1817.  S.  25  —  56.). 

Apoplexin  periodica.  Sie  ist  ein  larvittes  Wechselfieber  oder  der  Be- 
gleiter der  Febris  intermittens  perniciosa,  coinatosa,  apoplecüca  (TortL 
Werlhof). 

Apoplexia  pulmonum,  der  Lungenschlagflusg.  Über  diese  Krank- 
heit hat  C.  HoJmhaum  (Über  den  Lungenschlagfluss,  nebst  Einleitung  über 
Schlagflüsse  überhaupt,  Briangen  1817.)  eine  lesenswerthe  Monographie  ge- 
schrieben. In  der  Vorrrede  bemerkt  er  ganz  richtig,  dass  nicht  blos  das 
Gehirn,  sondern  alle  mit  Nerven  begabte  Organe  von  dem  Leiden,  welches 
man  Schlagfluss  oder  Lähmung  nennt,  ergriffen  werden  können,  und  dass 
es  daher  eben  so  gut  einen  primären  Tod  des  Herzens  und  der  Lungen,  ala 
des  Gehirns  gebe.  Er  nimmt  nicht,  wie  Lancisius  (de  subitan.  mortibus  Lib.  I. 
c.  12.)  drei,  sondern  vier  Arten  schneller  Todesfälle  an,  nämlich:  Apoplexie 
(Tod  des  Gehirns),  Asphyxia  (Tod  des  Herzens),  Suffbcatio  (Tod  der  Lun- 
gen),  und  Apoplexia  hypogastrica  s.  aldomvunlis,  <l,  i.  Tod  durch  Verletzung 
edler  Organe ,  zumal  der  Nervengeflechte  des  Unte^-leibes ,  der ,  eben  sowoi 
durch  äussere  Gewaltthätigkeiten ,  z.  B.  auf  heftige  Schläge,  Stosse  in  der 
Magengegend,  als  auf  innere,  die  Functionen  jener  Organe  destruirende  Ein- 
flüsse ,  wie  z.  B.  der  Schlagfluss  auf  zu  grosse  Überfüllung  des  Magens  etc. 
erfolgen  kann.  Mit  Unrecht  hat  man  dies^:  Todesfälle  zu  den  consensuellen 
gezählt.  —  Symptome  und  Diagnose  des  Lungenschlagflusses. 
Die  Krankheit  befällt,  nach  Hohnlaim,  meist  Leute,  in  den  besten.  Jahren, 
von  wohlgenährter,  fetter  Leibesbes<5haffenheit.'  Zuweilen  ist  sde  ohne,  zu- 
weilen mit  Vorboten.  Letztere  sind :  kalt^  Hände  und  Füsse ,  Hetzklopfen, 
Schwindel,  Gesichtsverdunkelung,  Gefühl  von  Sphwere  und  Beklemmung 
auf  der  Brust.  Der  Anfall  selbst  tritt  plgt;?lich  ein ;  der  Mensch  ist  seines 
Sinne  nicht  mehr  mächtig;  ^r  fällt  bewu^stlp^  zu  Boden  oder  sucht,  wenn 
er  noch  so  viel  Besinnungskraft  übrig  behält,  irgend  einen  Gegenstand  aa 
erreichen ,  auf  welchen  er  ?ich  stützen  HaP^"-.  Dabei  grosse  Dyspnoe ,  Or-i 
thopnöe  mit  rauschenden»,  röchelndem  Athemholen.  Zuweilen  fehlt  dieser 
Ton  und  das  Athemhoien  hö*t  nach  weinJgQn  Zügen  völlig  auf.'  Mitunter 
ist  Schaiuu  vor  dem  Munde,  das  Gpsicht  bald  rftth;,  bald  nicht  roth.  Die 
Augenlider  sind  geschlossen.  od«r  halb  geöffnet,  mit  nach  oben  gekehrtem, 
starrem  Blick.  Der  Puls  ist  klein,  sehr  schwach,  kaum  fühlbai/,.:das  Ath- 
men  wird  immer  beschwerlicher,  bis  es  endlich  ganz  aufhört;  der  Tod  folgt 
unter  Marmorkälte  der  Glieder  und  Nachlassen  der  SphinktereH.  .  Die  Se-^ 
ction  zeigt  nur  in  der  Brusthöhle  etwas  Abnorraies.  Die  LungBft;  strotzen 
nämlich  ;vQn  theils  flüssigem,  theilp  geronnfinem  dunklen  Blute.:  Dasselbe 
Blut  findpt  man  ijn  rechten  Ventrikel  des  Helens,,  dagegen  der  linke  meist 
leer  ist.  Erholt  sich  der  Kranke  wiedeprj  hebt  sich  der  Puls^  werden  die 
Glieder  wärmer  ynd  das  Athnien  freier,  so  bleibt  doch  noch  da»  Gefühl 
grosser  Schwäche  zurück.  Zuweilen  reden  die  Kranken  auf  kurze  Zeit  irre, 
oder  es  folgt  Fieber  auf  den  Anfall,  oder  sie  husten  hellrothes ,-  schaumiges 
Blut  aus.  Ursachen.  Das  Übel  ist  ein  morbus  sui  generis,  seine  nächste 
Ursache  plötzliche  Lähmung  der  Lungennerven ,  des  par  vagum,  intercostale, 
des  Plexus  pulraonalis,  verursacht  durch  starke  Gemüthsbewegungeni  Schreck, 
Arger  etc.     Dadurch  und  durch  den  schnellen  Verlauf  ( oft  erfolgt,  der  Tod 

11* 


16-1  Apoplexia 

binnen  '/4  bis  1  Stunde),  so  wie  durch  die' meist  fehlende  oder  doch  unbe- 
deutende Schleimabsonderung,  die  bei  Asthma,  Bronchitis  und  Catarrhus 
sufFocati-vxis  stets  bedeutend  ist,  unterscheidet  sich  der  Lungenschlag  von 
letztern  Übeln.  Die  Prognose  ist  eben  so  schlimm,  wie  beim  Cerebral- 
schlagfluss.  Die  Behandlung  richtet  sich  nach  den  Umständen.  Wohl- 
beleibte, plethorische  Menschen  mit  Habitus  apoplecticus  können  die  Krank- 
heit durch  strenge  knappe  Diät,  durch  Venneidung  von  zu  nährenden  Spei- 
sen und  erhitzenden  Getränken ;  viel  Gemüse ,  Obst ,  wenig  Fleischspeisen, 
viel  Wasserti'inken,  keine  Abendmahlzeiten,  mitunter  ein  kleiner  Aderlass  etc. 
oft  lange  verhüten  Im  Anfalle,  versucht  man  nach  Umständen  Aderlässe, 
reizende  Fussbäder,  Klystiere  null  andere  Derivantia,  auch  Nervina;  doch 
fruchten  sie  meist  wehig.  Vel-hötung  und  Heilung  der  abnormen  Fettbil- 
dung bleibt  das  beste  präservirende  Mittel    (s.  Adiposis  morbosa). 

Prognose  des  Schlagflusses  im  Allgemeinen.  Günstige 
Zeichen  bei  jedem  apoplektlschen  Anfalle  sind:  Annäherung  des  Gesichts 
zu  seiner  natürlichen  Gestalt  und  Farbe,  leichtere,  freiere,  weniger  röchelnde 
Respiration ,  Speichelfluss ,  Euphorie  der  genommenen  Arzneien ,  der  Ader- 
lässe nach  24  Stunden,  Niesen,  Nasenschleimiluss,  Vermögen  zu  schlingen, 
hüpfende,  ox-dnungslo»e  Beweg'ung  einzelner  Thcile,  Gefühl  von  Schmerz 
beim  Kneipen  des  Leibes  (leichter,  freier,  weicherer  oder  bei  Apopl.  asthe- 
nica  gehobener,  stärkerer  Pulsschlag  M.),  Eintritt  fliessender  Hämorrhoiden, 
der  Katamenien ,  Nasenbluten ,  rother  Harn  mit  Bodensatz  ,  partielle  Läh- 
mungen (gleichsam  als  Derivantia),  baldige  Wiederkehr  des  Bewusstseyns.' 
Bedenkliche  Zeichen  sind:  Zähneknirschen,  Schaum  vor  dem  Munde, 
kalte  Schw^eisse,  röchelnder,  tiefer  Athem,  harter,  starker,  langsamer  Puls, 
tiefer  Sopor,  gänzlicher  Mangel  an  Empfindung  und  Bevvusstseyn,  convul- 
sivische  Bewegungen  nach  dem  Erwachen,  Nichtabgang  der  beigebrachten 
Klystiere,  kalter  Athem,  Nachlässen  der  Sphinkteren ,  frühere  Anfälle  von 
Schlagfiuss  oder  Epilepsie,  allgemeiner  Starrkrampf,  thränende  Augen,  un- 
bewegliche Pupille,  Facies  hippocratica.  Die  Apoplexie  durch  Blutverlust, 
zu  schnelle  Ableitung'  des  Bluts  vom  Gehirn  ist  immer  tödtlich,  wird  nur 
durch  horizontale  Lage  des  Kranken ,  durch  Infusion  des  Bluts  etc.  -vierhütet 
(s.  Asphyxia).  Stellen  sich' bei  Apopl.  sanguinea  und  serosa  Remissionen 
des  sich  dazu  gesellenden  Fiebers  ein ,  so  ist  die  Hoffnung  der  Genesung 
da ,  dagegen  trüben  kurze  Nachlässe  und  heftige  Exacerbationen  die  Pro- 
gnose und  verkünden  den  Tod  raieistens  innerhalb  neun  Tagen ;  bleibt  die- 
ses von  der  Natur  ausgehende,  heilsame  active  Fieber  ganz  aus,  so  wird 
die  Krankheit  schnell  tödtlich.  Diagnose  des  Schlagflusses.  Ist  leicht. 
Von  der  Ohnmacht  unterscheidet  sich  das  Übel  durch  den  hörbaren,  röcheln- 
den Ton  der  Respiration,  der  bei  Synkope  und  Asphyxia  gar  nicht  zu  hören 
ist,  eben  dadurch  auch  von  der  Starrsucht,  wobei  noch  die  wächserne  Bieg- 
samkeit der  Glieder  hinzukommt;  von  der  Epilepsie  unterscheidet  sich  die 
Apoplexie  durch  die  gewöhnlich  kurze  Dauer  des  Anfalls,  durch  die  klonischen 
und  tonischen  Krämpfe  und  durch  die  Anamnese,  indem  in  der  Regel  schon 
mehrere  epileptische  Anfalle  vorhergegangen  sind.  Cur  der  Apoplexie, 
a)  Prophylaktische  Cur.  Sie  ist  höchst  wichtig  bei  Anlage  zum  Schlag- 
flusse oder  bei  den  Vorboten  desselben  (s.  oben).  Vermeidung  aller  streng 
reizenden,  flatulenten,  stopfenden  und  aromatischen  Dinge;  man  verbiete 
grosse  Mahlzeiten,  lasse  des  Tages  öfter  und  jedesmal  kleine  Portionen  ge- 
messen ,  und  zwar  mehr  Pflanzenkost  als  Fleischspeisen ;  hitzige  geistige  Ge- 
tränke und  starke  Abendmahlzeiten  dienen  nicht,  dagegen  lasse  man  viel 
W^asser  trinken,  berücksichtige  jedoch  die  Gewohnheit  des  Kranken,  sowie 
das  Bekommen  oder  Nichtbekommen  der  Getränke;  man  meide  Gemüthsbe- 
wegungen,  sey  ruhig  und  gefasst  in  Leiden,  in  Freuden  nicht  zu  exaltirt, 
übe  den  Coitus  massig  aus,  vermeide  alle  zu  starke  Sinnenreize,  bewege  den 
Körper  massig,  schlafe  nicht  zu  lange,  gehe  nur  allmälig  von  einer  vita 
exercitata  zur  sedentaria  über;  bei  heisser  Witterung  sey  die  Zimmertempe- 
ratur kühl,  man  geniesse  Säuren:  Limonade,  säuerliches  Obst,  wenig  Fleisch, 
bei   naöskalter  Witterung  nützt    warme   Temperatur  und   warme  Bekleidung 


APOPLEXIA  165 

(Flanellhemd);  alle  enge  Kleidungsstücke  sind  nachtheilig;  Bestrebungen  zu 
Krisen  der  Gicht,  Hämorrhoiden  müssen  unterstützt,  Flechten  nicht  unter- 
drückt, sondern  vorsichtig  (duixh  innere  Mittel)  geheilt  werden;  alle  Se- 
und  Excretionen  sind  offen  im  erhalten  (besonders  wichtig  ist  die  Soirge  für 
tägliche  hinreichende,  massig, jconsistente ,  nicht  harte  LeibesöfFnung,  bald 
durch  Klystiere,  bald  durch  Infus,  sennae,  Sal  Glauberi  etc.  3f.) ;  der  Kopf 
nmss  während  des  Schlafs  Jioqh  liegen  (s^hr  gut  i.sts,  auf  Matrazzen  zU 
schlafen  und  sich  eines  Pferdehaarpolsters  zum  Kopfkissen  zu  bedienen,  Jf.); 
gewohnte  Aderlässe  sind  njdht  aufzugeben,  zugeheilte  Fontanellen  müssen 
wieder  in  Fluss  gebracht,  schnell  geheilte  Exantheme,  Fussgeschwüre  durch 
Vesicatorien ,  Haarseile  und  Fontanellen  ersetzt,  dabei  innerlich  Spiessglanz 
und  äusserlich  warme  Bäder  verordnet  werden.  Bei  Anwandlungen  von 
Schwindel,  Kopfweh,  Congestionen ,  besonders  in  der  Aequinoctialzeit ,  bei 
unterdrücktem  Nasenbluten ,  /Hämorrhoiden  nützen  kleine  Aderlässe,,  kalte 
Kopfumschläge,  Blutegel  hinter  die  Ohren,  ad  anum,  Ruhe  mit  erhöhter 
Kopflage  (ohne  diese  Vorboten  passen  die  Blutausleerungen  nicht,  sondern 
sie  schaden  für  die  Folge).  Bei  Neigung  zum  Schlagfluss  im  Greisenalter 
nützt  besonders  ein  Haarseil  oder  Empl.  vesicat.  perpet.  im  Nacken ;  bei 
Neigung  zu  Leibesverstopfung ,  oft  auch  bei  Kopfcongestionen ,  wenn  Ader- 
lässe (z.  B.  bei  nervösen  Subjecten)  nicht  passen  oder  schon  zu  oft  gemacht 
worden  sind,  leiten  Laxantia  oft  trefflich  ab;  auch  lobt  man  für  solche  Fälle 
Klystiere  aus  Infus,  herb,  gratiolae  oder  aus  Decoct.  herb,  nicotian.  ^v], 
(aus  Herb,  nicot.  ^(v,  coq.  c.  Aq.  fontan,  S^j  ut  rem.  col.  ^vj,  admisc.  Tart. 
emet.  gr.  j — jj).  Die  Mineralsäuren  passen  vorzüglich  bei  Erethismus  im 
Gefässsystem,  nach  heftigen  körpeilichen  Bewegungen,  bei  vollblütigen  Per- 
sonen mit  reizbarem  Nervensysteme;  bei  Neigung  zu  Apoplexie  mit  Abdomi- 
nalreizen müssen  Resolventia,  Anthelminthica,  bei  organischen  Herzleiden 
(sonst  aber  nie!)  Digitalis  purpurea  gereicht  werden.  Mit  dem  reizenden 
Regimen,  wozu  vielleicht  der  etwaige  nervöjse  Habitus  verleiten  dürfte,  sey 
man  stets  vorsichtig,  doch  auch  nicht  unter  allen  Umständen  strenger  Aii^ 
tiphlogistiker.  b)  Behandlung  bei  ausgebrochenem  apoplekti- 
.schen  Anfalle,  n)  Wir  müssen  hier  die  verschieden«n ,  oben  angegebe- 
nen gelegentlichen  Ursachen  nach  den  bereits  unter  Prophylaxis  erwähnten 
Regeln  berücksichtigen  und  nach  den  allgemeinen  Regeln  der  Therapie  und 
Chirurgie  behandeln ;  oft  ist  dies  indessen  erst  nach  gehobenem  Anfalle  mög- 
lich ;  &)  die  Behandlung  des  Anfalls,  seiner  Natur  nach ,  bleibt  immer  die 
Hauptsache.  1)  Cur  der  Apoplexia  sanguinea.  Das  erste  und  grösste 
Mittel  sind  Blutausleerungen:  Aderlass  am  Halse,  Blutegel  an  die  Innern 
Augenwinkel ,  an  den  Hals ,  Schröpfen  des  Hinterhaupts ;  Fomentationen 
von  kaltem  Wasser,  späterhin  in  den  ersten  Stunden  von  Foment.  frigida 
Schmücken  um  den  Kopf,  Klystiere  aus  Essig  und  Wasser,  ana  gjjj ,  mit 
jß  Salz  geschärft,  von  Nitrun),  in  Wasser  und  Essig  aufgelöst,  späterhin 
Molkenklystiere ;  innerlich  Pflanzensäuren:  Essig,  Acid.  tartaricum,  Himbeem 
syrup  mit  Wasser,  Nitrum  mjt  Crem,  tartari  und  Oxymel;  besonders  wirk- 
sam ist  folgende  Composition :  I^  Fruct.  tamarindor.  ■^]},  coq.  c.  aq.  fontan. 
q.  s.  ut  rem.  5vjjj,  col.  adde  Niiri  depurnti  5jj,  Sal.  Glauberi  5J,  Tart.  emeiic. 
gr.  jfs.  M.  S.  Halbstündlich  1  Esslöffel  voll  (itf.)-  Das  Sal  Glauberi  und 
die  kleinen  Dosen  Tart.  emet.,  um  durch  Reizung  des  Darmcanals  die  Con- 
gestion  vom  Kopfe  abzuleiten;  dabei  streng  antiphlogistische  Diät,  kühles 
Schlaflager,  erhöhte  Kopflage,  Entfernung  alles  Lichtreizes,  alles  Geräur 
sches,  reine  Ziramerluft,  kühlende  Getränke:  Cremor  tartari  mit  Zucker- 
wasser, Limonade,  Citronensaft ,  Essig,  bis  Vei-minderung  der  Zufälle,  ruhi- 
ges Athemholen  und  hinreichende  Leibesöffnung  erfolgt.  Aber  man  über- 
treibe auch  nicht  den  antiphlogistischen  Apparat,  theils  um  das  im  günsti- 
gen Falle  eintretende  kritische  Fieber  nicht  zu  stören,  theijs  um  nicht  die 
entgegengesetzte  Form  des  Schlagtlusses  (die  Apopl  asthenica  sensu  strictiori) 
herbeizuführen.  Besonders  vorsichtig  sey  man  hier  bei  sensiblen  Naturen. 
(Hier  möchte  diese  Vorsicht  auch  wol  nur  nöthig  seyn,  bei  den,voJJtsaftigeu 
Naturen  mit  Habitus  apoplect.  kann  man    dagegen  dreist  mejjreve  Tage  bfi 


166  APOPLEXIA 

der  streng  antiphlogistischen  und  purgirenden  Methode  bleiben,  ja  es  sind 
selbst  wiederholte  Aderlässe  nicht  selten  nothwendig ,  wie  ich  dies  sogar  bei 
einem  vollsaftigen  Greise  von  73  Jahren  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte.  Af.). 
Nach  hinreichenden  Blutentziehungen  nützt  neben  gleichzeitiger  Anwendung 
der  oben  genannten  Klystiere,  der  kühlen  Getränke  und  kalten  Kopfum- 
schläge ,  bei  Zeichen  von  Extravasat  im  Kopfe ,  Infus,  flor.  arnicae  mit 
Nitrum;  auch  kann  und  muss  man,  falls  die  Zeichen  des  congestiven  Zu- 
standes  verschwunden  sind  imd  dennoch  der  Kranke  bewusstlos  etc.  daliegt, 
gelinde  Incitantia,  z.  B.  Infus,  rad.  valerianae  mit  Liq.  anodyn, ,  Liq.  c.  c. 
succ ,  Moschus  etc.  versuchen ,  doch  muss  man  beim  Übergänge  von  der 
schwächenden  zur  reizenden  Methode  viel  Vorsicht  beobachten  (d.  h.  nach 
den  ersten  Gaben  solcher  Mittel  eine  Zeit  von  mehrern  Stunden  abwarten 
und  den  Kranken,  ehe  man  mit  diesen  Arzneien  fortfährt,  beobachten,  wie 
er  sich  befindet.  M.).  Ein  etwa  eintretendes  kritisches  Fieber  erheischt  ein 
massig  erregendes  Verfahren,  wenigstens  den  Nichtgebrauch  antiphlogisti- 
scher Mittel,  um  dem  Körper  nicht  die  zur  Krise  so  nothwendige  Kraft  zu 
rauben.  Riechmittel  und  Elektricität  erfordern,  selbst  im  spätem  Stadium 
des  Blutschlagflusses  angewandt,  die  grösste  Vorsicht.  Nach  beendigtem 
apoplektischen  Anfalle  sey  man  darauf  bedacht ,  die  etwa  stattfindenden  ur- 
sächlichen Momente,  insofern  sie  in  unserer  Macht  stehen,  zu  entfernen, 
lasse  den  Kranken  eine  reizlose  Diät  führen,  sich  massig  bewegen,  über- 
haupt Alles  beobachten,  was  oben  bei  der  prophylaktischen  Cur  für  die  mit 
dem  Habitus  apoplecticus  Begabten  empfohlen  wurde,  lasse  allenfalls  zur 
rechten  Zeit  (bei  Vorboten  eines  neuen  Recidivs ,  besonders  im  Frühling  und 
Herbst)  zur  Ader,  sorge  für  tägliche  liinreichende  Leibesöffnung,  beschränke 
die  sich  erneuernde  VoUsaftigkeit  durch  den  Gebrauch  des  Saidschützer  oder 
Püllnaer  Bitterwassers,  erhalte  zeitlebens  ein  Fontanell  im  Nacken,  am  Arme 
der  nichtgelähraten  Seite,  versuche  auch  allenfalls  mit  der  Zeit,  wenn  der 
Erethismus  im  Gefasssystem  es  nicht  verbietet,  vorsichtig  anfangs  laue,  dann 
kühle  und  allmälig  kältere  Bäder,  innerlich  Adstringentia,  China  u.  dergl., 
und  zuletzt  Eisen,  um  Recidive  zu  verhüten.  Auch  hat  man  zur  Aufhebung 
des  apoplektischen  Anfalls  die  kreisförmige  Umschnürung  der  Gliedmassen 
empfohlen  (^Bonogery  in  v.  Grüfe's  und  v.  Waliher^s  Journ,  f.  Chirurg,  etc. 
Bd.  XI.  Hft.  2.  S.  322.).  2)  Cur  der  Apoplexia  serosa.  Ist  die  Er- 
giessung  von  Serum  schon  vollständig  erfolgt,  so  ist  der  Tod  unvermeid- 
lich; man  kann  daher  die  Exsudation  bei  Encephalitis  mu*  zu  verhüten  su- 
chen, muss  den  Wasserkopf  als  solchen  behandeln  (s.  Hydrocephalus), 
bei  Ausschlagsmetasta.sen  warm  baden  lassen ,  Antimonialia  ,  Kampher ,  Mo- 
schus mit  Sulph.  aurat.  geben,  Vesicatorieh  auf  den  Kopf  und  auf  die  vor- 
her vom  Exanthem  ergriffene  Stelle  legen,  auf  dieselbe  Art  das  Einreiben 
der  Brechweinsteinsalbe  benutzen;  auch  sind  Brechmittel  sehr  nützlich  (To/^)? 
bei  Versetzungen  des  Rheumatismus  Bürsten  und  Reiben  des  afficirt  gewese- 
nen Theils,  bei  Gichtmetastasen  diese  behandeln  (s.  Arthritis  retro- 
grada);  aber  leider!  nur  selten  erreicht  bei  dieser  Art  von  Schlagfluss  der 
Arzt  seinen  Zweck.  3)  Cur  der  Apoplexia  vehosa.  Bei  den  Zeichen 
venöser  Congestion  nach  dem  Gehirn  dienen  Aderlässe,  Blutegel,  Schröpfen, 
ableitende,  reizende  Klystiere,  u.  s.  f.  (s.  Apopl.  sanguinea),  bei  Zeichen 
von  venösem  Extravasate  Infus,  arnicae  mit  Nitrum,  bei  irrespirablen  Gas- 
arten: Kohlenstoffgas ,  Schwefelwasserstoffgas,  die  geeigneten  Gegenmittel 
(s.  Asphyxia),  bei  Melaena,  materieller  Melancholie,  Hypochondrie,  Ab- 
dominalplethora  als  Ursache  nützen  Aderlässe  am  Fusse,  Blutegel  ad  anum, 
Laxantia  frigida:  Kali  tnrtaricum,  Saidschützer-,  Püllnaer-,  Carlsbader - 
(künstliches  und  natürliches),  Mariakreuzbrunnen  -  Wasser ,  die  Kämpf  sehen, 
von  Berends  vereinfachten  Visceralklystiere ,  die  Aqua  laurocerasi.  Nach 
beendigtem  Anfalle  ist  die  resolvirende  Methode  durch  die  zuletzt  genannten 
Mittel  in  Anwendung  zu  bringen,  um  die  venöse  Dyskrasie  zu  beseitigen. 
4)  Cur  der  Apoplexia  pituitosa.  Der  pituitöse  Schlagfluss  erfordert 
Kolche  Mittel,  'welche  die  pituitöse  Dyskrasie  durch  Eröffnung  der  verschie- 
deneu. Emunctorien  zu  heben  ito  Stande  sind ;  Brechweinstein  zum  Erbrechen, 


APOPLEXIA  167 

Antimonialia ,  Kalom«!,  Magnesia  ßulphurica  mit  Brechweinstein  in  refiracta 
dosi  zum  Purgiren ;  auch  ein  concentrirtes  Infus,  flor.  arnicae  mit  Oxrymel 
squillit. ;  bei  röchehider  Respiration ,  um  Auswurf  zu  erregen ,  besonders 
Sulph.  auratuni,  Flor,  benzoes;  äusserlich  Vesicantia  in  den  Naciten  und  an 
die  Waden,  reizende  Klystiere;  bei  drohender  Lungenlähmung  Amraon.  car- 
Iwnic.  pyro-oleos. ,  Pimpinelle,  Flor,  benzoes  mit  Kampher,  Vesicatoria  auf 
die  ganze  Brust.  5)  Cur  der  Apoplexia  asthenica  sensu  strictiori. 
Waltet  hier,  wie  dieses  öfters  zu  Anfange  der  Fall  ist,  noch  ein  erethisti- 
scher  Zustand  im  Gefässsysteme  ob,  so  sey  man  mitHbn  Reizmitteln  ja  be- 
hutsam, verordne  Crem,  tartari,  Pot.  Riverii,  Limonade  etc.;  fehlt  dieser 
oder  ist  er  verschwunden,  so  ist  der  gesammte  incitirende  Heilapparat  an- 
zuwenden: Valeriana,  Wein,  Aether,  Moschus,  Arnica  mit  vcrsüssten  Säu- 
ren, Ol.  animal.  aether.,  Liq.  ammon.  succinici ,  carbon. ,  pyroleosi,  Brech- 
mittel aus  Ipecacuanha,  selbst  aus  Zinkvitriol,  Kampher,  Serpentaria,  An- 
gelica,  Sal  volat.  c.  c. ,  äusserlich  Senfteige,  Vesicatorien ,  bis  zum  Blasen- 
ziehen und  öfters  erneuert,  in  den  Nacken,  auf  die  Herzgrube,  an  die  Füsse, 
trocknes  Schröpfen  derselben  Stellen ,  Frottiren  der  Gliedmassen ,  warme 
aromatische  oder  Senfbäder,  starke  Riech-  und  Niesemittel,  spirituöse  Wa- 
schungen des  Kopfes,  des  Rückens,  der  Magengegend,  warme  aromatische, 
mit  Wein  bereitete  Fomentationen  um  den  Kopf,  endlich  erregende  Klystiere ; 
Aufenthalt  in  einem  luftigen,  geräumigen,  aber  erwärmten  Zimmer;  zum  Ge- 
tränk Weinmolken.  Bei  der  Wahl  dieser,  besonders  der  innern  Mittel ,  sehe 
man  zugleich  auf  die  den  Anfall  erregende  Ursache,  gebe  z.  B. ,  wenn  hef- 
tige Schmerzen  Schuld  sind ,  Opium ,  selbst  in  grossei'n  Dosen ,  in  Verbin- 
dung mit  obigen  Reizmitteln,  so  auch  bei  Gemüthsleiden  als  Ursache  mit 
Wein ,  beim  Durchgange  von  Gallen  -  und  Nierensteinen  mit  Oelemulsionen, 
warmen  Bädern,  beruhigenden  Umschlägen  auf  die  lieber-,  Nieren-,  Blasen- 
gegend ,  dem  Laufe  der  Ureteren  entlang ,  gebe ,  wenn  der  apoplektische 
Anfall  Folge  gestörter  Krisen,  wie  beim  Bildenwolten  eines  Gichtanfalls  ist, 
den  hier  specifiseh  wirkenden  Moschus ,  wende  daneben  die  äussern  Reiz- 
mittel an,  u.  s.  f.  6)  Cur  der  Apoplexia  nervosa,  spasmodica. 
Diese  Form  macht  die  Anwendung  von  Opium  in  kleinen  Dosen,  von  Mo- 
schus, Aether,  Wein,  Castoreum,  Liq.  c.  c.  succ. ,  Acjua  foetida  antlhyste- 
rica ,  Infus,  valer. ,  chamomillae ,  menth.  pip.  nothwendig.  Laue  Bäder  mit 
Zusatz  von  Flor,  chamom. ,  rad.  valerianae,  Klystiere  von  Infus,  valerianae 
mit  Asa  foetida  sind  daneben  anzuwenden.  Kampher  und  Sal  volatile  erfor- 
dern Vorsicht.  Man  entferne  starke  Gerüche,  heftige  Sinneseindrücke ,  halte 
den  Kranken  warm ,  und  benutze  allenfalls  auch  Vesicatoria  und  Sinapismen, 
in  die  Nähe  des  Kopfs  applicirt;  doch  reizen  sie  gewöhnlich  den  schon  we- 
gen zu  hoher  Sensibilität  erschöpften  Kranken  zu  sehr  ,  und  finden  daher  in 
dieser  Art  von  Apoplexie  selten  ihre  Anwendung.  7)  Cur  der  Apoplexia 
Sympathie a.  Ist  verschieden  nach  Verschiedenheit  der  Ursachen,  daher 
bald  Emetica,  bald  Anthelminthica ,  Resolventia,  wie  schon  oben  bei  der 
prophylaktischen  Cur  angegeben  worden,  nothwendig  sind.  Die  Apopl.  me- 
tastatica  als  Folge  der  Gicht,  der  rheumatischen  Dyskrasie,  erfordert  die 
unter  Arthritis  retrograda  angegebene  Hülfe.  Hier  dienen  bei  entzündlichem 
Charakter  als  Folge  einer  Erkältung,  eines  Diätfehlers,  einer  Gemüthsbe- 
wegung,  während  des  Gichtanfalls  Blutegel,  seltener  Aderlässe,  nach  Um- 
ständen auch  ein  Brechmittel  aus  Ipecacuanha,  Vesicatorien ,  innerlich  Sulph. 
aurat.  in  steigenden  Dosen,  auch  Arnica;  Einreibungen  von  Tinct.  cantha- 
ridum  in  die  früher  von  Gicht  angegriffen  gewesenen  Theile;  bei  mehr  asthe^ 
nischer  oder  spastischer  Natur  des  Übels ,  z.  B.  bei  unterbrochenem  Gicht- 
paroxysmus  aus  Kraftmangei ,  Moschus ,  Liq.  c.  c.  succ,  warme  Bäder ,  um 
die  verschwundene  locale  Gichtentzündung  wieder  hervorzurufen.  Dieselbe 
Cur  erheischt  die  Apopl.  e  dyscrasia  rheumatica.  Die  Apopl.  ebriorum  er- 
fordert meistentheils  die  Cur  des  Blutschlagttusses ,  die  Apopl.  durch  Gifte, 
mephitisches  Gas,  Blitzstrahl,  Frost  etc.  erfordert  die  specielle  Behandlung 
(s.  Asphyxia).  Bei  der  Apopl.  epilepticorum  ist  bald  die  antiphlogisti- 
sche, bald  die  incitirende  Heilmethode  nothwendig,    die  Apopl.  traumatica 


168  APOPLEXIA 

und  thliptica  erfordert  chirurgische  Hülfe,  die  Apopl.  pathematica  und  ex- 
haustorum  reizende,  belebende  Mittel  (s.  Asphyxia  und  Ohnmacht  aus 
Leidenschaften,  aus  Erschöpfung,  Mangel  an  Nahrung);  die  Apopl.  perio- 
dica  in  den  freien  Zwischenräumen  grosse  Dosen  China  mit  Opium,  um  ei- 
nen zweiten  Fieberanfall  zu  verhüten.  Bei  dem  Schlagflusse  als  Folge  un- 
terdrückter Schweisse,  Exantheme,  Geschwüre  etc.  unterstütze  man  die  von 
der  Natur  eingeleiteten  Krisen  durch  Schweiss ,  Urinsecretion ,  Diarrhöe, 
wende,  wenn  sich  solche  Krisen  noch  nicht  zeigen,  laue  Bäder,  überhaupt 
die  Behandlung  wie  bei  Gichtmetastase,  an.  Die  Apopl.  myelitica  muss  nach 
ihrem  vorwaltenden,  durch  Congestion  oder  idiopathisches  Ergriffenscyn  der 
Function  der  MeduUa  spinalis  und  oblongata  bedingten  Charakter  bald  an- 
tiphlogistisch, bald  (wol  in  den  meisten  Fällen;  Toit^  reizend  behandelt 
werden  Die  Apoplexie  als  Folge  schneller  Ableitung  des  Bluts  vom  Ge- 
hirne ist  stets  unheilbar  und  tödtlich.  C.  A.  Tott. 

Nachschrift  des  Herausgebers.  Die  Apoplexie  ist  eine  so  wich- 
tige Krankheit  für  den  praktischen  Arzt,  dass  ich  folgende  Bemerkungen, 
welche  ich  der  vorstehenden  Abhandlung  meines  verehrten  Collegen,  des 
Hrn.  Dr.  l'oit  in  Ribnitz,  anschliesse,  hier  nicht  für  überflüssig  halte.  1)  In 
Betreff  der  Eintheilung  des  Schlagflusses  haben  bekanntlich  verschiedene 
Schriftsteller  (^Slark ,  von  Uoven,  Conshruch,  Heclcer,  Sprengel)  verschiedene 
Arten  angenommen,  die  wol  schulgerecht  seyn  mögen,  den  Anfanger  aber 
leicht  von  der  Hauptsache  ableiten,  ihn  confundiren  und  vielleicht  gar  zu 
Unterlassung  nöthiger,  indicirter  Mittel  oder  zur  Anwendung  verkehrter 
Heilmethoden  verleiten.  Die  Mikrologie  unserer  heutigen  Diagnostiker,  wie 
früherhin  die  Nosologia  methodica  eines  Sauvnges,  kann  keinen  unmittelba- 
ren Nutzen  für  die  Praxis  bringen ,  sie  vermehrt  die  Verwirrung  und  lässt 
uns  die  Hauptsache  darüber  nicht  selten  vergessen.  Nicht  die  lebende  Na- 
tur trennt ,  nur  der  menschliche  Verstand  zum  Behuf  der  Wissenschaft ,  jene 
ist  einfach,  diese  höchst  complicirt.  2)  In  Hinsicht  des  Schlagflusses  unter- 
scheide ich  zweierlei  Zustände:  a)  die  eigentliche  Apoplexie  (Schlag- 
fluss  im  engern  Sinne).  Hier  ist  der  Mensch  anscheinend  gesund ,  isst  und 
trinkt  gut,  verrichtet,  wenn  er  auch  mitunter  an  den  Vorboten  (Schwindel, 
Leibesverstopfungen  etc.)  leidet,  seine  Geschäfte;  er  sieht  roth  im  Gesichte 
aus ,  ist  weder  schwach ,  noch  mager ,  hat  den  Habitus  apoplecticus ;  auf 
einmal  bekommt  er  plötzlich  bei  veränderlichem  Wetter ,  nach  Gemüthsbe- 
wegungen ,  starken  Mahlzeiten ,  geistigen  Getränken  etc.  den  apoplektischen 
Anfall,  wobei  das  Bewusstseyn  anfangs  völlig  mangelt,  nicht  aber  immer 
die  Empfindung,  und  wobei  Respiration  und  Blutcirculation  träge,  langsam, 
beschwerlich  sind,  daher  der  langsame,  aber  volle,  starke  Puls,  die  lang- 
same, tiefe,  röchelnde,  durch  tiefes  Seufzen  unterbrochene  Respiration  etc. 
Dieser  Insultus  apoplecticus  erfordert  ganz  die  Behandlung  der  sogenannten 
Apopl.  sanguinea :  Aderlässe ,  kühlende  Purganzen  etc.  Er  ist  ein  lebensge- 
fährliches Symptom ,  muss  also  für  den  ersten  Augenblick  symptomatisch  be- 
handelt w  erden ,  gleichviel  aus  welcher  Ursache  das  Übel  entstanden  ist ; 
es  sey  Apopl.  serosa  oder  sanguinea,  idiopathica  oder  sympathica  und  con- 
sensualis ,  gleichviel ,  die  nächste  Ursache  liegt  im  Kopfe ,  es  muss  hier 
durch  Antiphlogistica ,  kühlende  Purganzen,  reizende  Klystiere  und  äusser- 
liche  Irritantia  abgeleitet  werden.  Von  100  sogenannten  Apoplexien  sind 
wenigstens  90  Fälle  dieser  Art.  Selbst  Greisen  muss  hier  zur  Ader  gelas- 
sen werden;  die  Contraindicationen  bei  reinem  Nervenschlage  (leichenblasses 
Gesicht,  höchst  kleiner  oder  gar  mangelnder  Puls)  kennt  jeder  Arzt.  Bei 
letzterer  Form  mag  man  thun  oder  lassen,  was  man  will,  der  Mensch  bleibt 
doch  todt.  Der  Nervenschlag  im  höchsten  Grade  ist  also  der  beginnende 
Tod  und  findet  keinen  Platz  in  Handbüchern  der  praktischen  Heilkunde. 
b)  Der  anfangende  Tod  als  Folge  anderer  Krankheiten,  der  Schein- 
tod (Schlagttuss  im  weitern  Sinne).  In  dieser  Hinsicht  stirbt  jeder  Mensch 
am  Schlage,  da  der  Tod  entweder  vom  Gehirn,  oder  vom  Herzen  oder  von 
den  Lungen  (Gehirn-,  Herz-,  Lungenschlag)  ausgeht.  Dieser  Zustand,  der 
nur  daa  Ende  Jinderer  gefährlicher  Krankheiten,   der  Asphyxie,  der  Ad) na- 


APOPLEXIA  169 

niie,  der  Vergiftungpn,  der  Verblutungen  etc.  ist ,  sollte  gar  nicht  Apoplexie 
genannt  werden.  3)  Die  Apoplexia  asthenica  sensu  strictiori  sollte  man  des- 
wegen auch  nicht  zu  einer  besondern  Krankheit  erheben,  sie  ist  auch  der 
leichtern  Asphyxie  ähnlicher  als  der  Apoplexie.  ,4)  Die  Apoplexia  nervosa 
spasraodica  passt  auch  besser  in  den  Artikel  Hysterie,  denn  sie  ist  weiter 
nichts  als  ein  hoher  Grad  des  hysterischen  Anfalls.  5)  Die  Apoplexia  venosa 
gehört  unter  die  Rubrik  Asphyxie,  wir  sehen  ihre  reinste  Form  bei  der  Er- 
stickung durch  Kohlendampf  im  niedern  Grade.  6)  Wichtig  für  die  Prognose 
bleibt  immer  die  alte  Eintheilung  in  unvollständigen  und  vollständi- 
gen Schlagttuss  (Parapoplexia  und  Apoplexia  exquisita) ,  denn  bei  ersterer, 
wo  noch  schwaches  Bewusstseyn  und  Bewegungsvermögen  geblieben  ist ,  ist 
noch  Hoffnung  zur  Genesung  da.  Der  berühmte  französische  Arzt  Rochoux 
hat  sich  durch  genauere  Erforschung  des  Schlagflusses  und  durch  die  nähere 
Bestimmung  der  Curmethode  desselben  sehr  verdient  gemacht.  (Vergl. ,  Di- 
ctionnaire  de  M^decine.  Artikel  Apoplexie,  deutsch  übersetzt  von  Meiss- 
ner, Bd.  I.  S.  428.).  Er  nennt  die  Krankheit  geradezu  Hirnblutung 
und  machte  schon  im  Jahre  1814  bekannt,  dass  die  Hämorrhagie  des 
Gehirns  constant  von  den  nämlichen  Symptomen,  die  die 
Apoplexie  bezeichnen,  begleitet  werde.  Diese  Ansicht  haben 
später  Lallemnnd^s,  Rostan's  und  Pareiifs  Untersuchungen  und  Beobachtun- 
gen als  wahr  bestätiget  und  somit  ist  RocJwux^s  Ausspruch:  ,,Die  Apoplexie 
ist  eine  durch  Ruptur  entstandene  Hämorrhagie  des  Gehirns  mit  mehr  oder 
weniger  beträchtlicher  Veränderung  seiner  Substanz "  gerechtfertigt.  Am 
häufigsten  ist  der  Sitz  dieser  Blutung  im  grossen  Gehirn,  seltener  im  klei- 
nen, oder  in  der  Pons  Varolii  oder  im  Rückenmarke.  Nach  Rochoux  dispo- 
nirt  das  sanguinische  Temperament  am  meisten  zum  Schlagfluss ,  sowol  das 
sanguinisch  -  biliöse ,  als  das  lymphatisch  -  sanguinische ,  und  folgende  Über- 
sicht von  63  Kranken  der  Art  zeigt ,  dass  die  meisten  Schlagflüsse  in  dem 
Alter  von  60  bis  70  Jahren  vorkommen.  Apoplektiker  von  20  bis  SO  Jah- 
ren 2,  von  SO  bis  40  Jahren  8,  von  40  bis  50  Jahren  7,  von  50  bis  60 
Jahren  10,  von  60  bis  70  Jahren  23,  von  70  bis  80  Jahren  12,  von  80  bis 
90  Jahren  1.  Die  neuere  Ansicht,  dass  Hypertrophie  des  Herzens  zur  Apo- 
plexie disponire ,  bestätigen  Rochoux^s  gemachte  Sectionen  nicht ;  denn  unter 
42  Apoplektischen  fanden  sich  nur  3  mit  Aneurysma  cordis.  Was  die  Jah- 
reszeit als  prädisponlrende  und  bewirkende  Ursache  betrifft,  so  scheint  nach 
Rochoux  der  iSinttuss  derselben  nicht  sehr  gross ;  doch  kamen  die  meisten 
seiner  Fälle  im  Herbste  vor.  Seine  Behandlung  ist  folgende:  „Erste  An- 
zeige. Die  allgemeinen  Blutentziehungen,  sagt  er,  sind  unstreitig  das 
wirksamste  Mittel  gegen  die  Blutung  des  Gehirns.  Man  bestimmt  die  Quan- 
tität nach  der  Heftigkeit  der  Symptome  und  den  Kräften  des  Kranken. 
Aretaeits  hat  schon  bemerkt,  dass  zu  reichliche  Aderlässe  wahrhaft  schädlich 
wirkten.  Ich  habe  mehrmals  Gelegenheit  gehabt,  mich  von  der  Wahrheit 
dieser  Beobachtung  zu  überzeugen.  Mehr  als  2 — 3  Aderlässe,  jeder  zu  2 — 3 
Paletten,  sind  selten  nöthig.  Man  wählt  beim  Aderlass  am  Arm  nach  Aretaeus 
die  gesunde  Seite ,  vielleicht  ist  die  Öffnung  der  Vena  jugularis  noch  zweck- 
mässiger. Unter  allen  Umständen  muss  der  Kopf  und  der  Stamm  des  Kran- 
ken sehr  hoch  liegen,  weil  diese  Lage  am  besten  geeignet  ist ,  den  Kopf  frei 
zu  machen.  Man  vernachlässigt  vielleicht  heut  zu  Tage  dieses  anscheinend 
geringfügige  Mittel  zu  sehr,  indem  man  annimmt,  dass  die  physischen  Ge- 
setze auf  den  Umlauf  des  Blutes  wenig  Einfluss  haben.  Zweite  Anzeige. 
Das  Blut  von  den  ersten  Aderlässen  zeigt  bei  den  Apoplektikern  nichts  Merk- 
würdiges ;  allein  das  von  den  zweiten  zeigt  ziemlich  constant  die  sogenannte 
pleuritische  Entzündungshaut.  Dieser  Umstand  lehrt  uns ,  dass  man  zu  glei- 
cher Zeit  gegen  die  Blutung  und  die  Phlegmasie,  wovon  der  zerrissene  Theil 
des  Gehirns  ergriffen  worden  ist ,  zu  kämpfen  hat.  Die  vorzüglichsten  Mit- 
tel dagegen  sind  Blutegel,  blutige  Schröpfköpfe  an  den  Kopf,  kalte  Um- 
schläge um  denselben,  abführende  Klystiere,  verdünnende  Tränke  und  Ruhe. 
Aretaeus  sah  grossen  Nutzen  von  blutigen,  ans  Hinterhaupt  applicirten  Schröpf- 
köpfen.   Neuerlich  hat  Prof.  Fadere  ihre  Wirkung  für  unbedeutend  gehalten. 


170  APOPLEXIA 

Dies  kann  wol  der  Fall  seyn,  wenn  man  ihr  durch  die  tonische  und  stimu^ 
lirende  Behandlung  entgegenwirkt ;  stimmt  aber  Alles  mit  dieser  (kühlenden) 
Behandlungsweise  überein,  so  wird  auch  ihre  Wirksamkeit  nicht  ausbleiben. 
Hat  man  nun  mittels  der  Blutegel  und  Schröpfköpfe,  die  man  zweckmässig 
wiederholt  ansetzt,  den  Kopf  frei  gemacht,  so  sucht  man  einen  neuen  Blut- 
andrang nach  demselben  dadurch  zu  verhindern ,  dass  man  ihn  beständig  mit 
in  kaltes  Wasser  getauchten  Compressen,  oder  selbst  mit  Eis  bedeckt,  des- 
sen herrliche  Wirkungen  bei  der  der  Apoplexie  ähfllkhen  Gehirnaffectionr 
Vom  Prof.  Lallemnnd  und  einigen  andern  guten  Beobachtern  so  schön  dar- 
gethan  worden  sind.  Wähi-end  dieser  Zeit  muss  der  Kranke  reichlich  ver- 
dünnende Getränke:  Tisanen  von  Gerste,  von  Rad.  grarainis  zu  sich  nehmen; 
dabei  täglich  abführende  Klystiere  und  eine  Zeit  lang  eine  knappe  Diät,  v-vie 
in  acuten  Krankheiten.  Die  Dauer  einer  solchen  Behandlung  lässt  sich  schwer 
mit  Genauigkeit  bestimmen.  Der  Arzt  hat  sie  nach  der  eintretenden  Besse- 
rung des  Kranken,  der  sich  vollkommen  ruhig  verhalten  muss,  zu  ermessen. 
Dieser  letztere  Punkt  ist  von  der  grössten  Wichtigkeit,  und  man  muss  Alles 
sorgfältig  vermeiden,  was  die  Ruhe  beeinträchtigen  kann.  Man  muss  des- 
halb von  der  Behandlung  alle  Reizmittel  ausschliessen,  ohne  ihre  derivativen 
Eigenschaften,  die  sie  in  gewissen  Fällen  haben  können,  zu  berücksichtigen, 
weshalb  man  weder  Sinapismen  noch  Vesicatorien  anwenden  darf.  Die  Pur- 
glrraittel  bewirken,  wenn  sie  nur  etwas  kräftig  sind,  eine  aligemeine  Auf- 
regung (die  kühlenden  doch  wol  nicht?  3f.) ,  die  ihre  guten  Wirkungen  in 
anderer  Hinsicht  überwiegen.  Deshalb  scheint  es  uns  Aveit  sicherer,  abfüh- 
rende Klystiere,  um  den  Unterleib  frei  zu  halten,  anzuwenden,  oder  höch- 
stens zu  den  ganz  schwachen  Abführungsmitteln  seine  Zuflucht  zu  nehmen, 
im  Fall  die  Klystiere  sich  nicht  hinlänglich  wii-ksam  zeigen.  Hiernach  fällt 
es  von  selbst  in  die  Augen,  dass  die  Brechmittel  auf  das  strengste  zu  ver- 
werfen sind.  Wie  möchte  man  auch  einen  Menschen,  dessen  Gehirn  zer- 
rissen ist,  der  Anstrengung  des  Erbrechens  aussetzen?  Dritte  Anzeige. 
Wir  besitzen  keinesweges  wirksame  und  zahlreiche  Mittel,  die  Resorption 
des  Blutes  zu  befördern.  Die  Natur  verrichtet ,  wenn  man  sie  nicht  stört, 
dieses  Geschäft  mehr  oder  weniger  schnell.  Vielleicht  dürfte  es  zweckmässi- 
ger seyn,  ihre  heilsame  Kraft  frei  walten  zu  lasseü,  anstatt  die  Kranken 
mit  Vesicatorien,  Sinapismen,  Moxa,  Haarseilen  und  andern  revulsorischen 
Mitteln,  die  manche  Äizte  mit  einem  wahrhaft  bewundrungswürdigen  Ver- 
trauen anwenden,  zu  bedecken.  Freilich  sieht  man  auch  nur'^teu  oft  bei  ei- 
ner solchen  Behandlung  nach  10  oder  14  Tagen  die  Kranken  an  einer  zwei- 
ten Hämorrhagie,  die  unvermerkt  stattfindet,  sterben,  wovon  man  sich  bei 
der  Section  durch  die  verschiedene  Farbe  und  Consistenz  des  frisch  ergosse- 
nen Blutes  überzeugt.  Sie  wären  vielleicht  dem  Tode  entgangen ,  wenn 
man  sie  ruhig  gelassen  hätte ;  wenigstens  ist  es  gewiss ,  dass  Alles  zur  Her- 
beiführung dieser  Katastrophe  beigetragen  hat."  So  weit  Rochoux.  Er 
warnt  mit  Recht  vor  der  frühen  Anwendung  der  Reizmittel  bei  Apoplekti- 
schen  und  gegen  die  nachgebliebene  Lähnuing,  und  sagt,  dass  dadurch,  be- 
sonders durch  die  Nux  vomica ,  durch  Application  der  Elektricität ,  eine 
zweite  Hirnblutung,  d.  h.  ein  Recidiv  des  Schlagflusses,  befördert  werde. 
Was  die  vorbauende  Behandlung  anbetrifft,  so  hält  er  nicht  viel  von  den 
sogenannten  präservirenden  Antapoplecticis ,  die  in  frühern  Zeiten  viel  ge- 
braucht wurden,  z.  B.  Senf,  Salbei,  Rettige,  Verbascum,  Spiritus  antapo- 
plecticus ,  sondern  mehr  auf  ein  gutes  diätetisches  Verhalten ,  wobei  er  han- 
cisVs  so  schöne  als  wahre  Worte  anführt :  „  Ich  kann  es  nicht  oft  genug 
wiederholen,  man  sucht  vergebens  in  den  Medicamenten  Präservative,  wenn 
man  die  Regeln  einer  guten  Hygieine  vernachlässigt.  Alle  andere  Hülfs- 
mittel  der  Medicin  sind  trügerisch;  ein  einziges  ist  zu  jeder  Zeit  und  unter 
allen  Umständen  wirksam.  Man  findet  es  in  einem  wohlgeordneten  Regime 
und  in  einer  glücklichen  Seelenruhe,  die  weder  durch  Glücks-,  noch  durch 
Unglücksfälle  gestört  wird."  Übrigens  lässt  es  sich  nicht  leugnen,  dass  die 
sogenannten  Brunnen-,  Molken-,  Kräuter-  und  Frühlingscuren  bei  Habitus 
apoplecticus  häufig  als  vorbauende  Mittel  und  bei  den  Vorboten  des  Schlag- 


APOPLEXIA  171 

flusses  selbst  ein  Aderlass  als  das  einzige  Mittel,  den  nahen  Anfall  zu  ver- 
hüten oder  doch  zu  schwächen,  angesehen  werden  müssen,  für  welche  Mit- 
tel Theorie  und  Erfahrung  sprechen.  —  Ein  erst  seit  wenig  Jahren  be- 
kannter gewordenes  Übel  ist  die  Apoplexia  infantum  venosa,  der 
Tenöse  Schlagfluss  der  Kinder,  worüber  ich  dasjenige,  was  Herr 
Dr.  Tott  mir  nachträglich  eingesandt,  der  Wichtigkeit  wegen  mittheile. 
Symptome  dieses  Übels  sind:  Zuerst  täglich  6  —  lOmaliges,  ungemein 
leichtes  Erbrechen,  besonders  in  aufrechter  Stellung  des  Kindes,  oder 
vielmehr  ein  Herausschwappen  des  Mageninhaltes  oder  einer  geruchlosen, 
wässerigen  Feuchtigkeit;  eben  so  oft  täglich  Stuhlgänge  ohne  Leib- 
schmerz ,  von  Geruch  und  Farbe  wie  die  bei  Blennorrhoe ;  dabei  ein  mit  der 
Dauer  und  Intensität  der  Krankheit  nicht  im  Verhältniss  stehender  Ausdruck 
von  Hinfälligkeit  und  tiefem  Ergriffenseyn ;  gleich  anfangs  bleiches  Gesicht, 
Schwinden  des  Lebensturgors ,  gesunkene  Temperatur  des  Körpers,  kühle, 
welke  Haut,  kleiner  weicher,  etwas  beschleunigter j  jedoch  regelmässiger 
Puls ,  höchst  abgespannte ,  äusdrucklose  Gesichtszug^ ,  gläserne  Augen  mit 
lividen  Rändern,  erweiterte  und  träge  Pupille,  an  der  Nasenoffnung  eine 
russige  Schwärze,  nicht  übermässig  heisser  Kopf,  nicht  erhöhte  Thätigkeit 
der  Karotiden ,  wenig  gestörte  Besinnlichkeit ,  wiewol  scheinbarer  Traumzu- 
stand; keine  Äusserung  von  Schmerz.  Richtet  man  das  Kind  auf,  so  lehnt 
es  den  Kopf  an  und  lässt  die  Glieder  schlaff  herabhängen,  es  befindet  sich 
überhaupt  in  einem  apathischen  Zustande,  der  nur  auf  Augenblicke  durch 
eine  transitorische  Unruhe  und  durch  Äusserung  von  Verdriesslichkeit  und 
Eigensinn  unterbrochen  wird.  Dabei  massiger  Durst,  weicher,  weder  heisser, 
noch  schmerzhafter,  noch  aufgetriebener  Unterleib,  ungestörte  Harnauslee- 
rung, normales  Athmen ,  unruhiger,  mitunter  durch  Krämpfe  unterbrochener 
Schlaf,  nie  Sopor,  Lähmung  oder  ein  anderes  Symptom  hydrocephalilSchen 
Leidens.  Gegen  das  Ende  der  Krankheit  bemerkt  man:  wachsfarbnes  Ge- 
sicht ,  trockne  Lippen ,  kalte ,  röthlich  gefleckte  Gliedmassen,  wie  nach  Ein- 
wirkung von  Frost ,  kaum  fühlbaren  Puls ,  und  der  Tod  folgt  ohne  stürmi- 
sche Erscheinungen ,  manchmal  durch  Wasserschlag.  Die  Krankheit  ist  nur 
selten  mit  einem  Stadio  prodromorum  verbunden,  wo  dann  Erbrechen  und 
Diarrhöe  Hauptsymptome  sind;  häufiger  ergreift  sie  llie  Kinder  plötzlich, 
und  ihre  Dauer  beträgt  nur  3  —  4  Tage.  Die  Section  zeigt:  nicht  abge- 
magerte Leiche,  gewöhnliche  Todtenfliecke ,  auffallende  Fülle  von  venösem 
Blute  in  allen  Körpertheilen ,  in  den  grossen  Gefässen ,  besonders  aber  im 
Gehirn,  das  nach  Entfernung  der  Schädeldecke  unter  ihr  wie  ein  Schwamm 
hervorquillt  und  nicht  wieder  unter  sie  zurückzubringen  ist;  ausi^erdem -^bläu- 
lich  gefärbte  Schädelknochen,  keine  Spur  von  activer  Entzündung,  zuwei- 
len wie  mit  Wasser  getränkte  6ehirnsubstanz,  in  den  Gehirnhöhlen  mehr 
Wasser  als  gewöhnlich <  die  Milz  sehr  mussig,  blutreich,  Leber  und  Ge- 
därme gesund,  letztere  nur  zuweilen  mit  Ecchymosen  besetzt  {Kruchciitjerg). 
Diagnose.  Zu  unterscheiden  ist  das  Übel  von  Zahnruhr,  Gastroma- 
lacie  und  Hydrocephalus.  Bei  der  erstei-n  dauert  der  Durchfall  Wo- 
chen lang  und  greift  nicht  sehr  an,  das  Erbrechen  ist  nie  ein  so  constantes 
Symptom  wie  bei  Apopl.  venosa  infantum;  ausserdem  sind  die  Kinder,  bei 
der  Zahnruhr  verdriesslich ,  reizbar,  eigensinnig,  sie  fiebern,  Mundhöhle  und 
Zahnfleisch  sehen  roth  und  geschwollen  aus ,  und  wenn  in  seltenen  Fällen 
der  Tod  folgt ,  so  erscheint  er  unter  den  Symptomen  einer  Abdoinlnalent- 
zündung  oder  eines  secundären  Hydrocephalus.  Bei  Gastfomalacie  ist  das 
Erbrechen,  "wie  der  Durchfall  oft  sehr  stürmisch,  der  Durst  heftig,  das  Atis- 
geleerte  sauer  von  Geruch  und  Farbe,  und  der  Puls  ist  anfangs  oft  schnell 
und  fieberhaft  (s.  d.  Artikel).  Der  Hydrocephalus  unterscheidet  sich  vdn 
diesem  Kinderschlagflusse  .durch  das  active  inflammatorische  Stadium  des 
Hirnleidens ,  durch  die  Lichtscheu ,  die  verengerte  Pupille ,  den  unruhigen 
Ächlaf ,  das  Aufschreien  in  demselben ,  durch  spasmodische  Zufälle ,  Leibes- 
verstopfang,  verminderte  Diuresis,  gesteigerte  Thätigkeit  der  Karotiden, 
Lähmungen ,  Sopor ,  durch  Fieber  mit  starken  Kopfschweissen  etc.  Ur- 
sachen.    1)  Prädisposition   geben  die  ersten   zwei  Lebensjahre,    lebhaftes 


172  APOPNEUSIS  —  APPETITUS  MORBOSÜS 

Temperament,  Vollsaftigkeit.  2)  Entfernte  Ursachen  sind:  die  Dentition, 
langes  und  ungewohntes  Auflialten  in  der  Mittagssonne,  der  kühlen  Abend- 
luft, unterdrückte  Transspiration.  3)  Die  nächste  Ursache  ist,  nach  Hnch- 
mann,  eine  zu  venöse  Beschaffenheit  des  Blutes  und  eine  zu  grosse  Exten- 
sion der  Blutmasse,  also  krankhaft  erhöhte  Venosität,  eine  zu  venöse  Mi- 
schung des  Venen-,  und  später  auch  des  Arterienblutes,  eine  zu  grosse 
Expansion  des  erstem,  eine  Plethora  venosa  ad  volumen,  was  die  Section 
beweist  (Tolt).  Prognose.  Ist  sehr  ungünstig;  dauerte  das  Übel  schon 
länger  als  24  Stunden,  so  folgte  stets  der  Tod  {Hnchmnnn,  Kmchenhcrg. 
S.  Kruckenherg' s  Jahrbücher  d.  ambulator.  Klinik,  Bd.  II.  S.  130,  u.  Mach- 
mann  \n  Heckcr^s  Lit.  Annalen,  6.  Jahrg.  Mai),  und  jedes  Mittel  blieb  frucht- 
los. Wiederkehr  des  Lebensturgors ,  der  Wärme  und  Farbe,  allgemeiner 
starker  Schweiss  unter  Nachlassen  der  Apathie ,  stärkerer  Pulsschlag ,  Nach- 
lassen des  Erbrechens  und  der  Diarrhöe  lassen  Genesung  hoffen  ;  täuschend 
ist  eine  vorübergehende  Äusserung  sensorieller  Thätigkeiten  ohne  die  ge- 
nannten Erscheinungen.  Cur.  Blutegel  an  den  Kopf  zu  8  —  12  Stück, 
kalte  Kopfumschläge  von  Wasser ,  Eis ,  Unterstützung  der  Natur  in  ihren 
Bestrebungen  um  Lebenserhaltung  durch  Unterhaltung  der  Stuhlgänge  mit 
gleichzeitiger  Erweckung  der  Lebensthätigkeit  durch  angewandte  Reizmittel: 
warme  Foroentationen  und  Bäder  mit  Salz ,  Pfeffer  versetzt ,  Einhüllen  in 
erwärmten  Flanell ,  kalte  Sturzbäder ,  Einreibungen  des  ganzen  Körpers  mit 
Spirit.  sal.  ammon.  caust.  und  Mercurialsalbe;  innerlich  nach  den  Blutegeln 
kleine  Dosen  Kalomel  mit  Moschus,  Ammonium,  selbst  Arnica,  welche  sehr 
•wirksam  ist  (^Tott^.  Auch  das  Acidum  muriat.  oxygenat.  und  später  die 
Tinct.  nervina  Bestucheffü ,  desgleichen  aromatische  und  demnächst  Stahl- 
bäder möchten  hier  wol  an  ihrer  Stelle  seyn  (Mo*/). 

ApopncusiSj  Apopnoen ,  das  Ausathmen,  Aushauchen,  die 
Exspiration  Ist  diese  lang  und  tief,  dagegen  die  Inspiration  sehr  kurz,  so 
ist  dies  bei  Neurosen  ein  Zeichen  von  Affection  der   VleduUa  oblongata. 

A-POpnixis,  die  Erstickung,  s,  Suffocatio  und  Asphyxia  durch 
Ertrinken,  Erdrosseln  etc. 

Apopsycbia<  $  eine  tiefe ,  anhaltende  Ohnmacht ,  die  zuweilen  in 
Scheintod  übergeht;  s.  Asphyxia. 

Aposia,  Mangel  an  Durst,  s.  Adipsia. 

Apositia ,  Fastidium ,  Widerwille  ,  Ekel  vor  Speisen  ;  s.  A  n  t  i  - 
p  a  t  h  i  a. 

Apostema,  richtiger  Apostasis,  s.  Abscessus. 

Apotbanasia»  das  völlige  Absterben,  der  voUkommne,  un- 
zweifelhafte Tod.  Nur  ein  sicheres  Zeichen  giebt  es,  den  wirklichen  Tod 
vom  Scheintode  zu  unterscheiden,  nämlich  die  wirklich  eingetretene,  durch 
Geruch  und  Gesicht  wahrnehmbare  Fäulniss ;  vielleicht  ist  auch  die  Leichen- 
starre  ein  ziemlich  sicheres  Zeichen,  doch  muss  man  sie  wol  von  der  teta- 
nischen  Starre  unterscheiden.  Auch  fehlt  sie  häufig,  z.  B.  bei  Vergifteten 
durch  verschiedene  Gifte  (s.  Archiv,  gen^r.  de  Med.  Mai  1827).  Dass  wir 
trotz  der  vielen  schauderhaften  Beispiele  von  Lebendigbegrabenw  erden  selbst 
noch  in  unsern  Zeiten  so  selten  Leichenhäuser  finden,  ist  wahrlich  sehr  zu 
beklagen. 

Appetitns  morboSlU,  caninus,  Farnes  lupina,  BuUmos,  Lycoreana, 
Phagaena,  krankhafter  Appetit,  Heisshunger,- Gefräs  sigkeit. 
Ist  ein  Symptom  mancher  Nervenübel:  der  Hysterie,  Hypochondrie,  auch 
verschiedener  Verdauungsbeschwerden  ;  ein  constantes  Symptom  bei  Diabe- 
tes; oft  aber  auch  ein  Fehler  der  Erziehung,  z.  B.  bei  den  Vielfressern, 
Steinfressern,  AUotriophagen ,  die  später  an  krankhafter  Magenerweiterung 
leiden.  Bei  Kindern  und  hysterischen  Frauen  ist  es  oft  mit  Gelüste  (Pica) 
nach  ungeniessbaren  Dingen:  nach  Kreide,  Leder,  Kalk  etc.  verbunden. 
Heftiges,  hastiges  Greifen  nach  Speise,  mehr  noch  nach  Getränk  zeigt  in 
Fiebern  Heftigkeit  der  Krankheit  an.     Cur.     Sie  richtet  sich  nach  den  Ur- 


U' 


APPLICATIO  CUCURBITULARÜM  ET  HffiUDINUM     173 

Sachen.     Bei  Magensäure   geben  wir  Absorbeiitia ,    leichte   animalische' Kost, 
bitterie  Extracte  (s.  Amara),  bei  Nervenübeln  Ahtihysterica  etc. 

Applicatio  cucurbitularumi  et  htrudinuin ,  die  AnwenT 
düng  der  Schröpfköpfe  und  der  Blutegel.  In  Betreff  der  ersterii 
unterscheidet  man  blutiges  und  nichtblutiges  (trocknes)  Schröpfen 
(Applicatio  cucurbitularum  cum  et  sine  incisione)  ;  letzteres  wirkt  wie  ein 
Rubefaciens,  und  ist  bei  Hernia  incarcerata,  bei  Colica  flatulenta,  bei  Zahn- 
schmerz,  um  zu  deriviren,  und  in  vielen  andern  Fällen  nützlich.  Das 
Schröpfen  kann  häufig  die  Blutegel  ersetzen,  ja  in  manchen  Fällen  ist  es 
letztern  vorzuziehen,  um  Blut  aus  den  kleinen  Gefässen  zu  entleeren,  wo- 
hin ein  Aderlass  nicht  so  direct  und  schnell  reichen  kann ,  z.  B.  bei  heftigeü 
Augenentzündungen  des  Schröpfen  im  "Nacken,  eben  so  bei  apoplektischen 
Zufällen ,  bei  Angina  etc.  ,  ferner  bei  Congestionen  nach  innern  Organen, 
zumal  bei  solchen,  die  mit  zu  geringer  Hautthätigkeit  verbunden  sind;  bei 
rheumatischen  und  gichtischen  Localleiden ,  bei  Lambago,  Ischias  nervosa, 
Prosopalgie,  bei  Gelenkentzündungen  ist  das  blutige  Schröpfen  in  der  Nach- 
barschaft der  leidenden  Theile  fast  immer  nützlich.  Man  applicirt  nach  Um- 
ständen 4  bis  16  Köpfe,  die  man  durch  ein  brennendes,  darunter  gehaltenes 
Licht  erst  luftleer  macht,  alsdann  sie  auf  die  befeuchtete  Haut  applicirt, 
und  bald  darauf  die  roth  gewordene  geschwollene  Hautstelle  mit  dem  aus 
1;^  und  mehreren  schneidenden  Lanzetten  bestehenden,  durch  einen  Mecha- 
nismus aufgezogenen  Schröpfschnepper,  durchs  Abdrücken  der  Feder  dessel- 
ben, verwundet,  worauf  man  den  Schröpfkopf  so  oft  wieder  aufsetzt,  bis 
er  kein  Blut  mehr  hferauszieht.  Hinterher  reibt  man  auf  die  Stellen  etwas 
Hirschtalg  ein.  Die  altern  Ärzte  hielten  mit  Recht  viel  aufs  Schröpfen,  das 
unsere  modernen  Ärzte  ^  welche  jene  nicht  studiren,  oft  ohne  Grund  unter- 
lassen, und  dagegen  Blutegel  appliciren.  —  Die  Anwendung  der  letztern  kann-* 
ten  schon  die  griechischen  Ärzte ;  aber  sie Wandten  sie  mit  Recht  weit  spar- 
samer an  als  unsere  modernen  französischen  und  deutsch  -  französischen  Blut- 
sauger jetziger  Zeit.  Ich  leugne  nicht,  dass  sie  in  vielen  Fällen  nützlich 
sind,  aber  der  Schaden,  der  dadurch,  zumal  bei  VVöchnerinnen ,  oft  durch 
Entblössung  des  Theils ,  durch  Erkältung ,  durch  Aufregung  des  Nervensy- 
stems, indem  mancher  matte  Kranke  stundenlang  mit  der  Abwartung  der 
Nachblutung  sich  anzustrengen  hat ,  erregt  wird ;  den  bringen  Wenige  in 
Anschlag.  Es  giebt  mehrere  Arten  von  Blutegeln;  aber  nur  die  echte  Art 
(JUnido  nicdicinalis)  kann  man  gebrauchen.  Ein  solcher  Blutegel ,  deren 
man  jetzt  eine  grosse  Menge  künstlich  zieht  (selbst  hier  mein  Freund,  der 
Dr.  Witte) ,  hat  einen  platten  und  schleimigen  Körper ,  einen  dünnen  Kopf 
und  dickern  Schwanz  als  die  andern  Arten ,  und  auf  jeder  Seite  des  Rücken» 
3  gelbliche  Streifen.  Der  mittlere  ist  schwarz  punktirt  und  von  dem  drit- 
ten meist  noch  durch  einen  vierten  schwarzen  Strich  getrennt.  Der  Bauch 
ist  stahlblau  und  mit  gelben  Flecken  marmorirt.  Das  zum  Ansaugen  die- 
nende Gebiss  ist  sternförmig.  Das  Sammeln  der  echten  Blutegel,  die  sich 
im  reinen  Wasser  mit  Sand-  und  Moorgrund  aufhalten,  geschieht  am  besten 
an';  heitern  Sommertagen.'  Die  unechten  Blutegel  aus  stehenden  Sümpfen 
erregen  Entzündung  und  heftige  Schmerzen.  Wenn  sich  die  Blutegel  hau-: 
ten,  so  saugen  sie  sehr  schwer  an.  Man  kann  sie  Jalire  lang  ohne  alle 
Nahrung,  nur  durch  öfteres  Darreichen  von  fi-ischem  Wasser,  aufbewahren. 
Das  Ansetzen  der  Blutegel  macht  oft  viele  Mühe.  Um  es  zu  erleichtern  und 
sie  dazu  aufzumuntern,  lässt  man  die  Thierchen  unter  einer  Glasglocke  auf 
einem  trocknen  Tuche  einige  Minuten  umherkriechen ;  dann  nimmt  man  einen 
derselben,  fasst  ihn  mit  einem  Leinwandläppchen  oder  steckt  ihn  in  einea 
Kartencylinder ,  so  dass  das  Kopfende  hervorragt,  und  hält  nun  dies  End« 
so  lange  an  die  gewählte  Stelle ,  aber  ohne  den  Blutegel  zu  drücken ,  bis 
er  sich  fest  gesogen  hat.  Wollen  die  Thiere  nicht  gern  anbeissen,  so  setzt 
man  mehrere  derselben  in  ein  Glas,  bestreicht  die  Stelle  mit  ein  wenig 
Milch ,  Blut  oder  Zuckerwasser ,  und  stülpt  sie  dann  mit  dem  Glase  auf 
diese  Stelle,  wo  man  sie,  bis  einige  gesogen  haben,  festhält.  Die  Vorrich- 
tungen zm-  Application  der  Blutegel  von  Cavel ,    Bach ,    Löffler ,    Delaroch» 


17*  APSYCHIA  —  ARDOR  STOMACHI 

nnd  Br^er  kann  man  entl)ehren.  Soll  der  Blutegel,  der  nicht  mehr  saugt 
(wo  sein  Hals  nicht  mehr  undulirt),  und  doch  nicht  Ibslässt  (weil  er  noch 
beisst),  entfernt;  werd^ji:»  sq  bestreuet  man  th«  mit  etwas  Salz,  welches 
dem  Thiere  Erbrechen  macht,  weshalb  man  sie  auch,  will  man  sie  öfter$ 
brauchen,  pich  so  ihr  gesogenes  Blut  entleeren  lässt.  Losreissen  darf  man 
iden  Blutegel  ja  nicht ,  sonst  folgt  Entzündung  und  Exulceration  der  Biss- 
wnnde.  —  Das  Nachbluten  befördert  man  durch  Bähungen  von  lauem  Was- 
set  und  dujfch  Überlegen  warmer  leinener  Tücher.  Oft  ist  die  Nachblutung 
BH  bedeutend.  Kann  man  hier  das  Blut  durch  Feuerschwaram  nicht  stillen, 
so  ätze  man  die  Stelle  ein  wenig  mit  Höllenstein,  tamponire  sie,  oder  ziehe 
durch  Nadel  und  Faden  die  kleine  Wunde  zusammen.  < —  Die  Indicationen 
zur  Anwendung  der  Blutegel  sind  nach  der  heutigen  Schule  sehr  mannigfal- 
tig. Man  will  sije  in  allen  Fällen  benutzen,  wo  ein  Aderlass  nöthig  ist, 
den  sie,  da  ohnehin  ihre  Application  oft  recht  quälend  für  den  Kranken  ist, 
doch  nie  ersetzen  können.  Bei  localen ,  nicht  bedeutenden  Entzündungen, 
zumal  am  Kopfe,  sind  sie  oft  recht  schnell  wirksam,  da  man  sie  dem  lei- 
denden Theile  sehr  nahe  bringen  kann.  Bei  activen  und  selbst  bei  passi- 
ven (  ?  ! )  Congestionen ,  Irritationen  und  Inflammationen ,  gleichviel  durch 
welche  Ursache  sie  entstanden  sind,  werden  sie  heutiges  Tages  angewandt, 
obgleich  sie  nur  bei  erstem  nützlich  sind.  Modethorheiten  gab  es  zu  allen 
Zeiten,  imd  also  auch  noch  jetzt.  Nützlich  sind  sie  caeteris  paribus  bei  xm- 
terdrückten  Regeln ,  solchen  Goldadern ,  bei  zufälligen  Entzündungen  der 
Gfeschwüre,  des  Krebses,  bei  acuter  Gicht  und  Rheuma;  doch  in  allen  die- 
sen Fällen  keine  zu  grosse  Zahl,  um  nicht  die  Lebenskraft  zu  sehr  herun-t 
tcrzubringen.  Bei  Kindern  ersetzen  sie  den  Aderlass  in  vielen  Fällen.  Sie 
wirken  dadilrch  1)  dass  sie  das  Blut,  besondecs  aus  den  Haargefössen ,  wo 
es  oft  stockt ,  entleeren ,  dass  sie  2)  durch  ihren  Biss  die  Haut  reizen ,  und 
S)  dass  sie  psychisch  aufs  Gemüth  des  Kranken  dadurch  wirken,  indem  sie 
die  Aufmerksamkeit  von  der  Krankheit  auf  sich  und  auf  die  Operation  ieJT- 
tea^  Dass  sie  auch  das  Blut  nach  dem  leidenden  Organe  wiederum  hin- 
iocken ,  ist  leider !  richtig ,  zumal  wenn  ihre  Zahl  zu  gering  ist.  Gewöhn- 
lich entfernt  ein  grosser  Blutegel ,  iiiclusive  der  Nachblutung ,  2  Unzen 
Blut.  Bei  zarten  Kindern  setzt  man  daher,  z.  B.  beim  Croup,  selten  mehr 
als  4  bis  6,  bei  Erwachsenen  höchstens  12  bis  16  an.  Dass  die  Franzosen 
oft  50  und  mehr  biiuieu  S.^  Stunden  an  einem  Kranken  appliciren,  ist  un- 
verantwortlich (s.  auch  Inflaramatio  im  Allgemeinen). 

ApiBy<}lM»s  Ohnmacht,  s.  Asphyxia. 
"'     Apyrexia,  fieberloser  Zustand.     Ist  die  freie  Zeit,  wo  bei  Fte'- 
fc'rjs  intermittens  das  Fieber  ganz  nachgelassen  hat.  '  ' 

A^ua  toffana^  s.  Intoxicatio. 

Araeluioid.iti/§r,  weniger  richtig  Arachnitis,  Jnflammado  aruch- 
midenR,  Entzündung  der  Spinngewebenhaut  des  Gehirns;  s.  Inflarama- 
tio cerebri. 

Arcliaeus.  So  nannten  Bapt.  v.  ITelinonl ,  Theophrastus  u.  A.  den 
ursprünglichen  allgemeinen  Grund  des  Lebens. 

5>i  i .  .  . 

,,     Archecptoina »  der  Mastdarmvorfall,  s.  Prolapsus  ex  ano. 

Arcbocele»  H^drocele ,  .  MmtAatnibrmh ,  s.  Hernia  inte^tini 
recti. 

AreliosyriniC ,    Mastdarmftstel,    s.  Fistula  ani.     Auch  wird  eine 

Klvsiiorspritze  so  genannt. 

j^CUfil  seniliSj  s.  Gerontoxon," 

Arcus  vener eus.     Ist  gleichbedeut^»^d ,  mit   ipUorda   venerea; 

s.  Go  norr  ho  ea.  '.  v  ■  '■■. 

Ardor  stomaehi,  vcntricuU,  Pyrosis^  Soda,  Brennen  im  Ma- 
gen, Sodbrennen.  Ist  ein  Symptom  von  Verdauungsschwäche  und  ver- 
schiedenen Fehlern   der  Digestionsorgane,   und  gewöhnlich  mit  saurem  Auf- 


AREA  —  ARENATIO  175 

stossen  (Ructus  acidiis,  Oxyrygmia)  vesrbuaden.  Cor,  Palliative  Hülfe 
verschaffen  für  den  Augenblick  ein  Theelöffel  voll  Magnesia,  einige  bittere 
Mandeln,  einige  Tropfen  Spirit.  salis  ammon.  caust.  in  einem  Glase  Wasser, 
das  Kauen  eines  Stückchens  Ingwer  und  anderer  Gewürze,  ein  kleines  Glas 
Pfeffermünzliqueur  u.  dergl.  Die  Hauptsache  bleibt  aber  die  Radicalcur,  wo- 
durch die  Wiederkehr  des  Zufalls  verhütet  wird,  also  eine  höchst  geregelte 
Diät,  vorzüglich  leichtverdauliche  animalische  Speisen,  massiger  Genuss  des 
Rothweins ,  viel  Bewegung  im  Freien ,  innerlich  anhaltend  gebraucht  Gumm. 
asae  foetid. ,  Seife  und  Fei  tauii  in  Pillenform ,  auch  Folgendes :  JE^'  Saponis 
niedicnti ,  Natri  carhonici  «tcct  ana  5.ij ,  M.  flaut  cum  extrnct.  trifolii  q,  s. 
pil.  poiid.  gr.  jj,  consp.  pulv.  rad.  Uquirit.  S.  Dreimal  täglich  3 — 10  Stück 
zu  nehmen  {Berends).  Dabei  achte  maa  auf  Äpirrhositäten  des  Magens, 
Krankheiten  der  Milz,  Leber  etc.,  wähle  dagegen  die  zweckmässigsten  Mit- 
•tel,  und  vergesse  nie,  für  tägliche  Leibe^äöffoung  dur<sh  Klystiere,  Infus, 
rad.  rhei,  sennae,  Tüict.  rhei  aquos.  zu  sorge«  (die  kühlenden  Purganzen 
aus  Sal  Gla«beri  passen  hier  selten),  damit»  Jceine  nachtheilige  Leibesversto- 
pfung eintritt.  Auch  folgeitdes  Mittel  is<t  .gegen  ;Sodbrennen,  fast  specilisch 
au  nennen:  1^  Ea>tr.  rtUne,  ■ —  gentiamte^  -. —  co/rdui  bemd.  ana  Sjj,  lÄqttor. 

halt  carhon.  5j »  Aquiie  diamomill. , metUh.  er.  ana  §jjj ,  Tinct.  rhei  aquo&. 

3ß ,  Titlet,  einmtm.  öji,  Aquae  Imirocerotsi  5i-  M.  S.  Vierxaal  täglich  einen 
Esslöffel  voll  (M.). 

Area,  s.  Alopecia. 

Ajrena,  S>and,  Gries.  Ist,  ^venn  er  mit  dem  Urin  cdbgeht,  häufig 
em  Symptom  der  Harnsteine,  oft  aber  auch  ohne  diese  da;  pder  gefat  der 
Harnsteinbildung  vorher.  Der  Nierengries  (Acena  nephritica,  renalis)  bildet 
kleine,  steinige  Concrementc  im  Nierenbecken,  die  daselbst  entweder  blei- 
ben und  sich  zu  einem  Nierensteine  bilden,  oder  in  die  Blase  gehen,  wo  sie 
entweder  bald  mit  dem  Urin  und  nicht  ohne  Schmerzen  abgehien,  .oder  ver- 
weilen und  den  Kern  zu  einem  oder  mehreren  Blasensteinen  abgehen.  Cur. 
•Die  allgemeine  der  Steinkrankheit.  Palliativ  verordnen  wir  Erauls.  amygdal. 
dulc.  expr.  oder  Emuls.  sem.  papav.  albi  mit  etwas  Extr.  hyoscyauni ,  Aq. 
laurocerasi  u.  dergl.;  s.  Liithiasis.  '  ..    - 

Arenatio,  das  Belegen  mit  Sand,  das  sogenannte  Sandbad 
(^Psammismus ,  Gammismusy  Der  Nutzen  des  erhitzten  Sandes  zu  trocknen 
"Fomentationen ,  entweder  unmittelbar  oder  in  Tüchern,  Beuteln  auf  den 
Theil  gebracht,  ist  bekannt.  Man  hat  bei  Oedema  pedum  (^Celsus},  bei 
Asthma  humidum  (^Herodot) ,  bei  Rheuma  und  Gicht,  bei  Koliken, 
Lähmungen  etc.  das  Mittel,  bei  dem  die  anhaltende  Erwärmung  des 
Theils  wol  die  HauptWirkung  macht,  mit  Recht  empfohlen;  denn  es  be- 
wirkt stärkere  Erregung  der  Hautnerven  und  Capillargefässe ,  vermehrte 
Röthe,  Hautausdünstung.  Bei  plötzlich  mit  grossen  Schmerzen  auftretenden 
Rheumatismen  hat  mir  der  erwärmte  Sand  besonders  herrliche  Dienste  ge- 
leistet (s.  Rheumatismus  partium  ijiternarura  No.  2);  auch  bei  zu- 
tückgetretenen  Fussschweissen  passt  er  zu  sogejiannten  trocknen  Fussbädern. 
Seht  nützlich  ist  der  angefeuchtete  Sand,  der  Sandsack,  zur  An- 
wendung eines  gleichmässig  wirkenden  mechanischen  Drucks,  z.  B.  auf  den 
Unter'leib  gelegt,  um  gefährliche  Metrorrhagien,  nach  der  Entbindung  und 
Lösung  der  Placenta  entstanden,  zu  stillen,  indem  ein  solcher  Druck  den 
Uterus  zur  Contraction  reizt,  ihre  Gefässe  comprimirt  und  die  Blutung  be- 
seitigt wii-d.  Es  bemerkt  zwar  v.  Siehold  (s.  dessen  Frauenzimmerkrankhei- 
ten, .1826.  Bd.  IT.  S.  102),  dass  dadurch  oft  eine  Inver&io  uteri  incorapleta 
hervorgerufen  werde;  doch  sah  ich  bei  Anwendung  des  Sandsackes,  worein 
wenigstens  10  bis  12  2  Sand  kamen ,  diese  nie  erfolgen ,  wenn  die  Blutende 
nur  recht  platt  liegt.  Auch  bei  Fracturen  des  Unterschenkels  bedient  man 
sich  des  feuchten  Sandes  mit  Nutzen,  zumal  in  den  ersten  8 — 14  Tagen 
nach  der  ^'erletzung  bis  zur  Anlegung  des  Verbandes.  Man  verfährt  dabei 
folgendermassen :  der  gebrochene  Unterschenkel  wird  mit  Wachstuch  umge- 
ben, gehörig  exteudirt,  und  in  dieser  Richtung  bei  fortwährender  Extension 


176  ARGEMA  —  ARTERIECTASIS 

lii  ' Wen '  leei'en ,  echmalen,  der  Länge  des  Gliedes  entsprechenden  Kasten 
niedergelegt,  dann  feiner,  trockner  Sand  von  den  Seiten  hineingeschüttet, 
und  dieser  darauf  so  lange  mit  Wasser  begossen,  bis  der  Sand  den  grüss- 
ten  Theil  der  untern  Extremität  als  eine  feste  Mauer  umgiebt.  Durch  das 
seitliche  Zurückschlagen  der  Wachsleinwand  erscheint  die  obere  Fläche  des 
Gliedes  frei.  Der  Sand  wird  durchs  Begiessen  mit  kaltem  Wasser  stets 
feucht  erhalten  und  dient  zugleich  als  kaltes  Foment.  Hust  wendet  dies 
Yerfaluen  gewöhnlich  an,  welches  besonders  durch  Förster  vervollkommnet 
•\Vurde.  Auth  Dieß'enbnch  bedient  sich  desselben  bei  allen  Brüchen  des  Un- 
terschenkels mit  grossem  Erfolge  (s.  Husis  Handb.  d  Chirurgie,  Bd.  II. 
S.  247).  -^  Zur  Unterstützung  gebrochener  Glieder,  zumal  des  Schenkel- 
beinhalsbruches bei  Subjecten,  wo  keine  radicale  Heilung  mehr  zu  erwarten 
ist ,  auch  bei  jungen  Leuten ,  wo  ein  complicirter  Apparat  nicht  gut  ans 
Hüftgelenk  angebracht  werden  kann,  eben  so  bei  falscher  Ankylose,  die- 
nen die  Sandsäcke,  um  anhaltend  zu  unterstützen  und  darneben  durch  einen 
RoHapparat  zu  extendiren.  Bei  Ancylosis  spuria  werden  zwei  gleich 
schwere  Sandsäcke,  deren  Gewicht  der  Indi^•idualität  des  Falls  angepasst 
■werden  muss,  durch  einen  Gurt  mit  einander  verbunden,  und  dergestalt  ap- 
plicirt ,  dass  die  Mitte  des  letztern  auf  den  höchsten  Punkt  des  möglichst 
ausgedehnten  Gliedes  zu  liegen  kommt.  Der  Gebrauch  dieses  Mittels  muss 
täglich  wiederholt  werden,  anfangs  jedesmal  10 — 15  Minuten,  später  einige 
Stunden  lang. 

Argeina »  Argemon ,  Hornhautgeschwür ,  s.  Ulcus  corneae. 

Aridulaij  das  Vertrocknen,  Schwinden  einzelner  Theile 
des  Körpers,  ein  Ausdruck,  der  für  partielle  Atrophie  von  EttmüUer, 
Sauvages,  Linne  und  Sagar  gebraucht  worden.     (S.  Atrophia). 

-•,  j  Arnaldiar*  So  nennt  man  eine  langwierige  bösartige  Krankheit, 
welche  früher  in  England  herrschte  und  wobei  die  Haare  ausfielen.  Man 
hielt  sie  für  eine  B'orm  der  Syphilis  (s.  RusCs  Handb.  d.  Chirurgie,  Bd.  IL 
S.  257).         ,   . 

Aromatica»  aromatische,  ge  würz  hafte  Mittel.  Dahin  ge- 
hören die  verschiedenen  in  der  Küche  und  Apotheke  bekannten  Gewürze  : 
Cort.  cinnamomi,  Rad.  enulae ,  Sem.  anisi,  foeniculi,  Herb,  hyssopi ,  majo- 
ran.,  raphan.  rustic,  raenth. ,  melissae,  mari  veri,  Rad.  valerianae,  serpeii- 
tariae,,  angelicae,  Flor,  chamomill..  Herb,  rutae,  Cort.  Winteran. ,  chinae, 
Radi  zingib.,  cal.  aromat. ,  gei  urbani,  Piper  nigr. ,  long.,  hispanic. ,  Cam- 
phpra,  Vanilla  etc.  Ihre  Wirkung  ist  theils  expectorirend ,  thells  flüchtig 
reizend,  belebend,  stärkend;  daher  passen  sie  besonders  bei  manchen  Kräm- 
pfen, bei  torpider  Schwäche,  bei  atonischen  Blutungen,  bei  Faulfiebern 
etc. ;  die  Auswahl  bleibt  dem  Scharfsinn  des  Arztes  überlassen.  So  z.  B. 
dienen  die  mildern  aromatischen  Pflanzen:  Mentha  crisp. ,  piper. ,  Flor,  cha- 
raomillae ,  Sem.  EUiisi ,  foeniculi  bei  Kardialgien  hysterischer  Personen ,  bei 
Colica  flatulenta;  die  Enula,  der  Fenchel,  Anis  als.Expectorans ,  besonders 
bei  chronischem  Asthma  ,  bei  Blennorrhöen  der  Lungen ,  des  Magens  alter 
Leute;  Cort*  Winteran.,  chinae,  Rad.  zingib.,  calam.  arom. ,  gei  urbani 
bei  Schwächefiebern,  in  der  Reconvalescenz  nach  heftigen  Fiebern,  bei 
Faulfiebern  (hier  besonders  auch  die  Serpentaria  und  der  Kampher);  Ing- 
wer,  Pfeffer  etc.,  besonders  bei  torpider  Schwäche,  bei  Magen beschwerdea 
der  alten  Säufer,  wo  auch  die  Rad.  imperatoriae  gute  Dienste  thut ,  beson- 
ders wenn  sie  des  Morgens  an  Übelkeiten  und  Schleimwürgen  leiden.  Hier 
hat  mir  folgende  Tinctur,  welche  unter  der  Benennung  Tinct.  ebriorum 
Mostii  hier  bekannt  ist,  gute  Dienste  geleistet:  Y^  Rad,  imperatoriae  5],  — 
giilarignc ,  —  zingihcris  ana  ^ü  ,  Rad.  gentianae  rühr.,  Cardamomi ,  Sem. 
corinudri  ana  3jjj »  Spirit.  vini  rectificat.  ^jß ,  diger.  per  24  hör.  colat.  adde 
Extr.  scnegac  3jjj »  —  opii  aquos.  5j.  M. ,  wovon  dreimal  täglich  40 — 60 
Tropfen  mit  etwas  Portwein  genommen  werden. 

ArteriectasiS ,  s.  Angiectasis. 


ARTERUTIS  —  ARTHRITIS  177 

.Arteriitis»  Schlagaderentzündung,  s.  Inflammatio  arteriaruni. 

Arteriomalacia,  s.  Malacosis  arteriarum. 

Arteriorrliexis,  Schlagaderzerreissung. 

Arteriotblipsis,  das  Drücken  oder  Reiben  einer  Arterie ,  z.B.  durch 
äussern  Druck ,  durch  Geschwülste  etc. 

Arteriotomia,  Schlagaderöffnung.  Ist  diejenige  chirurgische 
Operation ,  wo  eine  unter  einem  Knochen  liegende  und  daher  leicht  zu  com- 
prirairende  Arterie,  am  häufigsten  die  Art.  temporalis,  um  schnell  die  Blut- 
masse zu  vermindern ,  durchschnitten  wird  ,  was  bei  Encephalitis  ,  Angina 
membranacea  etc.  oft  mit  Nutzen  geschehen  ist  (^Albers}.  Ausser  der  Arte- 
ria temporalis  und  deren  Ästen  hat  man  in  geeigneten  Fällen  auch  wol  die 
Arteria  radialis  und  die  Art.  digitales  volares  geöffnet.  Indicirt  ist  diese 
Operation,  wo  man  eine -s  c  hn  eile  und  starke  Blutentziehung  bewirken 
oder  rasch  Olmmacht  herbeiführen  will,  z.B.  bei  schwerer  Pneumonie  und 
Diaphragmitis,  bei  Hirnentzündung,  zumal  nach  Kopherletzungen ,  bei  Apo- 
plexia sanguinea,  bei  Mania  furibunda,  bei  Erhängten,  Erstickten,  bei  be- 
deutender arterieller  Ophthalmie  etc.  Da  in  allen  Fällen ,  wo  die  Opera- 
tion indicirt  ist,  die  Arterie  stark  ausgedehnt  erscheint,  so  ist  das  Manoeuvre 
gar  nicht  schwer.  Man  schneidet  die  Pulsader  wol  mit  einem  Bistouri  an 
und  comprimirt  sie  oberhalb  der  Öffnung.  Besser  ists,  sie  mit  einer  Lan- 
zette zu  öffnen  und  den  Stich  scliief  longitudinell  zu  machen  und  so  die 
Öffnung  zu  erweitern.  Will  die  Blutung  nachher  sich  nicht  stillen  lassen, 
so  wendet  man  das  Butter'sche  Compressorium  an.  Reicht  dies  nicht  aus, 
so  muss  die  Arterie  durchschnitten  und  unterbunden  werden.  Nie  wii'd  die 
Artcriotomie  durch  Venaesection  oder  durch  Blutegel ,  wie  Manche  meinen, 
entbehrlich  gemacht. 

Arthritis,  Artestis,  Articulortmi  dolores,  Morbus  articularis,  Gicht, 
Glieder  sucht ,  Gliederweh,  Zipperlein,  Diese  Krankheit  ist  die 
Folge  der  nach  Aufhebung  der  sogenannten  venösen  Dyskrasie  (qualitativ 
erhöhten  Venosität,  krankhaften  Präponderanz  des  Venensystems)  streben- 
den Naturkraft ,  die  hier  durch  Hervorrufung  einer  Gelenkentzündung  (da- 
her auch  die  Benennung  Arthritis  die  richtigste  ist)  von  specifischem  Cha- 
rakter als  kritisch  auftritt  (^Pucheli).  Andere  nehmen  eine  Gichtmaterie  an, 
bestehend  aus  Phosphorsäure  oder  Harnsäure,  oder  aus  beiden  zugleich, 
vielleicht  mit  beigemischtem  Stickstoff,  die  sich  aus  dem  Gefässsysteme  durch 
die  Capillargefässe  entladet  und  ins  Zellgewebe  und  die  serösen  Häute  der 
Gelenke  geht.  (Beide  Theorien,  wovon  die  erstere  mehr  die  dynamische, 
letztere  mehr  die  materielle  Seite  der  Krankheit  anffasst,  lassen  sich  viel- 
leicht vereinigen  und  als  primäre  und  secundäre  Zustände  der  Gicht  unter- 
scheiden. Mosi).  Öfters  bilden  sich  statt  dieser  voUkommnen  Krise  ander- 
weitige Krankheitsformen  aus ,  die  man  mit  dem  Namen  der  anomalen  Gicht 
belegt,  die  aber  zweckmässiger  nach  ihrer  Form,  z.  B,  Asthma  mit  dem 
Zusätze:  als  Folge  vereitelter  Gelenkgicht,  zu  benennen  seyn 
dürften.  Gicht  müsste  eigentlich  nur  derjenige  Zustand  genannt  werden, 
wo  es  zu  einer  voUkommnen  Krise  für  die  venöse  Dyskrasie  (für  die  Aus- 
scheidung der  sogenannten  Gichtmaterie  itf.)  unter  der  Form  einer  wirkli- 
chen gichtischen  Gelenkentzündung  (Gelenkgicht)  gekommen  ist.  Wir  beob- 
achten hier  folgende  Arten :  Arthritis  exquisitn ,  Gelenkgicht.  Sie  ist  entwe- 
der acut  (Arthritis  acuta ,  Febris  arthritica) ,  oder  chronisch ,  und  erstere 
entweder  allgemein  oder  örtlich. 

Arthritis  acuta  universalis ,  allgemeine  acute  Gelenkgicht.  Sie 
zeigt  sich  in  der  Form  einer  allgemeinen  Gelenkentzündung,  als  Folge  des 
Naturbestrebens,  die  venöse  Dyskrasie  zu  heben  oder  die  Gichtmaterie  von 
innen  nach  aussen  zu  stossen.  Der  Grund  zu  dieser  Krise  liegt  unstreitig 
in  unbekannten  Bestrebungen  der  Natur,  die  fehlerhafte,  anomale  Blutmi- 
schung (Folge  von  diätetischen  Fehlern)  gerade  durch  Gelenkentzündung  zu 
beseitigen ;  vielleicht  trägt  auch  krankhaft  gesteigerte  Empfindlichkeit  und 
Schwäche  der  Gelenke  dazu  bei,  dass  letztere  vor  Allem  afficirt  werden, 
Most  Eucyklopädie.  2te  Aufl.  I.  12 


178  ARTHRITIS 

dass  nicht  ein  atrabilarisches  oder  inflainmatorisch -  biliöses  Fieber,  welche 
ebenfalls  für  die  erhöhte  Venosität  kritisch  werden  können,  entsteht.  Das 
Fieber,  welches  die  Gelenkgicht  begleitet,  ist  Coiiflict  der  Naturkrise  und 
beruhet  auf  einem  Orgasmus  oder  Erethismus  im  gesammten  Gefasssystem, 
modificirt  durch  die  Individualität,  daher  bald  mit  sthenischem,  bald  mit 
asthenischem  (doch  wol  nicht  bei  der  Athritis  acuta?  3f.)  Charakter  auf- 
tretend ,  doch  häufiger  den  Charakter  einer  Synocha  lyraphatico  -  sanguinea 
von  verschiedenem  Grade,  in  böherm  Grade  den  einer  Febr.  inflammatoria 
erysipelatodes  an  sich  tragend.  Symptome  und  Verlauf.  Nachdem 
kürzere  oder  längere  Zeit  die ,  auch  den  Hämori'hoiden ,  der  Lithiasis ,  der 
Hypochondrie  etc.  eigenthümlichen ,  von  Reil  trefflich  geschilderten  Vorboten 
(Stadium  praeparans)  vorhergegangen  sind,  namentlich:  gestörte  Verdauung, 
abnorme  Function  der  Schleimhäute ,  gestörtes  Gemeingefühl  ,  krankhaft 
veränderte  Nerventhätigkeit ,  besonders  im  Systema  gangliorum,  örtliche 
Zufälle  an  den  vorzüglich  zu  ergreifenden  Partien :  Zucken ,  Jucken ,  Ge- 
fühl von  Wärme,  von  herumziehender  Kälte,  Varices,  Taubheit,  Schwere, 
spastische  Constrictionen ,  Muskelschmei-zen  mit  oft  darauf  folgenden  Sugil- 
lationen  (besonders  bei  Blondinen  und  ohne  äusserliche  Verletzung  entste- 
hend ,  Af .) ,  Ameisenkriechen ,  flüchtige  Stiche  in  den  Gliedern  etc. ,  tritt 
das  zweite  Stad. ,  das  der  Gelenkentzündung,  ein.  Es  stellen  sich  Schmer- 
zen, besonders  des  Nachts,  im  Gelenke  ein,  dasselbe  schwillt  varikös  an, 
dabei  Schauder,  Fieber  mit  allgemein  verbreiteter  Hitze,  sparsamer,  dun- 
kelgefärbter, mit  phosphorsaurer  Kalkerde  überladener  Harn  und  allgemein 
verminderter  Ab-  und  Aussonderungsprocess  in  den  übrigen  Organen.  Das 
Fieber  und  der  Gelenkschmerz  währen  gewöhnlich  24  Stunden ,  alsdann 
folgt  vermehrte  Diuresis  und  Diaphoresis.  Statt  der  aufgetriebenen  Venen 
der  ergriffenen  Gelenke  bildet  sich  nun  GeschwTilst  und  Entzündung  dersel- 
ben ( Syndesmitis ,  Myositis,  Neuritis,  selbst  Osteitis),  und  das  Gelenk 
schmerzt  bei  der  Berührung.  Hiermit  ist  die  Sache  aber  noch  nicht  abge- 
macht. Das  Fieber  und  die  Schmerzen,  auch  wenn  die  Gelenke  nicht  be- 
rührt werden  und  der  Körper  in  Ruhe  erhalten  wird ,  exacerbiren  des 
Abends  noch  3  —  4  Tage,  doch  in  geringerem  Grade,  und  lassen  mit  Ta- 
gesanbruch nach.  Bei  den  ersten  Anfallen,  welche  die  allgemeine  acute 
Gelenkgicht  macht,  so  wie  bei  kräftigen  Naturen  ist  hiermit  der  Gichtpar- 
oxysmus  beendigt,  und  es  tritt  das  dritte  Stadium  (Stadium  criticiun)  lui- 
ter  örtlichen  oder  allgemeinen  Schweissen,  trübem  Harn  mit  röthlichem, 
harnsauren  Gries  enthaltendem  Bodensatze,  unter  Jucken  der  Gelenke  und 
feiner  Desquamation  der  Haut  (yne  nach  Ei-ysipelas)  ein,  worauf  der  Kranke 
sich  so  wohl  befindet ,  wie  es  selbst  vor  dem  Anfalle  nicht  der  Fall  war. 
Die  Paroxysnien  kommen  aber  wieder;  anfänglich  nur  alle  2 — 3  Jahre,  spä- 
terhin jälulich  einmal,  dann  in  jedem  Herbste  und  Frühling,  endlich  noch 
öfter,  ja  sie  werden  zuletzt  fast  habituell.  Je  öfter  das  Übel  recidivirt, 
desto  heftiger  tritt  es  auf,  desto  länger  währt  der  jedesmalige  Paroxysmus, 
so  dass  jeder  einzelne  Anfall  sich  zuletzt  vor  14  Tagen  nicht  entscheidet; 
desto  mehr  nimmt  auch  der  Gelenkschmerz  und  die  Geschwulst  an  Inten- 
sität zu  und  es  bleiben  Entartungen:  Gichtknoten  (Tophi  arthrit. ,  Gum- 
roata),  die  aus  phosphorsaurem  Kalke  bestehen  und  die  Beweglichkeit  des 
Gelenks  mehr  oder  weniger  vermindern,  nicht  selten  auch  zui*  chronischen 
Gelenkgicht  Veranlassung  geben,  zurück,  Ursachen.  1)  Prädisponi- 
rende  sind:  die  erbliche  Anlage  zur  Gicht  (Dispositio  arthritica  haeredi- 
taria)  ,  welche  auf  ererbter  Empfindlichkeit  des  Nervensystems  in  Verbin- 
dung mit  ebenfalls  häreditär  begründeter,  sich  im  mittlem  Lebensalter  (vom 
34sten  bis  45sten  Lebensjahre ,  selten  früher ! )  aus  der  Anlage  entwickeliider 
erhöhter  Venosität  im  Pfortadersysterae  beruhet.  Grösser  ist  die  Anlage  bei 
robusten  Constitutionen  und  beim  männlichen  Geschlecht ,  als  bei  schwachen 
Naturen  und  beim  weiblichen  Geschlecht;  sie  spricht  sich  auch  durch  einen 
eignen  Habitus  (Habitus  arthriticus)  aus,  der  sich  durch  einen  runden  Kopf, 
dicke  Knochen,  spröde  Haut,  atonische,  schwammige  Constitution,  eigen- 
thümliche  Physiognomie,  sanguinisch  -  cholerisches  Temperament  etc.  zu  er- 


ARTHRITIS  179 

kennen  giebt.  Am  häufigsten  finden  wir  die  Gicht  in  den  gemässigtem  Zo- 
nen Europas ,  an  den  VIeeresküsten ,  in  sumpfigen ,  niedrigen  Gegenden : 
in  Holland,  England,  in  Norddeutschland.  2)  Gelegenheitsursachen. 
Sie  erzeugen  die  Gicht  um  so  schneller,  je  mehr  sie  mit  den  genannten 
prädisponirenden  Ursachen  zusammentreffen,  doch  können  sie  auch  in  ge- 
sund gebornen  Körpern  die  Anlage  zur  Gicht  allein  begründen  und  sind 
dann  als  prädisponirende  und  occasionelle  Momente  zugleich  zu  betrachten. 
Hierher  gehören  der  Missbrauch  spirituöser  Getränke,  besonders  des  Rhein- 
weins, des  Ciders,  der  Weine  der  Insel  Kreta,  Missbrauch  des  Essigs,  der 
Mineralsäuren ,  des  Thees  und  Kaffees ,  des  Fleisches  gemästeter  Thiere, 
des  fetten  Fleisches,  der  Gewürze,  des  Öls,  der  gesalzenen  und  geräucher- 
ten Fleischspeisen ,  des  Käses,  schwerer  Schleim-  und  Mehlspeisen ,  Excesse 
in  Venere,  Onanie,  sitzende  Lebensart ,  zu  starke  Geistesanstrengungen,  zu- 
mal zur  Nachtzeit,  Kummer,  Sorgen,  Ärger,  Schreck  und  schwächende 
Leidenschaften  aller  Art,  anhaltende  Unterdrückung  der  Hautausdünstung 
durch  Wohnen  in  feuchten,  kalten  Gegenden,  Wohn-  und  Schlafzimmern, 
durch  zu  leichte  Bekleidung,  kalte  Bäder,  zurücktreibende  Mittel  bei  Haut- 
ausschlägen, Amenorrhoe,  Menostasie,  Haemorrhoides  suppressae,  Unterlas- 
sung gewohnter  Aderlässe ,  anhaltende  Leibesverstopfung ,  gehinderte  Sa- 
menausleerung (?  itf.).  Cur.  1)  Während  des  Anfalls.  Man  berück- 
sichtige das  Fieber  und  behandle  es  seiner  Natur  nach.  Bei  hohen  Graden 
von  Entzündung  dienen  Aderlässe,  jedoch  mit  Vorsicht  und  höchstens  zu 
8  Unzen  und  in  den  ersten  Anfällen,  kaum  je  zu  wiederholen,  ausser  bei 
einer  zu  befürchtenden  Encephalitis,  stets  am  Fusse;  dabei  eine  antiphlo- 
gistische Diät  (in  niedern  Graden  der  Synocha  diese  allein),  erschlaffende, 
mucilaginöse  Ptisanen,  Potio  Riverii,  Emuls.  amygdal.  mit  Nitrum,  Abends 
und  Morgens  gr.  fi — j.  Merc.  dulc. ,  bei  träger  Darmöffnung  keine  Laxan- 
zen ,  sondern  eröffnende  Klystiere ,  bei  gastrischem  Charakter  des  Fiebers 
ein  Brechmittel ,  Infus.  Laxat.  Vienn. ,  jedoch  letzteres  nur  zu  Anfange  des 
Anfalls ,  später  gereicht  erzeugt  es  oft  Metastasen  auf  den  Darmcanal ;  bei 
Neigung  des  Fiebers  zur  Febr.  nervosa  (was  in  den  ersten  acht  Tagen  wol 
selten  der  Fall  ist,  3f.)  Serpentaria,  China,  Sulph.  aurat. ,  Spirit.  Minde- 
ren, Arnica;  bei  Status  pituitosus  Salmiak  mit  Tart.  emet.  in  refracta  dosi 
etc.,  Laxanzen,  auch  Kalomel  mit  Vorsicht;  dabei  Ruhe  des  Körpers  und 
der  Seele  und  ein  passendes,  in  den  meisten  Fällen  kühlendes,  reizloses 
Regimen.  2)  Örtliche  Behandlung.  Die  afficirten  Theile,  das  lei- 
dende Gelenk,  werden  in  Baumwolle,  Flanell,  Kaninchen-,  Katzenfell,  in 
Schütz'schen  Wachstaffet,  in  Wachspflaster,  Schafwolle,  in  aromatische 
Kräuterkissen  mit  Kampher  (doch  nicht  gleich  anfangs  und  nur  dann,  wenn 
der  Kranke  ihn  verträgt ,  M .)  gewickelt ;  auch  passen  Einreibungen  mit  er- 
wärmtem Ol.  hyoscyami  oder  Unguent.  hyoscyami ;  dagegen  sind  kalte  und 
nasse  Umschläge  höchst  gefährlich ;  auch  Blutegel  und  Schröpfen  sind  nur 
bei  hohen  Graden  örtlicher  Entzündung,  mehr  bei  jungen  Leuten  und  nur 
in  den  ersten  Anfällen  anzuwenden ;  äussere  reizende  spirituöse  Mittel ,  Ru- 
befacientia  und  Vesicatorien  sind  zu  meiden ;  die  gegen  den  Schmerz  em- 
pfohlenen wai-men,  nassen  Umschläge  aus  Seifenwasser  mit  Extract.  opü, 
von  1  Theil  Opium  und  6  Theilen  Spirit.  Minderen  mit  Flanell  überge- 
schlagen, und  andere  ähnliche  Duige  können  gefährliche  Metastasen  en-egen 
und  sind  daher  nicht  anzurathen ,  es  müsste  denn  ein  wahrer  atonischer 
Charakter  im  entzündeten  Theile  stattfinden;  dann  ist  aber  auch  wenig 
Schmerz  da.  Das  Beste  bleibt  bei  der  örtlichen  Gichtentzündung  immer 
Geduld  luid  Flanell  (M.),  damit  die  Krise  nicht  gestört  werde.  Bei  sen- 
siblen, zarten  Constitutionen  kann  man  zur  Linderung  der  Schmerzen,  der 
sclilaflosen  Nächte  etc.  wol  mit  Vorsicht  das  Pulv.  Doweri,  das  Extr.  hyos- 
cyami versuchen,  und  damit  nur  dann  fortfahren,  wenn  es  dem  Kranken 
gut  bekommt.  Nach  den  Anfallen  nützen  leichte  Diaphoretica ,  warme  Bä- 
der, Species  lignorum;  bei  erfolgenden  Durchfällen  und  Schweissen  China, 
Amara,  Eisen,  besonders  Pyrmonter  Brunnen,  eine  nährende,  nicht  erhitzende 
Diät;   bei  Zeichen  von  gastrischen  Beschwerden,   vorsichtig  Darmausleerun- 

12» 


180  ARTHRITIS 

gen  erregende  Mittel ,  die  jedoch  nicht  zu  oft  zu  wiederholen ,  sondern  bald 
mit  Quassia,  Kalmus^  Caryophyllata  zu  vertauschen  sind.  3)  Behand- 
lung zwischen  den  einzelnen  Gich  tan  fällen.  Es  nützen  hier  eine 
ausschliesslich  vegetabilische  Diiit ,  die  Erdbeeren  -  ,  Weintraubencur  ,  be- 
sonders bei  atrabilarischen,  mit  guter  Digestion  versehenen  Subjecten ;  die 
Milchcur,  wenn  sie  der  Magen  verträgt,  daneben  tägliche  fleissige  Bewe- 
gung iflj  Freien.  Wein  muss ,  wenn  der  Kranke  daran  gewöhnt  ist ,  massig 
genossen  werden ,  und  zwar  nur  Rothwein ;  Plethorische  und  Hämorrhoida- 
rien  müssen  viel  Icaltes  Wasser  trinken ,  für  alte  Arthritische  passt  ein  gut- 
gegührenes  Bier,  mehr  feste  als  flüssige  Nahrung ,  Trinken  nicht  ohne  Durst, 
und  auch  bei  diesem  nur  sparsam;  junge,  saure  Weine,  junges  Bier,  Essig, 
Gewürze,  Salz,  Fett,  sind  möglichst  zu  vermeiden.  Man  sehe  indessen 
auch  auf  die  Gewohnheit  des  Gichtischen  und  bringe  ihn  nicht  zu  schnell 
von  derselben  in  der  Wahl  der  Speisen  und  Getränke  ab.  Im  Allgemeinen 
empfiehlt  sich  eine  mehr  gemischte  (thierisch  -  vegetabilische)  Kost ,  w  enig 
Fleisch,  öfteres  Essen  und  jedesmal  wenig,  keine  gekünstelten  Gerichte. 
Sehr  heilsam  sind  trockne  Frictionen  der  Glieder  und  Gelenke  mit  Flanell, 
noch  besser  mit  der  in  England  üblichen  Fleischbürste  (Morgens  und  Abends 
Y4  Stunde  lang) ,  fleissige  Bewegung  der  ergriffen  gewesenen  Theile ,  da* 
Tragen  von  wollenen,  mit  Wachstatfet  gefütterten  Socken,  die  jedesmal, 
so  wie  sie  feucht  geworden ,  mit  andern  zu  verwechseln  sind ;  sie  passen 
aber  nur  für  alte  Gichtkranke ;  junge  Leute  müssen  die  Theile  mehr  kühl 
halten,  doch  vor  Nässe  schützen.  Warme  Bekleidung  (Gesundheitsfianell- 
hemde),  zumal  in  rauher  Jahreszeit  und  solchem  Klima,  angemessene  Be- 
wegung zu  Fusse,  Fahren,  Reiten,  zumal  Vormittags,  Fechten,  Kegeln, 
Jagd ,  nur  nicht  mit  vollem  Magen ,  Aufheiterung  des  Geistes ,  ein  nicht  zu 
langer  Schlaf,  Massigkeit  im  Coitus ,  in  Geistesarbeiten,  Reisen  in  warme 
Gegenden,  der  Gebrauch  der  warmen  Bäder  (Aachen,  Karlsbad,  Wiesba- 
den, Warmbrunn,  Eilsen,  Nenndorf),  der  warmen  See-  und  Soolbäder, 
wodurch  die  Se-  und  Excretionsprocesse  befördert  werden,  alle  diese  Dinge 
sind  Gichtkranken  wohlthätig.  Von  Arzneimitteln  sind  hier  zu  empfehlen: 
Antimonialia,  Schwefelmittel,  Dulcamara,  Guajacum,  Ammonium,  Camphora, 
Spec.  lignorum ,  diuretische  Mittel:  Vinum  Colchicum,  Tinct.  colchici,  Ol. 
jecor.  aselli,  Decoct.  Zitt'manai,  ausgewählt  für  die  speciellern  Fälle,  be- 
sonders bei  atonischer  Gicht  und  nach  den  Regeln  der  Therapie;  alle  diese 
Mittel  passen  aber  nicht  bei  hoher  Reizbarkeit  und  Erethismus  im  Gefass- 
sjsteme.  Auch  Mittel,  die  die  Digestion  und  Assimilation  bethätigen,  sind 
zu  verordnen,  doch  erst  nach  vorher  geminderter  Reizbarkeit,  nach  Ausfüh- 
rung etwa  vorhandener  Infarcten.  Hier  passen  dann  Resolventia,  vorsichtig 
interponirte  Laxanzen,  Antispasmodica ,  Gewürze  mit  und  ohne  bittere  Mit- 
tel; endlich  stärke  man  die  festen  Theile  durch  China,  Amara,  Eisen,  doch 
erst  nach  beseitigter  erhöhter  Reizbarkeit  des  Gefass  -  und  Nervensysteme 
und  nach  Entfernung  materieller  Reize,  z.  B.  der  Infarcten,  Alsdann  pas- 
sen zuletzt  kalte  Seebäder,  Marienbad,  Pyrmont. 

Arthritis  acuta  partialis,  die  örtliche  acute  Gelenkgicht.  Es 
leiden  hier  an  gichtischer  Alfection  nur  einzelne  Gelenke:  a)  das  Rückgrat 
(RUachiagra)  ,  b)  die  Schulter  (Omagra)  ,  c)  das  Ellbogengelenk  (Pechiagra), 
d)  der  Vorderarm  oder  die  Hand  (Chiragra),  e)  die  Hüften  (Ischiagra, 
Lumbago),  f)  das  Knie  (Gonagra),  g)  die  Füsse  (Podagra).  Alle  diese 
Formen  acuter  Gicht  sind  mit  stärkerm  oder  gelinderm  Fieber  verbunden 
und  liabon  Vorläufer,  Ursaciien  und  Cur  mit  einander  gemein.  Da  das  Pod- 
agra jedoch  die  häufigste  Form  dieser  örtlichen  acuten  Giclitformen  dar- 
stellt, so  will  ich  hiervon  noch  kürzlich  besonders  reden.  Das  Podagra, 
nur  Eigenthum  des  reifern  Alters ,  entsteht  wie  die  Arthritis  acuta  universa- 
lis (s.  oben);  doch  mit  der  besondern  Tendenz,  nur  die  Fussgelenke  patho- 
logisch zu  afficiren.  Das  Übel  beginnt  an  den  Gelenken  der  grossen  Zehe, 
zeigt  sich  besonders  z\>ischen  dem  ersten  Gelenke  \u\i\  dem  obern  Os  me- 
t;Uarsi,  jedoch  auch  oft  am  Tarsus  sell)st,  wo  sich  Geschwulst,  Röthe  und 
Schmelz  einstellen,    und,   zumal  im  Anfange,  Ficbcrbewugungen  nicht  aus- 


'\  ARTHRITIS  181 

bleiben ,  ganz  ähnlich  der  Arthr.  acuta  universalis.  Cur.  Bei  leichtent- 
zündlichem Zustande  und  massigem  Fieber  reichen  ruhiges  Verhalten,  hori- 
zontale Lage  des  Schenkels,  Warmhalten  des  Fusses,  Einwickeln  mit  Fla- 
nell, Vermeidung  alles  Reizenden  und  der  Erkältung,  Sorge  für  gelinde 
Diaphoresis ,  und  eine  antiphlogistische  Diät  hin ;  im  höhern  Grade  sind  Ader- 
lässe, Schröpfen,  Blutegel  an  das  leidende  Fussgelenk,  innerlich  Nitrum, 
Magnes.  carbonica  als  Scudamore'sche  Mixtur  (l^  Magnes.  carbon.  5j^, 
Aquac  menth.  crisp.  31V,  Acet.  colchici,  Syr.  aurant.  ana  g^j ,  alle  drei 
Stunden  1  Esslöffel  voll) ,  bei  Neigung  zu  Diarrhöen  Salmiak  mit  Succ.  li- 
quiritiae ,  massiges ,  erweichendes  Getränk ,  in  den  folgenden  Tagen  Nitrum 
mit  Kampher  nothwendig.  Bei  Schwäche  und  altern  Podagristen  nützen 
aromatischer  Thee,  Spirit.  Minderen,  Antimonialien ,  reizende  Diät,  Wasser 
mit  süssem  Weine  zum  Getränk,  bei  noch  grösserer  Schwäche  Kampher, 
Serpentaria,  Valeriana ,  Phosphor ,  Opium  (jedoch  mit  Vorsicht!),  mit 
Aroma  und  ätherischen  Ölen,  Sal  volatile,  Moschus,  nährende,  reizende 
Kost,  Einhüllen  des  Fussgelenks  in  Wachstaffet,  in  reizende  warme  Um- 
schläge ,  wenn  wenig  Schmerz  und  Entzündung  da  ist.  Die  Engländer  rüh- 
men beim  podagrischen  Anfalle  Vinum  Colchicum ;  wovon  der  Verfasser  aber 
keinen  Nutzen  sah.  Cur  des  Podagras  nach  dem  Anfalle.  Ist  ganz 
dieselbe,  wie  nach  Anfällen  der  Arthr.  acuta  universalis  (s.  oben). 

Arthritis  chronica ,  die  chronische,  desorganisirende,  zerstö- 
rende Gelenkgicht.  Ist  eine  chronische  (passive)  Entzündung  oder 
Paraphlogose  entweder  eines  einzelnen  oder,  häufiger,  mehrerer  Gelenke 
und  deren  Nachbarschaft  (Arthr.  chronica  universalis,  A.  topica  chronica, 
i.  e.  Podagra,  Chiragra  etc.^ ,  von  exsudativem  Charakter,  also  mit  Nei- 
gung zur  Entartung  der  Gelenke,  Verdickung  der  Gelenkschmiere,  zur  Bil- 
dung der  sogenannten  aus  Harnsäure,  animalischer  Gallerte,  Natrum  und 
phosphorsaurem  Kalk  bestehenden  Gichtknoten  (Tophi ,  Tubercula  arthritica), 
und  selbst  zur  Entartung  der  Knochen  (s.  Arthrocace).  Bald  ist  dies 
Übel  ohne  alles  Fieber ,  bald  mit  Febr.  continua  remittens ,  mit  hervorste- 
chender Nerven-  und  Verdauungsschwäche,  mit  Neigung  zur  lenta  hectica 
verbunden;  es  verläuft  chronisch,  währt  Jahre  lang,  oft  das  ganze  Leben 
hindurch,  intermittirt  oder  remittirt  (Arthr.  habitualis);  die  Anfälle  erschei- 
nen unregelmässig,  weniger  heftig  als  bei  Arthr.  acuta,  die  häufig  zur  chro- 
nischen wird;  die  Gelenke  werden  schwach,  steif,  aufgetrieben,  zuletzt  un- 
beweglich; hierzu  gesellen  sich  dyspeptische  Beschwerden,  Hämorrhoiden, 
schleimiger,  röthlicher,  ammoniakalisch  riechender  Harn  mit  Sedimentum 
vasaceum ,  Nieren  -  und  Blasenleiden ,  Griesabgang  ,  welche  Zufälle  häufig 
mit  den  arthritischen  Paroxysmen  alterniren  (überhaupt  scheint  die  Lithiasis 
zwischen  dem  Hämorrhoidal-  und  Gichtübel  in  der  Mitte  zu  stehn  und  eine 
nicht  erwünschte  Krise  für  beide  Übel  auszumachen  M.)  ,  starke ,  ammonia- 
kalisch riechende  Schweisse ,  die  oft  coUiquativ  werden,  Neigung  zu  Zorn 
und  Ärger,  Zufälle  krankhaft  alienirter  Nerventhätigkeit ,  sowie  abnorme 
Se  -  und  Excretionen ;  fast  immer  werden  die  Knochen  der  leidenden  Ge- 
lenke, aber  auch  die  Röhren-  und  breiten  Knochen  ergriffen,  sie  werden 
locker ,  porös ,  aufgetrieben ,  nodös ,  es  bildet  sich  Ankylose  unter  ihnen, 
die  Knorpelscheiben  verknöchern  sich  oder  schwinden,  und  mancherlei  Ent- 
stellungen der  Gelenke  sind  die  traurige  Folge.  Die  chronische  Gicht  ent-- 
steht  bei  unvollkommen  organisirten  (asthenischen)  Subjecten  und  wenn  das 
Unterleibsvenensystem  mit  seinen  Organen  zu  sehr  überwiegt,  zu  reizbar  ist, 
so  dass  der  Naturkraft  die  Beseitigung  der  venösen  Dyskrasie  nur  unvoll- 
kommen gelingt,  daher  der  Zustand  zwischen  Arthr.  retenta  und  imperfecta 
in  der  Mitte  steht.  Es  fehlt  hier  am  Reactionsfieber  der  acuten  Gicht ,  an 
Kraft  zur  Hervorrufung  tüchtiger  Krisen  durch  Schweiss  und  Urin  wegen 
allgemeiner  Schwäche  des  Körpers,  hervorgebracht  theils  durch  zu  knappe 
Diät,  theils  durch  Geistes-  und  Körperanstrengungen,  durch  eine  übertrie- 
bene antiphlogistische  Behandlung  der  acuten  Gicht  etc.  Cur.  Bei  noch 
einigermassen  zu  unterscheidenden  einzelnen  Gichtanfällen  dienen  Infus,  rad. 
serpentar.,  valerianac,  Extr.  aconiti,   Camphora,   Spirit.  Minderen,   z.  ß. 


182  ARTHRITIS 

I^  Rad.  vaterimae  3vj ,  —  serpcntnrinc  3jjj  >  inftmil.  c.  aq.  ferv.  q.  s.  ui 
rem.  3vjjj ,  col.  adde  Spirit.  Mmdereri  5])^ ,  Extr.  aconiti  ^^ ,  Syr.  nuran- 
tior.  5J,  Spir.  sah  diilc.  3j.  M.  S.  Zweistündlich  1  Esslöffel  ^■v\\  (M.); 
dabei  etwas  reizende  Kost,  guter  alter  Wein,  Warmhalten  der  Theile,  wie 
bei  der  acuten  Gicht  angegeben;  auch  kann  man  hier  weit  dreister  als  bei 
letzterer  reizende  Einreibungen  in  die  leidenden  Theile  anwenden ,  z.  B. : 
I^  Petrolei,  Ol.  olivar.  ana  gj,  Camphorae  3j  »  Lnudnn.  Uqiiid.  Syd.  3j(>» 
Spirit.  saJ.  ammon.  catist.  5vj ,  Vnguent:  mercurial.  3jj«  M.  S.  Täglich  drei- 
bis  viermal  1  Theelöffel  voll  einzureiben  (3f.).  Diese  Salbe  bewirkt  oft 
Zertheilung  der  Tophi,  Erweichung  derselben;  bei  Osteitis  passt  zum  Ein- 
reiben das  Unguent.  mercurial.  einer. ,  auch  das  Unguent.  mercur.  alb.  in 
starken  Dosen;  darüber  Empl.  mercuriale  und  Wachstaffet.  Auch  dient  hier 
folgende  Composition:  I^  Ol.  terehinih.  ^j ,  Spir.  camphorat.,  Spir.  sah  am- 
mon. camt.  ana  5IV.  M.  S.  Zum  Einreiben.  Auch  Einreibungen  von  Phos- 
phor (Phosphor,  gr.  v.  solve  in  Ol.  amygdal.  dulc.  5J  ) ,  von  Ung\ient.  di- 
gital, purp.  5J ,  Merc.  praecip.  alb.  5j  —  ^iv,  bis  Ausschlag  entsteht;  fer- 
ner das  Unguent.  hyoscyami  mit  Kali  hydriodicum,  Extr.  belladonnae,  Wa- 
schen mit  ätherisch  -  Spirituosen  Dingen  (s.  die  Formel  bei  Amaurosis  nach 
Bimhj)  sind  bei  Gichtknoten  sehr  wirksam ;  desgleishen  Waschungen  von 
Acid.  nitric.  pur. ,  Acid.  muriat.  pur.  ana  31I ,  Aq.  destillat.  jxvj ;  Räuche- 
ningen  von  3 — 6  Drachmen  Sulphur.  depurat.  während  einer  halben  Stunde 
angewandt  im  Gales'schen  Apparate ,  wie  man  ihn  zu  Dobberan  und  an  an- 
dern Orten  findet ;  bei  grosser  Empfindlichkeit  des  Gelenks  lege  man  Empl. 
theriacae ,  opia't. ,  hyoscyami ,  oder  auch  folgende  Composition  auf :  I^»  Succi 

recent.  hyoscyami, papav.  alb.,  —  —  phellandr.    aqunt.   ana  gjj  ,    in- 

spiss.  leni  igne  ad  extr.  consistentiani ,  adde  Cer.  liquefact.  3IV,  Ol.  lavan- 
dulae  5J^.  M.  Bei  Atonie  lege  man  auf  die  Gichtknoten  Empl.  foetid. ,  me- 
lilot. ,  c  galbano  crocat. ,  ammoniac. ,  hydrargyr.  saponat. ;  empl.  cantharid. 
(in  die  Nähe  des  leidenden  Theils ,  bei  grossem  Torpor  auf  denselben).  Bei 
Empfindlichkeit  dienen  Fomentationen  aus  Schierling ,  Seife  etc. ,  z.  B. 
^  Herh.  cicutae,  —  hyoscyami  ana  31V,  coq.  q.  aq.  ferv.  q.  s.  ad  colat.  ??j, 
adde  Sapon.  all.  5JJ.  M.  solvendo.  S.  Mit  Flanell  umzuschlagen.  Auch 
künstliche  Geschwüre  in  die  Nähe  des  leidenden  Theils,  allgemeine  Schwe- 
felbäder, besonders  aber  die  mehrwöchentliche  Anwendung  der  Elektricität 
und  des  Galvanismus  (3f.) ,  Schwefelschlammbäder,  Aachen,  Karlsbad,  Ems, 
Freienwalde ,  Töplitz ,  Warmbrunn ,  warme  Soolbäder ,  zur  Nachcur  beson- 
ders Pyrmont  und  kalte  Seebäder,  aber  auch  Bäder  aus  warmem  Wasser 
zu  23  —  28 "R.  mit  gjjj  —  v  Pulv.  gross,  herb,  chrysanthi,  jjj — jjj  Herb, 
cicutae  und  hyoscyami,  giv  Herb,  sabinae,  sowie  mit  ßjfj — jjj  Acid.  muriat. 
versetzt,  worin  V45  V2  —  V*  Stunden  verweilt  wird;  in  hartnäckigen  Fällen 
passen  selbst  Bäder  aus  warmem  Wasser,  worein  folgende  Mittel  gegossen 
werden,  und  worin  20  —  30  Minuten  gebadet  wird:  fy  Sal  ammoniaci  3JJ, 
Merc.  sublim,  corros.  3f>5  Spirit.  sabinae  gvj,  Aqunc  sabinae  §xvj.  M.  {Kop^ii). 
Ein  solches  Bad  darf  nur  drei-  bis  viermal  wiederholt  werden,  und  zwar 
nimmt  man  alle  2 — 3  Tage  nur  eins.  Auch  lobt  man  sehr  Fussbäder,  mit 
Salpetersäure  versetzt,  Dampfbäder,  Douche,  Regenschauerbäder,  kalte 
Übergiessungen  nach  Schmidfs  und  Barries'  Anleitung,  bei  Ankylose  vor- 
züglich das  ameisensaure  Dampfbad ,  das  muriatische  Dampfbad ,  z.  B.  zu 
Ischl;  endlich  Räucherungen  mit  Bernstein,  Mastix,  Olibanum.  Innerlich 
nützen  in  grossen  Gaben  und  anhaltend  gebraucht:  Gumm.  asae  foetid., 
Guajacum ,  Antimonialia  ,  Schwefelmittel ,  Dulcamara ,  Cicuta  ,  Aconitum, 
Belladonna,  Sabina ,  Ol.  jecoris  aselli,  Ol.  terebinth. ;  in  schlimmen  Fällen 
selbst  der  Sublimat  und  die  Hunger-  und  Schmiercur  nach  Riist.  Der  an- 
haltende Gebrauch  der  Spec.  antarthrit.  Seilen  (bestehend  aus  Turion. 
pini.,  Bacc.  juniperi,  Lign.  guajac.  und  Rad.  liquirit.  ana)  bei  gichtischer 
Lähmung  mit  Arnica,  bei  vorwaltender  Magensäure  innerlich  Aq.  calcis, 
Tinct.  colocynthid. ,  bei  Abdominaltorpor  und  1  ähmungen ;  Eau  medicale 
d'Husson ,  das  Portland'sche  und  Carmer'sche  Mittel ,  alle  diese  in  den  ver- 
schiedenen Handbüchern  der  Therapie  näher  bezeichneten  Mittel  gegen  diese 


ARTHRITIS  183 

Gicht  hat  der  Arzt  nach  Verschiedenheit  der  Umstände  auszuwählen,  wobei 
er  zugleich  darauf  zu  sehen  hat,  1)  dass  sich  die  venöse  Dyskrasie  aus- 
gleiche und  die  Gichtstoffe  durch  die  bekannten  Krisen  entfernt  werden, 
2)  dass  alle  Se-  und  Excretionsorgane  in  Thätigkeit  erhalten,  3)  die  vor- 
itandenen  Schmerzen  gemässigt,  4)  die  erhöhte  Empfindlichkeit  gehoben  und 
5)  die  vorhandene  Schwäche  der  Digestionsorgane  verbessert;  endlich  6)  dass 
die  Complicationen  des  Übels  mit  Hämorrhoiden,  Lithiasis  gehörig  gewür- 
digt werden.  Hier  passen  vorzüglich  innerlich  und  äusserlich  Schwefel, 
Magnesia,  Cremor  tartari,  die  schon  genannten  IVIineralwasser  etc. ;  s.  Hae- 
morrhoides  und  Lithiasis. 

Arthritis  tvnomala,  in-egularis,  anomale,  unregelmässige  Gicht. 
Hierher  rechnen  wir  verschiedene  Zustände;  a)  Arthritis  relenta,  b)  Arthr. 
iviperfede  evoluta,  c)  Arthr.  atonica,  d)  Arthr.  vatja,  e)  Arthr.  retrograda, 
f)  Arthr.  rheumaiica,  wovon  der  Reihe  nach  hier  gehandelt  werden  soll. 

Arthritis  retentn,  larvata,  occulta,  snppressa,  incongriia,  Arthr.  visce- 
rum,  die  verhaltene,  unterdrückte  Gicht,  Barthez's  Eingewei- 
degicht. Ist  die  Folge  der  von  der  Natur  eingeleiteten,  aber  verhinderten 
Aufhebung  der  venösen  Dyskrasie  durch  Entzündung  der  Gelenke,  einer- 
seits bedingt  durch  Mangel  an  austreibender  Kraft  im  erkrankten  Körper, 
anderseits  durch  überwiegend  krankhaft  erhöhte  Reizbarkeit  der  afficirten 
Organe.  Statt  der  Gelenkgicht  erscheinen  hier  Neurosen  aller  Art :  Hypo- 
chondrie, Hysterie,  Asthma,  Lungensucht,  Schlagttuss,  Manie,  Affectionen 
des  Heizens  und  der  Gefasse;  Brustbräune,  manche  Arten  von  Schwindel, 
scheinbare  organische  Herzkrankheiten,  Abdominalpulsationen ,  Carditis  chro- 
nica, Hämorrhoiden,  Augenentzündungen,  Dysphagie,  Glaucom,  Cataracta, 
Amaurose,  Blennorrhöen  des  Darmcanals,  der  Lungen,  der  Scheide,  der 
Urethra,  Catarrhus  suffocatiyüs ,  chronische  Exantheme  (Krätze,  Flechten, 
Friesel ,  Blutschwäre) ,  gichtischer  Kopfschmerz  (^Ccphalagrn) ,  Blutungen 
aus  Nase,  Mund,  Lungen,  Urin  Werkzeugen ,  Geschlechtstheilen ,  After;  Hel- 
kosen,  zumal  in  der  Nähe  der  Gelenke,  mit  breitem,  phagedänischem  Grunde, 
harten,  callösen  Rändern  (s.  Ulcus  arthriticum);  Wechselfieber,  Ma- 
genkrampf ,  Erbrechen  ,  Soda ,  Pyrosis ,  Kolik ,  Heisshunger ,  Diarrhöen, 
Dysurie ,  Harnverhaltung ,  Nephralgie ,  Harngries  -  und  Steinabgang ,  Car- 
bunkel ,  Stricturen ,  Excrescenzen  der  Urethra ,  Metritis  chronica  mit  dar- 
auf folgender  Induration ,  ein  der  Peripneuraonia  netha  ähnliches ,  häufig  mit 
Apoplexia  pulmonum  endendes  Brustleiden ,  zumal  bei  alten  Gichtkranken ; 
Hydrothorax,  Hydrocele,  Drüsenanschwellungen  und  Verhärtungen  der  Ho- 
den, der  Nebenhoden,  des  Samenstranges,  Rhachitis  und  Scropheln.  Die 
arthritische  Natur  dieser  Übel  wird  erkannt  aus  der  Abstammung  von  gich- 
tischen Eltern,  aus  dem  Habitus  arthriticus,  aus  endemischer,  klimatischer 
Anlage  zur  Gicht ,  aus  einer  vorher  geführten  schwelgerischen  Lebensart, 
Kxcessen  in  Baccho  et  Venere,  aus  der  Natiu"  der  leidenden  Theile  selbst 
(es  leiden  vorzüglich  die  häutigen,  faserigen  Gebilde;  die  Beschwerden  er- 
scheinen paroxysmenweise  und  regen  sich  durch  klimatische  Einflüsse :  Nässe, 
Kälte ,  aber  auch  durch  fehlerhafte  Diät  im  Essen  und  Trinken ,  durch  Ge- 
müthsbewegungen,  Geistesanstrengung ;  es  zeigen  sich  periodische  Schmer- 
zen und  ein  erdiger,  trüber  Harn  mit  kalkartigem,  rothsandigem,  harnsau- 
rem Bodensatze  etc.) ;  aus  dem  besondern  Zeichen  der  Strangurie ,  wobei 
der  genannte  Harn  abgeht,  worin  weisse,  halbdurchsichtige  Fäden  schwim- 
men, aus  der  Indicatio  ex  juvantibus  et  nocentibus,  indem  nur  antarthriti- 
sche  Mittel  heilsam  sind  etc.  Cur.  Innerlich  China,  Valeriana,  Serpen- 
taria,  Kampher,  Spirit.  Mindereri,  Kalmus,  Ol.  animale  Dippelii,  Ol.  caje- 
puti ,  Extr.  aconiti  in  Naphtha  oder  Liquor  gelöst ,  Dulcamara ,  Decoct. 
Zittmanni,  Arnica,  sibirische  Schneerose,  Flammula  Jovis ,  Hex  aquifol., 
Asa  foetida  ,  Opium  in  kleinen  Do«en ;  äusserlich  Rubefacientia ,  Vesicantia, 
Autenrieth's  Salbe  in  die  Nähe  der  leidenden  Theile,  Einreibungen  von  Li- 
nim.  volat.  camphorat.  3J  und  Tinct.  cantharid  ^)\,  Soolbäder,  Elektricität, 
Galvanismus.  Alle  diese  Mittel  passen  bei  Mangel  an  austreibender  Kraft 
im  erkrankten  Individuum.     Dagegen  dienen  bei  Gallenanbäufungen,  gastri- 


184  ARTHRITIS 

sehen  Zeichen  und  Schleimanhäufungen  in  der  Luftröhre  Brechmittel,  Infus, 
sennae  mit  Sal  amar.  und  Liq.  anodyn. ,  Guajaksolution ;  bei  venöser  Tur- 
gescenz  und  Plethora  Aderlass  {Tott) ;  bei  spastischem  Zustande  und  Stockun- 
gen Pulv.  Plummeri,  Doweri,  Extr.  aconiti,  Flor,  sulphuris,  Aethiops  an- 
timonial. ,  Asa  foetida ,  Karlsbad ,  Spirit.  Minderen  mit  Extr.  hyoscyami. 
Aqua  laurocerasi,  Schwefelbäder  mit  aromatischen  Kräutern  versetzt,  Ein- 
reibungen in  die  Nähe  der  leidenden  Theile  von  Unguent.  mercurial.  einer, 
und  Linim.  volatile.  Überhaupt  richte  man  sein  Augenmerk  auf  Vermehrung 
der  Diuresis  und  Diaphoresis ,  wodurch  die  Gichtstoffe  am  besten  ausgeschie- 
den werden. 

ArthritÜ!  impai'ecte  evoJutn ,  die  unvollkommen  entwickelte 
Gicht.  Hier  bilden  sich  unregelmässig  verlaufende,  in  der  Regel  nicht 
sehr  heftige  Gelenkgichtanfälle,  welche  häufig  mit  verschiedenen  andern, 
oben  genannten  Krankheitsformen  (s.  Arthritis  retenta)  in  Verbindung 
vorkommen ,  diese  oft  mindern ,  ja  mit  ihnen  oft  ganz  alterniren ,  was  be- 
sonders mit  den  Hämorrhoiden  und  den  Steinbeschwerden  der  Fall  ist.  So 
beobachtete  Verfasser  dieser  Abhandlung  auch  einen  Fall,  wo  bei  unvoU- 
kommner  Gelenkgicht  gleichzeitiges  Cephalagra  stattfand.  Die  Arthr.  im- 
perfecte  evoluta  entsteht  auf  dieselbe  Art,  wie  die  Arthr.  retenta,  nur  mit 
dem  Unterschiede,  dass  die  venöse  Dyskrasie  zum  Theil  schon  durch  eine 
(freilich  nicht  hinreichende,  also  unvollkommne)  Affection  der  Gelenke  ge- 
hoben ist.  Cur.  Bei  Mangel  an  hinlänglicher  Naturkraft  des  Kranken  die- 
nen alle  die  innern  und  äussern  Incitantia  und  Roborantia,  die  oben  (s. 
Arthr.  retenta)  angegeben  worden  sind,  welche  entweder  die  Gicht  in 
den  Gelenken  vollkommen  entwickeln  oder  durch  andere  Krisen  (Schweiss, 
Ur'n)  aufheben.  Sind  Stockungen  hauptsächlich  Schuld  an  dieser  Krank- 
heitsform, so  passen  vorzüglich  Akonit,  Guajak,  Dulcamara,  Schwefel,  An- 
timonium ,  Karlsbad ;  wodurch  zugleich  die  erhöhte  Reizbarkeit  in  den  lei- 
denden Theilen  abgestumpft  wird,  zumal,  wenn  man  mit  den  genannten 
Mitteln  Antispasmodica  verbindet. 

Arthritis  diaphraymatica ,  Brustbräune,  s.  Angina  pectoris. 

Arthritis  atonicn,  atonische  Gicht.  Statt  früher  vorhanden  gewe- 
sener Anfälle  von  Gelenkgicht  (weshalb  die  Diagnose  hier  leichter  als  bei 
Arthr.  retenta  ist)  bilden  sich  hier  unter  zunehmender  Körperschwäche  und 
anfänglicher  Arthr.  vaga  von  einem  Gelenke  zum  andern  die  verschiedenen, 
oben  bei  Arthr.  retenta  aufgezählten  Krankheitsformen ,  selbst  Entzündungen 
innerer  Organe  (s.  Arthr.  retrograda) ,  und  es  findet  zwischen  ihnen  und 
der  Gelenkgicht  wol  auch  ein  Wechsel  statt.  Ursachen.  Schwache  Or- 
ganisation mit  erhöhter  Empfindlichkeit  (Dispositio  ad  arthritidem  atonicam), 
das  weibliche  Geschlecht  leidet  häufiger  als  das  männliche  daran ,  alte 
Gichtkranke  und  Personen  höhern  Alters  mehr  als  junge  Personen  und  junge 
Gichtkranke ;  die  besondere  Form  der  atonischen  Gicht  hängt  ab  von  der 
Präponderanz  des  afficirten  Organs  in  Betreff  seiner  Empfindlichkeit,  welche 
oft  an  ein  gewisses  Lebensalter  gebunden  ist.  So  z.  B.  treten  Asthma, 
Phthisis  arthritica  oft  in  dem  mittlem,  Blasenleiden  häufig  im  höhern  Alter 
auf.  Bei  Trunksüchtigen  geht  die  Gicht  leicht  in  Asthma  über,  bei  Ona- 
nisten ,  alten  und  jungen  Wollüstlingen ,  beim  Missbrauche  von  Diureticis, 
bei  früher  syphilitisch  Gewesenen,  nach  Entzündungen  der  Prostata  etc.  in 
Blasenleiden;  bei  Schwäche  und  Reizbarkeit  der  Lungen,  der  Luftröhre  in 
Luftröhren-  und  Lungenkrankheiten,  gleichviel  ob  diese  Schwäche  erblich 
oder  in  gewissem  Lebensalter  durch  schädliche  Einflüsse:  Trunk,  Onanie 
erworben  ist ;  bei  Schwangerschaft  und  bevorstehenden  Katamenien  entste- 
hen leicht  Metrorrhagien,  bei  Subjecten  mit  kurzem  Halse  Angina  arthritica 
{^Musijrftve} ,  bei  Habitus  apoplecticuo  Apoplexie.  Bei  gastrischem  Zustande 
als  Folge  angewandter  erhitzender  Purganzen  ,  bitterer  Mittel  im  Übermass 
gebraucht,  ergreift  die  Gicht  leicht  den  Magen,  ganz  besonders  aber  dann, 
wenn  der  Mensch  von  einer  reizenden  Diät  schnell  zu  einer  reizlosen  über- 
geht. Starke  Säfteausleerungen ,  niederdrückende  Leidenschaften ,  Versto- 
|ifungcn   der  Gelenkgefässsc ,   wie  im  höhern  Alter,   wodurch   die  Gichtma^ 


ARTHRITIS  185 

terie  gleichsam  gezwungen  wird,  nach  andern  Theilen  zu  dringen,  starke 
anhaltende  Bewegung  der  Gelenke,  Missbrauch  der  Fusswärraflaschen ,  der 
Feuerkicken,  früher  bestandene  Arthritis  retenta  machen  nicht  minder  zur 
atonischen  Gicht  geneigt.  Cur.  1)  Bei  Atonie  des  Unterleibes  und  Stockun- 
gen dienen  Resolventia,  Evacuantia,  in  Verbindung  mit  Antispasraodicis  bei 
erhöhter  EmpfindlicWceit ;  doch  passen  letztere  Mittel  allein  nie;  dann  Amara, 
China,  Kalmus,  Geum  urbanum,  Eisen.  2)  Sind  keine  Stockungen  da,  dann 
gleich  Amara,  Roborantia,  neben- nahrhafter  thierischer  Kost,  gutem,  alten 
Wein  etc.  3)  Bei  Status  pituitosus,  der  häufig  rorkommt,  Antimoniura, 
Schwefelkali ,  Guajak  mit  interponirten  aromatischen  Mitteln :  Kalmus , 
China ,  Schwefelbäder ,  und  die  Wasser  von  Nenndorf,  Elisen  getrunken, 
später  Driburger  und  Pyrmonter  Brunnen.  4)  Bei  'erhöhter  Nervenreizbar- 
keit passen  aromatische  und  bittere  Mittel:  China,  Kalmus,  Quassia  in  Ver-. 
bindung  mit  Extr.  aconiti,  cicutae,  Aq.  laurocerasi,  Opium;  letztere  Mittel 
besonders  bei  Schwäche  und  hoher  Empfindlichkeit  des  leidenden  Theils, 
Künstliche  Geschwüre  in  die  Nähe  desselben  sind  oft  zu  empfehlen.  Aus- 
serdem sind  etwaige  Infarcten  zu  lösen ,  Congestionen  durch  Blutegel ,  Fusg- 
bäder  etc.  zu  beseitigen ,  das  örtliche  Leiden  nach  seinen  verschiedenen  Zu- 
ständen von  Reizbarkeit  oder  Reizlosigkeit  nach  den  Kunstregeln  zu  behan- 
deln ,  z.  B.  bei  gereiztem  Zustande  Cataplasmata  emoUientia ,  bei  Reizlosig- 
keit Vesicantia,  Rubefacientia ,  Elektricität,  selbst  Moxa,  Schröpfköpfe  etc. 
Doch  übertreibe  man  hier  nicht,  es  lässt  sich  die  Gelenkgicht  doch  nicht 
immer  dadurch  hervorrufen  und  man  schadet  oft  mehr  als  man  nützt. 

Arthritis  vaga,  errntica,  die  wandernde,  herumziehende  Gicht. 
Die  Gichtmaterie  befeindet  hier  noch  weniger  die  Gelenke  und  Knochen, 
als  bei  der  unvoUkommnen  Gicht;  sie  befallt  hier  die  weichen  Theile,  be- 
sonders die  Zellhäute,  die  Pleura,  das  Peritonaeum  und  seine  Fortsetzungen, 
die  Überzüge  der  Eingeweide  mit  irritabler  Structur,  ja  selbst  die  Nerven 
und  dei'en  Scheiden,  kurz,  fast  jedes  Organ  wird  von  ihr  ergriffen.  Sym- 
ptome. Wie  bei  Arthr.  atonica;  der  Wechsel  zwischen  den  dort  genann- 
ten Krankheitsformen  und  den  in  der  Regel  unvollkommen  erscheinenden 
Gelenkgichtanfällen  neben  den  Symptomen  der  Axthritis  retenta  machen  die 
Erkenntniss  und  Diagnose  des  Übels,  das  häufig  in  Arthr,  atonica  oder  re- 
trograda  übergeht ,  leicht.  Cur.  Wie  bei  Arthritis  retenta  und  imperfecta. 
Es  passen  hier  demnach  alle  diejenigen  Mittel ,  die  entweder  die  Gicht  voll- 
kommen in  den  Gelenken  entwickeln  oder  die  Gichtmaterie  kritisch  durch 
die  Haut  und  die  Nieten  entfernen. 

Arthritis  retrograUa,  retropuJsa,  Metastasis  arthritica,  zurückgetre- 
tene Gicht,  Gichtmetastase.  Entsteht  bei  Gichtischen,  wenn  auf 
plötzlich  unterdrückte  Gelenkgicht  Affectionen  innerer  Organe,  gewöhnlich 
Entzündungen  von  erysipelatöser  Natur ,  seltener  Neuralgien ,  Krämpfe, 
spastisches  Asthma,  Paralysen,  Bluttiüsse,  Wassersuchten,  Icterus,  Cata- 
racta, Amaurosis,  Glaucoma  etc.  erfolgen.  Gelegenheitsursachen 
sind:  heftige  Gemüthsbewegungen,  schneller  Temperaturwechsel,  der  Miss- 
brauch örtlicher  zu  heisser  oder  zu  nasser  Mittel,  der  reizenden  Fussbäder, 
der  Innern  Reizmittel,  der  Narcotica,  besonders  des  Opiums,  die,  indem  sie 
den  öi-tlichen  Reiz  vermindern,  die  Krise  im  Gelenke  stören;  zu  starke 
Aderlässe,  Laxanzen,  besonders  bei  der  Arm-  und  Fussgicht.  Symptome. 
Das  Übel  ist  leicht  zu  erkennen  aus  den  verschiedenen  Symptomen  der  In- 
nern Gichtaifectionen ,  aus  der  Abwesenheit  der  früher  dagewesenen  Gelenk- 
gicht, aus  dem  geringern  Fieber  (doch  kann  dieses  oft  recht  heftig  seyn, 
besonders  wenn  die  Gicht  in  den  Magen  oder  ins  Gehirn  tritt ,  wo  wir  ohne 
Aderlässe  und  Derivantia  antiphlogistica  oft  nicht  retten  können ;  M.) ,  aus 
dem  rothgriesigen  Harne,  aus  dem  langsamem  Verlaufe,  so  dass  Eiterung 
und  andere  Ausgänge  nicht  eintreten.  Auch  die  Arthr.  vaga  neigt  sehr  zur 
metastatischen  Form.  Cur.  Bei  Entzündungen  Aderlässe,  Schröpfen  der  lei- 
denden Theile,  Blutegel  an  dieselben;  doch  geht  der  Z«traum  für  diese 
Mittel  oft  schnell  vorüber;  gleich  hierauf  dienen  trotz  aller  theoretischer 
Raisonnements    erfahrungsgemäss   die    flüchtigsten   Incitantia :    m   leichtern 


186  ARTHRITIS 

Fällen  Infus,  valerianae,  chamomiltae,  menth.,  melbs.  mit  Spirit.  IVündereri; 
in  bedeutendem  Sal  c.  c. ,  Oiea  aetherea ,  Tinct.  guajaci  volatilis ,  Enietica 
(bei  vorhandenen  und  fehlenden  Zeichen  von  Gastricismus ,  nur  nicht  bei 
Neigung  zu  Congestionen  oder  bei  gereiztem  Zustande  im  Unterleibe),  be- 
dingungsweise Opium ,  ferner  Moschus  mit  Goldschwefel ,  und  bei  periculuni 
vitae  Phosphor  in  Schwefeläther,  vor  Allem  aber  Kampher.  Dabei  muss 
der  Kranke  warm  baden;  auch  ists  höchst  nothwendig,  auf  die  früher  er- 
griffen gewesenen  Gelenke  Blasenpflaster  oder  Seiifteige  zu  legen ,  trockne 
Schröpfköpfe  anzusetzen,  reizende  Fussbäder,  auch  das  Tragen  der  Hera- 
den und  Strümpfe  eines  Gichtischen  zu  verordnen,  um  die  Gelenkentzün- 
dung wieder  hervorzurufen.  (Dieses  gelingt  aber  nur  selten,  die  Haupt- 
sache bleibt,  dass  der  Arzt  die  gefahrlichen  Zufalle  der  Encephalitis,  Ga- 
stritis, Pneumonie  etc.  ex  causa  arthritidis  retrogressae  richtig  behandelt 
und,  in  den  meisten  Fällen,  streng  antiphlogistisch  verfährt,  auch  nicht  zu 
früh  zur  reizenden  Methode  übergeht,  wenn  diese  auch  in  den  leichtern 
Fällen  und  in  der  gefahrlosem  chi'onischen  Form  der  sogenannten  Gicht- 
Btetastase  indicirt  seyn  mag.  M.). 

Arthritis  rheumatica.  Ist  eine  Complication  der  Gicht  mit  Rheumatis- 
mus, die  bald  mehr  die  acute,  bald  mehr  die  chronische  Form  annimmt 
(Rheumatismus  arthriticus  acutus,  Rheumatalgia  arlhritica  chronica  et  ato- 
nica).  Diese  Form  kommt  besonders  bei  Personen  vor,  welche  sich  in  der 
Gichtanlage  befinden,  asthenisch,  reizbar  sind,  an  Gliederschwäche  und  un- 
vollkommner  oder  irrender  Gicht  leiden,  während  sie  den  allgemeinen  Ursa- 
chen des  Rheumatismus  (Erkältung)  vielfach  ausgesetzt  bieiben  und  schon 
früher  an  solchem  gelitten  haben.  Bald  prädominirt  hier  die  Gicht  (Arthri- 
tis rheumatica),  bald  der  Rheumatismus  (Rheumatalgia  arthritica).  Sym- 
ptome sind:  reissende,  stechende,  ziehende,  drückende,  bald  mit,  bald 
ohne  Fieber  erscheinende  Schmerzen,  gestörte  Verdauung,  trüber,  dicker 
Harn  mit  rothem  Bodensatz,  überhaupt  die  Zeichen  der  Arthritis  retcnta. 
Dies  Übel  erzeugt  leicht  Entartung  der  Muskeln  und  Häute  mit  Absatz  von 
erdig- saurer  Base,  Verknöcherungen  des  Herzens  und  der  grossen  Gefässe, 
Krankheiten  des  Uterus,  Angina  pectoris  und  manche  krampfhafte  Übel. 
Aus  der  Diagnose  der  Gicht  und  des  Rheumatismus,  die  hier  man- 
gelt, ist  das  Übel  noch  leichter  zu  erkennen.  Diese  ist  folgende:  1)  Der 
Gicht  Hegt  immer  eine  anomale  Mischung  (gleichviel ,  ob  wir  sie  Gichtraa- 
terie  oder  venöse  Dykrasie  nennen)  zum  Grunde,  der  Rheumatismus  (der 
einfache,  nicht  mit  Gicht  gepaarte)  entsteht  durch  ein  feineres  Princip,  Ai«l- 
leicht  durch  ein  abnorm  vertheiltes  ,  entzweites ,  entwickeltes  Bio  -  electri- 
cum  (d.  h.  durch  Disharmonie  in  der  thierischen  Elektricität ,  die  sich  nicht 
gleichmässig  vertheilen  kann,  sondern  sich  ungleich  entladet,  daher  die 
plötzlich  erschütternden,  zuckenden  Schmerzen ;  M.).  2)  Die  Gicht  >vurzelt 
im  venösen  und  reproductiven  Systeme ,  ist  aber  mit  Dyspepsie  verbunden ; 
beim  reinen  Rheumatismus  ist  dies  nicht  der  Fall,  er  hat  seinen  Sitz  ur- 
sprünglich in  den  Muskeln,  deren  Scheiden,  den  Aponeiirosen  und  den  ge- 
mischten fibrösen  Häuten.  3)  Die  Gicht  greift  bei  längerer  Dauer  zerstö- 
rend ins  Knochensystem  (Arthrocace) ,  der  Rheumatismus  entartet  nur  die 
Muskelsubstanz  und  die  Arterien.  4)  Bei  der  Gicht  findet  sich  im  Harne 
zur  Zeit  der  (regelmässigen,  wie  unregelmässigen)  Anfälle  theils  freie  Harn- 
säure, theils  kleesaurer  Kalk,  was  beim  Urin  Rheumatischer  nicht  der  Fall 
ist.  5)  Die  Gicht  ist  fähig ,  sich  durch  Erblichkeit  von  den  Altern  auf  die 
Kinder  oder  Enkel ,  oft  mit  Übergehung  einer  Generation ,  fortzupflanzen, 
der  Rheumatismus  nicht.  6)  Die  Gicht  kann  ansteckend  werden  (durch 
Zusammenschlafen  mit  Gichtischen ,  durch  gemeinschaftliche  Kleidung ,  Wä- 
sche etc.  mittels  dos  Gichtschweisses,  in  welchem  Falle  das  Übel  primitiv 
unter  Symptomen  des  Rheumatismus  auftritt) ;  der  Rheumatismus  steckt  nie 
an.  (Die  Gicht  ist  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  ein  chronisches ,  der  Rheu- 
matismus ein  acutes  Übel;  letzterer  ergreift  auch  Kinder,  erstere  nur  Er- 
wachsene; A/.).  7)  Die  Gicht  macht  ihre  Anfälle  periodisch,  der  Rheuma- 
tismus erscheint  zu  unbestimmten  Zeiten  und  seine  Paroxysmcn  hängen  mehr 


ARTHRITIS  187 

von  atmosphärisch -klimatischen  Einflüssen  ab.  (Letzteres  ist  auch  wol  eben 
80  oft  bei  der  Gicht  der  Fall ;  ilf.)-  Ausser  dieser  Coraplication ,  die  in 
Betreff  der  Cur  bald  mehr  Antarthritica ,  bald  mehr  Antirheumatica  erfor- 
dert, complicirt  sich  die  Gicht  auch  noch  mit  Syphilis  (Arthr.  syphilitica), 
worauf  leicht  Ankylosen ,  Arthrocace  folgen ;  mit  Lungenphthisis ,  besonders 
mit  Phthisis  trachealis,  tuberculosa,  mit  Scropheln,  wo  sie  oft  Arthritis  re- 
tenta  bleibt ;  mit  Wechselfiebern ,  die  dadurch  oft  recht  hartnäckig  werden ; 
mit  Leber  -  und  Milzphyskonie ,  deren  Ursache  sie  oft  auch  ist ,  mit  Scorbut 
als  Arthr.  vaga,  mit  chronischen  Exanthemen,  sowie  auch  Erysipelas  oft 
unvollständig  für  die  Gelenkgicht  vicariirt ,  mit  Hämorrhoiden ,  Lithiasis, 
Hypochondrie,  Kardialgie,  Prosopalgie,  Cephalalgie ,  Hemikranie  etc.  (doch 
sind  viele  dieser  Formen  wol  nichts  weiter  als  Symptome  der  Arthritis  re- 
tenta,  larvata,  Folgen  der  frühern  regelmässigen  acuten,  jetzt  anomal  ge- 
wordenen Gicht,  die  durch  schädliche  Einflüsse  schwächender  Art  sich  nur 
unvollständig  entscheiden  kann;  3f.).  Nach  Burdach  {HufelaruVs  Journ. 
1830  Septbr.)  steht  die  Arthritis  rheumatica  als  Krankheit  in  der  Mitte 
zwischen  der  wahren  constitutionellen  Gicht  und  dem  Rheumatismus ,  die 
beide  Extreme  mit  einander  verknüpft,  und  bald  mit  acutem,  entzündlichem, 
bald  mit  atonischem ,  chronischem  Charakter  vorkommt.  Dieses  Übel  er- 
greift den  Körper  oft  recht  tief  und  lange,  befällt  am  häufigsten  die  grös- 
sern Gelenke  und  verräth  sich  durch  periodisches  Zahn-,  Kopf-  und  Glie- 
derweh. Im  trocknen  Winter,  bei  vorherrschender  entzündlicher  Diathese, 
oft  schon  im  November  entsteht  alsdann  im  Verlauf  von  6 — 20  Tagen  ein 
wachsender  Schmerz  an  irgend  einem  Gelenke,  häufig  an  dem  Knöchel ;  da- 
bei Geschwulst,  Unbeweglichkeit ,  anfangs  synochischer  Zustand  mit  darauf 
folgenden  copiösen ,  symptomatischen  Schweissen ;  sowie  die  Kräfte  des 
Kranken  durch  schwächende  Diät  und  Antiphlogistica  etwas  abnehmen ,  ver- 
schwindet auch  die  Krankheit  selbst,  doch  nicht  völlig,  sondern  sie  bleibt 
oft  in  dem  einen  oder  andern  Gelenke,  oft  im  Hüftgelenke,  in  der  Articu- 
lation  der  Lendenwirbel ,  seltener  im  Schultergelenke ,  längere  oder  kürzere 
Zeit ,  hinterlässt  einige  Steifigkeit ,  Ankylose ,  überhaupt  dauert  das  Übel, 
sich  selbst  überlassen,  oft  2 — 3  Monate.  Meist  kehrt  es  nach  einigen  Jah- 
ren, aber  nicht  leicht  ohne  äussere  Veranlassung,  zurück,  doch  nicht,  wie 
die  echte  Gicht,  aus  innerer  Periodicität.  Zuweilen  Avüthet  es  dann  hefti- 
ger, als  das  ei-ste  Mal.  Ursachen  ^nd  nach  Jiurdachx  Erkältung,  erb- 
liche Anlage,  eine  gewisse  active  Lebensfülle,  Ansteckung.  Cur  Nach 
vorhergegangenen  Blutausleerungen  passen  schon  im  schmerzhaften  Zeiträume 
und  nachdem  der  synochische  Zustand  gemindert  worden,  der  Sublimat,  alle 
2 — 4  Stunden  Vi,  —  Vis  Gran,  drei  Tage  lang  gebraucht;  z.  B.  I^  Mn-c. 
stihliin.  corros.  gr.  jj ,  Aq.  destill.  simpL  3Jj^ ,  Vini  scm.  colchic.  f;]),.  M.  S. 
Alle  2 — 3  Stunden  40 — 50  Tropfen.  Bei  grosser  Reizbarkeit  der  Digestions- 
organe setzt  man  etwas  Laudanum  zu.  Weicht  das  Übel  nach  Verbrauch 
t'on  2  Gran  Sublimat  nicht,  so  dienen  Antimonialia ,  Schwefel,  Schwefelbä- 
der; überhaupt  wenn  sich  nach  den  ersten  Gaben  obiger  Tropfen  der 
Schmerz  nicht  schon  vermindert,  so  passt  der  Sublimat  nicht,  der,  wo  er 
indicirt  ist,  schnelle  Heilung  bewirkt.  C.  A.  Tritl. 

Nachschrift  des  Herausgebers.  Gegen  Arthritis  rheumatica  lobt 
man  neuerlich  sehr  den  äusserlichen  Gebrauch  des  Sapo  camphoratus.  Ge- 
gen die  chronische  Gicht ,  welche  Paroxysmen  bildet ,  hält  Dr.  Thncr  (s. 
Cnsper^s  Wochenschrift  f.  d.  ges.  Heilkunde,  1833,  No.  1)  für  höchst  spe- 
cifisch  das  Braunkohlenöl  mit  Antimonium ,  z.  B.  I^  OL  empyreumnt.  ex  Uijno 
fossili,  Antim.  sitlphtt/rati  nigr.  ana  5J.  Olihaiii  Sji-  Pulv.  stipit.  dulcnm.  ovj. 
M.  f.  pil.  gr.  jj.  consperg.  pulv.  liquir.  S.  Dreimal  täglich  6 — 10  Stück. 
Dabei  Vermeidung  von  Säure,  von  Käse  und  Pökelfleisch.  Das  Mittel  er- 
hitzt nicht;  die  reizbarsten  Kranken  können  es  vertragen.  Es  befördert 
mehr  den  Appetit,  als  die  kritischen  Ausleerungen  durch  Seh  weiss,  Urin  etc. 
Man  lässt  es  ^/^ — V2  Jahr  gebrauchen.  Selbst  gichtische  Lähmung,  kalk- 
artige Ablagerungen  bessern  sich  darnach.  —  Bei  der  chronischen  vagen 
Und  fixen  Gicht  mit  Rheuma  complicirt  ziehe  ich  Tinct.  colchic.  autumnal., 


188  ARTHROCACE 

3  mal  täglich  zu  20 — 30  Tropfen  allen  andern  Mitteln  vor.  Dagegen  habe 
ich  die  Cur  mit  heissem  Wasser  nach  Cadet  de  Veaux  wegen  ihrer  Nach- 
theile nie  versuchen  mögen.  Noch  kürzlich  erfolgte  dadurch  nach  Bertistein 
in  einem  Falle  der  Tod  binnen  13  Stiuiden  (s.  Cnsper^s  Wochenschrift  1833. 
S.  294.).  Kaltes  Brunnenwasser,  in  grosser  Menge  getrunken,  hat  bei  ein- 
gewurzelter Gicht  nie  diese  Nachtheile,  häufig  aber  wirkt  die  Wassercur 
nach  Oeriel  hier  sehr  vohlihätig. 

ArtlUTOCace 9  Spinn  ventosa,  Winddorn,  mit  seinen  Unterarten: 
Coxarthrocace  (unrichtiger  Coxalgia,  Hüftweh,  freiwilliges  Hinken),  Omar- 
tJirocace  (unrichtiger  Omalgia) ,  Gbnnrthrocnce,  Spondylnrlhrocace.  Man  ver- 
steht unter  diesem  Übel  ein  cariöses  Ergiiffenseyn  der  Gelenkköpfe  der  Kno- 
chen, welchem  Entzündung  vorhergegangen  ist.  Ursachen.  Sind  vorzüg- 
lich gichtische,  scrophulöse,  rheumatische  und  syphilitische  Dyskrasien,  mias- 
matische und  metastatische  Ablagerungen,  Mischungsveränderungen  nach  Po- 
cken, Masern,  Scharlach,  schlecht  behandelter  Krätze,  zurückgetretenen 
chronischen  Hautausschlägen,  Flechten,  unvorsichtig  und  zu  schnell  geheilte 
alte,  zur  Gewohnheit  gewordene  Geschwüre;  äusserlich  angebrachte  Gewalt- 
thätigkeiten.  Symptome  und  Verlauf.  Höchst  wichtig  ist  es  für  die 
Praxis,  hier  vier  Perioden  des  Übels,  die  immer,  selbst  bei  Verschiedenheit 
des  Sitzes  und  der  Causa  morbi ,  dieselben  Erscheinungen  darbieten ,  zu  un- 
terscheiden. Erste  Periode ;  Stadium  prodromorum ,  dolorificum ,  infiamma- 
torium.  Sie  charakterisirt  sich  durch  blosse  schmerzhafte  Aflfectionen,  manch- 
mal auch  nur  durch  ein  blosses  Gefühl  von  Schwäche  ohne  irgend  eine  be- 
merkbare Formverletzung  des  leidenden  Gelenks.  In  diesem  Zeiträume  ist 
das  Übel  noch  rein  dynamisch,  lediglich  begründet  in  einer  Entzündung  der 
gefässreichen  Markhaut  des  Gelenkkopfes.  Zweite  Periode;  Stadium  sub- 
luxationis,  prolongationis  ariiculi.  Die  centrale  Caries  des  Gelenkkopfes  ent- 
wickelt sich,  das  Übel  wird  organisch  und  macht  sich  schon  für  die  mecha- 
nische Seite  als  angehende  Formverletzung  durch  Auftreibung  und  begin- 
nende Ausweichung  des  Gelenkkopfes  und  davon  abhängige  Verlängerung 
des  leidenden  Gliedes  bemerkbar.  Die  Caries  nimmt  nun  immer  mehr  zu, 
entartet  den  Gelenkkopf,  und  nun  geht  das  Übel  oft  plötzlich  in  die  dritte 
Periode ,  in  das  Stadium  luxationis  seu  exarticulationis ,  über.  Es  erscheint 
nun  äas  mechanische  Verhältniss  des  Übels  vollständig  ausgeprägt ,  der  den 
Muskeln  gleichsam  spielend  hingegebene  Gelenkkopf  wird,  wie  das  ganze 
leidende  Glied,  nach  mannigfaltigen  Richtungen  verzogen  und  die  überhand- 
nehmende Caries  fängt  an,  die  Weichgebilde  des  Gelenks  mit  in  die  Ver- 
derbniss  zu  ziehen  und  gänzlich  zu  entarten,  so  dass  zuletzt  bösartige,  pro- 
fuse Eiterung  entsteht,  die  nach  aussen  durchbricht.  Hiermit  beginnt  die 
vierte  Periode ,  Stadium  ulccrosum ,  unter  Begleitung  von  CoUi(}uationen  und 
Zehrfieber,  das  meistens  schnell  verläuft  und  in  den  meisten  Fällen  mit  dem 
Tode  endet.  Hat  das  Übel  seinen  Sitz  im  Hüftgelenke  (Coxarthrocace, 
Coxalgia),  so  kündigt  es  sich  in  der  ersten  Periode,  die  man  Coxitis,  Ent- 
zündung des  Hüftgelenks  nennen  kann ,  durch  einen  eignen  Schmerz  in  der 
Gelenkgegend,  durch  ungewöhnliche,  vorzüglich  des  Morgens  nach  dem  Auf- 
stehen aus  dem  Bette  wahrnehmbare  Steifigkeit  desselben,  und  durch  das 
Gefühl  von  Entkräftung  und  Ermüdung  an.  Untersucht  man  nun  das  Ge- 
lenk ,  so  findet  man  durchaus  nichts  Abnormes ;  doch  bringt  eine  etwas  un- 
sanfte Betastung  des  obern  und  vordem  Theils  des  Schenkelcanals  ein  un- 
angenehmes Schmerzgefühl  hervor.  Nicht  lange  pflegt  jedoch  dieser  Zustand 
zu  dauern,  oft  ist  es  schon  nach  wenigen  Tagen  vorüber  und  kehrt  nicht 
mehr  zurück.  Arzt  und  Kranke  werden  dadurch  oft  veranlasst ,  das  Übel 
für  rheumatisch  zu  halten,  und  die  zurückgebliebene  Steifigkeit  des  Gliedes, 
welche  bei  der  Bewegung  des  Tages  über  wenig  bemerkbar  ist,  für  einen 
rheumatischen  Rest,  der  sich  allmälig  von  selbst  verlieren  würde,  zu  halten. 
Dies  ist  aber  leider !  nicht  der  Fall ;  das  Gefühl  von  Schwäche,  welches  den 
Kranken  öfters  nöthigt  auszuruhen,  geht  in  ein  grösseres  von  Lähmung  über, 
der  Gang  des  Kranken  wird  ein  unsicherer,  er  geräth  öfters  in  Gefahr  zu 
stolpern,  und  er  musa  den  kranken  Schenkel   etwas  nachschleppen.     End- 


ARTHROCACE  189 

lieh  fängt  er  an,  indem  er  den  Fuss  des  leidenden  Schenkels  mehr  einwärts 
getzt,  wirklich  zu  hinken.  Das  Übel  geht  in  längerer  oder  kürzerer  Zeit, 
oft  erst  in  mehreren  Monaten  ,  ins  zweite  Stadium  über ,  welches  durch  be- 
merkbare Veränderung  in  der  Form  sichtbar  ist.  Der  kranke  Schenkel  wird 
nun  länger  als  der  gesunde,  der  Trochanter  major  ist  mehr  ab  -  oder  aus- 
wärts gestellt  als  im  normalen  Zustande ,  der  Hinterbacken  der  kranken 
Seite  wird  flacher,  die  Falte  desselben  wird  tief,  das  ganze  kranke  Glied, 
vorzüglich  aber  der  Oberschenkel,  magert  ab  und  wird  schlaff.  Von  dieser 
wesentlichen  Formveränderung  kann  man  sich  bald  durchs  Gesicht  und  Ge- 
fühl unterrichten.  Vlan  lässt  den  Kranken  sich  entkleiden,  auf  die  Erde 
legen,  und  man  wird  die  grössere  Länge  des  leidenden  Gliedes  wahrnehmen, 
indem  bei  ausgestreckter  Körperlage  Knie  nicht  an  Knie  ,  Knöchel  nicht  an 
Knöchel  zu  liegen  kommt;  auch  das  Mass,  vom  Darmstachel  bis  nach  der 
Kniescheibe  gemessen,  beweist  dasselbe.  Es  giebt  Fälle,  wo  das  Stadium 
der  Verlängerung  zum  Theil  oder  gänzlich  fehlt,  was  für  die  Diagnose  sehr 
wichtig  ist.  Hier  ist  nämlich  die  Arthrocace  des  Gelenkkopfs  gleich  anfäng- 
lich mit  Caries  der  Beckenknochen  complicirt.  Die  übrigen  Zufälle  sind  die 
schon  im  ersten  Stadium  des  Übels  beschriebenen ;  doch  ist  der  Schmerz 
nicht  selten  geringer,  als  er  gleich  im  Anfange  war,  die  Bewegung  des 
Schenkels  ist  nach  allen  Richtungen  ziemlich  frei,  macht  wenig  Schmerz, 
nur  die  Einwärtsdrehung,  falls  der  Fuss  nach  aussen  steht,  macht  vielen 
Schmerz.  Nicht  lange  jedoch  dauert  dieser  noch  erträgliche  Zustand.  Wäh- 
rend des  Fortschreitens  des  Übels  erreicht  die  Verlängerung  des  Schenkels 
und  mit  ihr  die  Spannung  der  Muskeln  und  Nerven  einen  neuen  Grad.  Es 
entsteht  dadurch  ein  neues  Symptom :  ein  äusserst  heftiger  Knieschmerz ,  der 
durch  jede  Bewegung ,  vorzüglich  durchs  Ausstrecken  des  leidenden  Gliedes 
erschwert  wird  und  des  Nachts  Schlaf  und  Ruhe  raubt.  Er  wird  zuletzt 
80  heftig,  dass  der  Kranke  schon  bei  der  leisesten  Berührung  des  Knies  laut 
aufschreit,  dagegen  hört  der  Schmerz  im  Hüftgelenke  ganz  auf  und  ist  wie 
weggezaubert.  Dieser  gegen  das  Ende  des  zweiten  Stadiums  der  Arthro- 
cace eintretende  Umstand  hat  nicht  selten  Gelegenheit  gegeben,  den  Sitz 
des  Übels  im  Knie  und  nicht  im  Hüftgelenke,  das  man  jetzt  ziemlich  un- 
sanft, ohne  Schmerz  zu  erregen,  drücken  kann,  zu  suchen,  das  Knie  für 
den  primär  leidenden  Theil  anzusehen,  besonders  da  es  auch  etwas  anschwillt, 
und  selbiges  als  solchen  zu  behandeln.  Sowie  der  andauernde  Schmerz  das 
Gesammtgefühl  ergreift,  so  sehen  wir  auch  im  fernem  Verlaufe  der  Krank- 
heitsperiode ,  dass  sich  Zufälle  einfinden ,  welche  über  das  wahre  Leiden  kei- 
nen Zweifel  lassen.  Die  Leistendrüsen  schwellen  an,  das  Abmagern  des  gan- 
zen Gliedes  wird  auffallender;  der  Kranke  kann  sich  ohne  Hülfe  der  Krü- 
cken nur  sehr  mühsam,  und  ohne  Schmerzen  zu  erregen  gar  nicht  mehr  be- 
wegen. Die  oft  noch  scheinbar  eintretende  Besserung  kann  nicht  täuschen, 
die  Schmerzzufälle  kehteii  zurück ,  die  schlaflosen  Nächte ,  die  verminderte 
Esslust  und  schlechte  Verdauung ,  sowie  die  am  Ende  der  Krankheit  schon 
beginnende  organische  Zerstörung  und  die  eintretende  Ergiessung  des  Eiters 
ins  Gelenk  erzeugen  unter  Begleitung  aller  bekannten  Zufälle  ein  hektisches 
Fieber  mit  allgemeiner  Schwäche  und  Abmagerung  des  Körpers.  Wie  lange 
dieser  Zustand  dauern  kann  ,  ehe  er  ins  dritte  Stadium  übergeht ,  lässt  sich 
niclit  bestimmen ;  ist  aber  letzteres  eingetreten ,  so  ist  jede  Hoffnung ,  den 
Kranken  je  von  seinem  hinkenden  Gange  zu  befreien,  verloren.  Wird  die 
nöthige  Hülfe  versäumt,  so  verkürzt  sich  das  Glied  nun  entweder  allmälig 
oder  plötzlich,  so  dass  man  es  mehrere  Zoll  kürzer  als  das  gesunde  findet. 
Diese  Verkürzung  des  Schenkels  (ein  sicheres  Zeichen  des  Eintritts  des  drit- 
ten Stadiums)  ist  entweder  die  Folge  einer  wirklich  stattgefundenen  Aus- 
renkung des  Schenkelkopfs  nach  hinten  und  oben  (unrichtig  Luxatio  spon- 
tanea  genannt) ,  und  dann  findet  man  den  früher  flachen  Hinterbacken  hoch 
aufgetrieben,  kugelrund  und  hart;  oder  es  ist  bereits  (der  seltenere  Fall) 
eine  cariöse  Zerstörung  eines  beträchtlichen  Theils  des  Schenkelkopfs  ohne 
Ergriffenseyn  des  Acetabuli  eingetreten,  welches  eine  Verkürzung  des  Schen- 
kels ohne  Verrenkung  zulässt.     In  höchst  seltenen  Fällen   erleidet  die  eben 


190  AKTHROCACE 

erwähnte  Regel  eine  Ausnahme,  so  dass  mit  der  vollkommnen  Ausweichung 
des  Gelenkkopfs  keine  Verkürzung ,  sondern  gegentheils  eine  grössere  Ver- 
längerung, als  in  der  zweiten  Periode  zugegen  war,  erfolgt,  wenn  nämlich 
der  eben  ausgetretene  Scheukelkopf  durch  eine  zufällige,  momentan  vorwal- 
tende Contraction  der  Muskeln  nach  vorn,  innen  und  abwärts  gegen  das 
eirunde  Loch  hingezogen  wird  und  dorthin  ausgleitet.  Diese  Anomalie  dea 
verlängerten  Fusses  bei  ausgerenktem  Schenkel  giebt  sich  vor  der  zweiten 
Periode  durch  das  Extrem  aller  in  dieser  vorkommenden  Symptome  zu  er- 
kennen; der  Hinterbacken  ist  noch  viel  platter,  so  dass  nicht  leicht  Irrung 
möglich  ist.  Erfolgt  in  der  dritten  Periode  die  Ausweichung  nach  hinten 
und  oben ,  so  beobachtet  man  jetzt  nicht  selten  die  auffallendsten  Remissio- 
nen aller  peinlichen  Zufälle;  der  Kranke  freuet  sich  darüber,  ohne  zu  wis- 
sen, dass  er  dem  Grabe  bedeutend  näher  gerückt  ist  oder  doch  zeitlebens 
auf  eine  vollkommne  Heilung  verzichten  muss.  Er  kann  bei  aufrechter  Stel- 
lung den  abgemagerten  Fuss  nicht  mehr  auf  die  Erde  setzen,  berührt  blos 
mit  den  Zehen  den  Fussboden  (ein  Hauptsymptom),  ist  gezwungen,  den 
Körper  theils  vorwärts,  theils  auf  die  entgegengesetzte  Seite  zu  bringen, 
um  das  Gewicht  desselben  vom  kranken  Schenkel  zu  entfernen;  der  ange- 
schwollene Hinterbacken  drängt  sich  immer  mehr  hersor  oder  wird  bedeu- 
tend breiter ;  der  auf  der  äussern  Fläche  des  Hüftbeins  ruhende  Schenkel- 
kopf bewirkt  endlich  auch  an  diesem  Knochen  eine  merkbare  Verschiebung, 
ßo  dass  die  leidende  Hüfte  deutlich  höher,  als  die  der  gesunden  Seite  zu 
stehen  kommt.  Um  die  möglichste  Erschlaffung  der  Muskeln  zu  erzielen, 
zieht  der  Kranke  den  Oberschenkel  beständig  an  den  Unterleib  und  beugt 
den  Unterschenkel  im  Knie ,  welche  Stellung  derselbe  des  Nachts  und  im 
Schlafe  durch  Umfassung  des  Schenkels  mit  beiden  Händen  zu  behaupten 
sucht,  da  jeder  Versuch,  das  Glied  auszustrecken,  sehr  schmerzhaft  ist; 
das  Gehen  ist  ohne  Hülfe  zweier  Krücken  unmöglich;  der  Hinterbacken 
ßchmllt  immer  mehr  an,  es  erzeugt  sich  häufig  eine  den  ganzen  Oberschen- 
kel ergreifende  gespannte  und  glänzende  Geschwulst  mit  deutlicher  Fluctua- 
tion.  Noch  immer  ist  der  Schmerz  vorzugsweise  im  Knie  vorhanden ,  die 
Berührung  des  Gliedes  ist  höchst  schmerzhaft ,  der  Hüftschmerz  gering ,  bis 
sich  endlich  an  einzelnen  Stellen  blaurothe  Flecke  zeigen ,  an  denen  die 
Geschwulst  früher  oder  später  berstet  und  nun  die  vierte  Periode  der  Krank- 
heit ihren  Anfang  nimmt.  Zeichen  derselben  sind  häufiger  Ausfluss  eines 
äusserlich  lymphatischen,  später  mehr  dicklichen  Eiters,  grosse  Erschlaffung 
des  Gliedes,  Verminderung  der  Schmerzen,  Veränderung  des  gutartigen  Ei- 
ters in  Jauche,  schnelle  Zunahme  des  Zehrfiebers  durch  den  grossen  Säfte- 
verlust, colliquative  Schweisse,  Durchfälle',  Entkräftung  und  Tod,  Zuwei- 
len werden  durch  die  Naturkräfte  auch  noch  jetzt  einzelne  Leidehde  vom 
Tode  gerettet,  indem  die  abgestorbenen  Knochen  und  sonstigen  Gebilde 
theils  aufgesogen,  theils  durch  die  Eiterung  entleert  werden.  Es  vermin- 
dert sich  nun  die  Eiterung,  es  schliesst  sich  erne  Öffnung  nach  der  andern, 
die  Zufälle  des  Zehrfiebers  verlieren  sich,  der  Knieschmerz  wird  wieder 
heftiger,  es  zeigen  sich  im  Gelenke  Verbildungen ,  und  ein  hinkender  Gang 
ibleibt  als  Folge  einer  veralteten  Ankylose  des  Schenkels  zeitlebens  zurück, 
l-icichenöffnungen  zeigen  im  Stadio  I.:  gesunde  Gelenkbänder  und  Umgebun- 
gen des  Gelenks,  angeschwollenen,  hier  und  da  cariös  ergriffenen  Gelenk- 
kopf, Entartung  der  Markhöhle  desselben;  im  Stadio  II.  ist  der  Gelenkkopf 
mehr  entartet,  stärker  aufgesciiwollen;  er  steht  in  der  Regel  auf  dem  Rande 
der  Pfanne;  zugleich  findet  man  Verbildung  des  Gelenks:  Entartung  der 
F'ettdrüsen ,  des  Gliedwassers ,  der  Gelenkknorpel ,  cariöse  Zerstörung  des 
5>chenkelkopfs  von  innen  nach  aussen;  im  Stadio  III.  höhere  Grade  der  Ge- 
lenkzerstörung, als  man  den  äussern  Zufallen  nach  hätte  vermuthen  sollen, 
uind  zwar  so ,  dass  man  sich  nicht  selten  verwundert,  wie  die  Integrität  sol- 
cher Theile  noch  so  lange  fortdauert;  im  Stadio  IV.,  wenn  der  Tod  nicht 
Jrüher  erfolgte,  ankylotische  Verwachsung  oder  Bildung  eines  neuen  Gelenks. 
Hat  die  Krankheit  ihren  Sitz  im  Schultergelenke  (Omarthrocace,  Omal- 
.gia),    so  beschränkt   sich  der  örtliche  Schmerz   in  der   ersten  Periode  nicht 


ARTHROCACE  191 

blos  auf  den  Gelenkkopf;  oft  äussert  er  sich  auch  durch  heftige  flüchtige 
Stiche,  die  in  der  Nähe  der  Achselhöhle  von  der  vordem  untern  Seite  des 
Schultergelenks  ausgehen.  An  der  innern  Seite  steigen  sie  bis  zum  Ellbo- 
gen herab,  die  vorzüglich  des  Abends  und  während  der  Nacht  heftiger  wer- 
den, dabei  Gefühl  von  Ermüdung  im  ganzen  leidenden  Arme,  vorzüglich  im 
Oberarme,  welches  bei  anhaltender,  auch  noch  so  geringer  Bewegung  sich 
bedeutend  vermehrt  und  zum  Ausruhen  nöthigt.  An  der  leidenden  Schulter 
ist  weder  Röthe,  noch  Geschwulst,  noch  Deformität  zu  sehen,  doch  bringt 
ein  starker  Druck ,  auf  den  Gelenkkopf  angebracht ,  vorn  an  der  Achselhöhle 
jenes  bis  zum  Ellbogen  sich  erstreckende  Schmerzgefühl  her^'or.  In  diesem 
Zustande  bringt  der  Kranke  mehrere  Wochen  und  Monate  hin ,  das  unange- 
nehme Gefühl  im  Gliede  nimmt  zu,  gränzt  an  Lähmung,  und  die  Schmerzen 
in  der  Schulter  und  im  Ellbogen  sind  so  heftig  und  anhaltend,  dass  der 
Kranke  nicht  einmal  den  Druck  der  Kleidungsstücke  ertragen  kann.  Unter- 
sucht man  die  Schulter,  so  findet  man  den  Gelenkkopf  schon  hervorstre- 
bend,  nach  aussen  hervorragend,  das  Olecranon  steht  etwas  vom  Körper  ab 
und  ist  im  Ellbogengelenk  etwas  gebogen,  und  das  Glied  ist  schwächer  und 
magerer,  als  das  gesunde;  die  Schulterhöhe  steht  im  Vergleich  mit  der  ge- 
sunden nur  einige  Linien  tiefer  und  hat  die  abgerundete  Gestalt  verloren, 
dagegen  erscheint  der  Querdurchmesser  etwas  grösser;  die  hintere  und  vor- 
dere Achselhöhle  steht  tiefer  als  am  gesunden  Arme,  und  zwischen  ihm  ist 
die  Achselhöhle  durch  den  offenbar  aufgetriebenen  Kopf  des  Os  humeri  und 
durch  die  leichte  Geschwulst  voller  und  Aveniger  vertieft.  Der  Kranke  kann 
den  leidenden  Arm  nicht  strecken  und  viel  weniger  im  Kreise  herumdrehen. 
Betrachtet  man  den  Kranken  von  hinten,  so  sieht  man  deutlich,  dass  der 
Ellbogenhöcker  tiefer  als  der  an  der  gesunden  Seite  steht.  Diese  Zeichen, 
welche  den  Eintritt  der  zweiten  Periode  andeuten ,  nehmen  in  ihrem  Ver- 
laufe immer  zu,  und  der  Zustand  der  Subluxation  geht,  sich  selbst  über- 
lassen, in  wirkliche  Ausrenkung  über;  das  Gelenk  schwillt  immer  mehr  an, 
der  Schmerz  daselbst,  und  vorzüglich  im  Ellbogen,  vermehrt  sich  täglich, 
die  Grätenenden  des  Schulterblatts  dringen  immer  mehr  vor,  und  statt  des 
Gelenkkopfes  findet  man  einen  leeren  Raum ,  der  Schulterstumpf  verliert 
seine  Form  gänzlich,  die  Achselhöhle  füllt  sich  mit  dem  herabgesunkenen 
Gelenkkopfe,  die  Bewegung  des  Gliedes,  das  nun  länger  als  das  gesunde 
ist,  ist  fast  unmöglich.  Durch  die  Thätigkeit  des  Musculus  pectoralis,  La- 
tissimus  dorsi  etc.  wird  der  Kopf  des  Oberarms  vom  untern ,  vordem  Rande 
des  Schulterblatts  weggezogen  und  allmälig  zwischen  Schulterblatt  und  Rip- 
pen, und  von  dort  aus  unter  das  Schlüsselbein  gezogen.  Hierdurch  erhält 
der  bereits  verlängert  gewesene  Arm  auf  längere  Zeit  zwar  sein  normales 
Längenmass  wieder,  er  wird  aber  bald  länger  als  der  gesunde,  sobald  der 
Kopf  unter  der  Clavicula  steht ;  auch  nähert  sich  das  Schultergelenk  seiner 
ursprünglich  gewölbten  Form,  das  Grätenende  und  Schulterblatt  findet  man 
weniger  hervorragend,  die  Gelenkgrube  leer,  und  tiefer  eine  runde,  harte 
Geschwulst,  die  von  dem  dahin  gegangenen  Kopfe  herrührt,  der  Ellbogen 
steht  herab,  die  Bewegung  des  Arms  ist  unmöglich,  besonders  die  Kreisbe- 
wegung. Sehr  leicht  verkennt  hier  der  Arzt  die  wahre  Natur  des  Übels, 
das  nun  ins  dritte  Stadium  übergeht.  Die  anhaltende  Spannung  des  ergriffe- 
nen Gelenktheils  geht  endlich  in  zerstörende  Eiterung  über,  die  Weichge- 
bilde ,  welche  von  aussen  die  Schulter  umgeben ,  schwellen  bedeutend  an, 
verändern  ihre  bisher  beibehaltene  natürliche  Farbe,  und  entzünden  sich. 
Der  ergossene  Eiter  drängt  sich  immer  mehr  hervor,  bricht  an  einigen  oder 
mehrern  Stellen  durch,  senkt  sich  zwischen  die  Muskeln  des  Oberarms  und 
der  Brust,  veranlasst  Fistelgänge,  Caries,  und  macht  auch  durch  Ergiessung 
in  die  Brusthöhle  oft  einen  schnellen  Tod.  Nur  selten  findet  Resorption 
des  Eiters ,  Bildung  eines  künstlichen  Gelenks  oder  ankyiotische  Verwach- 
sung, wodurch  die  Integrität  des  Gliedes,  und  das  Leben  erhalten  wird,  in 
dieser  Höhe  des  Übels  statt. ' 

Hat  die  Krankheit  das  Kniegelenk   ergriffen  (Gonarthrocaee),   so  zeigt 
sich  zuerst  heftiger  Schmerz  im  Knie,    verhinderte  Bewegung  des  Gelenks, 


192  ARTHROCACE 

besonders  beim  Ausstrecken  des  Schenkels,  daher  fast  immer  gebogene  Lage 
des  Gliedes.  Der  Schmerz  ist  heftig,  bald  tiefsitzend,  bald  über  das  ganze 
Glied  sich  ausbreitend,  bald  auf  eine  bestimmte  Stelle  im  Gliede  beschränkt, 
er  vermehrt  sich  unter  kleinen  Fieberbewegungen  des  Abends,  wird  durch 
jede  äussere  Berührung,  durch  warme  Bedeckung,  vorzüglich  aber  durch 
jede  Bewegung  des  Schenkels  vermehrt;  das  Gelenk  bleibt  dabei  in  dieser 
Periode  der  äussern  Form  nach  im  vollkommen  normalen  Zustande ,  und  es 
zeigt  sich  weder  Röthe ,  noch  Geschwulst ,  was  sich  durch  Verglelchung 
mit  dem  gesunden  Knie  deutlich  kund  giebt.  Wird  die  Krankheit  in  #eser 
Periode  verkannt  und  verkehrt  behandelt,  so  geht  sie  in  die  zweite  über. 
Unter  allmäliger  Vermindei-ung  des  örtlichen  Schmerzes  entsteht  nun  An- 
schwellung des  leidenden  Gelenks ,  die  oifenbar  von  einer  Auflockerung  der 
Gelenkköpfe  herrührt.  Der  Schenkel  wird  unterhalb  des  geschwollenen  Knie- 
gelenks schlaffer  und  zehrt  allmälig  ab ,  der  Kranke  kann  den  Schenkel  ohne 
Unterstützung  nicht  heben ;  da  die  beständige  Lage  des  Gliedes  die  Muskelu 
und  die  Sehnen  an  ihrer  anhaltenden  Zurückziehung  hindert,  so  werden  die 
Gebilde  steif.  Sind  jetzt  dem  Fortschreiten  dieser  Periode  keine  Schranken 
gesetzt,  so  geht  sie  ins  dritte  Stadium  über.  Nun  werden  auch  die  Weich- 
gebilde des  Knies  ergriffen,  die  Geschwulst  nimmt  stärker  zu  und  bekommt 
durch  die  Erweiterung  der  unter  der  Haut  liegenden  Venen  ein  varicöses 
Ansehn.  Nicht  selten  ist  sie  so  gespannt  und  elastisch,  dass  man  selbst  die 
im  Innern  ergossene  Lymphe  fluctuirend  fühlt ;  es  entsteht  auch  oft  eine 
Verschiebung  der  Gelenkknorpel  durch  die  fortschreitende  und  andauernde 
Anschwellung;  das  Zellgewebe  wird  endlich  an  mehreren  Stellen  weich,  es 
entstehen  Abscesse ,  die  sich  von  selbst  öffnen ,  verschiedenartigen  Eiter  ohne 
bedeutende  Abnahme  der  Geschwulst  entleeren,  von  selbst  wieder  heilen, 
an  andern  Stellen  wieder  aufbrechen,  oft  in  unversiegbare  Fisteln  ausarten, 
die  eine  wässrige,  stinkende  Jauche  entleeren;  die  Zerstörung  des  Gliedes 
schreitet  fort,  der  Kranke  leidet  durch  den  fortdauernden  Schmerz,  durch 
Säfteverlust,  es  entsteht  Zehrfieber  mit  colliquativen  Zufallen  und  Tod; 
nicht  selten  kommt  auch  der  Brand  hinzu  und  stört  die  Gelenkverbindung 
dergestalt ,  dass  ohne  Zuthun  der  Kunst  der  Oberschenkel  sich  vom  Unter- 
schenkel trennt  und  also  letzterer  abfällt.  Nicht  selten  überwhidet  die  im- 
mer rege  Naturkraft  auch  noch  im  vierten  Stadium  die  gewaltsam  auf  sie 
einwirkenden  Stürme;  Eiter  und  Knochenstücke  werden  theils  resorbirt,  theils 
durch  die  von  selbst  entstandenen  oder  künstlich  gemachten  Öffnungen  ent- 
leert, neue  Bildung  ersetzt  den  Verlust  der  Gelenkbänder,  der  Knochenmasse, 
und  so  wird  das  Leben  und  das  Glied  erhalten,  so  dass,  wenn  letzteres 
auch  verbildet  ist,    dasselbe  doch  mehr  oder  weniger  brauchbar  bleibt. 

Ist  das  Ellbogengelenk  (Olecranarthrocace)  und  das  Fuss  -  und  Hand- 
gelenk (Podarthrocace  und  Chirarthrocace)  ergriffen,  so  weichen  die  Er- 
scheinungen im  Wesentlichen  nicht  von  der  Gonarthrocace  ab;  nur  treten 
sie  minder  heftig  und  nicht  so  zerstörend  auf.  Ganz  anders  ists  aber,  wenn 
die  einwirkenden  Ursachen  die  Wirbelsäule  ergriffen  haben.  Dieses  schlimme 
Übel:  Spondylarthrocace,  Spondylocace  genannt,  bietet  nach  Verschieden- 
heit des  Sitzes  in  den  verschiedenen  Stadien  der  Krankheit  verschiedene  Er- 
scheinungen dar.  Leidet  der  obere  Rücken,  sind  die  Hals  -  oder  Lenden- 
wirbel ergriffen ,  so  zeigen  sich  die  von  Pott  beschriebenen  Zufalle ;  auch 
ist  die  Pott'sche  Lähmung  nichts  Anderes  als  eine  spontane  Verschiebung 
der  Wirbelbeine  von  innen  nach  aussen.  Auch  hier  ist,  wie  bei  den  übrigen 
Arten  spontaner  Verrenkungen,  im  Stadio  I.  des  Übels  keine  Verrenkung  in 
der  organischen  Partie  bemerkbar,  obgleich  der  Kranke  nicht  selten  über 
einen  fixen  Schmerz  an  der  leidenden  Seite  klagt.  Erst  im  Stadio  II.  be- 
merkt man  eine  Hervorragung  des  einen  oder  des  andern  Wirbelbeins,  und 
das  schon  im  Stad.  I.  vorhandene  Gefühl  von  Ermüdung  und  Kraftlosigkeit 
der  untern  Gliedraassen  geht  nun  in  wirkliche  Lähmung  über  (s,  Paralysis). 
Im  Stadio  III.  erfolgt  wirkliche  Verrenkung  und  cariöse  Zerstörung  der 
Wirbelknochen,  die  sich  im  Stadio  IV.  durch  Entstehung  bedeutend  grosser 
lymphatischer  Geschwülste  auf  der  kranken  Stelle,    durch  Ergiessung  von 


ARTHROCACB  193 

Eiter  und  Jauche,  und  nicht  selten  durch  Berstung  der  Geschwulst  beson- 
ders zu  erkennen  geben.  Nicht  immer  ist  im  Stad.  I.  und  II.  Lähmung 
vorhanden  ;  denn  letztere  erfolgt  an  den  untern  Extremitäten  meist  nur  auf 
Verrenkung  der  Wirbel;  es  giebt  auch  bedeutende  spontane  Verschiebung 
ohne  Lähmung.  Hat  das  Übel  im  Rücken  seinen  Sitz,  so  entstehen  Brust- 
lähmungen, und  das  bedeutend  hektische  Fieber  malt  eine  Lungenlähmung 
(Paralysis  pulmonum)  auf  das  Täuschendste  nach,  und  ehe  man  noch  die 
Deformität  des  Übels  von  aussen  gewahr  wird,  stirbt  der  Ki-anke  oft  plötz- 
lich durch  Erglessung  von  Eiter  in  die  Brusthöhle.  Sind  hingegen,  was 
häufig  der  Fall  ist ,  die  Lendenwirbel  ergriffen ,  so  erscheint  die  Krankheit 
in  ihrem  fernem  Verlaufe  ganz  in  der  Form  einer  Psoitis,  sowie  auch  der 
Psoasabscess  meist  Folge  einer  Arthrocace  und  einer  spontanen  Verrenkung 
der  Lendenwirbel  seyn  soll  (/twsf).  Häufiger  als  an  den  Hals  -,  Rücken- 
und  Lendenwirbeln  nimmt  man  eine  spontane  Verrenkung  des  Kopfs  vom 
Atlas  oder  des  letztern  vom  Epistrophaeus  w:ahr.  Im  Stadio  I.  dieses  Übels 
entstehen  Halsschmerzen,  vorzüglich  des  Nachts,  bei  eingetretener  feuchter 
Witterung;  das  Schlingen  grosser  Bissen  macht  Beschwerde,  obgleich  man 
bei  Untersuchung  des  Mundes  imd  Rachens  keine  Spur  von  Verletzung  fin- 
det. Es  stellt  sich  Schmerz  ein,  der  bald  die  eine  Seite  des  Kopfs  ein- 
nimmt ,  bald  sich  bis  zur  Schulter  erstreckt ,  häufig  beginnt  er  in  der  Ge- 
gend des  Larynx,  verbreitet  sich  bis  in  den  Nacken,  selbst  bis  zum  Schul- 
terblatte der  scheinbar  leidenden  Seite.  Ein  Druck  mit  dem  Finger  zwi- 
schen Atlas  und  Epistrophaeus  verräth  gleich  den  wahren  Sitz  des  Übels. 
Alle  Zufälle  nehmen  jetzt  zu,  es  entsteht  Steifigkeit  des  Halses,  und  nun 
kündigt  das  Sinken  des  Kopfs  gegen  die  eine  Schulter  hin ,  mit  etwas  ab- 
wärts geneigtem  Gesichte  (in  welcher  Lage  der  Kranke  den  Kopf  unver- 
rückt erhalten  muss)  ,  das  bereits  eingetretene  zweite  Stadium  des  Übels  an. 
Meist  senkt,  sich  der  Kopf  nach  der  Seite  hin ,  die  früherhin  keine  schmerz- 
haften AfFectionen  zeigte,  am  häufigsten  nach  der  rechten  Schulter,  weil 
sich  in  den  meisten  B]ällen  das  Übel  zwischen  der  Articulation  der  linken 
Seite  zeigt.  Ist  das  Übel  an  beiden  Seiteu ,  also  doppelt,  so  senkt  sich  der 
Kopf  gerade  auf  die  Brust.  Wochen ,  selbst  Monate  verlaufen  unter  diesen 
Erscheinungen ;  erst  dann  erreicht  die  Krankheit  die  dritte  Periode.  Das 
erste  Zeichen  derselben  ist  scheinbare  Besserung ;  die  Stellung  des  Kopfs 
wird  normal,  die  Bewegung  desselben  frei;  aber  das  Scheinglück  dauert 
nicht  lange.  Die  Beschwerden  beim  Einathmen  und  Essen  kehren  wieder 
zurück,  der  bohrende  Schmerz  in  der  Nackengegend  wird  anhaltender,  er- 
streckt sich  nicht  selten  bis  in  die  Stirnhöhlen;  der  Kopf  sitzt  gerade  und 
unbeweglich ,  wie  mit  einem  eisernen  Reife  umschlossen ,  senkt  sich  aber 
bald  gegen  die  linke  Schulter,  oder  bei  doppelseitigem  Leiden  gerade  rück- 
wärts ,  und  nimmt  gerade  die  entgegengesetzte  Seite  ein ,  wohin  er  sich  in 
der  zweiten  Periode  neigte.  Nun  ist  an  keine  Remissionen  zu  denken,  der 
Schmerz  des  Hinterhaupts  und  Nackens  wechselt  noch  öfters  mit  Heiserkeit,, 
mit  verhindertem  Schlingen  etc.  ab;  auf  der  gesunden  Seite  kann  der  Kranke 
gar  nicht ,  auf  der  kranken  nur  mit  der  grössten  Beschwerde  liegen ;  die 
Rückenlage  ist  noch  die  beste,  aber  jede  Bewegung  ist  mit  unsäglichen 
Schmerzen  verbunden.  Will  sich  der  Kranke  aus  der  liegenden  in  eine 
sitzende  Stellung  bringen ,  so  setzt  er  langsam  eine  oder  beide  Hände  an 
das  Hinterhaupt,  und  hebt  den  Kopf  mit  der  Brust  gleichzeitig  in  die  Höhe 
(ein  sicheres  pathognomonisches  Zeichen).  Ein  eigner  Ausdruck,  der  schwer 
zu  beschreiben,  aber  gleichfalls  constant  ist,  spricht  sich  zugleich  im  Ge- 
sichte, in  der  ganzen  Physiognomie  aus.  Im  fernem  Verlaufe  des  Übels 
stellen  sich  noch  ein:  Ohrensausen,  Gesichtsschmerz,  partielle  Lähmung, 
besonders  der  obern  Gliedmassen ,  gänzlicher  Verlust  der  Sinne ,  Eiteraus- 
fluss ,  colliquative  Schweisse  und  alle  Zufalle  des  hektischen  Fiebers ;  zu- 
letzt bemerkt  der  Kranke  bei  jeder  Bewegung  ein  Knarren  und  Reiben  des 
(fbern  Halswirbels,  besonders  bei  Bewegung  des  Kopfs.  So  währt  das  Übel 
Monate  lang,  der  Kranke  stirbt  an  Tabes,  oder  er  bricht  bei  einiger  Be- 
wegung im  eigentlichen  Sinne  des  Worts  das  Genick.  Die  Section  aeigt 
Most  Eacyklopädie.  'He  Aufl.  I.  13 


194  ABTHROCACE 

Ergiessung  von  Eiter  und  Jauche  zwischen  den  Halswirbehi ,  Excoriation 
des  Schlundes,  Zerstörung  der  Knorpel  und  der  Beinhaut  in  der  Nähe  des 
Epistrophaeus ,  Zerstörung  der  Condyli  der  einen  Seite  durch  Caries;  nach 
dem  plötzlichen  Tode  Bruch  des  cariösen  Zahnfortsatzes,  Eitererguss  in  die 
Brusthöhle,  krankhafte  Affection  und  Zerstörung  des  Gehirns  und  seiner 
Häute.  In  seltenen  Fällen  überwindet  auch  hier  die  Natui'kraft  das  Übel 
und  der  Mensch  rettet  mit  ankylotischer  Verwachsung  das  Leben.  Be- 
handlung der  verschiedenen  Arten  von  Arthrocace.  Indicatio- 
nen  sind:  1)  Entfernung  der  veranlassenden  Ursachen,  oder,  wo  diese  nicht 
möglich  ist,  Verminderung  ihrer  schädlichen  Einwirkungen  auf  das  kranke 
Glied ;  2)  Beseitigung  der  Anomalie  des  kranken  Gelenks ;  3)  Leitung  und 
Unterstützung  der  Lebenskräfte  des  Kranken.  In  Betreff  des  zweiten  Punk- 
tes müssen  wir  vorzüglich  früh  die  Entzündung  und  Anschwellung  der  Ge- 
lenktheile  zu  zertheilen ,  die  schon  begonnene  Abweichung  des  Gelenkkopfs 
durch  Erweckung  einer  starken  Muskelthätigkeit  zurückzuführen ,  und  die 
im  Gelenke  ergossene  Flüssigkeit  durch  Resorption  oder  Entleerung  nach 
aussen  zu  entfernen  suchen.  Die  Mittel  zur  Erreichung  dieser  Zwecke  sind 
entweder  allgemeine  oder  örtliche.  Da  das  Wesen  des  Übels  auf  Entzün- 
dung beruhet ,  so  müssen  im  Stadio  L  antiphlogistische  Mittel :  örtliche  Blut- 
entziehungen,  kühlende  Mittelsalze,  vorzüglich  auch  Merc.  dulc.  etc.  ange- 
wandt werden,  um  die  in  den  folgenden  Stadien  eintretende  Eiterung  und 
die  Caries  zu  verhüten.  Nach  Entfernung  des  allgemeinen  entzündlichen 
Zustandes  ist  das  Opium  in  den  verschiedenen  Perioden  des  Übels ,  beson- 
ders bei  schwächlichen,  höchst  reizbaren  Subjecten,  bei  heftigem  Schmerz- 
gefühle, bei  schlaflosen  Nächten,  eingetretenen  schwächenden  Diarrhöen,  ein 
unentbehrliches ,  herrliches  Nebenraittel.  Ist  die  Krankheit  Wirkung  einer 
allgemeinen ,  theils  vorhergegangenen,  theils  noch  fortwirkenden  Ursache,  so 
richtet  sich  die  fernere  Cur  nach  der  Natur  des  zum  Grunde  liegenden  All- 
gemeinleidens. Sind  Gicht ,  Rhachitis ,  Erkältung ,  unvorsichtig  behandelte 
Hautöbel  Ursache,  so  passen  Diaphoretica ,  unter  diesen  besonders  die  An- 
timonialpräparate ,  Schwefel,  Kampher,  Guajakharz,  Decoct.  rad.  bardanae, 
Spec.  lignorum;  ist  Syphilis  oder  Scrophulosis  Schuld,  dann  gebe  man  an- 
haltend Mercurialia,  Antimonialia ,  Terra  ponderosa  salita  in  Verbindung  mit 
Aq.  laurocerasi,  Digitalis,  Cicuta.  Sehr  wirksam  sind  zugleich  laue  Bäder 
in  jeder  Periode  des  Übels ,  um  die  reproductive  Thätigkeit  der  Haut  zu 
vermehren  und  die  Zerstörung  des  Gelenks  zu  verhindern.  Das  Extract. 
pampinorura,  täglich  zu  2 — 3  Unzen,  in  Wasser  gelöst,  ist  gleichfalls  sehr 
empfohlen  worden ,  desgleichen  die  Theercur.  Im  letzten  Staditim  passen 
wegen  der  grossen  Lebenserschöpfung:  China,  Wein,  gute  Nutrientia,  an- 
haltend gebraucht,  desgleichen  diejenigen  Mittel,  welche  bei  hektischem 
Fieber  angegeben  werden  (s.  Febris  hectica).  Die  örtliche  Behandlung 
bleibt  indessen  immer  die  Hauptsache,  da  ohne  sie  an  keine  radicale  Hei- 
lung zu  denken  ist.  Im  Stadio  I.  lasse  man  bei  Vollblütigkeit  zur  Ader,  und 
setze  darauf  Blutegel  rund  um  das  leidende  Gelenk,  schlage  dann  kalte  Um- 
schläge oder  sonstige  zertheilende  Fomentationen :  Foment.  frigida  Schmücken, 
jedesmal  frisch  bereitet.  Aqua  Goulardi  etc.  über,  und  lasse,  nachdem  man 
diese  Mittel  einige  Tage  gebraucht  hat ,  Unguent.  mercuriale  in  das  ganze 
Gelenk ,  selbst  in  dessen  nächste  Umgebung  recht  kräftig  und  dreist  einrei- 
ben, und  zugleich  oder  abwechselnd  allgemeine  Bäder  gebrauchen.  Beide, 
die  Bäder  und  die  Mercurialsalbe ,  sind  Hauptmittel.  Diese  Behandlung  be- 
schränkt sich  indessen  nicht  blos  auf  die  erste  Periode;  sie  ist  in  jeder  Pe- 
riode, sobald  sich  aufs  neue  Schmeraen  und  Spannung  im  Gelenke  (Zeichen 
neuer  Entzündung)  einfinden,  höchst  nöthig.  Erst  dann,  wenn  durch  diese 
Mittel  der  Schmerz  und  die  entzündliche  Spannung  gehoben _ worden  sind, 
darf  man  zu  den  mehr  reizenden  Mitteln :  zu  dem  Linini.  volat.  camphorat., 
Opodeldüc,  Aramoniakptlaster  mit  Acet.  squillit,,  zu  Vesicatorien,  Sinapismen, 
übergehen.  Hier  wirkt  oft  auch  sehr  vortheilhaft  eine  Pasta  aus  Kolopho- 
nium, Mark  und  Weingeist.  In  den  höhern  Graden  sind  höchst  wichtige 
Mittel:  die  Moxa  und  das  Glüheisen,   wodurch  am  leidenden  Theile  Fonta- 


ARTHROCACOLOGIA— ARTICULUS  PRAETERNATURAL.  195 

nellen  gebildet  werden ,  zur  Unterhaltung  einer  tüchtigen,  anhaltenden  Eite- 
rung. Diese  letzten  Mittel  haben  in  den  meisten  Fällen,  zu  rechter  Zeit 
angewandt,  noch  den  besten  Erfolg  gehabt  Die  Eiterung  unterhält  man 
durch  reizende  Digestivsalben :  Unguent.  digest.  mit  Merc.  praec.  rub. ,  mit 
Pulv.  cantharidum  etc.  Dr.  Fritz  in  Prag  macht  seine  schmerzlose,  und 
dennoch  sichere  Heilart  der  Coxalgie  bekannt,  wodurch  er,  wie  er  ver- 
sichert, seit  1819  über  dreissig,  im  zweiten  Grade  bedeutend  vorgerückte 
coxalgische  Kranke  binnen  zwei,  höchstens  drei  Monaten  vollkommen  imd 
dauerhaft  ohne  schmerzhafte  Mittel  (Cauterium,  Moxa,  Fontanelle)  hellte. 
Sie  besteht  darin,  dass  er  Kindern  jeden  Abend  3  —  5  Gran  Louvrier'sche 
Mercurialsalbe  in  den  kranken  Schenkel  einreiben,  den  folgenden  Tag  noch 
vor  dem  Frühstück  ein  lauwarmes  Bad  nehmen ,  darauf  im  erwärmten  Bette 
strenge  Ruhe  halten,  Nachmittags  warme  Mehlkleien  aufs  kranke  Gelenk 
legen  und  erhitzende  Speisen  und  Getränke  meiden  lässt.  Bei  Erwachsenen 
wendet  er  die  volle  Louvrier'sche  Schmiercur  an.  Vergl.  medic.  Chirurg. 
Zeitung  1828.  Nr.  37.  {Most}.  Der  Regierungsarzt  Dr.  Ebel  in  Neisse  (a. 
Medic.  Zeitung  des  Vereins  f.  Heilkunde  in  Preussen.  1833,  Nr.  10.)  heilte 
innerhalb  6  Wochen  einen  Kranken,  der  an  Gonarthrocace  und  3,  welche 
an  Coxarthrocace  litten  und  sich  im  zweiten  Stadium  des  Leidens  befanden, 
gründlich  durch  Sublimatbäder  und  Schwitzen,  nachdem  vorher  durch  ört- 
liche und  allgemeine  Blutentziehungen  der  obwaltende  Entzündungsprocess 
gehoben  war.  Die  Kranken  mussten  täglich  %  Stunden  in  einem  warmen 
Bade  von  27 — SS»  R.  sitzen,  worin  '/j  Unze  Sublimat,  später  alle  3  Tage 
3|l — 3j  mehr,  bis  zu  1  Unze  als  Maximum,  aufgelöst  worden.  Es  folgte 
starker  Schweiss,  der  hinterher  noch  durchs  BinhüUen  in  wollene  Decken 
begünstigt  ward.  Ein  Kranker  bedurfte  16  Unzen  und  2  Drachmen ,  ein 
anderer  18  Unzen  2  Drachmen,  ein  dritter  11  Unzen  und  Y,  Drachme  Subli- 
mat bis  zur  vollendeten  Heilung.  A.  A,   0.  Waldow. 

Artbrocacolog^ia.  Ist,  nach  Rust,  die  Lehre  von  der  Gelcnkaus- 
renkung.  Richtiger  wäre  Exarthromatologia,  und  für  dicLehre  der 
Gelenkkrankheiten  der  Name  Kakarthrologia. 

Arthrocarcinom»,  Gelenkkrebs,  s.  Arthrocace  u.  Carcinoma. 

Arthrochondritis ,  Entzündung  der  Gclenkknorpel,  s. 
Inflammatio   ossium. 

Arthrodynia,  Gicht,  s.  Arthritis. 

Arthromening^itisi,  Entzündung  der  Syno  vialmembran, 
6.  Inflammatio  ossium,    Fungus  articulorum. 

ArtturoncuSs  Gelenkgeschwulst.  Ist  Symptom  verschiedener 
Oelenkkrankheiten. 

Artbi'opbyma  adenocbondrium.  So  nennen  Einige  den  Tu- 
mor albus  der  Gelenke.     S.  Fungus  articulorum. 

Arthroptayma  bursale,   s.  Hydrops  bursarum, 

Arthr opy osis ,  Gelenkvereiterung ,   s.  Arthrocace. 

Arthr ospong^us ,  Gliedschwamm,   s.  Fungus  articuli. 

Artictilus  artificialis,  künstliches  Gelenk.  Hat  Dr.  Bnrton 
mit  günstigem  Erfolge  bei  vollkommner  Gelenksteifigkeit  in  mehreren  Fällen 
durch  operatives  Verfahren  gebildet  (s.  Ankylosis). 

Articulus  praetcrnatiirali.«) ,  Pseudnrthrosis ,  widernatür- 
liches Gelenk.  Dieses  Übel  folgt  nicht  selten  auf  schlecht  geheite  Kno- 
chenbrüche der  obern  und  untern  Gliedmassen,  woran  sowol  ein  schlechter 
Verband,  als  auch  Fehler  von  Seiten  des  Kranken:  Nichtbeobachtiiug  der 
gehörigen  Ruhe  des  leidenden  Gliedes,  zu  frühes  Ablegen  des  Verbandes, 
Mangel  an  Schonung  des  Gliedes,  Diätfehler,  besonders  Missbrauch  geistiger 
Getränke,  wodurch  die  Callusbildung  gehindert  wird,  Schuld  sii'd.  Die 
Folgen  sind,  dass  sich  die  Knochenenden  nicht  vereinigen,  das  Glied  bei 
der  Untersuchung   we  ein    frischer  Bruch    crepitirt   und   in   seiücr  Fu-ict^.on 

13* 


196  ASAPHIA  —  ASPHYXIA 

dergestalt  gestört  wird,  dass  der  Kranke,  wenn  der  Arm  es  ist,  mit  dem- 
selben nichts  aufheben  und,  wenn.es  der  Schenkel  ist,  ohne  Krücken  nicht 
gehen  kann.  Ohne  Kunsthülfe  bleibt  das  Übel  zeitlebens.  Behandlung. 
1)  Bei  frischem  Übel ,  das  noch  nicht  über  ein  Jahr  alt  ist ,  versuche  man 
anhaltende  Ruhe  des  Theils,  4  —  8  Wochen  lang  fortgesetzt,  lege  den  ge- 
vröhnlichen  Bruchverband  lose  an  und  reibe  Linim.  vol.  camph.  mit  Tinct. 
canthai-idum  ana  in  die  leidende  Stelle.  2)  Hilft  dies  nichts  oder  ist  das 
Übel  veraltet ,  so  muss  man  operiren.  Man  macht  einen  3  —  5  Zoll  langen 
Longitudinalschnitt  auf  der  Bruchstelle  bis  auf  den  Knochen,  entblösst  den- 
selben, entfernt  den  häufig  um  das  widernatürliche  Gelenk  gebildeten  Cal- 
lus  oder  die  Knorpelmasse  mit  einem  Knorpelmesser  oder  Meissel  und  Ham- 
mer ,  so  dass  man  mit  dem  Messer  zwischen  die  Gelenkstelle  kommen  kann, 
tröpfelt  einige  Tropfen  Butyr.  antimonii  hinein,  stopft  die  ganze  Wunde  iidt 
trockner  Charpie  aus,  legt  einen  leichten,  nicht  zu  fest  anschliessenden  Ver- 
band an,  lässt  diesen  3  —  4  Tage  ruhig  liegen,  verbindet  dann  mit  Unguent. 
digest. ,  so  dass  die  Wunde  in  Eiterung  geräth,  unterhält  diese  bei  völli- 
ger Ruhe  des  Gliedes  4  —  6  Wochen,  verbindet  dann  trocken  und  lässt  die 
Wunde  sich  schliessen.  Alsdann  werden  vorsichtige  Bewegungen  mit  dem 
Gliede  angestellt.  Auf  diese  Weise  hat  der  Herausgeber  dieses  Werkes 
zwei  Fälle  der  Art  (einen  Artic.  praeternaturalis  ossis  humeri,  zwei  Jahre 
alt,  und  einen  am  Unterschenkel,  1%  Jahr  alt)  gründlich  geheilt.  Ein  Meh- 
reres  über  diesen  Gegenstand  findet  man  von  Dr.  Oppenheim  in  RiisVs  Ma- 
gaz.  1828.  Bd.  XXVII.  Hft.  2.  S.  203.  aufgezeichnet. 

Asaphia,  undeutliche,  unverständliche  Aussprache.  Ist 
meistens,  wenn  kein  sichtbarer  Fehler  der  Sprachorgane  da  ist,  ein  psychi- 
scher Fehler  oder  Folge  von  Apoplexie,  also  ein  lähmungsartiger  Zustand 
(s.  Paralysis  linguae  und  Balbuties).  Die  Cur  ist  demnach  nach 
Verschiedenheit  der  Ursachen  verschieden. 

AscarideSj  Spring würm er,  Askariden.  Sie  halten  sich  vor- 
züglich im  Mastdärme  auf  und  erregen ,  wenn  sie  in  Menge  vorhanden  sind, 
im  After  oft  so  heftiges  anhaltendes  Jucken,  dass  zarte  Subjecte,  Kinder 
und  sensible  Frauenzimmer ,  durch  den  heftigen  Nervenreiz  selbst  Krämpfe 
und  Ohnmächten  bekommen  können.  Reizende,  kalte  Klystiere  von  kaltem 
Wasser,  Kalkwasser,  Schwefelwasser,  von  Werrauth,  Valeriana,  Cort. 
aurantior. ,  von  Salzwasser,  von  Milch  mit  Aloe,  von  Essig  und  kaltem 
Wasser  (Hipfokrates ,  Home,  von  Swieten,  Bremser,  Schäffer)  sind  am  wirk- 
samsten zur  End'ernung  der  Würmer  (s.  Helminthiasis). 

A.fiicitCS,  Bauchwassersucht,  s.  Hydrops    ascites. 

Ascites  bepatocysticus ,  s.  Hydrops   vesicae  felleae. 

Asitia,  das  Fasten  wegen  Mangels  an  Nahrung.  Geisteskranke, 
besonders  Melancholische,  wählen  oft  den  Hungertod,  desgleichen  Verbre- 
cher; letztere,  um  sich  der  Schande,  öffentlich  bestraft  zu  werden,  zu  ent- 
ziehen. Zureden  hilft  hier  oft  wenig.  Ein  besseres  Mittel  ist  dieses:  Man 
lässt  im  Zimmer  solcher  Menschen  einen  Tisch  decken,  woran  sich  ein  paar 
Menschen  setzen ,  die  einen  Speckpfannkuchen  oder  Bratwurst  verzehren, 
ohne  sich  um  den  Kranken  dem  Anscheine  nach  zu  bekümmern  oder  ihn  zum 
Essen  zu  nöthigen.  Alsdann  erwacht  oft  ein  so  unwiderstehlicher  Appetit 
bei  letzterm,  dass  er  sich  von  den  Gerichten  etwas  zu  essen  ausbittet  und 
den  gefassten  Vorsatz  fahren  lässt  (^Blumenhach).  Das  Wort  Asitia  hat 
noch  eine  zweite  Bedeutung,  nämlich  die:  Mangel  ein  Esslust  wegen  Ver- 
dauungsschwäche und  anderer  Krankheiten ;   s.  Anorexia. 

Asphyxia,  Scheintod,  tiefe,  anhaltende  Ohnmacht,  wort- 
lich Pulslosigkeit.  Die  Zufälle  der  Ohnmacht  sind  Ärzten  und  Laien 
bekannt;  sie  sind  denen  der  Apoplexie  ähnlich;  sind  also  Mangel  an  Be- 
wusstseyn,  Empfindung  und  willkürlicher  Muskelbewegung.  Ausserdem  fin- 
det noch  Unterdrückung  der  Respiration  und  des  Blutumlaufs  statt,  wodurch 
sich  die  Ohnmacht  vom  SchlagHusso  unterscheidet ;    auch  ist  in  den  meisten 


ASPHTXIÄ  197 

Fällen  die  Gesichtsfarbe  blass.  Nach  den  vei-schiedenen  Graden  der  Stärk 
und  Dauer  der  Ohnmacht  unterscheiden  wir  1)  Lipothymin ,  deliquium  nnimi, 
d.  i.  eine  massige  Ohnmacht  von  kurzer  Dauer  mit  Schwindel,  Betäubimg, 
Dunkelwerden  A'or  den  Augen ,  Ohrensausen ,  wobei  das  Athmen ,  der  Puls 
und  das  Bewusstseyn  nicht  völlig  unterdrückt  sind;  2}Syncope,  ein  höherer 
Grad  der  Lipothymia.  Der  Puls  ist  sehr  klein ,  unterdrückt ,  das  Athem- 
holen  sehr  schwach ,  das  Bewusstseyn  verschwunden ,  Gesicht  und  Extremi- 
täten kalt,  bleich,  und  mit  kalten  klebrigen  Seh  weissen  bedeckt;  zuweilen 
ist  ein  Mittelzustand  zwischen  Apoplexie  und  Synkope  da  (Apolepsis); 
S)  Asphyxia,  Scheintod  (Apsychia) ,  der  höchste  Grad  der  Ohnmacht;  ein 
Zustand,  in  seinem  Äussern  dem  wahren  Tode  ganz  ähnlich,  wo  das  Leben 
nicht  erloschen ,  nur  auf  die  niedere  Stufe  der  Vegetation  reducirt  ist.  Die 
gewöhnlichen  Zeichen  des  Todes  sind  da ,  aber  das  sicherste  (die  beginnende 
Verwesung)  fehlt  (s.  Apothanasia).  Die  Dauer  solcher  leichten  oder 
schwerern  Ohnmächten  ist  bald  nur  von  einigen  Minuten,  bald  von  mehre- 
ren Tagen.  Das  Wesentliche  derselben  ist:  plötzliche  Verminderung  oder 
Erschöpfung  der  Reizbarkeit  des  Gesammtorganismus,  die  bei  der  Apoplexia 
nur  partiell ,  im  Gehirn  und  in  den  grössern  Nervenstämmen  stattfindet. 
Ursachen.  Hysterische  und  Hypochondristen,  ferner  alle  schwache,  ner- 
venreizbare Personen,  die  starken  Blut-,  Milch-,  Samenverlust  erlitten  ha- 
ben ,  die  an  organischen  Fehlern  des  Gehirns ,  der  grossen  Blutgefässe ,  an 
Blutcongestionen ,  an  Karditis ,  Aneurysmen ,  an  Syncope  anglnosa ,  an  Ka- 
talepsis  leiden ,  haben  grosse  Disposition  zu  Ohnmächten.  Gelegentliche  Ur- 
sachen sind  theils  allgemeine  ,  theils  örtliche.  Zu  erstem  gehören  Erschö- 
pfung durch  übermässige  Ausleerungen  von  Blut,  Samen,  Durchfälle,  anhal- 
tendes Hungern,  schwere  Geburten,  heftiges  Tanzen,  grosse  Schmerzen, 
Nachtwachen  ,  heftige  Leidenschaften  und  Affecten  (Zorn ,  Schreck) ,  unter- 
drückte Blutungen,  Luftentziehung,  Einwirkung  irrespirabler  Gasarten,  nar- 
kotischer Mittel  in  grossen  Dosen ,  grosser  Kälte ,  Blitzstrahl  etc.  Zu  letz- 
tern rechnen  wir  die  verschiedenen  organischen  Fehler  im  Gehirn,  im  Her- 
zen und  in  den  grossen  Gefässen ,  Alles,  was  die  Blutcirculation  durch  Druck, 
Pressung  stört  (Geschwülste,  Verwachsungen,  enge  Kleidung) ,  was  die  Re- 
spiration unterdrückt:  heftige  Anfälle  von  Asthma,  Strangulation,  Ertrinken 
im  Wasser -etc.  Prognose.  Ist  verschieden.  Ohnmächten  aus  transitori-. 
sehen  Ursachen:  Schreck,  Hysterie  etc.  bedeuten  wenig,  gefährlicher  sind 
die,  denen  organische  Fehler  des  Gehirns,  des  Hei'zens  zum  Grunde  liegen; 
«ie  kehren  häufig  wieder ,  und  dieser  Umstand  lässt  jene  Fehler  vermuthen. 
Behandlung.  Ist  nach  den  Ursachen  sehr  verschieden,  daher  es,  ehiige 
allgemeine  praktische  Cautelen  ausgenommen  (s.  Asphyxia  livida  et  pal- 
lida),  keine  allgemeingültige  Behandlungsart  für  alle  Fälle  giebt.  Wir 
müssen  uns  daher  auf  die  hier  folgenden  speciellen  Fälle  und  Arten  beziehen, 
und  folgende  Punkte  berücksichtigen:  1)  Viele  Ohnmächten  sind  heilsame 
Bestrebungen  der  Natur,  um  heftige  Schmerzen,  den  heftigen  Tumult  im 
Blut  -  und  Nervensysteme  zu  beschwichtigen  und  die  innern  Disharmonien 
zu  heben.  Dies  vergessen  die  meisten  Ärzte.  Hierher  gehören  die  Ohn- 
mächten der  Verbluteten ,  der  Hysterischen ,  der  Geisteskranken  (^Scfmeiilet' 
Advers.  T.  II.) ,  die  Ohnmächten  nach  heftigen  Gemüthsbewegungen.  Hier 
dürfen  wir  nicht  gleich  Reizmittel  anwenden;  sie  passen  erst  nach  Verlauf 
einiger  Zeit ,  wenn  der  Kranke  sich  nicht  von  selbst  erholt  hat.  Man  sorge 
nur  für  frische  Luft,  Entfernung  jeder  engen  Kleidung  und  für  Ruhe.  Sind 
15  Minuten,  ohne  dass  der  Mensch  erwacht i,  verflossen,' so  kann  man  Liquor 
anodyn.,  Naphtha  aceti!  geben,  ah  Salmiakgeist  riechen,"  mit  Essig  Gesicht 
und  Hände  waschen  lassen  etc.  2)  Ohnmächten  durch  heftige  Schmerzen. 
Hier  passen  Tinct.  opii  mit  Liq.  c.  c.  succ.  und  Liquor  anodyn.  ana  p.  d. 
25 — SO  Tropfen,  Naphtha,  Moschus,  etwas  Wein  und  andere  belebende 
und  beruhigende  Mitte).  3)  Ohnmacht  durch  Aderlass.  Wird  verhütet,  wenn 
der  Mensch,  während  das  Blut  fliesst,  platt  liegt.  Ist  sie  da,  dann  Ruhe 
und  horizontale  Lage  des  Körpers.  Hält  sie  an,  dann  Essig,  Spirit.  sah 
ainmon.  caust.  etc.     4)  Ohnmacht  durch  «tarke  Gerüche.     Hier  passen  reine. 


198  ASPHYXU 

kühle  Luft,  Besprengen  des  Gesichts  mit  Wasser,  mit  Essig,  Essigiimschlägc 
um  die  Stirn.  5)  Ohnmacht  durch  organische  Fehler  des  Gehirns  und  des 
Herzens  etc.  Hier  passen  kein  Liquor,  keine  Naphtha ,  sondern  kleine  wie- 
derholte Blutausleerungen,  kühlende  Mittel,  antiphlogistische  Diät,  Derivan- 
tia  (s.  Aneurysma).  6)  Ohnmacht  der  Verhungerten.  Man  gebe  hier 
zuerst  ja  keine  festen  Speisen ,  keine  starken  Suppen ,  sondern  Haferschleim, 
Mandelemulsion,  schwache  Kalbfleischbrühe  mit  Eidotter,  anfangs  in  kleinen 
Portionen  und  in  kurzen  Zwischenräumen  gereicht,  später  etwas  Wein  und 
weichgekochte  Eier,  festere  Nahrung,  etwas  Weissbrot  etc.  7)  Ohnmacht 
durch  unterdrückte  Blutungen.  Cur.  Wie  bei  Ohnmacht  durch  organische 
Fehler;  s.  Nr.  5.  —  Höchst  wichtig  ist  die  Cur  der  höhern  Grade  von 
Ohnmacht,  der  Asphyxie,  besonders  wenn  sie  von  plötzlich  einwirkenden 
Ursachen  abhängt  (Behandlung  Verunglückter).  Die  aligemeine  Behandlung 
der  Verunglückten  ist  so  bekannt,  dass  ich  sie  füglich  übergehen  könnte. 
Licht ,  Luft  und  Wärme  sind  die  ersten  und  grössten  Heilmittel  bei  allen 
Asph}  ktischen  der  Art.     Hier  die  speciellere  Behandlung. 

Asphyxie  der  Neugeborenen.  Bei  schweren,  zumal  Fussgeburten 
kommt  das  Kind  oft  scheintodt  zur  Welt.  Ist  das  Gesicht  roth,  dunkelblau, 
sind  alle  Zeichen  der  Blutcongestion  da,  so  lässt  man  1  —  2  Esslöffel  voll  Blut 
aus  der  Nabelschnur,  reinigt  den  Mund  vom  Schleime,  reizt  den  Schlund 
zum  Erbrechen,  bläst  gelinde  Luft  ein,  besprengt  das  Gesicht  mit  kaltem 
Wasser,  legt  das  Kind  in  ein  laues  Bad,  wendet  ein  kaltes  Tropfbad  auf 
die  Herzgrube  an.  Ist  das  Kind  aber  wahrhaft  ohnmächtig,  ganz  bla»s,  so 
schneidet  man  die  Nabelschnur  nicht  gleich  durch,  sondern  legt  das  Kind 
mit  der  Nabelschnur  und  Placenta  in  ein  warmes  Bad  von  aromatischen 
Kräutern,  mit  Zusatz  von  Wein,  Branntwein,  frottirt  es  mit  warmen  Tü- 
chern, bläst  Luft  ein,  hält  Naphtha,  Salmiakgeist  etc.  unter  die  Nase, 
giebt  reizende  Klystiere,  macht  kalte  Anspritzungen  auf  die  Herzgrube  etc. 
NB.  Man  geht  hier,  wie  in  den  meisten  Fällen  des  Scheintodes,  von  den 
gelindern  Reizmitteln  zu  den  starkem  über;  wendet  man  letztere  zu  früh 
an,  so  schaden  sie  sehr.  Als  letztes  Mittel  kaim  man  die  Elektricität  imd 
den  Galvanismus  versuchen. 

Asphijane  bei  Berauschten.  Findet  am  häufigsten  bei  Kindern,  die 
zufallig  über  Wein  oder  Branntwein  kommen,  statt.  Cur.  Warmes  Wasser 
und  Butter  oder  ein  Vomitiv  aus  Ipecacuaiiha  zum  Erbrechen ,  Waschen  mit 
Essig,  Essig  und  Wasser  zum  Getränk;  bei  Congestionen  zum  Kopfe  Blut- 
egel an  den  Hals.  Kaltes  Wasser,  womit  der  Kopf  bei  nacktem  Körper 
begossen  wird,  was  die  Russen  häufig  thun ,  erweckt  am  schnell.sten  aus 
tiefem  Rausche  {Trotter),  zugleich  lässt  man  ein  Glas  starkes  Salzwasser 
trinken  ( Firei/)  ;  auch  heben  6  — 10  Tropfen  Liq.  ammon.  caust. ,  in  ein  Gla.s 
Wasser  gemischt ,  schnell  den  Rausch ;  um  denselben  zu  verhüten ,  räth  Ga- 
len an ,  vor  dem  Trinken  des  Weins  sieben  bittere  Mandeln  zu  essen.  Ge- 
gen die  Trinksucht  und  zur  Verhütung  des  traurigen  Säuferwahnsinns  sind 
bittere  Extracte  mit  Acid.  sulphur.  dilut.  ein  gutes  Präservativ  (^Brülil  -  Cra~ 
mer) ;    s.  Deliriumtremens. 

Asphifxic  durch  Genuss  von  Giften.  Findet  vorzüglich  bei  nar- 
kotischen Giften  statt.  Cur.  Scharfe  Vomitive  oder,  noch  besser,  frühe 
Entfernung  des  Gifts  aus  dem  Magen  durch  die  Magenpumpe  von  Weiss  in 
London  ,  durch  die  Apparate  von  Juke  und  Rced  (s.  Hcide's  Zeitschrift  für 
Staat.-sarzneikunde,  1827.  Hft.  4.  S.  423  —  70,),  frische  Luft,  Reiben  de» 
Körpers,  Waschen  mit  Essig,  mit  Naphtha  aceti ,  Essigklystiere,  später 
Essig  zum  Getränk;  und  die  specielle  Behandlung  für  die  einzelnen  Fälle; 
bei  heftigen  Congestionen  zum  Kopfe  und  Zufällen  der  Apoplexie  dürfen 
auch  die  Blutausleerungen  nicht  versäumt  werden;    s.  Intoxicatio. 

Aspfnjxie  durch  Schwefelwasserstoffgas.  Erfolgt  am  häufigsten 
durch  die  Luft  aus  Abtritten,  Kloaken.  Zufälle.  Gleich  nach  dem  Ein- 
athmen  geben  die  Unglücklichen  ein  brüllendes  Geschrei  von  sich,  die  Haut 
ist  kalt;  dabei  bläulichrothes  Gesicht,  Übelkeit,  Neigung  zum  Erbrechen, 
weite  Pupille  ,    Krämpfe .    Emprosthotonus .    Verlust   de«  Bewusstse vns ,    des 


ASPHYXIA  199 

Athemholens.  Diese  Art  Scheintod  kann  yiele  Stunden  anhalten,  und  den- 
noch ist  Wiederbelebung  möglich ;  dagegen  tödtet  kohlensaures  Gas  weit 
schneller,  doch  gelang  auch  hier  die  Wiederbelebung  noch  nach  drei  Stun- 
den (^Bourgeois).  Cur.  Frische  Luft,  Waschen  mit  Essig,  mit  oxygenirter 
Salzsäure,  besonders  unter  der  Nase,  ein  Brechmittel  aus  Tart.  emetic, 
Essigklystiere. 

Asphyxie  durch  kohlensaures  Gas,  durch  Kohlendampf  in  ver- 
schlossenen Zimmern ,  besonders  des  Nachts  während  des  Schlafs ,  durch  z« 
frühes  Verschliessen  des  sogenannten  Schosses  bei  Zugöfen,  durch  Verbren- 
nung glühender  Asche,  durch  Sumpfluft,  durch  die  Luft  in  lange  verschlos- 
sen gewesenen  Kellern ,  Gewölben ,  Gefängnissen ,  Brunnen  ,  durch  gährende 
B'lüssigkeiten ,  z.  B.  in  Bierkellern,  durch  Traubenbottiche,  durch  Kalköfen 
etc.  Zufälle.  Angst,  Steifheit  in  der  Kinnlade,  in  den  Waden,  Schwin- 
del, Vei'dunkelung  vor  den  Augen,  Zuckungen,  aufgetriebenes  blauroth«5 
Gesicht ,  dick  hervorgetriebene  Zunge ,  schwarze  Lippen  und  Nase ,  blaue 
Flecken  am  Körper,  Bewusstlosigkeit.  Cur.  Frische  Luft;  man  rettet  den 
Unglücklichen  mit  Vorsicht  für  den  Rettenden  (der  einen  Schwamm  mit 
Essig  vor  dem  Munde  haben  und  selbst  durch  einen  Strick  mit  andern 
Menschen  in  Verbindung  bleiben  muss)  aus  der  verdorbenen  Luft,  wäscht 
den  ganz  entkleideten  Körper  mit  Essig ,  macht  Essigumschläge ,  bläst  fri- 
sche Luft  ein,  giebt  Essigklystiere,  nachher  von  Kochsalz  und  Bittersalz, 
(solche  reizende  Klystiere  sind  höchst  wichtig;  Kennuldin) ,  reibt  und  bür- 
gtet die  Glieder,  vermeidet  aber  warme  Betten,  warme  Zimmerlaft  und 
Tabakski ystiere,  da  die  narkotischen  Wirkungen  des  Tabaks  hier  höchst 
nachtheilig  sind  {OrfiJa,  Brodie).  Häufig  ist  hier  ein  Aderlass  nothwendig. 
In  die  steifen  Kinnladen  reibe  man  Salmiakgeist. 

Asphyxie  durch  Luftentziehung.  Findet  statt  bei  Erhängten,  Er- 
würgten, beim  Ersticken  durch  Betten,  Verschütten  mit  Sand,  beim  Auf- 
fliegen von  Pulverminen  etc.  Der  Tod  erfolgt  hier  durch  Mangel  an  Sauer- 
stoff und  an  Oxygen^tion  der  Säfte.  Behandlung.  Man  entferne  die  Ur- 
sachen und  behandle  den  Unglücklichen,  wie  bei  Asplvyxie  durch  Schwefel- 
wasserstoffgas angegeben  wordeu  ist.  In  den  meisten  Fällen  passt  em  Ader- 
lass am  Halse  oder  am  Arme. 

Asphyxie  durchs  Ertrinken.  Auch  hier  ist  die  aufhörende  Oxyda- 
tion des  Körpers  wegen  Luftmangels  die  vorzüglichst«  Ursache  des  Schein- 
todes oder  des  wirklichen  Todes;  Manche  sterben  auch  durch  Schreck,  oder 
apoplektisch.  Cur.  Die  Rettung  beruhet  hier  wieder  auf  HerbeischafFung 
von  Sauerstoff  (Lufteinblasen,  Waschen  mit  Essig  etc.)  und  auf  Er- 
wärmung (Reiben  und  Bürsten  des  Körpers  mit  warmem  Flanell,  mit 
Bürsten,  warmes  Bad).  NB.  Mit  dem  Aderlassen  sey  mau  vorsichtig;  in 
100  Fällen  passt  es  nicht  fünf  Mal.  Übrigens  die  Behandlung  wie  bei 
Asphyxie  der  Neugeborenen. 

Asphyxie  durchs  Erfrieren.  Die  Symptome  und  Wirkungen 
der  Kälte  auf  den  Körper  sind :  zuerst  Schmerzen ,  Kältegefühl,  darauf  bren- 
nende Hitze,  dann  Schmerzlosigkeit ,  grosse  Gleichgültigkeit,  unwidersteh- 
liche Neigung  zum  Schlafen,  weiterhin  Aufhören  der  Respiration  und  Blut- 
circulation ,  Erstarrung  und  Steifheit  des  Körpers.  Der  Tod  erfolgt  hier 
l)  durch  Reizentziehung,  2j  durch  Blutandrang  nach  innen,  3)  zuletzt  auch 
durch  Starrheit  und  aufhörende  Verschiebbarkeit  der  Theile ,  wodurch  da« 
Athemholen  früh  gehemmt  wird.  Prognose.  Ist  oft  günstig;  man  hat 
Beispiele,  dass  bei  richtiger  Behandlung  Erfrorne  noch  am  fünften  Tag« 
wieder  ins  Leben  gerufen  worden  sind.  Behandlung.  1)  Man  transpor- 
tire  und  entkleide  den  Verunglückten  vorsichtig,  damit  am  Körper  nichts 
zerbrochen  wird.  2)  Man  bringe  ihn  in  eine  Temperatur,  die  nicht  viel 
höher  ist,  als  die  des  gefrornen  Körpers,  sonst  entstehen  Brandblasen  oder 
wirklicher  Tod.  Man  lege  den  Körper  in  Schnee  oder  in  eiskaltes  Wasser, 
worein  man  von  Zeit  zu  Zeit  noch  Eisstücke  wirft.  Dies  muss  selbst  Tage 
lang  fortgesetzt  werden.  Zeigen  sich  Spuren  des  Lebens:  Biegsamkeit, 
Weichheit,  Wärme  der  Glieder,  Röthe  etc.,  so  bringe  man  den  Kranken  tn 


200  ASPHYXIA 

ein  kaltes  Bette,  in  ein  kaltes  Schlafzimmer,  blase  Luft  ein,  nachdem  man 
den  Kehldeckel  des  Kranken  mittels  dessen  Zunge  aufgezogen  hat ,  reibe 
den  Körper  noch  mit  Schnee,  mit  kalten  Tüchern,  gebe  Niesemittel,  kitzle 
den  .Schlund,  bürste  die  Fusssohlen,  gebe  alsdann,  sobald  der  Kranke 
schlucken  kann,  kaltes  Getränk  zu  trinken ,  aber  nichts  Warmes,  nichts 
Reizendes ,  sonst  entstehen  Brandblasen  im  Munde  und  Schlünde.  Dennoch 
entstehen  auch  ohne  angewandte  Reizmittel  oft  heftiges  Herzklopfen  und 
Engbrüstigkeit  nach  zurückgekehrtem  Leben,  welche  häufig  selbst  einen 
Aderlass  erfordern,  Reisende  schützen  sich  im  Winter  am  sichersten  vor 
dem  Erfrieren  durch  Vermeidung  von  Überladung  mit  Speisen,  Vermeidung 
aller  geistigen  Getränke.  Starker  Kaffee  und  warmes  Bier  sind  nützlich, 
beim  fahren  abwechselndes  Gehen  und  Fahren,  bei  Müdigkeit  das  Kauen 
eines  kleinen  Stücks  Kampher,  welcher  belebend  wirkt  und  wieder  munter 
macht.     Über  die  Behandlung  einzelner  erfrorner  Theile  s.  Perniones.- 

Asphyxie  durch  Blitzstrahl.  Erfolgt  aus  Überreizung,  durch  hef- 
tige, plötzliche  Erschütterung  im  Nervensysteme.  Zufälle.  Betäubung, 
plötzliches  Aufhören  aller  Lebensverrichtungen;  nicht  selten  findet  man  am 
Körper  kleine,  rothe  Streifen,  Brandblasen.  Behandlung.  Man  bringt 
den  Verunglückten  schnell  an  die  freie  Luft,  entkleidet  ihn,  reibt  ihn  tüch- 
tig mit  wollenen  Tüchern,  noch  besser  mit  Katzen-  oder  Fuchsfellen,  be- 
spiützt  ihn  mit  kaltem  Wasser,  Essig,  mit  Naphtha.  Während  dessen  lässt 
man  das  Erdbad  bereiten,  legt  den  nackten  Körper  in  die  frisch  gegrabene 
Grube  und  bedeckt  ihn  handhoch  ndt  Erde ,  doch  so ,  dass  das  Gesicht  frei 
bleibt.  Im  Erdbade  bleibt  der  Mensch  1  —  3  Stunden  liegen,  während  man 
ihm  das  Gesicht  öfters  mit  Essig,  Naphtha  reibt,  Salmiakgeist  unter  die 
Nase,  an  die  Lippen  bringt  etc.  Zeigen  sich  Lebensäusserungen,  so  flösse 
man  warmen  Wein  ein,  gebe  Fleischbrühe  mit  Eidotter,  von  Arzneien  Li- 
quor, anodyn. ,  Liq.  c.  o.  succin.,  auch  Moschus.  Klagt  der  Kranke  über 
örtliche  Schmerzen,  so  mache  man  Umschläge  von  aromatischen  Kräutei-n 
und  Wein  ,  Einreibungen  von  Spirit.  camphorat.,  Linim.  volat.  in  die  leiden- 
den Theile.  Gegen  die  nachbleibende  Lähmung  dienen  reizende  Einreibun- 
gen, Senfpflaster,  besonders  aber  der  Galvanismus,  durch  die  obern  und 
untern  Glieder  angebracht  (indem  der  Zinkpol  mit  den  Füssen  des  Kranken 
verbunden  und  mittels  eines  in  den  Händen  gehaltenen  Metallstabes  der  Ku- 
pferpol berührt  wird);  auch  das  elektrische  Bad,  wobei  kleine  Funken  aus 
den  gelähmten  Gliedern  gezogen  werden  (täglich  '/o  Stunde  lang,  3  —  6  Wo- 
chen lang  fortgesetzt)  ist  hier  sehr  zu  empfehlen  (M.).  Sind  3  —  4  Stunden 
fruchtlos  verflossen,  so  ists  Zeit,  den  Galvanismus  oder  das  elektrisclie  Bad 
auf  oben  angegebene  Weise  zur  Wiederbelebung  anzuwenden.  Man  gehe 
hier  aber  bald  zu  kleinen  elektrischen  Schlägen ,  zuerst  auf  die  Finger  und 
Arme,  dann  auf  die  Schultern  uiid  Füsse,  zuletzt  auf  die  Herzgrube,  über. 
Desjardins  beschreibt  einen  Fall,  wo  durch  Blitzstrahl  ein  Mann  völlig  stumm 
ward.'  Nach  13  Tagen  war  Mund,  Rachen,  Zäpfchen  etc.  noch  geschwol- 
len und  entzündet.  Man  setzte  wiederholt  Blutegel  an,  wodurch  sich  die 
Entzündung  und  auch  die  Stimmlosigkeit  verlor.  Wollen  alle  Mittel  bei 
Scheintod  durch  Blitz  keine  Wiederbelebung  bewirken,  so  versuche  man  zu- 
letzt die  Elektropunctur;  s.  Acupunctura. 

Asphyxie  durch '  Verbl  utung.  Ist  die  Verblutung  nicht  stark  ,  so 
hilft  schon  Ruhe,  horizontale  Lage  des  ganzen  Körpers ,  Einreibungen  von 
reizenden  Spirituosen  Dingen:  Naphtha,  Eau  de  Cologne,  Wein.  Hierauf 
erholt  sich  der  Mensch  bald  aus  seiner  Ohnmacht.  Man  gebe  hinterher  gute 
Fleischbrühen  mit  Eidotter,  überhaupt  sehr  leichtverdauliche  animalische 
Kost,  da  die  Folgen  des  Blutverlustes  wegen  mangelnder  Nutritiun  leicht 
Febris  hectica  erregen ,  was  vorzüglich  nach  bedeutenden  Blutungen  zu  be- 
rücksichtigen ist.  Ein  höchst  wichtiges ,  lebensrettendes  Mittel  bei  grossem 
Blutverluste  ist  die  Transfusion  des  Bluts.  Man  öffnet  nämlich  eine  Arm- 
vene, legt  eine  kleine  Spritze  in  warmes  Wasser  von  30"  R. ,  und  spritzt 
vorsichtig  und  langsam  alle  zehn  Minuten  ^  Unzen  frischgelassenes  Men- 
schenblut ein.     Es  wird  sich  leicht  ein  gesunder  starker  Mensch  linden,  der 


ASPHTXIA  201 

zur  Liiebensrettung  des  Verunglückten  einige  Unzen  Blut  hergiebt.  Nur  im 
Nothfalle  nehme  man  Thierblut,  da  dieses  oft  nachtheilig  auf  den  mensch- 
lichen Organismus  wirkt.  Man  mache  es  sich  aber  bei  dieser  Operation  zur 
Regel,  nicht  zu  viel  und  nicht  zu  rasch  Blut  einzuspritzen,  weil  sonst  leicht 
heftige  Angst  und  Convulsionen  folgen.  Dr.  Wnlhr  (Lond.  med.  and  phys. 
Journ.  Aug.  1826.)  rettete  dadurch  eine  SSjährige  Frau,  die  wegen  heftiger 
Metrorrhagie  während  der  Entbindung  in  die  höchste  Erschöpfung  gesunken 
war.  Er  spritzte  zu  fünf  verschiedenen  Malen  und  in  Zwischenräumen  von 
5  zu  5  Minuten,  jedesmal  12  — 15  Drachmen  Blut  von  gesunden  Männern 
in  die  Adern,  worauf  die  Person  sich  nach  und  nach  vollkommen  erholte 
(s.  Haemorrhagia  uteri). 

Asphyxie  durch  heftige  Affecten  und  Leidenschaften.  Bei 
excitirenden  Leidenschaften  wende  man  früh  Reizmittel  an:  Reiben  der  Haut, 
frische  Luft,  spirituöse  Waschwasser,  Naphtha,  Wein;  bei  deprimirenden 
passen  sie  nicht  gleich  anfangs,  z.  B.  bei  Asphyxie  aus  Furcht,  Schrecken. 
Hier  lege  man  den  Kranken  horizontal,  gebe  ihm  Ruhe  und  frische  Luft, 
und  wende  Reizmittel  erst  später  an,  wenn  sich  binnen  ^1^, —  y.  Stunde  der 
Mensch  nicht  von  selbst  erholt  hat.  Bei  dunkelrothem  Gesichte  und  apo- 
plektischen  Zufällen  vergesse  man  das  Aderlassen  nicht. 

Asphyxie  durch  Sturz.  Hier  sind  entweder  Kopfverletzungen:  Zer- 
schmetterung des  Schädels  mit  Knochensplittern  etc.  da,  oder  Verletzung 
einzelner  wichtiger  Eingeweide  in  der  Brust  -  oder  Bauchhöhle,  oder  die 
Asphyxie  ist  alleinige  folge  der  Commotion  des  Gehirns  und  des  Nerven- 
systems (s.  Commotio  cerebri). 

Asphyxie  durch  Luxation  der  Halswirbel,  s.  Luxatio  verl- 
tebraru  m  colli. 

Asphyxie  durch  mechanische  Hindernisse  im  Schlünde  und 
in  den  Athem Werkzeugen.  Fremde  Körper,  die  in  den  Schlund  oder 
in  die  Luftröhre  gekommen  sind,  erregen  nicht  selten  Erstickung.  Be- 
handlung. Sind  spitzige  Dinge:  Nadeln,  Nägel  etc.  verschluckt,  so  gebe 
man ,  wenn  sie  von  Stahl  oder  Eisen  sind ,  Säuren ,  wenn  es  kupferne  oder 
messingene  sind  ,  ölige  Dinge  mit  Sal  Glauberi ,  Infus,  sennae  zum  Laxiren. 
Bei  verschlucktem  Glase,  bei  einer  Menge  Nadeln  giebt  man  vorerst  viel 
Milch,  Öl,  und  lässt  später  Mehlbrei  essen.  Steckt  der  fremde  Körper  noch 
im  Schlünde,  so  suche  man  ihn  durch  Zangen,  Schlingen,  durch  einen  dop- 
pelten und  krumm  gebogenen  Draht,  mit  Öl  bestrichen,  durch  ein  Fisch- 
beinstäbchen,  woran  ein  kleiner  Schwamm  befestigt  worden  etc.,  zu  entfer- 
nen, oder,  wenn  er  tief  im  Schlünde  steckt,  in  den  Magen  zu  stossen.  Oft 
geht  der  fremde  Körper  durch  Schütteln,  Rütteln,  Lachen,  Niesen  los.  Oft 
erreicht  man  seinen  Zweck,  indem  man  ein  kleines  Stück  Fleisch,  das  an 
einen  Faden  gebunden  ist,  verschlucken  lässt,  und  schnell  wieder  heraus- 
zieht (^Buchari).  Hilft  dies  nicht  und  ist  die  Erstickungsgefahr  sehr. gross, 
so  lasse  man  zur  Ader,  öffne  eine  Armvene,  spritze  ein  Vomitiv  von  4  Gran 
Tart.  emetic. ,  aufgelöst  in  1  Unze  Aq.  destill. ,  erwärmt  in  die  Aderöffuung 
nach  oben,  oder  mache  die  Tracheotomie,  worüber  die  operative  Chirurgie 
das  Nähere  lehrt.  Oft  bleibt  letzteres  das  einzige  Rettungsmittel ,  wenn 
nämlich  der  fremde  Körper  in  der  Luftröhre  steckt ;  dagegen  ist  die  Ein- 
spritzung des  Vomitivs  da  besonders  indicirt ,  wenn  die  Luftröhre  Bur  durch 
den  die  Speiseröhre  ausdehnenden  fremden  Körper  verchlossen  ist.  S.  Cor- 
pora allen a  inserta,  Nr.  5,  6,  8. 

Asphyxin  lividn  und'  pallidn,  Scheintod  mit  dunkelrothem,  bläu- 
lichem und  mit  blassem  Gesichte.  Diese  ältere  symptomatische  Ein- 
theilung  der  Asphyxie  behält  immer  ihren  praktischen  Werth.  Sie  erinnert 
uns  an  die  Indication  und  Contraindication  zum  Aderlassen.  Bei  Scheintod- 
ten  mit  dunkelrothem  Gesichte ,  mit  apoplektischen  Zufällen ,  wie  z.  B.  bei 
Erhängten ,  bei  im  Kohlendampf  Erstickten  etc.,  ist  die  Venaesection  höchst 
nothwendig ;  bei  Ertrunkenen ,  vom  Blitze  Getroffenen ,  bei  Verbluteten  etc< 
würde  sie,  höchst  seltene  Fälle  ausgenommen,  den  Tod  befördern.  —  Hier 
noch  einige  praktische  Cautelen  bei  Behandlung   Scheintodter  im  All- 


202  ASPHTXIA 

gemeinen.  1)  Ein  rein  ausgeblasener  Blasebalg,  einige  wollene  Decken  uiid 
wollene  Tücher,  eine  Klystierspritze ,  warmes  und  kaltes  Wasser,  etwa» 
Wein,  Branntwein  und  Essig,  etwas  Salmiakgeist,  Liquor,  anodyn.,  Flor, 
chamom.  und  sambuci,  Herb,  menth.  pip.,  mehrere  scharfe  und  weiche  Bür- 
sten und  eine  Badewanne  sind  die  noth wendigsten  Dinge,  welche  schnell  her- 
beigeschafft werden  müssen.  2)  Höchst  wichtig  ist  das  Luft  ein  blasen, 
und  gerade  dies  wird  so  oft  unrecht  gemacht.  Das  Röhrchen  des  Blase- 
balgs muss  mit  einem  weichen ,  nassen  Läppchen  umwickelt  und  in  das  eine 
Nasenloch  (nicht  in  den  Mund)  gesteckt  werden,  während  ein  Gehülfe  das 
andere  Nasenloch  und  den  Mund  zuhält  und  den  Kehlkopf  etwas  zurück, 
d.  h.  nach  innen  drückt ,  damit  die  Luft  nicht  durch  den  Schlund  in  den 
Magen  dringt.  Hebt  sich  nun  die  Brust  beim  Einblasen  nicht,  so  zeigt  dies 
an,  dass  Schleim,  Schlamm  oder  sonst  ein  Hindcrniss  im  Hintermunde  ist, 
oder  dass  der  Kehldeckel  die  Stimmritze  zu  fest  verschliesst.  Man  stecke 
dann  einen  an  ein  Fischbeinstäbchen  befestigten  kleinen  Schwamm  in  den 
Mund  und  entferne  so  den  Schlamm  etc. ,  ziehe  auch ,  um  den  Kehldeckel 
zu  heben ,  die  Zunge  hervor.  Hilft  dies  noch  nichts ,  so  bringt  man  ein 
elastisches  an  den  Blasebalg  angebrachtes  Röhrchen  durch  die  Stinuuritze  in 
die  Luftröhre.  Ist  kein  Hinderniss  beim  Lufteinblasen  da,  so  muss  man  je- 
desmal nach  demselben  einen  gelinden  Druck  auf  den  Unterleib  des  Schein- 
todten ,  von  unten  nach  oben  schiebend ,  anbringen ,  damit  die  eingeblasene 
Luft  bei  offnem  Munde  wieder  herausfährt,  so  dass  also  die  natürliche  Re- 
spiration hier  ganz  nachgeahmt  wird.  Man  beobachte  bei  diesem  Geschäfte 
daher  auch  den  gehörigen  Rhythmus ,  und  mache  von  Zeit  zu  Zeit  eine 
kleine  Pause  (von  5  — 10  Minuten),  um  zu  sehen,  ob  keine  Lebenszeichen 
sich  einstellen  und  um  während  der  Zeit  andere  Reizmittel  anzuwenden. 
Auch  blase  man  ja  nicht  mit  starker  Gewalt  die  Luft  ein ,  sonst  können 
Zerreissungen  der  Lungenbläschen  erfolgen.  3)  Eben  so  wichtig  ist  das 
Reiben  und  Bürsten  des  Körpers  zur  Entwickelung  der  Wärme,  mit 
warmen  Flanelltüchern,  mit  bald  trocknen,  bald  nasswarmen  Tüchern,  mit 
Bürsten,  mit  Thierfellen.  Das  Reiben  geschieht  aufwärts  von  den  Gliedern 
nach  dem  Stamme  zu;  auch  der  Rücken,  die  Brust,  besonders  die  Herz- 
grube dürfen  nicht  vergessen  werden.  Hierzu  sind  vier  Personen  nothwen- 
dig,  wovon  eine  jede  ein  Glied  handhabt,  und  die,  sobald  sie  müde  sind, 
durch  vier  andere  abgelöst  werden  müssen.  Die  Wahrscheinlichkeit  der 
Wiederbelebung  ist  um  so  grösser,  je  mehr  sich  während  des  Reibens  Röthe 
des  Körpers,  Weichheit  der  Haut  und  M\iskelspannung  zeigt.  Man  setzt 
dann  zur  Abwechslung  den  Scheintodten  in  ein  laues  Bad,  giesst  ihm  2  —  S 
Eimer  kaltes  Wasser  über  den  Kopf,  nimmt  ihn  wieder  heraus ,  trocknet 
ihn  mit  warmen  Tüchern  ab,  lässt  ihn  an  Salmiakgeist  riechen  und  setzt 
das  Reiben  vmd  Bürsten  fort.  4)  Von  grosso  Wichtigkeit  ist  die  gehörige 
Zeit  und  Reihefolge  bei  Anwendung  der  Hülfsmittel.  Lufteinblasen,  Reiben, 
und  bei  blauem  Gesichte  Aderlassen  sind  die  ersten  Mittel.  Ist  damit  frucht- 
los eine  Stunde  verflossen,  so  tritt  der  Zeitpunkt  ein,  wo  Klystiere,  Ein- 
spritzungen in  den  Magen ,  Riech  -  und  Niesemittel ,  Tropfbad ,  laues  Bad, 
kalte  Begiessungen  und  Umschläge  auf  den  Kopf,  Bürsten  der  Fusssohlen, 
Kitzeln  des  Schlundes  mit  einer  Feder  etc.,  nützlich  sind.  Nach  l'/o — 2 
Stunden  fruchtlos  angewandten  Versuchen  wendet  man  Folgendes,  eins  nach 
dem  andern  an:  Peitschen  des  ganzen  Körpers  mit  Brennesseln,  Nadelstiche, 
angebracht  unter  die  Nägel  der  Hände  und  Füsse,  heisses  Siegellack,  auf 
einige  Stellen  der  Haut  getröpfelt,  Schröpfköpfe  auf  die  Brust  und  den  Un- 
terleib,  Tropfbad  von  kochendem  Wasser  auf  die  Brust,  elektrische  Schläge 
durch  die  Glieder  und  die  Herzgegend,  Acu-  und  Elektropunctur  des  Her- 
zens, oder  doch  der  Herzgrube,  der  Pleura,  Brennen  der  Fusssohlen  mit 
dem  Glüheisen,  warmes  Aschen-  oder  Sandbad.  5)  Viele  Scheintodte  wä- 
ren gerettet  worden ,  hätte  man  die  starken  Reizmittel  nur  erst  nach  An- 
wendung gelinder  Reize:  der  Wärme,  des  Reibens  etc.  angewandt.  Man 
denke  an  die  Lebendigbegrabenen  ,  die  in  der  Erde  auch  ohne  Reizmittel 
oft  noch  so  spät  erwachten,  wovon  schauderhafte  Beispiele  genug  vorhanden 


ASTASIA  —  ASTHMA  203 

sind ,  und  man  vnrd.  diesen  Ausspruch  billigen,  b)  Der  Galvanismus  ist 
ein  höchst  wichtiges ,  leider !  noch  immer  zu  wenig  gebrauchtes  Mittel  bei 
Scheintodten ,  da  er  ein  specifisches  Reizmittel  für  die  Nerven  und  Blutge- 
fässe ist.  Besonders  zu  empfehlen  ist  er  bei  Ertrunkenen  und  vom  Blitz 
Getroffenen  (^AcJcertnaim,  Wiedemann,  Most').  Man  bauet  eine  Voltasäule 
von  50 — 60  Doppelplatten  auf,  setzt  den  Conductor  des  Zinkpols  in  die 
Gegend  der  zweiten  Rippe,  den  des  Kupferpols  in  die  Gegend  der  sechsten 
Rippe  der  linken  Seite,  und  lässt  so  einzelne  galvanische  Schläge  durch. 
Noch  wirksamer  ists,  um  vorzüglich  auf  den  Nervus  sympathicus  magnus 
zu  wirken,  wenn  man  den  Zinkpolconductor  in  den  After  bringt,  und  dann 
vorsichtig ,  ohne  andere  Theile  im  Munde  zu  berühren ,  mit  dem  Kupferpol- 
conductor  in  kleinen  2iivischenräumen  von  %  Minute  die  innere  Wand  des 
Schlundkopfs  berührt.  7)  Ein  wirksames,  in  Ermangelung  einer  Voltasäule 
anzuwendendes  Mittel  ist  noch  die  Acupunctur  (ChwrcMlV) ,  s.  Acupunctura. 
Noch  wirksamer  ist  die  Elektropunctur.  Um  diese  in  der  Geschwin- 
digkeit ohne  Voltasäule  zu  bewerkstelligen,  kann  ich  Folgendes  aus  eigener 
Erfahrung  (mit  Erfolg  bei  einem  ins  Wasser  gefallenen  Kinde,  nach  l'/z 
Stunden  vergeblich  angewandten  andern  Mitteln,  gebraucht)  empfehlen: 
man  sticht  eine  feine  Acupuncturnadel  in  die  Gegend  des  Herzens  zwischen 
den  Rippen  Y2  Zoll  tief  ein,  befestigt  daran  einen  silbernen  feinen  Draht, 
woran  sich  ein  silberner  Löffel  befindet,  den  man  in  ein  Glas  mit  Salzwas- 
ser bringt ;  eine  zweite  Nadel  sticht  man  in  die  Herzgrube ,  befestigt  daran 
einen  andern  feinen  Draht ,  woran  sich  ein  Stück  Zink  befindet ,  welches 
man  in  ein  Glas,  worin  warmes  Wasser  und  Asche  befindlich  ist,  legt. 
Beide  Gläser  stellt  man  nun  nahe  an  einander,  und  schliesst  abwechselnd 
die  galvanische  Kette  durchweinen  feinen,  polirten  trocknen  Draht,  den  man 
mit  einem  seidenen  Tuche  anfasst.  (Es  erfolgten  im  erwähnten  Falle  leise 
Erschütterungen,  Röthe  der  Lippen,  und  nach  20 Minuten  Seufzen,  schwa- 
che Respiration  und  Wiederbelebung).  Auch  das  von  Leroy  d'EiioUes  vor- 
geschlagene Verfahren ,  zwischen  die  siebente  und  achte  Rippe  Acupunctur- 
nadeln  einzustechen,  die,  wenn  sie  nur  y,  Zoll  tief  kommen,  die  Fasern 
des  Zwerchfells  berühren  ,  und  dann  mittels  einer  kleinen  Voltasäule  diese 
und  den  Schlund  zu  galvanisiren ,  verdient  alle  Aufmerksamkeit,  indem  die 
Respiration  dr.durch  kräftig  befördert  -wird. 

Astasia,  Blesirisiims ,  grosse  Unruhe,  Umherwerfen  des 
Kranken.  Ist  ein  Symptom  mancher  gefährlichen  fieberhaften  Krankhei- 
ten ,  bei  welchen  häufig  die  Opiate  contraindicirt  sind  und  ihre  Anwendung 
daher  grosse  Umsicht  des  Arztes  erfordert.     S.  Anodyna. 

Asthenia,  Schwäche,  Asthenie,  s.  Adynamia. 

*  Asthma,  Engbrüstigkeit,  Asthma,  Dampf,  Dumpf.  Ist 
erschwertes,  mühsames,  kurzes,  beengtes  Athmen,  beruhend  auf  einer  Stö- 
rung der  Harmonie  der,  der  Norm  nach  typisch  oder  rythmisch  erfolgenden 
In-  und  Exspirationsacte,  also  Anomalie  der  Respiration,  Abnormität  im 
Athemholen.  Wir  unterscheiden  1)  Asthma  idiopathicum,  das  seinen 
Sitz  und  seine  Quelle  in  der  Brust  hat,  wie  z.  B.  das  Asthma  spasticum 
adultorum  und  infantum,  das  Asthma  nocturnum,  aereum,  pulverulentum, 
metallicum;  2)  Asthma  sympathicum,  wo  die  Quelle  des  Übels  in  an- 
dern Theilen,  im  Unterleibe,  im  ganzen  Körper,  in  Gicht,  Hämorrhoiden 
etc.  begründet  ist ,  z.  B.  Asthma  abdominale ,  siccum ,  plethoricum ,  arthri- 
ticum  etc.  Zuerst  folgen  hier  die  verschiedenen  Arten  und  Unterarten  des 
idiopathischen,  dann  die  des  sympathischen  Asthma. 

Asthma  spasiicttm  udultorum ,  seniorum,  convulsivum ,  spasticum  intermit- 
tens,  Dijspnoea  et  Orthnpnoen  convulsiva,  Caducum  pulmonum,  convulsi- 
visches  Asthma,  Brustkrampf,  krampfhafte  Engbrüstigkeit  Erwach- 
sener. Ist  eine  reine  Brustneurose,  bedingt  durch  krampfhafte  Reizung, 
Reaction  der  Brustnerven ,  insbesondere  des  zu  den  Lungen  und  der  Tra- 
chea gehenden  Nerv,  vagus  in  seinen  mannigfaltigen  Verzweigungen  und 
Geflechten  (Ramus  recurrens ,  Plexus  pulmonales) ,  vielleicht  auch  des  Brust- 


2m  ASTHMA 

theils  des  Gangliensystema  (To«)-  (Es  ist  noch  gar  nicht  ausgemacht,  ob 
das  Übel  ein  idiopathisches,  selbständiges,  oder  nur  Symptom  eines  tiefer 
liegenden  Leidens  ist.  Wurde  doch  früherhin  die  Angina  pectoris  mit  dem 
Brustkrampfe  verwechselt  und  letztere  beruhet  doch  wol  meist  auf  Herzfeh- 
lern! M.).  Symptome.  Entweder  keine  Vorboten,  oder  vorhergehende 
Kopf  -  und  Nackenschraerzen ,  Übelkeiten ,  Flatulenz ,  Pulsiren  der  Karoti- 
den, wässeriger  Harn ,  unruhiger  Schlaf,  üble  Laune,  Niedergeschlagenheit^ 
Verdriesslichkeit ,  eine  eigne  Geistesstumpfheit.  Der  erste  Anfall  erscheint 
gewöhnlich  zur  Nachtzeit,  der  Kranke  erwacht  mit  Gefühl  von  Zusammen- 
schnüren, Beklemmung  der  Brust,  holt  mühevoll  und  keuchend  Athem, 
schnappt  bei  hohen  Graden  des  Übels  ängstlich  nach  Luft  (Orthopnoea), 
empfindet  grosse  Angst ,  sucht  durch  Aufrechtsitzen  und  Schnappen  nach 
frischer  Luft,  durch  Öffnen  der  Fenster  und  Thüren,  durch  Körperbewe- 
gung etc.  sich  Erleichterung  zu  verschaffen ;  der  Pnls  ist  klein ,  zusammen- 
gezogen, iutermittirend  (in  den  meisten  Fällen  auch  schnell;  M.),  der  Herz- 
schlag stark,  regellos,  das  Reden  erschwert,  oft  unmöglich,  das  Antlitz 
bald  roth,  bläulich  (bläuliche  Lippen,  geschwollene  Adern),  bald  bleich, 
eingefallen;  der  Husten  ist  bald  da,  bald  fehlt  er.  Späterhin  erkalten  die 
Gliedmassen ,  es  erfolgen  Ohnmächten ,  der  höchste  Grad  von  Orthopnoe ; 
oft  Erbrechen  grasgrüner  Galle;  der  Anfall  endet  entweder  mit  einem  gelb- 
lichen,  grünlichen,  bisweilen  sauren  oder  mit  Blut  vermischten,  schleimigen 
Auswurfe,  oder  mit  Nasenbluten  und  Blutauswurf  durch  Husten  innerhalb 
V4»  Vn  einer  bis  mehreren  Stunden;  dabei  weicherer,  regelmässiger  Puls, 
gekochter  Harn,  feuchte  Haut,  freiere  Respiration,  Nachlassen  aller  Zu- 
fölle  und  Versinken  in  ruhigen  Schlaf;  doch  bleibt  bei  den  meisten  Kranken 
auch  ausser  den  Anfällen  eine  anhaltende  massige  Dyspnoe  zurück,  so  wie 
die  Anlage  zu  Recidiveu,  die  verschiedene  Ursachen  hervorrufen  können. 
Je  kürzer  der  erste  Anfall  v,&r,  desto  früher  erscheint  der  zweite;  auch 
pflegen  die  folgenden  Anfälle  heftiger  als  der  erste  zu  seyn.  Das  Übel  töd- 
tet  entweder  im  Anfange  durch  Lungenapoplexie,  Stickfluss  (siehe  unten) 
oder  durch  Lungenlähmung;  auch  geht  es  oft  in  das  Schleimasthma,  in  Lun- 
genphthisis ,  Hydrothorax  und  allgemeine  Wassersucht  über.  Von  der  Brust- 
wassersucht unterscheidet  sich  dieses  Asthma  durch  die  Periodicität  der  An- 
ßUe,  durch  das  ihm  fehlende  eigenthümliche  Gefühl  von  Druck  auf  die 
Limgen,  durch  die  charakteristische,  zusammenschnürende  Empfindung  in 
der  Brust,  durch  den  Mangel  an  ziehenden  Schmerzen  in  den  Schulterblät- 
tern, im  Nacken,  in  den  Armen,  durch  das  fehlende  Odem  des  Gesichts, 
der  Gliedmassen ,  des  Scrotum ,  der  Schamlefzen.  Die  Diagnose  zwischen 
diesem  Übel  und  dem  feuchten  Asthma  folgt  weiter  unten ,  s.  Asthma  h  u  - 
midum.  Von  Peripneumonia  notha  und  Phthisis  pulmonalis  pituitosa  unter- 
scheidet es  sich  durch  seine  Periodicität,  eben  hierdurch  auch  vom  Asthma 
als  Folge  organischer  Brusteingeweidefehler  (jedoch  intermittirt  auch  dieses 
oft),  vom  Asthma  hystericum  und  hypochondriacum  durch  die  fehlenden 
Zeichen  des  Grundübels,  von  der  Angina  pectoris  durch  Mangel  an  der 
diese  charakterisirenden  Empfindung  in  der  Brust,  die  man  wol  eigentlich 
nicht  Asthma  nennen  kann ,  sowie  durch  den  eigenthümlichen  Armschmerz, 
der  ein  pathognomonisches  Zeichen  der  Brustbräune  ist,  von  den  Anfällen  der 
organischen  Herzkrankheiten ,  die  man  ebenfalls  falschlich  als  Asthma  be- 
zeichnet, durch  die  diesen  wesentlichen  Pulsunregelmässigkeiten  und  andere 
Zufälle  (s.  Aneurysma  internum).  Gelegentliche  Ursachen  sind: 
zu  grosse  Hitze,  zu  warme  Stubenluft,  besonders  bei  schnellem  Wechsel  der 
Temperatur,  schnelle  Veränderungen  der  Atmosphäre,  schnelles  Sinken  des 
Barometerstandes  (daher  sich  die  Krankheit  oft  nach  dem  Jahreswechsel 
richtet),  feuchte,  naskalte  Witterung,  heftiges  Laufen,  Tanzen,  Springen; 
Leidenschaften,  Missbrauch  geistiger  Getränke,  Excesse  in  Venere,  Onanie, 
Diätfehler,  unreine,  durch  Rauch,  Staub,  metallische  Dämpfe  etc.  verdor- 
bene Luft,  Verwundungen  des  Zwerchfells ;  Gicht,  Hämorrhoiden,  Hysterie, 
Epilepsie,  Hypochondrie,  zu  schnell  geheilte  Ausschläge  und  Geschwüre  der 
Haut,   öfters  überstandene   katarrhalische   und  entzündliche  Atfectionen   der 


ASTHMA  205 

Brust  (daher  oft  bei  alten  Leuten ,  wo  die  Lungenschleimhaut  erkrankt  ist 
und  diese  dann  leicht  die  sensible  Seite  der  Brust  in  Mitleidenschaft  zieht), 
plötzliche  Erkältung  bei  blennorrhoischen  und  plethorischen  Personen,  Ge- 
müthsbewegungen ,  Magenüberladung  und  dadurch  schnell  unterdrückte  Hä- 
morrhoiden, Gichtanfälle  etc.  (Die  grösste  Anlage  zu  diesem  Asthma  ge- 
ben eine  reizbare  zu  Krämpfen  geneigte  Constitution ,  eine  local  gesteigerte 
Reizbarkeit  der  Bronchien  und  Lungen,  organische  Fehler  der  Respirations- 
werkzeuge: Tuberkel,  Adhäsionen  zwischen  Lunge  und  Pleura,  Verknöche- 
rungen der  Gefässe ,  das  mittlere  Lebensalter  und  das  männliche  Geschlecht 
M.).  Cur.  1)  Während  des  Anfalls.  Höchst  noth wendig  sind  hier 
in  der  Regel  ßlutausleerungen,  zumal  bei  Zeichen  von  Congestioa 
(der  Puls  giebt  hier,  wo  die  Respiration  so  sehr  gehindert  ist,  kein  Zei- 
chen ab ,  wol  aber  die  Constitution  und  Gesichtsfarbe) ,  selbst  bei  scheinbar 
gehwachem  Pulsschlage ;  nur  bei  bleichem ,  eingefallenem  Gesichte  und  gros- 
ser Schwäche  passen  sie  nicht.  Nach  den  Blutausleerungen  oder,  wo  diese 
contraindicirt  sind,  sogleich,  dienen  Antispasmodica,  selbst  Narcotica  (doch 
diese  mit  Vorsicht,  weil  sie  leicht  venöse  Congestion  nach  der  Brust  erre- 
gen, oder  auch  die  gehinderte  Oxydation  des  Körpers  durch  ihren  Gehalt 
an  Kohlenstoff  noch  mehr  beeinträchtigen,  M.),  z.B.  Flor,  zinci  zu  Y2 — 2 — 
5 — 8  Granen,  auch  in  folgender  Mischung:  f^  Extr.  millefolii  3jß »  Mass. 
pilul.  Ruft  3j  5  Asae  foetid.  5f^  5  Flor,  zinci  gr.  xv.  M.  f.  pil.  gr.  jj ,  wovon 
dreimal  täglich  5  —  8  Stück  genommen  werden;  ferner  Asant  mit  gleichen 
Theilen  Rad.  valerianae  und  etwas  Opium,  oder  auch  folgende  Mischung: 
I^  Gumm.  asae  foeiid.  3Jll)  solve  in  Aq.  foenic.  §v,  admisc.  Spirit.  Minde- 
ren 3J ,  Spirit.  $alis  ammon.  anisat.  5jj »  Syr.  altkaeae  §j.  M.  S.  2  —  Sstünd- 
lich  1  Esslöffel  voll ;  bei  Hysterischen  verordne  man  Tinct.  castorei  mit 
Aq.  foetida  antihysterica ,  thee-,  selbst  esslöffelweise  gereicht,  und  Thee 
von  Rad.  valerian.,  Flor,  chamomill. ,  Herb,  menth.  etc.  nachgetrunken. 
Auch  folgende  Tropfen  sind  hier  sehr  wirksam:  I^  Tinct.  castor.  sibir.,  lAq. 
ammon.  cnrb.  pyro-oleosi,  Liq.  anodyni  ana  Sjj-  M.  S.  Halbstündlich  25  — 
SO  Tropfen;  auch  Moschus,  Liq.  c.  c.  succin. ,  das  Acid.  hydrocyan.  vege- 
tab.  Schraderi  eben  so  oft  zu  5  —  7  Tropfen  (Tott).,  Aqua  laurocerasi,  Zin- 
cura  zuoticum ,  die  Tinct.  aconiti  mit  Vinum  stibiat. ,  das  Rauchen  von 
Herb,  daturae  strara.  mit  Tabak  zu  gleichen  Theilen  aus  einer  irdenen 
Pfeife  (s.  eben  Antasthmatica),  Einathmen  warmer  Dämpfe  von  Infus, 
herbae  hyoscyami ,  Flor,  sambuci ,  chamomill. ,  warme  Umschläge  auf  die 
Brust  von  Decoct.  herb,  hyoscyami ,  cicutae ,  digitalis ,  belladonnae ,  warme 
Halbbäder,  ganze  Bäder  von  aromatischen  Kräutern,  Fussbäder  mit  Asche, 
Senf,  laue  Bähungen  der  Hände,  Handbäder,  Einreibungen  flüchtiger  Sa- 
chen in  die  Brust,  Senfpflaster,  besonders  aber  Vesicatorien  auf  dieselbe, 
Klystiere  von  Infus,  valerianae,  chamomill.  mit  Asa  foetida,  Opium,  Reiben 
der  untern  Gliedmassen,  Bürsten  der  Fusssohlen,  eine  Tasse  recht  starker, 
schwarzer  Kaffee  etc.  Gegen  das  Ende  des  Anfalls  dienen  Expectorantia ; 
Senega,  Squilla ,  Sulph.  aurat. ,  Kerm.  mineral. ,  z.  B.  I^  Oxym.  squillit. 
§jj ,  Elix.  pector.  R.  D.  gß ,  Sulph.  awrnt.  gr.  xjj.  M.  S.  Stark  umgeschüt- 
telt alle  V2  — l'A  Stunden  1  Theelöffel  voll  (M.).  Bei  Gefahr  des  Stick- 
flusses besonders  dieses:  I^  Gumm.  ammoniaci  5jj,  c.  q.  s.  vitell.  ovi  suhact. 
Aqune  foeniculi  5V,  Spirit.  snl.  ammon.  anisnt.  5jj  ?  Vi7ii  stihiati  5jj?  Syr. 
aühaeae  gj|i.  M.  S.  Esslöffelweise.  Dabei  ein  Vesicatorium  auf  die  ganze 
Brust ,  auch  innerlich  Kampher  mit  Asant ,  Sal.  volatile ,  Mosch\is ;  in  leich- 
tern Fällen  ist  auch  die  Ipecacuanha  in  kleinen  Dosen,  auch  die  Tinct- 
ipecacuanhae  sehr  nützlich;  desgleichen  das  Extr.  nuc.  vomic.  spirituos. ,  alle 
3  Stunden  zu  V^  Gran ;  auch  hat  man  innerlich  Lap.  infernalis  empfohlen 
{Wolf),  desgleichen  Tinct.  semin.  stramonii,  auch  folgenden  krampfstillen- 
den Thee :  Rr  Sem.  phellandr.  aquat.  5iij  ?  Herb,  menth.  crisp. ,  Flor,  chamo- 
mill. ana  ^\^ ,  Fol.  aurantior.  3vj.  C.  C.  M. ,  wovon  2  Esslöffel  voll  mit  4 
Tassen  Wasser  infundirt  werden.  Unter  den  äusserlichen  Mitteln  verdient 
noch  die  kreisförmige  Umschnürung  der  Glieder  {Bouryery)  empfohlen  zu 
werden.      (Es   verschafft   dies   Mittel    zwar   augenblickliche   Erleichterung, 


206  ASTHMA 

doch  kehiren  die  Zufalle,  so  wie  man  die  Binden  von  den  Gliedern  loset, 
nach  meiner  Erfahrung  heftiger  zxirück.  Allgemeiner  zu  empfehlen  ist  das 
PalliatiTmittel  des  Dr.  Chinrenti,  der  während  der  asthmatischen  Anfälle 
mittels  eines  Blasebalgs  atmosphärische  Luft  einbläst,  wodurch  nach  seiner 
Versicherung  die  Anfälle  abgekürzt  werden  und  selbst  radicale  Heilung  er- 
folgen soll ,  wenn  anders  keine  organischen  Fehler  zum  Grunde  liegen.  M.). 
2)  Behandlung  nach  dem  Anfall  e,  um  das  Übel  für  immer  zu  heben. 
Warme  Bekleidung ,  Flanellhemde ,  trockne ,  warme  Luft ,  Veränderung  des 
Klimas ,  Vermeidung  spirituöser  Getränke ,  heftiger  Gemüths  -  und  Körper- 
bewegungen, der  Ausschweifungen  im  Coitus,  anhaltender  Gebrauch  der 
Spec.  lignorum ,  des  Wassers  von  Ems ,  Selters ,  Fachingen ,  Schlangenbad, 
Fontanellen  im  Nacken ,  auf  die  Brust ,  das  Empl.  perpet.  Janini  auf  letz- 
tere, sind  hier  wichtige  Heilmittel.  Dabei  berücksichtige  der  Arzt  Gicht, 
besonders  Arthritis  retenta,  atonica,  retrograda,  Hämorrhoidalanomalien, 
zurückgetretene  Ausschläge,  besonders  Krätze,  die  leicht  ein  couTulsivi- 
Bches  Asthma  hysterischer  Art  erregt,  schnell  geheilte  habituell  gewordene 
Geschwüre,  Onanie  und  andere  gelegentliche  Ursachen  des  Übels,  und 
richte  danach  die  Behandlung  ein  (s.  Arthritis  anomala,  retropulsa, 
Haemorrhoides  suppressae);  hier  passen  bald  Blutegel  ad  anum, 
Schwefelbäder,  Karlsbad,  Ems,  Fontanelle,  Brechweinsteinsalbe,  selbst 
Moxa,  Cauterium  actuale.  Empirisch  leisten  Antispasmodica ,  besonders  Va- 
leriana, Asa  foetida,  Aqua  laurocerasi,  Extr.  lactucae  virosae,  z.B.  I^  Extr. 
lactucae  viros.  gr.  xvj,  solve  in  Aq.  cinnamomi  3JÜ-  M.  S.  Abends  und  Mor- 
gens 20 — 30  Tropfen;  Flor,  zinci,  später  Amara,  China,  eisenhaltige  Was- 
ser, besonders  Driburg  und  Pyrmont,  Soolbäder,  Schwefelbäder  (letztere 
besonders  bei  Verdacht  auf  Gicht,  Hämorrhoiden,  psorische  Metastasen), 
äusserlich  Einreibungen  in  die  Brust  von  Bals.  vitae  Hoffmanni ,  Waschen 
derselben  mit  warmem  Wein,  warmem  Branntwein  gute  Dienste.  (Das 
Rauchen  des  Tabaks  mit  Herb.  Stramonii  (HegewiscJi) ,  desgleichen  der  Gal- 
vanismus  als  Mansford'scher  Apparat  auf  Herzgrube  und  Rücken,  anhaltend 
gebraucht  (^Wilson  Philipp),  haben  oft  radical  geheilt.  M.).  Die  Diät  muss 
dabei  rein  nährend ,  einfach ,  reizlos  seyn.  Der  Wein  passt  erst  da ,  wo  die 
China  und  das  Eisen  in  seinen  verschiedenen  Formen  (Tinct.  nervina  Be- 
»tuchefF. ,  Tinct.  ferri  muriatici,  Pyrmonter  Wasser,  Limatura  martis)  indi- 
cirt  sind,  also  nachdem  durch  Asa  foetida,  Flor,  zinci,  Magist.  bismuthi 
etc.  die  erhöhte  Reizbarkeit  des  Nervensystems,  besonders  in  der  Brust, 
herabgestimmt  worden  ist.  Hoßbnuer  (s.  dess.  Prakt.  Untersuchungen  über 
krampfhaftes  Athemholen.  A.  d.  Engl,  des  R.  Brees.  Leipz.  1800)  räth  ge- 
gen dieses  Übel  Absorbentia,  und  Dr.  Vrban  sah  nach  vergeblichem  Ge- 
brauche vieler  anderer  Mittel  radicale  Hülfe  von  folgendem  Pulver :  I^  Sulph. 
mirati  gr.  iv,  Extr.  hyoscyami  gr.  xjj ,  Lapid.  cancror.  ppt.  5IV,  Sacch.  alhi 
3jj.  M.  S.  Zweistündlich  einen  Esslöffel  voll ,  wo  die  gute  Wirkung  des 
Goldschwefels  und  Bilsenkrauts  ohnstreitig  mit  in  Anschlag  gebracht  wer- 
den muss. 

Asthma  spasticum  ijifnnfum,  Cynanche  trnchealis  spasmodica,  Asthma 
acutum  Millari,  Millar's  hitziges  Krampfasthma.  Dies  Übel  beru- 
het auf  einem  Krämpfe  in  der  Trachea  und  ihren  Verästelungen ,  in  Krampf 
der  Stimmritze,  auch  secundär  der  Lungen,  befällt  nur  Kinder  und  äussert 
sich  in  zwei  verschiedenen  Formen,  nämlich  a)  in  der  gewöhnlichen  und 
häufigsten  hier  beschriebenen  Form,  nach  Miliar  und  Wichmmin,  b)  in  der 
goltenen  Form  nur  bei  Säuglingen  (s.  Asthma  spasticum  lactentium 
Wigandi).  Vorboten  des  Millar'schen  Asthmas  sind:  Schreckhaftig- 
keit ,  Zusammenfahren  im  Schlafe ,  ein  eignes  Herabhängen  der  obern  Au- 
genlider (ein  Ansehen  wie  bei  Berauschten),  heisere,  schwache  Stimme, 
ängstliche,  kurze,  unterbrochene  Respiration,  Aufholen  und  Anhalten  von 
Luft,  gleichsam  als  wenn  das  Kind  ein  Hinderniss  aus  dem  Halse  fortzu- 
schaffen sich  bestrebt,  katarrhalische  Beschwerden;  diese  Symptome  gehen 
höchstens  24  Stunden  dem  Anfalle  vorher,  oft  fehlen  dieselben  aber  gröss- 
teatheils  ganz.      Nun  tritt  der  Anfall  plötzlich,   meistens  zwischen  11  und 


ASTHMA  207 

S  Uhr  in  der  Nacht  (höchst  selten  zum  ersten  Mal  bei  Tage)  ein ;  da»  Kind 
erwacht  plötzlich  mit .  heftigem ,  ängstlichem,  dumpfem  Geschrei,  fährt  in 
die  Höhe,  athmet  mühevoll,  schnell,  klein,  mit  einem  dumpfen,  hohl  tönen- 
den ,  schon  auf  einige  Schritte  zu  vernehraeriden  Geräusche ,  das  Gesicht  ist 
meist  roth,  aufgetrieben,  bläulich,  seltener  blassgelb,  die  Kopfgefässe  tur- 
gesciren;  dabei  fehlt  der  Husten,  auch  der  Schmerz  im  Halse  (nur  über 
Zusammenschnürung  der  Brust  klagt  das  Kind,  wenn  es  beim  Nachlassen 
des  Paroxysmus  wieder  sprechen  kann);  der  Athem  wird  nun  immer  be- 
schwerlicher, und  wenn  richtige  ärztliche  Hülfe  mangelt  oder  (was  meist 
der  Fall  ist)  der  Anfall  nicht  von  selbst  unter  Niesen,  Räuspern,  Ructus, 
Schweiss ,  Diarrhöe  nachlässt ,  so  entsteht  Orthopnoe  und  das  Kind  stirbt  an 
Lungenlähmung  (Catarrhus  suffocativus).  Im  günstigem  Falle  lässt  der 
Anfall  unter  den  genannten  Symptomen  binnen  %,  V2  —  2  Stunden  nach  und 
alle  Zufälle  vermindern  sich  dergestalt,  dass  der  Laie  das  Kind  oft  für  ge- 
nesen hält.  Der  Sachkundige,  der  genauer  beobachtet,  findet  aber,  dass 
krampfhafter  Pul«,  sparsamer,  wasserheller  Urin,  Übelkeit,  Flatulenz,  Dys- 
urie ,  Anorexie ,  wenn  auch  im  gelinden  Grade ,  nachbleiben.  Nach  12  — - 
24  Stunden  kommt  nun  ein  zweiter,  noch  heftigerer  Anfall,  mit  heftigen 
Convulsionen ,  Bewusstlosigkeit ,  kalten  Schweissen,  Verzerrung  der  Ge- 
sichtsmuskeln, Erstickungsgefahr.  Auch  dieser  Anfall  geht  oft  noch  vor- 
über ;  es  stellen  sich  aber  nun  die  Paroxysmen  häufiger  und  auch  bei  Tage 
ein ,  und  das  Kind  stirbt  gewöhnlich  convulsivisch  am  fünften ,  sechsten 
Tage.  Ursachen.  Kinder  zwischen  dem  zweiten  und  eilften  Lebensjahre 
haben  die  grösste  Anlage  zu  diesem  Krampfasthma,  besonders  schwache, 
sensible ,  wo  um  so  mehr  die  Sensibilität  vorwaltet ,  da  schon  an  sich  das 
kindliche  Alter  sich  hierdurch  charakterisirt ,  desgleichen  durch  erhöhte  Thä- 
tigkeit  der  in  ihrer  Ausbildung  noch  begriffenen  Stimme  und  der  Respira- 
tionsorgane ;  woraus  sich  die  grosse  Disposition  zu  Angina  membranacea  und 
Asthma  Millari  erklärt.  Gelegentliche  Ursachen  sind :  schlechtnährende 
Kost,  daher  das  öftere  Vorkommen  des  Übels  in  der  armem  Volksclasse, 
plötzlicher  Temperaturwechsel,  nasskalte  Witterung,  nasser  Herbst  und 
Winter,  besonders  wenn  auf  anhaltende  Süd-  und  Westwinde  trockne  Luft 
und  Ostwind  folgt ,  unbekannte  endemische  LuftbeschafFenheit.  Zuweileo 
folgt  das  Übel  auf  Croup  und  Masern.  Diagnose.  Höchst  wich- 
tig ist  für  die  Cur  die  Unterscheidung  dieses  Übels  vom  Croup  ,  die  schon 
oben  angegeben  worden  (s.  Angina  membranacea).  Vom  Schleim- 
asthma der  Kinder  unterscheidet  sich  das  Millar'sche  Asthma  durch  den 
Mangel  an  Schleim  in  der  Luftröhre  und  dem  Munde,  durch  die  fehlenden 
Sputa ,  den  mangelnden  Husten ,  durch  den  eignen  dumpfen ,  rauhen  Ton 
des  Athems  und  der  Stimme;  vom  Keuchhusten  durch  das  fehlende  Sta- 
dium febrile  et  catarrhale,  das  oft  14  Tage  währt,  ehe  das  rein  spastische 
Stadium  beginnt;  auch  ist  der  Ton  beim  Keuchhusten,  besonders  die  tiefe, 
dem  Eselsgeschrei  ähnliche  Inspiration  so  charakteristisch,  dass  man  beide 
Übel  nicht  leicht  verwechseln  wird.  Das  Wesen  des  Millar'schen  Asthma 
ist  ein  heftiger  Krampf;  dafür  sprechen  die  Symptome,  die  ganze  Natur 
des  Übels  und  der  gute  Erfolg  der  Antispasmodica  Wenn  Puchelt  das 
Übel  für  eine  unter  unbekannten  Umständen  modificirte  Carditis  polyposa 
hält  (wofür,  nach  ihm,  die  beiden  Krankheiten  gleichen  Symptome,  das 
Bild  des  Anfalls  und  der  oft  plötzliche  Tod  sprechen  sollen),  so  lassen  wir 
diese  Ansicht  bis  auf  nähere  Untersuchung  dahingestellt  seyn.  Cur.  Das 
Hauptmittel  ist  Moschus,  alle  Stunden  zu  2  —  6  Gran,  daneben  Infus,  va» 
lerianae  concentrat.  gvj,  Spirit.  sal.  ammon.  anis.  5j»  Extr.  opii  gr.  jj---iv. 
Halbstündlich  1  Esslöffel  voll  (bei  zwei  -  bis  vierjährigen  Kindern  ohne 
Opium);  ferner  warme,  aromatische  Kräuterbäder ,  Klystiere  von  Asa  foetida 
mit  Infus,  valerianae.  Ausserdem  hat  Inan  eine  grosse  Menge  Mittel  ange- 
priesen:  Extr.  hyoscyami,  Ol.  cajeputi,  Moschus  artificialis,  Liq.  c.  c.  succ, 
Thict.  castorei  etc. ,  welche  alle  krampfstillend  wirken ,  dem  Moschus  aber 
immer  nachstehen.  Wir  geben  diesen  am  besten  mit  Syr.  flor.  aurantior. 
(gr.  X  in  53  Aq.)  und  davon  alle  V2  Stunden  1  Theelöffel  voll.     Miliar  gab 


208  ASTHMA 

Folgendes :  ^l  Gtimm.  asae  foetid.  5jj )  solve  termdo  c.  vitell.  ov.  in  Spirit. 
Minderen,  Aq.  hyssopi  ana  3J,  halbstündlich  1  Esslöffel  voll;  doch  nehmen 
Kinder  dies  Mittel  wegen  des  hässlichen  Geschmacks  höchst  ungern.  In  der 
Regel  giebt  sich  der  Anfall  nach  Moschus,  den  man  auch  auf  folgende 
Weise  geben  kann :  I^  Mosclii  opiimi  gr.  jjj ,  Lic.  c.  c.  succin.  ^j ,  Aq.  foe~ 
niculi  51^,  Syr.  althneae  3J.  M.  S.  Alle  2  Stunden  1  Theelöffel  voll.  (Tor- 
tuaV).  Oder:  I^  Infus,  vnlei^ianae  concentr.  §iv,  Moschi  genuini  gr.  vjjj, 
Liq.  ammori.  pyro-oleos.  5jj  ?  Tinct,  ambrae  5jj  ?  Syr.  fior.  auriint.  3fik.  M.  S. 
Halbstündlich  2  Esslöffel  voll  (^Wendt^;  desgleichen  nach  Valeriana-  und 
Asafoetidaklystieren  bald,  besonders  wenn  man  zugleich  durch  warmen  Thee 
von  Rad.  valerianae.  Herb,  menth. ,  melissae ,  Flor,  chamomill. ,  die  Dia- 
phoresis  befördert ,  und  nur  in  seltenen  Fällen  hält  er  an  und  es  folgen 
Zufälle  der  Erstickung  und  verminderte  Nerventhätigkeit.  Hier  passt  reiner 
Moschus,  alle  Yz  Stunden  4  —  6  Gran,  daneben  Folgendes:  ^.' Flor,  henzoes 
gr.  vjjj,  Spirit.  sah  ammon.  anis.  5jVj  Viiti  slibiati  5JJ5  Syr.  senegae,  Oxym. 
squilUt. ,  Syr.  althneae  ana  5jjj-  M.  S.  Stündlich  1  Theelöffel  voll  (^Anten- 
rietli).  Daneben  warme  aromatische  Bäder,  Sinapismen ,  Vesicatoria  auf  die 
Brust.  Doch  sind  diese  Mittel  höchst  selten  nöthig,  der  Moschus  hebt  den 
Anfall  bald,  und  es  kommt  nun  Alles  darauf  an,  durch  zweckmässige  Arz- 
neien, in  der  freien  Zeit  gereicht,  den  zweiten  und  die  folgenden  Anfalle 
zu  verhüten.  Hier  beobachte  man  1)  eine  gute  Diät;  dass  Kind  muss  warm 
gehalten  werden,  muss  Zimmer  und  Bett  hüten,  Kalbfleischbouillon,  Hafer- 
schleim und  ähnliche  schleimige  Getränke  geniessen.  Fleisch  und  Wein  mei- 
den und  in  fröhlicher  Stimmung  erhalten  werden;  2)  dienen  innerlich  voi'- 
züglich  folgende  Mittel  a)  Abends  und  Morgens  gr.  Y4 — Y2  Herb,  belladon- 
nae  mit  Ya  Gran  Extr.  nuc.  voraicae  und  3j  Zucker;  b)  dreimal  täglich  ein 
Klystier  aus  5ß  Asa  foetida  mit  Eigelb  abgerieben  und  in  jjj  Aq.  valeria- 
nae, chamomill.  gelöst;  c)  als  Hauptmittel  aber  Folgendes:  ^  Cort.  chinae 
reg.  5vj  »  coq.  c.  aq.  fontan.  Sj ,  .luh.  fin.  cod.  adde  Rad.  valerianae  5J ,  col. 
ferv.  e'xpr.  gvjj  adde  Chinini  sulpJmrici  gr.  vj ,  Syr.  fior.  anrantior.  5J,  Tinct. 
castorei  ^jj.  M.  S.  Stündlich  1  Esslöffel  voll.  (Mosf)-  3)  Erfolgt  dennoch 
nach  18  —  24  Stunden  ein  zweiter  Anfall,  so  gebe  man  während  desselben 
•wieder  Moschus,  nachher  wieder  das  Chinadecoct  und  die  Belladonnapulver, 
verordne  auch  die  genannten  Klystiere  und  lasse  das  Kind  Y4  —  %  Stunde 
lang  im  aromatischen  Bade  verweilen.  Sollte  dieser  Anfall  stärker  als  der 
erste  seyn,  so  gebe  man,  wenn  er  vorüber  ist  und  gegen  Abend  einige 
Vorboten  sich  einstellen ,  ein  Vomitiv  aus  Ipecacuanha ,  und  lege  ein  Vesi- 
cator  auf  die  Brust.  Durch  dieses  Verfahien  hat  der  Herausgeber  dieses 
Werks  in  mehreren  Fällen  das  Übel  bald  und  sicher  gehoben ;  es  ist  nie 
der'  dritte  Anfall  erfolgt,  auch  ihm  kein  Kind  am  Asthma  Millari  je 
gestorben. 

Asthma  spasticum  lactentium  Wigandi,  Wigand''s  Krampfasthma  der 
Säuglinge.  Es  befällt  nur  schwächliche  Kinder  mit  schlecht  organisirter 
Brust,  und  zwar  nur  in  den  ersten  4 — 6  Wochen  des  Lebens.  Symptome- 
Kurz  vorher  gehen  meist  einige  Vorboten ,  wie  bei  A.  Millari ,  dann  wird 
die  Stimme  heiser,  schwach,  der  Athem  ängstlicher,  kürzer,  unterbrochen; 
es  tritt  kurzer  trockner  Husten  und  das  erwähnte  Anhalten  und  Heraufho- 
len der  Luft,  welches  anfangs  schwach,  leise  und  häufig,  später  seltener 
und  heftiger  erfolgt,  ein.  Der  erste  Anfall  kommt  in  der  Nacht;  das  Ge- 
sicht wird  dabei  blauroth  ,  aufgetrieben,  die  Lippen  sind  blau,  der  Kopf 
schwillt  stark  an,  die  Augen  quellen  hervor,  die  Spitze  des  Brustbeins  wird 
einwärts  gezogen,  oft  fast  bis  ans  Rückgrat,  der  Athem  setzt  1 — -2  Minu- 
ten lang  aus ,  scheint  dann  in  einem  leisen ,  zitternden  Zuge  sich  wieder 
einstellen  zu  wollen,  verschwindet  aber  gleich  wieder,  bis  er  sich  nach 
4 — 5mal  wiederholtem  Wechseln  reguürt  und  so  die  Gefahr  schwindet. 
Nur  ein  ängstliches,  unsicheres  und  unregelmässiges  Athmen,  heftige  Schweisse 
vam  Kopfe  und  an  der  Brust  und  kleiner,  geschwinder,  gespannter  Puls 
bleiben  zurück.  Nach  einiger  Zeit ,  während  das  Kind  meistens  soporös 
danieder  liegt,  kommt  der  Anfall  wieder,  ist  aber  heftiger  und  anhaltender, 


ASTHMA  209 

■worauf  gewöhnlich,  wenn,  das  Kmd  sehr  schwach  ist,  der  Tod  folgt.  Die 
anfangs  nicht  über  eine  Stunde  währenden  Remissionert  werden  immer  kür- 
zer, je  öfter  die  Anfälle  wiederkehren,  und  diese  gehen  zuletzt  in  einander 
über;  die  Athemzüge  intermittiren  immer  länger,  und  die  tiefen  erfolgen 
zuletzt  nur  alle  5  —  6  Minuten ,  am  Ende  bleiben  sie  ganz  aus.  Das  vorher 
blaue  Gesicht  wird  bleich  und,  besonders  der  Mund,  verzerrt,  der  Brust- 
kasten fällt  zusammen  (Collapsus  pulmonum),  die  untere  Maxille  sinkt  herab, 
und  so  sterben  selbst  halbjährige  Kinder  meist  im  dritten  bis  fünften  An- 
falle. Dieses  Krampfasthma  unterscheidet  sich  vom  A.  Millari  dadurch,  dass 
es  nur  meist  schwächliche  Kinder,  und  zwar  nur  in  den  ersten  Lebensmo- 
naten befällt,  dass  der  eigenthümliche  Ton  der  Stimme  wie  bei  A.  Millari 
fehlt.  Und  dass  die  Nachlässe  nicht  Tage,  nur  Stunden  währen.  Gele- 
gentliche Ursachen  und  Behandlnng,  Wie  bei  A.  Millari.  Man 
gebe  besonders  Moschus,  Valeriana,  Klysticre  von  Asa  foetida  und  aroma- 
tische Bäder ,  vermeide  hier  aber  das  der  Kindernatur  so  heterogene  Opium 
und  die  stark  ammoniakalischen  Mittel. 

Asthma  Millari,   s.  Asthma  spasticum  infantum. 

Asthma  hifpochondriacum  et  hystericum,  das  Asthma  der  Hypochondristen 
und  Hysterischen.  Symptome.  Kurze,  ängstliche,  schwache,  auf  einige 
Zeit  gänzlich  stockende  Respiration,  Schein  von  Betäubung  und  Asphyxie, 
kleiner,  schwacher,  kaum  fühlbarer  Puls,  öfters  Convulsionen  des  Thorax 
und  Larynx;  der  Paroxysmus  endet  mit  heftigem  Stossen  und  Zucken  (con- 
vulsivisch -  elektrischen  Entladungen,  M.)  durch  den  ganzen  Körper,  oft 
unter  allgemeinen  Convulsionen  und  dem  Gefühl  eines  Kugeins  im  Unter- 
leibe. Eine  traurige  Gemüthsstimmung  und  kleiner ,  spastischer  Pnls  blei- 
ben oft  bis  zum  nächsten  Anfalle  zurück.  PrognO;Se.  Ist  gut;  das  Übel 
ist  trotz  seiner  Heftigkeit  nicht  gefährlich,  befällt  nur  zuweilen  die  Hyste- 
rischen und  Hypochondristen ,  und  geht  schnell  vorüber.  Es  beruht  mehr 
auf  einem  Krämpfe  im  Unterleibe  (vielleicht  auf  einer  eigenthümlichen ,  sich 
auf  den  Nervus  vagus  fortpflanzenden  Affection  des  Sonnengeflechtes)  als 
auf  Brustkrampf,  wofür  das  Kugeln  und  Kollern  im  Leibe  und  der  Abgang 
von  vielen  Blähungen  mit  Erleichterung  sprechen.  Cur.  Sind  Blähungen 
durch  flatulente  Speisen  Ursache,  so  nützen  Carminativa:  Ol.  menthae, 
carvi,  foeniculi,  cajeputi,  Tinct.  castorei  und  Liq.  anodyn. ,  Ol.  animaie 
Dippelii,  Klystiere  von  Infus,  valerianae  mit  Asa  foetida;  ausser  dem  An- 
falle Thee  von  Valeriana  Und  folgende  Mischung:  I^  Acidi  hydrocyanici  gtt. 
XV,  Mucil.  ffumm.  mimos.,  Syr.  althaeae  ana  ^(^.  M.  S.- Morgens  und  Abends 
1 — 2  Theelöffel  voll.  Bei  Gallenergiessung  nach  Ärger  dienen  fixe  Luft, 
Pot.  Riverii  mit  Aq.  chamom.  und  Salmiak;  auch  folgendes  Pulver :  Rr  Tart. 
depwrat.  3f>j  Magnes.  carhon.,  Cort.  cimiamomi  ana  gr.  xv ;  bei  genossener 
.Säure  als  Ursache  Asa  foetida  mft  Seife  und  Pulv.  cort.  aurantior. ;  bei  Er- 
kältung dienen  warme  Aschenfussbäder  etc. 

Asthma  fwcturnum,  Incuhus,  Pnigalion,  EphialteSy  Epilepsia  nocturna 
(Holler,  Bauhinus) ,  Epilepsia  parva  (^Galeii),  Succuhus  (Mercator),  Alp- 
drücken, Trute,  Alp.  Befällt  nur  während  der  Nacht,  im  Schlafe. 
Gewöhnlich  träumen  die  Kranken  schwer,  wachen  auf  und  fühlen  sich  in  der 
Brust  so  beengt,  als  wenn  eine  grosse  Last  (dem  Gefühle  nach  ein  Mensch, 
Hund,  Ungeheuer)  auf  ihnen  läge  und  das  Athmen  hinderte.  Weiber  glau- 
ben oft,  ein  Mann  wohne  ihnen  bei,  und  sie  sind  in  Angst  und  wollüstig 
zugleich ;  dabei  sind  die  Arme  gelähmt ,  und  die  Stimme  ist ,  so  lange  der 
Anfall  währt,  ganz  unterdrückt.  Die  Kranken  haben  den  Trieb  sich  helfen 
zu  wollen ,  sie  wissen ,  dass  ihnen  durch  Veränderung  ihrer  Lage  geholfen 
ist,  sind  aber  unvermögend,  sich  zu  bewegen  oder  um  Hülfe  zu  rufen;  oft 
stöhnen  sie  laut  und  verfallen  in  Angstschweiss.  Der  Paroxysmus  dauert 
nur  einige  Minuten,  der  Kranke  fühlt  sich  hinterher  etwas  matt  und  schläft 
bald  wieder  ein.  Ursachen.  Die  nächste  ist:  Krampf  der  Respiratioris- 
organe ,  der  sich  mit  Hindei'niss  im  Blutumlaufe,  in  der  Bewegung  des 
Zwerchfells  und  Herzens,  sowie  auch  mit  vorübergehendem  Unvermögen  auf 
die  Organe  der  willkürlichen  Bewegung  einzuwirken,  verbindet,,  und  der 
Most  Encyklopädie.  2te  Aufl.  I.  14  , 


2  0  ASTHm 

auf  verschiedene  Welse  herbeigeführt  werdeiv  kann,  und  zwnr  11  durch 
Blutandrang,  daher  bei  jungen  Mädchen  /ur  Zeit  der  beginnenden  Men- 
struation, bei  unterdrückten  Blutungen:  Niasenbluten ,  Häinonlioiden .  Men- 
struation, besonders  bei  Regurgitation  des  Hämorrhoidalbluts  üach  der 
Brust,  sowol  bei  Bildung;  als  bei  Unterdrückung  derselben;  liier  ist  das 
Übel  also  ein  sogenannter  Blutkrampf.  2)  H;iufig  ist  das  Alpdrücken  nr- 
»prünglich  eine  nervöse  Affection,  und  zwar  durch  erhöhte  Empfind- 
lichkeit der  Brustnerven ,  die  oft  auch  Folge  eines  Leidens  der  AMominal- 
nerv'en ,  besonders  dejä'  Plexus  coeliacus,  ist.  Dieser  nervöse  Brustkrampf 
ereignet  sich  a)  bei  jungen  zarten ,  in  der  Pubertät  begriffenen  iMäd(  hen  ; 
b)  bei  jungen  sensiblen  Kindern ,  wo  er  nicht  selten  der  Vorbote  des  Ve.it«- 
stanzes,  des  Nachtwandelas ,  der  Epilepsie,  der  Katalepsie  ist;  c)  bei  Hy- 
pochondristen  und  Hysterischen  nach  Genuithsbewegungen ;  d)  bei  Onani  • 
sten ,  Freunden  der  Paphos,  als  Folge  zu  starker  Geistesarbeiten,  des  Miss- 
brauchs spirituöser  Getränke,  heftiger  Geniüthsbewegungen  ;  e)  durch  con- 
sensuelle  Reizung,  durch  Würmer,  Indigestion,  Flatulenz;  f)  zuweilen  sind 
organische  Fehler  des  Herzens,  der  Lungen,  der  Leber  Schuld  Nicht  sel- 
ten geht  der  Incubus  in  convulsivisches  Asthma  über.  Cur.  Sie  richtet 
sich  nach  den  Ursachen ;  oft  nützen  schon  diätetische  Mittel.  Vermeidung 
schwerer,  blähender  Speisen,  spirituöser  Getränke,  der  Abendmahlzeiten, 
der  zu  warmen  Bedeckung  und  heissen  Stuben,  der  Rückenlage  im  Bette, 
Vermeidung  des  Legens  der  Hände  über  den  Kopf  während  de.-»  Schlafs  sind 
nothwendige  Dinge.  Junge,  plethorische  Subjecte  müssen  eine  dünne  Diät 
halten ,  sich  viel  im  Freien  bewegen  ;  bei  unterdrückten  Blutungen  dienen 
Aderlässe,  Blutegel,  bei  Würmern  Anthelminlhica ,  bei  Magensäure  Kali 
carbonicum  mit  Gewürzen  und  Ajuaris ;  bei  idiopathischer  Nervenafl'ection 
Antispasmodica,  besonders  Asa  foetida ,  Valeriana,  Castoreum,  Fol.  auran- 
tior. ,  Egerwassec,  kaltes  Waschen  und  Baden  des  Kopf«.  Überhaupt 
inuss  der  Arzt  die  ursächlichen  Momente  berücksichtigen  ,  die  Menses, 
die  Hämorrhoiden  reguliren ,  bei  Onanie  Elix.  vitrioli  Mynsichti  geben  etc. 
Moritz  Strahl  (Der  Alp,  sein  Wesen  und  seine  Heilung.  Berlin  1833)  leitet 
das  Übel  von  krampfiiafter  Luftentwickelung  (^PiteitmatnsU:  nhtionni.i^  im 
Körper  ab.  Seine  lesenswerthe  ,  254  Octavseitea  starke  Schrift  ist  die  ein- 
zige ausführliche  IMonographie  über  diesen  Gegenstand  ,  die  unsere  neuere 
Literatur  aufzuweisen  hat.  Nach  ihm  ist  bei  inveterirtem  Übel  die  E\<;re- 
tio  alvi  in  der  Regel  sehr  träge  und  die  Formbildung  der  Faeces  abnorm, 
dabei  Verdauungsbeschs\erdön,  Flatulenz.  Das  Wesen  des  Übels,  woran  er 
selbst  gelitten,  ist  ihm  eine  iutlatio  veiUriculi  mit  gleichzeitig  bestehender 
Ausdehnung  des  Oesophagus;  die  nächste  Ursadie  i>t  Krampf.  Er  legt  auf 
die  Luftentwickelimg  im  Darmcanal ,  die  dann  .sell>st  ins  Blut  gehe,  als 
veranlassende  Ursache  des  Anfalls  viel  Gewicht.  Ob  sich  aber  beim  Alp, 
wie  er  meint,  der  Oesophagus  wirklich  so  sehr  ausdehne,  dass  er  durch  den 
J>ruck  auf  die  Luftröhre  diese  mechanisch  verengere  und  so  das  Gefühl  ^ou 
Erstickung  errege,  ist  noch  nicht  ausgemacht.  Auch  reiner  Krampf  ohne 
mechanischen  Druck  kann  dio  Luftröhre  verengern,  was  der  Nodus  hysle- 
ricus  beweist;  und  ob  die  Pneumatosis  abnormis  im  Darmkanal  nicht  eben 
so  gut  Folge  als  Ursache  des  Krampfs  sey ,  ist  noch  zu  untersuchen,  und 
ersteres  um  so  wahrscheinlicher,  da  wir  ohne  aüenirton  Nerveneinfluss  des 
Gangliensystems  uns  die  Entstehung  einer  solchen  übermässigen  1'iicumatosls 
intestinalis  nicht  denken  können.  —  Strnttl  ninunt  eine  Absorption  der  Luft, 
wenn  ihre  Ausscheidung  auf  natürliche  Weise  durch  den  Darmcanal  und 
durch  unmerkliche  Ausdünstung  nicht  erfolgt,  von  den  Gefässen  an,  wo- 
durch der  Blutumlauf  gehemmt  werde  und  sagt  (S.  81).  das  er  selbst  die 
Luft  im  Kopfe  bei  seinen  Alpanlallen  gefühlt  habe.  (Y)  —  Nach  ihm  ist 
der  Alp  seltener  bei  Frauen,  als  bei  Mannern,  und  die  Leibesverstopfung 
ein  constantes  Symptom.  Er  unterscheidet  (S.  89)  die  Krankheit  vom 
Asthnut  und  statuirt  eiiien  Incubus  a  <au3a  transitoria  und  L  Jnveteratus. 
Für  e.r«tern  schlägt  er  (S.  91)  den  Namen  Ivftatiu  vnttricii/i  ocsaphaffen ,  für 
letztern  die  Beneanuug  Iiiflntin  ventriciili  tiovlitrnn  vor.  —  Bei  der  Cur   be- 


ASTHMA  211 

rücksichtigt  er  drei  Indicationen :  1)  Die  erliohte  Sensibilität  des  Ganglieu- 
systems  herabzustimmeu ;  2)  die  Erzeugung  der  Blähungen  zu  vermeiden  • 
S)  die  Haut  zu  ihrer  normalen  Thätigkeit  anzuregen.  —  Während  des  An- 
falls leistete  ihm  Opium  in  kleinen  Dosen  nichts,  in  grössern  Dosen  wagte 
er  es  nicht  zu  verordnen;  auch  Ol.  menthae,  anisi,  cajeputi,  chamoniillae, 
Castoreum  desgleichen;  —  Aq.  laurocerasi  wirkte  zweideutig,  dagegen  lobt 
er  als  specifisch  wohlthätig  eine  Tasse  schwachen  Chamillenthee,  rechi, 
heiss  getrunken,  worauf  Poltern  im  Leibe,  Ructus,  Flatus  und  leichte  Re- 
spiration sich  einstellten,  und  zwar  constant;  so  dass  Strahl  jeden  Abend 
solchen  lecht  schwachen  Chamillenthee  als  Präservativ  trank  und  dai'n  eine 
ruhige  Nacht  hatte.  —  Waller  gebrauchte  mit  Nutzen  Kohlensäure;  gut 
ist  auch  die  trockne  Friction  des  Unterleibes  mit  der  blossen  Hand,  selbst 
eine  Stunde  lang  fortgesetzt  Hilft  dieses  nicht,  so  muss  man  aufsl^ehen 
und  sich  nie ,  bevor  man  recht  müde  ist ,  zu  Bette  legen ;  auch  nie  mit  lee- 
rem Magen  schlafen  gehen  oder  enge  Kleidungsstücke  dulden.  Ein  leerer 
Magen  befördert  nach  Whytt,  Waller  und  Strahl  die  nächtlichen  Anfälle. 
Warme  Fussbäder,  Rubefacientia ,  äns.scrliche  Einreibungen  leisten,  nach 
Strahl,  weder  beim  Alp,  noch  bei  Hypochondrie  etwas.  Reine,  helle,  trockne 
Luft,  einfache  leichte  Speisen,  nur  bis  zu  leichter  Sättigung  genossen,  tägliche 
Bewegung  sind  nützlich.  Alles  Fette,  Käse,  Backwerk,  frisches  Brot,  die 
meisten  Ge^vüi'ze,  sowie  jede  complicirte  Speise  sind  zu  vermeiden.  Rother 
Wein ,  Thee  und  Kaffee  können ,  massig  gen^ossen ,  nicht  schaden.  Das 
Wassertrinken  tadelt  er  aber  mit  Unrecht;  er  meint,  dass  es  bei  Neigung 
zur  Flatulenz  nicht  passe  und  glaubt  sogar  (S.  9*) ,  dass  es  s;ch  im  Körp.er 
in  Sauer-  und  Wasserstoff  zersetze  (?).  Wahrscheinlich  hat  ei-  sich  durch 
die  Aufregung  und  Incommoditäten ,  die  das  Wassertrinken  in  den  ersten 
Tagen  bei  Ungewohnheit  erregen,  gleich  so  vielen  andei'n  ängstlichen  Per- 
sonen abschrecken  lassen  und  das  Trinken  nicht  fortgesetzt.  —  Gegen  die 
Obstructio  alvi  giebt  er  folgende  Pillen :  ^r  Extr.  rhei  cotnpos. ,  Sapon.  me- 
tlicat.  ana  5jl^ »  Extr.  hyosvyami  5ft-  M.  f.  pil.  pond.  gr.  jj  consp.  Lijcop.  S. 
Abends  7  Uhr  5  Stück  zu  nehmen      Vergl.  auch  den  Art.  ßorborygmi. 

Asthma  aereum,  emphysematicum ,  Asthma  durch  Luftextra^asat  in  der 
Brust,  die  bald  in  das  Parenchym  der  Lungen,  bald  in  die  Brusthöhle  aus- 
tritt. Wir  betrachten  daher  zuerst  Asthma  aereum  ab  eniphysemate  pulmo- 
num. Hier  ist  die  Luft  in  das  Lungenparenchym  getreten,  als  F^olge  einer 
Ruptur  irgend  eines  kleinen  Bronchialastes  oder  dessen  Luftbiäschen.  Ur- 
sachen, Heftiges  Erbrechen ,  starkes  Niesen ,  Autheben  schwerer  Lasten, 
Anstrengung  der  Lungen  durch  Blasinstrumente:  Waldhorn,  Trompete,  Po- 
saune, Fagot,  durch  starken  Husten,  Keuchhusten,  durch  heftige  Anfälle 
von  Krampfasthma ,  durch  Laufen  gegen  den?  Wind.  Symptome.  Es  ent- 
steht plötzlich  ohne  Fieber  eine  anhaltende,  schnell  an  Intensität  zuneh- 
mende, bald  bis  zur  Erstickung  steigende  Engbrüstigkeit;  später  zeigt  sich 
über  einem  oder  über  beiden  Schlüsselbeinen  eine  knisternde  Windgeschwulst, 
welche  das  Daseyn  des  schwer  zu  erkennenden,  leicht  mit  Pneumonie  zu 
verwechselnden  Übels  leider!  oft  nur  zu  spät  erkennen  lässt.  Häufig  glaubt 
der  Arzt  auch  ein  Asthma  spasticum  vor  sich  zu  haben.  C  u  r.  Der  Kranke 
muss  so  wenig  als  möglich  tief  in-  und  exspiriren,  horizontal  und  ruhig  lie- 
gen, nicht  sprechen,  Alles,  was  zum  Niesen  und  Husten  reizt,  vermeiden, 
bei  Reiz  dazu  Antispasmodica ,  besondei's  Blausäure,  Opium  nehmen,  wo- 
durch sich  die  Ruptur  vielleicht  wieder  schliesst ;  dabei  dient  eine  kühle 
Diät ;  bei  grosser  Beklemmung  und  schmerzhafter  Empfindung  versäume  man 
ja  das  Aderlassen  nicht,  sonst  erfolgt  leicht  Pneumonie.  Man  vermeide  alle 
Säui'en,  weil  sie  zum  Husten  reizen.  Die  Zenheilung ,  Zersetzung  und  Re- 
sorption der  extravasirten  Luft  erfolgt  hierbei  von  selbst ;  vielleicht  wird 
dieselbe  durch  kleine  Dosen  von  Antimonial-  und  Mercurialmitteln ,  welche 
die  Action  der  Lyuiphgeßisse  steigern,  befördert.  Laenncc  giebt  als  Em- 
physema  pulmonum  und  dieses  als  Ursache  des  Asthma  einen  Zustand  an, 
>\ elcher  auf  widernatürlicher  Erweiterung  der  Lungejduftzellen  beruhe  und 
den  Aui^itritt  der  Luft  ins  Luiigengev^ebe  nur  secundär  veranlasse,    der  da- 

14* 


212  ASTHMA 

her  bei  bestehendem  Lungenemphysem  auch  fehlen  kann.  Die  Respiration 
60II  hierbei  habituell  ersch\\"ert,  jedoch  aufallsweise  intensiv  noch  ers<l:hvver- 
ter  seyn  als  zu  andern  Zeiten.  Das  Fieber  soll  fehlen,  der  Puls  regel- 
mässig, die  Hautfarbe  und  das  Ansehen  des  Körpers  natürlich,  im  höhern 
Grade  der  Krankheit  erstere  aber  glanzlos ^  erdig  von  Ansehen,  hier  und 
da  ins  Violette  spielend  erscheinen.  Die  Lippen  sind ,  nach  Lnennec ,  dick, 
geschwollen,  violett  gefärbt,  dabei  ist  habitueller,  seltener,  sch\N acher, 
trockner  oder  feuchter  Husten ;  leidet  nur  die  eine  Seite ,  so  ist  diese  volu- 
minöser als  die  andere  (also  gerade  das  Gegentheil ,  wie  bei  Phthisis  pulm. 
exulcerata ,  wo  die  am  meisten  leidende  Seite  der  Brust  platt  und  eingefal- 
len ist,  A/.);  leiden  beide,  so  soll  der  Thorax  fast  cylindrisch  gestaltet  er- 
scheinen. Das  Stethoskop  zeigt  die  Abwesenheit  der  Respiration  im  gröss- 
ten  Theile  der  Brust,  und  wo  sie  noch  stattfindet,  nur  schwach,  wenn 
gleich  sie  bei  der  Percussion  (bei  Anwendung  des  Piorry'schen  Plessimeters) 
sonor  ist ;  dabei  soll  man  ein  seltenes ,  leichtes ,  pfeifendes  Rasseln  verneh- 
men ,  und  hierdurch  das  Lungenemphysem  von  allen  andern  organischen 
Brustleiden,  den  Lungenkatarrh  und  das  Austreten  von  Luft  in  die  Pleura 
ausgenommen,  unterstützen  können.     Die  Cur  hält  Lnennec  für  unmöglich. 

Asthma  aereum  n  phjsothornce ,  pneumüthornce.  Man  könnte  diese  Art 
von  Asthma  auch  Ti/mpanitis  thoracica  nennen.  Die  Luft  ist  hier  aus  den 
Lungen  in  die  Brusthöhle  extravasirt,  wozu  Stich-,  Hieb-  und  Schusswun- 
den der  Lungen ,  heftige  Brustcontusionen ,  die  nach  innen  hineinragenden 
Enden  gebrochener  Rippen ,  die  Lungen  und  Pleura  verletzten ,  Veranlas- 
sung geben.  Dass ,  wie  A.  Dimcan  noch  neuerlich  behauptet  hat ,  auch  ein 
nach  aussen  sich  öffnendes  Lungengeschwür  (Empyema)  das  Übel  anregen 
könne,  ist  gegen  die  Erfahrung,  weil  hier  Entzündung  und  Verwachsung 
mit  der  Pleura,  sodass  sich  eine  Brustfistel  bildet,  vorhergegangen  ist  (To//). 
Symptome.  Schmerzhafte,  suffocatorische  Brustbeklemmimg,  Orthopnoe, 
Gefühl ,  als  würden  die  Lungen  beim  Ausathmen  nach  oben  getrieben ,  als 
schwämmen  sie  im  Wasser;  dabei  schwacher,  langsamer  Puls;  der  Kranke 
kann  nur  auf  der  gesunden  Seite  liegen;  Abvvoaenheit  des  Respirationsgeräu- 
sches in  der  kranken  Seite  der  Brust  bei  Application  des  Stethoskops ,  man 
hört  durch  dasselbe  einen  mit  dem  In-  und  Exspiriren  correspondirenden 
rinnenden  Ton  (^Duncan} ,  emphysematisches  Anschwellen  der  äussern  Brust, 
ja  des  grössten  Theils  des  ganzen  Körpers  (Emphysema  cellulare).  Die(5e 
Symptome  sichern  die  Diagnose  vollkommen;  der  Verlauf  des  Übels  ist 
acut,  und  wenn  Fractura  costarum  Schuld  ist,  erfolgt  Erstickungstod  oft 
schon  binnen  wenigen  Stunden.  Cur.  Richtet  sich  nach  den  Ursachen 
und  nach  den  Grundsätzen  der  Chirurgie.  (Als  ein  wichtiges  Mittel  bei 
Emphysema  cellulare  versäume  man  nie,  Einschnitte  in  die  Haut  zu  machen, 
um  die  extravasirle  Luft  herauszulassen,  dies  ist  ein  grosses  Palliativ;  M.). 

Asthnin  puhcrulentum ,  (/i//wcuhi  ,  monlannm ,  S  t  a  u  b as  t  h  m  a.  Entsteht 
bei  Müllern,  Bäckern,  Steinmetzen,  Friseurs,  bei  Bergleuten,  Maurern, 
Gyps-  und  Kalkarbeitern,  in  sandigen  Gegenden,  daher  in  Arabien  ende- 
misch, durch  Ablagerung  des  in  der  Luft  schwebenden  und  eingeathmeten 
Staubes  in  den  Bronchien  in  der  Gestalt  kleiner,  die  letztern  verstopfender 
Klümpchen.  Es  entsteht  bei  solchen  Leuten ,  die  sich  fast  beständig  is 
solcher  Luft  aufhalten  müssen,  allmälig  habituelle  Engbrüstigkeit,  die  sich 
durch  Bewegungen  vermehrt,  mit  Husten  und  später  mit  Auswurf  von 
Schleim,  von  jenen  Klümpchen,  ja  selbst  von  kleinen  Steinchen  verbunden 
und  oft  sehr  langwierig  ist.  ßlutspeien,  Peripneumonie,  Phthisis,  Stickfluss 
.sind  nicht  selten  die  Folgen  davon.  Cur.  Prophylaktisch  schützt  das  Tra- 
gen eines  nassen  Flors  vor  Nase  und  Mund,  öfteres  Ausspülen  des  Mundes, 
öftere  Niesemittel,  was  Allen,  die  im  Staube  arbeiten  müssen,  anzurathen 
ist.  .Ist  das  Übel  schon  da,  so  verordne  man  zur  Beförderung  der  Expecto- 
ration  3  —  4  Stunden  langes  Einathmen  warmer  Däni|)fe  von  Rad.  althaeae, 
lifiuirit. ,  gramin.  mit  kochendem  Wasser,  darauf,  wenn  nicht  schon  quälen- 
der Husten,  wie  beim  Asthma  der  Kalkbrenner,  Maurer,  Bergleute,  Gyps- 
arbetter  etc.,    da  ist,    Essigdämpfe   (5J  Essig  in  31V   kochendem  Wasser); 


ASTHMA  213 

noch  wirksamer  sind  Brech  -  and  Niesemittel ,  auch  andere  Expectorantia, 
z  B.  Sulph.  aurat. ,  Elix.  pector.  Ph.  D.  und  Oxym.  squillit.  efc. ,  nach 
den  Wasserdämpfen.  Niemals  versäume  man  bei  Anfallen  von  Erstickung, 
Pneumonie ,  Pleuritis  occulta ,  wenn  das  Athmen  ängstlich ,  das  Gesicht 
bläulich  ist,  gleich  anfangs  einen  Aderlass.  Viele  ölige,  schleimige  Getränke, 
Entfernung  aus  der  Staubatmosphäre,  und  zum  Schluss,  um  die  Lungen  zu- 
stärken,  Liehen  islandic.  und  Pyrmonter  Brunnen,  viele  sanfte  Bewegung  in 
reiner  Luft,  besonders  im  Sonnenscheine,  unterstützen  die  Cur  dieses  mehr 
beschwerlichen ,  als  gefährlichen  Übels. 

Asthma  rneialUcuin ,  Bergsucht.  Entsteht  bei  Arbeitern  in  Bergwer- 
ken und  Schmelzhütten  durch  Einathmen  der  Dämpfe  von  Blei,  Quecksil- 
ber, Spiessglanz,  Arsenik  etc.  Symptome.  Allmälig  zunehmende  Be- 
schwerden der  Respiration,  trockner,  stockender  Husten,  später  Herzklo- 
pfen ,  Angst ,  Erstickungsanfälle ,  intermittirender  Puls ,  daneben  die  eigent- 
lichen Zufälle  der  Blei-,  Quecksilber-,  Arsenikvergiftung,  die  oft  nur  all- 
mälig unter  allgemeiner  Abmagerung,  Dyspepsie,  dürrer,  trockner  Haut, 
Erdfarbe  des  Gesichts ,  Hautausschlägen ,  Leibesverstopfung ,  Paralysen, 
Alopecie  etc.  auftreten.  Der  Tod  erfolgt  meist  durch  Stickfluss  oder  Lun- 
geneiterung. Cur.  Öfteres  Einathmen  erweichender  Dämpfe,  innerlich  De- 
coct.  althaeae,  liquirit. ,  viel  Honig,  Zuckerwasser,  Schlangenbader  Brun- 
nen, Emulsionen  aus  Gumm  arabicum,  Mandel-,  Lein-,  Mohnöl,  bei  Lei- 
besverstopfung Ol.  Ricini,  bei  Hustenreiz  mit  Opium,  Extr.  hyoscyami;  bei 
entzündlichen  Brustanfällen  kleine  Aderlässe ;  auch  nützt  der  Genuss  vieler 
Eier,  der  Milch,  des  Honigs,  bei  Schwäche  Liehen  islandic;  die  Haupt- 
sache bleibt  die  Behandlung  der  Vergiftung  durch  die  specifischen  Gegen- 
mittel; s.  Colica  saturnina  und  Intoxicatio. 

Asthma  e  causn  sjiecificn.  Wird  erregt  durch  Geschwüre,  Tuberkel  in 
den  Lungen  (^Horji's  Archiv,  1823,  Mai  und  Juni,  S.  446),  durch  Phthisis 
pituitosa ,  Lues  larvata ,  durch  ^  enerische  Exostosen  der  Rippen  und  da- 
durch verursachten  Druck  auf  die  Lungen ,  durch  Metastasen  von  chroni- 
schen Ausschlägen  und  Geschwüren ,  durch  vertrocknete  Fontanelle ,  durch 
Missbildungen  des  Thorax,  Scropheln,  durch  Febris  intermittens  larvata,  Ad- 
häsionen zwischen  Pleura  und  Rippen ,  Verengerung  der  Bronchien ,  Brust- 
wassersucht, Catarrhus  pulmonum,  durch  Pneumonie,  Melanosen,  steinige, 
kreideartige ,  knochige  Productionen  in  der  Lunge ,  Zwerchfellseingeweide- 
brüche etc.  Cur.  Da  hier  das  Asthma  nur  Symptom  des  Grundübels  ist, 
so  beruhet  Alles  darauf,  letzteres  zu  heben:  alsdann  verschwindet  das 
Asthma  von  selbst.  Leider!  sind  aber  manche  Fehler  der  Art  (und  daher 
auch  das  Asthma)  unheilbar.  Man  suche,  wo  möglich,  die  specifische  Ur- 
sache zu  heben,  vergesse  aber  dabei  nie,  reizmildernde,  antispasmodische 
und  expectoi'irende  Mittel,  z.B.  Opium,  Extr.  hyoscyami,  lactucae  virosae. 
Aqua  laurocerasi,  Emuls.  amygdalarum  etc.  zu  verordnen,  da  sie  dem  Kran- 
ken Ruhe  und  Erleichterung  verschaffen. 

Asthma  urinosnm.  Ist  die  Folge  verminderter  Harnabsonderung  bei  al- 
ten Leuten»  Es  zeigt  sich  zuerst  Ödem  der  Füsse ,  welches  sich  aber  wie- 
der verliert,  und  nun  treten  asthmatische  Zufälle  ein.  So  alterniren  die 
geschwollenen  Füsse  und  das  Asthma  oft  längere  Zeit.  Die  Kranken  lassen 
wenig  Harn,  leiden  an  Hautjucken,  herpetischen  Ausschlägen;  dies  A.sthma 
ist  feucht,  geht  oft  in  Hydrothorax  über.  Cur.  Hier  passen  Expectoran- 
tia mit  Diureticis,  z.  B.  Gummi  ammoninc,  Fitell.  ov.  trit.  5j.i-  -^7-  f^tro- 
selin. ,  —  jmnperi  ana  3Jjj ,  Oxym.  squiUit.  gjj.  M.  S.  Alle  zwei  Stunden 
einen  Esslöffel  voll.  Auch  Pulver  aus  Nitr.  mit  Pulv.  millepedum  und  bac- 
cae  juniperi  ist  sehr  wirksam,  desgleichen  Ol.  terebinth.  mit  Succ.  juniperi 
inspissat.  und  Tinct  opii  (jf'o/<);  Fussbäder  mit  Asche,  Senf,  Sinapismen, 
Vesicatorien  an  die  Beine.  (Sollten  diese  nicht  leicht  erysipeiatöse  Entzün- 
dung und  brandige  Geschwüre  in  diesen  Fällen  erregen  ?  M.). 

Asthma  a  dilatntione  prneternaturali  Ironchinrmn.  Asthma  als  Folge  ei  - 
ner  Erweiterung  einzelner  oder  auch  aller  Bronchialäste ,  herbeigeführt 
durch  chronische  Katarrhe,  Keuchhusten.     Symptome.    Asthma,  habituel- 


214  ASTHMA 

ler  Husten,  copioser,  gelbbräunlicher,  elterformiger  Auswurf,  Pectorilociuie 
bei  Application  des  Stethoskops  im  ganzen,  der  afficirten  Partie  entspre- 
chenden Umfange  der  Brust,  wodurch  sich  das  Übel  von  Exulceratio  pul- 
monum unterscheidet  (^Laennec/).  Cur.  Gelingt  wegen  der  .<ch\^ierigen 
Diagnose  des  Übels  selten,  ist  auch  wol  häufig  ohne  Erfolg.  Ist  das  Übel 
nur  Folge  der  Erweiterung  einzelner  Bronchialäste,  so  sind  alle  be.-cliriebe- 
nen  Symptome  gelinder  und  die  Menschen  können  dabei  oft  ein  hohes  Alter 
erreichen. 

Asthma  piluilosum,  humidmn ,  feuchtes  Asthma,  Schleimasthma. 
Dieses  Asthma  erscheint  periodisch,  gewöhnlich  des  Nachts;  die  Brust  \\ird 
mit  einem  Mal  sehr  beklemmt,  so  dass  der  Kranke  mit  Anstrengung  ath- 
men  muss;  er  röchelt,  wird  heiser,  der  Puls  ist  klein,  ungleicli,  intermitti- 
rend ,  Hände  und  Füsse  werden  kalt,  das  Gesicht  roth,  blau,  die  Augen 
werden  hervorgetrieben ;  der  Husten  ist  anfangs  trocken  und  erleichtert  w  e- 
nig,  wird  aber  gegen  Ende  des  Anfalls,  dessen  Dauer  1  —  2  Stunden,  In 
seltenen  Fällen  24  Stunden  und  mehr  beträgt,  feucht;  es  erfolgt  ein  copiö- 
ser  Auswurf  eines  zähen ,  oft  mit  Blut  vermischten  Schleimes ,  wodurch  die 
Brust  wieder  freier  wird.  Nach  und  nach  vermindert  sich  die  Schleimaus- 
leeruiig,  mit  der  sich  zuweilen  auch  Würgen  und  Erbrechen  verbindet,  und 
der  Kranke  ist  bis  zum  nächsten  Anfalle  anscheinend  gesund.  Das  tH^el  be- 
fällt vorzüglich  gern  alte  Leute,  bei  denen  die  Function  der  Schleimhäute 
präponderirt,  und  der  Schleim  wol  qualitativ  abgeändert,  vielleicht  scharf 
wird ,  und  dadurch  die  in  der  Lumgensciileimhaut  verbreiteten  zarten  Ner- 
venäste des  Vagus  etc.  reizt;  der  Tod  erfolgt  häufig  bei  inveterirtem  LTbel 
durch  Phthisis  pituitosa,  allgemeine  Wassersucht,  Stickfluss.  Je  länger  ein 
heftiger  Anfall  dauerte ,  desto  länger  bleibt  ein  neuer  aus ;  im  Winter  kehrt 
das  Übel  häufiger  wieder  als  im  Sommer ;  Veranlassungen  dazu  sind :  Gal- 
lenreiz, allgemeine  Blennorrhoe  des  Magens,  der  Gedärme,  Haemorrhoide.* 
mucosae,  Fluor  albus,  Arthi'itis,  Scrophulosis ,  unterdräckte  Diaphoresis, 
übermässiger  Genuss  von  Kartoffeln,  Mehlspeisen,  Kaffee,  Überladung  mit 
Speisen,  Missbrauch  geistiger  Getränke,,  unterdrückte  Fussschweisse,  schnell 
geheilte  alte  Geschwüre,  schlechte,  feuchte  Luft,  giftige  Stoffe  in  der  Atmo- 
sphäre, z.  B.  bei  Metallarbeitern,  Bergleuten,  öfters  überstandene  Brustka- 
tarrhe, nasse  Frühlings-  und  Herbstluft.  Cur.  Palliativ  bei  den  Vorbo- 
ten, zur  Verhütung  des  Anfalls,  sowie  bei  Gallenreiz,  Schleim  und  Crudi- 
täten ,  die  sich  durch  Druck,  Beängstigung  in  den  Präcordien ,  durch  Ekel 
und  Widerwillen  gegen  Speisen  zu  erkennen  geben ,  passt  ein  Vomitiv  aus 
Ipecacnanha  ^j  mit  Sulp,  aurat.  gr.  jjj ,  dasselbe  schwächt  und  kürzt  den 
Anfall  ab ,  und  ist  insofern  auch  ohne  Zeichen  von  Sordes  als  erschüttern- 
des, antispasmodlsches  und  expectorii-endes  Mittel  nützlich;  ist  der  Kranke 
sehr  schwach,  so  kann  man  die  Ipecacnanha  in  kleinen  Dosen,  alle  halbe 
Stunden  '/j  Gran,  geben.  Ist  Erkältung  Schuld,  so  nützen  innerlich  Kam- 
pher, ein  Vesicator  zwischen  die  Scludtern;  auf  die  Brust  und  in  die  Ma- 
gengegend blutige  Schröpfköpfe,  Klystiere  von  Ipecac.  (jjjj  mit  6  Unzen 
Wasser  infundirt).  Als  allgemeines  Palliativ  rühmt  man  das  Einathmen  von 
Naphtha  vitrioli,  auf  ein  warmes  Eisen  getröpfelt,  einige  Tassen  starken 
schwarzen  Kaffee,  einen  Julep  aus  Kampher  mit  Opium.  Man  vergesse  aber 
bei  blaurothem  Gesicht  und  soporösen  Zufallen  den  Aderlass  nicht ;  dieser 
muss  stets  vorhergehen,  ehe  man  hier  die  wrksamen  Mittel:  Kampher, 
Opium  etc.  giebt.  Die  Hauptsache  bleibt  die  Radicalcur.  Man  berück- 
sichtige und  entferne,  wo  möglich,  die  occasionellen  Momente,  gebe  nächst- 
dem  Resolventia  und  Expectorantia  ,  vorzüglich  Gummata  ferulacea ,  z.  B. 
Folgendes:  ^  Gumm.  ammovinci'^^y ,  Vüell.  oviN.  ]^  Aquae  foeniciiU ,  Ojryni. 
squillit.  ana  ^jjfv.  M.  S  Alle  drei  Stunden  %  Esslöffel  voll.  Oder  diese 
Mischung :  I^  Gumm.  nmmon. ,  Snpon.  hispan. ,  Extr.  mnmibii ,  —  nvjrrh. 
nquos. ,  —  nioes  fiqtios  ,  —  vnlerinnac  ana  3j ,  Tart.  emctici  in  nq.  dcstill. 
q.  Ä.  sohiü  gr.  vjjj.  M.  exact.  fiant  pil.  gr.  jjj.  consp.  lycop.  S.  Dreimal 
täglich  8  — 12  Stück.  Auch  das  Extr.  helenii,  in  Vin.  stibiat.  gelöst,  ist  • 
recht   wirksam.      Bei  starken   Biertrinkern    und    schleimigen   Constitutionen 


ASTHMA  215 

pasfsen  besonders  PUlen  aus  Asa  foetida,  Flur,  ziiici  und  Extractum  inille- 
fülü,  wie  beim  Asthma  spasticum '  adultorum.  Auch  ibt  folgende  Mischung, 
besonders  bei  scrophulöseu  Weibern,  gut.  ^r  Gumm:: oattßni  5jj,  nolve  in 
A6eti  squiUit.  jjj,  Spirit.  Mindureiri '^ü ,  Spir.  nUri  dulc,  'S]-,  Syr.  aUhuenc  31^, 
ThöelöITel weise.  Desgleichen  J[^£«fr.  nnycUc..,  —  heleiiü  ana  3tv,  Crbci  -^j,  - 
Auhe  in  Tinct.  galhani^}^  M.  S.  Viermal  täglich  40  —  50  Tropfen.  Da  der 
Krajike.  periodisch  auch  ausser  den  Anfällen ,  besonders  des  Morgens  beim 
Erreichen,  vielen  Schleim  auswirft,  so.  kann  lUijn  ihm  oftj  einen  guten  Tag 
bereiten,  wenn  man  Abends  spät  und  Morgejis  fruh.'/z  Esslöffel  voll  YO» 
folgeaidem  Brustsaft  neluuen  und.  warmen.  Thee  von  Spec.  lignor.  nachtrin- 
ken lässt:  I^  Sulph,  aur.ali  gr.  vjjj:,  Gumm.  tnimos.  5jj  *  ierenil.  ndsce  cum 
Aq.  meliss.,  Oxym.  sqtällit.  ana  ^\l,  Syr.  Uijuirit.  5J.  M  Während  des  Ta- 
ges gebe  man  anfanglich  auflöseride,  dann  .zusammenijiehtinde ,  stärkende 
Mittel,  wenn  sie  die  Engbrüstigkeit  nicht  vermehren,  z.  ßt  ly  GfHJiMii.  um-  \ 
momaci,  Stil,  niiimon.  depifm.  ainä  3j»  SuJph;  aurtiii  gr.ty, yieremlo  misce  cum 
Gwmni  mimos.,  Sticci  liquir.  äna  5j »  Aquae  foenicult  y.']}},  Syr.  papav.  rh. 
3J,  Ejctr.  hjoscynmi  gr,.  ivj  M.  S.  Stündlich,  einen  Esslöffel  voll.  Verträgt 
dfer  Kranke  dieses  Mittel,  so  kann  man  aämälig  zu  Senega,  Polyg.  amar. , 
Rad.  cälam. ,  Pimplnell. ,  i  Rad.  galangae,  zu  Liehen  islaiidic. ,  China  und 
Quassia  übergijhen;  dann  nützt,  auch  Eisensalmia'k  mit  Extr.  myrrhae,  Stahlr 
wein:  mit. Quassia,  z.  B.  l^  Pidv.  lujni  ijunssine  gross.  <pulvy  Ferri  jruri  ixiiA 
5J.,.  iufuvde  Villi  rhcnimi  boui  ftjj.,  diyer.  per  )]]  dies  snepius  ayilatido.  S^ 
Täglich  dreimal  2  Esslöffel  voll;  auch  Ferrum  sulphuric.  in  anfiänglich  klei- 
nen Dosen  ;.  daneben  >SdiGr-,  iNeiuidorfer- ,  Driburger- y  Pyrmont erwasser. 
Man  ^mpüehlt  auch  da»:Einathmen  des  Sauerstöffgasesi,'  den  Kam^her  mit 
Pulvis  stomachicus  BirkmannJ  oder  Sijuilla,  eine  Mischung  aus  Castdreiuro, 
Baldrian  und  Squilla  (X«?)ito)  ,  enfllich  Oxym.  colchici,  besonders  bei  Arthri-' 
tischen.     Bei  alten  Leuten  ist  nur  palliative  Hülfe  möglich. 

,  Asthma  ex  dehiVitntt- pubnonumt  Soll  :iiuf  blosser  Schwäche  tind  i Et'- ' 
scbla^ffwtg  decLungciiIlyeruhieu^  existirfc  aljer-wol  nicht  rein,  souderi»  tuehi- 
compllcirt  mit  andern  Arten  des  AstÜnui ;  oder  die. Schwälclie  der'  Lungen. .Jst 
Folge  allgemeiner  Köcperschwäclie  ,■  niach,.  übepstslndeneii  B^TUStübel«  '  .etc. 
Hier  passt  gute  animalische  Kcst,  China.  :  Auch  hei:  chronischeih  AstÜinW' 
pituitosum  ist  Lungehschwäche  augegen,.  wogegen^  die:dojrt  sciion  angj^^'j^linj- 
nen  Jloboraritia,  Expedtoräntia  passen.  ;     /.  '.  'i--'    '"'  '  'i  n,,   .  -  : 

.Die  nun  folgenden  Arted  des  Asthma  recluiet  Ätali  ^alle  Zu  dem  Anthma. 
sympathicum.  (Doch,  hit  diese:  Eintlieilung  auch  ihre  Mtingel;  so  z.  B.-  kanij 
man  melirere  Arten  deA  Afetlmia  -nocturnum,  des  A.  urinösum.  kypochondria^ 
cum,  hyjitericum  eher,  uiiter  das  sympathische  als  unterüdäs'ididpathis^hiB 
Asthma,  wie  Hr.  D.  ToU  gethan  hat,  rechnen.  Most),  .io  .'■  :  /:  ^;  ;.  i 
,  Asthma  uhdominale..  Hämoi-jrhoidalcohgestioiien.j..  Menstrual  -  und  Lo- 
chialstörungen ,  gallig  4  blutige'  liifai-cted,  Würmeir,  Phjislconien,  Milz-  und 
teberverhärtungen  j  sHydrops:  ascites,  Rheumatismus  jii^jjhragmatis ,  Vtfi'-. 
schluckter  Olqualm,  Unterleibskrämpfe  etc.  erzeugen  Asthma  mit  trocknem,'' 
fiieSein  Husten,  oft  nur  i  kurzem' Anstossen,  welches  dürch^  starke  Körp^rbe- 
v»egung  niiiht  vermehrt.,  oft  Vermindert  wrdv  bedeutend  i«e'-  und  inte'iimit.'-'i 
tirt,  wobei .  heftige  Kopfistihmeraen  ^  Schwindel ,  i  starkes  Klopfen  der  KBrüti- 
den,  Angst  in  den  Prädordien»,  Dyspepsie,  unregeEmässige  Kothausleerimg, 
Verstopfung,  Druck  im  Leibe,  spannendes  Gefühl  längs  dem  Zw ejfchfeUe, 
unregelmässiger  intenrnttirendec  Puls  stattfinden.  Das  : gekrümmte  Sitzen' 
beim  Schreiben,  der, :G.fenusä,  bläliehdferi Speise!«  und jLeJbesverstopfang  ver- • 
mehren,  freie  Dai-mausleerungen,  Bewegung- im  Fi-eien  durch  Gehen  erleich- 
tern dagen  die  Besr-hwerdien.  Cur.  Sie  richtet  sichi nach  den  zum  Grunde, 
liegenden  Abdorainalübeln.  '  Bei  Magenschwäche  und  dadurch  consensuell  er^ 
aeugtem  Asthma  passen  Antispasmodica ,  die  Behandlung  der  Kardialgie,  erst 
späterhin  Amara ;  beim  Asthma  von  verschlucktem  Öldampfe ,  woran  die 
Tuchmacher,  Wollespinner  oft  leiden  {Asthma  fiillommi) ,  leisten  Brechmittel 
aus  Sulph.  aur.  gr.  jj,  Rad.  squillae,  Sacchari  a'na  gr.  xj j ,  schnelle  Hülfe; 
dann  eine  Laxanz  aus  Infus,    sennae    uiid  Sai  Glauben,    näciistdem  drei  bi» 


216  ASTHMA 

vier  Tage  lang  Kali  carbonic.  mit  Acet.  squillit.  saturirt,  und  hinterher  al- 
lenfalls noch  einmal  das  oben  genannte  Brechmittel;  am  Schlüsse,  wenn, 
keine  schadhaften  Stoffe  mehr  ausgeworfen  werden,  magenstärkende  Mittel. 
(Zeller  beschreibt  [s.  Kleineres  Repertor.  1827.  Hft,  3.  S.  73.]  ein  endemi- 
sches Asthma  der  Rhönbewohner,  woran  dort  fast  jede  Familie  leidet.  Die 
vorzüglichste  Ursaclie  sucht  er  in  dem  nebligen,  feuchten  Klima  und  der 
Beschäftigung  mit  der  BaumwoUenfabrication,  so  wie  in  den  Nahrungsmitteln. 
Er  lobt  besonders  Folgendes:  lyr  Herib.  salviae  §fy,  —  rorismar.  5jjj)  —  »"«- 
joran.  5jj  Coq.  leniss.  in  vns.  iect.  c.  Aq.  fontcin.  §vjjj.  Col.  nildc  Extr. 
marruh.  5jjl>,  —  inraxaci  5jjj,  Meli,  despiim.  53.  M.  S.  Stündlich  einen  Ess- 
löffel voll.  Zugleich  lässt  er  Thee  von  öriganum  vulgare  und  Vaccin.  vitis 
idaea  trinken.  M.). 

Asthma  siccum  s.  ohesorum,  entsteht  bei  Leuten,  die  zur  Fetterzeugung 
neigen;  s.  Adiposis.  ,  ,    ' 

Asthma  plcthoricum.  Folgt  auf  Unterdrückung  der  Hämorrhoiden,  der 
Lochien,  der  Menses.  Symptome.  Starke  Congestion  zum  Kopfe,  nach 
der  Brust,  Odem  der  Hände  und  Füsse,  •  bei  Hämorrhoidalasthma  starker 
Schleimauswurf,  Entzündungen  innerer  Organe  und,  Jspäter  nicht  selten  Tod 
durch  Schlagfluss,  Stickfluss.  Cur.  Aderlässe ,:  kühlende ,  säuerliche  Ge- 
tränke, Derivantia  und  örtliche  Attrahentia,  um  die  unterdrückten  Blutflüsse 
wiederherzustellen.  Befällt  das  Übel  alte,  an  Blutehtziehungen  -gewöhnte 
Leute ,  Amputirte ,  Frauen  im  Greisenalter  ,  wo  es  chronischer  Art  verläuft, 
obgleich  ebenfalls  voller,  starker  Puls,  Congestionen  nach  Kopf  und  Brust, 
Ödem  der  Glieder  da  sind ,  so  muss  zwar  anfangs  auch  zur  Ador  gelassen 
vserden,  doch  muss  man  dahin  trachten,  dass  die.  Venaesection  für  die  Folge 
durch  Enthältung  von.  allen  Gewürzen,  hitzigen  Getränken,  dem  Salze,  durch 
fleissige  körperliche  Bewegung ,  kurzen  Schlaf, ;  bei  Congestionen  durch  in- 
terponirte  gelinde  Laixahzen"  kühlender  Ar,t,  durch  laue  und  nach-und  nach 
kältere  Bäder  entbehrlich  gemacht  werde,  um  die  Plethora  durch  unnöthige 
Schwächung  des  Gefässsysteras  mitteis  der  vielen  Aderlässe  nicht  zu  Iver- 
mehren,  sondern  ridical  zii  heilen.    :S.  Cohg.estiö.  '  ,(;  mo 

Asthma  arthriiicumJ^  Das  gichtische  Asthma  muss  wohl  von  Angina  peqfo-' 
ris  durch  den  dieser  eigenthümlichen  Verlauf  unterschieden  werden.  Es  kann' 
als  Asthma  spasticum  und  pituitosum  auftreten  und  ist  Folge  der  verhalte-, 
nen,  atonischen  oder  retrograden  Gicht,  indem  die  Gichtmaterie  die  Liin- 
genhäute  und  Nerven  befeindet  undi ■sie  entweder  Äu  rein  spastisdien  oder 
spastisch  -  pituitösen  Affectionen  reizt.  Cur^Die  Radicalcur  ist  die  der  Ar- 
thritis retenta,  atorüca  und  retrograda  (s.  diese.  Attiköl).  Palliative  Hülfe^ 
während  des  Anfalls .  geben  ,  die  oben  bei  Asthma  convulsivurn  Tind  hu'midum 
angegebenen  Mittel.  4    ',.      .  !      , 

Asthma  rAe«m«ftcwm.  -  Entsteht  ebenso ,  wie  das  Asthma  arthriticum, 
metastaticum ,  e  scabie.repulsa  etc.  Cur.  Richtet  sich  nach  dem  vorwalten- 
den Charakter  de^  Übels  im  Anfalle,  ausser  demselben  muss  sie  gegen  die 
Aufhebung  der  Metastase  gerichtet  seyn.  >      '    .  "    . 

Asthma  e  dyscrnsia  venosa ,  Asthma'  von  eirhöhter  Venosität. 
Kommt  vor  bei  Leuten,  Vvelche  viel  sitzen  und  bei  denen  isich'diei  Hämor- 
rhoiden bilden  wollen;  überhaupt  da,  wo  eine  Präponderanz  des  Veu«i- 
sjstems  vorauszusetzen  ist:  bei  Hypochondristen,  Hysterischen ,  Scorbuti- 
schen,  bei  Fettleibigen,  im  Stadium  praeparans.  )der  Gicht,  weshalb  auch 
das  Asthma  ab  arthritide  retenta  hierher  gehörft,  lEs  ist  die  Folge  entwe- 
der einer  vorübergeheiidbn ,  aber  wiederkehrenden  Anhäufung  von  Bhit  im 
Centrum  der  Venen  (der  Vena.  cava_snpeifiar,  inferior,  der  Arteria  pulmo- 
nalis ,  ja  im  Herzen  selbst  (?M.))  ;  oder  eiher 'übermässig  veiiösen  Mi- 
schung des  Bluts,  'Welches  nicht' im  Stande  ist,!  die  nervigen  und  itri- 
tablea  Gebilde  der  Respirati<l«isorgane  so  kräftig  Anzuregen,  wi^  es  zum 
normalen  typischen  Voftstattehgehen  der  In  -  und  Ex^pirationsactc  erforder- 
lich ist.  Die  Kranken  eJBpfinden  das  Bedüi-fniss,  mehr  Luft  einzuathmen 
als  geboten  wird  ((JtndtJ)'«  Lufthunger);  sie  athraen  daher  auch  unwillkürlich 
tief,  seufzend  (aber  ohne  psychische  Nebenempfindung) ,  und  sie  fühlen  nach 


ASTHMA  217 

solchen  Athemzügen ,  wie  der  Durstende  nach  genommenem  Getränke ,  Er- 
quickung. Oft  fühlen  sie  dabei  auch  das  Bedürfniss,  sich  recht  lebhaft  zu 
bewegen,  und  dies  erleichtert  (allerdings ,  wenn  es  von  Mangel  an  gehöri- 
ger Oxydation  des  Bluts,  von  Überfluss  an  Kohlenstoff  und  daher  entstan- 
dener schwacher  Irritabilität  der  Respirationsorgane  herrührt.  M.).  Es  zeigt 
sich  entweder  trockner  Husten,  ein  -  bis  zweimal  täglich,  der  in  der  Wärme 
nnd  im  Zimmer  häufiger  als  in  freier  Luft  und  in  der  Kälte,  zuweilen  feucht 
ist,  und  als  Symptom  der  Phthisis  pituitosa  erscheint;  dabei  Gefühl  von 
Vollbeit  auf  der  Brust,  das  durch  jenen  Husten  weggeschafft  wird,  drücken- 
der Schmerz  und  Engbrüstigkeit,  starke  Schweisse  auf  der  Brust;  nicht 
selten  stellen  sich  auch  alle  übrigen  aus  erhöhter  Venosität  entspringenden 
Krankheiten  ein.  Der  Verfasser  dieser  Abhandlung  (Dr.  Tott}  litt  längere 
Zeit  an  diesem  Übel.  Er  beobachtete,  ausser  den  genannten  Symptomen» 
an  sich:  den  rheumatischen  ähnliche  Schmerzen  in  den  Gliedern  und  fast  in 
allen,  selbst  den  Innern  Theilen  des  Körpers,  ScHleimabgang  per  annm, 
Kitzelhusten,  der  selten  eintrat,  beständige  Rauhigkeit  im  Halse  mit  Nei- 
gung zum  Räuspern ,  Abgang  von  harhsaurem ,  oft  ins  Rosenrothe  spielen- 
dem Griese  mit  dem  Urine,  hur  seltenen- und  schwachen  Abgang  von  Blut 
durch  den  After,  Congestionen  zum  Kopfe,  ein  dem  Alpdrücken  ähnliches 
Gefühl,  Ängstlichkeit,  Abgeschlagenheit  der  Glieder,  flüchtige  Stiche  in 
denselbjen,  Sensus  formicationis,    oft  Unruhe  vor  dem  Einschlafen*). 

Lnennec  und  Troschel  (15.  «•  Griife's  und  u.  Wallher^s  Journ.  f.  Chirur-J 
giQ  ü,  Augenheilkunde,  18:^8.  Bd.  II.  Hft.  4,)  beschreiben  ein  Übel,  wfelches 
sie  mit  dem  Napien  L^ngfepappplexie  (^;)0;)/ed7trt  p!</monMjri)  belegen,  un^d 
welches  auch  in  .die, Kategorie  des- Asthma  :  g'ehört.  Symptome  desselbpn 
sind:  heftige  Brustbeklemmung,  ausserordentlich  kurzer ,  häufiger  Athem, 
bleiches  Gesicht ,  J\Iangel  £^n  Spraqhe ,!  Hxi^ten  mit  Reizung  im  Larynx ,  öf- 
ters mit  ziemlich  sfarkeu ,  selbst  Stechenden  Schiperzen  in  der  Brust ,  mit 
Blutaiisvvurf  (oft  fehlt  letztejrer  ijnd  der  Kränke .  stirbt  dennoch  schnell), 
das,  ausgeworfene'  Blut  ist  nicht  selten  mit  Schleim ,  mit  Speichel  gemischt 
und  entweder  flüssig  oder  Schäbinig;  der  Tod  erfolgt  sehr  häufig  (die  Lei- 
chen sin^  oft  A  6n '  der  Stirn  bis  über  die  Brust  schwarz  gefärbt,  es  finden 
sich  Sputen  des  auä  Mund  und  Nase  geflossenen  Bluts).  Der  Puls  der  Kran- 
ken ist  flreqüent,  ziemlich  gross,  oft  weich;  und  schwach,  nach  einigen  Ta- 
get! eigenthümlich  vibrirend,  die  Hämoptoe  ist  sehr  copiös  .  und  kehrt  in 
Zwischenräumen  als  constantes  Symptom  der  Krankheit  mit  Husten,  Brust- 
beklemmung ,  Angst ,  hoher  Rothe  oder  Blasse  des  Gesichts  und  Kaltwerden 
der  Extrenütäten  wieder.  ,  Wenn  das  B^\itspeien  excessiv  ist ,  so  tritt  es  oft 
mit  wenig  starkem  Husten,  der  von  eirtem  Aufsteigen  des  DIaphragina  wie 
bejni  Erbrechen  begleitet  ist,  ein.  Die  PerCussion  giebt  njchts  über  das 
DaSey'n  der  Krankheit  zu  erkennen,  da*' stets'  in  den  Rücken  öder- an  die 
untern  Theile  der  Brüst  Zu  setzende  Stethoskop  zeigt  Abweseriheit  der  Re- 
spil'ation  in  einem  nicht  grossen  Theile  der  Lunge ,  sowie  ein  schleimiges 
Rasseln  mit  grossen  Blasen,  welche  durth  zu  starke  Ausdehnung  öftplaitz^n 
und  dann  ein  unZweidentiges  Geräusch  hervorbringen.      Wenn  eine  Lungen- 


•)  Da  der  geehrte  Verfasser  hier  über  die  Cur  des  Asthma  aus  erhöhter  Ve- 
nosität, wuraii  derselbe  leider!  seit  Jalft«!!  selbst  leidet,  nichts  sagt,  so  füge  ich 
Folgendes  hinzu:  Hr.  Dr.  ToU  ist  ungefähr  38  Jahre  alt,  you  muskulüsem  Körperbau, 
von  Coustitutiou  venös  pnd  spas'tisich,  und  seilt  elf rgnischesi' Asthma,  welches  selbst  ein 
pa^riflal, heftige,,  dem  Stifkiluss  ä.lMfliche  Anfälle  mächte,  beruhet  ohne  Zweifel  auf 
Artbrit^  anomala,  die  bald  mehr  ^ur  Lithiasis,  bald  mehr  zur  Hämorrhoidalbildung 
neigt.'  Für  mehrere  hindert  Mark  Arzneien  aller  Art  hat  sich  Hr.  Dr.  T.  verordnet; 
alle  fruchteten  wenig;  da$  Meiste  hat  bis  jetzt  noch  eine  strenge  Diät:  Enthaltung 
aller  geistigen .  Getränke ,  des  Kaffees,  der  Genuss  einfacher  animalischer  Kost  und 
tägUche  Bewegung  im  Freien,  sowie  das  Seebad,  gethan. 

;:  .;  Der  Herausgeber. 


218  ASTHMA 

Mutanscliwellung  zugegen  ist,  bei  einfacher  Biortclualliämoptoe,  so  soll  man 
die  Respiration  im  ganzen  Umfange  der  Brust  gut,  aber  auch  das  eben  an- 
geführte Rassehi ,  doch  mit  weniger  Andeutmig  von  Blasen  hören.  Es  soll 
der  L'.mgenapoplexie  eine  partialle,  Verhärtung  als  Folge  eines  Blutextrava- 
sats,  ähnlich  der  Blutaushauchung  im  Gehirne  bei  Apoplexie,  wobei  das  Blut 
gerinnt,  z!um  Grunde  liegen  Oft  soll  im  gelindern  Grade  auch  nur  eine 
entfache  Bionchialexsudation  stattfinden.  Cur.  Aderlässe,  nach  Umständen 
wiedt-rhüli  ,  Vesicatorien,  Siuapismen  auf  die  Brust,  Ruhe,  Vermeidung  alles 
Rrhitzeiiden  u.  s.  f.  CA.  ToU. 

Nachschrift  des  Herausgebers.  Folgende  Arten  des  Asthma 
verdienen  hier  noch  erwähnt  zu  werden:  Asthma  thymicum  Koppä,  Spasmm 
</lultidis  Clarlc^  Asthma  inlermiltens  mfanium  (^Cnspari)  ,  Asthma  denlieuthtm 
(^Payenstechcr)  ,  Asthma  perlodicum  acutum.  Diese  .Kinderkrankheit ,  worauf 
vor  wenigen  Jahren  Kopp  (s.  dessen  Denkwürdigkeiten  ia  der  ärztlichen 
Praxis.  Frankfurt  1830.  I3d.  I.  Nr.  1  )  vorzüglich  aufmerksam  gemacht  hat, 
wii'd  als  Folge  einer  zu  grossen  Glandula  Thymu,s  angesehen.  Die  wesent- 
licksten  Symptome  des  Übels  .sind,  nach  Kopp  und  Caspari  (s.  Heidel- 
berger klinische  Annalen  1831.  Bd.  VIJ.  Hft.  2.  S.  233  u.  fenler),  folgende: 
periodische  Unterbrechung  des  Athendiolens ,  ein  feiner  Schrei  dabei,  Eng- 
brüstigkeit gleich  nach  dem  Erwachen,  nach  und  beim  Trinken ,  Hervor- 
tre:en  der  Zunge  zwischen  die  Lippen,  häufig  Tod  durch  Erstickung.  Die 
Ki'ankl\eit  macht  oft  täglich  \\e\&  Anfälle  von  Erstickung ,  befällt  am  mei- 
sten Kinder  im  ersten  Lebensjahre ,  von  6  bis  15  IMonaten ,  oder  in  der 
Periode  des  Durchbruchs  der  Schnei4ezähne  ,  und  tödtet  meist  plötzlich  das 
Kind  auf  den  ,Aimen  der  Wiirterin.  Cnspari,  der  dieses  Asthma  binnen  18 
Jahren  wol  SÖraal  sah  uiid  darüber  schon  im  J.  1828  der  Cheuuiitzer  ärztl. 
Gesellschaft  Mittheilungen  majchte,  unterscheidet  eine  doppelte  Form:  die 
krampfhafte  und  die  katarrhalische,  und  2  Stadien.  Im  ersten  ist 
das  Krampfleiden  lediglich  auf  die  Bronchien  beschränkt,  im  zweiten  wir^ 
das  Rückenmark  und  Gehirn  in  IVfitleidenschaft  gezogeii.  Hat  das  erste 
Stadium  den  rein  spastischen  Charakter ,  so  ist  das  Kind  ausser  den  An- 
fällen völlig  wohl,  nur  kurz  vor  letztern  bemerkt  man  Unruhe,  Angst^ 
Schreien,  Flatulenz.  Hat  es  dagegen  den  kajtarrhalischen  Charakter,  so 
geht  ihm  ein  dem  Anschein  nach  leichter  Husteji,  besonders  während  des 
Kiaschlafens,  voraus.  Nach  8 — 14  Tagen  kommen  zuerst  im  Schlafe  leichte 
"Krstickungsanfälle ,  denen  eine  mit  einem  jauchzenden  Ton  verbundene  In- 
spiration folgt.  Die  darauf  folgende  Exspiration  ist  gewöluilich  von  einem 
krähenden  Tone  begleitet,  als weijn  die  Luft  gewaltsam,  aber  mit  Unter- 
brechung herausgepresst  würde.  Das  Übel  schleicht  langsam  heran  und 
kann  mehrere  Monate  dauern.  Ich  sah  es  in  einem  Fall  über  12  Woclien 
währen ,  ehe  der  Erstickungstod  folgte.  Anfangs  zeigt  sich  oft  nur  alle 
4 — -S  Tage  ein  Anfall,  und  die  Eltern  achten  daher  ^^enig  darauf.  Später 
kommen  sie  häutiger,  selbst  täglich  mehreremal.  Das  Gesicht  erscheint  da- 
bei roth,  blau,  die  Glieder  werden  ausgestreckt,  die  Daumen  eingeschlagen, 
die  Zunge  sieht  blau  ans,  und  wird  etwas  steif,  späterhin  treten  mit  dem 
öfiern  Auftreten  der  Anfälle  Gliederkrämpfe,  Ohnmächten,  zuweilen  ein  un- 
regelmässiges  Fieber  mit  starker  Gesichtsröthe,  grosser  Hitze  und  schnellem 
Pulse  und  heftigen  Schweisijen  hinzu ,  und  der  Tod  erscheint  in  einem  sol- 
chen Anfalle  oft  plötzlich  und  ohne  Röcheln  und  Zuckungen.  Caspnri  sah 
dies  Übel  nach  5  Monaten  noch  tödtlich  verlaufen;  von  15  Kranken,  die  er 
behandelte,  genasen  nur  9,  und  auch  diese  beliielten  noch  lange  Zeit  eine 
{jrosse  Neigung  zu  Katarrhen  und  Empfindlichkeit  gegen  Temperaturw^chsel. 
Ursachen.  Prädisposition  haben  Kinder  mit  rhachitischer  und  sorophulö- 
ser  Anlage,  und  namentlich  solche  von  phthisischer  Abstammung  (^Kopp, 
(^aspari).  Die  nächste  Ursache  ist  nach  Kopp  krankhafte  Vergrösserung 
der  Thymus,  wie  dieses  zahlreiche  Sectionen  bewiesen  haben,  doch  meint 
Casjinri.,  dass  die  Vergrösserung  der  Thymus  nur  die  blosse  Folge  des  Lei- 
dens der  Respirationsorgane  sey ,  und  nimmt  sogar  das  epidemische  Vorkom- 
men dieses  Asthmas   an ,    daher  er  sagt ,     dass   das  Leiden   zwischen  Croup 


ASTHMA  219 

und  Asthma  Mlllan  m  der  Mitte  stehe.  Auch  sind  Fälle  vorgekommen,  wo 
das  Kopp'sche  Asthma  tödtlich  verlief  und  die  Section  auch  nicht  die  ge- 
ringste Abnormität  der  Thymus  zeigte  (s.  Paijenstc^-licr  in  d.  Heldelb.  klin. 
Annal.  Bd.  VII.  Hft.  4.  S  608  —  617.),  also  ein  Asthma  thymicum  non-thy- 
micum  stattfand.  Daher  hält  Pnyensfecher  nicht  dafür,  dass  der  innerste 
Grund  dieses  Asthmas  auf*  Vergrösserung  der  Thymus  beruhe,  sondern  mehr 
als  ein  Grund  der  vielgestalteten  Evolutionsstörung  des  ersten  Lebensalters 
zu  betrachten  .sey.  Auch  Wunderlich  (s.  Mediciu.  Correspondenzblatt  des 
Würtemberg.  ärztl.  Vereins.  18S2.  Nr.  VII.),  der  das  tJbel  6  Tage' nach 
der  Geburt  sah,  hält  es  nicht  für  eine  Desorganisation  der  Thymus,  Son- 
dern für  eine  Art  Bildungshemmung,  ein  Stehenbleiben  ajjif  einer  Stufe  des 
Fötuslebens  ,  weil  er  bei  solchen  Kindern  auch  die  Kopfknochen  unvollkom- 
men ausgebildet  fand.  Mit  solchen  generellehi  Erklärungsarten  ist  indessen 
dem  Praktiker  wenig  gedient;  da  nun  iii  den  allermeisten  Fällen  sich  eine 
vergrösserte  Thymus  neben  der  dunkelröthen  Blutunterlaufung  der- Brust 
vorfand,  so  dass  das  Organ ,  welches  bei  Neiigeborrten  meist  mir  120^140 
Gran  wiegt,  ein  Gewicht  von  300 — 400  Gran  zeigte;  so  verdient  der  grosse 
Antheil,  den  die  Thymus  an  der  Krankheit  hat ,  und  worauf  Kopp  zuerst 
hingewiesen ,  die  aufmerksamste  Beachtung.  Das  Übel ,  welches  vor  Kopp 
schon  A^orth  \s.  v.  F}^ricp''s  Notiz.  Bd.  TX.  Nr.  8  S.  121.)  beschrieben  und 
John  Cfnrle  (Comment.  on  diseases  of  Children.  Ch.  IV )  gekannt  hat,  auch 
dem  Volke  in  der  Gegend  von  Elberfeld  unter  dem  Namen  Juch-Krampf 
bekannt  ist,  befällt  weit  mehr  Knaben  als  Mädchen.  Ich  sah  es  nur  drei-j 
mal  ,  und  zwar  bei  Knaben ;  ■  Pagenstecher  zählt  unter  18  Fällen  14  mann-' 
liehen  Geschlechts.  V<mi  -diesen  Kindern  litten  an  dem  Asthma :  von  der  Ge- 
burt an  ä,  mit  der  dritten  Woche  1,  nach  3  Monaten  5,  naCh  6  Monaten  5, 
mit  9,'  11  und  12  Monaten  jedesmal-!,  iriit  17- Monaten  1,  und  1  ihit 
3-' Ja  drei*'.  Im  Paroxysmus  starben  11,  '  an  den  Naclikrankheiteh  2,  gehellt 
wurden  nur  5.  Von  meinen  drei  Kranken  von  reSp«-  '/■* »  V2  und  74  Jahren 
starben  2.  In  11  Fällen  gingen  hei  PnyenstccJier  angeborne  Organisaitions-' 
schwäche,  Diarrhoe,  Erbrechen,  Keuchhusten,  Scropheln,  Rhachitb  etc. 
v^ran.  In  ein  paar  Fällen  machte  die  Krankheit  Intermissionen  von  1  —  4 
Monaten.  Die  Section  zeigte  die  Thymus  nicht  blos  vergröits'ert ,  sondern 
ia  einzelnen  Fällen  auch  knorpelartig,  die  Art.  innorainata  von  ih.r  wie  durch 
einen  Knorpelriug  eingeschlossen  (^  Ulrich^,  dieselbe  mit  dem  Sternlim  fest 
vferwachsen  (ßrifc/:),  düs  Foramen  ovale  zuweilen  offen,  • —  ausserdem  war 
das  Gehirn  mit  venösem  Blute  häufig  überfüllt.  A.  Coopcr  bemerkt  ii.\  seiner 
Schrift:  The  anatomy  of  the  Thyme  Gland.  London  1832,  mit  Kifpfern, 
dass  das  Kopp'sche  Asthma  Vvol  nicht  durch  den  Druck  der  tergrösserten 
Thymus  entstehe,  sondern  dass  bei  letzterer,  wo  sie  vergrössert  erscheine, 
oft  zugleich  Herz  -  und  Lungenfehler  zugegen  seyen  ,  und  dass  er  die  Thy- 
mus nicht  nur  bei  Kindern,  sondern  auch  bei  Erwachsenen  häufig  sehr  ver- 
grössert gefunden  habe  ,  ohne  dass  irgend  ein  Zeichen  von  Asthma  4'orhan- 
den  war.  Behandlung.  Bei  der  katarrhalischen  Form  anfangs '  Blutegel 
an  die  Brust,  innerlich  Kalomel,  3  —  4  Tage  lang  täglich  zu  4  Graheti 
(Caspari) ,  dann  macht  man  mit  dem  Kalomel  eine  Pause  und  wendet  Hkut^ 
reize:  Vesicatorien  auf  die  Brust,  Pustclsalbe  an  den  Kopf,  hinter  die  Oh- 
ren an.  Später,  beim  Nachlass  der  Zufälle,  kleine  Dosen  Kalomel  mit  Gold'- 
schwefel.  Bei  bevorstehenden  Krampfanfällen  im  zweiten  Stadium  gab  Cas- 
pari  Moschus  zu  4  Gran  täglich,  Klystiere  von  Asant;  doch  ist  nach  ihm 
diese  Form  eben  so  schwer  wie  die  Epilepsia  inveterata  zu  heilen.  — 
PHischaft  schlägt  hier  ein  Eiterband  unter  dem  Kehlkopfe  und  innerlich 
kleine  Gaben  Zinnober  und  noch  kleinere  von  Carbo  animalis  vor.  Nach 
Poijenstecher  ist  die  erste  und  wichtigste  Indication:  Regulirung  der  Lebens- 
functionen  im  Allgemeinen ;  bei  gleichzeitigen  Diarrhöen  kein  Opium ,  keine 
Excitantia ,  Adstringentia.  Am  besten  sind  kleine  Gaben  Tinct.  rhei  aquos. 
mit  Aq.  cinnam.  s.  v. ,  dann  Absorbentia:  Ocul.  cancror. ,  Liq.  kali  carbon., 
später  Eichelkaffee,  China.  Ist  der  Organismus  noch  stark,  so  ist  nach 
North^s  Beispiele   eine  Übertragung  des  Leidens   auf  den  Darmcanal   durch 


220  ASTHMA 

Kalomel  zu  versuchen.  Als  specifisch  gegen  die  Krampfanfalle  rühmt  P. 
Zincum  hydrocyanic. ,  Smal  täglich  '/,  —  1  Gran,  und  4  —  6  Tage  fortge- 
setzt, was  mdessen  bei  zarten  Kindern  wol  andere  schlimme  Zufälle  macht 
und  mehr  Vorsicht  ei;t>eischt.  Wunderlich  gab  in  seinem  Falle  bei  dem  6 
Tage  alten  Kinde,  das  sich  häutig,  zumal  beim  Trinken  der  Brust,  würgte 
und  erbrach,  Smal  täglich  ein  Pulver  aus  Kalomel,  Sulph.  aurat.  und  Herb, 
digital,  ana  gr.  % ,  und  liess  zweimal  täglich  warm  baden ,  worauf  das  Kind 
genas.  Eine  früher  rhachitische  Frau  gebar  mehrere  gesunde  Töchter, 
endlich  auch  einen  Sohn ;  dieser  war  aber  schwächlich  und  die  ersten  An- 
fälle des  Asthma  thymicum  zeigten  sich  nach  der  6ten  Woche  beim  Stillen, 
so  dass  er  oft  die  Brust  fahren  liess  \ind  sich  würgte  und  blau  ward,  später 
nach  der  lOten  Woche  stellten  sich  auch  solche  Krampfanfälle  mit  dem  ei- 
genthümlichen  Tone  jedesmal  beim  Erwachen  ein  und  dauerten  wol  1  —  3 
Miuuten.  Jetzt  wurde  ich  zu  Rathe  gezogen.  Ich  gab  innerlich  Liq.  kali 
carbon.  ^j  mit  Aq.  foenic  und  Tinct.  rhei  aquos. ,  liess  etwas  Unguent.  mer- 
curial.  und  althaeae  in  den  Kehlkopf  reiben,  das  Kind  täglich  einmal  mit 
aromat.  Kräutern  baden,  A\'X)rauf  es  sich  sehr  besserte,  so  dass  die  Mutter 
mich  nicht  mehr  in  Rath  nahm,  bis  erst  3  Monate  später  die  Anfällö  mit 
erneuerter  Fleftigkeit  aiiftraten,  indessen  wiederum  nach  der  innerlichen  Arz- 
nei und  nach  dem  Gebrauche  einer  Salbe  aus  Unguent.  simpl.  5|y  und  KaU 
hydriod.  gr.  iv.  verschwanden.  Einen  Monat  später  kamen  die  Anfcille  zum 
drittenmal.  Jetzt  gebrauchte  die  Frau  einen  anderi;!  Arzt,  unter  dessen  Be- 
handlung das  Kind  starb.  Später  gebar  dieselbe  Frau  einen  zweiten  Kna- 
ben, der  an  demselben  Übel  bald  nach  der  Geburt  Htt.  Sie  gebrauchte 
jetzt  anhaltender  meine  Verordnungen  aus  Rheum,  Liq.  kali  carbon.  und 
lodsalbe,  und  der  Knabe  ist  am  Leben  geblieben,  litt  aber  später  noch 
längere  Zeit  an  Rhachitis,  ^-  Der  Engländer  J.  Clarle  macht  in  der  Lon- 
don medical  Gazette  Febr.  1833,  noch  besonders  auf  eine  eigenthümliche  Form 
von  Kinderkrämpfen  aufmerksam,  die  in  einem  krähenden  Einathmen  (crowing 
Inspiration)  besteht  und  die  er  Spasmus  ylotüdis  nennt.  Dieses  Übel  scheint 
nach  der  Beschreibung  eins  mit  dem  Asthma  thymicum  Koppii  zu  seyn.  Die 
Stimmritze  wird  dabei  periodisch  und  plötzlich  zusammengezogen,  so  dass  das 
Athmen  gehindert,  beschwerlich,  wol  ganz  unterbrochen  wird;  nach  heftigen 
Anstrengungen  athmet  das  Kind  darauf  wieder  und  inspirirt  mit  gellendem, 
pfeifendem  Ton,  gleich  dem  Krähen  eines  Hahns.  Clarhe  glaubt,  dass  daran 
Reizung  und  Druck  des  Gehirns  Schuld  sey.  North,  dessen  Erfahrungen 
Cupuron ,  Undcrwood  u.  A.  bestätigen  (s.  Marsh  in  Behrendts  Med.  chirurg. 
Journalistik  des  Auslandes  Bd.  V.  1851.  u.  Aprilstück  18S4.  S.  401.),  hält 
dafür ,  dass  die  Ursache  mehr  in  einem  krankhaften  Zustande  der  absorbi- 
renden  Drüsen  im  Thorax  liege ,  worauf  Merrimnn  zuerst  aufmerksam  ge- 
macht habe.  Li  zwei  Fällen,  wo  die  Kinder  an  dem  Übel  starben,  fand 
man  nicht  die  geringste  Spur  von  Hirnleiden ,  nur  einen  Haufen  kleiner  Drü- 
senanschwellungen am  Halse,  die  auf  das  Par  vagum  drückten,  so  wie  auf 
die  Nervi  recurrentes.  Dr.  H.  Ley  theilt  diese  Bemerkungen  und  seine  Er- 
fahrungen darüber  mit  (s.  BehretuVs  Med,  chir.  Journalistik  des  Auslandes 
April  1834.).  Das  keuchende  Athmen  kommt  bei  den  Kindern  des  Tages 
periodisch,  währt  stundenlang,  ist  ohne  Husten  und  Dyspnoe.  Blutegel, 
Blasenpflaster,  Mercurialien ,  Expectorantia,  Purganzen  halfen  nichts.  In 
den  Anfällen,  wo  der  Athem  wegblieb,  war  das  Kind  mehr  bleich  als  roth, 
die  Muskeln  waren  etwas  starr,  die  Glieder  ausgedehnt,  die  Hände  einge- 
kniffen. Die  Section  zeigte  die  krankhafte  Beschaffenheit  der  Bronchialdrü- 
sen, besonders  in  den  Lungenwurzeln  und  um  den  Aortabogen.  Nach  Letj 
unterscheidet  sich  die  Krankheit  vom  Keuchhusten  durch  folgende  Punkte : 
1)  das  Kind  hat  kein  Vorgefühl  vom  Husten  -  und  Krampfanfall.  2)  Letz- 
terer beginnt  oft  mit  vollständiger  Unterbrechung  des  Athmens  und  während 
de.sselben  bemerkt  man  deutlich  ein  Kämpfen,  um  den  Athem' wieder  zu  er- 
langen ,  was  beim  Keuchhusten  selten  der  Fall  ist.  3)  Der  Husten  ist  sel- 
ten mit  Aufstossen  oder  Neigung  zum  Erbrechen  am  Ende  des  Anfalls  be- 
gleitet.    4)  Der  Husten   kam   bei  seinen  Kranken  nie  bei  Tage,   wenn  das 


ASYNODIA  —  ATONI  A  221 

Kind  mit  ^ndern  spielte,  sondern  stets  mir  im  Schlummer,  wenn  es  einige 
Stunden  ruhig  geschlafen  hätte.  5)  Dies  Kinder  sind  nicht  in  den  Verhält- 
nissen, um  den  Keuchhusten  zu  bekommen,  Die  von  Ley  angewandten  Mit- 
tel bestanden  in  leichten  eröffnenden  Alterantien :  Aq.  rosarum  mit  Mineral- 
säure und  Tinctura  humnli  lOpuli ,  also  eine  mildtonische ,  nicht  reizende, 
sedative  Behandlung;  dabei  eine  kräftige,  nicht  reizende  Diät.  Als  Ursache 
der  Krankheit  klagt  L.  Aufenthalt  in  feuchter  Luft  an. 

Astlima  fullonum,    Walkerasthma;   s.Asthma  abdominale. 

Asthma  gravidarum;  s.  Gravidits^s. 

Asthma  gypseum;   s.  Asthma  pulveirulehtum. 

Asthma  siomachicum ',  s.'  Asthma  abdominale. 

Asynodia,  Atechnia,  Mangel  des  normalen  Beischlafs,  Un- 
vermögen zum  Beischlaf.  Hat  verschiedene  Ursachen:  organische  Feh- 
ler der  Geschlechtstheile ,  Verwachsung  der  Vagina ,  Verunstaltung  des  Pe- 
nis u.  s.  f. ,  die  mitunter  chirurgische  Hülfe  erfordern,  oft  aber  auch  unheil- 
bar sind;    s.  Im  p  o  t  entia. 

Ataxia,  Unordnung,  Unregelmässigkeit,  daher  die  Störung 
in  den  Functionen,  z.  B.  der  monatlichen  Reinigung  (Ataxia  mensium).  Frü- 
her war  das  Wort  mit  Acosmia  synonym,  das  indessen  Einige  für  Achro- 
masia  setzten. 

Atbalasmus ,  Unvermögen  zu  säugen ,  besonders  wegen  Mangels 
oder  Missbildung  der  Brustwarzen;  s.  Abscessus  lacteus  mammarum. 

Atheroma,    Breigeschwulst;   s.  Tumor  cysticus. 

Atltymia,  Pauphobia,  Muthlosigkeit,  Schwer rauth  mit  Muth- 
losigkeit.  Ist  in  hitzigen,  contagiösen  Krankheiten  ein  böses  Symptom  und 
deutet  den  Tod  an ,  dagegen  ist  noch  immer  Hoffnung  zur  Genesung  da, 
so  lange  der  Kranke  Muth  hat.  Wie  nachtheilig  bei  Pest,  gelbem  Fieber, 
beim  Typhus  Muthlosigkeit  und  Furcht  ist ,  wodurch  die  Receptivität  des 
Kranken  und  somit  die  Ansteckungsfähigkeit  erhöht  und  befördert  wird ,  ist 
bekannt. 

Atocia»  Unfruchtbarkeit;  s.  Sterilita s. 

Atonia,  Infirmitas  et  Remissio  virium,  Languor,  Laxitas,  Schwäche, 
Schlaffheit.  Ist  Mangel  an  Kraft,  Spannkraft,  also  Schlaffheit,  die  bald 
nur  örtlich,  bald  allgemein  ist.  Letztere  finden  wir  bei  geschwächten  phleg- 
matisch -  lymphatischen  Naturen.  Gegen  die  örtliche  Atonie  mancher  Theile 
sind  cheils  aligemeine  Roborantia,  Adstringentia:  bittere  Mittel,  China  etc. 
nothwendig,  theils  topische  ähnliche  Mittel,  z.  B.  Decoct.  quercus,  chinae 
und  andere  Adstringentia  tonica.  Einige  nehmen  Atonie  und  Schwäche  über- 
haupt für  gleichbedeutend,  was  indessen  verwerflich  ist,  da  wir  unter  Atonie 
nur  eine  einseitige,  genau  bezeichnete  und  alle  übrigen  Richtungen  aus- 
schliessende  Schwäche,  nämlich  die  organische  im  Gegensatz  der  dyna- 
mischen (^Adynamie^  verstehen.  —  „Als  einfacher  krankhafter  Zustand  — 
sagt  Hcckcr  in  Rusfs  Handb.  d.  Chirurgie.  Bd.  II.  S  424.  —  oder  Krank- 
heitselement, ist  die  Atonie  von  der  höchsten  Wichtigkeit;  sie  kommt  bei 
der  grossen  Menge  irritabler  und  contractiler  Theile ,  entweder  als  blos  ört- 
licher, oder  mehr  verbreiteter  Zustand  in  den  meisten  Krankheitsformen  in 
Betracht ,  und  die  Folgen ,  die  sie  im  Gesammtleben  des  Organismus ,  wie 
in  den  einzelnen  Functionen  hervorbringt,  sind  unendlicher  Combinationen 
fähig.  Deshalb  gründete  schon  im  Alterthume  ein  scharfsinniger  Systemati- 
ker auf  den  Begriff  von  Erschlaffung,  d.  h.  Atonie,  und  Zusammenziehung 
ein  vielumfassendes  Lehrgebäude  der  Heilkunde  (^Themison') ,  und  in  der 
neuern  Zeit  hat  vorzüglich  CuUcn  bei  Erörterung  höherer  ätiologischer  Ver- 
hältnisse die  Atonie  einzelner  Theile,  besonders  der  Gefässenden ,  hervorge- 
hoben." In  Ruses  Handb,  d.  Chirurgie  Bd.  II.  S.  425— 449  ist  der  Atonie 
verschiedener  einzelnen  Theile  gedacht  worden,  aus  der  wir  hier  das  Wichr 
tigste  in  der  Kürze  entnehmen. 


222  ATONIA 

,  Atonin  ani  et  intestim  recti.  Die  Erschlaffung  des  Afters  und  Mastdarms 
kann  die  Function  dieser  Theile  mehr  oder  weniger  stören  und  zwar  in  je- 
dem Lebensalter,  besonders  aber  im  Greisenalter,  wo  ohnehin  die  Schiväche 
vorwaltet,  vorkommen.  Dann  bildet  sich  das  Ubsl  langsam  aus  und  geht 
zuletzt  in  yollkommne  Lähmung  der  Theile  über.  IVIitunter  folgt  die  Atome 
sogleich  oder  späterhin  auf  Commotionen  der  Lendenwirbel ,  des  Kreuzbeins, 
des  Rückenmarks  durch  Stoss,  Sturz,  Fall,  wo  entweder  schnell  Paraljse 
oder  später  sich  ein  Extravasat  im  Rückenmarkscanal  bildet.  Als  Complica- 
tion  können  noch  Goldaderknoten,  Prolapsus  ani,  Kondylome,  Abscesse  und 
Fisteln  vorkommen.  Der  Sitz  dei;  Atonie  des  Rectums  und  Afters  ist  ent- 
>veder  der  Schleimhautüberzug,  oder  der  Sphinkter  und  die  Muskelhaut  des 
Darms  ,  so  dass  ein  Prolapsus  ani  erfolgt.  Der  Kranke  verliert  das  Vermö- 
gen, bei  stärkerem  Drange  die  Excremente  an  sich  zu  halten,  nur  erst  bei 
höhern  Graden  des  Übels.  Ist  der  Schliessmuskel  aber  bei  Atonie  des  Darms 
gesund,  so  fehlt  die  Schiebkraft  mehr  oder  minder  im  Darm,  und  die  Ex- 
cremente häufen  sich  in  grossen,  harten,  lehmartigen  Kugeln  und  Ballen  an, 
welche  durch  Kunst  entfernt  werden  müssen  (s.  Alvinae  concretiones). 
Cur.  Innerlich  stärkende  und  reizend  abführende  Mittel:  Cascarille,  Co- 
lumbo,  China,  mit  Zusatz  von  Rheura,  Aloe;  äusserlich  Klystlere  von  kal- 
tem Wasser,  entweder  allein,  oder  von  1  ß  Wasser,  worin  2  —  3  Quent- 
chen Alaun  aufgelöst  worden;  von  einem  schwachen  Decoct.  ijuercus,  Sali- 
cis, —  Einreibungen  von  Unguent.  nervin.,  Unguent.  macid.  in  die  Kreuz- 
und  Darmgegend. 

AUmia  canrtUcuJorum  lacrymalium.  Schwäche  der  Thränenröhrchen 
hemmt  oft  die  Foitleitung  der  Thränen  nach  der  Nase,  die  dann  über  die 
Wange  fliessen.  Daher  ist  die  Nase  auf  der  leidenden  Seite  trockner  als 
auf  der  gesunden.  Die  Thränenpunkte  sind  eingezogen ,  eingeschrumpft, 
die  Ölfnung  darin  aber  erweitert ;  der  innere  Augenwinkel  ist  erschlafft, 
durch  den  Reiz  der  Tlu'äuen  aber  geröthet,  daher  des  Nachts  das  Auge 
zuklebt.  Bejahrte  Personen  und  die,  welche  an  chronischen  Augenblen- 
norrhöen  litten,  sind  dem  Übel  leicht  unterworfen.  Cur.  Adstringirende 
Mittel,  selbst  kaltes  Wasser,  die  Augendouche,  wenn  das  Auge  die  Kälte 
vertragen  kann,  Solut.  lap.  divini ,  zinci  sulphurici  zum  Eintröpfeln.  Bei 
alten  Leuten  nützt  Waschen  der  Augenlider  mit  Spirit.  vini  Galilei ,  Spir. 
serpilli,  —  vini  camphorat. ,  Aq.  Coloniensis.  Ist  die  Atonie  paralytischer 
Natur,  dann  innerlich  Arnica,  Valeriana,  äusserlich  Einreibungen  von  Bals. 
vitae  internus,  Ol.  cajeputi;  Elektricität ,  Elektropunctur,  ein  Causticum 
zwischen  Processus  mastoideus  und  den  Winkel  des  Unterkiefers ,  das  einige 
Zeit  in  Eiterung  erhalten  wird  (Jüni/Acn). 

Alunia  glandulae  laiTymalis,  Schwäche  der  Thränendrüse.  Hier 
sondert  die  Thränendrüse  zu  viel  Feuchtigkeit  ab  in  Folge  von  Entzündung, 
Quetschung ,  Wundjen  in  diesem  Organe  oder  dessen  Nachbarschaft ,  ohne 
dass  eine  Ursache  am  Auge,  ein  consensueller  Reiz,  wie  z.  B.  durch  Oph- 
thalmia exanthematica,  aufzufinden  ist.  Ist  das  Übel  schon  chronisch  und 
bei  alten  Leuten  vorkommend,  so  ist  die  Heilung  schwierig.  Hier  leisten 
Ol.  cajeputi,  —  menth. ,  Mixtura  oleoso -balsamica ,  in  das  obere  Augenlid, 
in  Stirn  und  Schläfe  eingerieben,  und  das  Auge  mit  einem  camphorirten 
Läppchen  verhängt,  noch  das  Meiste;  auch  eine  schwache  Solut.  vitriuli 
albi  in  Ai].  menth.  pip  —  Bei  frischem  Übel  und  jungen  Subjecten  wendet 
nmn  die  Augendouche,  täglich  mehreremal,  '/^^  Stunde  lang  an;  man  bedient 
sich  dazu  des  kalten  Brunnenwassers,  noch  besser  des  Pyrraonter,  oder  mit 
reiner  Kohlensäure  geschwängerten  Wassers  {.Jüngheii). 

AUmia  intcsiini  revti,  s,  Atonia  ani. 

Afonia  Utjumcntorum.  Erschlaffung  der  Gelenkbänder  fniden  w'it  oft, 
verbunden  mit  Muskelschwäche,  bei  laxen,  schwächlichen,  phlegmatischen 
Subjecten ,  bei  zarten  Frauen  und  Kindern ,  nach  langwierigen  Krankheiten, 
nach  schwächenden  Profluvien,  nach  Quetschung,  Verrenkung,  Subluxation. 
Erschlaffte  Gelenkbänder  geben,  zumal  bei  blondem  Teuit,  oft  Neigung  zu 
Luxationen,    zu  Prolapsus  uteri.      Die  Cur   ist  theils   die  allgemeine,    theils 


ATÖMÄ  223 

eine  ordicUe.  Alle»,  was  die  Muskelkraft  höbt:  tägliche  Bewegung ,  Baden, 
das  tägliche  eintnalige  Waschen  des  ganzen  Körpers  mittels  eines  grossen 
Schwamms  und  kalten ,  frischen  Quellwassers,  kräftige  Nahrung  sind  hier 
nCitzlich.  Örtlich  dienen  sljärkende,  adstriogirende ,  l)elebende,  spiiituöse 
Mittel.  ;   -.,  •  ,•     '  ^   '■' 

Atonin  oesoplimji.  Das  tJbel  kann  entweder  den  ganzen'  Oesophagus, 
oder  nur  einen  Theil  desselben  befallen,  zoweilen  nur  die  Schleimhaut  des- 
selben (s.  Prolapsus  oesophagi).  Am  häufigsten  leidet  der  ganze 
Oesophagus  in  Folge  verminderten  Einüusises  der  Schlundnerven.  Die  Haupt- 
zeichen sind:  Dysphagie  bis  zum  völlig  verhinderten  Schlingen  (s.  Dyspha- 
gia),  was  häufig  kujz  vor  dem  Tode  in  bösartigen  Fiebern  vorkommt  und 
ßoerhnave  Angina  paralytica  nennt,  \>o  ein  hörbares  Geräusch  in  der 
Brust  beim  Schlucken  des  Getränks  (Deglutitio  sonora)  in  Folge  des  ge- 
hemmten Nerveneinflusses  und  der  *Störung  der  Gehirnfunction  (Delirien 
stattfindet.  Die  fieberlose  Atonie  der  Speiseröhre  entsteht  entweder 
plötzlich ,  z.  B.  nach  Apoplexia  cerebri  et  meduUae  spinalis ,  oder  allmälig, 
wovon  vanSwieten  (Comm.  in  Boerh.  Aph.  T.  II.  p.  702),  Willis  (Pharmac. 
rat  P.  I.  Sect.  II.  cap.  1.),  Tulpius  (Observ.  med.  Lib.  I.  p.  79.),  Hei- 
ster n.  A.  Beispiele  anführen.  Auch  hier  ist  das  Hauptsymptom  beschwer- 
liches Schlucken;  feste  Speisen  werden  leichter  als  Getränk  verschluckt, 
dagegen  es  bei  organischen  Fehlern  des  Oesophagus  der  umgekehrte  Fall 
ist;  zuletzt  findet  völlige  Ap  hagle  sich  ein,  wo  dann  die  Speisen  unter 
Würgen  und  Erbrechen  zurückgeworfen  werden,  und  fernere  Versuche  zu 
«chlingen  Angst,  Dyspnoe  erregen.  —  Gelegenheits Ursachen  sind: 
ahhaltender  Missbrauch  geistiger  Getränke,  das  tägliche  Trinken  heisser 
Getränke,  der  G^nuss  sehr  kalter  Flüssigkeiten,  des  Gefrornen  bei  erhitz- 
tem KSrper ,  deprimirende  Gemüthsaffecte ,  zumal  Trauer,  Überladung  des 
Magens,  Mangel;  an  Körperbewegung,  Vergiftung  durch  Blei,  Stechapfel, 
giftige  Pilze,  langwierige  Zehrfieber,  plötzliche  Unterdrückung  der  Trans- 
spiration ,  der  Menses,  starker  Blutverlust.  Schlaffe,  schwächliche,  zarte, 
sensible: Subjecte  ink  spastischer  Constitution,  hysterische,  desgleichen  junge 
und  alte  Greise ,  deren  Nervenkraft  entweder  vor  der  Zeit  durch  Ausschwei- 
fungen aller  Art  oder,  dem  Naturgange  gemäss,  durchs  Alter  abgestumpft 
worden,  sind  am  meisten  zu  dieser  Atonie  und  Paralyse  disponirt.  Ist  die  letz- 
tere schon  eingetreten  und  der  Kranke  bei  Jahren,  so  tödtet  das  Übel  meist 
immer.  Selbst  jüngere  Subjecte  können  durch  den  Mangel  hinreichender  Er- 
nährung den  Tod  daran  finden.  Die  Atonie  der  Speiseröhre  in  Folge  bös- 
artig©«* Fieber  dientet  stets  auf  hohe  Lebensgefahr.  Entstand  sie  durch  Diät- 
fehler,  durch  deprimirende  \ffecte,  so  ist  sie  nicht  immer  unheilbar.  Schlim- 
mer si*'ht  es  aus ,  weiin  sie  die  Folge  von  Apoplexia  cerebralis  und  spinalis 
ist  und  gleichzeitig  andere  Paralysen  stattfinden.  IVutzer  (in  Rusfs  Handb. 
der  Chirurgie  Bd.  II.  S.  436 )  sagt:  ,,Wenn  das  Übel  nicht  überwunden 
werden  kann,  so  dauert  es  nach  der  Verschiedenheit  seines  Grades  Tage, 
Wochen'  oder  Monate  lang,  zieht  aber  in  letzterm  Falle  aus  Mangel  an  Kr- 
tiährujig  innner  Abmagerung  im  hohen  Grade  nach  sich.  Die  50jährige  Kranke 
des  Tulfiim,  bei  welcher  das  Übel  übrigens  mit  Schwindel,  Erbrechen  und 
Spasmus  cynicus  eintrat,  starb  am  7ten  Tage.  Hamnzzini  erhielt  eine  25jäh- 
rige  Nonne,  die  hernach  noch  völlig  wieder  hergestellt  wurde,  66  Tage  lang 
allein  durch  nährende  Klystiere.  Der  Kranke  von  Willis  lebte  berei(s  16 
Jahre,  indem  er  die  in  den  Schlund  gebrachten  Speisen  mittels  eines  Schwam- 
mes-,  der  ad  einen  Fischbeinstab  befestigt  war,  hinabstiess,  und  auf  ähnliche 
Weise  wurde  ia  dem  Falle  von  Basier  und  Slnlpnrt  ein  SOjähriges  Mädchen 
H  Monate  lang  erhalten  und  dann  geheilt."  Cur.  Wir  haben  hier  zu  be- 
rü'cksichtigen :  die  Ursachen,  um  diese  wo  möglich  zu  heben,  ferner,  den 
weitern  Fortgang  der  Krankheit  zu  heunnen  und  die  Kräfte  zu  unterstützen, 
endlich  die  Bes.chwerden  des  Übels  nach  Möglichkeit  zu  erleichtern,  die  Er- 
nährung zu  unterhalten  und  so  den  Hungertod  abzuwenden  (vindicatio  cnnsa- 
hs,  I.  morhi,  l.  ^i/mplomaiica  et  vitnlis).  Um  der  Indicatio  morbl  zu  genü- 
gen und   der  Jichwäche  des  leidenden  Organs  zu  begegnen,    dieiien  Aruica, 


224  ATONIA 

Wein,  China,  Eisen,  Chinin,  Zlmmt,  Valeriana  innerlich.  Man  kann  Tinct. 
chinae,  cinnamomi,  Tinct.  martis,  Brot  mit  altem  Wein  benetzt,  durch  eine 
elastische  Röhre  in  den  Magen  befördern.  Auch  Gurgelwasser  mit  Wein, 
Rum ,  Branntwein  sind  nützlich.  Ausserlich  passen  Einreibungen  in  die 
Nacken-  und  Halsgegend  von  Unguent.  nervin.,  Spirit.  serpilli,  das  Glüh- 
eisen im  Nacken,  stärkende  Kräuter-  und  Stahlbäder.  Bei  dieser  atonischen 
Dysphagie  passen  die  Einspritzungen  in  den  Magen  weit  besser,  als  bei  der 
organischen.  Die  eingebrachte  Röhre  muss  von  Gummi  elasticum  seyn,  we- 
nigstens V4  Zoll  im  Durchmesser  haben  und  bis  zum  Magenmunde  reichen, 
weil  sonst  die  Flüssigkeit  vielleicht  im  Oesophagus  stecken  bleibt  und  später 
wieder  ausgebrochen  wird.  Kräftige  Fleischbrühen  mit  Eigelb,  Wein  mit 
Salep  dienen  am  besten  zum  Einspritzen  Auch  nährende  Klystiere ,  Bäder 
von  Milch ,  nährende  Flüssigkeiten ,  eine  Zeitlang  im  Münde  gehalten ,  un- 
terstützen die  gesunkenen  Kräfte  (s.  wtn  Swieten  Comra.  in  Boerh.  Aphor. 
T.  II.  p.  107.  Bleuland  in  d.  Samml.  auserles.  Abhandl.  für  prakt.  Ärzte. 
Bd.  IX.  S.  676.  v(m  Gcuns  Ebenda».  Bd.  IV.  S.  J71.  Nahiiys  Ebendas. 
Bd.  IV.  S.  3.  Burserius  de  Knnilfeld  Inst.  med.  pract.  Vol.  IV.  pag.  296 
u.  303.     Boyer  Traite  des  maladies  chirurgicales.  Tom.  VII.  p.   158.). 

Atonia  ^nlpehrnrum,  Blejihnroatonia ,  weniger  richtig,  wie  Jünghcn  wll, 
Atoniaionhlephnron  (weil  dies  reines  Griechisch  mit  lateinischen  Lettern  ist), 
die  Schwäche  oder  Erschlaffung  der  Augenlider.  Hier  kann  der 
Kranke  die  sonst  gesunden  Augenlider  wol  öffnen ,  aber  er  ist  nicht  im  Stan- 
de, sie  lange  offen  zu  erhalten;  auch  thränt  (Jas  Auge,  wenn  es  angestrengt 
oder  hellem  Lichte  exponirt  wird  und  schliesst  sich  von  selbst.  Dieses  Übel 
ist  oft  Folge  von  Augenentzündungen ,  besonders  wenn  bei  letztern  anhal- 
tend warme  Umschläge  angewandt  worden  sind.  Häufig  ist  diese  Atonie 
mit  einer  geringen  Geschwulst  am  Tarsalrande  des  oberri  Augenlides ,  mit 
massiger  Röthung  desselben,  bei  reizbaren  Subjecten  zuweilen  auch  mit 
oderaatöser  Anschwellung  der  Tarsalränder  der  Augenlider  verbunden.  Das 
Übel  darf  nicht  mit  Blepharoptosis  oder  mit  Blepharoplegie  verwechselt  wer- 
den. Cur.  Mit  der  Zeit  vergeht  das  Übel  von  selbst,  so  wie  sich  das 
Auge  allmälig  an  den  Reiz  des  Lichts  gewöhnt.  Verhütet  wird  es,  %>enn 
bei  Augenentzündungen  der  anhaltende  Gebrauch  warmer  Umschläge  und 
der  zu  lange  Aufenthalt  in  dunkeln  Zimmern  vermieden  wird.  Die  kalte 
Augendouche,  eine  schwache  Solut.  vitrioH  albi  in  Aq.  rosaruni,  des  Nachts 
ein  camphorirtes  Läppchen  über  das  Auge,  .sind  nützlich.  Es  giebt  auch 
eine  Atonia  palpebrarum  senilis,  die  als  VVirkung  des  höhern  Alters  selbst  in 
Blepharoptosis  übergeht.  Sie  entsteht -allmälig,  die  Augenlidhaut  ist  schlaff, 
faltig  und  von  gelbem,  lederartigem  Ansehn,  dabei  die  Secretion  der  Augen- 
liddrüsen vermehrt  und  die  Schwäche  so  gross,  dass  der  Kranke  die  Augen- 
lider nur  kurze  Zeit  offen  erhalten  kann.  Cur.  Ist  schwierig,  oft  unmög- 
lich ,  da  sie  mit  allgemeinem  Marasmus  zusammenhängt.  Man  versuche  äus- 
serlich  spirituöse,  aromatische,  ätherische  Mittel:  Franzbranntwein,  Cölni- 
sches  Wasser,  Lavendclspiritus,  Balsam,  vitae  Hoffmanni,  Naphtha  zum  Wa- 
schen und  Einreiben  der  Augenlider,  der  Stirn,  der  Schläfe,  desgleichen 
den  Dunst  von  Salmiakgeist,  indem  man  schnell  einige  Tropfen  zwischen 
den  Händen  zerreibt  und  die  offenen  Hände  dann  in  die  Nähe  der  Augen 
bringt  (./ihit/Äen). 

Atonin  sacci  Inirymnlis,  Hemia  sncci  lacrymnlis  Beer,  Dacryoajsioniomtt, 
Erschlaffung  des  Th  ränensack  s;  s.  D  a  er  y  ocy  sti  tis  und  Pro- 
lapsus seu  Hernia  sacci  lacrymalis.  Wenn  das  Übel  noch  frisch 
und  scrophulöser  Natur  ist ,  so  räth  Jüngl-cn  besonders  die  kalte  Augen- 
doiiche,  sowol  von  gewöhnlichem  als  kohlensaurem  Wasser,  von  adstringi- 
renden  Decocten  an,  bei  chronischer  Atonie  spirituöse,  ätherische  und  aro- 
matische Mittel;  helfen  diese  nicht,  so  touchirt  man  die  Haut  über  dem 
Thränensacke  mit  Lap.  infernalis ,  um  durch  Erregung  einer  Entzündung 
die  Vitalität  in  den  Wandungen  des  Thränensacks  und  dadurch  den  Tonus 
zu  steigern ;  der  Schorf  wird  nachher  der  Natur  überlassen.  Auch  das  Fer- 
rum candens,   das  hier  noch    wirksamer   als   das  Causticum  bt,     kann  man 


ATONIATONBLEa»HARON  —  ATRESIA  225 

anwenden.  Erschlaffende  Salben  passen  hinterher  nicht.  Ist  mit  der  Hei- 
lung der  Brandstelle  das  Übel  nicht  verschwunden;  so  kann  man  noch  den 
Schnitt  versuchen,  indem  man  mit  einer  feinen  Lanzette  eine  Incision  in  den 
Thränensack  macht ,  ihn  von  dem  darin  enthaltenen  Contentum  reinigt ,  ein 
kleines  Bourdonnet  einlegt  und  ein  Stückchen  englisches  Pflaster  überlegt. 
Hat  sich  nun  die  Wunde  entzündet  und  fängt  sie  an  zu  eitern  ,  so  legt  man 
keine  Charpie  mehr  hinein,  entfernt  die  darin  enthaltene,  und  lässt  die  Wunde 
zuheilen.  Hinterher  wende  man  noch  einige  Zeit  die  Augendouche  mit  kal- 
i  tem  Wasser  an. 

Atonia  vesicae  urinariae,  Erschlaffung  der  Harnblase  (s.  Re- 
tentio  urinae).  Bei  Gries,  Schwäche,  Atonie  der  Blase  und  als  Diure- 
ticum  lobt  Rodewald  (Berliner  med.  Zeitung  1833.  Nr.  16.):  I^r  Amygddl. 
dulc.  5iv,  Gtimm.  mimos.  s.  q.  fiat  Emuls.  cum  decoct.  Herb,  lycopod.  ex  ^ß, 
parat,  gvjjj,  adde  Elect.  e  senna  3J ,  alle  V2  —  1  Stunde  1  Esslöffel  voll,  als 
sehr  wirksam ;  darneben  das  warme  Decoct.  Lycop.  (^jjj  mit  IjMass  Wasser 
gekocht) ,  tassen  weise  genommen. 

Atonia  ventricuU ,  Magenschwäche ;  s.  Dyspepsia. 

Atonia  uteri,  Schlaffheit,  Trägheit  der  Gebärmutter.  Ist  nach 
der  Geburt  [häufig  Uisache  von  mangelnder  Contraction  und  daher  entstehen- 
dem Blutsturze;   s.  Haemorrhagia  uteri,   Uteromalacia. 

Atoniatonblepbaroil 9  s.  Atonia  palpebrarum. 

AtrabiliiS,  Constitutio  atrahilaris;  s.  Haemorrhagia  ventriculi. 

Atresia,  der  Mangel  einer  normalen  Öffnung  am  Körper 
durch  Verwachsung,  Missbildung.  Oft  ist  die  Atresie  angeboren, 
z.  B.  Atresia  ani,  vaginae;  in  dieser  Hinsicht  sey  es  die  erste  Pflicht  der 
Hebamme  und  des  Geburtshelfers ,  gleich  nach  der  Geburt  eines  Kindes  za 
untersuchen,  ob  die  normalen  Öffnungen  auch  da  sind.  Das  Übel  ist  bald 
complet ,  bald  incomplet,  es  erfordert  meist  chirurgische  Hülfe.  Die  Atresia 
vaginae  incompleta  wird  oft  erst  zur  Zeit  der  Pubertät  entdeckt ,  wenn  die 
Menses  nicht  fliessen  wollen  und  sich  das  Blut  im  Uterus  anhäuft.  Hier 
wird  durch  die  Operation  (man  macht  die  Öffnung  sehr  leicht  mit  dem 
Fleurant'schen  Troikar,  den  man  vom  Grunde  der  Vertiefung  aus  in  der 
Richtung  der  Beckenaxe  einsticht.  Vergl.  Basedow  in  v.  SiehohVs  Journ.  f. 
Geburtshülfe  etc.  Bd.  VII.  St.  2.)  oft  eine  grosse  Menge  schwai-zen  Blutes 
entfernt  und  alle  Beschwerden  der  Menstruatio  retenta  sind  mit  einem  Mal 
gehoben.  Eine  ähnliche  theilweise  Atresie  der  Scheide  folgt  zuweilen  auf 
schwere  Wochenbetten,  die  dann  den  Beischlaf  oder  die  nächste  Entbindung 
hindert,  woran  also  der  Geburtshelfer  zu  denken  und  das  Übel  vor  der  Ge- 
burt oft  erst  durch  eine  Operation  zu  heben  hat.  (Vergl.  auch  den  Artikel 
Strictura.),  Unter  dem  Namen  Atresie  bezeichnete  man  nur  allein  die 
Atresia  ani  und  vaginae,  später  wurde  sie  aiich  für  die  Verschliessung  der 
übrigen  i.usführungsgänge  gebraucht ,  ja  die  Stricturen  nannten  einige  Au- 
toren selbst  Atresia  spuria ,  und  Andere  zählten  die  widernatürlichen  Ver- 
wachsungen der  Finger  und  Zehen  irxigerweise  dazu.  Wir  unterscheiden 
1)  Atresia  congenita  als  Vitium  primae  formationis  oder  als  ein  Stehenbleiben 
auf  einer  niedrigen  Stufe  der  Organisation  während  der  Evolutionsperiode 
des  Foetus,  2)  Atresia  acquisita,  welche  durch  vorhergegangene  Entzündung, 
Eiterung,  Verbrennung  etc.  im  Leben ,  bei  unzweckmässiger  Behandlung  etc. 
erregt  ist.  Ferner  statuirt  man  3)  A.  pnrtialis  und  universalis ,  4)  A.  cotn- 
pleta  und  incompleta,  5)  A.  longa,  hrevis,  stiperficialis ,  ^rofimda ,  membra- 
nacea,  filamentosa,  parenchjmatosa  etc.  Die  wichtigsten  Atresien  wollen  wir 
hier  für  klinische  Zwecke  besonders  anführen : 

Atresia  ani,  Anus  imperforatus,  Imperf oratio  ani,  die  natürliche  Ver- 
wachsung des  Afters,  des  untern  Endes  des  Rectums ,  welche  stets  ein 
Fehler  der  ersten  Bildung  ist.  Die  Erkenntniss  ist  leicht ;  sollte  die  Mutter 
oder  Hebamme  versäumt  haben  nachzusehen ,  ob  der  After  beim  Neugebor- 
nen  verschlossen  oder  offen  ist,  so  zeigt  ein  paar  Tage  nach  der  Geburt 
das  Kind  Unruhe ,  Gesichtsröthe ,  Würgen ,  Erbrechen ,  aufgetriebenen  Un- 
Mo8t  Eucyklopädie.  2te  Aafl.  I.  j[5 


226  ATRESIA 

terleib  etc.  Wird  nun  die  Hülfe  versäumt,  so  entsteht  Enteritis,  Brand, 
und  es  folgt  der  Tod  meist  in  den  ersten  14  Tagen.  In  seltnem  Fällen 
entleerten  sich  die  B'aeces  durch  den  Mund,  und  die  Kinder  lebten  Monate, 
selbst  Jahre  lang,  wovon  De  la  Mnre,  Baux  und  Bartholin  Fälle  anführen. 
Cur.  Sie  gelingt  bald  leicht,  bald  nicht  leicht,  je  nach  Verschiedenheit 
der  verwachsenen  Stelle.  Darnach  statuirt  Boyer  acht  Varietäten.  1)  Ver- 
fehl iessung  am  untern  und  äussern  Ende  des  Mastdarms  durch 
eine  Haut;  dies  ist  der  häufigste  und  leichteste  Fall.  Die  Stelle  des  Af- 
ters zeigt  hier  die  durch  das  Meconiura  sackförmig  hervorgetriebene  Haut 
an,  die  daher  auch  von  dunkler  Farbe  ist.  Hier  sticht  man  mit  dem  Bi- 
stouri ein ,  erweitert  die  Wunde  mit  Hülfe  der  Hohlsonde  kreuzweise ,  und 
entfernt  die  gebildeten  Hautlappen  mit  der  Scheere.  Eines  weitern  Ver- 
bandes bedarf  es  hier  nicht;  denn  der  Abgang  der  Faeces  verhindert  das 
Verwachsen  der  Wundränder.  2)  Die  innere  Verschliessung  bei 
bestehender  äussern  Öffnung.  Hier  fliessen  applicirte  Klystiere 
schnell  zurück;  die  Untersuchung  mittels  des  Fingers  oder  der  Sonde,  wo 
man  dadurch  eine  Scheidewand  entdeckt,  welche  beim  Schreien  des  Kindes 
dem  Andränge  des  auf  ihr  ruhenden  Meconiums  nachgiebt,  —  der  Mangel 
der  Leibesötfnung  und  die  übrigen  Symptome:  Schreien,  Erbrechen,  Auf- 
treibung des  Leibes  etc.  geben  hier  Auskunft.  Zuweilen  ist  dies  Häutchen 
so  dünn ,  dass  es  schon  durch  den  Fingerdruck ,  wie  die  Eihäute  während 
einer  Wehe,  zerreisst.  Ist  dies  nicht  der  Fall,  so  durchbohrt  man  es  mit 
einem  Pharyngotom  oder,  noch  besser,  mit  einem  schmalen  Bistouri,  dessen 
Schneide  nach  dem  Steissbeine  zugekehrt  ist  (damit  die  Blase  nicht  verletzt 
wird),  auf  einer  unten  offenen  Hohlsonde,  und  bringt  später,  damit  die 
Wundränder  nicht  zusammenwachsen,  Charpiewieken  ein,  wenn  sie  anders 
nicht  zu  starken  Tenesmus  veranlassen;  sonst  legt  man  nichts  Fremdartiges 
in  die  Wunde,  sondern  fühlt  täglich  mit  dem  beölten  Finger  in  den  Mast- 
darm, um  sie  offen  zu  erhalten.  Wird  die  Operation  nicht  bald  nach  der 
Geburt  verrichtet,  so  stellt  sich  meist  eine  partielle  Entzündung  des  Darms, 
auch  starke  Ausdehnung  desselben  durch  die  Faeces  ein,  und  man  kann  dann 
leicht  statt  der  Scheidewand  den  Darm  selbst  durchstechen ,  der  sich  nun 
nach  Entleerung  des  Kindspechs  zurückzieht,  und  so  eine  tödtliche  Ergies- 
snng  der  Darmcontenta  ins  Becken  folgt.  Fühlt  man  während  der  Unter- 
suchung mittels  des  Fingers  oder  der  Sonde,  und  während  das  Kind  schreiet 
und  drängt,  kein  Meconium  in  einer  Haut  eingeschlossen,  so  ist  diese  Ope- 
ration sehr  gewagt,  und  man  muss,  um  das  Kind  zu  retten,  einen  künst- 
lichen After  bilden;  s.  Anus  artificialis.  3)  Verschliessung  ohne 
irgend  eine  Spur  einer  Öffnung,  indem  der  After  durch  die  äussere 
Haut  geschlossen  ist.  Auch  hier  gelingt  die  Operation  nicht  immer,  da  man 
nicht  weiss,  wie  lang  die  Atresie  ist;  dennoch  niuss  sie,  um  das  Leben  des 
Kindes  zu  retten,  versucht  werden.  Man  führt  hier  Aorher  einen  Katheter 
in  die  Blase,  um  sie  zu  entleeren  und  sich  von  ihrer  Lage  während  der  Ope- 
ration zu  unterrichten ,  damit  sie  nicht  verletzt  werde.  Man  muss  das  Bi- 
stouri nicht  zu  nahe  am  Sitzbeine  einsenken ,  weil  der  Knochen  noch  weich 
ist  und  das  mit  Meconium  angefüllte  Rectum  den  After  vom  Sitzbeine  ent- 
fernt. Cnllisen  will  2  Zoll  tief  einschneiden,  doch  sey  man  höchst  vorsich- 
tig, und  überzeuge  sich  von  Zeit  zu  Zeit  durch  den  in  die  Wunde  gebrach- 
ten Finger,  ehe  sie  so  tief  geworden,  von  der  Lage  des  Mastdarms.  Den 
Eingriff  der  Operation  überwinden  ausserdem  zarte  Kinder  nicht  immer. 
4)  Verschliessung  des  Afters  mit  der  Öffnung  des  Mastdarms 
in  die  Scheide.  Diese  Atresie  ist  mehr  beschwerlich,  als  lebensgefährlich. 
Manche  Personen  erreichten,  wie  Jiissicu,  Benivcnius,  vnn  Swieten,  Howship 
u.  A.  berichten ,  dabei  ein  hohes  Alter.  Boyer  will ,  dass  man  jeden  Ver- 
such ,  die  Darmentleerung  auf  anderm  Wege  herzustellen ,  unterlassen  soll. 
Cnllisen  und  MassoHn  wollen  dagegen,  wenn  die  Einmündung  am  untern 
Ende  der  Vagina  ist,  eine  Hohlsonde  durch  die  Vagina  in  den  After  führen 
und  gegen  diese  dann  das  Bistouri  richten;  doch  kann  leicht  dadurch  Läh- 
mung des  Sphinkters  und  Excretio  alvinae  involuutaria  erfolgen.     Vicq  d'Azyr 


ATRESIA  227 

schlug  ein  anderes  Verfahren  vor,  das  neuerlich  Martin  (s.  Archiv,  g^n^rales 
de  Medecine.  Avril  1827.  p.  608.)  und  Dieffenlnch  (s.  Hecker'' s  Lit.  Annalen 
1826.  Bd.  IV.  S.  31.)  hervorgehoben  und  letzterer  bei  einem  dreimonatlichen 
Mädchen,  bei  welchem  sich  das  Rectum  in  die  hintere  Wand  der  Scheide 
öffnete,  mit  glücklichem  Erfolge  angewandt  hat.  Zuerst  wurde  eine  stark 
nach  innen  gebogene  Hohlsonde  durch  die  Scheide  in  die  MastdarmöfFnung 
gebracht,  dicht  hinter  der  kahnförmigen  Grube  ausserhalb  der  Scheide  ein 
spitziges  Bistouri  bis  in  die  Rinne  der  Sonde  eingestossen ,  und  von  hier  aus 
der  ganze  Damm,  ohne  jedoch  mit  der  Spitze  des  Messers  das  Rectum  zu- 
gleich weiter  mit  aufzuschneiden,  mit  einem  Zuge  bis  nahe  an  das  Steiss- 
bein  getrennt.  Nach  Stillung  der  Blutung  wurde  durch  Spaltung  des  Zell- 
gewebes der  Mastdarm  blossgelegt,  der  Rand  desselben  von  seiner  Öffnung 
getrennt,  seine  Wandung  in  der  Richtung  der  äussern  Haut-  und  Muskel- 
wunde einen  Zoll  lang  eingeschnitten,  und  die  so  gebildeten  Spaltenränder 
des  Darms  an  den  Lefzen  der  Perinaealwunde  befestigt.  Als  nach  drei  Wo- 
chen die  Heilung  aller  verletzten  Theile  geschehen  war,  schritt  Dieffenlnch 
zur  Bildung  eines  neuen  Dammes ,  wodurch  die  Gemeinschaft  zwischen  Vor- 
hof und  After  vollkommen  aufgelioben  wurde.  John  Barton  (Medical  Re- 
cords  of  Medecine  and  Surgery.  Philadelphia  1824.  Nr.  26.)  stellte  auf 
ähnliche  Weise  bei  einem  sechswöchentlichen  Kinde  den  natürlichen  After 
wieder  her,  und  schritt,  als  sich  dieser  wieder  schloss  und  das  durchge- 
bohrte Septum  recto -vaginale  keine  Neigung  zur  Verheilung  blicken  Hess, 
zu  demselben  Verfahren,  nachdem  das  Kind  9  Monate  alt  geworden  war. 
Parish  versuchte  Barton^s  Operationsmethode  mit  Glück  bei  einem  funfzehn- 
monatlichen  Kinde.  5)  Verschliessung  des  Afters  mit  der  Öff- 
nung des  Mastdarms  in  die  Blase;  6)  Atresie  des  Afters  mit 
Verwachsung  des  Mastdarms;  7)  Afteratresie  bei  fehlendem 
Rectum;  8)  Atresia  ani  in  Begleitung  von  einem  widernatür- 
lichen After.  In  den  Fällen  Nr.  5,  6  u.  7  bleibt  nur  die  Bildung  eines 
künstlichen  Afters  durch  die  Laparo  -  Colotomie  übrig ,  da  sich  bei  diesen 
Atresien  die  Öffnung  jeden  Augenblick  verstopfen  und  eine  tödtliche  Ob- 
struction  entstehen  kann,  auch  der  Mensch  bei  Anus  artiücialis  eine  weni- 
ger traurige  und  ekelerregende  Existenz  führt ;  bei  Nr,  8  bat  die  Natur  uns 
derselben  Operation  überhoben.  > 

Jtresin  nuris,  s.  Atresia  meatus  auditorii  externi. 

Atresia  cnnalis  nasalis  seit  lacrymaUs.  In  den  meisten  Fällen  ists  nar 
eine  Verengerung,  eine  Stenochoria  sarcomatosa ,  keine  wirkliche  Atresie  des 
Nasencanals;  denn  alle  Schleimhäute  haben  nur  wenig  Neigung  zur  Ver- 
wachsung ,  selbst  bei  heftigen  Entzündungen  nicht ,  was  dagegen  bei  serösen 
Häuten  so  leicht  geschieht.  Zeichen  sind:  Trockenheit  der  Nase  an  der 
leidenden  Seite,  Atonie,  Aufgetriebenheit  des  Thränensacks ;  ein  Druck  auf 
letztern  treibt  diese  aus  den  Thränenpunkten,  aber  nicht  durch  die  Nase, 
selbst  nicht,  wenn  man  den  Thränenpunkt  mit  zuhält;  der  Thränensack  zeigt 
Narben  von  frühern  mechanischen  od^r  chemischen  Verletzungen,  welche 
Läsionen,  so  wie  Caries  des  Thränenbeins  und  Nasencanals,  auch  die  vor- 
.züglichsten  Ursachen  dieser  Verschliessung  sind.  Cur.  Eine  wahre  Atresie 
des  Nasencanals  ist  unheilbar;  wo  man  sie  geheilt  haben  will,  war  es  nur 
eine  feste  Stenochorie.  Die  Versuche  von  Woolhouse,  Lamorier,  St.  Yves, 
Hwiter,  Richter  (auch  die  von  unserm  Professor  Quittenhnum) ,  durch  Bil- 
dung einer  neuen  Öffnung  in  dem  Thränenbeine  den  Thränen  einen  Abfluss 
nach  der  Nase  zu  verschaffen ,  blieben  stets  fruchtlos ;  denn  diese  ÖfFnnngen 
schliessen  sich  immer  wieder.  Es  bleibt  dem  Kranken  daher  nur  eine  dop- 
pelte Wahl  übrig:  entweder  den  Zustand  so  zu  lassen,  den  Thränensack 
öfters  des  Tages  nach  oben  auszudrücken,  um  Irritation  und  Entzündung 
desselben  zu  vermeiden,  —  oder  den  Thränensack,  nach  Namoni  und  Rust, 
zu  vernichten,  so  dass  die  Thränen  gar  nicht  mehr  dahin  gelangen,  sondern 
über  die  Wange  fliessen,  Avodurch  er  wenigstens  von  den  öftern  Reizungen 
des  Thränensacks  befreiet  wird.  Oft  ist  das  Tliränenträufeln  später  auch 
nur  gering,  oder  es  erscheint,    indem,  weniger  Tliränenfluidum  secernirt  und 

15* 


228  ATREöIA 

dieses  im  innern  Augenwinkel  resorbirt  wird ,  in  einzelnen  Fällen  selbst  gar 
nicht  (Jüiiglien).  Um  den  Thränensack  zu  vernichten,  applicirt  man  Lapis 
infernalis  oder~das  Glüheisen  auf  die  Höhle  desselben,  nachdem  die  ganze 
äussere  Wand  mittels  Petifs  spitzem  Messer  gespalten,  die  Höhle  gereinigt 
lind  die  Blutung  gestillt  worden  ist.  Der  entstandene  Brandschorf  muss 
lange  im  Thränensacke  verweilen;  man  bestreicht  ihn  mit  Öl  und  legt  eng- 
lisches Pflaster  über.  Ein  zu  hoher  Grad  der  nachfolgenden  Entzündung 
wird  durch  kalte  Umschläge  gemässigt.  Hat  die  Natur  den  Brandschorf 
entfernt,  so  verbindet  man,  um  gute  Eiterung  und  Granulation  zu  beför- 
dern, mit  Unguent.  basilicum  mit  einem  Zusatz  von  Merc.  praecip.  ruber, 
h'is  die  Höhle  mit  gesunden  Granulationen  gefüllt  erscheint,  worauf  man  die 
Wunde  vernarben  lässt.  Oft  gelingt  die  Vernichtung  nur  theilweise,  der 
obere  Theil  bleibt  offen,  worin  sich  die  Thränen  ansammeln  und  eine  flu- 
ctuirende  Geschwulst  bilden.  Dann  öffne  man  diese  und  wiederhole  das 
Causticum  und  das  ganze  angegebene  Verfahren. 

Atresia  ductuum  excreioriorum  glandulae  lacrymaJis,  s.  Dacryops. 

Airesia  glandis  penis,  s.  Atresia  urethrae. 

Atresia  iridis,    s.  Synizesis  pupillae. 

Atresia  mealus  nuditorii  extenii,  Amis  imperforatio ,  die  Verschlies- 
sung  des  äussern  Gehörganges.  Ist  sie  angeboren  und  an  beiden 
Gehörgängen,  so  bleibt  der  Mensch  taubstumm,  —  in  andern  Fällen  ists 
Atresia  acquisita,  die  Taubheit  zu  Folge  hat.  Entweder  ist  die  Imperfora- 
tion  vollständig  und  es  fehlt  der  knöcherne  und  knorpelige  Theil  des  Ge- 
-hörganges ,  wo  denn,  meist  auch  als  Vitium  congenitum  die  Ohrmuschel  man- 
gelt und  das  Übel  unheilbar  ist;  oder  der  knöcherne  und  knorpelige  Theil 
ist  da,  aber  zum  Tbeil  oder  völlig  undurchgängig  durch  eine  häutige  Schei- 
dewand, durch  ein  dichtes,  die  Wandungen  unter  sich  verbindendes  Ge- 
webe, so  dass  eine  membranöse  oder  parenchymatöse  Verschliessung  besteht. 
Ists  eine  Membran,  so  triift  man  sie  bald  mehr  am  Eingange,  bald  mehr  in 
der  Tiefe  derselben.  Im  letztern  Falle  ist  die  Diagnose  schwieriger  und  sie 
-verlangt  eine  genaue  Untersuchung  des  durch  Sonnenlicht  oder  künstliche  Be- 
feuchtung erhellten  und  in  gerade  Richtung  gebrachten  Gehörganges.  Bringt 
man  die  Sonde  ein^  so  fühlt  der  Kranke  bei  Berührung  dieser  Membran  sehr 
wenig,  dagegen  die  Berührung  des  Trommelfells  recht  schmerzhaft  ist.  Zu- 
v/eilen  liegt  blos  eine  eiweissartige,  nicht  organisirte,  häutige  Masse  auf  dem 
Trommelfell.  Auch  ist  bei  Neugebornen  das  Trommelfell  durch  eine  Schicht 
verdichteten  Schleims  bedeckt,  welche  nach  der  Geburt  durch  den  Luftdruck 
vertrocknet  und  durch  die  Lufterschütterung  in  der  Regel  abfällt  (//«r«/). 
Wenn  eine  solche  abgelagerte  Masse  sich  organlsirt ,  so  besteht  sie  fort, 
und  erst  später  zeigt  sich  bei  -Kindern ,  wenn  sie  sprechen  lernen  sollten, 
"die  Harthörigkeit  oder  Taubheit,  die  man  früher  übersah.  Die  parenchyma- 
töse Atresie  ist  auch  entweder  nur  eine  partielle  oder  totale;  erstere  ähnelt 
der  membranösen  Verwachsung,  indem  nur  eine  Stelle  des  Lumens  des  Mea- 
tus  verwachsen  ist.  Ursachen  sind:  Inflammatio  exanthematica ,  impetigi- 
nosa ,  Abscesse ,  Verbrennungen ,  Ulceration  des  leidenden  Theils ,  zumal 
wenn  sie  vernachlässigt,  und  schlecht  behandelt  worden  sind.  Cur.  Ist 
die  Membran  anorganisch,  durch  eiweissstoffigen  Niederschlag  erzeugt,  so 
.kann  sie  durch  einen  zufällig  oder  absichtlich  angeregten  Ohrenflnss  geho- 
ben werden  ;  sonst  rouss  man  die  Operation  (am  besten  im  zweiten  Lebens- 
jahre bei  Atresia  congenita,  damit  das  Kind  sprechen  lernt)  unternehmen. 
Liegt  die  Haut  mehr  äusserlich,  so  durchbohrt  man  sie  mit  einem  glühend 
geraachten  Troikar,  liegt  sie  mehr  in  der  Tiefe,  so  wird  sie  mit  Lapis  in- 
fernalis weggeätzt.  Ist  die  Verwachsung  nur  auf  einzelne  Stellen  beschränkt, 
>o  lässt  sie  sich  oft  mit  dem  Bistouri  trennen.  '  Bei  der  parenchymatösen, 
mehr  totalen  Atresie   ist  die  Operation  schwierig   und    der  Erfolg  ungewiss. 

Atresia  narium.  Die  Verwachsung  der  Nasenlöcher  kommt  als 
Vitium  primae  formationis  selten  vor,  häutiger  folgt  sie  auf  Ulcerationen, 
Menschenpocken,  Verbrennungen,  Verwundungen  und  deren  vernachlässigte 
oder  verkehrte  Behandlung.      Cur.    Ist   die  Atresie    eine    membranöse,    so 


ATRESIA  229 

schnelJet  man  die  Haut  kreuzweise  ein  und  die  Lappen  alsdann  weg;  ists 
eine  sarcomatöse,  die  oft  den  ganzen  Nasencanal  füllt,  so  ist  die  Operation 
eben  so  schwierig,  als  der  Erfolg  ungewiss  ist.  Zur  Feststellung  der  Dia- 
gnose dient  in  diesem  Falle  das  Verfahren ,  dass  der  Kranke  die  Luft  mit 
einiger  Gewalt  in  die  Choanen  eintreibt,  wodurch  die  nicht  cohärenten  Par- 
tien der  Nase  aufgeblasen  werden.  Man  sticht  das  Bistouri  hier  zwischen 
dem  äussern  Nasenknorpel  und  dem  Septum  narium  in  gehöriger  Richtung 
ein,  und  dilatirt  den  Einstich  bis  zur  entsprechenden  Grösse  auf  einer  Rinn- 
sonde. Ist  die  Nase  auch  mit  der  Oberlippe  verAvachsen,  so  muss  nach  vor- 
hergegangener Trennung  dieser  Theile  erst  die  Überhäutung  abgewartet 
werden,  ehe  man  zur  Bildung  der  Nasenlöcher  übergehen  darf.  Das  Ein- 
legen der  Röhren  von  Gummi  elasticum ,  mit  Öl  bestrichen ,  und  die  Befe^ 
stigung  durch  zweckmässigen  Verband  (Accipiter,  Funda  nasalis,  Discrimeii 
nasi  u.  a.  Bandagen),  der  täglich  1 — 2mal  erneuert  wird,  grösste  Rein- 
lichkeit der  Theile ,  Injectionen  von  schwacher  Bleiauflösung  und ,  nach  der 
Heilung,  das  mehrwöchentliche  Einlegen  von  Pressschwamm,  um  der  grossen 
Neigung  zur  Verengerung  der  Öffnung  zu  begegnen,  befördern  sehr  den 
glücklichen  Erfolg. 

Atresia  octili ,   s.  Ancylobleph  arum. 

Atresia  pupillae,   s.  Synizesis  pupillae. 

Atresia  tuhne  EustacMi,  die  Verwachsung  der  Eustachischen 
Rohre.  Sie  ist  entweder  angeboren,  oder  sie  erscheint  in  Folge  von  An- 
gina scarlatinosa ,  catarrhalis,  syphilitischen  Geschwüren.  Die  angebomc 
Atresie  hat  Taubstummheit  zur  Folge,  indem  der  Mensch,  wenn  kenie  Luft 
vom  Pharynx  her  in  die  Paukenhöhle  gelangen  kann ,  nicht  zu  hören  ver- 
mag. Zur  Diagnose  dient  die  Untersuchung  mittels  einer  geeigneten  Sonde 
(Sttfssy) ;  Hard  legt  den  Kranken  mit  dem  gesunden  Ohre  auf  einen  Tisch, 
füllt  den  Meatus  auditorius  der  kranken  Seite  mit  VS^asser  und  lässt  den 
Kranken  die  Luft  bei  verschlossenem  Munde  und  der  Nase  stark  gegen  die 
Choanen  drängen.  Verändert  sich  dann  das  Niveau  der  Flüssigkeit  nicht  der 
Art ,  dass  es ,  wie  bei  Gesunden ,  überläuft ,  sondern  unverändert  bleibt ,  so 
dient  ihm  dieses  Zeichen  zur  sichern  Erkenntniss  dieser  Atresie.  Tritt  nach 
vorausgegangenen  Halsgeschwüren  Taubheit  ein,  so  kann  man  auch  schon 
dadurch  auf  die  Gegenwart  des  Leidens  schliessen.  Durch  starkes  Schlu- 
cken, Kauen,  Niesen,  Erbrechen  etc.  entsteht  häufig  schon  eine  Harthörig- 
keit, indem  sich  die  Eustachische  Röhre  verstopft,  mit  Schleim  verschliesst, 
entzündet  (s.  Inflammatio  auris).  Oft  nützt  hier  das  Einpressen  der 
Luft  in  die  Röhre  bei  geschlossenem  Munde  und  den  Nasenlöchern.  Zu- 
weilen nützen  gegen  das  Übel  auch  reizende  Gurgelwasser,  Kaumittel,  Nie- 
sepulver. Bei  der  häutigen ,  filamentösfen  und  sehr  locker  parenchymatösen 
Atresie  führt  man  die  dazu  geeignete  Sonde  ein  und  bläst  mittels  einer  fei- 
nen Injectionsspritze  Luft  in  die  Eustachische  Röhre  oder  katheterisirt  sie 
(s.  Wesiruml  in  Rusfs  Magazin.  Bd.  XXXV.  Hft.  3.  1831.  S.  S87  — 553),' 
welches  Verfahren  auch  Delati  hei  Taubstummen  versuchte.  Bei  einer  festen 
VerSchliessung  hat  man  noch  durch  Anbohrung  des  Processus  mastoideus 
oder  Durchbohrung  des  Trommelfells  Hülfe  gewährt.  Zuweilen  findet  bei 
angebornen  Spaltungen  des  Gaumensegels  Taubheit  statt,  die  nach  gelun- 
gener Zusammenheilung  dieses  Theils  verschwindet  (Dieffenhncli). 

Atresia  urelhrae.  Die  Ver  s  chliessung  der  Harnröhre  ist  1)  ein 
Vitium  primae  formationis ,  wo  die  Urethra  entweder  nur  vorn,  oder  so  weit 
die  Eichel  beim  männlichen  Geschlecht  reicht  (Atresia  glandis  penis),  oder 
total  verwachsen  ist ,  oder  endlich  eine  doppelte  Imperforation ,  eine  an  der 
vordem  Öffnung,  und  eine  andere  tiefer  im  Canale,  stattfindet.  Wenn  Neu- 
geborne  in  den  ersten  Tagen  keinen  Urin  lassen,  man  die  Wäsche  stets 
trocken  findet,  das  Praeputium  durchbohrt  ist  und  man  oberhalb  der  Scham- 
beine eine  schmerzhafte  Ausdehnung  der  Blase  wahrnimmt,  so  muss  man 
an  diese  Atresie  denken  und  die  Harnröhre  genau  untersuchen ,  sonst  folgt 
bald  der  Tod  durch  Urinverhaltung,  es  sey  denn,  dass  das  Kind  durch  den 
Nabel  aus    dem   offen    gebliebenen  Urachus ,    wie   dies   zuweilen   vorkommt, 


230  ATRESIA 

Harn  Hesse.  2)  In  manchen  Fällen  ist  die  Atre^e  durch  Wunden ,  Ge- 
schwüre etc.  der  Urethra  entstanden.  Cur.  Verschliesst  blos  eine  einfache 
Membran  die  äussere  Harnröhrenmündung,  so  sticht  man  mit  der  Lanzette 
ein  und  überlässt  das  andere  der  Natur,  indem  der  Urindurchgang  die  Wie- 
dervereinigung verhütet  (^Snhatier).  Ist  das  Lumen  der  Urethra  bis  zur  Ei- 
chelkrone verschlossen ,  so  sticht  man  am  besten  mit  einem  feinen  Troikar 
von  der  Stelle  aus ,  wo  die  Harnröhrenmündung  seyn  sollte ,  in  der  Richtung 
dahin  ein,  wo  der  Canal  noch  offen  besteht,  legt  einen  biegsamen  Katheter 
ein  und  sucht  neben  demselben  die  Vernarbung  zu  bewirken.  Ist  die  Harn- 
röhre gar  nicht  vom  Urin  angeschwollen,  so  ist  sie  wahrscheinlich  völlig, 
in  der  ganzen  Länge  verwachsen ,  wenn  nicht  eine  zweite  Membran  sich  in 
ihr  vorfindet.  Bei  einer  totalen  Imperforation  bahnte  Rublack  ( Rusfs  Ma- 
gazin Bd.  XVIII.  Hft.  2.  S.  290.)  vom  Halse  der  Eichel  aus,  wo  die  Mün- 
dung der  Harnröhre  nur  durch  eine  blinde  Grube  angedeutet  wurde,  mit 
einer  katheterförmig  gebogenen  stumpfspitzigen  Sonde  duixh  den  Blasenhals 
bis  in  die  Blase  einen  künstlichen  Canal ,  durch  welchen  der  Harn  regel- 
mässig abfioss.  Ist  die  Harnröhrenmündung  an  einer  ungewöhnlichen  Stelle 
oder  nur  verengt,  so  tritt  die  dagegen  übliche  Behandlung  ein  (s.  Hy- 
pospadia  und  Strictura  urethrae). 

Alresia  uteri.  Die  Gebärmutter  Verwachsung  ist  nur  selten  an- 
geboren, häufiger  ist  sie  die  Folge  mechanischer  Verletzungen,  schwerer 
Geburten ,  rohen  Accouchements.  Sie  ist  entweder  eine  parenchymatöse  oder 
membranöse  Atresie  des  Muttermundes.  Wird  dadurch  die  Menstruation  zu- 
rückgehalten, so  senkt- sich  der  Muttermund  tief  ins  Becken,  ist  leicht  zu 
erreichen,  und  da  das  verhaltene  Blut  den  Uterus  ausdehnt,  so  hat  es  den 
Anschein  einer  Schwangerschaft.  Hier  kann  man  mit  dem  Lanzettentroikar 
oder  mit  Osicmders  Hysterotom  unter  Leitung  des  linken  Fingers  die  ver- 
schlossene Stelle  öffnen,  wo  sich  dann  das  dunkle  Menstrualblut  entleert 
und  durch  eingebrachte  Charpie,  durch  eine  elastische  Röhre,  bestrichen 
mit  Gerat ,  dafür  gesorgt  wird ,  dass  der  Muttermund  nicht  wieder  sich 
schliesst.  Zuweilen  ist  die  Verwachsung  hart,  knorpelig,  callös;  hier  hilft 
der  blosse  Einstich  nichts;  man  muss  den  Schnitt  mit  ,dem  Knopfbistouri 
wol  2  —  3  Zoll  in  die  Substanz  des  Uterus  fortführen  (^Moscnti).  Vergl.  E. 
V.  SiehoU's  Journ.  f.  Geburtshülfe  etc.  Bd.  II.  St.  3.,  Bd.  IV.  St.  2.,  Bd.  VI. 
St.  3.  Rust's  Magaz.  1824.  Bd.  XVII.  Hft.  3.  Horn\s  Archiv  1816.  Hft.  2. 
Salzb.  med.  chir.  Zeitung  1821.  Bd.  IL  S.  398. 

Atresia  vaginae ,  Atresia  vulvae,  Colpatresia ,  Verwachsung  der 
weiblichen  Geschlechtstheile.  Sind  mehrere  Theile  derselben  ver- 
wachsen ,  so  nennt  man  es  Gtjnntresia ;  ist  sie  nur  partiell ,  so  nennt  man 
sie  nach  Verschiedenheit  der  Localität  und  des  Theils  Atresia  labialis,  nijm- 
phaen,  hi/nienaea,  vaginalis.  Auch  hier  ist  das  Übel  häufig  angeboren,  eben 
so  oft  auch  wol  anerworben ,  und  bald  complet ,  bald  incomplet.  Im  letz- 
tern Falle  wird  das  Übel  oft  nicht  sogleich  nach  der  Geburt  entdeckt ,  da 
keine  Harnverhaltung  stattfindet ,  was  bei  der  völligen  Atresie  der  äussern 
Schamlippen  der  Fall  ist,  wo  sich  Überfüllung  der  Blase,  Hervortreibung 
und  Entzündung  der  äussern  Geschlechtstheile,  Fieber,  Angst,  Convulsio- 
nen  einzustellen  pflegen  (fttcÄ/er)  Ursachen  der  Atresia  acquisila  sind: 
Verbrennungen,  Verwundungen,  schwere  Entbindungen,  Geschwüre  der  Ge- 
nitalien, auch  die  Infibulation  in  Indien,  Persien,  an  der  Goldküste  Afrikas. 
Letztere  hat  dem  Dr.  Fricle  wahrscheinlich  die  erste  Idee  zur  Verrichtung 
jener  Operation,  die  er  Episioraphie  nennt,  gegeben  (s.  d.  Artikel).  Be- 
handlung. 1)  Bei  Atresia  Jahiorum  pudendi  exteruorttm  compJeta  muss  die 
Operation  bald  nach  der  Geburt  vorgenommen  werden.  Man  trennt  die 
Theile  mittels  Bistouri,  Scheere  und  Hohlsonde,  indem  das  Kind  in  der 
Rückenlage  sich  befindet,  und  die  Schenkel  auseinandergespreizt  werden. 
2)  Bei  Atresia  ni/mphaea ,  die  nicht  selten  vorkommt ,  muss  man  wenigstens 
im  4ten  Leben.sjahre  oder  etwas  später  operiren,  nicht  bis  zur  Pubertät 
warten,  um  die  weibliche  Schamhaftigkeit  nicht  zu  beleidigen.  3)  Bei  Atre- 
$iu  hyiiienaen,    die  nur  angeboren  ifit,   verschliesst  ein  fast  knorpeliger,   fe- 


ATRICHIA  —  ATROPfflA  231 

ster  Ring  mit  oder  ohne  eine  kleine  Öffnung  die  "Vagina.  Sie  ^vi^d  vor 
dem  Eintritt  der  Pubertät  selten  erkannt,  wo  sich  die  Molimina  mensium 
ohne  folgenden  Menstrualfluss  zeigen ,  die  Kranken  über  Rückenschmerz, 
Spannen,  Gefühl  von  Schwere  in  den  Genitalien,  über  Schwindel,  Kopf- 
weh, Frösteln,  Hitze  klagen,  welche  Beschwerden  alle  4  Wochen  eintreten 
und  oft  mit  Nasenbluten  *nden.  Später  schwillt  der  Uterus  auf  von  dem 
enthaltenen  Blute,  das  auch  das  Häutchen  sackförmig  zwschen  den  äussern 
Geschlechtstheilen  hervortreibt,  wozu  sich  Tenesmus,  Wehendrang,  Obstru- 
ctio  alvi,  Dysurie,  Gefühl  von  Narkose  der  untern  Glieder,  Chlorose  ge- 
sellen. Die  Exploration  entdeckt  die  Ursache  aller  dieser  Leiden.  Man  ver- 
richtet die  Operation  am  besten  so,  dass  man  erst  einen  Kreuzschnitt  macht 
und  dann  das  ganze  Häutchen  exstirpirt.  Warme  Einspritzungen  befördern 
den  Ausfluss  des  angehäuften  dicken,  schwarzen  Blutes,  das  oft  mehrere 
Pfund  beträgt  und  sehr  übel  riecht  (^Pellet an,  Maison).  Ist  im  Hymen  noch 
eine  Öffnung  vorhanden,  die  Atresie  also  incomplet,  so  geht  die  Menstrua- 
tion dadurch  oft  regelmässig  ab ;  sie  wird  oft  erst  beim  Beischlafe  erkannt ; 
ja,  sie  lässt  sogar  mitunter  Empfängniss  zu  und  erfordert  dann  oft  noch 
kurz  vor  dem  Kreisen  die  Operation.  4)  Die  Atresia  vaffinae  memlranncen, 
wo  eine  abnorme  Haut  den  Eingang  der  Vagina  verschliesst  und  bei  mann- 
baren Mädchen  dieselben  Zufälle  als  die  Atresie  des  Hymens  erregen  kann, 
ist  auch  fast  immer  nur  als  Fehler  der  ersten  Bildung  beobachtet  worden. 
Zuweilen  ist  die  Haut  sehr  dick,  oder  sie  sitzt  mehr  in  der  Tiefe  der  Scheide. 
Man  operirt  auch  hier  mittels  des  Bistouris  oder  des  Troikars.  Ein  selte- 
ner Bildnngsfehler,  den  Breschet  kürzlich  beobachtete  (s.  Archives  generales 
de  Medec.  Aout  p.  578.),  ist  das  gänzliche  Fehlen  der  Scheide;  oft  fehlt 
dann  zugleich  der  Uterus.  Doch  beobachtete  Rust  einst  einen  Fall,  wo  der 
Uterus  felüte,  aber  eine  Pseudoscheide  da  war,  durch  welche  der  Coitus 
Jahre  lang  verübt  werden  konnte.  Vergl.  Cassnn  in  Archiv,  general.  Janvier 
1826.  S.  85.  Rossi  Ebendas.  1827.  Octbr.  S.  266.  ViUaume  in  Froriep's 
Notiz.  1828.  Bd.  XX.  Nr.  1.  Lehman7i  in  Rust's  Magaz.  Bd.  VIH.  Hft.  1. 
S.  179.  Richter  Wundarzneikunst.  Bd.  VI.  S.  362.  S.  Cooper's  Handbuch 
der  Chirurgie.  Bd.  III.  S.  412. 

Atricbia.,  Haarlosigkeit;  s.  Alopecia. 

*  Atrophia,  Atrosia,  Contahescentia ,  Macies,  Tabes,  Atrophie, 
Abzehrung,  Darrsucht.  Ist  die  Folge  gehemmter  oder  wenigstens  be- 
einträchtigter Ernährung  eines  Theils  oder  des  ganzen  Körpers,  welche  sich 
durch  Abnahme  des  Volumens,  oft  durch  gänzliches  Schwinden  desselben, 
insoweit  es  die  Muskelsubstanz  und  das  Fett  gilt ,  zu  erkennen  giebt.  Das 
Übel  ist  daher  entweder  nur  örtlich,  oder  allgemein.  Für  die  Praxis  sind 
daher  folgende  Arten  zu  unterscheiden: 

Atrophia  localis,  partinlis,  topica,  die  örtliche,  partielle  Atrophie, 
das  Schwinden,  der  Verschwind  eines  Theils.  Sie  tritt  als  Symptom 
der  örtlichen  Lähmungen ,  zumal  der  rheumatischen  und  kachektischen,  oder 
auch  in  Folge  eines  Drucks  auf  die  zuführenden  Blutgefässe,  einer  Verenge- 
rung oder  sonstigen  Entartung  derselben  auf,  und  erscheint  als  Folge  eines 
gehemmten  oder  wenigstens  bedeutend  verminderten  Zuflusses  von  Nährstoff 
zu  dem  afficirten  atrophischen  Theile ,  und  vielleicht  auch  ,  wie  dieses  v\td 
besonders  bei  Atrophie  der  Glieder  nach  örtlicher  Lähmung  der  Fall  ist, 
eine  durch  verminderte  Reizempfänglichkeit  und  solches  Wirkungsvermögen 
bedingte  Unfähigkeit  den  afficirten  Theil  zu  bewegen ,  daher  die  Blut  -  und 
Säftebewegung  durch  mangelnde  Reibung  der  weichen  Theile  hier  nicht  ge- 
hörig vollzogen  werden  kann.  Auf  solche  Weise  entsteht  bei  Kranken  häufig 
Atrophie  (Abmagerung,  Tabescenz)  der  untern  Extremitäten,  wenn  sie  lange 
krank  darnieder  liegen,  was  Verfasser  dieser  Abhandlung  während  eines  fünf- 
monatlichen Krankenlagers  wegen  Asthma  e  dyscrasia  venosa,  bei  voUkomm- 
ner  Integrität  des  Volumens  der  übrigen  Partien  seines  Körpers,  am  genaue- 
sten an  sich  selbst,  sonst  ^ber  auch  bei  andern  Kranken  beobachtet  hat. 
(Da<s  häutig  Atrophie  eines  Gliedes  lediglich  die  Folge  von  gelähmtem  Zu- 


232  ATROPfflA  ^ 

Stande  des  Hauptnerven  dieses  Gliedes  sey,  da  ohne  den  Nerveneinfluss 
Vegetation  und  Production  leidet,  indem  ein  anhaltender  Druck  auf  den 
Hauptnerven  schon  ein  Glied  atrophisch  macht,  ist  nicht  zu  übersehen. 
Daraus  erklärt  sich  auch  die  gute  VVirkung  der  Elektricität  und  des  Gal- 
vanismus.  Most),  Abmagerung  der  untei-n  Gliedmassen  nach  vernachlässig- 
ten Luxationen  und  Fracturen ,  bei  Coxarthrocace ,  Gonarthrocace  ist  keine 
seltene  Erscheinung  (s.  Arthrocace).  Das  Schwinden,  Zusammenschrum- 
pfen der  weiblichen  Brüste  bei  Weibern  in  jungen  und  mittlem  Jahren 
(Atrophia  mammarum)  bei  fortbestehender  Ernährung  des  übrigen  Körpers 
ist  zuweilen  Symptom  eines  Leidens  im  Sexualsjsteme  (^Totf)  ,  häufig  ist  es 
die  Folge  der  gegen  Struma  und  Scrophulosis  iunerlich  und  anhaltend  ge- 
brauchten lodine,  wie  dies  viele  Arzte  beobachtet  haben  (^Coindci ,  Pcrrei), 
(daher  der  äusserliche  Gebrauch  —  Kali  hydriodinic.  5l^j  Axungiae  5JIV  — 
vorzuziehen  ist.  Af. );  oft  besteht  die  Tabescenz  der  Brüste  aber  nur  bei 
allgemeiner  Atrophie  als  eigenthümliche  Erscheinung  im  Greisenalter  des 
Weibes  (s.  unten).  Auch  gehört  zu  den  örtlichen  Atrophien  die  des  Auges 
(Atrophia  oculi,  Phthisis  ocularis) ,  wo  bei  bedeutenden  Augenfehlern,  nach 
heftiger  Phlegmone ,  die  Augenfeuchtigkeiten  vertrocknen ,  die  Atrophie  der 
Hoden  (Atrophia  testiculi)  als  Folge  kachektischer  Krankheiten  dieser  Theile. 
Cur.  Bei  der  Atrophie  nach  Lähmungen  nützen  Eisenbäder,  die  Douche, 
trockne  Frictionen ,  Einreibungen  mit  Unguent.  rorismar.  composit. ,  Kam- 
phersalbe ,  Ol.  phosphorat. ,  Urtication ,  warme  aromatische  Bäder ,  Malzbä- 
der, kühle  See-  und  Soolbäder,  Waschungen  mit  Spirit.  serpilli,  rcrisma- 
rin.  in  Verbindung  mit  ätherischen  Ölen  (s.  Him1y''s  Formel,  Art.  Amauro- 
sis). Innerlich  dienen  Martialia,  nährende  Kost,  China.  Sehr  wirksam  ist 
die  örtliche  und  allgemeine  Anwendung  der  Elektricität,  des  Galvanismus 
(^Most) ,  allmälig  verstärkte  Bewegungen  des  Gliedes,  Schlamm-  und  Moor- 
bäder zu  Marienbad ,  Eilsen ,  Nenndorf.  Lastet  ,  ein  Druck  auf  den  den 
Nährstoff  zu  dem  afficirten  Theile  leitenden  Gefässen,  so  entferne  man  die- 
sen nach  den  Kunstregeln ,  zertheile  oder  operire  Verhärtungen ,  Geschwül- 
ste ,  Gewächse  ,  entferne  Exostosen  etc.  Oft  liegt  dies  ausser  den  Grenzen 
der  Kunst,  z.  ß.  bei  Aneurysma  internum ,  bei  Gefässverengerungen ;  eher 
gelingt  es  bei  der  äusserlichen  Pulsadergeschwulst  durch  die  Ligatur  (s. 
Aneurysma  externum).  Entsteht  die  partielle  Atrophie  als  Folge  ge- 
hemmter Bewegung  eines  Theils ,  so  nützt  neben  nährender  Kost  das  täg- 
liche Spazierengehen  in  freier  Luft  (Tott^ ;  die  Atrophie  der  Brüste  als  Re- 
flex von  einem  Leiden  des  mit  ihnen  im  Consens  stehenden  Sexualsystems 
weicht  einer  gegen  das  Leiden  des  letztern  richtig  geleiteten  Cur ;  besteht 
das  Übel  als  Symptom  der  allgemeinen  Atrophie  ,  so  verschwindet  es  mit 
Hebung  der  letztern ;  ists  Symptom  des  höhern  Alters  ( Marasmus  senilis ), 
so  ists  unheilbar ;  entstand  es  durch  lodine ,  so  setze  man  das  Mittel  bei 
den  ersten  Spuren  desselben  aus  (und  gebrauche  als  Gegenmittel  häufiges 
Trinken  von  Zuckerwasser,  nachher  Chinadecoct.  M.).  Atrophie  der  Augen, 
der  Hoden  ist  in  den  meisten  Fällen  unheilbar. 

AtropMa  universalis,  allgemeine  Atrophie.  Sie  offenbart  sich  als 
Symptom  mehrerer  Kachexien  und  Dyskrasien  ,  als  der  Phthisis  pulmonalis, 
hepatica ,  lienalis .  pancreatica,  renalis ,  der  rheumatischen,  arthritischen  und 
gichtischen  Dyskrasie,  der  Nervenschwindsucht  (Tabes  nervosa),  besonders 
der  Rückendarre  (Tabes  dorsalis),  der  Mercurialkachexie  (s.  diese  Artikel) ; 
ausserdem  ist  sie  die  Folge  eines  jeden  für  den  Körper  absolut  zu  starken 
Säfte  Verlustes ,  der  meisten  Nerven  -  und  Venenaffectionen  ,  sowol  acuter  als 
chronischer  Art ,  ganz  besondei's  aber  auch  der  Scropheln ,  sowie  der  dem 
kindlichen  Alter  eigenthümlichen  Darrsucht  (s.  Atrophia  infantum)  und 
der  des  höhern  Alters  (Marasmus  senilis).  Wie  bei  der  örtlichen  Atrophie, 
so  erscheint  auch  hier  das  Übel  als  Product  eines  gehemmten  oder  beein- 
trächtigten Nutritionsprocesses  ,  mit  dem  Unterschiede,  dass  hier  nicht  ein 
ßinzehier  Theil,  sondern  der  Totalorganismus  leidet.  Cur.  Die  verschie- 
denen ,  oben  aufgeführten  Ki'ankheitszustände  müssen  durch  geeignete  Heil- 
methoden gehoben    also  die  Grundübel,  wovon  die  Atrophie  nur  ein  Symptom 


ATROPHIA  •  233 

ist,  behandelt  werden,  dann  verschwindet  auch  das  Symptom,  die  Atrophie, 
von  selbst.  Tritt  das  Übel  als  Folge  des  höhern  Alters  auf,  so  ists  unheil- 
bar und  der  Kranke  nimmt  es  mit  ins  Grab;  es  verkündet  den  Marasmus 
senilis.  (Hier  ists  gar  keine  Krankheit,  sondern  etwas  den  Naturgesetzen 
Gemässes,  Avorein  vsir  uns  finden  müssen,  so  gut  wie  in  den  Tod,  der  mit 
eintretendem  Marasmus  schon  Miene  macht  uns  allmälig  näher  zu  rücken.  M.). 
Atrophia  infantum,  glandularis,  iiifantilis,  Macies  infnnUim,  PaedairopJna, 
Darrsucht  der  Kinder.  Sie  beruhet  auf  fehlerhafter  Action  des  lym- 
phatischen und  Drüsensystems  im  Unterleibe,  wahrscheinlich  bedingt  durch 
eine  passive  Phlogosis  oder  Subinflammation  in  diesen  Gebilden,  daher  iden- 
tisch mit  Mesenteritis  chronica  (_Tott) ;  sie  ist  das  Bild  einer  anomalen  Lymph- 
und  Blutbereitung,  wovon  die  natürliche  Folge  eine  beeinträchtigte  Assimi- 
lation und  Nutrition  des  Kindeskörpers  ist.  Symptome.  Aufgetriebener, 
hart  anzufühlender  und  gespannter  Unterleib ,  in  welchem  man  die  erkrank- 
ten Gekrösdrüsen  wie  Haselnüsse  fühlen  kann,  und  welcher  allmälig  an  Härte 
zunimmt;  allgemeine  Abmagerung,  zumal  der  untern  Extremitäten,  oft  mit 
gleichzeitig  bestehenden  anderweitigen  Symptomen  der  Scrophelkrankheit, 
z.  B.  Anschwellung  der  Hals-,  Axillar-,  Inguinaldrüsen,  Biepharophthalmie, 
Blepharoblennorhöe ,  Ausschlägen  am  Kopfe  und  an  andern  Stellen  der  Haut, 
fressenden  Excoriationeu  um  den  Mund,  an  den  Lippen,  hinter  den  Ohren, 
oft  ohne  diese  Zufälle.  Atrophische  Kinder  sehen  bleich  und  erdfarben  aus, 
sie  haben  tiefliegende,  hohle,  matte  Augen,  blaue  Ringe  um  dieselben,  spitze 
Nase,  schlaffe,  blasse  oder  rauhe,  pei-gamentartig  straffe,  grauliche,  fest  an 
den  Knochen  anliegende  Haut  (^Tott);  ihr  Ansehn  ist  greisenähnlich,  altklug, 
sie  sind  muskelschwach,  ihr  Athem  riecht  sauer,  stinkt  wol  ganz  specifisch 
(T.},  ihr  Urin  ist  trübe,  weisslich,  molkig;  sie  leiden  an  Würmern,  bald 
an  schleimigen  Durchfällen,  bald  an  Verstopfung;  zuweilen  sind  die  Excre- 
mente  thonartig  gefärbt.  Sie  erbrechen  öfters,  trinken  viel,  husten  manch- 
mal, und  haben  gewöhnlich  starken  Appetit,  besonders  lieben  sie  rohe  Kost: 
Mehlspeise,  Klösse,  Pfannkuchen,  Kartoffeln,  grobes  Brot;  sie  leiden  an 
mancherlei  dyspeptischen  Beschwerden,  an  Icterus  mit  Auftreibung  der  Le- 
bergegend (T.),  verlieren  oft  Schleim  aus  der  Vagina,  aus  der  Nase,  so 
dass  ihnen  der  Nasenschleim  oft  über  den  Lippen  hängt.  Nimmt  das  Übel 
zu,  so  wird  der  Bauch  immer  härter  und  voluminöser,  die  Gliedmassen,  so- 
wie die  übrigen  Thelle  des  Körpers  magern  immer  mehr  ab,  es  treten  Zehr- 
fieber, coUiquatlve  Schweisse,  Durchfälle,  Aphthen  im  Munde  und  Darm- 
canale,  Lähmungen  der  Füsse,  Bauch-  und  allgemeine  Wassersucht,  und 
Tod  als  Folge  einer  völligen  Untergrabung  der  Lebenskräfte  ein.  Das  Übel 
dauert  Monate,  selbst  Jahre  lang,  ehe  der  Tod  erfolgt.  Nicht  selten  er- 
holen sich  indessen  die  Kinder,  selbst  beim  Anschein  der  grössten  Verzwei- 
felung ,  vermöge  ihrer  überaus  kräftigen  Reproductions  -  und  Naturkraft, 
selbst  bei  gleichzeitig  bestehender  allgemeiner  Scrophelkrankheit  und  wenn 
schon  Hydrops  ascites  und  Phthisis  pulmonalis  eingetreten  ist,  wovon  der 
Verfasser  ( T. )  ein  merkwürdiges  Beispiel  an  einem  sechsjährigen  Knaben 
noch  kürzlich  erlebte,  wo  sich  eine  Vomica  pulmonum  nach  aussen  glück- 
lich entleerte  und  die  allgemeine  Wassersucht  auf  den  Gebrauch  der  Rad. 
caincae  schwand  (der  richtige  Name  dieser  Wurzel  ist,  nach  Langsdorf,  Rad. 
chiococca,  M.).  Ursachen.  Prädisposition  geben  das  erste  bis  fünfte  Le- 
bensjahr, Abstammung  aus  der  ärmern,  niedern  Volksclasse,  Scropheln,  Blat- 
tern ,  Scharlach ,  die  Dentitionsperiode  und  die  mit  dieser  im  Complex  ste- 
henden chronischen  Bauchflüsse ,  ferner  die  Syphilis .  doch  auch  das  spätere, 
selbst  männliche  Alter,  wenn  es  früher  Scropheln  überstanden  hat  (?3f. ). 
Gelegentliche  Ursachen  sind :  Verfutterung  durch  Brot ,  Kartoffeln ,  Mehl- 
speisen ,  Fett  und  Salz  (besonders  im  ersten  Lebensjahre ,  wo  ausser  Milch, 
Zucker  und  Zwieback  keine  andere  Nahrung  neben  der  Mutterbrust  gereicht 
werden  sollte;  M.),  unreine,  feuchte  Luft,  ungesunde  Wohnungen,  Unrein- 
lichkeit  des  Körpers ,  der  Kleidung  und  Wäsche ,  zumal  w  enn  Habitus  scro- 
phulosus  vorhanden  ist,  oder  die  Scropheln  früher  überstanden  sind.  Cur. 
Die  Diät  ist  von  der  grössten  Wichtigkeit.      Vermeidung  alles  Roggenbrots, 


234  ATROPfflA 

der  Kartoffeln,  Mehlspeisen,  der  Säuren,  der  blähenden  Gemüse,  der  gei- 
stigen Getränke  und  in  der  Regel  auch  der  Milch;  dagegen  dient  der  täg- 
liche Genuss  des  aus  schwach  gerösteten  Eicheln  bereiteten  Kaffees,  der 
Fleischbrühen  mit  Möhrrüben,  Körbel ,  Petersilie,  leichtes  Fleisch  von  Ge- 
flügel, Hache  von  Kälberlungen,  Leber  und  Herz,  Weissbrot  (jedoch  wenig), 
Gel^e  von  Hirschhorn,  Kalbsfüssen,  Sago,  Salep,  Arrow -Root,  weichgesot- 
tene Eier ,  zum  Getränk  für  zarte  Kinder  Hufeland^s  Eierwasser  (1  fö  Was- 
ser, mit  Eigelb  und  Zucker  versetzt),  für  ältere  Kinder  gut  gehopftes, 
nicht  zu  starkes  Bier,  bei  Fieberlosigkeit  auch  Selterser,  Fachinger  und 
Schwalheimer  Wasser,  bei  Neigung  zu  Durchfällen  Brotabkochung  mit  Ei- 
gelb ,  am  Schlüsse  der  Cur  guter  alter  Wein  mit  Eigelb  und  Zucker,  thee- 
löifelweise.  Man  lasse  jedesmal  wenig,  und  dafür  öfters  essen.  Eine  reine, 
trockne  Luft,  viel  Bewegung  in  derselben  durch  Fahren,  Gehen,  besonders 
im  Sonnenscheine,  Reinlichkeit  durch  öfteres  Waschen  und  Baden  sind  Haupt- 
bedingungen zum  Gedeihen  atrophischer  Kinder.  Unter  den  pharmaceuti- 
schen  Mitteln  nützen  hier  alle  bei  Scropheln  gebräuchlichen  Arzneien,  insbe- 
sondere die  Verbindungen  des  Quecksilbers  mit  dem  Schwefel  und  dem  Spiess- 
glanz,  z.  B.  I^'  Aethiop.  antimonial.  5|1  —  5j,  Lnpid.  cancror.  ppt.  5J5  Elaeos. 
foeniculi  5jj-  M.  f.  p.  S.  Dreimal  täglich  eine  Messerspitze  voll.  Oder: 
t^  Aethiop.  antimonial.  5j,  Extr.  dulcnmar.,  Gumm.  guajaci  ana  5jj.  M.  f. 
l,  a.  pilul.  pond.  gr.  jj,  wovon  dreimal  täglich  5  —  8  Stück  genommen  wer- 
den (doch  nehmen  Kinder  ungern  Pillen;  3f.).  Am  besten  ists,  man  giebt 
Aethiops  antimonial.  in  Pulverform  zu  gr.  ß  —  gr.  jjj  (für  zwei-  bio  fünf- 
jährige Kinder,  und  zwar  in  Verbindung  mit  Cicuta,  Digitalis,  Dulcamara); 
auch  Borax,  Calx  muriat.,  Baryt  werden  empfohlen,  desgleichen  ist  Folgen- 
des sehr  wii'ksam :  ly  Merc.  dulcis  gr,  jy ,  Stilph.  aurati  gr.  V4 ,  Mngnes.  al- 
hac  gr.  X,  Herh.  cicutae  gr.  jj  —  iv,  Liquirit.  coctac  5f^-  M.  f.  pulv.  disp. 
dos.  xjj  (3f.),  wovon  Morgens  und  Abends  ein  Pulver  genommen  wird. 
Auch  gehe  man  bald  zu  stärkenden  Mitteln:  Rad.  calam.  arom. ,  gei  urbani. 
Gort,  cinnam. ,  chinae  etc.  über  oder  gebe  sie  gleichzeitig  mit  obigen  Pul- 
vern; z.  B.  I^  Rad.  calam-  arom.,  — gei  urhan.,  Cort.  chinae  reg.  ana  jfy, 
Rad.  rhei  5j ,  infunde  et  coque  c.  aq,  fontan.  q.  s.  ut  rem.  g^-jjj ,  col.  adde 
Tinct.  cinnam..,  —  aurantior.  ana  3jlV-  M.  S.  Viermal  täglich  einen  Esslöffel 
voll.  Auch  der  salzsaure  Baryt  wird  als  auflösendes  Mittel  sehr  empfohlen 
(^Hiifeland^,  z.  B.  I^r  Bargt,  miiriat.  5l>^ ,  solve  in  Aq.  destillat.  gj.  M.  S. 
Einmal  täglich  10  —  40  Tropfen;  desgleichen  der  Borax  und  der  salzsaure 
Kalk.  1^'  Boracis  31v?  Extr.  dnJcamar.  5jj,  —  nuc.  jugland.  3']\i  ■>  Aquae 
inenth.  er.  gjjj,  Syr.  flor.  aurant.  5J.  M.  S.  Wovon  dreimal  täglich  %  Ess- 
lölfel  voll  genommen  wird.  J^r  Calcar.  muriat.  5j ,  solve  in  Aquae  foeniculi 
§1v.  M.  S.  Täglich  zweimal  erst  5,  dann  10  und  zuletzt  (nach  mehrwöchent- 
lichera  Gebrauche)  40  Tropfen  in  Haferschleim.  Auch  verbindet  man  dies 
Mittel  mit  bittern  gewürzhaften  Mitteln,  und  zuletzt  mit  Eisenmitteln;  z.  B. 
I^  Calcar.  muriat.  5lV5  Extr.  dulcam,  —  nuc.  jugland.  ana  5j,  Aquae  cinnam. 
s.v.  3J,  solve.  S.  Zweimal  täglich  10  —  60  Tropfen.  Sehr  empfohlen  wird 
die  lodine,  die  indessen  nie  zu  anhaltend  und  stets  mit  Vorsicht  gebraucht 
werden  muss,  z.  B.  Tinct.  iodii  zu  5  — 10  Tropfen  in  Haferschleim  oder 
Salepsolution,  auch  alternirend  mit  Kalomel,  Merc.  solub.  Hahnem.  und 
Goldschwefel ,  besonders  bei  träger  Darmfunction  mit  Rheum.  Bei  Torpor 
passt  I^T  Kali  hydriodici  gr.  v,  Extr.  nuc.  jugland.,  —  rhei  aquos.  ana  5j, 
Aquae  foeniculi  5Jlv,  Tinct.  cort.  aurant.  5J!S  Sgr.  aurant.  5i\.  M.  S.  Drei- 
mal täglich  einen  Theelöffel  voll.  Des  berühmten  Kinderarztes  Gülis  Cur- 
methode  ist  folgende:  ^.'  Magnes.  carhonic.  giv,  Giimm.  gunjnci,  Ferri  pari 
ana  5)^,  Sacch.  alhi  5jjj'  M.  f.  pulv.  S.  Abends  und  Morgens  eine  Messer- 
spitze voll;  oder  I^  Pulv.  antihcctico-scrophulos.  Kaempfn  {Pulv.  bacc.  latiri, 
—  7JMC.  moschat ,  cornu  cervi  rasp.  ana)  ^\],  Gumm.  guajaci j  Ferri  puri  ana 
3t}r,  Sacchari  alhi  3jj-  M.  f.  pulv.  S.  Dreimal  täglich  eine  gute  Messer- 
spitze voll;  bei  entzündlicher  Anlage  bleibt  der  Guajak  weg;  dabei  dreimal 
in  der  Woche  ein  lauwarmes  Bad  von  Heusamen  und  Kleien.  Die  Nahrung 
besteht  aus  Suppe  und  Milch ;    sind  Exantheme  vorhanden ,   so   nimmt  man 


ATROPHIA  235 

statt  des  Eisens  5j  Aethiops  antimonialis  oder  martialis  und  den  Huflattich- 
aufguss  als  Thee.  Diese  Curmethode  ist  sehr  wirksam  (Toit)  (allerdings, 
denn  sie  hat  den  Vorzug,  dass  sie  das  Übel  bei  der  Wurzel  ergreift  und 
den  Körper  niclft  so  angreift ,  als  der  anhaltende  Gebrauch  des  Kalomels, 
der  lodine  und  des  Baryts ,  womit  oft  viel  Unfug  getrieben  wird.  M.). 
Sehr  wirksam  ist  in  chronischen  Fällen  der  Kupfersalmiak  als  Köchlin'scher 
oder  Gölis'scher  Liquor ;  auch  das  salzsaure  Gold ,  z.  B.  I^f  Aim  muriaiici 
gr.  IV,  solve  in  Aqua e  am])(jdal.  amarnr.  3IV,  Aqti.  flor.  liliae  gjj^.  M.  S.  Vier- 
mal täglich  20  —  25  Tropfen.  Ist  fiebei'hafter  Zustand  da,  so  passt  Sal- 
miak mit  Extr.  tai'axaci,  graminis,  chelidonii  und  Tinct.  rhei  aquos.  in 
einem  gelinden  aromatischen  Wasser;  bei  vorwaltender  Säure  passen  Absor- 
bentia  mit  bittern  Mitteln  (s.  die  beiden  Formeln  unter  Absor bentia). 
Auch  folgende  Formel  passt  bei  üeberhaftera  Zustande :  I^  Kali  acetici  5J , 
Aquac  menth.  crisp.  31V,  Tinct.  rhei  aquos.  3vj,  Sncchayi  alhi  ^i>.  M.  S. 
Zweimal  täglich  1  Esslöffel  voll.  In  fieberlosen  Zuständen  und  bei  torpiden 
Kindern  passt  I^?  PuJv.  ari  gr.  x,  Fell,  tauri  insp.  gr.  j,  Sapon.  venet.  gr.  v, 
Sacchari  ^j.  Zweimal  täglich  ein  Pulver.  Ferner  hat  man  empfohlen  das 
Ol.  jecor.  aselli ,  die  Spongia  usta ,  den  Egerbrunnen  und  die  süssen  Mol- 
ken. Nachdem  solche  Resolventia  eine  Zeit  lang  gebraucht  worden  sind, 
nützen  Laxantia  aus  Jalape  oder  Rheum  mit  Kalomel ;  bei  Würmern  dienen 
Zusätze  von  Anthelminthicis.  Erst  wenn  Drüsen  und  Lymphgefässe  wieder 
freier  fungiren,  was  aus  dem  gebesserten  Allgemeinbefinden,  dem  öf- 
tern  Abgange  vieler  Infarcten,  dem  Verschwinden  des  widernatürlich  ausge- 
dehnten Bauches  erkannt  wird ,  sind  anfanglich  Amara ,  darauf  China  und 
zuletzt  Eisen ,  auch  Pyrmont ,  Spaa ,  Driburg ,  zur  Affirmativcur  an  ihrer 
Stelle.  Bei  hektischem  Fieber  dient  neben  nährender  Kost  China  mit  Kali 
carbonicum  oder  Kali  aceticum ;  oft  schwindet  es  unter  dem  Gebrauche  der 
Resolventia  (T.)  mit  interponirten  Laxanzen.  Bei  fieberloser  Abzehrung 
nützen  auch  Selterwasser  und  Malztrank.  Durchfälle,  Aphthen,  Erbrechen 
werden  nach  den  Kunstregcln  behandelt.  Vor  Allem  vergesse  man  das  Ba- 
den nicht;  warme  Bäder  von  Seife,  Chamillen  und  Kleien  (T.)  ,  von  Koch- 
salz, warme  Sool  -  und  Seebäder,  auch  Bäder  mit  Zusatz  von  1%  Unzen 
Seife,  2  Unzen  weissem  Bolus  und  4  Tropfen  Ol.  citri,  oder  Bäder  von 
Calcar.  muriat.  3j ,  Liquor  ferri  muriat.  5jj  ?  Aquae  destill,  ^jj ,  zu  jedem 
Bade  (ßundcUn,  Tott)  sind  sehr  nützlich;  desgleichen  Einreibungen  mit  Un- 
guent.  mercuriale,  —  kali  hydriodici,  mit  HufelaniVs  Scrophelsalbe ,  be- 
stehend aus  Unguent.  althaeae  ^f^,  Fell,  tauri  recent  ,  Sapon.  medicati,  Pe- 
Irolei,  Sal.  cormi  cei~vi  ana  Sjll,  Camphorac  5j^-  M. ,  womit  der  Unterleib 
Abends  und  Morgens  Y4  Stunde  lang  eingerieben  wird,  mit  einer  Salbe  aus 
Unguent.  mercuriai.  cinereum  und  Unguent.  digitalis  ana  ^iv,  sind  sehr  wirk- 
sam. Auch  ist  folgendes  Pflaster,  welches,  dick  auf  Leinwand  gestrichen, 
zweimal  täglich  auf  den  ganzen  Unterleib  gelegt  wird ,  zu  empfehlen : 
1:^  Herh.  digital,  pitlv.  gjjy ,  Aceti  vini  crudi  jvj ,  coq.  ad  rem.  51V ,  cola ; 
Colaturae  evaporatae  leiii  igne  ad  extr.  consist.  adde  Mercurii  dulc.  5j  5  t/n~ 
guent.  elemi  5J.  M.  S.  Pflaster.  Desgleichen  folgende  Salbe:  1^  Calcar. 
muriat.  5jß  ?  Pulu.  fol.  digital.  5]]],  Aceti  concentr.  3j  ?  Adip.  suill.  loti  gjß^. 
M.  S.  Zum  Einreiben.  Was  auflösende  Salben  vermögen,  kann  auch,  frei- 
lich auf  langsamem  Wege ,  durch  Empl.  cicutae ,  mercuriai.  und  sapona- 
tum,  auch  Empl.  de  galb.  crocat. ,  —  foetid.  und  ammoniac. ,  mit  Kampher 
versetzt ,  erzielt  werden.  Wo  bittere  Mittel ,  China  und  Eisen  angezeigt 
sind ,  da  passen  auch  warme  Bäder  mit  Kalmus ,  Spec.  aromat.  Ph.  Boruss., 
mit  Cort.  quere,  pulver. ,  Stahlkugeln ,  natürliche  Stahlbäder ,  bei  grosser 
Abzehrung  besonders  Malzbäder ,  dergleichen  Einreibungen  von  Unguent. 
nervinum,  Mixtura  oleoso  - balsamica ,  Waschungen  mit  Wein,  Franzbraiuit- 
wein,  Spirit.  serpilli  etc.  C.  A.  Tott. 

Nachschrift  des  Herausgebers.  Die  Cur  der  Atrophie  der  Kin- 
der ist  ganz  die  der  Scropheln,  weil  zwischen  beiden  Krankheiten  wol  kein 
wesentlicher  Unterschied  stattfindet.  In  praktischer  Hinsicht  können  wir 
hier   drei  Stadien  des  Übels  annehmen :    1)  das  Stadium  prodromorum.     15* 


236  ATROPHIA 

tritt  häufig  in  der  Periode  des  Entwöhnens  der  Kinder  ein ;  sie  leiden  meist 
an  Durchfällen,  die  Faeces  sind  abnorm  gemischt,  missfarbig,  weisslich-grau, 
thonähnlich,  gehackt,  und  riechen  sauer;  oft  wechselt  Verstopfung  und 
Diarrhöe  mit  einander  ab ;  dabei  sehen  die  Kinder  blass  aiis ,  magern  ab, 
zeigen  noch  viel  Geist,  werden  aber  leicht  mürrisch,  verdriesslich.  Hier 
vermag  schon  eine  gute  Diät  (s.  oben) ,  alle  zwei  Tage  ein  warmes  Bad 
von  Sppc.  aromat. ,  worin  das  Kind  10 — 15  Minuten  verweilt,  Reinlichkeit, 
reine  Luft,  der  Genuss  von  schwacher  Kalbtteischbrühe  sehr  viel.  Innerlich 
verordne  ich  hier  Folgendes:  Rr  Liquor,  lali  carhon.  5jj> ,  Aqnnc  foenicuU 
gv,  Syr.  rhei  5J,  wovon  dreimal  täglich  V2  Esslöffel  genommen  wird.  Ist 
diese  Arznei  verbraucht ,  so  gebe  ich  14  Tage  lang  Vinum  stibiatum  ganz  rein, 
dreimal  täglich  zu  5  — 10  Tropfen.  Anderer  Mittel  bedurfte  es  selten. 
2)  Stadium  atrophiae  perfectae.  Hier  sind  alle  oben  (s.  Atrophia  in- 
fantum) beschriebenen  Symptome  zugegen.  Der  Bauch  ist  dick,  aufge- 
trieben, das  Gesicht  und  die  Glieder  dagegen  höchst  mager;  auch  findet 
man  häufig  Mitesser  (Comedones)  in  der  welken,  schlaffen  Haut,  und  der 
säuerliche  Geruch  der  abnormen  Stuhlausleerungen  fehlt  selten.  Hier  pas- 
sen vorzüglich  Salzbäder,  später  Stahlbäder,  daneben  spirituöse  Waschungen 
des   ganzen  Körpers,    innerlich   gebe  ich   acht  Tage   lang,    dreimal    täglich 


täglich  V2 — 1  Essiöffel  voll.  Bessert  sich  danach  der  Zustand,  wird  der 
Bauch  dünner,  kann  man  die  aufgetriebenen  Gekrösdrüsen  nicht  mehr  füh- 
len, so  gehe  ich  zu  Decoct.  chinae ,  gei  urbani,  Infus,  cal.  arom.  über,  ver- 
ordne darauf  Tinct.  nervina  Bestucheff. ,  dreimal  täglich  zu  5  —  25  Tropfen 
und  lasse  mit  Stahlkugeln  baden.  Ist  das  Übel  schon  alt,  sind  die  Kinder 
über  zwei  Jahre  alt ,  so  gebe  ich ,  nachdem  8  Tage  lang  die  obigen  Mer- 
curialpulvcr  gebraucht  sind,  folgende  Tropfen:  Rr  Cujrri  siilphurico - nmmo- 
ninti  5ßr ,  solve  in  Aqune  dcsiiUatac  5JJ.  M.  S.  Dreimal  täglich  5  —  25  Tro- 
pfen in  Wasser,  nachdem  kurz  vorher  ein  Stück  altes  Weissbrot  gegessen 
worden.  Dieses  Mittel  lasse  ich  3  Wochen  lang  gebrauchen ,  alsdann  acht 
Tage  lang  die  Tinct.  nervina  Bestuch. ,  dann  wieder  14  Tage  lang  die  Ku- 
pfertropfen; alsdann  beschliesse  ich  die  Cur  mit  dem  raehrwöchentlichen 
Gebrauche  der  Tinct.  ferri  muriatici.  Nach  dieser  Cujmethode  bessern  sich 
die  Kranken  von  Tage  zu  Tage,  ihre  ganze  Natur  ändert  sich  um,  und  sie 
bekommen  Appetit  nach  Speisen  animalischer  Art,  die  sie  sonst  mit  Ekel 
genossen.  Selten  bedurfte  es  in  meiner  Praxis  anderer  Mittel.  Die  lodine 
habe  ich  stets  nur  äusserlich  angewandt,  und  vom  Innern  Gebrauche  des 
Baryts  sah  ich  keine  Besserung.  Dass  bei  atrophischen  Kindern  nicht  blos 
die  mesenterischen  Drüsen  ,  die  Leber  und  Milz ,  sondern  auch  Magen  und 
Darmcanal  leiden,  dass  selbst  ein  Schwinden  der  letzt ern,  grosse  Verdün- 
nung ihrer  Haut  stattfinde,  haben  Leichenöffnungen  bewiesen  (Scliönleiii). 
3)  Stadium  colli(}uativum.  Dass  in  diesem  Stadium  noch  Hülfe  möglich  ist, 
hat  oben  Hr.  Dr.  Tott  schon  durch  ein  Beispiel  dargethan.  Es  erscheint 
mit  der  Zunahme  aller  Symptome  des  zweiten  Stadiums  nun  eine  Febris  lenta 
gastrica  oder  pituitosa.  Hier  versteht  es  sich  von  selbst,  dass  wir  anders 
als  im  zweiten  Stadium  verfahren  müssen;  hier  müssen  die  Zufälle  der  Col- 
liquation  durch  Columbo,  Cort.  simarubae ,  Decoct.  ratanhiae,  Tinct.  cinna- 
momi ,  durch  aromatische,  mit  Wein  und  Branntwein  bereitete  Fomentatio- 
nen  auf  den  Unterleib,  durch  Mineralsäuren  etc.  gehoben  %> erden.  Ausser 
den  schon  oben  er\%  ahnten  Arten  der  Atrophie  füge  ich  der  Vollständigkeit 
•wegen  noch  folgende  hinzu. 

Atruphin  nervosa ,  Tahcs  nervosa ,  sicca ,  Phthisis  nervosa,  Nerven- 
schwindsucht, Hektik.  Dieses  Übel  ist  weiter  nichts  als  ein  schlei- 
chendes, hektisches  Fieber  (s.  Febris  lenta  nervosa).  In  den  meisten 
Fällen  ists  der  Charakter  der  Febris  nervosa  versatilis. 

Atrophia  cercbn  infantum.  Gehirn  a  t  rophie  der  Kinder.  Dieses 
Übel   iat   häufig   mit   Cretinismus   verwechselt   worden.      Symptome.     Die 


ATROPHU  237 

Krankheit  zeigt  sich  im  zweiten,  dritten  Lebensjahre.  Die  Kinder,  die 
früher  geistreich,  lebhaft,  munter  \Yaren,  werden  allmälig  träge,  schläfrig, 
stumpfsinnig ,  ihr  Gang  ist  schwankend ,  Kopf  und  Bauch  sind  gross ,  das 
Gesicht  wird  thierähnlich,  die  Brust  ist  klein,  und  zwischen  den  obern  und 
untern  Extremitäten  findet  ein  Missverhältniss  statt.  Der  Tod  erfolgt  durch 
Wasserbildung  im  Kopfe,  durch  Darmatrophie,  durch  tj^phöses  Fieber.  Dia 
Section  zeigt  das  Gehirn  verschrumpft  und  zusammengefallen  (^Schönlebi). 
Cur.  Kräftige  Purganzeh  aus  Mercur  dulc. ,  darauf  innerlich  KMpfersal- 
miak,  äusserlich  Reizmittel,  Brechweinsteinsalbe  im  Nacken,  besonders  aber 
Einreibungen  davon  in  den  ganzen  kahlgeschornen  Kopf,  selbst  das  Caute- 
rium  actuale  auf  den  Kopf. 

Airophia  ccrehri  senum.  Gehirnatrophie  der  Greise.  Sie  hat 
mit  der  Gehiniatrophie  der  Kinder  viel  Ähnlichkeit  (Jahi) ;  es  folgt  Stumpf- 
sinn, Blindheit,  Taubheit,  halbseitige  Lähmung;  das  Gesicht  ist  zusammen- 
gefallen, die  Nase  spitz,  die  Augen  sind  starr,  gläsern,  die  Extremitäten 
kalt,  es  entstehen  leise  Zuckungen  und  Tod.  Zuweilen  ist  das  Übel  mit 
Hydrocephalus  chronicus  senilis  verbunden ,  wo  alsdann  das  Gesicht  gelb- 
bläulich wird,  die  Sphinktei-en  nachlassen,  der  Kopf  nach  vorn  sinkt  und 
der  Kranke  unter  Convulsibnen  (im  Alter  von '60,  70  Jahren)  stirbt.  Die 
Section  zeigt  ein  welkes,  zusammengefallenss  Gehirn,  die  Substanz  compact, 
die  graue  Masse  vermindert,  die  weisse  schmuziggelb ,  die  Hirnnerven  dick 
und  gross,  die  Gefässe  oft  verknöchert,  und  (bei  Anwesenheit  des  Hydro- 
cephalus) zwischen  Arachnoidea  und  Pia  mater,  sowie  in  den  Hirnhöhlen 
Wasser  (Schönlein,  Monlin,  Gölis).     Das  Übel  ist  wol  immer  unheilbar. 

Airophia  ghtndularum.     Ist  Atrophia  infantum. 

Airophifi  Jorsi,  Tabes  dorsalis,  cocca,  postica,  coxaria ,  iscMadica, 
Rücken  darre.  Ist  weiter  nichts  als  eine  Hektik,  entstanden  durch  ein 
bestimmtes  ursächliches  Moment :  durch  übermässige  Samenausleerungen, 
Folge  der  Onanie ,  des  zu  häufigen  Beischlafs ,  sowol  beim  weiblichen ,  als 
beim  männlichen  Geschlechtc;  am  häufigsten  folgt  sie  auf  das  Laster  der 
Onanie  bei  jungen  Mädchen  und  Knaben ;  letztere  leiden  besonders  noch 
durch  die  schwächenden  Pollutionen.  Die  Hauptsymptome  sind :  Gesichts- 
blässe, Magerkeit,  Kopfschmerz,  Schwindel,  Frösteln  und  knebelndes  Ge- 
fühl längs  der  Wirbelsäule,  Verstimmung  des  Gemüths,  Gedächtnissschwä- 
che, gebückter  Gang,  Melancholie,  Stupidität,  Neigung  zum  Selbstmord, 
partielle  Paralysen,  hektisches  Fieber  mit  den  Zeichen  der  Colliquation  und 
Tod.  Cur.  Entfernung  der  ursächlichen  Momente ,  Sorge  für  gute ,  nicht 
reizende  Nahrung,  stärkende  Arzneien  nach  dem  Grade  der  Verdauungskraft, 
besonders  China,  Quassia,  Elix.  vitrioli  Mynsichti  mit  Tinct.  chinae;  ist 
Zehrfieber  da,  dann  behandle  man  dieses,  wie  die  Zufälle  der  Colliquation, 
nach  den  bekannten  Kunstregeln  (s.  Febris  lenta  nervosa;  vergl.  auch 
Tabes).  Die  Abmagerung  der  Hoden  (Aridula,  Marcor  testiu:ii) 
kann  in  Folge  von  Ausschweifungen,  Onanie,  wo  sie  mit  Rückendarre  oft 
zugleich  vorkommt,  ferner  durch  anhaltenden  Druck:  durch  die  ausgedehn- 
ten Gefässe  bei  Cirsocele  (B.ichter,  Pott),  durch  schlecht  angelegte  Banda- 
gen, in  der  Malerkolik,  nach  Jahre  langer,  früher  genossener,  jetzt  völlig 
sich  enthaltender  physischer  Liebe  {Monfalcon) ,  durch  Missbrauch  der  lo- 
dine,  auch  im  hohen  Alter  durch  allgemeinen  Marasmus,  selbst  nach  Ver- 
letzungen des  Hinterhauptbeins ,  wo-  sich  nach  Gall,  Spurzheim  etc.  das 
Organ  der  Geschlechtsliebe  befindet,  und  nach  tiefen  Nackenwunden  (Lar- 
rey) vorkommen.  Sowol  die  Hoden  als  der  Samenstrang  schrumpfen  allmä- 
lig immer  mehr  zusammen,  die  Zeugung'skraft  geht  verloren  und  die  Kran- 
ken werden  physisch  und  moralisch  den  Kastraten  ähnlich  (s.  Castratio), 
Nur  bei  beginnendem  Übel  ist  noch  durch  reizende,  stärkende  Mittel:  Rei- 
ben des  ganzen  Körpers  mit  Flanell ,  durch  Bäder ,  spirituöse  Waschungen, 
^urch  ein  dicht  anschliessendes  Suspensorium,  durch  vieles  Wassertrinken, 
-Enthaltung  des  Coitus  und  des  Genusses  der  Spirituosa  etc.  Hülfe  möglich. 
Nach  A.  Cooper  (Observ.  on  the  structure  and  diseases  of  testis.  London, 
1830)  ist  das  Schwinden  des  Hodens  in  der  Pubertät  oft  Folge  von  Orchi- 


238  ATTONITUS  MORBUS  —  AUSCULTATIO 

tis,    doch  sah  sie  C.  nie  bei  der  Orchitis  metastatica ,    die  zuweilen  nach 
Parotitis  folgt. 

Atrophia  mammarum,  oculi,  lesticuJi,  s.  Atrophia  partialis. 

Atrophia  unguium.  Hier  werden  die  Nägel  weiss,  glanzlos,  trocken  und 
fallen  stückweise  ab.  Das  Übel  ist  eine  krankhafte  Affection  der  Matrix, 
wodurch  der  Nagel  ernährt  wird.  Es  kommt  besonders  bei  Lues  venerea 
inveterata  mit  Haut-  und  Knochenleiden  vor.     S.  Syphilis. 

Attoni-tus  morlbus,  s.  Apoplexia. 

AttratientiA  (rnedicnminn) ,  heranziehende  Mittel.  Sind  sol- 
che, welche  an  den  applicirten  Ort  einen  vermehrten  Zutiuss  von  Säften 
xind  dadurch  eine  Ableitung  von  einem  andern  Theile  des  Körpers  bewirken. 
Es  gehören  hieher  Kataplasmen,  Bäder,  Dämpfe,  Blutegel,  Schröpf  köpfe 
etc.,  die  ihre  Anwendung  gegen  Metastasen  auf  innere  Organe,  zur  Beför- 
derung wohlthätiger,  unterdrückter  Profluvien :  Menstruation,  Hämorrhoidal- 
tiuss,  Milchabsonderung  etc.  finden.     S.  auch  Derivatio. 

Attritus»  AttrUio,  Diatrimmn,  s.  Ecdarsis  «nd    Excoriatic' 
AudituiS  difficiliSj  gravis,    imminutus,    Schwerhörigkeit;    s.  Co- 
p  h  0  s  i  s. 

Aura  epileptica,  s.  Epilepsia. 

Aiiri^O,  Gelbsucht;  s.  Icterus, 

Aurium  dolor«  s.  Otalgia. 

Aurium  jüordes,  Unrath  in  den  Ohren  Oft  ist  hier  das  Oh- 
renschmalz verhärtet ,  wodurch  Schwerhörigkeit  entsteht.  Man  hebt  das 
Übel  dadurch,  dass  man  mit  einer  kleinen,  eine  Unze  Flüssigkeit  aufiieh- 
menden  Spritze  laues  Seifenwasser  in  die  Ohren  zu  verschiedenen  Malen 
einspritzt,  und  dann  vorsichtig  mit  der  Spitze  einer  Hohlsonde  die  verhär- 
teten Pfropfe  herausholt.  Nachher  tröpfelt  man  erwärmtes  Mandelöl  in  die 
Ohren  und  lässt  einige  Tage,  um  Erkältung  zu  verhüten,  Baurasvoile  in  den- 
selben tragen. 

AuscultatiOj  die  Auscultation,  das  Anhören,  Erforschen 
durchs  Gehör.  Ist  ein  neueres  Verfahren ,  innere  Krankheitszustände  und 
Veränderungen,  besonders  in  der  Brust-  und  Bauchhöhle,  durchs  Gehör 
mittels  des  Höi'rohrs  (Stethoskop),  oder  durchs  Anlegen  des  Ohrs  an  die 
äussern  Theile,  oder  durch  die  schon  von  Auenhrugger  empfohlene  mittels 
des  Anklopfens  mit  der  Hand  an  die  Cavität  oder  mittels  des  später  von 
Piorry  erfundenen  Plessimeters  erhaltene  Percussion  näher  zu  erfor- 
schen. Als  semiotisches  und  diagnostisches  Mittel  ist  die  Auscultation  von  der 
grössten  Wichtigkeit,  und  es  ist  gewiss  Pflicht  eines  jeden  guten  Arztes, 
sich  mit  ihr,  mit  den  Regeln  zur  Anwendung  des  Stethoskops  und  Plessi- 
meters, welche  beide  Instrumente  noch  nicht  einmal  2  Thaler  kosten,  genau 
bekannt  zu  machen.  In  Deutschland  hat  der  Gegenstand  bis  jetzt  ein  sei- 
ner Wichtigkeit  nach  zu  geringes  Interesse  gefunden ,  woran  meist  die  Leh- 
rer einzelner  klinischer  Institute  auf  verschiedenen  deutschen  Akademien,  di^e 
selbst  keine  praktische  Anleitung  zur  Application  der  zur  Auscultation  nö- 
thigen  Instrumente  gehabt  haben,  Schuld  sind.  Und  dennoch  eignet  sich 
dieselbe  gerade  am  meisten  für  die  Hospitalpraxis ,  weil  hier  die  Section, 
die  erst  alle  Gewissheit  giebt,  aber  in  der  Civilpraxis  leider!  so  oft  ver- 
weigert wird,  stets  unternommen  werden  kann.  In  Frankreich  und  Eng- 
land dagegen  ist  sowol  die  mittelbare  als  unmittelbare  Auscultation  unter 
den  Ärzten  weit  mehr  beliebt,  luid  zwar  mit  vollem  Rechte.  Jeder  Arzt, 
der  anders  ein  gesundes  Hörorgan  und  nur  einigen  Sinn  für  Musik  besitzt 
oder  sein  Gehör  durch  Musik  dahin  ausgebildet  hat,  feine  Unterschiede  in 
den  Tönen  und  der  Instrumentirung ,  die  Andern  entgehen,  wahrzunehmen, 
wird  den  Gegenstand  bei  fortwährender  Übiuig  mit  jedem  Tage  lieber  ge- 
winnen; denn  die  richtige  Diagnose  innerer  Krankheiten  bleibt  auch  selbst 
dann   noch   von   der   grössten  Wichtigkeit,    wenn  dieselben,    wie  es  leider! 


AÜSCULTATIO  239 

bei  Phthisis  vera  exulcerata,  bei  manchen  Herzübeln  der  Fall  ist,  als  un- 
heilbar zu  betrachten  sind.  Heyfelder  nennt  die  Auscultation  eine  der  wich- 
tigsten Entdeckungen  und  fruchtbringendsten  Bereicherungen,  welche  der 
Medicin  innerhalb  der  letzten  Decennien  zu  Theil  geworden  sind  (s.  RusCs 
Handb.  d.  Chirurgie,  Bd.  II,  S.  557).  Lnennec ,  der  Erfinder  derselben, 
stellte  im  J.  1816  die  ersten  Versuche  darüber  an,  und  theilte  im  J.  1818 
seine  Beobachtungen  in  einem  Memoire  sur  l'auscultation  etc.  der  Akademie 
der  Wissenschaften  mit.  Er  gebrauchte  bei  der  Untersuchung  der  Respira- 
tion und  der  Stimme  das  Stethoskop  ohne  Schliessstück ,  und  geschlossen 
bei  der  Untersuchung  des  Herzens  und  der  grossen  Gefässe.  Bei  gesunden 
Lungen  hört  man  durch  dasselbe  während  der  In-  und  Exspiration  ein  leich- 
tes,  hellklingendes  Geräusch,  welches  Andral:  Bruit  d'expansion 
pulmonaire  nennt,  und  besonders  bei  Frauen  und  Kindern  recht  helltönend 
und  deutlich  erscheint,  sobald  das  Hörrohr  auf  die  obern  und  seitlichen 
Theile  der  Brust,  in  die  Achselhöhle,  zwischen  Schlüsselbein  und  Muse 
trapezius  gesetzt  wird.  Je  weniger  dieses  Geräusch  wahrgenommen  wird, 
desto  eher  muss  man  auf  krankhaft  afficirte  Lungen  schliessen.  Beim  Lun- 
genemphysem ,  bei  Hepatisation  der  Lunge ,  bei  Pneumonie  und  serösen 
Ergiessungen  zwischen  Lunge  und  Pleura  fehlt  es  entweder  ganz,  oder  es 
ist  auffallend  dergestalt  verändert ,  als  wenn  ein  Rohr  von  Erz  geblasen 
werde  und  dann  die  Stimme  keine  Resonanz  besitzt,  indem  die  Luft  nicht 
bis  in  die  Lungenzellen  gelangt  (^Respiration  Ironchique).  Sind  Flüssigkeiten 
in  den  Bronchien ,  so  bemerkt  man  ausser  dem  veränderten  oder  mangelnden 
Bruit  d'expansion  pulmonaire  noch  ein  Röcheln,  wovon  Lnennec  verschie- 
dene Modificationen  annimmt ,  nämlich  1)  Rdle  niuqueux ,  Gnrgouillcment ;  es 
gleicht  dem  Athmen  eines  Sterbenden  und  kommt  bei  Katarrhen ,  erweich- 
ten Tuberkeln  und  wenn  Flüssigkeiten  in  der  Trachea  und  den  Bronchial- 
ästen sind,  vor;  daher  es  auch  Andral  Rdle  humide,  Rnle  hronchique  nennt. 
2)  Rale  crepitant  Lnennec,  Rnle  sec  Andral.  Es  gleicht  dem  Tone  des  de- 
crepitirenden  Kochsalzes,  wenn  es  auf  glühende  Kohlen  geworfen  wird,  ist 
dem  ersten  Stadium  der  Lungenentzündung,  der  Haemoptysis  und  dem 
Oedem  der  Lungen  eigenthümlich ,  und  besonders  deutlich  während  der  In- 
spiration. Wird  es  bei  Pneumonie  so  stark ,  dass  man  das  natürliche  Re- 
spirationsgeräusch nicht  mehr  hört,  so  kann  man  annehmen,  dass  die  Ent- 
zündung weiter  um  sich  gegriffen  hat ,  das  Gegentheil  zeigt  Abnahme  der 
Krankheit  an.  S)  Rdle  sonore,  das  schnarrende,  girrende  Röcheln- 
Es  zeigt  enge  Fisteln  in  den  Lungen  und  erweiterte  Bronchialäste  an. 
4)  Rdle  Sibilant,  Sifflement.  Das  pfeifende  Röcheln  am  Ende  oder  zu 
Anfenge  einer  Inspiration  bezeichnet  die  erste  Periode  katarrhalischer  Affe- 
ctlon  der  Bronchien.  Eine  vollkommen  gesunde  Stimme  resonirt  auffal- 
lend unter  dem  Stethoskope,  besonders  bei  magern  Leuten  und  wenn  mau 
das  Hörrohr  in  die  Achselgrube,  zwischen  Sternum  und  Glavicula  oder  zwi- 
schen Scapula  und  Wii'belsäule  setzt.  Menschen  mit  tiefer  Stimme  haben 
eine  stärkere  und  dumpfere  Resonanz,  bei  Frauen  ist  sie  heller,  bei  Kin- 
dern hat  sie  oft  den  Klang  wie  Pectoriloquie.  Die  Stimme  ist  krank  zu 
nennen :  a)  wenn  die  Resonanz  stärker ,  als  im  natürlichen  Zustande  und 
auf  Punkten  bemerkbar  ist,  wo  man  sie  gewöhnlich  nicht  wahrnimmt.  Lnen- 
nec nennt  sie  Bronchoplionie ,  wenn  sie  so  stark  ist,  dass  am  Brüstende  des 
Stethoskops  die  articulirte  Stimme  gehört  wird ,  was  man  bei  theil  wei- 
ser Hepatisation  der  Lunge,  bei  Lungentuberkeln  und  bei  Erguss  von  Flüs- 
sigkeiten zwischen  Lunge  und  Pleura  wahrgenommen  hat.  —  b)  Wenn  sie 
durch  den  Canal  des  Stethoskops  zum  Ohre  des  Ai'ztes  gelangt  (Pectorilo- 
quie nach  Lnennec) ,  entweder  bald  mehr ,  bald  w  eniger  deutlich  vernehm.^ 
bar,  welches  Phänomen  vor  Allem  bei  tuberculösen  Aushöhlungen  der  Lun- 
gensubstanz wahrzunehmen  ist ,  wenn  man  das  Stethoskop  auf  solche  Stel- 
len und  an  die,  welche  mit  der  Spitze  der  Lungen  correspondiren ,  in  die 
Achselhöhle,  unter  die  Clavicula  und  den  Trapezius,  setzt.  Auch  bemerkt 
man  dasselbe  bei  einfachen.  Fisteln  in  der  Lungensubstanz,  die  mit  fibrös - 
knorpelartiger  Haut  ausgekleidet  sind.     Elnthalten  die  Höhlen  viel  Flüssig- 


240  AÜSCULTATIO 

keit  und  verstopfen  sich  die  zu  den  Bronchien  führenden  Gänge,  so  wird 
die  Pectoriioquie  weniger  deutlich  und  kann  unter  Umständen  selbst  aufhö- 
ren. Unvollständig  ist  die  Pectoriioquie,  wenn  sie  auf  einer  Partie  der  Brust 
stärker,  als  auf  der  andern  vernommen  wird  und  sie  das  Stethoskop  nicht 
•von  einem  Ende  zum  andern  zu  durchdringen  scheint ;  zweifelhaft  ist  sie, 
sobald  die  Stimme  schmetternd  und  gehackt  ist  und  am  Brustende  des  Cy- 
linders  zu  haften  scheint.  Bei  noch  nicht  erweichten  Tuberkeln  fehlt  sie, 
■überhaupt  giebt  die  Auscultation  über  rohe  Tuberkeln  wenig  Auskunft,  und 
Andrnl  nennt  die  von  Laennec  über  das  Vorhandenseyn  derselben  aufgestell- 
ten Merkmale  im  höchsten  Grade  zweifelhaft.  —  c)  Krankhaft  ist  ferner  die 
sogenannte  meckernde,  schmetternde,  silberklingende  Stimme, 
die  man  durchs  Stethoskop  ohne  eigentliche  Pectoriioquie  wahrnimmt  und 
•von  Laennec  Egojihonie ,  Aiijophonie,  la  pectoriioquie  chevrotante  genannt  wor- 
<len  ist  und  die  Gegenwart  einer  Flüssigkeit  oder  weichen  Pseudomembran 
•in  den  Säcken  der  Pleura  anzeigt,  daher  vorzugsweise  bei  Pleuritis  wahr- 
genommen wird.  Diese  Aegophonie  variirt  oft ;  denn  bald  gleicht  sie  dem 
Meckern  einer  Ziege ,  bald  der  Stimme  des  Polichinells ,  bald  ist  sie  wie 
aus  einer  Trompete  geschmettert ,  bald  erstickt  und  mit  einem  Blasen  be- 
gleitet. —  d)  Entdeckt  das  Stethoskop,  indem  der  Kranke  redet,  ein  Ge- 
räusch, als  wenn  eine  Glas-  oder  Metallplatte  durch  einen  harten  Körper 
berührt  würde  {Thüement  metallique} ,  so  zeigt  dies  mit  Bestimmtheit  an, 
dass  eine  mit  Tuberkelmasse  und  Luft  angefüllte  Aushöhlung  nicht  mit  den 
Bronchien  in  Communication  steht.  Ist  diese  Stimme  nur  in  unbedeutendem 
Grade  zugegen,  so  nennt  sie  Laennec  Resonnance  metallique.  Zuweilea 
nimmt  selbst  das  Athemholen  einen  Metallklang  an ,  zumal  bei  einer  Bron- 
chialfistel. Das  metallische  Tönen  neben  dem  Metallklange  der  Respiration 
lässt  auf  eine  fistulöse  Communication  zwischen  den  Bronchien  und  dem  Ca- 
vum  pleurae  schliessen.  Finden  wir  Tintement  metallique,  Resonnance  und 
Respiration  metallique  gleichzeitig ,  so  deutet  dieses  auf  eine  grosse  Eiter- 
höhle mit  dünnen,  aber  festen  und  adhärirenden  Wänden  hin.  „Bei  der 
Untersuchung  des  Herzschlages  mit  Hülfe  des  Stethoskops  —  sagt  Ueyfel- 
der  in  Rtist's  Handb.  d^  Chirurgie ,  Bd.  II.  S.  561  —  berücksichtigt  Laen- 
nec vorzugSAveise  dessen  Impuls,  Rhythmus,  den  Umfang,  in  dem  er  wahr- 
genommen wird,  und  das  Geräusch,  welches  die  Contractionen  der  Ventri- 
kel und  der  Vorkammern  begleitet,  und  im  ersten  Falle  dumpf  und  anhal- 
tend ,  im  letztern  dagegen  kurz  und  helltönend  erscheint.  Er  schliesst  auf 
eine  Erweiterung  des  Herzens  oder  auf  ein  Schwinden  der  Herzwände  (Dt- 
minution  (Vepaisseur),  wenn  die  Herzschläge  in  einem  ungewöhnlich  weiten 
Umfange  wahrgenommen  werden ,  obwol  man  nicht  in  Abrede  stellen  darf, 
dass  eine  Menge  anderer  vorübergehender  Momente  diese  Erscheinung  ver- 
anlassen können.  Das  Gegentheil  hiervon  ist  ein  charakteristischen  Zeichen 
-von  Hypertrophie,  besonders  wenn  zu  gleicher  Zeit  der  Impuls  des 
Herzens  eine  ungewöhnliche  Stärke  hat,  wenn  die  Contractionen  der  Ven- 
trikel von  einem  sehr  schwachen  Geräusche  begleitet  sind ,  und  wenn  Ano- 
malien im  Rhythmus  wahrgenommen  werden.  Je  heller  und  tönender  das 
den  Contractionen  der  Ventrikel  eigenthümliche  Geräusch  ist ,  desto  eher 
darf  man  auf  ein  Schwinden  der  Herzsubstanz  rechnen.  —  Bei  reizbaren  und 
zu  Hämorrhagien  geneigten  Individuen  bemerkt  man  nicht  selten  unter  dem 
Stethoskope,  neben  der  Contraction  der  Ventrikel  und  Vorkammern,  ein 
Blasen  (Rruit  de  soufflet),  in  welchem  Falle  nicht  selten  ein  Hinderniss 
den  Austritt  des  Blutes  aus  den  Kammern  und  Vorkammern  hemmt.  Der 
Ton  einer  Raspel  soll  eine  Verengerung  der  Öffnungen  des  Herzens  durch 
Verknöcherungen ,  knorpelartige  Verhärtungen  anzeigen.  Der  Sitz  des  Übels 
ist  in  den  halbmondförmigen  Klappen,  wenn  dieser  Ton  mit  den 
Contractionen  der  Ventrikel  coincidirt,  und  im  Orificium  ventriculo-auricu- 
lare,  wenn  es  die  Zusammenziehungen  der  Vorkammern  begleitet."  Zeither 
hat  man  nur  Thorax  und  Bauch,  und  bei  Fracturen  nur  die  Gliedmassen 
behorcht.  Kürzlich  beschäftigte  sich  Dr.  Fisher  in  Boston  auch  mit  der 
Auscultation    des   Kopfs   (s.   Archives   gen^rales.   Jan.  1834,    und   Behrendts 


AUSCUJ.TATIO  241 

Repertor.  d.  med.  ch!r.  Journalist,  d.  Auslandes,  1894,  Juni,  8.  175),  Er 
fand  bei  Compression  oder  Congestion  des  Gehirns,  dass  man  einen  soge- 
nannten Blasebalgton  wahrnehme ,  den  er  „encephnlitic  hruit  de  sufflct''''  nennt. 
Fünf  von  9  Kranken,  wo  er  diesen  Ton  bemerkte,  litten  an  acutem  oder 
chronischem  Hydrocephalus ;  nur  einer  hatte  Symptome  von  Encephalitia 
ohne  Gehirnwassersucht,  und  zwar  in  Folge  eines  Falles  auf  den  Kopf. 
Es  waren  sämmtlich  Kinder.  Der  Ton  Avar  besonders  deutlich  zu  hören, 
wenn  man  das  Stethoskop  an  den  vordem  Theil  der  Pfeilnaht  setzte.  Bei 
Gesunden,  von  denen  Fisher  sehr  viel  untersuchte,  hört  man  diesen  Ton 
nicht,  wol  aber  die  Töne,  welche  die  Stimme,  das  Schlingen,  ja  selbst  der 
Herzschlag  erregt.  Auch  bei  Kindern,  die  an  schwieriger  Dentition  leiden, 
will  F.  diesen  Blasebalgton  gehört  haben,  desgleichen  bei  zwei  Kindern  mit 
Keuchhusten,  doch  nur  während  des  Anfalls.  Nach  ihm  entsteht  dieser 
Ton  in  den  Arterienstämmen  des  Schädels ,  wenn  sie  vom  Gehirn  comprimirt 
werden,  welches  stattfindet,  wenn  das  Organ  durch  Flüssigkeit  gedrückt 
oder  durch  Entzündung  in  seinem  Volumen  vergrössert  wird.  —  Der  Ge- 
genstand verdient  genauer  geprüft  zu  werden.  Mit  Recht  macht  Heijfelder 
darauf  aufmerksam,  dass,  so  wichtig  die  Auscultation  auch  für  die  Diagnose 
der  Herzkrankheiten  ist,  der  Arzt  doch  zu  weit  gehen  und  zu  einem  nicht 
rationellen  Verfahren  verleitet  werden  könne ,  wenn  er  aus  einem  oder  dem 
andern  mittels  des  Stethoskops  wahrgenommenen  Zeichen  sogleich  auf  einen 
organischen  Herzfehler  schliessen  wollte,  da  psychische  und  somatische  Ein- 
flüsse ähnliche  Zufälle ,  w  enn  auch  nur  auf  kurze  Zeit ,  hervorzurufen  im 
Stande  sind,  und  man  bei  Sectlonen,  laut  der  Erfahrung,  oft  organische 
Fehler  gefunden  hat,  von  welchem  man  während  des  Lebens  keine  Spur 
mit  dem  Stethoskope  gefunden  hatte.  Die  durch  letzteres  aufgefundenen 
Anomalien  sind  also  nur  dann  von  Werth ,  wenn  sie  mit  den  übrigen  Krank- 
heitssymptomen im  Einklänge  stehen ,  und  wenn  die  Zeit  und  die  Dauer  ih- 
res Erscheinens  dabei  nicht  unberücksichtigt  gelassen  wird.  Der  Arzt 
muss  daher  erst  dann,  wenn  er  öfter  und  zu  verschiedenen  Zeiten  durch 
das  Stethoskop  dasselbe  Resultat  erhalten  hat,  jenen  Zeichen  Wichtigkeit 
beilegen.  Dass  auch  viele  Übung  und  ein  scharfes  Gehör  dazu  erforderlich 
sind,  um  genau  zu  unterscheiden,  —  dies  versteht  sich  von  selbst.  Ein 
Mehrere«  über  die  durchs  Stethoskop  sich  kund  gebenden  diagnostischen  Zei- 
chen findet  man  bei  den  einzelnen  dazu  geeigneten  Krankheiten  und  anderswo 
angegeben.  S.  die  Artikel:  Concretio  polypiformis  in  cavitatibus 
cordis,  Phthisis  pulmonalis  vera,  Exploratio  obstetricia,  Ste- 
thoscopium  etc.  Lejumeau  de  Kergnradec's  im  J.  1822  gemachte  wichtige 
Entdeckung,  durch  Hülfe  des  Stethoskops  sichere  Zeichen  der  Schwangerschaft 
Zugewinnen  (s.  Exploratio  obstetricia),  welche  auch  nach  UUnmer^ 
d^ Ouirepont  und  Haus  durch  unmittelbare  Auscultation  gefunden  werden,  näm- 
lich die  Pulsationen  des  Fötusherzens  und  der  Placenta,  —  diese 
Entdeckung  hat  als  wahr  so  viel  bestätigt ,  dass  diese  genannten  Zeichen  d  i  e 
einzigen  zuverlässigen,  nie  fehlenden  Kriterien  der  Schwan- 
gerschaft und  des  Lebens  eines  Kindes  im  Mutterleibe  sind» 
welche  nie  eine  andere  Deutung  erlauben,  und  vor  Missgrif- 
fen in  der  Behandlung  vermeinter  nicht  schwangerer  Frauen 
schützen,  so  dass  durch  sie  die  äusserliche  Untersuchung  bedeutend  ver- 
vollkommnet und  die  innere  beschränkt  wird.  — ■  Ferguson  (s.  Dublin,  medi- 
cal  Transact.  Vol.  I.  Part,  I.  1830)  ist  überzeugt ,  dass  die  Pulsation  des 
Fötusherzens  meist  stets  nach  der  SOsten  Schwangerschaftswoche  gehört 
wird ,  und  dass  der  Ton  durch  keinen  andern  nachgeahmt  oder  vermischt 
werden  kann.  Mehr  als  100  Schwangere  hat  F.  mit  dem  Stethoskop  un- 
tersucht und  nur  ein  einzigesmal  misslang  es  ihm,  den  genannten  Ton  zu 
entdecken ,  obgleich  in  mehreren  Fällen  die  Schwangerschaft  verheimlicht 
ward.  Auch  ich  habe  mich  in  vielen  Fällen  von  der  Richtigkeit  dieser 
Thatsachen  überzeugt  (vergl.  auch  Behrendts  Rep.  d.  med.  chir.  Journalist, 
des  Ausland,  1831,  Juli,  S.  52).  Lisfranc  hat  die  Anwendung  des  Stetho- 
skops in  Beziehung  auf  die  Erkcnntniss  der  Fracturen,  der  BlaseÄSteine, 
Most  Encyklopädie.  2te  Aufl.  I.  XO 


242  AUTÜCRATU 

Gallensteine,  der  Tympanitia ,  Gelenk-  und  Rückgrats  Wassersucht  und  frem- 
der Körper  in  den  Gelenken  versucht,  doch  auch  hier  hat  sie  niu"  in  Ver- 
bindung mit  den  übrigen  Krankheitszeichen  vollen  Werth.  Von  grossem 
Nutzen  ist  sie  besonders  bei  tiefliegenden  Knochenbrüchen  und  da,  %\o  starke 
Geschwulst  und  Schmerz  zugegen  sind,  wo  man  söwol  durchs  Stethoskop, 
als  durch  das  unmittelbar  angelegte  Ohr  schon  bei  geringer  Ex  -  und  Con- 
traextension  des  Gliedes  die  Crepitation  wahrnimmt.  Letztere  ist  auf  der 
Bruchstelle  am  stärksten  zu  hören,  und  sie  wird  immer  schwächer,  ie  mehr 
man  sich  von  ihr  entfernt.  Haben  sich  Flüssigkeiten  um  die  Knochen- 
fragmente ergossen,  so  vernimmt  man  ein  Geräusch,  wie  beim  Gehen  in 
^inem  Wasser  enthaltenden  Schuh  gehört  wird.  Ist  die  Fractur  mit  be- 
deutender Verletzung  der  weichen  Theile  complicirt,  so  hört  man  neben 
der  Crepitation  Töne,  wie  beim  starken  Ein-  und  Ausathmen.  Vernimmt 
man  zugleich  noch  ein  Knistern,  so  darf  man  auf  einen  Splitterbruch  schües- 
sen.  In  Bezug  auf  die  Diagnose  des  Blasensteins  ist  die  Auscultation 
mittels  des  Stethoskops  gleichfalls  sehr  wichtig,  indem  berühmte  Wundärzte 
(^Desnult,  Roux  u.  A.)  sich  früher  darin  getäuscht  und  sogar  den  Stein- 
schnitt gemacht  haben,  ohne  einen  Stein  zu  finden  (s.  Archives  generales  de 
Medec.  1826,  Aoüt.  p.  551).  Ist  kein  Stein  in  der  Blase,  so  vernimmt 
man,  wenn  man  das  Stethoskop  auf  den  Schambogen  oder  aufs  Os  sacrum 
setzt  und  mit  dem  in  die  Blase  geführten  Katheter  Bev\egungen  macht, 
Töne  wie  bei  einem  in  Thätigkeit  gesetzten  Druckwerke.  Ist  dagegen  ein 
Stein  in  der  Blase ,  so  bemerkt  man  ein  Knarren  oder  ein  Geräusch ,  wie 
eine  auf  einem  hartem  Körper  bewegte  Feile  hervorbringt.  Nach  Dupuytren 
fehlt  dieses  Gei'äusch  nie,  und  in  Paris  wird  kein  Steinschnitt  mehr  ge- 
macht, wie  Heyfelder  versichert,  ohne  die  Auscultation  zuvor  zu  Rathe  ge- 
zogen zu  haben.  Vergl.  Lisfranc,  Memoire  de  nouvelles  applications  du  Ste- 
thoscope  de  Mr.  Laennec.  Paris,  1823.  —  Ulsnmer  in  den  Rheinischen  Jahr- 
büchcri;!  für  Medicin  u.  Chinirgie  von  Zfrt»-/(?ss.  Bd  VII.  St.  1.  S.  50,  1823. — 
Mnrtinet ,  Manuel  de  Clinique,  ou  des  methodes  d'exploration  en  medecine 
etc.  Paris ,  1825 ,  p.  58.  —  Über  neue  Anwendungen  des  Stethoskops  in 
Beziehung  auf  die  Chirurgie,  von  Lisfranc.  Aus  dem  Franz.  W^eim.,  1824.  — 
CoUin,  F.,  Des  diverses  methodes  d'exploration  de  la  poitriue  et  de  leur 
application  au  diagnostic  des  maladles.  Paris ,  1824.  A.  d.  Franz.  mit  Zu- 
sätzen von  J.  F.  Bourel.  Cöln,  1828.  —  E.  Kennedy  in  tbe  Dublin  Hospi- 
tal Reports  and  Communications  in  Medic.  and  Snrgery.  Vol.  V.  p.  640. 
Dublin,  1831,  und  in  Behrendts  Repertor.  d.  med  chir.  Journalist,  des  Aus- 
landes, 1831.  Septbr.  S.  303.  —  Keryaradec  Mem.  sur  rauscultation  ap- 
pliquee  a  l'etude  de  la  grossesse  etc.  Paris,  1822.  —  Piorry ,  Die  mittel- 
bare Percussion  und  die  dadurch  erhaltenen  Zeichen  in  den  Krankheiten  der 
Brust  und  des  Unterleibes.  Aus  dem  Fran^,  .vw  F.  A.  Balliuy.  Würz- 
burg, 1828. 

Äutocr Atia )  Autonomln,  Aulocratorin  (natura^),  Physinirice  (Ilufer 
?rtjid) ,  Fhysiautocrnlia  (AfosO,  'is  nniume  fornewritrix  et  mcdic((1ri!r ,  üiü 
Selbstherrschaft,  selbstständige  H  errs  q  haft  (der  N»tur),  die 
Naturautokratie,  die  organische  Thätigkeit,  insofern  dieselbe 
sich  selbst  Mittel  und  Zweck  ist,  die  er  haltend  e,  ijnd  heilende  K^aft 
der  Natur.  Die  Naturheilkraft  ist  für  den  Arzt  ein  so  ungemein 
wichtiger  Gegenstand,  dass  die  Nichtbeachtung  derselben  nicht  allein  zu 
Trugschlüssen  und  falschen  Erfahrungen  in  der  Äledicin  und  Chirurgie  führt, 
sondern  auch  zu  einem  verkehrten ,  Unglück  bringenden ,  der  leidenden 
Menschheit  höchst  verderblichen  Heilverfahren.  Die  Naturautokratie  ist  iiud- 
Ttleibt  d^  erste  und  grö.sste  Heilmittel.  Natura  sannt,  mediciis  curat 
morhosl  Sie  ist  es,  die  ühn(5  alle  Kunsthülfe  die  schwersten  Krankheiten 
heilte  und  noch  heilt.  .\lle  Secten  von  Ärzten,  von  Uippokrates  bis  auf 
StnJd  und  später,,  kamen  darin  überein,  dass  sie  die  Selbst» irksamkeit  der 
Natur  annahmen.  Diese  Übereinstimmung  und  Anerkennung  der  Naturheil- 
kraft bei  den  verschiedensten  Secten  und  in  den  verschiedensten  Zeiten  ist 
der  triftigste  Beweis   für  die  VVahrlieit  derselben ,    und  nur  in  unserm  Zeit- 


AÜTOCRATIA  243 

alter  der  Künstelei ,  des  Hochmuths  und  der  Verkehrtheit  konnte  sie  von 
manchen  Ärzten  in  den  Hintergrund  gestellt  werden,  so  dass  diese  der 
Natur  zu  wenig  oder  gar  nichts,  der  Ku^st  aber  zu  viel  oder  Alles  zu- 
trauen. Wenn  unsere  altern  Heilkünstler  bescheiden  genug  waren  einzuge- 
stehen ,  dass  die  Natur  das  Hellen  thue  und  sie  nur  die  Natur  in  ihren 
Heilbestrebungen  durch  zweckmässige  Mittel  zu  unterstützen  vermöchten, 
so  giebt  es  dagegen  in  unserm  Zeitalter  aufgeblasene  Ärzte  genug ,  zumal 
von  der  jüngsten  Zeit  her,  welche  stets  glauben,  sie  müssten  activ  verfah- 
ren, denn  nur  ihre  Kunst,  nicht  die  Natur  vermöge  Krankheiten  zu  hei- 
len, —  jene  Ärzte,  die  stets  beschäftigt  sind,  und  nur  den  Kirchhof  füllen, 
bis  dann  nach  kurzer  Zeit  das  Publicum  einsieht,  dass  sie  in  ihrer  Praxis,  — 
wollen  wir  es  gelinde  ausdrücken,  —  so  häufig  Unglück  haben,  und  das 
Vertrauen  zu  ihnen  verliert.  —  Obgleich  noch  neuerlich  G.  F.  Ch.  Greiner 
(Der  Ai-zt  im  Mensctien  oder  die  Heilkraft  der  Natui-,  1827,  Bd.  I.)  und 
Jahn  (Die  Naturheilkraft,  1830),  desgleichen  V.  G.  Strauss  (Die  Heilkraft 
der  Natur,  ihre  Erkenntniss  im  Allgemeinen  und  in  Beziehung  auf  die  Zoo- 
chinirgie.  Wien,  1829)  über  diesen  Gegenstand  vortrefflich  geschrieben  ha- 
ben, so  fand  es  dennoch  unser  hoch  verehrter  Veteran  Hufelnnd  vor  drei 
Jahren  nöthig  und  sich  berufen,  der  Naturheilkraft  ihre  alten  Rechte  zu 
vindiciren  (s.  IlufelaniVs  Journal ,  1833 ,  St,  1).  Er  nennt  die  Lehre  von 
der  Naturautokratie  Physiatrik,  das  Wort  im  weitesten  Sinne  des  Be- 
griffs 'PvGig  genommen  (denn  die  erhaltende  und  heilende  Kraft  der  Natur 
äussert  sich  nicht  blos  im  Somatischen,  sondewi  auch  im  Psychischen  auf 
die  mannigfaltigste  Weise;  ich  führe  nur  statt  aller  Beispiele  hier  das  Eine 
an ,  wie  wohlthätig  die  gütige  Natur  durch  das  Gefühl  von  Betäubung  und 
Abgestumpftseyn  für  die  Lebenserhaltung  solcher  Personen  sorgt,  die  einen 
unerwarteten  und  grossen  Seelenschmerz  durch  den  Tod  theurer  Personen 
etc.  erlitten).  Alle  Krankheitsheilungen  werden  durch  die  Natvu*  bewirkt; 
die  Kunst  ist  nur  ihr  Gehülfe  und  heilt  nur  durch  sie.  Alles  rationelle  Hei- 
len beruhet  einzig  auf  richtiger  Leitung  und  Unterstützung  der  Naturheil- 
kraft ;  auch  ist  es  Thatsache ,  dass  die  Thätigkeit  der  letztern  mit  dem 
Grade  des  Hervortretens  der  Krankheitserscheinungen  im  gleichen  Verhält- 
nisse steht.  „So  wie  der  äussern  Erscheinung  jeder  Krankheit  —  sagt  mit 
Recht  Hufelnnd  —  ein  innerer  krankhafter  Zustand  des  organischen  Lebens, 
ein  innerer  Krankheitsprocess  zum  Grunde  liegt  und  ihr  Daseyn  allein  be- 
dingt ;  eben  so  liegt  jeder  äussern  Heilung  ein  innerer  Heilungsprocess  — - 
eine  Thätigkeit  des  organischen  Lebens  zur  Umänderung  und  Zurückführung 
des  abnormen  Zustandes  in  den  normalen  —  zum  Grunde,  und  macht  sie 
ganz  allein  möglich.  Dies  gilt  von  allen  Krankheiten  ohne  Ausnahme.  In 
den  sichtbaren  (sogenannten  chirurgischen)  Krankheiten  zweifelt  kein  Mensch 
daran.  Jeder  Chirurg  giebt  zu,  dass  er  es  nicht  ist,  der  einen  Beinbruch, 
eine  Wunde,  ein  Geschwür  heilt,  sondern  dass  es  die  Naturki-aft  (Lebens- 
kraft) ist ,  welche  durch  ihre  bewundningswürdigen  Operationen :  der  Exsu- 
dation ,  Conglutination ,  Suppuration ,  Ausstossung  des  Verdorbenen  und  Re- 
generation ,  dieses  Geschäft  eigentlich  bewirkt ,  und  dass  er  nur  das  dabei 
thut,  diese  Operationen  regelmässig  und  zweckmässig  zu  leiten  und  ihre 
Hindernisse  zu  entfernen.  —  Aber  ganz  dasselbe  gilt  auch  von  den  innerli- 
chen, unsern  Sinnen  in  ihren  Innern  Verhältnissen  entzogenen  Krankheiten,  nur 
mit  dem  Unterschiede,  dass  wir  dabei  diese  IJeilungsoperationen ,  der  Umände- 
rung, der  Ausscheidung  des  Verdorbenen,  der  Regeneration  und  Gleichgewichts- 
wiederherstellung, nicht  mit  unsern  Augen  sehen  können.  Und  dies  ist  nicht 
etwa  blos  bei  den  acuten  (mit  mehr  aufgeregtem  Leben),  sondern  auch  bei 
den  chronischen  Krankheiten  der  Fall,  nur  weniger  schnell,  weniger  entr 
scheidend.  Bei  leichten  Fällen  sehen  wir  es  täglich,  dass  die  Wiederher- 
stellung ohne  alle  Kunst  erfolgt.  Aber  auch  bei  schweren,  ja  bei  den 
schwersten  kann  dies  erfolgen.  —  Es  giebt  keine  Krankheit,  von  dem  hef- 
tigsten Entzündungsfieber  bis  znr  fauligen  Pest,  von  den  Suppressionen  bis 
zu  den  Prottuvien,  von  den  dynamischen  Krankheiten  bis  zu  den  Dyskra- 
sien,    die  nicht  schon    durch   die  Natur   allein   gehellt  worden   wäre.     Und 

16* 


244  AUTOCRATU 

was  thut  die  Kunst  zur  Heilung?  —  Wir  lassen  Ader  bei  Entzündungen, 
entziehen  die  Kräfte  und  glauben  dadurch  geheilt  zu  haben.  Aber  wir  ha- 
ben nur  die  Hindernisse ,  das  Übermass  des  Bluts  und  der  Aufregung  weg- 
genommen und  die  Natur  dadurch  in  den  Stand  gesetzt ,  das  eigentlich« 
innere  Heilgeschäft  zu  vollbringen,  was  immer  nur  erst  erfolgen  muss,  wenn 
unsere  Cur  gelingen  soll.  —  Wir  unterstützen  beim  adynamischen,  nervösen 
Zustande  die  Kräfte  und  glauben  dadurch  die  Heilung  zu  machen ,  aber 
wir  erhöhen  dadurch  nur  die  Heilkraft  der  Natur  auf-  den  Punkt,  dass  sie 
die  innern  Heiloperationen  vollziehen  kann,  welche  zur  Wiederherstellung 
nöthig  sind.  —  Selbst  die  directe  Cur  der  Krankheiten ,  durch  sogenannte 
Specifica,  ist  Werk  der  Natur,  indem  das  Heilmittel  nur  als  Anstoss 
wirkt,  die  dadurch  aber  erregte  Reaction  und  die  Umänderung  zum  Bessern 
selbst  nur  durch  Hülfe  der  innerhalb  wirkenden  Naturkraft  möglich  ist.  — 
Auch  bei  Dyskrasien ,  selbst  da ,  wo  ein  specifisches  Gift  im  Organismus 
aufgenommen  ist,  vermag  die  Heilkraft  der  Natur  die  Heilung  zu  bewirken. 
Brauchen  wir  an  die  Tausende  zu  erinnern ,  die  bei  venerischen  Krankhei- 
ten ohne  alle  Mittel ,  ja  jetzt  absichtlich  ohne  den  Gebrauch  von  Quecksil- 
ber hergestellt  wurden  ?  (Ob  indessen  radical  ?  Dies  ist  noch  eine  grosse 
Frage,  da  das  Syphilisgift,  gerade  wie  das  der  Hundswuth,  oft  lange  im 
Körper  schlummern  und  latent  bleiben  kann,  bis  zufallige  begünstigende 
Umstände  wiederum  die  Krankheit  hervorrufen.  3f.).  Aber  auch  bei  den  am 
tiefsten  eingewurzelten  venerischen  Vergiftungen ,  was  könnte  der  Mercur 
leisten  ohne  Mitwirkung  dieser  innern  Heilkraft ,  welche  erst  die  Ausschei- 
dung des  Giftstoffs  und  des  Gifthellmittels  zugleich ,  die  zur  völligen  Hei- 
lung unentbehrliche  Regeneration  gesunder  Säfte,  Normalisirung  specifisch 
alterirter  Secretionen  und  Reproduction  der  desorganisirten  Organe  bewirkt  ? 
Wie  oft  sehen  wir,  dass  aller  Gebrauch  des  Quecksilbers  In  den  verschie- 
densten Formen  vergeblich  ist ,  bis  wir  bei  geschwächtem  Körper  durch  den 
Mitgebrauch  kräftiger  Nahrung  und  stärkender  Mittel  die  Lebenskraft  zu 
dem  Grade  der  Energie  erhoben,  der  zur  Bewirkung  der  innern  Heilungs- 
operation und  selbst  zur  Wirkung  des  Mercurs  nothwendig  ist?"  —  ,5Am 
allersichtbarsten  zeigt  sich  diese  innere  Heilkraft  in  jenen  wunderbaren, 
durch  sie  allein ,  oft  ganz  unerwartet  und  höchst  überraschend  bewirkten 
Umänderungen :  Krisen,  Metaschematismen,  Metastasen,  die  oft  mit  einem  Male 
eine  schwere ,  lange  allen  Kunstmitteln  widerstehende  Krankheit  gänzlich 
aufheben  oder  umändern.  Der  Kranke ,  den  wir  noch  Abends  dem  Tode  ge- 
weiht glauben ,  bekommt  in  der  Nacht  einen  reichlichen  Schweiss ,  und  wir 
finden  ihn  früh  ausser  aller  Gefahr.  In  einer  schweren  hitzigen  Krankheit, 
die  wir  vergebens  mit  unsern  Mitteln  bekämpfen ,  entsteht  plötzlich  ein  Ab- 
scess  an  einem  äussern  Theile,  und  die  Krankheit  ist  gehoben.  —  Ja,  was 
der  Heilkraft  der  Natur  die  Krone  aufsetzt,  ist  ihr  Sieg  über  die  verschie- 
densten ,  entgegengesetztesten ,  oft  unvernünftigsten  Heilmethoden.  Sehen 
wir  nicht  täglich,  dass  auf  dem  Lande,  selbst  ohne  alle  Hülfe  oder  bei  der 
unsinnigsten  Behandlung  Menschen  gesund  werden  ?  Und  selbst  bei  der 
künstlichsten  Behandlung  bin  ich  längst  zu  der  Überzeugung  gekommen, 
dass  von  allen  geheilten  Kranken  der  grösste  Theil  zwar  unter  Beistand 
des  Arztes,  aber  der  nur  bei  weitem  kleinste  Theil  durch  seinen  Beistand 
allein  geneset."  So  spricht  sich  unser  so  hoch  gefeierter  Hufeland  am 
Abende  seines  so  thatenreichcn  Lebens  und  nachdem  er  über  ein  halbes 
Jahrhundert  dasselbe  der  Heilkunst  gewidmet,  über  die  Naturheilkraft  aus. 
Die  Physiatrik  ist  ihm  die  auf  Naturheilung  gegründete  Heilkunst,  nicht  die 
Naturheilung  selbst,  —  eine  Lebensansicht  der  Natur  und  der  Med'cin,  die 
■wir  durch  sorgsames  Naturstudium  und  durch  die  Bekanntschaft  aller  niedi- 
cinischen  Classiker  uns  erwerben,  und  der  er,  wie  jeder  grosse  Arzt,  stet« 
treu  geblieben  ist.  In  diesem  Sinne,  als  echter  Physiatriker,  hat  er  stet» 
beobachtet,  gedacht,  gehandelt,  gelehrt,  geschrieben.  Eine  solche  Medi- 
cin ,  die  in  Allem,  was  im  Organismus  geschieht,  so  wie  in  Allem,  was  sie 
in  ihm  thut,  das  höhere  Gesetz  des  Lebens  und  der  Naturthätigkeit  aner- 
kennt und  achtet,    welche  «ich   nicht  als  das  Agens,    sondern  nur    als   da* 


AUTOCRATIÄ  245 

Werkzeug  dieser  hmern  Heilkraft  betrachtet,  welche  Alles,  vras  im  Orga- 
nismus vorgeht,  sowol  Krankheit  als  ihre  eigene  Heilungsoperation  und  die 
Wirkung  der  Arzneimittel,  lebendig  und  als  Lebensactionen  auffasst,  genug, 
welche  selbst  im  Leben  lebt  und,  sowie  sie  Alles,  was  lebt,  durch  das 
Leben  zu  einer  höhern  Sphäre  des  Daseyns  erhoben  erkennt,  also  auch  sich 
selbst  und  ihr  Wirken  in  dieser  Sphäre  bewegt;  —  eine  solche  Medicin  ist 
das  belebende  Princip  eines  jeden  echt  praktischen  Arztes;  denn  sie  hält 
ans  fest  auf  dem  Wege  der  Natur  und  der  Erfahrung  und  erhebt  uns  über 
die  Täuschungen  blendender  Schulsysteme,  —  eine  solche  Medicin  ist  es, 
die  auch  in  vorliegender  Encyklopädie  der  Herausgeber  mehr  und  mehr  zu 
fördern  sich  bemühet  hat.  Schon  sind  über  40  Jahre  verflossen ,  als  der 
grosse  Hufelnnd  in  seiner  „Pathogenie"  so  wahr  als  schön  sagte:  „Der 
Hauptpunkt ,  auf  dem  Alles  in  der  Medicin ,  sowol  Theorie  als  Praxis ,  be- 
ruhet, ist  das  Verhalten  und  die  verschiedene  Reaction  der  Lebenskraft  in 
Verbindung  der  verschiedenen  Organisation ,  durch  die  sie  wirkt ,  und  der 
ihr  untergeordneten  todten  (chemischen  und  mechanischen)  Naturkräfte. 
Diese  Reaction  ist  die  Grundlage  aller  Krankheiten  und 
ihrer  Modific  ationen,  aller  Heilkraft  und  alles  Heilbestre- 
bens der  Natur  in  Krankheiten,  aller  Wirkung  der  Arznei- 
mittel, und  so  auch  der  ganzen  praktischen  Medicin,  die  ja 
in  nichts  weiter  besteht,  als  diese  Reaction  der  Naturkraft 
zu  benutzen,  zu  unterstützen  und  zu  leiten.  Die  nämlichen  Kräfte 
und  Gesetze  des  belebten  organischen  Körpers,  durch  welche  sich  Krank- 
heit bildet,  sind  es  auch,  durch  welche  sie  aufgehoben,  umgeformt,  gemil- 
dert, und  das  Gleichgewicht  wieder  hergestellt  wird."  Die  Autokratie  der 
Natur  ist  demnach  wesentlich  gleich  der  Reaction  der  Lebenskraft.  Je  nä- 
her wir  aber  die  Gesetze  derselben,  sowol  im  gesunden  als  kranken  Leben 
kennen ,  desto  richtiger  sind  unsere  Begriffe  von  der  Natur  der  Krankheiten 
und  der  Wirkungsart  der  Heilmittel.  Doch  hier  ist  uns  noch  Vieles  ver- 
borgen !  Nicht  immer  gingen  die  Ärzte  auf  der  wahren  physiatrischen  Bahn. 
Alle  grosse  deutsche  Arzte  konnten  weder  dem  Brown'schen  Systeme,  noch 
der  sogenannten  Naturphilosophie  anhangen.  So  Hufeland,  v.  Vogel,  Hil- 
denbrand, Siieglitz  u.  A.  mehr.  Ersterer  sagt  selbst  (a.  a.  O.  S.  21) ,  dass 
die  Brown'sche  Periode  (1798 — 1806)  eine  Zeit  der  Dürre  und  Unfrucht- 
barkeit ,  des  gänzlichen  Mangels  an  reiner  Naturforschung  und  Beobachtung 
abgegeben  habe ,  auf  welche  der  Genius  der  wahren  Medicin  stets  mit  Leidr 
wesen  blicken  wird,  und  dass  er,  so  sehr  er  auch  Schelling's  Naturphiloso- 
phie verehre ,  dennoch  nie  die  Auswüchse  dieser  Schule :  die  Schwärmerei, 
die  Übertragung  des  Hypothetischen  als  Factisches  ins  Leben  und  Handeln, 
die  Spiele  der  Phantasie ,  wodurch  am  Ende  die  Physiologie  und  Pathologie 
eine  schöne  Poesie  wurde ,  habe  unterschreiben  können.  Die  Erfahrung  und 
die  Kraft  der  Wahrheit  haben  stets  über  Irrthum,  Hirngespinnste ,  Lug  und 
Trug  am  Ende  den  Sieg  errungen ,  und  unsere  ersten  Ärzte ,  namentlich 
ffUfeland ,  Stieglitz ,  Kreysig ,  Hildenbrand  etc. ,  trugen  immer  mehr  dazu 
bei,  ihre  Mitbrüder  auf  die  rechte  Bahn  zu  leiten,  der  Naturheilkraft  ihre 
alten  Rechte  zu  vindiciren  und  die  Heilkunde  von  den  Truggebilden  der 
Schule  auf  den  Weg  des  Lebens  und  das  Studium  der  Natur  zurückzufüh- 
ren. In  gegenwärtiger  Zeit  ist  in  der  Medicin  die  Naturautokratie  dahin 
gelangt,  dass  sie  immer  mehr  anerkannt  und  hochgeschätzt  wird;  „selbst 
Hahnemann's  Homöopathie  —  sagt  Hufeland  —  hat,  trotz  aller  scheinbaren 
Nichtbeachtung  der  Naturheilkraft,  in  der  That  zur  Unterstützung  der  Phy- 
.siatrik  beigetragen;  denn  beruhet  nicht  ihr  ganzes  Princip  und  Wirken  auf 
Anregung  der  Lebenskraft  zur  Umänderung  des  abnormen  Zustandes  in  den 
normalen  durch  Anwendung  specifischer  Mittel?  Ist  sie  nicht  auch  oft 
eine  durch  die  Zeit  und  strenge  Diät  bewirkte  Naturheilung?"  Wir  wer- 
den uns  unten  näher  darüber  aussprechen,  dass  es  noch  ganz  was  Anderes 
bei  homöopathischen  Curen  ist,  als  die  winzig  kleine  Dosis  specifischer  Arz- 
neien, die  zur  Anregung  kräftiger  Naturautokratie  beiträgt.  —  Der  Cha- 
rakter der   gegenwärtigen  Medicin   in  Deutschland    ist  Gottlob   ein  solcher, 


246  AUTOCRATIA 

der  das  aiif  Naturautokratie  basirte  Ideal  der  wahren  Heilkunst  mehr  und 
mehr  entwickelt  und  realisirt.  Hier  herrscht  schon  voUkommne  Freiheit  des 
Geistes,  kein  Despotismus,  keine  Alleinherrschaft,  weder  eines  Menschen, 
noch  eines  Systems ,  im  Reiche  der  Wissenschaften ,  keine  Medicin  a  priori, 
sondern  nur  eine  auf  Naturanschauung  und  Erfahrung  gegründete ;  —  ein 
reges  Streben  für  Bearbeitung  der  Naturwissenschaften,  Freiheit  im  Han- 
deln, Vermehrung  des  Heilapparats  durch  neue  wirksame  Mittel  und  Metho- 
den; vor  Allem  aber  die  Anerkennung  des  Lebens  und  seiner  Gesetze,  als 
höchste  Instanz,  als  Grundlage  alles  Denkens  und  Handelns,  und  die  Er- 
fahrung als  einziger  Richter  tmd  Regulator.  —  Nur  für  unsere  Jüngern 
Mitbrüder  spricht  Hufelnnd  noch  den  Wunsch  aus,  sich  in  dem  zu  kühnen 
Gebrauch  heroischer  Mittel  und  gewaltsamer  Methoden ,  besonders  der  über- 
mässigen Blutentziehungen,  der  Giftmittel,  der  Narcotica  und  metallischen 
Gifte,  zumal  in  der  Kinderpraxis ,  zu  massigen,  und  dem  ersten  Gesetze  der 
Physiatrik :  Natura  sannt ,  Mcdicus  curat  morhos ,  stets  eingedenk  zu  blei- 
ben, —  eine  Warnung,  die  bei  Manchen  noch  Noth  thut,  besonders  bei 
solchen,  die  erst  kürzlich  Paris,  London  und  Italien  besucht  haben.  Damit 
ist  aber  nicht  gesagt,  dass  der  N^ahre  Arzt  bei  aller  Verehi-ung  der  Natur- 
autokratie nicht  zuweilen  und  in  geeigneten  Fällen  solche  heroische  Mittel 
und  Curmethoden  in  Anwendung  ziehen  dürfe.  Der  alte  Gi'undsatz :  Medi- 
cus  minister,  non  mafjister  vaturae  esto,  erleidet  häufig  Einschränkungen. 
Die  Erfahrung  aller  Zeiten  und  eine  nähere  Kenntniss  der  Krankheiten  und 
der  Art  und  Weise,  Avie  die  Naturheilkraft  im  Speciellen  sich  äussert,  wie 
sie  oft  dux'ch  ihre  perversen  Bestrebungen  den  Kranken  zum  Tode  führt, 
haben  es  bestätigt,  dass  der  praktische  Arzt  häufig  die  Naturheilkraft  lei- 
ten und  dahin  dirigiren  muss,  dass  die  daraus  entstehenden  Folgen  nicht 
schlimmer,  als  die  Krankheit  selbst  sind.  Hier  muss  er  sich  oft  der  Natur 
wahrhaft  opponiren,  und  durch  die  Kunst,  die  ja  die  Natur  idealisiren  soll, 
auf  denjenigen  Weg  zu  leiten,  der  zur  günstigem  Heilung  erforderlich  ist. 
In  dieser  Hinsicht  mögen  hier  folgende  Andeutungen  für  klinische  Zwecke 
noch  Platz  finden:  1)  Fast  jedes  Fieber  (nur  das  selten  vorkommende  so- 
genannte Substantive ,  idiopathische  vielleicht  nicht)  ist  nur  die  Reaction  ge- 
gen örtliches  Leiden ,  nur  ein  Schatten  von  Krankheit  und  identisch  mit 
dem  Heilstreben  der  Natur.  Die  Form  dieses  Fiebers  ist  theils  durch  die 
Natur  der  vorliegenden  Krankheit,  theils  durch  die  eigenthümliche  Form 
des  Organismus ,  worin  sie  spielt ,  verschieden.  Bei  jeder  Reaction  kann 
nun  aber  entweder  die  Krankheit  die  Schwebe  halten,  oder  sie 
kann  excessiv  werden,  und  endlich  der  Organismus  kann  im 
Kampfe  erliegen.  Die  Reaction  oder,  was  einerlei  ist,  die  Naturkraft 
kann  also  entweder  heilsam  oder  schädlich  werden  (s.  F.  Jahn ,  Ahnungen 
einer  allgem.  Natui-geschichte  der  Krankheiten.  Eisenach,  1828).  Die  Walir- 
heit  dieses  Satzes  kannten  sehr  gut  schon  HippoJcratcs ,  Hchnoni,  SydenJimiiy 
Boerhnave,  Stahl  u.  A.  mehr.  Es  folgt  daraus  viel  Wichtiges,  a)  Sobald 
die  Naturheilkraft  excessiv  zu  stark  und  schädlich  wirkt ,  muss  der  Arzt 
sich  ihr  opponiren  und  sie  zu  massigen  suchen.  So  wie  der  Wundarzt  das 
zu  stark  wuchernde  junge  Fleisch  in  einer  Wunde ,  einem  Geschwüre  mit 
Lapis  causticus  berührt  und  so  seinem  zu  starken  W'achsthum  Grenzen  setzt, 
so  machen  wir  es  mit  jedem  zu  heftigen  Fieber ;  ^\{r  geben  geeignete  Anti- 
febrilia,  ohne  deshalb  das  gleichzeitige  Localleiden  aus  dem  Auge  zu  verlie- 
ren. Denn  nicht  allein  das  Leiden,  auch  die  Naturautokratie  erfordert 
Kraft,  um  ihren  Bestrebungen  zu  entsprechen.  Aber  im  zu  heissen  Kampfe 
iliesst  das  meiste  Blut ,  —  ein  kleiner  Waffenstillstand  dient  zur  Sammlung 
neuer  Streitkräfte,  b)  Da  die  Thätigkeit  der  Naturheilkraft  um  so  stärker 
ist,  je  bedeutender  die  Krankheit  an  sich  und  in  Beziehung  zur  Organisa- 
tion auftritt;  so  dient  die  richtige  Schätzung  der  Stärke  der  Reaction  zur 
richtigem  Schätzung  und  Bedeutung  der  Kränkelt  selbst.  Je  schlinnner 
z.  B.  ein  Wundfieber  ist ,  desto  bedeutender  war  bestimmt  sowol  der  vor- 
hergegangene Eingriff  der  Verwundung  in  den  Organismus ,  und  umgekehrt, 
als  auch    die  Receptivität  des  letztern   grösser   und    der  Körper    vulnerabler 


AUTOCRATIA  247 

als  bei  andern  Individuen  war.  c)  Hält  die  Reäction  das  Gleichgewicht  mit 
der  Krankheit,  so  wird  der  echte  Praktiker  sich  in  vielen  Fällen  am  besteh 
stehen,  wenn  er  sich  mehr  passiv,  als  activ  erhält,  z.  B.  bei  allen  acuten 
Exanthemen,  wenn  das  Fieber  nur  massig  ist  und  keine  beunruhigenden 
Zufälle  damit  verknüpft  sind.  Blattern,  Masern,  Scharlach,  Röthein,  acute 
Petechien  etc.  machen  einmal  ihren  Verlauf,  woran  nichts  zu  ändern  ist. 
d)  Viele  örtliche  Leiden  werden  nur  deshalb  oft  chronisch ,  weil  die  Reäction 
mehr  örtlich,  als  allgemein,  mehr  fragmentarisch  und  unvollständig,  als 
complet  und  vollständig  ist,  indem  sie  nur  in  einem  Systeme  kämpfend  auf- 
tritt. Hier  wird  das  Leiden  häutig  durch  eine  allgemeine  Reäction  am  be- 
sten geheilt,  z.  B.  chronische  Hautausschläge  durch  hinzugekommenes  all- 
gemeines Fieber ,  Infarcten  durch  Febris  intermittens ,  Neurosen  aller  Art, 
selbst  Wechselfieber,  durch  kräftige  Reäction,  hervorgerufen  mittels  der 
Elektricität ,  des  Galvanismus,  Magnetismus,  der  Bäder  etc.  2)  Fast  jede 
Krankheit  entsteht  aus  dem  durch  äussere  Veranlassung  (äusseres  Krank- 
heitsmoment) gestörten  Gleichgewichte  des  Vereins  von  Organeh ,  die  den 
Organismus  bilden.  Meist  wird  nur  ein  einzelnes  Organ  oder  System  in 
seinen  Actionen  gestört.  Da  aber  alle  Organe  auf  einander  einwirken  und 
das  einzelne  Organ  schwächer  ist,  als  die  vereinte  Gewalt  aller  übrigen, 
so  entsteht  bei  dem  natürlichen  Streben  nach  Gleichgewicht  gleich  in  jeder 
Krankheit  ein  Zwischenwirken  aller  nicht  ergriffenen  Organe.  Dies  ist  der 
nähere  Vorgang  jener  Thätigkeit,  die  wir  Reäction,  Natur heilkraft 
nennen.  Man  sieht  diesen  Vorgang  deutlich  bei  der  nach  Verbrennung  er- 
folgenden Blasenbildung,  bei  demselben  Vorgange  nach  dem  Erfrieren  ein- 
zelner Körpertheile  etc.  Diese  Naturheilkraft  kann  jedoch  nur  dann  frei 
und  ungehindert  wirken ,  wenn  die  Krankheitsursache  wieder  entfernt  ist, 
z.  B.  Heilung  der  Stichwunde  ohne  Eiterung,  sobald  keine  fremde  Körper 
darin  sind.  —  Obgleich  nun  aber  jedes  Organ  nur  für  gewisse  Eindrücke 
empfänglich  ist  (das  Gehör  für  Schall,  das  Auge  für  Lichtreiz  etc.),  so  wer- 
den doch  alle  Organe  durch  das  Nervensystem  zusammengehalten  und  alle 
Functionen  durch  dasselbe  vermittelt.  Fast  jeder  Krankheitsprocess  geht 
anfangs  ursprünglich  nur  im  Nei'vensystem  vor,  welche  Thätigkeit  Chnussier 
Vinncrvnlion  nennt.  Und  da  nun  beim  Morbus  fiens  das  Missverhältniss  zw- 
schen  dem  einzelnen  Organe  und  dem  Gesammtorganismus  noch  weit  gerin- 
ger, als  bei  der  ausgebildeten  Krankheit  ist,  so  bedarf  es  zu  Anfange  vie- 
ler Krankheiten  nur  einer  massigen  allgemeinen  Reäction,  um  der  vollen  Aus- 
bildung derselben  vofzubeugen.  Wie  manches  anfangende  Hals  -  und  Brust- 
leiden,  solcher  Rheumatismus  etc.  werden  zu  Anfange,  wo  es  noch  nicht 
bis  zur  Entzündung  gekommen  ist,  durch  ein  Glas  Glühwein,  durch  war- 
men Thee  etc.,  welche  Schweiss  erregen,  schnell  bei  Alt  und  Jung  geho- 
ben !  Bekanntlich  unterscheidet  sich  das  Nervensystem  in  cerebrales, 
d.  i.  das  der  gegenseitigen  Beziehung,  und  in  ein  ganglionäres,  welches 
der  Nutrition  vorsteht.  Letzteres  Avendet  sich  zu  den  Arterien  und  verliert 
sich  mit  seinen  feinsten  Endigungen  in  die  Windungen  der  feinsten  Gefässe, 
so  dass  die  Nervensubstanz  mit  der  Substanz  der  Arterie  ganz  eins  wird. 
Diese  Nervenarterien  dringen,  nach  Duges,  m  alle  Gewebe,  zumal  in  die 
allgemeinen  Hautbedeckungen,  ein,  vermitteln  alle  Secretionen  und  sind 
der  Sitz  der  Entzündung  (s.  A.  Duges,  Essai  physiologico-pathologi- 
(jue  sur  la  nature  de  la  fievre,  de  rinflammation  etc.  Paris,  1823;  recens, 
in  Götting.  gelehrten  Anzeigen,  1827,  St.  108).  So  geht  denn  die  krank- 
hafte Affection  vom  Nerven,  als  dem  Regulator  des  Lebens,  zum  Blute, 
dem  Factor  des  Lebens ,  über ,  und  unter  Vermittelung  der  Naturautokratie 
entsteht  ein  die  Nervenverstimmung  —  war  sie  bedeutend  —  heilendes,  ent- 
gegengesetztes Leiden:  die  Entzündung.  Auch  sie  ist,  wie  das  Fieber, 
in  vielen  Fällen  nur  ein  Schatten  von  Krankheit,  ein  Reflex  derselben,  ein 
Ding,  ohne  welches  die  Naturautokratie  in  zahlreichen  Fällen  (bei  allen 
äusserlichen  und  innerlichen  Verwundungen)  nicht  wirksam  seyn  könnte. 
Das  örtliche  Übel  leitet  das  allgemeine  ab  und  heilt  es.  Wie  oft  muss  der 
Arzt   örtliche  Übel ,    äussediche   Entzündungen    (durch  Vesicantia,    Rubefa- 


248  AUTOCRATIA 

clentia)  erregen,  um  innere  Krankheiten  zu  heilen!  Aber  mit  dem  Beginn 
der  Entzündung  ist  das  Leiden  ein  mehr  materielles  geworden;  früher  war 
es  mehr  ein  dynamisches.  So  vereinigen  sich  in  der  Natur  und  im  Leben 
Solidar-  und  Humoralmedicin ,  und  jede  Trennung  derselben  in  der  Wissen- 
schaft ist  unnatürlich,  nichtig,  ungegründet.  S)  Schon  zum  Theil  aus  dem 
oben  Gesagten,  noch  mehr  aus  dem  hier  Folgenden,  geht  deutlich  hervor, 
dass  nicht  allein  viele  sogenannte  Krankheiten  weiter  nichts  als  Krankheits- 
symptome, sondern  beide  häufig  nur  Heilbestrebungen  der  Natur  sind,  z.B. 
die  meisten  Fieber  und  Entzündungen.  So  erklärt  es  sich,  wie  eine  sog. 
Krankheit  eine  andere  verhütet ,  eine  dritte  heilt  (s.  C.  L,  Klose :  Über 
Krankheiten  als  Mittel  zur  Verhütung  und  Heilung  von  Krankheiten.  Bres- 
lau, 1826),  Alle  kritischen  Ausschläge,  alle  aus  allgemeinen  und  innern 
Ursachen  entstandenen  chronischen  Exantheme ,  viele  Geschwülste ,  Ge- 
schwüre, selbst  die  Gicht  u.  a.  mehr  sind  mehr  Zeichen  der  Naturheilkraft, 
als  Krankheiten  zu  nennen.  Schon  Syderihnm  und  Hoerhnave  halten  es  für 
ein  thöriges  Unternehmen,  die  Gicht  hellen  zu  wollen.  Selbst  die  meist 
halbseitige  Lähmung  nach  Apoplexie  und  das  darauf  folgende  Fieber  sind 
Heilbestrebungen  der  Natur,  um  wenigstens  den  Tod  vorläufig  abzuwenden. 
Weil  aber  die  Naturautokratie  bald  zu  heftig,  bald  zu  schwach  und  unvoll- 
kommen auftritt ,  so  sind  die  Resultate  ihrer  Heilbemühungen  eben  so  w  enig 
immer  glänzend,  als  die  der  Ärzte.  Dazu  kommt,  dass  die  Natur  bewusst- 
los  handelt ,  keinen  Unterschied  zwischen  edlen  und  unedlen  Organen  kennt, 
und  bei  ihrem  Bestreben  oft  den  Krankheitsstoff  auf  Gehirn ,  *Lungcn  etc. 
als  Metaschematismus  ablagert,  was  den  Tod  herbeiführt.  Wie  viele  Mühe 
haben  wir  Arzte  nicht  zuweilen ,  um  bevorstehende  perverse  Krisen ,  Meta- 
stasen ,  Metaschematismen ,  die  die  eigensinnige  Natur  nach  Gehirn ,  Lungen, 
Magen  etc.  ablagern  will,  auf  unschädlichere  Organe  abzuleiten?  Hier  müs- 
sen wir  uns  als  Herren ,  nicht  als  Diener  der  Natur  zeigen.  Es  giebt  eben 
so  gut  Anomalien  bei  der  Naturautokratie ,  als  bei  Krankheiten !  Anomalien, 
die  eben  so  gut  ihr  Werk  sind  als  die  Missgeburten  und  Verkrüppelungen, 
die  vitia  primae  formationis  im  Thier-  und  Pflanzenreiche.  —  Excrescenzen, 
Balggeschwülste,  Steatome,  Sarcome ,  Indurationen,  Suppurationen  etc. ,  die 
zumal  in  edlen  Organen  so  häufig  den  Tod  herbeiführen ,  wie  oft  sind  diese 
Leiden  weiter  nichts  als  die  Resultate  eines  mangelhaften  und  verkehrten 
Heilbestrebens  der  Natur!  Aus  allem  diesen  geht  deutlich  hervor,  wie  viel 
dem  Heilkünstler  oft  noch  zu  thun  übrig  bleibt,  um  der  Autokratie  der  Na- 
tur —  freilich  nicht  ohne  ihr  Zuthun  —  zu  Hülfe  zu  kommen  und  sie  auf  den 
rechten  Weg  zu  leiten.  So  wie  im  Allgemeinen  in  der  Natur  nicht  nur  das 
Gesetz  zur  Bildung ,  sondex'n  auch  z<n'  Vernichtung  des  organischen  Lebens 
liegt,  so  auch  in  der  Naturheilkraft,  die  jenem  Gesetze  untergeordnet  ist. 
Kann  wol  eine  durch  plötzliches  Verschwinden  des  Tripperausflusses  aus  der 
Harnröhre  entstandene  Ophthalmia  gonorrhoica  ohne  Thätigkeit  der  Natur- 
autokratie entstehen?  Nimmermehr;  aber  hier  ist  die  Natur  doch  wol  kein 
rationeller  Heilkünstler  gewesen.  Wir  wollen  indessen  die  göttliche  Vis  na- 
turae  conservatrix  et  medicatrix  hier  keinesweges  verachten,  sondern  führen 
dergleichen  nur  an,  um  sie  specieller  kennen  zu  lernen  und  sie  mit  mehr 
Vortheil  zum  Wohl  der  leidenden  Menschheit  zu  benutzen.  4)  Da  die  mei- 
sten Krankheiten  ursprünglich  vom  Nervensystem  ausgehen,  da  der  Einfluss 
dieses  Systems  auf  Digestion ,  Assimilation ,  Nutrition ,  auf  alle  Se  -  und 
Excretionen,  auf  alle  kritische  Ausleerungen  von  der  grössten  Bedeutung 
ist ,  so  lässt  es  sich  leicht  denken ,  dass  auch  die  Naturheilkraft  ohne  Ver- 
mittlung dieses  Systems  nicht  wirksam  seyn  könne.  Dies  sehen  wir  deut- 
lich bei  Paralysen ,  wo  der  Nerveneintiuss  durch  Lähmung  des  Hauptnerven 
fehemmt  ist,  die  daher  auch  Jahre  lang  bestehen  und  oft  ganz  unheilbar 
leiben,  weil  die  Natur  hier  nicht  wirken  kann.  Andererseits  vermag  nichts 
so  bedeutend  die  schlummernde,  zu  schwa^ehe  Naturheilkraft  zu  wecken,  als 
ein  gehörig  wirkender  Stimulus  aufs  Nervensystem,  zumal  von  der  psychi- 
schen Seite  aus.  So  wie  die  Physik  ohnlängst  mit  den  neuern  Fortschritten 
in    der  Erkenntniss   der  Natur    viele   für  elementavisch   gehaltene  Stoffe  als 


AUTOCRATIA  249 

Elemente  yerwirft  (Luft,  Wasser  etc.),  —  so  sind  wir  Arzte  auch  schon 
längst  überzeugt,  dass  die  Krankheiten  der  Seele  und  des  Leibes  keine  spe- 
citisch  verschiedene  Classen  mehr  zulassen  ,  sondern  dass  wir  nur  Gradun- 
terschiede und  Symptomengruppen  bei  beiden  statuiren  dürfen.  Aber  was 
die  Heilung  zahlloser  Krankheiten  des  Leibes  durch  psychische  Einflüsse 
rermiiLels  des  Nervensystems  anbetrifft ,  so  gehört  sie  unter  dem  gew  öhnli- 
chen  Tross  der  Ärzte  zu  den  piis  desideriis ,  und  doch  ist  sie  von  so  grosser 
"Wichtigkeit !  —  Es  giebt  eine  Willensheilkunde ,  d.  i.  eine  Methode ,  durch 
kräftige  Anregung  des  freien  Willens  und  anderer  Geistesthätigkeiten  (welche 
bald  durch  Incitation,  bald  durch  Derivation  mittels  des  Nervensystems  die 
Naturheilkraft  mächtig  anregen)  Krankheiten  zu  heilen,  die  höchst  wirksam 
ist.  Siehe  ein  Mehreres  darüber  bei  Derivatio.  —  Eine  ungewöhnliche 
Beschäftigung  der  Phantasie,  die  Richtung  der  Seele  auf  einen  interessanten 
und  neuen  Gegenstand ,  —  diese  Dinge  sind  als  Derivantia  psychica  zu  be- 
trachten, und  haben  durch  Umstimmung  des  Nervensystems  schon  Unglaub- 
liches zur  Heilung  von  Krankheiten  bewirkt.  Schon  der  grosse  Herder 
sagte,  er  wünsche,  dass  am  Abende  seines  Lebens  oder  bei  einer  ihn  er- 
greifenden schlimmen  Krankheit  eine  recht  grossartige  neue  Idee  seinen 
Geist  beschäftigen  möge,  und  er  sey  überzeugt,  dass  dieses  allein  noch  sein 
Leben  verlängern  oder  ihn  von  der  Krankheit  heilen  werde.  Und  wahrlich! 
dieser  tiefe  Naturkenner  hatte  Recht!  So  erklärt  sich  auch  der  Umstand, 
wie  das  pharmaceutische  Nichts  der  Homöopathen  und  das  indifferenteste 
sympathetisclfe  Mittel  oft  so  heilsam  wei-den  konnte.  Aufregung  des  Ner- 
vensystems und  Erweckung  der  schlummernden  oder  nicht  hinreichend  thä- 
tigen  Naturheilkraft  von  der  psychischen  Seite  waren  es ,  die  hier  das  Wirk- 
same abgaben.  Die  Einwirkung  des  Arztes  —  sagt  Greiner  in  der  AUgem. 
med.  Zeitung;  Altenburg,  1835,  Januar  — •  auf  den  Kranken  ist  so  mannig- 
faltig ,  allgemein ,  partiell  und  specitiisch  magnetisch ,  dass  auf  mannigfaltige 
Weise  durch  diese  Einwirkung  das  Reactionsvermögen  der  Lebensidee  zur 
Heilung  bestimmt  und  unterstützt  werden  kann,  auch  oft,  abgesehen  von 
diesen  Einwirkungen ,  duich  dieses  Vermögen  allein ,  durch  die  Lebensidee 
zur  bestimmten  Hellkraft  erhöhet,  die  Krankheit  besiegt  und  die  Heilung 
herbeigeführt  wird.  —  Bei  den  sympathetischen  Mitteln  haben  wir  aber 
noch  eine  andere  Seite  zu  betrachten ,  weshalb  sie  so  wirksam  sind ,  die 
Natur  kräftig  zur  Hellung  von  Übeln  aufzufordern;  dies  ist  die  elektro- 
magnetische Seite ,  worüber  anderswo  gehandelt  worden  ist  (s.  Galvanis- 
mus).  5)  Aber  nicht  blos  von  der  psychischen  Seite,  auch  durch  kunst- 
gemässe  Anwendung  jener  grossen  Kräfte,  der  Imponderabilien:  Elektri- 
cität,  Galvan Ismus,  Magnetismus  (s.  diese  Art.),  vermögen  wir 
höchst  kräftig  aufs  Nervensystem  einzuwirken,  um  der  Naturheilkraft  da- 
durch einen  ähnlich  kräftigen  Impuls  zur  Heilung  solcher  Krankheiten  zu 
geben,  die  nicht  zu  den  acuten  gehören  und  die  ohne  echt  inflammatorische 
Zufälle  sind.  Vielleicht  giebt  es  neben  den  psychischen  Mitteln  kein  so 
wirksames  Mittel,  Heilungen  durch  Naturautokratie  zu  bewirken,  als  die 
Elektricität,  der  Galvanismus  und  Magnetismus,  zumal  in  solchen  Fällen, 
wo  die  Natuikraft  zu  unvollkommen  und  nicht  allgemein  genug  thätig  ist, 
wo  Secretionen  stocken,  wo  die  Digestion  schlecht,  Obstructio  alvi  habi- 
tualis,  Menstruatio  retenta,  suppressa,  chronische  Geschwülste  und  Läh- 
mungen aller  Art  etc.  stattfinden,  worüber  in  den  Artikeln  Electricitas, 
Galvanismus,  Magnetismus  mineralis  specieller  geredet  woi'den 
ist.  —  Endlich  6)  ist  die  Naturautokratie  nach  vielfältigen  Beobachtungen 
nicht  zu  jeder  Zeit  gleich  wirksam.  Sie  ist  wirksamer  des  Nachts  und  im 
Schlafe,  als  bei  Tage  und  im  Wachen,  wirksamer  bei  heiterm  als  trübem 
Himmel  etc.  Daher  machen  es  sich  gute  praktische  Arzte  auch  zur  Regel, 
schlafende  Kranke  nicht  aufzuwecken,  wenn  es  auch  Zeit  zum  Arzneiein- 
nehmen ist;  denn  es  heisst  mit  Recht:  „Der  Schlaf,  d.  i.  der  natürliche, 
ist  eben  so  gut  als  Arznei,"  und  mancher  Kranke  verschläft,  wie  schon  Dr. 
Bartolo  im  „Figaro"  sagt,  in  der  That  seine  Krankheit;  —  ferner  lassen 
wir  de»  Nachts ,   wenn  keine  grosse  Gefahr  ist ,    eben  so  an  den  kritischen 


250  AUTOPSU 

Tagen,  allen  Arzneigebrauch  aussetzen.  So  wie  viele  Krankheiten  ihr  Ty- 
pisches haben,  so  hat  es  auch  die  Naturautokratie.  In  welchen  Krankhei- 
ten letztere  nun  ihre  Ebbe  und  Flut  zeige  ?  Ob  bald  mehr  bei  Neumonde, 
bald  mehr  bei  Vollmonde  oder  dem  ersten  und  letzten  Viertel?  —  Welchen 
Einfluss  hier  der  Erdmagnetismus  und  die  Tageszeiten  haben,  wo  seine  In- 
tensität das  Maximum  und  das  Minimum  erreicht?  —  Diese  und  viel'e  an- 
dere interessante  Untersuchungen  müssen  noch  angestellt  werden ,  um  unsere 
herrliche  Naturheilkraft  auch  in  ihren  feinern  Nuancen  näher  kennen  zu 
lernen. 

Autopsia,  das  Selbstsehen  und  die  dadurch  gewonnene  Überzeu- 
gung. Ist  für  den  Heilkiinstler  von  der  höchsten  Wichtigkeit ;  er  lernt  da- 
durch in  einer  Stunde  mehr,  als  in  einem  Tage  durch  das  Lesen  von  Schrif- 
ten ,  und  das  Erlernte  bleibt  im  Gedächtniss.  Daher  sind  die  grossen  kli- 
nischen Anstalten  in  Berlin,  Würzburg,  Wien,  Paris  etc.  von  unendlichem 
Nutzen  zur  Bildung  junger  Ai'zte.  Die  Alten  bezeichneten  mit  dem  Worte 
Autopsie  einen  Zustand  der  Ekstase,  in  welchen  sie  eines  vertraulichen  Um- 
ganges mit  den  Göttern  zu  geniessen  glaubten ;  in  der  Arzneikunde  verste- 
hen die  Neuern,  zumal  die  Franzosen,  darunter  die  Leichenöffnung,  doch 
ist  dafür  der  Name  Necroscopia,  Necropsia  vorzuziehen.  Rttst  gebraucht 
das  Wort  in  einem  ganz  neuen  Sinne  und  versteht  darunter  die  Kunst, 
die  chirurgischen  Krankheiten  aus  ihrer  Form  zu  erkennen. 
In  diesem  Sinne  kann  es  aber  auch  der  Arzt  gebrauchen  ,  denn  so  wie  das 
Äussere  in  der  Natur  stets  dem  Innern  entspricht ,  so  deutet  auch  der  ganze 
Habitus  des  Kranken,  seine  Haltung,  seine  Physiognomie  etc.  auf  das  ob- 
waltende innere  Leiden ,  und  der  geübte  Arzt  kann  daraus  häufig  auch  den 
Sitz  des  Übels,  ob  letzteres  im  Kopfe,  in  der  Brust  oder  im  Unterleibe 
stattfindet,  erkennen.  S.  Habitus  und  Physiognomia  pathologica. 
Bieffenhnch  nennt  die  Autopsie  eine  potenzirte  Diagnt)stik,  indem  sie  die 
Kraiikheitsform  geradezu  aus  bestimmten  charakteristischen  Merkmalen,  wie 
der  Botaniker  die  Pflanze,  erkennt  und  charakterisirt  (s.  Rust's  Handb.  d. 
Chirurgie,  Bd.  IL  S.  627).  Sie  ist  aber  weiter  nichts  als  ein  gutes  Hülfs- 
raittel  derselben ,  denn  das  blosse  Schauen ,  der  Gebrauch  des  Gesichts  - 
und  Tastsinns  schafft  noch  keine  Diagnostik  der  Krankheiten,  dazu  gehört, 
dass  man  vergleicht ,  das  Ähnliche  verbindet ,  das  Unähnliche  trennt ,  die 
Anamnese  berücksichtigt,  die  Autopsie  zu  Hülfe  nimmt,  und  so  durch  Nach- 
denken zum  Resultate  kommt.  Alle  diese  geistigen  Thätigkeiten  gehen 
zwar  in  dem  Geiste  des  geübten,  mit  praktischen  Tacte  versehenen  Arztest 
blitzschnell  und  oft  ohne  klares  Bewusstseyn  vor  sich  (denn  das  bewusste 
menschliche  Denken  ist  nicht  die  einzige  denkende  Thätigkeit  des  mensch- 
lichen Organismus ,  vielmehr  ist  der  ganze  Organismus  von  einem  lebendi- 
gen Geiste  beseelt ,  dessen  Thätigkeit  zwar  keine  in  Worte  gefasste  Gedan- 
ken, wohl  aber  gedachte  und  überlegte  Handlungen  erzeugt),  aber  deswe- 
gen finden  sie  doch  statt,  und  DiefJ'enhach  hat  Unrecht,  wenn  er  (a.  a.  O, 
Bd.  II.  S.  628)  sagt :  „  Die  Diagnose  erforscht  durch  Umwege ,  die  Au- 
topsie erkennt  geradezu ,  sie  ist  stumm ,  da  sie  der  Frage  nicht  bedarf " 
Die  Formen,  welche  z.  B.  die  verschiedenen  Geschwüre,  die  verschiedenen 
Augenentzündungen,  die  verschiedenen  acuten  und  chronischen  Exantheme 
darbieten,  kann  nicht  blos  der  Arzt,  sondern  auch  der  Laie,  der  Kranken- 
Avärter  leicht  durch  die  oft  wiederholte  Autopsie,  wenn  er  sonst  aufmerksaiil 
ist  und  scharfe  Smne  hat,  unterscheiden  und  erkennen  lernen,  ohne  dass  er 
sich  Rechenschaft  davon  ablegen  kann.  Soll  die  Arzneikunst  aber  eine 
wahre  Kunst  seyn ,  so  müssen  wir  —  die  Künstler  —  darnach  trachten ,  je- 
den Act  unsers  Denkens ,  Wollens  und  Empfindens  zum  Bewusstseyn  zu 
bringen;  erst  dann  genügen  wir  den  Anforderungen  der  Araneiwissenschaft 
an  uns.  Ich  schätze  die  Autopsie  sehr  hoch,  aber  eine  potenzirte  Diagno- 
stik ist  sie  nicht;  eben  so  wenig  glaube  ich,  was  Rust  behauptet,  dass  jede 
Krankheit  mit  der  ihr  zum  Grunde  liegenden  Ursache  ohne  Ausnahme  ledig- 
lich durch  Autopsie  erkannt  werden  könne  (s.  Rusfs  Handb.  d.  Chirurgie, 
Bd.  11,  S.  630).     Ich  mag  keine  Beispiele  anführen,  da  sie  jeder  Praktiker 


AUXESIS  —  BALBUTIES  251 

sich  selbst  machen  kann;  oder  sollen  wir  auch  das  Sehen  mit  dem  inncrn 
Sinn  Autopsie  nennen? 

Auxesis»  Aucpnenium  tnorbt,  die  Zunahme  einer  Krankheit ;  s.  Morbus, 

Aypnia,  Schlaflosigkeit,  s.  Agrypnia. 

Azotb.  So  neimt  Theophrasius  die  geheime  Medicin,  d.  i.  bei  ihm 
Mercurius  praecipitatus  ruber. 


Baccliia/»   Gesichtspustel,  s.  Gutta  rosacea. 

Balanitis,  Entzündung  der  Eichel.  Ist  am  häufigsten  Folge 
von  venerischer  Ansteckung,  ein  bedeutendes  Symptom  der  Phimosis  und 
Paraphimosis,  des  virulenten  Trippers  (s.  Syphilis  und  Gonorrhoea). 
Entstand  sie  durch  mechanische  Verletzung ,  durch  Druck ,  Quetschung ,  so 
passen  Aqua  Goulardi  zu  Umschlägen,  kühlende  Diät  und,  ist  Fieber  dabei, 
innerlich  Antiphlogistica ,   äusserlich  Blutegel  etc. 

Balanobleimorrlioea,  Bnlnnorrhoea ,  E  i  c  h  e  1 1  r  i  p  p  e  r.  Ist 
Blennorrhoe ,  zu  starke  Absonderung  von  Schleim  der  kleinen  Drüsen  unter 
der  Vorhaut  und  an  der  Krone  der  Eichel,  die  selten  syphilitischen  Ursprungs, 
mehr  Symptom  allgemeiner  blennorrhoischer  Constitution  ist.  Gelegent- 
liche Ursachen  sind:  Unreinlichkeit  der  Geschlechtstheile ,  verabsäumtes 
Waschen  und  Reinigen  des  Pe;iis ,  besonders  im  Sommer  und  bei  langei', 
schlaffer  Vorhaut,  starke  Erkältung  bei  nasskaltem  Wetter.  Cur.  Rein- 
lichkeit, öfteres  Waschen  mit  kaltem  Wasser,  Umschläge  von  Aqua  Goulardi 
mit  Tinct.  opii,  von  Aqua  calcis,  das  tägliche  Waschen  des  Gliedes  in  einer 
Auflösung  von  Vitriol,  coerul.  5j  in  3VJ  Wasser.  Daneben  bei  bleiuiorrhoi- 
scher  Constitution  innerlich  Sal  ammoniacum,  kleine  Dosen  Tart.  emetic, 
Extr.  graminis,  taraxaci,  Spec.  lignorum  etc. ;  s.  Blennorrhoea.  .  Zuwei- 
len entsteht  der  Eicheltripper  nach  unreinem  Beischlaf;  mancher  Ehemann 
bekommt  ihn  von  seiner  an  Fluor  albus  leidenden  Frau ;  zuweilen  liegt  auch 
gichtische ,  hämorrhoidalische ,  herpetische  Schärfe ,  Wurmreiz  zum  Grunde. 
Ist  das  Übel  schon  alt ,  so  ist  die  Heilung  oft  schwierig ,  besonders  wenn 
allgemeine  Blennorrhoe,  Gicht  mid  Hämorrhoiden  zu  dieser  Krankheit  bei- 
tragen. Hier  sind  die  gegen  das  Allgemeinleiden  erforderlichen  Interna  und 
eine  strenge  Diät :  Vermeidung  aller  Spirituosa ,  der  Gewürze ,  der  fetten 
und  mehligen  Speisen,  des  geräucherten  und  gepökelten  Fleisches,  dagegen 
der  tägliche  reichliche  Genuss  von  frischem  Quellvvasser  anzurathen.  In  ei- 
nem Falle ,  der  schon  riiehrere  Jahre  alt  war  und  \to  die  örtliche  Anwendung 
der  Aqua  Goulardi  nichts  fruchtete,  leistete  das  Kreosotwasser,  in  einem  an- 
dern das  tägliche  Bestreuen  der  Eichel  mit  Pulv.  cort.  quercus  gute  Dienste. 
Zeigen  sich  am  Praeputium,  was  nutunter  der  Fall  ist,  rothe  Flecke,  Ex- 
coriationen ,  so  können  daraus  Geschwüre  entstehen,  die  den  Chankern  ganz 
ähnlich  sehen.  Hier  betupfe  man  diese  Flecke  und  Excoriationen  leicht  mit 
Lapis  infernalis  und  verbinde  mit  trockner  Charpie.  Auch  kann  man  letz- 
tere mit  einer  Solution  des  Höllensteins,  mit  Opiumtinctur  versetzt,  anfeuch- 
ten, z.  B.  Lapid.  infernalis  5|i  5  solve  Aq.  destillat.  gvjjj  et  adde  Tinct. 
opii  simpl.  Sjj«  (ß^luge).  Rnst  empfiehlt  dagegen  die  sogenannte  A([.  phage- 
daenica  nigra,  welche  aus  Kalomel  5|y,  Aq.  calcis  ^jj  —  51V  besteht,  wel- 
cher Mischung  man  noch  5jj  Opium  purum  zusetzen  kann.  Auch  ein  Decoct. 
uvae  ursi  mit  Opium,  so  wie  das  Plumbum  tannicum,  d.  i.  Decoct.  cort. 
quercus  (ex  §ij|v)  Sj  mit  Extr.  saturni  hinreichend  versetzt  und  den  Nie- 
derschlag, colirt ,   sind  recht  wirksame  topische  Mittel  (M.). 

BalbutieiS,  Batlammus,  BamLalio,  Blaesitas,  Banjglossin,  Dyslalia, 
Mogilalia,  undeutliche  Aussprache,  schwere  Zunge,  Stammeln, 


252  BALBUTTES 

Stottern.  Gegen  diese  Übel,  die  in  den  meisten  Fällen  Folge  fehlerhaf- 
ter moralischer  Erziehung  und  durch  Angewöhnung  zur  andern  Natur,  we- 
nigstens bei  Erwachsenen,  geworden,  höchst  selten  Folge  eines  organischen 
Fehlers  der  Sprachorgane  sind ,  wussten  zeither  die  Ärzte  wenig  Hülfe ,  bis 
ein  Frauenzimmer,  die  Madame  Leigh  in  New -York,  vor  sechs  Jahren  ih- 
nen den  Rang  streitig  machte ,  und  eine  gründliche  Heilmethode  des  Übels, 
die  freilich  noch  hier  und  da  als  ein  Geheimniss  existirt,  in  Anwendung 
brachte.  Da  ich  kürzlich  Gelegenheit  hatte ,  diese  Methode  genau  kennen 
zu  lernen,  so  bringe  ich  sie  hiermit  um  so  mehr  zur  öffentlichen  Kunde,  da 
der  Mangel  einer  richtigen  Aussprache  gewiss  ein  grosses  Unglück  für  einen 
jungen  Menschen  ist,  und  ihm  bei  Erlernung  der  Sprache,  bei  Ausbildung 
des  Geistes  und  fürs  zeitliche  Fortkommen  viele  Hindernisse  in  den  Weg  legt. 
Viele  Schriftsteller  haben  die  Begriffe  von  Stammeln  und  Stottern  nicht  ge- 
hörig getrennt,  sondern  oft  verwechselt;  beide  unterscheiden  sich  aber  genau. 
Das  Stammeln  ist  nämlich  derjenige  Sprachfehler,  bei  welchem  einzelne 
oder  mehrere  Laute  gar  nicht  oder  nicht  richtig  artikulirt  werden  können ; 
das  Stottern  dagegen  ist  ein  momentanes  Unvermögen ,  ein  Wort  oder 
eine  Sylbe  auszusprechen  (s  R.  ScJiuHliess,  das  Stammeln  u.  Stottern.  Über 
die  Natur,  Ursachen  und  Heilung  dieser  Fehler  der  Sprache.  Zürich,  1830. 
/TecA-cr's  Lit,  Annalen,  1830.  Septbr.  S.  79.).  Was  die  Cur  dieser  Übel  nach 
der  Leigh'schen  Methode  anbelangt,  die,  obgleich  gegenwärtig  überschätzt, 
doch  die  höchste  Aufmerksamkeit  der  Arzte  verdient,  so  sind  folgende  Punkte 
bei  der  Cur  vorzüglich  zu  berücksichtigen :  1)  der  Stammelnde  muss  durch 
Zusprechen  und  Mutheinreden,  durch  richtige  Ansicht  von  Stand  und  Rang, 
die  in  Wahrheit  nur  scheinbar  sind ,  indem  wir  vor  Gott  uns  Alle  gleichen 
etc. ,  dahin  gebracht  werden ,  dass  er  beim  Auftreten  in  Gesellschaften,  beim 
Anreden  irgend  einer  Person  alle  Scheu,  Blödigkeit  und  Verlegenheit  ablegt. 
2)  Er  darf  nie  reden,  wenn  er  erhitzt  und  sein  Blut  in  Wallung  gerathen 
ist.  Er  muss  alsdann  erst  ein  paar  Minuten  warten,  und  ehe  er  zu  reden 
beginnt,  einige  tiefe  Athemzüge  thun.  3)  Er  muss,  bevor  er  redet,  ruhig 
und  langsam  den  ganzen  Redesatz  durchdenken.  4)  Er  darf  nie  beim  Ein- 
athmen  reden,  muss  dagegen,  während  er  redet,  langsam  ausathmen.  5)  Er 
muss  sich  bemühen.  Alles,  was  er  spricht,  mit  dem  Vordermunde,  nicht  mit 
dem  Hintcrm'unde  zu  reden,  die  Zunge  dabei  nur  mit  der  Spitze,  schwebend 
zwischen  Gaumen  und  Unterkinnlade  und  nahe  an  den  Lippen,  bewegen, 
den  Mund  dabei  wenig  öffnen ,  und  diese  Methode  anfangs  mit  leisem  Reden, 
nachher  mit  stärkerm  beginnen.  Ausserdem  erfordert  jeder  individuelle  Fall 
seine  besondere  Behandlung,  je  nachdem  der  Mensch  nur  bei  einigen  oder 
bei  mehreren  Buchstaben  stottert.  Man  geht  daher  das  ganze  ABC  mit  dem 
Stammelnden  durch,  zeigt  ihm  die  bessere  Aussprache  derjenigen  Buchstaben, 
dann  Sylben  und  Wörter,  die  er  unrichtig  spricht,  und  lässt  ihn  dies  oft 
wiederholen.  Die  Art  und  Weise,  wie  hierbei  Zunge  und  Lippen  gehalten 
werden  müssen ,  worüber  die  Leigh'sche  Methode  ausführliche  Anweisung 
giebt ,  ist  kürzlich  diese :  die  Gaumenbuchstaben  A,  H,  E,  I,  G,  K  müssen 
ohne  bemerkbare  Bewegung  des  Mundes  durch  den  Lufthauch  beim  Ausath- 
men ausgesprochen  werden;  desgleichen  die  Buchstaben  U,  Ü,  O,  Ö,  bei 
welchen  aber  der  Mund  etwas  gerundet  werden  mu.ss.  Bei  den  Buchstaben 
D,  T,  L,  N,  Z,  S  und  C,  als  Zungenlaute,  muss  die  Zunge  bald  nach  vorn, 
bald  nach  oben,  unten  etc.  fixirt  werden,  je  nachdem  es  nöthig  ist.  Bei  den 
Buchstaben  B,  P,  M  müssen  beide  Lippen  nur  leicht  berührt,  und  bei  F, 
V,  W  die  untere  Lippe  nicht  über  die  untere  Reihe  der  Zähne  erhoben 
werden.  Man  nimmt  mit  dem  Stotterer  das  ganze  Alphabet  durch  und  lässt 
die  fehlerhaft  ausgesprochenen  Buchstaben  am  meisten  und  täglich  funfzig- 
bis  hundertmal  üben.  A,  H,  U  und  K  sind  die  schlimmsten  Buchstaben; 
wer  das  K  nicht  aussprechen  kann,  im  Alter  schon  vorgerückt  ist  und  beim 
Reden  die  Zunge  aus  dem  Munde  steckt,  wer  schwer  begreift  und  ein 
Dummkopf  ist,  der  ist  schwer  zu  heilen.  Dies  ist  im  Allgemeinen  das  ganze 
Geheimniss  der  Leigh'schen  Methode,  das  mir  ein  gewisser  Hr.  Bmismann, 
«o«  der  Nähe  von  Bielefeld  gebürtig,   hier  in  Roi^tock ,    wo  er  viele  Stara- 


BALLISMÜS  —  BALNEUM  253 

ihelnde  oft  schon  in  drei  bis  acht  Tagen  geheilt,  mitgetheilt  hat,  und  wo- 
für sich  der  interessirte  Kaufmann  Charlier  in  Aachen,  der  es  von  Herrn 
Malehouche  (jetzt  in  Paris)  lernte,  20  Louisd'or  bezahlen  lässt.  Dass  daa 
Stammeln  in  einem  eigenartigen  fehlerhaften  Einflüsse  des  Gehirns  auf  die 
Sprachorgane  besteht ,  leidet  keinen  Zweifel ;  daraus  erklärt  sich  auch  der 
gute  Erfolg  der  Leigh'schen  Methode.  (Vergl.  Horn's  Archiv,  Juli  1828  und 
Froriep's  Notizen  18:<;8.  Nr.  452.). 

Ballismus,  Veitstanz;  s.  Chorea  St.  Viti. 

Balneum,  das  Bad.  Im  ersten  und  eigentlichen  Sinne  des  Worts 
nennen  wir  Baden  das  absichtliche  Eintauchen  des  entblössten  Körpers  oder 
eines  Theils  desselben  in  Wasser;  im  weitern  Sinne  verstehen  wir  darunter 
auch  die  äussere  Anwendung  von  gasartigen ,  dampfartigen  und  andern  Mit- 
teln. Der  grosse  Nutzen  des  Badens  in  diätetischer  Hinsicht  fällt  mit  dem 
des  Waschens  und  der  Reinlichkeit  zusammen.  In  dieser  Hinsicht,  die  uns 
hier  weniger  als  das  Baden  in  therapeutischer  Hinsicht  interessirt,  waren 
die  Bäder  schon  im  grauen  Alterthume  bekannt  und  die  Ärzte  aller  Zeiten 
hielten  sie  für  die  ersten  und  grössten  Mittel  zur  Erhaltung  der  Gesund- 
heit und  zur  Abwehr  vieler  Krankheiten,  und  zwar  mit  vollem  Rechte. 
Aber  auch  als  Heilmittel  waren  die  Bäder  den  Alten  schon  bekannt,  wie 
wir  davon  schon  in  der  heiligen  Schrift  lesen.  Die  Wirkungen  des  Badens 
auf  den  menschlichen  Körper  sind  nach  Verschiedenheit  der  Temperatur  des 
Wassers,  nach  Verschiedenheit  seiner  Bestandtheile  und  nach  andern  Um- 
ständen sehr  mannigfaltig,  eben  so,  wie  die  Eintheilung  der  Bäder,  und  ob- 
gleich wir  im  engern  Sinne  unter  Baden  nur  das  Verweilen  in  tropfbaren 
oder  gasförmigen  Flüssigkeiten  (Wasserbäder,  Dampfbäder)  verstehen,  so 
nehmen  wir  im  weitern  Sinne  doch  auch  Luft-,  Laub-,  Erd  -  und  anderä 
Bäder  an;  daher  wir  denn  hier  folgende  Arten  und  Unterarten  genauer  be- 
*  rücksichtigen  wollen.  Wir  betrachten  hier  vorzüglich  die  zusammengesetzten 
oder  medicinisch- pharmaceutischen  Bäder,  dagegen  werden  wir  der  andern 
Bäder  nur  ganz  kurz  gedenken  und  uns  auf  die  vorzüglichsten  Brunnen- 
und  Badeschriften  beziehen.  Wir  unterscheiden  1)  kalte,  2)  laue  und 
warme,  3)  heisse,  4)  Dampfbäder,  5)  Mineralbäder^  6)  See- 
bäder, 7)  Luft-  und  Sonnenbäder,  8)  Erdbäder,  9)pharma- 
ceutische  oder  raedicinische  Bäder,  10)  elektrische  Bäder. 

Balneum  frigidum,  das  kalte  Bad.  Nach  Verschiedenheit  der  Anwen- 
dung rechnen  wir  hierher  das  Spritzbad  ( Aspersio ) ,  das  Sturz  -  oder 
Regenbad  (^ Impluvhun') ,  das  Tropfbad  (^StilliciiUum  seu  Enibrocaiio') ^ 
und  die  Do u che  (^Gulta,  Doccin).  Die  Temperatur  des  kalten  Bades  darf 
nicht  über  8"  R.  seyn.  Ein  Bad  von  9  — 17'^  R.  nennen  wir  ein  kühles, 
eins  von  17  —  24"  ein  laues;  ein  warmes  Bad  ist  24  —  28<»  warm,  und 
alle  Bäder  über  28'^'  R.  Temperatur  nennen  wir  heisse  Bäder.  Die  unmittel- 
bare Wirkung  eines  kalten  Bades  ist  diese:  1)  der  ganze  Körper  erleidet 
beim  Eintritt  in  dasselbe  eine  Erschütterung,  einen  Schauder,  besonders 
wenn  das  Wasser  den  Unterleib  und  die  Brust  berührt.  Dieser  Eindruck 
wirkt  bedeutend  aufs  ganze  Nervensystem,  ähnlich  der  Einwirkung  elektri- 
scher Einflüsse.  2)  Die  Haut  der  vom  kalten  Badewasser  berührten  Theile 
wird  anfangs  blauroth,  nachher  blass.  3)  Das  Volumen  des  Körpers  nimmt 
nach  physischen  Gesetzen  ab;  empfindliche  Personen  fühlen  Taubheit  und 
schmerzhafte  Zusammenziehung  in  der  Haut  und  den  Muskeln.  4)  Der  Puls 
wird  nach  allen  Beobachtungen  langsamer  und  schwächer,  und  die  Respira- 
tion, welche  gleich  beim  Eintritt  in  das  Bad  einen  gewissen  Stoss  bekommt, 
bleibt  während  des  Badens  immer  etwas  gehindert  und  unterdrückt.  5)  Alle 
diese  Erscheinungen  finden  um  so  leichter  und  um  so  mehr  statt,  je  kälter 
die  Badeflüssigkeit,  je  erregbarer  das  badende  Individuum  ist,  und  je  länger 
das  Bad  fortgesetzt  wird;  im  niedern  Grade  bemerken  wir  sie  auch  beim 
kühlen  und  lauen  Bade.  6)  Nach  dem  Bade,  das  in  der  Regel  nur  wenige 
Minuten  währen  darf,  verbreitet  sich  über  den  ganzen  Körper  das  wohlthä- 
tige  Gefühl    einer   belebenden  Wärme,    alle  Functionen  gehen   thätiger   von 


254  BALNEmi 

statten,  die  Muskelfaser  bekommt  mehr  Schnellkraft,  der  Puls  wird  schnel- 
ler, voller,  und  die  Ausdünstung  wird  vermehrt.  Ein  solches  kaltes  Bad 
ist,  wenn  es  nur  wenige  Minuten  dauert,  durchaus  kein  schwächendes,  son- 
dern durch  die  kräftige  Reaction  des  Körpers  ein  belebendes  Mittel,  das  wir 
in  allen  solchen  Krankheiten  mit  Nutzen  anwenden  können,  wo  eine  schnelle 
Erschütterung  und  ein  plötzliches  Einwirken  auf  mehrere  Systeme  des  Or- 
ganismus zugleich  nöthig  ist,  um  so  neue  Thätigkeit  und  vermehrte  Energie 
zu  bewirken.  Mit  Ausnahme  der  kalten  Seebäder  wenden  wir  das  allge- 
meine kalte  Bad  selten,  weit  häufiger  dagegen  das  topische  an,  letzteres 
besonders  als  Sturzbad  in  bösartigen  Fiebern,  im  Typhus,  in  hohen  Gra- 
den des  Scharlaciis,  im  adynamischen  Stadium  des  Croups,  bei  Congestion 
zum  Kopfe ,  bei  Delirium  tremens ;  auch  die  kalten  Waschungen ,  die  kalten 
Fomentationen  gehören  gevvissermassen  hierher.  Bei  organischen  Fehlern  der 
Eingeweide,  bei  chronischen  Hautkrankheiten,  bei  innerlichen  Entzündungen, 
bei  verschiedenen  Nervenübeln  erfordern  die  kalten  Bäder  grosse  Vorsicht; 
denn  hier  treten  oft  Ohnmächten,  Krämpfe,  Scheintod  während  des  Badens 
ein ;  doch  sind  die  topischen  kalten  Bäder  hier  oft  an  ihrer  Stelle.  (Vex'gl. 
Curries  und  Frölich's  Schriften  über  die  Wirkungen  des  kalten  Wassers,  der 
Sturzbäder  etc.  in  Fiebern).  Nach  den  Beobachtungen  von  Hahn,  Sarcone, 
ITriglit ,  Jachson,  Reil,  Mosmnnn,  Lucas,  Currie,  Kolhani,  Hetjewisch  u.  A. 
passen  die  kalten  Waschungen  und  Sturzbäder  zu  Anfange  aller  hitzigen 
fieberhaften  Krankheiten,  besonders  der  exanthematischen ;  bei  Hydrophobie, 
Wahnsinn,  Blödsinn,  am  Ende  der  Scropheln,  der  Rhachitis,  bei  Hypochon- 
drie, Hysterie.  Das  Spritz-  oder  Douchebad  finden  wir  in  den  mei- 
sten Bädern  Deutschlands.  Wir  wenden  es  an  gegen  Lähmungen  der  Glie- 
der, Gichtknoten,  schwarzen  Staar,  Wahnsinn,  gegen  chronisches  Kopfweh. 
Das  Tropf bad  auf  den  Kopf  nützt  gleichfalls  bei  letzterm  Übel;  auf  die 
Herzgrube  wenden  wir  es  beim  Scheintode  an;  s.  Asphyxie  der  Neuge- 
bornen.  Bei  leichtem  Graden  des  Scheintodes,  bei  Ohnmächten  passt  dage- 
gen das  Spritzbad  ins  Gesicht ,  auf  den  Kopf. 

Balneum  tepidum ,  das  laue  und  av a r m e  Bad.  Der  erste  Eindruck, 
den  ein  solches  Bad  auf  die  OberHäche  des  Körpers  macht,  ist  ein  ange- 
nehmes, behagliches  Gefühl,  welches  sich  bald  dem  ganzen  Körper  mittheilt. 
Dieses  Gefühl  von  Behaglichkeit  ist  in,  individuellen  Fällen  auch  der  beste 
Theriuometer  zur  Bestimmung  des  Wärmegrades.  Im  Allgemeinen  rechnet 
man  25"  R.,  doch  giebt  es  viele  Menschen,  die  in  einem  solchen  Bade  noch 
frieren  und  sich  erst  bei  27  —  28"  R.  behaglich  fühlen.  Der  Umfang  des 
Körpers  nimmt  im  warmen,  sowie  im  heissen  Bade  zu,  die  Transspiration 
wird  vermehrt,  und  diese  geht  bei  reizbaren  Personen  oder  bei  längerm 
Aufenthalte  im  Bade  aus  der  unmerklichen  Ausdünstung  in  wirklichen  Schweiss 
über;  dabei  ist  der  Puls  etwas  beschleunigt.  Alle  warmen  Bäder,  sie  mögen 
aus  reinem  Wasser  oder  aus  Wasser,  mit  andern  Bestandtheilen  vermischt, 
bestehen,  erhöhen  wegen  der  Wärme  die  Lebensthätigkeit,  heben  durch 
Einwirkung  auf  das  Capillar  -  und  Nervensystem  der  Haut  Krämpfe,  stellen 
unterdrückte  oder  gehinderte  Ti-ansspiration  oder  solche  Hautausschläge 
wieder  her,  desgleichen  unt(  rdrückte ,  gewohnte  Blulflüsse  aller  Art;  sie 
nützen  ferner  bei  Hypochondrie,  Hysterie,  bei  Fiebern  mit  Irrereden,  bei 
allen  Neurosen  mit  Erethismus,  bei  Scropheln,  Rhachitis,  bei  chronischen 
flechten^rtigen  und  frieselartigen  Ausschlägen  (^Armslront^^ ,  bei  Ensipelas 
neonatorum  (Hufcland),  bei  Gicht  und  Rheumatismen,  bei  den  Convulsionen 
der  Schwangern  und  der  Kinder,  bei  Tetanus,  Trismus,  Chorea  St.  Viti, 
bei  Koliken,  Kardialgien,  bei  Paralysen,  bei  Asphyxien  aller  Art  etc.  Fast 
fluv'chgehends  sind  die  pharmaceutischen  Bäder  zugleich  warm,  und  die  Wärme 
ist  eben  sowol  und  vielleicht  noch  mehr  bei  ihrer  Wirkung  in  Anschlag  zu 
bringen,  als  die  Ingredienzien,  welche  einem  solchen  Bade  zlugesetzt  wer- 
den; s.  Balneum  compositum  seu  medicinale.  Letztere,  sowie  fast 
durchgängig  alle  warmen  Bäder,  werden  entweder  als  ganzes  Bad  ange- 
wandt (Balneum  integrum'),  oder  als  Halb  bad  (^Scmicupium) ,  '^)der  als 
Fuss-  oder  Hand  bad  {Pediluvium  et  Manihiuium).     Auch  fast  alle  Mine- 


BALNEUM  255 

lalbäder,  selbst  in  einzelnen  Fällen  die  Seebäder,  werden  warm  angewandt. 
Die  örtlichen  warmen  Bäder  wirken  im  Allgemeinen  beruhigend,  reizmildernd, 
derivirend,  Congestion  ableitend.  Wir  wenden  sie  bei  verschiedenen  äusser- 
lichen  Übeln:  beim  Panaritium,  bei  Abscessen,  Geschwüren,  verschiedenen 
Ophthalmien  etc.  als  warme  Umschläge,  als  Fomentationen ;  oder  bei  Anky- 
losen der  Gelenke,  bei  Verhärtungen,  Lähmungen,  beim  Scheintode  etc. 
als  Tropfbad  auf  die  leidenden  Theile ,  auf  die  Herzgrube  an.  Die  lauen 
Fuss-  und  Halb  bä der  passen  vor  und  während  des  Ausbruchs  fast  aller 
acuten  Exantheme,  um  das  Fieber  zu  massigen  und  um  bei  den  Menschen- 
pocken den  zu  starken  Ausbruch  im  Gesichte  zu  verhüten.  Auch  bei  Men- 
struatio  difficilis,  retenta ,  suppressa,  bei  den  Hämorrhoidalbeschwerden ,  bei 
fieberhaftem  Kopfschmerz  und  Irrereden ,  bei  Bluthusten ,  bei  Convulsionen 
etc.  thuii  sie  oft  herrliche  Dienste.  In  vielen  Fällen  erreichen  wir  unsern 
Zweck  noch  eher,  wenn  wir  auf  die  leidende  Stelle,  von  welcher  ab  wir 
deriviren  wollen,  Avährend  der  Anwendung  dieser  Bäder  kalte  Umschläge 
machen,  z.  B.  bei  Raserei  auf  den  Kopf,  bei  Blutspeien  auf  die  Brust. 
Auch  setzen  wir  zu  diesen  warmen  Fuss  -  und  Halbbädern  oft  Senf,  Meer- 
rettig,  Salz,  Asche  u.  a.  Ingredienzien;  s.  Balneum  compositum.  Die 
warmen  Arm-  und  Handb.äder  lobt  man  bei  krampfhaften  Zufällen,  in 
Fiebern,  bei  Asthma,  bei  Dyspnoe  und  Orthopnoe,  bei  trockner  Fieberhitze, 
bei  Haemorrhagia  uteri;  bei  Kopfschmerzen  und  Augenentzündungen,  mit 
Senf  geschärft.  Auch  die  Klystiere  gehören  gewissermassen  zu  den  ört- 
lichen warmen  Bädern  (s.  Clysma);  besonders  kann  man  die  in  Frank- 
reich und  Italien  sehr  gebräuchlichen  Douches  ascendantes  hierher  rechnen, 
wo  mittels  eines  an  der  Douche  befindlichen  Röhrchens  eine  grosse  Quanti- 
tät lauen  (zuweilen  auch  kalten)  Mineral-  oder  gewöhnlichen  Wassers  in 
den  Mastdarm  gespritzt  wird,  wähi'end  das  schon  eingespritzte  schnell  wie- 
der abläuft  (s.  Encyclop.  methodique.   T.  XXXIX.  p.  570.). 

Balneum  caUdum,  das  heisse  Bad.  Bei  der  Anwendung  der  heissen, 
d.  h,  solcher  Bäder,  die  über  28'*  R.  Wärme  haben,  bemerken  wir  an  dem 
Körper  folgende  Erscheinungen:  Die  Oberfläche  des  Körpers  %vird  roth; 
diese  Röthe  erstreckt  sich  selbst  über  die  vom  Wasser  nicht  unmittelbar 
berührten  Theile.  Puls  und  Respiration  werden  schnell,  es  entsteht  Schweiss, 
der  meist  sehr  stark  ist ;  dabei  oft  Angst,  Beklemmung,  starkes  Klopfen  der 
Karotiden,  Schwindel;  manche  Personen  bekommen  selbst  apoplektische  Zu- 
fälle, besonders  Verwachsene  und  Bucklige  mit  Habitus  apoplecticus  (s.  Apo- 
plexia). Selten  wenden  wir  die  heissen  Bäder  als  allgemeine  an,  sondern 
meistens  nur  als  topische  Bäder,  wo  sich  dann  ihre  Wirkungen  auf  Roth- 
werden der  Haut,  Anschwellen  des  Theils  und  auf  vermehrte  Ausdünstung 
desselben  beschränken  (s.  auch  Causticum).  In  atonischer  Gicht,  in  Läh- 
mungen nach  Schlagflüssen  und  bei  Steifheit  der  Glieder  haben  sich  die 
heissen  Bäder^  so  heiss  genopimen  wie  man  sie  ertragen  kann,  öfters  nütz- 
l.i<;j^  bewiesen. 

.,  Bftkieum  russhwn,  va/})Qrnmim,  das  Dampfbad,  das  russische  Bad- 
Die  D^impfbäder  unterscheideivsich  von  den  tropfbar  flüssigen  Wasserbädern 
nur  dadurch,  dass  das  Wasser  hier  in  Dunstgestalt,  also  mehr  vertheilt  an- 
gewandt wird ;  daher  sie  dem)  unter  übrigens  gleichen  Umständen  in  ihren 
wesentlichen  Eigenschaften  atiit  jenen  übereinkommen.  Sie  haben  aber  den 
grossen  Vorzug,  dass  man  sie  in  einem  höhern  Wärmegrade  (von  30  bis  zu 
40,  selbst  50''  R.)  und  anh9.1tender  anwenden  kann,  weil  ihre  Hitze  durch 
die  beständige  Verdunstung  des  aus  den  Dämpfen  auf  der  Oberfläche  des 
Körpers  niedergeschlagenen  Wassers  gemildert  und  unschädlich  gemacht  wird. 
Von  dem  leichtern  Eindringen  des  Wasserdampfs  in  den  Körper,  wie  Mar- 
lard  (Über  die  Natur  u.  d£u  Gebrauch  der  Bäder  S.  190.)  will,  kann  man 
ihre  grössere  Wirksamkeit  wol  nicht  ableiten ;  denn  der  Dampf  kann  nur 
durch  die  lymphatischen  Gefässe  eindringen;  diese  nehmen  aber  aus  dem 
Dampfe  nur  das  unwirksame  Wasser,  nicht  die  Wärme  auf.  Wahrschein- 
lich ist  hier  der  elektro  -  chemische  imd  magnetische  Process,  der  durch  den 
Wechsel    von  Erhitzung,    Verdunstung  und  Abkühlung    auf  der  Oberfläche 


256 


BALNEUM 


des  Körpers  angeregt  ^^^rd,  von  grösserm  Einflüsse,  wobei  auch  das  Eirv- 
dringen  des  Wasserdampfes  in  die  Lungen  mittels  der  Respiration  in  An- 
schlag zu  bringen  ist.  Wir  theilen  die  Dampfbäder  in  allgemeine  und 
örtliche.  Das  allgemeine  oder  russische  Dampfbad,  welches  in  besonders 
dazu  eingerichteten  Badestuben  genommen  und  durch  Entwickelung  des  Dam- 
pfes, indem  man  Wasser  auf  sehr  heisse  Ziegelsteine  giesst,  bereitet  wird, 
ist  seit  einigen  Jahren  in  Deutschland  recht  Mode  geworden ,  so  dass  fast 
jede  Stadt  ein  solches  besitzt,  selbst  Rostock  und  Güstrow  nicht  ausgenom- 
men (\ ergl.  Snnchez:  Die  russischein  Dampfbäder;  aus  d.  Franz.  v.  C.  Joch- 
mus 1819.  —  FUttner^s  Anweisung  über  den  Nutzen  warmer  u.  kalter  Was- 
serbäder, Dampfbäder  etc.  Berlin,  1822.  —  Pochhnmvio^ ,  Die  russischen 
Dampfbäder  als  Heilmittel,  nebst  einer  Anweisung  zu  ihrem  Gebrauch  von 
Schmidt.  Berlin,  1824.  —  Hirsch,  Vortheile  der  Dampf-  und  Schwitzbäder. 
Berlin,  1816.);  dagegen  früher  diese  Bäder  nur  in  Russland,  Schweden, 
Norwegen  und  in  andern  Theilen  von  Nordeuropa  bekannt  waren  Man 
lobt  das  Dampfbad  besonders  bei  rheumatischen  und  gichtischen  Beschwer- 
den,  bei  acuten  und  chronischen  Katarrhen,  bei  Contracturen,  Coxalgie, 
bei  Syphilis ,  besonders  bei  der  Lues  inveterata ,  bei  Mercurialkachexie.  Die 
örtlichen  Dampfbäder,  die  entweder  nur  aus  reinen  Wasserdärapfen  oder 
aus  kochendem  Wasser,  worein  verschiedene  Arzneistoffe:  Spec.  emollientes, 
aromaticae,  antispasmodicae  etc.  gethan  worden,  bestehen,  wenden  wir,  in- 
dem der  Dampf  durch  verschiedene  Vorrichtungen  an  den  leidenden  Theil 
geleitet  wird ,  bei  sogenannten  kalten  Geschwülsten ,  Gelenkgeschwülsten, 
verhärteten  Drüsen,  Milchknoten,  bei  verschiedenen  Geschwüren  im  Halse, 
im  Munde ,  in  der  Nase ,  in  den  Ohren ,  in  der  Vlutterscheide ,  bei  Otitis, 
Ophthalmia  catarrhalis,  morbillosa,  bei  Amenorrhoen,  Menostasie ,  unter- 
drückten Lochien,  bei  Krarapfwehen  und  Rigidität  der  Genitalien  in  der 
Niederkunft,  bei  schmerzhaften  Hämorrhoiden,  Asthma  siccum,  bei  Dyspha- 
gien ,  Ischurie ,  Strangurie  etc.  mit  Nutzen  an.  Die  Symond'sche ,  Mudge'- 
sche,  Dzondi'sche  und  andere  Dampfmaschinen,  in  Ermangelung  derselben 
ein  über  das  mit  heissem  Wasser  angefüllte  Gefäss  angebrachter  blecherner 
Trichter,  wodurch  der  Dampf  an  den  leidenden  Theil  geleitet  wird,  sind 
beim  Gebrauch  der  örtlichen  Dampfbäder  als  zweckmässig  zu  empfehlen. 
Bei  den  Schwefelquellen  zu  Elisen  und  Nenndorf  sind  auch  Gasbäder  ein- 
gerichtet, welche  Schwindsüchtigen  oft  sehr  heilsam  sind.  Es  finden  sich 
dort  Zimmer ,  worein  das  Schsvefelw asser  durch  kleine  Fontainen  geleitet 
wird ,  die  sich  in  einem  kleinen  Bassin  befinden  und  durch  ein  angebrachtes 
durchlöchertes  Blech  in  vielen  kleinen  Strahlen  springen.  Dadurch  wird  die 
Luft  des  Zimmers ,  worin  die  Kranken  täglich  mehi'ere  Stunden  verweilen 
müssen,  ganz  mit  Schwefelgas  imprägnirt,  das  so  durch  die  Respiration  in 
den  Organismus  dringt  (s.  Gebhard,  Über  d.  Gas  -  u.  Schlammbäder  in  Elisen), 
Balneum  miner  nie,  das  mineralische  Bad.  Die  zahlreichen,  fast 
über  den  ganzen  Erdboden  verbreiteten  Mineralwässer  (Aquae  medicatae, 
soteriae)  werden  nicht  blos  zum  Trinken,  sondern  vielfältig  auch  zum  Ba- 
den gegen  die  meisten  chronischen  Krankheiten  mit  Nutzen  gebraucht.  Wir 
betrachten  hier  vorzüglich  die  Mineralwässer  Deutschlands  und  führen  hier 
zum  Nachschlagen  aus  der  grossen  Menge  von  Brunnenschriften  nur  folgende 
an:  C.  G.  Kühn,  System.  Beschreib,  d.  Gesundbrunnen  und  Bäder  Deutsch- 
lands 1789.  —  H.  M.  Mnrcard,  Über  die  Natur  u.  d.  Gebrauch  der  Bädei*. 
1793.  —  J.  ZdcJccrt ,  Beschreib,  aller  Gesundbrunnen  und  Bäder  Deutseh- 
lands. 1782.  —  A.  Hofmann,  Taschenbuch  f,  Ärzte,  Physiker  u.  Brunnen- 
freunde etc.  3te  Auflage.  1815.  —  K.  A.  Zwierlein,  Allg.  Brunnenschrift  f. 
Brunnengäste  und  Ärzte.  1793.  —  C.  W.  HnfeJand,  Übersicht  der  vorzug- 
lichsten Heihiuellen  Deutschlands.  Berlin,  1822.  —  Ammon^s  Brunnendiätetik. 
Dresden,  1825.  —  Deutschland  besitzt  über  300  bekannte  Mineralbrunnen, 
die  wir  nach  der  Temperatur  in  heisse  und  kalte  Quellen  eintheilen  Zu 
erstem  gehören  W^iesbaden,  Aachen,  Karlsbad,  Töplitz,  Warmbrunn,  Ems 
und  einige  andere.  Li  Hinsicht  der  vorhenschendcn  wirksamen  chemischen 
Bestandtheile  theilen  wir  alle  Bäder  in  3  Classen: 


BALNEUM  257 

1)  Salinische  oder  salzige  Bäder.  Hiervon  giebt  es  vier  Gattuiv- 
gen:  «)  Bitterwasser.  Sie  enthalten  vorzüglich  Bittersalz,  schwefelsaure 
Talk-  und  Kalkerde,  und  schwefelsaures  Natrum,  z.  B.  das  Saidschützer, 
Seidlitzer,  Pülnaer  Wasser,  das  Steinwasser  und  der  Säuerling  in  Pyrmont. 
&)  Muriatische  Wasser,  worin  der  Hauptbestandtheil  Kochsalz  ist. 
Hierher  gehören  alle  Soolebrunnen  Deutschlands :  die  Soolebäder  zu  Halle, 
Rudolstadt ,  Pyrmont ,  Rodenberg  ,  Schönebeck ,  Erfurt ,  Lüneburg ,  Sülz  in 
Mecklenburg,  die  verschiedenen  Seebäder;  s.  Balneum  marinum.  c)  Al- 
kalisch-salinische  Wasser.  Dahin  gehören  die  Quellen  zu  Ems,  Jo- 
hannisberg,  Wildbad,  Heppingen.  (i)  Salinisch-erdige  Wasser,  wel- 
che viel  Säure  absorbirende  Erden  und  Gyps  aufgelöst  enthalten. 

2)  Eisen-  oder  Stahl w asser.  Hiervon  giebt  es  eine  grosse  Menge 
in  Deutschland.  Sie  enthalten  das  Eisen  zum  Theil  oder  gänzlich  durch 
Kohlensäure,  durch  Laugensalze  oder  Neutralsalze,  in  einigen  wenigen  auch 
durch  Schwefelsäure  aufgelöst.  Wir  theilen  sie  in  fünf  Gattungen :  n)  Al- 
kalisch-salinische Stahlquellen.  Dahin  gehören  Karlsbad,  Brücke- 
nau,  Eger,  Fachingen,  Hofgeismar,  Selters,  Töplitz,  Wildungen  etc.  b)  Al- 
kalisch-erdige: als  Geilnau,  Rheingau,  der  Schwalbacher  Stahl-  und 
Weinbrunnen,  Spaa,  Godesberg,  Anhalt  -  Schaumburg,  c)  Salinische 
Stahlquellen;  z.B.  Augustusbad,  Bibra,  Blumistein ,  Driburg,  Geismar, 
der  Meinberger  Trinkbrunnen,  der  Pyrmonter  Stahlbrunnen,  Schwelm, 
Schwalheim,  Wiesbaden,  Helmstedt,  Lauchstädt,  Stadthagen  etc.  d)  Er- 
dige Stahlquellen,  als:  Freudenthal,  Lamscheid.  c)  Vitriolisirte 
Stahlquellen,  welche  salzsauren  und  schwefelsauren  Eisenvitriol  enthal- 
ten ,  z.  B.  Alexisbad. 

3)  Schwefelbrunnen.  Sie  enthalten  vorzugsweise  geschwefeltes  Was- 
serstoifgas  (hepatisches  Gas,  Tromnisdorffs  Hydrothionsäure).  Wir  unter- 
scheiden hier  n)  Salinische  Schwefelwasser,  z.  B.  Elisen,  Nenndorf,  Ba- 
den bei  Wien,  Langensalza,  Limmer  bei  Hannover,  Nordheim,  Winzlar  bei 
Rehburg,  Enghien  in  Frankreich.  &)  Alkalisch-salinische,  alsAachen, 
Burtscheid,  Weilbach. 

Über  den  Gebrauch  dieser  verschiedenen  Mineralwasser,  sowol  über 
den  äussern  als  Innern ,  lässt  sich  im  Allgemeinen  nichts  sagen.  Wir  ver- 
weisen daher  auf  die  oben  angeführten  Schriften  und  gedenken  der  einzelnen 
Bäder  bei  der  Cur  der  verschiedenen  einzelnen  dahin  gehörigen  Krankheiten. 
Vieles  bleibt  bei  der  Auswahl  der  Bäder  dem  Scharfsinn  des  Arztes  über- 
lassen ;  denn  es  giebt  hier  sehr  feine  Unterschiede  ,  wodurch  sich  oft  ein 
Bad  von  dem  andern ,  obgleich  beide  unter  eine  Classe  und  Gattung  gehö- 
ren, unterscheidet.  Was  die  Diät  beim  Gebrauche  der  Brunnen  und  Bäder 
betrifft,  so  thut  der  Hausarzt  am  besten,  wenn  er  die  Bestimmung  dersel- 
ben dem  Brunnenarzt  desjenigen  Bades ,  wohin  er  seinen  Kranken  sendet, 
überlässt.  Seit  einigen  Jahren  sind  besonders  durch  den  Dr.  Struve  die 
künstlichen  Mineralwässer  in  Deutschland ,  sowie  im  Auslande ,  sehr  in  Auf- 
nahme gekommen.  Man  findet  Trinkanstalten  der  Art  in  Dobberan,  Berlin, 
Dresden,  Leipzig,  Hamburg  etc.  Es  lässt  sich  nicht  leugnen,  dass  die 
Aquae  medicatae  artificiales  die  natürlichen  Mineralwässer  häufig  völlig  er- 
setzen (S.   G.   Vogel). 

Balneum  marinum,  das  Seebad.  Die  Seebäder  der  Ost-  und  Nord- 
see: zu  Dobberan,  Traveniünde,  Kiel,  Danzig,  Putbus,  Kuxhaven,  Norder- 
ney ,  Wangerode ,  Warnemünde  etc.  sind  seit  20  Jahren  sehr  in  Ruf  gekom- 
men, besonders  durch  die  vortrefflichen  Schriften  unsers  verehrten  Vetera- 
nen, des  Geh.  Med. -Raths  Vogel  (s.  dessen  Schriften  und  Abhandlungen 
über  den  Nutzen  und  Gebrauch  der  Seebäder.  1794.  —  Dess.  Nachricht  u, 
Belehrung  f.  Badegäste  in  Dobberan.  Rostock,  1798.  —  Dess.  Annalen  des 
Seebades  von  Dobberan.  Vergl.  HufelaniVs  Journal  Bd.  3.  S.  199.  Bd.  6. 
S.  2,  u.  f.).  Der  Hauptbestandtheil  des  Seewassers  ist  bekanntlich  Koch- 
salz. Nach  einer  genauen  chemischen  Untersuchung  enthält  1  S  Ostsee- 
wasser :  Kochsalz  87  Gran ,  salzsaure  Bittererde  33  Gran ,  Selenit  4  Gran. 
Die  Wirkungen  eines  kalten  Seebades  sind  denen  eines  jeden  kalten  Bades 
Most  Encyklopädie.  2te  Aufl.  L  17 


258  BALNEUM 

ähnlich,  der  Eindruck  ist  aber  kräftiger,  wirkt  selbst  auf  psychische  Weise 
durch  den    grossartigen  Anblick   der  See,    durch   den  Wellenschlag,    in  der 
Nordsee  durch  Ebbe   und  Fluth,   die  Wärme  des  Körpers  kehrt  in  der  See 
schon  nach   ein  paar  Minuten  zuiiick;    häufig  erfolgt   nach  dem  Bade  Bren- 
nen,   Jucken  luid  Röthe  der  Haut   und   ein  angenehmes  Wärmegefühl.     Die 
Regel  ist:  nicht  bei  erhitztem  Körper  und  vpUem  Magen  in  der  See  zu  ba- 
den,   auch   nicht   länger   als   höchstens  4  —  6  Minuten    darin   zu    verweilen. 
Man  muss  gleich  untertauchen  oder  die  Wellen  über  sich  gehen  lassen,  da- 
mit Kopf   und  Füsse   zugleich  nass  werden;    auch  sich  in    der  See   viel  be- 
wegen.    Das  Seebad  dient  nach   Vogel  bedingungsweise  in  mancherlei  Übeln 
von  gichtischen    und   rheumatischen  Ursachen,    bei  Neigung   zu    Katarrhen, 
Durchfällen ,  Nervenschwäche ,  Hypochondrie,  Hämorrhoiden ,  bei  habitueller 
Anlage  zu  Abortus ,  Metrorrhagie ,  besonders  aber  bei  Scropheln,  Drüsenge- 
schwülsten, Flechten  und  andern  chronischen  Hautübeln.     Schädlich  sind  die 
Seebäder  bei  Vollblütigkeit ,    Habitus  apoplecticus,    bei  organischen  Fehlern 
der  Eingeweide  und  bei   hohem  Erethismus ,    wie  z.  B.   bei  manchen  schwa- 
chen, zarten  Hysterischen.     Hier  müssen  die  warmen  Seebäder  oft  erst  vor- 
hergehen und  dennoch   erfordern  die    kalten  grosse  Vorsicht.      In  Ermange- 
lung der  Seebäder  dienen  in  allen  hierher  gehörigen  Krankheiten  die  natür- 
lichen oder  künstlichen  Salzbäder;    doch  können  sie  den  psychisch  wohlthä- 
tigen  Einfluss  und  die  Seeluft  bei   dem  Seebade  nicht  ersetzen.     Allgemeine 
Regeln  für  kalt  Badende  sind  diese:    1)  Man  darf  erst  4  Stunden  nach  der 
Mahlzeit  baden.     Am  besten  ists,  des  Morgens  nach  dem  Kaffee,  um  7  oder 
8  Uhr,    in  die  See   zu  gehen  und  hinterher   zu    frühstücken.      2)  Man  bade 
nicht  nach  starken  Bewegungen  durch  Reiten,   Laufen,  Gehen,    bei  erhitz- 
tem Körper,    durch    Spirituosa,    Gemüthsbewegungen.     3)  Man    esse   keine 
schwerverdauliche    Speisen,     als    Käse,     Fett,    Mehlspeisen,     saure    Milch. 
4)  Man    geniesse    viel   die   fi-eie    Seeluft   am   Seeufer,    mache    öfter    kleine 
Spazierfahrten   auf  der  See.      5)  Man   bade   stets   nackt;    auch    die   Bade- 
kappe taugt  nichts.     6)  Man  bade  5  —  10  Minuten ,  wenn  das  Wasser  über 
IS''  R.  warm  ist,    nie  länger,  als  bis  Frösteln  entsteht.     7)  Das  Baden  des 
Abends  kurz  vor  dem  Schlafengehen  taugt  nichts.     8)  Ist  das  Wasser  unter 
13^  R.  warm,   so  darf  man   nur  1  —  2  Minuten  baden.      9)  Wer  Anlage  zu 
Schlagfluss   und    anhaltenden   Schwindel   hat ,    darf  nicht   kalt ,    auch  nicht 
immer  warm   baden.      10)  Nicht  jedem  Epileptischen  dient    das  kalte  Bad ; 
manche  werden  besser,  manche  aber  auch  schlimmer  darnach.     11)  Bei  allen 
organischen  B^ehlern  in  Lunge,  Leber,  Milz,  Magen  etc.,  auch  beim  Kröpfe 
dient   das  kalte  Bad   nicht.  —     Eine   gute  Schrift  ist:     JV.  Snss,    die  See- 
badeanstalt bei  Travemünde.   Lübeck,  1828.  —     In  Warnemünde  und  Dob- 
beran  ereignet  es    sich  oft,    dass    die  Badenden  in    den    ersten  Tagen    ihres 
Aufenthalts   an  Cholera  nostras    leiden,    zumal  wenn   sie  nicht   alle  Vorsicht 
beim  Baden  gebrauchen.      Dass  die  Nordseebäder   vor  den  Ostseebädern  ei- 
nen Vorzug  haben  sollten,  wie  manche  Ärzte  behaupten,  kann  nicht  bewie- 
sen werden.      Unter   den  Seebädern    Norddeutschlands   steht  Dobberan    be- 
stimmt oben  an ,  und  die  Einrichtungen  sind  dort  so  vollkommen ,  die  Bade- 
stellen so  vortrefflich  gewählt,  dass  nichts  zu  wünschen  übrig  bleibt.     Eine 
ganz  neue  Schrift  über  die  Seebäder  ist  folgende :    J.  D.    W.  Sachse ,  Über 
die  Wirkungen  und   den  Gebrauch    der  Bäder ,    besonders   der  Seebäder    zu 
Dobberan.    Berlin,  1825.      Sie  enthält  ausführliche  und   interessante  histori- 
sche und  literarische  Nachrichten  und  gute  praktische  Winke  für  Ärzte  und 
Laien  über   diesen   Gegenstand,    wie   dies  nicht    anders    von  dem    gelehrten 
Verfasser  zu  erwarten  war;  indessen  ist  die  Schreibart  oft  etwas  weitläuftig, 
zumal  zu  Anfange  des  Buchs. 

Balneum  aereutn  et  solare,  das  Luft-  und  Sonnenbad.  Im  weitem 
Sinne  des  Worts  gebrauchen  alle  Menschen  dieses  zur  Erhaltung  der  Ge- 
sundheit so  nothwendige  Bad ,  indem  wir  alle  in  der  Luft  leben ,  wie  die 
Fische  im  Wasser.  Im  engern  Sinne  verstehen  wir  unter  Luftbad  ein  sol- 
ches, wo  der  Mensch  sich  nackt  in  einem  Pavillon  oder  Schilderhäuschen 
aufliält,    welches  an  allen  Seiten  geöffnet   werden  kann,    so  dass  die  Luft, 


BALNEUM  259 

mittmter  auch  das  Sonnenlicht,  frei  auf  den  Korper  einwirken.  Durch  das 
Luftbad  wird  auch  das  Seebad  sehr  verstärkt;  man  bleibt  nämlich  beim 
Baden  nur  2  —  3  Minuten  im  Wasser,  begiebt  sich  alsdann  wieder  in  die 
Badekutsche,  und  wiederholt  dies  einige  Male  bei  jedesmaligem  Baden.  (In 
Warnemünde,  wo  man  frei  am  Ufer  ohne  Badekutsche  badet  und  ein  Plätz- 
chen wählen  kann,  wo  man,  ohne  gesehen  zu  werden,  zu  baden  vermag, 
läuft  man  abwechselnd  am  Ufer  umher,  wälzt  sich  im  Sande,  stürzt  sich 
dann  wieder  in  die  See,  und  wiederholt  dies  mehrere  Male.  M.).  Das  Son- 
nenbad (^Insolatio}  ist  ein  herrliches  Mittel  zur  Erquickung  schwacher  und 
alter  Personen.  Es  besteht  darin,  dass  sich  der  Mensch  an  einem  von  der 
Sonne  beschienenen  und  vor  Winden  geschützten  Plätzchen  aufhält  und  sich 
und  seine  Kleidung  von  der  Sonne  bescheinen  lässt.  Die  Insolation  kannten 
schon  die  altern  Ärzte;  sie  ist  ein  grosses,  herrliches  Mittel  bei  allen  Re- 
convalescenteh ,  beim  Asthma  der  Greise,  bei  verschiedenen  Neuralgien,  be- 
sonders Dolor  faciei,  bei  Chlorosis,  bei  allen  aus  deprimirenden  Leiden- 
schaften entstandenen  Übeln  (M.).  Das  Luft  -  und  Sonnenbad  hat  in  sei- 
ner Wirkung  mit  dem  elektrischen  Bade  viel  Ähnlichkeit. 

Balneum  electricum.  Das  elektrische  Bad  besteht  darin,  dass  man 
einen  Menschen  aufs  Isolatorium  stellt,  oder  einen  Stuhl,  ein  Bette,  bestimmt 
zu  seinem  Ausruhen,  durch  Glasfüsse  isolirt,  und  ihn  dann  mit  dem  Con- 
ductor  einer  thätigen  Elektrisirmaschine  durch  einen  Draht  oder  eine  sil- 
berne Tresse  in  Verbindung  setzt.  Schnellerer  Puls ,  erhöhte  angenehme 
Wärme  und  Aufregung  der  Lebenskraft  sind  die  Wirkungen  dieses  Bades. 
Ein  anderer  Mensch  kann  aus  dem  Körper  eines  im  elektrischen  Bade  sich 
Befindenden  leicht  kleine  Funken  ziehen.  Bei  verschiedenen  Neurosen :  Epi- 
lepsie, Katalepsis,  Chorea,  Paralysis,  ist  dieses  Bad,  einige  Wochen  lang  täg- 
lich Vj  —  1  Stunde  wiederholt,  mit  Nutzen  angewandt  worden  (Kit/in,  Most)^ 

Balneum  oculare.  Das  Augenbad  ist  jedes  Bespülen  des  Auges  mit 
irgend  einer  Flüssigkeit.  Früher  bediente  man  sich  dazu  kleiner  Augen - 
wännchen  oder  Becher,  welche  mit  einem  Fusse  zum  Stehen  versehen 
sind ,  und  in  welchen  man  die  Flüssigkeit  ans  Auge  brachte.  Sie  sind  jetzt 
aber,  weil  sie  dem  Auge  mechanisch  nachtheilig  sind  und  eine  zu  schnelle 
Erwärmung  der  darin  enthaltenen  Flüssigkeit  hervorbringen,  ausser  Ge- 
brauch gekommen.  Wir  wenden  das  Augenbad  bei  Entzündiingen ,  Quet- 
schungen etc.  an,  um  die  Temperatur  des  Auges  zu  mindern,  indem  man 
4  bis  6mal  zusammengelegte  Leinwandcompressen  von  2  Zoll  im  Quadrate 
mit  kaltem  oder  Eiswasser  anfeuchten,  auf  das  Auge  legen  und,  sowie  die 
Kälte  entflohen  ist,  wieder  erneuern  lässt.  Legt  man  die  leinenen  Com- 
pressen  auf  Eis,  so  nehmen  sie  noch  einen  höhern  Kältegrad  an.  Auch  zur 
Entfernung  von  Staub ,  Sand  und  andern  feinen  Körpern  aus  dem  Auge  be- 
dient man  sich  des  Augenbades,  indem  man  das  Auge  über  ein  Gefäss  mit 
Wasser  bringt  und  es  tteissig  ausspült.  Will  man  das  Auge  von  Schleim  und 
Schleimkrusten  reinigen,  so  dient  dazu  am  besten  ein  feiner,  mit  lauer  Milch, 
lauem  Wasser  angefeuchteter  Waschschwamm.  —  Die  Augendouche  ist 
eine  Vorrichtung,  durch  welche  ein  feiner  Wasserstrahl  gegen  das  Auge  ge- 
spritzt wird,  wozu  die  Maschinen  von  Beer  und  Himhj  recht  zweckmässig 
sind.-  Die  des  Letztern  besteht  aus  einer  grossen ,  einer  Klystierspritze  ähn- 
lichen Spritze ,  deren  Canäle  an  der  Spitze  mit  einem  Siebe  versehen  sind, 
durch  welches  das  Wasser  in  mehreren  kleinen  Strahlen  durch  Druck  her- 
vor und  gegen  das  Auge  gespritzt  wird.  Jmglcen  bedient  sich  eines  einfa- 
chen, weit  wohlfeilem  Doucheapparats  als  der  Beer'sche  und  Himly'sche  ist, 
damit  ihn  sich  auch  Ärmere  verschaffen  können  Derselbe  besteht  aus  einer 
2^/2  bis  3  Fuss  langen  Glasröhre,  von  der  Stärke  einer  gewöhnlichen  Baro- 
meterröhre ,  deren  oberes  Ende  hakenförmig  gekrümmt ,  6  Zoll  lang  und 
offen,  deren  unteres  dagegen  über  2  Zoll  lang,  ebenfalls  hakenförmig  ge- 
krümmt und  spitz  ausgezogen  seyn  muss,  so  dass  es  eine  enge  Öffnung, 
ungefähr  von  der  Stärke  einer  Stecknadel,  erhält.  Das  obere  lange  und 
weite  Ende  dieser  Röhre  wird  in  ein  mit  Wasser  gefülltes  und  etwas  hoch 
gestelltes  Glas   gesenkt   und  darauf  die  Luft   aus    dem  untern   spitzen  Ende 

17* 


260  '  BALNEUM 

au  lange  ausgesogen,  bis  das  Wasser  aus  diesem  hervorspritzt,  worauf  der 
Kranke  das  geschlossene  Auge  über  den  feinen  Wasserstrahl,  bald  entfern- 
ter, bald  näher  der  Öffnung  der  Röhre,  je  nachdem  die  Douche  schwach 
oder  stark  gegen  das  Auge  spritzen  soll ,  hält.  Während  des  Gebrauchs 
muss  ein  Gehülfe  Glas  und  Röhre  halten.  Letztere  kostet  höchstens  12  Sgr. 
Der  Nutzen  der  Augendouche  bei  Augenentzündungen,  besonders  als  Nach- 
cur  nach  Beseitigung  derselben ,  um  die  zurückbleibende  Empfindlichkeit 
und  Reizbarkeit  des  Auges  zu  heben ,  bei  congestiven  Zuständen  der  Augen, 
bei  nervösen  Aflfectionen,  ist  als  belebendes  und  stärkendes  Mittel  sehr  gross. 
Man  wendet  sie  2 — Smal  täglich,  % — %  Stunde  an,  trocknet  das  Auge 
darauf  sorgfältig  ab  und  ruhet  Y2  Stunde  lang,  ehe  man  wieder  an  seine 
Geschäfte  geht,  so  dass  das  Auge  nicht  angestrengt  wird.  Ist  die  Reizbar- 
keit der  Augen  sehr  gross ,  so  kann  man  statt  des  Brunnenwassers  kohlen- 
saures Wasser,  Seiter-  oder  Pyrmonterwasser  nehmen,  auch  darf  dann  an- 
fangs die  Temperatur  desselben  nicht  zu  kalt  seyn. 

Balneum  süllntitium ,  Irrig atio ,  Emhreymn,  Instillatio,  das  Tropfbad. 
Ist  ein  grosses  Reizmittel,  ein  belebendes,  stärkendes  Mittel,  das  vortreff- 
lich gegen  Commotionen ,  Paralysen ,  nach  Luxationen  ,  bedeutenden  Quet- 
schungen wirkt,  wenn  keine  Entzündungen  und  sarcomatöse  Entartungen 
zugegen  sind  und  der  leidende  Theil  wenig  Empfindlichkeit  besitzt.  Ist  aber 
viel  Schmerz  da,  so  sind  die  Tropfbäder  contraindicirt.  Man  nimmt  ein 
blechernes  oder  hölzernes,  unten  mit  einem  Hahn  versehenes  Gefäss ,  welches 
mit  der  flüssigen  Substanz:  kaltes  Wasser,  Wein,  Weinessig  und  Wasser, 
Solutio  aluminis  etc.  gefüllt  und  in  einer  Höhe  von  10  —  SO  Fuss  angebracht 
ist ,  wo  man  den  Hahn  so  stellt ,  dass  nur  einzelne  Tropfen  auf  den  darun- 
ter gehaltenen  leidenden  Theil  fallen,  den  man  vorher  mit  Linim.  volatk 
camphorat. ,  mit  Unguent.  nervinum  einreiben  oder  mit  Spirit.  vini  campho- 
ratus  waschen  lässt.  Das  Tropf bad  kann  täglich  2  —  Smal,  jedesmal  )'^  —  Y, 
Stunde  lang,  angewandt  werden.  In  einzelnen  Fällen  passt  auch  warmes 
Wasser  zum  Tropfbade ,  selbst  heissgemachter  Sand  (^Poutemi). 

Balneum  sanguineum,  das  Blutbad.  Ist  ein  aus  wai'mem  Thier-  oder 
Menschenblute  bestehendes  Bad,  dem  man  in  frühern  Zeiten  grosse  Heil- 
kräfte zuschrieb.  Nicht  allein  im  Alterthum,  auch  im  Mittelalter  setzte  man 
in  dem  Blute  unschuldiger  Kinder  oder  Jungfrauen  entschiedene  Heilkräfte 
gegen  den  morgenländischen  Aussatz  voraus,  wodurch  zu  zahlreichen  Greuel- 
thaten  Veranlassung  gegeben  wurde.  Doch  fand  dieser  Wahn  im  Mittel- 
alter, wo  sich  der  Aussatz  so  sehr  verbreitete,  vorläufig  darin  seine  Be- 
schränkung, dass  nur  das  Blut  solcher  Kinder  und  Jungfrauen  als  wirksam 
angenommen  wurde ,  die  sich  aus  eigenem  freiwilligen  Antriebe  für  einen 
geliebten  Kranken  opferten.  Das  Baden  im  Menschenblute  gehört  also  nur 
der  Geschichte  an ,  dagegen  das  Baden  im  warmen  Thierblute ,  das  Bähen 
gelähmter  Glieder  darin,  unter  dem  Landvolke  in  Deutschland  noch  eben  so 
im  Gebrauch  ist,  als  das  Bähen  solcher  Glieder  in  den  Eingeweiden  frisch 
geschlachteter  Thiere  (^Balneum  animnle^.  Beide  habe  ich  nicht  ohne  gute 
Wii-kungen  gesehen. 

Balneum  sudatorium,  B.  laconicum,  das  Schwitzbad,  auch  Balneum 
russicum  genannt.  Vor  einigen  Jahren  wandte  man  in  Deutschland  die  rus- 
sischen Schwitzbäder  bei  den  verschiedenartigsten  Übeln  an,  auch  wo  sie 
nicht  passten.  Dieses  hat  dem  Rufe  dieser  Bäder  so  sehr  geschadet,  dass 
sie  hie  und  da  schon  in  Vergessenheit  gerathen.  Ck)ntraindicirt  ist  das  rus- 
sische Bad  in  vielen  Krankheiten ,  namentlich  bei  allen  rein  entzündlichen 
Zuständen,  bei  Kopfcongestionen,  Blutwallungen,  Blutflüssen,  besonders  bei 
Haemoptysis,  bei  Habitus  apoplecticus,  bei  Aneurysma  internum,  bei  ho- 
hem Grade  von  Schwäche,  bei  allen  echten  Dyskrasien  und  Kachexien,  bei 
krankhaft  erhöhter  Venosität  (Atrabilis)  und  allen  daher  entstehenden  Übeln: 
Dyspepsie,  Obstructio  alvi,  hepatis,  lienis,  Infarcten,  bei  atrabilarischen 
Neuralgien,  Lähmungen,  Geschwüren,  Augenleiden,  bei  Melaena,  Häraor- 
rhoidaldiathese,  überhaupt  bei  Abnormitäten  in  der  Blutbereitung,  wo  die 
kritibclien   Naturbestrebungen   zur    Ausgleichung   niemals   durch   die   Haut, 


BALNEUM  261 

sondern  durch  vermehrte  Secretion  der  Galle  und  des  Darmschleims ,  durch 
Durchfall,  Erbrechen  erfolgen;  das  russische  Dampfbad  aber  gerade  ihnen 
entgegenwirken  würde,  da  es  so  sehr  die  Hautthätigkeit  in  Anspruch  nimmt 
(Sumdeliri).     S.  auch  Balneum  russicum. 

Balneum  terrestre,  Geochosia,  das  Erdbad.  Man  hat  dasselbe  zu  ver- 
schiedenen Zeiten  gegen  Wassersucht ,  Wassergeschwülste ,  herumziehende 
rheumatische  Schmerzen ,  gegen  Schwindsucht  etc.  empfohlen ,  und  die  Er- 
fahrungen mehrerer  praktischen  Ärzte  sprechen  dafür.  Auch  in  verschiede- 
nen Neurosen:  in  Epilepsie,  Chorea,  Hysterie  hat  man  vom  Erdbade,  alle 
2  —  3  Tage  wiederholt,  Nutzen  gesehen;  desgleichen  in  Asphyxie  durch 
Blitz  (s.  diesen  Artikel).  Man  wählt  ein  trocknes ,  von  der  Sonne  beschie- 
nenes, etwas  sandiges,  aber  nicht  steiniges  Erdreich,  macht  darin  eine 
Grube,  5  Fuss  tief  und  2  Fuss  im  Durchmesser,  worein  man  den  nack- 
ten Kranken  bis  an  den  Hals  steckt,  so  dass  die  Arme  bald  frei,  bald  nicht 
frei  sind.  Man  schüttet  nun  wieder  soviel  Erde  ins  Loch,  dass  die  Zwi- 
schenräume zwischen  dem  Kranken  und  den  Wänden  der  Grube  ganz  aus- 
gefüllt werden ,  und  lässt  ihn  so  */.  —  1  Stunde  und  länger  im  Erdbade 
verweilen,  ehe  man  ihn  wieder  ausgräbt.  Gewöhnlich  kommt  derselbe  in 
Schweiss.  Dieses  Bad  ist  wirksam  1)  wegen  des  mechanischen  Drucks  auf 
den  Körper ;  2)  das  Ungewöhnliche  der  Sitution  wirkt  auf  psychische  Weise 
oft  gut ;  S)  die  Temperatur  des  Körpers  nimmt  zu ,  da  die  Ausdünstung  in 
der  nächsten  Umgebung  bleibt ,  die  dadurch  selbst  mehr  und  mehr  erwärmt 
wird.  Soll  ein  Scheintodter  ins  Erdbad  gebracht  werden ,  so  macht  man 
eine  wagerechte  Grube  (s.  Asphyxie  durch  Blitz).  Auch  das  Sand- 
bad gehört  hierher.  Es  wird  in  der  Regel  nur  bei  Scheintodten  bedin- 
gungsweise, wenn  alle  andern  Mittel  fehlgeschlagen,  angewandt.  Man 
macht  den  Sand  heiss,  füllt  einen  Trog  theilweise  damit  an,  legt  den  Schein- 
todten hinein  und  deckt  ihn  handhoch  mit  heissem  Sande  zu.  Sowol  das 
Erd-,  als  das  Sandbad  zählt  man  zu  den  trocknen  Bädern  (^Balneum  siccuni). 
Dahin  gehören  auch  die  Laub bä der.  Man  nimmt  häufig  dazu  Birken-, 
noch  besser  Erlenlaub ,  frisch  gepflückt ,  steckt  dieses  in  einen  Sack  und 
den  Kranken  hinterdrein.  Gewöhnlich  folgt  ein  starker  Schweiss,  und  daher 
rühmt  man  das  Mittel  besonders  in  Gicht  und  Rheumatismus ,  sowie  auch 
das  Ameisendunstbad.  Zu  den  feuchten,  nassen  Erdbädern  rechnen  wir 
noch  die  Schlammbäder,  die  mit  grossem  Nutzen  gegen  verschiedene 
eingewurzelte  Übel ,  gegen  Arthritis,  Mercurialkrankheit  etc.  gebraucht  wer- 
den. Wir  finden  sie  besonders  als  Schwefelschlammbäder  zu  Nenndorf,  Eli- 
sen, Nordheim.  Auch  sind  seit  einigen  Jahren  bei  verschiedenen  Stahlbädern 
Eisenocherschlammbäder  eingerichtet,  welche  weit  mehr  als  das  gewöhnliche 
Stahlbad  wirken.  Man  legt  zu  Stadthagen  den  Eisenocherschlamm  (Schlamm 
mit  Eisenoxydhydrat)  selbst  mit  grossem  Nutzen  örtlich  auf  scrophulöse  Drü- 
sengeschwülste (^Most). 

Balneum  coinpositum,  medicinale,  das  medicinische  Bad.  Es  unter- 
scheidet sich  dadurch  von  andern  Bädern ,  dass  ihm  irgend  ein  Arzneimittel 
zugesetzt  wird ,  und  ist  entweder  ein  allgemeines  oder  ein  Localbad  (Halb- 
bad, Fussbad,  Armbad).  Die  Dosis  der  Arzneimittel  ist  verschieden,  je  nach- 
dem es  ein  örtliches  oder  allgemeines ,  ein  Bad  für  Kinder  oder  Erwachsene 
ist.  Bald  setzen  wir  flüssige  Zusätze:  Säuren,  Spiritus,  Essig;  bald  Salze: 
Meersalz,  Kochsalz ,  Salmiak,  Alaun ,  Eisenvitriol ,  Sublimat ;  bald  verschie- 
dene vegetabilische  Substanzen ,  je  nach  den  verschiedenen  therapeutischen 
Zwecken  hinzu  (s.  Schreger^s  Baineotechnik).  Die  gewöl;inliche  Temperatur 
derselben  ist  25"  R. ;  doch  giebt  es  Fälle ,  wo  sie  auch  wärmer  oder  kühler 
applicirt  werden  müssen.  Zuweilen  wenden  wir  sie  auch  in  Dampfform  an 
(s.  Balneum  russicum).  Wir  betrachten  hier  folgende  medicinische  Bä- 
der:  1)  Ein  erweichendes  Bad  besteht  aus  Kleien,  Malz,  Heusamen, 
Spec.  emollientes,  in  Wasser  gekocht  und  dem  Wasserbade  zugesetzt.  2)  Z>i 
einem  reizenden  Bade  nehmen  wir  1  S  schwarze  Seife,  4  ß  Salz,  auch 
wol  Kali  caustic,  Senf,  Lauge  u.  dergl.  Das  gegen  heftige  Krämpfe  wirk- 
same Laugenbad    besteht    aus   2  Theilen   starker  Aschenlauge  und    1  TheH 


262  BALNEUM 

Wasser.  Zu  einem  reizenden  Senffussbade  nehmen  wir  6 — 12  Loth  Senf 
und  eine  Handvoll  Salz.  3)  Ein  gewöhnliches  krampfstillendes  Bad 
besteht  aus  Flor,  chamomill.,  Rad.  valerian. ,  Herb,  millefolii,  rorismarini 
ana  3Jtv,  welche  mit  kochendem  Wasser  infundirt  und  mit  dem  Badewasser 
veimis<;ht  werden.  Sehr  vNirksam  ist ,  wenn  zugleich  im  Bade  Folgendes  in 
den  Körper  gerieben  wird :  1^'  Sapon.  alhi  5Jj ,  Aq.  destill,  yj ,  Ol.  spicne 
5J^,  —  lnvav(hil(ie''ö]i  —  rtniJws  öls«  M.  (Himli/).  4)  Stärkende  Bäder. 
Die  Arzneistolfe  dazu  sind  theils  aromatische,  ätherische,  adstringirende 
Dinge:  Spec.  aromaticae,  rcsolventes,  Cort.  quercus,  Salicis,  hippocast.  etc., 
theils  Eisenpräparate :  Globuli  martiales.  Man  geht  hier  von  den  flüchti- 
gem Bestandtheilen  allmälig,  so  wie  die  Kräfte  des  Kranken  zunehmen,  zu 
den  fixem  über.  Folgende  Formeln  sind  zu  empfehlen  zu  Bädern  für  Er- 
wachsene: a)  I^r  Rad.  cnl.  aromat.,  Flor,  chamomill. ,  —  snmhuci  ana  5Jß-. 
M.  S.  Kräuter  zu  einem  Bade,  b)  I^-  Cort.  qitercus,  Cort.  Salicis  ana  Sjj. 
C.  S.  Mit  8  Mass  Wasser  bis  zur  Hälfte  einkochen  zu  lassen  und  dem 
Wasserbade  zuzusetzen,     c)  R/  Glohtil.  turt.  martinl.  5Jjj  —  iv,  disp.  dos.  vj. 

S.    Zu  jedem  Bade  eine  Portion,      d)  Rr  Dccoct.  cort.  quere. , salic, 

hippocast.  ana  Sjj,   Vini  ruLri  ffjjj.  M.  S.   Zu  einem  Bade.     Auch  von 

Fleischbrühen  und  Wein  kann  man  für  recht  schwache  Kranke  stärkende  Bä- 
der bereiten.  Für  Kinder  räth  Rush  folgende  stärkende  Bäder  an:  }^f  Spec. 
aromat.  fej,  Herb,  rutae,  Rad.  cal.  arom.  ana  ft)>r.  C.  M.  Divid.  in  vj.  p. 
aeq.  S.  Früh  und  Abends  eine  Portion  zum  Bade.  Auch  folgende  Formel 
ist  sehr  wirksam  für  Kinder:  1^  Herh.  millefolii,  —  thtjm.,  — mclissae  ana 
3J — jfi'-  M-  ^-  ^-  disp.  dos.  vj.  S.  Ein  solches  Paket  in  einem  verschlosse- 
nen Gefässe  mit  4  Mass  Wasser  zu  kochen,  und,  wohl  durchgeseihet,  dem 
Bade  beizumischen  5)  Künstliche  Schwefelbäder,  Sie  werden  aus  Schwe- 
fellebersolution  bereitet  und  ihnen  auch  wol  1 — 2  ffi  Essig  zugesetzt,  ^'  Ue~ 
pnt.  salphur.  calcar.  ^j  —  gjjy,  det.  in  vitr.  disp,  dos.  vj.  S.  Zu  jedem  Bade 
eine  Portion ,  in  %  Quart  Wasser  bis  zur  Auflösung  gekocht ,  zu  giessen, 
und  hinterher  den  Essig  zuzuschütten.  6)  Will  man  künstliche  Saizbäder 
bereiten ,  so  löst  man  in  jedem  Bade  6  — 10  S'  Koch  -  oder  Seesalz  auf. 
7)  Gegen  Drüseaverhärtungen  empfiehlt  Schmidt  folgendes  Laugendunstbad: 
^'  Sal.  ammon. ,  —  iartari  ana  5tv.  M.  S.  In  ein  mit  einer  engen  Röhre 
zugerichtetes  Gefass  einzufüllen ,  heisses  Wasser  darauf  zu  giessen ,  und  den 
aufsteigenden  Dampf  auf  die  behaftete  Stelle  zu  leiten.  8)  Gegen  Lcber- 
kraukheiten,  Plethora  abdominalis  und  deren  consecutive  Krankheiten  sind 
äusserliche  Bäder  sehr  zu  empfehlen  {Scott,  Bernhard,  Mosi} ;  z.  B.  I^-  Acidi 
nitrici,  —  muriat.  ana  gjjv  —  3Jj.  M,  det,  in  vitr.  disp.  dos.  vj.  S.  Zu  jedem 
Bade  ein  Glas  voll  zu  giessen.  Nimmt  man  reines  Flnsswassec  zum  Bade, 
so  kann  ein  solches  Bad ,  da  es  längere  Zeit  kräftig  bleibt ,  zwei  -  bis  drei- 
mal zum  Gebrauche  wieder  erwärmt  werden.  Man  lässt  alle  48  Stunden 
nur  einmal  baden.  Bekommen  die  Kranken  rothes  Zahnfleisch  und  einen 
Kupfergeschmack  darnach ,  so  nimmt  man  zu  jedem  Bade  nur  die  Hälfte  der 
angegebenen   Dosis,    welche    Gabe    auch   zu   Bädern    für    Kinder    hinreicht. 

9)  Gegen  chronische  Gicht  empfiehlt  Kopp  Bäder  von  Salmiak ,  Sabina, 
selbst  Sublimat  (s.  die  bei  Arthritis   chronica    angegebenen   Formeln). 

10)  Um  die  Resorption  lymphatischer  Ausschwitzungen  in  Muskelscheiden, 
Zellgewebe,  Gelenkbändern  etc.  zu  befördern,  empfiehlt  v.  Gräfe  folgende 
Bäder:  1^  HerO.  cirutae  ^jj,  Farin.  sem.  Uni  jj.  C  M.  f.  spec.  Dent.  tal, 
dos.  \j,  S.  Zu  jedem  Bade  eine  Portion  zu  nehmen.  11)  Unter  den  ört- 
lichen Bädern  sind  besonders  die  Fussbäder  aus  verschiedenen  Arzneistoff'en 
bereitet  worden.  So  hat  man  gegen  Syphilis  Fussbäder  mit  Sublimat,  ge- 
gen Fieber  Fussbäder  mit  Essig  etc.  empfohlen,  oder  aus  Decoct.  quercus, 
Salicis  etc.  beim  Brand  der  Fusszehen.  Allerdings  können  sie  die  Cur  un- 
terstützen, doch  darf  man  sich  nicht  allein  auf  sie  beschränken.  12)  Sehr 
wirksam  gegen  chronische  Hautausschläge  sowie  gegen  Mercurialkachexie  ist 
die  hepatische  Luft  in  Form  eines  Dampfbades  {Motuitz} ;  desgleichen  Räu- 
cherungen von  Schwefeldampf  in  einer  besonders  dazu  eingerichteten  Räu- 
chermaschine,   wobei   dahin   zu  sehen  ist^    dass  die  Athemwerkzeuge   durch 


BAMBALIO  —  BERIBERIA  263 

den  Schwefeldampf  niqj^t  zu  sehr  leiden.  Gegen  Ankylosen  hat  man  auch 
örtliche  thierische  Bäder,  das  Baden  in  den  Eingeweiden  frisch  geschlach- 
teter Thiere  mit  Nutzen  angewandt.  Ein  Mehrere«  s  unter  Lotio,  La- 
vatio,  Fomentatio,  Cataplasma,  Fricatio. 

Bambalio,  das  Brei  maul,  ein  Mensch,  der  undeutlich  spricht,  als 
hätte  er  Brei  im  Munde;    s.  Balbuties. 

Baryacoia,  Auditus  difficilis,  Schwerhörigkeit,  ein  niederer 
Grad  von  Taubheit;    s,  Cophosis. 

Bary§^loiSSUS5  einer,  der  schwer,  unvollkommen  spricht;  s.  Bal- 
buties. 

Baryodyne«  Bnryodynia,  ein  schwerer,  tiefer,  mit  gleicher  Heftig- 
keit fortdauernder  Schmerz;   s.  Dolor. 

Baryphonia,  schwere,  harte  Sprache;   s.  Balbuties. 

Batraclios,  der  Frosch,  die  Froschgeschwulst  unter  der  Zunge;  s. 
Ranula. 

Battarismus,  Stottern,  s.  Balbuties. 

Becbica,  Mittel  gegen  den  Husten.  Sie  sind  nach  der  Ur- 
sache des  Hustens  verschieden:  bei  Pneumonien  Adei-lässe,  bei  katarrhali- 
schem Husten  Diaphoretica ,  bei  Hydropischen  Diuretica,  bei  Mangel  an 
freier  Expectoration  Expectorantia,  bei  chronischem  Lungenkatarrh  mit  vie- 
lem Aussvurfe  Liehen  islandicus  mit  Polygala  amara  etc.;  s.  Expectoran- 
tia und  Tussis. 

Bechortliopnoea.     Ist  Tussis  convulsiva. 

Beriberia,  die  Beriberi.  Ist  eine  Art  Lähmung,  die  vorzüglich 
in  Indien,  auf  der  Insel  Ceylon,  den  malabarischen  Küsten  und  in  der  nörd- 
lichen Abtheilung  der  Madraser  Statthaltei'schaft  herrscht,  sich  selten  über 
60 — 70  Meilen  vom  Meere  ins  Binnenland  erstreckt,  und  meist  alte,  schwäch- 
liche Leute  befällt.  Symptome.  Grosse  Schwäche,  Engbrüstigkeit,  Druck 
unter  dem  Brustbeine,  worauf  Steifheit  und  fast  gänzliche  Lähmung  der  un- 
tern Gliedraassen ,  später  heftiges  Erbrechen ,  Bauchmuskelkrämpfe  und  der 
Tod  unter  Kälte  des  Körpers ,  grosser  Schwäche  und  kleinem ,  schwachem, 
aussetzendem  Pulse  folgt.  Die  vorzüglichsten  Ursachen  sind  gestörte 
Hautverrichtung,  daher  das  Übel  am  häufigsten  bei  rauher  Witterung,  wo 
die  Passatwinde  wechseln,  auftritt;  auch  sitzende,  ausschweifende  Lebens- 
weise begünstigt  die  Krankheit.  Die  Section  zeigt  Congestionen  nach  dem 
Gehirn,  der  Brust  und  dem  Unterleibe.  Cur.  Das  Meiste  leisteten  reich- 
liche Aderlässe,  Kalomel  (zu  15  —  20  Gran  p.  d.)  und  Quecksilberräuche- 
rungen  (s.  W.  Uamüton  in  Transact.  of  the  medico-chirurgical  Society  of 
Edinburgh.  Vol.  IL  1826.).  Der  Wundarzt  P.  W.  Wrigld  in  Madras  hielt 
sich  5  Jahre  an  der  malabarischen  Küste  auf  und  hatte  reichliche  Gelegen- 
heit, die  Beriberikrankheit  zu  beobachten.  Er  theilt  uns  seine  Erfahrun- 
gen in  The  Edinb.  med.  and  surgic.  Journal  1833,  Apr.  (Vergl.  BehremVs 
Med.  chir.  Journalist,  des  Auslandes  1834,  Jnni  S.  136.  u  f.)  über  das  Übel 
mit.  Nach  ihm  ist  die  Beriberikrankheit  meist  ein  primäres ,  sich  vorzüg- 
lich auf  Ceylon  und  die  malabarische  Küste  beschränkendes,  gewissen  Eigen- 
thümlichkeiten  des  Klimas  und  der  Localität  zuzuschreibendes  Leiden,  das 
weder  von  andern  acuten,  noch  chronischen  Krankheiten  herrührt.  Es  schrei- 
tet auf  heimtückische  Weise  heran,  ohne  eine  bestimmte  Reihe  von  Vorbo- 
ten zu  haben,  welche  mehr  als  ein  gewöhnliches  Unwohlseyn  verrathen. 
Die  Kindheit  bis  zur  Entwickelung  der  Pubertät  ist  frei  von  der  Krankheit; 
das  weibliche  Geschlecht  wird  selten  von  ihr  ergriffen.  Wright  unterschei- 
det drei  Formen  oder  Varietäten.  1)  Die  heftige  oder  entzündliche 
Beriberi.  Sie  ist  diejenige,  welche  robuste  Menschen  zum  erstenmal  be- 
fallt, oder  ohne  dass  eine  andere  Krankheit  vorhergegangen.  Sie  hat  eine 
wassersüchtige  Anschwellung  zur  Folge  in  der  Form  der  acuten  Wassersucht. 
2)  Die  asthenische  Beriberi,  die  einen  durch  vorgerückte  Krankheit 
erschöpften  Menschen  befällt   oder  als  Rückfall    der    Beriberi  sieh  darstellt. 


264  BERIBERIA 

und  wo  die  wassersüchtigen  Symptome  jenen  gleichen,  die  secundär  auf 
langwierige  Fieber  und  schwächende  Einflüsse  folgen.  3)  Die  örtlich  ge- 
wordene Beriberi,  wo  die  Krankheit  nur  auf  die  untern  Extremitäten 
sich  beschränkt,  wo  Ödem  und  Paralyse  vorhanden  ist,  aber  das  Allgemein- 
befinden sich  nicht  ergriffen  zeigt.  Diese  Formen  modificiren  sich  auf  man- 
nigfaltige Weise  und  gehen  oft  in  einander  über,  so  dass  z.  B.  Kranke  mit 
B.  localis  oft  schnell  von  Hjdrops  cutaneus  universalis  ergriffen  werden.  In 
der  acuten  oder  entzündlichen  B.  sind  Symptome:  Zuerst  Unthätig- 
keit  zu  körperlichen  Anstrengungen  und  theilweiser  Verlust  des  Gebrauchs 
der  untern  Gliedmassen ,  so  dass  der  Kranke  später  gar  nicht  mehr  gehen 
kann ;  dann  zeigt  sich  Oedema  pedum ,  das  in  die  Höhe  steigt  und  zu  all- 
gemeiner Wassersucht  übergeht;  dabei  trockne,  heisse  Haut,  sparsamer, 
stark  gefärbter  Harn,  Leibesverstopfung,  reizbarer  Magen,  voller,  schneller 
Puls,  Dyspnoe  wegen  Wassererguss  in  die  Brusthöhle,  zuweilen  (bei  seröser 
Ergiessung  ins  Gehirn)  Kopfweh,  Unruhe,  langsamer,  voller  Puls,  Delirien, 
wo  der  Verlauf  der  Krankheit  schnell  ist  und  recht  kräftiges  Eingreifen  der 
Kunst  erfordert.  In  der  asthenischen  Form  ist  die  Bauchwassersucht 
vorherrschend.  Symptome  sind :  allgemeine  Erschlaffung,  kleiner,  schnel- 
ler Puls,  Obstructio  alvi,  Appetitmangel,  Paralysis  artuum ,  Oedema.  In 
der  örtlichen  B.  klagt  der  Kranke  über  Taubheit,  Starrheit,  Schwere 
der  untern  Gliedmassen ;  er  kann  nicht  gehen ,  die  Füsse  sind  geschwollen, 
die  Hauttemperatur,  der  Appetit  und  Puls  sind  normal,  der  Urin  sparsam. 
Tritt  die  Krankheit  gleich  anfangs  heftig  auf,  so  tödtet  sie  gewöhnlich ; 
minder  gefährlich  ist  die  allmälig  auftretende  Beriberi  (^Hamilton).  —  Ur- 
sachen. Sind  wenig  bekannt.  Es  ist  unentschieden,  ob  Sumpfmiasma  oder 
schädliche  Stoffe  im  Trinkwasser  Schuld  sind.  Am  meisten  herrscht  sie  ge- 
gen das  Ende  der  Regenzeit ,  wenn  des  Nachts  die  Temperatur  um  viele 
Grade  niedriger,  als  bei  Tage  ist.  Bei  trocknem  Wetter,  wie  zwischen 
April  und  August,  kommen  nur  wenige  Fälle  vor,  die  meisten  zwischen  Au- 
gust und  December.  Der  Bezirk,  wo  diese  Krankheit  endemisch  ist,  ist 
feucht  und  voll  von  Wasserbehältern  und  Teichen,  hat  auch  keine  Bäche, 
um  das  Regen wasser  wegzuführen.  Als  Volksmittel  wird  ein  Teig  aus  Ing- 
wer, Gewüi'znelken ,  Muskatnuss  etc.,  der  Triak-Faruk  heisst,  dagegen 
gebraucht.  Das  Wesentliche  der  Beriberi  ist  nach  Wr.  Störung  des  Blut- 
systems und  Wassersucht,  nicht,  wie  Andere  meinen,  primäres  Leiden  des 
Gehirns  und  Rückenmarks  ,  welche  erst  secundär  ergriffen  werden  in  Folge 
seröser  Ergiessungen.  Dies  ist  besonders  bei  der  acuten  Form  der  Fall, 
die  sich  mit  Dyspnoe,  Delirien  und  Zeichen  von  Phrenitis  einstellt,  während 
die  mildere  örtliche  Form,  die  nur  seröse  Ergiessung  und  Blutanhäufung  im 
untern  Theil  des  Rückenmarks  macht ,  nur  Paralyse  der  Schenkel  bewirkt. 
Die  Sectionen  beweisen  j  dass  der  Kranke  bald  durch  Erstickung  in  Folge 
des  Drucks  der  serösen  Flüssigkeiten  in  der  Pleura  auf  die  Lungen,  bald 
durch  seröse  Apoplexie  stirbt.  In  den  meisten  Fällen  findet  man  die  Venen 
im  Gehirn  nur  mit  Blut  überfüllt  ohne  alle  Extravasation,  in  andern  sah  man 
zwischen  den  Meningen  und  an  der  Basis  des  Gehirns ,  so  wie  im  Rücken- 
mark,  Wassererguss.  —  Diagnose.  Das  constanteste  Symptom  ist  die 
Schwerfälligkeit  der  untern  Gliedraassen ;  die  Kranken  klagen,  dass  die 
Beine  die  Last  des  Körpers  nicht  mehr  tragen  wollten ;  charakteristisch  ist 
auch  die  Schnelligkeit ,  womit  bei  der  heftigem  Form  das  Oedem  allgemein 
wird ,  ferner  die  dunkle  und  syrupartige  Beschaffenheit  des  Bluts ,  fast  wie 
bei  Cholera  asiatica.  Auch  der  bestimmte  Bezirk,  das  Endemische  dos  Lei- 
dens dient  zur  Diagnose.  —  Die  Prognose  ist  im  Allgemeinen  ungünstig. 
Die  Genesung  erfolgt  nur  langsam  und  Recidive  sind  nicht  selten.  Schlimme 
Zeichen  sind :  allgemeine  Wassersucht,  grosse  Angst,  Herzklopfen,  Dyspnoe, 
Seufzen,  Stöhnen,  schwacher,  unregelmässiger  Puls,  Coma,  Delirien,  stete 
Übelkeit,  hartnäckige  Leibesverstopfung,  trockne,  schwarze  Zunge.  Zu- 
weilen complicirt  sich  die  Krankheit  mit  nachlassenden  B'iebern.  Günstiger 
ist  die  Prognose ,  wenn  das  Oedem  allmälig  kommt  und  nur  die  Schenkel 
ergreift,    wenn  die  Haut  feucht  und  massig  warm  ist  und  die  übrigen  Fun- 


BEXIS  —  BLENNOMESIS  265 

ctionen  ziemlich  regelmässig  sind.  —  Behandlung.  Sie  wird  —  sagt 
Wright  —  nach  den  verschiedenen  Ansichten  der  Ärzte  verschieden  geleitet. 
Diejenigen,  welche  sie  für  ein  asthenisches  Leiden  halten,  rathen  zu  Reiz- 
mitteln und  starken  Diureticis ,  die ,  welche  sie  für  ein  entzündliches  Leiden 
ansehen ,  lassen  Blut  und  schwächen.  Die  Wahrheit  liegt  auch  hier  in  der 
Mitte;  denn  beide  Methoden  passen  für  verschiedene  Fälle.  Bei  robusten 
Leuten  und  zu  Anfang  des  mehr  heftig  auftretenden  Übels  lässt  Wright  zur 
Ader,  dann  giebt  er  Kalomel  8  — 10  Gran  mit  2  —  3  Gran  Squilla  p.  d., 
2  —  Smal  täglich,  welches  Mittel  er  besonders  lobt.  Gegen  bedeutende 
Reizbarkeit  des  Magens  dient  ein  Brausetrank  mit  Laudanum  und  Kampher, 
was  auch  bei  bedeutender  Dyspnoe  nützt.  Die  Gliedmassen  müssen  mit  rei- 
zenden Linimenten  eingei'ieben  und  in  Flanell  gewickelt  werden.  Hat  der 
Kranke  lange  gelitten,  ist  er  erschöpft  oder  durch  Bauchwassersucht  und 
Recidive  geschwächt,  so  dienen  Wein,  China,  gute  Nutrientia,  und  Unter- 
leib und  Glieder  werden  in  Flanell  gewickelt.  Auch  in  diesem  Falle  unter- 
lasse man  nicht ,  interimistisch  Kalomel  und  Squilla  zu  geben ,  und  stellt 
sich  ein  periodisches  Fieber  ein,  so  setze  man  Chinin  hinzu.  Wird  der 
Mund  vom  Mercur  ergriffen  ,  so  ist  das  durchaus  kein  übles  Ereigniss.  In 
der  örtlichen  Form  kann  man  die  oben  erwähnte  Mischung  von  Gewürzen 
gebrauchen.  In  einigen  Fällen  hat  auch  die  Nux  vomica  sich  sehr  wirk- 
sam gezeigt. 

Bexis,  der  Husten,  s.  Tussis. 

Bezoardica,  Mittel,  Gifte  aus  dem  Körper  zu  scheiden, 
besonders  thierische  Gifte ,  Contagien.  Sie  wurden  in  älterer  Zeit  gegen 
bösartige  Fieber  viel  gebraucht  und  bestanden  aus  Bezoar  und  andern  er- 
hitzenden Dingen;  s.  Alexipharmaca. 

Biceplialium  ,  Zwei  köpf.  Man  versteht  darunter  gewöhnlich  eine 
grosse  Balggeschwulst  am  Kopfe ,  die  demselben  das  Ansehn  eines  Doppel- 
kopfs giebt,  die  oft  fleischartig,  fettartig  ist  (s.  Tumor  cysticus).  We- 
niger gebräuchlich  ist  der  Name  für  eine  Missgeburt  mit  zwei  Köpfen. 

Biomagnetismus,  der  thierische  Magnetismus,  s.  Magne- 
tismus  animalis. 

Blaesitais,  Blaesa  lingua,  das  Lispeln,  Wispeln,  Anstossen  in 
der  Rede ,  wobei  besonders  die  Buchstaben  R,  H  und  F  nicht  gehörig  aus- 
gesprochen werden  können;  s.  Balbuties. 

BlaesosiSj  Blnesota,  einseitige  Schwächung,  Lähmung  und 
daher  entstehende  Verbiegung ,  z.  B.  des  Fusses ,  der  Hand ,  der  Zunge ; 
8,  P  aralysis. 

Blechropyra,  ein  schwaches,  unbedeutendes  Fieber,  z.  B.  Hufe- 
land's  Ephemera;    s.  Febris. 

Bleclurojiiphygiiiia,  ein  schwacher,  weicher,  matter  Puls,  z.  B. 
bei  asthenischen  Fiebern. 

Blennadenitis,  Schleimdrüsenentzündung,  s.  Adenitis  und  In- 
flammatio  glandularum. 

Blennelyptria,  der  weibliche  Tripper,  weisse  Fluss,  s.  Leu- 
corrhoea. 

Blennenteria,  Darmblennorrhöe ,  s.  Blennorrhoea  intesti- 
nalis. 

Blennisthmia ,  Blennorrhoe  des  Rachens.  Ist  ein  gewöhn- 
liches Symptom  bei  katarrhalischer  Bräune,  bei  Parotitis,  bei  Säufern  (s. 
Angina  catarrhalis,  Inflammatio  parotidea).  Cur.  Sie  erfor- 
dert die  Behandlung  der  Grundkrankheit,  daneben  Gurgel wasser  von  Spec. 
ad  gargarism.  mit  Oxymel,  Branntwein  etc.  zum  Gurgeln  und  Einspritzen. 

Blennomeisis,  Bletmemesis ,  Schleimerbrechen.  Jlst  Symptom 
der  Blennorrhoe  des  Magens  bei  Status  pituitosus,   Febris  pituitosa,  erfolgt 


266    BLENNOPHTHALMIA  —  BLENNORRHOEA 

des  Morgens  mit  vielem  Würgen  bei  alten  Säufern ,   wogegen  reizende  Mit- 
tel:   Imperatoria,  Senega,  Ingwer  etc.  dienlich  sind;   s.  Aroraatica. 

Blennoplitbalmia ,  s.  ßlennorrhoea  oculi. 

Blennoptysis ,  Schleimhusteu ,  Brustkatarrh,  s.  Blennorrhoea 
pulnion  um. 

Blennopyra.,  Schleimfieber,  s.  Febris  pituitosa. 

Blennorrhas^ia ,  starker,  bedeutender  Schleim fluss;  ei- 
mge  Neuere  verstehen  auch  darunter  den  entzündlichen  Tripper. 

Bleiuiorrhlnia,  Nasenschleirafluss,  chronischer  Schnupfen,  s.  Blen- 
norrhoeanarium. 

Bleimorrhoea,  Seh  lei  m  f  In  s  s,  Schlei  mabgang,  Blen- 
norrhoe. Alle  Krankheiten  der  Schleimhäute  und  Schleimdrüsen,  wobei 
eine  abnorme  übermässige  Schleimabsonderung  und  ein  meistentheils  chroni- 
scher Verlauf  stattfindet,  bezeichnen  wir  mit  dem  Namen  Blennorrhö  en. 
Da  nun  die  Schleimhä>ite  zwei  grosse  Tractus  bilden,  wovon  der  eine  dem 
Systema  uropoeticum  und  genitale,  der  andere  dem  System  der  Respira- 
tions  -  und  Digestionsorgane  zugehört,  so  gehören  alle  mit  abnorm  vermehr- 
ter Scbleimabsonderung  verbundenen  Krankheiten  dieser  Theile  hierher,  z.  B. 
der  Catarrhus  nasi,  tracheae,  pulmonum,  die  Phthisis  pituitosa,  der  Blasen- 
katarrh ,  der  Tripper ,  Fluor  albus ,  die  Blennorrhoe  des  Magens ,  der  Ge- 
därme, die  Schleimhämorrhoiden,  die  Psorophthalmie  etc. ,  wovon  unten  ein- 
zeln gehandelt,  dagegen  hier  vorläufig  das  Allgemeine  der  Blennorrhöen  be- 
trachtet werden  soll.  Allgemeine  Symptome.  Das  vorzüglichste  Zei- 
chen ist  vermehrte,  zu  copiöse  Schleimabsonderung;  daher  ist  das  Übel,  wo 
diese  Secretion  zu  Tage  kommt,  leicht  zu  erkennen ;  schwieriger  ist  die  Er- 
kenntniss ,  wenn  sich  der  Schleim  mit  andern  Feuchtigkeiten:  Urin,  Galle, 
Magensaft  etc.  vermischt ;  der  Schleim  ist  nicht  blos  der  Quantität,  sondern 
auch  der  Qualität  nach  abnorm,  wenigstens  als  secundäres  Symptom;  er  ist 
wässrig,  dünn,  oder  consistent,  dick,  gelatinös,  zähe,  bald  hell,  weisslich, 
bald  gelblich,  grün,  röthlich,  blutig,  bald  geruch-  und  geschmacklos,  bald 
stinkend,  sehwefelartig  riechend^  salzig  schmeckend,  bald  ist  er  milde,  bald 
so  scharf,  dass  er  die  Haut  wund  macht.  Diese  Verschiedenheit  wird  be- 
dingt durch  die  Localität,  die  Dauer  und  Form  des  Übels,  durch  die  Con- 
stitution ,  die  Lebensweise  etc.  Die  Verschiedenheit  der  Function  der  an 
Blennorrhoe  leidenden  Organe  bedingt  noch  andere  sich  »mterscheidende 
Symptome:  drückender  Kopfschmerz  bei  Catarrhus  nasi,  Husten  bei  Catar- 
rhus pulmonum,  Magendrücken,  Dyspepsie,  Sordes,  Pyrosis  bei  Status  pitui- 
tosus ,  Krämpfe ,  Ischurie ,  Strangurie  bei  Catarrhus  vesicae  urinariae  etc. 
Ursachen.  Prädisposition  geben:  laxe,  schlaffe  Constitution  mit  dünnem, 
wenig  cohärentem  Blute ,  das  Kindes  -  und  Greisenalter ,  das  weibliche  Ge- 
schlecht, das  phlegmatische  Temperament.  Irritable  Subjecte ,  Männer  im 
Mittelalter  leiden  selten  an  allgemeinen  Blennorrhöen,  die  durchgängig  ei- 
nem Sinken  der  Irritabilität,  einem  Mangel  an  Energie  im  leidenden  Organe 
und  selbst  einer  verminderten  Reizbarkeit  ihr  Dasein  verdanken.  Einen  hef- 
tig entzündlichen  Charakter  haben  die  Blennorrhöen  nie;  denn  so  lange  z.B. 
die  Entzündung  in  der  Nase,  in  der  Harnröhre  heftig  ist ,  fliesst  keiix  Schleim, 
sondern  die  Schleimhaut  ist  trocken,  ihre  Secretion  wird  erst,  nachdem  die 
Heftigkeit  der  Entzündung  vorüber  ist,  vermehrt.  Gelegentliche  Ursachen. 
Alles,  was  die  Iri-itabilität  und  Energie,  die  Spannkraft,  den  Ton  der  Theile 
schwächt,  entweder  örtlich  oder  allgemein,  befördert  das  Übel.  Hierher 
gehören:  sitzende  Lebensweise,  Mangel  an  Bewegung  in  freier  Luft,  starker 
Verlust  von  Blut,  Samen,  Lymphe  (Abscessus  lymphaticus),  anhaltend  feuch- 
te, nasse,  neblige  Witterung,  feuchte  Winter,  Aufenthalt  in  niedrigen, 
dunklen,  feuchten  Wohnungen,  in  überfüllten  Städten  und  Häusern,  in  Ge- 
fängnissen ,  sumpfigen  Gegenden ;  deprimirende  Leidenschaften :  Kummer, 
Gram;  schlaffe,  feuchte,  neblige  Luft  erregt  leicht  chronische  Katarrhe  der 
Lunge,  Phtlxiäis  pituitosa;  Übermas«  im  Genuss  von  Speisen,  Mangel  an  ge- 


BLENNORRHOEA  267 

sunder  Nahrung,  Übermass  von  mehligen,  schleimigen,  fettigen,  öligen  Spei- 
sen, von  Pökelfleisch,  groben  Fischen  bei  gleichzeitigem  Mangel  der  Ge- 
würze ,  des  Weins ,  Branntweins  und  Biers ,  erregt  Magenblennorrhöe ;  der 
Missbrauch  der  Kohlentöpfe  (Feuerkiken)  erregt  Huor  albus,  desgleichen 
öfters  Metrorrhagia ,  Menstruatio  nimia,  sowie  überhaupt  blasse,  schlaffe 
Frauenzimmer  mit  blondem  Teint  fast  jedesmal  nach  überstandenen  Regeln 
am  weissen  Flusse  leiden.  Verlauf,  Ausgänge  und  Prognose.  Alle 
Blennorrhöen  verlaufen  langsam,  sie  gehen  mehr  per  lysin  als  per  crisin  in 
Genesung  über.  Nicht  selten  ist  der  Übergang  in  andere  Krankheiten,  in- 
dem die  erkrankten  und  erschlafften  Schleimdrüsen  und  Schleimhäute  all- 
mälig  verändert,  verdickt,  verhärtet  (z.  B.  bei  Angina  scirrhosa  tonsillaris) 
etc.  werden,  oder  Tabes  und  Wassersucht  mit  torpidem  Charakter  (s.  Hy- 
drops torpidus)  erfolgt.  Im  Allgemeinen  sind  die  Blennorrhöen  nicht 
gefährlich,  aber  durch  ihren  oft  chronischen  Charakter,  so  dass  sie  selbst 
Jahre  lang  anhalten  können,  für  den  Arzt,  wie  für  den  Kranken  sehr  be- 
schwerlich; wie  z.  ß.  der  inveterirte  Fluor  albus,  der  chronische  Lungen- 
katarrh ,  der  Nachtripper.  Ihr  Verlauf  ist  alsdann  meist  periodisch,  remitti- 
rend,  intermittirend,  richtet  sich  nach  Jahreszeit,  Witterung,  Lebensweise  etc. 
So  erscheinen  auch  Blennorrhöen  endemisch,  epidemisch  (Frühlingskatarrh, 
Influenza) ,  in  andern  Fällen  nur  spox-adisch ;  zuweilen  sind  sie  einfach ,  zu- 
weilen mit  gelindem  F'ieber,  mit  Angina  pituitosa ,  Pneumonia  notha,  mit 
Icterus,  Hämorrhoiden,  mit  Fehlern  der  Leber,  Milz,  der  Eierstöcke,  des 
Uterus  etc.  complicirt.  Behandlung  im  Allgemeinen.  Das  Causal- 
verhältniss  der  Schleimflüsse,  die  Constitution  des  Kianken,  die  Structur 
und  Beschaffenheit  des  leidenden  Theils ,  die  vex'schiedcne  Stärke  und  Dauer 
des  Übels,  die  Complicationen  desselben  sind  sowol  bei  der  Prognose,  als 
bei  der  Heilung  zu  berücksichtigen.  1)  Sehr  wichtig  ist  die  Diät.  Stär- 
kende, gut  nährende,  selbst  durch  Gewürze:  Senf,  Ingwer,.  Pfeffer,  Zinnnt, 
reizend  gemachte  Nahrung,  besonders  Fleischspeisen ,  von  den  VegetabilieA 
vorzüglich  Kresse ,  Sauerampfer ,  Meerrettig ,  Zwiebeln  ,  Löffelkraut ;  auch 
gutes ,  reines  bitteres  Bier ,  giiter  rother  VVein ,  massig  genossen ;  daneben 
viel  Bewegung  in  freier  Luft,  Körperarbeiten,  Reinlichkeit,  fröhliche  Ge-; 
müthsstimmung  sind  sehr  zu  empfehlen.  Zu  vermeiden  sind:  zu  langes  Schla- 
fen ,  zu  \Varme  Bedeckungen  des  Körpers,  vieles  Sitzen,  ungesunde  Zimmer- 
luft, alle  fade,  mehlige,  schleimige  Speisen,  vieles  Thee-  und  Kaffeetrinken. 
2)  Sind  Fieber  oder  organische  Fehler  zugegen ,  so  gebe  man  im  ersten 
Falle  gelinde  kühlende  Diaphoretica,  z.  B.  Spirit.  Minderen  mit  Aqua  fl. 
sambuci  und  Vin.  stibiat ;  Pot.  Riverii  mit  Salmiak  und  Fliederwasser ;  im 
letztern  Falle  gebe  man,  wenn  Stockungen,  Verhärtungen  da  sind,  Resol- 
ventia;  z.  B.  Extr.  chelidonii,  taraxaci,  Dulcamara,  Antimonialia ,  Terra 
ponderosa,  Mercurialia  (s.  Atrophia  infantum),  und  erst  dann  die  toni- 
schen Mittel.  Bei  den  chronischen  Blennorrhöen  des  Darmcanals,  der  Blase, 
des  Uterus  ist  dies  besonders  zu  berücksichtigen,  und  die  genannten  Resol- 
ventia  sind  hier  gegen  das  Grundübel,  wovon  die  Blennorrhoe  oft  nur  Sym- 
ptom ist,  gerichtet.  3)  Sind  keine  solchen  Complicationen  da,  ist  das  Übel 
noch  nicht  sehr  alt,  ists  blos  Folge  von  klimatischen  Einflüssen,  von  laxer 
Constitution ,  diätetischen  Vergehen ,  sitzender  Lebensart ;  so  entfernen  wir 
allenfalls  den  vorhandenen  Schleim,  z.  B.  bei  Magenblennorrhöe  durch  ein 
Vomitiv  und  reizendes  Laxativ  von  Infus,  sennae  mit  Tinct.  rhei  aquos.,  und 
geben  darauf  anhaltend  tonische ,  stärkende  Mittel ,  um  die  Energie  der  zu 
schwachen  Irritabilität  zu  heben.  Innerlich  passen  bittere  Extracte :  Extr. 
rutae,  gentianae,  trifolii,  quassiae,  absinthii  mit  aromatischem  Wasser,  be- 
sonders Aqua  cinnamomi,  dann  Decocte  von  Geura  urbanum,  China,  Sima- 
ruba,  Ratanhia,  ferner  innerlich  Alaun,  Eisenpräparate,  Cuprum  ammonia- 
cale,  Flor,  zinci,  daneben  aromatische  Bäder,  Stahlbäder,  Pyrmonter  und 
Driburger  Brunnen.  Örtliche  Mittel  sind  Decoct.  chinae,  quercus ,  Alaun, 
Zink,  Kupfer,  Blei  in  wässerigen  Auflösungen,  Sublimatsolution  mit  Tinct. 
opii  etc.  4)  Durch  antiphlogistische  Mittel  kann  wol  bei  örtlichen  Entzün- 
dungen   der   Schleimhäute  eine   chronische  Blennorrhoe   verhütet,    nie  ab&c 


268  BLENNORRHOEA 

letztere  geheilt  werden.  Antiphlogistica ,  sowie  öfters  genommene  Purgir- 
mittel  und  Alles,  was  schwächt,  verschlimmert  den  Zustand,  sobald  das 
Übel  nicht  ganz  frisch  mehr  ist.  5)  Da  bei  chronischen  Blennorrhöen  die 
Sensibilität  in  der  Regel  deprimirt  ist,  so  ists  oft  zweckmässig,  diese  durch 
harzig- ätherische,  scharfstoffige  wnd  alkalische  Arzneien  etwas  zu  heben, 
und  solche  neben  oder  in  Verbindung  mit  den  tonischen  Arzneien  zu  reichen, 
z.  B.  Balsamus  peruv. ,  Copaivae,  Ol.  terebinth. ,  Tereb.  venet. ,  Rad.  zin- 
giberis,  pimpinellae,  Piper  cubebar.,  Spec.  lignornm,  Cort.  mezerei,  Senega, 
Fol.  sennae,  Aloe,  Salmiak,  mitunter  auch  Magnes.  sulphurica,  Mercuria- 
lia,  Lac  ammoniacale,  welche  Mittel  bei  torpiden  Constitutionen  und  bei 
alten  allgemeinen  Blennorrhöen  oft  herrliche  Dienste  thun,  besonders  wenn 
Hydrops  torpidus  hinzukommt,  wo  auch  Arnica,  Senega,  Squilla,  Jalape, 
Koloquinten  etc.  passen.  6)  Ist  die  Blennorrhoe  gehoben,  so  bleibt  noch 
die  Anlage  zu  Recidiven  zurück.  Um  dieser  zu  begegnen  ,  ists  nothwendig, 
dass  der  Kranke  noch  lange  eine  gute  Diät  hält,  Erkältung  vermeidet, 
Sool-  und  Seebäder,  erst  warm,  lau,  dann  kalt  gebraucht,  im  Winter  und 
Frühjahr  Flanellkleidung  trägt,  jährlich  einmal  ein  Mineralwasser  und  zwar 
Driburger  oder  Pyrraonter  Brunnen  trinkt,  und  sich  fleissig  im  Freien 
bewegt. 

Blennorrhöen  aurium,  Ohrenfluss,  s,  Inflammatio  auris. 

Blennorrhöen  Inlmii,  s.  Balanoblennorrhoea. 

Blennorrhöen  faucium,  s.  Angina. 

Blennorrhöen  genitnlkim,  s.  Leucorrhoea  und  Gonorrhoe a. 

Blennorrhöen  iniestini  recti,  Proclorrhoea  llennorrhoicn ,  Schleim fluss 
aus  dem  Mastdarm.  Das  Übel  ist  meist  chronisch,  oft  liegt  allgemei- 
ner Status  pituitosus  zum  Grunde ,  oft  sind  es  Schleimhämorrhoiden  (s. 
Haemorrhoides),  oft  nur  local  im  Mastdarm,  verbunden  mit  Verdickung 
der  Wandungen ,  mit  Verengerung  des  Rectums ,  oft  auch  im  höhern  Theile 
des  Darmcanals.  Die  Ursachen  und  Cur  sind  die  der  Schleimflüsse  im 
Allgemeinen.     S.  Blennorrhoe a. 

Blennorrhöen  nnrium,  na^nlis,  Conjzn  nasnlis,  Catarrhus  chronicus  na- 
rium,  Blennorrhoe  der  Nase,  chronischer  Schnupfen.  Er  ist 
die  Folge  der  frühern  entzündlichen  Stadien  des  Schnupfens  (s.  Febris 
catarrhalis),  wenn  der  Kranke  bei  blennorrhoischer  Anlage  sich  nicht 
gehörig  schont.  Die  Symptome  sind  bekannt.  Zuweilen  ist  Stockschnu- 
pfen (Gravedo),  meist  aber  nur  gewöhnlicher  Schnupfen  (Coryza)  zugegen. 
Hat  ein  Katarrh  über  neun  Tage  angehalten,  so  gehört  er  schon  hierher. 
Die  Schleimabsonderung  aus  der  Nase  dauert  fort,  ist  bedeutend  stark,  der 
Schleim  oft  dick,  gallertartig,  gelblich  -  grünlich  ,  der  Kranke  hat  verdor- 
benen Geschmack,  üblen  Geruch ,  ist  verdriesslich,  fühlt  sich  träge  und  ab- 
gespannt ,  wird  muskelschwach ;  die  blennorrhoische  Beschaffenheit  der  Na- 
senschleimhaut pflanzt  sich  auf  die  Trachea,  den  Larynx,  selbst  bis  in  die 
Bronchien  fort,  und  das  Übel  kann  viele  Wochen,  ja  Monate  währen;  es 
ist  in  der  Regel  anhaltend ,  intermittirt  aber  auch  zuweilen.  Am  meisten 
befällt  das  Übel  alte  Personen,  schwammige,  phlegmatische  Constitutionen, 
die  früher  dem  acuten  Katarrh  oft  unterworfen  waren;  erregt  wird  es  durch 
Alles,  was  letztern  begünstigt.  Cur.  1)  Richtige,  gclind  kühlende  und 
diaphoretische  Mittel  beim  acuten  Katanh  verhüten  den  chronischen.  Hier 
passen  sie  aber  nicht ,  es  müsste  denn  seyn ,  dass  durch  neue  Erkältung, 
Missbrauch  geistiger  Getränke  etwas  Entzündliches  und  Febrilisches  aufs 
Neue  hinzugekommen  wäre.  2)  Lac  ammoniacale  mit  Oxym.  squilHt. ,  bit- 
tere Extracte ,  besonders  aber  China,  Liehen  islandic.  und  Myrrhe,  anhal- 
tend gebraucht ,  sind  Hauptmittel.  3)  Ist  aber  noch  etwas  Febrilisches  da, 
das  Übel  noch  nicht  über  zehn  Tage  alt,  so  gebe  man  innerlich  Salmiak 
mit  Fliederwasser  und  kleinen  Dosen  Tart.  emeticus.  3)  Da  in  der  Regel 
auch  Larynx  und  Trachea  mit  leiden  (Catarrhus  laryngeus ,  trachealis),  des- 
gleichen die  Bronchien  (Catarrhus  bronchialis),  so  ist  auch  Husten,  Heiser- 
keit (Raucedo,  Branchus),  vermehrte  oder  stockende  Expectoralion  zugegen ; 
ai«dann  kann  bei  Vernachlässigung  die  Krankheit  leicht  in  Phthisis  pituitosa 


BLENNORRHOEA  269 

übergehen.  Ist  die  Expectoratlon  schaumig,  copios,  gläsern,  zähe,  ist  we- 
nig Schmerz  in  der  Trachea  vorhanden,  röchelt  der  Kranke  viel,  so  passen 
reizende  Expectorantia :  Rad.  senegae ,  Flor,  arnicae ,  Squilla ;  Ipecacuanha 
in  kleinen  Dosen,  Vinum  stibiat.  mit  Extr.  senegae.  Stockt  die  Expecto- 
ratlon oder  erfolgt  sie  nur  mit  grosser  Anstrengung,  so  passen  Emulsionen, 
wie  folgende:  I^r  Gumm.  ammoninci  3jjj »  —  nsne  foet.  5jß  ,  Vitell.  ovor.  q. 
s.  Aq.  foeniculi  5VJJ.  M.  f.  emuls. ,  wovon  3  —  4mal  täglich  1  —  2  Esslöffel 
voll  genommen  werden.  Auch  das  Elix.  pector.  Ph.  D. ,  der  Linctus  pecto- 
ralis  Werlhofii  (aus  Spirit.  salis  dulcis  5jj  5  Syr.  papav.  rh.  "^jj)  sind  hier 
nützlich,  selbst  Ol.  terebinthiae  und  Kampher  passen  bei  diesem  Zustande 
mit  torpider  Schwäche.  4)  Zuweilen  ist  beim  Catarrhus  chronicus  die  Re- 
ceptivität  gesteigert,  besonders  beim  Catarrhus  laryngeus,  bei  Habitus  phthi- 
eicus  und  im  Jüngern  Alter.  Die  Kranken  husten  und  räuspern  häufig ,  sie 
fühlen  Kitzel  im  Halse,  das  Xlhel  macht  mitunter  leichte  acute  Anfälle. 
Hier  hüte  man  sich  ja  vor  den  (Nr.  3)  erwähnten  reizenden  Mitteln;  dage- 
gen passen  innerlich  als  Expectorantia  Hyoscyamus,  Opium,  Digitalis,  Aq. 
laurocerasi,  schleimige  Getränke,  eiri  Vesicator  im  Nacken,  Thee  von  Spec. 
pector.  off.  5)  Ist  beim  Nasenkatarrh  aufs  Neue  Stockschnupfen ,  Schmerz 
in  der  Nasenwurzel ,  in  der  Stirn  eingetreten ,  so  passen  äusserlich  aroma- 
tische Dämpfe,  Einreiben  der  Stirngegend  mit  Ol.  nuc.  moschat.  expr.,  Bu- 
tyr.  majoran. ,  thymi  etc.  Ist  das  Übel  chronisch,  die  Nasenschleimhaut  in 
einem  erschlafften  Zustande ,  wobei  oft  ein  chronischer  passiver  Entzündungs- 
zustand zugegen  ist,  so  leistet  der  anhaltende  Gebrauch  der  Flor,  sulphuris, 
täglich  zu  5j|l,  nebst  kaiischen  Schwefelbädern  herrliche  Dienste  (Kopp). 
6)  Gegen  den  Husten  bei  Catarrhus  nasi,  laryngeus  et  trachealis  dienen  im 
ersten  Stadium,  das  der  Blennorrhoe  vorhergeht,  schleimige  und  zuckerstoff- 
haltige  Mittel :  Hafergrütze ,  Honig ,  Decoct.  graminis ,  Spec.  pectoral. ,  fol- 
gendes Pulver:  f^  Sacchari  lactis  ^Jllj  Rad.  Uquirit.,  Sem.  foeniculi  ana  ^jT-, 
Sulph.  aurati  gr.  v.  M.  fiat  pulv.  S.  Dreimal  täglich  1  Theelöffel  voll  mit 
Brustthee.  Auch  passt  hier ,  sowie  besonders  bei  Heiserkeit  und  Rauhigkeit 
des  Halses ,  voi'zugsweise ,  wenn  zugleich  Schwäche  und  mangelnde  Ernäh- 
rung stattfindet ,  folgendes  Pulv.  pectoral.  demulcens :  I^  Rad.  maranta» 
arundin. ,  Sacchari  albi  ana  5J.  M.  f.  puLv.  S.  Alle  2 — 3  Stunden  1  Thee- 
löffel voll  mit  Milch  (^Schneider).  Alle  diese  Mittel  befeuchten  die  trockne, 
entzündete  Schleimhaut  und  massigen  so  den  Husten.  Zu  tadeln  ist  indes- 
sen das  bei  manchen  Nichtärzten  übliche  Verfahren ,  bei  Husten  und  Schnu- 
pfen sehr  viel  Zucker,  Honig  zu  geniessen ,  wodurch  der  Magen  geschwächt 
wird  und  somit  leichter  die  Verdauung  leidet.  Ipt  die  Reizbarkeit  erhöht, 
so  passen  als  Expectorantia  die  oben  (Nr.  4)  genannten  Mittel ;  ist  sie  sehr 
vermindert,  so  sind  Arnica,  Senega,  Squilla,  Lac  ammoniacale  ganz  an  ih- 
rer Stelle.  Die  China,  das  isländische  Moos  und  die  Myrrhe  dienen  beson- 
ders zur  Nachcur.  I^  Gummi  myrrhae  gß  i  —  arahici  3jj  ■,  Sacchari  cand. 
fjll.  M.  f.  pulv.  S.  Dreimal  täglich  1  Theelöffel  voll  auf  der  Zunge  zcr- 
iessen  zu  lassen ,  und  hinterher  eine  Tasse  Decoct.  lieh,  islandic.  zu  trin- 
ken. Auch  kann  man  die  Myrrhe  in  Eigelbemulsionen,  in  Pillenform,  mit 
Gumm.  ammoniacum ,  Rad.  zingiberis  etc.  geben. 

Blennorrhoea  laryngis ,  Catarrhus  laryngeus  chronicus.  Der  chroni- 
sche Luftröhrenkatarrh  kann  bei  Leuten  von  20  bis  40  Jahren  durch 
Vernachlässigung  leicht  in  Phthisis  laryngea  übergehen.  Symptome  und 
Behandlung.     Wie  bei  Blennorrhoea  narium. 

Blennorrhoea  tracheae.  Auch  die  Trachea  leidet  in  der  Regel  bei  chro- 
nischem Katarrh,  desgleichen  die  Bronchien  (Catarrhus  trachealis  et  bron- 
chialis) ,  wie  die  gewöhnlichen  Symptome  des  chronischen  Katarrhs :  Heiser- 
keit ,  Rauhigkeit  im  Halse ,  Druck  auf  der  Brust ,  beschwerliches  Athemho- 
len,  Husten  mit  oder  ohne  bedeutenden  Auswurf  etc.  dieses  kund  geben. 
Cur.  Wie  bei  Catarrhus  nasi  oben  angegeben  worden;  s.  Blennor- 
rhoea narium  und  Asthma  humidum. 

Blennorrhoea  oculi,  Blennoplithalmia ,  Schleim fluss  der  Augen,  die 
Augeublennorrhöc.     Ist  diejenige  anomale  Störung  im  Vegetationspro- 


270  BLENNORRHOEA 

ccsse  des  menschlichen  Auges,  wodurch  die  .Conjunctiva  ihre  Function  als 
seröse  Membran  ganz  verliert  und  in  ein  Schleim  secernirendes  Organ ,  in 
eine  wahre  Schleimmembran  verwandelt  wird.  Sie  erscheint  daher  vollkom- 
men metamorphosirt,  sowol  in  Bezug  auf  Structur  als  Function.  —  Das 
charakteristische  Symptom ,  das  eigentliche  Signum  pathognomonicum  der  Au- 
genblennorrhöen  besteht  in  dem  Erscheinen  des  Papillarkörpers  in  der  nun 
matt ,  undurchsichtig  und  röthlich  gewordenen  Conjunctiva  und  in  der 
Schleimabsonderung  aus  dieser  Haut ,  wobei  Lichtscheu ,  Schmerz  und  die 
andern  Zeichen  einer  Entzündung  stattfinden.  Die  Ursachen  der  Augen- 
blennorrhöeu  sind  ziemlich  dieselben  der  Ophthalmien,  wozu  sie  ja  auch 
häufig  gezählt  werden.  Die  meiste  Prädisposition  geben  Dyskrasien  und 
Kachexien,  Katarrhe,  Gicht,  vorzüglich  aber  Scropheln.  Veranlassvmgen 
sind:  Erkältung,  Miasmen,  Contagien,  heftige  Localcongestionen ,  unter- 
drückte Hautausschläge,  Metastasen,  Metaschematismen,  heftige  Ophthal- 
mien mit  specifischem  Charakter.  Eintheilung.  1)  Nach  Art  ihrer 
Entstehung  giebt  es  primäre  und  secundäre  Augenblennorrhoen. 
Bei  erstem  geht,  nach  Jüngl-en,  kein  anderes  Leiden,  keine  Entzündung 
vorher;  mit  dem  Beginn  der  ersten  Lichtscheu  und  der  Empfindlichkeit  des 
Auges  nimmt  schon  die  krankhafte  Metamorphose ,  die  Bildung  des  Papil- 
larkörpers in  der  Conjunctiva,  besonders  zuerst  in  ihrer  Falte,  und  die 
Schleimabsonderung  ihren  Anfang.  Hieher  gehören  die  sogenannte  Ophthal- 
mia gonorrhoica,  die  Ophth.  aegyptiaca  und  Ophth.  neonatorum  (s,  diese 
Art.).  Zu  den  secundären  Augenblennorrhoen  gehören  alle  specifischen 
Ophthalmien,  die  bei  längerer  Dauer  sich  in  Blennorrhöen  verwandeln,  als 
die  Ophthalmia  catarrhalis ,  scrophulosa,  arthritica,  morbillosa  etc.  (s.  diese 
Art.)  —  2)  Nach  dem  Charakter  und  dem  Grade  der  Vitalität  unter- 
scheiden wr  synochische,  erethistische  und  torpide  Augenblennor- 
rhoen. Den  synochösen  Charakter  bezeichnen :  voUkommne  Übereinstimmung 
in  den  Erscheinungen  und  schneller  Verlauf  des  Übels;  —  Röthe,  Geschwulst, 
Schmerz  ,  Hitze ,  gestörte  Function ,  vermehrte  Secretion ,  Entwickelung  des 
Papillarkörpers  schreiten  gleichmässig  vorwärts ;  die  Vitalität  ist  bedeutend 
gesteigert,  das  Subject  jung,  kräftig.  Sie  lassen  sich  am  leichtesten  zer- 
theilen,  vernichten  bei  vernachlässigter  oder  verkehrter  Behandlung  das 
Auge  aber  auch  am  schnellsten.  Der  erethistische  Charakter  zeichnet  sich 
aus  durch  grossen  Schmerz  und  Lichtscheu  bei  geringer  Geschwulst  und 
blasser  Röthe.  Das  Secret  ist  mehr  flüssig,  aber  sehr  scharf  und  ätzend; 
die  Kranken  sind  meist  kachektisch ,  geschwächt ,  der  Verlauf  ist  langsamer, 
die  Neigung  zu  Exulcerationen  grösser.  Bei  dem  torpiden  Charakter  finden 
wir  geringen  Schmerz  im  Verhältniss  zu  den  übrigen  Erscheinungen ,  dunkle, 
selbst  blaue  Röthe,  starke  Geschwulst,  üppige  Wucherung  des  Papillarkör- 
pers ,  profuse  Secretion ,  höchst  langsamen  Verlauf  und  Hartnäckigkeit  bei 
der  Heilung.  —  3)  Dem  Verlaufe  nach  statuirt  man  acute  und  chro- 
nische Blennorrhöen  des  Auges.  —  4)  Nach  dem  Grade  ihrer  Aus- 
dehnung unterscheiden  wir  Blepharohlennorrhoea ,  bei  welcher  nur  die 
Conjunctiva  palpebrarum  leidet  (vergl.  Blennorrhoea  palpebrarum), 
und  Ophthmohlennorrhoea ,  wo  zugleich  die  Conjunctiva  oculi  mit  ergrif- 
fen worden  ist.  —  5)  Nach  dem  Grade  ihrer  Entwickelung  statuirt 
man:  a)  Hijdorrlioea ,  b)  Phlcgmatorrhoea,  c)  Pgorrhoea,  als  ersten,  zwei- 
ten und  dritten  Grad ,  je  nachdem  das  Secret  mehr  wässerig ,  schleimig 
oder  eiterartig  ist.  —  Ausgänge  des  Übels  sind:  Zertheilung,  Exulce- 
ration,  Suppuration,  Hypertrophie  und  Ektasie.  Bei  der  Zertheilung  schwin- 
det der  Papillarkörper  und  die  Conjunctiva  nimmt  wieder  die  Structur  und 
Function  einer  serösen  Membran  an  und  erscheint  auf  ihrer  Oberfläche  glatt, 
glänzend  mit  Gefässramification.  Ist  aber  bereits  das  Epithelium  der  Binde- 
haut verletzt,  so  reconstruirt  sie  sich  nie  vollkommen.  Exculceration  folgt 
häufig  auf  Augenblennorrhoen.  Die  Geschwüre  sind  hier  das  Product  des 
scharfen,  zerstörenden  Secrets,  bilden  sich  nicht,  wie  bei  der  Ophthalmie, 
aus  Phlyktänen.  Daher  sind  sie  von  grösserem  Umfange,  greifen  schnell  in 
die  Tiefe,   erscheinen  am  häufigsten  auf  der  Cornea  und  hinterlassen  dicke, 


BLENKORRHOEA  271 

entstellende,  ßchwielige  Narben,  Adhäsionen  zwischen  Hornhaut  und  Iris, 
Prolapsus  iridis ,  Keratocele ,  Staphyloma  corneae.  Der  Ausgang  in  Eite- 
rung kommt  seltener  vor,  als  bei  den  Ophthalmien.  Ist  es  der  Fall,  so 
sitzt  der  Absc^ss  im  ganzen  Augapfel  und  die  Eiterbildung  geht,  nachdem 
der  Bulbus  durch  die  Blennorrhoe  ganz  vernichtet  ist,  in  der  Höhle  dessel- 
ben vor  sich.  Diesen  Zustand  muss  man  nicht  mit  dem  Grade  der  Blen- 
norrhoe, wo  das  Secret  eiterähnlich  ist  (Pyorrhoe),  verwechseln.  Hyper- 
trophie, sowol  des  Zellgewebes  als  der  Gefässe,  ist  als  Ausgang  nicht  sel- 
ten. Die  der  Cellulosa  erscheint  am  häufigsten ,  zumal  in  der  Conjunctiva, 
sobald  ihr  Epithelium  zerstört  ist  und  der  Papillarkörper  unbegrenzt  her- 
vorwuchert. Die  Folgen  sind  dicke  Anschwellung,  Hervordrängung  und 
Umwälzung  der  Augenlider ,  Adhäsionen  zwischen  Conjunctiva  oculi  et  pal- 
pebrarum, Ancyloblepharon ,  Synblepharon.  Auch  kann  der  Zellstoff  der 
Cornea  an  Hypertrophie  leiden ,  so  dass  ein  Staphyloma  corneae  pellucidum 
folgt.  Die  Gefässhypertrophien  bilden  häufig  in  der  Conjunctiva  oculi  den 
Pannus,  der,  meist  hartnäckig  in  der  Heilung,  bei  Scrophulösen  am  häu- 
figsten die  Folge  von  Ophthalmia  scrophulosa  neglecta  ist.  Ektasien  folgen 
zuweilen  auf  solche  Augenblennorrhöen ,  welche  sich  auch  über  die  Conjun- 
ctiva bulbi  verbreitet  hatten ,  und  bilden  die  sogenannten  Staphylomata  cor- 
poris cHiaris  und  St.  scleroticae.  Prognose.  Sie  erfordert  grosse  Vor- 
sicht; denn  die  Augenblennorrhöen  gehören  wegen  ihrer  Folgen  zu  den 
wichtigsten  und  gefahrvollsten  Krankheiten  des  menschlichen  Auges.  Unbe- 
dingt gut  darf  die  Prognose  selbst  bei  scheinbar  günstigen  Verhältnisseu 
nicht  gestellt  werden.  Wichtig  sind  die  Dauer  und  der  Grad  der  Krank- 
heit. Inveterirte ,  chronische  Blennorrhöen  mit  Phlegmatorrhöe ,  noch  mehr 
mit  Pyorrhoe ,  geben  im  Durchschnitt  eine  schlimme  Prognose ,  weil  hier 
häufig  das  Sehvermögen  durch  Exulceration,  Verdunkelung  der  Hornhaut, 
Staphylom  etc.  verloren  geht.  Obgleich  die  acuten  Blennorrhöen  das  Auge 
schnell  vernichten  können,  so  gelingt  doch  bei  früher,  zweckmässiger  Be- 
handlung die  Zertheilung  derselben  am  leichtesten.  Dagegen  ist  bei  chro- 
nischem Übel  die  Gefahr  für  das  Auge  weit  geringer,  die  Cur  aber  sehr 
schwierig  und  langweilig.  Die  primären  Augenblennorrhöen,  die  Jüngken 
von  den  eigentlichen  Ophthalmien  als  secundären  Augenblennorrhöen  wol  zu 
strenge  unterscheidet,  seine  Behandlung  aber  dabei  zu  Anfange  nichts  desto 
weniger  streng  antiphlogistisch  ist,  also  keinen  Unterschied  in  praktischer 
Hinsicht  darbietet  (s.  Rusfs  Handb.  d.  Chirurgie,  Bd.  III,  S.  49),  erfor- 
dern ein  recht  kräftiges  eindringendes  Verfahren  und  zertheilen  sich  dann 
leicht.  Cur  im  Allgemeinen.  Sie  wird,  sagt  Jüngken,  nach  ähnlichen 
Grundsätzen,  wie  die  der  Augenentzündungen,  eingeleitet.  Zuerst  beseitigt 
man  die  ursächlichen  Momente,  sodann  behandelt  man  die  Augenblennorrhöe 
nach  ihren  Erscheinungen ,  und  richtet  endlich  das  Heilverfahren  gegen  die 
Ausgänge,  welche  die  Blennorrhoe  zu  nehmen  geneigt  ist.  (Über  die  Be- 
seitigung der  Ursachen  vgl.  den  Art.  Inflammatio  oculi).  Die  Cur  gegen 
die  Erscheinungen  ist  bei  der  Behandlung  der  Augenblennorrhöen  von  der 
grössten  Wichtigkeit;  sie  richtet  sich  theils  nach  dem  Charakter,  theils 
nach  dem  Grade ,  in  welchem  das  Übel  erscheint.  Bei  synochösem  Cha- 
rakter streng  antiphlogistisch,  bei  erethistischem  antiphlogistisch  und  besänf- 
tigend (durch  Narcotica),  bei  torpidem  Charakter  umstimmend,  Mischung 
verändernd,  vorzüglich  durch  Mercurialien.  Ist  das  Übel  noch  frisch  und 
im  ersten  Grade,  ists  Hydorrhöe,  der  Zustand  wie  bei  Ophthalmia  ca- 
tarrhalis,  so  kann  man  oft  durch  Blutentziehungen  (bei  Erwachsenen,  kräf- 
tiger Constitution  Aderlass,  Blutegel)  und  durch  eiskalte  Umschläge  über 
die  Augen  das  Übel  ersticken.  Tritt  es  sehr  heftig  auf,  so  reibt  man  dar- 
neben noch  Unguent.  mercuriale  in  Stirn  und  Schläfe.  Innerlich  nützen 
Purganzen  von  Sal  Glauberi,  Sal  anglic. ,  Infus,  sennae  compos.  mit  Manna, 
Tamarinden. —  Hautreize:  Senfteige,  Vesicatorien ,  reizende  Fussbäder  pas- 
sen im  ersten  Grade  des  Übels  nicht ,  es  sey  denn ,  dass  die  Ursachen  von 
der  Art  wären,  dass  sie  die  Anwendung  dieser  Mittel  erforderten  (Jmujkeii). 
Im  zweiten  Grade,    wo  die  Erscheinungen  heftiger  sind,    noch  stärkere 


272  BLENNORRHOEA 

antiphlogistische  Behandlung,  und  wenn  das  Übel  heftig  ist  und  schnell  ver- 
läuft ,  zieht  Jünglcen  die  Eröffnung  der  Art.  tcmporalis  der  gewöhnlichen 
Venaesection  vor,  doch  wird  letztere  oft  noch  deshalb  nöthig ,  weil  die  Ar- 
terie meist  nur  wenig  Blut  entleert.  Bei  Erwachsenen  setst  Jüiußen  ausser- 
dem noch  20 — 30  Stück  Blutegel  um  das  Auge  und  wiederholt  ihre  Anwen- 
dung, bis  die  Erscheinungen  nachlassen.  In  Stirn  und  Schläfe  wird  täg- 
lich einmal  1  Scrupel  bis  V2  Drachme  Unguent.  mercuriale ,  mit  vielem  Opium 
vermischt,  eingerieben.  Innerlich  giebt  er  Kalomel  zu  1 — 2  Gran  alle  1 — 2 
Stunden,  damit  fährt  er  fort,  bis  Speichelfluss  eintritt,  dann  vermindert  er 
die  Dosis  oder  lässt  sie  ganz  aussetzen  und  giebt  kühlende  Abführungen. 
Des  Abends,  zur  Zeit  der  Exacerbation,  erhält  der  Kranke  einige  Gran 
Pulv.  ipecac.  compositus.  Bei  heftigen  Schmerzen  werden  neben  den  anti- 
phlogistischen Mitteln,  den  Mercurialien  auchNarcotica  angewendet,  vorzüglich 
Aq.  laurocerasi,  Aq.  amygdalar.  amarar.  concentrata,  letztere  zu  8 — 15  Tropfen 
alle  2 — S,  in  sehr  acuten  Fällen  selbst  alle  Stunden,  weil  dieses  Mittel 
ohne  alle  Nebenwirkung  am  sichersten  und  schnellsten  das  gereizte  Nerven- 
system besänftigt  und  specifik  die  profusen  Secretionen  der  Schleimhäute  be- 
schränkt. Kalte  Umschläge  passen  nicht  mehr,  schaden  selbst,  feuchte 
Wärme  ist  besser ;  lauwarmes  Wasser ,  schleimige  Decocte ,  ein  schwa- 
ches Infus,  chamomillae,  bei  heftigen  Schmerzen  mit  Zusatz  von  Infus, 
hyoscyami,  belladonnae,  warm  mit  kleinen  leinenen  Compressen  übergeschla- 
gen, passen  am  besten.  Alle  aromatischen,  austrocknenden,  adstringirendea 
Mittel,  als  Infus,  spec.  aromat. ,  salviae,  Aq.  Goulardi ,  Decoct.  chinae  etc. 
sind  höchst  schädlich.  Des  Nachts  werden  die  genannten  Umschläge  ausge- 
setzt und  das  Auge  blos  mit  einer  leinenen  Compresse  verhängt.  ■ —  Da  das 
Secret  scharf  und  ätzend  ist  und  dadurch  leicht  dem  Auge  gefährlich  wird, 
60  sorge  man  recht  fleissig  dafür ,  dass  es  öfters  aus  dem  Auge  entfernt 
und  Alles  verhütet  werde,  was  dem  Abflüsse  aus  demselben  hinderlich  seyn 
könnte.  Auch  die  Borken  und  Krusten  der  Augenwimpern  müssen  mittels 
eines  feinen  Augenschwamms  ,  der  mit  lauem  Wasser  angefeuchtet  worden, 
oft  entfernt  werden,  damit  die  Augenspalte  sich  nie  verklebt.  Bei  starker 
Schleimsecretion  muss  man  alle  Viertelstunden  das  Auge  reinigen,  indem  es 
vorsichtig  geöffnet  und  lauwarmes  Wasser  mittels  des  Schwamms  aufgeträu- 
felt wird.  Äussere  Arzneimittel  verträgt  das  Auge,  nach  Jünglien,  nicht; 
sie  vermehren  die  Zufälle.  Da  durch  das  angegebene  Verfahren  das  Auge 
nicht  völlig  gereinigt  werden  kann ,  indem  in  den  Conjunctivafalten  oft  viel 
Schleim  sitzen  bleibt ,  so  muss  man  das  fleissige  Ausspritzen  der  Augen  mit 
lauem  Wasser  ja  nicht  vergessen,  indem  man  die  konische  Spitze  der  Spritze 
(man  kann  eine  gewöhnliche  Tripperspritze  dazu  nehmen)  in  den  äussern 
Augenwinkel  schräg  in  der  Richtung  von  unten  nach  oben  und  innen  unter 
den  Rand  des  obern  Augenlides  setzt,  und  das  Fluidum  langsam  unter  das- 
selbe spritzt,  so  dass  mit  der  Flüssigkeit  der  Schleim  aus  dem  Innern  Au- 
genwinkel hervorfliesst ,  worauf  dann  die  Augen  mit  feinem  Waschschwamra 
und  lauem  Wasser  sorgfältig  gereinigt  werden.  Auch  muss  in  schlimmen 
Fällen  dieses  V2  bis  Y4  stündig  wiederholte  Reinigen  nicht  nur  bei  Tage, 
sondern  auch  des  Nachts  geschehen,  sonst  verdirbt  letztere  wieder,  was 
man  am  Tage  gut  machte.  Die  Geschwulst  der  Conjunctiva  ist  dem  Ab- 
fliessen  des  Schleims  oft  sehr  hinderlich ,  zumal  wenn  sie  sich  wulstig  um 
den  Rand  der  Cornea  erhebt.  Um  dieses  zu  verhüten,  muss  man  die  Con- 
junctiva scleroticae  sogleich  scarificiren ,  sobald  sie  anfängt  sich  um  den 
Rand  der  Hornhaut  zu  erheben.  Man  fasst  nämlich  mit  Blömer^s  Augenpin- 
cette  die  Bindehaut,  und  schneidet  sie  mit  der  Cooper'schen  Scheere  rings 
um  den  Rand  der  Cornea  herum  weg,  und  wiederholt  diese  Operation,  so- 
bald sich  die  Conjunctiva  aufs  Neue  erhebt.  Durch  warmes  Wasser  wird 
die  Blutung  unterhalten.  Auch  für  den  dritten  Grad  der  Augenblen- 
norrhöe  räth  Jümjlcen  Aderlässe,  Arteriotomie,  Blutegel  und  innerlich  grosse 
Dosen  Kalomel,  auch  Aqua  laurocerasi  an,  und  sagt:  „Erst  nachdem  durch 
diese  Behandlung  die  Heftigkeit  aller  Erscheinungen  gemässigt,  und  die 
Empfindlichkeit   des  Auges   in  einem  hohen  Grade  herabgestimmt  ist,    kann 


BLENNORRHOE!  273 

man  zur  örtlichen  Anwendung  anderer  Heilmittel   auf  das  Auge  selbst  über- 
gehen.    Man  hüte  sich  aber  ja,    dies  zu  früh  zu  thun;    denn    es  straft  sich 
auf  der  Stelle  durch  bedeutende  Verschlimmerung  aller  Erscheinungen.   Vor- 
züglich kann  ich  nicht  genug  vor  dem  zu  frühzeitigen  Gebrauche  der  Opium- 
tJnctur  warnen,   und   muss    dies    um   so   mehr  thun,    da   dies   Mittel,    zum 
grossen   Nachtheil    -vieler   Augenkranken,    von    berühmten   Augenärzten    bei 
Augenblennorrhöen   sehr  empfohlen  ist.      Es   hat  die   nachtheiligsten  Zufälle 
und  nicht  selten    die  Vernichtung   des  Auges  selbst    zur  Folge,    wird  es  zu 
früh    angewendet."      Hier  ist   sich  Jümjlcen  nicht   consequent;    denn   einmal 
ßtatuirt  er  primäre  Augenblennorrhöen  ohne  vorhergehende  Entzündung,  und 
dann  will  er  diese  primären  Blennorrhöen  dennoch  so  streng  antiphlogistisch 
behandelt   wissen,    was  bestimmt    übertrieben    ist   und    durch   Hervorrufung 
sog.  Pseudophlogosen   in  Folge    der  ungeheuren   Schwächungsmittel    gerade 
die  zerstörenden  Metamorphosen  des  Auges  begünstigt.     Gar  zu  häufig  ver- 
gessen es  manche  Ärzte  noch,  dass  es  homologe  und  heterologe  After- 
organisationen giebt,   je  nachdem  sie  das  Resultat  eines  erhöhten,    auf  ent- 
zündlicher Stimmung  beruhenden,   oder  eines  verminderten,    aus  allgemeiner 
Schwäche,  Herabstimmung  und  Verwelken  des  Theils  hervorgehenden  Zeu- 
gungsprocesses   sind.     Vergl.   den   Art.    Hydatides.     Ich    habe   viele   er- 
blindete Augen  bei  Kindern  gesehen ,  die  in  Folge  einer  zu  anhaltend  ange- 
vrandten  schwächenden  Cur  bei  Ophthalmia  neonatorum,  also  als  heterologe 
Afterorganisationen    der    Cornea    angesehen    und    daher    abgeleitet    werdea 
konnten.      Ich    habe   viele   Kinder    mit    dieser    Augenentzündung    behandelt, 
aber    nie   blieben  Verdunkelungen   der  Hornhaut    zurück ,    obgleich   ich   nur 
höchst  selten  Blutegel   indicirt  fand.     Auch   sollte  man  nie  vergessen,    dass, 
wie  schon  Rcil    dies    bemerkte,    jede  Blennorrhoe  ein  Zustand  ist,    der  mit 
gleichzeitig  hypersthenischem  Charakter  nie  und  nimmermehs  nach  bes- 
sern  anatomisch-  und  physiologisch  -  pathologischen  Kenntnissen   stattfinden 
kann.     Das  entzündete  Auge,  der  entzündete  Rachen,  die  Nase  und  andere 
ähnliche  seröse  und  schleimige  Häute  sondern  bei  recht  heftiger  Entzündung 
gar  nichts    ab ,    sie  sind   trocken ,    und    sobald  Blennorrhoe  eintritt ,    ist  die 
Heftigkeit  der  Entzündung  gebrochen.  Woher  soll  die  Kraft  kommen,  vermöge 
welcher  nach  einmaligem  Naturgesetze  das  Abnorme  sich  in  integrum  restituirt 
und   dui'ch   Anregung    der   vis    naturae    medicatiix    die    Gesundheit    erfolgt, 
wenn  sowol  das  leidende  Organ,  als  der  ganze  Organismus  durch  tagelange 
knappe  Diät,    durch  Blutverluste,    Purganzen,    Kalomel  etc.    auf   eine  Vita 
minima  gesetzt  worden  ist?    Sit  modus  in  rebus!    Es  ist  leider!  Thatsache, 
dass  man  in  unsei-n  Tagen  den  Begriff  der  Entzündung   zu  weit  ausgedehnt 
hat,   und    die   Doppelnatur    der   letztern   verkennend,    nur  stets    die   active 
Form  statuirt  und  die  Kranken  unsinniger  Weise  so  lange  schwächt,  bis  alle 
Lebenskraft   gewichen   ist    (s.    auch   Inflammatio    im   Allgemeinen). 
Übrigens   lobt  Jimrjhcn  bei  Augenblennorrhöen   im  ersten  Grade   nach  geho- 
benen heftigen  Zufällen  leicht  adstringirende  Augenwässer,   schwache  Solut. 
Lap.  divini ,    Zinci  sulphuric.   in  Aq.  opü    destillata ,    zum  Eintröpfeln.      Im 
zweiten  und   driiten  Grade  des  Übels   unter   denselben  Bedingungen   beson- 
ders 1  Gran  Sublimat  in  7  —  9  Unzen  Aq.  destillata,  zu  Umschlägen,  Ein- 
träufelung ,    Einspritzung.      Erst   später  wagt  er  es ,    einen  geringen  Zusatz 
von  Tinct.  opii  zu  ftiachen.     Später ,   wenn  die  Entwickelung    des  Papillar- 
körpers  bedeutend  zurückgetreten ,  wendet  er  die  genannten  adstringirenden 
Augehwässer  an.     Wird  das  Übel  chronisch ,  vermindert  sich  die  Reizbarkelt 
des  Auges,    ist  der  Charakter   mehr  torpide,    so    dienen  Solut.    sublim,  mit 
Opium,  mit  Aq.  laurocerasi ,  zum  Eintröpfeln;  Salben  von  rothem  Präcipitat, 
KusCs  Augensalbe ,  innerlich  Antimonialien ,  Mercurialien ,  darneben  Derivan- 
tia,    Pustelsalbe  hinter  den  Ohren,    im   Nacken,   Haarseil,  Fontanellen  auf 
den  Armen.     Haben  sich  Geschwüre  auf  der  Hornhaut   gebildet ,    so  spritze 
und   reinige   man   das  Auge   fleissig   mit  lauem  Wasser,    damit   der   ätzende 
Schleim  weggeschafft  werde,   und  betupfe   in  dringenden  Fällen   täglich  ein 
paar  Mal  den  Geschwürsgrund  mittels   eines   mit  Tinct.  opii   angefeuchteten 
feinen  Miniaturpinsels;  selbst  leichtes  Betupfen  mit  einer  Sonde,  woran  sich 
Most  EncjMopädie.  Ite  Aufl.  I.  18 


274  BLENNORKHOEA 

Lapis  infernal!:)  befindet,  ist  nützlich.  (Man  schmelzt  etvTas  Lap.  infernaliSj 
drehet  die  Spitze  der  Sonde  darin  umher  und  polirt  sie ,  wenn  sie  erkältet 
ist,  etwas  ab)  Ist  das  Geschwür  rein,  so  tröpfle  man  zur  Erzielung  einer 
recht  schönen  Narbe,  eine  schwache  Solulio  lap.  divini  ein.  Bildet  sich 
Hypertrophie,  so  scarificirt  man  die  wuchernde  Conjunctiva,  schneidet  mit 
der  Cooper'schen  Scheere  Stücke  aus  ihr  heraus ,  betupft  sie  mit  Tinct. 
opii ,  selbst  mit  Lap.  infernalis ,  und  überlässt  die  Absonderung  des  Braud- 
•chorfes  der  Natur. 

Blennorrhoen  ocuU  ncfiyptiaca ,  s.  Inflam  matio  oculi. 

Blennorrlioen  oculi  gonorrhoica,  s.  I  nflammat  io  oculi. 

Blennorrhoen  oculi  neonatorum,  s.  Inflammatio  oculi. 

Blennorrhoen  fntlnionum,  I'hthisis  puhnonnlis  pituitosa,  niucosn,  cnlarrhn- 
7«,  Seh  leimsc  h  w  in<lsu  ch  t,  schleimige  Lungen  sucht.  Ist  eino 
starke  Blennorrhoe  in  den  Schleinnnembranen  der  Lungen,  eine  katarrhalische 
AfTection  in  den  feinsten  Verzweigungen  der  Bronchien.  Ihr  Sitz  ist  nicht, 
wie  bei  der  eiterigen  Lungenschwindsucht,  in  der  Lungensubstanz,  auch 
nicht,  wie  bei  der  Phthisis  pulmon.  tuberculosa,  in  den  Bronchiallymphdrü- 
sen, sondern  die  Lunge  ist  hier  nur  als  schleimabsonderndes  Organ  und 
mehr  dynamiscli  als  organisch  ergriffen.  Symptome.  Die  vorzüglichsten 
»ind :  chronischer,  anhaltender  Schleimauswurf  aus  den  Lungen  (Begma), 
anhaltender  Husten ,  aligemeine  Entkräftung  und  Abmagerung  des  Körpers, 
blasse  Gesichtsfarbe  (wenn  gerade  kein  Hiisten  da  ist),  laxe,  blennorrhoische 
Constitution,  vorhergegangene  langwierige  Katarrhe.  Gewöhnlich  fangt  das 
Übel  mit  Febris  catarrhalis  oder  pituitosa  an,  dabei  dumpfes,  drückendes 
Gefühl  in  der  Brust,  Engbrüstigkeit  oder  Status  pituitosus  des  Darmcanals. 
Das  Fieber  verschwindet,  aber  ein  copiöser ,  schaumiger,  schleimiger,  blas- 
ser, ungefärbter,  später  gelblicher,  grünlicher,  grauer,  süsslich ,  salzig 
schmeckender  Auswurf  bleibt  zurück.  Er  ist  so  copiös ,  dass  in  2i  Stunden 
nicht  selten  4  —  8  Obertassen  voll  ausgehustet  werden.  Der  Husten  ist  an- 
haltend, stets  feucht,  sein  Ton  rasselnd,  der  Kranke  wird  immer  bleicher, 
magerer,  er  fühlt  sich  frostig,  reizlos,  hat  kalte  Hände;  später  stellen  sich 
Febris  lenta,  pituitosa,  remittens  und  intermittens ,  mit  schnellem,  krampf- 
haften, meist  aber  weichem,  leerem  Pulse,  mit  öfterm  Frösteln,  Schläfrig- 
keit, dumpfem  Kopfschmerz,  Trägheit  des  Geistes  und  Körpers,  schleimig 
belegter  Zunge,  fadem  Geschmack ,  Ructus,  Flatus,  Auftreibung  des  Bauchs, 
Schleimabgang  oder  Verstopfung,  mit  Catarrhus  vesicae,  Oedema  pedum  etc. 
ein;  es  zeigen  sich  colliq\iative  Schweisse  \ind  Diarrhöen,  der  Kranke  stirbt 
an  Entkräftung  ,  häufig  an  Wassersucht  und  hinzutretender  Erstickung. 
Diagnose.  Das  Übel  ist  besonders  von  Phthisis  jiulmonalis  exulcerata  zu 
unterscheiden.  Hier  ist  der  eben  beschriebene  Krankheitsverlauf:  die  Ab- 
wesenheit des  Habitus  phthisicus ,  das  Nichtvorhergehen  von  Pneumonien 
und  Bluthusten ,  die  blennorrhoische  Natur  und  das  schon  vorgerückte  Alter 
des  Kranken  in  diagnostischer  Hinsicht  wichtiger  als  die  verschiedenen,  von 
Dartcin,  Home  und  (irnsmeijer  angegebenen  Eiterproben  (s.  oben  Ab.>.ces- 
üus),  da  auch  bei  der  Schleimschwindsucht  im  Verlaufe  des  Übels  die  Sputa 
an  Farbe ,  Consistenz  und  Form  sehr  variiren.  Auch  ist  der  Verlauf  dieso.^ 
Übels ,  das  oft  im  Summer  bei  warmem  trocknem  Wetter  ganz  intermittirt, 
im  Herbst  aber  wiederkommt,  weit  langsamer,  als  der  Verlauf  der  Phthisi» 
pulmonales  exulcerata.  Ursachen.  Sind  alle  die,  welche  den  chronischen 
Katarrh  erregen:  laxe,  phlegmatische  Constitution,  höheres  Alter,  übermäs- 
siger Genuss  des  Weissbiers,  der  geistigen  Getränke;  vorhergegangene  Ka- 
tarrhe und  Pneumonia  notha,  feuchtes,  warmem  Klima,  z.  B.  Holland,  Su- 
rinam, Südcarolinm,  feuchte,  nach  Norden  gelegene  Wohnungen  etc.  Cur. 
Man  entferne  die  erregenden  Ursachen,  verbessere  die  Wohnung,  veränder« 
den  Wohnort,  wohne  in  Zimmern,  die  nach  Süden  gelegen  sind,  halte  gute 
Diät,  vermeide  eine  zu  warme  Zimmertemperatur,  jeden  .schnellen  Wechsel 
der  Witterung.  Innerlich  passen  Extr.  rutae,  gentianae,  Quassia,  Columbo, 
Uch.  island  ,  Polyg.  amara ,  China,  Decoct.  rad.  ratanhiae  (iVeuwonn), 
Myrrh«,  bei  grosier  Torpiditiit  der  Lungen  selbst  Ferrum  sulphuricum,  «tif- 


BLENNORRHOEA  275 

gelöst  in  Wasser,  mit  Zusatz  von  Extr.  myrrhae;  auch  Antimonialla-,  Se- 
nega,  Arnica,  Squilla,  Stip.  dulcani. ,  Sulph.  aurat. ,  Tart.  stibiat.  in  re- 
fracta  dosi,  mit  Salmiak  und  Kampher,  z.  B,  }^t  Sal.  ammoniac.  5jj,  Cam" 
pliorae  gr.  vj,  Flor,  arnicae  3^,  Sulphur.  aurat.  gr.  v,  Sncchari  albi  ^j, 
M.  f.  pulv.  S.  Viermal  täglich  1  Theelöffel  voll  (bei  hoher  Reizlosigkeit 
des  Pulmonalsystems).  Oder:  R/  Rncl.  senegae,  —  arnicae  ana  3ijj<i  Aqtiae 
fontan.  s.  q.  tit  rem.  gix,  col.  adde  Camphorae  gtimm.  arah.  trit.  gr.  x,  Fini 
siihiali  öj?  Sijr.  senegae  5J.  M.  S.  Umgeschüttelt  alle  2 — 3  Stunden  1  Ess- 
löffel voll  (Af.).  In  mittlem  und  leichtern  Fällen  hat  mir  folgendes  Pulv. 
pectoralis  meines  Vaters  gute  Dienste  gethan:  I^  Sncchari  lacHs  ^jj,  Sah 
amnwniaci,  Spec.  diatragacanth. ,  Rad.  senegae,  —  Uquiritiae  ana  5jj?  Sulph, 
aurati  5(^5  Elaeos.  foenicuU  Sjjß-  M.  f.  pulv.  S.  Alle  drei  Stunden  1  Thee- 
löffel voll  mit  Wasser.  Ist  die  Atonie  der  Lungen  sehr  gross,  stockt  der 
Auswurf,  ist  der  Kranke  sehr  matt,  sinkt  der  Puls,  so  passt  ein  Vesicator 
auf  die  Brust  und  folgendes  Pulver  (was  auch  im  letzten  Stadium  der  Pe- 
ripneumonie  mit  grosser  Atonie  der  Lungen  und  mangelnder  Expectoration 
und  bei  torpider  Schwäche  nützlich  ist) :  ^r  Flor,  benzoes  gr.  iv ,  Campho- 
rae gr.  jj,  Sncchari  albi  ^j.  M.  f.' pulv.  disp.  dos.  vj.  S  Alle  zwei  Stun- 
den 1  Pulver  (Hoifmann  in  Münster).  Nur  in  seltenen  Fällen  ist  die  Reiz- 
barkeit der  Lungen  gesteigert;  doch  können  der  heftige  Hu-sten,  die  schlaf- 
losen Nächte  und  die  Unruhe  des  Kranken  zuweilen  dazu  beitragen.  Hier 
pa.ssen  auf  ein  paar  Tage  Hyoscyamus,  Opium;  doch  darf  man  solche  Mit- 
tel nicht  anhaltend  gebrauchen,  weil  sie  die  Reizbarkeit  bald  zu  sehr  her- 
abstimmen und  so  den  Krankheitszustand  verschlimmern.  Was  die  übrige 
Cur  und  die  Diät  betrifft,  so  ist  davon  schon  oben  bei  der  Blennorrhoe 
im  Allgemeinen  gehandelt  worden  (s.  Blennorr  hoea).  Doch  ist  hier 
noch  Folgendes  zu  bemerken:  1)  stockt  der  Auswurf,  ist  die  Lunge  mit 
Schleim  überfüllt,  droht  Erstickungsgefahr,  so  säume  man  nicht,  ein  Vomi- 
tiv aus  5f>  Ipecacuanha  zu  geben;  2)  alsdann  lege  man  ein  grosses  Vesica- 
tor auf  die  Brust  und  gebe  innerlich  die  obigen  Pulver  aus  Benzoe  und 
Kampher;  3)  hilft  dies  noch  nicht,  so  verordne  man  Moschus  mit  Sal  vola- 
tile ;  4)  entstand  durch  Diätfehler  Diarrhöe,  so  ist  diese  oft  an  der  man- 
gelnden Expectoration  Schuld.  Hier  passen  Decoct.  columbo,  Diaphoretica, 
kleine  Dosen  Ipecacuanha.  Opium  gebe  man  nie  ohne  Noth ,  weil  dieses 
nicht  selten  die  Expectoration  hindert;  5)  man  vergesse  nicht,  den  durch 
den  copiösen  Säfteverlust  geschwächten  Kranken  durch  gute  animalische 
Kost,  Salep,  Sago,  Arrow -Root,  durch  etwas  guten  alten  Wein,  durch 
Hordeum  praeparatum  mit  etwas  Zimmt,  durch  Schneckendecoct.  etc.  zu 
stärken  und  den  Säfteverlust  wo  möglich  zu  ersetzen.  Hier  passt  als  Nu- 
triens  und  Expectorans  bei  hartnäckigem  Husten  nicht  entzündlicher  Art 
imd  bei  colliquativen  Schweissen  folgendes  Pulver:  I^r  Arrow- Root,  Snc- 
chari ana  Svj ,  Ol.  aether.  salviae,  —  hyssopi  ana  gtt.  iv.  M.  f.  p.  S. 
Alle  zwei  Stunden  1  Theelöffel  voll  mit  Milch  oder  Wasser  (^Schneider}.  Ist 
das  Übel  gehoben ,  so  lasse  man ,  um  Recidive  zu  verhüten ,  noch  lange  Zeit 
Lac  ammoniac. ,  Asa  foetida ,  China ,  Liehen  Island. ,  Myrrhe ,  aromatische 
Räucherungen  von  Mastix ,  Bernstein ,  Weihrauch  etc.  gebrauchen.  Künst- 
liche Geschwüre:  Fontanelle,  Haarseil,  Seidelbast,  Fianellkleidiing  sind 
noch  sehr  wichtig  und  begründen  die  Radicalcur. 

Rlennorrhoea  oris,  faucium,i  s.  Angina  catarrhalis  und  Blennor- 
rhoe a  nasi. 

Rlennorrhoea  palpebrarum,  Blepharophthalmia ,  Lippitudo,  unrichtiger 
Ophlhnlmin  jmrulcnia,  Psorophlhnlmia ,  Blennorrhoe  der  Augenlider. 
Auch  hier  geht ,  wie  bei  der  Gonorrhöe ,  ein  Stadium  inflammatorium  vor- 
her, ehe  sich  die  Blennorrhoe ,  wobei  der  Schleim  sich  in  den  Meibora'schen 
Drüsen  absondert,  einstellt.  Die  Symptome  sind  daher:  Trockenheit, 
Röthe ,  Schmerz  der  Augen ,  Brennen ,  Jucken ,  Geschwulst  derselben ,  Em- 
pfindlichkeit gegen  Licht.  Nach  einigen  Tagen  sondert  sich  eine  Menge 
Schleim  ab ,  der  dick ,  eiterähnlich  ist ,  sich  in  den  innern  Augenwinkeln  an- 
häuft {Lemosilas} ,   zum  Theil  verdickt  und  des  Nachts  die  Augenlider  yer- 

18* 


278  BLENNORRHOEA 

• 

klebt,  so  dass  sie  am  Morgen  oft  erst  aufgeweicht  werden  müssen.  Der 
Schleim  ist  meist  weiss-lich,  gelblich,  seltener  grünlich  von  Farbe,  zuweilen 
milde,  zuweilen  auch  scharf,  z.  B.  bei  Ophthalmia  gonorrhoica,  so  dass  er 
die  Wangen  wund  macht.  Alsdann  entzündet  sich  leicht  auch  der  Bulbus 
oculi ,  und  es  stellen  sich  die  Symptome  der  Taraxis ,  selbst  der  Chemosis 
ein.  Die  oft  sehr  copiöse  Schleimabsonderung  erschlafft  die  Augenlider  und 
veranlasst  nicht  selten  En-  und  Ectropium.  Die  Ophthalmitis  neonatorum, 
die  Ophthalmia  scropliulosa,  gonorrhoica  und  syphilitica,  die  Ophth.  yario- 
losa  und  morbillosa  gehören  alle  hierher,  indem  sie  theils  leicht  durch  tjber- 
mass  antiphlogistischer  Behandlung  in  Augcnbiennori'höe  übergehen ,  theils 
ohne  solche  diesen  Ausgang  nehmen.  Ursachen.  Scropheln,  chronische 
Exantheme,  Syphilis,  unterdrückter  Tripper,  blennorrhoische  Constitution, 
übermässige  Anstrengung  der  Augen  durch  Nachtwachen,  Nähen,  Sticken, 
schlecht  behandelte  und  vernachlässigte  Ophthalmien ,  Ophthalmia  variolosa, 
die  oft  eine  echte  Blepharophlhalmie  ist,  feuchte,  verdorbene  Atmosphäre, 
solche  Stubenluft  (besonders  bei  der  in  den  ersten  Tagen  des  Lebens  auf- 
tretenden Ophthalmia  neonatorum).  Prognose.  Ist  bei  frischem  und  aus 
örtlichen  Ursachen  entstandenem  Übel  gut ,  im  Gegentheil  oft  schlecht ; 
denn  ist  die  Blennorrhoe  alt,  liegt  ihr  eine  innere  Ursache  /um  Grunde,  so 
folgen  leicht  Flecken  der  Hornhaut,  Plyktänen,  Pannus,  Staphyloin.  Die 
Ophthalmia  gonorrhoica  und  syphilitica,  welche  durch  Suppression  der  Go- 
norrhöe oder  durch  Ansteckung  mitteis  des  Tripperschleims  entsteht,  ist  ge- 
fährlich, indem  sie,  wenn  die  rechte  Hülfe  mangelt,  schnell  das  Auge  zer- 
stört ;  auch  die  scrophulöse  Form  ist  oft  recht  hartnäckig.  Cur.  1)  Man 
beseitige  die  erregenden  Ursachen,  gebe  bei  Syphilis  innerlich  Mercur.  dul- 
cis,  Mercur.  Hahnemanni,  Sublimat,  bei  Scrophulosis  Antimonialia,  Mcrcu- 
riaUa,  Cicuta  etc.,  stelle  bei  unterdrücktem  Tripper  den  Schleimfluss  der 
Harnröhre  wieder  her  etc.  (s.  Ophthalmia  scrophulosa,  venerea, 
gonorrhoica)  2)  Höchst  wichtig  ist  eine  antiphlogistische  Behandlung 
im  ersten  Zeiträume  der  Entzündung,  die  aber  nicht  übertrieben  werden 
darf.  Einige  Blutegel  an  die  Augen  (bei  heftigem  Schmerz) ,  antiphlogisti- 
sche Diät ,  Purganzen  aus  iNIercur.  dulc. ,  zugleich  .scharfe  reizende  Senffuss- 
bäder,  Yesicatorien  in  den  Nacken,  hinter  die  Ohren,  Verdunkelung  des 
Zimmers,  warme  Bähungen  der  Augen  von  Malva,  Althaea,  Flor,  sambuci 
reichen  für  die  ersten  zwei,  drei  Tage  der  Krankheit  hin.  o)  Ebenso  wich- 
tig sind  die  topischen  Augenmittel.  Zu  Anfange  passt ,  wenn  noch  viel 
Empfindlichkeit  da  ist,  ly  Sncchari  saturni  gr.  iv,  Aquae  rosarum  3Jiv» 
Gumm.  nrah.  ^j»  Tinct.  opii  vinosae  3|v.  M.  S.  Augenwasser  (//»«/'(/).  Oder: 
Fy  Aquae  veg.  min,  Goulardi  jjj,  Tinct.  opii  vinosae  3|1.  M-  Oder  (bei 
Ophthalm.  gonorrh.  et  syphilitica) :  I^  Mercur.  sublim,  corros.  gr.  j ,  Aquae 
destillntae  31V,  Tinct.  opii  vinos.  5jj-  M.  Alle  diese  Augenwasser  werden 
lauwarm  mit  Compressen  über  das  Auge  gelegt.  Sind  diese  Mittel  ver- 
braucht, so  geht  man  zu  den  Zink-  und  Quecksilbersalben  über,  z.  B. 
T^r  Flor,  zinci  pulv.  5l> »  Axumfiae  porci  5jj.  M-  exactiss.  1^  Mercur.  praecip. 
rubr.   pulü.    gr.  vj — vjjj ,    Vmjuent.   simpl.    5jj-    M.  exact.    (^Himli/),    wovon 

2  —  Smal  täglich  eine  Erbse  gross  angewandt  wird.  Daneben  kann  man 
auch  noch  das  Sublimataugenwasser  gebrauchen  lassen.  Ist  sehr  wenig 
Empfindlichkeit  da  und  das  Übel  schon  14  Tage,  3  Wochen  alt,  so  passt 
der  Zinkvitriol,  z.  B.  f^  Vitrioli  zinci  gr.  jj  —  iv,  Aq.  rosnr.  5J,  als  Au- 
genwasser. Oder:  }^  Vitrioli  albi  gr.  vjjj  —  xjj ,  Axuntj.  porci  5jj-  M.  exa- 
ctiss. S.  Augensalbe.  Ist  das  Übel  chronisch  geworden ,  z.  B.  schon  ein 
Jahr  alt,  so  leistet  folgendes,  von  Vnrlcz  und  Guthrie  (Lond.  med.  and 
phys.  Journ.  Bd.  LVT.  p.  3S6)  erprobtes  Mittel  oft  noch  am  meisten :  Rf  Cal- 
cis  tnuriftt.  gr,  v — xv,   solve  in  Aqunc  destill.  31].  M.  S. ,   zum  Eintröpfeln, 

3  —  4mal  täglich.  Das  Mittel  muss  aber  täglich  frisch  bereitet  werden;  ia 
frischen  Fällen ,  oder  ohne  durch  andere  Mittel  die  Heftigkeit  der  Entzün- 
dung gehoben  zu  haben ,  passt  es  nicht.  Sind  die  Augenlider  höchst  unem- 
pfindlich und  \vie  verknorpelt,  so  passen  Salben  von  rothem  Präcipität  mit 
Opium  und  Kampher.     4)  Bä  jüri^chea  und  unbedeutenden  Blepharophthal- 


BLENNORRHOEA  277 

niien  reicht  schon  Decoct.  chinae,  Salicis,  qiiercus  als  Augeintasser  hin. 
Tägliches  öfteres  Balien  und  Reinigen  der  Augenlider  Vom  Schleime  mittels 
lauer  Milch  ist  in  jedem  Stadium  des  Übels  nothwendig.  5)  Bei  chroni- 
schen scrophulösen  ,  impetiginösen  Blepharophthalmien  empfiehlt  ./«A?«  {Husl's 
Magazin,  Bd,  XX VII I.  H.  1)  besonders  B'olgendes:  Rr  Aiiri  oxymurinL  gr. 
jj ,  solvc  in  Aijufte  ilcstillatae  5VJ.  M. ,  welches  als  Angenwasser  mit  Com- 
pressen  auf  die  Augen  gelegt  wird ,  und  rühmt  das  Mittel  ganz  vorzüglich. 
6)  Bei  Ophthalmia  neonatonun  ist  sehr  wirksam:  H'  Zinc.  acefici  gr.  ij ,  Acf. 
rosarnm  gjj,  Mucil.  nximm.  arah.  öjjj,  Tinct.  opii  5lv  M.  {Siemter} ;  und 
späterhin  die  rothe  Präcipitatsalbe. 

BlemwrrJioen  sncci  Jacrymalis,  s.  Atonia  sacci  lacryraalis  und 
Dacry  ocy  sti  tis. 

Blennorrhoea  veniriculi  et  intestinorum ,  Blennorrhoe  des  Magens 
und  des  Darmcanals;  auch  Status  pituitosus  genannt.  Hier  lei- 
den die  Schleimhäute  des  Darmcanals  und  Magens  auf  dieselbe  Weise,  vne 
bei  Catarrhus  chronicus  und  Phthisis  pituitosa  die  der  Respirationorgane. 
Das  Übel  ist  entweder  auf  einzelne  Theile  (Oesophagus,  Magen,  Dünn- 
darm) beschränkt,  oder  es  hat  den  ganzen  Tractus  ergriffen,  wie  bei  Fe- 
bris  pituitosa  und  Status  pituitosus  inveteratus.  Symptome.  Überfüllung 
des  Digestionsapparats  mit  Schleim,  Torpidität  und  Atonie  des  Magens  und 
der  Gedärme  und  blennorrhoische  Constitution  (laxer,  schlaffer  Körper, 
phlegmatisches  Temperament  etc.)  sind  die  vorzüglichsten  generellen  Er- 
scheinungen. Was  die  speciellen  betrifft,  so  ist  die  Ma  gen  bleu  norrhöe 
durch  folgende  Zeichen  zu  erkennen :  schleimig  belegte ,  unreine  Zunge, 
vermehrte  Schleimabsonderung  im  Munde  und  Rachen,  im  Oesophagus,  fa- 
der, schleimiger,  seifenartiger  Geschmack,  Geschmacklosigkeit,  Mangel  an 
Appetit,  des  Morgens,  bei  nüchternem  Magen,  Ekel,  Schleim  würgen.  Räus- 
pern, Schleimerbrechen,  Trockenheit  im  Munde,  die  unangenehm,  zähe, 
kleislerartig  ist ;  aufgetriebene  Magengegend  mit  dumpfem  Schmerz  dersel- 
ben nach  angewandtem  Druck,  Magenkrampf,  der  periodisch  eintritt.  Be- 
sondere Zeichen  der  Blennorrhoea  intestinorum  sind:  Gefühl  von 
Spannung,  Unbehaglichkeit ,  Zusammenschnürung  des  Leibes,  so  dass  jede 
enge  Kleidung  Angstgefühl  macht,  Aufgetriebenheit  des  Unterleibes,  Flatu- 
lenz, zuweilen  Krämpfe  und  dumpfe  Kolikschmerzen  im  Leibe,  meist  träge 
Stuhlausleerung,  oft  tagelange  Verstopfung,  die  Faeces  sind  hart,  mit 
Schleim  überzogen,  oft  geht  der  Schleim  ganz  rein  in  Klumpenform  ab. 
Stellen  sich  die  periodischen  Kolikschmerzen  ein,  so  folgt  gewöhnlich  Diar- 
rhöe, wodurch  grosse  Quantitäten  dünnflüssigen,  gläsernen,  gallertartigen 
Schleims  mit  Erleichterung  für  die  nächsten  Tage  entfernt  werden.  Die 
Blennorrhoe  des  Mastdarms  (Haemorrhoides  mucosae)  ist  nicht  immer  Be- 
gleiterin der  Hämorrhoiden,  sondern  öfters  auch  nur  eine  Varietät  des  Sta- 
tus pituitosus,  oder  entstanden  durch  örtliche  Reize:  Askariden,  reizende 
Klystiere,  Missbrauch  der  Lavements  überhaupt,  oft  daher  Folge  der  Kämpf - 
sehen  Cur,  oder  die  Folge  der  Ruhr.  Ist  aber  diese  Blennorrhoe  die  Folge, 
der  Ausgang  activer  Hämorrhoiden,  so  wird  dies  aus  dem  Daseyn  der  Hä- 
morrhoidalcongestion  (s.  Haemorrhoides)  leicht  erkannt.  Der  bei  Status 
pituitosus  abgesonderte  und  entleerte  Schleim  ist  an  Quantität  und  Qualität 
sehr  verschieden.  Seine  Farbe  ist  zuweilen  grün,  grau,  gelblich,  bei  gleich- 
zeitigen Hämorrhoiden  röthlich ,  blutig ,  in  den  meisten  Fällen  aber  weiss- 
lich,  gallertartig,  bald  ist  er  geruchlos,  bald  (in  alten  Übeln)  stinkend, 
bald  milde,  bald  scharf,  ätzend;  ist  blos  Magenblennorrhöe  da,  so  ist  er 
häufig  wässrig,  dünnflüssig,  hat  das  Übel  vorzüglich  in  den  dicken  Gedär- 
men seinen  Sitz,  so  ist  er  zähe,  gallertartig,  wie  Froschlaich.  Verlauf 
und  Dan  er  des  Übels.  Bei  Schleimhämorrhoiden  dauert  der  Schleimfluss 
nur  wenige  Tage ,  in  Schleimfiebern  oft  mehrere  Wochen  ;  sind  organische 
Fehler  der  Baucheingeweide  da,  so  hält  das  Übel  selbst  Jahre  lang  an. 
Die  Genesung  erfolgt  in  den  meisten  Fällen  langsam,  sowie  die  Schwäche 
dea  Darmcanals  gehoben  wird.  Häufig  folgen  Nachkrankheiten,  besonders  de*» 
Lymphsysteni«:  Drü<i€nverhärtung ,   grosse  Abmagerung,   irritable  Scliwächoj 


278  BLEMORRHOEA 

zuletzt  Hydrops  ascites  und  universalis.  In  seitnern  Fällen  zeigen  sich 
Übertragungen  auf  das  Hautsystem.  So  heilte  ich  bei  einer  Frau  eine  chro- 
nische Blennorrhoe  der  dicken  Gedärme  durch  den  anhaltenden  Gebrauch 
des  Zincum  muriat.  (gr.  jj  in  53J  Aq.  destill.,  dreimal  täglich  10 — 30  Tro- 
pfen), abwechselnd  mit  Herba  belladonnae,  alle  Abende  gr.  jj  —  v,  worauf 
ein  allgemeiner  frieselartiger  Hautausschlag  erfolgte,  der  acht  Wochen  an- 
hielt, worauf  das  Übel,  das  schon  zwei  Jahre  alt  war,  verschwand  (M.). 
Ursachen.  Sind  die  der  Blennori-höe  im  Allgemeinen  (s.  Blennorrhoe  a). 
Grossen  Einfluss  hat  Jahreszeit  und  Witterung ;  daher  intermittirt  die  Krank- 
heit oft  in  den  warmen  Sommertagen,  bei  trockner  Ostluft,  während  sie  bei 
anhaltend  feuchtem  Herbst  -  und  Frühlingswetter  sich  wieder  einstellt. 
Alles,  was  den  Körper  schwächt  und  erschlafft:  der  Missbrauch  des  Thees, 
der  jungen,  sauren  Weine,  der  häufige  Genuss  der  Mehlspeisen,  der  Miss- 
brauch der  Purganzen,  sitzende  Lebensart,  deprimirende  Affecten ,  Aus- 
schweifungen in  Venere  etc.  verschlimmern  das  Übel.  Cur.  1)  Hebung 
der  erregenden  Momente j  2)  gute  Diät,  die  schon  oben  angegeben  worden 
(s.  Blennorr hoea),  Verbesserung  der  ganzen  Lebensweise,  und  3)  der 
Gebrauch  zweckmässig  gewählter  reizender,  tonischer  Mittel,  wenn 
die  Grundursache:  Scrophulosis,  Syphilis,  Physconia  hepatis,  lienis ,  Indu- 
ratio  ventriculi  etc.  gehoben  ist,  sind  Hauptindicationen.  Hier  sind  folgende 
praktische  Cautelen  zu  berücksichtigen:  a)  Sind  venöse  Stockungen  im 
Pfortadersysteme  und  in  der  Milz  da,  ferner  Indurationen  des  Pankreas,  der 
Milz,  Leber,  so  hüte  man  sich  ja  vor  der  Anwendung  der  tonischen  Mittel, 
sondern  gebrauche  erst  Resolventia:  auflösende  Extracte,  Mercurialia,  An- 
timonialia.  Aqua  laurocerasi  (s.  Hy  pochon  dria,  Melaena).  b)  Sind 
gastrische  Unreinigkeiten  vorhanden,  so  gebe  man  zuerst  ein  Vomitiv,  und 
ein  paar  Tage  später  ein  Laxativ,  c)  Ist  das  Übel  rein ,  ohne  Complica- 
tionen ,  sind  durch  Resolventia  die  etwaigen  organischen  Abdominalfehler 
gehoben ,  so  sind  gegen  die  Blennorrhoe  reizende ,  tonische  Mittel  die  Haupt- 
sache, welche  den  trägen  Darmcanal  aufregen  und  so  gegeben  werden  müs- 
sen ,  dass  kein  heftiges  Purgiren ,  sondern  täglich  nur  zwei  bis  drei  breiar- 
tige Sedes  ei-folgen.  In  leichten  Fällen  geben  wir  Folia  sennae ,  Rheum 
mit  Kali  tartaric. ,  Sal  Glauberi ,  Salmiak ,  in  bedeutendem  Terra  ponde- 
rosa  salita,  Tart.  emetic,  Merc.  dulc. ;  in  schwerern  Fällen,  bei  höhern 
Graden  des  Torpors ,  Jalape,  Aloe,  selbst  Gratiola,  Helleborus.  Alle  diese 
Mittel  geben  wir  m  kleinen  Dosen,  so  dass  heftiges  Purgiren  vermieden 
wird,  und  verbinden  sie  zweckmässig  mit  bittern,  stärkenden  Mitteln.  Zu- 
weilen ,  nicht  selten  alle  vier  bis  sechs  Wochen ,  ist  indessen  ein  ausfegen- 
des Purgans  bei  offenbaren  Anzeigen  von  Sordlbus  nöthig.  Hier  vermeide 
man  Manna,  Crem,  tartari,  Tamarinden,  die  überhaupt  in  Magen-  und 
Darmblennorrhöe  nicht  passen ,  sondern  gebe  Folgendes :  I^»  Infus,  laxnt. 
Vienn.  §iv,  Aq.  chnmom.,  —  foenicuU  ana  3JJ ,  Snl.  Glauben.,  Tinct.  rhci 
aqms.  ana  S^'j-  S.  Alle  15  Minuten  1  —  2  Esslöffel  voll,  bis  Purgiren  er- 
folgt. Für  den  täglichen  Gebrauch  passen  die  sogenannten  Digestivpulver, 
Digestivpillen  in  Verbindung  mit  bittern  Mitteln ,  wobei  wr  aber ,  um  der 
Digestionskraft  nicht  beschwei-lich  zu  fallen,  mit  den  leichtern  bittern  Ex- 
tracten  erst  den  Anfang  machen  müssen.  (S.  Amara).  Späterhin  passen 
erst  Quassia ,  China ,  Lign.  campechiense ,  Glandes  tostae  und  ganz  zuletzt 
erst  Eisen.  Entstehen  Beängstigung,  Flatulenz  und  Verstopfung  oder  Diar- 
rhöe nach  den  gereichten  stärkenden  Mitteln ,  so  zeigt  dies  an ,  dass  sie 
noch  zu  grob  und  schwerverdaulich  für  den  Magen  sind,  d)  Zwei  höchst 
wichtige,  fast  specitische  Mittel  gegen  Magen-  und  Darmblennorrhöe  sind 
Rheum  und  Aloe.  Sie  sind  w  ährend  der  ganzen  Dauer  der  Krankheit ,  an- 
fangs mit  Salmiak,  Sal  Glauberi,  Vin.  stibiat. ,  dann  mit  den  bittern  Ex- 
tracten,  zuletzt,  wenn  gar  kein  Schleim  mehr  abgeht,  mit  aromatischen 
Tincturen  und  bittern  Elixiren  verbunden ,  indicirt.  Auch  das  Wechseln 
der  Arzneien  ist  hier  sehr  anzurathen,  weil  Magen  und  Gedärme  sich  gar 
leicht  an  ein  und  dasselbe  Mittel  gewöhnen  und  die  Wirkung  dann  nicht 
unserer  Erwartung  entspricht.   Meine  Curraethode  ist  daher  folgende :  Zuerst 


BLENNORRHOEA  279 

ein  Vomitiv  (bei  der  Magenblennorrhöe) ,  ists  melir  in  den  Gedärmen,  dann 
das  oben  genannte  Laxativ  aus  Infus,  sennae,  Sal  Glauberi  und  Tinct.  rhei 
aquosa.  Alsdann  lasse  ich  acht  Tage  lang  Folgendes  gebrauchen :  R-  Snl. 
ammoninci  5jjj »  Succ.  liquirit.  dep.  5jj  ?  Aq.  meliss. ,  —  foeniculi  ana  ^jjj , 
Tinct.  rhei  nquos..  §|>^.  M.  S.  3 — 4mal  täglich  1  Esslöffel  voll.  Darauf  folgt 
acht  Tage  lang  dieses:  I^  Snl,  Glnulieri  gj  ,  Aquae  foeniculi  5vjjj,  Aloi's 
succotr.  gr.  xjj ,  Thict.  rhei  aquos.  5)^.  M.  S.  3  —  4mal  täglich  1  —  2  Ess- 
löfFel  voll,  so  dass  täglich  2  —  3  weiche  Sedes  folgen.  Alsdann  wird  diese 
Formel  acht  Tage  lang  gebraucht :  ]^r  Mercur.  duhis  gr.  x ,  Succ.  catechu^ 
Bals.  copaionc  ana  ö}i>  ,  Extr.  trifol.  fihr.  q.  s.  ut  f.  pH.  N".  lxxv.  M.  S. 
Dreimal  täglich  3  —  6  Stück.  Diese  Pillen  sind  besonders  in  clu'onischen 
Fällen,  auch  bei  chronischer  Leukorrhoe  (^Richnrd^  sehr  wirksam.  Darauf 
nimmt  der  Kranke  acht  Tage  lang  Folgendes:  I^^  Extr.  tnraxaci  3fv,  — 
rutne  5jj  5  —  rhei  compos.  Ph.  Boruss.  3f> ,  Aloes  succotr.  gr.  x ,  Aquae  me- 
liss. gx.  M.  S.  Umgeschüttelt  dreimal  täglich  1  Esslöifel  voll;  und  dane- 
ben Abends  und  Morgens  30  Tropfen  von  folgender  Tinctur:  B^r  Tinct.  ctn- 
namomi,  Vini  stihiati,  Elix.  peruv.  R.  Whytt  ana  gjy.  M.  Sind  nun  die 
Zufälle  der  Blennorrhoe  gehoben,  so  gebraucht  der  Kranke  noch  mehrere 
Wochen  lang  folgende  Mittel :  J^r  Pulv.  aloes  succotr.  5vj  ,  Extr.  yentinnae 
gjj ,  —  (hinne  3j ,  —  trifol.  ^ihr.  q.  s.  M.  f.  pil.  pond.  gr.  jjj.  S.  Abends 
spät  2  und  kurz  vor  der  Mahlzeit  des  Vormittags  1  Pille  zu  nehmen  Da- 
neben nimmt  er  dreimal  täglich  35  —  40  Tropfen  von  Folgendem  mit  gutem 
Rothwein :  I^f  Tinct.  rhei  nquos. ,  —  cinnnmomi ,  —  chinne  compos.  ana  5]. 
M.  Mit  dieser  Cunnethode  bin  ich  in  meiner  Praxis  Jahre  lang  glücklich 
gewesen.  Ist  eine  erhöhte  Reizbarkeit  der  Abdominalorgane  da,  was  nur 
selten  und  meist  nur  periodisch  bei  den  Kolikanfällen  der  Fall  ist,  so  giebt 
man  Antispasmodica :  Tinct.  castorel.  Infus,  valcrianae,  chamomillae,  kleine 
Gaben  Opium,  macht  ätherische  warme  Umschläge  um  den  Leib  etc.,  ge- 
braucht aber  nicht  anhaltend  solche  Mittel.  Die  Diät  ist  schon  oben  an- 
gegeben worden.  Der  Genuss  von  Senf,  schwarzen  Pfefferkörnern,  Wa- 
cholderbeeren des  Morgens  nüchtern,  unterstützt  die  Cur  des  Status  pitui- 
tosus  sehr ;  desgleichen  reizende  Einreibungen  in  den  Unterleib  von  Linim. 
volat.  camph.  mit  Ol.  terebinth. ,  Reiben  mit  Flanell ,  selbst  Waschen  mit 
kaltem  Wasser,  mit  aromatisch- ätherisch -Spirituosen  Dingen. 

Blennorrhoca  intestini  recti,  Blennorrhoe  des  Mastdarms.  Ist 
schon  bei  Status  pituitosus  abgehandelt ;  da  dieselbe  aber ,  wenn  sie  chro- 
nisch geworden  ist,  häufig  in  Verdickung  und  Verhärtungen  seiner  Häute 
ihren  Grund  hat,  so  untersuche  man  den  Mastdarm  genau,  und  findet 
man  solche  mit  Verengerung  verbundene  organische  Fehler,  sind  keine  Hä- 
morrhoiden da,  so  wendet  man  örtlich  erweichende  Salben  mit  resolvirenden 
Mitteln,  z.  B.  Unguent.  althaeae ,  Unguent.  digital,  mit  Extr.  cicutae,  bel- 
ladonnae,  auf  Charpie  gestrichen ,  an,  bringt  auch  Bougies  aus  Presschwamm 
ein,  die  mit  Unguent.  mercuriale  bestrichen  sind;  doch  achte  man  darauf, 
dass  die  Narcotica  und  Mercurialia  nicht  zu  stark  angewandt  werden,  da- 
mit keine  allgemeinen  Vergiftungszufälle  entstehen. 

Blennorrhoen  vcsicne  urivnrine ,  Cntnrrhus  vesicne  ttrinariae ,  Blasen- 
katarrh,  Blennorrhoe  der  Harnwege.  Das  Übel,  welches  oft  von 
Ärzten  übersehen  wird,  hat  seinen  Sitz  in  der  Innern  Oberfläche  der  Harn- 
blase, der  Harnleiter,  die  bekanntlich  auch  mit  Schleimhäuten  bekleidet 
sind.  Symptome.  Da  das  Übel  häufig  der  Ausgang  von  entzündlichem 
Blasenkatarrh  ist,  so  gehen  die  Zeichen  des  letztern  oft  vorher,  als: 
Schmerz,  Brennen  und  Ziehen  in  der  Blasen-  und  Lendengegend,  im  Peri- 
naeum,  Hitze  in  der  Schamgegend,  Strangurie,  Dysurie,  Ischurie,  Kolik- 
gchmerzen,  Erbrechen,  Tenesmus,  Obstructio  ahd  (s.  Inflammatio  ve- 
sicae  urinariae).  Die  eigentlichen  Symptome  der  Blennorrhoe,  die  zu- 
weilen auch  ohne  jene  Vorboten  eintritt,  sind:  Abgang  von  trübem,  schlei- 
migem ,  zuweilen  flockigem  Harn ;  der  Schleim  darin  setzt  sich  an  den  Bo- 
den des  Gefässes ,  ist  höchst  zähe ,  sieht  weisslich ,  grünlich ,  gelblich  aus, 
ist  geruchlos  (bei  Kachektiüchen ,  Scorbutischen  aber  höchst  stinkend),  «eiue 


280  .  BLENNORRHOEA 

Quantität  oft  sehr  bedeutend ,  sein  Abj^ang  erregt  heftige  Schmerzen ,  Bla- 
senkrampf etc.  Ursachen  sind:  blennorrhoische  Constitution,  höheres 
Alter,  Missbrauch  der  Genitalien,  organische  Fehler:  Verhärtungen  der 
Blase;  Harnsteine,  allgemeiner  Status  pituitosus,  Arthritis  atonica,  Status 
verminosus,  vorhergegangene  Cystitis,  Missbrauch  der  Aphrodisiaca,  Stimu- 
lantia, Diuretica,  Spirituosa,  des  ^Veissbiers ,  der  Goslarschen  Gose.  Dia- 
gnose. Obgleich  bei  mehreren  Krankheiten  dicklicher,  trüber,  schleimiger 
Urin  abgeht,  z.  B.  bei  Diabetes,  Djspermatismus,  Chylurie,  Vereiterung 
der  Prostata,  Gonorrhöe,  Leukorrhoe,  so  ist  die  Diagnose  doch  nicht 
schwer,  wenn  wir  die  Abwesenheit  der  jenen  Krankheitsformen  eigenthihn- 
lichen  Symptome  (s.  jene  Artikel)  gehörig  berücksichtigen.  Auch  das 
Langwierige  des  chronischen  Blasenkatarrhs,  die  Anamnese,  die  vernnlas- 
senden  und  gelegentlichen  Ursachen  des  Übels,  die  Re  -  und  Intcrmissionen 
desselben  und  die  grosse  Menge  des  täglich  abgehenden  langen ,  zähen 
Schleimes  machen  die  Erkenntniss  und  Diagnose  leicht.  Cur.  1)  Die  ei- 
gentlichen Specifica  sind  hier  die  schon  zum  Theil  oben  unter  Blennorrhoea 
ventriculi  angegebenen  Mittel,  unter  denen,  besonders  folgende  am  wirk- 
samsten sind ;  a)  der  Salmiak ,  z.  B.  I^'  Snl.  ammon.  dcp. ,  Pulv.  Uquiril. 
ana  9ß  —  ^j-  S.  Alle  drei  Stunden  ein  solches  I'ulver  {Bültncr).  In  chro- 
nischen Fällen  hat  mir  dieses  Mittel,  das  sich  noch  besser  in  Auflösung 
nehmen  lässt ,  wochenlang  gebraucht ,  herrliche  Dienste  geleistet ,  z,  B. 
t^  Sal.  aminoninci  dep.  S'V'j  ,  Succ.  Uqiärit.  jiv,  Aquac  chnmomUh,  —  focni- 
culi,  —  menth.  crisp.  ana  gijj,  Tnrt.  emclici  gr.  j.  M.  S.  Viermal  täglich 
1  —  2  Esslölfel  voll.  Ist  noch  etwas  Febrilisches,  Schmerz,  Brennen  etc. 
zugegen,  die  Blennorrhoe  acut,  so  passen  Blutegel  ad  anum,  laue  Bäder, 
gelinde  Laxanzen,  besonders  bei  gleichzeitiger  Plethora  abdominalis;  in  ge- 
linden Bällen  passt  Folgendes:  ly  Pot.  liiver.  c.  acet.  vi7ii  gjj ,  Aq.  ßor. 
snmhiici  51V ,  Snl.  ammon.  dep. ,  Succ.  liqnirit.  dep.  ana  5jjj  ,  Si/r.  mmmne 
gj.  M.  S.  Zweistündlich  einen  Esslöffel  voll.  Ist  kein  Fieber,  wenig 
Schmerz,  mehr  Atonie  da,  so  passt  b)  der  Eichelkaffee;  c)  die  Hedera  ter- 
restris,  entweder  der  Succ.  rec.  expressus,  oder  das  getrocknete  Pulver, 
pro  dosi  5I>  1  oder  in  folgender  Form :  I^f  Herh.  Iicdcrae  tcrrcstr. ,  —  vero- 
nicae  ana  ^W,  infunde  c.  aq.  ferv.  q.  s.  ut  rcman.  3^jij,  col.  e,rpr.  ndde 
Extr.  miUcfohi  giv,  —  lijn.  campech.  5jlK  Sal.  ammoninci  5jj.  M.  S.  Alle 
zwei  Stunden  1  Esslöffel  voll;  d)  die  Alaunmolken;  e)  Decoct.  chinae.  De- 
coct.  lign.  campech.  (31V  auf  gv  Colatur),  die  Tinct.  nijrrhae  mit  Tinct. 
catechu  ;  f)  die  Folia  uvae  ursi,  besonders  mit  Kalkwasser,  z.  B.  Yy  Fol. 
uvac  ursi  3J ,  Aq.  fcrv.  'tij ,  coq.  ut  rem.  5vjjj ,  col.  adde  Aq.  calcar.  ustac 
5jj,  Sifr.  emulsiv.  gj.  M.  S.  Alle  2  —  3  Stunden  1  Esslöifel  voll.  Auch 
Pulv.  rad.  arbut.  uvae  ursi  und  herbae  uvae  ursi,  dreimal  täglich  zu  ^^  — 
5|v  ist  sehr  wirksam.  Zuletzt  dienen  die  Mineralwässer  von  Karlsbad,  Ems, 
später  von  Driburg  und  Pyrmont,  Bei  recht  torpiden  Subjrcten  haben  in- 
nerlich Terpenthin,  Kampher,  Juniperus  empirisch  oft  gute  Dienste  geleistet. 
2)  Da  aber  der  Blasenkatarrh  höchst  selten  ein  idiopathisches  Leiden,  in 
den  meisten  Fällen  nur  Symptom  eines  tiefer  liegenden  Übels  ist ,  so  muss 
der  rationelle  Arzt  auf  die  oben  genannten  Ursachen  des  IJuels  sehen  und 
sich  bestreben,  diese  zu  beseitigen,  also  den  allgemeinen  Status  pituitosus, 
die  Haemorrhüides  mucosae,  den  Fluor  albus,  Arthritis  anomala,  Scirrhosi- . 
las  und  Phthisis  vesicalis  etc.  nach  den  Kunstregeln  behandeln.  S)  Auch 
die  bei  Status  pituitosus  empfohlenen  äussern  Mittel,  auf  die  Blasengegend 
angewandt,  i>ind  nicht  zu  vergessen;  desgl.  Injectionen  in  die  Blase  von 
kaltem  Wasser,  Decoct,  quercus.  Aqua  calcis.  4)  Die.  Diät  ist,  wie  oben 
angegeben  (s.  Blennorrhoea).  Doch  passen,  wenn  der  Blasenkatarrh 
Folge  von  Harnsteinen  ist,  keine  Kresse,  Zwiebeln,  Spargel,  Sellerie,  Ret- 
tige, sondern  milde,  schleimige  Speisen  und  Getränke.  —  Die  Blasen- 
schleimhämorrhoiden  sind  wesentlich  vom  Biasenkatarrh  nicht  verschie- 
den ;  doch  dient  zur  Diagnose  das  Vorhergehen  der  Mastdarmh^imorrhoiden 
und  das  Periodische  de»  Auftreteae ,  während  die  Hämorrhoiden  des  Kectums 
Schweigen. 


BLENNOSIS  —  BLEPHARITIS  IDIOPATHICA        281 

Blermorrhoca  ttrethrae,  Tripper,  s.  Gonorrhoea. 

BJennorrlioea  vag'mae,  weisser  Fluss,  s.  Leucorrhoea. 

Bleunorrhoea  gJandis  peiiis ,  Eicheltripper ,  s.  Balanoblennor- 
rh  0  e  a. 

Blenuosis,  Schleimkranklieit ,  s.  Blennorrhoea  und  Febris 
pituitosa. 

Blennotborax:  acutus,  Stickhusten,  s,  Tussis  convulsira. 

Bleiinotliorax  clironicus,  chronische  Schleimanhäufungen  in  der 
Brust,  s    Asthma  humidum. 

BlennotorrbOea ,  Schleimfluss  aus  den    Ohren,  s.  Otorrhoea. 

BlCJimirctiiria',  Schleimfluss  der  Harnröhre,  s.  Gonorrhoea. 

Blciuuuria,  Schleimharnen,  s.  Blennorrhoea  vesicae  uri- 
nariae. 

Blepharelosis,  Umkehrung  einer  oder  beider  Augenlider,  s.  Ectro- 
pium und  Entropium. 

Blcpharidoplastices  die  Augenwimperbildung,  s.  Chirurgia 
'c  u  r  t  o  r  u  m. 

Blcpliaritis  idiopathica,  die  idiopathische  Entzündung 
der  Augenlider.  Sie  folgt  Yorzüglich^  auf  mechanische  Verletzungen; 
ihr  Sitz  ist  das  Zellgewebe  der  Augenlider.  Meist  leidet  nur  ein  Augenlid, 
und  häutiger  das  obere,  als  das  untere.  Sie  ähnelt  ihrer  Natur  und  den 
Erscheinungen  nach  sehr  dem  Pseudoei-ysipel,  und  Junißen  möchte  sie  Pseu- 
docrysipelas  palpehrarum  nennen.  Symptome.  Anfangs  hochrothe,  äus- 
serst schmerzhafte,  gespannte  Geschwulst,  die  sich  vom  Tarsalrande  des 
Augenlides  erhebt,  nach  dem  Orbitalrande  zu  sich  yerbreitet  und  bald  das 
ganze  Augenlid  einnimmt.  Dabei  stechende  Schmerzen  im  Augenlide ,  ver- 
hinderte Bewegung  des  Auges,  bedeutend  erhöhte  Temperatur,  Gefühl,  aU 
läge  eine  glühende  Kohle  im  Auge.  Die  Ränder  der  Geschwulst  werden 
später  blassroth,  die  letztere  geht  mehr  zum  Ödematösen  über,  das  Auge 
ist  lichtscheu,  trocken,  periodisch  fliessen  einige  heisse  Thränen  aus  der 
mit  ergriffenen  Thränendrüse.  Später  verbreitet  sich  die  Entzündung  auch 
über  die  Conjunctiva  Scieroticae,  welche  an  der  leidenden  Seite  stark  ge- 
röthet  erscheint  und  durch  die  überfüllten  Gefässe  das  Gefühl  erregt,  als 
wäre  Sand  in  das  Auge  gekommen.  Binnen  3  bis  4  Tagen  ist  das  ganze 
Augenlid  oft  schon  so  sehr  roth,  gespannt  und  geschwollen,  dass  es  einer 
über  dem  Auge  liegenden  glänzenden  Halbkugel  gleicht.  Diese  Entzündung 
geht,  hat  sie  einen  hohen  Grad  erreicht,  leicht  in  Eiterung  über.  Die  Ge- 
schwulst und  Röthe  verbreitet  sich  selbst  auf  Stirn  und  Schläfe,  das  Au- 
genlid wird  so  gross  wie  eine  Wallnuss,  selbst  wie  ein  Hühnerei;  dabei 
pochende,  klopfende  Schmerzen,  Gefühl  von  Kälte,  Schwere  in  dem  leiden- 
den Thelle ,  Photopsie,  profuse  Secretionen  aus  der  Thränendrüse  und  den 
Meibom'schen  Drüsen ,  dunklere  Farbe  der  Geschwulst ,  die  an  einigen  Stel- 
len graublau  ist ,  die  dünnere  Oberhaut  erhebt  sich  an  mehreren  Stellen, 
sie  brechen  auf  und  entleeren  einen  mit  Zellgewebeflocken  vermengten  Ei- 
ter in  reichlicher  Menge,  worauf  alle  Erscheinungen  und  Beschwerden  nach- 
lassen. Das  Übel  verläuft  schnell,  binnen  9  Tagen  ist  meist  entweder  schon 
die  Zeilheilung  oder  Eiterung  eingetreten.  Bei  reizbaren  Personen  ist  zu- 
gleich ein  Gefässfteber  mit  Kopfweh,  belegter  Zunge  und  Appetitmangel 
einige  Tage  zugegen.  Verletzungen,  Stoss ,  Schlag,  Wunde,  besonders 
aber  Insectensticlie  begünstigen,  zumal  bei  Leuten,  die,  so  zu  sagen,  keine 
gute  Haut  zu  heilen  haben  (scharfe  Säfte,  luxuriöse" Lebensart,  Dyskrasien, 
Kachexien),  diese  Entzündung.  Die  Prognose  ist,  wenn  das  Übel 
noch  frisch  ist,  günstig;  doch  muss  der  Kranke  nicht  kachektlsch  seyn. 
Cur.  Man  entferne  die  etwa  vorhandenen  fremden  Körper  aus  dem  Augen- 
lide, z.  B.  Bienen-  oder  Mückenstachel,  setze  Blutegel  um  das  Auge  und 
schlage  Bieiwasscr  mit  Compressen  über,  die  auf  Eis  gelegen  haben;  inner- 


282   BLEPHAROBLENNORRHOEA  —  BLEPIIAROPHTHALM. 

lieh  dienen  kühlende  Laxanzen.  Sind  die  Zeichen  der  beginnenden  Eite- 
rung zugegen,  so  mache  man  wanne  Umschläge  von  Milch  und  Semmel- 
krumen,  die  zwischen  2  Conipressen  aufgelegt  werden,  und  überlasse  die 
Eröffnung  des  Abscesses  der  Natur.  Nur  bei  Kachektischen  öffne  mau, 
wenn  Fluctuation  sich  zeigt,  mittels  der  Lanzette,  denn  hier  bilden  sich 
leicht  Eitersenkungen.  Vor  einem  Jahre  behandelte  ich  einen  alten  Mann 
mit  diesem  Übel,  das  erst  am  linken  Augenlide,  später,  als  der  Absces.s 
geschlossen  war,  auch  am  rechten  erschien.  Der  Kranke  hatte  früher  oft 
an  Gesichtsrose  gelitten.  Reizende  Salben  zum  Verbinden  des  Abscesses 
passen  nicht. 

Blepbarolllennorrlioe»,  Augenliderschleimfiuss  ,  s.  Blennor- 
rhoe a  ])  alp  e  br  a  rum. 

Blepharoedcma,  Augenl id er wass er ge schwulst.  Ist  oft 
Symptom  nach  erysipelacösen,  scarlatinösen  Entzündungen  des  Kopfs,  Sym- 
ptom des  Hydrops  cellular.  u.  s.  f.;  s.  Hydrops  palpebrarum. 

Blepharoncus«  harte  Augenlidergeschwulst,  z.B.  bei  Ge- 
sichtsrose etc. 

Blepliaropbthaliiiia,  Entzündung  der  Augenlider  und  des  Auges, 
s.  Blennorrhoea  palpebrarum. 

BlepbarophttaaLmitis,  echte,  synochische  Entzündung 
des  Augapfels  und  der  Augenlider.  Jede  heftige  Augenentzündung 
(^Phlegmone  oculi,  Ophthalviitis ,  Chemosis),  welche  sich  durch  bedeutende 
Schmerzen  des  Auges,  Röthe,  Geschwulst,  Lichtscheu,  Kopfschmerz,  Fie- 
ber, selbst  durch  Hirnaffectionen ,  tiefliegende  Schmerzen  in  der  Orbita, 
durch  Trockenheit  des  Auges  etc.  offenbart,  muss  streng  antiphlogistisch 
behandelt  werden ,  um  das  Auge  zu  retlen  und  der  Zerstörung  desselben 
durch  Iritis,  Verwachsung  der  Pupille,  Staar ,  Zerstörung  der  Hornhaut 
durch  Staphylom  etc.  vorzubeugen.  Man  setze  daher  gleich  mehrere  Blut- 
egel in  die  Augengegend,  lasse  bei  Vollblütigkeit  zur  Ader,  lege  zugleich 
ein  grosses  Vesicator  in  den  Nacken,  gebe  innerlich  Antiphlogistica,  die 
auf  den  Darmcanal  wirken  ,  z.  B.  Decoct.  fruct.  tamarindor.  5^'jjj  ,  Nitri 
depur.  5jjj»  Sal  Glauberi ,  Mucil.  gumm.  arab.  ana  ^j.  S.  Alle  Stunden 
1 — 2  Esslöffel  voll;  dabei  knappe  Diät.  Folgende  Cautelen  sind  hier  noch 
7,u  berücksichtigen :  1)  Heftige  mechanische  Verletzungen  des  Auges  durch 
Stoss ,  Druck ,  Quetschung  erregen  am  häufigsten  die  reine  synochische  Au- 
genentzündung (Phlegmone  oculi).  Hier  passt  ganz  die  eben  erwähnte  Be- 
handlung und  daneben  äusserlich  Umschläge  von  kaltem  Wasser,  Bleiwas- 
ser. 2)  Die  Blepharophthalmie  aus  Dyskrasien  (Scrophulosis,  Syphilis,  Ar- 
thritis) hat  zu  Anfange ,  sowie  auch  zuweilen  in  der  Folge  (durch  neu  hin- 
zukommende reizende  Einflüsse)  ein  entzündliches  Stadium,  wogegen  anti- 
phlogistisch verfahren  werden  muss.  Doch  übertreibe  man  die  Cura  anti- 
phlogistica hier  ja  nicht ,  sonst  wird  das  Übel  für  die  Folge  desto  hart- 
näckiger. Selten  sind  hier  Blutegel  nöthig ;  ein  grosses  Vesicator  im  Nacken, 
innerlich  einige  Gran  Merc.  dulc.  reichen  neben  kühlender  Diät  hin.  Die 
geringere  Heftigkeit  der  entzündlichen  Zufälle  muss  hier  leiten.  Auch  pas- 
sen hier  die  topischen  Mittel:  Blei,  Zink,  Sublimat  etc.  (s.  Blennor- 
rhoea palpebrarum).  3)  Die  rheumatische  und  katarrhalische  Augentzün- 
dung erfordert  gleich  zu  Anfange,  wenn  die  Zufälle  nicht  heftig  sind,  nin- 
gelinde  Antiphlogistica,  besonders  die  kühlenden  Diaphoretica.  Hier  passen 
aber  anfangs  keine  nassen  Mittel ,  sondern  Kräutersäckchen  mit  F'lor.  sam- 
buci,  menthae  crisp. ,  Flor,  chamomillae,  trocken  und  erwärmt  angewandt 
(s.  Ophthalmia  catarrhalis,  Ophth.  rheumatica  unter  Inflani- 
luatio  oculi).  4)  Entstand  die  Augenentzündung  durch  plötzlich  unter- 
drückte Blutungen,  so  erfordert  sie  häufig  eine  eben  so  strenge  antiphlogi- 
stische Cur,  als  die  Ophthalmie,  welche  durch  mechanische  Schädlichkeiten 
erregt  wird.  Dasselbe  ist  der  Fall  bei  Ophthalmia  gonorrhoica.  Hier  gleich 
8  — 10  Blutegel  an  die  Augen,  reizende  Fussbäder,  innerlich  Emuls.  amyg- 
delar.  dulc.  mit  Nitrum,   Abends  und  Morgens  Merc.  dulc.  gr.  j,    Opii  pur. 


BLEPHAROPHYSEMA  —  BLEPHAROPLASTICE  283 

gr.  fif,  -und  nach  den  Blutausleerungeh  äusserlich  lauwarm  Sublimatwasser 
mit  Opium ,  z.  B.  R'  Merc.  sublim,  corros.  gr.  j ,  Aqua  opü  destillat. ,  —  ro- 
sar.  ana  5JJ.  S.  Mit  Compressen  über  die  Augen  zu  legen.  Nur  durch 
solche  wirksame  Mittel,  früh  angewandt,  ist  das  Auge  zu  retten. 

Blepbaropbysema,  Luftgeschwulst,  Windgeschwulst 
der  Augenlider.  Ist  nur  ein  Symptom  der  allgemeinen  Windsucht  oder 
der  partiellen  des  Kopfs,  nach  Verwundungen  der  Galea  aponeurotica  etc. 
S.  Emphysema  und  Tympanitis. 

Blepharoplastice»  die  Blepharoplastik,  die  künstliche 
Augenlidbildung,  analog  der  Rhinoplas tik.  Sie  kann  eine  allge- 
meine oder  theil weise  seyn,  je  nachdem  das  ganze  Lid  oder  nur  ein  Theil 
desselben  zu  ersetzen  ist.  Zuerst  machte  diese  Operation  der  neuesten  Zeit 
C.  Ferd.  v.  Gräfe  an  einem  untern,  durch  Brand  zerstörten  Augenlide,  in- 
dem er  den  fehlenden  Theil  durch  Aufwärtsklappen  des  zunächst  gelegenen 
Hautstückes  der  Wange  wieder  herstellte  (s.  C.  F.  v.  Gräfe ,  Rhinoplastik, 
S.  15).  Später  übten  und  beschrieben  diese  Operation  Dzondi  (^Hiiifeland^s 
Journ.  1818,  Novbr.  S  99),  FricJce  (Die  Bildung  neuer  Augenlider;  Ham- 
burg, 1829),  Jünglxcn  (Lehre  von  den  Augenoperationen;  Berlin,  1829, 
S.  IX.  und  267)  und  Knispel  (s.  Grosheini's  Lehibuch  d.  operativen  Chirur- 
gie, Bd.  I.  S.  260).  Indicirt  ist  dieselbe  bei  gänzlichem  oder  theilweisem 
Verluste  des  einen  oder  des  andern  Augenlides  durch  Verwundung,  Ver- 
schwärung ,  Brand,  und  bei  beträchtlichen,  durch  Substanzverlust  auf  der 
äussern  Fläche  der  Augenlider  bedingten  Ektropien.  Nicht  immer  war  der 
Erfolg  günstig.  Jüntjhen  misslang  sie  zweimal.  Die  Narbe  wird  mit  einem 
ScalpcU  umschnitten  und  ausgerottet ,  und  der  Wunde  überhaupt  eine 
solche  Grösse  gegeben ,  als  nöthig  ist ,  damit  das  Augenlid  hinlänglich  lang 
werde  und  seine  natürliche  Lage  bekomme.  Dann  wird ,  ists  das  untere 
Augenlid ,  seitlich  an  der  Wange ,  ists  das  obere ,  an  der  Stirn  ein  Haut- 
stück umschnitten,  welches  genau  die  Gestalt  der  Wunde  hat  und  noch 
durch  eine  schmale  Hautbrücke  mit  der  übrigen  Haut  in  Verbindung  bleibt. 
Nun  präparirt  man  das  Hautstück  so  ab ,  dass  möglichst  viel  Zellgewebe 
an  ihm  sitzen  bleibt.  Die  Hautbrücke  muss  so  lang  werden ,  dass  man  das 
getrennte  Hautstück  nach  der  Wunde  umschlagen  und  in  dieselbe  einlegen 
kann.  Die  Blutung  wird  sorgfältig  durch  kaltes  Wasser  gestillt,  alles  ge- 
ronnene Blut  entfernt  und  der  Lappen  (der  bei  Dz-ondi  in  einem  Fall  1'/-. 
Zoll  Länge  und  6 — 7  Zoll  Breite  hatte)  durch  Umdrehtmg  der  Hautbrücke 
so  an  die  Stelle  der  Narbe  in  die  Wunde  gelegt,  dass  sich  die  Ränder  und 
Wundflächen  genau  berühren.  Die  Befestigung  geschieht  durch  einige  Knopf- 
nähte, Plumaceau  und  Heftpflaster.  Die  Ligaturen  werden  zur  gehörigen 
Zeit  ausgezogen,  und  die  Hautbrücke,  wenn  die  Anheilung  erfolgt  ist,  auf 
einer  Hohlsonde  durchschnitten.  Die  Wunde,  aus  der  das  Hautstück  ent- 
nommen ist,  wird  möglichst  fest  zusammengezogen,  um  eine  kleinere  Narbe 
zu  erzielen.  So  operirt  Jimgicen.  —  Etwas  davon  verschieden  ist  das  Ope- 
rationsverfahren von  Friclce  in  Hamburg.  Er  schneidet  die  vorhandene 
Narbe  um  und  aus,  und  nimmt  alle  entartete  Haut  und  solches  Zellgewebe 
weg.  Eine  ebene  schmale  Narbe  braucht  nur  durchschnitten  zu  werden, 
so  dass  der  Schnitt  parallel  mit  dem  Tarsus  (Augenlidrande)  läuft  und  so 
weit  als  möglich  von  ihm  entfernt  ist,  damit  Haut  und  Anheftung  des  Lap- 
pens erspart  werde.  Man  fängt  ihn  in  der  Mitte  des  Lides  an  und  führt 
ihn  von  da  nach  aussen  und  dann  nach  innen  über  das  ganze  Lid.  Die 
Haut  lässt  man  nun  auseinanderziehen,  und  trennt  das  Zellgewebe  und  den 
Kreismuskel  bis  zur  Conjunctiva,  welche  nicht  verletzt  werden  darf.  Hat 
der  Muskel  nicht  gelitten  und  kann  er  erhalten  werden ,  so  ist  dies  für  dir, 
Beweglichkeit  des  neuen  Augenlides  sehr  wichtig.  Für  das  obere  Augenlid 
bildet  FricJce  nur  den  Hautlappen  aus  demjenigen  Theile  der  Stirnhaut,  der 
sich  etwas  nach  aussen,  2  Linien  oberhalb  des  Orbitalrandes,  befindet;  der 
Genauigkeit  wegen  kann  der  Wundarzt  eine  Messung  der  auszufüllenden 
Wunde  vornehmen;    auch  muss  der  Lappen  wegen  der   später  eintretenden 


284  BLEPHAROPLASTICE 

Zusammenziehung  1  Linie  länger  und  breiter  seyn ,  als  die  Wund«.  Die 
Haut  wird  sorgfaltig  und  so  bis  zum  Muskel  auf  beiden  Seiten  getrennt, 
dass  ein  Schnitt  in  den  andern  fallt,  und  dann  wird  sie  von  dem  Muskel 
bis  auf  die  nach  unten  liegende  Gr\indfläche  des  zu  bildenden  Lappens  ab- 
gelöst. Sollte  der  Hautlappen  noch  nicht  ohne  Zerrung,  Umschlagnng  oder 
Faltenbildung  der  Haut  in  das  Augenlid  eingepasst  werden  können .  so  muss 
der  äussere  Hautschnitt  noch  etwas  weiter  nach  aussen  geführt  werden. 
Nachdem  nun  dieser  Hautlappen  gebildet  ist,  besteht  noch  eine  Hautbrücko 
zwischen  dem  innern  Schnitte,  der  den  Lappen  bildet  und  dem  äussern 
Winkel  der  Wunde,  die  in  das  Augenlid  gemacht  ist.  Diese  Hautbrücke 
niuss  durchschnitten  und  ein  so  grosses  Stück  Haut  weggenommen  werden, 
dass  hierauf  der  Hautlappen  ganz  genau  in  den  dadurch  entstandenen  Zm- 
schenraum  passt.  —  Für  das  untere  Augenlid  wird  das  Hautstück  an  der 
äussern  Seite  des  Augenlids  in  derselben  Entfernung  und  Richtung ,  wie 
beim  obern,  von  der  Wange  genommen  und  der  Lappen  ganz  auf  dieselbe 
Weise  gebildet.  Die  Blutung  wird  durch  Abtupfen  und  Bespritzen  mit  kal- 
tem Wasser  gestillt  und  der  Lappen  durch  die  Knopfnaht  befestigt.  Die 
ersten  Hefte  werden  am  äussern  Winkel  angefangen  und  dann  der  obere 
Rand  zuerst,  später  der  untere  befestigt,  damit  die  durch  die  Nadelstiche 
entstehende  Blutung  leichter  gestillt  werden  könne.  Am  obern  Rande  sind 
stets  8 — 10,  am  untern  6  —  8  Hefte  nöthig.  Dann  wird  das  Augenlid  ge- 
schlossen und  locker  mit  Charpie  und  Heftpflaster  bedeckt.  Die  äussere 
Wunde  wird  mit  in  Öl  getauchter  Charpie  belegt.  Nacli  48  Stunden  wer- 
den, nachdem  die  Vereinigung  stattgefunden  hat,  die  Fladen  entfernt  und 
durch  schmale  Heftpflaster  ersetzt.  Bei  beträchdiclier  Geschwulst  dienen 
Umschläge  von  Aq.  Goulardi.  Haben  einzelne  Stellen  sich  nicht  vereinigt, 
so  werden  sie  mit  einer  reizenden  Salbe  (^Untjueut.  n'ujrum,    Friclc^  verl)un- 

»  den  und  in  10 — 18  Tagen  wird  die  Heilung  vollkommen  geschehen  seyn. 
Eine  neue,  sehr  vortheilhafte  Methode  der  ßlepharoplastik  ist  die  von  IHef- 
fenhnch  (s.  C<tS))cr''s  Wochenschrift  d.  gcs.  Heilk.  1835,  Nr.  1,  und  v.  Am- 
mon's  Zeitschrift  für  Ophthalmologie,  1833,  Bd.  IV.  S.  428  u.  468),  wo- 
durch Augenlider  gebildet  werden,  die  den  natürlichen  weit  äiinlicher  sind, 
als  durch  jede  andere  Methode.  Diefl'enhiuh  beginnt  bei  dem  Wiederersatze 
eines  verloren  gegangenen  untern  oder  obern  Augenlides,  nachdem  er  die 
bei  solchen  Palpebris  gewöhnlich  klappenförniig  zurückbleibende  oder  sich 
klappenförmig  erzeugende  Conjunctiva  i)alpebralis  mittels  eines,  nach  der 
Richtung  des  obern  oder  untern  Orbitalrandes  geführten  Schnittes  getrennt, 
abgelöst  und  nach  dem  Bulbus  zu  aufgeklappt  hat,  damit,  ein  dreiecki- 
ges Hautstück,  dessen  Basis  jedesmal  am  Auge  ruhet,  während  die  Spitze 
desselben  die    entgegengesetzte  Richtung    nimmt ,    mittels   eines   feinen  Mes- 

^  sers  abzutragen.  Durch  diesen  triangulären  Ausschnitt  der  Haut  wird  der 
Platz  gewonnen,  wo  das  neue  Augenlid  seine  Stelle  erhalten  soll.  Bei  die- 
sem Theile  der  Operation  ist  es  Hauptaufgabe,  so  viel  als  möglich  bei  der 
Abtragung  der  Haut,  die  hier  in  grosser  Menge  liegenden  wichtigen  Ner- 
venverzweigungen  zu  schonen.  Lst  dieser  Vorbereitungsact  vollzogen ,  so 
führt  man  bei  der  untern,  wie  bei  der  obern  .Augenlidbildung  einen  hori- 
zontalen Hautschnitt  über  den  Proc.  zygomaticus  in  der  Richtung  oberhalb 
des  Meatus  auditorius  externus ,  der  da  beginnt,  wo  der  Canthus  externus 
palpebrarum  seyn  würde,  wenn  nicht  dort  jetzt  in  Folge  der  Hautabtra- 
gung die  äussere  Seite  der  Basis  der  triangulären  Hautwunde  sich  befände. 
Dieser  Horizontalabschnitt  muss  breiter  seyn,  als  die  grösste  Ausbreitung 
der  Augenlidspalte,  da  gerade  hier  der  Haupttheil  abgetrennt  werden  muss, 
der  den  Rand  des  zu  bildenden  Augenlides  abgeben  soll.  Von  dem  äusser- 
sten  Punkte  dieses  Schnitts  ist  nun  bei  der  untern  Augenlidbildung  abwärts, 
bei  der  obern  Augenlidbildung  aufwärts,  parallel  mit  der  äussern  Seite  des 
triangulären  Hautschnitts  ein  Schnitt  zu  führen ,  dessen  Ende  in  einer  Linie 
mit  der  Spitze  des  triangulären  Hautverlustes  steht.  Hierdurch  sind  die 
Grenzen  des  Hautlappens  gebildet,  welcher  verpflanzt  werden  soll  und  da.« 
«reue  Augenlid  bilden  wird.      Veruüttclst   leichter  und  feiner  Messerzüge  i*t 


BLEPHAKOPLEGIA  —  BLEPHAROSPASMUS    285 

jetzt  der  zu  verpHanzende  Hauttheil  nach  seinem  Zusammenhange  mit  den 
allgemeinen  Bedeckungen  hier  von  der  ganzen  untern  Fettlage  zu  trennen, 
■wobei  s«hr  auf  S<:honung  der  hier  so  zahlreich  liegenden  feinen  Nervenver- 
zweigungen zu  sehen  ist.  Es  befindet  sich  dieser  Hautlappen  bei  der  Bil- 
dung des  untern  Augenlids  nach  unten  und  aussen,  bei  der  Bildung  des 
obern  Augenlids  nach  oben  und  aussen.  Ist  die  Blutung  gestillt,  so  reinigt 
man  die  innere  Fläche  des  zu  verpflanzenden  Hautlappens  von  allem  Blut- 
coagulum ,  und  verrückt  denselben  so  von  aussen  nach  innen,  dass  man  beim 
untern  Augenlide  die  innere  Seite  des  überzuptlanzenden  Lappens  ganz  her- 
über an  die  Schnittfläche  schiebt,  sc  dass  derselbe  den  früher  gemachten 
Hautverlust  gänzlich  ersetzt.  Am  obern  Augenlide  geschieht  dies  in  dersel- 
ben Art.  Der  von  aussen  nach  innen  gerückte  Hautlappen  deckt  das  Auge 
nun  auf  eine  so  natürliche  Art,  dass  man  das  neugebildete  Augenlid  einem 
wirklichen  ganz  ähnlich  findet.  Die  Anheftung  des  herübergezogenen  Haut- 
lappens geschieht  zuerst  am  Innern  Augenwinkel  mittels  der  Knopfnaht. 
Hierauf  wird  die  vorhandene  und  abgetrennte  Conjunctiva  mittels  feiner 
seidener  Nähte  an  die  Tarsalseite  des  neuen  Augenlides  angesäumt,  und  nun 
befestigt  man  letzteres  an  der  Innern  Fläche  durch  Dieifenbach'sche  Nadeln. 
Der  äussere  Augenwinkel  wird  durch  keine  Naht  befestigt,  sondern  man 
legt  den  äussern  Theil  des  hinübergeschobenen  Lappens  hier  nur  an.  Der 
zur  Seite  des  untern  oder  obern  Augenlides  befindliche  trianguläre  Substanz«- 
verlust  wird  mit  Charpie  und  Heftptlasterstreifen  bedeckt.  Bildet  sich  im 
Verlauf  der  Behandlung  eiterige  Absonderung,  so  hat  diese  beim  untern  Au- 
genlide am  VVundrande  ihren  Abfluss.  Die  Heftpflasterstreifen  müssen  so 
angelegt  werden,  dass  sie  die  neugebildete  Augenliddecke  naturgemäss  am 
Bulbus  erhalten.  Die  Nachbehandlung  ist  die  gewöhnliche.  Durch  kalt« 
Umschläge  muss  die  Vitalität  des  Lappens  auf  der  Stufe  erhalten  werden, 
welche  eine  baldige  plastische  Anklebung  erwarten  lässt.  Bieffenhach  hat 
sowol  in  Paris ,  als  auch  in  Dresden  diese  Operationsmethode  mit  Glück 
verrichtet,  und  v.  Amnion  hat  sich  in  ».  Zeitschrift  für  Ophthalmol.  1835.. 
Bd.  IV.  Hft.  3.  u.  4.  durch  Versinnlichung  der  Operation  mittels  guter  Ab- 
bildungen verdient  gemacht, 

Blep]iarople§^ia ,  JBlepharoptosis  parahjticn ,  Augenliderläh- 
mung. Das  Augenlid  hängt  hier  herunter  (^Ptosis)  wegen  absoluter  Schwä- 
che des  Muse,  levator  palpebrarum.  Ursachen.  Quetschungen  des  Auges, 
Druck  durch  Balggeschwulst ,  vorhergegangener  Blepharospasmus ,  Vitium 
congenitum,  Apoplexie  bei  Greisen,  Chlorosis,    allgemeine  Laxität  des  Kör- 

Eers,  Cur,  Man  exstirpire  die  Balggeschwulst,  lasse  Einreibungen  von 
Fnguent.  nervin,  in  die  Augengegend  machen ,  wende  aromatische  Kräuter, 
mit  Wein  infundirt ,  an ,  in  chronischen  Fällen  Douche  des  Auges ,  Elektri- 
cität.  Ist  das  Übel  Symptom  halbseitiger  Lähmung,  dann  inneulich  Antipa- 
ralytica:  Nux  vomica,  Phosphor,  Arnica  etc.  und  äusserlich  Elektricität, 
Acu-  und  Elektro punctur;  auch  folgende  antiparalytische  Pillen  sind  hier 
sehr  wirksam :  I^  Gumm.  nmmoniaci ,  —  galbnni,  Resin.  guajnc.  nntiv.,  Aloes 
succotr. ,  Sapon.  medicat.  ana  5J3 ,  Ol.  pyro  -  carhonici  §|^,  M.  f.  pil.  pond. 
gr.  jj.  S.  Dreimal  täglich  10 — 15  Stück  (Lwcns).  Auch  Arnica,  Kampher, 
Ol.  animale,  Empl.  caustic.  auf  den  Processus  mastoideus  werden  gelobt. 

ISlepharoptosis ,  Herabsinken  des  Augenlides  wegen  Lälv- 
mung  (^Jitepharople(jin),  oder  Krampf  (^Blepharospasmus^,  s.  diese  Artikel  und 
Prolapsus  palpebrae. 

Blepharospasmus ,  Ptosis  spastica ,  Augenliderkrampf- 
Symptome.  Anhaltende,  unwillkürliche  Zusammenziehung  des  Muse,  orbi- 
cularis,  lästiger  Druck  auf  den  Augapfel,  erweiterte  Pupille,  nicht  selten 
halbseitiges  Kopfweh,  völliges  Verschliessen  des  Auges,  wenigstens  periodisch. 
Das  Übel  ist  oft  recht  langwierig,  dauert  Wochen,  Monate.  Ursachen- 
Heftige  Erkältung  des  Kopfs  durchs  Hutabnehmen;  kaltes  Waschen,  Hyste- 
rismus, Amblyopia  amaurotica.  Cur.  Äusserlich  Sublimat  (  gr.  j  auf  ^iv 
Aq.  rosar.  mit  Sjj  Extr.  opii  aquos.),   Elektricität,   ein  Erapl.  fenestr.  mit 


286       BLESTRISMUS  —  BORBORYGMI 

Lap.  ca\ist.  zwischen  den  Winkel»  des  Unterkiefers  und  dem  Process.  ma-" 
stoid.  der  leidenden  Seite,  worauf  der  Brandschorf  mit  Digestivsalbe  ver- 
bunden und  die  Stelle  lange  in  Eiterung  erhalten  wird.  Bei  Hysterismus 
innerlich  Antihysterica,  bei  Erkältung  Kampher,  in  chronischen  Fällen  auch 
alle  Abende  gr.  jj — jjj  Herb,  belladonnae  iHimhj). 

BlestrismuiBi ,  s.  Astasia. 

BombuSj  Ohrensausen,  s.  Enechema. 

Borboryg^ini ,  Leib  kollern,  Knurren  im  Leibe.  Ist  ein  ge- 
wöhnliches Symptom  bei  dyspeptischen  Beschwerden,  Colica  flatulenta  etc. 
Häufig  gehen  Borborygmi  einer  Diarrhöe  vorher,  selbst  der  Cholera  orien- 
talis.  Bei  hartnäckigen  Durchfall  und  Tympanitis  sind  sie  ein  schlimmes 
Zeichen  (^HufeJanit).  Eine  zu  starke  Luftentwickelung  im  Darmcanal  (^Pneu- 
7nntosis  intestinalis^  ist  die  nächste  Ursache  der  Borborygmen ,  sowie  der 
Ructus  und  Flatus.  Diese  Darmpneumatose  ist  ein  constantes  Symptom  in 
der  Cholera,  das  man  aber  eben  so  wenig  seiner  Wichtigkeit  nach  genug 
gewürdigt  hat  als  die  Darmpneumatose  überhaupt,  so  dass  man  nicht  einmal 
genug  die  Gasarten  kennt,  aus  denen  jene  Luft,  bald  mehr  bald  weniger, 
besteht.  Dass  ein  abnormer  Zustand  der  Luftentwickelung  im  Magen  imd 
den  Gedärmen  nur  in  die  Pathologie  gehöre,  die  Pneumatose  an  sich  aber 
nicht,  so  lange  sie  das  Mass  und  die  natui-gemässe  Qualität  nicht  überschrei- 
tet und  verändert  —  denn  die  entwickelte  Luft  erzeugt  keine  Beschwerden, 
sondern  ihre  verhinderte  Ausscheidung  — ,  dass  selbst  Luft  zur  Verdauung 
nothwendig  sey  und  den  Motus  perlstalticus  begünstige,  ist  bekannt.  Hier- 
auf stützt  sich  ja  auch  die  Thatsache,  dass  man  durch  Lufteinblasen  in  den 
Mastdarm  durch  sogenannte  Luftkl  ystier  e  selbst  die  hartnäckigste  Lei- 
besverstopfung heben  kann ,  wie  dieses  die  Erfahrungen  King^s  und  Charles 
Fcudes  gegen  Ileus  bestätigt  haben  (s.  Behren(Vs  Repertor.  d.  medic.  chir. 
Journalistik  des  Auslandes  1831.  Decbr.  S.  S05).  Auch  bei  Hernia  incarce- 
rata  schlage  ich  dieses  Mittel  vor.  —  Je  unmässiger  der  Mensch  im  Essen 
und  Trinken  lebt  und  je  schwächer  seine  Digestionskraft  ist ,  je  mehr  der 
Darmcanal  an  Trägheit,  Torpor  leidet  und  je  spastischer  die  Körperconsti- 
tution  ist,  desto  mehr  entwickelt  sich  Luft  im  Darmcanal,  die  quantitativ 
und  qualitativ  von  der  gewöhnlichen  Darmluft  abweicht,  die  vorzugsweise 
aus  Azot  und  Hydrogen,  auch  aus  Kohlensäure  besteht.  Chevreul  und  Ma- 
gendie  (Annal.  de  Chimie  et  de  Physique.  1816)  analysirten  im  J.  1814  u. 
1815  cliemisch  die  Darmluft  eines  Verbrechers,  der  nach  einem  massigen 
Genüsse  von  Brot,  Käse  und  Wasser  zwei  Stunden  vor  der  Untersuchung 
hingerichtet  worden  war.  Der  Magen  enthielt  11  Vol.  Oxygen,  71,45  Azot, 
3,55  Hydrogen,  14  Kohlensäure.  In  den  dünnen  Gedärmen  waren  20,08  Azot, 
65,53  Hydrogen,  24,39  Kohlensäure.  In  den  dicken  Därmen  fanden  sich: 
51,03  Azot,  5,47  KohlenwasserstofFgas ,  43,50  Kohlensäure  und  einige  Spu- 
ren von  Schwefelwasserstoffgas.  Bei  einem  zweiten  Verbrecher  unter  glei- 
chen Verhältnissen  fand  Magcndie  im  Magen  kein  Gas,  und  im  Darmcanal 
ein  quantitativ  ziemlich  abweichendes  Verhältniss.  Bei  einem  dritten,  der 
vor  seinem  Tode  Rindfleisch,  Brot  und  Linsen  gegessen,  auch  Rothwein 
getrunken  hatte,  fand  derselbe  in  den  dünnen  Gedärmen:  66,60  Vol.  Azot, 
8,40  Hydrogen,  25  Kohlensäure,  im  Blinddarm  dagegen:  67,50  Azot,  7,59 
Hydrogen,  12,50  Kohlensäure ,  und  12,50  gekohltes  Wasserstoffgas ;  und  im 
Mastdarm:  45,96  Azot,  11,18  Kohlenwasserstoffgas,  42,86  Kohlensäure;  die 
dicken  Gedärme  enthielten  ziemlich  viel  Schwefelwasserstoffgas.  Nach  P.  F. 
dievillot  (s.  Behrendts  Repertor.  d.  ausl.  med.  chir.  Journalistik.  1833.  Decbr. 
S.  263)  hat  Jnrine  die  Gasarten  bei  Menschen  zuerst  analysirt.  Seine  Schrift 
darüber  wurde  im  J.  1789  von  der  medicinischen  Gesellschaft  gekrönt.  Auch 
er  fand  als  den  vorherrschendsten  Bestandtheil  die  Kohlensäure.  Obgleich 
die  mit  den  genos.senen  Nahrungsmitteln  eingeschluckte  Luft  Antheil  an  der 
Luft  im  Darmcanal  hat;  so  würde  es  doch  höchst  einseitig  seyn,  die  nor- 
male wie  die  abnorme  Darmpneumatose  nur  allein  davon  abzuleiten.  Nach 
genauen  Untersuchungen   kann  man  zwei  Arten   der  nach   tmten  abgehenden 


BORBORYGMI  287 

Blähungen  unterscheiden.  Die  eine  geht  vom  Magen  aus  rasch  durch  den 
dünnen  Theil  der  Gedärme  hindurch  zum  Dickdarm,  und  durch  diesen,  wenn 
weder  KraHi[>f,  noch  Obstructio  alvi  den  Weg  versperren,  aus  dem  Körper, 
und  zwar  noch  während  der  Vorbereitung  des  Speisebreies  im  Magen.  Hier 
ist  der  reichliche  Genuss  von  blähenden  Speisen  Schuld;  diese  Blähungen 
bestehen  vorzüglich  aus  Kohlensäure  und  Stickgas,  sind  daher  nicht  beson- 
ders stinkend.  Die  andere  Art  Blähungen  erzeugt  sich  erst  später  im  Dick- 
darm unter  gleichzeitiger  Anhäufung  der  dahin  geworfenen  Excremente. 
Hierbei  ist  die  Leberfuuction  von  grossejn  Einliuss.  Sie  stinken  bedeutend, 
bestehen  aus  gekohltem  und  geschwefelten  Wasserstoffgas  und  brennen  da- 
her, wenn  man  ihnen  ein  Licht  nahe  bringt,  mit  bläulicher  Flamme.  Bei 
sehr  schwacher  Verdauung,  bei  Gewohnheitstrinkern  enthalten  sie  auch 
Phosphorgas ,  welches  in  einzelnen  Fällen  wahrscheinlich  den  ersten  Impuls 
zur  spontanen  Verbrennung  des  menschlichen  Körpers  gegeben  hat  (s.  John's 
ehem.  Tabellen  des  Thierreichs  S.  35.  Pierer^s  Anatom,  physiolog.  Realwör- 
terbuch Bd.  I.  S.  780).  Bei  heftiger  Colica  ilatulenta,  entstanden  durch 
Erkältung,  Ärger  etc. ,  bemerken  wir  im  Darmcanal  der  Kranken  eine  grosse 
Quantität  schnell  entwickeltier  Luft,  selbst  des  Morgens,  bei  nüchternem 
Magen ,  bei  Menschen ,  die  binnen  10  Stunden  gar  keine  Speise  oder  Ge- 
tränk zu  sich  genommen  und  an  den  vorhergegangenen  Tagen  höchst  massig 
gelebt  und  durchaus  keine  blähende  Kost  genossen  haben.  Hier  entwickelt 
sich  das  Gas  bestimmt  aus  der  Säfteraasse  während  jenes  Processes,  durch 
dessen  Hülfe  die  Secretionen  im  Darmcanal  und  die  active  Kothbereitung 
von  der  Norm  abweichen.  Um  aber  das  Pathologische,  das  in  so  vielen 
Krankheiten  mit  Darmpneumatose  zu  wenig  zeither  beachtet  worden  ist, 
wovon  nur  Strahl  eine  Ausnahme  macht  (vergl.  Asthma  nocturnum), 
näher  zu  würdigen,  mag  hier  das  Physiologische,  die  Function  des  Darm- 
canals  bei  Gesunden ,  ein  wenig  betrachtet  werden.  Der  Magen  und  Oeso- 
phagus bilden  nach  meiner  Ansicht  das  Ingestionsorgan,  der  Blinddarm 
dagegen,  als  sein  Gegensatz,  mit  den  dickern  Därmen  (Colon,  Rectum) 
consütuirt  für  diese  Darmcanalfunction  das  Egestionsorgan;  der  dünnere, 
sich  durch  seinen  Bau  und  seine  Eigenheiten  eben  so  vom  Magen  als  dem 
gesammten  Dickdarm  auszeichnende  Darmcanal  aber  liegt  zwischen  beiden 
als  ein  intermediäres  Gebilde,  dessen  obere  Hälfte  (Duodenum  und  Jejunum) 
noch  den  überwiegenden  Charakter  der  Ingestion,  dessen  untere  hingegen 
(lleum)  schon  überwiegenden  Charakter  der  Egestion  hat.  Eine  Grenze 
'/.wischen  beiden  Hälften  kann  nicht  unterschieden  werden ;  die  Indifferenz 
zwischen  In-  und  Egestion  liegt  indessen  in  demjenigen  Theile,  der  gleich 
weit  A'om  Magen  und  Blinddarm  entfernt  ist.  Dieser  Punkt  ist  in  pathologi- 
scher Hinsicht  wichtig,  indem  er  bald  mehr,  bald  weniger  vorherrschende 
Egestion  und  mit  ihr  stärkere  Entwickelung  von  Gasarten  zeigt,  wobei 
<lenn  der  alienirte  Nerveneinfluss  des  Nervus  vagus  und  sympathicus  maxi- 
mus,  dienend  zur  Secretion,  gleichviel,  ob  es  Fluida  oder  Gasarten  sind, 
sowie  die  abnorme  Function  der  Lymphgefässe  und  der  Venen  mit  ihrer 
Einsauginigskraft  nicht  zu  übersehen,  und  endlich  auch  der  sonstige  physi- 
sche Bintluss,  den  verschiedene  Fluida  unter  gewissen  Temperaturgraden 
erleiden  ,  mit  in  Anschlag  zu  bringen  ist.  Dieser  Gegenstand,  bedarf  noch 
zahlreicher  und  genauer  Untersuchungen ,  und  das  Pathologische  muss  auch 
hier,  wie  in  so  manchen  andern  Fällen,  für  das  Physiologische  noch  vieles 
aufklären.  Berücksichtigen  wir  die  Ursachen  der  Luftansammlungen  im  Zell- 
gewebe (Emphysema,  Sarcites  flatuosus),  welche  häufig  eben  so  wie  die 
Luftansammlungen  in  den  Höhlen  des  Körpers  nur  etwas  Symptomatisches 
siiid ,  das  sich  im  leichten  Grade  periodisch  schon  bei  heftigen  Anfallen  der 
Hysterie  zeigt,  wo  denn  die  Gasentwickelung  oft  schnell  entsteht  und  schnell 
verschwindet,  je  nachdem  der  Krampf  auftritt  oder  gehoben  ist,  und  die 
Säfteraasse  die  Luft  ausscheidet  oder  die  einsaugenden  Gefässe  sie  wieder 
resorbiren ;  — •  so  werden  wir  finden ,  dass  theils  innere  allgemeine ,  theils 
äussere  örtliche,  bald  mehr  biochemische,  bald  mehr  mechanische  Ursachen 
an  solcher  Pneumatose  Schuld   sind.      So   entsteht  der  Meteovismns  in  bös- 


288  BOTHRIOCEPHÄLUS  —  BRANCHUS 

artigen  Fiebern  durch  den  zu  geringen  NerTeneinfluss,  durch  allgemeine 
Schwäche  der  Nervenkraft  und  durch  daher  erfolgten  vorherrschenden  Che- 
mismus der  Säfte:  Neigung  des  Blutes  zur  Sepsis,  CoUiquatJon.  Es  ist  eino 
Casentwickelung,  welche  jeder  sich  der  faulen  Gährung  nähernde  Process 
zum  Begleiter  hat.  Die  wahre  Trommelsucht  ist  häufig  nur  das  Symptom 
von  Hydrops,  Melas  icterus  mit  gestörter  Digestion  und  einem  hohen  Grade 
von  Adynamie,  und  das  Emphysematische,  welches  wir  bei  localer  Gangrän 
so  häufig  wahrnehmen  (auch  nach  der  Electropunktur )  entsteht  duich  die- 
selben örtlichen  Ursachen,  die,  wenn  sie  allgemeiner  wirken,  in  Faulfiebern 
den  Meteorismus  erregen.  Nehmen  wir  das  Emphysema  pectoris  und  den 
Physocephalus,  die  zuweilen  allein  Folge  mechanischer  Verletzungen  sind, 
aus;  so  müssen  wir  einräumen,  dass  das  Emphysema  cellulare  universalo 
meist  nur  auf  chemischen  Wege  in  Folge  bedeutender  Säfteverderbniss  ent- 
steht. Der  Zellstoff  in  der  Mucosa  des  Darmcanals  dient  vorzüglich  zur 
Einsaugung  von  Flüssigkelten  bei  Menschen  und  Thieren  (s.  Tiedeinanris 
Physiologie  Bd.  I.  S.  226)  ;  er  leidet  bei  allen  spastischen  Übeln ,  bei  de- 
nen Verminderung  des  Turgor  Aitalis  der  Haut  wahrgenommen  wird,  eben 
so  wie  der  Zellstoff  unter  der  Haut ,  w eil  hier  der  lebendige  norm.ale  Ner- 
veneinfluss  mangelte  und  der  eigentliche  Sitz  des  Krampfes  ist  das  Zellge- 
webe (s.  Spasmus).  Hieraus  erklärt  es  sich,  wie  abnorme  Gasentwicke- 
lungen in  allen  Theilen  des  Körpers,  ja  selbst  im  Blute  (s.  Spitln,  Die  Lei- 
chenöffnung etc.  S.  255 — 279.),  vorzüglich  aber  im  Darmcanal  entstehen 
können  (im  Blute  besonders  nach  Verblutungen ,  starken  Aderlässen) ,  ohne 
dass  der  Genuss  von  Nahrungsmitteln  Schuld  wäre.  Im  Darmcanal  müssen 
diese  Gasentwickelungen  um  so  bedeutender  auftreten,  je  bedeutender  der 
vitale  Hautturgor,  im  Antagonismus  mit  dem  Turgor  des  Darmcanals,  der 
nun  vicariirt,  vermindert  ist.  Ist  diese  Pneumatose  in  den  Gedärmen  ein- 
mal da ,  so  können  die  Sauggefässe  des  Darmcanals  sicher  auch  Gasarten 
ins  Blut  führen,  die  dann  um  so  feindseliger  auf  letzteres  wirken,  je  gifti- 
ger sie  sind.  Dieser  Umstand  ist  bei  Cholera  orientalis,  wo  Borborygmi  so 
bedeutend  stark  und  als  erstes  und  constantes  Symptom  bemerkt  werden, 
bis  jetzt  noch  nicht  gehörig  gewürdigt  worden.  Wichtig  ist  hier  die  Unter- 
suchung der  Frage:  Auf  welche  Weise  entwickeln  sich  in  der  morgenländi- 
schen Brechruhr  die  Gasarten  im  Darmcanal  ?  woraus  bestehen  sie,  und  wie 
kann  man  ihren  nachtheiligen  Wirkungen  aufs  Blut  am  besten  vorbeugen? 
Diesen  Gegenstand  habe  ich  bei  dem  Artikel  Cholera  orientalis  weitläuftiger 
erörtert;  daher  ich  hier  nur  noch  der  guten  Wirkungen  des  kaustischen 
Ammoniums  gedenke,  das  die  aus  Kohlensäure  und  Schwefelwasserstoff  be- 
stehenden schädlichen  Gasarten  des  Darmcanals  nicht  allein  chemisch  zer- 
setzt, sondern  gleichzeitig  noch  dadurch  so  wohlthätig  in  der  Cholera  wkkt, 
dass  es  das  so  sehr  gesunkene  Nervenleben  kräftig  bethätigt. 

Botliriocephalusr,  der  Grubenkopf.  Ist  eine  Art  Bandwurm, 
8.  Helmint  hiasis. 

Botlirion»  kleines  Hornhautgesch\vür,  s,  Ulcus  corneae. 
Botryon,  Traubenauge,   s.  Staphyloma, 

Bracliypnoca»  Kurzathmigkeit.  Ist  ein  Symptom  bei  \'ielen 
Krankheiten,  bei  den  meisten  hitzigen  Fiebern,  bei  Pneumonia,  Phthisis  pul- 
monalis,  Asthma  etc.,   und  erfordert  die  Behandlung  des  Grundübels. 

Bradyecoia,  Schwerhören,  s.  Cophosis. 

BradyuiasesiSj  erschwertes  Kauen.  Ist  ein  Symptom  bei  Par- 
otitis ,  Glossitis ,  Trismus  im  niedern  Grade ,  bei  Krankheiten  der  Gelenk- 
köpfe der  Maxilla  inferior  etc. 

Bradypepsia,  Concortio  tarda,  langsame,  träge  Verdauung. 
Ist  ein  Zeichen  des  höhern  Alters,    der  Hypochondrie  etc. 

Brady,<^tiria,  beschwerlicher  Harnabgang,  s.  Rctentio  urinae. 
BraiicliuuSj  s.  Raucedo. 


BRONCHITIS  289 

Bronchitis;  Ani/ina  IronchuiJis  Stall,   Anffinn  pectoris  Seile,  (Pe- 
ripneumonitt    notim    bei    Huxham   und    Sifilenham) ,    Inflnmmatio    hromhiorum, 
Pleuritis  hnmida,  hronchiaUs,  Entzündung  der  Luftröhren  äste.     Die- 
ses Übel    ist   oft  übersehen    worden,    bis  Badham,    Hasttny,    P.  Frank   und 
Albers  vorzüglich    darauf  aufmerksam    machten    (s.  Hosting,    Abhandl.   über 
Eutz.  d.  Schleimhaut  d.  Lungen.     A.  d.  Engl.  v.  v.  d.  Busch.  Bremen  1822. 
Lorinser,  Lehre  v.  d.  Lungenkrankheiten.  Berlin.  1823.  S.  361  —  429.).     Es 
ist  eine  acute  Krankheit,  ein  wahres  Nebenstück  des  Croups ,  und  was  man 
unrichtig   Bronchitis  chronica  genannt    hat,    ist   wol   nur  Verwechselung  mit 
Phthisis  laryngea  und  trachealis  gewesen  (ff  jm?*/) ,  oder  ein  secundärer  Zu- 
stand in  Folge  der  Bronchitis  vera,  acuta.      Das    Übel   hat  Ähiili<;hkeit   mit 
Catarrhus  pulmonum ,    doch  leiden  hier    theils  die  tiefern  Theile   der  Lunge 
nicht  so  sehr,  theils  ist  diese  Krankheitsform  mehr  entzündlicher  Natur,  da 
hier  die  Broachialblutgefasse  heftiger  ergriffen  sind.     Aus  diesem  Grunde  ists 
auch  unrichtig,     wenn  Lnennec  das  Übel    Catarrhe   pulmonaire   nennt,    ob- 
gleich es  sich  nicht  leugnen  lässt,  dass  in  der  Praxis  Fälle  vorkommen,  wo 
ein    heftiger  Lungenkatarrh    und    eine  massig    starke    Bronchitis    kaum    dem 
Grade  nach  verschieden  erscheinen ,    auch  eine  und  dieselbe  Behandlung  er- 
fordern (iMosf).    Symptome  der  Bronchitis  vera,  acuta.  Die  Krank- 
heit befällt  sowol  Kinder,  als  Erwachsene,  complicirt  sich  zuweilen  mit  dem 
Croup  und  Keuchhusten,  Avoran  vorzüglich  heftige  Erkältung  Schuld  ist,  und 
erfordert  schnelle  und   kräftige   Hülfe.      Sie  beginnt   mit   einem  Gefühl   von 
Zusammenziehung,    von  Unbehaglichkeit  in  der  Brust,   die  Respiration  wird 
ängstlich,   unordentlich,  geschieht  mit  grosser  Anstrengung;    zugleich,    oder 
bald  darauf,  entsteht  Husten  ohne  Erleichterung,  anfangs  ohne  Expectora- 
tion,  meist  immer  trocken ,  zuweilen  feucht ,  ohne  dass  der  Auswurf  erleich- 
tert ;    der  Athem   hat  einen   eignen  pfeifenden  ,    krähenden  Ton ,    der  etwas 
Scharfes,    nichts   Rasselndes,    Schlotterndes   zeigt  und   nur   durch  den  Reiz 
entsteht.      Periodisch   kommen    des  Tages    einige   besonders  schwere  Anfälle 
von  Dyspnoe,  selbst  Orthopnoe,  wobei  die  Menschen  nicht  platt  liegen  kön- 
nen ,    sondern   sich ,    wie   bei  Croup   und  Hydrothorax ,    aufrichten    müssen  ; 
dabei  trockne  Haut,  harter  Puls,  sparsamer,  dunkler  Harn,  belegte  Zunge. 
Wird  das  Übel  nicht   binnen   den  ersten    sechs  Tagen    gehoben ,    so    sinken 
plötzlich  Puls  und  Kräfte,  es  entsteht  ein  sehr  copiöser  Auswurf,  kochendes 
Geräusch  auf  der  Brust,  am  Kopfe  stellen  sich  partielle  kalte  Schweisse,  an 
den  Gliedern  Kälte,  Zittern,  allgemeine  Convulsionen,  Delirien  und  meist  am 
achten,     neunten  Tage  Erstickungstod  ein.     Die  Section  zeigt  das  Lungen- 
parenchym weder    entzündet ,    noch   auf  andere  Art   pathologisch  verändert, 
aber  die  innere  Fläche  der  Luftröhrenästc  ist  roth,  entzündet  und  mit  eiter- 
ähnlicher Lymphe   bedeckt.      Ursachen.     Sind    dieselben    des  Croups  und 
der  Pneumonie.      Besonders   gehören    hierher    schneller    Temperaturwechsel, 
heftige  Nord-  und  Nordostwinde  im  Winter  und  Frühjahr,  krankhafte  Reiz- 
barkeit des   Respirationsorgans ,    das  Einathmen    scharfer  Dämpfe ,    wie    bei 
Goldarbeitern ,    Hutmachern.     Zuweilen   geht    die  Angina  laryngea  und  tra- 
chealis,  sowie  die  Pneumonie  in  Bronchitis  über;    auch  gesellt  sie  sich  mit- 
unter zu  Scharlach,  Pocken,  Masern,  zu  Keuchhusten.     Endlich  können  auch 
mechanische  Schädlichkeiten  :  Verwundungen,  Quetschungen,  das  Verschluk- 
ken fremder  Körper,    die  in   die  Luftröhre   gelangen,   sie   veranlassen.     Der 
Verlauf  des  Übels  ist  meist  rasch.     Wird  frühe  und  gute  Hülfe  versäumt, 
so  kann  schon   in   den  ersten  acht  Tagen   der  Tod   folgen ;    oft   dauert  die 
ganze  Krankheit  14  —  21  Tage.     Gute  Zeichen  sind  Nachlassen  der  Angst 
und  der  Brustbeklemmung,  freie,  erleichternde  Expectoration,  runder,  kug- 
liger  Auswurf,   Nachlassen  des  Fiebers,    allgemeiner  Schweiss,  dicker,  trü- 
ber Urin   mit  starkem   Bodensatz.     Schlimme    Zeichen   sind   das  Fehlen 
dieser  Krisen  am  achten  oder  neunten  Tage  der  Krankheit,   kalte,  klebrige 
Schweisse,  kalte  Glieder,  graue  oder  bläuliche  Gesichtsfarbe,  höchst  kleiner 
Puls,  der  äusserst  schnell,  ungleichmässig ,  aussetzend  ist,    hoher  Grad  von 
Dyspnoe,  lähmungsartiger  Zustand.     Diagnose.   Vom  Lungenkatarrh  unter- 
scheidet sich  das  Übel  durch  die  grössere  Heftigkeit  und  den  liaschern  Ver- 
Most Encyklopädie.  2te  Aufl.  l.  19 


290       BRONCHOCELE  —  BUBONOCELE 

lauf,  von  der  Pleuritis  dadurch,  dass  hier  1)  kein  stechender  Seitenschraerz, 
sondern  ein  allgemeines  Schmerzgefühl  in  der  Brust  da  ist ;  2)  dass  der 
Kranke,  ohne  den  Schmerz  zu  vermehren,  auf  beiden  Seiten,  aber  nicht 
platt  auf  dem  Bücken,  sondern  nur  vorwärts  gebeugt,  wie  bei  Brustvsasser- 
ßucht,  liegen  kann;  S)  dass  hier  der  AtUera  und  die  Stimme  pfeifend  sind, 
^as  bei  Pleuritis  fehlt;  4)  bei  Bronchitis  ist  der  Puls  nicht  so  hart,  als  bei 
Pleuritis,  der  Blick  des  Kranken  ist  indessen  ängstlicher,  aus  Furcht  vor 
Erstickung  (^Bndhmii).  Cur.  Man  fange  mit  einer  Venaesection  an,  und 
behandle  das  Übel  wie  Pleuritis  und  Angina  merabranacca;  lege  also  nach 
dem  Aderlass  ein  grosses  Vesicator  auf  die  Brust ,  mache  reizende  Fussbä- 
der,  gebe  Merc.  dulcis,  bei  schon  eingetretener  Schwäche  mit  Sulph.  aurat., 
Kampher,  Moschus,  Senega,  Arnica  etc. 

Bronchitis  asthenica.     So  hat  man  wol  die  Pneumonia  pituitosa  genann*. 

Bronchitis  caturrhaJis.  Ist  Catarrhus  bronchlorum.  Dass  ein  heftiger 
Lungenkatarrh  bei  plethorischen  Subjecten  in  die  wahre  Bronchitis  überge- 
hen könne,  ist  keinem  Zweifel  unterworfen. 

Bronchitis  chronica,  s.  Bronchitis. 

Bronchitis  epidemica.  So  hat  man  wol  den  Keuchhusten  genannt,  ». 
Tussis  convulsiva. 

Bronchitis  memlrnnacea.  Diese  Form  ,  -wobei  im  günstigen  Falle  durch 
die  Expectoration  eine  Menge  membranöser  Massen ,  in  Form  von  kleinen 
und  grössern  Röhrchen,  die  verzweigt,  in  Gestalt  eines  Bäumchens  zusam- 
menhangen, von  blasser  Rosafarbe  sind,  und  oft  durchsichtig,  wie  Bläschen 
erscheinen,  ausgehustet  werden,  ist  selten.  Fälle  der  Art  finden  wir  bei 
Morijagni  (De  sedib.  et  caus.  morbor.  T.  I.  p.  425),  Schmidtmnnn  (Summa 
observationum  ex  praxi  medica  triginta  annorum)  und  Malcz  (Magaz.  für 
Heilkunde  und  Naturwissenschaft  in  Polen  von  Dr.  Leo.  Warschau,  1828. 
1,  Jahrg.  3.  Hft.).  Seitenschmerzen,  kurzer  Athem,  Dyspnoe  und  nach  dem 
zehnten  Tage  die  beschriebene,  nicht  blutige  Expectoration  sind  die  Haupt- 
symptome. Der  Auswurf  dauert  oft  mehrere  Wochen.  Cur.  Zu  Anfang« 
streng  antiphlogistisch,  später  Expectorantia:  Merc.  dulc.  mit  Sulph.  aui'a- 
tum,  Senega,  äusserlich  Vesicatorien  u.  s.  \v. 

Bronchocele,  veralteter  Name  für  Kropf,  s.  Struma. 

Brondiotomia,  Eröffnung  der  Luftröhre,  s.  Laryngotomia. 

Bronchus,  Heiserkeit,  katarrhalische  Bräune,  s.  Angina  catar- 
r  h  a  1  i  s. 

Broussaiismus »  die  medicinlsche  Lehre  des  Broussais,  s.  Medi- 
cina. 

BrOMnaianismus,  die  medicinische  Lehre  des  J.  Brown,  s.  Medi- 
r  ina. 

Bryg^muS,  Stridor  dentinm,  Zähneknirschen.  Ist  ein  Symptom 
mancher  Krampfübel ,  der  Epilepsie ,  der  Apoplexie  etc.  Am  Ende  hitziger 
Fieber  ist  es  ein  böses  Zeichen.  Wenn  sonst  ge.sunde  Kinder  im  Schlafe 
mit  den  Zähnen  knirschen ,  so  hat  dies  meist  wenig  zu  bedeuten. 

Bnbo«  BiiJio  inijuinaUs ,  Panochia,  Buhonopmnis,  Camhuca,  eine  Lei- 
stendrüse, Bubo,  Pauke,  Scharabeule,  Drüsengeschwulst. 
Es  giebt  mehrere  Arten  Bubonen  wie  folgt: 

Bubo  nrthriticus,  s.  Arthritis. 

Bulo  metastnticus.  Als  Folge  von  acuten  Exanthemen,  Nerrenfiebern  etc. 

Bubo  pestilentialis,  s.  Anthrax  seu  Carbanculus. 

Bubo  scorbuticus ,s.  Scorbutus. 

Bubo  scrophulosii^ ,    s.  Scrophulosis. 

Bubo  venereus  idiopatidcus ,  primnrius  und  sytnpaihictts ,  consecutivm,  s. 
Syphilis. 

Bubonoeele»  Leistenbruch,  unrichtiger  jed«  Geschwulst  in  der 
Lci<iteiigegend.,    s.  Hernia  inguinalis. 


BUBONULÜS  -  CACHEXU  291 

BubonuliMf  Lymphgeschwulst  am  Penis.  Ist  zuweilen  begleitendes 
Symptom  des  Trippers,  s.  Gonorrhoea. 

Bucephalus,  der  Ochsenkopf,  ein  ochsenhorn förmiger  Einge- 
weidewurm;   s.  Helminthiasis. 

JBucnemia.  Ist  Anschwellung  eines  oder  des  andern  Unterschenkels. 
Mit  Unrecht  nennen  Einige  auch  so  die  Anschwellung  des  Oberschenkels 
(^Kraus). 

Bucnemia  sparganoticn.  So  nennen  Einige  die  weisse  Kniegeschwulst 
der  Wöchnerinnen.     S.  Phlegmatia  alba  dolens   puerperarum. 

Bulimia,  s.  Bulimos. 

Buliinos,  Buliniia,  Bttpina,  Appetitus  caninus,  Heisshunger,  s.  Appe- 
titus  raorbosus. 

Bupllthalinos (  Ochsenauge,  Elephantenauge.  Ist  Hervor- 
ragung und  Vergrösserung  des  Augapfels  durch  Hydrops ,  durch  Carcinom 
in  der  Orbita,  Verwundung  etc.,  ß.  Ophthalmoptosis,  Hydatis  glan- 
dulae  lacrymalis. 

Bupina,  s.  Bulimos. 

Bursa  sulicutaniCa  patellariSs  s.  Hygroma. 


C. 


CacaleXiteria«  Mittel  gegen  schlechte,  verdorbene 
Säfte,  gegen  Ansteckungen  etc. ,  also  solche  Mittel,  die  mehr  chemisch 
als  dynamisch  gegen  die  verschiedenen  Kachexien  und  Dyskrasien  gebraucht 
werden  und  in  welcher  Hinsicht  die  neuere  Chemie  ganz  besonders  einen 
wohlthätigen  Einfluss  auf  die  praktische  Heilkunde  gehabt  hat.  Ich  erin- 
nere hier  nur  an  die  herrlichen  Wirk\ingen  der  Übersalzsauren  Räucherungen 
nach  Guyton -Morue««,  gegen  typhöse  und  fauligte  Fieber,  an  die  grossen 
Wirkungen  des  Chlorkalks  und  Chlornatrums  gegen  Gangränescenz,  Hospi- 
talbrand ,  an  die  Mineralsäuren  gegen  CoUiquationen,  Scorbut,  Chlorosis,  an 
den  Schwefel  gegen  Mercurialkachexie ,  an  die  kaiischen  Mittel  gegen  Säure 
der  ersten  Wege  u.  s.  w. 

Cachexia,  Cacheiis.,  Status  cacJiectictis ,  übler  Gesundheits- 
zustand mit  auffallend  krankhaftem  Ansehn,  mit  Mangel  an 
Farbe  (^Achromasia').  Unter  diesem  Namen  begreifen  die  altern  Ärzte  alle 
diejenigen  chronischen  Krankheiten  der  Reproduction ,  welche  mit  schlechter 
Digestion,  Nutrition  und  Assimilation  verbunden  sind ,  und  Missfarbung,  Ent- 
stellung des  äussern  Habitus  zur  Folge  haben,  deren  Wesen  auf  abnormen 
Mischungsverhältnissen,  besonders  der  Säfte,  beruhet;  z.  B.  die  Hyperoxysis 
bei  Scropheln,  Rhachitis,  bei  Lithiasis  und  chronischen  ßlennorrhöen ,  bei 
Diabetes,  die  Hypercarbonisatio,  das  Übermass  von  Kohlenstoff  bei  Scorbut, 
paralytischen  Blutungen,  venöser  Dyskrasie,  Hämorrhoidaldyskrasie ,  Icterus 
hepaticus ,  Leberverhärtung ,  Gallensteinen ;  auch  die  Chlorosis ,  die  Mercu- 
rialkrankheit ,  der  Morbus  maculosus ,  die  Cyanosis ,  die  chronischen  Pete- 
chien gehören  unter  die  kachektischen  Übel  (s.  Dyscrasia),  sowie  die  Was- 
sersüchten, Phthisen,  Impetigines  etc.  Dass  diese  Krankheitseintheilung  eben 
so  mangelhaft  sey  als  die,  wo  die  Dolores  eine  Krankheitsciasse  abgeben, 
ist  bekannt.  Übrigens  rechnet  Sauvages  unter  die  Classe  der  Kachexien 
sechs  besondere  Ordnungen.  Bei  Celsus  ist  Kachexie  malus  corporis  hahittis. 
Die  Benennungen  Cacochymie,  Dyscrasie  und  Intemperies  stehen 
der  Kachexie  als  erläuternde  Synonyme  zur  Seite;  denn  die  krankhaften 
Veränderungen  der  organischen  Materie  in  chronischen  Übeln  sind  höchst 
verschiedenartig  und  mithin  eben  so  die  ihnen  zum  Grunde  liegenden  Leiden 
der  Reproduction  {Heclcer  in  Rusfs  Handb.  d.  Chirurgie  Bd.  III.   S,  842). 

19» 


292  CACHEXIA 

„Es  war  daher  nothwendig  —  sagt  Hecker  —  dem  weit  Terbrelteten  Be- 
griffe der  Kachexie  engere  Grenzen  zu  ziehen."  Daher  nannte  man  nur  die- 
jenigen chronischen  Krankheiten  kachektische,  in  denen  die  Zufalle  von  or- 
ganischer V^erderbniss  oder  Eiitmischiuig  der  Säfte  auffallender  liervorlreten, 
so  dass  sie  die  übrigen  Symptome  gewisserniassen  beherrsciien.  Hierin  fand 
aber  viel  Willkürlichkeit  statt ,  so  dass  nach  den  jedesmaligen  Theorien, 
mit  Vorbehalt  des  allgemeinen  Begriffs  von  kachektischer  Verderbuiss,  und 
indeU)  man  besonders  den  leukophlegmatischen  Zustand  im  Sinne  halte,  bald 
diese,  bald  jene  chronischen  Krankheiten  zur  Classe  der  Kachexien  gerech- 
net wurden.  In  den  systematischen  Handbüchern  der  IMedicin  zählt  man  eine 
grosse  Menge  Krankheiten ,  die  kaum  unter  einen  allgemeinen  Gesichtspunkt 
zu  fassen  sind,  zur  Classe  der  Kachexien,  namentlich  alle  Abmagerun- 
gen, Wasser  suchten,  Rhachitis,  Syphilis,  Scorbut,  Elephan- 
tiasis, Lepra,  alle  chronischen  Hautausschläge,  Gelbsucht, 
Weichselzopf,  Phthiriasis,  Bleichsucht  etc.  Hccler  statuirt  als 
besonders  wichtig  folgende  Arten:  1)  Cnchexin  abdominalis,  gnstrica. 
Hier  ist  das  Grundübel  ein  Leiden  der  Digestionsorgane,  und  zwar  entwe- 
der «)  ein  einfacher  chronisch -gastrischer  Zustand  im  Magen,  wie  in  dem 
übrigen  Darmcanale,  der  auf  fehlerhafter  Absonderung  der  Darmschleimhaut, 
Verschleimung,  Pyrosis,  krankhafter  Gallenabsonderung,  oder  auf  Schwäche 
der  Verdauung  beruhet;  oder  6)  Trägheit  der  Abdominaicirculatioa  ,  Phys- 
konien,  Anschoppungen,  atrabilarischer  Zustand,  dessen  Charakter  in  einem 
Vorwalten  des  Venensystems  ohne  organische  Verderbniss  besteht ;  oder  c) 
organische  Fehler  in  irgend  einem  zur  Verdauvuig  gehörigen  Organe.  Hier 
leidet  die  Nutrition,  die  Sanguification ;  die  Venosität  herrscht  vor;  daher 
Trägheit  aller  Functionen,  schmuzig  blasses,  erdfahles  Ansehn,  schlechtes 
Heilen  der  Wunden ,  späterer  Eintritt  der  Eiterung ,  Neigung  zu  Ulceration 
und  Gangrän  bei  solchen  Subjecten.  Das  einfache  Wundtieber  wird  leicht 
typhös.  Die  Geschwüre  nehmen  den  kachektischen  Charakter  an,  d.  h.  sie 
werden  kreisrund ,  ihr  zelliger  Grund  färbt  sich  weisslichgrau ,  wird  mehr 
speckähnlich,  die  Ränder  werden  schlalf,  zuweilen  auch  von  einem  rothen 
Hofe  umgeben ,  und  sie  heilen  ohne  Ausnahme  schwerer.  Die  gastrische 
Kachexie  ist  oft  der  Grund  von  Amblyopie,  Amaurose,  Mückensehen.  Der 
Wundarzt  muss  ohne  grosse  Noth  keine  Operation  bei  obwaltender  gastri- 
scher Kachexie  unternehmen,  sondern  letztere  vorher  beseitigen,  und  zwar 
durch  Evacuantia,  Resolventia:  Kalomel,  Kheum,  Salmiak,  später  Roboran- 
tia ,  Amara.  Die  gastrisch  -  atrabiläre  Kachexie,  beruhend  auf  Atrabilis,  In- 
farcten,  tritt  leicht  zu  inveterirter  Hämorrhoidalkrankheit  und  bleibt  sehr 
oft  nach  häutig  und  oft  überstandenen  Wechsel  fiebern  zurück.  Sie  begün- 
stigt Desorganisationen  der  Unterleibsorgane,  passive  Geschwülste,  hetero- 
loge  Pseudoorganisationen:  Scirrhen.  Häufig  folgen  auch  hartnäekige  Fuss- 
gesehvvüre  mit  varicösem  Ansehn  (s.  Ulcus  varicosum).  'Hier  passt  dio 
auflösende,  ausleerende  und  hinterher  stärkende  Methode  (s.  Infarctus). 
2)  ("nchexia  m^tfiriticH.  Bei  der  ausgebildeten  und  eingewurzelten  Gicht 
lassen  sich  die  materiellen  Veränderungen  im  Organismus,  das  Leiden  der 
Digestion,  das  Vorherrschen  des  phosphorsauren  Kalks  in  den  Säften,  der 
durch  Seh  weiss  und  Lfrin  kritisch  ausgeschieden  wird  oder  sich  in  den  Ge- 
lenken als  Gichtknoten  anhäuft,  nicht  verkennen.  Besonders  leicht  wird 
die  erbliehe  Gicht,  angeerbt  von  Seiten  der  Mutter,  zur  Kachexie.  Sie 
steht  mit  der  erblichen  Neigung  zu  tödtlichen  Blutungen  beider 
unbedeutendsten  Vei4etzung  in  olfenbarer  ursächlicher  Beziehung  (A^rtssc, 
Kicken} ,  und  es  hat  sich  daher  vor  allen  Mitteln  hier  der  (^eberthran  heil- 
,sam  bewährt  (s.  //.  ('fi.  Itichcn,  Neue  Untersuchungen  in  Betreff  der  erb- 
lichen Neigung  zu  tödtlichen  Blutungen.  F'rankf.  a.  M.  1829).  Ein  Mehrere« 
über  die  gichtische  Kachexie  und  jene  Blutungen  kommt  unter  den  Artikeln 
Arthritis,  Haem  o  rriiagi  a  iiaereditaria  und  Ulcus  arthriticura 
vor.  3)  ('nche.riit  imorln.  ,,Hier  sind  —  sagt  Hecker  —  die  Kriterien  ei- 
ner bestimmten  Kachexie  nicht  vorhanden ,  sondern  nur  ein  malus  corporis 
liitbitus,  <leu  man  im  gewöhnlichen  Leben  wol  mit  dein  Ausdrucke   „Such- 


CACOCHOLIA  —  CACOCHIMIA        293 

tigkeit"  zu  bezeichnen  pflegt."  Man  findet  hier  we4ler  bestimmte  Zei- 
chen der  gichtischen,  scrophulOsen ,  noch  einer  andern  Kachexie,  aber  den- 
noch heilen  Wunden  und  Gesclivvüre  scliwer,  und,  wenn  sie  einen  bedeu- 
tenden Umfang  haben,  in  der  Regel  nur  nach  dem  längern  Gebrauclie  sol- 
cher Mittel,  wodurch  eine  Umstimmung  des  ganzen  Körpers  bewirkt  wird. 
Hier  sind  die  Methodus  alteraas  und  evacuans  an  ihrem  Orte  (//ec^cr). 
4)  Cacheaeia  leprosa ,  durch  Lepra  alba,  rubra,  squamosa,  tuberculosa,  Ele- 
phantiasis; Einige  zählen  auch  die  durch  Pseudosyphilis  entstandene  Kachexie 
(Cachexia  syphiloidea)  hieher.  S.  Lepra.  5)  Cachexia  mercuriaUs.  S.  Sy- 
philis. 6)  Cachexia  rhachUica.  S.  Rhachitis.  7)  Cachexia  rhcumaticn. 
In  vielen  Fällen  ists  wol  nur  eine  Cachexia  arthritica,  oder  die  Folge  einer 
sog.  Arthritis  rheumatica,  deren  Producte  Tumor  albus  rheumaticus ,  Lymph- 
geschwülste  und  Augenentzündungen,  zumal  an  der  Sklerotika,  seyn  können; 
denn  der  acute  Rheumatismus  ist  mehr  eine  Krankheit  im  Dynamischen ,  als 
im  Materiellen  des  Organismus.  8)  Cachexia  scorhiitica.  Was  das  Faulfieber 
unter  den  acuten ,  das  ist  —  sagt  Hecler  —  der  Scorbut  unter  den  chroni- 
8chen  Krankheiten.  S.  Scorbutus,  Ophthalmia  scorbutica,  Ulcus 
scorbuticum.  9)  Cachexia  scrophulosa.  Es  ist  einseitig,  die  Ursache 
der  Scrophelkrankheit  allein  im  Lymphsystem  zu  suchen.  Die  Wurzel  des 
Übels  liegt  in  einer  fehlerhaften  Verdauung  und  Blutbereitung ,  wobei  die 
Function  der  Lungen  bei  dem  Einwirken  unreiner  Luft,  die  ein  mächtiges 
Moment  bei  der  Entstehung  der  Krankheit  ist ,  nicht  ausser  Acht  gelassen 
werden  darf.  Nach  HecJcer  ist  das  Leiden  des  Lymphsystems  bei  Scrophu- 
losis  mehr  ein  secundäres,  wenn  auch  in  seinem  Bereiche  die  auffallendsten 
Symptome:  Drüsengeschwülste,  tnberculöse  Entartungen  etc.  hervortreten. 
Ist  diese  Kachexie  im  hohen  Grade  zugegen,  so  treten  die  verschiedenen 
ßcrophulösen  Knochenleiden  hervor:  Paedarthrocace,  Caries,  Necrosis.  Auch 
HecTxcr  versichert,  was  auch  ich  oft  gefunden  habe,  dass  Leute,  die  in  der 
Jugend  stark  an  Scropheln  gelitten  haben,  im  Alter  leicht  von  Scirrhus  und 
Krebs  befallen  werden.  „Die  wichtigsten  Mittel  gegen  die  hartnäckige  Ca- 
chexia scrophulosa  sind  —  sagt  Hecler  —  die  gelinden  Quecksilber  -  und 
Spiessglanzmittcl,  Baryta  muriatica,  Conium  maculatum,  bittere,  zusammen- 
ziehende Arzneien,  zumal  Eichelkaffee,  und  zwischendurch  Abführungei\  und 
Bäder.  S.  Sero p hui osis.  10)  Cachexia  syphililica  ,  vcnerea.  Ist  die  se- 
cundäre  allgemeine  venerische  Krankheit  mit  ihren  Folgen.  S.  Syphilis. 
11)  Cachexia  syphiloidea.  So  nennt  man  jede  Kachexie,  die  in  ihren  Er- 
scheinungen mit  der  syphilitischen  Ähnlichkeit  hat,  wohin  die  Pseudosyphilis 
gehört  (s.  Syphilis  spuria).  Auch  die  Mercurialkrankheit  und  die  Sero- 
phelsucht  rechnet  Hecher,  obgleich  er  sie  doch  schon  unter  besonderer  Ru- 
brik aufgeführt  hat,  hieher  (s.  iJ?<s<'s  Handb.  d.  Chirurgie  Bd.  lil.  S  342 
bis  354.  Pet.  Bofjoslowsloy  ^  Diss.  de  Cachexia  generatim.  Berol.  18i26. 
Eisner,   Diss.  de  Cachexia  in  genere.  Beröl.   1818). 

Cacocilolia»  üble  Beschaffenheit  der  Galle,  z.  B.  bei  Icterus. 

Cacocbroea»  schlechte,  krankhafte  Hautfarbe,  z.  B.  bei 
Kachexien. 

Cacocitylia,  üble  Beschaffenheit  des  Näh  rungss  af  tes  , 
wie  z.  B.  bei  Atrophie ,  Scropheln  und  bei  vielen  andern  ^Krankheiten  der 
Digestionsorgane. 

Cacochymia,  Kakochymie,  schlechte  Beschaffenheit  der 
Säfte.  Die  Alten  verstanden  unter  diesem  Namen  besonders  eine  schlechte 
Beschaffenheit  des  Bluts,  worin  sie  bekanntlich  den  Grund  der  meisten 
Krankheiten  (nach  den  altern  Grundsätzen  der  Säftepathologie)  suchten,  ein 
Übermass  krankhafter  Säfte  darin ;  daher  sie  eine  Cacochymia  ulcerosa ,  bi- 
Hosa,  melancholica  (atrabilaris)  ,  acida,  salsa,  pontica,  serosa,  scrophulosa, 
scorbutica,  venerea  etc.  annahmen.  Dagegen  begriffen  sie  unter  Kachexie 
mehr  einen  äussern  krankhaften  Körperhabitus ,  entstanden  aus  der  Anlage 
zu  schlechten  Säften:  ein  bleiches,  gelbliches,  erdfarbnes  Gesicht,  einen 
leukophlcgmatiächen ,    ödeniatösen  Körper;   also   das  Gegenthcil  von  Eucxia, 


29-1  CACOGALACTIA  -  CACONYCHIA 

besonders  eine  Anlage  zn  Febris  lenta,  hectica,  Tabes  und  Hydrops.  So- 
mit bezeichnet  das  Wort  Kachexie  mehr  das  Generelle  und  Äussere  solcher 
chronischen  Krankheiten ,  das  Wort  Kakochymie  das  Specielle  und  Innere 
derselben,  d.  i.  die  eigentliche  Dyskrasie  oder  den  fehlerhaften  Zustand 
der  Säfte,  ein  höchst  wichtiger  Gegenstand  für  den  praktischen  Arzt,  be- 
sonders in  Betreff  chronischer  Übel  (s.  Krcysig ,  Prakt.  Krankheitslehrc  Th. 
I.  u.  II.  1818  —  1819). 

Cacogalactia.  Ist  bekanntlich  die  üble  Beschaffenheit  der 
Milch,  in  specie  der  Muttermilch,  wodurch  der  Säugling,  der  sie  geniesst, 
krank  wird.  Die  Milch  ist  entweder  1)  an  sich  gut,  aber  im  Verhältniss 
zum  Säugling  schädlich,  z,  B.  wenn  sie  zu  fett  fürs  Kind  ist,  wenn  eine 
Amme,  die  vor  mehreren  Monaten  niedergekommen,  ein  neugebornes  Kind 
Rtillt  (eine  häufige  Gelegenheitsursache  des  Hydrocephalus ;  Gölis^ ,  oder 
wenn  der  entgegengesetzte  Fall  eintritt,  wo  sie  für  den  Säugling  zu  dünn 
und  mager  ist ;  oder  2)  sie  ist  nur  periodisch  schädlich  gew  ordeu  durch  zu- 
fällige, schädliche  Einflüsse,  besonders  durch  Gemüthsbewegungen  und  Lei- 
denschaften der  Mutter.  So  ists  bekanntlich  sehr  schädlich ,  wenn  die  Mut- 
ter ihr  Kind  gleich  nach  dem  Coitus,  nach  heftigen  Gemüthsbewegungen  etc. 
anlegt;  ja  man  hat  Beispiele  in  Menge,  dass  die  früher  ganz  gesunde  Mut- 
termilch darch  heftigen  Zorn ,  Ärger ,  Schreck  plötzlich  eine  so  schädliche 
Beschaffenheit  bekam,  dass  dadurch  der  gesunde  Säugling,  der  sie  trank, 
augenblicklich  in  die  heftigsten  Convulsionen  verfiel,  die  in  wenigen  Minu- 
ten mit  dem  Tode  endeten,  oder  Lähmungen  verursachten  (^UufetmuVs  Jour- 
nal Bd.  LVI.  St.  2.  Uarlcss,  N.  Jahrbücher  d.  deutsch.  Medic.  u.  Chirurgie 
1827.  II.  Suppl.-Bd.  S.  66).  Dies  ist,  beiläufig  gesagt,  ein  Beweis,  wie 
innig  im  lebenden  Organismus  das  Dynamische  mit  dem  Materiellen  (beson- 
ders das  Nervensystem  mit  dem  Drüsensystem)  verbunden  ist,  so  dass  rein 
immaterielle  Schädlichkeiten  momentan  materielle  erregen,  wie  wichtig  es 
daher  für  den  Praktiker  ist,  nicht  einseitig  zu  theoretisiren ,  sondern  die 
Solidarpathologie  mit  einer  nicht  übertriebenen  Säftepathologie  zu  verbinden, 
und  zwar  auf  dieselbe  Weise ,  wie  der  echte  Naturphilosoph  Kraft  und  Ma- 
terie mit  einander  verbindet  und  sich  nicht  eins  ohne  das  andere  als  real 
denken  kann.  Dass  die  Muttermilch,  sowie  der  Speichel  des  Menschen  durch 
rein  immaterielle  Einflüsse:  Zorn,  Ärger,  Wuth  etc.  eine  giftige  Beschaffen- 
heit annehmen  können,  dass  selbst  das  Blut  später  daran  Anthell  nimmt, 
darüber  finden  sich  zahlreiche  Beispiele.  (Yergl.  Gesenitts  Med. -moral.  Pa- 
thematologie.  1786.  S.  120.  —  Unzer,  der  Arzt.  Bd.  111.  S.  43.  —  Schcidc- 
mantel,  Die  Leidenschaften  als  Heilmittel.  1787.  S.  171,  —  PechÜn ,  Prax. 
admir.  L.  I.  obs.  16.  —  Ilaller,  Eiern,  physiol.  T.  V.  p.  586.  —  Gnuhius, 
De  regimine  mentis,  quod  raedicorum  est.  Sermo  II.  p.  4.  —  Vtin  Swielcu, 
Comm.  in  Boerh.  Aphor.  T.  III.  p.  536.  —  IfVicÄTini,  philos.  Arzt.  T.  II. 
p.  195.  —  Fr.  Hotl'mann,  Opp.  omn.  T.  I.  p.  195).  3)  Die  Milch  kann  dem 
Säuglinge  fortwährend  schädlich  seyn,  wenn  die  Mutter  an  Nervcnübeln : 
Epilepsie,  Katalepsie,  Hysterie,  an  Krebs  und  an  andern  kachektischen 
Übeln  leidet.  Cur.  Bei  Nr.  1  schaffe  man  die  Amme  ab  und  ersetze  sie 
durch  eine  bessere;  bei  Nf.  2  gebe  man  den  Rath,  dass  nach  heftigen  Kör- 
per -  und  GeraüthsbeVN'egungen  die  Mutter  ihren  Säugling  nie  gleich  anlegt, 
sondern  erst  eine  volle  Stunde,  wo  sie  sich  ruhig  verhalten  hat,  damit  war- 
tet. Bei  Nr.  3  ists  am  besten,  statt  der  kränklichen  Mutter  dem  Kiude  eine 
gesunde  Amme  zu  geben.  Die  äussern  sichtbaren  Zeichen  der  Muttermilch 
geben  über  deren  Schädlichkeit  oder  NichtSchädlichkeit  wenig  Auskunft. 
Man  sehe  bei  der  Wahl  einer  Amme  daher  weniger  auf  die  Qualität  der 
Milch ,  als  darauf,  ob  die  Amme  selbst  physisch  und  moralisch  gesund  ist, 
ob  sie  hinreichend  Milch  und  gesunde  Brustwarzen  hat,  volle  Brüste  besitzt, 
nicht  an  Syphilis  leidet,  etc. 

CaconychiA,  schlechte  Beschaffenheit  der  Nägel.  Ist  oft 
Folge  von  Syphilis,  Panaritium,  Scrophulosis;  Verletzungen  der  Finger- 
spitzen, der  Zehen,  von  mechanigchen  Ursachen  etc.,  ».  Onychexaliaxis. 


CACOPATHU  —  CALEFACIENTIA  295 

'CACOpaibla,  schvreres  Seelenleiden,  Kummer,  grosse  Trau- 
rigkeit, Melancholie. 

CACopboniai,  üble  Stimme,  schlechte  Aussprache,  8.  Balbuti«». 

Cacoptarasia*     Ist  dasselbe,  was  CacophoHia. 

Cacoprag^ia,  Cacopraxis,  ist  Störung  einer  oder  mehrerer  organi- 
schen Functionen,  besonders  der  Verdauung.  Es  bedeutet  dieser  Aui»druc!k. 
wörtlich  die  schlecht  vor  sich  gehende  Verrichtung.  Galen  nannte 
besonders  so  die  schlechte' Function  der  Leber  und  des  Magens.  Die  Cä- 
copraxis  des  Arztes  geht  mit  Dummheit  und  Unwissenheit  Hand  in  Har.d. 
„Sie  steht  mit  der  Zahl  und  der  Zweckmässigkeit  der  ärztlichen  Bildungs- 
anstalten, so\'<ie  mit  der  Strenge  der  Staatsprüfungen  —  sagt  Hccl-er  —  im 
umgekehrten  Verhältnisse, — ■  Grände  genug,  warum  wir  hoffen  dürfen,  das« 
sie  von  Jahr  zu  Jahr  ahnehmea  werde. " 

Cacorhacbitis ,  Rückgratskrankheit,  vorzüglich  entstanden  aus  In- 
nern Ursachen,  s.  Arthrocace,  in  specie  S  pondy  larthrocace;  ferner 
Cypbosis,  Scoliosis,  Lordosis. 

Caeositia,  grosse  Abneigung  gegen  Speise,  s.  Antipathia  und 
Anorexia.  ,  ;        . .  , 

Cacosphyxia,'  a'briörmer,  entweder  zu  langsamer,  oder  zu  »chnel- 
ier  Puls.  .      ', 

Cacosplanchnia,  schlechte  Verdauung,    s.  Dyspepsia. 

Cacotliyiuia.  Bedeutet  1)  Bosheit,  2)  Wahnsinn  mit  versteck- 
ter Bosheit,  o)  grosse  Niedergeschlagenheit  des  Geistes. 

Cacotrichia«  Krankheit  der  Haare,  s.  Alopecia, 

Caeotrophia,  schlechte  Ernährung.  Ist  die  Ur^Ache 'vieler 
Krankheiten,  der  Atrophie,  Scraphe.ln ,  Rhachitis  etc.,  wo  entweder  gut« 
Nahrungsmittel  fehlen,  oder  wo  letztere  wegen  Schwäche  der  Digestion, 
Krankheit  des  Saugadersy«tems,  der  mesenterischen  Drüsen  etc.  nicht  gei- 
hörig  verdauet  werden  können  ,  der  Körper  also  nicht  gedeihen  kann.'       '  ' 

Caecitas  nocturna,  Nachtblindheit,  s.  Visus  diumus.et  hd- 
G  t  u  r  n  u  s.  . ' 

Calculu»,  Stein.  Die  Steinbildung  im  menschlichen  Körper 'beru- 
het auf  Krankheiten  mit  materieller  Grundlage,  besonders  auf  Arthritis  irre- 
gularis,  Ivenn  die  Gichtmaterie  sich  nicht  gehörig  durch  Urin  und  Schweiss 
ausscheidet,  sich  in  Verschiedenen  Theilen  des  Körpers  anhäuft  und  hier 
steinige  Concremente  bildet.  Auch  die  Blennorrhoe  kann  die  Ursache  sol- 
cher Bildungen  seyn ,  wie  wir  dies  bei  dem  sogenannten  Zahnstein  (Calcu'- 
lus  dentalis;  s.  Abrasiö  calculi  dentälis)  wahrnehmen.  Obgleich  fast 
in  allen  Theilen  des  Körpers  Steine  gefunden  worden  sind  ,  z.  B.  im  Ge- 
hirne (Calculus  cerebrinus) ,  im  Uterus  (C.  uteri) ,  in  den  Lungen  (C.  pul- 
monum), unter  der  Zunge  (C.  subungualis),  in  den  Gedärmen,  besonders  im 
Processus  vermiformis  (C.  intestinalis) ;  so  sind  doch  die  Nieren  ,  die  Urin- 
und  Gallenblase  diejenigen  Stellen,  wo  die  Steinbildung  (Lithiasis)  am  häu- 
figsten  stattfindet;     s.   ^ithiäs,is,     Icterus   calculosus,    Keteatio 

urinae.  . ' ' ;,  ;'':;^;';',;  'V  '■"':':"''": 

Calef acientia »  erwärmende  iVfittel.  Alles,  was  bei  Kältege- 
fühl äusserlich  und  innerlich  erwärmt:  warmer  Thee,  warme  Bedeckung, 
Spirituosa  etc.  gehören  hierher.  Man  hat  den  Begriff  der  erwärmende^, 
erhitzenden  Mittel  in  der  Heilkunst  sehr  ausgedehnt.  Man  rechnet  hierher 
als  Externa:  Waschungen,  Einreibungen,  Linimente,  Salben,  Pflaster,  Ein- 
streuung, Injectionen  etc.  Calefacientia  interna  sind:  Asant,  Galbanun^, 
Gummi  ammoniacum,  Guajak,  Benzoe,  Terpenthin  luid  Ol.  terebinth. ,  Bals. 
de  Mecca,  copalvae,  Indiens,  tolutan.,  Weihrauch,  Mastix;  ferner  Kampher, 
Phosphor,  die  empyreumatischert  Öle:  Steinöl,  Braunsteinöl,  Braunkohlenöl, 
Theer  etc.  Indicirt  sind  sie  im  Allgemeinen  bei  wahrer  Adynamie  des 
irritablen  Systems,  bei  Mangel  an  Energie  im  Gefässsysteme,  bei  vcrmiiider- 


296  CALENDARIUM  —  CALLUS 

tem  Lebcnsturgor  und  solchem  Calor  animalis,  bei  schwachem,  leeren  Pulse, 
Blässe  der  Haut,  bei  verschiedenen  Dyskrasien  und  Cachexien,  asthenischen 
Fiebern,  Neurosen,  Lähmungen,  bei  Menstruatio  retenta,  doch  dürfen  hier 
keine  andern  Ursachen ,  nur  jene  Irritabilitätsschwäche ,  zum  Grunde  lie- 
gen. Contraindicirt  sind  alle  Calefacientia  interna  bei  echten  entzünd- 
lichen Leiden,  sthenischen  Fiebern,  Vollblütigkeit,  grosser  Irritabilität,  bei 
jungen  kräftigen  Personen,  bei  Neigung  zu  Apoplexie,  zu  activen  Blut- 
flüssen, endlich  bei  Habitus  phthisicus,  bei  Lungentuberkeln,  bei  Scirrhen, 
Markschwamm,  wo  alle  erhitzende  Arzneien  und  Getränke,  alle  reizende 
Speisen ,  Gewürze  etc.  den  Erweichungsprocess  oder  den  Übergang  in  car- 
cinomatöse  Verderbniss  anregen  und  beschleunigen  (^Sunddhi). 

Calendarium,  der  sogenannte  Kalender  im  Knochen,  s.  Callus. 

Calig^o,  Fleck  der  Hornhaut,    s.  Macula  corneae. 

Callositas ,  s.  Indu ratio. 

Cnfhsitas  palpebrnrum,  Augenlidverhärtung,  s.  Scleriasis. 

Callus,  die  Bein-  oder  Knochennarbe,  der  Callus.  Istdie 
ausgebildete  Masse,  durch  welche  gebrochene  Knochen  organisch  mit  einan- 
der verbunden  werden,  aber  kein  unorganisches,  todtes  Excret,  kein  blosser 
Leim ,  wie  man  früher  annahm.  Er  ist  Product  des  bildenden  Lebens ,  und 
daher  auch  selbst  lebendig,  doch  weicht  die  Structur  der  neu  gebildeten 
Knochenmasse  von  der  faserigen  an  der  Oberfläche  der  Röhrenknochen  da- 
hin ab,  dass  sie  mehr  ein  netzförmiges,  dichtes  Gewebe  darstellt.  Diese 
Masse  füllt  anfangs  die  Markhöhle  in  einer  bestimmten  Ausdehnung  aus,  und 
reicht  an  der  inwendigen  Fläche  der  Corticalsubstanz  so  weit  hinauf,  als 
wohin  sich  auf  der  äussern  Knochentläche  die  neue  provisorische  Masse  er- 
streckt. Die  grosse  Festigkeit  an  Bruchstellen  erklärt  sich  daraus,  dass  der 
Callus  innig  mit  der  Corticalsubstanz  des  Knochens  zusammenhängt.  Auch 
ist  der  Callus  eben  so  reichlich,  wie  der  ursprünglich  erzeugte  Knochen, 
mit  Gelassen  versehen.  Diese  nehmen ,  nach  Larrey ,  ihren  Ursprung  von 
den  Gefässen  des  Markcanals.  Bei  einfachen  Fracturen  und  da,  wo  die 
Brechenden  mit  einander  gehörig  in  Berührung  gebracht  worden  sind ,  fin- 
det keine  Wucherung  des  Callus  statt,  wohl  aber  bei  schiefen  Brüchen, 
Zers])littennig,  Übereinanderschiebung  der  Bruchstücke,  wenn  die  Callus- 
bildung  während  der  Eiterung  vor  sich  ging,  wo  die  neue  Knochenmasse 
unförmlich  wird.  Die  cliemische  Analyse  hat  gezeigt,  dass  die  neu  gebil- 
dete Knochenmasse  mehr  phosphor  -  und  kohlensauien  Kalk  und  dagegen 
weniger  animalische  Materie  enthält,  als  der  ursprünglich  erzeugte  Knochen 
(^Gauthier  de  Clauhry).  Nach  Duhamel  bewirkt  das  Periosteum  die  Callus- 
bildung,  und  der  Knochen  regenerirt  sich  nicht  selbst.  Andere  sind  dage- 
gen der  .entgegengesetzten  Meinung.  Die  Resultate  genauer  Untersuchun- 
gen sind:  1)  das  extravasirte  Blut  zwischen  und  um  die  Bruchstücke,  so- 
wie die  losgetrennte  Knochenhaut  wird  resorbirt  und  vermittelt  nicht,  wie 
Jlunlcry  Macdonnid  und  Ilowship  glauben,  die  Verwachsung.  2)  Es  bildet 
sich  Entzündung  und  Geschwulst  der  Knochenenden,  der  Knochenhaut  und 
der  zunächst  liegenden  Weichgebilde  aus.  S)  Es  erfolgt  Absonderung  eines 
Bildungsstolfes  aus  der  losgetrennten  Knochenhaut  in  Folge  der  Entzündung, 
an  die  Aussenfläche  des  Knochens,  in  das  Markgewebe  und  das  zu  einer 
pleuraähnlichen  Membran  sich  umgestaltende  Zellge\vebe ,  in  den  Zwischen- 
raum der  Bruchftächen  und  zwischen  die  Wcichgebilde  in  einiger  .Ausdehnung 
diesseits  und  jenseits  des  Bruches,  wodurch  eine  Verschmelzung  dieser  jOr- 
gane  und  Verminderung  der  rothon  Farbe  der  Mu.skelfascrn  bewirkt  wird. 
4)  Es  erfolgt  Rückbildung  der  den  Bruchflächen  zunächst  angchörigen  Kno- 
chenpartikelchen und  Splitter  auf  eine  frühere  Stufe  der  Bildung  (Weich- 
werden der  Knochenenden)  und  Absorption  der  weichgewordenen  Masse,  wo- 
durch die  Unebenheiten  an  den  Bruchenden  entfernt  werden  ;  ferner  5)  Bil- 
dung von  Blutgefä.ssen  in  dem  abgesonderten  Bildungsstolfi;  zwischen  der 
Knochenhaut  und  dem  Knochen,  sowie  im  INIarkcanale.  6)  Bildung  eines 
netzförmigen  Kaochengc.vebes  an  der  ianern  Fläche  der  Cortical -  und  Mark- 


CALOR  MORDAX  —  CAMBUCA  297 

Substanz  der  Bruchstelle^  wodurch  die  Markrohre  verschlossen  wird,  und 
etwas  später  Bildung  eines  faserigen  Knochengewebes  an  der  äussern  Fläche 
der  Rindensubstanz  in  der  zwischen  sie  und  das  Periosteum  abgesetzten,  au8 
dem  Zustande  der  Lymphe  in  den  der  Gallerte  und  des  Faserknorpels  iiber- 
gegangenen ,  mit  dem  Knochen  innig  zusammenhängenden  Masse.  Die  Bil- 
dung dieser  beiden  in  ihrer  Textur  etwas  abweichenden  Gewebe  (zeitige 
Ossification  nach  Meding)  stellt  als  Product  den  Cal  provisoire  des 
Dupuijtren  dar,  der  nur  interimistische  Vereinigung  bewirkt,  aber  noch  keine 
hinreichende  Festigkeit  gewährt.  7)  Diese  Knochenmasse  wird  bis  auf  eine 
Scheidewand  wieder  aufgesogen,  daher  vermindert  sich  die  Geschwulst  der 
Weichtheile  in  der  Gegend  des  Bruchs  und  die  Muskeln  bekommen  wieder 
ihre  rothe  Farbe.  Während  dieses  Processes  bemerkt  man  endlich  8)  gleich- 
zeitig einen  Übergang  der  aus  dem  Zellgewebe  der  Weichgebilde  zwischen 
die  Bruchttächen  abgelagerten  plastischen  Ljmphe  in  den  gallertartigen  und 
dann  in  den  knorpligen  Zustand  nach  Medhuj  und  Weher ,  oder  in  die  fase- 
rige Structur  nach  Bonn,  Macdonald  und  Brescliet ;  eine  deutliche  Entwicke- 
lung  von  Blutgefässen  in  derselben,  und  später  einen  Ansatz  von  Ossifica- 
tionspunkten ,  von  der  Peripherie  nach  dem  Centrum  hin,  die  sich  allmälig 
vergrössert  und  denen  sich  neue  hinzubilden.  Dieser  Process  (die  spätere 
Ossification  nach  Meding ,  der  Cal  definitif  des  Dupugtrcn') ,  der  erst  der 
Bruchstelle  die  nöthige  Festigkeit  und  den  sichern  Gebrauch  des  Gliedes  zu- 
lässt,  soll  nach  Bres^et  und  Dupmßren  erst  nach  6  Monaten  beendigt  seyn.  — > 
Dieses  sind  die  Erscheinungen,  unter  denen  die  Callusbildung  und  Heilung 
des  Bruches  vor  sich  gehen.  Bei  componirten  und  mit  Wunden,  Blutung  etc. 
complicirten  Brüchen  erfolgt  die  Bildung  der  Knochennarbe  erst  bei  Auftre- 
ten der  Eiterung.  Hier  erscheint  der  Bildungsstoif  unter  der  Gestalt  voa 
Fleischwärzchen,  und  der  Callus  wird  unförmlich  (^.  L.  Richter).  In  die- 
sen Fällen  bleibt  meist  immer  der  sogenannte  Kalender  an  der  Bruchstelle 
zurück,  d.  i.  jene  habituelle  krankhafte  Disposition  des  Gliedes,  wodurch 
bei  bevorstehender  Wetterveränderung  dehnende,  bohrende,  oft  unerträg- 
liche Schmerzen  an  der  leidenden  Stelle  entstehen,  und  die  periodisch  oft 
das  ganze  Leben  hindurch  bei  jedem  bedeutenden  Wetterwechsel  wieder  auf- 
treten, so  dass  man  daraus  mehrere  Tage  vorher  das  Wetter  prognosticiren 
kann.  Vor  34  Jahren  brach  ich  mir  den  Oberschenkelknochen,  der,  ob- 
gleich 14  Tage  nach  dem  unglücklichen  Falle  derselbe  zum  zweitenmal  ab- 
brach ,  dennoch  ziemlich  gut  geheilt  wurde ;  der  Callus  bildete  sich  etwas 
unförmlich  und  noch  jetzt  empfinde  ich  bei  Wetterwechsel  jenen  lästigen 
Kalender,  den  weder  Bäder,  noch  Einreibungen  auf  die  Dauer  zu  entfernen 
vermochten  (^Most). 

Callus  cutis,  Tglus,  die  Hautschwiele.  Sie  bildet  sich  besonders  an 
den  Händen  und  Füssen.  Veranlassung  geben:  Druck,  schwere  grobe  Ar- 
beiten, Barfussgehen.  Es  nützen  dagegen  erweichende  Bäder,  mit  Weizen- 
kleien, Seife  versetzt,  und  Abschaben  der  erweichten  Oberhaut  mit  dein 
Messer. 

Callus  ulccris,  s.  Ulcus  callosum. 

Calor  mordax,  brennende,  stechende  Hitze.  Ist  ein  Sym- 
ptom des  Typhus  und  des  Faulfiebers,  das  sich  der  Hand  des  Gesunden, 
nachdem  er  die  des  Kranken  berührt  hat,  mittheilt,  einige  Augenblicke  an- 
hält und  ein  eigenes  beissendes ,  stechendes ,  prickelndes  Gefühl  in  der  Hand 
verursacht. 

Calvities,  kahler  Kopf,  s.  Alopecia. 

Cainarosis,  Camarosa.  Ist  ein  nach  aussen  gewölbter  Knochen- 
bruch der  Hirnschale;  s.  Fractura  cranii. 

CaiuatoS;  Ermattung,  Erschöpfung.  Ist  oft  Symptom  man- 
cher Fieber  und  anderer  chronischen  Übel;  s.  Adynamia. 

Caiuliuca.  So  nennt  Paracelsus  einen  cxulcerirten  Leistenbubo  vene- 
rischen Ursprungs,  auch  jede  schwärende,  durch  Venerie  entstandene  Beule 
am  Penis  {(Jamhuca  mcmhrata'). 


298  CANCER 

Cancer,  Cnrcinoma^  Carcinus,  NoU  me  längere,  Lujnis  canci'oavs, 
Ulcus  cancrosum,  cncoiithes,  chironeum,  telephium,  Phagedncna  (^SweiUnur), 
Keloides  (J/itt'r<),  Krebs,  verborgener  luid  offener  Krebs,  Krebs7 
geschwür.  So  nennen  wir  diejenige  Krankheit,  weldie  In  Anschwellung 
und  Verhärtung  irgend  eines  drüsigen  Theils  des  thierischen  Körpers  besteht, 
die  anfänglich  mehr  oder  weniger  umgrenzt,  dabei  schmerzhaft  ist,  bei  man- 
gelhafter Hülfe  oder  sich  selbst  überlassen  an  Grösse  zunimmt,  und  sich  zu- 
letzt in  ein  offenes,  übelriechendes  Gesch\vür  verwandelt,  welches  eine  be- 
ständige Neigung  hat,  alle  nahegelegenen  Theile  zu  zerstören.  Das  Übel 
besteht  demnach  in  einer  speciüschen  Degeneration  und  Ulceration  des  be- 
treffenden drüsigen  Theils,  entsteht  meistentheils  idiopathisch ,  als  Folge  ei- 
nes schon  monate  -  oder  jahrelang  voraufgegangenen  Scirrhus.  Zuweilen 
geht  aber  letzterer  schon  nach  einigen  Wochen  seiner  Entstehung  in  den 
Krebs  über,  wenn  die  erregenden  Ursachen  anhaltejid  und  heftig  auf  deij 
Organismus  einwirken,  wie  wir  dieses  weiter  unten  bei  Betrachtung  des 
Scirrhus  darthun  werden,  sowie  denn  überhaupt  der  Übergang  von  Scirrhus 
in  Krebs  jedesmal  eine  oder  die  andere  der  do/t  angegebenen  Gelegenheits- 
ursachen erfordert.  Zuweilen  ^ehen  wir  abev  auch  ohne  vorhergegangenen 
Scirrhus  den  Krebs  entstehen  (Cancer  symptomaticus),  besonders  da,  wt> 
allgemeine  Anlage  zu  Degeneration  zugegen  ist.  Hier  bildet  sich  das  Übel 
häufig  aas  andern,  ansclieinend  unbedeutenden  Schäden.  Übrigens  bleibt 
sich  das  Wesen  und  die  Natur  des  Krebses  immer  gleich,  er  mag  nun  idio- 
pathisch, primär,  oder  symptomatisch,  secundär  entstehen.  Wir  beobachten 
ihn  an  allen  Theilen  des  thierischen  Organismus,  wo  drüsige  Theile  zuge- 
gen sind,  voizüglich  an  der  Nase,  den  Lippen,  der  Zunge,  an  den  weib7 
liehen  Brüsten,  an  der  Gebärmutter  et,c.  Als  primitives  Leiden  sehen  wiy 
demnach  den  Krebs  nur  in  folgenden  Gebilden  entstehen :  in  der  Haut ,  iia 
Zellgewebe ,  in  den  Schleimhäuten  und  in  allen  Arten  von  Drüsen ;  kejnes- 
weges  aber  in  den  Knorpeln,  Sehnen,  Gelenkbändern,  serösen  Häuten,  oder 
in  den .  Muskeln ,  welche  zur  Bewegung  von  Gelenken  bestimmt  sind,  ob- 
gleich immerhin  diese  Gebilde  durch  einen  vorhandenen  offenen  Krebs  zer- 
stört werden  können.  Als  secundäres  Leiden  kajui  der  Krebs  zu  allen  Arten 
chronischer  Geschwüre,  zu  Afterorganisationen,  überhaupt  zu  allen  Excre- 
scenzen  hinzukommen ,  wenn  diese  als  Druck  oder  RjcIz  auf  nahegelegene 
drüsige  Theile  wirken;  auch  kann  eine  zu  reizende  Behandlung  solcher  Übel 
den  Übergang  in  Krebs  begünstigen.  Ursachen  fißs  Krebses  im  All- 
gemeinen. Sowol  der  primäre  als  gecundäre  Krebs  entsteht  entweder  aus 
innern  oder  äussern  Ursachen,  oder  aus  beiden  zugleich;  oft  wirken  auck 
mehrere  derselben  zusammen.  Innere  Ursachen  sind ;  bedeutende  fieberhaft^ 
Krankheiten,  Krankheiten  des  Lymphsystems,  besgnders  Dyskrasien:  Gicht, 
Syphilis,  Scropheln ,  Unterdrückung  gewohnter  Ausleerungen,  als  unter-: 
drückte  Menstruation  ,  solche  Hämorrhoiden ,  unterdrückte  Milchabsonderung, 
überhaupt  Suppression  aller  Blut-  und  Schleimtlüsse;  auch  das  naturgeniässe 
Verschwinden  der  Regeln  in  der  Decrepitätsperiode  gehört  hierher;  ferner 
heftige  Gemüthsbewegungen :  Kummer,  Gram,  Sorge,  Zorn,  heftige  Freude, 
unordentliche  und  unzweckmässige  Lebensweise,  häufiger  Genuss  von  sehr 
gewürzhaften,  salzigen,  schwerverdaulichen  Speisen,  von  starken  hitzigen 
Getränken.  Auch  der  Gebrauch  reizender  Aizneien ,  zu  starke  Körperbe- 
wegung ,  zu  anhaltendes  Sitzen  mit  gebogenem  Körper ,  Erhitzung  und  Er- 
kältung, zu  häufiger  Beischlaf,  zu  vieles  Wachen,  häufige  Schwangerschaf- 
ten und  die  damit  verbundene  Reizung,  der  Brüste,  zurückgetretene  Haut- 
aussx;hläge,  ungesunde  Luft,  nasskaltes  Wetter,  zu  trockne  Kälte  oder 
Wärme,  ungesunde  feuchte  Wohnung,  unvorsichtig  und  schnell  geheilte 
chronische  Geschwüre,  Hysterie,  Hypochondrie  etc.  sollen  den  Krebs  be- 
günstigen. Zu  den  äussern  Ursachen  rechnet  man:  Druck  auf  den  scirrhö- 
sen  Theil  durch  enge  Kleidungsstücke,  besonders  durch  die  engen  Corsets 
der  Frauenzimmer,  Stoss,  Schlag,  also  Quetschungen,  welche  zwar  keine 
intensive,  aber  doch  eine  anhaltende  Reizung  hervorbringen ;  ferner  Beissen, 
Reiben,  Kratzen,  Kneipen  der  Haut ,  eine«  drüsigen  Theils ,  Wegnahme  von 


CANCER  299 

Hautexcrescenzen ,  zu  grosse  Anstrengungen  der  Arme,  Anwendung  von  rei- 
zenden und  zertheilenden  Mitteln  etc.  (daher  so  häufig  manches  gutartige 
Drüsenleiden  gerade  dadurch  krebshaft  wird,  indem  man  es  für  Krebs  hält! 
und  die  reizenden  giftigen  Anticancrosa  anwendet;  wozu  noch  der  nachthei- 
lige Gemüthseindruck,  den  schon  das  Wort  Krebs  auf  den  Kranken  hervor- 
bringt,  gerechnet  werden  muss.  M.).  Der  Krebs  ist  eine  Krankheit  vort 
specirtscher  Natur,  und  sein  Wesen  ist  uns  bis  jetzt  noch  völlig  unbekannt. 
Ein  eigenthümliches  Krebsgift,  welches  diese  Krankheit  ganz  für  sich  erze«-» 
gen  sollte,  giebt  es  nicht;  wol  aber  können  wir  diejenige  übelartige  Materie,, 
die  sich  in  einer  degenerirten  Drüse  erzeugt ,  als  ein  wahres  Krebsgift  be-t 
trachten.  Ebenso  wenig  kann  eine  Kakochymie  den  Krebs  erzeugen,  wol 
aber  kann  dieselbe  bei  vorhandener  Verhärtung  drüsiger  TliPil«  und  bei 
Disposition  zu  Degenerationen  als  Gelegenheitsursache  betrachtet  werden. 
Wir  linden  die  Krankheit  häufiger  bei  Weibern  als  bei  Männern,  am  häuH 
figsten,  sowol  beim  männlichen  als  weiblichen  Geschlechte,  in-  dem  Alter, 
wo  die  Zeugungsfähigkeit  schwindet ;  dagegen  ist  das  kindliche  Alter  dem 
Übel  höchst  selten  unterworfen.  Es  lässt  sich  nicht  leugnen ,  dass  der  Krebd 
am  häufigsten  Personen  zwischen  den  vierziger  und  sechziger  Jahren  befällt^ 
und  dass  bei  Männern  Hämorrhoidaldyskrasie,  bei  Weibern  das  Aufhören  der 
Regeln  oder  richtiger  das  eigenthüraliche  Rückschreiten  in  der  Lebensthätig-» 
keit,  der  Tod  füs  Geschlechtsleben,  das  Annähern  an  die  männliche  Natur, 
die  Veränderung  des  ganzen  weiblichen  Charakters  und  das  damit  zusamt 
menhängende  Heftigerwerden  gewisser  Affecte:  Zorn,  Zanksucht,  besonders 
hervortretend  bei  ungebildeten  Weibern ,  grössere  Neigung  zu  geistigen  Ge-> 
tränken  etc.  als  diejenigen  Dinge  anzusehen  sind ,  welche  die  Diathese^  ra 
Krebs  vorzugsweise  begünstigen,  wie  dieses  schon  Theophr.  Paracelsus  schön 
angedeutet  hat  (s.  dess.  Oper.  Vol.  II.  Edit.  Genev.  1662.  Chirurg,  magnaa 
Pars  III.,  Libr.  VI.  p.  93.).  Dabei  ist  der  Einfluss,  den  heftige  Affectö 
und  Leidenschaften  vom  Nervensysteme  aus  aufs  Blutsystem,  besonders  aber 
aufs  Drüsensystem  äussern,  nicht  zu  übersehen  (s.  Antagonismus,  Caco-< 
galactia,  Consensus).  Er  trägt  unstreitig  viel  zur  Entstehung  dei 
primären  Krebses  bei,  sowie  ich  denn  überhaupt  gefunden  habe,  dass  alla 
an  Krebs  Leideade  ein  sehr  leidenschaftliches  Temperament  besassen  ( M, ). 
Die  Diagnose  des  Krebses  im  Allgemeinen  ist  bei  Auffassung  der  vorher- 
gegangenen und  gegenwärtigen  Symptome  bald  leichter,  bald  schwerer,  und 
richtet  sich ,  wie  die  Prognose ,  nach  den  Modificationen ,  wie  sie  die  jedes-» 
maligen  individuellen  Fälle  nach  Verschiedenheit  des  afficirten  Theils  dar- 
bieten (s.  unten  die  einzelnen  Arten  des  Krebses  nach  Verschiedenheit  des 
leidenden  Theils).  Ohne  uns  auf  die  besondere  Eintheilung  des  Krebses 
von  Alihert,  v.  Walther,  Bierchen,  Jänisch,  Lerchen,  Ahernethy,  Leguux  n.  A. 
einzulassen,  theilen  wir  für  klinische  Zwecke  denselben  1)  in  den  verbor- 
genen und  2)  in  den  offenen  Krebs  ein. 

Cancer  occiUtus ,  Scirrhus  malitjnus,  verborgener  Krebs,  bö sarii- 
ger Scirrhus.  Hier  geht  der  gutartige  Scirrlius  in  den  bösartigen  über,- 
und  zwar  unter  folgenden,  bald  mehr,  bald  weniger  mit  einander  vereinte« 
und  gleichzeitig  sich  darbietenden  Symptomen.  Die  früher  meist  nur 
kleine,  sich  lange  gleichgebliebene,  dabei  ebene,  gleichartige  Verhärtung 
nimmt  plötzlich  an  Härte  zu.  Es  stellen  sich  feugleich  anfangs  nur  seltene 
periodische,  später  häufigere  und  zuletzt  festsitzende,  schmerzhafte  Stiche 
im  leidenden  Theile  ein,  verbunden  mit  einem  anhaltenden  lästigen  Brennen^ 
Jucken  und  andern  bohrenden,  klopfenden,  fressenden,  schneidenden  Schmer- 
zen. Die  Geschwulst  wird  hierbei  härter,  festsitzend,  uneben,  höckerig  und 
eckig,  sie  verwächst  mit  der  sie  bedeckenden  Haut  und  mit  den  nahegelege- 
nen Muskeln;  die  Blutgefässe  im  Umfange  derselben  schwellen  an,  werden 
knotig,  mit  Blut  überfüllt  und  schwärzlich;  späterhin  verliert  selbst  die 
Haut  ihre  natürliche  Farbe,  wird  erst  hellroth,  später  dunkelroth,  blau, 
bleifarbig,  und  zuletzt  ganz  schwarz.  Die  Wärme  in  der  Geschwulst  nimmt 
zu,  die  Haut  wird  alsdann  dünn,  glänzend,  sehr  gespannt;  sie  drohet  auf- 
zubrechen,   obgleich  keine  Fluctuation  zu  fühlen  \&t.     Selten  ist  dieser  Zu« 


300 


CANCER 


stand  mit  Fieber  verbunden.  Dtirchschneiden  wir  die  soweit  metamorpho- 
sirte  und  zum  Cancer  occultus  überj^e^fanfiene  Geschwulst,  so  fuidou  wir 
hier  ebenfalls,  wie  beim  gcwölinlichen  Scirrhus,  eine  speckige  Masse  von 
ausserordentlicher  Härte,  doch  mit  dem  Unterschiede,  dass  diese  Masse  in 
ihrem  Mittelpunkte  härter  ist ,  und  die  davon  abgeschnittenen  Schichten  sind 
hier  ebenfalls  noch  halbdurchsichtig.  Dieser  Mittelpunkt  ist  aber  nicht  mehr 
so  eben,  nicht  mehr  von  knorpelartiger  Consistenz,  sondern  rauh,  hier  und 
da  mit  rothen  Pünktchen  und  an  mehrern  Stellen  sogar  mit  ziendich  grossen 
Zellen  versehen ,  welche  eine  zähe,  blutige,  schwärzliche  Flüssigkeit  enthal- 
ten. Betrachten  wir  den  Rand  dieser  Zellen,  so  finden  wir  diesen  blass- 
roth  und  die  innern  Flächen  schon  mit  einer  spongiösen  Substanz  bedeckt, 
Diagnose.  Ist  beim  verborgenen  Krebs  häufig  etwas  schwierig,  da  man- 
che Geschwülste  anderer  Art  mitunter  ähnliche  Symptome,  gleiche  Beschaf- 
fenheit und  gleiche  Ursachen  zeigen  können.  Fassen  wir  jedoch  auch  hier 
die  anamnestischen  und  gegenwärtigen  Symptome,  die  so  eben  angegeben 
worden ,  zusammen ,  so  kann  uns  die  feste  Bestimmung  wol  selten  feiilen, 
besonders  wenn  wir  noch  das  constante  Zeichen  berücksichtigen  ,  dass  dies 
Übel  beim  Gebrauche  reizender,  zertheilender  Mittel  stets  an  Bösartigkeit 
zunimmt.  Die  Prognose  ist  verschieden,  je  nachdem  das  Übel  mehr  oder 
weniger  um  sich  gegritl'en  hat.  Hat  es  seinen  Sitz  nur  noch  in  einer  Drüse, 
hat  die  Verhärtung  die  nahegelegenen  Weichgebilde  oder  antlere  drüsige 
Theile  noch  nicht  mit  ergriü'en,  ist  die  Geschwulst  noch  beweglich,  ist  sie 
erst  kürzlich  und  als  Folge  äusserer  Ursachen  entstanden,  ist  das  Indivi- 
duum noch  jung,  ist  kein  Fieberzustand  »uid  keine  der  besondern  Dyskrasien 
zugegen,  so  ist  das  Übel  als  ein  örtliches  zu  betrachten  und  die  Prognose 
kann  günstig  gestellt  werden.  In  entgegengesetzten  Fällen  ist  sie  zweifel- 
haft, ja  ungünstig;  besonders  auch  da,  wo  die  Geschwulst  wegen  der  Lage 
der  Theile  manchen  Reizungen  ausgesetzt  ist,  .  wo  die  .Empfuidlichkeit  der 
naheliegenden  Theile  grö.sser  ist,  wo  die  äussern  schädlichen  Einflüsse  kräf- 
tiger und  anhaltender  einwirken  können.  Die  Entwickelung  des  Krebse»» 
bietet  verschiedene  Formen  nach  Verschiedenheit  der  Organisation  des  lei- 
denden Theils  dar.  So  z.  B.  erscheint  er  in  drüsigen  Theilen  stets  als  eine 
harte  Geschwulst,  an  den  Nerven  in  Form  harter,  fester  Knoten,  an  den 
Schleimhäuten  in  Form  von  Polypen  etc.,  w  ovon  unten  ein  Mehreres  Cur 
des  Cancer  occultus.  Ist  entweder  radical.  z.  B.  bei  rein  örtlichem 
Übel,  oder  nur  palliativ,  bei  Allgemeinleiden,  bei  allgemeiner  Anlage  zu 
Krebs,  bei  Dyskrasien  eic.  Wie  lange  das  Übel  als  ein  rein  örtliches  zu 
betrachten  sey,  ist  schon  bei  der  Prognose  angegeben.  Im  AUgenieinen 
kann  man  es  als  solches  ansehen  und  es  ist  noch  Hoffnung  zur  radicalen 
Heilung  da,  so  lange  der  Aufbrucli  der  Geschwulst,  der  Übergang  in  Can- 
cer apertus  noch  nicht  nahe  bevorsteht.  Dass  dieser  noch  enlfernL  ist,  er- 
kennen wir  daran,  dass  die  Haut  noch  nicht  sehr  dünn  und  glänzend,  noch 
nicht  dunkelroth,  bleifarbig,  schwärzlich  gefärbt,  auch  noch  nicht  mit  Aus- 
wüchsen versehen  ist.  Radical  heilen  wir  ihn  a)  durch  die  Zertheilung, 
b)  noch  häufiger  durch  die  Operation.  Die  Zertheilung  geschieht  durch  in- 
nere und  äussere  Mittel  neben  einer  zweckmässigen  Diät.  Im  Allgemeinen 
gilt  auch  hier  die  Regel,  die  nächste  Ursache  aufzusuchen  und  zu  entfernen. 
Dies  gelingt  jedoch  selten  (besonders  deswegen,  weil  wir  die  innern  Ver- 
änderungen in  der  Lebensmetamorphose,  die  durch  Lebensweise,  durch  Lei- 
denschaften, durch  die  Stufenjahre  des  Lebens  hervorgebracht  werden  und 
.welche  nach  der  Erfahrung  den  Krebs  begünstigen,  nicht  kennen,  weil  yvir 
nur  das  Product,  den  Schaden,  nicht  die  eigentliche  Krankheit,  die  Ursache 
des  Krebses  sehen  können;  M. ),  und  finden  wir  diese  auch  wirklich,  .so 
können  wir  meistentheils  das  Übel  nur  durch  die  Operation  tilgen.  (Aller- 
dings bleibt  die  Operation,  die  Wegnahme  de»  Krebsknotens,  noch  immer 
das  vorzüglichste  Rettung.smittel ;  aber  die  Fälle,  wo  nach  der  Operation 
diese  Knoten  in  demselben  Verhältnisse  wieder  erscheinen,  wie  die  Köpfe 
der  lernäischcn  Hyder,  sind  leider!  auch  nicht  selten,  un<l  daher  ist  der 
Name  Noü  me  tangcre   nicht  mit  Unrecht  für  Caucor  apertus   glcithbcdeu- 


CANCER  301 

tend  geworden ;  M.).  Das  diätetische  Verhalten  richtet  sich  jedesmal  nach 
dein  individuellen  Falle ,  und  lässt  sich  daher  im  Allgemeinen  nicht  bestim- 
men. Die  mnern  Mittel  müssen,  da  wir  kein  Specificum  gegen  diese  Krank- 
heit kennen,  jedesmal  nach  dem  individuellen  Falle  und  nach  der  vorherr- 
schenden Ursache  und  der  Constitution  ausgewählt  werden,  z.  ß.  gegen 
arthritische ,  syphilitische,  psorische,  Hämorrhoidaldyskrasie ,  Antarthritica, 
Antivenerea,  Antipsorica  etc.  Im  Allgemeinen  sind  vorzugsweise  alle  kräf- 
tig aufs  Lymphsystem  einwirkende  Mittel  empfolüen  worden,  um  die  Säfte 
zu  verbessern ,  die  anomale  Lebensmetamorphose  normal  zu  machen  und  di« 
etwa  durch  Resorption  des  Krebsgiftes  hervorgebrachten  Erscheinungen  zu 
beseitigen.  Hierher  rechnen  wir  eine  grosse  Menge  Mittel :  kühlende  Pur- 
ganzen, besonders  aus  Merc.  dülcis;  Gummata  ferulacea,  z.  B.  Gummi  Am- 
moniac. ,  Galban. ,  Opopon.,  Sagapenum  etc.  aufgelöst  und  eingedickt  mit 
Acet.  si|uillit. ,  versetzt  mit  Antimonial  -  und  Mercurialmitteln ,  mit  bittern 
Extracten  von  Gentiana ,  Trifol. ,  Tarax. ,  Centaur. ,  Absinth. ,  Millefol., 
Aurantior.  etc.  oder  mit  Seife,  und  in  Pillenform  gegeben;  oder  man  ver- 
schreibt die  Antimonialia  und  Mercurialia  in  Pulverform  und  die  Gummata 
ferulacea  mit  bittern  Extracten  in  Emulsion.  'Auch  Narcotica:  Opium,  Bel- 
ladonna ,  Aconit ,  Schierling  ( Cicuta  virosa  und  Con.  maculat. ) ,  Digitalis, 
Dulcamara,  Nux  vomica,  Crocus  sind  empfohlen  worden.  Sehr  wirksam  sind 
kleine  Dosen  Tart.  emetic. ,  anhaltend  gebraucht  (M.) ;  auch  hat  man  Kali 
tartaricum,  Alkalien,  lodine,  Aq.  laurocerasi,  Tinct.  arsenic.  Fowleri,  Holzr- 
tränke,  Tisanen  aus  Cort.  et  rad.  mezerei,  graminis,  Bardanae,  Sassaparill., 
Saponarlae,  Chinae,  Spec.  lignorum,  Decoct.  Zittmanni,  Pollini  (s.  Syphi- 
lis) empfohlen.  Wir  können  nicht  Vorsicht  genug  bei  der  Wahl  und  An- 
wendung dieser  so  eben  angegebenen  Innern  Mittel  anempfehlen,  und  wenn 
das  allgemeine  Befinden  des  Kranken  sich  danach  verschlimmert,  wenn  die 
Verhärtung  der  Geschwulst  sich  vergrössert,  so  stelle  man  ja  den  Gebrauch 
derselben  ein.  (Am  unschädlichsten  sind  hier  wol  noch  die  kleinen  Dosen 
von  Tart.  emeticus,  die  bittern  Extracte  und  die  Holztränke.  Ist  das  Übel 
rein  örtlich,  so  schaden  alle  Innern  Mittel,  und  haben  Dyskrasien  die  ganze 
Constitution  schon  zerrüttet,  so  darf  man,  um  die  schwachen  Digestionsor- 
gane nicht  ganz  herunterzubringen ,  auch  nur  mit  Vorsicht  die  stärkern  Re- 
solventia  gebrauchen;  M.).  Fr.  A,  Weise  (s.  dessen  Schrift:  Über  Zurück- 
bildung  der  Scixrhen  etc.  Leipzig  1829.)  hat  die  thierische  Kohle  als  ein 
ganz  vorzügliches  Mittel  zur  Zertheilung  des  Scirrhus  anempfohlen.  Er 
rechnet  fast  mit  Gewissheit  darauf,  dass  sie  die  vorhandene  Verhärtung 
zertheile,  mithin  die  normale  Absonderung  in  den  afficirten  Theilen  herstelle. 
Er  lässt  Erwachsene  Morgens  und  Abends  Carbo  animal.  gr.  |^,  und  allmä- 
lig  bis  auf  S  Gran  p.  d.  gestiegen,  nehmen.  Auch  die  Hungercur  in  Ver- 
bindung mit  dem  innerlichen  Gebrauche  des  Extr.  aconiti  oder  cicutae  mit 
und  ohne  lodine  ist  als  wirksam  empfohlen  worden.  Diese  Curmethode  ver- 
dient beim  Cancer  occnltus  aus  Innern  allgemeinen  Ursachen  alle  Berück- 
sichtigung, da  nichts  in  der  Welt  die  Zurückbildung  von  Afterorganisatio- 
nen im  Lyraphsysteme  mehr  bezweckt  als  Hunger  und  lodine.  In  vielen 
Fällen ,  wo  beim  Scirrhus  das  allgemeine  Wohlbefinden  nicht  gestört  ist, 
wo  keine  Complicationen  vorhanden ,  keine  Dyskrasien  zugegen  sind ,  also 
noch  keine  Resorption  stattgefunden  hat  und  das  Übel  aus  äussern  Ursachen 
entstanden  ist,  können  wir  dagegen  die  innern  Mittel  gänzlich  entbehren. 
Äussere  Mittel,  die  den  innern  analog  seyn  müssen,  sind  gleichfalls  eine 
grosse  Menge  empfohlen  worden  (s.  Anticancrosa).  Wir  betrachten  sie 
hier  der  Reihe  nach  als  Scirrhus  zertheilende  Mittel.  1)  Dämpfe  und  Bähun- 
gen von  Essig,  Schwefel,  Zinnober,  Solut.  aquosa  salis  tartari,  von  Flor, 
chamomill. ,  Sambuci ,  von  resolvirenden  narkotischen  Kräutern.  2)  Einrei- 
bungen von  Unguent.  digitalis  cum  camphora,  Unguent.  mercurial.,  allein 
oder  mit  Opodeldoc;  Linim.  volat.  camphor.  mit  Opium,  Unguent.  iodinae, 
kali  hydriodin.  etc.  3)  Verschiedene  Pflaster:  Empl.  ammoniac. ,  galbani, 
cicutae,  belladonnae,  saponato -  camphoratum ,  cerussae  camphoratum,  Bmpl. 
diaphoret.  Mynsichti ,  nigrura  Bechholzii.    4)  Kataplasraen  von  zertheilenden, 


aod 


CANCER 


aromatischen  Kräutern,  z.  B.  Ton  Spec.  resolvent,  extern.  Ph.  Boruss.  com 
herba,  hyoscyaini  et  sem.  papav.  alb.,  von  Herba  cardui  tomentosi,  clemat. 
erectae,  phytolaccae  decandr, ,  dentariae,  conii,  belladonnae ,  piilsatillae, 
saponariae,  Sem.  phellandr.  aquat.,  cataputiae  major,  etc.  mit  Aqua  saturni 
bereitet.  5)  Umschläge  von  Fei  taur.  inspissat.  cum  sale  ammon.  depur.  in 
aqua  destill,  solut. ,  Extr.  cicutae,  aconiti ,  belladonnae  cum  camphora  in 
spirit.  Mindereri  solutum ,  von  Gummi  ammoniacum ,  opoponac. ,  sagapen.  in 
Acet.  squillit.  solut. ,  frisch  gequetschte  Kräuter  narkotischer  Pffanzen  mit 
Bleiwasser  und  Opium,  mit  Sapo  venet. ,  medicat. ,  Rad.  et  Roob  dauci, 
Roob  card.  tomentosi  etc.  6)  Auch  das  Bedecken  des  erkrankten  Theils 
mit  Kräuterkissen  von  Spec.  resolvent,  cum  camphora,  mit  Flanell,  der  vor- 
her mit  Karapher  berieben ,  mit  Kaninchen  - ,  Hunden  -  oder  Katzenfellen, 
mit  Watten,  Werg,  Schwanenhäuten  ist  empfohlen  worden.  Desgleichen 
7)  Blutegel,  Schröpfköpfe,  äusserlich  die  fixe  Luft  durch  Umschläge  von 
Stoffen ,  die  in  Gährung  übergehen.  8)  Die  Anwendung  der  Elektricität 
und  des  Galvanismus  an  die  verhärtete  Geschwulst.  9)  Die  Compression 
mittels  der  Scheiben  von  geklopftem  Agaricus ,  zwischen  die  Touren  einer 
comprimirenden  Binde  angebracht.  Diese  von  Dr.  Pcarson  angewandte,  vom 
Prof.  Recamier  bekannt  gemachte  Methode  bewies  sich  indessen  in  einigen 
Fällen  nachtheilig  (s.  Fronep's  Notiz.  Bd.  XVIII.  Nr.  19).  10)  Der  Dorf- 
barbier Jenfzsch  zu  Kollochau,  Schweidnitzer  Kreis,  will  den  Cancer  occul- 
tu«  durch  ein  Ätzmittel,  aus  Butyr.  antimouii,  Lapis  infernalis  und  Ol.  vi- 
trioli  bestehend,  auf  folgende  Weise  geheilt  haben.  Er  umkneipt  das  kranke 
Gebilde  so  lange  mit  seinen  Fingerspitzen,  bis  der  Grund  desselben  lose  ge- 
worden ist,  und  bestreicht  dann  die  wundgewordene  Kreislinie  mit  dem  ge- 
dachten Mittel.  Dieses  wird  so  lange  in  kurzen  Zwischenräumen  wiederholt, 
bis  der  Scirrhus  ohne  Blutung  weggenommen  werden  kann  (s.  Hufelnnd's 
Journal  Bd.  LXVI.  Stück  3.  S.  30  —  39).  Die  weitere  Behandlung  wird 
unten  angezeigt  werden.  (Dieses  Mittel  verdient  alle  Aufmerksamkeit.  Af.) 
11)  Zuweilen  erfolgte  die  Zertheilung  des  verborgenen  Krebses  ohne  Kunst- 
hülfe, z.  B.  durch  die  Schwangerschaft,  durch  das  Selbststillen  oder  durch 
Krankheiten,  z.  B.  Febris  intermittens.  Alle  hier  erwähnten  äussern  Mittel 
entsprechen  aber  nur  selten  ihrem  Endzwecke;  sie  zertheilen  höchst  selten 
den  Krebsknoten,  zerrütten  aber  bei  anhaltendem  Gebrauche  die  Constitu- 
tion des  Kranken ,  und  beschleunigen  den  Übergang  des  Cancer  occultus  in 
den  offenen  Krebs.  Wir  können  daher  nicht  genug  anrathen,  die  Exstirpa- 
tion  des  erkrankten  Theils  ohne  Zeitverlust  vorzunehmen,  also  bei  Zeiten 
zu  operiren.  Hat  der  verborgene  Krebs  noch  nicht  zu  sehr  um  sich  gegrif- 
fen, sind  die  nahegelegenen  Drüsen  und  Weichgebilde,  z.  B.  beim  Brust- 
krebs die  Musculi  intercostales ,  noch  nicht  verhärtet,  ist  die  Geschwulst 
noch  beweglich,  zeigen  sich  bei  dem  Patienten  keine  besondern  Dyskrasien, 
ist  also  das  Übel  noch  als  ein  örtliches  anzusehen ,  so  kann  man  durch  die 
Operation  radical  heilen,  welche  letztere  die  neuern  Handbücher  der  opera- 
tiven Chirurgie,  namentlich  die  von  Richter,  Bell,  CnlUsen,  Arnemnnn,  Boyer, 
Langenhecl;  Girnull,  Sahaiier  (deutsch  von  Hille  1826),  Roux,  Znng,  Averill, 
hegin  etc. ,  desgleichen  einzelne  Artikel  in  den  Zeitschriften  von  v.  Graft 
tind  V.  Walther,  Rust,  Lnngenhech  u.  A.  lehren.  Gelingt  die  Zertheilung 
nicht  und  wird  die  Operation  unterlassen,  so  stellen  sich  auf  der  Verhärtung 
bedeutende  Unebenheiten,  Erhabenheiten  und  Auswüchse  ein ,  der  Theil  wird 
gespannter,  die  Haut  röther,  bald  dunkelroth,  bleifarbig,  schwärzlich,  da- 
bei dünn ,  glänzend ,  es  zeigen  sich  hier  und  da  Risse ,  welche  meistens  mit 
Schorf  bedeckt  sind,  die  Schmerzen  werden  heftiger,  kehren  häufiger  wie- 
der, werden  selbst  anhaltend,  und  so  geht  dann  der  verborgene  Krebs  in» 
Krebsgeschwür,  wovon  sogleich  gehandelt  werden  soll,  über.  (Die  Opera- 
tion des  Cancer  occultus  bleibt  allerdings  noch  immer  dasjenige  Mittel,  wel- 
ches das  schreckliche  Übel  am  ersten  heilt.  Aber  leider!  auch  dieses  Mittel 
ist  ein  ungewisses,  selbst  da,  wo  wir  keine  offenbare  Dyskrasie  wahrneh- 
men. Einen  ungünstigen  Erfolg  der  Operation  beobachtete  ich  fast  immer 
a)  bei  solchen   Personen,,   welche  in   der  Kindheit  an   Scropheln  gelitten; 


CANCER  303 

h)  bei  Personen  mit  Habitns  piithisicus;  c)  bei  bejahrten  Männern,  welch« 
lange  Zeit  dem  Trünke  ergeben  waren;  d)  bei  allen  Subjecten,  welche  An- 
lage zur  Bildung  von  Melanosen,  Tuberkeln,  Fungus  meduUaris  hatten,  oder 
bei  denen  sich  solche  Übel ,  ^w  eiche  mit  dem  wahren  Krebse  verwandt  sind, 
schon  ausbildeten;  e)  bei  allen  Subjecten,  welche  schon  lange  an  verschie- 
denen dyspeptischen  Beschwerden,  an  Diarrhöen,  Obstructio  alvi,  öftern 
Koliken ,  Kardialgien ,  an  Icterus  gelitten  hatten.  Most.} 

Cancer  apertus,  manifeslus,  exuherntus,  nlcerosus,  Carcinomn ,  offener 
Krebs,  Krebsgeschwür,  Carcinom.  Wir  theilen  das  Krebsgeschwür 
ebenfalls  in  ein  primäres  und  secundäres.  Ersteres  ist  unmittelbar  Folge  des 
Cancer  occultus,  letzteres  entwickelt  sich  aus  andern ,  z.  B.  syphilitischen, 
herpetischen ,  scrophulösen  Geschwüren ,  aus  verschiedenen  Hautdkcrescen- 
zen,  aus  Kondylomen,  Warzen  und  Polypen  in  Folge  einer  zu  reizenden 
Behandlung  oder  in  Folge  verschiedener  anderer,  noch  nicht  genug  erforsch- 
ter Ursachen.  Diesen  secundaren  Krebs  sehen  wir  an  allen  Theilen  des  Kör- 
pers entstehen,  vorzüglich  aber  da,  wo  viele  Lymphgefasse  und  Hautdräsen 
vorhanden  sind,  Symptome  des  primären  Krebsgeschwürs.  Aus 
dem  verborgenen,  nunmehr  an  einer  oder  der  andern  Stelle  von  der  Ober- 
haut entblössten  Krebse  fliesst  eine  dünne,  braungelbe,  späterhin  ganz  braune, 
blutige,  scharfe,  fressende,  jauchige  Flüssigkeit  von  einem  specifiken,  star- 
ken, cadaverösen  Gerüche,  welcher  bei  Zunahme  des  Übels  durch  seinen 
Dunst  selbst  dem  Auge  empfindlich  wird.  Diese  Jauche  enthält  nach  chemi- 
schen Untersuchungen  viel  Ammonium  und  hepatisches  Gas.  Sie  schwärzt 
die  silbernen  Instrumente  und  färbt  den  Veilchensaft  grün,  die  Schwefel- 
.•säure  treibt  Schwefelwasserstoffgas  heraus  und  das  Chlor  zerstört  den  stin- 
kenden Geruch  der  Jauche  auf  Augenblicke  völlig  (^Crmvford).  Charakteri- 
stisch ist  bei  diesem  Übel,  dass  nach  dem  Aufbruche  der  Geschwulst  kein 
Eitererguss  erfolgt,  sie  ihr  Volumen  nicht  vermindert,  auch  nicht,  wie  an- 
dere sich  öffnende  Geschwülste,  an  Härte  verliert.  Sie  bleibt  nicht  nur 
festsitzend,  sondern  vrird  auch  noch  schmerzhafter;  die  Kranken  empfinden 
häufig  ein  sehr  starkes ,  lästiges  Brennen  auf  der  ganzen  Oberfläche  des  Ge- 
schwürs, welches  um  so  heftiger  wird,  je  häufiger  dieses  der  Luft  exponirt 
wird.  Schnell  bildet  sich  ein  Geschwür  mit  ungleicher  Oberfläche,  die  mit 
kleinern  oder  grössern,  sehr  empfindlichen,  hävifig  schwammigen,  theils  gana 
harten,  theils  ganz  weichen  Auswüchsen  besetzt  ist,  und  zugleich  aufgewor- 
fene, meist  nach  aussen,  zuweilen  auch  nach  innen  gebogene,  unebene  und 
höckerige  Ränder  hat;  dabei  schwellen  die  Blutgefässe  im  Umfange  des  Ge- 
schwürs an  und  dasselbe  hat  mit  einer  Weintraube  oder  mit  röthlich-blauem 
Blumenkohl  entfernte  Ähnlichkeit.  Im  Verlaufe  des  Übels  werden  nun  dio 
nahegelegenen  Drüsen ,  die  lymphatischen  Gefässe  und  Weichgebilde  in  einen 
scirrhösen  Zustand  versetzt  und  durch  den  Übergang  in  Eiterung  nach  allen 
Richtungen  zerstört;  aber  auch  die  entfernter  liegenden  Drüsen  und  Weich- 

febilde,  z.  B.  bei  Cancer  mammarum  die  Achseldrüsen  und  Intercostalmus- 
eln,  ja  sogar  die  Knorpel  und  Knochen  können  später  ergriffen  und  zer- 
stört werden.  Bei  diesem  Grade  der  Krankheit  entstehen  häufig  starke, 
kaum  zu  stillende  Blutungen;  es  erfolgt  Abmagerung,  hektisches  Fieber,  die 
Haut  bekommt  eine  gelblich -grüne  Farbe,  es  stellen  sich  Engbrüstigkeit, 
Herzklopfen,  Angst,  Unruhe,  Schlaflosigkeit,  Mangel  des  Geruchs,  callös« 
Erhabenheiten  im  Ohre,  Ohnmächten,  Convulsionen ,  coUiquative  Seh  weisse 
und  Durchfälle  ein,  und  endlich  erfolgt  der  Tod.  Oft  sehen  wir  auch  vor 
dem  Aufbruche  des  Krebsknotens  auf  der  Mitte  der  Geschwulst  eine  hohe, 
meist  konische  Erhabenheit  von  der  Grösse  und  Form  eines  Fingerhuts  ent- 
stehen ,  wie  Verf.  {Kuhrclce)  zwei  Fälle  der  Art  beobachtete ,  welche  allmä- 
IJg  sich  vergrössert  und,  aufgebrochen,  einem  Schwamm  ähnlich  sieht,  der 
mit  seiner  breiten  Basis  festsitzt  und  in  eme  stumpfrunde  Spitze  ausläuft. 
Diese  Excrescenz  nimmt  an  Grösse  zu,  drängt  die  Ränder  des  Geschwür! 
auseinander  und  breitet  sich  in  seinem  Umfange  anfangs  immer  mehr  aus, 
verliert  sich  aber  in  der  Folge  der  Eiterung  gänzlich.  .Symptome  de« 
secundaren   Krebses.     Er  entsteht   aus   einem  gutartigen   Geschwüre, 


30-1  CANCER 

das  nicht  auf  hartem  Grunde  liegt,  auch  nicht  mit  harten,  unebenen  Rän- 
dern umgeben  ist ,  wenig  Schmerzen  macht  und  guten ,  gelblich  -  weissen 
Kiter  absondert.  Wenn  sich  ein  solches  Geschwür  in  einer  Peripherie  ent- 
zündet, wobei  die  nahegelegenen  Weichgebilde  hart  und  scirrhös  werden, 
die  Haut  derselben  eine  rothe ,  braune ,  bläulich  -  braune  Farbe  aiuiimmt, 
sich  juckende,  brennende,  stechende,  sehr  lästige  Schmerzen  einstellen,  sich 
statt  des  gutartigen  Eiters  die  hässlich  riechende  Krebsjauche  absondert  und 
das  Ganze  das  Ansehn  eines  primitiven  Krebsgeschwürs  bekommt,  so  nennen 
wir  dieses  ein  Ulcus  cancrosum  secundarium.  (Viele  Ärzte  und  Wundärzte 
nennen  dieses  zum  Unterschiede  des  wahren  Krebsgeschwürs  den  unächten 
oder  falschen  Krebs,  wohin  wir  jedes  bösartige  Geschwür,  den  sogenannten 
Cancer  Ifbiorum ,  oris ,  scroti ,  die  Paedarthrocace ,  manche  scrophulöse,  sy- 
philitische und  Mercurialgeschwüre  rechnen  können.  Wenn  wir  nicht  end- 
lich anfangen,  verschiedenartige  pathologische  Zustände  genauer  zu  unter- 
scheiden, wenn  wir  noch  so  häufig  die  scirrhösen  und  cancrösen  Verhärtun- 
gen und  Blutungen  fälschlich  als  die  Folge  von  Entzündungen  ansehen ,  so 
werden  wir  nie  zu  einer  richtigen  Einsicht  in  die  Natur  des  Übels  gelangen 
und  daher  auch  bei  der  Heilung  im  Finstern  tappen.  Vgl.  HufdmuVs  Jour- 
nal Bd.  LVI.  St.  5.  Most.)  Die  Erscheinungen,  welche  wir  im  Verlauf 
dieser  Krankheit  wahrnehmen,  sind  von  grosser  Verschiedenheit.  (Allerdings, 
weil  man  so  verschiedenartige  Krankheitszustände  zum  secundären  Krebse 
rechnet.  M.)  Manchmal  A-erläuft  die  Krankheit  schnell ,  die  Zerstörung  des 
ergriffenen  Theils  erfolgt  rasch,  manchmal  aber  so  langsam,  dass  es  den 
Anschein  hat,  als  wolle  das  Geschwür  sich  begrenzen  und  zuheilen.  Bei 
altern  Subjecten  und  solchen  von  sanguinisch  -  cholerischem  Temperamente 
ist  der  Krebs  in  der  Regel  zerstörend ,  fressend ,  mit  sehr  harten  Rändern 
umgeben;  bei  jungem  und  phlegmatischen  Subjecten  finden  wir  dagegen  das 
Geschwür  mit  vielen  schwammigen  Excrescenzen  besetzt.  Die  Krebsjauche 
ist  auch  nicht  bei  jedem  Individuum  von  gleicher  Beschaffenheit.  Mitunter 
ist  sie  so  scharf,  dass  sie  die  Oberhaut  excoriirt,  Leinwand  zerfrisst,  mitun- 
ter aber  auch  sehr  milde,  so  dass  sie  gar  keine  oder  nur  geringe  zerstö- 
rende Wirkungen  zeigt.  Ebenso  verhält  es  sich  mit  dem  Gerüche  dieser 
Jauche;  zuweilen  ist  er  höchst  stinkend,  zuweilen  kaum  riechbar.  Wenn 
diese  Jauche  auch  nicht  unmittelbar  auf  einen  gesunden  Körper  ansteckend 
einwirkt,  wie  dieses  die  Erfahrung  und  selbst  Impflingsversuche  gelehrt  ha- 
ben, so  ist  doch  keinesweges  die  nachtheilige  Einwirkung  derselben  auf  den 
Krebskranken  durch  Resorption,  und  auf  andere  Personen ,  wenn  sie  in  gut- 
artige Wunden  und  Geschwüre  gebracht  wird,  gänzlich  zu  leugnen.  Die 
chemische  Analyse  des  Krebsgewebes  hat  ergeben ,  dass  dasselbe  aus  Ei- 
weissstoff,  Gallerte,  aus  fetter  Substanz,  Phosphor,  Wasser  und  Salzen 
bestehe  (^CoUnril  de  Mnrtigny).  Die  Diagnose  des  Krebsgeschwürs  ist 
ebenso  schwierig,  als  die  des  Cancer  occultus ,  da  sie  keine  so  bestimmten 
und  charakteristischen  Merkmale  hat,  dass  nicht  eine  Verwechselung  mit 
andern  vernachlässigten  und  bösartigen  Geschwüren,  z.  B.  scrophulösen  und 
syphilitischen ,  stattfinden  könnte.  Zur  Diagnose  dienen  1)  die  oben  ange- 
gebenen Symptome  ,  verglichen  mit  den  charakteristischen  Zeichen  anderer 
Geschwüre  (s.  Ulcus  syphiliticum,  scrophulosum);  2)  das  Vorauf- 
gehen des  Cancer  occultus;  S)  die  genaueste  Untersuchung  des  Geschwürs 
selbst  und  der  unter  und  um  ihn  sitzenden  Geschwulst ;  4)  die  Art  des  Auf- 
bruchs der  letztern.  Die  Geschwulst  bildet  nämlich  nach  dem  Aufplatzen 
keine  Höhle,  keinen  Eiterherd  in  ihrer  Mitte,  sondern,  wie  schon  erwähnt, 
Hautabschundungen ,  aus  welchen  die  Jauche  herausquillt ,  und  diese  dringt 
erst  bei  vorschreitender  Verschlimmerung  allmälig  in  die  Tiefe;  5)  der  Sitz 
desselben  in  irgend  einem  drüsigen  Thelle ;  6)  die  Beschaffenheit  des  Eiters 
hinsichtlich  seiner  Farbe  und  seines  Geruchs;  7)  die  Beschaffenheit  der  mus- 
kulösen Theile  des  Geschwürs  selbst.  Es  bildet  sich  nämlich  im  Mittel- 
punkte desselben  häufig  eine  körnige ,  plattgedrückte  Masse  von  grauer 
Farbe,  welche,  wenn  sie  gedrückt  wird,  etwas  dicken  Eiter  von  sich  giebt. 
Im  Verlauf  des  Übels  bekommen  diese  muskulösen  Theile  ein  graues,   blei- 


CANCER  305 

farbnes,  zuletzt  schwarzes  Ansehn,  wie  verfaultes  Fleisch;  8)  beim  wahrert 
Krebs  vermehren  die  reizenden  Mittel  stets  die  Schmerzen,  während  sanfte, 
erweichende  und  besänftigende  sie  vermindern.  (Zu  einer  rjclitigen  Dia- 
gnose, die  selbst  uns  der  Natur  des  Krebses  näher  führen  kann,  gehört  die 
vergleichende  Anatomie  der  krebshaften  und  der  entzündeten  Gewebe  [vgl. 
Gendrbis  Anat.  Beschreib,  d.  Entzündung  und  ihrer  Folgen ;  Leipz.  1829, 
übers,  von  Radius;  Th.  II.,  S.  499  u.  f.].  Aus  Gendritis  schönen  Unter- 
suchungen geht  hervor ,  dass  der  Krebs  keinesweges ,  wie  Brcscliet  und  Fer- 
rus  (Neues  Diction.  de  Med.  T.  IV.  p.  135}  behaupten,  Folge  einer  Ent- 
zündung sey,  und  dass  auch  die  Meinung,  er  bestehe  ursprünglich  in  Hy- 
datiden  (Jlunter)  oder  in  wirklicher  Fäulniss  (^Cratvford} ,  noch  näher  ge- 
prüft zu  werden  verdient.  Denn  1)  die  Zeichen  des  Krebses  sind  von  de- 
nen der  Drüsenentzündung  wesentlich  verschieden.  2)  Die  Entzündung  er- 
klärt weder  die  Zufälle,  noch  die  Veränderungen,  welche  den  Krebs  kenntlich 
machen.  3)  Er  entsteht  nie  durch  diejenigen  Ursachen,  welche  der  Ent- 
zündung eigenthümlich  sind.  4)  Ihm  geht  die  Bildung  eines  organisirten 
Gewebes  voran,  welches  seiner  Natur  und  dem  Ansehn  nach  von  den  durch 
Entzündung  veränderten  Geweben  verschieden  ist.  5)  Die  Bildung  dieses 
Krebsgesvebes  lässt  sich  einfach  und  natürlich  durch  Veränderung  der  Er- 
nährung erklären ,  die  durch  Absonderung  einer  Substanz  im  kranken  Theile 
kenntlich  wird,  welche  sich  erst  organisirt,  später  aber  desorganisirt ,  in- 
dem sie  sich  erweicht  und  zum  Theil  in  eine  breiartige  Masse  auflöst. 
6)  Die  krebshafte  Substanz  ist  sich  in  allen  Theilen  des  Körpers  gleich, 
dagegen  sind  die  Entzündungen  und  ihre  Veränderungen  verschieden  nach 
der  Verschiedenheit  des  Gewebes  und  Systems ;  denn  die  Entzündung  wird 
durch  die  eigenthümliche  Lebenskraft  und  Organisation  des  Theils  verändert, 
der  Krebs  aber  ist  Folge  von  ursprünglicher  Bildung  einer  krankhaften 
Substanz,  welche  ihm  eigenthümlich  ist  und  ihn  bildet,  unabhängig  von  den 
eigenthümlichen  Geweben,  in  denen  er  entsteht,  die  er  daher  nur  secundär 
interessirt.  Most).  Ursachen  des  Krebsgeschwürs.  Smd  schon  oben 
bei  Cancer  occultus  angegeben.  Prognose.  Ist  stets  ungünstig  zu  stel- 
len ,  und  zwar  um  so  mehr ,  da  in  der  Regel  die  Resox'ption  des  Krebsgiftes 
bald  allgemeine  Dyskrasie  herbeiführt  (oder  auch,  da  wir  annehmen  müssen, 
dass  Dyscrasia  cancrosa  häufig  gleichzeitig  mit  dem  Carcinom  zugegen  ist, 
wobei  letzteres  öfter  als  Wirkung  denn  als  Ursache  jener  Dyskrasie  ange- 
sehen werden  dürfte,  sobald  wir  es  mit  einem  wahren  Krebse  zu  thun  ha- 
ben. Most).  Man  berücksichtige  bei  der  Prognose  die  Localität  des  afficir- 
ten,  Organs.  Je  grösser  dieses  ist,  desto  mehr  ist  zu  fürchten,  desgleichen 
je  grösser  der  Umfang  des  Geschwürs,  je  älter  das  Subject,  je  schwächli- 
cher die  Constitution  und  je  bedeutender  das  Allgemeinleiden  (z.  B.  Febris 
hectica)  ist.  Cur  des  Carcinom s.  Ist  ebenfalls,  wi^  bei  Cancer  occul- 
tus, entweder  eine  radicale  oder  palliative.  Radical  kann  die  Heilung  nur 
da  stattfinden ,  wo  das  Geschwür  noch  keine  bedeutenden  Desorganisationen 
erzeugt  hat,  wo  das.  Übel  erst  kürzlich  entstanden  und  vielleicht  noch  als 
ein  örtliches  zu  betrachten  ist,  wo  die  nahegelegenen  Theile  noch  wenig 
gelitten  und  keine  allgemeine  Dyskrasie  vorhanden  ist,  wo  keine  bedeuten- 
den Krankheitsanlagen  zugegen  sind,  wenn  der  Kranke  noch  bei  guten 
Kräften ,  ohne  Fieber  und  nicht  zu  alt  ist.  Finden  wir  aber  die  Anwesen- 
heit der  genannten  Umstände  und  Symptome,  so  müssen  wir  die  Krankheit 
als  ein  Allgemeinleiden  betrachten  und  uns  nur  auf  die  Palliativcur  beschrän- 
ken. Freilich  wollen  in  neuern  Zeiten  manche  Ärzte ,  z.  B.  Nicolai  (s.  Z^itT 
Schrift  für  Natur-  und  Heilkunde  d.  med. -chir.  Akad.  in  Dresden,  Bd.  V<. 
Hft.  1),  die  Krankheit  auch  dann  noch  als  örtlich  betrachtet  wissen;  aber 
man  vergesse  nicht,  dass  die  Diagnose  des  wahren  Krebses  sehr  schwierig 
ist  und  manche  nicht  krebshafte  Drüsenkrankheit ,  die  nur  die  Folge  einer 
vorhergegangenen  Entzündung  war,  noch  heutiges  Tages  so  häufig  für  Krebs 
genommen  wird.  Die  Radicalcur  des  Carcinoms  geschieht  entweder  durch 
die  Operation,  oder  dmch  Anwendung  innerer  und  äusserer  Mittel,  die  Pal- 
liativcur durch  die  pharmaceutischen  Mittel  allein.  Die  Operation  ist  nur 
Most  Eacyklopädie.  2te  Aufl.  I.  20 


306  CANCER 

'da  von  Nutzen,  wo  die  Zeichen  einer  günstigen,  oben  angegebenen  Prognose 
stattfinden ;  fehlen  diese  und  sind  obendrein  noch  mehrere  Krebsgeschwüro 
zugegen,  so  ist  die  Krankheit  nach  allen  bishex-igen  Erfahrungen  unheilbar. 

Die  bei  dem  Cancer  occultus  angegebenen  Innern  und  äussern  Arznei- 
mittel werden  im  Allgemeinen  auch  gegen  das  Krebsgeschwür  empfohlen. 
Hierbei  bemerken  wir  Folgendes:  I.  Man  hat  durch  Arzneimittel,  aus  ser- 
lich angewandt,  nach  der  Erfahrung  schon  Krebsgeschwüre  geheilt.  Die 
Caustica  finden  aber  nur  da  ihre  Anwendung,  wo  das  Übel  blos  oberfläch- 
lich ist  und  keine  bedeutenden  drüsigen  Organe  oder  andere  Gebilde  ergrif- 
fen hat;  z.  B.  beim  Hautkrebs.  Hier  muss  das  Causticum  so  angewandt 
werden,  dass  es  alles  Krebshafte  gänzlich  zerstört.  Das  vorzüglichste  Atz- 
mittel ist  hier  der  Arsenik ,  weniger  anwendbar  ist  der  Lap.  infernal. ,  das 
Kali  caust. ,  der  Sublimat  etc.  Besonders  wrksam  hat  sich  hier  das  Mittel 
von  (Josme,  in  neuester  Zeit  das  Hellmund'sche  Mittel  bewiesen  (s.  unten). 
Auch  folgende  Salbe,  womit  das  Krebsgeschwür  mittels  damit  bestrichener 
Plumaceaux  verbunden  wird,  ist  zu  empfehlen:  F^  Arscnici  nlhi  gr.  vj — x, 
Ojni  jmri  gr.  xjj — xx,  Flor,  zinci  3|^5  Butijr.  recent.  5J,  Cerne  jlavae  51^« 
Longa  trituratione  m.  exactissime  (^Harless').  II.  Was  die  Innern  Mittel 
betrifft,  so  besitzen  wir  keine  Specifica  gegen  den  offenen  Krebs.  Wir 
müssen  den  jedesmaligen  individuellen  Zustand  des  Kranken  berücksichtigen 
und  die  Mittel  müssen  danach  ausgewählt  werden.  Doch  scheint  die  thie- 
rische  Kohle,  Morgens  und  Abends  2 — 3  Gran  gereicht,  nach  Weise  u.  A. 
etwas  Specifisches  zu  besitzen.  (Überhaupt  habe  ich  Gnind  zu  glauben, 
dass  wir  noch  am  ersten  aus  dem  Thierreiche  Specifica  gegen  den  Krebs 
werden  kennen  lernen.  Alle  Aufmerksamkeit  verdient  in  dieser  Hinsicht  die 
Eidechsencur ,  deren  neuerlich  Dr.  Hinze  zu  Waidenburg  (s.  Casper^s  Krit. 
Repertor.  Bd.  XXIV.  Hft.  1,  1829,  S.  137)  gedacht  hat.  Nach  ihm  heilte 
der  Spanier  Jos.  Ferrero  mit  drei  Eidechsen  einen  Krebs  an  der  Oberlippe, 
Don  Carlo  Snnzi  ein  Geschwür  an  der  Nase,  das  dreissig  Jahre  gedauert 
hatte.  Das  Verfahren  ist  dieses :  man  schneidet  der  lebendigen  Eidechse 
Kopf,  Schwanz  und  Füsse  ab,  öffnet  ihr  den  Bauch,  nimmt  die  Eingeweide 
schjiell  heraus ,  zieht  die  Haut  ab  und  lässt  den  Kranken  das  lebende  Fleisch, 
in  kleine  Stücke  zerhackt  oder  kauend,  hinunterschlucken.  Man  wiederholt 
dies  alle  Tage  ein-  bis  dreimal,  lässt  also  täglich  eine  bis  drei  Eidechsen 
verzehren.  Der  ganze  Körper  kommt  danach  in  heftige  Hitze,  es  erfolgen 
Brennen,  starker  Seh  weiss,  vermehrte  Diuresis,  das  Krebsgeschwür  verliert 
den  üblen  Geruch  und  heilt  (s.  auch  Römer,  Vom  Nutzen  und  Gebrauch 
der  Eidechsen  im  Krebs  etc.  Leipzig,  1788.  BelVs  Zusätze  z.  s.  Chirurgie, 
S.  241).  Von  der  Tinct.  arsenic.  Fowleri,  dreimal  täglich  5  — 15  Tropfen, 
daneben  eine  strenge  Diät  (Milchdiät),  und  äusserlich  höchst  gelinde  Mit- 
tel: Kärottenbrei  angewandt,  sah  ich  in  zwei  Fällen  bei  Brustkrebs  herr- 
liche Dienste.  Die  Geschwüre  bekamen  ein  besseres  Ansehn,  der  üble  Ge- 
ruch der  Jauche  verschwand,  die  Schmerzen  wurden  gelinder,  einzelne  Stel- 
len heilten,  nach  und  nach  immer  mehrere,  und  die  Kranken  erholten  sich, 
starben  indessen  «päter  an  hektischem  Fieber,  während  der  Krebs  selbst  in 
der  Besserung  fortgeschritten  war.  Der  tägliche  reichliche  Genuss  des  kal- 
ten Wassers  in  Verbindung  mit  einer  höchst  einfachen  Diät  hat  auch  schon 
oft  zur  Heilung  von  Krebsgeschwüren,  besonders  bei  vorherrschenden  Dys- 
krasien,  beigetragen.  Audh  der  innerliche  Gebrauch  der  Aqua  calcis,  de* 
Mauerpfeffers ,  des  Fucus  helminthochorton  ist  von  Einigen  gerühmt  worden 
(Most)'  Auch  als  äusseres  Mittel  ist  die  Carbo  animalis  mit  Nutzen  ange- 
wandt worden.  Man  bestreuet  mit  der  pulverisirten  Kohle  vorzüglich  die 
Ränder  des  Geschwürs,  welche  schnell  danach  weich  werden  und  guten  Ei- 
ter geben  sollen ;  auch  streuet  man  das  Pulver  in  die  ganze  Wundfläche  (s. 
RusVs  Magaz.  Bd.  XXII.  Hft.  1,  Bd.  XXV.  Hft.  1.  Dierhach,  Neueste 
Entdeck,  in  der  Materia  medica,  1928,  2te  Abthl.  S.  546).  Berühmt  ge- 
wordene Anticancrosa  simplicia  et  composita  sind  folgende:  1)  Das  Hell- 
mund'sche Mittel,  das  sich  besonders  bei  Gesichtskrebs  so  wirksam  bewie- 
sen, besteht  nach  Dr.  Betschier  {Rusfs  Maganz.  Bd.  XIX.  Hft.  1)   a)  aus 


CANCER  307 

<)em  Pulver:  I^  Arsenici  nlhi  5jj,  Ciner.  solear.  calc.  gr.  xjj,  San  ff.  draconis 
gr.  xvj ,  Cinnab.  factit.  5jj-  M.  f.  pulv.  subt.  S.  Pulvis  Cosmi  s.  arsenicalis ; 
b)  aus  der  balsamischen  Salbe :  lO  Balsam,  peruv,  nigr. ,  Engtr.  conü  macu- 
lati  ana  5)v  j  Plumh.  acet.  jmr.  cryst.  9iv ,  l'inct.  opii  crocat.  ^jj ,  Unguent. 
cerci  51A.  M.  f.  1.  a.  Unguent.  S.  Unguent.  narcotico  -  balsamicum ;  c)  aus 
der  zusammengesetzten  Arseniksalbe :  fy  Pulv.  arscnical.  (a)  5j  ?  Unguent. 
iiarcot.  hnlsam.  (b)  5J.  M.  exactiss.  S.  Unguent.  arsenicale  compositum. 
Die  Amvendungsart  dieses  Mittels  ist  folgende :  Nachdem  man  die  erkrankte 
Fläche  durch  Abspülen,  Abwaschen  etc.  von  Eiter  und  Eiterborken  sorgfal- 
tig gereinigt  hat ,  belegt  man  diese  mit  Plumaceaux  oder  Bourdonnets ,  die 
aus  feiner,  weicher,  gekämmter  Charpie  angefertigt  werden.  Diese,  deren 
Zahl  und  Grösse  der  Form  und  Grösse  des  Geschwürs  entsprechen  müssen, 
werden  gleichmässig  imd  etwas  dick  mit  der  Arseniksalbe  (c)  bestrichen 
und  aufs  Geschwür  gelegt,  aych  in  die  Vertiefungen  mit  einem  Myrtenblatte 
egal  eingedrückt.  Es  ist  nöthig,  dass  die  Charpie  nicht  allein  das  Ge- 
schwür, sondern  auch  den  gesunden  Rand  noch  einen  Strohhalm  breit  be- 
deckt. S'oUten  die  Ränder  zu  dick  und  wulstig  seyn,  so  trägt  man  die 
Arseniksalbe  erst  mit  dem  Spatel  auf  dieselben  auf.  Auf  diese  Weise  wird 
der  Verband  täglich  einmal  erneuert,  und  zwar  so  lange,  bis  sich  auf  der 
ganzen  Fläche  ein  dicker  Brandschorf  gebildet  hat.  Es  entsteht  bald  nach 
dem  ersten  Verbände  ein  gelinder  Schmerz,  der  mit  der  Wirkung  der  Salbe 
an  Heftigkeit  zunimmt,  es  zeigt  sich  im  Umfange  des  Geschwürs  Entzün- 
dung und  Anschwellung ,  die  sich  am  zweiten ,  dritten  Tage  schon  verlie- 
ren; das  Geschwür  selbst  vergrössert  sich,  bekommt  ein  hässliches,  schmu- 
ziges  Ansehn,  imd  so  bildet  sich  zwischen  dem  fünften  und  zwölften  Tage, 
oft  früher,  oft  noch  S'päter,  der  wirkliche  Brandschorf;  man  wendet  daher 
das  Mittel  so  lange  ärii^;;bis  dieser  sich  gebildet  hat  und  die  Härte  im  Um- 
fange gänzlich  geschmolzen ,  somit  die  Geschwürsfläche  ganz  unkenntlich 
geworden  ist.  Der  Schorf  darf  nicht,  wie  andere  Borken,  abgenommen 
\^  erden ;  man  muss  ihn  noch  einige  Tage  mit  der  Arseniksalbe  verbinden. 
Der  Schmerz  und  die  Entzündung  in  der  Peripherie  des  Geschwürs  dienen 
zur  Bestimmung,  ob  die  so  bereitete  Arseniksalbe  verstärkt  oder  durch  Zu- 
satz von  Unguent.  basilic.  flav.  geschwächt  werden  muss.  Letzteres  ist 
nothwendig,  wenn  der  Arsenik  auf  die  Körperconstitution  nachtheilig  ein- 
wirkt. Ist  der  Brandschorf  vollkommen  ausgebildet,  so  verbindet  man  mit 
dem  oben  angegebenen  Unguent.  narcot.  balsamic. ,  welches  etwas  dick  auf- 
gestrichen wird.  Die  Heilung  des  Krebses  erfolgt  nach  meinen  Erfahrungen 
in  5 -^-^'7  Wochen  {^Kuhrcle}.  Viele  andere  Erfahrungen  sprechen  gleichfalls 
für  die  Wirksamkeit  des  Mittels.  (Vergl.  Chelius,  Handbuch  d.  Chirurgie, 
1829,  Bd.  II.  Abth.  2.  Heidelberger  klin.  Annal.  Bd.  HI.  Hft.  3.  Dier- 
hach.  Entdeck,  in  d.  Mat.  med.  2.  Abth.  Sac?is,  Darstellung  äusserer  Heil- 
mittel, Th.  1.  Berliner  Jahrbücher  f.  Pharmacie,  Bd.  XXII.  Allgem.  me- 
dic.  Annalen,  1818,  S.  638,  und  1821,  S.  125.  RusVs  Magaz.  Bd.  XIX. 
Hft.  3,  Bd.  XXII.  Hft.  3,  Bd.  XXIII.  Hft.  2,  Bd.  XXV.  Hft.  1.  Harless, 
Rheinische  Jahrbücher,  Bd.  VII.  St.  8,  Bd.  XII.  St.  2.  Geiger's  Magaz. 
Bd.  XI.  FriedreicJi' s  und  Itessclhach^s  Beiträge  zur  Natur-  und  Heilkunde, 
Bd.  II.  Annalen  der  gesammt.  Heilk.  der  Mitglieder  der  Badenschen  Sani- 
tätscommission, Jahrg.  3,  Hft.  1).  Das  Hellmund'sche  Mittel  ist  dem  Cos- 
•me'schen  weit  vorzuziehen ,  weil  es  sich  an  allen  Stellen  anbringen  lässt 
und  man  seine  Wirkung  willkürlich  vermindern  oder  erhöhen  kann ;  es  auch 
nicht  so  viel  Schmerzen  erregt ,  gesunde  Theile  nicht  angreift  und  eine 
egale,  glatte  Narbe  zurücklässt.  2)  Das  Cosme'sche  Mittel  ist  ein  Pulver, 
bestehend  aus  Yy  Cinnahar.  artefact.  5J,  Snnguin.  dracon.  5)^,  Jrsenici  alhi, 
Ciner.  solear.  calceament.  ana  55-  M.  f.  pulv.  subtil.  Dieses  Pulver  wird 
mit  Wasser  oder  Speichel  zu  einem  Brei  gemacht  und  mittels  eines  Spatels 
auf  die  gut  abgetrocknete  Geschwürsfläche  und  auf  deren  Ränder  aufgetra- 
gen. Es  entstehen  heftige  Schmerzen,  Entzündung  und  Geschwulst.  Durch 
erweichende  lauwarme  Umschläge  und  aromatische  Kräutersäckchen  werden 
diese  Zufälle  gemildert.     Je  heftiger  das  Mittel  wirkt ,  desto  sicherer  ist  die 

20* 


308  CANCER 

Wirkung.  Bleibt  nach  dem  Abfallen  des  Brandscborfs  noch  eine  unreine 
Stelle  zurück,  so  wird  das  Mittel  wiederholt.  Ist  die  Geschwürsfläche  aber 
rein,  so  befordern  wir  die  Heilung  durch  die  bekannten  Mittel,  wie  bei 
jedem  reinen  Geschwüre.  3)  Das  Plunket'sche  Mittel.  Es  ist  ein  Causti- 
cum  arsenicale ,  bestehend  aus  Fol.  ranunculi  acris ,  Flammulae  vulgaris, 
Arsenici  albi  lae\igati  ana  5j  •,  Flor,  sulphuris  3iv.  Beim  Gebrauche  wird 
dasselbe  gepulvert,  mit  Eidotter  vermischt  und  mittels  eines  Stücks  Schweins- 
blase auf  die  Geschwürsfläche  gelegt.  Man  lässt  es  so  lange  liegen ,  bis 
sich  der  Schorf  gelöst  hat.  Die  Anwendung  erfordert  grosse  Vorsicht,  um 
Arsenikvergiftung  zu  verhüten  (s.  Dierhnch,  Entdeck,  in  der  Mat.  med.  2te 
Abth.  S.  709).  4)  Das  Carmichaersche  Mittel  ist  Ferrum  arsenicum.  Man 
vermischt  dieses  mit  vier  Theilen  Ferrum  phosphoric.  und  trägt  es  dünn  auf 
die  Oberfläche  des  Geschw  ürs ,  und  zwar  nicht  auf  eii\mal  auf  die  ganze 
Geschwürsfläche.  Am  zweckmässigsten  wendet  man  es  in  Salbenform  an, 
z.  B.  I^  Ferri  arsenici  5lv,  Ferri  phosphor.  3jj »  Uniff.  celacei  3vj  (s.  Med.- 
chir.  Pharmakop.  S.  81  u.  190.  Geiger's  Magaz.  1826,  S.  13.  Dierhach 
1.  c.  2te  Abth.  S.  711).  5)  Das  Baumann'sche  Mittel.  Ist  ein  Pulver  aus 
gleichen  Theilen  Arsenik,  Nitr.  depurat.,  Kali  subcarbon.  purum  und  fein 
pulverisirter  Aronwurzel ,  welches  mit  so  viel  Kienruss  vermischt  wird ,.  dass 
es  eine  graue  Farbe  bekommt  (s.  Dierhach  1.  c.  2te  Abth.  S.  707.  Berliner 
Jahrb.  d.  Pharmac.  Bd.  XXil.  AUg.  med.  Annalen,  1818  u.  1821.  Salzb. 
med.  chir.  Zeit.  22ster  Ergänz. -Bd.).  Dieses  Mittel  leistet  besonders  bei 
Lippen  -  und  Gesichtskrebs  gute  Dienste.  Ich  kenne ,  gestützt  auf  das 
Zeugniss  eines  hiesigen  glaubwürdigen  Mannes,  des  Hrn.  Cantor  Gi'npow, 
mehrere  glückliche  Curen  mit  demselben.  Man  thut  von  diesem  Pulver,  das 
um  so  wirksamer  zu  seyn  pflegt ,  je  länger  es  vor  dem  Gebrauche  bereitet 
ist ,  eine  dem  Umfange  des  Geschwürs  angemessen£^  Menge  in  eine  Thee- 
tasse.  Man  macht  aus  Baumwolle  ein  hinlänglich  grosses  Plumaceau ,  um 
das  Geschwür  ganz  bedecken  zu  können ,  feuchtet  es  mit  Speichel  wohl  an 
und  wälzt  es  so  lange  in  dem  Pulver  herum ,  bis  der  Bauch  davon  wohl 
durchdrungen  ist.  Nun  reinigt  man  das  Geschwür  mit  warmem  Wasser, 
legt  den  Bausch  auf  und  befestigt  Alles  mit  einer  Binde.  Nach  24  Stunden 
entsteht  heftige  Entzündung  und  Geschw  ulst ,  durch  deren  Heftigkeit  sich 
der  Arzt  nicht  bewegen  lassen  muss  eher  überzuschlagen ,  als  bis  die  che- 
chenden  Schmerzen  unerträglich  werden  und  die  Grenzen  der  Trennung  und 
Absonderung  der  schadhaften  Theile  von  den  gesunden  erscheinen.  Es  bil- 
det sich  am  dritten  Tage  eine  Furche,  diese  verbindet  man  mit  gemeinem 
%erpenthin  und  Eigelb  (3JIV  und  Vitell.  ovor.  Nr.  1).  Beim  Verbinden  darf 
man  kein  Instrument  von  Metall  gebrauchen.  Sollte  die  Absonderung  des 
Krebsartigen  nicht,  wie  gewöhnlich,  den  sechsten  oder  achten  Tag  erfol- 
gen ,  so  wendet  man  das  Pulver  auf  das  Schadhafte  noch  einmal  an ,  be- 
deckt aber  die  reinen  Theile  vorher  mit  Charpie.  Nie  darf  man  die  Trennung 
des  Schorfes  gewaltsam  bewirken ;  man  muss  abwarten^,  bis  sie  von  selbst 
erfolgt.  Die  Heilung  des  Geschwürs  bewirkt  alsdann  die  Terpenthinsalbe. 
Während  der  ganzen  Cur  muss  das  Verhalten  antiphlogistisch  seyn.  An- 
fangs bekommt  die  Milchdiät  sehr  gut;  ausserdem  gebe  man  gelinde  bittere 
Extracte  und  leichte  Mittelsalze ;  später  muss  endlich  der  Darmcanal  wie- 
derholt gereinigt  werden,  Most).  6)  Justamond''s  Mittel.  Es  besteht  a)  aus 
einer  Salbe :  fy  Arsenici  albi  gr.  iv,  Opü  puri  3jl ,  Uiit/t.  cerei  5j.  M.  f.  1.  a. 
Unguent.  S.  Sehr  dünn  auf  Leinwand  zu  streichen.  Sie  wirkt  langsam, 
mildert  aber  die  Schmerzen;  b)  aus  einem  Pulver  von  Arsenik  und  Schwe- 
fel ,  womit  die  Geschwürsfläche  bestreuet  wird.  Wir  vermischen  es  auch 
wol  zur  Hälfte  mit  Flor,  zinci  (s.  JustamoniVs  Chir.  Schriften,  a.  d.  Engl, 
v.  Michaelis;  Leipz.  1791.  BelPs  Abb.  v.  d.  Geschwüren.  Zusätze  S.  205). 
7)  Le  Fc()ure''s  Arsenikauflösung.  JMan,  reibt  2  Gran  Arsenik  mit  Zucker 
ab  und  löset  dies  in  2  S  Wasser  auf.  Le  Fehure  lässt  diese  Solution  äus- 
serlich  als  Umschläge  oder  Waschmittel  anwenden  und  zugleich  innerlich 
davon  Morgens  1  Esslöflfel  voll  mifc  einer  halben  Unze  Milch  und  einer  hal- 
ben Drachme   Syr,  papav.   nehmen   (s.  Samml.  auserl.   Abh.    f.  pr.   Ärzte. 


CANCER  309 

Bd.  II.  St.  4.  BelVs  Zusätze,  1793,  S.  243).  8)  Die  Krebsmittcl  des  Gra- 
fen Arundel.  Sie  bestellen  in  Folgendem:  a)  ein  Ätzpulver  aus  Arsenik  5jj» 
Bolus  armen.  5j  ;  b)  ein  glänzendes  Atzpulver  aus  Auripigment,  Merc.  prae- 
cip.  ruber  und  Bolus  armen,  ana ;  c)  ein  schwarzes  Wasser,  bestehend  aus 
Sublimat  gj ,  Merc.  praec.  rubr.  giv ,  Acetum  vini  ßvj ,  welches  zusammen 
gekocht  wird;  d)  ein  Ungt.  virid.  aus  Terebinth.  venet.  3Jjj,  Colophon.  gjiH, 
Virid.  aeris  3(s ,  Axung.  porci  3xvjjj.  M.  f.  1.  a.  Ungt.  (s.  BclVs  Abh.  v.  d. 
Geschwüren.  Zusätze  S.  2^6.  Justnmond  a.  a.  O.).  9)  Pnnncca  antican- 
crosn  von  Franz  Xaver  de  Marc,  oder  Justamond^s  Stahlmittel,  bestehend 
aus  Eisen,  Salmiak,  Weingeist,  Weinsteinöl  und  Vitriolgeist,  womit  die 
Geschwürsflächen  und  deren  Ränder  angefeuchtet  und  zugleich  innerlich  die 
Flor,  salis  ammoniaci  martialis  gegeben  werden  (s.  Justamond  a.  a.  O.  Dess. 
Tract.  de  Cancro ,  Vienn.  1777.  Astruc  v.  Geschwülsten  u,  Geschwüren, 
Bd.  II.  Fourcroy  im  Journ.  de  medec.  Vol.  I.  Paris  1791),  10)  Althoff^s 
Mittel  besteht  aus  folgender  Salbe:  ly»  Arsenici  albi  gr.  vjjj,  Eartr.  saturiii, — 
cicutae,  —  chinnv  ana  51V,  Aq.  destillat.  3jjj-  M.  f.  Ungt.  (s.  B;<n/rtc/i's  Arz- 
neimittellehre). 11)  Auch  den  Theer  hat  man  äusserlich  empfohlen.  Es 
wird  Charpie  damit  bestrichen  und  auf  das  Geschwür  gelegt..  Zugleich 
lässt  man  innerlich  das  Theerwasser  gebrauchen  (s.  Gazette  sanitaire  1784. 
Berchehnann  Abh.  v.  Krebs,  Leipz.  1756.  BiirdaclCs  Arzneimittellehre). 
12)  Goldpräparate.  Angewandt  werden  a)  Aurum  Umatum  s.  puherisalum, 
b)  Aurum  muriaticum.  Beide  Mittel  werden  innerlich  und  äusserlich  ge- 
braucht ;  ersteres  innerlich  zu  2  —  5  Gran ;  letzteres  zu  ^s  5  Vs  5  V4  ?  V2  bis 
4  Gran.  Äusserlich  nimmt  man  4  Gran  auf  eine  Unze  Fett,  und  verbindet 
mit  dieser  Salbe  das  Geschwür  täglich  2  —  3mal  (s.  Dierbach  1.  c.  2te  Abth. 
S.  620.  Rusfs  Magaz.  Bd.  XI. ,  XVI. ,  XVIII. ,  XXI.  HufehnuVs  Journ. 
1823 ,  Juni.  Med.  chir.  Zeit.  1823).  13)  Zincxmi  muriaticum ,  wird  äusser- 
lich in  Pulverform  angewandt.  Man  bestreuet  die  ganze  Geschwürslläche 
eine  Linie  dick  damit,  sichert  die  Grenzen  desselben  durch  Heftpflaster, 
belegt  hierauf  die  ganz^  Fläche  mit  Heftpflaster,  Compressen  und  Binden. 
Die  Wirkung  soll  in  6  —  8  Stunden  erfolgen;  der  Schorf  soll  nach  8  Tagen 
abfallen  und  sich  eine  gesunde  Granulation  zeigen  (s.  HufclaiuVs  Journal, 
1826,  Mai.  Auqusün''s  Pharmac.  extempor.  Ed.  2.  Bischof,  Handb.  d.  Arz- 
neimittellehre, i3d.  II.  p.  571.  Dierhach  l,  c.  2te  Abth.  S.  694).  14)  Cu- 
prum sulphuricum  in  Verbindung  mit  Pulv.  cort.  chinae  und  Wasser,  em- 
pfiehlt äusserlich  Coates ,  Arzt  in  Philadelphia.  15)  Bleimittel ,  vorzüglich 
als  Zusatz  zu  Bädern ,  um  die  grossen  Schmerzen  zu  lindern  (s.  Jänisch, 
•Abhdl.  V.  Krebse,  Petersb.  1777.  Nya  lärda  tidningar,  Stockh.  1775.  Col- 
lect. Soc.  med.  Hafn.  Vol.  I.  1774.  BeIVs  Zusätze.  Hcc1;er's  Lit.  Annalen 
d.  ges.  Heilkunde;  3r  Jahrg.  Septbr.).  16)  Opiumpräparate  sind  in  neuern 
Zeiten  wiederum  gegen  den  Krebs  empfohlen  worden,  besonders  von  Krü- 
gelstein  und  Marcinhowsli  (s.  AUg.  med.  Annalen,  1827.  Hft.  2).  17)  Ca- 
Jcmlula  officinalis  ist  neuerdings  von  Stein  und  Westring  gegen  den  Krebs 
empfohlen.  Ersterer  wendet  innerlich  ein  Decoct  (5|v — 5j  auf  5vijj  Cola- 
tur),  auch  die  Mellago  oder  das  Extract  in  Pillen  an;  äusserlich  den  Succ. 
rec.  express.  des  Krautes  und  der  Blume  und  Blätter  in  Salbenform  (s.  An- 
nal.  der  ges.  Heilk.  der  Badensch.  Sanitätscommiss.  3r  Jahrg.  Hft.  1.  ITu- 
feland^s  Journ.   1821,  Mai,    1824,  p.  119.     Rust's  Magaz.  Bd.  XI.  S.  350). 

18)  Das  hydriodsaure  Kali  rühmt  Prof.  UUmann  in  Marburg.  Er  verbin- 
det die  Geschwüre  mit  Kali  hydriod.  5)1,  Axung.  porci  5Jiv  und  nimmt 
zuletzt  18  Gran  auf  6  Drachmen  Fett  (s.  v.  Gräfe's  Journal ,  IV.  2).  (Er- 
kundigungen, die  ich  1823  in  Marburg  in  einer  der  dortigen  Apotheken  über 
das  Mittel   einzog,    waren   indessen    durchaus  nicht   glänzender  Art.    Most^. 

19)  Das  Chreston'sche  Mittel  wird  besonders  gegen  Lippen  -  und  Brust- 
krebs gelobt.  Es  ist  Folgendes:  ^r  Folior.  laurocerasi  rccent.  31V,  Aquae 
ehull.  ßjj ,  infund.  vas.  cl.  per  horam.  Col.  adde  Meli,  despumat.  5IV.  M. 
Mit  dieser  Flüssigkeit  feuchtet  man  Charpie  und  Compressen  an  und  legt 
sie  auf  die  Geschwüre  (s.  Med. -chir.  Pharmakop  S.  100).  Auch  das  Wa- 
schen mit  verdünnter   officineller   Blausäure    wird   bei   Cancer   maromar.    et 


3lO  CANCER 

uteri  empfohlen  (7Iorn''s  Archiv,  1822,  Bd.  I.  S.  34).  20)  Blausaures  Eisen 
in  Salbenform  rühmen  englische  Wundärzte  zum  Verbmden  bei  offenem 
Krebse,  z.  B.  I^  Ferri  hijdrocyanici  pulv.  5 j ,  Vnguent.  cetac.  3J.  M.  (s. 
Brandes'  Archiv,  Bd.  1.  Hft.  3.  S.  215).  21)  Segalns  d'Etchepare  rühmt 
das  Chlornatrum  (Chlorure  de  soude)  gegen  Brust  -  und  Mutterkrebs ,  to- 
pisch aag^ewandt  in  verdünntem  Zustande  (s.  Journ.  de  Chimie  medicale, 
1825,  Juillet, -p.  271).  22)  Auch  das  Feuer  ist  gegen  Krebsgeschwüre  mit 
Erfolg  gebraucht  und  in  frühern  Zeiten  dem  Atzmittel  vorgezogen  worden. 
Man  applicirte  es  mittels  des  Glüheiseiis ,  der  Moxa ,  des  Zunders ,  der  glü- 
henden Kohlen,  des  Brennglases.  Hat  der  Krebs  einen  solchen  Sitz,  wel- 
cher die  Operation  nicht  gestattet,  oder  erfolgt  nach  wiederholter  Exstir- 
pation  eine  neue  ktebshafte  Degeneration,  oder  ist  die  Exstirpation  ver- 
säumt oder  nicht  gestattet  worden,  und  hat  die  Anwendung  der  Ätzmittel 
nichts  gefruchtet,  so  können  wir  uns  nur  auf  die  Palliativcur  beschränken. 
Wir  geben  demnach  innerlich  solche  Mittel,  die  dem  jedesmaligen  Zustande 
angemessen  sind ,  z.  B.  bei  heftigen  Schmerzen  und  Schlaflosigkeit  Narco- 
tica,  besonders  Opium,  bei  Erethismus  und  Blutwallungen  Aq.  laurocerasi 
mit  Elix.  acid.  Halleri,  bei  Febr.  hectica  gute  Nutrientia,  Valeriana,  Ca- 
lam.  arom. ,  China  etc.  Äusserlich  wirken  sehr  schmerzlindernd  der  frische 
Karottenbrei ,  eine  Solut.  hepat.  sulphuris  mit  Extr.  hyoscyami ,  das  Aufle- 
gen der  frischen  Blätter  von  Hyoscyamus,  Plantago  etc.  Der  secundäre 
Krebs  erfordert  bei  der  Cur  die  beim  primitiven  Krebse  angegebenen  Be- 
rücksichtigungen. Man  achte  hier  besonders  auf  die  ursprüngliche  Krank- 
heit und  gebe,  wenn  der  Kranke  nicht  schon  zu  schwach  ist,  die  dagegen 
geeigneten  Mittel.  Die  äussere  reizende  Curmethode  ist  hier  nie  zu  Anfange 
anzuwenden;  nur  die  reizmildernde  passt,  z.  B.  laue  Fomentationen  und 
Umschläge,  die  Application  von  Blutegeln,  eine  gelinde  antiphlogistische 
Behandlung,  eine  reizlose,  nährende  Diät,  z.  B.  Milchdiät.  Sollte  aber 
dennoch  der  secundäre  Krebs  fortschreiten ,  se  kann  man  auch  hier  die  beim 
primitiven  angegebene  Curart  in  Anwendung  bringen,  und  z.  B.  das  Hell- 
raund'sche  Mittel,  die  Eidechsencur  etc.  versuchen.         J.  F.   W.  Kuhrchc. 

Nachschrift  des  Herausgebers.  Da  der  verehrte  Verfasser  obi- 
ger Abhandlung  verhindert  worden,  die  einzelnen  Krebsarten  auszuarbeiten, 
so  ergänze  ich  diese  hier  in  der  Kürze,  hier  und  da  mit  eigenen  Erfahrun- 
gen begleitet. 

Cancer  anthracicus,  s.  Cancer  cutis. 

Cancer  aqunticus,  der  Wasser  krebs.  Ist  keine  krebshafte  Affection, 
sondern  eine  Art  scorbutischer  Mundfäule,  die  sich  neben  dem  Leiden  in 
der  Mundhöhle  auf  der  Wange  äussert,  ein  specifisch  gangränöses  Leiden, 
das  weder  zur  gewöhnlichen  Gangrän,  noch,  wie  Hesse  Avill,  zu  den  krank- 
haften Erweichungen  gehört  (s.  Stomacace  gangraenosa  infantum). 
'  Cancer  cutis.  Der  Hautkrebs  entwickelt  sich  aus  keiner  Drüse,  wie 
der  Drüsenkrebs;  er  hat  urspiünglich  seinen  Sitz  in  der  Haut,  und  kann 
daher  an  allen  Theilen  des  Körpers,  die  mit  Haut  umkleidet  sind,  vorkom- 
men. Die  Lieblingsstellen  des  Hautkrebses  sind :  die  Schleimhaut  des  Darni- 
canals,  zumal  die  des  Pharynx,  der  Zunge,  des  Rectums,  der  Genitalien. 
Seltener  entspringt  er  aus  dem  Corium ,  und  ergreift  dann  am  öftersten 
das  Gesicht.  Je  gefässreicher ,  sensibler  und  edler  das  ergriffene  Organ  ist, 
desto  zerstörender  sind  seine  Wirkungen,  z,  B.  an  den  Augen,  der  Zunge, 
in  den  Schleimhöhlen  der  Nase.  Entspringt  er  aus  dem  Corium ,  so  bildet 
sich  erst  entweder  eine  kleine  missfarbige,  rauhe  Warze  (Warzenkrebs, 
Cancroides} ,  oder  eine  schwärzliche,  stark  juckende,  maulbeerartige  Excre- 
scenz  (^Cancer  anthrncicus} ,  oder  er  entsteht  aus  harten ,  verschieden  ge- 
färbten,  mehr  oder  weniger  zahlreichen  Knollen  (Kn  ol  1  e  nk  rebs,  Cancer 
tuljcrcuJosus^ ,  oder  aus  tuberculösen ,  anfangs  ganz  schmerzlosen,  violett 
oder  schwär'/.lich  gefärbten  Geschwülsten  (^Cancer  globosiis^ ,  oder  endlich 
aus  einer  ganz  unbedeutend  scheinenden  Excoriation,  woraus  bald  früher, 
bald  später  ein  Geschwür  entsteht ,  welches  mit  den  heftigsten ,  Tag  und 
Nacht  anhaltenden  Schmerzen  alle  Eigenthümlichkeiten   des  wahren  Cancer 


CANCER  311 

aperius  verbindet.  In  einzelnen  .Fällen  ist  das  Geschwür  nur  einen  Gro- 
schen gross ,  umgeben  von  peripherischer  Röthe ,  sondert  eine  geringe  Menge 
Jauche  ab,  bedeckt  sich  mit  graugelber  Borke,  die  sich,  so  wie  sie  abge- 
kratzt wird,  aufs  Neue  bildet,  und  es  vergrössert  sich  Jahre  lang  nicht  im 
mindesten.  Da  es  von  selbst  nie  heilt  und  durch  unzweckmässige  Behand- 
lung ganz  den  Verlauf  des  wahren  Krebses  nimmt  mit  allen  seinen  Zufäl- 
len: lancinirende  Schmerzen,  Bildung  von  Fungositäten,  oft  wiederkehrende 
Blutungen,  Anschwellung  der  benachbarten  Drüsen  und  cancröse  Zerstörun- 
gen etc.;  —  so  beweiset  dieses  hinlänglich  seine  Krebsnatur.  —  In  andern 
Fällen  verbreitet  sich  das  Geschwür  mehr  in  die  Breite ,  als  in  die  Tiefe ; 
es  kriecht  bald  langsamer,  bald  schneller  von  einer  Stelle  zur  andern  (Ul- 
cus carcinoidcs  1  Achilleum,  Cacoethes,  Chironium,  Telephium),  verursacht 
äusserst  heftige  stechende,  bohrende  Schmerzen  (Cancer  terebrans,  nach  Ali- 
hert) ,  destruirt  dann  erst  die  tiefer  gelegenen  Theile  :  das  Zellgewebe ,  die 
Muskeln,  selbst  die  Knochen,  zumal  wenn  es  an  Gegenden  gekommen  ist, 
wo  sich  das  Corium  mit  der  Schleimhaut  verbindet,  wie  z.  B.  die  Nase, 
Augen,  Lippen,  der  After,  das  Ostium  cutaneura  urethrae  (ßn^?c).  Allen 
diesen  Geschwüren  hat  man  auch  wol  den  Namen :  „Noli  mc  tnngcre'"''  gege- 
ben ;  die  Franzosen  nennen  sie  Ulccra  cancrosa  primitiva ,  im  Gegensatz  der 
von  ihnen  sog.  consecutiven,  wo  später  bei  vorwaltender  Dinthesis  cnr- 
cinomatosa  Ulcera  venerea ,  scrophulosa ,  serpiginosa ,  herpetica  ,  phagedae- 
nica  etc.  in  Carcinom  übergehen.  Bildet  sich  der  Hautkrebs  in  den  Schleim- 
häuten, so  gehen  meist  Polypen,  Tuberkeln,  verrucöse  Auswüchse ,  Ulcera- 
tion  harter,  callöser  Stellen  vorher.  Die  Cur  ist  die  allgemeine  des  Kreb- 
ses (s.  Cancer). 

Cancer  ehurneus.  Ist  jeder  Scirrhus,  so  lange  er  noch  nicht  in  Erwei- 
chung übergegangen  ist  und  dann  die  bedeutende  Härte,  die  ihn  charakte- 
risirt  und  der  des  Elfenbeins  nahe  kommt,  zeigt. 

Cancer  encephaloidcs ,  s.  Fungus  medullär! s. 

Cancer  fungosus.  So  nennt  man  das  spätere  Stadium  des  Carcinoms, 
wo  sich  in  der  Geschwürsfläche  bereits  Schwammgewüchse  gebildet  haben. 
Oft  sehen  diese  braunroth  aus,  erscheinen  traubenförmig,  bilden  sich  schnell 
zu  bedeutender  Grösse  (ich  sah  solche  Fungositäten  bei  einem  fetten,  66jäh- 
rigen  Manne ,  der  an  Cancer  parotidis  litt ,  binnen  24  Stunden  sich  um  '/j 
Zoll  vergrössern ,  Most) ,  —  bluten  häufig  und  gehen  in  so  absche\ilich  stin- 
kende Verjauchung  über,  dass  man  es  in  der  Nähe  des  Kranken  nicht  aus- 
halten kann.  Übrigens  soll  der  Cancer  fungosus  nicht  so  leicht  secundäre 
Scirrhen  veranlassen,  als  dies  beim  Cancer  genuinus  der  Fall  ist  (s.  Rusfs 
Handbuch  der  Chirurgie,  Bd.  III.  S.  497). 

Cancer  Galeni.  Ist  keine  Krankheit,  sondern  eine  sechsköpfige  Kopf- 
binde ,  deren  man  sich  schon  lange  mit  Nutzen  bei  Kopfwunden  bedient. 

Cancer  genuinus,  der  wahre,  echte  Krebs,  im  Gegensatz  des  Can- 
cer spurius.  Er  kann  sowol  bei  wohlgenährten  fetten,  als  bei  magern  Per- 
sonen entstehen,  doch  wol  nur  höchst  selten  vor  dem  SOsten,  40sten  Le- 
bensjahre. Wohl  zu  unterscheiden  ist  er  von  der  sog.  gutartigen  Induration. 
S.  Induratio. 

Cancer  glandulae  lacrymalis ,  s.  Hydatls  glandulae  lacry- 
m  a  H  s. 

Cancer  glohosus.  So  nannte  Alihert  eine  besondere  Art  des  Krebses. 
S.  Can  cer  cutis. 

Cancer  haematodes,  Blutkrebs,  s.  Fungus  haematodes. 

Cancer  lahiorum,  der  Lippen  krebs.  Entsteht  häufiger  an  der  un- 
tern als  an  der  obern  Lippe,  und  entwickelt  sich  entweder  aus  einem  har- 
ten Knoten  in  derselben,  wobei  die  Lippe  unförmlich  anschwillt,  oder  aus 
schorfigen ,  geschwürigen  Stellen  der  Oberfläche.  Höchst  selten  ist ,  Gott- 
lob! dieser  Krebs  ein  wahrer  Krebs,  meist  nur  ein  bösartiges  (syphiliti- 
sches, von  Caries  der  Zähne  etc.  herrührendes)  Geschwür.  Cur.  Die  Exci- 
sion  der  schadhaften  Stelle  ist  hier  dem  Causticum  vorzuziehen.  Sie  gelingt 
häufig,   und  es  erfolgt   selbst  Heilung  bei  grossen  Zerstörungen  der  Lippe 


313  CANCER 

und  dea  Mundes,  sogar  bei  cariöser  Affection  der  Maxiila  (^'Divpwßren'). 
Häufig  würde  kein  bösartiges  Geschwür  aus  den  schorfigen,  geschwürigen 
Hautexcoriationen  entstanden  seyn,  hätte  man  diese  nur  mit  einem  milden 
Öle  und  nicht  mit  reizenden  Pflastern  und  Salben  verbunden,  und  hätte 
man  dem  Kranken  eine  kühlende  Diät  und  alle  3  —  4  Tage  ein  kühlendes 
Laxans  aus  Magnesia  sulphurica  verordnet  (M.).  Die  Diagnose  des  wah- 
ren Lippen  krebs  es  von  andern  bösartig  aussehenden  Geschwüren  er- 
heischt eine  sorgfältige  Berücksichtigung  aller  bei  Cancer  in  genere  und  bei 
Cancer  cutis  aufgeführten  Erscheinungen  und  des  Verlaufs  der  Krankheit. 
Die  Oberlippe  wird  am  häufigsten  ergriffen ,  und  das  Carcinom  geht  bald 
aus  einem  harten,  ungleichen  Knoten  der  Lippe  unter  heftigen,  bohrenden 
Schmerzen,  bald  aus  einer  blossen  Excoriation  hervor.  Die  Cur  betref- 
fend ,  so  ist  noch  das  Ausschneiden  das  beste  Mittel.  Auch  hat  sich  inner- 
lich das  Decoct.  Zittmanni  in  mehreren  B^ällen  von  echten  Lippenkrebsen 
Rust  heilsam  bewiesen.  Alle  gerühmten  Caustica,  als  das  Cosme'sche  und 
Hellmund'sche  Mittel,  zeigten  sich  mehr  schädlich  als  nützlich,  doch  leisten 
sie  bei  Ulcus  carcinoides  herrliche  Dienste.  S.  Cancer  cutis.  (Vergl. 
Siark  in  LniujenhccV s  Bibl.  1812,  Bd.  IV.  St.  4.  S.  559.  —  Baumann,  E. 
F.  A. ,  Disscrt.  de  cancro  etc.  Lips.  1814,  p.  49.  —  Richernnd  in  Histoire 
des  progres  recens  de  la  Chirurgie,  p.  218.  —  v.  Gräfe' s  u.  v.  Wnlthers 
Journal,  Bd.  XIL  St.  3.  S.  428,  vom  J.  1829). 

Cancer  linguae ,  der  Zungenkrebs.  Ist  häufig  ein  wahrer  Krebs, 
beginnt  mit  einer  harten ,  umschriebenen  Geschwulst  an  der  einen  oder  an- 
dern Seite  der  Zunge;  dann  bricht  nach  kürzerer  oder  längerer  Zeit  die 
Geschwulst  auf,  und  die  bekannten  Zeichen  des  Carcinoms  stellen  sich  ein. 
Aber  nicht  alle  Geschwülste  und  Geschwüre  der  Zunge  sind  krebsartig ; 
häufig  werden  sie  es  erst  secundär.  Man  achte  daher  auf  Syphilis ,  Scor- 
but,  Caries  dentium ,  maxillae.  Cur.  Man  wende  gelinde  Mittel  an,  z.B. 
Extr.  cicutae  mit  Mel  rosar. ,  zum  Bepinseln,  sorge  für  Reinlichkeit  des 
Mundes,  lasse  mit  Infus,  salviae  oft  gurgeln.  Ist  noch  Cancer  occultus  da 
und  kerne  allgemeine  Dyskrasie  zugegen,  so  exstirpire  man,  besonders  wenn 
nur  ein  kleiner  Seitentheil  der  Zunge  leidet.  Bei  oifenem  Krebse  leistete 
in  einem  Falle  das  Weise'sche  Mittel  innerlich,  und  die  Salbe  aus  Carbo 
animalis  zum  Verbinden  gute  Dienste  {Josephi^.  Giftige  Salben  darf  man 
nicht  zum  Verbinden  wählen.  Entstehen  Blutungen ,  so  wende  man  das 
Glüheisen  vorsichtig  an.  Auch  die  so  häufig  bei  Zungenkrebse  beobachte-, 
ten  schwammigen  Excrescenzen  entfernt  am  besten  das  Glüheisen.  Dass 
das  Übel  ,  wenn  es  aus  örtlichen  Ursachen  entstand,  z.  B.  durch  Druck, 
Quetschung,  leichter  zu  heilen  ist,  als  wenn  allgemeine  Dyscrasia  cancrosa 
zum  Grunde  Hegt ,  versteht  sich  von  selbst  (vergl.  v.  Gräfe^s  und  v.  If'al- 
ther's  Journ.  d.  Chirurg  etc.,  Bd.  IL  St.  2,  Bd.  V.  St.  2).  Der  Zungen- 
krebs kommt  an  der  Spitze  und  den  Seitentheilen  der  Zunge,  an  den 
Rändern  derselben  weit  häufiger,  als  an  der  Oberfläche  dieses  Theils  vor. 
Oft  ging  Jahre  lang  eine  harte,  schmerzlose  Geschwulst  vorher,  die  dann 
aber  plötzlich  unter  den  bekannten  flüchtigen,  stechenden  Schmerzen,  die 
periodisch  eintreten ,  zum  Carcinom  wird ,  indem  sich  an  einer  Stelle  ein 
fluctuirendes  Bläschen  bildet,  das  aufbricht  und  ein  Geschwür  zeigt,  des- 
sen Oberfläche  hart  und  blau  ist,  von  Zeit  zu  Zeit  blutet,  und  eine  dünn- 
flüssige, scharfe,  übel  riechende,  Ekel  erregende  Jauche  entleert,  immer 
mehr  um  sich  greift ,  B'ebris  hectica  erregt  und  binnen  wenigen  Monaten, 
bevor  kaum  die  Hälfte  der  Zunge  zerstört  worden,  den  Kranken  tödtet. 
Von  der  Hypertrophie  der  Zunge,  die  in  seltenen  Fällen  auch  an 
der  Spitze  vorkommt,  unterscheidet  sich  der  wahre  Krebs  dadurch,  dass 
diese  Hypertrophie  bei  Kindern  entweder  angeboren  oder  anerworben  vor- 
kommt, nicht  in  der  Form  eines  kleinen  harten  Knotens  auftritt,  sondern 
mehr  die  Zungenspitze  in  der  Art  einnimmt,  dass  die  ganze  Muskelsul)stanz 
aufgeschwollen  erscheint  und  zwischen  den  Lippen  hervortritt,  die  Anschwel- 
lung gleichmässig  ist  und  ihre  Oberfläche  an  Farbe  und  Struclur  den  übrigen 
Zuiigentheilen  gleicht,    auch  keine  Schmerzen,    nur  bei  bedeutender  Grösse 


CANCER  313 

Hlndeniiss  Im  Sprechen  und  Schlingen  verursacht.  Auch  die  Vergrosse- 
rung  der  Papillen  auf  dem  Rücken  der  Zunge,  schwammige  Excrescen- 
zen,  entstanden  in  Folge  Ton  Syphilis' und  Mercurialismus ,  müssen  wohl 
vom  echten  Zungenkrebse  unterschieden  werden.  Die  Exstirpation  des 
Krebses  und  innerlich ,  nach  RnsCs  Erfahrungen ,  das  Decoctum  Zittmanni, 
selbst  4  Wochen  und  länger  angewandt,  leisten  hier  noch  die  beste  Hülfe. 
Nach  Hcijfclder  (s  Schweizerische  Zeitschrift  für  Natur-  und  Heilkunde, 
1834,  Hft.  I.  S.  84  ff.)  ist  das  Carcinoma  llnguae  missfarbig,  uneben,  leicht 
blutend,  bei  der  leisesten  Berührung,  beim  Genuss  nicht  flüssiger  Speisen, 
sehr  empfindlich,  es  hat  umgestülpte  Ränder,  später  erregen  die  unerträg- 
lichen Schmerzen ,  die  Nacht  und  Tag  quälen ,  Febris  hectica  und  Tod. 
Ist  schon  schleichendes  Fieber  eingetreten,  so  ist  an  eine  Operation  (das 
einzige  Rettungsmittel)  nicht  mehr  zu  denken.  Hciffclder  fand,  dass  das 
von  Recamiei'  gelobte  salpetersaure  Quecksilber,  5j  i"  gj  Acid.  nitric.  con- 
centr.  gelöst ,  wenig  leistete.  Er  zieht  den  Schnitt  der  Ligatur  und  jedem 
andern  Verfahren  vor.  Das  Verfahren  bei  der  Operation  ist  bei  Exstir- 
patio  cujus d.  linguae  partis  angegeben  (s.  den  Art.). 

Cancer  mammae  fungosus ,  s.  Fungus  mammae. 

Cancer  mammaruni,  Krebs  der  Brustdrüse.  Entsteht  nur  höchst 
selten  bei  Männern,  am  häufigsten  bei  Frauen,  besonders  in  den  vierziger 
Jahren.  Sein  Verlauf  ist  zuweilen  sehr  langsam ;  er  kann  unbeachtet  viele 
Jahre  als  Scirrhus,  als  ein  anfangs  runder,  ebener,  beweglicher  Knoten  in 
der  weiblichen  Brust  zugegen  seyn ,  ohne  dass  darauf  geachtet  wird.  Meist 
erst  dann,  wenn  er  grösser,  unebener,  höckeriger  wird,  mit  der  Haut  und 
den  Muskeln  verwächst,  seine  Schiebbarkeit  und  Beweglichkeit  verliert, 
wenn  periodisch  stechende,  schiessende  Schmerzen  sich  einstellen,  die  durch 
Druck  und  des  Nachts  zunehmen,  wird  das  Leiden  entdeckt.  Werden  nun 
die  Schmerzen  heftiger,  schwellen  die  Achseldrüsen  an,  röthet  sich  die  Ober- 
fläche der  Geschwulst,  vergrössern  sich  die  nahe  gelegenen  Venen,  zieht 
sich  die  Brustwarze  zurück  und  bildet  eine  Vertiefung,  wird  die  Oberhatit 
des  Scirrhus  roth  und  dünn,  so  wird  der  Cancer  apertus  nicht  mehr  fern 
seyn.  Die  Haut  bricht  nun  auf  und  bildet  das  eigenthümliche,  oben  be- 
schriebene Krebsgeschwür.  In  andern  Fällen  entwickelt  sich  aus  dem  Scir- 
rhus das  Krebsgeschwür  weit  schneller;  der  Schmerz  ist  dann  heftiger  und 
es  treten  bald  die  Symptome  eines  Allgemeinleidens  hinzu.  Diagnose. 
Da  ausser  dem  echten  Krebse  sich  in  der  weiblichen  Brust  auch  andere  Ge- 
schwüre bilden,  so  ist  die  Unterscheidung  sehr  wichtig.  Dr.  Cumin  zu 
Glasgow  (Edinb.  med.  and  surgic.  Journ.,  April  1827)  nimmt  zwei  Arten 
von  Brustkrebs  an:  ein  Carcinoma  tuherculosnm  und  oedematosum.  Zeichen 
des  erstem  sind:  steinartige  Härte  bei  unregelmässiger  Oberfläche,  ste- 
chende, reissende  Schmerzen,  Unempfindlichkeit  beim  Druck,  Eingeschrumpft- 
seyn  der  Brustdrüse ,  zurückgezogene  Warze ;  das  spätere  Geschwür  hat 
eine  ausgehöhlte  Fläche  mit  harten,  ungebogenen  Rändern  und  blumenkohl- 
artigen Auswüchsen.  Die  zweite  Species  hat  einen  raschern  Verlauf  und  es 
bildet  sich  das  merkwürdige ,  A'on  Justamond  und  Boyer  genau  beschriebene 
Ödem.  Dies  giebt  die  Diagnose  beider  Species.  Zur  Diagnose  des  Übels 
von  andern  Übeln  dient:  1)  jede  harte  oder  härtliche  Geschwulst,  die  nach 
Entzündung  oder  Eiterung  der  Brustdrüse  zurückbleibt,  die  beim  Druck 
bedeutend  schmerzt,  ist  kein  Scirrhus;  denn  diesem  geht  keine  Mastitis  vor- 
her, und  ein  applicirter  Druck  auf  ihn  schmerzt  sehr  wenig.  2)  Scrophu- 
löse  Geschwüre  sehen  oft  dem  Carcinom  ähnlich;  hier  dient  der  Habitus 
scrophulosus  und  das  jugendliche  Alter  zur  Diagnose,  auch  die  Indicatio  ex 
juvantibus.  3)  Gutartige  Milchknoten  sind  oft  eben  so  hart  und  uneben, 
wie  der  Scirrhus;  sie  schmerzen  aber  mehr  beim  Druck  als  letztere,  aus- 
genommen wenn  er  schon  in  Cancer  occultus  übergegangen  ist ;  sie  sind  die 
Folge  von  Störungen  in  der  Milchsecretion ,  von  Mastitis,  von  Druck, 
Quetschungen,  und  der  übrige  Körper  ist  gesund,  es  ist  keine  Dyscrasia 
cancrosa  vorhanden.  Auch  bleiben  die  Milchknoten  nicht  immer  gleich 
gross.     Sie  nehmen  zu  bei  Luna  crescens,    nehmen   aber  ab  bei  Luna   de- 


314  CANCER 

crescens  {Mosf),  was  der  wahre  Scirrhus  nie  that.  Lauwarme  Fomentatio- 
nen  von  Sohitio  salis  tartari  zertheilen  sie  oft  in  kurzer  Zeit ,  desgleichen 
Einreibungen  von  grüner  Seife.  4)  Balggeschwülste  in  der  Brust  unter- 
scheiden sich  durch  ihre  glatte  Oberfläche;  sie  sind  beweglich,  meist  weich 
und  ohne  stechendes,  schneidendes  Schmerzgerühl.  5)  Sind  der  Verhärtung 
in  der  Tiefe  der  Brustdrüse  Krankheiten  der  Brustwarze,  chronische  Exan- 
theme: Herpes,  Psydracie  vorhergegangen,  so  ists  auch  kein  wahrer  Scir- 
rhus. Wird  in  allen  solchen  Fällen,  wo  dem  Leiden  meist  immer  eine  In- 
flammatio  chronica  zum  Grunde  liegt,  der  Pseudoscirrhus  verkehrt,  reizend 
etc.  behandelt,  so  kann  darauf  der  wahre  Krebs  folgen.  6)  Wenn  ein 
Frauenzimmer  in  einer  fruchtbaren  Ehe  lebte,  nie  an  Anomalien  der  Men- 
struation litt  und  noch  nicht  in  der  Periode  der  Decrepitität  sich  befindet, 
>venn  sie  weder  in  Kummer,  Gram  und  Elend  lebte,  noch  einen  ärgerlichen 
Sinn  besitzt,  so  halte  man  das  Übel  stets  für  einen  Pseudoscirrhus.  Cur. 
Mehrere  hier  anempfohlene  pharmaceutische  Mittel  sind  schon  oben  beim 
Krebs  im  Allgemeinen  angegeben  worden.  Mau  hat  sie  zwar  sehr  oft  ge- 
rühmt, doch  bleibt  nach  der  Erfahrung  das  einzige  Mittel  beim  wahren 
Brustkrebs,  so  lange  er  noch  nicht  aufgebrochen  ist,  die  Operation;  nur 
muss  sie  nicht  zu  spät  vorgenommen  werden.  Einzelne  Knoten  schält  man 
aus;  ist  aber  der  grösste  Theil  der  Brust  schon  verhärtet,  so  ampiitirt  man 
die  ganze  Brust.  Obgleich  das  frühe  Operiren  dein  spätem  vorzuziehen  ist, 
so  operire  man  doch  nie,  wenn  der  Scirrhus  sich  sehr  langsam  entwickelt 
und  noch  wenig  Schmerzen  macht ;  sonst  beschleunigt  man  nur  durch  ra- 
sches Fortschreiten  der  Exulceration  den  schlimmen  Ausgang  (^Chelius^.  Die 
Operation  des  wahren  Scirrhus  mammarum  hilft  zwar  in  den  wenigsten  Fäl- 
len; die  meisten  laufen  nach  meinen  Beobachtungen  unglücklich  ab,  indem 
neue  krebsartige  Degenerationen  sich  bilden ,  aber  dennoch  bleibt  sie  noch 
immer  ceteris  paribus  das  einzige  Zufluchtsmittel,  indem  doch  von  zehn 
Fällen  wenigstens  zwei  einen  glücklichen  Erfolg  haben  (Mos/).  Ist  schon 
Cancer  apertus  da,  so  versuche  man  das  Hellmund'sche  oder  Baumann'sche 
Mittel,  wenn  anders  die  Kranke  nicht  schon  zu  schwach  ist.  Erregung 
einer  heftigen  Entzündung  ist  hier  die  Haiiptsache.  In  einem  Falle,  wo 
diese  eine  scirrhöse  Brust  in  der  ganzen  Peripherie  ergriff  und  in  Brand 
überging,  wurde  der  Scirrhus  zerstört  und  es  erfolgte  Heilung  (s.  Richcrandy 
Nosographie  chirurgicale.  Vol.  L  p.  516).  Die  diätetische  und  innere  Be- 
handlung ist  schon  oben  angegeben.  Ist  die  Kranke  sehr  schwach,  sind 
die  Schmerzen  unerträglich,  so  dienen  die  vom  Prof.  Halle  gegen  scirrhöse 
Anschwellungen  empfohlenen  Umschläge.  Man  kocht  Leinsamenmehl,  Karot- 
tenbrei und  Karottensaft ,  setzt  nach  dem  Kochen  eine  halbe  Unze  Schwei- 
nefett hinzu,  und  streuet  auf  jeden  warmen  Umschlag  kurz  vor  dem  Auf- 
legen 5J  Pulv.  herbae  cicutae.  Dieser  Umschlag  wird  alle  sechs  Stunden 
erneuert  und  auch  innerlich  8  —  20  Gran  Cicuta  gegeben. 

Cancer  medullaris,  s.  Fungus  medullaris. 

Cancer  vwlnnoticus ,  Carcinoma  melanoiicum,  s.  Melanosis. 

Cancer  7nilis ,  mollis ^  s.  Fungus  medullaris. 

Cancer  moUis ,  cerchriformis ,  s.  Fungus  medullaris. 

Cancer  nasi.  Der  Krebs  an  der  Nase  ist  nicht  g.anz  selten.  Er 
kann  in  jedem  Gebilde  dieses  Organs  ursprünglich  wurzeln,  doch  geht  er 
am  häufigsten  von  der  äussern,  die  Nase  bedeckenden  Haut,  zumal 
von  der  Gegfnd  der  Nasenflügel  aus,  wo  er  bald  als  wahrer  Scirrhus  aus 
einem  rundlichen,  harten  Knoten,  bald  aus  Warzen  und  Ex<;rescenzen ,  zu- 
weilen aus  dunkolrothen,  schwärzlichen  Flecken,  aus  schorfigen  Excoriatio- 
nen  entspringt.  Ging  kein  Scirrhus  vorher,  so  ist  das  Geschwür  anfangs 
nur  oberflächlich,  aber  schmerzhaft,  es  zeigt  nach  der  Anwendung  der  ge- 
wöhnlichen Heilmittel  keine  Veränderung,  greift  bald  langsamer,  bald  schnel- 
ler um  sich,  schmerzt  zu  gewissen  Zeiten  weit  stärker  als  zu  andern,  wor- 
auf es  jedesmal  sich  verschlimmert  und  etwas  vergrösserl  und  selbst  in  die 
Tiefe  geht.  Zuweilen  bleibt  es  aber  auch  lange  superficiell  und  auf  einen 
bestimmten  Umfang  besclu-änkt  ,    auch  die  umgebende  Haut  wird   oft  wenig 


CANCER  315 

terändert,  oder  nur  mit  einer  graulichen  Kruste  bedeckt,  die  sich  nach 
jeder  Entfernung  wieder  erneuert.  Hat  aber  das  Geschwür  den  Nasenrand 
erreicht,  so  vergrössert  es  sich  schneller,  greift  in  die  Tiefe  und  zerstört 
alle  Theile  ohne  Unterschied  ihrer  Structur.  Die  stechenden  Schmerzea 
dauern  fort,  das  Geschwür  hat  das  complete  Ansehn  des  Carcinoms,  doch 
jaucht  es  nur  wenig,  hat  nicht  bedeutend  aufgeworfene  Ränder,  wenige 
oder  gar  keine  schwammige  Auswüchse,  die  Nasenflügel  schlagen  sich  hä«t- 
fig  nach  innen  um,  die  nahe  gelegenen  Drüsen  werden  ergriffen,  geschwol- 
len, erhärten  sich,  gehen  auch  wol  in  offenen  Krebs  über.  In  seltener» 
Fällen  wurde  die  ganze  Nase  zerstört  und  der  Kranke  starb  unter  hekti- 
schem Fieber.  —  Eine  andere  Art  des  Nasenkrebses  geht  A'on  der  Schnei- 
der'schen  Schleimhaut  aus,  und  tritt  entweder  in  Form  bösartiger  Polypen 
oder  harter,  warzenartiger  Excrescenzcn  oder  als  eine  harte  Verdickung  der 
Haut  auf  (^Ricliter) ,  worauf  dann  das  Krebsgeschwür  folgt.  Auch  von  den 
Nasenknochen  kann  das  Übel  ausgehen,  wo  es  als  Osteosarcom,  Osteostea- 
tom  auftritt.  Bei  dieser  Art ,  sowie  auch  bei  der  zweiten ,  ist  die  Jaucheab- 
sonderung bedeutend  stark  und  sehr  übelriechend ,  die  Ränder  des  Geschwürs 
erscheinen  umgeworfen ,  die  Nase  ist  mit  Fungositäten  angefüllt  und  die 
Sonde  zeigt  bei  der  letzten  Art,  bei  welcher  oft  bedeutende  Blutungen  ein- 
treten ,  durch  die  Untersuchung ,  dass  der  Knochen  entblösst  ist.  Cur, 
Beim  Hautkrebse  auf  der  äussern  Oberfläche  der  Nase  ist  Pulv.  Cosmicus, 
bei  grosser  Ausdehnung  des  Geschwürs  HcUmuniVs  Mittel  das  beste.  S. 
Cancer.  Warzen  und  bösaitige  Polypen  müssen  vorher  durch  das  Messer 
und  das  Cauterium  actuale  entfernt  werden,  worauf  dann  die  genannten  ar- 
senikalischen  Mittel  zur  Umstimmung ,  um  Heilung  zu  bewirken  und  Reci- 
dive  zu  verhüten,  nöthig  sind  (iJwsf).  Geht  der  Krebs  von  dem  Knochen 
aus,  so  ist  nur  eine  möglichst  vollständige  Exstirpation  alles  Krankhaften 
durch  das  Messer  im  Stande,  dem  Übel  Einhalt  zu  thun,  und  wenn  es  ir- 
gend die  Beschaffenheit  der  Wunde  erlaubt,  so  muss  auch  auf  sie  der  Ar- 
senik applicirt  werden  (s.  Rusfs  Handb.  d.  Chirurgie,  Bd.  HI.  S.  525.  — 
Richter,  Chir.  Bibl.  B.  XIT.  S.  167,  Bd.  IX.  S.  360). 

Cancer  occultus ,  s.  Cancer. 

Cancer  oculi,  Exophthahnia  cnncrosn,  Ophthalmia  carcinomaiosn ,  Scir- 
rhophthalmus ,  der  Augapfelkrebs.  Entsteht  meist  nur  bei  alten,  abge- 
lebten ,  kachektischen ,  mit  allgemeiner  Dyscrasia  cancrosa  begabten  Leuten, 
ergreift  am  häufigsten  nur  ein  Auge,  entsteht  häufig  secundär  aus  dem 
Cancer  palpebrarum,  der  Thränendiüse ,  der  Thränencarunkel  (s.  Hyda- 
tis  glandulae  lacrymalis),  seltener  primär  in  Folge  schlecht  behan- 
delter Augenübel :  des  Cirsophthalmus ,  der  Caruncula  maligna ,  der  Papula 
rebellis ,  des  Staphyloma  totale,  wol  nie  aber  aus  dem  wahren  Carcinoni 
der  Iris ,  welches  Einige  mit  Fungus  haematodes  verwechselt  haben.  Scir- 
rhositäten  des  Bulbus  sollen  jedesmal  dem  Übel  vorhergehen.  Symptome 
sind:  ein  tiefsitzender,  anfangs  stumpfer,  juckender,  später  reissender,  klo- 
pfender, durch  kein  Narcoticum  zu  besänftigender  Schmerz  in  der  Stirne 
und  im  Auge,  verbunden  mit  grosser  Lichtscheu;  Thränenfluss ;  dabei  nimmt 
das  Auge  ohne  Spur  irgend  einer  Ophthalmie  ein  trübes,  mattes,  gelbliches 
oder  grauweisses  Ansehn  an,  vergrössert  sich  durch  eine  harte,  höckerige, 
mit  varicösen,  blaulichen  Gefässen  bedeckte  Geschwulst,  verursacht  dem 
Kranken  das  Gefühl  einer  lästigen  Schwere,  ist  in  seiner  Beweglichkeit  be- 
schränkt oder  ganz  behindert,  und  tritt  endlich  als  eine  bräunliche,  feste, 
von  jeder  Organisation  entblösste  Masse  unter  den  wüthendsten  Schmerzen 
aus  der  Oibita  hervor.  Die  leiseste  Berührung  scheint  den  Unglücklichen 
bis  zum  Wahnsinn  zu  reizen ;  auch  ist  ein  lebhaftes  hektisches  Fieber  zuge- 
gen. Erfolgt  nun  der  Übergang  in  Cancer  apertus,  so  wird  die  Cornea  an 
mehreren  Stellen  wund ,  geschwürig ,  mit  rothen ,  bleifarbenen ,  pilzartig 
hervorwuchernden  Schwämmen  besetzt,  es  folgen  unter  Erleichterung  der 
Schmerzen  Blutungen  aus  den  varicösen  Gefässen,  welche  zuletzt  so  häufig 
und  reichlich  werden ,  dass  Ohnmächten  und  plötzlicher  Tod  durch  Blut- 
verlust erfolgen  können.     Aus  dem  Bulbus  fliesst  eine  stinkende,  mit  röthli- 


316  CANCER 

chen  und  grönllcTien  Streifen  vermischte  Jauche  in  so  grosser  Menge  und 
von  so  ätzender  ßeschafTenheit ,  dass  sie  den  Rest  der  Kräfte  verzehrt,  die 
Nachbarschaft  corrodirt ,  das  untere  Augenlid ,  die  Nase ,  Wange  ergreift, 
das  ganze  Gcsiclit  in  ödematöse  Entzündung  geräth  u.  s.  w.  Ists  noch  Can- 
cer occ(dtus,  eine  blosse  Exophthalmia  scirrhosa ,  so  kann  man  vielleicht 
durch  frühe  Exstirpation  des  Auges  dem  Kranken  das  Leben  retten,  ists 
aber  schon  Cancer  apertus ,  so  hilft  auch  diese  nicht  mehr ,  und  der  Kranke 
ist  ohne  Rettung  verloren,  zumal  wenn  die  allgemeine  Dyscrasia  caucrosa 
zum  Grunde  liegt  (vergl.  Beer,  Ijehre  von  den  Augenkrankheiten,  lid.  JI. 
§.  185;  Wien,  1Ö17.  —  Rust's  Magaz.  Bd.  VIII.  Hft.  2.  S.  S2i ,  Ud.  XXIV. 
Hft.  S.  S.  553).  S.  auch  die  Art.  Sarcoma,  Staphylo ma,  Fungus 
haematodes,  medullaris. 

Cancer  ossiiim,  der  Krebs  der  Knochen.  Die  altern  Autoren  nah- 
men das  Wort  synon)m  mit  Sphin  ventosa.  Andere  verstehen  darunter  eine 
Varietät  des  Knocheiifrasses ,  die  Cnrics  cnncrosa ;  nach  den  Ansichten  der 
Neuern  soll  das  Osteosarcom  dasselbe  im  Knochen  seyn ,  was  der  Krebs  in 
den  Weichgebilden  ist.  Aiif  diese  Unbestimmtheit  der  Begriffe  der  ohnehin 
unrichtigen  Benennung  ,, Knochenkrebs"  gestützt ,  schlägt  mit  Recht 
Seife^'t  (^RusCs  Handb.  d.  Chirurgie,  Bd.  III.  S.  529)  vor,  den  Namen  ganz 
aus  der  chirurgischen  Namendatur  zu  verbannen  und  dafür  lieber  ein  Wort 
zu  wählen,  durch  welches  irgend  eine  vorliegende,  der  krebshaften  Entar- 
tung der  weichen  Theiie  in  einzelnen  Erscheinungen  nicht  unähnliche  Kno- 
chenkrankheit richtiger  und  bestimmter  bezeichnet  wird.  Vergl.  Spina 
ventosa,  Paedarthrocace. 

Cancer  pal pehrnrnm.  Der  Krebs  der  Augenlider  entwickelt  sich 
in  der  Regel  nur  bei  scrophulösen  Snbjecten,  in  Folge  eines  verkehrt  be- 
handelten Chalazion,  einer  solchen  oder  vernachlässigten  1'ylosis ,  einer 
durch  unpassend  angewandte  Caustica  bösartig  gemachten  Warze ,  einer 
kleinen  wiederholt  gereizten,  gekratzten  Papula,  oder  aus  Scirrhositäten, 
welche  sich  in  der  Nachbarschaft  der  Augenlider  befanden.  Zeichen 
sind:  anfangs  eine  kleine,  unscheinbare,  schmerzlose,  wenig  gefärbte,  mit 
der  Oberhaut  verwachsene  Geschwulst,  welche  durch  unzweckmässige  Rei- 
zungen oder  durch  syphilitische,  psorische ,  arthritische,  scabiöse  Djskrasie 
nach  und  nach,  zumal  bei  alten  Leuten,  in  Cancer  a[)ertus  unter  jenen  cha- 
rakteristischen Schmerzen  übergeht  und  ausser  andern  Zeichen  des  Carci- 
noms  auch  Fnngositäten  zeigt.  Zuletzt  werden  die  Nachbartheile,  selbst 
der  Bulbus  oculi,  mit  ergriffen.  Der  Verlauf  ist  bald  rasch,  bald  langsam, 
wird  aber  meist  durch  Wochen ,  Monate  lange  Perioden  initerbrorhen ,  in 
welchen  das  Leiden  nicht  von  der  Stelle  zu  rücken  und  seine  unerträglichen 
Begleiter,  die  heftigen  bohrenden  Schmerzen,  wie  durch  Zauberei  verloren 
zu  haben  scheint.  Doch  kaum  ist  dieser  Zeitraum  vorüber,  so  beginnt  die 
Qual  mit  erneuerter  Stärke  (^liiisCs  Handb.  d.  Chirurgie,  Bd.  III'.  S.  530). 
Cur.  Alle  Versuche,  den  Scirrhus  durch  Einreibungen  etc.  zu  zertheilen, 
sind  fruchtlos  und  schädlich.  Man  thnt  am  besten,  alles  Krankhafte  mit 
dem  Messer  zu  exstirpiren  und  zurückbleibende  Reste  durchs  Caustirum  zu 
zerstören.  Auch  ohne  solche  Reste  cauterisire  man  unmittelbar  nach  der 
Ausrottung  des  Knotens  die  VV^undfläche.  Ancii  beim  Carcinom  bleibt  diese 
Operation  nur  noch  übrig,  oft  muss  auch  selbst  das  Auge  exstirpirt  werden, 
wenn  es  an  der  krankhaften  Entartung  Theil  genommen  hat. 

Cancer  parotidis ,  Parotis  scirrhosa,  Scirrhus  und  Krebs  der 
Ohrspeicheldrüse.  Symptome.  Es  bildet  sich ,  ohne  dass  im  ge- 
ringsten Entzündung  der  Parotis  vorhergegangen  wäre,  eine  nicht  sehr  vo- 
luminöse, steinharte,  auf  ihrer  Oberttäche  unebene,  mit  Furchen  und  Her- 
vorragungen versehene  Geschwulst,  die  sich  mehr  in  die  Tiefe  als  nach 
aussen  verbreitet ,  unbeweglich  ist  und  worin  sich  von  Zeit  zu  Zeit  ste- 
chende,  schneidende  Schmerzen  einstellen.  Der  Hauptsilz  der  Geschwulst 
ist  zwischen  dem  Proress\is  mastoideus  und  dem  Raums  ascendeiis  maxillae 
infcrioris,    und  sie  treibt  bei  zuiiehmendcr  Grösse  das  Ohr  in  die  Höhe  und 


CANCER  317 

glebt  der  leidenden  Seite  etwas  Gespanntes,  Verzerrtes  in  der  Physiognomie. 
Diese  Zeichen  dienen  zur  Diagnose  des  Übels  von  Fungus  medullaris,  In- 
duration, Sarkom.  Ging  Entzündung  vorher  und  ist  die  Geschwulst  sehr 
hart,  so  ists  Induration;  ist  sie  unter  gleichen  Umständen  weich  und  be- 
weglich: Sarkom;  ist  sie  ungeheuer  gross  und  hat  sie  sich  schnell,  binnen 
wenigen  Wochen  gebildet,  blutet  sie  nach  dem  Aufbruche  häufig  und  bil- 
den sich  viele  schwammige  Wucherungen ,  so  ists  Markschwamm.  Auch 
Tumores  cystici  und  scrophulöse  Drüsenanschwellungen  können  sich  in  und 
um  die  Parotis  entwickeln.  Ihre  Form  und  das  Vorhandenseyn  des  Allge- 
meinleidens (Scrophulosis)  dient  zur  Unterscheidung.  Cur.  So  wie  beim 
Fungus  medullaris  ist  auch  beim  Scirrhus  der  Parotis  die  Exstirpation  der 
letztern  das  einzige  Rettungsmittel.  Alle  empfohlenen  Resolventia :  innerlich 
Cicuta,  Antimonium,  Mercur,  Terra  ponderosa,  äusserlich  Unguent.  mercu- 
riale,  Empl.  nigr.  Bechholzii,  Belladonna,  Straraonium  etc.  haben  sich  beim 
echten  Scirrhus  nicht  günstig  bewiesen.  Die  Operation  ist  aber  sehr  schwie- 
rig und  wegen  der  zahlreichen  wichtigen  Gefässe  und  Nerven  sehr  gefähr- 
lich; daher  wir  sie  nur  den  geübtesten  Operateurs  überlassen  (s.  Richter^s 
Anfangsgründe  etc.  Thl.  IV,  §.401.  Gräfe' s  und  Wdlther's  Journal  f.  Chi- 
rurgie u.  Ophthalm.  Bd.  I.  St.  1.  Kyll,  Dissert.  de  indurat.  et  exstirpat. 
glandulae  parotid.  1822.  Chelius,  Handbuch  d.  Chirurgie,  Bd.  II.  Abthl.  2. 
S.  1330). 

Cancer  penis,  Krebs  des  männlichen  Gliedes.  Entsteht  fast 
immer  an  der  Eichel  oder  der  Vorhaut,  wo  sich  anfangs  eine  Warze  oder 
ein  Knoten  bildet,  der  hart  anzufühlen  und  ohne  Schmerz  ist.  Durch  Rei- 
ziuig  oder  auch  von  freien  Stücken  wird  später  dieser  Theil  schmerzhaft, 
vergrössert  sich,  bricht  auf,  sondert  hässliche  Jauche  ab;  Zerstörung  der 
Urethra ,  starke  Geschwulst  der  nahen  Theile ,  Ausfliessen  des  Urins  aus 
mehreren  Offnungen,  fungöse  Auswüchse  mit  umgeworfenen  Rändern,  An- 
schwellung der  Leistendrüsen  sind  häufig  die  Folgen,  des  Übels.  Die  Dia- 
gnose ist  schwierig,  da  häufig  syphilitische  Geschwüre  em  ähnliches  An- 
sehen bekommen.  Die  genaue  Berücksichtigung  des  Allgeineinleidens  und 
der  Anamnese  ist  hier  nicht  zu  verabsäumen.  Ist  Syphilis  Schuld,  so  muss 
eine  zweckmässige  Mercurialcur  eingeleitet  Averden.  Cur.  Gestielte  war- 
zenförmige Auswüchse  schneide  man  an  der  Basis  ab  und  beize  sie  dann  mit 
Lapis  infernalis ;  leidet  blos  die  Vorhaut,  so  mache  man  die  Excision  oder 
Circumcision ;  hat  sich  der  Krebs  schon  über  die  Eichel  verbreitet,  so  muss 
der  Penis  amputirt  werden.  Dies  rettet  allein  und  der  Erfolg  ist ,  wenn 
Hoden  und  Inguinaldrüsen  noch  gesund  sind ,  in  der  Regel  günstig.  Über 
das  Verfahren  bei  der  Operation  ist  der  Artikel  Amputatio  penis  nach- 
zuschlagen. ,,, 

Cancer  purgntoris  infumicnli,  Schornsteinfegerkrebs,  s.  Cancer  scro.ti* 

Cancer  seu  Carcinoma  recti ,  Krebs  des  Mastdarms.  Ist  in  der 
Regel  unheilbar,  da  er  keine  Operation  zulässt.  Man  verhalte  sich  daher 
passiv,  verbiete  alles  Reizende:  Bier,  Wein,  Coitus,  setze  den  Kranken  auf 
vegetabilische  Kost ,  versuche  allenfalls  die  Salbe  aus  Carbo  animalis  mittels 
Bourdonnets  eingebracht,  zum  Verbinden,  reinige  täglich  den  Darm  durch 
kleine  Klystiere  von  Infus,  salviae,  sambuci  etc. 

Cancer  scroti,  Cancer  purgntoris  infumiculi,  Russwarze,  Krebs  des 
Hodensacks,  Schornsteinfegerkrebs  nach  Pott.  Ist  eine  cancröse 
Entartung  des  Hodensacks,  welche  häufig  in  England  unter  den  Schorn- 
steinfegern vorkommt.  Man  giebt  der  Art  des  dortigen  Steinkohlenrusses 
und  den  engen  Kaminen,  wo  die  jungen  Schornsteinfeger  nackt  hineinstei- 
gen müssen,  besonders  Schuld  an  diesem  Übel.  Symptome.  Am  untern 
Theile  des  Hodensacks  entsteht  eine  oberflächliche,  sehr  schmerzhafte,  übel 
aussehende  Ulceration ,  mit  harten ,  aufgeworfenen  Rändern ;  schnell  verbrei- 
tet sich  diese  über  den  ganzen  Hodensack,  geht  in  die  Tiefe,  ergreift  den 
Testikel,  der  dick  luid  hart  wird,  geht  zum  Samenstrange,  auf  die  Einge- 
weide des  Unterleibes;  die  Inguinaldrüsen  schwellen  an,  die  Schmerzen  sind 
Tag  und  Nacht  fürchterlich,  die  Zerstörung  sehr  bedeutend,  der  Tod  macht 


318  CMCER 

den  Leiden  ein  Ende.  Cur,  Da  das  Übel  meist  nur  junge  gesunde  Leute 
befällt,  so  ist  es  oft  für  syphilitisch  gehalten  und  mit  Mercur  behandelt 
vorden ,  wodurch  das  Leiden  schneller  um  sich  greift  und  schlimmer  wird. 
Die  Excision  der  geschwürigen  Stelle ,  früh  genug  angewandt ,  ist  das  ein- 
zige Mittel,  das  Fortschreiten  der  Krankheit  zu  verhüten  und  allen  schlim- 
men Folgezuständen  vorzubeugen.  Ist  der  Testikel  schon  angegriffen,  so 
hilft  selbst  die  Castration  nicht  immer,  und  häufig  zeigt  sich  nach  Heilung 
der  Wunde  das  Übel,  selbst  nach  Monaten,  aufs  Neue.  Ist  die  Hülfe  ver- 
säumt ,  der  Krebs  schon  im  hohen  Grade  vorhanden ,  so  können  nur  noch 
palliative  Mittel  angewandt  werden.  Nach  meiner  Ansicht  ist  das  Übel  kein 
%\ahrer  Krebs;  denn  er  kommt  nur  in  England  vor,  und  zwar  nur  bei 
Schornsteinfegern,  und  fast  immer  nur  an  den  Genitalien,  höchst  selten  an 
andern  Theilen  (s.  PoiVs  Chirurgical  Works  by  Earle.  Lond.  1808.  Vol.  HI. 
p.  178) ,  Gründe  genug ,  um  meine  Meinung  zu  unterstützen  (s.  Earle  in 
Med.  and  chirurg.  Transact.  Vol.  II.  p.  294,  1823).  Nach  A.  Cooper  (Ob- 
serv.  on  the  structure  and  diseases  of  the  testis ;  Lond.  1830)  kommt  der 
Schornsteinfegerkrebs  zuweilen  auch  auf  der  Wange  vor.  Zuerst  bildet  sich 
eine  auf  der  Oberfläche  runde  Warze.  Wird  sie  fortgenommen,  so  sieht 
man  unter  ihr  die  Papillen  der  Warze  excorlirt ,  roth ,  es  bildet  sich  eine 
Kruste,  später  ein  Geschwür  mit  harten,  indurirten ,  nach  aussen  gekehrten 
Rändern  und  blutigem  Serum  und  Eiter;  dabei  lästig  juckende,  später  die 
specifisch  schiessenden  Schmerzen,  Entzündung,  Ulceration  der  Leistendrüsen, 
tödtliche  Blutungen  der  blossgelegten  Schenkelgefässe,  zuletzt  meist  Tod 
durch  Säftevei'lust.  Cooper's  Mittel  sind  Caustica ,  oder  die  Excision.  Eine 
Salbe  von  ^j  Arsenik  in  gj  Gerat,  cetac.  wird  12  Stunden  lang  aufgelegt, 
dann  folgt  ein  Breiumschlag.  Die  Salbe  wird  so  oft  applicirt,  bis  die  Fläche 
fein  und  gesund  erscheint.  Die  Excision  kann  noch  gemacht  werden,  wenn 
auch  die  Leistendrüsen  schon  erkrankt  sind. 

Cancer  sphacelosus.  So  nennen  Einige  jenes  Stadium  bei  Cancer  aper- 
tug,  wo  die  Zerstörung  der  Theile  durch  das  um  sich  greifende  mit  üppig 
Vvachsenden  Fungositäten  versehene  Geschwür  vor  sich  geht  und  dann  jene 
Schwämme  wahrhaft  brandig  werden. 

Cancer  spurius.  Ist  eine  unpassende  Benennung  für  alle  jene  Indura- 
tionen und  Geschwüre,  die  nur  dem  Cancer  genuinus  und  wahrem  Carci- 
liom  ähneln. 

t'V..  Cancer  ierehrans,  s,  Cancer  cutis. 

t^i'--'- Cancer  testicull,  Krebs  des  Hoden.  Der  alte  Gattungsname  für  alle 
irtnfotiischen  Anschwellungen  des  Hoden  ist  Sarcocele,  Hernia  carnosa, 
Fl'ei's«bbr,u  eh.  Hierunter  versteht  man  folgende  verschiedene  Leiden 
des  Testikels :  Induratio  scrophulosa,  syphilitica,  Degeneratio  varicosa,  sar- 
«jomatosa ,  Fungus  meduUaris  und  Scirrhus.  Einige  Schriftsteller  nennen 
Sarcocele  die  Elephantiasis  des  Scrotum ,  andere  verstehen  darunter  unsere 
hier  abzuhandelnde  Krankheit,  Da  das  eigentliche  Sarkom  (Fleischge- 
echwolst)  stets  Folge  einer  vorhergegangenen  Entzündung  ist ,  der  wahre 
primitive  Krebs  aber  nie,  so  unterscheide  ich  beide  Übel  und  handle  vom 
Sarkom  des  Testikels  im  engern  Sinne  anderswo  (s.  Sarcocele).  Sym- 
ptome. Der  echte  Scirrhus  des  Hoden  ist  höchst  selten,  in  der  Regel  hat 
Irtan  andere  Übel ,  Folgezüstände  von  Entzündung  mit  ihm  verwechselt.  Er 
entsteht  spontan,  ohne  eine  in  die  Sinne  fallende  Ursache,  ohne  vorherge- 
gangene Entzündung ,  ebenso  wie  die  Bildung  der  Tuberkeln  vor  sich  geht; 
zuweilen  gehen  ziehende  Schmerzen  des  Samenstranges  vorher,  der  Hode 
schwillt  an ,  wird  hart  und  bleibt  lange  in  diesem  Zustande,  ohne  bedeu- 
tende Beschwerden  zu  erregen.  Früher  oder  später,  durch  zufällige  Rei- 
zung oder  spontan,  wird  nun  die  Geschwulst  grösser,  härter,  ungleich, 
höckerig ;  dabei  sind  schneidende ,  stechende  Schmerzen  längs  dem  Funicu- 
lus  spermaticus  bemerkbar.  Auch  letzterer  schwillt  an,  wird  dicker,  kno- 
tig, fest,  höckerig.  Nun  verwächst  die  Haut  des  Hodensacks  mit  der  Ge- 
schwulst ,  diese  bricht  auf,  bildet  das  speclfik  aussehende  Krebsgeschwür 
mit  stinkender  Jauchesecretion ,  fungösen  Auswüchen ,  und  die  Schmerzen  im 


CANCER  319 

Samenstrange  und  In  der  Lendengegend  werden  täglich  heftiger,  die  ganze 
Constitution  leidet,  der  Mensch  bekommt  Febris  hectica  und  stirbt.  Zuwei- 
len bildet  sich,  ehe  der  Scirrhus  aufbricht,  in  der  Höhle  der  Scheidenhaut 
eine  Hydrocele ,  welche  Complication  gewöhnlich  Hydrosarcocele  genannt 
wird.  Die  Section  des  scirrhösen  Hoden  lehrt,  dass  er  aus  einer  harten, 
speckartigen  Masse  besteht ,  die  bräunlich  oder  grau  aussieht  und  mit  ein- 
zelnen Zellen ,  worin  stinkerjde  Jauche  befindlich,  versehen  ist.  Diagnose. 
Ist  sehr  wichtig.  1)  Allen>  Krankheiten  des  Hoden,  denen  Entzündung  vor- 
herging, kann  kein  wahrer  Scirrhus  folgen;  er  geht  jeder  Entzündung  vor- 
aus, und  folgt  diese,  so  bricht  die  Geschwulst  auf  und  wix'd  zum  Cancer 
apertus.  Dadurch  unterscheidet  sich  jede  gutartige  Scirrhosität  vom  wah- 
ren Scirrhus  (s.  Induratio).  2)  Die  sarkomatöse  Entartung  des  Hoden 
unterscheidet  sich  durch  die  ihr  eigenthümlichen  Erscheinungen  (ovale ,  na- 
türliche Form  des  Hoden ,  später  Abplattung  desselben  zu  beiden  Seiten, 
Schmerzlosigkeit  beim  Gebrauch  des  Suspensorium  etc.)  hinlänglich  vom 
Scirrhus  (s.  Sarcoma).  3)  Die  Induratio  telae  cellulosae  scroti  ist  vom 
Krebse  leicht  zu  unterscheiden  durch  die  grosse,  bedeutende  Geschwulst 
mit  breiter  Basis ,  worunter  sich  oft  der  ganze  Penis  verkriecht ,  die  selbst 
hundert  Pfund  gewogen  hat,  unschmerzhaft  ist  etc.  4)  Der  Wasserbruch 
kann  noch  ^^eniger  damit  verwechselt  werden,  ebensowenig  die  Verdickung 
der  Tunica  albuginea  (s.  Hydrocele  und  Fungus),  wobei  auch  die 
Anamnese  Aufschluss  giebt.  5)  Auch  der  Markschwamm  des  Hoden  bietet 
ganz  andere  Erscheinungen  (grösserer  Umfang,  Abwesenheit  der  Härte  und 
Unebenheit,  höchst  unbedeutender  Schmerz  etc.)  dar  (s.  Fungus  medul- 
laris).  Cur.  Der  scirrhöse  Testikel  muss  exstirpirt  werden,  besonders 
wenn  noch  kein  Allgeradnieiden  da  ist,  wenn  der  Samenstrang  noch  gesund 
und  die  Schmerzen  darin,  sowie  in  der  Lendengegend,  unbedeutend  sind. 
Sind  beide  Testikel  scirrhös,  so  ist  dei*  Erfolg  der  Castration  höchst  un- 
sicher. 

Cancer^  Carcinoma  uteri.  Gebärmutterkrebs.  Scirrhus  und  Car- 
cinoro  kommen  an  der  Gebärmutter  leider!  häufig  vor;  am  häufigsten  nach 
dem  40sten  Lebensjahre.  Das  Aufhören  der  Menstruation,  oder  richtiger 
das,  was  es  A^erursacht,  scheint  hier  vielen  Einfluss  zu  haben,  wenigstens 
den  Fortgang  und  die  schnellere  Ausbildung  des  Übels  sehr  zu  befördern. 
Veranlassungen  sind  die  allgemeinen  des  Krebses  und,  wie  diese,  noch 
sehr  im  Dunkeln.  Topisch  wirken  hier  nicht  selten  nachtheilig  Onanie, 
nicht  ganz  getilgte  venerische  Krankheit,  Verletzungen  bei  der  Geburt,  hef- 
tige Reizung  beim  Beischlaf,  kälte  Einspritzungen  und  plötzliche  Unter- 
drückung des  Blutflusses  bei  Metrorrhagien ,  schlechte  Pessarien;  auch  frü- 
here Anomalien  der  Menstruation,  frühere  Diathesis  scrophulosa,  häufiges 
Abortiren,  gewaltsames  Lostrennen  der  Nachgeburt,  das  Stopfen  habitueller 
Leukorrhoe,  Missbrauch  der  Emmenagoga  rechnet  man  hierher.  Mehrere 
Fälle  von  Carcinoma  uteri  beobachtete  ich  an  Frauen,  die  ausschweifende, 
häufig  an  Tripper  leidende  Männer  hatten  (Afosf).  Zuweilen  finden  wir  das 
Übel  mit  Scirrhus  mammarum  in  Verbindung;  alsdann  ist  es  stets  miheilbar 
(Most).  Im  Allgemeinen  nimmt  der  Mutterkrebs,  besonders  in  grossen  Städ- 
ten, leider!  mit  jedem  Jahre  zu,  wie  dieses  v.  Siehold  von  Berlin  nachweist 
(s.  dessen  Journal  für  Geburtshülfe,  Bd.  VII.  St.  2.  S.  89),  der  auch  der 
Meinung  ist,  dass  der  Brustkrebs  mit  Carcinoma  uteri  im  Wechselverhält- 
niss  stehe,  und  letzterer  häufiger  mit  dem  seltenern  Auftreten  des  erstem 
erscheine.  Symptome.  1)  Unordentliche,  bald  zu  häufige,  bald  seltener 
erscheinende ,  zugleich  sehr  schmerzhafte  Menstruation ,  wobei  stets  hysteri- 
sche Zufälle  aller  Art,  bald  Schmerzen  im  Kreuze  und  in  den  Schenkeln, 
bald  Blasenkrampf,  Strangurie  (aber  nie  Ischurie),  Diarrhöe,  abwechselnd 
mit  Obstructio  alvi,  Tenesmus,  Nodus  im  Halse  stattfinden.  2)  Das  abge- 
hende Blut  ist  missfarbig ,  klumpig ,  später  bräunlich ,  chokoladenfarben, 
riecht  bald  wie  alter  Käse,  bald  höchst  widerlich  süsslich  (Mos/)-  3)  Zu- 
weilen schwellen  die  Brüste  an  und  enthalten  eine  milchige  Flüssigkeit; 
auch  der  Unterleib   fühlt  sich  von  aussen  voll  und   gespannt  an.     4)  Nicht 


320  CMCER 

selten  finden  Obstructio  alvi  und  wegen  der  Sympathie  des  Uterus  mit  dem 
Magen  Acrschiedene  dyspeptische  Beschwerden  statt.  Alle  diese  Zeichen 
können  aber  auch  ohne  Scirrhus  uteri  vorkommen ;  nur  bei  dem  sichern 
gleich  zu  gedenkenden  Zeichen  liaben  sie  Werth.  5)  Das  sicherste  Rlittel 
zur  Erkenntniss  und  Diagnose  ist  \lie  Untersuchung  (s.  Expl  oratio  ob- 
stet ricia).  Diese  zeigt  das  Übel  deutlich.  Der  Uterus  hat  sich  gesenkt, 
der  äussere  Muttermund  ist  ungleich,  erweitert,  und  voll  Schleim;  drückt 
man  stärker  daran,  so  kommt  verdorbenes  misj 'farbiges  Blut.  Das  untere 
Segment  des  Uterus  ist  dicker,  mit  einzelnen  Erhabenheiten  versehen,  und 
schmerzt  beim  Berühren  sehr.  Meist  immer  ist  der  Hals  des  Uterus  ver- 
dickt und  geschwollen,  aber  die  Geschwulst  wird  nie  sehr  gross  (67rtr/.c). 
6)  Ist  das  Übel  noch  nicht  weit  fortgeschritten,  so  ist  viel  Geschlechtstrieb 
zugegen ;  die  Person  kann  noch  concipiren ;  abortirt  darauf  aber  fast  jedes- 
mal, seltene  Fälle  ausgenommen  (^s.  Lauhreis  iiiSichold's  Journal  f.  Geburts- 
hülfe  etc. ,  Bd.  VII.  St.  2) ,  wo  zwar  die  Schwangerschaft  und  Entbindung 
normal  verlief,  das  Übel  aber  nachher  desto  schneller  zum  Tode  führte, 
indem  Gangrän  folgte.  Nach  und  nach  werden  die  scirrhösen  Erhabenhei- 
ten grösser ,  schmerzhafter  beim  Coitus  oder  beim  Touchiren ,  es  entsteht 
ein  Gefühl  von  Ameisenkriechen  im  Uterus ,  die  Vaginalportion  wird  immer 
kleiner,  das  Orifici\im  erweitert  sich  immer  mehr,  eine  grünliche,  bräun- 
liche ,  fressende  Feuchtigkeit  geht  ab ;  ausserdem  stellen  sich  öfters  zu  be- 
stimmten Zeiten  Blutungen  ein ,  bei  jedesmaligem  Touchiren  kommt  Blut 
mit  einem  hässlichen  Geruch ,  der  so  specifik  ist ,  dass  man  ihn ,  hat  man 
ilm  einmal  gerochen,  nie  wieder  verkennen  wird.  In  manchen  Höckern 
des  Muttermundes  und  Mutterhalses  fühlt  man  deutlich  Fluctuationen.  Zu- 
weilen hört  der  Ausfluss  plötzlich  auf  ein  paar  Tage  auf;  alsdann  entstehen 
gewöhnlich  hysterische  Krämpfe.  Nicht  selten  dauert  das  Übel  Jahre  lang; 
im  spätem  Stadium  wird  häufig  die  Vagina  durch  die  scharfe  Jauche  zer- 
fressen, so  dass  der  Mastdarm  und  die  Harnblase  sich  darin  öffnen  und  erst 
Monate  nachher  ein  elender  Tod  folgt.  Nach  v.  Siehohl  tritt  das  Übel  bald 
mehr  als  Drüsenkrebs ,  bald  mehr  als  Blutkrebs  auf,  beschränkt  sich ,  hat 
es  eine  gemsse  Höhe  erreicht,  nie  auf  den  Uterus  allein,  sondern  ergreift 
auch  die  Vagina,  die  Ovarien,  die  Fallopischen  Röhren,  selbst  die  Harn- 
blase und  das  Rectum.  Höchst  selten  sind  die  Fälle,  wo  es  ein  trockner 
Drüsenkrebs  ohne  Ausfluss  von  Blut  oder  stinkender  Jauche  ist.  Vor  eini- 
gen Jahren  starb  mir  eine  50jährige  Frau  an  diesem  Übel ,  bei  welcher 
Scheide,  Os  uteri  und  Rectum  verengert  und  steinhart  anzufühlen  waren. 
Nur  nach  jedesmaligem  Touchiren  floss  dümies  helles  Blut  aus,  die  übrige 
Zeit  nicht.  Sie  ging  noch  im  Hause  ihrer  Arbeit  nach,  als  eine  hartnäckige 
Harnverhaltung  mit  Fieber  sie  ergriff.  Der  Katheter  allein  vermochte  den 
JHarn  zu  entleeren,  musste  aber  alle  zwei  bis  drei  Tage  applicirt  werden; 
es  trat  Febris  hectica  hinzu  und  der  Tod  folgte  nach  fünf  Wochen,  ohne 
dass  das  Übel  selbst  in  bedeutende  Verschwärung  übergegangen  wäre.  In 
der  Regel  wird  dieses  traurige  Übel  in  der  ersten  Zeit  übersehen,,  und 
wenn  wir  es  erkennen,  so  ists  schon  unheilbar.  Vor  sechs  Jahren  bekam 
ich  eine  Kranke  der  Art  in  die  Cur.  Der  frühere  Arzt  hatte  sie  nicht  ge- 
burtshülfiich  untei-sucht  und ,  das  Übel  für  Hysterie  und  Decrepititätszufälle 
haltend,  den  wahren  Zustand  ganz  übersehen.  Eine  genaue  Untersuchung 
mit  den  Fingern  zeigte  schon  grosse  Zerstörungen  und  die  Frau  starb,  trotz 
aller  meiner  Bemühungen,  1%  Jahr  später  in  dem  jämmerlichsten  Zustande 
(^MosO-  Cur.  Ich  bin  des  Glaubens,  dass  der  echte  Mutterkrebs  unheil- 
bar sey,  und  dass  da,  wo  man  ihn  geheilt  haben  will,  eine  andere  Krank- 
heit stattgefunden  hat.  Eine  zahlreiche  Menge  von  Fällen  in  klinischen 
Anstalten  und  in  der  eigenen  Praxis  haben  diesen  Glauben  herbeigeführt. 
Ein  berühmter  Arzt  rühmte  mir  die  lodine  gegen  Mutterkrebs ,  und  nach 
genauer  Erkundigung  fand  ich ,  dass  die  Person  an  iiuem  Mutterkrebse  gar 
keinen  Schmerz,  nur  ein  spannendes  Gefühl  gehabt  habe;  ich  untersuchte 
sie,  fand  die  Reste  eines  Polypen,  aber  keinen  Krebs.  (Ausser  dem  inner- 
lichen Gebrauche  der  lodine  waren  auch  Injectionen  von  Infus,  cham   .liliae 


CANCER  321 

«nd  Tinct,,  opü  gemacht  worden.)  Viel  Verwirrung  rührt  daher,  weil  nicht 
alle  Ärzte  Geburtshelfer  sind  und  somit  das  Touchiren  unterla£sen  oder  nicht 
gründlich  verstehen.  Die  Mittel,  welche  man  innerlich,  zum  Theil  auch  als 
Injectionen,  empfohlen  hat,  sind:  Mercur,  Cicuta,  Belladonna,  Digitalis, 
Sem.  phellandr.  aquat. ,  lodine,  Goldpräparate  nach  Chrestien  (s.  Hufeland^ß 
Journ.  Bd.  XLIV.  St.  4.  S.  103),  Blausäure  (thid.  Bd.  XLIV.  St.  2.  S.  55), 
Infus,  calendul.  officinalis  etc.  Folgende  Mittel  haben  mir  gute  Dienste  ge- 
leistet: 1)  In  den  ersten  Stadien  des  Übels:  Einspritzungen  von  warmem 
Wasser,  von  der  Temperatur  86  —  90o  Fahrenheit;  bei  Vollsaftigkeit  ein 
Aderlass  am  Arme,  innerlich  alle  acht  Tage  ein  Purgirmittel  aus  kühlenden 
Purgirsalzen ,  z.  B.  Magnesia  sulphurica,  täglich  zum  Getränk  Wasser  mit 
Crem,  tartari,  dabei  eine  kühlende  Diät,  abwechselnd  auch  wol  Elix.  acid. 
Hallen  in  Wasser  (s,  Ch.  M.  ClnrTce,  Über  die  Krankheiten  des  Weibes. 
A.  d.  Engl,  von  Heineken.  2  Theile.  Hannover  1818);  ausserdem  eine  Brun- 
nen -  und  Badecur  zu  Driburg,  Pyrmont.  2)  Bei  fortgeschrittenem  Übel 
gebe  ich  innerlich  Folgendes :  1^  Elix.  acid.  Halleri  5jj »  -^(f-  laurocerasi  3J. 
M.  S.  Dreimal  täglich  25 — 40  Tropfen  in  einer  Tasse  Wasser.  Daneben 
Einspritzungen  von  warmem  (90"  B'ahrenheit  Wärme)  Thee  aus  Flores  sam- 
buci  und  salviae  zu  gleichen  Theilen.  Ist  der  Geruch  schon  widerlich,  so 
setze  ich  einige  Tropfen  Liquamen  myrrhae  zu.  3)  Adstringirende  antisepti- 
sche Einspritzungen  wende  ich  in  den  frühern  Stadien  deshalb  nicht  an,  weil 
sie  das  Übel  durch  Beförderung  der  Cohäsion  vermehren;  nur  in  der  spätem 
Zeit ,  wo  ich  besonders  vom  Acidum  pyrolignosum ,  mit  Aqua  salviae  ( 5j 
auf  5VJ )  verdünnt ,  die  herrlichsten  Wirkungen  zur  Vertreibung  des  Ge- 
stanks, nicht  aber  zur  Heilung  des  Übels  wahrgenommen  habe.  Ich  ver- 
suchte die  Holzsäure  deshalb,  weil  sie  beim  Wasserkrebs  so  herrliche  Dien- 
ste thut  (Klaatsch  in  Hufeland's  Journal  1823.  Jan.  S.  HO).  Auch  Calx 
oxymuriatica  5j  i'i  Aqua  51V  gelöst,  vertreibt  den  Übeln  Geruch  sehr  schnell. 
Man  hüte  sich  aber  vor  allen  kalten  Injectionen.  Folgende  Mittel  sind  noch 
zur  radicalen  Heilung  empfohlen  und  zuweilen  auch  mit  glänzendem  Erfolge 
angewandt  worden :  4)  das  Causticum.  Man  betupft  die  krebshaften  Theile 
mittels  eines  eigenen  Speculum  uteri  mit  Höllenstein  oder  Lapis  causticus, 
und  rühmt  dieses  Verfahren  besonders  da,  wo  der  Krebs  noch  keinen  grossen 
Umfang  hat.  Das  Glüheisen,  mittels  eines  Speculum  uteri  vorsichtig  an  den 
schadhaften  Theil  gebracht,  würde  ich  dem  Causticum,  das  so  leicht  durchs 
Zerttiessen  gesunTle  Theile  verletzt,  vorziehen.  (Osi'mder,  Recamicr,  Du- 
pwjtren ;  s.  auch  Jf edemeyer,  in  LangenbecVs  N.  Bibl.  f.  Chirurgie  u.  Oph- 
thalmol.  Bd.  II.  St.  4.  S.  576.)  5)  Die  Exstirpation.  Man  schneidet  ent- 
weder blos  den  krebshaften  Theil,  oder  den  ganzen  Uterus  aus.  In  letzterm 
Falle  befördern  die  meisten  Operateurs  vorher  einen  künstlichen  Prolapsus 
uteri.  LnnijenhecTc  exstirpirte  den  ganzen  carcinomatösen  Uterus  per  vaginam 
bei  einer  Dame  in  Cassel ,  welche  noch  mehrere  Jahre  nachher  lebte  und 
sich  der  vollkommensten  Gesundheit  erfreute.  In  allen  Fällen ,  wo  man  den 
Uterus  nur  partiell  exstirpirte,  sah  ich  einen  ungünstigen  Erfolg.  Es  sind 
beide  Methoden  zwar  von  berühmten  Operateurs  genug  verrichtet,  haben 
aber  auch  manche  Nachtheile,  und  in  zahlreichen  Fällen  den  Tod  befördert, 
in  seltenern  dagegen  die  gewünschte  Heilung  herbeigeführt  (s.  Chelius  Chi- 
rurgie, Bd.  II.  Abth.  2.  §.  2009  bis  2018.  Göttinger  gel.  Anzeigen,  1808. 
S.  1300.  Bulletin  de  la  Facult6  de  M^d.  de  Paris,  1819.  Nr.  6.  Hufelntid's 
Journal,  Bd.  XVI.  St.  3.  Bd.  XLIV.  St.  4.  Bd.  XLVIII.  St.  1,  2  und  5. 
Bd.  LI.  St.  3.  Bd.  LIII.  St.  4.  Bd.  LV.  St.  4.  Bd.  LVI.  St.  2  und  5. 
Bd.  LVII.  St.  6.  Siehold  in  dessen  Lucina,  Bd.  I.  St.  3.  Wenzel,  Krank- 
heiten des  Uterus,  1816.     Jörg,  Aphor.  üb.  d.  Krankheiten  des  Uterus,  1820). 

6)  Dr.  Rummel  in  Merseburg  empfiehlt  Einreibungen  an  die  carcinomatösen 
Theile  von  Unguent.  mercuriale  und  Laudanum  liquidum,  wodurch  zuweilen 
Besserung  erfolgte  (s.  Sieliold's  Journ.  f.  Geburtshülfe.  Bd.  VII.  St.  2.  S.  89). 

7)  Dr.  Hennema/nn  in  Schwerin  (s.  Ilufeland^s  Journ.  1823.  Decbr  )  gab  in- 
nerlich die  Tinct.  iodinae  (gr.  vj  auf  3j  Alkohol)  Morgens  und  Abends  zu 
10  Tropfen  mit  grossem  Nutzen.    Das  Übel  war  in  seiner  grössten  Ausbil- 

Mo8t  Euc^^Uopädie.  2te  Anfl.  I.  21 


322  CANCEROMA  —  CAMTIES 

düng,  der  Muttermund  knorpelartig  verhärtet  und  die  hintere  Wand  der 
Vagina  in  eine  schwammige,  blumenkohlartigc  Masse  verwandelt.  Damit 
waren  häufige  ungeheure  Blutungen  und  fürchterliche  Schmerzen  verbunden. 
Die  Kranke  starb,  und  bei  der  Section  fand  man  keine  Spur  mehr  von 
krebshafter  Degeneration;  der  Tod  erfolgte  wahrscheinlich  wegen  des  vor- 
ausgegangenen ungeheuren  Säftevcrlustes.  Ganz  diesen  Erfahrungen  entge- 
gen bemerkt  Dr.  Gölis  (Med.  chir.  Zeitung,  Bd.  II.  S.  272) ,  dass  die  lo- 
dine  bei  bejahrten  Frauen  und  Jungfrauen  den  schnellen  Übergang  des  Scir- 
rhus  uteri  in  Cancer  apertus  befördere  und  gefährliche  Hämorrhagien  erzeuge. 
Dennoch  verdient  das  Mittel  alle  Beachtung  (s.  auch  Rvst''s  Magaz  Bd.  XIII. 
S.  290.  Bd.  XV.  S.  137.  HufelnmVs  Journ.  1823,  Febr.  u.  Decbr. ,  1825, 
Febr.  Dresdener  Zeitschrift  f.  Natur-  und  Heilkunde.  Bd.  V.  H.  1.  S.  91). 
In  vielen  Fällen  ist  der  Mutterkrebs  Folge  einer  sogenannten  venösen 
Entzündung  und  die  Constitution  der  Kranken  eine  solche  mit  erhöhter  Ve- 
nosität.  Ist  das  Übel  daher  erst  im  Entstehen,  so  passen  gelind  auflösende 
Mittel :  Extr.  graminis ,  taraxaci  in  Verbindung  mit  Liq.  terrae  foliat.  tar- 
tari,  Kali  tartaricum,  Arcanum  duplicatum,  auch  alle  2  —  3  Tage  mit  kleinen 
Dosen  Kalomel ,  2 — 3mal  V4  ^'s  'A  Gran,  interponirt.  Französische  Wund- 
ärzte setzen  auf  das  Collum  uteri  Blutegel  durch  das  Speculum  vaginae, 
und  Rust^s  darüber  in  den  Berliner  Charite- Krankenhause  angestellte  Ver- 
suche scheinen  dafür  zu  sprechen  (s.  dess.  Handbuch  d.  Chirurgie,  Bd.  III. 
S.  561).  Auch  werden  hier  die  Bäder  von  Marienbad ,  Karlsbad ,  Ems,  die 
Bitterwässer  von  Püllna,  Seidschütz  und  der  Kissinger  Ragozzi- Brunnen 
gelobt.  Die  warmen  Bäder  von  Teplitz,  Aachen  und  Wiesbaden  sind  in  den 
Fällen ,  wo  der  Scirrhus  bereits  begonnen  hatte ,  für  schädlich  zu  erachten. 
Mit  grosser  Vorsicht  sind  die  eisenhaltigen,  viel  Kohlensäure  führenden  Mi- 
neralwasser zu  gebrauchen;  bei  Frauen,  wo  Metrorrhagien  mit  dem  Übel 
■verbunden  sind,  schaden  sie  sehr.  Beginnt  die  Zertheilung  unter  den  ange- 
gebenen Mitteln,  so  stellt  sich  periodisch  Abgang  von  Blut  und  Schleim  mit 
jedesmaliger  grosser  Erleichterung  der  Zufälle  ein.  Um  den  schon  mehr  aus- 
gebildeten Scirrhus  uteri  zu  zertheilen,  kommt  es,  wie  von  Amnion  (^RusCs 
Handb.  d.  Chirurgie,  Bd.  III.  S.  562)  mit  Recht  sogt,  sehr  darauf  an,  ge- 
hörig zu  individualisiren.  Innerlich  lobt  man  besonders  die  Cicuta,  Calen- 
dula, Belladonna,  die  Aqua  laurocerasi ,  die  Sabina,  das  Decoct.  rad.  sar- 
saparillae,  Antimonialia,  Mercurialia,  Aurura  muriaticum,  Ferrum  rarboni- 
c«m,  selbst  den  Arsenik.  Auch  möchte  das  so  wirksame  Decoct.  Zittmanni 
zu  versuchen  seyn  (ilost).  Stellen  sich  bedeutende,  entkräftende  Blutungen 
ein,  so  gebe  man  dagegen  Elix.  acid.  Halleri  mit  Tinct.  cinnamomi  und 
Laudanum,  und  bringe  Schwämme,  bestreuet  mit  Pulv.  gurami^arab.  et  alu- 
minis  in  die  Vagina. 

Cancer  veiitriculi,  Magenkrebs.  Ist  auch  häufiger  Induration  als 
Krebs,  und  befällt  vorzüglich  Cardia  und  Pylorus,  vorzüglich  den  letztern. 
(S.  Inflammatio  ventriculi  chronica.)  Eine  gute  Monographie  dar- 
über ist:  Prus,  Neue  Untersuch,  üb.  Natur  u.  Behandl.  des  Magenkrebses. 
A.  d.  Franz.  m.  Zusätzen  von  F.  A.  Balling.  Würzburg,  1829. 

Canceroma.     Ist  bei  Celsus  synonym  mit  Carcinoma. 
Caucliaiiinius ,  der  Lachkrampf,  z.  B.  bei  Hysterischen,  das  sar- 
donische Lachen;  s.  Risus  sardonius. 

Cancrodes,  der  Warzenkrebs,  s.  Cancer  cutis. 
Canina  convulsio»  Hundskrampf,  s.  Tetanus. 
Cnninn  rnbies ,  Hunds  wuth,  s.  Hydrophobia. 

Canities»  das  Grau  wer  den.  Ist  Veränderung  der  Haare  in  weisse 
Farbe,  z.  B.  der  Kopf-  und  Barthaare,  die  im  hohen  Alter  gewöhnlich  und 
beim  ersten  Erscheinen  als  Zeichen  des  anfangenden  Marasmus  zu  betrach- 
ten ist.  Deprimirende  Leidenschaften:  Gram,  Kummer,  plötzlicher,  heftiger 
Schreck,  machen  auch  bei  jungen  Leuten  die  Haare  zuweilen  grau,  sowio 
überhaupt    frühes   Grauwerden    auf  Schwäche  und   Krankheit   des    Körpers 


CÄNTHITIS  ^  CAPSULITI3  323 

schllessen  lässt.  Häufig  sind  Ausschweifungen  in  Baccho  et  Venete,  Apol- 
line et  Minerva ,  sowie  der  Missbrauch  des  Mercurs  Ursache  des  früheren 
Grauwerdens.  Cur.  Bei  alten  Leuten  ist  das  Übel  unheilbar,  bei  jungen 
Subjecten  berücksichtige  man  die  ganze  Constitution,  yerblete  Alles,  was 
den  Körper  schwächt,  gebe  gute  Nutrientia,  Roborantia,  sorge  für  Heiter- 
keit des  Gemüths  etc.  Will  man  die  Haare  färben ,  so  ist  eine  Auflösung 
von  Hüllenstein  in  destillirtem  Wasser  (5jj  auf  ßj)  das  beste  Mittel;  nur 
muss  es  vorsichtig  angewandt  werden,  damit  die  Haut  des  Gesichts,  des 
Halses  davon  verschont  bleibt,  sonst  erregt  es  hier  schwarze  Flecken.  In 
manchen  Familien  ist  das  frühe  Grauwerden  erblich,  hier  hilft  kein  inner- 
liches Mittel ,   selbst  kein  präservirendes  diätetisches  Verhalten. 

Cantbitis.  Die  Entzündung  der  Augenwinkel  zeigt  gicS  als 
eine,  auf  die  Winkel  der  Augenspalte  beschränkte,  mit  stechenden,  jucken- 
den Schmerzen  verbundene  Röthe  und  Anschwellung,  die  sich  später  auch 
über  die  nächste  Conjunctiva  verbreitet  und  das  Gefühl  erregt ,  als  befände 
sich  ein  fremder  Körper  im  Auge.  Man  theilt  sie  nach  dem  Sitze  in  Can- 
iMtis  nffsnlis  und  lemporaUs ,  je  nachdem  der  innere  oder  äussere  Augenwin- 
kel leidet.  Wichtiger  ist  die  Eintheilung  in  C.  iJiopathicn  und  Sympathien. 
Die  Veranlassungen  zu  ersterer  sind:  äussere  Verletzungen,  fremde,  ins  Auge 
gekommene  Körper,  Insectenstiche.  Ihr  Verlauf  ist  schnell,  und  sie  hat 
grosse  Neigung,  in  Eiterung  überzugehen.  Die  sympathische  Canthitis  ist 
ein  Symptom  der  Ophthalmia  catarrhalis ,  der  geröthete  Augenwinkel  son- 
dert eine  helle,  scharfe  Lymphe  ab,  die  des  Nachts  Krusten  bildet;  dabei 
heftige,  juckende  Schmerzen,  Lichtscheu,  periodisches  Thränen;  des  Abends 
und  Nachts  nehmen  die  Zufälle  zu.  Oft  wird  das  Übel  chronisch,  hart- 
näckig ,  dauert  Monate.  Cur.  Ist  bei  frischer  Canthitis  leicht ;  man  ent- 
ferne die  veranlassenden  Ursachen,  den  Stachel  des  Insects,  den  man  mit- 
tels der  Loupe  leicht  auffindet  und  mit  Beer's  Cilienpincette,  soll  keine  Ei- 
terung folgen,  herauszieht.  Dann  Umschläge  von  kaltem  Wasser,  Aq.  Gou- 
lardi,  bei  stärkerer  Entzündung  Blutegel,  bei  bevorstehender  Eiterung  warme 
Kataplasmen  von  Semmelkrummen,  in  Milch  gekocht.  Bei  der  Canthitis  ca- 
tarrhalis passt  die  Cur  der  Ophthalmia  catarrhalis.  Man  vermeide  jeden 
Temperaturwechsel ,  gebe  bei  heftigen  Zufallen  neben  den  Diaphoreticis 
Abends  5  —  6  Gran  Pulv.  ipecac.  composit. ,  und  wende  örtlich  folgende 
Salbe  an :  I^  7Anci  sulphurici  subtil,  pulv.  gr.  jjj  —  iv ,  Axung.  porci  receiit. 
3jj,  Cerne  allae  liquefaci.  gr.  xjj.  M.  exactiss.,  wovon  Abends  eine  Erbse 
gross  auf  den  geschlossenen  Augenwinkel  eingerieben  wird ;  des  Morgens  wird 
die  Salbe  mit  lauer  Milch  sorgfältig  abgewaschen  und  das  Auge  gehörig 
getrocknet.  Bei  chronischem  Übel  dient  äusserlich  1  Gran  Sublimat,  in  8 
Unzen  Aq.  destillata,  lauwarm  angewandt,  bei  grösserm  Torpor  Ünguent. 
ophthalm.  Richten  Pharm.  Hannov. ,    und   innerlich  Aethiops  antimonialis. 

Capistratio*     Ist  synonym  mit  Phimosis. 

Capitiluviiim,  das  Kopfbad,  das  Waschen  und  Begiessen 
des  Kopfs,  z.  B.  mit  kaltem  Wasser.  Ist  ein  selir  wirksames,  leider! 
in  der  Civilpraxis  noch  immer  zu  wenig  gebräuchliches  Mittel  bei  allen  ent- 
zündlichen und  congestiven  Kopfleiden,  bei  Encephalitis,  Hydrocephalus  acu- 
tus, bei  Scarlatina  mit  Delirien,  Sopor,  bei  Schwindel,  bei  allen  Kopfcon- 
gestionen.  Man  setzt  gewöhnlich  den  Kranken  in  ein  laues  Bad  und  be- 
giesst  ihn  mit  kaltem  Wasser  eimerweise ;  in  gelindern  Fällen  sind  schon 
die  kalten  Waschungen  des  Kopfs  hinreichend,  z.  B.  im  ersten  Stadium  al- 
ler acuten  Exantheme  (s.  Ciirrie ,  Medical  reports  of  the  effects  of  wa- 
ter, cold  and  warm,  as  a  remedy  in  fever  and  other  diseases  etc.  Deutsch 
von  Michaelis  und  Hegeiviscli.  2  Theile.  Leipzig  1807.  —  FröJich,  A. ,  Ab- 
handl.  über  die  kräftige ,  sichere  und  schnelle  Wirkung  der  Übergiessungen 
oder  der  Bäder  von  kaltem  xmd  lauwarmen  Wasser,  in  Faul-,  Nerven-, 
Gallen-,  Brenn-  und  Scharlachfieber,  den  Masern  etc.  Wien  1820). 

CapsulittSj  richtiger  Capsitis,  Entzündung  der  Linsenkapsel;  a. 
Lenti'tis. 

21* 


324  CAPUT  OBSTIPmi  —  CÄRDIACA 

**  Caput  Obstipum,  TorticolUs,  OhsHpitas,  CcphaloloTta ,  Ohstlpa 
cei'viXj  schiefer  Kopf,  schiefer  Hals.  Dieses  Übel,  wobei  der  Kopf 
schief,  nach  der  einen  oder  andern  Seite  des  Halses,  nach  vorn  oder  nach 
iiinten  (Obstipitas  adnuens,  renuens,  lateralis,  digtorta)  gerichtet  ist,  findet 
man  in  seltenen  Fällen  angeboren;  häufiger  entsteht  es  durch  schiefe  Hal- 
tung des  Körpers  in  sitzender  Stellung  beim  Schreiben,  Sticken,  Nähen; 
noch  häufiger  nach  Verbrennungen  des  Halses  mit  Hinterlassung  von  grossen 
Narben,  durch  Abscesse  des  Halses,  unzweckmässiges  Öffnen  derselben  mit 
Veiletzung  der  Halsmuskeln;  auch  Gicht,  Rhachitis,  Krampf,  anhaltende 
Schmerzen  an  der  einen  Seite  des  Halses,  grosse  Tumores  cystici  in  dieser 
Gegend  etc.  sind  oft  Ursache ;  desgleichen  Luxationen ,  oder  Ankylose  der 
Halswirbel  als  der  glücklichste  Ausgang  in  den  höhern  Stadien  der  Spon- 
dylartlurocace  (s.  Arthrocace).  Man  unterscheidet,  je  nachdem  der  Kopf 
dabei  nach  vorn^  zur  Seite  oder  nach  hinten  geneigt  ist,  Obstipitas  adnuens, 
lateralis  und  renuens;  ausserdem  statuirt  man  noch  eine  Obstipitas  g^sbosa, 
dolorosa,  muscularis,  ossaria,  spasmodica  (bei  Tetanus)  und  violenta  (nach 
heftigen  Verletzungen);  ferner  Obstipitas  vera,  wo  der  Mensch  den  Kopf 
wegen  eines  Leidens  der  Muskeln ,  Bänder  oder  Knochen ,  ohne  dass  heftige 
Schmerzen  stattfinden,  nicht  gerade  halten  oder  bewegen  kann,  und  Obsti- 
pitas spuria,  wo  allein  heftige  Schmerzen  Ursache  sind.  Cur.  Sie  richtet 
sich  nach  den  Ursachen.  Rührt  das  Übel  von  den  Knochen  her  und  ist  das 
Subject  bejahrt,  so  ists  in  den  meisten  Fällen  unheilbar.  Liegt  der  Fehler 
aber  nur  in  den  "Weichgebilden,  so  lässt  sich  durch  Beharrlichkeit  in  der 
Anwendung  zweckmässiger  Mittel,  die  viele  Monate  lang  angewandt  werden 
müssen,  oft  Heilung  bewirken.  In  der  Regel  ist  hier  an  derjenigen  Seite, 
wohiji  der  Kopf  neigt,  der  Musculus  sternocleidomastoideus  verkürzt  und 
die  Ursache  der  Contractur.  Man  wende  hier  fettige  Salben:  Unguent.  al- 
thaeae ,  Gänsefett ,  Pferde  -  oder  Rindsmark  an ,  die  man  des  Tages  einige- 
mal erwärmt  in  den  verkürzten  Muskel  stark  einreiben  lässt,  dagegen  lasse 
man  auf  der  entgegengesetzten  Seite  spirituöse  Einreibungen  von  Rum,  Arak, 
Franzbranntwein,  Kampherspiritus  machen.  Ausserdem  wirke  man  auch  me- 
chanisch auf  die  Abnormität  und  unterstütze  den  Kopf  durch  zweckmässige 
Bandagen,  z.B.  durch  die  Köhler'sche  Mütze,  durch  den  Richter'schen  Ap- 
parat, durch  die  Maschine  von  Jörg.  Auch  hat  man  Elektricität,  Galvanis- 
mus,  Tropfbäder,  künstliche  Geschwüre,  Moxa,  Einreibungen  von  Tinct. 
cantharidum,  die  Kälte,  das  Waschen  mit  Naphtha  an  der  verlängerten  Seite 
des  Halses ,  und  an  der  entgegengesetzten  Seite  selbst  die  Durchschiieidung 
des  verkürzten  Muskels  empfohlen.  (Es  versteht  sich  von  selbst ,  dass  der 
Musculus  sternocleidomastoideus  nicht  ganz,  sondern  nur  zum  Theil  imd  nicht 
auf  ehimal,  sondern  von  Zeit  zu  Zeit  nur  wenig  Muskelfasern  durchschnitten 
werden  dürfen.  M.)  Sind  innere  Ursachen  zugegen,  so  müssen  diese  durch 
zweckmässige  innere  Mittel   beseitigt  werden.  Chiistiaii  Hoppe. 

Caput  succedaneum  rccens  natorum,  die  Kopfgeschwulst  Neugeborner, 
s.  Cephalo  phy  ma. 

Capitis  dolor,  Kopfschmerz,  s.  Cephalalgia. 

Car»,  s.  Carosis. 

CarbuiiculuiS,  der  Carbunkel  (s,  Anthrax).  Die  schwarze  Blatter 
bildet  oft  sehr  schnell  den  Carbunculns  malignus ,  ist  aber  gleich  anfangs 
nur  ein  Bläschen,  das  zum  Brande  neigt,  daher  denn  auch  der  von  Dr.  C. 
F.  Schröder  vorgeschlagene  Name  Fesiada  gangrnenesccns  der  richtigste  ist 
(s.  RusVs  Magaz.  Bd.  XXIX.  St.  2.  S.  -236  u.  f.,  und  den  Artikel  Anthrax). 

CarcInodei§l,  Cardmides.  Ist  jedes,  dem  Krebse  ähnliche  Leiden, 
daher  gleichbedeutend  mit  Cancer  spurius,  und  umfasst  die  Induratio  benigna, 
das  Skieroma  und  die  Hypertrophie. 

Carcinoma,  das  Krebsgeschwür,  s.  Cancer  apertus. 

Cardiaca,  herzstärkende  Mittel,  darunter  verstand  man  frü- 
her reizend -stärkende  und  belebende  Mittel,  z.  B.  Wein  mit  gewürzhaften 
Kräutern,    die    allerding»  da.,  Herz   beleben,    sowie   das   ganze   Blutsystem, 


CARDIALGIA  ,  325 

und  daher  bei  wahrer  Schwäche,  Ohnmächten  sehr  nützlich  sind,  um  den 
permanent  stärkenden  Mitteln:  China,  guter  Nahrung  etc.  den  Eingang  zu 
verschaffen,  wenn  diese  noch  nicht  vertragen  werden  (s.  Amara}. 

Cardinen  pnssio,  Magenkrampf;  s.  Cardialgia. 

*  Cardialg^ia ,  Gnstrodynia,  Spasmus  ventricuU.,  Dyspepsodynia ,  Cm'^ 
diogmus  venIricuU,  Morbus  cardinais,  Dolor  cardialgicus,  Perodynia,  Cardiaca, 
Cnrdilaca ,  Cardiacus  affectus,  Cardiodyne,  Morsus  vcnIricuU ,  Rosio  stomnchi, 
Cnrdiopalmus ,  Cardiognomum ,  Gasteralgia,  Siomnchi  exsohitio,  Magen- 
krampf, Herzdrücken,  Magendrücken,  Magenschmerz,  Herz- 
weh, Herzgespann.  Ist  eine  dem  Grade  nach  verschiedene  schmerz- 
hafte ,  fieberlose  Empfindung  in  der  Magengegend ,  die  ihrer  Natur  nach 
bald  wirklich  nervös  seyn  kann,  bald  aber  entzündlich  ist,  oder  von  orga- 
nischen Fehlern  des  Magens  selbst  oder  der  in  seiner  Nähe  befindlichen 
Theile  veranlasst  wird.  Der  nervöse  Magenschmerz  oder  eigentliche 
Magenkrampf,  d.i.  eine  periodisch  wiederkehrende  schmerzhafte  Zusam- 
menziehung des  Magens,  beruhend  auf  eigener  Convulsibilität  der  Magen- 
nerven ,  und  sich  von  der  HerzgrMbe  nach  verschiedenen  Richtungen ,  bald 
in  den  Schlund,  in  die  Brust,  in  den  Rücken,  bald  in  den  Unterleib  ver- 
breitend, bald  nur  eine  kleine  Stelle  einnehmend,  macht  eine  selbstständigc 
Krankheit  aus.  Daher  verdiente  er  hier  nur  allein  betrachtet  zu  werden. 
Da  aber  bei  jeder  bedeutenden  idiopathischen  und  sympathisehen  Affection 
der  Magennerven  eine  convulsivische  schmerzhafte  Zusammenziehung  des  Ma- 
gens erfolgt,  da  ferner  ein  heftiger  nervöser  Magenkrampf  leicht  entzündlich 
wird,  so  scheint  es  zweckmässig  zu  seyn,  die  nach  den  veranlassenden  Ur- 
sachen verschiedenen  Arten  des  Magenkrampfs  mit  ihren  pathognomonischeu 
Kennzeichen  näher  zu  erörtern.  Symptome  und  Diagnose.  Gelindere 
Grade  der  in  Rede  stehenden  Krankheit  belegt  man  mit  dem  Namen  Ma- 
genschmerz, Magendrücken.  Wendt  (Über  den  nosologischen  und 
therapeutischen  Unterschied  zwischen  Gastrodynie  und  Kardialgie)  sucht  die 
Verschiedenheit  zwischen  den  beiden  oben  genannten  Zuständen,  nicht  wie 
Einige  in  der  verschiedenen  Heftigkeit  der  Zufalle,  sondern  in  dem  Wesen, 
so  dass  in  einem  wegen  seiner  Nervengeflechte  empfindlicheren  Organ  eine 
Neuropathie  entstehen  und  so  nicht  nur  die  schmerzhaftesten  Empfindungen 
erzeugen,  sondern  unter  Umständen  auch  durch  sogenannte  Apoplexia  ner- 
vosa plötzlich  tödten,  oder  doch  bei  längerer  Dauer  und  grösserer  Heftig- 
keit und  bei  gleichzeitig  vermehrter  Reaction,  im  irritablen  Leben,  in  Ent- 
zündung übertreten  kann.  Die  Gastrodynie  entspringt  nach  ihm  aus  einem 
schleichenden  Erethismus ,  der  seine  Entstehung  Diätfehlern,  Gicht  etc.,  Me- 
tastasen oder  Intoxication  verdankt,  und  giebt  die  Prädisposition  schon  früh 
durch  Magensäure  und  Sodbrennen  zu  erkennen.  Je  mehr  der  Magenschmerz 
periodisch ,  und  zwar  bald  nach  kurzer  Ruhe ,  bald  nur  zu  gewissen  Tages- 
zeiten, oder  nach  Wochen  und  Monaten  wiederkehrt,  je  heftiger  der  Schmerz 
ist  und  je  plötzlicher  er  entsteht,  je  mehr  ein  auf  die  Magengegend  ausge- 
übter Druck  die  schmerzhafte  Empfindung  vermindert,  desto  mehi*  ist  das 
Übel  nervös  und  spastisch.  Je  mehr  im  Gegentheile  der  Schmerz  unausge- 
setzt fortdauert,  bei  der  Berührung  oder  durch  genommene  Nahrungsmittel 
vermehrt  wird,  der  Kranke  dabei  ein  Klopfen  im  Unterleibe  oder  in  der 
Magengegend  empfindet,  je  mehr  warme  Nahrungsmittel  und  Getränke  den 
Schmerz  erwecken,  und  vielleicht  fieberhafte  Symptome  ihn  begleiten,  desto 
mehr  ist  er  als  ein  Symptom  anderweitiger  Krankheitszustände.  als  entzünd- 
liche Reizung ,  organische  Umänderung  etc.  zu  betrachten.  Die  Unterschei- 
dung des  entzündlichen  Magenschmerzes  von  dem  nervösen  ist  für  die  Pra- 
xis wichtig,  aber  oft  sehr  schwierig,  besonders  da  beide  in  manchen  Fällen 
sehr  nahe  an  einander  grenzen  und  in  einander  übergehen.  Die  jedesmalige, 
dem  Schmerz  zum  Grunde  liegende  Ursache,  die  Körperconstitution  des 
Kranken,  die  Jahreszeit,  der  herrschende  Krankheitscharakter,  die  Daner 
und  der  Verlauf  der  Krankheit  selbst,  müssen  nebst  den  angegebenen  und 
noch  weiter  unten  zu  erwähnenden  Merkmalen  die  Diagnose  leiten  und  sicherii. 
In  höhern  Graden  finden  sich  Kälte  der  Extremitäten,  Angst,  Dyspnoe,  Übd- 


326  CARDIALGIA 

keit,  Ausfluss  eines  wassrigen  Speichels  aus  dem  geöffneten  Munde,  Neigung 
zu  Ohnmächten ,  bei  Männern  Strangurie ,  Ischurie  ein.     Ist  diese  noch  nicht 
da,  so  ist  der  gelassene  Urin  ganz  wasserhell,  der  Stuhlgang  ist  fast  immer 
träge,    oft  selbst  Obstructio  alvi   da.      In   hartnäckigen   anhaltenden    Fällen 
geht  der  Magenschmerz  in  wirklichen  Magenkrampf  über.     Letzterem  ge- 
hen oft  Gähnen,  Frösteln  Yorher.     Der  Schmerz  ist  äusserst  heftig  und  wird 
durch  Abgang  von  Ructus  und  Flatus  vermindert.      Es  stellen   sich  heftiges 
Würgen  luid  Erbrechen  mit  Erleichterung,    Zittern  der  Glieder,    Ohnmäch- 
ten, Zuckungen  und  allgemeine  Krämpfe  ein.     Der  Puls  ist  verschieden  be- 
schaffen ,    bald  schnell ,    klein ,   meist  zusammengezogen  ,    oft  recht  langsam, 
im    höhern  Grade    fast   gänzlich   unterdrückt.     Tritt   der  Magenschmerz    als 
Sjmptora   eines    verlarvten  Wechselfiebers   auf,    so   dient  zur    Diagnose    die 
regelmässige  Wiederkehr,  sowie  die  zuweilen  nicht  gänzlich  fehlenden  Beglei- 
ter der  Intermittens ,  als :  Kopfschmerz ,  ziegelfarbiger  Niederschlag  im  Urin, 
•Gähnen  und  Ziehen  in  den  Gliedern,    ßlauwerden  der  Nägel  etc.     Der  An- 
fall   endet   mit  Schweiss,    Abgang  von  Blähungen,   von  vielem  wasserhellen 
Urin,  mit  Erbrechen,    oder  mit  dem  Eintritt  einer  Blutung,    und  die  ganze 
Krankheit  entscheidet  sich  mitunter,    indem  sich  Hautausschläge,  Gelbsucht, 
Gichtanfälle,    Hämorrhoiden  etc.    ausbilden.      Die  Dauer  des    einzelnen  Par- 
oxysmus   ist    verschieden   und    erstreckt    sich   von    einigen    Minuten    bis    auf 
mehrere  Stunden ,  selbst  Tage.     Die  heftigeren  Anfälle  dauern  in  der  Regel 
kürzere  Zeit  als  die  gelinderen,  welche  letztere  daher  auch  oft  eine  chroni- 
sche Entzündung   des   Magens    anzeigen.      Man  hat    diese   länger  dauernden 
Anfälle  des  Magenschmerzes  selbst  mit  dem  Namen  Cardialgia  spuria  belegt, 
um  ihren  von  der   eigentlichen  nervösen  Kardialgie  verschiedenen  Charakter 
dadurch  anzudeuten;    doch  ist  jene  Benennung  nur  geeignet,    Verwirrungen 
zu  veranlassen.  ~     Zur   Unterscheidung   des  Magenschmerzes  von   der  Ma- 
generweichung dient,    dass  letzteres  Übel  besonders    bei  Kindern  vorkommt, 
was  selten  vom  Magenschmerz  gilt ,  dass  es  mit  heftigem  anhaltenden  Durst 
und  mit  eigens  beschaffenen,  grünen  Stuhlgängen,  sowie  mit  eigenthümlicher 
Geistesverstimmung,  Schläfrigkeit   und  Benommenheit  des  Kopfs    auftritt   (s. 
Gastrobrosis  und  Gastromalacia).     Ursachen  des  Magenschmerzes. 
Sind  sehr  mannigfaltig.     Zu  ihnen  gehört  Alles,  was  die  Magennerven  idio- 
pathisch und  sympathisch  zu  reizen  vermag:  der  Ger.uss  starker  Säuren  und 
anderer  scharfer  Dinge,    Erkältungen  des  ganzen  Körpers  oder   des  Magens 
durch  zu   kalte  Nahrungsmittel,    kalte  Getränke  (Eis),    Erhitzungen  durch 
erhitzende  Getränke,    anhaltender  Genuss   der  letztern;    Gallenreiz,    Würm- 
reiz ,    unterdrückte  Menstruation  und  Hämorrhoiden ,   unterdrückte  Hautaus- 
schläge, Gicht,  Rheumatismus,    Verletzungen  des  Kopfs,  organische  Abnor- 
mitäten des  Pankreas,    der  Leber,  Milz,  des  Mesenterium,  des  Uterus,  der 
Ovarien,  des  Herzens  und  Zwerchfells,  Nieren-  und  Gallensteine  etc.     Sen- 
sible Constitution,  eine  eigenthümliche  Empfindlichkeit  des  Magens,  wie  bei 
Hysterischen    und  Hypochondristen ,    geben    zu    der    Kardialgie    als    nervös - 
spastischem  Übel  die  meiste  Disposition.     Diese  findet  sich  daher  vorzüglich 
beim  weiblichen  Geschlecht  und  zwar  besonders  bei  Unfruchtbaren,   Unver- 
heiratheten  in   den  mittleren    Jahren.      In   einigen  Gegenden   ist   die  Krank- 
heit endemisch.    Gelegentliche  und  veranlassende  Ursachen  sind:  öfteres  lan- 
ges Hungern,  Säfteverlust  durch  Blutungen,  Ausschweifungen,  Onanie,  Fluor 
albus,  fortgesetzter  Gebrauch  schwächender  Arzneien,  warmer  erschlaffender 
Getränke,    deprimirende  Gemüthsbewegungen ,  Zorn,  Ärger  und  Schrecken. 
Prognose.    Die  Krankheit  ist  mehr  hartnäckig  als  gefährlich,  heftige  Grade 
ausgenommen,    welche    durch   den  Übergang   in    leicht    gangränös  werdende 
Magenentzündungen   gefährlich  werden    können.     Die   nächsten  Anfalle  kön- 
nen wir  meist  unterdrücken,    wenn  wir  die  veranlassenden  Ursachen   aufzu- 
finden im  Stande  sind.     Wo  diese  aber  schwer  oder  gar  nicht  entfernt  wer- 
den können,  erregt  der  lange  dauernde  Schmerz  Abzehrung,  organische  Ver- 
bildung  der  Magenhäute ,  des  Magensphinkters  oder  der  nahe  liegenden  Or- 
gane.    Ist  das  Übel  blos  ein  Symptom  solcher  organischen  Fehler ,  so  hängt 
die  Heilung  allein  von  der  Möglichkeit  der  Beseitigung  derselben  ab.     Aber 


CARDIALGIA  327 

auch  111  dem  Falle,  wo  die  Prognose  günstig  ist  und  die  Heilung  des  Kran- 
ken zu  erwarten  steht,  sind  Rückfälle  leicht  möglich,  wenn  der  Kranke 
nicht  alle  Aufmerksamkeit  auf  seine  Lebensweise  verwendet.  Behandlung. 
Sowol  die  Behandlung  der  einzelnen  Anfälle  als  auch  die  Radicalcur  musa 
sich  nach  den  Veranlassungen  richten.  Da  Magensäure  eine  häufige  Veran- 
lassung desselben  ist ,  die  nicht  allein  oft  Ursache  des  Übels  wird ,  sondern 
sich  auch  bei  jedem  länger  dauernden  Magenschmerz  einfindet  und  zur  Ver- 
schlimmerung desselben  viel  beiträgt,  so  dürfen  wir  diese  nicht  übersehen 
(s.  Anorexia  und  Absorbentia).  Saures,  ranziges  Aufstossen,  dabei 
brennende ,  ätzende ,  schrumpfende  Zusammenziehung  im  Magen  und  in  der 
Speiseröhre,  besonders  nach  dem  Genüsse  fetter,  schwerverdaulicher  Spei- 
sen; Erbrechen  einer  scharfen,  zuweilen  übelriechenden  Flüssigkeit  mit  Er- 
leichterung; diese  Zeichen  geben  die  Gegenwart  der  Magensäure  zu  erken- 
nen. Der  Magenschmerz  tritt  hier  Morgens,  nachdem  der  Kranke  die  ersten 
Nahrungsmittel  zu  sich  genommen  hat,  am  häufigsten  ein.  Nicht  blos  pal- 
liativ ,  sondern  auch  radical  dienen  hier  die  absorbirenden  Arzneien ,  um  die 
Wiedererzeugung  der  Säure  zu  verhüten  und  das  Gangliennervensystem  zu 
beruhigen  (^Hufeland).  Man  verbindet  sie  zweckmässig  mit  bittern,  robori- 
renden  Mitteln,  z.  B.  mit  Flavedo  corticum  aurantiorum.  Sehr  wirksam  ist: 
i^  Pulv.  ligni  qunssiae  51s,  infund.  c.  Aqune  cnicis  vio.  gvj,  Stent  in  digest.  p.  ti 
hör.  Ebull.  paulisp.  CoL  adde  Aq.  menth.  pip.  gjj ,  Sfyr.  cort.  aurnnt.  3II. 
M.  S.  Zweistündlich  2  Esslöffel  voll  (^Richter).  Zar  Correction  der  Säure 
dienen  fefner ,  sowie  zur  Linderung  des  Schmerzes  selbst ,  vegetabilische, 
besonders  Citronensäure,  der  Saft  frischer  Pomeranzen,  das  Ellxir.  acid. 
Hall.,  Elix.  vitrioli  Mynsichtl  Noch  wirksamer  ist  die  oben  (s.  Absor- 
bentia) angegebene  Mixtur  (M.).  Nach  Umständen  interponirt  man  zu- 
weilen ein  Brechmittel ;  späterhin  werden  Calam.  aromat. ,  ^'aleriana ,  Cas- 
carille ,  Rheum ,  Eisenpräparate  und  China  angewandt  ( s.  A  m  a  r  a ).  — 
Entstand  die  Kardialgie  durch  Genuss  scharfer,  giftiger  Stoffe,  so  müssen 
diese  nach  Umständen  ausgeleert,  zersetzt  oder  eingehüllt  werden  (s.  In- 
toxicatio  und  Morbi  toxici).  Der  nachbleibende  Schmerz  ist  entzünd- 
licher Natur  und  muss  gelind  antiphlogistisch ,  besänftigend ,  ableitend  be- 
handelt werden.  —  Die  Kardialgie  durch  scharfe  Galle  giebt  sich  durch 
den  Status  biliosus  ( gelbliche  Farbe  der  Conjunctiva ,  des  Gesichts ,  Em- 
pfindlichkeit der  Lebergegend,  besonders  beim  Druck,  galliges  Erbrechen, 
gelb  belegte  Zunge,  hochgefärbter,  mit  Salzsäure  einen  grünen  Niederschlag 
bildender  Urin  etc.)  zu  erkennen.  Starke  Gemüthsbewegungen :  Ärger,  Schre- 
cken, und  biliöse  Luftconstitution  begünstigen  da&  Übel.  Gewöhnlich  zeich- 
net sich  diese  Art  des  Magenschmerzes  durch  den  sie  begleitenden  heftigen 
Durst  oder  Hunger  (Fames  canina)  aus.  Ist  das  Übel  bereits  vorgeschritten, 
so  leidet  die  innere  Magenhaut,  sie  wird  wund,  und  der  Genuss  von  Nah- 
rungsmitteln erregt  Schmerz.  Cur.  Im  Anfalle  zur  Milderung  dsr  schai'fen 
Galle  keine  Brechmittel ,  sondern  vegetabilische  Säuren ,  noch  bess  er  Pot. 
Riverii  mit  Aq.  chamomillae,  Pulv.  aerophorus.  Oft  wird  wegen  Erosion 
der  Magenhäute  aller  Arzneigebrauch  unmöglich  und  man  sieht  sich  genö- 
thigt ,  zu  den  mildesten  einhüllenden  Mitteln ,  Mucilago  salep. ,  Decoct.  al- 
thaeae ,  Ol.  amygdal.  dulc.  rec,  Eiweiss  u.  dergl.  seine  Zuflucht  zu  neh- 
men ,  obgleich  auch  diese  Mittel  häufig  nicht  vertragen ,  und  gleich  nach 
dem  Genuss  wieder  ausgebrochen  werden.  Zur  Radicalcur  dienen  zwar  die 
dem  Status  biliosus  angemessenen  Arzneien,  jedoch  müssen  diese  mit  scho- 
nender Vorsicht  ausgewählt  werden.  Namentlich  sind  da,  wo  die  scharfen 
Secreta  ein  Wundseyn,  oder  nur  eine  bedeutende  Reizung  der  Magenhäute 
bewirkt  haben,  alle  Brechmittel  gänzlich  zu  vermeiden.  Dasselbe  gilt  von 
den  reizenden  Abführungsmlttelu ,  als  Senna  u.  dergl. ,  an  deren  Statt  fettö 
Öle  oder  Tamarinden  zu  wählen  sind.  (Ausser  den  Anfallen  dienen  Vomitive, 
Laxative  von  Rheum ,  Infus,  sennae  mit  Antispasmodicis ,  und  darauf  bittere 
Mittel  mit  Magnesia,  Ocul.  cancror.  M.).  —  Die  nach  Unterdrückung  der 
Menstruation,  der  Hämorrhoiden  entstandene  Kardialgie  hat  häufig  eine  ent- 
zündliche Natur,  ist  wenigstens  congestiver  Art,  oft  mit  Fieber  und  so  hef- 


328  CARDIALGIA 

tigen  Schmerzen  verbunden ,  dass  die-leiseste  äussere  Berühning  des  Magens 
die  Schmerzen  bedeutend  vermehi't.  Cur,  Iin  Anfalle  Aderlassen,  Blutegel 
an  den  After,  an  die  Schamlefzen,  ableitende  Fuss-  und  Handbäder,  Vesi- 
catorien ,  Sinapismen ,  Dampfbäder  an  die  Genitalien  und  den  After ,  Reiben 
und  Bürsten  der  Schenkel ,  warme  Bähungen  auf  den  Unterleib,  erweichende 
Klystiere.  Innerlich  passen  milde  schleimige  Dinge :  Emulsionen  und  Ölmix- 
turen,  Pot.  Riverii  mit  vielem  Gummi  arabicum.  —  Bei  dem  nach  unter- 
drückten oder  zurückgetretenen  Hautausschlägen ,  Gichtanfällen ,  Rheumatis- 
men etc.  entstandenen  Magenschmerze  verfährt  man  während  des  Anfalls, 
da  meist  ein  entzündlicher  Charakter  zugegen  ist ,  im  Wesentlichen  wie  im 
vorigen  Falle,  also  antiphlogistisch,  derivirend,  setzt  Blutegel  in  die  Ma- 
gengegend etc.  Sind  die  Umstände  dringend,  so  dienen  schnell  wirkende 
Ableitungen  auf  die  äussere  Haut,  z.  B.  durch  Auflegen  eines  Flanellpolsters, 
das  mit  siedendem  Wasser  getränkt  ist,  auf  die  Magengegend,  blutige 
Schröpfköpfe.  Ein  hier  anwendbares,  in  manchen  Gegenden  gegen  chro- 
nisch -  entzündlichen  Magenschmerz  sehr  gebräuchliches  Volksmittel  besteht 
in  Folgendem.  Man  nimmt  eine  kleine  Metallplatte,  befestigt  auf  dieselbe 
ein  Stückchen  Wachsstock,  zündet  diesen  an,  legt  das  Ganze  auf  die  Herz- 
grube und  stürzt  ein  Gefäss  von  massiger  Grösse,  nachdem  man  die  in  dem- 
selben enthaltene  Luft  durch  die  E'lamme  des  Wachsstocks  sich  hat  ver- 
dünnen lassen,  darüber  (s.  Clnrtis  u.  Radius  Wöch.  Beltr.  etc.  Bd.  HI.  8.). 
Der  Erfolg  ist  oft  sehr  überraschend.  Nach  Beendigung  des  Anfalls  wen- 
det man  (mit  Vorsicht  und  erst  72  Stunden  nachher,  Af. )  Antimonialia, 
Dulcamara,  Aconit,  Guajak,  äusserlich  künstliche  Geschwüre,  Vesicatorien, 
reizende  Salben  an.  In  einem  solchen  hartnäckigen  Falle  gab  Sundelin  das 
milde  salpetersaure  Quecksilberoxydul  mit  bittern  Mandeln  und  Opium  in 
Pillenform  mit  ausserordentlich  gutem  Erfolge.  Die  reizenderen  dieser  Mit- 
tel, Guajak,  Kampher  etc.,  sowie  die  problematischen  russischen  Dampf- 
bäder, passen  nur  da,  wo  man  sicher  vor  jeder  schleichenden  Entzündung 
ist,  und  sind  mit  um  so  grösserer,  ungemessener  Vorsicht  zu  verabreichen, 
da  ihrer  Anwendung  grösstentheils  eine  grob  materielle  Vorstellung  von  un- 
erwiesenen  Krankheitsstoffen  zum  Grunde  liegt.  (Kardialgie  von  zurückge- 
tretenem Podagra  erkennt  man,  nach  Vogel,  besonders  daran,  dass  dem 
Kranken  der  Viagen  zu  hängen ,  wie  im  Wasser  zu  schwimmen  scheint ,  mit 
einer  besondern  Empfindung  von  Kälte  darin  und  Stumpfheit  desselben  ge- 
gen alle  Reize.  Auch  die  Erblichkeit  der  Gicht,  die  Constitution  und  das 
Alter  (s.  Arthritis)  dient  zur  Diagnose  dieses  Magenkrampfs.  Most^.  Die 
Diagnose  dieser  Gichtme'tastase  würde  nach  den  vorstehenden  Kennzeichen 
höchst  unsicher  seyn,  denn  wo  giebt  es  wol  eine  schlechtere  Diagnose  als 
da,  wo  man  sie  aus  den  subjectiven  Gefühlen  des  Kranken  erwähnter  Art 
entnehmen  soll,  und  würde  auch  durch  die  von  v.  Vogel  (Berl.  Encyklop. 
Wörterb.  Art.  Card.  p.  705.)  hinzugefügte  Bemerkung  über  die  lange  Dauer 
und  endliche  Tödtlichkeit  des  Übels,  „wenn  es  der  Natur  durchaus  an  Ex- 
pulsivkraft  fehlt  und  die  Glieder  steif  und  unfähig  sind,  den  podagrischen 
Stoff  wieder  aufzunehmen,  u.  s.  w."  nicht  erleichtert  werden,  wenn  das 
vorhergegangene  Befinden  des  Kranken,  das  mehr  oder  weniger  plötzliche 
Verschwinden  des  Gichtanfalls,  mit  gleichzeitigem  Auftreten  des  Magen- 
schraerzes,  keinen  Aufschluss  über  die  Natur  des  letzteren  zu  geben  vermag. 
Starker,  schwarzer  Kaffee,  sowie  Vitrioläther  "sollen  sich  hier  nützlich  be- 
wiesen haben;  doch  scheint  ihre  Anwendbarkeit  einigem  Zweifel  unterwor- 
fen werden  zu  müssen.  —  Kardialgie  nach  unterdrücktem  Fussschweiss 
sucht  man  durch  Wiederherstellung  der  gewohnten  Absonderungsthätigkeit 
zu  heben,  wozu  Reizungen  mancherlei  Art,  an  den  Füssen  angebracht,  sich 
eignen,  z.  B.  Senf-,  Laub-,  trockne,  warme  Fussbäder,  reizende  Pflaster  und 
Salben,  Einwickelung  mit  Wachstaffet  etc.  (s.  Foetor  pcduni).  —  Kar- 
dialgie durch  Erkältung  erfordert  äusserlich  trockne  Wärme  (recht  warme, 
mit  Pväucherpulver  durchräucherte  Flanelltücher  auf  den  Unterleib),  inner- 
lich warmen  Thee  von  Rad.  valerianae,  daneben  Liq.  anodynus,  Liq.  c.  c. 
öucc,  Naphthea.    Ausserdem  nützen  innerlich  Kampheremulsioncu  und  ausser- 


CARDIALGIA  329 

lieh  Linini.  volat.  camphorat.  (Änwe  in  HufclaniVs  Journal  Bd.  VII.  St.  3). 
Die  herrschende  Witterungs-  und  Krankheitsconstitution ,  die  voraufgegan- 
gene Schädlichkeit ,  die  Geneigtheit  des  Kranken  zu  rheumatischen  Affectio- 
nen,  dienen  zur  Diagnose.  —  Bei  alten  Kardialgien,  entstanden  durch  Aus- 
schweifungen ,  besonders  durch  Onanie ,  übermässigen  Coitus ,  ist  Kampher 
innerlich  ein  herrliches  Mittel.  Kampher  mit  Nitrum  und  nebenbei  China  mit 
Kalmus  heilten  eine  inveterirte  Kardialgie  dieser  Art  (s.  Bird  in  Hufeland's 
Journal  1827.  Decbr.).  Ist  der  Schmerz  bei  der  Erkältungskardialgie  offen- 
bar entzündlich,  so  müssen  Blutegel  angewandt  werden.  Ist  das  Übel  chro- 
nisch und  die  Ursache  rheumatischer  Art ,  so  erkennt  man  dies  vorzüglich 
daran,  dass  rheumatische  Schmerzen  auch  an  andern  Theilen  vorkommen 
und  mit  der  Kardialgie  zuweilen  abwechseln.  Solche  Kranke  befinden  sich 
bei  leerem  Magen  am  wohlsten,  der  Schmerzanfall  stellt  sich  gewöhnlich 
schon  nach  dem  Frühstück  ein  und  wiederholt  sich  nach  der  Mittagsmahl- 
zeit. Äusserlich  Vesicantia ,  Empl.  de  galb.  crocat.  mit  Sal.  c.  c. ,  Opium 
xuid  Pulv,  cantharid.  (Hufeland'),  Empl.  de  galbano  croc.  mit  etwas  Tart. 
emeticus  auf  die  Magengegend,  ferner  örtliche  animalische  Bäder,  Schwefel- 
bäder, das  russische  Dampfbad  (Stmdelin) ',  innerlich  Vin.  stibiat.  mit  Extr. 
aconiti,  Lac  sulphuris, -Kampher ,  allein  oder  in  Verbindung  mit  Merc.  dulcis 
sind  hier  am  wirksamsten.  In  hartnäckigen  Fällen  passen  besonders  Opium, 
Asa  foetida,  bittere  Extracte,  ein  Brausepulver  aus  Ammonium  carbonic. 
pyro-oleos.  und  Acid.  succinicum.  —  Kardialgie  durch  Wurmreiz  erkennt 
man  besonders  an  dem  frühern  Abgange  von  Würmern.  Zur  Beruhigung 
dienen  im  Anfange  Ölmixturen,  die  durch  den  Zusatz  von  Kampher,  wenn 
dieser  nicht  durch  allgemeinen  oder  örtlichen  gereizten  Zustand  contraindicirt 
seyn  sollte,  in  ihrer  Wirksamkeit  erhöht  werden  (Berends).  Sehr  wirksam 
bewies  sich  hier  Inf.  rad.  valer.  und  Semin.  cynae  concentrat  (Seh.).  Soll- 
ten diese  Mittel  nicht  hinreichen,  so  räth  Berends  zur  Anwendung  des 
Opiums.  —  Leiden  Kranke  neben  der  periodisch  eintretenden  Kardialgie  an 
anhaltender  Gemüthsverstimmung ,  an  heftig  brennenden ,  oft  anhaltenden 
Leibschmerzen,  an  Erbrechen  bei  nüchternem  Magen,  oder  nach  dem  Ge- 
nuss  irgend  einer  Speise,  worauf  sich  Erleichterung  einstellt,  ist  das  Aus- 
geleerte vielleicht  von  üblem  Geruch  (was  freilich  auch  mitunter  bei  Ma- 
gensäure vorkommt)  und  von  übler  Beschaffenheit,  hat  die  Krankheit  schon 
lange  gedauert,  ist  der  Befallene  dem  Genüsse  spirituöser  Getränke  ergeben, 
ging  eine  Magenentzündung  vorauf,  zehrt  der  Kranke  ab ,  hat  er  ein  ka- 
chektisches  Ansehn ,  ist  mitunter  Fieber  zugegen ;  so  deutet  dies  auf  organi- 
sche Fehler  des  Magens,  der  Leber  etc.  als  ^Ursache  der  Kardialgie.  Man 
verräume  nicht,  den  Leib  bei  leerem  Magen  und  vornübergebogener  Stel- 
lung genau  durch  die  Bauchdecken  zu  untersuchen.  Man  wird  hier  oft  die 
Desorganisation  fühlen.  Im  Anfalle  passen  hier  Blutentziehungen,  am  besten 
durch  Schröpfköpfe,  auf  die  Magengegend  gesetzt,  besänftigende  Ölemul- 
sionen ,  Aqua  laurocerasi.  In  der  Regel  muss  man  auch  hier  zum  Opium 
seine  Zuflucht  nehmen,  wo  man  das  Extr.  opii  aquos.  vorzieht.  Ausser  dem 
Anfalle  behandle  man  das  Grundübel  (s.  Scirrhositas  ventriculi, 
Physconia  hepattg,  lienis  etc.).  —  Übermässige  Empfindlichkeit  des 
ganzen  Nervensystems  (Habitus  spasticus)  und  besonders  der  Magennerven 
(Hyperaesthesis)  ist  eine  der  häufigsten  Veranlassungen  des  Magenkrampfs 
(Cardialgia  spastica),  ist  Magenkrampf  im  engern  Sinne  des  Worts.  Die 
Hyperaesthesis  des  Magens  äussert  sich  bei  den  Schmerzanfällen  dadurch, 
dass  letztere  besonders  des  Morgens,  ehe  der  Kranke  etwas  genossen  hat, 
und  nach  vollbrachter  Verdauung  eintreten,  Ist  die  Empfindlichkeit  sehr  ge- 
steigert, so  werden  die  genossenen  Nahrungsmittel  leicht  wieder  ausgebro- 
chen j  wenn  sie  aber  bleiben,  so  lindern  sie  die  Schmerzen,  welches  letztere 
auch  durch  starken  äussern  Druck  der  Magengegend  bewirkt  wird.  Die 
Esslust  ist  dabei  oft  nicht  vermindert.  ( Oft  ist  selbst  Farnes  canina  und 
Pica  zugegen.  M.).  Zur  Beseitigung  des  Anfalls  dienen  hier  Narcotica, 
Stupefacientia,  Belladonna,  Opium,  Stramonium,  Extr.  hyoscyami,  lactucae 
^irosae,  Acidum  hydioc.  vegetab.,  Nux  vomica,  das  milde  Brausepulver  mit 


330  CAKDIALGIA 

Natr.  carbon.  acldul. ,  welches  zugleich  die  Stuhlansleerting  gelinde  befor- 
dert; ausser  der  Zeit  Magist.  bisnmthi ,  Flores  ziiici ,  Zinc.  cyanic. ,  selbst 
Zinc.  sulphur. ,  ferner  Ipecacuanha  in  refr.  dosi,  die  Olea  aetherea,  vorzüg- 
lich Ol.  cajep. ,  chamom. ,  menth. ,  und  nienth.  pip. ,  Valeriana ,  Chamomill., 
Herb,  inelissae,  Fol.  aurantior.  (und  bei  Neigung  zu  Obstr.  ahi  diese  mit 
Fol.  sennae  versetzt ,  und  anhaltend  als  Thee  gebraucht,  M.).  In  dringen- 
den Fällen  passen  beim  Anfalle  besonders  Opium,  äusserlich  warme  aroma- 
tische, ätherische  Überschläge  von  Infus,  chamomillae,  valerianae ,  Linim. 
Tolat.  camph.  cum  opio,  Klystiere  von  Infus,  valerianae  mit  Asa  foetida. 
Grossen  Ruf  hat  sich  die  Eniulsio  amygdal.  comp.  ph.  Hann.  erworben,  die 
nach  Einigen  (s.  v.  Vogel  a.  a.  O.)  noch  wirksamer  ist ,  wenn  sie ,  in  den 
dazu  geeigneten  Fällen ,  mit  Ol.  amygd.  dulc.  rec.  expr.  vermischt  wird. 
Da  die  übermässig  erhöhte  Empfindlichkeit  des  Magens  immer  mit  irritabler 
Schwäche  desselben  verbunden  ist,  so  muss  man  bei  der  Radicalcur  auf  letz- 
tere sein  Augenmerk  richten.  Anfangs  passen  hier  Valeriana ,  Calam.  aro- 
mat. ,  Cort.  cascarillae  in  leichten  Infusionen,  späterhin  Rheum  in  kleinen 
Dosen ,  Quassia  und  endlich  China  und  Eisen.  Ist  Hyperästhese  des  ganzen 
Nervensystems  zugegen,  so  erkennt  man  diese  an  der  allgemein  spastischen 
Körperconstitution  (s.  Hysteria  und  Spasmus).  — ■  Die  Kardialgie  ist 
häufig  Symptom  der  Hysterie  (Cardialgia  hysterica).  Sie  glebt  sich  vor- 
züglich dadurch  zu  erkennen,  dass  die  Seh raerzanf alle  bei  nüchternem  Ma- 
gen durch  Körperbewegung  vermehrt  werden.  Kurz  vor ,  mit  oder  beim 
Eintritte  der  Menstruation  erreichen  sie  oft  einen  ausserordentlichen  Grad 
von  Heftigkeit;  die  Bauchdecken  werden  krampfhaft  zurückgezogen,  die 
Kranken  klagen  über  eine  sehr  empfindliche  Kälte  in  allen  Gliedern,  oft 
nur  an  einzelnen  Theilen,  z.  B.  am  Kopfe  ( Clavus  hystericus);  es  treten 
Zittern,  kalte  Schweisse  vor  der  Stirn  und  allgemeine  Krämpfe,  zuweilen 
auch  Ohnmächten  ein,  aus  denen  die  Kranken  schwer  zu  erwecken  sind. 
Cur.  Die  der  Hysterie ;  also  im  Anfalle  Tinct.  asae  foetid.,  —  valerianae, 
Liq.  c.  c.  succ. ,  — anodyn. ,  Ol.  chamomillae  aether.  in  Spirit.  nitri  dulc. 
gelöst,  Elaeos.  cajepuli,  Klystiere  von  Asaut ,  Opium,  mit  Kampher,  Ein- 
reibungen ätherischer,  spirituöser  Mittel ;  Derivantia:  Teige  von  Senf,  Meer- 
rettig,  Theriakpttaster  mit  Morphium  aceticum  {Mari/ot),  auf  die  Herzgrube, 
lauwarme  aromatische  Bäder,  die  Siütz'sche  Cur  mit  den  Kalibädern.  Die 
Behandlung  ausser  dem  Anfalle  ist  ganz  die  der  Hysterie  (s.  Hysteria  und 
Anthy sterica).  —  Der  mineralisch^  Magnetismus  hat  zuweilen  auffal- 
lende Dienste  bei  dieser  Art  des  Magenkrampfs  geleistet.  So  erzählt  Knauer 
(s.  Casper''s  Wochenschr.  f.  d.  ges.  Heilk.  1835.  Nr.  1.)  einen  Fall,  wo  alle 
antispastische  Mittel  vergebens  angewandt  worden  waren,  und  wo  die  Mag- 
netisirung  der  Magengegend  mit  einem  Magnet  von  6  Pfund  Ziehkraft  grosse 
Erleichterung,  zuweilen  völliges  Verschwinden  des  Schmerzes  bewirkte.  An 
den  vorzüglich  schmerzhaften  Stellen  bemerkte  man,  dass  die  Haut  sich 
dem  Magnet  mehr  als  eine  Linie  entgegen  hob ,  und  an  demselben  so  fest 
hing,  dass  die  Trennung  nur  durch  ziemliche  Gewalt  erfolgte.  Hierbei 
vsTirde  die  Haut  geröthet,  nahm  aber  nach  und  nach  ihre  natürliche  Fär- 
bung wieder  an,  wobei  sich  gewöhnlich  der,  während  der  Röthung  ver- 
schwundene, Schmerz  wieder  einstellte.  Unschmerzhafte  Stellen  der  Magen- 
gegend folgten  der  Anziehung  des  Magnets  nicht,  und  wurden  durch  ihn 
nicht  geröthet.  Bei  derSection  zeigten  sich  Degenerationen  des  Magens,  deren 
Lage  im  Leben  durch  die  angedeuteten  Erscheinungen  bezeichnet  wurde.  — 
Die  Leibesverstopfung  erfordert  bei  der  Kardialgie  zwar  immer  einige  Auf- 
merksamkeit ,  indem  dadurch  die  Zufälle  oft  verschlimmer!  werden ;  jedoch 
hüte  man  sich  besonders  in  der  Zeit  öfterer  Anfälle  vor  eigentlichen  Abfüh- 
rungsmitteln ,  besonders  wenn  sie  reizender  Art  sind.  Welche  grosse  Nach- 
theile der  fortgesetzte  und  unvorsichtige  Gebrauch  der  Folior.  sennae  her- 
beizuführen vermag,  hat  mir  ein  Fall,  der  sich  noch  gegenwärtig  in  meiner 
Behandlung  findet,  unwiderleglich  dargethan.  Diätetische  Mittel,  und  im 
Nothfall  Klystiere,  führen  gemeiniglich  zum  Ziele.  —  In  sehr  hartnäckigen 
Fällen   des  Magenkrampf»  leistet  das  Einstreuen  von  Morphium   acetic.  auf 


CARDUNASTROPHE  —  CARDIELCOSIS  331 

kleine  von  der  Oberhaut  entblosste  Stellen  der  Herzgrube  oft  schnelle,  und 
nicht  selten  radicale  Heilung  (s.  Frictio).  Der  von  Flatulenz  entstehende 
Magenschmerz  (Cardialgia  flatulenta)  ist  gewöhnlich  ein  Begleiter  der  Hy- 
pochondrie. Symptome  sind:  Vollheit  des  Magens,  worüber  die  Krankea 
sich  sehr  beklagen  und  welche  sich  selbst  durch  äussere  Aufgetriebenheit 
der  Magengegend  zu  erkennen  giebt.  Wenn  Ructus  und  Flatus  abgehen, 
so  erleichtert  dies  sehr.  Cur.  Die  der  Blähungskolik;  mit  den  Carminati- 
vis  verbinde  man  zugleich  auch  Absorbentia  (s.  Colica  flatulenta). 
Vorzüglich  wirksam  sind  Liq.  c.  c,  succ.  mit  Infus,  chamomillae  und  menth. 
pip.,  Asantklystiere,  Reiben  der  Magengegend  mit  %yarmen  Avollenen  Tu-  i 
ehern  etc.  Nach  dem  Anfalle  passt  das  Solamen  hypochondr.  Kleinii  (Kali 
tartar. ,  Flav.  cort.  aurant.,  Rad.  rhei,  Sem.  foeniculi  ana  3 j j  »  Ol.  cajeputä 
gtt.  vjjj.  M.  f.  p.  S.  2  — Smal  täglich  1  Theelöffcl  voll);  s.  Hypochon- 
dria.  Johann  Schröder. 

Nachschrift  des  Herausgebers.  Wichtig  ist  der  Unterschied  der 
Cardialgia  acuta ,  non  habitualis  ,  und  der  C.  chronica ,  habitualis.  Die  bei 
letzterer  nützlichen  antispasmodischen  und  erhitzenden  Arzneien  sind  bei  er- 
sterer,  die  ihren  Grnnd  häufig  in  Gastritis  und  Enteritis  incipiens  findet, 
höchst  schädlich,  und  manches  unter  Kolik  und  Magenkrampf  behandelt« 
Übel  ist  dadurch  verschlimmert  worden  und  hat  böse  P'olgen  hinterlassen 
(s.  Convolvulus).  Bei  der  rein  spastischen,  habituellen  Kardialgie  pas- 
sen solche  Mittel  zwar  im  Anfalle,  aber  äussere  Wärme  auf  den  Unterleib 
und  eröffnende  antispasmodische  Klystiere  sind  nie  dabei  zu  verabsäumen, 
und  ausser  den  Anfällen  findet  die  Radicalcur  erst  durch  Flor,  zinci,  Magist. 
bismuthi,  Asa  foetida  statt;  dabei  vergesse  man  nie,  durch  Fol.  sennae, 
Rheum  und  Absorbentia  für  tägliche  Leibesöffnung  zu  sorgen  und  tägliche 
Bewegung  im  Freien  anzurathen.  Bei  der  reinen  Cardialgia  hysterica  ist 
Folgendes  ausser  dem  Anfalle  sehr  wirksam:  ^.r  Tinct.  rhei  aquos.  gj,  FAix. 
viscer.  Hojf'm.,  Tinct.  cort.  aurant.  ana  jlx,  —  castoiei,  Naphth.  vilrioli  aua  5j« 
M.  S.  Dreistündlich  1  Theelöffel  voll  (Dr.  Bode  in  Bückeburg).  Dabei  täg- 
lich 2  —  3  Klystiere  aus  Infus,  valer.  und  Asa  foet.  Ausserdem  bei  Leibes- 
yerstopfung  des  Abends  3  —  4  Stück  Pil.  aperient.  Stahlii.  Bei  Kardialgie 
mit  Magensänre  ist  Folgendes  im  Anfange  sehr  zu  empfehlen:  I^;  Gurnm. 
mimos. ,  Ol.  amijgdaL  diilc.  rec.  ana  5vj,  Aq.  flor.  chamomill. ,  —  menth.  piji. 
ana  5Jjj,  Maijnes.  carbon.  3jjj?  Tinct.  rhei  aquos.,  Syr.  diacodü  ana  ^j,  Spi- 
fit.  suJphur.  aeth.  5j-  M.  S.  Alle  1 — 2  Stunden  stark  umgeschüttelt  1- — 2 
Esslöffel  voll  zu  nehmen  (^Most  scn. ).  Aus.ser  dem  Anfalle  sind  folgende 
Pillen  zu  empfehlen :  I^  Gnmm.  asae  foet.  gj,  Magist.  bismuthi ,  Ol.  valeria- 
nae  ana  3j.  M.  f.  pil.  gr,  jj.  Consperg.  pulv.  cort.  aur.  S.  Alle  2  Stundea 
6,  8  —  10  Stück  (Dr.  Albers  in  Wunstorf). 

Cardianastrophe }  Umkehrung,  fehlerhafte  Lage  des 
Herzens.  Ist  nur  ein  Vitium  primae  forraationis,  das  sehr  selten  vor- 
kommt und  bei  der  medicinisch- forensischen  Beurtheilung  der  Tödtlichkeit 
von  Brustwunden  wichtig  ist.  Man  hat  Beispiele,  dass  das  Herz  bei  ein- 
zelnen Indivinuen  in  der  rechten  Seite  lag,  und  sie  erreichten  dennoch  ohne 
Beschwerden  ein  ziemlich  hohes  Alter. 

Cardiecheina »  Sonitus  cardiacus,  der  Herz  laut,  den  man  mitteli» 
des  Laennec'schen  Hölirrohrs  vernimmt.     S.  Auscultatio. 

CardielCOMS.  Das  Geschwür  am  Herzen.  Man  kann  dasselbe 
vermuthen,  wenn  nagende,  brennende  Schmerzen  in  der  Herzgegend,  hefti- 
ges Herzklopfen,  fürchterliche  Angst,  bedeutende  Dyspnoe,  schwacher  Puls, 
Ohnmächten  etc.,  meist  unmittelbar  entstanden  als  metastatisches  Übel,  in 
Folge  von  Unterdi-ückung  gewohnter  Secretionen,  z.  B.  habitueller  Fuss- 
schweisse  etc.,  plötzlich  den  Ki'anken  ergreifen  und  durch  ihre  Dauer  sich 
von  spastischen  Übeln  des  Herzens  unterscheiden.  S.  Cardiogmus  und 
Foetor  pedum.  Das  einzige  Mittel  bleibt  hier,  jene  Secretionen  durch 
reizende  ableitende  Mittel  wieder  herzustellen. 


332  CARDIEURYSMA  -  CARIES 

Cardieiurysina,  krankhafte  Erweiterung  des  Herzens,  s.  Aneu- 
rysma internum. 

Cardiocele,  Herzbruch.  Hier  tritt  das  Herz  entweder  durchs 
Zwerchfell  iu  die  Bauchhöhle  (Card,  abdominalis,  diaphragmatica ,  interna), 
oder  nach  aussen,  indem  sich  eine  Geschwulst  zwischen  den  Rippen  bildet, 
■worin  ein  Theil  des  Herzens  enthalten  ist  (Card,  externa,  costalis).  Die 
Prognose  dieses  Übels  ist  in  den  meisten  Fällen  schlecht.  Die  Cur  kann 
nur  durch  Palliative,  die  jeder  Arzt  nach  den  Grundsätzen  der  allgemeinen 
Pathologie  und  Therapie  für  den  individuellen  Fall  auswählen  wird,  einige 
Linderung  verschaffen  (s.  Hernia  cordis). 

Cardiodyne,  Cardiodynia,  Schmerz  am  Herzen,  am  Magenmunde. 
S.  Morbus  cordis  und  Cardialgia. 

Cardiog^mus,  Magenkrampf  (s.  Cardialgia).  Mit  Unrecht 
nennt  Knnekstiidt,  gestützt  auf  manche  Autoritäten  (IVIedicinisch  -  chirurgisch- 
terminologisches Wörterbuch,  4te  Auflage,  umgearbeitet  von  Lucas,  Erfurt, 
1821.  S.  105),  die  verschiedenen,  aus  dynamischen ,  mechanischen  und  orga- 
nischen Schädlichkeiten  entstehenden  Herzkrankheiten  Cardiogmus.  Ebenso 
unterscheidet  auch  Schmalz  in  s.  Diagnostik  Cardiogmus  verus  und  spurius, 
und  versteht  unter  ersterm  eine  wirkliche  Herzkrankheit,  unter  letzterm 
verschiedene  spastische  Beschwerden,  welche  eine  Herzkrankheit  fingiren 
(s.  Morbus  cordis). 

Car^ioinalacia,  s.  Malacosis  cordis. 
Cardiopalinus,  Herzklopfen,  s.  Palpitatio  cordis. 
Cardiopathia«     Ist  irgend  ein  Leiden,  eine  Krankheit  des  Herzens, 
8.  Morbus  cordis. 

Cardiopericarditis»  Entzündung  des  Herzens  und  des  Herzbeu- 
tels,  s.  Inflammatio  cordis  et  pericardii. 

Cardiopleg^la.  Ist  Lähmung  des  Herzens,  des  Magenmundes,  mei- 
stens eine  krampfhafte  Verschliessung  des  letztern  (^Kraus). 

Cardiorrliexis ,  Ruptnrn  cordis ,  Zerreissung  des  Herzens. 
Ist  häufig  die  Folge  des  Aneurysma  cardincum,  zumal  des  Aneurysma  cordis 
passivum,  und  in  der  Regel  mit  plötzlichem  Tode  verbunden.  Meist  stür- 
zen die  Unglücklichen  nach  einer  ungewöhnlichen  Körperanstrengung,  wel- 
che eine  Anhäufung  des  Bluts  erregte,  mit  Facies  hippocratica ,  Bewusst- 
losigkeit  und  Marmorkälte  der  Glieder  zu  Boden  und  erleiden  sogleich  den 
Tod,  den  ihnen  schon  im  Augenblicke  der  Ruptur  ein  dunkles  Gefühl  an- 
zeigte. Ist  der  Riss  nur  sehr  klein,  so  folgt  der  Tod  unter  Beklemmung, 
grosser  Angst,  Orthopnoe,  dumpfen  Schmerzen  unter  dem  Sternum,  oft  erst 
nach  mehrern  Stunden.  Dass  hier  an  keine  Behandlung,  die  palliative  aus- 
genommen, zu  denken  sey,    bedarf  wol  keiner  Erwähnung. 

Car diotromus »  Herzzittern ,  s.  Palpitatio  cordis. 

Carditis,  Entzündung  des  Herzens,  s.  Inflammatio  cordis. 

Care1>aria,  Cereharia,  drückender  Kopfschmerz.  Ist  Vor- 
bote und  Symptom  vieler  Krankheiten,  besonders  der  verschiedenen  Neuro- 
.sen:  Epilepsie,  Apoplexie,  der  Kopfgicht,  der  Lues  larvata,  der  entzünd- 
lichen Krankheiten  des  Gehirns,  des  Magens,  der  Leber,  der  Gichtmetastase 
zum  Kopfe ,  ist  Symptom  von  gastrischen ,  galligen  Unreinigkeiten  etc. 

Caries,  Ulcus  et  Gnngracna  ossium,  Necrosis,  Tercdo ,  der  Bei  n- 
frass,  Knochenfrass,  die  Caries,  die  Beinfäule  und  Nekrose 
(Knochenbrand).  Die  Knochen  des  thierischen  Organismus  können  an 
denselben  Krankheiten  leiden  ,  denen  die  Aveichen  Theile  unterworfen  sind ; 
der  ganze  Unterschied  besteht  nur  darin ,  dass  die  Knochenkrankheiten  we- 
gen der  in  den  Knochen  stattfindenden  geringern  Productionskraft  einen 
langsamem,  chronischen  Verlauf  haben  und  nach  ihrer  besondern  Structur 
und  Organisation  manche  diesen  entsprechende  Verschiedenheiten  in  patholo- 
gischer  Hinsicht   darbieten.      Unter  der  Benennung   Beinfrass   verstehen 


CARIES  ^  333 

wir  im  weitem- Sinne  sowol  das  Knochengeschwür  {Ulcus  ossium^  Cnries') 
als  auch  den  Knochenbrand  (^Gnngraena  ossium,  Necrosis'),  Bei  ersterm  ist 
die  Knochensubstanz  durch  Eiterung  mehr  oder  weniger  zerstört ,  bei  letz- 
tem» liegt  ein  reines  Absterben  der  Knochensubstanz  zum  Grunde.  Diese 
Verschiedenheiten  dienen  zur  Unterscheidung  des  Beinfrases  im  engern  Sinne 
(Crtnc's)  vom  Knochenbrande  (^Necrosisi).  Oft  ist  die  Diagnose  selir  schwie- 
rig; ausserdem  hat  die  Behandlung  beider  Krankheitszustände  so  viel  Gleich- 
artiges, dass  ausgezeichnete  Ärzte  und  Wundärzte  sie  unter  dem  allgemei- 
nen Begriff  des  Beinfrasses  zusammenfassen  und  in  einem  Capitel  abhandela 
(^Clieliis,  Berndt  II.  A. ) ,  welche  Methode  wir  auch  hier  befolgen  wollen. 
Symptome.  Längere  Zeit  vor  der  Bildung  der  Beinfäule  klagt  der  Kranke 
über  stumpfe,  tief  sitzende,  periodisch  oft  recht  heftige,  sich  weit  verbrei- 
tende Schmerzen  in  irgend  einem  Knochen,  am  häufigsten  an  den  Gliedern, 
am  Kopfe,  Schulterblatte,  Brustbeine  (s.  Inflammatio  ossium  und  Do- 
lores osteocopi);  allmälig  bildet  sich  an  solchen  Theilen  eine  Geschwulst 
ohne  F'arbenveränderung  der  Weichtheile,  die  meist  nur  sehr  langsam  zu- 
nimmt und  worin  sich  zuletzt  eine  eiterartige  Flüssigkeit  ansammelt.  Zu- 
weilen liegt  die  Eitergeschwulst  unmittelbar  auf  dem  kranken  Knochen,  der 
jedesmal  durch  einen  Entzündungsprocess ,  entweder  des  Periosteums,  oder 
der  Markhaut,  oder  der  äussern  Lamellen,  oder  des  Knochenparenchyms, 
in  diese  abnorme  Metamorphose  geräth;  oder  die  Geschwulst  liegt  in  der 
Nähe  desselben;  häufig  hängt  sie  mit  dem  Knochen  selbst  zusammen,  be- 
sonders wenn  er  mit  wenigen  Weichtheilen  bedeckt  ist.  Alsdann  ist  die  Ge- 
schwulst in  ihrer  Basis  mit  einem  harten  Rande  umgeben.  Endlich  vnrd 
dieselbe  bläulich,  röthlich  und  bricht  auf;  es  fliesst  eine  schlechte  Jauche 
von  verschiedener  Farbe,  welche  die  silberne  Sonde  schwarz  färbt  und  einen 
üblen  Geruch  verbreitet ,  aus.  Untersucht  man  mit  der  Sonde ,  so  findet 
man  den  Knochen  entblösst,  rauh,  verschieden  verändert,  das  Geschwür  in 
den  Weichgebilden  hat  ein  welkes,  schlaffes  Ansehn,  hat  häufig  mehrere 
kleinere  und  grössere  Offnungen  und  grosse  Neigung  zu  schwammigen  Aus- 
wüchsen, besonders  im  Umfange  desselben.  Eine  Knochenentzündung  ist  die 
nächste  Ursache  einer  jeden  Caries;  beginnt  erstere  im  Innern  des  Knochens, 
so  wird  derselbe  aufgetrieben,  in  eine  spongiöse  Masse  verändert;  erst  spä- 
terhin werden  die  nahen  Weichgebilde  aufgetrieben,  der  Kranke  leidet  an 
heftigen  nächtlichen  Schmerzen,  besonders  in  der  Bettwärme,  die  Geschwulst 
bricht  auf  und  bildet  fistulöse  Geschwüre.  Dieser  Zustand  erscheint  zuerst 
meist  als  Exostosis,  und  wird  an  einzelnen  Knochen  Spina  ventosa,  Paedivr- 
ihrocace.  Winddorn  genannt  (s.  d.  Artikel).  Ist  der  kranke  Knochen 
von  seinen  Weichgebilden  entblösst,  sieht  er  ungewöhnlich  weiss  und  trocken 
aus,  sondert  er  wenig  oder  gar  keine  Jauche  ab,  so  ist  dies  der  trockne 
Knochen  fr  ass,  Caries  sicca,  von  Einigen  schlechtweg  Knochenbrand, 
Necrosis  genannt;  lassen  sich  dagegen  die  Knochenlamellen  mit  der  Sonde 
leicht  durchdringen,  sind  sie  rauh,  uneben,  wie  wurmstichig,  zerbrechlich, 
sieht  der  Knochen  braun,  schwärzlich  aus,  wird  eine  Menge  stinkender, 
bräunlicher,  schwärzlicher,  graulicher  Jauche  absondert,  so  nennen  wir  es 
den  feuchten  Knochen  fr  ass,  Caries  humida ,  und  wenn  sich  zugleich 
viel  schwammige,  fleischige  Auswüchse  auf  der  Oberfläche  des  Geschwürs 
bilden,  Cnries  sponffiosa.  Der  wahre  Knochenbrand,  Necrosis,  ist  der- 
jenige Zustand,  wo  ein  Theil  des  Knochens  ganz  oder  grösstentheils  abge- 
storben und  mehr  oder  weniger  von  den  übrigen  Theilen  des  Knochens  ge- 
trennt ist.  Sind  die  Weichgebilde  in  der  Nähe  des  kranken  Knochens  noch 
nicht  zerstört,  ist  noch  äusserlich  kein  Geschwür  da,  wol  aber  schon  im 
Knochen  selbst,  so  ist  dies  der  verborgene  Knochenfirass ,  Caries  occulla, 
im  Gegensatze  zu  dem^  offenen,  Cnries  aperta,  wo  die  Weichgebilde  schon 
mehr  oder  minder  zerstört  sind.  Im  erstem  Falle  ist,  besonders  bei  tief- 
liegenden Knochen,  die  Diagnose  oft  schwierig.  Ursachen.  Alles,  was 
Entzündung  der  Knochen  hervorbringt,  die  in  Eiterung  übergeht,  kann 
Caries  erzeugen.  Daher  gehören  zu  den  äusserlichen  Ursachen :  äussere  Ver- 
letzungen,  Stoss,    Schlag,   Knochenbrüche,   Zerreissung   der  Knochenhaut, 


334  CARIES  1 

nnhaltentler  Druck  anf  den  Knochen,  Eitemng  in  der  Nähe  desselhen,  Bloss- 
legung  desselben,  besonders  bei  freiem  Luftzutritt  und  schlechter  Behandlung. 
Jiinere  Ursachen  sind:  Gicht,  Rheumatismus,  Scrophulosis,  Syphilis,  Scorbut, 
Riiachitis,  unterdrückte  Profluvien  aller  Art,  Metastasen  nach  hitzigen  und 
cbronischen  Hautausschlägen.  Auch  denke  man  bei  den  Syphilitischen  an 
Mercurialkrankheit ;  diese  ist  häufig  der  einzige  Grund  der  Caries ,  und  in 
solchen  Fällen  würde  der  innerliche  Gebrauch  des  Mercurs  das  Übel  ver- 
schlimmern. Hier  passt  innerlich  sehr  gut  die  Phosphorsäure  (s.  unten). 
Nach  diesen  Yerschiedenen  Ursachen  theilt  man  die  Knochenfäule  in  Caries 
scrophulosa,  venerea,  arthritica,  scorbutica,  metastatica  etc.  Bei  der  Caries 
und  Necrosis  scrophulosa  werden  vorzüglich  die  Fuss  -  und  Handwurzelkno- 
chen,  das  Ellbogengelenk  und  die  Wirbelbeine,  bei  Caries  scorbutica  mehr 
die  letztern,  sowie  das  Sternum  und  die  Beckenknochen  ergriffen;  dagegen 
liebt  die  Caries  venerea  mehr  die  Mitte  der  Röhrenknochen,  die  ttachen 
Knochen,  das  Stirn-,  Brust-  und  Schienbein,  sowie  die  Scapula.  Die  ver- 
schiedenen genannten  Dyskrasien  sind  die  vorzüglichsten  Ursachen  der  äch- 
ten Knochenfäule,  die  äussern  Ursachen  erregen  nur  dann  Caries,  wenn  sie 
entweder  solche  Personen  treffen,  die  keinen  gesunden  Körper  haben,  an 
sogenannten  scharfen  Säften  leiden,  die  eine  ausschweifende,  schwelgerische 
Lebensart  führen  oder  in  Mangel  und  Elend  leben,  oder  wenn  gesunde  Per- 
sonen bei  Knochenverletzungen  schlecht  behandelt  werden.  Was  wir  in  den 
Weichgebilden  Ulcus  nennen ,  ist  die  Caries  am  Knochen ,  und  sowie  dort 
gutartige  Eiterungen  bei  eiternden  Wunden  und  Abscessen  statthaben  kön- 
nen, ebenso  ists  auch  hier.  Es  giebt  eiternde  Knochenwunden  und  Kno- 
chenabscesse ,  welche  wohl  von  der  Caries  unterschieden  werden  müssen, 
und  die  ältere  Eintheilung  in  rein'e  und  unreine  Knochengeschwüre  ist 
von  bestimmtem  praktischen  Werthe.  Nur  bei  schlechter  chirurgischer  Be- 
handlung wird  am  häufigsten  aus  ersterm  das  letztere,  oder  unsere  Caries. 
Prognose.  Sie  ist  bei  dem  Knochenfrasse  am  schlimmsten,  wenn  dieser 
die  Nähe  der  Gelenke  ergreift,  wenn  ein  Allgemeinleiden  entschieden  vor- 
handen und  schon  in  hohem  Grade  entwickelt  ist,  z.  B.  die  Scropheln,  wenn 
die  Constitution  schwach,  wenn  hektisches  Fieber  da  ist  und  die  Kräfte  des 
Kranken  schon  sehr  gesunken  sind.  Hier  rettet  häufig  nur  noch  die  Ampu- 
tation des  Gliedes  (^Chcliiis^.  Zuweilen  befördert  sie  aber  auch  den  Tod, 
indem  ein  heftiges  adynaihisches  Fieber  hinzutritt,  die  Araputationswimde 
ein  schlechtes  Ansehn  bekommt,  der  Kranke  delirirt  und  am  siebenten,  neun- 
ten oder  elften  Tage  nach  der  Operation  stirbt.  Die  Section  zeigt  alsdann 
häufig  einen  Metaschematismus  nach  den  Lungen,  Eitererguss  in  der  Brust- 
höhle, zuweilen  auch  das  Lungenparenchym  durch  Tuberkeln  verdorben 
(^LangenhecJc ,  Mosi}.  Am  besten  ist  die  Prognose  bei  jungen  Subjecten ,  be- 
sonders in  der  Pubertätsperiode,  wo  die  Natur  das  Übel  oft  ohne  alle  Kunst 
heilt,  indem  das  Schadhafte  am  Knochen  abgestossen  oder  resorbirt  wird 
(Exfoliatio  scnsibilis  et  insensibilis).  Das  Übel  ist  meist  immer  langwierig, 
kann  mehrere  Jahre  dauern;  zuweilen  verhält  sich  die  Caries  wie  eine  Fon- 
tanelle, wird  den  Menschen  zur  andern  Natur  und  sie  ertragen  sie  gut. 
Bei  sensiblen  Naturen  wird  sie  durch  dns  leichtere  Hinzukommen  des  hekti- 
schen Fiebers  oft  gefährlich ,  bei  einzelnen  Formen  durch  die  Senkung  des 
Eiters,  z.  B.  an  den  Schädelknochen,  am  Brustbeine,  wo  der  Tod  oft  schon 
vor  Eintritt  des  Resorptionsfiebers  erfolgt.  Behandlung  der  Caries. 
Man  wirke  durch  zweckmässige  innere  Mittel  gegen  das  etwa  vorhandene 
Allgemeinleiden,  dessen  Erkenntniss,  Diagnose  und  Car  anderswo  gelehrt 
worden  (s.  Scrophulosis,  Syphilis,  Rhachitis,  Arthritis,  Scor- 
butus  etc.),  berücksichtige  dabei  den  Zustand  der  Kräfte,  gebe  bei  Schwä- 
che gute  Nutrientia ,  Roborantia  und  sorge  vorzüglich  fiir  gesunde  reine  Luft 
und  für  Reinlichkeit  der  Haut  durch  aromatische  und  andere  Bäder,  durch 
Reinlichkeit  des  Zimmers ,  der  Betten  und  Kleidung.  Folgende  Pillen  wer- 
den innerlich  gegen  Caries  als  specifik  gerühmt:  ^t  Asne  foetidae,  Acid.  pho8~ 
phor.  sicci,  Piilv.  rnd.  althaeae  ana  5jj-  M.  f.  c.  aq.  dest.  q.  s.  pil.  gr.  jj. 
S.  Dreimal  täglich  6  —  7  Stück  (Ätw/).     Wendt  in  Breslau  verordnet  gegen 


CARIES  335 

die  dnrch  Syphilis  entstandene  Caries  folgende,  auch  gegen  SpelchelttnSs 
sehr  wirksame  Mixtur :  £^  Decoct.  sdlep.  tenuior.  gvj ,  Acid.  phosphor^  dilut. 
3jj,  Syr.  ruh.  idaei  gfy — jj.  M.  S.  Alle  2  Stunden  1  EsslöffeV  voll.  Bei 
der  örtlichen  Behandlung  des  Geschwürs  sorge  man  für  Reinlichkeit  des 
Verbandes,  für  freien  Abfluss  der  Jauche,  weshalb  die  GeschwürsöiFnungea 
nicht  selten  dilatirt  werden  müssen ,  und  schütze  die  cariöse  Stelle  vor  dem 
Zutritte  der  Luft.  Nützlich  sind  Einspritzungen  Ton  lauwarmem  Wasser, 
von  Infus,  flor.  charaomiliae,  Herbae  salviae,  sabinae,  Decoct.  quercus,  sali*- 
cis ,  chinae ,  putara.  nuc.  jugland. ,  von  Aqua  calcis ,  Sublimatsolution ,  Acid, 
phosphor.  dilutum ,  z.  B.  ^  Decoct.  cort.  quercus,  51V  ex  5J  cort.  quere, 
lAqnor.  mijrrhac  3iv.  M.  {Berndt}.  Liegt  der  Knochen  bloss  und  ist  das 
Geschwür  sehr  unrein  und  leblos ,  so  verbindet  man  mit  folgenden  Salben» 
auf  Charpie  gestrichen:  I^  Ol.  terelinth.  5jj,  Vüell.  ovor.  No.  iv.  M.  1^  17«- 
guenf.  hnsilici  gj,  Myrrhae  3jß-  M.  I^  Balsam.  Arcnei  5J,  Vitcll.  ovor.  q.  s* 
ut  fiat  cum  Spirit.  frumenti  solutio.  M.  (Berndt).  Ist  das  Geschwür  aber  rein, 
so  sind  obige  Einspritzungen  von  lauem  Wasser,  von  Chamiüeninfusum  hin- 
reichend, und  man  verbindet  die  Öffnungen  mit  Ungnent.  simpl.,  auf  Char- 
pie gestrichen.  Man  verbindet  überhaupt  dasselbe  mit  verschiedenen  Mitteln, 
je  nachdem  der  Charakter  des  Geschwürs  verschieden  ist  (s.  Ulcus).  So 
z.  B.  spritzt  man  bei  der  scrophulösen  Caries  Inf.  cal.  arom. ,  sabinae ,  be- 
sonders aber  Decoct.  herbae  cicutae  ein  und  verbindet  mit  Extr.  cicutae,  ia 
Wasser  aufgelöst,  womit  die  Charpie  angefeuchtet  Avird.  •  Fettige  Salbea 
kann  manche  Caries  gar  nicht  vertragen,  besser  sind  die  wässrigen  Solutio- 
nen (ÄtJ)i?2/);  zuweilen  ist  das  tägliclie  Bedecken  der  fistulösen  Öffnungen 
mit  frischen  Blättern  von  Plantago  latifolium  wirksamer  als  alle  Salben  und 
Pflaster  (Most).  Ausserdem  hat  man  noch  viele  Mittel  äusserlich  und  inner« 
lieh  gegen  Caries  empfohlen ,  die  aber  mehr  schaden ,  als  nützen.  Chelius 
sagt  in  s.  Chirurgie  Bd.  I.  S.  468  ed  1822  mit  Recht:  ,j Die  vielen  gegea 
Caries  empfohlenen  Mittel:  Asa  foetida,  Acid.  phosphor..  Ruh.  tinctOrum, 
Terra  ponderosa  salita  u.  a.  m. ,  sind  durch  die  Erfahrung  nicht  bestätigt. 
Die  Anwendung  der  scharfen  Mittel  aber,  wie  der  Tinct.  euphorbii,  aloes, 
myrrhae ,  der  scharfen  ätherischen  Öle  etc. ,  um  ein  völliges  Absterben  des 
kranken  Knochens  hervorzubringen,  zu  welchem  Ende  man  auch  das  glü- 
hende Eisen  angewandt  hat^'  ist  ganz  zu  verwerfen,  indem  sich  ihre  Wir- 
kung nicht  allein  auf  den  kranken  Knochen  beschränkt ,  sondern  auch  auf 
den  darunterliegenden  gesunden  Knochen  ausdehnen  kann."  Bei  der  Caries 
humida  mit  Absonderung  copiöser  und  sehr  stinkender  Jauche  ist  es  oft  nütz- 
lich ,  ein  Pulver  aus  Cort.  chinae  und  Carb.  lign.  til.  einzustreuen.  Bei  ver- 
naclüässigter  Caries  empfiehlt  Amman  in  seinem  anonym  erschienenen  „  Re- 
pertorium  der  besten  Heilformeln"  etc.  2te  Auflage  1829.  S.  65  Folgendes« 
I^  Alum.  crudi  ^vjji,  Ferri  sulphvr.  ^iv ,  Cupri  sulphnr.  5JJ,  Virid.  aeris  gf^, 
Sal.  ammon.  dep.  3jj>  Pulveris.  misceant.  et  liquef.  in  vase  clause,  tunc  refrig. 
et  pulveris.  denuo  post  24  horas.  D.  S.  Hiervon  2  Loth  in  einer  Kanne 
Flusswasser  aufzulösen,  und  lauwarm  überzuschlagen.  —  Die  Nekrose  (^Ca- 
ries sicca) ,  oder  die  Knochengangrän  ist  häufig  die  Folge  der  Caries  humida. 
Der  Knochen  ist  hier  im  Absterben,  oder  er  ist  schon  völlig  abgestorben, 
d.  h.  nicht  der  ganze  Knochen,  sondern  meist  nur  die  Oberfläche;  er  ist 
daher  trocken,  rauh,  und  sieht  zuweilen  kreideweiss,  zuweilen  schwärzlich 
aus,  woran  die  angewandten  Reizmittel  oft  Schuld  sind.  Das  abgestorbene 
Stück  sondert ,  wie  bei  den  weichen  Theilen ,  die  Natur  allmälig  ab ,  und 
zwar  entweder  durch  die  merkliche  Abblätterung ,  in  welchem  Falle  wir 
beim  Sondiren  das  Knochenstück  lose  finden  und  es  durch  tägliches  Rütteln 
und  vorsichtiges  Ziehen  entfernen,  oder  es  verschwindet  successive,  ohne 
dass  man  sieht,  wo  es  bleibt.  Im  letztern  Falle  wird  es  zersetzt,  aufgelöst 
und  geht  als  kleine  schwarze  Pünktchen  in  den  Eiter  über.  Wir  nennen 
die  Nekrose  eine  consecutive,  wenn  sie  auf  Entzündung  und  Eiterung 
des  Knochens  folgt;  eine  primitive,  wenn  sie  durch  Zerstörung  der  Ver- 
bindung der  Ernährungsgefässe  des  Knochens  entstand.  Sowie  die  spongiö- 
»en  Knochen  am  häufigsten  cariös  werden,  so  werden  die  compacten  Theile 


336  CARIES 

der  Rohrenknochen,  an  der  Tibia,  am  Femur,  an  der  Maxilla  inferior,  Cla- 
vicula,  Hunierus,  Radius,  Ulna,  Fibula;  die  platten  Knochen:  Scapula, 
Sternura ,  Ossa  cranii  etc.  am  häufigsten  nekrotisch ,  besonders  bei  Kindern 
und  in  der  Pubertät.  Alles ,  was  die  Ernährung  des  Knochens ,  die  durch 
das  Periosteum  oder  die  IVIarkhaut  geschieht ,  aufhebt ,  die  Einwirkung  der 
ntmosphärischen  Luft  oder  schädlicher  reizender  Mittel  auf  den  blossliegen- 
den  cariösen  Knochen,  befördert  dieses  Absterben  (^Necrosis).  Sind  innere 
Ursachen,  Dyskrasien  Schuld,  so  geht  jedesmal  eine  Entzündung  vorher, 
die  bald  acut  und  heftig,  bald  chronisch  und  mit  geringern  Schmerzen  ver- 
bunden seyn  kann.  Am  heftigsten  ist  sie,  wenn  sie  ihren  Sitz  im  Innern 
des  Knochens  hat;  das  Fieber  ist  dabei  oft  sehr  bedeutend;  es  zeigt  sich 
eine  harte,  sich  langsam  ausbreitende,  farblose  Geschwulst;  später  bilden 
sich  an  verschiedenen  Stellen  Abscesse,  ohne  dass  sich  der  Umfang  der  Ge- 
schwulst vermindert;  sie  brechen  auf,  entleeren  stinkende  Jauche,  bilden 
Astulöse  Gänge ,  die  zuletzt  ganz  callös  werden ;  oder  sie  schliessen  sich, 
und  neue  öfTnungen  bilden  sich  hinterher.  Ist  das  Knochenstück  sichtbar, 
ist  es  schwarz  und  lose,  so  ist  die  Diagnose  der  Nekrose  leicht;  ist  es  aber 
weiss  und  trocken,  so  muss  die  Dauer  der  Krankheit  und  die  Anamnese  ent- 
scheiden ,  ob  es  wirkliches  Absterben  oder  nur  Entblössung  des  Knochens 
ist.  Sind  keine  heftigen  entzündlichen  Zufalle  vorhergegangen,  so  ists  in 
der  Regel  eine  oberflächliche  Nekrose,  w  obei  zuweilen  auch  mehrere  einzelne 
Knochenblättchen  abgestorben  sind,  weshalb  genau  untersucht  werden  muss. 
Schlechter,  stinkender  Eiter  ist  kein  bestimmtes  Zeichen  der  Nekrose,  ge- 
wöhnlich ist  die  Eiterung  gut  und  verschlimmert  sich  erst  mit  der  Zunahme 
de«  Allgemeinleidens.  Ebenso  ist  es  kein  sicheres  Zeichen  von  Caries,  wenn 
der  Eiter  die  silbernen  Sonden  schwarz  färbt,  da  dies  jede  schlechte  Eite- 
rung thut.  Durch  den  Process  der  Resorption  bewerkstelligt  die  Natur  die 
Abtrennung  des  abgestorbenen  Knochenstücks  ,  Setjuester  genannt ;  zuweilen 
ist  dieser  von  einer  Kapsel  eingeschlossen,  worin  sich  mehrere  Öffnungen 
befinden  (Cloacae) ,  welche  Kapsel  nicht  durch  neu  erzeugte  Knochen ,  son- 
dern durch  die  äussere  Knochenlamelle  gebildet  wird  (Richeraml).  Das  ver- 
loren gegangene  Knochenstück  ersetzt  die  Naturkraft  mittels  des  Knochen- 
liäutchens  und  der  Kloakenbildung  durch  Ansatz  eines  neuen  Knochenstücks 
(s.  Kxfoliatio).  Cur  der  Nekrose.  1)  Berücksichtige  man  die  Innern 
Ursachen  und  hebe  sie  durch  die  gegen  die  einzelnen  Dyskrasien  wirksamen 
innern  Mittel  (s.  oben  Caries).  2)  Man  unterstütze  die  Abstossung  des 
Sequesters  und  befördere  diese  durch  Anwendung  örtlicher  milder  Mittel, 
durch  reinigende,  nicht  reizende  Injectionen  mit  Vermeidung  aller  reizenden 
Mittel,  wogegen  schon  bei  Caries  gewarn€  worden.  Man  bezweckt  dadurch 
schnellere  Heilung  durch  ungestörte  Bildung  neuer  Knocheusubstanz,  indem 
das  Perio&teum  nicht  lädirt  wird.  Man  verbinde  die  Fistelöffnungen  mit  Un- 
guent,  simpl. ,  auf  Charpie  gestrichen.  Zuweilen  muss  der  Sequester  durch 
die  Kunst  entfernt  werden,  z.  B.  wenn  die  Lage  des  Theils  seiner  Entfer- 
nung hinderlich  oder  er  in  einer  knöchernen  Kapsel  eingeschlossen  ist.  Oft 
ist  ein  grosser  Längeschnitt  in  die  Weichgebilde  dazu  schon  hinreichend, 
zuweilen  muss  die  Kapsel  mit  dem  Trepan  angebohrt  oder  das  Knochenstück 
mit  Meissel  und  Hammer,  oder  mit  der  Hey 'sehen  Säge  entfernt  >%  erden. 
Oft  ist  es  vorzuziehen ,  den  Sequester  mit  der  Zange  zu  zerstückeln,  beson- 
ders wenn  er  seiir  gross  ist.  3)  Man  unterstütze  die  Kräfte  des  Kranken 
durch  Rüborantia  und  gute  Nutrientia.  4)  Communicirt  die  Höhle,  in  wel- 
cher der  Sequester  liegt,  mit  den  nahe  gelegenen  Gelenken,  sind  mehrere 
Sequester  da ,  wovon  jeder  seine  eigene  Höhle  hat,  oder  liegt  er  so  tief, 
dass  seine  Entfernung  nicht  möglich  ist,  oder  sind  die  Kräfte  des  Kranken 
schon  so  gesunken,  dass  die  Abstossung  des  Sequesters  nicht  abgewartet 
werden'  kann,  so  ist  oft  nur  die  Amputation  das  einzige  Rettungsniittel 
(Clielius).  Man  lasse  sich  durch  die  Schwäche  de«  Kranken  nicht  von  der 
Amputation  zurückhalten;  .schwache  Kranke  ertragen  sie  leichter  als  starke; 
erstere  werden  oft  ganz  blühend  und  robust  darnach  und  verlieren  das  hekti- 
sche  Fieber  i>ehr    bald  (^Himhj)i   doch   sey  man   mit  der   Amputatioji   nicht 


CABIE3  337 

ToreiHg,  wenn  das  Allgemeinleiden ,  ofTenbar  durch  Irgend  €fne  Dyskrasis 
entstanden,  in  hohem  Grade  vorhanden  ist  (Most)»  denn  oft  zeigt  sich,  nach 
einer  solchen  Amputation  der  Beinfrass  an  aiidem  Knochen,  und  in  andern 
Fällen  hätte  manches  Glied  erhalten  werden  können,  hätten  wir  den  schade 
haften  Theil  des  Knochen  angebohrt  und  weggeraeisselt.  Es  giebt  scanda- 
löse  Fälle  genug,  wo  berühmte  Wundärzte  durchaus  die  Amputation  des 
Gliedes  vornehmen  wollten ,  die  Kranken  sich  ihr  aber  widersetzten  und  zu 
euiem  andern  Wundarzte,  oft  selbst  zu  einem  Pfuscher,  Scharfrichter,  al- 
tem Weibe  gingen,  welche  das  Glied  noch  zu  erhalten  versprachen.  Mir 
sind  mehrere  Fälle  bekatuit,  wo  Erhaltung  des  Gliedes  allerdings  der  Er- 
folg war,  der  hier  nicht  der  Anwendung  von  Pflastern  etc.,  sondern  der 
Vis  medicatrix  zugeschrieben  werden  musste,  da  die  Wirkung  eines  einfa- 
chen Bleipflasters  oder  Plantagoblattes ,  womit  lediglich  Monate  lang  ver- 
bunden wurde,  doch  wol  nur  gering  genannt  werden  muss  (Afost).  Sind 
mehrere  Sequester  und  Kloaken  da,  so  muss  man  jede  der  letztern  erwei- 
tern, und  wenn  sie  nicht  communiciren ,  von  der  einen  zur  andern  eine  Öff- 
nung machen.  Man  operire  aber  auf  einmal  nicht  zu  viel,  und  lieber  nach 
und  nach,  sonst  ist  der  Blutverlust  und  der  Schmerz  oft  zu  stark  (Himhj}* 
Binzelne  Arten  der  Caries  verdienen  hier  noch  angeführt  zu  werden: 

Caries  dentium,  Beinfrass  der  Zähne,  s.  Odontalgia. 

Caries  fungosa,  schwammige  Caries.  Ist  ein  Ulcus  fupgosum  im 
Knochen ,  wo  in  der  Höhlung  desselben  schwammiges,  leicht  blutendes  Fleisch 
wächst;  s.  Caries. 

Caries  carnosa ,  phagedaenica.  Ist  Exulceration  des  Knochens  mit  Osieo- 
Barkose;  s.  Malacosisossium. 

Caries  verminosa  Petit.  Ist  ein  Ulcus  fistulosum  und  sinuosum  im  Kno- 
chen; s.  Caries. 

Caries  gangraenosa ,  necrotica.  So  nannte  Alex.  Monro  den  ZustanH, 
wo  sich  bei  der  Nekrose  grössere  Stücke  absondern. 

Caries  maligna.  So  neimt  man  den  eigentlichen  Knochenkrebs;  s.  Can- 
cer und  Exostosis. 

Caries  sicca,  hitmida,  oferta,  occulta^  venerea^  scor&uftca,  tneta-statica, 
orthritica,  scrophulosa,  s.  Caries. 

Caries  ossium  cranii,  Beinfrass  der  Schädelknochen.  Kann  an 
allen  Theilen  des  Schädels  vorkommen,  besonders  am  Stirnbeine,  am  Hin- 
terhaupte, am  Zitzenfortsatze.  Sind  äussere  Verletzungen,  Blosslegung  des 
Knochens,  schlechte  Behandlung  etc.  Ursachen,  so  entwickelt  sie  sich  an 
der  äusso-n  Tafel  des  Cranium.  Dasselbe  ist  der  Fall,  wenn  ein  Tophus, 
eine  Exostose  stattfand,  in  Eiterung  überging  und  schlecht  behandelt  wurde. 
Hier  ist  die  Diagnose  leicht.  Schwieriger  ist  sie,  wenn  die  Caries  von  der 
innern  Tafel  des  Knochens  ausgeht,  wo  der  Eiter  sich  zwischen  der  Dura 
mater  und  dem  Schädel  befindet.  Hier  entstehen  gefahrliche  Zufalle.  Zuerst 
klagt  der  Kranke  über  anhaltenden  fixen  Schmerz  an  irgend  einer  Stelle 
des  Kopfes,  wo  man  jedoch  äusserlich  nichts  wahrnehmen  kann  (s.  Cepha- 
lalgia).  Später  entstehen  Schwindel,  Convulsionen ,  Sopor;  kurz  alle 
Symptome  des  Druckes  aufs  Gehirn  (s.  Commotio  cerebri).  Endlich 
zeigt  sich  äusserlich  an  derjenigen  Stelle,  wo  firüher  die  meisten  Schmerzen 
stattfanden,  eine  wenig  schmerzhafte,  gleich  anfangs  fluctuirende  Geschwulst. 
Ist  diese  durch  die  Kunst  -  oder  Naturhülfe  geöffnet ,  so  findet  man  ein  Loch 
im  Schädel,  dessen  Rand  dünn  und  unregelmässig  ist,  indem  die  Zerstörung 
mehr  die  innere  als  die  äussere  Tafel  getroffen  hat.  Dabei  fliesst  bei  den 
Bewegungen  des  Gehirns  stets  eine  grössere  Menge  Eiter  aus ,  als  man  nach 
dem  Umfange  des  Geschwürs  vermuthen  sollte.  Die  Dura  mater  ist  dabei 
oft  vom  Knochen  losgetrennt,  sieht  missfarbig  aus,  ist  mit  Caro  luxurians 
besetzt,  oft  selbst  in  Eiterung  übergegangen.  Ist  die  Caries  am  Processus 
inastoideus ,  so  erfolgt  leicht  Taubheit  (s.  Cophosis),  indem  sich  der  Eliter 
in  die  Trommelhöhle  ergiesst  und  selbst  durch  Uiceration  das  Trommelfell 
I  zerstören  kann.  Die  vorzüglichsten  Ursachen  der  Kopfknochencaries  sind 
ausser  den  oben  bei  Caries  angegebenen :  bei  Kindern  häuAg  eine  schlecht 
Most  Encj'klopädie.  2te  Aufl.  I.  22 


338       CARMliNATlVA  —  CARUNCULAE  ANOMALAE  ^ 

behandelte  oder  vernäclilasslgte  Kopfgeschwulst  (s.  Ecchymoma  capitis 
neonatorum),  bei  Erwachsenen  vorzüglich  Syphilis.  Cur.  Ist  die  allge- 
meine der  Caries.  Hat  sich  das  Übel  an  der  Innern  Knochenplatte  entwickelt 
nnd  beide  Tafeln  zerstört ,  so  muss  oft  noch  trepanirt  werden ,  thells  um 
den  schadhaften  -Knechen  zu  entfernen ,  theils  um  jede  Eiteransammlung  im 
Gehirne  zu  verhüteh.  Ist  die  harte  Hirnhaut  mit  schwammigen  Fleischwärz- 
chen bedeckt,  so  t erbindö  man  mit  Decoct.  chinae,  mit  Äq.  calcis.  Bei 
Caries  processus  mastoid.  muss  man  letztern  anbohren,  damit  der  Eiter  ge- 
hörig abfliessen  und'  sich  nicht  in  die  Trommelhöhle  ergiessen  kann. 

Caries  sterni.  Die  vorzüglichsten  Ursachen  der  Brustbeincaries  sind  Scor- 
but,  Syphilis,  Scrophulosis.  Meist  immer  ist  zugleich  Nekrose  da,  nicht 
selten  auch  Tuberkelsucht  in  den  Lungen.  Die  venerische  Form  beginnt 
mit  Periostose  und  Entzündung  der  äussern  Fläche ,  die  scrophulöse  dagegen 
rtiit  solchem  Leiden  der  inhern  Flache  des  Brustbeins.  Die  Zerstörung  ist 
oft  schon  sehr  bedeutend,  besonders  in  der  schwammigen  Knochensubstäni!. 
so  dass  viele  fis'tulöse  Gänge  da  sind  und  das  Mediastinum  mitleidet ,  ver- 
dickt wird  etc.  Leidet  der  Kranke  an  Asthma,  Husten  mit  vielem  Auswurfj 
So  folgt  meist  der  Tod  durch  Phthisis.  Hier  behandle  man  den  Kranken 
sanft  und  palliativ,  erspare  ihm  auch  schmerzhafte  Operationen.  Ist  abßt 
die  Brust  gesund  und  keine  Complication  mit  Lungenleiden  da ,  so  kann  man 
dui'Ch  Trepäniren ,  Abschaben,  Glüheisen,  durch  Vergrösserung  der  FisteU 
gänge  und  durch  ttiftwegnahme  der  tranken  Knochen partien,  ■so^^'ie  durch 
gute  Roborantia  und  andere  gegen  die  Dyskrasie  gerichtete  Specifica  das 
Übel  floch  heileil. ...... 

Caries  costarum.  Der  RippenbeinfrasS  ist  nicht  ganz  selten,  häufig  mit 
Car.  vertebrarum  complicirt,  und  beg'ie'i'tet  vom  Ccfngestionsabscess.  Auch 
wenn  der  vordere  Rippentheil  leidet,  bilden  sich  umschriebene  Abscesse,  did 
bei  ihrer  Öffnung  die  Caries  zeigen.  Häufig  liegt  S'crophulo.sis  zum  Grunde. 
Die  Cur  ist  die  allgemeine  der  Caries.  Man  sorge  für  gehörigen  Eiteral)- 
fluss,  für  Erhaltung  der  Kräfte,  für  gute  Diät,  reine  Luft,  entferne  das 
Cariöse  durch  Ab^ichaben ,  Absägen,  Resectio  costarum  nach  JfljcÄej'njKl ,  Vet- 
iniäide  aber  das  Glüheisen,  um  die  Pleu'ra  nicht  zu  reizen  etc. 
r...  .Caries  vertebrarum,  Spondylarthrocace ,  ilas  Pott'sche  Übel,  8.  Ar- 
ihrocace. 

Caries  ossium  pelvis.  Sie  kommt  selten  vor ;  doch  zeigt  sie  sich  bei 
dyskrasischen  Personen  oft  in  Folge  eines  Sturzes,  Falles,  worauf  Entzün- 
dung, Fieber,  Congestionsabscess  und  der  Beinfrass  folgen.  Die  Diagnose 
ist  oft  sehr  schwierig ;  die  C  u  r  anfangs  und  bei  heftigen  Schmerzen  die 
antiphlogistische ,  später  die  allgemeine  der  Caries. 

r,  . .  CAnninativa  (remedia),  Blähungen  treibende  Mittel.  Hier- 
her gehören  alle  Ai'omatica ,  Aetherea,  als  Kaimus,  Fenchel,  Chamillen, 
Kümmel,  Coriander,  Naphthen,  Liquor,  Madeira,  Liqueure  etc. 

Caro  lUXUrfanSy  schwammil^es,  wucherndes  Fleisch,  s.  Ab  sc  es - 
sus  und  Caustica.     Vergl.  auch  Fungus  ulceris. 

CaroMfi)  Cnrn ,  Betäubung,  Schlafsucht,  Eingenommenheit 
des  Kopfs  durch  Schlaf,  Schmerz,  Schwindel,  Rausch  etc. 

Carpholog^ia ,  Crocidismiis ,  Floccilegium ,  das  Flockenlesen, 
Mückengreifen.  Ist  eine  unwillkürliche  Bewegung  der  Hände  und  Fin- 
ger, wodurch  es  scheint,  als  suche  oder  zupfe  der  Kranke  am  Bette,  suche 
oder  greife  Mücken  etc.;  ein  böses  Zeichen  in  nervösen  und  putriden  Fiebern. 

Carpologria.  Ist  nach  Einigen  die  Lehre  vom  Pulsö,  richtiger  die 
Lehre  von  der  Handwurzel. 

Carunculae  anoinalae,  krankhafte  Fleischwärzchen,  dia 
nicht,  wie  die  Carunculae  lacrymales,    papilläres,  vaginales  etc.,   zur  Nor-  ( 
malität  gehören.     Am  häufigsten  kommen  sie  an  der  Cornea  und  Conjuncüva  | 
Tor  als  kleuie,  rothe,    fleischähnliche  Auswüchse  und  Knötchen,   die  entwe- 
der einfach,  oder  mit  Ophthalmie,  Ulcuü  corneae  etc.  verbunden  sind  {PleiteJc, 


CARUS  3^9 

CJutmserit).  Cur.  Man  versuche  erst  Einreibungen  von  grauer  Mercurial- 
salbe;  hilft  dies  nicht,  so  muss  man  sie  mit  einem  feinen  Bistouri  vorsichtig 
ausschälen  und  die  wunde  Stelle  mit  Laudanum  betupfen  (3f.).  Auch  ian 
Darmcanal  zeigen  sich  oft  in  Folge  von  Gastritis  und  Enteritis,  von  Dya- 
enterie  kleine  geschwürige  Carunkeln. 

Carus,  Sopor  caroticm,  Stupor  (^Celsus),  Äphonia  {Hippolrnies) ,  So- 
por,  Gravis  dormitatio  (^Rhazes),  Schlafsucht,  Todtenschlaf.  Ist 
ein  Symptom  vieler  bedeutenden  fieberhaften  und  fieberlosen  Krankheiten, 
z.  B.  der  Febr.  nervosa  stupida,  des  letzten  Stadiums  des  epileptischen 
Insults,  wo  der  Kranke  kaum  durch  die  stärksten  Reize  zu  erwecken  ist; 
zuweilen  aber  auch  eine  selbstständige  Krankheit  (s.  Carus  idiopathi- 
cus,  chronicus).  Jeder  heftige,  anhaltende,  durch  starke  Ermüdung, 
Strapazen,  Nachtwachen  etc.  entstandene  Schlaf  gehört  demnach  nicht  hier- 
her, sondern  nur  der  widernatürliche  Schlaf,  der  Stunden,  ja  mehrere  Tag« 
währen  kann ,  der  häufig  ein  Vorbote ,  oft  der  Begleiter  bedeutender  Krank- 
heiten ist,  wobei  oft  das  Gesicht  roth,  die  Augen  halb  geschlossen  und  das 
Athemholen  frei  ist ,  als  Folge  grosser  Schwächung  des  Lebens  im  Cere- 
bralsysteme,  durch  Entziehung  der  zum  Nervenleben  nöthlgen  Requisite, 
durch  Unterdrückung  freier  Äusserung  desselben,  durch  Druck  aufs  Gehirn 
entstanden.  Den  niedern  Grad  nennt  man  Sopor,  den  höhern  Stupor,  den 
höchsten  aber  Lethargie.  In  diagnostischer  Hinsicht  unterscheiden  wir  folr- 
gende  Arten  der  Schlafsucht : 

Carus  pyreücus ,  fehrüis  (Sydenharti) ,  fehrkostts ,  Status  soporosus  (^Werl- 
hof),  die  fieberhafte  Schlafsucht.  Sie  unterscheidet  sich  von  der 
fieberlosen  dadurch ,  dass  sie  stärker  ist  und  dass  ihr  jedesmal  ein  Frösteln 
vorhergeht.  So  beobachtete  Sydcnham  eine  Epidemie ,  worin  die  Kranken 
wochenlang  soporös,  und  wo  Aderlässe,  Lavements  und  überhaupt  Derivan- 
tia  nützlich  waren.  Die  Febres  intermittentes  perniciosae,  besonders  die, 
welche  im  Herbste  herrschen,  sowie  die  bösartigen  Fieber,  der  Typhus, 
haben  häufig  die  fieberhafte  Schlafsucht  zum  Begleiter,  welche  zuweilen 
von  einem  Leiden  der  Speicheldrüse  abhängig  zu  seyn  scheint  und  durch 
kritische  Blutungen  aus  Nase  und  Ohren  verschwindet.  Bei  der  Febris  in- 
termittens  perniciosa  beobachtet  man  diese  Schlafsucht  bei  dem  ersten  und 
zweiten  Anfalle,  und  der  dritte  endet  dann  oft  schon  mit  dem  Tode.  Ver- 
schwindet die  Schlafsucht  mit  dem  Anfalle  nicht ,  ist  den  freien  Zwischen- 
raum hindurch  der  Kranke  nicht  frei  davon,  so  folgt  Typhomanie,  Halb- 
ßchlag  etc. ,  und  alle  Hülfe  ist  umsonst ,  wenn  nicht  grosse  Dosen  China 
oder  Chinin  und  Kampher  dem  Übel  vorbeugen  (Af.). 

Carus  idiopathieus ,  chronicus.  Diese  Form  von  Schlafsucht  muss  als 
eigenthümliche  Krankheit,  nicht  als  Symptom  anderer  Krankheiten  betrach- 
tet werden.  Sie  giebt  sich  durch  einen  excessiv  tiefen  und  langen  Schlaf 
und  durch  die  Abwesenheit  primärer  krankhafter  Zustände ,  von  denen  sie 
SjTiiptom  seyn  könnte,  zu  erkennen.  Fälle  der  Art,  wo  das  Übel  mit  ge- 
ringen Unterbrechungen  Monate,  ja  Jahre  lang  dauerte,  sind  in  verschie- 
denen Schriften  aufgezeichnet  (vergl.  H.  B.  Schindler,  Die  idiopathische, 
chronische  Schlafsucht;  Hirschberg,  1829).  Oft  ist  diese  Schlafsucht,  be- 
sonders von  Frauenzimmern ,  simulirt  worden ;  daher  hüte  sich  der  Arzt  vor 
Täuschung  und  Betrug.  Ist  das  Übel  nur  in  geringem  Grade  vorhanden, 
so  können  die  Menschen  trotz  der  öftern  Wiederkehr  der  Anfälle  doch  ein 
hohes  Alter  bei  wenig  gestörter  Gesundheit  erreichen  (P.  Frank,  Marcquart'), 
Der  zweite  Grad  ^es  Übels  ist  der,  wo  die  Schlafanfälle  länger  dauern 
und  der  Mensch  noch  schwerer  zu  erwecken  ist  als  im  ersten  Grade.  Die 
Schlafsucht  kommt  meist  plötzlich  ohne  alle  Vorboten ,  oder  es  gehen  Mü- 
digkeit, Schwere  in  den  Gliedern,  Trägheit,  Abspannung,  Kopfschmerz  vor- 
her. Im  Schlafe  sind  alle  Muskeln  ruhig,  nur  die  obern  Augenlider  bewe- 
gen sich  zitternd ,  der  Puls  ist  voll  und  langsam ,  der  Athem  ruhig  und 
sanft,  die  Hautwärme  natürlich  etc.  Solche  Anfälle  können  Tage,  selbst 
Wochen  lang  währen.  Beim  Erwachen  erinnert  sich  der  Kranke  der  Ver- 
gangenheit nicht.     Wiederholen  sich  die  Anfälle  nach  freien  Zwischenräumen 

22* 


340  CARUS 

von  Minuten,  Stunden,  Tagen  und  länger,  ßo  schwinden  dio  KrSfte,  der 
Kranke  zehrt  ab,  spricht  oft  gar  nicht  {Schindler).  Häufig  sind  solch« 
Schlafzustände  mit  Soranambulisnuis ,  mit  innerlichem  Krämpfe ,  besonders 
mit  Katalepsis  complicirt  (M.).  Cur.  Währt  der  Schlaf  sehr  lange,  sind 
schon  Tage  und  länger  verflossen ,  ohne  dass  der  Kianke  durch  die  ge- 
wöhnlichen Reize  zu  erwecken  ist,  so  wendet  man  mit  Nutzen  die  Elektri- 
cität  an.  Noch  wirksamer  ist  der  Galvanismus ,  die  Elektropunctur  und 
das  Bestreichen  mit  einem  starken  Magnet.  In  einem  chronischen  Falle  der 
idiopathischen  Schlafsucht  half  letzterer,  von  der  Herzgrube  aufwärts  zum 
Kopfe  geführt  und  so  74  Stunde  fortgefahren,  so  kräftig,  dass  Patientin 
stets  aufwachte  und  die  Anfälle  dadurch  sehr  abgekürzt  wiu'den  (ilf.)  (&. 
Becher,  Der  mineralische  Magnetismus;  1829). 

Carus  ischuriosus.  Ist  zuweilen  bei  der  wahren  und  falschen  Ischurie 
beobachtet  worden  (^Bannet),  vielleicht  herrührend  vom  Rückflusse  des 
Urins  und  von  seiner  Wirkung  aufs  Drüsen-  und  Nervensystem.  Ist  hef- 
tiger Durst,  Hitze  der  Eingeweide,  Fieber,  Flechsenspringen  dabei,  so  ist 
der  Ausgang  oft  tödtlich  (^Mnrcquart). 

Carus  iraumaticus ,  Wundschlafsucht.  Sie  begleitet  heftige  Ver- 
wundungen, Contusionen,  Brüche  der  Hirnschale,  besonders  wenn  Comrao- 
tio  cerebri  oder  Hirnentzündung  dadurch  erregt  worden  sind  (^Bonnet). 

Carus  arthriticus  (^Musgrnve).  wird  zuweilen  bei  Gichtmetastasen  zum 
Gehirn  beobachtet  und  verschwindet,  sowie  die  Gicht  wieder  die  Gelenko 
befällt  CMarcquart);  s.  Arthritis  retrograda. 

CarviS  spontaneus ,  Apoplexia  minor,  Aphonia  Hippocratis.  Diese  Schlaf- 
sucht kündigt  sich  durch  Kopfweh ,  Schwindel ,  Ekel  und  Erbrechen  bd 
reiner,  nicht  belegter  Zunge,  durch  Röthe  des  Gesichts,  Hitze  des  Körpers 
und  durch  frequenten  Puls  an ,  dagegen  ist  in  den  meisten  soporösen  Krank- 
heiten der  Puls  langsam  und  selten.  Plethorische  Subjecte,  die  wohlgenährt 
sind  und  ein  unthätiges  Leben  führen,  sowie  schwangere  Frauen,  bekom- 
men oft  diese  spontane  Schlafsucht.  Das  Übel  ist  nicht  gefährlich;  Deri- 
vantia,  Fussbäder,  Senfteige  an  die  Füsse,  massige  Blutausleerungen,  rei- 
zende Klystiere ,  gelinde  Purganzen ,  überhaupt  die  Behandlung  der  Apo- 
plexia sanguinea  im  niedern  Grade  sind  hier  zweckmässig.  Auch  das  Auf- 
rechtsitzen auf  einem  Stuhle  und,  wenn  die  Schwäche  dies  nicht  immer  er- 
laubt, eine  sitzende  Stellung  im  Bette,  also  eine  erhöhte  Kopflage,  ist  zu- 
gleich sehr  zu  empfehlen  (Boerliaave). 

Cm'us  vemnnosus  (^Sennert).  Kinder,  die  an  Würmern  leiden,  werden, 
nach  Sennert,  zuweilen  von  tiefer  Schlafsucht  mit  gelindem  Fieber,  flüchti- 
ger Röthe  der  Wangen,  süsslich- säuerlichem  Geruch  aus  dem  Munde  er- 
griffen, welche  verschwindet,  wenn  man  durch  Evacuantia  die  Würmer  ent- 
fernt hat.  Nicht  selten  ist  die  periodisch  eintretende  Schlafsucht  der  Kin- 
der der  Vorbote  bedeutender  Krankheiten,  z.  B.  der  Eklampsie  (M.). 

Carus  hysiericus.  Jeder  heftige  Anfall  von  Hysterie  (aber  auch  von 
Epilepsie)  pflegt  mit  Schlafsucht  oder  doch  mit  einem  ohnmachtähnlichen 
Zustande  zu  enden;  daher  man  auch  diese  Species  von  Carus  angenommen 
hat  (Marcquari). 

Carus  variolosus.  Bekanntlich  haben  die  Convulsionen  beim  Ausbruche 
der  Menschenpocken  wenig  zu  bedeuten,  desto  mehr  aber  die  tiefe  Schlaf- 
sucht während  der  Efflorescenz,  welche  nur  bei  den  bösai-tigen  zusammen- 
fliessenden  Pocken  beobachtet  wird  (^Sydenhani). —  Was  die  Prognose  der 
Schlafsucht  im  Allgemeinen  betriff't,  so  ist  sie  um  so  schlimmer,  je  wichti- 
ger in  prognostischer  Hinsicht  die  Ursachen  sind,  woraus  sie  hervorgeht, 
z.  B.  Kopfverletzungen  etc.  Die  symptomatische  Schlafsucht  ist  im  Ganzen 
also  weit  schlimmer  als  die  idiopathische,  periodische.  Letztere  ist  oft  ein 
Fehler  der  Erziehung,  indem  sif^  r.h.s  Verweichlichung,  besonders  bei  gei- 
stig und  körperlich  trägen  Kindern  hervorgeht,  die  sich  tägliches  langes 
Schlafen  angewöhnt  haben.  Hier  muss  man  durch  psychische  Mittel,  durch 
Abgewöhnung  das  Übel,  wenn  es  noch  gelind  ist,  heilen.  Was  die  Cur 
der  symptomatischen  Schlafsucht  betriÜt ,  so  ist  die  Behandlung  auf  Heboog 


I 


CASTBATIO  341 

der  Ursachen  gerichtet,  -also  sehr  verschieden  (s.  Febrls,  Cominotio 
cerebri,  Arthritiis,  Morbus  vertniuosus,  Hysteria  etc.).  Aber 
auch  die  idiopathische  Schlafsucht,  die  durch  ihre  Hartnäckigkeit  oft  Jahre 
lang  dauert ,  ist ,  wenn  auch  kein  lebensgefährliches ,  doch  immer  ein  be- 
deutendes Übel,  das  häufig  Irreseyn ,  Ekstase,  Katalepsie,  Epilepsie  hin- 
terlässt  oder  damit  complicirt  ist  und  dadurch  gefährlich  werden  kann  (s. 
Schindler^s  oben  angeführte  Schrift). 

Castratio  ,    die    Castration,    Hodenaus  schneidung,    Ver- 
schnei düng.     Ist   diejenige  Operation,    die  in  civilisirten  Staaten   nie  bei 
Gesunden ,    sondern  fast  immer  nur  wegen    fehlerhafter  Beschaffenheit  eines 
Hoden  vorgenommen  wird,   besonders  wenn  derselbe  ganz  entartet,  verhär- 
tet, krebsartig  etc.  ist.     Höchst  interessant  sind  für  Physiologie  und  Patho- 
logie die  Wirkungen   der  Castration  auf  die   ganze  geistige  und  körperliche 
Beschaffenheit   des  Menschen   (s.  Benoit  Mojon,    Mem.  sur   les  effets   de   la 
castration  dans  le  corps  humain;   Montpell.  1803).     Alle   männliche  B'ormen 
sind  im  Castraten  verwischt.     Werden   die  Hoden  vor   der  Zeit   der  Mann- 
barkeit weggeschnitten,  so  entwickelt  sich  der  Bart  nicht,  auch  die  Glieder 
erreichen  nicht  die  schöne  männliche  Gestalt ;  an  den  Muskeln  bemerkt  man 
weniger  Begrenzung   und  mehr  Schwäche,    und  die  Stimme  bleibt  fein  und 
weibisch.     Ebenso  haben  Mädchen  und  Frauen,    bei  denen  der  Uterus   und 
die    Ovarien    nicht    gehörig   ausgebildet   sind,    viel   Ähnliches   mit   Männern 
(Virago).     Die  Castraten   sind   in  psychischer,    wie   in  physischer  Hinsicht, 
selbst  was  den  Knochenbau  anbetrifft,   dem  weiblichen  Geschlechte  ähnlich. 
Die  Verschnittenen  des  Orients  sind  feil ,  verschlagen ,   neidisch ,    egoistisch, 
gchwachgcistig ,  sind  träge  an  Geist  und  Körper,  sie  ergeben  sich  gern  der 
Faulheit   und   einem   trägen,    üppigen   Leben.      Häufig    leidet    ihr    gesunder 
Menschenverstand;    ausserdem  disponiren   sie  sehr  zu  Adiposis  morbosa,   die 
leicht  in  Wassersucht  übergeht,   zu  Blutflüssen  und  zur  Gelbsucht,   welche 
besonders    bei   den   Eunuchen   in   Persien    schwer  zu   heilen   ist.      Auch    die 
Bleichsucht,   die  Hysterie  und  andere  Nervenbeschwerden   sind  gewöhnliche 
Krankheiten  der  Verschnittenen;   dagegen  leiden  sie  höchst  selten  an  Gicht 
und  Rheumatismus,    desgleichen   an   chronischen    Hautausschlägen   (^Mojon). 
Interessant  würde  die  Beantwortung   folgender  Fragen  seyn :    1)  In  wiefeni 
kann  das  häufige,  wie  das  seltene  Erscheinen  mancher  Krankheiten  bei  Ca- 
straten  Aufschluss    über    das   Wesen    und    die    Natur    dieser   Übel    geben? 
2)  In  welcher  Beziehung   stehen  Gicht,    Rheumatismus   und  die  chronischen 
Hautausschläge  mit  der  Mannbarkeit  ?     Warum  leiden  die  Castraten  so  sel- 
ten daran?     Vielleicht  weil  ihre  Productionskraft  im  geschlechtlichen  Leben 
schlummert?     Nach  häufigem  Coitus   bemerkt  der  Mann  in   der  Regel  Zie- 
hen und  Reissen  in  den  Gliedern,  ähnlich  den  rheumatischen  Zufällen;  auch 
eine  Neigung  zu  Hautausschlägen,  besonders  im  Gesichte  (Venuspocken)  ist 
ein   gewöhnliches   Zeichen   der  Ausschweifungen   in    der  Liebe.      Sollten   die 
überhandnehmenden  Ausschweifungen  der  Art  bei  der  Jugend  unserer  Gene- 
ration nicht  ein  Grund  mit  seyn,   warum  die  rheumatischen  und  gichtischen 
,  Übel  jetzt  häufiger  bemerkt  werden  als  ehemals ,  wo  mehr  Keuschheit  unter 
der  Jugend  und  mehr  Züchtigkeit  der  Altern  herrschte?     3)  Warum  leiden 
Castraten  so  häufig  an  Gelbsucht  und  Wassersucht?     In  welcher  Beziehung 
stehen   Leber,    lymphatische   Gefässe   und  Genitalien   zu    einander?     Durch 
unsere  Diuretica :    Squilla ,   Digitalis  etc.  wird  nicht   blos  das  Systema  uro- 
poeticum ,    sondern    auch    das   Genitaliensystem   erregt.      Findet   nicht   auch 
eine  Sympathie  zwischen  letzterm  und  der  Leber  statt?     Alle   unsere  resol- 
virenden ,    sogenannte  Stockungen   auflösenden  Mittel  j   die  bittern  Extracte 
mit  Tart.   solubilis,    tartarisatus    etc.,    die   eisenhaltigen    und   kohlensauren 
Mineralwässer   wirken   zugleich    diuretisch,    und   alle  Diuretica   beleben   die 
Geschlechtssphäre   mehr   oder    weniger.      4)  Sollte    der    ehelose   Stand   wol 
eine  besondere  Disposition  zu  chronischen  Unterleibsübeln  geben?     Man  fin- 
det verhältnissmässig  mehr  unverheirathete    als  verheirathete  Personen ,   be- 
sonders  in   den   30r  —  40r  Jahren,    welche    an   Stockungen   der    Leber  und 
Milz,  an  Hypochondrie  tiad  Hysterie  leiden,   und  nirgends  bt  letztere  mehr 


342  GASTllATIO 

za  Hause  als  bei  alten  Jungfern.  Wenn  die  Gesundheit  im  Allgemeinen  mir 
in  der  harmonischen  Übereinstimmung  aller  Organe  des  Organismus  und  in 
gleichmässiger  Thätigkeitsäusserung  aller  geistigen  und  körperlichen  Fun- 
ctionen bestehen  kann,  so  ists  natürlich,  dass  leicht  Krankheit  entstehen 
muss,  wenn  bei  vollendeter  Mannbarkeit  ein  so  vsichtiges  Organensystem, 
wie  das  der  Genitalien  ist,  schlummert.  Die  Beispiele,  wo  die  Ehe  oft  die 
hartnäckigsten  Krankheiten ,  besonders  die  Hysterie  heilte ,  sind  nicht  selten. 

5)  Welche  Krankheiten  können  durch  die  Castration  bei  Männern  mit  ge- 
sunden Testikeln  geheilt  werden  ?  Es  ist  bekannt ,  dass  die  Priester  der 
Cybele  die  Manie  dadurch  heilten,  und  gewiss  würde  dieselbe  noch  jetzt 
bei  Wollüstlingen ,  die  durch  Ausschweifungen  in  Venere  ihren  Verstand  ver- 
loren haben ,  heilsam  seyn ,  wenn  die  Verhältnisse  des  gesellschaftlichen  Le- 
bens diese  Operation  auszuüben  mehr  gestatteten.  In  Schweden  heilt  man 
durch  die  Castration,  nach  Mojon,  die  Satyriasis,  und  bekannt  ist  es,  dass 
auch  mancher  Onanist  durch  sie  allein  geheilt  werden  könnte.  Bei  den  ver- 
schiedenen Krankheiten  der  Eunuchen  und  Castraten  sind  dieselben  Curre- 
geln  zu  berücksichtigen ,  welche  die  Krankheiten  der  Frauenzimmer  im  All- 
gemeinen erfordern  (s.  Graviditas  Nr.  28).  Nach  dem  gegenwärtigen 
Standpunkte  der  medic.  -  chirurg.  Wissenschaft  ist  die  Castration  indicirt : 
1)  bei  hoher  Reizbarkeit  des  Hoden,  Neuralgin  testis  (the  irritable  testicle, 
nach  Astley  Coopcr^,  so  dass  die  leiseste  Berührung,  die  geringste  Bewegung, 
dem  Kranken  unerträgliche  Schmerzen  verursacht,  und  er  nur  in  der  ruhigen 
horizontalen  Rückenlage  existiren  kann ;  was  ihm  alle  Lebensfreuden  verbit- 
tert ,  das  Gemüth  tief  ergreift  und  die  Constitution  auffallend  schwächt. 
Wenn  hier  die  Narcotica  und  andere  zweckmässige  pharmaceutische  Mittel 
fruchtlos  angewendet  worden  sind ,  wenn  etwa  vorhandene  Abdominal- 
stockungen gehoben  und  keine  specifische  Dyskrasien  aufzufinden  sind,  so 
bleibt  hier  nur  die  Castration  übrig,  die  in  solchen  Fällen  von  A.  Cooper 
und  Delpech  auch  verrichtet  wurde.  Doch  meint  der  Verfasser  des  Artikels 
„Castratio"  in  Rtist^s  Handbuche  der  Chirurgie,  Bd.  IV,  S.  10,  dass 
vielleicht  die  Durchschneidung  des  Samenstranges  oder  die  blosse  Unterbin- 
dung der  Art.  spermatica  das  Übel  ohne  Castration  heilen  möchte.  —  2)  Bei 
Jndurnüo  testis  henigna,  Incluratio  simplex  (CnUisen),  einfacher  chro- 
nischer Anschwellung  der  Hoden  (J.  Cooper^,  die  in  Folge  trau- 
matischer, sympathischer  und  dyskrasischer  Hodenentzündung  entstanden  ist 
(s.  Inflammatio  testiculi),  damit  das  Übel  nicht  durch  die  Länge  der 
Zeit  dem  Kranken  beschwerlicher  werde  und  fernere  krankhafte  Metamor- 
phosen eingehe.  Doch  kann  man  hier  noch  vorher,  zumal  wenn  Lues  ve- 
nerea  Schuld  Avar,  das  Decoct.  Zittmanni  versuchen  (Aergl.  G.  Behre  in 
Hecher's  Wissenschaftlichen  Annalen,  1833,  Decbr. ,  S.  335 — -421).  S)  Bei 
Hydro  -  Sarcocele  henigna  (^Hgdrosclerorcliis ,  Induratio  testis  cum  Hgdrocele 
tunicne  vaginalis  propriae).  Während  man  hier  behufs  der  Radicalcur  der 
Hydrocele  den  Hoden  entblösst ,  kann  man  sich  durch  den  Augenschein  von 
der  Verderbtheit  des  Hoden  und  der  nöthigen  Entfernung  desselben  am  be- 
sten überzeugen.  4)  Bei  Orcheomalacosis.  Die  Hodenerweichung ,  gut  be- 
schrieben von  Zimmermann  (Dissert.  de  tesliculor.  morbis ;  Berol.  1824), 
verwandelt  die  ganze  Hodensubstanz  in  eine  dickflüssige,  braune,  chokola- 
denähnliche  Masse  und  die  Geschwulst,  die  jahrelang  als  Knoten  unbedeu- 
tend   gewesen ,    erreicht    dann     oft    schnell     eine    ausserordentliche    Grösse. 

6)  Bei  Cirsocele,  wenn  die  Varicositaten  nicht  allein  den  Samenstrang,  son«. 
dern  auch  den  ganzen  Hoden  und  Nebenhoden  einnehmen  und  der  Samen- 
strang durch  Druck  atrophisch  geworden  ist.  Doch  könnte  man  auch  hier 
die  freilich  in  solchen  Fällen  nicht  ganz  leichte  LTnterbindung  der  Art.  sper- 
matica vorher  versuchen.  6)  Bei  Spcrmatocele  (^Spermatica  testis  erpansio, 
t\nch  CalUscti).  7)  Bei  Hyda tiden  des  Hoden,  wenn  die  Function  keinen 
Nutzen  gftwahirte,  der  Hoden  durch  Druck  gelitten  hat,  atrophisch  geworden 
ist  und  bösartige  Exulceration  zu  erwarten  steht.  8)  Bei  Hydrops  testiSy 
we;i!i  die  Puncrion  das  Übel  nicht  zu  entfernen  vermochte.  9)  Bei  Tuber- 
keln des  Hoden,  worauf  so  leicht  schlimme  Exulceration  folgt.     10)  Bei 


CASTRATIO  343 

Fungus  meilutlaris  und  haemntodes  testis.  Leider!  zeigt  skh  ab.er  der  Mark- 
schwamm später  häufig  aufs  Neue,  zumal  am  Sameiistraug  und  am  Ductus 
thoracicus,  und  tödtet  später  den  Kranken,  besonders  wenn  das  Übel,  wor- 
über eine  genaue  Diagnose  noch  fehlt,  nicht  blo»  örtlich,  sondern  allgemein 
in  der  Constitution  begründet  ist  (s.  Rust  in  Horiis  Archiv,  1815,  Bd.  11. 
S.  731).  11)  Bei  Scirrhus  testis,  der  indessen  als  echter  Krebsknoten  sel- 
ten vorkommt  (J.  Cooper).  12)  Bei  Carcinom  des  Hoden,  sobald  der 
Samenstrang  noch  ziemlich  gesund  ist ,  keine  allgemeine  Dyscrasia  cancrosa 
obwaltet  und  keine  scirrhöse  Geschwülste  im  Unterleibe  gleichzeitig  da 
sind.      Im    letztem    Falle    rettet    auch    die    Castration    den  Kranken    nicht. 

13)  Bei  Hydroscirrhocelc,    wo  die  Wasseransammlung   etwas  Secundäres   ist. 

14)  Bei  bedeutenden  Verletzungen  des  Hoden  mit  Substanzverr 
inst ,  zumal  Schusswunden ,  gequetschten  Wunden  ,  wozu  sich  leicht  Ner- 
venzufälle gesellen  und  keine  gutartige  Eiterung  zu  erwarten  ist ,  bei  de- 
nen der  Samenstrang  mit  gelitten  hat ,  bei  Zermalmung  der  Hodensubstanz 
durch  starke  Quetschungen,  wenn  gleichzeitig  hier  unbesiegbare  Nervenzu- 
fälle eintreten,  15)  Bei  chronischen  Abscessen  und  Fisteln  des 
Hoden,  die  jedem  Heilversuche  Trotz  geboten  haben.  Endlich  16)  bei 
bedeutender  Haematocele,  bei  unheilbarem  Erkranktseyn  des  Sa- 
nienstrangs,  bei  primärem  Scirrhus,  Markschvvamm  desselben,  bei  knorpe- 
liger Verhärtung  der  Scheidenhaut  des  Hoden,  welche  häufig  neben  einer 
Hydrocele  vorkommt  und  leicht  in  krebshafte,  sich  auf  den  Hoden  verbrei- 
tende Entartung  übergeht,  bei  Schornsteinfegerkrebs,  Elephantiasis  scroti. 
Bei  nicht  zu  hebender  Onanie  castrirte  Mursinna  auf  inständiges  Bitten  ei- 
nen Kranken ,  und  der  Erfolg  war  günstig.  Doch  wird  hier  wol  die  Unter- 
bindung der  Art.  spermatica  ausreichen.  In  frühern  Zeiten  verrichtete  man 
auch  die  Castration  bei  völlig  gesunden  Hoden ,  um  andere  schwere  Übel 
zu  heilen,  z.  B.  die  Lepra,  die  Epilepsie,  die  Manie,  selbst  eingewurzelte 
Gicht  (^Artius,  Ferneliiis,  Schurifi ,  C'acl.  Anrelinnns ,  Rmere),  und  zuweilen 
war  der  Erfolg  günstig  Als  im  Allgemeinen  die  Castration  contrain- 
dicirende  Umstände  müssen  folgende  genannt  werden:  1)  Das  Fortbe- 
stehen derjenigen  Krankh-eit  im  ganzen  Körper,  durch  welche  das  Hoden- 
leiden  herbeigeführt  wurde,  ohne  dass  Aussicht  vorhanden  ist,  dieselbe  zu 
heben  oder  durch  Wegnahme  des  örtlichen  Übels  zu  mindern.  2)  Gänzliche 
Unmöglichkeit,  alles  fungös  und  krebsig  Entartete  zu  entfernen,  wo  also 
der  Krebs  oder  Markschwamm  sehr  vorgerückt  ist.  3)  Ein  hoher  Schwä- 
chegrad des  Kranken,  entstanden  sowol  durch  örtliche  Leiden,  durch  den 
Säfteverlust,  z.B.  bei  Hodenabscessen,  durch  heftige  Schmerzen  und  Schlaf- 
mangel ,  wie  bei  Neuralgia  testis ,  als  auch  durch  andere  Krankheiten ,  Dys- 
krasien  etc.  4)  Ein  hoher  Grad  von  Vulnerabilität,  grosse  Reizbarkeit, 
bedeutende  Neigung  zu  Nervenzufällen.  5)  Hohes  Alter  bei  vorgerückten 
drykrasischen  Krankheiten. 

Operationsverfahren  der  Castration.  Instrumente  hierzu 
sind:  1)  ein  gerades  Bistoui'ie;  2)  eine  stumpfspitzige  Scheere,  oder  ein 
gerades  Knopfbistourie;  3)  eine  Hohlsonde;  4)  Nadeln  mit  einem  Faden- 
bändchen  ,  mehrere  Unterbindungsfaden ,  besonders  aber  das  v.  Gräfe'sche 
Unterbindungssläbchen;  5)  Anenrysmanadel  mit  einem  breiten  Bündchen  ver- 
sehen. Ausserdem  Charpie,  kaltes  und  warmes  Wasser,  eine  T-Binde, 
Heftpflasterstreifen,  auch  der  Apparat  zur  blutigen  Nath.  Die  Lage  de» 
Kranken  ist ,  wie  bei  der  Radicalopeiation  der  Hydrocele.  —  Gehülfen  sind 
2  bis  3  erforderlich.  Die  Operation  hat  3  Hauptmomente:  1)  den  Haut- 
schnitt; 2)  die  Behandlung  des  Sanienstranges ;  3)  die  Ausschälung  des  Ho- 
dens. Hiernach  bilden  sich  wieder  2  Hauptmomente :  erstens  derjenige  mit 
Spannung  der  Hautdecken  ,  und  zweitens  der  ohne  Spannung  des  Hodensacks. 
Erster  Moment.  Die  Haut  ist  entweder  verwachsen  und  lässt  sich  in 
keine  Falte  heben,  oder  sie  ist  beweglich  und  frei.  Ist  letzteres  der  Fall, 
dann  bildet  man  eine  Hautfalte,  und  macht  den  Einschnitt,  wie  bei  der 
Hydrocele,  so,  dass  er  vom  Bauchringe  bis  zum  Grunde  des  Hodensacks 
hinabgeht.     Ist  aber  die  Haut  mit  dem  Hoden  verwachsen,   lässt  sich  keine 


344  CASTRATIO 

Falte  bilden,  oflet  tet  das  Scrotum  von  scirrhSsen  nnd  krebshaHen  Excre- 
«cenzen  ergriffen  und  demnächst  seine  Wegnahme  nöthig ,  so  muss  dies 
Krankhafte  mit  exstirpirt  werden.  Man  spannt  demnach  die  Haut  über 
dem  krankhaften  Testikel  —  bevor  die  Haare  abgeschoren  sind  —  mit  dem 
Daumen  und  Zeigefinger  der  linken  Hand,  und  trennt  sie  durch  2  halbmond- 
förmige Schnitte,  in  welchen  alles  Krankhafte  begriffen  seyn  muss;  dann 
fasst  man  das  über  dem  Samenstrange  befindliche  Zellgewebe,  hebt  es  in 
die  Höhe  und  trennt  es  durch  mehrere  Schnitte,  um  jenen  bioszulegen.  — 
Zweiter  Moment.  Der  Samenstrang  wird  nun  bald  unterbanden,  ehe 
er  abgeschnitten  worden,  oder  er  wird  erst  abgeschnitten  und  dann  unter- 
bunden ,  bald  wird  er  abgeschnitten  un4-  nun  ganz ,  oder  seine  Arterien  al- 
lein unterbunden,  oder  die  Blutung  durch  die  Tamponade  gestillt.  Über 
dieses  verschiedene  Operationsverfahren  sind  nun  die  verschiedensten  Mei- 
nungen. Einige  haben  Convulsionen  und  Trismus  von  der  gänzlichen  Un- 
terbindung des  Samenstranges  befürchtet  {Bell,  Morand).  Nach  Bilgiier 
entstanden  darnach  Übelkeiten ,  Erbrechen ,  Spannung  und  Anschwellung 
des  ganzen  Unterleibes ,  und  eine  brennende  Empfindung  in  der  Nierenge- 
gend ;  Abscesse  im  Zellgewebe  des  Samenstranges ,  in  der  Nierengegend 
(77*crfcn) ;  Andere  haben  diese  Zufälle  geleugnet  {Mornnd,  Mursinna,  Im- 
der's  Chir.  Journal,  Bd.  I.),  und  zu  beweisen  gesucht,  dass  sie  nicht  in 
der  Unterbindung,  sondern  in  einer  Krankheit  des  Gangliensystems,  oder 
in  der  krankhaften  Constitution  des  Individuums  selbst  ihren  Grund  haben; 
daher  Mursinna  der  gänzlichen  Unterbindung  des  Samenstranges  huldigt.  — 
Dritter  Moment.  Unterbindet  man  den  ganzen  Samenstrang,  so  be- 
nimmt man  dem  Kranken  bei  der  Operation  einen  grossen  Theil  der  Schmer- 
zen. Man  sondert  ihn  zu  dem  Ende  frei  vom  Zellgewebe  ab ,  schiebt  einen 
Faden  mittels  einer  Aneurysmanadel  unter  ihn  durch,  zieht  diesen  hernach 
so  fest  als  möglich  zusammen  und  schneidet  ihn  1  Zoll  breit  unter  der  Un- 
terbindung ab;  dann  fasst  man  den  obern  Theil  des  Hodens,  hebt  ihn  her- 
vor, präparirt  ihn  von  oben  nach  unten  aus  seinem  Zellgewebe,  ^•illt  das 
■Scrotum  mit  Charpie  aus  und  lässt  nun  die  Wunde  durch  den  Process  der 
Eiterung  verheilen.  Der  isolirten  Unterbindung  giebt  Rust  den  Vorzug,  da 
ihm  die  Unterbindung  des  ganzen  Samenstranges  grausam  und  unnöihig  scheint. 
Lnngenhccli  operirt  auf  folgende  Weise:  Der  Kranke  wird  in  dieselbe  Lage 
wie  beim  Bruchschnitt  gebracht;  der  Wundarzt  stellt  sich  an  die  rechte 
Seite  desselben;  der  Hautschnitt  wird  mit  einem  convexen  Scalpell  gemacht, 
und  ist  nach  der  Form  des  Übels  verschieden.  Je  grösser  die  Geschwulst 
ist,  desto  mehr  muss  man  auch  vom  Scrotum  wegnehmen,  um  Abscesse 
und  fistulöse  Gänge  zu  verhüten.  Sind  zugleich  die  allgemeinen  Bedeckun- 
gen an  einer  Seite  verdorben ,  so  nimmt  man  besonders  an  dieser  Stelle, 
zumal  durch  einen  Ovalschnitt,  einen  Theil  derselben  weg,  wobei  man  mit 
der  linken  Hand  das  Scrotum  anspannt,  was  aber  bei  sehr  runzligem  Scro- 
tum ein  Gehülfe  thun  muss.  Stets  muss  der  Schnitt,  er  sey  oval  oder 
länglich,  sich  über  die  gange  Geschwulst  erstrecken;  er  beginnt  dicht  am 
Annulns,  und  endet  am  Fundus  scroti;  denn  je  näher  man  den  Samenstrang 
am  Annulus  blosslegt,  desto  sicherer  wird  sein  Zurückziehen  vermieden;  und 
spaltet  man  das  Scrotum  nicht  bis  zum  Fundus,  so  folgen  leicht  Eiterseu- 
kungen,  die  leicht  Zerstörung  anrichten,  oder  doch  wenigstens  ein  neues 
Aufschneiden  erfordern.  Nach  vollbrachtem  Hautschnitte  entmckelt  man  den 
Samenstrang,  indem  man  das  Zellgewebe  unter  dem  Bauchringe  mit  der 
Pincette  fasst,  in  die  Höhe  hebt  und  durchschneidet,  wobei  man  mit  dem 
Finger  stets  nachfühlen  muss,  wo  der  B'uniculus  liegt,  über  welchem  man 
nur  mit  dem  Scalpell  agirt  und  sich  zugleich  vor  dem  Durchschneiden  des 
Septum  scroti  hütet.  Ist  der  Samenstrang  entwickelt,  so  hält  ein  Gehülfo 
den  kranken,  oft  schweren  Testikel  in  die  Höhe,  der  Kranke,  welcher  in 
horizontaler  Lage  bleibt,  muss  die  Beine  an  den  Leib  ziehen;  man  trennt 
nun  das  vas  deferens  vom  Funiculus  durch  einen  Einschnitt,  fuhrt  den  Zei- 
gefinger in  die  Öffnung  und  setzt  die  Trennung  fort  bis  zur  Stelle,  wo 
der  önmenstrang  unterbunden    und  getrennt  werden  soll.     Der  Operateur 


CASTRATIO  MS 

fasst  mit  Daumen  und  Zeigefinger  der  linken  Hand  mittek  emea  Lemwand- 
läppchens  nun  den  Samenstrang  am  Annulus ,  und  schneidet  ihn  durch,  wäh- 
rend der  Gehülfe  gelinde  am  Testikelende  desselben  zieht.  Geht  es  an,  so 
wähle  man  die  Durchschnittsstelle  so  tief  als  mi)glich.  Man  drückt,  eho 
man  das  Messer  ansetzt,  den  Samenstrang  mit  den  Fingern  fest  zusammen, 
und  schneidet  den  angespannten  Theil  dann  von  oben  nach  unten  durch. 
Jetzt  lässt  man  das  zerschnittene  Ende  mit  einem  Schwämme  reinigen ,  er- 
greift die  obere  Mündung  der  Arterie  mit  der  Pincette,  zieht  sie  aus  den 
übrigen  Theilen  des  Samenstranges  hervor  und  lässt  so  blos  über  sie  die 
Ligatur  werfen.  Ehe  man  die  Ligatur  zuzieht ,  streift  man  die  übrigen 
Theile  mit  den  Fingern  zurück,  um  auf  solche  Weise  sicher  zu  seyn,  das« 
kein  Nerve  mit  in  die  Ligatur  kommt.  Bei  der  Unterbindung  kann  man  die 
Arterien  und  Venen  deutlich  sehen ;  sollte  dieses  nicht  der  Fall  seyn ,  so  lässt 
man  mit  dem  Drücken  des  Fingers  nur  ein  wenig  nach,  und  das  Blut  spritzt 
hervor.  Nach  der  Unterbindung  unterbindet  man  auch  das  Vas  deferen», 
welchem  bisher  dazu  diente,  den  etwa  zurückgezogenen  Samenstrang  wieder 
hervorzuziehen;  jetzt  präparirt  man  den  Testikel  aus  dem  Scrotum  heraus; 
man  muss  jedes  spritzende  ^afäss  unterbinden,  weil  sonst  leicht  Nachblu- 
tungen folgen.  Zuletzt  stopft  man  das  ganze  Scrotum  mit  Charpie  aus, 
befestigt  die  Ligatur  der  Art.  spermatica  interna  auf  den  äussern  Bedeckun- 
gen mit  Heftpflaster,  legt  ein  Suspensorium  an  und  behandelt  den  Kranken 
nach  den  Umständen  mehr  oder  weniger  antiphlogistisch.  Der  erste  Ver- 
band bleibt  48  Stunden  liegen ,  alsdann  verbindet  man  mit  Unguentum  dige- 
stivum ,  und  stopft  die  Wunde  vom  Grunde  auf  aus.  Das  schlaffe  Scrotum 
füllt  sich  bald  mit  Granulationen  und  die  Wunde  wird  schnell  flach.  Offe 
verbreitet  sich  die  Entzündung  über  die  benachbarten  Theile ,  zuweilen  ent- 
steht Retentio  urinae.  Dann  muss  man  den  Katheter  appliciren,  schleimige 
Getränke  geben  und  warme  aromatische  Überschläge  machen.  Ist  der 
Kranke  nicht  zu  schwach ,  so  behandelt  man  ihn  die  ersten  Tage  hindurch 
kühlend  und  sorgt  für  Leibesöffmmg,  Die  Lage  des  Kranken  muss  stets 
eine  horizontale  seyn.  Bei  jedesmaliger  Erneuerung  des  Verbandes  stopft 
man  ein  Plumaceau  unter  den  Funiculus,  damit  derselbe  nicht  zu  tief  ins 
Scrotum  verwachse  und  der  Kranke  nach  der  Heilung  sich  gehörig  aus- 
strecken könne,  sonst  folgen  mitunter  heftige  Nervenreize,  z.  B.  Epilepsie; 
welche  ein  neues  Abtrennen  des  Samenstranges  erforderlich  machen.  Den 
ganzen  Samenstrang  zu  unterbinden  hält  Lnngenheck  für  gefährlich,  indem 
durch  die  Nervenverbindung  des  Plexus  spermaticus  mit  dem  Plexus  hypo- 
gastricus  und  renalis  leicht  heftige  Schmerzen  in  der  Nierengegend,  im 
Schenkel ,  Tenesmus  und  Harnverhaltung  folgen.  Selbst  Trismus  und  Te- 
tanus hat  man  entstehen  sehen,  sobald  die  Nerven  mit  in  die  Ligatur  ge- 
fasst  worden  sind.  Aus  diesem  Grunde  muss  man  die  Arterie  allein  unter- 
binden und  vorher  dieselbe  gehörig  mit  den  Fingern  von  dem  Nervenge- 
flechte etc.  abstreichen.  Statt  der  Unterbindung ,  wie  Theden  will,  zu  tam- 
poniren,  passt  auch  deswegen  nicht,  weil  der  Druck  nachtheilig  auf  die 
Nerven  wirkt.  Oft  ist  der  Verband  nur  wenig  mit  Blut  gefärbt  und  den- 
noch die  Blutung  aus  den  Scrotalarterien  zuweilen  sehr  bedeutend,  da  da« 
Blut  hinten  zum  Scrotum  hinaus  zwischen  den  Schenkeln  hinabfliesst.  Man 
muss  deshalb  den  Operirten  genau  beobachten  und  mit  der  Hand  unter  dem 
Scrotum  nachfühlen ,  ob  man  keine  Flüssigkeit  entdeckt.  Bei  der  gering- 
steh Spur  von  Blutung  muss  man  sogleich  den  ganzen  Verband  abnehmen 
und  das  noch  spritzende  Gefäss  unterbinden.  Quillt  aber  das  Blut  aus 
mehreren  Stellen  hervor,  so  lege  man  Fomentationen  von  eiskaltem  Wasser 
über  das  Scrotum.  Erstreckt  sich  die  Induration  des  Funiculus  so  weit  nach 
oben,  dass  nur  ein  kleiner  Zwischenraum  bis  zum  Bauchringe  bleibt,  so  ist 
es  selten  möglich ,  die  Arterie  allein  zu  unterbinden ;  man  muss  dann  vor 
Durchschneidung  des  Samenstranges  die  Unterbindung  des  ganzen  Funiculus 
-vornehmen.  Zieht  sich  die  Arterie  mit  dem  Samenstrang  vor  der  Unterbin- 
dung in  den  Annulus  zurück,  so  versuche  man  mit  der  Pincette  in  den 
Bauchring  einzugehen  und  auf  solche  Weise   den  Samenstrang  vorzuziehen. 


346 


CASTRATIO 


Gelingt  dieses  nicht,  so  muss  man  zu  diesem  Endzwecke  den  Bauchring  ein- 
schneiden, um  den  Samenstrang  fassen  nnd  unterbinden  zu  können.  Sind 
beide  Testikel  zugleich  krank,  so  thut  man  am  besten  gleich  beide  wegzu- 
nehmen. So  verfährt  Lnngenhce}; ,  der  ^-iele  Castrationen  mit  Glück  vorge- 
nommen hat.  —  Kern  hält  die  Unterbindung  vor  dem  Abschneiden  des  Sa- 
luenstranges  zu  unternehmen  für  nöthig ,  indem  derselbe  sich  leicht  zurück- 
zieht. Hat  man  aber  den  Samenstrang  schon  abgeschnitten ,  und  hat  er  sich 
auch  schon  zurückgezogen ,  so  kann  man  dennoch  die  isolirte  Unterbindung 
vornehmen  ;  es  darf  für  den  Operateur  keine  so  grosse  Aufgabe  seyn ,  die 
Arterien  zu  unterbinden,  wenn  es  nothwendig  ist,  da  oft  schon  kaltes  Was- 
ser allein  ihre  Blut\uig  stillt,  oder  sie  auch  nach  Theden,  Boucher  und  Po?«- 
ienu  durch  die  Tamponade  gestillt  werden  kann,  denn  die  Pulsader  des  Sa- 
menstranges ist  gemeiniglich  so  klein .  dass  es  gar  keiner  Ligatur  bedarf, 
um  die  Blutung  aus  derselben  zu  stillen,  und  dass  ein  gelinder  Druck  oft 
dazu  hinreichend  ist.  Und  dazu  ist  hier  eine  gute  Gelegenheit,  da  die 
Schambeine  einen  sehr  be([uemen  Unterstützungspunkt  verschaffen.  —  Riist's 
Methode  ist:  dass  er  vor  der  Operation  darauf  sieht,  ob  der  Samenstrang 
näher  oder  entfernter  vom  Banchringe  gesund  ist,  etwa  drei  Finger  breit, 
und  sich  überzeugt,  ob  er  vielleicht  in  die  Bauchhöhle  hineinschlüpfen  kann; 
ist  dies  der  Fall ,  so  lässt  er  durch  einen  Gehülfen  den  gesunden  Hoden 
anziehen,  und  schneidet  nun  den  kranken  Hoden  durch  einen  Cirkelscluiitt 
von  oben  nach  unten  ab.  Ist  dies  geschehen,  so  untersucht  er  die  Blu- 
tung und  ur.terbindet  die  Arterien.  Ist  der  Hode  gross  und  krankhaft  und 
der  Anfang  des  Samenstranges  mit  ergriffen ,  so  hebt  er  in  der  Gegend  des 
Bauchringes  die  Haut  in  eine  Falte ,  schneidet  sie  mit  einem  Messer 
durch ,  ohne  dass  der  Schnitt  bis  auf  den  Grund  des  Hodensacks  geht ,  iso- 
iirt  den  Samenstrang,  bringt  unter  das  Zellgewebe  desselben  ein  Bündchen, 
hebt  ihn  damit  in  die  Höhe ,  unterbindet  nun  die  Arterien  und  entfernt  so- 
demn  den  Hoden  sammt  dem  Scrotum.  Ist  aber  der  Samenstrang  verhärtet, 
ist  es  nicht  möglich,  die  Arterien  isolirt  zu  unterbinden,  so  isolirt  man  den 
Samenstrang,  untersticht  ihn  mit  einem  Fadenbändchen,  unterbindet  ihn 
ganz  und  schneidet  auch  nun  den  Testikel  mit  dem  Scrotum  ab.  Auch  jetzt 
kann  man  den  Samenstrang  noch  vorziehen  und  die  Arterien  allein  unter- 
binden. Hat  man  das  Septum  scroti  nicht  durchschnitten,  so  stillt  man  die 
Blutung  aus  den  Scrotalgefässen ,  und  vereinigt  die  Wunde  durch  Heftpfla- 
sterstreifen. Fällt  aber  der  gesunde  Hode  vor,  so  muss  man,  um  Entzün- 
dung und  Anschwellung  desselben  zu  verhüten,  die  blutige  Vereinigung  durch 
5  bis  8  Hefte  machen,  diese  durch  Heftpflaster  unterstützen,  und  nun  eine 
Compresse  und  eine  T  -  Binde  darüber  legen.  In  diesem  Falle  erfolgt  die 
Heilung  in  9  bis  12  Tagen,  während  sie  bei  der  unblutigen  Heftung  3  bis 
4  Wochen ,  und  in  dem  Falle ,  wo  man  das  Scrotum  stehen  lässt ,  5  bis  6 
Wochen  dauert.  Die  totale  Unterbindung  desFuniculus  sper- 
inaticus  nach  v.  Gräfe' s  Methode  ist  folgende:  Er  entblösst  zuerst  den 
Funiciüus  spermaticus ,  zieht  ihn  hervor  und  führt  eine  pfriemenförmige  Na- 
del ,  mit  einer  seidenen  Schnur  versehen ,  unter  denselben  durch ,  befestigt 
diese  beiden  Enden  in  das  von  ihm  angegebene  Ligaturwerkzeug,  zieht 
es  locker  an  und  schnürt  es  zweimal  um  die  an  dem  Instrumente  betindliche 
Gabel,  und  schraubt  nun  mit  der  Schraube  an,  dann  kommt  die  Gabel  iii 
die  Höhe  und  wird  so  zusammengeschnürt.  Durch  dieses  Instrument,  wel- 
ches die  Isolirung  des  Samenstranges  von  den  Arterien  entbehrlich  macht, 
kann  man  überhaupt  rasch  vorwärts  operiren  und  den  höchsten  Grad  von 
Zusammenschnürung  bewirken;  die  Blutung  steht  augenblicklich;  auch  kann 
der  Funiculus  spermaticus  nicht  in  die  Bauchhöhle  zurückschlüpfen,  und  der 
Kranke  wird  sogleich  wahrnehmen,  dass  der  Schmerz  aufhört.  Ist  die  Ope- 
i-Btion  nun  bis  dahin  beendet ,  so  schneidet  v.  Gräfe  sogleich  den  Testikel 
ab,  da  ihm  das  Umdrehen  des  Testikels  (Rusche)  um  seine  eigene  Axe, 
und  dadurch  zu  erzielendes  Abfaulen  vom  Funiculus  spermaticus  theils  zn 
.schmerzhaft  für  den  Kranken,  theils  aber  auch  ein  unsauberes,  schiiuiziges 
Verfahren  «u   scjn  scheint.     Daa  Lignturwerkzeug  wird  nun  mittels   einiger 


CATACAUMA  —  CATALEPSIS        347 

Heftpfiasterstreifen  auf  dem  Unterleibe  befestigt ;  nach  zweimal  24  Stunden 
schneidet  er  mittels  einer  Scheere  die  Schnur  von  der  einen  Seite  so  nahe 
als  möglich  an  der  Unterbindungsstelle  ab ,  und  nachdem  die  Schnur  entfernt 
ist ,  zieht  er  die  Wundlefzen  dicht  zusammen  und  sucht  nun  die  rasche  Vcr- 
heilung  zu  erzielen.  —  Nachbehandlung.  Sollten  partielle  Blutungen 
entstehen ,  die  wenig  von  Belang  sind ,  so  soll  man  kalte  Fomentationen 
anwenden ;  sollten  sie  hiernach  nicht  stehen ,  so  muss  man  den  Verband  öff- 
nen und  das  Gefäss  unterbinden.  Pott  sagt :  sie  sind  leicht  tödtlich ,  wel- 
ches aber  nach  v.  Gräfe  keine  Gefahr  hat ;  wo  aber  parenchymatöse  Blu- 
tungen statt  haben,  soll  es  allerdings  gefahrdrohend  seyn.  Pott  wendet 
dann  innerlich  Chinadecocte  an,  und  den  Verband  befeuchtet  er  mit  ver- 
dünnter Schwefelsäure;  v.  Gräfe  stimmt  dieser  Meinung  nicht  bei.  Ver- 
band. Pott  und  A.  wollen  per  primam  intentionem  heilen,  welches  Ver- 
fahren aber  nicht  bei  der  v.  Gräfe'schen  Operationsraethode  anzuwenden  ist, 
indem  das  Ligaturwerkzeug  bis  zur  Abtragung  der  Schnure  daran  hindert. 
Ist  indess  das  Zellgewebe  gesund,  nicht  ödematös  angeschwollen,  nicht  in- 
durirt,  sind  keine  varicöse  Ausdehnungen  zugegen,  so  kann  man  bis  zu  der 
Stelle,  wo  das  Ligaturwerkzeug  Hegt,  die  schnelle  Vereinigung  vornehmen, 
wo  nicht,  so  stopft  v.  Gräfe  die  Wunde  mit  lockerer  Charpie  aus,  und  heilt 
per  secundam  intentionem.  Sollten  Nervenzufälle  entstehen,  so  ist,  nach 
V.  Gräfe,  der  Nerve  noch  nicht  ganz  getödtet,  und  man  muss  die  Schraube 
des  Ligaturwerkzeuges  noch  fester  schrauben,  alsdann  werden  sie,  wenn 
dies  die  alleinige  Ursache  seyn  sollte,  bald  nachlassen.  Es  können  aber 
auch  ausserdem  Nervenzufälle  entstehen ,  welche  aber  dann  im  Individuo 
selbst  liegen ;  hier  wendet  man  innerlich  die  bekannten  Antispasmodica  an, 
äusserlich  Vesicantia  und  kalte  Umschläge  etc.  Lage  des  Kranken 
nach  der  Operation.  Marchai  bemerkte ,  dass  ein  castrirter  Kranker^ 
der  während  seiner  Heilung  unausgesetzt  gerade  im  Bette  gelegen,  her- 
nach nicht  aufrecht  stehen ,  noch  sitzen  konnte.  Theden  erzählt  einen  ähn- 
lichen Fall ,  welcher  Kranke  sich  nochmals  operiren  lassen  musste.  v.  Gräfe 
räth,  dass  man  den  Operirten  in  den  ersten  24  Stunden  etwas  mit  angezo- 
genen Schenkeln  liegen  lassen  solle  ;  hernach  ganz  gerade  und  so  bis  zur 
gänzlichen  Heilung  abwechselnd.  Ch.  J,  D.   Wiedow. 

Catacauiiiai 9  tiefe  Verbrennung,  s.  Combustio. 

Cataclasi.'ii*  Ist  Zerschmetterung  eines  Knochens;  auch 
versteht  man  darunter  die  krampfhafte  Verschliessung  der  Augenlider,  s. 
Blepharospasmus. 

Cataclisia,  das  Lager  eines  Kranken,  einer  Kreisenden,  das  zweck'- 
raässig  eingerichtete  Geburtslager,  s.  Partus  normalis. 

Cataclysma',  das  Klystier,  s.  Clysma. 

CatacIyiiimuSj  Emhrocatio,  das  Tropfbad,  s.  Balneum. 

Catag'Uia $  der  Knochenbruch ,  s.  Fractura  ossiura. 

*  Catalepsis«  Catoche  (Catochus),  Congclatio,  Prehensio,  JppreJien- 
sio,  Stupor  vigiUms,  Morbus  attonütis ,  Contemplatio ,  die  Katalepsie, 
Starrsucht.  Ist  ein  periodisch  eintretendes  Nervenübel,  wo  während  des 
Insults  der  Kranke  diejenige  Stellung  und  Lage  beibehält,  welche  er  im 
Augenblicke  des  Anfalls  angenommen  hatte,  ohne  sie  durch  willkürliche  Be- 
wegungen verändern  zu  können,  und  deren  pathognomonisches  Kennzeichen 
die  sogenannte  wachsartige  Biegsamkeit  der  Glieder  (Flexibilitas  cerea)  ist, 
indem  sich  diese  durch  äussere  Gewalt  beugen  und  strecken  lassen ,  und  in 
der  gegebenen  Richtung  bis  zu  Ende  des  Anfalls  verharren.  Die  Katalepsie 
ist  eine  ziemlich  seltene  Krankheit ,  die  Tissot  niemals ,  und  viele  berühmte 
Arzte,  z.B.  v.  Vogel,  in  einer  langen  und  häufigen  Praxis  verhältnissmässig 
selten  sahen.  Es  giebt  jedoch  mehrere,  der  hier  besprochenen  KrankÜeit 
«hnliche,  krampfhafte  Zustände,  die  das  eben  erwähnte  charakteristische 
Merkmal,  die  wächserne  Biegsamkeit  der  Glieder,  nicht  zeigen,  und  deshalb 
den  Namen  Katalepsie  nicht  verdienen,    obgleich  sie  oft  damit   belegt  wer- 


348  CiTALEPSIS  \ 

den.  Zn  (llesen  nicht  kataleptischen  Zuständen  gehören  z.  B,  die  Ecstasw, 
ferner  eine  dem  Starrkrampf  näher  verwandte,  und  deshalb  nii;ht  hierher 
gehörige  Krankheit,  der  Catochus,  bei  welchem  zwar  die  Glieder  die  ge- 
gebene Stellung  einige  Augenblicke  annehmen,  dann  aber  wieder  zu  der 
früheren  zurückkehren.  Verf.  dieses  sah  die  wahre  Katalepsie  nur  einmal, 
und  zwar  vor  etwa  10 — 12  Jahren  bei  einer  hysterischen  Person,  bei  der 
sie  mit  den  gewöhnlichen  Krampfzufällen  einige  Zeit  hindurch  wecliselte. 
Später  sind  ihm  zwar  ähnliche,  jedoch  keine  wahre  Fälle  dieser  Art  vorge- 
kommen. Symptome.  Zuweilen  gehen  dem  Paroxysmus  Zufälle  vorher, 
die  jedoch  dieser  Krankheit  nicht  ausschliesslich  zukommen,  als  Sciiwindel, 
allgemein  gereizter  Zustand ,  oder  ^frägheit  and  Schwere ,  schmerzhaftes 
Gefühl  in  einzelnen  Gliedern ,  besonders  ziehende  Schmerzen  im  Nacken  und 
in  der  Magengegend,  in  einzelnen  Fällen  eine  Art  Aura  epileptica,  die  vom 
Unterleibe  auszugehen  scheint.  Zuweilen  geht  eine  Abnormität  in  der  psy- 
chischen Thätigkeit  den  Anfällen  vorher,  z.  B.  Irrereden,  Wahnsinn,  Me- 
lancholie etc.,  in  andern  Fällen  sind  andere  Nervenkrankheiten  die  Vorbo- 
ten, als  Veitstanz,  Somnambulismus,  Epilepsie,  Tetanus,  Hysterie,  Unruhe 
in  den  Gliedern,  die  zu  beständiger  Bewegung  derselben,  zum  unaufhörli- 
chen Umhergehen  etc.  auffordert.  Beim  Anfalle  selbst  zeigt  .sich  besonders 
die  schon  erwähnte  wächserne  Biegsamkeit  der  Glieder.  War  der  Kranke 
im  Gehen  begriffen,  so  bleibt  er  stehen,  war  er  im  Begriffe  ein  Licht  an- 
zuzünden, zu  trinken  etc.,  so  bleibt  er  in  der  angenommenen  Stellung  bis 
zu  Ende  des  Anfalls ;  dabei  behält  er  leichte  Gegenstände  in  den  Händen, 
schwere,  die  er  gerade  in  den  Händen  hielt,  lässt  er  fallen.  Das  Bewusst- 
seyn  ist  aufgehoben,  und  wenn  es  nach  beendigtem  Paroxysmus  nicht  nach 
und  nach ,  sondern  schnell  wiederkehrt  (meist  is.t  letzteres  der  Fall ;  s.  E  p  i  - 
lepsia,  Aphor.  I,  2.  M.),  so  fahren  die  Kranken  in  ihren  Reden,  selbst 
mit  abgebrochenen  Sylben ,  da  fort,  wo  sie  stehen  geblieben  sind.  Die  Em- 
pfindlichkeit gegen  äussere  Einwirkungen ,  selbst  gegen  die  stärksten  Reize, 
ist  aufgehoben;  die  Pupille  zeigt  durchaus  keine  Beweglichkeit,  wenn  auch 
die  grösste  Finsterniss  und  das  hellste  Sonnenlicht  abwechselnd  auf  sie  ein- 
wirken ;  die  Respiration  und  der  Blutumlauf  dauern  mit  geringer  oder  ga» 
keiner  Abweichung  vom  Normalzustande  fort  (meist  beobachtete  ich  eine 
schwache,  langsamere  Respiration,  blasses  Gesicht  und  einen  kleinen  sehr 
langsamen  Puls ,  iVl.) ,  und  die  Temperatur  des  Körpers  ist  nur  bei  längerer 
Dauer  des  Anfalls  vermindert.  Schlucken  und  Sprechen  sind  gänzlich  ver- 
hindert, die  Kinnladen  fest  geschlossen.  —  So  pflegt  sich  die  Krankheit 
gewöhnlich  darzustellen,  jedoch  giebt  es  mancherlei  Abweichungen  von  der 
hier  dargestellten  Form.  Der  Puls  ist  zuweilen  hart  und  gespannt  oder  ge- 
gentheils  schwach  und  langsam ;  das  Gesicht ,  anfangs  stets  roth  und  heiss, 
während  die  Glieder  kalt  sind,  erscheint  später  bei  Einigen  blass,  geschwol- 
len ,  und  drückt  bei  Anderen  ungewöhnliche  Heiterkeit  aus ;  die  Empfind- 
lichkeit des  Körpers  ist  manchmal  nicht  völlig  aufgehoben ,  sondern  währt 
noch  theil weise  z.B.  in  den  Fingerspitzen,  in  den  Zehen,  in  der  Herzgrube 
fort  oder  befindet  sich  hier  in  einer  Art  von  Exaltation,  so  dass  sie,  dem 
Vorgeben  mancher  Kranken  zufolge,  die  Sinnesthätigkeiten  ersetzt.  Auch 
letztere,  sowie  die  Geistesfunctionen ,  sind  zuweilen  nur  auf  unvollkommne- 
ren  Gebrauch  beschränkt.  —  Der  einzelne  Krankheitsfall  kehrt  zuweilen 
nach  regelmässigem  Typus  zurück;  gewöhnlich  erscheint  er  aber  bald  häu- 
figer, selbst  zu  8  — 10 Malen  des  Tages,  bald  seltener  nach  Zwischenräu- 
men von  Tagen  oder  Wochen.  Die  Dauer  desselben  beträgt  gewöhnlich 
nur  wenige  Minuten,  selten  mehr  als  '/,  Stunde,  doch  sind  auch  Fälle  von 
längerer  Dauer,  von  mehreren  Stunden,  selbst  eines  Tages  imd  mehr  beob- 
achtet worden.  Bei  der  von  mir  beobachteten  Kranken  endete  der  Anfall 
allemal  mit  einer  langen  Exspiration ,  wobei  die  zum  Nähen  aufgehobene 
Hand,  der  aufgerichtete  Kopf,  schnell  niedersanken  und  worauf  die  sich 
nunmehr  bewusste  Kranke  über  grosses,  allgemeines  Übelbeftnden  klagte; 
jedoch  keine  erheblichen  Krankheitserscheinungen  weiter  darbot.  In  anderen 
Fälleji   endet  der  Paroxysmus   mit  Seufzen,   Gähnen,  Recken  der  Glieder, 


CATALEPSIS  34d 

Kricbeln  und  Stechen  in  diesen ,  wie  nach  dem  sogenannten  Binsclilafen  der- 
selben, init  Redseligkeit,  Kollern  im  Leibe,  Knacken  in  den  Gliedern,  Er- 
brechen etc.,  und  lunterlässt  entweder  gar  keine  Unbequemlichkeiten,  oder 
nur  geringe,  wie  Schläfrigkeit,  Stumpfsinn,  Reizbarkeit,  Aufstossen,  Schweiss., 
worauf  die  Functionen  zur  Norm  zurückkehren.  Über  das  Wesen  dieser 
seltenen  (?3f.)  Krankheit  sind  mancherlei  Meinungen  aufgestellt  worden. 
Man  hielt  den  Kataleptischen  für  ganz  unbeseelt ,  man  identificirte  das  Übel 
mit  der  Ekstase,  mit  welcher  es  allerdings,  sowie  mit  Hysterie,  Epilepsie 
häufig  complicirt  vorkommt,  von  denen  es  sich  aber  durch  die  wächserne 
Biegsamkeit,  die  in  schweren  kataleptischen  Anfällen  zuweilen  das  ein:dge 
diagnostische  Zeichen  zwischen  dem  Übel  und  dem  wirklichen  Tode  ist,  un- 
terscheidet. Andere  suchten  den  Grund  des  Übels  in  Krampf  und  Compres- 
sion  der  Nervenursprünge  durch  überfüllte  Blutgefässe  etc.  (^Boerliaave, 
Sauvages,  Tissot,  ZacMas,  Fricdr.  Hoff'mann ,  AcJicrmann,  Wnlthcr).  Die 
Meinung  von  Uarlcss,  nach  welcher  Überströmung  eines  galvanischen  Flui- 
dums  aus  dem  Gehirn  in  die  Nerven  stattfinden  soll ,  ist  wol  am  meisten 
eur  Erklärung  der  hervorstechenden  Symptome  des  Übels  geeignet,  und 
wenn  ich ,  um  mich  der  Lösung  dieses  schwierigen  Gegenstandes  nicht  gänz- 
lich zu  entziehen,  meine  Meinung  hierüber  aussprechen  darf,  so  möchte  ich 
das  Wesen  der  Katalepsie  in  einer  plötzlichen ,  durch  übergrosse  Leitbarkeit 
(Nervenempfindlichkeit)  des  Nervenprincips  veranlassten  Umkehrung  des 
zwischen  Gehirn ,  Nerv  und  Muskel  obwaltenden ,  durch  die  organisch« 
Qualität  dieser  Organe  und  durch  die  Natur  jenes  Princips  selbst  bedingten 
Polaritätsverhältnisses  suchen,  durch  welche  der  hinsichtlich  seiner  Poteoa 
positive,  im  Zustande  relativer  Passivität,  leicht  erregbarer  innerer  Beweg- 
lichkeit sich  befindende  Pol  des  Gefühlsnerven  in  den  activen  und  durch 
äussere  Einwirkung  zu  anderer  innerer  Activität  beweglichen,  hinsichtlich 
geiner  Potenz  negativen  Pol  des  Gangliennerven  umgeändert  und  umgekehrt 
worden  ist;  das  Gehirn  aber  ist  dabei  in  seiner  normalen,  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grade  ausgeführten,  zwischen  seinen  absolutesten  Polen  und  Nerven 
stattfindenden  Wechselwirkung  (Gedanke,  Bewusstseyn)  unterbrochen  und 
gänzlich  gestöi-t  worden.  Durch  diese,  hier  nicht  weiter  auseinanderzu- 
setzende, auf  ähnliche  Art,  jedoch  oft  mit  Einseitigkeit  zur  Erklärung  der 
letzten  Ursachen  physiologischer  und  pathologischer  Erscheinungen  ausge» 
sprochene  Annahme  glaube  ich  berechtigt  zu  seyn :  diejenigen  Erscheinuiv» 
gen,  welche  wir  mit  dem  Namen  Licht,  Wärme  (die  thierische  nicht  aus- 
genommen) ,  Galvanismus  etc.  belegen ,  als  modificirte  Zustände  desselben 
Princips  zu  betrachten,  da  sie  sich,  wie  mich  dünkt,  auf  eine  ungezwungen« 
Weise  nach  den  bekannten  Gesetzen  der  Natur  erklären  lassen,  und  nur 
die  leichtfertige  Auffindung'  unzähliger  Naturkräfte  die  Ursache  zu  seyn 
scheint,  weshalb  man  die  Umstände,  unter  welchen  eine  allgemein  be- 
kannte wirkt,  genauer  zu  untersuchen  und  auf  gewisse  Gesetze  zu  reduci- 
ren  unterlüsst.  Betrachtet  man  das  Wesen  der  Katalepsie  auf  die  ange- 
,  führte  Weise ,  so  scheint  der  Ausspruch  früherer  Naturphilosophen ,  nach 
welchen  bei  dieser  Krankheit  das  Licht  in  der  Bewegung  hervortritt,  so 
mystisch  nicht,  und  jene  eminenten  Fälle,  wo  Kranke  bei  nicht  völlig  un- 
terdrücktem Bewusstseyn  mit  Theilen  des  Körpers ,  z.  B.  mit  der  Magen- 
gegend etc.  zu  sehen,  riechen,  schmecken  versicherten,  denen  glaubwürdige 
Beobachtungen  zum  Grunde  liegen,  scheinen  auf  keine  andere  Weise  befrie- 
digend erklärt  werden  zu  können.  Ursachen  der  Starrsucht.  Prädispo- 
sition zu  dieser  Krankheit  besitzen  zarte  Frauenzimmer,  vorzüglich  hysteri- 
sche oder  solche,  welche  sich  in  der  Periode  der  Pubertätsentwickelung  be- 
finden. Wie  der  Epilepsie ,  so  sind  die  Juden  auch  der  Katalepsie  vorzüg- 
lich ausgesetzt.  Kinder  werden  leichter  als  alte  Leute  ergriffen ,  letztere 
jedoch  nicht  ganz  von  ihr  verschont.  Gelegenheitsursachen  sind  alle  dieje- 
nigen Einflüsse,  welche  eine  übergrosse  Empfindlichkeit  des  Nervensystems 
hervorzubringen  im  Stande  sind,  als:  weichliche  Erziehung,  sitzende  Le- 
bensart, Leidenschaften,  Zorn,  Kummer,  Gram,  unbefriedigte  Sehnsucht, 
übermässige   Geistesanstrengungen ,   Ausschweifungen   der   Phantasie ,    hoiT- 


350  CATALEPSIS 

nungslose  Liebe ,  Onanie  etc. ,  ferner  Kopfverletzungen ,  ünterleibskranfc- 
heiten ,  Nervenkrankheiten.  Endlicii  erscheinen  kataleptische  Anfälle  auch 
zuweilen  im  Verlauf  hitziger  Fieber.  In  einigen  Fällen  sind  Unterdrückung 
rer  Hautausdünstung,  der,  Menstruation  und  sonstiger  Ab-  und  Aussonde- 
dungen,  zurückgetretene  Hautausschläge,  organische  Fehler  der  Ovarien, 
des  Uterus,  Verhärtungen  und  Verknöcherungen  des  Gehirns  und  seiner 
Hüllen  die  veranlassenden  Ursachen.  Prognose.  In  der  Regel  ist  di« 
Krankheit  ohne  Gefahr  und  nur  selten  durch  hinzutretende  Apoplexie  tödt- 
lich.  Jahrelange  Dauer  der  Krankheit  kann  den  Übergang  derselben  in  an- 
dere, somatische  und  psychische  Krankheiten  zur  Folge  haben,  und  die 
Vorhersage  hängt  dann  von  der  nähern  Beschaffenheit  dieser  Krankheitszu- 
btände  ab.  Dasselbe  ist  der  Fall,  wenn  organische  Fehler  zum  Grunde  lie- 
gen. —  Je  mehr  sich  die  Krankheit  von  dem  hier  entworfenen  Bilde  ent- 
fernt und  sich  der  Epilepsie,  dem  Tetanus  etc  nähert,  desto  mehr  richtet 
sich  die  Vorhersage  nach  der  bei  diesen  angegebenen.  Als  blosser  Beglei- 
ter der  Hysterie  oder  zur  Zeit  der  PubertätsentwickeluJig  hat  die  Krank- 
heit,, wie  bereits  gesagt,  geringe  Bedeutung,  so  wie  sie  auch  ausserdem 
häutig  ohne  alle  ärztliche  Hülfe  verschwindet.  (Man  nehme  sie  indessen  ja 
nicht  zu  leicht,  da  sie  häufig  nach  meinen  Erfahrungen  der  Vorbote  einer 
sehr  hartnäckigen  Epilepsie  ist.  3f.).  Cur.  Während  des  Anfalls,  um  die- 
sen abzukürzen,  dienen  krampfstillende  Klystiere  aus  Valeriana,  Fl.  chamo- 
millae,  A^a  foetida,  Senfteige  an  die  Füsse,  bei  anhaltender  Dauer  des 
Anfalls  Vesicatorien,  warme  aromatische  Umschläge  auf  den  Unterleib,  aro- 
matische Fuss-  und  ganze  Bäder,  Elektricität  und  Galvanismus.  Sind  ge- 
fohrdrohende  Congestionen  zugegen,  so  sind,  um  Apoplexie  zu  verhüten, 
allgemeine  und  örtliche  Blutausleerungen  nicht  zu  unterlassen.  Zu  ersterea 
»vird  von  Einigen  die  Jugular  -  und  Frontalvene  oder  die  Temporalarteri« 
Zu  öffnen  empfohlen.  Ist  das  Schlucken  nicht  völlig  verhindert,  so  dienen 
bei  rein  nervösem  Zustande  oder  nachdem  die  Congestionen  beseitigt  worden 
sind,  leicht  erregende  Mittel,  z.B.  kleine  Gaben  Tinct.  valer.  anodyna  mit 
Liq.  c.  c.  succ.  und  Tinct.  castorei.  Infus,  melissae,  valerianae  etc.  Ist 
der  Anfall  vorüber  und  befürchtet  man  die  Wiederkehr  eines  zweiten ,  so 
•wird  dieser  am  besten  durch  ein  kräftiges  Vomitiv  aus  Tart.  emeticus  ver- 
hütet (^Behrenils).  Man  sey  aber  mit  der  Anwendung  dieser  und  ähnlicher 
Arzneien  nicht  zu  geschäftig,  da  sie  oft  keinen  Nutzen,  sondern  nur  Nacb- 
theil  stiften ,  und  der  Anfall  ohne  sie  oft  früher  vorübergeht.  —  Die  besänf- 
tigende Wirkungen,  welche  die  Berührung  der  Kranken  mit  verschiedenen 
Metallen,  Eisen,  Kohle  etc.  zuweilen  gehabt  haben  soll,  wozu  von  Saclise 
besondere  Eisenstäbe,  mit  Handgriffen  versehen,  empfohlen  wurden,  hat 
sich  in  anderen  Fällen  nicht  bestätigt,  und  in  noch  anderen  zeigte  sich  je- 
der kalte ,  gut  wärmeleitende  Körper  eben  so  wirksam.  Anspritzungen  mit 
kaltem  Wasser  scheinen  nach  mehreren  Beobachtungen  dasselbe  zu  leisten. 
Die  Radicalcur  ist  die  der  Nervenkrankheiten  überhaupt  und  muss  zuerst 
auf  die  etwa  zum  Grunde  liegenden  Krankheitszustände  gerichtet  seyiu 
Tritt  das  Übel  in  Folge  der  Hysterie  auf,  sind  Würmer,  Anomalien  der 
Menstruation,  Rheumatismen,  metastatische  Ablagerungen  die  Ursache,  so 
muss  sie  nach  den  bei  diesen  Krankheitszuständen  angegebenen  Kunstregeln 
behandelt  werden.  Wenn  nach  Beseitigung  derselben  die  Starrsucht  den- 
noch fortdauert,  oder  wenn  sie  gleich  anfangs  als  reines  Nervenübel  auf- 
tritt, so  sind  Nersina,  Antispasmodica ,  Antihysterica  angezeigt.  In  einem 
mit  Hysterie  complicirten  Falle  zeigten  sich  mir  folgende  gleichzeitig  ajUge- 
wandte  Zusammensetzungen  heilsam,  indem  von  Nr.  1  zweistündlich  1  E»s- 
löffel  voll ,  von  Nr.  2  einmal  täglich  ein  Pulver  genommen  wurde.  Nr.  1 : 
I^  Asne  fociid.  5jlv  ?  VitcU.  ov.  q.  s. ,  Aq.  valerianae,  —  /?.  chamom.  ana 
gjjj,  solv.  adde  Liq.  c.  c.  succ.  5j »  Si/r.  cinnam.  ^j.  M.  Nr.  2:  I^  Flor, 
zinci  gr.  xv,  Castor.  sih.  5lv ,  Piilu.  rnd.  valer.  ^iv,  Ol.  aiiim.  Dipp.  gtt.  x. 
M.  f.  pulv.  divido  in  vjjj  p.  aeij.  Ausser  diesen  Mitteln  sind  empfohlen 
worden:  Galbanum,  Moschus,  Cupr.  ammoniacale,  Hyoscyamus,  Belladonna, 
Stramoniura ,  Acid.  hydroc.  veget. ,   Flor,  ziaci ,  Kampher ,   seltener  Opium. 


CATALEPSIS  351 

'  Bie  besonderen  Ihdicalioneh  zu  diesen  Mitteln  giebt  die  Verschiedenheit  der 
Ursachen,  der  Constitution  etc.  näher  an  (s.  Spasmus).  (Eine  drei  Jahre 
dauernde  Katalepsie,  entstanden  durch  Menstruationsbeschwerden  und  Trauer 
bei,  einem  jungen  Mädchen  trotzte  dem  Cupr.  ammon. ,  Ol.  animal.  Dippelii, 
den  Floi-es  zinci  etc.  Wegen  Cougestion  zuiti  Kopfe  wurden  kleine  Dosen 
Tart.  emet.  mit  Terschiedewen  Laxanzen :  Extr.  aloes ,  Sal  Glauben ,  anhal- 
tend gebraucht  und  dadurch  radicale  Hülfe  verschafft  ^s.  Dürr  in  HufelantTg 
Journal,  1828,  März,  S.  S9  — 80).  Überhaupt  leisten  alle  auf  den  Darm- 
canal  wirkende,  Cougestion  ableitende,  das  Gangliensystem  irritirende  Mit- 
tel nach  meinen  Erfahrungen  bei  der  Starrsucht  um  so  mehr  herrlichd 
Dienste,  je  mehr  sie  mit  Obstructio  alvi  verbunden  ist.  (Most).  Löbciistein" 
Löhel  (s.  Ricliter's  Spec.  Therap.)  rühmt  folgende  Mischung:  ^  Phosphori 
gr.  IV,  Nnphih.  vitr.  5tv,  solve,  tidde  OU  menthac,  —  valerian.,  —  cnjeputi 
ana  ^j.  M. ,  wovon  höchstens  2  Tropfen  auf  Zucker  und  abwechselnd  da- 
zwischen Moschus  gereicht  werden.  Eine  Hauptrücksicht  verdient  auch 
hier,  wie  bei  allen  Nervenkrankheiten,  eine  gehörige  Lebensweise.  Mas- 
sige, tägliche  Bewegung  im  Freien,  leicht  verdauliche,  nahrhafte  Diät,  sorg- 
fältige Vermeidung  des  schnellen  Temperaturwechsels,  aller  Gemüthsaffecte, 
überhaupt  strenge  geistige  und  körperliche  Enthaltsamkeit  sind  unerlässliche 
Bedingungen.  Ferner  sind  zur  Umänderung  der  krankhaften  Diathese  die 
Bäder  und  Brunnen  zu  Pyrmont  und  laue  alkalische  Seifen-,  auch  Seebäder 
8«hr  wirksame  Mittel.  Das  Driburger  Wasser  soll  sich  mehrmals  nützlich 
bewiesen  haben.  Zuweilen  sah  man  die  Krankheit  als  verlarvtes  Wechsel 
fieber  auftreten.  Auf  den  Darmcanal  ableitende  Mittel  leisteten  in  diesem 
Falle,  sowie  überhaupt  wenn  das  Übel  rein  nervös  ist,  gar  nichts,  sondern 
ein  so  behandelter  Fall  wurde  tödtlich.  Starbe  Gaben  Chinin  führten  Ge- 
Mesung  henbei.  —  Ein  interessanter  Fall,  wo  bei  einer  angeblich  Katalepti* 
sehen  der  Magnetismus  auffallende  Wirkungen  hervorbrachte,  der  aber  dem 
Anschein  nach  keine  reine  Katalepsie  war,  wurde  1832  in  Bologna  von 
tJnrrini  Visconti  und  Mazzaroti  beobachtet  und  beschrieben.  Die  Kranke 
soll  nach  ihrer  Wiedergenesung  ihren  Ärzten  die  Mittel  kennen  gelehrt  ha- 
ben,  vermittels  derer,  bei  den  meisten  Kranken  ähhliche,  kalaleptische  (^-S.) 
Zustände  hervorgebracht  werden  können  (s.  Med.  Zeit,  des  Ausl.  v.  Kalisch^ 
18:33,  Nr.  16).     Als  Arten  der  Starrsucht  nimmt  man  noch  an; 

Catalepsis  hijsterica.  Sie  ist  diejenige  Art  der  Starrsucht,  bei  welcher 
man  die  sogenannte  hysterische  Constitution ,  itäralich  eine  erhöhte  oder  doch 
alienirtc  Nervenempfindlichkeit  hervorstechend  beobachtet;   s.  Hysteria. 

Catalef)sis  t)arrula  seu  locfuax.  Mit  diesem  Namen  hat  man  diejenige 
Art  der  Katalepsie  belegt,  bei  welcher  der  starrsüclitige  Zustand  mit  gros- 
j>er  Geschwätzigkeit ,  Singen ,  Pfeifen ,  Predigen ,  Hersagen  langer  Reime, 
sogar  mit  Herumlaufen  und  Umherspringen  abwechselt  (s.  v.  Bihra  im  Journ. 
von  und  für  Deutschland,  Th.  I.  St.  10,  S.  225,  Th.  II.  St.  4,  S,  331. 
Saumpes  Nosol.  T.  II.  p.  2.  p.  418.  Richter's  Spec.  Therap.,  Art.  Ca- 
talepsis). 

Cntuhpsis  spima.  So  hat  man  wol  den  Zustand  genannt,  welcher  als 
Schlafwachen  nach  der  Anwendung  des  thierischen  Magnetismus  entsteht. 
Andere  nennen  so  die  gemischte  Starrsucht,  wobei  Krämpfe  stattfinden  lukl 
das  Bewusstseyn  nicht  ganz  erloschen  ist.  Joh.  Schröder. 

Nachschrift  des  Herausgebers.  Die  Katalepsie  ist  eine  so  in- 
teressante Krankheit,  dass  ich  der  vorstehenden  Abhandlung  meines  verehr- 
ten CoUegcn,  des  Hrn.  Dr.  Schröder,  noch  folgende  Bemerkungen  anhänge. 
i)  Die  oben  aufgestellte  Theorie  über  das  Wesen  des  Übels  ist  allerdings 
sehr  scharfsinnig  zu  nennen,  sie  hat  aber  den  Fehler,  dass  sie  zu  allgemein 
hingestellt  worden  ist  und  demnach  auf  mehrere  Nervenübel  passt.  Selbst 
die  Erscheinungen  des  Mesmerismus  lassen  sich  dadurch  erklären.  Allerdings 
hat  dieser  grosse  Ähnlichkeit  mit  der  Starrsucht  und  verdient  deshalb  Ca- 
talepsis spuria  genannt  zu  werden;  sowie  ich  auch  überzeugt  bin,  dass  wir 
das  Wesen  des  thierischen  Magnetismus  leichter  erklären  könnten,  wäre 
utjs  <Jas  Wesen  der  Katalepsie  näher  bekannt»    Folgende  Beobachtung  mag 


352  qiTALEPSIS 

bder  dnen  Platz  finden,  um  zu  beweisen,  wie  leicht  eino  kataleptiächo  Pc*^ 
80U  soinnambul  werden  kann.  Ein  junges  sensibles,  schwächliches  B^rauen^ 
zimmer  von  24  Jahren  litt  seit  ihrem  achten  Jahre  an  Katalepsie,  welche  u% 
der  Regel  zur  Zeit  des  Mondwechsels  am  häufigsten  war.  Die  Anfalle  ka- 
men alsdann  des  Tages  wol  20 — SOmal ,  dauerten  höchstens  V4 — %  Minute 
und  wurden  daher  in  den  ersten  Jahren  von  den  Angehörigen  fast  gans 
übersehen.  Erst  später,  als  sich  im  sechzehnten  Jahre  die  wahre  Epilepsia 
bei  der  Kranken  ausbildete,  bemerkte  ich  die  Complication  mit  der  Kata- 
lepsie, und  erst  durch  mein  Nachfragen  wurden  auf  letztere  die  Angehörigen 
aufmerksam  gemacht.  Da  zwischen  den  epileptischen  und  kataleptischen  An- 
fällen ein  Wechselverhältniss  stattfand,  so  dass  erstere  seltener  erschienen, 
sowie  letztere  häufiger  waren,  und  umgekehrt,  so  brachte  ich  es  durch 
meine  Kunsthülfe  dahin ,  dass  die  Epilepsie  zuletzt  ganz  wegblieb ,  die  Ka- 
talepsie dagegen  öfter  erschien  und  die  Dauer  des  einzelnen  Anfalls  wol 
1  —  2  MLiuten  betrug.  Da  ich  häufig  während  der  letztern  zugegen  war, 
80  bemerkte  ich,  dass,  wenn  ich  zufallig  im  Paroxysmo  den  Puls  unter- 
suchte, der  Anfall,  der  sonst  jedesmal  plötzlich  wie  mit  einem  elektrischea 
Schlage  aufhörte,  nun  mit  Schlaf  endete.  Ich  dachte  an  magnetische  Ein- 
wirkung, legte  daher  meine  Hand  in  die  Herzgrube  der  Patientin ,  verweilt« 
hier  ein  paar  Minuten  und  fand  mit  grossem  Erstaunen,  dass  die  Kranke 
völlig  somnambul  war,  dass  ich  mich  mit  ihr  unterhalten  und  sie  mir  mit 
verschlossenen  Augen  Dinge  (Schlüssel,  Bücher,  Bilder  etc.),  die  ich  ia 
meiner  Tasche  hatte,  ohne  dass  sie  diese  vorher  gesehen  oder  nur  im  ge- 
ringsten davon  gewusst,  sobald  ich  diese  Dinge  mit  meiner  andern  in  der 
Tasche  befindlichen  Hand  berührte ,  aufs  genaueste  nennen  konnte.  An  Be- 
trug war  hier  gar  nicht  zu  denken ,  indem  ich  sehr  vorsichtig  war ;  auch 
hatte  sie  in  ihrem  Leben  nie  etwas  vom  thierischen  Magnetismus  gehört 
oder  gelesen.  Ein  einfacher  Strich  mit  der  Hand ,  von  der  Herzgrube  nach 
dem  Kopfe  zu,  erweckte  sie  plötzlich  aus  ihrem  Schlafzustande.  Diesea 
Versuch  habe  ich  gewiss  über  hundertmal  mit  dieser  Kranken  gemacht ,  und 
er  ist  mir  jedesmal  gelungen.  Ich  hatte  keine  Lust,  dieselbe  in  höher« 
magnetische  Zustände  zu  bringen;  es  war  mir  genug,  den  kataleptischen 
Anfall  dadurch  abzukürzen.  Die  Kranke,  die  sich  jetzt  ziemlich  wohl  be- 
findet, weiss  es  durchaus  nicht,  dass  ich  jemals  mit  ihr  im  magnetischen 
Rapport  gestanden  habe.  2)  Die  Starrsucht  ist  keine  so  seltene  Krankheit, 
wie  man  gewöhnlich  annimmt.  Der  Grund  dieser  Annahme  beruhet  darauf^ 
dass  man  selten  von  ihr  hört,  weil  der  Kranke  sie  Jahre  lang  haben  kann, 
ohne  davon  zu  wissen,  und  sie  selbst  fremder  Wahrnehmung  häufig  entgeht, 
indem  der  Anfall  so  kurze  Zeit  dauert  und  es  oft  nur  scheint ,  als  wenn  der 
Kranke  in  tiefen  Gedanken  sässe.  S)  Höchst  selten  ist  das  Übel  idiopa- 
tlüsch,  meist  nur  Symptom  eines  eingewurzelten  Fehlers  des  Gehirns,  des 
Rückenmarks  etc. ,  oft  allein  ein  Leiden  des  grossen  sympathischen  Nerven 
(^Qeorget),  sowie  denn  auch  Onanislen  leicht  kataleptisch  werden.  Ich  habe 
die  Starrsucht  nie  rein ,  stets  als  Complication  der  Epilep.^e  beobachtet  (s. 
Epilepsia).  4)  Eine  Abart  der  Starrsucht  ist  die,  welche  man  Catochus 
nennt.  Hier  verharrt  der  Kranke  zwar  in  derjenigen  Stellung ,  in  welcher 
ihn  der  Anfall  betrifft,  aber  es  fehlt  die  Flexibilitas  cerea.  Häufig  ist  die 
Epilepsie  mit  dieser  Art  der  Katalepsie  verbunden.  5)  Die  Prognose  der 
Starrsucht  ist  nicht  so  günstig ,  als  man  wol  angenommen  hat ,  da  sie  in 
den  meisten  Fällen  nur  Symptom  eines  tiefer  liegenden  Übels  ist.  ,  6)  Man 
kann,  vsie  bei  der  Epilepsie,  eine  Catalepsis  perfecta  und  imperfecta  anneh- 
men; bei  letzterer  (wohin  auch  die  Cat.  garrula  gehören  mag,  wenn  sie 
keine  Complication  mit  Chorea  ist)  ist  das  ßewusstseyn  und  die  Empfind- 
lichkeit der  Sinnesorgane  nicht  ganz  unterdrückt.  7)  In  seltenen  Fällen 
hat  man  auch  eine  partielle  Starrsucht  beobachtet ,  die  nur  einzelne  Glied- 
massen oder  die  eine  Körperhälfte  befällt  (van  Swieten,  de  la  Metherie,  We- 
üci-).  8)  Folgen  auf  Katalepsie  paralytische  Zufälle,  die  bald  nur  transito- 
risch,  bald  anhaltend  sind,  z.  B.  Schwerhörigkeit,  Mangel  an  Geruch,  Schwä- 
che der  Augen,   Schielen  etc.,   so  ist  das  Übel  fast  immer,  unheilbar  (M.). 


CATALOTICA  —  CATAPI^SMA  353 

Aiie  Mktel,  welche  in  der  Epilepsie  bis  jetzt  noch  das  Meiste  geleistet  ha- 
ben ,  sind  auch  die  besten  Anticataleptica«  9)  Ein  höchst  wirksames  Mittel, 
-den  Kataleptischen  die  im  Anfalle  oft  stattfindenden  innern  und  äussern 
Krämpfe  zu  mindern,  den  Anfall  selbst  abzukürzen  und  so  endlich  radical 
zu  heilen,  ist  das  Berühren  und  Bestreichen  des  Halses,  der  Glieder,  der 
Herzgrube  mit  metallischem  Eisen  (Vergl.  Pfaff' n.  Weber  '\a  MecTtcVs  Archiv 
für  Physiologie,  Bd.  III.  Hft.  2.  S.  165.  Sachse  in  Honis  Archiv  1829. 
März  u.  April  S.  249  —  273).  Besonders  merkwürdig  ist  die  Beobachtung 
des  Hrn.  Med.-Raths  Sachse,  betreffend  ein  kataleptisches  junges  Frauen- 
zimmer, welches  durch  das  Bestreichen  mit  metallischem  Eisen  im  Sommer 
1828  unter  dem  günstigsten  Erfolge  in  Dobberan  behandelt  wurde,  und 
worauf  oft  Schlaf  folgte.  Versuche  mit  Gold  und  Silber  waren  nicht  »o 
kräftig.  Am  kräftigsten  möchte  hier  wol  der  künstliche  Magnet  wirken, 
^  Catalotica  (remedia'),  zermalmende  Mittel.  So  nannten  ältere 
Arzte  diejenigen  Mittel,  welche  zur  Zerstörung,  zur  Vernichtung,  zur  Ver- 
besserung alter,  schlechter,  entstellender,  dicker  Narben  dienen,  z.  B.  Lap. 
causticus,  —  infernalis,  Adstringentia,  Bleimittel,  Unguent.  praecipit.  alb. — 
Nach  Sundelin  und  andern  Neuern  soll  der  Chlorkalk  bei  Wunden  und  Ge- 
schwüren, als  Verbandmittel  angewendet,  eine  gute  Narbenbildung  bewirken. 

Catapbora,  der  tiefe  Schlaf.  Einige  verstehen  darunter  den 
niedern,  Andere  den  höhern  Grad  des  Carus.  Schindler  nennt  so  die  idio- 
pathische chronische  Schlafsucht;  s.  Carus. 

Cataphora  magnetica ,  der  magnetische  Schlaf,  8.  Magnetismus  ani- 
malis  und  Somnambulismus. 

Cataplasma,  der  Breiumschlag.  Er  hat  die  Consistenz  eines 
weichen  Pflasters  und  wird  gewöhnlich  bei  äusserlichen  Schäden :  Absces- 
sen  etc.  gebraucht,  entweder  um  zu  erweichen,  oder  um  zu  reizen,  oder 
um  Schmerzen  zu  lindern  ( Cataplasmata  emollientia,  irritantia,  anodyna), 
indem  er  warm  auf  den  leidenden  Theil  gelegt  wird.  Ein  Catapl.  emoUiens 
besteht  aus  Spec.  emoUient. ,  mit  Hafergrütze,  Wasser  und  Milch  gekocht^' 
zu  einem  Catapl.  irritans  nimmt  man  Zwiebeln,  Sauerteig,  Senf,  Leinsa- 
men etc. ;  ein  schmerzlinderndes  Cataplasma  besteht  aus  Herb,  cicutae,  bel- 
ladonnae,  hyoscyami,  mit  Hafergrütze,  Brotkrumen  und  Milch  bereitet. 
In  den  meisten  Fällen  ists  am  besten ,  wenn  man  die  Breiumschläge  nicht 
unmittelbar  auf  den  leidenden  TheU  legt,  sondern  sie  vorher  von  allen  Sei- 
ten mit  Leinwand  umgiebt.  Sie  dürfen  nur  so  heiss  applicirt  werden,  dass 
der  Gesunde  keinen  brennenden  Schmerz  empfindet,  wenn  sie  an  das  ge- 
schlossene Auge  gehalten  werden.  Ihr  Umfang  muss  stets  so  gross  seyn, 
dass  sie  ausser  dem  leidenden  Theile,  der  Eitergeschwulst  etc.  auch  noch 
die  nächsten  gesunden  Theile  bedecken;  auch  darf  die  Consistenz  derselben 
weder  zu  fest,  noch  zu  flüssig  seyn.  Man  kann  in  der  Regel  den  erkalte- 
ten Umschlag  mehreremal  durch  neue  Erwärmung  anwenden.  Für  specielle 
Fälle  wenden  wir  an:  1)  Cataplasma  aceti.  Gekochte  Kartoffeln  oder  Brot- 
krumen ,  mit  hinreichendem  Essig  versetzt ,  finden  kalt  ihre  Anwendung  bei 
Gelenkquetschungen,  warm  bei  Sugillationen,  Wasserergiessungen  etc.  Ge- 
gen nervös- congestive  Cephalalgie  rühmt  man  einen  Umschlag  aus  Brotkru- 
men, Wacholderbeeren  und  Essig,  auf  Stirn  und  Schläfe  gelegt.  2)  Cata- 
plasma Acetosae.  Es  wird  aus  den  frischen  zerstampften  Blättern  der  Ru- 
mex -Arten,  von  Rumex  Acetosa  und  Acetosella  bereitet;  Anwendung,  wie 
bei  Nr.  1.  3)  Cataplasma  acre.  Der  scharfe  Breiumschlag  nützt  zur  Zer- 
theilung  oder  Zeitigung  träger,  torpider  Abscesse,  Absc.  lymphat. ,  Bubo 
inguinal,  chronic,  Bubo  axillaris,  z.  B.  die  Kerndl'schen  Umschläge  (s.  Ab- 
scessus).  Bei  schmerzhaften,  heftig  entzündeten  Drüsen  passen  sie  nicht. 
Warmer  Umschläge,  mit  Senf,  Zwiebeln,  Ingwer,  Pfeffer  etc.  geschärft,  be- 
dient man  sich  oft  auch  als  revulsorisches ,  derivatorisches  Mittel,  wie  die 
Epispastica ,  um  von  innern  Theilen  abzuleiten.  4)  Cataplasma  adslringens, 
C.  tonicum,  s.  rolorans.  Besteht  aus  Pulv.  cort.  quercus,  Salicis,^  chinae, 
rad.  bistortae,  Tormentillae ,  herb,  Trifolii,  flor.  Rosar.  rubrar. ,  mit  Wein, 
Wasser,  Essig  übergössen,  zuweilen  auch  mit  Zusatz  von  Alaun,  Sacch. 
Most  Encjklopädie.  2te  Aufl.  I.  23 


354  CATAPLEXI3 

satiumi.  Anwendung:  Bei  Krankheiten  aus  örtlicher  Schwäche  und  Laxi- 
tät,  bei  Schlaffheit  der  Grelenkbänder ,  Varicositäten,  atonischen  Blutungen, 
Gangrän  etc.  5)  Cntaplasma  aereum  s.  ncidi  carhonici.  Es  wird  dieser 
Umschlag  aus  gährenden ,  Kohlensäure  entwickelnden  Substanzen  bereitet. 
Man  nimmt  Weizenmehl  und  Bieroberhefe  zu  gleichen  Theilen,  setzt  die 
Masse  einer  Temperatur  von  18  —  20^  R.  aus,  und  wendet  den  Umschläge 
nachdem  die  Gährung  eingetreten ,  an.  Man  kann  auch  Mehl  und  Weiiv* 
hefe ,  in  Gährung  gesetzten  Karottenbrei  nehmen.  Ihr  Nutzen  bei  set^ 
schmerzhaften  carciiiomatösen,  bei  fauligen,  unreinen,  brandigen  Geschwü- 
ren, ist  bekannt.  6)  Cntaplasma  aluminis.  Es  wird  Firniss  mit  einem 
Stücke  Alaun  so  lange  geschlagen,  bis  ein  Gelee  daraus  entsteht.  Man 
■wendet  diesen  Umschlag  bei  gewissen  Augenentzündungen,  bei  Frostbeulen, 
bei  Varices  etc.  an.  7)  Cntaplasma  carbonis.  Gepulverte  Holzkohle  mit 
einem  Zusatz  von  Leinsamen  mehl  wird  mit  irgend  einer  Flüssigkeit  zur  Brei~ 
consistenz  zusammengemischt,  und  gegen  Gangrän,  unreine  faulige  Ge- 
6ch\vüre,  Carcinora,  gegen  Flechten,  Kopfgrind  etc.  mit  Nutzen  angewandt. 
8)  Caiaplnsma  cictitne.  Das  frische  Kraut  von  Cicuta  virosa,  Conium  ma- 
culatum  wird  gequetscht  oder  mit  Wasser  und  Leinsamenmehl  zu  Brei  ge- 
kocht und  gegen  hartnäckige  schmerzhafte  Hautausschläge,  bei  krebshaften 
und  scrophulösen  Geschv\üren  angewandt.  9)  Cntnplnsma  dnuci.  Die  ge- 
schabten Wurzeln  von  Daucus  Carota  werden  in  einem  Tiegel  gelind  ge- 
braten und  über  den  leidenden  Theil  gelegt.  Es  nützt  dieser  Umschlag  bei 
kxebshaften,  fauligen  Geschwüren,  besonders  schön  bekommt  er  bei  offenem 
Brustkrebs  zur  Linderung  der  Schmerzen.  •  10)  Cntaplasma  digitalis.  Ein 
Infus,  oder  Decoct.  herbae  digitalis  wird  mit  Spec.  ad  Cataplasmata  zum 
Breie  gemacht  und  in  Fällen,  wie  bei  Catapl.  cicutae  angewandt.  11)  Ca~ 
taplasma  emolUeiis.  Die  Spec.  eraoUient.  Ph.  Boruss.  rührt  man  mit  kochen- 
dem Wasser  zu  einem  Brei  an,  oder  man  nimmt  Brot,  Semmel,  Hafergrütze, 
in  Milch  gekocht.  Für  Arme  kann  man  den  in  Milch  gekochten  Kartoffel- 
brei nehmen,  der,  nach  Pitschaft,  eben  so  wirksam  zur  Zeitigung  der  Ab- 
scesse,  zur  Linderung  localer  Schmerzen  etc.  ist.  Soll  das  Catapl.  emoUiens 
recht  wirksam  seyn,  das  heisst  länger,  als  andere  Substanzen  die  Wärme 
anhalten ,  so  ist  dazu  der  Reisbrei  am  besten ,  weil  dieser  nur  sehr  langsam 
erkaltet  (Most).  12)  Catnplasma  fermenti  panis.  Der  Sauerteig  wird ,  wie 
das  Cataplasma  aceti,  cuigewandt,  dem  er  in  der  Wirkung  ähnlich  ist. 
13)  Cataplasma  muriatis  sodne.  Man  nimmt  gleiche  Theile  Pulv.  sem.  lini 
iHid  Mic.  panis,  und  kocht  sie  in  einer  starken  Kochsalzauflösung  zum  Brei.> 
Wird  gegen  scrophulöse  Geschwüre  und  Drüsenverhärtungen  gerühmt.  Mit 
Zusatz  von  Acetum  squillit.  passt  es  bei  Hydrocele  der  Kinder.  14)  Cata- 
plasma plumbicum,  s.  saturninum.  Wird  aus  Brotkrumen  und  Aqua  Goulardi 
durch  kurzes  Aufsieden  bereitet,  und  passt  in  allen  Fällen ,  wo  die  dauernde 
Einwirkung  des  Bleies  indicirt  ist.  15)  Cataplasma  qtiercits  marinae.  Man 
quetscht  frischen  Seetang,  zumal  Fucus  vesiculosus,  und  wendet  den  Um- 
schlag gegen  Tumor  albus,  kalte  Geschwülste,  scrophulöse  Drüsen  etc.  an. 
In  Ermangelung  der  frischen  Pflanze  kann  man  dafür  einen  Brei  aus  Hafer- 
mehl und  Seewasser  nehmen  (Hnnter).  16)  Cataplasma  sopieiis,  s.  ««rcofi- 
eum.  Wird  aus  frischer  Herba  cicutae,  Belladonnae,  Hyoscyami,  Capit. 
paparer.  bereitet.  Wenig  wirksam  sind  die  Spec.  emollient.  mit  Zusatz  von 
den  Extracten  der  genannten  Narcotica  oder  des  Opiums,  die  man  in  Er- 
mangelung der  frischen  Kräuter  ninunt.  Ihr  Nutzen  bei  schmerzhaften  äus- 
sern Entzündungsgeschwülsten  und  bei  entzündlich  -  krampfhaften  Aifectionen 
innerer  Theile  ist  bekannt.  17)  Cntaplasma  stimiUans,  s.  crcitans.  Hierzu 
nimmt  man  Flor,  charaomillae,  Herba  menthae,  melissae,  Serpylli ,  Roris- 
marini;  mit  Mehl  zum  Breie  gemischt,  und  heisses  Wasser,  Wein,  Essig  zu- 
gesetzt. Es  passen  diese  Umschläge  sowol  bei  örtlichen  als  allgemeinen 
Leiden,    wo  ein  gelinder  Reiz  erforderlich  ist. 

Cataplexis,  Stumpfwerden  der  Zähne  in  Folge  von  Säuren  etc. 
Dagegen  nützen  fy  Sal  tartari  dep.  3j»  Aq.  fontan.  fijjv-  S.  Zum  Ausspülen 
des  Mundes.     S.  auch  Haemodia. 


CATARACTA  355 

*  Cataracta»  Jfifjjochymn,  Suffusio  oculi,  tli^chysisy  Gutin  ojtacay 
der  graue  Staar.  Hierunter  versteht  man  jede  Störung  des  Sehvermö- 
gens, erzeugt  durch  Trübung  des  Linsensystems  (d.  h.  der  Linse,  ihrer 
Kapsel  und  des  Liquor  Morgagni),  welche  entweder  in  einem  Theiie,  oder 
Jn  mehreren  Gebilden  desselben  zugleich  ihren  Sitz  haben  kann.  Symptome 
im  Allgemeinen.  Zu  Anfange  des  sich  ausbildenden  Übels  erscheinen  dem 
Kranken  alle  Gegenstände  in  Nebel  gehüllt,  schmuzig  und  staubig 5  er  sieht 
Kerzentlammen  wie  von  einem  regenbogenartigen  Scheine  umgeben,  obgleich 
hinter  der  Pupille  kaum  eine  Trübung  zu  bemerken  ist.  Bei  der  weitern 
Ausbildung  des  Staars  wird  im  Verhältnisse  zur  Abnahme  des  Gesichts  diese 
bald  grau,  bald  gelblich  gefärbte  Trübung  immer  sichtbarer,  und  am  Rande 
der  Pupille  zeigt  sich  eiu  schwärzlicher  Ring,  der  sogenannte  Schlagschat- 
ten. Begann  der  Staar,  wie  in  den  meisten  Fällen,  im  Mittelpunkte  der 
Linse,  so  erkennt  der  Leidende  die  ihm  gegenüberstehenden  Objecte  nur  zur 
Seite  hin ;  daher  es  denn  auch  kommt ,  dass  dergleichen  Kranke  bei  trübem 
Himmel,  im  Halbdunkel,  in  der  Abenddämmerung,  oder  im  Schatten,  z.  B. 
den  Rücken  gegen  das  Fenster  gekehrt,  während  der  vorgehaltene  Körper 
selbst  vom  Lichte  beleuchtet  und  erhellt  wird,  also  bei  erweiterter  Pupille, 
besser  sehen  können  als  am  hellen  Tage,  wo  die  Pupille  mehr  contrahirt  ist. 
Sobald  aber  die  KrystalUinse  völlig  getrübt  und  der  Staar  ausgebildet  ist, 
sieht  der  Kranke  bei  heller  Erleuchtung  noch  etwas  besser,  als  in  der  Däm- 
merung, indem  das  helle  Licht  immer  noch  einigermassen  durch  die  getrübte 
Linse  bis  zur  Netzhaut  dringt.  Er  kann  somit  Nacht  und  Tag  noch  recht 
gut  unterscheiden,  und  die  Sonne  erscheint  ihm  wie  ein  rother  Fleck,  was 
bei  ausgebildeter  Amaurose  nicht  der  Fall  ist.  Ursachen  im  Allgemeinen 
sind  vorzüglich  das  höhere  Alter,  Mangel  an  Ernährung  (Marasmus),  feine 
und  anhaltend  die  Augen  anstrengende  Arbeiten,  heftige  Anstrengung  der 
Augen  bei  starkem  Lichtreize,  chronische  und  mechanische  Einwirkungen, 
übermässiger  Genuss  geistiger  Getränke,  Congestionen  zum  Kopfe,  nüasma'- 
tische  und  kachektische  Dyskrasien :  Syphilis,  Gicht  etc. ,  Entzündungen  der 
Augen  und  deren  Folgen ,  Exsudationen,  unterdrückte  Blutungen ,  besonders 
Hämorrhoidal  -  und  Menstrualfluss,  chronische  Exantheme.  Öfters  ist  der 
Staar  auch  erblich  oder  angeboren,  wovon  unter  Andern  Wardroj)  u.  Adams 
Fälle  aufgezeichnet  haben;  in  einigen,  namentlich  feuchten,  sumpfigen,  ge- 
birgigen Gegenden  erscheint  er  auch  endemisch  (s.  unten).  Eintheiiung 
des  grauen  Staars.  L  Nach  dem  Theiie  des  Linsensystems,  welcher 
getrübt  erscheint,  giebt  es  folgende  Arten  von  Cataracta:  1)  Cntatncta  len^ 
ticularis  s.  crystnllina,  der  Linsenstaar.  Er  beginnt  im  Mittelpunkte  der 
Linse  mit  einer  gelblich  -  grauen  Farbe ,  die  sich  nach  dem  Rande  au  ver- 
mischt', der  Schlagschatten  ist  ziemlich  brät,  und  die  Lris  expandirt  und 
contrahirt  sich  wie  gewöhnlich.  Dieser  Staar  ist  fast  immer  bedeutend  von 
der  Cornea  entfernt  und  zeigt  niemals  in  der  Trübung  hellweisse  wolkige 
Flocken.  Reine  Linsenstaare  findet  man  am  häufigsten  bei  altern  Personen. 
Sie  sind  von  harter  Beschaffenheit  (Cataracta  dura)  und  geringem  Umfange ; 
daher  diese  Staarkranken  noch  am  besten  sehen.  2)  Cntnrncta  capsularig 
s.  membrnnacca ,  der  Kapselstaar.  Hier  ist  nur  die  Kapsel  getrübt ,  die 
Linse  aber  ganz  durchsichtig.  Dieser  Staar  bildet  sich  selten  von  der  Mitte 
der  Pupille  aus,  sondern  meist  von  der  Peripherie  her,  untf  zwar  in  unbe- 
stimmter Form,  bald  als  weisse  Punkte  oder  Streifen,  bald  als  Flecke.  Er 
ist  immer  sehr  hell  gefärbt,  aber  niemals  gleichmässig  gesättigt,  besteht  nie 
lange  für  sich  allein ,  sondern  geht  gewöhnlich  bald  in  den  Kapsel  -  Linsen- 
staar über,  und  ist  überhaupt  so  selten,  dass  Beer  ihn  unter  9000  Staaren 
nur  einige  Mal,  Mursinna  ihn  unter  SOO  Staaren  nur  dreimal  gesehen  haben 
will.  Von  der  Cataracta  capsularis  giebt  es  drei  Unterarten :  a)  der  vor- 
dere Kapselstaar,  Cat.  capsularis  anterior.  Hier  ist  blos  die  vordere  Kap- 
sel verdunkelt.  Als  Nebenunterart  desselben  kann  man  noch  den  dendriten- 
artigen, bäumchenförniigen  Staar  (Catar.  dendritico  -  arborescens  nach  Rich- 
ter,  s.  dess.  Chinurgie  Bd.  HL  S.  174),  und  den  Aderhautstaar  (Catar. 
chorioidalis)  betrachten;    b)  der  hintere  Kapselstaar,     Catar.  capsularis  po- 

23* 


356  .CATARACTA 

steriori  wenn  blös  die  hintere  Linsenkapsel  verdunkelt  tst;  c)  der  voll- 
kommne  Kapselstaar,  Catar.  capsularis  perfecta,  der  mit  dem  vordem  Kap- 
selstaar  übereinstimmt.  3)  Catar  acta  Morgagniana,  der  Morgagnische  Staar, 
auch  Hydrops  lentis  crystallinae  genannt,  besteht  in  einer  vorzüglich  durch 
chemische  Einflüsse  ( concentrirte  Säuren )  verursachten,  marmorirten  Trü- 
bung des  Liquor  Morgagni.  Er  kommt  selten  vor,  und  meist  ist  die  vor- 
dere Linsenkapsel  und  die  Linse  mit  verdunkelt.  Dieser  Staar  ist  gross, 
und  daher  das  Sehvermögen  fast  gänzlich  aufgehoben.  Er  ist  schwer  von 
der  Cat.  lactea  zu  unterscheiden,  doch  nicht  so  kugelig  als  diese.  Metasta- 
sen des  Weichselzopfs  (Lafontaine)  und  heftige  Ophthalmia  gonorrhoica  sol- 
len ihn  oft  zur  Folge  haben  (Himly),  4)  Cataracta  capsulo ~  lenticularis. 
Beim  Kapsel  -  Linsenstaar  ist  die  Trübung  ungleichmässig,  zum  Theil  kreide- 
weiss,  zum  Theil  perlmutterärtig,  an  einigen' Stellen  heller,  an  andern  dunk* 
1er  gefärbt;  er  liegt  ganz  dicht  und  fest  an  der  Traubenhaut;  daher  der 
RaUm  zwischen  der  Linse  und-  Iris  kaum  bemerkbar ,  der  Schlagschatten 
ganz  unbedeutend  und  die  Lichtempfindung  des  Kranken  sehr  undeutlich  ist. 
Die  Pupille  erscheint  hier  rund  und  die  Iris  fast  unbeweglich.  Bei  dieser 
am  häufigsten  vorkömmenden  Staarart  ist  gewohnlich  nur  die  vordere  Lin- 
senkapsei  verdunkelt,  selten  die  hintere,  wais  indessen  erst  nach  der  Opera- 
.tion  erkannt  wird.  Nach  zufälligen  Erscheinungen  hat  man  noch  folgende 
-Unterarten  des  Kapsel -Linsenstaars  statuirt:  a)  Cat.  capsulo  -  lenticularis 
marmoracea , :  fenestrata ,  stellata,  centralis.  Die  Trübung  hat  hier  das  An- 
sehn, als  bilde  sie  einen  Stern,  ist  in  der  Mitte  am  stärksten,  in  der  Peri- 
pherie unbedeutend,  der  Kranke  sieht  zwar  noch,  nur  erscheint  ihm  in  der 
Mitte  der  Gegenstände  überall  ein  dunkler  Fleck.  Diese  Form  kommt  häu- 
fig bei  jungen  Leuten  vor  und  bleibt  lange  unverändert,  b)  Cat.  capsulo- 
lenticularis  punctata,  djmidiata,  pyramidata,  ist  vorzüglich  arthritischen  Ur- 
sprungs, folgt  fast  immer  auf. heftige  Augenentzündung;  die  Pupille  ist  hier 
^ckig,  die  Iris  unbeweglich ,. die  Farbe  des  Staars  weiss,  glänzend,  kegel- 
förmig, die  Lichtempflndung  ist  dabei  höchst  schwach,  oder  mangelt  gänz- 
lich, c)  Cat.  capsulo  -  lenticularis  cystica.  Sieht  schneeweiss  aus,  liegt  der 
Iris  bald  näher,  bald  entfernter,  je  nachdem  der  Kopf  vorwärts  oder  rück- 
•**ärts  g€bogen  wird.  Manchmal  erscheint  diese  Fonn  als  Zitterstaar  (Cat. 
tcemula)  oder  selbst  schwimmend  (Cat.  natatilis).  Als  Ursache  kann  mau 
heftige  Erschütterungen  .bei  geschwächten  Augen  ansehen,  wo  sich  zuweilen 
die  Linse  mit  der  Kapsel  vom  Glaskörper  losreisst ,  kataraktös  wird  und  in 
dem  Humor  aqueus  der  hintern  Augenkammer  schwimmt.  AUmälig  senkt  sie 
sich  etwas  durch  ihre  Schwere,  die  Pupille  wird  oben  schwarz,  der  Kranke 
sieht  nur  den  obern  Theil  der  Gegenstände.  Zuweilen  senkt  sie  sich  so- 
.weit,  dass.die  Pupille  ganz  frei  wird  und  eine  natürliche  Depression  erfolgt, 
(d)  Cat.  Caps.  ■- lent.i  cum  bursa  ichorem  continente.  Hier  befindet  sich  an 
der  hintern  Kapsel  wand  ein  kleiner,  mit  Eiter  gefüllter  Sack,  den  Adam 
jSchtnidl  zuerst  beobachtet  hat.  Diese  Form  kommt  nur  als  Folge  von  Dys-> 
krasien..M0Vi.  sieht  dünkelcitronengelb  aus  und  ist  sehr  gross  an  Umfangt»; 
Kachektischet  Habitus,  träge.  Iris,  geringe  Wölbung  derselben  und  der  Man- 
gel der  hintern  Augenkammer  dienen  zur  Diagnose,  e)  Cat.  caps. -lent.  arida, 
siliquata  nach  Schmidt,  der  trockenhülsige  Kapsel -Linsenstaar.  Kommt  am 
häu.figsteui  bei  Kindern  vor,  die  viel  an  Krämpfen  gelitten,  wodurch  die  Lin- 
«enkapäoliWim -Theil  von  ihren  Verbindungen  getrennt  und  daher  die  Linse 
.laicht  gehörig  ernährt  wird  und  somit  vertrocknet  und  zusammenschrumpft. 
GeringjerlUjnfajig  und  hellgraue,  glänzende,  gelblich  -  weissliche  Farbe  des 
^taars-i  freie  Bewegung  der  Iris  und  ein  völlig  aufgehobenes  Sehvermögen 
ßind, Kennzeichen  dieser  Staarart,  die  bei  Erwachsenen  oft  durch  mechani- 
sche Yeilptzungen  entsteht,  hier  das  Sehvermögen  oft  ganz  aufhebt  und  so 
spröde  ist,  dass  die  Linse  beim  Berühren  mit  der  Staarnadel  wie  Glas  zer- 
springt. ,  f)  Cat.  caps. -lent.  viridis.  Der  grüne  Kapsel  -  Linsenstaar  ist  sel- 
J^n;;.  er  .zeichnet  sich  durch  eine  grüne  Farbe,  die  besonders  Beer  beobach- 
.tpt,  hat,  aus.,  muss  aber  nicht  mit  der  Cat.  glaucomatosa  verwechselt  wer- 
den.  d{»   er  ohne  Complication   mit  Glaucora   existiren  kann,    eben  •wie  die 


CATARACTA  357 

Oat.  glaucomatosa,  die  oft  fälschlich  viridis  genänftt  worden  Ut.  Sitzt  die 
kataraktöse  Linse  im  Humor  aqueus  der  vordem  Augenkainmer ,  so  nennt 
man  es  Cat.  in  camera  anteriore;  erscheint  der  Staar  gelblich  und  ist  er 
compliclrt  mit  einem  auf  der  vordem  Linsenkapselwand  befindlichen  Exsu- 
date ,  so  nennt  man  es  Cat.  puriformis.  11.  Nach  den  Ursachen  theilen  wir 
den  Staar  in  Cat.  idiopathica.undi  sympatliica.  Ersteren  benennt  man  nach 
den  Ursachen ,  z.  B.  Cat.  senilis ,  traumatica  etc. ,  letztern  nach  den  ver- 
schiedenen Dyskrasien,  X.  Bv.Oat.  arthritica,  syphilitica  etc.  III.  Nach  der 
Verbindung  in  Cat.  simplejo  und  complicata.  Bei  ersterer  Art  besteht  die 
Störung  des  Sehvermögens  allein,  in  der  Trübung  des  Linsensystems,  bei 
letzterer  sind  ausser  der  Trübung  desselben  noch  andere  Augenfehler  vor- 
handen. Die  häufigsten  CompUcationen  sind  Amaurose,  Glaukom,  Verwach- 
sung, Trübung  der  Corliea,  Staphyloma  sclerot.,  corporis  ciliaris,  Prolapsus 
iridis  in  die  vordere  Augenka«a)mer  (s.  davon  unten).  IV.  Nach  der  härtern 
oder  weichern  Beschaffenheit  unterscheiden  wir  1)  Cat.  lactea,  der  Milch- 
staar.  Hier  ist  die  Linse  ganz  aufgelöst,  so  flüssig  wie  Milch,  zuWeilen 
existirt  aber  noch  ein  fester  Körn  darin.  Dieser  Staar  ist  häufig  eine  Cat. 
adnata,  hat  viel  Ähnliches  mit  der  Cat.  caseosa,  doch  ist  er  kugeliger  und 
nie  so  gross  als  letzterer;  er  drängt  sich  mehr  in  die  Pupille,  sieht  auch 
mehr  bläulich  -  weiss,  der  käsnge  Staar  dagegen  mehr  marmorirt  aus.  Letz- 
terer verändert  seinen  Sitz  nicht ,  wol  aber  der  Milchstaar.  2)  Cat.  caseosa, 
der  käsige  Staar,  wovon,  die  Cat.  gelatinosa  eine  Spielart  ist.  Symptome 
desselben  sind :  grosse  und  kugelige  Linse ,  die  der  Uvea  nahe  liegt,  so  das» 
selbst  kein  Rand  dazwischen,  bemerkbar  ist  und  die  Iris  hervorgetrieben 
wird,  Abwesenheit  des  schwarten  Ringes,  geringe  Beweglichkeit,  der  Pu- 
pille ,  weiter  Augenstern ,  bedeutende  Störung  des  Sehvermögens ,  marmorirt 
geflecktes ,  speckartiges ,  glänzendes ,  milchfarbenes  Ansehn  des  Staai's ,  un- 
gleiche Saturation  desselben ,  etwas  Wolkiges ,  .  ohne  concentrische  Richtun- 
gen, wie  bei  der  einen  Art  der  Cat.  dura.  3)  Cat.  rnollis.  Ist  von  der 
Grösse  der  Cat.  caseosa,  von  Farbe  weissgraulich ,  und  die  Trübung  des- 
selben in  der  Mitte  am  stärksten.  4)  Cat.  dura.  Der  harte  Staar  ist  zu- 
nächst Folge  von  vermehrtem  Cohärenzgrade  der  Linse,  welche  daher  klei- 
ner, härter,  selbst  hornartig  und  verknöchert  (in  seltenen  Fällen)  gefunden 
wird.  Zeichen  sind:  a)  man  sieht  den  Staar  ziemlich  weit  nach  hinten  lie- 
gen; b)  die  Pupille  ist  oft  erweitert  und  spielt  sehr  lebhaft  beim  Wechsel 
des  Lichts;  c)  Kleinheit  des  Staars,  gelbliche  Farbe  desselben,  wie  gelb- 
röthliches  Hörn,  besonders  wenn  er  in  hohem  Grade  hart  ist;  hier  erscheint 
den  Kranken  auch  Alles  röthlich.  Doch  giebt  es  auch  eine  Art  der  Cat. 
dura,  die  unegal  weiss  aussieht,  mit  silberfarbnen  Strahlen,  die  vom  Cen- 
trum nach  der  Peripherie  gehen  (//nii///) ,  und  eine  andere  Art,  wo  man  in 
der  Mitte  das  gelbröthliche  Hörn  sieht,  nach  den  Rändern  zu  aber  einen 
weisslichen ,  käsigen  Überzug ;  d)  die  grösste  Saturation  des  Staares  ist  in 
der  Mitte,  die  Ränder  lassen  noch  viel  Licht  durch;  daher  der  Mensch  bei 
erweiterter  Pupille  noch  ziemlich  gut  sehen  kann;  e)  man  sieht  recht  deut- 
lich einen  schwarzen  Ring  (nicht  den  Schlagschatten)  in  der  Peripherie  des 
Staars,  der  vom  Centrum  nach  dem  Rande  der  Linse  geht;  f)  nicht  jeder 
alte  oder  reife  Staar  ist  ein  harter  Staar,  wie  man  früher  wol  angenommen 
hat,  doch  aber  ist  derjenige  Staar,  der  im  höhern  Alter  als  Folge  des  Ma- 
rasmus oder  durch  denselben  Process  wie  die  Verknöcherung  der  Rippen-; 
knorpel  entsteht,  stets  ein  harter,  gelber' Staar.  Wies  wichtig  der  Unter-' 
schied  zwischen  Cat.  dura  und  mollis  in  Betreff  der  Operationsmethode  ist,' 
weiss  jeder  Augenarzt.  V.  Nach  der  Reife  giebt  es  1)  Cat.  matura ,  2).  Cat. 
immatura.  Unreif  heisst  der  Staar,  wenn  die  Ursachen,  welche  denselben 
bildeten,  noch  fortwirken;  reif  ist  er,  sobald  er  keiner  weitern  Ausbildung 
mehr  fähig  ist,  er  mag  das  Gesicht  völlig  aufheben  oder  nicht,  und  sobald) 
die  Ursachen  gehoben  sind  und  der  Staar  nur  noch  als  Residuum  zurückge-: 
blieben  ist.  Ist  der  Ausgang  einer  Staaroperation  nicht  gajiz  glücklich  ge,- 
wesen ,  so  bleibt  oft  eine  Trübung  im  Auge :  Cataracta  sectmdaria ,  Nach- 
staar,  zurück,     Sie  hat  ihren  Sitz  in  der  hintern  Augenkammer  utid  ist  die 


358  CATARACTA 

Folge  entweder  von  zurückgebHebenen  LinsenstücTcen  €>der  von  einer  Iritu, 
mit  eiter  -  und  lymphartigen  Exsudationen.  Die  Prognose  ist  gut ,  wenn 
der  Naclistaar  von  Resten  der  Linse  oder  von  der  vordem  Kapselwand  her- 
rührt; schlecht,  wenn  er  in  der  hintern  Kapselwand  sitzt,  noch  schlechter, 
sobald  er  Folge  eines  Exsudats  ist.  Ist  die  Entzündung  ganz  verschwun- 
den und  das  Exsudat  gering,  so  gelingt  es  oft,  dieses  durch  Quecksilber- 
einreibungen zu  entfernen ,  bei  Verdunkelung  der  Linsenkapsel  muss  meist 
noch  einmal  operirt  werden.  Complicatiöhe'n  des  Staars.  Sie  sind 
für  die  Prognose  und  Cur  sehr  wichtig.  Die  vorzüglichsten  sind:  1)  ab- 
norme Adhäsionen  des  Staars  (Cat.  adhaerens)^  -Sie  können  doppelt  seyn ; 
a)  am  häufigsten  ist  die  hintere  Verwachsung  (Synechia  posterior).  Die 
Pupille  ist  hier  unbeweglich,  doch  lasse  man  sich  nicht  durch  Cat.  caseosa 
täuschen ,  wo  dasselbe  Symptom  stattfindet,  b)  Die  Adhäsion  ist  zwischen 
Linse  und  Linsenkapsel,  besonders  bei  Cat.  dura  mit  der  hintern  Wand  der 
Kapsel.  Dies  ist  vor  der  Operation,  die  dadurch  sehr  schwierig  wird,  schwer 
zu  erkennen.  Sieht  der  Kranke  bei  einem  scheinbar  harten,  reinen  Linsen- 
staar  sehr  wenig,  ohne  dass  die  Retina  leidet,  so  lässt  sich  diese  Compli- 
cation  verrauthen.  2)  Adnm  Schmidt'' s  Kapselstaar  mit  einem  Jauche  ent-» 
haltenden  Säckchen  (s.  oben)  ist  gleichfalls  eine  schlimme  Complication,  die 
die  Operation  des  Staars  fast  immer  durch  darauffolgende  Iritis  vereitelU 
S)  Cataracta  mit  Amaurose  complicirt.  Ist  sehr  wichtig,  nicht  wegen  der 
Wahl  der  Operationsmethode,  sondern  deswegen,  ob  man  hier  überhaupt 
operiren  darf  oder  nicht.  Diagnose,  a)  Ein  Mensch,  der  weder  Tag  noch 
Nacht  unterscheiden  kann ,  leidet  nie  blos  an  Cataracta ,  sondern  auch  an 
Amaurose.  Der  Staarkranke  rauss  selbst  bei  ausgebildetem  Übel  doch  noch 
eben  so  viel  sehen,  als  ein  Gesunder  mit  geschlossenen  Augenlidern,  b)  Un- 
beweglichkeit  der  Pupille  lässt  nur  vermuthen ,  dass  Amaurose  da  ist ,  mehr 
aber  auch  nicht;  denn  die  Pupille  kann  ohne  ein  Leiden  der  Retina  gelähmt 
seyn,  und  sie  kann  recht  gut  bei  Lähmung  der  Netzhaut  spielen,  sobald 
die  Ciliarnerven  nur  noch  gesund  sind.  ;Nach  jeder  Staarextraction ,  nach 
anhaltendem  Druck,  nach  Quetschung,  nach  Anwendung  der  Narcotica  er- 
folgt eine  Zeit  lang  ein  geringerer  oder  stärkerer  Grad  von  Lähmung  der 
Iris,  c)  Bedenklich  ists ,  wenn  der  Kranke  häufig  Flammen,  Funken,  Blitze 
vor  den  Augen  sieht,  wenn  er  viel  spannenden,  drückenden  Schmerz  im  Auge, 
in  den  Augenbraunen  und  in  der  Nasenwurzel  hat ,  wenn  der  Augapfel  zu 
klein  und  zu  weich  wird,  wenn  der  Staarkranke  durch  Druck,  Stoss  aufs 
Auge  nicht  die  bekannten  farbigen,  feurigen  Erscheinungen  wahrnimmt, 
wenn  das  Sehvermögen,  ohne  dass  Glaukom  da  war,  schon  vor  Ausbildung 
der  Cataracta  sehr  schwach  war  etc.  Diese  Zeichen  zusammengenommen 
lassen  auf  Amaurose  bei  gleichzeitiger  Cataracta  schliessen,  doch  sagt  ein 
jedes  einzelne  Zeichen  für  sich  nicht  viel.  4)  Complication  der  Cataracta 
mit  Allgemeinleiden.  Ist  sehr  wichtig,  weil  letzteres  oft  noch  mit  dem 
Staar  in  Verbindung  steht  und  dagegen  durch  innerliche  Mittel  gewirkt 
werden  muss,  ehe  man  operirt.  Man  achte  daher  besonders  auf  Arthritis, 
Syphilis  etc.  und  gebe  die  zweckdienlichen  Mittel.  Speciellere  Ursa- 
c|hen  des  grauen  Staars.  1)  Oft  ist  das  Übel  angeboren,  besonders  bei 
Kindern ,  die  venerische  Altern  hatten  (Cat.  adgenita) ;  meist  ists  dann  ein 
Milchstaar,  und  das  Sehvermögen  ist  noch  nicht  ganz  getrübt.  2)  Zuwei- 
len ists  eine  Cat.  acquisita ,  die  erst  in  den  ersten  Lebensjahren  entstand. 
S)  Es  giebt  eine  Cat.  haeieditaria  subsequens.  So  werden  in  einzelnen  Fa- 
milien Leute  erst  bestimmte  Jahre  alt,  z.  B.  40  Jahre,  und  dann  kommt 
erst  der  Staar,  der  oft  von  Gicht  herrührt.  4)  Häufig  sind  örtliche  Ver- 
letzungen des  Auges :  Druck,  Stoss,  Quetschung,  Stich  etc.  Ursache.  5)  Kin- 
der, die  viel  an  Convulsionen  litten,^  bekommen  zuweilen  den  Staar,  indem 
durch  den  Krampf  der  Zusammenhang  der  Linse  mit  ihren  Umgebungen  ge- 
stört werden  kann,  Avodurch  die  Ernährung  der  letztern  leidet.  6)  Häufig 
entsteht  der  Sta'ar  ganz  schleichend  in  Folge  allgemeiner  Krankheiten  ,  be- 
sonders durch  Gicht,  Syphilis,  Metastasen  nach  Blattern,  Masern,  Weich- 
sclzopf.     7)  In  den  meisten  Fällen  geht  der  Bildung  des  Staars  Entzündung 


CATARACTA  359 

(lientilis)  voraus  (^Walther),  doch  nicht  in  allen,  so  z.  B.  nicht  bei  Cata- 
racta senilis,  haereditarla  subsequens.  Oft  ist  diese  Entzündung  schleichend 
und  ohne  heftige  Zufälle.  Prognose.  Jeder  einfache  idiopathische  Staai: 
giebt  eine  gute  Prognose,  und  zwar  um  so  mehr,  je  gesunder  der  Mensch 
ist ;  jeder  sympathische  Staar  aber  eine  schlechte ,  weil  man  nie  überzeugt 
seyn  kann ,  ob  die  allgemeine  zum  Grunde  liegende  Ursache  völlig  gehoben 
ist  oder  nicht,  ob  nach  Beseitigung  der  kranken  Linse  sich  die  andern  Theile 
trüben ,  besonders  da  solche  Subjecte  gewöhnlich  sehr  vulnerable  Augen  ha- 
ben. Die  beste  Prognose  giebt  die  Cat.  senilis  als  Product  des  Marasmus, 
schlimmer  ist  sie,  wenn  Dyskrasien  zum  Grunde  liegen.  Bex'ner  kommt  es 
auf  die  Organisationsbeschaffenheit  des  Auges  an,  ob  die  indicirte  Opera- 
lionsmethode  ausgeführt  werden  kann;  auch  verdient  der  Umfang  des  Staars 
Berücksichtigung.  Ein  reiner  Linsenstaar  giebt  eine  bessere  Prognose  als 
eine  Cataracta  Morgagniana  und  capsulo  -  lenticularis.  Was  die  Härte  be- 
trifft, so  sind  weiche  Staare  besser  wegen  möglicher  Beseitigung  durch  die 
Resorption,  als  harte,  besonders  wenn  sie  ganz  hart  und  zugleich  klein  sind. 
Jede  Complication ,  besonders  aber  die  mit  Amaurose  und  Glaukom,  giebt 
eine  schlechte  Prognose.  Besser  ist  letztere  bei  der  Cat.  matura  als  bei  der 
immatura,  indem  durch  die  Operation  der  letztern  die  vorhandene  Krankheit 
sich  leicht  auf  andere  Theile  desselben  Auges  und  aufs  andere  Auge  werfen 
kann.  Auch  die  günstigen  oder  ungünstigen  Verhältnisse  des  Kranken,  die 
den  Erfolg  der  Operation  mit  bestimmen,  sind  zu  berücksichtigen.  Cur 
des  grauen  Staars.  1)  Vielfach  sind  innere  Mittel  empfohlen  worden, 
und  zwar  recht  stark  auflösende:  Belladonna,  Laurocerasus,  Mercur,  Aconit, 
Cicuta,  Sal  volat.  c.  c,  Pulsatilla  nigricans,  die  man  empirisch  anwandte, 
weil  sie  besondern  Ruf  erlangt  hatten.  Diese  Methode  ist  höchst  proble- 
matisch, sie  schwächt  obendrein  die  ganze  Constitution  und  kann  so  für  den 
Kranken  vielfach  nachtheilig  werden  und  selbst  die  Prognose  bei  der  Ope- 
ration trüben.  Auf  eine  kranke  Linse  kann  man  gar  nicht  heilend  >virken. 
Doch  können  wir  bei  einem  Kapselstaare  wol  durch  innere  Mittel  etwas 
ausrichten,  wenn  er  noch  in  der  Bildung  begriffen  ist  und  von  einem  All- 
gemeinleiden herrührt,  z.  B.  von  Gicht,  Syphilis.  Hier  haben  kräftige  Ant- 
arthritica  und  Mercurialia  oft  schon  Verdunkelung  der  Kapsel  gehoben  {Hinily). 
Neuerlich  haben  v.  Gräfe  und  Benedict  den  Innern  Gebrauch  der  Pulsatilla 
in  Extract  oder  das  Pulver  der  Blätter  nützlich  gefunden.  Bei  einer  Ver- 
dunkelung der  Kapsel  nach  topischer  Verletzung  zeigte  sich  in  einigen  Fäl- 
len der  innerliche  Gebrauch  des  Merciirs  nützlich  (flimij/),  in  andern  ähn- 
lichen Fällen  die  Anwendung  der  Elektricität  und  des  Galvanismus  (LoJcr, 
Hinihj,  V.  Walther),  so  wol  allgemein  als  örtlich  angewandt,  besonders  bei 
Arthritischen.  2)  Örtliche  Mittel.  Bei  einem  angehenden  grauen  Staar 
und  noch  bestehender  Lentitis  verschwand  das  Übel  durch  ein  Augenwasser, 
bestehend  aus  Extr.  hyoscyami,  Aq.  rosar.  und  etwas  Laudanum  (Benedict). 
Lentin  empfiehlt  Sublimat  in  Aq.  laurocerasi  aufgelöst  zum  Eintröpfeln,  Ware 
will  durch  Eintröpfeln  von  Naphtha  vitrioli  den  grauen  Staar  zertheilt  ha- 
ben, was  allerdings,  wenn  die  Kapsel  aufgelöst  ist,  stattfinden  und  nützlich 
seyn  kann.  (Alle  solche  innere  und  äussere  Mittel  können  nur  da  wirksam 
seyn,  wo  wir  es  mit  einer  Cat.  incipiens  zu  thun  haben,  die  als  Folge  von 
Augenentzündung  zu  betrachten  und  aus  Innern  Ursachen  entstanden  ist. 
Most.)  3)  Die  Operation  bleibt  immer  noch  das  einzige  Mittel  zur  eini- 
germassen  sichern  Beseitigung  des  grauen  Staars.  Wir  operiren  aber  nicht 
auf  einerlei  Weise:  a)  wir  nehmen  entweder  die  kranke  Linse  heraus,  und 
extrahiren  sie  und  ihre  Kapsel  (die  Extractionsmethode),  wobei  wir  das  Auge 
durch  einen  Einschnitt  in  die  Cornea  öffnen;  b)  oder  wir  schieben  die  ver- 
dunkelten Theile  hinter  der  Pupille  weg  und  begraben  sie  im  Boden  des 
Auges,  im  Glaskörper  (die  Depressions-,  Remotions-,  Dislocationsmethode) ; 
oder  c)  wir  bearbeiten  die  verdunkelten  Theile  so  mit  den  Listrumenten, 
dasa  sie  dadurch  der  Auflösung  fähig,  durch  den  Humor  aqueus  aufgelöst 
und  mit  ihm  resorbirt  werden  (Keratonyxis).  Jede  dieser  Operationsmetho- 
den hat  ihre  Vorzüge  und   ilire  Nachtheile,   daher   die  Walil  derselben  für 


360  CATARACTA 

individuelle  Fälle  und  fiir  die  besondern  Arten  des  8taar0  ron  Seiten  de« 
Operateurs  viel  Scharfsinn  erfordert.  Da  nicht  ein  jeder  Arzt  und  Wund- 
arzt operativer  Augenarzt  ist  oder  seyn  kann,  da  überdera  die  verschiedenen 
Operationsmethoden  in  allen  guten  Handbüchern  der  Ophthalmologie  ausführ- 
lich beschrieben  worden,  so  will  ich  hier  auf  jene  Schriften  verweisen  (s.  die 
ophthalmologischen  Schriften  von  Saunders ,  Adam ,  James  Wardrop ,  Becr^ 
Benedict  und  besonders  noch  folgende:  Himh/s  ophthalraolog.  Bibliothek, 
Richter' s  Chirurgie,  Weiler:  die  Krankheiten  des  menschlichen  Auges.  2te 
Aufl.  Berlin,  1822).  Aus  allen  noch  so  genau  und  ausführlich  beschriebenen 
Operationsmethoden  kann  jedoch  nur  derjenige  Nutzen  ziehen,  der  prakti- 
sche Anleitung  zu  den  Augenoperationen  von  tüchtigen  Meistern  (^Uimhj,, 
t.  Gräfe,  Langenbeck ,  Rtist,  Beer,  Benedict  etc.)  erlangt  hat.  Für  diesen 
würde  die  genaue  Beschreibung  des  Verfahrens  überflüssig,  für  den  Unkun- 
digen aber  mangelhaft  seyn ;  daher  wir  das  Specielle  dieses  Gegenstandes 
hier  übergehen  und  nur  noch  einige  wichtige  Indicationen  und  Contraindica- 
tionen  zum  Operiren  überhaupt,  sowie  zur  Wahl  der  besondern  Operations- 
methode  erörtern  wollen,  a)  Man  hat  die  Frage  aufgeworfen,  ob  man  einen 
Staarkranken,  der  nur  auf  einem  Auge  den  Staar  habe,  operiren  soll  oder 
nicht  ?  Einige  wollen  den  Menschen  erst  ganz  blind  seyn  lassen  ,  dann  sey 
er  dankbarer,  man  habe  ein  grösseres  Verdienst  und  werde  besser  bezahlt; 
ist  ein  schlechter,  aus  Eigennutz  hervorgegangener  Grund.  Häufig  leidet, 
wenn  der  Staar  durch  mechanische  Verletzungen  entstand,  das  andere  Auge 
per  consensum  mit ;  operirt  man  hier  das  kataraktöse  Auge  früh ,  so  ist  die« 
nicht  zu  befürchten,  b)  Wenn  auf  beiden  Augen  der  Staar  ist,  so  ists  nicht 
gut,  beide  zugleich  zu  operiren  (Him/y) ,  obgleich  berühmte  Augenärzte  die- 
ses thun;  denn  man  veranlasst  dadurch  eine  heftigere  Entzündung,  da  ein 
Auge  mit  dem  andern  leidet;  auch  riskirt  man  zu  viel.  Es  giebt  Unglücks- 
fälle, die  man  nicht  vorher  sehen  kann,  z.  B.  der  Operirte  bekommt  eine 
Schrecken  erregende  Nachricht,  es  bricht  Feuer  im  Hause  aus  etc.,  wo- 
durch der  günstige  Erfolg  der  Operation  vereitelt  werden  kann,  c)  Soll 
man  einen  noch  nicht  völlig  ausgebildeten  Staar  operiren?  Gewöhnlich  sagt 
man  Nein!  oft  aus  Scheu,  oft  aus  Eigennutz;  denn  je  blinder  der  Mensch 
ist ,  desto  dankbarer  ist  er  nachher ;  wiederum  ein  schlechter  Grund !  Hat 
indessen  der  Mensch  durch  Gicht  den  Staar  bekommen,  so  Hegt  zu  Anfange 
der  Bildung  desselben  noch  Gicht  zum  Grunde.  Hier  muss  erst  die  Gicht 
gehoben  und  der  Staair  reif  seyn,  ehe  man  ihn  operirt.  Bei  Cat.  dura  und 
caseosa  muss  man  früher  operiren;  denn  der  erstere  geht  durch  die  Länge 
der  Zeit  oft  Adhäsionen  mit  dem  Auge  ein ,  und  letzterer  wird  immer  grös- 
ser und  dicker,  was  die  Operation  oft  schwierig  macht,  d)  Beim  angebor- 
nen  Staar  war  man  früher  der  Meinung,  nicht  vor  dem  vierzehnten  Jahre 
zu  operiren.  Dies  ist  aber  in  anderer  Hinsicht  nachtheilig,  indem  das  Kind 
unerzogen  bleibt.  Die  Extraction  passt  nicht  gut  bei  Kindern ,  besser  die 
Depression  oder  Keratonyxis,  weil  im  Kindesalter  der  Productionstrieb  sehr 
stark  ist  und  auf  die  Extraction  nicht  selten  Iritis  folgt,  e)  Ist  der  Staar- 
kranke  schwächlich,  gichtisch,  herpetisch  oder  schon  sehr  alt,  so  extrahire 
man  gleichfalls  nicht,  besser  ist  hier  die  Reclination,  wodurch  das  Auge 
nicht  so  bedeutend  verletzt  wird,  f)  Ein  harter  Staar  ist  meist  gut  zu  ex- 
trahiren,  weil  er  zugleich  klein  ist.  Ist  aber  die  Kapsel  mit  der  Linse  ver- 
wachsen, so  ziehe  man  sie  seitwärts  mit  heraus,  damit  man  den  Glaskörper 
nicht  reize.  Sticht  man  zu  tief  in  den  harten  Staar,  so  zerspringt  er  oft 
in  mehrere  Stücke,  wodurch  das  Herausziehen  schwierig  wird,  g)  Die  Ca- 
taracta caseosa  eignet  sich  weder  zur  Depression,  noch  zur  Extraction,  Am 
besten  ists,  ihn  zu  zerstückeln  und  der  Resorption  zu  übergeben.  Man  macht 
hier  die  Keratonyxis,  oder  geht  noch  besser  durch  die  Sclerotica  mit  der 
Staarnadel  ein,  weil  die  Linsenkapsel  auch  verdunkelt  ist  (^Adnm  Schmidt^. 
h)  Auch  die  Cataracta  lactea  muss  der  Resorption  übergeben  werden ,  wie 
die  caseosa ,  am  besten  ist  hier  also  die  Keratonyxis.  i)  Die  Cat.  cystica 
lässt  sich  gut  extrahircn,  oft  passt  aber  auch  die  Reclination  durch  die  Scle- 
rotica.     k)  Der  verwaciisene  Staar   ist  schwierig   zu  operiren.     Oft   ist  die 


CATARACTA  361 

Verwachsung  nnr  zwischen  Linse  und  Kapsel,  zuweilen  aber  auch  zwischen 
Staar  und  Uvea.  Um  dies  vorher  zu  erkennen,  ist  es  gut,  dass  wir  bei 
allen  Staarkranken  vor  der  Operation  einige  Tage  Belladonna-  oder  Bilsen- 
krautextract ,  in  Wasser  gelöst  (gr.  vj  in  gj  Wasser)  ins  Auge  tröpfeln,  wo- 
durch die  Pupille  sich  erweitert.  Ist  letztere  dann  eckig  oder  schief,  so 
deutet  dies  auf  jene  Adhäsionen.  Ist  die  Verwachsung  allgemein ,  so  muss 
die  künstliche  Pupillenbildung  vorgenommen  werden ,  ist  sie  aber  nur  par- 
tiell, so  mache  man  die  Extraction.  In  einzelnen  Fällen  ist  indessen  die 
Zerstückelung,  indem  man  mit  der  Staarnadel  durch  die  Sclerotica  eingeht, 
Torzuziehen  (Himhj).  Hier  noch  Einiges  über  die  verschiedenen  Operations- 
inethoden.  A.  Die  Depression.  Sie  ist  dasjenige  Verfahren,  wo  die 
Linse  durch  einen  auf  den  obern  Linsenrand  ausgeübten,  mittels  einer  Staar- 
nadel bewerkstelligten  Druck  (der  in  derselben  Richtung,  in  der  sich  die 
Linse  im  Auge  befindet,  geschieht)  in  den  Grund  des  Glaskörpers  herabge- 
senkt wird.  Gemacht  wird  diese  Operation  mit  einer  Staarnadel,  die  man 
durch  die  Sclerotica  einführt  (Scleroticonyxis),  nicht  aber  durch  die  Cornea, 
wie  man  neuerlich  vergeblich  versucht  hat.  Diejenige  Nadel  ist  die  beste, 
welche  myrtenblattähnlich  und  so  gekrümrat  ist,  dass  sie  dem  Linsenrande 
entspricht.  Man  macht  den  Einstich  etwas  über  dem  horizontalen  Durch- 
messer des  Auges,  ly,  Linien  vom  Cornearande  entfernt,  führt  die  Nadel, 
ohne  das  Corpus  ciliare  zu  verletzen,  zum  obern  Linsenrande,  wendet  mit 
der  Spitze  einen  Druck  darauf  an  und  drückt  so  den  Staar  ins  Corpus 
vitreum  nach  unten.  Man  hält  nur  einige  Augenblicke  die  Linse  mit  der 
Nadel  in  der  Tiefe  fest,  bis  dass  der  Raum  vor  der  Pupille  mit  dem  Glas- 
körper gefüllt  wird ,  zieht  die  Nadel  in  derselben  Richtung  etwas  zurück 
und  ihre  Spitze  in  die  Höhe ,  so  dass  letztere  vor  der  Pupille  sichtbar  wird, 
zieht  sie  aber  nicht  gleich  aus  dem  Auge,  sondern  beobachtet  erst,  ob  •der 
Staar  auch  wieder  in  die  Höhe  kommt;  alsdann  wiederholt  man  dasselbe 
Manoeuvre,  welches  oft  zwei-  bis  dreimal  nöthig  ist.  Bleibt  die  Linse  lie- 
gen, so  zieht  man  die  Nadel  vorsichtig  heraus.  Indicirt  ist  diese  Methode 
im  Allgemeinen  bei  jedem  harten  Linsen-  oder  Kapsel -Linsenstaar,  bei  jun- 
gen Subjecten ,  wo  gesunde  Augen  und  keine  Krankheit  des  Glaskörpers 
stattfinden,  wo  geringe  Adhäsionen  sind  (Synechia  posterior),  die  man  zu- 
gleich lösen  will.  Contraindicirt  ist  die  Depression  bei  altern  Subjecten,  wo 
es  darauf  ankommt ,  das  Sehvermögen  rasch  wiederzugeben ,  indem  man  zu 
befürchten  hat,  dass  die  Linse  wieder  aufsteigt  und  so  Monate  über  die 
Cur  hingehen  können;  ferner  bei  krankem  Glaskörper,  bei  sehr  vulnerablen 
Augen,  wo  die  Resorption  und  Verschrumpfung  der  Linse  im  Glaskörper 
langsam  oder  wol  gar  nicht  vor  sich  geht.  Übrigens  gewährt  die  Depres- 
sion den  Vortheil ,  dass  man  dadurch  die  vordere  Linsenkapsel  wand  entfernt, 
ist  also  passend  bei  Cat.  capsulo  -  lenticularis ,  doch  müssen  nach  der  Opera- 
tion alle  heftige  Erschütterungen  des  Körpers  und  der  Seele  doppelt  streng 
vermieden  werden,  weil  sonst  der  Staar  leicht  wieder  in  die  Höhe  steigt. 
B.  Die  Extraction.  Hier  macht  man  zuerst  einen  Schnitt  in  die  Horn- 
haut, meist  nach  unten,  in  neuester  Zeit  auch  nach  oben  (Keratomie),  der 
1/4  Linie  von  der  Sclerotica  entfernt  die  Hälfte  der  Hornhaut  trifft,  um  sich 
den  Weg  zur  Linse  zu  bahnen;  alsdann  öffnet  man,  wenn  es  keine  Cata- 
racta cystica  ist,  die  Kapsel,  wo  der  Staar  durch  die  Contraction  der  Au- 
genmuskeln und  durch  gelinden  Druck  des  Operateurs  aus  der  Horiihautöff- 
nung  dann  leicht  heraustritt.  Die  Extraction  erfordert  die  meiste  Geschick- 
lichkeit. Sie  ist  oft  mit  vieler  Gefahr  verbunden:  die  Iris  kann  leicht  ver- 
letzt werden,  der  Glaskörper  kann  hervortreten,  die  Iris  vorfallen,  die  Narbe 
nach  der  Heilung  der  Hornhautwunde  die  Cornea  verdunkeln  etc.  Dahei* 
misslingt  diese  Methode  weit  häufiger  als  die  Depression.  Richter  heilte 
durch  Extraction  von  zehn  kranken  Augen  nur  sieben,  Rolli  verunglückte 
das  sechste  Auge,  Beer  das  achte,  dagegen  misslangen  bei  vorsichtiger  Re- 
clination  Himly  von  dreissig  Augen  oft  nicht  eins.  Die  leichteste  Methode 
den  Staar  zu  stechen  ist  C.  die  Keratonyxis.  Man  bringt  die  katara- 
ktöse  Linse   durch  Zerstückelung  derselben  aus  ihren   organischen  Verbin- 


362    CATAEHHALIS  FEBRIS  —  CATARRHUS 

düngen,  wodurch  sie  allmälig  vom  Humor  aqueus  resorbirt  wird.  Diese 
Methode  ist  sicherer  als  die  Depression,  denn  bei  letzterer  kann  der  Staat 
wieder  in  die  Höhe  steigen;  aber  die  Resorption  dauert,  besonders  bei  be- 
jahrten Subjecten,  oft  viele  Wochen,  und  der  Kranke  bekommt  nur  allmä- 
iig  sein  Gesicht  wieder.  Doch  giebt  es  mehrere  Arten  von  Kapselstaar, 
z.B.  die  Cat.  siliquosa  arida,  desgleichen  die  Cat.  senilis,  die  sich  gar  nicht 
resorbiren.  Man  tröpfelt  2  —  3  Stunden  vor  der  Operation  Solutio  extr. 
belladonnae  ins  Auge,  damit  die  Pupille  recht  weit  wird,  nimmt  dann  eine 
krumme  lanzettförmige  Nadel,  z.  B.  die  Langenbeck'sche,  fuhrt  sie  am  un- 
tern Cornearande  ins  Auge,  die  convexe  Fläche  nach  oben  gerichtet,  geht- 
vorsichtig,  ohne  die  Iris  zu  verletzen,  durch  die  Pupille,  zerreisst  mit  der 
Spitze  die  vordere  Kapsel  wand,  zerstückelt  durch  gelinde  Bewegungen  der 
Nadel  die  Linse,  und  sucht  einige  Theile  davon  in  die  vordere  Augenkam- 
mer  zu  bringen,  wo  sie  schneller  als  in  der  hintern  resorbirt  werden.  Dies 
geschieht,  indem  man  jdie  Nadel  etwas  zurückzieht,  damit  ein  geringer  Aus- 
fluss  des  Humor  aqueus  entsteht;  alsdann  zieht  man  die  Nadel  vorsichtig 
heraus,  verschliesst  das  Auge,  bedeckt  es  mit  einem  Heftpflasterstreifen  und 
lässt  den  Kranken  in  einem  verdunkelten  Zimmer  verweilen  und  im  Bette 
viel  auf  dem  Bauche  mit  vorgebeugtem  Kopfe  und  Gesichte  liegen ,  damit 
die  Staarreste  vorzugsweise  in  die  vordere  Augenkaramer  zu  liegen  kommen. 
Selten  erregt  diese  Operation  heftige  Zuölle;  eine  strenge  kühlende  und 
knappe  Diät  verhütet  diese;  man  sorge  für  tägliche  Leibesöffnung  und  ver- 
meide Erhitzung  des  Körpers  und  der  Seele.  Je  weicher  und  flüssiger  der 
Staar  und  je  jünger  das  Subject  ist,  desto  besser  ist  der  Ausgang  dieser 
Methode.  Man  kann  die  Zerstückelung  des  Staars  aber  auch  durch  die 
Scleroticonyxis  machen,  wobei  die  Cornea  wegen  Verletzung  und  nachblei- 
bender Trübung  gar  nicht  in  Gefahr  kommt  (^Adams).         F.  L.  F.  Köve. 

Catarrbalis  febris,  Schnupfenfieber,  s.  Febris  catarrhalis 
und  Blennorrhoea  narium. 

Catarrbeuma ,  der  Katarrh,  auch  die  Verschleimung ,  besonders  in 
der  Brust;  s.  Blennorrhoea  narium  et  pulmonum,  Asthma  pitui- 
tosum. 

Catarrbexis,  ein  Durchbruch  nach  unten,  daher  das  Durchschlagen 
eines  Vomitivs  nach  unten,  ein  heftiger  Durchfall;  s.  Diarrhoe a. 

CatarrboscbesiiS,  Unterdrückung  oder  Stopfung  eines  Katarrhs; 
e.  Blennorrhoea  nasi. 

Catarrbus»   Katarrh,  Nasenschi eimfiuss ;   s.  Blennorrhoea  nasi. 

Catarrhus  nhdominalis,  s.  Blennorrhoea  ventricuH. 

Catnrrhus  aestivus,  der  Sommerkatarrh,  das  Heufieber,  das 
Heuasthma.  Diese  sonderbare  Krankheit  ist  erst  seit  wenigen  Jahren 
bekannt.  Die  englischen  Arzte  Bostoch,  Gordon  und  Elliotson  haben  zuerst 
darauf  aufmerksam  gemacht  (Vergl.  Medical  Gazette.  1829.  Aug.  —  London 
Medic.  Gazette.  Mai  1833).  Symptome  sind:  Zuerst  Jucken  der  Augen- 
lider, zumal  in  den  Augenwinkeln,  periodisch  eintretende  Anfälle  von  Nie- 
sen, von  Respirationsbeschwerden,  Dyspnoe,  wobei  ein  starker  Ausfluss  von 
Schleim  aus  der  Nase  erfolgt,  oft  Röthe,  GeschwTilst  der  Augenlider,  ge- 
röthete  Conjunctiva  oculi,  Druck  in  der  Stirn.  Diese  Anlalle  kommen  meist 
des  Morgens ,  y.  Stunde  nach  dem  Aufstehen ,  wobei  das  Niesen  und  be- 
schwerliche Athmen  das  schlimmste  Symptom  sind.  Zuweilen  folgen  nur  ein 
paar  Anfalle ,  zuweilen  kommen  sie  wochenlang  täglich  einigemal  wieder ; 
dann  tritt  auch  wol  Röthe  und  Trockenheit  des  Halses ,  der  Nase  hinzu. 
Ursachen.  Das  Übel  ist  eine  Verbindung  von  Katarrh  und  Asthma,  ent- 
standen durch  einen  in  der  Atmosphäre  verbreiteten  vegetabilischen  Stoff, 
der  den  Biüthen  der  Pflanzen,  zumal  des  Grases  entsteigt  (^Elliotson).  Es 
zeigt  sich  nur  in  den  Monaten  Mai,  Juni  etc.,  zur  Zeit,  wo  das  Gras  in 
Blütho  steht  und  Heu  gemacht  wird,  befallt  aber  nie  die  arbeitende  Classe, 
sondern  nur  Vornehme,  sowol  Kinder  als  Erwachsene,  die  sich  in  der 
Nähe  solcher  Wiesen   oder   auf  denselben   aufhalten.      Einzelne  Individuen 


CATARRHÜS  363 

scheinen  grössere  Anlage  als  andere  zum  Heufieber  zu  haben,  und  sie  be- 
kommen es  jeden  Sommer,  nicht  blos  in  England,  sondern  auch  zur  Zeit 
der  Heuernte  im  Auslande.  Selbst  dann  schon  werden  sie  davon  ergriffen, 
wenn  sie  selbst  nicht  einmal  in  der  Nähe  von  solchen  Wiesen  gewesen  sind, 
sondern  nur  ein  Anderer,  der  dort  gewesen,  sich  ihnen  bald  darauf  nähert. 
Cur.  Als  Präservativ  zur  Zeit  der  Heuernte  lobt  Gordon  ein  kaltes  Schauer- 
bad und  innerlich  3mal  täglich  ein  Pulver  aus  2 — 3  Gran  Chinin,  sulphuric. 
und  1  Gran  Ferrum  sulphuricum.  Gegen  das  Übel  selbst  dienen  Spirit. 
Mindereri,  Pot.  Riverü,  Salmiak,  kleine  Dosen  Tart.  emet.,  äusserlich  Augen- 
wasser aus  Zinc.  acetic.  und  Aqua  rosarum,  ein  sehr  schwach  bereitetes  Un- 
guent.  hydrargyr.  nitricum.  Eine  zu  magere  Diät  sowie  die  freie  Luft 
sind ,  so  lange  das  Übel  dauert ,  schädlich.  Als  Schutzmittel  dienen  noch 
die  Seeluft  und  strenge  Vermeidung  der  Nähe  des  blühenden  Grases  und 
des  frischen  Heues.  Yiele  vornehme  englische  Landbewohner  reisen  daher 
zur  Zeit  der  Heuernte  nach  den  Seeküsten.  Nach  Dr.  Kind  soll  die  Krank- 
heit mitunter  auch  die  niedere  Volksclasse  ergreifen.  Das  Besprengen  des 
Zimmers  mit  einer  Solution  von  Chlornatrum ,  das  Riechen  daran ,  das  , Wa- 
schen des  Gesichts  damit,  wirkte  ganz  vortrefflich,  um  das  beschweriiche 
Jucken  der  Augen,  der  Nase  etc.  zu  heben  (s.  auch  Behrendts  Repertor. 
1833.  Nr.  8.  S.  135  —  150). 

Catnrrhus  hroncliiorum ,  s.  Blennorrhoea  pulmonum. 

Caiarrhm  chronicus.,  s.  Blennorrhoea  narium. 

Catnrrhus  epidemicus,  der  epidemische  Katarrh,  die  rassische 
Krankheit;   s.  Influenza. 

Catnrrhus  laryngis,  faucium,  narium,  etc.,  s.  Blennorrhoea  la- 
ryngis etc. 

Catarrhus  pulmonum ,  Catarrhe  pulmonaire.  So  nennt  Laennec  anpassend 
die  Bronchitis  (s.  d.  Art.). 

Catnrrhus  scarlatinae,    s.  Scarlatina. 

Catarrhus  suffocativtis ,  Orthopnoea  parahjtica,  iorpida,  Apoplexia  sen 
Parahjsis  pulmonum ,  Stick fluss,  Lunge nlähmung.  Ist  in  den  meisten 
Fällen  Symptom  anderer  Krankheiten,  z.  B.  der  höheren  Grade  des  Asthma, 
der  Angina  pectoris,  des  Asthma  als  Folge  widernatürlicher  Erweiterung 
der  Lungenzellen,  des  Lungenbrandes  durch  Milzbrandgift,  als  Folge  ver- 
nachlässigter Pneumonien ;  auch  ist  der  Stickfluss  zuweilen  Symptom  ver- 
schiedener organischer  Herzkrankheiten ,  mehrerer  Arten  der  Asphyxie ,  ver- 
schiedener Verletzungen,  Verwundungen  der  Lungen,  besonders  wenn  Er- 
giessungen  von  Blut,  von  Luft  (Emphysema)  die  Lungen  expandiren,  wenn 
wegen  Lungenschwäche  das  Blut  in  ihnen  stockt,  oder  wenn  Krampf  die 
Ursache  davon  ist,  wenn  die  Expectoration  dadurch  verhindert  wird  etc. 
Symptome.  Sind  die  der  Dyspnoe  im  höhern  Grade  (s.  Dyspnoea){ 
grosse  Angst ,  Brustbeklemmung ,  höchst  beschwerliches  oder  ganz  gehemm- 
tes Athmen,  blaues,  später  leichönblasses  Gesicht,  kalte  Extremitäten,  schwa- 
cher, kleiner,  zitternder,  unterdrückter  Puls,  Röcheln,  Rasseln,  Kochen  in 
der  Brust,  blutige,  gelbliche,  schaumige  oder  ganz  unterdrückte  Respira- 
tion, Convulsionen  aller  Art  und  oft  plötzlicher  Tod.  Cur.  Sie  ist  nach 
den  Ursachen  verschieden  (s.  Asthma  spasticum  adultorum).  In  vie- 
len Fällen  und  da,  wo  noch  kein  wrklicher  Lungenbrand  stattfindet,  sind 
Aderlässe ,  selbst  als  symptomatisches  Mittel ,  unumgänglich  nothvvendig.  Bei 
wahrer  Schwäche  und  blassem  Gesichte  dienen  Moschus,  Sal  volatile,  Cam- 
phora,  Sulphur  auratum,  Arnica,  Senega,  Phosphornaphtha  etc.  Wo  orga- 
nische Fehler,  hohe  Grade  von  Hydrothorax,  von  Stenokardie,  Asphyxie, 
von  allgemeiner  Apoplexie,  oder  bedeutende  Ergiessungen  von  Blut,  Serum, 
Eiter  in  die  Brusthöhle  den  Stickfluss  erregen,  ist  das  Übel  fast  immer 
schnell  tödtlich.  J?.  J.  Graves  giebt,  wenn  der  viele  Schleim  aus  Mattig- 
keit nicht  mehr  ausgehustet  werden  kann,  als  Expectorans  ein  Klystier  aus 
10  Gran  Chinin,  sulphuric.  mit  20  Tropfen  Laudanum  und  3jjj  Amylum,  in 
Wasser  gelöst;  in  dringender  Gefahr  auch  ein  Vomitiv.  Wirkt  aber  die 
gewöhnliche  Dosis  nicht,  so  soll  man  davon  abstehen.    Auch  Folgendes  lobt 


364  CATARTISIS  -  CATULOTICA 

er  als  wrksara:  T\'  Rad.  ipecacuanliac  gr.  j,  Sem.  sinapeos  gr.  v.  Alle  1 — 2 
Stunden  ein  solches  Pulver  (s.  Behrcnd''s  Repertor.  d.  ausl.  med.  chirurg. 
Journalistik.  1833.  Decbr.  S.  200).  In  einem  desperaten  Falle,  wo  bei  ei- 
ner 70jährigen  Dame  durcli  Überladung  des  Magens  der  Anfall  hervorge- 
rufen ward,  wo  das  Gesicht  leichenblass  aussah,  Röcheln,  Convulsionen 
und  Bewusstlosigkeit  stattfand,  halfen  zwei  Vomitive  aus  Ipccacuanha  nichts; 
»ie  leisteten  gar  keine  Wirkung.  Nun  gab  ich  alle  5  Minuten  1  Esslöffel 
voll  von  einer  Solution  des  Zinkvitriols,  10  Gran  in  8  Unzen  Aq.  destill., 
es  erfolgte  zweimaliges  Erbrechen,  starke  Expectoration  und  die  Kranke 
ward  gerettet. 

Cntnrrhns  urethrne,  s.  Gonorrhoe a. 

Catnrrhus  vaijvinc,  s.  Leucorrhoea. 

Catnrrhus  vesicae  urinnriae,  s.  Blennorrhoea  ves.  nrinariae. 

Catartisis,  Cainriismtis ,  die  Einrichtung  eines  Bruches,  einer  Ver- 
renkung etc.;  s.  Fractura  und  Luxatio. 

Catastaltica ,  sind  zurücktreibende,  blutziehende,  besonders  blut- 
stillende, auch  wol  beruhigende  Mittel;  s.  Adstringentia,  Styptica. 

Catastasis»  das  andauernde  Stehen,  daher  bei  raedicinischen 
Schriftstellern  die  andauernde  eigenthümliche  Körperbeschaffenheit  eines  Li- 
dividuunis,  die  sogenannte  Constitution. 

Cathaeresiü^ ,  grosse  Schwächung  durch  Herabstimmung 
der  Kräfte,  Ertödtung,  Zerätzung,  daher 

Cattaaeretica ,     stark     schwächende,     lebenzerstörende 

Mittel. 

Catharctica,  Cathartkay  Mittel,  welche  Catharsis  bewirken;  s. 
P  u  r  g  a  n  t  i  a. 

CatharsiSy  Reinigung,  Ausleerang  (des  Darmcanals)  nach 
unten. 

CatlieterisiiS ,  Catheterisvitis ,  das  Katheterisiren  (bei  den  Alten 
auch  das  Sondiren  tiefer  Wunden ).  Ist  diejenige  chirurgische  Operation, 
wo  man  den  aus  Silber  oder  Gummi  elasticum  verfertigten  Katheter  nach 
den  Kunstregeln  zum  Ablassen  des  Urins  bei  gewissen  Fällen  von  Harnver- 
haltung ,  oder  um  Blasensteine  zu  entdecken ,  oder  um  Einspritzungen  in 
die  Vesica  urinaria  zu  machen,  in  die  Harnblase  bringt,  wozu  die  operative 
Chirurgie  Anleitung  giebt. 

Catholicum ,  Panacen,  eine  Universal  arzn  ei,  die  gegen  alle 
Krankheiten  dienen  soll.  In  altern  Zeiten  gab  man  sich  viele  Mühe,  eine 
Panacee  aufzufinden ,  bis  man  sich  späterhin  bei  richtigerer  Kenntniss  des 
Organismus  imd  seiner  Krankheiten  überzeugte,  dass  dieses  nicht  möglich 
sey;  s.  auch  Panacea. 

Cathypnia,  ein  tiefer,  fester  Schlaf;  s.  Carus. 

Catoche,  Catochus,  das  Festhalten,  Gebundenhalten,  daher 
die  Starrsucht.  Unter  Catochns  verstehen  die  Neuern  ein  chronisches, 
allmälig  entstehendes,  der  Katalepsie  sich  näherndes  Übel,  wobei  die  Glie- 
der anhaltend  steif  und  unempfindlich  werden,  durch  fremde  Gewalt  aber 
gebogen  werden  können,  ohne  die  gegebene  Richtung  zu  behalten,  die  Sinne 
auch  nicht  gänzlich  schwinden,  obgleich  eine  grosse  Unempfindlichkeit  da 
ist  (^Schindler).  (S.  Catalepsis.)  Auch  nennt  man  so  einen  festen  Schlaf 
mit  offenen  Augen ,  desgleichen  die  Verhärtung  des  Zellgewebes  der  Kinder 
(Induratio  telae  cellulosae). 

Catoptosis,  älterer  Name  für  Fallsucht;  s.  Epilepsia. 

Catoterica  (rcmcdia).  Darunter  verstanden  die  Alten  besonders 
solche  Purganzen ,  welche  die  Bilis  hepatica  durch  den  Stuhlgang  abführten, 
als  Rheum,  Aloe,  Helleborus  etc. 

CatulotJca  (remedia).    Ist  synonym  mit  Epulotica. 


CAULEDON  -  CAUSTICA  565 

Cauledon«  Rhaphnncdon.  Ist  ein  Qu  erbrach  (Fractura  transver- 
salis);   s.  Fractura. 

Caulopleg^ia,  Lähmung  des  Penis,  besonders  der  Musculi  ere- 
ctores ,  wodurch  jede  Erection  des  Gliedes  unmöglich  wird.  Sie  ist  Beglei- 
terin der  ApoplexieJ,  besonders  der  Paraplegie  der  untern  Körperhälfte,  und 
vielleicht  nie  eine  idiopathische  Krankheitsform.  Cur.  Die  allgemeine  und 
Ertliche  der  Lähmung  (s.  Paralysis).  In  einem  Falle  hob  gelindes  Gal- 
vanisiren  des  Penis,  wobei  die  Kette  an  der  rechten  Hand  geschlossen  wur- 
de, sechs  Wochen  hindurch  täglich  angewandt,  die  Cauloplegie  (itf.). 

Cauma,  Causus,  eine  durch  Feuer,  Sonnenhitze  etc.  verbrannte  Stelle, 
auch  Verbrennung;  s.  Combustio. 

Causac  morlti,  Krankheitsursachen.  Sind  sehr  mannigfaltig 
und  daher  ist  ihre  (besonders  ältere)  Eintbeilung  sehr  complicirt;  s,  Dia- 
t  h  e  s  i  s  und  Morbus. 

Caiuis*  das  Brennen,  die  Operation  des  Brennens;   8.  CaustSca. 

*  Caustica,  Cathaeretica ,  Corrodentia ,  Eschnroiica ,  beizende, 
ätzende,  anfressende  Mittel.  Hieher  gehören  alle  diejenigen  Mittel, 
welche  durch  ihren  Reiz  auf  die  äussere  Haut  wirken  und  nach  Verschie- 
denheit des  Grades  ihrer  reizenden  Wirkung  entweder  nur  Hautrothe  erre- 
gen (Rubefacientia)  oder  Bläschen  und  Blasen  ziehen  (Vesicantia,  Epispa- 
stica),  oder  chemisch  zerstörend  einwirken  und  die  Fasern  zerfressen  (Cau- 
Btica,  Corrodentia  im  engern  Sinne).  Die  vorzüglichsten  Rubefacientia  sind: 
Sem.  sinapeos,  Rad.  raphani  rusticani,  Folia  ranunculi  scelerati ,  heisses 
Wasser,  die  Urtication.  Epispastica  sind:  Cort.  mezerei,  Herba  clemat. 
erect. ,  Flammula  Jovis ,  Euphorbium ,  Sera,  sabadill.  etc.  Die  Kanthariden 
sind  das  vorzüglichste  Vesicans,  und  unter  die  eigentlichen  Caustica  rechnen 
wir  Alumen  ustum,  Aerugo,  Mercur.  praecip.  albus  und  ruber,  Lapis  cau- 
sticus,  infernalis,  den  Vitriol,  die  concentrirten  Mineralsäuren ,  Butyrum  an- 
timonii,  Calx  viva  etc.  Die  beste  Bereitung  dieser  verschiedenen  Mittel 
und  ihre  Anwendung  ist  folgende:  1)  der  Senfteig,  Senfpflaster  (Eropl. 
sinapeos)  wird  aus  gleichen  Theilen  gestossenen  Senfsamen  und  Sauerteig, 
mit  scharfem  Essig  durchknetet,  bereitet.  Setzt  man  Acetum  squillit.  oder 
§jy  Sal  gemmae  hinzu  oder  etwas  Acid.  aceticuin,  so  wird  die  Wirkung  da- 
durch sehr  vermehrt.  2)  Der  Meerrettigteig.  Er  wirkt  schneller  als  der 
Senfteig,  mit  welchem  man  ihn  auch  vermischt  anwenden  kann,  indem  man 
Rad.  raph.  rust.  frisch  reibt.  Man  streicht  %  bis  %  Zoll  dick  solche  Teige 
auf  Leinwand  oder  Leder,  legt  sie  an  den  bestimmten  Theil  des  Körpers, 
und  lässt  sie  V4,  V2  Stunde  und  länger  liegen,  bis  sie  ihre  Wirkung  gethan 
haben.  Die  herrliche  Wirkung  dieser  Mittel  als  Derivantia,  um  schädliche 
Krankheitsreize  vom  Kopfe  und  von  andern  wichtigen  Organen  abzuleiten, 
z.  B.  in  asthenischen  Fiebern,  Pneumonien,  bei  Krämpfen,  oder  um  zu  be- 
leben, z.  B.  bei  örtlichen  Lähmungen,  bei  Neuralgien,  um  Zahn-  und  Oh- 
renschmerz etc.  abzuleiten ,  bei  Metastasen ,  Erysipelas  retrogressum  und  in 
vielen  andern  Krankheitszuständen  ,  ist  bekannt.  3)  Die  Rinde  von  Daphn« 
mezereura  legt  man  am  besten  frisch,  einen  Quadratzoll  gross,  mit  ihrer  In- 
nern Fläche  auf  die  zu  reizende  Hautstelle.  In  Ermangelung  der  frischen 
Rinde  weicht  man  die  trockne  vorher  in  Essig  oder  Wasser  ein.  Soll  blo« 
Röthe  und  keine  Excoriation,  kein  Austtuss  lymphatischer  Feuchtigkeit  und 
keine  Eiterung  (Exutorium)  entstehen ,  so  nimmt  man  die  Rinde  ab ,  sobald 
die  Haut  roth  geworden  ist ,  und  bedeckt  letztere  mit  Wachstuch.  4)  Die 
Wolfsmilch  (Euphorbium)  erregt  schnell  Röthe,  Blasen,  Entzündung,  und 
kann  selbst  den  Brand  zur  Folge  haben.  Man  streut  das  Pulv.  euphorbii 
auf  cariöse  Knochenstellen ,  um  die  Absonderung  derselben  vom  Gesunden 
zu  bewirken,  oder  man  bestreicht  sie  mit  Tinct.  euphorbii;  um  die  Weich- 
gebilde zu  schonen,  muss  man  diese  vorher  mit  trockner  Charpie  bedecken. 
5)  Emplastrum  cantharidum  ordinarium  und  perpetuum.  Das  gewöhnliche 
Spanische  -  Fliegenpflaster  muss ,  wenn  es  kräftig  wirken  soll ,  frisch  be- 
reitet seyn.    Lässt  man  es  länger  als  zwei  bis  drei  Stunden  liegen,  so  ent- 


366  CAUSTICA 

stehen  oft  grosae  Blasen  und  mitunter  folgt  darauf  hartnSckige  Eiterung, 
besonders  wenn  man  sie  auf  die  obern  Halswirbel  applicirt  und  lange  liegen 
lässt,  wodurch  man  selbst  Caries  entstehen  sah  (^SacJise").  Bei  sehr  reiz- 
baren, sensiblen  Subjecten  ist  es  gut,  statt  des  gewöhnlichen  Empl.  vesic. 
eine  Mischung  von  letzterm  und  von  Empl.  melilot.  anzuwenden  und  die 
Haut  vorher  mit  feinem  Nesseltuch  zu  belegen ,  um  einer  zu  starken  Wir- 
kung vorzubeugen.  Auch  ists  gut,  die  Hautstelle  vorher  von  ihren  feinen 
Haaren  zu  befreien  und  beim  spätem  Verbinden  dahin  zu  sehen,  dass  die 
Oberhaut  nicht  abgezogen  werde,  sonst  entstehen  heftige  Schmerzen  durch 
die  Eimvirkung  der  Luft.  Ists  aber  der  Fall,  dass  zufällig  die  Stelle  von 
der  Epidermis  entblösst  worden,  so  lindert  am  besten  das  Aufstreichen  von 
Ol.  hyoscyami  und  das  feine  Aufstreuen  von  Sem,  lycopodii  oder  Amylum. 
Die  Wirkung  der  Vesicatorien  ist  bekanntlich  intensiver  als  die  der  Senf- 
und  Meerrettigteige ,  und  sie  haben  den  Vorzug,  dass  sie  seröse  und  lym- 
phatische Secretionen  bewirken,  wodurch  auch  materielle  Krankheitsreize 
entfernt  werden  können.  Indicirt  sind  sie  in  allen  Fällen ,  wie  bei  Nr.  1 
und  2.  Das  Empl.  cantharid.  perpet.  gebrauchen  wir  häufig  zur  Erregung 
und  Unterhaltung  künstlicher  Geschwüre,  wo  es  dann  viele  Tage  lang  lie- 
gen bleiben  kann.  6)  Alumen  ustum.  Der  gebrannte  Alaun  eignet  sich  als 
gelindes  Ätzmittel  zum  Einstreuen  in  schwammige,  unreine  Geschwüre,  be- 
sonders auch  zum  Wegbeizen  der  schwammigen  Auswüchse  am  Nabel  klei- 
ner Kinder.  Hier  wird  er  rein  angewandt  und  jedesmal  nur  wenig  davon 
dünn  ein  -  oder  aufgestreuet.  Mit  gleichen  Theilen  pulverisirtem  Zucker 
vermischt  und  ins  Auge  geblasen ,  dient  er  zum  Wegätzen  von  Augenfellen 
(^Reil,  Mem.  clin.  Vol.  I.  fasc.  1.  p.   198).     Die  Anwendung  der  Alaunchar- 

Eie,  des  Alaunwassers,  der  Alaunzäpfchen  lehrt  die  Chirurgie.  7)  Mercurialia. 
>er  rothe  Präcipitat  als  Pulver  oder  in  den  Präparaten  (Unguent.  hydrargyr. 
rubr.,  Bals.  ophthalm.  rubr.)  ist  ein  sehr  wirksames  Ätzmittel,  besonders  bei 
nicht  venerischen  Geschwüren  und  Auswüchsen,  Dem  weissen  Präcipitat  ge- 
ben Viele  bei  venerischen  äussern  Übeln  den  Vorzug,  doch  bleibt  hier  die 
innere  Anwendung  des  Mercurs  wol  immer  die  Hauptsache,  besonders  bei 
primären  Chankern,  wo  letztere  und  deren  völlige  Heilung  durch  innere 
Älittel  als  der  Thermometer  der  gründlichen  oder  nicht  gründlichen  Cur  der 
Syphilis  angesehen  werden  können.  Die  herrlichen  Wirkungen  des  Merc. 
praec.  alb.  und  ruber  in  Form  von  Salben  gegen  verschiedene  Augenübel 
ist  bekannt.  8)  Acidum  sulphuricum  concentratum.  Das  Vitriolöl  passt  sehr 
gut  zum  Wegätzen  der  Warzen,  indem  man  vorsichtig  einen  kleinen  Tro- 
pfen mittels  eines  feinen  Glasetäbchens  auf  die  Warze  fallen  lässt  und  dies 
täglich  drei  bis  viermal  wiederholt  (Ä.),  womach  sie  bald  abstirbt.  9)  La- 
pis causticus,  Ist  ein  vorzügliches  Ätzmittel,  welches  bei  unreinen  Geschwü- 
ren mit  callösen  Rändern,  bei  der  schwarzen  Blatter  (s.  Anthrax),  bd 
Carbunkel,  beim  Hospitalbrande  zur  Belebung  der  erloschenen  Lebensthätig- 
keit,  bei  vergifteten  Wunden,  zur  Öffnung  sogenannter  kalter  Abscesse 
(s.  Abscessus  lymphaticus)  etc.  vielfache  Anwendung  findet.  10)  La- 
pis infernalis.  Ist  das  bequemste  von  allen  Ätzmitteln ,  das  in  vielen  Fällen 
vor  dem  Lap.  causticus  den  Vorzug  verdient.  Schwammiges  Fleisch  beizt 
man  damit  weg,  indem  man  ihn  in  trockner  Gestalt  anwendet.  Zur  Öff- 
nung eines  Abscesses  wendet  man  ihn  oder  den  Lap.  causticus  pulverisirt 
an,  indem  man  eine  Öffnung  in  ein  Klebpflaster  schneidet  (Empl.  fenestra- 
tum),  in  diese  Öffnung  das  Causticum  legt,  dieses  mit  einem  zweiten  Kleb- 
piiaster  bedeckt  und  das  Ganze  vier  bis  sechs  Stunden  liegen  lässt.  Bei 
Abnahme  des  Pflasters  fliesst  der  Eiter  häufig  schon  von  selbst  aus ,  oder 
man  entfernt  die  Borke  (Eschara)  erst  mit  einer  Sonde,  oder  man  verbin- 
det mit  Digestivsalbe,  welche  die  Borke  losweicht  (jB.).  Wie  herrlich  eine 
schwache  Auflösung  von  Ijap.  infernalis  (5j  auf  jvj  Aq.  dest.)  zur  Heilung 
alter  unreiner  Geschwüre,  zur  Exfoliation  des  Knochens  bei  Caries,  zur  Hei- 
lung der  Mercurialgeschwüre  etc.  wirkt-,  ist  bekannt.  11)  Butyrum  anti- 
monü.  Wirkt  sehr  stark  ätzend ,  hat  aber  das  Unbequeme ,  dass  sie  wegen 
ihrer  flüssigen  Form  nicht  gut  auf  den  Ort  beschränkt  werden  kann,    y/o 


CAÜSTICA  307 

fäie  wirken  soH.  Man  wendet  sie  bei  Caries,  zum  Vertreiben  von  AnswGch- 
sen  etc.  an.  12)  Herba  und  Oleum  sabinae.  Werden  als  gelindes  Causti- 
cum  äusserlich  bei  Knochenfrass  empfohlen.  13)  Aqua  calcis  und  Liquor 
kali  carbonici.  Sie  wirken  nur  gelind  reizend  und  werden  äusserlich  bei 
langwierigen  alten,  jauchigen  Fussgeschwüren  und  Fisteln,  beim  feuchten 
Knochenfrass  zur  Verminderung  der  sich  stark  absondernden  Jauche,  gegen 
Verbrennungen,  gegen  Nachtripper,  und  das  Kali  besonders  gegen  scrophu- 
löse  Geschwülste  etc.    empfohlen.  C.  J.  F.  Behrens. 

Nachschrift  des  Herausgebers.  Wir  wenden  die  Ätzmittel  an: 
1)  zur  Zerstörung  krankhaft  entarteter,  von  aussen  her  zugänglicher  organi- 
scher Flächen,  also  bei  Afterorganisation,  2)  zur  Zerstörung  giftiger,  in 
Wunden,  Geschwüre  gebrachter  Stoffe,  3)  zur  Erweckung  eines  hohem 
Grades  von  Lebensthätigkeit  in  irgend  einem  organischen  Theile,  4)  zur 
Eröffnung  der  Wandungen  natürlicher  oder  krankhaft  entstandener  Höhlen, 
5)  zur  Umstimmung  krankhaft  erregter  Sensibilität  nach  dem  Gesetze  des 
Contrastimnlus  und  Antagonismus ,  6)  zur  Erregung  künstlicher  Geschwüre, 
7)  zur  Stillung  von  Blutungen,  z.  B.  Lap.  causticus  bei  Blutegelstichen, 
wenn  diese  zu  lange  und  zu  stark  nachbluten.  Indicirt  sind  demnach  die 
Caustica  in  manchen  Fällen  bei  Krebs ,  Polypen ,  Muttermälern ,  kalten  Ab- 
scessen,  Congestionsabscessen,  bei  Arthrocace  und  Tumor  albus,  bei  paren- 
chymatösen Blutungen  etc.  —  Um  Vesicatorien,  Rubefacientia  und  Escharo- 
tica  zu  ersetzen,  hat  Dr.  Carlisle  ein  metallenes  Instrument,  ähnlich  einem 
gewöhnlichen  Platteisen,  das  in  Ermangelung  jenes  auch  wol  dieselben  Dien- 
ste thut,  vorgeschlagen,  welches  in  kochendem  Wasser  zu  verschiedenen 
Graden  erhitzt  und  kürzere  oder  längere  Zeit  auf  die  Haut  gelegt  wird. 
Will  man  Blasen  ziehen ,  so  lässt  man  es  5  Minuten  lang  in  kochendem  Was- 
ser liegen,  so  dass  es  zu  212"  Fahr,  erhitizt  worden,  bedeckt  den  Theil  mit 
einem  durch  warmes  Wasser  nass  gemachten  Stück  Seidenzeuch,  drückt  daa 
Instrument  drei  bis  vier  Secunden  leicht  an ,  und  die  ganze  Operation  ist 
beendigt.  Zuerst  entsteht  Runzelung  \md  Blässe  der  Haut,  dann  Entzün- 
dungsröthe,  Absonderung  eines  Serums  und  Lostrennung  der  Epidermis.  Man 
trocknet  den  Theil  nun  gehörig  ab,  bedeckt  ihn  mit  trockner  Leinwand  und 
verbindet  später  die  Stelle  mit  einem  fetten  Gerat.  Soll  das  Instrument  nur 
als  Rubefaciens  wirken,  so  bedeckt  man  den  Theil  mit  einem  Stück  trock- 
nen Seidenzeuch,  und  bewegt  es,  als  wenn  man  mit  einem  Platteisen  plät« 
tet,  so  lange  langsam  auf  demselben  hin  und  her,  bis  Röthe  und  Schmerz 
entsteht  (s.  Dierbach,  N.  Entdeck,  in  d.  Mat.  med.  1828.  Abth.  1.  S.  70). 
Allerdings  verdient  ein  solches  heisses  Eisen  (ich  habe  in  Ermangelung  des- 
selben ein  kleines  Platteisen  in  manchen  Fällen,  um  schnell  einen  Gegenreiz 
zu  bewirken,  angewandt)  oft  den  Vorzug  vor  den  Kanthariden,  besonders 
da,  wo  die  Nebenwirkungen  der  letztern  auf  die  Harnwege  zu  befürchten 
sind.  Auch  die  Salpetersäure  (Acid.  nitri  jj,  Aq.  dest.  gf^)  wenden  engli- 
sche Arzte  als  Hautreiz  bei  Krämpfen,  in  typhösem  Fiebern  auf  die  Magen- 
gegend mit  Nutzen  an.  Man  bestreicht  den  Theil  damit  mittels  einer  Fe- 
der, und  wäscht  ihn  nachher,  sowie  der  Kranke  über  Schmerzen  klagt, 
mit  Kaliauflösung  ab  (s.  Med.  chir.  Zeitung,  1821.  Bd.  I.  S.  403  und  II. 
S.  404).  Dr.  Hüll  in  Ostindien  lobt  das  Mittel  in  der  Cholera,  sowie  in 
allen  Fällen,  wo  der  rasche  Verlauf  des  Fiebers  in  Verbindung  mit  Con- 
gestionen  den  Kranken  ins  Grab  fuhrt,  bevor  der  Arzt  Zeit  hat,  es  zu  be- 
kämpfen. Folgende  Mittel,  die  sehr  zweckmässig  als  Hautreize  angewandt 
werden  können,  sind  hier  noch  anzuführen:  1)  Aqua  sinapeos  concentrata, 
Macht  schnell  Hautröthe  und  selbst  kleine  Bläschen.  Man  legt  es  mit  Cora- 
pressen  auf  die  Haut,  besonders  wo  man  gelähmte  Theile  reizen  oder  bei 
Apoplexie  deriviren  will.  Auch  das  Waschen  damit  ist  gegen  Krätze  sehr 
wirksam  (^Fontenelle').  2)  Das  anhaltende  Auflegen  von  Seidelbast  erregt 
bekanntlich  ein  Hautgeschwür  mit  bedeutender  peripherischer  Röthe.  Man 
wählt  gewöhnlich  den  Oberarm.  Sehr  wirksam  ist  sein  Gebrauch,  sowie 
der  der  Fontanelle,  gegen  Anlage  zu  Hydrocephalus  bei  Kindern  (^Sachse). 
Statt  der  Rinde  kann  man  bequemer  die  Pomade  de  Garou,  den  vom  Apo- 


368       CAÜSUS  INFIJJVIMATORIÜS  —  CAUTERIUM 

theker  Dronat  bereiteten  blasenziehenden  Taffet  oder  solches  Papier  in  An- 
wendung bringen  (s.  Med.  chir.  Zeit.  1820.  II.  S.  S71).  Das  grüne  Hara 
der  Daphne  Mezer.  ist  der  wirksamste  scharfe  Theil  derselben.  Folgende 
Salbe  ist  als  Rubefaciens  sehr  wirksam:  I^  Axung.  porci  §x,  Cerae  flav,  ^, 
Liquefact,  adde  Resin.  mezerei  virid.  3(^'  M.  (s.  Journ.  de  Pharmacie.  Avril 
18:25.  p.  167.  Dierbach,  1.  c.  Abth.  2.  S.  62  u.  f.).  3)  Das  Unguent.  ve- 
sicans,  welches  man  zu  Würzburg  im  Feldkrankenhause  anwendet,  zieht 
schnell  Blasen  und  ersetzt  häufig  das  so  furchtbar  aussehende  Glüheisen. 
Es  besteht  aus  Folgendem:  I^  Unguent.  basilici  nigr.  Sjjj,  Pulv.  cantharid. 
gr.  XXV,  Merc.  sublim,  corros.,  Butgr.  antimonii  ana  3ß-  M.  Die  Salbe  rö- 
thet  schon  nach  %  Stunde  die  Haut  und  erregt  denselben  Schmerz  wie  eine 
Verbrennung.  Gleich  darauf  erhebt  sich  eine  Blase,  und  zwar  um  so  schnel- 
ler, je  frischer  die  Salbe  bereitet  worden  ist  (s.  Gerson  und  Julius  Magaz. 
Bd.  II.  S.  551.).  4)  Das  reine  Kalium,  die  metallische  Grundlage  des  Kali. 
Man  lässt  sich  vom  Apotheker  dasselbe  bereiten  und  conservirt  es,  da  es 
bekanntlich  sehr  leicht  in  Oxydation  übergeht,  in  Ol.  petrae.  Will  man  es 
anwenden,  so  setzt  man  einen  kleinen  metallenen  Cylinder,  dessen  Lumen 
der  Grösse  der  zu  beizenden  Stelle  entspricht,  auf  den  leidenden  Theil, 
fasst  mit  einer  Pincette  ein  Stückchen  des  Kaliums,  bringt  es  schnell  in  den 
Cylinder  und  lässt  etwa  einen  Tropfen  Wasser  nachfliessen.  Es  entsteht 
alsdann  durch  den  Oxydationsprocess  eine  Flamme  und  ein  Brandschorf.  In 
der  Gräfe'schen  Klinik  in  Berlin  ist  neuerlich  dies  Causticum  gegen  Tumor 
albus  etc.  angewandt  worden  (s.  A.  Th.  L.  Drummer,  Dissert.  de  Kalio  etc. 
Rostoch.  1830).  5)  Das  Oleum  sinapeos  aethereum  empfiehlt  Dr.  Meyer  ia 
Pr.  Minden  als  schnellwirkendes  rothmachendes  und  blasenziehendes  Mittel. 
Man  nimmt  davon  24  Tropfen,  löst  sie  in  1  Unze  Weingeist  auf  und  reibt 
dami  bei  zarten  Personen  etwas  in  die  Haut,  ist  die  Haut  derb  und  wenig 
empfindlich,  so  tränkt  man  Leinwandstreifen  damit,  die  man  auf  die  Haut- 
stelle applicirt.  Nach  den  in  Berlin  gemachten  Versuchen  mit  diesem  Mittel 
(s.  Wolf  in  d.  Berliner  medic.  Zeitung  des  Vereins  f.  Heilk.  etc.  1835.  Nr.  41) 
leistet  dasselbe,  2 — 3mal  täglich  äusserlich  angewandt,  sehr  gute  Dienste  bei 
schmerzhaften  subacuten  rheumatischen  Affectionen  der  Gelenke,  Aponeuro- 
sen  und  Muskeln,  bei  chronischem  Rheuma,  bei  nervöser  Otalgie,  Odontal- 
gie,  Prosopalgie,  Ischias,  bei  Lähmungen,  falscher  Ankylose,  bei  Gelenk- 
anschwellungen, atonischer  Wassersucht,  als  antagonistisches  und  Reizmittel. 

CausiiS  inflauunatorius f  das  Brennfieber,  s.  Febris  inflam- 
matoria. 

CauterisatiOj  das  Kauterisiren,  die  Operation  des  Brennens, 
S.Cauterium. 

*  Cauterium,  ein  Brennmittel,  schnell  wirkendes  Ätzmit- 
tel.    Man  unterscheidet  hier 

Cauterium  nctuale  und  potcniinle.  Ersteres  ist  ein  aus  Eisen,  Gold,  Sil- 
ber etc.  verfertigtes  chirurgisches  Instrument  von  verschiedener  Form  und 
Grösse  (Glüheisen),  welches  weiss  -  « 1er  rothglühend  als  Ätzmittel  z\ir  Her- 
Torbringung  eines  kräftigen  Hautreizes,  künstlicher  Geschwüre,  zur  Stillung 
von  Blutungen,  wo  die  Blutung  aus  dem  Knochen,  aus  tiefliegenden,  schwer 
aufzufindenden  Gefässen  kommt,  und  in  vielen  andern  Fällen  (bei  vergifte- 
ten Wunden  durch  Hundswuth-,  Vipern-,  Schlangengift,  bei  Excrescenzen 
des  Zahnfleisches,  Caries  etc.)  seine  Anwendung  findet.  Letzteres  (das  Cau- 
terium Potentiale)  ist  das  Ätzen  mittels  verschiedener  Beizmittel  (s.  Cau- 
stica).  Ausser  dem  Glüheisen  rechnet  man  noch  hierher  die  Moxa,  das 
Brennen  mit  Schiesspulver  und  die  künstliche  Wärme  mittels  der  Brennglä- 
ser \uid  der  glühenden  Kohlen,  die  theils  in  den  genannten  Krankheiten, 
theils  auch  (vorzüglich  die  Moxa)  in  localen  rheumatischen  und  arthritischen 
Beschwerden,  besonders  bei  metastatischen  Ablagerungen  zu  den  Gelenken 
mit  Nutzen  angewandt  werden.  Die  Moxa,  auch  Brenncylinder  genannt, 
wird  auf  folgende  Art  bereitet.  Man  zerreibt  trockne  Blätter  der  Artemisia 
vulgaris  und  bildet  daraus  einen  kleinen  Kegel,  dessen  stumpfes  Ende  man 


CAUTERIUM  369 

mUiels  einer  Flüssigkeit  auf  die  Haut  befestiget  und  anz&ndet.  Aucli  kann 
man  die  Moxa  aus  Baumwolle,  die  man  konisch  zusammenrollt  und  mit 
Zwirn  fest  umwickelt  und  durchnäht,  verfertigen.  Sehr  gut  ist  es,  wenn 
man  die  Baumwolle  konisch  formt  und  lose  mit  BaurawoUengarn  umwickelt, 
und  das  Ganze  etwas  mit  Ol.  terebinth.  und  Spiritus  anfeuchtet  (Ä.)'  (Das 
Mark  der  Sonnenblume,  oder  Flachs,  in  concentrirter  Solutio  kali  nitrici 
getränkt  oder  getrocknet,  oder,  was  das  Kürzeste  ist,  die  in  der  Apotheke 
schon  vorräthigen  Räucherkerzchen  passen  besonders  gut  zur  Moxa.  M.). 
Man  zündet  dieselbe  an  der  Spitze  an  und  lässt  sie,  indem  man  gelinde 
bläst ,  bis  auf  den  Grund  abbrennen.  Die  entstandene  Brandborke  verbindet 
man  darauf  mit  Digestivsalbe,  auf  Charpie  gestrichen.  Das  Abbrennen  des 
Schiesspulvers  hat  man  wol  bei  Wunden,  die  durch  den  Biss  toller  Hunde 
entstanden,  angewandt,  besonders  bei  furchtsamen  Kranken,  die  das  Glüh- 
eisen scheuen.  Man  streuet  Schiesspulver  in  die  Wunde  und  zündet  es  an. 
Die  künstliche  Wärme  durch  Brenngläser  oder  Glühkohlen  wendet  man  nur 
so  an ,  dass  angenehme  Wärme  entsteht  und  kein  Schmerz ,  daher  man  die 
Kohle  nur  in  die  Nähe  des  Theils  bringt  und  den  Focus  des  Brennglases 
nicht  zu  klein  nimmt.  Man  hat  diese  Mittel  zur  Heilung  hartnäckiger  Ge- 
schwüre (nur  nicht  der  scrophulösen)  empfohlen,  und  sie  zu  diesem  Zweck 
täglich  einigemal,  %  Stunde  lang,  angewandt.  —  Die  actuellen  Cauterien 
unterscheiden  sich  von  den  potentiellen  in  mancher  Hinsicht.  Sie  wirken 
plötzlich ,  energisch ,  erschütternd ,  trocknen  den  Theil  aus ,  mit  dem  sie  in 
Berührung  kommen,  sie  verkohlen  ihn  und  erzeugen  eine  trockne  Brand- 
kruste. Ihre  Wirkung  erstreckt  sich  im  Augenblicke  der  Anwendung  weit- 
hin auf  die  Nachbartheile  und  der  Organismus  wird  so  wol  in  der  sensiblen 
und  irritablen  als  in  der  vegetativen  Sphäre  in  erhöhte  Thätigkeit  gebracht. 
Sie  wirken  erhebend,  reizend  und  erweckend  durch  Ausströmung  des  allbe- 
lebenden Princips:  des  Wärmestoffs,  daher  die  sich  im  Umfange  der  ge- 
braunten Stelle  weit  verbreitende  Entzündung  eine  active,  arterielle  ist. 
Der  durch  sie  bewirkte  trockne  Brand  beschränkt  sich  stets  auf  die  Stelle, 
-wo  das  Eisen  applicirt  worden  ist,  der  Brandschorf  löst  sich  durch  Eite- 
rung, die  eine  reine  Geschwürsfläche  darbietet  und  Pus  landabile  absondert. 
Der  Schmerz,  der  das  Brennen  erregt,  ist  nicht  anhaltend  und  lässt  sich 
ertragen,  die  Furcht  davor  ist  meist  übertrieben.  Indicirt  ist  das  Glühei- 
sen, äas  HippoTcrntes  schon  so  sehr  lobt,  bei  zahlreichen  Innern  und  äussern 
Gebrechen ,  als  1)  bei  allgemeinen  Krankheitszuständen ,  die  auf  Depression 
oder  Verstimmung  der  Lebensthätigkeit  beruhen ,  um  eine  schnelle  Reaction, 
Aufregung  und  Umstimmung  der  vitalen  Kräfte  herbeizuführen ,  als  bei  Fe- 
brb  typhosa,  putrida,  Typhus  torpidus,  bei  Krampfübeln:  Epilepsie,  Hy- 
drophobie, Chorea,  Tetanus,  Trismus,  bei  Syncope  und  Asphyxie.  2)  Bei 
Localleiden,  denen  organische  Verletzungen,  ein  gesunkener,  erhöhter  oder 
perverser  Lebensprocess  zum  Grunde  liegt,  namentlich  bei  Paralysen:  Amau- 
rose, Cophosis,  Aphonie,  Obstipitas  capitis,  Blepharoptosis  paralytica,  Läh- 
mung der  obern  und  untern  Extremitäten ,  bei  Neuralgien :  Ischias  nervosa, 
Prosopalgie,  Hemicranie,  Clavus,  Cephalalgie,  bei  Hirnleiden,  chronischem 
Schwindel,  Hydrocephalus,  Apoplexia  nervosa,  serosa,  Manie,  Fatuität,  bei 
Atonie  der  Muskeln  und  Gelenkbänder  und  Luxatio  habitualis,  bei  allen 
kalten  Geschwülsten,  bei  serösen  Ergiessungen  in  die  Rückenmarkshöhle, 
bei  kritischen ,  roetastatischen  und  Lymphabscessen ,  bei  Gelenkkrankheiten, 
bei  allen  Arthrocacen  im  zweiten  und  dritten  Stadium  (^Rust) ,  bei  Hydrar- 
thrus,  bei  putriden,  atonischen,  scorbutischen ,  fungösen,  carcinomatösen, 
brandigen  und  fistulösen  Geschwüren ,  bei  Caries  fungosa  und  superficialis, 
beim  Carbunkel  und  Hospitalbrande,  selbst  bei  Blasenscheidenfisteln  (Dti- 
puytren) ,  nach  der  Exstirpation  des  Krebses  auf  die  frische  Wundfläche 
(^Rust),  um  den  Krebszunder  zu  zerstören  und  den  ganzen  Organismus  um- 
zustiimnen,  bei  Aftergebilden  und  Parasiten:  Polypen,  Warzen,  Kondylo- 
men ,  Telangiectasien ,  beim  Fungus  in  Antro  Highmori ,  beim  sarcomatösen 
Ectropium ,  bei  Trichiasis  idiopathica ,  bei  vergifteten  Wunden ,  bei  Blutun- 
gen aus  den  Knochen ,  bei  chronischem  Astbma,  bei  solchen  Katarrhen  u.  a.  t 
Most  Encyklopädie.  Zte  Aufl.  I.  24 


310  CAÜTERJUM 

In  vielen  Fällen  ists  auch  gut,  aus  der  Brandwunde  ein  künstliches  Gc- 
gchwür  zu  bilden  und  lange  offen  zu  erhalten,  Contraindicirt  ist  das 
Brennen  a)  bei  zarten,  sensiblen  reizbaren  schwächliclien  Subjcctcn ,  zarten 
Kindern  unter  dem  Alter  von  4  Jahren ,  bei  sensiblen  Frauen ;  b)  bei  allen 
Übeln  mit  gesteigertem  Lebensprocessc ,  mit  arterieller  Entzündung,  sjno- 
chischen  Fiebern ;  c)  in  Fällen ,  wo  man  eine  profuse  Secretion  erzielt ;  hier 
ist  der  Lap.  causticus  passender;  denn  das  Glüheisen  trocknet  mehr  aus; 
daher  .es  auch  bei  Necrose  schädlich  wirkt  ( If ^eidmnnn)  ;  d)  da,  wo  der 
Kranke  eine  unüberwindliche  Scheu  vor  dem  Brennen  hat  und  man  noch 
Hoffnung  hat,  durch  ein  milderes  Verfahren  zum  Ziele  zu  gelangen.  Den 
Ort  der  Application  betreffend,  sagt  Wilde  (^Rmfs  Hanbbuch  d.  Chirurgie^ 
Bd.  IV,  S.  311):  „Bei  Gehirnleiden,  Geisteskrankheiten,  Ohnmächten,  Schein- 
tod, Chorea,  Epilepsie-,  Schwindel,  Hydrocephalus,  Amaurose  und  Taub- 
heit cauterisirt  man  den  Nacken  oder  den  Schädel  am  vordem  und  hintern 
Ende  der  Sutura  sagittalis.  Bei  Geisteskrankheiten  empfiehlt  Benüiardf 
gleichzeitig  den  Scheitel  und  die  Fusssohlen  mit  dem  Glüheisen  zu  bestrei- 
chen, und  Valenlin  räth,  auf  dem  Scheitel  oder  von  diesem  herab  nach  dem 
Nacken  einen  ziemlich  breiten,  4 — 5  Zoll  langen  Brandschorf  zu  bewirken, 
und  im  Nacken  zugleich  bis  auf  die  Muskeln  durchzubrennen.  Nach  Oeijij 
(Uxifdand's  Journ. ,  1828,  Scptbr.)  kann  man  bei  Geisteskrankheiten  auch 
einen  6  Zoll  langen  Streifen  mit  dem  prismatischen  Glüheisen  zu  beiden 
Seiten  der  Wirbelsäule  ziehen.  Epileptische  Anfälle,  welche  sich  durch  die 
Aura  epileptica  Aerkünden,  verhütete  v.  Pommcr  dadurch,  dass  er  zwischen 
dem  Nervencentrum  und  der  Ausgangsstelle  der  Aura,  etwa  Vi  —  2  Zoll 
von  dieser  entfernt,  Moxen  setzte.  Auf  solche  Weise  soll  die  Weiterver- 
breitung der  Aura  aufgehoben  werden  und  deshalb  der  Anfall  nicht  zu 
Stande  kommen.  Bei  Typhus  paralyticus  und  Trismus ,  bei  Lähmungen,  die 
vom  Rückenmark  ausgehen,  und  bei  Krankheiten  der  Wirbelsäule,  z.  B. 
Spondylarthrocace ,  brennt  man  zu  beiden  Seiten  der  Processus  spinosi  5 — 6 
Zoll  lange  Streifen,  und  zwar  bei  Lähmungen  der  obem  Extremitäten  am 
obern,  bei  denen  der  untern  Extremitäten  am  untern  Ende  der  Columna 
vertebrarum.  Bei  Scheintodten  bewirkt  man  die  Ustion  gewöhnlich  auf  der 
Herzgrube.  Neuralgien  verfolgt  man  mit  dem  Cauterium  nach  dem  Laufe 
der  leidenden  Nerven,  oder  man  cauterisirt  an  der  Stelle,  wo  der  Schmerz 
am  heftigsten  ist,  was  auch  bei  rheumatischen  und  arthritischen  Schmerzen 
geschieht.  Beim  Zahnweh  brennt  man  den  schmerzenden  Nerven  selbst, 
bei  Kopfschmerzen  im  Nacken,  bei  Prosopalgie  vor  dem  Processas  mastoi- 
deus  oder  unmittelbar  auf  der  schmerzhaften  Stelle,  bei  Ischias  postica  hin- 
ter und  unter  dem  grossen  Trochanter.  Bei  der  Hydrophobie  cauterisirt 
man  die  gebissene  Stelle,  nach  Johnson  Brust  und  Hals,  oder,  nach  Siher- 
gimdi,  in  der  Regio  epigastrica  und  in  der  Gegend  des  achten  und  neunten 
Rückenwirbels,  irnd,  nach  Rtist,  die  gebis.sene  Stelle  und  den  Nacken  zu- 
gleich. Bei  der  Amaurose  wendet  v.  Castelln  das  Glüheisen  ad  sinciput  an, 
Larrey  dagegen  über  dem  kranken  Auge,  an  den  Schläfen  und  im  Verlaufe 
des  Nervus  facialis.  Bei  Taubheit  appücirt  man  es  auf  den  Processus  ma- 
stoideus  oder  auf  den  Schädel  (J^cc/r);  bei  Aphonie  in  der  Nähe  des  La- 
rynx  nach  dem  Verlaufe  des  Nervus  recurrens ,  wenn  auch  der  Galvanismu» 
hier  fruchtlos  6  —  8  Wochen  lang,  täglich  einmal,  angewendet  worden  ist, 
und  bei  Blepharoptosis  paralytica  cauterisirten  Schmidt  und  Ritst  zwischen 
dem  Unterkiefer  und  dem  Processus  mastoideus,  doch  ist  es  nicht  minder 
zweckmässig,  das  kranke  Augenlid  selbst  mit  dem  Cauterium  zu  berühren. 
Bei  Obstipitas  capitis,  wo  der  eine  Sternocleidomastoideus  paralysirt  ist, 
brennt  man  den  gelähmten  Muskel.  Bei  Gelenkkrankheiten  cauterisirt  man 
dicht  über  dem  kranken  Gelenke ,  und  bei  Metastasen  die  früher  afficirt  ge- 
wesene Stelle.  In  allen  übrigen  Krankheitszuständen ,  wie  z.  B.  bei  Mus- 
kelrelaxationen, Loxarthrus,  Luxatio  atonica  etc.  wendet  man  es  unmittel- 
bar auf  den  leidenden  Theil  an."  Die  Form  und  Grösse  der  Eisen  ist,  je 
nach  den  speciellen  Fällen  der  Anwendung  und  der  Localität  verschieden. 
Man    hat   sie   von   prismatischer,    cylindrischer ,    konischer,    knopfformiger. 


CEDMA  —  GEPHALALGIÄ  371 

dolch-  und  troikarßrmiger  Gestalt,  und  führt  das  Eisen,  ßoll  es  in  H8b- 
len  cauterisiren ,  mittels  einer  koöchernen  Röhre  an  den  Theil.  Ein  grosses 
Becken  mit  glühenden  Kohlen  nebst  Blasebalg  dient  zum  Glühendmachen  des 
Instruments,  und  alsdann  bringt  man  es,  je  nach  dem  Zwecke,  tald  flüch- 
tig, bald  dauernder  mit  dem  zu  brennenden  Theile  in  Contact,  Zuweilen 
wiederholt  man  öfterer  die  Berührung  (Cauterisation  par  points). 

C.  J.  F.  Behrens. 

Cedma»  das  chronische  Gliederreissen,  besonders  im  Hüft- 
gelenke, die  sogenannte  Koxalgie;  s.  Arthrocace. 

Cele  (jj  xrjXrf)^  der  Bruch,  s.  Hernia. 

Celoides*  s.  Keloides.  Nach  Ramherg  ist  Alilerfs  Keloid  kein 
wahrer  Krebs,  sondern  vielleicht  eine  Mittelform  zwischen  Krebs  luid  Flech- 
ten; doch  ist  das  Übel  eben  so  hartnäckig  als  der  Krebs.  Frauen  zwischen 
den  Jahren  30  und  50  sind  dem  Übel  häufiger  unterworfen,  als  Männer; 
oft  finden  sich  gleichzeitig  mehrere  Keloide  bei  einem  Subjecte,  oft  erzeug- 
ten sie  sich  nach  der  Exstirpation  wieder.  Ramherg  glaubt,  dass  unter  den 
innern  Mitteln  das  Decoct.  Zittmanni  wol  wirksam  seyn  möchte  (s.  Rusi'a 
Handb.  d.  Chirurgie,  Bd.  IV,  S.  274). 

Celotomias  der  Bruchschnitt,  s.  Herniotomia. 

CcncliriaS)  Hirsenflechte,  s.  Herpes  miliaris. 

Ceneang^a,  Gefässleere,  Mangel  an  Blut  oder  andern  die  Ge- 
fasse  im  normalen  Zustande  füllenden  Flüssigkeiten,  zumal  in  Folge  starker 
Blutungen,  grosser  Aderlässe.     S.  Anaemia  und  Haemorrhagia. 

Centrog^anipllitis»  MyeloyanglUtis.  Ist  Entzündung  des  Rücken- 
marks und  der  Ganglien.     S.  Inflammatio  medullae  et  gangliorum. 

Ceplialaea»  ein  andauernd  heftiger,  tiefer  Kopfschmerz,  8.  Ce- 
phalalgi  a. 

Cephalaematoma«  Kopfgeschwiilst  der  Neugebornen ,  s.  Cepha- 
lophyma  und  Ecchymoma. 

Cepbalag^a;,  die  Kopfgicht,  s.  Arthritis. 

Ceptaalalg^ia  9  Dolor  capitis ,  Ecplexis  ( fltppoXrnf es ) ,  Ecplimis 
{Felix  Fiater ^,  der  Kopfschmerz.  Kein  Übel  giebt  einen  deut- 
licheren Beweis  davon ,  wie  noth wendig  und  wichtig  für  den  prakti- 
schen Arzt  eine  gute  generelle  Pathologie  und  Therapie  und  eine  genaue 
Diagnostik  ist,  als  gerade  der  Kopfschmerz,  da  die  Ursachen  desselben  und 
daher  auch  die  rationellen  Heilmittel  dagegen  so  mannigfaltig  und  ver- 
schieden sind.  Man  mache  sich  ein  Bild  von  einem  Übel,  das  in  den  mei- 
sten Fällen  nur  etwas  Symptomatisches,  bald  periodisch,  bald  anhaltend 
ist,  bald  den  ganzen  Kopf,  bald  nur  einen  Theil  desselben  einnimmt,  dem 
bald  Magenverderbniss ,  bald  Fehler  der  ganzen  Verdauung,  Fehler  de« 
Magens,  der  Leber,  der  Milz,  bald  Gicht  und  Rheumatismus,  bald  Syphi- 
lis, Anomalien  der  Hämorrhoiden  und  der  Menstruation,  dem  hier  Nerven- 
reize aller  Art:  Hypochondrie,  Hysterie,  Leidenschaften,  Ausschweifungen 
in  Baccho,  Venere,  Apolline  et  Minerva,  .  dort  Vollblütigkeit,  unterdrückte 
Blutungen,  Erkältung  des  Kopfs  wie  der.  Füsse,  verschiedene  fieberhafte 
Krankheiten,  mechanische  Kopfverletzungen,  organische  Fehler  des  Gehirns 
und  seiner  Umgebungen ,  allgemeine  Körperschwäche  etc.  zum  Grunde  lie- 
gen ,  und  man  hat  eine  flüchtige  Zeichnung  von  demjenigen  Übel ,  welches  wir 
Kopfschmerz  oder  Kopfweh  nennen.  Demnach  ist  die  Cephalafgie  Symptom 
bald  acuter,  fieberhafter,  bald  chronischer  Krankheiten.  Hier  ist  nur  die 
Rede  vom  Kopfschmerz  im  engern  Sinne,  der  in  der  Regel  fieberlos  ist  und 
so  vorwaltet,  dass  die  Grundkrankheit  sich  fast  allein  durch  ihn  und  seine 
Wirkungen  äussert  (Äcm«««),  daher  die  symptomatischen  Kopfschmerzen 
bei  Fiebern,  Entzündungen  und  fieberhaften  Exanthemen,  bei  allgemeiner 
VoUblütigkeit ,  bei  örtlichen  Blutanhäufungen  im  Kopfe  als  Folge  heftiger 
Bewegungen,   unterdrückter  Blutungen,  des  Nasenblutens,   der  I^morrhoi- 

24* 


372  CEPHALALGIA 

den,  als  Symptom  katarrhalischer,  rheumatischer,  arthritischer ,  Byphlliti- 
scher  Übel  etc.  hier  nicht  hergehören  und  nur  beiläufig  berührt  werden 
sollen.  Ältere  Ärzte  unterscheiden  Cephalaea  und  CephalaJtfin,  Uemicrania 
und  Clavus.  Die  erste  Art  ist  nach  Snuvages  ein  Dolor  capitis  gravitatus, 
die  zweite  ein  Dolor  capitis  periodicus,  diuturnus,  tensivus.  Die  Hemikra- 
nie  (Migräne) ,  sowie  der  Clavus  sind  häufig  Symptome  der  Hysterie  und 
gehören  zum  nervösen  Kopfweh.  In  klinischer  Hinsicht  können  wir  folgende 
Arten  annehmen:  ,  • 

Cephalalgia  iJiopathica.  Ursachen  sind:  äussere  Gewaltthätigkeiten 
mit  Verwundung,  Quetschung  der  festen  und  weichen  Theile,  mit  Ein- 
drücken oder  Brüchen,  Splittern  des  Hirnschädels,  Commotio  cerebri,  ein- 
gedrungene fremde  Körper  im  Gehirn ,  schneller  Wechsel  der  Temperatur, 
übermässige  Einwirkung  grosser  Hitze,  besonders  der  Sonnenstrahlen  (Inso- 
latio),  heftige  Gemüthsbewegungen ,  heftige  Geistesanstrengung,  Anhäufung 
von  Blut ,  Serum ,  Eiter ,  organische  Fehler  des  Gehirns  und  seiner  weichen 
und  knochigen  Bedeckungen:  Auswüchse,  Verhärtungen,  Geschwüre,  Caries, 
Knochenanschwellungen  (Tophi) ,  Verknöcherungen  der  Hirnhäute ,  Missbil- 
dung oder  abnormer  Bau  des  Schädels.  Grosse  Anlage  zu  dieser  Cepha- 
lalgie  haben  Personen  mit  Habitus  apoplecticus  (s.  Apoplexia).  ■  Cur. 
Ist  nach  den  Ursachen  höchst  verschieden.  Je  leichter  diese  zu  heben  sind, 
desto  eher  ist  die  Heilung  möglich.  Eine  40jährige  Frau  litt  seit  vielen 
Jahren  an  chronischen  Blennorrhöen  und  an  einem  periodischen  halbseitigen 
Kopfschmerz,  der  in  der  Regio  smus  frontalis  anfing  und  sich  so  über  diei 
ganze  linke  Kopfhälfte  Verbreitete.  Er  fing  des  Morgens  10  Uhr  an  und 
hörte  erst  nach  6 — 8  Stunden  auf.  Die  Nasenhöhle  der  leidenden  Seite 
war  selbst  beim  Katarrh  stets  trocken;  wahrend  der  Anfalle  ward  Übelkeit, 
Erbrechen ,  Abgang  von  wasserhellem  Urin  bemerkt.  Auf  eine  zußllig  ge- 
nommene Prise  Tabak  musste  sie  heftig  niesen,  wobei  ihr  aus  dem  Nasen- 
loche  em  steinartiges  bohnengrosses  Concrement  flog ,  wodurch  sie  sich  sehr 
erleichtert  fühlte.  Ähnliches  geschah  einige- Monate  später,  sie  entleerte 
viel  stinkenden  Eiter  aus  der  Nase ;  der  Ausflüss  hörte  auf  und  Patientin, 
die  jahrelang  durch  keine  Kunsthülfe  von  ihrem  Leiden  befreit  werden 
konnte  und  sich  schon  in  ihr  Schicksal  ergeben  hatte ,  geniesst  seit  der  Zeit 
die  beste  Gesundheit  (s.  Acicerniann  in  Heidelberg,  klin.  Annalen  v.  Puchell, 
CheUus  etc.,  1827,  Bd.  HI.  Hft.  2.  S.  400).    ■. 

CephaTalgia  Sympathien.  Ursachen  sind:  grosse  Anstrengung  der 
Augen^  heftige,  widrige  Eindrücke  auf  die  Sinne,  besonders  auf  den  Ge»^ 
ruchs-  und  Gehörssinn,  gewaltsames  wiederholtes  Niesen,  Gewaltthätigkei^ 
ten,  auf  die  Magengegend  ausgeübt,  gastrische  Reize:  Würmer,  Obstructii^ 
hepatis,  lienis,  alvi,  narkotische  Substanzen  (Cephalalgia  toxica),  Aus- 
schweifungen in  Baccho  et  Venere,  besonders  Onanie.  Cur.  Man  entferne 
die  Ursachen ,  berücksichtige  die  Constitution ,  deriviro ,  wo  es  nöthig  ist, 
und  gebrauche,  weinn  dennoch  der  Kopfschmerz  als  reines  nervöses  Übel 
zurückbleibt,  Nervina,  Antihysterica  etc.  Sehr  wichtig  ist  die  Diagnose 
der  verschiedenen  Arten  und  des  Sitzes  der  Cephalalgia ,  worüber  im  Allge- 
meinen Folgendes  zu  bemerken  ist.  Der  rheumatische  Kopfschmera  ist 
gewöhnlich  reissend,  stechend,  ziehend  und  remittirehd;  er  befällt  häufig 
die  äussern  Schädelbedeckungen,  erregt  Geschwulst,  Röthe  und  Schmerz 
beim  äussern  Druck.  Der  syphilitische  Kopfschmerz  nimmt  häufig  nur 
eine  kleine  Stelle  des  Vorderkopfs,  der  Stirnhöhlen,  der  Nasenwurzel  ein, 
ist  fix,  zuweilen  mit  Schwindel,  Niesen,  Trockenheit  der  Nase,  üblem  Ge- 
ruch etc.  verbunden.  Veraltete  Katarrhe  mit  Scrophulosis  inveterata ,  des- 
gleichen Geschwüre,  organische  Fehler,  Insecten  und  Würmer  in  den  Stirn- 
höhlen erregen  indessen  oft  ähnliche  Zufalle.  Der  gastrische  Kopfschmerz 
hat  seinen  Sitz  gewöhnlich  am  Vorderkopfe,  der  hysterische  entweder 
an  der  einen  Seite  des  Kopfs  (Hemikranie),  oder  am  Hinterkopfe,  oder 
nur  an  einer  sehr  kleinen  Stelle  des  Kopfs  (Clavus),  und  ist  häufig  mit  dem 
Gefühle  von  Kälte  und  Zusammenziehen  begleitet  (^Fogel^;  sind  organische 
Fehler  die  Ursache  des  Kopfschmerzes,    so  ist  er  sehr  hartnäckig,    anhal- 


CEPHALICA  373 

tentl,  zuweilen  mit  Erbrechen,  Krampf  und  Zuckungen  in  den  Kau-,  Schlä- 
fen -  und  Nackenmuskeln ,  mit  periodischem  Unvermögen  zu  sprechen ,  zu 
kauen,  zu  schlingen,  mit  Schwindel,  Phantasiren  verbunden;  ist  Druck  des 
Gehirns  von  Wasser,  Eiter,  Blut,  von  Geschwülstea  und  Auswüchsen  des 
Craniums  Schuld,  so  ist  derselbe  sehr  heftig  und  meist  immer  mit  convulsi- 
vischen  und  paralytischen  Beschwerden  verbunden  etc.  Was  die  Cur  im 
Allgemeinen  betrifft ,  so  ist  die  radicale  Hülfe  häufig  gar  nicht  zu  verschaf- 
fen, wenn  nicht  die  Ursachen  gehoben  werden  können.  Dennoch  vermag 
auch  hier  ein  symptomatisches  Verfahren  sehr  viel ,  besonders  eine  gutö 
Diät :  Vermeidung  aller  starken  und  unangenehmen  Eindrücke  auf  die 
Geruchs  - ,  Gehörs  -  und  Sehorgane ,  Ruhe  des  Gemüths ,  Vermeidung  aller 
Geistesanstrengungen,  Ruhe  des  Körpers,  erhöhte  Kopflage,  gleichmässige, 
massig  warme  Temperatur,  einfache  Speisen  und  Getränke,  Sorge  für, täg- 
liche massige  Bewegung  im  Freien,  für  tägliche  Leibesöffnung,  nach  Be- 
schaffenheit der  Constitution  bald  mehr  kühlende,  schwächende,  bald  melir 
antagonistische,  derivirende  und  excitirende  Mittel.  Häufig  hat  es  der  Arzt 
mit  dem  nervösen  Kopfweh  hysterischer  Personen  zu  thun,  wo  als  Palliative 
Opium,  Hyoscyamus,  Aq.  laurocerasi,  selbst  Stramonium  zu  Vk;  —  Yg  Gran 
oft  nützlich  sind.  Hier  leisten  auch  die  Pilules  contre  la  migraine  ou  anti- 
cephalalgiques  des  Dr.  Isoard  (Journ.  de  Pharmacie ,  Mai,  1826,  p.  255) 
häufig  gute  Dienste.  Sie  bestehen  aus :  l^r  Extr.  hyoscyami  gr.  |>f ,  AceU 
morphic.  gr.  Vi,,  Oxyd,  zinci  suhlimnt.  gr.  %,  pour  une  pilule  argent^e,' 
wovon  2 — Smal  täglich  eine  solche  Pille  genommen  wird  (s.  Hysteria  und 
Hemicrania).  Ein  empirisches  Volksmittel  in  Mecklenburg,  wovon  ich 
in  mehreren  Fällen  des  nervösen  Kopfwehs  gute  Dienste  sah,  ist  der  pul- 
verisirte  Schwefel,  in  einem  Beutel  längere  Zeit  am  Hinterkopfe  getragen. 
Auch  bei  dieser  Art  des  Kopfschmerzes  können  zuweilen  Congestionen  zum 
Kopfe  stattfinden,  welche  die  Anwendung  von  Blutegeln  und  gelinden  Laxan- 
zen  nöthig  machen.  Der  Doctor  M.  Prosper  Martin  in  Paris  (s.  dess,  Ab- 
handL  über  die  Migräne  und  andere  Arten  von  Kopfweh,  nebst  deren  Heil- 
mitteln. A.  d.  Franz.  von  FlecJc;  Ilmenau,  1830)  nimmt  3  Arten  von  Mi- 
gräne an:  1)  in  Folge  von  Plethora,  2)  von  Nervenreizbarkeit  und  3)  von 
Unreinigkeiten  der  ersten  Wege.  Bei  der  letztern  Art  empfiehlt  er  ein  Pul- 
ver aus:  I^  Aloes  3 j )  Sah  nmmoniaci  dqf).,  Pnlv.  rTiei,  —  Pulv.  cMnnef 
Sulphur.  depur. ,  Pulv.  rnd.  vnlerian.  ana  3jj  j  Pulv.  rad.  squillae  gr.  xvjj]. 
M.  f.  p.  divide  in  xii  part.  aequal.  S.  Morgens  ein  Pulver  zu  nehmen. 
Da  auch  bei  der  nervös  scheinenden  Migräne  der  Fi'auen  häufig  fehlerhafte 
Beschaffenheit  des  Unterleibes ,  Stockungen  darin ,  begünstigt  durch  enge 
Kleidung ,  sitzende  Lebensweise  etc. ,  die  Ursache  ist ,  so  kann  man  dieses 
Pulver  auch  hier  versuchen.  Rccamier  und  Trousseau  in  Paris  lassen  bei 
Migräne,  ^owie  bei  Gesichtsschmerz,  4  Gran  blausaures  Kali  in  einer  Unze 
Aq.  destillat  auflösen  und  Compressen,  damit  angefeuchtet,  auf  die  schmerz- 
hafte Stelle  legen. 

Cephalalyia  intermittcns.  Zuweilen  leiden  Menschen  Jahre  lang  alle  2, 
3 ,  4  Wochen  ein  paar  Tage  an  heftigen  Kopfschmerzen ,  die  allen  Mitteln 
trotzten.  In  einzelnen  Fällen  fand  ich  das  Übel  erblich;  zuweilen  ist  ein 
organischer  Fehler  des  Gehirns  Schuld.  In  andern  Fällen  rührt  es  von  ei- 
ner lutcrmittens  larvata  her ,  oder  es  ist  rein  nervös.  In  dem  letztern  Falle 
gab  Hue  (Revue  medicale,  1833,  Mai)  15  Gran  Chinin  in  4  Loth  Schnupf- 
tabak, wie  gewöhnlich  verschnupft,  mit  Nutzen.  Auch  innerlich  Chinin 
wird  seine  Wirkung  nicht  versagen.  Nach  John  Scott  tritt  ein  intermitti- 
render  Schmerz  über  einem  Auge  oft  alle  3  oder  4  Stunden  bei  diesem  Übel 
ein.  Die  heftigste  Form  ist  mit  Entzündung  der  Membranen  der  Nase  und  der 
Sinus  frontales  verbunden.  Hier,  wo  die  Nase  trocken  ist,- 'leisteh  3  Blutegel, 
in  jedes  Nasenloch  gesetzt,  grosse  Dienste.  Hinterher  ein  tax^ns,  später 
anhaltend  Chinin  (s.  Horti's  Archiv,  1835,  März  u.  April,  S.  309).  ,.  ; 

Cepbalica,  Mittel,  die  besonders  auf  den  Kopf  iri^ken, 
und  zwar  auf  specifische  Weise.     Die  Alten  rechneten   hierher  viele  Antf- 


374  CEPHALITI9  —  CERATONYXIS 

spasroodica,  Nervina,  Diaphoretica ,  Irritantia,  Roborantia,  Aromatica,  be- 
sonders aus  dem  Pflanzenreiche,  als  Calam.  aromat.,  Galanga,  Imperatoria, 
Serpentaria,  Marrubium,  Melissa,  Mentha,  Origanum,  Rosmarinus,  Lavan- 
dula,  Valeriana  etc.  (s.  Encyclop.  methodique,  T.  XL.  p.  555). 

CephalitlS»  Entzündung  des  Gehirns,  s.  Inflammatio  cerebri 
et  meningum. 

Cephalitis  externa.  Is?  die  Entzündung  der  äussern  Weichtheile  des 
Kopfs ,  entstanden  durch  Wunden ,  Verbrennungen ,  durch  Arthritis , 
Rheuma  etc. 

Ceptaaloloxla»  das  schiefe  Tragen  des  Kopfes,  s.  Caput  ob- 
stipum. 

Cephalomyitis«    Ist  Entzündung  der  Kopfirauskeln. 

Ceplialopilyma»  Cephalaematoma,  die  äussere  Kopfgeschwulst, 
wobei  keine  Verletzung  des  Craniums  und  daher  auch  keine  Hirnzufälle  statt- 
finden. Nicht  selten  findet  sie  sich  bei  Neugebornen,  wo  sie  sich  während 
der  Geburt  an  dem  vorliegenden  Theile  des  Kopfs  besonders  dann  bildet, 
wenn  das  Wasser  früh  abgeflossen  ist  (Caput  succedaneum) ,  um  den  Mut- 
termund zu  erweitern.  Sie  dient  auch  dazu,  um  die  Hebamme  oder  den 
Geburtshelfer  nach  der  Geburt  des  Kindes  zu  überzeugen ,  ob  die  Untersu- 
chxmg  in  Betreff  des  Kopfstandes  richtig  war  oder  nicht.  Häufig  hat  der 
Kindeskopf  dadurch  ein  schiefes  Ansehen  bekommen,  wozu  auch  das  Über- 
einanderschieben  der  Kopfknochen  zur  Erleichterung  der  Geburt  viel  mit 
beiträgt.  Cur.  Sehr  zu  tadeln  ist  das  Zurechtschieben  des  Kopfs,  das 
noch  hier  und  da  die  Hebammen  vornehmen.  Dies  befördert  oft  selbst  das 
Übel ,  das  durch  die  Zeichen  der  Contusion  von  Oblongati(»  capitis  sich 
leicht  unterscheiden  lässt  und  nicht  blos  am  Kopfe,  sondern  auch  an  andern 
gedrückten  Kindestheilen  vorkommen  kann.  Auch  muss  Caput  succedaneum 
wol  unterschieden  werden  von  der  Kopfblutgeschwulst  der  Kinder  (s.  Ec- 
chymoma  capitis  neonatorum).  Man  wende  bei  Caput  succedaneum 
in  den  ersten  drei  Tagen  weiter  nichts  als  trockne  aromatische  Kräuter  an, 
und  wenn  diese  nicht  ausreichen,  so  verordne  man  keinen  Wein  zu  \Ja\- 
schlägen,  denn  dieser  betäubt  das  Kind,  sondern  laues  Wasser  zum  Wa- 
schen oder  Umschläge  von  lauem  Essig  und  Wasser.  In  den  meisten  Fäl- 
len verschwindet  dadurch  die  Geschwulst.  Ist  dies  nicht  der  Fall ,  ist  die 
Geschwulst  sehr  gross  und  ein  bedeutendes  Blutextravasat  unter  der  Haut 
da,  fühlt  sich  die  Beule  weich  und  schwappend  an,  so  öffne  man  sie,  lasse 
das  Extravasat  aus  und  verbinde  mit  Decoct.  quercus  die  Wunde.  Wird 
dies  vernachlässigt,  so  können  Caries  der  Kopfknochen  und  dadurch  Ge- 
hirnaffection ,  Zuckungen  und  Tod  die  Folge  seyn  (s.  Abcessus  san- 
guin  eus). 

CepbalopyosiSy  Kopfabscess,  s.  Abcessus  capitis. 

Cepbaloseisis »  Erschütterung  des  Kopfs;  s.  Commotio  ca- 
pitis. 

Ceratiasis,  das  Behaftetseyn  der  Haut  mit  Hornauswüchsen ,  s. 
Hystriciasis. 

CeratitiSf  Hornhautentzündung,  s.  Inflammatio  corneae. 
Ceratocele»  Hornhautbruch,  s.  Staphyloma  corneae. 
CeratodeitiSy  Hornhautentzündung,   s.  Inflammatio  corneae. 
Ceratoleucoma»  das  Hornhautleukom,  s.  Macula  corneae. 
Ceratoma*     Ist  jedes  Horngewächs. 

Ceratomening^itis»  Entzündung  der  Hornhaut,  s.  Inflammatio 
corneae. 

Ceratonyxi/§l(  die  Keratonyxis,  d.  i.  Durchstechung  der  Horn- 
haut aur  Depression  des  Staars;  s.  Cataracta. 


CERATOPLASTICE  —  CHEILOPLASTICE         375  ^ 

Ceratoplastice 9  künstliche  Hornhautbildung,  s.  Chirurgia  cur- 
torum. 

Ceratotomia ,  der  HornhaiLtschnitt,  der  bei  der  Operation 
des  Staphyloms,  des  grauen  Staars  mittels  der  Extraction,  zum  Entfernen 
von  Flüssigkeiten  im  Auge  etc.  angewandt  wird, 

CercosiiS«  Ist  ein  schwanzförmiger  Auswuchs  an  den  weib- 
lichen Genitalien,  ein  grosser  Weichselzopf  in  den  Schamhaaren,  ein  aus 
dem  Uterus  hervortretender  Mutterpolyp ,  endlich  eine  übermässig  grosse 
Klitoris ;  s.  Polypus  uteri,  Plica  polonica. 

Cerea,  Achor,  böser  Kopfgrind,  s.  Tinea  capitis. 

Cerebaria,  s.  Carebaria. 

Ccronia,  eine  Balggeschwulst  mit  wachsähnlichem  Inhalte,  s.  Tu- 
mor cysticus. 

Cerostrosiis ,  s.  Hystriciasis. 

Clialasis»  die  Erschlaffung,  Abspannung,  Atonie. 

Chalastica  (remedia),  erschlaffende  Mittel,  s.  Relaxantia. 

Ciialaziona  das  Hagelkorn.  Ist  eine  Krankheit  des  Augenlides; 
8.  Hordeolum. 

Cheilalg^ia,  Lippenschmerz,  ein  schmerzhaftes  Lippenübel,  z.B. 
Cheilocace,  Cheilophyma  etc. 

Cheilocace»  Lippengeschwulst,  besonders  chronischer,  scrophulöser 
Art,  s.  Sero  p  hulosis. 

Cbeilocarcinoina»  s.  Cancer  labiorum. 

Cheilophyma,  Li  pp  enge  wachs  ,  ein  isolirter  umschriebener 
Auswuchs  oder  Knoten  der  Lippe,  woraus  oft  krebsartige  Geschwüre  ent- 
stehen (s.  Cancer  labiorum).  Andere  nennen  so  eine  nachgiebige,  öde- 
matöse  Lippengeschwulst. 

Cheiloplastice»  ChiloplnsUce  («rs),  die  künstliche  Bildung 
neuer  Lippen.  Diese  Operation  hebt  die  schrecklichste  Entstellung  des 
menschlichen  Gesichts  und  eine  Reihe  anderer  qualvoller  Zustände  vollkom- 
men. Rust  hatte  Fälle  beobachtet ,  wo  durch  Zerstörung  der  Lippen  die 
Kranken  bedroht  worden  sind ,  dem  Hungertode  zu  unterliegen ,  wo  ein  pest- 
artiger Geruch  aus  der  engen  Mundöffnung  strömte  und  sich  an  die  Zähne 
grosse   Mengen  Weinstein   gelagert   hatten.      Indicirt   ist   die  Lippenbildung 

1)  bei  Zerstörung  der  rothen  Lippensubstanz ,  bei  Verengerung  des  Mundes, 
wo  die  innere  Schleimhaut   über   die  neugebildete  Öffnung   verpflanzt   wird. 

2)  Bei  sehr  bedeutendem  Substanzverlust  der  Lippen ,  welcher  nicht  durch 
Heranziehen  der  benachbarten  Theile  ergänzt  werden  kann.  Weder  die  all- 
mälige  Erweiterung ,  noch  das  Aufschneiden  eines  bis  auf  ein  rundliches, 
callöses  kleines  Loch  reducirten  Mundes  führen  zum  Ziel ,  da  die  Öffnung 
immer  wieder  verwächst;  nur  die  Operation,  wodurch  die  innere  Schleim- 
haut bei  der  Zerstörung  der  rothen  Lippensubstanz  und  bei  Verengerung 
des  Mundes  über  die  neugebildete  Öffnung  verpflanzt  wird  wird,  führt  zum 
gewünschten  Ziele.  Diese  Operation  macht  Dieffenhnch  auf  folgende  Weise: 
Das  untere  spitze  Blatt  einer  kleinen ,  gebogenen  Scheere  wird  in  den  obern 
Winkel  des  kleinen,  harten  Mundloches  nach  der  einen  Seite  hin  zwischen 
den  Weichtheilen  der  Wange  und  der  Schleimhaut  des  Mundes  fortgescho- 
ben, und  die  zwischen  der  concaven  und  convexen  Schärfe  der  Scheeren- 
blätter  befindlichen  Weichtheile  durchschnitten.  Sobald  der  Finger  durch 
die  nach  diesem  Schnitte  nachgiebiger  gewordene  Öffnung  des  Mundes  ein- 
geführt werden  kann,  dient  derselbe  als  Leiter,  um  die  Incision  bis  zu  dem 
Punkte ,  wo  der  Mundwinkel  angelegt  werden  soll ,  fortzusetzen.  Einen 
zweiten,  mit  dem  vorigen  parallel  laufenden  Schnitt  führt  man  von  dem  un- 
tern Mundwinkel  fort  aus,  und  vereinigt  beide  an  der  entgegengesetzten 
Seite  durch  eine  nach  mnen  gekrümmte  Schnittlinie.     Der  zwischen  diesen 


376  CHEILORRHAGIA  —  CHEMOSIS 

Incisionen  Hegende  Haut-  und  Muskelknoten  wird  hierauf  mit  der  Scheere 
sorgfältig  von  der  Schleimhaut  getrennt.  Ebenso  verfährt  man  auf  der  an- 
dern Seite  der  Mundöffnung.  —  Hierauf  lässt  man  den  Kranken  den  Unter- 
kiefer herabziehen,  um  dadurch  die  noch  unversehrte  Schleimhaut,  die  auch 
willig  nachgiebt,  stark  anzuspannen,  worauf  man  dieselbe  mit  der  Scheere 
ringsum  von  ihrer  Innern  Anheftung  einige  Linien  weit  lostrennt.  Mit  die- 
ser Schleimhaut  sollen  nun  die  Ränder  der  Mundöffnung  besäumt  werden. 
Man  spaltet  dann  mit  der  Scheere  die  Schleimhaut  nach  beiden  Seiten  hin 
drei  Viertheile  ihrer  Länge,  und  lässt  den  äussersten,  den  runden  Mundwin- 
keln zunächst  liegenden  Theil  undurchschnitten.  Die  Ränder  des  kleinen, 
callösen  Theiles  der  Mitte  der  Ober-  und  Unterlippe  gleicht  man  durch 
Querschnitte.  Die  auf  diese  Weise  gebildeten,  mit  einer  dicken  Schicht 
Zellgewebe  versehenen  Schleimhautlappen  schlägt  man  über  die  Wundrän- 
der nach  aussen  um ,  und  vereinigt  sie  mit  der  äusseren  Gesichtshaut  durch 
umschlungene  Insectennadeln,  deren  Enden  kurz  am  Faden  abgeschnitten 
werden.  In  den  Zwischenräumen  bringt  man  feine  Knopfnähte  an.  Sehr 
sorgfältig  verfährt  man  besonders  bei  der  Umsäumung  der  Mundwinkel,  da 
das  Ausreissen  der  Nähte  Eiterung  und  neue  Verwachsung  von  diesem  ge- 
fahrlichen Punkte  aus  zur  Folge  haben  würde  (s.  RiisVs  Handb.  d.  Chirur- 
gie, Bd.  IV.  S.  579).  Die  Bildung  ganzer  Lippen  durch  Überpflanzung 
wird  selten  nöthig,  da  die  benachbarten  Weichtheile  vermöge  ihrer  Dehn- 
barkeit selbst  einen  bedeutenden  Substanzverlust  ohne  Entstellung  heben 
lassen ,  zumal  wenn  man  eine  sehr  starke  Spannung  durch  einen  seitlichen 
Einschnitt  durch  die  Wange  entfernt.  Fehlt  aber  so  viel  Substanz,  dass 
auch  nicht  durch  die  Eiterung  die  Blosse  des  Ober-  oder  Unterkiefers  be- 
deckt werden  kann,  oder  sind  die  Weichtheile  und  die  unter  ihnen  liegen- 
den Knochen  zerstört  und  haben  grosse  Lücken  mit  knorpelharten ,  unnach- 
giebigen Rändern  zurückgelassen,  so  wird  die  Überpflanzung  aus  der  Nähe 
oder  Ferne  nöthig.  „Dies  Verfahren,  sagt  Dieffenhach,  ist  viel  einfacher, 
als  bei  der  Nasenbildung.  Man  trägt  den  harten  Rand  gehörig  breit  ab, 
lässt  ihn  darauf  möglichst  weit  von  dem  Knochen,  und  entnimmt  dann,  je 
nach  der  Localität  des  Defects ,  einen  entsprechend  grossen  Hautlappen  ent- 
weder aus  dem  mittlem  oder  untern  Theile  der  Wange,  dem  Knie,  der 
Haut  des  Halses  etc.,  lässt  diesen  durch  eine  Hautbrücke  mit  seiner  Umge- 
bung in  Verbindung,  drehet  ihn  um  und  heftet  ihn  in  die  Lücke  ein.  Der 
durch  Wegnahme  des  Lappens  entstandenen  Wunde  giebt  man  eine  zur 
Vereinigung  geschickte  Form,  und  nähert  bei  einem  grössern  Substanzver- 
lust die  Ränder  so  viel  als  möglich,  oder  vereinigt  sie,  wenn  es  ausführbar 
ist,  durch  die  unblutige  Naht.  Die  Nadeln  werden  nach  der  gehörigen 
Verwachsung  entfernt  und  die  Brücke  später  exstirpirt."  Mehrere  solche 
Überpflanzungen  aus  der  Wange  hat  Dieffenhach  mit  Glück  gemacht  und 
in  einem  Falle  sogar  von  der  entgegengesetzten  Wange  einen  Hautlappen 
auf  eine  nach  Transplantation  in  der  Nähe  zurückgebliebene  Öffnung  mit 
Erfolg  übergepflanzt.  Durch  zwei  Querschnitte  unter  der  Nase  wurde  aus 
dem  obern  Theile  der  Lippe  die  Brücke  gebildet  und  die  Wunde  dann  ver- 
einigt. Auch  Davics  verrichtete  dieselbe  Operation,  und  Textor  bildete  eine 
ganze  Unterlippe  aus  der  Haut  unter  dem  Kinne ,  welche  in  die  Höhe  ge- 
schlagen wurde  (s.  Ol-en's  Isis,  Bd.  XXI.  S.  496  ff.,  1828).  „Die  Lippen- 
bildung —  sagt  Dieffenhach  —  hat  zwar  ihren  bedeutenden  Werth,  inso- 
fern eine  unangenehme  Blosse  des  Kiefers  dadurch  bedeckt  wird ,  ein  natür- 
liches Ansehen  kann  aber  die  neue  Bildung  erst  dann  gewinnen,  wenn  der 
verpflanzte  Lappen  wenigstens  in  späterer  Zeit  mit  rother  Lippensubstanz 
oder  der  Innern  Schleimhaut  der  Wange  besäumt  wird." 

Ctaeilorrhagia ,  Lippenblutung,  s.  Haemorrhagia. 

Cheimetle«  Cheimetlon,  s.  Pernio. 

Clielysciuin,  das  Hüsteln,  s.  Tussis. 

Clieuiosis»  eine  heftige  Augenentzündung,  s.  Blepbarophthal- 
m  1 1  i  s. 


CHEVION  -  CHIRUKGU  377 

Chimon»  Chdma,  der  Winter,  daher  ein  heftiger  Fieber frost;  s. 
Febris. 

Chiragra»  Gicht  in  den  Händen,  s.  Arthritis. 

diirartl&rocacet  Entzündung  und  Beinfrass  am  Handgelenke,  s. 
Art  hro  c  ace. 

Chironeunif  ein  bösartiges,  schwer  zu  heilendes  Geschwur,  s.  Can- 
cer cutis  und  Ulcus. 

Ctairorrheuma,  Rheumatismus,  rheumatische  Geschwulst  an  der 
Hand,  s.  Rheumatismus. 

Cbirurg^ia,  die  Wundarzneikunst,  Wundarzneikunde, 
Chirurgie.  Ist  derjenige  Theil  der  gesammten  Heilkunde,  welchen  ge- 
wöhnlich der  Wundarzt  (Chirurgus)  ausübt  und  der  die  Heilung  der  äusser- 
lichen  Krankheiten  umfasst,  wozu  bald  Instrumente,  bald  innere,  bald  äus- 
sere Mittel ,  bald  innere  und  äussere  zugleich  nothwendig  sind ;  daher  die 
Eintheilung  in  Chirurgia  manualis  seu  instrumentalis ,  und  in  Chirurgia  me- 
dica  (welche  vorzugsweise  in  diesem  Werke  bearbeitet  worden)  entstanden 
ist.  Auch  hat  man  die  Chirurgie  noch  in  Chirurgia  legalis  seu  forensisj  in 
Chirurgia  obstetricia  und  Chirurgia  infusoria  eingetheilt,  obgleich  letztere 
nur  eine  chirurgische  Operation  ist.  Dass  die  Medicin  und  Chirurgie  nicht 
getrennt  werden  können,  dass  der  wahre  Chirurg  auch  Kenntniss  der  In- 
nern Heilkunde  und  der  wahre  Arzt  operative  und  andere  chirurgische 
Kenntnisse  (wenigstens  theoretisch)  besitzen  müsse,  ist  eine  Wahrheit ,  wel- 
che öfters  zum  Schaden  der  Kunst  und  Wissenschaft  nicht  gehörig  gewür-- 
digt  worden  ist.  Auch  die  Anmassung  der  Ärzte,  die  Medicin  höher  zu 
stellen  als  die  Chirurgie ,  ist  höchst  lächerlich ,  da  jede  ihr  grosses  Verdienst 
hat,  auch  besondere  Talente  erfordert,  erstere  mehr  philosophischen  Sinn 
und  praktischen  Tact,  letztere  mehr  echten  Kunstsinn.  Da  sich  diese  Ei- 
genschaften selten  in  einer  Person  vereinigt  finden,  so  werden  wir  auch 
selten  einen  grossen  Arzt  finden ,  der  zugleich  auch  guter  Operateur  wäre, 
und  umgekehrt.  Ein  Mehreres  darüber  wird  an  einem  andern  Orte  geredet 
werden,  s,  Medicina.  Reil  dcfinirte  die  Chirurgie  als  denjenigen  Theil 
der  Heilkunde,  welcher  Krankheiten  durch  mechanisch  wirkende  Mittel  zu 
beseitigen  lehrt.  Hierdurch  ist  aber  die  Grenze  der  Wundarzneikunst  zu 
eng  gesteckt ;  denn  nicht  nur  die  mechanischen  ,  auch  die  chemisch  -  dyna- 
mischen Mittel  vermögen  Veränderungen  der  Form  zu  bewirken ,  wie  z.  B. 
die  Zertheilung  krankhafter  Geschwülste  durch  pharmaceutische  Heilmittel 
beweist ;  selbst  psychische  Einwirkungen  sind  dieses  im  Stande ,  wie  z.  B. 
die  Thatsache ,  dass  Gemüthsaffecte  den  Turgor  vitalis  vermindern ,  darthut. 
Andererseits  kann  auch  die  Medicin  die  mechanischen  Mittel  bei  vielen  Krank- 
heiten nicht  entbehren;  man  erinnere  sich  nur  der  Venaesection ,  der  Um- 
schnürungen der  Glieder  bei  Febris  intermittens ,  Aura  epileptica  etc.  Wer 
nur  allein  durch  äussere  mechanische  Mittel  heilen  wollte,  würde  ein 
schlechter  Chirurg  seyn;  denn  gerade  darin  zeigt  sich  der  Werth  des  Chir- 
urgen ,  dass  er  nicht  blos  eine  geschickte  Hand  zur  Anwendung  der  mecha- 
nischen Mittel  besitzt,  sondern  zugleich  die  Innern  dynamischen  Verhältnisse 
einer  gegebenen  Krankheit  in  seinem  Geiste  aufzufassen  und  ihnen  durch 
kluge  Entgegenstellung  chemisch  -  dynamischer  Mittel,  durch  entsprechende 
Anordnung  aller  physischen  und  psychischen  Einwirkungen  zu  begegnen 
weiss  (^Klasius).  Auch  sind  die  mechanischen  Mittel  ja  selbst  krankmachende 
Potenzen ,  ihre  Wirkung  geht  über  das  Räumliche  hinaus ,  und  sie  fügen  zu 
der  durch  die  Krankheit  gesetzten  Alienation  der  vitalen  Verhältnisse  eine 
neue ,  welche  in  Verbindung  mit  jener  zur  Gesundheit  oder  zum  Tode  führt, 
je  nachdem  der  Chirurg  sich  auf  den  Calcul  der  Verhältnisse  des  Organis- 
mus an  sich  und  zur  Aussenwelt  versteht  oder  nicht.  Mit  der  Eröffnung 
des  Uterus  und  der  Wegnahme  der  Frucht  beim  Kaiserschnitt  ist  erst  das 
Wenigste  geschehen;  versteht  der  Chirurg  nicht  die  eigenthümliche  Lebens- 
stimmung, welche  der  mütterliche  Organismus  als  Bildner  und  Träger  eines 
zweiten  erhält  und  welche  sich   im  natürlichen  Fortgange  der  Schwanger- 


378  CHIRURGU 

Schaft  und  Entbindung ,  im  ungestörten  Verlaufe  des  Wochenbetts  ausgleicht, 
zu  würdigen ,  weiss  er  nicht ,  ihr  gemäss ,  äussere  Einwirkungen  aller  Art 
hier  abzuhalten ,  dort  zu  modificiren ,  dort  neu  auftreten^  zu  lassen ,  It^nn 
er  nicht  abschätzen,  welche  Reaction  seine  Operation  in  dem  gerade  auf 
jene  Weise  disponirten  Organismus  erregt  hat,  —  mit  einem  Worte,  will 
der  Chirurg  nur  auf  mechanischem  Wege  heilen,  so  hat  er  ein  Leben,  statt 
zu  retten,  nur  rascher  und  unter  grössern  Qualen  dem  Untergange  zugeführt 
(^Blasitis).  —  Höchst  einseitig  ist  es,  die  Chirurgie  als  die  Lehre  von  der 
Anwendung  chirurgischer  IVIittel,  d.  h.  geregelter  Mechanismen,  wie  noch 
jüngst  Richerand  (Dict.  des  scienc.  m6d.  T.  V.  p.  85)  gethan ,  bestimmen 
zu  wollen.  Dies  würde  auf  den  niedrigen  Standpunkt  der  Chirurgie  im 
Mittelalter  führen,  und  ohnedem  wirken  ja  nicht  alle  chirurgischen  Mittel 
nur  mechanisch,  auch  chemisch  -  dynamisch ,  z.  B.  Glüheisen,  Lap.  caust., 
infernalis.  Der  deutsche  Name  Wundarzneikunst  ist  freilich  einseitig 
und  dem  Gegenstande  wenig  entsprechend,  weil  der  Wundarzt  nicht  blos 
Wunden,  auch  Geschwüre,  Brüche,  Verrenkungen,  Fracturen,  Geschwülste 
etc.  zu  heilen  hat ,  doch  deutet  er  richtig  schon  die  pathologische  Seite  der 
Chirurgie  an.  Eben  so  wenig  kann  man,  wie  Manche  wollen,  sagen,  dass 
die  Chirurgie  es  nur  mit  den  örtlichen,  die  Medicin  dagegen  mit  den  allge- 
meinen Krankheiten  zu  thun  habe.  Es  giebt  in  der  Natur  keine  Grenze 
zwischen  localen  und  allgemeinen  Krankheiten ,  nur  in  den  Handbüchern  der 
Medicin,  gemodelt  nach  dem  jedesmal  herrschenden  Systeme  der  Medicm 
und  ihren  Hypothesen  und  Theorien.  Allgemeine  Krankheiten  ziehen  leicht 
ortliche  und  diese  allgemeine  nach  sich,  und  daher  hat  die  Medicin  es  eben 
so  gut  mit  örtlichen  Übeln  zu  schaffen,  als  die  Chirurgie.  Ritjen  {Rtisfa 
Magazin,  Bd.  XXVIII.  S.  3)  setzt  den  Begriff  der  die  Chirurgie  betreffen- 
den Krankheiten  in  eine  vorzugsweise  Störung  des  gesetzlichen  äussern 
Lebensverhältnisses,  also  des  Mechanismus  und  Chemismus  eines  organischen 
Theils,  und  hat  überhaupt  den  Gegenstand  allseitiger  aufgefasst  und  die 
pathologische  und  therapeutische  Seite  richtiger  gewürdigt;  doch  dehnt  er 
den  Begriff  des  Äusserlichen  zu  weit  aus.  Rust  zieht  zunächst  aus  der  Wir- 
kung der  Mittel  die  Bestimmung  der  Beschaffenheit  der  Krankheiten ,  gegen 
welche  jene  Mittel  dienen;  dazu  kann  aber  nur  diejenige  Wirkung,  auf 
welcher  die  Heilung  beruht,  benutzt  werden,  und  dies  ist  keinesweges  im- 
mer eine  primäre  (^Blasius) ;  daher  kann  aus  der  mechanischen  und  chemi- 
schen Wirkungsweise  der  chirurgischen  Hülfe  keinesweges  auf  die  gleich- 
namige Beschaffenheit  der  chirurgischen  Krankheiten  geschlossen  werden. 
Eine  Sonderung  des  Materiellen  und  Dynamischen  ist  wegen  ihres  innigen 
Zusammenhangs  eben  so  falsch  in  der  Theorie  als  zu  nothvvendigen  Miss- 
griffen  führend  in  der  Praxis.  Rein  chemische  Ki'ankheiten  existiren  gleich- 
falls nicht  in  der  Natur;  auch  Eiterungen  und  Geschwüre  sind  nicht,  wie 
Ritgen  will ,  chemische  Krankheiten.  —  Zw  eierlei  muss ,  nach  Blashis  (^Rust'a 
Handb.  d.  Chirurgie,  Bd.  IV.  S.  456),  um  die  Grenzen  der  Cliiruigie  zu 
bestimmen,  festgehalten  werden :  1)  dass  eben  deshalb,  weil  die  Chirurgie  die 
vollständige,  d.  h.  nach  der  pathologischen  und  therapeutischen  Seite  hin 
gefasste  Doctrin  einer  gewissen  Classe  von  Krankheiten  seyn  muss,  nicht 
minder  das  chirurgische  Heilwirken ,  als  die  chirurgischen  Heilungsobjecte 
berücksichtigt  werden  müssen,  und  2)  dass,  wie  die  chirurgische  Hülfe  nie 
auf  mechanische ,  chemische  oder  sonstige  primäre  Wirkung  beschränkt  bleibt, 
eben  so  bei  den  chirurgischen  Krankheiten  niemals  die  äussere,  materielle 
Seite  des  Organismus  allein  in  Betracht  kommt,  sondern  das  organische 
kranke  Seyn,  nach  allen  seinen  Richtungen,  als  abnormes  Äusseres  und 
abnormes  Inneres,  als  Abweichung  der  Materie  und  der  Kräfte,  als  Ano- 
malie der  Wechselbeziehung  mit  den  übrigen  Theilen  des  Organismus  auf- 
gefasst werden  muss.  —  Nur  auf  diese  Weise  wird  in  der  Theorie  das 
Band  festgehalten,  welches  naturgemäss  zwischen  Medicin  und  Chirurgie, 
und  zwar  sowol  zwischen  der  pathologischen  als  der  therapeutischen  Seite 
derselben  besteht,  und  das  nur  eine  Verfinsterung  der  Wissenschaften  und 
Künste  zum  Nachtheil  der  kranken  Menschheit  zerreissen  konnte.    Da  Me- 


CaURimGIA  379 

diclo  und  Chlrargie  ihrer  Natur  nach  unzertrennlich  sind,  so  muss  jedi* 
Versuch  der  Wissenschaft  zu  dieser  Trennung  als  ein  unnatürlicher  erschei- 
nen. Es  giebt  eine  manuale  und  medicinische  Chirurgie  und  eine 
chirurgische  Medicin ,  eine  allgemeine  und  specielle  Chirurgie, 
doch  finden  wir  selbst  in  guten  Handbüchern  der  Wundarzneikunst  nicht 
immer  eine  wissenschaftliche  Eintheilung  der  Chirurgie,  z.  ß.  in  denen  von 
Richter,  Bell,  Chelius,  Langenheck,  Boyer  etc.,  nur  v.  Wdlth.cr's  neueste 
Schrift  (System  der  Chirurgie  etc.)  macht  eine  lobenswerthe  Ausnahme. 
Einzelne  Branchen  der  Chirurgie  sind: 

Chirurgia  castrensis  s.  militaris,  die  Kriegsarzneikunde.  Der  Un- 
terschied zwischen  ihr  und  der  gewöhnlichen  Chirurgie  liegt  nur  in  den  äus^ 
Sern  Beziehungen.  Eine  gewisse  Classe  von  Krankheiten  kommt  hier  vor- 
zugsweise zur  Behandlung ;  ferner  sind  zu  berücksichtigen :  die  Umstände, 
Hindernisse  und  Schwierigkeiten  dieser  Praxis,  zumal  im  Kriege,  die  Stel- 
lung des  Militairarztes  zum  Staate,  das  Dienstverhältniss ,  das  medicinisch- 
polizeiliche  Verhältniss ,  die  zweckmässige  Einrichtung  von  Hospitälern ,  Feld- 
lazarethen,  Feldapotheken  etc.  Das  Interesse  an  allen  diesen  Gegenständen 
hat  eine  Militair-Medicinalpolizeiwissenschaft  zu  Tage  ge- 
fördert, um  welche  sich  Colomhier,  Eichheimer,  Niemtmn,  JosepM,  Beinl^ 
Omodei ,  Isfordink  durch  eigene  Schriften ,  viele  Andere  durch  Beiträge  ver- 
dient gemacht  haben  (s.  Colomhier,  Code  de  medecine  militaire  pour  le  Ser- 
vice militaire ;  Vol.  V.  12.  Par.  1772.  —  Eichheimer,  Umfassende  Darst.  des 
Militair  -  Medicinalwesens  in  allen  seinen  Beziehungen  etc.  2  Bde.  Augsburg, 
1824,  —  Niemann,  Taschenbuch  der  Militair -Medicinalpolizei ;  Leipz.  1829.  — 
JosepM,  Handb.  d.  Militair  -  Arzneikunde ;  Berlin,  1829.  —  Beinl  v.  Bienen- 
burg, Versuch  einer  militair.  Staatsarzneikunde  in  Rücksicht  auf  die  k.  k. 
österreichische  Armee;  Wien,  1804.  —  IsfordinTc,  Militairische  Gesundheits- 
polizei etc.   2  Bde.   2.  Aufl.    Wien,  1827).  ^ 

Chirurgin  curtorum,  Ch.  anoflastica.  Restitutio  organica  s.  partium  t^ 
perditarum,  Transplantatio ,  MoriopJastice ,  organische  Plastik,  anbil- 
dende Chirurgie,  organischer  Wiederersatz,  Wiederher- 
stellung verstümmelter  Theile  (Curta)  des  menschlichen  Kör- 
pers. Die  Methode,  verstümmelte  Theile,  zumal  die  Nase,  wieder  durch 
organischen  Ersatz  herzustellen,  ist  schon  sehr  alt,  doch  blieb  die  Morio- 
plastik  bis  auf  die  neuere  und  neueste  Zeit,  wo  sie  an  Umfang  gewann, 
noch  sehr  unvollkommen.  Sie  stützt  sich  auf  die  interessante  physiologische 
Erscheinung ,  dass  völlig  oder  beinahe  getrennte  Theile  öfters  mit  derselben 
oder  einer  andern  Stelle  des  Körpers,  ja  selbst  Etuf  ein  anderes  Individuum 
übertragen ,  eine  neue  Verbindung  eingehen  und  fortleben  (vergl.  Haller^s 
Physiologie ,  Bd.  VIII.) ,  und  zwar  um  so  leichter ,  je  niedriger  die  Organi- 
sationsstufe ist,  auf  welcher  der  getrennte  Theil  steht.  Federn,  Klauen 
und  Sporen  der  Vögel,  die  Haare  und  Zähne  der  Säugethiere  und  Men- 
schen ,  Hautlappen ,  vorzüglich  die  Enden  prominirender  Körpertheile ,  wie 
Nasenspitzen ,  Stücke  von  der  Ohrmuschel ,  heilen  am  leichtesten  wieder  an, 
weit  schwieriger  ganze  Finger.  Dieffenbach  glaubt,  dass  auch  die  Zunge 
und  die  Eichel  wol  dazu  geeignet  wären  und  bedauert  überhaupt,  dass  die 
Beobachtungen  über  Transplantatio  nur  sparsam  sind  und  die  gesammte  Chirur- 
gia curtorum  unter  vielen  Wundärzten  nicht  ihrer  Wichtigkeit  nach  Beher- 
zigung und  Würdigung  gefunden  habe.  Die  eine  Art  der  Morioplastik ,  die 
darin  besteht,  völlig  getrennte  Theile  wieder  in  organische,  lebendige  Ver- 
bindung zu  bringen,  ist  selbst  von  grossen  Wundärzten,  z.  B.  von  Heister, 
in  Zweifel  gezogen  worden.  Eine  zweite  Art  der  Verpflanzung  ist  diejenige, 
wo  der  zum  Ersatz  dienende  Theil  durch  eine  ernährende  Brücke  mit  sei- 
nem Mutterboden  noch  einige  Zeit  in  Verbindung  erhalten  wird.  Ein  ge- 
ringer organischer  Zusammenhang  ist,  wenn  auch  der  Theil  aus  seinen  übri- 
gen Verbindungen  getrennt  und  mit  entferntem  Gebilden  der  nämlichen 
Gattung  in  blutige  Berührung  gebracht  wird ,  hinreichend ,  den  Ernährungs- 
process  in  der  ersten  Zeit  zu  vermitteln  und  das  Fortleben  des  Theils  so 
lange  zu  sichern,   bis   eine  vollkommnere  organische  Verbindung  zu  Stande 


380  CHIRURGIA 

gekommen  ist.  Hierauf  stützt  sich ,  nach  allen  Erfahrungen ,  die  ganze 
Lehre  vom  organischen  Wiederersatz  (^DieffenhacK).  In  der  Chirurgie  gilt 
der  Grundsatz,  Wunden  nur  erst,  wenn  die  Blutung  aufgehört  hat  und  das 
Stadium  lymphaticum  eingetreten  ist,  zu  vereinigen;  derselbe  hat  auch  bei 
der  Morioplastik  seine  Gültigkeit.  Bei  getrennten  Hauttheilen  ergiebt  sich 
aus  Dieffenhncli's  Beobachtungen  Folgendes :  Unmittelbar  nach  der  Umschrei- 
bung eines  Hautthcils  mit  dem  Messer,  noch  ehe  der  Lappen  einmal  gänz- 
lich aus  seiner  Verbindung  getiennt  ist,  verwandelt  sich  in  Folge  des  rei- 
nen Nervenaffects ,  des  spastischen  Zustandes  im  Hautcapillargefässsysteme, 
nicht  in  Folge  der  Entleerung  der  Blutgefässe,  seine  Röthe  in  eine  Tod- 
tenblässe,  die  sich  nach  einigen  Minuten  wol  verringert,  zumal  durch  ge- 
lindes Reiben,  aber  doch  nie  in  dem  Grade,  dass  wirkliche  Röthe  wieder 
eintritt.  Aus  den  Rändern  desXappens  sickert  anfangs  rothes  Blut,  später 
ein  lymphatisches  Exsudat.  In  der  ersten  Stunde  ist  noch  Leben  in  dem 
-getrennten  Theile,  später  vertrocknen  die  Ränder,  alle  sichtbaren  Spuren 
des  Lebens  hören  auf,  und  der  Theil  geht  durch  alle  Stufen  der  Zersetzung 
der  Verwesung  entgegen.  Hautiappen  von  Leichnamen  zeigen  keine  jener 
bemerkten  Erschütterungen ,  sondern  ihre  Schnittflächen  vertrocknen  schnell. 
War  aber  der  Tod  erst  vor  wenigen  Stunden  erfolgt ,  so  zeigte  sich  in 
Schnittwunden  eine  B'euchtigkeit,  welche  lymphatische  Feuchtigkeit  zu  seyn 
schien.  Bei  jungen,  kräftigen,  vollsaftigen  Leuten,  bei  solchen,  die  kurz 
vor  Trennung  des  Theils  Spirituosa  genossen ,  ist  die  Vitalität  des  getrenn- 
ten Theils  am  deutlichsten  und  lebhaftesten.  Letztere  wird  auch  durch 
trockne  Wärme  im  Theile  etwas  verlängert,  durch  Kälte  aber  vernichtet. 
Wasser,  auch  selbst  wenn  es  lau  ist,  führt  eine  frühere  Ertödtung  herbei. 
Gelingt  die  Vereinigung  völlig  getrennter  Theile,  so  zeigt  der  agglutinirte 
Theil  Turgescenz ,  die  Oberfläche  der  Epidermis  wird  glatter,  glänzender, 
die  Farbe  ist  dabei  bleich  und  spielt  selten  ins  Röthliche,  die  Umgegend 
des  Bodens  ist  dagegen  stark  geröthet.  —  Bei  der  zweiten  Art  der  Ver- 
pflanzung, wo  man  einen  Ableger  der  Haut  überpflanzt  imd  die  Ernährung 
durch  die  sitzen  gebliebene  Brücke  vermittelt  wird,  zeigen  sich  ähnliche 
Erscheinungen.  Der  ganze  Lappen  wird  auch  hier  blass,  aber  gegen  die 
Brücke  hin  erscheint  die  Haut  geröthet,  die  Grenze  ist  zuweilen  hochroth 
und  es  findet  deutlich  eine  starke  Blutströraung,  ein  deutliches  Pulsiren  der 
kleinen  Hautarterien  statt.  Die  oft  an  den  Rändern  dos  Lappens  sichtba- 
ren, den  Todtenflecken  ähnlichen  Flecke  sind  kleine  Blutagnationen,  die  nach 
der  Vereinigung  bald  wieder  verschwinden.  Stets  ist  der  Hautlappen ,  wenn 
er  auch  bleich  erscheint ,  eher  mit  Blut  überfüllt ,  als  zu  arm  daran ;  er 
contrahirt  sich ,  besonders  an  den  Rändern ,  nnd  rollt  sich  zugleich  gegen 
die  Zellgewebsseite  etwas  auf.  Das  Gefühlsvcrmögen  scheint  darin  völlig 
aufgehoben  und  der  Nerveneinfluss  nur  als  Vorsteher  der  Leitung  der  Blut- 
zuführung und  des  Ernährungsprocesses  fortzudauern ;  doch  zeigt  sich  gegen 
die  Brücke  hin  einige  Empfindlichkeit.  Binnen  den  ersten  6  — 12  Stunden 
nach  der  Vereinigung  schwillt  der  Lappen  um  so  schneller  und  stärker  auf, 
je  derber  er  ist.  Schon  wenige  Stunden  nach  der  Vereinigung  beginnt  der 
Agglutinationsproccss,  und  in  wenigen  Tagen  ist  die  A'^erwachsung  vollen- 
det. Er  stirbt,  war  die  Vereinigung  nur  nicht  mangelhaft,  selbst  bei  der 
schlaffsten  Haut  nicht  ab.  Häufig  ist  am  Absterben  ein  zu  grosses  Quan- 
tum des  zu  ihm  geströmten  Blutes ,  dessen  Rückfluss  durch  die  in  Folge  der 
Umdrehung  der  Brücke  zusammengepresste  Brücke  gehemmt  wird,  Schuld, 
zumal  bei  der  aus  der  Stirnhaut  gebildeten  Nase,  wo  die  Venen  gegen  das 
Gesetz  der  Schwere  das  Blut  in  dem  von  oben  nach  unten  herabge- 
schlagenen Lappen  durch  die  geprosstc  Brücke  hinaufführen  müssen.  Der 
Hauttheil  kann  so  sehr  mit  Blut  überfüllt  werden,  dass  er  sich  kugelig  er- 
hebt und  dunkelblau  wird.  Hier  muss  man  aus  einer  Stelle  des  freien  Ran- 
des oder  durch  Blutegel  dem  Blute  Abfluss  verschaffen  und  das  fernere  Zu- 
«trömcn  des  Bluts  durch  Anwendung  eines  hohen  Kältegrades  massigen. 
Vorgebeugt  wird  dieser  örtlichen  Plethora  am  besten  dadurch ,  dass  man 
einen  grössern,   in  den  Lappen   führenden  Arterienast  nicht«   wie  Delpech 


CHIRURGIA  381 

will,  2tt  erhalten  sucht,  «ondern  durchschneidet,  da  dann  die  pHanzenartiga 
Ernährung  desselben  am  ungestörtesten  von  statten  geht.  Mit  der  örtlichei» 
und.  aUgemeihen  Reaction  mäsaigt  sich  der  Blutzu'flusis,  die  Geschwulst  und 
Spannung  vermindern  sich,  die  Oberhaut  verliert  ihren  Glanz ,  wird  faltig, 
bekommt  leichte  Einrisse  und  schuppt  sich  am  8.  — 10.  Tage  in  Gestalt 
kleiner  Blättchen  ab , .  worunter  eine  festere ,  dichte  ^  weisse  Oberhaut  ■■  er- 
scheint. Ist  der  verpflanzte  Theil  ein  behaarter,  so  gehen  die  Haare  bei 
der  Abschuppung  aus  oder  wachsen  nur  sparsam  wieder;  zuweilen  zeigen 
sich  aber  auf  unbehaart  gewesenen  Theilen  Haare ,  besonders  wenn  der 
Theil  nach  einem  entfernten  Orte  verpflanzt  wird  und  mit  eineih  Fettpolstef 
an  seiner  untern  Fläche  versehen  ist ,  z.  B»  ibei  aus  >  der  Armhaut  formirtei» 
Nasen.  In  allen  neu  verpflanzten  Theilen  finden  wir  stets  ein  Streben» 
sich  nach  eigenthümiichen  Natiirgesetzen  zu  gestalten,  und  der  damit  ver~ 
traute  Wundarzt  wird  bei  der  Morioplastik  dieses  Streben  seinen  Zwecken 
gemäss  zu  benutzen  wissen,  es  bald  begünstigen,  bald  ihm  entgegenarbei-» 
ten.  Dies  erreicht  man .  aber  weder  durch  Drücken ,  Pressen ,  noch  durcl^ 
andere  mechanische  Vorrichtungen,  denn  die  lebende  Natur  lässt  sich  nicht 
in  Formen  zwängen.  So  lässt  sich  z.  B.  die  Neigung  eines  neu  gebildeten 
Theils  zur  Kugelgestalt  nur  auf  blutigem  Wege,  durch  Wegnahme  der 
Substanz  an  der  einen  und  Zulegen  an:  der  andern  Stellie  erreichen.  Oft 
erst  nach  Monaten  erireiaht  der  neugebildeie.iTheil  einiges  Gefühlvermogen^' 
zuerst  einen  gewissen  Grad  Von  undeutlichem  Gefühl  einer  gewissen  Unbe-' 
haglichkeit,  aber  noch'  nicht  wirklichen  Sdhmerz;  nie  erreicht  er  den  nor>-< 
malen  Grad  von  Sensibilität.  Über  die  Örtlichkeit  des  Schmerzes  urtheilt 
der  Kranke  in  der  ersten  Zeit  undeutlich,  und  er  empfindet  bei  Reizung 
des. Lappens  den  Schmerz  an  derjenigen  Stelle,  von  wo  der  Theil  entnom^ 
men  wurde.  So.  fühlte  Idsfranc^s  Operirter,  dem  eine  Nase  aus  der  Stirn-» 
haut  gebildet  worden  .war ,.  beim  Stechen  der  Nase  mit  einer  Nadel  den 
Schfuerz.  in  der  Stirn,  Kälte  bringt  leicht  Frostbeulen  mit  Blasenbildung  in 
transplantirten  Theilen  hervor,  und  letztere  werden  oft  bei  allgemeinen 
llbeln  verschont,  so  dass  in  einem  Falle  der  ganze  Körper  an  Icterus  litt»- 
nur  nicht  die  vor  y,  Jahre  neu  gebildete i  Nase' (itfrtrtmi).  -  ..ir, 

-  ,  Die  Chirurgia  curtorum,  die  sich  gegen\yäftig  mit  jedem  Tage  vervolM 
konimnet,  aber  noch  Vieles  zu  prüfen  und  zu  entdecken  übrig  lässt  j,  umfasst 
folgende  Gegenstände  der  Kunst:  1)  Rhihoplastice ,  öle  Nasenbildungi- 
ßie  hat  den  höchsten  Grad  »der  Vollendung  i  in  unserer  Zeit  erreicht.  Um 
dieselbe  haben  sich  grosse  Verdienste  erworben:  w.  Gräfe,  Rüst,  Dzondi,- 
Lisfrmfc,  Benedict,  Chvlius,  BecJc,  Dieffenlach  (s.  dessen  Schrift:  Chirurg. 
Erfahrungen  über  die  Wiederherstellung  zerstörter  Theile  des  menschlichen 
Körpers,  nach  neuen  Methoden;  2  Thle.  Berlin,  1829  u.  1830)  und  Andere.. 
Sie  bezweckt  jene  Verunstaltungen  der  Nase,  die  durch  örtliche  oder  all^; 
gemeine  Krank heitsaffectioncn  entstanden  sind,  zu  heben  und  dadurch  dem 
menschlichen  Gesichte  einen  höchst  wichtigen  Theil,  der  alle  Theile  des 
Antlitzes  vereinigt  und  ein  nothwendiges  Requisit  menschlicher  Schönheit 
ausmacht,  wieder  zu  geben  oder  dessen  Form  zu  verbessern.  Zu  den  ort-, 
liehen  Ursachen  der  Nasenverunstaltung  giehören :  Verwundung  mit  scharfen 
Instrumenten,  platte,  runde  Körper,  welche  die  Nase  mit  bedeutender  Ge-» 
walt  treifen,  Sturz  aufs  Gesicht;  —  örtliche  Übel:  Rose,  Furunkel,  Haut-; 
brand ,  Krebswarzen  an  der  Nase ,  Polypen ,  Blutschwamm  in  derselben.. 
Am  häufigsten  wird  die  Nase  durch  Allgemeinleiden ,  namentlich  durch  Dys-; 
krasien,  zerstört.  Ist  der  vordere  Theil  der  Nase  zerstört  und  zeigt  sich 
keine  .mit  Trockenheit  verbundene  Röthe  umher,  so  waren  Scropheln  das 
vorherrschende  Leiden;  ist  der  Nasenstumpf  an  den  Rändern  roth,  trocken^ 
zeigt  sich  eine  ähnliche  Beschaffenheit  in  der  Umgegend,  auf  den  Wangen^ 
erscheint  die  Nase  gleichsam  verwittert,  so  ist  Herpes  das  Grimdleiden} 
denn  die  Scropheln  zerstören  den  vorderen  Theil  der  Nase  auf  nassem,  der 
Herpes  auf  trocknem  Wege.  Ist  zuerst  das  knöcherne  Gerüste  eingesunken, 
besonders  nach  den .  Jahren  der  Mannbarkeit ,  zumal  wenn  die  Krankheit 
vom  Processus  nasalis  maxillae  super,  ausging ,  so  ist  Syphilis  in  der  Regel 


382  CniRURGIA 

die  Schuld  des  Einsinken«  der  Nascnw-urzel ,  worauf  bei  dca  hohem  Graden 
der  innern  Zerstörung  auch  der  knorpelige  Theil  nachfol^^,  und  endlich 
säinmlliche  Weichgebilde  der  Nase  mit  zerstört  (^Rust,  IHejf'enbnch).  Auch 
Menschenpocken,  Mercurialkachexie  und  IMetastascn  im  Typhus  zerstören 
mitunter  den  vordem  Theil  der  Nase.  —  Die  Zahl  und  Axt  der  Operations- 
methoden  zur  Rhinoplastik  ist  ^oss  und  verschieden  ,  je  nach  den  indivi- 
duellen Umständen,  Ist  die  Nase  theilweise  oder  ganz  vom  Kör{ier  ge- 
trennt, z.  B.  durch  Hieb,  Schnitt,  so  halte  Jemand  das  getrennte  Stück 
in  der  warmen  Hand,  und  die  Blutung  des  Stumpfes  wird  durch  kaltci 
Wasser  gestillt.  Ist  schon  einige  Zeit  verflossen  und  das  getrennte  Nasen- 
stück schon  erkaltet,  so  legt  man  es  einige  Minuten  in  lauen  weissen  Wein 
und  vereinigt  es  mit  dem  Nasenstumpfe  erst  dann,  \venn  bei  letzterm  das 
Stad.  lymphaticum  eingetreten  ist ,  durch  die  umschlungene  Nath ,  in  den 
Ecken  und  Winkeln  aber  mittels  krummer  Nadeln  und  eines  seidenen  Fa- 
dens. Wenigstens  ein  Drittheil  der  Nähte  muss  der  bessern  Befestigung  we- 
gen init  durch  die  Knorpelränder  geführt  werden ,  die  übrigen  aber  nur 
durch  die  Haut.  Die  Nadeln  müssen  recht  fein  und  nur  3  —  4  Linien  von 
einander  entfernt  seyn.  Pflaster  und  andere  V^erbandmittel  sind  luinöthig. 
Nach  der  Reunion  werden  eiskalte  Umschläge  auf  den  Nasenstumpf  gelegt, 
die  Nasenspitze  aber  mit  einem  in  lauen  Wein  getauchten  Läppchen  bedeckt. 
Tritt  nach  12  —  24  Stunden  am  Nasenstumpfe  starke  Röthe  und  Geschwulst 
ein,  60  setze  man  ohnweit  des  Randes  6 — 8  BlutegeL  Am  2ten,  Steii  Tage 
müssen  die  meisten  Hefte  entfernt  werden.  Bei  bleichem,  schlaifen  Ansehen 
der  Nase  fomentirt  man  sie  anhaltend  mit  Wein  und  entferne  selbst  bei  erd-» 
fahlem  Ansehen  und  üblem  Geruch  die  Hefte  nicht  sogleich,  da  auch  hier 
Rooh  Vereinigung  erfolgen  kann.  Hier  verbinde  man  mit  einfacher  Salbe.  — 
Eingesunkene  Nasen  hat  Dieffeiibnch  (Chirur.  Erfahrungen,  Abth.  I.  S.  7) 
mit  Glück  durch  Einschneiden  der  Nase  und  Lappenbildung  wieder  aufge- 
bauet.  Kleine,  eingesunkene  Partien  derselben,  quer  über  ihren  Knorpel- 
theii  verlaufende  Furchen  kann  man  durch  Excision  derselben  und  Ausschnei- 
den eines  Keils  oder  OVals  aus  der  Wangenhaut  heilen',  das  verlorne  Septum 
aus  der  Oberlippe  ersetzen  ,  die  Nasenflügel  aus  der  Wangenhaut  etc.  (vgL 
meffenbach  in  Rtisfs  Magazin,  Bd.  XXVIIL  Hft.  1,  18t8).  Den  Wie- 
derersatz der  Nase  aus  der  Stirnhaut  nennt  man  die  erste  in-« 
dische  Methode.  Sie  eignet  sich  für  die  schwersten  Formen  der  Nasen- 
verstümmelung, ist  mit  den  geringsten  Beschwerden  des  Kranken  verbunden, 
ersetzt  die  Nase  am  täuschendsten  und  gelingt  am  öftersten  und  weit  leich- 
ter, als  die  Nasenbildung  aus  dem  Arme  des  Kranken  (italienische,  v.  Gräfe'- 
ßche  Methode).  Dieffcnhnch  verrichtet  sie  auf  folgende  Weise:  Zur  Opera- 
tion dient  ihm  ein  sehr  schmales,  feines,  kleines  ScaipcU  mit  achteckigem 
Stiele;  die  Spitze  der  Klinge  befindet  sich  im  Mittelpunkte  zwischen  Rücken 
und  Sciuieide;  ferner  eine  feine  Hakenpincette,  einige  feine  krumme  Heft- 
naöeln  und  Faden  etc.  Zuerst  klebt  er  drei  Stück  Heftpflaster  auf  einan- 
der, faltet  sie  in  der  Mitte  zusammen  und  schneidet  daraus  eine  für  die 
Proportion  des  Gesichts  bei  sehr  dünner  Haut  um  ein  Drittel ,  bei  dicker 
Haut  um  ein  Viertel  zu  grosse  Nase,  giebt  dem  Soptuni  die  Breite  von 
1  Zoll,  lässt  es  aber  spitz  zulaufen.  Dies  Pflnsterstück  wird  auf  die  Stirn 
(K)  aufgeklebt,  dass  die  Spitze  (des  Septums)  nach  oben  gerichtet  ist.  Dar- 
auf werden  die  Ränder  des  Pflasterstücks  umschnitten  und  hierauf  der  Lap- 
Ejn  von  seiner  Spitze  aus  bis  nach  unten  zur  Brücke  und  selbst  diese  voitt 
öden  getrennt.  Jetzt  schneidet  man  die  Spitze  de«  Septums  bis  zu  seiner 
gleichmässigen  Breite  ab,  so  dass  ein  dreieckiges  Stück  entfernt  wird.  Der 
Grund  davon  ist,  die  Stirn\vun<l«  an  dieser  Stelle  besser  vereinigen  zu  kön- 
nen. Nach  gestillter  Blutung  wird  die  Stirnwunde  zuerst  durch  Sutura  no- 
dosa od  rr  circamvoluta  vereinigt,  so  weit  <v»  möglich  ist;  auch  macht  man 
bei  kräftigen  Menschen  wol  ein  paar  seitliche  Kinsr.hnitte  vom  Anfange  des 
Haarwuchses  durch  die  Schläfenhaut.  Hierauf  wird  der  Lappen  durch  feine, 
umwundene  Insecteniiadeln ,  die  nur  2  —  3  Linien  entfernt  liegen  dürfen, 
vereinigt.     Jeder   einzelne    Faden,    welcher   eine   Nadel    umschlingt,    NÄ-ird 


CHIRURGIA  383 

sammt  den  Nadelenden  kurz  am  Knoten  abgescluiif ten ,  nnd  nur  an  Stellen, 
wo  die  Ränder  zwischen  2  Nadeln  sich  etwas  erheben,  die  Fadenenden  von 
einer  Nadel  zur  andern  hinübergeführt.  An  den  Nasenflügeln  nimmt  man 
feine  Knopfnähte  zu  Hülfe,  aber  das  Septum  muss,  und  zwar  zuletzt,  durch 
8  oder  4  umwTindene  Nähte,  weil  sich  die  Ränder  leicht  umkrempen,  mit 
<ler  Oberlippe  vereinigt  w€rden.  —  Nachdem  alle  Theile  nochmals  vom 
j  Blute  gereinigt  worden  siiwl,  werden  in  die  Nasenlöcher  mit  Charpie  nia- 
wickelte  Federkie/e  eingeführt.  Ihre  Ränder  sind  an  einem  Lichte  vorher, 
um  sie  stumpf  zu  machen,  angebrannt.  Sie  dienen  theils  die  beiden  innem 
Flächen  des  Septums  sanft  gegen  einander  anzudrücken,  theils  den  Lappen 
aufrecht  z«  erhalten ,  theils  das  Athmen  durch  die  Nase  zu  erleichtern. 
Nur  bei  sehr  dünner,  bleicher,  laxer  Hadt  darf  man  am  ersten  Tage  die 
Nase  mit  Umschlägen  von  lauem  Weine  und  Wasser  bedecken ;  so  wie  aber 
Geschwulst  eintritt,  wende  man  sogleich  kaltes  Wasser  an-,  welches  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  immer  den  Vorzug  verdient ,  um  den  Andrang  des  Blut^ 
nach  dem  Lappen  zu  massigen.  Wird  derselbe  sogleich  roth  oder  blau, 
60  schneide  man  eine  sehmale  Schicht  von  dem  äussersten  Punkte  der  hw-" 
vorragenden  Spitze  der  Bi-ücfce  oder  auch  von  dem  Rande  eines  NasenlochsJ 
ab,  oder  öffne  eine  etwa  torquirte  Arterie,  oder  setze  einige  Blutegel  auf 
tden  Lappen  und  unterhalte  die  Blutung  mittels  lauen  Wassers.  Dies  wie- 
I  derholt  man ,  so  oft  der  Lappen  vom  Blute  wiederum  strotzt.  "'An  die  stark 
I geschwollene  Gesichtshaut  setzt  man  gleichfalls  Blutegfel,  und  wenn  der 
Nasenrand  nicht  gehörig  Blut  giebt,  auf  die  Nase  selbst.  Nach  24 — 30 
Stunden  werden  «e  ersten  Nadeln  entfernt,  wobei  die  Blutung  aus  den 
Nadelstichen  unterhalten  werden  muss.  Am  5ten  Tage  zieht  man  die  letz- 
ten Nadeln  aus,  bedeckt  die  Nase  mit  Bleiwasseramschlägen ,  bis  die  Hei- 
hing  vollendet  ist,  erneuert  aber  täglich  die  Federkiele.  Mehteve  Wochen 
später,  wenn  die  Nasenöffnungen  sich  wieder  •  ZU ■  verschliessen  sti'feben,  macht 
mart  von  den  Naswilöchem  aus  nach  vorn  zwei  Inci;donen,  \todUrch  Haut- 
läppchen gebildet  werden ,  welche  man  in  die  Nase  hineinzüheilen  sucht, 
indem  man  auf  jedes  Läppchen  ein  mehrere  Linien  grosses  Bleiplättchen  und 
ein  anderes  auf  den  vordem  Theil  der  Nasenspitze' legt,  und  durch  bcide^ 
«owie  durch  die  zwischen  ihnen  befindlichen  Nasentheile,  eine  Insectennadel 
führt,  deren  Spitzenende  aufgerollt  wird.  Die  Nadeln  können  oft  14  Tage 
lang  liegen  bleiben.  —  Über  die  Verbesserung  einzelner  Nasentheile  findet 
isich  das  Wissenswertheste  in  Rusfs  Chirurgie,  Bd.  IV.  S.  528  —  674.  — 
!  Ferner  gehören  in  die  Chirurgia  curtorum  2)  die  Augenlidbilduhg,  8. 
Ble pharop lästige,  3)  B?cpÄnrido7)?rt«(tce,  ItWisio  ciliorunit  die  Augen- 
wimperbildung. Über  die  Transplantation  der  Haare  sind  viele  Ver- 
suche angestellt ,  woraus  hervorgeht ,  dass  sie  leicht  verpflanzt  werden  kön- 
nen. Dzondi  versuchte  zuerst ,  einem  untern ,  aus  der  Wangenhaut  gebil- 
deten Augenlide  Cilien  einzupflanzen  (s.  Dieff'enbach  in  w.  Grnfe's  u.  v,  Wal- 
fher^s  Journ.  Bd.  V.  WiesemnnH,  De  coalitu  partium  a  reliq.  corp.  prors. 
disjunct.  Lips.  1824,  p.  32).  4)  Die  Verschliessung  der  widerna- 
türlichen Öffnung  des  Thränensacks  durch  Hautverpflan- 
zung, die  zuweilen  nach  der  Operation  der  Thränenfistel  bleibt  und  allen 
Heilversuchen  trotzt.  Der  Nasencanal  darf  sich  hier  aber  nicht  geschlossen 
haben.  5)  Ausfüllung  der  Orbita  durch  Hautüberpflanzung, 
zumal  nach  der  Exstirpation  des  Bulbus.  6)  Kerntoplastice,  Hornhaut- 
bildung,  Verpflanzung  der  Hornhaut.  Reisinger  fasste  zuerst  den 
Gedanken,  die  vollkommen  verdunkelte  Hornhaut  bei  Menschen  auszuschnd- 
den  und  durch  die  gesunde  Cornea  eines  Thieres  zu  ersetzen.  Mössler's  u. 
iHeffenhach's  bei  Thieren  deshalb  angestellte  Versuche  blieben  aber  leider  l 
erfolglos  (s.  Mössler  Diss.  de  conformat.  pupill.  artif.  Tübing.  1825 ,  p,  46.  — 
».  Ammon's  Zeitschrift  für  OphthalmoL,  Hft.  2.  —  Schön  in  Rust^s  Magazin, 
Bd.  XXm.  S.  352  —  365).  7)  Die  Lippenbildung,  s.  Cheilopla- 
stice.  8)  Die  Wangenbildung,  Meloplnstice.  Selbst  grossfe  Sub- 
stanzverluste  der  Wangen  kann  man  durch  Heranziehen  der  Umgegend  und 
ältliche  Einschnitte  ersetzen,    v.  Gräfe  schloss  indessen  eine  1*/,  Zoll  lange 


384  CHIRURGIA 

und  1  Zoll  breite  Öffnung,  die  sich  vom  Nasenrücken  jind  dem  Auge  der 
rechten  Seite  nach  aussen  und  abwärts  erstreckte,  und  durch  welche  man  in 
das  Innere  der  Nase  hineinblickte,  durch  Überpflanzung  eijies  Stimhaut- 
lappens,  welcher  in  seinem  ganzen  Umkreise  zwei  Linien  mehr  als  die  Öff- 
nung mass  und  in  schräger  Richtung  von  oben  herabgeschlagen  wurde. 
Der  Erfolg  war  günstig.  9)  Otoplastice ,  die  Ohrbildung.  Völlig  vom 
Kopfe  getrennte  Ohren  wuchsen  oft  wieder  an.  TngHacozzi  bildete  indessen 
Künstliche  Oliren  aus  der  benachbarten,  hinter  dem  Stli»ipfe  befindlichen 
Kopfhaut»  Da  aber  daraus  weder  für  die  Gestalt,  noch  für  die  SchalUei- 
tung  yorheil  erwächst,  da  das  neue  Ohr  nur  einen  entstellenden  Hautlap- 
peji  bildet,  so  ist  die  Operation  bei  gänzlichem  Mangel  der  Ohrmuschel 
verwerflich.  A,ndeirs  verhält  es  sich,  wenn  nur  ein  Theil  der  letztern  fehlt. 
£inem  Manne,  dem  mit  einem  Säbel  ein  Stück  vom  obern  Theile  des  Ohrs, 
l'/aOZoll  gross,  abgehauen  worden,  trug  Dieffcnhach  zuerst  den  Rand  des 
Ohrs  mit  der  Scheere  ab,  machte  darauf  in  derselben  Richtung  mit  dera 
Wuudr^ndp  eiflen  auf  beiden  Seiten  über  diesen  hinausragenden  Einschnitt 
durch  die  Kopfbedeckungen  bis  auf  das,  Pericranium.  An  beiden  Endpunk- 
ten der  Wunde  wurden  zwei  'A  Zoll  lange,  nach  oben  stehende  Querinci- 
sion^n  gemacht,  und  dieser  schmale,  lange  Lappen  vom  Knochen  getrenntr 
Nach  Stillung  der  Blutung  vereinigte  er  denselben  durch  5  —  6  umschlun- 
gene Näht/s 'mit  dem  Ohr«,  und  zog  unter  ihm  und  der  Hautbrücke  ein 
geöltes  flaches  Band  dur^h.  Als  nach  S  Wochen  die  vollkommne  Heilung 
gelungen  war,  schnitt  er  einer»  halbmondförmigen  Lappen  der  Kopfbede- 
ckung aus.  Sp  Tanförmlich  dieser  an  seinen  Rändern  stark,  wuchernde  Lap- 
pen auch  ftu^ah,  so,  sehr  verbessert^  sich  seine  Gestalt,  als  der  Lappen 
sk^: zu;. verkleinern  und: die  Ränder  sich  nach  hinten  umzukrempen  began- 
nen., Nach  vollendeter  Heilung  hatte  der  ersetzte  Theil  eine  sehr  natür- 
liche Bildung  (s.  iJuÄtV  Handb.  d.  Chirurgie ,  Bd.  IV.  S.  583).  Auf  ähn- 
liche. Weise  lassen  sich  andere  Theile  des  Ohrrandes  ersetzen.  Am  voll- 
kommensten gelingt ,  die  Bildung  des  Ohrläppchens.  10)  Vraniscoplasiice^ 
Gaumenbildung.  Wir,  versuchen  sie  bei  angebornen  Spaltungen  des 
weichen  Gaumens ;  bei  Lücken  desselben ,  in  Folge  von  Geschwüren  ent- 
standen, wenden  wir  die  Staphyloraphie  an.  Die  Operation  ist  mit  vielen 
Schwierigkeiten  verknüpft  (s.  DieffenhacK's  Chirurg.  Erfahrungen,  Artikel 
Urannorrhap  he).  11)  Transplantation  der  Zähne.  Dieselbe 
wurde  schon  vor  Alters •  gelehrt,  da  lein  frisch  ausgezogener  Menschenzahn 
sowol  in  die  eigne  als  fremde  Alyfsole  eingesetzt ,  leicht  wieder  anwächst. 
Huiiier  verpflanzte  selbst  einen  Menschenzahn  auf  den  Kamm  eines  Hahns 
mit  Erfolg.  ,  12)  Verpflanzung  von  Knochen  stücken  des  Schä- 
dels. Nicht  blos  in  Verbindung  gebliebene,  selbst  austrepanirte  Knochen- 
scheiben hat  man  wieder  vereinigt  gesehen,  und  zwar  durch  Callusbildung, 
wie  bei  Fracturen  (s.  Merrem^  Animadv.  quaedam  chinirg.  experiment.  in 
animalib.  fact.  Giess.  1810).  Aus  diesem  Grunde  piuss  man  selbst  bei  losen 
Kaochenstücken ,  wenn  sie  nichts  durch  Druck  Hirnzufalle  erregen,  nicht  so- 
gleich trepanireu.  —  Am  Rumpfe  hat  man  verschiedene  Verpflanzungen 
mit  mehr  od^r  minder  Glück  versucht,  als  die  Heilung  von  öfTnungen  des 
Kehlkopfes  durch  Hautüberpflanzung,  des  schiefen  Halses  nach  Entartungen 
und  Verkürzungen  der  Cutis,  die  Einheilung  eines  Hautlappens  in  den 
Bauchring  um  Hernien  radical  zu  heilen,  die  Überpflanzung  der  Haut  zur 
Schliessung  des  künstlichen  Afters  und  der  Öffnungen  in  der  Harnröhre, 
und  endlich  die  Bildung  einer  neuen  Vorhaut.  An  den  Extremitäten 
hat  man  getrennte  Finger  und  Zehen  zuweilen  mit  Glück  wieder  angeheilt 
(s.  Rrnfs  Handb.  der  Chirurgie,  Bd.  JV.  S.  587  —  597.  —  Gasjmris  Ta- 
liacotii.  De  curtorum  chirurgia  per  insitionem  libri  duo,  recognov.  et  edid. 
M:  Troschel.  Berol.  1831.  Cum  tabul.  lithograph.  —  Rosen,  De  Chirurgine 
curtorum  possibilitate.  Upsal.  1742.  —  J.  Nep.  Rust,  Neue  Methode  ver- 
stümmelte Nasen  auszubessern,  in  dessen  Magazin,  1817,  Bd.  II.  Hft.  3.  — 
C.  J.  Gräfe f  Rhinoplastik ,  oder  die  Kunst,  den  Verlust  der  Nase  organisch 
2u  ersetzen  etc.  Berlin,  1818.  4.  —  v.  Gräfe' s  u.  v.  Walther's  Joii»mal, 


CHLOASMA  ■-  CHOLERA  385 

Bd.  II.  Hft.  1,  Bd.  VII.  Hft.  4,  Bd.  XII.  Hft.  1.  —  Chelius  in  den  Hei- 
delberger klin.  Annalen,  1830). 

Chirurgia  forensis,  gerichtliche  Wundarrzneikunde.  Ihr  Gebiet 
ist  nur  sehr  gering  im  Verhältniss  zur  Medicina  forensis ,  und  sie  wird  da- 
her am  besten  Aom  Lehrer  mit  letzterer  verbunden  vorgetragen. 

Cbloasma,  Leberfleck,    s.  Ephelides. 

Chlorosis»  Bleichsucht,    s.  Icterus  albus. 

Cboeras,  Scrophelkrankheit ,   s.  Scrophuiosis. 

Cbolag^og^a,  Mittel,  welche  die  Galle  ausleeren,  z.  B. 
Vomitive,  Laxantia,  besonders  die  gelindern:  Manna:  Tamarinden,  Sal 
Seignette  etc. 

Cholecystitis f  Gallenblasenentzündung,  8.  Inflammatio  vesi- 
cae  i'elleae. 

CholelithiasiS;  die- Gallensteinkrankheit ,  s.  Icterus  calculo- 
ßus  und  Lithiasis. 

Cliolcpyra,   das  Gallenfieber,  s.  Fe  bris  biliosa. 

Cholera,  Cholera  morhus,  CJiolerrJiftgia,  Passio  felliflua,  Passio  cho- 
Icrica,  Morbus  fellifluus ,  die  Gallenruhr,  Brechruhr,  der  Brech- 
durchfall. Ist  nach  Hause  eine  complicirte  Krankheit,  zusammengesetzt 
aus  Gallsucht,  Polycholie,  und  erhöhter  Sensibilität  des  Magens  und  der 
Gedärme,  daher  neben  heftigem  Erbrechen  und  Purgiren  auch  bedeutende, 
gleichzeitige  Kolikschmei-zen  stattfinden.  Symptome.  Fast  immer  kommt 
die  Krankheit  plötzlich,  mit  Erbrechen  und  Durchfall.  Seltener  hat  sie  Vor- 
boten, und  auch  diese,  welche  in  Unbehaglichkeit ,  ikterischem  Ansehn, 
Druck,  Krampf,  Ziehen  in  der  Magengegend,  bitterm  Geschmack,  Kolik- 
schmerz etc.  bestehen,  gehen  höchstens  nur  24  —  48  Stunden  vorher.  Die 
wesentlichen  Symptome  des  Übels  sind  die  schon  oben  genannten.  Der 
Kranke  erbricht  schnell  und  zu  oft  wiederholten  Malen  zuerst  Alles,  was 
er  zuletzt  genossen,  dann  eine  wässerige,  schleimige,  zuletzt  gallige  Flüs- 
sigkeit. Das  Ausgebrochene  ist  der  Quantität  nach  bald  grösser,  bald  ge- 
ringer, von  Geruch  höchst  verschieden,  bald  bitter-,  bald  übelriechend, 
von  Farbe  gelb,  grün,  braun,  bisweilen  schwärzlich,  doch  selten  mit  Blut 
vermischt;  von  Geschmack  hässlich,  wie  Schwefelleber,  oder  scharf,  ätzend, 
bisweilen  so  sauer,  dass  es  die  Zähne  stumpf  macht  und  mit  Kalkerde  auf- 
braust. Zugleich  mit  dem  JSrbrechcn  stellen  sich  heftige  und  häufige  Durch- 
fälle (selbst  20 — 30  alle  Stunden)  mit  brennenden,  schneidenden,  reissenden 
Leibschmerzen  an  verschiedenen  Stellen  des  Leibes ,  am  heftigsten  in  der 
Nabelgegend  ein ,  die  während  der  Ausleerungen  den  höchsten  Grad  errei- 
chen. Der  Puls  ist  spastisch,  klein,  zusammengezogen,  oft  kaum  fühlbar, 
oft  frequent,  in  andern  Fällen  nicht  übermässig  schnell.  Im  höchsten  Grade 
der  Krankheit  erfolgen  binnen  24  Stunden  wol  hundert  und  mehrere  Aus- 
leerungen nach  oben  und  unten.  Dabei  schnelles  Sinken  des  Pulses  und  der 
Kräfte,  unauslöschlicher  Durst,  allgemeine  Krämpfe,  besonders  in  den  un- 
tern Extremitäten,  Strangurie,  Ischurie,  Tenesmus,  Würgen,  Singultus, 
Flechsenspringen,  kalte  Glieder,  eiskalte  Schweisse,  Dyspnoe,  Bewusstlo- 
sigkeit  und  Tod.  Der  Verlauf  des  Übels  ist  sehr  rasch ;  oft  tödtet  es  schon 
am  ersten,  zweiten  Tage,  und  selten  dauert  es  über  den  siebenten  Tag. 
Die  Section  zeigt  Magen  und  Gedärme  oft  krampfhaft  zusammengezogen, 
oft  auch  aufgetrieben,  von  Luft  ausgedehnt,  entzündet,  missfarbig,  brandig, 
mitrothen,  blauen  Flecken  besetzt,  die  Gallenblase  leer,  oder  mit  gelb- 
grüner, schwarzer,  saurer,  scharfer  Galle  angefüllt,  oft  die  Leber  entzün- 
det, verhärtet,  nüt  Scirrhositäten  und  andern  organischen  Fehlern  versehen. 
Erfolgt  Gesundheit ,  was  in  unsern  Gegenden  bei  früher  zweckmässiger  Be- 
handlung meist  der  Fall  ist,  so  nehmen  die  Zufälle  allmälig  unter  kritischen 
allgemeinen  Schvveissen  und  dickem  Urin  mit  röthlichem  Bodensatz,  dessen 
Abgtuig  Brennen  erregt,  ab.  Unter  anderen  Umständen  folgt  der  Tod  meist 
am  dritten,  fünften,  siebenten  Tage,  unter  Erschöpfung  oder  Brand  als 
Most  Encjklopädie.  2te  Aufl.  I.  25 


386  CHOLERA 

Folge  chier  hinzugetretenen  Enteritis.  Nachkrankheiten  hinterlässt  die  Cho- 
lera nur  selten.  Sie  bestehen  in  krampfhafter  Stulilverstopfung,  in  allerlei 
dyspepliseheu  Beschwerden,  Magenkrampf,  Koliken,  Blascnkrampf ,  die  pe- 
riodisch wiederkehren,  und  selbst  in  paralytischen  Zufällen,  besonders  an 
den  untern  Gliedmassen.  Diagnose.  Von  der  Ruhr  unterscheidet  sich  die 
Cholera  durch  den  plötzlichen  Eintritt,  den  raschen  Verlauf,  durch  das  bei 
ihr  stets  constante  Erbrechen ,  durch  die  Abwesenheit  des  Fiebers  und  des 
Tenesmus  und  durch  ihr  häufiges  Erscheinen  im  heissen  Sommer;  von  dem 
auf  der  Küste  von  Koromandel  und  in  Bengalen  epidemisch  herrschenden 
Mal  de  terre  oder  Mort  de  ckien,  das  zur  Febr.  intermittens  maligna  gehört, 
durch  die  Abwesenheit  des  deutlich  nüt  Frost  und  Exacerbationen  erschei- 
nenden Fiebers;  von  der  Cholera  orientalis,  die  leider I  jetzt  auch  Europa 
heimgesucht  hat,  unterscheidet  sich  die  Cholera  occidentalis  und  sporadica 
in  mancherlei  Hinsicht  (s.  unten  Cholera  orientalis).  Ursachen. 
Die  wahre  Cholera  {Cholera  vera')  ist  stets  ein  endemisches  oder  epidemi- 
sches Übel ,  hervorgebracht  durch  hohe  Hitzgrade  der  Atmosphäre  und  Er- 
kältung in  kühlen  Abenden  und  des  Nachts ,  wodurch  die  Secretionsthätig- 
keit  der  Leber  verändert,  die  Gallenabsonderung  vermehrt  und  die  Reizbar- 
keit des  Unterleibes  ungemein  erhöht  wird.  Örtliche  Reizungen  der  Unter- 
leibsorgane durch  Drastica,  Mineralgifte  etc.  köinien  wol  äludiche  Zufälle 
(Cholera  spui-ia,  artificialis)  erregen,  desgleichen  die  Hysterie,  die  Hypo- 
chondrie, die  Gallensteinkrankheit,  doch  sind  diese,  die  selbst  habituell 
werden  können  (Cholera  habitualis),  nicht  mit  der  echten  Gallenrahr  zu 
verwechseln.  Höchst  einseitig  ist  es  indessen,  sie  mit  Broussais  und  An- 
dern, wie  Dr.  Gravier  (^Broussais,  Annal,  de  la  Medeciue  physiologique 
Bd.  II.  S.  269)  behauptet,  eine  Gastro  -  ent^rite  epidemique  de  l'Inde  zu 
nennen,  und  sie  mit  Blutegeln  in  die  Magengegend  etc.  zu  behandeln,  ob- 
gleich es  nicht  geleugnet  werden  kann,  dass  die  Section  hier,  ebenso  Avie 
bei  der  Febr.  nervosa  gastrica,  jwelche  im  Herbst  1829  in  und  um  Rostock 
herrschte,  nicht  selten  Darmgeschwüre  zeigt.  Die  Narben  solcher  Geschwüre 
charakterisiren  sich  nach  J.  T.  H.  Albers  (^UufelaiuVs  Journ.  1835.  Juni. 
S.  73.)  1)  als  kleine  unregelmässige  feste,  harte  Stellen,  etwas  unter  dem 
Niveau  der  Schleimhaut  liegend,  2)  durch  den  Älangel  der  Zotten  jener 
Haut ,  welche  diese  Stelle  überzieht ,  3)  durch  die  strahlenförmige  Ausbrei- 
tung von  Linien,  4)  durch  die  beträchtlichere  Dicke  der  Darrawände  an 
dieser  Stelle ,  5)  durch  die  Röthe  der  eben  bezeichneten  Stelle ,  welche 
Farbe  aber  nicht  immer  constant  ist.  —  In  heissen  Klimaten  ist  die  Brech- 
ruhr fast  immer  endemisch,  bei  uns  nur  in  sehr  heissen  Sommern,  und  dann 
meist  epidemisch.  Das  Wesentliche  des  Übels  ist  Erethismus  (nicht  Synocha, 
auch  nicht  Paralysis)  der  Unterleibsorgane,  wodurch  die  anomale  Gallen- 
secretion  hervorgerufen  wird,  welche  fast  immer  zu  kohlenstoffhaltig  ist. 
Berends  (s.  dess.  Vorlesungen  etc.  herausgegeben  von  Sundelin^  nennt  die 
Gallenruhr  eine  Epilepsie  des  Magens  und  der  Gedärme,  um  anzudeuten, 
dass  hier  das  Spastische  vorherrscht  und  daher  zuerst  Antispasmodica  indi- 
cirt  sind.  Er  nimmt  eine  Cholera  biliosa,  rheumatica  und  nervosa  an. 
Merkwürdig  ist,  dass  die  indische  Cholera  alle  Diejenigen  verschont,  welche 
gerade  mit  Kuhpocken  geimpft  worden ,  sowie  dies  in  Java  beobachtet  wor- 
den ist  (s.  Busscil  in  Froriej>'s  Notizen  1827.  Nr.  1.);  daher  man  dieses 
Mittel  bei  noch  nicht  Vaccinirten  als  Präservativ  versuchen  kami.  Prädis- 
position zur  Cholera  geben:  reizbare  Körperconstitution ,  Habitus  biliosus, 
Hysterie,  Hypochondrie,  kindliches  Alter,  ärgerliches  Temperament,  Phys- 
konie  der  Leber*  Gelegenheitsursachen  dazu  giebt  Alles,  was  die  Reiz- 
barkeit der  Leber  und  des  Digestionsapparats  erhöhet:  Erkältung  in  den 
Abendstunden  nach  heissen,  schwülen  Sommertagen,  schnelle  Abkühlung  der 
heissen  Luft  durch  starke  Gemtter  mit  nachfolgendem,  anhaltendem  Regen. 
Ferner  heftige  Leidenschaften :  Zorn,  Ärger,  Erhitzungen  des  Körpers ,  Er- 
kältung des  Unterleibes,  der  Füsse,  kaltes  Trinken,  kaltes  Baden,  zurück- 
getretene Gicht,  Hautausschläge  etc.  können  die  sporadische,  und  bei  der 
beschriebenen  Luftbeschaffenheit  die  epidemische  Cholera  erregen.     Auch  der 


CHOLERA  387 

Genuss  vieler  fetten  Fleischspeisen ,  des  Caviars ,  des  Rogens  der  Barben, 
Hechte^  der  Austern,  des  unreifen,  sauren  Obstes,  der  Weissbiere,  Miss- 
brauch der  Purgirmittel  kann  sporadisch  die  Cholera  bewirken.  Prognose. 
Ist  im  Allgemeinen  schlimm,  besonders  bei  Kindern,  zarten  Frauenzimmern 
und  schwächlichen  Männern,  und  wenn  das  Übel  schon  über  48  Stunden 
alt  ist.  Doch  ist  die  Krankheit  in  den  heissen  Zonen  weit  verheerender  als 
bei  uns.  Cur.  1)  Man  erforsche  und  beseitige  die  erregenden  Ursachen 
der  Krankheit,  nud  wirke  gegen  die  Schädlichkeiten,  die  sie  hervorbrachten 
und  unterhalten;  z.  B.  man  verhüte  jede  Erkältung,  gebe  bei  der  sporadi- 
schen Gallenruhr,  wenn  sie  durch  heftige  Drastica  etc.  entstand,  die  ge- 
eigneten Gegenmittel.  2)  Man  wirke  aufs  schnellste  und  kräftigste  gegen 
die  vorzüglichsten  Symptome  des  Übels.  Hier  ist  das  Opium  das  erste  und 
grösste  Mittel,  überhaupt  passen  die  kräftigsten  Antispasmodica:  Emuls. 
Sern,  hyoscyami,  Extr.  hyoscyami,  Rad.  belladonnae;  doch  macht  das  Opium 
diese  Mittel  fast  immer  entbehrlich  (Uaase}.  Sehr  wirksam  ist  folgende 
Mischung:  ly  Pot.  River,  c.  succo  citri  parat.  31V,  Aq.  valeriaiu^e ,  —  chor- 
moinillae,  Mucil.  yumm.  arah.  ana  5JJ ,  Liq.  anoihjn.  5 j »  Syr.  cinnamomi  ^. 
M.  (M.).  Wovon  alle  Stunden  1  Esslöffel  voll  genommen  und  alle  2 — 3 
Stunden  ausserdem  10 — 15  Tropfen  Tinct.  opii  gereicht  werden.  Auch 
Pulv.  aerophorus ,  desgleichen  Magnesia  carbon. ,  mit  Citronensaft  genom- 
men, selbst  Selterserwasser  hat  man  empfohlen.  Diese  Mittel  passen  vor- 
züglich da,  wo  das  Ausgebrochene  von  scharfer  und  saurer  Beschaffenheit 
ist.  Alle  Brechmittel  schaden  in  der  gewöhnlichen  Cholera,  dagegen  passen 
kleine  Dosen  Ipecacuanha  als  Antispasmodicum ,  besondex-s  mit  Opium. 
3)  Man  vergesse  nie,  die  passenden  äussern  Mittel  neben  den  Innern  an- 
zuwenden ;  besonders  nützlich  sind  aromatische ,  spirituöse  Fomentationen 
auf  die  Leber-  und  Magengegend,  z.  B.  ein  Kataplasma  aus  Brot,  Wein, 
Branntwein  und  Gewürzen,  Empl.  aromat.  mit  Opium,  Kampher,  Cicuta, 
Hyoscyamus  auf  den  ganzen  Unterleib ,  Einreibungen  von  Linim.  volat. 
camph.  mit  Ol.  hyoscyami  und  Laudanum,  alle  Stunden  wiederholt,  und 
des  Nachts  das  Empl.  aromat.  aufgelegt;  auch  schleimige  Klystiere  mit 
Opium  und  laue  aromatische  Bäder  erleichtern  sehr.  Die  Diät  muss  durch- 
aus schleimig  und  leichtverdaulich  seyn  und  alle  feste  Speisen  müssen,  eben- 
so wie  bei  der  Ruhr ,  vermieden  werden.  Decoct.  salep. ,  avenae  excortic, 
von  AiTow-Root,  Sago,  Reis  mit  etwas  Zimmt,  auch  wol  alle  V4  Stunden 
kleine  Gaben  kalter  frischer  Milch  oder  Buttermilch  (  Vogel)  sind  zu  em- 
pfehlen. Kaltes  Wasser  zum  Trinken,  kalte  Umschläge  auf  den  Unterleib 
von  Wasser,  Salzauflösungen,  und  der  innerliche  Gebrauch  des  Kalomels, 
welche  Mittel  bei  der  Cholera  in  heissen  Zonen  oft  mit  grossem  Nutzen  in 
sehr  schlimmen  Fällen  angewandt  worden  sind  (^Rush,  VogeVs  Handbuch 
Th.  VI.  S.  100 — 123.  1816.),  finden  in  unserm  kältern  Klima  bei  der  ge- 
wöhnlichen Cholera  keine  Anwendung,  da  das  Übel  hier  nicht  so  complicirt 
und  weniger  gefährlich  als  dort  ist,  4)  Man  sorge  für  eine  tüchtige  Dia- 
phorese,  decke  den  Kranken  gut  zu,  gebe  ihm  warmen  Thee  von  Flor, 
chamomiil. ,  Herb,  melissae,  lege  Wärmflaschen  ins  Bette,  zumal  wenn  starke 
Erkältung  Ursache  ist.  Hier  hilft  oft  schon  ein  Glas  Glühwein  mit  Ge- 
würz. 5)  Ist  der  Kranke  auf  dem  Wege  der  Besserung,  so  gebe  man  an- 
fangs Elix.  viscerale  Hoffm.  mit  Tinct.  opii,  cmnamomi,  Cort.  aurantior., 
Tinct.  rhei  aquos.  und  vinosa  in  kleinen  Dosen,  und  erst,  wenn  das  Übel 
ganz  vorüber  ist,  stärkere  Tonica,  z.  B.  Gentiana,  Quassia,  Columbo,  Cas- 
carille,  China,  welche  oft  erst  später  vertragen  werden.  —  Folgende  Zu- 
stände hat  man  noch  mit  diesem  Namen  benannt :  ' 

Cliolcrn  sicca.  Ist  nur  Symptom  der  Flatulenz  bei  Hysterie,  Hypochon- 
drie, wo  Blähungen  nach  oben  und  unten  (durch  Ructus  und  Flatus)  ab- 
gehen; s.  Cardialgia.  Die  schlimmste  Foinn  der  morgenländischen  Brech- 
ruhr ist  die  ohne  alle  Ausleerungen  nach  oben  und  unten;  daher  man  diege 
gleichfalls  Cholera  sicca  genannt  hat.    S.  unten  Cholera  orientalis. 

Cholera  humiJa.  So  hat  man  die  wahre  Galleniuhr  zum  Unterschiede 
der  Cholera  sicca  genannt. 

25* 


388  CHOLERA 

Cholera  hnhilualis.  So  benennt  man  wol  die  penodisch  bei  der  Gallen- 
steinkrankheit  eintretende  Kolik  ,  wenn  sie  mit  Erbrechen  und  Diirclifall  be- 
gleitet ist;  s.  Icterus  calculosus  und  Coli  ca. 

Cholera  t)era  und  .«;)?«•(« ,  s.  C  h  o  1  e  r  a. 

dholera  orientalis,  Cholera  asinlica,  Morbus  oryzeus  {Tytlcr) ,  CJwlera 
inilicn,  epidemica  (^fAchtensliUlt) ,  Gangliotiitis  peripherica  et  vieduUnris  (^Nis- 
sen), Trisplanchnia  {Scip.  Pinel.},  ClwJ er a  morbus  {Sinlenham) ,  die  asiati- 
sche, indische,  epidemische,  die  morgenländische  oder  orien- 
talische Brechruhr.  Sie  ist  ein  eigenthiimliches,  epidemisch  herrschen- 
des, von  der  Cholera  occidentalis,  die  auch  ^ei  uns  vorkommt,  wohl  zu  un- 
terscheidendes Übel,  das  seit  1830  das  Schrecken  Europas  geworden  ist. 
Aus  diesem  Grunde  theile  ich  darüber  das  Neueste  und  Nothwendigste,  nach 
dem  gegenwärtigen  Standpunkte  unsers  Wissens,  in  der  Kürze  mit.  Die 
iflorgenländische  Brechruhr,  jenes  noch  immer  so  räthselhafte  gefährliche 
Übel,  ist  seit  wenigen  Jahren  ein  Gegenstand  vom  höchsten  Interesse  für 
Europas  Ärzte  geworden ,  und  die  Literatur  über  diese  Weltseuche  zählt 
mehrere  hundert  Monographien ,  theils  schon  vor  mehreren  Jahren  von  eng- 
lisch-ostindischen,  theils  erst  seit  ein  paar  Jahren  von  deutschen,  französi- 
schen und  anderen  Ärzten  verfasst.  Es  würde  zu  weitläufig  seyn,  hier  die 
ganze  Literatur  über  diese  Seuche  aufzuführen.  Ich  nenne  nur  die  altern 
Schriften,  welche  Rob.  Tijtler,  James  Bo iß e ,  IT'ill.  Scol,  J.  Annesle}/,  A.  T. 
Chriestic,  Jam.  Johnson,  J.  Ja7neso7i,  John  Mason  Good  \i.  a.  m.  zu  Ver- 
fassern haben ,  indem  ich  von  den  neuesten  Monographien  und  Abhandlun- 
gen, Nachrichten  etc.  nur  folgende  als  die  vorzüglichsten  anführe:  Bnrrhe- 
witz,  Behaiidl.  der  Cholera  in  ihren  verschiedenen  Perioden  und  Graden. 
Danzig,  1831.  Casper^s  Berliner  Cholerazeitung.  1831.  Choleraarchiv  mit 
Benutzung  amtlicher  Quellen,  von  Albers,  Barcz,  Uorn,  Klug,  Rust ,  if'ag- 
ner  etc.  Bd  I  —  IIL  Berlin,  1832.  Radius,  Mittheilungen  des  Neuesten  und 
Wissenswürdigsten  über  die  asiatische  Cholera.  Leipz.,  1831  — 1832.  5  Bände. 
./.  G.  M.  V.  Rein,  die  orientalische  Cholera.  Jena,  1832.  J.  L.  Casper,^  i\Q 
Behandl.  d.  orient.  Cholera  durch  Anwendung  der  Kälte  etc.  Berlin,  1832. 
Harless,  die  indische  Cholera  in  allen  ihren  Beziehungen.  2  Theile.  1831. 
Holscher,  Mittheilungen  üb.  d.  asiat.  Cholera.  1831.  Lichfenstiidf ,  die  asiat. 
Cholera  in  Russland  in  den  Jahren  1829 — 31.  3  Lieferungen.  Berlin,  1830 
bis  1831.  Marx,  Erkenntnis«,  Verhütung  und  Heilung  der  ansteckenden 
Cholera.  1831.  Pierer^s  Allgemeine  medicinische  Zeitung  von  1831  u.  1832. 
Protocollextracte  sämmtlicher  Rigaer  Ärzte  In  Betreff  der  dort  vom  SO.  Mai 
bis  4.  Juli  1831  herrschenden  Cholera -Epidemie.  Hamburg,  1831.  Riecke, 
Mittheilungen  über  die  morgenländische  Brechruhr.  3  Bände.  Stuttgart,  1831 
bis  1832.  Tilesiu^,  Über  die  Cholera  und  die  kräftigsten  Mittel  dagegen. 
2  Theile.  1831.  Heiffelder,  Betrachtungen  über  die  Cholera  (in  Deutsch- 
land und  Frankreich).  Bonn  1832.  2  Theile.  Buch,  H.  W. ,  Die  Verbrei- 
tnngsweise  der  oriental.  Cholera.  Halle,  1832.  Caspar,  die  Behandl.  der 
asiat.  Cholera  durch  Anwendung  der  Kälte.  Berlin,  1832.  Phoebus,  Über 
den  Ijeichenbefund  in  der  orientalischen  Cholera.  Berlin,  1833,  Froriep,  R., 
Symptome  der  Cholera.  Berlin,  1832.  Mit  Kupfern.  Ausserdem  enthalten 
alle  deutschen  und  französischen  medicinischen  Zeitschriften  von  den  Jahren 
1830 — 1835  zahlreiche  Abhandlungen  über  die  Cholera.  Wir  betrachten 
dieselbe  A)  In  ihrer  Erscheinung.  Sie  ist  eine,  wenn  auch  nicht, in 
allen  Symptomen,  doch  ihrer  Natur  und  dem  Wesen  nach  ganz  neue  Krank- 
heit, die  wir  erst  seit  dem  Jahre  1817  aus  englischen  Schriften  näher  ken- 
nen gelernt  haben.  Es  wäre  deshalb  wol  besser  gewesen,  ihr  nicht  den 
Namen  Cholera  zu  geben;  vielleicht  wäre  in  der  Behandlung  derselben  dann 
weniger  gefehlt  worden,  als  in  unsern  Zeiten,  wo  man  sie  selbst  mit  der 
gewöhnlichen  Cholera  identificirte  (^KriUjer  -  Hansen  u.  A.)  und  nun  gleich 
die  Ausleerungen  durch  Opium  etc.  zu  stopfen  sich  bemühete,  was  unsäg- 
lichen Schaden  gebracht  hat  (s.  unten).  Falsche  Voraussetzungen,  fiilsche 
F'olgerungen  !  Werliatje  an  .gewöhnlicher  Cholera  (Cholera  nostras)  selbst 
bei  den  schlimmsten  Zufällen  eine  Sterblichkeit,  wie  bei  diesem  Würgengel 


CHOLERA  389 

gesehen,   die  begründet  ist  in  einer  weit  grossem  Bösartigkeit  und  in  einem 
epidenn'schen    Charakter,    den   die  Ciiolera    früherer   Zeiten   nur    selten   und 
dann   nur   in    weit   beschränkterin   Kreise   hatte.      Die  asiatische  Cholera  ist 
eine  wahre  Weltseuche,  welche  von  Indien  aus  sich  alhniüig  über  Russland, 
Polen,  Deutschland,  England,  Frankreich,  Schweden,  Italien  etc.   verbrei- 
tet hat,  vor  3  Jahren  schon  in  Nordamerika  erschien  und  gegenwärtig  (1835) 
auch  in  Ttalit^n,  sowie  Aviederum  im  südlichen  Frankreich  wüthet.     Sie  ist  in 
die.ser  Hinsicht   eine  sehr  verheerende  Krankheit    und  deshalb  der  Pest  und 
dem    gelben    Fieber   gleichzustellen;   ja,    sie   übertrifft   beide   Seuchen   noch 
darin,    dass  sie    a)  sich   an   kein  Klima   bindet,    b)  dass  sie   in  den  meisten 
Fällen,  wo  sie  tödtlich  wird,  schon  den  ersten  Tag,    ja  wol  nach   wenigen 
Stunden  tödtet.     Dagegen  ist  sie  aber  keinesweges  so  verheerend ,   als  Pest 
und  gelbes  B'ieber,    wenigstens  ergriff  sie   in  Deutschland  von  der  Bevölke- 
rung eiirer  Gegend,  einer  Stadt  oft  von   100  Einwohnern  kaum  2  —  4  Indi- 
viduen,    Sie  zeigte  sich  in  diesem  bösartigen  Charakter  zuerst  im  Jahre  1817 
in  Ostindien,    und    bracJi   seit   jener   Zeit   dort    öfters    aufs  Neue    aus.      Im 
Durchschnitt  kann   man  annehmen,   dass  seit  jener  Zeit    12  Millionen  Men- 
schen durch  sie  getödtet  worden,  indem  kaum  die  Hälfte  der  von  exquisiter 
Cholera  orientalis  Befallenen  zeither  gerettet  werden  konnte.     Die  Haupt- 
symptome    der    Seuche,    die    sich,    wenigstens   in   unsern    Gegenden    von 
Europa,  theils  auf  miasmatischem,  theils  auf  contagiösem  Wege  verbreitete, 
sind:  Nach  kurzem  Übelbefinden  und  Verdauungsstörungen,  besonders  nach 
einem  mehrtägigen  Durchfall    unbedeutender  Art,    zuweilen  aber    auch  ohne 
alle   diese  Vorboten,    heftiges   Purgiren   vuid  Erbrechen,    mit   dem  Abgange 
schleimiger,   wässeriger,    nicht    galliger  Feuchtigkeiten,    ähnlich  dem  Reis- 
wasser, worin  weissliche  Flocken  schwimmen,    die  oft  in  grossen  Quantitä- 
ten  ausgeleert   werden.      Dabei  Präcoi'dialangst ,   kalte  Haut,   schAvache  ei- 
genthümlich  heisere  Stimme  (Vox  cbolerica) ,    bald  klonische,    bald  tonische 
Krämpfe,  Hemmung  der  Lebensthätigkeit  der  Haut,  bläuliches,  gerunzelte.? 
Ansehn  derselben,  kleiner,    oft  gar  nicht  fühlbarer  Puls,  Seufzen,  Urinver- 
haltung, grosse  Schwäche,  und  in  vielen  Fällen  baldiger  Tod,    oder  Gene- 
sung mit  oder    ohne   darauf  folgende  Nachkrankheiten  (s.  unten).     Die  eiuT- 
mal  überstaudeue  Krankheit  schützt  nicht  vor  eiuem  abermaligen  ErgrilTen- 
werden  in  derselben  oder  einer  spätem  Epidemie.     B)  Ursprung,  Gang 
und  Verbreitung.     Die  böse  Cholera  erzeugte  sich  in  den  südlichen  Kü- 
stengegenden   Indiens,    vielleicht   auch  Pei'sicns  und  Chinas,    und   zwar    auf 
ähnliche  Weise,  wie  die  levantische  Pest  in  den  Küstengegenden  der  Levante 
und  das    gelbe  Fieber  in  den  Küstenländern  des   tropischen  Amerikas.     Seit 
dem  Jahre  18 17    hat  das  Übel  mit   geringen  Unterbrechungen    in  Hindostan 
und  Dekhan   gewüthet,    sich   von  da   nach  Siam,    Java,    den  Manillen   und 
Cliina  verbreitet  und  im  October  1821  Schiraz  in  Persien,  Bassora,  Bagdad 
und  Maskat  heimgesucht.     In   der  Provinz  Fars    tödtete   die  Seuche   binnen 
acht  Wochen  60,000,  in  Bassora  50,000  Menschen.     Im  J.  1822  war  sie  bis 
Aleppo    in   Syrien   vorgerückt.      Nachdem    sie   in    wenigen   Jahren   in    Asien 
schon  ein  paar  Millionen  Menschen  getödtet  hatte,    zeigte  sie  sich  im  Som- 
mer 1823  zuerst  an  den  Grenzen  Russlands,    am  kaspischen  Meere;    wenig- 
stens befanden  sich   im  Hospitale   zu  Astrachan  Kranke  der  Art;    doch  griff 
sie  damals  nicht  weiter  um  sich.     Erst  im  Sommer  1829  suchte  sie  die  Ein- 
wohner   der   Provinz    Orenburg ,   am  Fusse   des  Ural,    heim,    wo    das  Übel 
durch  Karavanen   aus    den  Kirgisensteppen   eingeschleppt   worden  seyn    soll. 
Seit  dieser  Zeit  drang   sie  ins  Herz   von  Russland,    gelangte  nach  Moskau, 
Petersburg,    Riga,   nach  Warschau,   Königsberg,    Danzig,    Berlin,   Magde- 
burg, Prag,  Wien,  Hamburg,  nach  Paris,  London  etc.,  sie  wüthete  beson- 
ders   in  Ungarn    und  Gallizien,    und  tödtete    viele  tausend  Menschen.      Ein 
Blick  auf  die  Charte    überzeugt    uns,    dass   diese  Seuche,    nicht,    wie    man 
früher  annahm,  sich  in  bestimmter  Richtung  von  SO.  nach  NNW.,  sondern 
von  Indien   aus  nach  allen  Weltgegenden   hin  verbreitet   habe,    wobei    aber 
der  Umstand  merkwürdig  bleibt,  dass  sie  dem  Laufe  der  Flüsse  gern  folgt, 
wie  dies   allenthalben,   wo  sie  herrschte,    der  Fall  war.     C)    Natur   und 


aOO  CHOLEM 

Wesen  der  asiat.  Cholera.  Hierüber  sind  die  verschiedensten  Meinun- 
gen zn  Tage  gefördert,  und  selbst  noch  jetzt  ist  uns  Vieles  dunkel  und 
räthselhaft  geblieben.  Die  Umstände ,  welche  die  Krankheit  begünstigen, 
sind  die  gewöhnlichen  aller  bösartigen  Volkskrankheiten ,  als:  Unreinlichkeit, 
enge  schlechte  Wohnungen,  Zusammenleben  zahlreicher  Familien  in  letztern, 
schlechte  Nahrung,  Sumpfboden,  schwächende  Einflüsse  durch  Ausschwei- 
fungen aller  Art,  unregelmässiges  Leben,  häufige  Erkältung,  heisse  Jahres- 
zeit, plötzlicher  Witterungswechsel  etc.  Aber  alle  diese  Dinge  gebea  uns 
wenig  Licht,  weil  sie  a)  nicht  durchaus  nothwendig  zur  Verbreitung  der 
asiat.  Cholera  sind,  die  sich  an  keine  Jahreszeit  bindet,  da  strenge  Kälte 
sie  höchstens  beschränkt,  nicht  ganz  tilgt;  b)  weil  sie  auch  alle  andere 
Volkskrankheiten  befördern.  Mehr  Aufschluss  geben  die  Resultate  der  Lei- 
chenöffnungen und  die  genaue  Berücksichtigung  des  herrschenden  Krankheits- 
genius. Der  Sectionsbefund  deutet  nämlich  darauf  hin,  dass  alle  zur  Dige- 
stion dienenden  Organe:  Magen,  Gedärme,  Milz,  Leber  etc.  sich  in  einem 
congestiven  Zustande  befinden  in  Folge  -verminderter  Thätigkeit  des  Gan- 
liennervensystems  und  der  Hemmung  der  Blutcirculation ,  dass  das  Blut  selbst 
sich  chemisch  zersetzt,  und  das  Übel  ein  bald  mehr  spastisches,  bald  ere- 
thistisches,  bald  mehr  paralytisches  Leiden  ohne  Entzündung  und  Fieber 
darstellt.  Constant  sind  hier  die  Anhäufungen  dunklen  Blutes  in  allen  Or- 
ganen des  Unterleibes  und  im  Gehirn;  weniger  constant,  aber  doch  auch 
nicht  ganz  selten,  findet  man  Erweichung  des  Rückenmarks  (s.  Malaco- 
sis  meduUae  spinalis)  neben  gleichzeitigen  serösen  Ergiessungen  in  den 
Hirnhöhlen  und  Irübung  der  Arachnoidea.  Letztere  sind  die  schlimmsten 
schnell  tödtenden  Fälle  der  Cholera,  nach  Burdach.  Betrachten  wir  nun 
die  grosse  Veränderung,  welche  seit  dem  Jahre  1826,  wo  die  Epidemie  der 
kalten  Fieber  von  den  Küsten  der  Nord  -  und  Ostsee  über  ganz  Deutsch- 
land drang ,  in  der  Krankheitsconstitution ,  nach  den  Aussprüchen  und  Be- 
obachtungen erfahrner  Männer  stattgefunden  (s.  Constitutio),  verglei- 
chen wir  damit  die  Anomalien  der  Witterung ,  die  ungewöhnlichen  Erschei- 
nungen im  Stande  derselben,  die  vielen  Meteore,  Nordlichter,  Erdbeben 
nnd  vulkanischen  Eruptionen ,  welche  in  und  ausser  Europa  kurz  vor  und 
seit  dem  Erscheinen  der  Cholera  in  Indien  beobachtet  und  von  Naturfor- 
gehern mit  letzterer  verglichen  und  als  im  Causalnexus  bestehend  betrachtet 
worden  sind  (vergl.  E.  Noltc,  Die  grossen  und  merkwürd.  kosmisch  -  tclluri- 
schen  Erscheinungen  im  Luftkreise  der  Erde  in  Beziehung  zu  der  oriental. 
Cholera.  HannoA-er,  1831);  so  geht  daraus  wenigstens  so\-iel  hervor,  dass 
ohne  diese  oben  genannten  ungewöhnlichen  Umstände  die  oriental.  Cholera 
sich  schwerlich  so  weit  verbreitet  haben  würde ,  als  sie  es  bis  jetzt  wirk- 
lich gethan,  indem  sie  als  prädisponirende  ursächliche  Momente  derselben 
betrachtet  werden  müssen.  Ob  hier  auch  andere  Dinge,  welche  den  Luft- 
kreis anomal  machen ,  als  die  Nähe  und  Constellation  von  Kometen ,  noch 
mehr  ungewöhnliche  Ausdünstungen  aus  dem  Innern  der  Erde  in  Folge  von 
vulkanischen  Eruptionen,  Rissen,  Erdfällen,  oder  feinern,  den  Sinnen  ent- 
gangenen, mit  den  Blüssen  in  Verbindung  gesetzte  Exhalationen ,  welche 
wiederum  eine  Anomalie  im  Normalstandpunkte  der  Luftelektricität  zur  Folge 
haben  konnten,  noch  anzuklagen  sind,  mögen  Naturforscher  näher  unter- 
suchen. Als  merkwürdige  Thatsache  der  Geschichte  steht  der  Satz  fest, 
dass  Revolutionen  der  Erde  mit  politischen  und  Staatsrevolutionen  stets  im 
Connex  und  gleichzeitig  beobachtet  worden  sind ,  wovon  die  neueste  Zeit 
(von  1829  — 1832)  wiederum  einen  sehr  deutlichen  Beweis  giebt.  Auch  die 
Verbreitungsweise  der  asiatischen  Cholera  würde  über  ihre  Natur  viel  Aus- 
kunft geben ,  wenn  wir  sie  nur  genauer  erkannt  hätten ;  aber  leider !  ist 
dieser  Gegenstand  noch  einer  von  den  problematischen,  obgleich  man  sich 
von  der  bedingten  Contagiosität  der  Seuche  sattsam  überzeugt  hat.  Pierer 
sagt:  ,,Der  vielseitig  behaupteten  Meinung,  dass  das  Contagium  durch  die 
Atmosphäre  auf  entfernte  Orte  übergehe,  steht  der  Umstand  entgegen,  dass 
nach  hüufigen  Beobachtungen  die  Krankheit  in  ihrer  Verbreitung  durchaus 
nicht  dem  Luftzuge  folgt,  ja  wol  den  Windströmungen  entgegen  an  andere 


CHOLERA  391 

Orte  gelangte.      Auch   in  Übereinstimmung  klimatischer    Verhältnisse  kann 
der  Grund  dieses  Fortganges  der  Krankheit   wenigstens  zunächst   nicht  lie- 
gen,  da  unter  den  verschiedenartigsten  Verhältnissen  dieser  Art  die  Krank- 
heit gleichvvol   häufig   an    Orten  ausbrach ,    wo   sie  vorher   nicht  war.      Die 
Annahme    eines   ganz    eigenen    elektrischen  Verhältnisses   ist   höchst    precär, 
und  es  ist  durchaus  keine  Spur  aufzufinden,  die  uns  darauf  hinleiten  könnte. 
Wenn  man  aber  eine  AiKilogie  mit  dem  Erdmagnetismus  darin  hat  auffinden 
wollen,    dass  die  Krankheit   von   Südost   nach  Nordwest  sich  verbreite,    so 
reicht  ein  Blick  auf   eine  Weltcharte  hin,    um  diese  Ansicht  zu  widerlegen, 
da   die  Krankheit   von  den  Mündungen   des  Ganges,    als  ihi-em  eigentlichen 
Herde  aus,   eben  so  südlich  nach  Ceylon,    als  westlich  bis   zur  Insel  Bour- 
bon ,    aber   ebenso    auch   östlich    nach    Cochinchina ,    China ,   ja   bis   zu  den 
Philippinischen  Inseln ,  als  in  nordwestlicher  Richtung  ihren  Fortgang  nahm, 
und   wenn  dieser   Strich   auch  im  Allgemeinen   in   den    spätem   Jahi-en  der- 
jenige blieb,  in  welchem  die  weitere  Verbreitung  der  Krankheit  erfolgte,  so 
liegt  Vier  Grund  davon  offenbar  darin,    dass  in   dieser  Richtung  die  Krank- 
heit auf  eine  ausgedehnte,   zusammenhängende   und   bevölkerte  Ländermasse 
traf.     Auch   ist  nicht   zu   übersehen,    dass,    wenn  dieser  Zug  der  Krankheit 
ein  durch  kosmische  Verhältnisse  bestimmter  wäre,  er  an  den  Küsten  des  Eis- 
meeres auslaufen  und  daher  an  Mitteleuropa  seitwärts  vorübergehen  würde." 
Die  Erfahrungen   aus  der  jüngsten  Zeit   haben  sattsam  bewiesen,   dass  dies 
nicht  der  Fall  gewesen.     Auch  die  Influenza  oder  der  russische  Katarrh  steht 
ohnstreitig  in  gewisser  Beziehung  mit  der  morgenländischen  Cholera;   häufig 
war  diese  fieberhafte  katarrhalische  Krankheit  der  Vorläufer  derselben,  z.  B. 
in  Berlin,  Paris  etc.,   wo  viele   tausend  Menschen   einige  Wochen  vor  dem 
Ausbruche   der  Brechruhr  davon    ergriffen  Avurden.     Zwischen   beiden  Übeln 
lässt  sich  manche  Ähnlichkeit  nachweisen,  noch  mehr  aber  zwischen  Cholera 
Orientalis  und  E^ebris  intermittens ,  ja  viele  Ärzte  halten  die  Cholera  gerade- 
zu für  das  Froststadium   einer  Intermittens  perniciosa.      Nie  habe    ich  mehr 
Gelegenheit  gehabt,  recht  bösartige  Wechselfieber  in  Menge  zu  beobachten, 
als  seit  ein  paar  Jahren ,    und  dies  ist  bis  kurz  vor  der  Rostocker  Cholera- 
Epidemie   der  Fall  geblieben  (s.  deren  Beschreibung  unten).      D)  Verhü- 
tung der  Cholera.     Die  gegen  diese  Seuche  zu  ergreifenden  Sicherheits- 
massregeln  sind  theils  polizeiliche,  als  Quarantainen,  öffentliche  Separa- 
tion der  Kranken  von  den  Gesunden,  Hospitäler  etc.,  theils  solche,  die  jeder 
Mensch  als  persönliche   zu  beobachten   hat,    wohin  besonders   eine  gere- 
gelte Lebensweise  gehört.     Dass  durch  Quarantainen  das  Übel  von  Deutsch- 
land,  Frankreich  etc.   nicht    abgewehrt   werden  konnte,    ist  leider!    Jedem 
bekannt.     Die   Ursache   liegt   theils   in   der   Mangelhaftigkeit  der   Anstalten, 
theils  in  atmosphärischen  Einflüssen ,  welche  die  Disposition  des  Körpers  für 
diese  Seuche  erhöhen  und  in  keines  Menschen  Gewalt  stehen.      Merkwürdig 
ist  es,    dass   die  Krankheit   gerade   in  Paris,   wo  «an   viel   massiger    als  in 
London  lebt,  weit  mehr  Menschen  ergriffen  und  weggerafft  hat,  als  in  letz- 
terer Stadt.     Auch  dieser  Umstand  mag  zum  Beweise  dienen ,  dass  wir  Ärzte 
über  die  beste  Art  der  Verhütung  der  Cholera  noch  wenig  Bestimmtes  wis- 
sen,   und  nur  Voreiligkeit   und  Unkenntniss    der  Sanitätsbehörden  ist   es   zu 
nennen;,    wenn  mau  in  den  zahlreichen,    öffentlich  verbreiteten  Belehrungen 
über  die  Verhütung  der  Cholera  liest,   dass  man  starkes  Bier,    Wein,    gute 
Nahrung  nur  höchst  massig   in  Cholerazeiten  gemessen  solle.      Gerade  diese 
Dinge  werden  in  London   im  Übermass  genossen  und  dennoch  war  dort  die 
Cholera  viel  gelinder,  als  bei  den  nüchternen  Parisern.     Es  scheint  hier  ein 
ähnliches  Verhältniss  obzuwalten,   wie  bei    den  jetzt  herrschenden  Wechsel- 
fiebern,    Wer  recht  gute  Nahrung,   täglich  kräftiges  Bier,  Wein,  zuweilen 
selbst  Branntwein  geniesst,    wird  seltener   vom    Wechselfieber  befallen,    als 
der,    bei  dem  dies  nicht  der  Fall  ist.      Unter  allen  Präservativen  gegen  die 
Cholera  ist   der  tägliche  Genuss  der  freien  Luft,   des  frischen  Wassers  zum 
öftern  Waschen  und  Trinken ,  und  das  Tragen  seidener  oder  wollener  Hem- 
den allen    andern  Schutzmitteln  vorzuziehen.      E)    Was    die  Heilung  der 
Cholera  betrifft,  so  erhellet  aus  allen  Resultaten,  da««  unsere  Kunst  bei  der 


392  CHOLERA 

noch  nicht  ausgebildeten  Krankheit  sehr  viel ,  bei  der  ausgebildeten  aber  nur 
wenig  vermag,  indem  zeither  trotz  der  grossen  Menge  von  angepriesenen 
Heilmitteln  fast  immer  die  Hälfte  der  von  letzterer  Form  der  Krankheit  Er- 
griffenen dem  Tode  anheimfiel.  Es  ist  merkwürdig,  dass  gerade  grosse 
Weltseuchen  so  verschiedene  Grade  von  Leichtem  und  Schwerem  zeigen, 
z.  B.  die  Kuhpocken,  die  asiat.  Cholera,  so  dass  ein  Mensch  wol  lOOmal 
leichter,  als  der  andere  erkrankt.  Bei  der  noch  nicht  ausgebildeten  Cholera 
bedarf  es  kaum  eines  Arztes.  Der  Mensch  muss  sich  nur  in  tfichtige  Trans- 
spiration  durch  Glühwein  etc.  setzen  und  keine  stopfende  oder  schwächende 
Mittel  gebrauchen  und  —  er  ist  bald  gesund.  Aber  bei  der  ausgebildeten 
Cholera  ist  häufig  das  Latein  des  Arztes  schnell  zu  Ende.  Menschliche 
Kunst  ist  in  grossen  Weltseuchen  überaus  ohnmächtig ,  weil  sie  mit  Natur- 
kräften in  Kampf  geräth,  die  sie  nicht  kennt,  und  die,  wenn  sie  dieselben 
anch  zu  erkennen  vermöchte,  ihr  doch  stets  unerreichbar  bleiben  würden. 
Keine  Krankheit  der  neuern  Zeit  hat  uns  Arzte  so  sehr  die  Kleinheit  des 
menschlichen  Wissens  und  die  Schwäche  der  ärztlichen  Kunst  fühlen  lassen, 
als  gerade  die  orientalische  Cholei-a.  Keine  wird  aber  auch  wohlthätiger 
auf  die  medicinische  Wissenschaft  wirken ,  indem  sie  das  beste  niederschla- 
gende Pulver  gegen  den  akademischen  und  sonstigen  ärztlichen  Dünkel  ab- 
giebt,  als  gerade  diese  gangetische  Pest.  Brechmittel,  Waschen  und  Um-. 
Schläge  von  kaltem  Wasser,  Trinken  des  kalten  Wassers,  Verschlucken  von 
Eis,  Ammon.  causticum  innerlich,  starker  Kaffee  mit  Rum,  guter  Madeira- 
wein, zur  Belebung  der  Kräfte  und  in  nicht  zu  kleinen  Portionen,  so  dass 
Wärme  und  Pulsschlag  wii'der  zurückkehren ,  —  diese  Dinge  haben  sich 
allenthalben  und  auch  in  Rostock  noch  am  kräftigsten  bewiesen.  Ja,  mir 
sind  aus  hiesiger  Stadt  zwei  Fälle  bekannt,  die  der  excitirenden  Methode 
ganz  besonders  das  Wort  reden.  Ein  schon  seit  4  Stunden  blau  und  kalt 
an  Gesicht  und  Gliedern  sich  befindender  Cholerakranker,  ein  Matrose,  der 
früher  nicht  an  viele  Spirituosa  gewöhnt  gewesen,  trinkt  in  der  Angst  wäh- 
rend der  Krankheit  in  einem  Zuge  V2  Flasche  starken  Branntwein  aus,  — 
er  wird  davon  nicht  berauscht,  sondern  fühlt  sich  nur  wohler,  wird  warm 
und  —  genest.  Ein  sonst  massig  lebender  Schneider  trinkt  sogleich  nach 
dem  Ergriffenseyn  von  der  Cholera  alle  5  Minuten  einen  kleinen  Rum- 
schnaps ,  im  Ganzen  21 ,  als  ich  ihn  zuerst  sah.  Er  versicherte ,  dass  er 
gar  nicht  berauscht  geworden  und  er  sidi  nur  wohl  fühle.  Wärme  und 
Pulsschlag  waren  wieder  da  und  der  Mann  in  2  Tagen  völlig  gesund. 

Die  Cholera  ist,  wie  Thümmel  (RusCs  Magaz.  1832.  S.  403)  mit  Recht 
sagt,  eine  höchst  acute,  fieberlose,  ihrem  Wesen  nach  bis  jetzt  noch  mehr 
oder  weniger  geheimnissvolle  Krankheit,  welche,  lässt  man  den  Blick  nur 
auf  den  eignen  beschränkten  Wirkungskreis,  die  grossen  allgemeinen  Grup- 
pirungen  übersehend ,  fallen ,  grosse  Ähnlichkeit  mit  einer  miasmatisch  -  epi- 
demischen Krankheit  hat.  Sie  scheint  in  dem  heissen  Klima  Indiens ,  wo 
sie  jährlich  als  Morbus  stationarius  ihre  Opfer  forderte,  durch  tellurische 
und  kosmische  Veränderungen  begünstigt,  ihren  heutigen  Charakter  gewon- 
nen zu  haben,  mit  dem  sie  auf  bequemen  Strassen  von  Ort  zu  Ort,  von 
Land  zu  Land  langsam  dahin  wandernd,  klimatische  und  Ortsverhälcnisse 
verspottend,  die  Völker  Europas  erschreckte.  Muss  man  auch  zugeben, 
dass  die  Ländersperren,  denen  in  unsern  civilisirten  Staaten,  wo  dem  ge- 
schäftigen Handel  und  regen  Verkehr  die  Pforten  weit  geöffnet  sind,  un- 
übersteigliche  Hindernisse  entgegentreten,  selbst  bei  den  grössten  Anstren- 
gungen dem  erwünschten  Zwecke  nicht  zu  entsprechen  vermochten,  so  fin- 
det doch  —  sagt  Thümmel  —  die  Idee  der  Anhänger  des  Miasmas,  verliert 
man  sich  nicht  in  das  Reich  der  Hypothesen,  wenig  Anknüpfungspunkte, 
und  es  scheint  mit  dem  Gange  und  der  Ausbreitung  der  Epidemie  das  Con- 
tagium  bei  nicht  wegzuleugnender  Disposition  mehr  in  Harmonie  zu  stehen. 
Wenn  Niemand  leugnen  wird,  dass  Klima  und  Witterungsconstitution  auf 
Gang,  Ausbreitung  und  Charakter  der  Krankheit  einen  wesentlichen  Ein- 
fluss  ausüben  und  wol  hauptsächlich  die  Dispositionsfiihigkeit  bedingen,  so 
fiadet  doch  der  aufmerksame,  vorurtheilslose  Beobachter  auch  in  gar  vielen 


CHOLERA  393 

Fällen  die  Verschleppung  und  Übertragung  des  Contagiums  zur  Evidenz 
heraus.  Anzunehmen  ist,  dass  dasselbe  flüchtiger  Natur,  sowol  durch  Men- 
schen als  durch  die  init  Giften  imprägnirte  Atmosphäre  propagirt  werden 
könne,  dass  die  Atmosphäre  des  Kranken  schon  ansteckend  sey,  jedoch  nur 
in  der  Ausbildung  des  Übels,  und  dass  endlich  mit  dem  Tode  des  Indivi- 
duums auch  der  Tod  des  Contagiums  herbeigeführt  werde.  Hierbei  drängt 
sich  uns  unwillkürlich  die  Vermuthung  auf,  dass  der  Organismus  nicht  aller 
inficirten  Individuen  immer  fähig  sey,  das  in  sich  aufgenommene  Krankheits- 
gift wieder  zu  der  Höhe  zu  potenziren,  um  das  gleichnamige  Übel  in  an- 
dern hervorzurufen.  Dies  mag  denn  auch  wol  die  Ursache  seyn,  warum  in 
Cholera- Epidemien  viele  Menschen  nur  so  leicht  erkranken.  Wenigstens  in 
der  Akme  der  Epidemie  bin  ich  von  der  Ansteckbarkeit  der  Seuche  durch 
Contagion  fest  überzeugt.  Formen  der  asiatischen  Cholera  nach 
Thümmcl.  Wenn  es  zu  Anfange  der  Epidemie,  sey  es  nun  aus  Unkunde  des 
Territoriums  oder  der  'grössern  Rapidität  des  Übels  wegen,  so  scheinen  mag, 
als  walte  nur  eine  Form  der  Krankheit  in  bald  kürzern,  bald  längern  Zeit- 
räumen, welche  diesem  Individuum  melir  Zeit  zu  ihrer  Ausbildung  und  Reihe- 
folge gönnt,  in  jenem  wieder  das  Bild  verwirrend,  ihr  Opfer  im  schnellsten 
Tempo  zum  unerwünschten  Ziele  führt,  so  kann  man  doch  bei  ruhigerer 
Beobachtung  einer  Reihe  von  Krankheitsfällen  bald  zwei  grosse  Hauptfor- 
men der  Cholera  vei-nehmen.  I.  Die  Cholera  erethistica.  II.  Die 
Cholera  paralytica.  Beiden  geht  häufig,  doch  nicht  immer  (siehe  un- 
ten die  Bemerkungen  des  Pariser  Arztes) ,  längere  oder  kürzere  Zeit  eine 
Äritte  Form,  die  Diarrhoea  cholerica  voran,  welche  indess  nicht  selten 
bei  gehöriger  Pflege  und  sorgsamer  Erfüllung  der  nöthigen  Vorsichtsmass- 
regeln als  selbstständige  Krankheit  günstig  verläuft.  Alter,  Geschlecht,  Con- 
stitution und  Gelegenheitsursachen  mancherlei  Art  haben  auf  Dauer,  Ver- 
lauf, verschiedene  Nuancirung  der  Symptomatologie  dieser  Krankheit  sowol, 
als  auf  Prognose  ^und  Therapie  derselben  einen  wesentlichen  Einfluss.  Es 
ist  nicht  zu  leugnen,  dass  sich  nicht  immer  und  überall  dem  Beobachter 
dieselben  Erscheinungen  bei  den  einzelnen  Formen  darbieten,  dass  die  feh- 
lenden durch  andere  ersetzt  werden ,  und  dass  häufig  die  eine  Form  in  die 
andere  schneller  oder  langsamer  übergeht,  so  dass  man  wieder  versucht 
wird  zu  glauben,  es  nur  mit  einzelnen  Stadien  einer  Krankheitsform  zu 
thun  zu  haben.  Und  dies  scheint  nicht  blos  so,  wie  Thümmel  meint,  son- 
dern es  ist  wirklich  so.  Das  Wesen  der  Krankheit  ist  sich  überall  gleich, 
es  ist  begi'ündet  in  schneller  Adynamie.  Nur  die  Verschiedenheit  der  Lei- 
besconstitution  giebt  Nuancen.  Recht  vollsaftige  Personen  werden  sich  durch 
frische  Luft ,  Trinken  und  Waschen  von  und  mit  kaltem  Wasser ,  durch 
Transspiration  im  Bette ,  schwächliche  durch  tüchtige  Spirituosa  und  be- 
lebende Diaphoretica,  durch  Amnion,  caustic. ,  dieses  auch  gegen  Intoxica- 
tion  mit  Blausäure  so  wirksame  Antidot-  durch  reine  Luft,  Sonnenschein, 
durchs  Trinken  von  kaltem  Wasser,  zumal  nachdem  der  Turgor  vitalis  wie- 
der zurückgekehrt  ist,  besser  fühlen  und,  wenn  sie  consequent  solcher  Cur 
\  folgen  und  das  Ammonium  nicht  in  zu  grossen  Zwischenräumen  nehmen, 
bald  genesen.  1)  Diarrhoea  cholerica.  Das  Übel  beginnt  in  der  Re- 
gel mit  Abspannung,  Mattigkeit,  Schwindel,  Druck  in  der  Herzgrube,  Durst, 
zuweilen  schmerzhaftem,  nachher  schmerzlosem  Knurren ,  Kollern  und  eigen- 
thümlichem  Poltern  im  Leibe,  welchem  bald  copiöse  Abscheidung  geruch- 
loser, wässriger ,  anfangs  gelblicher,  nachher  immer  grauer  und  heller  wer- 
dender ,  mit  grossen  weissen ,  eiweissartigen  Flocken  untermischter  F'lüssig- 
keiten,  die  zuweilen  chocoladenfarbig  werden,  folgen.  Hiernächst  nimmt 
die  Kraftlosigkeit  zu,  es  stellen  sich  schmerzhafte,  ziehende  Empfindungen 
in  den  Waden  ein,  die  Augen  werden  matt,  der  Durst  nimmt  zu,  dunkle 
Ringe  umgeben  die  Augen,  es  stellt  sich  ein  eigenthümliches ,  knebelndes 
(wolliges)  Gefühl  in  den  Fingern  ein,  der  Puls  sinkt,  und  die  Harnabson- 
derung fehlt.  Aus  dieser  Form  sieht  man  alle  anderen  sich  entwickeln; 
meist  ist  sie  durch  frühzeitig  angewendete  Hülfe  schnell  und  glücklich  zu 
besiegen.     Man  halte  aber  nicht  jede  Diarrhöe  in  Cholerazeiten  für  Diarrhoea 


894  CHOLERA 

diolerica  (s.  unten  die  Diagnose  der  Cholera  asiat.  und  Cholera  nostras). 
2)  Cholera  erethistica.  Hier  treten  die  Erscheinungen  in  einem  ver- 
stärkten Masse  auf;  die  Kranken  empfinden  in  der  Kardia  und  den  Präcor- 
dien,  besonders  bei  der  Berührung,  ein  Brennen,  der  Schwindel  nimmt  zu, 
die  Angst  «nd  Beklemmung  werden  unaussprechlich  gross ,  eine  unbeschreib- 
liche Unruhe  mit  beständigem  Hin  -  und  Herwerfen  des  Kopfes  und  der  Be- 
gierde nach  Kühlung  bemächtigt  sich  der  Kranken,  der  Durst  nach  kaltem 
Getränke  ist  unauslöschlich.  Der  Puls  ist  meist  frequent  und  fadenförmig, 
die  Wärme  nimmt  ab ,  besonders  sind  die  Extremitäten  kühl  und  die  pro- 
minenten Theile  des  Gesichts  kalt,  während  Stirn  und  Zunge  noch  eine 
höhere  Temperatur  haben.  Die  Haut  hat  meist  eine  violette  Färbung,  ist 
ohne  Turgor,  die  Augen  sind  eingesunken,  von  dunklen  Rändern  umgeben, 
und  das  Fett  um  den  Bulbus  scheint  resorbirt.  Das  Gesicht  verfällt,  die 
Krämpfe  in  den  untern  Extremitäten ,  besonders  in  den  Waden ,  vermehren 
eich  und  unter  fortdauernder  Verschlimmerung  und  Kräfteabnahme  erfolgen 
Vomituritionen,  anhaltendes  Erbrechen  und  Durchfall.  Der  Kranke  hat  beim 
Erbrechen  keine  Anstrengung,  über  die  rinnenartig  gefaltete  Zunge  stürzt 
die  gelbliche,  klare,  mit  braunen  Flocken  untermischte  Flüssigkeit  heraus, 
und  die  Stuhlausleerung  fliesst  schmerzlos  und  ohne  Drängen  ab;  dabei  wird 
die  schwache  Stimme  immer  heiserer,  die  Temperatur  immer  kälter,  die 
Haut  zuweilen  von  klebrigen  Schweissen  bedeckt  und  unter  leichten  Deli- 
rien liegt  der  Patient,  nur  zuweilen  von  der  Verrichtung  seiner  natürlichen 
Functionen  unterbrochen,  im  Halbschlummer.  3)  Cholera  paralytica. 
Der  Kranke  bietet  in  dieser  Form  das  grösste  Jammerbild  dar.  Das  Ge- 
sicht ist  verfallen,  die  Ohren  und  Nasenknorpel  welk,  die  Augen,  von  tie- 
fen, schwarzen  Rändern  umgeben,  sind  tief  eingefallen,  die  Cornea  ist  glän- 
zend, die  Pupille  meist  erweitert  und  unbeweglich,  die  Sclerotica  schmuzig, 
bläulich  und  mit  schwarzen  Punkten  oder  halbmondförmigen  Flecken  unten 
an  der  Hornhaut  versehen  (welches  seinen  Grund  darin  zu  finden  scheint, 
dass  die  Chorioidea  durch  die  an  diesen  Stellen  halb  resorbirte  Sclerotica 
hindurchschimmert).  Die  Lippen  sind  bläulich,  die  Haut  ist  gelähmt,  faltig, 
die  Falten  bleiben  lange  stehen,  die  Extremitäten  sind  blau  marmorirt,  die 
Finger  mit  longitudinellen  Falten  besetzt ,  die  Nägel  blau.  Oft  nimmt  die 
ganze  Hautoberfläche  eine  livide  Färbung,  die  ins  Aschgraue  fällt,  an;  der 
Puls  ist  nicht  mehr  zu  fühlen,  das  Athemholen  ist  sehr  beengt,  kurz,  die 
Stimme  ganz  heiser,  beinahe  unhörbar,  unvernehmlich,  schwach,  die  Zunge 
ist  bald  ganz  roth  und  rein,  oder  gelblich  oder  weisslich  überstrichen,  breit 
Bnd  kalt.  Der  Kranke  liegt  im  beständigen  Halbschlumraer  mit  halbbe- 
deckten ,  nach  oben  gerollten  Augen ,  bei  eigentlich  ungetrübter  Besinnung, 
auf  den  Rücken  und  zusammengesunken.  Unnennbarer  Durst  peinigt  ihn, 
er  klagt  zuweilen  über  schmerzhafte  Affection  in  den  Präcordien,  stöhnt 
nnd  seufzt,  wirft  sich  wegen  grosser  innerer  Hitze  gern  bloss,  die  Tempe- 
ratur der  Mundhöhle  ist  p.  p.  15 — 18°  R.  und  Durchfall  und  Erbrechen 
haben  bei  aufgetriebenem  teigigem  Unterleibe  in  der  Regel  ganz  aufgehört, 
oder  wenn  noch  Durchfall  stattfindet,  so  werden  nur  klare,  dem  Urin  ähn- 
liche Flüssigkeiten  mit  grossen  gelblichweissen  oder  aschgrauen  Flocken  un- 
termischt, zuweilen  auch  röthlich- wolkige  Massen  ausgeleert;  heftige  Kräm- 
Sfe  der  Waden  und  Lenden  unterbrechen  häufig  den  soporösen  Zustand  des 
[ranken ,  die  Angst  nimmt  von  Minute  zu  Minute  sichtlich  zu ,  das  Athmen 
tvird  immer  mühsamer ,  der  Kranke  starrt  mit  weit  geöffneten  Augen  dahin, 
seine  Besinnung  schwindet,  der  Athem  stockt,  das  Herz  zuckt  noch  einige 
Male  krampfhaft ,  es  erfolgen  noch  einige  schwache  Conamina  zur  Inspira- 
tion und  der  Kranke  stirbt.  Die  Leiche  sieht  einem  Lebenden  gleich,  denn 
weitgeöffnet  sind  die  Augen.  Oftmals  hat  Thümmel  noch  längere  Zeit  nach 
dem  Tode  (ly.  Stunden)  Zuckungen  der  Lenden-  und  Wadenmuskeln  und 
Bewegungen  der  Zehen  beobachtet.  Dauer  und  Verlauf  der  Cholera. 
Ich  habe  diese  Krankheit  —  sagt  Thümmel  —  nie  anders  zu  beobachten 
Gelegenheit  gefunden ,  als  wo  einen  oder  mehrere  Tage  ein  mehr  oder  we-  ' 
niger  heftiger  Durchfall   mit  den  oben  angegebenen   Erscheinungen  voran- 


CHOLERA  395 

ging  (dass  dieses  nicht  stets  der  Fall  sey ,  das9  efl  auch  eine  Cholera  sicca, 
apopiectica  gebe,  die  ohne  Diarrhöe  auftritt,  darüber  unten  mehr);  traten 
aber  die  Sjymptome  der  ausgebildeten  Cholera  erst  hervor,  so  dauerte  die- 
selbe 'nie  über  72  Stunden  bei  einem  ungünstigen  Ausgange,  und  dies  nur 
in  seltenen  Fällen.  Die  Mehrzahl  der  Kranken  endete  schon  innerhalb  24 
Stunden.  Doch  bot  die  Rostocker  Epidemie  einzelne  Fälle  bei  alten  Leu- 
ten dar,  die  5  —  8  Tage  lang  kalt  und  blau  da  lagen,  ehe  der  Tod  ein- 
trat. —  Geht  es  zur  Besserung,  so  geschieht  dies  oft  sehr  schnell,  nach- 
dem vorher  Urinsecretion  eingetreten  ,  unter  allgemeiner  Wärme ,  Schvyeiss, 
wiederkehrendem  Hautturgor  und  lebhaft,  ja  oft  härtlich  werdendem  Pulse. 
Die  Facies  cholerica  verliert  sich  bald,  die  Augen,  obgleich  noch  von  dunk- 
len Rändern  umgeben,  treten  etwas  hervor  und  der  Kranke  hat  das  Anse- 
hen eines  Menschen,  der  Nächte  durchschwärmte.  Die  Bindehaut  des  Auges 
ist  geröthet,  ein  erquickender  Schlaf  stärkt  den  Leidenden.  Die  Stuhlaus- 
leerungen fangen  bald  an  fäculent  zu  werden,  und  es  stellt  sich  auch  bald 
wieder  Esslust  ein.  Die  Convalescenz  dauert  in  der  Regel  nur  wenige  Ta- 
ge ,  wenn  nicht  andere  Krankheiten  der  Cholera  vorangingen ,  welche  den 
Körper  schwächten.  Bei  richtiger  Behandlung  folgen  nur  höchst  selten  der 
Cholera  Krankheiten,  welche  von  grossem  Emfluss  sind  und  die  Prognose 
ungünstig  machen.  Zu  den  günstigen  rechnet  man  die  kritischen  Ausschläge, 
die  bei  Kindern  und  Erwachsenen  vorkommen  und  einige  Ähnlichkeit  mit 
den  Masern  haben ,  der  Ausschlag  steht  mehrere  Tage  und  die  Haut  schält 
sich  nach  ihm  kleienartig  ab.  Zu  den  ungünstigen  gehören  die  mit  Sopor, 
Congestionen  nach  dem  Kopfe,  trockner,  bräunlich  belegter  Zunge,  bren- 
nender Haut ,  schnellem  gebundenem  Pulse ,  und  Delirien  verbundenen  Zu- 
stände, welche  gewöhnlich  typhös  genannt,  eigentlich  in  nichts  weiter  als 
einer  passiven  Congestion  eines  cruorreichen  Blutes  nach  dem  Gehirn  zu 
bestehen ,  und  besonders  gern  bei  denjenigen  Individuen  zu  entstehen  schei- 
nen ,  welche  lange  vorher  schon  an  Abdominalplethora  litten ,  überhaupt  bei 
Vollblütigen ,  Hämorrhoidalischen ,  Gewohnheitstrinkern  etc.  Mehrmals  hat 
Thümmel  in  Berlin,  was  in  Rostock  nicht  der  Fall  war^  wenigstens  nicht 
in  meiner  Praxis  bei  Cholerakranken,  bei  Erwachsenen,  aber  vorzugsweise 
bei  Kindern  die  Erfahrung  gemacht,  dass  nach  völlig  beseitigter  Cholfera 
(guter  Puls,  Hautturgor,  fäculente  Stühle,  Urin,  freier  Athem  und  Aufhören 
der  charakteristischen  Ausleerungen)  die  Erscheinungen  des  Hydrocephalus 
acutus  eintraten,  und  gefunden,  dass  der  Heiiplan,  welcher  gewöhnlich  bei 
dieser  Krankheit  angewendet  wird ,  hier  nicht  die  glücklichen  Resultate  lie- 
fert ,  wie  man  sie  sonst  wol  zu  finden  gewohnt  ist ,  obgleich  die  Behand- 
lung 6  —  8  Tage  das  Leben  zu  fristen  scheint.  In  dieselbe  Kategorie  ge- 
hören ferner  die  entzündlichen  Brustaffectionen ,  welche  sich  unter  der  Form 
wahrer  Pneumonie  oder  Pleuro-Peripneumonie  zu  erkennen  geben,  und  je- 
derzeit die  dreiste  Anwendung  des  Aderlasses  erfordern.  Aber  auch  alte, 
schwächliche  Personen  verfallen,  wenn  sie  die  Cholera  glücklich  überstan- 
den und  schon  die  beste  Hoffnung  zur  Wiedergenesung  geben,  in  eine  be- 
deutende Schwäche  des  Cerebralnervensystems,  und  sterben  unter  Torpor, 
an  Apoplexia  nervosa  oder  Catarrhus  pulmonum  plötzlich.  Thümmel  hat  kei- 
nen Fall  zu  sehen  Gelegenheit  gehabt,  wo  der  Cholera  ein  wahrer  Typhus 
oder  ein  Nervenfieber  gefolgt  wäre.  Bei  Vielen  dauert  die  Convalescenz 
lange ,  und  er  sah  mehrmals  wassersüchtige  Anschwellungen  der  untern  Ex- 
tremitäten', besonders  wo  Wechselfieber  vorangegangen  waren.  Dieses  Oe- 
dema  pedum  als  Nachkrankheit  der  Cholera,  sowie  auch  Ascites,  fand  man 
in  Warschau  sehr  häufig,  hier  in  Rostock  dagegen  fast  gar  nicht.  Auch 
Brand  der  Extremitäten  sah  Pincl  in  Warschau  sehr  oft  folgen  (s,  v.  Grä- 
fe's  und  v.  Wnlther's  Journ.  f.  Chirurgie  etc.  18S0.  Bd.  XVI.  Hft.  2.  S.  268). 
Dasselbe  bestätigt  mein  College ,  der  Hr.  Dr.  Fischer  hieselbst,  der  während 
der  Cholera  in  den  Hospitälern  zu  Warschau  im  Jahr  1830  fungirte.  We- 
sen der  Cholera.  Die  erethistische  Form  der  Cholera  scheint  Thümmel 
vorzugsweise  in  einer  erhöhten  Thätigkeit  des  Unterleibsnervensystems,  ei- 
nem gereizten,  gleichsam  krampfhaften  Zustande  desselben  zu  beruhen,  wel- 


396  CHOLERA 

ches  durch  den  in  der  Regel  schnellen,  krampfliaft  zusammengezogenen  Puls, 
die  klonisclien  Krämpfe  der  initorn  Extromitäteii ,  die  bcstäiidi^oii  Vomituri- 
tionen,  das  Erbrechen  und  den  Durt^ht'all  mit  gleichsam  kolikartigen  .Schmer- 
zen und  den  Blutandrang  nach  Kopf  und  Brust  documentirt  wird,  wiihrend 
die  parahtische  Form  der  Cholera  in  einer  höclistverminderten,  «iurch  Über- 
zeiz  gesunkenen  Thätigkeit  des  Gangliensystems  des  Unterleibes,  also  in 
Lähmung  desselben  zu  bestehen  scheint.  Den  Beweis  dafür  liefern  \vo[  die 
allgemein  verbreitete  Eiskälte  der  ganzen  HautoberHäche,  die  mit  schwarzen 
Rändern  umgebenen,  tief  eingefallenen  Augen,  die  schweigenden  Au>leerun- 
gen  (jes  Nahrungscanais ,  der  fehlende  Puls ,  der  matte ,  schwankend  unge- 
wisse Herzschlag,  die  Bläue  und  Rugosität  der  Haut,  die  kalte  Zunge,  die, 
gänzlich  unterdrückte  Harnabsonderung,  die  Erstarrung  des  Körpers  und 
überhaupt  die  Blitzesschnelle,  mit  welcher  das  Übel  den  beschriebenen  Cha- 
rakter gewinnt.  Durch  die  mangelnde  Energie  und  den  lähmungsartigen 
Zustand  des  Unterleibsnervensystems ,  woran  späterhin  offenbar  auch  die 
Nerven  des  ^Rückenmarks  iheilnehmen,  scheint  es  zu  geschehen,  dass  na- 
mentlich bei  schon  bestehender  Abdominalplethora  die  Organe  der  Brust  und 
des  Unterleibes,  diese  Centralpunkte  des  Blutgofiisssystems ,  dem  Andränge 
des  Blutes  nach  innen,  welches  ohnehin  organisch  und  chemisch  verändert 
ist,  nirht  zu  widerstehen  vermögen,  um  so  mehr  als  das  Nervensystem,  ge- 
lähmt und  machtlos  geworden,  die  Blutgefässe  zur  Contraction  zu  erregen 
unfähig  ist,  während  die  peripherischen  Nerven  noch  immer  so  viel  Kraft 
besitzen,  den  geringen  Antheil  von  Blut  durch  Einwirkung  auf  die  Gefässe 
nach  Innen  zu  leiten.  Die  auffallende  Injection  der  arteriellen  und  venösen 
Gefasse  des  Nahrungscanais  und  der  Blutreicht hum  der  Leber,  des  Herzens, 
der  Nieren  etc. ,  welchen  man  immer  in  den  l^eichen  findet ,  sind  Erschei- 
nungen, welche  hier  und  da  wol  zur  Annahme  bestandener  Entzündung  be- 
rechtigten, aber  durch  passive  Congestion  leichter  erklärlich  werden  (7'Ahhi- 
mcJ,  JV/o*'/).  —  Das  in  seiner  freien  Circulation  gehemmte,  stagnirende,  stark 
carbonksirte ,  venöse  Blut  erleidet  gleichsam  als  halb  lebloser  Körper  in  den 
Gefässen  chemische  Veränderungen.  Der  Cruor  scheint  sich  vom  Serum  zu 
scheiden,  und  letzteres  noch  durch  den  schwachen  Rest  der  Circulation  als 
Abfall  \md  fremder  Körper  mit  der  freien  Säure  inid  den  lymphatischen  Stof- 
fen in  den  Nahrungscanal  zur  Abführung  ausgeschieden  zu  werden,  welcher 
sich  alsdann,  mechanisch  über  die  Gebühr  ausgedehnt,  seiner  Bürde  mit 
Leichtigkeit  entledigt.  Ursache  der  Cholera.  Es  wird  wol  Niemand 
leugnen,  dass  dieser  insidiösen  Krankheit,  welche  oft  mit  Blitzesschnelle  den 
G«sundesten  befallt,  und  mit  fürchterlicher  Rapidität  dem  (jual vollen  lieben 
ein  Eiide  macht,  aber  auch  nicht  selten  ebenso  schnell  zur  Genesung  führt, 
uns  bisher  ganz  unbekannte  neue  Ursachen  zum  Grunde  liegen,  welche  von 
Vielen  in  tellurischen  und  kosmischen  Verhältnissen,  in  eigenthümücher  Luft- 
beschalTenheit  gesucht  werden.  Zu  schwach,  durch  überwiegende  Gründe 
einen  unseligen  und  unfruchtbaren  Streit  zu  schlichten,  welches  bessern  Fe- 
dern aufbehalten  bleiben  mag,  glaubt  Tliümmcl  mit  vielen  .Andern,  auf 
niehrfaclie  Erfahrung  gestützt,  ainiehmen  zu  müssen,  dass  die  Cholera  ei- 
nem Hüchligen  Contagium,  welches  hauptsächlich  durch  die  Lungen  seinen 
Eingang  in  den  Organismus  findet,  ihre  Entstehung  und  Verbreitung  zu 
verdanken  habe,  dass  aber  Alter,  Geschlecht,  vorhergegangene  Krankhei- 
ten, die  sich  vorzugsweise  auf  das  Nerven-  und  Blutgefässsystem  beziehen, 
und  Diätfehler,  sowie  Witterungsveränderungen  etc.  zu  Com|)licationen  und 
Formenverschiedenheit  Veranlassung  geben.  So  wird  sich  bei  alten,  gQ- 
hchwächten  Individuen  vorzugsweise  die  paralytische  Form,  bei  jüngeren, 
volll)lüligen  Sidijecten  mehr  die  crethistische  Form  der  Cholera  ausbilden, 
welche  letztere  bekanntlich  oft  und  gern  in  die  erstere  überseht  und  mit 
dem  Tode  endet.  Der  kindliche  Organismus,  welcher  sich  bekanntlich  vor- 
zugsweise durch  vermehrten  Säfteandrang  nach  dem  Gehirne  au.s/.eichnet, 
«•rliegt  gewöhnlich  dieser  Form,  welche  nicht  selten  in  Hydrocephalus  acutus 
überf^eht  und  in  der  Regel  einen  unj^ünstigen  Ausgang  verspricht.  Robuste 
Mäiuier  mit  Plethora  abdominalis  bekommen,  zumal  nach  heftiger  Erkältung, 


CHOLERA  397 

am  leichtesten  die  nnter  der  Benennung  Cholera  sicca  auftretende  apoplekti- 
sche  Form,  die  oft  in  den  ersten  3  Stunden  tödtet,  aber  wenn  in  dieser  Zeit 
Besserung  eintritt,  auch  um  so  schneller  zur  Genesung  führt.  Prognose. 
Ungünstig  im  Allgemeinen  in  der  paralytischen  Form,  dubiös  in,  der  erethi- 
stischen,  günstig  aber  bei  der  Diarrhoea  cholerica.  Die  gänzliche  Pulslosig- 
keit bei  allgemeiner  Erstarrung,  Kälte  und  Lähmung  der  Haut,  welche  über- 
dies besonders  an  den  rugösen  Fingern,  Zehen  und  den  Extremitäten  über- 
haupt, blau  marmorirt,  oftmals  aschgrau  erscheint,  die  an  Stimmlosigkeit 
grenzende  Heiserkeit,  die  unbeschreibliche  Angst  und  Beklommenheit,  das 
Seufzen  und  Stöhnen  bei  fast  jeder  Respiration ,  die  kalten ,  klebrigen 
Schweisse  an  einzelnen  Theilen,  das  gänzliche  Aufhören  des  Durchfalls  und 
Erbrechens  bei  aufgetriebenem,  teigigem,  kluckerndem  Unterleibe,  oder  san- 
guinolente  Stühle ,  der  Verfall  der  Augen  und  des  Gesichts  etc.  sind  immer 
böse  Zeichen.  Doch  habe  ich  auch  mehrere  solcher  Kranken  durch  das 
kaustische  Ammonium,  24  Stunden  und  länger  gereicht  (alle  5  — 10  Minu- 
ten 15 — 30  Tropfen  in  kaltem  Wasser),  noch  gerettet,  die  noch  heute  mun- 
ter und  wohl  eiiihergehen.  Von  guter  Vorbedeutung  ist  es  liingegen,  wenn 
der  Puls  sich  erhebt,  schneller,  deutlicher  und  voller  wird,  sich  gleich- 
massig  verbreitet,  feuchte  Wärme,  Hautturgor,  Schlaf  bei  geschlossenen 
Augenlidern  und  Harnabsonderung  sich  einstellt,  auch  später  die  Stuhlaus- 
leerungen anfangs  dünn,  gallig,  dunkel  gefärbt,  nachher  breiig  und  zuletzt 
consistent,  fäculent  werden  und  sich  Schlaflosigkeit,  der  unauslöschliche 
Durst,  sowie  die  Angst,  Beklommenheit  und  die  verhinderte  Respiration 
nebst  Heiserkeit  verlieren.  Behandlung.  Die  Indicationen  zur  Anwen- 
dung der  Arzneien  erleiden  offenbar  nach  den  verschiedenen  Formen ,  Gra- 
den und  Complicationen  der  Cholera  verschiedene  Modificationen  und  lassen 
sich  hauptsächlich  im  Allgemeinen  auf  Wiederherstellung  des  Gleichgewichts 
des  Unterleibs  -  und  Cerebralnervensystems  mit  seinen  peripherischen  Aus- 
breitungen zurückführen,  wodurch  auch  gleichzeitig  das  untergeordnete  Blut- 
gefäss -  und  reproductive  System  allmälig  zur  Normalität  geführt  werden. 
1.  Bei  der  Diarrhoea  cholerica  scheint  es  mir  besonders  darauf  anzukommen: 
1)  bei  gastrischer  Complication  den  Nahrungscanal  von  dem  fremden  Reiza 
zu  befreien ;  2)  die  krankhaft  erhöhcte  Thätigkeit  des  Gaagliensystems  zu 
beruhigen  und  3)  antagonistisch  auf  die  Haut  zu  mrken.  Die  erste  Indica- 
tion  wird  in  der  Regel  schon  durch  Emetica,  säuretilgende,  mild  erregende 
Mittel,  Magnesia  carbon.,  Kohlensäure;  die  zweite  Indication  durch  Demul- 
centia,  die  dritte  Indication  durch  äussere  Erwärmung,  warme,  Schweiss 
erregende  Getränke:  heissen  Rothwein  mit  Gewürz,  Tiuct.  aromatica,  durch 
Saturationen  und  die  ammoniakalischen  Mittel,  hiq.  ammon.  acet.,  succ.  etc. 
erfüllt.  II.  Bei  der  Cholera  erethistica  sind  im  Allgemeinen  dieselben  Indi- 
cationen zu  befolgen ,  nur  erheischt  das  tiefere  Eingreifen  des  Übels  kräfti- 
gere Massregeln.  Hier  dienen  vorzüglich  ein  starkes  Vomitiv  von  reiner 
Ipecacuanha,  hinterher  alle  5  — 10  Minuten  grosse  Dosen  von  Tinct,  macid., 
—  vauill.  mit  Litj.  c.  c.  succ,  und  alle  '/j  Stunden  15  —  20  Tropfen  kausti- 
scher Salmiakgeist  in  Wasser;  darneben  öfteres  Trinken  von  kaltem  Was- 
ser, Waschungen  damit,  ein  Senfpflaster  auf  die  Herzgrube,  nachher  Beför- 
derung des  Schweisses  in  warmen  Betten.  Dass  hier  viele  Ärzte  Kalomel  und 
Opium  gereicht  haben,  ist  bekannt.  Ich  kann  beide  Mittel  nicht  empfehlen, 
obgleich  sie  von  vielen  Ärzten  leider!  als  Hauptmittel  in  der  Cholera  ange- 
sehen worden  sind;  die  Gjünde  dafür  werde  ich  unten  angeben.  III.  Die 
Cholera  paralytica  bietet  zunächst  zwei  Anknüpfungspunkte  zur  Stellung  der 
Indicationen  für  die  Application  der  Heilmittel  dar,  und  zwar:  1)  zur  Be- 
lebung und  Erregung  des  gänzlich  gelähmten  Ganglieasystems  hat  man  viel- 
fältig Kampher ,  Phosphoräther ,  heisse  Weine  etc.  gereicht ,  mir  leistete  der 
kaustische  Salmiakgeist  die  besten  Dienste,  und  wenn  die  Ausleerungen  stock- 
ten, ein  Vomitiv.  Weder  Kampher,  noch  Moschus,  noch  andere  Reizmittel 
ersetzen  hier  den  Salmiakgeist,  wenn  letzterer  nur  consequent  und  so  lange 
angewandt  wird,  bis  Wärme  und  hinreichende  Reaction  des  Blutsystems  ein- 
treten,  wozu  oft  1 — 2  Unzen   erforderlich  sind.     2)  Zur  Erweckung  auta- 


398 


CHOLERA 


goiiistischer  Thätigkeh,  der  peripherischen  Gefasso  und  Nerven  i  a)  Waschuiv- 
gen  mit  kaltem  Wasser ,  Schnee ,  Eisumschläge ;  b)  Sturzbäder  in  trockener 
Wanne,  oder  in  warmem,  reizendem  Bade;  c)  Frictionen  mit  Kampher-, 
Angelicaspiritus  etc.;  d)  reizende  Senfteige;  e)  Moxa  (Glüheisen);  f)  rei- 
zende Kiystiere.  IV.  Nachkrankheiten.  Tliümmel  hat  nur  zwei  For- 
men dexselben  zu  beobachten  Gelegeniieit  gehabt,  nämlich:  1)  die  mit  Sopor 
begleiteten  und  fast  der  Enzündung  ähnlichen  Congestionszustände  nach  Kopf 
und  ßrust,  und  2)  die  nervösen  Airectionen  des  Gehirns  und  der  Lungen, 
nämlich  Apoplexia  nervosa  und  Catarrhus  pulmonum.  Bei  der  erstem  leiste- 
ten die  Plasticität  vermindernden  und  die  kühlenden  ableitenden  Mittel  er- 
gpriessliche  Dienste:  a)  allgemeine  und  locale  Blutentziehungen,  nicht  selten 
wiederholt  angewendet;  b)  das  Kalomel  in  kleiner  Dosis;  c)  die  kalten 
Überschläge  auf  Kopf  und  Brust;  d)  Kiystiere.  Der  letzteren  Form  ver- 
mochten die  kräftig  reizenden  Mittel  nicht  zu  widerstehen.  Über  seine  Be- 
handlungsweise  der  Cholerakranken  in  Berlin  sagt  Thümtnel  (a.  a.  O.)  Fol- 
gendes: ,,Ich  erlaube  mir  deiuaächst  zur  Aufzählung  der  einzelnen  Mittel, 
vrelche  ich  selbst  bei  den  mir  anvertrauten  Cholerakranken  anzuwenden  Ge- 
legenheit fand,  überzugehen  und  meine  individuelle  Ansicht  über  ihre  Wirk- 
samkeit oder  Wirkungslosigkeit  auszusprechen.  A.  Innere  Mittel.  1)  Das 
Opium.  Ich  betrachte  es  als  eins  der  Hauptmittel  bei  der  Cholera,  und 
fand  dasselbe  sowol  bei  den  Prodromalzuständen ,  als  auch  bei  der  Cholera 
erethistica  und  paralytica  von  wesentlichem  Nutzen.  Es  scheint  in  den  ge- 
ringeren Graden  des  Übels,  wo  die  Thätigkeit  des  Abdominalnervensystema 
erhöht  ist,  von  sehr  beruhigender  Wirkung,  mit  Demulcentibus  in  Verbin- 
dung ,  zu  seyn.  Ich  Hess  dasselbe  nur  so  lange  in  mittlerer  Dosis  reichen 
(etwa  alle  halbe  Stunden  zu  S  —  5  Tropfen  Tinct.  thebaica) ,  bis  sich  nar- 
kotische ^Erscheinungen  einstellten,  welche  sofort  durch  Anwendung  starken 
schwarzen  Kaffees,  Brausepulver  und  allgemeine  oder  locale  Blutentziehun- 
gen nebst  kalten  Überschlägen  auf  der  Stirn  in  der  Regel  sehr  schnell  be- 
seitigt wurden.  Rückfälle  oder  nicht  gänzliche  Tilgung  des  Übels  forderten 
mich  zur  Wiederholung  des  Verfahrens  auf,  und  immer  mit  glücklichem  Er- 
folge. In  der  Cholera  paralytica  scheint  das  vollkommen  gelähmte  Unter- 
leibsnervensystem die  ganze  Wirkung  des  in  grossen  Dosen  augewendeten 
Opiums  (alle  2  Minuten  bis  %  Stunden  5,  10  — 15  Tropfen  Tinct.  opii)  zu 
resorbiren ,  und  erst  nach  dessen  Sättigung  narkotische  Erscheinungen  zu- 
zulassen, ein  Zustand,  der  mir  immer  von  günstiger  Vorbedeutung  war, 
besonders  wenn  man  nun  sogleich  bedacht  war,  durch  allgemeine  oder  lo- 
cale Blutentziehunger,  kalte  Umschläge  auf  den  Kopf,  Brausepulver  und 
den  Genuss  von  starkem  schwarzen  Kaffee  dies  Consecutivübel,  welches  ich 
nicht  direct  der  Wirkung  des  Opiums  zuschreiben  möchte ,  zu  bekämpfen. 
Ich  habe  die  gedachten  Erscheinungen  auch  nach  der  Anwendung  des  Kam- 
phers, eines  flüchtig  reizenden  Mittels  von  narkotischen  Eigenschaften,  mehr- 
mals bemerkt  und  geglaubt,  dass  der  Kampher  in  jenen  Fällen  das  aufge- 
hobene Gleichgewicht  zwischen  Abdominal-  und  Cerebralnervensystem,  natür- 
lich mit  gleichzeitiger  Erregung  und  Regulirung  des  Gefässsystems ,  gleich- 
wie das  Opium,  herzustellen  vermochte;  bin  aber  überzeugt,  dass  dasselbe 
dem  Zwecke  nicht  mehr  entspricht,  sobald  das  angedeutete  Ziel  erreicht  ist. 
Es  wurde  von  mir  sowol  in  der  Heilanstalt,  als  auch  bei  einigen  in  Fami- 
lienhäusern wohnenden  Kranken  57  Mal  und  zwar  43  Mal  mit  Glück,  und 
14  Mal  ohne  Erfolg  gegeben.  (Was  über  die  Anwendung  des  Opiums  spä- 
tere Erfahrungen  gelehrt  haben ,  w  ird  unten  bei  Beschreibung  der  Rostocker 
Epidemie  mitgetheilt  werden.  M. )  2)  Emetica.  Die  Brechmitte!  nehmen, 
meinen  geringen  Erfahrungen  zufolge,  einen  der  ersten  Plätze  in  der  Reihe 
der  wirksamen  und  hülfreichen  Arzneimittel  ein.  Sie  wirken  hier  entweder 
als  ausleerende  oder  als  umstimmende  Mittel.  In  der  Regel  erfordern  sie 
kräftige  Präparate,  oder  auch  starke  Gaben,  selbst  in  den  geringeren  For- 
men der  Cholera,  wo  die  peristallisclie  Bewegung  des  Darnicanals  gewaltig 
erhöht  ist,  und  die  Organe  sich  schwer  zu  entgegengesetzter  Thätigkeit 
stimmen  lassen.     Ich  habe  Emetica,  besonders  bei  gastrischer  Complication, 


CHOLERA  399 

bei  welssHch  oder  gelblich  belegter  Zunge ,  wo  nachweislich  Diätfehler  oder 
Erkältungen  vorangegangen  waren,  meist  in  sehr  starker  Gabe  (zu  ^j  bis 
3jj  Ipecacuanhae,  gr.  jjj  —  iv  Tart.  stibiat.,  noch  lieber  aber  mit  gr.  jj — iv 
Cupr.  sulphur.)  gereicht.  Meist  war  eine  einmalige  oder  öftere  Wiederho- 
lung derselben  nöthig,  und  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  dies  Verfahren  mit 
glücklichem  Erfolge  gekrönt.  In  der  Cholera  paralytica  leisteten  sie  beson- 
ders zu  Anfange  nichts,  und  erforderten  immer  erst,  ausser  den  nöthigen 
äusseren  Hautreizen  und  Belebungsmitteln,  die  Anwendung  flüchtiger  Reiz- 
mittel oder  des  Opiums,  Ich  habe  sie  überhaupt  35  Mal,  und  zwar  21  Mal 
mit  gutem  Erfolge,  14  Mal  erfolglos  angewendet,  d.  h.  theils  ganz  wir- 
kungslos, theils  bei  einiger  Wirkung  ohne  erwünsct^ee  Resultat.  3)  Der 
Phosphoräther  bewies  sich  in  mehreren  Fällen  als  ein  ausgezeichnet  beleben- 
des Mittel  bei  der  Cholera  paralytica,  und  schien  die  Wirkung  des  Opiums 
sehr  erheblich  zu  unterstützen.  Ich  Hess  ihn  nur  in  solchen  Fällen  gebrau- 
chen ,  wo  nicht  Complicationen  zur  Erfüllung  anderer  Indicationen  berech- 
tigten, 4  Mal  mit  günstigem,  2  Mal  ohne  Erfolg.  4)  Das  Chmin  fand  ich 
nur  2  Mal  zu  geben  Gelegenheit,  wo  offenbar  eine  Wechselfiebercomplica- 
tion  stattfand.  Ich  verband  es  mit  starken  Gaben  Opium  (Chinin,  muriat. 
gr.  jjj  —  vj  und  Opii  pur.  gr.  |J — j  alle  2  Stunden),  erfreute  mich  jedoch 
nur  1  Mal  eines  günstigen  Resultats.  5)  Das  Kalomel  in  grosser  Dosis  (zu 
10  Gran,  ein-  bis  zweistündlich).  Die  Anwendung  dieses  grossen  und  in 
der  That  am  passenden  Orte  sehr  erfolgreichen  Mittels ,  in  Verbindung  mit 
kohlensaurer  Magnesia,  scheint  von  vorzüglichem  Einflüsse  auf  die  Gallen- 
absonderung zu  seyn.  Ich  sah  Erbrechen  und  Durchfall  schnell  nach  seiner 
Application  aufhören,  die  Stuhlausicerungen  bald  gallig,  faculent  und  breiig 
werden,  der  Puls  erwachte  bald  zu  neuer  Thätigkeit  und  erforderte  jedes- 
mal theils  allgemeine,  theils  örtliche  Blutentziehungen.  Die  heilsame,  acht 
Tage  dauernde  Salivation  pflegte  sich  schon  am  dritten  oder  vierten  Tage 
einzustellen.  Ich  wendete  es  überhaupt  5  Mal  und  zwar  3  Mal  mit  gutem 
und  2  Mal  ohne  Erfolg  an.  Das  Kalomel  in  kleiner  Dosis  zu  1  —  3  Gran, 
ein  -  bis  zweistündlich  mit  Magnesia  carbonica  gegeben ,  habe  ich  meisten- 
theils  nur  in  der  erethistischen  Form,  vorzugsweise  bei  Kindern  nach  dem 
Opium,  dann  in  Anwendung  gezogen,  wenn  ein  bedeutender  Orgasmus  des 
Blutes,  fast  ein  entzündlicher,  hydrocephalischer  Zustand  dazu  aufforderten. 
Wo  nicht  eine  zu  enorme  Tendenz  zur  Ausschwitzung  seröser  Flüssigkeit 
ins  Gehirn  vorhanden  war  ,  leistete  es  die  herrlichsten  Dienste.  Ich  gab  es 
überhaupt  10  Mal,  5  Mal  mit  gutem,  5  Mal  ohne  Erfolg.  6)  Das  Ferrum 
carbonicum  zu  5  — 10  Gran,  ein-  bis  zweistündlich  in  Verbindung  mit  Ma- 
gnesia carbonica  angewendet.  Ich  gestehe ,  dass  ich  nach  Analogie  der  An- 
wendung der  Tinct.  fei-ri  acet.  aether. ,  deren  vorzügliche  Wirkungen  hier 
gelobt  wurden,  die  fixe  Form  des  Eisens  vorzugsw  eise  gab.  Ich  wählte  hier 
Fälle  erethistischer  Cholera  ohne  alle  Complication ,  und  wurde  schon  an- 
fangs sehr  durch  die  guten  Wirkungen  des  Mittels  zu  neuen  Versuchen  auf- 
gemuntert. Das  Mittel  wird  in  der  Regel  gut  vertragen,  die  Kranken  bre- 
chen es  selten  aus,  und  wenn  die  Stuhlausleerungen  rothflockig  werden, 
hebt  sich  der  Puls ,  stellt  sich  Wärme ,  Ruhe ,  Schlaf  und  Urin  ein.  In  der 
Regel  folgen  die  bekannten  an  Entzündung  grenzenden  Congestionen  nach 
Kopf  und  Brust,  welche  sofort  allgemeine  oder  locale  Blutentziehungen  er- 
heischen. Ich  gab  es  überhaupt  7  Mal,  und  zwar  3  Mal  mit  guten,  4  Mal 
mit  schlechtem  Erfolge,  7)  Ipecacuanha  in  kleiner  Dosis  wurde  überhaupt 
nur  2  Mal  in  Anwendung  gezogen,  und  zwar  1  Mal  mit,  1  Mal  ohne  Erfolg. 
Es  schien,  als  würden  nach  ihr  die  Vomituritionen  beseitigt;  jedoch  schreibe 
ich  den  einmaligen  guten  Erfolg  der  ^Wirksamkeit  der  kräftigen  äusseren 
Mittel  zu.  8)  Der  Kampher.  Ich  kann  dem  Kampher,  welchen  ich  wegen 
seines  grossen  Rufes  anfangs  häutig  in  Gebrauch  zu  ziehen  versucht  wurde, 
kemesweges  das  Wort  reden.  Ich  verordnete  ihn  überhaupt  29  Mal,  und 
zwar  6  Mal  mit  gutem  Erfolge  und  23  Mal  erfolglos.  Ich  gab  ihn  ui  gros- 
ser und  kleiner  Dosis,  bald  allein,  bald  als  Leviseur'sche  Emulsion,  mit  und 
ohne  Extract.  hyoscyami,    und  habe  ihn  hauptsächlich   nur  bei   alten  oder 


4t)0  CHOLERA 

sehr  schwächlichen  Individuen  mit  tiefgesunkener  Energie  einige  Male  mit 
gutem  Erfolge  angewendet.  Er  wird  hä\irig  nicht  vertragen ;  die  Kranken 
brechen  nach  jeder  Gabe,  und  sinken  immer  mehr  zusammen,  ohne  dass  an- 
dere flüchtige  Reizmittel  und  die  kräftigsten  äusseren  Mittel  das  gesunkene 
Leben  anzufachen  vermöchten.  Von  sehr  unterstützender  Wirkung  scheinen 
Hingegen  in  der  Cholera  paralytica,  und  besonders  bei  alten  Subjecten,  Kly- 
stiere  mit  Kampher  zu  seyn,  wenn  der  Durchfall  aufgehört  hat.  9)  Rad. 
belladonnae.  Ich  vermag  über  die  Wirksamkeit  dieses  ArzneistofTes  in  der 
Cholera  kein  Urtheil  zu  fällen,  da  ich  nur  2  Mal  Gelegenheit  fand,  den- 
selben in  Anwendung  zu  setzen.  Wenn  auch  der  eine  Kranke  bei  seinem 
Gebrauche  genas,  so  muss  ich  dies  in  diesem  Falle  mehr  den  guten  Wir- 
kungen der  äusseren  kräftigen  Mittel  zuschreiben.  10)  Die  Nux  vomica. 
Sie  hat  sich ,  obgleich  freilich  meist  in  verzweifelten  Fällen  15  Mal  ge- 
braucht ,  mir  am  nutzlosesten  bewiesen.  Die  Krankheit  schritt  bei  ihrer 
Anwendung  unauflialtsam  vorwärts  und  das  Mittel,  welches  übrigens  keine 
Wirkungen  äusserte,  vermochte  nicht  den  ungünstigen  Ausgang  zu  verhüten. 
Ich  A'erordnete  es  theils  in  der  Schnitzer'schen,  theils  in  der  Helling'schen 
Form,  aber  immer  erfolglos.  11)  Moschus.  Ich  zweifle  nicht,  dass  dieses 
Mittel  in  Verbindung  mit  anderen  kräftigen  Arzneien ,  besonders  bei  hefti- 
gen Krämpfen,  eine  unterstützende  Wirkung  zu  äussern  vermag.  Ich  habe 
es  3  Mal,  aber  leider  erfolglos  angewendet,  ohne  dass  es  die  erwünschte 
Wirkung,  die  Krämpfe  und  die  Vomituritionen  zu  stillen,  hervorgebracht 
hätte.  12)  Die  Tinctura  veratri  albi  habe  ich  nur  1  Mal,  jedoch  ohne  gün- 
stigen Erfolg  angewendet.  13)  Die  Tinctura  castor.  sibir.  scheint  mir  ein 
schätzbares  Mittel  bei  dem  oftmals  vorkommenden  erschöpfenden  Slngultus 
zu  seyn.  Ich  habe  sie  mehrmals  mit  gutem  Erfolge  zu  4  —  8  Tropfen  auf 
Zucker  benutzt.  14)  Die  Kohlensäure.  Es  ist  dieses  Mittel  gewiss  mit 
Dankbarkeit  zu  erwähnen,  welches  als  ein  kühlendes,  beruhigendes  Medica- 
ment,  besonders  in  der  erethistischen  Form  der  Cholera,  die  wesentlichsten 
Dienste  leistete.  Ich  liess  dasselbe  sowol  in  Form  der  Brausepulver ,  als 
auch  als  Selterserwasser  nehmen ,  welches  die  Kranken  ohnehin  bei  ihrem 
unauslöschlichen  Durste  nach  kaltem  Getränk  gern  und  begierig  tranken, 
ohne  dass  sich  das  Erbrechen  danach  in  dem  Masse  wie  nach  gewöhnlichem 
kaltem  Getränke  eingestellt  hätte.  B.  Äussere  Mittel.  15)  Frictionen. 
Wenn  die  äusseren  Mittel  überhaupt  bei  einer  fortwährenden  sorgsamen 
Wartung  und  Pflege  in  dieser  Krankheit  von  hoher  Wichtigkeit  sind,  so 
nehmen  offenbar  in  den  leichtesten  wie  in  den  schwersten  Fällen  die  Rel- 
bimgen,  andauernd,  oft  viele  Stunden  hintereinander  fortgesetzt,  einen  der 
ersten  Plätze  unter  diesen  ein.  Die  peri})herischen  Nerven  sind  vorzugs- 
weise zu  bethätigen ,  damit  gleichzeitig  die  Arterlellltät,  welche  in  dieser 
Krankheit  hauptsächlich  daniederliegt,  zu  neuer  Thätigkelt  angeregt,  allge- 
meine Wärme  wieder  hervorgerufen  und  der  Turgor  erweckt  werde.  Die 
beständig  feuchte,  kalte  Haut,  ja  die  mitunter  starken,  klebrigen  Schweisse 
beweisen  die  noch  bestehende  Thätigkelt  der  peripherischen  Venen,  und 
deshalb  habe  ich  namentlich  späterhin  Frictionen  mit  trockenen  wollenen 
Lappen,  Filz,  oder  der  blossen  Hand  vorgezogen,  um  nicht  noch  mehr 
Kälte,  welche  sich  beim  Verdunsten  der  Spirltuosa  entwickelt,  hervorzu- 
bringen, indem  ich  wol  gleichzeitig  an  Erweckung  von  Elektricität  bei 
trockenen  Reibungen  dachte.  (In  der  Rostocker  Epidemie  kam  man  von 
den  trockenen  Frictionen ,  die  den  Kranken  viel  Qual ,  aber  wenig  Hülfe 
brachten,  bald  zurück.  M.)  Ich  habe  indess  mich  auch  des  Kampherspiri- 
tus, des  Spir.  angel.  compos.,  selbst  des  Liq.  ammon.  caust. ,  und  bei  hef- 
tigen Krämpfen  des  LlMuiientum  ammouiato-camphoratum  mit  Opium  bedient 
und  gefunden ,  dass ,  wenn  die  Haut  die  trockenen  Reibungen  verträgt  und 
dieselben  dem  Kranken  nicht  unerträglich  schmerzhaft  werden ,  diese  jenen 
vorzuziehen  seyen.  In  gar  vielen  Fällen  gelang  es,  selbst  in  den  verzwei- 
feltsten, den  Puls  wieder  sichtbar  zu  machen,  und  einige  Wärme  unter 
sichtlichem  Nachlass  der  Erscheinungen  hervorzurufen;  bei  allen  Kranken, 
welche  ich  herzustellen  das  Glück  halte,    wurden  sie  ohne  Ausnahme  unter 


CHOLERA  401 

verschiedenen  Modlficatlonen  angewendet.  Ich  erlaube  mir  hierbei  gleich- 
zeitig zu  erwähneh,  dass  die  Reibungen  mit  Schnee,  kaltem  Wasser  (bei 
den  Sturzbädern  in  trockener  Wanne)  und  die  Frictionen  im  reizenden  war- 
men (Senf-)  Bade  ebenfalls  von  ausgezeichneter  Wirksamkeit  sich  bewiesen. 
16)  Bhitentziehungen  gehören,  meinen  geringen  Erfahrungen  zufolge,  in 
der  Cholera  zu  den  unentbehrlichsten  Heilmitteln:  a)  der  Aderlass.  .Allge- 
mein war  hier  die  Klage,  dj^ss  selbst  die  geschickteste  Hand  sich  oft  bei, 
Pulslosen j  Paralytischen  vergeblich  bemüht  habe,  ßlut  zu  erhalten.  Nach 
stets  vorausgeschickten  anhaltenden  Frictionen  gelang  es  indess  der  Ge- 
schicklichkeit meines  thätigen  Assistenten,  des  Wundarztes  erster  Classe, 
Hrn.  Beyer,  immer,  auch  wenn,  nach  den  Reibungen  der  Puls  nicht  fühlbar 
wurde,  grössere  Quantitäten  Blut  zu  entziehen.  «)  Über  die  Venaesectionen 
im  Anfalle.  Alter,  Geschlecht ,  und  Constitution  bestimmen  unstreitig  die 
Indication  zum  Aderlass,  weichet  hier  in  doppelter  Rücksicht  seine  Anwen- 
dung findet ,  nämlich  einmal  die  durch  passive  Congestion  entstandene 
enorme  Überfüliung  der  Centralorgane  des  Kreislaufes  zu  vermindern  und 
die  Arterien  von  einer  unbesiegbaren  Bürde  zu  l»;freien,  andererseits  aber 
auch,  um  das  Blut  nach  den  Arterien  der  Peripherie  zu  leiten.  Grosse 
Vollblütigkeit  und  Vollsaftigkeit,  heftige  schmerzhafte  Krämpfe,  unbeschreib- 
liche Herzensangst,  Beklemmung  und  Kurzathmigkeit  schienen  mir  stets 
Aufforderungen  zum  Aderlass  zu  seyn,  und  selbst  da,  wo  der  Tod  unver- 
meidlich war,  schafften  sie  sichtlich  grosse  Linderung.  Von  auffallendem 
Nachtheile  bewies  er  sich  stets  bei  starken  Branutweintrinkern ,  denen  die 
grossen  Opiumdosen  so  vortrefQich  zusagten.  In  d,en  Fällen,  wo  die  Blut- 
entziehungen vollkommen  passten,  wurde  mir  mehrmals  eine  öftere  Wieder- 
holung desselben  nöthig,  und  wenn  das  Blut  beim  ersten  Aderlass  in  gerin- 
ger Quantität  floss ,  schwarz,  theerartig  aussah,  zu  einer  homogenen  Masse 
gerann,  ohne  Serum  abzusetzen,  so  geschah  letzteres  doch  schon  beim  fol- 
genden, verstärkte  sich  beim  dritten,  und  der  Blutkuchem  überzog, sich  wie 
bei  den  allerhefcigsten  Entzündungen  mit  einer  starken  Lederhaut.  /S)  Bei 
den  Nachkrankheiten.  Nachdem  die  Cholera  eigentlich  als  beseitigt  ange- 
sehen werden  konnte,  bildeten  sich -nicht  selten,  heftige  Congestionszustände 
nach  Kopf  und  Brust  aus,  welche  in  mehreren  Fällen  einen  entschiedenen 
entzündlichen  Charakter  annahmen.  Delirien ,  wiederkehrender  Sopor ,  vol- 
ler ,  harter ,  oft  auch  sehr  gebundener  Puls ,  trockene  heisse  Haut  und 
Zunge  bestimmten  mich  in  solchen  Fällen  zu  dreisten,  allgemeinen  und  ört- 
lichen Blutentziehungen.  Fast  immer  war  die  Crusta  inflammatoria  auf  dem 
Blute  anzutreffen.  Die  Kranken  genasen  indess  rasch,  ohne  dass  sich  der 
so  gefürchtete  typhöse  Zustand  jemals  eingestellt  hätte,  bei  einer  kühlen- 
den, allgemeinen  Behandlung.  Ebenso  forderten  zuweilen  eintretende  Stiche 
bei  tiefer  Inspiration,  oder  lebhafte  Schmerzen  des  Unterleibes  und  der 
Kardia  bei  der  Berührung  immer  die  allgemeinen  oder  localen  Biutentlee- 
rungen,  und  bewiesen  sich  stets  als  hülfreich,  b)  Die  Application  der  Blut- 
egel vertrat  bei  Kindern,  wo  vorzugsweise  eine  Disposition  zum  Blutan- 
drange nach  dem  Gehirne  stattfindet,  die  Stelle  der  allgemeinen  Blutent- 
ziehungen, und  ich  habe  öfters  ihre  vortreffliche  Wirkung  in  Verbindung 
mit  kalten  Umschlägen  von  Wasser  oder  Eis  auf  den  Kopf,  Begiessungen, 
Sturzbädern  in  trockener  Wanne  uiid  im  heissen  Senfbade,  zu  loben  Gele- 
genheit gehabt.  Mit  Glück  wurden  die  Blutegel  ferner  bei  Kindern  und 
Erwachsenen  gegen  schmerzhafte  Affectionen  der  Brust  und  des  Unterleibes 
angewendet.  17)  Die  Anwendung  der  Kälte,  auf  welche  hier  wol  zuerst 
Herr  Medicinalrath  Dr.  Ctisper  aufmerksam  machte,  hat  sich  mir  ebenfalls 
als  ein  ganz  ausgezeichnetes  belebendes  Mittel  bei  der  Cholera  bewiesen.; 
Wenn  mair  übrigens  bedenkt,  dass  die  im  heissesten  Klima  entsprossene, 
Cholera  bei  ihrer  Verbreitung  in  kältere  Himmelsstriche  sichtlich  an  Exten- 
sität abnahm ,  mid  der  kalte  Winter  mit  seinen  schneebedeckten  Feldern 
kein  treuer  Pfleger  dieser  Seuche  war,  so  ist  es  zu  verwundern,  dass  man 
nicht  schon  längst  allgemehier  auf  dieses  kräftige  Heilmittel  verfallen  ist. 
Most  Eucykkpädie.  2te  Aufl.  I.>  26 


402  CHOLERA 

Sic  hat  sich  mir  iii  Form  der  Reibungen  mit  Schnee,  der  kalten  Übefi- 
Bchläge,  der  Begiessungen  lind  Sturzbäder  in  trockener  Wanne,  bei  gleich- 
zeitigen ReibungeJi  mit  kaltem  Wasser,  selbst  bei  der  schwersten  Form  der 
paralytischen  Cholera  als  höchst  nützlich  gezeigt.  Der  zusammengesunkene, 
nur  noch  mühsam  athmende ,  stimmlose ,  starre  und  pulslose  Kranke ,  der 
mit;  jedem  Augenblicke  zu  verscheiden  droht,  erwacht  zu  neuem  Leben  nach 
der  Anwendung  der  Sturzbäder  (6-^  12  Eimer),  sein  Puls  wird  etwas  fühl- 
bar, die  Zunge  und  die  prominenten  Theile  des  Gesichts  fangen  an  warm 
zu  werden ,  die  Respiration  wird  freier ,  und  die  Stimme  bei  wiederkehren- 
der Besinnlichkeit  vernehmlicher.  Die  Besserung  hält  zuweilen,  und  zwar 
in  den  schwierigsten  Fällen ,  nicht  lange  an  und  nach  einer,  höchstens  zwei 
Stunden  wird  eine  Wiederholung  des  Bades  erforderlich.  Schon  nach  dem 
dritten  oder  vierten  Bade  wird  oftmals  das  Gleichgewicht  in  dem  zerrütte- 
ten Organismus  wieder  hergestellt,  und  keine  Fortsetzung  mehr  nöthig. 
Zuweilen,  und  zwar  in  den  Fällen,  wo  bei  hohem  Alter  die  Energie  und 
Lebenskraft  zu  tief  gesunken  war,  äusserte  die  Kälte  nur  schwache  Ver- 
suche, den  verlöschenden  Lebensftinken  wieder  anzublasen.  Nicbt  weniger 
ungünstig  fand  ich  sie  mehrmals  da,  wo  copiöse  4ussch witzungen  lymphati- 
scher Feuchtigkeit  ins  Gehirn  entstanden  Waren.  Ich  wandte  sie  überhaupt 
18  Mal,  und  zwar  9  Mal  mit  gutem,  und  9  Mal  mit  ungünstigem  Erfolge 
an.  18)  Die  heissen  Dämpfe.  Die  anfangs  mit  so  grossem  Lobe  überschüt- 
teten Dampfappai-ate ,  als  Erwärmungs-  und  Pulserweckungsmittel,  haben 
«ich  in  der  Erfahrung  keinesweges  als  wirksam  bewiesen  und  ihre  Empfeh- 
lungen gerechtfertigt.  Ich  bedaure  es ,  nicht  früher  von  ihrer  Anwendung 
abgestanden  zu  seyn ,  um  sie  mit  der  wundersam  wirkenden  Kälte  und  den. 
trockenen  Frictionen  zu  vertauschen.  Die  heissen,  trockenen  und  feuchten 
Dämpfe  berühren  den  Kranken  immer  unangenehm,  er  glaubt  zu  verbren- 
nen, seine  Angst,  Beklemmung  und  Reäpirationsbeschwerden  steigern  sich 
zur  Verzweiflung.  Gewaltsam  sucht  er  sich  aus  dieser  Hölle  zu  befreien, 
wenn  dringende  Bitten  an  die  Umstehenden  nichts  helfen.  Der  venöse  Theil 
des  Capillargefasssystems  wird  allerdings,  aber  nutzlos  zur  Thätigkeit  an- 
geregt. Der  Kranke  schwitzt,  aber  der  Puls  bleibt  unter  stets  sich  stei- 
gernden bösen  Zeichen  meist  unfühlbar.  Stirbt  einmal  ein  Kranker  nicht 
bei  seiner  Anwendung,  so  darf  sich  der  Dampfapparat  dessen  nicht  rühmen, 
sondern  die  Wirksamkeit  der  anhaltenden  Frictionen,  Erwärmungsmittel, 
Hautreize  oder  zweckmässige  innere  Arzneimittel  retteten  ihn  gewiss.  Ich 
vtandte  ihn  überhaupt  16  Mal  an  und  zwar  14  Mal  mit  schlechtem  Erfolge. 
19)  Die  warmen  Bäder  verdienen  nach  meiner  unmassgeblichen  Ansicht  eben- 
falls nicht  in  die  erste  Reihe  der  äusseren  hülfreichen  Mittel  zu  treten. 
Von  sehr  unterstützender  Wirkung  fand  ich  sie,  besonders  mit  Senfabko- 
chung, in  Verbindung  mit  kalten  Übergiessungen  auf  Brust,  Rücken  und 
Kopf.  Nie  aber  erweckten  sie  bei  Paralytischen  den  Puls.  Ich  habe  sie 
unter  verschiedenen  Formen,  bald  mit  Mineralsäuren ,  bald  mit  aromatischen 
Infusionen,  oder  reizenden  Decocten  in  Anwendung  gezogen  und  zwar  über- 
haupt 9  Mal,  jedoch  nur  2  Mal  mit  erwünschtem  Erfolge.  20)  Die  Epi- 
spastica.  Die  mit  Tinct.  cantharid.  verstärkten,  erwärmten  Senfteige  auf 
die  untern  Extremitäten,  Brust  und  Unterleib  gelegt,  habe  ich  fast  nie  an- 
zuwenden vergessen  und  glaube  mit  Recht  ihre  unterstützende  Wirksamkeit 
rühmen  zu  dürfen.  Die  Moxa  und  der  heisse  Hammer  erfüllten  einige  Male, 
besonders  bei  tief  gesunkener  Energie,  recht  erwünschte  Wirkungen ,  wenn 
sie  auch  nicht  im  Staude  waren,  ein  vollkommen  günstiges  Resultat  herbei- 
zuführen. 21)  Die  Getränke.  Fast  alle  Kranke  verlangen,  je  heftiger  der 
Gtad  der  Cholera  ist,  begierig  nach  kaltem  Getränk.  Da  ich  fand,  das« 
die  Entziehung  alles  Getränks  den  Kranken  unbeschreiblich  lästig  und  qual-^ 
voll  wurde,  so  liess  ich  zuerst  warme  aromatische  Theeaufgüsse  in  kleinen 
Quantitäten  trinken.  Indessen  vertauschte  ich  mit  grösserem  Glücke  diese 
anfangs  mit  schleimigen  sauren  Getränken  und  später  mit  kaltem  Wasset 
und  Selterwasser,  welches  die  Kranken  nicht  nur  sehr  erquickte,  sondern 
auch  die  Vomituritionen  und  das  Erbrechen  zu  stillen  schien.     In  die  Heil- 


CHOLERA  403 

anstalt  Nr,  V.  wurden  ron  Ende  Septembers  bis  Ea^le  Novembers  Cholera- 
kranke aufgenommen:  112,  dAvon  genasen  S8,  starben  74." 

So  weit  Hr.  Dr.  Thämmcl.  Man  ersieht  aus  den  Beobachtungen  des- 
selben, dass  Emetica,  früh  gereicht,  und  später  die  Anwendung  der  Kälte, 
des  kalten  Wassers,  der  kalten  Waschungen  und  des  Ammon.  caustic.  noch 
immer  die  ersten  und  grössten  Heilmittel  der  asiatischen  Cholera  sind,  wie 
dieses  auch  die  Beobachtungen  in  Ungarn,  Gallizien,  in  Wien  und  an  an- 
deren Orten  hinlänglich  bestätigt  haben,  dass  es  aber  für  den  denkenden 
Arzt  nur  ein  trauriges  Gefühl  eri'egen  muss,  wahrzunehmen,  mit  wie  \'ielep 
und  verschiedenartigen  Arzneien  man  bei  der  Cholera,  zumal  in  den  Hospi- 
tälern, experimentirt  hat,  wovon  viele,  wenn  sie  auch  an  sich  unschädlich, 
doch  durch  Zeitverlust  unersetzlichen  Schaden  gebracht  haben. 

Einiges  über  die  CIiolera-Epidemie,   welche  im  Som- 

mef   1832  io   Jlostock   herrschte,   nebst   Bemerkungen 

vom  Herausgeher. 

Seit  längerer  Zelt  waren  viele  unserer  praktischen  Arzte  (wir  zählen 
jetzt  bei  einer  Seelenzahl  von  20,000  sieben  und  zwanzig  [!]  derselben 
in  Rostock)  durchs  Lesen  der  so  zahlreich  erscheinenden  Choleraschriften 
dergestalt  übersättigt  worden,  dass  mehrere  schon  anfingen,  nichts  der  Art 
mehr  zu  lesen,  als  auf  einmal  der  Gegenstand  für  uns  alle  ein  zwar  trau- 
riges, aber  doch  grosses  und  neues  Interesse  gewann,  indem  am.  21.  Juli 
1832  in  hiesiger  Stadt  die  Seuche  unvermuthet  ausbrach,  am  22.  und  23. 
neue  Erkrankungen  hinzukamen,  und  daher  am  letzten  Tage  die  hier  schon 
früher  gebildete  Commission  wegen  der  Cholera  den  Ausbruch  der  Krank- 
heit als  ausgemacht  durch  den  Druck  publicirte.  Die  mcistei}  hiesigen 
Ärzte  überzeugten  «ich  bald ,  dass  an  dieser  traurigen  Wahrheit  kein  Zwei- 
fel sey,  und  wenn  einige  unter- ihnen  noch  zweifelhaft  blieben,  so  muss  die 
Ursache  darin  gesucht  weiden,  dass  wir  die  fremdartige  Krankheit  nur  a\|S 
Beschreibungen  kannten ,  dass  es  einzelne  Kranke  gab ,  die  nicht  an  Cho- 
lera exquisita  litten,  und  manche  Arzte  die  Kranken  nicht  vom  Anfange  ih- 
res Leidens  an ,  mehr  in  der  Reconvalescenz  ,  zuerst  sahen.  Binnen  weni- 
gen Tagen  wurde  hier  ein  Cholerahospital  zweckmässig  eingerichtet,  worin 
mein  College,  Herr  Dr.  Kopeke.,  Mitarbeiter  an  dieser  Encyklopädie ,  fua- 
girte,  und  mein  Freuijd,  der  Stadtphysikus  •  Herr  Dr.  Krauel,  die  Oberauf- 
-sicht  fahrte.  Seine  Beobachtungen  sind  die  reichhaltigsten  und  besten,  die 
wir  über  die  Cholera  in  Mecklenburg  besitzen  (s.  Spitta:  Die  asiatische 
Cholera  im  Grossherzogthum  Mecklenburg  -  Schwerin  im  Jahre  1832.  Ro- 
stock, 1833).  Ohgleich  die  Zahl  der  Erkrankungen  sich  allraälig  vermehrte, 
so  war  sie  doch  anfangs  nur  unbedeutend;  denn  bis  zum  9.  August  zählte 
man  nur  46  Kranke,  und  ein  grosser  Theil  des  Publicums,  zumal  die 
Furchtsamen  und  der  niedere  Stand,  iwar  noch  immer  der  Meinung,  dass 
die  Ärzte  sich  täuschen  könnten;  5*  einzelne  leugneten  das  Factum  gerrj- 
dezu,  und  es  fehlte  nicht  an  lieblosen  Änsserungen  über  die  Ärzte,  so  ^asa 
man  wol  fragte ,  welcher  Arzt  denn  der  Erfinder  der  Rostocker  Cholera 
sey  eto.  Doch  die  Zeit  ward  die  beste  Lehrmeisteiin ,  —  tentpits  verita^is 
filia  —  und  die  Spötter  und  Ignoranten  verstummtw;  denn  die  Krankheit 
nahm  so  sehr  zu,  dass  sämmtliche  hiesige  praktische  Ärzte  Tag  und  Nacht 
beschäftigt  waren,  dass  mehrere  durch  übermässige  Körperanstrqngung  und 
Seelenschmerz  (denn  welcher  gefühlvolle  Arzt  sollte  diesen  bei  dem  fort- 
währenden Jammer  der  Kranken  und  den  Klagen  der  Angehörigen  über,  d^ 
schnellen  Stesrbefälle  nicht  empfunden  haben?.)  sißh  äusserst  erschöpft  ^|iM~ 
ten,  und  sehr  blas«  und  arigegriifon  aussahen*  Es.  war  nicht  mögli<;h:i  idie 
vielen  Kranken,,  von  denen  jeder  einzelne  täglich  wenigstens  viermal ; nftth- 
wendig  des  Arztes  Gegenwart  erheischte,  andera  als  zu  Wage«  zu;  bpsv- 
chen.     Die  häufigen   und  schnellen  Steirbefälle  (die  Zahl   der  Todten.  nüee 

26* 


404  CHOLERA 

ah  e?nein  Tage  gelöst  bis  zu  SO),   die  noch  dazu  oft  libertriebenen  Tfaü««!^- 
nachiichten ,    wölcho  (die   leiclitziiitgige  Stadtfama  verbreitete,    das  'fort wäl>i- 
rende' G<?i'assel  der  Doctorwageii  bei  Tage,    von  denen  man 'Oft  g^€ich7,eitig 
g  bis  6  iiv  einer  Strasse  halten  oder  fahren  sah,  und  der  Todteinvagen  bei 
Nadit',   —  alle  diese  Dinge  wirkten   auf  einen   grossen  Theil   unserer  Mit- 
■bürger  dergestalit  nachtheilig,  dass  ^iele  an  der  sogenannten  Choleraangst 
litten   uud   durch  Arzneien,    durch  Präservative,    selbst   durch  Araulete   sielt 
tu  schätzen  suchten,   wodurch   indessen  der  Feind   sich  weniger,    als  durch 
«ine  güie  Diät  abwehi'eu  liess.  —    Da  die  Cholera  vorzüglich  unter  der  är- 
TTiern  Völksclasse  wüthete,    so  gesellten  sich   die  Noth    und   der  Mangel    an 
Pfle'^e  ,iJWartung  und  Lebensbedürfnissen  noch  zu  jenen  Leiden.     Doch  die 
Besie'i'ung  dieses  zweiten  Feindes  stand  mehr  in  menschlicher  Macht  als  die 
des  ersten.     Rostocks    edle  Mitbürger,    denen   das  Schicksal    mehr    zeitliche 
Güter  als  andern  geschenkt,  —  sie  waren  es  nicht  allein,  die  es  durch  die 
That  bewiesen,    wie  herrlich,   gross  und  schön  der  fromme  Sinn    der  Men- 
•schenliebe   und   des  Wohlthuns   in  der   Zeit   der  Noth   die  Herzen    beseele; 
a\ich  die  minder  Begüterten    blieben    nicht  zurück ;    sie  legten    nach  Kräften 
ihr  Scherflein  auf  den  Altar  der  Wohlthätigkeit,  auf  welchen  der  edle  Lan- 
desfürstj    Friedrich    Franz,    ohnlängst  eine  ansehnliche  Summe   für  un- 
sere Nothleidenden  deponirt  hatte.     So  standen  denn  in  wenig  Tagen  schon 
über    2000  Thaler   zur  Disposition   der  unermüdet  thätigen,    fürs  Wohl   der 
Rostocker  aufs  Beste  sorgenden  Stadtcommisüion,  welche  von  unserm  geach- 
teten Bärgermeister ,   Herrn  Dr.  Smiiter,    mit'  Umsicht  dirigirt  worden,  und 
es  ward  ihr"  möglich,  den  hülfsbedürftigen  Cholcrakranken ,  die  lieber  ih  ei- 
gener Wohnung  als  im  Spitale  behandelt  zu  werden  wünschten,  nicht  allein 
•eine«  Arzt,    einen  Krankenwärter  und   die  Arznei    gratis,    sondern  auch  die 
hflthigen   Lebensbedürfnisse ,    vorzüglich    Rothwein,    Reis,    Sago,    Zucker, 
Fleisch  ü.  s.  w.  in  natura  verabfolgen  zu  lassen.     Die  Ärzte  hielten  ausser- 
'dem  a'bwfechselnd  Wachö,   jede  Nacht  zwei,   in  einem  Locale  des  Rathhau- 
ses,  vor  welchem  mit  Pferden  bespannte  Wagen  standen,    um  den  plötzlich 
'Övkranktfen  sogleich  bestehen  zu  können.  — '-  Gegen  das  Ende  des  Septera- 
^börs   riahiu    die    Cholera   schon   sehr   ab,    und  in    der    Mitte  Octobers   ver- 
schwand   sie  völlig  und    So  spurlos,    da.ss  wir  bis   jetzt,    also  vom  October 
1832   bis"  September  1835 ,    nicht   das   Geringste    daA'on   wieder   in   Rostock 
'^hrg^Bommen   haben.      Doch  hat    die  Seuche    11  Wochen   hier    geherrscht 
'und  in  dieser  kurzen  Zeit  fast  eben  so  A'iele  Menschen  weggerafft,  als  hier 
nach  mittler  Schätzung  sonst  wol  in  9  Monaten  zu  sterben  pflegen.  —  Der 
Gang,  die  Verbreitung,  die  Zu-  und  Abnahme  der  Epidemie,  das  Yerhält- 
■  niss- der  Zahl  der  Genesenen   zu  der  der  Gestorbenen,    die  Gelegenheitsur- 
' Sachen  ,  welche  ■  die  Krankhfeit  begünstigten ,  die  diätetischen  Mittel ,   welche 
ärti  sichersten  schützten,  -^  alle  diese  Dinge,  die  aus  der  Unzahl  d^r  Cho- 
lerftschi-iften   zu  bekannt    sind,    als  dass    sie  hier   näher   erörtert   zu  werden 
' yteitlient^iti,'  waren, hier  ebten  so  Und  ganz  dieselben,  wie  an  tausend  andern, 
'  Von  döf  Seuche   früher  und  später  heimgesuchten  Städten    \md  Ortschaften, 
'tiHd  das  Resultat  bleibt:  dass  dem  Wesentlichen  nach,  und  abgese- 
"K^iV. von  der  verschiedenen  Localität  und  Lebensweise^  von  Jahreszeit,  Kfi- 
'fi»a'  und  Witterung ,  welthe  auch  bei  jeder  andern,  sowol  miasmatischen  als 
■cohtfigiösen,    Seuche   Mödificatibnen    mancherlei  .\rt   hervorbringen    können, 
'  dtfl 'asiatiiSehe  C  ho  lera   si  ch  allenthalben    so  ziemlich   gleich 
gtefclieben,    dieselbe  Bösartigkeit  gezeigt,  und  allenthalben, 
wö'sie  hingekommen,  Furcht -und  Schrecken  verbreitet  habe. 
'■Iit  der' Umgegend  Rostocks    hat  dieselbe  nicht  geherrscht,    nur  das  an  dem 
•WalriVo'W'fluSse  hart  gojegene  Dorf  Kessln,  eine  halbe  Stunde  von  hier  ent- 
'feriVf,   hiftcht  davon  eine  Ausnahme;   denn    hier  sind  mehrere  Erkrankungen 
wAÄ'  Todesfalle    vorgekommeii.    '  Merkwürdig  ists,    dass    die    Cholera   niclit 
'  iiteckf  in  andern ,    hart  aii' diesem  Strome   oder,  in  seinem  Flus.sbette   liegen- 
<lett"Dörfern    sich  gezeigt  hat-,   und    ich  vermuthe,    dass  nur  Kessln   deshalb 
"Voh'ihr   heimgesucht   Worden ,    w«il    die.ses  Dorf-  auf  den  Ruinen   einer  vor 
ni<dhrefeh'</ahrhwidert>eh«ei'stöii*ten  grossen  Stadt  aufgebauet  worden  ist;  so 


CHOLERA 


405 


wie  wir  denn  die  Thatsache,  dass  vorzng$wölse  nur  die  grSssten,  grassern 
und  mittlem,  zuatal  alten  Stadt«,  von  der.  Seuche,  laut  der  Eclahrung, 
am  heftigsten  heimgesucht  werden ,  dahin  deuten ,  dass  hier  na<;htheilige 
Exhalationen  des  Bodens,  der  aus  Schutt  und  verwesten  animalischen  und 
vegetabilischen  Substanzen  mehr  als  anderswo  besteht,  gleich  der  ^ria  cat- 
tiva  in  Rom,  von  bedeutendem  Einflüsse  auf  die  eigenthümliche  Wande- 
rung und  Verbreitung  der  Cholera  sind,  wobei  denn  die  vielen  st^ttgefun- 
■den«»- Erdbeben  ,  Erdersehütterungcn ,  die  sich  oft  gleichzeitig  über  ganze 
Welttheiie  erstrecken  und  während  des  Jahrs  1817  häufiger  als  sonst  beob- 
^cht^t  wurden,  indem  sie  das  Erdreich  locker  machen'  und  jenen ;Exhala- 
tionen  Ausgang  verschaffen,  niit  von  Einfluss  sind  (s.  Nolie,  Die  groäsÄU 
und  merkwürdigen  kosm.- tellur.  Erscheinungen  im  Luftkreise  unserer  Erde 
in  Folge  SOjähr.  Beobachtungen ,  auch  in  Beziehung  zu  der  im  Laufe  der 
neuern  Zeit  herrschenden  -  orientalischen  Cholera  dargestellt  und -beurtheilt. 
Hannover,  18S1).  ► 

Folgende  Notizen  und  Bemej'kungen  theile  Ich  hier  sowol  über  die 
Rostocker  Choleraepidemie  im  Aligemeinen ,  als  <Hber  die  Natiur  und  Heilung 
der  Krankheit  nach  eigenen  Erfahrungen  mit: 

I.  '  Die  engen  und  niedrig  liegenden ,  anch  mit  Menschen  überf511tei> 
Strassen  wurden  am  meisten  heimgesucht,  als:  die  Badstiiber-,  Grapengies- 
iser-,  Fischer-,  Himmelfahrts -  und  Baustrasse,  die  Kuhstrasse,  die  Strand- 

'strassen  nahe  au  der  Warnow,  die  Wohnungen  an  einem  die  Alt-  und 
Mittelstadt  trennenden  Wassercanale,  die  Grube  genannt,  die  harte  Strasse, 
die  Fischbank,  der  Fischerbruch,  die  Molkenstrasse,  die  grosse  und  kleines 
Lastadie,  das  Sperlingsnest.  Dass  aber  auch  hoch---  und  freiliegende  Stras^ 
sen  und  Plätze ,    die  keinesweges  nahe   em  Wasser   liegen    oder  dumpf  und 

Ifeücht  sind,  nicht  veischörtt  blieben,  bewiesen  dfe' in  der  LangenstPa'sSe, 
am  Beguinenberge  und  am  alten  Markte  vorgekommenen  Erkrankungen. 
Dasselbe  beobachtet©  J.  H.  L.  Sachse  jun.  in  Halle.  Er  sagt  in  seiner  Dji- 
sertation  (De  Cholem  morbo    observat.  nonnullae.     Rostock,  1831),-^p. jl8: 

«^iHon  sphuii  enim  in  regionibus  versatur  (sc.  Cholera)  paludosis,6e3  eliaii» 
in'aridil,  siccis,'  arenosis  grassatür  loci»;  non  sohun  cöelo  raiti,  claro,*sfc- 
'reno,    s|d  etiam' tempestate  tristiv  pluvia,    türbalenta  Cholera  vidit^- «ftiera 

■•'possit  superare ;  etc."  's  '■  ■■:  .     I     ^'    j  ''" 

^' .      iL     Die  Zahl  der  Erkraiikteifi,    Genesenen  und  Gestorbenen  wird  ^ach 

f^der  Wochenzahl  die  unten  folgende  Tabelle,  die  anch  noch  einige  anä(k;e 
Städte   mit   einschliesst ,    näher   bezeichnen.      Unter  den  396  in  Rostock;   an 

(der  Cholera  Verstorbenen,  welche  sämmtlich  7  Fuss  tief  und  auf  einem! ab- 
gesonderten Platze  unser»  neu  angelegten,    schönen?  Friedhofs,   und  zwar  in 

der  Nacht,  beerdigt,  worden  sind,  zählte  man  "j   ,1  '  5 

i    '       '     '     1  *  * 

1)  Kinder  von  Ibis  15  Jahren:  männliche  33,  weibliche  31,  zu|am.  ^64 

2)  Unverehelichte  über  15  Jahre:     —         46,        —        84,      --^-  ;80 

3)  Verwittwete:  —  21,-    jj-^i'      64,       —  -85 

4)  Verheirathete:  —  99,— |^'       68,       —  167^ 

Summa:  mämilich  199,  weiblich  19?,  zusam.  S96. 

Von  den  Verstorbenen  waren  zu  rechnen: 

1)  zum  Gewerbestande:  männl.  89,  weibl.  79,  zusain. 

2)  zu  den  Arbeitsleuten  J  — 

3)  zu  den  Dienstmädchen  u.  Dienstknechten:  — 

4)  zu  den  Matrosen :  — 

5)  zu  d.  Handwerksgesellen  u.  Lehrburschen :  — 

6)  i^um  Kaufmannsstander  — 

7)  zum  Gelehrtenstande:  — 

8)  zum  Militair:  '  — 


51, 

—    86, 

1, 

_-    24, 

20, 

20, 

•. —     -— 

4, 

-      3, 

1, 

-      5, 

3'. 

.  -*    — 

16^ 

i47 

25 

2Ö 

20 

7 

6 

S 


Suirana :  männl.  199,  wclbl.  197,  iw^m.  396, 


406 


CHOLERA 


Nach  dem  Alter  waren  dio  Verstorben: 

1)  Ton  1  bis   15  Jahren:  männlich  33,  weiblich  '51,  znsam. 

2)  —  15  —  30      —  —        33,      —         Sl,     — 


5)  _  SO  ~  50      — 

4)  _  50  —  70      — 

5)  _  70  _  80       _ 

6)  über  80  Jahre : 


67,  - 

48,  _ 

12,  - 

1.  — 


45, 

62,  - 

24,  — 

4.  _ 


64 

69 

112 

110 

36 

5 


..  ,  Summa:  miinnlich  1^9,     weibl.   197,  zusam.  3^6. 

• '  Im  Cholerahospital  wurden  im  Ganzen  unr  140  Kranke  behandelt  (dem 
Viele  fürchteten,  sich  dahin  bringen  zu  lassen),  nämlich: 

1)  männliche  84,  davon  genesen  38,  gestorben  46 

2)  weibliche    56.     —  —       27,         —        29 

Summa:    140,       genesen  65,  gestorben  75. 

Dieser  officielle  Bericht  irft  am  14.  October  von  der  Stadtcommission 
wegen  der  Cholera  in  Nr.  33  der  Rostocker  Zeitung  vom  Jahre  1832  pu- 
bliciit,  und  zugleich  bemerkt  worden,  dass  schon  am  13.  October  die  Cho- 
lera erloschen  und  die  Stadt  als  völlig  rein  und  luiverdächtig  angesehen 
^cä-den  könne. 

ni.  Interessant  »t  es,  das  Verhältniss  zwischen  den'  an  der  Cholera 
Erkrankten  und  Verstorbenen  nach  der  Wochenzahl  von  mehreren  Städten 
ver-schiedener  Grösse  und  Bevölkerung  näher  kennen  zu  lernen ;  daher  ich 
hier  folgende  Tabelle ,  abgefasst  nach  genauen  officiellen  Nachrichten,  worin 
auch  Rostock  begriffen  ist,  mittheile: 


o 

■g 

Pcters- 

Moskau 

Berlin 

Ham- 

"Wien 

Prag 

Lübeck 

Rostock 

bu 

n 

O 

burg 

M  n 

n 

m 

w 

M 

FT 

m 

iT 

ä:oi 

96 

2i:5 

97 

64 

o6 

34 

19 

765 

j03 

"T 

"6 

2 

2 

24 

"Ti 

2. 

1979 

838  (.„^p. 

1772  r"^^ 

508 

163 

107 

178 

88 

442 

153 

25 

9 

2 

1 

8 

7 

3. 

3492 

336 

162 

269 

138 

391 

200 

69 

31 

10 

6 

34 

21 

4. 

1655 

884 

1395 

^77 

ti? 

153 

152 

91 

509 

274 

379 

144 

61 

41 

128 

73 

5. 

659 

426 

1069 

^17 

249 

175 

108 

49 

434 

226 

461 

244 

311 

180 

200 

97 

6. 

302 

217 

650 

394 

251 

195 

52 

32 

339 

228 

272 

142 

224 

138 

119 

75 

7. 

165 

91 

594 

304 

271 

164 

55 

25 

326 

185 

340 

126 

130 

64 

65 

57 

8. 

80 

52 

430 

203 

239 

(48 

26 

13 

281 

126 

367 

158 

172 

89 

36 

20 

9. 

99 

40 

213 

95 

135 

104 

15 

8 

— 

— 

338 

149 

225 

108 

36 

21 

10. 

84 

36 

144 

61 

141 

84 

7 

7 

— 

— 

445 

134 

— 

— 

17 

10 

11. 

41 

29 

107 

75 

64 

49 

5 

2 

— 

— 

249 

106 

— 

— 

13 

2 

Iß. 

30 

10 

90 

59 

36 

25 

12 

5 

— 

— 

234 

67 

— 

— 

— 

— 

13. 

18 

9 

88 

57 

22 

11 

12 

4 

— 

— 

112 

42 



— 

— 



14. 

— 

— 

101 

65 

— 

— 

6 

7 



__ 

86 

33 

___ 







15. 

— 

— 

89 

63 

— 

— 

7 

3 

— 

— 

— 

— 

— 

-• 

— 

— 

Anmerkung  zu  vorstehender  Tabelle.  Nur  die  erste  Cho- 
Veraepidemie  ist  hier  bei  jenen  Städten,  wo  die  Krankheit  öfter  aufgetreten, 
e.  B.  Wien,  Moskau,  Berlin,  Hamburg,  angemerkt.  Die  Liste  der  Erkrank- 
ten und  Gestorbenen  beschränkt  sich  fast  durchgängig  aufs  Jahr  1831 ,  mit 
Ausnahme  von  Lübeck  und  Rostock.  Zu  Hamburg  zeigte  sich ,  wie  die 
Tabelle  lehrt,  die  Cholera  im  Jahr  1831  nur  gelind  in  Hinsicht  ihrer  Aua- 
breitung ,  weit  stärker,  hen-schte  sie  daselbst  in  den  Monaten  Juni  bis 
September  1832,  wo  über  8000  Menschen  daran  gestorben  seyn  sollen; 
doch  fehlen  alle  officielle  Nachrichten.  Was  die  Bevölkerung  der  angeführ- 
ten Städte  im  Jahr  1831  betrifTt,  so  zählt,  nach  Cmmahkk's  Geographie, 
13.  Auflage,  1832: 


CHOLERA 

Petersburg  446,895  Seelen, 

Moskau 

246,545 

-    ( 

wozu  zurWint 

Berlin 

236,803 

Hamburg 

125,000 

— 

Wien 

276,584 

— 

Prag 

117,000 

— 

Lübeck 

25,000 

— 

Rostock 

19,024 

— 

407 


Summa:  1,493,851. 
Von  dieser  Gesammtbev51kerung  von  noch  nicht  1'/,  Millionen  sind,  wie  Ate 
Tabelle  zeigt,  in  nicht  vollen  2  Jahren  an  20,000  Mensqhen  durch  die  Cho- 
lera dem  Tode  geopfert  worden! 

IV.  Meine  eigenen  Beobachtungen  und  Erfahrungen  über 
die  asiatische  Cholera,  gezogen  aus  der  Rostocker  Epidemie,  will 
ich  hier,  sowol  was  die  Krankheit,  als  deren  Behandlung  betrifft,  in  der 
Kürze  mittheilen.  Es  war  am  5.  August  1832,  als  ich  den  ersten  echten 
Cholerakranken  in  eigene  Behandlung  bekam,  nachdem  ich  schon  früher 
mehrere  ähnliche ,  von  andern  Ärzten  behandelte  Kranke  hieselbst  in  Augen- 
schein genommen  hatte.  Bei  meinem  Nachbar,  dem  Nachtwächter  Brücker 
in  der  Badstüberstrasse ,  fand  ich  alle  Zeichen  der  exquisiten  Cholera.  Er 
hatte  schon  mehrere  Tage  an  Diarrhöe  gelitten,  die  aber,  sowie  auch  das 
Erbrechen  seit  der  letzten  Nacht,  wo  die  schlimmen,  unten  unter  Cholera 
exquisita  näher  bezeichneten  Zufälle  aufgetreten  waren,  aufgehört  hatte. 
Ich  gab  ihm  zuerst  ein  Vomitiv,  worauf  nur  einmaliges  Erbrechen  eintrat, 
obgleich  es  aus  einer  ganzen  Drachme  Ipecacuanhawurzel  bestand,  und  ein 
paar  Stunden  Erleichterung  folgte.  Er  bekam  dann  Wismuth,  Arnika,  und 
trank  viel  kaltes  Wasser ;  doch  verschlimmerte  sich  der  Zustand  gegen 
Abend  iixuncr  mehr,  und  Nachts  2^1-r,  Uhr  tr?it  der  Tod  ein.  Schon  dieser 
erste  Krankheitsfall  überzeugte  mich  von  der  anerkannten  Wahrheit,  das» 
es  Fälle  von  Cholera  giebt,  oder  nur  hohe  Grade  derselben,  wogegen 
menschliche  Hülfe  nichts  vermag,  und  dass  ein  Zeitverlust  von  w^nigei| 
Stunden  (ich  wurde  erst  des  Morgens  7  Uhr  verlangt,  obgleich  schon 
Abends  6  Uhr  Gliederkälte  und  blaue  Hautfarbe  sich  eingestellt  hatten), 
wo  die  noch  in  der  Bildung  begriffene  Krankheit  vielleicht  noch  durch  gute 
Mittel  hätte  bekämpft  werden  können ,  oft  schon  hinreicht ,  die  Fruchtlosig- 
keit selbst  der  besten  Gegenmittel  keiuien  zu  lernen.  In  demselben  Hause 
starb  zwei  Tage  später  ein  abgelebter  Greis  an  der  Cholera  apoplektisch 
binnen  einer  Stunde,  und  eine  alte  Frau,  welche  gleichfalls  ergriffen  wurde, 
binnen  4  Stunden.  Sie  verschied  auf  der  Tragbahre,  die  sie  zum  Cholera- 
spitale  bringen  sollte.  —  Am  8.  August  bekam  ich  die  Wittwe  des  an  der 
Cholera  kürzlich  verstorbenen  Arbeitsmannes  Meineck  nebst  ihren  drei  Kin- 
dern mit  derselben  Krankheit  in  die  Cur.  Herr  Hofmedicus  Wittstock,  der 
gleichfalls  die  Kranken  besuchte,  genehmigte  meine  aus  Magister,  bismuthi 
und  etwas  Opium  bestehende  Verordnung.  Da  indessen  die  Kranken  die 
Pulver  mit  Widerwillen  nahmen,  sie  sogleich  wieder  ausbrachen  und  sich 
augenscheinlich  darnach  verschlimmerten ,  so  liess  ich  sie  aussetzen  und  ver- 
ordnete ihnen  sämmtlich  I^  Tinct.  macid. ,  —  vaiiillae  ana  5^ ,  Tinct.  aro- 
iiud.  3Ji^.  S.  Halbstündlich  SO  —  40  Tropfen;  darneben  etwas  Wein,  und 
warme  Umschläge  von  Franzbranntwein  auf  den  Unterleib.  Die  Kranken 
besserten  sich;  sie  purgirten  und  erbrachen  zwar  noch  mehrere  Tage  hin- 
durch ,  doch  mässigten  sich  die  Ausleerungen  und  wurden  gallig.  Sämmt- 
liche  Kranke  tranken  fleissig  kaltes  Wasser  in  kleinen  Portionen,  auch 
schwarzen  Kaffee  mit  etwas  Rum,  wozu  sie  Appetit  bekamen,  und  ich  hatte 
die  Freude ,  die  drei  Jüngern  Patienten  als  Genesene  anmelden  zu  können. 
Die  Mutter  starb  leider!  nach  14  Tagen  am  Typhus,  der  trotz  den  Bemü- 
hungen meines  verehrten  Collegen,  des  Herrn  Hofmed.  Wittstoch  (ich  war 
damals  selbst  krank),  den  Tod  herbeiführte.  —  Schon  diese  geringen  Er- 
fahrxu^geji  überzeugten  wich,  d«s»  mm  «Üe  Ausleerungen  bei  der  asiatischen 


408  CHOLERA 

Cholera  nicht  unbedachtsam  stopfen  dürfe,  und  dass  sie,  wie  auch  mehrere 
Autoren  richtig  bemei^t  haben ,  oft  als  kritisch  angesehen  -werden  müssen; 
denn  in  den  Fällen,  wo  sie  mehrere  Tage  raässig  anhielten  und  wieder  gal- 
lig wurden,  erfolgte  Genesung,  und  in  denjenigen,  wo  sie  von  selbst  oder 
durch  ärztliche  Mittel  plötzlich  sistirten,  sah  ich,  wenn  ein  Vomitiv  nichts 
mehr  fruchtete ,  aUe  Zufälle  sich  verschlimmern  und  den  Tod  eintreten. 
Von  dieser  Zeit  an  habe  ich  in  der  wirklichen,  d.  h.  asiatischen  Cholera, 
kein  Opium  fernerhin  verordnet,  was  aus  allen  von  mir  in  die  Apotheke  ge- 
sandten Recepten  für  Cliolerakranke  aus  jener  Zeit  hervorgeht.  Meine  Heil- 
mittel blieben:  in  leichtern  Fällen  die  oben  genanuten  Gewürztropfen,  mit 
etwas  Rum,  Madeira,  oder  Portwein  genommen;  auch  verordnete  ich  war- 
men Rothwem  mit  Zimmt,  starken,  schwarzen,  warmen  Kaffee  mit  Rum; 
dabei  Wärmflaschen,  Bedecken  mit  Betten  und  Vermeidung  jeder  Entblöa- 
sung ,  damit  das  Stadium  der  Kälte  bald  vorübergehe ,  und  allgemeine 
Wärme  und  Schweiss  folgen.  '  Reibungen  des  Körpers,  Dampf-  und  Was- 
serbäder wandte  ich,  weil  sie  schlecht  bekamen,  nicht  an.  Denn  die  grosse 
Ermattung  des  Kranken  erföhl(?i-t  Ruhe,  die  nothwendigen  Entblössungen 
beim  Reiben,  Baden  sind  sdiadlich,  und  obendrein  befördert  die  äusserliche 
Wärme  wol  Evaporation,  aber  nicht  Transspira.tjon ,  auf  welche  es  als  le- 
bendigen Act  der  wieder  gehobenen  Lebenskraft  ja  allein  ankommt.  Auch 
bin  ich  der  Meinung ,  dass  durch  das  Transportiren  der  Cholerakranken 
zum  Hospitale  und  duich  die  dabei  stattfindende  Bewegung  mancher  Kranke 
zum  Tode  befördert  worden  ist.  —  Waren  die  Wadenkrämpfe  bedeutend, 
so  liess  ich  alle  V4  Stunde  unter  der  Bettdecke  eine  Mischung  aus  gleichen 
Theilen  Ol.  terebinth. ,  Linim.  volat.  camphor.  und  Spirit.  sal.  ammon.  caust., 
mit  grossem  Nutzen  in  die  Waden  und  Schenkel  reiben.  —  Der  so  sehr  ge~ 
rühmte,  von  Leo  in  Warschau  zuerst  angepriesene  Wismuth  hat  sich  ba 
uns  und  auch  an  vielen  andern  Orten  oft  als  unwirksam  bewiesen.  In  den 
höhern  Graden  der  Krankheit  blieb  der  kaustische  Salmiakgeist,  alle 
6  —  10  Minuten  zu  15  —  30  Tropfen,  in  einer  Obertasse  kalten  Wassers 
gereicht,  stets  das  Hauptmittel.  Er  ist  die  wahre  Anchora  sacra  in  der 
Cholera,  und  ich  habe,  kräftig  und  schnell  genug  hinter  einander  ihn  ge- 
reicht ,  Wunder  davon  gesehen ;  nur  muss  er  rein  mit  Wasser  (nicht ,  wie 
es  einige  hiesige  Ärzte  machten,  mit  Syrup  oder  Schleim  vermischt,  wo- 
cjurch  er  sich  zersetzt)  gereicht  werden.  Ich  war  übrigens  der  erste  Arzt, 
der  ihn  in  Rostock  gegen  die  Cholera  anwandte ;  und  die  Leblosigkeit  der 
ICranken,  die  blaue  Hautfarbe,  die  Angst,  die  grosse  Pneumatosis  intesti- 
nalis, die  Kälte  der  Glieder  schien  ihn  besonders  zu  indiciren.  Zarten  Kin- 
dern und  Frauen  reichte  ich  meist  folgende  Mischung:  ^f  Liq.  c,  c.  succ, 
Liq.  anodyni  ana  5jjj  ?  Tinct.  arotnat.  5JJ.  S.  Alle  5 — 10  Minuten  25 — 40 
Tropfen,  und  so  lange,  bis  allgemeine  Körperwärme  erfolgt.  Trat  diese 
ein,  bemerkte  man  allgemeinen  warmen  Schweiss,  Gesichtsröthe,  wieder- 
kehrenden Turgor  vitalis.  Verschwinden  der  Haatrunzel-n  an  den  Händen, 
ward  der  Puls  wieder  fühlbar,  voller,  freier,  dann  setzte  ich  alle  diese  be- 
lebenden gewürzhaften,  nervinen  Mittel  bei  Seite,  und  nun  ^vurde  das 
kalte  Quell-  oder  Brunnenwasser,  alle  8  —  5  Minuten  zu  4  —  8 
Unzen ,  als  Hauptmittel,  nebenher  auch  wol  eine  Potio  Riverii  mit  Aq. 
rub.  idaeS,  angewandt.  Diesem  Umstände,  dem  Aussetzen  aller  reizenden 
Arznei  und  dem  Genüsse  des  frischen  Quellwassers ,  schreibe  ich  es  zu ,  dass 
in  Folge  der  Blutcongestionen  zum  Kopfe  keine  typhöse  Zustände  bei  mei*- 
nen  Cholcrakranken  als  Nachkrankheit  auftraten.  Alle  meine  Cholerakran- 
ken, selbst  die,  welche  es  in  gesunden  Tagen  gescheuet,  tranken  Wasser 
mit  grosser  Begierde,  und  ich  sorgte  dafür,  dass  es  immer  frisch  und  aus 
einem  guten  Brunnen  geschöpft  wurde.  Es  beruhigte,  kühlte,  benahm  das 
Angstgefühl  und  beförderte  die  unterdrückt  gewesene  Harnabsonderung.  Zu 
grosse  Quantitäten,  auf  einmal  getrunken,  wurden  meist  weder  ausgebro- 
chen ;  ja  manche  Kranke  durften  pro  dosi  nur  ein  paar  Schluck  nehmen, 
wenn  kein  Erbrechen  folgen  sollte.  Diesen  bekamen  die  Eispillen,  von 
der  Grösse  einer  kleinen  Wallnusa  alle    10  Minuten  gereicht,    ganz  beson- 


CHOLEM  4m 

ders  gut.  Wie  sehr  es  bei  einer  so  schnell  tßdtenden  Krankheft  auf  gehS^* 
rige  Benutzung  der  Zeit  und  auf  öfteres  Reichen  der  Gegenmittel  ankommt, 
ist  einleuchtend ,  und  nicht  oline  Tadel  sah  ich ,  dass  einzelne  Ärzte -Mixtu- 
jen  mit  der  Signatur:  „Alle  2  Stunden  1  Esslöffel  voll"  schlendrianmässigv 
verordneten ,  der  Kranke  aber  kaum  den  sechsten  Theil  der  Arznei  verbrau-' 
dien  konnte,  weil  der  Tod  ihm  daran  hinderlich  war,  —  Zeigte  sich^  was 
meist  erst  am  zweiten,  dritten  Tage  nach  dem  Insult  der  Fall  war^  Appe- 
tit zu  Wein,  Kaffee,  Bouillon  von  Hühnern,  Tauben,  Kalbfleisch,  so  er-' 
laubte  ich  dieses,  und  i-ichtete  überhaupt  mein  Heilverfahren  in  diätetischear 
und  pharmaceutlscher  Hinsicht,  was  stets  bei  allen,  zumal  neu  auftretenden' 
Seuchen  zu  beherzigen  ist,  nach  dem  Instincte  der  Kranken  und  der  Eu- 
phorie der  Mittel.  Feste  Speisen:  Fleisch,  Kartoffeln,  Brot,  Mehlspeisen' 
bekamen  erst  gut,  nachdem  mehrere  Tage  verflossen  waren.  Sehr  ange-^ 
griffene  Patienten  '  tranken  mit  grossem  Nutzen  alle  2  Stunden  eine  Tasse 
Kalbfleischbrühe,  mit  Gewürz  und  Eigelb,  warm  gereicht,  auch  abwech- 
selnd etwas  Madeirawein.  Innerlich  erhielten  sie  Chinin,  sulphuric.  1  Grany 
Pulv.  aromat.  6  Gran,  4mal  täglich,  auch  einigeinal  täglich  Tinct.  chinäe- 
compos.  und  Tinct.  aromat.  ana,  zu  40  —  80  Tropfen  mit  Wein.  Dieses! 
war  und  blieb  bis  zu  Ende  der  Epidemie  meine  einfache  unveränderte  B©^ 
handlang,  wobei  ich  verhältnissmässig  sehr  glücklich  war,  wie  ich  <iieses 
mit  einer  Menge  Krankheitsgeschichten  belegen  könnte,  wenn  ich  dies» 
nicht  der  Kürze  wegen'  hier  übergehen  müsste.  Auch  mich  selbst  habe  ich 
bei  einem  bedeutenden  Anfalle  von  Cholera  nicht  anders  behandelt-;  -Diesten' 
mich  selbst  betreffenden  Fall  von  Cholera  werde  ich  unten  ausführlich  mit- 
tlieilen.  —  (,, Siehe  auch  Allgem.  medlc.  Zeitung,"  April  18SS,  Nr.  S3). 
Vom  5.  August  bis  zum  S.  October  1832  behandelte  ich  laut  meinem  Tage*' 
buche  auf  die  angegebene  Weise  ' 

a)  mit  Cholera  asiat.  incipiens  49  Personen,  genesen  45,  gestorben     4     ' 

b)  mit  Cholera  asiat.  exquisita  : 
&eu  paralytica    58        —              —      36,         —         22 

♦  Summa:  107         —  —       sT,        •—         iö. 

Unter  den  Verstorbenen  befanden  sich  2  Kranke,  welche  meine  Hülfe  erst' 
1  Stunde,  5,  welche  sie  3  Stunden,  7,  welche  sie  4  Stunden  vor  dem> 
Tode  in  Anspruch  nahmen ,  und  12  und  mehrere  Stunden  blau ,  kalt  und 
ohne  Arzt  geblieben  waren.  Ausserdem  starben  mir  noch  zwei  Neugeborne, 
resp.  2  und  3  Tage  alt,  in  dieser  Zeit  schnell  an  Trismus  und  Convulsio- 
nen ,  die  wahrscheinlich  auch  Folge  von  Choleraaffection  gewesen  sind ; 
denn  die  kleinen  Leichen  hatten  ganz  das  Ansehen  der  Choleraleichen,  und 
bei  dem  einen  Kinde  konnte  nachgewiesen  werden ,  dass  eine  Wärterin,J 
•welche  so  eben  von  Cholerakranken  gekommen,  dasselbe  kurz  vor  dem  Er- 
kranken auf  dem  Arme  getragen  hatte.  Auch  muss  ich  noch  bemerken, 
dass  ich  in  den  11  Wochen,  in  welcher  Zeit  hier  die  Cholera  herrschte, 
ungefähr  150  Personen  verschiedenen  Alters  xind  Geschlechts  mit  Pseudo- 
cholera in  die  Cur  bekommen  habe,  von  denen  aber  die  meisten  Vorzugs^ 
■weise  durch  gute  Diät,  Schwitzen  und  Tinct.  aromat.  wieder  hergestellt 
wurden. 

Diagnose  zwischen  der  wahren,  asiatischen,  und  der  Pseado- 

cholera. 

1)  Die  Pseudocholera,  falsche  Cholera,  ist  mir  die  gewöhn** 
liehe,  nicht  asiatische  Sommercholera,  welche  hier  im  August  und  Septem- 
ber öfters  herrscht,  wie  denn  dieses  ein  Jahr  vor  Ausbruch  der  asiatischen 
Cholera  besonders  stark  der  Fall  war,  und  sie  sich  auch  während  des  Herr- 
schens  der  letztern  im  hiesigen  Orte  vielfach  zeigte.  Sie  hat  die  gewöhnli- 
chen Zeichen  der  Cholera,  es  können  bei  ihr  im  höhern  Grade  kalte  Glie- 
der, Kriebeln  darin  und  farbenlose  Ausleerungen  stattfinden,  aber  nie  bil- 
det «ich  bei  ihr  die  von  Casper  zuerst  beobachtete  charakteristische  Haut- 
falte (s.  auch  Romberg  in  Cnsper^a  Wochenschrift  der  geaammten  Heilkunde^, 


410  CHOLERA 

1S33,  Nr.  84),  die  bei  ausgebildeter  Cholera  orientalLs  bemerkt  wird.  Diese 
von  mir  so  genannte  Pseudocholera,  von  Andern  Cholera  acstiua,  eiiropacn, 
sporadica,  Ch.  nostras  genannt,  ist  durchaus  nicht  Lösartig.  Es  litten  im 
Sommer  1831,  auch  1833  und  1834,  in  Rostock  über  500  Menschen  daran; 
die  meisten  gebrauchten  keinen  Arzt,  hielten  nur  gute  Diät,  tranken  warme, 
schleimige  Getränke,  etwas  Rothwein  mit  Muskatuuss ,  heiss  gemacht,  und 
genasen.  Viele  erhielten  vom  Arzte  einige  Tropfen  Opiumtinctur,  die  hier 
so  wirksam  ist,  und  sie  besserten  sich  gleichfalls  schnell.  Die  gute  Wir- 
kung des  Opiums  in  dieser  Pseudocholera  hat  viele  Ärzte,  indem  sie  letz- 
tere mit  der  asiatischen  Cholera  verwechelten,  zu  dem  grossen  Irrthume 
verleitet,  das  Opium  auch  als  Heilmittel  in  letzterer  anzusehen.  Namentlich 
führe  ich  hier  den  Dr.  Krüger- Hansen  in  Güstrow  an  (s.  dessen  Schrift: 
Opium  als  Heilmittel  in  der  Cholera.  Rostock,  1832),  der  sich  hier  im  Orte 
xur  Zeit  der  Choleraepidemie  einige  Wochen  aufhielt,  durch  Austheilung 
»einer  aus  Opium  bestehenden  Speclfica  die  Menschen  vor  der  Krankheit 
sowol  schützen,  als  sie  davon  heilen  wollte,  dessen  Curen  aber  einen  sehr 
ungünstigen  Erfolg  hatten,  so  dass  vor  dem  Austheilen  seiner  Specifica  das 
Publicum,  das  ohnehin  das  Vertrauen  zu  ihm  verloren,  von  Obrigkeitswe- 
gen öffentlich  gewarnt  werden  musste. 

2)  Die  wirkliche  asiatische  Cholera.  Selbst  schon  der  Laie 
sieht  es  ein,  dass  diese,  fehlten  auch  alle  andern  diagnostischen  Zeichen, 
schon  allein  durch  ihre  grosse  Bösartigkeit ,  durch  die  grosse  Zahl  der  Ster- 
befalle ,  von  der  gewöhnlichen  Sommercholera  unterschieden  werden  müsse. 
Diese  Cholera  folgt  allerdings,  ist  sie  im  Orte  herrschend,  leicht  auf  die 
Pseudocholera,  aber  nicht  deshalb,  weil  hier  grosse  Ähnlichkeit  stattfände, 
oder  sie  der  gelindeste  Grad  der  Chol,  asiat.  sey;  dies  ist,  das  Breqhen 
■and  Purgiren  abgerechnet,  gar  nicht  der  Fall;  —  sondern  weil  die  Auslee- 
rungen auf  gleiche  Weise  den  Körper  schwächen,  wie  dieses  heftige  Kör- 
f>er-  und  Geistesanstrengungen,  Indigestion,  Erkältung,  psychische  Schäd- 
ichkeiten ,  Ausschweifungen  in  Baccho  et  Venere,  Nachtwachen  u.  s.  w.  zu 
thun  pflegen,  wodurch  nur  die  Empfänglichkeit  und  Disposition  zu  der  asia- 
tischen Cholera  bedeutend  gesteigert  wird.  Da  nun  letztere,  herrscht  sie 
einmal  im  Orte,  aus  angegebenen  Gründen  leicht  auf  die  Pseudocholera,  wird 
diese  vernachlässigt,  folgt;  so  hat  dieser  Umstand  zahlreiche  Ärzte  zu  der 
irrigen  Ansicht  verleitet ,  dass  zu  den  charakteristischen  Vorboten  und 
Symptomen  der  Cholera  a.siatica  Durchfälle  gehörten ,  so  wie  denn  z.  B. 
Krüger  -  Hansen ,  selbst  noch  nachdem  er  in  Rostock  die  böse  Cholera  gese- 
hen, in  seiner  Einseitigkeit  behauptet,  dass,  wer  keine  Entleerungen  habe, 
auch  nicht  an  der  Cholera  leide,  und  dass  die  Rettung  von  der  frühesten 
Unterdrückung  der  Ausleerungen  abhänge  (s.  dessen  Brochure :  Praktische 
Erfahrungen  (?)  und  Bemerkungen  über  die  Cholera  in  Rostock,  1832; 
S.  19).  An  die  gute  Wirkung  der  Vomitive  bei  gehemmten  Ausleerungen 
in  der  Cholera  und  dadurch  gesteigerten  Zufallen  hat  er  hier  eben  so  we- 
nig gedacht,  als  daran,  dass  es,  laut  der  Erfahrung,  auch  eine  Cholera 
asiat.  sicca,  njwpleciica  gicbt,  welche  schnell  ohne  Ausleerungen  tödten 
kann,  wird  aber  frühe  Hülfe  in  Anwendung  gebracht,  auch  sehr  schnell 
Eur  Genesung  führt.  Ich  habe  in  unserer  Epidemie  mehrere  Fälle  der  Art 
beobachtet,  und  mein  eigner  Krankheitsfall  gehört  gewissermassen  h'.eher; 
60  wie  denn  auch  die  besten  Autoren  dieser  Cholera  sicca  gedenken  (s. 
JAchlenstädt :  Die  asiatische  Cholera  in  Russland,  S.Lieferung;  Berlin,  1831, 
S.  247,  258,  273.  —  Fr.  Eclsteim  Die  epidemische  Cholera,  beobachtet  in 
Pesth;  1831.  —  v.  Gräfe' s  u.  v.  WaUher's  Journal  d.  Chirurgie  u.  s.  w. 
Bd.  XVI.  Hft.  2,  3  und  4;  S.  644).  Rochoux,  ein  treuer  Beobachter  der 
Cholera  in  Pari«,  sagt  (s.  Archive«  g^nerales  de  M6dec.  T.  XXX.  Decbr. 
1832 ;  S.  441  und  443) ,  indem  er  mehrere  Fälle  der  Art  mit  schnell  folgen- 
dem Tode  mittheilt:  „Voilä  encoro  un  choleriquc  qui  a  ^t6  brusquement 
ittteint  de  sou  mal,  »ans  avoir  ^prouve  la  diarrh^e  antec^dente.  J'ai  pu  ob-' 
Server  un  assez  grand  nombre  de  cas  de  ce  geiure.  II  m'ont  paru  ötre  au 
ittoiiui  de  la  proportwa  d'un  k  troii,   relativement  h  ceux  qui  «ont  prec4de4i 


CHOLERA  ili 

de  diarrh^e."  Auch  in  Berlin  machte  diese  Cholera  sicca,  wobd  die  Am- 
leerungen  entweder  ganz  fehlten  oder  gering  vraren,  eine  Haaptfo^m  der 
echten  ausgebildeten  Cholera  aus  (s.  Hortis  Archiv,  1833,  Januar  tmd  Fe-> 
bruar,  S.  3). 

Constante,  charakteristische  Zeichen  der  asiatischen  Cho- 
lera sind ,  nach  den  Graden  oder  Stadien  und  meinen  Beobachtungen :  n)  bei 
Cholera  asint.  incipiens :  Zuerst  eigenthümlich  ziehende ,  reissende ,  prik- 
kelnde,  stechende  Schmerzen  in  den  Gliedern,  ähnlich  dem  knebelnden  Ge- 
fühl bei  Raphanie ,  eine  Art  Bingeschlafenseyn  und  Ameisenkriechen ,  wie 
bei  Typhus  versatiiis  FranVs,  welches  Gefiihl  periodisch,  fast  in  jeder  Mi- 
nute, besonders  bei  Bewegungen  des  Körpers  und  der  Seele,  bei  Tempera- 
turwechsel, nach  Entblössung  des  Körpers,  nach  dem  Aufheben  der  Bett- 
decke u.  s.  w.  eintritt:  öfteres  Frösteln,  überlaufende  Schauder,  abwech- 
selnd mit  Hitzegefühl,  oft  Hitze-  und  Frostgefühl  gleichzeitig;  Kollern  iw 
Leibe,  grosse  Neigung  zu  Ructus,  beschwerlicher  Abgang  der  Flatus,  Druck 
in  der  Herzgrube  und  um  den  Nabel,  aber  kein  eigentlicher  Schmerzi 
Gesicht  und  Hände  sehen  anfangs  blass,  später  geröthet  aus,  dabei  kalte^ 
klebrige  Schweisse.  Die  Schweisslöcher  auf  dem  Rücken  der  Hände  nnd 
an  den  Unterarmen  ersdieinen  grösser,  weil  der  vitale  Turgor  sich  vermin- 
dert ,  und  die  einzelnen  Härchen  der  Haut  an  den  Händen  und  Armen  zei- 
gen sich  aufgerichtet  und  struppig,  ganz  so  im  Kleinen,  wie  im  Grossen 
beim  Rückenhaar  des  Viehes,  das  an  der  Rindviehpest  leidet;  ausserdem 
grosse  Herzensangst,  schnelles  Sinken  der  Kräfte,  grosses  Verlangen  nach 
frischer  Luft  und  kaltem  Wasser ,  nach  Wein  und  belebenden  Mitteln.  Durch 
die  abgebenden  Ructus  wird  nicht  aliein  eine  schwefelartig  riechende  Gasart 
entfernt,  sondern  es  werden  durch  sie  auch  ohne  vorhergehende  Nansea 
Flüssigkeiten  nach  oben  entleert.  Doch  ist  das  Erbrechen,  wie  wir  schon 
bemerkt  haben,  eben  so  wie  die  Diarrhöe,  nicht  immer  constant ,  und  bei 
hohen  Graden  der  Krankheit  fehlen  beide  bald  vom  Anfange  an,  bald  con- 
stant am  Ende  (Cholera  sicca,  apoplectica,  Cholera  paralytica).  Sind  durch 
die  ersten  Ausleerungen  die  Contenta  des  Darmcanals  entleert,  so  werden 
die  Ausleerungen  weisslichgrau ,  mit  Flocken  untermischt,  gleich  dem  Reis- 
wasser, wie  dieses  vielfältig  als  constantes  Zeichen  in  den  Choleraschriften 
beschrieben  worden  ist.  Bemerkungswerth  war  es  mir,  dass  bei  Cholera 
asiat.  in  den  Darmausleerungen  nach  Unten  die  bekannten  Darmoercarien 
die  man  in  den  Faeces  der  Gesunden  stets  antrifft  (s.  Burdach's  Physiologie 
als  Erfahrangswissenschaft;  Bd.  I.  S.  92)  und  welche  ich  auch  bei  Diar- 
rhöen  Tind  Pseudocholera   durchs  Mikroskop   gefunden,    gänzlich   fehlen.  . 

Wird  nun  diese  in  der  Bildung  noch  begriffene  Cholera  nicht  bald  durch 
zweckmässige,  d.  h.  belebende,  erwärmende,  schweisstreibende  (nicht  sto- 
pfende ,  Congestion  zum  Kopfe  erregende  und  direct  oder  indirect  schwä- 
chende) Mittel  gehoben,  was  oft  schon  in  ein  paar  Stunden  erreicht  wer- 
den kann,  so  geht  sie  in  die  nächste  Form  über,  die  aber  auch  in  sehr 
schlimmen ,  Gottlob !  aber  seltenen  Fällen  augenblicklich  und  sogleich  mit 
dem  Atiftreten  der  Kr-ankheit  den  Menschen  ergreifen  kann.  6)  Cholera 
nsiatica  exquisita.  Sie  wird  im  höchsten  Grade  mit  Recht  Cholera  paraly- 
iica  genannt,  und  hat  folgende  Zeichen:  Marmorkälte  der  Glieder,  später 
auch  des  Gesichts  und  der  Zunge,  kalter  Athem,  bläuliche  Farbe  der 
Glieder  und  des  Gesichts,  bläulich  -  weiss  belegte  Zunge,  höchst  sparsame, 
später  ganz  unterdrückte  Harnabsonderung,  sehr  grosse  Herzensangst,  die 
anfangs  alle  2  bis  5  Minuten  mit  besonderer  Heftigkeit  periodisch  eintritt, 
später  dauernd  wird,  sehr  grosser  Durst,  grosse  Neigung  viel  kaltes  Was- 
ser zu  trinken,  Vox  cholerica,  trockne  Nase,  Stockschnupfen,  tiefliegende 
Augen,  Facies  Hippocratia,  typhöser  Blick,  eine  Art  Betäubung  mit  Be- 
wusstseyn,  Gleichgültigkeit  und  Apathie  gegen  Alles,  selbst  was  das  Le- 
ben und  den  Tod  betrifft ;  ^osser  Coilapsus  der  Cellulosa ,  daher  bedeu- 
tende Runzeln  auf  der  Haut  der  Finger  und  Hände,  Stehenbleiben  der 
durch  einen  Andern  am  Arme,  am  Halse  gebildeten  Hautfalten,  oft  eine 
ganze  Minute  lang,   oft  auf  Jängwe  Zeit;   vermindertes  oder  ganz  onter- 


412  CHOLERA 

äriickte*  Brechen  nnd  Purfr'iren;  kein  Schlaf,  keine  Ruhe,  daher  Mtfere^ 
Uraherwerfen  im  Bette;  Neignnf^,  im  Bette  nach  dem  Küssende  zu  rutschen; 
dabei  jene  eigenthümlichen,  dem  Hauptnerven  in  seinem  Laufe  folj^enden 
Gliedersclimerzen ,  ähiüich  der  Ischias  nervosa  Cotunni,  das  bei  Cholera  in-: 
dpiens  beschriebene ,  prickehide ,  stechende  Gefühl  in  der  Haut ,  Krämpfe 
in  den  Waden ,  seltener  in  den  Lenden  und  den  obern  Gliedern ,  häutig  in; 
den  Fingerspitzen,  welche  meist  ganz  taub  und  fiihllos  sind,  gleichsam  al* 
wären  sie  durch  eine  starke  Auflösung  von  Calx  muriatica  abgestumpft,  und 
flire  Haut  dick  und  dahier  fühllos  gemacht  (häufig  bleibt  dieses  stumpfe  Ge- 
fühl in  den  Fingern  iVoch  mehrere  Wochen  nach  überstandener  Krankheit' 
aurück,  so  dass  man  keine  Feder,  keine  Stecknadel  halten  kann);  endlich 
kalte,  klebrige  Schweisse,  zuweilen  auch  trockne,  höchst  ^^elke  Haut.. 
Der  Tod  erfolgt  meist  binnen  6 — ^^18  Stunden,  bei  allen  Leuten  wol  (ferst 
nach  mehreren  Tagen;  ihm  kurz  vorher  gehen  blande  Delirien  oder  Raserei. 
Der  Puls  ist  meist  gar  nicht  in  der  ausgebildeten  Cholera  zu  fühlen.  .  Gute 
Zeichen  sind:  \'>iederkehrendes  Wärmegefühl,  und  Hautturgor,  fühlbarer 
Puls,  verminderte  Angst,  allgemeiner  warmer,  duftender  Schweiss,  Ruhe, 
Schlaf  und  Appetit  zu  Kaffee,  Bouillon,  Wein,  wiederkehrendes  Erbrechten, 
daa  nun  gallig  wird ,  giallige  Diarrhöe  von  dunkler  Farbe,  i 

V.  Meine  Ansichten  über  die  Natur  und  Verbreitungsweise 
der  asiat.  Chol  er  a  habe  ich  anderswo  weitläufig  ausgesprochen  (s.  All- 
gemeine medicinische  Zeitung;  Mai,  1833,  Nr.  40,  41  u.  42).  Als  Resul- 
tate des  dort  Mitgetheilten  bemerke  ich ,  dass  ich  die  Cholera  asiat.  für  eine 
Entwickelungskrankheit  des  jetzt  lebenden  Menschengeschlechts,  die  das 
Nervenleben  bedeutend  angreift  und  das  Blut  vergiftet,  Krämpfe  erregt  und 
durch  Erschöpfung  der  Lebenskraft  schnell  tödtet,  halte,  dass  schädliche 
Exhalationen  der  Erde  und  dadurch  verunreinigte  Luft  an  ihrer  Entstehung 
und  Verbreitung  viel  schuld  seyn  mögen,  dass  aber  die  Contagiosität  des 
Übels  deswegen  doch  nicht  geleugnet  werden  könne,  —  dass  die  asiatische 
Cholera  keine  Febris  intermittens  perniciosa ,  wie  Einige  wollen ,  abgebe, 
indem  dieselbe  alle  Neigung  zu  Wechselfiebern  aufhebt,  oder  richtiger,,  die 
die  Cholera  begünstigenden ,  atmosphärischen  Einflüsse  dieser  Neigung  ent- 
gegengesetzt sind  (die  hier  seit  mehreren  Jahren  bedeutend  herrschend  ge- 
wesenen Intermittentes  hörten  einige  Wochen  vor  dem  Ausbruche  der  Ro- 
stocker Cholera  völlig  auf,  also  ungefähr  vom  ftlai  1832  an,  und  noch  bis 
jetzt  [Septbr.  1835]  gehören  sie  zu  den  seltenen  und  nur  sporadisch  erschei- 
nenden Krankheiten  unserer  Stadt  und  der  ganzen  Umgegend) ,  —  dass  für 
die  Contagiosität  der  Krankheit  die  triftigsten  Gründe  sprechen,  bei  uns 
Gottlob !  aber  die  Empfänglichkeit  für  dieselbe  so  gering  ist ,  dass  von  100 
Einwohnern  eines  Ortes  im  Durchschnitt  nur  4  zu  erkranken  pflegen ,  und 
endlich,  dass  die  gleichzeitig,  vor  oder  nach  Auftreten  der  asiatischen  Cho- 
lera bemerkte  Influenza  oder  Grippe,  welche  ja  gleichfalls  seit  4  Jah- 
ren ganze  Welttheile  durchwanderte,  in  einem  besondern,  noch  nicht  hin- 
reichend erforschten  Verhältnisse  zur  orientalischen  Cholera  stehe,  diese  In- 
fluenza aber  eben  sowol  durch  Erkältung  entsteht,  als  auch  durch  An- 
steckung sich  weiter  verbreitet. 

VI.  Die  zur  Erwärmung  des  Körpers  in  der  Cholera  empfohlenen 
Darapfapparate,  so  wie  auch,  wenigstens  bei  Cholera  exquisita,  das  Rei- 
ben, Bürsten,  Frottiren  der  Haut  und  die  warmen  Wasserbäder,  alle  diese 
Mittel  hat  die  Erfahrung  als  völlig  unnütz,  ja  selbst  als  schädlich  (indem 
sie  den  höchst  ermatteten  Kranken  theils  angreifen,  theils  leicht  erkälten) 
kennen  gelehrt.  Hätten  die  Ärzte  strenger  Evaporation  und  Trans- 
spiration  unterschieden,  so  würde  dies  schon  a  priori  eingesehen  worden 
seyn.  Erstere  ist  ein  rein  physischer  Vorgang,  der  auch  bei  Cholerakran- 
ken stattfindet,  ohne  dass  dieses  ein  Zeichen  der  Besserung  wäre.  Es  ist 
du  kalter  Dunst,  der  kalte«  Schweiss  bildet,  ein  Zeichen  tiefgesunkener 
Lebenskraft,  daher  bei  Sterbenden,  bei  Verblutungen,  Ohnmächten  n.  s.  w. 
<*en  so  gut,  wie  bei  der  Cholera  bemerkt  wird.  Dagegen  ist  die  Trans- 
spiratioii  die  Wirkung  der  lebendigen  Thätigkeit  des  Organismus.     Beide 


CHOLERA  413 

Arten  liehen  im  Antagoiilsmus ,  was  die  eine  vermindert,  vermehrt  die  an- 
dere, und  umgekehrt  (s.  Edivitrds  in  v.  Frori&iy's  Notizen;  Bd.  VII.  S.  273. 
Itecker's  Lit.  Annalen,  1827,  Septbr.).  Schon  Se</i«7i's  Versuche  (».  MeckcVa 
Archiv  für  Physiologie;  Bd.  VII.  S.  S59,  und  Bd.  III.  S.  S85)  hiitten  uns 
belehren  sollen,  wie  unnütz  und  obendrein  quälend  in  der  paralytischen 
Cholera  die  heissen  Dampfbäder  seyn  müssen.  Sie  beweisen,  dass  die  Aus- 
dünstung ganz  aufhört,  sowie  die  den  Körper  umgebende  Luftschicht  mit 
Feuchtigkeit  gesättigt  ist.  Weit  mehr  begünstigen  die  Transspiration  ala 
organische  Thätigkeit  alle  belebende  Arzneien:  feine  Weine,  Ammonium, 
erhitzende  Gewürze,  und  äusserlich  schnell  und  periodisch  angewandte  kalte 
Waschungen;  ein  Mittel,  dessen  grosse  Wirksamkeit  in  der  paralytischen 
Cholera  die  Erfahrung  hinlänglich  bestätigt  hat  (JJaspcr'y. 

VII.  Eini  constantes  Symptom  in  der  asiatischen  Cholera,  das  meist 
gleich  zu  Anfange  bemerkt  wird  und  nie  fehlt,  ist  die  merkwikdige ,  noch 
nicht  hinreichend  gewürdigte  Pneumatosis  intestinalis.  Wie  solche  Luftent- 
wiokelungen  im  Darmcanal  vor  sich  gehen,  darüber  fehlen  noch  genaue  Un- 
tersuchungen. NicM  ohne  Interesse  ist  daher  die  Beantwortung  der  Frage» 
Auf  welche  Weise  entwickeln  sich  in  der  Cholera  orientalis  die  Gasarten  im 
Darmcanal  ?  Welclie  .nachtheilige  Wirkungen  haben  sie ,  und  wie  wird  die- 
sen am  besten  vorgebeugt?.  Wenn  wir  bei  Krämpfen,  in  adynaraischen 
Fiebern,  bei  Febris' putrida,  bei  allen  Leiden  mit  darniederliegenden  Kräf- 
ten, bei  Kachexien  und  Dyskrasien  mit  bedeutender  Störung  der  Digestiom 
am  häufigsten  qualitativ  und  quantitativ  veränderte  Gasentvvickelungen ,  so- 
wol  innerlich,  als  ausserhalb  des  Darnicanals  (Colica  flatulenta,  Tympanites 
intestinalis,  Meteorismus ,  Emphysema  cellulare)  wahrnehmen;  so  muss  uns 
dieser  Umstand  schon  darauf  führen,  dass  ein  abnormer,  periodisch  oder 
permanent  zu  schwacher,  od«r  sonst  gestörter  Nerveneinfluss  mit  der  Zu- 
nahme von  jenen  Gasentwickelungen  in  Connex  stehen  könne.  Die  patholo- 
gische Darnipneuniatose.  ist  die  stete  Begleiterin  gestörter  Verdauvuig,  welche 
letztere  nicht  allein  in  organischen  Fehlern  einzelner  oder  aller  zur  Dige- 
stion dienenden  Eingeweide  :(Magen,  Darm,  Leber,  Milz,  Pankreas),  son- 
dern auch  in  gestörtem  Nerveneinflusse :  in  Erkältung  des  Körpers,  in  psy- 
chischen Eingriffen  (Schreck ,  Furcht,  Angst,  Zorn),  in  Mi.ssverhaltnissen 
der  organischen  Elektricität ,  zumal  bei  Habitus  spasticus  (daher  die  oft 
plötzlich  eintretende  Dian-höe  solcher  Personen  zur  Zeit  eines  Gewitters, 
iiach  heftigem  Schreck,  grosser  Angst  und  Furcht  u.  s.  w,),  die  nächste 
Veranlassung  findet.  .  Durch  Zersclineidung  des  Stimmnerven  wird  nicht 
allein  die  Verdauung  völlig  gestört  (s.  ReiVs  Archiv  für  Physiologie;  Bd.  XI. 
Hft.  2.  S.  129),  sonderu  man  bemerkt  auch  gleichzeitig  eine  bedeutend 
starke. Gasentwickelung  im  Darmcanal,  wie  dieses  Eimnert^s  Versuche  be- 
Syiesen  haben.  Bei  der  Vdx  cholerica  sind  wir  alle  darüber  einig,  dass 
ihre  nächste  Ursache  in  einem  Leiden  des  NerV.  vagus  und  Raraus  recur- 
rens (vielleicht  gleichzeitig  auch  des  Nerv,  accessor.  Willisii?)  liege.  Der 
Vagus  entspringt  bekanntlich  vom  obern  Theile  des  verlängerten  Hirnmarks, 
jund .  merkwürdig  war  mir  die  an  mir  selbst  und  andern  Cholerakränken 
währgenommene  Beobachtung,  dass  man  während  der  Krankheit  im  Nacken 
einen  tauben  Schmerz- fühlt,  der,  sowie  man  bei  der  Recouvalesoenz  zum 
erstenmal  wieder  nieset,  plötzlich  in  das  höchste,  sich  durch  alle  Glieds 
erstreckende  Schmerzgefühl,  gleichend  einem  elektrischen  Schlage,  über- 
geht, aber  nur  wenige  Augenblicke  anhält  (s.  Allgem.  med.  Zeitung,  183^, 
Nr.  33).  —  Dass  bei  der  Cholera  asiat.  durch  das  lähmungsartige  ErgrLf- 
fenäeyn  des  N.  vagus  und  sympathicus  die  Digestion  in  hohem  Grade  ge- 
stört erscheint,  dass  in  Folge  dieses  Leidens  der  Chemismus  in  den  sonst 
lebendigen  Säften,  ganz  so  wie  bei  putriden  Fiebern,  vorherrscht,  daSB 
daher  abnorme  Gasentwickelungen  nothwendig  folgen  müssen, —  dieses  lässt 
sich  leicht  einsehen.  Eine  andere  Frage  ist  es  dagegen,  ob  nun  diese  Gas- 
arten, wenn  sie  nicht  nach  Obeii  oder  Unten  entfernt,  oder  chemisch  durch, 
Künsthülfe  im  Darmcanal  zersetzt  und  unschädlich  gemacht  werden,  nicht 
anderweitig  durch   Resorption  in  die   Säfteraasse   gelangen,   und   so   dnen 


m4  OSQLERA 

grossea  Antheä  an  de*  bekannten  Walignitat  der  Choleni,  indem  das  Blut 
vergiftet  wird,  hoben?  Wissen  wir  au*  MaseagnVs  und  Lippi's  Versuchet» 
(s.  des  Letztern  lUustrazioni  fisiologiche  e  patotogiche  del  sisteraa  linfato- 
chilifero  etc.;  Firenze,  1825),  dass  Tiele  Lymphgefässe  ins  Blutadersystem 
einmünden  und  dass  besonders  den  Venen  Resorptionskraft  zugeschrieben 
werden  müsse,  ferner,  dass  die  Mucosa  des  Darmcanals  gleichfalls  resorbirt, 
CO  läast  sich  auch  vermuthen ,  dass  die  so  viel  und  so  schnell  bei  beginnen-» 
der  Cholera  asiat.  sich  entwickelnden  Gasarten,  deren  giftige  Natur,  feh- 
len uns  darüber  imoierhin  auch  noch  die  chemischen  Analysen,  schon  aua 
dem  Schwefel-  und  moderartigen  Gerüche,  den  die  Ructus  und  Flatus  ver- 
breiten, hervorgeht,  durch  Resorption  ins  Blut  gelangen  und  den  ersten 
Impuls  zur  bekamiten  Blutzersetzung  abzugeben  im  Stande  sind.  Unter» 
»tützt  wird  diese  Ansicht  noch  dadurch:  a)  dass  die  früh  angewandten 
Brechmittel,  welche  auch  jene  Gasarten  entfernen  und  das  zu  geringe  Le- 
ben des  Gangliennerveasystems  kräftig  anregen  und  den  ganzen  Körper  er-r 
»chnttern,  sich  stets  als  sehr  heilsam  in  der  orientalischen  Cholera  bewährt 
haben.  fl)  Dieselben  Resultate  sahen  wir  nach  lebenden,  gewürzhaften, 
carminativen  Mitteln  (die  sich  auch  in  Colica  flatulenta  so  heilsam  bewie- 
sen), namentlich  nach  Tinct.  aromatica,  Liq.  anodyn.  mit  Ol.  menth.  pip., 
Herba  menthae  etc. ,  wenn  sie  nicht  zu  spät , .  d.  h.  noch  vor  Resorption 
jener  Gasarten  ins  Blut,  angewandt  wurden,  c)  Am  wirksamsten  zeigte  sich 
l)ier  aber  stets  der  Liquor  nnimonü  causticus  in  nicht  zu  kleinen  und  oft 
wiederholten  Gaben.  Nehmen  wir  nun ,  gestützt  auf  den  specifischen, 
«chwefelartigen ,  fauligen  Geruch  der  bei  der  Cholera  asiat.  abgehenden 
Gasarten,  vorläufig  an,  dass  sie  grösstentheils  aus  Schwefelwasserstoffgas 
bestehen,  so  wissen  wir,  daas  schon  das  gewöhnliche  Trinkwasser  dasselbe 
absorbirt,  und  zwar  absorbiren  100  Volumen  Wasser  150  Volumen  Gas,  — 
ferner  der  Alkohol ,  die  Naphthen ,  alle  gewürzhaften ,  Spirituosen  Tinctu- 
ren,  vorzüglich  aber  der  kaustische  Ammonium.  Auch  das  etwa  vorhandene 
kohlensaure  Gas  wird  vom  Wasser,  Alkohol  und  Ammonium  absorbirt.  Ä^^• 
aefeld  (Physiol.  Chemie,  Th.  II.  S.  210)  sagt:  „Aus  der  Eigenschaft  der 
kaustischen  Alkalien,  der  Kohle  u.  s.  w.  lässt  es  sich  erklären,  wie  diese 
Mittel  mit  Vortheil  in  der  Trommelsucht  des  Menschen  und  des  Viehes  ge- 
braucht werden,  indem  die  Kohlensäure  und  das  Schwefelwasserstoffgas  von 
den  erstem  chemisch,  und  diese  und  auch  zum  Theil  die  andern  von  der 
Kohle  (auch  von  Magnesia  in  grossen  Gaben)  mechanisch  absorbirt  werden.'* 
Das  kaustische  Ammonium  bleibt  nun  aber  nach  fremden  und  zahlreichen 
eigenen  Erfahrungen  in  der  morgenländischen  Cholera  noch  immer  caeteris 
paribus  das  grösste  Heilmittel,  d)  Alle  stopfenden,  die  Ausleerungen  hem- 
menden Mittel,  besonders  das  Opium,  verschlimmern  dagegen  die  ©riental. 
Cholera,  weil  sie  die  flüssigen  und  gasartigen  Ausleerungen  verhindern  und 
80  die  Resorption  der  im  Darmcanal  befindlichen  schädlichen  Stoffe  begün- 
stigen ,  also  die  Blutzersetzung ,  die  dunklere  Färbung  des  Blutes ,  das  nun 
giftiger  wird  und  Gehirn  und  Nerven  völlig  lähmt ,  beschleunigen.  Wenn 
Heyfelder  (s.  HesselhacKs  Blbl.  d.  deutschen  Medicin  u.  Chirurgie,  1832, 
Hft.  3,  S.  316)  in  Bezug  auf  das  Opium  in  der  Cholera  sagt:  „Unter  den 
Ärzten  Berlins ,  Magdeburgs  und  aus  andern  von  der  Cholera  heimgesuchten 
Gegenden  war  fast  nur  eine  Stimme;  Alle  verwarfen  es,  indem  es  Über- 
gang in  Typhus  zu  befördern  schien;"  so  kann  ich  diesen  Ausspruch  völlig 
und  aus  innerer  Überzeugung  unterschreiben.  Auch  ich  habe  nach  Anwen* 
düng  desselben,  die  Herr  Dr.  Krüger  -  Hansen  hier  übte,  so  schnelle  Ver- 
schlimmerungen ,  Todesfälle  oder  Übergang  in  tödtlichen  Typhus  gesehen, 
dass  ich  es  für  Pflicht  hielt,  öffentlich  im  Schweriner  freimüthigen  Abend* 
blatte  von  1832  gegen  den  Gebrauch  des  Opiums  und  der  daraus  bestehen- 
den Pulver  und  Tropfen  des  genannten  Arztes,  die  hier  zahlreich  von  ihm 
verabreicht  wurden ,  zu  warnen.  Auch  Vdpcaxi  (Archives  generale«  de  M6- 
dec.  T.  XXIX.  Juin.  1832,  S.  227)  sagt:  L'Opiura  a  haute  dose,  aid6  »eu- 
lement  de  bains,  de  frietions  seches  et  de  boissons  delayantes,  donn^  ä  plu« 
de  vingt  maladea,    ne  m'a  jamaia  paru  offrir  le  raoindre  avantage,"     Um  so 


CHOLERA  415 

mehf  «JUS9  man  sich  wurtdern ,  dass  noch  neuerlich  Dr,  Jafti  {v,  Gräfe' $  u. 
V.  Wallher's  Journal,  18S2,  Bd.  XVIII.  Hft.  4,  S.  656)  das  Opium  als  sU 
cheres  Schutzmittel  in  der  Cholera  vorschlägt,  um  die  Diarrhöe,  den  Vor- 
läufer derselben ,  zu  stillen ,  obgleich  er  es  später  selbst  ein  zweideutiges 
Mittel  nennt ;  denn  ««)  eine  Diarrhöe  ist  nicht  immer  der  Vorläufer  der 
Cholera,  und  66)  die  schlimmste  Form  der  Krankheit  ist  die  ohne  Diarrhöe 
(Cholera  sicca,  apoplectica) ,  endlich  cc)  mit  Verschlimmerung  der  Krank- 
heit ,  mehrere  Stunden  vor  dem  Tode ,  hören  alle  Ausleerungen  von  selbst 
auf,  dagegen  zeigen  sie  sich  oft  noch  Tage  lang  bei  eintretender  Besse- 
rung. —  Hiermit  will  ich  meine  Notizen  und  eigenen  Erfahrungen  über 
Cholera  orientalis  schliessen.  Da  ich  aber  dieses  Übel  selbst  überstan- 
den habe,  so  will  ich  diesen  Krankheitsfall  hier  noch  zum  Schluss  in  der 
Kürze  mittheilen.  . 

Cholera  asiatica,   an  mir  selbst  beobachtet. 

Tu  ae  cede  malis ,  aed  contra  audentior  Ho. 

VirgiL 

Am  17.  August  1832,  gerade  als  die  Rostocker  Choleraepideraie  auf  Ih- 
rer höchsten  Stufe  stand  und  täglich  20 — 30  Sterbefälle  vorkamen,  wurde 
auch  ich,  Morgens  7  Uhr,  leider!  von  der  bösen  Krankheit  ergriffen.  Als 
Gelegenheitsursachen  nenne  ich:  gi-osse  Anstrengung  und  eine  kleine  Ge- 
müthsbewegung  am  vorhergegangenen  Tage,  mehrmalige  Störung  in  der 
Nacht  durch  das  Besuchen  'V'on  Kranken,  mehrere  Besuche  am  frühen  Mor- 
gen bei  Cholerakraiiken  in  engen,  schmnzigen,  niedrigen,  feuchten,  die 
Nacht  hindurch  nicht  gelüfteten  W^ohnungen.  Auch  hatte  ich  an  diesem 
Morgen  wegen  überhäufter  Geschäfte  zu  frühstücken  vergessen ,  da  ich  frü- 
her jedesmal  vor  dem  Besuchen  der  Kranken  erst  ein  gewöhnliches  Frühstück 
zu  mir  zu  nehmen  pflegte.  Zu  den  prädisponirenden  Ursachen  rechne  ich: 
Unterleibsstockungen ,  chronische  Magenschwäche  und  Molimina  haemorrhoi- 
dalia,  woran  ich  seit  einigen  Jahren  um  so  mehr  leide,  da  viele  literarische 
Arbeiten  mich  häufig  an  den  Schreibtisch  fesseln.  Schon  die  ganze  Zeit 
hindurch,  in  welcher  ich  Cholerakrauke  besuchte,  empfand  ich  öfters  de« 
Nachts  im  Bette  ein  krampfhaftes  Kriebeln ,  Kriechen  und  Ziehen  {Sensm 
formicationis,  s.  Myrrnecismus)  in  den  Waden,  später  und  bei  Tage,  beson- 
ders gegen  Abend ,  auch  in  den  Händen ,  zumal  in  den  Fingerspitzen.  Der 
Schlaf  war  schon  seit  mehreren  Nächten  unruhig,  und  ich  erwachte  mit 
einem  ungewöhnlichen  Gefühl  von  Mattigkeit ,  das  indessen  nach  dem  Ge- 
nuss  von  Kaffee  und  Weissbrot  bald  verschwand.  Jedesmal,  wenn  ich  Cho- 
lerakrauke berührte,  fühlte  ich  jenes  kriechende ,  prickelnde  Gefühl  in  der- 
jenigen Hand ,  mit  welcher  ich  den  Puls  solcher  Kranken  untersucht  hatte, 
und  so  folgte  eine  Art  von  Calor  mordax ,  wie  man  diesen  wol  bei  an  Ty- 
phus contaglosus,  petechialis  Darniederliegenden  in  der  Vola  manus  empfin- 
det. Bei  allen  an  Pseudocholera  Leidenden  empfand  ich  bei  der  Berührung 
dieses  Gefühl  durchaus  nicht;  dagegen  war  es  bei  solchen  Cholerakranken 
am  heftigsten ,  die  dem  Tode  sehr  nahe  waren  oder  im  Sterben  lagen. 
Hier  empfand  ich  es  wie  einen  leichten  elektrischen  Schlag  oder  eine  solche 
Strömung  bis  zum  Ellenbogen.  Bemerken  rauss  ich  noch,  dass  ich  sehr  em- 
pfindlich für  Witterungseinfiüsse  bin  und  mich  als  Fremder  an  das  hiesige 
Klima  noch  nicht  völlig  gewöhnt  habe ;  besonders  fühle  ich  bevorstehende 
Gewittor  oft  schon  24  Stunden  vor  ihrem  Ausbruche  an  einem  eigenen  ner- 
vösen Ziehen  im  Körper.  In  jener  Zeit  der  Cholera  litt  ich  indessen  weder 
an  Diarrhöe,  noch  an  Obstructio  aivi,  denn  meine  Leibesöffnung  war  nor- 
mal. —  Schon  um  6  Uhr  Morgens  bemerkte  ich  an  mir  das  oben  genannt« 
Gefühl  von  Myrmecismus  im  höhern  Grade ,  dabei  Mattigkeit  in  den  Glie- 
dern ,  Flimmern  vor  den  Augen ,  Ohrenklingen ,  Schwindel  und  bedeutende 
Präcordialangst.  Ich  eilte  daher  schnell  nach  Hause.  Hier  angekommen 
vermehrte  sich  die  Angst,  und  ich  fühlte  deutlich  gleichzeitig  zwei  gleich- 
sam elektrische  Schläge   oder  Erschütterungen  im  Unterleibe,    die  «ine  in 


416  CHOl^ERA 

der  Gegend  des  Plexus  cöellacua,  die  andere  In  der  des  Plexus  hypogastri^ 
cus ,  worauf  ein  60(  rasches ,  hohes  Schwächegefühl  folgte ,  dass  ich  nicht  im 
Stande  war,  mich  selbst  zu  entkleiden  und  ohne  Unterstützung  ins  Bette 
jzu  kommen.  Die  zweite,  unmittelbar  darauf  folgende  Erscheinung  war  eia 
hörbares,  fortwährendes,  bedeutend  starkes  Kollern  im  Leibe,  ein  dumpfee, 
spannender  Schmerz,  wahrscheinlich  von  der  Auftreibung  des  Colon  trans- 
versum  herrührend,  und  eine  ungewöhnlich  starlce  Ei>tv\ickelung  von  schwe- 
felarlig  riechenden  Gasarten,  welche  sich  durch  häufige  Ructus  nach  Oben 
zu  entfernen  suchten  (ich  hatte  den  Abend  vorher  nur  Thee  mit  Rothwein 
und  Butterbrot ,  an  diesem  Morgen  aber  noch  gar  nichts  genossen;  daher 
die  nach  faulen  Eiern  riechenden  Ructus  nicht  von  den  genossenen  Speisen 
Lerrühreu  konnten).  Nachdem  dieser  Zustand  eine  Viertelstunde  angehalten, 
folgte  einmaliges  Erbrechen,  Avorin  »ich,  da  der  Magen  leer  war,  schon 
die  bekannten  Flocken,  auch  etwas  dunkles  Blut  zeigten.  Diese  Entlee- 
rung nach  Oben  war  ohne  die  geringste  Übelkeit  entstanden;  ich  konnte 
deutlich. fühlen,  wie  ein  grosses  Quantum,  Gas  die  ausgebx-ochene  Flüssig- 
keit'^n'  'die  Höhe  hob  und  nninittelbar  nach  dem  Erbrechen  in  grosser  Menge 
aus  deiti  M'uhde  strömte.  Diarrhöe  trat  nicht  ein,  aber  der  Harn  ward  un- 
terdrückt, dabei  kalte  Hände  und  Füsse,  grosse  Schweisslöcher  auf  den 
Händen ,.  verminderter  Turgor  vitalis,  so  dass  sich  an  den  Fingern  kleine 
Runzelnder  Haut,  wie  bei  .Wäscheruinen ,  zeigten;  klebi'ige,  kalte  Schweisse, 
bläulich -rothe  Gesichtsfarbe,  Gegen  4  bis  5  Stunden  dauerte  dieser  Zu- 
stand, der  mit  einem  Gefühl  von  fürchterlicher  Angst  verbunden  war.  Diese 
Angst  ist  durchaus  nichts  Psychisches,  von  Furcht  oder  Todesgedanken 
Herrührendes,  sie  ist  lediglich  die  Folge  der  gehemmten  Blutcirculation, 
gerade  wie  bei  Orthopnoe ,  ohne  dass  hier  aber  gehinderte  Respiration  statt- 
fände. —  Bei  allen  diesen  Zufällen  blieb  das  Bewusstseyn  völlig  ungetrübt, 
Äo  dass  ich  selbst  Alles  zu  meiner  Cur  Erforderliche  anwenden  konnte;  doch 
>var  eine  gewisse  Ehigenomirtenheit  des  Kopfes  dabei,  die  schwer  zu  be- 
schreiben ist ;  auch  war  die  so  schnell  eingetretene  Schwäche  sehr  gross, 
so  dass  ich  mich  im  Bette  weder  allein  aufrichten,  noch  das  Getränk  selbst 
zum  Munde  führen  konnte.  Die  Stimme  wurde  ganz  heiser,  so  dass  meine 
Umgebung  mich  kaum  verstehen  konnte;  ich  fühlte  das  Bedürfniss,  tief  za 
athmen  und  besonders  lange  Exspirationen  zu  machen,  gleichsam  die  aus- 
geathmete  Luft  wegzublasen ,  auch  gerade  ausgestreckt  auf  dem  Rücken 
mit  erhöhtem  und  unterstütztem  Genick  zu  liegen  und,  wie  dieses  bei  ady- 
namischen Fieberkrankten  bemerkt  wird,  stets  im  Bette  nach  dem  Fussende 
zu  rutschen.  So  viele  Mühe  ich  mir  auch  gab,  still  und  unter  dem  Feder- 
bette zu  liegen,  so  liess  das  fortwährende  Ziehen  in  den  Gliedern,  beson- 
ders in  den  Armen,  mir  dennoch  durchaus  keine  Ruhe,  und  ich  musste  mich 
jeden  Augenblick  bewegen  und  die  Hände  anders  placiren,  ja  oft  war  da* 
Gefühl  in  letztern  ganz  taub,  ungefähr  so,  als  habe  man  sich  stark  an  den 
Ellenbogen  gestossen;  zuweilen  wurden  mir  auch  die  Wadenmuskeln  auf 
Augenblicke  in  Folge  eines  tonischen  Krampfes  so  hart  wie  Holz,  ein  selur 
lästiges  Gefühl ,  ein  wahrer  Crampus ,  ganz  so  wie  man  ihn  zuweilen  beim 
Anziehen  enger  Stiefeln  bemerkt.  —  Dieses  ziehende,  knebelnde,  stechende 
und  mit  Taubheit  verbundene  Gefühl  habe  ich  in  vermindertem  Grade  noch 
volle  6  Wochen  nach  meiner  Krankheit  periodisch  empfunden ,  besonders 
beim  Wechseln  der  Wäsche ,  des  Morgens  früh  nach  dem  Aufstehen ,  nach 
dem  Waschen  mit  kaltem  Wasser,  nach  Anstrengung  des  Geistes  und  Kör- 
pers ,  nach  dem  Besuche  von  CUolerakranken.  —  Ich  behandelte  mich  auf 
folgende  Weise:  zuerst  melirere  Wäilnttaschen  mit  kochendem  Wasser  an 
die  Füsse ,  an  den  Leib  und  den  Rücken ,  welche  mir  sehr  wohl  thaten. 
Zugleich  trank  ich  binnen  einer  Stunde  mehrere  Tassen  Melissen-  und  Pfef- 
fermünzthee ,  hinterher  drei  Tassen  starken ,  schwarzen  Kaffee ,  und  zwi- 
schendurch alle  'A  Stunden  ein  kleines  Spitzglas  voll  alcen  guten  Madeira- 
-vsein.  Diese  Mittel  erquickten  und  erwärmten  mich  zwar,  so  dass  der 
kleine  spastische  Puls  voller  wurde,  doch  wollte  die  grosse  Angst  gar  nicht 
weichen.     Nun  nahm  ich  alle  5 — 10  Minuten    15 — 25  Tropfen  Spirit.  sal. 


CHOLERA  417 

ammonjacl  daiist.,  in  einer  Tasse  kp.ltem  Wass«r,  auch  abwechselnd  von  den 
Gewürztropfen,  und  liess  mir  ein  grosses  Senfpflaster  in  die  Herzgrube  le- 
gen, frisch  bereitet  von  pulverisirtem  Senf  und  kochendem  Wasser,  worauf 
denn  das  Angstgefühl  allmälig  nachliess.  Merkwürdig  war  mir  der  Umstand, 
dass  jedesmal  unmittelbar  nach  dem  Einnehmen  des  Salmiakgeistes  ^  auf  ein 
paar  Minuten  diese  Angst  völlig  verschwand,  -während  welcher  Zeit  ich  mich 
ganz  wohl  fühlte ;  später  schien  die  Wirkung  verflogen  und  die  Angst  stellte 
sich  wieder  ein.  Zugleich  muss  ich  bemerken,  dass  es  mir  nicht  allein  schien, 
als  wirke  das  kaustische  Ammonium  bei  meinem  Leiden  belebend,  sondern 
eine  andere  wohlthätige  Wirkung  desselben  war  die,  dass  dadurch  die  Ent- 
wickelung  des  Schwefelwasserstofl"gases  im  Darmcanal  vermindert  wurde,  und 
dass  es  mir  vorkam,  als  absorbire  das  Mittel  selbst  das  vorhandene  Gas, 
welches  vielleicht  sonst  dem  Blute  mitgetheilt  worden  wäre  und  die  Nar- 
kose des  Nervensystems  verscWimmert  haben  würde.  (Es  ist  bekannt,  dass 
die  Veterinärärzte  bei  der  Trommelsucht  des  Rindviehes^  in  Folge  des  Ge- 
nusses von  grünem  Klee  innerlich  das  kaustische  Ammonium  in  grossen  Ga- 
ben anwenden,  und  dass  kein  Mittel  die  Gasarten  im  Darmcanal  so  schnell 
neutralisirt  und  absorbirt ,  als  gerade  dieses. )  Überhaupt  scheint  es  mir, 
dass  man  auf  diese  Pneumatosis  intestinalis,  worauf  schon  das  Kollern  im 
Darmcanal,  das  bei  allen  Cholerakranken  bemerkt  wird,  deutet,  zeither  zu 
wenig  beachtet  und  die  m5glichen  Folgen  derselben  aufs  Blut  -  und  Nerven- 
system,  die  einer  Vergiftung  durch  Narcotica  ähneln,  nicht  ihrer  Wichtig- 
keit nach  in  Anschlag  gebracht  habe.  Die  kohlensaure  Magnesia  ist  freilich 
allenthalben  bei  leichten  und  schweren  Fällen  von  Cholera  als  Adjuvaps 
gereicht  worden;  doch  kann  dieses  Mittel,  theelöffel weise  genommen,,  wenig 
absorbiren;  man  müsste  eine  Unze  auf  einmal  nehmen,  sollte  es  etwas  leisten. 
Nach  ungefähr  4'/2  Stunde  war  das  Kältestadium  vorüber,  das  bläuliche 
Antlitz  wurde  hochroth ,  der  Turgor  vitalis  kehrte  zurück ,  so  dass  die  Haut- 
runzeln der  Finger  und  die  grossen  Schweisslöcher  auf  dem  Handrücken  ver- 
schwanden, der  fadenförmige,  kleine  Puls  wurde  gross,  wellenförmig,  voll, 
und  es  trat  ein  allgemeiner  warmer ,  duftender ,  etwas  säuerlich  riechender 
Schweiss  ein,  der  26  Stunden  anhielt.  Jetzt  setzte  ich  den  Salmiakgeist, 
die  Gewürztropfen,  den  W^ein,  Kaffee  und.  alle  erhitzenden  Dinge  bei  Seite, 
Hess  mir  frisches  Quellwass^r  holen  und  trank  davon  alle  5  Minuten  2  —  4 
Unzen  mit  grosser  Begierde,  so  dass  ich  am  ersten  und  zweiten  Tage  im 
Ganzen  wol  10  Mass  oder  iO  Pfund  des  frischen,  kalten  Wassers  zu  mir 
nahm,  welches  durchaus  den  Schweiss  nicht  uatfjrdrückte ,  sondern  gegea- 
theils  ihn  noch  beförderte,  auch  die  Se- und  Exjcretion  des  Uri^^s,  die  an- 
fangs mit  etwas  Strangurie  verbunden  war,  bedeutend,  begünstigte.  Der  ge- 
lassene Urin  sah  zuerst  ganz  wasserhell  avs,  spätj?r  zeigte  er  einen  feine« 
Stich  ins  Safrangelbe.  —  W^lch  ein  herrliches,  e^^gijiickendes  Mittel  in  der 
Cholera  das  kalte  Wasser  sey,  davon  habe  ich  mich  bei  mir  selbst  und  bei 
allen  meinen  Cholerakranken  recht  innig  überzeug^.'  ^  Leider  .hat  das  reine 
Wasser  mit  der  Tugend  das  gemein,  dass  es  vi^l  gelobt,  aber  wenig  ge- 
achtet wird ,  sowol :  bei  Gesunden  als  bei  Kranken ,  bei  Ärzten  als  Laien, 
und  der  Prof.  Oertcl  in  Änspach  hat  sich  dadu^r.ch,  dass  er  auf,  den  G^ebrauch 
desselben  in  verschiedenen, Kfaiikheiten  aufs  Neue  aufmerksam. gemacht,  be- 
stimmt ein  grosses  Verdiens]t,!erworben  (s.  Oeriel,l>ie  aWerneue^ten  Wasser- 
curen.  Nürnberg  1829 — 1831.  9  Hefte),  ^"ch.ich  habe  in  zahlreichen  Krank- 
heiten nichts  als  Wasser  trinken  lassen  und  sah  den  glänzendsten  Erfolg,  ^p 
dass  ich  die  Resultate  meiner  Wassercuren  nächstens  bekannt  machen  werde. 
Ausser  dem  Wasser  nahm  ich,  noch  zur  Beförderung  der  Gallenseci^etion  eine 
Mixtur  aus  Potio  Riverii  und^Aq.  meliss?ie.,  Nachmittags  trank  ich  mit,  Ap- 
petit einige  Tassen  Kalbfleischbouillon,  mit  Muskatnuss  gewürzt.-—  Den 
18.  August.  In  vergangener  Nacht  kaum  eine  halbe  Stunde  ge6chljij5rO. 
Von  11  Uhr  Abends  bis  gegen  3  Uhr  Morgens  stellte  sich  ein.  ;Zweiter  Chor 
leraanfall  mit  Kälte  der  Glieder,  unterdrücktem  Urin ,  mit  klebrigen ,  Jcalt^ 
Schweissen,  Leibkollern,  mit  vielen  Ructus,  die  schwefelartig jrochen ,  do^h 
ohne  bedeutende  Angst  ein,  so  dass  mein  Zustand  erträglicher  als  das  er&te- 
Mo8t  Encyklopädie.  2te  Aufl.  I.  27 


418  CHOLERA 

mal  war.     Jet'Ät  kam  ich  auf  den  Einfall ,   einmal  den  Versuch   zu  machen, 
wie  hier  das  Opium  wirke.     Ich  stallte  aus  Vorsicht  das  gQgen  Opium  wirk- 
same Gegenmittel:    das  Acidum  aceticum  (vergl.   WilUch,  Lectures  on  Diet 
and  Regimen  p.  339.     Geujer's  Magaz,  1825,  Aug.  S.  184),  in  Bereitschaft, 
um   es  sogleich  zur  Hand   zu  haben,    wenn  Verschlimmerung   einträte,    und 
wagte,  angetrieben  aus  rein  wissenschaftlichem  Interesse,  den  Versuch:  Ich 
nahm  '/^  Gran  Opium  purum   mit  etwas  Zucker.      In   den  ersten  5  Minuten 
schien   das  Mittel   sehr  wohlthätig  zu  wirken;    aber  bald  trat  Verschlimme- 
rung unter  folgenden  Zufällen  ein:  Klingen  und  Singen  in  den  Ohren,  Schwin- 
del, Betäubung,  Flirren  und  Flimmern  vor  den  Augen,  Gesichtshallucinatio- 
nen,  bedeutende  Präcordialangst,   ganz  wie  beim  ersten  Choleraanfall,  ver- 
minderter Motus  peristalticus,    und   vermehrte  Pneumatosis  intestinalis,   so 
dass   der  Leib    sichtbar  auftrieb   und  weder  Rüctüs ,    noch  Flatus    erfolgen 
woUt-en ;    nach  ungefähr  20  Minuten   nahm   die  Angst  so  sehr  zu ,    dass   ein 
Zustand,  der  nahe  aiV  BeWusstlpsigkeit  grenzte,  eintrat.     Es  war  ein  Glück, 
dass  ich   das  Gegenmittel  vor  meinem  Bette   stehen  hatte;    kaum  blieb  mir, 
obgleich  ich   alle  mij  zu'  Gebote  stehende   Geisteskraft  zusammennahm,   so 
viel  Besinnung,  um  es  ium  Munde  führen  zu  können.     Ich  nahm  auf  einmal 
eine  Drachme  Acidum  aceticum- in  einem  Glase  Wasser,  trank  nebenher  noch 
Essig  und  Wasser,    wusch    mir  das  Gesicht   mit. Essig,    und  in  %  Stunden 
war  die  hässliche  Wirkung  des  Opiums  verschwunden,  so  dass  ich  mich  eben 
so  leidlich   wie  vorher  befand:      Durch   den  Gebrauch   des  Ammoniums    und 
des  kalten  Wassers,  durch  recht  heisse  WärmÜaschen  kam  ich  gegen  3  Uhr 
in   warmen  Schweiss',    und   der  Kopf  wurde  weder  frei,    sowie   ich  wieder 
Uriu   lassen   konrtte,    der  wiederum   ganz   wasserhell  aussah.      Am  heutigen 
Tage  trank  ich  viel  kaltes  Wasser;  meine  Nahrung  bestand  aus  Kalbfleisch- 
suppe und   etwas   altem  Weissbrote.  — •     Den  19.  August.     In  dieser  Nacht 
4  Stunden  geschlafen;  überhaupt  Besserbefihden »  doch  blieb  ein  unangeneh- 
mes Gefühl  von  Taubheit   in  den  Fingerspitzen,    so  äi\ss  ich  beim   Recept- 
schreibeH   kaum  die  Feder   halten'  konnte.     Auch  an  den  Seitentheilen   der 
ersten  Fingerphalangen  war  dieses  Gefühl   beiherkbar  und  hatte  Ähnlichkeit 
mit  dem  Gefülü^,    als  sey  zwischen  den  Fingern  ein  fremder  Korper,  etwa 
■wie  wenn   man    feine  Händschuhe  trägt,   befindlich.      Merkwürdig   war  mir 
das  grosse  Bedürfniss  des  Lichts  und  der  freien  Luft  für  mein  Nervensystem; 
den  ganzen  Tag  über  rausste  das  Kammerfenster' offen  stehen,  und  ich  konnte 
ohne  alle  Lichtscheu  in  die  Mittagssonne  schauen.     An  diesem  Tage  niesete 
"ich  zum  erstenmal ,    \'*felche  Erschütterung  ein '  höchst  schmerzhaftes  Gefühl 
in  M^?f  Gegend   der  MedüHa  oblongata   und   der   obern  Partie  des  Rücken- 
»mrks  erregte ,   das  wol  6  Secunden  anhielt,    sich  gleich  einem  elektrischen 
Schlage  durch  beide  Arme  längs  des  Laufs  der  Hauptnerven  bis  zu  den  Fin- 
ffci'sHiczen  erstreckte  üdd   mir  einen  lauten  Schrei  auspresste.     Sputet  habe 
ich  beim  Niesen  dieses  höchst  unangenehme  Gefühl,   worauf  indessen  allge- 
meines WoMhehagen  folgte,  nicht  Wieder,  wahrgenommen.     Nun  wurde  auch 
die  bisheP  ti-bckne  Nase  flüssig,    die  Rauhigkeit  und  Heiserkeit   der  Brust 
verschwaiid,   ich  konnte  laUt  husten,   was  ich  früher  nicht  vermochte,   und 
auf  meinem  ganzen  Körper;  das  Gesicht  ausgenommen,  zeigte  sich  ein  frie- 
selartiger  Ausschlag,    der  Starkes  Jucken    erregte  und   erst  nach   16  Tagen 
völli""  ^ersch'xVand.     Da  ich\heate   an  Leibesverstopfung  litt,    so   nahm  ich 
ein  Lavemerrt  aus  lauem  Wässer,   Küchensalz  und  Asant,   welches  aber  nur 
sparsam  kleine  verhärtete  Skybala  entfernte,  weshalb  ich  später  noch  Aloe- 
pHlen   einnahßi.  — •     Dtn    20; 'Aügast.      Ziemliches   Wohlbefinden;    ich'  ver- 
suchte daher  anfzustehönV  fühlte  mich   aber  darnach   sehr  matt   und  bekam 
etwas  Schwiiiäel.     Dyiniöch  setzte  ich  irüch,  da  das  Wetter  gut  war,  warm 
ftngekteldet  in  dbh  Wägien,  um  die  vielen  Cholerakranken,  die  meiner  harr- 
en, ia  besudten;    Obgleich  das  Ein-  und  Aussteigen,  sowie  das  Geh^n  uhd 
vorzuglich  d&s'  Trfeßpertsteigen ,  mich  ungemein  angriffen  ,  so  bekam  mir  die 
freie  Luft  dennoch  sehr  gut,   und  ich  bin  mit  Gottes  Hülfe  seit  dieser  Zeit 
kllmälig  stäi'kÄr  geworden,    so  dass  ich   meinen  Berufsgeschäften  vorstehen 
tonnte.  -^    'Htn'zlichster ,   innigster  'Dank  allen  meinen  theuren  Herren  Col- 


CHOLERA  419 

legen,  die  so  fiele  Theilnahme  an  meinem  Leiden  bevpiesen,  und  durch 
freundschaftliche  Besuche  und  angenehme  Unterhaltung  mir  die  Stunden  des 
Krankseins  versüssten !  —  Noch  muss  ich  über  meine  Krankheit  Folgen- 
des bemerken :  meine  Gesichtsfarbe  blieb  noch  8  Tage  lang  etwas  bläulich- 
roth,  und  diese  Farbe  nahm  gerade,  wie  bei  Cyanosis,  in  kalter  Luft  zu; 
auch  stellte  sich  zuweilen  eine  Art  Asthma  ein ,  so  dass  ich  das  Bedürfhiss 
fühlte ,  ins  Freie  zu  gehen ,  um  frische  Luft  zu  schöpfen.  —  Am  22.  August 
schrieb  ich  eine  Stunde  lang  des  Morgens,  worauf  kalte  Hände  und  Füsse, 
stärkeres  Ziehen  in  den  Gliedern,  etwas  Angst,  kalte  klebrige  Sohweisse, 
vergrösserte  Schweisslöcher  auf  den  Händen ,  starkes  Aufstossen  und  Abgang 
von  Blähungen  schwefelwasserstoffartigen  Gehalts  nach  Oben  und  Unten  be- 
merkt A\urden.  Ich  trank  starken  Kaffee,  nahm  ein  paajr  Gaben  Gewüra- 
tropfen ,  auch  20  Tropfen  Liq.  amm.  caust. ,  und  der  Anfall  war  in  einer 
Stünde  vorüber,  so  dass  ich  wieder  meine  noch  zahlreichen  Cholerakranken 
besuchen  konnte.  Am  25.  August  stellte  sich  wiederum  ein  ähnlicher  Anfall 
ein,  und  es  schien,  als  habe  mein  Übel  sich  eben  so,  wie  dies  beim  Typhus 
abdominalis  Schönlein's  der  Fall  ist ,  in  eine  Intermittens  larvata  verwandelt. 
Ich  nahm  nun  täglich  dreimal  einen  Gran  Chinin,  sulphuricum  mit  Pulv. 
aromat.,  auch  Tinct.  chinae  composita  mit  Madeirawein,  worauf  nur  noch 
ein  leichter  Anfall  am  10.  Sept. ,  des  Nachts  zwischen  2  und  3  Uhr  erfolgte, 
später  aber  nicht  wieder.  Ähnliche  Übergangsformen  der  Cholera  in  eine 
intermittens  beobachtete  auch  Dr.  Zimmermann  (s.  HecJcer^s  Annalen  1833. 
Dec.  S.  448  u.  f.).  —  Höchst  merkwürdig  und  neu  war  mir  nun  die  Er- 
scheinung, deren  ich  in  sehr  vielen  Choleraschriften  nicht  gedacht  finde, 
dass  meine  Hände  und  Füsse  ganz  neue  Oberhaut  bekamen, 
mdem  dife  alte  sich,  ungefähr  wie  bei  Röthein,  abschuppte.  Diese  Desqua- 
mation bemerkte  ich  bei  mir  zuerst  am  16.  Sept. ,  und  sie  währte  bis  zum 
24.  desselben  Monats ,  hatte  sich  also  erst  4  Wochen  nach  dem  ersten  Cho- 
leraanfall eingestellt.  Ich  wurde  nun  auf  diesen  Gegenstand  'aufmerksamer, 
der  mir  noch  mit  zur  Unterstützung  meiner  Ansicht  von  der  Contagiosität 
der  Cholera  dient ,  erkundigte  mich  deshalb  bei  meinen  Cholerareconvalescen- 
ten,  und  fand  dieselbe  Erscheinung  fast  bei  allen.  Je  heftiger  die  Cholera 
gewesen,  desto  bedeutender  zeigte  sich  die  Abschuppung,  je  gelinder  jene, 
desto  unbedeutender  war  diese.  Bei  den  Reconvalescenten  von  Pseudocho- 
lera ward  sie  nicht  bemerkt.  Bemerkenswerth  ist  noch  der  Umstand,  dass 
sie  sich  bei  den  meisten  von  mir  beobachteten  an  echter  Cholera  Leidenden 
erst  nach  dem  16.  Tage,  vom  Anfange  der  Krankheit  an  gerechnet,  ein- 
stellte, gleichviel,  die  Cholera  mochte  Typhus  zurückgelassen  haben,  oder 
hicht.  Übrigens  wurde  bei  allen  meinen  Kranken,  einen  ausgenommen,  wa 
Cholera  und  Delirium  tremens  sich  complicirten  und  gegen  letzteres  Opium 
gereicht  worden,  kein  nachfolgender  Typhus  bemerkt.  Viele  der  Genesenen 
haben  eine  dauerhaftere  Gesundheit  nach  überstandener  Cholera  bekommen, 
als  sie  früher  besassen.  Ich  selbst  leide  seit  jener  Zeit  weit  weniger  an  Ma- 
genschwäche, Unterleibsstockungen  und  blinden  Hämorrhoiden,  als  früher.  — 
Recht  zu  bedauern  ist  es,  dass  bis  jetzt^ein  Chemiker  die  sich  im  Darm- 
canal  bei  Cholerakranken  entwickelnden  Gasarten,  in  welchen  ich  ausser 
Schwefelwasserstoff  auch  Kohlenwasserstoff  vermuthe,  genau  untersucht  hat, 
was  z.  B.  mit  den  Darmausleerungen  und  dem  Blute  der  Cholerakrank e;i 
geschehen  ist.  Nach  der  Analyse  des  Dr.  W.  B.  0'' Shrtugnessy  (s.  London 
trted.  and  phys.  Journal.  Mai  1832,  und  Berend's  Med.  chir.  Journalistik  d. 
Auslandes,  1832.  Juli.  S.  4  u.  f.)  besteht  das  Serum  des  Cholerablutes  aus 
1)  wenig  Wasser,  2)  ist  darin  ein  Übergewicht  von  Albumen,  3)  die  unbe- 
zweifelte  Gegenwart  von  Ureum ,  4)  es  mangeln  darin  die  kohlensauren  Al- 
kalien, und  5)  an  Salzen  ist  auch  grosser  Mangel.  —  Bei  der  sporadischen 
Cholera  (Pseudocholera)  dagegen ,  obgleich  heftiges  Purgiren  und  Erbrechen 
stattfand,  fand  0^ Shnugnessy  keine  Verminderung,  sondern  Vermehrung  an 
Wasser  im  Blute;  auch  war  die  Menge  des  Albumens  geringer  als  bei  ge- 
sundem Blute.  Die  reisähnlichen  Flocken  in  den  Ausleerungen  bestanden, 
nach  O'Shaugnessy,  grösstentheils  aus  Eiweiss  und  Fibrine. 

27* 


420  CHOLERAPHOBU  —  CHOREA  ST.  VITI 

CltolerapilloMa 9  die  Furcht  vor  der  Cholera,  erregt  durch 
übertriebene  Schilderung  ihrer  Gefahr,  zumal  bei  Hypochondristen. 

Cboleraptaone»  Vox  cAo7mc/>,  die  eigenthümliche  Cholerastlinme ; 
s.  Cholera. 

Cholerrltag^i» }  s.  Cholera. 

Choloina»  Cholasma.  Ist,  nach  Hippolrates ^  jede  Art  von  Ver- 
renkung. 

Cholorrboea;   ein  andauernder,   habitueller  Gallenerguss. 

Ciioloses*  Bedeutet  die  ganze  Classe  der  Gallenkrankheiten 
{Alilert). 

ChoIosiS»  Lahmheit,  s.  Paralysis. 

Chondrocelef,  richtiger  Chondrodeocele  (Krfius),  der  Knorpel- 
fleisch  bruch;  ist  ein  Fleischbruch  mit  knorpeJälmlicher  Masse;  s.  Sar- 
cocel  e. 

Clion Aroer ASis,  ein  Knorpelleiden  als  drittes  Stadium  des  morgen- 
ländischen Aussatzes,  s.  Lepra. 

Chondromalacia ,  Knorpelerweichung,  s.  Malacosis  cartila- 
g  1  n  u  m. 

Chorda  Tencris,  acuta  et  chronka,  der  geschnürte  Zustand  de» 
entzündeten  Penis,  s.  Gonorrhoe a. 

Ctiordapsius,  innere  Verschnürung  der  Gedärme,  wodurch 
oft  Ileus  entsteht,  s.  Convolvulus  und  Ileus.  Eine  Uraschlingung  des 
Gekröses  (Chordapsus  mesenterii)  mit  Zerreissung  des  grossen  Netzes,  ent- 
standen durch  heftige  Bewegung  «uid  Sturz ,  endete  bei  einem  jungen,  sonst 
gesunden  Mädchen  unter  tympanitischen  Zufällen  am  l6ten  Tage  der  Krank- 
heit mit  dem  Tode  (s.  J.  Ch.  A.  Clmnis,  De  omenti  laceratione  et  mesenterii 
chordapso,  Lipsiae  1830.     Picrer's  AUg.  med.  Zeitung  1831.  Nr.  26.  S.  406). 

Chorea  St.  Viti,  Saltus  Viti,  Chorea  St.  Modesti,  Chorcomania^ 
Sceloti/rbc,  Ejnlepsin  saltatonn,  Ballismus,  Si/phita  (Thenphr.  Paracelsfis)y 
Morbus  snltatorhis,  Scclotijrhe  Tarantis7nus ,  der  Veitstanz,  die  Tanz- 
krankheit. Ist  eine  höchst  merkwürdige  Krankheit,  die  am  häufigsten 
junge,  in  der_  Pubertätsentwickelung  begriffene  Subjecte  befällt  und  sich, 
durch  allgemeine  klonische  Krämpfe  äussert,  wodurch  die  seltsamsten  Be- 
wegungen des  Körpers,  die  oft  denen  eines  Tanzenden  ähneln,  hervorgehen. 
Gewöhnlich  leiden  mehr  oder  weniger  auch  die  Seelenkräfte  des  Kranken, 
doch  ist  während  der  Anfalle,  welche  periodisch  (oft  10 — 20mal  des  Tages) 
kommen ,  das  Bewusstseyn  nicht  immer  aufgehoben ,  wenigstens  in  den  mei- 
sten Fällen  nur,  wie  bei  der  Ekstase,  zurückgedrängt.  Vorboten  des 
ITbels.  Sie  fehlen  niemals,  gehen  oft  Wochen,  ja  Monate  lang  demselben 
voiher,  als  Nervenzufälle  aller  Art:  Kardialgie,  Nausea,  Angst,  Brustbe- 
klemmung, spastisches  Herzklopfen,  ein  der  Aura  epileptica  ähnliches  Ge- 
fühl in  den  Gliedern,  Schwindel.  Schwere,  Wüstheit  des  Kopfs,  Sinnes- 
täuschungen, krampfhafter  Puls,^Ine  eigne  Gemüthsstimmung,  -wo  Heiter- 
keit und  Traurigkeit  mit  Petulanz  und  Muthwillen  abwechseln.  Beim  Aus- 
bruche des  Übels  sind  das  erste  und  vorzüglichste  Symptom  die  verschie- 
denartigsten Convulsionen ,  die  besonders  in  den  obern  und  untern  Gliedern 
am  stärksten  sind,  vom  Kranken  nicht  unterdrückt  werden  können  und  die 
mannigfaltigsten  und  sonderbarsten  Gesticulationen,  Stellungen  und  Verdre- 
hungen des  Körpers  erregen,  so  dass  die  Kranken  hüpfen,  springen,  tanzen, 
laufen  (Epilepsia  procursiva),  klettern,  auf  den  Ofen,  in  Schiebladen,  Com- 
moden  etc.  kriechen,  dann  ein  paar  Secunden  wie  todt  liegen,  endlich  plötz- 
lich wieder  aufspringen,  auf  Tischen,  Stühlen,  Bänken  herumhüpfen  etc. 
Die  Krä^npfe  in  den  oberen  Extremitäten  erregen  oft  Gesticulationen,  ähn- 
lich dem  Spinnen,  Sägen,  Holzhauen,  dem  Declamiren;  der  Krampf  in  der 
Zunge  macht  erschwerte,  stammelnde  Sprache;  die  Kranken  lachen,  schreiei), 
toben,  äussern  bald  grosse  Kraft,  bald  .Mattigkeit;  werden  sie  festgehalten. 


CHOREA  ST,  VITt  421 

80  gcrathcn  sie,  ebenwie  die  Epileptisclien  bei  Unterdrückung  des  Anfalls, 
Ja  grosse  Angst,  Unruhe.  In  ihren  Bewegungen  und  Drehungen  herrscht 
eine  solche  Behendigkeit  und  Schnelligkeit,  dass  es  mitunter  unmöglich  ist, 
diese  mit  den  Augen  genau  zu  verfolgen.  Auch  der  Kopf  nimmt  gewöhnlich 
an  den  Krämpfen  Theil;  daher  das  Zucken  der  Gesichtsmuskeln,  das  Ver- 
drehen der  Augen ,  das  Sardonische  Lachen,  Gewöhnlich  ist  auch  Krampf 
im  Halse  zugegen;  daher  der  Kranke  nicht  schlucken  kann  und  beim  Ver- 
suche dazu  krampfhaften  Husten  und  Würgen  bekommt.  Die  Stimme  ist 
meist  verändert ,  oft  sehr  unnatürlich ,  und  die  Darm  -  und  Urinsecretion  ist 
während  des  Insults  entweder  unterdrückt  oder  der  Urin  und  Stuhlgang - 
gehen  unwillkürlich  ab.  Der  Anfall  dauert  bald  nur  V2  Stunde,  bald  meh- 
rere Stunden ,  ja  zuweilen  selbst  ganze  Tage  (^Slark,  R.  A.  Vogel,  Berndt) ; 
seine  Rückkehr  erfolgt  auch  sehr  unbestimmt,  wobei  es  merkwürdig  ist, 
dass  der  Regel  nach  die  Nächte  frei  sind  und  fast  immer  nur  bei  Tage  die 
Anfälle  kommen.  Während  der  Intermissionen  befinden  sich  die  Kranken  nie 
so  gut  wie  Epileptische ;  sie  klagen  über  Kopfschmerz,  Angst,  Unruhe,  Eiu- 
genununenheit  des  Kopfs,  sind  reizbar,  empfindlich,  wie  Hysterische,  und 
haben  des  Nachts  einen  sehr  unruhigen^  Schlaf.  Auch  scheint  der  \eitstanz- 
paroxysmus  selten  etwas  Kritisches  zu  haben,  obgleich  am  Ende  desselben 
bei  dem  Gefühl  von  Mattigkeit  und  Abgespanntheit  zuweilen  Schlaf  und  ein 
allgemeiner  starker  Schweiss  eintreten.  Der  Verlauf  des  Übels  als  Eut- 
wickelungskrankheit  ist  langsam,  es  kann  hier  Monate,  selbst  Jahre  lang 
währen;  bei  Personen,  die  nicht  in  der  Pubertät  begriffen  sind,  vergeht  es 
oft  schneller  (Jahn).  Prognose.  Ist  in  den  meisten  Fällen  gut;  deim  bei 
richtiger  Behandlung  verliert  sich  das  Übel  allmälig,  die  Seelenkräfte  erlan- 
gen ihre  Stärke  wieder  und  nur  höchst  selten  bleiben  andere  Nervenübel 
(Epilepsie,  Paralysen)  zurück.  Ist  der  Veitstanz  aber  mit  Amenorrhoe,  mit 
Febris  hectica,  Tabes  dorsalis,  Epilepsie,  Blödsinn  complicirt,  sind  die 
Paroxysmen  sehr  anhaltend  und  heftig ,  hat  das  Übel  schon  über  ein  Jahr 
gedauert,  so  ist  die  Prognose,  wie  sich  dies  von  selbst  versteht,  nicht  so 
günstig,  indem  es  oft  schwer  hält,  die  ursachlichen  Verhältnisse  des  Übels 
zu  heben.  Ursachen.  Hierher  gehören  alle  solche  Dinge,  die  theils  ört- 
lich, theils  allgemein  die  Reizbarkeit  des  Nervensystems  erhöhen:  die  Pe- 
riode der  Pubertät,  heftige  Gemüthsbewegungen,  Trauer,  Schreck,  Zorn, 
heftige  Leidenschaften,  besonders  unbefriedigte  Liebe;  ferner  Onanie,  Feh- 
ler der  Menstruation,  Wurmreiz,  unterdrückte  clu-onische  Hautausschläge, 
heftige  Erkältung  des  Körpers.  Eigentlich  epidemisch  herrscht  das  Übel 
nicht,  indem  die  Fälle,  wo  es  in  älteren  Zeiten  als  ein  epidemisches  Übel 
angesehen  wurde,  der  Raphanie  zuzurechnen  sind;  doch  lässt  es  sich  nicht 
leugnen,  dass  besondere  Witterungseinflüsse  einigen  Antheil  an  dem  häufigem 
Erscheinen  der  Krankheit  in  gewissen  Jahren  haben  (TFüÄnimm,  Jahn);  auch 
beobachtet  man  sie  häufiger  an  den  Meeresküsten  als  im  Binnenlande,' weil 
dort  der  Wechsel  der  Witterung  imd  andere  atmosphärische  Einflüsse  über- 
haupt mehr  chronische  Nervenübel  erregen.  Diagnose.  Man  könnte  den 
Veitstanz  wol  mit  der  Raphanie,  der  indischen  Beriberi  und  dem  in  Unter- 
italien oft  beobachteten  Tarantismus  verwechseln;  doch  unterscheiden  sich 
diese  Übel  theils  durch  ihre  eigenthümlichen  Symptome,  theils  durch  die 
-Verschiedenheit  der  ätiologischen  Momente  (s.  diese  Artikel),  Das  Wesen 
der  Krankheit  beruhet  auf  Krampf  als  Folge  hoher  Reizbarkeit  des  Nerven- 
systems, und  daher  haben  junge,  zarte,  reizbare  Subjecte ,  besonders  junge 
Mädchen  von  10  — 15  Jahren,  mit  blondem  Haar  und  blauen  Augen,  die 
einen  gracilen  Körper  haben,  deren  Altern  an  Epilepsie,  Hysterie,  Kardial- 
gie  litten ,  die  meiste  Anlage  dazu.  Kommen  zu  solcher  Körperconstitution 
und  in  diesem  Alter  einige  der  oben  angegebenen  Ursachen,  besonders  Trauer, 
Schreck,  Onanie,  Amenorrhoe,  Wurmreiz  etc.  hinzu,  so  sind  alle  Bedingun- 
gen zur  Entstehung  des  Übels  da.  Behandlung.  1)  Man  erforsche  und 
entferne  die  erregenden  Ursachen ;  behandle  also  nach  den  bekannten  the- 
rapeutischen Regeln  Erkältung,  Wurmreiz,  unterdrückte  i^Aanlhtmc,  Ona- 
nie etc.     2)  Sind    keine    materielle  Ursacheii  da,    ist    das  Übel   eine    reiu 


#22  CHOREA  ST.  VITI 

dynamische  Krankheit  des  Nervensystems,  z.  B.  durch  heftige  Gemüthsbe- 
wegungen  and  zur  Zeit  der  Pubertätsentwickelung  entstanden ,  so  dienen 
vorzüglich  Antispasmodica:  Valeriana,  Asa  foetida,  Castoreum,  Flor,  zinci, 
Cuprum  ammoniacale ,  Magisteriura  bismuthi ,  Moschus ,  Camphora ,  Ol.  ani-  ^ 
male  Dippelii,  Opium,  Belladonna.  3)  Während  des  Gebrauchs  solcher  Mit- ' 
tel  achte  man  stets  auf  den  Unterleib.  Leiden  die  Kranken,  was  häufig  der 
Fall  ist,  an  Obstructio  alvi,  so  gebe  man  alle  2  —  3  Tage  ein  reizendes 
Purgans  aus  Rheum,  Jalape  und  dergleichen;  dies  bewirkt  auch  eine  wohl- 
thätige  Stimmung  des  Gangliennervensystems  und  führt  schnellere  Heilung 
herbei  (itf.);  und  an  den  übrigen  Tagen  setze  man  die  genannten  Antispasmo- 
dica fort.  4)  Äussere  krampfstillende  Mittel:  Einreibungen  flüchtiger  Lini- 
mente in  den  Rücken,  Reiben  des  Körpers  mit  Flanell,  Klystiere  aus  Asa 
foetida  imd  Infus,  yaleriaaae ,  laue  aromatische  Bäder ,  später  Lohe  -  und 
Stahlbäder,  zidetzt  (nach  der  Heilung)  kalte  Fluss  -  und  Seebäder,  sind 
höchst  wichtig  zur  Unterstützung  einer  radicalen  Heilung.  5)  Während  des 
Anfalls  geben  wir  Moschus,  Castoreum,  Liq.  c.  c.  succ. ;  doch  leisten  diese 
Mittel  oft  wenig;  dagegen  kürzt  nichts  schneller  den  einzelnen  Anfall  ab, 
als  das  Berühren  und  Bestreichen  des  Kranken  mit  metallischem  Eisen 
(Starlc,  Wichmann,  Sachse,  Most},  desgleichen  magnetische  Manipulationen; 
sowie  denn  auch  der  Mesmerismus  häufig  schon  radical  heilte  (H(iase'). 
6)  Die  Diät  muss  nach  der  Constitution  des  Kranken  verschieden  eingerich- 
tet werden;  bei  Schwäche  gute  Nutrientia,  sowie  am  Ende  der  Krankheit 
Roborantia,  China,  Eisen  nützlich  sind.  Doch  stärke  man  hier  ja  nicht  zu 
früh;  denn  oft  weicht  das  Übel  dadurch  nicht,  sondern  wird  von  Tage  zu 
Tage  schlimmer.  Mir  sind  in  meiner  Paxis  unter  andern  drei  Fälle  vorge- 
kommen, wo  junge,  magere,  höchst  reizbare  Frauenzimmer  von  10,  14  und 
26  Jahren  am  Veitstanze  schon  Monate  lang  litten  und  die  kräftigsten  Anti- 
spasmodica und  Roborantia  vergebens  angewandt  worden  waren ;  ich  ver- 
ordnete alle  8  Tage  ein  Vomitiv  aus  Ipecacuanha  und  Tartarus  emeticus, 
eine  magere,  reizlose  Diät,  und  Hess  täglich  eine  Portion  von  folgendem 
Thee  trinken :  I^  Fol.  sennnc  5j  —  5jjj?  —  aurantior.,  Rad.  vaJerianac,  Ilerh. 
chenop.  ambr.  ana  31^.  M.  c.  c.  dispens.  dos.  xjj  ,  wonach  gelindes  Purgiren 
entstand,  und  in  kurzer  Zeit  das  glänzendste  Resultat:  vollkommene  Heilung 
erfolgte ,  obgleich  auch  hier  das  Übel  rein  dynamischen  Ursprungs ,  und 
durch  Schreck  und  Trauer,  desgleichen  durch  krankhafte  Pubertätsentwicke- 
lung entstanden  war  (vergl.  auch  J.  H.  Schulze,  Dissert.  de  natura,  causis 
et  optima  medendi  methodo  choreae  St.  Viti.  Rostoch.  1831).  J.  H.  Schleii's 
Abhandl.  über  den  Veitstanz,  Wien  1825,  ist  eine  deutsch  bearbeitete  und 
vermehrte  Auflage  der  Berndt'schen  Monographie  de  chorea  St.  Viti.  Johti 
Stuart  lobt  bei  dieser  Krankheit  die  Blausäure ,  die  indessen  nur  mit  V^or- 
sicht  und  nicht  zu  anhaltend  gebraucht  werden  darf;  besser  wirkt  noch  der 
von  J.  Elliotson  auch  gegen  Tetanus  empfohlene  Eisenrost,  alle  2  Stunden 
zu  ^^,  doch  ziehe  ich  hier  das  Ferrum  carbonicum,  zu  3  — 10  Gran  p.  d. 
vor,  darneben  Stahlbäder,  auch  Schwefelleberbäder  (Jadclot).  Nicht  immer 
ist  das  Übel  rein  nervös,  zuweilen  tritt  auch  eine  Carditis  unter  der  Form 
der  Chorea  auf,  wie  dieses  Röser  beobachtete,  wo  am  lOten  Tage  der  Tod 
folgte  (s.  HufelamVs  Journ.  1828.  St.  5.  S.  54).  Ich  habe  noch  jetzt  ein 
7jähriges,  mageres,  reizbares  Mädchen  in  der  Cur,  das  vor  4  Wochen  in 
Folge  einer  körperlichen  Züchtigung  täglich  10  — 15  Anfalle  von  Chorea  be- 
kam und  ausserdem  höchst  linkisch  und  albern  in  Gang ,  Mienen ,  Geber- 
den sich  benahm,  bald  lachte,  bald  weinte  etc.  Bei  den  Anfallen  Zittern 
der  Glieder,  schnelle,  ängstliche  Respiration,  allerlei  Verdrehungen  des  Kör- 
pers etc.  Anfangs  verordnete  ich  einige  Klystiere  von  Asant  und  Valeriana. 
Innerlich  zum  Thee  Valeriana,  Fol.  aurantior.  und  Fol.  sennae ,  so  dass 
2 — 3  Sedes  täglich  folgten,  auch  zum  Einreiben  Unguent.  nervinum  in  die 
Herzgrube  und  den  Rücken.  Als  diese  Mittel  in  den  ersten  8  Tagen  wenig 
geleistet  hatten,  verordnete  ich  folgende  Pulver:  K'  Feiri  carhonici,  Puh. 
nmmat.  ana  gr.  jj,  Chinin,  sulphurici  gr.  j,  Rad.  artcmui.  vnl(j.  ^j.  M.  f. 
p.  S.  Di-eimai  täglich  ein  Pulver.     Später  stieg  ich  mit  dorn   Eisen,  lieas  die 


CHOREOMANIA  —  OCATRISATIO  423 

Artemwia  aber  weg,  und  die  Besserung  schritt  rasch  vorwärts,  ßo  dass  da» 
Kind  beinahe  als  gelieiit  angeselien  werdejji  kann.  Es  gebraucht  neben  den 
Pulvern  jetzt  auch  noch  Stahlbäder,  wo  zu  jedem  Bade  gjjV  Hepar  sulphur. 
calcar.  kommen,    welche  sehr  wirksam  sind. 

Chorea  St.  Vnlentini,   s.  Tarantismus   apulus. 

Choreoinaiiia,  s.  Chorea  St.  Viti. 

Chorioideitis,  Choriodeitis,  Entzündung  der  Gefasshaut  des  Augeff, 
s.  Inflamraatiochorioideae. 

Chromatismuus,  s.  M  armorygae. 

Cbromopsia ,  das  Farbensehen,  e.  Visus  coloratus. 

Chronicus  morbus»   a.  Morbus  chronicus. 

Chrupsia,   das  Farbensehen,    s.  Visus  coloratus. 

Cfiylectica,  die  Milchhektik,  s.  Febris  hectica,  Galactor- 
rhoea,  Tabes. 

Chylidrosis,  der  Milchschweiss,  das  Milchscliwitzen,  was 
«uweilen  bei  Wöchnerinnen  und  bei  Milchmetastasen  als  Krise  erscheint. 

Ciiyloelepsis ,  der  langsame,  schleichende  Verlust  des  Chylus. 

Chylodiabetes,  die  chylöse  Harnruhr,  s.  Diabetes. 

Chylodiarrlioeas  der  chylöse  Bauch fluss,  eine  Form  der 
Milchhektik. 

Cbyloleucorrlioea,  der  chylöse  weisse  Fluss,  s.  Leucorrhoea. 

Cliylophtharsis.     Ist   Verderb niss  des  Chylus. 

Chyloptyalisuius»  der  chylöse  Speichel  fluss,  eine  besondere 
Form  der  Milchhektik. 

Chylorrboea,  krankhafte  Ergiessung  des  Chylus,  %.  B.  aus 
eäner  tieten  Rückenwunde;  auch  nennt  man  so  die  Milchruhr;  s.  Fluxus 
coeliacus. 

CJiijJorrJioea  tTiora<:ica,  Ergiessung  des  Milchsaftes  in  die  Bmsthohle, 
8.  Chylothorax. 

Cbylotborax,  Chylorrhoen  tTiomcicn,  pectoris,  Hydrothorax  chylosus, 
Ergiessung  des  Milchsaftes  in  die  Brust  durch  Zerreissung  eines  Milchge- 
tiisses.  Kommt  zuweilen  bei  tiefen  Wunden  am  obern  Theile  des  Rückens 
vor,  wol  selten  ohne  äussere  Verletzungen.  Die  Zufalle  sind  älinlich  dem 
Pneumothorax  imd  Pyothorax ;  s.  E  m  p  y  e  ra  a. 

Clbyluria»  Dialetcs  lacteus,  Chylorrhoea  renalis,  minalis,  Milch - 
harnen,  Abgang  von  Chylus  durch  den  Urin.  Hier  geht  der  Urin 
molkig ,  milchweiss  ab ,  oder  giebt  einen  weissen  Bodensatz ,  ohne  dass 
Krankheitszufälle  in  den  Nieren  oder  der  Harnblase  stattfinden.  Will  man 
die  wahre  Harnruhr,  wobei  bekanntlich  die  wesentlichen  Stoffe  des  Chylus 
mit  dem  Urin  abgehen,  nicht  Chylurie  nennen,  so  existirt  wol  keine  andere 
Chylurie,  indem  der  milchweisse  Urin  bei  Wurmkrankheit  xuid  anderen  fie- 
berhaften Übeln  diesen  Namen  nicht  verdient.     S.  auch  Galacturia. 

Cbymeccbysis.  Ist  Ergiessung  eines  Saftes ,  in  specie  des 
C  h  y  m  u  s  ,    z.  ß.  aus  einer  Darmwunde. 

Cbymorrboea,  s.  Fluxus  coeliacus. 

Cbymosepsis.  Ist  Fäulnis»  des  Speisebreies,  z.  B.  bei  In- 
digestion. 

Cicatrisantia,  Mittel,  welche  die  Vernarbung  (Cicatrisatio)  am 
Ende  der  Heilung  von  Wunden,  Geschwüre«,  Verbrennungen  etc.  bewirken; 
8.  Epulotica  und  Abscessus. 

Cicatrisatio,  die  Vernarbung.  Ist  Regeneration  der  Cutis  und 
Epidermis  bei  der  Heilung  und  Schliessung  der  Wunden,  Abscesse  und  Ge- 
schwüre. Bei  der  Heilung  der  beiden  letztern  geht  dieser  I'rocess  In  der 
Art  vor,  indem  sich  die  neu  gebildeten  Fleischwärzchen  contrahli-en  und 
sich  die    umgebenden   Hautränder  von    allen    Seiten   dem   Mittelpunkte  dei 


424  CICATRISATIO 

Eiterfläche  nähern  und  sich  selbst  eine  feine  Haut  bildet.  Beginnt  eine 
Wunde  zu  heilen,  so  wird,  nach  John  Hunter,  die  umgebende  alte  Haut 
dicht  an  den  Granulationen ,  welche  sich  zeither  in  einem  entzüiidungsähn-  ' 
liehen  Zustande  befanden,  so  dass  sie  roth  und  glänzend  erscheinen,  nun- 
mehr glatt  und  erhcik  ein  weissliches  Ansehn,  einen  weisslichen  Überzug, 
der  nach  dem  vernarbenden  Rande  hin  an  Weisse  immer  mehr  zunimmt. 
So  lange  dagegen  die  eiternde  Stelle  noch  ringsum  einen  rothen  Rand  hat, 
befindet  sie  sich  in  einem  gereizten  Zustande ,  und  es  ist  an  Vernarbung 
noch  nicht  zu  denken.  Die  feine  Haut  der  Narbe  ist  keine  blosse  Verlän- 
gerung der  alten  Haut,  sondern  ein  wirkliches  neues  Gebilde,  zu  deren 
Bildung  die  Granulationen  wesentlich  beitragen,  obgleich  dies  auch  bei  der 
alten  Haut  der  Fall  ist;  denn  so  lange  letztere  sich  noch  in  einem  krank- 
Ixaften  Zustande  befindet,  kommt  keine  Vernarbung  zu  Stande.  Die  Hin- 
dernisse einer  guten  Veriiarbung  sind  entweder  dynamische  oder  mecha- 
nische. Erstere  finden  ihren  Grund  in  qualitativ  oder  quantitativ  fehler- 
haftem (zu  hohem  oder  zu  geringem)  Vitalitätszustande  des  Geschwürs ,  als 
Dyskrasien,  Kachexien,  Varicosität,  Fungosität,  Callosität  des  Geschwürs  etc. 
Mechanische  Hindernisse  sind :  fremde  Körper ,  Knochensplitter  im  Theile, 
Caries  unter  dem  Geschwüre,  fistulöse  Gänge,  runde  Form  des  Ulcus,  Um- 
beugung  seiner  Ränder  nach  innen  oder  aussen ,  derbe  f«ste  Haut ,  Lage 
desselben  dicht  auf  dem  Knochen ,  z.  B.  auf  der  Tibia.  Die  Behandlung 
ist  demnach  verschieden;  s.  Ulcus.  Im  Allgemeinen  befördern  Cirkelbin- 
den,  bei  zu  starker  Wucherung  Solut.  lap.  infernal  (5(y  in  Aq.  chamomil- 
lae  3vj)  und  Tinct.  opii  5j)y»  zum  Verbinden,  oder  im  Gesichte,  um  Fär- 
bung der  Haut  zu  verhüten,  eine  Solut.  von  Sublimat  (12  Gran  in  6  Unzen 
Wasser)  und  3j)S  Tinct.  opii ,  die  Vernarbung ;  auch  die  Heftpflaster  lei- 
Eten  am  Ende  der  Heilung  bei  Geschwüren  und  eiternden  Wunden  sehr  viel, 
indem  man  mittels  derselben  die  Wundränder  täglich  näher  an  einander  zieht. 
Hat  sich  schon  die  Narbe  gebildet,  so  befestigt  und  stärkt  man  die  feine 
Haut  durch  tägliches  Waschen  mit  Aq.  Goulardi,  Branntwein  oder  Spirit. 
»erpilli,  lauwarm  angewandt.  An  der  Form,  dem  Umfange,  der  Dicke, 
Festigkeit  und  Farbe  der  Narben  von  specifischen  Geschwüren  kann  man 
oft  noch  erkennen,  welches  von  letzteren  stattgefunden  hat.  Das  scro- 
phulöse  Geschwür  vernarbt  von  den  Rändern  aus,  indem  sich  einzelne 
Narbenrücken  über  dasselbe  verbreiten,  und  zwar  in  ähnlicher  Form,  wie 
die  Eiskrystallisatlon  gefrierender  Fensterscheiben  (Ä/iti/c).  Die  fertige 
Narbe  erscheint  daher  ungleich,  faltig,  gefurcht,  strahlig,  hat  mehrere 
vertiefce  Piuikte,  ist  meist  sehr  weiss,  glatt  und  glänzend,  und  oft  von 
Haaren  und  unebenen  Wülsten  umgeben.  Nach  Knocheneiterungen  ist  sie 
mit  dem  krankgewesenen  Knochen  verwachsen,  gegen  diesen  hin  trichter- 
förmig eingezogen,  knotig  und  faltig.  Das  scorbutische  Geschwür  setzt 
eeine  Narbe  von  der  MitLe  aus  an,  während  die  Ränder  oft  noch  bläulich, 
schlaff  und  ödematös  sind.  Die  fungösen ,  schlaffen  Granulationen  bedecken 
sich  an  ihren  Spitzen  mit  weisslichen  Punkten,  die  allraälig  deutlicher  und 
grösser  werden,  bis  ihrer  mehrere,  sich  ausdehnend,  in  einander  übergehen 
und  inselfonaige  Narbenstellen  bilden,  die  sich  wiederum  unter  einander  mit 
den  Rändein  verbinden,  bis  das  ganze  Geschwür  bedeckt  ist.  Die  Narbe 
ist  weich,  erhaben,  empfindlich,  von  dunkelblauer  Farbe,  und  bricht  leicht 
wieder  auf,  indem  mehrere  Löcher  einfallen  und  sich  vergrössern.  —  Die 
Narbe  der  gichtischen,  r.uist  nur  an  Gelenken  und  an  den  untern  Ex- 
tremitäten vorkommenden  Geschwüre  ist  gross,  unregelmässig,  an  den  Rän- 
dern zackig,  uneben,  voll  Erhabenheiten  und  Vertiefungen;  ihre  Farbe  ist 
braunroth,  bläulich,  a^ch^rau,  ihre  Umgebung  dunkelbraun,  varicös,  öfters 
rosenartig  entzündet,  zumal  zur  Zeit  der  GiclUanlaiie.  Die  syphiliti- 
schen Narben  sind  verschied  ;i,  je  nachdem  sie  auf  Drüsen-  oder  Haut- 
geschwüren, auf  trocknen  odor  auf  Schleimhäufen  vorkommen.  Sie  alle 
charaktcrisiren  sich  durch  deutlichen  Substanzverlu.st  der  von  ihnen  bedeck- 
ten Theile;  sie  ziehen  sich  über  die  vertieften  Geschwürsstellcn  fort,  ehe 
«leren   Gra.nulatioii    da«   Niveau    der    Umgebung    erreicht   hat ,    so    da^s  sie 


f 


CIONITIS  —  CIRCUMCISIO  PRAEPUTU  425 

Sieichsam  treppenformige  Vertiefungen  bilden.  Die  Drüsennarben,  z.  B.  in 
er  Leistengegend  nach  einem  in  Eiterung  übergegangenen  ßiibo  venereus, 
sind  uneben,  wulstig,  vertieft  und  eingezogen,  härtllch,  fest  aufsitzend, 
und  von  rothbräunlicher,  kupferähnlicher  Farbe.  Die  Narben  auf  der  Haut 
sind  nicht  gross,  meist  cirkelrund,  von  der  Grösse  eines  Silbergroschens  bis' 
zu  der  eines  Achtgroschenstücks ,  genau  abgegrenzt ,  etwas  vei;fieft  und  an- 
fanglich stark  braunroth ;  ailmälig  werden  sie  blasser  und  endlich  matt  bräun- 
lich. Vorher  bilden  sich  auf  solchen  Stellen,  z.  B.  nach  Hantchankern,  zu- 
weilen schmuzig  graue  Borken,  auch  wol  weissliche  trockne  Borken.  — 
Herpetische  Narben  sind  weit  ausgebreitet,  haben  einen  unregelmässigen, 
ausgeschweiften  Umfang,  sind  schmuzig  rothbraun,  mitunter  ins  Graue  oder 
Bläuliche  spielend;  sie  haben  in  der  Mitte  oft  eine  der  alten  Haut  gleich© 
Färbung,  welche,  sowie  die  Narbe  selbst,  mit  Schuppen  oder  Schilfern 
bedeckt  ist.  Die  Narben  nach  Krätzgeschwüren,  welche  meist  nur  am 
Unterschenkel  vorkommen,  sind  jenen  nach  Herpes  ähnlich,  meist  aber  et- 
was über  die  Umgebung  erhaben,  von  geringerm  Umfange,  höchstens  etwa 
Vi  Zoll  im  Durchmesser;  sie  erscheinen  fast  cirkelrund  und  sehen  schmuzig 
blau  -  bräunlich  aus.  Alle  chemischen  Schädlichkeiten ,  das  Feuer  nicht  aus- 
geschlossen, hinterlassen  oft  grosse,  unförmliche,  vielgestaltete,  ungleiche, 
zackige  Narben,  die,  ging  die  Zerstörung  tief,  eine  Menge  dicker,  dunk- 
ler, varicöser  Gefässe  zeigen.  Grosse,  bedeutende  Verbrennungen  hinter- 
lassen oft  die  entstellendsten ,  mit  Verwachsung  der  nahen  Theile  verbun- 
denen Narben,  besonders  bei  Verbrennungen  mit  Substanzverlust,  deren 
Heilung  und  Vernarbung  man  daher  nie  allein  der  Natur  überlassen  darf, 
weil  sie  mancherlei  Difformitäten ,  verschiedene  Störungen  in  den  Functio- 
nen der  betheiligten  Organe  etc.  zur  Folge  haben,  welche  häufig  nur  durch 
eine  blutige  Operation  gehoben  werden  können,  doch  darf  man  letztere  nie 
früher  als  einige  Monate  nach  vollendeter  Vernarbung  vornehmen.  Auch 
passt  sie  nicht,  wenn  durch  die  Verbrennung  Muskeln  und  Sehnen  zerstört 
bind  und  sich  Anchylosen  gebildet  haben  (s.  Dvfuytren  in  der  Allgem.  med. 
Zeitung  v.  J.  1834.  Nr.  22,  2S,  21  G.  G.  0.  Fiyulm,  Dissert.  de  cicatri- 
satione.  Berol.  1830.  Lichtenaner,  Dissert.  de  cicatrisatione.  Berol.  1826. 
S.  Cooper's  Handb.  d.  Chirurgie.  Artik.  Cicatrisatio.  Rust's  Handb.  d. 
Chirurgie.  Bd.  V.  S.  5  —  21). 

Cionitisr^  Entzündung  des  Zäpfchens,  s.  Angina  uvularis. 
Circumciisio  praeputii,  die  Beschneidung  der  Vorhaut. 
Ist  Entfernung  der  gesunden  oder  krankhaft  entarteten  männlichen  Vorhaut 
mittels  Schiiittwerkzeugen,  so  dass  die  ganze  Eichel  blossgelegt  wird.  Diese 
Operation  ist  sehr  alt;  sie  war  bei  vielen  Völkern  des  Alterthums  im  Ge- 
brauche, ist  es  bei  mehreren  noch  jetzt,  z.  B.  bei  den  Juden,  Türken  etc.; 
ihr  Zweck  war  ein  prophylaktischer ,  um  unreinen  Geschwüren  am  Penis 
vorzubeugen,  welche  bei  bedeckter  Vorhaut  ein  warmes  Klima  bei  Unrein- 
lichkeit  leicht  befördert,  und  wurde  als  Religionsgebrauch  angenommen.  — ■ 
In  chirurgischer  Hinsicht  ist  die  Beschneidung  in  folgenden  Fällen  indicirt: 
1)  Wenn  bei  kleinen  Kindern  die  die  Eichel  bedeckende  Vorhaut  eine  so 
kleine  Öffnung  hat,  dass  die  Urinexcretion  dadurch  erschwert  wird,  der 
Harn  sich  zwischen  Eichel  und  Vorhaut  ansammelt  und  so  die  letztere  so 
ausdehnt,  dass  sie  sich  beuteiförmig  vor  der  Eichel  vei'längert.  Hier  ver- 
schafft ein  einfacher  Schnitt  zwar  dem  Urine  Abttuss,  aber  das  verengte 
Praeputium  zieht  sich  nicht  gehörig  zurück  und  bildet  fortwälirend  eine  lä- 
stige, beuteiförmige  Entstellung,  die  die  Beschneidung  am  besten  verhütet. 
S)  Bei  Degenerationen  der  Vorhaut  in  harte,  knorpelige  Masse,  in  Folge 
von  Verbrennungen,  Narben,  Geschwüren,  so  dass  ein  harter  Ring  die  Eichel 
verbirgt ,  die  Erection  des  Gliedes  schmerzhaft  ist  und  deshalb  der  Beischlaf 
nicht  exercirt  werden  kann.  Solche  Verhärtungen  des  Praeputiums  entste- 
hen leicht  nach  dem  Missbrauche  der  Bleimittel  bei  enticündlichen  Zuständen 
dieses  Theils.  3)  Auch  scirrhöse  Entartungen  und  krebshafte  Geschwüre 
der  Vorhaut  machen ,  wenn  überhaupt  noch  eine  Operation  gestattet  ist, 
die   Circumcision   nöthig,   oft  auch  schon  deshalb,  ura  zu  sehen ^   ob  die 


426  CmCÜMCISIO  PRAEPUTU 

Eichel  noch  gesund  ist,  oder  nicht;  desgleichen  4)  Verwachsung  der  Eichel 
mit  der  Vorhaut  in  Folge  dagewesener  Entzündungen,  so  dass  sie  nicht 
entblösst  werden  kann  und  die  Erection  und  der  Coitus  Schmerzen  erregen; 
endlich  5)  bei  angeborner  oder  erworbener  Phimosis,  welche  Erectionen  und 
Coitus  schmerzhaft  machen.  Die  Operation  wird  am  besten  auf  folgende 
Weise  verrichtet:  Ein  Gehülfe  legt  Daumen  und  Zeigefinger  hinter  der 
Eichel,  den  einen  oben,  den  andern  unten  an,  und  zieht  das  äussere  Blatt 
der  Vorhaut  möglichst  zurück.  Der  Operateur  fasst  mit  der  linken  Hand 
den  vordem  Theil  der  Vorhaut  und  fülxrt  mit  der  rechten  eine  Hohlsonde 
zwischen  Eichel  und  Vorhaut  bis  an  die  Krone  der  erstem.  Auf  der  Hohl- 
sonde bringt  man  das  Pott'sche  ungeknöpfte  Bistouri  ein  und  stösst  es  in 
der  Gegend  der  Eichelkrone  durch  die  Vorhaut  in  die  Sondenrinne,  worauf 
man  es  von  hinten  nach  vorn  zieht,  und  so  beide  Platten  der  Vorhaut  bis 
zu  ihrem  freien  Rande  spaltet.  Man  kann  sich  auch  zu  diesem  Acte  des 
Savigny'schen  Fistelmessers,  oder  eines  schmalen,  spitzigen,  mit  einem 
Wachsknopfe  versehenen  Messerchens  bedienen.  Das  erstere  bringt  man 
mit  der  der  Eichel  zugekehrten  Fläche  und  zurückgezogener  Spitze  unter 
die  Vorhaut  bis  zur  Eichelkrone,  schiebt  dann  die  Lanze  vor  und  sticht  sie 
nach  aussen  durch,  worauf  man  die  Klinge  nachschiebt  und,  wie  oben  an- 
gegeben, verfährt.  Das  letztere  wird  ohne  Sonde  eingeführt  und  dann  die 
Spitze  durch  Wachs  und  Vorhaut  gedrückt.  Auch  einer  Knopfscheere  kann 
man  sich  dazu  bedienen.  Blieb  das  innere  Blatt  vielleicht  an  einer  kleinen 
Stelle  ungetrennt,  so  wird  es  hier  mit  der  Scheere  gespalten.  Nachdem 
die  Spaltung  auf  eine  oder  die  andere  Art  vollendet  worden,  fasst  der  Ope- 
rateur die  Vorhautlappen ,  einen  nach  dem  andern ,  mit  Daumen  und  Zeige- 
finger der  linken  Hand  oder  mit  der  anatomischen  Pincette,  und  trennt  sie 
mit  der  Cooper'schen  Scheere  vom  obern  Wundwinkel  aus  etwas  schief  nach 
unten  und  vorn  neben  dem  Frenulum  gänzlich  ab.  Die  beiden  Platten  müs- 
sen bei  den  Schnitten  fest  gegen  einander  gedrückt  und  die  Schecrenblätter 
stets  ganz  senkrecht  aufgesetzt  werden.  Die  zurückgezogene  Oberhaut  wird 
nach  vollendeter  Operation  vorwärts  über  die  ganze  Wundfläche  gezogen. 
Mitunter  ist  eine  Spaltung  bis  zur  Hälfte  der  Vorhaut  und  Abtragung  die- 
ser Lappen  hinreichend.  Wenn  das  Frenulum  gleichzeitig  zu  lang  ist,  so 
löset  man  es  vor  dem  Kreisschnitte  so  tief  als  möglich  ab ,  aber  nie  darf 
man  di,e  Oberhaut  nach  vorwärts  ziehen,  sonst  wird  von  dem  innern  Blatte 
derselben  weniger  als  von  dem  äussern  abgeschnitten;  ersteres  bedeckt  oft 
noch  ganz  die  Eichel  und  man  ist  gezwungen ,  es  mit  einer  untergeschobe- 
nen stumpfspitzigen  Scheere  aufzuschlitzen  und  abzutragen.  Ist  die  Vorhaut 
mit  der  Eichel  verwachsen,  so  hebt  man  an  einer  Stelle  —  wozu  man,  wenn 
die  Adhärenz  nicht  total  ist,  eine  nicht  verwachsene  wählt,  —  das  äussere 
Blatt  mit  den  Fingern  oder  zwei  Pincetten  in  eine  Falte  auf,  und  trennt  es 
mittels  Durchschneidung  derselben  einige  Linien  weit;  alsdann  verfährt  man 
eben  so  mit  dem  innern  Blatte,  führt  von  dieser  Öffnung  aus  eine  Hohl- 
sonde gegen  die  Mündung  der  Vorhaut  ein  und,  wo  möglich,  durch,  luid 
spaltet  hierauf  dieselbe  bis  zum  freien  Rande.  Nach  gestillter  Blutung  hebt 
man  zu  jeder  Seite  die  Ränder  mit  der  Pincette  auf,  und  präparirt  sie  mit 
möglichster  Schonung  der  Eichel,  was  langweilig  und  mühsam  ist,  bis  zum 
Frenulum  ab,  worauf  man  sie  auf  die  vorhin  angegebene  Weise  ganz  ent- 
fernt. Ist  darauf  die  Blutung  durch  kaltes  Wasser  gestillt,  so  belegt  man 
die  Wundflächen  mit  schmalen,  trocknen  Charpiebäuschchen,  befestigt  diese 
mit  Heftpflasterstreifen  und  legt  die  Compresse  in  Form  des  Malteserkreu- 
zes so  an ,  dass  die  Eichel  durch  die  Öffnung  der  Compresse  so  weit  her- 
vordringt, um  dem  Abflüsse  des  Harns,  ohne  den  Verband  zu  benetzen, 
freien  Lauf  zu  lassen.  Folgt  sehr  starke  Entzündung,  so  dienen  kalte  Um- 
schläge; bei  ödematöser  Anschwellung  und  brandiger  Beschaffenheit  macht 
man  warme  aromatische  Fomentationen.  Der  Brand  ist  hier,  laut  der  Elr- 
fahrung ,  nicht  gefährlich ,  indem  er  nicht  fortschreitet.  Der  Verband  muss 
erneuert  werden ,  so  oft  er  vom  Urin  durchnässt  oder  sonst  beschinuzt  ist. 
Das  Glied  wird  nach  dem   Schambogen  zu   gelagert  und  passend   befeelig*. 


CIRUHAGRA  -  CLAÜBICATIO  *27 

Delpeck  u.  A.  touchiren  die  Wundränder  mit  Höllenstein ,  damit  eine  Kruste 
entsteht,  die  gie  gegen  den  Urincontact  schütz;  doch  ist  bei  gehöriger 
Sorgfalt  dieser  Contact  auch  ohnedies  zu  vermeiden  (s.  Bock  in  Rust's 
Handbuch  d.  Chirurgie.  Bd.  V.  S.  28  —  39.  Baud,  Kunst,  die  Vorliaut 
gehörig  zu  beschneiden.  Breslau  1815.    Horji's  Archiv.  Bd.  X). 

Cirrhagra»  der  Weichselzopf,    s.  Plica  polo  nica. 

Cirsocele,  Krampfaderbruch,  s.  Varicocele. 

Cirsompbalus,  Adergeschwulst  am  Nabel,  s.  Varix  und  Hernia 
ambilioi. 

Cirsophthalmia 5  ein  varicöser  Zustand  des  Augapfels,  z.  B.  bei 
Ophthalmia  meiistrualis,  haemorrhoidalls;  s.  Ophthalmia.  Die  varicSse 
Entartung  der  Ge fasse  des  Auges  als  Folge  heftiger  Augenentzim- 
dungen,  zumal  der  Ophthalmia  menstrualis ,  haemorrhoidalls,  scrophulosa, 
arthritica,  scorbutica,  bei  Personen  mit  Abdorainalstockungen,  mit  Atrabilis, 
ist  als  eine  selbstständige  und  zwar  sehr  schlimme  Krankheit,  die  leicht  in 
Augenkrebs  übergeht,  zu  betrachten.  Die  Symptome  sind,  wie  sie  Jüng- 
ken  (^RusVs  Handb.  d.  Chirurgie  Bd.  V.  S.  41)  angiebt,  folgende:  Der  Aug- 
apfel hat  eine  widernatürliche,  ungewöhnliche  Grösse  erhalten ,  \md  die  Scle- 
rotica  ist  mit  blauen ,  begrenzten ,  knotigen  Geschwülsten  übersäet ,  welche 
sich  besonders  um  den  Rand  der  Cornea,  in  der  Gegend  des  Corpus  ciliare 
in  grosser  Menge  zusammendrängen.  Die  Iris  ist  starr  und  unbeweglich, 
und  die  Pupille  weder  verengt,  noch  erweitert.  Nicht  selten  sind  die  Ge- 
fässe  der  Iris  mit  ausgedehnt,  und  dann  erscheinen  auch  in  dieser  Haut 
blaue ,  wulstige  Auftreibungen ,  durch  welche  sie  sich  gegen  die  Hornhaut 
hervorwölbt.  Das  Sehvermögeu  ist  völlig  erloschen,  und  das  Auge  bei  die- 
sem Zustande  meist  starr  und  unbeweglich.  Gewöhnlich  findet  sich  beim 
Cirsophthalmos,  wie  das  Übel  auch  genannt  wird,  hat  er  einmal  einen 
gewissen  Grad  von  Ausbildung  erreicht,  auch  Hydrops  corporis  vitrei,  der 
zur  abnormen  Vergrösserung  des  Auges  beiträgt.  Oft  bleibt  das  Übel  lange 
Zeit  auf  einer  gewissen  Stufe  der  Ausbildung  stehen,  bis  zufällig  durch 
schädliche  Einflüsse :  mechanische,  chemische  Reize,  unpassende  Arzneien  etc. 
neue  Entzündung  entsteht  und  das  Auge  plötzlich  an  Umfang  zunimmt,  ao 
dass  der  Kranke  die  Augenlider  nicht  mehr  schliessen  kann,  lästige,  stechen- 
de, spannende  Schmerzen  darin  empfindet,  das  gesunde  Auge  per  consensum 
mitleidet,  und  die  Krankheit  rasch  fortschreitet.  Doch  lassen  auch  hier  noch 
zuweilen  alle  Beschwerden  plötzlich  nach,  indem  einzelne,  sehr  ausgedehnte 
Geschwülste  der  Sclerotica  platzen ,  worauf  Entleerung  von  Blut  und  Hu- 
mor aqueus  und  CoUapsus  bulbi  eintreten.  Diese  Erleichterung  dauert  so 
lange,  bis  sich  jene  Öffnungen  wieder  geschlossen  haben.  Die  Prognose 
ist  schlecht,  das  Sehvermögen,  oft  auch  die  B'orm  des  Auges  unv>iclerbring- 
lich  verloren  und  selbst  Ausgang  in  Augenkrebs  zu  fürchten.  Das  Übel  ist 
iein  wahres  Noli  me  tangere.  Alle  örtlichen ,  zumal  reizenden  Mittel :  Tinct. 
opii,  Augenwasser  etc.  sind  schädlich.  Das  einzige  örtliche  Mittel,  was 
nützt,  sind  kalte  Umschläge,  täglich  ein  paarmal  mittels  auf  Eis  gelegter 
kleiner  Compressen  angewandt;  doch  muss  der  Kranke  die  Kälte  ertragen 
können.  Ausserdem  nützten  noch:  ein  Setaceum  in  den  Nacken,  Fontanel- 
len auf  den  Oberarm  der  leidenden  Seite,  und  innerlich  gelinde,  auf  den 
Darmcanal  wirkende  Abführungen. 

Cirsotoinia,  der  Krampfaderschnitt.  Ist  diejenige  Operation, 
wodurch  ßlutaderknoten  geheilt  werden;  s.  Varix. 

Claudicatio,  das  Hinken.  Diese  auf  einem  Missverhältnisse  in  der 
Brauchbarkeit  beider  untern  Extremitäten  beruhende  Unregelmässigkeit  des 
Ganges  ist  keine  besondere  Krankheit,  sondern  nur  ein  blosses  Krankheits- 
symptom aller  jener  abnormen,  theils  angebornen,  theils  erworbenen  Zu- 
stände, die  die  Function  der  untern  Gliedmassen  stören,  als:  Deformitäten 
derselben,  fehlerhafte  Krümmungen,  Verkürzung  des  Fusses,  Krümmung 
oder  Fehler  der  Zehen ,  schlecht  geformtes  Becken ,  —  grosse ,  harte ,  ad- 
härentc,    nach    Verwundungen,    Verbrennungen    zurückgebliebene    Narben, 


428  CLAWS  HYSTERICUS 

schmerzhafte  ÄJTectioiien  (Rheuma,  Ischias  nervosa  Cotugni),  Brüche  des  V 
Schenkels,  zumal  des  Schenkelhalses,  Verrenkungen  des  Oberschenkels, 
wenn  solche  verkannt  oder  übel  behandelt  wurden,  widernatürliche  Gelenke 
in  Folge  schlecht  behandelter  Fracturen  der  untern  Extremitäten,  Contractu- 
ren  der  Muskeln,  Ankylosen,  schiefstehendes  Becken.  Oft  ist  das  Hinken 
önziges  Symptom  der  Coxarthrocace  (s.  Arthrocace);  daher  man  letzte- 
res Übel  sehr  unbestimmt  Claudicaiio  sjmntanea  genannt  hat.  Passender 
nennt  man  so  das  angeborne  Hinken  der  Kinder,  welches  Camper  in  eini- 
gen Gegenden  Hollands  häufig,  selbst  erblich,  besonders  bei  kleinen  Mäd- 
chen, sah,  was  wahrscheinlich  ein  Fehler  der  ersten  Bildung  ist.  Der  eine 
Schenkel  ist  gleich  anfangs  kürzer  als  der  andere,  doch  tritt  der  Kranke 
mit  dem  ganzen  Fuss  auf,  und  der  Schenkel  ist  weder  gelähmt,  noch 
schwächer  oder  magerer ,  als  der  andere.  Er  lässt  sich  ohne  Schmerz  und 
Knarren  zur  natürlichen  Länge  ausdehnen,  wird  aber  gleich  wieder  kürzer. 
Die  Zehen  haben  eine  normale  Richtung,  der  grosse  Trochanter  steht  hoch 
oben  und  mehr  hervor,  die  Hinterbackenfalte  steht  eben  so  hoch  als  die 
andere,  ist  aber  von  aussen  nach  oben  gekrümmt;  die  ßeckenknochen  sind 
nicht  verschoben.  Das  Übel  verschlimmert  sich  eben  so  wenig  als  es  sich 
bessert.  An  eine  Heilung  desselben  ist  nicht  zu  denken,  man  sucht  nur  die 
Deformität  durch  mechanische  Mittel  möglichst  zu  mindern.  —  Von  dieser 
Art  der  Claudicatio  spontanea  infantum  unterscheidet  Kortum  (^HufcJamVs 
Journ. 'Bd.  XXXI.  S.  S8)  noch  eine  andere,  zu  der  ebenfalls  vor  dem  Ge- 
henlernen der  Grund  schon  vorhanden,  das  Übel  aber  nur  erst  bei  den 
Versuchen  zu  gehen  erkannt  wird.  Als  Ursachen  sieht  er  an:  gewaltsame 
Wendung  auf  die  Füsse  bei  der  Geburt,  Überschlagen  des  Körpers  vom 
Arme  der  Wärterin,  wobei  von  letzterer  die  untern  Extremitäten,  um  das 
Fallen  zu  verhüten ,  tixirt  werden.  Das  beste  Mittel  ist ,  nach  Kortum ,  die 
Kinder  Monate  lang  unbeweglich  liegend  im  Bette  zu  erhalten,  weil,  je  mehr 
das  Kind  seine  Füsse  gebraucht,  desto  mehr  das  Übel  zunimmt,  bis  der 
Schenkel  ganz  ausgerenkt  wird ,  sich  eine  neue  Pfanne  bildet ,  und  die 
Krankheit  zwar  einen  Stillstand  erreicht,  aber  der  Mensch  auch  für  die 
ganze  Lebenszeit  hinkt.  Übrigens  sind  die  Kinder  gesund ,  frei  von  Scro- 
pheln,  Rhachitis  und  andern  Fehlern;  Schmerz,  Entzündung,  Geschwulst 
fehlen  so  gut  im  Hüft-  als  Kniegelenke.  Cur  der  Ciaudicationen. 
Sie  richtet  sich  nach  den  Grundübeln  (s.  Arthrocace,  Ancylosis, 
Rhachitis),  doch  ist  die  Krankheit  in  den  höhern  Graden  meist  unheil- 
bar, und  der  Mensch  muss  sich  der  Krücken,  bei  Verkürzung  des  Schen- 
kels eines  hohen  Absatzes  unter  dem  Schuhe  oder  Stiefel  bedienen  (s.  JSocÄ; 
in  itwst's  Handb.  d.  Chirurgie.  Bd.  V.  S.  60 — 63.  Alhers'  u.  Ficl;er's  Preis- 
Bchrift  über  das  Hinken  der  Kinder.  Wien  1819.  Kraiise,  De  claudicatione 
commentatio  medico-chirurgica.   Lips.  1809). 

Clavus  bystericuSy  der  hysterische  Kopfschmerz,  s.  Cep.halal- 
gia  und  Hysteria. 

*  Clavus  pedis,  Helos,  Hühnerauge,  Krähenauge.  Ist  eine  harte, 
trockne,  gefühllose,  schwielige,  warzenähnliche  Verhärtung  der  Haut,  die 
in  Schichten  übereinander  liegt  und  durch  äussern  Druck  entsteht,  beson- 
ders an  solchen  Theilen ,  wo  die  Epidermis  mehr  auf  dem  Knochen  liegt. 
Am  häufigsten  kommen  die  Hühneraugen  an  den  Fusszehen  und  an  der  Fuss- 
«ohle  vor,  desgleichen  bei  Frauenzimmern  vom  Druck  der  leidigen  Schnür- 
brüste am  Hüftbeine  (vergl.  MosVs  Moderner  Todtentanz  etc.  1823).  Oft 
»ind  sie  ohne  Beschwerde ;  zuweilen  erregen  sie  indessen  so  viel  Schmerze», 
dass  das  Gehen  und  Stehen  sehr  beschwerlich  wird.  Sie  selbst  schmerzen 
nicht,  sondern  der  Umfang  der  Stelle,  die  durch  sie  gedrückt  wird.  Harte 
Strümpfe,  enge  Schuhe,  starke  Bewegung  des  Körpers,  langes  Stehen, 
Weingenuss,  heisses  Wetter  vermehren  den  Schmerz.  Auch  scheinen  die 
Hühneraugen  unter  dem  Einflüsse  der  Witterung  zu  stehen  und  zur  Zeit, 
wo  sich  das  Wetter  verändern  will ,  besonders  stark  zu  schmerzen.  Cur. 
Unter  allen  äusserlich  anzuwendenden  Mitteln  empfehlen  sich  vorzugsweise 
Kmpl.  cicutae,  roercurial.,  sapon. ,   welche  man  auflegt.     Sehr  wirki>am  ist: 


CLEIDAGRA  —  CLTSMA  #29 

E^  Gttmm.  nmmomnci,  Cerac  ßavne  ana  ^j,  Acruginis  3jjj.  M.  f.  empl.  Des- 
gleichen: I^'  Empl.  de  Galhnno  croc,  — ammoniac,  — lithnrgyr.  c.  Resin. 
pini  ana  ^fy,  Cnmphorne  ^jj.  M.  f.  empl.  (ß).  Man  streicht  von  diesem 
Pflaster  etwas  dick  auf  weiches  Leder,  schneidet  es  so  gross,  als  das  Hüh- 
nerauge, das  man  damit  bedeckt,  und  iahrt  einige  Zeit  damit  fort.  Zur 
gründlichen  Cur  ist  es  aber  zugleich  nothwendig,  dass  jeder  äussere  Druck, 
als  die  vorzüglichste  Gelegenheitsursache  des  Clavus :  enges  Schuhwerk  etc, 
entfernt  werde.  Man  bestreicht  daher  auch  ein  Stück  weiches,  mit  der 
Narbe  versehenes  Leder  von  Handschuhmachern  oder  Weissgerbern  dünn  mit 
Kmpl.  de  gumm.  ammon.,  schneidet  in  dasselbe  ein  Loch  von  der  Grosse  des 
Hühnerauges  und  legt  es,  nachdem  zuvor  ein  Pussbad  genommen  und  der 
Clavus  vorsichtig  und  ohne  dass  Blutung  entsteht,  mit  einem  Messer  etwas 
abgeschnitten  worden,  alle  acht  bis  vierzehn  Tage  frisch  auf.  Alsdann  kann 
die  Fussbekleidung  keinen  fernem  Druck  aufs  Hühnerauge  ausüben  und  es 
verschwindet  in  \>enigen  Wochen.  Ist  der  Kranke  von  seinem  Übel  befreiet, 
f!0  muss  er  sich  vor  allem  fernem  Druck  auf  den  Theil  hüteji.  Man  ver- 
hütet dies  am  besten  dadurch,  dass  man  seinem  Schuhmacher  diejenige  Stelle 
der  Fussbekleidung  genau  bezeichnet,  welche  den  Druck  veranlasste.  Er 
jnuss  auf  dem  Leisten  eine  der  Grösse  des  frühern  Clavus  entsprechende 
Erhabenheit  anbringen,  darüber  das  nassgemachte  Oberleder  anspannen  und 
po  trocken  werden  lassen.  Diese  Erhabenheit  drückt  sich  in  das  Oberleder, 
und  man  wird  bei  der  nächsten  Benutzung  seiner  Fussbekleidung  sich  von 
allem  Druck  und  Schmerz  befreit  fühlen.  Ist  das  Hühnerauge  an  der  Fuss- 
sohle,  so  schneidet  man  ein  Loch,  entspre<;hend.  der  Grösse  des  Clavus,  in 
eine  Filzsohle  und  legt  sie  in  den  Schuh.         '       '        C.  J.  F.  Behrens. 

-■f  ,  Cleidag^A,  Gicht  am  Halse  und.  Schlüsselbeine.  Theophr, 
P^iracelsus  nannte  sie  fälschlich  Cleisagra}  s.  Arthritis. 

ditoriisinus ,  Verlängerung  des  Kitzlers.  Die  Verlängerung 
und  Vergrösserung  .dieses  .  sensiblea  Organs  ist  zuweilen  angeboren  und .  so 
bedeutend ,  dass  man  die  Clitoris  für  den  Penis  gehalten  und  auf  männliches 
Geschlecht  bei  Mädchen  irrig  geschlossen  hat.  In  andern  Fällen  ist  das 
Übel  erworben,  und  zwar  durch  Krankheit,  zumal  Nymphomanie,  Onanie, 
Geschlechtsausschweifungen,  daher  oft  bei  öffentlichen  Freudenmädchen. 
Dulois  heilte  die  Nymphomanie  durch  Excision  einer  sehr  grossen  Clitoris. 
Unter  den  Alten  sind  die  Tribaden  oder  Fricatrices  bekannt,  welche  mit 
ihxer  grossen  Clitoris  bei  Frauen  Unzucht  trieben ,  indem  sie  die  Stelle  der 
Männer  vertraten.  Zuweilen  ist  der  Kitzler  durch  scirrhöse  Verhärtung  ver- 
grössert.  Auch  hier  bleibt  die  Amputation  desselben  das  beste  Mittel.  In- 
dessen ist  die  Operation  nicht  immer  gefahrlos,  und  daher  bei  gesunder  Cli- 
toris junger  Mädchen,  sey  sie  auch  übermässig  gross,-  blos,  um  zu  grosse 
Geilheit  zu  verhüten,  nicht  anzurathen,  da  der  Mangel  dieses  Organs  so 
unempfindlich  gegen  die  physische  Liebe  machen  kann,  dass  Sterilität  die 
Folge  ist  (Ebermniei'). 

Clitoritis,  Entzündung  der  Clitoris,  s.  Inflaramatio  vaginae. 

Clonicus  Npasmus,  der  klonische  Krampf,  sJ   Spasmus.   ' 

'^'Clysma,  Clyster,  Clysterium,  Enema,  das  Klystier.  Ist  ein  flüs- 
siges Arzneimittel,  welches  zu  verschiedenen  Zwecken  und  gegen  mancherlei 
Krankheitszufälle  in  den  Mastdarm  eingespritzt  wird.  Das  gebräuchlichste 
Werkzeug  dazu  ist  bekanntlich  eine  zinnerne  Klystierspritze ;  im  Nothfall 
kann  man  sich  dazu  auch  einer  mit  einem  Röhrchen  versehenen  Rinds-  oder 
.Schweinsblase  bedienen.  Bei  Application  eines  Klystiers  muss  sich  der  Kranke 
auf  die  rechte  Seite  des  Körpers  legen ,  die  Schenkel  anziehen,  eine  etwas 
gekrümmte  Lage  annehmen  und  den  Athem  anhalten.  Man  bringt  nun  das 
ia\t  Öl  bestrichene  Röhrchen  der  Spritze,  nachdem  letztere  gefüllt,  die  Flüs-' 
«igkeit  die  gehörige  Temperatur  (gewöhnlich  25  bis  28"  R.).  hat  und  alle 
Luft  aus  der  Spritze  entfernt  worden,  so  hoch  als  möglich  in  den  Mastdarm, 
giebt  der  Spritze  eine  solche  Richtung,  dass  sie  mit  dem  Rücken  des  Kran- 
ken eine  gerade  Linie  bildet,  und   spritzt  dann ,   langsam  den  Stöpsel, dre- 


430  CLYSMA 

hend  und  drQckend,  die  Fl&«si(^keit  ein.  Tat  die  Spritze  entleert,  so  zieht 
man  das  Röhrchen  langsam  und  vorsichtig  zurück,  der  Kranke  muss  nicht 
tief  athmen  und  noch  einige  Zelt,  wenn  anders  das  Klystier  nicht  gleich 
\Tieder  abgehen  soll,  sich  in  der  angenommenen  Lage  ruhig  verhalten.  Die 
Quantität  eines  Klystiers  rechnet  man  für  einen  Erwachsenen  auf  8,  für  ein 
Kind  auf  4 — 5,  für  einen  Neugebornen  auf  2  —  3  Unzen.  Die  Temperatur 
desselben  prüft  man  auf  die  Art ,  dass  man  die  gefüllte  Spritze  ans  geschlo-i- 
sene  Auge  hält.  Kann  man  hier  die  Wärme  ohne  Schmerz  ertragen,  so  ist 
dieser  Wärmegrad  der  beste.  Wir  bedienen  uns  der  Klystiere  am  häufigsten 
zur  Beförderung  der  LeibesöfFnung  bei  Obstructio  alvi,  wo  sie  in  vielen 
Fällen ,  besonders  bei  Kindern  und  zarten  Personen ,  den  Vorzug  vor  inner- 
lichen, auf  die  Öffnung  wirkenden  Mitteln  haben.  Aber  auch  als  reizendes, 
Congestion  ableitendes,  schmerzlinderndes,  beruhigendes,  nährendes,  adstrin- 
girendes  Mittel  ist  das  Klystier,  je  nachdem  dazu  verschieden  wirkende  In- 
gredientieii  genommen  werden ,  ein  höchst  wichtiges  Mittel  gegen  verschie- 
dene Kraiikheitszustände ,  das  nicht  blos  palliativ,  sondern  oft  auch  radical 
heilt  und  von  keinem  ächten  Praktiker  vernachlässigt  wird.  Wir  bedienen 
bns  zur  Bereitung  der  vferschiedenartigen  Klystiere  der  Solutionen,  Mixta- 
ten, Mischungen,  Infusionen,  Abkochungen,  bereitet  aus  Wurzeln,  Kräu- 
tern, Rinden,  Hölzern,  aus  Salzen,  Extracten,  Balsamen,  Ölen,  Harten, 
Seife,    Honig  u.  s.  f.     Wii*  unterscheiden  in  dieser  Hinsicht  folgende  Arten; 

Cfijsvin  ncre,  irriians ,  das  reizende  Klystier.  Es  findet  seine  Aiv- 
weritfung  bei  verschiedenen  Arten  des  Scheintodes,  bei  manchen  Vergiftun- 
gen, bei  Apoplexia  sangiiinea  etc.  Man  kann  dazu ,  Mittclsalze ,  Tabaks- 
blätter,.  Seife,  Tartarus  emeticus',  Essig  und  Wasser  und  andere  reizende 
Dinge  itehmen,  i.  B.  ^f  Aqune  f&Atdtitie  §jjj ,  Accti  vini  •pi.'^]] ,  Srti.'culi- 
iiar.  3i>.  M.  S.  Zu  einem  Klystier,  lauwarm  oder  kalt  anzuwenden.  Od«r^ 
^r  Decoct.  herb/nlthtteae  ^\]^  Snl.  Gliiuheri  jfl , .  Äipor».  »oirt.  3]»  Ol.  Uni 
5jj.  -M.  JDesgleichen  ^»  Fol.  siccor.  nieol.  jjv ,  coq.  -c^  aq.  fontan.  3xjj,  colnt. 
i\}^  adde  Tnrt.  crnet.  gr.  y.  S.  Zum  Lavemeut.  -  B^  Decoct,  avaute  excort. 
§vj,  Aci'ti  villi  3Jj.  M.  S.     Zua  Klystier.  i    i.-.,    '■  ".'    i  ■> 

fjf\jsmn  rtd^itiffens.  Wir  gebrauchen  das  adstringir'ende  Klystier  bei 
ProläpsU'3  ani ,  bei  Schlaffheit'  des  Mastdarms  etc.  h;  Aqu'ne  cnlcis  5'^', 
Tc»+np*jrt^«.  3jj.  M.  Auch  Decoct.  rort.  quere,  ^vj;,  Yun  robri  ^  ist  nicr 
sehr  "zjlvefcl^mäsiig;  desgleichen  ein  Klystier  von  kaltem  Wasser. 

(yiusmanpürie7}.i^  cccovrofiami.,  hurmis,  das'  erö  ffn  cn  de  Klystier. 
Eä'Wiru  gewonnlich  aus  Hafersciileim ,  Salz  und  öl  bereitet.  I^  DccocL 
tw'eiu\e  excort.  3VJ,  OL  Uni  3Jj,  SnJ.  cutinar,  ^Iv-  ^^-  Oder:  I^  Scr.  ladia 
tninarinfl.\y]y  l^al.  jmlijchr.  ^j>,'  Of.  ///li.  5J.  M  Bei  hartnäckiger  Yer- 
stopftlng  Ist  es  gut,  zuer.^t  ein  erweichendes,  und  y.  Stunde  später  ein  er- 
öffnendes Laveiiient  iu  geben  (iW.)'.  Kür  kle'inc  Kinder  passt:  I^  Sacchari 
nlti  5jjj  >  TilcU.  ovor.  Nö,  j.  '  Aq.  chamonitU.  jjjj.  M.  S.  Erwärmt  anzu- 
wenden, ,  .  ,  , 

'  'if^fianin  cHiaUicfiff,  das  erwffltrhertd  e  '  Klystier.  Wird  ims  frfschcr 
Kuhmilch- 5vJ  und  Leinöl  333 ,  t)der  atis'  P'ol'^eiideitt  berritet:  ^'  Hcrft;' mal- 
vnectmt.t'-t'loi^,  rhamomll.,  Sem.  Uni  conhif.  aiia  ^üi  coq.  hatt.  vacci».  3XVJ, 
(ttl.  $MJj  ttMe  Ol.  Uni  ^w.  M.  S.     Zh  2  Klysticren. 

'  '  Clyxma  Itnicvs ,  das  jindcrnde  Klystier,  um  die  Schmerzen  bei 
Tcne.«mus,  Hämorrhoiden,  Leibschmerz,  Koliken  etc.  zu  lindem:  K-  Atnyli 
5jfv.  Prtucn  tiqnn  seorsim  ilifttndirnlur  et  rnjitcntur,  ut  amyhtm  conißohittum 
dissolmlnr ,  q'uud  dein  ndritlic.  Aqitac  fontannc  pur.  %ti}]].  .\uch  kann  man 
noch  etwas  Opium,  Extr.  hyoscyami  etc.  (von  erstem  1 — 2,  von  letitet'rti 
2  —  4  Gran)  zusetzen.      Diese  Portion  ist    zu  2  —  8  Lavements    hinreichend. 

CUjsmn  nu/ric»w,  das  nährende  Klystier.  Die  Quantität  darf  nit^it 
über  S  Unzen 'betragen,  sonst,  geht  es  zu  schnell  weder  ab.  Es  werden 
dazu  nährende,  starkende  Ingredientien  genommen,  z.  B.  I^'  Decoct.  cort. 
peruu.  3vjjj ,  Titicl.  nm)dijn.  compos.  ^j ,  Gtimm.  arnhici  ^.  M.  S.  Zu  4 
Lavemcnti.     f^  Vitclh  oid   No.  jj.     Jusc.   cni^ia   vitul.  Sj,    Vitd  ^attici  Jjj. 


CLYSTERIUM  —  GOAÖÜiLUM  431 

il.  S.    Zu  5  Lareraents.     T^  Lact  reveid. ,  Juso.  cam.  vital,  ana  3J5 »  GelaU 
€.  c.  5J.   M.  S.     Zu  2  Klystieren. 

Clysma  antispasmodicum ,  das  krampf  stillende  Klystier.  Man  ve»- 
ordnet  es  gegen  alle  Äxten  Krämpfe,  auch  gegen  Leibesveratopfung ,  wenn 
dieser  ein  Krampf  zum  Grunde  liegt.  Gewöhnlich  nimmt  man  ein  Infus, 
flor.  chamom.  mit  Haferschleim,  von  jedem  3  Unzen,  löst  darin  3j — 3jj  Asa 
Ibetida  auf,  und  setzt  1  Un/e  Leinöl  zu.  Auch  passt  folgende  Formel: 
R?  Rmd.  valerinnae  gjj,  Fol.  aurantior.,  Herlj.  milleful.,  Flor.  chauionnU.  ajna 
5J ,  inf.  aq.  ferv.  Sjj ,  col.  ^xvj  adde  Gummi  asae  foet,  5jjj ,  Ol.  Uni  gjj. 
M.  S.  Zu  3  Lavements.  Gegen  die  Bleikolik  ist  in  der  Pariser  Charit^ 
folgendes  Clysma  anodynum  Standformcl:  I^  Ol.  nwc.  jughmd  S!)^,  Vini  rulri 
ßj.  M,  (^  Richard^.  Folgende  Formeln  und  Bemerkungen  mögen  hier  noch 
Platz  finden:  1)  Specifik  gegen  epidemischen  Durchfall  wirkt  ein  Klystier 
aus  I^  Vitell.  ov.  No.  j.  terre  cum  Aquae  cliamom.  5IV.  M.  S.  Zum  Lave- 
ment  (von  Hildenlrandi).  2)  Bei  krampfhaften,  schmerzhaften  Hämorrhoi- 
dalbeschwerden  im  Mastdarme.,  bei  Verdickung  desselben ,  gegen  Askariden 
empfiehlt , Dr.  Kopp  in  Hanau,:  fy  Merc.  dulc.  gr.  ]  — iv,  dumm.  arah.  3^, 
Aquae  valcr.  gjj^.  M.  exact.  S.  Zu  1  Larenient.  Das  Arzneiglas  wird  in 
warmes  Wasser  gesetzt  uad  so  das  Klystier  erwärmt.  3)  Gegen  heftige 
chronische  Ruhr  empfiehlt  Dr.  ISiopp  folgendes  Klystier:  ]^  Mcrc.  sullim. 
corros.  gr.  '/<,  —  %,  Aquae  destill.  3],  Mucil.  gunmi.  arah.  3J1V5  Opii  pur. 
gr.  j.  M.  d.  ad  vitr.  S.  Ein  Glas  voll  erwärmt  als  Klystier  zu  geben. 
4)  Gegen  Askariden  bei  Kindern  von  6 — ^8  Jahren  lobt  derselbe:  T^  Pub), 
scm.  santon.  5jj,  inftind.  aq.  ferv.  q.  s.,  Cohct.  refrlff.  3J|J-  adde  Merc.  suhlim. 
corros.  gr.  % — 'Z,,  Mtic.  gm.  'arah.  Sjj.  M.  5)  Gegen  colHquative  Durch- 
falle empfiehlt  vanSwieten:  t^  Terebinth.  pwriss.  viiell.  ovi  ^tini.  suhadt.  5ß, 
JElectunr.  tlieriac.  gf^,  .!<'«'■(.  tiaccin.  rec.  51V.  M*  .&.  I-Zttm  Klystrer  laiKwarui 
zu  geben.  Auch  passt  hier :  I^  Rad.  snlep  ruditer  tusae  ^j ,  Coq. ,  in  &,  if. 
Aquae  per  V4  hör.  Col.  3V3  'adde  Mucil.  gm»  Y<r/»&.  Sft,,  Vitell., ovi,  ^0.  j., 
Tinct.  opii  ^j.  M.  S.  Zu  3  Klystieren,  6),  Dio;  Bssigklystiere,  die  Klystiere 
von  Tabak,,  von  kaltem  Wasser  erlauben,  sollen,  sie  ihre  reizende  Wiirkung 
thiin,  keinen  ölzusatz.  Die  kalten  Lavements  bereitet  man  ganz  einfach 
aus  kaltem  Wasser  (6  Unzen)  und  giebt  sie  gewöhnlich  gleich  nach  erfolgter 
Leibesöifnung.  Bei  lähmungsartigem  Zustande  des  Dpmcanals  (Apoplexie, 
Scheintod,)  leisten  sie,  alle  2  Stunden  wiederholt,  oft  herrliche  Dienste. 
7)  In  der  Charit^  zu  Paris  ist  folgendes  Clysma  purgans  Pictonum  geg?n^ 
Bleikolik  eine  übliche  Formel:  I^f  Fol.  sennae  ^ß,.  coip^^  Aquae  commun.  aj, 
col.  adde  Sal.  Glauberi  ^fj ,  Vini  emctici  5IT.  M.  fttichnrd^s  Formular-  und 
Recepttaschenbuch  1828.  S.  373).  8)  Die  Täbaksrauchklystiere  wferddn  bei 
■einigen  Arten  des  Scheintodes  oft  mit  Nutzen  angewandt  (s.  Asp-hyxia). 
Man  bedient  sich  zum  Einblasen  des  Rauchs  in  den  Mastdarm  der  von  Hei- 
ster ^  Gaul,  Lammcrsdorf ,  Hagen,  Keilflug  u.  A.  erfundenen  und  verbesser- 
ten Tabaksrauchklystiermaschiuen.  Im  Nothfall  kann  man  sich  auch  dazu 
zweier  kurzen  irdenen  Tabakspfeifen  bedienen.  Oder  man  steckt  das  Röhr- 
chen einer  Klystierspritze  in  den  After  und  blässt  durch  ein  Pfeifenrohr  den 
Dampf  hinein.  Ein  Klystier  von  Tabaksdecoct  (3j  auf  3vjjj  Col.) ,  mitiels 
der  Spritze  applicirt,   macht  das  Tabaksrauchklystier  oft  entbehrlich. 

C.  .f.  F.  Behrens. 

Clysteriiun,  s.  Clysma. 

Cnesma.  Ist  eine  durch  Zerkratzen  auf  vorhergegangenes  Jucken 
(Cnesmus)  entstandene  Hautwunde.  , 

Cnidosis,  das  Jucken,  Brennen.  So  nennen  Einige  den  Ntssel- 
ausschlag.  Andere  das  Peitschen  mit  Brennnesseln ;  s..  Urticaria  ^.  Vfti- 
catio.  .  f  .■.>....  > 

■i  '  '         ■■--•'',■■? 

.^^  Cnfssoreg^miaf  das  ranzige,  faulige  Aufstoss^n,  s.  Rüc(v.^  hid,07 
fosüs,  rancidus. 

Coa§fuluin,  das  Geronnene,  eine  durch  Zusammenrinneii  (Goagu- 
latio)  entstandene  Masse,  z.  B.  Coagolum  sanguinis,  lactis  etc. 


432  COCLES  —  GOLEOSITIS 

Codes,    Unoculus,  Einäugig. 
*        Coclomyces.     Ist  eine  Art  schwammiger  Gewöchse  im  Zellgewebe; 
s.  Fuiigus  cellulosus. 

Coctio,  die  Kochung.  Bedeutet  im  physiologischen  Sinne  die  Ver- 
dauung (Digestio  ciborum),  im  pathologischen  nach  älterm  Begriffe  die  auf 
entzündliche  Brustleiden  am  Ende  der  Krankheit  erfolgte  freie  Expectora- 
tion  von  runden,  gelblichweissen  Sputis,  die, als  kritisch  wohlthätig  ange- 
sehen werden  muss ,  z.  B.  am  siebenten ,  neunten  Tage  der  Pneumonie. 

Coecitas,  Blindheit,  Mangel  des  Sehvermögens.  Dieses 
Übel  ist  entweder  angeboren,  so  dass  der  Mensch  wegen  irgend  eines  orga- 
nischen Fehlers  der  Sehwerkzeuge  blind  auf  die  Welt  kommt,  oder,  was 
häufiger  der  B'all  ist,  erst  späterhin  durch  verschiedene  Augenfehler  ent- 
standen. Hierher  gehören  ganz  vorzüglich  der  schwarze  Staar,  die  völlige 
Verdunkelung  der  Hornhaut,  die  Verwachsung  der  Pupille,  der  graue  Staar 
und  andere  theils  dynamische,  theils  materielle,  störend  aufs  Sehvermögen 
wirkende  Schädlichkeiten  und  deren  Folgen  (s.  Amaurosis,  Cataracta, 
Glaucoma,  Synizesis  pupillae,  Nubecula  et  Macula  corneae, 
Leucoma,  etc.).  Bald  ist  die  Blindheit  allgemein,  bald  nur  partiell,  bald 
nur  im  niedern,  bald  im  höhern  Grade  da ,  bald  nur  des  Nachts ,  bald  nur 
bei  Tage  zugegen  (s.  Visus  diurnus  et  nocturnus).  Was  die  Be- 
handlung der  Blindheit  betrifft,  so  beruhet  sie  aufrichtiger  Erkenntnis» 
und  Cur  des  Grundübels. 

Coccitas  crepuscularis ,  s.  Visus  diurnus. 

Coecilas  diurna ,  s.  Visus  nocturnus. 

Coelema ,  Hornhautgeschwür,  s.  Ulcuscorneae. 

Coeliaca  passio»  der  (weisse)  BauchQuss,  die  Milchruhr,  s.  Flu- 
xus  coeliacus. 

Coelittcn  cnienta,  s.  Diarrhoea  cruenta. 

Coeliaca  urinalis,  s.  Chyluria. 

Coelialg^ia,  Bauchschmerz.  Einige  verstehen  unter  dieser  Be- 
nennung jeden  Schmerz  des  Bauches,  der  auf  Entzündung,  Krampf,  Extra- 
vasat oder  Wasseransammlung  des  Unterleibs  und  seiner  Eingeweide  beru- 
het; Andere  nennen  die  Bauchwassersucht  Coelialgia,  noch  Andere  verstehen 
darunter  eine  Unter leibskrankheit  überhaupt,  also  unter  Coelialgien 
die  ganze    Gattung. 

Coeliocele»  Bauchbrach,  s.  Hernla  ventral is. 

Coeliocyosis «  Bauchschwangerschaft,   s.    Graviditas. 

Coelioncus.  Ist  eine  feste,  fixere  Bauchgeschwulst,  zum 
Unterschiede  von 

Coeliopliyina ,  worunter  man  eine  weiche,  flüchtigere  Ge- 
sell wu  Ist  des  Bauches  versteht. 

Coeliopyosis ,  Eiterung  im  Unterleibe,  ein  Dauchabscess ,  s.  Ab- 
ts c  e  s  s  u  s  abdominalis. 

Coeloina',  weniger  richtig  Coclcmn.  Ist  ein  excavirtes  Horn- 
hautgeschwür.    S.   Ulcus  corneae. 

Cocnilosis,    Blausucht,  s.  Cjanosis. 

Coleitis,  Entzündung  der  Mutterscheide,  s.  Inflammatio  vaginae. 

Coleocelo,  Scheidenbruch,    s.  Her nia  vaginalis. 

Coleoedema,     Geschwul.^t  der  Scheide. 

Coleoptosis»  Schcidenvorfall ,  s.  Prolapsus  vaglnae. 

Coleorrhexi(9 ,  Zerreissung  der  Scheide.  Sic  kommt  oft 
gleichzeitig  mit  Zerreissung  des  Uterus ,  bei  rohem  Accouchement  etc.  vor 
und  ist  dann  sehr  gefahrlich;  s.  Vulnera  uteri. 

ColCOSltls*     Ist  gleichbedeutend  mit  Coleilis. 


COLEOSTEGNOSIS  —  COLICA  433 

Cole08te§rnosi8 ,  die  Verengerung  der  Scheide,  s.  Strictura  va- 
ginae. 

*  Collca,  Colica  Pnssio,  Colicodynia,  Dolores  intestinorum,  Enicrnlyia, 
Bauchgrimmen,  Kolik,  Leibschneiden,  Bauchweh,  Darm- 
schmerz. So  nennen  wir  einen  Krampf  des  Darmcanals,  der  sich  durch 
schneidende,  kneipende,  zusammenziehende,  bald  nachlassende,  bald  anhal- 
tende, meistens  vage,  bisweilen  aber  auch  fixe  Schmerzen  zu  erkennen 
giebt,  fieberlos,  und  oft  nur  Symptom  anderer  Krankheitszustände  ist. 
Symptome  im  Allgemeinen.  Die  Kolik  tritt  oft  mit,  oft  ohne  alle  Vorbo- 
ten ein.  Letztere  sind :  oft  kürzere  oder  längere  Zeit  vorhergehender  Ap- 
petitmangel, Ekel,  Erbrechen,  flüchtige  Stiche,  Kollern  und  Druck  im  Un- 
teileibe,  Obstructio  alvi  oder  Diarrhöe,  trüber  Harn  etc.  Die  Kolikschmer- 
zen selbst  sind  kneipend,  schneidend,  zusammenziehend,  selbst  so  heftig, 
wie  bei  Kardialgie,  meistens  wandernd,  bisweilen  aber  eine  Stelle  des 
Darmes  vorzugsweise  liebend ,  bald  nachlassend ,  bald  anhaltend ;  der  Unter- 
leib ist  entweder  gespannt ,  aufgetrieben ,  wie  bei  Col.  flatulenta ,  oder  die 
Bauchmuskeln  sind  stark  gegen  das  Rückgrat  gezogen,  so  dass  der  Unter- 
leib ganz  concav  erscheint  und  sich  hart  anfühlt,  wie  z.  B.  bei  Col.  satiir- 
nina.  Häufig  ist  gleichzeitig  dann  der  After  geschwollen  und  in  die  Höhe 
gezogen ,  wodurch  die  Application  der  Klystiere  sehr  erschwert  wird.  Dazu 
gesellen  sich  Übelkeit,  Erbrechen,  Aufstossen,  Verstopfung  (Colica  sicca), 
oder  Diarrhöe.  Auch  die  Organe  des  Athmens  und  der  Blutumlauf  werden 
consensuell  afficirt;  daher  ängstliches,  erschwertes  Athmen,  Krampfhusten, 
kleiner,  frequenter,  krampfhafter  Puls,  Herzklopfen,  Angst,  Unruhe,  bald 
Röthe,  bald  Blässe  des  Gesichts,  trockne  Haut,  kalte  Schweisse,  kalte 
Extremitäten,  bei  sensiblen  Personen  selbst  Ohnmächten,  Delirien.  Bei  hö- 
heren Graden  nehmen  alle  beschriebenen  Symptome  zu ;  es  entsteht  Harn- 
verhaltung oder  Drängen  zum  Harnen,  Erectionen,  Samenerguss,  die  Ho- 
den schmerzen  und  werden  durch  Krampf  gegen  den  Unterleib  gezogen,  bei 
Weibern  stellt  sich  Gefühl  von  Wehen,  oder  als  wolle  der  Uterus  einfallen, 
ein.  Der  Krampf  erstreckt  sich  selbst  bis  in  die  unteren  Extremitäten,  da- 
her Gefühl  von  Lendenlahmheit,  in  einzelnen  Fällen  selbst  wirkliche  Para- 
lyse der  unteren  Gliedmassen.  Bei  längerer  Dauer  und  Zunahme  des  Übels 
kann  die  Krankheit  selbst  in  Entzündung  der  Unterleibsorgane,  Ileus  und 
Brand  übergehen  und  so  den  Tod  herbeiführen.  Was  die  Disposition 
zur  Kolik  betrilft,  so  kann  diese  blos  örtlich  seyn,  und  auf  erhöhter  Reiz- 
barkeit und  Empfindlichkeit  mit  Schwäche  des  Darmcanals  beruhen,  oder 
auch  in  organischen  Fehlern  der  Unterleibsorgane  ihren  Grund  haben,  oder 
sie  ist  auch,  eben  sowie  die  Kardialgie  in  einzelnen  Fällen,  in  einer  eignen 
Stimmung  des  ganzen  Nervensystems  (Habitus  spasticus)  begründet.  Sie 
kann  angeboren  oder  erworben  seyn,  sowie  dies  auch  bei  Hysterie  und  an- 
deren Neurosen  der  Fall  ist.  Besonders  geneigt  zur  Kolik  sind  jugendliche, 
reizbare  Subjecte,  Hypochondristen ,  Hysterische,  Onanisten  und  solche,  die 
in  Baccho  und  Venere  ausschweifen.  Bei  solchen  Personen  kann  das  Übel 
selbst  habituell  werden ,  da  überhaupt  die  Neigung  zu  Recidiven  bei  der 
Kolik  sehr  gross  ist.  Was  die  Diagnose  der  Kolik  im  Allgemeinen  be- 
trifft, so  gilt  darüber  das,  was  von  der  Unterscheidung  des  Magenkrampfs 
oben  gesagt  worden  ist  (s.  Cardialgia).  Auch  die  Kolik  ist  in  den  mei- 
sten Fällen  nur  Symptom  eines  tiefer  liegenden  Übels.  Wir  müssen  daher 
dieses  stets  aufzusuchen  und  zu  entfernen  uns  bemühen  und  uns  nicht  mit 
dem  Namen  Kolik  und  den  gegen  Colica  spastica,  flatulenta  empfohlenen 
Antispasmodicis  begnügen.  Vorzüglich  wichtig  ist  es,  Entzündungen  der 
Unterleibsorgane  nicht  für  Kolik  zu  halten  (s.  Cardialgia,  Convolvu- 
lus,  Gastritis,  Enteritis).  Nach  den  verschiedenen  charakteristi- 
schen Symptomen  und  nach  den  verschiedenen  Ursachen  der  Kolik  haben 
die  Praktiker  verschiedene  Arten  des  Übels  angenommen,  welche  für  die 
Ätiologie,  Diagnose  und  Curmethode  von  der  grössten  Wichtigkeit  sind. 

Colica  arthritica.    Ausser  der  gicbtischen ,  plötzlich  durch  Gichtmetastaso 
entstandenen  Form,    giebt  es  noch  eine   andere  aus   gichtischen,   vielleicht 
Most  Eucyklopädie.  2te  Aufl.  I.  28 


434  COLICA 

auch  rheumatUclien  Ursachen  entstandene  Kolik ,  welche  Rc'tsintfer  im  Herbst 
183S  zu  F'reystadt  sogar  endemisch  beobachtet  haben  will  (s.  Medic.  Jahrb. 
des  k.  k.  österr.  Staates  von  A.  J.  v.  Sti/ft  etc.  Wien,  1834.  Neue  Folge, 
Bd.  VH.  St.  1,  S.  123  ff.).  Symptome.  Dia  Krankheit  macht  Exacer- 
bationen und  Remissionen.  Erstere ,  von  unbestimmter  Zalü ,  s'md  immer 
des  Nachts  heftiger  und  halten  Minuten  bis  Viertelstunden  lang  an.  Der 
Sitz  des  Schmerzes  ist  meist  um  und  über  dem  Nabel,  in  den  Rippenweichen, 
selbst  bis  in  die  Regio  pubis,  ist  nagend,  brennend,  schneidend,  oft  furcht- 
bar heftig,  fast  immer  ist  Kreuz-  und  Rückenschmerz  dabei,  heisse  Tem- 
peratur des  Unterleibes,  hartnäckige  Obstructio  ahi,  Ructus,  Flatus,  Angst, 
zuweilen  sichtbares  Klopfen  der  Bauchaorta;  im  hohen  Grade  des  Übels 
heftiges  Fieber  mit  rothem ,  klarem  oder  gleich  anfangs  weisslich  trübem 
Urin  und  kalten  Extremitäten.  Vor  dem  Ausbruche ,  oft  gleichzeitig ,  Reiasen 
und  Stechen  in  den  Gliedern  oder  an  mehreren  Gegenden  des  Stammes ; 
auffallende  Linderung  der  innern  Schmerzen ,  wenn  diese  in  den  äussern 
Theilen  mehr  hervortreten,  und  umgekehrt.  Im  gelindern  Grade  sind  die 
Schmerzen  leidlicher ,  die  Kranken  fieberfrei ,  aber  die  Nächte  schlaflos. 
Ursachen  und  Prognose.  Nasskalte  Witterung,  Erkältung,  Diätfeh- 
ler, besonders  starke  und  späte  Abendmahlzeiten,  Mehl-  und  Milchspeisen, 
Obst,  KoWarten  etc.  verschlimmern  oder  erregen  bei  Gichtischen  das  Übel. 
Die  Krankheit,  verkehrt  behandelt  oder  vernachlässigt,  dauert  Wochen, 
Monate,  ja  selbst  Jahre  lang,  und  verschlimmert  sich  im  Herbst  und  Früh- 
ling. Im  höchsten  Grade  tödtet  sie  in  einigen  Tagen  oder  verläuft  inner- 
halb 3  —  4  Wochen.  Hauptursachen  sind  nach  R.  abwechselnde  na.sskalte 
Witterung,  schlechte,  grobe  Kost  und  Unreinlichkeit.  Die  Krankheit  fand 
R.  am  meisten  bei  armen  Leuten,  die  schon  über  40  Jahre  alt  sind.  Fast 
alle  litten  sie  schon  früher  an  Gelenk-  und  Gliedergicht,  was  die  Diagnose 
sehr  erleichtert.  In  einigen  Fällen  war  indessen  keine  Spur  von  früheren 
Gichtleiden  aufzufinden.  Cur.  Rcisinger  stellt  hier  mit  Recht  folgende 
Indicationen  auf:  Ausleerung  der  schädlichen  Stotfe  im  Darmcanal,  Herab- 
stimmung der  zu  hohen  Empfindlichkeit  desselben ,  Ableitung  des  Gichtrei- 
zes auf  die  äussern  Theile  und  Befördenui^  der  Hautausdünstung.  Der 
Kranke  muss  daher  das  Bette  hüten  und  ein  starkes  Purgans  aus  Infus, 
laxat.  Vienn.  mit  Sal  Glauberi  und  Syr.  rhei  nehmen,  so  dass  mehrere 
Stühle  folgen.  An  den  übrigen  Tagen  dienen  Elect.  lenitiv.  mit  Sal  Glau- 
beri, um  täglich  2  —  3  Sedes  zu  bewirken;  denn  n»it  der  Wiederkehr  der 
Verstopfung  kehren  die  Schmerzen  zurück ,  wo  alsdann  wieder  ehi  Purgans, 
zwischendurch  auch  Magnes.  carbon.  gereicht  wird.  Ausserdem  giebt  jR. 
Abends  und  Morgens,  nach  Umständen  selbst  4  —  6  Mal,  täglich  '/j  —  1  Gran 
Extr.  opii,  oder  Pulv.  Doweri.  Dies  luiterstützt  nur  die  Wirkung  der  Pur- 
ganzen ,  indem  es  den  Krampf  in  den  Därmen  hebt,  und  befördert  die  Dia- 
phorese.  Kein  anderes  Mittel  ersetzt  hier  das  Opium.  Zum  Getränk  dient 
schwache  Fleischbrühe ,  Thee  aus  Flor,  sambuci  und  Flor,  tiliorum.  Gleich 
zu  Anfange  legt  R.  auch  ein  grosses  V.esicatonum  auf  den  Unterleib  und 
legt  heisse  Tücher  auf  die  kalten  Füsse.  In  sehr  hartnäckigen  Fällen  wer- 
den alle  2  —  3  Tage  die  Vesicatorien  wiederholt  oder  die  Pustelsalbe  ein- 
gerieben. In  der  Reconvalescenz  dient  ein  Infus,  centaur.  min.  mit  Tiiict. 
rhei  aquosa.     Diese  Curraethode  war  die  einzig  glückliche. 

Colica  hiliosa,  die  Gallenkolik.  Sie  entsteht  von  galligen  Unreinig^ 
keiten  der  ersten  Wege,  und  kommt  theils  sporadisch,  nach  Ärger,  Zurii 
und  andern  Gemüthsaffecten ,  theils  epidemisch  in  heissen  Sommertagen, 
theils  endemisch  in  heissen  Klimaten  vor  (s.  Cholera).  Vorboten  der» 
selben  sind  die  Zeichen  der  gestörten  Leber  -  und  Gallenfunction :  bitterer^ 
galliger  Geschmack,  gelbbelegte  Zunge,  Ekel,  Erbrechen,  Appetitmangel, 
Druck  in  der  Magengegend  etc.  Der  Kolikschmerz  selbst  ist  sehr  heftige, 
scluieidend,  zusammenschnürend,  entsteht  gewöhnlich  zuerst  in  der  Gegend 
des  Magens  und  zieht  sich  von  da  nach  dem  Rücken  hin;  dabei  ist  grosser 
Durst,  Angst,  Unruhe,  Schmerz  in  der  Schulter,  fader,  bitterer  Geschmack, 
eine  mit  gelbem  Schleim  überzogene  Zunge,  gänzliche  Appetitlosigkeit,  gelb- 


COLICA  435 

licher  Urin.  Oft  folgt  galliges  Erbrechen,  Cholera.,  'uVid  dann  lassen  alle 
Symptome  etwas  nach.  Sehr  häufig  kommt  diese  Kolik  mit  BMeber  verbuiv- 
den  vor,  meist  mit  Febi-,  biliosa;  geht  leicht-bei  höheren  Graden  des  Übels 
oder  bei  verkehrter  Behandlung  in  Entzündung  der  Unterleibsorgane  über 
und  kann  dadurch  selbst  tödtlich  werden.  Cur.  Man  suche  hier  1)  die 
krampfhafte  Reizung  des  Darmcanals  zu  heben ,  2)  idie  scharfe  Galle  zu 
ve^^essern  und  auszuführen,  und  3)  den  Übergang  in  Entzündung  zo  VCF* 
hüten.  Um  die  erste  Indication  zu  erfüllen ,  dienen  ätherische  Eini^eibnngen 
in  den  Unterleib,  v^arme  aromatische  Umschläge,  ölige,  nicht  reizende, 
krampfstillende  Klystiere ,  innerlich  kleine  Dosen  Ipecacuanha ,  desgleichen 
Saccus  citri  mit  fetten  Ölen,  esslöffel weise  gereicht  (Michaelis),  auch  Suc- 
cus  aurantiorum.  Daher  versuche  man  erst  diese  Mittel  und  bediene  sich 
des  Opiums  nur  da,  wo  sie  fehlschlagen,  oder  in  sehr  hartnäckigen  Fällen 
und  bei  sehr  heftigen  Schmerzen.  Bei  Vollblütigkeit  passt  ein  kleiner  Ader- 
lass.  Auch  dienen  hier  örtliche  Blutausicerungen  durch  Blutegel,  daneben 
innerlich  Emulsionen,  um  Entzündung  zu  verhüten.  Ist  der  Krampf  besei- 
tigt ,  so  giebt  man  sanfte  Emetica ,  am  besten  aus  Ipecacuanha ,  auch  ge- 
lind reizende  Abführungen:  Ol.  ricini,  Pulpa  tamarindorura,  Manna,  Ma- 
gnesia mit  Crem,  tartari,  Elect.  leiütiv. ,  Tart.  boraxatus  etc.  Ist  schon 
Gallenruhr  oder  Enteritis,  Gastritis  etc.  vorhanden,  dann  muss  man  diese 
behandeln;  s.  Cholera,  Gastritis,  Enteritis,  Hepatitis. 

Colica  consensuaJis.  Hiei-  liegt  die  Ursache  nicht  im  Darmcanale  selbst, 
sondern  der  Schmerz  entsteht  per  consensum,  z.  B.  durch  das  Einklemmen 
der  Gallen-  und  Nierensteine,  wodurch  eine  krankhafte  Reizung  hervorge- 
rufen vs'ird,  die  sich  auf  den  mit  diesen  Organen  so  eng  verbundenen  Darm- 
canal  fortpflanzt.  Daher  ist  hier  zu  betrachten  a)  Culka  hepatica,  ict'crica, 
e  cnlculis  felJeis.  Sie  entsteht  oft  plötzlich  nach  heftiger  Körperanstrengung, 
Erschütterung,  nach  einer  reichlichen  Mahlzeit,  und  erregt  die  furchtbar- 
sten Schmerzeh.  In  seltneren  Fällen  geht  ein  Gefühl  von  Druck,  Schwere 
in  der  Gallenblasengegend  ^  Neigung  zur  Verstopfung  nebst  allen  Zufallen 
des  Icterus  vorher.  Letztere,  sowie  die  heftigen  Schmerzen  sind  charakte- 
ristische Zeichen  des  Übels ,  das  in  der  Regel  und  bei  passender  Behandlung 
den  günstigen  Ausgang  nimmt,  dass  sich  der  oder  die  eingeklemmten  Gal- 
lensteine lösen  und  dann  durch  Erbrechen  oder  durch  den  Stuhlgang  ent- 
fernt werden  ;  damit  hört  dann  auch  die  Kolik  auf,  aber  sie  kehrt  häutig 
nach  einiger  Zeit  zurück  und  behauptet  eine  gewisse  Periodicität.  In  die- 
sem Falle  haben  sich  neue  Gallensteine  gebildet  und  einen  abermaligen  Reiz 
in  den  Gallengängen  verursacht.  Cur.  Einige  Ärzte  haben  zur  Entfernung 
der  Steine  Vomitive  empfohlen;  sie  sind  ein  gewagtes  Mittel,  schaden  häu- 
fig, indem  sie  Entzündung  erregen  können,  und  sind  daher  nicht  zu  em- 
pfehlen. Eben  so  wenig  passen  während  der  Kolik  die  sogenannten  Lithon- 
triptica ;  denn  sie  verschaffen  dem  Kranken  nicht  schnell  genug  Erleichte- 
rung, können  auch  durch  ihren  Reiz  gleichfalls  die  Gefahr  der  Entzündung 
steigern.  Am  besten  beginnt  man  die  Cur  mit  erweichenden,  krampfstillen- 
den Mitteln ,  macht  erweichende  Einreibungen  in  die  Lebergegend ,  z.  B. 
von  Uiiguent.  althaeafe  3J,  von  Ol.  hyoscyami,  Linim.  vol.  camphor.  ana  ^j, 
Laudani  liquid.  Sydenh.  5jj  >  Ol.  terebinth.  5]^  warme  Umschläge  über  den 
ganzen  Unterleib ,  wendet  ein  laues  Bad  an ;  innerlich  passen  Castoreum, 
Hyoscyamus,  Opium,  Erauls.  amygdal.  dulc.  rec.  expr. ;  auch  ist  Folgendes 
sehr  wirksam :  ]^  OL  nmygdal.  dulc.  rec.  expr.  3"*'j  >  VUell.  ovi  q.  s. ,  AqiMe 
chnmomillae ,  —  vnlerinnae  ana  jtv ,  Eair.  hyoscynmi  3j  >  Aqune  Inurocerasi 
Sil},  Syr.  diacod.  §j.  M.  f.  Erauls.  S.  Alle  y.  Stunden  1  Esslöffel  voll  (Jlf.); 
bei  Vollblütigkeit  versäume  man  vorher  die  Venaesection  nicht ,  applicire  auch 
Blutegel  in  die  Lebergegend.  Nach  Beseitigung  des  Krampfes  und  der 
Schmerzen,  ohngefähr  2 — 3  Tage  nach  Beendigung  . der  Kolik,  suche  man 
die  Gallensteine  aufzulösen  und  zu  entfernen,  wozu  das  Durand'sche  Mittel 
vorzugsweise  passt.  Man  gifebt  es  am  besten  in  dieser  F'orm :  fy  Nnphth. 
vitrioU,  Ol.  terebinth.  ana  51T.  M.  S.  3— 4mal  täglich  20— 30  Tropfen- in 
Zucker;    fährt   damit  wochenlang  fort  und  interpouirt  alle  acht  TÄge  ein 

28* 


436  '  COLICA 

gelindes  Laxans  Zugleich  achte  man  darauf,  ob  Steine  abgehen,  b)  Co- 
Uca  renalis,  tiephritica.  Sie  entsteht  durch  das  Einklemmen  der  Nierensteine 
in  den  Ureteren ,  wodurch  Reizung  hervorgerufen  wird.  Symptome. 
Heftiger  Schmerz,  besonders  in  der  Richtung  der  Harnleiter,  der  durch 
heftige  Erschütterung  des  Körpers,  durch  langes  Stehen,  starkes  Beugen 
des  Körpers  vermehrt  ,wird.  Der  Schmerz  zieht  sich  bis  in  den  Schenkel 
der  leidenden  Seite ,  worin  das  Gefühl  von  Taubheit  oder  Lahmheit  emp&n- 
den  wird,  die  HodeA  werden  durch  Krampf  gegen  den  Bauchring  gezo^n; 
dabei  ist  Übelkeit ,  wirkliches  Erbrechen ,  Angst ,  Unruhe ,  Kopfschmerz, 
oft  Schwindel,  Brustschmerz,  der  sich  bis  in  die  Schulter  der  leidenden 
Seite  erstreckt,  sparsamer,  anfangs  heller,  später  oft  blutiger  Urin.  Cur. 
Man  beseitige  zuerst  den  Krampf  durch  alle  oben  angegebene  innere  und 
äussere  Antispasmodica  (s.  Colica  hepatica);  später  suche  man  den 
Durchgang  der  Nierensteine  zu  befördern  und  diese  selbst  durch  chemisch 
wirkende  Mittel  aufzulösen;  man  gebe  daher  innerlich  kaiische  Mittel:  Aqua 
calcis ,  Conchae  praepar. ,  Sapo  medic. ,  Oculi  cancror. ,  Magnesia  etc. ;  s. 
LJ.thidisis. 

-"'.:  Colica  flatulentn,  die  Blähungskolik.     Sie  entsteht  durch  Anhäufung 
irgend  emes  Gases,    am  häufigsten  durch  kohlensaures   oder  Wasserstoffgas 
im,  Deurmcanale,  bei  Personen  mit  schwachem  und  sensiblem  Digestionsappa- 
rate, bei  Hysterischen,  Hypochondristen,  bei  Leuten,  die  duich  Ausschwei- 
fungen  im  Essen   und  Trinken ,    in  Baccho ,    Venere ,    Minerva  et   Apolline 
Magen  und  Gedärme  geschwächt  haben.     Das  Gas   entwickelt  sich  meistens 
aus    den   genossenen   Speisen,    besonders    aus   dem   Chyraus    von   blähender 
Kost,  aus  solchen  Dingen,  die  leicht  in  Gährung  übergehen  und  daher  leicht 
Gas  erzeugen.     Auch   aus  der  allgemeinen  Säftemasse   kann  sich  Gas   unter 
sonst  begünstigenden  Umständen  entwickeln.    Veranlassende  Ursachen  die- 
ser Kolik  sind  ausser  blähenden  Speisen  bei  schwacher  Digestion  vorzüglich 
noch  Erkältung  des  Leibes ,  der  Füsse ,  Gemüthsaffecte :  Ärger ,  Zorn ,  wo- 
durch  leicht  ein    krampfhafter   Zustand   des  Darms    hervorgerufen   und   der 
Abgaaig  dci-  Blähungen  durch  partielle  Krämpfe,    besonders  im  Colon  trans- 
versum,   verhindert  wird.      Auch  das   willkürliche  Zurückhalten   der  Flatus 
kann  bei  spastischen  Subjecten  eine  krampfhafte  Verschliessung  eines  Theils 
des  Darms  und  Störungen  in  der  normalen  Function  des  Motus  peristalticus 
bewirken ,    und  so  diese  Kolik   erzeugen.      Daher  denn  auch  Menschen ,   die 
viel  vdn  Blähungen  geplagt  werden,  wenn  sie  in  Gesellschaft  Anstands  hal- 
ber von  dem  Edict  des  Claudius:    de   mittendo   crepitu   ventris,    nicht  Ge- 
brauch   machen    können,    von    diesem   Übel    nicht    selten    befallen   werden. 
Symptome.    Herumziehende,  periodisch  zu-  und  abnehmende,  oft  heftig« 
Leibschmerzen,    bedeutend    starke   Auftreibung   des   Unterleibes,    besonders 
durch  die  Ausdehnung  des  Colon  transversum,  zuweilen  selbst  hervorgetrie- 
bener Nabel ,  Kollern  im  Leibe ,  hartnäckige  Leibesverstopfung ;   die  Ructus 
und  Flatus  gehen  gar  nicht  oder  nur  unbedeutend  ab,    ihr  Abgang  erleich- 
tert sehr,  besonders  der  nach  unten.    Auch  Respirationsbeschwerden,  Brust- 
stiche,   allgemeine    Krämpfe,    spastischer    Puls,    Heraufziehen    der    Hoden, 
Harnbeschwerden,    Erectionen,    selbst   Saraenerguss    charakterisiren   haupt- 
häphlich  diese  Species.     Cur.    Die  vorzüglichsteu  Mittel  sind  hier  Antispas- 
modica  und   Carminativa:    Infus,   chamomill. ,   valerianae,    melissae,    menth. 
pip. ,    Semin.    anisi ,  .  cam ,    foeniculi ,    Aq.    cinnamomi ,    Liquor ,    Naphtha , 
Elaeos.  cajeputi ,   rutae ,  cinnam. ,  valerianae,  carvi  etc.;   ferner  Tinct.  au- 
rantior.  mit  Spirit.  nitri  dulcis,  bei  spastischen,   hysterischen,  hypochondri- 
schen  Subjecten   Tinct.    asae    foetidae ,    castorei ,    Ol.    animale   JDippelii  mit 
Liq.  anodyn.      Sind  die  Schmerzen   sehr   heftig,    so  kann  man   auch   etwas 
Opium   geben.     Auch  die  Absorbentia   sind  oft  nützlich,    besonders   in  Ver- 
bindung mit  den  Anti§pasmodicis ,    z.  B.  Pulv.  carbonum ,  Natr.  carbon.  di- 
laps. ,    Potio  Riverii   in  der  Effervescenz.     Dabei  äusserlich  Wärme   auf  den 
Unterleib:    warmgemachte   Ziegel,     Topfsteine,    ein    warmer    Pfannkuchen, 
Einreibungen   von  Linim.  volat.   camphorat.  mit  Laudanum,    warme   aroma- 
tische Fomentationen ,  mit  Flanell  übergeschlageu.     Auch  setze  man  im  An- 


COLICA  437 

falle  alle  V2  Stunden  ein  Klystier  von  Chamillen,  Haferschleim,  öl  und 
Gum.  asae  foetidae.  Auch  das  Ausziehen  des  Gases  mittels  einer  Kljstier- 
spritze  ist  empfohlen  (^Odier).  Ist  der  Anfall  vorüber,  so  denke  man  an  die 
Radicalcur.  Eine  strenge  Diät,  v/ie  sie  bei  Krämpfen  überhaupt  passt  (s. 
Spasmus),  tägliche  Bewegung  im  Freien,  Vermeidung  aller  blähenden, 
sauren  Speisen  und  Getränke,  aller  schwächenden  Einflüsse,  Sorge  für  täg- 
liche Leibesöffnung,  innerlich  anhaltend  gebraucht  Gum.  asae  foetidae.  Fei 
taur.,  Rheum ,  mitunter  Magnesia,  Oculi  cancror. ,  ein  Thee  von  Fol.  sen- 
nae,  aurantior. ,  Rad.  valerianae,  so  dass  tägliche  gehörige  Sedes  folgen, 
Flanellkleidung  etc.  sind  wichtige  Heilmittel.  Zur  Nachcur  dienen  die  Was- 
ser von  Selters,  Fachingen,  Driburg,  bittere  und  stärkende  Mittel,  ausge- 
wählt nach  dem  Grade  der  Verdauungskräfte ;  s.  Amara  und  Roborantia. 

Colictt  metastntica.  Gicht,  Rheumatismen,  plötzlich  geheilte  Geschwüre^ 
zurückgetretene  Exantheme,  nicht  entwickelte  oder  unterdrückte  Hämor- 
rhoiden ,  unterdrückte  Menstruation  etc.  erregen  oft  diese  mit  den  heftigstert 
Schmerzen  verbundene  Kolik.  Die  Diagnose  ist  leicht;  die  Anamnese, 
das  plötzliche  Auftreten  der  Kolik  nach  dem  Verschwinden  der  genannten 
Übel  giebt  uns  hinreichende  Auskunft.  Cur.  Man  wirke  auf  das  Ursäch- 
liche, suche  daher  Arthritis  retrogressa,  Exantheme,  Gicht,  Rheumatismus 
etc.  wieder  auf  die  früher  afficirt  gewesenen  Stellen  zu  bringen,  wende  des- 
halb Vesicantia,  Pustelsalben  nach  Auienrieth,  Kofrp ,  reizende  Bäder,  Ein- 
wickelungen  in  kamphorirte  Tücher,  innerlich  Diaphoretica  an.  Geheilte 
Fussgeschwüre  setzt  man  durch  Vesicantia,  durch  Brechweinsteinsalbe  wie- 
der in  Eiterung,  unterdrückte  Hämorrhoiden  und  Menstruation  regulirt  man 
durch  Aderlässe ,  Blutegel  ad  anum,  ad  genitalia,  durch  reizende  Fussbäder, 
warme  Umschläge  etc.  Man  behandle  also  das  zum  Grunde  liegende  Übel 
(s.  Arthritis  retrograda,  MenstruatioetHaemorrhoidessup- 
pressae  etc.).  Das  symptomatische  empirische  Verfahren  gegen  die  Schmer- 
zen und  den  Krampf,  was  neben  der  ursächlichen  Behandlung  stattfinden 
muss,  ist  schon  oben  angegeben;  s.  Colica  fl  atul  enta. 

Collen  verminosa.  Kommt  meistens  nur  bei  Kindern  vor  und  wird  durch 
die  Anhäufung  von  Würmern  im  Darmcanal  erzeugt.  Ihre  Diagnose  und 
Cur  ist  die  allgemeine  der  Wurmkrankheit ,  wovon  sie  ein  Symptom  ist  (s. 
Helminthiasis);   im  Anfalle  passen  Anodyna. 

Colica  satttrnina,  Colicoplegin ,  Morhus  metalHcus,  die  Bleikolik, 
Malerkolik,  Hüttenkatze.  Sie  entsteht  durch  Bleivergiftung.  Das 
Blei  wird  entweder  durch  Speisen  und  Getränke,  die  in  bleiernen  oder 
schlecht  glasurten  Gefassen  aufbewahrt  worden,  auch  durch  verfälschte 
Weine,  durch  den  Innern  Gebrauch  der  Bleimittel  in  den  Körper  gebracht; 
oder  sie  entsteht  auch  durchs  Einathmen  der  Bleidämpfe;  daher  besonders 
bei  Hüttenarbeitern,  Bergleuten,  Zinngiessern ,  Arbeitern  in  Bleiweissfabri- 
ken,  bei  Malern,  Stahlpolirern ,  Anstreichern  etc.  Symptome.  Die  Krank- 
heit befallt  entweder  langsam,  oder  plötzlich.  Bisweilen  gehen  dumpfe 
Schmerzen  im  Hypochondrio  dextro,  in  der  Nabelgegend  vorher,  dabei  ekel- 
hafter, süsslicher  Geschmack,  Neigung  zum  Erbrechen,  Magenkrampf,  Ko- 
lik (s.  Cardialgia  et  Colica  toxica),  Appetitmangel,  Neigung  zu  Ob- 
structio  alvi,  belegte  Zunge,  Angst,  Unruhe.  Diese  Vorboten  können  bei 
langsamer  Vergiftung  Tage  und  Wochen  dauern,  und  sind  als  der  geringere 
Grad  der  Krankheit  zu  betrachten.  Bei  Zunahme  des  Übels,  oder  wenn 
es  durch  grosse  Dosen  Blei  plötzlich  entstand,  sind  die  Schmei-zen  um  den 
Nabel  herum  oft  so  heftig,  dass  Ohnmächten,  epileptische  Krämpfe  erfol- 
gen, der  Leib  ganz  platt  gezogen  wird,  selbst  concav,  dass  der  Nabel  mit 
der  Rückenseite  wie  verwachsen  und  der  After  aufwärtsgezogen  erscheint. 
Dabei  ist  stets  hartnäckige  Verstopfung ,  und  was  durch  Kunst  -  oder  Na- 
turhülfe noch  ausgeleert  wird ,  geht  in  kleinen ,  schwärzlichen ,  dem  Schaf- 
koth  ähnlichen  Stückchen  ab.  Die  Mundhöhle  und  Zunge  ist  entweder  sehr 
trocken,  oder  sie  ist  auch  mit  braunem,  zähem,  schmuzigem  Schleim  über- 
zogen. Der  Durst  ist  gross ,  der  Pujs  träge ,  klein ,  langsam ,  aussetzend 
und  krampfhaft,  die  Pupille  zu  Anfange  der  Krankheit  sehr  klein,   in  spä- 


438  COLICA  , 

tern  Stadien  sehr  erweitert ,  unbeweglicli ,  unempfindlich  gegen  äussere 
Reize ,  das  Selivermögen  nimmt  ab ,  und  nicht  selten  tritt  wahre  Amaurose 
ein;  ebenso  ists  mit  dem  Gehörorgane  der  Fall,  der  Mensch  wird  schwer- 
hörig und  leidet  später  an  wirklicher  Cophosis.  Ausserdem  fühlen  die  Kran- 
ken Schmerz,  Kälte,  Unempfindlichkeit  im  Rücken,  in  den  Gliedern,  zu- 
letzt völlige  Lähmung,  der  Rückenschmerz  erstreckt  sich  in  die  .Nieren, 
worauf  Harnverhaltung,  Brustkrampf,  Dyspnoe,  Asthma,  Husten,  Stammeln 
der  Sprache,  Schluchzen,  allgemeine  Krämpfe,  krampfhaftes  Heraufziehen 
der  Hoden  etc.  folgen,  der  Kranke  magert  ab,  wird  bleich,  kachektisch, 
mürrisch,  niedergeschlagen,  des  Lebens  überdrüssig,  und  der  Tod  erfolgt, 
wenn  die  rechte  Hülfe  mangelt,  allmälig  durch  völlige  Auszehrung  (Tabes 
metallica),  oder  in  anderen  Fällen  durch  Enteritis,  Miserere,  wobei  die 
furchtbarsten  Schmerzen  und  Erbrechen  einer  grünlichen  Materie  oder  des 
Darmunraths  stattfinden.  Geht  die  Krankheit  in  Genesung  über,  so  blei- 
ben doch  häufig  partielle  Lähmungen  der  Glieder,  Taubheit,  Blindheit  zu- 
rück, sowie  überhaupt  die  ihren  Wirkungen  nach  den  narkotischen  Pflan- 
zengiften ähnliche  Bleivergiftung  gern  einen  chronischen  Verlauf  nimmt. 
Cur.  Einige  Praktiker  rathen  hier  Brechmittel  an,  um  das  Gift  zu  ent- 
leeren; all.  in  meistens  ist  das  Blei  schon  in  die  allgemeine  Säftemasse  auf- 
genommen ,  und  oft  ist  auch  die  krampfhafte  Owntraction  des  Darmcanals  so 
heftig ,  dass  ihre  Anwendung  gefährlich  werden  könnte.  Lst  aber  der  Krampf 
erst  durch  Oleosa,  Opium  ein  wenig  gehoben,  so  passt  ein  Vomitiv  aus 
Zinc.  sulphur.  sehr  gut,  indem  bei  Vergiftung  durch  essigsaures  Blei  der 
schwefelsaure  Zink  selbst  chemisch  das  Gift  zersetzt.  Man  begiilnt  also 
am  besten  die  Cur  mit  Antispasmodicis ,  mit  erweichenden  und  öligen  Mit- 
teln: Oleum  ricini,  amygdalarum  dulc,  papaveris  albi,  Milch,  Emulsionen 
von  Gum.  arabic,  Ol.  ricini,  crotonis,  Sem.  cannabis,  und  ganz  vorzüglich 
empfiehlt  sich  das  Opium.  Es  hebt  die  krampfliafte  Spannung  des  Darm- 
cansJs  und  bewirkt  meistens  Öffnung.  Ist  dies  aber  nicht  der  Fall,  ist 
keine  krampfhafte  Spannung  und  erhöhte  Reizbarkeit  des  Darmcanals  zuge- 
gen, leidet  der  Kranke  mehr  an  Torpor  und  Lähmung  dieser  Organe,  so 
helfen  zur  Beförderung  der  Leibesöffnung  alle  Oleosa  nichts.  Hier  sind 
tüchtige  Purganzen  aus  Rad.  jalapae  mit  Merc.  dulc,  und  wenn  jene  zu 
schwach  ist,  selbst  aus  Resina  jalapae  von  Nutzen  {Ilimly').  Damit  das 
Opium  nicht  stopft ,  giebt  man  es  gleichzeitig  mit  Oleosis  in  grossen  Dosen, 
z.  B.  alle  2 — 3  Stundea  1  Gran.  Sehr  wirksam  ist  eine  Verbindung  mit 
Opium  und  Merc.  dulc.  (ana  gr.  j ,  täglich  viermal  in  Pulverform).  Das 
Opium  leistet  mehr  als  Hyoscyamus,  Kampher,  welche  Mittel  gleichfalls 
empfohlen  sind.  Auch  der  Alaun,  allein  oder  in  Verbindung  mit  Opium, 
hat  sich  in  der  Bleikolik  grossen  Ruf  erworben  (^Chrashuys,  Quarin,  Pcrci- 
val,  Himhj).  Letzterer  sah  von  diesem  Mittel,  welches  schon  de  Hnen  em- 
pfiehlt, die  herrlichsten  Dienste,  selbst  da,  wo  als  Folge  des  Übels  schon 
Amaurose  entstanden  Avar.  Man  giebt  p.  d.  ^j ,  5  —  6mal  täglich.  Äussere 
Mittel,  welche  die  Cur  sehr  unterstützen,  sind:  Einreibungen  von  Linim. 
volat.  camph.  mit  Opium,  von  Unguent.  mercur.  einer.  (^ClutterhucU) ,  Ol. 
chamomill.,  hyoscyami  in  den  Unterleib,  ölige,  abführende  Klystiere,  warme 
Bäder,  denen  man  später  Seife,  Hepar  sulphuris  zusetzen  kann.  Mit  der 
Anwendung  dieser  Mittel  fahre  man  auch  in  der  Genesung  noch  eine  Zeit 
lang  fort,  und  gehe  allmälig  zu  den  stärkenden  Mitteln  über.  Lst  das  Übel 
plötzlich  entstanden ,  so  behandeln  wir  die  Bleivergiftung  nach  den  bekann- 
ten Regeln ,  suchen  das  Blei  zu  zersetzen ,  noch  besser  gleich  durch  die 
Weisse'sche  Magenpumpe  (s.  Asphyxia  durch  Gift)  auszuleeren,  gebei^ 
zuerst  Antispasmodica ,  dann  ein  Vomitiv  aus  Zinc.  sulphur,,  dann  ein  Pur- 
girmittel  aus  Ol.  ricini,  crotonis  mit  Sal  Glauberi  etc.  Auch  die  zurück- 
gebliebenen Lähmungen  erfordern  die  dagegen  geeignete  Cur  (s.  Intoxi- 
catio,  Antiparaly tica,  Paralysis).  Alle  diejenigen  Personen,  welche 
sich  den  sciiädiichen  Einllüssen  dos  Bleies  au.ssetzen  müssen,  präserviren 
sich  vor  der  Bleikolik  oder  vor  den  meist  {lefälirlichen  Rückfällen  dadurch, 
dass   sie   den  Speichel   öfters   auswerfen,    den  Mund    vor   dem  Genüsse   der 


COLICA  439 

Speisen  und  Getränke  ausspulen ,  alle  Säuren ,  besonders  die  vegetabilischen, 
meiden  und  viel  Milch,  fette  Speisen,  besonders  fette  öle  geniessen  (s. 
Asthma  metallicum).  Ist  die  Vergiftung  nicht  durch  Blei,  sondern 
durch  Arsenik ,  Quecksilber  etc.  erfolgt ,  so  niuss  die  Colica  metallica  seu 
toxica  nach  der  Natur  des  Giftes  verschieden  behandelt  werden;  s.  In- 
toxicatio. 

Nachschrift  des  Herausgebers.  Die  Behandlung  der  Maler - 
oder  Bleikoiik  nach  der  in  der  Charite  zu  Paris  gebräuchlichen  Methode  ist 
folgende.  Am  ersten  Tage  giebt  man  das  Clysma  purgans  Pictonum  (s. 
Clysma),  und  zum  täglichen  Getränk  erhält  der  Kranke  die  Aqua  cassiae 
cum  granis ;  sie  besteht  aus  Aq.  cassiae  £jj ,  Sal  Glauberi  gj ,  Tart.  emetic. 
gr.  jjj.  Um  fünf  Uhr  Abends  giebt  man  das  Clysma  anodynum  contra  coli- 
cam  saturninam  (s.  Clysma);  um  acht  Uhr  folgenden  Bolus:  I^  Eleclunr. 
theriac.  5j — ]^f^  Opii  pvri  gr.  ß — j.  Zweiter  Tag.  Zuerst  ein  Vomitiv 
aus  gr.  vj  Tart.  emet.  in  8  Unzen  Wasser,  wovon  anfangs  die  Hälfte,  nach 
einer  Stunde  die  andere  Hälfte  genommen  wird.  Erbricht  der  Kranke  nicht 
mehr,  so  lässt  man  ihn  den  übrigen  Theil  des  Tages  folgende  schweisstrei- 
^bende  Tisane  trinken:  R/  lAgn.  gnnjaci ,  Rad.  chinne,  —  snssnparillne  ana 
5j,  Aq.  commun.  ffij ,  col.  ftj  addc  Ligni  Sassafras  3J ,  Rad.  liquirif.  ^f». 
Leniter  coctum  colctur.  Abends  giebt  man  das  Clysma  anodynum  und  den 
Bolus.  Dritter  Tag.  Der  Kranke  nimmt  des  Morgens  auf  viermal  ßjj 
der  schweisstreibenden  Tisane,  worin  noch  51  Fol.  sennae  digerirt  worden. 
Nachmittags  trinkt  er  die  einfache  Tisana  sudorifica;  Abends  vier  Uhr  das 
Clysma  purgans  Pictonum,  um  sechs  Uhr  das  Clysma  anodynum,  um  acht 
Uhr  den  Bolus  mit  Theriak.  Vierter  Tag.  Man  giebt  die  Potio  pur- 
gans Pictonum;  sie  besteht  aus  Infus,  sennae  3VJ,  Sal  Glauberi  53,  Pulv. 
rad.  jalap.  5j »  Syr.  rhamni  cathartici  ^ ;  den  übrigen  Tag  Tisana  sudo- 
rifica  simpl.,  Abends  fünf  Uhr  den  Bolus.  Fünfter  Tag.  Den  Tag  über 
wird  die  Tisana  sudorif.  laxans  genommen ,  Abends  vier  Uhr  Clysma  pur- 
gans,  sechs  Uhr  Clysma  anodynum,  acht  Uhr  der  Bolus  mit  Theriak. 
Sechster  Tag.  Potio  purgans  Pictonum,  Tisana  sudorifica  simplex,  Nach- 
mittags Clysma  anodynum,  Abends  der  Bolus  aus  Theriak  und  Opium. 
Selten  dauert  die  Krankheit  länger.  Widersteht  sie  aber  noch ,  so  nimmt 
man  zu  den  Laxantibus  und  Purgantibus  oleosis  (Ol.  crotonis,  ricini)  seine 
Zuflucht,  Erfolgt  hiernach  keine  Öffnung,  so  giebt  man  die  Boli  purgantes 
Pictonum,  die  aus  Folgendem  bestehen:  I^  Diagrydii,  Resin.  jalap.  ana 
gr.  X,  Gunim.  guttae  gr.  xjj,  Confcctionis  Hamcch.  3JlV?  Syr.  rhamni  cathart. 
q.  s.  ut  iiant  holi  N.  xjj ,  und  wovon  zweistündlich  ein  Bolus  genommen 
wird.  In  den  ersten  drei  Tagen  beobachten  die  Kranken  eine  strenge  Diät ; 
den  vierten,  fünften  Tag  fängt  man  an,  Bouillon  in  einigen  Löffeln  alten 
Weins  zu  geben.  Man  vermehrt  stufenweise  die  Quantität  der  Nahrungs- 
mittel ,  sowie  die  Symptome  an  Intensität  abnehmen.  Diese  etwas  compli- 
cirte  Cur  habe  ich  als  sehr  wirksam  kennen  gelernt. 

CoUca  Pictonum,  C.  pictoniensis ,  C.  Damnoniorum  (^Rhachialgia  einiger 
Altem),  die  Kolik  von  Poitou,  die  Ciderkolik,  Devonshirekolik. 
Sie  entsteht  vorzüglich  nach  dem  Genüsse  junger,  saurer,  nicht  ausgegohr- 
ner  oder  mit  Bleizucker  versüsster ,  oder  in  bleiernen  Gefässen  aufbewahrter 
Weine,  nach  dem  Genüsse  des  sauren  Obstweines,  des  sauren  unreifen  Ob- 
stes ,  nach  dem  häufigen  Genüsse  des  Punsches ,  des  Citronensaftes ,  wobei 
der  schnelle  Wechsel  der  Temperatur  und  Erkältung  ihr  Entstehen  begün- 
stiget. Ihr  häufiges  Vorkommen  wird  besonders  in  Frankreich  in  der  Ge- 
gend von  Poitou ,  und  in  England  in  der  Grafschaft  Devonshire  beobachtet; 
doch  soll  sie  auch  in  den  niedern  Gegenden  von  Frankreich,  Holleind,  selbst 
in  Deutschland  nicht  gar  selten  seyn.  Symptome  und  Verlauf  sind 
dieselben ,  wie  bei  Col.  saturnina.  Sie  bildet  sich  indessen  langsamer  aus 
und  dyspeptische  Beschwerden  gehen  vorher.  Übler  Geruch  aus  dem  Munde, 
saures  Aufstossen,  Erbrecl^n  von  saurer,  galliger  Materie,  späterhin  Glie- 
derschmerzen, ähnlich  denen  der  Gicht,  Unemptindiichkeit,  Lälimungen, 
grosse   Neigung    zu   P^ecidiven    bei   den   Reconvalescenten ,    Schwinden   der 


irSO  COLICA 

Muskeln  des  Daumens,  knotige  Härte  der  Knochen  der  Mittelhand,  besoa- 
«lers  der  in  der  Mitte  liegenden,  harte  Knoten  im  Unterleibe,  sind  gewöhn- 
liche Zeichen  {Hanse),  Nach  Himhj  soll  sie  sich  von  der  Bleikolik  durch 
schnelleres  Ausbrechen  des  Übels,  durch  plötzlich  entstehende  Lähmungen, 
durch  vorherrschendes  Leiden  der  Harnblase  (Incontinentia  urinae),  durch 
Nichtaffection  des  Kopfs  und  der  obern  Extremitäten  unterscheiden.  Er 
hält  den  Grund  des  tJbeis  für  Arthritis,  worin  er  mit  Sfeirch  (Obs.  de  colic. 
Picton.  1722)  übereinstimmt.  Cur.  Die  der  Bleikolik.  Ausserdem  passen 
hier  noch  Absorbentia,  gelinde  Diaphoretica  und  Laxantia  oleosa. 

Colica  a  catms  locnlihus,  mechmiicis ,  organicis.  Mechanische  Reize: 
verhärtete  Faeces,  verschluckte  Fischgräten,  Knochenstücke,  Kirsch-  und 
Obstkerne,  organische  Veränderungen  im  Unterleibe:  Scirrhositäten ,  Ge- 
schwülste, Verhärtungen  der  Unterleibsorgane  (Colica  physconiosa) ,  Ver- 
wachsungen der  Gedärme ,  Convolvulus ,  Callositäten ,  Zerreissung  des 
Darms,  Hernia  incarcerata  (Colica  herniosa) ,  Einklemmung  des  Hodens  in 
den  Bauchring  bei  zu  spätem  Herabsteigen  desselben  ins  Scrotum,  oder 
Einschnürung  des  Samenstranges  in  den  Annulus  abdominis  bei  Entzündun- 
gen und  Anschwellungen  desselben  etc.  können  Anlass  zu  der  heftigsten  Ko- 
lik geben,  die  um  so  gefährlicher  ist,  da  theils  die  Diagnose  schwierig,  theils 
die  Kunsthülfe,  selbst  bei  richtiger  Erkenntniss,  oft  nur  wenig  zu  leisten 
m  Stande  ist.  Eine  genaue  Anamnese,  eine  sorgfältige  Untersuchung  des 
Leibes,  der  Umstand,  dass  die  Kolik  allen  angewandten  Mitteln  trotzte, 
meist  auf  einer  Stelle  fixirt  und  mit  Obstructio  ahi  verbunden  ist,  dass  sie 
lange  anhält,  diese  Punkte  müssen  uns  die  Überzeugung  geben,  dass  der 
Grund  des  Übels  tiefer  liegt  und  die  Kolik  nur  Symptom  von  jenem  ist. 
Sehr  leicht  folgt  hier  Enteritis,  Miserere.  Cur.  Sie  richtet  sich  nach  den 
Ursachen,  die  wir  aufsuchen  und,  wo  möglich,  entfernen  müssen.  Mecha- 
nische Reize  stumpfen  wir  ab  durch  ölige  Mittel,  Emulsionen,  und  suchen 
sie  dann  durch  nicht  reizende  ölige  Laxanzen  und  Klystiere  zu  entfernen. 
Ist  Neigung  zu  Entzündung  und  Vollblütigkeit  da,  so  versäume  man  ja 
nicht,  einen  Aderlass  und  Blutegel  zu  appliciren ,  was  hier,  sowie  bei  Co- 
lica haemorrhoidalis ,  catamenialis  und  lochialis,  zur  Verhütung  der  Colica 
sanguinea,  richtiger  Colica  cum  enteritide,  so  wichtig  ist.  Entstand  die 
Kolik  durch  organische  Fehler,  Scirrhositäten  der  Unterleibsorgane ,  so  gebe 
man  zuerst  Aq.  laurocerasi,  Emuls.  amygd.  mit  Extr.  hyoscyami,  und  hebe 
.später  das  Grundübel  durch  Cicuta,  Belladonna,  Digitalis,  Antimonialia, 
Mercurialia  etc.  Äusserliche  Umschläge  von  Hyoscyamus ,  Capit.  papav. , 
Cicuta,  Belladonna,  laue  Bäder,  Einreibungen  von  Lin.  volat.  camph.  cum» 
opio  sind  hier  wichtige  Palliativmittel.  Man  sorge  für  LeibcsöfTnung  durch 
Laxantia  oleosa  und  Clysmata  emollientia,  aperitiva ,  antispasmodica.  Bei 
Hernia  incarcerata  berücksichtige  man  die  Natur  der  Einklemmung.  Ist  sie 
entzündlich,  dann  Umschläge  von  kaltem  Wasser,  Eis,  Schnee,  Blutegel 
im  Umkreise  des  Bruchs,  Venaesectio  und  die  Versuche  der  Taxis  oder, 
will  sie  nicht  gelingen,  die  Herniotomie.  Ist  die  Incarceration  krampfhaft, 
dann  innerlich  Antispasmodica:  Pulv.  ipecac.  compos. ,  Extr.  hyoscyami, 
Laxantia  oleosa,  Ol.  ricini,  crotonis,  äusserlich  Linim.  volat.  camph.  cum 
laudano,  krampfstillende  Klystiere  von  Asa  foetida,  Decoct.  nicotianae, 
warme  ätherische  Fomentationen  auf  den  Bruch  von  Spec.  aromat.,  Fl.  cha- 
momillae  u.  s.  f.  Sollten  dann  später  noch  Entzündungszufälle  eintreten, 
so  verfahrt  man  mit  Blutegeln,  kalten  Umschlägen,  wie  oben  angegeben 
worden,  und  operirt  den  Bruch,  wenn  dennoch  die  Reposition  nicht  gelingt 
(r.  Hernia  incarcerata).  Dasselbe  Verfahren  findet  bei  Einschnürung 
des  Samenstranges  und  der  Hoden  im  Bauchringe  statt. 

Cohen  gonorrhoica.  Nach  unterdrücktem  Tripper,  auch  schon  bei  je- 
dem recht  heftigen  Tripper  zeigt  sich  die  sog.  Tripperkolik  als  Symptom 
von  entzündlicher  Reizung  und  Inflannnation  der  Blase,  zumal  des  Blasen- 
halses.    S.  Gonorrhoe a. 

Colica  gravidarum ,  s.  G  r  a  v  i  d  i  t  a  s. 

CoUtn  JochiaUs,  s.  Fluxus  lochiarum. 


COLICODYNIA  —  COLLIQIUTIO  441 

Colica  physconiosa,  herniosa,  sanguinea,  s.  Colicaa  caiisis  loca- 
libua  etc.  , 

Colica  pituitosa ,  Kolik  von  Schi eiraanhäufung ,  s.  Blennorrhoea  veu- 
triculietintestinorum. 

Colica  rheumntica ,  arthritica ,  s.  Colica  metastatica. 

Colica  siercoralis,  Kolik  von  angehäuftem  Darmkoth.  Erfordert  vor- 
züglich^Clysmata  emoUientes,  aperientes;  s.  den  Artikel. 

Colica  testiciilaris.  Die  sog.  Hodenkolik  kommt  bei  Inttammatio  te- 
sticuli  als  Symptom  vor,  indem  sich  die  Reizung  längs  des  Samenstranges 
bis  in  die  Bauchhöhle  erstreckt  (s.  Inflammatio  testiculi). 

Colica  toxica,  a.  Colica  saturnin  a. 

Colica  uterinn.  Wir  unterscheiden  hier  a)  eine  Colica  mensirtinlis,  die 
besonders  kurz  ji^or  dem  Eintritte  des  Menses ,  zumal  bei  jungen  Mädchen^ 
wenn  die  Regeln  sich  erst  ein-  oder  einige  Mal  gezeigt  haben,  mit  lebhaf- 
ten Rücken  -  imd  Leibschmerzen ,  Ohnmächten ,  selbst  Krämpfen  auftritt, 
wogegen  specifik  ein  Pulver  aus  ^2  Gran  Kalomel  und  3  bis  4  Gran  Casto- 
reum  wirkt ;  ferner  b)  Colica  parturieniium ,  die  sog.  falschen  oder  Krampfr 
wehen  (s.  Dolores  ante  partum);  c)  Colica  lochialis,  die  durch  Stö- 
rungen des  Wochenflusses  bedingt  wird  (s.  Fluxus  lochialis  suppres- 
s u s)  ;  endlich  d)  Colica  scortorum ,  die  sog.  Hurenkolik,  entstanden  durch 
übermässige  Geschlechtsanstrengung,  durch  zu  häutigen,  zu  oft  wiederholten 
Coitus  in  kurzer  Zeit,  z.  ß.  bei  öffentlichen  Dirnen,  denen  in  einer  Nacht 
mehrere  Männer  beiwohnten.  Auch  diese  Kolik  ist  spastischer  Natur  und 
erfordert  besonders  Asant,  sowol  in  Klystieren  als  innerlich  (^Neumanii).  S. 
H  y  s  t  e  r  i  a. 

Colica  ventrictili,  Magenkolik,  ist  Magenkrampf;  s.  Cardialgia. 

Colicodjnia,  s.  Colica. 

Colicopleg^ia,  s.  Colica  saturnin a.  Carl  Kopeke. 

Collapsus.  Das  Einsinken,  Zusammenfallen,  z.  B.  des  Ge- 
sichts ,  der  Gefässe ,  des  Zellgewebes ,  der  Lebenskräfte ;  daher  Collapsus 
faciei ,  vnsormn ,  cellulosae ,  viritim  unterschieden  werden ,  welche  sämmtlich 
Schwäche  des  Organismus,  Abmagerung,  auf  Adynamie  deutend,  anzeigen. 

Colletica  (^medicamina) ,  Conglutinantia ,  Gluünantia.  Ist  synonyme 
Benennung  mit  Agglutinantia. 

ColiiC|uatio  ,  die  Zersetzung,  pathologisch  -  chemische  Verände- 
rung im  lebenden  Organismus,  so  dass  vorzüglich  die  flüssigen  Theile,  die 
Säfte,  ihre  normale  Beschaffenheit  verlieren,  in  eine  Art  von  Auflösung,  so- 
genannter Gährung  gehen,  und  so  durch  Annäherung  zum  Anorganischen  die 
allgemeine  Auflösung  des  Körpers,  den  Tod  einleiten.  Unter  allen  fäulniss- 
wehrenden  Mitteln  ist  die  Lebenskraft  das  grösste  und  stärkste  Antiputre- 
dinosum  (s.  Autocratia).  Je  tiefer  nun  die  Lebenskraft  gesunken  ist, 
desto  relativ  stärker  werden  die  Einflüsse  der  Aussenwelt,  welche  aufs  In- 
dividuum zerstörend  einwirken ,  das  Chemische  bekommt  ein  Übergewicht 
über  das  Djnamische,  das  Individuum  beginnt  gleichsam  bei  lebendigem 
Leibe  In  Verwesung  überzugehen,  und  der  ganze  Unterschied  besteht  nur 
darin,  dass  dieser  Process  langsamer  als  nach  dem  Tode  und  durchs  Dyna- 
mische etwas  modificirt  von  Statten  geht,  indem  die  noch  existirende,  wenn 
auch  schwache  Lebenskraft  dagegen  anstrebt.  Daher  finden  wir  auch  bei 
allen  Kranken,  die  unter  Zufallen  der  CoUiquation  starben,  schnelle  Verwe- 
sung, oft  schon  wenige  Stunden  nach  dem  Tode.  Alles,  was  direct  oder 
indirect  die  Lebenskraft  schwächt:  hitzige  Fieber,  innerliche  Entzündungen, 
bedeutende  Eiterungen,  Hektik,  Mangel  an  guter  Nahrung,  schlechte  Luft, 
verschiedene  Gifte,  die  das  Blut  zersetzen,  bedeutender  Säfteverlust  durch 
Blutungen,  durch  Verlust  von  Lymphe,  hoher  Hitzegrad,  reizende  und  er- 
hitzende Mittel  bei  entzündlichen,  galligen  und  nervösen  Fiebern  im  ersten 
Stadium  der  Krankheit  etc. ,  kann  daher  diesen  Krankheitszustand  erregen, 
<ler  den  Fiebern  den  wahren  putriden  Charakter  aufdrückt  und  den  nahen 
Tod  bei  vielen  chronischen  Krankheiten :  bei  Hydrops,  Phthisis,  Scorbut  etc. 


442  COLLÜTORIUM 

bezeichnet.  Die  vorzuglichsten  Zufälle  der  Colliquation  sind:  erschöpfende 
Schweisse,  Diarrhöen  und  passive  Blutungen  bei  höchst  gesunkener  Lebens- 
kraft, begleitet  von  Meteorismus,  Stupor,  emphysematischer  Auftreibung 
der  Oberfläche  des  Körpers,  von  livider  Hautfarbe.  Dabei  erscheinen  Pe- 
techien, die  Vesicatorstellen  werden  brandig,  die  Zunge  zittert,  ist  trocken, 
schwärzlich ,  gerissen ,  das  Athemholen  höchst  ängstlich ,  beschwerlich ,  der 
Puls  sehr  klein,  schnell,  zitternd,  der  Stuhlgang  und  Urinabgang  sind  un- 
willkürlich (s.  Febris  putrida  im  höchsten  Grade).  Die  vorzüglichsten 
Mittel  gegen  coUiquative  Zufälle  sind  flüchtig  reizende  Arzneien,  frische 
Luft,  Kälte,  bei  coUiquativen  Schweissen  und  Blutungen  Mineralsäuren,  bei 
solchen  Diarrhöen  Opium,  Saccharum  saturni  etc.  In  der  Regel  helfen  in- 
dessen diese  an  sich  grossen  Mittel  nur  selten,  da  wir  es  nicht  blos  mit 
diesen  coUiquativen  Zufällen,  sondern  meist  immer  zugleich  mit  bedeutenden 
organischen  Destructionen  zu  thun  haben,  mit  Entzündung,  Eiterung,  Brand 
edler  Eingeweide,  die  den  Tod  unabwendbar  herbeiführen.  Ist  dies  aber 
nicht  der  Fall,  so  vermögen  die  Mineralsänren  in  grossen  Dosen,  desglei- 
chen kalte  Sturzbäder  dem  anfangenden  Verwesungsprocesse  Grenzen  zu 
setzen,  indem  sie  die  Lebenskraft  erhöhen  und  der  Putrescenz  entgegenwir- 
ken. Leider  sind  aber  diese  Fälle  selten ;  wir  haben  es  meist  immer  mit 
jenen  Destructionen  zugleich  zu  thun ,  und  hier  würde  es  unmenschlich  seyn, 
die  letzten  Augenblicke  des  Lebens  dem  Kranken  durch  heroische  Mittel  zu 
verbittern.  Der  wesentliche  Vorgang  der  Auflösung  des  Körpers,  so- 
>yol  in  abzehrenden  als  fauligen  Krankheiten,  ist,  nach  Hecker,  dass  der 
organische  Stoff,  nach  entstandenen,  sehr  verschiedenartigen  Verderbnissen, 
in  grösserer  Menge  zersetzt  und  ausgeschieden  wird,  als  die  Verdauung  und 
die  Assimilation  wiederzuerstatten  vermögen,  wovon  denn  Abmagerung  und 
endlich  Tod,  wird  die  Ursache  der  Colliquation  nicht  gehoben,  die  Folge 
ist.  Im  Allgemeinen  übermegen  bei  coUiquativen  Zuständen  der  Schweiss, 
die  Haut-  und  Darciabsonderung ,  deren  Producte  zugleich  die  grössten, 
noch  nicht  genau  chemisch  untersuchten  Veränderungen  erleiden ;  passive 
Blutungen  aus  den  Schleimhäuten  und  aus  wunden  Stellen  kommen  nicht 
selten  hinzu,  und  der  Kranke  scheint  im  eigentlichen  Verstände  zu  zerflies- 
sen.  „Von  den  hitzigen  Krankheiten  —  sagt  Hecler  in  RusVs  Handb.  der 
Chirurgie,  Bd.  V.  S.  94  —  sind  es  vorzüglich  das  Faultieber  und  der  nicht 
faulige  Typhus,  welche  dies  Überwiegen  der  Rückbildung  veranlassen,  dem 
jederzeit  eine  Entmischung  der  Bhitmasse  vorausgeht,  —  von  den  chroni- 
schen Abmagerungen  oder  Zehrkrankheiten  vorzüglich  diejenigen,  die  mit 
einem  örtlichen  Schmelzungsprocesse ,  wie  Eiterung,  Tuberkelauflösung, 
Krebs,  Markschsvamm,  Blutschwamm,  Melanose  und  Schleimfluss,  im  letz- 
ten Stadium  verbunden  sind ;  auch  ist  hier  der  Scorbut  zu  nennen ,  der  un- 
ter den  chronischen  Krankheiten  denselben  Zustand  darstellt,  den  das  Faul- 
fieber unter  den  acuten.  Schon  die  durch  übermässige  äussere  Eiterung  her- 
vorgebrachte Abzehrung  (^Phthisis  externa}  kann  an  und  für  sich  coUiquativ 
werden  und  Zufälle  der  Schmelzung  im  übrigen  Körper  veranlassen ,  beson- 
ders Schweiss  und  schnielzende  Durchfälle ;  um  so  leichter  thun  dies  alle 
innern  und  äussern  Verjauchungen ,  bei  denen  die  Entmischung  der  Blut- 
masse fortwährend  durch  die  Einsaugung  des  krankhaften  Productes  begün- 
stigt wird.  Der  coUiquative  Durchfall  ist  sehr  häufig,  besonders  im  fauli- 
gen und  nicht  fauligen  Typhus ,  sowie  in  der  Tuberkelschv^indsucht ,  von 
einem  eigenthümlichen  Darmleiden,  der  Dothinenteri  e,  begleitet,  welche 
erst  von  den  Neuern  genauer  erkannt  und  richtiger  gewürdigt  worden  ist. 
Die  sonstigen  krankhaften  Processe,  die  bei  der  Colliquation  irgend  in  Be- 
tracht kommen ,  hat  die  neueste  Pathologie  und  pathologische  Anatomie  zum 
Theil  sehr  gründlich   erörtert." 

Collutorium,  das  Mundwasser.  Es  dient  zum  Ausspülen  des 
Mundes  oder  um  es  eine  gewisse  Zeit  im  Munde  zu  halten ,  und  es  unter- 
scheidet sich  vom  Gurgel  Wasser  dadurch,  da.ss  dieses  mehr,  indem  man  sich 
damit  gurgelt,  auf  Rachen,  Pharynx  und  Kehlöffnung  wirkt  (s.  Garga- 
risma).     Zum  erweichendem  Collutoriura  und  Gargarisma   nimmt  man 


COLLUVIES  —  COLOBOMA  443 

Infus,  flor.  sambuci,  Decoct.  rad.  althacae ,  Feigen,  Rosinen,  7um  reizen- 
den Infus,  specier.  arom.  mit  Wein,  zum  tonisirenden  Cort.  quercus, 
China,  Myrrhe,  zum  alterirendem  Sublimatauflösung,  Solut.  cupri  sul- 
jthurici,  Zinci  sulphurici  etc.  Einige  beliebte  Formeln  sind:  1)  fy  Flor, 
mnlvae,  Folior.  salviac  ana  5jjj  ?  infundc  Aq.  fervid.  q.  s.  ad  Colnl.  5VJJ. 
Solve  Snl.  ammnniaci  dep.  5jj  ?  Meli,  crudi  5J .  S.  Gurgel wasser.  2)  I^  Extr. 
vv/rrh.  nquos.  5j  ?  Aq.  snlvine  3VJ,  Meli,  rosnti  ^j.  Solv.  S.  Gurgel  wasser. 
S)  I^'  Boracis  Sjj^  Aq.  rosarum  gvjj ,  Meli,  rosar.  5J.  M.  4)  l^r  Aqune  Calc. 
vstae,  Lnctis  vaccini  ana  giv,  Meli,  rosat.  gjj.  M.  5)  ^l  Folior.  sabinac  5vj, 
infund.  .iq.  fervid.  s.  q.  ut  rem.  col.  3VJ.  Solve  Merc.  sullimat.  corros.  gr.  j, 
IM.  6)  ^r  Cort.  Pcruvinn.  mir.  5Js ,  coq.  c.  Aqune  3X  ad  Col.  5VJ ,  adde 
Cnmphornc,  gumm,  arah.  trit.  gr.  xj],  Tinci.  'pimpinellae,  PuJo.  cort.  clnnae 
flav.  anagfv,  Meli,  rosat.  3Jß.  M.  Nr.  1  passt  zu  Anfange,  Nr.  2  am  Ende 
von  Angina  catarrhalis,  bei  Abscessen  im  Munde,  bei  Schmerzen  dieser 
Theile;  Nr.  3  bei  Schwämmchen  und  eiternden  Halsentzündungen,  und 
Nr.  4  bei  Aphthen  und  asthenischen  Blennorrhöen,  als  Mund-  und  Gurgel- 
wasser,  auch  als  Injectionen  angewandt.  Nr.  5  empfiehlt  Kopp  besonders 
gegen  chronische  Bräune ,  gegen  Angina  tonsillaris  indurata ,  und  Nr.  6 
wandte  Berends  gegen  brandige  Aphthen  und  solche  Bräune  an.  Kindern, 
Delirirenden ,  Wahnsinnigen  giebt  man  keine  Gurgelwasser  mit  Bestandthei- 
len,  die  beim  Verschlucken  nachtheilig  werden  können.  Im  entzündlichen 
Stadium  mancher  Bräune  verschlimmert  das  Gurgeln  den  Zustand,  dagegen 
erleichtert  es  sehr,  wenn  der  Kranke  das  Mundwasser  Nr.  1  oft  erwärmt 
einige  Minuten  im  Munde  hält.  Bei  heftiger  Mandel geschwulst  und  starker 
Absonderung  zähen  Schleims  können  die  Kranken  auch  selten  das  Gurgeln 
vertragen ,  hier  sind  die  Injectionen  an  ihrer  Stelle ,  wodurch  viel  Schleim 
entfernt  und  grosse  Erleichterung  verschafft  wird. 

Colluvies«  Bedeutet  wörtlich  Zusammenfluss  von  allerlei  Unrath, 
und  bei  altern  Ärzten  vorzüglich  gastrische  Unreinigkeit  en  in  den 
ersten  Wegen  (CoUuvies  gastrica)  ,  welche  ausleerende  Mittel  indiciren. 

Collyrium.  Ist  ein  feuchtes,  schleimiges  Augenmittel, 
z.  B.  A(|ua  rosar.  mit  Mucil.  guinmi  arabici.  Bei  den  Alten  bedeutet  es 
eine  cylindrische  feste  Arzneimasse  zum  Einbringen  in  die  Ohren ,  in  die 
Nasenlöcher,  den  After,  die  Vagina. 

Coloboma,  abnorme  Augenliderspalte.  Ist  dasselbe  am  Au- 
genlide, was  die  Hasenscharte  (Labium  leporlnum)  an  der  Oberlippe  ist. 
Das  Übel  kommt  am  häufigsten  am  obern  Augenlide  vor,  und  ist  gleichfalls 
zuweilen  angeboren,  so  dass  das  Augenlid  senkrecht  durchschnitten  ist;  am 
häufigsten  ist  es  indessen  die  Folge  einer  schlecht  behandelten  perpendiculären 
Verwundung  dieses  Theils.  Die  Folgen  davon  sind :  hässliches  Ansehen, 
Umbiegung  des  Augenlids  an  seinen  Rändern ,  Hervorragen  der  rothen  Tu- 
nica  interna,  mangelhafte  Bedeckung  des  Auges  (das  sogenannte  Haasen- 
auge,  Lagophthalmos) ,  mangelhafte  Zusammenziehung  des  Muse,  orbicula- 
ris,  der  nicht  als  Einheit  wirkt,  sondern  durch  die  Contraction,  statt  das 
Auge  zu  schliessen,  gerade  das  Gegentheil  bewirkt.  Cur.  Die  der  Ha- 
senscharte. Man  macht  die  Ränder  wund  und  vereinigt  sie,  wobei  man 
aber  den  Tarsus  schonen  muss.  Am  besten  ists,  man  schneidet  gar  nichts 
daran,  sondern  man  berührt  die  Wundränder  mit  einer  heissgemachten  Na- 
del und  legt  darauf  zur  Beförderung  schneller  Vereinigung  nach  Himli/s 
Methode  die  blutige  Naht  an.  Dieses  Verfahren  ist  dem  Ätzen  mit  Lap. 
caust.  oder  infernalis  deshalb  vorzuziehen,  weil  man  das  Cauterlum  poten- 
tiale  besser  handhaben  kann.        ,' 

Colohoma  iridis,  abnorme  Spalte  in  der  Regenbogenhaut.  Ist  als  Vi- 
tium congenitum  zuweilen  beobachtet  worden,  besonders  am  untern  Rande 
der  Iris,  bald  nur  an  dem  einen,  bald  an  beiden  Augen.  Selten  ists  ein 
Fehler  der  ersten  Bildung,  sondern  erfolgt  wahrscheinlich  beim  Zerstörungs- 
process  der  Membrana  pupillaris,  wenn  diese  mit  der  Iris  zu  innig  vereinigt 
ist  und  so  letztere  theil weise,  zuweilen  auch  ganz  (Defectio  iridis)  mit  ver- 


444  COLOTOMIA  -  COMA 

zehrt  wird.  Unsicherer  Blick,  Lichtscheu,  Gesichtsschvväche  sind  die  Fol- 
gen. Die  Cur  ist  wol  unmöglich.  Fälle  der  Art  finden  wir  in  Richter's 
Bibl.  Bd.  II.,  IV.  u.  VII.  ReiVs  Archiv,  Bd.  V.  Ephemer.  N.  C.  VIII. 
UorrCs  Archiv,  1821.  Sept.  u.  Oct.  RusCs  Magaz.  Bd.  VI.  Dresdener  Zeit- 
schrift, Bd.  II.  Ausführlich  handelt  über  den  angeborenen,  theilweisen  und 
gänzlichen  Mangel  der  Iris  Dr.  Behr  in  Bernburg  in  Hecher^s  Lit.  Annalen, 
1829,  April,  S.  S73  u.  f.  Auch  in  v.  Ammon^s  Zeitschrift  f.  Ophthalmolo- 
gie, Bd.  I.  S.  55,  Bd.  III.  S.  277  u.  467,  und  Bd.  IV.  S.  436  finden  sich 
Fälle  von  solchem  Coloboma,  von  Gescheidt  auch  Irido  Schisma  genannt, 
und  die  anatomische  Untersuchung  derselben  mitgetheilt. 

Colohoma  chorioideae.  Ist  in  seltenen  Fällen  gleichfalls  als  Fehler  der 
ersten  Bildung  beobachtet  worden ,  ebensowie  ein  Colohoma  retinae ,  wor- 
über V.  Ammon  interessante  Beobachtungen  nebst  Abbildung  raittheilt  (s.  v. 
Ammotis  Zeitschrift  f.  Ophthalmologie,  1830,  Bd.  I.  Hft.  1.  Pierer' s  Allg. 
med.  Zeitung,  1831,  Nr.  16). 

Colotomia,  die  kunstgeraässe  Eröffnung  des  Grimmdarms.  S.  La- 
paro-Colotomia. 

Colpalg^ia ,  Schmerz  in  der  Mutterscheide.  Mtiss  nach  den 
Ursachen  verschieden  behandelt  werden.  Man  untersuche  deswegen  genau, 
ob  Prolapsus  uteri  et  vaginae ,  Hernia  vaginalis ,  Elytroncus ,  Carcinoma, 
Syphilis  etc.  da  ist. 

Colpatresia,  Verwachsung  der  Scheide,  s.  Atresia  vaginae. 

Colpempliraxis.  Ist  Verstopfung  der  Scheide  durch  fremde 
Korper,  Mutterkränze,  Polypen  etc. 

Colpitis,  Elytriiis ^  Entzündung  der  Scheide,  s.  Inflammatio 
vaginae. 

Colpocele»  Mutterscheidenbruch,  s.  Hernia  vaginae. 

Colpoptosis»  Muttcrscheidenvoi'fall ,  s.  Prolapsus  vaginae. 

Colporrbagia,  Mutterscheidenbiutfluss ,  s.  Haemorrhagia  uteri 
et  vaginae. 

Colporrbexis ,  Zerreissung  der  Mutterscheide.  Wird,  wie 
Ruptura  perinaei,  womit  das  Übel  in  Folge  eines  rohen  Accouchements  oder 
einer  sehr  schweren  Entbindung  zuweilen  vorkommt,  behandelt.  Ruhige 
Lage  bei  geschlossenen  Schenkeln  und  die  äussere  Anwendung  des  kalten 
Wassers  in  Verbindung  mit  einer  kühlenden  Diät  vermögen  hier  oft  viel, 
und  nur  bei  bedeutenden  Einrissen  ist  die  blutige  Naht  indicirt. 

Colpos*  Ist  bei  Galen  ein  Hohlgeschwür  (Ulcus  sinuosum),  bei 
Neuern  die  Mutterscheide. 

Colposteg^nosis 9  Verengerung,  Verwachsung  der  Mutterscheide, 
s.  Atresia. 

Colpostenocboria.  Ist  Verengerung  der  Scheide.  S.  Atresia 
vaginae. 

ColpOf^ynizesis.     Ist  dasselbe,  was  Atresia  vaginae  ist. 

Columella.  So  nennen  Einige  die  Entzündung  des  Zapfens  (s. 
Angina  uvularis),  obgleich  das  Wort  nur  Uvula,  bei  Plinius  die  Epi- 
glottis  bedeutet. 

Coma»  die  Schlafsucht,  ein  krankhafter,  sehr  fester  Schlaf,  ein 
höherer  Grad  von  Sopor  (s.  Carus).  Einige  ältere  Ärzte  verstehen  dar- 
unter auch  Coma  vigil  oder  Agrypnia.  Im  Allgemeinen  ist  Carus  der  hö- 
here, Coma  dagegen  der  niedere  Grad  von  Schlafsucht,  und  unter  Cata- 
phora  verstehen  die  Neuern  nur  eine  anhaltende  Schläfrigkeit,  obgleich  An- 
dere damit  den  höhern  Grad  des  Carus  bezeichnen. 

Coma  viißl,  Agrypnocoma ,  Typliomania,  Typhonia ,  Wachschlaf- 
sucht, wachende  Schlafsucht.  Hier  erwacht  der  Kranke  oft  aus 
der  Schlummersucht,  spricht  verkehrt,  pliantasirt  und  verfallt  während  des 
Sprechens  gleich  wieder  in  tiefen  Schlaf. 


COMBUSTIO  445 

* Comll^WStlo ,  Amüuslioy  Adustio,  Amhusiurrn,  JE»crt«ste,  die  Ver- 
brennung, der  Brandschaden.  So  nennen  wir  dasjenige  Übel,  das 
durch  plötzliche  Einwirkung  eines  die  Temperatur  des  gesunden  Menschen 
(SO*  R.)  übersteigenden  Wärmegrades  erzeugt  wird.  Die  schädlichen  Poten- 
zen als  die  veranlassende  Ursache  der  Verbi'ennung  sind  theils  trockne,  theils 
nasse  Hitze:  Feuer,  heisses  Wasser,  geschmolzene  Metalle  und  Harze,  ferner 
verschiedene  scharfe ,  chemisch  wirkende  Substanzen ,  als  concentrirte  Säu- 
ren ,  die  kaustischen  Alkalien ,  der  Phosphor  etc.  Die  reizende  Wirkung  der 
Hitze ,  wie  der  chemischen  Schärfen  auf  den  thierischen  Körper  erregt  eine 
grössere  oder  geringere  Reaction,  je  nachdem  die  Dauer  der  Einwirkung 
verschieden  und  die  Ausbreitung  der  Verbrennung  grösser  oder  geringer  ist. 
örtliche  Entzündung ,  die  man  mit  Recht  von  jeder  andern  Hautentzündung, 
unterscheiden  muss ,  und  (bei  bedeutenden  Verbrennungen)  allgemeines  Fie- 
ber sind  die  Zeichen  dieser  Reaction.  Die  Entzündungen  des  Corium  sind, 
die  Verbrennung  ausgenommen,  fast  immer  flüchtig  und  verändel*0  ihren  SUz 
(Pseudo  -  Erysipelas) ,  daher  denn  die  Unterscheidung  der  Verbrennungsent- 
zündung von  jenen  wichtig  ist.  Symptome.  Die  Zeichen  der  Verbren- 
nung sind  trotz  der  verschiedenen  sie  veranlassenden  schädlichen  Potenzen 
sich  im  Allgemeinen  gleich.  Es  entsteht  im  Augenblick  der  einwirkenden 
Hitze  heftiger,  brennender  Schmerz  am  leidenden  Theile  mit  lebhafter  Röthe 
und  Geschwulst  des  Corium,  die  Oberhaut  erhebt  sich  an  dieser  Stelle  in 
Blasen ,  die  sich  mit  einer  serösen  Flüssigkeit  anfüllen  und ,  wenn  sie  geöif- 
iiet  werden  ,  oft  Gelegenheit  zu  langwierigen  Eiterungen  geben.  Bei  Ein- 
wirkung hoher  Hitzgrade  luid  ätzender  Stoffe ,  besonders  bei  andauernder 
Einwirkung  erlischt  die  Lebenskraft  des  leidenden  Theils  völlig,  der  Theii 
wird  chemisch  zersetzt  und  brandig.  Grade  der  Verbrennung.  Sie 
§ind  nach  den  verschiedenen  Symptomen  unterschieden  worden  und  sind  in 
klinischer  Hinsicht  von  Wichtigkeit.  Cotvper  u.  A.  nehmen  3,  Godefroy  6, 
di^  meisten  Wundärzte  aber  4  Grade  an.  Erster  Grad.  Die  schädliche 
Potenz  wirkte  hier  nur  gelind  ein,  so  dass  blos  vermehrter  Zuiluss  von  Säf- 
ten ,  Hitze ,  Röthe ,  Schmerz ,  Geschwulst ,  also  die  Zeichen  einer  leichten 
Hautentzündung  ohne  Trennung  der  Epidermis  vom  Corion  und  nur  selten 
Fieberbewegungen  erfolgen.  Zweiter  Grad.  Stärkere  Entzündung,  Bil- 
dung von  Brandblasen  mit  seröser  Feuchtigkeit ,  und  bei  grossen  Verbren- 
nungen und  reizbarer,  sensibler  Constitution ,  bei  Verbrennung  nerven  -  und 
gefässreicher  Theile,  z.  B.  des  Auges,  Mundes,  Magens  etc.,  deutliches  Re- 
actionsfieber ,  das  einen  entzündlichen  Charakter  hat.  In  diesem  Grade  ist 
die  Geneigtheit  zu  abnormen  Verwachsungen  zwischen  den  entzündeten  und 
der  Epidermis  beraubten  Theilen,  sobald  sie  sich  berühren,  sehr  gross,  und 
erfordert  von  Seiten  des  Wundarztes  die  grösste  Aufmerksamkeit.  Dritter 
Grad.  Die  Entzündung  verbreitet  sich  tiefer,  ergreift  auch  das  Zellge- 
webe und  selbst  tiefer  liegende  Theile  unter  dem  Corion,  so  dass  jedesmal 
selbst  bei  der  besten  Kunsthülfe  Eiterung  entsteht ,  die  bei  der  Heilung  stets 
Narben,  welche  zuweilen  sehr  entstellend  und  hässlich  sind,  hinterlässt.  Der 
Schmerz  ist  hier  sehr  heftig,  brennend,  klopfend,  anhaltend,  die  Röthe  dunk- 
ler, die  Geschwulst  bedeutend,  das  inflammatorische  Fieber  bei  einiger  Aus- 
dehnung der  Verbrennung  schon  sehr  stark,  und  häufig  mit  Nervenzufällen: 
Convulsionen ,  Ohnmächten,  die  auf  hohen  Erethismus  deuten,  verbunden. 
Die  Eiterung,  welche  stets  erfolgt,  erzeugt  leicht  stark  wuchernde  Granu- 
lationen. Vierter  Grad.  Hier  erfolgt  durch  die  heftige  Einwirkung  der 
schädlichen  Potenzen  der  vollkommene  Brand  (Gangraena),  der  bald  feucht, 
bald  trocken  ist.  Ersteres  ist  der  Fall,  wenn  feuchte  Hitze,  Alkalien,  Phos- 
phor; letzteres,  wenn  trockne  Hitze,  Lapis  infernalis,  Mineralsäuren  etc. 
einwirkten.  Dieser  Grad  tritt  nicht  immer  gleich  nach  der  Verbrennung  ein, 
sondern  ist  häufig  auch  Folge  von  verkehrter  Behandlung.  Er  bedingt  im-, 
mer  Substanzverlust,  indem  durch  Eiterung  der  brandige  Theil  abgestossea 
werden  muss.  Rund  um  letztern  bemerkt  man  den  dritten  Grad  der,  Ver- 
brennung. Ist  die  Verbrennung  in  diesem  Grade  nur  einigermassen  bedeu- 
tend, üo  erfolgt  heftiges  Fieber  mit  Frost,  Hitze,  Durst,  Kopfweh,  Delirien, 


446  COMBÜSTIO 

mit  schnellem,  hartein  Pulse,  Conviilsionen.  Häufig  complicirt  sich  damit 
ein  Lungenleideu  mit  Dyspnoe,  das  selbst  den  Tod  herbeiführen  kann.  Der 
Grad  der  Verbrennung  hängt  ab  1)  von  der  Heftigkeit  der  Einwirkung  der 
erregenden  Ursachen;  2)  von  der  längern  oder  kürzern  Dauer  der  Einwir- 
kung ;  3)  von  der  Reizbarkeit  der  Constitution ;  so  kann  z.  B.  bei  Kindern 
und  zarten  Frauen  mit  sensibler  Haut,  besonders  bei  Blondinen,  ein  Hitz- 
grad, der  bei  anderen  Personen  nur  den  ersten  Grad  der  Verbrennung  er- 
regt, hier  schon  den  zweiten  Grad  hervorrufen;  4)  von  der  Beschairenlieit 
der  Ursachen  selbst;  5)  von  der  mehr  oder  weniger  zweckmässigen  Behand- 
lung. Ist  diese  z.  B.  fehlerhaft,  so  geht  der  erste  Grad  der  Verbrennung 
leicht  in  den  zweiten,  dieser  in  den  dritten  und  letzterer  leicht  in  den  vier- 
ten Grad  über.  Die  Prognose  ist  sehr  verschieden.  Sie  richtet  sich  nicht 
allein  nach  den  Graden  der  Verbrennung,  sondern  auch  nach  vielen  anderen 
Umständen.  Grosse,  sich  über  den  ganzen  Körper  verbreitende  Verbrennun- 
gen werden  in  der  Regel  tödtlich ,  und  zwar  theils  durch  die  Heftigkeit  des 
intlammatorischen  Fiebers,  theils  durch  den  hohen  Nervenreiz  und  die  durch 
die  weite  Ausdehnung  der  Entzündung  bewirkte  Unterdrückung  der  Haut- 
transspiration ,  für  welche  die  mit  der  Haut  in  Consens  stehenden  imiern 
Organe,  besonders  die  Lungen  und  die  Hirnhäute  vicariiren,  und  so  Exsuda- 
tion und  Apoplexie  erregen.  Dagegen  nehmen  kleine  Verbrennungen,  selbst 
in  allen  Graden,  meist  einen  glücklichen  Ausgang,  indem  im  ersten  Grade 
sich  die  Oberhaut  abschuppt,  im  zweiten  die  Blasen  eintrocknen  und  sich 
eine  neue  Oberhaut  bildet,  im  dritten  durch  Granulationen  und  Narbenbil- 
dung, im  vierten  durch  Abstossung  des  Brandigen  und  durch  Eiterung  und 
Granulationen  der  Heilungsprocess  erfolgt.  Dass  die  Gefahr  bei  innern  Ver- 
brennungen, wenn  Augen,  Mund,  Schlund,  Speiseröhi'e,  Magen  etc.  ergriffen 
sind,  bed<5utender  als  bei  äussern  Verbrennungen  ist,  versteht  sich  von  selbst. 
Bei  letztern  hängt  die  meiste  Gefahr  von  der  Ausbreitung  der  Verbrennung 
ab,  weniger  von  dem  Grade  derselben,  indem  kleine  Verbrennungen  des 
vierten  Grades,  selbst  wenn  sie  sehr  in  die  Tiefe  dringen,  nie  die  Gefahr 
mit'  sich  führen,  als  ausgebreitete  Verbrennungen  des  ersten  und  zweiten 
Grades.  Grosse  Berücksichtigung  verdient  auch  die  Reizbarkeit  des  Kran- 
ken ;  ist  diese  sehr  gross ,  so  können  selbst  kleine  Verbrennungen  durch  die 
hinzukommenden  Nervenzufälle  und  Fieberbewegungen  bedenklich  werden; 
auch  ist  die  Prognose  xnigünstig,  wenn  schon  erkrankte  Organe  eine  Ver- 
brennung erleiden,  Behandlung.  1)  Man  entferne  die  Ursachen,  wenn 
sie  noch  einwirken,  z.  B.  man  neutralisire  die  scharfen  Säuren  durch  ver- 
dünnte Alkalien,  hülle  sie  durch  schleimige  Mittel  ein.  Entstand  die  Ver- 
brennung durch  Alkalien,  so  wende  man  Leinöl  an.  Breiuiende  Kleider 
löscht  man  am  besten,  indem  man  das  Feuer  durch  Umwickeln  von  Tüchern 
dämpft;  sind  bekleidete  Theile  verbrannt,  so  schneide  man  die  Kleider  weg. 
2)  Die  örtliche  Behandlung  richtet  sich  nach  den  Graden  der  Verbrennung. 
Im  ersten  Grade  ist  das  grösste  Mittel;  kaltes  Wasser,  mit  mehrfach  za- 
sammengelegten  Compresseii  übergeschlagen.  Es  darf  anfangs  nicht  zu  kalt 
seyn ,  ist  oft  selbst  lauwarm  anzuwenden  und  zwar  in  dem  Grade ,  wonach 
der  Schmerz  augenblicklich  aufliört.  Auch  zerquetschte  Kartoffeln ,  Mohr- 
rüben,  Solutio  aluminis.  Aqua  saturnina  thun  hier  herrliche  Dienste.  Um- 
schläge von  erwärmtem  Branntwein,  von  Alkohol  leisten  Vorzügliches,  in- 
dem sie  durch  Verdunsten  Kälte  erregen.  Andere  Mittel  wirken  dadurch 
schmerzlindernd,  dass  sie  die  Einwirkung  der  Luft  abhalten,  z.  B.  das  Be- 
streichen des  Theils  mit  Leinöl,  Eieröl,  mit  Eigelb,  das  Einhüllen  in  Baum- 
wolle. Im  zweiten  Grade  ist  wiederum  das  kalte  Wasser  das  erste  und 
beste  Mittel.  Die  hier  entstehenden  Brandblasen  öffne  man ,  wenn  sie  klein 
sind,  gar  nicht,  und  die  grössern  erst  nach  6 — 8  Stunden,  also  wenn  der 
Schmers  völlig  beseitigt  ist,  und  zwar  mittels  eines  kleinen  Einstichs,  so- 
bald sie  viel  Serum  enthalten  (^Hell).  Alsdann  wende  man  Hufelnmi's  Brand- 
salbe, bestehend  aus  frischem  Leinöl,  Eivveiss  und  Milchrahm,  zu  gleichen 
Theilen ,  und  stark  durch  einander  gerührt,  an ,  desgleichen  das  Linimentum 
ex  aqua  calcis,  welches  aus  «incr  Mischung  von  Leinöl  und  Kalkwasacr  be- 


OOMBUSTIO  447 

steht  (Cliaumet,  Tunier,  Thomaon)  und  in  England  unter  dem  Namen  Car- 
ronoil  bekannt  ist.  Späterhin  kann  man  mit  Blei  -  oder  Zinksalbe  verbinden. 
Sind  die  Brandblasen  gross  und  mit  dunklem  Wasser  gefärbt ,  so  gehen  die 
Stellen  leicht  in  Eiterung  über  und  haben  grosse  Neigung  zur  Bildung  von 
«vildem  Fleische.  Man  verbinde  solche  mit  Blei-  oder  Zinksalbe,  dick  auf 
Läppchen  gestrichen.  Sind  mehrere  an  einander  liegende  Finger  oder  Ze- 
hen verbrannt,  so  verbinde  man  sie  einzeln,  und  lege  Läppchen,  mit  Blei- 
salbe bcstrischen,  dazwischen,  um  Verwachsungen  zu  verhüten.  Im  drit- 
ten Grade  wende  man  anfangs  die  im  zweiten  Grade  genannten  Mittel  an, 
späterhin  aber,  wenn  sich  die  Entzündung  gegeben  hat  und  starke  Granu- 
lationen hervortreten ,  verbinde  man  mit  Unguent.  lapid.  calaminaris ,  mit 
trockner  Charpie,  und  ist  der  Schmerz  noch  bedeutend,  mit  Linimentum  ex 
aqua  calcis.  Digestivsalben  sind  hier  nicht  anzuwenden.  Ist  die  Wuche- 
rung des  schwammigen  Fleisches  bedeutend,  so  beize  man  es  weg  (s.  Ab- 
scessus  und  Caustica).  Im  vierten  Grade  ist  die  Cur,  so  lange  be- 
deutende Entzündung  vorhanden  ist,  dieselbe,  wie  in  den  frühern  Graden, 
indem  liier  diese  jedesmal  neben  dem  vierten  Grade  stattfinden.  Man  wende 
also  zuerst  kaltes  Wasser  etc.  an.  Späterhin  sorge  man  dafür,  dass  sich 
das  Todte  vom  Lebendigen  trennt.  Erweichende  warme  Umschläge  sind  hier 
am  zweckmässigsten  (I'Aonvson);  späterhin  auch  zum  Verbinden  das  Unguent. 
digestivum.  Ist  die  Trennung  erfolgt,  so  verbinde  man  das  Geschwür  nach 
den  bekannten  Regeln  der  Kunst.  Sehr  wirksam  ist  zu  Anfange  aller  Ver- 
brennungen folgendes  Liniment:  I^  Exir.  saturni,  Ol.  hyoscyami  codi  aiva  gj, 
Aq,  rosar,  q.  s.  ut  tritwrnndo  fiat  linimentum  (^Knachstädt).  Eitern  später 
die  Stellen  stark,  so  verbinde  man  sie  mit  folgender  Salbe:  I^  Flor,  zinci 
pulv.,  Lap.  calam.  pulv.,  Lycopodii  ana  3j»  Myrrhae,  Sacchari  saturni  ana  3f?» 
Äxung.  porci,  Aq.  rosar.  lot.  ana  gjf^«  M.  exactiss.  (DorfniüHcr).  3)  Bei 
Verbrennungen  mit  Glüheisen,  siedendem  Wasser,  Öl,  Pech  etc.  empfiehlt 
man  neuerlich  besonders  den  Chlorkalk  in  einer  Auflösung  von  S  Graden 
nach  Givy-hussac's  Chlorometer  als  Umschlag  {Lisfranc,  Godefroy).  4)  Bei 
Verbrennungen  innerer  Theile:  des  Mundes,  Schlundes,  der  Speiseröhre  etc. 
gebe  man  einhüllende  schleimige  Getränke,  Mandelemulsionen  mit  Kalkwas- 
ser, spritze  bei  Verbrennungen  der  Vagina  ähnliche  Mittel  ein,  verhüte  die 
leichtfolgende  Atresie  durch  zwischengelegte  mit  Öl  bestrichene  Charpie,  und 
behandle  zugleich  den  Kranken  stets  innerlich  nach  Beschaffenheit  des  Fie- 
berzustandes. 5)  Sind  Hände  und  Finger  verbrannt,  so  halte  man  sie  Stun- 
den lang  in  Branntwem,  bis  der  Schmerz  vorüber  ist.  6)  Ist  der  grösste 
Theil  des  Körpers  verbrannt,  so  bringe  man  den  Kranken,  nachdem  ihm  die 
;  Kleider  vom  Leibe  geschnitten  worden ,  in  ein  Bad ,  das  aus  6  bis  8  Eimern 
I  voll  kaltem  Wasser,  1  Eimer  voll  saurer  Milch  und  2  bis  4  Pfund  gestosse- 
!  nem  Alaun  besteht,  und  worin  der  Kranke  2  Stunden  verweilen  muss,  nach- 
(  dem  das  Ganze  gehörig  gemischt  worden.  Erkältung  ist  hierbei  nicht  zu 
I  befürchten ,  gegentheils  befindet  sich  der  Kranke  sehr  erleichtert  und  freier 
I  von  Schmerzen  darin  (M).  7)  Ist  ein  Funken  ins  Auge  gesprungen,  z.  B. 
i  bei  Schmieden,  Köchinnen  etc. ,  so  schlage  man  Compressen  mit  kaltem  Was- 
ser über  das  Auge,  und  erneuere  sie  alle  10  Minuten,  bis  der  Schmerz  nach- 
lässt.  Alsdann  wende  man  folgendes  Augenwasser  an  i  ^f  Mucil.  gumm.  ara- 
hici  et  sem.  cydonior.  ana  3jj,  Aq.  rosar.  gjj.  M.  8)  Sind  Gelenkgegenden 
verbrannt,  so  muss  das  Glied  in  gestreckter,  nicht  in  gebogener  Lage  er- 
halten werden.  Auch  muss  es  deshalb  täglich  etwas  bewegt  werden.  9) 
Höchst  wichtig  ist  bei  allen  bedeutenden  Verbrennungen,  sobald  allgemeine 
Fieberzufälle  sich  einstellen,  die  innere  Behandlung  des  Kranken.  Der  Dr. 
Siedmoyrotzici  sagt  darüber  (Berliner  medic.  -  chirurg.  Encyklopädie,  Bd.  II. 
S.  173.)  nüt  Recht :  „  Wenn  auch  Kentish  und  nach  ihm  Mehrere  reizende, 
aufregende  Mittel:  Weingeist,  Äther,  Kampher,  Opium  als  die  Hauptmittel 
anpreisen,  so  lasse  man  sich  dadurch  nicht  verleiten,  dieses  Verfahren  für 
das  immer  passende  zu  L-alten.  Nur  dann,  wenn  ein  nervöser,  fauliger  Zu- 
i  stand  eintritt,  oder  der  Kranke  durch  die  starke  Eiterung  sehr  entkräftet 
1    ist  und  an  einem  hohen  Grade  von  Erethismus  leidet,    kötmen  dergleichen 


448  COMBUSTIO 

Mittel  heilsam  sejii.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  ist  ein  entzfmdliches  All- 
gemeinleiden zugegen,  daher  Aderlässe,  wo  es  nöthig,  mehrmals  wiederholt, 
innerlich  Antiphlogistica,  die  Neutralsalze,  ISarcotica  frigida,  eine  sparsame 
Diät.  Wenn  heftige  Schmerzen  das  Fieber  unterhalten  und  dem  Kranken 
alle  Ruhe  rauben,  gebe  man  Opium  und  andere  Sopientia,  welche  bei  be- 
deutendem Erethismus  nie  Tersäumt  werden  dürfen  und  oft  allein  im  Stande 
sind,  emem  unglücklichen  Ausgange  vorzubeugen.  Selten  wird  man  genö- 
thigt  seyn,  stärkende,  antiseptische  Mittel  gegen  die  schädlichen  Einwirkun- 
gen des  Brandigen  anwenden  zu  müssen.  Sollte  dies  aber  der  Fall  seyn, 
SU  reiche  man,  nur  nicht  früher,  bevor  nicht  das  entzündliche  Fieber  be- 
seitigt ist,  China,  Säuren  und  andere  Antiseptica,  dabei  eine  kräftige,  näh- 
rende Diät."  Bei  Vollblütigen  versäame  man  die  Venaesection  ja  nicht ,  man 
setze  auch  Blutegel  an  den  Kopf  und  wirke ,  um  die  Kopf  -  und  Lungen- 
aftectionen  durch  eine  andere  abnorme  Secretion  zu  verhüten,  auf  den  Darm- 
tanal  durch  kühlende  Purgirsalze,  z.  B.  1^  Decoct.  fruct.  tamarindor.  3X, 
Sal.  Glttubcri  3] ,  Mtri  depurati  5J3 ,  Mucil.  gumm.  arah.  gjj.  M.  S.  Alle 
'•f-i'-l  Stunde  1  Esslöffel  voll.  Ist  die  Constitution  etwas  schwächlich,  so 
lasse  man  den  Salpeter  weg.  Neben  dieser  Arznei  kann  man  bei  vielen 
Schmerzen  und  Schlaflosigkeit  des  Abends  Pulv.  Do  wen  mit  Nutzen  ge- 
ben (M.).  Sollte  das  Subject  höchst  schwächlich  und  reizbar  seyn,  so  pas- 
sen Infus,  valerianae  mit  Opium,  sowie  besonders  bei  Convulsionen  in  sol- 
chen Fällen  der  Moschus  ein  herrliches  Mittel  ist.  Doch  vergesse  man  auch 
hier  nicht,  für  tägliche  Leibesöffnung,  wenigstens  durch  reizende  Kly stiere, 
zu  sorgen.  Gegen  Hautverbrennungen  im  ersten  und  zweiten ,  selbst  an- 
fangs im  dritten  Grade  wirken  ausserordentlich  schön  und  schnell  die  Schmer- 
zen lindernd  Umschläge  von  Aq.  kreosoti,  welche  ich  nach  eigenen  Erfah- 
rungen nicht  genug  loben  kann.  Auch  das  Betupfen  der  Brandblasen,  an 
allen  Stellen ,  wo  die  Lymphe  ausquillt,  mit  Lapis  infernalls,  nach  J.  E.  Cox 
und  Dr.  Fricke,  ist  ein  vorzügliches  Mittel,  indem  darauf  in  wenigen  Minu- 
ten der  Schmerz  verschwindet  und  die  Brandstellen  nicht  in  Eiterung  über- 
gehen, sondern  bald  vertrocknen  und  heilen  (s.  Gerson^s  und  Jtilim^s  Maga- 
zin.   Hamburg,  18S3.  Jan,  u.  Febr.  S.  172). 

Comhustiu  spontanen,  Empresinus,  die  Selbstentzündung  und  Selbst- 
verbrennung des  menschlichen  Körpers.  Ist  eine  sehr  merkwür- 
dige, in  frühern  Zeiten  für  fabelhaft  gehaltene,  jetzt  aber  durch  glaubwür- 
dige Beobachtungen  treuer  Naturforscher  ausser  allem  Zweifel  gesetzte  Er- 
scheinung, —  eine  schauderhafte,  zum  Glück  der  Menschheit  aber  seltene 
Todesart!  Die  Erfahrung  hat  gelehrt,  dass  vorzugsweise  bejahrte  Personen 
weiblichen  Geschlechts,  zumal  solche,  welche  bei  Trunksucht  und  Fettlei- 
bigkeit ein  körperlich  unthätiges  Leben  führten,  binnen  kuraer  Zeit  von 
einigen  Minuten  von  selbst  in  Flammen  geriethen  und  dergestalt  verbrann- 
ten ,  dass  der  grösste  Theil  ihres  Körpers  in  Asche  verwandelt  wurde, 
und  sich  nur  Überreste  der  Glieder  und  des  Schädels  vorfanden.  Beispiele 
von  solchen  Todesarten  findet  man  in  folgenden  Scluriften :  Piepcnhrimf  s 
Archiv  f.  Pharmacie  und  ärztl.  Naturkunde.  Mayer's  Sammlung  physical. 
Aufsätze.  Intjeiihousz  Miscell.  physico  -  medica.  Ed.  Scherer.  \  ienn.  1795. 
•dozier  Observations  sur  la  physique.  1779.  Vol.  12.  Medio.  Nationalzeitung. 
1800.  P.  A.  Lair,  Essai  sur  les  combustions  humaines  etc.  Paris,  1800. 
J.  H.  Kopp ,  Diss.  de  causis  combustionis  spontaneae.  Jen.  1800.  Pfeiffer, 
Diss.  de  combustiune  corborum  tarn  organicorum  quam  anorganicorum  s[)on- 
tanea.  Goetting.  1809.  —  Die  Meinungen  über  die  Ursache  dieser  sponta- 
nen Verbrennmig  sind  getheilt.  Einige,  z.  B.  Kopp  u.  A.  behaupten,  <las8 
sich  die  Gasarten  in  den  Höhlen  des  Körpers  und  im  Zellgewebe,  zumal 
bei  Fettleibigen,  anhäufen  und  daiui  durch  Einwirkung  der  Luftelektricität 
sich  entzünden.  Andere  geben  dem  häufigen  Genuss  geistiger  Getränke  die 
Schuld,  und  dies  ist  die  ältere  Meinung  (s.  TT.  Ritter,  Über  Selbstentzün- 
dung in  organischen  u.  leblosen  Körpern.  1804).  Sehr  gut  lassen  sich  beide 
Meinungen  mit  einander  vereinigen.  In  sehr  vielen  Fällen  waren  die  Per- 
sonen dem  Trünke  ergeben  und  der  Unglücksfall  ereignete  sich  in  der  Nähe 


COMBUSTIO  4i0 

eines  brennenden  Lichts  oder  eines  Feuers.  Der  Weingeist  kann  sich  in 
Gasform  im  menschlichen  Körper  aufhalten,  zumal  bei  Trinkern,  die  an 
Delirium  tremens  leiden ,  wie  dieses  Sectionen  bewiesen  haben.  Er  kann 
sich  sehr  gut,  zumal  im  nachgiebigen  Zellgewebe  fettleibiger  Frauen  und 
in  den  Höhlen  des  Körpers  aufhalten  und  durch  ein  nahestehendes  Licht  in 
Entzündung  und  blaue  Flamme  gerathen.  Selbst  der  Athem  bei  stark  Be- 
rauschten kann  den  gasförmigen  Alkohol  enthalten  und  dadurch  der  Körper 
angezündet  werden.  —  Die  Kopp'sche  Theorie  (s.  auch  dessen  DarstelL  u> 
Untersuchung  der  Selbstverbrennungen),  der  Kühn  (De  vcrisimili  combustio- 
nis corp.  human,  spontan,  causa.  1811.  Programm.)  widerspricht,  gewinnt 
dadurch  an  Wahrscheinlichkeit,  dass  man  auch  Fälle  beobachtet  hat,  wo 
Menschen  den  Tod  der  Selbstverbrennung  starben,  ohne  geistige  Getränke 
geliebt  zu  haben,  und  weil  sich  in  den  Höhlen  des  Körpers,  zumal  bei  Fett- 
leibigen,' vorzüglich  im  Darmcanal,  solche  Gasarten  vorfinden,  die  durch 
den  elektrischen  Funken  entzündet  werden  können  (s.  den  Artikel  Borbo- 
rygmi).  Auch  der  Umstand,  dass  das  Übel  am  häufigsten  bei  trockner 
Winterkälte  oder  gewitterreicher  Sommerluft,  wo  die  Luftelektricität  sehr 
stark  ist ,  vorkommt ,  dass  die  Entzündung  schnell  geschah  und  die  Flamme 
leicht  beweglich,  aber  nicht  durch  Wasser  zu  löschen  war,  giebt  der  Kopp'- 
schen  Theorie  viel  Wahrscheinliches.  (Vergl.  Horn^s  Archiv,  1817.  Juli  u. 
Aug.  S.  107.)  —  Das  neueste  mir  bekannte  Beispiel  einer,  freilich  nur  par- 
tiellen spontanen  Verbrennung,  ereignete  sich  im  Dorfe  Leognan,  2  Meilen 
von  Bordeaux,  am  5.  Septbr.  1822,  wie  ich  dieses  damals  in  französischen 
Blättern,  von  einem  gewissen  Leon,  Kaufmann  zu  Bordeaux,  mitgetheilt, 
gelesen  habe.  Der  Schmidt  Reynateau  aus  Leognan  machte  am  genannten 
Tage  eine  kleine  Fussreise  nach  Bordeaux.  Der  Tag  war  sehr  hciss,  das 
Thermometer  stand  fast  auf  SO**  R. ,  und  das  Ansehn  des  Himmels  schien 
ein  Gewitter  zu  prophezeihen.  Des  Nachmittags  tritt  der  Mann  den  Rück- 
weg nach  Hause  an;  er  geht  etwas  schnell  und  der  Weg  ist  ohne  Schat- 
ten, so  dass  die  brennenden  Sonnenstrahlen  auf  ihn  einwirken.  Die  Klei- 
dung des  Schmidts  bestand  aus  neuen  Stoffen;  er  führte  keine  leicht  ent- 
zündliche Substanz,  z.  B.  Vitriolöl,  Scheidewasser  etc.  bei  sich,  hatte  auch 
nur  ein  massiges  Mittagsmahl  zu  sich  genommen,  sowie  er  überhaupt  massig 
lebte ,  erst  40  Jahre  alt  war  und  nie  geistige  Getränke  in  Übermass  genoss, 
aber  bei  kräftigem  Körper  ein  hervorstechend  cholerisches  Temperament  be- 
sass.  Als  der  Mann  nur  noch  %  Stunde  von  seinem  Hause  (es  war  4  Uhr 
Nachmittags)  entfernt  ist,  kommt  es  ihm  bei  einer  Drehung  des  Körpers 
vor ,  als  ob  er  einen  Schlag  auf  den  rechten  Oberschenkel  erhielte ;  darauf 
bemerkt  er  am  Zeigefinger  der  rechten  Hand ,  welche  am  Schenkel  herab- 
hängt, eine  bläuliche  Flamme,  die  sich  dem  Mittelfinger  der  Hand  raittheilt. 
Augenblicklich  fährt  er  mit  den  Fingern  in  der  Absicht,  die  Flamme  zu  er- 
sticken, au  die  Hose,  die  sich  gleichfalls  entzündet.  R.  wir^l  sich  nieder, 
führt  so  schnell  als  möglich  die  Hand  unter  den  Sand  und  steckt  davon  in 
die  Hosentasche,  wohin  das  Feuer  schon  gedrungen  war.  Auch  die  Finger 
der  linken  Hand  fangen  Feuer.  Er  kommt  so  zu  Hause  an,  taucht  die  Fin-r 
ger  mehrmals  in  kaltes  Wasser,  kann  die  spielende  blaue  Flamme  aber 
nicht  löschen.  Erst  durch  Abhaltung  der  Luft  gelingt  es  endlich.  Volle  2 
Monate  vergingen,  ehe  die  in  Entzündung  und  Eiterung  übergegangenen 
Finger  geheilt  waren.  Die  Verbrennung  beschränkte  sich  genau  auf  die 
ersten  Fingergelenke.  —  Diese  Beobachtung  ist  deshalb ,  zumal  für  Medi- 
cina  forensis,  wichtig,  indem  sie  darthut,  dass  die  spontane  Verbrennung 
auch  unter  Erscheinungen  stattfinden  kann,  die  von  denen,  die  die  Autoren 
darüber  mittheilen,  bedeutend  abweicht.  Denn  fast  sämmtliche  Schriftsteller, 
welche  bis  jetzt  Fälle  der  Art  mittheilten,  namentlich  Kopp,  Lnir ,  Pfeiffeify 
Mnrc ,  Joh.  Bataglia ,  Mayer ,  Rozier  etc. ,  sind  einstimmig  darüber ,  dass 
folgende  allgemeine  Bedingungen  als  begünstigend  zur  Hervorbringung  der 
Selbstverbrennung  angenommen  werden  müssen :  1)  das  weibliche  Geschlecht 
ist  derselben  häufiger  unterworfen,  als  das  männliche,  weil  dessen  Körper 
mehr  mit  Fett  durchwachsen  und  folglich  entzündlicher  ist.  2)  ÄJtliche 
Most  Encyklopädic.  2te  Aufl.  J.  29 


450  COMEDONES 

Personen,  fast  durchgehends  über  60  Jahre  alt,  waren  ihr  am  meisten  un- 
terworfen. S)  Sie  führten  ein  unthätiges  Leben  und  waren  muskeiächwach. 
4)  Sie  liebten  häufig  den  Genuss  geistiger  Getränke.  5)  Sie  befanden  sich 
in  der  Nähe  eines  brennenden  Körpers.  6)  Die  Erscheinung  war,  was  bei 
Ä.'s  Fall  nicht  erzählt  wird,  mit  einem  brenzlichen,  stinkenden  Geruch  be- 
gleitet, und  ereignete  sich  im  Winter  und  bei  trocknem  Wetter  und  starker 
Kälte,  wo  die  erkältete  Luft  die  Leitungsfahigkeit  der  Elektricität  vermin- 
dert und  daher  der  thierische  Körper  den  intensivsten  Grad  eigenthümlicher 
Elektricität  besitzt ,  eben  so  wie  der  Conductor  einer  in  Bewegung  gesetz- 
ten Elektrisirmaschine  aus  demselben  Grunde  (wegen  der  schlechtem  Lei- 
tungsfähigkeit der  trocknen  Luft)  alsdann  die  stärksten  Funken  beim  Aus- 
ziehen giebt.  —  Die  kleinen  Wirbelwinde,  welche  man  bei  heissem  Wetter 
und  vor  einem  Gewitter  im  Sommer  an  Plätzen,  wo  sich  Staub  gesammelt, 
beobachtet,  deuten  auf  ungleiche  Vertheilung  der  positiven  oder  negativen 
Elektricität,  die  sich  auf  einzelnen  Stellen  stärker,  als  auf  andern  entladet. 
Wenn  nun  im  obigen  mitgetheilten  Falle  die  thierische  Elektricität  des  R. 
im  Gegensatze  mit  der  Erdelektricität  sich  befand,  und  der  Mann  eine  sol- 
che Stelle  traf,  so  lässt  sich  diese  Selbstentzündung  als  elektrisches  Phäno- 
men wol  erklären.  Nach  Htinefeld  {Horn's  Archiv  1830.  Juli  n.  Aug.  S.  718 
u.  ff)  ist  der  Empresmus  das  Product  eines  plötzlichen  Übertritts  jener  von 
dem  Lebensprocesse  gebundenen  Potenzen:  Licht,  Wärme  und  Elektricität, 
zur  organischen  Qualität  und  der  Entzündung  und  Zersetzung,  welche  die- 
selben zugleich  mit  Hülfe  des  Sauerstoffs  der  umgebenden  Luft  in  den  thie- 
rischen  Stoffen  verursachen ,  so  dass  sie  theils  Verbrennung ,  theils  faulniss- 
artige  Zersetzung  nach  sich   zieht.  L.  A.  Most. 

^Comedones«  Crhiones,  Acne  punctatn,  Mitesser,  Dürrmaden, 
Zehrwürmer.  Sind  kleine,  schwärzliche,  erhabene  Pünktchen  in  der 
Haut,  die  aus  dieser  herausgedrückt  werden  können  und  dann  wie  Fäden, 
den  Maden  ähnlich,  aussehen,  und  aus  verhärteter  Lymphe  mit  Schmuz 
vermischt  bestehen.  Ihr  Sitz  ist  in  den  Folliculis  sebaceis,  und  das  Wescnt- 
fiche  häufig  eine  Anfüllung  derselben  von  Sebum.  Ursachen.  Sie  ent- 
stehen am  häufigsten  durch  Unreinlichkeit  des  Hautsystems  und  von  unter- 
drückter Hautausdünstung,  z.  B.  wenn  man  sich  das  Gesicht,  wo  sie  wie 
am  Nacken  und  auf  der  Brust  häufig  vorkommen,  bei  erhitztem  Körper  mit 
kaltem  Wasser  wäscht.  Sie  sind  bei  atrophischen,  verfutterten  Kindern  häu- 
fig, über  den  ganzen  Körper  verbreitet,  zu  finden.  ITier  sind  sie  ein  Sym- 
[)tom  der  Atrophie  und  verschwinden  mit  dem  Grundübel.  In  anderen  Fäl- 
en  sind  sie  rein  örtlich.  Cur.  Wo  sie  sehr  entstellen,  z.  B.  im  Gegichte, 
kann  man  sie  einzeln  mit  einer  Nadel  herausgraben.  Oft  verschwinden  sie 
schon ,  wenn  man  den  Theil  mit  Seifenwasser  und  Flanell  abreibt ;  oder  man 
nimmt  2  Esslöffel  voll  Weizenmehl,  ebensoviel  Bierhefen  und  1  Esslöffel  voll 
Honig,  salbt  den  leidenden  Theil  mit  dieser  Mischung  ein  und  wäscht  ihn 
nachher  mit  Seifenwasser  ab.  Bei  Kindern  räth  Jahn  (System  d.  Kinder- 
krankheiten. S.  273)  an,  die  Kinder  mit  aromatischen  Kräutern  zu  baden, 
und  besonders  die  am  meisten  mit  Mitessern  besetzten  Theile  mit  Decoct. 
herb,  siderit. ,  agrimoniae,  sapohariae,  hyperici ,  mit  Seifenwasser,  Salzwas- 
ser, Kleien,  Wein  und  Wasser  etc.  zu  waschen,  indem  wollene  Läppchen 
damit  angefeuchtet  und  die  Theile  zugleich  stark  frottirt  werden.  Aufge-- 
fütterte,  unreinlich  gehaltene,  mit  grober  Kost:  Mehlspeisen  etc.  genährt^ 
Kinder  leiden  oft  schon  in  den  ersten  Lebensmonaten  an  diesem  Übel,  be- 
sonders unter  der  armen  Volksclasse,  wo  Atrophie,  Scropheln  und  Zebrfie- 
ber  80  viele  Kinder  wegraffen.  Die  sicherste  Behandlung  ist  hier  die  pro- 
phylaktische. Die  Hauptmittel  sind:  reinliches  Verhalten,  gute  Pflege,  ge- 
sunde Mutter- oder  Ammenmilch,  beim  Entwöhnen  vermeide  man  alle  unge- 
sunde Nahrungsmittel ,  gewöhne  die  Kinder  melir  an  animalische  Kost ,  üftcl 
lasse  sie  öfters,  warm  baden,  besonders  passen  Bäder  von  Weizenkleie  ijnd 
zugleich  Frottiren  der  Haut  mit  Flanell  (Meissner  s  Kinderkrankheiten,  1828. 
Th.  I.  S.  404).  Die  Stellen,  wo  sich  die  Mitesser  befinden,  lässt  man  mit 
Nutzen  kurz  vor  jedem  Bade  mit  Honig  einreiben  {Heim),     Christian  Hoppe.  '' 


COMITIALIS  MORBUS  —  COMMOTIO  CEREBRl     451 

*Comitiali8  morbus»  Fallsucht,  s.  Epilepsia. 

^Commotio  cerebrl»  die  Gehirnerschütterung.  Dieses  Übel 
kann  durch  jede  auf  den  Körper  einwirkende  heftige  äussere  Gewalt,  die 
entweder  unmittelbar  den  Kopf  oder  einen  andern  Theil  des  Körpers  trifft, 
entstehen.  Jede  plötzliche  Erschütterung  des  Körpers  (Commotio  corporis), 
z.  B.  durch  Herabfallen  von  einer  Anhöhe ,  sowol  auf  die  Füsse  als  auf  den 
Kopf,  durch  Fall  auf  den  Hintern ,  durch  heftige  Schläge  auf  den  Kopf, 
auf  die  Magengegend  kann  auch  Gehirnerschütterung ,  die  häufig  mit  Brust- 
erschütterung (Commotio  pectoris)  verbunden  ist,  erregen.  Die  nächste 
Wirkung  der  Commotion  scheint  eine  Art  Lähmung,  und  daher  Schwächung 
und  Betäubung  des  Sensoriums  zu  seyn.  Das  Übel  besteht  also  mehr  in 
einer  gelinden  Paralysirung  des  ganzen  Nervensystems  und  besonders  des 
Centralorgans  desselben,  nicht  aber  in  Entzündung,  wie  Einige  angenom- 
men haben,  obgleich  zugegeben  werden  muss,  dass  Entzündung  und  Eite- 
rung auf  Gehirnerschütterungen  folgen  können,  besonders  wenn  die  Zufälle 
ein  gemischtes  Leiden:  Extravasate  etc.  anzeigen.  Symptome.  Ist  blos 
eine  reine  Commotion  da,  so  ist  weder  eine  Zerreissung  von  Gefässen, 
noch  ein  Extravasat  im  Gehirne  da ,  sondern  letzteres  ist  in  seiner  Substanz 
erschüttert  und  das  ganze  Nervensystem  gleichsam  wie  durch  einen  starken 
elektrischen  Schlag  gelähmt.  Gleich  nach  der  Verletzung  entsteht  Betäu- 
bung, der  Kranke  ist  der  Sinne  beraubt,  deren  freier  Gebrauch  oft  aber 
schon  bald  wiederkehrt.  Nun  treten  die  Zufalle  des  Reizes  hervor.  Der 
Kranke  klagt  über  Schwindel,  Ohrensausen,  Funkenseben  oder  Verdunke- 
lung des  Gesichts,  Gedächtnissschwächc ,  fühlt  sich  sehr  matt,  zerschlagen 
in  den  Gliedern,  wie  gelähmt,  einzelne  Theile  leiden  wirklich  an  Lähmung, 
er  hat  grosse  Neigung  zum  Schlafe,  die  Sinne  sind  abgestumpft;  der  Puls, 
der  vorher  weich  und  langsam  ging,  wird  sehr  frequent,  das  Gesicht  ist 
blass ;  es  treten  Ohnmächten  und  Convulsionen  hinzu.  Späterhin  stellen  sich 
oft  noch  in  Folge  der  Congestioin  zum  Kopfe  apoplektische  Zufalle  ein. 
Diagnose.  Höchst  wichtig  ist  in  klinischer  Hinsicht  die  genaue  Unter- 
scheidung der  Commotio  cerebri  von  der  Extravasation  im  GeÜrne,  von  den 
Zufällen  des  Drucks  aufs  Gehirn  und  von  der  Intlammatio  cerebri,  sowol 
von  der  frühen,  als  von  der  später  hinzukommenden.  Man  muss  hier  meh- 
rere Punkte  mit  einander  vergleichen.  Zu  diesem  Zweck  berücksichtige  man 
X)  die  Natur  der  Krankheitserscheinungen.  Diese  sind  a)  entweder 
Zufälle  des  Drucks  aufs  Gehirn,  als  Schwindel,  Ekel,  Erbrechen,  er- 
weiterte Pupille,  Verlust  des  Gefühls  und  der  willkürlichen  Bewegungen, 
apoplektische  Zufalle,  convulsivisches  Zittern  einzelner  Theile,  Lähmungen, 
besonders  an  derjenigen  Stelle  des  Körpers,  die  nicht  verletzt  worden,  Nach- 
lassen der  Sphinkteren,  Blutflüsse  aus  Augen,  Nase,  Ohren,  unterdrückter 
Puls,  tiefe,  schnarchende  Respiration,  Hemiplegie,  Apoplexie.  Oder  es  sind 
b)  mehr  die  Symptome  des  Reizes  zugegen,  als  Zuckungen,  sehr  fre- 
quentcr  Puls ,  Ohrenklingen,  Funkensehen ,  Fieber  etc.  Oder  es  sind  c)  die 
Zufalle  gemischter  Art,  also  theils  Zufalle  des  Drucks,  theils  des  Rei- 
zes: daher  theils  Lähmungen,  theils  Zuckungen,  theils  Betäubung,  theils 
Phantasien,  theils  Fieberbewegungen.  Hier  ist  die  Diagnose  noch  schwie- 
riger. 2)  Man  achte  darauf,  wie  die  Krankheitserscheinungen  der  Zeit  nach 
eintreten,  ob  sie  gleich  mit  der  Verletzung,  oder  erst  später,  nach  Stun- 
den ,  Tagen  entstehen,  ob  die  Symptome  des  Drucks  auf  die  des  Reizes  erst 
folgen,  a)  Die  Zufälle  des  Reizes  entstehen,  wenn  Knochensplitter  die  Ur- 
sache sind,  gleich  nach  der  Verletzung,  und  sie  sind  dann  anfangs  ohne 
Fieber  zugegen.  Entstehen  sie  aber  erst  einige  Tage  nach  der  Verletzung 
und  sind  sie  mit  Fieber  begleitet,  so  sind  sie  Folge  von  Gehirnentzündung; 
b)  die  Zufalle  des  Drucks  entstehen  bei  der  Depression  sogleich,  bei  einem 
Extravasat  nach  Verlauf  von  Minuten.  Stellen  sie  sich  aber  erst  nach  meh- 
reren Tagen  und  nachdem  die  Symptome  des  Reizes  und  der  Entzündung 
vorhergegangen ,  ein ,  so  rühren  sie  von  Eiterung  her.  In  manchen  Fällen 
ist  es  leicht,  die  ZuHille  der  Commotion  von  denen  des  Extravasats  zu  un- 
terscheiden; denn  erstere  erfolgen  sogleich   im  Augenblick   der  Verletzung 

29* 


452  COMMOTIO  CEREBRl 

letztere  erst  einige  Zeit  nachher.  Dies  Zeichen  ist  jedoch  nicht  ganz  zu- 
verlässig, auch  nicht  in  jedem  Falle  bemerklich;  wenn  z.  B.  der  Kranke 
bei  der  Verletzung  allein  war,  so  kann  der  Wundarzt  nicht  erfahren,  ob 
die  Zufälle  sogleich  oder  erst  nach  einigen  Minuten  erfolgt  sind.  Die  Zu- 
fälle der  reinen  Erschütterung  können  nach  einer  kurzen  Zeit  verschwinden 
und  bald  darauf  durch  irgend  eine  Gelegenheitsursache  wieder  erscheinen 
und  nun  leicht  für  die  Folgen  einer  Extravasation  gehalten  werden.  Hat 
endlich  der  Kranke  eine  Extravasation  und  Hirnerschütterung  zugleich  er- 
litten, wozu  noch  kommt,  dass  einige  Zufälle  der  Erschütterung,  z.  B.  Ekel, 
Erbrechen,  auch  nicht  immer  gleich,  sondern  oft  erst  spät  entstehen,  so  ist 
die  Sache  noch  schwieriger.  Zuweilen  leiten  den  "Wundarzt  die  ungemisch- 
ten Zufälle  der  Extravasation :  die  oben  beschriebenen  Zufalle  des  Di-ucks, 
die  man  bei  bedeutenden  Commotionen  meist  immer  mit  denen  des  Reizes 
gemischt  findet;  ja  zuweilen  sind  bei  reinen  Hirnerschütterungen  die  Zufälle 
des  Drucks  so  vorherrschend  und  die  des  Reizes  so  gering,  dass  man  sie 
leicht  übersehen  kann.  Dass  die  Diagnose  leichter  ist,  wenn  äusserlich  Ver- 
letzungen des  Schädels  stattfinden,  versteht  sich  von  selbst,  daher  eine 
höchst  genaue  Untersuchung  des  Kranken,  besonders  des  Kopfes,  nie  un- 
terlassen werden  darf.  Aus  dem  Obigen  ergiebt  sich  nun,  dass  eine  reine 
Hirnerschütterung  sehr  wahrscheinlich  zugegen  ist,  1)  wenn  der  Tod  nicht 
bald  nach  der  Verletzung  erfolgte,  2)  wenn  die  Respiration  frei  und  leicht 
ist,  S)  wenn  die  Zufälle  veränderlich,  abwechselnd  bald  gelinder,  bald  stär- 
ker sind.  Behandlung.  Sie  richtet  sich  nach  der  Verschiedenheit  der 
Zufälle,  muss  aber  immer  mehr  oder  weniger  excitirend  seyn.  Man  mache 
äusserlich  keine  kalte,  sondern  warme,  ätherische,  spirituöse  Fomentationen 
auf  den  Kopf,  lasse  den  ganzen  Körper,  besonders  den  Rücken  und  die 
Glieder,  mit  Flanell  warm  frottiren,  gebe  innerlich  Naphtha,  Wein,  Infus, 
flor.  arnicae,  Rad.  valerianae,  Sal  volatile,  und  setze  diese  Behandlung  so 
lange  fort ,  als  das  Gesicht  des  Kranken  bleich ,  der  Puls  zitternd  und  Ohn- 
mächten da  sind.  Findet  man  späterhin  Sjinptome  des  Drucks,  Annäherung 
der  Apoplexie,  so  setze  man  Blutegel  an  den  Kopf,  lasse  auch  wol  ver- 
suchsweise einige  Unzen  Blut  am  Arme  ab ,  und  versinkt  der  Kranke  dann 
wieder  in  die  frühere  Schwäche,  so  gebe  man  wieder  Wein,  Naphtha, 
Arnica.  Oft  gehen  die  Zufälle  der  Hirnerschütterung  dann  in  einigen  Stun- 
den oder  Tagen  vorüber.  Doch  sterben  Menschen  zuweilen  noch  nach  meh- 
reren Jahren  an  den  Folgen  der  Commotionen,  nachdem  sie  lange  Zeit  an 
heftigen  Kopfschmei'zen  und  Geistesgebrechen  gelitten  hatten.  Man  findet 
bei  der  Section  dann  entweder  Vereitenmg  des  Gehirns,  oder  es  sind  grosse 
Portionen  desselben  in  eine  speckige  Masse  verändert.  Die  antiphlogistische 
Methode :  die  bei  Extravasation  so  nützlichen  Aderlässe ,  die  gerühmten  Pur- 
girsalze  und  Vomitive  passen  bei  reinen  Commotionen  durchaus  nicht ,  müs- 
sen aber  dennoch  deshalb  zuweilen  angewandt  werden ,  weil  die  Zufälle  so 
häufig  gemischt  sind.  Sie  thun  bei  vollem,  gespanntem  und  geschwindem 
Pulse,  vorsichtig  angewandt,  oft  gute  Dienste;  dagegen  dienen  bei  kleinem, 
gespanntem  Pulse  Antispasmodica,  bei  kleinem,  sehr  weichem  und  schwa- 
chem Pulse  Excitantia,  Nervina.  Ausserdem  versteht  es  sich  von  selbst,  dass 
hierbei  die  Constitution  berücksichtigt  werden  muss,  dass  man  bei  höchst 
schwächlichen,  bleichen,  magern  Personen  mit  den  schwächenden  Mitteln 
weit  vorsichtiger  seyn  muss  als  bei  robusten,  plethorischen  Subjecten.  Man 
berücksichtige  auch  den  Zustand  des  Kranken  kurz  vor  der  Verletzung. 
Ging  ein  Rausch  vorher,  so  können  Vomitive,  kühlende  Abführungen  und 
Blutegel  an  den  Kopf  nützlich  seyn ;  ging  eine  starke  Mahlzeit  oder  Zorn 
vorher,  so  passen  ehi  Vomitiv  und  Laxativ;  war  Furcht  und  Schreck  kurz 
vorhergegangen ,  so  passen  die  Nervina  und  Antispasmodica.  Zuweilen  sind 
auch  primäre  Unreinigkeiten  des  DarmcanaU  da,  die  nicht  Product  der  all- 
gemeinen Schwäche,  sondern  durch  Unverdaulichkeit  der  Speisen  entstanden 
sind.  Hier  passen  reizende  Klystiere,  ein  Laxans  aus  Infus,  sennae.  Ein 
Brechmittel  aus  Tart.  emet. ,  noch  besser  aus  Solutio  vitrioli  albi ,  ist  in 
dem  Falle  indicirt,    wenn  ein  Betrunkener  auf  diese  Weise  verunglückt  ist 


COlVIMOTiO  CEREBRI  453 

und  auf  der  Stelle  gefühl-  und  bewegungslos  daliegt,  so  dass  man  nicht 
weiss,  ob  die  ZuföUe  den  geistigen  Getränken  oder  der  Verletzung:  den» 
Falle  etc.  zuzuschreiben  sind.  Äusserliche^  Mittel  bei  reinen  Commotionen 
sind  .noch :  der  Dunst  von  Spirit.  sal.  animon.  caust. ,  Einreibungen  dessel- 
ben in  die  Schläfen,  reizende  Klj stiere  von  Essig  und  Wasser,  Terpenthin 
mit  Eigelb  und  Wasser  zu  einer  Emulsion  gemacht.  Ausser  den  aromatisch- 
geistigen  Foraentationen  auf  den  Kopf  kann  man  auch  das  Oldenroth'sche 
Epispasticum  volatile:  I^  Ferment,  panis  acidi  £j,  Pulv.  sem.  sinnpeos  5J, 
Sal.  amnwniaci  3>j  •>  Sal.  tartari  öv.  M.  f.  Epispast. ,  anwenden  und  dieses 
alle  3  —  4  Stunden  frisch  erneuert  auflegen.  Während  der  ganzen  Curzeit 
muss  der  Kranke  alle  heftige  Körper  -  und  Geistesanstrengungen,  sowie  Ge- 
raüthsbewegungen  vermeiden  und  eine  den  angewandten  Mitteln  entspre- 
chende Diät  halten.  Bleibt  eine  Schwäche  oder  Lähmung  einzelner  Theile 
zurück j  leidet  der  Kranke  an  Kopfschmerz,  Gedächtnissschwäohe ,  so  haben 
sich  oft  die  Ekelcur  durch  kleine  Gaben  Tart.  emetic. ,  Vesicatorien  auf 
den  Kopf,  Elektricität ,  Galvanismus,  Tropfbäder,  ein  Haarseil  im  Nacken, 
lange  Zeit  im  Fluss  erhalte^n,  nützlich  bewiesen.  C   J   F  Behrens 

Nachschrift  des  Herausgebers.  Über  die  Behandlung  der  Com- 
motio  cerebri  sind.  Arzte  und  Wundärzte  nicht  einig.  Einige,  z.  B.  Langen- 
heck,  rathen  zur  antiphlogistischen  Methode  und  lassen  kalte  Kopfumschläge 
machen.  Andere  zur  reizenden,  excitirenden  Methode,  z.  B,  Himhj,  welche 
warme  ätherische  Fomentationen  verordnen.  Beide  haben  Recht  auf  einer 
Seite;  die  Zufälle  sind  bei  Commotionen  verschieden,  idie  Complicationen 
mit  Fractur,  Depression,  später  mit  Encephalitis  etc.  nicht  selten;  daher 
muss  der  praktische  Arzt  die  individuellen  Fälle  wohl  unterscheiden  und  da- 
nach seinen  Curplan  einrichten  und  nach  den  im  Verlauf  der  Krankheit  ein- 
tretenden Veränderungen  der  Krankheitserscheinungen  gehöi'ig  moderiren. 
Vor  allen  Dingen  vergesse  er  nie,  sein  Augenmerk  auf  den  Kopf  und  den 
Unterleib  zu  richten ,  bei  Congestion  zum  Kopfe  Blutegel ,  bei  Obstructio 
aivi  gelind  reizende  Purgirmittel ,  reizende  Klystiere  zu  verordnen,  um  die 
Encephalitis  und  deren  Begleiter:  plastische  und  seröse  Exsudationen,  zu 
verhüten.  Ausserdem  nützt  bei  den  unverkennbaren  Zeichen  reiner  Erschüt- 
terung ganz  vorzüglich  die  Arnica,  und  sie  verdient  den  ihr  von  den  Alten 
beigelegten  Namen  Fallkraut  mit  vollem  Rechte.  Ich  habe  Fälle  erlebt, 
wo  robuste  Personen  durch  einen  Sturz  vom  Heuboden  betäubt  danieder- 
lagen. Ich  Hess,  da  äusserlich  keine  Spur  von  Verletzung  am  Schädel  zu 
entdecken  und  Patient  auf  den  Hintern  gefallen  war,  sogleich  zur  Ader  und 
verordnete  dann  ein  schwaches  Infus,  flor.  arnicae  (3jj  auf  5 vjjj  Col.) ,  mit 
Sal  Glauberi  §j ,  wovon  der  Patient  stündlich  einen  Esslöffel  voll  nahm, 
verordnete  reizende  Klystiere,  später  die  reine  Arnica  in  Infusion,  und  in 
14  Tagen  war  Patient  völlig  hergestellt.  Selbst  wenn  Fracturen  des  Schä- 
dels und  Depressionen  da  sind,  wo  in  der  Regel  die  Zufälle  gemischt  er- 
scheinen, habe  ich  nicht  sogleich  zum  Trepan  gegriffen,  besonders  nicht  bei 
jungen  Personen,  Im  Jahre  1822  behandelte  ich  einen  zwölfjährigen  Kna- 
ben,  der  durch  Sturz  von  einer  bedeutenden  Anhöhe  sich  den  Schädel  der- 
gestalt verletzt  hatte,  dass  ein  Stück  des  Os  bregmatis  von  5  Zoll  Peri- 
pherie deprimirt  war.  Erst  zwei  Tage  nach  der  Verletzung  wurde  ich  zu 
Hülfe  gerufen.  Der  Knabe  litt  an  Zufallen  von  Cömmotion  und  Depression, 
die  indessen  gelind  waren.  Ich  verordnete  kühlende  Laxanzen,  äusserlich 
auf  den  Kopf  die  kalten  Schmucker'schen  Fonientationen ,  und  declarirte  den 
Angehörigen,  dass,  wenn  sich  hierauf  die  Zufälle  nicht  bald  legen  würden, 
ich  am  andern  Morgen  das  Knochenstück  in  die  Höhe  heben  und  daher  den 
Kopf  aufschneiden  müsse.  Ich  rechnete  darauf,  dass  die  eigenthümliche  Be- 
wegung des  Gehirns  die  Depression  vielleicht  ohne  Operation  heben  würde. 
Und  so  geschah  es  denn  auch.  Der  Knabe  befand  sich  am  andern  Tage 
schon  weit  besser,  das  Knoehenstück  hob  sich  allmälig,  so  dass  man  den 
damit  correspondirenden  Rand  des  Craniiims  immer  weniger  fühlen  konnte, 
und  Patient  ist  ohne  Operation  geheilt  und  bis   auf  den  heutigen  Tag  voll- 


45*  COmiOTIO 

kommen  gesund.     Ausser  der  Hirnerschütterung  sind  hier  noch  folgende  Com- 
motionen  zu  betrachten: 

Comnwiio  musculorum  intercostalium  et  pleurne.  Sie  erregt  leicht  Pleu- 
ritis und  Empyem,  das  oft  grosse  Sinus  macht,  ohne  dass  die  Lunge  daran 
Theil  nimmt.  Nicht  selten  ergiesst  sich  der  Eiter  ins  Cavum  pleurae  und 
erregt  Erstickung;  bricht  er  nach  Aussen  hervor,  so  ist  jedesmal  Caiies 
costarum  zugleich  damit  complicirt.  Cur.  Muss  streng  antiphlogistisch  sevn, 
um  diese  schlimmen  Folgen  zu  verhüten. 

Commotio  stemi  et  costnrum.  Erregt  leicht  Caries.  Die  frühe  Anwen- 
dung der  Blutegel,  Schröpfköpfe,  und  später  bei  Zeiten  eine  Incision  sind 
hier  indicirt  (itf.). 

Commotio  cordis.  Symptome  sind:  höchst  irregulärer  Puls,  im  hohem 
Grade  Ohnmächten.  Cur.  Aderlassen,  selbst  wenn  Ohnmacht  da  ist,  denn 
das  Blut  ist  hier  moles  movenda,  die  das  geschwächte  Herz  nicht  fortschaf- 
fen kann,  dann  Tropfbäder  auf  Brust  und  Rückgrat.  Entstehen  wieder 
Unordnungen  im  Pulse,  so  wiederhole  man  das  Aderlassen,  um  Aneurysma 
cordis  passivum  und  Aiieur.  aortae  zu  verhüten  (Himhj). 

Commotio  pectoris.  Bei  der  Brusterschütterung  bleibt  der  Athem  gleich 
stehen,  die  Menschen  wollen  ersticken;  folgt  Blutsturz,  so  ist  die  Lunge 
verletzt,  da  eher  das  Lungenparenchym,  als  die  Gefösse  der  Pleura  zer- 
reissen.  Die  Folgen  sind  entweder  Phthisis  pulmonalis  oder  Hydrops  pecto- 
ris, häufig  bleibt  auch  chronisches  Asthma  zurück.  Cur.  Man  belebe  zu- 
erst die  Respirationsorgane  durch  Riech  -  und  Niesemittel ,  lasse  dann  gleich 
zur  Ader.  Dauert  des  Blutspeien  fort  und  ist  es  bedeutend ,  so  gebe  man 
innerlich  Säuren,  mache  kalte  Umschläge  auf  die  Brust  und  rathe  strenge 
Ruhe  und  schmale  Diät  an.  Man  achte  bei  allen  solchen  Commotionen  auf 
Rippenbrüche,  Zerreissung  der  Lungen,  welche  Complicationen  die  Prognose 
verschlimmern,  und  vergesse  nicht,  durch  strenges,  lange  fortgesetztes  Re- 
gime den  schlimmen  Folgen  vorzubeugen. 

Commotio  ahdominis.  Die  Erschütterung  des  Unterleibes  kann  durch 
einen  Fall  oder  Stoss  gegen  den  Unterleib,  durch  Fusstritte,  durch  Schläge 
auf  den  untern  Theil  des  Rückens  mit  flachen  Werkzeugen,  durch  einen 
Fall  mit  dem  Bauche  auf  eine  Wasserfläche  aus  bedeutender  Höhe  etc.  er- 
folgen, wodurch  dann  die  Abdominaleingeweide  leiden.  Zufälle  sind: 
Anschwellung,  stumpfer  Schmerz,  Congestionen ,  Torpor,  Stupor,  Paralysis, 
veränderte  Secretionen  der  leidenden  Organe:  Erbrechen,  Durchfall,  Icterus, 
Hambeschwerden.  Die  Lebererschütterungen  kommen  am  häufigsten  vor ; 
ihre  Folgen  sind  Hepatitis,  Icterus,  Anschoppungen,  in  schlimmen  Fällen 
baldiger  Tod,  wo  die  Section  die  Leber  erschlafft,  ihre  Consistenz  vermin- 
dert, sie  auch  nicht  selten  geborsten  zeigt.  Die  Prognose  ist  um  so  un- 
günstiger, je  mehr  Magen,  Leber,  Milz,  Niere,  Blase  etc.  gelitten  haben. 
Cur.  Äusserlich  kalte  Umschläge,  hinterher  warme  aromatische  Fomenta- 
tionen  und  Bäder,  reizende  Einreibungen,  Klystiere  etc.  Innerlich  anfangs 
belebende  stärkende  Mittel,  später,  wenn  sich  Zeichen  von  Gastritis,  He- 
patitis, Cystitis  etc.  einstellen,    die  bekannten  Antiphlogistica. 

Commotio  meduUac  spinalis,  Erschütterung  des  Rückenmarks. 
Sie  folgt  vorzüglich  durch  einen  Fall  auf  den  Rücken,  auf  den  Hintern,  auf 
die  Knie,  auf  die  Füsse,  durch  heftige  Stösse  und  Schläge  auf  die  Wirbel- 
säule. Auch  soll  die  Wendung  auf  die  Füsse  bei  Kindern  durch  Rücken- 
markserschütterung oft  Ursache  ihres  Todes  während  der  Geburt  seyn  {Rcy- 
dellet).  Symptome  sind :  ausser  den  allgemeinen  der  Commotio  corporis 
Schmerz  in  der  Lendengegend,  unwillkürlicher  Koth  -  und  Harnabgang,  man- 
gelndes Bewegungs  -  und  Empfindungsvermögen  der  untern  Extremitäten  oder 
wenigstens  Gefühl  von  Taubheit,  Narcosis  und  Lähmung.  Litten  mehr  die 
vordem  Stränge  des  Rückenmarks ,  so  liegt  mehr  die  Bewegung ,  litten  vor- 
züglich die  hintern  Stränge,  die  Empfindung  darnieder.  Zuweilen  kommen 
JP'älle  vor,  wo  die  Kranken  an  Obstructio  alvi  und  Ischurie  leiden,  oder 
nur  an  Stuhlverstopfung  und  Incontinentia  urinae ,  oder  'auch  an  öftern 
Erectionen  des  Penis  (fttMt);  doch  beobachtete  dieses  bei  Rückenraarksver- 


C031M0TI0  455 

letzungen  nicht  seltene  Zeichen  Ollivier  nie  bei  Commotionen  der  Aledulla. 
Der  Puls  ist  in  den  meisten  Fällen  Iclein  und  langsam,  oft  nur  S5  »Schläge 
in  der  Minute  {Rusfs  Magaz.  Bd.  XIV.  S.  S59) ,  zumal  in  den  ersten  Stun- 
den nach  der  Verletzung,  dann  wird  er  zuweilen  auffallend  frequent.  Der 
Appetit  ist  in  der  Regel  gut,  der  Schlaf  ruhig,  der  Durst  massig.  Die 
Section  der  an  Rückenmarkserschütterung  Verstorbenen  hat  bis  jetzt  über 
die  Natur  des  Übels  kein  genügendes  Resultat  gegeben.  In  einigen  Fällen 
fand  man  die  Medulla  zusammengedrückt,  so  dass  es  unmöglich  war,  die 
graue  von  der  weissen  Substanz  zu  unterscheiden;  in  andern  fand  man  Blut- 
erguss  zwischen  Dura  mater  und  den  Wirbelbeinen,  oder  die  Häute  waren 
an  einzelnen  Stellen  zemssen  und  durch  diese  Einrisse  war  die  Substanz 
des  Rückenmarks  vorgefallen.  Dauert  das  Übel  viele  Wochen,  Monate,  so 
findet  man  in  der  Regel  Malacosis  medullae  spinalis.  Die  Prognose  ist 
besonders  wegen  der  Folgen  und  Nachkrankheiten  ungünstig;  denn  wenn 
auch  nur  die  Fälle  selten  sind,  wo  schneller  Tod  auf  die  Commotion  folgt, 
so  kann  doch  bei  vorherrschendem  Leiden  des  obern  Theils  leicht  eine  En- 
cephalitis sich  ausbilden,  und  leidet  mehr  der  untere  Theil,  so  bleibt  Läh- 
mung der  untern  Glieder,  der  Harnblase,  des  Darmcanals,  Caries  vertebra- 
rum ,  die  allen  Heilmitteln  oft  hartnäckig  trotzen ,  zurück ,  es  bildet  sich 
endlich  eine  Febris  hectica  aus  und  der  Tod  folgt  durch  Abzehrung  und 
Schwäche.  Dachdecker,  Maurer,  Zimmerleute  und  Seiltänzer  sind  diesen 
und  andern  Commotionen  wegen  ihres  Geschäfts  besonders  ausgesetzt. 
Gleichzeitig  erlittene  Fractur  der  Wirbelbeine,  gleichzeitige  Commotio  ce- 
rebri,  pectoris  et  abdominis  und  bald  darauf  folgende  Myelitis  machen  die 
Prognose  besonders  schlimm.  Cur.  Bei  kräftigen  Subjecten  dienen,  sobald  , 
die  Ohnmächten  und  der  Zustand  von  Torpor  sich  gegeben  und  der  Puls 
voller  und  schneller  geworden ,  Aderlässe ,  Blutegel  an  die  Wirbelsäule ,  um 
der  Blutcongestion ,  Irritation  und  Inflammation  vorzubeugen.  Auch  kalte 
Fomentationen  auf  den  Rücken  sind  nützlich;  späterhin  trockne  Schröpf- 
köpfe ,  Vesicatorien ,  Einreibungen  von  Unguent.  mercuriale  in  die  Wirbel- 
säule. Bei  Harnverhaltung  applicire  man  den  Katheter,  bei  Obstructio  alvi 
dienen  gelinde  eröffnende  Klystiere ;  dabei  innerlich  Kalomel ,  Extr.  hyoscy- 
ami,  kühlende  Getränke,  strenge  Diät.  Gegen  die  nachbleibenden  Paraly- 
sen nützen  Moxa,  allgemeine  Bäder,  reizende  Einreibungen  von  Phosphor- 
salbe, innerlich  Nux  vomica,  Tinct.  colocynthid. ,  Agaricus  muscarius  etc. 

Commotio  nervorum.  Eine  isolirte  Nervenerschütterung  aus  mechani- 
schen Ursachen  giebt  es  gar  nicht;  vielleicht  kann  eine  Schusswunde  den 
Hauptstamm  des  Nerven  eines  Gliedes  treffen  und  den  Nerven  besonders 
erschüttern.  Gemüthsaffecte,  sowie  die  elektrische  und  galvanische  Kraft, 
und  Alles,  was  Commotio  cerebri  und  andere  Verletzungen  des  Gehirns  er- 
regt, haben  am  häufigsten  allgemeine  Nervenerschütterung  im  engern,  stren- 
gern Sinne  zur  Folge.  Ist  die  Commotion  mehr  topisch,  so  entsteht  im  Au- 
genblicke der  Verletzung  im  ganzen  Verlaufe  des  Nerven,  aufwärts,  vor- 
züglich aber  abwärts,  ein  reissender  Schmerz,  der  bald  stumpf  wird  und  in 
das  lästige  Gefühl  der  Betäubung  übergeht.  Die  Function  des  Nerven  in 
Rücksicht  auf  die  bewegende  Kraft  in  den  Muskeln  und  die  Vitalität  der 
Organe  überhaupt  wird  mehr  oder  weniger  beschränkt,  und  der  leidende 
Theil  selbst  in  den  nämlichen  Zustand  versetzt,  den  alle  Commotionen  her- 
vorbringen, als :  geschwächte  Empfindung  und  Bewegung,  verminderte  Tem- 
peratur, liaxität  etc.  Bei  heftiger  äussern  Gewalt  folgt  Paresis,  selbst  Pa- 
raljsis.  Wegen  der  ausgedehnten  Nervenverbreitung  kann  die  Nervencora- 
motion  sich  an  einer  entferntem  Stelle  zeigen,  als  wo  der  Nerve  von  der 
mechanischen  Gewalt  getroffen  worden  ist ;  so  könnte  z.  B.  bei  einem  Schlage 
auf  die  Seite  des  Halses  durch  die  Erschütterung  des  N.  vagus  die  Respi- 
ration und  die  Function  des  Magens  beeinträchtigt  werden,  sowie  bei  einer 
Stichwunde  in  die  Fossa  supraorbitalis  Blindheit  eintreten  kann.  Ist  der 
Ort  der  Verletzung  dem  Gehirne  nahe,  so  sind  die  Wirkungen  ganz  diesel- 
ben einer  jeden  Commotion,  sowie  denn  überhaupt  bei  allgemeiner  Commo- 
tio cerebri,   pectoris,   abdoroinig  etc.  das  Nervensystem  primär  und  Vorzugs- 


456  COMMOTIO 

weise  leidet  und  daher  jede  Erschütterung  eine  Commotio  nervorum  mit  ist; 
die  eintretenden  Congestionen ,  Irritationen  und  Entzündungen  sind  dabei 
stets  das  Secundäre.  Sie  treten  nicht  immer  ein,  und  ein  primär  antiphlo- 
gistisches Verfahren,  zumal  durch  Blutlassen,  passt  hier  im  Allgemeinen  nicht. 
Ein  gewisser  Grad  von  Reaction  des  Organismus  ist  zur  Heilung  aller  Com- 
motioneii  nothwendig,  sowie  wir  ja  denn  auch  wissen,  dass  ein  aufgeregter 
fieberhafter  Zustand  nach  Apoplexie  keine  ungünstige  Prognose  giebt,  der 
Schlagfluss  aber  gewiss  ohne  Commotio  nervorum  nie  stattfinden  kann.  Auch 
die  fieberhaften  Exantheme,  die  Weltseuchen  mit  oder  ohne  contagiöse  Ba- 
sis erregen  primär  Commotio  nervorum,  und  der  einsichtsvolle  Arzt  sucht 
die  darauf  folgende  Reaction,  d.  i.  das  Fieber,  die  Entzündung,  nur  zu 
massigen ,  wenn  sie  das  Mass  überschi'eiten  und  durch  ihre  Heftigkeit  töd- 
ten  könnten,  nie  aber  zu  unterdrücken,  indem  er  darin  mit  Recht  das  Na- 
turbestreben zur  Ausgleichung  erblickt.  Die  Cur  der  Nervencommotionen 
ist  demnach  dieselbe  jeder  andern  Erschütterung,  zumal  der  Hirnerschütte- 
rung. Daher  anfangs  belebende  Mittel,  später,  bei  heftiger  Reaction,  küh- 
lende, derivirende,  antiphlogistische  Mittel,  nach  dem  Grade  und  der  grös- 
sern oder  geringern  Heftigkeit  der  Zufälle,  den  individuellen  Fällen  ange- 
passt,  in  Anwendung  zu  bringen  sind.  Bei  entblössten  Nerven  durch  Ver- 
wundungen muss  die  atmosphärische  Luft  abgehalten  werden,  auch  sind 
Knochensplitter  und  andere  fremde  Körper  zu  entfernen ,  damit  sie  den  Ner- 
ven nicht  fortwährend  reizen,  Krämpfe  erregen  etc.  Die  nachbleibenden 
Lähmungen  behandelt  man  nach  bekannten  Regeln.     S.  Paralysis. 

Commotio  vasoriim.  Auch  die  Erschütterung  der  Ge fasse  kommt 
wol  nie  für  sich  bestehend  vor,  doch  kann  eine  äussere  Gewalt  bei  Com- 
motionen  gleichzeitig  mehr  oder  weniger  die  Blutgefässe,  auch  die  Lymph- 
gefässe,  der  Art  erschüttern,  dass  eine  vorübergehende  oder  bleibende  man- 
gelhafte, zu  geringe  oder  gänzlich  fehlende  Circulation  der  Säfte  stattfindet. 
Hierauf  deuten  schon  der  langsame  Puls  und  die  träge,  tiefe  und  langsame 
Respiration  bei  Commotio  cerebri,  medullae  spinalis,  pectoris,  bei  Apople- 
xie etc.  zu  Anfange  solcher  Übel  hin.  Die  Folgen  können  seyn :  krankhafte 
Gefasserweiterungen ,  partielle  Trennung  des  Zusammenhangs  der  Gefässe, 
Congestionen  nach  dem  leidenden  Theile,  indem  das  Blut  nach  den  Gefäs- 
sen,  welche  erschüttert  werden,  stärker  andringt  oder  dort  nicht  kräftig 
genug  weitergeschafft  werden  kann,  wodurch  oft  eine  Entzündung  bedingt 
wird.  Die  Zeichen  einer  Commotio  vasorum  sind  daher  krankhafte  Erwei- 
terung oder  Ruptur  eines  Gefösses,  Aneurysma,  und  Entzündung.  Eine  Er- 
schütterung einer  Vene  oder  eines  Lymphgefässes  kann  varicöse  Erweiterung, 
Angiectasie,  auch  Phleborrhesis  und  einen  Lymphabscess  zur  Folge  haben. 
Gewöhnlich  leiden  wegen  ihrer  weniger  nachgiebigen  Textur  und  ihrer  zalil- 
reichern  Nerven  die  Arterien  bei  Commotionen  häufiger,  als  die  venösen  und 
lymphatischen  Gelasse,  besonders  die  Arterien  des  Hirns,  der  Brust  und  des 
Unterleibes.  Besonders  prädisponiren  alte  Leute  und  solche  mit  schlaffer 
Faser,  dyskrasische  Personen,  die  an  Scorbut,  Scropheln,  Psora,  Mercuria- 
lismus  gelitten,  die  die  Energie  der  Gefässe  durch  Trunksucht  geschwächt 
haben ,  zu  solchen  Commotionen.  Auch  sind  Männer  empfänglicher  dafür  als 
Frauen  und  Kinder ,  weil  bei  letztern  die  Gefässwände  elastischer  sind. 
,,Die  Prognose  —  sagt  Hei/feldcr  in  Rust^s  Handb.  d.  Chirurgie,  Bd.  V. 
S.  135  —  ist  bei  Erschütterungen  der  Gefässe  insofern  immer  ungünstig, 
als  sie  wol  nie  allein  vorkommen,  und  gleichzeitig  auch  der  ganze  tCör- 
per  oder  doch  ein  zum  Leben  wichtiges  Organ  in  einem  hohen  Grade  durch 
die  äussere  Gewalt  mit  erschüttert  wurde.  Sie  ist  besonders  ungünstig, 
wenn  ein  bedeutendes  Gefäss  im  Gehirn,  in  der  Brust,  in  der  Bauchhöhle 
oder  im  Rückenmarkscanale  in  Folge  der  Erschütterung  platzt,  wodurch 
eine  lebensgefährliche  Blutung  entstehen  kann."  Cur.  Sie  richtet  sich 
nach  den  Zufällen,  welche  die  Erschütterung  hervorruft.  Ist  ein  sichtba- 
res Geföss  zerrissen,  so  muss  es  unterbnnden  werden.  Streng  antiphlogisti- 
sches Verfahren,  Ruhe  und  knappe  Diät  beugen  den  üblen  Folgen  noch  am 
uicistcii  vor. 


COMPREHENSIO  —  CONCRETIO  457 

ComprebensiOj  Starrsucht,  s.  Catalepsis. 

Concretio ,  Verwachsung.  Hierunter  versteht  man  1)  wenn  na- 
türliche Öffnungen  des  menschlichen  Körpers:  der  Gehörgang,  die  Nasenlö- 
cher, die  Augenlider,  die  Scheide,  der  After  etc.  verwachsen  sind  (s.  Atre- 
sla),  2)  wenn  Theile,  die  von  einander  getrennt  seyn  müssen,  an  einander 
gewachsen  sind,  z.  B.  Concretio  articulorura!,  digitorum  manus  et  pedis,  la- 
biorum  pudendorum,  praeputii  etc.  Theils  sind  solche  Verwachsungen  au- 
geboren, theils  später  nach  Verwundungen,  besonders  Verbrennungen,  durch 
vernachlässigte  Behandlung  zurückgeblieben.  Sie  erfordern  rein  chirurgische 
Hülfe,  in  den  meisten  Fällen  durch  schneidende  Instrumente,  wodurch  die 
zusammengewachsenen  Theile  getrennt  oder  neue  Öffnungen  gemacht  und 
dann  diejenigen  Regeln,  welche  ein  neues  Zusammenwachsen  verhüten,  be- 
obachtet werden. 

Concretio  melanotica ,  s.  Melanosis. 

Concretio  pohjpiformis  in  cnvitatihus  cordis.  Die  Ursachen,  Symptome 
und  den  Verlauf  der  polypenförmigen  Concretionen  des  Herzens,  die  zu 
Zeiten  des  Königs  Friedrich  Wilhelm  I.  von  Preussen  eine  grosse  Rolle 
als  Todesursache  spielten,  zumal  bei  der  grossen  Potsdamer  Garde,  hat 
P.  Bland  (Revue  medicale,  Novbr.  et  Decbr,  1833,  und  Behrendts  Repert. 
d.  Journalist,  des  Auslandes.  Mai  1834.  S.  9  u.  f.)  aufs  Neue  einer  genauen 
Untersuchung  gewürdigt.  „Die  fibrinösen  Concretionen  —  sagt  er  —  die  in 
den  Höhlen  des  Herzeus  angetroffen  werden,  sind  bis  jetzt  nur  als  Neben- 
ereignisse oder  als  von  andern  Affectionen  abhängig  betrachtet,  aber  nie  als 
eigne  pathologische  Vorgänge  studirt  worden  (d.  h.  in  unserer  Zeit),  und 
wenn  man  sie  unter  den  in  den  Leichen  bemerkten  Erscheinungen  aufzählt, 
so  gedenkt  man  ihrer  blos  als  der  Resultate  des  Absterbens  und  keines- 
weges  als  besonderer  Störungen,  die  eigenthümliche  Symptome  und  solchen 
Verlauf  zeigen,  und  selbstständig,  von  jeder  andern  Krankheit  unabhängig 
bestehen  können.  In  der  That  sind  diese  Concretionen  des  Herzens  aber 
viel  häufigt/,  als  man  glaubt.  Viele  plötzliche  Dyspnoen,  unerwartet  ein- 
tretende Störungen  der  Circulation,  asthmatische  Zufälle,  Herzpochen,  die 
sich  ohne  wahrnehmbare  Ursache  entwickeln,  beruhen  gewss  oft  auf  der 
Bildung  polypenförmiger  Massen  im  Innern  des  Herzens."  Zum  Beweise 
dieser  Behauptung  erzählt  Bland  theils  selbst  erlebte,  theils  von  Andern  be- 
obachtete F'älle  der  Art.  Die  Section  zeigte  in  der  Mehrzahl  nur  diese 
Herzpolypen,  und  die  Kranken  waren  bis  dahin  vollkommen  gesund,  kräf- 
tig und  blutreich.  In  der  That  scheinen  diese  Fälle  deutlich  zu  beweisen, 
dass  das  Übel  in  verschiedenen  Herzhöhlen  während  des  Lebens  nicht  nur 
unter  dem  Einflüsse  gewisser  Krankheiten,  sondern  auch  selbstständig  und 
unabhängig  von  jedem  vorherbestehenden  Leiden  sich  erzeugen  könne,  also 
auch  hierin  unsere  altern  Ärzte,  wenn  sie  auch  manchen  erst  im  Tode  er- 
zeugten Herzpolypen  für  Todesursache  hielten ,  nicht  immer  Unrecht  hatten. 
Ursachen.  Nach  B.  ists  vorzüglich  langsamere  Strönmng  des  Bluts  und 
dadurch  begünstigte  Gerinnung  desselben.  Analog  demjenigen  Vorgange, 
wodurch  bei  aufgehobener  oder  verzögerter  Circulation  in  einer  unterbunde- 
nen Arterie  über  der  Ligatur  ein  Blutpfropf  und  im  aneurysmatischen  Sacke 
Ablagerungen  sich  bilden,  erzeugen  sich  während  des  Absterbens  in  den  letz- 
ten Augenblicken  des  Lebens ,  sowie  die  Herzcontractionen  immer  schwächer 
werden  und  sich  das  Blut  in  der  rechten  Herzhälfte  anhäuft,  Concretionen, 
welche  man  fast  in  allen  Cadavern,  an  welcher  Krankheit  sie  auch  gestor- 
ben seyn  mögen,  antrifft.  Jede  Krankheit  aber,  welche  die  Blutströmung 
beeinträchtigt  und  verzögert,  kann  demnach  eben  so  zur  Bildung  dieser  po- 
lypösen Concretionen  im  Herzen  Anlass  geben.  Acute  und  chronische  Pe- 
ripneumonie,  Lungenkatarrhe,  Afterorganisationen  im  Lungenparenchym,  Hy- 
drothorax,  Hydrops  pericardii,  wiederholte  langdauernde  Ohnmächten  etc. 
können  mehr  oder  minder  beträchtliche  Blutgerinnung  in  den  Herzhöhlen 
veranlassen,  welche,  wenn  die  ursprüngliche  Krankheit  verschwunden  ist, 
als   der  Kern  einer  polypösen  Concretion  verbleiben  kann,  deren  Symptome 


458  CONCRETIO 

später  in   dem  Masse  hervortreten,    wie  diese  Concretion  durch  neu  hinzu- 
gekommene   Schichten   sich  vergrössert.      Bei   vielen  Greisen,    welche  nach 
einer  chronischen  Bronchitis  einen  asthmatischen  Anfall  bekommen ,    beruhen 
diese    Symptome    gewiss    nur   auf  der   Gegenwart    einer  durch    die   erstere 
Krankheit  hervorgerufenen  polypösen  Concretion  im  Herzen.     Im  Aneurysma 
cordis   activum   sind   während   des  Lebens   letztere  darum   selten,    weil   das 
Herz,  statt  geschwächt  zu  seyn,  ein  Übermass  von  Bewegungskraft  erlangt 
hat.     Im  Aneur.  cordis  passivum  beruhet  die  Gefahr  der  Krankheit  besonders 
auf  der  Ausdehnung,  welche  die  Herzhöhlen  durch  die  angehäuften  Concre- 
tionen  erleiden.      In  manchen  Fällen  ist  die  Herzerweiterung  nur  scheinbar; 
sie  beruhet   auf  der  Ausdehnung   durch  jene  Concretionen ,    wovon   B.  zwei 
Fälle  beobachtet  hat.  —      Ein   übermässiger   Blutreichthum ,    eine  Plethora, 
wie   sie   zuweilen    nach   grossen   Amputationen   bemerkt,  wird,     ist   ebenfalls 
Ursache  des  Übels ,    sowie  ein  zu  consistentes ,    zu  reiches  oder  verhältniss- 
mässig   mit  zu   viel  Fibrin  und  zu    wenig  Serum   versehenes  Blut,    welches 
grosse  Neigung   zur  Gerinnung   hat.     Auch  Blutarmuth    kann  Ursache  jener 
Concretionen  seyn,  wie  nach  bedeutenden  Hämorrhagien,  wo  für  das  geringe 
Blut   das  ohnehin   schwache  Herz  gleichsam    zu  weit  ist.     Die  etwas  aufge- 
schossenen,  schlanken,    hagern  Individuen  haben  im  Allgemeinen  eine  weni- 
ger kräftige   Circulation    und   einen  nicht   so  starken   und   häufigen  Puls  als 
andere.     Kalte  Getränke  bei  schwitzendem  Körper  prädisponiren  auch  zu  je- 
nen Concretionen,  sowie  saure  Weine,  die  zur  Blutgerinnung  Anlass  geben; 
ferner  zu  häufig  verübter  Coitus ,    traurige  Gemüthsaffecte ,  Sorgen ,    anhal- 
tender Kummer,   plötzlicher  Schreck.      Das  Mannes-  und  Greisenalter,    so- 
wie das  männliche  Geschlecht  geben  mehr  Anlage  dazu,  als  das  Kindesalter 
und  das  weibliche  Geschlecht ,  —   bei  letzterm  schützen  die  Menses.      Nach 
Fr.  Uoifmann  hat  auch  das  Klima  grossen  EinÜuss.     Die  nördlichen  Völker- 
schaften ,  die  viel  gesalzene ,  gepökelte ,  feste  Speisen,  viel  Fleisch  und  gro- 
bes Brot  geniessen ,  viel  sauren  Wein  und  starke  Getränke  trinken,  sind  der 
Krankheit  mehr,  als  südliche  Völker  unterworfen.  —     Hat  sich  das  Übel  in 
einer    oder  mehreren  Herzhöhlen   gebildet,    so  folgt   durch  Verstopfung   der 
Gefässmündungen  entweder  ein  schneller  Tod  oder  die  Concretion  wird  d»u"ch 
allmäliges  Anschiebten   immer  grösser,   tritt  mit   den    Wandungen    des  Her- 
zens in  Adhäsion,  bildet  Fleischbalken,  Verästelungen,  und  dann  stellen  sich 
folgende   Zufälle   an:    mehr   oder   weniger   anhaltendes   Herzklopfen,    das 
schon  durch  Obstructio  alvi ,  Gemüthseindrücke ,  blähende  Speisen  etc.    sich 
steigert,   unregelmässige  Herzbewegungen,  un  regelmässiger ,  intermittirender 
Puls,  Dyspnoe,  grosse  Angst,  Ohnmächten,  Coma,  Scheintod,  Druck  in  der 
Herzgrube  etc.      In  einzelnen  Fällen   scheint  sich   indessen    das  Herz  an    die 
bestehende  Concretion  zu  gewöluien ;  denn  die  meisten  Symptome  verschwin- 
den oft,    kommen  aber  wieder.      Vesnl  fand  bei  einem  Kranken,    der  ausser 
einem  sehr  unregelmässigem  Pulse  mehrere  Monate  vor  dem  Tode  keine  be- 
sondern Zufalle  hatte,  einen  2  ß  schweren  Polypen  im  linken  Ventrikel  des 
Herzens.     Ich  kenne  in  hiesiger  Stadt  einen  Weinhändler,  dessen  Puls  stets 
höchst  Tinregelmässig  geht  und  bei  jedem  vierten  Schlage  intermittirt.     Nur 
selten    leidet  er   an  Beklemmung  und  Angst,    so  dass    er  seinen    Geschäften 
gut  vorstehen  kann.     In   solchen  Fällen  giebt   das  Stethoskop    allein  hinrei- 
chende Auskunft.     Befindet   sich  nämlich   eine  polypöse  Concretion    im  Her- 
zen, so  ist  das  sonst  vernehmbare  Geräusch  dumpf  oder  gar  nicht  zu  hören, 
und    da  dieses  sonst  nur   bei  Hypertrophie    der  Herzwandungen   zu   gesche- 
hen pflegt,    diese  Krankheit  aber  Erscheinungen  hat,    die  bei  den  Blutcon- 
cretionen  im  Herzen  fehlen ,    als :    gesteigerter  Impuls    des   Herzens ,    Regel- 
mässigkeit des  Pulses,   meist  Abwesenheit  der  Dyspnoe,    so  kann   man  also 
aus   diesen  Umständen   auf  die  Anwesenheit   dieser   Blutconcretionen   in   den 
Herzhöhlen   schliessen.     Die   rechte  Herzhälfte   ist   es  vorzüglich,    worin    sie 
»ich   bilden ,    weil   das   trägere  Venenblut   leichter   gerinnt.     Hier   giebt  die 
diesem  Herztheile   entsprechende   Gegend   bei   der  Percussion   einen   mattern 
Ton,  und  die  Auscultation  lässt  wahrnehmen,  dass  das  Herz  sich  mit  einem 
dumpfem    Geräusch   contrahirt.     Man  gewahrt  ein    mit  dem   blossen   Auge 


CONDTI.OMA  459 

sichtbares  Rückströmen  des  Bluts  in  die  Jugularvenen ;  das  Gesicht  erscheint 
bläuli<eh  nnd  mit  Blut  überfüllt.     Allmälig  wird  die  bläuliche   Färbung   dek 
Gesichts   immer    stärker,   und   kurz   vor   dem    Tode   verändert   sie   sich  oft 
schnell.     Kopfschmerz,  Schwindel  und  Neigung  zum  Schlafe  werden  bei  sol- 
<ihen  Kranken  bemerkt.     Die  ganze  Haut  des  Kranken  wird  dunkel,  und  6r 
stirbt  apoplektisch.     Sitzt  die  Concretion   in  der  linken  Herzhälfte,    so  ist, 
ausser   den   angegebenen  Zeichen   durch   die  Percussion  und  Auscultation  in 
der  entsprechenden  Herzgegend,  der  kleine  Kreislauf  ganz  besonders  in  Ver- 
wirrung.    Hier  ist  die  Dyspnoe   besonders   stark,    ausserdem  Ohnmächten, 
livide  Färbung  der  Haut,   Scheintod.     Zuweilen  wächst  die  Concretion  sehr 
schnell  und  es   folgt  schneller  Tod;    zuweilen  bleibt  sie  stationär;    die  Cir- 
culation   erleidet    keine    Störung    und  der  Kranke   kann   noch    lange   leben. 
In  andern  Fällen   scheinen  sich  bei  sehr   grosser  Concretion   die  Circulation 
und  Respiration  gewissermassen  in  ein  Gleichgewicht  zu  setzen ,  so  dass  der 
Kranke  wenig  oder  gar  nicht  zu  leiden  scheint,   bis  die  Verhältnisse  einmal 
plötzlich   eine   Veränderung   erleiden    und    der  Tod   nun  unerwartet   erfolgt. 
Zuweilen  erfolgt   aus   der  Stockung   des  Bluts  in  den   Lungengefässen  Hae- 
moptysis,    oft    folgt   auch  Hydrothorax,    Ascites,   Anasarca   vor   dem  Tode. 
Die  Section   zeigt  die  eigenthümlichen  Concretionen.      Diese   sind  leicht  von 
den    zufällig    nach   dem    Tode    gebildeten   Blutgerinnseln   zu   unterscheiden. 
Sie   sind    nämlich   von    weisser    Farbe   und    enthalten   in    ihrem  Gewebe 
keine  Partikeln  von  färbenden  Theilen  des  Bluts.     Wenn  die  äussere  Fläche 
oder   die  äussern  Schichten   zuweilen    mit   Blut   geschwängert  sind  ,    so  ent- 
sieht dieses  aus  der  Blutablagerung  in  den  letzten  Augenblicken  des  Lebens. 
Die   Textur   der  polypösen  Concretionen    besteht    aus    übereinandergelegten, 
mehr  oder  weniger  derben,  consistenten ,  dem  Druck  widerstrebenden,  fibri- 
nösen Schichten,  welche  durch  die  Blutschicht,  die  sie  färbt,  ein  fleischiges 
Ansehn  bekommen,  aber  durch  Waschen  ihre  weisse  Farbe  wieder  erhalten. 
Je  älter  sie   sind,    desto  mehr  Consistenz  haben    sie.      In  acuten  Fällen  bei 
schnell   folgender  Gerinnung  und   raschem  Tode   findet  man    die  Concretion 
gelblich,  gallertartig,   ähnlich   dem  gekochten  Fette,    die    gleichsam   frei  in 
der  sie  einschliessenden  Höhle  schwimmt.    Eine  festsitzende  Concretion  bringt 
weniger  Gefahr,    als  eine  freie.     Sitzt  die  Concretion  in  einem  der  Herzoh- 
ren, so  ist  die  Gefahr  des  baldigen  Todes  nicht  so  gross,  als  wenn  sie  sich 
in  den  Kammern  befindet.     Sitzt  die  Concretion  im  rechten  Herzen ,  so  folgt 
zuweilen   der  Tod  durch  Ruptur   der  Vena  cava.     Die   Prognose   ist   im 
Allgemeinen    schlecht.      Die   Behandlung   vermag   auch   wenig.      Nur  die 
Prophylaxis  findet  noch  ihre  Geltung,    und  sie   besteht   einzig  und   allein  in 
sorgfaltigem  Vermeiden  der  veranlassenden  Krankheitsursachen.    Eine  strenge 
magere,  dünne,  vegetabilische  Diät,  tägliche  Sorge  für  LeibesöfFnung,  Ver- 
meidung aller  hitzigen  Speisen  und  Getränke,  Ruhe  des  Körpers  und  der  Seele 
und  der  tägliche  Genuss  von  vielem  frischen  Quellwasser  sind  anzurathen. 

Condyloma,  Auswuchs,  Feigwarze.  Die  Alten  verslanden  dar- 
unter jede  vorstehende  harte  Geschwulst,  z.  B.  Gelenkknöpfe,  doppelte  Glie- 
der, Gichtknoten.  Jetzt  nennt  man  vorzugsweise  jeden  harten,  festen  Fleisch- 
auswuchs aus  venerischen  Ursachen,  besonders  am  After,  an  der  weiblichen 
"Scham  ein  Kondylom,  und  nimmt  mehrere  Arten  derselben  (Condylomata  lata, 
acuminata,  porcellanea)  an  (s.  Syphilis).  Die  spitzen  venerischen 
Feigwarzen  können  sowol  ein  Symptom  der  primären  als  der  secundären 
Syphilis  seyn.  Sie  variiren  sehr,  je  nachdem  sie  aus  der  Epidermis  oder 
aus  den  Schleimhäuten  emporwachsen.  Primär  kommen  sie  am  häufigsten 
an  der  Vorhaut,  hinter  der  Eichel,  an  der  innern  Fläche  der  kleinen  Scham- 
lefzen und  am  Eingange  der  Vagina  vor,  lassen  jedoch  keinen  Theil  der 
Genitalien  verschont;  in  heftigen  Fällen  gehen  sie  oft  hoch  in  die  Vagina 
hinein.  Sehr  selten  wurzeln  sie  in  der  Mündung  der  mäiuilichen  oder  weib- 
lichen Harnröhre.  Nach  Dr.  FWcJte's  Bemerkung  entwickeln  sich  häufig 
Kondylome  an  der  innern  Seite  der  SchleimbeuteT  der  Vagina,  wo  sie  oft 
lange  Zeit  verborgen  bleiben.  Das  spitze  Kondylom  entspringt  stets  aus 
einer  schmalen  Wurzel,   e«  wird  nach  oben  breiter  und   theilt  sich  in  meh- 


460  CONDYLOMA 

rere  Spitzen  von  weisser  Faxbe,  so  dass  es  einem  Hahnenlcamra  ähnlich  sieht. 
Rothe  Gefässe  schimmern  durch  den  Körper  und  die  Spitzen  desselben,  die 
der  Länge  nach  liegen.  Beim  Verschwinden  wird  es  erst  welk,  wie  jede 
andere  Warze,  und  kann  dann  mit  seiner  Wurzel  aus  der  Haut  hervorge- 
hoben werden,  in  welcher  es  eine  Grube  zurücklässt,  die  sich  nach  einigen 
Stunden  schliesst,  ohne  eine  Narbe  zurückzulassen.  Die  Verlängerungen  der 
Schleimdrüsen  der  innern  Fläche  der  kleinen  Schamlefzen,  welche  besonders 
bei  schwangern  Weibern  vorkommen,  ähneln  den  spitzen  Kondylomen  sehr, 
unterscheiden  sich  von  letztern  aber  dadurch ,  dass  sie  nur  eine  (nicht  mehr 
rere)  Spitzen  haben,  und  viel  zarter,  durchsichtiger  wid  bläschenartig  sind. 
Die  ganze  innere  Fläche  der  Nymphen  ist  hierbei  rauh,  wie  Chagrin.  — 
Die  Conihßomnta  acuminntn  secundaria,  Symptom  der  Lues  universalis,  kom- 
men an  den  Lippen,  der  Zunge,  den  Augenlidei-n,  um  die  Brustwarzen ,  in 
den  Achselhöhlen  und  an  der  Iris  vor.  Sie  haben  die  Form  eines  kleinen 
Gerstenkorns,  sind  röthlichbraun ,  undurchsichtig,  haben  einen  dünnen  Stiel, 
aber  nur  eine  Spitze.  An  der  Iris  erscheinen  sie  als  kleine  rothe  Punkte. 
Die  breiten  Kondylome,  auch  Condylomata  im  engern  Sinne,  Dermophy- 
mata  venerea,  Tuhercula  venerea  cutis  genannt,  sind  Excrescenzen,  beruhend 
auf  chronischer  Entzündung  und  Wucherung  des  Coriums,  die  bald  in  sy- 
philitische Exantheme,  bald  in  Geschwüre  übergehen  können.  Ihr  Sitz  sind 
vorzüglich  die  Labia  majora ,  die  Haut  des  Penis ,  des  Scrotums ,  die  Ge- 
gend um  den  After,  der  den  Genitalien  nahe  gelegene  Theil  der  Schenkel. 
Sie  sind  rundlich,  ziemlich  hart,  1  —  3  Linien  hoch,  an  den  Rändern  abge- 
rundet, in  der  Älitte  mehr  flach  und  uneben;  ihre  Farbe  ist  blauroth,  ku- 
pferroth,  glänzend.  Stehen  sie  einzeln,  so  sind  sie  meist  zirkelrund,  con- 
fluiren  sie,  so  werden  sie  unrcgelmässig ,  sowie  sie  denn  auch  in  der  After- 
spalte eine  unregelmässige,  vieleckige  Form  annehmen.  Aus  ihnen  schwitzt 
eine  weisslich  -  gelbliche,  klebrige,  süsslich  widerlich  riechende,  oft  stinkende 
Flüssigkeit,  die  so  ausserordentlich  ansteckend  ist,  dass  ein  anderer  da- 
mit in  Berührung  kommender  Theil,  z.  B.  die  Schamlefee  oder  der  Hinter- 
backen der  andern  Seite,  ebenfalls  bald  dieselben  Kondylomen  zeigt,  daher 
denn  durch  zwischengelegte  Leinwand  die  noch  nicht  ergriffenen  Theile 
sorgfältig  geschützt  werden  müsssn.  Frichc  und  ich  fanden,  dass  das  Secret 
dieser  Kondylome  auch  Excoriationen  und  Chanker  an  den  benachbarten 
Theilen  hervorrief;  doch  kommen  darnach  am  häufigsten  dieselben  breiten 
Feigwarzen.  Sie  bilden  sich  unter  heftigem  Jucken,  indem  sich  ein  Erythem, 
ähnlich  dem  Fischrogen,  zeigt,  worauf  dann  dunkelrothe  circumscripte  Flecke 
von  der  Grösse  der  künftigen  Excrescenzen  bemerkt  werden;  sie  entwickeln 
sich  langsam,  so  dass  oft  ein  Zeitraum  von  4  —  6  Wochen  erforderlich  ist. 
Ihre  Zahl  ist  5,  10,  20  Stück  und  mehr.  Bei  Personen,  die  auf  ungewöhn- 
liche Weise  syphilitisch  werden,  folgt  oft  eine  allgemeine  exanthematische 
Eruption ,  wie  die  der  Condylomata  lata,  die  aber  nur  auf  der  Haut  braun- 
rothe  Flecke  hinterlässt,  dagegen  sich  in  der  Afterspalte  breite  Condylo- 
mata bilden.  So  sah  ich  dies  einst  bei  einem  Accoucheur,  der  sich  unbe- 
deutend den  Zeigefinger  verletzt  hatte,  so  dass  auf  der  kleinen  Wunde  eine 
Borke  sass.  Mit  dieser  Hand  machte  er  bei  einer  verdächtigen  Kreisenden 
wegen  fehlerhafter  Lage  des  Kindes  die  Wendung,  und  da  er  fand,  dass 
bei  dieser  Gelegenheit  die  Borke  von  der  wunden  Stelle  des  Zeigefingers 
abgestossen  worden,  so  touchirte  er  aus  Vorsicht,  aber  erst  8  Stunden  nach 
vollbrachtem  Accouchement ,  die  Stelle  mit  Lap.  infernalis.  Vierzehn  Tage 
gingen  ohne  Übelbefinden  hin,  aber  die  kleine  Wunde  heilte  nicht.  Sie 
wurde  im  Umfange  dunkelroth,  binnen  24  Stunden  schwollen  die  Hand  und 
das  ganze  Glied  bedeutend  an,  dabei  dunkelrothe  Stränge  längs  des  Laufs 
der  Blutgefässe,  dunkle  Röthe,  Spannung  und  Schmerz  des  Gliedes,  ganz 
wie  bei  Pseudoerysipel,  bei  Verwundungen  mittels  des  Messers,  womit  man 
schon  theilweise  in  Verwesung  gegangene  Cadaver  secirt,  —  ferner  Fieber, 
Hitze,  Durst,  Kopfschmerz,  Schwindel,  Delirien,  Erbrechen.  Durch  Infus, 
valerian.  und  Spiritus  Mindereri  mit  Extr.  dulcam. ,  äusserlich  durch  Cata- 
plasmata   emollientia   und    Einreibungen    von   Unguent.   raercuriale  3J5     Ol. 


CONBYLOÄIA  461 

hyoscyaml  coct. ,  Unguent.  althaeae  ana  ^\i ,  minderten  sich  die  Fieberbe- 
wegungen und  die  Geschwulst  des  Gliedes  zertheilte  sich.  Nun  zeigte  sich 
aber  am  ganzen  Körper,  zumal  an  der  Brust  und  dem  Unterleibe,  jenes 
Exanthem,  das  in  wenigen  Tagen  jene  dunklen  Flecke  zurückliess,  die  den- 
jenigen nach  Varioloiden  und  Variola  vera  zurückgebliebenen,  wenn  der 
Mensch  sich  in  der  Kälte  befindet,  ähnlich  sehen.  In  der  Afterspalte  ver- 
schwand das  Exanthem  aber  nicht,  sondern  es  bildete  mehrere  Condylomata 
lata.  Zugleich  zeigten  sich  venerische  Geschwüre  im  Halse,  an  den  Man- 
deln, an  der  Öffnung  der  Eustachischen  Röhre,  erregten  Ohrensausen, 
Schmerz  und  andere  Zufalle.  Nur  eine  mehrwöchentliche  strenge  Cur  (De- 
coct.  rad.  sarsaparillae  und  Dzondi's  Pillen)  vermochte  bei  knapper  Diät  dem 
so  unschuldig  inficirten  Arzt  die  Gesundheit  wieder  zu  geben.  Das  Ge- 
schwür am  Finger  hatte  ganz  das  Ansehn  eines  Ulcus  venereum,  und  ver- 
narbte auch  so  (s.  Cicatrisatio).  —  Veraltete  Hämorrhoidalknoten  un- 
terscheiden sich  von  breiten  Kondylomen  dadurch,  dass  erstere  Verlänge- 
rungen der  die  Öffnung  des  Afters  sternförmig  umgebenden  Hautfalten  sind, 
und  daher  mit  dem  einen  Ende  in  den  After  selbst  überflies- 
sen,  welches  letztere  (die  Condylomata  lata),  die  nie  im  Einzelnen  eine 
längliche,  sondern  die  Kreisform  haben,  niemals  thun.  Zuweilen  sitzen  aber 
auch  auf  den  entzündeten  Falten  und  angeschwollenen  Hämorrhoidalknoten 
breite  Kondylome,  und  so  können  auch  aus  letztern  spitze  wieder  hervor- 
wuchern. In  der  Regel  gehören  die  breiten  Kondylome  in  die  erste  Reihe 
der  Erscheinungen  der  secundären  Syphilis ,  und  Frauen  haben  fast  immer 
gleichzeitig  Fluor  albus  venereus,  Männer  nicht  selten  auch  schon  Chanker 
im  Halse.  Ob  das  Secret  der  spitzen  Feigwarzen  eben  so,  wie  das  der 
breiten  anstecke,  ist  sehr  wahrscheinlich,  aber  noch  nicht  genau  ermittelt, 
eben  so  wenig,  in  welcher  Beziehung  der  Chankereiter  zur  Erzeugung  der 
Kondylome  stehe.  Dass  aber  das  Blut  der  spitzen  Kondylome,  gerade  wie 
bei  andern  Hautwarzen,  wieder  ähnliche  Kondylome  erzeuge,  hat  sich  be- 
stätigt. Prognose.  Die  Condylomata  acuminata  erfordern  längere  Zeit, 
oft  6  bis  12  Wochen,  zu  ihrer  Entfernung,  als  die  Condylomata  lata,  da 
diese  in  der  Regel  in  3  bis  4  Wochen  bei  angemessener  Behandlung  ver- 
schwinden, und  dann  die  Syphilis  zugleich  auch  radical  getilgt  ist.  Daher 
geben  die  spitzen  Feigwarzen,  die  so  häufig  auch  nur  das  Symptom  einer 
tief  eingewurzelten  Syphilis  sind  (Condylomata  acuminata  secundaria)  ,  auch 
die  ungünstigste  Prognose,  und  sie  kehren  nach  der  Anwendung  der  Ätz- 
mittel öfters  wdeder.  Einzelne  spitze  Kondylome,  die  gleichzeitig  mit  Chan- 
kern ,  Tripper  und  breiten  Kondylomen  vorkommen ,  verschwinden  nach  An- 
wendung der  Caustica  sehr  bald.  „Niemals  folgt  indessen  den  spitzen  Feig- 
warzen, wenn  sie  primär  sind,  auch  wenn  sie  sehr  extensiv  und  intensiv 
auftreten,  die  secundäre  Syphilis.  Es  scheint  als  wenn  sich  von  ihrer  Wur- 
zel aus,  da  sie  parasitischer  Natur  sind  und  demnach  ein  mehr  selbstständi- 
ges, in  sich  abgeschlossenes  Leben  führen,  dieser  Krankheitsprocess  nicht 
weiter  verbreiten  könne"  (s.  RitsVs  Handb.  d.  Chirurgie.  Bd.  V.  S.  212). 
Werden  Schwangere  von  Kondylomen  befallen,  so  ist  die  Prognose  ungün- 
stig, da  man  hier,  soll  kein  Abortus  folgen,  weder  die  Entziehungscur, 
noch  die  Mercurialmittel  mit  der  nothwendigen  Strenge  anwenden  kann, 
und  ausserdem  die  Schwangerschaft  wegen  des  starken  Productionstriebes 
in  der  Geschlechtssphäre  auch  das  Wachsthum  der  Kondylome  ungemein  be- 
günstigt. Nach  der  Entbindung  sterben  sie  dagegen,  eben  weil  nun  jener 
Trieb  aufgehört  hat,  oft  von  selbst  ab,  oder  sie  lassen  sich  doch  leicht 
entfernen.  Cur.  Ich  trage  hier  nach,  was  unter  dem  Artikel  Syphilis 
der  Kürze  wegen  übergangen  worden  ist.  Bei  den  spitzen  primären,  in  Ver- 
bindung mit  Trippern ,  Fluor  albus  und  Chankern  vorkommenden  Feigwar- 
zen gebe  man  Abends  und  Morgens  p.  d.  gr.  )y  Kalomel,  und  behandle  sie 
erst  nach  8  bis  10  Tagen  örtlich.  Sind  sie  aber  ein  Symptom  der  univer- 
sellen Lustseuche,  so  bleibt  Dzondi's  Cur  am  wirksamsten.  Dabei  knappe 
Diät  und  besonders  keine  Spirituosa.  Diese  Cur  halte  ich  für  die  wirksa- 
mere, dagegen  ist  die  nicht  mercurielle  Entziehungscur  (knappe  Diät,  halbe 


462  CONDYLOMA 

Hungercur  und  täglich  so  viel  Sal  anglicum  oder  Sal  Glauben,  dass  S  bis 
4  flüssige  Sedes  folgen) ,  die  bei  primärer  Syphilis  so  wirksam  ist,  hier  nicht 
so  sicher,  obgleich  viele  Ärzte  dieses  behaupten.  Was  die  örtliche  Be- 
handlung der  spitzen  B'eigwarzen  betrifft,  so  ist  diese  um  so  noth wendiger, 
da  sie  ein  schon  selbstständiges,  parasitisches  Leben  führen  und  daher,  nach 
der  Erfahrung,  äusserst  selten  durch  die  allgemeine  Behandlung  verschwin- 
den, was  häufiger  bei  den  breiten  Feigwarzen  der  Fall  ist.  Ätzt  man  die 
primären  spitzen  Kondylome  nach  10-  bis  14tägiger  innerer  Cur  durch  Lap. 
caustic. ,  Solut.  sublimati  cum  Camphora,  weg,  so  wachsen  sie  nicht  leicht 
wieder,  und  hinterlassen  nur  einen  kleinen,  bald  heilenden  Chanker.  Ätzt 
man  sie  früher  weg,  so  zeigen  sie  sich  leicht  wieder  und  sind  dann  hart- 
näckiger fortzuschaffen.  Indessen  verdient  die  Ligatur  vor  den  Ätzmit- 
teln und  der  Scheere  den  Vorzug,  und  muss  überhaupt  da  gehandhabt  wer- 
den, wo  sie  nur  irgend  anwendbar  ist.  Sie  hat  den  Vortheil,  dass  diese 
spitzen  Kondylome  dadurch,  ohne  dass  ein  Geschwür  zurückbleibt,  entfernt 
werden  und  sie  durchs  Unterbinden  vertilgt  weit  seltener  zurückkehren. 
In  Gruppen  stehende  Feigwarzen  nimmt  man  theil weise  durch  die  l^igatur 
weg ,  zu  der  man  bei  grossen  Massen  ein  Paternosterwerkzeug  oder  ein 
Gräfe'sches  Unterbindungsstäbchen  gebrauchen  kann.  Unter  den  Ätzmitteln 
gegen  die  spitzen  Feigwarzen  ist  der  Höllenstein  am  wenigsten  wirksam. 
Sitzen  sie  auf  der  Schleimhaut,  so  passt  eine  starke  Sublimatauflösung, 
sitzen  sie  auf  dem  Corium ,  auf  der  Epidermis ,  das  Ol.  vitrioli  am  besten, 
welche  Mittel  man  mit  Vorsicht  anwendet,  damit  die  gesunde  Nachbarschaft 
nicht  leidet ,  und  am  besten  mit  einem  Tuschpinsel ,  alle  2  bis  3  Tage  ein- 
mal, aufträgt.  Nehmen  die  Kondylome  eine  grosse  Fläche  ein  und  sind  sie 
sehr  klein,  so  ist  die  Ligatur  beschwerlich  anzuwenden.  Hier  verbinde  man 
mit  I^r  Pulv.  herbne  Sabinae  3jjj»  Merc.  prnec.  rubr.  )j,  Unguent.  simpl.  3vj.  M. 
Das  Abschneiden  der  spitzen  Kondylome  mitteis  der  Scheere  ist  deshalb 
verwerflich,  weil  sie  dadurch  nicht  mit  der  Wurzel  entfernt  werden  und  die 
dabei  stattfindende  Blutung  neue  Ansteckung  in  der  Nachbarschaft  zur  Folge 
hat.  —  Betschier  empfiehlt  als  topisches  Mittel  Acetum  saturninum.  Es 
condensirt  zwar  kleine  Feigwarzen  auf  Schleimhäuten,  macht  dass  sie  zu- 
sammenschrumpfen und  dass  man  sie  nach  einigen  Tagen  mittels  eines  Zän- 
gelchens  sammt  der  Wurzel  ausreissen  kann,  daher  das  Mittel  wol  bei  sehr 
sensiblen  Personen,  bei  Schwangern,  in  Anwendung  gebracht  werden  kann; 
aber  bei  Feigwarzen  auf  trockner  Haut  leistet  es  nichts.  Auch  der  Chlor- 
kalk zerstört,  in  Pulverform  angewandt,  spitze  Kondylome,  indessen  kann 
man  die  gesunden  Nachbartheile  nicht  so  gut  davor  schützen,  als  mittels 
der  alcoholisirten  Sublimatauflösung,  die  schnell  verdunstet.  Eine  Drachni« 
Chlorkalk  in  einem  Pfunde  Wasser  aufgelöst  und  täglich  in  die  Scheide 
injicirt,  ist  ein  wichtiges  Hülfsmittel,  die  hier  wuchernden  Kondylome  gleich- 
zeitig mit  dein  immer  damit  verbundenen  Fluor  albus  zu  beseitigen.  Weni- 
ger leistet  hier  das  Kalkwasser.  Öftere  Wiederkehr  der  Condylomata  acu- 
minata  ist  zuweilen  in  einer  örtlichen  Disposition  der  Haut  begründet.  Hier 
nützen  Fomentationen  von  Aq.  phagedaen.  flava  oder  schwacher  Solut.  Su- 
blimat., mit  Compressen  angewandt.  Die  weggeätzten ,  aber  wiedergekehr- 
ten spitzen  Feigwarzen  haben  eine  eigenthümliche  Form.  Die  auf  dem  Co- 
rium sitzenden  werden  trocken,  gespalten,  hornartig,  die  der  Schleimhaut 
dagegen  erscheinen  in  Form  rundlicher  Massen,  welche  an  der  Oberfläche 
rauh,  wie  die  innere  Fläche  des  Hirschleders,  sind.  Sie  bestehen  aus  ei- 
ner Menge  an  der  Basis  verwachsener  kleiner  Kondylome,  und  erfordern 
den  kräftigen  Gebrauch  des  Lapis  causticus.  In  der  Berliner  Charit^  wandte 
man  bei  mehreren  an  spitzen  Kondylomen  leidenden  Personen  ein  bei  andern 
Warzen  wirksames  Volksmittel  an.  Es  wurden  nämlich  die  Feigwarzen  alle 
2  —  3  Tilge  mit  rohem,  noch  blutigem  Rindfleische  gerieben,  und  letzteres 
dann  weggeworfen.  Der  Erfolg  des  Mittels  war,  dass  die  Kondylome  in  den 
meisten  Fällen  von  den  Spitzen  nach  der  Basis  zu  abstarben ,  brandig  wur- 
den, bei  einigen  Kranken  jedoch  unverändert  blieben.  Auch  kehrten  sie  in 
den  Fällen,    wo  sie  gleich  anfiEings  in  grosser  Zahl  vorbanden  waren,   nach 


CONDYLOIVU  463 

dem  Absterben  durch  Brand,  wol  weil  die  syphilitigche  Dyskrasie  durch  die* 
ses  Mittel  nicht  getilgt  war,  bald  zurück.  Um  ein  reines  Resultat  zu  ge- 
winnen, wurde  bei  diesen  Versuchen  anfangs  die  Anwendung  anderer  Mittel 
unterlassen  und  den  Kranken  eine  ganze  Portion  Speise  gereicht;  später  je- 
doch wurde  die  Entziehungscur  damit  verbunden  und  dadurch  der  Erfolg 
des  Mittels  noch  erhöht.  Kamen  die  Kondylome  nur  einzeln  und  auf  der 
innern  Fläche  der  Nymphen  und  des  Praeputiums  vor,  so  wurden  die  Kran- 
ken durch  das  Reiben  mit  Fleisch  allein  hergestellt;  wo  sie  jedoch  in  grös- 
serer Anzahl  vorhanden  waren,  mussten  immer  auch  bei  der  gleichzeitigen 
Anwendung  der  Entziehungscur  Ätzmittel  zugleich  applicirt  werden.  Bei 
spitzen  Kondylomen  der  Vagina  wurde  im  Charitekrankenhause  zu  Berlin  in 
zwei  Fällen  die  Scheide  mit  gehacktem  Fleische  ausgefüllt,  und  dies  bis  zur 
Fäulniss  liegen  gelassen.  Der  Erfolg  war  günstig;  denn  die  Kondylome 
verschwanden  und  kamen  bei  darauf  gegen  den  Fluor  albus  in  Anwendung 
gebrachtem  Chlorkalke  nicht  wieder.  Die  allgemeine  Behandlung  der  Con- 
dyloraata  lata  betreffend,  heisst  es  in  Rusfs  Handb.  der  Chirurgie  Bd.  V. 
>S.  218:  „Unter  den  Mercurialmitteln  ist  der  Kalomel,  Morgens  und  Abends 
zu  '/^  bis  1  Gran  gegeben,  gegen  die  breiten  Kondylome  das  wirksamste. 
Eben  so  schnell  und  noch  schneller,  im  Durchschnitt  innerhalb  $  Wochen, 
werden  dieselben  durch  die  Entziehungscur  entfernt,  daher  diese  den  Vor- 
rang verdient.  Da,  wo  sie  aber  zu  allgemein  verbreitet  und  mit  dem  syphi- 
litischen Exanthem  verbunden  vorkommen,  ist  der  rothe  Präcipitat,  in  Form 
der  Berg'schen  Cur  angewendet,  das  vorzüglichste  Mittel.  Wo  indessen 
eine  zarte  Körperconstitution  die  Anwendung  dieses  eingreifenden  Verfah- 
rens nicht  gestattet,  muss  das  Decoct.  Zittmanni  in  Anwendung  gesetzt  und 
dessen  Gebrauch  auch  mehrere  Male  wederholt  werden."  Hier  ist  der  so 
wirksamen  Dzondi'schen  Cur,  die  ich  bei  Kondylomen  und  venerischen  Hals- 
geschwüren so  herrlich  fand ,  nicht  gedacht  worden.  Auch  habe  ich  mit 
Nutzen  Wer  folgende  Mittel  gereicht :  1^  Merc.  stthlim.  corros. ,  Sal.  ammon. 
dep.  ana  gr.  iv.  solve  in  Aquae  dextillat.  s.  q.  Mic.  panis  albi  5iji  Sacch. 
albi  3j-  Mise,  fiant  pil.  No.  90.  S.  Mittags  gleich  nach  dem  Essen  5,  und 
Abends  6  Stück.  Ferner  Hess  ich  täglich  trinken :  ly  Rad.  sarsaparill.  5'vj> 
Spec.  Ugiwrum  3|^,  Sem.  foeniculi  3jj  f^ol.  sennne  ^j  —  ^jj.  M.  c.  c.  disp. 
dos.  IX.  S.  Täglich  eine  Portion  mit  4  ffi  Wasser  bis  zur  Hälfte  einzuko- 
chen und  den  Tag  über  und  Abends  im  Bette  recht  warm  zu  trinken.  Da- 
bei knappe  Diät,  keine  Spirituosa,  meist  nur  Wassersuppen,  wenig  Fleisch- 
nahrung. Da  die  Kranken  nach  dem  Thee  täglich  3  bis  4  flüssige  Sedes 
bekommen  und  durch  die  Irritation  das  Wachsen  der  Kondylome,  eben  so 
wie  bei  der  Entziehungscur  und  den  Purgirsalzen ,  befordert  wird,  so  tou- 
chire  ich  sie  mit  Lapis  infernalis,  damit  sie  sich  mit  einer  trocknen  Kruste 
überziehen  und  wiederhole  dies  alle  4  bis  6  Tage,  sobald  in  dieser  Zeit  ^e 
Krusten  sich  abgestossen  haben.  In  mehreren  Fällen,  wo  die  Feigwarzen 
nur  sparsam  waren,  reichte  die  einmalige  Verordnung  aus,  in  schlimmem 
Fällen  wurden  Pillen  und  Thee  noch  einmal  bis  zur  Heilung  wiederholt. 
Die  breiten  Kondylome  bildeten  sich  nun  eben  so  zurück,  wie  sie  entstanden. 
Sie  verlieren  ihren  Glanz,  ihr  florides  Ansehn,  sinken  dann  allmälig  ein, 
verlieren  an  Breite  und  Höhe,  bis  sie  mit  der  Haut  in  einer  Ebne  liegen 
lind  nur  noch  blanrothe,  sich  etwas  härter  als  die  umgebenden  Theile  an- 
fühlende Flecke  darstellen.  Auch  diese  Härte  verschwindet  und  die  Flecke 
werden  schmuzig  braunroth,  welche  Färbung  das  Zeichen  der  vollkommnen 
Heilung  ist.  Nach  Monaten  und  Jahren  verschwindet  erst  diese  braune 
Färbung,  und  es  bleibt  dann  eine  eingetiefte,  weisse  Narbe  zurück,  wie 
nach  dem  syphilitischen  Exantheme.  Auch  bei  Exulceration  der  breiten 
Feigwarzen  ist  die  Behandlung  dieselbe;  das  Geschwür  vernarbt  hier  vor 
dem  Rückbildangsprocesse.  Das  Beizen  der  Feigwarzen  mit  der  starken 
Sublimatsolution,  z.  B.  mit  Sublimat  3j,  Camphorae  gr.  xjj,  Alcohol  vini  ^]ir 
ist  zwar  sehr  wirksam,  aber  der  Schmerz  ist,  da  er  oft  über  eine  Stunde 
anhält,  recht  quälend,  indem  es  wie  eine  glühende  Kohle  brennt  und  der 
Kranke  vor   Unruhe   stets  umherwandern  muss.     Weit   kürzer  dauert    der 


464        CONGELATIO  —  CONGESTIO 

Schmerz,  wenn  man  den  Hollenstein  gebraucht.  In  zwei  Fällen,  wo  die 
Kranken  das  Ätzen  mit  der  starken  Sublimatsolution  nicht  dulden  konnten, 
verschwanden  die  Condylomata  lata  nach  mehrmaligem  Einreiben  von  Pulv. 
mercur.  dulcis,  wornach  sie  einschrumpften  und  abstarben,  ohne  dass  das 
IViittel  den  geringsten  Schmerz  erregte. 

Congelatio,   s.  Catalepsis. 

Cong^estiOs  Congestion,  Sie  ist  einer  der  ersten  fundamentalen 
Krankheitszustände,  eine  der  wichtigsten  Quellen  mannigfaltiger  Krankheiten 
und  daher  eins  der  wichtigsten  Heilungsobjecte.  Wir  verstehen  darunter 
jede  abnorme  Überfüllung  eines  Organs  oder  Systems  mit  Blut  oder  auch 
mit  anderen  Säften  (Uv,feland').  Dies  ist  der  ächte  Begriff  der  Congestion, 
der  aber  gegenwärtig  einerseits  in  dem  Worte  Inflammation ,  andererseits  in 
dem  Worte  Venosität  unterzugehen  in  Gefahr  ist.  Arten  der  Congestion. 
Nach  ihrer  Entstehungsweise  nehmen  wir  drei  Arten  derselben  an:  1)  Pas- 
sive Congestion;  sie  entsteht  am  häufigsten  durch  örtliche  Schwäche  eines 
Theils ,  und  die  Blutausleerungen  vermehren  dieselbe.  2)  Active  Congestion ; 
sie  entsteht  durch  örtliche  Reizung  eines  Theils,  kann  idiopathisch  oder  sym- 
pathisch seyn,  und  letztere  wieder  consensuell  oder  antagonistisch.  Hier  sind 
in  vielen  Fällen  Blutausleerungen  heilsam ;  werden  sie  aber  übertrieben ,  so 
kann  passive  Congestion  daraus  entstehen.  3)  Congestion  durch  mechanische 
Ursachen,  z.  B,  durch  Unterbindung,  Druck  von  Geschwülsten.  Die  Wir- 
kungen der  Congestion  sind  nach  Verschiedenheit  der  leidenden  Organe  und 
Systeme  sehr  verschieden,  und  eine  grosse  Menge  von  Krankheiten  bedürfen 
zu  ihrer  Heilung  nichts  Anderes  als  Entfernung  der  Congestion,  worauf  sie 
beruhen.  Man  unterscheide  aber  genau  Congestion  von  Irritation  und  In- 
flammation (s.  d.  Art.),  und  mache  sich  nicht  des  Fehlers  eines  Broussais 
schuldig.  Aus  Congestion  kann  Entzündung  entstehen,  jede  Entzündung  ist 
mit  Congestion  verbunden,  aber  dennoch  bleibt  letztere  von  der  Entzündung 
wesentlich  verschieden.  Der  Kopf  und  der  Unterleib,  desgleichen  die  Organe 
der  Brusthöhle  sind  es,  die  hinsichtlich  der  Congestion  den  Praktiker  am 
meisten  interessiren.  Die  hämorrhoidalische  Congestion  ist  eine  fruchtbare 
Quelle  der  chronischen  Krankheiten  in  den  mannigfaltigsten  Formen,  und 
der  Arzt,  der  auf  sie  keine  Rücksicht  nimmt,  wird,  wie  Hufeland  frei  be- 
kennt, nie  zu  einer  richtigen  Diagnostik  und  Behandlung  der  chronischen 
Krankheiten  gelangen.  Die  nächste  Ursache  des  epileptischen  Insults,  der 
Apoplexie,  des  Stickflusses,  des  Blutspeiens,  der  schnellern  Ausbildung  der 
Phthisis,  der  hitzigen  Kopfwassersucht  der  Kinder  und  zahlreicher  anderer 
Übel  ist  Congestion.  Alles,  was  diese  verhütet  oder  vermindert:  knappe 
Diät,  massige  Bewegung,  gelinde  auf  den  Unterleib  wirkende,  Obstructio 
alvi  verhütende  Mittel,  Blutegel  an  das  leidende  Organ,  bei  robusten  Per- 
sonen Aderlässe,  verhütet  und  vermindert  auch  jene  Krankheitszustände 
(s.  Haemorrhoides  und  Plethora  abdominalis).  Die  Congestion  ist 
örtliche  Anhäufung  der  sich  im  Kreislaufe  bewegenden  Säfte ,  daher  sie  auch 
Plethora  topica,  Haemormesis  zum  Unterschiede  von  allgemeiner  Plethora 
genannt  wird,  und  zwar  vorzugsweise  des  Blutes  in  organisch  unveränder- 
ten Gefassen.  Seröse  oder  lymphatische  Congestionen  gehören  zum  Oedem 
oder  zur  Blennorrhoe.  Hiedurch  unterscheidet  sich  Congestion  vom  Extra- 
vasat und  von  der  Blutstagnation  in  varicösen  und  aneurysraatischen  Ge- 
fassen. Der  Unterschied,  den  die  Franzosen  zwischen  Congestion  und  Fluxion 
machen ,  dass  nämlich  erstere  zu  ihrer  Entstehung  längerer  Zeit  bedürfe, 
selten  von  acuter  Entzündung  begleitet  und  häufig  seröser  Natur  sey,  letz- 
tere dagegen  in  plötzlicher  Anhäufung  der  Säfte,  bedingt  durch  mehr  oder 
weniger  heftige  Reize,  bestehe,  hat  keinen  allgemeinen  Eingang  gefunden, 
weil  er  ein  unwesentlicher  ist.  „Congestionen  kommen  —  sagt  Hccher  (s. 
Rtisfs  Handb.  der  Chirurgie,  Bd.  V.  S.  222.)  —  im  gesunden  Zustande  als 
normale  Äusserungen  der  Thätigkeit  des  Blutsystems ,  sowie  als  Ursachen, 
Symptome  und  Folgeübel  von  Krankheiten ,  sehr  häufig  und  imter  den  ver- 
sclüedenartigäten  Verhältnissen   vor;    sie  erheischen  mithin  unter  allen  Um- 


CONGESTIO  465 

stäntlen  die  gespannteste  Aufmerksamkeit  des  Arztes.  Jede  vorwaltende  Ent- 
wickelung  der  Thätigkeit  eines  Theiles,  wobei  die  reproductive  Sphäre  des 
Blutsystems  irgend  in  Anspruch  genommen  wird,  verursacht  einen  starkem 
Blutandrang  nach  diesem  Theile.  So  erregt  im  gesunden  Zustande  die 
Menstruation  und  die  Schwangerschaft  Blutandrang  nach  dem  Genitalsystem, 
das  Zahngeschäft  Congestion  nach  dem  Kopfe,  und  in  den  Entwickeiungs- 
stufen  des  menschlichen  Körpers  sehen  wir  zuerst  im  Kindesalter ,  wo  die 
Ausbildung  des  Gehirns  vorherrscht,  die  Congestionen  hierhin,  im  Jünglings- 
alter nach  der  Brust,  und  im  Mannesalter  nach  dem  Unterleibe  gerichtet. 
Die  Ursachen  hiervon  sind  in  dem  innersten,  Wesen  der  Reproduction,  also 
vorzüglich  in  den  Gefässenden,  welche  den  Stoffwechsel  vermitteln,  in  der 
Thätigkeit  des  Herzens,  das  mit  dem  peripherischen  Theile  des  Gefasssy- 
stems  in  der  innigsten  consensuellen  und  antagonistischen  Verbindung  steht, 
und  in  den  mannigfaltigen  Innern  Einrichtungen  auf  das  Gefasssystem  zu 
suchen ,  die  zum  grossen  Theile  von  den  Nerven  ausgehen ,  wobei  noch 
überdies  die  vitale  und  chemische  Beschaffenheit  des  Blutes  in  Betracht 
kommt.  Reizung  und  Erschlaffung,  jede  für  sich  oder  beide  vereint,  sind 
bei  allen  Blutanhäufungen  im  nicht  krankhaften  Zustande  in  Anschlag  zu 
bringen,  und  es  versteht  sich  von  selbst,  dass  das  verschirdene  Verhalten 
der  Contractilität  der  Gefässe  hierbei  von  wesentlichem  Einflüsse  ist.  — 
Kein  anderer  Kreis  allgemeiner  Ursachen  liegt  den  krankhaften  Congestio- 
nen zum  Grunde,  Es  bedarf  nur  irgend  eines  geeigneten  Reizes  auf  einen 
gefässreichen  Theil ,  so  zieht  dieser  das  Blut  in  grösserer  Menge  an ,  wobei 
nicht  selten  die  Herzthätigkeit  mit  in  Anspruch  genommen  wird;  oder  es 
braucht  nur  das  Blutsystem  überhaupt  stärker  aufgeregt  zu  werden ,  so  wird 
sich  das  Blut  in  den  relativ  schwachen  oder  erschlafften  Theilen  ansammeln." 
Nach  dem  Charakter  unterscheidet  Hecl-er  ausser  der  activen  (synochi- 
schen ,  sthenischen)  und  der  passiven  (torpiden ,  asthenischen ,  typhösen , 
paralytischen)  Congestion  noch  die  Congestio  erethica,  nervosa,  spnstica.  Bei 
letzterer  waltet  die  Reizbarkeit  des  arteriellen  Systems  entschieden  vor, 
während  sich  die  Energie  desselben  wenigstens  nicht  bis  zu  einer  gleichen 
Stufe  erhebt,  oder  im  gewöhnlichen  Falle  vermindert  ist.  Man  erkennt  sie 
aus  den  allgemeinen  Zeichen  des  Erethismus,  aus  der  Wandelbarkeit,  dem 
raschen  Entstehen  und  Verschwinden  der  Zufälle,  aus  der  nervösen,  reiz- 
baren ,  spastischen  Constitution ,  wo  Gemüthsaffecte  schnell  und  lebhaft  wir- 
ken und  jede  Aufregung  und  Anstrengung  des  Körpers  und  des  Geistes 
schnell  Gesichtsröthe  erregt.  Die  sog.  spastischen  Congestionen,  die 
man  der  erethistischen  unterordnet,  sind  solche,  die  in  Folge  eines  krampf- 
haften Zustandes  der  Gefässe  entstehen;  dahin  gehören  die  oft  gefährlichen 
Blutanhäufungen  in  Innern  Theilen  während  des  Fieberfrostes,  der  Cholera, 
oder  bei  asthenischen  Krankheiten,  die  nicht  selten  apoplektische  Zustände 
und  schleichende  innere  Entzündungen  zur  Folge  haben.  Das  Blut  ist  da- 
her bei  den  spastischen  Congestionen  venöser,  bei  den  erethischen  dagegen 
meist  immer  arterieller  Natur.  Bei  den  activen  Congestionen  lassen  sich 
zwei  Unterarten  in  der  Natur  nachweisen,  nämlich  a)  active  Congestio- 
nen, entstanden  durch  den  blossen  Impuls  des  kräftig  angeregten  Herzens; 
b)  active  Congestionen  als  alleinige  Folge  ortlicher  Reizung  des  in  Conge- 
stion gerathenen  Theils. 

Die  Eintheilung  in  idiopathische,  primäre  und  sympathische, 
consensuelle,  secundäre  Congestionen  ist  endlich  auch  für  klinische 
Zwecke  wichtig.  Bei  jenen  entsteht  die  Anhäufung  in  dem  unmittelbar  af- 
ficirten  Theile ,  bei  diesen  wird  sie  durch  das  gleichartige  Leiden  eines  ent- 
fernten Theils  vermittelt.  Die  venösen  Congestionen,  die  Hämorrhoidal- 
krankheit ,  die  analogen  Blutanhäufungen  bei  krankhafter  Menstruation ,  die 
Plethora  abdominalis  haben  häufig  consensuelle  Congestionen  nach  dem  Ko- 
pfe ,  nach  der  Brust ,  nach  dem  Magen ,  der  Milz  etc.  zur  Folge ,  und  es 
ist  für  die  Prognose  und  Cur  hier  besonders  wichtig,  diesen  Ursprung  con- 
sensueller  Congestionen  genau  zu  ermitteln ;  denn  sie  bringen  trotz  ihrer 
Ausdehnung  und  Heftigkeit  doch  nicht  im  gleichen  Grade  so  üble  Folgen 
MoBt  Encjklepädie.  2te  Aufl.  I.  30 


466  CONJUNCTIVITIS  —  CONSTITUTIO 

hervor,  wie  die  idiopathischen,  so  dass  selbst  die  durch  sie  vermittelten 
Blutfiüsse  bei  einigermassen  richtiger  Behandlung  gefahrlos  verlaufen  {Uechcr). 
Auch  finden  wir  nicht  selten  gemischte  Zustände  in  verschiedenartigen  Be- 
ziehungen bei  den  Congestionen ,  welche  richtig  zu  erkennen  und  zu  behan- 
deln viel  Scharfsinn  und  Gewandtheit  des  Arztes  erfordert.  (S.  A.  E.  Büch- 
ner, De  congestionum  natura,  causis  et  effectibus.  Hai.  1749.  4.  —  J.  F. 
Th.  Goldhagen,  De  theoi-ia  congestionum,  quatenus  praxi  inservit,  diss. 
Hai.  1784.  —  F.  J.  Girard,  De  plethora  et  congestionibus  sanguinis.  Berl. 
1819.  —  F.  A.  B.  Puchelt,  Das  Venensystem  in  seinen  krankhaften  Verhält- 
nissen dargestellt.  Leipz,  1818.  —  J.  Süegliiz ,  Pathologische  Untersuchun- 
gen.  Hanuov.  18S3,  Bd.  I.). 

Conjunctivitis,  Entzündung  der  Conjunctiva  oculi,  s.  Inflam- 
matio  conjunctivae. 

Conopbthalnios 9  das  Kegelauge,  s.  Staphyloma. 

Consensus  partium,  der  Consens,  das  Mitleiden  der  Theile. 
Ist  die  Fähigkeit  der  Organe,  durch  die  Reizung  eines  andern  Organs  affi- 
cirt  zu  werden,  diese  Alfection  zu  percipiren  und,  gleichsam  als  Stimulus 
proprius,  mit  zu  reagiren.  Wir  können,  nach  Hufeland,  folgende  verschie- 
dene Arten  der  consensuellen  Verbindung  annehmen :  1)  den  Consens  durch 
die  Nerven;  er  ist  der  allgemeinste  und  stärkste;  2)  den  Consens  durch  die 
Blutgefässe;  S)  den  durch  Contiguität,  durch  nahe  Nachbarschaft;  4)  den 
Consens  durch  Ähnlichkeit  der  Structur;  5)  den  durch  Ähnlichkeit  der  Fun- 
ction und  6)  durch  Idiosynkrasie.  Der  Consens  ist  ein  für  die  Praxis  höchst 
wichtiges  Heilungsobject.  Die  ganze  Lehre  von  gastrischen  Krankheiten 
und  gastrischer  Curart  beruhet  darauf.  Bei  einem  Kranken ,  der  lange  Zeit, 
besonders  des  Morgens  an  heftigem  Schwindel  litt,  fand  ich  endlich,  dass 
dieser  durch  Reiz  auf  die  Nerven,  von  Nierensteinen  entstanden,  herrührte. 
Ein  Anderer  litt  an  heftigen  periodischen  Beängstigungen,  die  von  Gallen- 
steinen hei'iührten ,  deren  Cur  auch  für  jene  Zufälle  die  beste  war.  Die 
Lehre  vom  Consens  ist  für  Physiologie  und  praktische  Heilkunde  höchst 
wichtig.  Füsse,  Magen  und  Kopf  stehen  miteinander  im  Consens;  Erkältung 
der  Tüsse  macht  Magen-  und  Kopfweh,  Einreibungen  von  Opium  in  die 
Fusssohlen  macht  müde.  Durch  den  Consens  wird  aus  einem  örtlichen  Übel 
em  allgemeines ,  durch  ihn  erklärt  sich  das  Entstehen  imd  Verschwinden 
vieler  Krankheiten.  Eigentlich  besitzen  alle  Theile  des  menschlichen  Kör- 
pers Consens ,  nur  nicht  alle  in  einerlei  Grade ,  und  dadurch  entsteht  ge- 
rade das  harmonische  Zusammenstimmen  aller  Theile,  ein  nothwendiges  Re-i 
quisit  zur  Erhaltung  des  Lebens  und  der  Gesundheit.  Ein  Mehreres  über 
diesen  Gegenstand  findet  sich  bei  den  Ai'tikeln  Antagoniismus,  Sympa- 
thia  partium. 

Consolidantia ,  die  Heilung  befördernde  Mittel ,  besonders  bei 
Wunden,  Geschwüren,   Verbrennungen;  s.  Epulotica.  .u' 

Conistipantia ,  stopfende  Mittel,  z.  B.  Opium.  •'' 

]^  ConstitutiOs  die  Constitution  des  Menschen.  Ist  em  fester, 
bestimmter  Zustand  der  relativen  Gesundheit  eines  Individuums,  der  sich 
theils  dm-ch  äussere  Merkmale ,  durch  den  sogenannten  Habitus ,  theils 
durch  die  Sti-uctur  der  Organe  und  die  Mischung  der  Säfte  zu  erkennen 
giebt.  Die  Constitution  des  Menschen  in  Verbindung  mit  dem  Tempera- 
mente machen  dasjenige  aus,  was  wir  Organisation  nennen.  Der  Grad  des 
Wirkungsverraögens  des  Organismus  ist  nach  individuellen  Umständen  und 
Anlage  sehr  verschieden,  desgleichen  nach  dem  Alter,  daher  unterscheiden 
wir  eine  Constitution  des  Kindes,  des  Weibes,  Jünglings,  Mannes,  Greises, 
die  alle  zu  besonderen  Krankheiten  Anlage  geben  (s.  Diathesis);  fetrnei; 
eine  Luftconstitution ,  d.  i.  eigenthümliche  Veränderungen  in  der  Atmosphäre 
nach  Klima,  Jahreszeit,  Witterung,  welche  eigenthümllch  auf  die  Gesund- 
heit der  Menschen  wirkt,  den  herrschenden  Krankheitscharakter  bildet  und 
bald   zu   katarrhfilischen ,    rheumatischen,    bald    zu    rein    inflammatorischen. 


CONSTITUTIO  467 

oder  zo  galligen,  nervSsen  und  putriden  Krankheiten,  zn  Wechselfiebern 
etc.  die  Disposition  giebt  (s.  Diathesis).  Das  innere  Moment  der  meisten 
fieberhaften  acuten  Krankheiten  liegt  in  der  verschiedenen  Leibesconstitution 
des  Menschen,  das  äussere  in  den  Einflüssen  der  Aussenwelt,  besonders  in 
der  verschiedenen,  uns  oft  noch  unerklärlichen  Constitution  der  Atmosphäre. 
Wie  wichtig  das  Studium  dieser  Gegenstände  zur  richtigen  Erkenntniss, 
Diagnose  und  Heilung  der  Krankheiten  ist,  bedarf  keines  Beweises,  daher 
möge  hier  einiges  Specielle  darüber  Platz  finden.  Nach  dem  Lebensalter 
und  Geschlecht  unterscheiden  wir: 

Constituiio  infantilis,  die  Constitution  des  Kindes.  Das  Kindesleben  ist 
ein  rasches  mit  vorherrschender  Production;  Verdauung  und  Blutumlauf  ge- 
hen schnell  von  Statten,  der  Hunger  stellt  sich  öfter  ein,  Wachen  und 
Schlafen  wechseln  schneller,  ebenso  Erschöpfung  und  Wiederersatz  der 
Kräfte.  Der  Kindesorganismus  ist  zart  und  unentwickelt,  dabei  höchst  em- 
pfanglich für  die  Eindrücke  der  Aussenwelt.  Daher  erkranken  Kinder  leicht, 
aber  die  Krankheiten  verschwinden  auch  schnell ,  sind ,  wenige  Fälle  ausge- 
nommen, selten  gefahrlich,  sie  verschwinden  ohne  Kunsthülfe  bei  richtigem 
diätetischen  Verhalten  von  selbst.  Dies  ist  besonders  bei  Fiebern  der  Fall. 
Da  beim  Kinde  die  Congestion  zum  Kopfe  vorherrscht,  so  sind  die  gefähr- 
lichsten Krankheiten  die  hitzige  Kopfwassersucht  und  der  Croup.  Auch  dsis 
Hautsystem  ist  bei  Kindern  ungemein  thätig,  daher  ist  hier  die  Neigung  zu 
Hautkrankheiten  (zu  starke  Production,  Afterorganisation)  sehr  gross,  und 
Blattern,  Masern,  Scharlach,  Crusta  lactea,  Tinea  befallen  vorzugsweise 
Kinder.  Zu  berücksichtigen  ist,  dass  die  chronischen  Exantheme  häufig  vor 
Hydrocephalus  und  Croup  schützen,  indem  der  übermässige  Productionstrieb 
seine  Richtung  mehr  nach  der  Haut,  weniger  nach  Innen  nimmt.  Daher  es 
denn  auch  eine  wichtige  Regel  ist,  die  chronischen  Ausschläge  der  Kinder 
als  etwas  Kritisches  zu  betrachten  und  nur  vorsichtig,  allmälig  und  meist 
nur  durch  innere  Mittel  zu  heilen.  Eine  zweckmässige  Hautcultur  verhütet 
bei  Kindern  die  meisten  Krankheiten  und  macht  sie  gefahrlos.  Wegen  des 
reizbaren  Nervensystems  leiden  Kinder  häufig  an  Krämpfen ,  die  in  der  Re- 
gel von  Congestion  zum  Kopfe  oder  von  Säure  der  Verdauungsorgane  her- 
rühren. Kühlende,  derivirende,  absorbirende  Mittel  sind  hier  fast  immer 
hinreichend.  Erhitzende  Antispasmodica,  besonders  aber  die  Narcotica ,  ver- 
schlimmern in  der  Regel  das  Übel.  Bei  Kinderkrankheiten  ist  derjenige 
Arzt  der  glücklichste,  der  sich  passiv  verhält,  wenig  verschreibt  und  viel 
exspectando  verfährt.  Nur  Hydrocephalus  acutus ,  Asthma  Millari  und  Croup 
machen  hier  eine  Ausnahme. 

Constitutio  juvenilis.  Wenn  beim  Kinde  Verdauung,  Ernährung  und 
Wachsthum  die  Hauptaufgabe  der  Natur  war ,  so  ist  es  hier  die  Geschlechts- 
sphäre. Der  Process  der  Pubertät  ist  hier  die  wichtigste  Erscheinung  und, 
besonders  beim  Mädchen ,  die  Quelle  vieler  Krankheiten.  Die  Brusthöhle 
erweitert  sich,  die  Organe  darin  erreichen  den  höchsten  Grad  der  Ausbil- 
dung, die  Blutcongestion  zur  Brust  ist  vorherrschend,  und  daher  sind  Lun- 
genübel :  Phthisis  tuberculosa ,  iiorida ,  exulcei'ata ,  Blutspeien  und  Herz- 
krankheiten an  der  Tagesordnung.  Ein  ruhiges  Leben,  kühle  Diät,  Ver- 
meidung aller  Erhitzungen,  alles  Desjenigen,  was  Congestion  nach  den 
Lungen  veranlasst,  sind  hier  von  der  grössten  Wichtigkeit. 

Constitutio  virilis.  Im  Mannesalter,  dem  Gipfel  des  Lebens,  sind  alle 
Organe  ausgebildet  und  alle  Kräfte  entwickelt;  ein  absoluter  Stillstand  ist 
aber  nicht  da ,  er  ist  im  Leben  nicht  denkbar ,  nur  ein  relativer  im  Verhält- 
niss  zu  den  frühern  und  spätem  Lebensperioden.  Das  Knochengebäude  des 
Mannes  ist  von  dem  des  Weibes  sehr  verschieden.  Beim  Weibe  hat  die 
Bauchhöhle,  beim  Manne  die  Brusthöhle  verhältnissmässig  die  grössere  Aus- 
dehnung, sein  Körper  ist  stärker  gebaut,  seine  Muskeln  sind  eckiger,  seine 
Stimme  gröber,  sein  Herzschlag,  sein  Athemholen  kräftiger.  Die  vorherr- 
schenden Krankheiten  des  Mannes  sind  im  Allgemeinen  solche,  die  den  Un- 
terleib und  das  Nervensystem  betreffen :  Krankheiten  des  Magens ,  der  Ge- 
därme, Dyspepsien,  Fehler  der  Lebfer,  der  Milz,  des  Pankreas,  Häinorrhoi- 

30* 


468  CONSTITUTIO 

den,  Gicht  mit  allen  Ihren  protcusähnlirhen  Znfilllen  und  Hypochondrie. 
Eine  strenge  Diät,  Mässipkeit  iin  Ks.scn  und  Trinken,  in  Bacrlio ,  Venere, 
Apolline  et  Rlinerva,  viel  Bo\%c{;uni;  im  Kreit-n  j>rä«erviren  und  lieilen  dieM 
Übel  weit  besser  als  alle  Arzneien  aus  der  Apotheke,  doch  unterstützen  letz- 
tere, richtig  ausgewählt,  die  Cur. 

Constitutin  viulichris.  Der  Unterschied  zwischen  Mann  und  Frau  ist  in 
somatischer  und  psychischer  Hinsicht  sehr  gross;  <lic  Natur  des  Weibes  ist 
durchaus  eine  andere  als  die  des  Mannes.  Das  Weib  hat,  um  seiner  Be- 
siimnuing  als  Gattin ,  IMutter  und  Hausfrau  zu  entsprechen ,  einen  ganz 
eigenthümlichen  Charakter.  Er  drückt  sich  aus  durch  grosse  Zartheit  und 
Reizbarkeit  des  Körpers,  durch  die  Verschiedenheit  der  Sexualorgane  und 
deren  EinHuss  auf  Geist  und  Körper.  Die  weibliche  Organisation  bleil)t 
stets  der  des  Kindes  ähnlich,  daher  wir  auch  bei  den  Krauenzimmerkrank- 
heiten  im  Allgemeinen  ebenso,  wie  bei  den  Kiiulirkrankheiten  verfahren  und 
uns  vor  eingreifenden,  heroischen  Mitteln  hüten  müssen.  Das  Weib  ist  weit 
mehreren  und  grösseren  Veränderungen  und  Revolutionen  unterworfen,  als 
der  Mann.  Die  Pubertät,  die  Schwangerschaft,  das  Gebären,  das  Stillungs- 
geschäft und  die  Periode  der  Decrepitität  sind  diejenigen  Momente,  die  oft 
die  Quelle  zahlloser  Krankheiten  werden.  Daher  giebt  es  eine  besondere 
Diätetik  fürs  weibliche  Geschlecht,  die  theils  zur  Verhütung  dieser  Krank- 
heiten, theils  als  Bedürfniss  der  eigenthümlichen  weiblichen  Confititution  an- 
zusehen ist.  1)  Da  der  Stolfwechsel  beim  Weibe,  ebenso  wie  beim  Kinde, 
rascher  als  beim  Manne  ist,  da  Verdauung  und  Ernährung  schneller  vor 
sich  gehen,  so  stellt  sich  auch  der  Appetit  öfter  ein.  Daher  müssen  Frauen- 
zimmer öfter  essen  und  trinken,  und  ihre  Natur  verträgt  keinen  so  langen 
Huuger  und  Durst  als  die  unsrige;  sie  müs.sen  wenigstens  alle  3  —  4  Stun- 
den Nahrung,  aber  nur  in  kleinen  Portionen  zu  sich  nehmen.  Rohe  Kost, 
viele  Kartolfeln,  Hülsenfrüchte,  Gewürze,  starkgesalzene  und  geräucherte 
Speisen,  geistige  Getränke:  Wein,  Branntwein,  starke,  bittere  Biere  sind, 
täglich  oder  im  Übermass  genossen,  höchst  nachtheilig.  Sie  schaden  der 
Gesundheit  und  Schönheit,  zerstören  den  weiblichen  Zauber,  alle  Anmuth, 
erregen  heftige  Affecten  und  Leidenschaften  und  Krämi)fe  aller  Art.  Auch 
der  übermässige  Genuss  des  KaiVees  und  Thees  ist  schädlich,  verursacht 
schlechten  Teint,  Ohnmächten,  Krämpfe,  Gliederzittern,  Kardialgie,  Lei- 
besverstopfung. Leichte  Fleischspeisen,  Suppe«  von  Tauben-,  Kalb-  und 
Hühnerfleisch,  vorzüglich  aber  Milchspeisen,  Milchsuppen,  leichte  Mehlspei- 
sen ,  gutes  leichtes  Gemüse  müssen  die  Hauptnahrung  des  weiblichen  Ge- 
schlechts,  so\%ie  der  Kinder  seyn.  2)  Die  Darmausleenuigen  sind  bei 
Frauenzimmern  an  und  fiir  sich  sparsamer  als  bei  uns;  daher  müssen  sie  be- 
sonders berücksichtigt  und  Alles  vermieden  werden,  was  zu  Verstopfun|», 
einer  häufigen  Ursache  der  Krämpfe,  der  Kolik,  geneigt  macht,  z.  B.  vie- 
les Stillsitzen,  Mangel  an  activer  Be\>eg\ing  in  freier  liuft ,  enge  Schnür- 
brüste. Zweckmässig  ist:  Gewöhnung  der  Natur  zu  den  Ausleerungen  an 
c'mc  bestimmte  Stunde  des  Tages,  .selbst  im  Nothfall  Lavements,  Thee  von 
Foh  sennae.  3)  Da  beim  schönen  Geschlechte  die  Gefä.ssthätigkeit  viel  auf- 
geregter ist  als  bei  uns  (daher  die  raschere  Ulutcirculation  und  das  reizba- 
rere Nervensystem),  so  sind  ül)ermässig<v  Körper-  \nul  Geistesbewegungen, 
enge  Kleidung,  reizende  Getränke,  Thre,  Kaffee,  Chocolade,  heftige» 
Tanzen,  starke  Gemüthsbewegungen  hier  doppelt  srliädlich,  indem  sie  den 
ganzen  Charakter  der  Weiblichkeit  und  die  (rt-sundheit  und  Schönheit  der 
Frauen  weit  eher  als  die  Gesundheit  der  Männer  zerstören.  4)  Die  Athem- 
wcrkzeuge  sind  beim  Weibe  verhältnissmäs.sig  kleiner  als  beim  Manne,  da- 
her ist  auch  die  Neigiuig  zu  Brust krai\klieilen  hier  grösser,  und  daher  Lit 
CS  doppelt  wichtig.  Alles,  was  «üe  Lungenfnnctiun  stören  könnte,  zu  ver- 
meiden, z.  B.  das  Rinathmen  kalt<T  Luft  bei  erhitztem  Körper,  plötzliche 
Al>kühlung  «lurch  kaltes  'l'rinken  bei  erhitzten»  Körper,  angestrengte*  Sin-, 
gen,  heftiges  Tanzen  S<hon  mam  hes  schöne,  junge  Frauenzimmer  bat 
daran  glaiib<n  und  auf  solche  Weise  «liirrh  IMithisis  ins  Grab  beisscn  müssen. 
5)   Nicht    allein    in    Hin.slclit    des    Stoil Wechsels,     der    schnellern    \  erdauung. 


CONSTITUTIO  469 

sondern  auch  in  Hinsicht  der  Hautfunction ,  sovvle,  beiläufig  gesagt,  in  ge- 
luüthiicher  Hinsicht,  hat  die  Weibliche  Natur  mit  der  des  Kindes  viel  Ähn- 
lichkeit. Die  Hautaussonderung  ist  thätiger  als  beim  Manne,  und  daher 
ist  eine  soi'gfältige  Hautcultur:  fleissiges  Waschen  und  Baden,  in  kälterm 
Klima  warme  Flanellkleidung  nothwendig.  Frauenzimmer  erkälten  sich  weit 
leichter  als  Männer ,  und  da  nun  die  leidige  Mode  obendrein  ihnen  eine  weit 
leichtere  Kleidung  als  uns  vorschreibt ,  so  erklärt  es  sich ,  wie  aus  der 
Vernachlässigung  dieses  Punktes  beim  schönen  Geschlechte  so  vielfache  Lei- 
den hervorgehen.  6)  Massigkeit  und  Ordnung,  Mässigung  in  der  Befriedi- 
gung aller  geistigen  und  körperlichen  Bedürfnisse ,  Einfachheit  im  Leben, 
im  Denken  und  Handeln,  in  Mode,  Sitte  und  Convenienz,  Zufriedenheit  mit 
dem ,  was  man  besitzt ,  Vermeidung  allzuheftiger  Anstrengungen ,  heftiger, 
ungewohnter  Sinnesreize,  Ruhe  im  Gemüthe,  gieichmässige  Übung  inid  Aus- 
bildung des  Körpers  und  Geistes  sind  den  Frauen  vorzüglich  zu  empfehlen, 
und  da  das  Gemüth  bei  ihnen  an  und  für  sich  vorwaltet,  so  muss  das 
Hauptaugenmerk  auf  die  Cultur  des  Verstandes,  der  Vernunft  und  Willens- 
kraft gerichtet  seyn.  Alles,  was  nützlich,  wahr,  gut  und  schön  ist,  muss 
bei  der  weiblichen  Bildung  berücksichtigt,  der  Sinn  fürs  Studium  der  Na- 
tur- und  Weltgeschichte  geweckt,  die  Neigung  zu  Poesie,  Romantik  und 
Mystik  aber  in  den  Schranken  erhalten  werden ;  sonst  entsteht  leicht  Über- 
spannung des  Nervensystems,  Verwirrung  des  Verstandes,  und  manche  an- 
dere Übel  des  Körpers  und  der  Seele. 

Constitutio  senilis.  Im  Greise  nimmt  zwar  die  Lebensthätigkeit  ab  und 
die  bildende  Kraft  im  Geistigen  und  Körperlichen  zieht  sich  immer  mehr 
zurück;  aber  dennoch  würde  man  sehr  irren,  wenn  man  glaubte,  dass  der 
Greis  immer  wahrhaft  schwach  sey  und  dass  seine  Krankheiten  stets  mit 
dem  Charakter  der  Schwäche  begleitet  wären.  Dies  ist  höchst  falsch;  die 
häufigste  Krankheit  der  Greise  ist  die  Apoplexie;  wenigstens  sterben  von 
hundert  Greisen  achtzig  an  diesem  Übel.  Häufig  ist  letzteres  eine  Apo- 
plexia sanguinea,  da  die  Congestion  des  Bluts  im  Greisenalter  ebenso  wie- 
der zum  Kopfe  geht,  wie  dies  im  Kindesalter  der  Fall  war,  ausserdem  auch 
zwischen  den  Krankheiten  der  Greise  und  der  Kinder  eine  grosse  Analogie 
stattfindet  (./w/m);  aus  diesem  Grunde  ist  die  Scheu  vor  Blutausleerungen 
bei  alten ,  übrigens  wohlgenährten  Leuten  höchst  einseitig ,  denn  es  giebt 
SchlagHüsse  im  hohen  Alter,  wo  wir  noch  recht  kräftig  zur  Ader  lassen 
müssen  (itf.).  Zu  den  Krankheiten  der  Greise  gehören  noch  Gangraena  se- 
nilis, verschiedene  Urinbeschwerden,  ein  höchst  quälendes  Hautjucken,  ein 
friesel-  oder  krätzartiger  Hautausschlag,  Asthma,  Oedema  pedum,  Obstru- 
ctio  alvi  oder  Diarrhöe ,  Verknöcherungen  der  Gefässe ,  Verhärtungen  des 
Gehirns  etc.  Die  Diät  der  Greise  ist  sehr  wichtig.  Je  mehr  wir  uns  dem 
Alter  nähern,  je  schwächlicher  wir  werden,  desto  mehr  müssen  wir  unsern 
Körper  prüfen,  was  ihm  dienlich  oder  schädlich  ist,  eine  regelmässige  Diät 
beobachten,  zur  rechten  Zeit  schlafen  und  wachen,  stets  nach  der  Uhr  le- 
ben und  uns  keine  Ausnahme  von  der  Regel  erlauben.  Wir  müssen  uns 
aber  nicht  verweichlichen,  uns  nicht  von  Licht  und  Luft  entwöhnen,  uns 
täglich  ein  paar  Stunden  im  Freien  bewegen,  leicht  verdauliche  Speisen, 
mehr  Suppen  als  feste  Kost  geniessen  und  geistige  Geti^Snke  nur  massig  zu 
uns  nehmen.  Die  Kleidung  muss  etwas  wärmer  als  im  Mannesalter  seyn. 
Reinlichkeit  der  Haut,  öfteres  Waschen  des  Kopfs,  der  Brust,  der  Glieder 
mit  lauem  Wasser,  wöchentlich  einmal  ein  Bad  von  25  —  2&'K.,  Külilhal- 
ten  des  Kopfs,  Warmhalten  der  Füsse,  Vermeidung  jeder  engen  Kleidung, 
der  heftigen  Körperbewegungen,  der  Leidenschaften  und  ermüdenden  Gei- 
stesanstrengungen, des  Beischlafs,  der  starken  Weine  und  besonders  der 
bitteren  Blere ,  die  so  leicht  den  Schlagfluss  befördern ,  Umgang  mit  Kin- 
dern, angenehme  Beschäftigung  und  frohe  Gemüthsstimmung ,  das  Einreiben 
der  Haut  mit  wohlriechenden  stärkenden  Ölen :  Ol.  anthos ,  bergamott. , 
chamomillae,  lavandulae,  der  tägliche  Genuss  von  Zuckerwasser,  ein  ruhi- 
ges Gewissen  und  ein  echt  religiöses  Gemüth ,  diese  Dinge  erhalten  den 
Greis  gesund  und  verlängern  sein  Leben. 


470  CONSTITUTIO 

Nach  der  verschiedenen  Leibesbeschaffenheit,  nach  dem  verschiedeueii 
Grade  der  Körperkraft  und  nach  der  verschiedenen  Mischung  der  Säfte, 
sowie  nach  den  atmosphärischen  Einflüssen  unterscheiden  wir  noch  folgende 
Constitutionen : 

Constitutio  fortis,  robusta,  sthenica,  irrUnhilis,  athletica.  Die  starke 
kräftige  Constitution  giebt  sich  durch  einen  kräftig  gebaueten  Körper,  durch 
eine  derbe  und  feste  Organisation  (nicht  durch  üppige  Bildung,  Laxität, 
Fettleibigkeit)  zu  erkennen.  Sie  findet  sich  am  häufigsten  im  mittlem  Le- 
bensalter und  beim  männlichen  Geschlechte.  Wir  müssen  uns  hierbei  aber 
nicht  blos  auf  den  äusseren  Habitus  verlassen,  die  Anamnese,  die  Lebensart 
des  Menschen  verdient  bei  Taxirung  der  Constitution  grosse  Berücksichti- 
gung. Es  giebt  Menschen,  die  trotz  ihres  guten  Aussehens  und  ihres  stark 
gebaueten  Körpers  nur  einen  geringen  Grad  von  Lebenskraft  und  wenig 
Haltung,  wenig  Festigkeit  und  Ausdauer  in  ihren  Kraftäusserungen  besitzen, 
woran  häufig  Schwelgerei ,  besonders  Trunksucht  und  Liederlichkeit ,  auch 
vorhergegangene  Krankheiten  Schuld  sind. 

Constitutio  dehilis,  gracilis,  asthenica.  Sie  giebt  sich  durch  zarte  Orga- 
nisation und  kümmerliche  Ausbildung  des  Körpers  als  Folge  chronischer 
Krankheiten,  Mangel  an  Nahrung  etc.  zu  erkennen;  sie  findet  sich  am  häu- 
figsten bei  schwachen,  zarten  Kindern,  solchen  Frauen  und  bei  hohem  Al- 
ter (Marasmus).  Sowie  der  Praktiker  mehrere  Arten  der  Schwäche  unter- 
scheidet (s.  Adynamia),  so  giebt  es  hier  mehrere  Arten  der  schwachen 
Constitution.  1)  Die  schwache  und  reizbare  Constitution.  Sie  giebt  sich 
durch  leichte  Erregbarkeit,  Mangel  an  Kraft  und  Ausdauer,  durch  Wan- 
delbarkeit in  den  Thätigkeitsacten ,  durch  zarte  kümmerliche  Körperorgani- 
sation, bald  mit  bald  ohne  Säftefülle,  zu  erkennen.  2)  Die  schwache  laxe 
Constitution.  Sie  fallt  gewöhnlich  mit  der  venösen  und  lymphatischen  Con- 
stitution zusammen,  und  äussert  sich  durch  starke  Fettbildung,  Säftefülle, 
geringe  Ausdauer  an  Kraft,  und  durch  schnelle  Erschöpfung  nach  körperli- 
chen Anstrengungen.  S)  Die  durch  Überreizung  entstandene  schwache  Con- 
stitution. Sie  findet  sich  besonders  bei  Trinkern,  bei  Anlage  zum  Delirium 
tremens  (s.  d.  Art.).  Berndt  sagt  darüber  (s.  dess  Methodik  der  ärztl. 
Kunstausübung.  Berlin,  1827,  S.  407)  mit  Recht:  „Auf  diesen  Umstand 
kann  ich  junge  Ärzte  nicht  genug  aufmerksam  machen,  denn  er  liegt  oft 
sehr  versteckt,  und  hat  doch  einen  überaus  entscheidenden  Einfliuss  auf  die 
Bildung  und  Heilung  der  Krankheiten."  Der  Puls  geht  hier  auffallend  fre- 
quent,  unregelmässig,  ihm  mangelt  die  Resistenz,  die  Kranken  leiden  an 
Unruhe,  Angst,  Schlaflosigkeit,  Gesichtstäuschungen.  Alle  Krankheiten  bei 
Leuten ,  die  sich  durch  Spirituosa  überreizt  haben ,  die  häufig  unter  der 
trügerischen  Maske  von  Entzündungen  auftreten  ,  nehmen  sogleich  eine  ge- 
fährliche Wendung  durcti  jedes  bedeutend  eingreifende  antiphlogistische 
Verfahren.  Die  säftearme  und  säftereiche  Constitution  giebt  sich  nicht  im- 
mer durch  den  Habitus  und  Puls  allein  zu  erkennen.  Hagere ,  nur  nicht 
gerade  abgezehrte  Menschen  haben  bei  sonst  guter  Organisation  oft  mehr 
Blut  als  fette  Personen,  da  ihr  Gefässsystem  meist  stärker  ausgebildet  ist, 
und  daher  ihr  Puls  stark  und  kräftig  geht.  Bei  vollblütigen  und  fetten 
Personen  finden  wir  den  Puls  oft  recht  schwach ;  man  unterscheide  daher 
die  verschiedenen  Arten  der  Vollblütigkeit  (s.  Plethora).  Wirkliche  Säf- 
tearmuth  zeigt  sich  durch  Blässe,  Schlaffheit,  Magerkeit  des  Körpers  und 
tiefes  Darniederliegen  der  Kräfte.  Bei  jungen,  starken,  vollblütigen  Perso- 
nen, die  ein  arbeitsames  Leben  führen,  ist  der  Einfluss  des  arteriellen  Ge- 
fässsystems  überwiegend  und  disponirt  zu  Entzündungen,  die  besonders  bei 
ti'ocknem  kalten  Wetter  eine  strenge  Antiphlogosis  erfordern  (s.  Diathe- 
sis  infl ammatoria).  Bei  laxen,  zu  Fettbildung  geneigten  Personen,  bei 
vita  sedentaria  und  im  Mannesalter  ist 

ConstitnÜo  venosa,  cum  diiscrasin  venosa,  atrabilaris ,  zu  Hause;  sie 
macht  zu  Blutstockungen ,  Hämorrhoiden ,  atrabilaristhen  Krankheiten  ge- 
neigt.    Der  Habitua  ^eigt  dunkle,   schmuzige,   gelbliche  Gesichtsfarbe,  da- 


CONSTITUTIO  471 

bei  bemerkt  man  Dyspepsien,  Obstnictio  alvi,  mürrisches  Wesen,  chole- 
risch-melancholisches Temperament  (s-  Haemorrhagia  ventricull). 

Constitutio  nervosa.  Grosse  Empfänglichkeit  für  äussere  Einflösse,  hal- 
tungsloser Zustand  des  Lebensprocesses ,  schneller  Wechsel  der  Krankheits- 
symptome,  leichte  Erschöpfung  nach  geringer  Kraftanstrengung,  zarte  Or- 
ganisation, lebhafte  Imagination,  schneller  Wechsel  von  Freude  und  Leid« 
heller  Versland,  schneller  Wechsel  im  Pulse,  in  der  Gesichtsfarbe,  unstä- 
tes,  unruhiges  Auge,  vorhergegangene  schwächende  Einflüsse  aller  Art; 
diese  Zeichen  geben  die  nervöse  Constitution  in  gesunden  und  kranken  Ta- 
gen zu  erkennen  (s.  Diathesis  nervosa). 

ConstiUitio  lymphatica  et  cachectica.  Sie  tritt  theils  im  kindlichen  Alter, 
theils  im  Mannesalter  auf,  und  steigert  sich  durch  Entartungen  der  Blut- 
masse und  verminderten  Gehalt  an  Cruor  zur  Const.  cachectica.  Wir  fin- 
den hier  bleiches,  aufgedunsenes  Ansehn,  Schwäche,  Schlaffheit  der  Faser, 
Neigung  zu  ödematösen  Anschwellungen,  zu  Blennorrhöen  und  Wassersucht. 

Constitutio  dyscratica.  Sie  beruhet  auf  Qualitätsfehlern  der  Säfte,  auf 
einer  schlechten  Mischung  derselben,  die  alsdann  als  Schärfen  oder  wider- 
natürliche Reize  angesehen  werden  können.  Chronische  Exantheme,  solche 
Entzündungen  und  Eiterungen,  krankhafte  Veränderungen  der  Secretions- 
vorgänge,  Scirrhositäten ,  organische  Fehler,  selbst  Krämpfe,  Arthritis, 
Scrophulosis ,  Herpes,  Psora,  Cancer,  Syphilis  leiten  wir  ihrer  Natur  nach 
von  Dyskrasien  ab.  Die  eigenthümliche  Beschaffenheit  solcher  Dyskrasien 
ist  uns  zwar  noch  unbekannt,  aber  der  echte  Praktiker  wird  dennoch  sein 
Augenmerk  darauf  richten  und  das ,  was  die  Alten  und  die  Erfahrung  dar- 
über Gutes  gelehrt  haben,  bei  der  Ausübung  am  Krankenbette  beherzigen 
(s.  Dy  scrasia). 

Constitutio  morlorum  sintionaria,  annua,  endemica,  epidemica.  Es  ist 
eine  unwiderstreitbare  Thatsache,  hervorgegangen  aus  den  treuen  Nahir- 
beobachtungen  der  Ärzte  aller  Zeiten,  dass  sich  in  der  Krankheitsbildung, 
besonders  in  der  der  acuten  Krankheiten,  zu  verschiedenen  Zeiten  und  in 
verschiedenen  Gegenden  und  Klimaten  der  Erde  eine  verschiedene  allge- 
meine Richtung  wahrnehmen  lässt,  die  sich  sowol  durch  einen  vorherrschen- 
den gleichartigen  Charakter  der  meisten  Krankheiten,  als  auch  durch  das 
Vorherrschen  bestimmter  Formen  ausspricht.  Diese  Richtung  nennen  wir 
die  herrschende  Krankheitsconstitution ,  den  Genius  der  Krankheiten  (If'o?- 
fart).  Berndt  {Hufeland's  Journal,  1828,  Hft.  3,  S.  78—110)  redet  ein 
sehr  wahres  Wort  über  den  jetzt  (1828  u.  1829)  herrschenden,  besonders 
in  Norddeutschland  beobachteten  Krankheitsgenius,  der  sich  als  Constitutio 
gtationaria  gastrica  ausspricht.  Es  giebt  nach  ihm  bestimmte  Richtungen  iii 
der  Krankheitsbildung,  die  ohne  Rücksicht  auf  Gegend,  Klima  und  Witte- 
rung eine  längere  Zeit  hindurch  vorherrschend  bleiben  (Constitutio  morbo- 
mm  stationaria) ,  und  deren  Causalverhältniss  mit  Wahrscheinlichkeit  in  eine 
periodische  Abänderung  des  Wechsel  Verhältnisses  unsers  Erdkörpers  zu  den 
übrigen  Planeten  und  in  unverkennbare  atmosphärische  Veränderungen  zu 
setzen  seyn  dürfte.  Unter  dem  Einflüsse  dieser  allgemeinsten  Richtung  in 
der  Krankheitsbildung  macht  sich  der  Einfluss  der  Jahreszeiten  und  der  da- 
von abhängigen  Witterung  auf  die  Stimmung  des  Lebensprocesses  ebenfalls 
geltend ,  und  setzt  untergeordnete  vorübergehende  Richtungen  in  der  Krank- 
heitsbildung (Constitutio  annua),  woraus  die  sogenannten  Jahreskrankheiten 
hervorgehen  (s.  Diathesis  inflammatoria,  gastrica,  rheumatico- 
erysipelatosa,  catarrhalis  etc.).  Dazu  tritt  ferner  die  besondere 
Stimmung  des  Lebensprocesses,  die  demselben  durch  das  Klima  und  die 
Eigenthümllchkeit  der  Gegend,  in  welcher  der  Mensch  lebt,  aufgedrückt 
wird:  Constit.  endemica.  Der  Wechsel  der  Constit.  stationaria  hat  gewiss 
einen  Haupteinfluss  auf  das  Entstehen  und  Verschwinden  neuer  medicinischer 
Theorien  und  daraus  gesponnener  Systeme.  „Wir  sind,  sagt  Berndt,  von 
der  entzündlichen  zur  gastrischen  Krankheitsconstitution  übergegangen  und 
die  Übergangsperiode  hat  mehrere  Jahre  gedauert,  bis  seit  dem  Jahre  1823 
in  Norddeutfidiland  die   gastrische   Constitution   in  allmäligem  Vorschreiten 


472  CONSTITÜTIO 

bis  jetzt  die  Hauptriohtung  in  der  Krankheitsbildung  bestimmte,  die  sich 
freilich  nach  Jahreszeit,  Witterung  und  nach  den  ärztlichen  Einflüssen  in 
verschiedener  Intensität  ausspricht,  aber  bei  der  Bildung  von  Fieberkrank- 
heiten niemals  ganz  zurücktritt."  Meine  Beobachtungen  geben  ganz  das- 
selbe Resultat.  Fast  bei  jedem  nicht  heftigen  Fieber  ohne  Localentzündun- 
gen  gebe  ich  seit  vier  Jahren  zu  Anfange  Potio  Riverii,  Salmiak,  kleine 
Dosen  Tart.  emet. ,  und  ich  bin  dabei  stets  sehr  glücklich  gewesen.  „Wech- 
selfieber, heisst  es  weiter,  waren  eine  Reihe  von  Jahren  sehr  selten  gewe- 
sen, bis  sich  das  Wiedererscheinen  einer  weitern  Ausbreitung  derselben  in- 
nig an  den  vorrherrschenden  Einttuss  der  Constit.  gastrica  anschloss.  An- 
fanglich waren  sie  gutartig  und  traten  grösstentheils  mit  dem  Tertiantypus 
auf,  später  wurden  sie  hartnäckiger  und  bösartiger.  Echte  Gallenfieber 
waren  zur  Zeit  des  Sommers  nicht  selten.  Nervenfieber  kamen  zwar  häu- 
figer vor,  aber  sie  waren  keinesweges  allgemeiner  verbreitet,  sondern  gröss- 
tentheils aus  gastrisch  -  rheumatischen  luid  katarrhalischen  Fiebern  (auch  aus 
Febr.  intermitt.  larvata,  ilf,)  hervorgegangen.  Fast  immer  erschienen  sie 
als  leichte  Febr.  nervosa  stupida,  und  wurden  bei  richtiger  Behandlung 
ziemlich  sicher  geheilt.  Acute  Rheumatismen  waren  nicht  selten,  meist  mit 
gastrischen  Complicationen ,  und  wurden  am  sichersten  durch  Brechmittel 
geheilt.  Ruhren  waren  selten.  Das  gastrische  Fieber  tritt  bis  jetzt  häufi- 
ger unter  asthenischem  Charakter  auf,  ohne  ein  eigentliches  Nervenfieber 
zu  werden,  und  endet  oft  mit  einem  grossen  Kräfteverfall  und  einer  grossen 
Schwäche  der  Digestionsorgane,  so  dass  sich  die  Kranken  äusserst  langsam 
erholen  (dasselbe  war  auch  im  Herbste  18;i9  hier  in  und  um  Rostock  der 
Fall).  Zu  Anfange  des  Frühlings  1823  zeigte  sich  in  der  Gegend  von 
Greifswalde  eine  vielseitige  Richtung  in  der  Hervorbildong  einzelner  acuter 
Krankheitsformen,  auf  deren  Verlauf  der  Typus  intermittens  einen  über- 
wiegenden Einfluss  ausübte;  besonders  auch  der  gastrisch -biliöse  Zustand. 
1)  Häufig  kam  eine  Febr.  continua  remittens  gastrica  biliosa  vor,  ganz  wie 
sie  Richter  so  vortrefflich  als  Febr.  hepatica  beschrieben  hat.  2)  Noch 
häufiger  erschien  sie  als  eine  subcontinua,  welche  sich  sehr  häufig  in  Febr. 
intermittens  umwandelte.  3)  Bei  einzelnen  Kranken  trat  kein  vollständig 
ausgebildetes  Fieber  hervor ,  allein  grosses  Hinsinken  der  Kräfte ,  und  das 
unvollkommene  Bild  einer  nervosa  stupida;  auch  hier  musste  die  Cur  mit 
der  gastrischen  Methode  eingeleitet  werden.  4)  Das  Wechselfieber  machte 
die  am  häufigsten  vorkommende  Krankheit,  gewöhnlich  als  tertiana,  selte- 
ner quotidlana ,  noch  seltener  quartana ;  es  war  constant  mit  gastrischen 
Symptomen  verbunden,  und  wurde  mit  Brechmitteln ,  Chinin  und  China  be- 
handelt. 5)  Am  interessantesten  waren  die  vielen  unter  der  Maske  einer 
Intermittens  larvata  erscheinenden  Krankheitsformen,  die  theils  mit  geregel- 
tem Typus  intermittens  verliefen,  theils  den  Gang  einer  Intermittens  atypica 
annahmen,  a)  Viele  Kranke  wurden  von  einer  Präcordialangst  befallen, 
welche  zu  unbestimmten  Zeiten  exacerbirte  und  einen  qualvollen  Zustand 
herbeiführte.  Es  gab  Kranke,  bei  denen  der  Anfall  eine  Manie  darstellte; 
andere,  die  in  der  Angst  und  geistigen  Verwirrung  auf  den  Gedanken  des 
Selbstmordes  geriethen.  Von  einer  solchen  Mania  intermittens  atypica  gab 
ein  Tagelöhner  ein  Beispiel ,  welcher  in  einem  solchen  Anfalle  einen  furcht- 
baren Mord  beging,  b)  Ganz  diesen  Krankheitsformen  entgegengesetzt  ka- 
men auch  Fälle  vor,  dass  soporöse  Affectionen  entweder  ganz  rein  für  sich, 
oder  in  Verbindung  mit  einer  ausgebildeten  Intermittens  erschienen,  c)  Häufig 
kamen  interraittirende  Kardialgien  vor,  die  gewöhnlich  den  Tertiantypus 
hielten  und  nach  tüchtigen  galligen  Ausleerungen  durch  Erbrechen  und  Ab- 
führen und  Chinin  leicht  geheilt  wurden."  So  weit  Berndt.  Was  dieser 
treue  Naturbeobachter  hier  als  Resultat  seiner  jüngsten  Beobachtungen  aus 
der  Gegend  von  Greifswalde  mitgetheilt  hat,  findet  auch  ganz  seine  An- 
wendung auf  den  Ort  und  die  Umgebung  meiner  Praxis.  Bebres  intermit- 
tentes  larvatae,  desgleichen  comatosae,  perniciosae,  wie  sie  Torti  und  Werl- 
hof  so  herrlich  beschrieben  haben,  hatte  auch  ich  Gelegenheit  genug  seit 
den  letzten  Jahren  liier  zu  beobachten. 


CONSTITUTIO  473 

Der  Begriff  der  Constitution  wird  bald  im  engern,  bald  im  weitern 
Sinne  genommen ;  daher  wir  Constituiio  individualis ,  physica ,  und  Con- 
stitutio  miivcrsalis,  epidemica  unterscheiden.  Erstere  bezeichnet  die  Kör- 
perbeschaffenheit eines  Menschen ,  letztere  den  Inbegriff  der  Verhält- 
nisse ,  durch  welche  die  Entstehung  und  Unterhaltung  allgemein  ver- 
breiteter Krankheiten  bedingt  wird.  Die  individuelle  Constitution  ist  am 
häufigsten  angeboren ,  d.  h.  dieselben  körperlichen  Beschaffenheiten  und 
Eigenschaften ,  die  der  Mensch  bei  der  Geburt  erhalten  hat ,  bleiben 
für  die  Dauer  seines  Lebens  die  vorwaltenden ;  oft  ist  sie  angeerbt ,  d.  h. 
vom  Vater  oder  der  Mutter  bei  der  Erzeugung  mitgetheilt,  als  z.  B.  die 
Constitutio  debilis,  fortis,  nervosa,  phthisica,  apoplectica,  die  sich  durch 
einen  besondern  Habitus  zu  erkennen  giebt  (s.  Apoplexia,  Phthisis). 
In  andern  Fällen  ist  sie  das  Resultat  vorhergegangener  Krankheiten,  die 
den  Organismus  auf  diese  oder  andere  bestimmte  Weise,  in  diesem  oder  je- 
nem Systeme  oder  Organe  verändert  oder  erschüttert  haben;  oder  endlich 
sie  ist  das  Ergebniss  der  Lebensweise  und  der  mancherlei  heilsamen  und 
schädlichen  Einflüsse,  die  fortwährend  auf  den  Organismus  einwirken.  — 
Vom  Temperamente  unterscheidet  sich  die  individuelle  Constitution  dadurch^ 
dass  sie  mehr  das  Körperliche,  das  Temperament  dagegen  zugleich  mit  das 
Geistige  umfasst.  „Jede  Constitution  —  sagt  Hecker  in  RusVs  Handb.  der 
Chirurgie,  Bd.  V.  S.  246  —  begründet  nicht  nur  eine  eigenthümliche  An- 
lage zu  Krankheiten,  sondern  sie  bestimmt  auch,  als  der  Inbegriff  der  vor- 
waltenden Eigenschaften  des  Körpers,  deren  Charakten  und  Verlauf.  Es 
muss  also  die  ganze  Aufmerksamkeit  des  Arztes  auf  sie  gerichtet  seyn,  in- 
dem aus  ihr  die  wesentlichsten  Modificationen  der  Behandlung  hervorgehen; 
das  Individualisiren  in  der  ärztlichen,  wie  in  der  chirurgischen  Praxis  be- 
ruhet hauptsächlich  auf  einer  genauen  Erkenntniss  der  Körperbeschaffenheit 
des  Individuums,  d.  h.  seiner  Constitution."  Wie  wichtig  es  ist,  bei  ein 
und  derselben  Krankheit  in  Betreff  der  Wahl,  der  grössern  oder  geringern 
Dosis  der  Heilmittel,  kurz  der  ganzen  Behandlungsweise  stets  die  Constitu- 
tion des  Kranken  im  Auge  zu  behalten,  ob  sie  stark,  plethorisch,  athle- 
tisch ,  arteriell ,  oder  schwach ,  venös ,  biliös  ,  nervös ,  kachektisch ,  lympha- 
tisch etc.  ist,  weiss  jeder  praktische  Arzt.  Die  allgemeine,  epidemi- 
sche, pandemische  Constitution  ist  der  Inbegriff  oder  die  Summe 
aller  jener  Ursachen ,  welche  gewisse  Krankheiten  unter  dem  Volke  erregen 
und  unterhalten.  „Dieser  Ursachen  sind  sehr  viele  —  sagt  Hecker  a.  a.  O.  — 
und  zwar  sind  es  entweder  die  normalen,  in  der  Atmosphäre  enthaltenen 
Einflüsse,  welche  durch  ihr  verändertes  Verhältniss  nachtheilig  auf  den  Or- 
ganismus einwirken,  oder  zum  Theil  sind  es  ungewöhnliche  Beimischungen 
zu  der  uns  umgebenden  Luft,  die  man  Miasmen  genannt  hat.  Bei  der 
Bestimmung  der  pandemischen  Constitutionen  müssen  wir  uns  hauptsächlich 
an  ihre  Wirkungen,  das  BefindeiP  und  die  Krankheiten  der  Menschen  hal- 
ten, d.  h.  an  die  Reagenz  des  menschlichen  Organismus;  denn  ungeachtet 
fortgesetzter  Bemühungen,  seit  Hippokrnies  bis  auf  die  neuesten  Zeiten,  ist 
es  der  Physik  noch  nicht  gelungen,  die  Atmosphäre  in  dieser  Beziehung 
nach  einem  grössern  Masstabe  zu  erforschen.  Man  weiss  nur ,  und  dies  auch 
nicht  einmal  immer,  auf  welche  Einflüsse  es  ankommt;  aber  die  Entstehung, 
Entwickelung  und  Verbreitung  derselben  ist  in  ein  undurchdringliches  Dun- 
kel gehüllt,  und  unsere  physikalischen  Instrumente  reichen  hier  nicht  weit." 
Vorzugsweise  kommt  es  hier  an:  1)  auf  den  Druck  der  Atmosphäre, 
auf  den  Barometerstand.  Ist  dieser  eine  Zeit  lang  auffallend  hoch  oder  nie- 
drig, so  zeigen  sich  die  Folgen  dieses  ungewöhnlichen  Zustandes  in  dem 
Hervortreten  ungewöhnlicher  Krankheiten  oder  in  der  Veränderung  der  vor- 
handenen; 2)  auf  die  Lufttemperatur,  zumal  auf  deren  schnellen  oder 
allmäligen  Wechsel;  3)  auf  den  Wassergehalt  der  Luft;  4)  auf  die 
Winde;  5)  auf  die  Elektricität  der  Atmosphäre;  6)  auf  den  Ein- 
fluss  des  Bodens  und  auf  die  ihn  bedeckende  Luft  (Sumpfmiasmep) ; 
endlich  7)  auf  die  Ursachen,  die  aus  den  Verhältnissen  der  menschlichen 
Gesellschaft  selbst  hervorgehen,  als  die  besondere  Stimmung  der  Gemüther, 


474  CONSTITUTIO  \ 

Noth  aller  Art,  Krieg  u.  s.  vr.  —  Die  allgemeine  Constitution  zerfallt  in 
die  epidemische  und  endemische.  Erstere  ist  nicht,  wie  letztere,  an 
eine  bestimmte  Gegend  gebunden,  sondern  sie  entwickelt  sich,  regelmässig 
oder  ohne  Ordnung  wiederkehrend,  durch  einen  Verein  kosmischer  und 
menschlicher  Verhältnisse,  welcher  zu  gewissen  Krankheiten  disponirt,  oder 
sie  auch  selbst  unmittelbar  hervorruft.  Die  durch  solche  allgemein  verbrei- 
tete Ursachen  erregten  Krankheiten,  z.  B.  Gallenfieber  durch  hohe  Hitz- 
grade, heisse  Sommer,  Entzündungen  durch  Kälte  bei  herrschenden  Ost- 
winden und  trocknem  Himmel  etc.,  werden  dann  leicht  epidemisch.  Die  epi- 
demische Constitution  wird  wiederum  in  die  stehende  (^Const.  epidemica 
stationaria)  und  in  die  jährliche  (^Const.  ejndemica  nnnun)  eingetheilt. 
,,Die  allgemeinen  Einflüsse,  —  sagt  HecJcer  —  welche  die  stehende  epide- 
mische Constitution  bewirken,  sind  einen  längern  Zeitabschnitt  hindurch  die 
herrschenden,  und  weniger  an  sich  selbst,  als  an  ihrer  Wirkung,  dem 
Charakter  der  herrschenden  Krankheiten  erkennbar.  So  neigen  eine  längere 
Zeit  hindurch,  10,  15,  20  Jahre,  die  Krankheiten  zum  entzündlichen,  in 
einer  andern  zum  fauligen ,  zum  gastrischen ,  zum  nervösen  Charakter.  Man 
hat  so  eine  Constitutio  stationaria  inflnmmatoria ,  gastrica,  nervosa  etc.,  über 
deren  Wiederkehr  oder  etwanige  Periodicität  man  jedoch  noch  weit  entfernt 
ist,  etwas  Bestimmtes  erfahrungsgemäss  festsetzen  zu  können;  man  spricht 
auch  in  dieser  Beziehung  von  einem  Morhus  stationarius.  —  Die  jährliche 
Constitution  hängt  von  dem  Charakter  der  Jahreszeit  ab ,  und  ist  leichter 
erkennbar,  indem  die  Wirkung  der  mit  dieser  verbundenen  allgemeinen  Ein- 
flüsse, wie  der  Kälte,  der  Hitze,  der  Trockenheit ,  der  Feuchtigkeit,  schon 
genauer  erforscht  ist.  Die  Krankheiten,  die  von  ihr  abhängen,  nennt  man 
jährliche  epidemische  Krankheiten  (Morüi  epidemici  annui') ,  wie  z.  B.  die 
gastrischen  Fieber  im  Sommer,  die  Entzündungen  im  Winter,  Katarrhe  und 
Rheumatismen  im  Frühjahr  und  Herbst  epidemisch  vorzukommen  pflegen. 
Eine  epidemische  Krankheit  ist  keinesweges  an  und  für  sich  ansteckend ; 
Ansteckung  und  epidemische  Verbreitung  sind  zwei  ganz  von  einander  ver- 
schiedene Begriffe.  Manche  epidemische  Krankheiten  sind  ansteckend  (Aforft» 
contagiosi) ,  wie  z.  B.  der  Typhus ,  die  epidemische  Augenentzündung ,  die 
asiatische  Cholera,  die  Pocken,  —  andere  wieder  nicht,  wie  z.B.  die  Lun- 
genentzündungen ,  die  Kriebelkrankheit ,  das  Wechselfieber ,  ohne  dieser 
Verschiedenheit  wegen  weniger  epidemisch  zu  seyn,  und  manche  ansteckende 
Krankheiten  haben  mit  epidemischen  Einflüssen  gar  nichts  zu  thun,  wie 
z.  B.  die  Syphilis  und  die  Krätze.  (Ganz  ohne  Einfluss  ist  hier  aber  doch 
wol  die  Atmosphäre  und  das  Klima  nicht.  Man  denke  nur  an  die  Verschlim- 
merung der  allgemeinen  Syphilis  zur  Winterszeit,  bei  nasskaltem  Frühlings- 
vind  Herbstwetter,  an  ihr  epidemisches  Vorkommen  und  solchen  Ursprung 
im  15.  imd  16.  Jahrhunderte,  an  die  früher  vorzugsweise  exanthemische 
Natur  des  Übels  etc.  Most^.  —  Doch  entwickeln  zuweilen  Epidemien  An- 
steckungsstoffe (^Epidemia  contagiosa^  und  greifen  durch  diese  weiter  um 
sich,  wie  ein  anfänglich  nicht  ansteckender  Typhus  nach  und  nach  an- 
steckend werden  kann,  und  unter  gewissen  günstigen  Umständen  können 
sich  ansteckende  Krankheiten  zu  wirklichen  Epidemien  heranbilden,  z.B.  die 
Pocken,  die  orientalische  Pest  etc."  —  i,Die  endemische  Constitu- 
tion ist  der  Inbegriff  der  Krankheit  erregenden  Schädlichkelten  an  einem 
bestimmten  Orte  oder  in  einer  bestimmten  Gegend.  Die  Krankheiten ,  welche 
sie  hervorbringt,  nennt  man  endemische  (^Morhi  cndemici).  Eine  der  häu- 
figsten endemischen  Ursachen  ist  die  Sumpfiuft,  die  in  vielen  Gegenden 
die  Wechselfieber,  die  Wassersuchten  und  die  Schleimflüsse  endemisch  macht. 
Mit  der  Ansteckung  verhält  es  sich  hier  ähnlich,  wie  bei  den  epidemischen 
Krankheiten,  d.h.  es  kann  eine  ursprünglich  rein  endemische  Krankheit  sich 
durch  Heftigkeit  und  tieferes  Ergreifen  der  reproductiven  Sphäre  zur  Con- 
tagiosität  erheben,  und  eine  ursprünglich  sporadische  ansteckende  Krankheit 
endemisch  werden,  wie  z.  B.  die  meisten  Syphlloide  in  sumpfigen  Gegen- 
genden."  (Vergl.  Hipfwlrates,  De  aerc,  aquis  et  locis.  Opp.  omn.  Edit. 
l/indeH.  T.  l.   —  Jo.  Uüxham,   Observ.    de  aere   et  morbis  cpidem.    Lond. 


CONSUMPTIQ  ~  CONTAGIUM  475 

175S,  T.  n.  — ■  Th.  Sijdeiiham,  Opera  univ.  medica.  Ed.  Kühn.  LIps.  1827.  — 
Ph,  Fr.  Hopfengivrtner ,  Beiträge  zur  allgem.  u.  besondern  Theorie  d.  epid. 
Krankheiten.  Frankf.  u.  Leipz.  1795.  —  Fr.  Schraud,  De  eo,  quod  in  mor- 
bii»  epidemicum  est.  Pesth,  1802. —  Fr.  Schnurrer,  Materialien  zu  einer  alK 
gem.  Naturlehre  d.  Epidemien  und  Contagien.  Tübingen,  1810.  • —  Clark, 
Einfluss  des  Klimas  auf  chronische  Krankheiten.  A.  d.  Engl.  Leipz.  1830.  — 
Ficker,  De  temperamentis  hominum.  Götting.  1791.  —  Finke,  Versuch  einer 
allgem.  med.  prakt.  Geographie.   Leip.   1792 — 95.    3  Bände). 

Consumptio,  Auszehrung,  Schwindsucht,  s.  Phthisis. 

Cnnsumplio  ossinm,  s.  Contabescentia. 

ContabescentiA«  Dörrsucht,  s.  Atrophia  und  Tabes. 

Contabescentia  ossium.  Ein  Schwinden  der  Knochensubstanz ,  bedeu- 
tende Verminderung  und  Verdünnung  ihrer  Masse  ohne  primäre  krankhafte 
Veränderung  in  der  Vitalität  des  Knochens  folgt  häufig  auf  anhaltenden, 
lange  Zeit  fortdauernden  mechanischen  Druck  auf  den  Knochen ,  z.  B.  durch 
Aneurysmen,  welche  unmittelbar  an  der  Knochenoberfläche  liegen,  durch 
grosse  Blutextravasate  im  Zellgewebe,  durch  Fleischgewächse,  indem  wahr- 
scheinlich ein  Theil  des  Periosteums  durch  gehinderte  oder  mangelnde  Er- 
nährung abstirbt.  Nicht  selten  folgt  dann  Caries ;  daher  man  die  Ursache 
dieses  Knochenleidens  zur  rechten  Zeit  entfernen,  äussere  Pulsadergeschwülste 
unterbinden,  grosse  Blutextravasate  durch  Incision,  Geschwülste  durch  Ex- 
cision  entfernen  muss. 

Conta^iiun,  ein  thierisches  Gift,  ein  Ansteckungsstoff, 
der  den  coutagiösen  Krankheiten  zum  Grunde  liegt,  sich  im  kranken  Orga- 
nismus entwickelt  und  durch  mittelbare  oder  unmittelbare  Berührung  (daher 
der  Name  von  dem  lateinischen  Worte  contäyo)  auf  gesunde,  dafür  empfäng- 
liche Organismen  übergetragen  wird,  und  so  durch  Ansteckung  die  ähnliche 
Krankheit  erregt.  Hierdurch  unterscheidet  sich  Contagium  von  Miasma- 
Letzteres  beruhet  auf  einer  schädlichen  Luftbeschaffenheit,  welche  zu  glei- 
cher Zeit  viele  Menschen  einer  und  derselben  Gegend  krank  zu  machen  im 
Stande  ist,  ohne  dass  ein  thierischer,  von  einem  Körper  zum  andern  über- 
tragener Ansteckungsstojff  dabei  nachgewiesen  werden  könnte.  Beide  ^  so- 
wol  Miasmen,  als  Contagien,  erregen  epidemische  Krankheiten,  wenigstens 
ist  dies  bei  allen  flüchtigen  Contagien  der  Fall  (s.  Epidemia  und  Con- 
stitutio  morborum).  Der  Pest,  den  Menschenpocken,  den  Masern,  der 
Febris  petechialis  purpurata ,  dem  Faulfieber ,  dem  Typhus  - ,  Kerker  -  und 
Hospitalfieber,  dem  Hospitalbrande  liegt  ganz  bestimmt  ein  Contagium  zum 
Grunde ;  dagegen  ist  es  noch  zweifelhaft ,  ob  das  gelbe  Fieber ,  die  Cholera 
morbus,  die  Ruhr,  das  Scharlachfieber,  die  Röthein,  Frieseln,  die  epide- 
mische Influenza  contagiöse  oder  miasmatische  Krankheiten  sind.  Es  ist 
mehr  als  wahrscheinlich,  dass  alle  diese  Übel  in  der  Regel  miasmatisch  auf- 
treten und  nur  durch  schädliche  Nebeneinflüsse  contagiös  zu  werden  im 
Stande  sind.  Die  Lehre  von  den  Contagien  hat  in  neuern  Zeiten  viel  Licht 
erhalten.  Man  unterscheidet  fixe  und  flüchtige  Contagien.  Allen  con- 
tagiös-epidemischen  Krankheiten:  Pest,  Blattern,  Fleckfieber  etc.,  liegen 
flüchtige  Contagien  zum  Grunde.  Unter  die  fixen  Contagien  zählen  wir  da- 
gegen das  Krebsgift,  das  die  Hydrophobie  erregende  Wuthgift,  das  vene- 
rische Gift,  das  Gift  der  Krätze,  der  Lepra,  des  Milzbrandes  (s.  Anthrax), 
vielleicht  auch  das  der  wahren  (tuberculösen)  Schwindsucht  zum  Grunde 
liegende  Gift.  In  medicinisch  -  policeilicher  Hinsicht  erfordert  es  das  Wohl 
aller  Staaten,  dass  bei  wahrhaft  contagiösen  Krankheiten  die  Gesunden  von 
den  Kranken  streng  getrennt  werden,  damit  die  Krankheit  sich  nicht  weiter 
verbreitet.  Dies  ist  bei  den  flüchtigen  Contagien  doppelt  nothwendig.  Die 
seit  einem  Jahrhundert  so  streng  beobachteten  Quarantainen  in  Betreff  der 
Pest  (und  auch  des  gelben  Fiebers)  sind  eine  unendliche  Wohlthat  für  Eu- 
ropa gewesen.  Wer  weiss  aber  nicht,  wie  bedeutend  nachtheilig  solche 
Anstalten  auf  alle  Triebfedern  der  menschlichen  Gesellschaft,  auf  Handel, 
Schifffahrt  etc.  einwirken!    Doshalb  ist  ea  die  erste  Pflicht  der  Ärzte,  bei 


476  COJNTAGIUM 

epidemischen  Kranklieiten  genau  zu  untersuchen,  ob  sie  contagios  sind  oder 
nicht,  und  ob  Sperrungen  durchaus  angeordnet  werden  müssen,  oder  ob  sie 
überflüssig  sind.  Man  hat  die  Contagien  in  Contagiuin  mortuum  und  vivum, 
in  ein  Contagiuin  verum  et  spurium,  in  Cont.  in  distans  und  Cont.  per  con- 
tactum  etc.  eingetheilt,  je  nachdem  der  Ansteckungsstoif  vom  kranken  Kör- 
per aus  mittelbar  durch  die  Atmosphäre  des  Kranken ,  oder  durch  Stoffe, 
welche  davon  imprägnirt  sind:  Wolle,  Seide,  thierische  Felle,  Baumwolle 
etc.,  oder  durch  Insecten,  z.  B.  beim  Milzbrande,  durch  unmittelbare  Be- 
rührung etc,  weitere  Ansteckung  zu  Wege  bringt.  Diese  Eintheilung  be- 
ruhet indessen  auf  Zufälligkeiten;  denn  es  giebt  wesentlich  nur  ein  Conta- 
gium,  und  nur  die  Eintheilung  in  ein  fixes  und  flüchtiges  Contagium  ist  die 
der  Natur  am  meisten  entsprechende.  Das  Wesen  der  Contagien  ist  uns  un- 
bekannt; wir  kennen  sie  nur  aus  ihren  Wirkungen,  aus  den  Krankheiten, 
die  sie  hervorrufen  und  die  bekanntlich  höchst  verschieden  sind.  Der  Sauer- 
stoff zerstört,  der  Stickstoff  befördert  die  Contagien.  Daher  erklärt  sich 
der  grosse  Nutzen  der  reinen  atmosphärischen  Luft  und  der  Übersalzsauren 
Räucherungen  bei  allen  contagiösen  Übeln.  —  Bei  der  Ansteckung  durch  con- 
tagiöse  Schädlichkeiten  gehen  ohne  Zweifel  materielle  Ausflüsse  von  dem 
kranken  auf  den  gesunden  Körper  über ,  doch  haben  die  bisherigen  physi- 
kalisch -  chemischen  Untersuchungen  noch  wenig  Ausbeute  gegeben ,  ja ,  es 
ist  uns  noch  nicht  einmal  gelungen,  irgend  ein  Contagium  rem  darzustellen, 
d.  h.  von  seinen  Vehikeln ,  dem  Schleim ,  Eiter ,  der  Lymphe  etc. ,  mit  de- 
nen sie  so  innig  verbunden  sind,  zu  befreien.  Mit  Recht  werden  die  An- 
steckungsstoffe als  belebte  Körper,  als  belebte  Einflüsse  eigenthümliclicr 
Formen  des  abnormen  Lebens,  d.  h.  der  Krankheiten,  die  sie  entwickeln, 
betrachtet,  mit  dem  Samen  thierischer  und  vegetabilischer  Organismen  ver- 
glichen und  der  Act  der  Ansteckung  als  eine  Art  Generatio  aequivoca  an- 
gesehen ;  dadurch  gewinnen  wir  eine  lebendige  Ansicht  dieses  noch  dunklen 
Vorganges.  Wir  würden  indessen  in  letztern  wol  schon  längst  mehr  Licht 
gebracht  haben ,  hätten  wir  nicht  einseitig  nur  das  Chemische  bei  der  An- 
steckung vor  Augen  gehabt  und  den  dynamischen  Process  dabei  zu  unter- 
suchen vernachlässigt.  Sicher  werden  hier  die  neuerdings  näher  erforschten 
elektro  -  magnetischen  Verhältnisse ,  angewandt  auf  den  Act  und  das  Zustan- 
dekommen der  Ansteckung,  von  Wichtigkeit  seyn ,  sowie  wir  denn  ja  auch 
schon  Contagien  und  selbst  Arzneistoffe  durch  Elektricität  von  einem  Kör- 
per auf  den  andern,  gesunden,  übertragen  haben  (s.  Gal vanismus).  — 
„Immer  und  überall  —  sagt  Hecler  —  sind  die  Contagien  nur  als  Gele- 
genheitsursachen zu  betrachten,  die,  um  ihre  vollständige  Wirkung,  d.  h. 
diejenigen  Krankheiten  hervorzubringen,  durch  welche  sie  sich  selbst  wieder 
reproduciren ,  unerlässlich  der  Prädisposiiion  bedürfen.  Fehlt  diese,  dann 
werden  sie  entweder  gar  nicht  aufgenommen,  oder,  sind  sie  in  den  Körper 
übergegangen,  so  werden  sie  ohne  eine  merkliche  oder  erhebliche  AVirkung 
assimilirt  und  wieder  ausgeschieden ,  oder  sie  bringen  nicht  die  vollständige 
Krankheit,  sondern  nur  eine  unvollkommene  Form  derselben  hervor,  die 
nicht  im  Stande  ist,  sie  wieder  zu  entwickeln,  oder  ein  unvollkommenes 
Pioduct  liefert,  das,  auf  andere  Körper  übergetragen,  noch  unvollkommene 
Krankheitsformen  hervorbringt.  Diese  Prädisposition  ist  entweder  eine  indi- 
viduelle, aus  äussern  Merkmalen  vor  der  Ansteckung  nicht  erkennbar,  die 
nur  aus  der  nicht  erfolgten  Wirkung  des  Ansteckungsstoffes  zu  ersehen  ist, 
oder  sie  ist  eine  allgemeine.  Wie  sehr  es  auf  jene  ankommt,  beweisen  die 
vielen  Fälle  von  Nichtansteckung  durch  die  Pest ,  die  Pocken ,  die  Syphilis 
und  die  übrigen  intensiv  ansteckenden  Krankheiten,  wenn  Individuen  der 
Aufnahme  der  Contagien  dieser  Krankheiten  sich  absichtlich  oder  zufällig 
ausgesetzt  haben ;  das  öftere  Nichthaften  der  Vaccine  nach  tadelloser  Im- 
pfung ist  ein  eben  so  redender  Beweis  der  zuweilen  nicht  vorhandenen  Em- 
pfänglichkeit für  Ansteckung.  Die  allgemeine  Prädisposition  zur  Ansteckung 
von  dieser  oder  jener  Krankheit  hängt  von  dem  Einflüsse  der  atmosphäri- 
schen Constitution  ab,  welche  die  menschlichen  Organismen  für  die  Einwir- 
kung der  Contagien  äo  oder   so  vorbereitete.     So  sehen  wir  ansteckende 


CONTAGIUM  477 

Krankheiten,  wie  z.  B.  die  Pocken  und  die  orientaligche  Pest,'  iie  sich  bis 
dahin  nur  sporadisch  fortpflanzten,  sich  epidemisch  verbreiten,  sobald  die 
epidemische  Constitution  ihnen  günstig  geworden  ist,  und  sogleich  wieder 
verschwinden  oder  zur  sporadischen  Verbreitungsart  zurückkehren,  sobald 
diese  Begünstigung  aufgehört  hat.  Die  endemische  Constitution  kann  eben- 
falls eine  Geneigtheit  zur  Aufnahme  von  Contagien  bewirken."  —  Bei  eini-' 
gen  Contagien  ist  der  ganze  Körper  fähig,  sie  aufzunehmen,  bei  andern 
vermag  dies  nur  die  äussere  Haut  und  die  Schleimhaut,  wobei  dann  wieder 
grosse  Verschiedenheiten  stattfinden,  so  z.  B.  sind  es  bei  Cholera  orientalis 
und  Typhus  vorzüglich  nur  die  Schleimhäute  der  Respirationsorgane,  durch 
welche  die  Ansteckung  vermittelt  wird ,  sobald  nämlich  das  in  der  nächsten 
Atmosphäre  um  den  Kranken  sich  befindende  Contagium  von  Gesunden ,  die 
hinreichende  Empfänglichkeit  besitzen ,  eingeathmet  wird ;  beim  syphiliti- 
schen Contagium  sind  es  vorzüglich  die  Schleimhäute  der  Genitalien,  ob- 
gleich auch  verwundete  Stellen  der  äussern  Haut,  wie  bei  der  Hydrophobie, 
das  Gift  durch  Einsaugung  auftiehmen,  indem  die  Resorptionskraft  dei*  ve- 
nösen und  lymphatischen  Gefässe  hier  mit  ins  Spiel  kommt.  Ist  nun  der 
Ansteckungsstoff  irgendwo  aufgenommen ,  so  erregt  er  in  dem  zunächst  af- 
ficirten  Theile,  avo  er  entweder  sogleich  seine  Thätigkeit  äussert  oder  eine 
längere  oder  kürzere  Zeit  ruhen ,  d.  h.  latent  bleiben  kann ,  einen  eigen- 
thümlichen  Process ,  der  sich  bei  mehreren,  z.  B,  bei  örtlichen  syphilitischen 
Ki'ankheitsformen ,  schon  hier  durch  eine  Wiedererzeugung  äussert.  Dieser 
Process  pflanzt  sich  nach  den  Gesetzen  der  Verwandtschaft  und  Sympathie 
der  Theile  von  Theil  zu  Theil  fort,  der  Herd  der  Wiederbereitung  des 
Ansteckungsstoffs  wird  erweitert,  es  entsteht  eine  allgemeine  contagiöse 
Krankheit,  und  alle  zur  Reproduction  des  Contagiums  nicht  disponirten 
Th«ile  werden  wenigstens  secundär  auf  verschiedene  Weise  mit  ergriffen ,  bis 
die  Krankheit  durch  die  allgemeinen  und  eigenthümlichen  Krisen  wieder  be- 
seitigt wird.  Dieser  Process  beruhet  auf  krankhafter  Vegetation ,  auf  eigen- 
thümlichen krankhaften  Metamorphosen,  wie  bei  Schmarozerpflanzen ,  in- 
dem dem  Leben  des  Organismus  ein  heterogenes,  der  Fortpflanzung  fähiges 
Leben  als  etwas  Fremdartiges  aufgedrückt  wird.  Naumann  (s.  unten  die 
Literatur)  ist  zwar  der  Meinung,  dass  das  Contagium  nichts  wirklich  Be- 
lebtes sey,  doch  hat  er  diese  Ansicht  keinesweges  durch  Widerlegung  der 
Gründe  für  die  entgegengesetzte  Meinung  unterstützt.  Er  setzt  den  Bil- 
dungsherd aller  Contagien  der  acut  verlaufenden  Krankheiten  ins  Blut,  wo- 
bei der  Nerveneinfluss  aufs  Blut  nicht  zu  übersehen  sey.  Er  statuirt  drei 
Classen  von  acuten  Contagien:  1)  solche,  die  einer  vorbereitenden  Incuba- 
tionsperiode ,  um  zur  Reife  zu  gelangen,  gar  nicht  bedürfen,  z.  B.  die  Bu- 
bonenpest;  2)  solche,  wo  dies  erforderlich  ist;  3)  solche,  die  im  Mutter- 
körper gar  keiner  Incubation  fähig  sind,  sondern  diese  nur  ausserhalb  des 
erzeugenden  Organismus  unter  dem  Zusammentreffen  günstiger  Umstände 
erfahren.  Die  permanenten  Ansteckungsstoffe  {Contagia  permaneniia ,  primo- 
genita,  commnnicntiva')  sind  fähig,  sich  eine  längere  Zeit  hindurch  seibststän- 
dig  und  unermüdet  zu  erhalten.  Dahin  gehören  die  orientalische  Pest,  die 
Pocken,  die  Masern,  die  Syphilis,  die  Krätze  u.  a.  m. ,  dagegen  sind  die 
temporären  Ansteckungsstoffe  (^Contagia  temporaria,  accidentia,  spontanen') 
solche,  welche  unter  ihnen  ungünstigen  Verhältnissen  wieder  auf  kürzere 
oder  längere  Zeit  verschwinden,  wohin  die  Contagien  des  idiopathischen 
Frieseis,  des  Typhus,  der  Cholera  orientalis,  der  Febris  flava,  des  Hospi- 
talbrandes u.  a.  gehören.  Der  Unterschied  in  permanente  und  temporäre 
Contagien  ist  zwar  kein  wesentlicher,  indem  wahrscheinlich  auch  die  erstem 
bei  ihrem  ersten  Ursprünge  temporäre  waren,  dennoch  ist  er  in  medicinisch- 
policeilicher  Hinsicht  sehr  wichtig,  indem  erstere  oft  allgemeine  Massregeln 
erfordern,  um  Länder  vor  ihnen  zn  schützen,  z.  B.  Cordons  gegen  die  Pest 
etc.  Eben  so  wichtig  ist  der  Unterschied  zwischen  flüchtigen  An- 
steckungsstoffen (Contagia  volatilia,  Contagia  ad  dislans)  und  fixen  (Con~ 
tagia  fixa ,  C.  per  foniitern) ,  je  nachdem  sie  sich  der  umgebenden  Atmosphäre 
mittheilen  und  sich  verflüchtigen,  oder  dieses  nicht  thun,  und  um  zu  haf- 


478  CONTAGIOT 

ien,  blos  den  Aufenthalt  In  der  Luft  oder  die  unmittelbare  Berührung  er« 
fordern.  Viele  Contagien  sind  flüchtig  und  fix  zugleich ,  d.  h.  sie  gestatten 
eine  Übertraglingsweise,  wie  die  fixen,  und  gehen  sngleicb  in  die  Atmo- 
sphäre des  Kranken  über.  Zu  den  fixen  Contagieh  rechnet  Hecicer:  das 
«yphilitische ,  das  der  Krätze,  der  Kuhpocken,  der  Lepra  und  Elephantiasis, 
das  der  Radesyge  und  aller  übrigen  sogenannte  Syphiloide ,  der  Pellagra, 
des  Kopfgrindes ,  verschiedener  Arten  des  Herpes ,  das  des  Krebses ,  der 
Hydrophobie  und  mehrere  andere  thierische  Contagien,  z.B.  das  der  Mauke, 
des  Rotzes,  des  Milzbrandes  und  der  schwarzen  Blattern.  Zu  den  flüchti- 
gen: das  des  Typhus,  des  gelben  Fiebers,  des  Keuchhustens,  des  Hospi- 
talbrandes u.  a.  m.  Flüchtig  und  fix  zugleich  sind,  nach  ihm:  die  Conta- 
gien der  Pocken,  der  Varicellen,  der  Masern,  vielleicht  auch  zuweilen  die 
des  Scharlachs,  der  Bräune,  des  Katarrhs,  der  Schwindsucht,  der  epide- 
misch -  contagiösen  Augenentzündung  und  der  Cholera,  auch  die  des  Typhus, 
des  gelben  Fiebers,  der  orientalischen  Pest  und  der  Ruhr.  —  „Einige  Con- 
tagien entwickeln  sich  —  sagt  Hecker  —  und  haften  unter  allen  Bedingun- 
gen, bei  hoher  und  bei  niederer  Temperatur,  in  reiner  oder  in  unreiner 
Luft ,  wie  z.  B.  das  der  Syphilis ,  .  der  Krätze ,  der  Pocken ,  der  Vaccine ; 
andere  gedeihen  nur  in  einer  unreinen  Atmosphäre  und  nur  bei  einer  gewis- 
sen Temperatur,  wie  z.  B.  das  des  gelben  Fiebers,  der  Pest,  des  Typhus 
und  der  Ruhr.  In  dieser  Beziehung  könnte  der  praktisch  sehr  wichtige 
Unterschied  von  positiven  und  relativen  Contagien  aufgestellt  wer- 
den, indem  es  bei  den  letztern  mehr  darauf  ankommt,  gegen  die  sie  begün- 
stigenden Bedingungen,  wo  dies  in  unserer  Macht  steht,  als  gegen  sie  selbst 
Massregeln  zu  ergreifen.  Hier  tritt  die  Lehre  von  der  Ansteckung  mit  der 
vom  Miasma  in  die  genaueste  Verbindung ,  und  es  liegt  der  letztern  ob,  die 
aeuern  Erfahrungen  und  wahrscheinlichen  Hypothesen  über  die  miasmatisch- 
contagiöse  Verbreitungs weise  der  Krankheiten  zu  erörtern."  Die  medicini- 
ßche  Policei  muss  dafür  sorgen ,  dass  die  Verbreitungsweise  der  Contagien 
durch  Isolirung,  durch  Absperrung  der  Kranken  von  den  Gesunden,  der 
inticirten  Länder  und  Orte  von  den  gesunden,  gehemmt  werde,  und  zwar 
um  so  mehr ,  da  mehrere  Contagien ,  als  die  des  Typhus ,  der  Febris  flava, 
Cholera  Orientalis,  der  morgenländischen  Pest,  gesunden  Menschen  eine 
Zeit  lang  anhaften  und  von  diesen  verschleppt  werden  können ,  ohne  dass 
sie  Selbst  erkranken,  oder  so,  dass  sie  erst  später  ergriffen  werden,  woraus 
die  Nothwendigkeit  von  Quarantaineanstalten  und  Grenzsperrung  hervorgeht. 
Eben  so  wchtig  ist  es,  für  die  Zerstörung  der  Contagien  in  giftfangenden 
Gegenständen  und  in  inficirten  Häusern  und  Schiffen  zu  sorgen,  in  welcher 
Hinsicht  Lüftung,  Reinigung  mit  Wasser,  Durchräucherung  mit  Chlor  und 
Salpetersäure,  in  Anwendung  zu  bringen  sind.  Laut  der  Erfahrung  können 
einige  Contagien,  die  an  Kleidern  und  Waaren  bei  mangelndem  Luftzutritte 
haften,  lange  wirksam  bleiben  und  so  nach  Jahren  noch  neue  Ansteckung 
verbreiten.  So  soll  das  Contagium  der  Pocken  und  der  Pest  unter  günsti- 
gen Umständen  dreissig  Jahre  lang,  das  der  Kuhpocken  und  des  Typhus 
drei  Jahre  lang  Wirksamkeit  behalten  (Marx)',  doch  fehlt  es  hier  an  g«-' 
nauen^  zuverlässigen  Beobachtungen,  die,  wenn  sie,  wie  Hecker  sagt,  von 
jeder  ansteckenden  Krankheit  vorhanden  wären ,  den  dunklen  Ursprung  man- 
cher Epidemie,  zumal  der  Pocken,  der  Masern  und  des  Scharlachs,  den' 
man  auf  nicht  befriedigende  Weise  aus  atmosphärischer  Constitution  abzu- 
leiten geneigt  ist , .  erklären  könnten.  Eine  wahre  Ausgeburt  des  homöopa- 
thischen Unsinns,  die  zur  Dreckapotheke  der  Alten  führt,  ist  die  neuerlich 
von  L«.r  (s.  dess.  Isopathik  der  Contagionen;  Leipz.  1833)  aufgestellte  An- 
sicht ,  dass  jedes  Contagium ,  jede  ansteckende  Krankheit  in  ihrem  eigenen' 
Ansteckungsstoffe  das  Mittel  zu  ihrer  Heilung  finde.  So  soll  man  Men- 
schenpocken mit  homöopathisch  potenzirtem  Pockengift ,  Psora  mit  Krätzstoff, 
Syphilis  mit  venerischem  Gifte  etc.  heilen  können  (vergl.  auch  Allg.  mcdic. 
Zeitung,  1833,  Nr.  61,  S.  971).  —  Der  Dr.  philos.  Ltix  ist  praktischer 
Thierarzt  in  Leipzig.  Er  versichert,  dass  er  seit  10  Jahren  alle  ihm  an- 
vertrauten Thiere  homöopathisch  mit  Erfolg  behandelt  habe,   dennoch  ging 


CONTORSIO  UTEftI  —  CONTRACTUBA  ARTÜÜM    479 

er  zur  sogenanntea  Isopathik  fiber.  Der  Professor  Hertwig  bei  der  kSnIgl. 
^hierarzneischule  in  Berlin  stellte  dagegen  eine  Reihe  von  Versuchen  über 
diesen  Gegenstand  an ,  und  das  Resultat  war:  dass  das  unbefangen 
und  consequent  verfolgte  Experiment  von  allen  Verheissun- 
gen  auch  gar  nichts  als  die  gänzliche  Nichtigkeit  aller  An- 
preisungen des  Dr.  Lux  bestätigt  hat  (vergl.  Medio.  Zeituug 
des  Vereins  für  Heilkunde  in  Preussen,  1334,  Nr.  14).  Die  besten  hies-f 
her  gehörenden  Schriften  und  Abhandlungen  sind:  C.  F.  H.  Marx,  Origines 
contagii.  Caroliruhae  etBadae,  1824.  —  Dav.  Hosnck^  Observat.  on  the  lavfs 
vhich  govern  the  communication  of  contagious  diseases  etc. ,  in  dessen  Essays 
on  various  subjects  of  medical  science.  Vol.  I.  New- York,  1824.  —  Banff., 
De  dilTerentiis  et  effectibus  contagiorum  commentatio,  in  Soc.  Havn.  Collei^ 
Yol.  I.  —  Unzer,  Einleit.  zur  allgem.  Pathologie  d.  ansteckend.  Krankhei- 
ten. Leipz.  1782.  —  Metzler,  Über  die  ansteckenden  Krankheiten.  Ulm, 
1787.  -  •  Rcil ,  Pathologia  morbor.  contagiosor.  generalis.  Halae,  1789,  — 
J  Aldcrson,  An  essay  on  the  nature  and  origia  of  the  contagion  of  fever». 
HuU,  1788.  —  M.  G.  Jouard,  Essai  sur  une  nouvelle  thöorie  de  la  con-r 
t^gion.  Paris,  1805.  —  K.  H.  Dzondi,  Über  Contagien,  Miasmen  u.  Gifte» 
Leipz.  1822.  —  M.  E.  A.  Naumann,  Grundzüge  der  Contagienliehre.  Bonn, 
1833.  —  Steinheim,  in  der  AUgem.  medic.  Zeitung.  Altenb.  1831,  Nr.  9. 

Contorsio  uteri,  s.  Hysteroloxia, 

Contractio,  s.  Angusitatio. 

Contractura  artuum,  Contractur,  Krümmung  der  Ge- 
lenke. Hier  sind  die  Bänder,  Sehnen  und  Muskeln  eines  Gliedes  in  ein« 
abnorme ,  lang  anhaltende  Verkürzung  gerathen ,  wodurch  Steifigkeit  und 
Unbeweglichkeit  des,  Gliedes  entsteht.  Gewöhnlich  ist  das  Übel  mit 
Ankylosis  zugleich  da,  Die  Contracturen  sind  entweder  angeboren  oder 
später  entstanden.  Zu  letztern  geben  Disposition :  robuster  Körper, 
starke  straffe  Faser,  Trockenheit  derselben,  wie  im  höhern  Alter,  Auf-^ 
enthalt  in  trockner  und  reiner ,  warmer  Luft ,  Gewöhnung  an  rei- 
zende und  trockne  Nahrungsmittel  bei  thätiger  Lebensweise ,  zu  spar- 
samer Genuss  des  Wassers,  starke  körperliche  Bewegungen,  schwere  Arbei- 
ten. Gelegenheitsursachei>  sind:  verschiedene  Krankheitsreize,  welche  eine 
vermehrte  Rigidität  der  Faser  herbeiführen,  wie:  Entzündung,  Rheuma, 
Gicht ,  Ischias ,  Varbrennungen  und  Erfrierungen  ,  Milchmetastasen ,  unter- 
drückte Lochien ,  zurückgetriebene  Krätze  und  Schweisse ,  abgeschnittener 
Weichselzjopf,  selbst  heftige  Gemüthsaffecte,  besonders  Zank  und  Schreck;  — 
Metallvergiftungen,  zumal  durch  Arsenik,  Blei  und  Quecksilber,  daher  diese 
Übel  bei  Bergleuten,  Hüttenarbeitern,  Vergoldern,  Malern,  Töpfern  öftere 
erscheinen;  ferner:  Missbrauch  stark  adstringirender,  austrocknender  Kah- 
rungsraittel  und  Arzneien,  als  der  Säuren,  des  Branntweins,  der  kalten  Bä- 

dei;,    des  Goulard'scben  Wassers   auf  grosse  Wundflächen  etc.-  .  endlich 

mechanische  fiinflüsse;  starker  Druck,  Dehnung  eines  Theils  durch  Klei- 
dungsstücke ,  anhaltendes  Verweilen  des  Gliedes  in  derselben  Lage  durch 
Gewöhnung,  wie  auf  solch,e  Weise  schändliche  Bettler,  zumal  in  London 
und  Paris,  junge  gesunde  Kinder  contract  machen,  oder  in  Folge  von  Kno- 
ohenbrüchen,  Verrenkungen,  Verwundungen,.  Lähmungen.  —  Die  allgemei- 
nen Zeichen  einer  Contractur  sind:  allmäHg  entstandene  Steifheit  und 
Schwerbewegljchkeit  mit  Verkürzung ,  vermehrter  Spannung  und  Härte,  ohne 
Schmerzhaftigkeit  der  afficiyteu  Muskeln  und  Sehnen  oder  Häute;  die  mit 
ihnen  verbundenen  beweglichen  Gebilde  befinden  sich  gegen  die  contrahir- 
ten,  besonders  wenn  diese  Muskeln  sind,  hingezogen,  und  jeder  Versuch, 
durch  äussere  Gewalt  diese  Lage  in  die  entgegengesetzte  zuverändeni,  ver- 
anlasst einen  heftigen  Sc;hmer3!  längs  der  contrahirten  Theile.  Durch  die 
langsame  Entstehung,  allmälige  Zunahme  und  Schmerzlosigkeit  unterscheidet 
sich  die  Contractur  eines  Theils  vom  Spasmus  tonicus ;  sind  bei  ihr  schon 
Structurveränderungen  eingetreten,  sind  Haut  und  Zellgewebe  krankhaft 
verändert,   so  ist  auch  Missfarbigkeit ,    Schwinden  de»  Theils,   mangelnde 


480  CONTRACTÜRA 

Ernährung  etc.  bemerkbar.  Cur.  Häufige  Contracturen  sind  meist  leicht, 
muskulöse  und  tendinöse  schwieriger  und  die  der  Röhrenorgane  am  schwer- 
ßten  zu  heilen,  Indicationen  sind  1)  Entfernung  der  Ursachen,  da- 
her bei  zu  straffer  Constitution  relaxirende  Mittel:  erschlaffende,  reizlose, 
wässerige  Nahrung,  warme  Dampf-  imd  Wasserbäder,  viel  Ruhe,  Unthä- 
tigkeit,  langer  Schlaf,  • —  richtige  Behandlung  der  vorhandenen  Krankheiten 
durch  Antiphlogistica ,  Antirheumatica ,  Antarthritica  etc.,  wo  topisch  ad- 
stringirende  Mittel  schädlich  einwirkten,  dienen  Oleosa,  Mucilaginosa.  Bei 
Fracturen  und  nach  eingerichteten  Luxationen  vermeide  man  langes  Verwei- 
len des  Gliedes  in  ein  und  derselben  Stellung,  nehme  vorsichtig  passive  Be- 
wegungen mit  dem  Gliede  vor.  —  2)  Wir  he1)en  die  Contractur 
selbst,  indem  wir  direct  auf  die  contrahirten  Theile  Relaxantia:  örtliche 
laue  Wasser-  oder  Dampfbäder,  animalische  Bäder,  Cataplasmata  emollien- 
tia,  Empl.  saponatum,  mercuriale,  ölige  Einreibungen,  und  da,  wo  Indu- 
rationen'und  Exsudationen  obwalten,  vor  allem  Ungueut.  mercuriale,  appli- 
ciren.  Wo  alle  diese  Mittel  fruchtlos  sind ,  werden  als  letztes  Refu'giura 
mechanische  Kräfte  in  Anwendung  gebracht,  die  contrahirten  Theile  mittels 
der  Hände  und  Maschinen  allmälig  ausgedehnt  und  verlängert.  3)  Wir  be- 
seitigen die  Compli  cationen,  z.  B.  bei  der  Muskelcontractur  die  oft 
gleichzeitig  stattfindende  Lähmung  der  Antagonisten.  Nie  darf  die  Cur  zu 
schnell  beendigt  werden,  weil  die,  Cveneigtheit  zu  Recidiven  sehr  lange  zu- 
rückbleibt. 

Contractur a  femoris  Pottii,  die  Pött'sche  Lähmung,  ist  Unbrauch- 
barkeit  der  untern  Gliedmassen  in  Folge  von  Spondylarthrocace ,  daher  keine 
wahre  Lähmung,  sondern  nur  Symptom  der  Rückgratkrankheit  (s.  Arthro- 
caCe).  Das  Über  unterscheidet  sich  von  Paralysis  vera  dadurch,  dass  zwar 
der  Gebrauch  der  Glieder  gestört  ist  und  das  Gefühl  darin  zum  Theil  Ver- 
loren geht,  dass  sie  aber  nicht  schlaff  und  weich  herabhängen,  sondern  eini- 
gen Widerstand  behalten  und  eine  Art  Steifigkeit  in  den  Gelenken  zeigen ; 
dabei  sind  die  Zehen  abwärts  gerichtet,  so  dass  der  Kranke  den  Fuss  nicht 
flach  aufsetzen  kann.  Schon  in  der  ersten  Periode  der  Wirbelkrankheit 
tritt  das  Übel  als  Gefühl  von  Ermüdung  und  Kraftlosigkeit  in  den  untern 
Extremitäten,  bei  Spondylarthrocace  der  Halswirbel  auch  in  den  Armen,  auf. 

'  Contrnctura  Utjnmentorum  s.  Ugnmentosa.  Di6  Ligamente  und  aponeu- 
rOtischen  Ausbreitungen  werden  selbst  für  sich  allein  selten  von  Contractu- 
ren befallen,  doch  können  mechanische  und  chemische  Eingriffe  durch  Ent- 
zündung und  Ulceration  dasselbe  bewirken.  Am  öftersten  finden  wir  die 
Ligamente  in  Folge  von  Muskelcontracturen  verkürzt,  indem  die  durch  sie 
verbundenen  Theile  lange  Zeit  hindurch  einander  fortwährend  genähert  er- 
halten worden  sind  und  sich  so  contrahiren ,  z.  B.  bei  Ancylosis  spuria. 
Die  Cur  ist  hier  die  der  Muskelcontracturen. 

'  Contrnctura  mcmhranarum  s.  memhranosa.  Sie'  kommt  häufig  vor,  zu- 
mal nach  Verbrennungen ,  durch  jede  HautsuppUration  von  bedeutenderm  Um- 
fange mit  beträchtlicher  Narbenbildung  der  Cutis  (s.  Cicatrisati  o,  Ca-' 
put  obstipum).  Die  Contracturen  der  Schleimtnembranen  erregen  ver- 
schiedene Angustationen,  Atresien  und  Stricturen  (s.  Angustatio,  Atre- 
sia,  Strictura). 

Contractura  mtisculorum  s.  musculosn.  Sie  iist  sehr  mannigfaltig  und 
häufig  mit  Sehnencontractur  verbunden,  erfordert  die  im  Allgemeinen  ge- 
nannten Mittel  und  häufig  auch  mechanisch  wirkende  Apparate,  öfteres  Be- 
wegen der  Gliedmassen  in  der  der  Contractur  entgegengesetzten  Richtung, 
das  aber  anfangs  nur  schwach  und  allmälig  verstärkt  geschehen  muss,  weil 
sonst  leicht  Schmerz  und  Entzündung  folgt  und  das  Übel  sich  verschlim- 
mert. Die  Contractura  Abductorum  pedis  ist  das  Wesentliche  des  Valgus; 
die  der  Adductorum  pedis  erregt  Varus  (s.  diese  Art.).  Die  Contractur  des_ 
M.  biceps  brachii  ist  weit  seltener ,  als  die  der  M.  flexorum  cruris ,  die  Con- 
tractura M.  sternocleidomastoidei  erregt  Caput  obstipum,  wogegen  die  be- 
kannten topischen,  pharmaceutischen  und  mechanischen  Mittel,  Maschinen 
etc.  anzuwenden  sind. 


CONTRAFISSURA  —  CONTÜSIO  481 

Coniraclura  vasorum  s.  vascujpsc^. ,  Die  Contractur  der  Geßsswandungen 
bewirkt  Verengerung  ihres  Lnmens  und  entsteht  in  Folge  von  allen  ^itider- 
nii»sen,  die  den  Andrang  der  Säfte,  des  Blutes,  nach  dem  leidenden  Theile 
hemmen.  ~  Man  begünstigt  hier,  ganz  wie  bei  Unterbindung  des  Gefässes, 
durch  reizende  belebende  Mittel  die  Ausdehnung  der  Nebenzweige,  entfernt 
die  Ursache ,  den  Druck  etc.  (s.  RichUr's  Chirurg.  Bibl. ,  Bd.  VII.  S.  605). 

Contrafissurap »  ein  Gegenspalt,  Gegenbruch,  entsteht,  wenn 
ein  Knochen  durch  äussere  auf  ihn  einwirkende  Gewaltthätigkeit  nicht  zer- 
bricht ,  dagegen  ein  anderer  ihm  entgegengesetzter  dadurch ,  obgleich  auf 
ihn  unmittelbar  die  Gewalt  nicht  einwirkte,  einen  Riss  oder  Bruch  bekommt. 
Die  meisten  Contrafissuren  finden  an  den  Schädelknochen  statt.  Die  Be- 
handlung ist'  die  rein  chirurgische  der  Fractur,  und  wenn  der  Hirnschädel 
der  leidende  Theil  ist,  mit  Berücksichtigung  der  etwa  eintretenden  allge- 
meinen Zufalle.     S.  Commotiocerebri. 

Contraindicatio ,  die  Gegenanzeige.  Hierunter  versteht  man 
in  der  Medicin  und  Chirurgie  diejenigen  Dinge,  welche  in  einem  individuel- 
len Falle  bei  unsern  Kranken  als  Ausnahme  von  der  Regel  dasjenige  verbie- 
ten, was  wir  sonst  hinsichtlich  des  Curplans  thun  würden.  Wir  werden 
z.  B.  zu  einem  an  Pneuilionie  Leidenden  gerufen,  wo  ein  Aderlass  indicirt 
ist,  der  Kranke  hat  aber  einen  schon  früher  sehr  geschwächten  Körper;  so 
kianrt  dieser  Umstand  die  Venaesection  contraindiciren.  Zur  gehörigen  Taxi- 
rung der  verschiedenen  Indicationen  und  Contraindicationen  am  Krankenbette 
ist  von  Seiten  des  Heilkünstlers  Scharfsinn ,  Umsicht ,  echte  praktische 
Kenntniss  und  Gemüthsruhe ,  ruhige  Überlegung  nothwendig.  Oft  ist  die 
Gegenanzeige  grösser  als  die  Aivzeige,  oft  wird  ein  contraindicirtes  Mittel 
diirch  Zusatz  eines  andern  Mittels  weniger  nachtheilig  und  indicirt  (s.  auch 
Adjüvantia  und  Indicatiö)». 

Contrastimulus»  der  Contrastimulus,  die  Lehre  vom  Contrastimu- 
lus des  Rasori,  s.  Medicina. 

*  ContiDSio»  Quetschung.  Ist  eiine  Zerrung  oder  Zerreissung  klei- 
nerer Gefässe  in  und  unter  der  Haut,  entstanden  durch  Einwirkung  äusse- 
rer Gewaltthätigkeiten ,  durch  Druck,  Stoss ,  Fall,  Schlag  etc.,  die  eine 
Blutergiesäung  zur  Folge  hat ,  welche  der  Hautstelle  ein  röthliches ,  später 
schwärzliches,  bläuliches,  grünliches  Ansehn  giebt  (Ecchymoma,  Sugilla- 
tio).  Jede  Contusion  bringt  eine  Veränderung  im  Gefässsysteme  hervor. 
Im  ersten  Grade  entsteht  vermehrte  Röthe  und  Geschwulst,  im  zweiten 
Sugillation:  die  Haut  wird  roth,  bUu,  grünlich,  es  ist  ^in  Austreten  des 
Blutes  mittels  Durchschwitzens  (Ex,travasatio  per  diapedesin)  da;  im  drit- 
ten Grade  sind  Gefässe  zenüssen  (Extra vasatio  per  diaeresin).  Diese  Zer- 
reissung kann ,  wenn  sie  Arterien  getroffen ,  bedeutend  seyn ,  und  die.  Ge- 
schwulst ist  alsdann  klopfend.  Die  Folgen  der  Quetschung  sind  mehr  >  oder 
weniger  Paralysirung  des  leidenden,  Theils ;  Entzündung,  Eiterung,  ja  selbst 
Gangrän,  wenn  die  Quetschung  bedeutend  ist  oder  verkehrt  behandelt 
wvrde.  Die  Gefahr  ist  nach  der  Wichtigkeit  des  gequetschten  Theils  b^ld 
gross,  bald  gering.  Behandlung.  1)  Ist  die  Contusion  bedeutend,  hat 
sie  einen  grossen  und  wichtigen  Theil  getroffen,  so  muss.inan  den  Kranken 
anfangs  wie. einen  Ohnmächtigen  behandeln,  späterhin  ist  oft  ein  Aderlas» 
und,  kühlende  Diät  neben  den  äussern  Mitteln  nothwendig.  2)  Da  im  ge- 
quetschten Theile  die  Gefässe  geschwächt  sind,  und  an  zu  starker  Ausdeh- 
nung leiden ,  so  sind  anfangs  Umschläge  von  Essig  und  kaltem  Wasser  und 
ein  etwas  cpmprimirender  Verband  am  zwecfcmässigsten ;  auch  kann  man 
diesen  Fomentationen  etwas  Branntwein  zusetzen.  Sie  haben  das  Gute, 
dass  sie  Entzündung  und  Geschwulst  verhüten,  die  durch  die  frühe  Anwen- 
dung von  reizenden  Mitteln  so  häufig  befördert  wird.  Leider !  ist  es  näm- 
licl>  noch  immer  bei  Wundärzten  und  Laien  gebräuchlich,  sogleich  gegen 
Quetschungen  Spirit.  camphoratus,  Linim.  volatile,.  Alkohol  etc.  anzuwen- 
den; diese  Mittel  sind  erst  einige  Tage  nach  der  Verletzung  an  ihrer  Stelle, 
um  d^s  Blut  durch  Resorption  fortzuschaffen  und  den  leidenden  Theil  zu 
Most  Encyklopädie.  2te  Aufl.  I.  3J[ 


482  CONYOLVÜLUS 

stäi-ken.  Hier  ist  Folgendes  der  Art  sehr  wirksam :  I^  Spirit.  sajionis,  —  vm, 
camphorat.  ana  ^jiv,  —  snl.  ammon.  cnust.  ^fil.  M.  S.  Zum  Einreiben.  3)  Ist 
viel  Blutextravasat  zugegen,  so  passen  Umschläge  von  Infus,  arnicae  mit 
Seife,  oder  mit  einem  Zusätze  von  Acetum  sqnilliticum.  Die  Resorption  des 
Blutes  erfolgt  leichter,  wenn  es  flüssig  ist  und  in  weichen  Theilen  sich  be- 
findet i  als  wenn  es  schon  geronnen  ist  und  in  flechsigen  Theilen ,  auf  der 
Dura  mater  etc.  sitzt.  4)  Zuweilen  muss  das  ergossene  Blut,  wenn  es  nicht 
resorbirt  werden  kann ,  herausgeschafft  werden.  Man  macht  alsdann  einen 
Einscluiitt  mittels  des  Bistouris,  drückt  das  Blut  heraus,  verbindet  mit  Char- 
pie,  in  Wein  getränkt,  und  wendet  eine  gelinde  Compression  an.  Liegt  da* 
Blut  aber  über  keinem  wichtigen  Theile,  so  braucht  man  mit  der  Operatioö 
uichtzu  eilen.  Bei  Blutklumpen  öffne  man  etwas  früher,  und  ist  er  gross, 
so  hole. Juan. ihn  mit  der  Zarige  heraus.  6)  Ist  ein  grosses  Gefäss  zerrisseu^ 
nimmt  die  Geschwulst  noch  immer  zu,  so  hilft  die  Compression  nichts.  Maa 
schneide  die  Geschwulst  dawi'  gleich;  auf  und  verbinde  das  Gefäss.  Kann 
man  es  nicht  linden,  so  stopfe  man  das  Ganze  mit  Charpie,  in  Essig  ^e-r 
tränkt,  aus.  6)  Allgemeine  Bäder,  Tropfbad,  Douche ,  Einreibungen  vaxi 
Linim.  volat.  terebinth. ,  die  Elektricität,.  innerlich  Infus,  arnicae  sind  bei 
bedeutenden  Contusionen,  wodurch  der  ganze  Körper  gelitten,  am  Ende  der 
Cur  sehr  heilsam.  Sind  Augen,  Urinblase  und  andere  Theile  stark  ge(|uet^cht, 
so  hinterlassen  sie  leipht  Lahmung  def  ..'^^'jljj^ijljefli.  4»^  d,apn  nacl^.  4e»v  Kvmstxe- 
geln , behandelt  werben  muss.  ;     .,;,  ,'.'\.,i:..u'tUiil  .         .  h^.A.  Most. 

*  Convolvulus ,  Volvulus  iTitiitinornm,  '  Chordapsiis ,  intmstisceptiOj 
EinSchiebung,  i  n  n  e  r  e  Z  u  s  a  m  Jn  e  n  s  c  h  n  ü  r  u  n  g ,  V  e  r  w  i  c  k  e  1  u  n  g 
der  Gedärme.  Man  versteht  darunter  diejeixige  Krankheit,  wo  entweder 
der  obere  Theil  eines  Darms  in  den  untern  ,  oder  der  untere  ih  den  öberu 
hineingedrängt  und  daselbst  eingeschnürt  wird.  Als  Ursache  sieht  liian  vor- 
züglich Krampf  des  Darmcanals,  auch  öftere  Lei besverstop'fung  an.-  Letztere 
ist  häufig  mit  dem  Übel,  das  im  höchsten  Grade  mit  dem  Miserere  endet, 
coitiplicirt.  Cur.  Man  hat  iempfohlen ,  .  den  Unterleib  zu. öffnen  und  die 
verwickelten  Gedäj'me  wieder,  in  ihi'e  natürliche  Lage  zu  bring«i,  auch  mit 
Beobachtiuigen  die  Nützlichkeit  dieser  Operation  zu  bestätigeri  gesucht.  Da 
man  aber  kein  dniges  sicheres  Zeichen  hat,  ob  das  ftiiserere  von  einer  Ver- 
wickelung oder  Verwachsung  der  Gedärine  herrührt  (in  Fällen,  wo  kein 
eingeklemmter  Bruch  da  ist),  so  ist  die  Operation  nach  allen  Grüivden  zu 
widerrathen.  ..iL-...../    '         C.  J.  F, 'Behrens,  i.i 

Nachschrvft  des  Herausgeb^ers.''  ©ie-Brkenntniss  des  Voivulns 
ist,  w«nn  kein  Vorfall  ex  ano  damit  verbunden  ist  (s.  P'rolaps-us  -atii 
Lit. C),  allerdings  sehr  schwierig;  eine  hai*tnäckige  Leibes-verstopfiihg,-*  äii^ 
haltendes  Erbrechen,  gelinde  periodisch  eintretende  Leibschmerzen  ^  öin  ein- 
lies Gefühl  •  von  Zusammenschnüren  im  Leibe  und  die  Abwesenheit  eineS' 
Brü'chs'etc.  lassen  ihn  indessen  vermuthen.  Man  hat  in  solchen' Fällen  das 
Argelltam  vivum  als  mechanisch  wirkendes  Mittel,  das  Vermöge' söhierSchweir^ 
schnell  dur<;h  den  Darmcanal  läuft,  vorgeschlagen  und  zuweilen "n\}t  N^iitiien 
angewandt.  Man  giebt  eine  Dosis  von  6,  10  bis  12  Unzen,  am  besten  mifi 
Ölen,  fetten  Fleischsuppen,  und  zwar  in  horizontaler  Lage  des  Kranken, 
damit  das  Metall,  den  Widerstand  des  Oesophagus  schnell  überwindend,' 
nicht  zu  heftig  in  den  Magen  hinabfällt.  Die- Anwendung  dieses  Mittels  ist 
indessen  nicht  sicher,  und  man  hat  Entzündungen  und  Zerreissurigen  der 
Gedärme  darnach  beobachtet  ( ^rncnuw*«'«- Materia  medica  von  Kraus.  5te 
Autt.  S.  181),  was  indessen  Smdelin  (Handb.  d;  spec.  Heilmitteltehre,  Bd.I,' 
1825.  S.  206)  bezweifelt.  Zuweilen  ist  der  Volvulus  von  einer  solchen  Be* 
schafTenheit ,  dass  die  Leibesötfnung ,  wenn  audi  nur  sparsam  und  unregel- 
mässig,  noch  von  Statten  geht  und  der  Kranke  jahrelang  an  dem  Übel -lei*' 
det ,  bis  andere  Zufälle  den  Tod  herbeifuhren.  Vor  vier  Jahren  starb  hier 
im  Orte  der  Magister  T.  in  einem  Alter  voh  ohngefahr  56  Jahren.  Er  War 
last  nie  in  seinem  Leben  krank  gewe.sen ,  lebte  sehr  massig,  trank  sehr  viöl 
Wasser,  machte  sich  täglich  6  bis  8  Stunden  Bewegung  im  Freien  und  schien 


C0INY0LMJLU9  483 

die  dauerhafteste  Gesundheit  au  haben.  Einige  Jahre  vor  seinem  Tode  litt 
er  inde^iseii  2  —  3  Taye  an  Leibesverstopfung,  die  ihm  aber  wenig  Be-» 
schwerde  machte  und  von  iiiin  daher  auch  nicht  weiter  berücksichtigt  wurde. 
Ohngefiihr  10  Wochen  vor  dem  Tode  klagte  T.  über  Geschwulst  der  Füsse 
und  starkes  Kuilern  iin  Unterleibe.  Die  Beschwerden  waren  indessen  gering 
und  Patient  konnte  ausser  dem  Bette  seyn.  Das  Ödem  der  Küsse  nahm  ab; 
dagegen  wurde  der  Unterleib  aufgetrieben  und  zwar  an  der  linken  Seiten 
Mehrere  Ärzte,  unter  denen  auch  ich  mich  befand,  hielten  das  Übel  ein- 
stimmig für  Tyropanitis.  Gelind  erüflnende  Mittel  hielten  den  Leib  offen, 
und  da  weder  die  eine,  noch  die  andere  Function  des  Körpers  gestört  war, 
Patient  auch  gar  keine  Schmerzen  empfand,  so  wurden  gute  Nutrientia  und 
Wein  verordnet.  Merkv\ürdig  war  das  tägliche  geräuschvolle  Kollern  im 
Leibe ,  das  Patient  scherzhafterweise  seinen  Courier  nannte.  So  schien  das 
Übel  weder  zu-  noch  abzunehmen,  als  plötzlich  Patient  Schmerzen  im  Leibe 
f\ihlt.  Er  niuss  sich  zu  Bette  legen,  bekommt  Fieber  mit  Schiväche  und 
stirbt  nach  vier  Tagen.  Die  Seotion  zeigte  das  Colon  descendens  dn  ei-L 
ner  Stelle  so  sehr  ausgedehnt,  dass  es  grösser  und  geräumiger  als  ein  Men* 
schecmagen  war,  und  die  tympanitische  Auftreibung  der  linken  Unterleibs- 
seite  rührte  davon  her.  Dieser  widernatürlich  ausgedehnte  Darm  war  in  der 
Länge  von  mehreren  Zollen  geborsten,  enthielt  aber  noch  die  Contents, 
welche  nicht  ins  Cavum  abdominis  getreten  waren.  An  dem  ob*rn  und  un- 
tern Endo  der  sackförniigen  Erweiterung  war  das  Colon  an  me^A-eren  Stel- 
len sehr  verengert.  —  Ein  anderer  Fall  ist  dieser.  Am  30.  Joni'  1829  be-' 
kam  ich  die  Frau  des  Matrosen  Moll  hieselbst,  44  Jabre  alt,  mager,  abge^ 
zehrt,  seit  Ostern  sehoni«n  periodischen  Leibschmerzen  leidend, 'iiv  die  Cur. 
Auf  nähere  Erkundigung  erfuhr  ich ,  dass  die  Kranke  schon  seit  vielen  Jah- 
ren zuweilen  an  Kolik  gelitten,  dass  früher  Menstruatio  niinia,  jetzt  retenta 
bei  ihr  bemerklieb  sevj  dass  sie  seit  einem  Jahre  an  Verdauungsbeschvv^rdwn 
leide  und  oft  in  6  —  10  Tagen  keine  Leibesöffnung  habe,  dass  die  Kolik- 
sclimeraen,  wie  sie  es  nan'.ite,  oft  so  heftig  seyen,  dass  sie  des  Nachts  keine 
Ruhe  habe  und  oft  laut  aufschreien  müsse.  Ausserdem  erfuhr  ich  noch  dieses. 
Patientin  hat  seit  längerer  Zeit  schon  einen  andern  Arzt  gebraucht,  der  das 
Übel  wahrscheinlich  für  hysterische  Beschwerden  gehalten  und  vor- 8  Tagert 
ein  Vomitiv  verordnet  hatte.  Dasselbe  hatte  stark  gewirkt  und  Blutbrechen 
zur  Folge  gehabt.  Seit  dieser  Zeit  brach  Patientin  Alles  weg,  was  sie 
genoss  und  die  Leibesölfnung  war  in  10  Tagen  nicht  erfolgt;  Nach  genauof 
Untersuchung  fand  ich  in  beiden  Leistengegenden  harte  Geschwülste ,  die 
man  auf  den  ersten  Anblick  für  Cruralbrüohe  hätte  halten  können;'  sie  wa- 
ren aber  unschmerzhaft,  nicht  entzündet  und  iöh  hielt  si*,  wie  au^h  deh 
Hr.  Stadtthirurgus  Hoppe  hieselbst,  für  geschwellenö  Leistendrüsen,  Vvai» 
späterhin:  auch  die  Section  bestätigte.  Es  wurden  eröffnende,  später  rei- 
zende Kl  y  stiere,  aber  ohne  Leibesölfnung  zu  bewirken,  applicirt.  Kein  ein- 
ziges Kiystier  ging  wieder  ab,  sie  blieben  alle  bei  der  Patientin,  und  di(j 
Zahl  denselben  bis  zu  ihrem  Tode,  der  am  7.  Juli,  also  nach  8  Tagen  er- 
folgte, betrug  lO-r-12  Stück,  ölemulsionen  mit  Aquft  chamomillae  und  Sal 
Glauberi,  Ol.  crotonis  ,  ricini,  Tinct.  asae  foetidae  und  andere  Antispasmo- 
dica,  welche  nach  einem  zuvor  angewandien  kleinen' Aderlass  am  Atme  ver^^ 
ordnet  würden,  sowie  alles  Getränk,  wurden  weggebrochen.  Drei  Tage 
vor  dem  Tode  hörte  das  Erbrechen  auf,  der  Leib  ward  höchst  aufgetrieben, 
die  Leibschmerzen  waren  fürchterlich;  kein  Mittel,  Vf^der  aromatische ,  äthe- 
rische Pomentationen,  noch  andere  beruhigende  Einreibungen  von  Ol.  hyoscy- 
ami,  Linim.  volat.  opiftt.  etc.  vermochten  kie  zu  Hhderh;  rtur  einige  Stunden 
vor  dem  Tode  hörte  der  Schmerz  auf,  der  Puls  wurde  immer  schwätiher 
und  der  von  der  Kranken  sehnlichst  gevvörtschte  Tod  endete  die  Leiden. 
Seotioh.  Sie  geschah  22  Stunden  nach  dem  Tode.  Der  Leichengeruch 
war  bedeutend,  da  die  Lei«he  bei  den  heissen  Somraertagen  schnell  in  Ver- 
wesung, übergegangen  war.  Hr.  Stadtchir«rgus  Hoppe  und  ich,  die  wir  die 
Section  verrichteten,  wandten  daher  mit  vielem  Nutzen  die  Chlorkalkrt<(f- 
lösuDg  an ,  wodurch  es  uns  möglich  ward ,  bei  der  Leiche  auszudsueni.'     Die 

31* 


484  eONYOU^LUS 

Öffnung  des  Unterleibes'  ergab  Folgendes:  l)  Fast  der  ganze  Thictu«  in« 
testinorjum  war  .mit  dein  Omentum,  dem  Mageji  und  den  andern  Baucheiiige- 
>;eiden  so  verwachsen^  dass  es  uns  unmöglich  war^  die  Gedärme  zu  ent- 
wickeln ,  wir  hätten  denn.  Beide  mehrere  Stunden  lang  zum  Abpräpariren  uns 
entschliejisen  müssen...  2)  Alle  dicken  Gedärme  waren  so  sehr  mit  Koth  und 
Piüs*>igkeiteu  angefiiUt ,, ,  dass.  die  Quantität  .einen,  ganzen  WaSsereimer:  voll 
bet'rng.  S.),J)as  Colon  transversum  war  sehr  ausgedehnt  und  hatte  an  einee 
SitfelU  eioen  Sack,  wol  zweimal  so,  gross  als  der  Magen 4  gebildet,  welchef 
ß^Wj  iro-jgjrössten  Durchmesser  9  Zoll,  in  der  ^Peripherie  also  über  2  Füsa 
}nn^».  .  -■,4;),.Das.  Colon  sinistrum  und  dextrum  waren. .an  einzelnea  Stellen 
gleichfalls ,  sehr  ausgedehnt,  an  ändern  so  verengert,.  :dä.ss  man  kaum  den 
Jil5ei/)en, Finger  durchfiihren.  könnte.  5)  Das  Jejunuln  war  so  stark  ausge- 
d.ebn,t,,.we.der  Magen;  letzteren,  fanden  wii*  ganz  leer^  Nirgends  war  eine 
SpyCi ''SQli  (Entzüijdung  oder.  Brand  zu  entdecken  v'idr  am  Maigenmunde  fah-- 
den  vyjr;,ein>ge  Voji  dunklfem, Blute  strotzende  Gefiisse,  wodurch  er  ein  röthrr 
lijchrfelane^.Ansehea  b«kaiii.  6);Leber,  Milz  und  Nieren  waren  gesund,  die 
i^.ajlenb'lase'  entlüelt  gesunde  GaJle  ohne  Gallensteine.  7)  In  beiden  Leisten- 
gegenden zeiigten  sich  die  geschwollenen  Drüsen,  deren  oben  gedaeht  wor- 
deJi..  AuÄ  diesem  Leichenbeftuide  ersieht  man,  dass  wol  kein  Mittel  in  der 
Welt  im>  Stande  gewesen  .w^äre,^.  die  Patientin  zu  retten.  Wahrscheiidich 
ii4itten  ;diß  filüher  häufig  stattgefundenen  sogenannten,  Kolikschmenseni  in  bald 
l^i.fjhteiiini,,  ,teüd  »chweteni  Därmentzündungen  bestanden, ,  welche  allraälig  und 
dvirch,ihr^,;#ftei?e  Ryck kehr  i  immer  mehr  und  mehr  die  Verwachsungea  det 
CJedää^-m^y-^lg.  Folgezustände  durch  Exsudation  plastischer  Lymphe  .hervor^ 
Jbtrachti^nj.Klie  verwachsenen  Ställen  verengerten  sickuttd  die  nicht; ;ver>Yach- 
seuen.  dphyten  sich  daher  zu  der;,  beschriebenen  ungehßuj-en;  Grösse,  a«sij  xnn 
die  Nahrungsmittel  .aufnehmen  zu.  können;,  .Der::Motuä  peristalticiis.  mu.sflto 
daxjuixjh  jiBjgaer  mehr  i"  seiner  Thätigkeit  gelieraml  und  seine  B^undtieoi  äuö 
letzjt.gani»  unthätig  werden;  dahe«;  dem»  ajjch;  die  äpjilicirten ; Klyetiece  nicht 
^■vjiedei- ;?;bgingen,  .  Das  zuletzt- ge*iommene  Brechmittel  .konnte  .den,  Zuütatul 
nur.  ?feijS*hilimmern  und.  diis  heftigen.  LeibschuiersSeiii  fandeit  wahrscheittiich,,iii4 
fi^i\  ^fynd  in  Krämpfe,'  entstanden,  durch  mechaAlscbe«. Druck  aufs.  Ganglien^ 
pery^system  und  durch  die  Störung  und  inimer  Äunelimende  Verringerung 
4?^;, n.Qthw^ndjgen  Motns  peristalticus,  der  sich,  dabier  zuletzt  in  den  anti- 
jjeristalticus,  wozu  das  Vomitiv  .den  Hauptiiitpuls  gegeben,  total  verwandeln 
«msste,  und  auch  so  lauge  anhielt,  bis  die  Kraft  dazu  mangelte  und  der 
.Tod  nahe  war.  ;  Grossheim  (^s.  Medic.  Zeitung  von  einem  Vereine, für- Heilr 
Jtundein  Preussen,  1833.  Nr.  13.)  unterscheidet  Jniiissuscejitio  seu  Invagmu'^ 
{10,  if\tsslinorum  descen^ens  und  ascendens ,  entsprechend  dem  Motus  a«ti  -  und 
pecistalticus ,  worüber,, er  drei  Fälle  mittheilt.  Symptome  waren:  .fixer  an-r 
iialtender  Schmerz  in,  der  mittlerji  Bauchgegend  ,  wenig,  vermelirt  durch  Ber 
Ifistung  des  Bauchs,  Verstopfung  des  Leibes.;  Übelkeit ;i  Erbrechen,  feuchfcev 
.>y.ei^$Ji;^h  belegte  Zunge,  »armes, .Gesicht,  Puls. 80,  .isoxjhroniscb,  Urirt  spar-r 
s^m,  und  iVon  in^l^ürlijciher  Farbe,  ,imeist,RücköDlage,.  viel  Unruhe,  Besserbe- 
|find?n:b%ii,»Ö!chterneni;]VIagen.,  bei  Hungern- und  Dürstön; —  ein  paiar  Tage 
.vor  der  JKfankheit  h»tte.  Patient  ein  Purgirsala. gegen' gastrische  Beschwer^ 
.d£,n  ge«9mjnen,.,  da4> 'aber,. kojafilieibesöffining  erregt  ihatte..  Der  Kranlde 
*tari)  ^ufi'ünfteiv  T^g«  untpr  ,g.?ofi?er  Angst,, -.unEegelmässigem,  kleinen  Pul«e 
und.  kalte»)  ^5chv».eii?^einv.:,,Lgibt*>öi£(kung.  wartpotz  ajlleri  dagegen  gebraubhten 
JVJittel  tticht  ;3Ffplgt-..,|J>ie^Seciei«n;  feeigte  Invaginatio  intestini  ascendens;  eih 
JM^teres  Stück  VrUiUiJi^tifliViytan,, auf  eine  Streicke  iV.on  ,4;  Zoll  sammt  seinem 
iM.ies^iiteriuin' in ,  die  .Hölhie  des-,(iber  ihm  gelegenen  Stücks  hineingettieben. 
•Anbäufpiig  .von:;fest;en,  ,oder  tlütjMgen  Masi>i»ni,(fahd  vfed«r.iunter,  noch,  über 
.d€!?ji  fiinklemraupg  ,  s^at«!.  -r,:  .Der  ander«^, Fall,  betraf i. «in  -jSSjährige».  zarte* 
Fr^iuenzimmer,  das  elixeniadhäfirondsii  Crurelnctzbrüch  hatte  und  durich) eih 
yerprdfiejte».  VoHfitiv  die|.Kra«kheit  bekam.  DasiiJKrbiredhfcen  währte  fdrt^'  nach 
.3Q  Stüiulen  Kothbrech#j|,.  .d(ir,  Bav<ih  war  nicht  schmerzhaft,  auch  üur  wenig 
Jiwsgedcjhnt;  ;  ungebeufle  XJnruh^,  Krämpfe;,  nach  3  Tagen  folgte  Stuhlgang 
.H(i(d  Q(!^\pi\if]g,  ^rrr   ,1^^:;  d»i.tt^  .JFitll^  der  eineiL^SDjährigen  Grenadier  betraf, 


CONVULSIBHJTAS  ^  COPHOSIS  485 

lief  wiederum  tßdtüch  ab.  —  Ein  sehr  wichtiges,  alle  Anfmerksamkflit  ver- 
dienendes Mittel ,  dass  sich  in  mehreren  Fällen  von  Voivulus,  wo  selbst  das 
laufende  Quecksilber  keine  Leibesötfnung  erregte,  höchst  wirksam  zeigte,' 
ist' das  I!*uftauspump  en  aus  dem  untern  Theile  des  Darms,,  indem  maii 
das '  Rährchen  einer  leeren  ausgepumten  Klystierspritze  tief  in^  Rectum  bringt, 
die  Afterspalte  alsdann  genau  durch  eineU  Gehülfen  mittels  seiner  beiden 
Hände  verschliessen  lässt,  und  dann  den  Klystierstöpsel  so  lange  anzieht 
und  die  Luft  auszieht,  bis  er  nlfcht  weiter  vorwärts  wilL  Der  Kranke  hat 
darin  bald  das  Gefühl,  als  wenn  ihm  im  Leibe  etwa  ein  Körper  losgitigej 
es  folgt  bald  darauf  hinreichende  Leibesöffnung,  und  alle  schlimmen  Zufälle 
rerschwinden.  Auch  das  bei  Ileus  so  nützliche  Lufteinblasen  -kann,  wenn" 
das  Luftausziehen  fruchtlos  blieb,  versucht  werden  (s.  Kinr;  in  BeremVs  Re^ 
pertor.  der  ausländ,  med.  chir.  Journalistik,  1831.  Decbr.  S.  305).!  Dieses> 
LufteiAblasen  möchte  bei  Invaginatio  intestihorum  descendens  noch  wirksamer» 
als  das  Luftanspumpen  seyn.  .        !> 

'Convulsibilitas ,  Muscularanruhe,  Convuls'ibilitSt.  Si^ 
nennt  man  die  Geneigtheit  zu  Cönvulsionen,  besonders  in  fieberhaften  Kranlc-; 
heiten,  die  bekanntlich  im  Kindesalter,  bei  zarten,  sensiblen  Frauenzim- 
mern etc.  sehr  gross  ist,  und  sich  durch  Schreckhaftigkeit ,  Auffahren  fiff 
Schlafe,  Ängstlichkeit,  Gliederzittern  etc.  kund  gicbt.  '  '        '    '  '* 

ConvuIsiOj  Convtdsiones,  Zuckuiig'en.  Sie  snid  eine  Specles  des 
äpasmus  und  gleichbedeutend  mit  Spasmus  clbriicus ;  s.  Spasmüsi.    . 

li' ,  *CopllOSis,  das  schwere  Gehör,  die  necvöse  Taubheit.  Ist 
«Ine  Verminderung  oder  gänzliche  Aufhebung  des  Hörvermögens,  welche 
nach  nenern  .Ansichten  vorzüglich  durch  ein  Leiden  des  .Gehörnerven  bedingt) 
wird  und  daher  auch  von  Beck  (Krankheiten  des  Gehörorgans.  Heidelberg 
1827.  S.  221)  nervöse  Taubheit,  entstanden  durch  Störungen  der  Sensation^ 
genannt  wird;  dagegen  ältere  Ärzte  unter  Gophosis  eine  jede,  auch  aus  an- 
dern Ursachen  entstandene  Taubheit  verstehen  und  das  Wort  mit  Surdita* 
gleichbedeutend  nehmen.  Bei,  der  nervösen  Taubheit,  die  indessen  Bech  zu 
weit  ausdehnt,  indem  er  auch  eine  erethistische  Form  derselben  annimmt, 
die  richtiger  Surditas  vasculosa  heissen  könnte,  findet  die  Leitung  der  Töne 
zu  den  sensiblen  Partien  des  Ohres  zwar  statt,  allein  das  Receptionsvermö-. 
gen  ist  verändert,  und  hat  das  Übel  längere  Zeit  angehalten ,  so  leidet 
auch  die  Ernährung  des  Ohrs,  die  Secretion  wird  fehlerhaft,  der  äussere 
Gehörgäng  sehr  trocken  und  leblos,  ganz  wie  bei  inveterirter  Amauro.se  das 
Auge  Glanz  und  Durchsichtigkeit  wegen  krankhafter  Nutrition  und  Secre- 
tion verliert.  Symptome.  Bei  der  nervösen  Taubheit  fehlen  die  Zeichen 
eines  solchen  Fehlers,  wodurch  die  Aufnahme  und  Fortpflanzung  des  Schalls, 
verhindert  würde,  die  Taubheit  ist  bald  gelinder,  bald  stärker,  ist  sehr 
veränderlich,  verschieden  nach  den  Tagszeiteri,  nach  der  Witterung,  ebenso 
variabel  wie  die  Sensibilität  des  Menschen ,  die  auch  bald  mehr  erhöhet, 
bald  vermindert  wird  {Beck,  Snunders).  Die  Kranken  leiden  abwechselnd 
an  verschiedenen  Sinnestäuschimgen ,  an  Ohrensausen,  Glockengetöse,  oder 
als  wenn  Wasser  in  den  Ohren  sprudelte.  Eintheilung.  Das  Übel  ist 
entweder  Cophosis  perfecta  oder  imperfecta.  Ältere  Schriftsteller  unterschei- 
den 1)  völlige  Taubheit  (Cophosis,  Surditas)  ;  2^)  schweres  Gehör  (Obaudi-; 
tio,  gravis  Auditus,  Baryecoia,  Dysecoia);  3)  Ohrenklingen  ( Tinnitus )i 
Rosenthul  (s.  Nnsse^s  Archiv.  1819,  Juli,  August.  S.  9)  nimmt  folgende  Grade 
an:  1)  gänzliche  Taubheit  (Cophosis),  wo  articulirte  Töne  durchaus  nicht 
mehr  gehört  werden;  b)  schweres  Gehör  (Dysecoia),  wo  articulirte  Töne 
nur  mittels  künstlicher  Verstärkung  wahrgenommen  werden ;  c)  vermindertes 
Gehör  (Paracusis),  wo  die  articulirten  Töne  nur  undeutlich  vernommen 
werden.  Jlord ,  der  sich  um  die  Gehörkrankheiten  so  verdient  gemacht  hat 
(s.  dessen  Traite  des  maladies  de  Toreille  et  de  l'audition.  Paris  ISSl.i'p.  464), 
nimmt  5  Grade  an:  a)  Hören  der  Rede,  b)  Hören, der  Stimme ,  c)  Hören 
der  Töne,  d)  Hören  des  Lärms,  e)  gänzlicher  Mangel  des  Geh&rsj  Jn  kli- 
nischer Hinsicht   ist  die  Eintheilung  der  Cophosis  nach  ihrem  €hai:£^kter  in 


486  .  COPHOSIS 

Cophosis  erethistica  und  torpida  sehr  wichtig ,  wovon .  unten  ein  Mehreres. 
Ursachen  der  nervösen  Taubheit.  Sie  kann  angeerbt,  angeboren,  idio- 
pathisch, symp' oinatisch  und  consensuell  seyn.  Krankheiten  des  Magens  und 
Zwerchfells,  -esonders  nervöse,  gastrische  Reize,  vorzugsweise  durch  In- 
testinalwi'' ..^1  (^Cnrtis),  verschiedene  Metastasen  während  oder  nach  dem 
Typhus,  nach  Gicht,  Masern,  Scharlachfieber,  unvorsichtige  Behandlung, 
zu  schnelle  Heilung  Von  Kopfausschlägen,  Flechten,  Krätze,  Fontanellen, 
von  alten,  zur  Gewohnheit  ge\^ordenen  Beinschäden,  unterdrückte  Fuss- 
schweisse,  plötzliche  Erkältung  des  Kopfs  durch  kaltes  Baden,  durchs  Hiu'- 
einstürzen  in  kaltes  Wasser,  die  venerische  Krankheit  etc.  können  nervöse 
Taubheit  als  Nachkraiikheit  (^Epicophosis^  erregen.  Die  Cophosis  traumatica 
entsteht  durch  heftige  Erschütterungen  des  Schädels,  die  C.  paralytica  durch 
heftige  Einwirkung  des  Schalls ,  durch  Kanonenschüsse ,  die  C.  plcthorica 
durch  active  und  passive  Überfüllung  der  Ohrgefässe,  besonders  durch  Aus- 
dehnung der  Arteria  auditoria  interna;  auch  durch  starken  Blutverlust  und 
Collapsus  der  Gefässe  kann  Taubheit  entstehen  (^Abercromhie')',  bei  alten 
Leuten  ist  sie  ein  Zeichen  des  Marasmus,  oder  sie  ist  eine  Cophosis  cere- 
bralis,  verbunden  mit  Störungen  der  Gehirnfunctionen ,  besonders  des  Ge- 
dächtnisses. Der  Verlauf  des  Übels  ist  verschieden,  in  den  meisten  Fäl- 
len bei  höherra  Grade  der  Krankheit  chronisch.  Prognose.  Sie  richtet 
sich  nach  den  Ursachen  der  Taubheit ;  so  ist  z.  B.  4'e  angebprne ,  ange- 
er1t)te,  durch  Verletzungen  der  Gehörnerven  entstandene  "Taubheit  fast  im- 
mer unheilbar,  und  die  höhern  Grade  des  Übels :  die  Copho.sis  im  engern 
Sinne,  geben  eine  ungunstigere  Prognose ,  als  Dysecoia  und  Paracusi»,  nicht 
zu  gedenken  der  nicht  hierher  gehörigen  Taubheit  durch  Caries  des  knö* 
ehernen  Gehörorgans.  Je  gesunder  der  übrige  Organismus  ist,  je  weniger 
der  Mensch  an  andern  Gebrechen ,  besonders  an  Kopfschmerzen  leidet,  je 
besser  die  Geisteskräfte  sind,  desto  eher  ist  noch  Heilung  zu  erwarten, 
desgleichen  je  besser  die  Säfte  des  Kranken  sind.  Behandlung.  1)  Man 
entferne  wo  möglich  die  nähern  und  entferntem  Ursachen  des  Übels;  stelle 
daher  unterdrückte  Blutflüsse  wieder  her,  bringe  zurückgetriebene  Ausschläge 
wieder  an  ihren  vorigen  Ort,  führe  etwaige  Unreinigkeiten  der  ersten 
Wege  aus,  löse  die  Unterleibsstockungen,  entferne  die  Intestinalwürmer. 
Ist  Vollblütigkeit,  Congestion  zum  Kopfe  da,  welche  die  erethistische  Co- 
phosis begleiten,  die  sich  ausser  den  Zeichen  der  Congestion  durch  erhöhete 
Empfindlichkeit  des  Gehörorgans,  durch  Schmerz  im  Ohre  nach  hellen,  star- 
ken Tönen  zu  Anfange  des  Übels,  durch  Gesichtsröthe ,  Schwindel,  Kopf- 
schmerz, durch  Pulsationen  im  Ohre  zu  erkennen  giebt,  so  sind  vor  Allem 
allgemeine  und  örtliche  Blutentziehungen  indicirt.  Man  hat  bei  dieser  Form 
auch  kalte  Kopfumschläge,  Tropf bäder  etc.  empfohlen,  doch  erfordert  ihre 
Anwendung  grosse  Vorsicht,  weil  sie  zuweilen  Metastasen  erregen,  beson- 
ders wenn  eine  hervorstechende  Neigung  zu  Rheumatismen,  Gicht,  habituel- 
len Blutflüssen  und  zu  Katarrhen  zugegen  ist  (^Itard}.  Die  Blutegel  und 
blutigen  Schröpfköpfe  setzt  man  hinter  die  Ohren  oder  auf  den  Nacken, 
und  wiederholt  sie  bei  wiederkehrendem  Blutandrange.  Entsteht  Cophosis 
plethorica  durch  unterdrücktes  Nasenbluten,  so  werden  die  Blutegel  an  die 
Nasenlöcher,  sind  Menstruatio  suppressa  und  unterdrückte  Hämorrhoiden 
Schuld,  so  werden  sie  an  die  Genitalien,  ans  Perinaeum,  an  den  After  ge- 
setzt. 2)  Höchst  wirksam  sind  ableitende,  rothmachende  Mittel:  Blasen- 
pflaster, trockne  Schröpfköpfe,  Fussbäder  von  Salz  und  Asche,  oder  von 
Senf,  2  Unzen  auf  ein  Fussbad ,  das  bis  über  die  Waden  reichen  mnss, 
welche  Mittel  besonders  bei  der  erethistischen  Taubheit,  wenn  Rheumatis- 
men, Gicht  etc.  zugleich  da  sind,  anhaltend  gebraucht  werden  müssen. 
S)  Hat  die  Taubheit  den  torpiden  Charakter  (Cophosis  parslytica)  oder  ist 
der  erethistische  beseitigt,  entstand  sie  nach  schweren  Nervenfiebern,  ist 
allgemeine  Trägheit  des  Nervensystems  da,  wo  sich  das  Gehör  bfi  starkem 
Geräusche ,  beim  Glockenläuten  etc.  verbessert,  desgleichen  bei  allgemeiner 
Aufregung  durch  Gemüthsbewegungen ,  Körperanstrengung,  hitzige  Geträn- 
ke etc.,  so  viiind  reizende  Mittel,    die  gegen  Paralysen  überhaupt  empfohlen 


COPHOSIS  487 

werden  ,  an  ihrer  Stelle.  Man  lasse  hinter  die  Ohren  das  Unguent.  mercu- 
riale  cinereuin,  die  Autenrieth'sche  Pusteisalbe,  die  Kop[)''sclie  Salbe  etc. 
(s.  Amaurosis)  einreiben.  Ja  man  hat  in  solchen  Fällen  selbst  mit  Nutzen 
die  Moxa,  das  Glüheisen,  die  Elektrlcität  und  den  Gahanisimis  angewandt. 
(Der  letztere  muss  mit  grosser  Vorsicht,  anfangs  sehr  schwach,  allmälig 
stärker  bis  zum  Maximum,  und  dann  wieder  bei  dpr  Besserung  allmälig 
schwächer  applicirt  werden,  um  nicht  zu  überreizen.  Man  beginnt  mit  zehn 
Plattenpaaren,  lässt  die  Hand  des  Kranken  mit  dem  Zisikpole  der  "Volta-r 
Säule  in  Verbindung  bringen  und  schliesst  die  Kette,  indem  man  mitTdem 
Conductor  des  Kupferpols,  3  —  4mal  in  der  Minute,  abwechselnd  den  T'ra- 
gus,  Antitragus,  den  Meatus  externus  und  besonders  den  Procossus  mastoi- 
deus,  welche  Stellen  mit  Salzwasser  angefeuchtet  werden,  iierührt,  und 
dies  so  lange  fortsetzt,  bis  der  Kranke  Schmerz  empfindet.  Allmälig  steigt 
man  während  der  Cur,  die  wenigstens  6  —  8  Wochen -täglich  einmal  ange- 
wandt werden  muss,  bis  zu  20,  30,  40  Doppelplatten,  und  fällt  dann  eben- 
so wieder,  wie  man  anfangs  gestiegen  ist.  Most').  Auch  der  mineralische 
ftlagnetismus  ist  in  solchen  Fällen  zu  versuchen  (s.  Bcclcr^s  Schrift  drüber 
vom  J.  1829).  4)  Die  Anwendung  reizender  Öle,  iti  den  Gehörgang  einge- 
tröpfelt, z.  B.  Ol.  succini  rubri,  majoran.,  camphorat.,  amygdalar.  amärar., 
desgleichen  warme  Dämpfe  von  Chamillen-  und  Fliederthee,  durch  eine 
Dampfmaschine  ins  Ohr  geleitet,  haben  sich  in  manchen  leichtern  Fällern 
und  in  Verbindung  mit  innerii  Mitteln  oft  nützlich  bewiesen.  5)  Innerlich 
sind  Mercurialia  und  Antiraonialia  nach  allen  EJrfahrungen  die  vorzüglichsten 
Heilmittel  gegen  die  Cophosis.  Besonders  indicirt  sind  sie,  wenn  das  Übel 
durch  syphilitische  oder  andere  Dyskrasien  unterhalten  wird.  Gar  häufig  ist 
Rheumatisipus  Ursache;  hier  leistet  besonders  eine  Verbindung  von  Mercur. 
dulc. ,  Guajak  und  Sulph.  aurat.  gute  Dienste  (^Hufclnnd,  Riqdel  in  tlufe- 
/fim/'s  Journ.  1822.  Septbr.).  Ausserdem  wendet  man  hier  auch  noch  Schnupf- 
pulver, Niesemittel  und  hinter  das  Ohi  das  Empl,  vesicat.  perpet.  Janini, 
wochenlang  getragen,  an.  Unter  den  innern  Mitteln  sind  Abführungen  von 
Merc.  dulc.  und  Jalape  oder  von  Bittersalz,  alle  4,  6  —  8  Tage  eins,  und 
wochenlang  fortgesetzt ,  von  ganz  vorüglichem  Nutzen,  indem  sie  durch  Ver- 
mehrung der  Darmsecretion  ableiten  und  als  Derivatoria  das  Gehör  verbes- 
sern. Schon  Hippokrntes,  Celsus,  Diemerhroeck ,  Lnnzom  und  neuerlich 
Wright  empfehlen  sie  sehr.  6)  Eine  strenge  Diät,  eine  geregelte  Lebens-i 
weise,  sorgfältige  Vermeidung  aller  Schädlichkeiten,  Vermeidung  der  Erkäl- 
tung, besonders  der  Füsse,  Beförderung  und  Belebung  der  Hautthätigkeit 
durch  warme  Bäder,  Flanellkleidung  etc.  sind  zur  Unterstützung  der  Cur 
durchaus  nothwendig.  Christian  Hoppe. 

Nachschrift  des  Herausgebers.  Erst  seit  ein  paar  Decennien 
ist  das  Studium  der  Gehörkrankheiten  durch  deutsche,  französische  und  eng- 
lische Arzte  zu  derjenigen  Stufe  von  Vollkommenheit,  deren  es  sich  gegen- 
wärtig erfreuet,  erhoben  worden;  früher,  zu  meiner  Studirzeit,  war  dage- 
gen das  Gehörorgan  in  pathologischer  Hinsicht  fast  eine  terra  incognita. 
Die  vorzüglichsten  und  neuesten  Schriften  darüber  sind :  die  angeführte 
Schrift  von  Itnrd,  die  von  Bede  und  von  Ruchnnnn  (Institut,  of  acoustic 
Surgery.  Lond.  1825).  Vielen  praktischen  Werth  hat  auch  die  Schrift  von 
John  Hnrrison  Cvrtis  (A  clinical  rapport  of  the  Royal  Dispensary  for  disea- 
ses of  the  ear.  Lond.  1827).  Weniv  man  nach  London  kommt,  versäume 
man  ja  nicht ,  die  Anstalt  des  Hrn.  Cnrtis,  der  ein  artiger,  zuvorkommender 
Mann  ist,  zu  besuchen.  Sie  wurde  1816  gestiftet,  enthielt  1817  schon  367 
Gehörkranke ,  wovon  89  geheilt ,  75  gebessert  wurden ;  im  J.  1828  waren 
860  Kranke  darin,  wovon  473  geheilt,  205  gebessert  entlassen  wurden. 
Sie  nimmt  aus  dem  ganzen  Königreiche  Kranke  unentgeltlich  auf,  besonder."? 
Arme,  Dienstboten  —  In  Betreff  der  Anwendung  des  Galvanismus  gegen 
Cophosis  muss  ich  bemerken,  dass  ich  in  meiner  Praxis  zweimal  bei  torpi- 
der Taubheit,  entstanden  aus  rheumatischen  Ursachen,  denselben  mit  Nutzen 
auf  die  oben  angegebene  Art  angewandt  habe.  Nach  meiner  festen  Über- 
zeugung sind  die  verschiedenen  ungünstigen  Resultate  der  galvanischen  Cur 


488  COPOS  —  CORPORA  ALIENA  INSERTA 

hier  weniger  dem  Galvanismus,  nur  der  zweckwidiigen  Anwendungsraethode 
zuzuschreiben,  da  eine  zu  starke  Anwendung  desselben  das  Übel  nur  für  die 
Folge  verschlimmern  kann ,  wenn  dadurch  auch  für  den  Augenblick  das  Ge- 
hör verbessert  wird,  indem  der  Torpor  durch  Überreizung  zunimmt.  Auch 
passt  der  Galvanismus  erst  dann ,  w  enn  der  erethistische  und  plethorisch«! 
Charakter  durch  die  oben  angegebenen  Mittel  gehoben  ist. 

CopoS ,  Sensus  dcdolaiionis ,  Gefühl  von  grosser  Mattigkeit ;  z.  B.  bei 
hohen  Graden  der  Schwäche,  nach  starken  Körperanstrengungen  etc. 

Copracratia,  unwillkürlicher  Kothabgang,  z.  B.  in  para-r 
lytJschen  Fiebern,  wo  die  Sphinkteren  nachlassen;  s.  Paralysis. 

Copremesis,  das  Kothbrechen.  Ist  das  Hauptsyroptom  beim 
Ileus,  Convolvulus  und  andern   ähnlichen  Übeln.  v 

Coprocritica ,  kothausleerende  Mittel,  z.  B.  eröffnende  Kly- 
stiere  u.  s.  f.;    s.  Clysma  aperiens. 

Coprolithus,  der  Kothstein,  s.  Alvinae  concretiones. 

Coproplanesii? 9  die  Verirrung,  Austretung  des  Kothes 
in  andere  Theile,  z.  B.  mittels  einer  Darmfistel  ins  Becken. 

Coprosclerosiisi ,  Kothverhärtung  durch  Leibesverstopfung  und 
andere  Ursachen. 

Coprostasia,  gänzliche  Verstopfung  des  Darmcanals,  ß.  Obstru- 
ctio  alvi. 

Cordinema,  Schwindel,  Schwere  des  Kopfs,   s.  Vertigo. 

Corectomia,  Coredinhjsis  (richtiger  Iridectomin,  Iridodialysis") , 
Coretonectomin ,  Coretomia ,  Coretodiahjsis ,  die  künstliche  Pupillen- 
bildung. Ist  eine  Operation,  die  man  bei  Atresie  der  Pupille  mit  Nutzen 
anwendet;  s.   Synizesis  pupillae. 

Comeitis,    richtiger    Ceratitis  (^Krmis')^    Entzündung  der  Hornhaut 

des  Auges,  s.  Infi ammatio  corneae. 

Corpora  aliena  in.^erta,  fremde,  in  den  lebenden  Orga- 
nismus eingedrungene  Körper.  Hierunter  versteht  man  im  engem 
Sinne  das  Eindringen  fremder  Körper  in  die  natürlichen  Ein  -  und  Ausfüh- 
rungsöffnungen von  aussen  her  und  ohne  alle  Nebenverietzung,  so  dass  also 
keine  Verwundung  da  ist.  Wir  betrachten  1)  fremde  Körper  in  der 
Nasenhöhle,  als  Erbsen,  Bohnen,  kleine  Steine  etc.,  welche  sich  Kinder 
beim  Spielen  oft  in  die  Nase  stecken ,  oder  bei  Erwachsenen  abgebrochene 
Stücke  von  thönernen  Pfeifen  etc.,  die  beim  Stoss,  Fall  in  die  Nase  dran- 
gen, worauf  Geschwulst,  Entzündung  der  Nase,  selbst  Hirnzufälle,  Fieber 
folgen  können.  Man  suche  daher  den  fremden  Körper  schnell  durch  Her- 
vorrufung des  Niesens  mittels  Schnupftabak,  indem  zugleich  das  freie  Na- 
senloch zugehalten  wird ,  durch  kleine  Zangen  (Hakenpincette ,  Kornzange, 
Daviel'scher  Löffel)  zu  entfernen.  Oft  ist  es  schwer,  den  Ort,  wo  der 
fremde  Körper  sitzt,  aufzufinden.  Hülsenfrüchte  lassen  sich  am  besten  mit 
dem  Löffel  entfernen.  Der  Kranke  muss  bei  der  Operation  sitzen ,  nicht 
liegen ,  sonst  kann  der  fremde  Körper  in  die  Choanen  gerathen  oder  gar  in 
die  Luftröhre  fallen.  2)  Fremde  Körper  in  der  Kieferhöhle.  Wegen 
der  versteckten  Lage  des  Eingangs  dieser  Höhle  ist  es  selten,  dass  fremde 
Körper  ohne  Verletzung  ihrer  Wandungen  in  sie  hineingelangen.  Am  häufig- 
sten dringen  durch  cariöse  Offnungen  der  zahnlos  gewordenen  Alveole  kleine 
Körper:  Fruchtkerne,  Knochenfragmente,  selbst  Backenzähne  etc.  hinein, 
die  die  Schleimhaut  in  ihr  reizen,  Entzündung,  Eiterung,  Verdickung,  Auf- 
treibung und  Caries  des  Antrums  erregen.  Aus  diesen  Gründen  müssen  sol- 
che fremde  Körper  entfernt  werden.  Ist  die  schon  vorhandene  Öffnung  zu 
~"~^lein,  so  muss  sie  erweitert  werden,  oder  fehlt  sie,  so  wird  eine  neue  Öff- 
~^  gemacht  (s.-rAbscessus  an  tri  Highmori).  3)  Fremde  Körper 
-ern  Gehörgange.  Fast  eben  so  oft  als  in  die  Nasenlöcher  kom- 
•''^rn  durch   das  nie  zu  duldende   Spielen  mit  Erbsen,   Bohnen, 


r 


CORPORA  ALIENA  INSERTA  489 

Perlen  etc.  solche  Dinge  leicht  ins  Ohr;  ausserdem  kann  bei  Erwachsenen 
das  Ohrenschmalz  sich  verhärten  oder,  in- Baumwolle  gedrurtgen ,  einen  haf-» 
ten  Pflock  bilden,  und  so  als  fremder  Körper  ir*eizen  und  harthörig  mächeni 
Die  Zufölle  sind:  unangenehmes  SumSfert,  be^ndfers  bei  Bewegungen  des 
Kopfs,  Schmerz,  Fieber,  selbst  Delirien  und  Convulsionen ,  je  na«H ■  d»et 
Grösse  und  der  reizenden  Eigenschaft  des  fremden  Körpers  und  deriReix* 
barkeit  der  Constitution.  Bei  einem  Mädchen  war,  wie  Fabrielüs  Hildawis 
erzählt,  eine  Glasperle  ins  Ohr  gekommen,  deren  Ausziehung  durchaus  nicht 
hätte  glücken  wollen.  Sie  litt  später  in  Folge  des  Reizes  an  Hemicranie, 
an  Betäubung  der  ganzen  linken  Körperhälfte ,  an  Husten ,  Retentio  men- 
sium,  Epilepsie  und  an  Atrophie  des  linken  Arms.  Es  glückte,  später  .die 
Perle  herauszuziehen ,  wonach  allmälig  alle  Zufälle  verschwanden.  Nach 
Dicffenhach  (Rust^s  Handb.  d.  Chirurgie,  Bd.  V.  S.  288)  bedient  man  sich 
zur  Untersuchung  des  Ohrs  einer  dick  geknöpften  Sonde,  und  zum  Heraus- 
ziehen des  fremden  Körpers  eines  starken  Daviel'schen  Löffels  und  einer: mit 
einefin  Häkchen  versehenen  Pincette.  Eines  vorsichtigen  Verfahrens  bedarf 
es  dabei,  damit  man  mit  den  Instrumenten  hinter  den  fremden  Körper  kommt^ 
ohne  ihn  tiefer  in  den  Gehörgang  zu  stossen.  Wenn  solche  Versuche  ^icht 
gelingen,  so  nehme  man  eine  kleine  Mundspritze,  fülle  sie  mit  lauem  Was- 
ser, lasse  den  Kopf  des  Kranken  so  halten,  dass  das  leideridiB  Ohr  nach  un- 
ten steht,  und  spritze  die  Flüssigkeit  mit  einiger  Gewalt  ins'  Ohr.  In  den 
meisten  Fällen  hat  man  die  Freude,  dass  der  fremde  Körper  gleichzeitig  mit 
dem  ausfliessenden  Wasser  ausgespült  wird;  bei  Erbsen,  Bohnen  und  Perlen 
habe  ich  dieses  Verfahren,  welches  ich  von  einem  alten  Wundarzte  zuerst 
mit  Erfolg  verrichten  sah,  mit  Glück  öfters  ausgeübt.  Bei  verhärtetem 
Ohrenschmalz,  das  oft  nicht  unbedeutende  Harthörigkeit  erregt,  spritzen 
wir  vorher,  ehe  es  mit  dem  Löffel  entfernt  wird,  laues  Seifenwasser  eirt. 
Ins  Ohr  gekrochene  Insecten ,  Ohrwürmer  tödtet  man ,  indem  man  Baumöl 
ins  Ohr  giesst  und  entfernt  sie  dann ;  auch  kann  man  Aq.  Goulardi',  Aq'. 
laurocerasi,  mit  Wasser  verdünnt,  zu  diesem  Zwecke  ins  Ohr  spritzen.  Die 
Nachbehandlung  besteht  darin,  dass  man  reizmildernde  Mittel:  Oleosa,  Mu- 
cilaginosa  noch  einige  Zeit  ins  Ohr  bringt.  Dieffenhnch  erzählt  folgenden 
Fall:  Ein  achtzehnjähriges  Mädchen  hatte  in  seinem  fünften  Jahre  an  Caries 
der  Pars  mastoidea  des  Ossis  temporum  gelitten;  ^ie  ganze  Seite  des  Kopfs 
im  weiten  Umkreise  um  das  Ohr  war  aufgetrieben,  aus  dem  Gehörgange 
floss  stinkende  Jauche,  von  Schallwahrnehmung  war  auf  dieser  Seite  keine 
Spur.  Er  zog  einen  länglich  kubischen  Knochen  von  S  Linien  Dicke  und 
6 — 7  Linien  Länge  aus  der  Tiefe  des  Ohrs,  beim  Gebrauche  von  Breiumschlä-»' 
gen  und  Chamillenthee  (zum  Einspritzen?)  hörte  alle  Geschwulst  auf,  und 
das  Gehör  kehrte  vollkommen  wieder  zurück.  —  Sahntier  beobachtete  nach 
einer  im  Ohre  stecken  gebliebenen  Papierkugel  halbseitigen  Kopfschmerz, 
typhöses  Fieber  und  Tod.  Die  Section  zeigte  Caries  im  Innern  des  Ohrs 
und  Eitererguss  in  die  Schädelhöhle,  und  Power  erzählt,  dass  einKlümp- 
chen  zusammengeballter  Wolle  im  Ohre  hartnäckigen  Speichelfluss  und  Atro- 
phie herbeiführte.  4)  Fremde  Körper  im  Munde.  Sie  bleiben  nur  ste- 
cken, wenn  sie  spitzig,  scharf,  eckig  sind,  und  in  die  innere  Fläche  der 
Wangen,  in  die  Zunge,  in  den  weichen  und  harten  Gaumen  oder  zwisdheh 
die  Zähne  und  in  das  Zahnfleisch  dringen.  Auch  können  sie  mitunter  zwi- 
schen zwei  festen  Punkten  des  Ober-  und  Unterkiefers  sich  einklemmen, 
unbewegliches  Offenstehen  des  Mundes  und  scheinbaren  Trismus  erregen. 
Die  Entfernung  ist  mittels  der  Pincette  oder  Kornzange  leicht.  5)  Fremde 
Körper  im  Schlünde.  Sie  können  hier  bald  wegen  ihres  Volumens, 
bald  wegen  ihrer  Härte  oder  ungleichen  Oberfläche  stecken  bleiben;  oft  ver- 
hindert auch  Krampf  oder  Dysphagia  paralytica  das  Hiiiuntersöhlingen  eines 
sonst  nicht  grossen  fremden  Körpers.  Symptome  sind :  heftiger  örtlicher 
Schmerz,  Würgen,  Erbrechen,  Angst,  Erstickungszufälle,  Ohnmächten, 
Krämpfe,  Scheintod.  Sitzt  ein  ziemlich  grosser  fremder  Körper  dicht  hinter 
dem  Kehlkopfe,  so  kann  er  diesen  zusammendrücken  und  die  Erstickung  bis 
zum  höchsten  Grade  steigern,  so  dass  der  Tod  folgt,  wie  man  Beispiele  der 


490  CORPORA  ALIENA  INSERTA 

Art  hat,  wo  er  durch  ein  im  Schlünde  stecken  gebliebenes  Sh'ick  FleUcli, 
durch  ein  ganzes  hinuntergeschlucktes  Ei,  eine  Kastanie,  eine  Birne,  einen 
Knochen  etc.  bewirkt  wurde.  Zur  Diagnose,  dass  der  fremde  Körper 
nicht  in  solchen  Fällen  in  die  Luftröhre  gekommen,  dient  dieses:  Ist  der 
Durchmesser  des  fremden  Körpers  über  10  pariser. Linien,  .so  kann  er  «icht 
zwischen  Kehlkopf  und  Stimmritze  dnrchgeheix;  auch  fehlt  der  röchelnde, 
quälende  Athem,  das  zischende  Geräusch  des  Hustens,  und  der  Kranke 
kann  selbst  keine  flüssige  Dinge  hinunterschlucken.  Im  Kehlkopfe  kann  der 
fremde  Körper  nie  so  fest  eingekeilt  seyn,  wie  im  Schlünde,  er  würde  dann 
augenblicklichen  Tod  herbeiCühren.  Ist  der  im  Schlünde  stecken  gebliebene 
fremde  Körper  spitzig,  so  ist  der  Schmerz  besonders  bei  Berührung  und 
Bewegung  des  Halses  recht  lebhaft,  sowie  bei  den  Versuchen  zu  schlucken. 
Je  tiefer  der  fremde  Körper  sitzt ,  desto  weniger  stellen  sich  Erbrechen  und 
Dyspnoe  ein;  dagegen  sind  hier  die  Schmerzen  sehr  heftig,  indem  die  Be- 
wegungen des  Zwerchfells,  sowie  das  Auf-  und  Absteigen  des  Thorax,  ir- 
rend auf  den  leidenden  Theil  einwirken.  Der  Nervenreichthum  des  Schlun- 
des macht,  dass  kleine  spiizige,  darin  stecken  gebliebene  Körper  oft  die 
stärksten  Convulsionen  und  die  fürchtedich.sten  Zufälle  und,  werden  sie  nicht 
bald  entfernt,  den  Tod  erregen.  Nur  in  seltnen  Fällen  kapselt  sich  der 
Körper  ein  und  bildet  an  der  leidenden  Stelle  einen  Abscess,  durch  welchen 
er  später  entfernt  werden  kann.  Behandlung.  Man  suche  den  Körper 
entweder  nach  oben  herauszuziehen  oder  in  den  Magen  zu  stossen.  Der 
Sitz,  die  Form  und  Beschaffenheit  des  fremden  Körpers  erfordert  bald  das 
eine,  bald  das  andere  Verfahren.  Es  wäre  ebenso  unklug  —  sagt  Dieff'en- 
bnch  —  wenn  man  ein  im  Schlünde  steckendes  Stück  Glas  in  den  Magen 
hinabstos£:en,  als  wenn  man  ein  sehniges  Stück  Fleisch,  welches  auf  der 
Cardia  läge ,  nach  oben  herausziehen  wollte.  SitSit  der  fremde  Körper  hoch 
oben  im  Schlünde,  so  sucht  man  ihn  stets  nach  oben  heraus  zu  entfernen. 
Der  Kranke  setze  sich  gegen  das  Licht,  öffne  den  Mund,  mache  eine  tiefe 
langsame  Inspiration,  wodurch  Gaumensegel  und  Zäpfchen  in  die  Höhe  ge- 
zogen werden,  und  man  wird  oft  schon  sogleich  den  fremden  Körper  hoch 
oben  im  Schlünde  erblicken  und  kann  ihn  oft  mit  den  Fingern  herausnehmen. 
Sind  es  Nadeln,  Fischgräten,  kleine  Knochensplitter,  zumal  von  Gänsen,  so 
sind  sie  auf  solche  Weise  wej^en  ihrer  Härte  leicht  zu  entfernen.  Gelingt 
dies  nicht,  so  bediene  man  sich  des  Bartes  einer  geölten  Feder,  oder  einer 
Korn  -  und  Polypenzange  zu  ihrer  Entfernung ;  der  durch  die  Feder  erregte 
Kitzel  erregt  oft  Würgen,  so  dass  der  Körper  ausgestossen  wird.  Das  Volks- 
mittel,  in  solchen  Fällen  ein  Stück  Brot,  eine  Kartoffel  hinabzuschlucken, 
um  den  Körper  so  in  den  Magen  zu  treiben,  ist  höchst  verwerflich ;  ebenso 
der  von  einem  Franzosen  gegebene  Rath,  getrocknete  Stücke  Waschschwamra 
zu  verschlucken  und  dann  Wasser  nachzutrinken,  woselbst  der  Schwamm 
im  Darmcanal  schlimme  Zufälle  durchs  Steckenbleiben  erregen  kann.  Bei 
grössern,  stumpfen  Körpern,  welche  krampfhaft  vom  Schlünde  umschlungen 
sind,  ist  das  bekannte  Klopfen  in  den  Rücken  oft  schon  hinreichend,  den 
Körper  nach  oben  zu  entfernen.  Misslingen  alle  Versuche  zur  Entfernung 
des  fremden  Körpers,  so  kann  man  sich  bei  kleinen  Körpern  eines  Vomitivs 
bedienen,  worauf  der  Kranke  das  Weisse  von  4  Eiern  verschluckt.  Ist  er 
aber  gross,  so  kann  der  Kranke  gar  nicht  schlucken;  hier  muss  ein  Vomitiv 
in  die  Adern  gespritzt  werden ,  welches ,  da  es  schnell  Erbrechen  erregt, 
nur  noch  allein  das  Leben  retten  kann.  Man  öffnet  eine  Armvene,  nachdem 
sie  durch  einen,  1  Zoll  langen  Haut  schnitt  biosgelegt  worden,  bringt  in  die 
Öffnung  eine  l'/j  Zoll  lange  Canule,  setzt  in  diese  das  Rohr  der  das  Vomitiv 
enthaltenden  Spritze ,  und  entleert  nun  den  Inhalt  sehr  langsam.  Dieser  be- 
steht aus  3  bis  4  Gran  Tart.  emeticus,  in  2  Unzen  Aq.  destillat.  aufgelöst 
und  lauwarm  gemacht.  Die  Einspritzung  von  Pulv.  ipecac,  mit  Wasser  ver- 
mischt, würde  schnellen  Tod  oder  Vereiterung  der  Lungen  zur  Folge  haben, 
da  es  in  den  Capillargefassen  der  letztern  stecken  bleiben  würde ;  damit 
keine  Luft  in  die  Vene  komme,  muss  die  Spritze  ganz  gefüllt  seyn.  Die 
Armwunde   >vird   darauf  mit  Heftpflaster   verbunden  und,    um  Phlebitis  zu 


COEPOIU  ALIENA  INSERTA  491 

verhüfmi.'^  fortwährend  mit  kaltem  Wasser'  fomentirt.  Es  folgt  bald  mit  der» 
Krbredhen  der  fremde  Körper,  worüber  zahlreiche  Beobachtungen  gemacht 
Mrorden  sind  (s.  Scheel  v.  Dieff'enbnch,  Über  Transfusion  des  Blates  und  die 
Einspritzung  von  Arzneien  in  die  Ädernd  3  Bände.  1802  — 1828).  Zur  Aus* 
Ziehung  des  fremden  Körpers  ans  dem  Schlünde  hat  man  verschiedene  Zani 
gen  und  andere  Werkzeuge  (Drahtschlinge,  Fanginstrumente,  die  sog.  Blei'<" 
baromer  der  Alten,  z.  B.  der  von  Petit,  Mei^nier)  empfohlen,  die  nicht  alle 
zu  empfehlen  sind  (s.  Echoldt,  Über  das  Ausziehen  fremder  Körper  aus  dem 
Speisccanal  und  der  Luftröhrö.'  Kiel  u.  Leipz.  1799)^  Sitzt  der  fremde  Kör^^ 
per  hoch  oben  im  Schlünde,  so  bleiben  der  Zeige  -  und  Mittelfinger,  eine 
gewöhnliche  Kornzange  oder  kleine  Sleiuzange,  mit' welchen  man  das  Gör»- 
pus  delicti  fasst  und  entfernt,  die  besten  Geräthschaften.  Aber  für  die  Ent^ 
fernung  :der  in  der  Tiefe  lies  Schlundes  steckenden  fremden  Körper  ist  das 
brauchbarste  Instrument  der  mit  einem  Schwämme  versehene  Fischbeinstah. 
Im  Nothfall  leistet  auch  ein  zusammengedrehter" Wachsstock  gote  Dienstö. 
Man  kann  den  fremden  Körper  nach  Umständen  damit  herausziehen  odier 
auch  in  den  Magen  hinabstossen.  „Das  trefflichste  Werkzeug  — ■  sagt  Dief^ 
fenhnch  —  ist  der  Schwanim  an  dem  Fischbeinstabe;  beide  Stoffe  sind  aih 
besten  geeignet,  in  den  eropfindiichen  Rachen  undi  Schlund  eingeföhrt  zu 
werden«  Der  geölte  Schwamm  gleitet  über  den  fremden  Körper,  er  mag 
ein  spitziger  oder  platter  seyn,  hinweg,  und  dieser  setzt  sich  beim  Zurück- 
ziehen darin  fest,  besonders  ist  er  bei  Nadein  und  Gräten  unentbehrlich. 
Sitzt  ein  runder  Körper,  eine  verschluckte  Kugel,  ein  Fingerhut  oder  ein 
Stück  Fleisch  tief  im  Schlünde,  so  stösst  man  diese  Dinge  leicht  damit  in 
den  Magen  hinab.  Die  Erfindung  dieser  einfachen  Einrichtung  sollen  wir 
WilUs  verdanken;  PetiVs  Künsteleien  daran  sind  nicht  zu  loben.  Ein  äob- 
cher  Stab  muss  13  bis  16  Zoll  lang  seyn ,  oben  eine  gehörige  Dicke  zuito 
Anfassen  haben,  und  hiei:  viereckig  geschnitten  seyn;  am  untern  Ende  muss 
er  kaum  den  Durchmesser  eines  sehr  dünnen  Gänsekiels  haben.  Die  Grössfe 
des  Schwamms,  welcher  sehr  gena«  mit  ihm  verbunden  seyn  muss ,  damit  er 
nicht  abgleite  und  ebenfalls  im  Schlünde  stecken  .bleibe,  beträgt  für  einen 
Erwachsenen  die  Grösse  einer  massigen  Wallnuss,  für  ein  Kind  die  .einer 
guten  Haselnuss.  Wird  das  Instrument,  wobei  der  Kranke  sitzt  und  den 
Kopf  weit  nach  hinten  überbiegt,  eingeführt,  so  muss  man  es  sehr  schnell 
nach  unten  hinabschieben  und  es  längsam  zurückziehen;  glaubt  man  den 
fremden  Körper  in  den  Magen  hinabstossen  zu'  müssen,  so  schiebt  man  es 
langsam  hinein,  damit  der  Schwamm  nicht  über  demselben  fortgleite." 
Zum  Herausziehen  von  Geldmünzen  ist  der  mit  einem  Doppelringe  ver- 
sehene Fiächbeinstab  sehr  nützlich;  der  Ring  ist  mit  dem  Stabe  durch  eine 
Stahlfeder  verbunden;  daher  muss  man  ihn  sehr  vorsichtig  einbringen,  da- 
mit keine  Excoriationen  des  Schlundes  und  Rachens  erfolgen;  auch  muss 
der  Kranke  vorher  dicken  Haferschleim ,  Mandelöl  oder  Eiweiss  hinunter- 
schlürfen. Misslingen  alle  diese  Versuche  und  blieb  auch  das  Einspritzen 
eines  Brechmittels  in  die  Armvene  fruchtlos',  so  muss  bei  fortdauernden 
schlimmen  Zufällen  die  Oesophagotoroie  gemacht  werden,  und  ist  grosse  Er- 
stickungsgefahr da,  so  wird  vorher  erst  noch  die  Tracheotomie  nothwendig^^ 
Hahicot,  Bell,  Riist,  Cnllisen-,  Hichernnd  u.  a.  berühmte  Wundärzte  ziehen 
die  letztere  Operation  der  Eröffnung  der  Speiseröhre  stets  vor,  weil  sie 
das  dringend.ste  Symptom;  die  Erstickung,  beseitigt  und  man  nun  Zeit 
hat,  den  fremden  Körper  mit  mehr  Ruhe  und  Leichtigkeit  herauszuziehen 
oder  in  den  Magen  hinabzustossen.  6)  F'remde  Körper  im  Magen 
und  Darmcanal.  Sie  können  mechanisch  und  auch  chemisch,  je  nachdem 
sie  sich  auflösen  oder  nicht,  nachtheilig  wirken.  Die  Zufälle  mechanischer 
Art  hängen  von  dem  Sitze,  dem  Umfange  und  der  Beschaffenheit  des  frem- 
den Körpers  ab.  Häufig  bleiben  sie  lange  Zeit  im  Magen  oder  am  Ende 
des  Dünndarms  vor  der  Grimmdarmklappe  haften.  Oft  machen  sie  Jahre 
lang  wenig  Beschwerden,  nur  stumpfen  Druck,  Indigestionsbeschwerden. 
Nach  Heim  jun.  sind  die  heftigsten  Schmerzen  mit  jahrelangem  Leiden  vor- 
handen ,  wenn  auch  nur  der  kleinste  fremde  Körper  in  den  Processus  vermi- 


»92  CORPORA  ALTENA  INSEIITÄ 

formis  geräth,  wie  dies  eine  Section  neuerlich  nocch  bewiesen  hat  5  doth' ma- 
chen die  kleinen  Steine'  in  diesem  Fortsatze ,  die  ich  ein  paarmal  gefunden, 
nicht  immer  grosse  Beschwerden.  Die  Patientin,  deren  Section  vorhin  er-* 
wähnt  wurde,  litt  Jahre  lang  '  an  Unterleibsbeschwerden  mit  tiefem  fixem, 
heftigem  Schmerz.  Man  fand  eine  '/,  Zoll  lange  branriei  Fischgräte  im  Wurm- 
fortsatze.  In  dem  Magen  können  verschluckt^^  Körper  zu  ungeheuren  Quan- 
titäten anwachsen,  ehe  sie  tödten.  Fotirnier  berichtet,  dass  man  bei  einem 
an  Ileus  verstorbenen  Galeerenscläven  28  Holzstückchen,  eimge  kleine  zin- 
nerne Löffel,  mehrere  Nägel,  Schnallen,  in  Allem  52  Stück,  welche  zusam- 
men .1  Pfund  und  20  Loth  wogen,  gefunden  habe.  Spitzige  und  eckige 
Körper  erregen  leicht  Verwundung,  Entzündung,  Brand  oder  Eiterung,  Ma- 
genfisteln etc.  Nähnadeln  wandern  oft  vom  Magen  und  Darmcanal  und  kom- 
men an  entfernten  Stellen,  am  Schenkel,  Knie  etc.  Bum  Vorschein;  andere 
spitzige  Körper  gehen  oft  in  die  Bauchhöhle,  senken  sich  in  die  Blase,  die 
Scheide  etc.  Behandlung.  Ist  ein  fremder  Körper  erst  kürzlich  in  den 
Magen  gelangt,  der  mechanisch  oder  chemisch  schädlich  wirkt,  so  gieht  man 
ein  Vomitiv,  kann  auch  zuweilen ,  z.  B.  bei  schon  zum  Theil  aufgelösten 
■Kupfermühfeen,  die  Magenpumpen  von  Weiss  und.  Rend  in  Anwendung  bHn- 
;gen^  Gelingt  so  die  Entfernung  nicht,  so  gebe  man  viel  schleimige,  ölige 
Mittel,  Firniss,  Ol.  ricini,  um  den  fremden  Körper  einzuhüllen  und  den  Ab- 
gang desselben  nach  unten  zu  befördern.  Oft  geht  er  so  mit  dem  Stuhl- 
gange ab,  ohne  Darmentzündung  zu  erregen.  Stellt  sich  letztere  aber  ein, 
«ö  versäume  man  das  Aderlassen  und  die  örtlichen  Blutentziehungen  nicht. 
Zuweilen  setzt  er  sich  vor  den  Sphincter  ahi-,  und  muss  dann  mit  einer 
Zange  ausgezogen  werden.  Oft  haben  hier  durch  ihr  längeres  VerWeiUn, 
indem  man  den  örtlichen  Schmerz  für  Hämorrhoiden  hielt:,  kleine  Knochen, 
Gräten,  Nadeln,  Obstgehäuse  etc.  Gelegenheit  zur  Bildung  von  Mastdarni- 
fisteln  gegeben.  Bei  im  Darmcanal  stecken  gebliebenen  grossen,  unauflös- 
lichen fremden  Körpern,  die  heftige  Zufalle  erregen  und  deren  Entfernung 
nicht  gelang,  hat  man  den  Bauchschnitt  empfohlen;  doch  bleibt  dieser  eine 
gefährliche  Operation  (s.  Enterotomia).  Sind  lebendige  Thiere,  Blut- 
egel, Schnecken,'  Eidechsen,  kleine  Schlangen  etc.  in  den  Magen  gelangt, 
z.  B.  bei  Schlafenden  im  Walde,  wenn  der  Mund  geöffnet  ist;  so  tödte  man 
sie  durch  Salzwasser,  Essig,  und  gebe  hinterher  ein  Vomitiv.  7)  Fremde 
Körper  im  Mastdarme.  Nicht  blos  vom  Darmcanal  her,  auch  von 
aussen  können  sie  ins  Rectum  gelangen,  bald  aus  Muth>villen  Anderer,  bald 
aus  Ungeschicklichkeit  und  Unvorsichtigkeit.  So  brachte  sich  ein  an  Diar- 
rhöe leidender  Matrose  einen  grossen  Korkstöpsel  ins  Rectum,  der  nur  durch 
Osinndcr^s  Nachgeburtszange  entfernt  werden  konnte.  Einem  Manne  fuhr 
bei  Verrichtung  des  Bedürfnisses  eine  7  Zoll  lange  Baumwurzel  in  den  Mast- 
darm, die  V.  Wnlthcr  am  vierten  Tage  mit  der  Zange  auszog  (s.  v.  Greife's 
und  V.  WaJther's  Journal  Bd.  I.  u.  Bd.  IV.).  Auch  steinharte  Excremente 
können  im  Mastdarm  alle  Zufalle,  wie  jene  fremde  Körper,  erregen.  Diese 
sind:  Schmerz,  Entzündung,  Leibesverstopfung, -Brand  und  Tod,  oder  spä- 
ter Eiterung,  Verdickung,  Entartung  der  Häute,  Strictura  recti  etc.  Vergl. 
den  Artikel  Alvinae  concretiones.  —  Hat  man  den  fremden  Körper 
durchs  Ausziehen,  Zerstückeln  etc.  entfernt,  so  macht  man  Injectionen  von 
schleimigen  Dingen  mit  kaltem  Wasser,  um  alle  Fragmente  auszuspülen. 
Auch  bei  Blutungen  sind  diese  nützlich;  später,  bei  eintretender  Eiterung, 
setzt  man  Kiystiere  von  Decoct.  rad  althaeae.  Infus,  sambuci ,  chamomill. 
mit  Öl.  Der  Leib  wird  durch  Ol.:  ricini,  Sal  Glauberi  offen  erhalten.  Zu- 
weilen wird ,  um  den  fremden  Körper  zu  entfernen ,  ein  Einschnitt  in  den 
Sphinkter  nöthig;  dann  mache  man  anhaltend  kalte  Umschläge  und  vermeide 
jeden  Verband.  Ist  ein  Blutegel  in  den  Mastdarm  geschlüpft,  so  wirkt  ein 
Klystier  von  Salzwasser  am  besten,  um  ihn  zu  tödten  und  bald  zu  entfernen. 
8)  Fremde  Körper  im  Kehlkopfe  und  in  der  Luftröhre.  Sie 
können  in  unbewachten  Augenblicken  während  einer  Inspiration,  bei  schnel- 
lem Athmen,  während  des  Sprechens,  l^achens,  Gähnens,  Seufzens  etc.  in 
den  Kehlkopf  oder  die  Luftröhre  dringen.      Kinder  treiben  oft   das    nie  zu 


CORPORA  ALIENA  INSERTA  495 

I  4ul«Ien4e  Spiel,. ^ea  kleinen  Körper,  eiae  Bohne,  ein  Stuckeben  Holz  auf 
J  die  HaAd  zu  lugen,  diese  an  den  Mund  zu  bringen  und,  indem  ß\e  ^ne  ti^f^ 
H  Iiupiratiun  mactien,  gewaltsam  den  Körper,  wegzublasen.  Häufig  schlüpft 
I  er  hier  bei  der  tiefen .  Inspiration  in  den  Kehlkopf.  Au«h  aus  dem  Scldund«^ 
I  kennen  fremde  Körper  heraufkommen  und  in  die  Luftröhre  falten,  sowie  man 
1  denn  auch  Fälle  bat,  wo  S^Mklwürmer  aus  dem  Schlünde  in  die  Tracixea  ge-; 
krqpheq  sind  (Hnfler).  Ei|l  Körper,  dessen  Durchmesser  ( nicht,  dessen  Per. 
yiphejiie,  wie  Dieffhiha,ch  in  Bust's  Handb.  d.  Chirurgie,  Bd.'  V.  S.  o04,.sagt)[ 
:  öbw  1Q-— 12  pariser  Linien  XI  Zoll)  beträgt.,,  kann,  nicht  :durch. die  StimiOr. 
fitze  dringen.  Die.Zu fälle  .durch,  fremde.. in,  den  Kehlkot)f  .^Ijangte  :Kßjp-; 
per  ^ind  sehr  heftiger..  Art». ;.aU:  convujsivisches  Husten-^  heisete , .  ver äiil-n 
derte  Stimme,  unbeschreibliche  Angst  und  grosse,, Dyspnoe,  die  grösst« 
£}r<>Qhöpfiing,  Ohnmächten,  .i'.^^  fitelleu  siivh  Remissiom^n  idüa.,ldo.cb  baldikeiU^. 
reu  die  Anlalle  iiüt  erJiBuerter, Heftigkeit: aviiü.ck,.  uudt^ÄO  dauert  dieser  Zu-a 
«tand  .mit  abwechselnd,er.  Ab, 7. Ivnd  Znnahiöe:> der  Anfälle  bJU  zum  iTode  .foxt^ 
^lem  bläulich  aufjgedui)sßftes ;  Göjjicht ,  stiere.^:  glänzcyide,  .  heövorgfctriebene 
Augen,  stark  geröthet:$  jCo^iJQdjV^lva^,  z!ii!yv«)ileA  JBmphyselu  de&  Haläes 'eiCc. 
vprl^gehen.  Selbst  dieiklt^j^^^efti'frentdajrtigenSnbstanzen«  welohe.  in.  K^H 
köpf,  und  L^fM^öhre  getartgeomjj^t^gen,  b^i  der«  grossen  Empfindlichkeit  de* 
erjiteirn'ihcftigen  Kraölpfhi|st0tt.y  der  aber  wieder  , zu  ihrer  Ausstossung.  in,  der, 
Reg^l,  die»t;  bleibt,  ein  fremde  Körper  .nur: kurzöi  Zeit  in  der  Stimmritze; 
fest  sitzen,  so  führt  er  unter  Convulsiooen  d,€in  schrecklichsten  Erstickuogs^ 
tod  herbei.  Fällt  der  fr^mdq  Körper  in  die  Luftröhre ,  so  sind  di<e  Zufällci 
jsy^aj'  für  den  Augenblick  weniger  heftig,  aber  .dpch  Siehr  ängstlich.  Ist  dör 
Körpc^^  leipht,  ^p  st«;igt  :\Mid  fällt  er.  bei  der  Ex^  und  Inspiration.  Ist, et. 
ui  <Üe  Ventrikel  des  Lapynjs  pde?  in  einen.  Bronchus  (am  häufigsten; in  dea 
fechten,  da  dieser  kürzer  u.J^d,;Weiter  ist)  g«)-athen , ,  so  ist  der  Husten  nlchti 
si^.stßfifi  v."d  anhakcjid, ...die, Stimme  dbeKliOft  1  heiser^, der.  Sehmei'z  erträgliche 
und  dit^,,Krampfaiiölle,  .ye^jcea  nicht  so, .oft»  J^othtieind;  sich  die  1  Zufälle 
nicht. .immer  gleich  T"  allmäUg  göwöhuen.  sich  selbst  in  einzelnen  iFällen.  .die 
I^uf^wegean  dei);,fremdartjgiBn  Reiz, .  das  .Corpus,  delicti  dringt  tiefer  iadi» 
Lungens^ib^tauz ,  erregt .  chronische  Eutzündwiigi  vmd  Eiterung,,  .EhthisiSikkTi 
fjngea,  pulmonalis,  und  es.folgt  nach  MonSiteriidejf  Tod.  Nicht  selten, zeigt 
§ich  aber  auch  Wer -.die  grosse '  Naturheilkfiaft,  Sudem,  sich  ein  Abscess.in  der, 
Lunge  l^ildet,  der  Husten  mit  dem  Eiter  den  ix^mden  Körper  ausmcft. und, 
daun  die  Heilung  unter  Schliessiung .  der  Yomica  bald  folgt. —  ,  ;Bei ;  Kindern 
^ind  die  Zufälle  von  fremdet; liii  die,  I^yf;tr/öbcß  gelangten  Körpern  oft  sft 
sonderbar,  so  periodisch,  ^— ;,sagt  fiiQff'eßh^hi  -r-  dass  der  Arzt,  welcher 
i)ich,t  von  dem,  wap  yorgegai^gen,  untef.f},qhtf!t,_;VrQTden,  zu  deib  Glaube» 
yerl eitet,, werden  kanp,  ein^i  Croup  vor  sich: «u^habetT.  Einen, iijteutssantea 
B'all  der  Axt  erzählt  Reiche  in  Jlvseß,  M^g^z,  Bdv  XXVIL  8.1.58:.  Emem 
2'/>3ährigen  Mädchen  war,  ein  Stück  eines ,. Wallnusskerns  in  die,  Luftrölhie 
gerathen.  Der  herbeigerujfeji^.iArzt  erklÄriii?  die  periodisch-  eiiitreteoden  Zu.^' 
falle  yo«  Orthopnoe  fiir  :Croiip.  Erst  ^a&hdem;,s.i<:tt  eiö  ungeheures  Emphy-h 
sem  ai]»  Halse  gebildet  iiatte,  wurde  die  Krankheh;  gfehörig  erkannt;  die  als 
nothwendig  erachtete  Tracheotomie  lehnte  inian  aber  ab.  Als  nun;  am ,  näch-> 
sten  Tage  alle  Erscheinungen  den  höchsten;  Qrad,  erreiicht  hatteiv,  wurdo 
unvermuthet  das  Stück  Wallnusskern  ausgeworfen ,  worauf  die,  Zufalle  so- 
gleich nachliessen ,  und  die  Genesung  allmälig,  ieintrat.  In  dem  Ameriqan 
medical  Recorder  (April  18^3)  , wird  ein  ,Fiall  pfzjjblt.^ ,  wo  nach  neunjähri*-, 
gern  Leidem,  welches  man  lyürmern  im  Dafoiqanell  {ws.<:hrieib,  ein  :Stück  .VQn 
eiaer  Bleifeder  ausgehustet,  wnr^e,,  worauf  ,allmälig,  yptlkommne  Ges^ndhe^ 
eintrat.  Cur.  „Alle,  Mittel,  welche  der,  Kunst  zur  Entfernung  des  freuen 
den  I^örpers  ohne  die  blutige,  Operation  a,i}s  d^A  Luftwegen  zu  Gebptefi^n 
hen,  sind  —  e&gt  Dieffeiihnch  .—-.so  unwirksam ,, dass  sich  dieselben  fa&t) 
einzig  und  allein  auf  ein  schleuniges  Emetici^m  reduciren;  durch  diesem  ge^ 
lingt  es  bisweilen,  den.  fremden  Körper ;, h,^auszutreiben.  Ausserdeni  sind 
zur  Milderung  der  Zufalle  eiji.e , streng  ftntJphlogistiscJje  und  kraajipfistillend.e 
Behandlung  als   Palliativcux ,  ang^eigt. "    •  In  ,4er .  .MeHr,:5^hl  der. ;  FftUe  .■  i^mss 


494  CORPORA  AUENA  INSERTA 

Ate  ErolTnung  des  Kehlkopfes  oder  der  Luftrohre  vorgenommen  werden 
(s.  Laryngotomia).  Sitzt  aber  der  fremde  Körper  so  hoch  oben  im 
Kehlkopfe,  dass  man  ihn  erreichen  kann,  so  lässt  er  sich  mit  den  Fingern 
oder  einer  Pincette  herausziehen;  zumal  gelingt  dies  oft  mit  Nadeln,  Gräten 
und  andern  sich  festsetzenden  Körpern^  9)  Fremde  Körper  in  dv 
Harnröhre  und  Harnblase.  Hiezu  rechnet  man  nur  solche,  die  vou 
aussen  in  diese  Theile  gedrungen  sind ,  also  nicht  die  Harnsteine.  Zufällig 
können  Nadeln,  Kornähren,  Holz,  Bougies,  Katheter  hineingedrungen  und 
abgebrochen  seyn;  zumal  kommt  dies  bei  Krahken^  die  an  Urinbeschwerden 
leiden,  und  dergleichen,  um  den  Urin  in  Fluss  zu  bringen,  hineinbrachten^ 
oft  vor.  •  Durch  einen  in  die  Harnröhre  gekommenen  fremden  Körper  wird, 
je  nach  seiner  Dicke,  die  Harnabsonderung  entweder  völlig  oder  theil weise 
gehemmt,  nan  kann  den  Körper  von  aussen  meist  durchfühlen,  der  Kranke 
klagt  über  heftige  Schmerzen,  und  der  hinter  dem  Corpus  delicti  gelegene. 
Theil  der  Harnröhre  ist  durch  den  Andrang  des  Harns,  gerade  wie  bei  der 
Atresie  der  Harnröhre,  strangartig  ausgedehnt;  auch  senkt  sich  der  Harn, 
wird  der  fremde  Körper  nicht  bald  entfern«Vi'Wol  in  die  Wandungen  ein. 
Di«  Urethra' erweitert  sich  hier  und  der  Ui*indtrahl  erreicht  die  vorige  Dicke 
wieder  j 'wie  wol  er  meistens -eine  schräge  Richtung  behält.  Durch  die  Länge 
der  Zeit  incnistirt  der  fremde  Körper  hier  völlig.  Zuweilen  ist  abfer  die 
Entzündung  so  heftige  dass  Eitet^irtg  und  Wanderung  des  fremden  Körpers 
nach  aussen  folgen ,  so  dass  nicht  selten  callöse  Strictur  öder  Harnftstel  sich 
bilden.  Die  Zufälle  -sind  denen  der  in  die  Urethra  gelangten  Nierensteine 
gleich  (s.  iiiithiasis)'.'  Cur.  Befindet  sich  der  fremde  Körper  in  d^i*  Nähö 
des  äussern  Orificium  urethrafe,  so  kann  man  ihn  mit  einer  langanlngen, 
feinen  Hakenpincette,:  selbst  aus'  der  Tiefe  von'  mehreren  Zollen j  hera^is-^ 
holen  (DiertfonhacK).  Hat  man  ihn  gefasst,  so  nrass  man  denselben  mit  den 
Fingern  der  linken  Hand-  bei  umschlossenem  Penis  'stark  nach  vorw  dränge»; 
Sehr  gut  ist  auch  zinn  Herausaiehen //wj^«^'«  gestielter,  schmaler,  mit  eincnl 
Schieber  versehener  DoppellöfFel ,  weniger  brauchbar  C'ibirt/e's  ähnliches  In- 
strument, bestehend  aus  4  Löffeln  und  einem  Bohrer  in  der  Mitte.  Ktinil 
man  auf  solche  Weise  den  fremden  Körper  -nicht  entfernen,  so  macht  man 
auf  ihm  einen  Einschnitt  in  die  Harnröhre  und  zieht  ihn  so  heraus.  Die  in 
der  weiblichen  Harnröhre  oder  Blase  befindlichen-  fremden  Körper  lassen 
sich,  da  erstere  Weiter  und  kürzer,  auch  gerade  ist,  selbiJt  bei  nicht  unbe- 
trächtlicher Grösse -des  fremden  Körpers,  z.  B.  eines  Steins,  oft  leicht  durch 
Zerstückelung  und  Herausziehen  ertlfernen  {il  Lithontripsis),  10)  Fremde 
Körper -in  der  Vagina  und  dem  Ut*rus."  Sie  kommen  selten  vor; 
meibtniir  bei'  sehr  wollüstigen  oder  psychisch  kranken  Frauenzimnterh  oidei^ 
bei  solchen  y  die  sich  Abortus' erregen  Wollen  und  sie  sich  absichtlich  hinein- 
steckeb,:  «.- B.  Korkstöpsel.  '  Ist  der  fremde  Körper  eckig ,  Scharf ,''äpiCzlgJ 
so  "kann  heftige  Entzüftdung  und  Verschwärung  folgen.  Mit  dem  H'eraus- 
züet^it-  muss  man  sehr  behutsam  zu  Werke  gehen  und  vorher  für  Entleerung 
de3-  Mastdarms  und  der  Blase  sorgen.  Alle  >ncrwstirtePes.sarien  körtnfen  oft 
Versoh\V.ärung  und  üble  Zufalle  erregen.  Ich  entfernte  einen  sotchen  bei 
cmer- 70jährigen  Frau,  der  20  Jahre  in  der  Scheide' gese'ssen  hatte,  so  dass 
die  etwas'  gedächtnissschwache  Person  sich  nicht  mehr  an  ihn  erinnern  konnte. 
'  Corpora  nlienn  ociilo  illapsa.  Fremde  Körper  können  zwischen  die  Au*^ 
genlider  und  den  Bulbus,  bei  grösserer  Gewalt  selbst  in  diese  eindringen^ 
die  heftigsten  Schmerzen,  Entzündung,  Ulcus  corneae',  Leucom  etc.  erre-^ 
gen.  Staub,  Schnupftabak,  kleine  Insecten ,  Haare  etc*  verursachen  durch 
ihren' R«Jf  bald  Thräneniluss ,  mit  welchem  sie  oft  ausgespült  werden.  Ist 
dies  nicht  der  Fall,  so  streiche  man  behutsam  die  äussere  Fläche  der  Au- 
geiilider  nach  dem  inneni  Augenwinkel  zu, 'oder  halte,  wenn  dies  nichts 
fruchtet,  die  Augenlider  CHI  paar  Minuten  zu  und  comprimire  mit  dem  Pili-* 
ger  massig  den  Thränensack,  wodurch  das  Abfliessen  der  Thränen  vd'hin-^ 
dert  und  ihre  reichlichere  Ansammlung  zwischen  den  Lidern  befördert  wird; 
Auch  da«  Baden  des  Auges  in  der  hohlen  Hand  oder  mit  einem  Schwämme 
leistet  bei 'kleinen  Körpern,  aläT  Asche,  Sand,  Schnupftabak,  gutelMenste; 


CORPORA  ALIENA  INSERTA  495 

desgleichen  ein-  in  Milch  oder  Wasser  getauchter  Kameelhaarpinsel.  Sitzt 
der  fremde  Körper  im  Sinus  des  obern  Augenlides ,  so  muss  man  letzteres 
meist  umkehren,  was  bei  einiger  Übung  keinen  Schmerz  eriegt^  und  ent-r 
feint  dann  den  fremden  Körper  mit  einer  kleinen,  stumpfen  Piticette  oder 
dem  Löffel.  Auch  die  in  die  Hornhaut  eingedrungenen  fremden  Körper  ent- 
fernt man  so.  Schmieden  und  Schlössern  fliegen  oft  kleine  Stücke  Eisen  iiis 
Auge,  zumal  beim  Schmieden.  Hier  entfernt  dieselben  oft  am  besten  ein 
uiehrere  Pfunde  tragender  Magnet,  nahe  an  die  leidende  Stelle  gehalteiu 
Sind  scharfe  Dinge:  Kalk,  Säuren,  Pfeffer,  Schnupftabak  ins  Auge  gekoui- 
'men,  so  leistet  laue  Milch,  Muoil.  gumm.  arab.  zum  Ausspülen,  die  besten 
Dienste.  Die  ins  Innere  des  Auges  gedrungenen  fremden^  Körper  ntä&t 
«en:  wenn  sie  eingekapselt  sind,  mit  einer  Staarnadel  freigemacht  und  dann 
entfernt  werden.  —  Fumentafcionen  von  kaltem  '  Wasser ,  ßleiwasser,  bei 
reizbaren  Personen  auch  schleimige  Augenwasser  mit  etwas  Laiidaumm,  sind 
hinterher  anzuwenden.  Ist  wirkliche  finteündung  eingetreten,  dann  auch 
Blutausleerungen.        •••"•  ,  i 

Corjiorn  cnrtifäffinosn  krticulorum,  s.  Corpora  interarticularia, .  s.  Con- 
ctetneiita  tvrliculoriitii.,  sivi  Mures  in  genu,  fremde  Körper  in  den  Ge-r 
lenken,  Gele«  kcö  ncremente,  Gelenkmäuse.  Sind  khorpelai^tige 
oder  knöcherne  kleine  Körper,  welche  isich  zuwieilen  in  den < Gelenken ,  vor- 
züglich im  Kniegelenk,  seltener  in  den  Schulter-,  Kinnbacken-,  Elllenbogen,- 
FuiJs-  und  Handgelenken  erzeugen.  Sie  haben  eine  länglivh^platte,  linsen- 
förmige, in  der  Mitte  vertiefte  Form,  wie  Nux  vomica,  haben  abgerundete 
Ränder  und,  w<inn  sie  auch  aus  Knochen  bestehen,  einen  knorpligen  Über- 
zug; oft  findet  ftian  mehrere  mit  einander  zusammenhängende  Zuweilen 
sind  sie  sehr  weich,  gahz  unorganisch ;- am  häufigsten  findet  man  1  bis  2^ 
«ellener  mehrere^  selbst  -bis  20  im  Gelenice;  ihre  Grösse  ist  die  einer  Linse^ 
eines  Traubenkerns  bis  zu  der  einer  Mandel  und  .kleinen  Kastanie  (üeniM- 
rwjJ,  Morgnifiti,  'Haller ^  Desault).  Me\st  sind  sie  beweglich,  zuweilen  aber 
auch  nichlt  frei  im.  Gelenke,  sondern  durch  einen  dünnen  St*!^  >n  die  Ge- 
lenkkapsel befestigt.  Sind  nie  so  fixirt  und  dabei  klein,  so  können  sie  lauge 
bestehen,  ohue  Beschwerden  zu  erregen.  Im  entgegengesetzten  Fair  hin-i- 
dern  sie  die  Bewegung  des  Gliedes,  erregen  .oft  die  heftigsten , Schmerjse^, 
Ohnmächten  uod  plötzliche  Unmöglichkeit  >  daü  Gelenk  zu  bevyeggi).  Be« 
sonders  ist  dieses  im  Kniegelenk  der  Fall,  .wertrt  der  fremde  Körpcgr  ^vvÄt 
sehen  die  Geleukendeii  geräth.  Die  ;der  vorhergegangenen  entgegengei^etzte 
Bewegung  treibt  ihn  aber  oft  schnell,  wieder  in  eineii  freien  Kaun^.  und 
dann  verschwinden  plötzlich  jene'  SchSiierzen.  Zuweilfen  folgt^'felnc  entzünd- 
liche Anschwellung  des  Gelenks  und  übenfiäl^ige  Anhäufung  ^etf'^tfeid Was- 
sers, was  fälsfclilich' oft  für  eine  rheumatische  Affention  gehaitea.wud)  Im 
Kniegelenke  find^i  sieh  diie.se  Körper>  am  häutigste«  an  der  innere  >Seit&;B(e- 
ben  der  Flechse, der  Bxtensoreii  des  Uniterscüenkels ;  man  fühlt  sie  kier^ioft 
deutlich  von  aussen'  undkäna  sie  verschiebjön.  Diagnose.:.  V«n!<iiheunla'- 
tidcher  Gelenka^eölioa.uatei-scheidet  bioh  das  Übet  dadurch,  d«^  der, Kranke 
bisher  nicht  zu  Rheuma  disponirte,  dass  der  Schmerz  plötzlithiünd-wach, ieir 
ner  Bewegung. des,  Gelenks,  oder,  wenn  der  Kranke  schon  mebrere.iAnfälle 
erlitt,  immer  ^ach  einer  l)estimmten  Bewegung»  enjUtand ,  :das*,«r, schweigt, 
so  lange  das  Glied  in  einer  gewissen  Lage  ganz  ruhig  gehalteii  wird,  da-^ 
gegen  durch  Bevyegung  und  bei  einer  gewissen  Lageveränderung  sogleich 
zurückkehrt ,  ohne  dass  hierbei  Tages  -  oder  Witterungswechsel  von  Eintlus^ 
wären,  endlich  dass  nach  einer  zufällicqn  Bewegung  das  Gelenk,  plötzlich 
wieder  frei  von  Schmerzen  wird.  Ursachen,  Über  die  "Ent^^hürfgsart 
dieser  Concremehte  herrschen  verschiedene  Meinungen.  Zuweilen  grfrt!  eine 
äussere  Gewaltthätigkeit  vorher,  zuweilen' nicht.  Moin-o ,  Reinntrüs,;  Löffier, 
Mqhrcnheim,  Cruifcshnnh  halten  sie  für  losgetrennte  Stücke  der  Gelenfckfior^ 
pel  oder  Knochen,  Fotd  für  Anhängsel  und  Wucherungen  der  Gelenkknöi- 
pel,  ITieden  für  gedrückte  verhärtete  GelenkdrOsen ,  Bichat  für  eine  Verän- 
derung der  Synovralhaut  des  Knorpel«,  'Hunter  für  extravasirtes  Blut,  'Stni- 
der  für  Niederschläge  aus   dem  Gliedwasser  j    Richerand  und  Schreget  ^lau- 


496  CORJRIGEN^m  —  COSMETICA 

ben,  dass  sie  bald  unorganische,  bakl  organische  Concretlonen ,  .krankhafte 
Auswüchse  der  Synoyjalbaut  seyen.  Ohnstreitig  bilden  si^  sich  auf  verschie- 
dene Weisß.  Behandlung.  Das  sicherste  Mittel  ist:  sie  durch  Erölfnung 
der  Gelenkkapsel  zu  entfernen,  welche  Operation  gar  nicht  so  gefährlich 
ist,  wie  Manche  glauben.  Desault ,  Brodle ,  liust  u.  A.  haben  sie  mit  Glück 
oft  verrichtet.  Doch  ist  sie,  so  lange  der  fremde  Körper  noch  unbeweglich 
oder  das  Gelenk  entzündet  und  schmerzhaft  ist,  nicht  vorzunehmen.  Die 
Operation  am  Kniegelenke  wird  folgendermassen  verrichtet:  Man  legt  de^ 
Kranken  horizontal- ^"f*s*nen  Tisch,  bringt  den  beweglichen  fremden  Kör- 
per an  deuiobern  und  innern  Theil  des  Gelenks,  und  fixirt  ihn  oder,  wo 
mehrere  sind ,  sie  alle  mit  den  Fingern  der  linken  Hand.  Ein  Gehülfe  zieht 
darauf  die  Haut  möglichst  stark  nach  aussen  hin,  und  hält  sie  so  angespannt. 
Sodann  macht .  man  mit '  einem  gewölbten  Bistouri  einen  senkrechten  Ein- 
äoimitt.auf.'den  fremden. Körper  mit  einem  Zuge  durch  die  Haut  und  das 
Kapselgelank  1  von  solcher  Länge,  d?tss  der  Körper  von  selbst  hervorspringt, 
oder  doch  leicht  herausgedrückt  oder  mittels  einer  PincettQ  entfernt  werden 
fcahh. .  Die  liicision .  müss  daher  wenigstens  Vt  Zoll  oben  und  unten  länger 
sey'n,  a^s^das  zu  entfernende, Concr.ement.  ,  Entschlüpft  dieses  in  dem  Augen- 
blicke, naohdem.  der  Schnitt;:geniacht  ist,  so. suche  man  es  yyi^der  zur  Wunde 
zurückzubriugeny  schliesse. sie laber, sogleich,  wenn  es  nicht  leicht  und^ctuiell 
gelingt».  So  \vie  der  Zwgck  -erreicht  ist,  wird  die  angpspannte  Haut  schnell 
iosgelissen  /.ünd  jdurch  ihre  Verschiebung  schli^sst  sich  die  innere  Wunde. 
Die  Hautvwunde  wird  mit.  Heftpflaster  genau  vereinigt  und  schnell  geheilt, 
^Yaß,  .wenn  lf;eine  Entzündung- des  Geslenks  folgt,  in ,  wenigen  Tagen  gelingt. 
Ruhe  des  Gliedes  ist  durchaus  n^tbwendig ;;  bei  Anzeichen  vpn  Inflammation 
(üeaen  kalte  Umschläge ,  Blutegel ,  ;  Einreibungen  ,  von  Unguent.  mercuriale 
is..rCTicliioSi   Handb.  d.  Chirurgie.   a8§9.   Bd.  IJ. .  S,  477.    ßusVs  Handb.   d. 

Chirui-gie.  .Bd.  ,V.  S...S^3)..,:..;    .  ^:  'i.;,    ,         ■.  : ;.,.,....'.      ;    .     . 

„Corpora  interarüculariai  s,,.Cor.p,q.ra. .^SLTt'iXfigiiXOAXi  axti^ulfjriim, 
''"  Cerrlg'entia»  Säfte  verbessernde  Mittel.  Dabin  gehören  nach 
der '•  altern  l'athologie  alle  demulcirende,  sogenannte  blotreinigende  Mittel, 
die  •  Tisanen  Von  Spec.  lignoriim,.  Rad.  graminis,  bardanae,  die  frischen 
Kräuterääfte-,  die  Molken  etc. ,  welche  Mittel  neben  einer  strengen  Diät  in 
vielen  fc'hronischen  Kranklteiten-' höchst  heilsam  iiind,  mögen  si«  immerhin  nur 
mittelbar  auf  die  Säfte  wirken.      .      '  ...'.    - 

Corröborantia,   stärkende  Mittel,  s;R ob oiratitiä.' 
CorrodentiÄj  ätzende  Mittel,  s.  Caustica.  ,*"./'  ' 

Corrosiv»,  s..  Caustica.    ,:,,  j.;  :...,     ,  j    ■..   ,,.,, 

Corrtiptio,  Zerstörung.  IsA'^ntwedenpartiell^z^iB.  bei  Gangrän^ 
od«r  allgemein  bei  der  Verwesung,  wo  die  Zerstörung  des  Organischen  durcfc 
den  'Chemismus  der  anorganischen  Natur  bedingt  wird.:  Auch  durch  dynanw^ 
sohö'undi- mechanische  Schädlichkeiten  können  einzelne  Theile,  Organe  dek 
lebBndfeit'KörpiT&,  wobei  häufig  noch  die  Integrität 'der  übrigen  Orcane  er- 
halten -warden;  kann,  zerstört  werden.  •  i  .. M 
.  .  .  CorrwpXxo  liumomm ^  Säfteverderbniss ,  s.  Cacocbymia.'  >  ,  n 
'  ■ 'Coi^l>»nti»8llMI8,  Coryhnntisinus ,  ein  wilder,  tobender  Ge^« 
m^thszustand,  ein  Wahnsinn,  oder  auch  ein  fieberhafttes  Delirium,  brf 
welchefti  die  Kranken  von  allerlei  phantastischen  Schreckbildern  geplagt 
werdrn  urtd  gar  nicht  oder  mit  offenen  Augen  schlafen. 

Coryza,  Catarrhus  nasi,  der  Schnupfen,  s.  Blenrio'rr hoea  nasil 
€)osin^iica>5  Schmink  mittel,  z.  B.  um  roth  zu  schminken,  rothei; 
Carmin,  um  weiss  zu  schminken,  Magisterium  bismuthi.  J^lle  Schminken 
sind  mehr  oder  minder  der  Gesundheit  und  Schönheit  nachtheilig ;  maucl^s 
besteben  sogar  aus  Arsenik  und  Sublimat,  und  können  durch  Resorption 
allgenjeine  Vergiftung  und  Tod  erregen ,  wovon  Herr  Professor  Lenhossek  i|i 
Wipn  noch  vor  wenigen  Jahren  e'm  Beispiel  erlebte.  Auch  versteht  maa 
unter  dein  Namen  Cosmetica  Alles  >  was  die  Haut  verschönert,  z.B.  Wasobr 


COSMETICA  497 

Wasser  aus'  Mandelmilch  und  Tinct.  benzoes  u.  s.  f.     Im  weitern  Sinne  ge- 
hört zu  den  Schönheitsmitteln  Alles,  was  dem  Körper  die  beeinträch- 
tigte Schönheit  so  viel  als  möglich  wieder  glebt  und  ihm,  ohne  der  Gesund-' 
heit  zu  schaden,     grössere  Wohlgefälligkeit  verleihet,   z.  B.  die  ganze  Mo- 
rioplastik,    besonders    aber   die    Rhinoplastik.      Da   die  menschliche 
Schönheit  ohne  Gesundheit  nicht  gedacht  werden  kann,  so  macht  die  Cosme- 
tik  einen  Theil   der  Diätetik  aus;    eben    so  macht  sie  einen  Theil   der  Chi- 
rurgie und   der  Innern  Heilkunde   aus ,    je   nachdem   sie   durch  verschiedene 
Mittel,    durch    die    Morioplastik ,    durch    Streckapparate    bei    Krümmungen, 
durch   künstliche  Augen,    Nase,    Gliedmassen  etc.    Fehler   der  Form,    oder 
durch  innere  Mittel   Fehler  der  Hautfarbe,  z.  B.  bei  Icterus,  Chlorosis  etc, 
verbessert.  —  Die  populäre  Cosmetik  beschäftigt  sich  vorzugsweise  mit  der 
auf  richtige  medicinische  Grundsätze   basirten  Cültur   der  Haut,    der  Haare 
und  der   Zähne.  —  Um  die  Reinheit   und  Glätte  der  Haut  zn  erhal- 
ten ,  ist  Reinlichkeit ,  öfteres  Waschen  und  Baden  das  Hauptmittel.     Regen- 
und  Flusswasser   machen   die  Haut  geschmeidiger',    als  Quellwasser.     Auch 
gute  Seifen  befördern   die  Schönheit    der  Haut ,    z.B.  folgende  cosmetische 
Seife;  man  nehme:  Gepulverte  spanische  Seife  1  ^,  weisse TVIandelkleie  4Loth, 
gereinigtes  kohlensaures  Kali  1  Loth,  Moschus  10  Gran,  Thymianöl  20  Tro- 
pfen,  Majorangeist  8  Loth.      Alles  wird  gemischt,   mit  Tragantschleim  und 
Orangenblüthwasser  zu  einem  Teige  angestossen   und  nach  Belieben  Kugeln 
davon  formirt.     Diese  Seife  nützt  bei  unreiner, -spröder,  fleckiger  Haut,  bei 
Sommersprossen,  Leberflecken.    Dagegen  kann  man  auch  ffwfe^fwjd's  Wasch- 
wasser benutzen.    Eis  besteht  aus:  Mandelkleie  1  Loth,  Rosenwasser  16  Loth, 
Borax  1  Quentchen,    Benzoetinctur  2  Quentchen.     In  neuerer  Zeit  ist  auch 
der  Chlorkalk  zum  Toilettengebrauch  mit  Vortheil  benutzt  worden,  nament- 
lich  in   Paris   und   andern   Städten   Frankreichs    (s.  Journ.   de   Chim.    med., 
Octbr.  1827  u.  Jan.,  1828,  w.  Griife's  u.  v.  WnJilier's  Journ.  f.  Chirurg,  etc., 
1831.    Bd.  XV.    S.  311,     Berliner  Medic.    Zeitung.    1835.    Nr.  9).      Fol- 
gende Präparate  sind  als  Mittel  gegen  Übeln  Mundgeruch  und  gelbe,  schwärz- 
liche Zähne  sehr  zu  empfehlen:  Man  nehme  frisch  bereiteten  Chlorkalk  eine 
Drachme,    löse  ihn  unter  gelindem  Reiben   in  S!vj  Aq.  destill,    auf,    Setz«  8 
Unzen  reinsten  Alkohols    hinzu,    lasse  das  Ganze   an  einem   kühlen  Orfe  24 
Stunden   stehen,    filtrire   es   hernach   und   bewahre   es  im  gutverschlossenen 
Glase   auf..    Man   gurgelt    täglich  2  —  3  mal   sich  mit  2  Esslöffel  voll  dieser 
Flüssigkeit.     Zum  Reinigen  unreiner  Zähne  bedient  man  sich  eines  Zahnpul- 
vers aus  16  Gran  Chlorkalk  und  1  Unze  ptilverisirte  rothe  Korallen,     Auch 
als  wirkliche  Heilmittel,    nicht   blos  als  Präservative,    bewähren   sich   diese 
Compositionen  —  sagt  Kluge   in  der  angeführten  Medic.  Zeitung  —   sie  si<-' 
ehern  die  Zähne  vor  einer  frühen  Zei-störung,    indem  sie  theils  in  alle  Ver- 
tiefungen  und  Zwischenräume   der  Zähne   eindringen   und  hier  den  cariösen 
Zersetzungsprocess   beschränken,    theils   auch  umstimmend  auf  die  Schleim- 
drüsen der  Wangen  und  Lippen  einwirken ,  von  denen  bisweilen  ein  scharfes 
Secret  abgesondert  wird,    das   den  Schmelz   der  Zähne  angreift,    denselben 
ausfurcht   und  schwarz  und  rissig  macht,    welches  Zahnleiden  überhaupt  in 
dieser  seiner  ätiologischen  Beziehung  bisher  noch  wenig  beachtet  worden  ist/ 
Durch  das  Waschen  der  Haut  mit  Chlorkalkwasser  bekommt  diese  eine  feine 
weisse  Farbe.  —  Gegen  das  Aufspringen  der  Haut  dienen  Rosenpomade 
oder   folgende    Salbe    zum   Einreiben :    I^    BoU   Aninen. ,    Cernssne    ana   5jj» 
Gumm.  Myrrh.  5j-  M.  f.  pulv.  cui  admisce    Unguent.  rosnti  ^]\}.    Des  Abends 
werden   die  Hautrisse  mit  dieser  Salbe   bestrichen,    und  am  andern  Morgen 
mit  Mandelkleie   und  Wasser  abgewaschen.      Auch    wirkt    hier  Tinct;   myr- 
rhae,   mit  Wasser  vermischt,    zum  Waschen  schon   sehr  gut.     Die  im  Alter 
und    von    Magerkeit    entstehenden    Runzeln    lassen    sich    durch    cosmetische; 
Mittel,  nicht  vertreiben.     Entstanden   sie  aus  Vernachlässigung  der  Haut  im 
Gesichte  bei  Jüngern  Personen,  so  rühmt  man  folgendes  Wasch wasser  dage" 
gen:  J^  Tinct.  hnls.  Pcfuv;  nigri  3^j,  Liriv.  l'nli  carhon.  3^,  Aq.  ruh.  idäei 
5vj,    Villi  gallici  flavi  vctusli  51V,    M.      Gegen  Sommersprossen   rühmt-matt; 
ly  Poiioa.  ,Rivcr.   c.  succo  citri    pairnt.   ^üj,-  A(pinc  rosarum  ^}],"^   oanj- 
MoBt  Encyklopädie.  2te  Aufl.  I.  32 


498  COSMETICA 

nutrifU.  §j ,  —  floi\  «lopÄ.  §y.  M.  Gegen  Leberflecke  wirken  Camplior 
und  Alkalien  am  besten,  z.  B.  I^  Sperm.  ccti,  Meli,  dcjmr.  ana  3],  Cam~ 
phorae  5j-  M.  S.  Saibe.  Oder  auch:  fy  FeU.  tnun  Sjj,  Sapon.  mgdk.  33, 
Kali  carhon.  3j»  Ol.  amygdalar.  q.  s.  ut  fiat  pasin.  M.  S.  Zum  Waschen. 
Sollen  Stellen  der  Haut  von  Haaren  befreiet  werden,  z.  B.  das  Barthaaf 
bei  Frauenzimmern  unter  der  Nase,  am  Knie  etc, ,  so  gebraucht  man  dage-' 
gen  folgendes  Ätzmittel :  I^  Attripiijmenti  opt.  suhlil.  pulvcrati  5f^  ?  Calcar. 
ustnc  aqua  adspers.  pnlv.  5jjft )  Mise,  exactiss.  et  seiutim  adde  Aquae  hul- 
lientis  5vj-  Tere  ut  fiat  massa  mollis.  Serva  vase  bene  obturato.  Man  rä- 
nige  zuvor  durch  mehrmaliges  Waschen  die  Haut  vom  Fette ,  erwärme  dann 
das  Mittel  allmälig  bis  zu  24  Grad  Reaum.  und  streiche  es  zu  3  Malen  mit 
einem  Pinsel  auf  die  behaarte  Stelle,  nachdem  der  vorhergehende  Strich  je- 
desmal trocken  geworden  ist;  endlich  wische  man  das  Ganze  sammt  den 
Haaren  ab  und  reinige  die  Haut  mit  Wasser.  In  vielen  Fällen  hat  das  oft 
wiederholte  Ausrupfen  der  Haare  sammt  den  Wurzeln  mittels  einer  kleinen, 
kurzen  Pincette  und  rasch  vollführt,  vor  der  Application  dieses  giftigen 
Mittels  den  Vorzug.  —  Zu  der  weissen  Schminke  nimmt  man  gewöhn- 
lich Bleiweiss  und  Wismuthoxyd,  zur  rothen  Zinnober.  Werden  solche 
Schminken  oft  gebraucht,  so  entstellen  sie  die  Haut  und  können  durch  Re- 
sorption dem  Gesammtorganismus  schaden.  Zur  weissen  Schminke  nimmt 
man,  soll  sie  nicht  nachtheilig  wirken,  am  besten  den  Talk  in  Seifen  oder 
Emulsionen ,  zur  rothen  den  Carmin  (^Flittner'),  Auch  das  Pulv,  irid.  floren- 
tin.,  dessen  sich  die  Türkinnen  häufig  bedienen,  ist  ein  unschädliches  Cos- 
meticum.  Man  reibt  einige  Minuten  eine  Prise  mit  der  flachen  Hand  auf 
die  Wange,  worauf  natürliche  Röthe  folgt,  die  mehrere  Tage  anhält  (». 
Oppenheim  in  Gerson's  u.  J«?iws'  Magaz.  Hamburg,  1833,  Jan.  u.  Febr., 
S.  44).  Was  die  Cultur  der  Haare  betrifft,  so  verlangt  auch  das  Kopf- 
haar Reinlichkeit;  mai\  kämmt  es  täglich  einmal  mit  iCiuss-  oder  Regen- 
wasser durch,  und  nimmt,  wenn  es  sehr  fettig  ist  und  die  Kopfhaut  unrein, 
reine  Pottasche,  die  m^n  puiverisirt  in  das  Haar  streuet,  und  es  dann  mit 
Regenwasser  auswäscht;  j^uch  kann  man  statt  der  Pottasche  Eiweiss  neh- 
men. Das  tägliche  ein-  bis  zweimalige  Auskämmen  des  Kopfhaars  mit  kal- 
tem Wasser,  darneben  das  tägliche  Trinken  von  12  bis  20  Pfund  gutem 
frischen  Quell  wasser,  befördern  nach  meinen  Erfahrungen  das  Wachsen  und 
die  Stärke  des  Kopfhaars  bedeutend ,  worüber  ich  mehrere  Beispiele  bei 
schwachhaarigen  Blondinen  und  Brünetten  habe  (^Mosf).  —  Um  graue  oder 
rothe  Haare  schwarz  zu  färben ,  reichen  die  gewöhnlichen  Färbemittel  nicht 
hin.  Man  empfiehlt  dagegen:  das  Kämmen  mit  einem  bleiernen  Kamme,  d».'4 
Waschen  mit  weissem  Weine,  in  welchem  Cort.  Salicis,  nuc.  jugland  etc. 
digerirt  werden;  Pomaden  mit  Höllenstein  und  Kalkhydrat.  Folgendes  ist 
sehr  wirksam:  f^  Calcar.  listae  ^iv,  adspcrge  solutionc  Plumb.  aceiici  3J, 
solut.  in  Aquae  destiUatac  3JJ,  ut  Calcarea  in  pulv.  digeratur;  quo  facto 
pars  solutionis  remanens  addatur,  et  massa,  addita  aquae  destillatae  q.  s. , 
terendo  instar  pulvis  fiat.  Man  befreiet  die  Kopfhaare  durch  Waschen  mit 
Seif-  und  Kleiewasser  und  nachheriges  Abtrocknen  vom  Fette,  reibt  dann 
Abends  vor  dem  Schlafengehen  das  Pigment  mit  Handschuhen  ein,  bedeckt 
den  Kopf  des  Nachts  mit  einer  Wachstuchkappe  und  achtet  darauf,  dass 
die  unbehaarte  Haut  nicht  benutzt  werde ;  denn  diese  wird  wund ,  die  be- 
haarte nicht.  Morgens  kämmt  man  das  trockne  Pigment  aus,  reinigt  diu 
Haare  mit  Wasser  und  Branntwein,  trocknet  dieselben  ab,  und  macht  sie 
mit  öi  glänzend.  Per  längere  innerliche  Gebrauch  der  Lugol'schen  lod- 
tlnctur,  p.  d.  zu  6  Tropfen  in  Zu.ckerwasser,  färbte  in  mehreren  Fällen  ro- 
thes  Haar  dauernd  kastanienbraun  (^Clauzel  in  Revue  medicale  1834,  Novbr., 
p.  304,  Gerson's  u.  Julius"  Magaz.  d.  ausl.  Lit.  d.  Heilk.,  Bd.  XXIX.  S.  159, 
u.  März  u.  Apr.  Stück,  1835,  S.  311).  Auch  Narcotica,  Hyoscyamus,  in- 
nerlich gereicht,  machen  das  helle  Haar  dunkler  (Afost)»  —  Zur  Reini- 
gung der  Zähne  bedient  man  sich  nur  solcher  Pulver,  Latwergen  und 
Tincturen ,  die  das  Zahnfleisch  gesund  erhalten  und  dem  Schmelze  der 
Zähne  nicht  naclitheilig  werden ,  wie  z.  B.  Essig ,  Salzsäure ,  Schwefelsäure. 


COXAGRA  —  CRETINISMÜS  499 

Tabaksa«che.  Sehr  gut  Ljt  folgendes  Zahnpulver :  I^  Puh.  carlon.  litpi.  ti}. 
3Jj,  Pulv.  cort.  chinae  flav.  3^^»  OL  caryophjllor.  gtt.  vj,  M.  Das  einfachste 
und  beste  Zahnpulver  ist,  nach  Thomson,  folgendes:  ^t  Carlon.  lign.  til.  3], 
Rad.  ratanhiae  3ÜJ.  M.  fiat  Pulv.  subtilissinius.  Man  muss  nicht  täglich, 
nur  wöchentlich  2  bis  Smal  mit  solchen  Zahnpulvern  die  Zähne  putzen,  da- 
gegen sie  täglich  mit  Flusswasser  reinigen.  Sehen  sie  gelb  aus,  so  kann 
man  diese  hässliche  Farbe  durch  Citronen«aft  wegschaffen.  Ist  viel  Nei-. 
gung  zu  Weinstein  an  den  Zähnen  da,  so  liegt  oft  Verschleimung  und 
Gicht  zum  Grunde,  wogegen  Interna  nöthig  werden.  Äusserlich  kann  man 
Zahnpulver,  mit  etwas  Bolus  vermischt,  anwenden  (s.  Trommsdorf,  Ka- 
lopistria, oder  die  Kunst  der  Toilette.  Erfurt,  1804.  —  Flittner,  C.  G., 
Unterricht,  die  weibliche  Schönheit  zu  erhalten  etc.  Berlin,  1822.  —  Itein- 
hard,  Ch.  F.  E.,  Satyrisch  -  moralische  Abhandl.  v.  den  Krankheiten,  die 
aus  der  Toilette  der  Frauen  hervorgehen.  2  Thle.  Glogau,  1756.  —  Klct-r 
ten,  O.  jB.  ,  Versuch  einer  Geschichte  des  Verschönerungstriebes  im  weibli- 
chen Geschlechte.    2  Thle.    Gotha,  1792). 

Coxag^ra«  die  Hüftgicht,  s.  Arthritis. 

Coxalgia,  Coxarthrocace ,  Hüftweh,  sogenanntes  freiwilliges  Hin- 
ken; 6.  Arthrocace. 

Coxalgia  purulenta,  6.  Abscessns  ischiadicas. 

Coxitis»  Entzündung  des  Hüftgelenks.  Ist  vielleicht  die 
richtige  Benennung  für  Coxarthrocace ,  da  dieser  jedesmal  eine  Entzündung 
zum  Grunde  liegt  und  das  erste  Stadium  der  Krankheit  ausmacht;  s.  Ar- 
throcace. 

Cl'ampuS}  Grnmpus,  Physosj}asmm ,  Spasmus  cruris,  der  Klamm. 
Ist  ein  Krampf  einzelner  Muskeln,  besonders  in  den  Extremitäten,  z.  B.  in 
der  Wade,  der  häufig  durch  Zerrung  und  Reizung,  durch  ungewohnte  An- 
strengung einzelner  Muskeln,  z.  B.  beim  Ausziehen  enger  Stiefel,  entsteht, 
und  dann  in  wenigen  Minuten  von  selbst  verschwindet,  besonders  wenn  man 
die  Wade  frottirt.  Häufig  ists  auch  ein  Symptom  der  asiatischen  Cholera 
und  erfordert  dann  Einreibungen  von  Liniment,  volat.  camphorat.,  Ol.  tere- 
bintbinae,  Bals.  vitae  Hoffm.  etc. 

Crapnla,  der  Rausch,  Eingenommenheit  des  Kopfes,  Kopfschmerz 
nach  einem  Rausche. 

Crepitatio,  das  Knarren  oder  Knirschen  bei  Knochenbrüchen. 
Ist  eins  der  sichersten  Zeichen  einer  Fractur.  Man  hört  dasselbe,  während 
man  das  Glied  bewegt,  und  nimmt  bei  tiefliegenden  Brüchen  das  Stethoskop 
20  Hülfe  (s.  Auscultatio  und  Fractura).  Vergl.  auch  v.  Gräfe' s  und 
to.   WaUher's  Journ.  f.  Chirurgie  etc.  Bd.  VI.  Hft.  S),  S.  544, 

Cretlnismus,  der  Cretinism.  Ist  ein  hoher  Grad  von  Blödsinn, 
der  bei  den  Bewohnern  feuchter  und  warmer  Gebirgsthäler  endemisch  ist  (s. 
Amentia).  Cretins  sind  kleine,  verkrüppelte,  dickbäuchige  Menschen,  mit 
blassgelbem,  aufgedunsenem  Gesichte,  dicken,  wulstigen  Lippen,  dicker 
Zunge,  unverständlicher  Sprache,  mit  schwerem,  stets  herabgesenktem 
Haupte ,  woran  die  Stirn  beinahe  ganz  fehlt.  Sie  sind  dumm ,  blödsinnig 
und  im  höchsten  Grade  selbst  ohne  Sprache.  Wir  finden  sie  am  häufigsten 
in  Mailand,  Piemont,  in  den  tiefen  Thälem  von  Wallis,  der  Lombardei,  in 
den  französischen  und  julischen  Alpen,  in  Salzburg,  der  Mongolei,  in  Tibet, 
Sumatra  etc.  (s,  Iphofen,  Der  Cretinismus,  philos.  und  meSc.  untersucht, 
1817.  Maffei,  De  Fexismo,  specie  Cretinismi,  1819).  Häufig  finden  wir 
bei  solchen  Halbmenschen  Rhachitis  und  Malacosis  ossium;  besonders  aber 
den  Kropf,  so  dass  zwischen  Struma  und  Cretinismus  ein  Causalnexus  statt- 
finden soll.  Doch  zeigt  sich  jener  oft  ohne  diesen ,  und  wo  beide  Übel  zu- 
gleich stattfinden ,  ist  der  Kropf  Folge  eines  gehemmten  Umtriebes  des  Blu- 
tes in  der  Carotis  und  der  dadurch  bedingten  stärkern  Congestionen  von 
Blut  nach  der  Schilddrüse.  Nach  Richter  finden  sich  Cretins  ohne  Kröpfe 
nur  als  Ausnahmen,  qnd  niach  Kupls  >n  Salzburg  bestehen  dort  beide  Übel 
nicht  ohne  einander. 

32* 


500  CRINONES  —  CRUSTA 

CriiioneS}  Mitesser,  s.  Comedones. 

Crisis»  die  Krise.  Ist  Entscheidung  einer  Krankheit,  so  dass  es 
sich  mit  dem  Kranken  bessert,  vorzüglich  wenn  es  eine  fieberhafte  Krank- 
heit ist  und  sogenannte  kritische  Ausleerungen  (durch  Schweiss,  Urin,  Stuhl- 
gang, Blutungen  etc.)  stattfinden  (s.  Febris).  Nicht  blos  die  acuten,  auch 
die  chronischen  Krankheiten  haben  ihre  Krisen;  nur  werden  dieselben,  da 
sie  weniger  sinnlich  vernehmbar  sind,  oft  übersehen.  Auch  versteht  man 
unter  dem  Worte  Crisis  irgend  eine  der  kritischen  Ausleerungen ;  s.  auch 
Morbus.  , 

Crocidismus 9  Flockenlesen,   s.  Carphologia. 

Crotaphium,  CephalnJf/ia  pulsatilis,  Sphifi;mocej)halus.  Ist  ein  lästi- 
ges Klopfen  am  Kopfe,  besonders  in  der  Schläfengegend,  oft  mit  Schlaflosigi- 
keit  verbunden ,  und  in  der  Regel  ein  Zeichen  von  Congestion ,  bei  Cophosis 
ein  Symptom  der  Cophosis  erethistica. 

Cruditates  ventriculi,  Cruditäten  im  Magen,  s.  Febris  bi^ 
liosa,  gast rica,  sab urralis. 

Crupsia,  Farbensehen,  s.  Marmorygae. 

Crusta  impeliginosn ,   s.  Impetigo  rubra  Celsus. 

Crusta  inflammnioria,  Cr.  pleurilica,  Eutzündungshaut  auf  detti 
aus  der  Ader  gelassenen  Blute.  Das  sogenannte  Entzündungs- 
fell oder  der  speckige  Überzug,  der  sich  unter  gewissen  Umständen  auf  der 
Oberfläche  des  aus  der  Ader  gelassenen  Blutes  bildet,  ist  nicht  immer  ein 
Zeichen  von  Entzündung.  Der  Faserstoff  des  Blutes,  vorzugsweise  bestimmt 
7A\r  Unterhaltung  der  organischen  Bildung,  scheidet,  wenn  sich  die  Crusta 
inflammatoria  auf  dem  aus  der  Ader  gelassenen  Blute  bilden  soll,  den  durch 
die  Vereinigung  des  Cruors  gebildeten  Blutkuchen  und  das  Serum  mit  dem 
darin  befindlichen  Eiweissstoffe  aus,  und  so  entsteht  auf  der  Oberfläche  des 
erstem  die  bekannte  graue,  graugelbliche,  speckähnliche  Haut,  welche  zähe, 
lederartig  luid  mehr  oder  Aveniger  dick  ist.  Auf  die  stärkere  oder  schwä- 
chere Bildung  dieser  Speckhaut  haben  manche  Umstände  Einfluss ,  die  nicht 
von  der  Mischung  des  Blutes  selbst,  sondern  von  äussern  Umständen  her- 
rühren. Die  genauesten  Beobachtungen  haben  Folgendes  darüber  gelehrt: 
Je  mehr  die  atmosphärische  Luft  auf  das  aus  der  Ader  gelassene  Blut  ein- 
wirkt, desto  weniger  erfolgt  eine  schnelle  Trennung  des  Blutes,  und  desto 
unvollkommner  wiid  sie.  Der  ausgebreiteteie  Zugajig  der  Luft  bewerkstel- 
ligt vielmehr  eine  schnelle  und  gleichmässige  Gerinnung  der  ganzen  Blut- 
masse mit  allmäliger  Ausscheidung  von  wenigem  Serum.  Daher  sind  fol- 
gende Umstände  auf  die  Bildung  des  Corium  phlogisticura  von  Einfluss: 
1)  Eine  grössere  Aderöfifnung  und  ein  starker,  rasch  ausfliessender  Blutstronf 
ist  der  Einwirkung  der  Luft  verhältuissmässig  weniger  ausgesetzt,  als  ein 
aus  einer  kleinen  Öffnung  langsam  ausfliessender.  Die  Gerinnung  erfolgt 
darum,  wie  Berndt  mit  Recht  sagt  (^RnsVs  Handbuch  d.  Chirurgie,  Bd.  V. 
S.  356),  im  erstem  Falle  langsamer,  und  dieser  Zustand  begünstigt  die  ge- 
genseitige Anziehung  und  Consolidirung  des  Faserstoffes  zu  der  in  Red. 
stehenden  Haut,  während  im  letztern  Falle  bei  der  schnellem,  gleichmässi- 
gen  Gerinnung  derselbe  in  dieser  Ausscheidung  gehemmt  und  in  der  Masse 
des  Cruors  gebunden  bleibt.  2)  Aus  demselben  Grunde  gerinnt  das  Blut, 
wenn  es  in  ein  weites  Geföss  gelassen  und  mit  einer  grössern  Fläche  der 
Einwirkung  der  Luft  ausgesetzt  wird,  weit  schneller,  und  die  Ausscheidung 
des  Faserstoffs  erfolgt  unvollständiger,  als  wenn  der  Blutstrom  in  einem  en- 
gen Gefässe  aufgefangen  wird,  welches  der  Luft  eine  kleinere  Oberfläche 
dai'bietet.  3)  Auch  die  Temperatur  der  Luft  ist  nicht  ohne  Einfluss  auf  das 
schnellere  Gerinnen  des  Blutes  und  die  dadurch  behinderte  Erzeugung  der 
Crusta  inflammatoiia.  —  Bei  dem  Antheile,  den  die  besondere  Beschaffen- 
heit des  Blutes  selbst  an  der  Erzeugung  luid  besondern  Beschaffenheit  der 
Speckhaut  besitzt,  unterscheidet  Berndt  folgende  drei  Umstände:  1)  das 
Blut  hat  eine  Diathesis  inflammatoria,  d.  i.  grossen  Reichthum  an  Faser- 
stoff,  eine  grössere  Tendenz  zur  organischen  Bildung,   und  daher  auch  zur 


CRUSTÄ  501 

Bildung  der  Crusta  inflammatoria,  indem  der  Cruor  sich  zu  einem  fester  zu- 
sammenhängenden Bhitkuchen ,  der  in  einer  verh.iltnissmässig  grossem  Menge 
Serum  schwimmt,  vereinigt.  Diese  Diathese  finden  wir  bei  allen  echten 
Entzündungskrankheiten,  aber  auch  ohne  obwaltende  Entzündung  bei  Kin- 
dern, Schwangern,  Wöchnerinnen  und  Säufern  (^Most).  2)  Ein  zweiter  Um- 
stand, der  auf  die  Erzeugung  der  Crusta  inflammatoria  einen  Einfluss  aus- 
übt, ist  die  vorhergegangene  grössere  Frequenz  und  eine  dabei  stattgefnn- 
ieae  Gleichmässigkeit  der  Blutbewegung.  Die  Erfahrung  lehrt,  dass  bei 
Gesunden  das  nach  starken  Erhitzungen ,  heftigen  Körper  -  und  Gemütlis- 
bewegungen,  starken  Märschen  unmittelbar  aus  der  Ader  gelassene  Blut 
leicht  eine  Crusta  inflammatoria  erzeugt.  Alles ,  was  dagegen  die  Regol- 
mässigkeit  und  Gleichmässigkeit  der  Blutcirculation  hemmt,  vermindert  auch 
die  Bildung  der  Speckhaut.  So  z.  B.  zeigt  sie  sich  bei  Pneumonien  häufig 
beim  ersten  Aderlass  nicht,  wohl  aber  beim  zweiten,  wo  der  Kreislauf  des 
Bluts  schon  freier  geworden  ist,  als  bei  dem  ersten  und  zu  Anfange  der 
Krankheit.  3)  Ein  dritter  Umstand,  der  zwar  die  Bildung  einer  Speckhaut 
auf  dem  Blute  hin  und  wieder  begünstigt,  die  Beschaffenheit  derselben  aber 
sehr  abändert,  ergiebt  sich  im  beginnenden  Status  putridtts.  Hier,  wo  der 
Chemismus,  die  Biutzersetzung  schon  in  den  Adern  mehr  oder  weniger  statt- 
findet und  vorherrscht,  consolidirt  sich  der  Faserstoff  nicht  mehr  ganz  fest, 
und  die  Speckhaut  erscheint  daher  dünn,  breiig,  durchsichtig,  und  schillert 
ins  Gelbliche  und  Röthliche  oder  mit  mehreren  Farben,  und  der  Cruor  und 
das  Serum  scheiden  sich  höchst  unvollständig.  Nach  allen  diesen  Umstän- 
den ist  die  Bedeutung  der  Speckhaut  verschieden ,  und  es  würde  höchst  ein- 
seitig seyn ,  von  ihrer  Gegenwart  sogleich  auf  Entzündung  zu  schliegsen,  da-; 
her  denn  auch  der  Name  Crusta  inflammatoria  nicht  bezeichnend  genug  iüt. 
*  Crtista  lacica  infantum,  Achores  in  facie,  Lnctuminn,  Tinea  fncici 
Franl;  Porrii/o  larvnlis  Willan,  Milchborke,  Milchschorf,  Ansprung, 
Preis  am.  Ist,  wie  die  Tinea,  ein  herpetisches  Exanthem,  gehört  zum 
Herpes  crustaceus ,  und  steht  der  Tinea  capitis  am  nächsten.  Dieser  lang- 
wierige Ausschlag  entsteht  nur  auf  dem  unbehaarten  Theile  des  Kopfes, 
vorzüglich  auf  den  Wangen,  am  Kinn,  verbreitet  sich  später  auf  die  Stirn, 
schleicht  oft  in  die  Augen,  erregt  dann  recht  bösartige  Ophthalmien  (Ophthal- 
mia impetiginosa ) ,  weit  seltener  in  die  Mundhöhle,  ergreift  | häufig  zuerst 
nur  eine  Hälfte  des  Gesichts  und  beföllt  fast  allein  nur  Kinder  zwischen  dem 
ersten  und  sechsten  Lebensjahre.  Zeichen  und  Diagnose.  Zuerst  ent- 
stehen kleine  Pusteln  von  der  Grösse  eines  Stecknadelkopfs  bis  zu  der  einer 
Linse.  Diese  bersten,  geben  eine  klebrige  Feuchtigkeit  von  sich;  nach  ei- 
niger Zeit  laufen  sie  zusammen,  bilden  dann  gelblich,  wie  verbrannte  Milch 
aussehende  Borken ,  die  dicker  sind  als  die  Borken  bei  der  Variola  und  dem 
Pemphigus ,  einen  grossen  Umfang  einnehmen ,  dann  und  wann  abfallen,  und 
worunter  die  Haut  roth  aussieht.  In  dieser  bemerkt  man  kleine  runde  Lö- 
cherchen,  woraus  Lymphe  hervorquillt,  die  sich  dann  wieder  durch  das 
Oxygen  der  Luft  verdickt  und  neue  Borken  bildet.  Gewöhnlich  juckt  der 
Ausschlag  sehr;  daher  sich  manche  Kinder  selbst  blutig  kratzen,  in  seitnern 
Fällen  ist  kein  Schmerz ,  kein  Jucken  da ,  die  Kinder  sind  wohl  und  fett- 
leibig dabei,  und  erst  späterhin,  wenn  das  Übel  viele  Monate  gewährt  hat, 
magern  sie  etwas  ab.  Ursachen.  1)  Das  Übel  ist  oft  erblich;  entsteht 
oft,  wenn  die  stillende  Mutter  oder  Amme  früher  scrophulös  oder  venerisch 
war.  Ammen ,  die  in  ihrer  Jugend  an  Crusta  lactea  litten,  theilen  sie  durch 
die  Milch  dem  Säuglinge  mit.  Man  kann  dies  den  Ammen  ansehen,  indem 
auf  den  Wangen  etwas  Glattes,  Glänzendes,  Sanftes,  Wolliges  und  beim 
Rothwerden,  z.  B.  bei  der  Schamröthe ,  etwas  Buntscheckiges  bemerkt  wird, 
2)  Kinder,  die  die  Milch  einer  alten  Amme  trinken,  in  seitnern  Fällen  einer 
solchen  Amme,  die  schon  wieder  menstruirt  worden  ist,  die  den  Coitus  zu 
häufig  übt,  bekommen  leicht  das  Übel.  3)  Desgleichen  wenn  stillende  Per- 
sonen viel  geistige  Getränke  trinken.  4)  Alles,  was  Atrophie  und  Scrophdn 
begünstigt,  erregt  auch  leicht  den  Milchschorf,  z.  B.  Unreiiilichkeit  der 
Wohnung  und  Kleidung,  grobe  Kost  bei  aufgefutterten  Kindern,  Säure  der 


502  CRUSTA 

Digestionsorganc  etc.  6)  Das  kindliche  Alter  disponirt  wegen  der  vorherr" 
sehenden  Congestion  zum  Kopfe  ebenso  zu  Crusta  lactea,  wie  zu  Hydroce- 
phaluä  etc.,  und  es  scheint  in  manchen  Fällen,  als  wenn  die  Natur  den 
Milchschorf  zur  Verhütung  schlimmerer  Kopfübel  oft  hervorbringt  (M. ). 
Prognose  und  Cur.  Das  Übel  ist  gar  nicht  gefährlich,  aber  sehr  be- 
schwerlich und  oft  sehr  langwierig,  in  seltnem  fällen  hält  es  selbst  etwas 
Periodisches,  so  dass  es  bald  zu-,  bald  abnimmt  {Feiler,  Meissner};  zuwei- 
len scheint  es  mit  zunehmendem  Monde  zu-,  mit  abnehmendem  abzuneh- 
men (3f.);  dabei  hat  es  fast  immer  etwas  Ansteckendes,  so  dass  es  von  ei- 
nem Kinde  aufs  andere  übertragen  werden  kann  (^Mcissner ,  M. ).  1)  Man 
erforsche  die  Ursachen  und  hebe  sie.  Daher  schaffe  man  bei  schlechter  Am- 
menmilch die  Amme  ab,  gebe  gegen  Säuren  Absorbentia,  rathc  Reinlichkeit, 
gesunde  Nahrung  an  etc.  Man  achte  auf  Scropheln  Ist  die  Anlage  zu  die- 
sen da ,  so  gebe  man  Merc.  dulc.  mit  Sulph.  aurat.,  Aethiops  antimonialis  etc. 
Diese  Mittel  haben  mir  überhaupt  bei  Crusta  lactea  stets  das  Meiste  gelei- 
stet. 2)  Als  Specificum  hat  man  Herba  jaceae  tricolor.  empfohlen  (SfnrcA), 
dreimal  täglich  10 — 15  Gran  in  Substanz,  mit  Milch  und  Zwieback  einge- 
rührt, oder  täglich  3j  in  Milch  gekocht.  Dieses  Mittel  wird  zwar  allgemein 
gegeben ,  aber  in  vielen  Fällen  leistet  es  gar  nichts  ( Capuron ,  WnlUch^ 
Vf'edekind ,  Jahn,  Himhj,  3/.),  selbst  nicht  in  folgender  Verbindung,  die 
Jahn  empfiehlt :  I^  Herh.  jaceae ,  Sacch,  lactis  ana  5jjj  y  Flor,  sulphur.^ 
Magnes.  carhon.  ana  5(v.  M.  f.  p.  S.  Viermal  täglich  Yi — 1  Theelöffel  voll. 
Hier  fand  ich  sehr  wirksam:  T^  Aeih^  antimonial.  gr.  |^  —  gr.  j,  Oc»/.  can- 
cror.  gr.  iv,  Magnes.  carhon.  gr.  jjj,  Rhei  Qricntal.  gr.  jj,  Liqiiir.  coctac  9j. 
M.  f.  p.  disp.  dos.  xjj,  wovon  1 — 2jährigen  Kindern  dreimal  täglich  zuerst 
V,,  später  ein  ganzes  Pulver  in  Milch  gegeben  wird.  In  einem  Falle  half 
B'olgendes:  I^  Uerh.  jaceae,  Sacch.  lactis  ana  3jjj»  Magnes,  alh.  5<>>  Tsnct. 
stilphur.  ^jj,  Sulph.  mit.  anrati  gr.  iv.  M.  f.  p.  S.  Viermal  täglich  %  Theelöffel 
voll  (M).  Sind  die  Kinder  noc^  an  der  Brust,  so  verordne  ich  der  Mutter, 
wenn  die  Ursache  auch  nicht  an  der  Milch  liegt,  dennoch  absorbirende  Mit- 
tel und  eine  strenge  Diät  (s.  Cacogalactia),  oft  auch  Roborantia:  Quas- 
sia,  China.  Überhaupt  ist  eine  strenge  Diät  der  Mutter  und  des  Kindes 
eine  Hauptsache,  und  sie  leistet  in  hartnäckigen  Fällen  oft  mehr  als  Arzneien. 
S)  Viele  Ärzte  haben  auch  äussere  Mittel  empfohlen.  Hahnemann  heilte 
die  Milchborke  ohne  alle  innere  Mittel,  blos  durch  Schwefel vvasser:  R;  Ucp. 
sulphur.  calcar.  5jj»  solve  in  Decoct.  rnd.  nllhaeac  51V.  M.  S.  Äusserlich 
(Tf^cndt).  Da  häufig  die  Krankheit  etwas  Kritisches  ist,  um  die  übermässige 
Congestion  zum  Kopfe  zu  massigen  (s.  Constitutio  i  nfantilis),  so  sey 
man  mit  äusserlichen  Mitteln  vorsichtig.  Gebraucht  man  aber  zugleich  in- 
nerliche Mittel,  z.  B.  Mercurialia,  Antimonialia,  so  kann  man  sie,  nur  nicht 
Zink  und  Blei ,  dreist  anwenden ,  und  man  muss  sie  anwenden ,  will  man 
anders  die  locale  Hautdesorganisation,  die  in  chronischen  Fällen  rein  örtlich 
das  Übel  unterhält,  heben.  Hier  passen  theils  solche  Mittel,  die  den  schäd- 
lichen Einfluss  der  Luft  abhalten,  z.  B.  Ol.  nuc.  jugland. ,  theils  austrock- 
nende Mittel,  besonders  bei  recht  nässender  Milchborke,  z.  B.  Aq.  calci«, 
Decoct.  herbae  jaceae,  Solut.  hepat.  sulphur.,  Calcariae  oxymuriat.,  Decoct. 
sem.  lini  in  Milch  mit  Aq.  calcis  zu  gleichen  Theilcn ,  zuletzt ,  wenn  der 
Ausschlag  schon  von  selbst  trocken  wird,  Unguent.  flor.  zinci  (9j  zu  jix 
Ungt.  pomad.),  selbst  Merc.  praec.  alb.  ^j  in  5J  Axung.  porci.  Aber  ohne 
den  Innern  Gebrauch  der  Antimonialia  und  Mercurialia  sind  diese  Mittel  ge- 
fährlich. Allgemeine  Seifen-  und  Schwefelbäder  unterstützen  die  Cur  unge- 
mein (s.  Balneum).  Sitzt  der  Ausschlag  dicht  am  Auge,  so  ist,  um  die- 
ses zu  schützen,  eine  schwache  Sublimatauflösung  (gr.  j  in  Aq.  destill.  5VJ) 
am  besten  {Himly).  Auch  eine  Salbe  aus  Merc.  praec.  alb.,  Flor,  zinci  ana  ^j. 
Axung.  porci  Sjjj,  ist  oft  sehr  wirksam.  Desgleichen  folgendes  Wasser,  mit 
Compressen  überschlagen:  I^f  Flor,  zinci  5j?  solve  in  Aq.  rosar.  gvj.  M.  (M.). 
Doch  giebt  es  Fälle,  wo  weder  fettige ,  noch  wässerige  Mittel  passen.  Hier 
hilft  oft  noch  dieses:  Rr  Amijgdalar.  dulc.  cxcnrtic.  ^jv»  A(piae  rosar.  q.  s.  ul  fuit 
cmuls.^v],  oxi  admisc.Ti7i£t.  Icnzocsöih  Aq.htmgaric.^i]\.  M.  S.  VVaschwasscr. 

L.  A.  Most. 


CRYMODES  —  CYANOSIS  503 

OrjMfrt  hictca  puerperanan ^  Mllchschorf  der  Kiadbettertmien ,  s.  Febris 
puerperarum. 

*  Crusta  scrpiginosa ,  pr««ri|/i«os» ,  die  fressende  Borke  nach  Wich- 
mnnn.  Ist  nach  WicJimnnn  eine  Complication  von  Crusta  lactea  und  Herpes 
venereus.  Diagnose.  Die  Pusteln  sind  sehr  klein,  wie  bei  Herpes  milia- 
ris, nässen  stark,  machen  die  Haut  roth,  zeigen  sich  zuerst  vorn  am  Ohre, 
auf  der  Wange,  in  der  Nähe  der  Parotis,  schleichen  hinter  das  Ohr,  zur 
Stirn,  die  Borken  hinterlassen  keine  Narben,  sind  dunkler  und  kleiner  als 
bei  Crusta  lactea,  der  Ausschlag  juckt  stark,  verbreitet  sich  schnell  auch 
auf  die  Augenlider,  nimmt  selbst  den  behaarten  Theil  des  Kopfes  ein,  des- 
gleichen späterhin  selbst  den  Rücken,  die  Lenden,  die  Glieder,  wo  er  oft 
noch  weilt,  wenn  er  im  Gesichte  schon  verschwunden  ist.  Ehe  der  Aus- 
schlag erscheint ,  zeigt  sich  die  Wange  oft  schon  geraume  Zeit  vorher  heiss, 
roth,  glänzend;  dagegen  ist  die  Haut  bei  Crusta  lactea  vorher  schilferig, 
schmuzig,  ähnlich  der  Furfura  Willani  (^Sachse').  Das  Übel  ist  sehr  hart- 
näckig, kann  Jahre  lang  währen,  die  Drüsen  in  der  Achselgrube  und  Lei- 
stengegend schwellen  dabei  oft  an  (^Atitcnrieth^,  es  bilden  sich  kleine  Ab- 
Bcesse,  und  zuletzt  stirbt  das  Kind  an  Abzehrung  nnd  Febr.  hectica.  Ur- 
sachen. Vorzüglich  Syphilis:  Gonorrhoea,  Fluor  albus  oder  Scabies  der 
Altern  (^Autenrieth ,  Wichmnnn).  Cur.  Innerlich  Mercurialia,  Antimonialia, 
vorzüglich  Aethiops  antimonialis,  daneben  Thee  von  Herb,  jaceae,  Stipit. 
dulc.  und  Lignum  guajaci,  Spec.  lignorum,  später  Infus,  rad.  caryophyllat 
5vj,  Tinct.  rhei  aquos,  Elix.  viscer.  Hoffm.  ana  3jj)  5 — 4mal  täglich  y,  — 1 
Essloffel  voll.  Äusserlich  passen  allgemeine  Seifen-,  Schwefel-,  später  aro- 
matische, Lohe  -  und  Stahlbäder.  Neben  den  innerlichen  Mitteln  wende  man 
äusserlich  Sublimatsolution  mit  Tinct.  opü,  Unguent.  ophthalm.  Richteri  u. 
dcrgl.  an.  L.  A.  Most. 

Crymoilcs  (Fetm).  Ist,  nach  Acthts,  ein  Fieber  mit  anhaltendem 
Froste,  eine  Febris  algida,  z.  B.  bei  heftiger  Lungenentzündung;  s.  Pneu- 
m  0  n  i  a. 

Cryinodynia,  der  kalte  [Gliederiluss ,  a.  Rheumatismus  chro- 
nicus frigidus. 

Crypsorchis,  CryptorcTiis ,  Testicondus.  Ist  an  Mann  mit  verbor- 
genen ,   im  Unterleibe  zurückgebliebenen  Hoden. 

Crystallitis,  s.  Lentitis. 

Curatio,  die  Cur,  Heilung  einer  Krankheit,  s.  Modela. 

Cxiraüo  diastaticay  s.  Galvanismus. 

Citratio  Jiomoeopathica ,  s.  Homoeopathia. 

Curntio  mayneiica ,  s.  Magnetismus. 

Ctvraüo  sympnthetica ,  g.  Galvanismns. 

*  Cyanosis  »  Coerulosis ,  Cyanopathia ,  Morbus  coeruleus ,  die  blaue 
Krankheit,  die  Biausucht,  Kyanose.  Ist  dasjenige  Übel,  bei  wel- 
chem die  Hautfarbe  des  ganzen  Körpers,  besonders  aber  der  mit  dünner 
Oberhaut  versehenen  Theile  stets  mehr  oder  weniger  blau  ist,  und  welches 
auf  mangelhafter  Entkohlung  des  Blutes  in  den  Lungen  wegen  fehlerhafter 
Beschaffenheit  des  Herzens  oder  der  aus  demselben  entspringenden  Gefässe 
beruhet.  Die  blaue  Farbe  hängt  von  gehinderter  Oxygenisation  und  Circu- 
lation  des  Blutes  durch  die  Langen,  oder  von  unterbrochenem  Rückflüsse 
des  Blutes  nach  dem  Herzen  und  daher  rührender  Überfüllung  der  Venen 
(übermässige  Venosität,  Cachexia  venosa)  her.  Eine  blaue  Hautfarbe  kommt 
zwar  bei  vielen  Krankheiten  vor,  doch  ist  sie  bei  keiner  so  constant,  als 
hier,  z.  B.  bei  den  Lungenkrankheiten,  bei  Pneumonie,  Hydrops  pectoris, 
Vomica  pulmonum,  Asthma,  Chlorosis  n.  s.  f.  Die  Blausucht  hat  als  pa- 
thognomonisches  Zeichen  die  erwähnte  blaue  Hautfarbe  in  Verbin- 
dung mit  solchen  Symptomen ,  die  auf  ein  stattfindendes  Herzleiden  deuten. 
Die  blaue  Farbe  nimmt  vorzuglich  die  Wangen,  Augenlider,  Lippen,  Zunge, 
die  innere  Seite   der  Glieder,    die  Finger-  und  Zehenspitzen  einj    sie  ver- 


504  CYANOSIS 

schwindet  zuweilen  schnell,  kommt  aber  ebenso  schnell  wieder  zum  Vor- 
schein. Der  Habitus  der  Blausüchtigen  ist :  schlanker  Wuchs ,  auffallend 
lange  Arme,  die  letzten  Finger-  und  Zehenglieder  haben  eine  kolbige  Form, 
die  Hauttemperatur  ist  vermindert,  die  Kranken  sind  sehr  frostig,  \erdriess- 
lich,  haben  eine  leidende  Physiognomie,  fühlen  sich  leicht  ermüdet,  klagen 
periodisch  über  Mangel  an  Luft,  obgleich  sie  frei,  tief  und  ohne  Schmerzen 
athmen  können.  Nach  und  nach  wird  der  Luftmangel  stärker,  dabei  perio- 
dische Angst,  Dyspnoe,  Orthopnoe,  welche  Zufälle  besonders  nach  heftigen 
Körperbewegungen,  sowie  in  den  Entwickelungsperioden  der  Dentition  und 
Pubertät  schlimmer  werden  und  dann  Erstickungsgefahr  drohen ,  wobei  das 
Anstemmen  der  Glieder  und  die  Bauchlage  etwas  erleichtern.  Der  Puls  und 
Herzschlag  sind  unregelmässig ,  klein ,  aussetzend ,  und  oft  die  Bewegung 
des  Herzens  sehr  stürmisch.  Oft  gesellen  sich  Convulsionen,  Ohnmächten, 
Scheintod  hinzu,  worauf  entweder  schneller  Tod  folgt,  oder  die  Krankheit 
endet  allmälig  durch  überhandnehmende  Kachexie  und  Wassersucht.  Die 
Anfälle  kehren  nach  unbestimmten  Zwischenräumen  wieder,  dauern  V4 — V2 
Stunde,  während  derselben  ist  die  blaue  Farbe  am  auffallendsten.  Bei  ge- 
linder Temperatur  und  im  Sommer  befinden  sich  die  Kranken  besser  als  im 
Winter.  Die  Esslust  ist  ausser  den  Anfallen  wenig  gestört,  die  Stuhlaus- 
leerung in  der  Regel  träge;  zuweilen  findet  sich  ein  katarrhalischer  Husten 
ein ,  der  das  Übel  sehr  verschlimmert.  Häufig  leiden  die  Kranken  an  Blu- 
tungen, oft  während,  oft  ausser  den  Anfällen,  wobei  schwarzes  Blut,  meist 
mit  Erleichterung,  aus  Nase,  Lunge,  Mund,  Ohren,  Mastdarm  ausgeleert 
wird.  Selbst  das  arterielle  Blut  zeigt  eine  venöse,  aufgelöste  Beschaffen- 
heit. Die  Verhinderung  der  Decarboiiisation  des  Blutes  in  den  Lungen  wird 
veranlasst,  indem  der  Eintritt  des  venösen  Blutes  in  letztere  beeinträchtigt 
ist,  z.  B.  durch  Obliteration  der  Lungenarterie,  durch  Verkleinerung  des 
rechten  Herzens,  oder  indem  eine  Vermischung  des  arteriellen  Blutes  mit 
dem  venösen  stattfindet  (durch  Offenbleiben  oder  Wiederöffnung  des  Fora- 
men ovale ,  oder  des  Ductus  arteriös.  Botalli ,  oder  dadurch ,  dass  das  Herz 
nur  aus  einer  Höhle  besteht  [s.  Maurnn  in  Philadelph.  Journal  Bd.  XIV. 
S.  253.] ,  oder  durch  Zerstörung  der  Valveln) ;  oder  endlich ,  indem  Miss- 
bildungen zugegen  sind,  z.  B.  es  entspringt  die  Aorta  aus  beiden  Ventrikeln 
zugleich ,  oder  die  Lungenarterie  entspringt  da ,  Wo  die  Aorta  gewöhnlich 
ihren  Ursprung  nimmt ,  und  umgekehrt.  Welche  von  diesen  Veranlassungen 
vorhanden  ist ,  dieses  ist  bei  Lebzeiten  des  Kranken  schwer  zu  ermitteln. 
Gewöhnlich  sind  die  der  Kyanose  zum  Grunde  liegenden  Herzfehler  ange- 
boren; daher  ist  das  Übel  vorzüglich  eine  Kinderkrankheit,  die  häufig  in 
den  ersten  Lebenswochen,  oft  schon  in  den  ersten  Lebenstagen  tödtet.  Zu- 
weilen entsteht  die  Blausucht  aber  erst  später,  und  dann  erscheint  die  blaue 
Farbe  des  Gesichts  allmälig ,  verschwindet  periodisch ,  kehrt  wieder  und 
bleibt  endlich  constant.  Aber  auch  hier  tödtet  die  Krankheit,  meistens  ge- 
gen das  elfte  und  dreizehnte  Lebensjahr  oder  beim  Eintritt  der  Mannbarkeit. 
Auch  in  spätem  Jahren  kann  die  Blausucht  in  Folge  von  Carditis,  Eiterung 
der  Scheidewand  oder  der  Valveln  des  Herzens ,  oder  durch  Verhärtung, 
Verknöcherung  dieser  Theile  entstehen  und  dann  um  so  eher  tödten.  Man 
hat  aber  auch  Durchlöcherungen  des  Septum  cordis  beobachtet,  die  weder 
Blausucht,  noch  sonstige  Zufälle  veranlassten  (s.  Crampton  in  Transact.  of 
the  Assoc.  of  Fellows  etc.  in  Ii-eland  Vol.  V.  Salzb.  med.  chir.  Zeitung. 
1828.  Nr.  16).  Cur.  Ist  nur  palliativ  (?  M.).  Man  lässt  die  Kranken 
eich  sehr  ruhig  verhalten,  warme,  aber  nicht  enge  Kleider  tragen,  bei  war- 
mer Witterung  spazieren  fahren  oder  tragen ,  häufig  warme  Bäder  nehmen, 
überhaupt  sich  oft  dem  Einflüsse  nicht  übermässiger  Wärme  aussetzen.  Da- 
bei passt  eine  reizlose  vegetabilische  oder  Milchdiät,  zuweilen  ein  kühlendes 
Laxans ,  desgleichen ,  wenn  der  Kranke  nicht  sciion  zu  schwach  ist ,  kleine 
Blntentziehungen ,  bei  Kindern  durch  Blutegel  am  Halse,  bei  Erwachsenen 
Aderlässe  am  Arme.  Zur  Verhütung  der  Anfälle  dient  vorzüglich  die  Digi- 
talis in  grösseren,  aber  söltenen  Gaben,  und  zwar  hat  sich  mir  das  Oyy- 
sacchar.  digitalis  wirksamer  bewiesen,  als  das  Pulver,  das  Extract  oder  die 


CYANOSIS  505 

Tiiictur.  Die  früher  oft  erwähnte  Transfusion  des  Blutes,  sowie  das  Ein- 
athmen  von  Sauerstoffgas  sind  mit  Recht  vergessen.  Auch  der  Galvanismas 
ist  vorgeschlagen  worden ,  man  rieth  den  positiven  Pol  auf  ein  blossgelegtes 
Gefass  zu  appliciren ;  schwerlich  wird  von  dieser  Anwendungsart  etwas  zu 
erwarten  seyn ,  eher  vielleicht  vom  elektrischen  Hauche.  In  schweren  An- 
fällen sind  örtliche  und  allgemeine  Blutentziehungen,  Reiben  des  ganzen  Kör- 
pers mit  erwärmtem  Flanell ,  milde  ausleerende  Klystiere  und  kühlende  Ab- 
führungen von  Sal  Glauberi,  Sal  Seignette,  welche  durch  Wirkuivg  auf  die 
Leber  der  übermässigen  Carbonisation  entgegenwirken,  höchst  nothwendige 
Mittel.  Von  den  Antispasmodicis  ist  keine  Linderung  zu  erwarten,  und  oft 
sind  sie  sehr  nachtheilig  (^Corvisnri).  Auch  hat  man  empfohlen ,  die  Kinder 
oft  und  anhaltend  schreien  zu  lassen,  damit  das  Blut  mehr  nach  den  Lun- 
gen hin  und  vom  Duct.  artei'ios.  Botalli  abgeleitet  werde,  und  letzterer  sich 
verschliesse  ( HufclancVs  Journ.  1826.  St.  5.  Novbr. ).  Die  in  spätem  Zeit- 
räumen entstandenen  Wasseransammlungen  weichen  am  besten  der  Digitalis; 
aber  auch  Squilla  und  andere  Diuretica  sind  passend.  In  der  Regel  ver- 
schwinden diese  Wassersuchten  bald,  kehren  aber  auch  leicht  weder  zurück. 
Leiden  kleine  Kinder,  Säuglinge,  an  Blausucht,  so  nehmen  sie  ungern  die 
Brust,  weil  sie  beim  Trinken  derselben  leicht  Erstickungszufälle  bekommen. 
Es  ist  daher  gut,  sie  künstlich  zu  ernähren,  am  besten  mit  der  Mutter- 
milch. Johann  Schröder. 

Nachschrift  des  Herausgebers.  Obgleich  die  Blausucht  in  den 
meisten  Fällen  ein  angebornes  Übel  und  Folge  verhinderter  Verschliessung 
des  Foramen  ovale  ist ,  so  sind  die  Fälle ,  wo  sich  letzteres  erst  in  spätem 
Jahren  wieder  öffnete,  nicht  ganz  selten  (s.  Corvisart,  Essais  sur  les  mala- 
dies  et  les  lesions  organiques  du  coeur  etc.  Paris,  1816.  p.  272.  Richernnd, 
Elem.  de  physiologie.  Paris,  1807.  T.  I.  p.  292).  Die  bei  der  Section  häu- 
fig gefundenen  Verengerungen  der  Art.  pulmonalis  sind  meist  erst  Folge  des 
Offenbleibens  des  Duct.  arteriös,  und  des  Foramen  ovale  (Nasse,  Burns, 
vgl.  ReiVs  Archiv  Bd.  X.  St.  1.),  also  nicht  angeboren,  sondern  ein  Vitium 
acquisitum.  Ist  die  Lvmgenarterie  normal,  so  entsteht  selbst  bei  offenem 
Foramen  ovale  keine  Blausucht  (^Meclcel,  Handbuch  der  pathol.  Anatomie 
Th.  I.  S.  426.),  und  es  giebt  wiederum  Blausüchtige,  bei  denen  das  Fora- 
men ovale  nicht  offen  ist.  So  fand  es  Kneip  (Harless,  Rheinisch- westphäi. 
Jahrbücher,  Bd.  IV.  St.  1.)  geschlossen,  dagegen  das  Septum  ventriculorum 
so  fehlerhaft  gestellt,  dass  es  die  Aorta  in  zwei  gleiche  Hälften  theilte,  so 
dfss  diese  ebenso  viel  venöses  als  arteriöses  Blut  aufnahm.  Etwas  Ähnliches 
fand  auch  J.  Dorsey  (The  New -England  Journ.  of  Medicine  and  Surgery, 
etc.  Vol.  I.);  ja  Dittmer  {Hufeland^s  Journ.  1826.  Novbr.)  behauptet  wol 
etwas  übertrieben,  dass  man  unter  zehn  Fällen  von  Blausucht  neunmal  den 
Duct.  arteriös.  Botalli  und  nur  einmal  das  Foramen  ovale  offen  finde.  Fol- 
gende Bemerkungen  füge  ich  noch  hinzu :  1)  Die  Kyanose  ist ,  Gott  Lob  l 
eine  seltene  Krankheit  und  ich  selbst  habe  nur  elf  Fälle  der  Art  bis  jetzt 
beobachtet.  In  fünf  Fällen  waren  die  Kranken  zwischen  zehn  und  zwanzig 
Jahre  alt ;  sie  alle  hatten  eine  mürrische  Physiognomie ,  waren  sehr  gleich- 
gültig, Freude  und  Leid  wirkte  wenig  auf  sie,  und  fast  alle  hatten  sehr  be- 
schränkte Geisteskräfte.  Keiner  dieser  Kranken  konnte  heftige  Bewegung 
und  reizende  Dinge,  die  den  Blutunilauf  beschleunigen,  vertragen.  Daher 
glaube  ich  auch,  dass  sowol  der  Galvanismus,  als  die  Elektricität  für  diese 
Krankheit  als  ein  reizendes  Mittel  mehr  schadet  als  nützt.  2)  Es  giebt  auch 
eine  Blausucht  ohne  alle  Herzfehler,  wie  dieses  Sectionen  bewiesen  haben. 
Ein  robustes  neunzehnjähriges  Mädchen  litt  an  Menstruationsbeschwerden, 
in  Folge  deren  stellten  sich  Dyspnoe ,  seltenes ,  beschwerliches  Urinlasseii 
und  blaue  Farbe  des  Gesichts,  der  Lippen,  Zunge,  Arme  und  Nägel  ein. 
Ein  Aderlass  und  achttägiger  Gebrauch  des  Eiix.  acid.  Hall,  milderten  die 
Beschwerden,  der  Gebrauch  der  Tinct.  aromat.  acida  mit  Tinct.  opii  crocat., 
nebst  warmen  Fussbädern  stellten  die  Menstruation  wieder  her  und  machten 
die  blaue  Farbe  gänzlich  verschwinden  (s.  Müller  in  Harless  Jahrbüchern. 
1826.   Bd.  XII.    St.  3.).     Meckel  behandelte   ein  Mädchen  von  21  Jahren, 


506  CYANOSIS 

welches  dufcl»  Erkältung  der  Fflsse  in  kaltem  Wasser  während  der  Menses 
ein  Asthma  bekam,  wobei  die  Hände  schwollen  und  die  Oberfläche  des  Kör- 
per» ganz  blau  wurde.  Bei  der  Section  fand  man  ein  gesundes  Herz,  aber 
verwachsene  Lungen.  In  einem  andern  Falle  beobachtete  Meckel  gleichfalls 
nach  Menstruatio  suppressa  Blausucht,  und  nachdem  drei  Jahre  später  die 
Kranke  verstorben  war,  zeigte  die  Section  gleichfalls  ein  gesundes  Herz 
und  stark  verwachsene  Lungen.  Ich  habe  Personen,  die  an  habitueller 
Pleuresie,  an  habitueller  Gesichtsrose  Jahre  lang  litten,  beobachtet  und 
periodisch  an  ihnen  eine  förmliche  Blausucht  bemerkt,  die  Aderlässen  und 
Purganzen  aus  Sal  Glauberi  mit  Infus,  laxativ.  wich.  In  zwei  Fällen  star- 
ben diese  Subjecte  an  Catarrhus  suffocativus ,  der  plötzlich  zu  der  mit  Ader- 
lässen behandelten  Pneumonie  und  Pleuropneumonie  hinzukam.  Die  Section 
zeigte  durchaus  keine  Abnormitäten  im  Herzen,  wohl  aber  Verwachsung  der 
Lungen  und  drei  rechte  Lungenlappen.  In  einem  Falle  von  Phthisis  pulmo- 
nalis  exulcerata  bei  einem  jungen  Bergmanne  war  die  Venosität  so  über- 
wiegend, dass  Gesicht  und  Hände  ganz  blau  aussahen.  Dieser  Zustand 
dauerte  ein  halbes  Jahr.  Die  Section  zeigte  ein  gesundes  Herz,  aber  höchst 
ungesunde,  mit  Tuberkeln  und  Vomicis  versehene,  hepatisirte  Lungen.  Die 
Complication  der  Lungenschwindsucht  mit  Blausucht  (Pneumophthisis  cyano- 
tica)  ist  zwar  selten,  aber  sie  trübt  die  an  sich  schon  ungünstige  Prognose 
dadurch  nur  noch  mehr.  Dieses  Übel  entwickelt  sich  vorzüglich  in  der  Pu- 
bertät und  nimmt  einen  raschen  Verlauf.  Einen  Fall  der  Art  hat  Dr.  llrhan 
{Hufelan(Vs  Journ.  1827.  St.  2.  S.  100)  beschrieben.  Er  empfiehlt  mit  Recht 
bei  solchen  Personen  eine  prophylaktische  Cur,  um  sie  über  die  Pubertäts- 
jahre, die  die  meiste  Gefahr  geben,  hinauszuführen,  und  zwar  a)  durch  Be- 
schränkung des  arteriellen  Blutumlaufs  im  Körper  überhaupt;  b)  durch  Er- 
satz der  Lungenfunction  in  anderen  Organen  des  Körpers  mittels  Erregung 
der  Thätigkeit  der  Nerven  durch  Digitalis,  der  Leber  durch  Kalomel  und 
kühlende  Purgirsalze,  und  der  Haut  durch  lauwarme,  namentlich  mit  oxyge- 
nirter  Salzsäure  geschwängerte  Bäder;  c)  durch  Abhaltung  aller  auf  die 
Lungen  wirkenden  schädlichen  Potenzen.  3)  Die  Blausucht  ist  bekanntlich 
eine  chronische,  fieberlose  Krankheit  mit  Gegenwart  einer  Dyscrasia  venosa. 
Aber  es  giebt  auch  eine  Blausucht  mit  Fieber,  worauf  besonders  Gölis  auf- 
merksam gemacht  hat,  und  welche  auch  ich  dreimal  beobachtet  habe  (s. 
Hufela/nd''s  Journal.  1825.  April).  Dieses  Übel,  das  blaue  BMeber,  Fchris 
caerulea  Gölis,  befällt  vorzüglich  Kinder  von  vier  Monaten  bis  zu  Ende 
de«  ersten  Jahres ,  besonders  Kinder  armer  Altern,  die  in  Unreinlichkeit  u  »-l 
bei  schlechter  Kost  leben  müssen.  Es  zeigt  sich  nach  Gölis  periodisch,  die 
Kinder  respiriren  ängstlich,  haben  einen  kleinen,  harten,  krampfliaften  Puls, 
werden  auf  der  ganzen  Oberfläche  des  Körpers  blau,  und  solche  Anfälle 
wiederholen  sich  bis  zum  erfolgenden  Tode  öfter.  Die  Section  zeigt  die 
Blutgefässe  vom  Blute  strotzend.  Gölis  hält  dieses  Übel,  die  Fieberbewe- 
gungen ausgenommen,  für  einen  Krampfanfall,  giebt  daher  im  Paroxysmiis 
Antispasraodica:  Liq.  c.  c.  succ.  in  einem  schleimigen  Vehikel,  laue  Kali- 
bäder, ausser  den  Anfällen  Merc.  dulc,  Rheum,  Magnesia.  Die  Fälle,  wel- 
che ich  beobachtet  habe,  fanden  bei  Kindern  statt,  welche  sehr  schwach 
organisirt  waren ,  eine  schwache  Brust  hatten ,  mit  .  grober  Kost  verfüttert 
waren.  Zwei  Kinder,  von  resp.  fünf  und  elf  Monaten  bekamen  im  Anfalle 
Moschus,  später  Magnes.,  Rheum,  Chinin,  sulphur.  und  wurden  dadurch  ge- 
heilt, eins  von  neun  Monaten  starb  den  Erstickungstod.  Die  Section  zeigte 
keine  Abnormitäten,  weder  am  Herzen,  noch  an  den  Lungen,  sondern  nur 
von  dunklem  Blute  strotzende  Blutgefässe.  Nach  meiner  Ansicht  verdient 
das  Übel  nicht  blaues  Fieber  genannt  zu  werden,  sondern  es  ist  ein  niede- 
rer Grad  vom  Krampffisthma  der  Säuglinge  (s.  Asthma  spasticum  la- 
ctcntiumWigandi),  ein  reiner  Krampf,  der  oft  nur  V4  Stunde  dauert. 
Oft  hat  dieses  Krampfübel  Vorboten.  Sie  bestehen  darin ,  dass  das  Kind 
des  Nachts  im  Schlafe  zuweilen  ungewöhnlich  heftig  aufschreit  und  bald  an 
Diarrhöe  mit  grünen  Stöhlen,  bald  an  Verstopfung  leidet  (3f.).  4)  Es  soll 
auch  einen  Schweiss  bei  Kindern  geben,  wobei  die  Haut  ein  blaues  Ansehn 


CYANOSIS  507 

gewinnt  nnd  gleichsam  durchscheinend  erschdtit.  Dieser  Zustand  ßoU  von 
dem  englischen  Schwitzfieber  (s.  Anglicus  sudor)  ^-erschieden  seyn  und 
ein^n  mehr  chronischen  Verlauf  machen.  Man  hat  dagegen  einen  AuCguss 
von  China  mit  Milch  innerlich ,  und  äusserlich  Einreibungen  in  die  Haut  von 
Öl.  amygdal.  dulc.  verordnet  (s.  Meissner^s  Kinderkrankheiten.  18^8.  Th,  X, 
S.  SSI).  Doch  es  fehlt  sowol  in  Betreif  des  Sudor  coeruleus,  als  der  Eebris 
cyanea  noch  an  hinreichenden  Beobachtungen.  5)  Was  die  Behandlung  der 
wahren  Blausucht,  d.  i.  desjenigen  Übels  betrifft,  wo  der  Duct.  arter;  Bo- 
talli,  das  Foramen  ovale  etc.  offen  geblieben  sind,  «o  ist  diese  nach'  dem 
gegenwärtigen  Standpunkte  unsers  Wissens  eine  dreifache:  eine  prophy- 
laktische, eine  radicale  und  eine  palliative.  Meissner  a.  a.  O.  S,  Siö 
sagt:  „In  Betreff  der  prophylaktischen  Behandlung  können  wir  uns  blos 
auf  Schweitjhänser's  Ansicht  berufen ,  welcher  binne«  fünf  Jahren  drei  starke 
und  gesunde  Kinder  von  einer  Mutter  gebären,  aber  alle  nach  zwei  Tagen 
an  Blausucht  sterben  sah.  Schweighätiser  glaubt,  dass  sich  die  Natur  in  diesen 
Fällen  mehr  mit  der  Bildung  der  äussern  Theile  beschäftigt,  und  schliesst 
daraus,  dass  sich  durch  öftere  Blutentziehungen  der  Mutter  während  der 
Schwangerschaft ,  diirch  starke  Körperbewegung  und  eine  besondere  Diät 
diesem  Zufalle  möchte  vorbeugen  lassen. "  Man  kann  wenigstens  den  Ver- 
such machen.  Ich  kenne  eine  Frau  von  gesundem  Ansehn,  wohlbeleibt,  mit 
vieler  Gesichtsröthe,  welche  schon  achtmal  gesunde  Kinder  geboren  hat,  die 
aber  alle  in  den  ersten  Tagen  nach  der  Geburt  starben.  Diese  Frau  bat 
mich  wegen  dieser  unglücklichen  Fälle  bei  ihrer  neunten  Schwangerschaft 
um  Rath.  Zugleich  erfuhr  ich,  dass  sie  seit  vielen  Jahren  an  chronischer 
Diarrhöe  leide,  welche  nur  durch  grosse  Dosen  Opium  auf  kurze  Zeit  ge- 
fitopft  werden  könne;  sie  befinde  sich  aber  wohler  bei  der  Diarrhöe,  und 
gebrauche  daher  nichts  dagegen.  Ich  verordnete  im  siebenten  Monate  der 
Schwangerschaft  einen  Aderlass  und  bestimmte,  dass  man  mir,  sobald  die 
gewöhnlich  leichte  Geburt  erfolgt  sey,  Nachricht  ertheilen  möchte.  Es 
wurde  zur  rechten  Zeit  ein  gesundes,  etwas  mageres  Mädchen  geboren. 
Am  vierten  Tage  des  Wochenbettes  bemerkte  ich,  dass  das  Kuid  zuweilen 
ängstlich  aufschrie  und  dabei  im  Gesichte  blau  wurde,  auch  die  Augen  ver- 
drehte und  den  Mund  verzog.  Es  wurden  Antispasmodica  gereicht,  und  der 
Zufall  verschwand.  Nach  acht  Wochen  kehrte  er  mit  grosser  Heftigkeit  zu- 
rück und  das  Kind  erstickte,  ehe  ich  noch  zur  Hülfe  herbeieilen  konnte. 
Die  Section  zeigte  ein  geschlossenes  Foramen  ovale,  aber  der  Ductus  arter. 
Botalli  war  offen  geblieben.  Von  den  acht  Kindern ,  die  diese  Frau  gebo- 
ren und  thcils  selbst  gestillt,  theils  durch  Ammen  hat  stillen  lassen,  hat 
keins  ein  solches  Alter  von  neun  Wochen  erreicht;  die  meisten  starben  in 
der  ersten  Lebenswoche;  dabei  ist  zu  bemerken,  dass  die  in  der  Schwan- 
gerschaft angewandte  Venaesection  die  erste  war,  der  sich  die  Person  unter- 
zogen hat.  Was  die  Radicalcur  der  Blausucht  betrifft,  so  hat  vor  l'/a  Jah- 
ren Dr.  Dittmer  (s.  Froriep^s  Notizen  1827.  Nr.  12.)  dazu  den  ersten  Vor- 
schlag gcthan,  der  alle  Aufmerksamkeit  verdient.  Nach  ihm  ist  die  gründ- 
liche Heilung  nur  dann  unmöglich ,  wenn  das  Foramen  ovale  offen  ist,  nicht 
aber,  was  häufiger  stattfinden  soll,  wenn  nur  der  Ductus  arteriosus  allein 
offen  geblieben  ist.  Da  man  dies  aber  im  Leben  nicht  unterscheiden  kann, 
so  behandelt  er  alle  blausüchtige  Kinder  auf  folgende  Weise.  Er  lässt  ihnen 
2 — 3  Tage  lang  wenig  Ruhe,  erlaubt  ihnen  keinen  langen  Schlaf  und  räth 
an,  sie  dadurch  oft  im  Schreien  zu  unterhalten,  desgleichen  durch  öfteres 
Entziehen  der  Mutterbrust.  Dies  soll  bewirken ,  dass  alles  Blut  der  rechten 
Herzkammer  nach  den  Lungen  hingeleitet  wird,  dass  dadurch  die  Lungen- 
gefässe  sich  allmälig  erweitern  und  die  Lunge  zu  ihrer  Function  geeigneter 
wird.  Dies  sey  das  beste  Mittel,  den  Botallischen  Gang  zu  contrahiren, 
indem  während  des  Andrangs  nach  den  Lungen  ihm  kein  venöses  Blut  mehr 
zufliesscn  kann.  In  fünf  Fällen  will  Dittmer  den  günstigen  Erfolg  dieses 
Verfahrens  beobachtet  haben.  In  Betreff  der  schon  oben  angegebenen  Pal- 
Hativcur  muss  ich  noch  bemerken,  dass  mir  kleine  Aderlässe  während  der 
Anfälle,   reizende  Fussbäder,  Waschen  der  Brust  und  des  Kopfes  mit  Essig 


SÖ8       ,  CYESIOGNOSIS  —  CYPHOSIS 

und  Wasser,  und  innerlich  EUx.  acid.  Halleri  am  meisten  geleistet  habenw 
Verhütet  werden  die  Anfälle  durch  Digitalis,  durch  kühlende  Purganzen,' 
Sal  Glauberi  und  durch  öftere  Bäder,  worein  2 — 3  Unzen  Acid.  oxyniuriat. 
(für  kleine  Kinder)  gegossen  werden.  Für  Erwachsene  kann  man  zu  jedem 
Bade  3VJ  dieser  Säure  mischen.  ' 

CYCSiognosis 9  Erkenntniss  der  Schwangerschaft,   s.  Graviditas.' 

Cyesiolog^ia,  die  Lehre  von  der  Schwangerschaft  (Cj/cäis). 
Ist,  die  Geburtslehre  (^Tocoloijin^  mit  eingeschlossen,  der  theoretische  und 
physiologische  Theil  der  Entbindungskunst;  s.  Exploratio  obstetricia, 
Graviditas  und  Partus. 

Cyllosis.  Ist  Lähmung  wegen  Verbiegung  der  Glieder,  verbunden 
mit  watschelndem  Gange. 

Cynanche,  Bräune,  s.  Angina. 

Cynanche  phnryn(/ca,  s.  Angina  pharyngea. 

Cynanche  maligna,  s.  Angina  gangraenosa. 

Cynanche  maxillaris,  s.  Inflammatio  parotidis. 

Cynanche  thyreoidea,  s.  Angina  thyreoidea. 

Cynanche  tonsillaris,  s.  Angina  tonsillaris. 

Cynanche  trachealis  infantum,  s.  Angina  membranacea. 

Cynanche  trachealis  spasmodica,  s.  Asthma  Millari. 

CynolySSA,  die  Hundswuth,  bei  Einigen  auch  der  Tollwurm,  die 
Marchettischen  Bläschen  unter  der  Zunge;  s.  Hydrophobia. 

Cynorexia,  Cynorexis,  Fames  hvpina,  canina,  Wolfshunger, 
Hundshunger.  Ist  ein  krankhafter  Appetit,  wobei  das  Genossene  wegea 
Mangel  an  Digestionskraft  unverdauet  wieder  ausgeworfen  wird;  s.  Appe-r 
titus  morbosus  und  Dyspepsia. 

CyoplioriA»  die  Schwangerschaft,  die  Dauer  der  Schwangerschaft, 
s.  Exploratio  obstetricia  und  Graviditas. 

Cyotocia,  das  Gebären,  s.  Partus  und  Dolores  ad  partum. 

Cyotrophia,  die  Kyotrophie.  Ist  das  Ernähren  der  Leibesfrucht 
durch  den  mütterlichen  Leib  mittels  des  Nabelstranges  und  des  Fruchtwassers. 

Cyplioina,  der  Buckel,  Höcker  auf  dem  Rücken,   s.  Cyphosis. 

*Cyphosis,  Gibhositas,  Gihherositas ,  Bildung  eines  Höckers, 
Buckels  (Cyphoma,  Gibber,  Gibbus).  Jede  widernatürliche  Krümmung 
der  Wirbelbeine,  des  Brustbeins,  der  Rippen,  des  Schulterblatts  kann  man 
im  weitern  Sinne  Kyphose  nennen.  Im  engern  Sinne  verstehen  wir  darunter 
eine  widernatürliche  Krümmung  nach  hinten,  und  bezeichnen  die  Krümmung 
nach  vorn  mit  dem  Namen  Lordosis,  die  zur  Seite  mit  der  Benennung 
Scoliosis.  Die  letztern  beiden  Arten  sind  nicht  so  häufig,  als  die  Kyphose. 
Ursachen  dieser  Verkrümmungen.  In  den  meisten  Fällen  sind  sie  schon 
dem  Fötus  im  Mutterleibe  eigen  und  ebenso ,  wie  Caput  obstipum ,  Talipe- 
des,  Vari,  Valgi  angeboren  (s.  Meissner^s  Forschungen  des  löten  Jahrhun- 
derts etc.  Th.  III.  S.  337);  oft  hängen  sie  von  krankhafter  Bildung  des  Ge- 
hirns und  Rückenmarks  ab ,  wozu  eine  falsche  Lage  des  Kindes  und  der 
Missbrauch  der  Schnürbrüstc  in  der  Schwangerschaft  mit  beitragen.  Häufig 
ist  auch  eine  schwere  Geburt  Schuld ,  wo  heftige  Contractionen  des  Uterus 
auf  das  falsch  liegende  oder  in  ungewöhnlicher  Stellung  sich  befindende 
Kind  wirken,  wodurch  die  Knochenbänder  der  einen  Seite  durch  heftige 
Ausdehnung  so  geschwächt  werden ,  dass  die  Ligamente  und  Muskeln  der 
entgegengesetzten  Seite  das  Übergewicht  bekommen,  Acquirirt  werden  die 
Verkrümmungen,  besonders  im  Kindesalter,  durch  jede  äussere  Gewalt  aufs 
Rückgrat  und  dessen  Bänder ;  auch  Krämpfe,  Krankheitsmetastasen ,  Anhäu- 
fung von  serösen,  wässerigen  Feuchtigkeiten  nahe  an  den  Wirbelbeinen  luid 
in  der  Wirbelsäule,  Myelitis,  Rhachitis,  desgleichen  Alles,  was  die  Muskeln 
und  Bänder  des  Rückgrats  auf  einer  oder  der  andern  Seite  schwächt  oder 
die   Zwischenbänder   der    Wirbel  drückt,    hohes  Alter   (Gibbositas  senilis) 


CYRTOMA  —  CYSTAEMORBHOIDES  509 

können  veranlassende  Ursachen  der  Verkrümmungen  werden.  Die  Folgen, 
dieser  meist  so  hartnäckigen  Übel  wirken  oft  aufs  ganze  Leben.  Sie  sind 
ausser  der  Unförmlichkeit  des  Körpers  sehr  verschieden,  begünstigen  Husten, 
Habitus  apoplecticus ,  Schlagtluss ,  Dyspnoe ,  Blutspeien ,  Hektik ,  Asthma, 
Wassersucht,  bei  Frauen  schwere  Geburten  wegen  eines  engen  und  verun- 
stalteten Beckens ,  zuweilen  Abmagerung  wegen  abnormen  Laufes  des  Duct. 
thoracicus ,  Lähmung  der  untern  Extremitäten ,  Lähmung  der  Harnblase, 
Brust  Wassersucht ;  Scoliosis  erregt  leicht  Leberfehler,  Nierenkrankheiten  etc. ; 
dodh  giebt  es  auch  einzelne  Fälle  von  Verkrümmungen  des  Rückgrats  iu 
hohem  Grade,  wo  die  Menschen  sich  anscheinend  gesund  befinden  und  an 
keinen  der  genannten  Beschwerden  leiden.  Cur.  Es  kommt  hier  viel  dar- 
auf an,  das  Übel  bei  Zeiten  zu  entdecken,  ehe  es  bedeutend  geworden  ist. 
Man  vergleiche  deswegen  die  beiden  Schultern  mit  einander.  Man  findet 
bei  genauer  Untersuchung  dann  oft  schon  früh  eine  Ungleichheit  ders,elben, 
so  dass  das  eine  Schulterblatt  höher  als  das  andere  steht,  und  w«in  man 
mit  den  Fingern  auf  die  Processus  spinosi  der  Wirbelsäule  herunterstreicht, 
findet  man  zuweilen  schon  die  beginnende  Krümmung.  Die  Heihmg  ist  stets 
langwierig,  dauert  oft  Jahre,  ist  um  so  schwieriger,  je  spitziger  der  Buckel, 
je  später  er  im  schon  vorgerückten  Altec  entstand,  je  grösser  'und  in  die 
Augen  fallender  das  Übel  und  je  älter  das  Subject  ist.  Die  vorzüglichste 
Aufmerksamkeit  muss  bei  der  Cur  auf  die  Gelegenheitsursacheri  g'erichtet 
werden.  Diese  durch  zweckmässige  innere  Mittel  und  durch  gute  Diät  zu 
entfernen,  bleibt  die  erste  Indication.  Um  äusserlich  auf  mechäriiä^che  Weise 
der  Verkrümmung  zu  begegnen ,  bedient  man  sich  verschiedener  Baiidageri, 
Streckmaschinen,  künstlich  eingerichteter  Betten,  Schnürbrüste, '\^ovx)n  Ab- 
bildungen in  verschiedenen  Schriften  vorhanden  sind  (s.  JRicÄter's  chirurg. 
Bibl.  Bd.  I.  St.  2.  S.  60,  und  Bd.  II.  St.  2.  S.  71.  Jiernstein's  Bandagen- 
lehre. Jörg,  Über  Verkrümmungen  des  Körpers).'  Gute  Maschinert  sind 
nützlich,  theils  rim  die  Theile  zu  unterstützen,  dafsis  die- Biegung  nicht  zu- 
nimmt, theils  um  den  Kraiiken  zu  erinnern,  dass  er  sich  gerade  hält.  Öhrife 
Berücksichtigung  'des  Ällgemeinleidens  durch  zweckmässige  Mittel  schaden 
sie  aber  mehr,  als  sie  nützen.  Man  behandle  daher  die  Rhachitis,  Osteoma- 
4acie,  Spöndylarthrocace.  Aiich  der  in  spatem  Jahsen  durch  MetaStaseh  von 
Exanthemen,  Gicht,  dm-ch  Knochenerweichung  e;itstehende  Pott'sohe  Buckel 
erfordert  innere  Mittel,  und  äusserlich  besonders  Fontanelle,  Glüheisen ,  nni 
Caries  zu  verhüten,'  .  iPi:  :Jfeiherg  zu  Ctirisüania  j;s.-  Gersonls  uaA^.J^iUus' 
Magazin.  Hambyipg  1828.;  ^uji,  Aug.  S.  81;];  Keilt  die  Rückgrat^yerki'ümniunT- 
gen  schnell  und  glücklich  durch  ein  prismatisches  Glüheisen,  wodurch  er 
einen  langen  Brändstiiemen  aiif  der  con'caven  Seite  der  Krümmung,  also  bei 
Scoliosis  der  rechten  -Seite  an  der  Wirbelsäule  'hit  linken  Seite "«ndl  umge- 
kehrt, hervorbringt.  Ist  die  Krümmung  noch  nicht  bedeutend,  so  zieht  sich 
der  Rücken  schon  darnach ,  gerade ,  sonst  Aviedechflit  man  das-iVerfahvöa  alle 
5— r,8  Tage,,  selbst  ,6— 78  Mal,  und  zieht  gleich;  hinterher  deii  Krankep, 
Ausser  der  Zeit  muss  der  Kranke  horizontal  auf  R,osshaarpoJLstern  -  liegejgi. 
Die  Brandstriemen  werden  mit  eineiq  in  Öl  getränkten  Läppchen  verbunden. 
Dieses  Mittel  verdient  alle  Aufmerksamkeit,  ind^m  fteilerg  dadjircli  Krankp 
heilte,  die  aus  der  sonst  berühmten  ortjiopädischei), .Anstalt  ä,ek  I>r.  JjeiilJiQff' 
}n  Lübeck  ungeheilt' wieder  entlassen  worden  waren.  Ein  Mehreres  über 
Verkrümmungen  unji  über  :diese  und  ähnliche  Anstalten  in  Deutschland  und 
Frankreich,  in  denen  die  Orthopädie  charlatai]inässig  und  al3  Geldspecula- 
iion  getrieben  wird,  qhnedjss  Theorie  und  ]^rfa,h|rung  für  di,e  neue  Streck- 
methode sprächen,  findet  ipan  in  folgender  Sphrjft^  LacÄrtis«,.  Physiol.  Ab- 
handl.  über  die  Verkrümmung  der  .\yi^|^elsa9je.  .,A)is,-d.  Franz.  von  Siebei^r 
haaf.  jLeipz.   1S%9.   Most%  ,„.,_       ..;.•.!;.:  .'lii-i  ■,>-■' .äi., .     J' J^'.ß^'Jircn^.  ,,/, 

'       Cfrtomtt gCyrtqsis,,  Cyrtotcs.    Öedenteft  i')  4inen  Hocker  (ä.  Cypho- 
•^1*);  ü)  jede  begi'enzte  Geschwülst,' BenleV'äas' begrenzt«  Emphysem  ^c. 

Cystaeinorrhqidcs ,    Cifstidaemorrhqidcs,    die  BlaseiihJimoiT'hoidep, 
».  Haemorrhoides  vesicae  urinariae. 


510  CYSTALGIA  —  CYSTORRHEXIS 

Cystalg^fa,  Hafnblaßengchmerz.  Ist  Symptom  verschiedener 
Krankheiten  der  Harnblase. 

Cystanastropbef  Umkehrung  der  Harnblase,  b.  Inversio  vesl- 
cao  urinariae. 

'  Cystauchenotomfa,    der    Blasenhalsschnitt,    eine  Art  des 
Steinschnittes .   s.  Lithotomia. 

CystbitiSy  Entzündung  der  Vagina  und  der  äussern  weiblichen  Scham- 
theile,   s.  Infiamraatio  vaginae  et  labiorura  vulvae. 

Cysticercus  cellulosae»  der  Blasenschwanz,  die  Finne. 
I«t  ein  in  einer  Kapsel  eingeschlossener,  bei  Menschen  im  Zellgewebe,  auch 
im  Gehirne  vorkommender  Blasenwurm,  der  von  der  Hydatide  noch  ver- 
echieden  ist  (Ärcmser,  Über  lebende  Würmer  etc.    1819.  4.  S.  235). 

Cystidelcosis y  ein  Harnblasengeschwür,  &.  Inflammatio  und 
UJcus  vesicae   urinariae. 

CystidepatQlitbiasis,  die  Gallcnsteinkrankheit,  s.  Lithiafliip 
Vn4  Colica  consensualis.  ,1 

Cysttrrbag'ia,  s.  Haematuria  vesicalis. 

CystitlSy  Entzündung  der  Harnblase,  s.  Inflammatio  vesicae 
iirlnariae. 

,,  •  Cystoblennorrboea,  Cystocatarrhusj  Blasenkatarrh,  s.  Blennor- 
Iflioea  vesicae  urinariae. 

!     Cystocele»  Blasenbruch,  6.  Hernia  resicalia.. 

Cystocele  hiliosa,  s.  Hydrops  vesicae  felleaej:    -!■  '  »i 

.;.   CystolitbiasiSj  die  Harnbla^enstelnkrankhelt,   8.  Xlthiasis. 

i:v  CystOMCUS,  Harnblasengeschwulst,  Anschwellung  und  Ver- 
^ckpng  der  Blasenhäute  als  Folge  chronischer  Blennorrhöen  oder  ßlasen- 
steiae,  s.  Blennorrboea  vesicae,  Cystostenocboria  und  Li- 
thiasis, 

'■•''■  Cystoparalysis»  Cystoplegta ^  Harnblasenlähmung,  &  Inco.nti- 
hentia  urinae,  Paralysis  vesicae  urinariae»  Ischuria  para- 
iytica.  '    ■    . 

CystopbtbfsiSy  Cystophthoe ^  Harnblasenschwindsucht,  Aus- 
zehrung durch  Vereiterung  der  Harnblase,   s.  Phthisis  vesicae.  ' 
."  1  "  Cyst  Optosis  »  Harnblasenvorfall ,    s.  Prolapsusvesicae. 
.oi> : Cystorrliagia ,  Blutung  aus  der  Harnblase,    s.  Haemorrhagia 
fiVicae. ,  ; 

''  •  Cystort*bexl8 ,  Zerreissung  der  Harnblase.  Kann  bei  sehr 
Schweren  Geburten  aus  Unkenntniss  des  Geburtshelfers ,  indem  er  die  Blase 
beim  Zangenanlegen  mit  zwischen  die  Zange  fasst ,  erfolgen ,  desgleichen 
durch  raechaidsche  Verletzungen.  Die  Folgen  sind  heftige  Schmerzen,  Con- 
vnlsioneh,  Cystitis,  unwilllcürlieher  Abgang  des  Urins  am  ungewöhnlichen 
Orte,  -mangelnder  .\bgang  auf  dem  gewöhnlichen  Wege.  Cur.  Strenge 
"Ruhe,  zweckmässige  Lage,  wodurch  wo  möglich  die  Wundränder  vereinigt 
t>leiben,  Aderlässe,  Blutegel,  innerlich  Ölemulsionen,  Aqua  laurocerasi  und 
strenge  antiphlogistische  Diät,  Sorge  für  Leibesöffnung  durch  milde  eröff- 
nende ,  ölige  iClystiere ,  für  den  Abfluss  des  Urins  auf  dem  gewöhnlichen 
Wege.  Man  bringt  deshalb  einen  gewöhnlichen  Katheder  von  Gummi  ela- 
gticum,  8  Linien  im  Durchmesser,  in  die  Harnröhre,  welcher  Katheter  mit 
einem  eine  Linie  Durchmesser  haltenden  angefeuchteten  baumwollenen  Dochte 
inwendig  versehen  ist.  Auf  solche  Weise  fliesst  der  Harn  allmälig  und  un- 
unterbrochen ab ,  und  dfis  Eindringen  der  Luft  in  die  Blase  wird  verhütet. 
Segalas,  der  dieses  Verfahren  vorschlägt  (s.  Archives  g^n^rales  de  M^decine. 
T.  XTI.  Novbr.  1826),  versichert,  dass  so  binnen  24  Stunden  oft  4  — 7 
Finten  Urin  abfliessen.  ' 


CYSTORRHOEA  —  CYSTOSPASMUS  511 

Cystorrlioea.  60  nennen  Einige  die  Harnruhr,  Andere  die  BlennoB- 
rhoea  vesicae,    noch  Andere  die  Haemorrhagia  vesicae  (s.  diese  Artikel). 

Cystosomatotomia,  der  Blasenkörperschnitt.  Jtst,  ^e  die 
Cystauciienotomia ,  eine  Art  des  Bla^enschnitts  zur  Entfernung  d<^  Steine, 
s,  Lithotomia  und  Llthiasis. 

.  Cystospasiuus,  Ischuria  fpasmodka,  4sr  Blasenkrampf,  die 
krampfhafte  Dysurie  und  Ischurie.  Ist  jede  mit  Schmerzen  ver- 
bundene abnorme ,  bald  nur  Minuten  dauernde ,  bald  Tage  lang  anhaltende 
Contraction  der  Harnblase ,  die  meist  etwas  Symptomatisches ,  selten,  ein 
primäres ,  idiopathisches  Übel  ist ,  in  der  Regel  plötzlich  befällt  und  etwas 
Periodisches  hat.  Symptome.  Das  Hauptsymptom  ist  hier  beschwerliches 
oder  ganz  verhindertes  Urinlassen ,  heftiger  Schmerz  in  der  Blase  -,  beson- 
ders im  Blasenhalse.  Ausserdem  erkennt  man  das  Übel  aus  dem  spastischen 
Habitus  des  Kranken  und  aus  den  anamnestischen  Zeichen»  den,  ursächlichen 
Momenten.  Der  Krampf  ist  hier  abhängig  1)  vop  einer  rein  dynamisch  er- 
höhten Reizbarkeit  der  Harnblase,  besonders  ihres  Schliessn^ysJ^els ;  4?tker 
diese  Art  der  Urinverhältung  häufig  bei  KindcrA  in  der  D^i)titipns.pe;fiode, 
bei  Hysterischen,  im  Typhus  versatUis,  nach  üBermässigem  Cfoitus,  nach 
überstandenen  Trippern  vorkommt,  oder  2)  scharfe,  reizende,,, vorzugsweise 
iaufs  Harnsystem  einwirkende  Substanzen:  SqniUa,  Colcliieujn,  besonder^ 
aber  Känthariden  sind  Ursache ;  3)  organische  Fehler  der  Bl^se  und  ilurer 
Nachbarschaft,  Indurationen,  Scirrhen,  GeschwürCj,  Prolapsus  orificii  vesicae, 
Hernia  vesicalis,  Krankheiten  des  Uterus ,  der •  Ovarien ,  der  iProstata ,  des 
Mastdarms  etc.  erregen  den  Blasenkrampf;  4)  fiuch  der  Reiz  von  Gries, 
Sand,  Steinen  kann  die  Veranlassung  seyn.  Cur.  Ist  nach  defl  Ü;;sachea 
verschieden.  1)  Ist  reiner  Krampf  da,  dann  die  allgemeinen  Antispasmor 
dica;  besonders  wirksam  sind  hier  Pulv.  Doweri,  Opium  jnit  Magnesia  und 
Gumm.  arabicum  (doch  passt  das  Opium  nicht  b^i  kleinen  Kinderfi  und  ia 
der  Zahnperiode) ,  äusserlich  Einreibungen  ins  Perifiaeum  und  in  den  Unter- 
leib von  Linim.  volat.  camph. ,  Ol.  hyoscyami  apa  §],  Laudan.  liquid,  Syd. 
3jj.  M.  S.  Recht  warm  einzureiben.  Desgleichen  warme  aromatische  und 
narkotische  Bähungen  auf  die  Blasengegend,  laue  Bäder,  Klystijere  von  In- 
fus, vajer.  mit  Asa  fuetida  ynd  Opium  i^s.  Clysima  antispasmodicum). 
Je  heftiger  der  Krampf  ist,  desto  mehr  ist  aucl>  die  Harnröhre  krampfhaft 
zusammengezogen,  die  Ürinsecretion  völlig  gehindert,  der  Schmerz  unerträgr 
lieh,  und  bei  immer  mehr  ^ich  ausdehnender  Blase  fürchterli^jh,..  Oft  hilft 
hier  noch  ein  kleiner  Aderläss ,  Blutegel  ans  Perinaeum,  ein  laues  Bad  und 
gleich  hinterher  die  Applicatiori  eines  kleinen  Katheters  von  Gummi  elast., 
der  mit  folgender  Salbe,  welche  schnelle  Ersch}aftung  bewirkt,  bestrichen 
worden:  R?  AforphU  acetici  gr.  j^,  Axwuj.  porci  3j  (s.  Lnllemand  in  Froriep^g 
Notizen,  1827.  Nr.  31).  2)  Sind  organische  Fehler  Ursache,  sq  giebt  man 
bis  zur  Hebung  des  Krampfes  zuerst  auch  die  .genannten  Antispasmodica, 
erforscht  aber  nachher,  worin  der  Fehler  besteht,  verordnet  gegen  Scirrho-r 
sitäten  Cicuta ,  Digitalis ,  Belladonna ,  Mercurialia ,  .^timouialia ,  zmn  Ein» 
reiben  Unguent.  mercuriale.  Rührt  der  Blasenkrampf  von  scharfen  Diure- 
ticis,  besonders  vom  Missbrauche  der  Känthariden  her,  so  wirken  grosse 
Ilpsen  Kampher  in  Emulsion  mit  Aqua  chamoiaülaÄ.  und  Eigelb  am.  besten 
dagegen;  sind  Blasensteine  Schuld,  so  geben  wir  stickstoffige,  zersetzende 
Mittel :  Sapo  medicat. ,  Aq.  calcis ,  Magnesia ,  Lapid.  cancrorum.  Hier  hebt 
folgendes  Mittel,  welches  auch  im  rein  nervösen  oder  durch  Erkältung  ent- 
standenen Blasenki-ampfe  gute  Dienst«  thut,  oft  schnell  den  Krampf:  ^•  Sa!, 
tart.  depur.,  Exir.  rutae  ana  3jjj ,  Aq.  melissae,  —  chnmomill.,  —  valerianae 
ana  gjjfj,  Spirit.  sah  dulc.  3Jlt  M.  S.  Stündlich  1  Esslöffel  voll  mit  Cha- 
nälenthee  (itf.)»  ""d  daneben  die  oben  erwähntet  Einreibungen  von  flüch- 
tiger Kamphersalbe,  Ol.  hyoscyami  infus,  und  Laudanum  liq.  Sydenhanx«. 
3)  Rührt  das  Übel  von  Erkältung  her,  so  passen  Diaphoretica,'  besonders 
Pulv.  Doweri;  sind  ungegohrne  Getränke  Schuld,  so  reiche  man  Absorben- 
tien,  sind  anomale  Hämorrhoiden  Ursache,  so  leistet  ein  Pulvef  aus  Crerai 


512   CYSTOSTENOCHORIA  —  DACRYADENALGIA 

tartarl,  Schwefel  und  Magnesia  gute  Dienste.  —  Einige  Arzte  habea..  auch 
den  Krampf  der  Gallenblase  (Spasmus  cystidis  felleae),  der  besonders  von 
eingeklemmten  Gallensteinen  herrührt,  Cystospnsmus  genannt;  doch  gebraucht 
man  diese  Benennung  fast  durchgehends  für  den  Harnblasenkrampf  (s.  die 
Artikel  Cardialgia,  Colica  consensualis,  Colica  hepatica-  und 
Spasmus). 

Cystostenochoria,  Verengerung  der  Harnblase  durch  Zu- 
sammenziehung und  besonders  durch  Verdickung  der  Häute.  Die  Al- 
tern nannten  diese  Krankheit  unrichtig  oft  Scirrhus,  Scirrhositas  vesicae, 
Neuere  Induratio,  Ccassitudo,  Callositas  vesicae  urinariae,  Ischuria  callosa, 
Physconia  vesicalis.  Die  vorzüglichsten  Ursachen  dieses  langwierigen,  oft 
unheilbaren  Übels  sind :  chronische  Blennörrhöen  der  Blase ,  Harnsteine, 
Scjrrhositäten,  verschiedene  Dyskrasien  ,  und  besonders  Syphilis,  Arthritis. 
Die  Krankheit  entsteht  daher  nie  plötzlich,  nie  bei  vorher  ganz  gesundep 
"Menschen ,  sondern  die  Anamnese  zeigt ,  dass  stets  andere  Nieren  -  und 
Barhbeschwerden ,  Blasenkatarrhe,  Retentio  und  Incontinentia  urinae  vor- 
hergingen und  periodisch  die  Krankheiten  begleiten.  Häufig  leiden,  solche 
Personen  daran,  die  in  Baccho,  besonders  aber  in  Venere  ausgeschweift 
haben,  die  dadurch  das  Systema  genitale  et  uropoeticum  bedeutend  schwäch- 
ten ,  und  Stimulantia,  Diuretica  und  Aphrodisiaca  gebrauchten ,  um  sich  zum 
Geschlechtstriebe  zu  reizen.  Nicht  selten  ist  das  Übel  auch  mit  Fehlern, 
Scirrhositäten  des  Mastdarms,  der  Prostata j  mit  Blasenhämorrhoiden ,  Poly- 
■pen ,  mit  Kitankheiten  der  Samenbläschen  complicirt.  Die  Section  zeigt 
die  Häute  der  Harnblase  sehr  verdickt,  oft  von  der  Stärke  eines  Pfeifea- 
stiels,  welche  Verdickung' tnitunter  ursprünglich  in  einer  pathologischen  Vei:- 
'änderung  der  Schleimnaut  der  Harnblase  ihren  Grund  findet;  daher  denn 
auch  die  Cystitis  zuweÜen  das  Übel  zur  Folge  hat.  In  einzelnen  Fällen 
■findet  man  eine  enorme  Entwickelüng  der  Zotten  der  Blasenschleimhaut  in 
Gestalt  dner  Puderquaste  und  eine  eigenthümiiche  Ausdehnung  der  Schleim- 
haut und  Entwickelüng  des  Unterschleimhautzellstoffes,  verbunden  mit  einer 
Art  wn  Hydatidenbildung  (s.  Louis,  Über  pathologische  Veränderung  der 
Schleimhaut  der  Harnblase ,  njitgetheilt  in  Heusmger^s  Zeitschrift  für  organi- 
sche Physik,  1827.  Bd;  I.  Hft.  5).  Zur  Diagnose  dient:  Gefühl  von 
Druck ,  Schwere  in.  der  Blase,  die  selbst  äusserlich  als  harter  Körper, 
worin  keine  Urinfluctuätiort  wahrgenommen  wird,  fühlbar  ist,  Narkosis  der 
Schenkel,  selbst  Lähmung  derselben,  Incontinentia  urinae,  welche  Zeichen 
im  höchsten  Grade  des  Übels  nie  fehlen ,  wozu  sich  auch  noch  Verwach- 
sungen der  Blase  mit  dem  Rectum  und  Beschwerden  beim  Stuhlgange,  fort- 
währendes Zittern  der  Schenkel  gesellen  (s.  v.  Sömmerrini/ ,  Über  die  Krank- 
heiten der  Harnblase  etc.  1809).  Cur.  In  den  meisten  Fällen  richten  wir, 
wenn  anders  das  Übel  schon  einen  hohen  Grad  erreicht  hat,  wehig  aus. 
Wir  berücksichtigen  die  etwa  Torhandenen  Causalmomente  und  verordnen 
dabei  kräftige  Resolventia:  Antimonialia,  Mercurialia,  Digitalis,  Aqua  lauro- 
cerasi,  Oicuta,  Belladonna,  Einreibnpgenvo^  Quecksilbersalbe,  voii  Ünguent. 
digital.,  Elektricität,  Bäder  etc.'''^'-  ,'";',  ^J'" 

Cyistotomia,  Blasenschnitt,;»,  Lithotomia  und  Lithiasis. 
Cystotrachelotoinia,    unpassender   Name  iur    Cys tauch eno- 

.,;    i  .'.:  JÄnad  .r.i.. 


Dacryadenalgia ,     Schmerz,     Krankheft    der   Thräneh- 

drüse.  Die  Krankheiten  der  Thräneadrüse  und  ihrer  Ausführungswege 
suid  sehr  verschieden.  .|Hierher  gehören  theils  Entzündung ,  Eiterung,  Fi- 
steln, Hydatiden  und  Scirrhus.  derselben,  theils.  übermässige  Thränenabson- 
derung,    Atonie  des   Thränens^cks ,    Verstoplung  -des.  NasencanaU  etc.}   s. 


DACRYADENITIS  —  DACRTOCYSTITIS  513 

Inflammatio,  Hydatia,  Scirrhus,  Fistula  glandulae  lacryma- 
lis,  Epiphora. 

üacryadenitis»  Thränendrüsenentzundung,  s.  Inflammatio  glan- 
dulae lacrymalii». 

Dacryaeinorrliysls»  Thränenblutfluss.  Entsteht  in  seltenen 
Fällen  durch  tageianges  Weinen,  also  aus  moralischen  Ursachen.  Cur. 
Man  hebe  die  Trauer,  den  Gram  etc.  durch  Zerstreuung,  gute,  liebevolle 
Vorstellungen ,  was  auch  durch  die  Zeit  am  besten  geschieht ,  und  stärke  die 
erschlafften  Sehorgane  durch  freie  Luft,  grüne  Farben  und  kaltes  Wasser. 

Dacryalloeosis ,  Ausartung,  schlechte  Beschaffenheit 
der  Thränen.  Ist  jede  Abnormität  der  Thränenfeuchtigkeit ,  entstanden 
durch  Beimischung  fremdartiger  Stoffe:  Schleim,  Serum,  Blut,  die  nur  sel- 
ten in  der  Thränendrüse,  am  häufigsten  zwischen  dem  Bulbus  und  den  Au- 
genlidern den  Thränen  beigemischt  werden.  So  z.  B.  mischt  sich  der  Schleim 
der  letztern  oft  aus  den  Cryptis  sebaceis  der  Augenlidränder,  aus  den  Mci- 
bom'schen  Drüsen,  selbst  aus  der  an  Blennorrhoe  leidenden  Conjunctiva  bei. 
Zuweilen  ist  die  Secretion  der  Thränenfeuchtigkeit  selbst  krankhaft,  so  dass 
sie  scharfe ,  reizende  Stoffe  enthält  und  eine  wahre  Lithiasis  des  Auges  ent- 
steht. Bei  Ophthalmia  menstrualis  et  haemorrhoidalis ,  bei  vicarirenden  Blu- 
tungen kann  die  Thränenfeuchtigkeit  blutig  werden,  das  sogenannte  Blut- 
weinen (^Dacrynemorrhijsis) ,  wo  die  Thränendrüse  selbst  oder  die  Con- 
junctiva das  Blut  hergeben,  zumal  bei  scorbutischer  Dyskrasie.  Die  Cur 
ist  die  des  Grundübels. 

VacryoMennorrboea»  Thränenschleimfluss ,  s.  Epiphora  ca- 

tarrhalis. 

Dacryocystalg^ia,  Schmerz  im  Thränensacke,  Krankheit 
des  Thränensacks.  Am  häufigsten  ist  die  Entzündung  des  Thränen- 
sacks ,  die  zuweilen  nur  gering  und  von  katarrhalischem  Charakter  ist ,  aber 
leicht  Atonia  sacci  lacrymalis,  unrichtig  Hydrops  genannt,  hinterlässt,  mit- 
unter auch  zu  Thränenfisteln  Anlass  giebt;  8.  Dacryocystitis  und  Ei- 
st ula  lacrymali's. 

Bacryocyst-'iis,  Inflammatio  sacci  lacrymalis,  Entzündung  desV 
Thränensacks.  Symptome  sind:  Schmerz,  Röthe  und  Geschwulst  im 
Innern  Augenwinkel ,  oft  aufgetriebener  Thränensack ,  meist  Trockenheit  der 
Nase  an  der  leidenden  Seite,  katarrhalische  Zufälle,  blennorrhoische  und 
scrophulöse  Constitution.  Drückt  man  den  Sack  aus,  so  erregt  es  Schmerz, 
die  Thränen  gehen  dann,  wenn  man  dabei  den  Thränenpunkt  zuhält,  durch 
die  Nase.  Cur.  Die  Entzündung  ist  gewöhnlich  nicht  heftig;  daher  pas- 
sen ein  Vesicator  hinter  das  Ohr  der  leidenden  Seite,  innerlich  bei  Katar- 
rhen Diaphoretica ,  bei  Scropheln  Antiscrophulosa ,  äusserlich  erweichende 
Dampfbäder  in  die  Nase,  und  in  den  entzündeten  Thränensack  etwas  Un- 
guent.  mercuriale  mit  Unguent.  althaeae  eingerieben.  Sehr  leicht  bleibt 
Auftreibung  des  Thränensacks  (Atonia  sacci  lacrymalis)  zurück.  Dieses  Übel 
ist  oft  recht  hartnäckig.  Es  folgt  aber  nicht  blos  auf  Entzündung  des 
Sacks,  sondern  entsteht  auch  durch  viele  andere  Ursachen.  Die  Benennun- 
gen Hydrops,  Prolapsus,  Hernia  und  Fistula  lacrymalis,  die  man  diesem 
pathologischen  Zustande  gegeben  hat,  sind  alle  unrichtig.  Am  häufigsten 
ist  Atonie  des  Thränensacks,  Blennorrhoe  desselben  zugegen.  Cur.  Ein 
Vesicator  im  Nacken,  und  längere  Zeit  im  Fluss  erhalten,  öfteres  Aus- 
drücken der  im  Thränensacke  angehäuften  Thränen  nach  unten,  indem  man 
das  Punctum  lacrymale  mit  dem  Finger  zuhält,  damit  die  Thränen  durch 
den  Nasencanal,  der  sonst  leicht  obliterirt,  gehen,  Einreibungen  von  Un- 
guent. mercur.  einer.,  späterhin,  um  den  Thränensack  zu  stärken,  adstrin- 
girende  Mittel:  Decoct.  quercus,  Salicis,  mit  Tinct.  myrrhae,  in  hartnäcki- 
gen Fällen  Öffnung  des  Ductus  nasalis  durch  die  Mejan'sche  Sonde,  Ein- 
spritzungen mittels  der  Anel'schen  Spritze,  Erweiterung  durch  Darmsaiten, 
von  unten  eingebracht;  dies  sind  noch  die  vorzüglichsten  Mittel.  Die  chvo- 
Most  EacyUepädie.  2te  Aufl.  I.  33 


51-1       DACRYOCYSTOELENlSfORRHOEA  —  DASYMA 

iilsche  Atonie  ist  sehr  schwer  grundlich  zu  heben.  Geht  der  Thränensack 
bei  heftiger  Entzündung  in  Eiterung  über,  was  aber  selten  ist,  so  kann 
eine  wirkliche  Thränentistel  entstehen.  (S.  auch  Prolapsus  sacci  la- 
cr  ymalis). 

Daci'yocystoMennorrhoea ,  die  Blennorrhoe  des  Thrä- 
nensacks.  Sie  kommt  am  häufigsten  bei  scrophulösen ,  zuweilen  auch  bei 
gichtischen  Subjecten  vor,  ist  häufig  der  Ausgang  der  katarrhalischen  lang- 
wierigen Entzündungen  des  Thränensacks,  bei  Personen,  die  oft  jahrelang 
an  wiederholtem  Nasenkatarrh ,  der  sich  nicht  gehörig  entwickelte,  gelitten, 
fast  immer  einen  sogenannten  Stockschnupfen  haben  und  einen  drückenden 
Schmerz  in  dem  einen  Innern  Augenwinkel  empfinden  (s.  Dacryocysti« 
tis  und  Atonia  sacci  lacrymalis). 

Hacryoma.  Ist  Thränenfluss  wegen  Verwachsung  derThränen- 
punkte.     S.  Epiphora. 

Dacryops,  die  Thänengeschwulst,  Thränensackgeschwulst. 
Ist  eine  dem  Hygroma  ähnliche  Geschwulst  im  obern  Augenlide  nach  dem 
fiussern  Augenwinkel  zu,  welche  mit  einem  Ausführungsgange  der  Thränen- 
drüse  in  Verbindung  steht,  und  durch  eine  Verschliessung  der  Öffnung  des 
letztern  entwickelt  wird,  indem  sich  die  Wände  des  Ausfühi'ungsganges  über 
dieser  Atresie  zu  einer  sackartigen  Geschwulst  erweitern  und  zugleich  eine 
dem  Sacke  der  Balggeschwülste  ähnliche,  eigene  Vitalität  erhalten  (JiiHe/A'f«). 
Ursachen  sind :  heftige ,  in  Eiterung  übergegangene  Dacryocystitis ,  me- 
chanische Verletzungen  in  der  Nähe  der  Thränendrüse ,  welche  Atresie  der 
Offnungen  der  Ductus  excretorii  zur  Folge  haben.  Die  Geschwulst  erscheint 
rund,  erhaben,  unschmerzhaft,  fluctuirend,  ist  von  der  Grösse  einer  Bohne 
bis  zu  der  eines  Taubeneies ,  die  äussere  Haut  derselben  ist  gesund  und 
lässt  sich  auf  ihr  verschieben ;  das  Auge  ist  etwas  trockener ,  als  im  gesun- 
den Zustande ,  und  die  Gesch\vulst  vergrössert  sich  augenblicklich ,  so  wie 
der  Kranke  weint.  Später  wird  sie  kleiner;  das  Sehvermögen  leidet  dabei 
nicht,  und  in  dieser  Hinsicht  ist  das  Übel  gefahrlos.  Cur.  Radical  heilt 
man  ,  indem  man  die  Geschwulst  so  viel  als  möglich  cxstirpirt ,  den  Rest 
<lurch  ein  Cauterium  zerstört  und  durch  einen  Granulationsprocess  die 
Schliessung  der  ganzen  Höhle  und  des  Ausführungsganges  bewirkt.  Man 
schält ,  wo  möglich  von  der  obern  Conjunctivafalte  aus ,  die  Geschwulst 
wie  einen  Tumor  cysticus  heraus,  indem  ein  Gehülfe  das  obere  Augenlid 
stark  in  die  Höhe  und  vom  Bulbus  hinwegzieht,  worauf  sich  die  Geschwulst 
zwischen  dem  obern  Augenlide  und  dem  Augapfel  hervordrängt.  Misslingt 
die  Radicalcur  und  zeigt  sich  das  Übel  wieder ,  so  verfährt  man  später  pal- 
liativ, indem  man  sie,  sobald  sie  durch  ihre  Grösse  dem  Kranken  lästig 
wird ,  mit  einer  Aderlasslaiizette  von  der  obern  Conjunctivafalte  aus  punctirt, 
und  so  entleert. 

Dacryoptosis ,  s.  Dacryocystitis  und  Prolapsus  sacci  la- 
crymalis. 

Dacryorrhysis ,  s.  Epiphora. 

Dacryosyrinx,  Thränenfistel,  s.  Fistula  lacrymalis. 

Dactylitis,  Fingerentzündung,  s.  Panaritium. 

Daemonoinania,  Wahnsinn,  wobei  die  Kranken  von  bösen  Gei- 
slern geplagt  zu  werden  glauben.  Psychische  Mittel:  die  Versuche,  dem 
Kranken  richtige  Vorstellungen  zu  verschaffen,  helfen  hier  oft  wenig.  Äu.s- 
sere  schmerzerregende  Mittel:  Pustelsalbe,  Vesicatorien ,  starke  Vomitive, 
und  wenn  Neigung  zum  Selbstmorde  da  ist,  besonders  Moschus  und  Opium 
in  grossen  steigenden  Dosen  (^Odier,  Esquirol^,  haben  noch  das  Meiste  ge- 
leistet; s.  Melancholia. 

Hasfyina »  Dasytes ,  Verhärtung  der  Innern  Fläche  der  Au- 
genlider. Ist,  nach  altern  Ärzten,  Aufwulstung,  Verhärtung  der  Innern 
Fläche  der  Augenlider  in  Folge  von  scrophulösen,  purulenten,  herpetischen 
Ophthalmien.     Viele  Andere  nehmen  das  Wort  gleichbedeutend  mit  Scleria- 


DEBILITAS  -r  DECAPITATIO  515 

sis,  Trachoraa,  Sycosis,  Tylosis.  Ursachen  «indi  Ophthalmia  neonato- 
rum, catarrhalis,  gonorrhoica,  aegyptiaca,  scrophulosa,  herpetica.  Cur. 
Am  besten  wirken  rother  oder  weisser  Präcipität  in  Salbenform.  Ist  noch 
viel  Schmerz  zugegen,  so  wendet  man  vorher  Solut.  cupri  acetici,  sulpho- 
rici  mit  Laudanum  an.  Ganz  verhärtete,  entartete  Stücke  der  Conjunctiva 
kann  man  mit  dem  Messer  ausschneiden.  Innerlich  gebe  man  die  gegen  die 
vorhandene  Dyskrasie  gerichteten  Mittel,  als  Antimonialien ,  Mercurialien, 
Cicuta  etc. 

DeliilitaSf  Atoniaf  Langmr,  Atonie,  Schwäche,  Mattigkeit,  ». 
Adynamia. 

*  üecapitatio  e.  Amputatio  epipJiysium^  Resectio  articitlorumf  djte 
Resection  der  Gelenkenden,  die  Abnehmung  der  Gelenk- 
theile  der  Knochen,  die  Amputation  der  Gelenkköpfe.  Diese 
Operation,  welche  zu  den  neuern  Fortschritten  der  Chirurgie  gehört,  indem 
sie  zuerst  um  die  Mitte  des  18,  Jahrhunderts  von  Vigaroux,  David,  Tho- 
mas, und  im  J.  1769  von  White  verrichtet  wurde,  bezweckt  die  Entfer- 
nung eines  krankhaften  Theils  oder  des  ganzen  Gelenks ,  um  die  Amput^ 
tion  des  ganzen  Gliedes  zu  verhüten  und  dasselbe  brauchbar  zu  erhalten. 
Sie  ist  im  Allgemeinen  indicirt  1)  bei  complicirten  Luxationen,  wenn 
der  luxirte  und  durch  die  Haut  hervorstehende  Gelenkkopf  nicht  wieder  re- 
ponirt  werden  kann;  2)  bei  Pseudarthrosis,  wenn  der  ausgetretene  Gelenk- 
kopf auf  wichtige  Gefässe  und  Nerven  drückt  und  das  Glied  unbrauchbar 
macht,  z.  B.  bei  der  Lage  des  Oberschenkelkopfes  auf  den  Ramns  hoiizon- 
talis  ossis  pubis.  3}  Bei  Ancylosis  vera,  wenn  dadurch  das  Glied  unbrauch- 
bar  oder  hindernd  ist,    z.  B.   bei  gestrecktem  Arm   oder   gebeugtem  Knie. 

4)  Bei  Zerschmetterung  der  Gelenktheile  ohne  Zerstörung  der 
Continuität  der  Knochen  und  ohne  Verletzung  der  Hauptnerven.  Die  Ver- 
letzung des  Hauptstammes  der  Arterie  ist  keine  Contraindication ,  indem 
auch  complicirte  Beinbrüche  mit  zerrissenen  und  unterbundenen  Arterien- 
stämmen heilen.  5)  Bei  Schuss wunden  der  Gelenke,  wenn  die  Ku- 
gel in  einem  Gelenkkopfe  eingekeilt  oder  dieser  zermalmt,  der  Körper  des 
Knochens  aber  weder  zersplittert ,  noch  ein  -  oder  mehrmals  seiner  Länge 
nach  herabgcspalten  ist.  Doch  fordert,  nach  Jäger,  diese  Indication  grosse 
Beschränkung,  und  der  Gelenkkopf  kann  noch  oft  durch  Entfernung  der 
Kugel  erhalten  werden.  6)  Bei  Caries,  welche  die  Grenzen  der  Gelenk- 
theile nicht  überschreitet;  doch  machen  die  Gelenke  der  Oberextremität  und 
der  Unterkinnlade  davon  eine  Ausnahme,  da  man  im  erstem  Falle  selbst 
einen  TheU  der  Continuität  mit  Erfolg  und  Brauchbarkeit  des  Armes  weg- 
genooimen  hat,  und  im  zweiten  Falle  die  Decapitatipn  stets  mit  der  Exci- 
sion  (Amputation)  verbunden  ist.  7)  Bei  Necrosis  der  Gelenktheile; 
8)  bei  Entartung  des:  ganzen  Gelenks  durch  Osteosarcom  und 
Osteosteatom  (Spina  ventosa ,  Fungus  articuli ,  Fungus  medullaris) ,  wenn 
sie  die  Grenzen  des  G«lenks  nicht  überschreitet,  Contraindicirt  ist  diese, 
die  Amputation  so  oft  entbehrlich  machende  Operation:  1)  bei  Brüchen 
unterhalb  der  Gelenkköpfe,  wo  noch  Callusbildung  erfolgt;  2)  bei 
nicht  reponiblen  Verrenkungen  ohne  Hau twunden  und  fal- 
sche  Gelenke,    welche  den, Gebrauch  des  Gliedes  nicht  ganz  aufheben; 

5)  bei  Zerschmetterungen  der  Gelenke,  wenn  sich  die  Splitter 
durch  die  Kunst-  und  Naturhülfe  leicht  entfernen  lassen,  oder  wenn  sie  mit 
Fissuren  der  Röhrenknochen  verbunden  sind;  4)  bei  Caries  und  sarco- 
matösejn  Entartungen,  welche  die  Grenzen  der  Gelenke  der  untern 
Extremitäten  überschreiten.  Hier  ists  sicherer,  die  Amputation  zu  machen.  — 
Was  die  Prognose  und  Würdigung  der  Decapitation  anbetrifft,  so  sagt 
darüber  Professor  Jäger  in  Erlangen  (^Rusfs  Handb.  d.  Chirurgie,  Bd.  V. 
S,  570  u.  f.)  Folgendes:  „Gegen  keine  andere  Operation,  selbst  nicht  ge- 
gen die  wahrhaft  fürchterliche  Exarticulatio  femoris  und  Exstirpatio  uteri, 
gegen  die  schwierige  Operation  der  Scheidenblasenfistel  und  Gaumennaht  etc. 
hat   man   von   Seiten   der   Hand,-   und  Lehrbücher   so    viele   und   schein- 

33* 


516  DECAPITATIO 

bar  wichtige  BJtnwendungen  gemacht,  als  gegen  die  Decapitation  der  Ge- 
lenke. Schon  Park  sucht  in  seinem  Briefe  die  gegen  dieselben  zu  machen- 
den Einwürfe  zu  beseitigen;  doch  kaum  war  seine  Schrift  erschienen  (Lon- 
don ,  1783) ,  so  trat  Lnncelot  Haine  dagegen  auf;  die  französ.  Akademie  der 
Chirurgie  und  die  medic.  Facultät  in  Paris  sind  bis  auf  die  neueste  Zeit 
Feinde  derselben.  Nicod  stellte  die  Gefahren  der  Operation  zusammen ,  und 
Chntles  Bell,  Boyer,  Richernnd,  Sahatier,  Pei-cy  «md  Laurent,  Delpech, 
Zinuj  und  Chelius  sind  im  Allgemeinen  gegen  die  Decapitation  cariöser  Ge- 
lenke, mit  alleiniger  Ausnahme  des  Oberarmkopfes.  Wer  aber  nur  einmal 
die  des  Ellenbogen  -  oder  Kniegelenks  hat  verrichten  sehen,  oder  selbst  ge- 
macht und  den  Verlauf  der  Heilung  beobachtet  hat,  der  ist  ganz  entgegen- 
gesetzter Meinung,  und  findet  Moreau's  Angabe  der  gelinden  Zufälle  nach 
der  Operation  vollkommen  bestätigt,  und  ich  kann  versichern,  dass  jene 
meiner  klinischen  Praktikanten ,  welche  im  Verlaufe  eines  halben  Jahres 
mehrere  Decapitationen  grosser  Gelenke  sahen,  bei  denselben  weniger  Be- 
sorgnisse für  die  Ausführung  und  den  Erfolg  haben,  als  für  die  Heilung 
eines  grossen  Abscesses  im  Psoas,  oder  unter  den  Muse  glutaeis,  oder  zwi- 
schen den  Schenkelmuskeln."  Delpech  nennt  die  Decapitation  eine  der 
schwierigsten  Operationen;  dies  ist  aber  kein  Grund,  deshalb  die  Amputa- 
tion vorzuziehen.  Einen  wesentlichen  Unterschied  macht  die  Verschieden- 
heit der  Operationsmethode,  namentlich  am  Ellenbogen-  und  Kniegelenke. 
In  Beziehung  auf  die  Ausübung  stellt  Jäger  folgende  Scala  auf:  Schulter-, 
Knie-,  Ellenbogen-,  Hand-,  Fuss-,  Hüftgelenk,  und  sagt  mit  Recht: 
„Die  Schwierigkeit  der  Ausübung  ist  mehr  in  der  Einbildung,  und  es  ist 
die  Aufgabe  der  Operativchirurgie ,  die  noch  wirklich  bestehende  durch  Ver- 
besserung der  Methoden  so  viel  als  möglich  zu  vermindern;  nie  kann  sie 
aber  einen  Grund  abgeben,  eine  das  Glied  rettende  Operation  gegen  eine 
Verstümmelung  zurückzusetzen."  Die  einzelnen  Decapitationen,  welche  von 
verschiedenen  Wundärzten  mit  Glück  vorgenommen  worden  sind ,  sind  fol- 
gende :  1)  Decnpitatio  maxillae  inferioris ,  dieAbnehmung  des  Gelenk- 
theils des  Unterkiefers.  Sie  ist  schon  1793  von  Fischer,  1799  von 
Mur6inna,  1820  von  Palm,  1821  von  v.  Gräfe  und  später  von  Val.  Mott, 
von  CnsacTt,  Dzondi,  Withusen,  Roh.  Liston,  Langenheck  und  A.  verrichtet 
worden.  Man  operirt  auf  folgende  Weise:  das  Gelenk  wird  nach  den  Um- 
ständen und  nach  der  Grösse  des  zu  entfernenden  Knochenstückes  btossge- 
legt;  zuweilen  ist  ein  Querschnitt  vom  Mundwinkel  bis  zum  Ohre,  oder 
bis  zum  Winkel  des  Unterkiefers  hinreichend ;  in  anderen  Fällen  bildet  ma*i 
einen  Lappen ,  dessen  Basis  durch  den  Mundwinkel  und  das  Gelenk  begrenzt 
und  in  die  Höhe  geschlagen  wird.  Bei  einer  grossen  Geschwulst  macht 
man  zwei  halbmondförmige  Schnitte,  von  denen  der  eine  von  dem  unterri 
Rande  des  Unterkiefers  über  den  Ast  bis  zum  Gelenke  geht ,  der  andere  die 
Geschwulst  auf  der  andern  Seite  umkreist.  Die  Parotis  und  der  Ductus 
Stenonianus  erfordern  Schonung;  die  Blutung  aus  der  Arteria  maxillaris  ex- 
terna steht  sehr  leicht.  Der  Masseter  wird  hart  am  Knochen  vom  Unter- 
kiefer abgeschnitten ,  und  nun  die  ganze  Partie  nach  oben  so  weit  abgelöst 
und  umgeschlagen,  bis  das  Gelenk  frei  liegt.  Alsdann  wird  der  Knochen 
auf  der  durchzusägenden  Stelle  behutsam  auf  seiner  Innern  Seite  mittels  des 
Scalpellstieles  und  des  Fingers  von  den  Weichtheilen  befreiet,  ein  Stück 
Leder  durchgezogen,  die  Beinhaut,  wie  bei  der  Amputation,  umschnitten 
und  der  Knochen  durchgesägt.  Der  zu  entfernende  Knochentheil  wird  nun 
stark  nach  unten  und  hinten  gedrückt  und  so  der  Processus  condyloideuÄ 
nach  vorne  luxirt.  So  trennt  man  den  Musculus  temporalis  von  Processus 
coronoideus  und  dringt  vorsichtig  ins  Gelenk  ein.  Man  fasst  nun  den  frei 
gewordenen  Gelenkkopf,  zieht  ihn  stark  an,  befreiet  ihn  von  den  darunter 
liegenden  Weichtheilen  und  schält  ihn  ganz  aus.  Sollte  die  Arteria  maxil-» 
laris  interna,  oder  die  temporalis  verletzt  worden  seyn,  so  muss  ein  Gehülfe 
die  Carotis  sogleich  kräftig  comprimiren,  die  Operation  beschleunigt  und  das 
blutende  Gefäss  unterbunden  werden;  geht  dies  nicht  an,  und  hat  es  sich 
in  die  Flcischmasse  zurückgezogen ,  «o  muss  ein  Gehülfe  das  blutende  Ge- 


DECAPITATIO  S17 

ßsß  der  Gesichtswunde  mit  den  Fingern  comprlmlren  und  dte  Carotis  unter- 
bunden werden.  2)  Decapitatio  claviculae  in  extrcmitate  stemaU,  Abneh- 
niung  des  Schlüsselbeins  an  seinem  Sternaltheile.  Diese  Ope- 
ration ist  erst  seit  wenigen  Jahren  bekannt ,  wo  sie  Davis,  Wutzer  und  Vai. 
Mott  mit  glücklichem  Erfolge  unternahmen;  in  Fällen  von  spontaner  Luxa- 
tion dieses  Theils  nach  hinten,  wo  das  Schlingen  erschwert  wurde,  ferner 
bei  Caries  des  Schlüsselbeins  und  wegen  osteosarcomatöser  Auftreibung  des- 
selben. Das  operative  Verfahren  wird  jeder  scharfsinnige  Wundarzt  nach 
Umständen  und  nach  Beschaffenheit  des  Falles  einzurichten  wissen  (C  W. 
Wutzer,  Bericht  über  die  medicinisch  -  chirurgische  Klinik  zu  Münster,  1825  — 
1830.  Münster,  1830.  8.  Mit  1  Steindr.  S.  92.  Der  Fall  von  Mott  in: 
Grosshehn's  Operativer  Chirurgie,  Bd.  IL,  und  Blasitis  Akiurgie,  Bd.  111. 
S.  598.  —  A.  Cooper,  Vorlesungen  über  die  Chirurgie.  A.  d.  Engl,  von 
Tyrrel.  Weimar,  1825—28.  8.  Bd.  III.  S.  234).  3)  Decapitatio  ossis 
Irnchii  in  articulo  humcri.  Abnehmung  des  Oberarmkopfs.  Man  hat 
durch  diese  nützliche  Operation,  worauf  nur  selten  Ankylose  erfolgt,  viele 
glückliche  Heilungen  zu  Wege  gebracht,  indem  sehr  häufig  der  Knochen- 
stumpf sich  zu  einem,  in  der  Cavitas  glenoidalis  articulirenden  Gelenkkupfe 
ambildet;  zuweilen  auch  gegen  die  Rippen  gezogen  wird,  wo  dann  ein 
neues  Gelenk,  wie  nach  Luxationen,  entsteht.  Nach  White  und  Orred  hat 
sich  selbst  der  ganz  ausgeschnittene  Gelenkkopf  regenerirt.  Bei  der  Ent- 
blössung  des  Gelenks  ist  es  nothwendig ,  dass  letzteres  gehörig  frei  werde, 
und  dass  der  durch  die  Schnitte  entstehende  Fleischlappen  nicht  absterbe. 
Das  beste  Verfahren  ist  das  von  Roux  und  Bayer;  man  macht  hiernach  vom 
obern  Ende  der  Schulter  zwei  oben  2  bis  S'/i  Zoll  auseinanderstehende,  par- 
allel laufende,  5  Zoll  lange  Schnitte,  und  verbindet  ihre  untern  Enden 
durch  einen  Querschnitt.  Eine  passende  Form  des  Lappens  ist  auch  die 
Gestalt  des  V  (Snbatier)  durch  zwei  5  bis  6  Zoll  lange,  oben  2  bis  1%  Zoll 
auseinanderstehende ,  an  den  Rändern  des  Musculus  deltoideus  hinlaufende 
Schnitte.  —  Dieser  (obere ,  äussere)  Lappen  wird  nun  vom  Knochen  abge- 
löst und  nach  oben  geschlagen.  Die  blutenden  Gefässe  werden  sogleich  un- 
terbunden. Langenheck  empfiehlt  für  diesen  Schnitt  die  Form  des  T ,  Brom- 
field  die  umgekehrte  (jl).  Verwerflich  ist  der  viereckige  Lappen  von  Bent, 
dessen  Basis  hinten  (durch  zwei  parallele  horizontale  Schnitte,  durch  deren 
vordere  Enden  ein  verticaler  Schnitt  geht,  gebildet),  und  der  von  Morcau, 
dessen  Basis  unten  liegt  (durch  zwei  verticale  Schnitte  und  einen  horizon-  , 
talen  durch  ihre  obern  Enden  gebildet) ;  denn  beide  Lappen  sterben  leicht 
ab.  —  Jetzt  beugt  man  den  Unterarm ,  um  die  Muskeln  zu  erschlaffen ,  und 
drückt  den  Ellenbogen  stark  an  die  Brust  und  nach  oben,  wodurch  der 
Oberarmkopf  nach  oben  und  aussen  tritt.  In  dieser  Stellung  durchschneidet 
man  die  Gelenkkapsel  und  die  Sehnen  und  Bänder  auf  der  äussern  Seite, 
geht  mit  den  Fingern  der  linken  Hand  in  die  Gelenkhöhle,  zieht  den  Kopf 
hervor  und  trennt  alsdann ,  die  Schneide  des  Messers  stets  hart  am  Knochen 
und  mit  gehöriger  Rücksicht  auf  die  Nerven  und  grossen  Gefässe,  auf  der 
innem  Seite  des  Knochens  die  Kapsel,  die  Bänder  etc.  bis  zur  durchzusä- 
genden Stelle  ab.  Um  die  Entzündung  der  Gelenkkapsel  zu  vermeiden, 
schneidet  man  so  viel  von  letzterer  als  möglich  ist  weg.  Man  umschneidet 
zur  Trennung  der  Beinhaut  den  Knochen  auf  der  Sägestelle,  sichert  die 
darunter  liegenden  Weichtheile  durch  ein  untergeschobenes  Stück  Leder  vor 
der  Säge,  und  durchsägt  nun  den  Knochen,  während  der  Ellenbogen  fort- 
während stark  gegen  die  Brust  gedrückt  und  fixirt,  der  Oberarmkopf  aber 
von  der  freien  Hand  des  Operateurs  stark  angezogen  und  gehalten  wird. 
Nach  vollkommener  Blutstillung  wird  der  Knochen  der  Gelenkfläche  genä-, 
hert,  die  Wunde  geschlossen  und  ganz  einfach  verbunden.  Zwischen  Arm 
und  Brust  schiebt  man  ein  Polster  und  verbindet  das  Ganze,  wie  Desault 
bei  Fractura  claviculae  (Itisfrnnc  in  Arch,  gen6r.  de  med.  T.  IL  p.  47,  sur 
la  resection  de  l'extremit^  sup^rieure  de  l'humerus.  —  Textor,  im  Neuen 
Chiron,  Bd.  I,  St.  3,  S.  385  — 398,  über  das  Absägen  des  obern  Endes  des 
Humerus).    4)  DecapiiiUio  ossium  in  articulo  cvhUi ,  Abnehinung  des  Ge- 


518  DECAPITATIO 

lenkkopfeA  Im  Ellcnbogengelenke.  Den  besten  Erfolg  Terspricht 
diese  Operation,  wenn  nur  das  Oberarmbein  decapitirt  wird.  Erstreckt 
sich  die  Operation  auch  auf  die  Knochen  des  Unterarmes,  so  richtet  sich 
die  Prognose  darnach ,  ob  die  Insertion  des  Musculus  biceps  am  Radius  und 
die  des  Musculus  brachialis  internus  an  der  UIna  geschont  werden  können 
oder  nicht.  Diese  Schonung  ist  möglich,  wenn  nur  Olecranon  und  Capitu- 
lum  radii  entfernt  werden ;  können  aber  jene  Insertionen  nicht  erhalten  wer- 
den, so  ist  die  Prognose  allerdings  ziemlich  ungünstig  und  daher  wird  die 
Operation  in  diesem  Falle  von  Langenheck  ganz  verworfen.  In  den  andern 
Fällen  erlangen  Hand  und  Vorderarm  in  der  Regel  wieder  einen  ziemlich 
bedeutenden  Grad  von  Beweglichkeit  und  Kraft.  Bei  der  Blosslegung  des 
Gelenkes  ist  besonders  wichtig  zu  erinnern,  dass  der  Nervus  ulnaris,  durch 
dessen  Verletzung  der  kleine  Finger  steif  wird ,  am  Innern  Rande  des  Ober- 
arms herabläuft  und  am  EMenbogengelenke  zwschen  dem  Condylus  internus 
humeri  und  dem  Olecranon,  allein  von  der  Haut  und  der  Fascia  antibrachii 
bedeckt,  liegt.  Die  Bildung  eines  viereckigen  obern  Lappens ,  die  allerdings 
für  die  Decapitation  des  Oberarmbeines  und  auch  allenfalls  für  die  Absä- 
gung des  Olecranons  hinreicht ,  führt  den  Übelstand  mit  sich ,  dass ,  wenn 
die  weitere  Decapitation  der  Knochen  des  Unterarms  gleichfalls  nöthig  er- 
scheint, die  Längenschnitte  abwärts  verlängert  werden  müssen  und  im  Gan- 
zen ein  Schnitt  in  Form  des  H  {Crampton,  Moreau,  Dupui/tren  u.  A.),  mit- 
hin ein  oberer  und  ein  unterer  Lappen  entsteht ,  von  denen  der  letztere 
leicht  abstirbt.  Es  scheint  daher  am  zweckmässigsten ,  bei  halbgebeugtem 
Unterarme  mit  einem  Quersclinitte  hart  über  der  Spitze  des  Olecranon  zu 
beginnen,  wodurch  die  Sehne  des  Musculus  triceps  zerschnitten  wird.  Jetzt 
untersucht  man  genau  den  Zustand  der  Knochen ,  und  zeigt  sich ,  dass  ein 
obei-er  -xaereckiger  Lappen  für  die  nöthige  Decapitation  nicht  hinreicht,  so 
kreuzt  man  den  ersten  Schnitt  auf  dem  Olecranon  durch  einen  zweiten, 
4  Zoll  langen  Längenschnitt  (^Parli^  ;  ist  es  aber  nicht  nöthig,  den  Knochen 
nach  unten  blosszulegen,  so  bildet  man  nun  einen  viereckigen  obern  Lap- 
pen, indem  man  in  die  Enden  des  Querschnittes  am  äussern  und  Innern 
Condylus  von  oben  zwei  2  bis  2%  Zoll  lange  Längenschnitte  am  äussern 
und  Innern  Rande  des  Oberarmbeines  fallen  lässt.  Nachdem  die  Lappen  ge- 
hörig vom  Knochen  abgetrennt  und  zurückgeschlagen  worden  sind ,  wodurch 
die  hintere  Seite  der  Knochen  frei  wird,  umgehe  man  das  Oberarmbein  auf 
der  Sägestelle  und  mache  es  (sich  so  viel  als  möglich  des  Scalpellstieles  und 
des  Fingers  bedienend)  auch  auf  seiner  vordem  Seite  von  den  Weichtheilen 
los ,  sichere  diese  durch  einen  unter  den  Knochen  geschobenen  Spatel  oder 
Riemen,  durchschneide  die  Beinhaut  und  verrichte  die  Absägung.  Dann 
wird  das  abgesägte  Knochenstück  von  allen  Weichtheilen  befreiet  und  end- 
lich aus  seinem  Gelenke  mit  dem  Unterarme  getrennt.  Jetzt  wird  der  Ra- 
dius von  der  Ulna  getrennt ,  von  den  Weichtheilen  so  weit  als  nötliig  be- 
freit und  abgesägt,  wobei  besondere  Rücksicht  auf  Sicherung  der  zwischen 
beiden  Vorderarmknochen  liegenden  Fleischmasse  durch  Zurückziehung  der- 
selben mittels  Compressen'  genommen  werden  muss.  Den  Schluss  der  Ope- 
ration macht  nöthigenfalls  dife  Decapitation  der  Ulna ,  bei  welcher  wie  bei 
dem  Radius  verfahren  wird.  Nach  geschehenem  Verbände  wird  der  Arm 
massig  flectirt  und  auf  ein  Polster  gelagert.  5)  Decn^itatio  ossium  in  arli- 
culo  manm ,  Abnehmung  der  Gelenkköpfe  im  Handgelenke  (Ra- 
dii et  Ulnae).  Diese  Operation  wird  von  den  meisten  Chirurgen  (z.  B. 
LangenhecJc ,  Znng)  ganz  verworfen,  da  es  fast  unmöglich  scheint,  sie  ohne 
Verletzung  bedeutender  Arterien  auszuführen.  Doch  nahm,  nach  Orrcd 
(Philos.  Transact.  Vol.  69),  ein  Wundarzt  schon  1797  vom  untern  Ende 
der  Ulna  3  Zoll  ab,  ohne  dass  die  Bewegung  der  Hand  dadurch  gestört 
wurde,  und  Moreau  decapitirte  das  untere  Ende  des  Radius  bei  einer  Näii- 
terin,  die  später  wieder  mit  dieser  Hand  nähen  konnte.  —  Übrigens  zeigt 
die  anatomische  Behandlung  der  Knochen ,  dass  die  Decapitation  der  Ulna 
im  Handgelenke  leichter  ist  und  bessern  Erfolg  verspricht,  als  die  des  Ra- 
dius.    Die  Operation   scheint    am  zweckmässigsten  auf  die  von  Jäger  ange- 


DECAPITATIO  519 

gebene  Weise  Verrichtet  zu  werden:  Man  macht  auf  dem  Siissern  Rande  des 
nadius  einen  Längenschnitt  bis  zum  Gelenke ;  von  dem  untern  am  Gelenke 
liegenden  Winkel  dieses  Schnittes  auf  der  Dorsalfläche  der  Hand  einen 
Querschnitt ,  ungeßhr  über  ein  Drittheil  der  Breite  des  Gelenkes ,  so  dass 
das  in  der  Mitte  des  Handrückens  liegende  Sehnenbündel  unberührt  bleibt, 
präparirt  diesen  dreieckigen  Lappen  los ,  zieht  das  Sehnenbündel  mit  dem 
stumpfen  Haken  zur  Seite  und  behandelt  dann  den  Knochen  wie  schon 
mehrmals  beschrieben,  indem  man  nach  Umständen  den  Radius  entweder 
erst  durchsägt  und  dann  luxirt,  oder  die  Trennung  des  Gelenkes  der  Absä- 
gung vorhergehen  lässt.  Die  Decapitation  der  Ulna  geschieht  ganz  auf  die- 
selbe Weise,  so  dass,  wenn  auch  beide  Knochen  decapitirt  sind,  das  Seh- 
nenbündel auf  der  Dorsalfläche  doch  unverletzt  und  mit  einer  Hautbrücke 
bedeckt  bleibt.  Jetzt  untersucht  man  genau  den  Zustand  des  Carpus  und 
nimmt  dessen  etwa  kranke  Knochen  mit  der  Knochenzange  hinweg.  Ge- 
fasse,  Nerven  und  Sehnen  müssen  während  der  ganzen  Operation  auf  das 
sorgfältigste  geschont  werden,  und  es  dürfte  daher  nicht  ungerathen  seyn, 
die  Hautschnitte  mittels  Bildung  von  Hautfalten  zu  machen.  6)  üecapitnlio 
ossium  metacarpi  et  phalangum  digilonim ,  Abnehmung  der  Gelenk- 
köpfe der  Mittelhand  und  Finger.  Wardrop  schnitt  das  Os  meta- 
carpi des  Mittelfingers  dicht  unter  dem  Handwurzelgelenke  mittels  einer 
Trephine,  an  welcher  zwei  Di-itttheile  der  Krone  gänzlich  fehlten,  durch 
nnd  löste  es  so  aus ,  dass  der  Finger ,  wenn  gleich  verkürzt ,  so  doch  er- 
halten wurde.  Mit  Ausnahme  des  Daumens ,  als  des  unentbehrlichsten  Kör- 
pertheils  der  Hand ,  ist  diese  Operation  selten  empfohlen  und  selten  ausge- 
führt worden.  Die  Operation  anlangend,  so  wird  ein  Längenschnitt  über 
die  Streckseite  des  Gelenkes  immer  zur  Entblössung  des  Knochens  genügen, 
dessen  Absägung  nichts  Bemerkenswerthes  darbietet.  7)  Decapitatio  ossis 
feinoris  in  articulo  coxae.  Abnehmung  des  Gelenkkopfes  des  Ober- 
schenkels. Park  schlug  diese  Operation  vor ,  welche  darauf  von  Vcr- 
mandois,  Wächter,  Köhler  und  Chaussier  an  Thicren  versucht  worden  ist. 
Am  lebenden  Menschen  ist  sie  eigentlich  noch  nie  unternommen.  Schmalz 
nahm  nur  den  cariösen  durch  die  Natur  selbst  abgestossenen  Kopf  des  Kno- 
chens mittels  eines  Längenschnittes  heraus ,  worauf  der  Trochanter  major 
ein  neues  Gelenk  bildete  Kluge  soll  die  Operation  im  vierten  Stadium  der 
Coxarthrocace  unternommen  haben  und  der  Kranke  nach  zwei  Tagen  ge- 
storben seyn.  Die  Meisten  schlagen  für  die  Operation  einen  Längenschnitt 
von  5  bis  6  Zoll  an  der  äussern  Seite  des  Schenkels  über  den  grossen  Tro- 
chanter vor,  wobei  stumpfe  Haken  zum  Auseinanderhalten  der  Wundränder 
sehr  thätig  seyn  müssten.  Roux  und  Percy  wollen  einen  viereckigen  nach 
oben  zu  schlagenden,  Jäger  dagegen  einen  dreieckigen  Lappen  bilden,  in- 
dem er  aus  dem  obern  Ende  des  so  eben  beschriebenen  Längenschnittes  ei- 
nen zweiten  von  4  Zoll  Länge  nach  hinten  und  unten  führt.  Dann  wird 
der  Schenkelkopf  durch  Einwärtsbengungen  des  Knies  luxirt ,  völlig  gelöst 
und  der  Hals  auf  untergelegtem  Spatel  oder  Riemen  durchsägt.  Cariöse 
Stellen  der  Pfanne  wären  mit  dem  Brenneisen  zu  berühren.  8)  Decapitatio 
ossium  in  articulo  gcmt.  Abnehmung  des  Gelenkkopfes  im  Knie- 
gelenk. Parle  machte  sie  zuerst  und  nach  ihm  die  meisten  derjenigen 
Operateure ,  die  überhaupt  Decapitationen  unternommen  haben.  ParVs  Me- 
thode scheint  sehr  zweckmässig.  Er  machte  bei  gestrecktem  Knie  einen 
Kreuzschnitt,  so  dass  der  Längenschnitt  S  Zoll  über  der  Kniescheibe  begann 
und  2  Zoll  unter  ihr  endete,  der  Querschnitt  dicht  über  der  Kniescheibe 
fast  einen  Halbkreis  um  das  Gelenk  beschrieb.  Nach  Lösung  der  Lappen 
wurde  die  Kniescheibe  ausgeschnitten,  ein  schmales  Messer  mit  gehöriger 
"Vorsicht  dicht  über  den  Kondylen  des  Schenkelbeines  an  dessen  hinterer 
Seite  durchgeführt,  an  die  Stelle  des  Messers  ein  elastischer  Spatel  ge- 
schoben und  der  Knochen  durchsägt.  Das  Knochenstück  wurde  jetzt  sorg- 
fältig ausgeschält,  die  Tibia  mit  Iieichtigkeit  herausgedrückt  und  abgesägt, 
vom  Kapselligamente  so  viel  als  möglich  entfernt  und  nur  dessen  huiterer, 
die  Gefäsae  bedeckender  Theil  zurückgelassen.    Mulder  verfuhr  eben  so  und 


520  DECREMENTüM  MORBI  —  DECUBITUS 

sügte  nicht  nur  die  Tibia,  sondern  auch  die  Fibula  ab.  Das  Operations- 
verfahren von  Moreau,  dem  Vater,  ist  comjjlicirter  und  verwundender,  als 
das  von  Park,  daher  weniger  empfehlen«» erth.  Crnmpton's  Methode  ist 
ziemlich  der  Moreau'schen  gleich.  —  Snnson  und  Jiegin  rathen,  wie  es 
scheint  mit  Rocht ,  den  Querschnitt  bei  halbflerlirtem  Gliede  zu  machen, 
80  dass  er  mit  einem  Zuge  das  Ligamentum  patellae  und  die  Seitenbänder 
trenne.  9)  Decnpitntio  ossium  in  arlicnlo  pcdis,  Abnehmung  der  Ge- 
lenkköpfe im  Fussgelenke.  Obgleich  man  auch  diese  Dccapitation, 
sowie  die  im  Handgelenke,  ohne  Gefahrdung  der  Gcfasse  für  unausführbar 
hielt,  so  hat  die  Erfahrung  doch  hier  wie  dort  das  Gegentheil  gezeigt. 
Geraeinhin  erfolgt  auf  die  Operation  Ankylose,  bisweilen  stellt  sich  jedoch 
wieder  ein  Grad  von  Beweglichkeit  ein.  Morenii,  Vater  und  Sohn,  haben 
beide  Knochen  des  Unterschenkels,  Mtihlcr  einmal  die  Fibula,  B.  ll'cücr 
zweimal  die  Tibia  im  Fussgolcnke  decapitirt,  und  Letzterer  nimmt  über- 
haupt diese  Operation  sehr  in  Schutz.  Morcau,  der  Vater,  machte  bei  massig 
gebeugtem  Knie,  während  der  kranke  Schenkel  auf  seiner  innern  Fläciie 
lag,  auf  dem  hintern  äussern  Rande  der  Fibula  einen  Längenschnitt  von 
S  Zoll  und  führte  aus  dessen  unterm  Ende ,  welches  unter  dem  äussern 
Knöchel  lag,  einen  Schnitt  nach  vorn  und  oben  (bis  zum  Musculus  peroneus 
tertius),  präparirte  diesen  dreieckigen  Lappen  los  und  stemmte  mit  dem 
Meissel  das  Ende  der  Fibula  ab.  Nachdem  von  dieser  Wunde  aus  die  äus- 
sere Seite  der  Tibia  möglichst  von  den  Weichtheilen  befreiet  war,  wurdo 
der  kranke  Schenkel  auf  die  äussere  Seite  gelegt,  am  hintern  innern  Rande 
der  Tibia  ein  Längenschnitt  von  3  Zoll  bis  unter  den  innern  Knöchel  und 
von  hier  ein  Querschnitt  nach  vorn  und  etwas  nach  oben  (bis  zum  Muscu- 
lus tibialis  anticus)  geführt.  Nachdem  der  so  gebildete  dreieckige  vordere 
Lappen  abpräparirt  und  die  hintere  Fläche  der  Tibia  umgangen  und  von 
den  Weichtheilen  befreiet  ist ,  wird  der  kranke  Schenkel  auf  seine  Vorder- 
seite gelegt  (was  sehr  unbequem,  aber  nicht  unumgänglich  nöthig  seyn  dürfte), 
eine  schmale  Messersäge  zwischen  Fibula  und  Tibia  gebracht ,  letztere  durch- 
sägt und  endlich  das  abgesägte  Knochenende  ganz  entfernt,  wobei  der  Mus- 
culus tibialis  anticus  und  der  Flcxor  digitorum  longus  zu  schonen  sind. 
Zum  Schlüsse  wird  nun  die  Fibula  der  Tibia  gleich  gemacht.  Etwanigo 
schadhafte  Theile  des  Talus  sollen  durch  Meissel  oder  Knochenzange  ent- 
fernt werden.  S.  Hugo  Park,  An  account  of  a  new  method  of  treating  di- 
seases of  the  joints  of  the  knee  and  elbow  in  a  letter  to  Mr.  P.  Pott.  Lon- 
don, 1783.  8.  (Deutsch  in:  Neue  Sammlung  für  Wundärzte,  .St.  9;  auch 
als  Anhang  zu:  C.  Alanson,  Praktische  Bemerkungen  über  die  Amputation; 
a.  d.  Engl.  Gotha,  1795;  2  Tide.  8.).  Fran^.  Chaiissicr ,  Über  die  Am- 
putation kranker  Gelcnkköpfe  der  Röhrenknochen ;  in  Magazin  encyclop.  an 
V.  Tom.  VI.  Nr.  24.  Deutsch:  Hufi'hmd's,  Schrc<jcr''s  und  Ilarless'  Journ. 
für  die  ausländ,  medic.  Literatur ,  1802 ,  S.  247,  C.  /■'.  v.  Griife ,  Normen 
fTir  die  Ablösung  grösserer  Gliedmassen,  nach  Erfahrungsgrundsätzen  ent- 
worfen.   Berlin,   1812,  und  A.  Ch.  J.  D.    11'iedow. 

üecrementuin  liior1>i,  Abnahme  der  Krankheit.  Ist  das- 
jenige Stadium  acuter  Krankheiten,  welches  auf  das  Stadium  acmes  folgt; 
8.  A  c  m  e. 

*  Decubitus,  da«  Aufliegen,  Durchliegen.  Diese«  Übel  be- 
steht in  einer  rosenartigen  tJntzündung  der  Haut  durch  Druck,  z.  B.  am 
Rücken,  in  der  Kreuzgegend,  besonders  bei  Kranken,  die  sehr  lange  lie- 
gen müssen,  deren  Lebenskraft  geschwächt  ist,  bei  allen  Leuten,  in  asthe- 
nischen P'iebern  etc.  Zuerst  wird  die  Haut  roth,  oft  dunkelroth,  dann 
bilden  sich  oft  schnell  brandige  Geschwüre,  welche  nicht  selten  grosse  Zer- 
störungen der  WeichgebiUle  bis  auf  den  Knochen  anrichten  (Gangraena  rx 
decubitu).  Wenn  bei  fieberhaften  Krankheiten  die  Kranken  .-«ich  schnell 
durchliegen,  so  ist  dies  ein  .sicheres  Zeichen,  da.'ss  hier  wahre  Schwäche 
vorhanden  und  reizende,  slÄrkende  Mittel,  Serpentnria,  Valeriana,  Kam- 
pbcr,    China   etc.    indicirt   sind.      Cur.     Mari   verhütet   das   Cbel    dadurch. 


DEFECTÜS  LACTI3  —  DELmiUM       521 

1)  dass  man  bei  bettlägerigen  Kranken  jeden  anhaltenden  Druck  auf  eine 
Stelle  zu  vermeiden  sucht;  so  legt  man  z.  B.  einen  von  Pferdehaaren  ge- 
polsterten   Kranz    unter,    sobald    die    Gegend    des    Os    sacrum    roth    wird; 

2)  dass  man  das  Lager  so  elastisch  als  möglich  macht,  z.  B.  durchs  Schla- 
fen auf  Matrazzen ,  auf  Rehleder ,  auf  Wachstuch ,  unter  das  Betttuch  ge- 
legt; 3)  dass  man  die  Theile  reinlich  hält,  bei  langwierigen  Übeln,  in  ty- 
phösen Fiebern  zwei  Betten  neben  einander  stehe§  hat,  worein  man  dei» 
Kranken  abwechselnd  legt  und  jedesmal  das  Bett  gehörig  reinigt  und  auf- 
macht (was  ausserdem  im  schweren  Typhus  äusserst  wohlthätig  ist) ;  4)  dass 
man  bei  den  ersten  Spuren  des  Übels,  wenn  die  Haut  röthlich,  bläulich,/ 
schwärzlich  aussieht,  die  betheiligten  Stellen  mit  Spirit-  camphorat.  wäscht, 
mit  Decoct.  quercus ,  Salicis ,  mit  Zusatz  von  Branntwein ;  auch  eine  Salbe 
aus  Unguent.  althaeae,  saturn.  ana  gj ,  Camphorae  3fl  ist  sehr  vrirksain, 
Ist  das  Übel  schon  da,  so  verbinde  man  mit  folgender  Salbe:  I^  Album, 
ovi  N.  I.,  Spirit.  vini  cnniph.  gJlK,  Sacch.  saturni  3ß-  (^Weickard^.  M.  S. 
Auf  feine  Leinwand  zu  pinseln  und  aufzulegen.  Sind  die  Geschwüre  schon 
stinkend ,  gross ,  brandig ,  so  mache  man  keine  Einschnitte ,  sondern  ver- 
binde mit:  I^  Unguent.  dii/estiv. ,  Bah.  Arcnei  ana  ^ j ,  Ol.  terehinih.  5fJ, 
Camphorae  5j'  M. ;  streue  Chinapulver  ein ,  gebe  innerlich  China  und  Wein 
und  wasche  den  Umfang  der  Geschwüre,  der  in  der  Regel  leblos  ist,  so- 
wie den  ganzen  Rücken  mit  Kampherspiritus.  Das  Waschen  der  Stellen 
mit  Eau  de  Cologne,  Acidum  citri,  mit  Essig  und  Wasser  zur  Verhütung, 
und,  wenn  das  Übel  schon  da  ist,  mit  Folgendem:  fy  Virid.  aeris,  Vitrioli 
coerul. ,  —  alhi  ana  3jj ,  Coq.  c.  aq.  fontan.  q.  s.  ut  rem.  §vjjj.  Col.  (iVew^ 
«irtrtJ»),  wird  sehr  empfohlen;  doch  ists  gut,  wenn  letztere  Mischung  an- 
fangs schwächer  angewandt  und  noch  verdünnt  wird.  Man  versteht  unter 
Decubitus  ausser  dem  Begriff  ron  rosenartiger,  in  Geschwüre  und  Brand 
übergehender  Entzündung  auch  die  Lage  des  Kranken  im  Bette,  ob 
er  auf  dem  Rücken  oder  dem  Bauche  etc.  liegt  (Decubitus  supinus,  D.  pro- 
nus) ,  desgleichen  eine  Ablagerung  krankhafter  Stoffe  nach  einzelnen  Thei- 
len ,  daher  das  Wort  auch  gleichbedeutend  mit  Metnstasis  i«t ,  z.  B.  Decu- 
bitus lactis  (s.  Metastasis).  Ein  sehr  wirksames  Mittel  gegen  das  Durch- 
liegen in  adynamischen  Fiebern  und  bei  alten,  schwachen  Subjecten,  ist  da» 
Plumbum  tannicum,  welches  als  Salbe,  auf  Leinwand  gestrichen,  angewandt 
wird.  Man  lässt  Decoct.  quercus  mit  Extr.  saturni  präcipitiren  und  den 
Niederschlag  coiiren.  Christian  Bopj)e. 

Decubitus  lactis,  s.  Abscessus  lacteus  metastaticus. 

DefectuS  lACtis»  Milchmangel,  s.  Agalactia. 

Defectus  mensium,  s.  Menstruatio  retenta  und  suppressa. 

Degeneratio 9  die  Entartung.  Ist  jede  bedeutende  Structurver- 
anderung  eines  Organs  im  Allgemeinen,  ohne  dass  damit  das  Wesen  solcher 
krankhaften  Veränderungen  näher  angegeben  wird ;  also  ein  allgemeiner  Be- 
griff von  einem  noch  näher  zu  bezeichnenden  pathologischen  Zustande,  ge- 
rade wie  das  Wort  Affectio. 

Oe^^lutitio  difficilis,  laesa,  impedita^  erschwertes  Schlingen,  s. 
Dysp  hagia. 

Dejectio  cruenta«  nigra,  blutiger,  schwarzer  Stuhlgang;  ».  Ca- 
tarrhexis  und  Melaena, 

Delacrymatio ,  Thränenfluss,  s.  Epiphora. 

Delirium,  Deliratio,  Irrereden,  Phantasiren,  d.  i.  falsches 
Urth^il  über  wahre  oder  vermeinte  Empfindungen ,  ein  Leiden  des  Innern 
Sinnes,  wodurch  der  Mensch  verhindert  wird,  richtig  zu  empfinden  und  zu 
urtheilen ,  und  wobei  Gedächtnis«  und  Phantasie  verwirrt  und  verkehrt  sind. 
Das  Irrereden  ist  eins  der  vorzüglichsten  Symptome  bei  psychischen  Krank- 
heiten (Delirium  chronicum),  besonders  bei  Fatuitas,  Amentia,  Mania,  Me- 
lancholia;  und  manche  psychische  Ärzte  unterscheiden  ganz  richtig  dieses 
Delirium  als  Äusserungen  des  gestörten  Seelenlebens,  insofern  sie  sich  durch 


522  DELIRIUM 

Tcrschiedene  ThätigVelten  des  Geistes  zu  erkennen  geben,  z.  B.  RiquiroJ, 
wo  das  Wort  Delirium  den  Irrwahn  bezeichnet  und  vom  gewöhnlichen  De- 
lirium unterschieden  werden  muss.  Letzteres  ist  dagegen  bei  somatischen 
tJbeln  keine  ganz  seltene  Erscheinung,  besonders  bei  hitzigen  Fiebern  (De- 
lirium febrile)  mit  Localentzündungen  des  Gehirns  und  anderer  edlen  Ein- 
geweide. Jedes  Delirium,  sowol  das  Delirium  acutum  febrile,  als  das  Del. 
chronicum,  ist  ein  sichres  Zeichen  von  einem  vorhandenen,  bald  idiopathi- 
schen, bald  sympathischen  Reize  in  den  Nerven  und  dem  Gehirne,  oder  in 
den  Blutgefässen,  oder  in  beiden  zugleich,  und  deutet,  besonders  in  Fie- 
bern, auf  beschleunigte  Blufbewegung  und  Congestion  zum  Kopfe,  auf 
Grösse  und  Heftigkeit  des  Übels,  nach  den  Umständen  auf  Gefahr,  am 
Ende  der  hitzigen  Krankheiten  und  bei  den  übrigen  Symptomen  wahrer 
Adynamie  auf  herannahenden  Tod.  Das  Delirium  ohne  Fieber  deutet  auf 
Krampf,  auf  scharfe  Galle  und  sonstige  Cruditäten  in  den  Gedärmen.  Hier, 
sowie  bei  Epileptischen,  Hysterischen,  Kataleptischen,  kurz  vor  oder  bald 
nach  den  Krampfanfällen,  bei  reizbaren,  empfindlichen,  sensiblen  Personen, 
Karten  Kindern  und  Weibern ,  in  Fiebern ,  wo  es  gegen  Abend  eintritt ,  ge- 
gen Morgen  aufhört,  wo  es  mit  Lachen  und  Weinen  abwechselt,  hat  es 
wenig  zu  bedeuten.  Ist  das  Delirium  in  hitzigen  Fiebern  massig,  nicht  an- 
haltend ,  so  deutet  es  auf  Besserung ,  das  Gegentheil  auf  Verschlimmerung. 
Zeichen  des  bevorstehenden  Irreredens  sind:  verkehrtes  Betragen  dej» 
Kranken  in  Handlung,  Miene  und  Sprache,  heftiger,  anhaltender,  pochen- 
der Kopfschmerz,  Röthe  des  Gesichts,  wilder  Blick,  Ohrensausen,  Schwer- 
hörigkeit, anhaltendes  Wachen,  veränderter  Puls,  Mangel  an  Durst,  Scham- 
losigkeit, Zittern  der  Hände,  der  Sprache,  anhaltendes  Stillschweigen,  oder 
Schwatzhaftigkeit  mit  schneller ,  hastiger  Sprache ,  furchtbare  Träume ,  son- 
derbare Gesticulationen  etc.  Höchst  falsch  ist  die  Ansicht  mancher  Ärzte, 
welche  annehmen ,  dass  das  Irrereden  in  fieberhaften  Krankheiten  stets  wahre 
Schwäche  anzeige ,  und  daher  der  Kranke  reizend ,  incitirend  behandelt  wer- 
den müsse ;  dies  ist  nur  beim  sanften  Irrereden  mit  Stupor  und  Sopor  der 
Fall.  Wir  unterscheiden  daher  in  praktischer  Hinsicht  folgende  Arten  des 
Irrered ens : 

Delirium  activnm,  furiosum,  alrox,  wildes  Irrereden  mit  heftiger 
Kraftäusserung.  Hier  ist  der  Kranke  wild,  streitsüchtig,  will  fort,  ohne 
zu  wissen  wohin,  spricht  sehr  lebhaft,  aber  ohne  Zusammenhang,  gesticu- 
lirt  viel.  Hier  ist  in  den  meisten  Fällen  ein  entzündlicher  Zustand  des  Ge- 
hirns, des  ganzen  Nervensystems :  Encephalitis,  Phrenitis,  Hydrophobia; 
auch  bei  der  Febris  synochica  nervosa,  bei  der  Scarlatina  bemerken  wir 
oft  dieses  Delirium.  Hier  passen  allgemeine  Aderlässe,  Blutegel  an  den 
Kopf,  kalte  Kopfumschläge,  innerlich  Nitrum  mit  Sal  anglic.  zum  Purgiren, 
Merc.  dulc.  etc.  Bei  Geisteskranken  zeigt  ein  solches  Deliriu'n  stets  einen 
heftigen  Anfall  von  Manie  an ,  der  gleichfalls  nicht  selten  eine  ähnliche  Be- 
handlung erfordert. 

Delirium  pnssivum,  hlnndum,  iacHurnum,  trnnriniUum,  mussilnms ,  mite, 
timidnm,  stupidum ,  comatosum,  sanftes  Irrereden  ohne  Körperanstren- 
gung, mit  Schlafsucht,  Flockenlesen,  stillem  Murmeln  etc.  Gewöhnlich  ist 
diese  Form  Folge  oder  Ausgang  des  Delirium  activum,  wenn  die  Krankheit 
sehr  heftig  war,  die  frühe  Hülfe  fehlte  oder  der  Arzt  statt  der  antiphlogi- 
stischen Cur  reizende  Arzneien:  Kampher,  Opium,  Serpentaria,  Arnica  etc. 
gab ,  oder  wenn  er  die  schwächende  Behandlung  übertrieb.  Der  Puls  ist 
hier  klein,  facile  comprimendus,  der  Kranke  höchst  schwach,  das  Auge  glä- 
sern, der  Patient  sucht  stets  auf  dem  Lager  etwas  (s.  Car  pho  logia ), 
rutscht  immer  im  Bette  herunter,  befindet  sich  nach  seiner  Angabe  sehr 
wohl,  hat  kalte,  klebrige  Schweisse,  schwächende  Durchfälle.  Hier  ist  die 
Gefahr  sehr  gross.  Daher  ists  die  erste  Regel  des  Praktikers,  diesen  trau- 
rigen Zustand,  wo  der  Kranke  dem  Tode  so  nahe  ist,  durch  zweckmässige 
frühe  antiphlogistische  Cur  zu  verhüten.  Die  hier  indicirten  Excitantia: 
Moschus,  Sal  volatile,  Wein,  Serpentaria,  Opium,  Kampher  etc.  vermögen 
alle  wenig;   wir   experimentircn  freilich  damit,   und  müssen  es  schulgerecltt 


DELIRIUIW  TREMENS  523 

thnn;  aber  das  Ende  vom  Liede  ist  in  den  allermeisten  Fällen  der  Tod. 
Frische  Luft  und  kalte  Sturzbäder  erwecken,  wenn  keine  organischen  Zer- 
störungen vorhanden  sind,  vielleicht  hier  noch  am  ersten  das  schwache,  ge- 
sunkene Leben  und  retten  von  dem  Tode. 

Delirium  spastictim,  ncrvosum,  periodictim,  das  krampfhafte  Irrere-» 
den.  Wir  bemerken  es  nicht  selten  bei  Epileptischen,  bei  Hysterismus  und 
Somnambulismus  um  die  Zeit  der  Anfälle,  wo  ohnstreitig  das  Sensorium, 
sowol  idiopathisch,  als  sympathisch  (vom  Unterleibe  aus)  krankhaft  ergrif- 
fen ist.  Diese  Form  ist  meist  ohne  Gefahr,  vergeht  mit  der  Zeit  von  selbst. 
Frische  Luft,  Waschen  des  Kopfs  mit  Essig,  mit  kaltem  Wasser,  innerlicb 
einige  Tropfen  Eüx.  acid.  Halleri  sind  hinreichend.  Sind  heftige  Congestio- 
nen  zum  Kopfe  dabei,  z.  ß.  bei  vollsaftigen  Epileptischen,  so  dienen  Blut- 
egel an  beide  Schläfen,  und  vorzüglich  reizende  Senffussbäder  (Poj-fai). 

Delirium  chronicum  maniacum ,  anhaltendes ,  bald  heftigeres ,  bald 
schwächeres  Irrereden  der  Wahnsinnigen.  Es  unterscheidet  sich 
wenig  vom  Delirium  activum  und  erfordert  die  ableitende  kühlende  Behand- 
lung; s.  Mania. 

Delirium  senile.  Irrereden  im  Greisenalter.  Ist  bei  kindischen 
Greisen  nichts  Seltenes.  Das  Übel  ist  unheilbar,  daher  baue  man  derosel* 
ben  vor.  Hier  ist  das  grösste  Präservativ :  tägliche  Übung  der  Geistes- 
kräfte zum  Nutzen  für  Kunst,  Wissenschaft  und  Leben  im  Jünglings-  und 
Mannesalter ,  massig  und  ohne  Übertreibung  fortgesetzt  im  Greisenalter, 
mit  gehöriger  Abwechselung  und  Vermeidung  eines  jeden  einseitigen  Stu- 
diums, ohne  dabei  die  nöthige  tägliche  Körperbewegung  zu  vergessen.  Nach 
der  Erfahrung  werden  Ärzte  und  Naturforscher  am  wenigsten ,  pure  Mathe- 
matiker und  Philologen,  Künstler,  Maler,  Bildhauer  und  Musiker  am  häu- 
figsten im  Alter  kindisch,  desgleichen  weit  mehr  ungebildete  Landleute  als 
gebildete  Städter. 

Delirium  tremens »  Oinomanin ,  Delirium  potatorum ,  Säufer- 
wahnsinn. Auf  diese  nicht  seltene  Krankheit  sind  die  Ärzte  erst  in 
neuem  Zeiten  vorzüglich  aufmerksam  geworden ,  nachdem  dieselbe  zuerst 
von  Th.  Sutlon  beschrieben,  später  durch  Alhers ,  Lind,  Göden,  TitzschlaUy 
und  neuerlich  besonders  durch  Dr.  Barhhausen  in  Bremen  ausführlich  in  wis- 
senschaftlicher und  therapeutischer  Hinsicht  den  Ärzten  bekannt  geworden 
ist.  Sie  ist  dasjenige  Übel,  welches  ein  Individuum  nur  nach  dem  längere 
Zeit  fortgesetzten  Missbrauche  geistiger  Getränke  befällt ,  sich  vorzugsweise 
durch  Störungen  der  Gehirn-  und  Nervenfunctionen,  namentlich  Schlatlo- 
sigkeit,  Delirien  und  Sinnestäuschungen  eigenthümlicher  Art,  häufig  auch 
Zittern  der  Glieder  charakterisirt ,  bald  mit,  bald  ohne  gleichzeitig  verän- 
derte Function  des  Blutgefässsystems ,  bald  mit ,  bald  ohne  B  ieber  auftritt, 
sich  durch  grosse  Neigung  zum  Collapsus  auszeichnet,  und  nur  durch  einen 
kritischen  Schlaf  gehoben  werden  kann  (^BnrMnusen).  Die  vorzüglichste 
Ursache  der  Krankheit  ist  also  der  übermässige  Genuss  geistiger  Getränke, 
vorzüglich  des  schlechten  Fuselbranntweins,  des  schlechten  Rums,  weniger 
des  guten  Weins  (Barkhntiseri) ,  dessen  traurige  Folgen  für  Geist  und  Kör- 
per (die  Trunksucht)  besonders  Trotter,  Brühl- Cr amer  und  Andere  be- 
schrieben haben,  und  welche  den  Ärzten  hinlänglich  bekannt  sind.  Sym- 
ptome. Anfangs  Übelbefinden,  Abneigung  vor  Speise,  Schwäche,  Mangel 
an  Ruhe ,  Kopfschmerz ,  zuweilen  Erbrechen ,  oft  leeres  Würgen  von  zähem 
Schleim,  besonders  des  Morgens,  Trägheit,  Unlust,  Ärgerlichkeit;  der  Pnls 
geht  anfangs  schnell,  oft  schwankend,  nachher  träge  und  schleppend;  dabei 
belegte  Zunge,  heisse  Haut,  zitternde  Hände.  Dieser  Zustand  dauert  meh- 
rere Wochen ,  selbst  Monate;  alsdann  tritt  oft  plötzlich,  in  der  Nacht  otler 
bei  Tage,  Gedächtnisslosigkeit  \md  Verstandesverwirrung  ein,  besonders 
wenn  schwächende  Einflüsse:  Nachtwachen,  heftiges  Erbrechen  und  Purgi- 
ren,  häufiger  Coitus,  oder  heftiger  Ärger,  plötzliche  Enthaltung  von  Spiri- 
tuosis ,  Einwirkung  starker  Kälte  (Z^ind)  vorhergingen :  nicht  selten  schleicht 
sich  aber  das  Delirium   auch   allmälig   ein.     Der  Kranke  unterhält  sich  nur 


524  DELIRIUM  TREMENS 

ober  gleichgfilrige  Dinge ,  schwatzt  oft  viel,  sieht  Mücken,  Mäuse,  Gesich- 
ter, glaubt  sich  von  Geistern  geplagt,  sucht  mit  den  Händen  auf  der  Bett- 
decke herum ,  verfallt  zuweilen  wol  in  wahre  epileptische  Zufälle ;  er  ist 
«ehr  verdriesslich ,  zeigt  oft  grosse  Ängstlichkeit  für  seine  Geschäfte.  Im 
höchsten  Grade  stellen  sich  starke  klebrige  Schweisse  ein,  Flechsensprin- 
gen,  stetes  Zittern  der  Hände,  unwillkürlicher  Abgang  von  Urin  und  Stuhl- 
gang, und  der  Tod  aus  Erschöpfung  und  Nerveiischlag.  Die  Section  zeigt 
keine  Spuren  von  Entzündung  des  Gehirns,  häufig  aber  Verstopfungen  der 
Leber,  der  Milz.  Bnrhhausen  nimmt  ein  acutes  und  chronisches,  idiopathi- 
sches und  symptomatisches,  ein  sthenisches  und  asthenisches  Delirium  tremens 
an,  welche  Eintheilung  nicht  ohne  Werth  ist,  insofern  sie  dem  Praktiker 
andeutet,  dass  bei  voUsaftigen  jungen  Leuten  das  Übel  die  acute,  stheni- 
sche  Form  annehmen  kann,  wo  mit  Vorsicht  kleine  Blutentziehungen,  vor- 
züglich aber  gelinde  Purgirsalze,  die  Mineralsäuren  und  die  Ekeicur  pas- 
sen ,  und  erst  später  Opium ,  was  in  der  asthenischen  Form  gleich  anfangs 
das  Hauptmittel  ist;  dass  jede  Krankheit,  die  einen  Säufer  befallt,  das  De- 
lirium tremens  symptomaticum  erregen  kann  (daher  hier  der  Arzt  vorsichtig 
seyn  und  nicht  durch  sehr  schwächende  Mittel  die  Fieber  und  Entzündun- 
gen der  Säufer  behandeln  darf,  um  den  CoUapsus  zu  verhüten)  etc.  Cur. 
Frische  Luft ,  das  Gehen  oder  Fahren  im  Freien ,  Waschen  des  Kopfes  mit 
Essig,  kaltem  Wasser,  innerlich  3 — 4mal  täglich  30  Tropfen  von  folgender 
Mischung:  1^  EHx.  acid.  Halleri  3jj ,  Laudan.  liquid.  Syd.  3 j ,  ElLT.'vitrioU 
Mynsichti  Sjjj-  M.  (M.);  daneben  der  Genuss  eines  gut  gehopften  Biers,  des 
reinen  starken  Kaffees ,  des  alten  Weins  (massig  genossen)  statt  des  Brannt- 
weins, sind  in  den  leichtern  Fällen  schon  hinreichend.  Ist  der  Kranke  wohl- 
genährt, hat  er  den  Habitus  apoplecticus ,  ein  braunrothes  Gesicht,  leidet 
er  an  Dyspnoe,  an  Congestionen  zum  Kopfe,  so  habe  ich  dreist  einen  klei- 
nen Aderlass  verordnet  und  darauf  die  Mineralsäuren  mit  Nutzen  gegeben. 
In  höhern  Graden  des  Übels,  wo  schon  die  Gesichtstäuschungen  und  das 
fortwährende  Zittern  der  Hände  eingetreten  sind ,  wo  ewige  Unruhe  und 
Schlaflosigkeit  den  Kranken  quälen,  gab  ich  mit  Nutzen  Folgendes:  I^  In- 
fus, rad.  serpentariae  31V ,  Spirit.  Minderen  5JJJ ,  Syr.  lort.  aurant.  3JJ , 
Liq.  anodyn. ,  —  c.  c.  succ,  Laud.  liquid.  Syd.  ana  5j-  M.  S.  Alle  2  Stun- 
den 1  Esslöffel  voll;  auch  kann  man  statt  der  Serpentaria  ein  Decoct.  rad. 
imperatoriae  nehmen,  welches  Mittel  oft  allein  schon  das  Delirium  heilt 
(Kopeke,  Wiedow,  Spitta) ,  und  daneben  Abends  ein  Pulver  aus  I^  Opii 
puriss.  gr.  jj  —  iv ,  Rad.  ipecac.  gr.  |^ ,  Nitri  depur.  gr.  iv ,  Sacchari  ^j. 
M.  f.  pulv.  disp.  dos.  vj.  Das  Opium  bleibt  im  Delirium  tremens  stets  das 
Hauptmittel.  Nicht  selten  erregt  es  einen  anhaltenden  Schlaf  vou  18  —  24 
Stunden,  mit  Wärme  des  Körpers,  warmen  Schweissen,  und  der  Kranke 
erwacht  gesund  wieder.  Überraass  geistiger  Getränke  stürzt  ihn  aber  öfter  in 
die  Anfälle  des  Deliriums;  alsdann  wirkt  auch  das  Opium  weniger,  nnd  es  er- 
folgt zuletzt  doch  der  Tod;  daher  ist  es  eine  wichtige  Regel,  dass  der  Mensch 
sich  allmälig  (doch  nicht  plötzlich ,  auf  einmal)  vom  Genuss  der  Spirituosa 
entwöhnt.  Zur  Nachcur  dienen  bei  Physkonie  der  Eingeweide  Lac  ammo- 
niacale,  Asa  foetida,  dann  Amara,  zuletzt  China,  Quassia  und  Eisen,  dabei 
viel  Bewegung  im  Freien,  Vermeidung  heftiger  Kopfanstrengungen,  der  Ge- 
müthsbewegungen  etc.  Die  Arzte  Pearson  und  Wehster  wollen  auch  von 
der  Tinct.  digitalis,  alle  6  Stunden  zu  60  Tropfen,  im  Delirium  tremens 
gute  Wirkung  gesehen  haben  (s.  Med.-chirurg.  Zeit.,  1823,  I.  S.  86  u.  90). 
Wichtig  ist  und  alle  Beherzigung  verdient  das,  was  Dr.  Stookes  zu  Du- 
blin, der  das  Delirium  tremens  im  dortigen  Meath  -  Hospitale  häufig  beob- 
achtete (s.  Lond.  med.  and  surgical  Journal,  1834,  February,  und  Behrendts 
Repertor.  der  med. -chir.  Journalist,  d.  Auslandes.  1834,  Mai,  S.  86  ff.), 
darüber  raittlieilt,  indem  er  sagt:  ,, Viele  haben  Delirium  tremens  gesehen, 
aber  nur  Wenige  wissen  ,  dass  diese  Krankheit  sich  unter  zwei  ganz 
entgegengesetzten  Verhältnissen  entwickelt.  In  dem  einen  Falle  bekonmit 
ein  Mensch ,  der  die  Gewohnheit  hat ,  eine  Menge  Wein  oder  spirituöscr 
Getränke  zu   sich   zu  nehmen,   irgend   eine  Krankheit  oder  ein  Fieber;    er 


DELIRIUM  TREMENS  525 

muss  Im  Bette  bleiben,  wird  antiphlogistisch  behandelt,  auf  eine  antiphlo- 
gistische Diät  gesetzt,  und  bekommt  nun  statt  Wein  oder  Branntwein  Ha- 
fergrütze oder  Gerstenschleim.  Da  verfällt  er  in  Del.  tremens,  und  di« 
Zeichen  einer  hohen  Aufregung  des  Gehirns  treten  ein.  Ein  anderer  Mensch, 
nicht  an  täglichen  Trunk  gewöhnt,  hat  einigemal  hintereinander  Gelegen- 
heit, sich  zu  berauschen,  und  wird  vom  Delirium  tremens  befallen.  Im  er- 
sten Falle  entsteht  das  Delirium  offenbar  aus  dem  Fehlen  des  gewohnten 
Reizes ;  im  zweiten  Falle  aus  ungewöhnlichem  Übermasse  desselben.  In  je- 
dem ist  die  Ursache  der  Krankheit  offenbar  eine  andere,  und  es  wäre  folg- 
lich geradezu  gegen  die  gesunde  Vernunft  gehandelt ,  beide  Fälle  auf  eine 
und  dieselbe  Weise  zu  behandeln.  Dennoch  aber  glaube  ich,  dass  dieser 
Fehler  häufig  von  Männern  begangen  wird,  die  ein  hohes  Ansehen  in  der 
medicinischen  Welt  haben ,  weil  sie  sich  von  Systemsucht  und  dem  Streben, 
Namen  zu  haben  für  Dinge  und  nicht  die  Dinge  selber,  nicht  losmachen 
können.  Der  Kranke  wird  aufgenommen  und  eingeschrieben  unter  Delirium 
tremens;  die  Krankheit  wird  behandelt  nach  der  Gruppe  von  Symptomen, 
die  sich  darstellen,  aber  die  Ursache  und  die  Art  des  Ursprungs  Avird  aus- 
ser Acht  gelassen.  Welches  sind  aber  die  richtigen  Principien  der  Behand- 
lung? In  der  ersten  Varietät,  wo  das  Delirium  durch  das  Fehlen  des  an- 
gewöhnten Reizes  entstanden  ist,  werden  die  Kranken  geheilt  und  sind  ge- 
heilt worden  durch  Darreichung  der  gewöhnlichen  Reizmittel ,  durch  Wein, 
Branntwein  oder  Opium.  In  der  That  scheint  für  diese  Form  der  Krank- 
heit dieses  auch  das  beste  Verfahren  zu  seyn.  Alleiin  für  die  zweite  Varie- 
tät? Hier  würde  ein  solches  Verfahren  offenbar  ein  arger  Missgriff  seyn, 
und  doch  —  was  geschieht  so  häufig  in  den  Hospitälern?  Ein  Mann,  der 
kein  Trunkenbold  ist;  sondern  nach  einer  bedeutenden  Schwelgerei  von  Del. 
tremens  befallen  worden,  bekommt  auch  Opium,  spirituöse,  erhitzende  Ge- 
tränke, Wein,  Branntwein,  Bier,  und  je  schlechter  er  wird,  desto  mehr 
Reizmittel  werden  gereicht.  Dieses  Verfahren  ist  offenbar  eben  so  unver- 
nünftig, als  die  alte  Mode,  Hydrophobie  mit  dem  Haare  des  Hundes,  wel- 
cher gebissen  hat ,  zu  heileh;  Wir  wollen  einmal  die  Sache  genauer  be- 
trachten: eine  grosse  Menge  reizender  Flüssigkeiten  Und  in  den  Magen  ge- 
bracht worden;  die  Schleimhaut  dieses  Organs  befindet  sich  in  einem  hohen 
Grade  von  Reizung ;  das  Gehirn  und  Nervensystem  sind  entweder  in  Folge 
der  Absorption  des  Alkohols  öder  in  Folge  des  sympathischen  Einflusses  der 
Digestion  in  einem  Zustande  von  übermässiger  Aufregung.  Sollten  wir  nun 
dies«  Reizung  und  Aufregung  noch  wöiter  treiben  ?  Das  Resultat  würde 
offenbar  Gastritis,  Enteritis,  Encephalitis  seyn.  Vielen  Praktikern  kommt 
das  Hinzutreten  von  Hirn^ntBündung  zum  Delirium  tremens  gar  nicht  in  den 
Sinn,  und  sie  geben  Reizmittel  auf  Rieizmittel ,  nicht  bedenkend,  dass  sie 
eine  entschiedene  Gehirnkrankheit  herbeiführen.*'  StooTces  ist  zwar  nicht 
der  Meinung  des  Bröussnis,  dass  jedesmal  Gastritis  bei  der  Krankheit  zu- 
gegen sey;  doch  fand  er  diese  in  allen  Fällen,  wo  auf  übermässige  Schwel- 
gerei und  Berauschün«f  das  Delirium  folgte,  und  man  reizend  behandelte^ 
durch  die  Section  bestätigt.  — ^  „Diese  Complication  des  Del.  trera.  —  sagt 
er  —  ist  auch  noch  in  anderer  Beziehung  praktisch  wichtig ,  indem  sie  näm- 
lich zeigt,  wie  vollständig  die  örtlichen  Erscheinungen  während  des  Daseyns 
einer  allgemeinen  sympathischen  Aufregung  und  Reizung  in  den  Hintergrund 
treten  und  verhüllt  werden  können.  Der  Unterleib  des  Kranken  ist  nicht 
gespannt,  nicht  empfindlich,  die  Zunge  zeigt  sich  wenig  afficirt,  die  Sym- 
ptome deuten  fast  nur  auf  ein  Hirnleiden,  und  doch  ist  ein  hoher  Grad  von 
Gastritis  vorhanden;  man' bekämpft  die  Gehirnsyraptome,  ohne  dass  es  wirk- 
lich zuf  Besserung  geht,  während  alle  auf  ein  Gehirnleiden  deutende  Er- 
scheinungen sogleich  verschwinden,  sobald  man  die  Gastritis  allein  zu  beseU 
tigen  strebt.  —  Wir  haben  Fälle  des  heftigsten  Del.  tr.  blos  nach  dem 
Ansetzen  von  Blutegelu  auf  das  Epigastrium  und  nach  dem  Genuss  von  kal- 
tem Wasser  mit  Eis  schnell  zur  Heilung  gehen  sehen,  ohne  das»  wir  eines 
Tropfens  Laudanum  bedurften.  —  Meine  durch  Erfahrung  und  Beobachtung 
gewonnenen  Ansichten  sind  demnach   diese:   ht  das  Del.  tr.  durch   plötzli- 


526  DEMENTIA  ~  DEMÜLCENTU 

chcs  Fehlen  des  durch  angewöhnten  Trunk  täglich  gewöhnten  Reizes  ent- 
standen, so  befolge  man  ein  reizendes  Verfahren,  gebe  Wein  und  Opiate, — 
ist  das  Del.  tr.  aber  die  Folge  einer  zufälligen  starken  Schwelgerei  oder 
Berauschung,  so  ist  jedes  reizende  Verfahren  durchaus  zu  vermeiden  und 
die  ganze  Medication  muss  nur  gegen  die  Reizung  und  den  phlogistischea 
Zustand   des  Magens   gerichtet  seyn,    selbst  wenn   die  bezeichnenden  Sym- 

Etome  der  Gastritis  nicht  da  zu  seyn  scheinen."  Dr.  Stooles  mag  Recht 
aben,  wenn  er  glaubt,  seinen  Laudsleuten  etwas  Neues  zu  sagen.  So 
richtig  der  Unterschied  und  so  zweckmässig  seine  Behandlungsweise  bei  den 
beiden  genannten  Arten  des  Del.  tr.  auch  ist,  so  kennt  er  doch  nicht  die 
Literatur  deutscher  Arzte  über  diesen  Gegenstand;  sonst  würde  er  seine 
Ansichten  darin,  zumal  in  der  Schrift  von  Bnrkhausen^  schon  gelesen  ha- 
ben. Wenn  bei  Leuten,  die  keine  Gewohnheitstrinker  sind,  durch  zufälli- 
gen übermässigen  Genuss  der  Spirituosa  die  Krankheit  entsteht ,  so  geben 
wir  deutsche  Ärzte  auch  kein  Opium,  keinen  Wein,  sondern  viel  kaltes 
Wasser  zu  trinken,  machen  Eisumschläge  auf  den  Kopf,  sorgen  für  stete 
frische  Luft  etc. ,  und  das  Übel  verschwindet  ohne  Arzneien.  Auch  kalte 
Waschungen  über  den  ganzen  Körper  sind  hier  nützlich.  Mehrtägige  Hoch- 
eeitsfeste  auf  dem  Lande,  wobei  unsere  Landleute  oft  ungewöhnlich  viel 
trinken  und  des  Nachts  nicht  gehörig  ausschlafen ,  so  dass  sie  Tage  lang  ia 
betäubendem  Rausche  sind,  geben  zu  dieser  Form  des  Del.  tr.  oft  Veran- 
lassung. —  Die  periodische  Trunksucht  scheint  indessen  Stoohes  nicht  zu 
kennen  (s.  Dipsomania).  Dass  bei  Branntweinsäufern  das  Blut  zu  sehr 
carbonisirt  sey,  dass  es  von  ziemlich  dunkler  Farbe  und  schwerer  gerinnend 
nach  dem  Aderlass  gefunden  w  erde ,  dass  der  anhaltende  Genuss  spirituöser 
Getränke  die  Mischung  des  Bluts  überhaupt  verändere,  dasselbe  offenbar, 
wie  durch  Blausäure,  vergifte,  dass  Säufer  oft  an  Melaena  leiden,  desglei- 
chen wegen  ma,ngelnder  Ernährung  an  Magerkeit,  an  Geistesstörungen  etc., 
dies,  sind  Thatsachen,  die  nicht  geleugnet  werden  können.  Ich  sah  meh- 
rere in  Epilepsie,  Narrheit,  Apoplexie  vei'sinken.  —  Die  Natur  heilt  da» 
Delirium  tremens,  wie, bekannt,  durch  einen  anhaltenden,  mit  Transsplra- 
tion  verbundenen  festen  Schlaf,  bei  welchem  das  Blut  ganz  besonders  seine 
giftigen  Bestandtheile  auszuscheiden  sich  bestrebt.  Da  aber  die  meisten 
Säufer ,  zumal ,  w  enn  sie  noch  wohl  genährt  «ind ,  an  Übermass  von  Koh- 
lenstoff leiden,  so  ist  ein  zu  anhaltender  Gebrauch  des  Opiums,  besonders 
iß  zu  grossen  Dosen,  nach  meinen  neuesten  Erfahrungen,  häufig  schädlich, 
indem  es  die  passiven  Congestionen  zum  Kopfe,  zur  Leber  etc.  vermehrt 
naA  die  krankhaft  erhöhte  Venosität  noch  vergrössert.  Hier  ist  ein  starkes 
Infusum  digitalis  vorzuziehen,  wodurch  schon  manches  Delirium  treinens  ge- 
heilt worden  ist.  Man  reicht  es  so  lange  bis  Toxicationszufälle  erscheinen, 
worauf  dann  bald  der  kritische  Schlaf  eintritt  {Cless  in  Allgem.  med.  Zeit, 
Altenburg,  1835,  Hft.  7,  S.  793).  —  Da  das  Delirium  tremens  häufig  Re- 
cidive  macht,  sobald  der  Mensch  wiederum  sich  dem  Trünke  ergiebt,  so 
ist  natürlich  ein  massigeres  Leben  das  beste  Präservativ  vor  diesen  Rück- 
fällen. Der  fleissige  Genuss  von  vielem  kalten  Wasser,  sowie  Rheum  und 
Aloe ,  welche  durch  Anregung  vermehrter  Leberfunction  und  Gallenabsonde- 
rung  den  übermässigen  Kohlenstoff  ausscheiden,  sind  hier  sehr  wichtig.  Ich 
kenne  mehrere  hiesige  Gewohnheitstrinker,  die  vor  8  und  mehreren  Jahren 
am  Delirium  tremens  bedeutend  gelitten  haben ;  trotz  des  übermässigen  täg- 
lichen Branntweingenusses  seit  jener  Zeit  aber  nicht  wieder  davon  ergriffen 
worden  sind,  weil  sie  alle  zwei  Abende  einen  Schnaps,  worin  eine  Mjschung 
von  Aloe,  Rheum  etc.  befindlich,  die  hier  auf  der  .Hirschapotheke  Spec. 
amar.  usitat.  heissen ,  getrunken  (s.  Amara);  desgleichen  täglich  6  bis  10 
Flaschen  Brunnenwasser. 

Ilementia»  Aberwitz,  8.  Amentia. 

DemuIcentiAj  Involvcntia,  Ohvnlveniin^  be,sänftlgende,  lin- 
dernde, einhüllende  Mittel,  z.  B.  Öl,  Milch,  Mandelmilch,  schleimige 
Dinge :  Haferschleim ,  Q.uittenschleim  etc.     Sie  dienen  äusserlich  bei  heftigem 


DENTITIQ  ~  DEPILATI9  527 

Hautreiz  und  Schmerz,  bei  Verbrennungen,  abgeschundener  Haut,  bei  I»- 
Bectenstichen,  um  den  Reiz  durch  Abhaltung  der  atmosphärlächen  Luft,  durch 
Einhüllung  und  Zersetzung  bei  scharfen  Stoffen  etc.  zu  mindern.  Innerlich 
passen  sie  bei  allen  Vergiftungen  durch  scharfe,  metallische  Gifte,  lun  die 
Leibschmerzen  zu  lindern  und  das  Gift  vorläufig,  bis  es  entfernt  -werden 
kann,  einzuhüllen.  Hier  sind  Milch  und  Öl,  in  Menge  genossen,  für  den' 
ersten  Augenblick  die  wichtigsten  Hülfsmittel  (^Hufeland) ,  doch  passt  das 
öl  nicht  bei  Kantharidenvergiftung  (^Orfiln").  Auch  bei  heftigen  Ruhren, 
bei  Enteritis,  Gastritis  sind  die  Demulcentia  sehr  wichtige  Mittel,  da  zu 
Anfange  solcher  Übel  alle  andere  Mittel  nicht  vertragen  werden  oder  scha- 
den können,  und  auf  sie,  sowie  auf  die  Blutentziehungen ,  unser  ganzer 
Heilapparat  fast  allein  beschränkt  ist. 

DcntitiOy  Odontiasis,  das  Zahnen.  Sowol  das  erste  Zahnen 
(zwschen  dem  6ten  und  lOten  Monate  des  Lebens),  als  das  zweite  Zah- 
nen (zwischen  dem  7ten  und  9ten  Lebensjahre)  sind  an  sich  physiologische 
Zustände  und  nichts  Krankhaftes;  sind  nur  ein  Beweis  von  höherer  Ent- 
wickelung  des  Kindesorganisraus,  wobei  stärkere  Production,  Sanguification 
und,  bei  gutgenährten  Kindern,  eine  Diathesis  inflammatoria  stattfindet. 
Daher  ist  die  Geneigtheit  zu  entzündlichen  und  spasmodischen  Leiden  in 
diesen  Perioden  oft  sehr  gross,  besonders  die  Anlage  zu  Encephalitis  beim 
ersten  und  zum  Croup  beim  zweiten  Zahnen;  vorzüglich  wenn  die  Kinder 
erkältet  werden ,  wenn  dadurch  bei  Säuglingen  der  so  wohlthätige  Speichel- 
fluss  unterdrückt  wird.  Nicht  selten  erfolgt  hierauf  heftiges  Fieber  mit 
eklamptischen  Zufällen,  wogegen  Blutegel  und  gelinde  Abführungen,  bei 
Säure  im  Magen  und  grünen  Stuhlgängen  kaiische  Mittel  indicirt  sind,  nicht 
aber  die  reizenden,  erhitzenden  Antispasmodica;  am  wenigsten  passt  in  sol- 
chen Fällen  das  Opium,  da  gelinde  Diarrhöe  hier  höchst  wohlthätig  ist; 
doch  ist  der  Moschus  als  das  einzige  für  Kinder  passende  Antispasmodlcura 
irritans  oft  unentbehrlich,  besonders  bei  zarten,  schwächlichen,  sensiblen 
Kindern.  Auch  lobt  man  bei  den  Krämpfen  während  der  Dentition,  wenn 
heftiges  Reizfieber  und  Blutcongestion  zugegen  ist ,  ganz  besonders  die  Aqua 
oxyrauriatica  {Kopp,  l'oel).  Siehe  die  Formel  bei  Erysipelas  neona- 
torum. Man  kann  sie  mit  destillirtera  Wasser  (5J^  auf  5vjjj)  und  Syrup 
rgj)  esslöffelweise  geben  {Uufelaml^.  Wie  wichtig  es  ist,  beim  Zahnen 
der  Kinder  den  Leib  gehörig  offen  zu  halten,  wie  herrlich  hier  die  Klystiera 
wirken,  selbst  bei  guter  Leibesöffnung  als  beruhigendes  Mittel,  z.  B.  bei 
Karten  Kindern  die  Abendklystiere  aus  Milch,  Öl  und  Zucker,  wie  schneU 
der  Erethismus  und  die  Fieberbewegungen  dadurch  vermindert  werden,  ist 
unglaublich !  (M.) 

Dentiuiu  dolor,  Zahnschmerz,  s.  Odontalgia. 

Dentium  bebetudo,  Stumpfwerden  der  Zähne.  Folgt  oft 
auf  den  Genuss  saurer  Dinge.  Hier  reibe  man  die  Zähne  mit  Kreide  oder 
Magnesia.  Wenn  in  bösartigen  Fiebern  grosse  Dosen  Mineralsäuren  indicirt 
sind,  so  muss  man  beim  Eingeben  dahin  sehen,  dass  die  Zähno  geschont 
werden.  Man  lässt  daher  vorher  eine  Tasse  Haferschleim  trinken ,  verdünnt 
die  Säure  hinreichend  mit  Haferschleim,  oder  verdünnt  sie  mit  Wasser  uiid 
lässt  sie  durch  ein  Röhrchen  in  den  Schlund,  damit  die  Zälme  dftvon  picht 
berührt  werden. 

Dentium  Stridor«  Zahnknirschen,  s.  Brygmua, 
Dentium  vacillatio»  das  Wackeln  der  Zähne,  ist  bei  alten 
Leuten ,  wo  der  Alveolarrand  allmälig  resorbirt  wird ,  upheilbar  5  die  Zähno 
werden  immer  loser  und  fallen  zuletzt  von  selbst  aus.  Entsteht  es  von 
Scorbut,  von  übermässigem  Gebrauch  des  Mercurs,  von  Syphilis  inveterata, 
80  behandle  man  die  Grundkrankheit  und  lasse  adstringirende  Decocte  voii 
Decoct,  quercus  mit  Acid.  sulphuric. ,  Borax,  Tinct,  myrrhae,  Tiuct.  kino, 
catechu  etc.  als  Gurgelwasser  gebrauchen. 

DepÜAtio»  Kahlheit,  s.  Alopecia.    Auch  v^steht  man  unter  die- 


528  DEPRESSIO  —  DERIVATIQ 

ser  Benennung  die  Kunst,  das  Ausfallen  der  Haare  zu  Teranlas« 
sen,  z.  B.  an  Stellen,  wo  sie  nach  dem  verschiedenem  Begriff  einzelner 
Völker  über  die  Schönheit,  dieser  Abbruch  thun.  Zu  diesem  Zweck  dienen 
die  Depilatoria  (s.  Cosmetica). 

JtepTessio,  Impressio,  N iederdruckung,  EindrücVung ,  beson- 
ders der  Kopfknochen  (Depressio  cranii,  Phlnsis,  Thlasvt(i),  nach  mechani- 
schen Verletzungen  durch  Fall,  Stoss,  Schlag;  bei  Kindern  ist  sie  meist 
ohne,  bei  Erwachsenen  mit  Bruch  des  Hirnschädels  (Depressio  cranii  cum 
fractura)  verbunden.  So  wie  jeder  abnorme  Druck  aufs  Gehirn  Betäubung, 
Convulsionen ,  Erbrechen,  Bewusstlosigkeit  erregt,  so  ists  meist  auch  hier 
der  Fall.  Unter  solchen  Umständen  ist  eine  chirurgische  Operation  :  Auf- 
hebung des  niedergedrückten  Knochenstücks,  Entfernung  der  zerbrocheneu 
Knochen,  des  etwaigen  Blutextravasats ,  die  Hauptsache;  do(ii  übereile  man 
sich  bei  Kindern  nicht  mit  dieser  Operation,  indem  hier  die  Bewegung  des 
Gehirns  häufig  die  Depression  hebt;  die  Zunahme  der  Zufälle  nach  24  Stun- 
deu  indicirt  oft  nur  dazu  (Af.);  s.  Commotio  cerebri. 

Depurantia»  reinigende,  blutreinigende  Mittel,  s.  Haematoca- 
thartica. 

Herivatio,  die  Ableitung.  Ist  der  Erfolg  der  in  der  Heilkunst 
selir  wichtigen  und  wirksamen  ableitenden  Methode  (Methodus  derivatoria, 
ontagonistica) ,  welche  nach  dem  Grundsatze :  ubi  irritatio,  ibi  affluxus ,  den 
schädlichen  Krankheitsreiz  und  mit  ihm  das  Übermass  von  Säften  von  einem 
wichtigen  Organe  dadurch  wegleitet ,  dass  ein  weniger  wichtiger  Theil  an- 
tagonistisch gereizt  wird.  Wie  bedeutend  und  wichtig  das  Gesetz  des  An- 
tagonismus für  Pathologie  und  Therapie  ist ,  ist  schon  oben  gezeigt  worden 
(s.  Antagonismus  und  Consensus).  Die  Grundidee  bei  der  antago- 
nistischen Methode  ist :  die  Lebensthätigkeit  eines  Organs  so  zu  erhöhen  oder 
zu  vermindern,  dass  dadurch  der  entgegengesetzte  Zustand  der  Lebensthä- 
tigkeit in  einem  andern  Organe  erzeugt ,  und  auf  diese  Weise  der  vorhan- 
dene krankhafte  Zustand  aufgehoben  werde  (Hufeland).  So  z.  B.  heben  wir 
Diarrhöe  durch  Diaphoretica  und  warme  Bedeckung,  wir  erregen  bei  Lei- 
besverstopfung Öffnung  des  Leibes  durch  äussere  kalte  Umschläge  auf  den 
Unterleib,  indem  die  innere  und  die  äussere  Haut  im  Gegensatz  zu  einan- 
der stehen,  und  die  Unterdrückung  der  Thätigkeit  der  einen  vermehrte 
Thätigkelt  der  andern  erregt.  So  leiten  ferner  Vesicatorien  im  Nacken  den 
rheumatischen,  arthritischen,  katarrhalischen  Reiz  von  den  entzündeten 
Augen,  Purganzen  leiten  die  Blutcongestion  vom  Kopfe  nach  unten  u.  s.  1. 
Auf  ähnliche  Weise  wirken  alle  örtlich  angewandten  Hautreize.  Auch  giebt 
es  psychische  Derivantia,  so  z.  B.  leitet  die  Richtung  der  Gedanken  auf 
einen  fremdartigen  Gegenstand  die  Aufmerksamkeit  auf  körperliche  Leiden 
wohlthätig  ab,  desgleichen  der  Eindruck  der  Furcht,  des  Schreckens,  der 
Freude,  welche  Mittel  bei  Hysterischen  und  andern  Nervenkranken  oft 
ganz  bedeutend  sind,  nur  ist  es  Schade,  dass  wir  die  Dosis  der  letztem 
für  den  individuellen  Fall  nicht  immer  so  genau  bestimmen  können.  Durch 
Erregung  von  Leidenschaften  sind  schon  die  schwersten  Übel  geheilt  wor- 
den. Ein  Hypochondrist  verbrauchte  jährlich  wel  für  hundert  Tha- 
ler Arzneien.  Ich  brachte  ihm  eine  leidenschaftliche  Liebe  zur  Musik 
bei;  er  lernte  noch  im  36sten  Jahre  Klavier  spielen,  und  die  jährliche  Apo- 
thekerrechnung betrug  von  nun  an  keine  hundert  Groschen  mehr  (Af.). 
Die  Entfernung  oder  Verminderung  eines  krankhaften  Zustandes  durch 
künstliche  Erweckung  einer  Affection  in  einem  entferntem  Theile,  d.  L 
Derivation  und  derivirendes  Heilverfahren,  eignet  sich  vorzüglich  für  ört- 
liche Krankheiten,  und  bei  den  allgemeinen  nützt  sie  nur  insofern,  als 
die  Function  irgend  eines  Theiles  vorzugsweise  dabei  gestört  ist,  z.  B.  die 
des  Gehirns  in  Nervenfiebern,  des  Blutsystems,  der  Lungen  etc.,  bei  syno- 
chischen  Fiebern  etc.  Der  Begriff  von  Derivation  ist  sehr  umfassend;  „denn 
nicht  nur  jeder  einzelne  Theil  des  Organismus  —  sagt  Heclcr  —  kann,  wenn 
er  erkrankt  ist,  durch  Ableitung  behandelt  werden,   sondern  auch  alle  ein- 


DERIVATIO  529 

fachen  Krankheitszustäiide  oder,  wie  man  sie  besser  bezeichnet,  die  Ele- 
mente der  zusammengesetzten  Krankheiten,  wie  Schmerz,  Krampf,  Entzün- 
dung, Congestion,  fehlerhafte  Absonderung ,  Säfteverderbniss  etc  ,  gleich- 
viel, wo  sie  ihren  Sitz  haben,  werden  mit  Erfolg  durch  Erregung  eines 
krankhaften ,  oder  wenigstens  ungewöhnlichen  Zustandes  an  einer  andern 
Stelle  bekämpft.  Alle  Heilmethoden ,  alle  Eingriffe  in  den  Organismus ,  Wo 
und  wie  sie  auch  immer  wirken  mögen,  sind  in  gewisser  Beziehung  ablei- 
tend, denn  es  lässt  sich  kein  einziger  denken,  der  nicht  irgend  eine  Seite 
des  Organismus,  irgend  einen  Theil  desselben  vorzugsweise  in  Anspruch 
nähme,  und  eben  dadurch  einen  andern  erkrankten  Theil,  der  mit  diesem 
in  Verbindung  steht,  zu  befreien  oder  zu  erleichtern  vermöchte. "  (S.  Ritsfs 
Handb.  d.  Chirurgie,  Bd.  I.  S.  2*).  „Man  hat  sehr  richtig  —  sagt  der- 
sel'  -  x»_.  ferner  —  den  Begriff  von  Ableitung  auf  den  von  Mitleidenschaft 
und  Antagon.  ^us  zurückgeführt;  in  der  That  enthält  er  auch  nur  die  the- 
rapeutische Beziehung  des  letzten,  so  dass  die  bekannten  Gesetze  der  Mit- 
leidenschaft und  des  Antagonismus  mit  unsern  Kenntnissen  von  der  Wirkung 
ableitender  Mittel  in  Verbindung  gebracht  werden.  Eben  dies  ist,  kann 
man  behaupten,  der  wesentlichste  Theil  der  ärztlichen  Kenntniss  und  Kiuist- 
fertigkeit;  schon  Friedr.  Hoffnimm  war  überzeugt,  dass  die  praktische  Thä- 
tigkeit  des  Arztes  auf  dessen  Bekanntschaft  mit  den  consensuellen  Verhält- 
nissen der  einzelnen  Systeme  und  Organe  gegründet  seyn  müsse,  — ■  ein  tie- 
fes und  nie  zu  vollendendes  Studium!  —  Da  man  aber  die  Gesetze  der 
Mitleidenschaft  früherhin  fast  nur  nach  den  einseitigen  dynamischen  Syste- 
men des  vorigen  Jahrhunderts  bestimmte ,  vornehmlich  nach  der  Erregungs- 
theorie ,  die  nur  ein  erweiterter  Brownianisraus  war ,  so  glaubte  man  auch 
die  aus  diesem  entspringenden  Gesetze  der  Ableitung  allein  darnach  ordnen 
zu  können.  Man  hielt  sich  besonders  an  die  beiden  schon  altern  Grundsätze : 
„Irritatio  attrahit"  und  „  Debilitas  attrahit",  und  nahm  dabei  nur  auf  Sen- 
sibilität, Irritabilität,  Erregbarkeit  und  dergleichen  allgemeine  Bestimmun- 
gen Rücksicht,  die,  ungeachtet  mancher  scharfsinnigen  Bearbeitungen,  doch 
auf  der  falschen  Annahme  beruheten,  dass  die  Äusserungen  des  Lebens  sifch 
auf  quantitative  Verhältnisse  zurückführen  Hessen,  und  bei  sogenannten  all- 
gemeinen Krankheiten  eine  und  dieselbe  Modificatiön  des  Lebens,  z.  B.  er- 
höht^ oder  verminderte  Erregbarkeit ,  in  dem  ganzen  Organismus  waltend 
wäre.  Die  Berücksichtigung  der  Eigenthümlichkeit  der  Functionen  und  ih- 
res in  Krankheiten  so  höchst  verschiedenen  Verhältnisses  zu  einander,  wor- 
auf es  doch  für  den  Arzt  am  meisten  ankommt ,  wurde  hierbei  ganz  ver- 
nachlässigt ,  und  so  kam  es  denn ,  dass  man  die  Ableitung  fast  nur  auf  den 
Begriff  von  Reiz  und  Congestion  einschränkte,  indem  man  nur  krankhafte 
Irritationen  von  edlen  Theilen  auf  minder  edle ,  oder  Congestionen  durch 
Anlockung  der  Säfte  nach  entfernten  Organen  ableiten  wollte.  Diese  An- 
sicht ist  schon  genugsam  als  einseitig  anerkartnt  worden;  die  ganze  Rich- 
tung der  ärztlichen  Erforschung  des  Organismus  ist  ihr  entgegen.  Jeder 
krankhafte  Zustand,  er  sey  einfach  oder  bestehe  aus  mehreren  Elementen 
und  habe  seinen  Sitz,  wo  er  nur  immer  wolle,  kann  abgeleitet  werden, 
und  zwar  entweder  durch  Erregung  einer  gleichartigen  oder  ungleichartigen 
Affection,  wie  Schmerz  durch  Schmerz,  Entzündung  durch  Entzündung, 
Eiterung  durch  Eiterung,  oder  Krampf  durch  Schmerz,  Zusammenziehung 
durch  Erschlaffung,  krankhafte  Absonderung  durch  Entzündung  u.  s.  w. 
Es  ist  nicht  blos  örtliche  Reizung  und  Schwächung,  mit  denen  wir  es  hiet 
zu  thun  haben.  Es  bedarf  hiernach  kaum  einer  Erinnerung,  dass  die  Lehre 
von  der  Ableitung  in  das  Gesammtgebiet  der  Pathologie  und  Therapie  ein- 
greift; alle  unsere  Kenntnisse  über  einfache  und  zusammengesetzte  Krank- 
heitszustände,  über  die  Bedeutung  der  einzelnen  Verrichtungen  im  normale^, 
wie  im  krankhaften  Zustande,  über  alle  Eingriffe  in  den  Organismus,  die 
uns  nur  irgend  zustehen,  kommen  in  ihr  in  Anwendung."  —  Im  weitern 
Sinne  ist  fast  jeder  therapeutische  Eingriff,  nach  Hecker,  ein  ableitender, 
im  engern  Sinne  verstehen  wir  unter  ableitenden  Mitteln  solclie,  bei 
denen  die  Derivation  das  AVesentlichste  in  ihrer  Wirkung  ist,  so  dass  ihre 
Mo  et  Eucyklopädie.  2te  Aufl.  I.  34 


530  DERIYATIO 

fibrigen  therapeutischen  Eigenschaften  dagegen  zurücktreten.  Er  unterschei- 
det die  djuaniisclie  Ableitung  von  der  materiellen.  Dynamisch  leitet 
Jede  Nervenalleetion  ab,  die  nicht  unmittelbar  in  die  Reproduction  eingreift, 
{ils:  Sinneseindrücke,  der  blosse  Schmerz,  das  Gefühl  von  Ekel  und  Ge- 
müthsbeweginigen.  In  allen  Krankheiten  ist  die  Derivatioii  durch  Gcmüths- 
jjustände,  die  sich  durch  die  eigne  moralische  Kraft  des  Kranken  entwickeln, 
»ehr  wirksam ;  aber  auch  jene  durch  die  moralische  Kraft  eines  Andern  iin 
Kranken  angeregten  Gemüt hszustände  sind  es  nicht  minder.  Die  Kraft  des 
Geistes  leistet  in  Krankheiten  Unglaubliches,  und  hier  besitzt  der  Mensch 
ein  grosses  Heilmittel  in  Krankheiten,  das  dem  Thiere  fehlt.  Es  giebt  eine 
Willensheilkunde!  Der  Wille  und  die  Geisteskraft,  das  Verbannen  al- 
ler Furcht  vor  dem  Tode,  der  Ängstlichkeit,  der  kleinlichen  Sorgen,  -r^ 
diese  Dinge  verhüten  und  heilen  viele  Krankheiten.  Ich  will  hier  noch  fol- 
gende Punkte  anführen:  a)  der  Wille,  von  der  Vernunft  ausgehend,  bat 
Gewalt  über  die  Materie,  über  den  Körper,  selbst  über  die  Lebenskraft, 
h)  Ein  kraftiger  Wille  verhütet  und  heilt  die  meisten  Krankheiten ;  denn 
der  Grund  sehr  vieler  Übel  muss  vorzüglich  im  Psychischen  gesucht  werden, 
zumal  der  der  IServenkrankheiten.  c)  Die  Zahl  der  Krankheiten  vermehrt 
gich  in  jedem  Staate  in  demselben  Verhältnisse,  so  wie  seine  moralische  Kraft 
sinkt.  Je  mehr  die  Le.idenschaften  und  die  Befriedigung  sinnlicher  Triebe 
überhand  nehmen,  desto  schwächer  wird  der  Körper,  wie  der  Geist,  desto 
geringer  die  Willenskraft,  desto  grösser  das  Heer  der  Krankheitien.  d)  Je 
niedriger  ein  Volk  oder  eine  Volksclasse  auf  der  Stufe  echter  Cultur  steht, 
<lesto  weniger  widersteht  es ,  da  es  ihm  an  intellectueller  und  njoralische? 
Kraft  gebricht,  den  ausseien  nachtheiligen  Eins^irkungen  der  Atmosphäre  und 
den  Contagionen.  In  jenen  Ländern,  wo  Despotismus,  Barbarei  und  Skla^ 
vensinn  der  humanen  Bildung  henniiend  in  den  Weg  treten,  wüthete  laut 
allen  Nachrichten  die  böse  Cholera  am  heftigsten ;  dagegen  wurden  im  civi- 
iisirten  Europa  vorzugsweise  nur  die  niedern  Stände  von  ihr  ergiiffen.  Die 
Krankheiten  des  Manschen,  zumal  aber  die  grossen  Weltseuchen,  stehen  in 
um  so  grosserer  Abhängigkeit  vom  allgemehien  Erdenjeben,  je  niedriger  der 
Charakter  des  Geschlechts  ist.  Ein  höherer  Charakter  der  Generation,  der 
Gattung,  wie  des  Jndividuums,  ein  kräftigerer  Wille,  gestärkt  durch  die 
Idee  moralischer  Freiheit  und  durch  höhere  intellectuelle  und  sittliche  foäfte, 
macht  dagegen  Aael  unabhängiger  von  den  EinÖüsseji  der  Aussen  weit  und  des 
Erdballs,  weil  unser  unsterblicher  Geist  nach  hölieren  Gesetzen,  als  deiien 
der  Erdeiuiatur  regißr;t  wird,  So  findet  auch  das  Physische,  der  Körper, 
>vie  jedes  Niedere  vom  Höhern,  seine  Abhängigkeit  vom  Geistigen,  Morali- 
schen. So  standen  auch,  wie  SLlmuner  schön  darthut ,  in  frühern  Jahrhun,'- 
derten  die  Seuchen  der  Menschen  mit  denen  des  Viehes  in  engerer  Verbin- 
dung; jetzt  weniger;  denn  das  Menschengeschlecht  strebt  im  Ganzen  immer 
niehr  nach  Selbstständigkeit  und  höherer  Persönlichkeit,  wenn  es  auch  al- 
lenthalben und  in  allen  Ständen  Individuen,  giebt ,  die  davon  nichts  wissen 
\Yollen  und  eine  Ausnahme  von  der  Regel  machen,  e)  Ein  schwacher  Wille 
erregt  Furcht,  und  diese  macht,  wie  die  Erfalu-ung  lehrt,  am  meisten  an- 
steckbar, indem  sie  die  Receptivität  erhöhet;  dagegen  kann  der  Muthigo 
ohne  Gefahr  unter  der  Pest,  der  Cholera  und  dem  gelben  Fieber,  diesem 
nienschenwürgcnden  Kleeblatte,  einherwandeln.  f)  Bei  Verrückten  finden 
wir  oft  eine  recht  starke,  wenn  gleich  in  falscher  Richtung  wirkende,  Wil- 
len.skraft,  desgleichen  bei  Epileptischen  und  an  einigen  andern  an  Neurosen 
leidenden  Subjecten.  Alle  diese  werden  aber  von  ansteckenden  Krankheiten 
nur  selten  ergrilVcn.  Auch  können  Erstere,  selbst  wenn  sie  zärtlich  erzo- 
gen worden.  Wind  und  Wetter  Trotz  bieten,  ohne  dass  sie  durch  Erkältung 
leiden,  g)  Selbst  der  geschickteste  Arzt  ist,  fieJlich  oft  unbewusst,  die  Ur- 
sache der  VerschlinnneruiLg  vieler  Krankheiten;  denn  die  Idee,  man  sey  so 
krank ,  dass  man  durchaus  einen  Arzt  nöthig  habe  und  nicht  dem  eigenen, 
nur  dem  fremden  Willen  gehorchen  müsse,  schwächt  die  Willenskraft. 
Schon  deshalb  ist  ein  unmoralischer  Arzt  stets  auch  ein  schlechter  Arzt, 
weil   er    nicht  seinen  von    der  Veruuufl  ausgehenden,    aondern   nur    e'uien. 


DERIVATIO  531 

durch  niedere  Beweggründe  inodificirten  Willen  in  Anwendung  bringen  kann. 
i>ier  sanfte,  tröstende,  HofTnuA^  erregende  Ziw{miicI»  des  Arztesy 'i^iö' selir 
erhebt  dieser  das  GeinütU  und  leitet  ab  iVon  den  Gefühlen  des  •fechniei'zes 
,iuld  der  Schwäche,  .—  wie -gros*  ist  nicht  die  Wirkung  der  Musik  Auf  niaii- 
«Ue  N«rvenkranke  und  Seelengestörtei  (Vergll  Lichlenthnl,  Der  imtkikaliiscifti 
Atot.  Wien,  1Ö07.  Fr.  Alb.  St^nhtik ,  Diss;  de  Musices  atque  Pbeseos  -vi 
«älutari.  Berol.  1826),  wie  wohlthätig  überhau^jt  die  ganze  Willens  -  HeÄ- 
.kunde,  die  leider!  in  unserer  Zeit  von  Är»ten  und  Laien  zu  sehr  ■iernäcli- 
lässigt  wird.  Wenn  es  endlich  Thatsache  ist,''das3  Gesunde  aus  Ftti'cht, 
Äugst,  Einbildmig  krank  werden  können,  dass  viele  Menschen  feick  einbil- 
den krank  zu  sejn  und  es  daher  werden  und  Manche  sdion  aus  Fmrcht  «n 
«terbeii  gestorben  sind,  so  muss  fes  eiiileuchfen ,  dass  Muth  und  Fui'c'htlcfeig- 
keit  selbst  bei  Kranken  unendlich  viel  vermögen  und  dass,  wenn  wir  «iis 
einbilden,  gesund  zu  seyn,  auch  letzteres  ein  grosses  Heilmittel  seyn  fnuss. 
„Eindrücke  auf  den  Gesichtssinn  —  sagt  Meolxr  —  haben  bei  wieitwm  nicht 
die  wohUhätige  Wirkung,  wie  die  Musik,  land  sind  höchstens  in  chfonischeii 
Jyfervenkrankheiten,  aber  auch  da  nur  mit  grosser  Vorsicht,  anzuw^den. — 
Jil  fieberhaften  Krankheiten  erregt  der  Anblick  von  Bildern, 'überhaupt  V(hi 
Gegeiiständen ,  die  die^  Phahtasie  in  Anspruch  ftfehmen,  leicht  Delirien,  wes- 
holb  es  schon  wiwft/Wus  für  schädlich  hielt,  Fieberkr&nke  in  gematten  Zim- 
mern Hegen  zu  lassen.  Das  Gemeingefühl  behufs  der  Ableitung  krankhafter 
Zwstäiide  »n  Aiwpruch  zu  nehmen,  steht  uns  ein  mächtige^,  von  dett  Neuern 
aber  sehr  venlachlässigtes  Mittel,  die  Fr!i«lion',i  itt  Gebote.  Die  Alten 
J)edienten>  isich  ihrer  init  Ydrliebe  in  fast  alleh  Krankheiten ,  und  gewiss  mit 
grossem  Erfolge  (s,  J.  H.  Schulst,  De  Abhietis  veterum,  eorum(jue  diaeta 
et  habitu.  Halae  1717. i,iH.  J.  Cohen,  Diss.  defrictionum  usu  apud  veteres. 
BerüL  1820).  Abgesehen  von  dem  mechanischen  Binfluäse,  der  bei  der  BVi- 
ivtiou,ji«eUr  .  in  Anschlag  konimtyi  wirkt  dio;je^ hauptsächlich  auf  d}e"j*^erven, 
-uhdieiteti  dadurch  lu'ankhaifte  i^ustände  vort»  Innern  Theileh  ab,  wohl  <Ame 
Zweifel  dufch  den;  itbieriscibten;  Magnetismus  loder,  was  eben  so»  viel  sagen 
will,  d.UEC^  das  uikbekanrttaAgens,  das  bei 'der  Berührung  von  einem  leben- 
,deaiK«r;pr.r  auf  einen  andern  4bergeht.  Der  thSerische  Magnetismus  hat  in- 
diesseia  in  seiner  übprtrtebenea>. auf  einseitigen  Grundsätzen  beruhende^  An- 
wendung die  Frictitfi*  der  Alten 'Lei  weitein:  nicht  ersetzen  köruienj  'Grössere 
Aufmerksamkeit  al6>:rein  dynamSfeches  Mittel  verdient  in  der  Thät-  der  sehr 
vehmchläsjjigte  minei-aKkcl*«»  Magnetismus,  der,  wie  andere  ImponderAbllien, 
uamientUich  die  Etekificität  ündi  ide^  GalvanisiniBS ,  unleugbar  die  Nerven  in 
einen,  lihreju  Verhältnisse  2tU.idia  übrigen 'fiiystemen.und  Organen  ientspre- 
.oheuderen  Zustand  zu  versetzen  vermag.  Durch" llhatsachen  kann  märi  sich 
4üervMi  »inl  einer  kÜKzücU  erscirienenen ,  'duecliv\'«g:  isehr  empfehlüngiVvei'theu 
Schrift,  (.(j-fi.  A  li<}üll**r^  .Der  minei-alische  Magnetisjümietc.  1829.)^  überzeit- 
flen."  ;.iß«i  den  meisten,  derivlienden  Mitteln^  die  noch  auf  eine:  andei-e'  als 
iwn  .dynamische.  W«Jsei  wirken!,  'ai«u"'S  aurJi  d«r  Schmerz  in  seinen  vei'sbhie- 
jdt-ntin  Graden,  die;  Funcht,  d,a*  Ungewöhnliche ,  wodurch  die  AUfitiWksam- 
keitidis  >i>"ankeniiv«rt)  dem /Leiden  weg  auf  die  neue  leidende  Steife  gerich- 
.te^  wird,  iaiit  in  Anschlag  gbbracht.  werden.  So  wirlcen  selbst  die  zeither 
ala  an  sj(oh  .unw  u'ksam-  betrafelftetenf  symipathetischen  Mittel ,  Afnulete  etc. 
*lei?ivir©nd  U.«d.  können. daidüeoh,  i dass j siel  die- i^itarttasie  in  Ansprudi  nehmen 
iWJld,'No.lrtfLe{deni.;ab»ielBe«.v  iifcohlthätig  werdfeh  (s.  Oalvanismus);  doch 
igiet)t.iö»»-:aüch-  einei  .-bis  jetjpti  afi'cnig  erkanhi^i  Wirksamkeit  solchei^  Mittel, 
iieifen.ich  bei  deiu  eben' «itirten  Artikel  weitläuftiger  gedacht  habe.  \tfecJt«' 
-Jiagt  •<»»■:  ft.  O.  Bd.  .1. 'S.  SQ):4vyBirie  fühlbar*. Zdchtigung  beseitigt  bei  Kin- 
-dfcjni flicht  selten  diei^Etturesis  uHd  Anfalle"\'(Mv  Somnambulismus,  sowie  man- 
4MgfeUiö3> .  Ändere  NdrVpaübeL  Vorzüglich  sirid  es  aber*  krankhafte  Zustände 
tdftiri,ßö\v,«giingtnerven;y  die  hufdiifese  Weis© '  (durch  Schmerz)  bekämpft  wer- 
.deftkönoea,,  D^r  AwtagömsmuÄi  dieser  Nerven  mit  den  Gefühlsnerven  tritt 
liii^r  wigeifcohmnlichiherTor,  wie*  Biesen  anch  die  Naturheilungen  von  Para- 
iiy%ei»,!,;dui"cU  Schiiiei^B^n  in. 'dorn  leidenden-  Theile  genugsam  beurkunden. 
Wird  ein  ..gelähmter  Tiieüvoa  Schmerzen  befallen,  so  läbüt  sich  seine  Wie- 

34* 


532  BERIVATIO 

dierherstellung  mit  einer  Sicherheit ,    die  mit   dem  Grade   derselben    in  glei- 
chem Verhältnisse  steht,  erwarten."  —      Die   Wirksamkeit    der   Ekel  cur 
rechnet  Hecher.  zw  den  dynamisch  -  wirkenden  derivirenden  Mitteln.     Sie  be- 
ruhet auf  dem  mächtigen  und  ausgebreiteten  Consensus  des  Magens  mit  allen 
edlen  Theilen  des  Körpers.     Beim   schwarzen  Staar  ist  diese  Cur,    der  Ge- 
brauch  der   Schmucker'schen  Pillen,   bei  Orchitis   die  Ipecacuanha  und   d^ 
Tart.  emeticus  in  kleinen  Dosen  von  ausgezeichnetem  Nutzen.     Die  Brech-«- 
und   Abführmittel    machen  den    Übergang  von    den  dynamischen   zu  deti 
materiellen  Derivatoriis.      Nicht  blos  ihre  nei-vÖse  Wirkung  auf  Magen-  und 
Darmcanal,    auch  die   in  letztern   erregte    ungewöhnliche  Absonderung,    die 
j Erschütterung   des    ganzen  Körpers,    der   eigenthümliche   Eindruck   auf   die 
Reproduction,  kommen  hier  in  Betracht.     Der  Nutzen  der  Vomitive  in  rheu- 
mati^che^,  gichtischen  und  nervösen  Übeln,  sowie  in  manchen  nicht  -  gastri- 
schen,  Fiebern    und   chronischen   Lungenkrankheiten ,    ist  bekannt.     Der   auf 
Vomitjye;  J'olgende  Schweiss  ist  oft  kritisch,  und  bei  Asthmatischen  befördert 
nichts  so,  sehr   die  Expectoration  und  entfernt   die  Dyspnoe,    als  ein  Brech- 
mittel ,(s.    A.  DorxiS,    Abhandl.    über   die   Brechen    erregende   Methode  etc. 
.Bamberg  u.  Wür?burg.  1795).     Die  Abführmittel' sind  noch  wirlcsamer,  um 
.eiu;^  dynamisch -materielle  Ableitung  nach  dem  Dai-mcanal  zu  befördern,  als 
«l,ie  Vomi,tive.     „Mah  kann  behaupten,  —  s&^t  Hecker  — -  dass  hier  dieNa^ 
t,ur,    wenn  auch  weniger   stürmisch,    doch   noch  thätiger   und  unsicherer  zn 
Wetke  geht,  als  beim  Brechen,   indem  zu  der  beschleunigten  peristaltischen 
Bewegung,  die  eine  nicht  unbedeutende  Ancegung  des  Gangliensystems  vor^ 
aus^c^zt,  eine  sehe , iergiebige  Absonderung  ahsdeii  Wänden  des  Darmcanaik 
hini^ukqinmt,    die   unter    zweckjnässig^r  Leitung   leicht  den   Charakter   einer 
künstlichen  Krise  annimmt , und ,  .was  auch  die. Ge.^er.  einer  geläuterten  Hn- 
moralp3tho|ügie  dagegen,  ein w,enden  mögen,'   vor  allem  geeignet  i«t,-   schad*- 
liafte  ßeifnischungen    zu  den  Säften  auszuführen.      Wir  reden  hier   nicht  von 
.d«r,  A^jrW'thfi^  AWeitung,  die;  die  Abführungen  in  chronischen  Nervenkrank- 
.heiten;h;^Vflfbringen  rr-  hieräber   ist   bei   denn Aiteh    dnd  Neuern   nur   eine 
_Stim4ne;7Tyi»  wolleiv  auch  nicht  i die  Bedeutung  de*  kritischen  Durchfalls  über- 
haupt;  erörtern ,  —   in  den  kächektischen  Krankheiten  aber,    den  Scropb*?lrs 
der  ßiu.chitis,  der  Gicht,,  den  Wassersüchten,  'überhaupt  in  allen,    die  mit 
.einer  vyrschlageivden.  organischen.  Verderbniss    verbunden  sind,   ist  jene  ma*- 
terieUe  Ableitung  von  der  höchsten  Wichtigkeit,  Und  nicht  ohne  Grund  nirf-^- 
f;h^;d}e:  Abführungen  :cinen  wesentlichen  TheiL  der  Hungercur  au8,Wie  dies 
i^iwt  (s.  dess.  Magaz;  ,Bd.  l..;Hft.;  3.  S.  354) y  ihre  vielseitige  therapeutische 
Be,de;i|itung  scharfsinnig  erkennend,  mit  Erfatouiigsgrundsätzen  dargethan  hat. 
,  l^t  iiv,4i<i»fir  Cur  die  Rößroducti^n  einmal  airf  das  Nothwendigste  beschränkti, 
,^Hi,yy|iji^lt,,sJe  in  der  rückgängigen. Metamorphose  als -Material  KU  d«n  Kxcra- 
jiijmj^n !  »UÄrst  das  Sch»^häftej  und  als  dessen. ^ Vehi kel  iWi^ihSt  der  Trtinsspira- 
,<ipn,-4'*'' Darmabsondtrnng/'i    Bin  Fünfziger,  der  mehrere  Jahre  an  Infarcteo, 
»phljechVe«  Verdauung  .inid.Ob^trufctio  alvi  diabituafis  nebst  icteriscben  Zufäl- 
len.  gelittpu,    und   viele  .\r^neieh  .'vergebais   gebraucht'  hatte,    Avurdi  4lurch 
.Purganzen,    theils  kühlender,  !the»ls   reizender. Art: .'Crem,  tartari-,    Hheüm, 
tipuna  ,.„jVlo5  «ftc.  ,^  ,.>yoclien  laogi' so.  gebraucht, -da.ss  täglich  6^^8'Se4eH 
.lvJgt,eni,,,flpch  kürzlich  von  mihjgründlich  wieder  hk>rgcstellt  (Mo«<).  — ^^  •  Die 
g^Wl"*''  W^k,samkeit  -der  kna^ipen  Diät   und  .  tägliche«i    kohlenden   Purganze'n 
in  piiitjäiei;,    fiie  herdiicheu  (Wirkungen   des  ■  Decocti  Zittmanni ;    das  ncibeii 
tipn  !Sc]^>y€^sen  oft   täglich  10,  bis  20  Abfübrungep    na'ch  unten  bewirkt  ,'"ip 
inyet^irt?^,  sejcundärer.Syphüis,  sowie  b^i  eingiewurzehem  Herpes'etci  siwd 
bekaiji\^  (s.  L,.  ^J.  >v'$(^iuvc,  .Übec.Diäteiitziehhng  (And  Huhg^rcur  in  ■eingewur<' 
.zelten,.chronisph^ni,i,nantentli«h>syphilitisdijen  ü.  psairdosyphilitischen  Krank- 
heiteji..  Aljpiia,   l,8j2^)>-.   ,4uch  dii»  Mittelsaiz^  aU  Antiphiogistica  wirkert  ana- 
log, uj^,, geben  eiu^,;|«r,äftige  Ableitung  auf  ideh  :Dai<incanal.     Ihre  sogene note 
^ühlel]de  yVirkung  m.u;>s  gcösstentheils  auf  Derivätion  zi/rückgeführt  werde». 
Sie  fiiud  ei.i^'nerrlicher  Slimuluä  >für  den  Darmcanal,  leiten  vom  Kopfes  'Von 
den  Lungen    ab  und    sind  daher'  bei  Congestioneh ,  "bei  aiiW  EntHündtttvgen 
ties  K«pfs  und  tler  Brust  vom  grössleu  Nützen,  indeiii'siG  zugleich  die  öbe»- 


DERMATITIS  ~  DESCENSUS  TESTICULI  SEROTINUS  533 

wiegende  Plasticität  des  Blutes  und  dadurch  die  zu  starke  Thätigteit  des 
Herzens  und  der  grossen  Gefasse  beschränken.  Auch  der  von  Neuem  em- 
pfohlene Gebrauch  des  Tart.  emeticus  in  grossen  Dosen  gegnn  Pneumoiiien, 
sowie  die  scharfen  Kly stiere  aus  Essig,  Tabak  etc.  gehören  als  kräf- 
tige Derivantia  hieher,  desgleichen  die  Niesemittel:  Tabak,  Kalömel, 
Maiblumen,  Rad.  hellebori  etc.,  die  bei  Augenübeln,  Kopfkrankheiten  durch 
Vermehrung  der  Schleimsecretion  der  Schneider'schen  Haut  und  dVirch  hef- 
tigen Nervenreiz  wohlthätig  wirken.  —  Die  äussere  Haut  bietet  eine  grosse 
Fläche  dar,  von  innern  Theilen  abzuleiten.  Alle  Rubefacientia ,  Vesicantia 
und  Cauteria  gehören  zu  den  derivirenden  Mitteln.  Ihre  vielfache  Anwen- 
dung in  fieberhaften,  entzündlichen,  rheumatischen,  sowie  in  vielen  chroni- 
schen Übeln,  Exsudationen  in  den  Gelenken,  Lungeneiterungen,  bei  Meta- 
stasen, kalten  Abscessen  etc.  ist  bekannt.  Wie  wirksam  sind  nicht  d'^Kopp'- 
schen  und  Autenrieth'schen  Pustelsalben,  von  denen  täglich  auf  die  gewählte 
Hautstelle  ein  kleiner  Theelöffel  voll  eingerieben,  diese  mit  Wachstafft  be- 
deckt und  täglich  wiederholt  werden,  bis  Pusteln  entstehen,  beim  chroni- 
schen Hydrocephalus ,  bei  der  Epilepsia  cerebralis  u.  s.  w. !  Doch  hat  die 
Kopp'sche  Salbe,  bestehend  aus  weissem  Präcipitat,  vor  der  Autenrieth'schen 
manche  Vorzüge.  „Die  künstlichen  Eiterungen  (durch  Fontanellen, 
Seidelbast,  Haarseil)  —  sagt  Hecler  —  nehmen  unter  den  ableitenden  Mit- 
teln eine  sehr  hohe  Stelle  ein,  sie  wirken  durch  den  eigenthüniHchen,  in 
vielen  gefährlichen  Krankheiten  mit  grossem  Erfolge  zu  benutzeivden  Heil- 
process.  Die  eiternde  Hautstelle  wird  ein  sicherer  Ablagerungsort  füf,  ^phäd- 
liehe  Beimischungen  zu  den  Säften;  selbst  fixe  Contagien  finden  T)iei"  ihren 
Ausweg,  und  wo  irgend  materielle  Verderbnisse  in  den  Säften  stattfinden, 
da  entledigt  sich  die  Natur  des  Schadhaften  am  leichtesten  durch  ein  sol- 
ches pathologisches  Absonderungsorgan.  Hieraus  erklärt  sich  die  Wirksam- 
keit der  Eiterung  in  der  Vorbauungscur  der  Wasserscheu  und  in  der  B«- 
handlung  mancher  kächektischen  Übel,  so  wie  die  Gefahr  der  Unterdrückung 
von  selbst  entstandener  Eiterungen  in  eben  solchen  Übeln."  (S.  B,  J.  Ahrn- 
hamson,  Diss.  de  Cauteriis.  Berol.  1832.  Gerike ,  Dissert.  Derivationis  et 
Revulsionis  histoiia  et  praesidia.  Jen.  1787,  Goelicl-c,  De  Revellentibus  ac 
Derivantibus  Veterum,  eorumque  rationali  explicatione.  Hai.  1709.  Watts, 
Dissert.  on  the  ancient  and  new  doctrine  of  revulsion  and  derivation.  Lon- 
don. 1784). 

Dermatitis,  Kylitis,  Entzündung  der  Haut,  s.  Inflammatio  cuti«)«,, 

Dermatosclerosis*      Ist   gleichbedeutend  mit    Induratio  teiae 
cellulosae.    (8.  den  Artikel). 

Dermatotylus ,   die  Hautschwiele,  s.  Calluscutis. 

Dermophyinata  venerea,  s,  Condylomata. 

I>e8CeiU!(U8  testiculi  serotinus.  Obgleich  bei  neugeborneii  Kna- 
ben in  der  Regel  die  Testikel  schon  im  Scrotum  voi'gefunden  werden,  so  ist 
es  doch  nicht  ganz  selten,  dass  man  letzteres  leer  findet  und  die  Testikel 
sich  noch  in  der  Bauchhöhle  befinden ,  wo  sie  denn  meist  erst  im  3ten,  4teir 
Lebensjahre,  oft  aber  auch  noch  viel  später  nach  ihrem  Bestimmungsorte 
hinabsteigen.  Die  Zufölle  bei  diesem  Process,  der  oft  8  Tage  und  länger 
währt,  sind:  schmerzhafte  Empfindungen,  Geschwulst  und  Härte  in  der  Lei- 
stengegend, so  dass  der  Unkundige  einen  neu  entstandenen  incarcerirten  Lei-_ 
steAbruch  vor  sich  zu  sehen  glaubt.  Nicht  selten  sind  Schmerz  und  Nerven- 
reiz so  bedeutend ,  dass  Fieber,  Delirien,  Convulsionen  hinzukommen .  wobei 
es  merkwürdig  ist,  dass  alle  diese  Zufälle  oft  völlig  intermittiren ,  selbst  bei 
noch  wenig  hinuntergelangtem  Testikel  und  zur  bestimmten  Stunde  des  Ta-. 
ges  wieder  auftreten ,  so  dass  ich  in  einem  Falle  bei  des  Gastwirths  Hnllicr 
ojährigen  Knaben  hieselbst  an  eine  Complicationi,  mit  Interinittens  Jarvata 
dachte  und  neben  den  äusserlichen  Einreibungen  von  Ol.  hyoscyaini  und 
Laudanum  innerlich  Chinin  mit  etwas  Opium  gab.  Doch  erst  nach  fünf- 
maligem Anfall,  der  des  Abends  von  6 — 10  Uhr ^  sich  einstellte,  \>ar  der 
Testikel  im  Scrotum,    und  die  Zufälle  mit  Fieber  etc,   blieben  weg       Doch 


534  DESMOLOGIA  —  DIABETES  MELLITUS 

folgte  gleich  hinterher  ein  Leistenbruch,  wogegen  ein  Bruchband  nothwendig 
ward.  —  Auch  Dr.  Tnistcdt  berichtet  in  der  Medic.  Zeitung  vom  Verein 
für  Heilkunde  in  Preussen  1833.  Nr.  10  von  einem  15jährigen  Knaben  fast 
ganz  dasselbe.  Dieser  bekam  täglich,  Nachmittags  4  Uhr,  schmerzhafte. 
Empfindungen  in  dfir  Leistengegend  mit  Zuckungen  und  Bewusstloisigkeit 
von  V2  Stunde  Dauer,  so  dass  man  Chüiin  fruchtlos  gab.  Der  so  spät  her- 
absteigende Hoden  war  nur  bis  zur  untern  Öffnung  des  Leistencanals  ge- 
langt. Die  Krämpfe  wurden  durch  den  Schmerz  iu  dem  herabsteigenden 
Hoden  erregt  und  durch  blähende  Speisen  vermehrt.  Man  gab  kurz  vor 
dem  Eintritt  derselben  ein  Klystier  von  Asant,  und  sie  verschwanden.  E» 
waren  Gedärme  mit  vorgefallen,  die  den  Hoden  hielten,  daher  letzterer  frei- 
gemacht, heruntergedrückt  und  später  ein  Bruchband  angelegt  wurde. 

SesiuolOi^ia ,  s.  Akiurgia. 

Desmorrhexis ,  die  Zerreissung  der  Bänder.  Ist  meist  nulf' 
Begleiter  von  Verrenkungen;  zumal  am  Ellenbogen  -  und  Kniegelenke  (Ai„ 
Luxatio).  Als  eine  für  sich  bestehende  Krankheit  ist  die  Zerreissung' 
am  Kniescheiben  bände,  das  die  Patella  an  das  Schienbein  befestigt^ 
zu  betrachten.  Der  Kranke  nimmt  im  Augenblicke  der  Zerreissung  ein  er^ 
genthümliches  Geräusch  wahr,  empfindet  Schmerz  am  -Knie,  fallt  zu  Boden',- 
und  ist  weder  im  Stande  aufzustehen ,  noch  sich  auf  den  Fnss  zu  stützen 
oder  zu  gehen.  Das  Knie  ist,  da  dje  Flexoren  das  Übergewicht  erhalteri 
haben,  gebogen,  u.  s.  f.    (S.  Ruptura  ligamenti  patellae)^ 

Hesquaiuatio  cutis.  Abschuppung  der  Haut.  Nicht  blö^ 
nach  acuten  Exanthemen:  Blattern,  Masern,  Scharlach,  sondern  auch  nach 
der  Rose,  nach  heftigen  hitzigen  Fiebern,  selbst  nach  Anfällen  der  Gicht 
und  des  Rheumatismus  bemerken  wir  Desquamation,  die  bald  niu  örtlich, 
bald  allgemein,  bald  stärker,  bald  schwächer  und  ein  Naturprocess ,  ähnlich 
dem  Mausern  der  V'ögel,  dem  Häuten  mancher  Amphibien  etc.,  ist,  wobei 
die  alte  Oberhaut  abstirbt  und  sich  darunter  eine  neue  bildet.  Das  Schar- 
lachexanthem  schuppt  sich  in  grossen  Stücken  ab,  besonders  an  den  Händen 
und  Füssra,  die  Masern  in  kleinen  Blättchen,  kleienartig,  die  Röthein  in 
etwas  grösseren  Blättchen  etc.  Oft  wird  die  Abschuppung  übersehen,  theils 
weil  sie  unbedeutend  ist,  z.  B.  nach  leicht  überstandener  cxanthematischer 
Krankheit,  theils  weil  starke  Schweisse  ihr  Sichtbarwerden  verhindern.  Die 
praktischen  Cautelen  für  die  Behandlung  des  Stad.  desi|uamationis  exanthe- 
matischer  Krankheiten,  damit  keine  Nachkrankheiten  entstehen,  bestehen 
darin,  1)  dass  man  Erkältung  verhütet,  die  Kinder  ein  paar  Wochen  im 
Zimmer  hält,  sie  in  einem  Bade  von  25  —  27"  R.  Wäinie  baden  lässt  und 
ihren  Körper  mit  Öl  einreibt;  2)  dass  man  in  den  yorhergehendäi  Stadien 
die  an  Masern,  Scharlach  etc.  Leidenden  nicht- zu.  warm  hält  und  sie  massig 
kühlend,  antiphlogistisch  behandelt ;  alsdann  ist  die  Abschuppung  auch  un- 
bedeutend und  Erkältung  weniger  zu  befürchten.  Doch  ist  diese  nicht  im- 
mer Schuld  an  der  auf  Scharlach  nicht  selten  folgenden  Hautwassersucht, 
die  nach  Anderer  und  meiner  Erfahrung  bei  scrophulösen  Kindern  selten 
ausbleibt,  wenn  sie  nach  überstandenem  Scharlach  auch'  noch  so  sehr  in 
Acht;26^"o'^'"*^"  werden. 

Desquamatio  ossium,  das  Abblättern  der  Knochen,  s.  Exfoliatio. 

Detergentia,  Mittel,  die  Wunden  und  Geschyvüre  zu  reinigen,  s. 
Abstergentia. 

Deuteropatllia ,  Morbus  sectmdarius ,  eine  Folgekrankheit, 
die  als  Folge  einer  vorhergegangenen  Krankheit  erscheint.  So  sind  z.  B. 
die  meisten  chronischen  Übel  F'olge  von  acuten  Krankheiten  u.  s.  f. 

Diabetes  mellitus,  vous,  Diarrhoen  uriiiosa ,  Dipsacus,  Hydrops 
nd  matulam,  P/i^/iisurirt,  •  die  honigartige  Harnruhr.  Das  Wesen  die- 
ser, in  den  meisten  Fällen  unheilbaren,  höchst  wichtigen  Krankheit  ist  trotz 
der  zahlreichen  Schriften  lind  Abhandlungen'  über  dieselbe  bis  jetzt  noch 
nicht  hinreichend  erfors\rt4it,  und  selbst  über  die  Organe,  welche  primär  da- 
bei Idden ,    herrschen   verschiedehe  Ansichten,    obgleich  die  Krar.kheit  sehen 


DIABETES  535 

Cehus,  Aretaetis,  Th.  JJ'iUiS  und  andere  ältere  Är/te  kannten.  Somit  hat 
denn  in  dieser,  >vie  auch  in  prognostischer  und  therapeutischer  Hinsicht  die 
Harnruhr  mit  der  ausgebildeten  Epilepsie  im  Manaesalter  grosse  Ahnlicli- 
keit;  das  Wesen  beider  ist  noch  nicht  erforscht  und  beide  sind  sehr  schwer 
zu  heilen,  und  wo  die  Heihuig  anscheinend  erfolgte,  war  sie  in  den  meisten 
Fällen  nur  temporär.  Symptome.  Das  Hauptsymptom  bei  der  wahren, 
honigartigen  Harnruhr  ist :  anhaltende  und  bedeutend  yermehrte  Se  -  un»! 
Excretion  eines  Znckerstoff  enthaltenden  Harns,  wo  die  Nahrungsstoffe  ii 
Gestalt  des  Harnzuckers  (Saccharum  diabeticum)  ausgeführt  werden,  wo- 
durch allgemeine  Abzehi-ung  des  Körpers  entsteht.  Gewöhnlich  gehen  dem 
Übel  gewisse  Vorboten  vorher.  Diese  sind:  gestörte  Verdauung,  Säure, 
Sodbrennen,  saures,  schleimiges  Erbrechen,  kurzer  Athem,  trockner  krampf- 
hafter Husten,  verstärkter  Appetit  bei  regelmässiger  Leibesöffnung,  zuwei- 
len kleine  Hautausschläge,  Drüsenanschwellung  (Äci/)-  Diese  Vorboten 
dauern  oft  viele  Monate.  Alsdann  stellen  sich  zwei  sehr  constaute  Sympto- 
me: ein  ungewöhnlicher,  übermässiger  Hunger  und  ein  heftiger,  die  ganz.^ 
Krankheit  anhaltender  qualvoller  Durst  ein,  der  so  bedeutend  ist,  das» 
manche  Kranke  täglich  40,  ja  60,  sogar  100  ß  Getränke  zu  sich  nehme  i 
mussten  (^Knebel,  licil)  ;  dass  dieser  Durst  die  Menschen  selbst  aus  dem 
Schlafe  weckt  und ,  wenn  er  nicht  befriedigt  wird ,  Ohnmächten  erregt. 
Die  Kranken  sind  dabei  missmüthig,  hypochondrisch,  ihre  Physiognomie 
drückt  etwas  Bizarres,  Verkehrtes,  Pfiffiges  aus,  das  schwer  zu  beschrei- 
ben ist  (itf.)  ;  auch  verlieren  sie  durchgängig  das  Vermögen  zum  Beischlaf. 
Bei  völlig  ausgebildeter  Krankheit  zeigt  sich  nun  das  schon  oben  genannte 
Hauptsymptom:  die  qualitativ  und  quantitativ  veränderte  Harnabsonderung. 
Die  Quantität  beträgt  in  24  Stunden  30,  40,  ja  100  und  mehrere  Pfunde, 
meist  mehr,  als  der  Kranke  trinkt;  dieser  Urin  ist  bald  hell,  blass,  durch- 
sichtig, bald  trübe,  molkig,  riecht  und  schmeckt  süsslich- säuerlich,  und 
die  chemische  Analyse  desselben  zeigt,  dass  der  Zuckerstoff  darin  prädomi- 
nirt,  dagegen  die  phosphorsauren  Salze,  der  Stickstoff  vuid  das  Ammoniak 
beinahe  gänzlich  darin  fehlen.  Der  Zuckerstoff  ist  im  diabetischen  Harn  so 
gross,  dass  36  Unzen,  nachdem  sie  abgedampft  worden,  oft  4  —  6  Loth 
Harnzucker  geben.  Die  Resultate  der  chemischen  Analysen  des  diabetische!! 
Harnzuckers  finden  wir  trefflich  zusammengestellt  in  HüuefeliVs  Phvsiolog. 
Chemie  18^7.  Th.  H.  S.  163  u.  f.  Die  Absonderung  des  Urins  ist  am  häu- 
figsten zv>ischen  Mittag  und  Mitternacht,  und  erfolgt  oiuie  Beschwerde, 
doch  empfinden  manche  Kranke  dabei  ein  Kältegefiihl  in  der  Lumbal-  und 
Blasengegend ,  ein  brennendes  Gefühl  im  Magen  und  in  den  Gedärmen ,  das 
sich  bis  zu  den  Beinen  hinzieht ;  zuweilen  ist  auch  Ischurie  oder  Inconti- 
nentia urinae  da.  Es  stellt  sich  nun  trotz  des  starken  Appetits  und  der 
Menge  des  Genossenen  bald  Abmagerung  des  ganzen  Körpers  ein ,  obgleicli 
die  Digestion,  eine  Neigung  zu  Säure  abgerechnet,  gut  ist.  Dabei  ist  die 
Hautausdünstung  unterdrückt,  die  Haut  rauh,  spröde,  trocken,  stumpf, 
heiss,  oft  mit  Ausschlägen  besetzt,  die  Zunge  weisslich,  mit  rothen  Rän- 
dern, später  schwärzUch,  das  Zahnfleisch  geschwollen,  die  Zähne  lose,  oft 
hässlicher  Geruch  aus  dem  M\nide,  Blennorrhoea  pulmonum,  glandis ,  In- 
flammatio  praeputii ,  der  Puls  klein ,  selten ,  oder  fre<|uent  und  leicht  weg- 
zudrücken; das  aus  der  Ader  gelassene  Blut  ist  nicht  zur  Fäulniss,  aber 
zur  sauren  Gährung  geneigt,  es  enthält  viel  Serum,  wenig  Faserstoff,  kei- 
nen Phosphor  und  kein  Ammoniak  (^GuedemUe,  Nicolas);  das  Blutwasser  ist 
oft  trübe,  milchähnlich  (^Ahcrncthi/,  Dohso7i ,  Darwin)  und  schmeckt  süsslicii 
(^Dohson,  Frank).  So  dauert  das  Übel  oft  Jahre  lang,  bis  endlich  grosse 
Entkräftung,  Stumpfsinn,  Delirien,  Sopor,  Lähmungen,  coUiquative  Diar- 
rhöen, Wassersucht  und  hektisches  Fieber  den  Tod  hei-beiführen.  Nicht 
selten  macht  die  Krankheit  in  ihrem  Verlaufe  auch  Re-  und  luternnssionen, 
oder  wechselt  mit  Diabetes  insipidus  ab.  Die  Sectio  n  zeigt  die  Nieren- 
substanz  krankhaft  erschlafft,  vergrössert ,  sehr  blutreich,  ulcerirt,  und  von 
säuerlichem  Geruch  (Home),  das  Nierenbecken  erweitert,  voll  eiterähnlicher 
Materie,   die  Ureteren  erweitert,   die  Häute  der  Blase  verdickt,    verhärtet; 


536 


DIABETES 


doch  fand  man  niemals  Steine  oder  Abscesse  in  den  Nieren,  wohl  aber  hanfij; 
Verhärtungen  der  Milz,  der  Leber,  Vergrösserung  der  raesenterischen  Drü- 
sen, ungeheuer  grosse  Vasa  mesaraica,  SchlafTheit  der  Muskeln  und  des 
Zellgewebes,  seltener  Resorption  des  Alveolarrandes  (^Homc^,  Knochener- 
veichung (PoW),  das  Blut  cliokoladefarbig,  von  süsslichem  Geruch,  die 
grossen  Venen  mit  Chylus  angefüllt  (^Michaelis')  und  den  Leichnam  wie  Mo- 
schus riechend.  Ursachen.  Die  älteren  Ärzte:  Galen,  Trallian,  Arelacns, 
Parncelsus ,  Hcltnont,  suchten  auf  eine  einseitige  Weise  die  Ursache  im  Sy- 
stema  uropoeticum,  andere  in  Schwäche  der  Nieren  (^Boerhnave ,  Bursa'iiis, 
BrendcV) ,  in  einer  zu  grossen  Dicke  des  Bluts  (^Sijthnham} ,  in  Auflösung 
des  Bluts  (^  Willis,  Oosterili/clc);  andere  hielten  das  Übel  für  etwas  Spasti- 
sches (^Richter,  Sömmcrriiiij)  ,  ^veil  auch  Hysterische  oft  viel  Harn  lassen; 
andere  suchten  den  Grund  in  krankhafter  Thätigkeit  der  absorbirenden  Ge- 
fässe  (Fr«7jA) ,  oder  darin,  dass  der  Chjlus  nicht  in  den  Ductus  thoracicus, 
sondern  zu  den  Nieren  gehe  (önrttm),  oder  dass  die  Galle  fehle  und  die 
Hautausdünstung  unterdrückt  sey  (^Kaiisch,  KrnniUs,  Ritter,  Zipp ;  HufclnmCs 
Journal,  Bd.  LXV.  St.  1.),  oder  dass  die  Harnsäure  im  Übermass  da  sey 
(^HufelancT)  u.  s.  f.  Die  richtigste  Erklärungsart  über  das  Wesen  der  Krank- 
heit ist  die,  dass  die  Krankheit  als  das  Gegenstück  des  Scorbuts  in  Hyper- 
oxygenirung,  entstanden  durch  Abdoniinalfehler,  besonders  der  Milz  und  Le- 
ber, bestehe  (^Grant ,  Mend,  Rollo,  Hnnsc).  Mit  dieser  Ansicht  conveniren 
die  Symptome  der  Krankheit  und  die  Natur  der  wirksamsten  dagegen  ver- 
suchten Heilmittel.  Das  Übel  entsteht  aber  nicht  auf  rein  chemische ,  son- 
dern auf  dynamisch -chemische  Weise,  wobei  durch  Einttuss  des  Nerven- 
systems die  Thätigkeit  des  Magens  zu  sehr  erhöht,  desgleichen  die  Abson- 
derung eines  abnormen  Magens"ftes  zu  stark  ist.  Auch  ist  es  nicht  zu  leug- 
nen, dass  hier  ein  allgemeiner  Productionsfehler  zum  Grunde  liegt,  vermöge 
dessen  das  vegetative  Leben  von  der  höhern  Stufe  des  Animalischen  zum 
Vegetabilischen  heruntersinkt  (^Himly);  nur  Schade,  dass  uns  mit  solchen 
generellen  Deductionen  für  die  Praxis  nicht  immer  gedient  ist.  Das  Übel 
kommt  am  häufigsten  bei  Männern  vor,  die  an  chronischen  Krankheiten  der 
Milz  und  der  Leber  leiden,  die  hypochondrisch  sind  und  eben,  weil  die 
Function  jener  wichtigen  Organe  danieder  liegt ,  ein  Übermass  von  Säure 
bekommen,  weil  die  desoxydirenden  Stoffe  der  Milz  und  Leber  keinen  Ge- 
gensatz mit  dem  oxydirenden  Magensafte  mehr  bilden;  die  Zuckerbildung 
kommt  wahrscheinlich  schon  in  den  ersten  und  zweiten  Wegen,  nicht  erst 
in  den  Nieren  zu  Stande;  der  Harnzucker  ist  daher  schon  in  der  Säftemasse 
vorhanden,  indem  er  schon  im  Magen  und  den  Gedärmen  gebildet  wird 
(ffaasc).  Die  prädisponirenden  Ursachen  sind:  mittleres  Alter,  männliches 
Geschlecht,  häufig  ärmliches  Leben,  Mangel  an  Fleischspeisen,  übermässi- 
ger Genuss  von  Kartoffeln ,  Mehlspeisen ,  sitzende  unthätige  Lebensweise, 
seltener  luxuriöse  Lebensart;  oft  ist  erbliche  Anlage  da  (^Roiulelet,  Morton, 
Rollo,  Fratik ,  Blumenbncli).  Entferntere  und  gelegentliche  Ursachen  sind: 
Erkältung,  Missbrauch  diuretischer  Mittel,  Missbrauch  des  Aderlassens,  der 
Genitalien,  übermässiger  Genuss  zuckerhaltiger  Pflanzenkost,  des  Weiss- 
biers, der  Gose,  des  Rhein-  und  Canarienweins  (^Lisier,  Willis^,  Febris 
intermittens,  Gicht,  Scrophulosis,  zurückgetretene  chronische  Exantheme  etc. 
Prognose  der  Krankheit.  Ist  schlecht;  Cullcn,  FrniiJc  und  Currie  halten 
sie  meist  immer  für  unheilbar,  andere  Ärzte  sind  glücklicher  gewesen.  Ist 
der  Kranke  jung,  das  Übel  noch  nicht  alt,  ist  der  Urin  nur  der  Quantität, 
nicht  der  Qualität  nach  verändert  (Diabetes  insipidus),  wie  dies  vor  ihrer 
völligen  Ausbildung  meist  der  Fall  ist,  so  ist  noch  Hoffnung  zur  Genesung 
da.  Cur.  1)  Man  entferne  die  erregenden  Ursachen  und  etwanigen  Com- 
plicationen  der  Krankheit;  gebe  Diaphoretica :  Antimonium,  verordne  warme 
Bäder,  wenn  Erkältung  vorherging,  gebe  bei  Gicht-  und  Rheumatismus- 
complicationen  Antarthritica ,  Antirheumatica  etc.  2)  Sehr  wichtig  ist  die 
Diät.  Der  Kranke  darf  durchaus  keine  Pflanzenkost,  kein  Brod  geuiessen, 
sondern  muss  täglich  Fleischsnppen  essen  und,  wenn  es  der  Magen  verträgt, 
\iel  fettes,  ranziges  Fleisch,  viel  Fische,  Wurst,  Häringe,  Käse  geniessen. 


DIABETES  537 

auch  kann  er  daneben  etwas  Schnaps  oder  Rothwein  trinken,  Bier  passt 
nicht,  wohl  aber,  um  den  Durst  zu  löschen,  viel  süsse  Milch  mit  etwas  Rum 
oder  Alkohol,  abwechselnd  auch  kaltes  Wasser,  mit  etwas  Aqua  menth.  pip. 
und  Eiweiss  versetzt.  Dabei  muss  der  Kranke  sich  warm  halten,  in  Schwe- 
felwasser baden,  Flanellkleidung  tragen,  und  sich  recht  fleissig  in  freier 
Luft  bewegen.  3)  Man  suche  die  erhöhte  Empfindlichkeit  und  Thätigkeit 
der  Nieren  herunterzustimmen.  Hier  passen  Antispasmodica,  besonders  daa 
Opium,  in  Verbindung  mit  Magnesia,  mit  andern  kaiischen  Mitteln,  z.  B. 
K'  Tinct.  antim.  iartarisat. ,  —  opii  sitnpl.  ana  5jj-  M.  S.  Dreimal  täglich 
25  Tropfen  (^Rollo).  Auch  Opium  mit  Kampher  wird  sehr  empfohlen.  Dr. 
Shce  heilte  einen  Diabetischen,  der  zugleich  an  spastischen  und  paralytischen 
Zufällen  litt ,  durch :  I^  Cnmphorae  Slv »  Gumm.  Idno  ^jj ,  Pülv.  aromnt.  ^j, 
Flor,  zijici  ^|> ,  Extr.  trifol.  q.  s.  tit  fiant  pilul.  No.  xx.  S.  Morgens  und 
Abends  2  Stück ;  daneben  nahm  der  Kranke  ein  Infus,  valerianae  und  drei- 
mal täglich  1  Unze  von  Tinct,  gummi  kino.  Dr.  Ware  heilte  einen  andern 
Kranken  durch  grosse  Dosen  Opium,  2  —  4mal  täglich  2,  4  —  10  Gran  Op, 
pur.,  wobei  der  Stuhlgang  ganz  dünn  wurde  und  der  Kranke  sich  zusehends 
besserte,  Tommasini  und  Bailhj  stiegen  mit  dem  Opium  selbst  bis  zu  60 
Granen  täglich  mit  Nutzen.  Ferner  sind  empfohlen  worden :  Asa  foetida, 
Digitalis  purpurea,  Ipecacuanha  in  kleinen  Dosen,  das  Cuprum  ammoniacale, 
das  Extr.  Nicotianac,  die  Antimonialpräparate ,  Merc.  dulcis,  Mercurialein- 
reibungen  und  innerlich  Opium,  Cuprum  ammon.  und  Tinct.  cantharid.  (Sco/f, 
Jos.  FranH).  Doch  ist  der  innerliche  Gebrauch  der  Kanthariden  zweifelhaft 
i^Haase)  und  erfordert  Vorsicht.  Äusserlich  dienen  Vesicatorien ,  Fontanelle 
in  die  Nierengegend ,  in  die  Kreuzgegend ,  allgemeine  aromatische  Bäder, 
fettige  Einreibungen  des  Leibes.  4)  Man  wirke  gegen  das  chemische  Mo- 
ment der  Krankheit  durch  desoxydirende  Mittel.  Dahin  gehören  Aq.  calcis, 
Älagnesia ,  Sal  tartari  mit  aromatischem  Wasser  gereicht ,  vorzüglich  aber 
das  Kali  sulphuratum  und  der  Liquor  fumans  Boylei  (Hepar  sulphur.  volatile, 
Ammon.  hydrogenato  -  sulphuratum) ,  welche  Mittel  Redfearn  und  Rollo  mit 
glänzendem  Erfolge  anwandten.  Von  ersterm  Mittel  giebt  man  anfangs  täg- 
lich 5j )  später  5jj  in  einem  Pfunde  abgekochtem  Wasser  gelöst.  Vom  Liquor 
fumans  Boylei  giebt  man  anfangs  2  —  Sraal  täglich  2  —  4  Tropfen  in  einer 
Tasse  Wasser,  und  steigt  allmälig  und  vorsichtig  damit,  weil  sonst  leicht 
die  bekannten  Zufälle  von  Narcotismus  entstehen.  Es  ist  im  Diabetes,  wenn 
es  anhaltend  gebraucht  wird,  noch  das  wirksamste  Mittel,  das  wir  gleich 
zu  Anfange  anwenden  können  und  welches  oft  alle  andere  Mittel,  selbst  das 
Opium  entbehrlich  macht,  indem  es  die  erhöhte  Sensibilität  herunterstimmt, 
und  sowol  die  Durstsucht  (Dipsacus),  als  auch  den  übermässigen  Hunger 
(Bulimia)  und  die  Hyperoxysis  der  Säfte  am  kräftigsten  verbessert.  5)  Blei- 
ben nach  der  Genesung  noch  Stockungen  in  den  Eingeweiden  zurück,  so 
gebe  man  Resolventia:  Asa  foetida,  Gummi  ammoniacum,  Rheum,  und  spä- 
terhin zur  Stärkung  des  ganzen  Körpers  und  um  die  Laxität  der  Nieren  und 
der  Blase  zu  heben:  China,  Ratanhia,  Tormentilla,  Uva  ursi,  Simaruba, 
Liehen  island.,  Myrrhe,  Kino,  Martialia.  Diese  Roborantia,  Tonica  passen 
auch  im  letzten  Stadium  (im  Stadio  colliquativo ,  torpide)  der  Harnruhr, 
desgleichen  das  Elix.  acid.  Halleri,  doch  sehe  man  danach  und  wähle  sie  so 
aus,  dass  sie  den  Magen  nicht  incommodiren.  Eine  der  neuesten  Monogra- 
phien über  die  Harnruhr  ist  folgende:  A.  W.  von  Stosch,  Versuch  einer  Pa- 
thologie und  Therapie  des  Diabetes  mellitus.  Berlin,  1828,  daher  ich  hier 
das  Wichtigste  daraus  in  der  Kürze  für  klinische  Zwecke  mittheile.  Im 
Cap.  1.  spricht  der  gelehrte  Verfasser  fragmentarisch  über  Verdauung,  Assi- 
milation und  Reproduction ,  im  Cap.  2.  von  den  Symptomen  und  dem  Ver- 
lauf der  Krankheit,  die,  nach  ihm,  stets  mit  dem  Gefühle  von  vermehrtem 
Durste,  der  besonders  des  Nachts  im  Schlafe  stört,  beginnt,  und  der  häu- 
fig gelassene  trübe  Urin  ungewöhnlich  stark  schäumt.  Oft  schleicht  die 
Krankheit  so  leise  heran,  dass  die  Kranken,  welche  nur  bei  Körperbewe- 
gungen eine  stärkere  Müdigkeit,  etwas  ziehende  Schmerzen  im  Kreuze  und 
in  den  Lenden,   zuweilen  neben  dem  Durste  und  dem  starken  Wasserlassen 


^m 


DUBETES 


auch  brennenden  Schmerz  im  Epigastrium  empfinden ,  kanm  darauf  achten. 
Erst  im  höhern  Grade  der  Krankheit  schweigt  die  Geschlechtslust;  bei  dem 
reichlichen  Genuss  von  Nahrungsmitteln  magern  die  Kranken  dennoch  sicht- 
bar ab,  die  Kräfte  schwinden  mehr  und  mehr;  dabei  ein  Gefühl  von  inner- 
licher Hitze,  verbunden  mit  einem  Gefühl  von  äusserlicher  Kälte,  zumal  im 
Kreuze,  in  den  Schenkeln.  So  wie  das  Zahnfleisch  scorbutisch  anschwillt, 
eben  so  die  Eichel  und  die  Vorhaut;  die  Transspiration  ist  ganz  unterdrückt, 
die  Haut  pergamentähnlich  trocken  etc.,  die  Kranken  gehen  mit  Febris  lenta 
incipiens  oft  noch  umher  und  ihren  Geschäften  nach,  ohne  das  Gefahrliche 
ihres  Übels  nur  zu  ahnen.  Im  Cap.  3. ,  wo  der  Verfasser  von  der  nächsten 
Ursache  der  Krankheit  handelt  und  die  verschieden(ri  Theorien  über  das 
Wesen  des  Diabetes,  wie  wir  sie  oben  gehört  haben,  beleuchtet,  bemerkt 
er ,  dass  man  dabei  zu  wenig  auf  das  nur  geringe  Vorhandensejn  und  nicht 
selten  gänzliche  Fehlen  des  Harnstoffs  im  Urin  Diabetischer  geachtet  habe. 
Nachdem  Cap.  4.  die  einzelnen  Zeichen  der  Krankheit  noch  specieller  be- 
trachtet werden,  redet  er  Cap.  5.  von  den  entfernten  äussern  Ursachen  der- 
selben, wohin  er  besonders  übermässige  Geiste'Sanstrengung,  deprimirendt^ 
Gemüthsbewegungen ,  Organisationsfehler  des  Gehirns  und  des  Rückenmarks 
in  Folge  traumatischer  Veranlassungen,  schlechte,  rohe,  vegetabilische, 
schwerverdauliche  Speisen  und  Getränke,  Missbrauch  harntreibender  Mittel, 
nasskalte  Luft,  schnellen  Temperaturwechsel  rechnet.  Zu  den  innern  ur- 
sächlichen Momenten  gehören  die  das  System  des  sympathischen  Nerven 
direct  treffenden  Schädlichkeiten,  als  Onanie,  Ausschweifungen  in  Venere. 
Auch  nimmt  v.  Stosch  eine  erbliche  Anlage  an.  Prädisponirend  wirken  Hy- 
sterie und  Hypochondrie ,  auch  statuirt  er  den  häufig  beobachteten  Dinhetes 
metastaiicus,  nach  zurückgetretener  Gicht, 'Krätze,  plötzlich  gehemmten  Fluor 
albus,  von  zurückgetretenen  übelriechenden  Fussschweissen.  Die  Prognose 
stellt  der  Verf.  natürlich  schlimm.  Im  8ten  Cap.  handelt  er  von  der  The- 
rapeutik.  Die  allgemeine  hat  3  Momente  zu  beachten :  1)  den  lähmungs- 
artigen Zustand  im  Centraltheile  des  automatischen  Nervensystems  zu  heben 
(durch  Ammonium,  Phosphor,  Olea  empyreumat. ,  Gummata  fenilacea,  Ter- 
penthin,  Kanthariden,  Rheum,  Aloe,  Belladonna  etc.),  2)  die  von  demselben 
abhängige  Aufhebung  venöser  Resorption  und  die  von  dieser  abhängigen  Re- 
tentionen und  aus  denselben  entspringenden  pathologischen  Producte  (durch 
interponirte  Emetica  und  Purganzen)  zu  beschwichtigen,  3)  der  Abzeh- 
rung des  Körpers  vorzubeugen  oder  ihr  abzuhelfen.  IVlan  sieht,  dass  bei 
diesen  gelehrten  Sätzen  eins  schon  in  dem  andern  liegt  und  dass  Herr  v. 
Stosch,  um  recht  wissenschaftlich  aufzutreten,  zu  viel  für  den  Praktiker  und 
mehr,  als  es  die  Natur  der  Sache  erfordert,  trennt  und  eintheilt.  Bei  dem 
aus  zu  opulenter,  reizender  Diät  und  Missbrauch  der  Spirituosa  entstande- 
nen Diabetes,  wo  Plethora  abdominalis  stattfindet,  soll  man  die  gegen  letz- 
tere nützlichen  Resolventia  anwenden  und  die  Diät  nicht  exquisit  thiorisch 
-seyn.  Im  letzten  Capitel  theilt  der  Verf.  drei  Krankengeschichten  mit.  — 
Als  ein  sehr  bewährtes  Mittel  in  der  Harnruhr  wird  von  den  schwedischen 
Ärzten  Ronander  und  Ijftchcnilorph  das  Morphium  accticum ,  p.  d.  zu  '/:•  —  1 
Gran,  gelobt,  z.  B.  12  Gran  in  'f.  Unze  Aq.  destillata  gelöst  und  anfangs 
Abends  und  Morgens  5  Tropfen  und  täglich  1  Tropfen  mehr  gegeben  (s. 
Rnst's  Magazin.  1835.  Bd.  XXIV.  Hft.  3.  S.  496).  Auch  Bcrmlt  (s.  dessen 
Klinische  Mittheilungen  etc.  1834.),  der  an  6  an  Diabetes  mellitus  Leidenden 
Beobachtungen  anstellte,  fand,  nachdem  ^nele  gerühmte  Mittel  (Amnion  car- 
bonic. ,  Kali  sulphurat.  etc.)  fruchtlos  und  Aqua  oxymuriat.  sogar  schädlich 
gefunden  worden ,  noch  den  meisten  Nutzen  von  Morphium  acetic. ,  Kreosot 
und  Cupr.  .sulphurico-ammoniat.  (10  — 16  Gran  täglich)  neben  einer  strenge 
durchgeführten  Fleischdiät. 

Dinhetes  insipidus,  simrins,  die  un seh  mackhafte,  falsche  Harn- 
ruhr. Hier  fehlt  der  Zuckerstoff  im  Harne,  obgleich  er  auch  zu  40,  60 
und  mehreren  Pfunden  täglich  abgesondert  wird ;  er  enthält  dagegen  viel 
Schleim  und  Eiwei.ssstoff ,  auch  .scheint  ein  gummiähnlicher  Stoff  darin  zu 
seyn  und  eine  noch  unbekannte  Materie  {Hünefeld).      Häufig  ist  diese  Form 


DIABETES  539 

nnr  da«  erste  Stadium  der  wahren  Harnruhr.  Cor.  Man  hat  Wer  Aq.  cal- 
ci», Magnesia ,  Uva  ursi,  Gummi  kino  empfohlen ;  überhaupt  ist  die  Behand- 
lung wie  bei  Diabetes  mellitus.  Dass  manche  Schriftsteller  die  starken  kri- 
tischen Harnausleerungen  bei  der  Wassersucht,  in  der  kritischen  Periode 
der  Fieber,  der  Entzündungen,  im  hysterischen  Anfalle  Diabetes  insipidus 
nennen,  ist  zu  tadeln;  nur  die  beginnende  wahre  Harnruhr  verdient,  sa 
lauge  der  ZuckerstoflF  im  Harne  fehlt,  diesen  Namen,  und  in  dieser  Hinsicht 
wechseln  beide  Arten  oft  mit  einander  ab ;  tritt  Besserung  ein ,  so  wirdn 
Diabetes  insipidus,  tritt  Verschlinunerung  ein,  Diabetes  mellitus  (M.).  — ■ 
Neumnnn  (Medic.  Conversationsblatt.  Hildlmrghausen  1830.  Nr.  XVI.}  tadelt 
die  Eintheilung  in  Diabetes  melHtus  und  D.  insipidus,  indem  die  chronische 
Vermehrung  des  Harnabgangs  mit  wahrem  Diabetes  nichts  gemein  habe,  als 
dass  viel  Urin  gelassen  wird,  was  bei  letzteren  nicht  einmal  beständig  der 
Fall  ist.  Es  sind  daher  die  Ärzte,  welche  den  Grad  der  Krankheit  darnach 
abmessen ,  w  ie  viel  Urin  im  Verhältniss  zum  Getränke  abgehe ,  in  grossen» 
li-rthüine;  denn  auch  bei  verniindertem  Harnabgänge  dauert  die  Krankheit 
fort,  und  wird  jetzt  erst  recht  lebensgefährlich.  Zwei  ganz  andere  3jiu- 
ptome  sind  dem  Diabetes  wesentlich  und  das  Mass  seines  Grades:  die  Pro- 
ductioh  des  Zuckers  und  die  Prostration  des  Zeugungsvermögens.  Der  Zu- 
cker ist  nicht  schon  im  Blute,  nach  Neumnnn,  vorhanden,  auch  beruhet  da» 
Übel  nicht  auf  Myelitis.  Selten  werden  andere  Menschen  in  Diabetes  fal- 
len als  solche,  die  der  Geschlechtslust  reichlich  geopfert  haben.  Bei  der 
Cur  sieht  A'^  auf  kräftige  Ernährung  durch  animalische  Kost ,  Fische  sind 
besser  als  Fleisch ,  auch  Kartoffeln ,  Morcheln ,  Trüffeln  sind  gut.  Männer 
jnüssen  Tag  und  Nacht  ein  Suspensorium  aus  Lammfell  mit  nach  inwendig 
gekehrter  VV'olle,  um  die  Hoden  etsvas  zu  reizen,  Frauen  Beinkleider  und 
Leibbinden  tragen.  Folgende  Salbe  wird  In  das  Rückgrat  eingerieben: 
R'  Uni/ucnt.  rorismar.  cömfos.  jjj,  Bnls.  pcruv.  nigr.  Sjj,  I'i(l-  nmmon.  caust. 
giVj  Tinct.  canihnrid.  5jj-  ^*:i\  Innern  Gebrauch  der  Kanthariden  hält  N. 
für  gefährlich;  dagegen  lobt  er  die  Solut,  bals.  peruv.  in  Äther,  welches 
Mittel  am  stärksten  die  gesunkene  Zeugungskraft  unterstützt,  darneben  Ge- 
würze: Cubeben,  Mnskatnuss ,  Ingwer,  Calamns,  Abends  eine  Dosis  Opium, 
später,  bei  der  Be.sserung,  China.  —  SundcUn  (^Honi's  Archiv  1830.  Juli 
ü.  Aug.  S.  653  ff.)  hält  dafür ,  dass  die  Phthisurie  in  einem  Nervenleiden 
begründet  sey,  und  dass  krankhaft  erhöhte  Venosität,  Gicht  und  organische 
Abdominalfehler  oft  dabei  gefunden  werden,  ja  auch  metastatische  Aflectio- 
nen  können  Schuld  seyn.  Nach  J.  L.  Bnrdsley  ist  bei  Diabetes  die  Ab- 
nahme der  specifischen  Schwere  des  Urins  eins  der  ersten  Zeichen  der  Bes-, 
serung. 

Dinbeies  pcriodkus,  die  typische  Harnruhr.  So  hat  man  wol  die 
Fälle  genannt,  wo  das  Übel  drei  Tage  im  Monate  andauerte,  wo  es  einen 
Monat  um  den  andern,  oder  alle  acht  Tage  wiederkehrte  (^MedkuSf  WiUis, 
Mend,  Reil).  T)iese  Fälle  sind  wol  mehr  Krisen  hysterischer  Paroxysmen, 
als  wahre  Harnruhr  gewesen. 

Dinhefes  Simplex  et  composHus.  In  den  meisten  Fällen  ist  die  Harnruhr 
eine  complicirte  Krankheit,  verbunden  mit  Physkonie  der  Leber,  der  Milz, 
des  Gekröses,  mit  Status  atrabilarius ,  haemorrhoidaüs ,  später  mit  Ocdema 
pedum,  Anasarca,  Febris  hectica ,  welche  theils  Ursache,  theils  Folge  des 
Übels  sind.     Daher  hat  diese  Eintheilung  praktischen  VVerth. 

Binhetcs  spnsticus,  krampfhafte  Harnruhr.  Jede  wahre  Harnruhr 
ist  als  Morbus  incipiens  mit  Erethismus  im  Nervensysteme  verbunden,  wor- 
aus sich  auch  die  gute  Wirkung  der  Antispasmodica,  des  Opiums,  der  kaii- 
schen Mittel  etc.  erklärt,  daher  diese  Eintheilung,  welche  Drcijssig,  Sprcnifel, 
Creuzwicser  gemacht  haben,  keine  besondere  Species  ausmacht.  Dasselbe 
gilt  auch  vom 

Dinhetes  torindns,  der  in  den  spätem  Perioden  mit  allgemeiner  Er- 
schöpfung,   Febris  hectica    und  Cdlliquation   eintritt. 

Dialictes  cum  synocha.  Obgleich  diese  Form  von  einem  berühmten  Arzte 
{Reil)  aufgestellt  ist,  so  existirt  sie  doch  nicht,  oder  es  ist  Diabetes  spurius. 


540  DIABROSIS  -  DIAETA 

Jeder  Diabetes  verus  ist  mit  Schwäche  verbunden ,  Und  die  neuere  Methode 
der  Engländer ,  hier  Hungercur  und  Aderlässe  anzuwenden ,  ist  höchst  ta- 
delnswerth.  i 

Diabetes  parnhßicüs.     Ist  Diabetes  torpidus.  f 

Biahetes  dccipicns.  Diese  Form  nimmt  P.  Frank  an ;  der  Urin  soll  hier' 
von  süsslicher  Beschaffenheit  seyn,  aber  sparsam  abgesondert  werden.  Ob 
diese  Species  wirklich  vorkommt ,  bleibt  spätem  Beobachtungen  überlassen. 
Wenn  man  des  Abends  viel  süssen  Punsch  trinkt ,  so  sondert  man  in  det 
Regel  am  andern  Morgen  einen  sparsamen,  süsslich  riechenden  Urin  ab  (-M.)- 
Dies  wäre  dann  ein  Diabetes  decipiens  periodicus.    In  verbis  simus  difficiliores ! 

Dialirosis 5  Zerfressung,  s.  Anabrosis.  Verschiedene  krankhafte 
Processe  können  Zerstörung  der  Gefässwände  veranlassen.  „Obenan  steht  — 
sagt  Hecler  —  die  Tuberkelbildung  in  den  Lungen,  wobei  nach  erfolgter 
Erweichung  der  Tuberkeln ,  bei  fortschreitender  Verjauchung  der  Tubcrkel- 
höhlen,  selbst  grössere  Arterien  sich  öffnen,  und  die  Lungen  mit  einer  so 
grossen  Menge  Blut  überschütten  können,  dass  augenblicklich  Erstickung 
folgt."  Einen  solchen  Fall  von  Blutung  beobachtete  ich  vor  Jahren  bei  ei- 
nem 30jährigen  Chirurgen ,  der  binnen  8  Tagen  über  10  S)  Blut  aus  den 
Lungen  entleerte.  Zwei  Jahre  später  starb  er  an  Phthisis  tuberculoso-ex- 
ulcerata  pulmonum,  nachdem  er  kaum  einige  Wochen  das  Bette  gehütet 
hatte.  Bei  solcher  Tuberkelerweichung  erfolgt  die  Blutung  stets  aus  dem. 
abgestumpften  Ende  des  Gefässes,  nie  an  den  Seitenwanduugen  desselben. 
Ausser  den  Krebsgeschwüren ,  die  so  häufig  Blutung  per  Diabrosin  erregen, 
hat  Carmichacl  noch  einen  fressenden  Chanker  beobachtet,  der  zuweilen  den 
ganzen  Penis  zerstörte  und  die  Unterbindung  de^  stark  blutenden  Arterien 
r.othwendig  machte  (s.  auch  Pfaffs  Mittheilungen  aus  d.  Gebiete  d.  Medicin, 
Chirurgie  u.  Pharmacie.   Kiel,  1833.   2ter  Jahrgaug). 

Diabrosis  veniricuK^   s.  Gastrobrosis. 

Diadermiatria,  die  Heilung  durch  die  Haut,   durch  Einreibun-, 

gen,  Bäder,  endermatische  Methode,    s.  Balneum,  Frictio. 

Diadocbe,  Biadexis,  Metatoptosis,  Umwandlung  einer  Krank- 
heit in  eine  andere  von  ganz  anderm  oder  gar  entgegengesetztem  Charakter, 
z.  B.  wenn  aus  einem  inflammatorischen  F'ieber  durch  zu  schwächende  oder 
zu  reizende  Mittel  etc.  ein  typhöses,  putrides  wird.  Setzt  sich  eine  Krank- 
heit, eine  Krankheitsform  oder  ein  Krankheitsstoff  von  einem  Theile  auf  ei- 
nen andern  und  verschlimmert  sich  dadurch  der  Krankheitszustand,  so  nennt 
man  es  Metastasis ;    s.  Antagonismus  und  Metaschematismus. 

Diaeresis,  Trennung,  Zerreissung  durch  mechanische 
Gewalt,  z.  B.  eines  oder  mehrerer  Blutgefässe  (Haemorrhagia  per  diaere- 
sin) ,  sowie  es  auch  eine  Blutung  durch  Zerstörung  des  Gefässes  mittels 
scharfer  Jauche  (Haemorrhagia  per  diabrosin)  giebt. 

Diaeta j  Regimen,  die  Lebensweise,  Diät.  Ist  im  weitern  (ärzt- 
lichen) Sinne  die  ganze  Lebensweise  des  Menschen,  sowol  in  physischer, 
als  moralischer  Hinsicht ;  also  die  Berücksichtigung  der  sechs  sogenannten 
nicht  natürlichen  Dinge,  des  Schlafens  und  Wachens,  der  Bewegung  und 
Ruhe,  des  Essens  und  Trinkens,  der  Ausleerungen,  der  Affecte  und  Leiden- 
schaften. Im  engern  Sinne  ist  Diät  die  ärztliche  Vorschrift  der  Speisen  und 
Getränke  und  des  übrigen  Verhaltens  gegen  Kranke  (Regimen).  Auch  ver- 
stehen die  meisten  französischen  Ärzte  darunter  einen  niedern  Grad  der 
Hungercur,  wie  sie  ihn  wol  bei  primärer  Syphilis  etc.  anrathen.  Wie  wich- 
tig die  Diät  in  gesunden  Tagen  zur  Verhütung  zahlloser  Krankheiten  ist, 
wie  oft  nur  durch  sie  allein  ein  frohes,  heiteres,  zufriedenes  Leben  erhalten, 
die  Gestmdheit  befestigt  und  das  Leben  selbst  verlängert  werden  kann,  dies 
weiss  jeder  Arzt.  Aber  nicht  alle  richten  sich  nach  den  guten  Lehren ,  die 
sie  predigen.  ,,  Thut  nach  meinen  Worten,  aber  nicht  nach  meinen  Wer- 
ken!" so  heisst  es  bei  manchem  Arzte,  der  durch  Ausschweifungen  in  Bac- 
cho  et  Venere  seine  Gesundheit  ruinirt  und  sein  elendes  Leben,  das  er  der 


DIAETA  541 

Kunst  und  Wissenschaft  und  dem  Wohle  der  Leidendon  nach  Pflicht  und 
Gewissen  widmen  sollte,  somit  auf  eine  erbärmliche,  jämmerliche,  unmorali- 
sche Weise  verkürzt.  Gegen  die  Diätetik  für  Gesunde  wird  mainuigfaltig  ge- 
fehlt; Avill  daher  der  Arzt,  dass  es  damit  besser  werden  solle,  so  muss  er 
es  d«rcb  Wort  und  That  an  sich  selbst  beweisen,  denn  jede  Verbesserung 
muss  bei  uns  selbst  anfangen.  Das  Specielle  dieser  Diätetik  gehört  nicht  hier- 
her; doch  muss  ich  noch  bemerken,  dass  die  meisten  Arzte  den  Fehler  be- 
gehen, nicht  genug  auf  die  moralische  Diät  als  Krankheitspräservativ  zu 
achten ;  daher  ich  hier  folgende  wenige  diätetische  Regeln  für  Gesunde  nicht 
übergeheil  wUl.  Der  wahre  Arzt  wird  sie  nicht  blos  in  seinem  Wirkungs- 
kreise nach  Kräften  verbreiten,  sondern  auch  bei  sich  selbst  in  Anwendung 
bringen.  1)  Halte  Ordnung  in  allen  Dingen;  sey  pünktlich  und  ordentlich 
in  Deinem  Berufe  als  Mensch  und  Staatsbürger.  Lebe  nach  der  Uhr!  Zur 
rechten  Zeit  essen  und  trinken ,  schlafen  und  wachen ,  arbeiten  und  ruhen, 
dies. erhält  gesund.  2)  Halte  auf  Treue  und  Redlichkeit  in  Deinem  Dienste 
als  Staatiibürger,  als  Mensch  (Gatte,  Vater  etc.).  Wer  treu  seine  Pflich- 
ten ,  die  er  Gott ,  seinem  Nächsten  und  sich  selbst  schuldig  ist ,  erfüllt ,  hat 
(Rühe' im  Gemüthe,  wer  es  nicht  thut,  geiräth  in  Unruhe  und  Angst,  wo- 
durch ei-  in  Fieber,  Krämpfe,  selbst  SchlagflusS  verfallen  kann.  Das  böse 
Gewissen ,  das  Gefühl,  dass  er  schuldig  sey ,  die  Vorstellung  und  die  Furcht 
'\ioc  dei"  Schande  und  Strafe,  diese  Dinge  sind  Gift  fürs  Leben  und  tödteii 
oft -eben  so  sicher  als  das  Typhusgift,  oder  sie  bringen  uns  Seelenkrankheit 
und  elendes  Leben.  .S)  Suche  das  Wahre  in  der  Welt  zu  erforschen.  Wer 
^mparteiisch  nach  Wahrheit  trachtet,  die  Wahrheit  redet,  den  Irrthum  hasst, 
sich  von  allen  Dingen  in  der  Welt  eine  möglichst  genaue  Definition  macht, 
bei  seinen  Handlungen  stets  als  Mensch  denkt  und  redlich  handelt,  den  wird 
weder. JStülz,  noch  falsche  Ehrliebe,  noch  Selbstsucht,  noch  Eitelkeit,  noch 
irgend  leine  andere  Schwäche  der  Seele  beunruhigen  und  krank  machen. 
Kr  wirdi  (endlich  zu  der  grossen  Wahrheit  gelangt  seyn,  dass  Alles  unterm 
Monde  oiuvolikommen,  unvollendet  ist;  er  wird  daher  bescheiden  seyn,  und 
.weder  .an  die  Wissenschaften,  noch  ans  Leben  und  an  die  Menschen  zu  grosse 
Ansprüche  machen;  er  wird  nach  nichts  trachten,  um  dessen  Besitz  er  das 
Leben  selbst  einsetzen  müsste;  er  wird  alö  ruhiger  Philosoph  bei  einem  mas- 
sigen Grade  von  Stoicismus  sich  wohl  befi^iden.  4)  Hasse  Zank'  und  Un- 
einigkeit uhtei"  Deinen  Nebehmenschen.  •'  ■§)  Bezähme  Deine  Leidenschaften; 
sey  Herr  über  Dich  selbst,  so  hast  Du  Deinen  grössten  Feind  besiegt. 
6)  Sey.  massig  im  Essen  und  Trinken,  ohne  dabei  ängstlich  zu  fragen,  ob 
iliesi  odtfr  jenes  Dir  gut  sey- oder  nicht.  Prüfe  Alles,  behalte  das  Beste. 
Waa..Dirv.gut  schmeckt  und-Dlr  gut  bekommt,  schadet  Dir  nicht.  Iss  ein- 
facheöäp^sen  bei  einer  Mahlzeit,  mache  Dir  die  geistigen  Getränke  nicht 
isuih  täglichen/ Bedürfniiste ,  sey  massig  im' Cüitu!>.  7)  Bewege  Deinen  Kör- 
pec;.täglich  einige  Stunden  im  Freien,  gewöhnte  Dich  an  jede  Art  der  Wit- 
G^ung^  .'.liärte  Dich  'mit  Votsicht  und  allinälig  ab;  strenge  den  Geist  nicht 
:iu:viel  aify  aber  la^s  ihn  nicht  in  Unthätigkeit  versinken.  Suche  stets  Har- 
monie ^jsvfischen  Seele  'und  Lmb,  zwischen  Kopf  und  Herz  zu  erhalten.  '—^ 
Wasjdie  Diät  in  den  verschiedenen  acuien  und  chronischen  Krankheiten  be- 
iritfUj  ^liHt  dieselbe  in  I  diet»em  Werke  bei  jeder  leinzelnen  Krankheit  beson- 
<lei-s  (berücksichtigt  worden. '  Das  Allgemeine  dairüber  siehe  bei  Constitu- 
ti'pi.;  ■  iDie  Vernachlässigung  derselben  in'unsei'n  Zeitein  verdient  grossen  Ta- 
dte'l),  KU»  besonders  •  dje  Jüngern' Arzte  sie  zn  wenig  berücksichtigen  und  ihr 
«SbhtJ  diejenige  Aufriierksamkeit  schenken ,'  die  sie  von  Rechtswegen  verdient. 
I>ai  wareh  unsere  altern  Ärzte  Igan«;.  andere-Präktiker!  Sie  erkannten  die 
gooi^e' 'Wahrheit,  4»ss  eine  gute  Diät  in  aeutieu '  Krankheiten  das  Meiste 
thu!liv''dass  durch'iwiej4aliein  'Von  löO  Kranken  90 'curirt 'werden  {ffufeland') 
uhd'das«  «le  nach* der  Erfatimingschon-manche  chronische  Krankheit  heilte, 
dM!'atten"Arzneiei>>t4<otzte!:und>  die  die  Ärzte  tnicht  selten  für  unheilbar  an- 
eälken'.r  IFolgende'Bemerkuhgeni'mögen  im  AUgeWinen ' hier  noch  Platz  finden: 
1)  Der  Aiizt^-studipe  eil»  V^euig.  4ie  Kochbücher,  damit  er  die  verschiedenen 
Süubeiieitängteti  kennfe^  die  Gewürze  etc.,  die  zu  diesem  oder  jenem  Gerichte 


549 


PIÄETA 


kuuimeii,  und  gomll  aus  Unkeniitiiiss  nichl  etwa  seinem  Krauken  etwas  Sehidl- 
liches  eilaube.  Er  wird  bei  dieser  Gelegenlieit  auch  ■  Qiijsehen  ,  dass  uu^etk 
ganze  heutige  Kochkunst  nur  die  grosse  Kunst  zum  Endzwecke  hat,  '  dut'ch 
reizende  Dinge  das  Leben  allmälig  zu  verkürzen.  Selw  lesenswerth  ist,  in 
dieser  Hinsicht  folgende  Schritt:  Jos.  Köuit/'s  Geist  der  Kochkunst,  182^, 
welche  der  geistreiche  C.  F.  v.  Rumohr  geschrieben  hat.  ü)  Er  vepicbaffe 
sicii  richtige  Kenntnisse  über  die  chemischen  Bestandtheile  der  geniessbareö 
animalischen  und  vegetabilischen  Kost,  über  ihre  Leicht-  und  Sch\%erYer- 
danlichkeit  (^SpaUnnzani,,  Gwip/üi,  Tiedemitnn^  und  über  ihre  sonstigen  spe- 
ciellea  Beziehungen  zu  den  verschiedenen  Systemen  des  Organismus.  3)  Er 
gestatte  nicht,  dass  bei  chronischen  Übeln  der  Kranke  zu  schuell  von  einer 
ieizenden  zu  einer  reizlosen  Diät,  oder  umgekehrt  übergehe,  weil  dadurch 
manche  Nachtheile  (Arthritis  atonica,  örtliche  Entzündungen,  Plethora;  Con- 
gestionen  etc.)  befördert  werden  können.  4)  Er  berücksichtige  stets  den 
Grad  der  Stärke  oder  Schwäche  der  Digestionsergane  seiner  Patieuten  bei 
Auswahl  der  Speisen  und  Getränke,  wie  bei  der  A/iswahl  der  Arzneien  (s. 
Amara).  5)  Er  verbiete  zu  Anfange  fieberhafter  Krankheiten,  wo  ohnehin 
wenig  Appetit  ist,  das  Essen,  nöthige  dagegen  desto  mehr  zum  'Triuköa 
nicht  erhitzender  Getränke  (höchst  seltene  Fälle  ausgenommen).  •—  Die 
Pflege  der  Augen  als  des  edelsten  Sinnesorgans  macht  in  der  populäre» 
Ophthalmologie  einen  wichtigen  Abscluiitt  aus.  Auch  der  Nichtarzt  soll  <iie 
Schädlichkeiten  kennen  und  vor  ihnen  gewarnt  werden,  die  dem  Auge  Ge^ 
fahr  bringen.  Die  Regeln  der  Augendiätetik  werden  um  so  nothwendiger,  sie 
verdienen  um  so  mehr  allgemein  verbreitet  und  gekannt  zu  werden,  je  grös- 
ser und  zahlreicher  die  Schädlichkeiten  sind,  die  in  civilisiften,  verfeinerten 
Staaten  durch  Luxus,  Schwelgerei,  übermässiges  Studiren,  Nachtwaclieni, 
bitzende  Lebensart  etc.  das  Sehvermögen  der  Menschen  bestürmen.  Aus  die- 
sem Grunde  haben  sich  auch  mehrere  berühmte  Männer  durch  populärie  diä' 
tetische  Schi'iften,  die  sowol  die  Pflege  gesunder  Augen ,- als  die  diätetischfe 
Behandlung  schwacher  und  kranker  Augen  zum  Gegenstande  haben,  verdient 
gemacht  (s.  G.  Beer,  Pflege  gesunder  u.  geschwächter  Augen.  Leipz.  1800. 
(;/i.  Hcnheni  Ophthalmobiotik,  odei-  Regeln  und  Anweisungen  zur  Erhaltung 
der  Augen.  Bremen  u.  Leipz.  1815,  S.  T/t.  Sönimerrinff ,  Über  einige  wiclii- 
tige  Pflichten  für  die  Augen.  Franf.  1819.  C- U.  Weller,  Diätetik  gesunder 
und  schwacher  Augen.  Berlin  1821).  Zu  grelles  Licht,  heller  iSohneu- 
ßchein,  zumal  auf  grosse,  hellgefärbte  Flächen,  Sandebenen,  Schneefelder^ 
>>eisse  Häuser  und  Mauern,  zu  starke  Zimmerbeleuchtung,  consumirt  die  Er- 
regbarkeit des  Auges  und  kann  torpide  Schwäche  desselben,  selbst  Atoaurose 
zur  Folge  haben.  Augenschirme,  Schleier  geben  Schutz  davor.  Eitf 'merk- 
würdiges Beispiel  von  Schneeblindheit  ist  aus  den  Memoirsofi General 
Miller  in  BeltreniVs  Repertor.  d.  n>ed.  chir.  Journalistik  des  AuslandesJ  Juni 
1834  S.  218.  mitgetheilt,  Eine  ganze  Divisioja:  Soldaten,  die  von  Cordovf 
uac{h  P.uno^  marschirte,  wurde,:  3  Meilen  von.  jiedjer;Ojjenfichlichen  AVphnnng, 
von  dein  Übel  befallen,  weiches. die  Einwohner  voä  Peru  Surunipi  aemmn,. 
Diese  temporäre  Blindheit  beruhet  auf  der  üi)n»öglichkeit,  die  Augenlider 
einen  Augenblick  zu  öffnen,  indem  der  geringste. Lichtstrahl  durchauk. uner/- 
txäglich  ist;  dabei  heftig  quälende  Schmerzen^  die  nur  durchöj AuflegejL.Toa 
Schnee  ge^njldert  werden.  Einige  gesund  gebliebene  Führer  galoppirten  vor+- 
BUS  nach  einem  Dorfe  und  brachten  an  100  Indianei:,  mit,  um  die'Uruppea 
führen  zu  helfen.  Viele  Soldaten,  Vor  Schmer»  rasend,  hatten  v-oA  der  .Co>* 
loiuje  sich  verloren  und  starben  vof  der  RückkeUr  der  Führer,  die  iuib  Hülfe 
der  Indianer  die  Truppen  aii  langen  Tauen  leiteten.  Mehrere  Soldate»  üä- 
len.  dabei  in  Abgründe;  und  waren  rettungslos  verlo)?«n>.  ,  Von ■  SOCO •  Mann 
verlor  die  Division*über  hundert.  Gewöhnlich  dauert^dia  Schnaebliiidhait 
nur  2  bis  4  Tage.  —  Das  zu  seh  wache  Lieh  ti  schadet  theils  dadui'chj 
indem  es  einen  nothwendlgen  Lebeiisreia  für  den.) ganzen  Organismus leicbini* 
lert,  theils  dadurch,  dass  es  die  Reizbarkeit  des. Auges,. eilböhet,  so  das»  ^ie 
gewöhnliche  Beleuchtung  nicht  ertragen  wijrd,;,  Daher  ist  das  Lesen« )u«d 
Schreiben  in   der  Däuuwerung   so   schädlich.   .  Jeder   schnelle  Weckael   Vom 


DIAETA  54? 

Hellea  ins  Dunkle  und  umgekehrt,  das  Schlafen  in  einem  finstern  Zimmer 
und  der  plötzliche  Eindruck  des  hellen  Tageslichts  am  Morgen  ,  das  Lesen 
im  wechselnden  Schatten  eines  Baumes,  das  Schlafen  mit  dem  Gesicht  ge- 
gen das  Fenster ,  sind  zu  vermeiden.  Die  häufigste  und  grüsste  Schädlich- 
keit für  die  Augen  ist:  unz  vv  eckmässige  Vertheilung  des  Lichts. 
Ilei  anhaltenden  Beschäftigungen,  z.  B.  am  Schreibtische  etc.  muss  das  Licht 
nicht  von  vorn,  sondern  von  der  Seite,  am  besten  schräg  von  oben  über 
die  Unke  Schulter  einfallen,  well  dann  die  rechte  Hand  keinen  Schatten  auf 
die  Arbeit  vvirft.  Arbeiter,  wie  Uhrmacher,  die  es  nicht  vermeiden  können, 
dem  Lichte  gegenüber  zu  sitzen,  müssen  sich  durch  einen,  mit  dünnem  blass- 
grünem Papier  überzogenen  Rahmen,  den  sie  an  das  Fenster  stellen,  schützen. 
Jede  künstliche  Beleuchtung ,  die  nur  einen  Thell  des  Zimmers  erhellt  und 
den  übrigen  ziemlich  dunkel  iässt,  z.  B.  durch  Klapplichtschirme,  ist  schäd- 
lich. V^  achskerzen  oder  das  Gaslicht  (Ölbildendes  Kohlenwasserstolfgas)  au» 
den  Steinkohlen  geben  die  beste  Beleuchtung,  well  die  Flamme  gleichmässig 
brennt.  Taiglichte  schaden  den  Augen  am  meisten,  weil  sie  unglelchmässi- 
ges  Licht  geben  und  Juan  beim  Putzen  derselben  genöthlgt  ist,  mit  schon 
angegrlUenen  Augen  in  die  Flamme  zu  sehen.  Alle  Lampen  sind  gänzlich 
zu  verwerfen ,  weil  sie  ein  sehr  concentrirtes ,  blendendes  und  dabei  unan- 
genehm (rothgelb)  gefärbtes  Licht  geben  (^Beer,  ÜMSf),  doch  ist  eine  oben 
an  der  Decke  befestigte  Argand'sche  Lampe,  weil  sie  ein  weisses  Tiicht  von 
oben  glebt  und  einen  hohlen  cylindrischen  Docht  hat,  für  die  Zimmererleuch- 
tiuig  sehr  gut ;  nur  passt  sie  nicht  für  den  Arbeitstisch ;  hier  sind  die 
Frank' sehen  Studirlampen  mit  halbcylindrlschem  Dochte  und  offenem  Glas- 
c) linder,  nicht  aber  die  alten,  verwerflichen  Market'schen  Studirlampen 
mit  geradem  Dochte,  röthlicher  Flamme  nnd  Blechschirm,  nützlich.  Jede 
gute  Lampe  muss  einen  durchscheinenden  Schirm  haben,  am  besten  von 
Milchglas,  der  dem  Auge  den  Anblick  der  Flamme  erspart,  ohne  das  Zim- 
mer zu  sehr  zu  verdunkeln.  Grüne  Glasschirme  taugen  eben  so  wenig,  als 
die  grünen  Brillen,  indem  sie  den  Gegenständen  ein  unangenehmes,  entstel- 
lendes Licht  geben.  Angen-ehm  und  wohlthätig  fürs  Auge  sind  die  grünen 
und  blauen  Farben,  iudilierent  die  graue,  dagegen  die  schwarze  und  weisse 
Farbe  ganz  wie  zu  schwaches  und  zu  helles  Licht  wirken.  DI^  rothe  und 
die  gelbe  Farbe  sind  dem  Auge,  zumal  bei  starker  Beleuchtung,  nachtheilig, 
ftlan  muss  daher  dem  Auge  den  Anblick  unangenehmer  Farben  möglichst 
ersp&ren  und  sie  vopden  Wänden  des  Wohnzimmers,  den  Möbeln  etc.  ver- 
bannen. Obgleich  die  grüne  und  blaue  Farbe  dem  Auge  bei  reflectirendem 
Lichte  wohlthätig  ist,  so  bringen  beide  Farben  bei  durchgehendem  Lichte 
dem  Ange  dennoch  Nachtheil.  Daher  sind  die  gefärbten ,  die  grünen  und 
1/l^iupn  Biillengläser  zu  verbannen,  und  es  ist  ein  grosser,  aber  viel  ver- 
breiteter Irrthum,  dass  sie  gesunden  oder  allen  schwachen  Augen  nützlich 
^ey^n.  ,  Die  weiss  angetünchten  Häuser  und  solche  Wohnzimmer  schaden  oft 
dadurch,  dass  sie  das  Sonnenlicht  zu  grell  retlectiren,  daher  in  manchen 
Städten,  z.  B.  in  Rostock,  es  verboten  ist,  sein  Haus  weiss  anzutünchen, 
weil  dadurch  der  gegenüber  wohnende  Nachbar,  zumal  wenn  er  zu  den 
sitzenden  Ständen  gehört,  Schaden  an  den  Augen  nehmen  kann.  —  Sehr 
wohlthätig  und  stärkend  wirkt  aufs  Auge  reine,  massig  warme,  trockne  und 
nicht  zu  heftig  bewegte  Luft.  Ist  sie  durch  Staub,  Feuerrauch,  Tabaks- 
darapf,  durch  mineralische  und  andere  scharfe  Ausdünstungen  verunreinigt, 
zumal  durch  thierische  Stoffe,  so  kann  sie  dem  Auge  grosse^  NachtheU 
bringen.  Die  schlecht  gelüfteten  engen  Schlafzimmer,  die  dunklen  unrein- 
lichen Kinderstuben,  die  grossen,  mit  Gardinen  versehenen  nicht  gelüfteten 
Himmelbetten,  haben  schon  manches  Auge  verdorben.  Leiden  die  Augen  auf 
Reisen  durch  starken  Wind,  durch  grosse  Sommerhitze  an  Röthung,  Trocken- 
heit und  Schmerz,  so  dient  dagegen  fein  Augenvvasser  aus  4  Unzen  Rosen- 
wasser, 1  Quentchen  Gummischleim  und  15  Tropfen  Bleiessig  (^ßecr).  Oft 
sind  auch  schon  Fomentatlonen  und  die  Augendouche  von  kaltem  Flusswas- 
ser hinreichend.  Jeder  schnelle  Wechsel  der  Temperatur,  gleichviel  dei- 
atmosphärischen   oder  der  Ziramerluft,    schadet  dem  Auge,    doch    ist  gross« 


544  DIAETA 

Wärme  schädlicher,  als  Kälte;  daher  das  Tragen  dicht  anschliessender  Staub- 
brillen im  Summer,  indem  sie  den  Blutandrang  zum  Ange  steigern ,  getadelt 
werden  muss.  Aus  gleichem  Grunde  schadet  auch  jede  enge  Bekleidung, 
festes  Schnüren  des  Leibes,  enge  Halsbinden,  enge  und  schwere  Hüte,  an- 
haltendes Blasen  von  Blaseinstrumenten  etc.  dem  Auge ,  zumal  im  Sommer 
und  bei  hohem  Hitzegraden,  nach  körperlichen  und  geistigen  Anstrengungen. 
Nichts  ruinirt  schneller  die  gesundesten  Angcn,  als  anhaltendes  Nachtwachen 
und  das  Studiren  zur  Nachtzeit  und  bei  künstlicher  Beleuchtung;  denn  das 
Auge  bedarf  des  Schlafs  zur  Erholung,  uie  der  ganze  Körper.  Aber  auch 
ein  zu  langer  Schlaf  ist  den  Augen  schädlich,  besonders  in  dicken,  war- 
men Federbetten,  in  dunklen  Schlafzimmern.  In  den  langen  Winternächten, 
wo  die  meisten  Menschen  mehr  als  im  Sommer  schlafen,  ist  es  daher  selbst 
gut ,  dem  Auge  nicht  allen  Lichtreiz  zu  entziehen ,  und  daher  eine  Nacht- 
lampe, deren  Flamme  aber  weder  das  Auge  des  Schlafenden  treffen,  noch 
die  Luft  des  Schlafzimmers  verunreinigen  darf,  brennen  zu  lassen  (Beer). 
Bei  Säuglingen  muss  auf  die  Stellung  der  Wiege  Rücksicht  genommen  wer- 
den, soll  das  Schielen  verhütet  werden.  Das  Kind  sieht  oft  unverwandt 
nach  dem  Lichte  oder  nach  glänzenden  Gegenständen,  und  wiederholt  sich 
dieses  täglich,  während  das  Kind  in  der  Wiege  nicht  schläft,  ist  z.  B.  ein 
Fenster,  ein  Nachtlicht,  eine  Wanduhr,  ein  Spiegel  an  dem  Kopfende  oder 
an  einer  oder  der  andern  Seite  der  Wiege  befindlich,  so  gewinnen  die  Mus- 
keln, welche  den  Augapfel  nach  jener  Seite  hinbewegen,  bald  ein  solches 
Übergewicht  über  ihre  Antagonisten,  dass  die  Augen  bald  eine  bleibende 
Richtung  nach  dieser  Seite  oder  nach  Oben  annehmen.  Höchst  nachtheilig 
ist  den  Augen  unserer  Kinder  das  frühe  Schulenbesuchen,  das  stundenlange 
Einsperren  in  Schulstuben ,  das  viele  Lesen ,  Schreiben ,  Zeichnen ,  Sticken, 
kurz  das  Ansehen  kleiner,  feiner  und  naher  Objecte  in  einer  Lebensperiode 
und  demjenigen  Alter,  wo  eine  stets  wechselnde  Beschäftigung  und  beson- 
ders eine  häufige  Betrachtung  ferner  Gegenstände  dem  Auge  zu  seiner  Aus- 
bildung und  Stärkung  so  nöthig  ist.  Diese  naturwidrige  Erziehungsweise 
unserer  Zeit,  die  den  ersten  und  vorzüglichsten  Grund  zur  Kurzsichtigkeit 
legt ,  verdient  grossen  Tadel.  Auch  der  schlechte  Druck  so  mancher  Schul- 
bücher mit  abgenutzten  stumpfen  Lettern  ist  mit  anzuklagen ,  desgleichert 
die  unzweckmässige  Beleuchtung  und  verdorbene  Luft  in  manchen  vollge- 
pfropften Schulstuben.  „Noch  mehr  als  die  Knaben  sind  aber,  wie  AscJterson 
mit  Recht  bemerkt  {Riist's  Handb.  d.  Chirurgie,  Bd.  VL  S.  14),  die  Mäd- 
chen zu  beklagen.  Nicht  nur,  dass  sie  in  ihrer  engen,  den  Kreislauf  hem- , 
menden  Kleidung  noch  strenger  an  das  Zimmer  gefesselt  werden,  als  die 
Knaben,  so  sind  sie  durch  die  herrschende  Mode  zu  Arbeiten  verdammt,  die 
ganz  eigends  dazu  erfunden  scheinen ,  die  Augen  zu  verderben.  Da  werden 
die  feinsten  Gewebe,  z.  B.  Batist,  Spitzen,  mit  der  Nähnadel  nachgeahmt, 
da  wird  auf  Linon  gestickt,  Seidenmusaik  gemacht,  oder  wie  die  brotlosen 
Künste  alle  heissen  mögen.  Eine  der  häufigsten  Beschäftigungen  unerwach- 
sener und  erwachsener  Frauenzimmer  ist  jetzt  die  Stickerei  in  bunter  Wolle, 
eine  unverdienstliche  mechanische  Arbeit,  bei  welcher  das  Abzählen  der  ein- 
zelnen Punkte  des  Musters  die  Augen  eben  so  sehr  anstrengt,  als  ihnen  die 
Betrachtung  der  blendenden  Farben  und  der  feine  Wollstaub ,  der  beim 
Sticken  erzeugt  wird ,  jiachtheilig  ist."  Dazu  kommt  noch,  dass  die  meisten 
solcher  Arbeiten  in  den  kurzen  Tagen  vor  Weihnachten  und  meist  bei  künst- 
licher Beleuchtung  verfertigt  werden,  um  als  Weihnachtsgeschenk  zu  dienen. 
Nur  erst  nach  vollendeter  Entwickelung  des  Körpers  kann  das  Auge  grosse 
und  anhaltende  Anstrengungen  ohne  Schaden  ertragen.  Daher  sollten  junge 
Leute,  die  dazu  bestimmt  sind,  eine  das  Sehvermögen  sehr  in  Anspruch 
nehmende  Kunst  zu  erlernen,  z.  B.  die  des  Juweliers,  des  Uhrmachers,  Gold- 
schmiedes, Kupferstechers  etc.  nie  vor  vollendeten  Pubertätsjahren  in  die 
Lehre  gegeben  werden,  was  Kitern  und  Vormünder  noch  zu  wenig  berück- 
sichtigen.-r—  Personen,  die  durch  Krankheiten,  Blutverlust,  Wochenbette, 
Nervenfieber,  durch  Eiterungen  etc.  geschwächt  sind,  müssen  besonders  ihre 
Augen  schonen.     Das  Bücherlesen  und  Sticken  im  Wochenbette  taugt  nichts; 


DIAETA  545 

auch  ist  es  schon  dein  Auge  des  gesunden  und  kräftigen  Menschen  schäd- 
lich, im  reizbaren  Zustande,  gleich  nach  Gemüthsbewegungen,  nach  Er- 
hitzungen des  Körpers,  nach  einer  reichlichen  Mahlzeit,  nach  dem  Aufstehen 
vom  Schlafe,  dasselbe  sehr  anzustrengen.  Auch  das  Lesen  im  Fahren  oder 
Gehen,  zumal  in  Büchern  mit  kleinen  und  lateinischen  Lettern  und  von 
blendend  weissem  Papier,  wie  sie  in  England,  und  jetzt  auch  leider!  in 
Deutschland,  Mode  geworden,  das  Sehen  durch  Brillen  oder  Vergrösserungs- 
gläser,  die  nicht  vor  dem  Auge  befestigt  sind,  durch  Mikroskope  mit  einem 
Auge,  ohne  mit  dem  andern  abzuwechseln,  ist  höchst  nachtheilig.  Da  das 
Schreiben, wenn  man  schnell  und  nicht  schön  schreiben  will,  das  Auge  we- 
niger anstrengt,  als  das  Lesen,  so  richte  es  der  Gelehrte  so  ein,  dass  er 
bei  Tage  jnehr  die  Zeit  zum  Lesen,  die  des  Abends  mehr  zum  Schreiben 
benutzt.  Wer  bei  Tage  seine  Augen  sehr  anstrengen  muss,  wähle  sich  eine 
mit  massiger  Bewegung  verbundene  Erholung,  z.  B.  Spazierengehen,  Rei- 
ten ,  im  Winter  Billardspiel  etc. ;  das  stundenlange  Sitzen  am  Spieltische 
oder  am  Schachbret  ist  fiir  ihn  unbedingt  zu  verwerfen.  Aber  nicht  allein 
die  zu  grosse  Anstrengung,  auch  die  Unthätigkeit,  der  zu  geringe  Ge- 
brauch, z.  B.  durch  zu  langes  Schlafen,  durch  das  lange  Verweilen  im 
Dunkeln,  kann  dem  Auge  schaden.  Es  giebt  eine  Art  von  Blindheit ,•  wel- 
che Beer  den  Au  g  en  s  chlaf  nennt,  und  die  wieder  gehoben  werden  kann, 
wenn  man  das  gesunde  Auge,  wie  bei  Schielenden,  eine  Zeit  lang  verbin- 
det und  so  das  kranke  zum  Sehen  zwingt.  Wer  schon  geschwächte 
Augen  hat,  muss  alle  angegebenen  Regeln  einer  auf  Theorie  und  Erfah- 
rung gestützten  Augendiätetik  doppelt  streng  befolgen,  will  er  nicht  sein 
Gesicht  völlig  verlieren.  Die  Zeichen  schwacher  Augen,  bei  denen  es  die 
höchste  Zeit  ist ,  schonend  mit  ihnen  umzugehen ,  sind  folgende :  Die  Seh- 
weite (Punctum  distinctae  visionis),  d.  i.  das  deutliche  Sehen  kleinerer  Ge- 
genstände, verringert  sich  merklich,  oft,  zuihal  nach  grossen  Anstrengun- 
gen, Nachtarbeiten  etc.  binnen  wenigen  Tagen  um  einige  Zolle.  Während 
anhaltender  und  anstrengender  Beschäftigungen  fühlt  man  eine  lästige  Span- 
nung in  der  Augengegend,  die  oft  von  einem  Gefühl  der  Wärme  und  einer 
Schwerbeweglichkeit  des  Augapfels  und  der  Augenlider  begleitet  ist,  auch 
sich  wol  zu  einem  massigen,  betäubenden  Kopfschmerz  steigert,  der  beson- 
ders in  der  Augenbrauengegend  ein  drückendes  Gefühl  hervorbringt ;  — 
ferner:  öfteres  Thränen  der  Augen,  Röthe  und  Geschwulst  der  Augenlid- 
ränder, zumal  bei  blonden  Personen,  ausgedehnte  Gefässe  der  Conjunctiva. 
Endlich  zeigt  sich,  und  zwar  oft  plötzlich,  ein  dünner  Nebel  vor  den  Au- 
gen, die  Gegenstände  verwirren  sich,  und  ein  beginnender  Schwindel  zvsingt 
uns ,  die  Augenlider  zu  schliessen.  Öffnet  man  aber  einige  Secunden  später 
die  Augen,  so  sieht  man  so  deutlich,  wie  zuvor.  Achtet  nun  der  Mensch 
nicht  auf  sich,  schont  er  seine  Augen  nicht  sorgfältiger,  so  stellen  sich  fol- 
gende Zufälle  ein :  die  Objecte  scheinen  einen  Rand  von  Regenbogenfarben 
zu  haben,  und  öfters  bewegen  sie  sich,  in  einen  besonders  lästigen  Schim- 
mer gehüllt,  sehr  geschwind  von  oben  nach  unten,  oder  umgekehrt,  und 
scheinen  in  einander  zu  fliessen.  Alle  diese  beängstigenden  Symptome  las- 
sen sich  oft  noch  beseitigen,  wenn  der  Kranke  folgsam  ist  und  sich  allen 
aufs  Auge  nachtheilig  wirkenden  Einflüssen  entzieht  und  eine  vernünftige 
Ökonomie  im  Gebrauch  derselben  beobachtet.  Schwache  Augen  müssen  vor 
der  Einwirkung  eines  absolut  oder  relativ  zu  starken  Lichtes  durch  einen 
guten  Augenschirm  geschützt  werden.  Letzterer  muss  leicht  und  so  an- 
gefertigt seyn,  dass  er  sich  der  Form  des  Kopfs  anschmiegt,  ohne  zu  drü- 
cken oder  zu  belästigen ;  er  muss  die  Augen  nicht  blos  von  oben ,  sondern 
anch  von  den  Seiten  her  schützen,  und  von  der  Stirn  an  geradeaus  laufen, 
ähnlich  den  Schirmen,  welche  sich  an  den  Sommerhüten  der  Damen  befinden. 
Für  Wohlhabende  lässt  man  solche  Augenschirme  am  besten  aus  Sparterie 
verfertigen ,  d.  i.  diejenige  Masse,  deren  sich  die  Putzmacherinnen  zur  Form- 
gebung und  Haltbarkeit  der  Damenhüte  bedienen,  lässt  sie  dann  mit  einem 
feinen  biegsamen  Putzmacherdraht  einfassen  und  mit  grünseidenem  Tafft  über- 
ziehen. Für  Ärmere  nimmt  man  steifes  Papier  oder  dünne  Pap{>e  dazu ,  di^ 
Most  Eucjklopädie.  2te  Aufl.  I.  35 


546  DIÄGNOSIS 

tiitm  mit  pinnom,  glanzlosiem  Papier  überzieht  und  mittels  zweier  daran  be-< 
festigtet  iiäiider  um  den  Kopf  bindet.  Umhüllung  des  Gesichts  mit  schwär^ 
zem  Klohr  schützt  am  besten  auf  Reisen  in  grossen  Sandflächen,  auf  kahlen 
Kreidebergen  oder  im  glänzenden  Schnee  und  bei  Sonnenschein  auf  solche 
Flächen.  Die  völlige  Unthätigkeit,  d.  i.  zu  grosse  Schonimg,  steter  Aufent-* 
halt  im  Dunkeln  etc.,  ist  aber  auch  den  schwachen  Augen  keinesweges  rath- 
sam;  schon  eine  Abkürzung  der  zur  Arbeit  bestimmten  Zeit,  ein  öfterer 
Wechsel  des  Gegenstandes  der  Arbeit,  das  Vermeiden  jeder  anstrengenden 
oder  in  die  Morgenstunden  fallenden  Arbeit ,  das  öftere ,  nur  minutenlange 
Schliessen  der  Augen,  einige  Bewegung  im  Zimmer  oder  in  freier  Luft,  der 
Anblick  der  freien  und  heitern  Natur,  bei  Congestionen  zum  Kopfe  Fuss- 
bäder,  zuweilen  ein  kühlendes  Laxans  bei  Leibesverstopfung  oder  Neigung 
dazu,  das  öftere  Waschen  der  Augen  mit  kaltem  Wasser,  besonders  die 
Augendüuche,  —  wenn  das  Auge  anders  Kälte  und  Feuchtigkeit  vertragen 
kann,  —  diese  Dinge  sind  zur  Cur  meist  hinreichend ,  doch  muss  der  Kranke 
eine  geregelte  Lebensweise  und  Diät  im  ganzen  Umfange  des  Worts  führen, 
im  Essen  und  Trinken,  Wachen  und  Schlafen,  Bewegung  und  Ruhe  stets 
das  richtige  Mass  beobachten  und  besonders  Gemüthsbewcgungen  und  Aus- 
schweifungen in  Baccho  et  Venere ,  Minerva  et  ApoUiue  vermeiden,  wenn  er 
seine  schwachen  Augen  nicht  ganz  zu  Grunde  richten  will. 

Diag^nosiSj  die  Diagnose,  die  gehörige  Unterscheidung  und 
darauf  beruhende  Erkenntniss  der  Krankheiten.  Ist  ein  höchst 
wichtiger  Gegenstand  für  den  praktischen  Arzt,  und  ohne  richtige  Kennt- 
niss  der  Diagnostik  (Diagnostica  doctrina)  kann  kein  rationeller  Arzt  ge- 
dacht werden.  Da  jedes  Erkennen  schon  ein  Unterscheiden  ist,  so  ist  eine 
richtige  Symptomatologie  die  Hauptsache,  und  die  Diagnose  ist  daher  in  den 
Handbüchern  der  Medicin,  wenn  jene  ausführlich  bearbeitet  worden,  nur  ein 
Gegenüberstellen  ähnlicher  und  unähnlicher  Symptome  (in  Hinsicht  des  Ver- 
laufs, der  Anamnese  etc.)  zweier  Krankheiten,  die  leicht  verwechselt  wer- 
den könnten;  also  eine  Wiederholung  und  nochmalige  Recapitulation  zur  Er- 
leichterung der  Erkenntniss,  deren  der  helldenkende  Arzt,  der  sich  seine 
Diagnose  selbst  macht,  nicht  immer  bedarf.  Wie  wichtig  eine  richtige  Dia- 
gnose der  Krankheiten  für  Prognose  und  Cur  ist,  bedarf  keines  Beweises, 
und  die  Verdienste  eines  Leiilin,  Wichmann,  Schmalz,  Sachse,  die  diesen 
Gegenstand  in  neuerer  Zeit  mit  aller  Sorgfalt  bearbeiteten ,  sind  bekannt. 
Aber  fast  scheint  es,  als  wenn  unser  Zeitalter  die  Diagnostik  zum  Lieblings- 
gegenstande auf  Kosten  der  Semiotik  gemacht  habe ,  w  enigstens  wird  letz- 
tere von  vielen  Ärzten  mit  grossem  Unrechte  vernachlässigt,  und  es  zeigt 
sich  in  der  Diagnostik  schon  hier  und  da  eine  Mikrologie,  die  für  Wissen- 
schaft, wie  fürs  Leben,  für  den  Arzt  am  Krankenbette  gleich  nachtheilig 
werden  kann ,  indem  dadurch  die  genaue  Begriffsbestimmung  und  die  Ter- 
minologie einzelner  Krankheitsformen  nur  confundirt  und  das  Studium  der 
Pathologie  ohne  Nutzen  für  die  Praxis  erschwert  wird.  Sehr  wahr  sagt  in 
dieser  Hinsicht  der  Recensent  der  Schnft  Fried  reich*  s:  „Skizze  einer  allgeni. 
Diagnostik,  1829"  in  Hecler's  Lit.  Annalen;  1830,  März  S.Sil:  „Die  neue- 
sten Arzte  haben  es  sich  besonders  angelegen  seyn  lassen ,  die  Unterschei- 
dung verschiedener  Krankheiten  durch  Hülfe  der  Diagnostik  zu  erleichtern. 
Wie  sehr  auch  dieses  Bestreben  den  Anschein  praktischer  Brauchbarkeit  für 
sich  hat,  so  lässt  es  sich  doch  nicht  verkennen,  dass  es  bei  der  Richtung, 
welche  es  nahm,  mannigfaltige  Nachtheile  mit  sich  führte.  Um  ihren  dia- 
lektischen Scharfsinn  zu  zeigen,  zersplitterten  viele  Diagnostiker  die  natür- 
lichen Krankheitsgruppen  in  zahllose  Formen,  und  verwirrten  dadurch  den 
Blick,  anstatt  ihn  auf  die  wesentlichen  Krankheitszustände  zu  leiten,  welche 
das  eigentliche  Object  der  Heilung  ausmachen.  Abgesehen  von  den  gelehr- 
ten Streitigkeiten,  die  allemal  unvermeidlich  sind,  wenn  ein  erkünsteltes  Sy- 
.stem  andere  subtile  Denker  zur  Nacheiferung  auffordert,  brachte  es  schon 
der  diagnostische  Sinn  mit  sich,  aus  den  organisch  zusammengesetzten  Krank- 
heitsbildern einzelne  hervorspringende  Züge  abzusondern ,  also  den  Krank- 
heitszustand uicht  als  ein  Ganzes  anzuschauen,  sondern  die  Aufmerksamkeit 


DIAGNOSIS  547 

nur  auf  das  schadhafteste  Glied  zu  richten.  Gerade  deshalb  ist  in  neuerer 
Zeit  so  wenig  für  die  Pathogenie  gclhaa,  so  wenig  Aussicht  eröffnet  wor- 
den ,  dass  die  medicinischen  Schulen ,  über  ihr  wesentliches  Interesse  aufge-^ 
klärt,  dem  natürlichen  Hellprocess ,  wie  es  die  Alten  thaten,  nachforschen 
werden."  Wozu  nützt  die  kleinliche  Beschreibung  und  Unterscheidung  jedes 
HautÜecks,  jeder  Pustel,  die  ohnehin  an  sich  nichts  Bestehendes,  sondern 
etwas  im  Verlaufe  des  Übels  sich  Veränderndes  ist,  wenn  eine  und  dieselbe 
Krankheitsursache  allen  zum  Grunde  liegt  und  die  Cur,  gegen  das  Wesen 
des  Übels  gerichtet,  dieselbe  bleibt?  Welcher  wesentliche  Unterscliied 
herrscht  in  Betrelf  der  Behandlung  zwischen  Scorbut,  Morbus  maculosua 
haemorrhagicus  VVerlhofii  und  Petechiae  secundariae,  deren  Diagnose  in  dem 
Wichmann  -  Sachse'schen  Werke  Bd.  J.  1827  mehrere  Bogen  gew  idntet  sind  ? 
Welchem  Arzte  wird  es  wol  im  Ernste  einfallen,  die  Brandblasen  nach  Ver- 
brennungen Pemphigus  a  veneno  zu  nennen  (Ib.  S,  136)?  Sehr  wahr  sagt 
Hufeland  (Journ.  d.  prakt.  Heilkunde,  Januar,  1829):  ,, Nicht,  was  gewöhn- 
lich Krankheit  genannt  wird  (die  Krankheitsform,  die  Erscheinung  derselben), 
ist  der  Gegenstand  der  Heilung  des  rationellen  Arztes,  sondern  das,  waa 
dieser  Erscheinung  zum  Grunde  liegt,  die  nächste  Ursache  der  Krankheit, 
die  innere  Abnormität  .des  Lebens  selbst."  Dies  zu  erkennen  und  zu  untere 
scheiden  ist  die  wahre,  ächte,  praktische  Diagnostik ,  die ,  insofern  sie  klare 
und  richtige  Leitungsprincipien  zum  Handeln  giebt,  latrognomik  genannt 
wird.  Jede  andere  Diagnostik  führt  zu  symptomatischen  Curarten ,  zur  Em- 
pirie und  Homöopathie.  Eine  nominale,  symptomatische,  chemische  Diagno- 
stik passt  nicht  am  Krankenbette.  Die  hypothetische  Diagnostik  ist  die 
schlechteste  von  allen ,  und  d'e  causale  oder  genetische ,  so  wichtig  sie  fürs 
Ganze  ist,  ist  für  sich  allein  nicht  zureichend.  Auf  ersterer  beruhet  die 
Broussais'sche  Diagnostik  und  Praxis ,  an  letztere  allein  hielt  sich  der 
Brownianismus,  was  ein  grosser  Fehler  war.  Sowie  der  Mensch  nur  aus 
dem  Leben  fürs  Leben  lernt ,  so  kann  und  soll  auch  der  Arzt  Vieles  fürs 
praktische  Leben  nur  aus  dem  Leben  erlernen.  So  kann  er  in  grossen 
Hospitälern  das  ganze  Heer  der  acuten  und  chronischen  Exantheme,  wenn 
es  ihm  nicht  an  Kopf  und  scharfen  Sinnen  fehlt,  in  wenigen  Tagen  kennen 
lernen,  so  dass  er  in  eigner  Praxis  sich  nicht  leicht  irren  wird.  Er  ist 
zwar  nicht  immer  im  Stande,  sogleich  von  jedem  einzelnen  Ausschlage  einn 
genaue  Definition  zu  geben,  aber  ein  einziger  Blick  wird  ihn  in  jedem  ein- 
zelnen Falle  eben  so  das  Richtige  erkennen  und  unterscheiden  lehren ,  wie 
dies  der  Fall  bei  tausend  andern  Dingen  im  Leben  ist.  So  z.  B.  können 
Tausende  von  Menschen  gehen,  stehen,  reden,  sitzen,  liegen,  schlafen, 
wachen,  essen,  trinken,  weinen,  lachen  etc. ,  sie  können  dieses  Alles  er- 
kennen und  unterscheiden,  aber  nur  wenige  vermögen  eine  genaue  Definl-' 
tion  davon  zu  geben.  Da  die  Masse  des  nothwendig  Wissenswürdio'en  in' 
der  Heilkunst  schon  so  gross  ist,  so  muss  es  heilige  Pflicht  des  praktischen 
Arztes  seyn,  seine  Zeit  nicht  mit  nutzlosen  Dingen  zu  tödten,  der  Akade- 
miker und  Schulgelehrte  mag  dahingegen  deduciren  und  definiren,  soviel  er 
will,  er  wird  sich  dadurch  nie  fürs  Leben  und  zu  einem  acht  praktischen 
Arzte  bilden;  sein  Hauptverdienst  mag  darin  bestehen,  das  Ileich  des  Ideel- 
len zu  beleben,  damit  daraus  für  die  nächste  Generation  vielleicht  etwas 
Reelles,  für  das  Leben  Brauchbares  hervorgehe,  wenn  mit  der  Zeit  die  Er- 
fahrung seine  Hypothesen  geprüft,  gesichtet  und  aus  dem  Staube  die  ein- 
zelnen Goldkörnchen  herausgefunden  hat.  Was  uns  in  gegenwärtiger  Zeit 
in  Hinsicht  der  Diagnostik  Noth  thut,  ist  1)  eine  mehr  generelle  Diagnostik, 
welche  uns  alle,  der  Form  nach  verschiedene,  dem  Wesen  und  der  Behand- 
lung nach  aber  gleiche  Krankheiten,  unter  einen  Gesichtspunkt  gebracht, 
kennen  und  von  andern  Krankheitsgruppen  unterscheiden  lehrt;  2)  eine 
diagnostische  Physiognomik  für  die  wichtigsten  chronischen  Krankheiten; 
S)  eine  strengere,  genauere  Diagnostik  der  verschiedenen  Krankheitscha- 
raktere der  Fieber  mit  Angabe  des  häufigem  oder  seltenem  Vorkommens 
derselben  in  den  verscliiedenen  Gegenden  der  Erde  und  zu  verschiedenen 
Zeiten,  wobei  dieses  Verhältniss  durch  Zahlen  ausgedrückt  werden  könnte; 

30* 


548        DIAGNOSTICA  DÖCTRINA  —  DIAPHORESIS 

4)  mehr  Einfachheit  in  unserer  gegenwärtigen  Diagnostik ,  Reduction  des 
Mannigfaltigen  auf  einfache  Pi-incipien  mit  Ausmerzung  alles  Unwesentlichen, 
Unpraktischen,  Kleinlichen;  denn  es  ist  nur  eine  kindische,  kleinliche  Ei- 
genschaft des  Geistes ,  seine  Aufmerksamkeit  auf  das  Unwesentliche  und 
Äussere  allein  zu  richten  und  darüber  das  Wesentliche  und  Innere  zu  ver- 
gessen. Erst  dann  können  Avir  uns  Hoffnung  zu  einer  richtigem  Termino- 
logie machen,  woran  es  uns  noch  so  sehr  mangelt,  und  wozu  auch  dieses 
Werk  einen  Beleg  giebt.  Die  Physik  verwirft  viele  für  elementar  gehaltene 
Stoffe  als  Elemente,  je  grössere  Fortschritte  sie  in  ihrer  Erkenntniss  macht. 
Ebenso  geht  es  auch  der  Medicin.  Sie  wird  dereinst  das  \>'ieder  vereinigen, 
was  jetzt  die  engherzige  Diagnostik  trennt ;  sie  wird  selbst  dereinst  die 
Krankheiten  der  Seele  und  des  Leibes  als  specifisch  verschiedene  Classen 
verwerfen  und  nur  Gradunterschiede  und  Symptomengruppen  in  ihnen  er- 
blicken. Besitzen  wir  erst  eine  bessere,  mehr  aufs  Wesen  der  Krankheiten 
gerichtete  Diagnostik ,  so  wird  auch  die  Therapeutik  besser  werden  und 
wir  werden  uns,  wie  es  jetzt  noch  so  oft  geschieht,  nicht  mehr  damit  be- 
gnügen, bei  Haverie  eines  Schiffes  blos  das  Wasser  aus  dem  Schiffe  zu 
entfernen,  sondern  wir  werden  uns  mehr  bemühen,  das  Loch,  wodurch  das 
Wasser  ins  Schiff  kam,    aufzusuchen  und  zu  repariren. 

I>ia{E;no.stica  doctrina,  Diagnostik,  s.  Diagnosis. 

Diaiysis,  die  Auflösung,  das  Zergehen,  Zerfallen,  das 
Schwinden,  die  Erschöpfung  der  Kräfte.  Ist  Symptom  jeder  chro- 
nischen Krankheit  mit  Körperschwäche,  der  Febris  lenta,  der  Krankheiten 
mit  Säfteverlust  etc. 

Diainnes»  Diurcsis  nocturna,  unwillkürlicher  Urin  ab  gang 
im  Schlafe.  Ists  bei  Kindern  ohne  sichtbare  Fehler  des  Körpers  der 
Fall,  so  ist  fehlerhafte  Erziehung,  zu  vieles  Essen  und  Trinken  spät  Abends, 
>1angel  an  Wartung  und  Pflege  oft  Schuld;  auch  "Würmer,  besonders  Aska- 
riden, sind  oft  durch  ihren  Reiz  auf  die  Blase  die  Ursache  vom  Benetzen 
des  Bettes.  Bei  Erwachsenen  sind  häufig  paralytische  Zufälle,  Würmer, 
Schwäche  des  Blasenhalses,  krampfhafte  Constitution  Ursache,  wonach  die 
Cur  eingerichtet  werden  muss  (s.  Incontinentia  urinae). 

Diapedej^is »  das  Durchschwitzen  des  Blutes.  Ist  mit  Suda- 
tio  und  Expressio  der  Alten  von  einerlei  Bedeutung.  In  neuern  Zeiten  ver- 
steht man  darunter  nur  das  Durchsickern  des  Bluts  durch  die  Wan- 
dungen grösserer  Venenstämme  oder  durch  Blutaderausdehnungen  (^Gnubiuit), 
eine  noch  problematische  mechanische  Ansicht,  die  die  Erfahrung  nicht  be- 
stätigt, indem  es  Thatsache  ist,  dass  weder  Blut-,  noch  Eiterkügelchen 
durch  die  unverletzten  Wandungen  grösserer  varicöser  Gefässe ,  nur  durch 
die  Vasa  vasorum  durchzugehen  im  Stande  sind. 

Siaplioresi.s ,  die  Ausdünstung.  Ist  eine  der  wichtigsten  Ver- 
richtungen des  Organismus,  die  sowol  im  gesunden,  wie  im  kranken  Zu- 
stande stets  und  überall  Berücksichtigung  verdient.  Schon  die  Alten  unter- 
schieden die  unmerkliche  Ausdünstung  ( Pnenmntosis,  Trnnsspirnlio 
itisensihUis ,  Tivfriu«,  aihjXog  thani'oi])  und  den  Schweiss  {Sudor ,  Iöqw^'). 
Snnclorins  hat  durch  seine  Versuche  und  Beobachtungen  diese  Annahme  zu 
einem  physiologischen  Hauptaxiom  erhoben  (s.  SruHtoritis  Sanctorü,  Ars,  de 
«tatica  IVledicina,  Aphorismorum  sectionib.  Septem  comprehensa.  Venet  16I4). 
Mit  Recht  unterscheiden  neuere  Physiologen,  z.  B.  Milne  Edwards  (De  l'in- 
fluence  des  agens  physiques  sur  la  vie.  Paris  1824.)  u.  A.  Evaporation 
und  Trans sudation.  Erstere  ist  ein  physischer  Vorgang,  welcher  auch 
im  todten  Körper  stattfindet.  Nach  Versuchen,  welche  mit  gleichmässigem 
Erfolge. an  warm-  und  kaltblütigen  Thieren  angestellt  wurden,  fand  Edwards, 
dass  Bewegung  der  Luft,  also  beständige  Erneuerung  der  den  Körper  um- 
gebenden Luftschichten,  erhöhte  Temperatur  und  Trockenheit  derselben,  die 
Menge  der  verdunstenden  (evaporirenden)  Stoffe,  vermehren ,  und  die  entge- 
gengesetzten Verhältnisse  die  Evaporation  stören  und  aufheben  können.  Die 
Transsudation  kommt  nur  dem  lebendigen  Organismus,    wie  ich  schon  oben 


DIAPHORESIS  349 

gezeigt  habe  (s.  Cholera  orientalis),  als  Wirkung  «^hie?  ,  lebendigeji 
Thätigkeit  zu,  ihr  Product  beträgt  aber  doch  nur  etwa  den  sechsten  The'il 
des  Ganzen.  Beide  Arten  \on  Transsjjiration  stehen  im  Antagonismus.  AVa« 
die  eine  vermehrt,  vermindert  die  andere,  und  umgekehrt.  Die.  auf  dem 
Wege  der  Hautausdünstung  sowol  in  Gasgestalt  als  in  flüssiger  Form 
(Schweiss)  entweichenden  Stoffe  bestehen,  chemisch  betrachtet,  aus  Koh- 
lenstoff, Stickstoff  und  vielen  wässerigen  Theilen.  Thcnnrd  will  auch  freie 
Essigsäure  und  salzsaures  Natrum  darin  gefunden  haben.  Die  Mischung  d«» 
Schweisses  ist  sich  nicht  immer  gleich ;  selbst  die  Nahrungsmittel ,  die  Ge- 
tränke haben  hier  Einttuss ;  desgleichen  der  Ort,  wo  die  Transspiration  vor 
sich  geht.  So  z.  B.  kann  man,  wenn  man  viel  Kochsalz  an  Speisen  genos- 
sen und  sich  einige  Stunden  später  tüchtig  bewegt  hat,  dieses  Salz  auf  der 
schwitzenden  Haut  Aviederfinden.  Nach  dem  Genuss  von  Schellfischen,  Au- 
stern etc.  reagirt  der  Schweiss  bedeutend  animoniakalisch,  der  stinkende 
Geruch  des  Schweisses  in  der  Achselhöhle  und  an  den  Füssen  mancher  Per- 
sonen muss  auch  noch  andere  Stoffe  als  der  Schweiss  an  der  Stirn ,  am 
Halse  besitzen ;  dieses  lässt  schon  der  verschiedene  Geruch  vermuthen ;  doch 
fehlen  bis  jetzt  darüber  die  chemischen  Analysen.  Höchst  verschieden  sind 
die  Bestandtheile  der  Transspiration  in  Krankheiten.  Nach  dem  epilepti- 
schen Insult  bemerkt  man  an  inveterirten  Fallsüchtigen  eine  höchst  wider- 
liche, Ammonium  und  Phosphorwasserstoff  enthaltende  Transspiration;  im 
Frieselfieber,  auch  in  manchen  rheumatischen  Fiebern  riecht  der  Schweiss 
sehr  sauer,  und  er  enthält  überwiegend  Milch-  und  Essigsäure,  Hier  wir- 
ken Waschungen  von  alkalischen  Mitteln  sehr  gut  und  die  absorbiienden, 
kaiischen  Mittel:  Oculi  cancrorum,  Magnesia,  Nzttrum  carbonicum,  habe  ich 
auch  mit  Nutzen  innerlich  gegeben.  Beim  Scharlachfieber  prädomiOtrt  das 
Annnoniiim  in  der  Transspiration;  daraus  erklärt  sich  theilweise  die  herr- 
liche Wirkung  der  kalten  Waschungen  von  Wasser  und  Essig,  das;  Wohl- 
thätige  der  kühlenden,  säuerlichen  Getränke  etc.  Im  Seh  weisse,  xler  Gichti- 
schen kommt  nach  Dandolo  Harnsäure  vor,  in  der  B'ebris  putrida  enthäll  die 
Hautausdünstung  des  Kranken  Ammonium.  Die  sogenannte  Erkältung 
des  Körpers  ist  die  Mitur.sache  der  meisten  Krankheiten,  zumal  in  Nord- 
deutschland und  an  den  Küsten  der  Nord-  und  Ostsee.  Man  hat  hierbei 
aber  einseitig  nur  die  Unterdrückung  der  Hautansdünstung  ins  Auge  g^fasst, 
da  hier  doch  nur  vorzüglich  die  Transsudation,  die  .vitale  Thätigkeit  der 
Hautnerven  und  der  feinsten  Hautgefässe  unterdrückt  oder  sonst  gfstjört  ist, 
nicht  aber  die  Evaporation,  die  oft  überwiegend  stark  dabei  fortdauert,  so 
wie  denn  genaue  und  glaubwürdige  Versuche  von  Keill,  Stnrk  und  Iteil  be- 
wiesen haben,  dass  die  gewöhnliche,  genau  von  Snnctorius  bestimmte  Ge* 
Wichtsverminderung  durch,  Hautausdünstung  selbst  in  denjenigen  Zuständen 
noch  fortdauert,  die  einer  Unterdrückung  der  Transspiration,  einer  Erkäl- 
tinig  zugeschrieben  wurden.  Die  neuerdings  besonders  durch  RUter,  Dzonili 
U.A.  aufgekommene  materielle  Ansicht  von  zurückgehaltener  Thiersrhlacke 
und  den  darans  entstehenden  skorischeu  Krankheiten,  ist  nach  diesen  dy- 
namischen Ansichten  zu  raodificiren.  Die  künstliche  Anregung  der  Trans- 
spiralion in  Krankheiten  zur  Bewerkstelhnig  heilsamer  Krisen  oder  um  die 
natürlichen  Krisen  zu  miterstützen ,  ist  für  den  praktischen  Arzt  ein  höchst 
wichtiger  Gegenstand.  Die  Methodus  diapJwretica,  d.  i.  die  Art  und  Weise, 
bald  durch  die  mildern  Diaphoretica ,  bald  durch  die  stärker  wirkenden  Su- 
dorifera,  oder  endlich  durch  die  Alexipharmaca  die  Hautthätigkeit  kräftig 
anzuregen,  ist  eine  der  ausgebreitetsten  Fundamentalmethoden  der  Therapie, 
indem  die  Hautkrise  die  erste,  grösste  und  wohlthä tigs te  al- 
ler Krisen,  sowol  in  acuten  als  chroni.schen  Krankheiten,  ausmacht. 
Es  würde  höchst  einseitig  seyii,  nur  bei  katarrhalischen,  rheumatischen  und 
gichtischen  Übeln  durch  Diaphoretica  auf  die  Haut  zu  wirken.  Bei  d^n  mei- 
sten Neurosen,  bei  Epilepsia,  Veitstanz,  Hysterie,  Tetanus,  bei  den  ersten 
Zeichen  der  Angina,  der  Pneumonie  und  vieler  ähnlicher  Krankheiten  ver- 
mag ein  früh  gereichtes  Diaphoreticum  gleichfalls  sehr  viel ,  sowie  bei  den 
ersteh  Symptomen  ansteckender  Krankheiten,    und  wenn  im  17ten  Jahihun- 


550 


DIAPHÖRETICA 


dcrte  die  diaphoretische  Methode,  zumal  bei  hitzigen  l^lebern  un^  isolcheh 
Kxanthenten  ntissbraucht  wurde,  so  scheint  es  doch  in  unserer  Zeit  fast, 
als  wenn  diese  Methode ,  die  zur  rechten  Zeit  und  am  rechten  Orte  ange- 
wandt, die  gefährlichsten  Krahkheiten  verhüten,  in  ihren»  Keime  ersticken 
und  selbst  heilen  kann,  von  Ärgsten  zu  sehr  vernachlässigt  würde.  In  klini- 
ßcher  Hinsicht  bleibt  die  Eintheilung  der  Diaphoretica  in  erhitzende  und 
nicht  erhitzende  (^Dinphorelica  calida  et  früjidu)  stets  die  beste,  denn 
talle  Versuche,  die  einzelnen  hieher  gehörigen  Mittel  nach  ihrer  Wirkung  be- 
sonders einzutheilen.  sind  bis  jetzt  ohne  Erfolg  geblieben  (s.  Diaplioretica). 
JDiaphoretiCA,  schweiSiStreibende  Mittel.  Es  gicbt  beinahe 
kein  Arzneimittel,  das  nicht  untör  besondern  Umständen  ein  Diaphoreticum 
wäre,  da  alle  diese  Mittel  nicht  unmittelbar  die  Ausdünstung  befördern, 
Bondern  nur  mittelbar  dadurch,  dass  sie  im  Hautsysteme  gewisse,  wenig  be- 
kannte Veränderungen  hervorrufen,  wovon  die  Ausdünstung  nur  Folge  ist. 
Ks  ist  hier  dasselbe  Verhältniss,  wie  mit  der  Erkältung,  nur  umgekelvrt  ; 
wir  kennen  auch  hierbei  nicht  genau  die  Processe  des  Organismus ,  welche 
die  sogenannte  Erkältung  zu  Stande  bringen  (s.  Refrigeratio).  Nach 
einer  alten  Eintheilung  unterscheidet  man  zwei  Arten  dieser  Mittel :  1)  Dia- 
phoretica, d.  i.  Mittel  zur  Beförderung  der  unmerklichen,  2)  Sudorifera, 
Mittel  zur  Beförderung  der  merklichen  Ausdünstung,  des  Schweisses.  Aber 
die  Absicht  des  Arztes  bei  der  Rlethodus  diaphoretica  soll  keine  andere  seyn, 
fkls  Beförderung  der  dunstförmigen  Hautsecretion  (^Hufehind).  Doch  gicbt  es 
von  die^r  Regel  einige  wenige  Ausnahmen  (M.);  s.  unten.  Die  Diaphoresis 
wird  auf  verschiedene  Weise  bewirkt:  a)  durch  Entfernung  mechanischer 
Hindernisse,  welche  die  Hautporen  verstopfen,  z.  B.  Schmuz,  Rigidität, 
Krampf  der  Haut.  Hier  passen  warme  Bäder,  warmes  Waschen,  Relaxan- 
tia ,  Antispasmodica ;  b)  durch  Verminderung  des  Reizes ,  bei  inflammatori- 
schen Fiebern,  acuten  Exanthemen,  örtlichen  Entzündungen.  Hier  sind 
Aderlässe,  Blutegel,  Nitrum,  viel  lauwarmes,  wässeriges,  säuerliches  Getränk, 
also  Antiphlogistica  die  besten  Diaphoretica;  c)  durch  Vermehrung  des  Rei- 
zes im  Blut-  und  Nervensysteme,  nach  Erkältungen,  bei  chronischen  Krank- 
heiten mit  Schwäche,  Torpor,  ohne  entzündliches  Fieber.  Hier  passen  die 
Diaphoretica  im  engern  Sinne:  Flor,  sambuci,  chamomillae,  Stipit.  dulcama- 
rae,  Spec.  IJgnorum,  Lign.  guajaci,  Sassaparilla,  Mezereum,  Antimonialia, 
Schwefel,  Kampher,  Moschus,  Opium,  reizende  Nahrung,  warme  Bedeckung, 
Frictionen  der  Haut  etc.  Wir  gebrauchen  die  Diaphoretica  zur  Hebung  an- 
tagonistischer Krankheiten:  des  Rheumatismus,  der  Ruhr,  zur  Ausleerung 
schädlicher  Stoffe  im  Blute ,  besonders  gleich  nach  der  Ansteckung  durch 
Contagien,  wo  die  stärkern  Diaphoretica,  die  Alexipharmaca  der  Alteji, 
Wohl  eine  häufigere  Anwendung  verdienen  als  dies  in  unseni  Zeiten  ge- 
schieht, z.  B  gegen  Scharlach,  Typhus,  Biss  von  Schlangen,  vom  tollen 
Hunde  etc.;  nur  passen  sie  nicht,  wenn  solche  Gifte  schon  Fieber  und  Ent- 
zündung erregt  haben,  sondern  nur  in  der  ersten  Zeit,  wo  sich  durch  Ner- 
venverstimmung die  geschehene  Ansteckung  offenbart.  Hier  kaiMi  ich  aus 
eigener  Erfahrui^g  folgendes  von  mir  häutig  angewandte  Pulv.  sudorif.  an- 
ticontaglosus  empfehlen.  Der  Kranke  legt  sich  zu  Bette,  deckt  sich  warm 
zu,  nimmt  alle  Viertelstunden  eins  von  diesen  Pulvern  und  trinkt  so  lange 
fleissig  warmen  Fliederthee  nach,  bis  wirklicher  Schweüss  eintritt.  Dieses 
Pulver  besteht  aus:  Kr  Moschi  opt.,  Cnstorei  moscov.,  Cnmphorne  ana  gr.  ]\, 
Nitri  depur.  gr.  iv,  Rftd.  arteniis,  vulif.  ^\'\,  — ipecac.  gr.  ii,  — serpettinrinc, 
Elaeos.  snccini  ana  gr.  vj.  M.  f.  pulv.  dispens.  dos.  ^^}.  In  der  Regol  sind 
2  —  4  Dosen  schon  hinreichend,  um  starken  Seh  weiss  zu  erregen.  Bei 
Migräne  Hysterischer,  bei  Ischias  Cotunni ,  Prosopalgie  etc.,  wo  Schwäche 
ohne  Erethismus  des  Blutes  obwaltet,  hat  mir  dies  Pulver  gleichfalls  herr- 
liche Dienste  gethan.  Hier  la.sse  ich  aber  nur  alle  4  —  7  Tage  einmal 
schwitzen.  Dass  die  Diaphoretica  die  besten  Ableitungs-  und  Besänftigungs- 
mittel zur  Aufliebung  krampfhafter  Zustände  sind,  ist  bekannt;  nur  vermeide 
man  bei  entzündlichen  Zuständen,  bei  Congestionen  zum  Kopfe,  nach  der 
9rust,     bei    Kindern    und   jungen    Subjecten,    bei    Plethora   die   erhitzenden 


DIAPHRAGMITIS  —  DIAPLA6IS  ^L 

DiapKoreiica.  Hier  passt  (für  Erwachsene)  Folgendes:  ^;  Spi^'^^]^i«^lem■i 
gjlv ,  Aq.  flor.  snmhuci  gvj ,  Roh.  sninluci  gj ,  Tart.  emetic.  gf.  j.  M.  8. 
Stün<iligh  1  Esslöffel  voll.  Auch  nach  plötzlichen  Erkältungen,  l»ei:frischeu 
katacrhalischeu  und  gelinden  rheumatischen  Beschwerden  thut  diese  Mischung 
herrliche  Dienste,  besonders  wenn  man  auch  noch  5.ij  Salmiak  hinzusetzt- 
Gegen  chronischen  Rheumatismus  ohne  Fieber  und  Vollblütigkeit  ist  folgen- 
des Pulver  sehr  wirksam  zur  Beförderung  der  Diaphoresls  :  iy  Guuuüi  >jnti- 
jaci  gr.  X,  Und.  calnm.  (irtinn.  gr.  vjjj  ,  Mercur.  dulc. ,  ünnvjjhorae  atia  gr.  j. 
M.  f.  pulv.  disp.  dos.  xjj.  S.  2 — Smal  täglich  ein  Pulver  Zunehmen  (3lost  seh.). 

0ia<plirag^miti£l,  DiaphrngmaUtis ,  Inflannnatio  diaphragmatis,  $epti 
transversi ,  PnrnphrenUls ^  Paraphreuesis ,  Parnphrosyne ,  Entzündung  defc 
Zwerchfells.  Diese  Krankheit  ist  häufig  mit  Pneumonie  und  Pleuritis, 
mit  Hepatitis,  Splenitis,  Gastritis,  Enteritis,  verbunden,  kommt  meist  nur 
zu  diesen  hinzu ,  ist  selten  rein  beobachtet  worden ;  die  Alten  nannten  sie 
Paraphre.nitis ,  weil  die  Heftigkeit  der  entzündlichen  Zufälle  oft  Irrereden 
veianlasst.  Symptome.  Heftiger,  stechender  Schmerz  unter  den  Rippen, 
der  sich  längs  des  Zwerchfells  bis  zu  den  Rückenwirbeln  hin  erstreckt,  eiti^- 
wäfts  gezogene,  sehr  schmerzhafte  Herzgrube,  grosse  Angst,  die  zur  walir- 
ren  Verbrecherangst  wird,  erschwerte,  schmerzhafte  Inspiration,  unerträg- 
licher Schmerz  bei  jeder  Bewegung  des  Körpers,  beim  Husten,  Niesen,  La- 
chen, Erleichterung  der  Zufälle  bei  vorwärts  gekrümmter  Stellung,  heftigex 
Fieber,  Convulsionen,  Irrereden,  Trismus,  Tetanus,  sardonisches  Lachen, 
kleiner,  schneller  Puls.  Ursachen.  Dieselben  der  Pneumonie,  Hepatitis, 
.Pleudtig ,  Splenitis  ,  wovon  sie  meist  nur  Folge  oder  damit;  complLcirt  ist. 
Gelegenlveit  sollen  geben  heftige  Anstrengungen  beim  Schreien,  Singen,  Blar- 
«en  der  Blasinstrumente  etc.  Cur.  Wie  bei  Pleuritis,  Hepatitis.  Aderlässe 
und  Blutegel  sind  die  Hauptmittel,  sind  selbst  bei  kleinem  Pulse,  sardoni- 
schem Lachen  und  Convulsionen  indicirt.  Das  Heftige  und  Anhaltende  der 
Znfälle  unterscheidet  die  Krankheit  leicht  von  Kolik  und  hysterischer  Kar- 
dialgie.  Wird  nicht  frühe  Hülfe  geleistet ,  ist  die  Diaphragmitis  mit  Pleu- 
ritis etc.  verbunden,  so  geht  die  Entzündung  oft  in  Eiterung  oder  Erantl 
über.  Der  Eiter  ergiesst  sich  leicht  in  die  Brust  -  oder  Bauchhöhle ;  es 
folgt  darauf  Verstandesverwirrung,  Brand  und  Tod.  Erfolgt  Genesung,  so 
.bl«ibt  doch  häutig  ein  gewisses  Asthma  mit  «hronischen  SchmerzeH  unter 
deji  Rippen  zurück,  das  Folge  von  Verwachsungen  ist  und  in  gewissen  Ijh- 
geu  des  Körpers  zunimmt  (M.).  Um  solche  Adhäsionen  nvit  plastisdier  Ex-- 
*udation  zu  verhüten,  gebe  man  am  Ende  der  Krankheit,  wenn  die  Heftig- 
keit der  entzündlichen  Zufälle  vorüber  ist,  8  —  XO  Tage  lang  Folgendes: 
Rf  Merc.  dtilc,  SnipJu  aurati  ana  gr.  jy,  Extr.  eicutne  gr.  j,  Lifjuir.  coctnc 
^j.  M.  f.  pulv.  dispens.  dos.  xvjjj.  S.  Morgens  und  Abends  ein  Pulver  inil 
Wasser.  Vor  elf  Jahren  behandelte  ich  einen  robusten  Landmann  mit  Ha- 
bitus apoplecticus ,  bei  dem  sich  nach  vorhergegangener  heftiger  Erkältung 
die  linke  Lunge,  die  Pleura,  die  Milz  und  das  ganze  Zsverchfell  entzündet 
hatten.  Der  Unglückliche  konnte  weder  liegen,  noch  sitzen,  noch  stehen, 
noch  gehörig  athmen.  Der  Puls  war  klein,  schnell,  unterdrückt,  die  Hände 
kalt,  wie  bei  Carditis  idiopathica,  die  Angst  fürchterlich.  Ich  Hess  zu 
gleicher  Zeit  eine  Ader  am  Fnsse  und  eine  am  Arme  öffnen  und  so  lange 
Blut  fliessen,  bis  Ohnmacht  entstand.  Die  Quantität  des  Blutes  betrug  iu» 
Ganzen  26  Unzen.  Nach  der  Ohnmacht  fühlte  sich  der  Kranke  sehr  ■  er- 
leichtert, er  konnte  jetzt  im  Bette  liegen,  der  Puls  ging  stärker,  war  weir 
eher  und  voller.  Er  bekam  eine  Emulsion  mit  Nitrum.  Damit  ward  in 
8  Tagen  die  Krankheit  gehoben.  Nach  14:  Tagen  fand  ich  den  Patienten 
»<chon  wieder  in  der  Schmiede,  wo  er  seinem  Geschäfte  nachging;  er  war 
schnell  und  gründlich  geheilt.  '  . 

,  Diapltragiuatocele  j  ZwerchfeUbruch  ,  s.  Hernia  diaphrag- 
m  a  t  i  s. 

Diaplasis,  Anaplasis,  Conformatio.  Ist  Einrichtung  in  Idiege- 
hörige  Form,  z.  ß.  bei  Fracturen. 


5d2  DIAPNOEA  —  DIARRHOEA 

Dfapnoea»  die  unmerkliche  Ausdünstung,  besonders  der  Lung«,  ,< 
daher  auch  das  Ausathnien. 

Diapyema,  Diapyesis,  Yereiterungsprocess ,  s.  Abscessus.  Einige 
nehmen  das  Wort  auch  gleichbedeutend  mit  Empycma,  und  die  Benelinung 
Diftpyetica  (sc.  remedia)  ist  synonym  mit  Suppurautin. 

Dinpyema  ocnli,  Eiterauge,  s.  Hypopyon. 

Diarrhoea,  Alviprofluvium,  AIvi  fiuxus ,  Ventris  proftuvium,  Coelior- 
rhea,  Incontinentia,  Dcfluxio  aloi,  Bauchfluss,  Diarrhöe,  Durchfall. 
Ist  abnorme,  zu  starke  Thätigkeit  der  aushauchenden  und  zu  geringe  Thä- 
tigkeit  der  resorbirenden  Gefässe  des  Darmcanals,  verbunden  mit  zu  star- 
kem Motus  peristalticHS ,  wovon  vermehrte,  veränderte,  zu  häufige,  zu  flüs*- 
sige  Darmausleerung  die  Folge  ist.  Daher  gehören  die  Lienterie,  der  Fluxui» 
coeliacus  und  hepaticus ,  die  Dysenterie  und  die  Eiter  -  und  Harnausleerun- 
gen durch  den  Darmcanal  nicht  hierher,  weil  hierbei  die  Vasa  exhalantia 
intestinorum  nicht  abnorm  secerniren  und  die  Sedes  nicht  häufig  und  schnell 
auf  einander  folgen.  Die  Lienterie  ist  Krankheit  der  Darmmuskeln ,  de^ 
Fluxus  coeliacus  Krankheit  der  Schleimdrüsen,  der  Fluxus  hepaticus  Pro^ 
duct  krankhafter  Secretionen  der  Leber,  der  MilZj  des  Pankreas,  die  Ruhr 
theils  Blennorrhoe,  theils  Blutung  und  Kolik  der  Gedärme.  Symptome. 
Häufig  gehen  gastrische  Zeichen:  belegte  Zunge,  Appetitlosigkeit,  Druck, 
Spannung  in  der  Magengegend,  Flatulenz,  Kolik,  Ekel,  Erbrechen,  Te- 
nesmus,  krampfhafter,  intermittirender  Puls  vorher.  Dann  erfolgen  unter 
Bauchgrimmen  und  Flatulenz  erst  weiche,  dann  wässrige,  häufige  Sedes, 
öfters  mit  Erleichterung  der  Beschwerden  im  Leibe ,  in  seltenem  Fällen 
werden  die  Ausleerungen  immer  häufiger,  wässriger,  Angst,  Unruhe,  Ko- 
likschmerzen nehmen  zu ,  der  höchst  schmerzhafte  Unterleib  tritt  in  die 
Höhe,  es  erfolgt  Tenesmus ,  Trommelsucht  und  Meteorismus,  dabei  trockner 
Mund,  heftiger  Durst,  sparsamer  wasserheller  Urin,  unterdrückte  Trans- 
(spiration ,  grosses  Schwächegefühl.  Die  Ausleerungen  betragen  bald  viel, 
bald  wenig,  und  erfolgen  in  24  Stunden  oft  nur  4  —  8mal,  oft  20,  SOmal 
und  drüber,  der  Abgang  ist  meist  kothig,  wässrig,  seltener  schleimig,  gal- 
lig, blutig.  Dauert  das  Übel  länger  als  vier  Tage,  so  magert  der  Kranke 
schnell  ab,  fühlt  sich  sehr  schwach,  sieht  blass  und  elend  aus,  der  Appetit 
fehlt,  die  Haut  wird  welk,  es  entstehen  Ohnmächten  aus  Schwäche,  Kräm- 
pfe, später  Geschwulst  der  Füsse,  hektisches  Fieber  oder  Tod  durch  Brand 
in  den  Gedärmen.  Dies  ist  das  Bild  des  Übels,  geschildert  mit  den  grell- 
sten Farben,  wie  es.  Gottlob!  nur  selten  vorkommt.  Für  die  Praxis  un- 
terscheiden wir  folgende  Formen  und  Arten  des  Durchfalls : 

Diarrhoen  stcrcoralis,  kothig  er  Durchfall.  Ist  die  Folge  von  Un- 
raässigkeit  im  Essen  und  Trinken ,  von  übermässigem  Genuss  schwerer ,  un- 
verdaulicher Speisen.  Appetitlosigkeit ,  gespannter ,  aufgetriebener  Leib, 
Ekel ,  belegte  Zunge ,  stinkende  Ructus  und  Flatus ,  starke  breiartige  Se- 
des, untermischt  mit  unverdauten  Stoffen,  Darmschleim  und  Serum,  Jucken 
und  Brennen  im  Mastdarme,  und  die  Anamnese  geben  das  Übel  zu  erken- 
nen. Cur.  Da  diese  Diarrhöe  wohlthätig  ist,  so  stopfe  man  sie  nicht,  man 
überlasse  sie  der  Natur;  in  der  Regel  giebt  sie  sich  bald  von  selbst.  Man 
untersage  1 — 2  Tage  lang  alle  Speisen,  lasse  Zucker wasser,  viel  Hafer- 
schleim mit  etwas  Zimmt  trinken  und  den  Kranken  warm  halten.  Sind  die 
Sedes  nur  sparsam,  halten  die  gastrischen  und  die  Leibbeschwerden  an,  so 
helfe  man  ein  paar  Tage  lang  etwas  nach,  verordne:  l^  Infus.  Inxnt.  Victin., 
Aq.  chamnmiU.  ana  5jjj»  'S«?.  Glauhcri,  Tinit.  rhci  aquos.,  Syr.  nUmnae  ana 
3vj.  M.  S.  Alle  1  —  2  Stunden  1  EsslöfFel  voll,  gebe  auch  vorher,  bei 
Zeichen  der  Turgescenz  nach  oben ,  ein  Vomitiv ;  so  ist  in  w  enigen  Tagen 
das  Übel  gehoben. 

Diarrhoen  serosa,  aquosn,  wässriger  Durchfall.  Entsteht  In  der 
Regel  durch  Erkältung  der  Füsse,  des  Bauchs,  besonders  im  Herbste,  wo 
er  oft  epidemisch  als  Vorläufer  der  Ruhr  herrscht.  Symptome  sind:  em- 
pfindliche^ reissende  Leibschmerzen,  Krämpfe,  Würgen^  Übelkeit,     plötzlich 


DIARRHOEA  553 

etnWetender  Tenesmus ,  häufige ,  copiose ,  wässrige  Ausleerurigen  ohne  Er- 
leichterung, oft  mit  heftiger  werdenden  Kolikschmerzen.  Dabei  trockne 
Haut,  grosser  Durst,  Brennen  am  After,  oft  alle  Viertelstunden  Drang  zum 
Stuhlgehen.  Cur.  Warmes  Verhalten ,  viel  warmer  Thee  von  Flor,  sam- 
buoi  und  chamomillae ,  Ipedacuanha  in  kleinen  Dosen ,  2  —  Smal  täglich  gr. 
|v — j  Opium  als  Pulv.  Doweri ,  warme  Bäder,  schleimige  Klj  stiere  von  Amyluni 
jnit  Opium;  Linim.  volat.  mit  Laudanum,  in  den  Unterleib  einzureiben. 

Diarrhoen  a  dentitione,  Zahndurchfall  der  Kinder.  Ist  oft  recht 
wohlthätig,  man  stopfe  ihn  daher  ja  nicht  durch  Opium  (s.  Dentitio);, 
sondern  gebe,  da  er  in  der  Regel  mit  grünen  Stuhlgängen  verbunden  ist, 
Absorbentia,  besonders  Liq.  kali  carbon.  3\l  ■,  Aq.  foeniculigj,  Syr.  rhei, — 
liquirit.  ana  3)v.  Alle  2 — 3  Stunden  1  Theelöffel  voll,  oder  etwas  Magne- 
sia, oder  Pulv.  Infant.  Hufelandi.  Hält  die  Diarrhöe  länger  als  acht  Tage 
an,  wird  das  Kind  sehe  welk,  so  gebe  man  Decoct.  salep,  columbo,  und 
lasse  in  den  Unterleib  Linim.  volat.  mit  etwas  Tinct.  opii  einreiben.  Ist 
ßie  chronisch  und  bl  .tig ,  das  Kind  sehr  blass ,  welk  und  ohne  congestive 
Symptome ,  so  kann  man ,  wenn  die  letztgenannten  Mittel  fruchtlos  ange- 
wandt worden,  mit  Vorsicht  1 — Smal  täglich  einen,  höchstens  zwei  Tro- 
pfen Tinct.  opii  crocata  geben.  Aromatische  Bäder  sind  hier  von  vortreff- 
licher Wirkung.  Trousseau  giebt  gegen  zu  starke  Diarrhöe  der  Kinder 
Magister,  bismuthi ,  Smal  täglich  2  —  3  Gran  mit  Zucker,  Erwachsene  be- 
kommen bei  chronischen  Durchfallen.,  sowie  bei  Dothinenteritis  p.  d.'  IS- 
IS Gran  (s.  JiehrciuVs  Repertor.   1834:,  Januar,  S.  43). 

Diarrhoen  ab  nrihriiide  retrogressa.,  gichtischer  DurohfalL  Ist 
durch  heftige  Erkältung,  durch  Ärger  etc.  die  Gicht  plötzlich  verschwun- 
den und  dadurch  dies  Übel  entstanden,  so  sind  die  Zufälle  meist,  wie  bei 
.Diarrhoea  serosa.  Cur.  Die  Behandlung  ist  gleichfalls  wie  bei  Diarrhoea 
serosa;  ausserdem  lege  man  Sinapismen  an  den  Ort,  wo  die  Gicht  früher 
war,  lasse  warm  baden  etc.  (s.  Arthritis  retrograd a). 

Diarrhoea  hiliosa-,  galliger  Durchfall.  Ist  ein  complicirtes  •  Übel, 
wobei,  wie  bei  der  Cholera,  Polycholie  zum  Grunde  liegt.  Symptome 
sind :  'Status  biliosus ,  schleimig- gelb  belegte' Zunge v  Ekel,  saueres,  bitteres, 
widerliches  Aufstossea,  bitterer  Geschmack,  gelbliche  Gesichtsfarbe,  Kolik, 
grosser  Durst,  Tenesmus,  häufige,  gelblich -grüne,  copiöse,  unter  Leib- 
schmerz erfolgende  Ausleerungen.  Ursachen  sind  die  der  Cholera  (s.  d. 
Art.),  ausserdem  heftige  Gemüthsbewegungen ,  Ärger,  heftige  Erkältungen 
in  kühlen  Sommernächten,  im  Bivouac,  heisse,  schwüle  Sommer ,;  heisse 
Himmelsstriche;  die  Secretionsfunction  ist  hier  sehr  gesteigert^  daher  der 
starke  Gallenerguss  in  den  Darmcanal.  Cur.  Ist  die  Diarrhoea  biliosa  kri- 
tisch, z.  B.  bei  Febris  biliosa,  Hepatitis,  Icterus,  so  dürfen  wir  nicht  sto- 
pfen; hier  passen,  um  nachzuhelfen,  Tamarinden,  Oxymel,  saure  Molken, 
Tart.  depuratus,  natronatus,  boraxatus,  schleimige  Getränke,  Klystierc  aus 
Chamillenthee  mit  Oxyra.  simplex.  Ist  sie,  wie  bei  der  Cholera,  nur  sym- 
ptomatisch, so  giebt  sie  sich  von  selbst  durch  Hebung  des  primären  Lcber- 
leidens,  der  erhöhten  Sensibilität  der  Leber,  wogegen  besonders  das  Opium 
60  herrliche  Dienste  thut  (s.  Cholera). 

Diarrhoen  gravidarum,  s.  Gravid  itas. 

Diarrhoen  chymosn,  s.  Fluxus  coeliacus. 

Diarrhoen  putrido  -  coUiqiiativn ,  s.  Febrisputrida. 

Diarrhoen  cholericn.  Ist  ein  gelinder  Grad  der  morgenländischen  Brech- 
ruhr, wobei  der  Abgang,  wie  Seifen wasser,  gemischt  mit  weissen  Flocken 
erscheint  (s.  C  h  ol  era  ori  entalis). 

Diarrhoen  niucosn ,  pituitosn,  Schleimdurchfall.  Ist  häufig  die  Folge 
von  Diarrhoea  stercoralis.  Von  Erkältung  in  nasskalter  Witterung,  in  sum- 
pfigen, niedrig  gelegenen  Gegenden ,  wo  sie  zuweilen  endemisch  oder  epide- 
misch herrscht;  sie  befällt  am  häufigsten  Menschen  mit  pituitösem,  blennor- 
rhoischem  Habitus  (s.  Bl  en  nor  rhoea) ,  ist  dann  ein  Symptom  des  Status 
pituitosus  intestinorum  (s.  B.lennorrhoea  ventriculi),  die  Ausleerun- 
gen sind  dünn,  zähe,  gallertartig,  erfolgen  oft  20  Mal  und  öfter  des  Tages, 


554  DIARRHOEA 

oder,  wenn  das  Übel '  chronisch  geworden,  nur  taglich  S  —  4nial ,  wechseln 
oft  mit  Obstniction  ab;  dabei  verschiedene  dyspeptische  Beschwerden.  Cur. 
Sie  riclitet  sich  nach  den  Ursachen  und  ist  schon  oben  angegeben  wordöll 
(s.  Blennorrhoea  ventriculi  et  int  est  in  or  um).  .  " 

■Diarrhoen  verminosn,  Wurm  durch  fall.  Ist  eine  Abart  der  Diarrhoen 
mucosa,  die  bei  Kindern  oft  vorkonnnt.  Der  Abgang  ist  gallertartig,  schlei'- 
luig,  übelriechend,  mit  todten  Würmern,  Askariden,  Spulwürmern  vermischt. 
Cur.  Man  gebe  erst  Anthelminthica  (s.  Morbus  verniinosus)  und  dann 
Roborantia,  Tonica:  Galamus,  Geuni  urban. ,  Rheum,  China,  bei  heftigen 
Durchfallen  mitunter  etwas  Opium.  Dass  das  Übel  zuweilen  tödtlich  ablau- 
fen könne,  darüber  hat  kürzlich  noch  MüUer  {Harless^.  Jahrbücher,  1827, 
Bd.  XJI.  St.  3)  einen  Fall  mitgetheilt. 

Diarrhoen  sanguinen,  blutiger  Durchfall.  Hat  verschiedene  Ursa- 
chen ,  daher  wir  folgende  Varietäten  unterscheiden  : 

Diarrhoen  sanguinea  metasinticn.  Entsteht  zuweilen  nach  unterdrückter 
Menstruation ,  nach  unterdrückten  Lochien ,  Hämorrhoiden.  Die  Anamnese 
macht  hier  die  Erkenntniss  leicht.  Cur.  Da  hier  die  Diarrhöe  ein  wohl- 
thätiges ,  kritisches  Bestreben  der  Natur  ist ,  der  Kranke  sicli  durch  sie  er- 
leichtert fühlt,  so  vermeide  man  alles  Reizende,  Erhitzende,  verordne  schlei- 
mige, kühlende,  leichtverdauliche  Diät,  suche  durch  Qüalmbäder,  Fnssbä- 
-der ,  ganze  Bäder  etc.  die  frühere  Blutung  wieder  herzustellen  und  stopfe 
.<lie  Diarrhöe  nicht  gleich,  um  heftige  Zufalle  zu  verhüten  (s.  Menstrua- 
tio  und  Haemo  rr  hoides). 

Diarrhoen  sanguinea  neonatmum.  Kommt  bei  Neugebornen  und  Säng- 
Hngen  zuweilen  vor.  Hat  das  Kind  keine  Leibschmerzen  dabei ,  ist  das  Blut 
geronnen,  mit  dem  Stuhlgänge  vermischt,  so  konmit  es  oft  von  wunden 
Brustwarzen,  wo  also  das  Blut  mit  der  Mutterndlch  verschluckt  Svurde. 
Hier  hat  es  gar  nichts  zu  bedeuten.  Entsteht  blutige  Diarrhöe  bei  der 
Zahnkrankheit  der  Säuglinge ,  hält  diese  mehrere  Tage  an ,  so  gebe  man 
.Decoct.  salep,  Columbo  etc.  (s.  Diarrhoea  a  dentitione  und  Den- 
titio). 

Diarrhoen  sanguinen  a  melnena.  Der  Abgang  des  Blutes  bei  Morbus 
niger,  Melaena,  ist  oft  bedeutend,  die  Farbe  schwarz,  späterhin  fleischig, 
wie  ausgewaschenes  Blut ;  gewöhnlich  ist  Vomitus  cruentus  vorhergegangen. 
Cur»  Man  behandle  das  Grundübel,  vermeide  erhitzeiwie  Dinge ,  gebe  Potio 
Riverii,  Decoctum  tamarindorum,  stopfe  die  Diarrhöe  nicht;  sie  kört,  wenn 
■kein  geronnenes  Blut  mehr  da  ist,  von  selbst  auf.  Man  gebe  dann  Lac 
ammoniacale  etci  (s.  Morbus  niger). 

Diarrhoen  sanguinea  dysenterita.  Ist  Symptom  der  Ruhr,  s.  D  ys  an- 
te ri  a. 

Diarrhoea  sanguinea  coViquativa.  Ist  zuweilen  Symptom  des  putriden 
Fiebers  mit  Auflösung  des  Blutes,  oder  Symptom  der  Fel)ns  hectica  im 
höchsten  Stadium  der  Schwäche,  bei  Phthisis  pulmonalis.  Cur.  Die  Be- 
handlung des  Grundübels  mit  Berücksichtigung  des  Krank heitscharaktera. 
Ist  Erethismus  da,  dann  besonders  Opivnn,  bei  Torpor  Gewürze,  Faba  Pi- 
churim  ,  China ,  Simaruba ,  Alaun  ,  Aniica  etc. 

Diarrhoea  habitualis.  Sie  ist  häufig  Folge  der  Diarrh.  biliosa,  der 
Ruhr,  verschiedener  Krankheiten  der  Digestionsorgane,  unregehnässiger  Diät 
bei  Diarrhöen;  ist  oft  recht  hartnäckig,  kann  selbst  Jahre  lang  dauern,  bei 
Frauen  Abortus  erregen  und  überhaupt  manche  Nachtheile  für  die  Gesund- 
heit herbeiführen.  Cur.  Hier  passen  vorzüglich  Amara:  Quassia,  Gentiana, 
Calam.  arom. ,  Simaruba,  selbst  China,  anhaltend  gebraucht;  äusserlich  Li- 
nim.  volat. ,  aromatische  PHaster,  warme  Bäder,  Flanellkleidiing,  gewürz- 
liafte  Diät.  Ist  das  Übel  recht  hartnäckig  und  mit  Torpor  verbunden,  so 
passen  oft  da»  natürliche  oder  künstliche  Emser  Wasser  und  gänzliche  Ver- 
änderung der  Lebensweise.  Will  das  Übel  diesen  Mitteln  nicht  Aveichen, 
»ind  die  Stuhlgange  reichlich,  schwach  gefärbt,  ähnlich  dem  Kalkwa.sser, 
«0  leistet  der  anhaltende  Gebrauch  des  Cupr.  sulphuric ,  dreimal  täglich 
l'/a — 3  Gran  mit  '/^ — '/;.  Gran  Opium  in  Pillenform,  sehr  gute  Dienste  (vergl. 


I 


DIASTASIS  —  DFATHESIS  B55 


Etitomn  irt  Proricfl's  Notiz.  1828,  Nr.  9).  Awch  folgende  Mlttd  Bmd  bei 
torpider  Schwäche  des  Darmcanals  zu  einpfehlten  ;  I^  Extr.  Kgn.  campech» 
3jj ,  -4f/.  cirinnm.  s.  v.  V',  7'wcf.  cntechn  3]\}  ,  Si/r.  cört.  aurant.  gj.  M.  S; 
B  —  4mal  täglich  1  Esslöffel  voll.'  Desgleichen  I^  Putv.  Inno  subtil.,  Bumnu 
ttrnl/ici  ana  gfir.  Redig :  c.  aq,  mettth.  jyip.  q.  s.  in  form.  eled.  M.  S;  Vi«^rinal 
täglich  1  Theelöffel  voll.  Bei  der  Diarrhoea  chronica  infantum  atrophischer) 
besonders  aber  scrophulöser  Subifecte  wirkt  oft  gÄn*  specifik :  fy  Rad.  julap. 
gr.  j — jji,  Nuc.  moschat.  gr.  )>,  Sem.  foenicuH  ^ii.  M.  f.  pulv.  disp,  d'öil 
xvj.  S.    Dreimal  täglidi  ein  Püher  (Dr.  RftUch  in  Petersburg). 

toimrlwen  erethislicn;  D.  toi-jndn ,  Durchfall  mit  E  rethisTnils  odt^f 
Torpor  (Paralysls).'  Die  Unterscheidung  des  Charakters  der  Diarrhöe  ist 
fiir  die  Behandlung  sehr  wichtig.  Des  synuchische,  hypersthenische  Cha- 
rakter ist  hier  wol  höchst  seifen,  da  dieser  sich  durch  die  Diarrhöe  selbst 
am  ersten  hebt,  häufig  dagegen  der  Charakter  des  Erethismus,  2.  B.  bei 
Diarrh.  biliosa,  serosa,  arthritica,  mucosa,  dysenterica,  Cholera,  bei  Diar- 
rhöe nach  drastischen  Mitteln  etc.  Er  giebt  sich  durch  Kolikschu'iei'z ,  durch 
schmerzhafte  Ausleerungen  zu  erkennen.  Hier  passen  vorzüglich  laue  schM- 
mige  Getränke :  Eidotter  in  Wasser  gelöst',  Decoct.  althaeae,  Salep,  Hafer-, 
Graupenschleim,  und  daneben  das  Opium,  alle  2 — ^^S  Stunden  V2-^— 1  Grart 
(doch  bei  Kindern  mit  grosser  Vorsicht).  Äusserlich  Einreibungen  von  Ol, 
fclmmoiti. ,  hyoscyami,  Opium,  Kampher,  warme  aromatische  Fomentäüone'h 
auf  den  Unterleib,  Vermeidung  aller  Speisen  und  säuerlichen  Getränke 
Späterhin  bei  gemindertem  Erethismus  Tinct.  rhei  aquos ,  Elix.  viscer. 
Holfm. ,  Infus,  oülumbo,  Decoct.  cascarill.,  angusturae  mit  Tinct.  opii,' zu- 
letzt Quassia,  China,  Martialia.  Die  Diarrhoea  torpida,  paralytica  ist  oft 
Symptom  des  Typhus  putridus,  der  Dysenteria  putrida,  auch  die  Diarrhoea 
habitualis  hat  häufig  diesen  Charakter.  Hier  fehlen  die  Symptome  der  ere- 
thistischen  Diarrhöe,  der  Kranke  ist  schwach,  mager,  lax,  reizlos  etg. 
Hier  passen  reizende,  gewürzliafte  Mittel  :Zimmt,' Ingwer,  Muskatnüsse, 
Tiiict.  cinnanjomi ,  aurantior. ,  Armcä ,  Naphthen ,  Paba  Pichurim  (dreimal 
täglich  ^]\- — j),  Columbo ,  Kino,  Simaruba ,  Ligtt-  campechiense,  Torm'en- 
tilla,  Alaun;  auch  Ol.  terebinthinae.,  p.  d.  zu  8  — 10  Tropfen  mit  Eigellj 
oder  Syr.up  (Copetand') ,  daneben  stärkende,  reizende  Diät,  animalische 
Kost,  Wein,  Gewürze.  '  '    '' ''  , 

Diarrhoen  criticn.  Der  Arzt  vergesse  tiie,' dass  eii  ailcih  vifele  Tcriiis'cHö 
Diarrhöen  giebt,  welche,  wenn  sie  früh  gestopft  werden,  schlimme  Folgen 
hinterlassen.  Hierher  gehören  die  Diarrhoea  stercoralis,  a  dentitione ,  D. 
sanguinea  metastatica ,  a  melaena ,  die  D.  mucosa ,  verminosa ,  biliosa ;  auch 
die  Durchfälle  bei  Hydrops,  Icterus,  Hypochondrie,  Melancholie,  Physconia 
hepatis,  bei  Krämpfen  mit  Congestionen  zum  Kopfe  etc.  sind  häufig  kritisch; 
Hier  massige  man  den  Durchfall  durch  gute  Diät,  Warmhalten,  schleimige 
Getränke  und  gebe  das  Opium  nicht  sogleich,  sondern  erst  nach  Verlauf  von 
S  —  4  Tagen,  wenn  alsdann  die  Natur  das  Übel  nicht  schon  gehoben  hat. 

Diastasis.  Ist  das  Auseinanderweichen  unbeweglich  mit  einander 
verbundener  Knochen;  s.  Luxatio. 

Diastrophe»  die  Verdrehung,  Verzerrung,  z.  B.  der  Glie- 
der, des  Rumpfs,  der  Gesichtszüge  etc.  durch  Krampf,  die  Deformität  der 
Glieder  nach  Luxationen ,  Fracturen. 

Diatliesis,  Dispositio  (ad  morbum),  Opportunitas ,  Anlage,  Krank- 
heitsanlage, Disposition  zu  dieser  oder  jener  Krankheit;  auch  Causae 
morbi  internae,  prädisponirende  Ursachen  genannt,  im  Gegensatz  der  Ge- 
legenheitsursachen (Causae  morbi  externae).  Hierbei  kommen  in  Betracht ; 
1)  die  Körperconstitution,  d.  i.  ein  fester,  bestimmter  Gesundheitszustand 
des  Individuums ,  der  sich  thells  durch  äussere  Merkmale  (sogenannter  Ha- 
bitus), theils  durch  die  Structur  der  Organe  und  durch  die  Mischung  der 
Säfte  (z.  B.  Kachexie ,  Dyskrasie)  zu  erkennen  gie()t.  Dem  Arzte  ist  das 
Studium  dieser  Gegenstünde  höchst  nöthig  ,  er  muss  die  verschiedene  Con- 
stitution und  den  Habitus  des  Menschen   genau  kennen   (s.  CoMstitu'tio), 


558  DIATRIMMA  ~  DICLIDOSTOSIS 

desgleichen  2)  das  Temperament,  wenn  er  richtige  Einsicht  in  den  vorfie- 
genden  Krankheitsfall  sich  verschaffen  will;  auch  3)  die  erbliche  Anlage, 
4)  das  Geschlecht,  5)  das  Alter  und  die  bestimmten  Lebensperioden,  6)  die 
Jahreszeiten  und  7)  die  vorangegangenen  Krankheiten  sind  bei  Erforschung 
der  Causa  morbi  interna  nicht  zu  übersehen.  .  B'olgendes  Specielle  finde  hier 
noch  Platz. 

Dinihesis  inflammnioria ,  phlogistica ,  i/enuin n,  Anlage  zu  Entzün- 
dungen und  entzündlichen  Fiebern,  Giebt  die  plethorische  Con- 
stitution, das  jugendliche  und  männliche  Alter,  der  Habitus  apoplecticus  (s. 
Apoplexia  und  Infi  a  m  m  atio).  Diese  Diathcsis  morbosa  wird  durch 
anhaltende  trockne  Kälte  und  Ostwinde,  besonders  im  Winter,  leicht  her- 
vorgerufen. In  ihr  zeigt  sich  eine  rein  entzündliche  Stimmung  der  Kräfte 
und  Säfte  des  Körpers,  welche  die  antiphlogistische  Methode  in  ihrem  gan- 
zen Umfange  erfordert. 

Diathesis  plilotjisiica  speciosa.  Sie  findet  in  jeder  Jahreszeit  durch  schnel- 
len Temperaturwechsel  statt,  und  erfordert  einen  massigen  antiphlogisti- 
schen Apparat. 

Diathesis  apopleciica.  Wird  durch  Habitys  apoplecticus  und  Diathesis 
inflammatdria  begründet. 

Diaihesis  hneredHaria,  erbliche  An  1  jage  zu  verschiedenen  Krankhei- 
ten, durch  Übertragung  der  sogenannten  Constitutionen  von  den  Altern  auf 
die  Kinder.  Hierher  gehören  die  Anlage  zu  Monstrositäten,  Hasenscharten 
etc.,  Habitus  phtbisicus ,  biliosus,  pituitosus,  apoplecticus,  zu  Hämorrhoi- 
den, Krämpfen,  Gicht,  Steinbildung,  Scropheln  etc.  (s.  Habitus,  Apo- 
plexia, Phthisis  etc.). 

Diathesis  .spos/ic« ,  giebt  das  jugendliche  Alter,  das  weibliche  Geschlecht, 
sensible  Constitution,  sanguinisches  Temperament  (s.  Spasmus). 

Diathesis  psorica,  Anlage  zu  Hautkrankheiten,  zu  Ausschlägen,  geben 
das  jugendliche  Alter,  die  epidemische  Constitution,  verschiedene  Contagien^ 
Syphilis,  Atrophie,  Scrophulosis',  im  männlichen  Alter  die  venöse  und  atra- 
bilarische  Constitution  etc.  .; 

Diathesis  rheumatico  -  enjsipelatosa.  Si?  herrscht  häufig  im  Herbsfe  und 
Frühjahre  bei  schnellem  Wechsel  von  Kälte  und. Wärme;  i^t  trockene  Kälte 
mehr  vorherrschend ,  so  entstehen  leicht  acute  Rheumatismen ,  bei  feuchter 
Kälte  verschiedene  Exantheme  und  erysipelatöse  Entzündungen.'    ! 

Diathesis  gastrica.  Entsteht  leicht ,  wenn  feuchte  Kälte  plötzlich  auf 
anhaltend  trockene  Wärme  folgt,  die  Verdauung  stört  und  dad.urch  gastri- 
sche Turgescenz  erregt. 

Diathesis  catarrhalis.  Entsteht  durch  anhaltende .  Nässe,  welche  die 
Hautfunction  stört  und  das  lymphatische  System  und  die  Schleimhäute,,  über- 
laden mit  Stoffen,  die  durch  Transspiration  entfernt  werden  sollten,  reizt, 
entzündet  und  zu  stärkerer  Secretion  geschickt  macht. 

Diathesis  epidemica,  und  endcmica ,  die  epidemische  und  endemi- 
sche Krankheitsanlage.  Wird  durch  die  verschiedenen  Witt«rungs- 
constitutionen  begründet.  Sie  ist  in  den  meisten  Fällen  eine  Diathesis  phlo- 
gistica (besonders  im  Winter,  bei  Ostwinden),  häufig  auch  eine  Diathesis 
catarrhalis,  seltener  Diathesis  nervosa,  typhosa. 

Diathesis  nervosa,  ti/phosa,  Anlage  zu  nervösen  und  typhöse)n 
Fiebern.  Wir  finden  sie  am  häufigsten  bei  zarten,  schwächlichen  ,  schlecht 
genährten  Subjecten.  Hier  bekonmien  Entzündungen  und  Fieber  nie  einen 
bedeutend  synochischen  Charakter,  besonders  wenn  anhaltend  nasskaltes 
oder  trockenes  heisses  Wetter  obwaltet;  daher  wir  nicht  zu  schwächend  ver- 
fahren dürfen. 

i>iatriinina>9  Wundseyn  der  Haut  durch  Abreiben  beim  Gehen,  Rei- 
ten; s.  I  nie  r t r  igo. 

Dichophyiaj  das  Doppeltwcrden,  Spalten  der  Haarspitzen.  Ist 
häufig  mit  Kahlheit  und  Ausfallen  der  Haare  verbunden;  s.  Alopecia. 

HiclidostOHis (    Verknöcherung  der  Gefässklappen,  zumal 


"  /  DICTTITIS  —  DIPHTHERITIS  557 

am  Herzen^  z.  B.  bei  Angina  pectoris,  bei  alten  asthmatischen  Leuten,  bei 
Herzübein  etc. 

Bictyitis,  Entzündung  der  Retina,  «.Amaurosis. 

Dies  COnteinplantefil ,  indicnntes.  Sind  diejenigen  Tage,  welche, 
nach'  Jlippokrntes ,  die  kritischen  Tage  und  ihre  Gefahr  in  Fiebern  anzei- 
gen, z.  B.  der  vierte  Tag  ist  der  Index  des  siebenten,  der  elfte  des  vier- 
zehnten. Diese  treuen  Hippokratischen  Beobachtungen  haben  allerdings 
etwas  Wahres;  es  ist  gut,  wenn  man  an  solchen  Tagen  keine  Arznei  giebt; 
sowie  es  überhaupt  eine  gute  Maxime  ist,  in  hitzigen  Fiebern,  besonders  in 
denen,  die  man  für  typhös  hält  und  reizend  behandelt,  zuweilen  auf  24 
Stunden  alle  Arznei  auszusetzen ,  um  zu  sehen ,  wie  der  Kranke  sich  ohne 
Arznei  befindet.  Ist  sein  Befinden  besser,  so  sehe  man  noch  1  —  2  Tage  zu 
und  lasse  nur  eine  gute  Diät  halten.  Dieses  Verfahren  spart  viele  Arznei 
und  verkürzt  manches  Fieber. 

Dig^estio  depravata,  schlechte  Verdauung,  s.  Dyspepsia. 

JUgestiva,  Digestivmittel.  Sind  solche,  welche  die  Secretion 
des  Darmcanals,  aber  nur  wenig  die  Excretion  desselben  vermehren,  z.  B. 
kleine  Dosen  von  Rheum,  Tamarinden,  Sal  Glauberi,  Sal  amarum,  Pulv. 
liquir.  compos.  Ph.  Boruss. ,  Crem,  tartari,  Magnesia,  Sal  Seignette,  welche 
Mittel  bei  Neigung  zu  Sordes  etc.  gebraucht  werden,  stockende  Materien 
im  Darmcanal  mobil  machen  und  zur  Ausleerung  vorbereiten.  Indem  diese 
Mittel  Stockungen  und  Unreinigkeiten  auflösen,  sind  sie  auch  Verdauung 
stärkende  Mittel.  In  der  Chirurgie  nennt  man  auch  die  Eiterung  beför- 
dernden Mittel  (^Diapijeticn,  Mnturnntia ,  Supptirantin^  Digestiva,  daher  auch 
der  Name  des  bekannten  Unguent.  digestivum.  Vorzüglich  rechnet  man 
hierher  den  Terpenthin. 

IMhysteria.  Dimetra,  doppelte  Scheide  und  Gebärmutter.  Ist  in 
seltenen  Fällen  beobachtet  worden.  Vor  einem  Jahre  accouchirte  ich  eine 
24jährige  Frau  in  hiesiger  Stadt,  die  Zwillinge  weiblichen  Geschlechts  ge- 
bar. Da  hinterher  die  festsitzende  Placenta  das  Eingehen  meiner  Hand  in 
den  Uterus  nöthig  machte,  so  fand  ich  zu  meiner  Verwunderung  einen  völ- 
ligen Uterus  bicornis,  indem  durch  ein  Septura  die  Gebärmutter  in  zwei 
gleiche  Hülften  getheilt  war.  Diese  Frau,  erst  seit  3  Jahren  verheirathet, 
hat  schon  4  Kinder  geboren;  denn  sie  kam  im  ersten  Wochenbette  gleich- 
ftills  mit  Zwillingen,  und  zwar  männlichen  Geschlechts,  nieder. 

Diluentia,  verdünnende  Mittel.  Sie  haben  die  Eigenschaft, 
die  Säfte  des  Körpers  zu  verdünnen.  Hierher  gehören  alle  warme,  schlei- 
mige ,  erschlaffende  säuerliche  Getränke ,  die  in  Fiebern  zur  Stillung  des 
Durstes  dienlich  sind  und  auf  Schweiss  und  Stuhlgang  wohlthätig  wirken: 
Hafer  - ,  Graupenschleim  ,  Gerstendecoct ,  Limonade  etc. 

Sinica,  richtiger  Antidinica,  Mittel  gegen  den  Schwindel.  Sind 
verschieden  nach  der  Ursache  des  Übels  (s.  Vertigo). 

Siorthosis  ,  die  Verbesserung  abnormer  Krümmungen  des  Rückgrats, 
der  Glieder  (s.  Orthop  aedia). 

Hioscurij    Geschwulst   der   Ohrendrüse,    s.    Inflammatio    par- 

0  ti  dis. 

Dlphtberitis.  Unter  der  Benennung  Diphthdrite  versteht  Dr.  Bre- 
tonnenu  (Des  Inttammations  specifiques  du  tissu  muqueux,  et  en  particulier 
de  la  Diphtherite.  Par.  1826)  eine  specifische ,  endemisch  vorkommende  Ent- 
zündung der  Schleimhaut  des  Mundes,  Rachens  und  der  Luftwege,  in  de- 
ren Folge  sich  stets  häutige  Gebilde  zeigen.  Er  begreift  unter  diesem  Na- 
men den  Croup,  die  Angina  maligna  und  die  epidemische  Mundfäule.  Der 
Name  ist  überflüssig  und  die  Ansicht  des  Hrn.  B. ,  sowie;  seine  Cur  haben 
wenig  praktischen  Werth  (s.  Heidelberger  klin.  Annalen,  1827,  Bd.  HI. 
Hft.  3).  Er  räth  z.  B.  beim  Croup  an,  Alaunpulver  in  die  Luftröhre  zu 
blasen  {Froriep's  Notiz.  1827,   Bd.  XVIU.  No.  2),   womit  sich  kein  deut- 


553  DIPLOPIA  —  DIPSOMANIÄ 

scher  Arzt  begnügen  wird.  Auch  C.  II.  Fuchs  (Untersuchungen  über  AWgina 
maligna  und  ihr  Verhältnlss  zum  Scharlach  und  Croup,  1828)  behauptet 
höchst  einseitig,  dass  der  Croup  eine  Zwitterform  von  Angina  maligna  und 
Scarlatina  sey  und  vor  dem  Jahre  1745  nicht  existirt  habe.  Er  hätte  sich 
über  diesen  historischen  Punkt  aus  Sachsens  Schrift  (Das  Wissenswertheste 
über  .die  häutige  Bräune)  besser  belehren  können. 

DiplopiA»  Dillopia,  Visus  duplex,  Doppelsehen.  Ist  zuweilen 
Folge  heftiger  Anstrengung  der  Augen  durch  zu  helles  Licht,  wobei  er-. 
höhte  Receptivität  stattfindet.  Hier  giebt  es  sich  bald  von  selbst  durch 
Ruhe  und  Schonung;  in  andern  Fällen  ists  Wirkung  des  Schielens  (Stra- 
bismus) ;  in  noch  andern  ist  es  ein  bedeutendes  Symptom ,  das  einen  tief- 
liegenden Nervenfehler,  nahe  bevorstehende  Amaurose  anzeigt,  besonders 
wenn  es  mit  Chrnpsie,  Photopsie,  Oxyopie  abwechselt  oder  verbunden  ist. 
In  seltenen  Fällen  sieht  man  mit  einem  Auge  doppelt,  ja  vier-,  sechs-, 
achtfach ;  hier  wollte  man  eine  vicleckige  Cornea  gefunden  haben.  Cur. 
Ist  nach  den  Ursachen  verschieden;  oft  ist  das  Übel  unheilbar,  Ists  anhal- 
tend, so  nehme  man  die  Sache  nicht  leicht,  sondern  forsche  nach,  ob  auch 
Amblyopie  da  ist.  Wir  sehen  jedes  Object  doppelt,  wenn  die  Gehirntheile, 
welche  der  Perception  der  Gesichtseindrücke  vorstehen,  z.  B.  die  Thalami 
nervoruiu  opticorum,  ihre  Thätigkeit  ungleichmässig  ausüben,  oder  wenn 
die  Receptivität  der  Regenbogenhäute  nicht  gleichniässig  stark  ist,  oder  end- 
lich, wenn  vermöge  der  abweichenden  Richtung  beider  Augen,  die  aufs  Ge- 
hirn übertragenen  Impressionen  in  einem  ungleichen  Verhältnisse  stattfinden, 
z.  B.  bei  künstlichem  Schielen ,  bei  Strabismus  incipiens.  —  Trunkenheit, 
heftiger  Zorn,  Quetschungen  des  Auges ,  Coauiiotio  cerebri,  heftiger  Schreck 
können  das  Übel  momentan  hervorrufen.  Liegen  organische  Fehler  zum 
Grunde,  so  ists  meist  unheilbar.  Bei  Schwangern  kommt  Visus  duplicatus 
häufig  vor,  eben  so  bei  Hysterischen,  Hypochondristen,  wo  es  durch  Re- 
aolventia  und  gelinde  auf  den  Unterleib  wirkende  Laxanzen  meist  verschwin- 
det. Bei  erstem  heilt  es  schon  alleui  das  Wochenbette.  Prof.  Becli  theilt 
in  V.  Ammon's  Zeitschr.  f.  Ophthalra.  1835  ,  Bd.  IV.  S.  401  ff.  einen  inter- 
essanten Fall  mit,  wo  tuberculöse  Entartung  des  Hirnanhanges  die  Ursache 
der  Diplopie  und  des  Strabismus  war. 

JDipSACUS»  Durstsucht.  Ist  ein  Symptom  bei  hitzigen  Fiebern, 
wenn  man  bei  diesen  den  vermehrten  Durst  so  nennen  will ,  vorzüglich  aber 
ein  Symptom  der  Harnruhr,  daher  auch  der  Name  gleichbedeutend  genom- 
men wird  (s.  Diabetes).  Bei  Hydrops  ist  heftiger  und  häufiger  Durst 
ein  sehr  schlimmes  Zeichen. 

DipSomaniA*  So  hat  man  wol  die  Trunksucht  genannt  (^Hufe- 
land),  richtiger  ist  wol  der  Name  Methomania.  Soll  die  Trunksucht  nicht 
die  traurige  Säuferkrankheit,  das  Delirium  tremens  bewirken,  so  muss  der 
Säufer  sich  die  geistigen  Getränke  allmälig  abgewöhnen,  Bier,  Kaffee, 
Chocolade ,  Fleischbouillon  und  dergl.  so  oft  geniessen ,  als  ihm  das  Bedürf- 
niss  zum  Trinken  ankommt,  und  sich  fleissig  in  der  freien  Luft  bewegen. 
Zugleich  vergesse  der  Arzt  nie ,  sein  Augenmerk  auf  etwaige  Abdominälfeh- 
1er:  Leber-,  Milzverhärtungen  etc.  zu  richten  und  danach  die  Cur  einzu- 
leiten (s  Delirium  tremens).  Sind  solche  organische  Fehler  nicht  da, 
ist  nur  Blennorrhoe  zugegen,  so  hilft  oft  meine  Tinctura  ebriorum  (s.  Aro- 
matica),  welche  die  Entwöhnung  von  geistigen  Getränken  bei  standhaf- 
tem Vorsatze  weniger  beschwerlich  macht,  auch  die  Constitution  des  Säu- 
fers sehr  verbessert.  Dass  die  Krankheiten  der  Säufer  in  ihrer  Behandlung 
eine  besondere  Rüsksicht  A'erdienen,  dass  wir  bei  Fiebern  und  Entzündun- 
gen hier  nicht  streng  antiphlogistisch  verfahren  dürfen,  soll  nicht  ein  schäd- 
licher Collapsus  und  ein  symptomatisches  Delirium  tremens  erfolgen ,  darauf 
ist  schon  oben  (s.  Delirium  tremens)  aufmerksam  gemacht  worden.  Beson- 
der« schön  hat  dieses  Berndt  (^hufelnnd's  Journal,  1828,  Octb.)  dargethan, 
und  auf  die  Verschiedenheit  der  Krankheitsbildung,  welche  der  Missbrauch 
der  Spirituosa  veranlasst,   aufmerksam  gemacht,  desgleichen,  wie  hierdurch 


I  DISCUTIENTIÄ  -  DISSOLVENTIA  559 

die  Symptome  und  der  Verlauf  der  fieberhaften  Krankheiten  modificirt  wer- 
den. Es  giebt  bei  euizehien  Menschen  eine  periodische  Trunksucht, 
welche  meist  14  Tage  bis  4  Wochen,  oft  selbst  Monate  intermittirt ,  und 
dann  einige  Tage  dauert  und  oft  anit  VVuth  verbunden  ist.  Derselben  ge- 
denken schon  Brühl -Cramer  und  Erdmann  (s.  dess.  Beiträge  zur  Kenntnis^ 
des  Innern  von  Russland;  Riga,  1823).  Auch  Henke  macht  darauf,  zumal 
in  medicinisch  -  forensischer  Hinsicht ,  aufmerksam  (s.  dess.  Zeitschrift  der 
8taatsarzneikunde ,  8tes  Ergänz.  -  Heft ,  1827,  S.  181  u.  f.).  Ich  kenne  hier 
im  Orte  ein  paar  recht  fleissige,  thätige,  massige  Männer,  welche  an  die- 
ser periodischen  Methomanie  leiden,  und  alle  8  — 12  Wochen  mehrere  Tace 
hindurch  so  viel  geistige  Getränke  trinken  und  volle  Tage  und  Nächte  in 
den  Wirthshäusern  sich  umliertreiben ,  dass  sie  oft  ganz  von  Sinnen  kom- 
men, bis  diese  Periode  vorüber  ist.  Oft  kommt  letztere  gerade  zur  Zeit 
des  Neu  -  oder  Vollmondes  und  bei  bedeutend  schnellem  Witterungswechsel. 
Ein  oder  zwei  tüchtige  Brechmittel,  gleich  anfangs  während  der  Vorboter» 
der  Sauflust  gereicht,  präserviren  häufig  solchen  periodischen  Trunksucht- 
anfall ,  desgleichen  kalte  Waschungen  des  ganzen  Körpers. 

Discutienti A  (incdicamma) ,  Disciissivn ,  zertheilende  Mittel, 
gleichbedeutend  mit  Resolvcntin  externa.  Es  gehören  hierher  die  Spirituosen, 
aromatischen,  sauren,  adstringirenden ,  salzigen  Mittel,  das  kalte  Wasser, 
nm  Congestionen ,  entzündliche  Spannung  und  Extravasat  in  äussern  Thei- 
len  zu  entfernen. 

DislocatiOf  Verrenkung  eines  Knochens,  s.  Luxatio.  Das  Wor^ 
ist  in  der  allgemeinsten  Bedeutung  synonym  mit  Abweichung,  Orts- 
veränderung, und  schliesst  daher  die  Begriüe  Diastasis,  Distorsio,  Ecto- 
jiin,  Hemia,  Luxatio,  Prolnpsiis,  Fraciura  cum  dislucatimie ,  Invnginntio  und 
Convolvuliis  intestinorum  etc.  ein.  Im  engern  Sinne  versteht  man  darunter 
die  Verschiebung  gebrochener  Knochen  und  die  Gelenkverrenkung. 

Dispositio,  Dispositio  interna,  Opportunitas ,  Krankheitsanlage;  ». 
Diathesis. 

Sissolvcntia  (medicamind) ,  Zertheilungsmittel.  Sind  solche^ 
die  eine  regelwidrige  Ansammlung  oder  Ablagerung  tropfbar  flüssiger,  gas- 
förmiger oder  verhärteter  Stoffe  in  verschiedenen  Theilen  des  Körpers  be- 
seitigen ,  ohne  dass  dieselben  unmittelbar  an  Ort  und  Stelle  entleert  oder 
fortgeschafft  werden,  indem  hier  mehr  auf  die  Thätigkeit  der  resorbirenden 
Gefässe ,  der  Lymphgefasse  und  Venen ,  gerechnet  wird ,  zumal  in  der  Nach- 
barschaft des  leidenden  Theils.  Da  jede  Entzündung  mit  Congestion,  Zu- 
fluss  und  Anhäufung  von  Säften  im  eikrankten  Theile  verbunden  ist,  so 
nennt  man  die  Heilung  derselben,  wenn  sie  nicht  in  Eiterung,  Ausschwitzung, 
Verhärtung  ,  Brand  etc.  übergeht ,  eine  solche  durch  Z  e  r  t  h  e  i  1  u  n  g ,  die 
bekanntlich  den  besten  Ausgang  dieses  örtlichen  Leidens  ausmacht.  Daher 
alle  Antiphlogistica  auch  Dissolventia  sind,  so  wie  denn  letztere  auch  häufig 
aus  der  Classe  der  entzündungsvvidrigen  Mittel  schon  deshalb  gewählt  wer- 
den müssen  ,  weil  bei  vielen  Geschwülsten  ^  Ansammlungen  etc.  Entzündung 
als  primäre  und  fortwirkende  Ursache  zum  Grunde  liegt.  Der  Vitalitätszu- 
stand des  Organs;  in  welchem  die  zu  zertheilende  Ablagerung  stattfindet, 
die  Cohäsion  der  Stoffe,  ob  sie  fest,  tropfbar,  Öüssig  oder  gasförmig  sind, 
die  höhere  oder  niedere  Organisation  der  Stoife,  ob  es  Bhit,  Serum,  Lym- 
phe etc.  ist,  der  Ort  und  die  Structur  der  Theile,  wo  sie  liegen,  die  Ur- 
sache ihres  Entstehens,  —  alle  diese  Dinge  kommen  hier  in  Betracht.  Es 
giebt  daher,  obgleich  im  engern  Sinn  die  zertheilenden  Mittel  nur  aus  der 
Classe  der  Reizmittel  genommen  werden,  reizmildernde,  kühlende,  an- 
tiphlogistische und  reizende,  reizvermehrende,  irritirende  Dissolventia.  Zu 
letztern  gehören  die  Harze,  die  reizenden  Pflaster,  die  reizenden  Salben, 
die  Elektricität,  der  Galvanismus,  die  reizenden  Dämpfe ,  Bäder,  Umschläge 
etc.  —  Zur  Zertheilung  normwidrig  abgelagerter  Stoffe  giebt  es  noch  drei 
besondere  Methoden :  den  mechanischen  Druck ,  die  Derivation  und  den  Ge- 
brauch derjenigen  Interna ,   die ,  in   die  Blutmasse  geführt ,   eine  specifische 


560  DISTENSIO  —  DISTORSIO 

Zertheilungskraft  besitzen,  indem  sie  die  Resorption  beleben.  Durch  deii 
Druck,  die  Compression,  wird  der  erneuete  Absatz  der  abnormen  Materie 
Bn  den  betroffenen  Ort  verhindert  und  die  Ernährung  gehemmt,  wodurch 
ein  Schwinden  der  Partie  bezweckt  wird.  Er  lässt  sich  überall  anbringen, 
wo  eine  harte  Unterlage  ist,  wo  edle  Organe  nicht  beeinträchtigt  werden, 
•wo  die  Theile  nicht  zu  empfindlich  sind  und  die  Ansammlung  nicht  •  dem 
drückenden  Material  ausweichen  kann.  Wir  heilen  durch  Compression  mit 
Glück  Tumores  cystici,  Ganglien,  Bubonen,  den  Callus  fistulöser  und  si- 
nuöser  Geschwüre ,  Blutecchymosen  am  Kopfe  etc.  Dem  Drucke  ähnlich 
wirkt  die  anhaltend  einwirkende  Kälte ,  indem  sie  die  Vegetation  hemmt. 
Durch  Elektricität  kann  man  Warzen  an  den  Händen  (s.  Sachs  Berliner 
med.  Centralzeitung ,  1834,  Nr.  21,  S.  S33)  heilen,  kalte  Geschwülste, 
Tumor  albus,  selbst  Kröpfe,  Gichtknoten  etc.  zertheilen  (s.  MosVs  Heil- 
kräfte des  Galvanismus  etc.  Lüneburg,  1823).  —  Auch  die  derivirenden 
Mittel  befördern  die  Zertheilung ,  indem  durch  sie  die  vegetative  Thätigkeit 
abgeleitet  und  eine  andere  natürliche  Secretion  vermehrt  wird.  Die  Knt^- 
ziehungs-  und  Hungercur,  die  Purganzen,  Vomitive,  das  Decoct.  Zittmanni, 
die  Ekelcur,  die  künstlichen  Geschwüre  in  der  Nähe  der  Geschwulst,  — ' 
alle  diese  Derivantia  zertheilen  kalte  Abscesse ,  Hydrocele,  Sarcocele,  Drü- 
ßenvei'härtungen ,  Anschwellungen  der  Gelenke,  Anschoppungen  innerer  Or- 
gane etc.  Als  specifische  Zertheilungsmittel  stehen  in  grossem  Ruf :  das 
lod  (Tinct.  iodin.  innerlich ,  Unguent.  kali  hydriodln.  äusserllch) ,  der  Mer- 
cur,  Antimonium,  Terra  ponderosa  salita,  Salmiak,  Cicuta,  Belladonna  etc. 
(^6,  auch  Resol ventia). 

JDistensiOj  Ausdehnung,  Ausstreckung.  Ist  gleichbedeutend 
mit  Distrnctioj  Extrnctio ,  Extensio ,  und  macht  einen  Act  der  Einrichtung 
gebrochener  und  verschobener  Knochen  aus  (s.  Fractura  und  Luxatio). 

Distorsio»  Contorsio,  Sulluxntio,  Luxaiio  imperfectn ,  Verdrehung, 
Verstauchung,  unvollkommene  Verrenkung.  Ist  eine  stattge- 
fundene, durch  die  Wirkung  der  Ligamente  und  Muskeln  von  selbst  wieder 
eingerichtete  Luxatio  incompleta.  Sie  kann  aus  äussern  mechanischen,  sel- 
tener aus  innern  Ursachen  entstehen  (s.  Arthrocace).  Die  Verstauchung 
des  Fusses ,  der  Hand  wird  häufig  von  Laien  schon  durch  gelindes  Ziehen 
und  Drehen  des  Gliedes  gehoben.  Schädlich  ists ,  das  Glied  sogleich  mit 
Spirit.  camphorat. ,  saponis ,  sal.  aramon.  caust.  zu  waschen ;  besser  sind  Fo- 
mentationen  von  Wasser  und  Essig,  Bleiwasser,  und  erst  späterhin,  nach 
Verlauf  von  acht  Tagen,  jene  reizenden  Dinge,  die,  früh  angewandt,  leicht 
den  Schmerz,  die  Geschwulst  und  Entzündung  vermehren  (s.  Contusio 
und  Luxatio).  Der  allgemeine  Begriff  von  dieser  Benennung  ist  Verdre- 
hung oder  Verbieg ung  der  Glieder  im  Allgemeinen,  mag  dieselbe 
entstanden  seyn  durch  Rheuma,  Gicht,  Scropheln ,  Rhachitis,  Krämpfen, 
allgemeiner  Schwäche ,  Contracturen  der  Muskeln ,  oder  als  Vitium  primae 
formationis  vorkommen.  Im  engern  Sinn  ist  Distorsio  oder  auch  Contorsio 
«ynonym  mit  Luxatio  incompleta.  Kommt  eine  solche  an  der  Hand  vor,  so 
heisst  sie  Verstauchung,  am  Fussgelenke  Vertretung,  an  der  Wir- 
belsäule Verhebung  oder  Verbiegung.  Oft  sind  dabei  einzelne  Ge- 
lenkbänder zeiTissen ,  die  Muskeln  und  deren  Scheiden  verschoben  (Luxatio 
musculorum) ,  und  das  Gelenk  selbst  und  die  Nachbarschaft  bedeutend  ge- 
quetscht. Am  häufigsten  folgt  das  Übel  durch  heftige  Muskelanstrengungen, 
z.  B.  beim  Tanzen ,  Springen ,  beim  plötzlichen  Greifen  nach  entfernt  lie- 
genden Gegenständen  (Vergreifen),  bei  Wäscherinnen  oft  durch  das  Aus- 
ringen grosser  Stücke  Wäsche,  ferner  durchs  Fallen  in  ein  Loch,  durch 
einen  Fehltritt  oder  das  Umknicken  mit  dem  Fusse  beim  Springen  und  Tan- 
zen ,  bei  uns  Verw  rickein  genannt,  durchs  Fallen  auf  die  Hände. 
Symptome.  Plötzlich  auftretende  heftige  Schmerzen  im  Gelenke ,  im 
ganzen  Gliede ,  gehinderte  oder  ganz  aufgehobene  Beweglichkeit  desselben, 
später,  nach  einigen  Stunden,  eine  Entzündungsgeschwulst,  die  aber  nicht, 
wie  A.  L.  Richter  (fiwst's  Handb.  d.  Chirurgie,  Bd.  VI.  S.  49)  meint,  einen 


DISTRICHIASIS  —  DIURESIS  561 

asthenischen ,  sondern  gegentheils ,  zumal  bei  robusten ,  jungen  Subjecten, 
einen  echt  inflammatorischen,  sthenischen,  arteriellen  Charakter,  wenigstens 
in  den  ersten  7  Tagen ,  zeigt ,  wo  daniv  erst  vermehrte  Absonderung  in  den 
Geleakmembranen  und  Flechsenscheiden  als  Folge  jenes  früher  stattgefun- 
denen Entzündungszustandes,  der  nun  mehr  den  asthenischen  Charakter  nach 
und  nach  annimmt,  sich  einsteift.  Zuweilen  ist  auch  die  Form  und  Rich- 
tung des  Gliedes  verändert ,  ein  oder  der  andere  Muskel  und  dessen  Sehnen 
hervorspringend.  —  Die  Prognose  ist,  wenn  die  Häute,  Bänder,  Knorpel 
und  Sehnen  des  Gelenks  bedeutend  gelitten  haben  und  schon  entzündet 
sind ,  ungünstig ,  indem  dann  leicht  Tumor  albus  und  Hydrarthrus  die  Folge 
sind.  „Wird  auch  durch  eine  zweckmässige  Behandlung  —  sagt  mit  Recht 
Richter  —  ein  solcher  ungünstiger  Ausgang  abgehalten,  so  dauert  es  doch 
selir  lange,  oft  viele  Monate,  bevor  der  Patient  das  Glied  wieder  gebrau- 
chen kann  ,  und  die  gehörige  Kraft ,  Sicherheit  und  Festigkeit  zurückkehrt, 
da  die  das  Gelenk  zusammenhaltenden  ßefestigungsmittel  erst  sehr  spät  den 
geliörigen  Grad  von  Festigkeit  und  Spannkraft  wieder  erhalten ,  und  noch 
lange  eine  erhöhte  Reizbarkeit  wahrnehmen  lassen ,  welche  besonders  bei 
Veränderung  der  Witterung  bemerkbar  wird."  —  Behandlung.  Bei  auf- 
fallender Abweichung  der  Form  und  Richtung  des  Gliedes ,  bei  Verschie- 
bung der  sich  verbindenden  Knochen ,  suche  man  durch  Ziehen ,  durch  Hin- 
und  Herbewegen ,  Drücken  und  Streichen ,  welches  aber  vorsichtig  gesche- 
hen muss,  dem  Gelenke  seine  gehörige  Form  wieder  zu  geben.  Alsdann 
dienen  recht  kalte  Fomentationen  von  Eis  ,  Eiswasser,  Fomentatio  frigida, 
welche  anhaltend,  so  lange  Schmerzen  da  sind,  angewandt  werden  müssen; 
auch  kann  das  Glied  gleich  nach  der  Verletzung  mehrere  Stunden  lang  in 
recht  kaltes  Wasser  getaucht  werden,  wenn  anders  der  Kranke  nicht  gich- 
tisch, rheumatisch  oder  gerade  menstruirt  ist.  Im  letztern  Falle  muss  man 
sich  auf  die  kalten  Umschläge  beschränken.  Später  dienen  Fomentationen 
von  lauwarmer  Ai^ua  Goulardi.  Ist  so  der  Entzündung  nach  2  bis  3  Tagen 
vorgebeugt,  so  dass  keine  Schmerzen  mehr  stattfinden,  dann  kann  man 
Spirit.  vini  camphorat.  und  Spiritus  saponis  einreiben  und  einen  massig  com- 
primirenden  Verband  anlegen.  Wird  man  erst  einige  Tage  nach  der  Ver- 
letzung zu  dem  Kranken  gerufen ,  so  hat  dieser  in  der  Regel  schon  reizende, 
spirituöse  Mittel  angewandt  und  das  Übel  dadurch  so  verschlimmert,  dass  Ent- 
zündung und  heftiger  Schmerz,  Geschwulst  etc.  eingetreten  sind.  Hier  die- 
nen nach  Umständen  allgemeine  und  örtliche  Blutausleerungen,  kalte  Um- 
schläge, später  lauwarme  Fomentationen  von  Aq.  Goulardi,  Einreibungen 
von  Unguent.  mercuriale  einer.,  noch  später  der  Gebrauch  der  Spirituosa 
und  der  Contentivbinde ,  zuletzt  thierische  Bäder,  massige  Bewegung  des 
Gliedes.  Folgen  auf  die  Anwendung  der  Spirituosa  noch  Schmerzen ,  die 
sich  nach  dem  Gebrauche  derselben  vermehren,  so  kehre  man  zu  den  lauen 
Fomentationen  von  Infus,  specier.  aromat. ,  Aq.  saturni ,  zurück ,  bis  der 
Kranke  jei>e  Spirituosa  vertragen  kann ;  alsdann  kann  man  auch  folgende 
Salbe  no<;h  eine  Zeitlang  einreiben  lassen :  ^r  Umjuent.  mercurinl.  einer.  Zih 
Vntjuent.  nlthaene  §j ,  Ol.  hyoscyami,  Linim.  voTat.  camphor.  ana  5|v.  M.  S. 
Abends  und  Morgens  1  —  2  Theelöffel  voll  davon  in  das  Gelenk  zu  reiben. 

Districhiasis,  s.  Trichiasis. 

Sittopia.     Ist  synonym  mit  DipJopia. 

Diuresis,  Harnabsonderung.  Sowie  die  übrigen  Ausleerungen 
(Stuhlgang,  Schweiss),  so  ist  auch  die  Diurese  ein  wichtiger  Gegenstand 
für  Pathologie  und  Therapie,  und  ihr  Resultat,  der  Harn,  bei  Krankheiten 
in  mehr  als  einer  semiotischen  und  diagnostischen  Hinsicht  wichtig.  Die 
wichtigsten  und  häufigsten  Krisen  bei  acuten  Krankheiten  geschehen  durch 
Diuresis  und  Diaphoresis ,  und  selbst  bei  vielen  chronischen  Krankheiten 
sind  sie  periodisch  thätig ,  um  Krisen  zu  bewirken.  Ich  erinnere  hier  nur 
an  die  meisten  entzündlichen  Fieber,  an  Hydrops,  Arthritis,  Lithiasis,  Scro- 
phulosis  etc.  Aber  auch  da ,  wo  die  Natur  keine  Krisen  durch  den  Harn 
bewirkt,  ist  derselbe  zur  Erkenntniss  und  Unterscheidung  der  Krankheiten 
MoBt  Encyklopädie.  2te  Aufl.  I.  3g 


562 


DIURETICA 


höchst  wichtig .  So  dass  kein  echter  Praktiker  die  Beschauung  desselben  ver- 
nachlässigen wird  (s.  Uroscopia). 

HiuretiCA»  harntreibende,  harnbefördernde  MitLel.  Die 
Zahl  dieser  Mittel  ist  eben  so  gross ,  wie  die  Wirkung  der  einzelnen  ver- 
schieden ist;  ein  abermaliger  Besveis,  dass  die  Wirkung  dieser,  wiö'  aller 
andern  Arzneikörper,  nicht  in  ihnen  allein  liegt,  sondern  nur  aus  dem  Zu- 
sammentreffen (Reagiren)  des  kranken  (oder  gesunden)  Organismus  mit  dem 
Arzneimittel  hervorgeht.  Auch  lehrt  die  Erfahrung,  dass  trotz  des  Antago- 
nismus zwischen  Diaphoresis  und  Diuresis  dennoch  viele  Diaphoretica  zu- 
gleich Diuretica  sind.  Wir  gebrauchen  diese  Mittel  1)  bei  verminderter 
Nierenabsonderung  und  den  davon  entstehenden  Fehlern  der  ganzen  Mi- 
schung; 2)  zur  Ausleerung  krankhafter,  schädlicher  Stoffe  in  den  Nieren 
und  der  Urinblase,  bei  Blennorrhoea  vesicae,  Gries ,  Stein  etc.;  3)  zur  Aus- 
leerung v.ässeriger,  lymphatischer  Feuchtigkeiten  im  Zellgewebe  und  in  den 
Cavitäten  des  Körpers ;  4)  zur  antagonistischen  Reizung  und  Ableitung  bei 
Krankheiten  der  Lunge :  Asthma ,  Husten ,  Brustwassersucht ,  bei  Krampfhu- 
sten, bei  allgemeinen  Krämpfen  etc.  Viele  sogenannte  Brustmittel  und  An- 
tispasmodica  wirken  nur  durch  ihre  diuretischen  Kräfte,  sowie  auch  das  häu- 
fige Harnlassen  bei  Hysterischen  schon  auf  die  Sympathie  der  Nieren  mit 
dem  Nervensystem,  die  gute  Wirkung  des  Sulph.  aurati,  derSenega,  Squilla, 
Digitalis  etc.  in  chronischem  Asthma  auf  die  gleiche  Sympathie  der  Lungen 
mit  den  Nieren  schliessen  lassen.  Die  Diuresis  wird  befördert  1)  durch  Ver- 
meiu-ung  der  Menge  von  Flüssigkeiten  im  Körper.  So  vermehren  alle  war- 
men und  kalten  Getränke:  Thee,  Kaffee,  kaltes  Wasser,  viel  Bier,  alle 
säuerlichen  Getränke  und  Spirituosa  die  Harnabsonderung;  2)  durch  solche 
Mittel,  welche  einen  etwa  vorhandenen  krankhaften  Reiz  (Entzündung)  in 
den  Harnwegen  vermindern,  z.  B.  durch  Aderlässen,  Blutegel,  Ölemulsio- 
nen  mit  Opium,  Extr.  hyoscyami ,  wodurch  Strangurie,  Dysurie,  Ischurie 
als  Symptome  jenes  krankhaften  Reizes  gehoben  und  die  Diuresis  normal 
wird;  3)  durch  solche  Mittel,  die  theils  allgemein,  theils  durch  Specifica 
die  Nieren  excitiren,  z.  B.  bei  atonischen,  phlegmatischen,  torpiden  Sub- 
jccten,  die  an  Hydrops,  jedoch  ohne  entzündliche  Zufälle,  leiden.  Hier  sind 
die  vorzüglichsten  Mittel :  Rad.  squillae,  senegae,  Digit.  purpur.,  E(|uisetum 
arvense  L. ,  Ballota  lanata,  Rad.  caincae,  Arundo  calamagrostis,  Millepedes, 
Solidago  virga  aurea,  der  Harnstoff  (Urea),  Terebinthina,  Petroleum,  Can- 
tharides,  Alkali  fixum,  Acida,  Sapo,  Juniperus,  Petroselinum  etc.  (Vergl. 
Dierbncli's  Neueste  Entdeckungen  in  der  Materia  med. ,  1828 ,  Abtheil.  I. 
S.  100 — 129).  Die  Wirkung  dieser  Mittel  wird  sehr  vermehrt  durch  gleich- 
zeitigen Gebrauch  von  Nitrum,  Crem,  tartarl,  Crem,  tartari  solubilis,  Potio 
Riverii,  Spirit.  nitri  dulcis,  salis  dulcis,  Liq.  c.  c.  succin. ,  durch  häufiges 
Trinken  von  Decocl.  specier.  lignorum  etc.  (s.  Hydrops).  Die  scharfen 
reizenden  Diuretica  pa.«sen  nie  bei  Nephritis,  höchst  selten  bei  Blutharnen; 
auch  bei  anfangenden  Wassersüchten  gebrauche  man  sie  nicht,  sondern  ver- 
suche erst  Crem,  tartari,  Nitrum,  aromatische  Wasser,  Spirit.  nitri  dulcis, 
Potio  Riverii  mit  Aqua  juniperi  und  dergl  Hier  passt  auch  folgende  sehr 
wirksame  Composition  meines  Vaters :  R»  Tnrt.  de^mrnt.  3^j  ?  Lact,  sulphnr., 
Besin.  ijwtjaci  nnt.  ana  5jj  i  Mn(fm'S  cnrhon.,  Flaved.  cort.  nurnnt.  ana  5]»' 
Rad.  squillae  gr.  xjj  —  ^vjjj,  Sulph.  aurati  gr.  vj  —  xjj.  M.  f.  pulv.  S.  Alle 
3  —  i  Stunden  1  Theelöftel  voll  mit  Wasser.  Auch  folgende  Mischung  hat 
mir  in  solchen  Fällen  herrliche  Dienste  geleistet:  I^  Decoct.  digital.  Leritini 
§j,  Aquae  juniperi,  —  melissae,  Oictjm.  squillif.  ana  ^jjü ,  Crem,  tartar.  so- 
luh.  5vj,  Liq.  c.  c.  succ  ,  —  anodyn.  ana  5j.  M.  S.  Alle  3  Stunden  2  Ess- 
löffel voll  (Stici/litz).  Desgleichen  die  von  Scliilling  und  Rehmnnn  empfoh- 
lene Ballota  lanata,  z.  B.  V^  Herb.  Bnllot.  lanat.  sicc  gross,  pulv.  gjj ,  Aquae 
fontanne  Sjj ,  Coque  ut  rinnan.  ffj ,  col.  ndde  Tinct.  cort.  nurant.  giv ,  Spirit. 
sal.  dulc.  5j,  Laudan.  liq.  Sifd.  gtt.  xx.  M.  S  Alle  2  Stunden  2  Esslöffel 
voll.  Dieses  Mittel  schätze  ich  ebenso  hoch  in  der  Wassersucht,  als  die 
theure  Rad.  caincae  (s.  Hydrops).  Indicirt  sind  endlich  noch  die  harn- 
treibenden Mittel,    um   die  verminderten  Geschlechtsfunctionen   auf   consen- 


DIVARICATIO  MAX.  INF.  —  DOLOR  563 

suellem  Wege  zu  erhöhen;  so  z.  B.  shid  die  auf  den  Harn  wirkenden  Ge- 
sundbrunnen von  Karlsbad,  Ems  etc,  auch  als  solche  in  Ruf  gekommen,  die 
bei  Frauen  die  Sterilität  heben.  Auch  dienen  einzelne  auf  Diuresis  wirkende 
Mittel  als  Derivantia  vom  Kopfe,  bei  Migräne,  bei  Melancholie,  Epilepsie 
etc.,  z.  B.  das  Oleum  terebinthinae,  zu  10,  20 — 30  Tropfen,  dreimal  täg- 
lich in  einem  Glase  Zuckerwasser,  und  mehrere  harntreibende  Mittel  ver- 
mindern oder  beschränken  antagonistisch  die  zu  starke  Schleimabsonderung 
in  den  Bronchialhäuten  etc  ,  daher  der  Nutzen  der  Squilla  etc.  bei  Asthma- 
tischen etc.  Ein  grosses  noch  sehr  wenig  von  Ärzten  und  Laien  beachtetes 
Diureticum  ist  das  kalte  Wasser,  in  recht  grossen  Quantitäten  getrun- 
ken (vergl.  Hy droiatria).  Die  heftigsten  Kopfschmerzen  habe  ich  oft 
dadurch  vertrieben ,  dass  ich  alle  Viertelstunde  1  bis  2  Pfund  frisches ,  kal- 
tes Quellwasser  trinken  und  damit  1  —  2  Tage  täglich  6  —  8  Stunden  con- 
tinuiren  und  darneben  eine  recht  knappe  Diät  halten  Hess.  Ja,  der  heftige 
Kopfschmerz  vermindert  sich  schon,  sobald  die  Harnabsonderung  sich  auf- 
fallend vermehrt  und  der  Harn  selbst  durch  das  Wassertrinken  wässerig, 
klar  wird,  und  seine  Temperatur,  die  in  der  Regel  gleich  nach  der  Excre- 
tion  24  —  25  Grad  Reaum.  beträgt,  bis  auf  20  Grad  sich  verminderte.  End- 
lich muss  ich  noch,  gestützt  auf  eigene  reiche  Erfahrung,  bemerken,  dass 
kein  Arzneimittel  schneller  und  kräftiger  die  bei  Cholera  asiatica  verminderte 
oder  völlig  unterdrückte  Harn  - ,  Se  -  und  Excretion  hebt ,  als  das  kalte 
Wasser,  worüber  alle  Beobachter  nur  eine  Stimme  haben.  Bei  Stockun- 
gen in  den  Eingeweiden  des  Unterleibes,  die  jahrelang  allen  Mitteln  aus 
der  Apotheke  trotzten ,  habe  ich  durch  das  häutige  Wassertrinken  und  die 
dadurch  verstärkte  Diuresis  und  Diaphoresis  die  herrlichsten  Wirkungen  ge- 
sehen; und  auch  bei  Wassersuchten,  besonders  bei  Hydrops  inflaminatoriug 
nach  Scarlatina,  verdient  das  kalte  Wasser,  täglich  zu  15  —  i:0  Pfunden  ge- 
trunken, vor  der  ekelhaften  und  oft  gefährlichen  Cur  des  warmen  Wassers, 
nach  Cndet  de  Veaux,  den  Vorzug;  sowie  bei  acuter  Gicht. 

Bivaricatio  maxillae  inferioris,  Mund  sperre.  Ist  die  Folge 
von  Luxatio  maxillae  inferioris,  von  Krampf  in  den  Muskeln,  welche  die 
Maxiila  inferior  abwärts  und  herunterwärts  ziehen.  Cur.  Ist  das  Übel  an- 
haltend, so  setze  man  Blutegel  hinter  die  Ohren,  reibe  Unguent.  mercuriale 
mit  Linim.  volat. ,  Tinct.  opii  ein.  Man  behandle  also  die  Grundkrankheit, 
gebe  Antispasmodica,  Emetica,  Laxantia,  richte  die  Luxation  ein  etc. 

Socimasia  pulmonum,  die  Lungenprube.  Wird  in  medici- 
nisch  -  forensischer  Hinsicht  bei  todten  Kindern  angewandt,  um  zu  entschei- 
den, ob  sie  lebend  oder  todt  zur  Welt  gekommen  sind.  Wir  haben  ver- 
schiedene Methoden  der  Lungenprobe,  die  mehr  oder  weniger  brauchbar  sind, 
z.  B.  die  Lungen-  und  Athemproben  von  Plotiquet,  Metzijer,  Daniel,  Roose., 
Wildherg  (s.  Henke,  Lehrb.  d.  gerichtl.  Medicin;  4te  Aufl.,  1824,  S.  354 
u.  f.) ;  doch  geben  sie  alle  kein  positives ,  gewisses  Resultat  über  das  Leben 
und  den  Tod  eines  Neugebornen ,  besonders  da  die  Beispiele  von  Vagitus 
uterinus  nicht  so  ganz  selten  sind;  sie  machen  nur  das  Urtheil  über  das 
Leben  oder  Nichtleben  eines  todtgefundenen  Kindes  wahrscheinlicher,  und 
sind  daher,  besonders  die  Wildberg'sche  Athemprobe,  vom  Gerichtsarzte 
nicht  zu  vernachlässigen. 

Docimasin  medicamentorum  et  venenorum,  Prüfung  von  Arzneien 
und  Giften.  Es  lehrt  diese  die  Chemie  durch  die  dazu  geeigneten  Rea- 
gentien.  Der  gerichtliche  Arzt  muss  in  vorkommenden  Fällen,  will  er  sich 
keines  Vorwurfs  schuldig  machen,  solche  Prüfung  einem  geschickten  Che- 
miker überlassen  und  nur  für  gehörige  vorsichtige  Aufsuchung,  Verwahrung 
und  Versiegelung  des  bei  der  Section  oder  im  Hause  der  Angehörigen  eines 
Vergifteten  vorgefundenen  Giftes  Sorge  tragen. 

Dolor»  Algos,  der  Schmerz.  Ist  ein  wichtiges  Zeichen  zur  Er- 
kenntniss  und  Diagnose  der  Krankheiten,  macht  aber  kein  Genus  morborum 
aus,  wie  Snuvages  u.  A.  wollen.  Der  Arzt  muss  daher  die  Art  des  Schmer- 
zes,  seine  Dauer,   die  Abwesenheit  desselben,   den  Grad  seiner  Heftigkeit, 

36* 


564  DOLOR 

seinen  Ort  etc.  wohl  untersuchen ,  auch  dabei  nicht  vergessen ,  den  schmerz  • 
haften  Theil  zu  befühlen,  um  sich  zu  überzeu|j;en,  dass  der  Kranke  sich 
nicht  in  der  Angabe  des  Orts  getäuscht  habe.  Hierbei  ist  zu  berücksichti- 
gen, dass  man  den  fraglichen  Ort  anfangs  sehr  leise  berühre,  indem  ein 
heftiger  Druck  auf  manchen  leidenden  Theil  gleichsam  lähmend  wirkt,  so 
dass  der  Kranke  auf  diese  Weise  keinen  Schmerz  fühlt,  dagegen  ein  leiser 
Di'uck  oft  heftigen  Schmerz  erregt.  Wir  unterscheiden  brennenden ,  ziehen- 
den, drückenden,  stechenden,  fressenden,  schneidenden  etc.  Schmerz  (Dolor 
tensivus,  gravativus,  punctorius,  rodens,  lancinans),  der  nach  Verschieden- 
heit des  Localleidens  verschieden  ist ,  wie  dies  bei  den  einzelnen  Fällen  be- 
sondex's  angegeben  und  unter  den  Symptomen  bemerkt  worden. 

Dolor  articulomm ,  s.  Arthritis. 

Dolor  aurium,  s.  Otalgia. 

Dolor  capitis,  s.  Cephalalgia. 

Dolor  cardinlgicit^ ,  s    Cardialgia. 

Dolor  coUais,  s.  Coli  ca. 

Dolor  dcntiitm,  s.  Odontalgia. 

Dolor   facici   Fothergilli ,    Fothergill'scher    Gesichtsschmerz  ,    s.    P  r  o  - 
sopalgia. 

Dolores  ad  partum,  Contractiones  uteri,  Geburtsschmerzen,  We- 
hen. Sie  sind  nothwendig  zur  Beförderung  der  Geburt,  indem  der  Uterus 
sich  vom  Grunde  aus  zusammenziehen  und  nach  dem  Muttermunde  hin  aus- 
dehnen muss,  wenn  anders  das  Kind  auf  natürliche  Weise  zur  Welt  kom- 
men soll.  Diese  Wehen  sind  nach  den  fünf  verschiedenen  Geburtsperioden 
(s.  Partus)  verschieden:  in  der  ersten  Periode  schnell  vorübergehend,  sel- 
ten sich  einstellend ,  erstrecken  sich  nur  bis  in  den  Schoos  {Dolores  ad  par- 
tum praesoglentes.  Rupfer,  Kneiper);  in  der  zweiten  Periode  werden  sie  stär- 
ker, kommen  schon  alle  10  — 15  Minuten  {Dol- res  praeparantes) ;  in  der 
dritten  sind  sie  noch  stärker,  heissen  Treibwehen,  Geburtswehen  (^Dolores 
ad  partum  proprie  sie  dicti} ,  sind  mit  Drängen  auf  Urin  und  Stuhlgang  ver- 
bunden ;  in  der  vierten  Periode  sind  sie  am  heftigsten ,  erschüttern  den  gan- 
zen Körper,  erregen  Zittern,  Schweisse,  Angst,  Geschrei  (^Dolores  con- 
quassantes) ,  sie  befördern  das  Kind  oft  schnell  zur  Welt.  Für  den  Geburts- 
helfer ist  es  nothwendig,  dass  er  die  Zeit  der  verschiedenen  Geburtsperio- 
den ,  ihre  Zeichen  und  die  Lage  der  Frucht  im  Mutterleibe  genau  kennt, 
um  ein  richtiges  Urtheil  über  das  Normale  oder  Abnorme  der  Geburt  fällen 
zu  können  (s.  Exploratio  bbstetricia  und  Partus  normalis  und 
abnormis);  auch  der  Unterschied  zwischen  wahren  und  falschen 
Wehen  ist  wichtig.  Erstere  entstehen  in  der  Lendengegend,  gehen  von  da 
in  den  Schoos,  in  die  Schenkel,  der  Muttermund  öffnet  sich  während  der- 
selben und  die  Gebärende  hat  die  Empfindung ,  als  wolle  etwas  aus  dem 
Leibe  herausdrängen.  Die  falschen  Wehen  sind  dagegen  schmerzhafte  Em- 
pfindungen, die  den  Muttermund  nicht  erweitern,  sondern  vielmehr  noch 
zusammenziehen.  Sie  sind  etwas  Krampfhaftes,  erfordern  bei  vollsaftigen 
Frauen  einen  Aderlass,  bei  schwächlichen ,  sensiblen  Antispasmodica.  Sym- 
ptome der  Krampfwehen  sind:  kleiner,  zusammengezogener  Puls,  Ohn- 
mächten, Zittern,  angespannter,  sehr  empfindlicher  Muttermund.  Die  häu- 
figsten Ursachen  sind:  mechanische  Hindernisse  der  Geburt  (verkehrte 
Lage  der  Frucht,  enges  Becken),  schwächliche  Constitution ,  Erkältung  der 
Sch^^angern,  Gallenreiz,  Ärger,  Furcht,  Schreck.  Cur.  Man  entferne 
die  Ursachen,  reibe  am  Muttermunde  Opiatsalbe  und  Ol.  hyoscyami  ein, 
lasse  bei  VollbUiligkeit  zur  Ader,  gebe  innerlich  etwas  Liquor,  Tinct.  opii, 
noch  besser  Folgendes :  H'  Opii  purissimi  gr.  jj ,  Rad.  ipeeac.  gr.  j ,  Sacchnri 
albi  ^viij.  M.  f.  pulv.  divide  in  vjjj  partes.  S.  Halbstündlich  ein  Pulver  mit 
Chaniiiieuthee  und  15  Tropfen  Liipior  anodynus.  Bei  Rigidität  des  Mutter- 
mundes aus  Krampf,  wie  dies  bei  den  Convulsionen  der  Gebärenden  oft  der 
Fall  ist,  kann  man  mit  Nutzen  alle  '/4 — '/,  Stunde  einer  Bohne  gross  von 
folgender  Salbe  am  Muttermunde  einreiben:  I^;  B^tr.  hellndonnae  gr.  vj, 
l/nyiient.   rosat.  5|1.    M..  (Dr.  Mnndt).     Oder   das  reine  Extr.    belladonnae 


DOLOR  565 

(jConquesf),  oder  auch  folgende  Salbe,  welche  Dr.  Chmssier  (Med.-diirurg. 
Zeitung,  1825,  III.  S.  367)  empfiehlt:  I^  Extr.  hellmlonnne  3jj  v  düue  cum 
aequali  quanüiate  aquae  fontan.  desiill. ,  dein  admisce  trihiravdo  Axrnig.  porc. 
depur.  3J.  M. 

Dolores  post  partum,  puerperarum ,  Nach  wehen.  Sind  diejenigen  pe- 
riodischen Schmerzen,  welche  nie  bei  Erstgebärenden,  wohl  aber  bei  Mehr- 
gebärenden in  den  ersten  Tagen  nach  der  Geburt  eintreten ,  und  i^  dey 
Regel  etwas  Spastisches  sind.  Hier  sind  sie  oft  sehr  heftig  und  schmerz- 
haft. Cur.  Sind  keine  Verletzungen  (Zerreissen  des  Damms),  unterdrückte 
Lochien  etc  Ursache ,  so  gebe  man  die  obigen  Pulver  aus  Opium  und  Ipe- 
cacuanha  (s.  Dolores  ad  partum)  oder:  ^;  Liq.  c,  c.succin.,  —  miodyn., 
Tinct.  cnstorci  ana  5j-  M.  S.  Halbstündlich  15  —  20  Tropfen  mit  Chaniil- 
lenthee;  sorge  für  Warmhalten  und  Beförderung  der  Diaphoresis,^  und  das 
Übel  wird  sich  bald  geben.  Ausserdem  passt  ein  Infus,  vaierianae  jni.t  etwa* 
Aqua  laurocerasi,  sowie  in  hartnäckigen  Fällen  die  Blausäure  (v.  d.  Btiscn 
in  Huffirt/KZ's  Journal ,  1826,  Septbr.  S.  95),  z.  B.  Acidi  hydrocyanici  gütt.' 
jj,  Syr.  sacchari  3Jj..M.  S.  Alle  IV2  Stunden  1  Theelöffel  voll.  l)r.  Mnn- 
pes  sah  herrliche  Wirkung  von  Tinct.  castor.  5j »  Tinct.  thebaic.  3l>«  M^  »4 
Alle  %,  1—2  Stunden  15  Tropfen,  welche  Mischung  auch  ich  empfehlen  kann. 

Dolores  ad  parlum  dehiles,  seh  wach  e  W  ehe  n,  Mangel  an  We- 
hen. Die  Wehen  folgen  hier  langsam,  unvollkommen,  sind  unbedeutend, 
und  die  ersten  Geburtsperioden  können  Tage  lang  währen.  Ursa^cheh 
sind:  allgemeine  Schwäche,  Kraftmangel  der  Kreisenden,  todte  Frucht  etc. 
Cur.  Man  reibe  gelind  äusserlich  den  Muttergrund,  schiebe  die  vordere 
Wand  des  Muttermundes  in  die  Höhe,  gebe  Antispasmodica,  etwas  Weirt, 
und  verordne,  wenn  die  Lage  des  Kindes,  sein  Kopfstand  regelmässig 'ist; 
Folgendes:  ^.r  Sccal.  cornut.  gr.  xjj  —  xv,  iSacchari  albi  ^j.  M.  f.  pulv.  disp; 
dos.  vj.  S.  Halbstündlich  ein  Pulver  mit  Chamillenthee ;  dieses  Mittel  hat 
sich  in  meiner  geburtshülflichen  Praxis  oft  bewährt ;  die  schlimmen  Folgen,' 
welche  Andere  davon  gesehen  haben :  dass  nämlich  das  Kind  asphylitisch' 
zur  Welt  komme,  habe  ich  nicht  bemerkt  (vgl.  Guerard  in  Rmt's  Magaz. 
Bd.  XXIX.  St.  1,  S.  34,  desgleichen  Rusfs  Krit.  Repertor.  Bd.  XII.  H.  1); 
aber  ich  wende  es  auch  nicht  an ,  wo  Vollblütigkeit  oder  Congestionen. nach 
edlen  Organen  stattfinden  ,  oder  ich  lasse  erst  eine  Venaesection  vorherge- 
hen (s.  Rusl^s  Magaz.  Bd.  XXIII.  Hft.  1).  Noch  muSs  ich  bemerken,  da.ss' 
in  solchen  Fällen  von  Plethoi-a  der  Borax,  den  auch  Kopp  und  Rudolph' alä 
Wehen  beförderndes  Mittel  empfehlen,  den  Vorzug  vor  dem  Mutterkorn  ver^ 
dient,  oder  man  giebt  es  in  Verbindung  mit  Nitrum,  Tart.  vitriol. ,  Cr^ih. 
tartari  etc.  C.  Waller  gab  in  vielen  Fällen  zur  Förderung  der  Geburt  mit 
Nutzen  3j]  Seeale  cornutum  mit  giv  kochendem  Wasser  20  Minuten' .lang 
infundirt  und  davon  die  eine  Hälfte  sogleich,  die  andere  nach  Y4  Stunde 
genommen.  Dagegen  gab  es  Köhler  nur  stündlich  zu  5  Gran,  und  'eis 'wirkte 
gleichfalls  gut  (s.  Rusfs  Magaz.,  1827,  Hft.  1,  S.  104).  Nach ' ihm  vvirkt 
es  eben  so  specifik  auf  den  Uterus,  als  Belladonna  auf  die  Iris.  Recht  aus- 
führlich über  das  Mutterkorn  in  historischer  und  medicinisch  -  physischter 
Hinsicht  hat  Robert  gehandelt,  auch  die  chemische  Analyse  desselben  mitg«^ 
theilt  (s.  Rusfs  Magaz.,  1827,  Hft.  1  u.  2).       '   :        .   ■   ,  <  s         .:'  ,-/Z. 

Dolores  osteocopi ,  ■nocturni ,  Kn  ochens'chraerzen  ,>  nächtli«'h^ 
Schmerzen.  Sind  grösstentheils  venerisch(?n, Ursprungs,  sind  ein.  Zöchcn 
der  Syphilis  larvata  oder  inveterata,  wenn  dieselbe  schon  die  Knochen  er- 
grilfen  hat.  Die  Schmerzen  sind  an  den  Kopf-  und  Röhrenknochen  am  heftig- 
sten, besonders  in  der  Mitte  der  Röhrenknochen,  und  sind  oft  schv^er  vyU 
rheumatischen  Schmerzen  zu  unterscheiden,  sowie  auch  der  Rhenniatismus 
sich  häufig  mit  Syphilis  inveterata  complicirt.  Cur.  Die  der  Syphilis, ^^es 
Rheumatismus.  Empirisch  nützt  das  Pulv.  Doweri,  des  Abends  gegehen, 
desgleichen  die  Spec.  lignorum,  des  Tages  über  getrunken;  auch  ist  fol- 
gende Tisane  empfohlen  worden ,  wovon  täglich  eine  Portion  mit  einer  Kanne 
Wasser  gekocht  und  verbraucht  wird :  R>  Corl.  mezerci ,  Rad.  althaeae  ana 
3jj«  M.  disp.  dos.  q.  p.  (^Hufeland). 


566  DOTHmENTERIA  —  DYSBLENNIA 

JDothinenteriA*  Ist  nach  Bretonnenu  dasselbe,  was  Dothinentcri- 
tls ,  also  ein  pustulöses  Exanthem  des  Darnicanals.  Richtiger  würden  die 
Benennungen  Enterodothiema ,  EntherodothienosUi  seyn  (^Kraiis). 

Dothinenteritis  (^ Bretonnenu),  Ileitis  pustulosa  (^Hufeland').  Ist 
eine  eigenthümliche ,  bald  primäre,  bald  secundäre  exanthematische,  leicht 
in  Verschvvärung  übergehende,  daher  nicht  echt  entzündliche  AfTection  der 
Ileo-Coecalgegend  (s.  Febris  neuropathi ca). 

Dracunculus ,  s.  Filaria  Dracunculus. 

Urastica,  heftig  wirkende  Mittel,  besonders  starke  Brech- 
und  Purgirmittel.  Dass  wir  solche  Mittel,  um  nach  oben  und  unten 
auszuleeren,  in  gewöhnlichen  Fällen  nicht  gebrauchen  dürfen,  versteht  sich 
von  selbst.  Aber  es  giebt  auch  Fälle,  wo  die  Sensibilität  des  Magens  und 
l>armcanals  so  gering  ist,  dass  wir  ohne  sie  nicht  fertig  werden  können, 
z.  B.  bei  Vergiftungen  durch  Opium ,  Belladonna ,  Hyoscyamus  etc. ;  hier 
würde  es  Zeitverlust  seyn ,  erst  Ipecacuanha  zum  Erbrechen  zu  geben  und 
nicht  gleich  den  Zinkvitriol.  Auch  bei  Angina  merabranacea  bedarf  es  oft 
kräftiger  Vomitive  (s,  den  Art.).  Drastische  Mittel  in  kleinen  Dosen,  z.  B. 
Jalape,  Gutti,  wirken  oft  specitisch  gegen  chronische  Nervenübel:  Hysterie, 
Epilepsie,  Veitstanz,  indem  sie  das  Gaiigliennervensystem  stimuliren  und  an- 
tagonistisch vom  Kopfe  ableiten. 

Dropaciinus.  So  nennt  man  das  Ausziehen  der  Haare  mit- 
tels der  Pechkappe.  Man  wandte  dieses  Mittel  früherhin  an,  um  durch 
Reizung  und  Röthung  der  Haut  unter  ihr  befindliche  Geschwülste  zu  heilen. 
In  manchen  Gegenden  von  Deutschland,  zumal  auf  dem  Lande,  ist  es  noch 
jetzt  ein  oft  wirksames  Volksmittel  zur  Heilung  der  Tinea  maligna.  Bs 
werden  aber  täglich  nur  ein  paar  schmale  Streifen  Pechpflaster  auf  das  kurz 
abgeschnittene  Kopfhaar  gelegt  und  dann  die  Haare  damit  ausgerissen,  in- 
dem es  für  den  Kranken  zu  schmerzhaft  seyn  würde,  das  gesammte  Kopf- 
haar in  einem  Tage  auszureissen. 

Dycliophyia,  richtiger  Dichophyia,  s.  Alopecia. 

Synamica,  die  Dynamik,  die  Lehre  von  der  Kraft  (Dyna- 
mis).  ist  die  wissenschaftliche  Ansicht,  welche  sich  auf  die  Annahme  einer 
oder  mehrerer  Kräfte  gründet.  Die  neuern  Ärzte  gebrauchen  diesen  Aus- 
druck häufig;  so  redet  man  von  dynamischen  Ursachen  der  Krankheit,  von 
dynamischer  Wirkung  der  Arzneien  u.  s.  f.  Eine  richtige  Ansicht  von  Kraft 
und  Materie  ist  daher  um  so  nöthiger,  da  Missgriffe  und  falsche  medicini- 
sche  Ansichten  so  oft  die  Folge  von  den  mit  beiden  verbundenen  verkehrten 
Begriffen  waren  und  noch  sind.  Kraft  und  Materie  sind  so  innig  mit  ein 
ander  verbunden ,  dass  wir  uns  eins  ohne  das  andere  nicht  denken  können 
(s.  Cacogalactia),  und  der  praktische  Arzt  kann  durch  materielle  Mittel 
ebenso  gut  auf  die  Kräfte  des  Kranken  wirken,  als  durch  immaterielle  Mit- 
tel auf  die  Materie ,  auf  die  Säfte ,  das  Blut ,  die  Drüsen ,  Nerven  etc. ;  s. 
Dyscrasia. 

Hysaeinia»  krankhafte  Beschaffenheit  des  Bluts,  z.B.  bei 
CoUiquation  der  Säfte,  bei  Kachexien,  Dyskrasien  etc. 

Sysaeinorrlioides »  Beschwerden  von  unterdrückten  oder  retenten 
Hämorrhoiden,  s.  Molimina  haemo  rrho  ida  rum. 

Dysaesthesia ,  Unempfindlichkeit  der  Sinne,  z.  B.  bei 
Torpor,  bei  Vergiftungen  durch  narkotische  Stoffe,  bei  vielen  Nervenübeln, 
Apoplexie,  Epilepsie,  Katalepsie,  Paralyse  etc.,  kurz  vor,  während  und 
nach  den  Anfällen  etc.  Auch  ists  ein  gewöhnliches  Symptom  des  hohen  Al- 
ters. Die  Cur  ist  nach  den  Ursachen  verschieden ;  man  behandle  also  das 
Grundübel. 

Dysarthritis,  unregelmässige  Gicht,  s.  Arthritis  anomal  a. 

l^yHblenuia 9  krankhafte  Schlcimbildung ,  s.  Blenuurrboea. 


DYSCHOLIA  —  DYSENTERIA         587 

DyscholiA»  krankhafte  Ö'es<shaffenheit,  erschwerte  oder  vor- 
minderte Absonderung  der  Galle,  z.  B.  bei  Gallensteinen. 

DyiSCliroea y  krankhafte  Hautfarbe,  z.  B.  bei  Chlorosis, 
Icterus  etc. 

JDy8Chylia>,  krankhafte  Beschaffenheit  des  Chylus. 

Dyscbymia»  üble  Beschaffenheit  des  Chymus,  z.  B.  bei 
Atrophie,  Surdes,  Soda  acida,  rancida  etc. 

Dyscinesia,  Schwerbeweglichkeit,  Steifigkeit,  z.  B.  bei 
rheumatischen  und  paralytischen  Beschwerden  etc. 

Hyscoclia,  habituelles  Leiden  des  Unterleibes,  t.  B.  ha- 
bituelle Diarrhöe ,  Verstopfung,  Apepsie,  Verschleimung,  Hypochondrie,  Hä- 
morrhoiden. 

Dyscrasia,  Dyskrasie,  schlechte  Mischu  n  g  der  Säfte, 
(bei  den  Alten  auch  schlechte  Luftbeschaffenheit),  woraus  Kakochymie  ent- 
steht, fehlerhafte  chemische  Mischung  der  festen  und  flüssigen  Theile.  A/w- 
felmul  (Journ.  der  prakt.  Heilkunde,  1829,  Januar)  handelt  Dyskrasie  und 
Kachexie  als  specifische  Affection ,  Chemismus,  unter  einer  Rubrik  ab.  Er 
sagt :  „Gewissen  Krankheitszuständen  liegt  ein  eigenthümlicher  Fehler  in 
den  materiellen  Verhältnissen  des  Organismus  zum  Grunde,  ohne  dessen 
Entfernung  sie  nicht  aufhören  können.  Hier  wii-d  also  eine  chemisch  -  orga- 
nische Abnormität  Object  der  Heilung.  Diese  Krankheiten  heissen  Dyskra- 
sien ,  Schärfen ,  specifische  Affectionen ;  ja  die  ganze  Classe  der  sogenann- 
ten materiellen  Krankheiten  gehört  hierher.  Die  Mittel  dagegen  heisseu 
specifische.  Da  nun  keine  organische  Veränderung  des  Dynamischen  ohne 
eine  gleichmässige  des  damit  unzertrennlich  verbundenen  chemischen  Lebens- 
processes  gedacht  werden  kann,  so  lässt  sich  auch  gewöhnlich  diese  chemi- 
sche Veränderung  durch  Verbesserung  des  dynamischen  Zustandes  heben. 
Doch  befördert  es  gar  oft  die  Heilung  ungemein,  wenn  mit  dem  dynami- 
schen Mittel  zugleich  direct  auf  den  chemischen  Fehler  wirkende  Mittel  ver- 
bunden werden.  Aber  in  manchen  Fällen  sind  alle  allgemeinen  dynamischen 
Mittel  zu  schwach,  Dahin  gehören  die  Dyskrasien ,  miasmatische  und  nicht 
miasmatische;  ferner  die  abnormen  Secretionsproducte,  die  Vergiftungen  und 
die  örtliche  Putrescenz  "  Eine  Hauptanzeige  bei  der  Cur  chronischer 
Krankheiten  besteht  darin  ,  etwaige  Dyskrasien  aufzusuchen  und  zu  heben, 
z.  B.  Syphilis ,  Scrophulosis ,  Arthritis  etc.  Höchst  wichtig  ist  z.  B.  die 
Classe  der  materiellen  Nervenkrankheiten.  Sie  gehört  unter  die- 
sen Begriff,  und  nur  der,  sagt  Hufeland,  der  an  Schärfe  glaubt,  wird  ein 
richtiges  Heilungsobject  und  also  richtige  Anzeige  dabei  haben.  Manchen 
Neurosen  liegt  nämlich  die  Metastase  eines  Krankheitsstoffs  auf  die  Nerve« 
zum  Grunde,  der  ihre  Thätigkeit  aufhebt  (Lähmung),  oder  anomal  macht 
(Spasmus,  Convulsion,  Wahnsinn).  Hier  ist  also  die  Krankheitsursache  et- 
was Äusserliches ,  nicht  im  Nerven  selbst  Befindliches,  und  folglich  auch 
die  Heilung  eine  negative,  nicht  eine  unmittelbare  Verbesserung  der  Ner- 
venthätigkeit  selbst.  Hier  ist  besonders  die  miasmatische  Dyskrasie  oft  la- 
tent, und  die  Kunst  des  Arztes  besteht  vorzüglich  alsdann  darin,  sie  erst 
frei,  mobil  zu  machen  und  eine  lebendige  Reaction  darauf  zu  erregen. 

Dysdacrya.,  krankhafte  Beschaffenheit  der  Thränen ,  s.  Epiphora. 

DyjsdyuainJa ,  krankhaft  beschaffene  Leb  enst  hätigkeit, 
Krankheit  (Bartels). 

Dysecoia,  Schwerhören,  s.  Cophosis. 

Dyselcia.  Ist  schlechte  Beschaffenheit,  Unheilbarkeit 
eines  Geschwürs. 

jDysenteria,  Fluxus  difsentericus ,  cruentus  cum  tenesmo,  Rhetimatis- 
mns  mtestinorum ,  Tormina  Cehi,  Difficultns  iniesfinorum,  die  Ruhr.  Unter 
dieser  Benennung  verstehen  wir  eine  Krankheit  mit  Fieber,  Leibschneiden, 
Stuhlgang  und  Abgang   seröser,    schleimiger,    blutiger  Flüssigkeiten  durch 


568  DYSENTERU 

den  After,  Die  Symptome  dieser  oft  leichten,  oft  aber  auch  gefährlichen 
Krankheit  sind  im  Allgemeinen  folgende :  Sie  erscheint  entweder  plötzlich, 
ohne  Vorboten ,  z.  ß.  Dysenterie  bei  jungen ,  kräftigen ,  irritablen  Personen 
mit  lebhaft  entzündlichem  Charakter ,  oder  sie  hat,  z.  B. 'die  Dysenteria  ga- 
strica,  biliosa,  pituitosa  und  putrida,  die  Ruhr  bei  geschwächten  Personen, 
8 — 14  Tage  lang  gewisse  Vorboten.  Diese  sind:  Appetitmangel,  Ekel, 
Übelkeit,  Neigung  zum  Erbrechen,  schmuzig ,  gelblich,  weiss,  schleimig 
belegte  Zunge,  hässlicher  Geschmack,  Druck  in  der  Herzgrube  und  im  Un-' 
terleibe,  Flatulenz,  Neigung  zu  Diarrhöen,  seltener  Leibesverstopfung;  da- 
bei Unbist,  Abspannung,  unruhiger  Schlaf,  Ziehen  in  den  Gliedern,  er-, 
höhte  Empfindlichkeit  gegen  äussere  Kälte,  Frösteln,  beschleunigter  Puls. 
Symptome  der  ausgebrochenen  Ruhr  sind:  1)  vermehrte  Stuhlausleerun- 
gen ,  die  meistens  an  Quantität  nur  l  —  2  Esslöffel  voll ,  oft  noch  weniger 
betragen,  aber  wol  10-,  20-,  ja  lOOmal  in  24  Stunden  .erfolgen.  Ihre 
Farbe  ist  anfangs  noch  bräunlich,  später  V^^erden  sie  grünlich,  gelblich,  se- 
rös, schleimig,  weiss  (Dysenteria  alba),  grau,  eiterartig,  schleimig -blutig, 
rein  blutig  (Dysent.  rubra),  hochroth,  schwärzlich,  schwarz;  bei  längerer 
Dauer  gehen  zugleich  häutige  Massen,  Pseudomembranen:  lymphatistih^  Ex-* 
sudationen  der  Gedärme  mit  ab.  Dabei  dauern  die  Zeichen  der  gastrischen 
Beschwerden  fort  und  die  Ausleerungen  werden  um  so  mehr  übelriechend, 
stinkend,  je  mehr  sich  die  Ruhr  der  Dysent.  pütiida  nähert.  2)  Mit  jeder 
Ausleerung  sind  Leibschneiden  und  Kolikschraerzen  (Tormina)  verbunden. 
Sie  sind  meist  schneidend ,  reissend ,  nehmen  die  Gegend  des  Nabels  ein, 
verbreiten  sich  von  da  über  den  ganzen  Unterleib  und  sind  desto  heftigef,'' 
je  höher  die  Krankheit  den  Darmcanal  ergriffen  hat,  und  je  mehr  sie'  ent- 
zündlicher Natur  ist.  3)  Kurz  vor  und  mit  der  Ausleerung  erfolgt  Stuhl- 
zwang (Tenesmus),  der  höchst  unangenehm  ist,  wobei  oft  Vorfall  des  ent- 
zündeten Mastdarms ,  Blasenkrampf  und  Harnschneiden  auf  Augenblicke  er- 
folgt. 4)  Mit  wirklicher  Ruhr  ist  stets  Fieber  verbunden,  das  bald  gering, 
bald  heftig  ist  und  so  den  Thermometer  für  die  wahre  Natur  des  Übels  und 
den  Grad  seiner  Heftigkeit ,  wie  für  seinen  Charakter  abgiebt.  Eä  ist  ur-, 
sprünglich  remittirender  Art  und  von  rheumatisch  -  katarrhalischem  Charaktet,' 
nähert  sich  aber  bald  mehr  der  Synocha,  bald  mehr  der  Febris  biliosa,  pi- 
tuitosa und  putrida.  Die  Symptome  desselben  sind  anfangs  massiges,  oft 
wiederholtes  Frösteln,  massige  Hitze,  frequenter,  gespannter,  härtJicher,' 
nicht  voller  Puls.  Das  Wesentliche  der  Ruhr  ist  Entzündung  des  Mast- 
darms, die  sich  aber  selbst  bis  zu  den  dünnen  Gedärmen  erstrecken  kann,^ 
den  rheumatisch -katarrhalischen  Charakter  hat  und  von  einem  Fieber  mit 
ähnlichem  Charakter  begleitet  ist  {Wedekind,  Marcus,  Richfer,  Vogel,  P. 
Frank,  Speyer,  Haase}.  Daher  ist  auch  die  reine  ursprüngliche  Form  der 
Ruhr  stets  eine  Dysent.  catarrhalis  und  pituitosa ,  die ,  nach  Constitution, 
Alter,  Geschlecht,  Lebensweise,  Witterung  etc.,  bald  mehr  als  Dysent.  in- 
fiammatoria ,  bald  mehr  als  biliosa,  pituitosa,  putrida,  nervosa  erscheint,* 
und  wonach  die  Behandlung,  wie  jeder  Arzt  weiss,  verschieden  seyn  muss. 
Hiernach  kann  man  drei  Hauptarten  der  Ruhr :  die  entzündliche ,  die  gastri- 
sche (im  weitesten  Sinne  des  Worts)  und  die  nervöse  Ruhr  annehmen.  Die 
entzündliche  Ruhr  zerfällt  in  zwei  Unterarten:  in  die  Dysent.  rheümatico- 
catarrhalis  und  in  die  Dysent.  inflammatoria  proprie  sie  dicta  seu  hypersthe- 
nica.  Zur  ga.strischen  Ruhr  rechnen  wir  die  Dysent.  biliosa,  pituitosa,  pu- 
trida (primaria  et  secundaria).  Die  nervöse  Ruhr  ist  stets  etwas  Secnndä- 
res ,  wo  der  Status  nervosus  das  letzte  Stadium  der  Dysent.  pituitosa  und 
putrida  mit  CoUiquation  ausmacht.  Von  diesen  Art«n  der  Ruhr  wii'd  unten 
besonders  gehandelt.  Die  altern  Eintheilungen  der  Ruhr  in  Dysent.  benigna, 
maligna,  sporadica,  enderaica ,  epidemica,  rubra,  alba,  simplex  ,  composita 
etc.  haben  für  die  Praxis  weit  geringern  Werth.  Ausgänge  der  Ruhr. 
1)  Genesung.  Sie  erfolgt  langsam,  selten  unter  Krisen,  meist  per  lysin, 
doch  ist  ein  allgemeiner  Seh  weiss  oft  wohlthätig.  Die  Krankjieitssjmptome 
verschwinden  allmälig  binnen  8,  14,  20  Tagen.  2)  Übergang  in  andere 
Krankheiten.     So  wird  die  Dysent.  catairhalis ,    benigna  bei  verkehrter  Be- 


DYSENTERIA  569 

hancllung  leicht  zur  inilammatoria  oder  pituitosa,  letztere  geht  zur  bilibsa, 
putrida,  nervosa  über.  Nicht  selten  sind  die  Nachkrankheiten  der  Ruhr 
Phthisis  intestinalis ,  Fiuxus  hepaticus ;  Physkonie  der  Leber ,  Gelbsucht, 
habituelle  Diarrhöe,  Fiuxus  coeliacus,  Scirrhositäten ,  Hydrops,  Kardialgicii 
etc.  3)  Tod.  Er  erfolgt  entweder  durch  Brand  der  Gedärme,  besonders 
Hei  heftiger  Dysent.  inflamniatoria,  biiiosa,  nervosa,  oder  durch  Erschöpfung 
und  Colliquation  (bei  Dysent.  putrida) ,  oder  durch  CoUiquation  und  Brand, 
zugleich  (Dysent.  putride  -  nervosa) ,  oder  später  durch  Nachkrankheiten. 
Die  Section  zeigt  Entzündung,  Brand,  dicken  Schleim,  rothe,  schwarze 
Flecken,  Verhärtungen,  Verdickungen  des  Mastdarms,  des  ganzen  Dick- 
darms, selbst  des  Dünndarms  und  des  Magens,  höchst  mürbe,  durch  Brand 
zerstörte  Tunica  villosa,  Verengerung  der  Gedärme,  zuweilen  Entzündung, 
Brand  der  Leber,  des  Netzes,  des  Pankreas,  Geschwüre,  angeschwollene 
lymphatische  Drüsen,  die  Viscera  abdominis  mit  stinkendem  blutigen . Serum 
erfüllt;  daher  auch  die  Leichen  schnell  in  Fäulniss  übergehen.  Ursachen, 
Äussere  Prädisposition  geben  heisse ,  trockne  Sommer,  daher  das  Übel  in 
den  Monaten  Juli,  August,  September  am  häufigsten  epidemisch  erscheint, 
wo  es  dann  zu  gleicher  Zeit  neben  Durchfällen,  Schleim-  und  Wechselfie- 
bern herrscht,  und  zwar  um  so  bösartiger  ist,  je  heisser  das  Klima  und  je 
südlicher  die  Lage  des  Landes  ist.  Selten  ist  die  Ruhr  sporadisch ,  meist 
immer  epidemisch  oder  endemisch,  wo  sie  kein  Alter  und  kein  Geschlecht 
vei*schont,  besonders  aber  Kinder,  Frauenzimmer,  geschwächte  Subjecte, 
Reconvalcscenten  von  andern  Krankheiten,  blennorrhoische  Subjecte  und 
Menschen  mit  schwacher  Verdauung  ergreift.  Gelegentliche  Ursachen  sind 
bei  Vorherrschen  der  der  Ruhr  günstigen  atmosphärischen  Constitution  der 
Genuss  eines  herben,  sauren,  unreifen  Obstes,  des  mit  Mehl  oder  Honigthau 
befallenen  Gemüses ,  Unmässigkeit  im  Essen  und  Trinken,  im  Coitus,  über- 
mässige Körper  -  und  Geistesanstrengungen ,  Ärger ,  Verdruss ,  drastische 
Purganzen,  Nachtschwärmen,  kurz  Alles,  was  die  Function  der  Verdauungs- 
organe stört  und  schwächt.  Am  häufigsten  aber  entsteht  die  Ruhr  nach 
Erkältung;  daher  erfolgt  sie  um  so  leichter,  je  heisser  die  Soramertage,  je 
kühler  die  Nächte  sind ,  je  leichter  und  kühlender  die  Bedeckung  des  Un-» 
terleibes  und  der  Füsse,  je  häufiger  die  Gelegenheit  zu  Erkältungen  (kal- 
tes Trinken  bei  erhitztem  Körper,  bei  der  Erntearbeit,  Aufenthalt  im  Bi- 
vouac,  schneller  Wechsel  der  Atmosphäre,  plötzliche  Abkühlung  der  war- 
men Luft  durch  Gewitter  und  anhaltenden  Regen)  da  ist.  Hier  wirkt  die 
Hitze  prädisponirend,  die  Kälte  erregend;  dazu  kommt  noch,  dass  überhaupt 
der  Unterleib  im  Herbste  mehr  leidet,  wo  ebenso  wie  im  Pflanzenreiche  der 
Trieb  der  Säfte  nach  unten  (im  Frühlinge  nach  oben)  am  stärksten,  ist. 
Die  Constitutio  annua  und  die  Lidividualität  bestimmen  den  verschiedenen 
Charakter  (Dysent.  biiiosa,  pituitosa,  inflammatoria,  putrida,  nervosa)  der 
Ruhr,  wie  dieses  mit  so  vielen  andern  fieberhaften  Krankheiten  der  P'all  ist. 
Ein  eigentliches  Ruhrcontagium  giebt  es  nicht  (^Richter,  P.  Frwnk ,  Hörn, 
Speyer,  Voijel,  Hnase} ,  die  Krankheit  steckt  nicht  an,  doch  macht  der  Um- 
gang mit  Ruhrki-anken ,  die  Idee  der  ansteckenden  Kraft  receptiver,  und 
die  Luftconstitution  wirkt  auf  alle  Menschen  desselben  Landes  etc.  zu  glei- 
cher Zeit  nachiheilig,  woraus  sich  das  Epidemische  der  Ruhr,  wie  der  Ka- 
tarrhalfieber  etc.  recht  gut  erklären  lässt.  Je  bösartiger  indessen  die  Ruhr 
ist,  desto  leichter  wird  sie  im  Verlauf  der  Epidemie  cuntagiös;  dies  ist  bei 
der  Dysent.  putrida  und  putrido- nervosa  ganz  bestimmt  der  Fall.  Hier  kann 
man  die  Krankheit  ebenso  gut  auch  Typhus  contagiosus  mit  ruhrartigea 
Durchfällen  nennen.  Äussere  Unreinlichkeit ,  niedrige,  dumpfe  Wohnungen, 
ungesunde  Zimmerluft  durch  das  Zusammendrängen  vieler  Ruhrkranken  in 
engen  Zimmern,  deprimirende  Gemüthsbewegungen  aller  Art,  Hungersnoth, 
feuchte  Witterung ,  besonders  aber  auch  verkehrte  reizende  Behandlung  der 
Dysent.  inflammatoria  machen  die  Ruhr  ansteckend.  Hier  stecken  die  Zim- 
merluft, die  Ausdünstung,  der  Urin  und  die  Ausleerung  des  Kranken  vor- 
züglich an.  Prognose.  Die  Dysent.  catarrhalis  ist  die  gutartigste,  sie 
tödtet  als  solche  nie,   nur  erst  durch  den  Übergang  zur  inflammatoria  und 


570  DYSENTERIA 

pituitosa.  Die  Dysent.  inflammatoria  ist  weit  schlimmer,  besonders  bei  irri- 
tablen, kräftigen  Subjecten.  Sie  entscheidet  sich  im  glücklichsten  Falle  am 
5ten,  7ten  Tage  durch  kritische  Schweisse,  Urin,  Blutungen  und  massige 
Stuhlausleerungen,  nicht  selten  tödtet  sie  zwischen  dem  5ten  und  Uten 
Tage  durch  Brand,  oder  sie  geht  in  die  biliosa  über.  Letztere  ist  gleich- 
falls ein  bedeutendes  Übel,  besonders  wenn  der  Magen  und  die  Leber  mit 
afficirt  sind.  Sie  hat  grosse  Neigung ,  bald  zur  inilammatoria  zu  werden 
und  dann  durch  Brand,  oder  zur  putrida  überzugehen  und  durch  Typhus 
zu  tödten.  Am  gefährlichsten  ist  die  Dysent.  putride -nervosa,  weniger  ge- 
ßhrlich,  aber  oft  recht  langwierig,  die  Dysent.  pituitosa.  Starke  kräftige 
Männer  werden  nicht  leicht  von  der  Ruhr  ergriffen ;  ists  aber  der  Fall ,  so 
ist  sie  dafür  auch  schlimmer,  nimmt  den  entzündlichen  Charakter  an  und 
kann  durch  Brand  tödten.  Torpiden,  lymphatischen  Subjecten  wird  die 
Dysent.  biliosa,  pituitosa,  putrida  am  gefahrlichsten,  besonders  wenn  ein 
langes  Stadium  prodromorum  vorherging.  Kindern,  Greisen  und  Schwän- 
gern ist  die  Ruhr  im  Allgemeinen  am  gefährlichsten,  weil  sie  bei  ihnen 
leicht  den  putriden  Charakter  annimmt,  sowie  überhaupt  dies  der  Fall  ist, 
>venn  die  oben  angegebenen  schädlichen  Einflüsse  die  Ruhr  contagiös  ma- 
chen. Daher  ist  auch  die  sporadische  Ruhr  nicht  so  gefährlich  als  die  en- 
demische und  epidemische.  Je  beisser  das  Klima  und  die  Jahreszeit  ist, 
desto  schlimmer  ist  stets  die  Prognose  im  Allgemeinen.  Je  schneller  die 
Stuhlausleerungen  oder  Ruhrgänge  (zum  Unterschiede  der  Stuhlgänge, 
da  auch  bei  der  Ruhr  Obstructio  alvi,  ein  schlimmes  Symptom,  zugegen 
seyn  kann)  auf  einander  folgen,  je  unbedeutender  sie  sind,  je  weniger  nach 
ihnen  die  Kolikschmerzen  sich  mindern ,  je  häufiger  blos  Tenesmus  ohne  fol- 
genden Abgang  (Dysent.  sicca)  da  ist;  ferner  je  copiöser,  wässriger,  stin- 
kender, aashaiter,  dunkler,  purulenter  die  Ruhrgänge  sind,  desto  schlim- 
mer ist  die  individuelle  Prognose.  Cur.  1)  Man  entferne,  soviel  möglich, 
die  erregenden  und  die  Krankheit  unterhaltenden,  verschlimmernden  Ursa- 
chen. Bei  der  Dysent.  biliosa  entleere  man  vorsichtig  Magen  und  Gedärme 
vom  Übermass  ergossener  Galle,  bei  der  putrida  sehe  man  besonders  auf 
Reinlichkeit,  reine  Luft,  gesundes  Krankenzimmer.  2)  Da  die  Ruhr  stets 
ein  inflammatorisches  Leiden  der  Digestionsorgane,  besonders  der  dicken 
Gedärme  ist,  so  behandle  man  sie  als  solches,  jedoch  mit  sorgfältiger,  ge- 
nauer Berücksichtigung  des  verschiedenen  Charakters ,  den  dieser  Entzün- 
dungszustand anzunehmen  fähig  ist.  Auch  die  Erforschung  des  allgemeinen 
epidemischen  Charakters:  ob  er  mehr  katarrhalisch,  oder  biliös,  oder  pu- 
trid und  nervös  ist,  muss  nicht  unterlassen  und  dabei  berücksichtigt  wer- 
den ,  dass  er  im  Verlauf  der  Epidemie  nicht  immer  derselbe  bleibt.  Leichte 
katarrhalische  Herbstruhren  vergehen  bei  guter  Diät ,  eben  wie  ein  Katarrh 
der  Nase,  oft  von  selbst;  in  bösartigen" Epidemien  stirbt  bei  der  besten  Be- 
handlung oft  der  lOte,  ja  der  5te  Kranke,  wie  ich  dieses  in  mehreren 
Ruhrepidemien  erfahren  habe.  S)  Bei  herrschenden  Ruhrepidemien  ge- 
brauche man  diejenigen  Präservative,  die,  der  Erfahrung  nach,  am  meisten 
vor  der  Ruhr  schützen.  In  dieser  Hinsicht  kann  ich  aus  eigner  Erfahrung, 
da  ich  mehrere  Ruhrepidemien  als  Arzt  erlebt  habe,  folgende  Dinge  empfeh- 
len: a)  Tragen  von  Flanellkleidung  auf  dem  blossen  Leibe;  b)  regelmässi- 
ges Leben  in  allen  Dingen  mit  Vermeidung  aller  schwächenden  Einflüsse; 
c)  Vermeidung  der  Vomitive  und  Laxanzen ;  d)  bei  den  ersten  Zeichen  der 
Ruhr,  am  ersten  Tage,  wo  weder  heftige  Durchfälle,  noch  heftige  Schmer- 
7en  im  Leibe  obwalten,  wo  nur  Schwindel,  Übelkeit,  Mangel  an  Appetit, 
Frösteln ,  Kollern  im  Leibe  etc.  stattfinden  ,  lasse  man  sich  ■/;  —  1  Flasche 
guten  Rothwein  heiss  machen ,  worunter  viel  Zimmt  und  etwas  Zucker  ge- 
mischt werden,  lege  sich  zu  Bette,  trinke  die  Portion  heiss  aus,  decke  sich 
gut  zu  und  warte  den  Schweiss  gehörig  ab.  So  schädlich  dies  Mittel  bei 
der  anfangenden  wirklichen  Ruhr  ist,  so  nützlich  ist  es  bei  den  allerersten 
Vorboten  derselben.  Ich  habe  dreimal  bei  mir  selbst  dadurch  die  Ruhr  ver- 
hütet, gleichsam  im  Keime  erstickt,  und  mich  von  meinen  Beschwerden, 
selbst  wenn  schon  das  erste  Leibkneipen  sich  einstellte,   binnen  24  Stunden 


DYSENTERIA  571 

curirt.  4)  Ausserdem  erfordert  die  Behandlung  der  Ruhr  verschiedene  Mit- 
tel ,  welche  für  die  speciellen  Fälle  und  den  Charakter  der  Krankheit  ver- 
schieden ausgewählt  werden  müssen,  wie  dieses  die  Aufzählung  der  hier  fol- 
genden verschiedenen  Arten  der  Ruhr  näher  angiebt. 

Dysenteria  infininmaloria  proprie  sie  dictn,  hypersthenicn ,  bilioso-inflatn— 
fimforta ,  r  e  1  n  entzündlicheRuhr.  Symptome.  Ausser  den  allge- 
meinen Zeichen  sind  folgende  charakteristisch :  Die  Krankheit  tritt  plötzlich, 
ohne  Vorboten,  mit  starkem  Froste  ein,  darauf  folgt  trockne,  brennende 
Kitze  des  ganzen  Körpers,  frequenter,  starker,  völler,  oft  aber  auch  klei- 
ner, krampfhafter,  unterdrückter  Puls,  starker  Durst,  trockne  Zunge  Und 
Haut,  sparsamer,  feuriger  Urin,  Crusta  intlamniatoria  des  gelassenen  Biutesf 
das  Fieber  ist  eine  continua  continens,  die  Constitution  des  Kranken  robust, 
vollsaftig ,  der  Leib  äusserst  schmerzhaft ,  empfindlich ;  ganz  wie  bei  Ente- 
ritis ,  ist  aufgetrieben ,  verträgt  keine  Berührung ,  ist  sehr  heiss ,  brennend, 
die  Extremitäten  dagegen  sind  kalt,  der  Tenesmus  ist  stark,  die  Sedes  sind 
bräunlich,  oft  reines  Blnt,  im  höchsten  Grade  geht  gar  nichts  ab,  der  Ma- 
gen ist  sehr  empfindlich ,  daher  wird  alles  Genossene  wieder  ausgebrochen. 
Diese  Form  der  Ruhr  ist  selten ,  doch  wurden  einzelne  Epidemien  mit  dem 
i"ein  entzündlichen  Charakter  von  Zimmermann,  Stall  (Dysent.  erysipelatosa), 
Mnrquet  und  Rndemncher  beobachtet.  Am  häufigsten  kommt  sie  in  Gebirgs- 
gegenden in  der  Schweiz,  Tyrol  etc.  vor.  Cur.  Ist  die  der  Enteritis. 
Daher  Blutausleerungen,  ein  Aderlass  von  6,  8  — 12  Unzen  Blut  am  Arme 
(^Junl-cr,  P.  Frank,  S.  G.  Voijel,  A.  G.  Richter),  Blutegel  an  den  After, 
ins  Peiinaeum ;  innerlich  lauwarme  schleimige  Getränke :  Haferschleim,  Ger- 
stenschleim,  Sago,  Salep,  Mandelmilch,  Diaphoretica :  Infus,  chamomillae, 
sambuci  mit  Spirit.  Minderen,  auch  bei  reizbaren,  sensiblen  Subjecten  und 
trockner  Haut  Pulv^  Doweri,  doch  nie  ohne  vorhergegangene  Blutauslee- 
rungen und  nie  gleich  zu  Anfange  des  Übels,  wo  nur  schleimige,  milde 
Dinge,  und  späterhin  Solutionen  von  Manna,  Tamarinden  nützlich  sind, 
nicht  aber  Nitrum  und  andere  Salze;  nur  das  Natron  nitricum  (s.  unten) 
möchte  hier  eine  zweckmässige  Anwendung  finden  (3f.).  Auch  die  Antimo- 
nialmittel  in  kleinen  Dosen  passen  hier  nicht ;  wol  aber  schleimige  laue  Kly- 
stiere  mit  etwas  Tinct.  opii^  laue  Fomentationen  und  Umschläge  von  Herb. 
hyoscyami,  cicutae,  Flor,  sambuci  und  Einreibungen  des  Leibes  mit  Ol. 
hyoscyaini ,  wenn  ihre  Application  keine  Schmerzen  erregt.  Dabei  muss  der 
Kranke  das  Bett  hüten,  sich  warm  bedecken,  im  massig  warmen  Zimmer 
verweilen  und  jede  Erkältung,  sowie  jeden  Genuss  von  festen  Speisen,  Al- 
les, was  Reiz  und  Entzündung  vermehrt,  alles  saure  Getränk  meiden j  sich 
blos  auf  Gersten-  und  Haferschleim  ohne  Salz  beschränken.  Doch  passt 
zuweilen  der  Genuss  eines  reifen  gekochten  Obstes,  der  reifen  Weintrauben. 
Bei  dieser  Behandlung  wird  das  Fieber  bald  rqmittirend,  die  Zufalle  wer- 
den gelinder,  die  Stuhlausleerungen  und  Ruhrgänge  vermindern  sich  und  die 
Genesung  erfolgt  in  kurzer  Zeit. 

Dgsentcria  rheumntico-catnrrhalis,  Dysent.  henignn,  gelind  entzünd- 
liche, gutartige  Ruhr.  Ist  die  häufigste  und  ursprünglich  reine  Form< 
herrscht  bald  nur  sporadisch,  häufiger  noch  epidemisch  im  Fruhlinge  und 
Herbste;  unbeständiges  Wetter,  Überschwemmungen  begünstigen  sie.  Sym- 
ptome. Zuweilen  gehen  Vorboten:  Gliederschmerz,  Kopfweh,  Schauder, 
Unlust,  Übelkeit  vorher,  zuweilen  nicht.  Die  übrigen  Zeichen  sind  die  der 
Dysent.  inflaramatoria  im  niedern  Grade:  Fieber  mit  massigem  Froste,  star- 
ker Hitze,  grossem  Durste  mit  Typus  contin.  remittens,  rheumatische  Schmer- 
zen in  den  Gliedern,  im  Nacken,  massiger  Leibschmerz  und  Tenesmus,  kein 
stetes  Erbrechen  nach  dem  Genüsse  von  Nahrung,  nicht  zu  häufige  Ruhr- 
gänge, schleimiger,  schäumender,  blutiger  Abgang.  Cur.  Muss  gelind  an- 
tiphlogistisch, diaphoretisch  seyn.  Aderlässe  passen  hier  nicht,  wohl  aber 
Spirit.  Mindereri  mit  Aqua  flor.  sambuci,  Decoct.  salep,  daneben  3  —  4mal 
täglich  1 — 2  Gran  Opium  mit  Y4  Gran  Ipecacuanha;  ist  der  Puls  weich, 
klein,  die  Haut  trocken,  mit  Kampher  vermischt.  Manna,  Tamarinden,  Sal- 
miak, Spirit.  Mindereri   vertragen  manche  Kranke  nicht.     Das  Opium  gebe 


572  DYSENTERIA 

man  in  sokhen  Dosen,  dass  es  Ruhe  bewirkt.  Daneben  die  angegebenen 
äussern  Mitteln  (s.  Dysent.  inflainmatoria) ,  Dampfbäder  ad  anum. 
Warmhalten,  als  Nahrungsmittel  nichts  weiter  als  Hafer-,  Gersten-,  Grau- 
penschleim, nichts  Kaltes,  Saures,  Salziges.  Gewöhnlich  tritt  am  7ten, 
9ten  Tage  unter  kritischen  Schweissen  Genesung  ein. 

Dysenteria  hiliosa ,  die  gallige  Ruhr.  Symptome.  Sie  tritt  selten 
ohne  Vorboten  auf.  Diese  sind :  Appetitlosigkeit ,  bitteres  Aufstossen ,  gelbe 
Gesichtsfarbe,  trüber  Urin.  Die  Krankheit  Selbst  kündigt  sich  durch  Fie- 
ber mit  geringem  Froste,  aber  starker  Hitze  an;  dabei  rothes  Gesicht,  star- 
ker Kopfschmerz,  frequenter,  voller,  härtlicher,  gespannter  Puls,  Febris 
<;ontinua  remittens,  mit  Exacerbationen  am  Abend  und  Remissionen  am  Mor- 
gen; Status  biliosus:  Angst,  Unruhe,  Di-uck  in  den  Präcordien,  Übelseyn, 
bitterer  Geschmack,  grosser  Durst,,  grosses  Verlangen  nach  säuerlichen  Din- 
gen, schleiitiige,  gelb  belegte  Zunge,  trüber,  brauner  Urin,  Leibschmerz, 
Starker  Tenesmus;  der  Abgang  ist  gallig,  grün,  stinkend,  erfolgt  täglicR 
woi  20mal ,  gim  häufigsten  in  der  Exacerbation ;  der  Verlauf  des  Übels  währt 
länger  als  bei  der  Dysent.  benigna  und  inflammatoria ;  oft  folgt  der  Aus- 
gang in  eine  Intcrniittens  luliosa,  wo  die  Ausleerungen  während  der  Apy- 
rexie  schweigen.  Bei  schlechter  Behandlung  geht  sie  (bei  reizender  Me- 
thode) entweder  in  die  Dysent.  inflammatoria,  oder  (bei  übertriebener  anti- 
gastrischer  Methode)  in  die  putrida  über.  Feuchte  Herbstluft  nach  trocknen 
heissen  Sommern  giebt  ganzen  Epidemien  oft  den  biliösen  Charakter,  indem 
hier  das  Gallensystem  in  übermässige  Thätigkeit  gebracht,  worden  ist.  Cur. 
Da  diese  Ruhr  stets  mit  Polycholie,  mit  übermässigem  Gallenerguss  in  den 
Darmcanal  verbunden  ist,  die  als  fremdartiger  Reiz  das  örtliche  Leiden  un- 
terhält, so  ist  die  Hauptindication,  diese  Complication  zu  heben  und  so  das 
Leiden  in  eine  Dysent.  simplex,  benigna  zu  verwandeln.  Man  gebe  zuerst 
ein  Brechmittel  aus  reiner  Ipecacuanha,  bei  Torpidität  des  Magens  mit  Tart. 
enietic.  versetzt;  besonders  nöthig  ist  das  Brechmittel  bei  galliger  Turge- 
scenz  nach  oben ,  wie  dies  z.  B.  in  den  heissen  Sommermonaten  der  Fall  ist. 
Je  früher  man  das  Vomitiv  nimmt,  das  bei  neuer  Gallenansammlung  selbst 
öfter  wiederholt  werden  muss,  desto  mehr  leistet  dasselbe.  Nach  dem  Er- 
brechen geben  wir  blande,  nicht  reizende,  säuerliche  Abführmittel:  Manna, 
Tamarinden,  Crem,  tartari,  Sal  Seignette,  Crem,  tartari  solubilis  (aber  kein 
Sal  Glauberi,  Sal  amarum,  keine  harzig -vegetabilischen  Mittel).  Hiernach 
werden;  die  Dejectionen  massig  fäculcnt,  biliös,  und  der  Kranke  fühlt  sich 
sehr  erleichtert.  Dünne,  schleimige  Dinge :  Haferschleim  mit  Pflaumenbrühe, 
Salep,  auch  Serum  lactis  tamarind.,  reifes  Obst  sind  dem  Kranken  sehr  dien- 
lich. Äusserlich  passen  Einreibungen  von  Opium  und  Ol.  hyoscyami,  laue 
Klystiere  aus  Serum  lactis  tamarind.,  Tamarindenmark,  Honig.  Sobald  der 
Status  biliosus  durch  diese  Mittel  gehoben  ist,  was  oft  schon  am  3ten,  4ten 
Tage  der  Fall  ist  und  sich  durch  Abwesenheit  der  oben  angegebenen  Zei- 
chen offenbart,  tritt  die  Behandlung  der  Dysent.  rheumatico  -  catarrhalis  ein. 
Man  gebe  alsdann  3  —  4mal  täglich  Opium  mit  Ipecacuanha,  oder  Tinct. 
opii  3 j  »  yini  stibiat.  5jj-  Alle  2  —  3  Stunden  20  —  30  Tropfen. 
Dyseiiteria  hepntica ,  s.  Fluxus  hepaticus. 

Dysi^iterin  pituitosa,  die  schleimige  Ruhr.  Hier  ist  keine  Neigung 
zur  Dysent.  inflammatoria ;  dagegen  zeigen  sich  die  Erscheinungen  des  Sta- 
tus pituitosus  (s.  Blennorrhoca  ventriculi),  die  als  Vorboten  dieser 
Ruhr  oft  selbst  14  Tage  vor  der  Krankheit  sich  einstellen:  bleiches  Ge- 
sicht, schleimig  belegte  Zunge,  fader  Geschmack,  Flatulenz,  trüber  Urin; 
die  Ruhr  tritt  mit  einem  Fieber  auf,  das  ganz  der  Febris  pituitosa  ähnlich 
ist:  geringes,  oft  wiederkehrendes  Frösteln,  starkfe  Hitze,  grosser  Durst, 
weicher,  leerer,  kleiner  Puls,  wahre  Schwäche.  Der  Typus  des  Fiebers  ist 
eine  continua  remittens,  mit  nächtlichen  Exacerbationen,  Angst,  Unruhe, 
Delirien,  wird  aber,  wenn  die  Kranklieit  in  die  Dysent.  putrido  -  nervosa 
übergeht,  eine  continua  continens.  Der  Unterleib  ist  tympanitisch  aufgetrie- 
ben, die  Zunge  mit  dickem  Schleime  belegt,  die  Leibschmerzen  und  der 
Tenesiuuä  sind  heftig,   doch  nicht  so  anhaltend,    wie  bei  D}scnt.  iniiaiunia- 


DYSENTERIA  573 

toria,  die  Ausleerungen  sind  sehr  häufig,  folgen  oft  alle  10  Minuten,  ent- 
kräften sehr ,  sind  des  Nachts  am  häufigsten ,  der  Abgang  ist  zu  Anfange 
der  Krankheit  weisslich ,  geruchlos  (Dvsent.  alba) ,  oft  nur  mit  wenig  Blut 
vermischt,  wird  erst  faul,  stinkend,  blutig  bei  Eintritt  des  Übels  in  die 
Dysent.  putrida.  Sowie  bei  der  Dysent.  biliosa  mehr  der  obere  Theii  des 
Darmcanals  leidet,  leidet  hier  mehr  der  untere.  Der  Verlauf  der  Krankheit 
ist  langsam,  währt  oft  mehrere  Wochen,  entscheidet  sich  per  lysin,  hinter- 
lässt  gern  chronische  Krankheiten  des  Darmcanals,  oder  tödtet  durch  Dysent. 
putrida.  Besondere  Ursachen  sind  niedrige,  sumpfige  Gegenden,  wo  das 
Übel  oft  endemisch  herrscht,  nasskalte,  feuchte  Herbstwitterung,  daher  die 
October  -  und  No-vembermonate ,  dagegen  die  Dysent.  biliosa  mehr  dem  Au- 
gust und  September  angehört.  Cur.  Man  gebe  hier  gleich  Opium,  Kin- 
dern Va,  Vs,  V4  Gran,  Erwachsenen  V2,  1  —  3  Gran  alle  3  Stunden,  mit 
Mucilaginosis,  Decoct.  salep. ,  Sago  etc.  Dies  ist  das  Hauptmittel.  Alle 
bei  Dysent.  inflammatoria  und  biliosa  empfohlenen  andern  Mittel  sind  hier 
schädlich.  Die  Diät  muss  schleimig,  nährend,  aber  nicht  kühlend,  nicht 
säuerlich  seyn.  Suppen  aus  Reis,  Nudeln,  Sago,  starke  Fleischbrühen, 
weichgekochte  Eier,  Thee  von  Chamillen,  Melisse  mit  etwas  gutem  Roth- 
wein, grosse  Reinlichkeit,  Vermeidung  aller  Erkältung  sind  besonders  zu 
empfehlen.  Äusserlich  passen  Linim.  volat.  camph.  3],  Laudan.  liquid.  Syd. 
5jj,  alle  2  Stunden  1  Theelöffel  voll  warm  in  den  Unterleib  einzureiben, 
desgleichen  aromatische  Bäder,  anfangs  schleimige  Klystiere  von  Amylum, 
Decoct.  althaeae  mit  reichlichem  Zusatz  von  Opium,  gegen  das  Ende  der 
Krankheit  aromatische ,  tonische  Klystiere.  Ausser  dem  Opium  passt  bei 
Dysent.  pituitosa  besonders  auch  die  Nux  vomica,  welche  man,  wenn  djis 
Übel  langwierig  werden  will ,  einige  Tage  lang  auf  folgende  Art  verordnen 
kann :  I^  Nnc.  vomic.  3j ,  Infimd.  aq.  ferv.  q.  s.  diger.  ■per  V2  ^^or.  ut  reman, 
5vj,  col.  ndde  Tinct.  opii  simpl.  5j^.  M.  S.  Alle  2  Stunden  1  EsslöfFel  voll. 
Dauert  das  Übel  schon  über  14  Tage,  nimmt  es  einen  chronischen  Cha- 
rakter an,  oder  ist  der  Kranke  schon  in  der  Reconvalescenz,  so  passen  To- 
nica  mit  Zusatz  von  Opium,  vorzüglich  Rheum,  Columbo,  Cascarille,  um 
den  Ton  des  Darmcanals  wieder  herzustellen,  daneben  eine  kräftige,  näh- 
rende, animalische  und  gewürzhafte  Diät.  Manche  Ruhrkranke  vertragen 
die  Tonica  aber  gar  nicht;  hier  kann  man  bei  chronischem  Charakter  De- 
coct. rad.  arnicae  (5]^  auf  ^vjjj  Colatur) ,  auch  Flor,  zinci ,  alle  2  Stunden 
1  —  3  Gran ,  Klystiere  von  Decoct.  althaeae  mit  etwas  Aq.  veget.  min.  Gou- 
lardi  versuchen  (^Himly). 

Dysenteria  putrida,  die  faulige  Ruhr.  Sie  ist  nur  selten  ein  primä- 
res Übel,  entsteht  meistens  secundär  aus  der  Dysent.  pituitosa,  besonders 
bei  schlechtem  Verhalten  des  Kranken ,  bei  grosser  irritabler  Schwäche. 

Dysenteria  putrida  primaria.  Ob  diese  Benennung,  welche  Haase  sta- 
tuirt,  richtig  ist,  lasse  ich  dahin  gestellt  seyn,  da  der  inflammatorische  oder 
wenigstens  erethistische  Charakter  zu  Anfange  des  Übels  nicht  zu  verken- 
nen ist.  Sie  tritt  ohne  Vorboten  mit  starkem,  lebhaftem  Froste  auf,  mit 
grosser  Hitze,  heftigem  Durste,  frequentem,  gespanntem,  härtlichem  Pulse, 
heftigem  Leibschmerz  und  Tenesmus ,  mehr  unterdrückten  als  profusen  Se- 
cretionen ,  also  mit  allen  Zeichen  der  Entzündung ,  gerade  so  wie  die  bran- 
dige Scharlachbräune  (s.  Angina  gangraenosa);  späterhin  alle  Zeichen 
der  Febris  putrida:  schneller,  schwacher,  kleiner  Puls,  brennend  trockne 
Haut,  oder  klebrige  Seh  weisse,  Betäubung,  blande  Delirien,  Sopor,  grosse 
Erschöpfung,  starkes  Verlangen  nach  kalten,  säuerlichen  Getränken,  Ekel, 
Erbrechen,  braim  und  schwarz  belegte  Zunge,  cadaveröser  Geruch  aus  dem 
Munde,  aufgetriebener  Unterleib,  faulig  riechende,  entartete  Dejectionen, 
der  Leibschmerz  und  Tenesmus  sind  jetzt  unbedeutend,  hören  im  höchsten 
Grade  wol  ganz  auf,  es  erscheinen  coUiquative  Blutungen  aus  der  Nase, 
dem  Munde ,  der  Vagina ,  Urethra ,  Aphthen ,  Blasen  auf  der  Haut ,  Pete- 
chien, brauner,  grüner,  cadaveröser  Urin.  Cur.  Man  behandle  zu  Anfange 
den  Kranken  ja  nicht  reizend,  sondern  antiphlogistisch,  doch  übertreibe  man 
das  Schwächen  nicht.    Kleine  Aderlässe,  ein  Vomitiv,  säuerliche,  kühlende 


51i  DYSENTERIA 

Laxanzen,  Salmiak  mit  Spirit.  Minderen,  bei  Hitze  und  Trockenheit  der 
Haut  Mineralsäuren.  Ist  der  Charakter  nicht  mehr  entzündlich ,  ist  offenbar 
Status  putridus  da,  dann  die  Behandlung  der  Febris  putrida  und  der  Dys- 
enteria  putrida  secundaria. 

Dysenteria  putrida  secundaria.  Sie  bildet  sich  meist  immer  aus  der 
Dysent.  pituitosa,  vorzüglich  bei  schwachen  Personen,  schlechter  Behand- 
lung und  andern  ungünstigen  Verhältnissen.  Vorboten  sind:  der  lang- 
wierige Verlauf  der  Dysent.  pituitosa,  dabei  grosse  Entkräftung  des  Kran- 
ken, schneller,  kleiner,  fast  unfühlbarer  Puls,  trockne,  braune,  aufgesprun- 
gene Zunge,  profuse,  übelriechende  Dejectionen.  Alsdann  treten  bald  die 
oben  (s.  Dysent.  putrida  primaria)  genannten  Zeichen  des  Status  pu- 
tridus ein.  Der  Tod  erfolgt  durch  Erschöpfung  und  Brand  der  Gedärme. 
Besondere  Ursachen  solcher  fauligen  Ruhren  sind  schädliche  epidemische 
und  endemische  Einflüsse,  besonders  heisses,  feuchtes  Klima  und  solche  Jah- 
reszeit ;  daher  das  häufige  Vorkommen  der  Dysent.  putrida  in  Westindien, 
in  belagerten  Städten ,  auf  Schiffen ,  in  Feldlagern ,  schlecht  besorgten  Spi- 
tälern. Cur.  Die  Behandlung  der  Dysent.  pituitosa,  daneben  besonders 
Arnica,  Serpentaria,  Kampher,  Columbo,  Simaruba,  Mineralsäuren,  im  höch- 
sten Grade  selbst  kalte  Sturzbäder  nach  Cmrie's  Methode;  bei  der  Recon- 
valescenz  Roborantia,  Tonica,  Adstringentia:  Gewürze,  spirituöse  Tincturen, 
China,  stärkende  Nahrung,  reine,  frische  Luft. 

Dysenteria  nervosa,  typhosa.  Sie  ist  niemals  etwas  Primäres,  sondern 
ein  Hinzutreten  des  Status  nervosus  zur  Dysent.  pituitosa  und  putrida,  das 
in  der  Regel  den  Tod  anzeigt.  Das  Fieber  ist  eine  continua  continens,  der 
Puls  höchst  frequent,  schwach,  aussetzend,  die  früher  heftigsten  Leibschmer- 
zen sind  verschwunden ,  der  Kranke  ist  stumpf,  unempfindlich ,  soporös,  zit- 
tert mit  den  Händen,  lässt  Urin  und  Stuhlgang,  die  höchst  stinkend  sind, 
ins  Bette,  hat  Deliria  blanda,  kalte  Extremitäten,  schwarze,  zitternde 
Zunge ,  blaue  Blecken  auf  der  Haut  etc  Cur.  Man  giebt  hier  Valeriana, 
Arnica,  Serpentaria,  Kampher,  Opium,  Sal  volatile,  Moschus,  legt  Sina- 
pismen,  Vesicatorien  auf  den  Leib  u.  s.  f.  In  der  Regel  hilft  hier  alles 
Curiren  nichts,  daher  ists  besser,  wenn  dieser  traurige  Ausgang  der  Ruhr, 
der  nur  die  Nähe  des  Todes  anzeigt,  durch  frühe,  zweckmässige  Qrlittel, 
die  schon  oben  bei  Dysent.  inflammatoria,  biliosa,  pituitosa  genannt  worden 
sind,  verhütet  wird. 

Im  Jahre  1819  behandelte  der  Herausgeber,  als  er  noch  in  Stadthagen 
bei  Hannover  praktischer  Arzt  war,  in  und  um  seinen  Wohnort  vom  Mo- 
nate August  bis  zum  December  über  150  Ruhrkranke,  die  an  Dysenteria 
benigna  epidemica  litten.  Masern,  Scharlach,  falsche  Pocken ,  habituelle 
Durchfalle ,  Apoplexien ,  Kardialgien  herrschten  theils  vorher ,  theils  gleich- 
i^eitig.  Die  Ruhr  ergriff  jeden  Stand ,  jedes  Alter.  Manche  erkrankten 
leicht,  manche  schwer.  Fieber,  starker  Durst,  häufige  blutige  und  schlei- 
mige Dejectionen ,  heftige  Leibschmerzen  waren  die  gewöhnlichen  Symptome. 
Meine  Behandlung  war  diese:  1)  Obgleich  nur  selten  etwas  Biliöses  da  war, 
$0  gab  ich  doch  in  den  ersten  2  —  3  Tagen  des  Übels  ein  Vomitiv  aus 
Ipecacuanha,  ohne  Brechweinstein.  Darauf  Decoct.  rad.  althaeae,  oder 
fi  Emuls.  nmygdal.  dulc.  rec.  expr.  ^vj  ,  Syr.  diacod.  ^ ,  Tincf.  opH  simpl. 
3)^ — j.  S,  Alle  2  —  3  Stunden  1  Esslöffel  voll.  Ausserdem  noch  Abends, 
■wenn  Ruhe  fehlte,  gr.  j  Opium  mit  gr.  V4  Ipecac.  und  gr.  vj  Tart.  vitriolat; 
dabei  strenge  Diät,  durchaus  keine  andere  Nahrung  als  Haferschleim,  Ger- 
stenschleim, warmes  Verhalten.  2)  Manche  erhielten  kein  Vomitiv ,  sondern 
gleich  anfangs  1^  Tinct.  opü  simpl.  3j  <  Vini  stibiat.  3jj?  wovon  alle  3  Stun- 
den 15 — 20  Tropfen  mit  Decoct.  salep  genommen  wurden.  Solche  Kranke 
litten  meist  14  Tage,  dagegen  jene,  die  früh  das  Brechmittel  genommen 
hatten ,  binnen  8  Tagen  hergestellt  wurden.  3)  Am  14ten  Sept.  1819  be- 
kam ich  einen  robusten  Mann  von  36  Jahren,  von  Temperament  cholerisch, 
von  Constitution  pituitös,  mit  Anlage  zu  Status  pituitosus ,  der  seit  drei  Ta- 
gen an  der  Ruhr  litt  und  ungefähr  30  blutige  Sedes  in  24  Stunden  hatte, 
Li  die  Cur.    Er  nahm  obige  Tropfen  mit  gutem  Rothwein,  trank  am  15ten 


DYSENTERISCHESIS  —  DYSODONTIASIS         575 

eine  ganze  Flasche  Portwein  ohne  mein  Wissen,  hatte  am  löten  gar  keine 
Dejection,  aber  auch  gar  keine  Beschwerden,  am  17ten  erfolgten  10  Aus- 
leerungen von  dickem ,  zähem ,  weissem  Schleime ,  und  am  18ten  September 
war  er  hergestellt,  ohne  Nachkrankheiten  zu  bekommen.  4)  Das  Hauptmit- 
tel in  dieser  Epidemie  war  das  Opium;  ich  gab  es  dreist  und  in  steigender 
Dosis,  bis  Rnhje  erfolgte,  wozu  oft  dreimal  täglich  p.  d.  gr.  jj — jjj  nölhig 
waren.  5)  Die  Reconvalescenten  vertrugen  durchgehends  keine  Amara  und 
Araaro  -  adstringentia.  Sie  bekamen  besonders  nach  Quassia,  Simaruba,  China, 
Nux  vomica,  Extr.  nuc.  juglaiid.,  Extr.  aurant.  Recidive.  Hier  that,  waren 
die  Kranken  schwach,  die  Arnica  herrliche  Dienste.  6)  Bei  einem  hagern 
Manne,  der  seit  acht  Tagen  an  der  Ruhr  litt  und  täglich  20 — 25  schleimig- 
blutige Dejectionen  hatte,  versuchte  ich  Loder^s  Potio  e  cera  flava.  Das 
IVlitlel  verschlimmerte  aber  den  Zustand.  7)  Dagegen  unterstützte  bei  vie- 
len Kranken  das  Ledum  palustre,  täglich  51I  des  Krautes,  als  Thee  getrun- 
ken, sehr  die  Cur.  8)  Nichts  wirkte  schädlicher  in  dieser  Epidemie,  als 
Gram ,  Kummer ,  Trauer.  In  einem  Hause ,  wo  5  Personen  an  der  gutarti- 
gen Ruhr  litten,  starb  eine  daran,  da  sie  schon  länger  an  Hektik  gelitten. 
Dieser  Todesfall  wirkte  dergestalt  auf  die  übrigen  Kranken,  dass  bald  der 
Charakter  des  Übels  trotz  aller  Mühe  putrid  und  nervös  wurde,  und  von  den 
4  Kranken  noch  2  dem  Tode  anheim  fielen.  —  Im  Sommer  1822  herrschte 
wiederum  die  Ruhr  in  jener  Gegend  epidemisch.  Mein  hochgeschätzter  Freund, 
Hr.  Dr.  Meyer  in  Bückeburg,  theilt  darüber  (Hufelnnd's  Journal,  1827.  Bd. 
LXIV.  St.  4)  einige  Notizen  mit.  Der  Charakter  der  Krankheit  v/ar  rheu- 
matisch-katarrhalisch, das  Fieber  eine  leichte  Synocha  mit  Hinneigung  zum 
Typhus.  Herrliche  Dienste  leistete  in  dieser  Epidemie  das  von  Dr.  Rade- 
mncher  und  v.  Felsen  empfohlene  Natron  nitricum  (^(J — j  in  3VJJJ  Decoct. 
althaeae).  Es  wirkte  kühlend,  gelind  abführend,  schweisstreibend ,  und 
wurde  auch  von  Kindern  vertragen.  In  den  meisten  Fällen  entfernte  es  die 
wesentlichen  Krankheitszufalle ,  selten  war  Vin.  stibiat.  und  Tinct.  opii  nö- 
thig.  Auch  mir  hat  das  Mittel  bei  ruhrartigen  Herbstdiarrhöen  gute  Dienste 
geleistet.  In  und  um  meinen  gegenwärtigen  Wohnort  Rostock  hat  die  epi- 
demische Ruhr  seit  20  Jahren  nicht  geherrscht. 

Dysenterit^ctaesis,  Dysenteria  sicca.  Verhaltung  der  Dejectionen 
bei  Ruhr.     Ist  in  der  Regel  Symptom  der  Dysenteria  intiammatoria. 

Dysepulotica  (remedia}.  Sind  Mittel,  welche  die  Vernarbung  der 
Geschwüre  verhindern,  z.  B.  ein  zu  comprimirender  Verband,  reizende  Pfla- 
ster und  Salben  bei  recht  schmerzhaften  Geschwüren,  Caustica,  zu  stark 
bei  der  Heilung  des  Geschwürs  angewandt;  Praecip.  rub.,  Cantharides,  Lap. 
causticus,  infernalis,  um  die  beginnende  Vernarbung  wieder  zu  zerstören, 
wie  dieses  oft  bei  Betrügern,  Recruten,  die  sich  dem  Militairdienste  entzie- 
hen wollen,  bei  Soldaten,  die  ihren  Abschied  wünschen  etc.  vorkommt,  die 
oft  eine  grosse  Zahl  anderer  Krankheiten  in  gleicher  Absicht  simuliren. 

Dysgalactia,  fehlerhafte  Beschaffenheit  der  Milch,  8.  Cacoga- 
lactia. 

Dys^eusia,  krankhafter,  verminderter  Geschmack,   g.  Ageusis. 

Kyslalia,  erschwertes  Sprechen,  s.  Balbuties. 

Ilyslochia,  erschwerte  oder  unterdrückte  Kindbettreini- 

gung.     Ist  ein  Symptom  der  Febris  puerperarura. 

Bysmenia,  erschwerter  Monatsfluss,  s.  Menstruatioretenta, 
suppressa. 

Dysmnesia,  Gedächtnisschwäche,  s.  Amnesia. 
Ilysneiiriae»  die  Dysneurien.     Ist  eine  Unterabtheilung  der  Neu- 
ropathien nach  Greiner;  s.  Neuropathia. 

Dysodia,  Dysodmia,  übler  Geruch,  z.  B.  der  Ausleerungen,  des 
Stuhlganges,  Schweisses  etc. 

DysodontiagiiSs  Dentitio  diffidlist   schweres  Zahnen,  s.  Dentitio. 


576  DYSOPSIAE  —  DYSPHAGIA 

Sysopsiae»  die  Krankheiten  und  Fehler  des  Sehvermö- 
gens, als  Ophthalmia,  Cataracta,  Amaurosis,  Glaucoma,  Macula  corneae, 
Synizesis  pupillae  etc. 

Hysorexia,  Appetitlosigkeit,   s.  Anorexia. 

Dyspepsia,  Apej)sia,  Digestio  deprnvata,  diffidlis,  Incsa,  IndigesiiOj 
Dyspepsie,  Apepsie,  Schwerverdaulichkeit,  erschwerte, 
üble,  schwache  Verdauung.  Gewöhnlich  verstehen  wir  darunter  ein 
chronisches  Leiden  der  Digestionsorgane ,  mit  unregelmässigem  oder  man- 
gelndem Appetite,  Unbehaglichkeit ,  Unlust,  Trägheit  des  Körpers  und  des 
Geistes,  überhaupt  mit  allen  Symptomen  der  Blennorrhoea  ventriculi  et  in- 
testinorura  (s.  den  Artikel,  desgl.  die  schöne  Schrift  von  J.  Abercromhie, 
Pathologische  und  prakt.  Untersuchungen.  Th.  II.  Abschn.  3.  Aus  d.  Engl, 
von  G.  V.  d.  Busch.  Bremen,  18S0).  Cur.  Sie  ist  nach  den  Ursachen  ver- 
schieden. Chronische  Dyspepsie  mit  Abmagerung  deutet  stets  auf  wichtige 
organische  Fehler  des  Unterleibes,  wogegen  Mercurialia ,  Antunonialia,  Sul- 
phurata,  resolvirende  Extracte:  Extr.  taraxaci,  graminis  mit  Tartar.  tarta- 
risat. ,  Gummata  ferulacea  etc.  nützlich  sind.  Wer  in  solchen  und  den  mei- 
sten Fällen  die  Dyspepsie  durch  aromatische  Tincturen:  Tinct.  aurantior., 
absinthii,  quassiae,  Tinct.  chinae  etc.  zu  heben  glaubt,  irrt  sich  sehr.  Ist 
die  Dyspepsie  Folge  von  Überladung  des  Magens,  so  passen  Vomitive,  Fa- 
sten, und  bei  Turgescenz  nach  unten  Laxative:  Infus,  sennae  mit  Sal  Glau- 
beri  und  Tinct.  rhei  aquos.  Ist  die  Dyspepsie  mit  gesteigerter  Sensibilität, 
reizbarem  Nervensystem,  mit  Schlaflosigkeit  verbunden,  z.  B.  bei  Hysteri- 
schen ,  so  passt  der  Hopfen ,  z.  B.  I^  Extr.  Jiximuli  litjmli  5jj ,  Aquae  Jium. 
Jup.  Sj,  Tinct.  hum.  lup.  gfv.  M.  S.  S  — 4mal  täglich  1  Esslöffel  voll  (Stieg- 
litz, M.).  Auch  thut  dies  Mittel  bei  Dyspepsie  als  Folge  der  Melaena  herr- 
liche Dienste  (M.).  Ist  bei  Apepsie  der  Stuhlgang  regelmässig,  so  hat  das 
Übel  nicht  viel  zu  bedeuten,  ist  wenigstens  nicht  chronisch.  Da  übrigens 
die  Apepsie  nur  ein  Symptom  verschiedener  Digestionsfehler  ist,  so  muss 
der  Arzt  diese  zu  erforschen  und  zu  behandeln  suchen,  alsdann  giebt  sich 
das  Symptom  von  selbst.  Man  achte  daher  auf  Physconia  hepatis,^  lienis, 
Scirrhositäten  der  Kardia,  des  Pylorus,  auf  Status  pituitosus,  gastricus, 
biliosus,  Arthritis,  Icterus,  Gallensteine,  Induratio  pancreatis,  Diarrhoea 
habitualis,  Fluxus  hepaticus,  coeliacus  etc.,  und  behandle  das  Grundübel. 
Häufig  ist  die  Dyspepsie  ein  Vorbote  der  sich  bildenden  regulären  Geieiik- 
gicht  in  den  Jahren  30  —  40,  geht  dieser  viele  Monate  vorher  und  ver- 
schwindet, sowie  die  Gelenke  ergriffen  werden  (Most). 

J^yspermatisinus 9  langsame  oder  gehinderte  Ejaculation 
des  Samens.  Ist  Symptom  mancher  Übel  der  Prostata,  der  Stricturen 
dec  Harnröhre,  der  Paralyse,  des  Diabetes  u.  s.  f. 

Dyspliagia ,  Deglutiiio  difßcilis ,  erschwertes  Schlingen, 
Schlucken.  Ist  ein  Symptom  verschiedener  Krankheiten  und  Zufälle ; 
bei  ganz  verhindertem  Vermögen  zu  schlucken  nennt  man  das  Übel  Aphngia 
(s.  d.  Art.).  Die  Behandlung  der  Dysphagie  ist  nach  den  Ursachen  ver- 
schieden ;  man  bestrebe  sich  diese  zu  entfernen ,  also  den  Grund  des  Übels 
zu  heben,  und  das  Symptom  wird  von  selbst  verschwinden.  Nach  den  Ur- 
sachen haben  wir  verschiedene  Arten  von  Dysphagie  angenommen : 

Dysj)kngin  alonica.  Die  Speiseröhre  ist  hier  so  schwach  (wegen  allge- 
meiner oder  örtlicher  Übel),  dass  der  Kranke  nicht  gut  schlucken  kann. 

Dysphngia  callosa,  Stricturn  oesophngi  vern,  callosa,  Slenochorin  oeso- 
pjingi.  Hier  findet  Verknöcherung  und  Verknorpelung  der  Wände  der  Spei- 
seröhre und  daher  Verengerung  derselben  statt,  ein  trauriges,  oft  unheil- 
bares Übel,  das  häufig  selbst  mit  Aphagie  verbunden  ist.  Ist  das  Übel 
noch  nicht  zu  alt,  so  versuche  man  äusserlich  Einreibungen  von  Unguent. 
mercuriale ,  gebe  innerlich  Resolventia :  Antimonialia ,  Mercurialia ,  Cicuta, 
Belladonna,  Terra  ponderosa,  auch  Salmiak  (5ji  in  Roob  sambuci  und  Sjt. 
althaeae  ana  gjj.  S.  Alle  2  Stunden  '/.  Esslöffel  voll)  nach  Dr.  Fischer^s 
und  F(igcnsteche?s  Rath,  in  schlimmen  Fällen  Sublimat,   versuche  auch  wol 


DYSPHAGIA  577 

die  Schmiercur  etc.  Gewohnlich  ist  die  callöse,  sowie  auch  scirrhose,  durch 
Verhärtungen,  Scirrhositäten  und  Verengerung  des  Oesophagus  gebildete 
Dysphagie  ursprünglich  aus  einer  Angina  pharyngea  und  der  Oesophagitis 
entstanden  (s.  Angina  scirrhosa).  Ist  das  Übel  unheilbar,  so  kann  man 
nur  durch  Einbringung  eines  Röhrchens  in  den  Schlund,  wodurch  der  Un- 
glückliche seine  Speisen  und  Getränke  in  den  Magen  schafft,  das  Leben 
fristen.  Dr,  DorfmüUer  fand  bei  chronischer  Dysphagie  ein  Pulver  aus  Lac 
sulphur.,  Aeth.  antimonialis  und  Belladonna  nützlich.  In  einem  sehr  schlim- 
men Falle  brachte  er  einen  Schwamm,  an  ein  Bischbeinstäbchen  befestigt, 
in  die  Speiseröhre,  bahnte  den  Weg,  entfernte  durch  den  Schwamm  viel 
Eiter,  und  die  Kranke  konnte  nun  mit  Erleichterung  schlingen.  Er  Hess 
Unguent.  nervin. ,  Bals.  sapon. ,  Sal  volat. ,  Kampher ,  Opium  in  den  Hals 
reiben ,  gab  innerlich  Extr.  columbo ,  cicutae  und  myrrhae ,  wor?iuf  grosse 
Besserung  erfolgte.  Doch  verschlimmerte  später  eine  hinzugekommene  Er- 
kältung Alles  wieder. 

Dijsphagia  scirrhosa,  canina,  Scirrhus  oesophagi.  Ist  häufig  mit  Dysph. 
callosa  verbunden.     Cur.    Dieselbe  der  Dysphagia  callosa. 

Dijsphngia,  sarcomatica ,  polgposn ,  Strictura  oesophagi  fungosa ,  sari^oma- 
tica.  Hier  verengern  schwammige,  polypöse,  warzige  Gewächse  die  Speise- 
röhre. Cur.  Ist  gleichfalls  schwer  zu  heilen,  wenn  man  die  Ursache  nicht 
entfernen  kann. 

Dysphagia  n  deglutitis,  Dysphagie,  entstanden  durch  verschluckte  und 
im  Schlünde  steckengebliebene  Körper,  z.  B.  Knochen,  Fleisch,  Fischgräten; 
8,  Asphyxie  durch  mehanische  Hindernisse  im  Schlünde. 

Dysphagia  devia ,  violenia.  Entsteht  durch  Verschiebung  der  Halswir- 
bel, des  Zungenbeins,  durch  äussere  Gewaltthätigkeit ,  Fall,  Sturz,  Erwür- 
gen ,  Erhängen ,  auch  durch  andere  Ursachen ,  z.  B.  durch  Arthrocace  der 
obern  Wirbeibeine,  wonach  die  Behandlung  verschieden  ist. 

Dysphagia  fluidorum ,  Dyspotisnius ,  Hinderniss,  Beschwerde  im 
Trinken.  Ist  ein  häufiges  Symptom  der  Hydrophobie,  der  Angina  pha- 
ryngea ,  der  Glossitis,  Angina  tonsillaris,  uvularis  etc.,  wo  bei  hohen  Gra- 
den dieser  Krankheiten  weder  feste,  noch  flüssige  Nahrung  verschluckt  wer- 
den kann.  Cur.  Man  behandle  das  Grundübel,  heile  die  Entzündung,  so 
legt  sich  auch  die  Geschwulst,  und  der  Raum  zum  Durchgange  der  Nah- 
rungsmittel wird  wieder  grösser,  sowie  der  Schmerz  dabei  geringer. 

Dysphagia  inflammatoria.     Ist  Symptom  der  Angina  pharyngea. 

Dysphagia  oesophagea.  Ist  Symptom  der  Oesophagitis  und  geht,  wenn 
letztere  schlecht  behandelt  wird ,  leicht  in  die  traurige  Dysphagia  callosa 
und  scirrhosa  über. 

Dysphagia  oris,  palatina.  Hier  ist  die  Ursache  des  Übels  in- der  Mund- 
höhle.' Ist  Entzündung  da ,  so  behandle  man  diese.  Ist  das  Übel  chronisch 
und  ohne  Entzündung,  so  untersuche  man,  ob  nicht  Paralyse  da  ist;  s. 
Dysphagia  paralytica. 

;  Dysphagia  paralytica,  torpida,  Angina  paralytica,  Pharyngoplegia,  Pha- 
ryngolysis.  Hier  entstand  die  Dysphagie  durch  Lähmung  der  zum  Schlingen 
nöthigen  Organe;  in  den  meisten  E^ällen  ging  Apoplexie  vorher,  die  diese 
Lähmung,  gewöhnlich  mit  Lähmungen  an  andern  Theilen  verbunden,  zu- 
rückliess.  Cur.  Die  der  Paralysis.  Herrliche  Wirkung  verschafft  hier  oft 
der  Galvanismus,  vorsichtig,  4  —  6  Wochen  lang,  täglich  zweimal  dergestalt 
angewandt,  dass  man  die  Füsse  des  Kranken  mit  dem  Zinkpol  einer  (erst 
30,  dann  40,  dann  50  Doppelplatten  starken)  Voltasäule  in  Verbindung 
bringt  und  den  Conductor  vom  Kupferpole  3  —  4mal  in  der  Minute  an  den 
Kehlkopf,  an  die  innei'en  Seiten  der  Zunge,  an  die  Basis  derselben,  an  die 
Musculi  glossopharyngei ,  überhaupt  an  die  gelähmten  Schlingorgane  appli- 
cirt,  wodurch  wohlthätige  galvanische  Erschütterungen  hervorgebracht  wer- 
den,  die  mehr  leisten  als  alle  innere  Antiparalytica  (3f.). 

Dysphagia  hydrophohica,  hygrophohica.     Obgleich  die  Wasser-  oder  rich- 
tiger Flüssigkeitscheu  ein   ziemlich   constantes  Symptom  der  Wuthkrankhcit 
ist,    eben  sowie  die  Aerophobie,   so  giebt  es  doch  Fälle,  wo  sie  fehlt,  und 
Most  Encyklopädie.  2te  Aufl.  I.  37 


578  DYSPHAGIA 

gegenthells  andere  Fälle,  wo  die  Furcht  und  Einbildung;  reizbarer  Kranken 
eine  Dysphagia  spastica  erregen  kann,  die  der  hygrophobica  älmlich  ist. 
Bei  der  waliren  Hydrophobie  verursacht  jeder  Versuch  zum  Trinken  die 
heftigsten  Convulsionen  des  Schlundes,  des  ganzen  Körpers,  so  dass  das 
Getränk  mit  Gewalt  Aveggespuckt  wird.  Es  erfolgen  Erstickungszufälie, 
unbeschreibliche  Angst,  heftiges  Herzklopfen  (Dysphagia  lusoria,  angiopla- 
lücä.     Cur.    Die  Behandlung  der  Hydrophobie. 

Dysphagia  lusoi'ia ,  angioplmiica,    s.  Dysph.  hydrophobica.  ';•. 

Dysphagia  pharyngocclica.  Ist  Symptom  des  sogenannten  Schlund- 
bruchs,  wobei  Erschlaffung  der  Häute  des  Schlundes  und  der  Speiseröhre, 
theih\eise  Erweiterung  derselben  (daher  Säcke,  Beutel,  Taschen,  worin 
sich  die  Speisen  eine  Zeit  lang  aufhalten)  stattfindet  (s.  Hernia  und  Pro- 
lapsusoesophagietpharyngis). 

Dysphagia  soUdorum,  Unfähigkeit,  feste  Nahrungsmittel, 
Arzneien  zu  schlucken.  Ist  häufiges  Symptom  der  verschiedenen  An- 
ginen, der  Stomacace  (Dysph.  stomatica) ,  des  sogenannten  Wasserkrebses 
der  Kinder,  der  Aphthen  etc.,  wozu  in  den  höhern  Graden  die  Dysph.  flui- 
dorum  hinzukommt.  Dagegen  können  bei  der  chronischen  Dysph.  paralytica 
oft  noch  feste  Körper  in  Kugelform  verschluckt  werden,  nicht  aber  flüssige 
Körper.     Cur.    Man  behandle  das  Grundübel. 

Dysphagia  spasmodica,  Sirictura  oesophagi  spasmodica.  Ist  häufig  Sym-< 
^tom  des  hysterischen  Anfalls,  wo  der  Kranke  das  Gefühl  hat,  a4s  stecke 
ihm  eine  Kugel  im  Halse  (Nodus  hystericus).  Cur.  Das  Übel  hat  wenig 
zu  bedeuten,  verschwindet  binnen  wenigen  Stunden  durch  Antispasmodica 
(s.  Hysteria).  Zuweilen  bleibt  nach  Oesophagitis  eine  Dysphagie  mit 
Nervenzüfällen  zurück,  wo  jeder  Versuch  zum  Schlingen  Krämpfe  erregt. 
Hier  sind  laue  Bäder,  Opiateinreibungen  und  Milchdiät  oft  recht  wirksam 
(ü.  CaslelJd). 

Dysphagia  toxica.  Schwerschlingen  durch  Vergiftung.  Ist 
häufig  Symptom  der  Vergiftung  durch  Narcotica,  wodurch  derselbe  läh- 
mungsartige Zustand  und  dieselbe  Unempfindlichkeit,  die  im  Magen  statt- 
finden (s.  Drastica),  auch  die  Schlingwerkzeuge  afficirt.  In  andern  Fäl- 
len ists  B'olge  des  heftigen  Reizes  und  Schmerzes  im  Munde  und  Schlunde/y 
z.  B.  bei  Vergiftung  durch  concentrirte  Säuren.  Cur.  Im  erstem  Falle 
bringe  man  die  bekannten  Gegenmittel:  Vomitiv,  Säuren  etc.  mittels  eines 
in  den  Schlund  gebiachten  ela.stischen  Röhrchens  in  den  Magen;  im  letz- 
tern Falle  gebe  man  Oleosa ,  gegen  concentrirtOi  Säuren  kaiische  Mittel  etc. ; 
s.  Intoxicatio. 

Dysphagia  ulcerosa,  Dysphagie  wegen  Geschwüren  und  An- 
fressungen des  Schlundes.  Oft  giebt  sich  dak  Übel  zu  Anfange  nur 
durch  diese  Dysphagie  zu  ei-kennen.  Man  untersuche  genau  und  behandle 
das  Übel  nach  den  Ursachen ;  häufig  ist  Syphilis ,  Arthrocace  der  Wirbel 
da ,  oder  es  ist  Stomacace ,    Angina  maligna  etc.  vorhergegangen. 

Dysphagia  Vdlsalviand.  Ist  Symptom  dei:  Verrenkung  des  Zangenbeins; 
s.  Luxatio  ossis  hyoidei.  ■  . 

Dysphagia  a  rigiditate  nimia  fbrartim.  Es  giebt  eine  gewisse  Trocken- 
heit der  Drüsen  und  Fasern  der  Speiseröhre,  bei  welcher  der  Kranke  kei- 
nen Bissen  hinunterzuschlingen  im  Stande  ist,  bevor  er  nicht  vorher  etwas 
Flüssige«  getrunken  hat  (Detharding ,  Morgttgm,  van  Gesims).  Mucilaginosa, 
Oleosa  sind  hier  neben  der  Berücksichtigung  der  zum  Grunde  liegenden 
Dyskrasie  anzuwenden.  Zuweilen  ists  aber  blos  ein  spastisches  Symptom, 
zumal  bei  Hysterischen,  das  schnell  kommt  und  oft  eben  so  schnell  ver- 
schwindet (Mos*)' 

Dysphagia  oedeviatosut.  Sie  entsteht  durch  abnormen  Zuflnss  seröser 
Säfte  in  dsis  Zellgewebe  der  Speiseröhre,  wovon  Morgagm  ein  Beispiel  an- 
führt. ^ 
Dysphagia  varicoSn.  Entsteht  bei  altern  Subjecten  oft  nach  nnterdrück- 
ten  Hämorrhoiden,  jbei  Ataxien  der  Menses,  in  Folge  von  Varices  oeso- 
phagi  (s.  Varix). 


DYSPHOBU  —  DYSPNOEA  579 

Dysphngia  a  ruptnra  oesophngi.  Hier  vermag  die  Kuitst  nichts;  denn 
der  Tod  folgt  in  kurzer  Zeit  durch  den  Erguss  des  Genossenen  in  die  Brust- 
höhle. So  starb  Boerhnnven  der  Admiral  v.  Wnssenaer  (s.  Zimmermawit, 
Von  der  Erfahrung.  Bd.  IL).  Die  besten  Schriften  und  Abhandlungen  über 
Dysphagie  sind:  Spies,  De  deglutitione  istiusqüe  laesione.  Heimst.  17^7. 
Fr.  Uofl'mami,  De  morbis  oesophagi  spasmodicis.  Genev.  1748.  Fol»  ZincJcer- 
nagel.  De  deglutitionis  dif%.  et  impedita^  causi^ä  abditis.  Viteb.  1750.  A. 
de  Hacn,  De  impeditus  vel  deglutitione,  vel  deglutitorum  in  cayuin  ventfi- 
culi  descensu.  Hagae  Batav.  1750,  Van  Gemis  in  den  Sammlungen  auserles. 
Abhandl.  Bd.  IV.  S.  171.  A.  P.  Nahuys,  Ebendas.  Bd.  VI.  S.  3.  Bhuland^ 
Ebendas.  Bd.  IX.  S.  676.  Pohl  la.  BaUingers .  k^szügen.  Bd.  I.  S.  317. 
Brande  -  Schippers ,  De  deglutitione  difticili.  Giess.  1786.  Engclhnrd ,  De 
dysphagia.  London  1796.  Wichnianii's  Ideen  zur  Diagnostik  Th.  III.  S.  161. 
Hui'ehmd's  Journal  1811.  Stück  5.  v.  Grlife^s  u.  v..WaUher's  Journal  1820. 
Hft.  3.  Hünersdorf,  De  dysphagia.  Marburg.  1806.  Autenritlh,  De  dyspha- 
gia lusoria.  Tübing.  1806.  J.  D.  Kalt,  De  dysphagia.  Bonn.  1825.  Boyer, 
Abhandl.  über  die  chirurg.  Krankheiten  etc.  Aus  d.  .Französ.  von  Teoctor. 
Bd.  VIL  S.  143.    Würzburg,  1822. 

Dyspholbia,  unrichtige  Benennung  für  Myopia,  weil  Kurzsichtige 
sich  selten  vor  den  im  Wege  befindlichen  Gegenständen  fürchten. 

Dysphonia,  beschwerliche  Sprache,  rauhe,  harte,  wider- 
liche Sprache.     B'indet  sich  häufig^  bei  alten  Stotterern,    s.  Balbuties, 

Dyspboria,  Cacophoria,  das  schlechte  Bekommen  einer  Arz- 
nei, einer  Cur,  die  Ungeduld  beim  Ertragen  einer  Krankheit,  das  wider- 
liche Benehmen  eines  Arztes  bei  seinen  Kranken.  In  diesen  drei  verschiede- 
nen Bedeutungen  finden  wir  dies  Wort  beim  HippoJcrates  und  andern  alten 
Ärzten. 

9yspionia>»  fehlerhafte  Beschaffenheit  des  Fettes,   s.  Adiposis. 

Dyspnoea,  Schwerathmen,  Hinderniss  im  Atheraholen. 
Ist  ein  Symptom  vieler  Krankheiten,  und  geht  im  höchsten  Grade  in  völlige 
Unterdrückung  desselben  und  Erstickunggzufälle  über.  Muss  der  Kranke 
dabei  aufrecht  sitzen ,  ist.  das  Übel  so  heftig,  dass  er  gar  nicht  liegen  kann, 
so  nennt  man  es  Orthopnoea.  Aber  nicht  jede  Abnormität  im  Athemholen 
nennen  wir  Dyspnoe,  sondern  nur  diejenige,  wo  die  Ursache  in  den  B.espi- 
rationsorganen  oder  im  Herzen,  in  den  grossen  Blutgefässen,  oder  in  allge- 
meiner Fettleibigkeit  (Adiposis) ,  Wassersucht ,  besonders  Hydrops  pectoris, 
kurz  in  allen  solchen  Dingen  liegt ,  die  theils  mittelbar ,  theils  unmittelbar, 
theils  idiopathisch,  theils  sympathisch,  entweder  auf  mechanische,  oder  che- 
mische ,  oder  dynamische  Weise  die  Respirationsorgane  an  freier  Ausübung 
ihrer  Function  hindern.  Gewiss  ist  das  Athemholen  in  Krankheiten  ein 
ebenso  wichtiges  und  in  dcjr  Rfegel  noch  zuverlässigeres  Zeichen  als  der  Puls, 
mit  welchem  es  in  der  genauesten  Verbindung  steht.  Rechnen  wir  nun  bei 
Gesunden  im  ruhigen  Körper  -  und  Geisteszustände  und  im  mittlem  Lebens- 
alter 4  —  5  Pulsschläge  auf  eine  Respiration  (In-  und  Exspiration),  so  giebt 
dies  den  Massstab  für  das  krankhafte  Athmen  ab,  wovon  die  Dyspnoe  eine 
Art  ist.  Die  anomale  Respiration  mag  daher  hier  wegen  ihrer  Wichtigkeit 
für  Diagnose  und  Prognose  in  der  Kürze  ihren  Platz  finden.  Schnelles 
Athmen  (Respiratio  celeris),  entstanden  durch  äussere  Hitze,  Körper-  »uid 
Gemüthsbewegungen,  durch  Krämpfe,  Blähungen  etc.,  hat  wenig  zu  bedeu- 
ten, vergeht  meist  von  selbst;  ists  anhaltend,  so  deutet  es  auf  grossen  An- 
drang des  Blutes  nach  den  Lungen ,  auf  Hindernis^  im  Blutumlauf;  es  ist 
oft  Zeichen  von  Brust  -  und  Unterleibsentzündungen ,  und  deutet  am  Ende 
der  Krankheit,  wenn  es  schwach,  klein,  röchelnd,  ungleich  wird,  wenn 
Delirien  etc.  da  sind,  der  Kranke  höchst  schwach  ist,  den  baldigen  Tod  an. 
Das  grosse  Athmen  (Respiratio  magna)  zeigt  Kraft  und  gesunde  Lungen, 
auch  freie  Blutcirculation  an;  in  chronischen  Krankheiten  deutet  das  perio- 
dische grosse  Athmen  auf  Krampf  im  Unterleibe  und  Asthma  krampfhafter 
Art,  in  hitzigen  Fiebern  ists  oft  der  Vorbote  einer  nahen  Krise;  bei  andern 

37  ^" 


580  DtSPNOEA 

schlechten  Zeichen  zeigt  es  nahen  Tod  an.  Kleines,  kurzes  Athmen  (Re- 
spir.  parva)  deutet  auf  Hindernisse  im  Blutunilauf,  auf  Abnahme  der  Kräfte, 
Lungenfehler ,  Phthisis.  Kleine  In  -  und  grosse  Exspirationen  sind  in  hitzi- 
gen Fiebern  ein  schlimmes  Zeichen;  bemerkt  man  sie  im  Schlafe  sonst  Ge- 
sunder, so  zeigen  sie  Neigung  zu  Kräiupfen  an  (31.).  Starkes  Athmcn 
(Respir.  fortis)  zeigt  freien  Blutumlauf  und  glücklichen  Ausgang  der  Krank- 
heiten an,  schwaches  (Respir.  debilis)  deutet  auf  Schwäche  und  nahe 
Ohnmacht.  Beschwerliches  Athmen  (Respir.  difficilis),  worin  die  eigent- 
liche Dyspnoe  besteht,  das  ängstlich,  keuchend,  seufzend,  pfei- 
fend, röchelnd,  mit  Blutcongestion  zum  Kopfe,  kalten  Gliedern  etc.  ver- 
bunden ist,  zeigt  mechanische  oder  andere  Hindernisse  im  Ein-  und  Aus- 
gehen der  Luft:  Bluty  Eiter,  Wasser,  Verhärtungen  in  der  Brust  an;  ist  in 
Krämpfen  und  Blähungen  ohne  Gefahr,  bei  Wöchnerinnen,  bei  Angina,  Prteu- 
monie  bedeutungsvoller,  bei  Hydrops  pectoris  und  Phthisis  pulmonalis  ein 
Zeichen  der  Verschlimmerung.  Zur  Erkenntniss  und  Diagnose  der 
verschiedenen  Arten  von  Dyspnoe  ist  die  Auscultation  mittels  des  Stetho- 
skops ein  herrliches  Hülfsmittel  (s.  Auscultatio  und  Stethoscopium); 
was  die  Cur  des  Übels  betrifft,  so  ist  diese  nach  den  Ursachen  verschie- 
den. In  den  meisten  Fällen  schafft  ein  kleiner  Aderlass  am  Arme  vorläufig 
Erleichterung,  doch  passt  dies  nicht  bei  Hydrops  pectoris,  bei  Phthisis  im 
letzten  Stadium  etc.  Man  muss  also  das  Grundübel  behandeln.  Frische 
Luft ,  warme  Dämpfe ,  aufrechte  Lage ,  Fuss  -  und  Handbäder  sind  allge- 
meine Erleichterungsmittel.  Auch  folgende  Tinctur,  wovon  einige  Tropfen 
in  einen  Theelöffel  gethan  und  dieser  so  lange  im  Munde  gehalten  wird, 
bis  sie  verdunstet  sind,  ist  als  Palliativ  empfohlen:  I^  Extr.  cicutne  3l>5 
solve  in  Naphth.  vitrioli  §f>.  M.  (s.  Hänle  Magaz.  Bd.  I.  S.  198).  Beson- 
ilere  Arten  der  Dyspnoe  sind : 

Dyspnoen  adhaesiva,  Schwerathmen  von  Verwachsung  der  Brusteinge- 
weide, s.  Adhaesio  viscerum. 

Dyspnoen  adiposn,  s.  Adiposis. 

Dyspnoen  cnlculosn,  PneumoIiiJiiasis,  Dyspnoe  durch  Lungensteine 
(s.  Asthma  pulverulentum).  Oft  ist  die  Neigung  zu  Lungensteinen, 
die  mit  dem  Husten  nicht  selten  ausgeleert  werden,  mit  allgemeiner  Blen- 
norrhoe verbunden,  wo  also  die  Behandlung  dieses  Allgemeinleidens  die 
Hauptsache  ist;  s.  Blennorrhoea. 

Dyspnoen  convulsiva,  s.  Asthma  spasticum  adultorum. 

Dyspnoen  gangraenosn ,  Dyspnoe  wegen  Brand  der  Luftwege, 
z.  B.  im  letzten  Stadium  der  Angina  gangraenosa,  der  Pneumonia  paralytica. 
Hier  ist  alle  Hülfe  fruchtlos.  Starke  Excitantia:  Kampher,  Moschus,  Sal 
volatile,  Vesicatorien  erleichtern  vielleicht  ein  wenig  die  letzten  Lebens- 
ütunden. 

Dyspnoen  hemiosn.  Der  innere  sowol  als  der  äussere  Bnistbruch  ist 
hier  die  Ursache  der  Dyspnoe,   s.  Hernia  stomachi,    diaphragmatis. 

Dyspnoen  hydroihoracicn ,  Dyspnoe  wegen  Brustwassersucht, 
f. st  eins  der  quälendsten  Symptome  dieses  schrecklichen  Übels,  so  dass  die 
Kranken  Tag  und  Nacht  keine  Ruhe  haben  und  fortwährend  aufrecht  sitzen 
müssen;  s.  Hydrops  pectoris. 

Dysj)»oen  inflnmmnlorin.  So  hat  man  wol  die  Dyspnoe  bei  Angina, 
Pneumonie  und  bei  andern  Entzündungen  der  Luftwege  genannt. 

Dyspnoen  mwcos«,  Schwerathmen  wegen  angehäuften  Schleims  in  den 
Jjuftwegen.  Ist  Symptom  des  Asthma  huraidum,  Catarrhus  pulmonum, 
Asthma  ebriorum  u.  s.  f. 

Dyspnoen  plethoricn.  Allgemeine  Vollblütigkeit  erregt  nicht  selten 
Schwerathmen  ,  besonders  nach  starker  Körperbewegung.  Aderlassen, 
knappe  Diät ,  viel  Körperarbeit ,  Wassertrinken ,  Vermeidung  geistiger  Ge- 
tränke sind  hier   die  Hauptmittel, 

Dyspnoe  pneumniicn,  physothorncicn.  Hier  erregt  das  Emphysem  eine 
in  der  Regel  sehr  bedeutende  Dyspnoe;  s.  Asthma  aereura. 

Dyspnoen  purulentn,  pyothorncica ,   «.  Pneumonia  suppuratoria. 


DYSPOTISMÜS  —  ECCATHÄRTICA  581 

Di/spnocn  pulmonum  pUuUosa  chronica,     Ist  Asthma  huinidum. 

Dyspnoen  trnumniica ,  Schwerathmen  nach  Erleidung  von  Ge- 
vvaltthätigkeiten.  Man  untersuche  hier,  ob  der  Kranke  Rippen  ge- 
brochen, ob  innere  Blut-,  Luftergiessungen  die  Dyspnoe  erregen,  bringe 
den  Kranken  in  diejenige  Lage,  worin  er  sich  am  leidlichsten  befindet  und 
hebe  die  Ursache  der  Dyspnoe ,  richte  den  Rippenbruch  ein  u.  s.  i,  -— 
Einige  Schriftsteller  betrachten  die  Dyspnoe  als  die  leichtere  Form  von 
Asthma ,  indem  sie  diesen  Namen  dem  genetischen  Begriff  beilegen ,  Andere 
nennen  die  anhaltende  Engbrüstigkeit  Dyspnoe ,  die  krampfhafte  aber  ,  wel- 
che periodisch  auftritt,  Asthma.  Da  jede  Dyspnoe  das  Symptom  eines  tie- 
fer liegenden  Leidens  ist  und  daher,  wie  oben  gezeigt,  mannigfaltige  Ur- 
sachen hat,  so  würde  es  vielleicht  gut  seyn,  diese  Benennung  aus  den  Hand- 
büchern der  Pathologie  zu  verbannen.  Indessen  bleibt  die  Respiration  doch 
stets  eine  höchst  wichtige  Function  des  Organismus,  und  eine  Zusammen- 
stellung aller  jener  pathologischen  Zustände,  welche  dieselbe  behindern, 
gewährt  für  den  Anfänger  den  Vortheil,  sich  leichter  zu  orientiren,  wenn 
gleich  eine  besondere  Aufführung  der  mit  Dyspnoe  verbundenen  Leiden  auch 
schon  an  einem  andern  Orte  in  jenen  Handbüchern  nicht  vermisst  werden 
darf,  am  wenigsten  in  Encyklopädien ,  wo  gerade  die  Vielseitigkeit  der 
Darstellung  von  praktischem  Gewinn  ist. 

Dyspotismus ,  Hinderniss  und  Beschwerde  im  Trinken,  s.  Dysph. 
fluidorum  und  Dysph.  hydrophobica. 

Dysthelasia,  das  erschwerte  Saugen,  auch  das  erschwerte 
Stillen,  also  Alles,  was  sowol  von  Seiten  der  Mutter,  als  des  Kindes  am 
Stillungsgeschäft  hinderlich  ist  oder  dieses  unmöglich  macht;  s.  Absces- 
«us  lacteus,  Agalactia,  Aphthae  infantum  etc. 

Dysthymia,  Schwermuth,  s.  Melancholia. 

Dystocia,  schwere  Geburt,  s.  Partus  difficilis,  abnorm is, 
praeternaturalis  und  Dolores  ad  partum. 

Dystoina  bepaticuin,  der  Leberegel.  Ist  ein  1  —  4  Linien 
langer ,  dünner ,  lanzettförmiger  Wurm ,  der  bei  Menschen  am  häufigsten  in 
der  Gallenblase,  seltener  in  der  Leber  vorkommt  (s.  Bremser,  Über  lebend« 
Würmer  etc.  1819.  4.  S.  229).     Krankheitszufälle  erregt  er  selten. 

Dystrophia,  schlechte  Ernährung,  z.  B.  wegen  Mangel  an 
guter  Nahrung,  Fehler  des  Magens,  der  Leber,  Milz  etc. 

Dysuresia,  fehlerhafte  Beschaffenheit  des  Harns,  s.  Uroscopia. 

Dysuria,  Difficultas  wrinac,  Schwerharnen.  Ist  eine  besondere 
Varietät  der  Urinverhaltung;   s.  Retentio  urinae. 


E. 


Ecbloma,  das  Ausgeworfene;  daher  der  durch  Abortus  ausge- 
triebene Embryo  oder  Fötus;   s.  Abortus. 

Ecbole,  der  Missfall,  s.  Abortus. 

Ec1)Olia,  weniger  richtig  JBcioKc«,  fr ucbtab treibende  Mittel,  s. 
Abortiva. 

Ecbrasma,  unordentlicher,  plötzlich  entstehender  Aus- 
schlag. 

CücbyTSOina,  Edyrsosis.  Ist  zu  starkes  Hervortreten  eines  Gelenks, 
Hockers  etc.  Auch  versteht  man  darunter  eine  abgeschabte  Hautstelle. 
S.  Ecdarsis. 

Kccathartica,  CatharHca,  reinigende,  ausleerende  Mittel, 
t.  B.  Sudorifera,  Purgantia. 


582  ECCESMA  -  ECCHYMOMA 

Eccesm»,  s.  Eczema  und  Hidroa. 

dcclaelysiS)  das  Aushusten  (Expectoratio),  welches  durch  ver- 
schiedene Mittel  befördert  wird;  s.  Expectorantia. 

dcciloresis»  das  Abweichen,  der  Stuhlgang.  Letztern  nennt 
man  in  Wien  noch  jetzt  das  Abweichen,  welche  Benennung  wenigstens  bes- 
ser ist  als  die  gemeinen  Worte  des  Dr.  Krüger  -  Hansen :  Stuhlen,  Stuh- 
lung, und  ihre  Gegensätze:  Unstuhlen,  Unstuhlung,  was  an  das 
Stallen  des  Viehes  erinnert. 

SiCChyinoina,  Ecchjmosis,  Blutunterlaufung,  Blutergiessung. 
Entsteht  in  Folge  A^on  Fiebern ,  Entzündungen ,  von  Verwundungen ,  Quet- 
schungen, Erschütterungen  und  daher  entstandenen  Blutungen,  am  häufig- 
sten im  Zellgewebe  der  Haut,  aber  auch  im  Gehirn,  in  der  Brust-  und 
'Abdominalhöhle,  im  Scrotum;  auch  Dyskrasien,  Blutzersetzung  geben  dazu 
oft  Anlass,  z.  B.  bei  secundären  Petechien,  Blutfleckenkrankheit;  s.  Hae- 
morrhagia,  Commotlo  cerebri,  pectoris,  Contusio,  Sugilla- 
tio,  Vulnus. 

Ecchymomn  capitis  neonatorum,  Kopfblutgeschwulst  der  Neu- 
gebornen.  Ist  ein  von  der  Kopfgeschwulst  der  Kinder  (Caput  succeda- 
neum,  Cephalophyma)  ganz  verschiedenes  Übel,  und  unterscheidet  sich  von 
letzterer  dadurch,  dass  es  nicht  schon  bei  der  Geburt  vorhanden  ist,  son- 
dern erst  später,  am  häufigsten  nach  leichten  Geburten  und  an  der  hintern 
Seite  der  Scheitelknochen  vorkommt  (^Feiler,  Schmalz,  v.  Froriep ,  Bccler, 
tFendt,  Carus,  Jörg,  Meissner^  Die  Geschwulst  ist,  wie  beim  Hirnbruch, 
umschrieben,  die  Hautfarbe  unverändert,  die  äussere  Berährung  erregt  kei- 
nen Schmerz,  Pulsation  ist  dabei  nicht  Avahrzunehmen,  das  Allgemeinbefinden 
des  Kindes  ist  zuweilen  ganz  gut  (^Nägele)  ,  zuweilen  ist  Sopor  da  (^Gölis). 
Ursachen.  Die  Meinungen  darüber  sind  verschieden.  Erschlaflfung  der 
Kopfblutgefässe  nehmen  die  meisten  Geburtshelfer  an.  Einige  wollen  den 
Sitz  der  Blutgeschwulst  zwischen  Cranium  und  Pericranium  setzen ,  Andere 
wollen  selbst  Zerstörung  des  Craniums  gefunden  haben,  was  wol  häufiger 
Folge  als  Ursache  des  Übels  ist.  Prognose  und  C  u  r.  Gölis  hält  das 
Übel  nicht  für  gefährlich.  Man  mache  anfangs  und  bei  noch  weicher  Ge- 
schwulst Foment.  von  Infus,  spec.  aromat.,  von  Acet.  squiUit,  von  Flor, 
arnicae.  Erfolgt  die  Zertheilung  nicht  bald ,  so  öffne  man  durch  einen  Län- 
genschnitt, lasse  das  Extravasat  aus ,  vereinige  die  Wundränder  durch  Heft- 
pflaster und  überlasse  das  Übrige  der  Natur,  indem  man  mit  trockner  Char- 
pie  verbindet  {Osiander,  Nägele,  v.  Siclold,  Gölis,  Wcndt).  Wichtig  und 
oft  schwierig  ist  die  Diagnose  dieses  Übels  vom  Hirnbruch  der  Kinder, 
s.  Her  nia  cerebri. 

Ecchjmoma,  EccJigsis,  Blutergiessung,  Blutmal.  Ist  Austreten 
des  Blutes  in  seine  nächste  Umgebung,  und,  nach  den  Neuern,  verschieden 
von  Sugillation,  wobei  das  Blut  nur  in  die  feinsten  Gefässendigungen ,  die 
sonst  nur  weisse  Säfte  führen,  eingetreten  ist.  Nach  den  Ursachen  un- 
terscheidet man  E.  spontanen ,  violcnta  seu  accidentalis ,  und  sgmptomntica. 
7iW  ersterer  rechnet  man  die  Maculae  Werlhoffii,  Petechiae,  Suffusiones, 
Vibices,  Stigmata,  die  Begleiter  torpider  Fieber  und  des  Scorbuts,  ferner 
die  blauen  Ringel  um  die  Augen  der  Weiber  während  der  Reinigung.  Die 
E.  violenta  ist  der  gewöhnliche  Begleiter  der  Contusionen,  der  gequetsch- 
ten und  gestochenen  Wunden.  Bei  letztern  begünstigt  ganz  so ,  wie  bei 
den  Stichen  von  Flöhen,  Blutegeln  etc.  die  kleine,  enge  äussere  Öffnung 
die  Blutunterlaufung.  Die  Farbe  der  Ecchymose  bleibt  nicht  immer  die- 
selbe. Zuerst  sieht  sie  roth,  dunkelioth  oder  blau  aus,  am  zweiten,  drit- 
ten Tage,  oft  erst  noch  später,  wird  sie  livide,  violett,  am  5ten,  6teii,  8ten 
Tage  und  später  grün  und  gelb.  Die  Farbe  des  frischen  Ecchymoms  ist 
umschrieben,  dunkelroth  oder  blau,  die  des  altern  mehr  verwischt,  violett, 
grün,  gelb.  In  medic.  gerichtlicher  Hinsicht  ist  der  Unterschied  zwischen 
Ecchyraoscn  und  Tod  tenflecken  oft  wichtig.  Letztere  sind  meist  nur 
oberflächlich   unter  der  Haut  gelegen,    besonders  am  Rücken  ,    man   Andet, 


ECCHYMOSIS  583 

wenn  mah  einen  Einschnitt  macht,  kein  Blutextravasat," sondern,  wie  bei 
Sugillationen ,  nur  ein  injicirtes  Gefiissnetz.  Ecchyraosen  können  auch  der 
Leiclve  «ach  dem  Tode  beigebracht  worden  seyn  ;  die  lebhafte  Röthe  der 
Flecke  und  die  inangelnden  Spuren  einer  Entzündung  in  der  Umgebung 
müssen  alsdann  den  Beweis  liefern,  dass  die  Verletzung  nicht  bei  Lebzeiten 
geschehen  ist  (^Troschel).  Ist  bei  der  Ecchymose  das  Blut  nur  in  die  Um- 
gebung infiltrirt,  so  ist  die  Prognose  günstiger,  als  wenn  es  sich  in  einen 
gi'ossen  Sack  ergossen,  oder  in  innere  Höhlen  und  Canäle,  z.  B.  ins  Gehirn 
oder  in  die  Pleurasäcke  gedrungen  ist.  Die  Cur  ist  verschieden.  Bei  der 
E.  spontanea  behandeln  wir  das  Grundübel;  die  Blutfleckenkrankheit,  den 
Scorbut ,  das  Faulfieber  etc.  Bei  der  E.  violenta  als  Folge  der  Contusion, 
der  Stichwunde  findet  die, Cur  der  letztern  seine  Anwendung  (s.  Contusio, 
Vulnus).  Gelingt  die  Zertheilung  bei  grossen  äusserlichen  Ecchymosen 
nicly^,  so  muss  man,  um  die  Eiterung  zu  verhüten,  das  Blutextravasat  durch 
eiuen  Einschnitt  in  die  Haut  entleeren  (s.  La  Motte,  Chirurg.  Obs.  H.  98. 99). 
Eccliymosis ,  Extravasntio  in  cerebrum,  Blutergiessung  in  den 
ScHädel.  Sie  wird  hervorgerufen  1)  durch  innere  Ursachen,  z.  B.  im 
Verlauf  der  Hirnentzündung,  des  ansteckenden  Typhus,  der  Intermittens 
comatosa,  des  Keuchhustens,  Scorbuts,  des  Morbus  maculosus  Werlhofii, 
der  Febris  hydrocephalica,  nach  unterdrückten  Blutflüssen  aller  Art,  beson- 
ders nach  unterdrücktem  Nasenbluten,  JVIensibus,  Hämorrhoiden,  nach  acti- 
vcn  und  passiven  Congestionen  zum  Kopfe,  bei  Apoplexie.  Das  Blut  er- 
giesst  sich  hier  am  häufigsten  in  die  Hirnventrikel  in  Folge  zu  grosser  Aus- 
dehnung der  Gefasse,  Zerreissung,  Durchschwitzung.  Die  Zufälle  sind: 
Betäubung,  Schwindel,  Sopor,  Convulsionen ,  Schlagfluss,  Lähmung.  Cur. 
Sie  richtet  sich  nach  den  Ursachen  und  ist  die  Cur  des  Grundübels,  da  liier 
das  Extravasat  nur  Symptom  ist  (s.  Apoplexia,  Haemorrhagia  ce- 
rebri,  Petechiae  acutae,  Morbus  maculosus,  Hydrops  cerebri, 
Inflaminatio  cerebri  etc.).  2)  Äusserliche  Schädlichkeiten:  Fall, 
Stoss,  Schlag,  Verwundung,  sind  Veranlassung,  wobei  bald  die  Schädel- 
knochen, bald  nur  die  Hirnhäute  und  Hirngefässe  verletzt  sind ,  worauf  dann 
die  Zufälle  des  Drucks  aufs  Gehirn  erfolgen,  die  bald  früher,  bald  später 
eintreten  (s.  Commoti.o  cerebri).  Die  Cur  ist  hier  nach  den  Zufällen 
verschieden ,  wie  oben  bei  Coramotio  cerebri  angegeben  worden. 

Ecchymosis  in  pectoris  cavitntem,  Blutergiessung  in  die  Brust- 
höhle. Sie  folgt  auf  heftige  Quetschungen,  Erschütterungen  der  Brust, 
Rippenbrüche ,  penetrirende  Brustwunden ,  wobei  die  Arteria  manunar.  in- 
terna, die  Litercostales ,  selbst  die  grossen  Gefösse  und  das  Herz  verletzt 
seyn  können;  auch  innere  organische  Brustfehler,  das  Platzen  einer  Puls- 
adergeschwulst kann  Schuld  seyn.  Das  Blut  ergiesst  sich  hier  bald  nur  in 
den  einen,  bald  in  beide  Pleurasäcke.  Die  Zufälle  sind  die  der  iniiern 
Blutungen  in  der  Brust:  Ohnmächten,  kalte  Glieder,  Dyspnoe,  Orthopnoe, 
kleiner,  kaum  fühlbarer  Puls,  erschwertes,  hastiges  Reden,  Übelkeit,  Wür- 
gen ,  Erbrechen ,  Schluchzen  wegen  Drucks  auf  das  Zwerchfell ,  grössere 
Ausdehnung  der  Rippen  der  leidenden  Seite,  Neigung  nur  auf  dijeser  zu 
liegen,  starkes  Röcheln  und  Rauschen  der  Brust,  die  Untersuchung  mit  dem 
Plessimeter  lässt  einen  matten ,  dumpfen  Ton  hören.  Der  Tod  erfolgt  oft 
schnell  durch  Verblutung,  tödtliche  Ohnmacht,  oder  durch  Erstickung;  die 
Genesung  bewirkt  mitunter  die  Natur-  oder  auch  die  Kunsthülfe,  indem 
die  eintretende  Ohnmacht  den  Blutlauf  mässigt,  das  gerinnende  Blut  die 
Lungenwunde  verklebt  und  später  unbedeutende  Extravasate  selbst  resorbirt 
werden.  Sind  die  Zufälle  unbedeutend,  war  die  Blutung  gering,  drang 
keine  Luft  in  die  Brusthöhle,  so  verhalte  man  sich  mehr  passiv  als  activ, 
sorge  für  Ruhe,  Vermeidung  jeder  Bewegung,  jeder  erhitzenden  Nahrung 
oder  Arznei.  Sind  die  Zufälle  aber  gefähdich,  so  muss  man,  um  den  Tod 
oder  schlimme  Nachkrankheiten  (Phthisis  puliuonalis,  Pyothorax,  Hydrotho- 
rax,  Hektik)  zu  verhüten,  activ  verfahren.  Wir  stillen  zuerst  die 'innere 
Blutung  nach  den  Kunstregeln  (s.  Vulnus  pectoris),  erweitem  aber  nur 
dann  die  Brustwunde,  wenn  höher  Grad  von  Orthopnoe  den  freien  Blutfluss 


584  ECCHYSIS  —  ECDARSIS 

nothwendlg  macht.  Ist  letzteres  nicht  der  Fall,  so  vereinigt  man  die  Wunde 
durch  Heftpflaster,  Compressen  und  Binde ,  die  um  den  Brustkasten  in  Cir- 
keltouren  geführt  wird,  wodurch  der  Blutabfluss  verhindert  und  das  Blut 
in  der  Brusthöhle  zu  coaguliren  und  so  die  Blutung  zu  stillen  genöthigt 
wird  (^Valentin,  Larrey,  Assalini).  Dabei  kalte  Umschläge  auf  die  leidende 
Seite ,  innerlich  viel  kühlendes  Getränk ,  kalte  sclileimige  Suppen ,  Obst- 
brühen ,  Vermeidung  des  Redens ,  Niesens ,  Hustens ,  deä  tiefen  Athmens, 
jeder  Bewegung,  Sorge  für  tägliche  Leibesöffnung  durch  Manna,  Tamarin- 
den. Am  vierten,  fünften  Tage  nach  der  Verwundung  und  wenn  man  sicher 
ist,  dass  die  Blutug  völlig  gestillt  ist,  wird  es,  ist  anders  das  Extravasat 
bedeutend,  nothwendig,  es  auszuleeren.  Aufhören  der  Ohnmächten,  voller 
Puls,  Wärme  der  Glieder  und  Ruhe  des  Gemüths  sind  Zeichen  dieser  Blut- 
stillung. Man  entleert  nun  das  Blut  entweder  aus  der  bereits  vorhandenen 
Wunde  oder  man  öffnet  die  Brusthöhle ,  wie  beim  Empyem ,  zwischen  der 
siebenten  und  achten,  wenn  es  die  rechte  Seite  ist,  und  zwischen  der  ach- 
ten und  neunten  Rippe,  wenn  in  der  linken  Pleura  sich  das  Extravasat  be- 
findet. Hinterher  muss  durch  Liegen  auf  der  kranken  Seite  der  allmälige 
Abfluss  befördert  werden;  das  Aussaugen  mittels  Spritzen  taugt  nichts;  da- 
gegen passen,  wenn  das  Blut  schon  in  Fäulnis»  übergegangen,  vorsichtig 
angewandte  Injectionen  von  29"  warmem  destiliirten  Wasser.  Der  Verband 
muss  ganz  einfach  seyn.  In  die  Wunde  legt  man  ein  an  beiden  Seiten  aus- 
gezupftes Bändchen,  mit  lauem  Öl  bestxichen. 

Eccinjmosis  in  ahJomen ,    s.  Vulnus  abdominis. 

Ecchymosis  in  orhilam.  Die  Blutergiessung  in  die  Augenhöhle  kann 
durch  Fissuren  der  Basis  cranii  und  des  Keilbeins  aus  dem  Gehirn  kommen 
(schlimmes  Zeichen) ,  oder  sie  ist  die  Folge  von  Contusionen  der  Orbital- 
gegend, der  Augenlider,  von  Osteomalacie  der  Orbitalknochen.  Symptome 
sind:  Geschwulst  und  blaue  Farbe,  Hervortreibung  des  Auges,  wie  Ex- 
ophthalmus (s.  Hydatis  glandulae  lacrymalis),  grosse  Schmerzen, 
das  Auge  unter  den  geschwollenen  Augenlidern  verborgen ,  Unbeweglichkeit 
des  Bulbus,  Fieber,  Erbrechen,  Delirien.  Cur.  Muss  streng  antiphlogistisch 
ßeyn,  also  Aderlässe,  Blutegel,  kalte  Umschläge  aufs  Auge,  auf  den  ganzen 
Kopf,  innerlich  Kalomel,  Purgirsalze,  knappe  Diät.  Vor  der  dritten  Woche 
darf  man  keine  reizenden  Mittel  anwenden.  Blindheit  des  Auges  bleibt  oft 
zurück. 

Ecchymosis  conjunctivae,  s.  Haeraalops. 

Kcctiysis,   s.  Ecchymoma. 

EcclisfiS»  Ist  gleichbedeutend  mit  Verrenkung  im  Allgemeinen  oder 
Verschiebung  gebrochener  Knochen.     S.  Luxatio  und  Fractura. 

Kccoprotica,  gelind  wirkende  Laxirmittel. 

CiCCrisioschesis ,    Zurückhaltung   kritischer  Ausleer ung. 

Eccrisls  9  die  Ausscheidung  des  Schweisses,  des  Stuhlgangs,  Lun- 
genauswurfs etc.  5  in  Krankheiten  die  Ausscheidung  der  Krankheitsstoffe ; 
b.   C  r i"s  i  s. 

Eccyesis,  Schwangerschaft  ausserhalb  des  Uterus,  s.  Gravidita s. 

EdCdarsis,  das  Schinden,  Abziehen,  starke  Wund  werden 
der  Haut.  Hier  erregt  die  entblösste  Haut  durch  den  Zutritt  der  Luft 
oft  heftige  Schmerzen ,  ganz  auf  dieselbe  Art ,  wie  nach  Verbrennungen, 
Application  der  Vesicatorien ,  sobald  die  Oberhaut,  die  die  Blasen  bildet, 
unvorsichtiger  Weise  abgeht.  Cur.  Ist  die  wunde  Stelle  klein,  unbedeu- 
tend, die  Haut  nicht  blutig,  der  Schmerz  gering,  so  kann  man  etwas  Wein, 
Branntwein  überschlagen.  Es  entsteht  eine  Borke,  die  Stelle  trocknet  aus 
lind  heilt  bald.  Ist  die  wunde  Stelle  grösser,  der  Schmerz  bedeutend,  so 
streiche  man  reines  laues  Leinöl  über ,  streue  pulverisirtes  Stärkemehl  auf, 
und  verbinde  später  mit  Blei  -  oder  Zinksalbe.  Diese  Mittel  sind  auch  beim 
Wunds.eyn  durch  Reiben  ,  z.  B.  bi-im  sogenannten  Wolf  nach  starkem  Rei- 
ten gut.     Alle  erweichenden,    erschlaffenden  Salben    taugen  nichts;    sie  er- 


ECPEMIONOSOS  -  ECLAMPSIA       585 

regen  oft  böse  Geschwüre,  wenn  man  z.  B.  das  wundgestossene  Schienbein 
damit  verbindet.  Hier  ist  ein  gutes  Hausmittel  die  frische  innere  Haut  aus 
einem  Hühnerei,  die  man  auflegt  und  wodurch  die  Luft  abgehalten  wird. 
Diese  Eierhaut  lässt  man  ruhig  mehrere  Tage  liegen,  wo  gewöhnlich  der 
Schaden  schon  geheilt  ist.     S.  auch  Excoriatio. 

Ecdemionosos ,  die  sog.  Reisekrankheit.  Ist  eine  Art  Reise- 
sacht (^Ecdemiomniiin) ,  ein  geistig  krankhaftes  Verlangen,  ausser  dem  Va- 
terlande zu  seyn ,  also  der  Gegensatz  vom  Heimweh ,  —  ein  Übel ,  woran 
reiche  Engländer  und  arme  Deutsche:  Künstler,  Handwerksburschen  etc. 
zuweilen  leiden  (^Kraus). 

EiCilinophtlialmia.  Ist  die  uralte  Benennung  für  die  bei  manchen 
Blepharophthalmien  sich  bildenden  Unebenheiten  der  Augenlider ,  s,  Pe- 
ribrosis. 

Echthysterocyesis.  Ist  gleichbedeutend  mit  Graviditas  extraute- 
rinn  (s.  den  Artikel). 

Gclampisia)  Edactisma,  Eclampsis,  Epilepsia  acuta,  felrilis,  infan- 
tum, die  Eklampsie,  Epilepsie  der  Kinder,  die  Fraisen,  Kräm- 
pfe, Scheuerchen,  Convulsionen  der  Kinder.  Das  Wort  Eklam- 
psie bedeutet  im  Allgemeinen  convulsivische  Beschwerden,  gleichviel  ob  sie 
aus  dieser  oder  jener  Ursache  entstehen.  So  hat  man  eine  Eclampsia  toxica, 
parturientium,  fehricosa,  neonatorum,  sanguinea  etc.  angenommen,  je  nachdem 
Gift,  schwere  Geburt,  larvirtes  Wechselfieber,  Trismus  neonatorum,  Blut- 
congestion  etc.  zum  Grunde  liegen.  Wir  verstehen  unter  Eklampsie  eine 
Epilepsia  acuta  und  imperfecta  der  Kinder  bis  zum  siebenten  Lebensjahre, 
wo  sich  das  Übel  häufig  zur  Epilepsia  vera,  perfecta  ausbildet,  wenn  an- 
ders eine  innere  Ursache  zum  Grunde  liegt;  bezeichnen  dagegen  alle  bei 
Erwachsenen  gelegentlich  entstehenden  Krämpfe ,  z.  B.  die  Krämpfe  der 
Gebärenden  etc.,  nicht  mit  dem  Namen  Eklampsie,  sondern  nennen  sie  Con- 
p^ulsionen  oder  klonische  Krämpfe  (s.  Spasmus  und  Partus  praeter- 
v3|fituralis).  Symptome.  Nicht  selten  gehen  Vorboten  vorher.  Diese 
sind :  schnelles  Wechseln  der  Gesichtsfarbe  zwischen  Röthe  und  Blässe,  Ver- 
ziehen der  Gesichtsmuskeln,  Lächeln,  Verdrehen  der  Augen,  halb  geöffnete 
Augen  im  Schlafe.  Der  Säugling  beisst  ungewöhnlich  viel  und  stark  beim 
Stillen  auf  die  Brustwarzen,  verschluckt  sich  oft  beim  Trinken,  leidet  an 
unregclmässiger  Leibesöffnung,  Verstopfung  oder  Durchfall  mit  grünen,  ge- 
hackten Stuhlgängen.  Der  Anfall  selbst  hat  viel  Ähnlichkeit  mit  dem  der 
Epilepsie,  äussert  sich  durch  Bewusstlosigkeit ,  tonischen  und  klonischen 
Krampf,  Verdrehen  der  Glieder,  rothes,  bläuliches  Gesicht,  im  höhern 
Grade  Gesichtsblässe ,  tetanischer  Krampf.  Die  Dauer  des  Anfalls  beträgt 
oft  nur  einige  Minuten,  oft  V2,  1,  3,  6  Stunden,  oft  mehrere  Tage.  Zu- 
weilen tödtet  schon  der  erste  Anfall,  besonders  wenn  die  Brust  sehr  beengt 
und  die  Congestion  zum  Kopfe  gross  ist.  Erfolgt  Genesung ,  so  bleibt  im- 
mer grosse  Anlage  zu  Recidiven  zurück,  und  kommen  diese  öfter,  so  ist  die 
Grenzlinie  zwischen  der  Eklampsia  und  Epilepsia  imperfecta,  incipiens  schwer 
zu  ziehen  und  die  Prognose  ungünstig,  indem  dann  in  der  Regel  in  spätem 
Jahren  die  Epilepsia  perfecta  folgt.  Von  300  Epileptischen,  die  mein  Tage- 
buch enthält,  waren  210  in  den  ersten  Lebensjahren  von  der  Eklampsie  er- 
griffen gewesen.  Der  Hauptunterschied  zwischen  beiden  Übeln  ist  vyol  der, 
dass  die  Eklampsie  vorzüglich  Kinder  und  zarte  Frauen,  sensible,  der  Kin- 
dernatur ähnliche  Naturen  ergreift,  die  wahre  Epilepsie  abor  mehr  die  Er- 
wachsenen befällt  vermöge  der  Disposition  des  Körpers,  wenn  wir  nämlich 
die  Eclampsia  toxica  nicht  Eklampsie  nennen.  Ursachen.  Zwei  Quellen: 
der  Darmcanal  und  plötzliche  Erkältung  sind  es,  die  bei  Säuglingen  am 
häufigsten  Eklampsie  erregen.  Häufig  ist  die  durch  Diätfehler,  Menstrua- 
tion, Gemüthsbewegungen  etc.  verdorbene  Muttermilch  Schuld  (s.  Cfico- 
galactia).  Öfteres  Erbrechen  des  Kindes,  grüne  Stuhlgänge,  Leibschmer- 
zen machen  dies  wahrscheinlich.  Hier  verbessere  oder  verändere  man  die 
Muttermilch  und   gebe   dem  Kinde   säuretilgende  Mittel,  die  fast  alle  anti- 


586  ECLAMPSIA 

Bpasmodisch  wirken,  wie  schon  oben  angegeben  worden  (s.  Absorbentia, 
Antispasmodica).  Erkältung,  Erhitzung  der  stillenden  Mutter  durch' 
Tanzen  etc.  hat  auch  schon  manchen  Säugling  durch  Krämpfe  getödtet, 
desgleichen  das  leichte  Bekleiden  der  Kinder,  das  Exponiren  der  Witterung 
in  jeder  Jahreszeit  ohne  Rücksicht  auf  Wind  und  Wetter,  worauf  so  häufig 
Fieber,  Entzündungen  des  Gehirns,  der  Luftröhre  und  Eklampsie  folgen. 
Nicht  selten  sind  Würmer  im  Darmcanal  Ursache;  doch  rauss  man  bei  Kin- 
derkrämpfen nicht  zu  häufig  diese  als  Ursache  annehmen.  Bei  Säuglingen 
ist  dies  fast  nie  der  Fall.  Häufiger  ist  bei  grössern  Kindern  die  Erregung 
heftiger  Affecten  als  Folge  falscher,  verkehrter  Erisiehung  Schuld.  Eigen- 
sinnige Kinder  sind  in  der  Regel  schon  kränklich;  nun  sollen  sie  ihren  Kopf 
brechen,  sollen  aufhören  zu  schreien,  man  drohet  mit  Schlägen,  mit  Ein- 
sperren etc. ,  da  zittert  das  Kind  am  ganzen  Leibe ,  einen  Ruck  weiter  und 
dae  Eklampsie  ist  da.  Beim  Ausbruch  der  Zähne,  der  Menschenpocken,  so- 
■wie  bei  jedem  heftigen  Fieber,  bekommen  viele  Kinder  Eklampsie.  Hier 
vergehen  durch  richtige  Behandlung  des  Grundübels  die  Krämpfe  von  selbst, 
verschlimmern  sich  aber,  wenn  man  dieses  verabsäumt  und,  blos  die  Kräm- 
pfe im  Auge  habend,  sogenannte  reizende  Antispasmodica  giebt.  Man  A'er- 
gesse  nie,  dass  nicht  selten  Blutegel  und  Antiphlogistica  die  besten  krampf- 
stillenden Mittel  sind  (s.  Antispasmodica  und  Spasmus).  Eine  häufige 
Ursache  der  Eklampsie  wie  der  Epilepsie  sind  Krankheiten  des  Gehirns: 
Hydrops  cerebri  etc.  Cur.  1)  Man  erforsche  und  entferne  die  Ursache  des 
Übels.  Bei  Säuglingen  denke  man  vorzüglich  an  Magensäure,  gebe  dage- 
gen Liq.  kali  carbon.  alle  1 — 2  Stunden  zu  6,  8,  10  Tropfen  mit  Aqua 
foeniculi  und  Syr.  rhel,  z.  B.  Folgendes:  E^r  Magnes.  carhon.  ^jj,  Pulv.  rad. 
rhei  ^j,  Ariune  foeniculi  ^}^,  Syr.  simpl.  ^ß.  M.  S.  Umgeschüttelt  alle  2  —  3 
Stunden  1  Theelöffel  voll  (Berends).  Oder  auch  dieses,  theelöffelweise  ge- 
nommen: F^  Liq.  hali  carhon.  ö]},  Aquae  foenic,  Syr.  rhei  ana  ^j.  M.  (M.), 
denke  auch  bei  grössern  Kindern  an  schädliche  Abdominalreize ,  entferne  die 
Würmer  durch  Anthelminthica  und  hinterher  Purganzen  aus  Merc.  dulc.  und 
Rheum,  vergesse  ja  die  eröffnenden  krampfstillenden  Klystiere  aus  Chamil- 
len,  Valeriana,  Milch,  Zucker,  Öl  etc.  nicht,  die  bei  Kinderkrämpfen  von 
so  grosser  Wirkung  sind.  Ist  Erkältung  die  Ursache  der  Eklampsie,  so 
passt  Folgendes :  ^!  Spirit.  Minderen  5jjj ,  Aquae  foeniculi  5jj ,  Syr.-  Uquirit. 
5j ,  Vini  stihiat.  3j.  M.  S.  Zweistündlich  y,  —  1  Kinderlöffel  voll  (^Berends). 
2)  Man  achte  stets  darauf,  ob  heftige  Congestionen  zum  Kopfe,  starkes 
Fieber,  kurzer,  schneller  Athem  bei  der  Eklampsie  sind.  Hier  passen  einige 
Blutegel  an  den  Kopf,  an  die  Brust,  innerlich  etwas  Nitrum  mit  Manna, 
z.  B.  ^  Nitri  depur.  ^j ,  Tart.  viiriolat.  3jj ,  Mnnnae  tuhulatae  5JI ,  Aquae 
foeniculi  5Jf)<,    Syr.  mannae ,  —  Uquirit.  ana  5J.    M.  S.     Alle  1  —  2  Stunden 

1  Theelöffel  voll  (für  2 — Sjährige  Kinder),  daneben  eröffnende  Klystiere. 
Erst  dann,  wenn  24  Stunden  nach  der  Anwendung  die  Krämpfe  nicht  nach- 
gelassen haben,  passen  die  sogenannten  Antispasmodica,  besonders  Moschus, 
Flor,  zinci  und  Valeriana.  Andere  Mittel,  z.  B.  Liq.  c.  c.  succin.,  Aether, 
Opium,  die  bei  den  Krämpfen  der  Gebärenden,  der  Operirten  so  herrliche 
Dienste  thun,  passen  nie  bei  kleinen  Kindern;  sie  schaden  bestimmt  immer, 
wenn  die  Eklampsie  Begleiter  des  Zahnens,  der  fieberhaften  Ausschlags- 
krankheit ist  (s.  Dentitio).  3)  Äusserlich  warme  Umschläge  von  Fl.  cha- 
mom.  auf  den  Leib ,  warme  Salzfussbäder ,  beim  Zahnen  der  Kinder  auch 
Klystiere  von  Kochsalz,  Chamillenthee,  von  etwas  Tart.  emetic.  sind  oft 
sehr  wirksam.  4)  Sind  die  Kinder,  die  an  Eklampsie  leiden,  noch  sehr 
jung  oder  sind  durchaus  keine  Zeichen  von  Blutcongestion  zum  Kopfe  da, 
oder  sind  diese  vorher  durch  Antiphlogistica  gehoben ,  so  passt  I^  Moschi 
opt.  gr.  jjj  —  vj,  Liq.  c.  c.  succ.  ^ j ,  Aquae  foeniculi  3|v,  Syr.  aUhaeae  5J. 
M.  S.  Zweistündlich  1  Theelöffel  voll  {Tortual),  Halten  die  Krämpfe  den- 
noch an,  so  passen  (für  Kinder  von  2 — 10  Jahren)  folgende  Mittel:  ^t  Mo- 
schi opt.    gr.  vj — X,   Aquae  valerianac ,    Syr.    althneae  ana  5J.    M.  S.     Alle 

2  Stunden  1  —  2  Theelöffel  voll.  In  der  andern  Stunde  giebt  man  gr.  V4? 
V;,    1  —  2  Gran   Flor,  zinci   mit  Zucker,    so  dass  man  mit  diesen  Arzneien 


ECLAMPSIA  58t 

abwechselt.  Diese  Mittel  haben  mir  in  hartnäckigen  Fällen  stets  das  Meistti 
geleistet.  Bei  der  Eklampsie  zarter,  junger  Kinder,  sensibler  Personen,  wo 
die  Krämpfe  nicht  aus  Überfüllung,  sondern  aus  Entleerung  entstehen ,  also 
auch  keine  Blutcongestionen  stattfinden,  habe  ich  von  magnetischen  Manipu- 
lationen grossen  Nutzen  gesehen.  Ich  hauchte  in  meine  beiden  Hände,  legte 
die  eine  Hand  an  den  Hinterkopf,  die  andere  in  die  Herzgrube  des  Kran-^ 
ken ,  führte  jene  Hand  langsam  über  Kopf  und  Hals  zur  Herzgrube,  brachte 
dann  im  Bogen  die  andere  Hand  zum  Hinterhaupte  und  wechselte  so  mit  den 
Händen  10 — 20mal  binnen  Y4  Stunde  ab.  Oft  bedurfte  es  nur  einer  solchen 
Session  und  das  Kind  war  gesund.  Bei  Erwachsenen  gab  ich  hier  den  Mo- 
schus ganz  rein  mit  grossem  Nutzen.  Bei  der  Eklampsie  1  —  Sjähriger  Kin- 
der als  reines  Nervenübel  ohne  materielle  Reize,  oder,  wenn  diese  vorher 
entfernt  worden  sind,  hat  mir  folgendes  Pulver  herrliche  Dienste  gethan: 
^  Fl(n\  zinci  gr.  jj ,  Rad.  ipecac.  gr.  j,  —  artemis,  vulg.  Sj,  Liquirit  cociae^ 
Elacos.  foeniculi  ana  51?«  M.  f.  pulv.  divide  in  xjj  part.  aequal.  S.  Stünd- 
lich V2— 1  Pulver  mit  Wasser  (AT.).  Auch  Dr.  Wutzer  lobt  die  Rad. 
artemisiae  bei  krampfhaften  Übeln  der  Säuglinge  und  grösserer  Kinder  (sf. 
Hec1;er's  Annalen  Bd.  XVII.  S.  421).  Mein  Freund,  der  Dr.  Biermann  in 
Peine,  hält  sie  bei  Eclampsia  infantum  in  der  Periode  der  Dentition  für  ein 
wahres  Specificum;  er  fand,  dass  man  die  Beifusswurzel  in  steigender  Dosis 
geben  müsse,  wenn  die  erste  Dentition  da  und  das  Kind  im  ersten  Lebens- 
jahre ist.  Er  giebt  hier  zuerst  %,  nach  1  Stunde  einen  Gran,  1  Stunde 
später  2  Gran,  welche  3  Dosen  meistens  zur  Beförderung  der  Krise:  Ablei- 
tung des  im  Gehirn  angehäuften  Nervenreizes,  hinreicht,  worauf  die  Kräm- 
pfe verschwinden.  Dauern  sie  fort,  so  giebt  er  alle  2  Stunden  noch  1 — 2 
Gran  p.  d.,  aber  nicht  mehr.  Selbst  starken,  vollsaftigen  Kindern  schadet 
das  Mittel  in  solcher  massigen  Dosis  nicht. 

Eclampsia  parlurientium.  Di^  Convulsionen  der  Gebärenden  sind 
ein  sehr  schlimmes  Übel,  ein  Bild  des  Jammers  und  Elends,  wogegen  unsere 
Kunst  oft  wenig  vermag.  Symptome  sind  ganz  dieselben  eines  epilepti- 
schen Anfalls  mit  Blutcongestion  zum  Kopfe,  grosser  Angst,  Verdrehungen 
des  Gesichts,  Geschrei,  Krämpfe  klonischer  und  tonischer  Art  der  Glieder, 
Bewusstlosigkeit  etc.  Die  Anfälle  dauern  von  2 — 10  Minuten,  kehren  bin- 
nen wenigen  Stunden  oft  3 ,  4  bis  6mal  wieder ,  so  dass  das  Bewusstseyn 
oft  ganz  mangelt  und  unter  Sopor  der  Tod  der  Mutter  und  des  Kindes  folgt. 
Die  Diagnose  dieser  von  Wigaiid  sogenannten  schweren  Convulsio- 
nen von  den  leichten  der  Kreisenden  ist  diese:  1)  Sie  erscheinen  plötzlich 
vor  Ende  der  Schwangerschaft  und  ehe  noch  die  Wehenthätigkeit  sich  durch 
irgend  ein  Merkmal  kund  gethan  hat,  die  leichten  Convulsionen  befallen  die 
Gebärenden  dagegen  nur  in  der  Mitte  oder  zu  Ende  der  Geburt.  2)  Die 
Leidenden  sind  bei  der  schweren  Form  mit  Eintritt  des  Anfalls  völlig  be- 
wusstlos  un4  kommen  oft  zwischen  den  einzelnen  Paroxysmen  gar  nicht  zu 
sich,  was  bei  der  leichten  Form  nie  der  Fall  ist.  Auch  wird  bei  letzterer 
der  Kopf  nicht,  wie  bei  ersterer,  mit  den  Beginn  des  Anfalls  auf  die  Seitie 
gedrehet.  3)  Bei  den  schweren  Convulsionen  wird  das  Gesicht  grässlich 
verzerrt,  die  Augen  sind  offen  und  hervorgetrieben,  das  Gesicht  schwillt 
auf,  wird  rothblau,  sowie  Zunge  und  Lippen,  die  Kranken  gleichen  Er- 
drosselten, und  die  Krämpfe  sind  mehr  tonisch  als  klonisch;  bei  der  leich- 
ten Form  ist  Gesichtsblässe  und  der  Augapfel  rollt  unter  dem  geschlossenen 
Auge  langsam  hin  und  her,  richtet  sich  auch  wohl  ein  wenig  nach  oben, 
4)  Bei  der  schweren  Form  tritt  jeder  Paroxysmus  erst  mit  dem  Ende  einer 
Wehe ,  bei  der  leichten  dagegen  mit  dem  Anfange  einer  Wehe  ein.  Letz- 
tere stören  den  Geburtsact  nicht,  wie  bei  erstem,  wo  häufig  der  Uterus 
von  Starrkrampf  ergriffen  wird.  Nach  ScJiusler  sind  die  schweren  Convul- 
sionen ein  rein  primäres,  die  leichten  ein  secundäres  Nervenleiden,  nur  ab- 
hängig von  der  begonnenen  Geburtsthätigkeit.  Vorzugsweise  soll  bei  der 
schweren  Form  der  sympathische  Nerv  leiden  (s.  Berliner  Med.  Zeitung.  Fol. 
1835.  Nr.  14),  Behandlung.  Mir  sind  mehrere  Fälle  von  diesen  anhal- 
tenden und   ungewöhnlichen' (Jör//)   oder  schweren   Convulsio- 


588  ECLEPISIS  —  ECPLEXIÄ 

nen  (^WigtttuT),  von  Carus  eigentliche  Zuckungen  genannt.  In  der 
Praxis  vorgekommen,  zumal  bei  Primiparis  mit  Habitus  spasticus  und  sol- 
chen ,  die  schon  früher  an  Kardialgie ,  selbst  an  einzelnen  epileptischen  An- 
fallen gelitten  hatten.  Mein  erstes  Mittel  war  ein  Aderlass  am  Arme,  hin- 
terher gab  ich  Moschus,  Castoreum,  Brausepulver  etc. ,  Hess  kalte  Umschläge 
um  den  Kopf  machen.  Aber  die  fürchterlichen  Anfälle  blieben  nicht  aus; 
nach  jeder  Wehe  traten  sie  ein.  Daher  entschloss  ich  mich  zur  künstlichen 
Entbindung  mittels  der  Zange  oder  der  Wendung,  und  fand,  dass  die  Ent- 
leerung des  Uterus  das  einzige  Mittel  blieb,  den  Krämpfen  ein  Ziel  zu  setzen, 
wie  dies  auch  Jorges  und  Carus^  Ansicht  ist.  Nur  selten  konnte  ich  das 
Leben  des  Kindes,  in  den  meisten  Fällen  aber  das  der  Mutter  auf  solche 
Weise  erhalten.  So  rettete  ich  des  Gastwirths  B.  Frau  in  Warnemünde, 
indem  ich  mit  der  Zange,  gleich  nach  Aufhören  des  Krampfanfalls  das  Kind 
holte,  ohne  dass  die  Mutter  davon  vsusste,  mich  auch  nachher  nicht  kannte, 
als  sie  nach  5  Tagen  die  Besinnung  wieder  erhielt;  mehrere  andere  Fälle, 
wo  der  Anfall  6  —  8mal  erfolgte,  nicht  zu  gedenken.  Doch  rathe  ich  stets 
einen  Aderlass  vor  der  Entbindung  an,  zumal  beim  gleichzeitigen  Tetanus 
uteri,  und  ausserdem  mit  der  künstlichen  Entbindung  vor  der  dritten  Ge- 
burtsperiode nicht  zu  beginnen.  Wenn  Schuster  (a.  a.  O.)  sagt,  dass  man 
hier  nicht  zur  Kunsthülfe  schreiten  dürfe  und  die  Erfahrung  das  Gegentheil 
lehre,  so  irrt  er;  meine  Erfahrungen  sprechen  für  die  Kunsthülfe,  für  die 
baldige  Entleerung  des  Uterus,  ohne  welche  auch  das  von  ihm  vorgeschla- 
gene, auf  die  Herzgrube  anzuwendende  Morphium  aceticum  (nach  endermi- 
scher  Methode)  ,  indem  man  durch  ein  heisses  Eisen  die  Haut  w  und  macht, 
oft  fruchtlos  bleiben  wird.  Auch  lief  ja  der  von  ihm  mitgetheilte  Fall ,  wo 
nicht  entbunden  wurde,  für  Mutter  und  Kind  tödtlich  ab.  Bei  den  leichten 
Convulsionen  Gebärender  dienen  kleine  Dosen  Pulv.  Doweri,  Liq.  anodynus, 
Liq.  c.  c.  succ. ;  auch  Pulvis  aerophor.,  Ph.  Boruss,  nov. ,  welches  ein  schö- 
nes, nicht  eriiitzendes  Antispasmodicum  ist. 

Eclampsia  t>/pJwdes,  die  Kriebelkrankheit,  s.  Raphania. 

Eclampsia  toxica,   sanguinea,   hysterocolica  etc. ,  s.  Spasmus, 

fiClepisis,  das  Abschälen,     s.  Desquamatio  und  Exfoliatio. 

Kclysis,  Auflösung,  Ohnmacht,  Schwinden  der  Kräfte 
(s.  Asphyxia).  Naumann  tadelt  in  s.  Handbuche  der  medic.  Klinik,  1830. 
Bd.  II.  S.  461,  wo  er  den  vom  Pneumokardiacalsysteme  ausgehenden  Schein- 
tod (^Echjsis  pneumocardiaca^  abhandelt,  den  Ausdruck  Asphyxie,  weil  er 
nur  ein  einzelnes  Symptom  andeutet,  und  zieht  den  Ausdruck  Eklysis  vor. 
Bei  dieser  Gelegenheit  kann  ich  nicht  umhin ,  die  Bemerkung  einzuschalten, 
dass  der  Titel  dieses  sonst  schätzbaren  Handbuches  schlecht  gewählt  ist. 
Er  müsste  heissen:  Handbuch  der  theoretischen  und  praktischen 
Heilkunde;  denn  man  kann  ein  guter  Kliniker  (Praktiker)  seyn,  ohne 
von  der  weltgeschichtlichen  Bedeutung  der  Krankheiten  und  der  mediciai- 
«chen  Literatur  auch  nur  den  SOsten  Theil,  der  hier  geboten  wird,  zu  ken- 
nen oder  überhaupt  dieses   nöthig  zu  haben. 

XiCnoia.,  Wahnwitz,  Verstandesverrücktheit,  die  oft  nur 
partiell,  in  Beziehung  auf  einzelne  Gegenstände  vorhanden  ist,  wo  andere 
Begriffe  und  Urtheile  aber  nichts  Abnormes  verrathen. 

XiCphraxis,  die  Verdünnung  stockender  Säfte  im  Korper. 

Ecphyma,  Auswuchs,  s.  Excrescentia. 

Ecphysis*  Ist  Ecphyma,  welcher  Zustand  sowol  etwais  Normale« 
als  etwas  Krankhaftes  seyn  kann. 

Ecpiesma.  Ist  Knochenzerschmetterung,  wobei  die  Weich- 
gebilde in  dem  Grade  gleichzeitig  mit  verletzt  sind,  dass  Knochenstücke  her- 
vorragen.    S.  Fractura. 

EiCplexia ,  Ecplexis ,  plötzliches  Erstarren  durch  Schrecken, 
durch  grosses  Unglück  und  Widerwärtigkeit;  das  Gegentheil  von  Paricha- 
ria  (G«/c7(). 


ECPTOMA  ~  ECTROPIUM  589 

Ecptoma,   vollkommene  Verrenkung  eines  Gliedes,    s.  Luxatlo. 

£cpyeina,  ein  gänzlich  vereiterter  Theil;  Einige  nennen  so 
auch  ein  Empyem. 

SiCpyesis,  die  Vereiterung,   die  Bildung   des  Ecpyems. 

EcsarcoinAj  BMeischwucherung,  ausgewachsenes,  wildes 
BMeisch  (Caro  luxurians) ;  s.  oben  Abscessus  No.  12.  und  Caustica. 

^XiCStasis»  Ecplexis,  Catalcpsia  spwrin,  die  Verrückung  eines  Ob- 
jects  aus  seiner  gewöhnlichen  Lage,  die  Verrückung,  Verzückung 
des  Geistes  aus  seiner  gewöhnlichen  Sphäre.  Wenn  ein  bedeutender  Ge- 
genstand, vorzüglich  ein  übersinnlicher,  unsern  Geist  ausschliesslich  festhält, 
so  dass  die  Aufmerksamkeit  allein  auf  ihn  gerichtet  ist,  so  entsteht  leicht 
ein  solcher  Zustand ,  wo  die  Seele  allein  in  ihm  lebt  und  webt  (Wahnsinn 
durch  Entzückung),  und  das  Bewusstseyn  aller  übrigen  Dinge  darüber  ver- 
loren geht.  Menschen  mit  sehr  lebhafter  Phantasie  und  mangelnder,  oder 
fehlerhafter,  einseitiger  Geistesbildung  sind  im  Allgemeinen  dieser  Seelen- 
krankheit am  meisten  unterworfen.  Ueinroth  stellt  folgende  Arten  der 
Kcstase  auf:  >    «i.:;    .fu;;'.;  ,■      ■ 

Ecstasis  Simplex.  Findet  sich  häufig  bei  ftrngeh,  lebhaften,  zu  Über- 
spannung geneigten  Gemüthern. 

■'      Ecstasis  pnranoica,    Wahnsinn  mit  Verrücktheit,-  wo   der  feine 
Wahnsinn  sich  mit  Verkehrtheit  der  Begriffe  und  IJrtheile  verbindet.-     ;"  " 

Ecstasis  mnniacn,  Wahnsinn  mit  Tollheit;  z.  B.  wo  sich  z^'dbll 
Zufällen  des  reinen  Wahnsinns  ein  Zerstörungstrieb  gesellt.  ',".; 

Ecstasis  catholica,  Wpihnsinn  mit  Verrücktheit  und  Tollheit',* 
mit  Verstandesverkehrtheit  und  Wildheit.  '      - 

Ecstasis  melancJiolica,   wo  Wahnsinn  sich  mit  Melancholie  verbindet. 

Ecstasis  contemphttiva ,  die  Vertiefung.  Dieser  Zustand,  wo  der 
Mensch  so  sehr  in  tiefe  Betrachtung  irgend  eines  Gegenstandes  versunken 
ist,  dass  die  übrige  objective  Körper  -  und  Srnnenwelt  gleichsam  für  ihn 
todt  ist,  findet  sich  häufig  bei  Gelehrten,  tiefen  Denkern,  ist  periodisch 
und  besteht  darin ,  dass  durch  die  Lebhaftigkeit  und  Aufregunjg  des  innera 
Sinnes  die  Thätigkeit  der  äussern  Sinne  unterdrückt  ist.  Die  Cur  der 
Ecstase  ist  nach  ihren  Arten  verschieden.  Eine  gehörige  Leibes-  und  Gei- 
«tesdiät  ist  zu  Anfange  des  Übels  die  Hauptsache,  L;  A.  Most.'':'' 

KctMyinina,  eine  durch  Druqk  entstandene  Beschädi- 
gung, besonders  der  Haut,  Wundwerden  der  Haut  durch  Druck,  Reiben, 
(.Ecthlipsis) ,  z.  B.  der  sogenannte  Wojl^f  nach  dem.  Reiten;,,  ^/£«da,rsiii 
und  Excoriatio.,  .!-...     ,  -        •     :;' 

Ectliyina,  Ausschlag  der  Haut,  Pustel,  Blatter^  z.  B.  bei 
fieberhaften  Exanthemen ,  bei  Krätze ,  Flechten.  Ist  dasselbe  wiiä  Exan- 
thema.     Einige  nehmen  Ecthyma  und  Herpes  für  gleichbedeutend. 

Ectopiae»  die  Krankheiten  von  veränderter  Lage  der 
Theile. 

:,,     Ectriinmaf  Intertrigo,  eine  abgeriebene,  >vundgeriebene  Hautstelle, 
8.  E  cdar  sis. 

Ectroina,   zu  früh  geborene  Leibesfrucht,  s.  Abortus. 

Ectropium ,  Inversio  pnlpehrae ,  Blephnrhelosis ,  widernatürli- 
ches Auswärtsstehen  der  Augenwimpern,  das  Blarrauge.  Das 
Augenlid  ist  hier  nach  aussen  umgekehrt,  man  sieht  die  innere  Fläche  des- 
selben ,  die  Augenliderspalte  macht  bei  geschlossenen  Augen  keine  gerade, 
sondern  eine  gebogene  Linie;  am  häufigsten  ist  das  Übel  am  untern  Augen- 
lide. Bedeutende  Entstellung  des  Auges,  fortwährender  Thränenfluss,  auf^ 
getriebene,  geschwollene,  entzündete  Tunica  palpebrarum  interna,  die  oft 
den  ganzen  Augapfel  bedeckt,  Jucken,  Bluten  und  Borken  am  leidenden 
Theile,  späterhin  oberflächliche  Entzündung  des  Bulbus  oculi  sind  die  ge- 
wöhnlichen  Folgen  dieses  oft  Jahre  lang  dauernden  Übels,    wenn   es   ohne 


590  ECTROPIUM 

Kunsthülfe  sich  selbst  überlassen  bleibt.  Ursachen.  Sind  verschfeden, 
woraus  folgende  Arten  hervorgehen  : 

Ectropium  durch  Verkürzung  der  äussern  Haut.  Folgt  zuwei- 
len auf  Menschenblattern,  Verbrennungen,  Blatterrose.  Cur,  Im  gelindern 
Grade  reibe  man  Unguent.  althaeae  in  die  Narbe  und  ziehe  dann  das  Au- 
genlid durch  Heftpflaster  mit  einiger  Gewalt  nach  oben.  Hilft  dies  nicht, 
so  schneide  man  die  Narbe  durch  und  verhüte  die  Schnelle  Vereinigung  der 
Wunde ,  ziehe  sie  mit  Heftpflaster  auseinander ,  betupfe  sie  leicht  mit  Lap. 
oaust, ,    wodurch  Fleisch  Wucherung  und  Verlängerung  bewirkt  wird. 

Ectropium  durch  Anschwellung  der  Innern  Haut.  Liegt  .sehr 
häufig  zum  Grunde,  wo  nämlich  Ophthalmia  venerea,  arthritica ,  haemor- 
rhoidalis,  menstrualis ,  congestiva  (z.  B.  bei  Säufern) ,  scrophulosa  etc.  diese 
Anschwellung  bewirkt.  Cur.  Man  behandle  hier  das  Grundübel  durch  in- 
nere Mittel ,  rathe  kühlende  Diät ,  Vermeidung  aller  Spirituosa  an,  versuche 
äusserlich  adstringirende  Mittel:  Solutio  zinci  sulphurici,  Decoct.  chinae; 
häufig  helfen  diese  Mittel  aber  örst  dann,  wenn  mau  die  innere  Haut  vorher 
scarificirt  und  blutig  gemacht  ,  hat.  Das  öftere  Bestreichen  derselben  mit 
Tinct.  opii,  Sublimatsolution ,  mit  rother  Präcipitatsalbe,  und,  wenn  sie 
schon  callös  ist,  mit  letzterer  Salbe,  wozu  man  noch  etwas  Aerugo  setzt, 
hilft  oft  am  besten.  Auch  passt  hier  (im  gelinden  Grade  der  Callosität) 
folgende  Salbe:  F^  Axwiig.  porci  5.ij»  Jiutyr.  aniimon.  gr.  jj  —  iv,  Merc.  prnec. 
ruLr.  gr.  vjjj  —  xjj.  M.  exactiss.  S.  JZum  Bestreichen  des  callösen  Augenlides» 
Ist  die  Callosität  aber  alt  und  gross,  so  muss  man  den  Wulst  mit  einer 
Scheere  wegschneiden,  die  Fläche  ausbluten  lassen  und  alsdann  das  Augen- 
lid durch  Heftpflaster  stark  in  die  Höhe  ziehen.  Nach  Adams  liegt  allen 
chronischen  Ektropien  zu  grosse  Erschlaffung  und  Wölbung  des  Tarsus  zum 
Grunde.  Er  schneidet  daher  aus  dem  obern  Augenlide  nach  dem  Nasen- 
winkpl  zu  zwei  kleine  Dreiecke  und  heftet  dann  die  Wunden  durch  blutige 
Naht  genau  zusammen. 

Ectropium  traumaticum.  Hier  ist  die  innere  Commissur  der  Augenlider 
durch  eine  Wunde  (durch  Verschwärung)  getrennt,  wodurch  sich  ein  Ectro- 
pium partiale  an  der  Ecke  des  Auges  bildet.  Cur.  Man  vereinige  hier  die 
Wvinde  aufe  sorgfältigste. 

Ectropium  wegen  Blutgeschwulst  oder  eines  andern  kleinen  Ge- 
wächses, welches  unter  der  innern  Platte  der  Palpebra  liegt.  Cur.  Man 
schäle  die  Geschwulst  aus. 

Ectropiiim  a  carie  marglnis  orhltttlis.  Bchr  in  Altena  und  v.  Ammon 
^I' dess.  Zeitschr:  für  Ophthalmologie  Bd.  I.  Hft.  1.  S.  36)  machten  zuerst 
auf  diese  Forni,  die  mit  Lagophthalmos  und  Synechia  palpebrae  oft  vor- 
kommt ,  aufmerksam.  Die  Ursache  ist  hier  eine  chronische ,  dyskrasische 
Britzündung  der  Periorbita,  worauf  Verwachsung  mit  irgend  einem  äussern 
Theile  der  Augenlider  und  partielle  Caries  der  Orbi ta  folgt.  Cur.  Anfangs 
massiges  antiphlogistisches  Verfahren  gegen  die  Entzündung  der  Periorbita; 
dann  gegen  die  Dyskrasie,  die  Scropheln  (Aq.  laurocerasi.  Terra  ponderosa, 
Clcuta);  ist  schoii  Fluctuation  da,  Öff'nen  des  Abscesses,  einfacher,  nicht 
reizender  Verband,  der  Kranke  darf  die  Augenlider  nur  sanft  schliessen, 
um  so  mehr,  je  entfernter  die  Öffnung  vom  Orbitalrände  gemächt  worden 
(w.  Amvwii). 

Ectropiitm  ex  dchUitnte  musc.  orliculnris.  Entsteht  häufig  im  Alter,  wo 
alle  Sphinkteren  in  zu  geringer  Erregung  sind,  desgleichen  bei  alten  Gich- 
tischen, alten  Säufern,  bei  Hämorrhoidarien.  Cur.  Waschen  und  Bade» 
des  Auges  mit  kaltem  Wasser,  kalte  Spritzbäder,  spirituöse  Einreibungen, 
Elektricität,  Acupunctur  des  Augenlides,  Einreibungen  von  Unguent.  nervin. 
in  die  Augengegend.  Hilft  dieses  nicht,  so  schneide  man,  besonders  wenn 
das  Ektropiura  schon  wulstig  geworden  ist,  der  Länge  nach  ein  Stückchen 
aus  der  Conjunctiva  palpebrarum,  und  vereinige  die  Wunde  schnell,  so  dass 
nur  eine  feine  Narbe  entsteht. 

Ectropiuin  als  Folge  eines  Coloboma.  Erfordert  die  Behandlung  des 
letztern;  s.  Coloboma, 


EGTROSIS  —  ECZEMA  591 

Ectropiitm  factiiium  simulaturti.  Entsteht  durch  die  Spielerei,  mancher 
Schulkinder,  sich  die  Augenlider  umzuklappen.  Anfangs  springen  diese  bald 
wieder  in  ihre  rechte  Stellung,  späterhin  aber  nicht.  Cur.  Man  verbiete 
die  Unart,  bringe,  die  Augenlider  durch  Heftpflaster  wieder  in  die  rechte 
Lage ,   und  wende  Decoct.  chinae  an. 

Ectropium  »paslicum.  Entsteht  häufig  durch  gewaltsames  Öffnen  der 
Augen  bei  Ophthalmia  neonatorum  und  bei  andern  typhösen  Augenentzün- 
dungen, indem  das  Augenlid  in  Krampf  geräth.  Das  Übel  vergeht  bald  von 
selbst;    man  muss  solche  Versuche  nicht  wiederholen. 

Ectropium  wegen  Hydrophthalmos.  Hier  sind  die  Augenlider  oft 
gesund,  werden  aber  durch  die  abnorme  Grosse  des  Augapfels  herausge- 
trieben.    Cur.    Man  behandle   das  Grundübel, 

Ist  das  Ektropium  durch  Substanzverlust  in  der  äussern  Augenlid- 
wand entstanden,  so  .suche  man  durch  anhaltend  fortgesetzte  Einreibungen  von 
milden  lauwarmen  Ölen  und  gelindes  Ziehen  des  Augenlides  mittels  der  Fin- 
ger, 3  bis  4mal  täglich  wiederholt,  die  straffe  Haut  allinälig  auszudehnen 
(^Benedipi).  Hilft  dies  nicht,  so  muss  man  mittels  eines  auf  der  Schneide  ge- 
wölbten Bistouris  die  Narbe  trennen,  sie  auch,  wenn  sie  zu  fest  mit  iier  Bein- 
haut verwachsen  ist,  eine  Strecke  ablösen,  die  Blutung  mit  kaltem  Wasser 
stillen,  das  Augenlid  dann  in  die  gehörige  Lage  ziehen,  auf  die  Wiinde  Char- 
pie  legen  und  durch  Heftpflaster  und  Binde  es  iu  der  Lage  erhalten^  Am  Steil 
Tage  erneuert  man  den  Verband,  betupft,  wertn  es  an  Granulationen  fehlt,  die 
Wunde  mit  Vitriolum  coerul. ,  und  verbindet  mit  einer  reizenden  Salbe ,  bis 
hinreichende  Granulation  sichtbar  wird.  Häufig  hilft  diese  Operation  aber 
nichts ,  weil  die  breite  Wunde  und  später  selbst  die  breite  Narbe  noch  grosse 
Neigung  hat,  sich  z\i  verschmälern.  Weit  besser  ist  daher  die  Bildung  eines 
neuen  Augenlides  (^Blejiharoplnstik^  nach  Fr,  Jäger  m  Wien  und  Jüngkcn  in 
Berlin.  Man  löst  nämlich  das  ganze  Augenlid  mit  einem  Theile  der  Stirn-  oder 
Wangenhaut  vom  Stirn-  oder  Wangenbeine  (eine  Stelle  ist  oft  bequemer, 
als  die  andere)  ab,  und  schiebt  es  dann,  je  nachdem  es  das  obere  oder  das 
untere  ist,  nach  oben  oder  unten,  bis  es  seine  natürliche  Lage  erreicht  und 
der  Rand  des  Tarsus  seine  normale  Stellung  einnimmt,  welche  Lage  durch 
sehr  apcuraten  Verband :  Heftpflaster  und  Binden,  erhalten  werden  muss 
Ist  die  Conjunctiva  oclili  zugleich  sehr  aufgelockert,  wie  z.  B.  wenn  Oph- 
thalmia neonatorum,  gonorrhoica  etc.  vorherging,  so  dass  es  also  ein  Ectro- 
pium sarcomatosum  ist,  alsdann  muss  man  ein  V-förmiges  Stück,  dessen 
Breite  am  Tarsal  -  und  dessen  Spitze  nach  dem  Orbitalrande  ger/chtet  ist, 
ausschneiden.  Die  Wundspalte  vereinigt  man  mit  äer  Sutura  circumvoluta, 
nach  Dieff'enhnch,  und  heilt  sie  per  primara  intentionem.  Die  aufgelockerte 
sarcomatöse  Conjunctiva  muss  mittels  einer  kleinen,  an , der  Fläche  gökrümra- 
ten  Scheere  stark  ausgescluxitten  werden.  (Vergl.  d;  Art.  Blepharopla- 
sticev  und  Jmigketi's  Lehre  v.  d.  Augenkrankheiten.  Berlin  1852.  8.  696. 
Friclce:  Die  Bildung  neuer  Augenlider.    Hamburg .1829).  ;:•      -  •■ 

Ectrosis,  Ecirosmus,  das  Zufrühgebären,  Fehlgebären,  s^.  AbortllS. 

it^ctrotica,  fruchttreibende    Mittel,  s.  Abortiv a. 
,  XJctylotica,    Mittel    gegen    Schvyielenj, Höhneraugen,    s.  -ClaYas 
pß4:is.  ,.:,.,         .    ,  ,,,.,,    ...    "r-.      ,  :;„.  „    .^,;, 

iEczeina,  Eezesma,  Hitzblätterche'ni  'Sie  entstehen  durch  Hki^ 
des  Körpers,  Blutwallungeri  etc.  Kühlende  Diät,  Vermeidung  hitziger  Ge- 
tränke, innerlich  Crem,  tartari  sind  bei  Erwachsenen  zur  Cur  hinreichend. 
Entstehen  sie  bei  Säuglingen,  so  ist  Erhitzung  der  Stillenden  durch  Tanzen, 
Leidenschaften  etc.  daran  Schuld.  Hier  passt  Syr.  mannae,  rhei,  Aq.  foeni- 
culi  fürs  Kind,  und  für  die  Mutter  das  Pulvis  galactop.  Rosensteinii ,  drei-' 
mal  täglich  1  Theelöftel  voll  mit  Wasser.  Nicht  selten  entstehen  nach  rheu- 
matischen und  nervösen  Schmerzen  in  den  Gliedern  am  Kopfe  oft  plötzlich 
einige  Hitzblätterchen ,  besonders  in  der  Nacht,  mit  Erleichterung  der  frü- 
hern Beschwerden.  Sie  enthalten  eine  scharfe  Flüssigkeit,  derjenigen  gleich, 
welche  nach  Acupuucturstichen ,   die  man   gegen  Rheumatismus    anwandte^ 


592  EFFLORESCENTIA  —  ELECTRICITAS 

aiisfliesst.  Diese  Blätterchen ,  welche  bald  von  selbst  vertrocknen,  scheinen 
daher  kritisch  zu  seyn  (M.).  Nach  den  Ursachen  unterscheiden  wir  ver- 
schiedene Hitzbläschen,  als:  1)  Eczema  solare;  es  entsteht  durch  den  Ein- 
fluss  der  Sonnenhitze  und  daher  besonders  bei  zarter  Haut  und  an  unbe- 
deckten Theilen,  am  Gesichte,  Halse,  Nacken,  an  den  Armen.  2)  E.  im- 
petiißinodes.  Es  bildet  sich  aus  dem  E.  solare,  wenn  die  Blasen  platzen, 
schlecht  oder  gar  nicht  behandelt  werden  ,  und  die  veranlassenden  Schäd- 
lichkeiten fortwirken.  Die  Haut  bekommt  neben  der  Exulceration  auch  Risse 
und  Schorfe.  3)  E.  rubrum.  Die  Bläschen  stehen  hier  dicht  auf  einer  ge- 
meinschaftlichen Area  mit  rothem  Grunde,  der  oft  mehrere  Hände  gross  ist. 
Ursachen  sind  Rheuma  und  Gicht,  besonders  locale  Erkältung  bei  rheu- 
matischer Disposition.  4)  E.  mercuriale.  Ist  nach  Batemnn  Folge  des  Mer- 
cürgebraüchs ,  besonders  wenn  Sallvation  eintreten  will  (s.  Febris  sali- 
valis).  Der  Ausschlag  kommt  vorzüglich  an  den  Schenkeln,  am  Scrotum, 
an  den  obern  Gliedern,  oft  aber  auch  am  ganzen  Körper  vor.  Die  Bläs- 
chen sind  sehr  durchsichtig,  rauh,  füllen  sich  nach  3  —  5  Tagen  mit  trübem 
Serum,  platzen  und  excoriiren  durch  ihren  scharfen  Inhalt  die  Haut.  Spä- 
ter entstehen  oft  neue  Bläschen ,  so  dass  der  Ausschlag  2  bis  3  Wochen ,  in 
schlimmen  Fällen  Monate  lang  erscheint.  Bei  der  Cur  muss  man  in  den 
acuten  Fällen  die  lauen  Wasserbäder,  in  den  chronischen  die  Schwefel  -  und 
Laugenbäder  nicht  versäumen.  DaS'  Ätzen  derselben  nach  der  ekrotischen 
Methode,  die  Bretonneau,  Noble,  Damiron  und  Romet  bei  Vlenschen- 
|)ocken  und  venerischen  Blattern  zur  primären  und  baldigen  Unterdrückung 
•dieser  Krankheiten  empfehlen,  schadet  nach  BietVs  Zeugnisse.  In  chroni- 
schen Fällen  kann  man  die  gegen  Pemphigus  chronicus  empfohlenen  Mittel, 
«elbst  Kanthariden,  Quecksilber  und  Arsenik  versuchen  (s.  Troschel  in  RusVa 
Theoret.  prakt.  Handbuche  d.  Chirurgie.  Bd.  VI.  S.  126  u.  f.). 

Efflorescentia,  blühender  Ausschlag,  z.B.  bei  Scharlach, 
Masern,  Blattern  etc.,  daher  man  das  Stadium  derselben,  wo  der  Ausschlag 
am  stärksten  ist,  Stadium  efflorescentiae ,  das  Stadium  der  Blüte,  nennt; 
s.  auch  Exanthema. 

'•■  £jg^izoma»  richtiger  Ent/jsonm,  Appropmjiiatio  ossium  cranü,  Übcr- 
^Vnan  d  erschiebung  der  Kopfknochen,  z.  B.  bei  starken  Kopfver- 
Ifetzungen,  gewöhnlich  auch  bei  der  Geburt  des  Kindes,  und  im  letztern 
Falle,  zumal  bei  engem  Becken ,  etwas  sehr  Erwünschtes  zur  Beförderung 
^fer  Geburt.  '  .     ^ 

'^.,,  ;  Eisantbema.  .  Ist  Exanfjiema  internum. 
*j!|.,  Klcosis,  Verschwärung,  s.  Ulcus. 

_,..-  -Electricitas^ :  die  Elektricität.  Dieses  kräftige  Fluidum  wird 
ebenso,  wie  der  Galvanismus  und  Magnetismus,  gegen  verschiedene  chroni- 
•iche  NerVfenübel  mit  Nutzen  angewandt;  s.  Galvanismus  und  Magne- 
tismus mineralis.  Dr.  Busch  in  Marburg  lobt,  gestützt  auf  vielfache 
Versuche i  angestellt  in  einer  51jährigen  Praxis,  die  medicinische  Elektrici- 
tät,  zumal  wegen  ihrer  grossen  Kraft  bei  Amaurosis  (s.  HufclaniVs^  Journ. 
1832.  Juli.  S.  52).  Er  wandte  sie  mit  Nutzen  an  1)  bei  Paralysen.  Hier 
dienten  vorzüglich  das  Funkenziehen  oder  Überleiten  dnrch  Flanell,-  und 
zuletzt  einige  gelinde  Schläge  vom  ersten  Grade  des  Elektrometers  ■  hiittels 
dei^  elektrischen  Zange,  die  indessen  nur  selten  angewandt  wurde.  2)  Bei 
Anuttirosis  torpida ,  pnralt^ica  und  Cntaracia  incipicns.  Hier  zieht  Busch  das 
das  Überleiten  des  elektrischen  Stromes  durch  die  Holzspitze ,  und  abwech- 
selnd das  Funkenziehen  bei  dem  isolirten  Kranken  an  den  geschlossenen  Au- 
gen und  dem  Umfange  der  Augäpfel  in  Gebrauch,  wobei  man  aus  der  Stelle 
des  Nerv,  supraorbitalis  vorzugsweise  Funken  zieht.  3)  Bei  Ophthalm.  rlieu" 
mnticn  und  bei  Gesichtsschwäche.  Hier  ist  sanftes  Einströmen  durch 
die  Holzspitzc  sehr  wirksam.  4)  Bei  Rheuma  und  Gicht.  Hier  passt 
anfangs  nur  das  elektrische  Bad,  so  lange,  bis  der  Kranke  transspirirt,  wo 
er  sich  dann  ins  Bette  legen  muss.  Funkenausziehen  oder  wirkliche  Schläge 
sind  anfangs   zu  vermeiden.      Später   finden  Busch's   elektr.  Bügeleisen '  oder 


ELECTRICITAS  593 

die  elektrische  Bürste  ihre  Anwendung.  5)  Bei  rheumat.  Zahnweh 
fand  B.  das  Funkenausziehen  mit  der  ^lechplatte  durch  Flanell  am  wirk- 
samsten. 6)  Zur  Herstellung  krankhaft  unterdrückter  Menses. 
Hier  dient  das  elektr.  Bad  und  das  Funkenausziehen  durch  Flanell  mit  dem 
Bügeleisen,  auf  die  Uteringegend  applicirt,  in  hartnäckigen  Fällen  6 — 8  ge- 
linde Schläge  durchs  grosse  Becken.  7)  Bei  Hemicrnnia  rheumat.  bedeckt 
er  die  Stelle  mit  Flanell  und  zieht  mit  dem  Bügeleisen  Funken  heraus. 
8)  Bei  CopJiosis  rheumat.  et  pnralytica  zieht  er  Funken  aus  dem  Zitzenfort- 
satze  und  dem  äussern  Gehörgange.  9)  Bei  Atonie  der  Unterleibs- 
organe, z.  B.  bei  Hysterie,  Hypochondrie  etc.,  bei  Flatulenz  und  Ver- 
dauungsschwäche, wird  der  ganze  Unterleib  des  auf  dem  Stuhle  oder  im 
Bette  isolirten  Kranken  mit  Flanell  bedeckt  und  täglich  %  Stunde  lang  mit 
dem  Bügeleisen  bestrichen,  was  mehrere  Wochen  lang  fortgesetzt  werden 
muss.  10)  Gegen  Band-  und  Spulwurmer  sind  gelinde  Schläge  des  er- 
sten, .höchstens  des  zweiten  Grades  des  Elektrometers,  mit  der  elektr, 
Zange  in  verschiedenen  Richtungen  durchs  Abdomen  geführt,  anwendbar, 
wodurch  die  Würmer  getödtet  und  dann  durch  ein  Purgirmittel  ausgeführt 
werden.  Mehrere  Krankengeschichten  bestätigen  das  Gesagte.  —  Im  All- 
gemeinen findet  die  Elektricität  in  allen  jenen  Krankheiten  ihre  Anwendung, 
wo  die  des  Galvanismus  indicirt  ist  (s.  diesen  Art.).  Dass  beide ,  die  Elektri- 
cität und  der  Galvanismus,  so  häufig  ohne  Wirkung  sind,  rührt  grössten- 
theils  davon  her,  1)  dass  man  statt  des  elektr.  Bades  so  häufig  elektr. 
Schläge  anwandte ,  die  durch  indirecte  Asthenie  des  kranken  Organs ,  welche 
sie  hervorriefen ,  schadeten ,  2)  dass  man  zu  kurze  Zeit  das  Mittel  anwandte. 
Es  muss  wenigstens  6 — 8  Wochen  lang,  täglich  V4 — %  Stunden,  in  An- 
wendung gebracht  werden,  wobei  stets  der  Grad  der  krankhaften  Sensibi- 
lität zu  berücksichtigen  ist.  S)  Auch  noch  folgender  Umstand,  den  beson- 
ders Marianini  (s.  Froriep's  Notiz.  Bd.  XVII.  1830,  Nr.  II.)  hervorhebt,  ist 
als  physiologische  Erscheinung  zu  berücksichtigen.  Wenn  ein  elektr.  Strom 
einen  Theil  des  thierischen  Körpers  durchläuft,  so  ist  die  Wirkung  doppel- 
ter Art,  indem  sie  nämlich  1)  aus  Contractionen  besteht,  welche  unmittel- 
bar durch  die  Strömung  in  den  Muskeln  hervorgebracht  werden ;  dies  sind 
die  idiopathischen,  und  2)  aus  solchen  Contractionen,  welche  die 
Elektricität  mittels  der  Nerven  hervorbringt,  welche  M.  sympathische 
nennt.  Die  erstem  werden  ohne  Rücksicht,  in  welcher  Richtung  die  elektr. 
Strömung  durch  die  Muskeln  hindurchgeht,  letztere  blos  dann,  wenn  die 
Strömung  in  der  Richtung  der  Nervenverästelung  geleitet  werde,  hervorge- 
bracht. So  kann  es  geschehen,  dass,  wenn  eine  elektr.  Strömung  sich 
durch  die  Gliedmassen  des  thierischen  Körpers  fortsetzt,  die  beiden  Er- 
schütterungen gleichzeitig  eintreten  müssen,  wenn  die  Elektricität  sich  in 
der  Richtung  des  Verlaufs  der  Nerven  fortpflanzt ,  während  die  idiopathische 
Contraction  nur  allein  wird  empfunden  werden ,  sobald  die  Strömung  in  ent- 
gegengesetzter Richtung  sich  fortpflanzt,  dass  folglich  die  Contractionen  im 
erstem  Falle  weit  stärker,  als  im  zweiten  seyn  müssen.  Die  Wirksamkeit 
einer  elektrischen  Behandlung  wird  bedeutend  durch  die  Richtung  bedingt, 
in  welcher  man  die  Strömung  leitet.  Endlich  4)  wird  häufig  der  Fehler 
begangen,  dass  man  willkürlich  bald  -f-E,  bald  — E  anwendet,  da  beide 
Elektricitäten  doch  schon  in  ihren  physischen  Eigenschaften  verschieden  sind. 
Aus  360  bei  Gesunden  angestellten  Versuchen  (s.  Ch.  A.  Struve ,  System  der 
medic.  Elektricitätslehre  etc.  2  Thle.,  1802,  mit  Kupfern;  Th.  I.  S.  103) 
geht  so  viel  zum  wenigsten  hervor,  dass  die  negative  Elektricität  die  posi- 
tive häufig  in  ihrer  Wirkung,  zumal  aufs  Blutsystem  (Beschleunigung  des 
Pulsschlages  etc.) ,  übertriff"t ,  doch  nicht  in  allen  Fällen ,  dass  es  aber  höchst 
falsch  sey ,  die  beiden  Elektricitäten ,  die  beide  etwas  Actives ,  Positives  sind 
und  nur  in  ihren  Beziehimgen  zu  einander  sich  als  -}-  und  —  verhalten,  in 
ihren  Wirkungen  auf  den  Organismus  als  sich  entgegengesetzt  (sthenisirend 
und  asthenisirend  —  stärkend  und  schwächend  —  erhitzend  und  kühlend  etc.) 
zu  denken.  Beide  Arten  der  Elektricität  wirken  reizend  und  die  Lebens- 
kraft erhöhend,  doch  in  verschiedenen  Graden  und  modificirt  nach  dem  indi- 
MoBt  Encyklepädie.  2te  Aufl.  T.  3g 


594  ELECTROPUNCTÜRA  ~  ELYTROBLENNORRHOEA   -, 

vjduellen  Zustande  der  Lebens'thätigkeit  des  zu  elektrisirenden  Subjects. 
Kine  spätere  Zeit  und  zahlreich  angestellte  Versuche  müssen  die  feinen  Un- 
terschiede in  der  Wirkung  von  -\-  und  — E  erst  aufklären.  lin  Ganzen 
hat  man  die  positive  Elektricität  zeither  am  häufigsten  angewandt.  Nicht 
in  lebenden,  nur  in  todten  Körpern  verbreitet  sich  die  Elektricität  gleich- 
massig.  1)  Die  grösste  Anziehung  hat  sie  zum  Nervensystem  ,  dessen  Em- 
pfindlichkeit und  Beweglichkeit  sie  befördert  und  erregt.  Wie  bedeutend 
wohlthätig  wirkt  nicht  schon  die  reine,  mit  Elektricität  geschwängerte  Luft 
auf  die  Nerven  solcher,  die  an  adynaniischen,  acuten  und  chronischen  Krank- 
heiten leiden!  2)  Sie  wirkt  mächtig  aufs  lymphatische  System,  auf  Einsan- 
gung,  Absonderung,  Ernährung  und  Assimilation ,  zertheilt  Stockungen  und 
Verhärtungen  in  Drüsen ,  in  den  Digestionsorganen.  S)  Ebenso  wirkt  sie 
aufs  Blutsystem,  wo  die  eigenthümliche  Elektricität  des  Bluts  unstreitig  des- 
sen Vitalität  unterhält ,  auch  bleibt  elektrisirtes  Blut  länger  flüssig ,  als  an- 
deres (y.  Humboldt}.  —  Dass  man  aber  die  Elektricität  ja  nicht  als  ein 
Universalmittel  ansehen  müsse,  darauf  hat  schon  JT.  I/nsnrt' (Anwendung  und 
Wirksamkeit  der  Elektricität  etc.  A.  d.  Franz.  v.  Kühn.  Leipzig,  1788; 
Th.  II.  S.  207)  mit  Recht  aufmerksam  gemacht.  Wenn  derselbe  aber  meint, 
dass  durch  Anwendung  von  — E  dem  Menschen  Elektricität  überhaupt  ent- 
zogen werde  und  dass  alle  Krankheiten  von  einem  blossen  Überflüsse  oder 
Mangel  der  Elektricität  hergeleitet  werden  könnten ,  so  irrt  er  .sehr.  Sowot 
ans  -f-E,  als  aus  — E,  die  beide  für  sich  betrachtet  etwas  Positives  sind, 
strömt  Feuer  aus,  obgleich  der  Strahl  von  -|- E  länger,  als  von  — E  ist. 
Man  muss  bei  der  Elektricität  das  wirkliche  Vorhandenseyn  von  zwei  elektr. 
Flüssigkeiten  annehmen ,  die  fähig  sind ,  sich  gegenseitig  zu  neutralisiren  und 
deren  Verbindung ,  in  bestimmten  Proportionen ,  den  natürlichen  Zustand 
der  meisten  Körper  ausmacht.  Wir  müssen  die  Benennungen  positiv  und 
negativ  nur  in  dem  Sinne  nehmen ,  wie  sie  die  Geometrie  nimmt.  Beide 
sind  zwei  Arten  von  Grössen,  deren  eine  ebenso  wol  existirt  als  die  andere, 
die  aber  von  der  Beschaffenheit  sind,  dass  sie,  wenn  sie  gleiche  absolute 
Werthe  haben ,  sich  durch  ihre  Vereinigung  wechselseitig  vernichten.  Die 
Benennungen  Glas-  und  Harzelektricität  sind  daher  vielleicht  vorzu- 
ziehen, damit  der  Unkundige  sich  nicht  so  leicht  über  die  Difl"erenzen  bei- 
der Arten  der  Elektricität  irrt  (s.  Most,  Über  die  grossen  Heilkräfte  des 
Galvanisraus  etc.  Lüneburg,  1823;  S.  317  —  4l2).  —  Über  die  Elektricität 
in  den  Nerven  und  im  Blute  bei  Lebenden  und  bei  Leichen  hat  J.  W.  Stcr^ 
neberg  (Experimenta  quaedam  ad  cognoscendam  vim  electricam  nervorum 
atque  sanguinis  facta.  Bonn.  1834)  eine  interessante  Dissertation  geschrie- 
ben ,  die  indessen  mehr  kritisch  als  erweiternd  ist  (s.  Hecker's  Wissensch. 
Annalen,  1835,  Hft.  4,  S.  473  ff.). 

Electropiinctura ,  die  Elektropunctur.  Ist  eine  Modifica- 
tion  der  Acupunctur,  indem  die  eingestochenen  Nadeln  mit  einer  kleineu 
Voltasäule  in  Verbindung  gebracht  werden;  s.  Acupunctura  und  Gal- 
Tanismu  s 

]lileplia>ntili»  Elephantinsis ,  die  Elephantiasis,  Kno  11  sucht. 
Dieses  scheussliche  Übel  kommt  bei  uns  nicht  vor,  wohl  aber  in  Syrien, 
Ägypten  etc.;  s.  Lepra  nodosa. 

KlephantopiU,  der  Elephantenfuss ,  s.  Lepra  nodosa. 

Klodes»  Helodcs ,  Britntmiius  sudor,  Schwitzfieber,  s.  At>glicus 
s  udo  r. 

Elytratresifts  mangelnde  Öffnung  der  Mutterscheide;  ist 
häufig  ein  angebornes  Übel.     S.  Atresia. 

.   Elytritis,  Entzündung  der  Scheide,  s.  Inflammatio  vaginae. 

ElijtrUis  maligna,  Fluor  albus  maUgnuSy  bösartiger  weisser  Fluss,  s. 
Leuco  rrhoea. 

ElytroMennorrboea)  Schleimfluss  aus  der  Scheide,  s.  Leu- 
corrUoea. 


ELYTRÖCELE  —  fiMBRYOTHLASIS  595 

Elytrocele»  Scheidenbrach,  s.  Herlifa  Vaginalis. 

"ElytTonCUS,  Scheidengeschwulst,  Anschwellung  der 
Scheide.  Die  Scheiden  wände  sind  hier  aufgetrieben  und  angeschwollen. 
Obgleich  der  Name  ursprünglich  eine  harte  Geschwulst  (Oncus)  der  Scheide 
bedeutet,  so  hat  man  die  Benennung  dennoch  auf  verschiedene  Anomalien 
der  Vagina  ausgedehnt,  und  man  unterscheidet  daher  folgende  Arten: 

Ehjtroncus  cruentus,  Thrombus  vayinalis,  Scheidenblutgeschwulst. 
Sie  entsteht  bei  schweren  Geburten,  durch  Berstung  eines  Varix  etc.,  ist 
fast  unschmerzhaft  und  fühlt  sich  weich,  schwappend  an.  Cur.  Man  spritze 
Decoct.  quercus  mit  Alaun  ein,  feuchte  Charpie  mit  Rothwein  an  und  lege 
dies  in  die  Scheide.  Will  sich  die  GeschyVulst  nicht  zertheilen,  80  entleert 
man  das  geronnene  Blut  durch  Einschnitte. 

Ehjtroncus  emphysemnticus ,  Windgeschwulst  der  Scheide,  Ist 
elastisch,  unschmerzhaft,  kommt  indessen  selten  vor.  Cur.  Man  lasse  die 
Luft  durch  einen  Einstich  ausströmen  und  wende  dann  adstringirende  Mittel 
an.     Sind  Risse,  Abscesse  Ursache,  so  behandle  man  diese. 

Eljjtroncus  inflammaiorius ,  Elytritis,  Entzündung  der  Scheide,  s.  In- 
flammatio  vaginae. 

Ehjtroncus  oedematosus ,  Oedem  der  Scheide.  Entsteht  vor  oder  in 
der  Schwangerschaft  häufig  bei  Blondinen ,  die  an  Fluor  albus ,  Haemorrha- 
gia  uteri  litten,  viel  sitzen,  eine  schlaffe  Constitution  haben,  vorher  schon 
kachektisch  waren.  Zuweilen  ist  die  Wassergeschwulst  sehr  bedeutend ,  ver- 
breitet sich  über  die  grossen  Schamlefzen ,  dehnt  diese  zu  ungeheurer  Grösse 
aus;  dabei  sind  gewöhnlich  auch  die  Füsse  stark  geschwollen.  Ist  eine 
solche  Person  ihrer  Entbindung  nahe,  und  stellen  sich  Wehen  ein,  so  mnss 
sie,  um  ihre  Kräfte  zu  schonen,  künstlich  entbunden  und  ihr  nach  dem  Wo- 
chenbette zweckmässige  Mittel  gegen  Hydrops  verordnet  werden  (^Oslander). 

Ehjtroncus  pituUosus ,  Schleimgeschwulst  der  Scheide.  Durch 
anhaltende  Blennorrhoe  und  Anhäufung  von  Schleim  können  die  Häute  der 
Scheide  ebenso ,  wie  das  Intestinum  rectum  durch  chronische  Ruhr ,  verdickt, 
aufgetrieben ,  verhärtet  werden ;  oft  kann  auch  eine  grosse  Schleimanhäufung 
die  Innern  Häute  der  Scheide  in  die  Höhe  treiben,  und  so  eine  kalte,  wei- 
che, unschmerzhafte  Geschwulst  bilden.  Cur.  Die  allgemeine  der  Blen- 
norrhoe, der  Leukorrhoe,  daneben  topisch  adstringirende  Mittel. 

Elytroptosis ,  Scheidenvorfall,  s.  Prolaps ns  vaginae. 

Elytrorrhag^ia,  s.  Haemorrhagia  vaginae. 

Xülytrorrlioea ,  Blutfluss  aus  der  Scheide,  s,  Haemorrhagia 
Vagi  na  e  ,  uteri. 

dmaciatio»  Abmagerung.  Ist  sowol  Verminderung  des  Umfan- 
ges  und  der  ganzen  Masse  des  Körpers ,  als  auch  einzelner  Theile  dessel-* 
ben,  beruhend  auf  einem  Missverhältnisse  zwischen  Anbildung  und  Zer- 
setzung der  organischen  Masse ,  so  dass  entweder  jene  gehindert ,  oder  diese 
zu  sehr  beschleunigt  ist,  oder  beides  stattfindet.  Abmagerung  kann  erfol- 
gen ,  wenn  Digestion  und  Assimilation  leiden ,  durch  Mangel  an  Nahrung, 
Krankheiten  des  Digestionsapparats ,  der  Leber,  der  Lungen,  des  Blut-  imd 
Nervensystems,  durch  zu  starke  Ausleerungen  etc.  Sie  ist  ein  häufig  be- 
gleitendes Symptom  aller  heftigen  hitzigen  und  fast  aller  chronischen  Krank- 
heiten, besonders  der  Abzehrungen  (Emaciationes),  die  eine  eigne 
Krankheitsciasse  bilden  (s,  Tabes,  Atrophia,  Febris  lenta,  Phthi- 
sis).  Alle  diese  Zehrkrankheiten  werden,  sobald  sie  bedeutend  sind,  vom 
hektischen  Fieber  begleitet  (s.  W.  Snchtleben,  Versuch  einer  Medicina  cli- 
nica,  oder  prakt.  Pathologie  u.  Therapie  der  auszehrenden  Krankheiten. 
Danzig,  1792;  2  Thle.). 

lEmibreginO' 9  Irrigatio,  das  Tropfbad,  s.  Balneum  stilia- 
titium. 

Kinbrocatio 9  CatachjsmiK,  das  Tropfbad,  s.  Balneum. 

Kmbryothlasis,  das  Zecst&ckeln  des  Fötus  im  Mutterleibe; 

38* 


596  EMBRYOTOCIA  —  EMETICA  \ 

eine  durch  die  Portschritte  der  Geburtshülfe  Gott  Lob!  selten  gewordene 
Operation,  die  man  früher  häufig  bei  engem  Becken  vornahm,  wo  noch  die 
Wendung  auf  die  Füsse  hätte  versucht  werden  sollen. 

Xiinbryotocia.     Ist  das  Gebäien  eines  Embryo,  s.  Abortus. 

Ciinetica,    VomiloiHa,     Brechmittel.      Die    Hauptwirkung    dieser 
Mittel  ist  bekanntlich  die,  dass  sie  Erbrechen  erregen.    Dieses  entsteht  durch 
Contraction  und    antiperistaltische  Bewegung   des  Magens   und  Zwölffinger- 
darms,   wodurch  beide   unter  Mitwirkung   des  Zwerchfells   und   der  Bauch- 
muskeln  ihre  Contenta   nach   oben   entleeren.      Die   antiperistaltische  Bewe- 
gung theilt   sich  der  Speiseröhre,    selbst  der  Luftröhre  mit,   wahrscheinlich 
auch  den  Bronchien   und  Bronchialästen ,    und  so  werden    auch  diese  Theile 
vom  Schleim ,    etwaigem  Eiter   etc.    befreit.      Eine   secundäre  Wirkung   der 
Brechmittel    ist   der  Stimulus   auf  alle   Ab-  und  Aussonderungen,    wie   aufs 
ganze  Nervensystem   durch    die  Erschütterung    des  Körpers ,    besonders   der 
Abdominaleingeweide.     Auch  die  momentane  Unterbrechung  der  Respiration, 
wodurch   der  Rückfluss   des  Blutes   vom  Kopfe,    auch   wol   vom   Unterleibe 
vorübergehend   gehemmt   wird  und    mithin   vorübergehende  Blutanhäufungen 
in    den    genannten  Theilen   entstehen ,    ist   nicht  ohne  Wirkung.      Der  Ekel 
und  die  nagende  Empfindung   in  der  Herzgrube  vor   und  während  dem  Er- 
brechen,   die  allgemeine  Abspannung    des  Körpers,    der  Eindruck,    den  der 
erschütternde  Act  des  Erbrechens  erregt,  alle  diese  Wirkungen  der  Brech- 
mittel  aufs  Nervensystem   beweisen,    dass  Vomitive   sowol    erschlaffend   und 
abspannend,  krampfstillend,  als  aufreizend,  erweckend,  erschütternd  auf  die 
Sensibilität    wirken,    dass    sie    daher   auch    wichtige    antagonistische   Mittel 
sind ,   die ,    indem  sie  den  Leib  reizen ,  vom  Gehirn  ableiten.     Auch  auf  das 
ganze  vegetative  und  reproductive  System,  auf  Leber,  Milz,  Pankreas,  aufs 
Drüsensystem,    auf  die  Schleimmembranen   und  resorbirenden  Gefässe,    aufs 
Capillargefässsystem    der  Haut  wirken  Brechmittel  erregend.      Wir    gebrau- 
chen sie  daher  mit  Nutzen  1)  in  Fiebern,  besonders  in  gastrischen,  biliösen, 
pituitösen,    wo  sie   in    kleinen  Dosen    auflösen,    in    grössern   das  Aufgelöste 
entfernen;  zu  Anfange  exanthejnatischer,  auch  nervöser,  typhöser,  contagiö- 
ser  Fieber:  des  Scharlachs,  der  Masern,  des  Typhus,  der  Kriegspest,  des 
Faulfiebers  etc. ,  wo  sie  einen  gelinden  Verlauf  der  Krankheit  einleiten ,  auch 
prophylaktisch    oft    das   Übel   im    Keime   ersticken.      In  Wechselfiebern   mit 
gastrischen  und   galligen  Complicationen  sind   sie  gleichfalls  dringend   noth- 
wendig ,    sowie  sie  oft  auch  das  reine  Wechselfieber  heilen ;    2)  in  Entzün- 
dungen mit  galligem  Charakter ,    in  mehreren  Arten  der  Angina ,   besonders 
der  Angina  gangraenosa  und  membranacea  incfpiens;  3)  in  acuten  und  chro- 
nischen Katarrhen,  Blennorrhöen  der  Lunge,  des  Halses,  des  Magens;  4)  in 
Wassersuchten   und   Wurmkrankheiten;    5)   in    Stockungen    der   Leber   und 
Milz,  Drüsengeschwülsten,  Bubonen,  Hodengeschwülsten;  6)  zur  Entfernung 
fremder  Körper  aus  der  Luft-  und  Speiseröhre;  7)  bei  Anfällen  der  Hyste- 
rie, Hypochondrie,    bei  Krämpfen  der  Wöchnerinnen,    bei  Asthma  convulsi- 
vum,  Blasenkrampf,  Fames  canina,  Apepsie,  hier  passen  besonders  die  mil- 
den Emetica  aus  Ipecacuanha.     Höchst   heilsam   sind   die  Brechmittel    8)  in 
Seelenstörungen,    in  Manie  und  Melancholie,    bei  Trägheit  und  Stockungen 
im  Unterleibe;    9)  in  Lähmungen,    besonders  im  Stickfluss,   bei  Lähmungen 
der  Glieder   aus   metastatischen  Ursachen  ,   unterdrückter  Hautausdünstung ; 
10)  in  der  Apoplexie  wohlbeleibter  Leute ,  welche  auf  eine  reichliche  Mahl- 
zeit  folgt   (nach    vorhergegangenen    Blutausleerungen)  ;    bei    Taubheit   und 
Schwerhörigkeit.      Dass  es  hier  Fälle   giebt,    wo  sie  nicht   passen,    ergiebt 
sich  von  selbst  aus  der  nähern  Betrachtung  aller  dieser  Krankheiten.    Drin- 
gend nothwendig    sind  die  stärkern  Brechmittel :    Vitriol,  alb. ,    coerul. ,    bei 
Vergiftungen  durch  narkotische  Gifte.    Aromatische,  ätherische  Mittel ,  Senf- 
pflaster auf  die  Herzgrube,  Bürsten  der  Glieder  Avährend  der  Wirkung  des 
Brechmittels  vei-mindern  gleichfalls  den  hohen  Grad  von  Torpor  und  Unem- 
pfindlichkcit  des  Magens.    'Nur  dann  möchten   die  Vomitive  in  solchen  Ver- 
giftungen entbehrlich  seyn,  wenn  durch  frühzeitige  Anwendung  der  Magen- 


EMETICA  597 

pampe  vou  Read  oder  John  Weisse  das  Gift  entleert  wordöii  ist.  Folgende 
praktische  Cautelen  mögen  hier  ihren  Platz  finden:  1)  DaiS  Erbrechen  ist 
stets  ein  heftiger  EHngriff  in  die  Ökonomie  unsers  Organismus;  man  gebe 
daher  nie  ein  Brechmittel  ohne  gehörige  Indication.  2)  Soll  das  Erbrechen 
schnell  und  kräftig  erfolgen ,  so  giebt  man  wol  Neutralsalze :  Pot.  Riverii, 
Salmiak,  Sal  Glauberi  (bei  gastrischen  und  Schleimkrankheiten),  oder  ve- 
getabilische Säuren,  Tamarinden,  Crem,  tartari  (bei  galligen  Krankheiten) 
ad  praeparandum ,  also  ein  paar  Stunden  oder  einen  Tag  vor  dem  Einneh- 
men des  Vomitivs  (^Sundelin).  Auch  kann  man  diese  Mittel  nach  S.  G.  Vo~ 
geVs  Rath  mit  einander  verbinden ,  z.  B.  Sal  Glauberi  mit  Ipecacuanha, 
Cremor  tartari  mit  Tart.  emeticus,  z.  B.  I^  Gtem.  tart.  3ß  >  Tart.  emetici 
gr.  jj  —  IV.  M.  S.  Brechpulver  auf  ein-  oder  zweimal  zu  nehmen;  oder 
^  Pulv.  rad.  ipecac.  ^ j ,  Snl  Glauheri  ^fjf,  Tart.  emetic.  gr.  jj.  M.  S. 
Brechpulver,  auf  einmal  mit  Thee  zu  nehmen  (vefgl.  VogeVs  Handbuch  d. 
prakt.  Arzneiwissenschaft,  Ste  Ausgabe,  Th.  I.  zu  Ende).  In  unserer  Ge- 
gend ( Mecklenburg ) ,  wo  die  Blennon-höen  des  Magens  und  der  Gedärme 
recht  zu  Hause  sind,  gebe  ich  drei  Tage  lang  Folgendes:  ^  Pot,  River,  c. 
succo  citri  parat.  3Jjj,  Aquae  cJiamomill..,  —  menth.  crisp.  ana  5Jj ,  Syr. 
mannae  5J ,  Sal.  ammon.  dep.,  Succ.  liquir.  dep.  ana  3jj)  Spiril.  sal.  dulc.  3]- 
M.  S.  Viermal  täglich  1  —  2  Esslöffel  voll,  und  lasse  dann  erst,  wenn  diese 
Mixtur  verbraucht  ist,  das  Brechmittel  (oder  auch  ein  Laxativ)  nehmen. 
S)  Bei  entzündlichem  Zustande  des  Magens  passt  kein  Vomitiv;  ist  blos 
Erethismus  und  Congestion  des  Magens  da,  so  müssen  Blutentziehungen, 
Derivantia ,  Fussbäder ,  innerlich  Mucilaginosa  und  Oleosa  vorhergehen. 
4)  Verhindert  ein  krampfhafter  Zustand  der  Digestionsorgane,  erhöhte  Sen- 
sibilität derselben  das  Erbrechen,  so  nützen  Valeriana,  Mentha,  Chamomilla 
als  Thee ,  mit  Liquor ,  Naphtha ,  auch  Opiateinreibungen  in  die  Magenge- 
gend. 5)  Bei  sensiblen  Personen  ist  es  gut,  wenn  sie  des  Nachmittags  das 
Brechmittel  nehmen  und  einige  Stunden  vorher  etwas  Haferschleim ,  schwache 
Kalbfleischbrühe  trinken.  6)  Man  lasse  nach  jedesmaligem  Erbrechen  eine 
Tasse  laues  Wasser  oder  schwachen  Chamillenthee  nachtrinken ,  damit  etwas 
im  Magen  ist.  Ehe  aber  das  Erbrechen  noch  nicht  wirklich  eingetreten  ist, 
darf  nichts  nachgetrunken  werden,  damit  die  Wirkung  durch  Verdünnung 
des  Mittels  nicht  geschwächt  wird.  7)  Erfolgt  das  Erbrechen  nach  genom- 
menem Brechmittel  zu  heftig,  so  lasse  man  vorläufig  lauwarmen  Haferschleim 
trinken  und  mache  warme  Fomentationen  von  Chamillen  und  Wein  auf  die 
Magengegend.  Hilft  dies  noch  nicht,  So  gebe  man  alle  %  Stunden  1  Ess- 
löffel voll  PoCio  Riverii  im  Aufbrausen ,  auch  wol  vorsichtig  einige  Tropfen 
Opium.  Bestand  das  Brechmittel  aus  Tart.  emeticus,  so  nützt  oft  ein  Chi- 
nadecoct,  welches  chemisch  den  Brechweinstein  zersetzt.  8)  Contraindicirt 
sind  Vomitive  bei  dem  sympathischen  Erbrechen  der  Schwangern,  bei  dem, 
wo  organische  Fehler  des  Magens ,  der  Gedärme ,  des  Pankreas ,  der  Leber 
z\igegen,  vorzüglich  aber,  wo  das  Erbrechen  von  Entzündungen  der  Leber, 
Milz,  Nieren,  des  Uterus  herrührt.  Hier,  sowie  bei  Vomitus  cruentus, 
Aneurysmen  in  inneren  T heilen,  können  Vomitive  plötzlich  tödten.  Auch  die 
bevorstehende  Menstruation,  Schwangerschaft,  Prolapsus  uteri,  Bräche, 
hartnäckige  Leibesverstopfung,  Geschwülste  im  Unterleibe,  grosse  Erschö- 
pfung contraindiciren.  Doch  kann  es  bei  Hernien  und  Schwangerschaft 
Fälle  geben,  wo  ein  Vomitiv,  mit  Vorsicht  gebraucht,  nicht  schadet.  9)  Kin- 
der und  Frauenzimmer  erbrechen  leichter,  als  robuste,  starke  Männer,  die 
durch  ein  Vomitiv  oft  sehr  angegriffen  werden.  10)  Das  leichteste  und 
beste ,  am  wenigsten  nach  unten  wirkende  Brechmittel  ist  die  Ipecacuanha, 
wovon  die  gewöhnliche  Dosis  für  einen  Erwachsenen  %  Drachme  ist,  z.  B. 
ly  Rad.  ipecac.  pülv.  3ß ,  Jqtiae  destill,  simph  ^jj-  ^'^-  S.  Alle  8  Minuten 
1  Esslöffel  voll  bis  zur  Wirkung.  Für  kleine  Kinder  passt  Folgendes : 
F^  Rad.  ipecac.  gr.  xvjjj,  Syr.  althaene  3])^.  M.  S.  Gut  umgescluittelt,  alle 
Stimden  1  Theelöffel  voll  bis  zur  Wirkung  (  Wendl ).  Oder  für  grössere 
Kinder :  I^  Rad.  ipecac.  ^j  ,  Aquae  dcstill. ,  Oxym.  squillit.  ana  5J.  M.  S. 
Wie  oben.    Bei  Personen ,   welche  schwer  brechen ,  setzt  man  noch  Brech- 


598  EMETOCATHARSIS  -  E]\IPHYSEMA  \ 

Weinstein  hinzu:  ^'  Rad,  ipecac.  3j5»  Tart.  emetici  gr.  jj — jjj ,  Aq.  destüh 
§jfv.  M  S.  Alle  5  —  8  Minuten  1  Esslöffel  voll  bis  zum  Erbrechen.  lat 
grosse  Torpidität  des  Magens  da,  z.  B.  bei  Vergifteten  durch  Opium,  Bei- 
Jiadonna  etc.,  so  passen  folgende  Formeln:  I^  Zinci  sulphurici  crystaU.  ^j— r- 
3j^,  Aquae  destill,  simpl.  gjj.  M.  S.  Alle  5  — 10  Minuten  1  Esslöffel  voll 
J)is  zur  Wirkung;  oder  ^l  Citjrn  sulphurici  cryst.  gr.  x,  Aquae  destillnt.  ^jjj- 
Wie  oben.  Über  die  besonders  von  altern  Ärzten  vielfach  benutzten  Brech- 
mittel des  Pflanzenreichs  hat  Dierhach  zu  Heidelberg  in  Uecher's  Lit.  AnnaJi. 
d.  ges.  Heilkde.,  1831,  Novbr. ,  S.  273  fg.  eiqe  sehr  iesenswerthe  Abhand- 
lung mitgetheilt,  die  alle  Beherzigung  verdient.  Er  theilt  diese  Emetica 
nach  ihren  Wirkungen  ein  in  Emetica  resolventia ,  antispasraodica ,  diapho»- 
retica,  diuretica  und  alterantia  seu  nervina,  und  giebt  die  specielleren  Fälle 
für  jede  Art  und  ihre  Anwendung  genau  an. 

dmetocatltarsis »  das  Brechpurgiren,  Ausleeren  Jiaoh 
oben  und  unten.  Ist  in  vielen  Fällen  dem  blossen  Erbrechen  nach  oben 
vorzuziehen,  z.B.  bei  Blennorrhoea  ventriculi  et  intestinorum,  wenn  Magen 
und  Gedärme  voller  Schleim  sind,  bei  Wahnsinnigen  etc.  Hier  passt  vor- 
züglich der  Tart.  emeticus ,  der  erst  nach  oben ,  später  auch  nach  un- 
ten wirkt. 

Eümetocathartica*  Sind  diejenigen  Mittel,  welche  das  Brech- 
purgiren befördern. 

Eimetomailia ,  Furor  vpmendi,  die  Brechwuth.  Ist  die  zu  grosse 
Vorliebe  für  Anwendung  der  Brechmittel ,  sowol  von  Seiten  des  Kranken, 
als  von  Seiten  des  Arztes.  Es  lässt  sich  nicht  leugnen,  dass  mit  Brechmit- 
teln oft  Missbrauch  getrieben  wird ,  besonders  bei  Äi"zten ,  die  der  Meinung 
öind,  ein  jeder  Zungenbeleg  indicirc  in  Fiebern  ein  Vomitiv,  vergessend, 
dass  schon  durch  Enthaltsamkeit  von  Speisen  die  Zunge  weisslich  belegt 
wird.  Aber  ebenso  häufig  werden  sie  verabsäumt j  besonders  zu  Anfange 
nervöser  und  gastrischer  Fieber,  wo  sie  mehr  wohlthätig  das  gesammte 
Nervensystem  erschüttern,  als  Sordes  entfernen  sollen,  und  in  solchen  Fäl- 
len, sowie  auch  bei  manchen  acuten  Exanthemen,  wenn  sie  nicht,  was  oft 
geschieht,  die  Krankheit  abkürzen,  doch  einen  günstigen  Verlauf  derselbe^ 
den  weder  Valeriana ,  noch  Serpentaria ,  Arnica  oder  Camphor  zu  Wege 
bringen  kann,  bewirken  (s.  Emetica  und  Glossoscopia).  Oft  scheuet 
der  Arzt  oder  Kranke  ohne  Grund  die  Vomitive  (Emetophohia')  ,  und  diese 
Scheu  ist  bestimmt  ebenso  sehr  als  die  Emetomanie  anzuklagen.  Medium 
(enuere  beati! 

Elinetophobia,  s.  Eme.tomania, 

Eininenag^Og^a,  richtiger  Emmeniagoga ,  Mittel^  die  die  Menstrua- 
tion Defördern;  s.  JVlenstruatio  retenta,  suppressa. 

Emollientia,  erweichende,  erschlaffende  Mittel,  s,  Relaxantia. 
Gnioliities  OSsiuni»  Knochenerweichung,  s.  Malacosis  ossium. 
Emotio*     Ist  dasselbe,  was  Luxatio. 
Kniphraxis,  s.  Angustatio. 

Eiinphyseina,  Pneumatosis,  Empneumatpsis,  Sarcües  faiuosus,  Haut- 
windsucht,  Windgeschwulst,  Luf  tgcsch  wulst.  Ist  eine  an  sich 
wenig  schmerzhafte  Anschwellung ,  ein  Aufgeblasensejn  des  ganzen  Körper/» 
oder  irgend  eines  Theils  desselben ,  verbunden  mit  Spannung  und  Elasticität, 
wobei  man,  wenn  man  darauf  drückt,  nicht  gelten  ein,  bald  kollerndes, 
bald  mehr  knisterndes  Geräusch  hört  und  die  sich  dadurch  von  Hydropa 
unterscheidet,  dass  sich  keine  Gruben  in  die  Geschwulst  drücken  lassen, 
dass  das  Glied  nicht  so  kalt  und  so  schwer  als  bei  Hydrops  ist.  Die  nächste 
Ursache  ist  stets  extravasirtes  Gas ,  das  in  dem  leidenden  Theile ,  in  den 
meisten  Fällen  im  Zellgewebe ,  sich  aufhält.  Häufig  sind  die  Luftansamm- 
lungen im  Zellgewebe,  sowie  in  den  Höhlen  des  Körpers,  wodurch  Aufblä- 
hung entsteht,    nur  etwas  Symptomatisches,    4as  im  gelinden  Grade  perio- 


EMPHYSEMA  599 

di^cU  sdiott  bei  hefiigeii  Anfallen  der  Hysterie,  der  Hypochondrie  bemerkt 
wird,  wo  die  Gaseutwickelung  oft  schnell  entsteht  und  schnell  verschwin- 
det, indem  die  Säftemasse  die  Luft  ausscheidet  und  die  einsaugenden  Ge-* 
lasse  sie 'wieder  resorbiren  (fiicitcr)  ;  vielleicht  auch,  dass  das  Dunst-  und 
Gasförmige ,  was  im  Leben  als  etwas  Normales  die  Höhlen  erfüllt  und  nu» 
im  Tpde  tropfbar  flüssig  wird ,  sich  bei  jenen  Krampfbeschwerden  im  Über- 
masse anhäuft.  Ebenso  i^st  der  Meteorismus  des  Leibes,  der  im  StadiuEQ 
colliquativum  bösartiger  Fieber  bemerkt  wird,  nichts  weiter  als  abnorm  ent- 
wickeltes und  die  Bauchhöhle  anfüllendes  Gas.  Entwickelt  sich  die  Luft 
allmälig,  entweder  in  der  Bauchhöhle,  oder  in  den  Gedärmen,  so  dass  dc)^ 
Unterleib  elastisch  gespannt  ist  und  das  Übel  längere  Zeit  anhält,  so  nennt 
man  es  Trommelsucht  (s.  Tympanitis),  die  m  der  Regel  auch  nur  ein 
Symptom  des  Hydrops,  des  Icterus,  der  Melanosis  und  bedeutender  organi- 
scher Fehler  der  Leber,  der  Milz  etc.  ist,  wenn  wir  nämlich  die  uneigent- 
lich sogenannte  starke  Luflentwickelung  in  den  Gedärmen,  die  mit  der 
Windkülik,  den  langwierigen  Verlauf  abgerechnet.  Alles  gemein  hat  (Tym- 
panitis intestinalis) ,  nicht  zur  wahren  Trommelsucht  zählen.  Ursachen 
des  Emphysems.  ]>ie  nächste  Ursache  ist  schon  oben  genannt  worden ;  Ge- 
legenheitsursachen sind  entweder  innere,  allgemeine,  oder  äussere,  örtliche, 
bald  nur  mechanische,  bald  dynamisch  -  chemische.  So  entsteht  der  Meteo- 
rismus in  bösartigen  Fiebern  durch  die  CoUiquation  der  Säfte ,  durch  che- 
mische Zersetzung  und  Neigung  des  Blutes  zur  Fäulniss,  die  ohne  Gasent- 
wickelung nicht  erfolgt ;  die  wahre  Trommelsuscht  ist  häufig  mit  Hydrops, 
Melas  Icterus  verbunden,  entsteht  auch  mehr  auf  chronische  Weise;  das 
Emphysema  pectoris,  wodurch  die  fürchterlichsten  Erstickungszufälle  entstehen, 
ist  Folge  mechanischer  Verletzung  der  Lungenzellen,  wodurch  die  eingeathmete 
Luft  in  die  Brust  extravasirt;  bei  der  Gangrän  einzelner  Theile  ist  gleichfalls 
häufig  etwas  Eniphysematisches,  weil  auch  hier  die  beginnende  Fäulniss  und 
der  partielle  Tod  nicht  ohne  Gäsentwickelung  vor  sich  geht,  etc.  Cur; 
Die  des  Emphysems  im  Allgemeinen  ist  nach  den  Ursachen  sehr  verschieden. 
Man  muss  hier,  (beim  eigentlichen  Emphysem,  nicht  bei  Tympanitis,  Me- 
teorisnnis)  stets  die  Luft  durch  Einstiche  und  Streichen  zu  entfernen  suchen 
und,  wenn  sie  von  Aussen  ins  Zellgewebe  dringt,  die  Wege  dadurch  ver- 
schllessen ,  dass  man  im  Theile  Entzündung  erregt ,  und  bei  Emphys.  uni- 
versale ^m  Ende  der  Cur  stärkende  Bäder  und  Einreibungen  anwendet, 
weil  sonst  leicht  krankhafte  Fettleibigkeit  zurückbleibt  (s.  Adiposis).  Fol- 
gende Arten  der  Windgeschwulst  sind  hier  noch  zu  bemerken: 

Emphyaenut  capitis ,  Physoeephalits ,  Windgeschwulst  des  Kopf 3. 
Sie  verbreitet  sich  über  die  allgemeinen  Kopfdecken,  ist  häufig  Symptom 
von  Hieb  ^  und  Stichwunden  des  Kopfs,  mit  oder  ohne  Verletzung  der  Galea 
aponeuratica ,  wozu  sich  auch  erysipelatöse  Entzündungen  gesellen.  Cur. 
Man  behandle  das  Grundübel ,  dilatire  Stichwunden  etc. 

Emphysema  cellulnre.  Es  ist  meist  über  den  ganzen  Körper  verbreitet, 
erregt  ein  höchst  beschwerliches  Asthma  und  erfordert  die  allgemeine,  oben 
angegebene  Behandlung  (s.  Asthma  aereum  a  pneumot  ho  race  und 
Tympanitis). 

Emphysema  intestini  recti ,  Windgeschwulst  des  Mastdarms. 
Hier  tritt  die  innere  Haut  des  Rectums,  welche  von  Luft  ausgedehnt  ist, 
zum  After  hei-aus  und  bildet  eine  elastische  Geschwulst.  Cur.  Man  lasse 
die  Luft  durch  kleine  Einstiche  heraus  und  behandle  das  Übel  dann,  wie 
den  Mastdarmvorfall  (s.  Prolapsus  ani). 

Emphysema  mammnrum ,  Windgeschwulst  der  weiblichen  Brüste ,  s. 
Mastodynia  emphysematica. 

Emphysema  pectoris ,  Brustwindsucht ,  s.  Asthma  aereum. 

Emphysema  scroti,  Oscheocele  fiatulentn,  Hernia  venfosa  scroti,  Pneuma- 
tocele,  Windbruch  des  Hodensacks.  Ist  entweder  ein  wahrer  Darm- 
bruch oder  eine  Art  von  Wassersucht  {Pott).  Es  giebt  aber  ein  Emphysema 
scroti  factitium  simulatum,  welches  sich  oft  Militairpfllchtige  machen,  indem 
sie  durch  eine  feine  Öffnung  iii^  Zeilgewebe  des  Scrotums  (oder  auch  wol 


600  EMPNEIMATOSIS  —  EMPYEMl 

in  die  In^inalgegend)  Luft  einblasen  und  dann  die  Öffnung  schnell  heilen 
lassen.  Dieser  Betrug  ist  bald  zu  entdecken.  Ein  Mehreres  über  Emphy- 
sema  partiale  s.  bei  Tympanitia. 

Emphysemn  vaginae y  Windgeschwulst  der  Scheide,  8.  Elytroncus 
emphysemati  cus. 

EmpneuinatosiSf  das  Anfüllen  mit  Luft,  daher  dasselbe  was 
Emphyseina ,  Meteorismus ,  Tympanitis.  Einige  verstehen  unter  dem  Worte 
auch  die  Inspiration. 

Emprostliotonia,   Emphrosthotonus,    Tetanus  anticus,   Starrkrampf 
nrit  Spannung  aller  Vorwärtsbeugemuskeln ,  s.  Tetanus  und  Spasmus. 
Emptoe»  Emptois,  Blutspeien,  s.  Haemorrhagia  pulmonum. 

Emptysis«  Ist  bei  Aretaeus  das  Blutspeien,  s.  Haemorrhagia 
pulmonum. 

dnpyema ,  Empyema  verum ,  Pyothorax ,  Pleurorrhoea  purulenia, 
JHapyema,  Ecpyema,  Ecpyesis,  Empyem,  Eiterbrust,  Brustge- 
ßchwür.  Ist  eine  Ansammlung  von  Eiter  in  der  Brusthöhle,  welche  dann 
entsteht,  wenn  eine  Lungenvomica  platzt  und  sich  in  der  Brusthöhle  ent- 
leert ,  oder  wenn  sich  nach  einer  Pleuritis  oder  Peripneumonie ,  oder  nach 
Rippen-  und  Brustbeinbrüchen  ein  Abscess  auf  der  Lunge  erzeugt  und  die- 
ser dann  platzt;  ferner  nach  penetrirenden  Schusswuuden ,  nach  Leberab- 
ecessen,  die  sich  einen  Weg  durch  das  Diaphragma  in  die  Bauchhöhle  bah- 
nen, und  endlich  durch  perverse  Secretion.  Diagnose.  Diese  ist  oft 
schwierig.  Wenn  die  Zufalle  irgend  einer  Entzündungskrankheit  der  Brust, 
nachdem  dieselben  einen  hohen  Grad  der  Heftigkeit  erreicht  haben,  schnell, 
ohne  vorhergegangene  kritische  Erscheinungen,  und  unter  einem  oft  und  pe- 
liodisch  wiederkehrenden  Frösteln  sich  mindern,  so  hat  man  die  grösste 
Ursache  zu  vermuthen,  dass  sich  Eiter  in  der  Brust  bilde.  Bekommt  nun 
der  Kranke  nach  einigen  Tagen  beim  Athcmholen  eine  Beklemmung,  Schwere 
und  Vollheit,  wird  derselbe  kurzathraig,  stellt  sich  Reiz  zum  Husten  und 
selbst  ein  trockner  Husten  ein,  wird  er  matt  und  kränklich,  so  kann  man 
mit  Gewissheit  sagen,  dass  sich  Eiter  gebildet  habe.  Ist  die  Eiteransamm- 
lung nur  in  einer  Brusthöhle,  so  kann  der  Kranke  nicht  auf  der  gesunden 
Seite,  sondern  nur  auf  der  kranken  liegen,  indem  beim  Liegen  auf  der  ge- 
sunden Seite  das  Athemholen  allemal  sehr  erschwert  wird.  Ist  die  Ansamm- 
lung in  beiden  Höhlen,  so  kann  der  Kranke  nur  mit  erhöhtem  Oberkörper 
auf  dem  Rücken  liegen.  Die  Brust  giebt  beim  Anschlagen  an  derselben  ei- 
ne« Ton  sich,  als  wenn  man  an  ein  volles  Fass  schlüge.  —  Im  höhern 
Grade  entsteht  äusserlich  eine  ödematöse  Geschwulst,  es  treten  Zufalle  des 
Elektischen  Fiebers,  coUiquativer  Schweiss,  kleiner  Puls,  Aufgetriebenheit 
des  Gesichts  und  ödematöse  Anschwellungen  der  obern  Gliedmassen  hinzu.  — 
Prognose.  Ist  stets  schlimm.  Sich  selbst  überlassen,  endet  dies  Übel 
immer  mit  dem  Tode.  Cur.  Wenn  keine  offene  Wunde  da  und  die  Dia- 
gnose schwierig  ist,  so  lege  man  Haarseile,  Fontanellen  und  warme  Breium- 
schläge äusserlich  auf  die  Brust,  und  innerlich  wende  man  die  bei  Phthisis 
gebräuchlichen  Mittel  an.  Helfen  diese  Mittel  nichts,  so  ist  die  Eröff- 
nung der  Brust  (^Paracentesis  thoracis ,  OperaÜo  empyematis)  noch  das 
einzige  Rettungsmittel,  aber  dies  auch  nur  dann  noch,  wenn  das  Empyem 
nicht  schon  zu  lange  gedauert  hat ,  oder  nicht  mit  andern  unheilbaren  Brust- 
krankheiten verbunden  und  der  Kranke  noch  nicht  zu  alt  ist.  Instru- 
mente zur  Operation.  Man  gebraucht:  1)  ein  convex es  Bistouri ,  2)  eine 
Lanzette,  3)  ein  Knopfbistouri,  4)  eine  Röhre  von  Silber  oder  elastischem 
Harze,  5) 'einen  Schwamm,  und  6)  zum  Verbände:  ein  beöltes  halbausge- 
franztes  Leinwandläppchen ,  Heftpflasterstreifen ,  ein  gefenstertes  Pflaster- 
stück, Compressen ,  Charpie  und  eine  Brustbinde.  Operation  selbst. 
Der  Kranke  lege  sich  auf  die  gesunde  Seite  gegen  den  Rand  des  Bettes, 
und  der  Arm  der  kranken  Seite  werde  nach  vorne  auf  die  Brust  gelegt. 
Man  durchschneide  nun  mit  dem  convexen  Bistouri  die  Haut ,  indem  man  sie 
in  eine  Falte  aufhebt,   zwischen  2  Rippen,    gerade  in  der  Mitte  zwischen 


EMPYESIS  —  ENCANTHIS  601 

dem  Stemum  und  der  Wirbelsäule,  jedoch  auf  der  linken  Seite  nur  von  der 
fünften  bis  zui*  achten  und  auf  der  rechten  nur  von  der  fünften  bis  zur  sie- 
benten Rippe,  ja  nicht  tiefer,  indem  man  sonst  leicht  das  Diaphragma  ver- 
letzen kann.  Der  Hautschnitt  muss  mehrere  Zoll  lang  seyn.  Hat  man  den 
Hautschnitt  gemacht,  so  reinige  man  die  Wunde  mit  einem  Schwämme  und 
schneide  die  Intercostalmuskeln  mit  wiederholten  und  an  Länge  abnehmen- 
den Messerzügen  bis  auf  die  Pleura  behutsam  durch,  so  dass  die  Wunde 
ein  kegelförmiges  Ansehen  erhält  und  die  Pleura  ungefähr  einen  Zoll  bloss 
liegt.  Ist  dies  geschehen ,  so  lässt  man  den  Kranken  sich  etwas  nach  der 
operirten  Seite  zu  neigen,  damit  der  Eiter  sich  daselbst  ansammle;  ist  dies 
geschehen,  so  bringt  der  Operateur  einen  Finger  in  die  Wunde,  und  durch- 
schneidet oder  durchsticht  behutsam  mit  der  Lanzette  die  Pleura  da,  wo 
die  Fluctuation  am  deutlichsten  bemerkbar  ist.  Ist  die  jetzt  gemachte 
Wunde  zum  Ausfluss  des  Eiters  nicht  gross  genug,  so  muss  man  sie  mit 
dem  Knopfbistouri  etwas  dilatiren  und  dann  dem  Kranken  eine  solche  Lage 
geben,  dass  der  Ausfluss  des  Eiters  dadurch  begünstigt  werde.  Einige  le- 
gen, um  den  Ausfluss  ununterbrochen  zu  erhalten,  auch  eine  Röhre  ein. 
Verband  und  Nachbehandlung.  Man  lege  zwischen  die  Wundränder 
der  Pleura  ein  beöltes  oder  ein  mit  Gerat  bestrichenes  halbausgefranztea 
Leinwandläppchen ,  dessen  Enden  man  aussen  mit  Heftpflasterstreifen  befe- 
stigt, darüber  lege  man  ein  Emplast.  fenestratum,  feine  weiche  Charpie  und 
eine  leichte  Compresse,  und  befestige  das  Ganze  mit  der  Brustbinde.  Der 
Kranke  muss  sich  ruhig  halten,  wenig  sprechen  und  in  einer  trocknen  und 
warmen  Stube  sich  befinden.  Den  Verband  erneuere  man  so  selten  als  mög- 
lich. Wird  der  Eiter  scharf,  zähe,  schlecht  und  stinkend,  so  wende  man 
Injectionen  von  milden  schleimigen  Decocten,  mit  einem  ganz  geringen  Zu- 
sätze von  Salzsäure ,  oder  auch  leicht  adstringirende  Decocte  an.  Die  son- 
stige Nachbehandlung  muss  nach  dem  verschiedenen  Zustande  des  Kranken 
eingerichtet  werden;  sie  sey  entweder  eine  kühlende,  antiphlogistische  oder 
restaurirende  Behandlung.  G.  Neese. 

Kmpyesis  (oculi).  Ist  bei  einigen  Augenärzten  die  Eiteransamm- 
lungimlnnerndesAuges. 

dmpyocele»  Eiterbruch,  Eiteransammlung  im  Hoden- 
sacke. Kann  durch  Abscesse  in  der  Schamgegend  entstehen,  auch  durch 
Senkung  des  Eiters  aus  dem  Unterleibe,  wo  er  durch  den  Annulus  tritt. 
Cur.  Man  hebe  die  Ursache,  behandle  den  Abscess,  suche  die  Resorption 
des  Eiters  im  Hodensacke  durch  reizende  Einreibungen,  Umschläge  zu  be- 
fördern ;  gelingt  dies  nicht ,  so  entferne  man  den  Eiter  durch  die  Lanzette 
nach  den  Regeln  der  Kunst. 

EiinpyoiinphaluSj  Vereiterung  am  Nabel,  Nabelgeschwür. 
Ist  am  häutigsten  die  Folge  von  Kntzündung  des  Nabels ,  entstanden  durcfi 
äussere  oder  innere  Ursachen.  Zuweilen  ists  metastatischer  Natur.  Cur,. 
Ist  dieselbe  jeder  Eiterung  im  Aligemeinen,  also  Zeitigung  des  Abscesses», 
Reinigung  des  Geschwürs,  Sorge  für  gute  Granulation ,  alsdann  trockner 
Verband  etc.     S.  Abscessus.  , 

XSnaemon  (remedium),  ein  blutstillendes  Mittel,  z.  B.  das 
Tourniquet,  die  Ligatur,  das  kalte  Wasser,  das  Pulvis  stypticus;  s.  Hae»- 
morrhagia. 

Xüncanthis,  Tumor  carunculnc  lacrymalis ,  Geschwu'st  im  Innern 
Augenwinkel,  gebildet  durch  Entzündung  der  Thränencarunkel ,  die  sich 
im  höhern  Grade  bis  auf  die  Membrana  tertia  und  die  innere  Haut  des  obern 
und  untern  Augenlids  im  Innern  Augenwinkel  erstreckt.  Diese  Geschwulst 
sieht  wie  ein  rother  Knopf  aus ,  der  im  letztern  Falle  zwei  Flügel  hat. 
Entstellung  des  Auges,  Entzündung  und  Schmerz  des  Bulbus,  Thränenfluss, 
partielles  Ectropium  sind  die  Folgen  dieses  Übels.     Wir  unterscheiden: 

Encanthis  acuta.  Entsteht  durch  mechanische  Schärfen ,  Erkältung  des 
Auges.  Die  Geschwulst  entsteht  schnell ;  schon  am  zweiten ,  dritten  Tage 
bildet  sich  ein  weisses  Pünktchen,    das  aber   ebenso  wenig  ein  Abscess  ist, 


e02  ENCÄNTHIS 

als  es  die  weisslichen  Punkte  bei  Angina  tonsillaris.  sInJ.  C  ur.  Mali  entr 
ferne  fremde  Körper,  wenn  diese  die  Ursache  sind,  befördere  die  Zerthei- 
lung  durch  Acjua  Goulardi  etc.  Bildet  sich  ein  wirklicher  Abscess ,  se  öffne 
man  bald,  sonst  eitert  die  ganze  Carunkel  bald  weg  (s.  Rhyas). 

Encanthis  chronica.  In  den  meisten  Fällen  sind  allgemeine  Ursachen; 
Scrophulosis,  Herpes,  Arthritis,  Congestio  haemorrhoidalis  etc.  Schuld.  Sie 
unterhalten  häufig  die  Entzündung ,  die  nun  aus  der  acuten  in  die  chronir 
«che  Form  übergegangen  ist.  Cur.  Innerlich  die  Mittel  gegen  das  Grund-' 
übel.  Da  meist  immer  Wucherung  und  Laxität  der  Carunkel  da  ist,  SO 
muss  ma«  öfters  etwas  von  der  Geschwulst  wegschneiden,  doch  nicht  zu 
viel,  sonst  entsteht  Rhjas,  Die  Blutung  stillt  man  am  besten  mit  Feuerr 
schwamm. 

Encanthis  carcinomaiosa.  Der  Krebs  des  Thräiienhügels  hat  eia 
maulbeerförmiges,  hahnenkammähuliches  Ansehu.    Cur  s.  bei  Cancer  ocuii. 

Nach  den  Ursachen  statuirt  Jünglicn  (s.  Rust's  Theor.  prakt.  Hand- 
buch d.  Chirurgie,  1832;  Bd.  VI.  S.  209) :  1)  E.  biflammdlorin.  Unter  ste- 
chenden, sich  bei  der  Bewegung  der  Augenlider  vermehrenden  Schmerzen 
zeigt  sich  eine  hochrothe  Geschwulst  der  Thränencarunkel  und  der  Mem- 
brana semilunaris,  die  sich  auch  über  die  Conjunctiva  des  Innern  Augertr 
winkeis  verbreitet.  „Unter  Zunahme  der  Schmerzen  —r-  heiv^st  es  a.  a.  O.  rrt- 
erhebt  sich  die  höchst  empfindliche  Thränencarunkel,  und  tritt  aus  dem  In- 
nern Augenwinkel  hervor.  Die  Fortleitung  der  Thränenfeuchtigkeit  ist  theils 
hierdurch,  theils  durch  Mitleiden  der  Thränenpunkte  gestört;  die  Nase  der 
leidenden  Seite  bleibt  trocken,  und  die  Thränen  fliessen  über  die  Wange 
herab.  Die  entzündete  Thränencarunkel  ist  höchst  empfindlich  und  verträgt 
nicht  die  leiseste  Berührung,  wodurch  fSie  sich  wesentlich  von  der  fungösep 
Anschwellung  dieses  Organs  unterscheidet.  Bei  heftiger  Entijündung  und 
bei  reizbaren  Personen  erscheint  im  Innern  Augenwinkel  eine  ödematöse  Ge- 
schwulst, die  sich  über  einen  Theil  der  Augenlider  verbreitet."  Sie  geht 
gewöhnliclv  in  Eiterung  über  (E.  opostcmatosa) ;  dann  wird  die  Geschwulst 
grösser ,  dunkelroth ,  die  stechenden  Schmerzen  werden  klopfend ,  die  Ge- 
schwulst weicher,  der  Schmerz  gelinder,  der  Meibom'sclie  Drüsenschleimi 
wird  in  grösserer  Menge  abgesondert  un,d  sammele  sich  an.  den  Au^enlidrän- 
dern.  Selten  zeigt  sich  an  der  Oberfläche  der  ThränentfärQtrkei ,  gewöhnlich 
zwischen  letzterer  und  der  Membrana  semilunaris  der  Eiterpunkt.  An  die7 
ser  Stelle  berstet  der  Abscess,  der  mit  Blutstreifen' und  jXellgewebsstoff'g^j 
mischten  Eiter  unter  Nachlass  der  Symptome  und  Verh>iiiderung  der  Ge- 
schwülst entleert,  worauf  daä  Geschwür  schnell  heilt.  Der  Verlauf  der 
iEntzüridung  ist  rasch,  und  höchstens  binnen  9  Tagen  vollendet.  Ursa- 
chen sind:  mechanische  Verletzungen  durch  Sandkörner,  Haarspitzen,  Glas- 
splitter,  Vvelche  in  die  Augen  gekommen  sind,  durch  InsecfenMiehe,  durch 
cheniische  Schädiidikciten:  Kalk,  Mineralsäure  etc.  Cur.  Man  entferne 
die  fremden  Körper,  die  man  mittels  der  Loupe  entdeckt,  durch  die  Pincette 
oder  den  Daviel'schen  Löffel  (kleine  Stücke  von  Eisen  j  die  bei  Schmiederi, 
Schlossern  zuweilen  ins  Auge  fliegeh,  entfernt  man  am  besten  dadurch, 
dass  man  einen  starken  künstlichen  Magnet  nahe  an  die  leidende  Stelle  der 
Cornea  häU;  M.),  appllcire  Blutegel  um  den  Innern  Augenyvinkel  und  suche 
<lurch  Umschläge  von  kaltem  Wasser ,  Bleiwasser ,  Zertheilung  zu  bewirkert'. 
Ist  das  Übel  schon  mehrere  Tage  alt  und  ist  bereits  Eiterung  eingetreten^ 
so  befördert  man  dieselbe  durch  warme  Umschläge  von  Semmeikrumen ,  in 
Milch  gekocht,  und  zeigt  sich  Fluctuation ,  so  öffne  man  mittels  einer  fer- 
nen Lanzette  Die  Umschläge  werden,  bis  die  Härte  verschwunden  ist ,  fort- 
gesetzt, und  dann  die  Cur  durch  Eintröpfeln  einer  schwachen  Solutio  zin« 
sulphürici  beendigt.  Das  Übel  ist,  selbst  wenn  Eiterung  eintritt,  unter  sol- 
cher Behandlung  nicht  von  schlimmen  Folgen.  2)  E.  ajwstemaiosa ;  ist  Aus- 
gang der  E.  inflammatoria ;  s.  d.  Art,  3)  E.  fungosa.  Die  fungöse  An- 
schwellung der  Thränencarunkel  folgt  zuweilen  auf  die  entzündliche  Encan- 
this. Sie  ist  eine  Hypertrophie  der  Thränencarunkel,  begründet  in  Wuche- 
rung des  Zeilstofüs.     Symptome.  Unschmerzhafte,  weiche  Geschwulst  von 


ENCATALEPSIS  —  ENCEPHALALGU      603 

r^ther  Farbe  und  ebener,  glatter  Oberfläche ,  welche ; sich  flugelartig  nach 
oben  und  unten  unter  das  obere  und  untere  Augenlid  verbreitet.  Die  Grösse 
der  Geschwulst  ist  die  einer  Haselnuss  bis  zja  der  eine^  Taubeneies  5  sie  rag-t 
dapn  nus  dem  innern  Augenwinkel  hervor  und ;  vechindert  das  SpljU^^s^i  der 
Augenlider.  Nun  folgen  stechende  Schmerzen ,  die  bei  Bewegung  der  Afi^ 
genlid^r  sich  vermehren,  der  Augapfel  wird  empfiodlich-  die  Augenlidiläader 
werden  roth,  die  Schleiriiabsonderung  vermehrt  'sich.''  Es  bilaeit'^ich  auf 
dfer  Geschwulst  Erosionen,  die  Farbe  derselben  wird  dunkelblau,  der  Schmerjs 
heftiger,  und  zuletzt  artet  das  Übel  in  Krebs  aus.  'Ursachen  sind:  all- 
gemeine scrophulöse  Diathese,  gänzliche  VernachläsSiguög'  der  nieht  gehörig 
zertheiUen  Entzündung  dieses  Organs.  Die  Prognose  ist  nur  bei  gäriz^ 
Jicher  Vernachlässigung  oder  fehierhafter  Bel\«|MHitt\g;iungünstig.  — ^  Cur. 
Bei  frischem  Übel  gelingt  dui^cb  Ansetzen  von  ßlutegfein-uni  den  innern  Aü^- 
genwinkel,  durch  lauwarme  Umschläge  voh  i^tj.  saturn'uia,  bei  Schmerzen 
mit  Zusatz  von  Tinctura  opii,  durch  Mercurialeinreibf^agen  um  d^n  innera 
Augenwinkel,  durch  Bepinseln  der  Geschwülst  mit  Qpiyjntinctür ,  die  Zer- 
tbeilung.  Ist  die  Geschwulst  aber  schon  von  der  Grösse  einer  Hasejnu^, 
so  hilft  diese  Cur  nichts  mehr ;  man  trägt  hier  die  Geschwulst  auf.  e|n^,ifi 
Messer  oder  der  Scheere  ab,  welche  Opei-ation  weder  schmerzhaft,  noc^  ge- 
iahrlich  ist.  Man  schneidet,  indem  man  mit  einer  Pincette  die  Geschwulst 
hervorzieht,  mittels  der  Cooper'schen  Scheere  reicjilich  die  Hälfte  derselben, 
bei  grosser  Encanthis  selbst  zwei  Drittheile  weg.  Nimmt  man  mehr  weg, 
so  folgt  leicht  Rhyas.  Nach  dfer  Operation  lasse  man  die  Wunde  stärk  aus- 
bluten und  schlage  dann  Umschläge  von  kaltem  Wasser  oder  ßleivvasser 
über.  Ist  später  die  Wunde  in  Eiterung  übergegangen  und  aller  Schmerz 
verschwunden ,  so  heile  man  durch  Eintröpfeln  von  schwacher  Sblut.'  zinci 
sulphurici.  Das  Verfahren  mancher  Wundärzte,  statt  der  genannten  Ope'- 
ration  durch  Ätzmittel  die  fungöse  Geschwiflst.  w'egzuschaffen ,  ist  sehr  zu 
tadeln ,  indem  das  Übel  dadurch  leicht  krebsartig  wird  und  dann  immer 
neue  und  grössere  FungQ§itätßn  hervorschiess^n,  4)  £.  scirrJiosa  ef- ^ap^ciiio- 
malosa ,  Krebs  der  Thr  änencarun  t  el.  Symptome  de^  Scirfhqs 
sind:  eine  feste,  unebene,  höckerige,  elfenbeinartige,  höchst  empflndli^^ 
Geschwulst  mit  einzelnen  varicösen  Gefässen,  dunkle,  bläuliche  f'arbo  der- 
selben, germge  Zunahme  ihres  Umfangs,  oft"  selbst  Kleiner-  unä'Häfter,- 
werden  derselben  mit  Zunahme  der  Schnierzen ,  die  periodisch  k'oriimen, 
flüchtig,  stechend  sind  und  beim  Versuche,  die  Augenlider  zu  schliessen, 
zunehmen.  Die  innere  Seite  des  Augapfels  erscheint  in  P'olge  der  Gefäss- 
varicositäten  dunkehoth.  Später  werden  die  Schmerzen  brennend ,  wie  vpfi 
glühenden  Kohlen,  es  zeigen  sich  missfarbige  Bläschen  auf  der  Geschwülst, 
diese  bersten  und  hinterlassen  auf  dem  scirrhösen  Boden  bösartige  GesQh,würe, 
mit  deren  Erscheinen  das  Garcinöm  oder  krebsgeschwür  sich  ausbildet.  — • 
Ursachen  sind:  die  allgemeinen  des  KreKsesv 'verschiedene  Kachexien  und 
darneben  als  Concausa  eine  fehlerhafte  Behandlung  der  Encanthi*  fungosh 
durch  erregende,  ätzende  Mittel.  Prognose.  Ist  ungunstig.  Cur.  Ist 
der  Scirrhus  noch  in  der  Bildung  begritfen ,  so  operlre  man;  wie  bei  En- 
canthis fungosa  angegeben  worden.  Ists  schon  Oarcinom,  so  hilft  selbst  dite 
totale  Exstirpation  der  Thränencarunkel  nichts  inehr.  Hier  bleibt,  um  deft 
Kranken  zu  retten ,  nur  die  Exstirpation  des  ganzen  Auges  übrig.  Da  aber 
das  Sehvermögen  noch  la»ge  Zeit  bei  diesem  Carcingm  \ingetrübt  bleibt,  so 
entschliessen  sich  selten  die  Kranken  dazu.  In  diesem  Falle  bleibt  nur  eine 
sanfte,  nicht  reizende  Cura  palllativa  übrig.     S.  Cancer. 

Gncatalepsi.S ,  Starrsucht,  s.  Catal«psis. 

Encauisis,  Verbrennung,  s.  Combustio.  •' 

Encepbalalg^ia,  Hirnleiden,  tiefer  KopfscTitherü  wegen  irgend  eines 
Hirnleidens  (s.  Cep  hal  algia) ;  daher  man  folgende  Arten  unterscheidet: 
Encejjhalalgia  cruenta ,  vitiosa,  fehricoines ,  hydropicn,  inf^nmmatoria ,  mecha- 
mca,  nervosa,  pUlJwrica,  purulenta,  traumatica,  je  nachdem  Bhitextravasat 
im  Gehirn ,    organische  Hirnfehler,    Fieber,    Hirnwassersucht,    I&nentzün- 


604  ENCEPHALELCOSIS  —  ENCHRISTUM 

düng,  Verletzung,  Eiterung,  Plethora  etc.  zum  Grunde  liegen.  iC^itTr'  Ist 
natürlich  nach  den  Ursachen  sehr  verschieden.  Kann  man  dieäfe  entfernen, 
60  verschwindet  das  Symptom  von  selbst. 

XJncephalelcosis,  inneres  Kopfgeschwür,  Hirngeschwür,  s.  In- 
flammatio  und  Malacosis. 

Encephalitis  9  Hirnentzündung.  Ist  im  engern  Sinne  blos  Entzün- 
dung des  Gehirns,  im  weitern  Sinne  auch  Entzündung  seiner  Häute;  s.  In- 
Clammatio  cerebri  et  meningum,  und  Hydrops  cerebri  acutus. 

'i  Encephalocele »  Hirnbruch,  s.  Hernia  cerebri  und  Fungus 
durae  m  at  r  is. 

EncephalodialysilS,  gänzliche  Auflösung  der  Hirnmasse  zu  breiar- 
tigem Wesen;  s.  Malacosiscerebri.  Andere  nennen,  weniger  richtig, 
ebenso  eine  tiefe  Verwundung  des  Gehirns.  ' 

Encephaloides,  Enccphalodes  (tumor  seu  massfi).  So  nennt  Xrten- 
nec  den  Markschwamm ,  weil  er  in  Hinsicht  der,  Structur ,  des  Ansehn«  und 
der  chemischen  AnälySe  mit  der  Hirnsubstanz  Ähnlichkeit  hat.  S.  Fungus 
medull  aris.  .    :  . 

Encephalolithiasis,  Steinbildung  im  Gehirn.  Steine  und 
Gries  hat  man  nicht  selten  im  Gehirn  Apoplektischer,  Epileptischer,  Wahn- 
sinniger etc.  gefunden ,  besonders  in  der  Zirbeldrüse.  Da  man  sie  aber 
häufig  auch  bei  Gesunden  angetroffen  hat ,  so  ist  man  über  ihre  pathologi- 
sche Bedeutung  noch  nicht  im  Reinen  (^Morgagni,  Lieuiaud,  BaiUie^  Gre- 
ding,  Portal,  Sömmcrring ,   IVenzeJ^. 

Encephalomalacia »  Gehirnerweichung ,  s.  Malacosis  ce- 
rebri. 

Encephalopathia,  Hirnleiden.  Ist  die  allgemeine  Benennung 
für  alle  pathologische  Zustände  des  Gehirns. 

Cjncepbaloplitharsia,  Verdcrbniss  des  Gehirns  durch  Erweichung, 
Eiterung  etc. ,  s.  Gastromalacia  und  Enteromalacia,  desgl.  Mala- 
cosisencephali. 

XiACephalophyma ,  Hirngeschwulst,  Aftcrproduction  im 
Gehirn.  Zuweilen  tritt  hier  die  Geschwulst  von  Innen  heraus  durch  die 
Hirnschale,  ist  schmerzlos,  weich,  umgrenzt,  und  von  äussern  Bedeckungen 
eingeschlossen.  Gewöhnlich  liegt  ein  tieferes  Leiden  zum  Grunde ,  daher 
das  Übel  meist  unheilbar  ist.  In  den  meisten  Fällen  ists  der  unheilbare 
Hirnschwamm,  falschlich  Hirnbr\ich  genannt  (s.  Füngus  durae  matris, 
cerebri). 

Encephalopyosis ,  s.  Abscessus  aurium. 

£ncephalorrha§^ia,  Hirnblutfluss,  z.B.  bei  Verletzungen  des 
Gehirns ;  auch  die  Blutergiessung  bei  Apoplexia  sanguinea ,  bei  Insultus  epi- 
lepticus  in  den  Hirnhölilen,  die  sich  durch  die  Symptome  des  Drucks  aufs 
Gehirn  zu  erkennen  giebt,  könnte  man  so  benennen.  Dieser  Druck  aufs 
Gehirn  erregt  keine  wirkliche  Schlafsucht ,  sondern  nur  Zufälle ,  die  dieser 
ähnlich  sehen  (s.  Schmäleres  Schrift  über  idiopathische,  chronische  Schlaf- 
sucht; Hirsf^iberg,  1829;  und  den  Artikel  Carus). 

Encephaloscopia ,  die  Untersuchung  des  Gehirns,  des 
Schädels,  welche  bei  Kopfverletzungen,  Commotio  cerebri,  bei  Extrava- 
sat im  Schädel  und  um  die  Nothwendigkeit  der  Trepanation  zu  erforschen, 
höchst  wichtig  ist.  S.  Auscultatio,  Commotio  cerebri,  Vulnus 
capitis,  cerebri. 

KincephaloBismu» ,  Hirnerschütterung,  s.  Commotio  cerebri. 

XInceplialotrauina,  Hirnwunde,  s.  Vulnus  cerebri. 

Eincharaxis,  das  Schröpfen,  s.  Scarificatio. 

Encliristuin.  Ist  ein  Mittel  zum  Einreiben,  ein  Liniment,  eine 
Salbe  etc. 


ENCLYSMA  —  ENTERODIALYSIS  605 

Knclysma,  das  Eingespritzte,  das  Klystier,  s.  Clysma. 

CLncoelialg^a,  Bauchschmerz,  Schmerz  im  Unterleibe.  Auch 
die  Bauchentzündung,  Entzündung  einzelner  oder  mehrei'er  Baucheingeweide 
(Encoelitis)  nennt  man  so. 

KncoelitiiS,  s.  Encoelialgia. 

Endemia»  die  Endemie,  d.i.  einheimische  Krankheit,  Lan- 
deskrankheit, welche  bestimmten  Gegenden  eigen  ist;  so  z.  B.  ist  der 
Weichseizopf  in  Polen,  die  Lepra  nodosa  in  Ägypten,  die  Tertiana  und 
Quartana  in  Holland ,  Seeland ,  Mantua  etc.  Morbus  cndemius ,  falschlich 
endemicus  genannt. 

Endermosiis,  Emlcrmismus,  die  Endermie,  d.  i.  die  Methode, 
mittels  der  endermischen  Manier  äusserlich  Arzneien  anzuwenden,  S.  Frictio» 

Slndodontitis »  s.  Odontalgia. 

Ejiidosmosiis ,  s.  Exosmosis. 

Enecea,  Enecin  {felris),  das  anhaltende  Fieber,  s.  Fe  bris. 

Enecbieiuia,  Bomhus,  Tinnitus  aurium,  Ohren  kl  in  gen.  Ist  Sym- 
ptom mancher  Nervenübel,  besonders  der  Hysterie,  Katalepsie,  Epilepsie, 
wo  es  dem  Insultus  kurz  vorherzugehen  pflegt.  Auch  bei  der  nervösen  und 
rheumatischen  Taubheit  quält  es  oft  Tage  lang  den  Kranken  (s.  Copho- 
ßis).  Am  häufigsten  ist  es  rheumatischer  und  katarrhalischer  Art,  Vorläu- 
fer des  Schnupfens.  Cur.  Innerlich  Antihysterica ,  Diaphoretica ,  Mittel 
gegen  die  Taubheit:  besonders  Vesicantia,  Derivantia,  das  Tragen  von 
Baumwolle  in  den  Ohren  etc. ,  je  nachdem  die  Ursache  verschieden  ist. 

dnerg^ia»  die  Thätigkeit,  Energie,  Thatkraft;  ein  häufig 
gebrauchtes  Wort  in  der  Pathologie,  das  auch  hier,  wie  im  gemeinen  Le- 
ben, Kraft  mit  Ausdauer,  sowol  körperliche  (besonders  im  Muskelsysteme), 
als  geistige  (Willenskraft,  Ausdauer)  bezeichnet. 

fingeisoma,  s.  Egizoma. 

Enorinon  (lö  ivoQfxdiv).  Ist  nach  Hippohrates  die  innere  Lebens- 
thätigkeit,  die  Lebenskraft ,  also  dasselbe,  was  HelmonVs  Archaeus,  StaJiVs 
Anima,  die  Vis  plastica  der  Scholastiker,  die  Vis  vitalis,  der  Grund  des 
Lebens,  das  unbekaante  X  desselben  ist. 

Knostosis,  Knochenwucherung  nach  Innen,  in  die  Markhöhle  hinein, 
s.  Exostosis. 

Enpiesma,  eingedrückte  Stelle,  z.  B.  am  Kopfe. 
Enteralg^ia  ,  Darmschmerz ,  s.  C  o  1  i  c  a. 
Enter algia  acuta,  inflammntoria.     Ist  Enteritis. 
Enter nlgia  physodes,     Ist  Colica  flatulent a. 

SJnterang^emphraxia ,  Verstopfung  der  Darmgefasse,  s.  In- 
farctus. 

Enterelcosis,  Darmgeschwür,  s.  Typhus  abdominalis. 

Euter epiplocele,  Netzdarmbruch,  s.  Hernia  inguinal] s. 

Enterepiplomptaalocele,  Netzdarmnabelbruch,  s.  Hernia  um- 

bilical  is. 

CSnteritifil»  Darmentzündung,  s.  Inflammatio  intestinorum. 

Enteritis  mesenterica ,  s.  Inflammatio  mesenterii. 

Enterocele,  Darmbruch,  s.  Hernia  intestinalis. 

Enterocystocele,  Darm-  und  Harnblasenbruch,  s.  Hernia  in- 
testinalis et  vesicalis. 

UnterocystOfilClieocele*   Ist  eine  Enterocystocele  im  Hodensacke. 

Enterodialysis ,  gänzliche  Durchtrennung  eines  Darms ,  z.  B. 
durch  Verwundung,  Brand;  s.  Vulnus  intestinorum  und  Hernia  in- 
carcerata. 


0^        ENTEROGASTROCELE  -  ENTHEOMANIA 

Knterog'ai^trocele ,  s.  iHernla  abdomirtalis.  '•'^ 

iBnterolitbiasis,    Steinbildung  im  Darmcanale,  fc^Ä   im 

Processus  veriuilorniis  ;  findet  zuweilen  bei  Status  pituitosus  statt^ 

SiBteromalacia,  gallertartige  Erweichung  und  daher  entstehende' 
Durchlöcherung  der  Gedärme;  s.  Gastromalacia. 

Cinteromerocele 9  s.   Hernia  cruralis. 

Enteromesenterica  (fehris).  So  nennt  Petit  die  Febris  adynä- 
Ituca,  die  Dothinenteria,  den  Typhus  abdominalis. 

Slnterompbalus,  Nadeldarrabruch ,  s.  Hernia  umbilico- in- 
testinalis. 

Sinteropatbia,  Darmlciden;  Gattungsname  für  alle  Krankheiten 
der  Eingeweide,  besonders  der  Gedärme. 

Enteropyria  {fehris),  das  Dar mentzündungsfi eher,  nach 
Alihcrt,  was  Baglivi  Febr.  mesenterica  und  Petit  Febr.  enteromesente- 
rica   nennen. 

!Kinterorrbag^ia,  Blutfluss  aus  den  Gedärmen,  z.  B.  bei  der 
Rtihr ,  bei  Hämorrhoiden ,  Melaena  etc. 

JBntero,sareocele»  Darmfleischbruoh ,  s.  Hernia  scrotalls  c&t-^ 
ridsa  und  Hernia  intestinalis. 

£iiter08Cbeocele ,  Darmhodensackbruch,   s.  Hernia  scrotalis. 

Knterospbigfina ,  Darmeinklemmung ,  s.  Ilöus,  Hernia  in- 
car  cerat  a. 

ESntei^tomia,  der  Darmschnitt,  auch  Laparo  -  Enter  oiotnin  ge- 
nannt. Ist  diejenige  wichtige  und  oft  gefahrvoll  ablaufende  Operation,  wo 
rakn  von  der  Bauchwandung  her  erst  die  Bauchhöhle  öffnet ,  und  alsdann  ir- 
gend einen  Darmtheil,  um  sich  zu  dessen  Höhle  einen  Weg  zu  bahnen. 
Geschieht  diese  Operation  am  Magen,  so  heisst  sie  Gastro  tomie  oder 
Laparo-Gastrotomie,  ists  das  Colon:  Colo  tomie.  In  einzelnen  Fällen 
nur  glückte  dieser  kühne  Eingriff  in  den  Organismus ,  in  den  meisten  war 
das  Resultat  dagegen  schlecht;  dies  ist  auch  der  Grund,  warum  Delpech 
diese  Operation  ganz  aus  dem  Gebiete  der  Chirurgie  verbannt  wissen  will, 
weil  so  häufig  Enteritis,  Peritonitis  und  Tod  darauf  folgt  (s.  Delpech,  Pre- 
cis  elementaire ,  Bd.  II. ,  p.  67  u.  f.).  Man  hat  als  Indicationen  da^u  ange- 
nommen verschiedene  Zustände:  1)  um  fremde,  durch  den  Mund  und  After 
eingedrungene  und  festsitzende  Körper,  wenn  sie  lebensgefährliche  Zufalle 
erregen  und  auf  andere  Weise  nicht  entfernt  werden  können ,  dadurch  weg- 
zuschaffen, z.  B.  Messer,  Stücke  von  Holz,  Knochen,  Glas,  Gabeln,  Nä- 
gel, Steine,  Münzen,  Obstkerne;  2)  um  organische  Stricturen,  Verwach- 
sungen des  Darmcanals  wegzuschaffen ,  z.  B.  bei  hohen  Stricturen  des  Mast- 
darms (^Pring  in  London  med.  and  physical  Journ. ,  Jan  1831 ;  Rusl's  Ma- 
gazin, Bd.  XIII.  S.  105).  3)  Um  Entartung  und  Brand  des  Darmcanals 
bei  eingeklemmten  Brüchen  zuvorzukommen.  4)  Bei  Atresia  ani  und  völli- 
gem Marigel  des  Rectums.  Bei  3  und  4  sind  die  Indicationen  ganz  vorzüg- 
lich gerechtfertigt ,  bei  2  ist  der  Ausgang,  ebenso  wie  bei  1,  sehr  unge- 
wiss. —  Ein  hoher  Grad  von  Entzündung ,  Schw  äche ,  Entkräftung  und  die 
Ungewissheit  über  den  Sitz  des  verschluckten  fremden  Körpers  sind  Con- 
traindicationen.  Das  ganze  Verfahren  bei  und  nach  der  Operation  bis  zur 
Heilung  hat  F.  A.  Wilde  in  Rusfs  Handb.  der  Chirurgie,  Bd.  VI.  S.  248  — 
256  genau  angegeben.  Dass  oft  zwei  und  mehrere  Fuss  Länge  der  Ge- 
därme ohne  Schaden  entfernt  werden  können,  hat  noch  kürzlich  mein  akade- 
mischer Freund,  Dr.  Steinmetz,  bewiesen  (s.  Rust^s  Magazin,  1828). 

Bnterydrocele »  ein  Darm-  und  Wasserbruch.  Hier  sind  die 
Symptome  der  Hydrocele  und  Hern,  intestinalis. 

Entbeomania »  der  religiöse  Wahnsinn.  Ist  eine  Art  Fana- 
tismus,  der  sich  nur  auf  religiöse  Gegenstände  bezieht,    denn  in  Beziehung 


ENTOPH'FÖALMIA  —  EPAGOGHTIS  607 

atif  andere  ÖInge  sind  die  Kranken  oft  ganz  vernünftig.  Ursachen  sind: 
Ausschweifungen  in  Venere,  zumal  in  der  Jugendzeit,  einseitige  Geistesbil- 
dung, der  Umgang  mit  unsern  modern«»,  von  Heuchelei  und  Scheinheilig- 
keit eingenommenen  Pietisten.  Cur.  Umgang  mit  vernünftigen,  prakti- 
schen Menschen,  viel  Körperarbeit,  das  Studium  der  Geographie,  Weltge- 
schichte und  Physik ,  Musik. 

EJntophthalmia.     Ist  Ophthalmia  interna. 

Entophthalmorrboea.     Ist  Blutiluss  aus  dem  Innern  des  Auges. 

Entotorrhoea.     Ist  Otorrhoea  interna. 

£ntoxicatio,  Vergiftung,  s.  Intoxicatio. 

Entoxicismus,  Entoxismus,  Vergiftung,  s.  Intoxicatio. 

Slntozoogenesis.     Ist  Erzeugung  der  Eingeweidethiere. 

Entropium,  Palpebrarum  plosis ,  Einwärtskehrung  der  Au- 
genlider. Jst  das  Gegenstück  zum  Ectropium,  kommt  häufig  an  beiden 
Augenlidern ,  besonders  bei  armen  Leuten  vor ,,  die  sich  bei  Augenübeln 
nicht  gehörig  schonen  können  und  sich  dabei  viel  im  Freien  beschäftigen 
müssen;  desgleichen  bei  sitzender  Lebensart,  bei  Schreibern ,  Gelehrten. 
Meist  bildet  sich  das  Übel  allmälig ,  dauert  dann  Jahre  lang ,  wird  erst  be- 
schwerlich und  gefährlich  durch  hinzukommende  Trichiasis,  wo  dann  durch 
den  Reiz,  den  die  Augenlidhaare  auf  den  Bulbus  machen,  Corneitis ,  oft 
völlige  Verdunkelung  der  Hornhaut  folgt.  Ursachen.  Man  hat  als  solche 
Verlängerung  der  äussern  Haut  des  Augenlides ,  zu  starke  Krümmung  des 
Tarsus  angesehen ,  was  aber  mehr  Folge  als  Ursache  ist.  Die  vorzüglichste 
Ursache  ist  zu  grosse  Empfindlichkeit  für  Licht  durch  vorangehende  Ent- 
zündung ,  wodurch  Krampf  und  ein  Übergewicht  des  Musculus  orbicularis 
im  Gegensatze  zum  Levator  palpebr.  errfegt  wird  (Himly).  In  seltenen  Fäl- 
len ist  Atrophia  ocuK ,  äussere  Geschwulst  des  Augenlides  Schuld.  Cur. 
Man  verhütet  das  Übel  am  besten  dmrch  richtige  Behandlung  jeder  Augen- 
entzündung. Oft  liegt  dieser,  wie  dem  Entropium ,  Gicht,  Scrophulosis  zum 
Grunde,  deren  innere  Behandlung  die  Hauptsache  ist,  sowie  das  Abhalten 
der  Lichtstrahlen ,  sobald  bei  Angenentzündungen  Lichtscheu  stattfindet.  Um 
das  Entropium  zu  heilen ,  operirt  man  es  gewöhnlich  so ,  dass  man  ein  ei- 
rundes Stück  aus  dem  Augenlide  schneidet  und  es  dann  mit  Nadel  und  Fa- 
den genau  heftet,  wodurch  das  Augenlid  schmaler  wird.  Häufig  hilft  aber 
alles  Operiren  ohne  die  innere  Behandlung  des  Grundübels  nichts.  A\ich  die 
Versuche,  das  Augenlid  durch  Heftpflaster  anhaltend  nach  Aussen  zu  ziehen, 
fruchten  oft  wenig,  leisten  meist  nur  palliative  Hülfe;  selbst  die  Methode, 
den  Tarsus  durchzuschneiden ,  ist  nicht  immer  wirksam.  Zuweilen  ist  Er- 
schlaffung und  Ausdehnung  der  äussern  Hautdecken  und  vielleicht  auch  des 
Hebemuskels  des  obern  Augenlides  die  Ursache  des  Entropiums.  Hier  ätzt 
man  mit  ein  paar  Tropfen  Acid.  sulphuric.  concentr.  Y4  Zoll  weit  vom  Rande 
des  Augenlides  die  äussere  Haut  in  einem  schwachen  Querstriche.  Man 
trägt  die  Säure  mit  einem  Glasstäbchen  auf  und  sorgt,  wenn  es  das  Ober- 
augeiilid  ist,  dafür,  dass  das  Auge  durch  hinreichende  Charpiebedeckung 
vor  der  Säure  völlig  geschützt  ist.  Während  der  Einwirkung  der  Säure 
wird  das  Augenlid  ein  paar  Minuten  vom  Augapfel  ab-  oder  aufwärts  ge- 
zogen. Ein  weiterer  Verband  ist  unnöthig ;  die  sich  bildende  Kruste  fällt 
nach  6 — 10  Tagen  ab.  Leichte  Grade  des  Übels  sind  durch  einmalige 
Ätzung  geheilt;  in  schlimmem  Fällen  wird  dieselbe  wiederholt  (s.  HelHmjf 
Handb.  d.  Augenkrankheiten,  Bd.  I.  S.  S09',  Hufeland'' s  Journ. ,  Bd.  XL. 
S.  98).  —  Ist  ein  Tumor  cysticus  auf  der  äussern  Fläche  der  Augenlider 
Schuld,  so  muss  man  diesen  exstirpiren;  ist  Ödem  Ursache  des  Entropiums, 
so  zertheilt  man  dieses  durch  aromatische  und  spirituöse  Infusionen. 

Enucleatio«  s.  Amputatio. 

Enuresis,  Unvermögen,  den  Harn  zu  halten,  s.  Incontinentia 
urinae. 

Epag^ogUtis.     Ist  Inilammatio  praeputü. 


608  EPANASTASIS  —  EPHEMERA 

EpanatstasiSy   das  Aufstehen,   Erheben,    daher  der  Ausbruch  d- 

nes  Exanthems,  das  Entstehen  einer  Geschwulst. 

Eplielcis.     Ist  die  Decke,  der  Schorf  eines  Geschwürs  (^Galen). 

£plielides«  Vitiligines ,  Lentigines,  Phaci  (fPaxoi),  Maculae  solares, 
Sommerflecken,  Sommersprossen.  Sind  die  bekannten  gelbbräun- 
lichen Hautflecke,  die  bei  Personen  mit  zarter  Haut  im  Sommer  an  unbe- 
deckten Theilen:  im  Gesichte,  am  Halse,  an  den  Armen  vorkommen,  und 
im  Winter  meist  wieder  verschwinden.  C  u  r.  Das  wichstigste  Mittel  ist, 
dass  man  die  Sonne  abhält,  dass  man  sich  durch  weisse  leinene  Tücher, 
durch  weisse  Sonnenschirme  schützt.  Ausserdem  räth  man  an  :  das  Einrei- 
ben der  Haut  mit  reinem  Mandelöle,  das  Waschen  mit  Aqua  petroselini,  mit 
Serum  lactis,  mit  Lac  sulphuris;  noch  wirksamer  ist  eine  Solutio  aluminis, 
oder  Vitrioli  albi ,  oder  eine  schwache  Sublimatsolution  ;  desgleichen  :  V^f  Spi- 
rit.  catnphornt.  51,   Emuls.  amggdalar.  y].    M.  S.     Unter  das  Waschwasser 

1  Esslöffel  voll  zu  mischen.  Das  Waschen  mit  Milch,  mit  Flusswasser,  mit 
Boraxsolution ,  und  daneben  alle  Abende  das  Einreiben  der  Haut  mit  Opo- 
peldoc ;  desgleichen :  ^>  E7nuls.  anvjgdal.  nmarar.  et  dulc.  ^yj ,  Bnracis  ve~ 
netße  3jj-  M.  S.  Davon  täglich  2  Esslöffel  voll  unter  das  Wasch wasser 
(^KJees)  zu  mischen,  wird  sehr  empfohlen.  Sehr  ähnlich  sind  den  Sommer- 
sprossen die  grössern  Leberflecke  (Chloasma,  Maculae  hepaticae},  die  ebenso, 
wie  jene,  einzelne  Hypercarbonisirungen  der  Haut  sind.  Bei  Frauenzimraeni 
hängen  sie  oft  mit  Menstruationsfehlern  zusammen  (Chloasma  amenorrhoi- 
cum),  sowie  überhaupt  mit  Störungen  in  der  Function  der  Leber,  wogegen 
innere  Mittel  zu  gebrauchen  sind.  Die  äussere  Behandlung  ist  die  der  Som- 
mersprossen. Zuweilen  ist  hier  das  Waschen  mit  Acid.  muriat.  oxygenat. 
sehr  wirksam  (Af.).  Die  Cur  der  Sommerflecken  bleibt  trotz  der  Menge 
der  dagegen  gerühmten  Mittel  oft  erfolglos.  Am  besten  ists  sie  bei  Perso- 
nen ,  die  im  Sommer  daran  leiden ,  im  Frühling ,  wo  sie  meist  zuerst  durch 
Einwirkung  der  Sonnenhitze  wieder  kommen,  zu  verhüten.  Man  wäscht 
deshalb  das  Gesicht  häufig  mit  kaltem  Wasser,  worin  Eiweiss  xaii  etwas 
Alaun  oder  Saccharum  satumi  aufgelöst  ist.  Sind  sie  schon  da,  so  wirkt 
P.  FranVs  Massa  abstergens  oft  sehr  gut.  Sie  besteht  aus  Folgendem: 
I^  Amygdal.  amarar.  cont.  ^jjj,  Nucleor.  pini  gjj,  Meli,  depur.  ^j,  Vitell. 
ovor.  Nr.  II.  Mise.  S. ,  davon  täglich  eine  Bohne  gross  in  warmem  Wasser 
zu  lösen  und  das  Gesicht  etc.  damit  zu  waschen.     Zugleich  ist  es  gut,  alle 

2  —  3  Tage  ein  gelindes  Laxans  aus  Crem,  tartari ,  Flor,  sulphuris  und 
Rheum,  bei  vollblütigen  Personen  nur  aus  Sal  Glauberi  zu  geben.  Berthold 
(Lehrbuch  der  Physiologie  des  Menschen ,  Th.  II.  S.  505)  sagt :  ,,Ich  habe 
öfters  Sommersprossen  so  exstirpirt,  dass  ich  mit  einem  Messer  Epidermis 
und  Rete  Malpighi  zerstörte,  worauf  dann  hinterher  stets  eine  weisse,  nie 
eine  gelbe  Farbe  entstand."  Bei  sehr  zahlreichen  Sommersprossen  möchte 
indessen  diese  Operation  etwas  Zeit  erfordern  und  viel  Schmerz  machen. 
Über  die  Entstehung  dieses  Hautübels  sagt  Berthold  (a.  a.  O.  Th.  I.  S.  378): 
„Die  Sommersprossen  entstehen  nur  an  Hautstellen ,  an  welchen  ein  ausge- 
tretenes Tröpfchen  Schweiss  vermöge  seiner  sphärischen  Gestalt  die  Licht- 
strahlen in  einem  Focus  bricht,  welcher  gerade  in  das  Malpighische  Schleim- 
netz fallt."  Alsdann  könnte  man,  was  zu  versuchen  wäre,  auch  mittels  ei- 
nes Brennglases  durch  die  Sonnenstrahlen  Sommersprossen  machen.  —  Nach 
C.  O.  Neumann  (Krankheiten  des  Menschen,  Bd.  III.  Berlin,  1834)  ver- 
hütet und  heilt  das  Waschen  mit  Tinct.  hellebori  albi ,  dreimal  täglich ,  so- 
■wol  Sommersprossen  als  Leberflecke.  Rothe  Flecke  vergehen  nach  Kam- 
pherspiritus, kommen  sie  bei  alten  Personen  vor,  so  nützt  die  Salbe  aus 
Plumbum  tannicum.  Gegen  den  nicht  von  Innern  Ursachen  herrührenden 
Kupferausschlag  lobt  Neumann  Einreibungen  von  Opodeldoc.  S.  auch 
Cosmetica. 

Ephelides  scorbuticae,  sijphiliticac ,  mercuriales,  s.  Scorbutus  und  Sy- 
philis. 

Ephemera«  eintägiges  Fieber  mit  gelind  synochischem  Charakter; 
8.  Febris  ephemera. 


EPHIALTES  —  EP1DIDY3IITIS  609 

EpJiemera  infammnioria,  Ist  der  höhere  Grad  der  Ephemera;  s.  Fe- 
bris  iiiflammatoria. 

Slphialtes.  Alpdrücken,  s.  Asthma  nocturnum. 
EplkiArosis»  starkes  Schwitzen,  übler,  nicht  kritischer  Schweiss 
wegen  Schwäche  des  Körpers  und  besonders  des  Hautorgans,  z.  B.  im  Sta- 
dium colliquativum  der  Phthisis  pulmonalis,  der  Tabes,  Febris  hectica.  Cur. 
Man  behandle  das  Grundübel.  Einige  Tassen  Salbeithee,  Abends  kalt  ge- 
trunken ,  sind  hier  gegen  die  schwächenden  Schweisse  oft  sehr  nützlich. 

Kpiala  (febris),  ein  bösartiges  Fieber  mit  heftigem  Froste  und 
(oft  gleichzeitiger)  gelinder  Hitze. 

Kpicanthiis.  So  nennt  v.  Amman  (s.  dess.  Zeitschrift  f.  Ophthalr 
mologie  Bd.  I.  Hft.  4.  S.  533)  einen  meist  angebornen  Fehler  des  innern 
Augenwinkels,  wo  wegen  Überfluss  an  Gesichtshaut  sich  auf  dem  Augen- 
winkel eine  Falte  bildet,  wodurch  das  Öffnen  der  Augen  beschwerlich  wird. 
Er  wendet  dagegen  mit  Glück  eine  Operation  an ,  die  er  RJiino^rnphe  nennt 
und  a.  a.  O.  beschrieben  hat. 

Epicerastica  (^remedia},  mildernde,  verdünnende  Mittel,  s.  Di- 
luentia.  . 

Kpicophosis  ,  Taubheit,  als  Folge  anderer  vorhergegangener  Krank- 
I>piten,  z.  B.  des  Typhus;  s.  Cophosis. 

Eptcrasis,  d.  i.  langsames  Zumischen;  die  Methode,  durch 
allmälige  gelinde  Abführungen,  kleine  Aderlässe  die  wirklichen  oder  ver- 
meintlichen Schärfen   in  den  Säften   nach  und  nach   zu  verdünnen. 

Xipicrisis,  die  Epikrise.  Ist  die  wissenschaftliche  Beurtheilung 
eines  Krankheitsfalles  in  Hinsicht  auf  Ursprung,  Ausbildung,  Charakter,  Be- 
handlung und  Ausgang  der  Krankheit.  Seltener  gebraucht  man  das  Wort 
für  diejenigen  Erscheinungen,  welche  zu  einer  bereits  erfolgten  Krise  hin- 
zutreten. 

Epicyeina.  Ist  eine  Mola  neben  einer  Leibesfrucht;  ein  seltener  Fall. 
EpicyesiSj  Überfruchtuhg,  s.  Superfoetatio. 
Epidciiiia,  die  Epidemie,  Volkskrankheit.  Die  epidemischen 
Krankheiten  entstehen  von  allgemein  wirkenden  Ursachen,  können  zu  allen 
Jahreszeiten  herrschein ,  bald  nur  in  einem  Orte ,  bald  in  mehreren  Ländern 
und  Gegenden,  selbst  in  ganzen  Welttheilen,  wovon  die  Influenza  und  Cho- 
lera orientalis  Beweise  geben.  Sie  ergreifen  bald  nur  ein  gewisses  Alter 
und  Geschlecht,  bald  jedes  Alter,  sind  bald  gelind,  bald  geföhrlich;  wo  sie 
dann  die  grössten  Zerstörungen  unter  dem  Menschengeschlechte  laut  der 
Geschichte  anrichteten  und  noch  anrichten.  Häufig  liegt  ihnen  ein  thieri- 
sches  Gift,  ein  Ansteckungsstoff,  der  von  einem  thierischen  Organismus  zum 
andern  übertragen  wird  (Contagium),  zum  Grunde,  ebenso  oft  aber  auch 
nur  eine  schädliche  Lnftbeschaffenheit  (Miasma),  ja  es  giebt  Epidemien, 
die  zugleich  miasmatisch  und  contagiös  sind.  So  z.  B.  ist  die  epidemische 
Ruhr  zu  Anfange  meist  miasmatisch,  wird  aber  durch  zufällige  Schädlich- 
keiten später  oft  contagiös,  ebenso  ists  mit  Scarlatina,  Keuchhusten  und 
Cholera  asiatica  der  Fall.  Ob  überhaupt  Contagium  und  Miasma  in  der 
Natur  so  streng  geschieden  sind,  als  in  uusern  ins  Abstracte  gehenden  Com- 
pendien,,  dies  ist  noch  eine  grosse  Frage.  Unter  die  epidemischen  Übel 
rechnen  wir:  Pest,  Cholera  morbus,  gelbes  Fieber,  bösartige  Typhus-  und 
Faulfieber ,  Petechialfieber  (KriegSpest)  ,  Blattern ,  Masern ,  Scharlach  ,  Rö- 
thein, Varicellen,  Varioloiden,  die  Frühlings-  und  Herbstkatarrhalfieber, 
Schleimfieber ,  Gallenfieber ,  den  epidemischen  Katarrh  (Influenza) ,  manche 
Arten  von  Angina,  die  Surapffieber  (wenn  sie  ihre  endemische  Grenze  über- 
schreiten), die  Frühlings-  und  Herbstwechselfieber  etc.  (s.  auch  Morbus, 
Contagium,  Miasma). 

-  I  EpididyniitiiS , '  entzündliche  Anschwellung  des  Nebenhoden.  Ist 
häufig  neben  der  Entzündung  des  Testikels  da  (s.  Inflam matio  tcsti- 
culi  und  Gonorrhoea).  ' 

Most  Encyklopädie.  2te   Aufl.   1.  39 


610  EPIDROME  —  EPILEPSIA 

Epidromc»  Congestion  der  Säfte,  besonders  des  Blutes;  s.  Con- 
gestio. 

SJpigenesis,  die  spätere  Erzeugung,  das  Hinzutreten  einer 
Krankheit  zu  einer  andern,  die  beständig  fortdauernd  gedachte  neue  Erzeu- 
gung, wie  z.  B.  bei  der  Generatio  aequivoca.  Da  das  Leben  ein  fortwäh- 
rendes Leben  und  Streben,  Schaffen  und  Zerstören,  also  ein  ewiges  Wer- 
den ist,  so  muss  dies  auch  beim  kranken  Leben,  also  bei  den  Krankheiten 
der  Fall  seyn.  So  ist  demnach  jede  Krankheit  etwas  Werdendes,  in  "Bil- 
dung oder  Rückbildung  stets  Begriffenes ,  ein  eignes  Seyn ,  ein  niederer 
Lebcnsprocess,  der  nicht  an  sich,  nur  durch  Krankheitssymptome  erkennbar 
iit,  deren  Wechsel  (Zunahme,  Abnahme)  für  das  raschere  oder  langsamere 
Leben  der  Krankheit  zeugt,  und  absoluter  Stillstand  ist  bei  der  Krankheit 
nicht  denkbar.  Wie  wichtig  die  Epigenese  der  Krankheiten  für  den  prakti- 
schen Arzt  ist,  bedarf  daher  keines  Beweises.  Sie  erinnert  ihn  daran,  dass 
er  am  Krankenbette  nie  die  Krankheit  ebenso  finden  kann,  als  sie  in  den 
Handbüchern  der  Medicin  beschrieben  steht,  dass  letztere  nur  ein  Bild,  ein 
Schema  der  Krankheiten  entwerfen  können ,  welches  den  Krankheiten  in  der 
Natur  mehr  oder  weniger  ähnlich  sieht,  dass  die  Natur  die  Krankheiten 
nicht  so  trennt ,  als  dies  behufs  der  Wissenschaft  in  den  Schriften  der  Ärzte 
geschehen  muss,  dass  sich  in  der  Natur  nirgends  Gattungen  und  Arten  der 
Krankheiten  finden ,  sondern  dass  diese  nur  reine  Verstandesbegriffe  sind, 
wodurch  ein  gewisser  Zustand  der  Lebensmetamorphose,  keinesweges  das 
Leben  selbst  bezeichnet  A-vird,  Welcher  Arzt  wird  z.  B.  nicht  unter  den 
Kyanosen :  venöse  Congestionen ,  venöse  Blutungen ,  Petechiae  secundariae, 
Morbus  haemorrhag.  Werlhofii,  Stomacace  scorbutica,  Scorbut  etc.,  dem 
Wesen  nach  eine  Krankheit  erkennen,  die  nur  dem  Grade  nach  verschieden 
ist?  Ebenso  ists  der  Fall  mit  vielen  andern  Krankheitsgruppen.  Die  Epi- 
genese lehrt  ferner,  dass  es  die  erste  Pflicht  des  Praktikers  sey,  sich  nicht 
durch  Nebensymptorae,  die  in  der  nächsten  Stunde  von  selbst  verschwunden 
seyn  können,  von  der  Hauptsache,  von  den  wesentlichen  Symptomen  der 
Krankheit  ableiten  zu  lassen  und  ein  unglückliches  symptomatisches  Heilver- 
fahren in  Anwendung  zu  bringen,  das  der  Ursache,  dem  Wesen  der  Krank- 
lieit  nicht  entspricht,  das  Übel  selbst  vvol  hartnäckig,  ja  tödtlich  macht  etc. 

S^pig^lottitis,    Kehldeckelentzündung,    s.    Angina    epiglottidea. 

Slpij^^lottorrhag^ia,   s.  Haemorrhagia  pulmonum. 

Sipilppsia,  Mor'btis  caducjt^ ,  comithiUs^  herculens,  lu7iniicits ,  sacvr, 
d'wintis,  viridellits,  Calopto^is,  Ahhp.rin,  Anrilepsin,  F'allsuclit,  Epilepsie, 
Jammer,  böses  Wesen,  schwere  Noth.  Diese  traurige  Krankheit, 
die  so  häufig  durch  ihre  Hartnäckigkeit  und  Unheilbarkeit  aller  Kunsthülfe 
Trotz  bietet,  war  seit  vierzehn  Jahren  ein  Gegenstand,  den  ich  näher  zu 
erforschen  und  zu  behandeln  vielfache  Gelegenheit  halte  (s.  meine  Schriften: 
„Über  ein  neues  etc.  Heilmittel  der  Epilepsie  etc.  Hannover  1821"  und: 
„Über  die  Heilkräfte  des  Galvanismus  etc.  Lüneburg  1823;"  desgleichen 
Leipz.  Abhandlungen  f.  prakt.  Ärzte.  18  ?5.  Bd  VRI.  St.  4  u.  5;  Hom's 
Archiv,  1825.  Mai-  u.  Juni-,  Juli-u  Augustheft).  Ich  werde  hier  daher 
das  Pathologische  und  Therapeutische  des  Übels  zuerst  schulgerecht  skizzi- 
ren,  und  alsdann  meine,  an  mehr  als  400  Epileptischen  gemachten  Erfah- 
rungen in  der  Kürze  der  Hauptsache  nach  folgen  lassen.  Die  herrliche 
Schrift  PorlaVs  über  diese  Krankheit,  übersetzt'  1828  von  Dr.  HiUc,  empfehle 
ich  ganz  besonders  zum  Nachlesen.  —  Die  Epilepsie  ist  eine  sogenannte 
periodische  Nervenkrankheit,  die  bald  grössere,  bald  kleinere  freie  Zwi- 
schenräume macht,  so  dass  der  epileptische  Aufall  bald  nur  alle  2  —  3  Mo- 
nate, bald  nur  alle  4,  3,  2  Wochen,  bald  alle  8  Tage,  bald  täglich  ein- 
oder  mehreremal  eintritt.  Der  Anfall  äussert  sich  bei  ausgebildetem  Übel 
(Epil.  perfecta)  durch  Mangel  an  Empfindung  und  Bewusstseyn,  und  durch 
eine  Verbindung  tonischer  und  klonischer  Krämpfe  (s.  Spasmus).  Sym- 
ptome. Sie  sind  theils  solche,  welche  constant  sind  (Habitus  epilepticus, 
spaäticus),   theils  solche,  die  den  Anfällen  vorhergehen,   theils  solche,    die 


'  EPILEPSIA  611 

den  Paroxysmus  bezeichnen.  Die  Physiognomie  des  Krampfes  ist  auch  bei 
Epileptischen  wahrzunehmen,  wenn  das  Übel  schon  alt  ist  (s.  Spasmus). 
Vorboten  des  Anfalls.  Nicht  immer  geht  ein  Stadium  prodromorum  vor- 
her, das  in  prognostischer  Hinsicht  wichtig  ist,  indem  es  gerade  bei  den 
schwersten  und  unheilbai'sten  Fällen  fast  immer  fehlt,  in  leichtern  Fällen 
dagegen  niemals  mangelt.  Es  kündigt  sich  an  durch  schwere  Träume, 
düstere  Laune,  Verdriesslichkeit,  Ideenverkehrtheit,  Unbesinnlichkeit,  Drän- 
gen zum  Urinlassen,  kleine  Zuckungen  der  Zunge,  der  Gesichtsmuskeln, 
Lebhaftigkeit  oder  Trübsinn,  ungewöhnliche  Gesichtsröthe ,  Aufgeregtheit, 
Sinnestäuschungen  ,  Schielen ,  Flammensehen ,  Ohrensausen ,  Ameisenkriechen 
in  den  Gliedern,  mit  dem  Gefühle,  als  stiege  ein  gelinder  Wind  herauf 
(Aura  epileptica),  der  bald  kalt,  seltener  warm  ist  und  bis  zum  Herzen, 
bis  zum  Kopfe  geht,  oft  in  den  Füssen,  häufig  auch  in  den  Händen,  meist 
nur  an  einer  Seite  beginnt  und  dem  wahren  Insultus  kurz  vorhergeht.  Die- 
ser tritt  mit  dem  zweiten  Stadium  (Stad.  convulsivum)  ein.  Die  häufigsten 
Zeichen  desselben,  wovon  eins  oder  das  andere  in  einzelnen  Fällen  fehlen 
kann,  sind  diese:  der  Kranke  bekommt  tonische,  später  klonische  Krämpfe, 
verzerrt  das  Gesicht,  verdreht  Kopf,  Hals  und  Glieder  krampfhaft  nach  ei- 
ner, meist  nach  der  linken  Seite,  wird  blass,  braun,  blau  im  Gesichte, 
schreit,  heult  und  stürzt  zur  Erde  nieder.  Das  Auge  ist  in  heftigem  Kräm- 
pfe, steht  starr  nach  oben  oder  zur  Seite,  oder  rollt  langsam  in  der  Orbita, 
der  Mund  ist  meist  verschlossen,  die  Zähne  stehen  fest  auf  einander,  zer- 
quetschen oft  die  Zunge,  oder  der  Mund  steht  offen,  ist  verzogen,  verzerrt, 
meist  nach  der  linken  Seite  hin ,  der  Puls  geht  anfangs  höchst  langsam, 
oder  ist,  wie  das  Athmen,  mehrere  Secunden  lang  unterdrückt,  geht  später 
schnell,  klein,  die  Respiration  wird  ängstlich,  schnell,  am  Ende  des  An- 
falls mit  Stöhnen ,  Seufzen  verbunden.  Viele  Kranke  haben  die  Daumen 
eingeschlagen  und  Schaum  vor  dem  Munde.  Die  Convulsionen  sind  höchst 
verschieden,  von  den  leichtern  klonischen  Krämpfen  bis  zum  Tetanus,  Em- 
prosthotonus ,  Opisthotonus,  Pleurothotonus ;  die  Empfindung  und  das  ße- 
wusstseyn  fehlen  während  des  Anfalls,  der  Vs,  V4»  %  his  %  Stunden  währt, 
gänzlich.  Am  Ende  desselben  tritt  das  Stadium  soporosum  ein.  Die  Kräm- 
pfe haben  nun  bedeutend  nachgelassen,  der  Kranke  ist  in  hohem  Grade 
reizlos,  unempfindlich;  er  versinkt  in  einen  tiefen,  schnarchenden  Schlaf, 
der  oft  eine  halbe,  oft  mehrere  Stunden  anhält.  Der  Puls  wird  nun  regel- 
mässiger, voller,  es  tritt  ein  copiöser,  ammoniakalischer,  höchst  widerlich, 
riechender  Schweiss  ein,  dabei  Leibkollern,  Ructus,  Flatus,  oft  Erbrechen 
von  grasgrüner  Galle,  verstörter  Blick,  beim  Erwachen  grosse  Mattigkeit, 
Unbesinnlichkeit,  oft  stammelnde  Sprache.  Prognose.  Ist  im  Allgemei- 
nen sehr  schlimm.  Die  Krankheit ,  wovon  der  Anfall  nur  ein  Hauptsyniptom 
ist,  kann  viele  Jahre,  ja  das  ganze  Leben  hindurch  währen;  der  Tod  er- 
folgt häufig  durch  Apoplexie,  besonders  im  Frühling,  wo  die  Anfälle  am 
heftigsten  zu  seyn  pflegen,  desgleichen  zur  Zeit  des  Herbstäquinoctiums. 
Eintheilung.  Man  hat  eine  acute  und  chronische,  eine  typische  und 
atypische,  symptomatische,  kritische  und  idiopathische,  eine  Epilepsia  cere- 
bralis ,  abdominalis  ,  extremitatum ,  haereditaria ,  acquisita  etc.  angenommen, 
welche  Eintheilungen  bald  mehr,  bald  weniger  praktischen  Werth  haben 
(s.  unten  die  Aphorismen),  Ursachen.  Das  Wesentliche  der  Krankheit 
ist  Krampf,  der  vorzüglich  vom  Gehirn  ausgeht ,  oder  wenigstens  hier  oder 
im  Rückenmarke  seinen  Sitz  hat.  Die  von  Greding ,  Morgagni,  Wenzel, 
Esquirol  u.  A.  zahlreich  angestellten  Leichenöffnungen  zeigten  häufig  bedeu- 
tende Abnormitäten:  seröse,  blutige  Extravasale,  Mürbheit  der  Hirnmasse, 
verdickte  Hirnhäute,  Verdickung  und  schiefe  Stellung  der  Ossa  cranii.  Ver- 
knöcherungen der  Fortsätze  der  Dura  mater,  Hydatiden  in  der  Arachnoidea 
etc. ,  im  Gehirne ;  doch  fehlten  sie  in  andern  Fällen  gänzlich ;  häufig  waren 
sie  unstreitig  nur  Folge  des  jahrelangen  Übels.  Auch  in  der  Brust  -  und 
Bauchhöhle  fanden  sich  nicht  selten  organische  B^ehler  vor.  Reizbare, 
schwächliche,  zarte  Subjecte,  das  Kindesalter  und  das  weibliche  Geschlecht 
geben  im  Allgemeinen    wol   die  meiste  Anlage   zur  Epilepsie,   doch  finden 

*39  * 


612  EPILEPSLi 

wir  auch  hfir.fi{2;  recht  robuste,  voUsaflige  Männer  daran  leiden,  besonders 
da,  wo  das  Übel  erblich  ist  und,  wie  die  ßrfahrung  lehrt,  dann  oft  viele 
Glieder  einer  Familie  befällt.  Gelegenheitsursachen.  Sind  höchst  verschie- 
den und  thells  locale,  aufs  Gehirn  einwirkende,  theils  allgemeine,  die  das 
ganze  Nervensystem  pathologisch  afficiren.  Zu  den  erstem  gehören  die 
.schon  genannten  organischen  Fehler  des  Gehirns:  Verwundungen  desselben 
durch  Schlag,  Hieb,  Sturz;  Encephalitis  mit  ihren  verschiedenen  Ausgän-. 
gen;  zu  den  letztern  rechnen  wir  heftige  Leidenschaften:  Schreck,  Zorn, 
Freude,  Furcht;  Entzündungen  nervöser  Theile,  exanthematische  Krank- 
heiten, schwächende  Einliüsse  durch  Onanie,  Wollust,  übermässiges  Studi- 
ren, Trinksucht,  unterdrückte  Blutungen,  Gicht,  Rheumatismus,  plötzlich 
geheilte  Geschwüre,  chronische  Exantheme,  Intestinalwürmer,  Fehler  der 
Digestionsorgane  etc.  Auch  die  Pubertätsperiode  begünstigt  bei  Habitus 
spasticus  das  Übel.  Cur.  Man  suche  1)  das  ätiologische  Verhältniss  der 
Krankheit  auf  und  hebe  die  entfernten  Ursachen.  Dies  ist  aber  leider  nach 
dem  gegenwärtigen  Standpunkte  der  Heilkunst  nicht  immer  möglich  und  wir 
müssen  häufig  uns  auf  die  rein  empirische  Cur  beschränken  (s.  Spasmus), 
2)  Man  suche  die  einzelnen  Anfälle  zu  vex'hüten ,  sobald  sich  die  Vorboten 
derselben  einstellen.  Die  nächste  Ursache  des  Insultus  ist  Congestion  zum 
Kopfe,  4ie  selbst  bei  wenig  blutreichen  Subjecten  bemerkt  wird.  Man  ver- 
hüte, daher  Alles ,  was  Congestion  befördert:  Gemüthsbewegungen ,  heftige 
Körperbewegung,  geistige  Getränke,  reizende  Nahrung,  Leibesverstopfung; 
setze  bei  rothem  Gesichte  einige  Blutegel  an  den  Kopf,  verordne  gelinde 
Laxanzen,  reizende  Klystiere,  reizende  Senffussbäder ,  innerlich  viel  Limo- 
nade, Zuckerwasser,  Cremor  tartari.  Zuweilen  verhütet  ein  Vomitiv  den 
Anfall  {Hkhlcr ,  M.)  etc.  o)  Man  behandle  den  Kranken  während  des  An- 
falls auf  die  zweckmässigste  Weise ,  schütze  ihn  vor  Körperverletzungen, 
vor  Verletzung  der  Zunge ,  indem  man  ihm  ein  aufgerolltes  Stück  Leder 
und  dergleichen  zwischen  die  Zähne  steckt ,  löse  ihm  alle  engen  Kleidungs- 
stücke etc.  Das  Festhalten  der  Glieder,  das  Ausreissen  der  eingeschlagenen 
Daumen ,  die  starken  Riechmittel  zur  Verminderung  der  Convulsionen  sind 
schädlich.  Auch  die  innern  Mittel  können  nichts  fruchten ,  da  der  Mensch 
niclit  schlucken  kann.  Äussere  Mittel  passen  auch  nicht  immer.  Die  star- 
ken Riechmittel  vermehren  oft  die  Congestion  zum  Kopfe ,  die  kalten  Kopf- 
umschläge unterdrücken  die  wohlthätige  Transspiration  und  geben  oft  zu 
Erkältinig  Anlass.  Am  besten  ists ,  dass  man  reizende  Klystiei'e.,  reizende 
Fussbäder  gleich  nach  dem  Anfalle  verordnet,  und  besonders  für  frische, 
kühle  Luft  sorgt.  Eine  bis  zwei  Stunden  nach  dem  Anfalle  bekommt  Cha- 
niiüenthee  mit  etwas  Wein  am  besten.  4)  Bei  den  meisten  eingewurzelten 
Epilep.sien  beschränkt  sich  unsere  Hülfe  meist  nur  auf  empirische  Mittel. 
Hier  besitzen  wir  eine  grosse  Menge  sogenannter  Antepileptica ,  die  bald 
mehr,  bald  weniger  Ruf  erlangt  haben.  Die  vorzüglichsten  sind:  a)  Metalli- 
sche Mittel:  Cupr.  ammoniacale,  Lapis  infernalis,  Tinctura  arsenicalis  Fow- 
leri,  Plumbum  aceticum,  Magist.  bismuthi,  Flor,  zinci,  Vitriolum  album  et 
coeruleum,  Ferrum  hydrocyanicum,  Zincum  muriaticum,  Stannum  oxydatum; 

b)  alkalinische  Mittel  und  Mineralsäuren:  Ammonium  carbonicnm ,  Lic|.  c.  c. 
succ. ,  Sal  tartari  depur.,  Acid.  nitric. ,  sulphuric.  dilut.,  Elix.  acid.  Halleri ; 

c)  vegetabilische  Mittel:  Belladonna,  Stramonium,  Nux  vomica,  Faba  St. 
Ignatii,  Opium,  Helleborus  niger,  Acid.  hydrocyanicum,  Rad.  valerianae, 
paeoniae,  artemis.  vulg. ,  Fol.  aurantior..  Herb,  gratiolae,  Sedum  acre,  Chi- 
na, Asa  foetida,  Kampher,  Ol.  terebinth. ,  Olea  aetherea,  Digitalis,  Seline 
palustris,  Campanula  graminifolia,  Chininum  sulphuricum,  der  Saft  von  Zwie- 
beln ,  unreifen  Trauben  etc. ;  d)  aus  dem  Thierreiche ;  Moschus,  Castoreum, 
Phosphor,  Carbo  animalis  (M.),  Cantharides,  Ol.  aniniale  Dippelü ;  e)  ver- 
schiedene s}  mpathetische  Mittel ;  f)  Bäder,  Elektricität,  Galvauismus,  Magne- 
tismus; g)  Ekelcnr,  Brechmittel,  künstliche  Geschwüre;  h)  verschiedene 
geheimgehaltene  Mittel  und  andere  Composita,  z.  B.  das  Ragolo>y'sche, 
Waitz'sche  Mittel  etc.  (s.  unten).  Folgende  Aphorismen  über  das  Ätiolo- 
gische,   Pat!n)logische   und  Therapeutische   der   Epilepsie   mögen   hier   statt 


EPILEPSIA  613 

einer  ausführlichen  Abhandlung ,  die  ich  <icreiust  als  Monographie  zu  liefern 
gedenke ,  Platz  finden ,  woraus  auch  die  speciellen  Regeln  für  die  Heilung 
der  einzelnen  Fälle  hervorgehen.  Zuvor  muss  ich  bemerken,  dass,  wenn 
hier  meine  Ansichten  über  die  Epilepsie  nicht  ganz  mit  den  frühern  über- 
einstimmen, dies  lediglich  nur  aus  dem  grössern  Reichthume  eigner  Erfah- 
rungen hervorgegangen  ist.  Ich  lege  hier  die  Beoba^itungen  an  310  Epi- 
leptischen zum  Grunde  und  bemerke  noch,  dass  die  in  Parenthese  betind- 
Hohen  Zahlen  die  Zahl  der  im  Satze  angeführten  Erfahrungen  und  diese  ihr 
Verhältniss  zu  310  ausdrücken.  Aphorismen.  Die  Epilepsie  äussert  sich 
auf  so  mannigfaltige,  verschiedene  Weise,  von  der  leichtern  F^orm  des  Krampfs 
bis  zur  schwersten,  dass  wir  ohne  genaue  Unterscheidung  der  Unterarten  in 
unserer  Curmethode  für  den  einzelnen  Fall  nicht  glücklich  seyn  werden. 
Auch  ist  sie  oft  mit  Hysterie,  mit  Katalepsie  verbunden.  Im  erstem  Falle 
ist  sie  oft  leicht,  im  letztern  (wovon  ich  31  Fälle  habe)  oft  schwer  zu  hei- 
len. Die  Katalepsie  wechselt  hier  mit  dem  Insultus  epilepticus  häufig  ab. 
Werden  die  epileptischen  Anfälle  seltner,  so  kommen  die  kataleptischen  desto 
häufiger,  und  umgekehrt;  ja  zuweilen  substituirt  die  Katalepsie  die  Epilepsie 
noch  mehrere  Monate  nach  ihrer  Heilung  (13  Fälle).  ^)  Die  durch  Onanie 
entstandene  Fallsucht  ist  sehr  schwer  zu  heilen;  sie  complicirt  sich  gern  mit 
Katalepsie  (24  Fälle)  und  bringt  zuweilen  eine  ganz  besondere  Form  des 
Übels  hervor,  der  ich  keinen  Namen  zu  geben  weiss,  die  aber  in  Folgendem 
besteht.  Der  Kranke  bekommt  alle  2,3  —  7  Tage  einen  oder  täglich  meh- 
rere kataleptische  Anfälle,  unter  denen  bei  weitem  die  meisten  mit  einem  so 
starken  wässerigen  Ausflüsse  aus  dem  Munde  verbunden  sind,  dass  die  Quan- 
tijtät  oft  1  S  beträgt.  Der  zugleich  stattfindende  hör-  und  sichtbare  kloni- 
sche Krampf  des  Schlundes  und  Mundes  deutet  an,  dass  das  Fluidum  nach 
Art  der  Wasserkolik  aus  dem  Magen  kommt.  Von  Qualität  ist  es  so  kau- 
stisch alkalisch ,  dass  es  selbst  die  gefärbten  Kleidungsstücke  entfärbt.  Ob 
dieses  Fluidum  ein  Secret  des  Magens  oder  des  Pankreas  sey,  oder  ob  es 
verschiedene  Quellen  habe,  lasse  ich  dahin  gestellt  seyn,  da  mir  leider  Aus- 
kunft durch  SecLionen  fehlt.  Ausserdem  sind  die  Glieder  des  Kranken  schlaff, 
die  Pupille  erweitert  und  unbeweglich,  das  Gesicht  leichenblass,  der  Kranke 
sinkt  nicht  zur  Erde,  lässt  aber  das,  was  er  in  den  Händen  hält,  fallen j 
der  Anfall  ist  in  1—3  Minuten  vorüber  und  es  bleibt  etwas  Unbesinnlich- 
keit  zurück,  so  dass  der  Kranke  verworren  redet,  aber  es  folgt  kein  Schlaf. 
Alle  2,  3  öder  4  Wochen  folgt  auf  diesen  kataleptischen  Anfall  unmittelbar 
ein  heftiger  epileptischer  Insult,  zuerst  mit  tonischem  Krampf,  besonders  an 
der  linken  Körperhälfte ,  später  mit  klonischem,  worauf  kein  Schlaf,  wenig- 
stens nicht  immer,  häufiger  ein  Anfall  von  Manie,  der  einige  Stunden  an- 
halten kann,  folgt,  so  dass  der  Kranke  weglaufen  wll  etc.  Leibesversto- 
pfung und  kataleptische  Anfälle  folgen  die  nächsten  Tage  (4  Fälle),  3)  Am- 
moniakalisch  reagirenden  Speichel ,  der  das  Curcumapapier  braunroth  färbt, 
findet  man  bei  den  meisten  Epileptischen  während  des  Anfalls  (249  Fälle) ; 
nur  bei  leichten  Epilepsien  ist  er  normal  (41  Fälle),  in  seltenen  Fällen  rea- 
girt  er  während  des  Insults  säuerlich  (20  Fälle).  Hier  ist  die  Krankheit  oft 
Folge  von  Abdominalfeldern  und,  können  wir  das  Grundübel  im  Magen,  in 
der  Leber ,  im  Pankreas  etc.  heben ,  nicht  unheilbar.  4)  Bei  allen  ausg(^bil- 
dcten  Epilepsien  riecht  und  reagirt  der  Schweiss  nach  dem  Anfalle  annno- 
niakalisch,  und  schon  früher  ist  eine  widerliche  Ausdünstung  Vorbote  des 
nahen  Anfalls.  Auch  im  Urine  herrscht  das  Ammonium  alsdann  vor,  wie 
dies  die  Reaction  auf  die  Pflanzensäfte  beweist.  5)  Ist  die  Ausdünstung 
des  Kranken  anhaltend,  und  also  auch  ausser  den  Anfällen  widerlich,  erd- 
und  moderartig,  so  ist  das  Übel  schwer  zu  heilen  und  oft  mit  psychischen 
Fehlern  verbunden ;  sowie  bekanntlich  viele  psychisch  Kranke  eine  höchst 
widerliche  Transspiration,  die  kelnesweges  Folge  der  vernachlässigten  Haut- 
cultur  ist,  besitzen.  6)  In  der  Regel  ist  die  atypische  Epilepsie,  sowie  die 
Epilepsia  diurna,  leichter  zu  heilen,  als  die  typische  und  die  nocturna;  doch 
giebt  es  auch  unheilbare  atypische  Fallsuchten,  besonders  dann^  wenn  Ka- 
talepsie sich   mit    dem   Übel   complicirt  hat,   oder   wenn   es    eine  Epilepsia 


614  EPILEPSIA  ' 

haeredltaria  Ist.  7)  Alle  Fallsuchten,  die  zu  ihrer  Bildung  ^-iele  Jahre  ge- 
brauchen, wo  z.  B.  eine  periodische  Kardialgie,  solcher  Schwindel  oder  Ka- 
talepsie dem  Übel  Jahre  lang  vorhergehen,  mit  dem  Erscheinen  der  Fall- 
sucht aber  verschwinden,  sind  schwer  zu  heilen.  Tritt  während  der  Cor 
das  frühere  Übel  ein,  so  ist  Hoffnung  zur  Genesung  da.  8)  Alle  Fallsuch- 
ten, die  nach  dem  25sten  Lebensjahre  erscheinen,  sind  sehr  schwer  zu  hei- 
len, welcher  Umstand,  den  schon  Hippokrates  bemerkt,  häufig  in  den  eben 
(Nr.  7)  genannten  Ursachen  seinen  Grund  hat.  9)  Je  länger  das  Stadium 
prodromorum  dauert,  je  länger  der  Insult  selbst  mit  seinen  Erscheinungen 
anhält,  je  weniger  tonische  Krämpfe  dabei  bemerkt  werden,  je  geringer  die 
Congestion  zum  Kopfe  und  das  Stadium  soporosum  ist,  je  schneller  Empfin- 
dung und  Bewusstseyn  zurückkehren,  desto  leichter  ist  die  Krankheit  zu 
heilen.  10)  Bei  manchen  Fallsuchten  folgt  kein  Stadium  soporosum,  son- 
dern die  Kranken  erwachen  plötzlich  mit  einem  einzigen  Ruck  der  Glieder, 
der  einem  elektrischen  Schlage  gleicht.  11)  Bei  vielen  Epileptischen  fehlt 
die  Aura  epileptica  (123  Fälle),  bei  andern  ist  sie  höchst  unbedeutend  (52 
Fälle) ;  bei  denen ,  wo  sie  deutlich  ist ,  beginnt  sie  am  häufigsten  in  den 
Füssen ,  und  zwar  vorzugsweise  im  linken  Fusse ,  ist  meist  mit  Kälte  ver- 
bunden, hat  Ähnlichkeit  mit  einer  elektrischen  Strömung,  verschwindet 
schnell  durchs  elektrische  Bad ,  indem  man  zugleich  kleine  Funken  aus  dem 
Gliede  zieht.  Häufig  verhütet  man  dadurch  den  bevorstehenden  Anfall,  ohne 
dass  der  Kranke  Beängstigung  bekäme ,  wie  dies  wol  beim  Binden  des  Glie- 
des, worin  die  Aura  ist,  vorkommt.  12)  Bei  der  Cur  der  Epil.  exquisita 
erforsche  man  vor  allen  Dingen,  ob  es  gut  ist,  die  sogenannte  Krankheit 
(die  epileptischen  Anfälle)  zu  heilen,  zu  entfernen,  oder  nicht.  In  manchen 
Fällen  folgen  auf  die  Heilung  nach  6,  10,  15,  ja  20  IVIinuten  plötzlich  sehr 
zahlreiche  epileptische  Anfalle,  besonders  im  Monate  März  und  April,  wozu 
sich  Apoplexie  gesellt  und  so  der  Tod  binnen  8 ,  12 ,  24  Stunden  folgt  (16 
Fälle).  Folgende  Formen  der  Fallsucht  sind  mir  daher  jetzt  ein  Noli  me 
tangere:  a)  Epilepsie  mit  Blödsinn;  b)  Epilepsie  bei  Personen  mit  unge- 
wöhnlich dickem,  rundem  Kopfe,  starkem  Muskelbau,  viel  Congestion  und 
gleichzeitiger  Katalepsie;  c)  alle  Epilepsien,  wo  der  Anfall  offenbar  kritisch 
ist  (s.  Nr.  14);  d)  die  Epilepsia  haeredltaria.  13)  Die  zahlreichen  Abnor- 
mitäten, die  man  im  Gehirne  Epileptischer  gefunden  hat,  sind  meist  immer 
Folge  der  häufigen  Anfälle.  Sie  werden  späterhin  weder  zur  Ursache  der 
Unterhaltung  und  Unheilbarkeit  des  Übels.  14)  Häufig  ist  der  epileptische 
Anfall  ein  wohlthätiges  Bestreben  der  Natur,  gewisse  Disharmonien  des  Or- 
ganismus auszugleichen,  also  etwas  Kritisches.  Dies  erkennt  man  an  fol- 
genden Zeichen:  a)  Besserbefinden  gleich  nach  dem  Anfalle,  als  einige  Zeit 
vor  demselben;  b)  die  Anfälle  sind  um  so  heftiger  und  wiederholen  sich  bin- 
nen 24  Stunden  um  so  häufiger,  je  grösser  die  freie  Zwischenzeit  war,  wo 
sie  ganz  wegblieben;  c)  sie  sind  um  so  leichter  und  intensiv  schwächer,  je 
öfter  sie  sich  wiederholen,  z.  B.  wenn  sie  alle  2  —  4  Tage  kommen ;  d)  das 
Stadium  soporosum  fehlt  niemals.  In  solchen  Fällen  ist  nur  ein  symptoma- 
tisches ,  Congestion  ableitendes ,  kühlendes  Verfahren ,  kein  eingreifendes, 
weder  durch  metallische ,  noch  durch  narkotische  oder  dynamische  (Elektri- 
cität,  Galvanismus)  Mittel  anzuwenden.  Was  überhaupt  meine  Behandlung 
Epileptischer  betrifft ,  so  geht  diese  im  Allgemeinen  aus  obigen  Sätzen  her- 
vor. Sie  ist  theils  eine  rationell  symptomatische,  theils  rein  empirische,  da 
in  den  meisten  Fällen  diejenigen  Umstände,  auf  welche  ein  rationeller  Heil- 
plan gegründet  werden  könnte,  bei  der  Fallsucht  verborgen  liegen.  Die 
empirischen  Antepileptica  sind  selbst  auf  rationelle  Weise  gar  häufig  indicirt, 
indem  die  Epilepsie  nur  zu  oft,  wenn  auch  ihre  ursächlichen  Bedingungen 
entfernt  werden ,  als  reine  Nervenkrankheit  durch  die  Macht  der  Gewöh- 
nung fortdauert.  Hier  sind  alle  Antepileptica,  indem  sie  das  Nervensystem 
umstimmen,  indicirt;  aber  sie  müssen,  wie  sich  dies  von  selbst  versteht,  dem 
individuellen  Falle  und  der  Constitution  des  Kranken  angepasst  werden.  In 
dieser  Hinsicht  unterscheide  ich  folger.de  Arten  der  Krankheit: 

Ejiilepsia  verminosa.     Sie  ist  am  häufigsten  die  Folge  von  Bandwürmern, 


EPILEPSIA  615 

und  daher  in  Mecklenburg,  wo  die  Taenia  lata  i'echt  zu  Hause  ist,  nicht 
selten.  In  vielen  Fällen  erregt  der  Bandwurm  aber  gar  keine  Krämpfe,  be- 
sonders nicht  beim  männlichen  Geschlechte.  Dagegen  leiden  zarte,  reizbare 
Frauenzimmer  nicht  selten  an  dieser  Epilepsie.  Symptome.  'Ausser  den 
Zeichen  des  Bandwurms  folgende:  atypische  Paroxysmen,  die  oft  alle  2^3 
Tage,  oft  nur  alle  10  —  20  Tage  sich  einstellen,  wobei  wenig  tonischer, 
mehr  klonischer  Krampf,  Gesichtsblässe,  Leibesverstopfung  und  kein  Sta- 
dium soporosum,  sondern  am  Ende  des  Insults  der  oben  bezeichnete  elektri- 
sche Schlag  der  Glieder  und  mit  ihm  Wiederkehr  des  Bewusstseyns  und  der 
Empfindung  bemerkt  wird.  Prognose.  Ist  im  Allgemeinen  günstig.  Cur. 
Man  entferne  den  Bandwurm  durch  die  so  wirksame  Bandwurmcur  des  Dr. 
ScJimUU  (RusVs  Magaz.  Bd.  XXVII.  Hft.  3.  S.  503),  |und  gebe  hinterher 
eine  Zeit  lang  Asa  foetida  in  Pillenform.  Spulwürmer  erregen  selten  wahre 
Epilepsie.  Ists  der  Fall ,  so  gebe  man  anfangs  Anthelminthica ,  späterhin 
eine  Zeit  lang  Flor,  zinci,  Magister,  bismuthi,  Pillen  aus  Asa  foetida  und 
Extr.  nuc.  vomicae ,  und  Thee  von  Valeriana  und  Fol.  aurantiorum. 

Epilepsin  mcnstrualis.  Sie  befällt  junge  reizbare,  oft  vollsaftige  Frauen- 
zimmer in  der  Pubertätsentwickelung  durch  Menstruatio  retenta,  auch  spä- 
terhin in  seltenen  Fällen  wol  nach  Menstruatio  suppressa,  besonders  wenn 
Schreck,  Erkältung  der  Füsse  während  der  Regeln  Schuld  sind.  Sym- 
ptome. Das  Übel  zeigt  sich  in  der  Regel  alle  4  Wochen,  am  häufigsten 
zur  Zeit  des  Neumondes,  mit  gleichzeitigen  Zeichen  der  Molimina  menstrua- 
tionis.  Cur.  Bei  Vollblütigen  Aderlass  am  Fusse,  Fuss  -  und  Qualmbäder, 
überhaupt  die  Behandlung  des  Grundübels;  späterhin,  wenn  dieses  gehoben 
ist,  Asa  foetida,  Flor,  zinci,  Zincum  hydrocyanicum ,  dreimal  täglich  '/o,  1, 
2  —  4  Gran,  empfohlen  von  Hufcland,  Henning,  Müller ^  RosensHel  gegen 
verschiedene  Neurosen :  Kardialgie,  Chorea  St.  Viti  etc. ;  mein  Pulvis  ante- 
pilepticus  (s.  unten). 

Epilepsia  acuta  cum  irritahilitale.  Die  Berücksichtigung  der  Constitu- 
tion des  Kranken,  ob  er  irritabel,  vollsaftig,  gut  genährt,  oder  mager,  reiz- 
bar, wahrhaft  schwach,  oder  torpid,  stumpf  an  Gefühl,  reizlos  ist,  bleibt 
für  den  Arzt,  er  mag  rationell  oder  symptomatisch  verfahren,  oder  rein  em- 
pirisch handeln,  stets  sehr  wichtig,  indem  hiernach  die  Heilmittel  ausgewählt 
werden  müssen.  Symptome.  Robuste,  starke  Constitution,  gut  genährter 
Körper,  runder,  dicker  Kopf,  öfters  Leibesverstopfung;  die  Anfälle  kommen 
meist  typisch,  bei  Männern  zur  Zeit  des  Neumondes,  bei  Frauen  dagegen 
zur  Zeit  des  Vollmondes.  Nasenbluten,  starke  Menstruation  und  andere 
Blutungen  erleichtern  und  verhüten  zuweilen  den  Anfall.  Cur.  Blutegel  an 
den  Kopf,  selbst  Aderlässe,  kühlende  Purganzen,  später  Mineralsäuren,  rei- 
zende Fussbäder ,  laue  Bäder ,  aber  ja  keine  kalten ,  und  erst  dann ,  wenn 
das  Übermass  von  Saft  und  Kraft  gehoben  worden ,  die  eigentlichen  Ante- 
pileptica.  Man  vergesse  nie,  dass  diese  in  der  Regel  hitzige  Dinge  enthal- 
ten, die  bei  dieser  Form  der  Fallsucht  ohne  die  angegebene  Vorbereitungs- 
cur  grossen  Schaden  anrichten. 

Ejnlepsia  vervosa,  Epil.  cum  cretJiismo.  Sie  ist  fast  immer  bei  jungen, 
zarten  Subjecten  und  bei  frischen  Epilepsien  zu  finden.  Symptome.  Grosse 
Lebhaftigkeit  und  Reizbarkeit  des  Kranken,  sanguinisches  Temperament,  oft 
viel  Anlage  und  Talent  zu  schönen  Künsten,  Musik,  Malerei,  feine  Haut, 
schnell  wechselnde  Gesichtsfarbe ,  meist  Röthe  der  Wangen ,  Habitus  phthi- 
sicus ,  graciler  Körper.  Die  Anfälle  kommen  in  der  Regel  zu  unbestimmten 
Zeiten,  oft  alle  5,  6,  10  Tage,  bald  früher,  bald  später.  Cur.  Hier  passt 
das  antiphlogistische  Verfahren  nicht,  aber  auch  die  reizende,  Congestion 
befördernde  Methode  ist  hier  nicht  an  ihrer  Stelle.  Eine  leichte,  nicht  er- 
hitzende Diät,  Sorge  für  tägliche  LeibesöfTnung  durch  Fol.  sennae,  Sal 
Glauberi ,  der  unreife  Traubensaft  (^Frank,  Sihergundt) ,  die  Mineralsäuren, 
die  Digitalis  sind  hier  an  ihrer  Stelle.  Desgleichen  Opium,  Stramonium, 
vorsichtig  und  nicht  anhaltend  gebraucht.  Das  Opium  ist  eins  der  besten 
Mittel,  die  Epilepsia  torpida  und  den  Blödsinn  zu  verhüten  (s.  Neumann - 
Maler  in  d.  Annalen  f.  die  gesammte  Heilkunde.    Karlsruhe  1828.  Jahrg.  S. 


616  EPILEPSIA 

Hft.  2).  Späterhin  passen  erst  die  eigentlichen  Antepileptica;  doch  wähle 
man  nicht  den  Lapis  infernalis ,  weil  dieser  hier  am  leichtesten  die  Haut 
schwarz  färbt  (6  Fälle). 

Ejiilepsia  torpida.  Diese  Form  finden  wir  besonders  bei  inveterirtem 
tJbel.  Der  Kranke  hat  den  torpiden  Habitus,  ist  cholerisch- melancholisch, 
schwach  am  Gedächtniss,  stumpf  und  blödsinnig,  leidet  an  grosser  Trägheit 
des  Darmcanals,  zur  Zeit  der  Anfälle  oft  an  Manie.  Cur.  Man  gebe  zu- 
erst ein  Vomitiv  und  Laxativ,  später  den  Tart.  emeticus  als  Ekelcnr  in  re- 
fracta  dosi ;  dann  Gratiola ,  Helleborus  mit  Mercur.  dulc. ,  das  Extr.  nuc. 
vomicae,  und  wende  zugleich  Elektricität  und  Galvanismus  an.  Auch  der 
weisse  und  blaue  Vitriol,  das  Ferrum  hydrocyanicum,  Ol.  terebinthinae 
(^Percival,  Copelnnd,  Nnsse),  Ol.  animale  Dippelii,  Phosphor,  Carbo  anima- 
lis,  z.  B.  nach  Dr.  JVeises  Bereitungsart:  }^r  Cnrh.  nnimnl.  5vj,  Sacchari  3jj. 
M.  f.  p.  S.  Dreimal  täglich  %  Theelöffel  voll  in  den  Mund  zu  nehmen  und 
Wasser  nachzutrinken ,  suid  hier  an  ihrem  Platze. 

Epilepsin  meduUaris.  Sie  ist  nicht  ganz  selten,  besonders  bei  Onani- 
ßten,  Wollüstlingen;  die  Anfälle  kommen  unregelmässig,  sind  häufig  ohne  Sta- 
dium soporosum,  haben  Ähnlichkeit  mit  einem  starken  hysterischen  Anfalle 
(s.  Hysteria);  das  Übel  kommt  häufig  beim  weiblichen  Geschlechte  vor, 
ist  zuweilen  Folge  schwerer  Wochenbetten,  der  Myelitis.  Cur.  Man  ver- 
ordne eine  wenig  reizende  Diät,  laue  Bäder,  Elektricität  und  Galvanismus, 
innerlich  Asa  foetida ,  Fol.  sennae,  Nux  vomica ,  Faba  St.  Ignatii,  Ekelcur, 
ein  Haarseil   im  Nacken.     Zuweilen    sind   unterdriickte  Exantheme  Ursache. 

Epi1ej)sin  nocturna.  Ist  in  der  Regel  sehr  hartnäckig,  häufig  mit  Epil. 
diurna  coraplicirt.  Cur.  Ist  nach  den  Ursachen  und  der  Körperconstitution 
verschieden.  Vermeidung  des  Schlafs  zu  den  Zeiten  der  Nacht,  wo  das 
Übel  sich  einzustellen  pttegt,  ein  Wächter,  der  den  Kranken  bei  den  Vor- 
boten des  Insults  aufweckt,  innerlich  die  Ipecacuanha  in  kleinen  Dosen  sind 
sehr  nützlich.  Ausserdem  die  Berücksichtigung  der  ursächlichen  Momente, 
und  sind  diese  gehoben,  ist  das  Übel  eine  reine  Neurose,  dann  die  soge- 
nannten specifischen  Antepileptica  (s.  meine  citirten  Schriften  und  Abhand- 
lungen). 

Epilepsin  gastrica.  Sie  giebt  sich  durch  den  Status  gastricus  zu  er- 
kennen. Die  Kranken  haben  eine  gelbe,  ikteriche  Gesichtsfarbe,  Druck  in 
der  Lebergegend  etc.  Cur.  Mittelsalze,  Tart.  emetic,  Vinum  stibiatum, 
Extr.  taraxaci,  chelidon.,  später  Asa  foetida,  Flor,  zinci,  Cuprum  ammonia- 
tura  und,  wenn  hartnäckige  kalte  Fieber  vorherhingen,  Chininum  sulphuri- 
cum  mit  Opium.  Ausser  diesen  Arten  der  Fallsucht  hat  man  noch  folgende 
angenommen : 

Epilqmn  infantum,  s.  Eclampsia. 

Epilepsin  procursiva ,  s.  Chorea  St.  Viti. 

E])Uepsin  simnlata,  die  verstellte  Fallsucht,  welche  von  Betnigem  ,  um 
das  Mitleid  der  Menschen  rege  zu  machen,  um  sich  verdienten  Strafen  zu 
entziehen,  vom  Militairdienst  frei  zu  werden  etc. ,  nachgeahmt  wird.  Das 
Merkwürdigste  dabei  ist,  dass  solche  Personen  durch  öftere  Wiederholung 
dieser  Betrügerei  zuletzt  die  wahre  Epilepsie  bekommen  (^CnUcn,  Sauvm/es, 
Tissot,  Jloerhanve,  M.).  Die  Diagnose  ist  oft  schwer,  da  es  auch  eine  Epi- 
lepsia  imperfecta  giebt,  wobei  das  Hauptzeichen  des  Insults  der  Epil.  per- 
fecta :  Mangel  an  Empfindung,  fehlt.  Die  Unbeweglichkeit  der  Pupille  wäh- 
rend des  Anfalls  und  eine  durch  öftere  Verletzungen  abnorme,  oft  an  den 
Seiten  gezähnte  Zunge  setzen  die  wahre  Epilepsie  ausser  Zweifel.  Auch 
vergesse  man  nie,  dass  der  epileptische  Anfall,  so  gut  wie  jedes  andere 
Übel,  sein  Incrementum,  Status  und  Decrementum  hat,  dass  also  auch,  selbst 
wenn  es  keine  Epil.  imperfecta  gäbe,  das  Kriterium  des  GcfTihUmangels  nicht 
för  jedes  Stadium  des  Anfalls  passt,  um  nicht  durch  einseitiges  Urtheil  ei- 
nen wahrhaft  Epileptischen  für  cintMi  Betrüger  zu   halten. 

Die  wirksunssJoii  empirischen  Antepileptica  sind  nach  meinen  bi.sherigen 
Erfahrungen  folgende  Mittel,  welche,  sobald  die  Causalverhältnisse  des  Übels 
entfernt  worden  sind  oder  verborgen   liegen  und  keine  rationellen  Contrain- 


EPILEPSIA  617 

dicationeii  ihre  Anwendung  verbieten,  dreist  angewandt  werden  können. 
1)  Elektricität  und  Galvanismus.  Sie  haben  mir,  theils  in  Verbindung,  theiis 
abwechselnd,  4 — 10  Wochen  täglich  oder  alle  2,  3  Tage  angewandt,  bis 
jetzt  noch  rramer  das  Meiste  geleistet,  und  mehr  als  der  Gebrauch  aller  in- 
nern  Mittel;  doch  unterstützen  letztere  die  Cur  ungemein  (s.  die  oben  an- 
geführten Schriften  und  Abhandlungen).  Man  setze,  ist  die  Constitution  des 
Kranken  irritabel,  bei  Congestionen  erst  Blutegel  an  den  Hals,  verordne 
kühlende  Diät ,  gelind  eröffnende  Mittel ,  und  wende  dann  anfangs  täglich 
'Yi,  1  —  2  Stunden  das  elektrische  Bad  an,  ziehe  Funken  aus  dem  Nacken, 
aus  den  Gliedern,  wende  dann  einige  Tage  kleine  galvanische  Schläge,  ab- 
wechselnd mit  Strömungen,  aus  einer  Voltasäule  von  40  —  80  Doppelplatten 
durch  die  Glieder  an,  dann  Avieder  das  elektrische  Bad,  und  steige  gradatim 
und  vorsichtig  mit  diesem  Reizmittel.  Vermehrt  sich  die  Reizbarkeit  des 
Kranken,  so  gebe  man  zugleich  2  —  Smal  täglich  5—15  Tropfen  Tinct. 
semin.  stramonii ,  setze  bei  Congestionen  wiederum  Blutegel  an  den  Kopf, 
verordne  reizende  Senffussbäder ,  und  fahre  so  8 — 10  Wochen  fort.  Ausser- 
dem gebe  man,  zur  Zeit  des  Mondwechsels,  also  alle  7  —  8  Tage,  eine  Do- 
sis von  meinem  Pulvis  antepilepticus  Nr.  I.,  während  dessen  Gebrauch  der 
Kranke  das  Bette  hüten  und  die  Transspiration  abwarten  rauss.  Leidet  der 
Kranke  an  Epilepsia  torpida ,  so  bedarf  die  elektro  -  galvanische  Cur  gar 
keiner  andern  Vorbereitung;  man  wende  hier  die  dort  empfohlenen  Mittel 
zugleich  an  (s.  Epilepsia  torpida);  bei  der  Epil.  nervoso  -  erethistica 
muss  man  ja  vorsichtig  seyn ,  um  nicht  zu  überreizen,  und  daher  nur  höchst 
gelind  Elektricität  und  Galvanismus  anwenden.  Überhaupt  erfordert  dieses 
grosse  und  wirksame  Mittel  viel  Umsicht  und  technische  Kenntniss,  soll  an- 
ders das  Übel  nicht  schlimmer  werden.  Auch  verband  ich  häufig  mit  Nutzen 
Elektricität  und  Galvanismus,  wodurch  nach  Art  des  Örsted'schen  Elektro - 
Magnetismus  mineral  -  magnetische  Erscheinungen  hervorgehen.  Auch  das 
Tragen  von  Magneten  (Magnetringen  an  den  Fingern)  fand  ich  in  einzelnen 
Fällen  nützlich  (s.  Galvanismus  und  Magnetismus).  2)  Das  Pulvis 
antepilepticus  besteht  aus  folgenden  Formeln :  Nr.  I.  I^'  Rad.  gcntian.  rühr., 
Rad  caJam.  arom.  ana  g)I ,  Rad.  artemis.  vulijar.  5J|t,  Rad.  a/ri  maculali, 
Rad.  zingiheris  ana  5jjj,  Herh.  mari  veri  gj,  Cort.  aurantior.,  Elaeos.  caje- 
jmti,  Natr.  carhon.  dilaps.  ana  3vj.  M.  f.  pulv.  Die  Dosis  für  einen  Er- 
wachsenen ist  5J1V  —  5jj?  welche  des  Morgens  nüchtern  im  Bette  genommen, 
und  warmer  Thee  von  Fol.  aurantior.  und  Rad.  liquiritiae  nachgetrunken 
werden  muss.  Nr.  II.  I^;  Flor,  rosar.  rühr.,  Rad.  liquiritiae,  Sacchari  albi 
ana  5"V ,  Cort.  cinnamomi  5jjj  ?  Caryophyll.  aromat. ,  Rad.  zingiher.  indic, 
Rad.  galangae,  Sem.  cynae,  Cardamomi,  Storac.  calamit.,  Sem.  apii  tjraveol. 
ana  5j-  M.  f.  pulv.  Nr.  III.  F^  Ferri  hydrocyan.  gr.  ^ ,  Rad.  artemis.  vidij. 
3fi(,  Castorei  siher.  gr.  v,  Pulv.  antepilept.  Nr.  ii.  3j.  M.  f.  pulv.  disp.  dos. 
xjj.  Nr.  I.  wird  in  leichtern  atypischen  Fallsuchten,  wie  oben  angegeben, 
gebraucht,  Nr.  II.  in  etwas  schwerern  Fällen,  Nr.  III.  in  noch  schwerern. 
Letzteres  Mittel  wird  an  den  Tagen  des  Neu-  und  Vollmondes  genommen. 
Man  gicbt  zwei  Tage  vorher  ein  gelindes  Laxans,  dann  wird  an  genannten 
Tagen  Morgens  6  Uhr  und  Abends  6  Uhr  eins  der  Pulver  mit  Aqua  cerasor. 
nigror.  eingenommen.  Dabei  muss  der  Kranke  im  Zimmer  bleiben  und  alle 
blähende  Speisen,  auch  geistige  Getränke  und  süsse  Milch  vermeiden. 
S)  Ausser  diesen  Mitteln  habe  ich  mit  dem  Extr.  stramonii,  mit  Stannum 
cxydat.  (p.  d.  ^j — 5j  Abends  und  Morgens  und  vier  Tage  nachher  ein 
Laxans),  mit  Cupr.  ammoniacale,  Argent.  nitric.  viele  Versuche  gemacjit, 
desgleichen  mit  der  Belladonna ;  doch  sind  die  Beobachtungen  nicht  rein, 
indem  häufig  auch  noch  der  Elektro  -  Galvanismus  zugleich  angewandt  wurde. 
In  vielen  Fällen  ward  die  Heilung  dadurch  allein  zu  Stande  gebracht.  Auch 
das  Opium,  vorsichtig  und  anhaltend  angewandt,  ist  in  manchen  Epilepsien 
ein  herrliches  Mittel.  4)  Die  verschiedenen  Arcana  und  Geheiramittel  gegen 
Epilepsie  findet  man  angegeben  in  Henniny^s  Analecta  Epile|)siam  spectantia 
und  in  L.  VoyeVs  Allg.  med.  Formel-  oder  Receptlexicon.  Erfurt  1802 — 5. 
5)  Über   die   Diät   für   die    einzelnen    Fälle   der   Fallsucht  bitte   ich    meine 


618  EPILEPSIA 

Schriften  nachzulesen.  Der  rationelle  Arzt  wird  sie  sich  schon  selbst  au» 
den  verschiedenen  Arten  und  Curinethoden  für  die  verschiedenen  Zustände 
des  Kranken  abstrahiren.  WeiMi  im  Allgemeinen  eine  einfache,  reizlose, 
kühlende  Diät  nützlich  ist,  so  dürfen  wir  doch  nicht  zu  schnell  von  einer 
reizenden  zu  einer  reizlosen  Lebensweise  des  Kranken  übergehen,  indem 
dies  das  Übel  leicht  schlimmer  macht.  Auch  passt  die  reizlose  Diät  nicht 
bei  der  Epilepsia  torpida.  Ein  Mehreres  über  das  Diätetische  und  Thera- 
peutische der  Epilepsie  werde  ich  später  nachtragen  bei  Spasmus.  — 
Bedarf  es  vielleicht  auch  der  Entschuldigung,  wenn  ich  so  zusammengesetzte 
Arzneiformeln  in  der  Epilepsie  anwende?  Mein  Grundsatz  ist  der,  nie  von 
einer  Composition  abzuweichen ,  welche  mir  verhältnissmässig  nach  der  Er- 
fahrung das  Meiste  geleistet  hat,  und  dies  ist  gerade  mit  jenem  Pulvis  an- 
tepilepticus  der  Fall ;  sowie  ich  denn  auch  längst  zu  der  Überzeugung  ge- 
langt bin,  dass  jedes  Compositum  nur  eine  eigenthümliche  Wirkung  besitzt, 
und  dass  es  für  die  leidende  Menschheit  besser  ist,  mit  Nutzen  zu  compo- 
nicen,  als  durch  fortwährendes  Wechseln  der  Simplicia  ein  Übel  ungeheilt 
zu  lassen.  Den  neuesten  Beleg  zu  meiner  Behauptung  giebt  die  neue  ßand- 
wurmcur  des  Dr.  Schmidt ,  der  mit  seinen  Compositionen  längst  bekannter 
Mittel  so  glänzende  Resultate  liefert.  —  Gegen  inveterirte  Epilepsie  rühmt 
Dr.  Cunnhujhnm  (North- American  Med.  and  surgic.  Journal  18S!8  u.  Oersoii's 
und  Julhis'  Magaz.  1828.  Juli  u.  Aug.  S.  148)  Smal  täglich  ^j  Fol.  daturae 
stram.  sicc.  pulverisat. ,  welches  Mittel  indessen  wegen  der  eintretenden  Zu- 
fälle von  Narcosis  mit  Vorsicht  anzuwenden  ist.  Auch  das  Indigopulver, 
für  Erwachsene  p.  d.  5lv,  6  bis  Smal  täglich,  hat  sich  nach  den  Beobach- 
tungen des  Dr.  von  Sinhhj  sen.  in  mehreren  Fällen  hier,  sowie  bei  andern 
Neurosen,  wirksam  bewiesen  (s.  v.  Stahhj  jun.,  Dissert.  de  epilepsia.  Budae, 
1832).  Schweiss  und  Stuhlgang  bekommen  nach  dem  innerlichen  Gebrauch 
des  Mittels  eine  blaue  Farbe.  Nach  den  Versuchen,  welche  Dr.  Strahl  in 
Berlin  kürzlich  damit  anstellte,  leistet  es  bei  Epilepsie  und  andern  Krampf- 
formen nichts,  befördert  aber  die  stockenden  Menses.  Iileler  dagegen  be- 
richtet in  der  Medic.  Zeitung.  Berlin,  1835.  Nr.  6.  Fol. ,  dass  er  bei  26  Epi- 
leptischen binnen  einem  Jahre  den  Indigo  mit  grossen  Nutzen  angewandt 
habe.  Sechs  Kranke  davon  genasen  völlig,  drei  wurden  geheilt  entlassen 
und  bekamen  erst  nach  8  — 12  Monaten  einen  Rückfall;  elf  Kranke  besser- 
ten sich  bedeutend  darnach.  Nie  sah  er  bedenkliche  Zufälle  nach  dem  Ge- 
brauche des  Mittels.  Anfangs  pflegen  die  Kranken  sich  häufig,  doch  ohne 
da.ss  die  Verdauung  litte,  zu  erbrechen;  nach  einigen  Tagen  hört  dies  auf 
und  es  stellt  sich  ein  Durchfall,  6  —  8mal ,  später  2  —  Smal  täglich  ein,  der 
dann  breiartig  wird.  Ein  gutes  Zeichen  ists,  wenn  zu  Anfange  die  epilepti- 
schen Anfälle  öfter  wiederkehren.  Man  giebt  den  Indigo'  am  besten  p.  d. 
^j  bis  Sj?  4  —  6mal  täglich,  und  zwar  in  Latwergenform  mit  etwas  Pulv. 
aromaticus,  Monate  lang  fortgesetzt.  —  Wessen  Erfahrungen  sind  nun  wol 
die  wahrhaftesten?  —  Ein  sehr  wirksames  empirisches  Mittel  gegen  Epi- 
lepsie, sowol  in  frischen  als  inveterirten  Fällen,  wenn  keine  Hauptursacheu 
des  Übels  bekannt  oder  diese  entfernt  sind ,  ist  nach  Dr.  Siedler  das  Zink- 
oxyd mit  Extr.  hyoscyami  in  steigenden  Dosen ,  anhaltend ,  viele  Monate 
lang  gebraucht  (s.  HufelmuVs  Journal  18S3  u.  1834).  Er  giebt  bei  Erwach- 
senen, nachdem  bei  Sordibus  ein  Vomitiv  oder  Laxativ  vorhergegangen,  zu- 
erst folgendes  Pulver:  I^  Zinci  oxydat.  nlhi  gr.  vjjj,  Extr.  htfoscifami  gr.  j, 
Pnlo.  fol.  aurnut.,  — rad.  valerian.  ana  ^ß.  M.  f.  p.  dispens.  dos.  xjj.  S. 
Morgens  u.  Abends  ein  Pulver.  Dann  giebt  man  6  Tage  lang  p.  d.  12  Gran 
Zink,  dann  16  Gran  und  2  Gran  Extr.  hyoscyami,  worauf  anfangs  oft  stär- 
kere Anfälle  folgen.  Darauf  p.  d.  ^j  Zink  und  2'/;  Gran  Extr.  hyoscyami. 
Kommt  nun  binnen  4  Wochen  kein  Anfall ,  so  wird  mit  den  Gaben  nicht 
gestiegen.  Ists  aber  der  Fall ,  so  giebt  man  p.  d.  5lV  Zink  und  4  Gran 
Bllsonkraittextract,  und  zwar  6  Tage  lang.  Nun  fällt  man,  wenn  kein  In- 
sult aufs  Neue  erfolgt,  alle  10  Tage  um  5  Gran  Zink  und  1  Gran  Hyoscy- 
ainus  p.  d.;  nach  24  Tagen  wird  nur  alle  Abend  ein  Pulver,  nach  den  fol- 
genden 24  Tagen  nur  alle  2  Abende  ein  Pulver  genommen;  2-i  Tage  später 


EPINYCTIDES  —  EPIPHORA  ^      619 

nur  alle  4  Abende,  und  zuletzt,  nach  wieder  verflossener  Frist  alle  7  Abende. 
Bei  belegter  Zunge  wird  ein  Vomitiv  zwischen  der  Cur  gereicht,  bei  reiner 
Zunge,  aber  bei  Obstructio  alvi  habitualis  giebt  S.  mitunter  Folgendes: 
I^  Magnes.  sulphuricae  5J ,  Aq.  mcnth.  pip.  5JJJ ,  Tinct.  amnrnc  ^j.  M.  S. 
Alle  2  Stunden  1  Esslöffel  voll.  Gegen  die  vom  Gehirn  ausgehende  Epi- 
lepsie lobte  Pitschafl  und  Cohen  (s.  HtifelatuVs  Journal.  Septbr.  1833.  und 
Mai  1835  )  folgendes  Pulver  als  sehr  wirksam :  1^  Cinnnh.  factit. ,  Magist. 
lismuthi,  Ucrh.  Nicotinn.  ana  gr.  xx,  Extr.  nloes  aquos.  gr.  v.  M.  f.  p.  divido 
in  XX.  p.  aeq.  S.  Eine  Stunde  nach  dem  Frühstück  und  Abends  ein  (voa 
Kindern  '/,  oder  V4)  Pulver  zu  nehmen. 

Epinyctide(9  9  Peringctides ,  Na  cht  blättern.  Ist  ein  pustuloser 
Ausschlag,  welcher  während  der  Nacht  entsteht,  auch  während  derselben 
durch  Jucken  besonders  lästig  wird.  Oft  scheint  dieser  Ausschlag  kritisch 
zu  seyn,  indem  mit  dem  Erscheinen  desselben  frühere  rheumatische  und 
nervöse  Beschwerden  (Migräne)  verschwinden  (3f.). 

Epiphaenomena,  später  hinzukommende  Krankheitserscheinungen, 
die  also  im  Verlauf  der  Krankheit  sich  erst  zeigen. 

KIpiphorAj  Delacrijmatio ,  Dacryorrhysis,  Lippitudo  serosa,  Ophthal- 
mon ,  üculus  lacrynians ,  Thränenauge,  Thräncnfluss  aus  körperlich 
pathologischen  Ursachen.  Ist  Austiuss  der  normalen  oder  abnorm  veränder- 
ten Thränenfeuchtigkeit  aus  dem  Auge,  welche,  weil  die  Thränenpunkte  sie 
nicht  aufnehmen,  über  die  Wangen  fliesst,  und  woran  deprimirende  Leiden- 
schaften: Gram,  Traurigkeit,  die  durchs  Weinen  auch  eine  Art  Epiphora 
erregen,  keinen  Antheil  haben.  Verschiedene  Zustände,  hervorgegangen  aus 
mancherlei  Krankheitsursachen ,  bezeichnen  wir  mit  dem  Namen  Epiphora, 
daher  wir  folgende  Arten  des  Übels  annehmen: 

Epiphora  cntnrrhalis.  Die  Ursache  liegt  hier,  sowie  bei  vielen  anderen 
Arten  der  Epiphora,  in  der  Thränendrüse.  Diese  Form  ist  die  allergewöhn- 
lichste.  Ein  Fehler  in  der  Resorption  findet  nicht  statt,  nur  die  Function 
der  Thränendrüse  ist  zu  stark,  daher  die  Secretion  übermässig.  Cur.  Das 
Übel  giebt  sich  von  selbst,  sowie  der  Katarrh  verschwindet.  Der  Dunst 
von  Fliederthee,  und,  sind  die  Thränen  sehr  scharf,  Bähungen  der  Augen 
mit  Fiiederblumen  in  Milch  gekocht,  erleichtern  sehr. 

Epiphora  arthritica.  Kommt  nur  nach  den  vierziger  Jahren  des  Lebens 
vor.  Symptome.  Druck  und  Spannung  in  der  Gegend  der  Thränendrüse, 
in  der  Nachbarschaft  des  Auges,  in  der  Schläfe,  im  Jochbeine,  die  am  hef- 
tigsten des  Nachts  sind,  sind  gewöhnliche  Vorboten.  Alsdann  lässt  beim 
Eintritt  der  Epiphora  der  Schmerz  nach,  die  Thränenflüssigkeit  ist  oft  so 
Bcharf,  dass  sie  die  Haut  excoriirt.  Wird  das  meist  sehr  langwierige  Übel 
durch  kaltes  Wasser,  Adstringentia,  Spirituosa ,  durch  Erkältung  des  schwi- 
tzenden Kopfs  plötzlich  unterdrückt,  so  entsteht  eine  sehr  heftige  Ophthal- 
mia arthritica.  Cur.  Ist  die  Epiphora  noch  nicht  alt,  so  hemmt  man  sie 
zuweilen  durch  ein  Haarseil  im  Nacken,  durch  eine  Fontanelle  in  die  Schläfe, 
durch  Bedecken  des  Auges  mit  Gesundheitstaffet ,  vorzüglich  des  Nachts. 
Ist  das  Übel  schon  älter,  so  reibe  man  in  die  Augengegend  und  Schläfen 
dreimal  täglich  20  Tropfen  Balsam,  peruv.  niger,  abwechselnd  auch  Unguent. 
mercur.  5J1V»  Opü  puriss.  ofv-  M.  exact.  S.  Abends  eine  Erbse  gross  einzu- 
reiben (Hirnhj) ,  und  gebe  innerlich  Antarthritica ,  besonders  die  gegen  Ar- 
thritis irregularis  empfohlenen  Mittel;  s.  Arthritis. 

Epiphora  contagiosa.  Alle  Contagien  ergreifen  gern  die  indifferenten 
Organe,  daher  auch  das  Drüsensystem.  So  leidet  häufig  bei  Masern,  Blat- 
tern, Lues  venerea  inveterata,  Psydracie,  Lepra,  zuweilen  auch  bei  Schar- 
lach, Röthein  etc.  die  Thränendrüse,  und  es  entsteht  somit  eine  Epiphora, 
wobei  der  Bulbus  nur  secundär  leidet,  die  aber  viele  Ärzte  schlechtweg 
Ophthalmia  humida  nennen,  ohne  dabei  an  den  Sitz  des  Übels:  an  die  Thrä- 
nendrüse zu  denken.  Bei  den  acuten  Contagien  beobachten  wir  diese  Epi- 
phora in  zwei  Perioden :  1)  beim  Ausbruch  des  Exanthems ,  wo  sie  z.  B. 
wie  bei  den  Masern  um  so  eher  verschwindet,  je  stärker  das  Exanthem  die 


620 


EPIPHORA 


Haut  befällt,  und  daher  wenig  bedeutet;  2)  als  Nachkrankheit  in  der  spä- 
tem Periode.  Hier  ist  sie  bedeutender,  wird  oft  langwierig,  und  darf  da- 
her der  Natur  nicht  überlassen  bleiben.  Schwache  Subjecte  leiden  am  mei- 
sten daran.  Cur.  Man  verordne  warme  Bäder,  innerlich  Kampher  mit  Mer- 
cur.  dulc.  und  etwas  Opium,  lege  ein  Vesicator  in  den  Nacken,  bedecke  das 
Auge  mit  Kräutersäckchen,  welche  Flor,  sambuci,  Chamom. ,  Herb,  menth. 
crisp.  und  piper.  enthalten ,  und  des  Nachts  mit  Wachstaffet.  Unter  den 
chronischen  Contagien  hinterlassen  die  Psydracie  und  Syphilis  leicht  Epi- 
phora. Bei  ersterer  Form  behandle  man  das  Grundübel,  gebe  innerlich  Merc. 
dulc.  mit  Sulph.  aurat. ,  Aethiops  antimonial.,  Spec.  lignornm,  und  wende 
äusserlich  ein  schv\aches  Sublimatwasser  mit  Opium  an.     Bei  der 

Epiphora  venerca  Hegt  stets  eingewurzelte,  veraltete  Lues  zum  Grunde. 
Cur.  l)ie  der  Lues  inTeterata,  Äusserlich  wende  man  lauwarm  mit  Com- 
pressen  folgendes  Wasser  an :  I^  Merc.  sublim,  corros.  gr.  j ,  Aquae  destiUnt. 
§vj,  Tinct.  Opa  vinos.  5jj  —  5jjj-  M.  (ü»?i/y).  Späterhin  bringe  man  zwei- 
mal täglich  eine  Linse  gross  von  folgender  Salbe  in  den  innern  Augenwin- 
kel: I^  Turpeih.  minor al.  pulv.  gr.  xv,  ßutyr.  reccnt.  insuls.  S^j-  M.  exactis- 
ßime  {Schmidt}. 

Epiphora  scrophulosa.  Sie  ist  oft  recht  hartnäckig  und  langwierig, 
weicht  oft  nur  dem  reifern  Alter.  Symptome.  Ausser  den  allgemeinen 
der  Scrophelkrankheit  unterscheidet  sich  diese  Epiphora  dadurch,  dass  alle 
2  —  3  Stunden  periodisch  ein  Thränensturz  kommt,  in  der  Zwichenzeit  aber 
das  Auge  nur  etwas  feuchter  ist;  zugleich  findet  man,  dass  auch  die  Mei- 
bomschen  Drüsen  leiden.  Cur.  Man  gebe  innerlich  Antiscrophulosa ,  lege 
ein  Vesicator  in  den  Nacken,  unterhalte  dies  vier  Wochen  lang  im  Zuge, 
lege  Unguent.  irritans  in  die  Grube  hinter  das  Ohr  an  den  Process.  mastoi- 
deus  (s.  Amaurosis),  unterhalte  auch  hier  wochenlang  die  Eiterung, 
verordne,  lauwarm  anzuwenden,  das  oben  (Epiph.  venerea)  erwähnte  Au- 
genwasser, .späterhin,  wenn  die  Besserung  eintritt,  Decoct.  chinae  mit 
Opium,  auch  aromatische  Kräuter  mit  Wein,  mit  Spirit.  serpylli  infundirt. 
Dabei  entwöhne  man  das  Auge  durch  den  Verband  nicht  von  Licht  und 
Luft,  hänge  also  die  aromatischen  Kräutersäckchen  nur  leicht  über  das  Äuge. 

Epiphora  scorhtilica.  Hier,  sowie  bei  CoUiquation  der  Säfte  in  Faul- 
fiebern ,  in  seltnen  Fällen  bei  anomaler  Menstruation ,  wird  selbst  eine  blu- 
tige Flüssigkeit  abgesondert  (Epiphora  cruenta,  sanguinea).  Man  behandle 
das  Grundübel,  bringe  die  Menses  in  Ordnung,  gebe  bei  Scorbut,  bei  Febr. 
putrida  Mineralsäuren,  China  etc.,  und  das  Symptom  wird  sich  von  selbst 
geben. 

Ejnphorn,  Thränenfluss.  Jibiglcen  (s.  Rus^s  Handbuch  d.  Chirurgie. 
Bd.  VL  S.  405)  meint,  da  dieses  Übel  nur  Symptom  anderer  Übel  sey,  so 
könne  von  einer  besondern  Cur  der  Epiphora  nicht  die  Rede  seyn.  Diese 
Ansicht  ist  aber  grundfalsch.  Es  glebt  unendlich  viele  Krankheitserschei- 
nungen und  Krankheitsformen,  die  nur  Symptom  eines  tiefer  liegenden  Lei- 
dens sind  und  deshalb  dennoch  verdienen ,  besonders  in  den  Handbüchern 
einzeln  aufgeführt  zu  werden,  weil  sie  als  Hauptsymptora  auf  das  Grund- 
übel  leiten.  Haben  wir  doch  auch  Vcmitus,  Dianhoea,  Singultus,  Dyspepsia, 
Dysphagia,  Cephalalgia,  die  ganze  Gattung  der  Haemorrhagien,  den  Diabe- 
tes, die  Incontinentia  urinae,  die  Ischurie,  die  Retentionen  der  Menses,  die 
.symptomati.ichen  Amaurosen  und  Cataracten  und  zahlreiche  andere  Gebre- 
chen ,  die  nur  die  Symptome  eines  tiefer  liegenden  Leidens  ausmachen  und 
nicht  als  selbstständige  Krankheiten  betrachtet  werden  können  ( wie  w  enig 
ist  in  der  Natur  und  dem  Wesen  der  Krankheiten,  —  die  als  eine  Glieder- 
kette zu  betrachten  sind,  eine  unendliclie  Reihe  Aon  Ursachen  und  Kol<;en  — 
als  sclbstständig  zu  betrachten ,  wie  wenig  wesentlich  z.  B.  die  Eintheilung 
in  Encanthis  apostematosa,  fungosa,  scirrhosa  und  carcinomatosa ,  wenn  sie 
alle  nur  Folgen  der  inflammatorischen  Form  und  einiger  Nebenumständc 
sind,  —  s.  Rust's  Handb.  d.  Chirurgie.  Bd.  VI.  S.  209  u.  f.  ! !),  --  und 
dennoch  muss  von  einer  besondern  Cur  derselben  die  Rede  seyn,  weil  für 
den   menschlichen  Geis*    nichts   nothwendiger   und  heilsamer 


EPIPLEGIA  —  EPISIOPHYMA  621 

in  Kunst  und  Wissenschaft  ist,  als  die  Vielseitigkeit  des  Le- 
bens —  gleichviel  des  gesunden  oder  des  kranken  Lebens  —  aufzu- 
fassen und  nie  als  Künstler  den  Versuch  zu  wagen,  einem  abstracten  lo- 
gischen Begriife  zur  Liebe  sich  von  der  Kunst  und  vom  Leben  zu  entfernen. 
Denn  die  Kunst  ist  eben  so,  wie  das  Leben ,  von  welchem  sie  eine  gewählte 
Darstellung  ist,  vielseitig  und  unerschöpflich.  Wie  dürftig  würden  für  die 
ärztlichen  und  wundärztlichen  Künstler  unsere  Handbücher  der  Medicin  und 
Chirurgie  seyn,  wenn  sie  nur  dasjenige  enthalten  sollten,  was  sich  streftge 
vor  dem  Richterstuhl  der  Logik  und  der  reinen  Wissenschaft,  welche  beide 
nur  den  Nordpol  unsei'S  geistigen  Lebens  repräsentiren ,  rechtfertigen  liesse ! 
Warum  schrieb  Ilippolrntes  in  Aphorismen  ?  Warum  versteht  der  Mathema- 
tiker unter  seinen  negativen  und  positiven  Grössen  etwas  ganz  Anderes  als 
das,   was  der  logische  Begriff  davon  sagt?  — ■ 

E]pipleg^aa,  Halbschlag.  Ist  eine  unrichtige  Benennung  für  He- 
miplegia. 

füpiplocelC;  Netzbruch,  s.  Hernia  o mentalis. 

Epiplocystosclieocele»  Netzblasenhodensackbruch,  wo 
Netz  und  zum  Theil  die  Harnblase  im   Hodensacke  liegen;    s.  Hecnia. 

Epiploenteroscheocele 5  Netzdarmhodensackbruch,  s.  Hernia 
scrotalis. 

£piploitis,  Netzentzündung,  g.  Infl^mmatjocmenti. 

Epiplomerocele,  der  Netz  Schenkelbruch.  Ist  ein  Schenkel- 
bruch, worin  sich  ein  Theil  des  Netzes  befindet,  daher  bei  der  Einklem- 
mung durch  Spannung  desselben  ein  so  heftiger  Schmerz  um  den  Nabel  ent- 
steht,   dass  manche  Kranke  laut  schreien.     S.  Hernia  cruralis. 

EpiploinpSialon,   Netznabelbruch,  &  Hernia  umbilicalis. 

dpiplosarcoiuplialoii,  Netznabelfleischbruch,  s.  Hernia  um- 
bilicalis. 

Xlpiplosclieocele,   Netzhodensackbruch,  s.  Hernia  scrotalis. 

Elpiporoina,  eine  oberflächliche  Verhärtung,  Schwiele,  ein 
nach  Kiiochenbrüchen  über  die  Grenzen  des  Knochens  hinausgebildeter  Callus, 

Elpiischesis ,  krankhafte  Zurückhaltung,  z.  B.  eüier  normalen 
Auslt^eiung ,  des  Harns,  Stuhlgangs,  der  Menses  etc. 

dpiiseniasia ,  das  Vorzeichen,  besonders  des  nahe  bevorstehenden 
Fieberaafalles ,  z.  ß.  das  Rieseln  und  Ziehen  im  Rücken  und  in  den  Glie- 
dern kurz  vor  dem  Paroxysmus  der  Intermittens. 

Kpisioceles   Schamlefzenbruch,  s.  Hernia  labiorum  vulvae. 

XSpisioucusi,  Schamlefzenanschwellung,',  s/  Inflamm atio  labio- 
rum vulvae. 

fipisiophyina,  Episioncus  cruenius,  Schamlefzenbeule.  Ist  oft 
Folge  schwerer  Geburten ,  nach  Verletzungen.  Cur.  Die  Behandlung  der 
Contusion.  Zuweilen  rührt  das  Übel  von  einem  Varix  her.  Hier  die  Be- 
handlung des  Varix:  Adstringentia,  Decoct.  quercus,  Alaun;  in  schlimmen 
Fällen  die  Operation  des  Varix.  Ist  das  Übel  schon  vor  der  Geburt  da, 
nicht  sehr  bedeutend,  und  sind  die  Wehen  kräftig,  vergrössert  und  verdun- 
kelt sich  während  derselben  die  Geschwulst  nicht ,  sind  keine  Varices  an  den 
Schenkeln  zugegen,  so  kann  man  die  Austreibung  der  Frucht  der  Natur 
überlassen  und  während  des  Kreisens  aromatische  Fomentationen  überschla- 
gen. Ist  die  Geschwulst  aber  sehr  gross,  der  Schmerz  darin  spannend,  die 
Farbe  dunkelblau,  ist  die  Wehenkraft  geringe,  so  öffne  man  die  Geschwulst 
und  befördere  die  Geburt  auf  schnelle  Weise  durch  die  Zange  oder  die 
Wendung,  we  die  Umstände  es  erfordern,  wende  auch  hinterher  Styptica 
an,  kalte  Umschläge  etc.  Nicht  selten  folgt  dann  Eiterung,  wobei  der  Ei- 
ter recht  übel  riecht  und  wo  mit  Decoct.  quercus,  Myrrhe  und  Charpie  ver- 
bunden werden  muss. 


622  EPISIORHAPHIA  --  EPULIS 

dpisiorbaphia,  die  Schamlefzennaht.  Diese  Operation,  bei 
welcher  man  den  gröbsten  Theil  der  Schanilefzen  wund  macht,  dann  sie  zu- 
nähet und  per  primam  inten tionem  zu  heilen  sucht,  verrichtete  Hr.  Dr.  Friche 
im  Hamburger  Krankenhause,  und  zwar,  um  so  ohne  den  Gebrauch  eines 
Pessariums  den  Prolapsus  uteri  zu  heilen.  Nach  vorn  zu  bleibt  nur  eine 
Ideine  ÖiFnung  für  die  Menses,  die  Urinexcretion,  das  Eindringen  des  Penis. 
Im  Septbr.  1833  schlug  die  vom  Dr.  Frühe  dort  gemachte  Operation  indes- 
sen öfters  fehl,  weil  die  bei  altem  Prolapsus  uteri  stets  stattfindende  Blen- 
norrhoe die   schnelle  Vereinigung  hindert  und   die  Vereiterung  begünstigt. 

Episiorrbag^ia,  Blutung  aus  den  Schamlefzen,  s.  Haemorrhagia 
labiorum  vulvae. 

Epispadiaeu.«! ,  s.  Hypospadiaeus. 

Epispastica,  Zugmittel,  z.B.  spanische  Fliegen;  s.  Cauatica. 
SlpistaxiSj  häufiges  Tropfein  des  Blutes  aus  der  Nase,  Nasenbluten, 
s.  Haemorrhagia  narium. 

Epitasis,  die  Verstärkung  (^tntciisio')  eines  Fiebers  (JUppo- 
lirntes). 

Kpitbymia»  die  Begierde,  das  heftige,  übermässige  Verlangen 
nach  etwas,  z.  B.  in  Krankheiten,  in  Schwangerschaften  nach  dieser  oder 
jener  Speise. 

Kpizootia,  Thierseuche,  dasselbe  unter  dem  Viehe,  was  Epide- 
niia  unter  den  Menschen  ist. 

Epulis»  schwammiger  Auswuchs  am  Zahnfleische.  Ist  eine 
fleischartige  Excrescenz  des  Zahnfleisches,  die  meist  fühllos,  oft  knorpelig 
ist  (Sclerosarcoma) ,  und  nicht  selten  von  Caries  des  Zahns  oder  der  Alveola 
herrührt.  Cur.  Man  schneidet  sie  weg  und  brennt  hinterher  den  Grund 
mit  einem  kleinen  Glüheisen.  Geschieht  letzteres  nicht,  so  wächst  sie  leicht 
■wieder.  Ist  die  Geschwulst  sehr  empfindlich ,  leicht  blutend ,  geht  sie  in 
Verschwärung  über,  so  ists  häufig  Osteosteatom  des  Processus  alveolaris; 
s.  d.  Artikel. 

Epulis,  Excrescentia  gingivne.  In  Rtisfs  theoret.  und  prakt.  Handbuche 
der  Chirurgie,  Bd.  VI.  S.  418,  werden  verschiedene  Arten  des  Zahnfieisch- 
gewächses  angenommen:  1)  fungöse  Wucherungen,  die  als  Product 
der  Parulis  zu  betrachten  sind  und  von  einer  cariösen  oder  nekrotischen 
Zerstörung  der  Kinnlade  oder  eines  Zahns  herrührenl  2)  Es  sind  poly- 
pöse oder  sarcomatöse  Auswüchse,  am  häufigsten  entstanden  durch 
venerische,  scorbutische,  mercurielle,  rheumatische  Dyskrasic ,  seltener  durch 
traumatische  Ursachen.  3)  Sie  haben  die  Natur  erectiler  Geschwül- 
ste, wie  Naevus  maternus,  Telangiectasis ;  sie  pulsiren,  haben  ein  hellro- 
thes,  festeres,  elastisches  Gewebe,  weichen  dem  Fingerdrucke,  erscheinen 
aber  gleich  wieder;  sie  bluten,  werden  sie  zufällig  verletzt,  oft  bedeutend ; 
ihre  Entstehung  ist  oft  nicht  auszumitteln.  4)  Die  scirrhöse  Epulis, 
die  schlimmste  Form,  ist  hart,  knorpelartig,  leicht  blutend,  in  spätem  Sta- 
dien oft  recht  schmerzhaft.  Sie  hat,  wird  sie  nicht  früh  exstirpirt,  grossQ 
Neigung,  in  ein  wirkliches  Krebsgeschwür  überzugehen.  Die  Grösse  der 
Zahnfleischgewächse  variirt  von  der  einer  Linse  bis  zu  der  einer  Pflaume, 
die  Form  ist  bald  gestielt,  bald  ist  die  Basis  derselben  breit;  ihr  Sitz  ist 
bald  der  convexe ,  bald  der  concave  Alveolarrand ,  bald  finden  sie  sich  im 
Zwischenräume  zweier  Zähne ;  doch  zeigen  sie  sich  häufiger  an  der  untern, 
als  an  der  obern  Kinnlade.  Sie  erregen ,  wenn  sie  grösser  werden ,  ver- 
schiedene Beschwerden  im  Kauen,  Schlucken,  Schmerzen,  Entzündung,  Eite- 
rung, Verschwärung,  Drüsenanschwellung  in  der  Nachbarschaft,  unerträg- 
lichen Gestank  etc.  Da  diese  Zufälle  oft  sehr  belästigend  sind,  auch  die 
scirrhöse  Epulis  leicht  in  Krebs  ausarten  kann,  so  erfordert  das  Übel  stets 
ein  entsprechendes  chirurgisches  Verfahren :  entweder  die  Unterbindung, 
oder  den  Schnitt,  oder  die  Cauterisation;  darneben  auch  innere  Mit- 
tel gegen  die  etwa  vorhandene  Dyskrasie,     Cariöse  Zähne  und  solche,  wel- 


EPULOTICA  -  ERETHISMUS  .     623 

che  die  Operation  hindern,  müssen  vorher  entfernt  werden.  Sind  sie  gestielt, 
so  kann  man  sie  unterbinden ,  indem  man  eine  gerade  Nadel  mit  doppeltem 
Faden  durch  die  Mitte  der  Basis  sticht  und  je  zwei  Enden  an  jeder  Seite 
der  Geschwulst  fest  zubindet.  Ist  Caries  da  oder  starke  Blutung  zu  be- 
fürchten ,  so  wendet  man  das  Glüheisen  an.  Auch  ist  dieses  in  solchen  Fäl- 
len, wo  die  Exstirpation  nichts  fruchtete  oder  schwierig  zu  vollfuhren  ist, 
vorzuziehen.  Man  schiebt  -  vorher  ein  Stück  Kork  zwischen  die  Backenzähne, 
entfernt  die  Zunge  durch  einen  Mundspatel  von  der  kranken  Stelle  und 
schützt  Lippe  und  Wangen  durch  eingelegte  feuchte  Pappstücke.  Alsdann 
bringt  man  das  kugel  -  oder  knopfförmige  Glüheiisen  mit  der  kranken  Partie 
in  Berührung.  Am  schnellsten  und  gründlichsten  entfernt  man  die  Epulis 
durch  den  Schnitt,  entweder  mittels  eines  geknöpften  concaven  Bistouris 
oder  mittels  der  Cooper'schen  oder  Richter'schen  Scheere,  oder  durch  Hülfe 
beider,  wie  es  am  bequemsten  ist.  Man  fixirt  die  Epulis  mittels  eines  Ha- 
kens oder  einer  Ansa,  und  führt  die  Scheere  unter  dem  Schutze  des  freien 
Zeigefingers.  Blutet  die  Wunde  stark,  so  wendet  man  sogleich  das  Glüh- 
eisen an.  Später  dienen  zuerst  schleimige,  zuletzt  adstringirende  Mundwas- 
ser. Entstehen  entzündliche  Zulalle,  so  muss  auch  ein  mehr  oder  weniger 
strenges  antiphlogistisches  Verhalten  beobachtet  werden.  Bilden  sich  später 
neue  Wucherungen,  so  kann  man  sie  mit  I^p.  infernalis  betupfen.  Heyfel- 
der (^Holinhnuiii's  und  Jahi^s  Medic.  Conversationsblatt.  1331.  Nr.  IV.)  be- 
obachtete bis  jetzt  nur  zwei  Formen  von  Epulis:  1)  weiche  Zahnfleischaus- 
wüchse, welche  Telangiectasien  einer  Alveolararterie  sind,  aus  der  Alveola 
hervorwachsen  ,  gewöhnlich  2  Zähne  auseinander  drängen  (die  zugleich  lose 
werden  und  höher  stehen).  Hier  bildet  der  Auswuchs  2  Säcke ,  wovon  der 
eine  vor,  der  andere  hinter  den  Zähnen  liegt.  Ihre  Farbe  ist  anfangs 
roth ,  später  braun,  selbst  schwarz ;  sie  bluten  bei  der  geringsten  Berührung. 
Er  unterbindet  sie  mit  einem  gewichsten  seidenen  Faden,  worauf  sie  nach 
5  —  7  Tagen  abfallen,  in  keinem  Fall  wieder  kommen;  auch  die  Zähne  ihre 
frühere  Stellung  wieder  einnahmen.  2)  Feste,  warzenartige,  mit  einer  brei- 
ten Fläche  auf  dem  Zahnfleisch  haftende,  mit  Caries  alveolae  verbundene 
Auswüchse.     Hier  hilft  nur  das  Glüheisen. 

Epulotica,  Cicairisantia^  vernarbende  Mittel,  welche  die  schnel- 
lere Heilung  und  eine  baldige  gute  Vernarbung  bei  Wunden  und  Geschwü- 
ren befördern.  Dahin  gehören  besonders  zweckmässige  Bindeil ,  am  Ende 
der  Heilung  trockuer  Verband  und  leichtes  Bestreichen  der  Wundränder  mit 
Lap.  infernalis;    s.  Abscessus. 

Eretbismus,  Reizung,  krankhaft  erhöhte,  ungleiche,  abnorme  Er- 
regbarkeit, gereizte  und  vermehrte  Tliätigkeit,  z.  B.  bei  Entzündungen, 
Fiebern,  die  entweder  örtlich,  durch  Reizmittel,  incitirende  Potenzen  erregt 
wird,  oder  durch  allgemein  einwirkende  Reize  den  ganzen  Organismus  er- 
griffnen haben  kann.  Wir  unterscheiden  Erethismus  arteriostis  und  nervosus. 
Ersterer  findet  statt  bei  sanguinischem  Temperamente,  jugendlichem  Alter, 
entzündlicher  Diathesis;  letzterer,  den  manche  Neuere  auch  schlechtweg 
Erethismus  nennen,  bei  Habitus  spasticus ,  bei  Hysterie,  Hypochondrie  und 
bei  andern  Neurosen,  wo  das  Nervensystem  krankhaft  erregt  wird  und  die 
Constitution  reizbar,  sensibel,  das  Temperament  lebhaft,  das  Subject  zu 
Congestionen  und  Blutwallung  geneigt  ist,  ohne  dass  wahre  Plethora  statt- 
findet. Hecier  sagt  in  Rmfs  Handbuch  d.  Chirurgie,  Bd.  VI.  S.  423:  „Es 
ist  eine  gewöhnliche,  sich  noch  vom  Brownianismus  und  von  der  Erregungs- 
theorie  herschreibende  Annahme,  dass  der  Erethismus  immer  nur  mit  Schwä- 
che verbunden  sey,  und  zwar  mit  der  sogenannten  directen  oder  irritabeln, 
die  daher  auch  den  Namen  der  erethistischen  erhalten  hat.  Diese  Annahme 
hat  in  der  medicinischen ,  wie  in  der  chirurgischen  Praxis  grossen  Schädeh 
gethan ,  indem  der  Begriff  von  Schwäche  zum  Gebrauche  verschiedener  Reiz- 
und  Stärkungsmittel  zu  berechtigen  schien.  Sie  erleidet  aber  grosse  und 
folgenrechte  Einschränkungen ,  indem  selbst  ein  bedeutender  Grad  von  Wir- 
kungsvermögen,  also  von  athenischem  Zustande,   mit  Erethismus  verbunden 


62-1  ERODENTIA  —  ERYSIPELAS 

seyn  und  gerade  das  entgegengesetzte  Heilverfahren ,  nämlich  das  antiphlo- 
gistische, erfordern  kann. "  Der  Erethismus  der  contractilen  Theile ,  zumal 
der  Haut,  wird  Vulnerabilität  genannt,  d.  i.  derjenige  Zustand,  bei 
dem  nicht  nur  grössere  Contractiiität  stattfinden ,  sondern  auch  besondere 
Anlage  zu  leicht  entstehenden  Entzündungen  und  eben  so  leichtem  Über- 
gange derselben  in  Eiterung  und  Brand,  also  dasselbe,  was  man  im  gemei- 
nen Leben  „eine  schlechte  Haut  zu  heilen"  nennt. 

Erodentia,  s.  Caustica. 

Eroniania,  Erotp,yi(inia ,  Amor  insnnus,  Liebeswahnsinn,  wel- 
cher in  Verkehrtheit  des , Vqrstellungsvermögens  seinen  Grund  hat,  häufig 
im  Jünglingsalter  eintritt  und  meist  immer  von  de;r  Mitwirkung  des  Ge- 
schlechtstriebes frei  ist.  Diese  Seelenstörung,  ist  die  heftigste  Leidenschaft 
für  einen  Gegenstand,  der  dem  Kranken  moralisch  oder  physisch  unerreich- 
bar scheint.  Häufiges  Romanenlesen  und  schwärmerische  Phantasie  beför- 
dern das  Übel.  Cur.  Muss  psychisch  seyn.  Ernsthafte  Beschäftigung,  das 
Studium  der  Geschichte,  Geographie  und  einer  ruhigen  Lebensphilosophie 
vermögen  hier  mit  der  Zeit  sehr  viel.  Ist  der  geliebte  Gegenstand  erreich- 
bar,   so  hilft  oft.  das  Heirathen  (s.  auch  Nymphomania). 

Erosio  ventriculi  ,  s.  Gastrobrosis. 

Errlitna,  Niesenüttel,  s,  Sternutatorium.  ' 

Errliysis,  Rieseln  des  Blutes,  langsame  Blutung,  s.  Haemorrhagia, 

Erysipelas,  Ignis  sacer,  Ignis  St.  Antonii,  Brimus,  Rosa,  Erythema, 
Rose,  üothiauf.  So  nannte  man  in  früherer  Zeit  verschiedene  Hautent- 
zündungen ,  die  mehr  oberflächlich  sich  längs  der  Haut  verbreiten ,  sich  we- 
nig in  die  Tiefe  erstrecken  und ,  wenn  sie  auch  nicht  scharf  begrenzt  sind, 
sich  doch  nur  auf  einzelne  Hautstellen  beschränken.  Auch  wahre  phlegmo- 
nöse Hautentzündung,  so  wie  ein  locales  chronisches  Krankseyn  der  Haut 
mit  Röthe,  Empfindlichkeit  und  Jucken  des  Theils  und  ohne  Fieber  (Ery- 
thema) ctyifundirte  man  mit  dem  Erysipelas.  In  neuerer  Zeit  hat  man  den 
Begriff  enger  gestellt,  um  dadurch  Missgriffe  in  der  Diagnose  und  Heilung 
der  Rose  zu  verhüten.  .  Demnach  ist  Rothlauf  dicsenige  Entzündung  der 
Haut ,  welche  in  dem  auf  der  Oberfläche  der  Lederhaut  ausgebreiteten 
Lymphgefässnetze ,  wahrscheinlich  auch  in  den  Hautschleimdrüschen  und  im 
Malpighi'schen  Schleimnetze  ihren  Sitz  hat,  immer  nur  stellenweise  erscheint, 
häufiger  sich  in  der  Hautoberfläche,  als  in  der  Fetthaut  verbreitet,  und  mit 
einem  Leiden  der  Digestionsorgane,  insbesondere  der  Leber,  in  ursächlicher 
Verbindung  steht  (^Rtist,  Raimnmi).  Alle  oberflächlichen  Hautentzündungen, 
die  der  Rose  ähnlich  sehen,  durch  Hitze,  Kälte,  chemische  Schärfen,  leichte 
Verwundungen,  von  Entzündung  sehniger  Ausbreitungen,  von  metastatischer 
Ablagerung  auf  die  Zellhaut,  Beinhaut  und  die  Drüsen  (K?w^c),  von  gastri- 
schen, rheumatischen,  arthritischen  Beschwerden  herrühren,  sind  demnach 
nicht  zum  Erysipelas ,  sondern  zum  Pseudo  -  Erysipelas  zu  rechnen  {Rust). 
Richter  (Therapie  Bd.  H.)  unterscheidet  in  dieser  Hinsicht  Erjs  locale  und 
universale,  und  versteht  unter  ersterm  Pseudo  -  Erysipelas,  unter  letzterm 
die  WJilire  Rose;  die  Benennungen  sind  aber  unrichtig,  denn  auch  ein  All- 
gemeinleiden (Arthritis)  kann  Pseudo  -  Erysipelas  erregen ,  und  die  wahre 
Rose,  mag  ihr  immerhin  ein  Allgemeinleiden  zum  Grunde  liegen ,  ist  in  den 
meisten  Fällen  doch  immer  ein  Localübel,  das  also  nur  diesen  oder  jenen 
Theil,  am  häufigsten  das  Gesicht  und  die  Glieder,  befallt.  Auch  ists  Un- 
recht ,  wenn  Richter  die  BVostbeulen  eine  Spielart  der  örtlichen  Rose  nennt 
(s.  Perniones).  Symptome  der  wahren  Rose.  Zwei  bis  drei  Tage 
leidet  der  Kranke  an  katarrhalisch -gastrischem  Fieber,  Rothlau  fsfi  eher 
(^Fcbris  ergsipelncea)  genannt ;  alsdann  entsteht  an  ir^nd  einem  Theile  des 
Körpers  (das  Übel  kann  jede  Stelle  der  Hautoberfläche  befallen)  Röthe  mit 
Jucken,  Brennen,  Hitze;  diese  Röthe  ist  rosenroth ,  verbreitet  sich  von  ei- 
nem Punkte  aus ,  ist  blässer  als  bei  andern  Entzündungen ,  spielt  an  ihren 
nicht   scharfen  Grenzen   ins  Gelbliche,    verschwindet    unter   dem  Druck  des 


\ 


ERYSIPELAS  025 

Fingers,  kehrt  beim  Nachlassen  des  Drucks  schnell  zurück;  dabei  ist  eine 
flache ,  massig  harte ,  nach  den  Rändern  hinlaufende  Geschwulst  und  kein 
klopfender,  stechender,  sondern  ein  brennender,  juckender,  spannender 
Schmerz.  Die  leidende  Hautstelle  ist  bald  nur  ein  oder  einige  Hände  gross, 
zuweilen  leidet  ein  ganzes  Glied  (Arm,  Bein),  in  sehr  seltenen  Fällen  ver- 
breitet sich  die  Rose  über  den  ganzen  Körper.  Sie  ist  zuweilen  ■von  sehr 
flüchtiger  Natur,  verschwindet  oft  plötzlich,  kommt  ebenso  schnell  an  än- 
dern Stellen  zum  Vorschein,  wobei  ein  neuer  Fieberfrost  eintritt,  macht 
mitunter  Ver^zungen  nach  den  Schleimhäuten,  nach  der  Pia  mater,  und 
erregt  Encephalitis  (s.  Metastasis  und  Erysipelas  retr  og  ressum). 
Verlauf  und  Ausgänge.  Der  Gang  der  Rose  ist  rasch,  gewöhnlicfr 
zieht  sie  am  siebenten ,  neunten  Tage  ab ,  das  Fieber  wird  gelinder ,  hört 
unter  Krisen  durch  Haut  und  Urinwege  auf,  die  Geschwulst,  der  Schmerz 
und  die  Röthe  des  leidenden  Theils  verschwinden  und  die  Oberhaut  schuppt 
sich  kleienartig  ab.  Dies  ist  der  gewöhnliche  und  beste  Ausgang :  die  Z  e  r- 
theilung.  Weniger  günstig  ist  der  Ausgang  in  Eiterung,  der  durch 
Missbrauch  nasser  und  fettiger  Dinge,  durch  kachektische  Constitution,  be- 
sonders bei  Erys.  phlegmonodes  oft  erregt  wird  und  oft  schnelle  Verjau- 
chung, Zerstörung  des  Zellgewebes,  der  Muskeln ,  Fisteln,  Caries  zur  Folge 
hat.  Noch  schlimmer  ist  der  Ausgang  in  Brand.  Die  zu  nervösen  und 
putriden  Fiebern  sich  gesellende  Rose ,  die  bei  alten ,  geschwächten ,  was- 
sersüchtigen Personen,  die  Rose,  A*elche  bei  Kindern  am  Leibe,  Nabel,  an 
den  Genitalien  erscheint,  hat  vorzüglich  Neigung  zum  Brande.  So  ist  auch 
der  sogenannte  Hospitalbrand  ursprünglich  eine  Rose,  sowie  die  Furia  infer- 
nalis,  welche  oft  die  Soldaten  im  Bivouac  ergreift,  nichts  weiter  als  eine 
bösartige  Rose  mit  Neigung  zum  Brande  ist.  Ein  vierter  Ausgang  ist  Ver- 
härtung. Die  Rose  des  Unterschenkels,  die  an  drüsigen  Theilen,  an  den 
Brüsten,  besonders  wenn  nasse,  kalte,  adstringirende  Mittel  gebraucht  wer- 
den ,  nimmt  gern  diesen  Ausgang.  Ein  seltener ,  fünfter  Ausgang  ist  der  in 
chronische  Rose.  Hier  sind  die  Zufälle  des  Localleidens  nur  massig,  zie- 
hen sich  in  die  Länge,  die  krankhafte  Affection  befällt  nach  und  nach  meh- 
rere Stellen  des  Körpers,  oder  währt  massig  lange  Zeit  an  ein  und  dersel- 
ben Stelle  fort.  Gichtische,  scrophulöse  und  solche  Personen,  die  an  grossen 
Unordnungen  im  Pfortadersystem  leiden ,  sind  zu  dieser  Form  der  Rose  am 
geneigtesten.  Ursachen.  Personen  mit  reizbarer,  empfindlicher,  vollsaf- 
tiger, durch  Zimmerluft  und  Pelzwerk  verweichlichter  Haut,  mit  choleri- 
schem Tempei-amente ,  Plethora  abdominalis,  venöser  Dyskrasie,  Hämorrhoi- 
dalcongestion ,  die  an  Gicht,  Adiposis  morbosa,  Leukophlegmatie ,  an  ano- 
malem Menstrual-  und  Hämorrhoidalflusse  leiden,  haben  die  meiste  Neigung 
zur  Rose.  Erkältung  nach  Erhitzung,  schneller  Temperaturwechsel,  die- 
selbe Luftbeschaffenheit,  welche  im  Spätsommer  und  Herbst  epidemische 
Ruhren  befördert  (M.),  gastrisch  -  gallige  Reize,  der  Genuss  zäher,  fetter, 
ranziger,  reizender  Dinge:  der  Muscheln,  Austern,  Krebse,  des  Gänseflei- 
sches; heftiger  Zorn,  Ärger,  Missbrauch  geistiger  Getränke  veranlassen  das 
Übel  bei  jeder  Hautbeschaffenheit  sehr  leicht.  Prognose.  Ist  im  Allge- 
meinen und  bei  einfacher  Rose  gut;  bei  allgemeiner  Kachexie,  bei  Hydrops, 
Febris  nervosa,  putrida,  oder  wenn  die  Rose  auf  innere  häutige  Organe: 
Gehirn,  Mag^n,  Gedärme  übergeht,  oder  wenn  sie  schlecht  behandelt  wird, 
ist  die  Krankheit  nicht  ohne  Gefahr.  Cur  im  Allgemeinen.  1)  Man 
entferne  die  etwa  noch  fortwirkenden  Schädlichkeiten,  vermeide  Erkältung, 
sorge  für  Reinlichkeit,  massig  warme  Zimmertemperatur.  2)  Man  gebe 
zuerst  ein  Brechmittel  aus  Ipecacuanha  und  Tart.  emetic. ,  und  darauf,  um 
die  Diaphoresis  und  Diuresis  zu  befördern,  Salmiak  mit  Aq.  flor.  sambuci 
und  Tart.  emet.  in  refracta  dosi,  auch  Vin.  stibiat.  mit  Spirit.  Minderer! 
und  Aq.  flor.  sambuci.  Sind  wenig  Zeichen  von  Sordes  da,  so  kann  man 
ohne  Brechmittel  fertig  werden  und  gleich  den  Tart.  emet.  mit  Salmiak  ge- 
ben. 3)  Man  vermeide  alles  Nasse  und  Kalte  am  leidenden  Theile,  wende 
dagegen  trockne  Wärme:  warmgemachtes,  in  der  Pfaime  gebranntes  Mehl, 
Kleien,  mit  Spec.  resolvent.,  an,  und  empfehle  Ruhe.  4)  Man  berücksich- 
Mo8t  Encyklopädie.  2te  Aufl.  I.  4Q 


626  ERYSIPELAS 

tige  die  Natnr  des  Fiebers,  die  Constitution  des  Kranken  und  die  ßpeclelle  l 
Form  des  Übels.  In  dieser  Hinsicht  unterscheiden  wir  folgende  Arten  dei  I 
Rothlaufs.  _  .      l 

ErysipeJns  faciei,  Gesichtsrose.  Sie  kommt  am  häufigsten -Tor,  ist  ' 
bei  robusten  Subjectcn  meist  mit  starkem  Fieber  und  gastrischen  Beschwer- 
den verbunden,  das  indessen  beim  Erscheinen  des  tJbels  sich  meist  vermin- 
dert. Das  Gesicht  ist  oft  stark  geschwollen,  die  Röthe  .saturirt,  zuweilen 
bilden  sich  Pusteln,  Blasen.  Dabei  oft  etwas  Delirium,  Sopor,  und  Leibes- 
rerstopfung,  heftig  brennender  Schmerz.  Cur.  Aderlassen '^t  oft  nöthig, 
dabei  innerlich  Nitrum,  Salmiak,  bei  heftiger  Leibesversiopfung  Infus,  laxat. 
Vienn.  mit  Sal  Glauberi ,  um  vom  Kopfe  abzuleiten  und  Encephalitis  zu 
verhüten.  Ist  die  Heftigkeit  des  Fiebers  und  der  Localzüfälle  gehoben ,  dann 
Salmiak,  Spirit.  Minderen,  Tart.  emetic.  in  kleinen  Dosen.  Örtlich  passen 
die  oben  erwähnten  trocknen,  warmen  Umschläge.  Nasse  Mittel  sind  auch 
hier  schädlich  (Af.). 

Erysipelns  syinptomnikum ,  die  symptomatische  Rose,  unpassend 
von  Rtist  Pseudo- Erysipelns  genannt;  s.  Inflammatio  telae  cellulo- 
sae s  u  b  c  u  t  a  n  e  a  e.  Die  Diagnose  zwischen  wahrer  und  falscher  Rose  ist 
nach  Rust  (Theor.  u.  prakt.  Handb.  d.  Chirurgie,  Bd.  VI.  S.  463  u.  f.)  fol- 
gende: Die  wahre  Rose  entkeimt  dem  Digestionsapparate  und  ist  ein  ei- 
genthümliches ,  durch  Gallenreize  bedingtes  Leiden  (^Kluyc  in  Rusl^s  Magaz. 
Bd.  VIII.  Hft.  3,  S.  525).  Geht  sie  in  Verschwärung  und  Brand  über,  was 
bei  richtiger  Behandlung  selten  der  Fall  ist',  so  ninnnt  sie  von  der  Ober- 
fläche des  Körpers  nach  den  darunter  gelegenen  Theilen  ihren  Fortgang 
und  bildet  daher  nie  einen  fluctuirenden  Aliscess ,  sondern  immer  nur  eine 
offene,  weit  ausgebreitete  putride  Geschwürsfiäche.  —  Dagegen  stellt  die 
falsche  oder  unechte  Rose  eine  fixe  Hautentzündung  mit  geringer  Röthe 
(Erythema)  dar,  die  an  und  für  sich  nie  in  Verschwärung  oder  Brand  über- 
geht ,  und  von  zweifacher  Art  seyn  kann ;  entweder  a)  Erysipelns  spurium 
idiopnthicum ,  das  Erythema  spurium  idiopathicum,  nach  Khiye,  eine  Der- 
matitis partialis ,  entstanden  durch  topische  Reize,  durch  Kälte,  scharfe 
Dinge,  leichte  Verwundung,  Verbrennung,  scharfe  animalische  und  vegeta- 
bilische Stoffe  (Stiche  von  Mücken,  Bienen,  Wespen,  Wanzen  etc.,  nach 
deren  Entfernung  es  wieder  verschwindet;  oder  b)  Eiysipelns  (Erythema, 
Kluge)  spurium  symplomnlicum ,  consensunle ,  vorzugsv^eise  Pseudoci'ysipelns 
genannt.  Dieses  ist  der  blosse  Reflex  eines  anderweitigen  Leidens  der  unter 
der  Haut  gelegenen  Gebilde,  einer  tiefer  liegenden  Entzündung,  einer  ver- 
borgenen Eiterung  etc.  Die  Haut  hat  hier  nur  den  Schein  eurer  rosenarti- 
gen Entzündung ,  das  Übel  kommt  nie ,  wie  die  wahre  Rose ,  im  Gesichte 
vor,  fast  immer  an  den  Gliedern ,  besonders  an  den  untern  Extremitäten,— 
die  Röthe  ist  nicht  so  umschrieben,  auch  nicht  so  hell,  wie  bei  E.  verum, 
mehr  dunkler,  violett,  der  leidende  Theil  ist  nicht  so  heiss,  fühlt  sich  tei- 
gig an,  der  Schmerz  ist  mehr  reissend,  klopfend,  als  brennend,  sitzt  auch 
tiefer,  als  bei  E  verum,  das  Fieber  dabei  ist  selten  echt  gastrisch;  —  das 
Übel  ist  gefährlicher,  ähnelt  mehr  dem  Carbunkel ,  geht  leicht  in  Brandy  in 
brandige  Entartung  des  Zellstoffs  über  und  verbreitet  sich  zuweilen  über 
das  ganze  Glied.  Die  vorzüglichsten  Ursachen  sind :  kachektischer  Körper, 
schlechte  Säfte,  Armuth,  schneller  Witterungswechsel,  starke  Einwirkung 
der  Kälte  bei  fieberhaften  Krankheiten,  Wochenbetten,  vorgerücktes  Alter, 
besonders  bei  Greisen;  doch  sah  ich  es  einst  auch  im  Winter  nach  Erkäl- 
tung bei  einer  20jährigen  Wöchnerin.  Rust  empfiehlt  bei  der  Cur  vorzüglich 
örtliche  Blutentziehungen  und  hinterher  folgende  Fomentation :  ^r  htfus.  flor. 
rhamomiU.  (ex  53  parati)  ftj ,  Aceü  snturnini  53,  Tinct.  opii  5jjj-  M.  S.  Lau- 
warm umzuschlagen,  wodurch  selbst  noch  kleine  Eiterdepots  resorbirt  wer- 
den. Ist  schon  Fluctuation  vorhanden,  so  muss  man  früh  öffnen,  sonst  folgt 
schnelle  Zerstörung  der  tiefern  Gebilde,  der  Sehnen,  Muskeln,  Knochen, 
besonders  aber  des  Zellstoffs  zmschen  allen  diesen  Theilen.  Wo  man  geöff- 
net hat ,  verschwindet  bald  die  rosenartige  Hautentzündung  und  starke  Blu- 
tung erfolgt  höchst  selten  dabei.    Ist  schon  Brand  da ,  so  dienen  aromatische 


ERYSIPELAS  627 

Kräuter,  in  Wein  gekocht,  za  Umschlägen,  Streapiilver  von  ChamiUe», 
Kohle,  Camphor  und  Myrrhe,  später  Aq.  Kreosot!,  Acetura  pyro-lignosura, 
Ol.  terebinthinae.  —  Die  luduratio  telae  cellulosae  neonatorum,  der  Furun- 
kel und  Carbunkel  werden  als  Varietäten  des  Pseudoerysipelas  angesehen. 

Erysipel as  lullosnni,  vcsiculnre,  pustulosum,  Blatterrose.  Es  bilden 
sich  hier  oft  schnell  Blasen  von  der  Grösse  einer  Linse,  Erbse,  oft  rwch 
grösser ,  die  eine  lymphatische  Flüssigkeit  enthalten ,  leicht  platzen ,  gelbe, 
braune  Borken  bilden  und  leicht  in  Verjauchung,  selbst  in  Brand  übergehen, 
besonders  bei  alten,  kachektischen  Personen ,  in  typhösen  Fiebern.  Cur. 
Man  Öifne  die  Blasen,  entleere  die  Lymphe  öfters  mit  einem  Schwämme, 
bestreiche  die  Theile  mit  etwas  erwärmtem  Mandelöl,  verhüte  alles  Nass- 
kalte, bedecke  die  Theile  mit  Spec.  resolventes,  erwärmtem  Mehl,  bei  ty- 
phösem Fiebercharakter  mit  Kampher  vermischt,  und  behandle  das  Fieber 
nach  seinem  Grundcharakter,  gebe  innerlich  Spiiit.  Minderen,  Vinum  sti- 
biat. ,  nach  Indication  ein  Vomitiv,  bei  wahrer  Schwäche  Valeriana,  Kam- 
pher. Aber  nicht  jede  Blatterrose  ist  typhösen  Charakters.  Es  giebt  Fälle 
in  flenge ,  wo  gelinde  oder  stärkere  Antiphlogistica ,  und  bei  der  Gesichts- 
blatterrose besonders  kühlende  Purganzen  höchst  nothw  endig  sind.  Eine  be- 
sondere Art  der  Blatterrose  ist  das  Heilige-Antonsfeuer  (^I<inis  St,  An- 
t07iii,  Hieropyr),  welche  sich  zuweilen  zu  dem  wahren  Faulfieber  gesellt, 
wo  sich  an  verschiedenen  Stellen  des  Körpers  nach  und  nach  Blasen  bilden 
die  schnell  in  Brand  übergehen.  Hier  passen  innerlich  besonders  Kampher, 
Arnica,  China,  Mineralsäuren,  äusserlich  Verbinden  der  Blasen  und  Ver- 
schwärungen  mit  Kamphersalbe,  Ol.  terebinthinae  etc.  Als  eine  andere  Abart 
der  Blatterrose  hat  man  den  Gürtel  (Zona),  der  am  Unterleibe  in  der 
Gegend  der  Herzgrube  erscheint  und  den  halben  Leib  wie  ein  Band  um- 
giebt,  angesehen.  Dieses  Übel  ist  aber  herpetischer  Natur  und  keine  Rose 
{Himly),  wenigstens  dem  Herpes  (s.  d.  Art.)  ähnlicher,  wenn  auch  durch 
das  Eruptionsfieber  etwas  Unterschied  stattfindet. 

Erysipelas  qndemicum.  Zur  Zeit,  wo  katarrhalisch  -  gastrische ,  katar- 
rhalisch -  gallige  oder  rheumatische  Fieber  herrschen ,  zeigt  sich  auch  die  Ros« 
häufig  epidemisch;  besonders  ist  dies  im  Frühling  und  Herbst  und  in  den 
Jahren,  wo  die  russische  Influenza  herrscht,  der  Fall.  Cur.  Man  behandle 
das  Grundübel  und  vergesse  die  Vomitive  zu  Anfange  der  Rose  nicht. 

Erysipelas  Neonatorum,  Erysip.  volaticum,  Maculae  volaticae,  die  Rose 
der  Neugebornen.  Luft  und  Licht  machen  auf  den  Neugebornen  einen 
starken  Reiz;  daher  zeigt  sich  bald  nach  der  Geburt  Röthe  der  Haut,  die 
später  ins  Gelbliche  spielt ;  besonders  ist  dies  der  Fall  am  Gesicht  und  an 
den  Gliedern.  Dieser  Zufall,  der  weder  Rose,  noch  Gelbsucht  ist,  und  in 
der  Regel  von  selbst  vergeht,  muss  vom  Erysipelas  Neonatorum  wohl  un- 
terschieden werden.  Symptome.  Höchst  selten  wird  ein  Kind  mit  dem 
Übel  geboren,  gewöhnlich  zeigt  es  sich  in  den  ersten  Lebenstagen  bis  zur 
zwölften  Lebenswoche.  Die  Krankheit  kommt  plötzlich,  oft  gehen  Icterus 
der  Nabelgegend  und  der  Genitalien ,  Frieselausschlag ,  Convulsionen ,  Tris- 
mus  Neonatorum  vorher.  Am  häufigsten  und  heftigsten  befällt  sie  das  Ge- 
weht und  den  Hals,  selten  die  Regio  umbilicalis  und  pubis.  Zuerst  zeigt 
sich  Röthe  an  einer  kleinen  Stelle ,  die  sich  bald  ausbreitet,  wol  ganze 
Glieder  überzieht,  dabei  begrenzte  Geschwulst,  Hitze,  und  bei  Berührung 
Schmerz.  Die  Röthe  wird  dabei  dunkel  ,  spielt  ins  Blaue  und  hat  grosse 
Neigung  brandig  zu  werden.  Dabei  bemerkt  man  zuweilen  grosse  Flüch- 
tigkeit dieser  Rose,  so  dass  sie  an  einem  Theile  verschwindet  und  nach  24 
Stunden  und  später  an  einem  andern  wieder  auftritt;  die  Zunge  ist  weiss 
belegt,  das  Abendfieber  oft  bedeutend.  In  den  meisten  Fällen  folgt  am 
neunten  Tage  die  Heilung  unter  Desquamation  der  Haut.  Nur  in  seltenen 
Fällen  wird  das  Übel  bösartig,  wo  dann  im  Verlaufe  oft  zerstörende  Eite- 
rungen, grüne  Stuhlgänge,  stinkender  Durchfall ,  Gelbsucht,  Aphthen,  kurz 
vor  dem  Tode  oft  Tetanus,  Trismus  eintreten.  Die  Dauer  des  Übels  ist 
7 — 21  Tage,  auch  wol  länger;  sehr  gefährlich  ist  es,  wenn  es  die  Ge- 
schlechtstheile  ergreift,  wo  es  oft  schon  am  vierten  Tage  durch  Brand  töd- 

40* 


628  ERYSIPELAS 

t«t,  wie  dies  in  den  Spitälern  Englands  und  Frankreichs  von  mir  im  Jahre 
1817  einigemal  beobachtet  worden  ;  weit  minder  gefährlich ,  wenn  es  in  der 
Form  der  Blatterrose  mit  Blasen  erscheint ;  am  gefalirlichsten ,  wenn  der 
ganze  Körper  davon  befallen  wird.  Ursachen  sind:  verdorbene,  mit  fau- 
len Dünsten  angefüllte,  feuchte  Luft,  daher  das  häufige  Erscheinen  der 
Krankheit  in  Findelhäusern,  schlecht  eingerichteten  Gebäranstalten,  Spitä- 
lern; rohe  Behandlung  der  Nabelschnur;  das  Einwickeln  der  Kinder  in 
heisse  und  feuchte  Tücher,  das  gewaltsame  Hineindrücken  des  Nabels,  um 
den  Nabelbruch  zu  verhüten,  Unreinlichkeit,  Erkältung,  schlechte  Kindes- 
nahrung, reizende,  erhitzende  Diät,  Zorn,  Schreck,  Geilheit  der  stillenden 
Mutter  oder  Amme.  Cur.  In  den  meisten  Fällen  passen  zu  Anfange  aus- 
leerende Mittel ,  z.  B.  Tinct.  rhei  mit  Vinum  stibiatum  (s.  Ueijfeliler,  Krank- 
heiten der  Neugebornen.  Leipz.  1825,  S.  59),  oder  aiich  folgende  Mixtur: 
R;  7«fjts.  In.ral.  J'icnn.  5J ,  Aqutte  foenictiU,  Syr.  rhei  ana  3i)>.  M.  S.  Stünd- 
lich Vi  —  1  Esslöliel  voll.  Daneben  2  —  Sraal  täglich  gr.  )\ — j  Merc.  dulc, 
bei  Krämpfen  mit  Moschus,  Valerianainfusum;  lauwanne  aromatische  Bäder) 
bei  grünen  Stuhlgängen,  wenn  sie  nicht  von  Merc.  dulc.  herrühren,  Liq. 
kali  carbon.  mit  Aq.  foenicuii  und  Syr.  rhei.  Äusserlich  nützen  trockne 
warme  Kräutersäckchen  mit  Spec.  resoivent.  und  Kampher,  nur  bei  wirklich 
Bufangendem  Brande  wende  man  feuchte  Dinge:  Decoct.  chinae  mit  Roth- 
wein, Spirit.  camphoratus,  Solut.  aluminis  an.  Gegen  die  zurückbleibende 
Härte  und  Steifigkeit  passen  Linim.  volat.  mit  etwas  Unguent.  mercuriale. 
Ein  sehr  wirksames  Mittel  bei  der  Rose  der  Kinder  ist  die  oxygenirte  Salz- 
säure, z.  B.  F^f  Aqune  oxijnmriat.  5jjj  ?  Decoct.  nUliacne  ^iv.  M.  S.  Alle 
2  Stunden  Y2 — 1  Esslölfel  voll,  welches  Mittel  auch  in  der  Gastromalacie 
passt  und  hier  von  mir  mit  Erfolg  gebraucht  worden  (A'o;»p  und  A.).  Es 
macht  oft  den  Merc.  dulc.  entbehrlich,  der  sonst  in  der  Rose  so  gute  Dien- 
ste thut. 

Erijsipelas  nmlulans ,  die  wandernde  Rose.  Sie  befällt  plötzlich 
bald  diesen,  bald  jenen  Theil  des  Körpers,  ist  Folge  von  Leberleiden  und 
kann  oft  schlimme  Versetzungen  machen ,  besonders  wenn  nasskalte  Mittel 
angewandt  werden.  Cur.  Die  aligemeine  der  Rose;  ausserdem  besonders 
Vomitive,  Ekelcur,  Abends  und  Morgens  gr.  j  Merc.  dulc.  mit  gr.  |>.  Sulph. 
auratum. 

Ertjsipclas  fixum,  die  st ät ige  Rose.  Hierher  gehört  vorzüglich  die 
Blatterrose,  besonders  die  des  Gesichts.  Doch  hüte  man  sich  auch  hier  vor 
nasskalten,  zurücktreibenden  Mittein;  auch  die  brandige  Rose  (Erysipelas 
typhodes,  gangraenosum),  gehört  hierher»  Bei  letzlerer,  die  oft  nur 
Symptom  des  Faulfiebers  ist,  kann  man  dreist  äusserlich  feuchte  Antiputre- 
dinosa,  Decoct.  chinae,  quercus,  Spirit.  camphorat.,  Pulv.  chinae  etc.  an- 
wenden. 

Erijsipclus  phlcfimofiodes ,  stark  entzündliche  Rose.  Sic  kommt 
vorzüglich  bei  robusten  Subjecten  und  im  Gesichte  vor,  ist  von  dunkler 
Röthe,  ergreift  auch  die  tiefer  liegenden  Theile,  macht  leicht  heftiges  Fie- 
ber und  Delirien.  Cur.  Wie  bei  Kry.sipelas  faciei.  Alan  verordne  hier  also 
Blutegel  hinter  die  Ohren,  allgemeine  Aderlässe  und  dann  folgende  Mixtur: 
]Hr  Infiis.  Injrnt.  J'ieun.,  Aqune  ^Inr.  stnnhuci  ana  5Jjj  -  Snl  Olnnlcri ,  Sijr. 
nuinnae  ana  5J.  M.  (M.),  wovon  alle  Stunden  1  —  d  EsslölTcl  voll  genom- 
men werden.  Sind  gastrische  Beschwerden  da,  dann  nach  dem  Aderlass  eiji 
Vomitiv. 

Eri/siiiclas  ncrvosum.  Der  nervöse  Charakter  ist  .selten  der  ursprüng- 
liche der  Rose.  Gewöhnlich  zeigt  er  sich  erst  gegen  das  Ende  der  katar- 
rhalisch-rheumatischen Rose.  !S>mptome.  Blasse  Röthe,  starke  Ge- 
schwulst, kachektische,  schwache  Constitution,  Schwächefieber.  Cur,  Äus- 
serlich Spec.  resolv.  uüt  Kanq)licr.  Innerlich  R/  Cninphorne,  Merc.  dulc. 
ana  gr.  j,  Sulph.  aurnli  gr.  f> ,  Opii  puriss.  gr.  'jt,  Liquir.  cocfne  -)j.  M.^  f. 
pulv.  dispens.  dos.  xjj.  Wovon  o — 4uial  täglich  1  Pulver  genommen  wird 
(3/.).  Daniben  Infus,  arnicae ,  \al('rinnao,  bei  wahrem  Kaiilfieber  China» 
Mintralsäuren.     Cvpclmul  gab  einem  iOjälirigen  Kranken ,    der  an  einer  sol- 


ERYSIPELAS  629 

cheii  Gesichtsrose  litt  und  in  Stupor  und  Coma  verfiel ,  alle  3  Stunden 
3  Drachmen  Ol.  terebinthinae  mit  Ol.  ricini  und  Aq.  cinnamomi ,  Hess  Kly- 
stiere  aus  Ol.  olivar,  und  terebinth.  ana  5vj  reichen ,  worauf  gelbe  gallige 
Ausleerungen  erfolgten  und  der  Kranke  bald  genas  (Lond.  med.  Repository, 
Apr.  1825).  Geht  das  Erysipelas  in  Brand  über,  dann  die  Cur  des  Erysip. 
gangraenosum;  s.  Erysipelas  fixura. 

Erysipelas  reirotfressum ,  zurückgetretene  Rose.  Leichte  Erkäl- 
tung, der  Missbrauch  äusserlicher  nasser,  kalter,  fettiger  Mittel,  der  Ad- 
stringentia ,  Gemüthsbewegungen ,  der  Missbrauch  des  Aderlassens ,  der 
Laxanzen  bei  der  leichten  katarrhalischen  Rose,  nicht  bei  Erysip.  phlegmo- 
nodes,  sind  vorzüglich  Ursache  dieser  gefährlichen  Form,  wobei  die  Rose 
am  leidenden  Theile  plötzlich  verschwindet  und  dagegen  heftjge  Fieberzu- 
fälle mit  Raserei,  Sopor,  Encephalitis,  Gastritis,  Enteritis  etc.  sich  einstel- 
len. Cur.  Man  suche  die  Rose  durch  Reizmittel:  Einreibungen  von  Linim. 
volatile  gj ,  Tinct.  cantharid.  5|^,  durch  trockne  Schröpfköpfe,  anhaltendes 
Reiben  mit  Flanell  etc;  auf  der  alten  Stelle  wieder  hervorzubringen.  Auch 
spanische  Fliegen  oder  Senfteige  in  die  Nähe  derselben  (nicht  auf  den  lei- 
denden Theil  selbst ,  weil  sie  leicht  den  Brand  befördern) ,  sind  nützlich, 
z.  B.  bei  zurückgetretener  Gesichtsrose  in  den  Nacken.  Innerlich  passen, 
wenn  die  Zufälle  deutlich  entzündlich  sind,  Nitrum,  Tart.  vitriolat.  mit  Aq. 
flor.  sambuci;  in  leichtern  Fällen  zuerst  ein  Brechmittel,  dann  Spiritus  Min- 
dereri  mit  Vinum  stibiatum,  bei  wahrer  Schwäche  Kampher,  Moschus,  Sal 
volatile.  In  vielen  Fällen  mag  man  auch  wol  Ursache  und  Wirkung  ver- 
wechselt und  die  innere  Krankheit  (Febris  gastrica,  hepatica)  ,  indem  sich 
diese  verschlimmerte  oder  einen  andern  Charakter  (den  typhösen,  putriden) 
annahm,  mit  welchem  sich  gleichzeitig  das  Symptom,  die  rosenartige  Ent- 
zündung, veränderte  oder  ganz  verschwand,  für  die  Zeichen  des  vermeint- 
lichen Zurücktretens  der  Rose  gehalten  haben.  In  solchen  Fällen  mögen 
dann  vorzüglich  Moschus,  Sal  volatile,  Kampher  gute  Dienste  geleistet  ha- 
ben (3f.).  Zuweilen  tritt  die  Rose  zurück,  ohne  irgend  beängstigende  und 
bedenkliche  Zufälle  zu  erregen.  Hier  können  wir,  wie  sich  dies  von  selbst 
versteht,  wol  exspectando  verfahren  und  allenfalls  die  Cur  mit  einem  Vo- 
mitive bewenden  lassen. 

Erysipelas  hahituale.  Es  ist  gar  nicht  selten,  dass  die  Rose  ein  Indi- 
viduum mehreremal  im  Leben  und  eine  Stelle  des  Körpers  öfter  afficirt, 
wodurch  sich  dieses  Übel  von  den  acuten  Exanthemen:  Blattern,  Masern, 
Scharlach  etc.  vorzüglich  unterscheidet.  So  bekommen  manche  Personen  je- 
den Herbst,  andere  jedes  Frühjahr,  noch  andere  3  —  6mal  im  Jahre  die 
Rose,  besonders  die  Gesichtsrose  (M.);  hierher  gehört  auch  die  bei  alten 
Leuten.  Ursachen  sind  venöse  Dyskrasie ,  Lcberfehler,  Gicht,  Men- 
struatio  et  Haemorrhoides  retentae,  suppressae,  örtliche  erhöhte  Empfind- 
lichkeit des  Hautsystems.  Cur.  Man  behandle  das  Grundiibel,  verordne 
innerlich  Extr.  taraxaci ,  chelidon. ,  Tart.  tartarisat. ,  Gummata  ferulacea, 
Sapo  medic. ,  eine  Brunnen-  und  Badecur,  besonders  Schwefelbäder,  lege 
Fontanellen,  Haarseile,  gebe  bei  den  ersten  Vorboten  der  wiederkehrenden 
Rose  ein  Vomitiv,  darauf  2 — 3  Tage  lang  Abends  und  Morgens  folgendes 
Pulver:  ^  Mercnr.  dulc.  gr.  j,  Sulph.  nurali  gr.  |y ,  Liquir.  corUie  ^j.  M. 
f.  p.  disp.  dos.  vj  (M.) ,  und  stärke  ausser  der  Zeit  der  Wiederkehr  das 
Hautsystem  behutsam  durch  allmälige  Abhärtung,  Exponiren  an  die  freie 
Luft,  durch  tägliche  Bewegung,  durchs  Waschen  mit  kaltem  Wasser,  Spi- 
ritus camphoratus  (Richter).  Häufig  leiden  Weiber  in  den  Jahren ,  wo  sie 
ihre  Menses  verlieren,  an  habitueller  Rose.  Hier  passen  knappe  Diät,  viel 
Bewegmig  im  Freien  und  der  anhaltende  Gebrauch  des  Elix.  acid.  Hallerl, 
um  die  Wiederkehr  des  Übels  zu  verhüten.  Ist  dasselbe  gerade  eingetre- 
ten, dann  die  gewöhnliche  Cur  des  Erysipelas,  wie  oben  angegeben  worden. 

Erysipelns  ocdemniosum.  Sie  wird  am  häufigsten  bei  alten ,  kachekti- 
fichen ,  hydropischen  Subjecten  ,  vorzugsweise  wenn  Oedenm  pedum  da  ist, 
an  den  Füssen  beobachtet.  Cur.  Man  wasche  und  fomentire  die  Theile 
mit  Aqua  Goulardi,    Aq.    vulnerar.  Thedenii  {Richter).     Hier    braucht  man 


630  ERYSIPELAS 

sich  vor  dem  Zurücktreiben  der  Entzündung  nicht  zu  ßrchten ,  da  das  Übel 
meist  aus  örtlichen  Ursachen  entsteht. 

Erysipelns  intestinorum.  So  nennt  S*te6e?  (Bwst's  Magaz.  1827,  Bd.  XXIV. 
Hft.  1,  S.  161)  einen  Krankheitszustand,  der  zuweilen  im  Stadio  desqua- 
roationis  Scarlatinae  eintritt  und  folgende  Zeichen  hat :  Erbrechen ,  Purgi- 
ren,  späterhin  Leibesverstopfung,  Gesichtsblässe,  Mangel  an  Appetit  und 
Durst,  leidendes,  hypochondrisches  Ansehn,  trockne  Haut,  unterdrückte 
Harnabsonderung ;  die  Kranken  lieben  die  gekiüramte  Seitenlage ;  welke 
Bauchdecken ,  bei  tiefem  Druck  auf  dieselben  höchst  empfindlicher  Schmerz. 
Cur.  Blutegel  auf  diese  Stelle,  innerlich  Kampher,  stündlich  zu  2  Gran. 
worauf  reichlicher  Schweiss  und  heller  Harn  erfolgt  (^Stiehel^.  Durch  deii 
Mangel  hydropischer  Zeichen,  durch  die  fehlende  Aufgetriebenheit  des  Un- 
terleibes, durch  die  Schmerzlosigkeit  der  Nierengegend  unterscheidet  sich 
das  Übel  von  Peritonitis  und  Nephritis.  Ob  es  Recht  ist ,  diesen  Krank- 
heitszustand Rose  zu  nennen,  lasse  ich  dahin  gestellt  seyn,  da  es  noch  gar 
nicht  ausgemacht  ist,  ob  innere,  der  atmosphärischen  Luft  nicht  ausgesetzte 
Theile  von  Erysipelas   befallen  werden  können  (M.). 

Erysipelns  scirrhosum.  So  hat  man  wol  den  Ausgang  der  Rose  in  Ver- 
härtung genannt.  Cur.  Innere  und  äussere  Resolventia :  Kamphersalbe, 
Laugensalz  mit  Opium,  Dämpfe  von  Weingeist,  Succinum,  öfteres  starkes 
Reiben  mit  Flanell ,  Flanellbedeekung ,  innerlich  Opium ,  Sal  volatile  (^Rich- 
ter). Vorzügliche  Dienste  leisten  die  oben  angegebenen  Pulver  aus  Merc. 
dulc. ,  Kampher,  Opium  etc.;  s.  Erysipelas  nervös  um. 

Erysipelas  exulceratum.  Geht  die  Rose  in  Eiterung  über,  so  geschieht 
dlei  selten  vor  dem  neunten  Tage.  Die  Gelegenheitsursachen  sind  schon 
oben  bei  den  Ausgängen  angegeben.  Klopfender  Schmerz ,  Horripilationen, 
starke  Geschwulst,  Erhebung  einzelner  Hügel  auf  derselben,  Härte  im  Um- 
fange sind  die  Vorboten.  Cur.'  Man  wende  hier  mit  Verhütung  der  Er- 
kältung äusserlich  Cataplasmata  emollientia  an  und  öffne  den  Abscess  oder 
die  einzelnen  Abscesse  bald  Die  Eiterung  ist  in  der  Regel  langwierig;  ge- 
wöhnlich sondert  sie  einen  schlechten  Eiter ,  Jauche  ab.  Man  verbinde  hier 
mit  gewöhnlichem  Waschschwamm,  mit  trockner  Charpie,  abwechselnd  mit 
Unguent.  saturn. ,  vermischt  mit  etwas  Unguent.  praecip.  rubr.  Oft  ist  eine 
grosse  Masse  verdorbenen  Zellgewebes  da,  die  Öffnung  ist  klein,  es  bilden 
sich  Fistelgänge.  Hier  erweitere  man  zeitig  die  Öffnung.  Innerlich  passen, 
da  gewöhnlich  noch  Sordes  vorhanden  sind,  erst  ein  Laxans,  später  Anti- 
monialia  in  kleinen  Dosen ,  zuletzt  Roborantia :  Calamus  aromat. ,  China. 

Erysipelas  cellulosum.  So  haben  Einige  die  acute ,  wie  die  chronische 
Entzündung  des  Zellgewebes  genannt;  Andere  nennen  unrichtig  so  Ver- 
härtung des  Zellgewebes  (Endurcissement  du  Tissu  cellulaire),  die 
vorzüglich  als  Allgemeinleiden  bei  Kindern  beobachtet  wird;  s.  Indu  ratio 
telae  cellulosae  Neonatorum. 

Erysipelas  gangraenosum,  die  brandige  Rose.  Dass  diese  Form  bei 
typhösen,  putriden  Fiebern,  bei  alten  kachektischen  Personen,  bei  Erys. 
neonatorum  und  vesiculare,  besonders  bei  falscher  Behandlung  leicht  vor- 
kommt ,  ist  schon  oben  gesagt  worden.  Zuweilen  entsteht  diese  Rose  aber 
sehr  schnell  ohne  vorhergegangene  Krankheit  und  schon  binnen  den  ersten 
24  Stunden  ist  Brand  des  leidenden  Theils  und  nervöses  Fieber  mit  grosser 
Mattigkeit  eingetreten.  Hier  ist  die  Rose  wol  nur  eine  V^arietät  der  schwar- 
zen Blatter  (s.  Anthrax  und  Pustula  maligna),  wie  dieses  aus  den 
Beobachtungen  der  Doctoren  Schmidt  und  Fischer  hervorgeht  (s.  Hufeland's 
Journ.  1828,  Juni,  S.  122).  Bei  der  brandigen  Rose  ist  die  Localkrank- 
heit,  dieVesicula,  ebenfalls  wie  bei  der  schwarzen  Blatter  vorhanden,  scheint 
aber  in  der  Folge  im  Zellgewebe  still  zu  stehen  und  wird  in  der  Regel  ge- 
fährlicher und  schneller  tödtlich.  Das  Erys.  gangraenosum  entsteht  ohne 
alle  Übertragung  des  Milzbrandgiftes,  später;  der  Carbunkel  ist  das  Ende 
der  Krankheit,  und  es  geht  ein  typhöses  Fieber  voraus.  Bei  der  wahren 
schwarzen  Blatter  ist  die  Localkrankheit,  die  Vesicula,  gleich  anfangs  vor- 
handen und  das  typhöse  Fieber  entsteht  erst  später,    wenn  durch  Verbrei- 


ERTTHEMA  —  EUCRASIA  631 

tung  des  Gifts ,  das  eich  schnell  mittels  der  Säfte  dem  ganzen  Körper  mit- 
theilt, aus  dem  örtlichen  Übel  ein  Allgemeinleiden  wird.  Die  Cur  die«ör 
brandigen  Rose  ist  ganz  die  der  schwarzen  Blatter  (s.  Anthrax). 

firytbeina,  Hautrdthe,  rosenartige  Entzündung  der 
Haut  aus  örtlichen  Ursachen,  entstanden  durch  Reiben,  reizende 
Schärfen ,  Insectenstiche.  Viele  Ältere  verstehen  darunter  schlechtweg  l^ry- 
sipelas ,  oder  eine  besondere  Art  desselben  mit  rosenrother  Farbe.  Einige 
Neuere  nennen  Krysipelas  oedematodes  und  jede  Rose  ohne  P'ieber  Ery- 
thema  (Kraus). 

Esaphe«  Ist  das  sog.  Touchiren  der  Hebammen  und  Geburts- 
helfer.    S.  Exploratio  obstetricia. 

Xlscll2u*a,  Kruste,  Schorf  an  Wunden,  Geschwüren,  chronischen 
Hautausschlägen  etc.  Ist  eine  bald  mehr  trockne ,  bald  mehr  feuchte, 
braune,  gelbliche  oder  schwarze  Rinde,  welche  zuweilen  Geschwüre  und 
Wunden  überzieht,  indem  der  Austiuss  von  Lymphe,  Blut  etc.,  durch  das 
Oxygen  der  Atmosphäre  hier  consolidirt  wird.  "  Auch  Ätzmittel ,  Feuer  etc., 
erregen  bekanntlich  durch  ihre  Einwirkung  auf  die  Haut  und  auf  Gefässe 
eine  Eschara,  vermitteis  welcher  sie  blutstillend  wirken.  Bei  guten  Säften, 
sogenannter  gut  heilender  Haut,  heilen  kleine  Verwundungen  ohne  Kunst- 
hülfe unter  der  von  selbst  sich  bildenden  Borke,  welche,  sowie  der  Hei- 
lungsprocess  beendigt  ist,  allmäiig  trocken  wird  und  abfällt;  ist  dies  nicht 
der  Fall ,  so  sondert  erst  die  eintretende  Eiterung  die  Borke  ab ,  wo  wir 
jene  zu  behandeln  haben. 

Escharoticiun«  ein  Mittel,  welches  ätzend  wirkt  und  so  eine  Eschara 
bildet;  s.  Causticum. 

EiSOChe,  Esochos ,  Vertiefung,  eine  Af tergesch wul st ,  ein 
Hämorrhoidalknoten  am  After. 

Esphlasis,  EnthJasis,  ein  Hirnschaleneindruck,  z.  B.  nach 
äussern   Verletzungen;  s.  Depressio  cranii. 

Esscra,  Morhus  porcicuSf  Porzellanfieber.  Ist  eine  unwesent- 
liche Modification  in  der  Form  der  Nesselsucht,  wo  die  rothen,  breiten 
Flecken  wenig  erhaben  sind.  Auch  wird  das  Wort  von  vielen  Schrift- 
stellern gleichbedeutend  mit  Nesselsucht,  Nesselfieber  genommen;  s.  Ur- 
ticaria. 

Essera  chronica ,  chronische  ,  fieberlose  Porzellankrankheit ,  «.Ur- 
ticaria. 

dsthiomenoiS 9  die  fressende  Flechte,  s.  Herpes  exedens. 

Citisis*  So  nennen  unrichtiger  Weise  die  Franzosen  zuweilen  die 
Phthisis. 

Gtroncufi»  harte  Unterleibsgeschwulst.  Sie  ist  Folge  von 
verschiedenen  Krankheitszuständen :  Physkonie  der  Leber,  Milz,  Hydrops 
ovarii,  Vergrösserung  des  Eierstocks  etc.  (s.  diese  Art.). 

Kuaemia,  gute  Beschaffenheit  des  Bluts,  Die  genaue  Kennt- 
nis« des  Bluts  und  seiner  Veränderung  in  Krankheiten  ist  in  neueren  Zeiten 
mit  Unrecht  vernachlässigt  worden ,  und  es  fehlen  uns  noch  genaue  chemi- 
sche Untersuchungen  des  Bluts  in  Fiebern  und  andern  Krankheiten ,  wie  sie 
kürzlich  Dr.  Reid  Clanny  (Edinburgh  medical  and  surgical  Journ.  Jul.  1828) 
über  das  Blut  im  Verlaufe  der  Febris  continua  continens  anstellte,  die  alle 
Nachahmung  verdienen. 

Euaesthesia»  gute  Beschaffenheit  der  Sinne  und  des  Ge- 

meingefühls. 

Kuchroea,  gute  Hautfarbe. 

Kucbylia«  Euchjmia,  gute  Beschaffenheit  des  Milchsaftes, 
Speisebreies,  im  Allgemeinen  der  Säfte. 

Eucrasia,  gute  Gesundheit,  gut«  Säftemlschung ;  das  Gegen- 
tlieil  von  Dyscrasia. 


632        EUDYNAMIA  —  EUTHANASIA 

Kudynamla,  das  specifisch  -  regelmässige  Lebensver- 
mögen  {Bartels) ;  also  dem  Grundbegriife  nach  gleichbedeutend  mit  E  u  - 
c  r  a  s  i  a. 

Enexia,  das  gesunde  blühende  Ansehn,  als  Gegensatz  der 
Cachcxin,  gesunder  Zustand  des  Organismus,  als  äussere  Erscheinung  des- 
selben (^Kraus). 

Eiinuchus»  ein  Verschnittener,  Eunuch,  Castrat,  s.  Castratio. 

Eupathia  bedeutet  1)  die  Eigenschaft,  durch  Aussendinge  leicht  af- 
ficirt  zu  werden,  einen  hohen  Grad  von  Sensibilität  und  Receptivität,  z.  B. 
bei  Hypochondristen,  Epileptischen,  Hektischen 5  2)  einen  hohen  Grad  von 
Wohlbefinden. 

Eupepsia ,  gute  Verdauung,  auch  Leichtverdaulichkeit  einer 
Speise. 

Eüuphoria,  das  Wohlbefinden,  auch  das  gute  Bekommen  einer 
Arznei,  Speise,  einer  Cur  etc. 

Eupnoea,  Eupnöe,  gute,  freie  Respiration. 

Eurythmia,  der  ordentliche,  regelmässige  Puls. 

Eiusitia,  gute  Esslust. 

Kusplanchnia ,  gute  Beschaffenheit  der  Eingeweide. 

Eutlianasia ,  ein  ruhiger,  sanfter  Tod.  Die  Sorge  für  ein 
sanftes  Ende  des  Sterbenden  ist  heilige  Pflicht  des  Arztes.  Da  der  Tod  in 
den  meisten  Fällen  nicht  plötzliche ,  sondern  nur  eine  stufenweise  Metamor- 
phose vom  Lebendigen  zum  Todten  ist,  der  Mensch  meist  immer  nur  stück- 
weise stirbt,  und  das  Gehör  am  längsten  behält,  so  lasse  man  jedem  Ster- 
benden Ruhe  und  verbittere  ihm  die  letzten  Augenblicke  nicht  durch  lautes 
Wehklagen.  Der  Arzt  muss  1)  den  Zustand  des  rettungslosen  Kranken  durch 
äussere  sorgfältige  Bedienung  und  durch  angemessene  ärztliche  Behandlung 
zu  mildern  suchen.  2)  Er  muss  alles  vermeiden,  Avodurch  nur  immer  das 
Leiden  gesteigert  oder  Schmerzen  erregt  werden  können.  Die  unzweck- 
mässige  Anwendung  von  heftig  vsirkenden  Arzneien ,  Hautreizen ,  spanischen 
Fliegen  etc.  verdient  grossen  Tadel.  3)  Er  muss  Geist  und  Gemüth  de« 
Kranken  durch  Trost  und  Zuspruch ,  durch  den  Hinblick  auf  Gott  und 
Ewigkeit  aufrichten  und  kräftig  erhalten.  4)  Er  muss  beständig  Rücksicht 
nehmen  auf  Zeit,  Krankheitsart,  Temperament  und  Alter.  (Vgl.  Marx  in 
Jleclxer's  Lit.  Annalen  der  gesammt.  Heilkunde,  1827,  Febr.,  S.  129  u.  f.). 
Dr.  Klohss  theilt  über  Euthanasia  oder  über  die  vom  Arzte  ausgehende  Hülfe, 
den  Tod  zu  erleichtern ,  uns  das  Bruchstück  einer  grössern  Schrift  in  Hufc- 
land^s  Journal,  1832,  St.  1,  S.  125  ff.  mit  und  redet  ausführlich  von  der 
Sorge  für  Anordnung  und  HerbeischafTung  aller  den  Tod  und  seine  Qualen 
wirklich  erleichternden  Mittel.  Die  Euthanasie  umschliesst  nicht  blos  phy- 
sische, sondern  fast  noch  mehr  psychische  Mittel,  weil  die  Seele  bei 
Sterbenden  ebenso  sehr,  und  oft  noch  mehr,  als  der  Körper  leidet,  und  weil 
gerade  die  Hülfe  für  jene  im  Ganzen  wirksamer ,  anwendbarer  und  auch  da 
noch  statthaft  ist,  wo  die  Mittel  für  diesen  völlig  erfolglos  und  vergeblich 
sich  zeigen.  Aber  unter  keinen  gedenkbaren  Umständen  steht  dem  Arzte 
das  Recht  zu,  das  Leben  eines  Menschen,  auch  nicht  des  sterbenden,  ab- 
zukürzen oder  zu  vernichten,  wie  Hufeland  in  seinem  Journal,  1823,  S.  19, 
da,  \yo  er  von  dem  Rechte  des  Arztes  über  Leben  und  Tod  redet,  so  wahr 
bemerkt.  Die  Erleichterung  des  Todes  von  Seiten  des  Arztes  darf  daher 
nie  auf  Kosten  des  Lebens  geschehen,  sonst  wird  sie,  in  Bezug  auf  die 
göttlichen  Gesetze,  zur  Sünde,  und  in  Beziehung  auf  die  menschlichen  zum 
V^erbrechen.  Die  den  Tod  erleichternden  Mittel  theilt  Klohss  in  3  Classen  : 
1)  In  solche,  welche  in  Bezug  auf  das  Regimen  und  die  Diätetik  der 
dem  Tode  nahen  Kranken  und  Sterbenden  stehen.  Hierher  gehören:  a)  fri- 
.sche,  reine  Luft  im  Krankenzimmer.  In  jeder  Jahreszeit  muss  täg- 
lich '/..  —  1  Stunde  lang  das  Fenster  geölTnet  werden;  der  Zugwirid  wird 
durch  Bettschirme    abgehalten.      Die  gewöhnlichen   Räucherungen,    die   mit 


EUTHYMIA  -  EVACUANTIA  633 

Essig  ausgenommen,  schaden,  b)  Sorge  für  Reinlichkeit  in  Wäsche, 
Speise  und  Trank,  c)  Ein  passendes,  möglichst  bequemes  Lager. 
Man  lege  im  Allgemeinen  Kranke  und  Sterbende ,  wie  sie  es  selbst  begeh- 
ren. Letztere  in  der  Regel  etwas  hoch  mit  Kopf  und  Brust,  weil  die  mei- 
sten schwer  athmen.  Manchen  Kranken ,  z.  B.  die  an  Phthisis  pulmonalis, 
an  Herzkrankheiten,  Brustwassersncht  leiden,  ist  das  Sitzen  angemessener, 
als  das  Liegen,  d)  Gute,  brauchbare  und  wohl  unterrichtete 
Krankenwärter  (wozu  sich  gründlich  geheilte  Geisteskranke,  nach  Ide- 
ler, am  besten  eignen),  e)  Passende  Erquickungen  durch  Spei- 
sen und  noch  mehr  durch  Getränke.  Hier  ist  reines,  frisches,  kal- 
tes Wasser,  wenn  es  den  Magen  nicht  beschwert  oder  Husten  erregt, 
das  beste  Labsal;  für  viele  schwache  Sterbende  ist,  öfters  gereicht,  1 — 2 
Esslöffel  voll  guter  Rhein-  oder  alter  B'ranzwein,  mit  Wasser  und  Him- 
beersaft vermischt,  vorzuziehen  (^Most).  Man  muss  Sterbenden  alle  paar 
Minuten  zu  trinken  anbieten.  f)  Angemess  en  e  Sinnes  eindrücke, 
vorzüglich  auf  Auge  und  Ohr,  welche  sich  am  längsten  bis  zur  voUkommnen 
Vernichtung  alles  Lebens  erhalten.  Man  vermeide,  dass  der  Sterbende  das 
Jammergeschrei  und  Wehklagen  der  Umgebung  hören  kann.  —  2)  In  die 
zweite  Classe  gehören  die  psychischen,  den  Tod  erleichternden 
Mittel.  Dazu  gehören  a)  das  Vertrauen  des  Kranken  und  Sterbenden 
zum  Arzte.  Dieser  soll  die  Hoffnung  zur  Erhaltung  des  Lebens  erhalten, 
stärken  und  beleben,  wozu  Menschenkenntniss,  Klugheit  und  Gewandtheit 
gehören.  Aber  auch  durch  (wenn  auch  nur  stumme)  Theilnahme  und  ge- 
fühlvollen Antheil  des  Arztes  und  der  Umgebung,  und  durch  das  Bewusst- 
seyn  der  Sicherheit  des  Schicksals  der  Seinigen  und  die  Anwesenheit  gelieb- 
ter Personen  am  Sterbetage  wird  der  Tod  dem  Sterbenden  sehr  erleichtert. 
Hier  hat  Klohss  den  grossen  Trost,  den  die  Religion  bei  guten  edlen  Men- 
schen in  der  Todesstunde  gewährt,  und  der,  wenn  er  zufällig  vom  Arzte 
kommt,  oft  mehr  wirkt,  als  der  absichtliche  vom  Geistlichen,  ganz  überse- 
hen. 3)  Rein  ärztliche  und  pharmaceuti  sehe  Hülfsmittel.  Sie 
erleichtern  den  Tod,  indem  sie  Schmerzen  lindern  und  die  schlimmen  Zu- 
fälle erleichtern  und  ,  wenn  auch  nicht  dauernd ,  doch  eine  Zeit  lang  be- 
schwichtigen. Ein  specifisehes ,  den  Tod  in  jedem  Falle  erleichterndes  Mit- 
tel giebt  es  nicht.  Die  Mittel  sind  daher  nach  den  individuellen  Umständen 
verschieden,  und  können  hier  Opium,  Blausäure,  selbst  ein  Vomitiv,  ein 
Laxans  seyn.  Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  Klohss  letztere  Mittel  kei- 
nem Sterbenden  reichen  wird ,  wo  kaltes  Wasser ,  frische  Luft ,  edle  Weine, 
Ruhe  von  Seiten  der  Umgebung  etc.  die  Hauptmittel  sind.  —  Dass  manche 
Arzte  aus  Ignoranz  oder  um  thätig  zu  erscheinen,  dem  ohne  Hoffnung  und 
oft  schon  im  Sterben  liegenden  Kranken  noch  hässlich  schmeckende  Arzneien 
eingeben  und  ihn  mit  Senfpflastern,  spanischen  Fliegen  etc.  quälen,  ist  ab- 
scheulich. Es  macht  weder  ihren  Kenntnissen ,  noch  ihrem  Herzen  Ehre, 
und  beweist,  dass  sie  schlechtere  Prognostiker  sind,  als  manche  alte 
Wartefrau. 

Eutltymia,  guter  Gemüthszustand,  gute,  reine  heitere  Ge- 
müthsbeschaffenheit.     Ist  bekanntlich  ein  gutes  Zeichen  in  Krankheiten. 

SiUtocia,  das  Leichtgebären,  die  gute  Niederkunft,  eine  regel- 
mässige Geburt  (s.  Partus  normalis),  eine  leichte  Geburt  im  Gegen- 
satz der  schweren  (^Dystocia),  nach  Nägele  (s.  Partus).  Ob  mit  der  Auf- 
stellung solcher  höchst  relativer  Begriffe  in  concreto  etwas  gewonnen  sey, 
da  sich  eine  grosse  Anzahl  Gradationen  zwischen  leicht  und  schwer  anneh- 
men lassen,  dies  ist  noch  die  Frage.  Auch  bedeutet  das  Wort:  Frucht- 
barkeit, also  das  Gegentheil  von  Sterilitas. 

Eutrophia»  gute  Ernährung,  im  Gegensatz  der  Atrophia. 

Evacuantia,  ausleerende  Mittel  (s.  Emetica  und  Laxan- 
tia). Die  ausleerende  Methode  im  weitern  Sinne  umfasst  mehr  als  blosses 
Ausleeren  nach  oben  oder  unten.  Wir  bewirken  Ausleerung  entweder  durch 
Beförderung  natürlicher  Absonderungen  oder  durch  künstlich  erzeugte  Wege. 


634  EVENTRATIO  *-  EXARTHROMATOLOGU 

Alle  Mittel,  welche  die  Secretion  des  Darmcanals,  der  Haut,  der  Nieren, 
der  Lunge,  der  Speicheldrüsen,  der  Nasenschleimhaut  befördern,  sind  Eva- 
cuantia  und  werden  speciell  blutreinigende  Mittel  genannt.  Dahin  ge- 
hören fleissige  Körperbewegung,  frohes  Geniüth,  massig  trockne,  warir.t; 
Luft,  vieles  Wassertrinken,  laue  Bäder,  unter  den  Arzneien  Antiinonium, 
Spec.  lignorura ,  Taraxacum ,  Saponaria ,  Chelidonium ,  Guajak  u.  s.  f. 
Durch  Methodus  gastrica,  durch  Einetica  und  Purgantia,  sowie  durch  die 
Digestiva  befördern  wir  die  Secretion  des  Darmcanals ,  durch  Methodus  dia- 
phoretica  die  Hautsecretion,  durch  Methodus  diuretica,  expectorans  die  Se- 
cretion der  Nieren,  der  Lungenschleimhaut  etc.  Zu  den  künstlich  erzeujr- 
ten  Ausleerungen  flüssiger  Materien  rechnen  wir  die  Blutausleerungen  durch 
Aderlassen,  Blutegel,  Schröpfen,  die  Scarification,  die  Paracentese,  die  Ye- 
sicantia ,  künstlichen  Geschw  üre  etc.  Wie  wichtig  also  die  ausleerende  Me- 
thode ist,  bedarf  keines  Beweises.  Ihre  specielle  Anwendung  lehrt  die  prakti- 
sche Heilkimde  (vgl.  Uufeland's  System  d.  prakt.  Heilk.  Bd.  I.  Jena,  1800, 
8.451  —  496).  Unter  die  ausleerenden  Mittel  gehören  demnach  die  Emetica, 
Vomitoria,  die  Aperitiva,  Cathartica,  Digestiva,  Eccoprotica,  Laxantia,  Pur- 
gantia und  Drastica,  die  Diaphoretica,  die  Diuretica,  die  Sialagoga,  die 
gchleimausleerenden  Mittel  durch  die  Nase  (Errhina)  und  durch  die  Lungen 
(Expectorantia);  ferner  die  Mittel,  welche  die  Ausleerung  des  Blutes  auf 
natürlichem  Wege  befördern  (Haemagoga,  Pellentla,  Emaienagoga) ,  tue, 
welche  Blähungen  treiben  (Carminativa),  endlich  die  Arteriotomie ,  Phlebo- 
tomie, die  Paracentese ,  die  Anwendung  der  Schröpfköpfe  und  Blutegel  etc. 

Eventratio.  Ist  Prolapsus  viscerum,  in  Folge  penetrirender  Bauch- 
wunden ;  auch  die  Hernia  ventralis  und  den  sogenannten  Hätigebauch 
durch  Geschwülste,  Relaxation  der  Bauchdecken,  durch  Wochenbetten  etc, 
hat  man  so  genannt. 

Exacei'lJatio »  das  Steigen,  die  Zunahme  bei  den  nachlassen- 
den Krankheiten,  z.  B.  bei  Febris  reraittens  (s.  Fe  bris). 

Exaematosis »  blutige  Verwundung.  Ist  gleichbedeutend  mit 
Haematosis. 

Exaemia«  Blutleere,  Blutmangel,  s.  Anaemia. 

Exaeresis,  Extractio,  das  Herausnehmen,  z.  B.  des  Steins  au» 
der  Blase,  des  Kindes  aus  dem  Uterus,  eines  Zahns  aus  dem  Kinnbacken, 
die  Herausziehung  des  Staars  etc. 

Exalma»  das  Ausspringen,  z.B.  eines  Rücken- oder  Halswirbels. 

Exain1>loma,  Examhiosis,  s.  Abortus. 

Exania«  Vorfall  aus  dem  After,  s.  Prolapsus  intestini  recli 
et   ani. 

Exantbema,  das  Aufblühen,  die  Pustel,  der  Ausschlag. 
Wir  verstehen  darunter  die  widernatürlich  erhabenen  oder  flachen  Flecken 
Buf  der  Haut,  welche  von  verschiedener  Figur ,  Farbe  und  Dauer  sind,  und 
jedesmal  von  Fieber  begleitet  werden,  z.  B.  Blattern,  Scharlach,  Masern, 
Röthein,  Friesel,  Petechialfieber  etc.  Ist  kein  Fieber  dabei,  so  nennen  wir 
sie  Impetigines.  Die  Eintheilung  in  acute  und  chronische  Exantheme  ist 
weniger  richtig ,  obgleich  manche  zuweilen  chronisch,  ohne  Fieber  sind,  z.B. 
der  Nesselausschlag;  s.  Efflorescentia  und  Impetigo. 

Exantltematophthalini»,  Ist  eine  durch  Exantheme  ent- 
gtandene  Augenentzündung;  z.  B.  Ophthalmia  variolosa,  morbillosa, 
iscarlatinosa  etc.  (s.  Inflam  matio  oculi). 

Exara^ma*  Ist  ein  Knochenbruch  mit  Zersplitterung  (s.  Fractura). 

Exarma.     Ist  eine  sehr  vorstehende  Geschwulst  (^Bcgiii). 

Exarthroma »  Exa: threma ,  das  Ausgerenkte,  aU  Folge  der 
Exarthrosis. 

Exarthromatolog^ia,  e.  Arthrocacologia. 


EXARTHROSIS  —  EXCORIATIO  635 

ExarthrosiiS,  das  Ausrenken,  8.  Luxatio. 

Kxarysis»  Exhmtstio,  die  Erschöpfung  der  Kräfte  durch  Krank- 
heit, Säfteveriust ,  Körperanstrengung,  Hunger  etc. 

XiXCisio,  Exstirpntio,  das  Ausschneiden,  Ausschälen,  Aus- 
rotten. Ist  diejenige  chirurgische  Operation,  wo  man  einen  Theil  aus- 
gcliält,  ausschneidet  oder  ganz  abschneidet,  z.B.  Exstirpatio  tumoris,  Exci- 
sio  humeri  etc. ,  welches  die  operative  Chirurgie  lehrt. 

Excitantta  {remedia),  erweckende,  reizende,  belebende 
Mittel.  Die  Anzahl  derjenigen  Dinge,  welche  als  Reiz  auf  den  lebendei^ 
Organismus  wirken,  ist  sehr  gross.  Seelenreize:  Erregung  angenehmer  Af- 
fecten  und  Leidenschaften,  der  Phantasie,  des  Willens;  Sinnesreize:  Licht, 
Luft,  Schall,  Geruch;  Muskularreize ;  mechanische  Reize:  Friction,  Er- 
schütterung; Blutreiz  durch  gute  Nutrientia;  Wärme  und  Kälte,  Elektri- 
cität  und  Galvanismus ;  alle  diese  Dinge  gehören ,  insofern  sie  ihrer  Wir- 
kung nach  theils  Stimuli  mentales,  theils  Stimuli  dynamici ,  chemici  aut  me- 
clianici  sind,  zu  den  reizenden,  belebenden  Mitteln.  Unter  den  Arzneikör- 
pern rechnen  wir  hierher  a)  flüchtig  luid  schnell ,  aber  nicht  andauernd  rei- 
zende :  Sal.  vol.  c.  c. ,  Naphthen  ,  Wein ,  Moschus ,  Kampher ,  empyreuma- 
lische  Öle,  Serpentaria,  Valeriana,  feine  Gewürze ,  Phosphor  etc.  Sie  sind 
die  belebenden  Mittel  im  engern  Sinne,  und  finden  ihre  Anwendung  bei 
wahrer  Schwäche ,  in  Ohnmächten ,  beim  Scheintode ,  bei  torpider  Schwä- 
che, bei  typhösen  und  putriden  Fiebern,  und  zwar  hier  so  lange,  bis  der 
Körper  die  tonischeren  Reizmittel  vertragen  und  verdauen  kann ;  b)  anhal- 
tend reizende  Mittel.  Hierher  gehören  die  Amara,  Amaro-Aetherea,  Amaro- 
Adstringentia,  Tonica,  gute  Nutrientia  (s.  Amara  und  Tonica).  Sie  fin- 
den ihre  Anwendung  bei  Reconvalescenten,  in  wahren  Schwächefiebern  ohne 
Anzeigen  von  Sordes,  bei  allen  Zehikrankheiten  zur  Stärkung  des  Körpers, 
wie  dies  die  praktische  Heilkunde  lehrt.  Hierbei  vergesse  der  Arzt  nie, 
1)  dass  diese  Arznei-  und  Nährmittel  ohne  die  anderen  belebeiiden  Mittel: 
Seelen-  und  Sinnesreize  (froher  Muth,  muntere  Laune,  reine  Luft,  gutes 
Licht,  Wärme,  massige  und  täglich  vermehrte  Körperbewegung,  Reinlich- 
keit) wenig  zu  leisten  vermögen ;  2)  dass  die  flüchtig  reizenden  Excitantia, 
anhaltend  gebraucht,  durch  Überreizung  höchst  nachtheilig  wirken;  daher 
nur  im  Nothfall,  bei  Indicatio  vitalis,  und  so  lange  anzuwenden  sind,  bis 
die  Tonica  und  Nutrientia  vom  Kranken  vertragen  werden  können.  Es  ist 
bei  der  Anwendung  der  flüchtigen,  durchdringenden  Excitantia  nie  ein  wirk- 
lich erschöpftes  oder  geschwächtes,  nur  ein  schlummerndes  Wirkungsvermö- 
gen vorauszusetzen.  Sie  sind  indicirt  in  allen  Fällen,  wo  es  einer  raschen 
Aufreizung  bedarf,  wo  die  torpide  Schwäche  an  die  sensible  und  krampf- 
hafte grenzt  oder  bereits  in  Lähmung  übergegangen  ist  (^Sundelin).  Ammo- 
nium, Phosphor  und  Elektricität  sind  hier  vorzugsweise  an  ihrer  Stelle. 
Auch  die  Eintheilung  der  Excitantia  in  flüchtig -scharfe,  bitter  -  scharfe  und 
harzig- scharfe  ist  von  praktischem  Nutzen.  Flüchtig -scharf  wirken  Senf, 
Rettige,  Löffelkraut,  Colchicum.  Sie  erwecken  die  Sensibilität,  befördern 
die  Secretionen  in  den  Gelenkbändern  und  Synoinalhäuten  und  wirken  anti- 
septisch  und  antiskorbutisch.  Die  bitter  -  scharfen  (Squilla ,  Helleborus ,  Ko- 
loquinthen)  wirken  auf  den  Darmcanal ,  auf  die  Unterleibs  -  und  Rücken- 
marksnerven ,  und  sind  in  kleinern  Gaben  Diuretica ,  in  grössern  Purgantia 
drastica.  Dasselbe  gilt  zum  Theil  von  den  harzig -scharfen  Reizmitteln; 
Guajak,  Jalape,  Scammonium,  Gutti.  Unter  den  Gewürzen  sind  die  schärf- 
sten Reizmittel  Pyrethrum  und  Capsicum.  Sie  passen  in  den  höchsten  Gra- 
den des  Torpors  und  der  Lähmung ,  bei  grosser  Unthätigkeit  der  ab  -  und 
aussondernden  Organe  und  des  gesammten  Reproductionssystems. 

^SiXCOriatio»  Darsis,  Diatrimma,  AttrHus,  Parairimma,  Ectrimma, 
die  Hautabschälun  g,  das  Roth-  oder  Wundwerden  der  Haut. 
Ist  eine  Ablösung  und  Absonderung  der  Oberhaut  von  demCorion,  oder  des 
letztern  von  den  weichen  Theilen.  Ursachen  sind:  Unreinlichkeit ,  Anein- 
anderreihen der  Theile,   scharfe  ätzende  Dinge,  innere  Schärfen.     So  zr»  B. 


636       '  EXCRESCENTIA  —  EXINANlTIO 

leiden  Säuglinge,  die  unreinlich  gehalten  werden,  hänfig  daran.  Cur.  Rein- 
lichkeit durch  kaltes  Wasser,  Waschen  mit  kaltem  Wasser  und  etwas  Brannt- 
wein, das  Aufstreuen  von  Sem.  lycopodii.  Am}  Ion  sind  die  vorzüglichsten 
Mittel.  Auch  hat  man  das  Aufstreuen  von  Ceriissa,  Flor,  zinci  empfohlen. 
Doch  sey  man  mit  diesen  Mitteln  bei  grossen  Wundflächen  und  bei  Kindern 
vorsichtig ,  damit  keine  Vergiftung  durch  Resorption  erfolgt.  Auch  da ,  wo 
die  Excoriation  aus  innern  Ursachen  entsteht,  z.  B.  bei  dem  chronischen 
Wundseyn  2  —  7jähriger  Kinder  hinter  den  Ohren,  passen  solche  zurücktrei- 
bende Mittel  nicht.  Ist  bei  Säuglingen  allgemeine  Schwäche  die  Schuld 
des  Wundseyns,  so  wirken  laue  aromatische  Bäder  von  Serpyllum,  Rosma- 
rin, Lavendel,  Flor,  chamomill.  etc.  besonders  gut.     (S.  auch  Ecdarsis). 

Christian  Hoppe. 

XiXcrescentias  Ecphyma',  ein  Auswuchs.  Ist  jede  widernatürliche, 
sowol  in  den  weichen ,  als  in  den  festen  Theilen  des  Körpers  stattfindende 
Auswachsung;  dahin  gehören  Warzen,  Polypen,  Knochenexcrescenzen  etc. 
Die  nächste  Ursache  solcher  Excrescenzen  ist  Afterorganisation  (Organisatio 
spuria) ,  relativ  zu  starke  Production ,  fehlerhafte  Modification  der  Repro- 
duction  (s.  Pseudomorp  hosis,  und  Röschlnii7j''s  Magaz.  Bd.  VI.  Hft.  1). 
Bei  der  Cur  solcher  Excrescenzen  untersuche  man,  ob  sie  auch  von  innern 
Ursachen  herrühren.  Alsdann  begnüge  man  sich  nicht  mit  dem  örtlichen 
Wegschaffen  derselben,  wozu  die  Chirurgie  die  Mittel  (Scheere,  Bistouri, 
Ligatur,  Caustica)  kennen  lehrt,  sondern  wirke  auch  durch  allgemeine,  die 
Production  vermindernde  Mittel  auf  die  ganze  Constitution  des  Kranken. 
Übrigens  bezieht  sich  der  Name  Auswuchs,  worunter  fast  alle  Pseudoorga- 
nisationen  gehören ,  nicht  auf  die  Natur  und  das  Wesen  dieser  Krankheiten, 
daher  er  bei  dereinstiger  Revision  unserer  Terminologie  wol  gestrichen  wer- 
den kann.  Nach  Verschiedenheit  der  Organe  und  der  Structur  der  Theile 
unterscheiden  wir  Excrescentia  carnosa,  cartilaginosa,  cerebri,  corneae,  fun- 
gosa,  ossea,  scirrhosa,  verrucosa  etc.  (s.  Cancer,  Fungus,  Sarcoma). 

Excrescentia  gingivac,  s.  Epulis. 

Exerasis»  Exerasmus.  Ist  jede  Ausleerung  durch  Erbrechen,  Hu- 
sten, Stuhlgang  etc. 

*  Exfoliatio  OSSium,  die  Abblätterung,  Exfoliation  der 
Knochen.  Ist  Trennung  abgestorbener  Knochenlaraellen  oder  grösserer 
Knochenstücke  von  der  in  ihrer  Integrität  gebliebenen  Knochenmasse  in  Folge 
der  Nekrose.  Diese  abgestorbenen,  in  Form  von  Blättern,  kleinen  Spitzen, 
Stacheln  vorkommenden  Theile ,  welche  Sequester  heissen ,  sind  bei  reiner 
Nekrose  gewöhnlich  weiss;  ging  aber  Caries  vorher,  oder  die  Anwendung 
der  Caustica,  so  sehen  sie  schwärzlich  aus.  Die  Lostrennung  ist  nicht  Folge 
der  Eiterung  oder  des  Granulationsprocesses,  sondern  Folge  der  Resorption, 
welche  beim  Stillstande  des  Ertödtungsprocesses  an  der  Grenze  des  Todten 
und  Lebendigen  sich  geltend  macht,  einen  Theil  des  letztern  einsaugt,  eine 
Spalte  veranlasst  und  somit  die  Oberfläche  des  Sequesters  rauh ,  höckerig, 
und  von  wurmstichigem  Ansehn  macht  (^Vcidmnmi).  Es  findet  somit  in  den 
Knochen  derselbe  Process  statt ,  wie  in  den  weichen  Theilen  beim  Brande, 
nur  mit  dem  Unterschiede ,  dass  er  weit  langsamer  von  Statten  geht.  Die 
Entfernung  des  Sequesters  befördert  die  Natur  häufig  durch  die  Cloaken- 
bildung  (s.  Caries  und  Necrosis).  L.  A.  Most. 

Exliaustio,  Erschöpfung  der  Kräfte,  s.  Adynamia. 

Slxinanitio,  DqjJetio,  übermässige  und  anhaltende  Auslee- 
rung, z.  B.  durch  anhaltende  schwächende  Diarrhöe,  chronisches  Erbre- 
chen, durch  Phthisis  pulmonalis,  durch  Ausschweifungen  in  Vene.re  etc. 
Die  Folgen  davon  sind  allgemeine  Erschöpfung,  Zehrfieber,  Krämpfe  ex 
inanitione  (Hippokrates)  und  zuletzt  Tod  durch  Abzehrung.  Die  Cur  sol- 
cher Übel  besteht  darin ,  die  übermässige  Ausleerung  zu  massigen  und  den 
Körper  zu  stärken  durch  Roborantia,  Amara,  gute  Nutricntia,  Bewegung 
im  Freien  etc. 


EXISCHOS  —  EXOSMOSIS  637 

EiXischoS»  s.  Luxatio  femoris. 

Exoinetria,  Umstülpung  der  Gebärmutter,  s.  Prolapsus  uteri. 

flxoiuplialus »  Nabel  Vorfall ,  s.  Hernia  umbilici. 

Exomphalm  nquosus.  Ist  eine  wässerige ,  durchschneidende  Geschwulst, 
Brhebung  des  Nabels ,  die  zuweilen  bei  Bauchwassersucht  stattfindet ,  die 
man  auch  Hydromphalus  nennt.  Man  kann,  wenn  das  Abzapfen  des  Was- 
sers indicirt  ist,  diese  Geschwulst  mit  der  Lanzette  leicht  öffnen,  welche 
Operation  die  Paracentese  mittels  des  Troikars  überflüssig  macht,  und  da- 
her in  diesem  Falle  durchaus  den  Vorzug  verdient  (M.). 

Exomphalus  callosus,  Poromphalus ,  Nabelvorfall,  der  Verhärtungen, 
Fett,  Steine  etc.  enthält,  s.  Hernia  umbilici. 

Exomphnlus  cruentiis ,  Haemalomphalon ,  Nabelblutbruch,  wo  der 
Nabel  durch  ergossenes  Blut  hervorgetrieben  ist.  Cur.  Man  behandle  das 
Übel  anfangs  als  eine  Contusion,  fomentire  mit  Essig,  Wasser,  Branntwein, 
Aq.  vulnerar.  Thedenii;  will  darnach  die  Resorption  nicht  erfolgen,  so  öffne 
man  die  Geschwulst ,  und  verbinde  mit  Charpie,  welche  mit  Decoct.  chinae, 
quercus,  Alaunsolution ,  angefeuchtet  worden. 

Eivomphnlus  poli/posus ,  s.  Sarcomphalus. 

Exomphalus  pwrulentus,  Nabelvorfall,  welcher  Eiter  enthält.  Wird 
wie  Abscess  behandelt. 

Exomplinlus  vnricosus,  Adergeschwulst  des  Nabels.  Ist  Gefdss- 
ausdehnung  dieses  Theils  ;  s.  Angiectasis. 

Exomphnlus  ventosus,  Luftgeschwulst  des  Nabels.  Ist  zuweilen 
Symptom  der  Tympanitis,  des  Hydrops  abdominis.  Cur.  Die  des  Grund- 
übels. Bei  Säuglingen  entsteht  das  Übel  oft  ohne  wahrnehmbare  Ursache 
und  vergeht  ohne  Mittel  in  wenigen  Tagen  von  selbst  (M). 

Kxoneirog^iuus»  Exoneirosis,  nächtliche  Samenergiessung  im  Traume, 
s.  Pollutio  nocturna. 

Exopbtlialinia,  s.  Exophthalmos. 

Exoplttbalmia  cancrosa,  s.  Canceroculi. 

Kxophtlialiuos ,  Exophthalmia ,  Ochsenauge,  Hervortreten  und 
Vergrösserung  des  Augapfels,  s.  Hydatis  glandulae  lacrymalis  \md 
Prolaps  usbulbioculi. 

üiXOr cismus ,  das  sogenannte  Beschwören  und  Austreiben.  Ist 
das  auf  Aberglauben  beruhende,  in  frühern  Jahrhunderten  von  Priestern  oft 
angewandte  Verfahren ,  durch  Beschwörungsformeln  etc.  einen  vermeintli- 
chen bösen  Geist,  eine  Krankheit  etc.  aus  dem  Körper  zu  treiben,  welches 
besonders  bei  Epileptischen  und  psychisch  Kranken  in  Anwendung  gebracht 
und  durch  Ableiten  der  Krankheitsideen ,  durch  Aufregung  der  Phantasie  zu- 
weilen heilsam  wurde. 

füxorinia,  Exormesis.  So  nennt  P«Msani«s  den  Wahnsinn  (s.  Ma- 
nia);  Neuere  verstehen  darunter  einen  frieselartigen  Hautausschlag, 
besonders  das  sog.   Grutum  (itrnws). 

EiXOSmosis,  Extrusio,  richtiger  wol  Exothesis,  das  Gegentheil  von 
Endosmosis ,  Intrusio.  Beide  Benennungen  gebraucht  Dutrochet  für  die  an 
organischen  Häuten  beobachtete  Doppelerscheinung,  dass  verschiedene,  an 
beide  Flächen  einer  solchen  Haut  vertheilte  Flüssigkeiten  dieselbe  von  bei- 
den Seiten  gleichzeitig,  aber  weniger  oder  mehr  gleichmässig ,  durchdringen. 
Diese  Thatsache  giebt  neues  Licht  über  die  sogenannten  Eitermetastasen 
und  deren  pathologischen  Vorgang.  Nach  Romherf]  (s.  Medic.  Zeitung  von 
einem  Verein  f.  Heilkunde  in  Preussen ;  Berlin,  1834,  Nr.  16)  beruhen  Aus- 
scheidung, Aufsaugung  und  Absonderung  theils  auf  dem  Processe  der  Im- 
bibition (wo  die  Quantität  zweier  Fluida,  die  durch  ein  organisches  Ge- 
webe, z.B.  eine  Haut,  getrennt  sind,  sich  nach  hydraulischen  Gesetzen  ins 
Gleichgewicht ,  auf  gleiches  Niveau  setzen) ,  theils  auf  Endosraose  und 
Exosmose,  d.i.,  wo  die  Ausgleichung  der  Qualität  der  Fluida  ohne  Rück- 


638  EXOSTOSIS 

sieht  aufs  Niveau  2wischen  organischer  Haut,  von  der  Seite  einer  weniger 
gesättigten  Auflösung  nach  der  andern  Seite,  vor  sich  geht,  was  auch  bei 
porösen  metallischen  Körpern  geschieht.  Eiterkügelchen  gehen  nicht  durch 
die  Häute  der  Gefässe,  weder  von  aussen,  noch  innen,  noch  umgekehrt. 
Zur  Erklärung  der  sogenannten  Eitermetastasen  reichen  zvs^ei  bekannte  phy- 
siologische Thätsachen  aus:  1)  die  Erfahi-ung,  dass,  wenn  sich  an  einer 
Stelle  eine  abnorme  Thäiigkeit,  zumal  Entzündung,  äussert,  die  Absonde- 
rung in  andern  Organen  dadurch  vermindert  oder  aufgehoben  wird ,  es  mö- 
gen diese  letztern  nun  normale  Absonderungsorgane  oder  blos  durch  Krank- 
heit zu  solchen  gemacht  worden  seyn,  z.B.  eine  nach  aussen  geöffnete  Ab- 
«cesshöhle.  2)  Diese  Erfahrung  hat  auf  die  wichtige  Lehre  von  der  Deri- 
vation und  die  ableitende  VIethode  (Glüheisen ,  Vesicantia ,  Rubefaclentia, 
Vomitive,  Laxanzen)  geführt,  wobei  an  einem  gesunden  Organe  Reizung, 
vermehrte  Thätigkeit  bewhkt  wird,  um  die  krankhafte  Thätigkelt  in  einem 
andern  Organe  zu  beschränken.  Beide  sub  Nr.  1  und  2  angeführte  Erfah- 
rungssätze erläutern,  nach  Ilomhertf ,  befriedigend  die  sog.  Eitermetastasen, 
Sie  beschränken  sich  im  Allgemeinen  darauf,  dass  eine  locale  Eite- 
rung an  einem  äussern  T heile  vorhanden  ^yar,  dass  sich  ne- 
ben dieser  auf  einmal  unbestimmte  Zeichen  eines  Innern  oder 
allgemeinen  Leidens  entwickelten,  dass  nun  zu  gleicher  Zeit 
eine  beträchtliche  Störung  des  Allgemeinbefindens  einer- 
seits, und  Verminderung  oder  völliger  Stillstand  der  äus- 
sern Eiterabsonderung  andererseits  bemerkt  wurde,  und 
dass  man  nach  dem  nun  erfolgten  Tode  eine  Eiteransamm- 
lung in  irgend  einem  andern  Organe  fand  (s.  auch  R.  Froriep, 
Über.  Eitermetastasen,  in  Casper's  Wochenschrift,  1834,  Nr.  8  u.  9). 

ExostosilS,  Knochen  aus  wuchs,  Beingewächs.  Ist  Product 
des  qualitativ  und  quantitativ  irregulär  thätigen  Ernährungsgefässsystems. 
Die  Existenz  der  Exostosen  ist  bald  dem  Periosteum  externum,  bald  der 
Tela  medullarls,  den  Bildungs-  und  Erhaltungsorganen  der  Knochen  zuzu- 
schreiben (s.  LangenhecTc^s  NeueBM.  für  Chirurgie  u.  Ophthalmologie ,  1827, 
Bd.  IV.  St.  3,  Sv  532).  Eine  wirkliche  Knochenmasse  scheint  sich  nach 
Langenheck  nur  an  der  Oberfläche  der  Knochen  zu  bilden.  Das  Übel  ist 
gewöhnlich  sehr  langwierig;  seine  nächste  Ursache  Ist  ein  Ausschwitzen  des 
Knochensaftes,  der  sich  entweder  auf  die  Oberfläche  des  Knochens  ergiesst, 
oder  sich  in  der  Nähe  desselben  ausbreitet,  oder  nach  innen  in  die  Mark- 
höhle dringt.  Im  letztern  Falle,  der  der  seltenere  und  wobei  das  Übel  mehr 
knorpeliger  Art  ist,  nennt  man  es  Enostosis.  Wird  ein  Knochen  In  seinem 
ganzen  Umfange  dadurch  ausgedehnt ,  was  am  häufigsten  bei  den  kleinen 
Knochen  der  Hände  und  Füsse  der  Fall  Ist,  so  heisst  das  Übel  flyperostosis. 
Auch  kann  man  die  abnorme  Verdickung  der  Kopfknochen  bei  manchen  Epi- 
leptischen hierher  rechnen.  Befällt  das  Übel  einen  Röhrenknochen  Im  gan- 
zen Umfange,  so  heisst  es  Periostosis.  Einige  unterscheiden  auch  Exostosis 
vera  und  spuria.  Bei  ersterer  entsteht  der  Auswuchs  durch  den  Knochen 
selbst,  bei  letzterer  durch  das  Periosteum  Wichtiger  Ist  der  Unterschied 
zwischen  Exostosis  benigna  und  maligna.  Letztere  ist  der  wahre  Knochen- 
krebs, wenn  auf  demselben  im  Fleische  der  wirkliche  Krebs  stattfindet. 
Diese  Exostose  ist  von  Anfang  an  mit  heftigem  klopfenden  Schmerz  verbun- 
den ;  auch  fühlt  sie  sich  weicher  an  als  alle  nicht  bösartigen  Exostosen, 
Sie  besteht  aus  einer  knorpeligen  Kapsel,  worin  ein  fachiger  Bau,  gebildet 
aus  Knochenplättchen  und  untermischt  mit  speckartiger  Masse,  bemerkt  wird, 
worin  Gallerte  und  später  Jauche  gefunden  wird.  Zuletzt  bricht  sie  an  ei- 
ner einzelnen  Stelle  auf,  sinkt  aber  auch  dann  nicht  zusammen,  sondern 
treibt  eine  Menge  glatter,  glänzender  Schwämme  hervor,  die  ungemein  viel 
Jauche  von  durchsichtiger  Farbe  und  scheusslichem  Gestanke  geben  und 
sehr  leicht  bluten,  worauf  bald  hektisches  Fieber  und  Tod  folgen  {Himhj). 
Gottlob!  ist  dieses  Übel,  wo,  wenn  es  der  Theil  erlaubt,  vielleicht  einzig 
die  Amputation  retten  kann,  selten.  Gewöhnlich  sind  alle  Exostosen  zn 
Anfange  weich  und  werden   erst  allmälig  härter.      Meist   entstehen  sie  ganz 


EXOSTOSIS  630 

schleJchend,  häufig  ohne  Schmerz,  tler  erst  dann  eintritt,  wenn  sie  durch 
ihre  Grösse  die  benachbarten  Theile  beeinträchtigen.  Alle  Knochen  des 
Körpers  können  von  Exostosen  befallen  werden,  jedoch  kommen  sie  am  häu- 
figsten an  den  Schädelknochen,  am  Unterkiefer,  am  Schlüssel  -  und  Brust- 
beine, an  den  Rippen  und  an  den  langen  Knochen  der  Extremitäten  vor. 
Manchmal  ist  die  Geschwulst  auf  einen  kleinen  Theil  des  Knochens  be- 
schränkt und  bildet  eine  Masse  von  bald  mehr  runder,  bald  länglicher,  stiel- 
förrniger ,  bald  kugeliger  Gestalt.  Ist  die  Exostose  nicht  sehr  gross ,  so 
verändert  sie  die  weichen  Theile  fast  gar  nicht ;  ist  sie  aber  bedeutend, 
monströs,  so  dehnt  sie  die  Muskeln  gleichsam  aus  und  verdünnt  sie.  Selbst 
kleine  Knochenauswüchse  können  die  Verrichtung  gewisser  Organe  sehr  hin- 
dern. So  hat  man  dadurch  die  Wirkung  der  Beugerauskeln  des  Unterschen- 
kels gehindert  gesehen,  so  erregt  die  Exostose  in  der  Orbita  Prolapsus 
bulbi  oculi,  Hydrophthalmos,  Buphthalmos  etc.  Gelegenheitsursachen 
der  Exostosen  sind  theils  innere ,  theils  äussere.  Zu  erstem  gehören  alle 
kachektische  Krankheitszustände,  als  Syphilis,  Gicht,  Scropheln,  Krebs  etc. 
(Bei  den  Scropheln  ist  Exostosis  meist  der  Vorläufer  der  Spina  ventosa,  der 
Paedarthrocace;  der  Krebs  macht  Exostosis  maligna  etc.  M).  Zu  den  letz- 
tern gehören  alle  äussere  mechanische  Einwirkungen,  welche  eine  Ergies- 
sung  des  Knochensaftes  veranlassen,  als  Quetschungen,  Beinbrüche  etc.  — 
Die  Symptome  der  Exostosen  sind  nach  den  verschiedenen  Ursachen  sehr 
verschieden.  Ist  das  Übel  blos  Folge  örtlicher  Veranlassung,  so  fehlen  die 
Schmerzen  oft  ganz.  Entstand  es  aber  aus  innern  Ursachen,  liegt  ihnen 
eine  chronische  Knochenentzündung  zum  Grunde,  so  sind  die  Schmerzen  oft 
sehr  heftig  und  werden  durch  Bettwärme  unerträglich,  so  wie  sie  dann  meist 
des  Nachts  am  heftigsten  sind  (s.  Dolores  osteocopi),  und  in  den 
meisten  Fällen  von  Syphilis  inveterata  herrühren ,  auch  den  syphilitischen 
Exostosen  gewöhnlich  schon  vorhergehen.  Cur.  Sie  ist  nach  Verschieden- 
heit der  Ur.'^achen,  nach  der  Grösse  und  Lage  der  Exostosen  und  nach  den 
Zufällen,  welche  sie  veranlassen,  verschieden.  Rührt  die  Knochengeschwulst 
von  äussern  Ursachen  her,  ist  sie  noöh  klein,  noch  nicht  zur  wahren  Kno- 
chenmasse verdickt,  so  lässt  sich  nicht  allein  ihre  fernere  Ausbildung  ver- 
hüten, sondern  sie  kann  auch  durch  Eisumschläge,  Tropfbäder,  zertheilenda 
Pflaster,  z.  B.  Enipl.  de  gummi  ammoniaco,  E.  mercuriale  cum  Camphora 
et  Opio,  durch  Unguentum  hydrargyr.  einer.,  durch  Einreibungen  von  Ka- 
lomel  mit  Speichel  etc.  zertheilt  werden.  Ist  die  durch  äussere  Ursachen 
entstandene  Exostose  aber  schon  alt  und  hart,  und  helfen  die  genannten 
Mittel  nicht,  so  kann  man  sie,  erregt  sie  keine  üble  Einwirkung  auf  die 
benachbarten  Theile,  der  Natur  überlassen.  Wächst  sie  aber  bedeutend 
fort ,  hindert  sie  die  Function  des  leidenden  Theils  oder  der  Nachbarschaft, 
80  muss  zur  Operation  geschritten  werden.  Diese  besteht  darin,  dass  man 
die  Geschwulst  von  ihren  Bedeckungen  durch  einen  länglichen,  ovalen  oder 
kreisförmigen  Schnitt  (nach  Beschaffenheit  des  Theils)  entblösst,  und  dann 
mittels  eines  Trepans  ödes  eines  Meisseis  und  Hammers  den  Auswuchs  ent- 
fernt. Ist  aber  eine  innere  Ursache  vorhanden ,  so  muss  eine  allgemeine  ge- 
gen das  Grundübel  (Arthritis,  Syphilis,  Scrophulosis)  gerichtete  Behand- 
lung vorhergehen.  In  den  meisten  Fällen  ist  diese  allein  hinreichend  und 
es  bedarf  keiner  Operation.  Besonders  achte  man  darauf,  ob  Lues  zum 
Grunde  liegt;  das  syphilitische  Exanthem  oder  Liehen  syphilitic.  giebt  hier 
oft  Auskunft.  In  den  meisten  Fällen  bedarf  es  hier  der  Louvrier-Rust'schen 
Schmier-  und  Hungercur.  Ausserdem  sind  als  Specifica  gegen  Exostosen 
noch  im  Ruf  Cort.  mezerei  (s.  Dolores  osteocopi),  welche  sowol  bei 
Arthritischen  als  Venerischen  nützlich  ist;  ferner  die  äusserliche  Anwendung 
der  Mercurialsalbe ,  der  El«ktricität.  Bei  Exostosis  maligna  sind  zu  Anfange 
Anticrancrosa  und  später  solche  Mittel  zu  versuchen,  welche  die  Schmerzen 
stillen  und  die  Kräfte  unterstützen";  z.B.  Opium,  gute  Nutrientia,  China  etc, 
Synonyme  der  Exostosen ,  nach  manchen  Verschiedenheiten  auch  zu  nähern 
Bezeichnungen,  sind  ;  Hyperostosis ,  Periostosis ,  OstcoscirrJnts ,  Osteophyma, 
Osttoncus j    Osteotyhts,  Nodus,   Nodus  cahareus,  Knochengeschwulst, 


640  EXOSTOSIS 

Knochenknoten,  Kalkkn&tcn,  Sandstein-  oder  Bimssteinge- 
wächs, wie  dieses  schon  aus  dem  Obigen  näher  hervorgeht.  Geben  diese 
Geschwülste  dem  Fieberdrucke  nach,  so  heissen  sie  Guimnnia ,  sind  sie  et- 
was härter :  Tophi  {Böticher) ;  andere  Autoren  nennen  wieder  nur  die  syphi- 
litischen Knochenauswüchse  Tophi  und  Gummata.  Callisen  unterscheidet  mit 
Recht:  1)  Exostosis  solida,  vera.  Sie  entsteht  häufiger  aus  örtlichen,  als 
aus  allgemeinen  Ursachen ,  macht  wenig  Schmerz ,  hat  einen  langsamen  Ver- 
lauf; die  neugebildete  Knochenmasse  ist  einfach,  gleichartig,  hart  und  wird 
später  selbst  härter,  als  die  gesunde  Knochensubstanz,  sogar  wie  Elfen- 
bein. —  2)  Exostosis  cavernosa,  spurin,  Callisen.  Sie  bildet  sich  nur  in 
Folge  allgemeiner  Ursachen  unter  heftigen,  anhaltenden  Schmerzen,  selbst 
zuweilen  unter  B^ieber  aus,  und,  wenn  auch  nicht  immer,  doch  der  Regel 
nach,  ist  ihr  Verlauf  weit  rascher,  als  bei  Nr.  1.  Sie  enthält  in  ihrem  In- 
nern eine  oder  mehrere  Höhlen,  die  von  festen  Knochenlamellen  umschlossen 
werden ,  oft  eine  ungleiche  Ausdehnung  haben  und  eine  Materie  von  ver- 
schiedener Consistenz  und  Beschaffenheit  enthalten,  zuweilen  dünnflüssig, 
wie  Wasser  (daher  der  Name  Htjdrosteon),  oft  wie  Gallerte  oder  knorpel- 
artig beschaffen  ist.  —  Auch  die  Eintheilung  in  idiopathische  und  sym- 
pathische Exostosen  behält  stets  ihren  praktischen  Werth ;  denn  erstere 
sind  rein  örtliche,  aus  solchen  Ursachen  entstandene  Knochenauswüchse, 
letztere  dagegen  sind  entweder  ganz  oder  doch  grösstentheils  nur  der  ört- 
liche Reflex  eines  allgemein  durch  den  Organismus  verbreiteten  dyskrasi- 
schen  Leidens.  Die  Anamnestik  und  der  Umstand ,  dass  die  Exostosis  idio- 
pathica  späterhin  als  feste,  solide,  die  E.  sympathica  aber  mehr  als  caver- 
nöse  Knochengeschwulst  auftritt,  dienen  zur  Diagnose  beider  Arten.  Unter 
den  sympathischen  Exostosen  sind  die  syphilitischen  und  scrophulösen  wol 
die  häufigsten  Unterarten.  Seifert  sagt  darüber  (s.  üms^'ä  Chirurgie ,  Bd.  VI. 
S.  580)  mit  Recht:  „Wiewol  für  eine  vollständige  Diagnose  wichtig  und 
für  den  einzuleitenden  Heilplan  unerlässlich ,  ist  es  doch  oft  sehr  schvvierig, 
mit  Sicherheit  zu  bestimmen,  ob  irgend  eine  vorliegende  sympathische  Exo- 
stose syphilitischen  oder  scrophulösen  Ursprungs  sey.  Ausser  der  Zusam- 
menstellung der  aufzufindenden  anamnestischen  Zeichen  und  ausser  der  Be- 
nutzung derjenigen  gleichzeitig  vorhandenen  Kriterien,  aus  welchen  man  die 
Gegenwart  der  einen  oder  der  andern  allgemeinen  Dyskrasie  zu  erkennen 
vermag,  sind  es  besonders  die  Verschiedenheit  des  die  Ausbildung  der  Kno- 
chengeschwulst begleitenden  Schmerzes  und  der  ungleiche  Sitz  des  örtlichen 
Übels,  durch  welche  die  diagnostische  Unterscheidung  einer  syphilitischen 
Exostose  von  einer  scrophulösen  begründet  wird.  Denn  bei  jener  sind  die 
Schmerzen  sehr  heftig,  bohrend  und  in  die  Tiefe  des  Knochens  eingreifend, 
des  Nachts  in  der  Bettwärme  am  stärksten  und  gegen  Morgen  gewöhnlich 
remittirend,  dabei  anfänglich  über  den  ganzen  Knochen  verbreitet,  und  nur 
später  auf  diejenige  Stelle  ausschliesslich  beschränkt,  an  welcher  die  Ge- 
schwulst sich  hervorbildet;  zugleich  hat  diese  meist  ihren  Sitz  in  den  här- 
tei'n,  compactem  Knochentheilen ,  dort,  wo  sie  nur  von  einer  dünnen  Lage 
'von  Weichgebilden  bedeckt  sind.  Die  scrophulöse  Exostose  dagegen  pflegt 
unter  dumpfen ,  wenig  heftigen ,  sich  an  kerne  bestimmte  Tageszeit  binden- 
den Schmerzen  zu  entstehen,  und  vorzugsweise  die  spongiösen,  weniger  fe- 
sten Knochentheile  zu  befallen."  —  Die  nächste  Ursache  der  Exo- 
stosen im  Allgemeinen  sucht  Seifert  in  einem  veränderten,  mit  krankhafter 
Productivität  verbundenen  Ernährungsprocesse  des  Knochens,  in  Folge  des- 
sen eine  zu  grosse  Menge  phosphorsaurer  Kalkerde  in  das  Knochengewebe 
abgesetzt  und  dadurch  eine  Vermehrung  der  Knochenmasse  bedingt  wird. 
„Die  Behandlung  der  Exostosen  —  sagt  derselbe  Verfasser  —  ist  im- 
mer mit  vielen  Schwierigkeiten  verknüpft,  und  der  Erfolg  dieser  Behand- 
lung ist  oft  so  unsicher  und  im  Allgemeinen  so  wenig  glänzend,  dass  es  vor 
dem  Anfange  derselben  zweckmässig  ist,  durch  die  Erwägung  der  Umstände 
zu  ermitteln ,  ob  überhaupt  die  Behandlung  einer  Knochengeschwulst  zuläs- 
sig und  gerathen  sey."  Dies  findet  besonders  auf  die  idiopathischen,  aus 
örtlichen  Ursachen  entstandenen  Exostosen,  die  ohne  Schaden  oft  das  ganze 


EXOTICHAEMATOSIS  -  EXPECTORANTIA         641 

Leben  hindurch  getragen  werden,  seine  Anwendung;  —  weniger  auf  die 
sympathischen ,  mit  heftigen  Schmerzen  verbundenen  Knochenanswüchse. 
Hier  suchen  wir  a)  die  entfernten  Ursachen,  die  allgemeine  syphilitische, 
scrophulöse,  arthritische ,  scorbutische  Dyskrasie,  zu  beseitigen  (s.  Arthri- 
tis, Syphilis,  Scrophulosis,  Scorbutus),  b)  wir  suchen,  wenn  es 
noch  angeht,  nach  vorhergegangener  innerer  Behandlung  die  Geschwulst  zu 
zertheilen,  wozu  Unguent.  mercuriale,  Linim.  volat.  camphorat.,  Empl.  cicu- 
tae ,  saponat. ,  mercuriale  cum  Camphora  et  Opio  u.  a.  Mittel ,  nach  etwa 
vorhergegangener  Anwendung  von  Blutegeln  und  kühlenden  Fomentationen 
(wenn  Zeichen  von  acuter  Osteitis  da  sind)  empfohlen  werden;  c)  wir  ent- 
fernen durch  mechanische  Mittel  die  Exostose  oder  einen  Theil  derselben. 
Ist  durch  Ulceration  die  Knochensubstanz  schon  bedeutend  zerstört  und  von 
den  sie  bedeckenden  Weichgebilden  entblösst,  so  bleibt,  um  das  Glied  zu 
retten  und  dessen  Amputation  vielleicht  zu  vermeiden,  allein  nur  noch  die 
Anwendung  des  Glüheisens  übrig  (Richcrand,  Boyer ,  Seifert). 

E.vostosis  Vera,  Exostosis  spuria,  Exostosis  maligna,  s.  Exostosis. 

Exosfosis  sicatomuiodcs ,  Knochenspeckgeschwulst,  s.  Osteosteatoma. 

SiXotichaeinatosis,  Überleitung  fremden  Blutes  in  den  Körper, 
s.  Transfusio  sanguinis. 

flxoticosyinphysis.  Ist  Verwachsung  eines  fremden  Körpers  mit 
dem  Organismus^  wie  z.  B.  bei  der  Rhinoplastik. 

Expectorantia ,  Mittel,  welche  den  Auswurf  befördern. 
Die  Methodus  expectorans  wird  auf  ähnliche  Weise ,  wie  die  Hautabsonde- 
rung bewirkt,  und  die  Mittel  dazu  sind  nach  den  verschiedenen  Zuständen 
sehr  verschieden.  Hindert  eine  starke  Reizung  und  Constriction  den  Aus- 
wurf; z.  B.  bei  Pleuiesie,  Pneumonie,  so  sind  Aderlässe,  Nitrum  mit  Tar- 
tar.  vitriolatus  und  Ölemulsionen ,  häufiges  Trinken  lauen  Getränks ,  z.  B. 
Graupenschleim  mit  Oxymel ,  die  besten  Expectorantia ,  indem  sie  die  ab- 
sondernden Lungengefässe  schwächen,  erschlaffen,  und  so  die  Reizung  und 
Entzündung  vermindern.  In  andern  Fällen  sind  Antispasmodica  die  besten 
Expectorantia,  wenn  nämlich  Krampf  ohne  Entzündung  zum  Grunde  liegt, 
wie  z,  B.  bei  Asthma  spasmodicum  Millari,  im  spastischen  Stadio  des  Keuch- 
hustens etc.  Liegt  wahi-e  Schwäche  und  Atonie  zum  Grunde,  z.  B.  bei 
chronischem  Asthma  alter  Leute ,  bei  Hydropischen  im  vorgerückten  Alter, 
bei  alten  Säufern,  so  passen  die  sogenannten  specifischen  Expectorantia, 
d.  h.  solche  Mittel,  die  eine  besonders  reizende  Beziehung  auf  die  Lunge 
haben.  Dahin  gehören  Senega,  Squilla,  Liquiritia,  Fenchel,  Anis,  Flor, 
arnicae,  sambuci,  sulphuris,  Salmiak,  Sulph.  auratum ,  Antimonium,  Gummi 
ammoniacum,  Flor,  benzoes,  äusserlich  Einreibungen  reizender  Mittel,  so- 
wie die  Anwendung  der  Rubefacientia  und  Vesicantia  auf  den  Thorax;  auch 
das  Einathmen  warmer,  mit  reizenden  Stoffen  imprägnirter  Dämpfe  gehört 
hierher,  desgleichen  in  manchen  Fällen  ein  Vomitiv.  —  Alle  diese  Mittel 
finden  ihre  Anwendung  in  solchen  Fällen,  wo  die  Absonderung  in  den  Lun- 
gen vermindert  ist,  oder  wo  sich  schädliche  Stoffe  daselbst  angehäuft  haben, 
deren  Ausleerung  nothwendig  ist,  z.  B.  zäher  Schleim,  Überreste  coagulab- 
1er  Lymphe  nach  Pneumonien  (Hufclaiut).  Die  reizenden  Expectorantia  sind 
bei  jeder  wahren  Lungenentzündung,  wenn  sie  vor  dem  neunten  Tage  an- 
gewandt werden,  sowie  im  ersten  Stadio  des  Keuchhustens,  der  Blennor- 
rhoea  pulmonum,  überhaupt  da,  wo  noch  viel  Entzündungsreiz  obwaltet, 
schädlich.  Dagegen  sind  sie  bei  vielen  andern  Lungenübeln,  angepasst  den 
verschiedenen  Stadien  und  dem  Zustande,  worin  das  Übel  und  der  Kranke 
sich  befinden,  und  ausgewählt  nach  ihrer  mehr  oder  minder  reizenden  Wir- 
kung, höchst  nothwendige  Mittel,  die  nicht  allein  zur  Erleichterung,  sondern 
oft  auch  zur  radicalen  Heilung  derselben  sehr  viel  beitragen.  Die  nähern 
Indicationen  zur  Anwendung  der  specifischen  Expectorantia  sind  schon  oben 
angegeben  (s.  Antasthm  ati  ca,  Antiphthisica,  Asthma,  Blennor- 
rhoea  narium,  tracheae,  pulmonum,  Angina).  Folgende  Formeln 
verdienen  hier  noch  angeführt  zu  werden:  1)  Pulvis  pectorans  WedeUi. 
Most  Encjklopädic.  2te  Aufl.  T.  4J^ 


642  EXPLORATIO 

Es  besteht  aus  ly  Rad.   Uquirit. ,   —  h-cos  fiorent.  ana  33j ,    Flor,   sulphnris 

21^,   — Bcnzoes  ^j,    Sacchari  alhi  3JJ ,    Ol.  volat.  anisi, focmculi  ana 

glitt.  X.  Die  Dosis  ist  2  —  Snial  tä^^lich  5J5  ""^  es  passt  vorzüglich  bei  ato- 
nischem  Lungenleiden,  bei  alten,  reizlosen  asthmatischen  Subjectcn.  2)  Pi- 
lulae  expectorantes  Southeij.  fy  Extr.  myrrhae  5J!v,  —  hyoscijami, 
Pulv.  rad.  squill.  cxsicc.  ana  ölVj  Aqune  q.  s.  ut  finnt  PUulne  No.  xxx.  Die 
Dosis  ist  dreimal  täglich  1  —  4:  Stück.  Sie  passen  bei  atonischer  Blennor- 
rhoea  pulmonum,  die  mit  gesteigerter  Reizbarkeit,  viel  Husten,  schlaflosen 
Nächten  und  Unruhe  verbvmden  ist.  Anhaltend  dürfen  sie  in  chronischen 
Fällen  wegen  des  Hyoscyamus  nicht  gebraucht  werden  (s.  Blennorrhoea 
pulmonum).  S)  Pilulae  expectorantes  nach  Marcus.  ]^r  Myi-rhac 
eleclae,  Bnhnm.  peruvian.  s.  cunnd.  ana  Sjfv?  Extr.  opii  5l>.  M.  f.  pil  gr.  jj. 
Dosis:  alle  2  Stunden  2  —  S  Stück;  Gebrauch:  wie  bei  No.  1,  besonders 
bei  Phthisis  pituitosa  alter  Säufer.  4)  Linctus  expectorans  Uufelandi. 
ly  Pidv.  rad.  saiep  ö\l,  Solve  l.  a.  in  Aq.  calid.  ^]],  Adde  Syrnp.  althaeae 
3J,  Extr,  hyoscyami  5fj ,  Aq.  fior.  napli.  5j.  M.  S.  Öfters  einen  Theelöffel 
voll  zu  nehmen.  Ist  bei  Krampfhusten  und  zur  Erleichterung  des  quälenden 
Hustens  bei  Phthisis  sehr  zu  empfehlen.  5)  Linctus  expectorans  nach 
J.  A.  Schmidt.  ^!  Gummi  ammoniac.  5j,  Sulpli.  aurati  gr.  vj,  Syrup.  althaeae 
2Jjj.  M.  Dosis:  alle  2 — 3  Stunden  1  bis  2  Theelöffel  voll,  vorher  wohl 
umgeschüttelt.  Gebrauch:  wie  bei  No.  1,  besonders  bei  chronischem  Asthma 
arthritischer,  hydropischer  und  alter  Leute.  6)  Pulvis  expectorans 
nach  Behrens.  ^'  Sah  ammoniaci  Sjj,  Camphorae  gr.  \ j ,  Flor,  arnicae  3li» 
Sacchari  albi  Svj.  M.  f.  p.  det.  in  vitr.  Dosis:  3 — 4mal  täglich  einen  Thee- 
löffel voll.  Dieses  Brustpulver  habe  ich  bei  vernachlässigten  Pneumonien  mit 
Schwäche,  langsamem  Pulse,  verhinderter,  oder  bräunlicher,  schaumiger 
geringer  Expectoration  sehr  nützlich  gefunden,  besonders  wenn  noch  5.i3J 
Liquir.  cocta  zugesetzt  wurden  (M.).  Dass  alle  mineralische  und  vegetabi- 
lische Säuren,  so  wie  das  Opium  (bei  entzündlichen,  so  wie  bei  torpiden 
Lungenleiden)  die  Expectoration  hindern,  desgleichen  alle  INIittel,  welche 
erkälten  und  Diarrhöe  erregen,  ist  bekannt.  Bei  oft  hartnäckigem,  heftigem 
und  langwierigem  Husten,  den  nicht  selten  die  herrschende  Influenza  in  Ber- 
lin vor  ein  paar  Jahren  hinterliess,  so  wie  bei  jedem  andern  chronischen, 
rheumatischen  oder  katarrhalischen  Husten  fand  Hufeland  (s.  dess.  Journ. 
1835.  St.  3.  S.  124)  folgende  Mischung,  die  er  Elix.  anticatarrhale  nennt, 
sehr  nützlich:  Vy  Exir.  card.  hcnedict.  3]-,  Extr.  duhamar.  ^j,  Aq.  foeniculi 
3J,  Aq.  lait/rocerasi.  5j.  M.  S.  Täglich  4mal  60  Tropfen  zu  nehmen.  Der 
Husten  verschwindet  hierauf  oft  zur  Verwunderung  schnell  in  wenig  Tagen, 
was  auch  andere  Ärzte  bestätigt  gefunden  haben. 

Explorartio ,  die  Untersuchung,  das  Sondiren,  Touchiren, 
Vernehmen.  Wir  verstehen  darunter  die  Art  und  Weise,  wie  durch  Hülfe 
von  Instrumenten ,  Sonden ,  Kathetern  und  andern  Werkzeugen ,  besonders 
aber  durchs  Gehör  (Auscultatio)  und  durchs  Gefühl  mittels  der  Finger  krank- 
hafte oder  normale  Zustände  ( Schwangerschaft )  entdeckt  werden  können, 
wenn  die  übrigen  Sinne  zur  nähern  Erforschung  nicht  hinreichen.  Wir  un- 
terscheiden daher  für  Semiotik  und  Diagnose  mehrere  Arten  der  Exploration, 
die  für  Chirurgie,  Geburtshülfe,  innere  Heilkunde  und  Medicina  forensis 
höchst  wichtig  sind. 

Exploratio  medicinalis.  Sie  ist  im  weitern  Sinne  das  Verfahren  des  Arz- 
tes, mittels  des  äussern  und  Innern  Sinnes  Krankheitszustände  gehörig  wahr- 
zunehmen, den  Verlauf  derselben  genau  zu  beobachten  und  so  zu  ächten 
Erfahrungen,  theils  über  die  Krankheit,  theils  über  die  Whkung  der  ange- 
wandten Arzneien  zu  gelangen.  Im  engern  Sinne  können  wir  die  Ausculta- 
tion  und  Percussion  mittels  des  Stethoskops  und  des  Plessimeters  z\im  Behuf 
der  Untersuchung  der  Brust  und  des  Unterleibes  medicinische  Exploration 
nennen. 

Exploratio  chirurgica.  Die  wundärztliche  Untersuchung  im  en- 
gern Sinne  gestattet  eine  ausgedehnte  Anwendung,  besonders  bei  Hieb-, 
Stich-  und  Schusswunden,  bei  allen  durch  äussere  Gewaltthätigkeit ,  durch 


EXPLORATIO  643 

chemische  Schärfen,  Gifte  etc.  veranlassten  Verletziuigen  und  bei  allen  an- 
dern in  die  Sinne  fallenden  Abnormitäten  des  Körpers.  Die  Tiefe,  Grösse, 
Länge  und  Breite  einer  Wunde ,  das  Daseyn  oder  die  Abwesenheit  .ejnes 
fremden  Körpers  in  derselben,  —  den  Umstand,  ob  sie  penetrirt  oder  nicht 
penetrirt,  ob  diese  oder  jene  wichtige  und  edle,  oder  unwichtige  und  unedle 
Theile  verletzt  sind  oder  nicht,  —  alles  dieses  entdeckt  die  genaue  Unter- 
suchung des  Wundarztes,  der  dazu  wo  möglich  stets  den  eigenen  Finger 
(Exploratio  manualis,  digitalis)  und  nur  in  seltneren  Fällen  die  aus  Silber 
oder  Cautchuk  bereiteten  Sonden  (Exploratio  Instrumentalis)  und  andere 
ähnliche  Instrumente  gebrauchen  wird.  Die  Art  und  Weise  solcher  Explo- 
rationen lehrt  die  operative  Chirurgie;  doch  ist  hierbei  noch  zu  bemerken, 
dass  das  voreilige  Untersuchen  und  Sondiren  bei  manchen  bedeutenden  Ver- 
letzungen, besonders  der  Bx-ust  -  und  Baucheingeweide ,  sowie  bei  bedeuten- 
den Verletzungen  des  Gesichts  und  der  Hirnschale ,  oft  höchst  nachtheilig 
wird ,  und  den  rettungslosen  Kranken  unnöthige  Schmerzen  macht ;  daher 
vorher  wohl  zu  überlegen  ist,  ob  ein  solches  Verfahren  zur  möglichen  Ret- 
tung des  Lebens  nothwendig  ist,  oder  ob  blosse  Wissbegierde  uns  dazu  be- 
wegt. Im  letztern  Falle  erfordert  die  wahre  Humanität,  die  Exploration 
zu  unterlassen. 

Exploratio  ohstetricia ,  die  geburtshülfliche  Untersuchung,  das 
Touchiren.  Nichts  ist  für  den  praktischen  Geburtshelfer  von  grösserer 
Wichtigkeit  als  eine  genaue  Kenntniss  dieses  Gegenstandes ,  die  erst  durch 
fleissiges  Studium ,  genaue  anatomische  Kenntnisse  und  öftere  Übung  erlangt 
werden  kann.  —  Wir  unterscheiden  hier  die  ausser  liehe  und  inner- 
liche Untersuchung  (Exploratio  obstetricia  externa  und  interna),  und  ver- 
stehen unter  letzterer  das  Touchiren  im  engern  Sinne,  was  wiederum  in  die 
Explor.  manualis  und  instrumentalis  eingetheilt  werden  kann.  Die  Unter- 
suchung mittels  Instrumenten  hat  man  zur  genauen  Messung  des  Beckens 
angewandt ;  doch  ist  dieselbe  entbehrlich ,  da  die  eignen  Finger  recht  gut 
als  Massstab  dienen  können  (^Osimulcr}.  Sowol  die  äussere  als  die  innere 
Untersuchung  dienen  dazu ,  um  in  den  meisten  Fällen  bei  Schwangern  nach 
den  verschiedenen  Graden  der  Ausdehnung  und  Höhe  des  Leibes,  nach  der 
Beschaffenheit  des  Nabels ,  nach  An  -  oder  Abwesenheit  der  Bewegung  der 
Frucht  und  nach  dem  verschiedenen  Stande  und  der  Form  des  Muttermun- 
des etc.  die  Zeit  der  Schwangerschaft  zu  bestimmen;  oder  auch  dazu,  um 
innere  Krankheitszustände  der  Geschlechtsorgane  zu  erkennen ;  ferner ,  um 
in  medicinisch  -  forensischen  Fällen  über  das  Schwanger  -  oder  Nichtschwan- 
gerseyn  einer  Person ,  über  das  Geboren  -  oder  Nichtgeborenhaben  dersel- 
ben Auskunft  zu  geben;  oder  auch  dazu,  um  sich  bei  Kreisenden  über  die 
normale  oder  abnorme  Beschaffenheit  in  Betreff  der  Weite  oder  Enge  des 
Beckens,  der  Lage  der  Frucht  und  anderer  Umstände,  welche  die  Kunst- 
hülfe indiciren  oder  contraindiciren,  zu  überzeugen.  —  Das  Technische  der 
Explor.  externa  und  interna    enthalten  die    folgenden  nähern  Bestimmungen. 

A.  Untersuchung  einer  Kreisenden.  Wir  untei'suchen  hier,  um 
zu  wissen,  ob  die  Geburt  bald  erfolgen  werde,  oder  nicht,  und  ob  Hinder- 
nisse, die  eine  unregelmässige.  Kunsthülfe  erfordernde  Geburt  verursachen, 
zugegen  sind,  oder  ob  dieses  nicht  der  Fall  ist.  Hier  sind  folgende  Regeln 
zu  befolgen  und  die  nachstehenden  wichtigen  Punkte  zu  berücksichtigen : 
1)  Man  entblösse  beim  Untersuchen  die  Person  nicht;  denn  man  kann  durchs 
Gesicht  nichts  erforschen  und  ein  solches  Verfahren  beleidigt  die  Schamhaf- 
tigkeit.  2)  Man  erwärme  im  Winter  vorher  die  Hände  am  Ofen  oder  durch 
warmes  Wasser,  damit  die  Kreisende  sich  nicht  durch  die  Kälte  derselben 
unangenehm  berührt  fühlt.  S)  Man  untersuche  stets  zu  Anfange  mit  der 
trockenen  Hand  äusserlich  den  schwangern  Leib ,  um  sich  über  die  Lage  der 
Frucht  Auskunft  zu  verschaffen.  Diese  Untersuchung  muss  nicht  oberfläch- 
lich gemacht  werden,  man  muss  sich  darin  Übung  verschaffen,  da  sie  oft 
viel  Auskunft  giebt  (s.  Wigand,  Die  Geburt  des  Menschen,  Berlin,  1820). 
Besonders  ist  es  wichtig  zu  erforschen,  wo  die  Füsse  des  Kindes  liegen. 
Meist  befinden  sie  sich  in  der  rechten  Seite    des  Leibes  unter  der  Lebergc- 

4;t* 


644  EXPLORATIO 

gend;  zuweilen  findet  man  den  einen  Fuss  in  der  rechten,  den  andern  ia 
der  linken  Seite.  Hier  miiss  man  nicht  gleich  Zwillinge  vermuthen;  denn 
die  Nabelschnur  kann  die  Füsse  auseinander  gezogen  haben  (^CaruSy  Jörg, 
Osinniler,  Stein,  v.  Frorief).  Ferner  erforsche  man,  ob  der  Bauch  die  ge- 
hörige Rundung  habe,  oder  ob  er  mehr  nach  der  einen  oder  andern  Seite 
hinneigt,  ob  er  vorn  überhängt  etc.,  woraus  sich  schon  einige  Schlüsse  über 
die  Lage  der  Frucht,  die  Neigung  des  Beckens  etc.,  machen  lassen.  Auch 
überzeugt  man  sich  durch  die  Bewegungen  der  Frucht,  sowie  durch  die 
Auscultation  von  dem  Leben  des  Kindes.  Zugleich  vergesse  man  nicht,  die 
Schenkel  zu  untersuchen ,  ob  auch  Blutaderknoten  daran  zu  fühlen  sind. 
(Sie  deuten  an,  dass  nicht  selten  nach  der  Geburt  Metrorrhagie  entsteht, 
worauf  man  also  schon  vorher  sich  etwas  gefasst  machen  kann).  4)  Jetzt 
schreitet  man  zur  Innern  Untersuchung.  Man  legt  den  Ring  -  und  den  Ohr- 
finger in  die  flache  Hand,  streckt  den  Mittel-  und  Zeigefinger  aus  (bei 
Erstgebärenden  oder  enger  Vagina  letztern  allein),  bestreicht  diese  mit  Öl 
oder  Fett,  Pomade  etc.;  den  Bäumen  richtet  man  in  die  Höhe,  damit  die- 
ser einen  rechten  Winkel  mit  der  Hand  bildet,  und  führt  vorsichtig  und 
langsam,  ohne  in  den  Schanihaaren  zu  zerren  und  ohne  die  Klitoris  zu  be- 
rühren, den  Zeige-  und  Mittelfinger  in  die  Vagina.  Man  vergesse  nicht, 
nun  die  Weite  des  Beckens  zu  erforschen,  besonders  die  Länge  der  Linea 
conjugata  auszumitteln,  indem  man  den  Daumen  an  die  Symphysis  ossium 
pubis  hält  und  den  Zeige  -  oder  Mittelfinger  an  das  Promontorium  ossis 
sacri  bringt,  und  durch  einen  Massstab  nach  dem  Untersuchen  an  der  Hand 
diese  Länge  bei  unverrückter  Stellung  der  Hand  abmisst.  Der  geübte  Ac- 
coucheur  kennt  das  Mass  seiner  Hand  schon  vorher,  so  wie  jede  Länge  zwi- 
schen dem  ausgestreckten  oder  an  den  Zeigefinger  angelegten  Daumen  und 
dessen  Gelenken  und  der  Spitze  des  Index.  5)  Findet  man,  dass  bei  schnell 
auf  einander  folgenden  Wehen  gerade  eine  Wehe  während  de^  Untersuchens 
eintritt,  so  hält  man  mit  den  Fingern  stille,  und  untersucht  nicht  eher 
weiter ,  als  bis  dieselbe  vorüber  ist.  6)  Fühlt  man  den  Muttermund  schon 
mehrere  Finger  breit  offen ,  hat  sich  schon  eine  Wasserblase  von  der  Grösse 
eines  Gänseeies  gebildet;  so  ist  es  an  der  Zeit,  die  Blase  zu  sprengen,  und 
die  Geburt  wird  dann,  wenn  sie  regelmässig  ist,  bald  erfolgen  (s.  Partus 
normalis).  Ist  sie  unregelmässig,  so  erfordert  sie  oft  ein  anderes  Verfah- 
ren (s.  Partus  abnormis).  Die  Eihäute,  welche  die  Blase  im  Mutter- 
munde bilden  und  diesen  erweitern  helfen,  sind  zuweilen  sehr  dick;  sie  zer- 
reissen  dann  nicht  von  selbst,  das  Kindeswasser  lliesst  nicht  ab,  es  erfolgt 
Reizung  der  Ränder  des  Muttermundes,  Spannung  des  untern  Segments  und 
Verzögerung  der  Geburt;  oder  das  Kind  wird  mit  den  über  den  Kopf  ge- 
spannten Eihäuten  geboren  (sogenannte  Glückshaube),  wodurch  die  Placenta 
gezerrt  und  Metrorrhagie  erregt  werden  kann.  Man  sprengt  die  Blase  am 
besten  mit  den  Fingern,  indem  man  diese  während  einer  Wehe  an  den  pral- 
len Theil  derselben  setzt  und  sie  gegen  den  Schambügen  hinaufdrückt.  Ge- 
lingt dies  nicht,  so  bildet  man  mit  der  Unken  Hand  eine  Falte  in  den  Ei- 
häuten, führt  eine  vorn  abgestumpfte  Nabelschnurscheere  ein,  und  schneidet 
die  Falte  damit  durch.  So  verletzt  man  die  vorliegenden  Kindestheile  am 
wenigsten.  Die  Wassersprenger  von  Rödercr,  Fried,  Osinnder  sind  nicht  so 
sicher  (^Cnnis).  Atonie  des  Uterus,  heftige  Blutungen,  gefährliche  Ohnmäch- 
ten ,  grosse  Erschöpfung  und  Schwäche  der  Kreisenden,  sowie  die  Wendung 
und  das  Anlegen  der  Zange,  machen  die  Trennung  der  Eihäute  S'^lbst  in- 
nerhalb des  Uterus  oft  noth wendig,  wo  sich  also  noch  keine  ordentliche 
Blase  gebildet  hat.  Hier  geht  man  mit  der  konisch  geformten ,  auswendig 
mit  öl  bestrichenen  Hand  in  die  Vagina  und  den  Uterus,  und  sprengt  mit 
dem  Finger  die  Eihäute ,  indem  man  mit  dem  Daumen  und  Mittelfinger  eine 
Falte  bildet  und  diese  mit  dem  Zeigefinger  sprengt.  —  Ist  das  Frucht- 
wasser zu  früh  abgeflossen ,  z.  B.  w  egen  zarter  Beschaffenheit  der  Eihäute, 
so  wird  bei  Erstgebärenden  die  Geburt  dadurch  sehr  verzögert  (bei  Mehr- 
gebärenden hat  es  weniger  zu  bedeuten),  weil  sich  der  Muttermund  dann 
nicht   gehörig  ausdehnen  kann.      Sind  schon  6  —  8  Stunden   nach  dem  Ab- 


EXPLORATIO  615 

flusse  desselben  verstrichen ,  so  sind  die  innern  Geburtstheile  oft  sehr  heks, 
trocken,  und  es  stellen  sich  gern  Krampfwehen  ein  (s.  Dolores  ad  par- 
tum). Hier  wende  man  zuerst  Qualnibäder,  Einspritzungen  von  dünnem 
Haferschleim  an  und  suche  dann  die  Geburt  durch  die  Kunst  zu  befördern. 
7)  Findet  man  beim  Touchiren  oder  in  dem  erweiterten  Muttermunde  eine 
weiche ,  teig  -  oder  breiartige  Masse  oder  ein  teigartiges  unteres  Segment 
der  Gebärmutter,  hat  die  Kreisende  schon  in  der  Schwangerschaft,  im  7ten, 
8ten ,  9ten  Monate  von  Zeit  zu  Zeit  Blut  verloren,  beginnt  auch  jetzt  der 
Geburtsact  mit  Blutung,  erfolgt  diese  bei  jeder  Wehe  stärker,  kann  man 
von  den  Kindestheilen  beim  Untersuchen  wenig  oder  gar  nichts  entdecken ; 
60  ist  dies  ein  Zeichen,  dass  der  Mutterkuchen  vorliegt  (Placenta  praevia). 
(Man  nehme,  um  sich  nicht  zu  täuschen  und  etwa  eine  starke  Kopfgeschwulst 
des  Kindes  für  die  Placenta  zu  halten,  alle  Zeichen  der  Gegenwart  und 
Vergangenheit  zusammen).  Alsdann  ist  es  nöthig,  mit  der  ganzen,  konisch 
geformten  Hand  in  die  Geschlechtstheile  einzugehen  und  den  einen  Rand  der 
Placenta  da ,  wo  sich  die  Eihäute  fühlen  lassen ,  mit  der  Spitze  des  Fingers 
vorsichtig  zu  lösen,  die  ganze  Placenta  aber  nicht  zu  entfernen  (sie  auch 
nicht  nach  der  altern  verwerflichen  Methode,  wenn  sie  mitten  auf  dem  Os 
uteri  sitzt ,  zu  durchbohren ,  sondern  nur  an  der  Seite  zvi  lösen ,  wo  die 
Füsse  des  Kindes  liegen) ,  den  Muttermund  künstlich  zu  erweitern ,  bei  die- 
ser Gelegenheit  die  Eihäute  zu  sprengen  und  durch  die  Wendung  (in  drin- 
genden Fällen  und  bei  Placenta  praevia  completa)  auf  die  Füsse,  selbst  bei 
vorliegendem  Kopfe,  die  Geburt  zu  beschleunigen.  Ist  die  Blutung  nicht 
stark ,  der  Kopfstand  regelmässig,  und  sitzt  die  Placenta  mehr  an  der  Seite 
des  Muttermundes,  so  kann  man  die  Zangengebui-t  vorziehen.  Gewöhnlich 
hört  nach  der  Entleerung  des  Uterus  die  Blutung  auf  und  die  Placenta 
trennt  sich  schnell  von  selbst.  Sonst  gebraucht  man  die  bekannten  blut- 
stillenden Mittel,  z.  B.  alle  Y4  Stunde  15  Tropfen  Elix.  acid.  Halleri  mit 
40  Tropfen  Tinct.  cinnamomi,  kalte  Umschläge  etc^  (s.  Haemorrhagia 
uteri).  Entdeckt  man  schon  in  der  Schwangerschaft  die  Placenta  praevia, 
so  rathe  man  kühles  Verhalten,  Ruhe  der  Seele  und  des  Leibes  an,  und 
lasse  bei  massigen  Blutungen  Acetum  aromaticun\  mit  Compressen  über  die 
Geburtstheile  legen.  Stärkere  Blutungen  erfordern  Stets  das  Accouchement 
force  (s.  Partus  praema^turus  artificialis),  weil  kein  anderes  Mittel 
die  Blutung,  wodurch  das  Leben  der  Mutter  in  grosse  Gefahr  kommt,  zu 
stillen  im  Stande  ist.  8)  Zuweilen  rührt  einp  Blutung  von  varikösen  Ge- 
schwülsten in  der  Vagina  und  an  den  Schamlefzeh  her,  die  bei  der  Geburt 
bersten  und  nicht  selten  Tod  durch  Verblutung  zur  Folge  haben.  Ist  die 
Geburt  noch  nicht  weit  vorgerückt,  hat  sich  noch  keine  Wasserblase  ge- 
bildet, so  bringe  man  einen  Schwamm  ein,  der  mit  folgendem  I^  JJorac. 
Vcnet.  5ijj.;  solvc  Aq.  destill.  51V  angefeuchtet  ist,  reibe  die  Geburtstheile 
dann  mit  Ol  ein  und  beendige  die  Geburt,  selbst  wenn  sie  normal  ist,  vor- 
sichtig durch  die  Kunst,  da  alsdann  die  Knoten  nicht  so  leicht  platzen,  als 
wenn  man  die  Geburt  der  Natur  überlässt  {Osiamler}.  Dies  verhütet  am 
besten  die  gefährliche  Blutung,  sowie  schon  früher  in  dem  letzten  Monate 
der  Schwangerschaft  das  Einbringen  von  Charpie,  die  mit  Decoct.  quercus 
angefeuchtet  worden,  in  die  Vagina.  9)  Findet  der  Geburtshelfer  bei  der 
Untersuchung,  dass  die  Geburt  normal  und  die  übrigen  Umstände  günstig 
sind  (s.  Partus  normalis).  so  muss  er  Alles  der  Natur  überlassen.  Er. 
hat  weiter  nichts  zu  thun ,  als  die  Hindernisse  zu  entfernen ,  die  dem  Na- 
turgeschäfte im  Wege  stehen  könnten.  Nichts  ist  nachtheiliger  als  voreilige 
beschleunigte  Kunsthülfe.  Jedes  Ding  erfordert  seine  Zeit  und  eine  sehr  be- 
schleunigte Geburt  hat  für  die  Mutter  manche  Nachtheile,  woran  denn  oft 
nicht  gedacht  wii'd.  Das  Sprüchwort:  „Je  leichter  und  schneller  die  Ge- 
burt, desto  schwerer  und  länger  ist  das  Wochenbette"  hat  etwas  Wahres. 
Auch  bei  der  künstlichen  Geburt  befolge  man,  wenn  keine  Lebensgefahr 
durch  heftige  Blutung  etc.  da  ist,  eine  gewisse  Regelmässigkeit  und  Ord- 
nung, um  der  Natur,  die  diese  bei  ihren  Operationen  stets  befolgt,  so  viel 
als  möglich  nachzuahmen.     10)  Bemerkt  man  beim  Touchiren  Unregel massig- 


646  EXPLORATIO 

keiten  der  Geburt:  vorgefallene  Nabelschnur,  vorgefallene  Glieder,  Vagina 
clausa,  Wassergeschwilste  der  Vagina,  unverletztes  Hymen,  Hernia  perinaci, 
foraniinis  ovalis,  ein  zu  weites  oder  zu  enges,  oder  verunstaltetes  Becken, 
Graviditas  extrauterina  etc.,  auf  welche  Dinge  man  wohl  zu  achten  hat,  da- 
mit die  frühe  Kunsthülfe  nicht  versäumt  werde  (s.  Partus  abnormis); 
so  sage  man  es  nicht  sogleich  der  Kreisenden ,  gebe  es  auch  nicht  durch 
Mienen  den  Umstehenden  zu  verstehen,  um  nicht  Furcht  und  Angst,  wo- 
durch so  leicht  Krampf  erregt  wird,  im  Gemüthe  der  Kreisenden  zu  erwe- 
cken. 11)  Entdeckt  man  bei  dei*  Untersuchung  eine  volle  Urmblase,  so, 
bringe  man ,  ohne  dass  die  Person  es  merkt ,  den  weiblichen  Katheter  eui, 
indem  man  nach  geendigter  Untersuchung  im  Begriff  ist,  den  Finger  her- 
auszuziehen ,  und  lasse  das  Wasser  in  ein  vorgehaltenes  Gefäss  ab.  Man 
bestreiche  den  Katheter  vorher  mit  Oleum  hyoscyami,  weil  häufig  Krampf 
im  Blasenhalse  stattfindet.  Drückt  ein  vorliegender  Kindestheil  die  Harn- 
blase, so  schiebe  man  diesen  während  des  Urinlassens  in  die  Höhe.  12)  Ist 
der  Mastdarm  voll  Unrath,  so  sind  eröffnende  Klystiere  (s.  Clysma)  vor 
der  natürlichen  wie  vor  der  künstlichen  Geburt  durchaus  nothwendig;  sonst 
erfolgt  nicht  allein  eine  schwere  Geburt,  sondern  die  Frau  bekommt  nach- 
her auch  Hämorrhoiden  des  Mastdarms  (^Osiander ,  M. ).  Hat  Letztere  seit 
mehreren  Tagen  keine  Leibesöffnung  gehabt ,  so  ist  der  Unrath  oft  so  hart, 
dass  man  ihn  für  ein  Gewächs  (Steatom)  halten  körinte.  Hier  sind  Klystiere 
auch  für  die  Diagnose  wichtig.  Ausserdem  befördert  jedes  Klystier  von 
blossem  Haferschleim  und  Öl ,  indem  es  die  über  dem  Uterus  liegenden  Ge- 
därme reizt  und  den  Motus  peristalticus  befördert,  die  Wehen,  da  diese  eine 
ähnliche  Bewegung  sind,  und  mit  letzterem  in  genauer  Verbindung  stehen, 
IS)  Fast  durchgehends  muss  man  Kreisende ,  wenigstens  wenn  die  zweite, 
dritte  Geburtsperiode  schon  eingetreten  ist,  im  Liegen  untersuchen,  und 
sich  dazu  die  gehörige  Zeit  nehmen,  um  alles  Regelmässige  oder  Unregel- 
mässige der  Geburt,  worüber  später  ein  Mehreres  (s.  Partus  normalis 
und  abnormis),  zu  entdecken  und  darnach  seine  Kunsthülfe  einzurichten. 
Zuweilen  muss  der  Geburtshelfer  eine  Person  untersuchen,  um  zu  bestim- 
men, ob  sie  kürzlich  geboren  hat  oder  nicht.  Dieser  Gegenstand  wixd  un- 
ten (s.  Puerpera)  abgehandelt  werden. 

B.  Untersuchung  einer  Schwangern.  Die  meisten  Zeichen  der 
Schwangerschaft  sind  unsicher,  nur  wenige  (die  Bewegung  der  Frucht 
um  die  Hälfte  der  Schwangerschaft  und  das  durch  die  Auscultation  sicher 
erkannte  Leben  derselben  [s.  Kergaradec,  Über  Auscultation  etc.  A.  d.  Fr. 
Weim.  1822.  Haus,  Die  Auscultation  in  Bezug  auf  Schwangerschaft.  Würzb. 
1823.])  sind  sicher,  da  verschiedene  krankhafte  Zustände  an  den  innern 
Geschlechtstheilen  ähnliche  Zeichen  darbieten  können  als  diejenigen  sind, 
welche  die  Schwangerschaft  gewöhnlich  begleiten.  Demnach  ist  das  erste 
sichere  Zeichen  die  Bewegung  der  Frucht,  die  die  Mutter  im  Leibe, 
so  wie  die  Hand  des  Untersuchenden  auf  demselben  fühlen  kann.  Sie  zeigt 
sich  meist  erst  um  die  Hälfte  der  Schwangerschaft  (bei  hysterischen  Frauen 
häufig  schon  im  Sten,  4ten  Monat  (M.) ,  als  eine  schwache ,  spitzige,  perio- 
disch eintretende  Bewegung  am  schwangern  Leibe ,  besonders  in  der  rechten 
Seite  in  der  Gegend  unter  der  Leber,  und  unterscheidet  sich  dadurch  von 
der  mehr  wellenförmigen ,  mit  Kollern  verbundenen  Bewegung ,  welche  die 
ausgedehnte  Luft  in  den  Gedärmen  macht.  Die  Bewegung  der  letztern  ist 
mehr  rund,  wellenförmiger  und  nicht  so  spitzig,  wiederholt  .sich  auch  nicht 
gerade  2  —  3mal  aufeinander,  wie  die  Bewegung  der  Frucht.  Ein  zweites 
sicheres  Zeichen,  das  aber  Übung  und  feines  Gehör  von  Seiten  des  Unter- 
suchenden erfordert,  ist  die  Auscultation ,  wo  man  die  mittelbare,  durchs 
Stethoskop,  der  unmittelbaren  durchs  Anlegen  des  Ohrs  mit  Recht  vorzie- 
hen kann.  Hier  sind  folgende  Regeln  zu  beobachten:  1)  Man  untersucht 
zuerst  den  Unterleib ,  um  sich  über  die  Lage  des  Fötus  zu  unterrichten, 
und  erkundigt  sich,  ob  die  Schwangere  schon  i\ber  die  Hälfte  der  Schwan- 
gerschaftszeit (20  Wochen)  hinaus  sey.  Man  frage  zugleich  nach  der  Stelle, 
wo   die  Schwangere   die  Bewegung   der  Frucht   zuerst  gefühlt  hat.     ii)  Die 


EXPLORATIO  647 

Schwangere  inuss  sich  ausgestreckt  aufs  Bette  legen ,  damit  sich  die  Bauch- 
decken gehörig  anspannen.  Nachdem  sie  alle  Kleidungsstücke  gegen  die 
Brust  aufwärts  geschlagen  hat ,  lässt  man  die  entblössten  Beine  und  den 
Leib  mit  einem  leinenen  Tuche  bedecken.  3)  Man  sorge  für  die  grösste 
Ruhe  und  Stille  um  sich  her.  4)  Man  ersuche  die  Schwangere,  so  sanft 
als  möglich  zu  athmen.  5)  Nun  kniee  man  vor  dem  Bette  nieder  und  neige 
sein  Ohr  oder  das  Stethoskop  nach  der  Stelle,  wo  die  Bewegung  des  Kin- 
des am  meisten  fühlbar  war,  und  drücke  das  Ohr  oder  das  Instrument  -i«st 
an.  Letzteres  hält  man,  nach  Lnennec^s  Yorschrift,  ganz  wie  eine  Schreib- 
feder während  des  Schreibens  und  setzt  das  Ende,  woran  der  kleine  Trich- 
ter mit  der  messingenen  Canule  ist,  auf  den  Leib,  das  andere  Ende  hält' 
man  ans  Ohr.  Ist  die  Schwangerschaft  vor  der  Hälfte,  so  wähle  man  die- 
jenige Stelle  des  Unterleibes,  wo  man  gewöhnlich  die  Paracentese  macht, 
d.  i.  in  der  Mitte  zwischen  dem  Nabel  und  dem  obern  Rande  des  linken 
Darmbeins.  An  dieser  Stelle  wird  man  eine  doppelte  Pulsation  (den  Herz- 
schlag des  Fötus)  wahrnehmen,  die  von  dem  Pulse  der  Schwangern  sehr 
verschieden  ist.  6)  Man  gewöhne  sich  an  die  verschiedenartigen  Geräusche, 
die  man  fast  bei  allen  Subjecten  mehr  oder  weniger  wahrnimmt,  als  Kollern 
und  Knistern  der  Gedärme,  und  hüte  sich  sehr  ein  solches  Geräusch  für  die 
Pulsation  zu  halten.  7)  Hört  man  endlich  die  Doppelpulsation ,  die  dem 
Ohre  meist  in  dumpfen  Schlägen,  wie  eine  Sackuhr  entgegenschallt,  so  ver- 
weile man  lange,  um  sich  vollkommen  von  dem  Tacte  des  Schiagens  zu 
überzeugen.  Man  entferne  dann  einige  Mal  das  Ohr  (oder  Stethoskop)  vom 
Leibe  der  Schwangern  und  lege  es  alsdann  wieder  an,  um  sich  in  diesem 
Verfahren  zu  üben.  Man  wird  dann  einen  doppelten  Schlag  wahrnehmen, 
wovon  der  eine  stärker  ist  als  der  andere,  welcher  an  Stärke  zunimmt,  so- 
bald das  Kind  sich  bewegt,  und  welcher  seine  Stelle  verändert,  sowie  das 
Kind  durch  die  eigne  oder  der  Mutter  Bewegung  eine  andere  Lage  annimmt. 
Die  äussere  genau  von  Wigtmd  angegebene  Untersuchung  wird  zeigen,  dass 
da,  wo  die  doppelte  Pulsation  zu  vernehmen  ist,  auch  der  Rumpf  des  Kin- 
des liegt..  8)  Hört  man  die  Pulsation  recht  deutlich,  so  versuche  man,  die 
Schläge  zu  zählen  und  rechne  von  jeden  2  Schlägen  nur  den  einen  stärkern, 
der  die  Systole  des  Fötüsherzens  anzeigt.  Man  wird  alsdann  bemerken, 
dass  in  einer  Minute  nie  unter  120,  selten  über  165  Doppelschläge  statt- 
finden {iV  Ovitrepont,  Hatis).  Eine  Secundenuhr  ist  dabei  durchaus  nathwen- 
dig.  9)  Wenn  bei  der  Geburt  der  Rumpf  in-  der  Beckenhöhle  steckt ,  so 
verschwindet  die  Pulsation.  10)  Ausserdem  giebt  es  noch  eine  einfache  Pul- 
sation, die  im  Grunde  des  Uterus  stattfindet  und  von  der  Placenta  herrührt. 
Sie  ist  indessen  nicht  leicht  zu  entdecken;  hat  man  sie  aber  gefunden  und 
einmal  gehört,  so  wird  man  sie  nie  wieder  verkennen  (^Hnus).  Diese  Pulsa- 
tion stimmt  mit  dem  Pulse  der  Schwangern  überein,  man  versäume  daher 
nicht ,  diese  damit  zu  vergleichen.  Kürzlich  stellte  Paul  Dulwis  interessante 
Beobachtungen  über  die  Auscultation  bei  Schwangern  und  Kreisenden  an, 
woraus  hervorgeht,  dass  vor  dem  vierten  Monate  die  doppelte  Pulsatiop 
schwer  zu  entdecken,  auch  über  Zwillingsschwangerschaften  durchs  Ste- 
thoskop wenig  zu  erforschen,  wol  aber  über  Leben  und  Tod  der  Frucht 
durch  die  Auscultation  volle  Gewissheit  zu  erhalten  sey  (s.  Archives  gen^- 
rales  de  M^decine  T.  XXVII.  Dec.  1831.  p.  437).  Zu  den  zahlreichen  un- 
sichern  Zeichen  der  Schwangerschaft  gehören  folgende:  «)  Gleich  nach 
der  Empfängniss  Schauder,  Ohnmacht,  Mattigkeit,  Neigung  zum  Schlaf, 
Veränderung  der  Gesichtsfarbe,  besonders  Röthe  der  einen  Wange;  Abnei- 
gung gegen  den  Zeugenden,  i)  Späterhin  periodisch  eintretende  Ohnmäch- 
ten, Schwindel,  bald  Morgens,  bald  Nachmittags  Kopfschmerz,  Magen- 
drücken ,  Verstimmung  des  Gemüths ,  Neigung  zum  Weinen  ,  besonders  bei 
sensibeln  Frauen,  zuweilen  erhöhte  Geschlechtslust,  die  selbst  bis  an  Nym- 
phomanie grenzen  kann,  besonders  bei  Personen,  die  vor  der  Ehe  sehr 
keusch  lebten  (M.).  c)  Ausschläge  im  Gesichte,  am  Kinn,  an  den  Armen. 
Litt  die  Schwangere  in  der  Jugend  daran ,  so  kehren  sie  in  der  Schwanger- 
schaft  wieder  und  hdlen  nie  vor  der   Niederkunft  (^Oslander).     Blondinen 


648  EXPLORATIO 

bekommen  in  der  Schwangerschaft  leicht  Leberflecke,  und  aus  demselben 
Grunde  (wegen  Anhäufung  des  Kohlenstoffes)  werden  die  Brustwarzen  in 
ihrem  Umfange  braun.  <i)  Tiefliegende,  matte  Augen,  Verschwinden  lang-" 
wieriger  Augenentzündungen,  heftige  Zahnschmerzen,  e)  Dickerwerden  des 
Halses,  besonders  bei  Scrophulösen;  alle  angebornen  und  nach  der  Geburt 
entstandenen  Hautauswüchse,  Muttermäler  etc.  verändern  Farbe  und  Grösse, 
nehmen  zu,  und  sind  Haare  darauf,  so  wachsen  diese  stärker,  f)  Prickeln 
und  Stechen  in  den  Brustwarzen,  welche  bei  Brünetten  schwarzbraun,  bei 
Blondinen  dunkelroth  werden,  y)  Ausüiessen  der  Milch  aus  den  Brustwar- 
zen; doch  ist  dies  Zeichen  nicht  sicher,  da  es  in  seltenen  Fällen  auch  Jung- 
fernmilch und  Männermilch  giebt  (^Oslander),  h)  Magenweh,  Gefühl  Ton  An- 
schwellung des  Magens,  was  häufig  neben  dem  Erbrechen  bemerkt  A\ird; 
Ekel  vor  gewissen  Speisen,  besonders  vor  solchen,  die  kurz  vor  der  Em- 
pfängniss  genossen  wurden;  sonderbare  Gelüste  nach  verschiedenen  Speise»» 
und  Getränken,  entweder  Neigung  zu  sauern  Dingen:  zu  Essig,  Gui-kcnji 
oder  salzigen  Speisen,  oder  zu  kaiischen  Dingen:  Kreide,  Kalk  u.  dgl. 
Manche  Frauen  leiden  auch  an  starkem  Speichelfiuss  (Osianticr).  i)  Perio- 
disches und  unregelmässiges  Erbrechen.  Das  erstere  zeigt  sich  gewöhnlich 
des  Morgens  meist  nüchtern,  oder  nach  dem  ersten  Genuss  des  Kaffees, 
Butterbrods  u.  dgl.  Dieses  Zeichen  ist  ziemlich  sicher;  dagegen  leiden  auch' 
hysterische  Personen  an  unregelmässigem  Erbrechen,  fc)  Grosse  Empfind-, 
lichkeit  des  Nervensystems,  besonders  des  Gcruchsinnes ;  daher  Idiosynkrasie 
gegen  gewisse  riechende  Dinge.  ?)  AUmäliges  Dickerwerden  des  Leibes. 
Es  giebt  indessen  Fleischgewächse,  Hydrops  abdominis,  ovarii,  uteri,  wo- 
durch dieses  Zeichen  unsicher  wird.  Sicherer  ist  das  periodische  Eintreten 
von  Kolikschmerzen,  Leibweh,  besonders  zur  Zeit,  wo  die  Menses  wieder- 
kehren sollten,  also  alle  4  Wochen,  jji)  Ausserdem  hat  man  noch  als  Zei- 
chen der  Schwangerschaft  angesehen:  das  Ausbieiben  der  Menses,  Brennen 
beim  Harnlassen ,  Vajrices  an  den  Füssen  etc. ,  die  alle  für  sich  nicht  sicher 
sind.  Nehmen  wir  indessen  mehrere  von  n  bis  m  genannte  Zeichen  zusam- 
men ,  sind  mehrere  derselben  zu  gleicher  Zeit  da ,  so  wii'd  die  Schwanger- 
schaft dadurch  wahrscheinlicher;  jedes  einzelne  Zeichen  für  sich  bedeutet 
dagegen  wenig.  —  Aus  den  genannten  Zeichen  kann  man  im  Allgemeinen 
nur  erkennen,  ob  überhaupt  Schwangerschaft  da  ist,  oder  nicht.  Oft  ists 
indessen  nölhig  zu  wissen,  wie  weit  die  Schwangerschaft  vorgerückt  sey 
und  im;  wievielsten  Monate  der  Schwangei'schaft  sich  eine  Person  befinde. 
Hier  giebt  dann  die  Exploratio  externa  und  interna  folgende  Resultate: 
Ersler  (Mondes-)  Monat  der  Schwangerschaft.  Der  Unterleib 
ist  etwas  voller  als  gewöhnlich;  gerade  so,  wie  bei  dem  Erscheinen  der 
Regeln;  die  Geburtstheile  sind  heiss  und  trocken,  der  Mutterhals  etwas 
dicker  als  gewöhnlich ,  die  Mutterraundslippen  sind  etwas  wulstig ,  und  die 
Längenspalte  des  Os  uteri  verwandelt  sich  allmälig  in  eine  runde  Form. 
Zweiter  Monat.  Der  früher  aufgetriebene  Leib  ist  kleiner  geworden ; 
er  hat  seine  sanfte  Wölbung  verloren ,  ist  platter  als  gewöhnlich ;  der  äus- 
sere Muttermund  ist  tiefer  in  die  Vagina  herabgezogen,  ist  leichter  mit  dem 
Finger  zu  erreichen  als  im  ersten  ftlonate,  und  seine  Form  ist  deutlich  rund 
zu  iülilen.  Dritter  Monat.  Der  Leib  der  Schwangern  wird  wieder  et- 
was voller,  doch  nicht  so  sehr,  dass  man  über  dem  Schambeine  etwas  Har- 
tes fühlen  kann.  Der  rundliche  Muttermund  steht  höher  und  ist  daher  nicht 
so  leicht  zu  erreichen  wie  im  zweiten  Monjite.  Die  Brüste  schwellen  an 
und  es  finden  leichte  Stiche  in  ihnen  statt  (ü.  Froriep).  Vierter  Monat. 
D(ir  rundliclie  Muttermund  ist  noch  schwerer  zu  erreichen  als  im  dritten 
ftlonate;  die  VVolbnng  des  Leibes  ist  stärker,  und  ist  die  Person  nicht  zu 
fett,  so  fühlt  man  die  harte  Wölbung^  des  Uterus  einige  Finger  breit  über 
dci\j  Schambeine.  Der  Hof  um  die  Brustwarze  wird  dunkler,  die  Warze 
selbst  dicker  und  leicht  aufgesprmigon.  Fünfter  Monat.  Man  fühlt  die 
Wölbung  des  Fundus  uteri  als  eine  harte  Geschwulst  zwischen  dem  Nabel 
und  dem  Schoosbeine ;  oberhalb  des  Fundus  uteri  fülilt  man  noch  die  Ge- 
därme.    Die  Dicke   des  Leibes  ist  ohne  starkes  Zusammenschnüren  nicht  zu 


EXPLORATIO  649. 

verbergen  und  vorzüglich  auch  in  den  Seiten  der  Schwangern  sichtbar. 
Bei  der  Exploratio  interna  bemerkt  man,  dass  der  Muttermund  höher,  mehr 
und  mehr  nach  hinten ,  nach  dem  Heiligenbeine ,  hin  gerichtet  ist.  Zu  An- 
fange dieses  Monats,  oft  schon  zu  Ende  des  vorigen ,  nimmt  man  die  ersten 
leisen  Bewegungen  der  Frucht  -wahr.  Sechster  Monat.  Der  Mutter- 
grund reicht  jetzt  bis  an  den  Nabel;  die  Nabelgrube,  welche  früher  gerade 
aussah,  hebt  sich  und  fängt  an  von  unten  nach  oben  flach  zu  wei'den^  die 
Bewegungen  der  Frucht  werden  fühlbar  und  sichtbar  und  bestehen  im  Aus- 
dehrien  und  Ausstrecken  der  Füsse  und  im  Drehen  des  Körpers  um  seine 
Axe.  Die  Gedärme  der  Schwangern  legen  sich  hinter  den  Uterus.  Die  Va- 
ginalportion ist  kürzer,  höchstens  V2  Zoll  lang  und  weicher,  als  vorher. 
Siebenter  Monat.  Der  Fundus  uteri  reicht  2 — -S  Finger  breit  über  den 
Nabel,  die  Nabelgrube  verliert  ihre  Tiefe  und  wird  flacher;  der  Mutter- 
mund ist  schwer  zu  erreichen ,  weil  er  noch  tnehr  nach  hinten  und  oben, 
gegen  die  Aushöhlung  des  Kreuzbeines ,  gerichtet  ist ;  die  Vaginalpörtion ' 
desselben  ist  noch  mehr  verkürzt  und  erweicht.  Vorn  in  der  Mutterscheide 
hinter  den  Schoosbeinen  fühlt  man  durch  das  Vaginalgewölbe  den  sehr  be^ 
weglichen,  vorliegenden  Kopf  des  Kindes.  Die  Venen  der  Brüste  sind  an- 
geschwollen und  scheinen  bläulich  durch  die  Epideimis,  auch  kann  man  oft 
eine  wässerige  B'euchtigkeit  aus  den  Brüsten  herausdrücken  Achter  Mo- 
nat.- Der  Grund  der  Gebärmutter  befindet  sich  jetzt  zwischen  dem  Nabel 
und  der  Herzgrube,  die  rechte  Seite  des  ausgedehnten  Leibes  ist  meist  hö- 
her als  die  linke ,  so  dass  der  Bauch  dadurch  ein  schiefes  Ansehen  bekommt ; 
die  Nabelgrube  ist  ganz  flach  und  weich  (der  Nabel  ist  verstrichen),  so 
dass  nur  ein  vertiefter  Rand  derselben  dableibt.  Die  eine  Hälfte  des  Mut- 
terhalses ist  durch  die  Ausdehnung  der  Gebärmutter,  indem  die  Fibern  des 
Colli  uteri  dazu  beitragen ,  verschwunden ,  und  äusserlich,  zur  Seite  des  Na- 
bels ,  fühlt  man  oft  mehr  oder  weniger  deutlich  die  hervorragenden  Kindes- 
theile.  Der  Muttermund  ist  schwer  zu  erreichen ,  die  Vaginalportion  dick 
und  verschwollen  und  im  vordem  Grunde  der  Vagina  der  Kindeskopf  deut- 
lich zu  fühlen;  er  ist  sehr  beweglich  und  fliegt  in  die  Höhe,  wenn  man  mit 
den. Fingern  einen  gelinden  Druck  nach  oben  anwendet,  fällt  dann  aber 
gleich  wieder  nieder.  Neunter  Monat.  Dier  Fundus  uteri  ist  jetzt  so 
bofch  in  die  Höhe  gestiegen,  als  es  die  Bauchhöhle  erlaubt,  nämlich  bis  in' 
die  Herzgrube,  so  dass  die  grosse  Ausdehnung  und  Höhe  des  Leibes  das 
Athmen  erschweren  würde,  wenn  das  Weib  nicht  mehr  durch  Ausdehnung 
der  Brust  nach  Aussen  als  durch  Herabsteigen  des  Zwerchfells  athmete 
(ü.  Froriep').  Die  Nabelgrube  zeigt  sich  etWas  gewölbter,  fängt  an  sich 
ein  wenig  zu  heben,  und  die  Kiridestheile  fühlt  man  deutlicher  neben  dem 
Nabel  als  im  achten  Monate.  Die  untere  Hälfte  des  Muttermundes  ist  bis 
auf  %  Zoll  verkürzt,  ist  kaum  zu  erreichen,  der  Muttermund  verbirgt  sich 
hinter  dem  vorn  herabgedrängten  Grunde  der  Scheide,  was  ein  Unkundiger 
für  einen  Prolapsus  vaginae  oder  gar  für  Prolapsus  uteri  halten  könnte.' 
Der  Kindeskopf  ist  als  eine  harte  Halbkugel,  und  weniger  beweglich  als  im 
achten  Monate,  auf  dem  Eingänge  des  kleinen  Beckens  fühlbar.  Zehnter 
und  letzter  Monat.  Der  Gebärmuttergrund  senkt  sich  bis  auf  diejenige 
Stufe,  welche  er  im  achten  Monate  einnahm,  kommt  also  wieder  in  die 
Mitte  zwischen  Nabel  und  Herzgrube  zu  stehen  und  die  Frau  fühlt  sich  et- 
was erleichtert ;  der  Nabel  ist  jetzt  kegelförmig  hervorgetrieben  und  die 
Kindestheile  sind  äusserlich  sehr  deutlich  zu  fühlen;  der  Kindeskopf  ist  in 
deiv  Eingang  des  Beckens  gesunken  und  ist  nur  wenig  beweglich;  das  Schei- 
dengewölbe ist  durch  ihn  ausgedehnt,  und  ist  ganz  dünn,  als  wäre  der  Kopf 
mit  einer  Blase  umzogen,  anzufühlen.  Der  Mutterhals  ist  ganz  verschwun- 
den und  vom  äussern  Muttermunde  ist  nur  noch  ein  Wulst  der  Lippen  übrig, 
welcher  bei  Erstgebärenden  in  den  letzten  Tagen  der  Schwangerschaft  ganz 
verschwindet,  bei  Mehrgebärenden  hingegen  bis  zu  anfangender  Geburt  bleibt. 
Der  innere  und  äussere  Muttermund  ist  verschwunden;  es  ist  nur  ein  Mut- 
termund- da  (^Osiaiulef) ,  man  bemerkt  also  nur  eine  Öfl'nung;  doch  ist  bei 
Mchrgeschwängerten   der  unterschied  des  weniger  oifnen  harten ,   i  n  n  e  r  n  , 


650  EXPLORATIO 

und  des  weiten,  ganz  welchen  äussern  Muttermundes  noch  deutlich  (v.  Fro- 
riep).  Man  fühlt  bei  Erstgebärenden  keine  Öffnung  des  Muttermundes,  son- 
dern nur  ein  kleines,  wenig  merkliches  Grübchen  in  dem  dünnen,  wie  mit 
einer  Blase  umzogenen  Scheidengewölbe.  Zuweilen  ist  selbst  dieses  Grüb- 
chen so  wenig  zu  bemerken,  dass  man  glauben  sollte,  es  sey  gar  kein  Mut- 
termund da,  es  habe  sich  derselbe  ganz  geöffnet  und  über  den  Kindeskopf 
gezogen.  Dies  kommt  daher ,  dass  der  untere  Abschnitt  des  Uterus  und  die 
Decke  sehr  dünn  geworden  sind;  bei  Mehrgeschwängerten  hingegen  ist  der 
äussere  und  innere  Muttermund  zuweilen  schon  3  —  4  Wochen  vor  der  Nie- 
derkunft so  weit  geöffnet,  dass  man  selbst  mit  einem  oder  mit  beiden  Fin- 
gern eindringen  und  die  Eihäute  fühlen  kann.  Über  das  Sinken  des  Leibes 
in  der  Schwangerschaft  luid  die  darauf  begründete  Zeitrechnung  hat  Ricl-er 
eine  lesenswerthe  Abhandlung  in  der  neuen  Zeitschrift  für  Geburtshülfe  von 
Busch,  cfOntrepont  und  Ritgen,  1834,  mitgetheilt.  Er  sagt  darin  S.  55,  dass 
die  höchste  Höhe  des  Uterus  nur  2,  3,  auch  4  Finger  breit  unter  die  Herz- 
grube reiche  und  dass  das ,  was  darüber  liege ,  die  Leber  sey.  Auch  senke 
sich  nicht  4,  sondern  6  Wochen  vor  der  Niederkunft  der  Leib  wieder,  wie 
im  achten  Monate.  Mein«-  darüber  angestellten  Beobachtungen  haben  dieses 
vollkommen  bestätigt.  —  Zuweilen  kommt  es  vor,  dass  der  Geburtshelfer 
deshalb  eine  Schwangere  untersuchen  soll,  um  zu  bestimmen,  ob  sie  mit  ei- 
ner oder  mehreren  Leibesfrüchten  schwanger  sey.  Dafür  giebt  es  aber  keine 
sichern  Zeichern,  doch  machen  folgende  eine  Zwillingsschwangerschaft  wahr- 
scheinlich: 1)  sehr  beträchtliche  Ausdehnung  des  Leibes  in  den  letzten  Mo- 
naten ;  2)  früher  wahrgenommene  Bewegungen  der  Frucht ,  und  zugleich  das 
Gefühl  dieser  Bewegungen  in  verschiedenen  Richtungen;  doch  sind  diese  Be- 
wegungen dem  Ramne  nach  nie  so  gross  und  an  Stärke  zu  Ende  der  Schwan- 
gerschaft nie  so  bedeutend,  als  wenn  nur  ein  Fötus  im  Uterus  ist,  weil 
der  Raum  dazu  fehlt  (s.  auch  Graviditas);  3)  eine  Längenfurche  auf  der 
Linea  alba,  welche  den  schwängern  Leib  in  zwei  Theile  abtheilt;  4)  grös- 
sere Beschwerden  am  Ende  der  Schwangerschaft,  als  in  den  gewöhnlichen 
Fällen  (^Carus).  Die  Zeichen,  welche  das  Geschlecht  bestimmen  sollen,  sind 
alle  trüglich;  die  Zeichen  vom  Tode  einer  Frucht  sind  theils  sichere, 
theils  unsichere.  Zu  erstem  gehört  die  genau  angestellte,  einigemal  bin- . 
nen  vier  Wochen  wiederholte  Auscultation,  angewandt  in  den  letzten  Moaa»- 
ten  der  Schwangerschaft  (s.  oben).  Lässt  sich  dadurch  der  bekannte  Dop- 
pelschlag nicht  entdecken,  so  ist  das  Kind  sicher  todt,  nur  während  der 
Geburt,  wenn  der  Leib  des  Kindes  im  Becken  steckt,  mangelt  dieses  Zei- 
chen aus  natürlichen  Gründen  auch  bei  lebenden  Kindern.  Zu  den  unsichem 
Zeichen  rechnen  wir  «)  gewaltsame  Erschütterungen  und  heftige  Blutungen 
der  Schwangern,  welche  als  Schädlichkeiten  das  Absterben  der  Frucht  ver- 
anlassen könnten ;  t»)  Schauder  und  Frost  der  Schwangern ,  welcher  beim 
Tode  der  Frucht  constant  ist,  von  Zeit  zu  Zeit  wiederkehrt  und  ein  allge- 
mein unbehagliches  Gefühl  hinterlässt;  c)  JNIangel  an  Appetit,  fauligen  Ge- 
schmack im  Munde,  Schwäche  des  ganzen  Körpers,  kachektisches  Ansehen ; 
rf)  Gefühl  von  Schwere  und  Kälte  im  Unterleibe;  e)  der  Leib  neigt  sich 
schnell  auf  diejenige  Seite,  auf  welche  sich  die  Schwangere  niederlegt,  und 
fällt  eben  so  leicht  bei  Wendung  ihres  Körpers  auf  die  andere  Seite;  f)  die 
Brüste  fallen  zusammen  und  fühlen  sich  kälter  als  sonst  an;  </)  auch  in  den 
Geschlechtstheilen  bemerkt  man  Kälte  und  aus  ihnen  oft  einen  Abfluss  von 
fauligem,  stinkendem  Wasser. 

C.  Untersuchung  der  Scheide  und  des  Uterus  wegen  Krank- 
heiten dieser  Theile.  Lisfranc  theilt  darüber  aus  seiner  reichen  Er- 
fahrung in  der  Gazette  medicale  1833  (vergl.  auch  Bclirend''s  Allgem.  Re- 
nertor.  d.  med.  chir.  Journalistik  des  Auslandes  1834.  Jan.  S.  6  u.  f.)  fol- 
gende Bemerkungen  mit:  1)  Will  man  mit  dem  einen  oder  mit  beiden  Fin- 
gern untersuchen  und  hinterher,  was  off  nothwendig  ist,  den  Mntterspiegel 
gebrauchen,  so  ist  reines  Öl  zum  Bestreichen  der  Finger  weit  besser,  als 
Fett  oder  Butter,  Cerat,  weil  die  letztern  Dinge  oft  kleine  Klüuipchen  in 
der  Va-^ina  hinterlassen,   die  man    nachher    für  etwas  Pathologisches   halten 


EXPLORATIO  651 

k"innte.  2)  Bei  manchen  Frauen  steht  das  Collum  uteri  so  hoch,  dass  man 
CS  nicht  erreichen  kann;  die  Ursachen  sind  oft  Fettleibigkeit  und  starke 
Entwickelung  der  Schamlefzen.  Hier  hat  für  die  Untersuchung  die  Frau 
die  beste  Stellung ,  wenn  sie  auf  eine  schiefe  Ebene  von  25  —  SO  Grad,  wie 
für  den  Steinschnitt,  oder  auf  den  Rand  des  Bettes  mit  auseinandergespreiz- 
ten Beinen  und  den  Füssen  gegen  zwei  Stühle  gestützt,  gelagert  \yird.  Der 
zwischen  den  Schenkeln  stehende  Wundarzt  bringt  dann  mit  Sorgfalt  die, 
grossen  Lefzen  auseinander ,  damit  die  Hand  gerade  zum  Scheideneingange 
gelangen  könne;  man  gewinnt  so  fast  einen  Zoll.  Es  sind  besonders  diese, 
Fälle,  in  denen  man  genau  die  allgemeinen  Regeln  beobachten  muss ,  den 
ausgestreckten  und  abgewandten  Daumen  zwischen  die  grossen  Lefzen  zu 
bringen  und  die  drei  letzten  ebenfalls  ausgestreckten  und  vom  Zeigefinger 
abgewandten  Finger  zwischen  die  Hinterbacken  und  den  Damm ,  welchen 
der  Mittelfinger  zugleich  ein  wenig  erheben  kann,  zu  legen.  Zu  gleicher. 
Zeit  muss  die  Frau  herunterdrängen,  während  man  mit  der  linke»  auf  das. 
Hypogastrium  gelegten  Hand  die  Baucheingeweide  nach  oben  und  die  Ge- 
bärmutter nach  unten  zu  drücken  sich  bemühet.  Bisweilen  muss  die  Kranke 
1  bis  2  Stunden  vor  der  Exploration  ruhen.  So  gelingt  es  oft,  Polypen  am- 
CoUum  uteri,  die  man  sonst  nicht  erreichen  kann,  durch  den  Finger,  noch, 
mehr  durch  den  Zeige-  und  Mittelfinger,  zu  entdecken.  Im  letztern  Falle 
muss  man  besonders  mit  schonender  Langsamkeit  zu  Werke  gehen ;  so  er- 
weitert sich  auch  bei  Nichtschwangern  die  Scheide  allmälig,  so  dass  man 
selbst  die  ganze  Hand  einführen  kann.  3)  Bei  der  gewöhnlichen  Tastung 
muss  man  stets,  so  wie  der  Finger  weiter  eindringt,  auch  die  Scheidenwan- 
dungen in  der  ganzen  Länge  untersuchen  und  sie  von  oben  nach  unten  um- 
gehen,  indem  der  Finger  bogenförmige  Bewegungen  bildet.  Bei  scrophulö- 
sen  Frauen  fühlt  man,  indem  man  nach  hinten  auf  die  Seitenwandungen  der 
Scheide  drückt,  zuweilen  Knoten  und  Erhebungen,  welche  entzündete  und 
aufgetriebene  Lymphdrüsen  sind,  die  den  Krankheiten  der  Scheide  und  des 
Uterus  analoge  Zufälle  erregen.  4)  Vorzüglich  ist  es  die  Untersuchung  des 
Uterus,  besonders  des  Collum,  welche  grosse  Übung  und  vollkommne  Kennt- 
niss  der  Organe  erfordert.  Will  man  das  ganze  Collum  uteri  untersuchcin, 
so  muss  man  erst  mit  der  rechten,  dann  mit  der  linken  Hand,  indem  man 
einen  oder  beide  Finger  einführt,  untersuchen ,  da  man  mit  einer  Hand  nicht 
rund  herum  gehen  kann  und  sonst  das  Resultat  unvollkommen  bleibt.  Das 
Collum  uteri  zeigt  bei  verschiedenen  Frauen  und  auch  bei  einer  und  dersel- 
ben Frau  zu  verschiedenen  Zeiten  eine  Menge  Verschiedenheiten.  Zur  Zeit 
der  Menses  und  einige  Tage  später,  sowie  nach  häufig  ausgeübtem  Coitus 
ist  es  dicker  und  weicher,  als  gewöhnlich.  Während  der  Menstruation  und 
auch  etwas  vor  -  und  nachher  ist  der  Gebärmuttei'hals  ziemlich  erweitert, 
um  das  letzte  Fingerglied  einzulassen ,  wo  man  damit  ein  glattes ,  gleichsam 
peröses  Gewebe  fühlt.  Zu  jeder  andern  Zeit  bedeutet  das  Offenstehen  des 
Collum  uteri  ein  ernstes,  entweder  schon  bestehendes  oder  drohendes  Leiden. 
Empfindet  die  in  den  Muttermund  eingedrungene  Fingerspitze  ein  Gefühl,  wie 
es  die  Schleimhaut  des  Magens  bei  der  Betastung  abgiebt,  so  ist  ganz  be- 
stimmt etwas  Pathologisches  zugegen.  5)  Es  giebt  Frauen,  deren  Uterus 
von  Natur  unter  der  Gestalt  eines  verlängerten  und  mit  der  Spitze  nach 
unten  stehenden  Kegels  sich  darstellt  und  eine  runde,  wie  mit  einem  Drill- 
bohrer gemachte  Oll'nung  hat.  Die  Länge  des  Collum  uteri  ist  sehr  ver- 
schieden und  kann  bis  1%  Zoll  betragen;  auch  sind  die  von  den  Geburts- 
helfern über  die  Verkürzung  und  das  allmälige  Verschwinden  desselben  zu 
den  verschiedenen  Perioden  der  Schwangerschaft  gegebenen  Indicationen 
vielen  Ausnahmen  unterworfen.  Die  in  Folge  der  Einrisse  des  Collum  bei 
der  Entbindung  entstehenden  Narben  darf  man  ebenfalls  nicht  für  etwas 
Krankhaftes  halten.  Sie  sind  hart,  gerade,  und  fühlen  sich  wie  ein  kleiner 
dünner  Balken  an ,  den  man  zwischen  die  beiden  Ränder  der  Wunde  einge- 
setzt hätte.  Bei  alten  Weibern  schwindet  und  verengert  sich  der  Gebäi'mut- 
tei-hals  noch  mehr  als  der  Uterus  selbst.  Zuweilen  macht  das  Collum  nach 
vorn  und  hinten  einen  Vorspruiig,  ohne  dass  Krankheit  daran  Schuld  wäre. 


652  EXPLORATIO 

Wirkliche  Auftreibung  und  Empfindlichkeit  geben  allein  zur  Diagnose  das 
Recht.  Alle  Frauenzimmer,  die  sich  dem  Coitus  mit  fielen  Männern  Preis 
geben,  haben  ein  etwas  nach  hinten  durch  die  Glans  penIs  zurückgedräng- 
tes Collum  uteri  und  das  Corpus  uteri  ist  etwas  vorwärts  gebeugt.  Ein 
äusserer  Dinick  der  Hand  auf  den  untern  Theil  des  Leibes  von  unten  nach 
oben  mit  der  linken  Hand,  während  man  mit  der  rechten  untersucht,  führt 
das  Collum  dem  Finger  näher.  Die  Weite  der  Vagina  im  obern  Theile  ge- 
stattet, durch  Abwendung  des  Fingers  um  Yj  Zoll  nach  aussen,  die  Schei- 
denwandungen weit  genug  in  die  Höhe  zu  heben  und  so  meist  die  untere 
Hälfte  des  Corpus  uteri  deutlich  betasten  zu  können ;  damit  kann  man  das 
Betasten  durchs  Rectum  und  Hypogastrium  verbinden.  Das  Tasten  durch 
den  Mastdarm  erfordert ,  um  Resultate  zu  erlangen ,  grosse  Übung.  Der 
Uterus ,  den  man  mittelbar  durch  die  Rectovaginalwandungen  durchfühlt, 
erscheint  von  grossem  Umfange ,  den  man  kennen  muss ,  um  dadurch  nicht 
getäuscht  zu  werden.  Durchs  Rectum  gelangt  man  bis  zur  Hälfte  des  Cor-, 
pus  uteri.  Die  breiten  Mutterbänder  lassen  sich  weit  deutlicher  durchs  Re- 
ctum, als  durch  die  Vagina  untersuchen.  Die  Betastung  des  Hypogastriums 
giebt  allein  ein  unvoll kommn es  Resultat ;  sie  kann  nur  in  gleichzeitiger  Ver- 
bindung mit  dem  Betasten  per  vaginam ,  um  den  Uterus  schaukelnd  zu  be- 
wegen und  dadurch  seine  Masse  und  Schwere  zu  ermitteln,  von  Nutzen  seyn. 
Weit  grössern  Nutzen  hat  man,  wenn  man  gleichzeitig  per  vaginam  und  per 
rectum  untersucht.  6)  Jede  in  der  Nähe  des  Uterus  bestehende  Reizung 
treibt  das  Blut  stärker  zu  ihm  und  vermehrt  seine  Masse,  die  bei  Gravidi- 
tas  extrauterina ,  bei  Scirrhus  uteri  etc.  daher  bedeutend  zunimmt.  Da  sich 
im  Alter  der  Uterus  bedeutend  verkleinert  und  zu  schwinden  beginnt,  so  ist 
«nne  Verdickung  und  Vergrösserung  des  Collum  uteri  hier  meist  ein  Zeichen 
beträchtlicher  Blutanhäufung  und  oft  Contraindicatlon  gegen  eine  etwa  vor- 
zunehmende Operation.  7)  Die  Lage  und  Stellung  des  Uterus  ist  auch, 
ohne  dass  man  die  Ursache  weiss,  sehr  verschieden.  Bei  Multiparls  liegt  er 
niedriger,  als  bei  andern,  bei  Huren  ist  das  Corpus  nach  vorn  geneigt.  Die 
sehr  beträchtliche  Lagenverschiedenheiten  des  Uterus ,  die  man  als  Krank- 
heiten für  sich  betrachtet,  hält  Lisfrnnc  im  Allgemeinen  blos  für  ein  ein- 
zelnes Symptom  von  Blutanschoppung ,  wo  die  Ligamente  durch  die  eigene 
Schwere  des  Uterus  heruntergezerrt  werden.  8)  Es  giebt  reizbare  Frauen, 
die  bei  gesunden  Geschlechtstheilen  eine  solche  Empfindlichkeit  haben,  dass 
die  geringste  Berührung  ein  schmerzhaftes  Kitzeln  und  selbst  Nervenzufälle 
bewirkt.  Bäder,  narkotische  Klystiere,  ein  Aderlass  am  Arme  sind  dage- 
gen gut.  Um  das  Volumen,  die  Consistenz  und  Empfindlichkeit  des  Collum 
uteri  zu  benrtheilen ,  ist  die  Betastung  mit  den  Fingern  nach  Lisfranc  hin- 
reichend. Will  man  aber  über  Excoriatlonen ,  Ausschläge ,  syphilitische  und 
carcinomatöse  Geschwüre  am  Gebärmutterhalse  sich  Auskunft  verschaffen, 
um  die  Grenzen  solcher  Verschsvärungen  zu  erkennen,  so  bedarf  es  des 
Mutterspiegels.  L.  zieht  den  von  liecamier  vor,  d.  i.  eine  messingene, 
leicht  kegelförmige  Röhre  mit  zugerundeter  Melier'scher  Schraube.  Die  Länge 
des  Spiegels  von  5  Zoll  Ist  ihm  zu  kurz;  er  hat  ihn  um  zwei  Zoll  verlän- 
gert, und  er  verwirft  als  nutzlos  das  4  —  5  Zoll  lange  durchbrochene  und 
nicht  durchbrochene  Schwanzende.  Ein  1'//,  Zoll  langes  Schwänzende  reicht 
vollkommen  zur  Handhabung  des  Instruments  hin.  Bei  noch  nicht  schwan- 
ger gewesenen  Frauenzimmern  bringt  man  es.  um  das  Frennlum  labiorum 
majorum  nicht  zu  reizen  und  somit  den  lebhaften  Schmerz  zu  vermeiden, 
von  vorn  nach  hinten  und  zugleich  leicht  von  unten  nach  oben  ohngefähr  in 
einer  Linie,  die  von  der  Mündung  der  Vagina  nach  der  Spitze  des  Steiss- 
beins  hingezogen  wäre,  ein,  weil  der  äussere  Scheideneingang  durch  die 
Falte  nicht  dieselbe  Richtung  als  die  Innere  Scheide  hat.  Das  Hymen  oder 
der  Hymen,  wie  Oslander  will,  darf  dabei  auf  keine  Weise  verletzt  wer- 
den. Selbst  bei  jungen  Mädchen  Ist  die  Vagina  leicht  zu  erweitern,  weni- 
ger giebt  sie  bei  Erwachsenen  nach,  am  wenigsten  bei  Frauen  über  die 
Periode  der  Menstruationszeit  hinaus,  wo  sie  oft  hart  ist  und  bei  den  ge- 
ringsten  Versuchen    zur  Erweiterung  kreischend    sich  darstellt.      Bei   alten 


EXPLORATIO  653 

Jungfern  ist  sie  oft  so  eng,  dass  man  nicht  den  kleinen  Finger  hineinbrin- 
gen kann.  Man  muss  deshalb  mehrere  Specula  von  verschiedener  Dicke 
haben  und  höchst  vorsichtig  zu  Werke  gehen,  um  schwer  zu  vernarbende 
Zerreissungen  zu  verhüten.  In  solchen  Fällen  kann  man  8  — 14  Tage  lang 
vor  der  Einführung  des  Speculums  den  Canal  mit  Pressschwamm  erweitern. 
Besonders  sind  es  die  grossen  Lefzen ,  die  durch  ihre  Verkleinerung  zur  Er- 
weiterung der  Vagina  und  ihres  Einganges  selbst  beitragen,  was  man  bei 
Entbindungen,  wenn  der  Kindeskopf  durch  die  Vagina  tritt,  wahrnehmen 
kann.  Es  ist  anzunehmen,  dass  sie  dasselbe  thun  werden,  wenn  ein  volu- 
minöser Körper,  statt  aus  der  Vagina  auszutreten,  in  dieselbe  eingeführt 
wird.  Daher  muss  der  die  Lefzen  auseinander  haltende  Gehülfe  diese,  so- 
bald der  Spiegel  in  die  Vulva  dringt,  sogleich  fahren  lassen;  sonst  folgen 
Zerrungen,  und  die  Erweiterung  der  Scheide  wird  behindert.  W^ill  man  das 
Speculum  appliciren,  so  lege  man  die  Frau  dergestalt  quer  über  ein  Bette, 
dass  die  Tuberositäten  des  Sitzbeins  auf  den  Rand  des  Bettes ,  jeder  Fuss 
auf  einen  Stuhl  zu  liegen  kommt,  und  die  Oberschenkel  auseinandergesperrt 
werden,  damit  der  Wundarzt  zwischen  ihnen  stehen  kann;  der  Kopf  muss 
durch  ein  Kissen  gestützt  Averden,  und  ein  anderes  Kissen  muss  unter  dem 
Becken  liegen,  um  zu  verhindern,  dass  der  Steiss  in  das  Bette  hineinsinke 
und  um_  eine  feste  horizontale  Lage  zu  sichern.  Das  Instrument  muss  geölt 
und  gehörig  erwärmt  seyn ;  vor  dem  Einbringen  forscht  man  mit  dem  Fin- 
ger nach  der  Stellung  des  Mutterhalses,  um  die  rechte  Richtung  nicht  zu 
verfelilen.  Mit  der  linken  Hand  bringt  man  die  Haare  und  die  Lefzen  aus- 
einander, mit  der  andern  ergreift  man  den  Mutterspiegel,  indem  man  mit 
dem  Zeige  -  und  Mittelfinger  die  Concavität  des  Schwanzendes  umfasst  und 
den  Daumen  auf  die  Stelle,  v^o  das  Schwanzende  mit  dem  Körper  des  In- 
struments zusammenhängt,  setzt.  Man  bringe  letzteres  dann  langsam  und 
so  ein,  dass  das  Schwanzende  nach  dem  Schambeine  gerichtet  ist.  Erstreckt 
sich  das  Bändchen  der  grossen  Schamlefzen  ziemlich  weit  nach  hinten,  so 
muss  man  den  Damm  nach  hinten  zu  ziehen  suchen ,  aber  ja  nicht  in  die 
Quere  spannen.  Steht  die  Achse  des  Spiegels  gegen  die  Mitte  der  Vagina, 
so  richtet  man  das  Instrument  in  eine  von  der  Mitte  des  Scheideneingangs 
nach  dem  untern  Theil  des  Steissbeins  gedachte  Linie ,  und  ist  man  mit  ihn* 
etwa  1  Zoll  tief  eingedrungen,  so  macht  man  eine  hebeiförmige  Bewegung 
und  bringt  es  in  die  Richtung  des  Sacrovertebralwinkels.  Bei  Entzündun- 
gen ist  der  Mutterhals  brauner,  als  die  Vagina;  im  gesunden  Zustande  ist 
die  Scheidenschleimhaut  bleich ,  aber  der  Mutterhals  ist  noch  bleicher.  Bis- 
weilen ist  letzterer  so  nach  hinten  geneigt,  dass  man  ihn  nicht  sehen  kann; 
alsdann  ziehe  man  den  Spiegel  %  Zoll  zurück  und  richte,  indem  man  seinen 
Stiel  nach  oben  und  vorn  hebt,  sein  anderes  Ende  so  zwischen  die  hintere 
Wand  der  Vagina  und  des  Halses,  dass  man  den  Hals  nach  vorn  erhebt 
und  seine  innere  Fläche  der  hintern  Mündung  des  Spiegels  entgegenstellt. 
Ist  der  Spiegel  gehörig  angelegt,  so  bringt  man  in  sein  Inneres  einen  Pin- 
sel ,  um  die  Theile  gehörig  abzutrocknen ;  denn  der  Mutterhals  ist  selbst  im 
gesunden  Zustande  immer  etwas  mit  Schleim  bedeckt,  der  kleine  Geschwüre 
verhüllen  könnte.  Bisweilen  verbergen  die  weichen  und  hypertrophischen, 
genau  aneinander  liegenden  Muttermundlefzen  an  ihrer  innern  Fläche  Ge- 
schwüre; man  muss  deshalb  mit  einem  weiblichen  Katheter  oder  mit  einem 
geknöpften  Stilet  die  vordere  dieser  Lefzen  erheben,  um  Tuberkeln  und 
kleine  Geschwüre  zu  entdecken.  Um  die  Beschauung  mittels  des  Spiegels 
deutlich  anstellen  zu  können,  muss  die  Kranke  mit  dem  Gesicht  gegen  das 
Fenster  gelagert  seyn,  so  dass  die  Lichtstrahlen  ins  Innere  des  Spiegeb 
dringen  können;  sonst  muss  der  Gehülfe  mit  einer  brennenden  Wachskerze 
an  der  linken  Seite  stehn  und  das  Licht  so  halten,  dass  es  durch  den  Spie- 
gel der  Reihe  nach  alle  Theile  erleuchte.  Man  hat  Spiegel  mit  zwei  oder 
mehreren  Armen;  die  letztern  müssen  ein  etwas  längeres  Schwanzende  ha- 
ben. Ist  die  Vagina  der  Sitz  von  Geschwülsten,  so  müssen  diese  vor  der 
Einbringung  des  Spiegels  oft  erst  entfernt,  auch  ein  zu  grosses  Hymen 
durch  einen   Kreuzschnitt   getrennt   werden.     Eine  Vaginitis   ist   eine   voll- 


654  EXSCREATIO  -^  EXSTIRPATIO 

kommne  Contraindication  der  Anwendung  des  Speculums ;  auch  die  Gegen- 
wart tiefer  Verschwärungen  des  Collum  uteri  und  der  Vagina,  wo  sonst 
leicht  Zerreissungen  und  schwere  Blutungen  folgen.  Ist  das  Collum  mit 
grossen  Vegetationen  besetzt,  dass  der  Spiegel  sie  nicht  umfassen  kann,  so 
ist  seine  Einführung  unnütz.  Ist  grosse  Hypertrophie  des  Uterus  mit  sub- 
inflammatorischem Zustande  zugegen,  so  muss  man  die  Einführung  des  Spie- 
gels verschieben ,  weil  man  zu  dieser  Zeit  doch  nicht  die  Excoriationen  und 
oberflächlichen  Geschwüre  behandeln  kann.  So  weit  Lisfranc.  —  Wie  wich- 
tig in  diagnostischer  Hinsicht,  zumal  bei  Syphilis,  die  noch  so  sehr  vernach- 
lässigte Anwendung  des  Mutterspiegels  ist ,  hat  neuerlich  der  verdienstvolle 
Ricord  durch  zahlreiche  Thatsachen  bewiesen.  Er  fand  bei  liederlichen 
Frauenzimmern,  deren  äussere  Genitalien:  Lefzen,  Eingang  der  Scheide  etc. 
ganz  gesund  scheinen,  oft  syphilitische  Geschwüre  in  der  Tiefe,  selbst  am 
Muttermunde,  woraus  hervorgeht,  dass  jeder  Arzt  imd  Wundarzt,  der  die 
öffentlichen  Dirnen  in  Bordellen  zu  untersuchen  hat ,  verpflichtet  ist ,  auch 
mit  dem  Speculum  zu  untei'suchen.  Hr.  Geheime  Med.-Rath  Sachse  erzählt, 
dass  ihm  zwei  Freudenmädchen  in  Dobberan  bekannt  geworden,  die  bei  äus- 
serlich  gesunden  Genitalien  dennoch  mehreren  Männern  Chanker  mitgetheilt 
hätten  (s.  Caspers  Wochenschrift  für  die  gesammte  Heilkunde.  Berlin  1833. 
Nr.  16.    S.  297). 

SiXSCreatio,  Rascntio,  das  Räuspern.  Ist  ein  bekanntes  Symptom 
bei  Heiserkeit,  Husten  etc. 

IiXsiccaiitia>,  austrocknende  Mittel.  So  nennt  man  in  der 
Chirurgie  diejenigen  Mittel,  welche  bei  nässenden  Geschwüren,  Ausschlä- 
gen etc.  den  leidenden  Theil  durch  Einsaugung  der  Feuchtigkeiten,  oder 
indem  sie  die  Secretion  vermindern,  trockner  machen,  wodurch  eine  oder 
die  andere  Heilindication  bezweckt  wird.  Man  rechnet  hierher  trockne  Char- 
pie,  Bleimittel,  Zinksalbe  etc.  Auch  der  Pressschwamm,  Pulv.  ttor.  cha- 
momillae,  Carbon,  ligni,  Bolus  armena.  Terra  sigillata,  Sanguis  draconis 
und  sämmtliche  Bleipräparate  werden  zu  den  austrocknenden  Mitteln  gezählt 
und  finden  als  Externa  in  der  Chirurgie  zahlreiche  Anwendung. 

*Exstirpati05  die  Ausrottung,  das  Ausschälen,  Ausschnei- 
den, Wegschneiden.  Ist  in  der  Chirurgie  diejenige  Operation,  mittels 
■welcher  wir  Pseudoovganisationen ,  unbrauchbare ,  oder  schädliche  Körper- 
theile  partiell  oder  gänzlich  aus  ihrem  organischen  Zusammenhange  trennen. 
Daher  wird  das  Wort  Exstirpation  als  Gattungsname  für  die  unterge- 
ordneten Bezeichnungen  Ahscissio ,  Amputatio ,  Decapitntio,  Excisio  ,  Exarti- 
culatio,  Resectio  etc.  gebraucht.  Übrigens  ist  auch  hier  die  Terminologie 
nicht  ganz  ohne  Verwirrung;  denn  Einige  verstehen  unter  Exstirpation  nur 
die  Wegnahme  äusserer  Körpertheile,  Andere  nur  die  Ausschälung  eines 
Theils  aus  einer  natürlichen  Höhle  u.  s.  f. ,  die  Wegschneidung  eines  Tumor 
cysticus,  eines  Lipoms,  Ganglions.  Mit  Glück  hat  man  öfters  den  Kitzler 
bei  scirrhöser  oder  carcinomatöser  Entartung  exstirpirt,  desgleichen  eine  Par- 
tie des  Mastdarms,  wenn  derselbe  bedeutend  prolabirt  sich  zeigte  (s.  Pro- 
lapsus  ani)  oder  auf  der  Schleimhaut  desselben  tuberculöse  Excrescenzen 
sich  befinden,  oder  wenn  Cancer  intestini  recti  da  war.  Die  grossen  und 
kleinen  Schamlefzen  sind  zuweilen  krankhaft  entartet,  hindern  den  Beischlaf, 
das  Harnlassen,  und  erfordern  dann  gleichfalls  die  Exstirpation.  Auch  die 
Milz  hat  man  in  einzelnen  Fällen  bei  tiefeingedi'ungenen  Wunden  in  dieses 
Organ ,  um  einen  tödtlich  w  erdenden  Ausgang  wegen  der  Gefahr  eines  Blut- 
extravasats  zu  verhüten,  mit  Glück  exstirpirt;  in  ein  paar  Fällen  gelang 
dies  auch  bei  Phthisis  lienis  den  Operateurs  Ferrerius ,  Crüger ,  F.  Clarlc, 
B\  Home,  Ferguson,  v.  Sdiönhcrg ,  v.  Lenliosseli  und  Sclmltze.  Nicht  so 
glücklich  war  der  hiesige  Professor  Quittenlnum,  der  in  einer  benachbarten 
Landstadt  einer  Frau  ein  grosses  Gewächs  am  Bauche  operirte  und  als  er 
fand,  dass  es  die  Milz  sey,  dieselbe  wegschnitt;  denn  die  Operirte  starb 
noch  unter  dem  Messer.  Höchst  wichtig  und  nicht  immer  ohne  Gefahr  ist 
die  Exstirpatio  parotidis,  oculi,  uteri  und  die  der  weiblichen  Brust,  fast  alle 


EXSTIRPATIO  655 

grosstenthcils  wegen  krankhafter,  zumal  scirrhöser  und  carcinomatoser  De- 
generationen unternommen  (s.  Cancer  mammae,  parotidis,  uteri). 
Die  Indicationen  zu  diesen  wichtigen  Operationen  und  das  chirurgische  Ver- 
fahren dabei  soll  hier  näher  dargestellt  und  beschrieben  werden. 

Exstirpatio  cujiisdam  linguae  partis,  Abkürzung  der  Zunge.  Diese 
erst  in  neuern  Zeiten  üblich  gewordene  Operation  hat  man  mit  Glück  bei 
ficirrhösen,  carcinomatösen,  fungösen  und  varicösen  Metamorphosen  der  Zunge, 
sobald  pharmaceutische  Mittel  nichts  fruchteten,  so  wie  bei  angeborner  zu 
langer,  über  die  Zähne  hervorragender  Zunge,  die  das  Sprechen,  Schlucken 
erschwert,  vorgenommen,  indem  die  Erfahrung  gelehrt  hat,  dass  selbst  beim 
Verlust  des  grössei'n  Theils  dieses  Oi-gans  Sprache,  Geschmack  etc.  fast  gar 
nicht  leiden.  Bei  zu  langer  Zunge  in  Folge  von  Lähmung,  wobei  Bewe 
gung  und  Geschmackssinn  fehlen,  bei  allgemeinen  Dyskrasien,  bei  Entartun- 
gen, die  auch  die  Zungenwurzel  und  die  Nachbartheile  ergriffen,  ist  diese 
Operation  nicht  zu  unternehmen.  Die  möglichst  weit  vorgestreckte  Zunge 
wird  mit  einer  Zange  oder  Schlinge,  d.  i.  ein  durch  den  gesunden  Theil 
der  Zunge  gezogenes  schmales  Bändchen,  fixirt,  statt  der  altern  Mundspie- 
gel dem  Kranken  ein  Korkstöpsel  zwischen  die  Zähne  gesteckt  und,  ist  die 
Zunge  zu  lang,  durch  einen  Transversal-  oder  Bogenschnitt  geradezu  abge- 
schnitten, oder  man  macht  mit  der  Cooper'schen  Scheere  vom  Rande  aus 
bis  fast  auf  Vs  Zoll  von  der  Mittellinie  der  Ziuige  einen  Querschnitt,  und 
die  spritzende  Arterie  wird  unterbunden;  eben  so  macht  man  es  am  andern 
Rande  der  Zunge,  und  schneidet  dann  den  in  der  Mitte  noch  zusamroenhäa- 
genden  Theil  mit  dem  Bistouri  gänzlich  durch.  Bei  Scirrhus  linguae  ent- 
fernt man  den  entarteten  Theil  mittels  eines  halbmondförmigen  oder  V-för- 
migen Schnitts,  und  vereinigt  dann  die  Seitenlappen  durch  die  blutige  Naht. 
Steht  die  Blutung  trotz  der  angelegten  Ligaturen  nicht,  so  wendet  man 
noch  kaltes  Wasser,  im  Nothfall  das  Glüheisen  an.  Die  Diät  muss  in  den 
ersten  7  Tagen  streng  antiphlogistisch  seyn,  weil  sonst  leicht  bedeutender 
Zungenschmerz,  starke  Geschwulst,  heftige  Glossitis,  Nachblutungen  folgen. 
Bei  angiektatischen  Zungendegenerationen  ist  die  Ligatur,  der  heftigen 
Blutung  wegen,  dem  Schnitte  oft  vorzuziehen.  Man  zieht  hier  mit  einer 
Heftnadel  hinter  dem  zu  entfernenden  Theile  eine  doppelte  Ligatur  ein,  legt 
sie  auseinander,  und  schnürt  die  entsprechenden  Enden  an  jeder  Seite  in 
einer  Schlinge  zusammen,  die  man  in  einen  Knoten  knüpft  oder  in  ein  Li- 
gaturstäbchen fügt,  und  täglich  fester  anzieht,  bis  der  eingeschnürte  Theil 
abstirbt  und  abfällt.  Die  zurückbleibende  Geschwürttäche  wird  mit  Decoct. 
chinae  und  Tinct.  myrrhae  zur  Heilung  gebracht  (v.  Waltlier,  Rust,  Lan~ 
genbeck,  Louis). 

Exstirpatio  clitoridis,  die  Ausrottung  des  Kitzlers.  Scirrhöse  und 
carcinomatöse  Entartungen  und  ein  solcher  Grad  von  Clitorismus,  dass  da- 
durch Störungen  des  Beischlafes,  des  ürinlassens  u.  s.  w.  herbeigeführt  wer- 
den, fordern  häufiger  zu  dieser  Operation  auf  als  Nymphomanie,  wogegen 
sie  Levret  vorschlug  und  Duhois  mit  Glück  unternahm,  und  unüberwindliche 
Neigung  zur  Selbstbefleckung,  welche  v.  Gräfe  bei  einer  Blödsinnigen  durch 
Exstirpation  dieses  Theiles  beseitigte.  Hat  man  es  mit  dem  Krebse  der 
weiblichen  Ruthe  zu  thun,  so  wird  man  die  totale  Ausrottung  (^Schmucker) 
des  Krankhaften  im  Auge  haben  und  lieber  die  Operation  unterlassen  müs- 
sen, wenn  man  sich  von  der  Unmöglichkeit,  alles  Entartete  wegzunehmen, 
im  Voraus  überzeugt  hält.  Bei  der  Operation  wird  die  Kranke  quer  über 
ein  Bett  auf  den  Rücken  mit  ausgespreizten  und  flectirten  Schenkeln  so 
gelagert,  dass  der  Steiss  auf  dem  Bettrande  liegt,  und  in  dieser  Stellung 
durch  zwei  Gehülfen,  welche  zugleich  die  .Schamlefzen  gehörig  auseinander 
halten,  fixirt.  Nachdem  sich  der  Operateur  von  dem  Umfange  des  Entarte- 
ten oder  Überflüssigen  überzeugt  hat,  zieht  er  dasselbe  (mit  dem  Finger, 
einem  Haken,  einer  Ansa  oder  der  Zange)  möglichst  stark  hervor,  und  ex- 
cidirt  es  nach  Umständen  entweder  mit  einer  Cooper'schen  Scheere  oder  ei- 
nem convexen  oder  geraden,  nicht  zu  grossen  Scalpell,  welches  er  von  der 
Seite  oder  von  unten  her  einsenkt,  und  mit  einem  oder  mehreren  Zügen,  je 


656  EXSTIRPATIO 

nach  der  Grosse  des  Wegzunehmenden,  über  diesem  hinfuhrt.  Kalte  Um- 
schläge ,  die  Ligatur  und  nöthigenfalls  die  Compression  oder  das  Ferrum 
candens  bringen  die  Blutung  zum  Stehen.  Bei  der  Anlegung  des  Verbandes, 
"WOZU  trockne  Plumaceaux,  eine  Compresse  und  die  T-Binde  gehören,  hat 
man  darauf  zu  achten,  dass  die  Mündung  der  Harnröhre  frei  bleibe,  und 
'somit  dem  freien  Abfluss  des  Urins  kein  Hinderniss  in  den  Weg  gelegt  werde. 
Dies  erreicht  man  am  besten  durch  Spaltung  der  T-Binde  und  durch  Kreu- 
zung ihrer  Enden  am  Orificium  urethi'ae  externum.  In  der  ersten  Zeit  nach 
der  Operation  lässt  man  die  Kranke  eine  Rücken  -  oder  Seitenlage  beobach- 
ten, und  nimmt  die  Erneuerung  des  Verbandes  wo  möglich  erst  nach  einge- 
tretener Eiterung  vor. 

Exsiirpatio  glandulne  suhnaxillaris,  Ausrottung  der  Unterkiefer- 
drüse. Man  hat  diese  Operation  bei  scirrhösen  Entartungen  der  Glandula 
submaxillaris  und  zwar  entweder  für  sich  allein  oder  in  Verbindung  mit  der 
Ausrottung  der  Ohrspeicheldrüse  {Sturm)  vollzogen,  und  dabei  die  Grund- 
sätze befolgt,  welche  bei  der  Exstirpatio  parotidis  angerabthen  worden  sind, 
wovon  weiter  unten  die  Rede  seyn  wird. 

Exstirpatio  intesHni  recti,  die  Ausrottung  einer  Partie  des  Mast- 
darms. Es  sind  besonders  drei  Krankheitszustände ,  bei  denen  sich  diese 
Operation  hülfreich  bewiesen  hat,  nämlich  tuberculöse  Excrescenzen  der 
Schleimhaut,  Prolapsus  und  krebsartige  Degeneration  des  Rectum.  1)  Bei 
tuberculösen  Excrescenzen  der  Schleimhaut  des  Mastdarms 
warnen  Desault  und  Copeland  vor  der  Exstirpation  dieser  Auswüchse  mit 
dem  Messer,  und  empfehlen  dagegen  eine  allmälig  verstärkte  Compression, 
die  Ersterer  mit  Wieken ,  Letzterer  mit  Tampons  hervorzubringen  und  bis 
zur  vollständigen  Schmelzung  dieser  PseudoOrganisationen  fortzusetzen  anräth. 
Schrcgcr^s  Erfahrungen  haben  indess  gelehrt,  dass  man  die  Anwendung  des 
Messers  ohne  Grund  fürchtet,  und  dass  ihr  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  die 
Compression  nachgesetzt  wierden  muss ,  was  im  Allgemeinen  auch  von  der 
Ligatur  gilt,  welche  LantjenhccTc ,  wiewol  starke  Blutungen  wegen  der  Ge- 
fässarmuth  dieser  Auswüchse  wol  nur  ausnahmsweise  entstehen  dürften ,  zur 
Nachahmung  anempfiehlt.  Ist  die  Furcht  vor  einer  lebhaften  Hämorrhagie 
aber  gegründet,  oder  sitzen  die  Excrescenzen  so  hoch,  dass  man  sie  mit 
Schnittwerkzeugen  nicht  erreichen  kann,  so  wird  man  dennoch  im  ersten 
Falle  zum  Abbinden,  im  zweiten  zur  Anwendung  eines  stufenweise  vermehr- 
ten Druckes  seine  Zuflucht  nehmen  müssen.  Bei  der  Operation  lässt  man 
die  Excrescenzen  durch  starkes  Pressen  von  Seiten  des  Kranken  hervor- 
drücken, fixirt  sie  sodann  mittels  einer  Ansa  oder  Pincette,  und  schneidet 
sie  an  ihrer  Basis  mit  horizontalen  Messeraügen  ab.  Der  Verband  und  die 
Nachbehandlung  geschehen  wie  nach  der  Ausrottung  der  Hämorrhoidalknoten. 
2)  Verfahren  beim  Mastdarmvorfall.  Bei  veralteten,  nicht  reponiblen 
oder  zur  Retention  nicht  geeigneten  Mastdarmvorfällen  ,  welche  durch  Ent- 
zündung und  Anschwellung  zu  schmerzhaften  Stuhlausleerungen  Anlass  geben, 
ist  die  partielle  oder  totale  Ausrottung  der  vorgefallenen  Partie  indicirt. 
Copeland  und  Rust  empfehlen  in  den  mehrsten  Fällen  die  Abbindung.  Letz- 
terer räth  an ,  wenn  mehrere  Wände  des  Mastdarms  wulstig  heiiorgetreten 
sind,  sie  nach  und  nach  abzubinden,  und  zwar  die  grössten  Partien  zuerst, 
und  so  nach  einander  die  übrigen  Reste.  Cheselden  gab  den  von  Hey,  Rich- 
ter, Dufuytren,  Chelius,  Kirhy  u.  A.  unter  verschiedenen  Modificationen  be- 
folgten Rath,  die  vorgefallene  Schleimhaut  wegzuschneiden.  Der  meistens 
unvollkommene  Erfolg  dieser  Operationsweisen ,  namentlich  die  zurückblei- 
bende Relaxation  der  Sphinkteren  als  die  Hauptursache  des  Prolapsus ,  und 
die  üblen  Begleiter  (profuse  Blutung)  und  Folgen  (hartnäckige  Eiterung) 
der  einfachen  Excision  der  Schleimhaut  Hessen  Dupuytren  von  seiner  frühe- 
ren Methflde  abgehen ,  und  eine  neue ,  nämlich  die  Abtragung  der  strahlen- 
förmigen Falten  des  Mastdarms,  ersinnen,  welche  sich,  mehreren  Erfahrun- 
gen zufolge  (ü.  Amnion,  Die/i'enhach  u.  A.),  nicht  allein  gefahrlos,  sondern 
auch  durch  die  verengende  Cicatrisation  des  Afters  vollkommen  heilsam  ge- 
zeigt hat.     Hat  man  einen  Vorfall  sämmtlicher  Häute  des  Intestinum  rectum 


EXSTIRPATIO  657 

und  nicht  blos  der  Schleimhaut  zu  behandeln ,  so  kann  man ,  nach  Bride, 
noch  einen  Schritt  weiter  gehen,  und  selbst  noch  eine  Partie  des  Rectum 
mit  dem  Messer  abtragen.  Das  Operationsverfahren  nach  Diipnylren  ist  fol- 
gendermassen :  Man  giebt  dem  Kranken,  je  nach  der  Individualität  des  Fal- 
les, entweder  eine  Lage  wie  beim  Steinschnitt,  oder  wie  bei  der  Operation 
der  Afterfistel.  Der  Operateur  zieht  nun  mit  einer  vorn  etwas  breiten ,  gut 
fassenden  Pincette  den  prolabirten  Theil  1  —  1*/,  Zoll  aus  dem  After  hervor 
und  schneidet  mit  einer  Cowper'schen  Scheere  4  —  7  der  strahlenförmigen 
Falten ,  welche  vom  Rande  des  Afters  convergirend  nach  der  Mitte  hinge- 
hen, aus,  indem  er  sie  einzeln  mit  der  Pincette  erhebt  und  möglichst  hoch 
in  den  Darm  verfolgt.  Hierauf  nimmt  man  die  Reposition  des  Wulstes  vor 
und  stillt  die  Blutung  durch  kalte  Fomentationen ,  oder,  wenn  sie  arteriell 
ist,  durch  die  Ligatur  oder  Glüheisen.  Bei  der  Behandlung  ist  es  hier  noth- 
wendig,  so  lange  als  thunlich  den  Stuhlgang  zu  verhindern,  z.  B.  durch 
Opium.  3)  Verfahren  beim  Mastdarmkrebs.  Sind  die  Grenzen 
der  scirrhösen  Entartungen  noch  mit  dem  Zeigefinger  zu  erreichen  und  ist 
der  untere  Theil  des  Mastdarms  noch  beweglich,  folglich  das  ihn  umgebende 
Zellgewebe  noch  gesund ,  so  kann  man  von  diesem  operativen  Verfahren 
Hülfe  erwarten,  obgleich  dennoch  dasselbe  misslich  ist.  Von  9  Kranken, 
welche  Lisfranc  operirte.  wurden  6  glücklich  gerettet,  während  3  den  Fol- 
gen dieser  gefährlichen  Operation ,  heftiger  Entzündung  und  Eiterinfiltration, 
unterlagen.  Dem  Kranken  wird  zunächst  eine  Lage  wie  bei  der  Sectio  la- 
teralis gegeben,  und  ihm  zum  Schutze  der  dabei  interessirten  Theile  ein 
Katheter  eingeführt;  bei  Weibern  erreicht  man  dies  durch  das  Einbringen 
des  Fingers  in  die  Scheide.  Der  Operateur  bildet  hierauf  mit  dem  con- 
vexen  Scalpell  2  halbmondförmige,  1  Zoll  vom  After  entfernte  Schnitte, 
welche  sich  vor  und  hinter  diesem  vereinigen ,  und  das  Rectum  nach  mehr- 
maligen Wiederholungen  von  seinen  Nachbargebilden  möglichst  genau  loslö- 
sen. Man  zieht  nun  den  Mastdarm  mittels  des  eingebrachten  gekrümmten 
Zeigefingers  hervor  und  stülpt  ihn  nach  aussen  um,  um  den  Umfang  der 
Entartung  zu  erfahren.  Ist  diese  mehr  oberflächlich,  so  trennt  man  sie 
durch  einige  Längenincisionen  und  schneidet  die  dadurch  gebildeten  Stücke 
mit  der  Hohlscheere  weg;  erstreckt  sich  aber  die  Degeneration  durch  das 
ganze  Gewebe  des  Mastdarmes,  so  spaltet  man  dessen  hintere,  weniger  ge- 
fässreiche  Wand  mit  einer  starken  Scheere  der  Länge  nach  bis  über  dl?. 
Grenze  des  Krankhaften  hinaus,  lässt  dieses  durch  Haken  stark  hervorzie- 
hen und  exstirpirt  es  möglichst  genau.  Blutungen  werden  durch  die  Ligatur 
und  nur  im  Nothfalle  durch  die  Tamponade  gestillt;  der  anfangs  ganz  ein- 
fache Verband  wird  nach  ein  Paar  Tagen,  sobald  die  erste  Reizung  vor- 
über ist ,  gegen  ein  starkes  Bourdonnet  vertauscht ,  welches  man  in  den 
After  legt,  und  nach  Lisfranc' s  Erfahrungen  selbst  2  —  3  Monate  nach  er- 
folgter Heilung  zur  Verhütung  einer  Strictur  anhaltend  tragen  lässt. 

Exslirpnlio  Jnhiorum  pudcndi ,  die  Ausrottung  der  grossen  und 
kleinen  Schamlefzen.  Die  Operation  ist  indicirt :  1)  beim  Cancer,  so 
lange  er  noch  kein  constitutionelles  Leiden  veranlasst  hat,  und  vollständig 
ohne  Zurücklassung  eines  Restes  ausgerottet  werden  kann  (KaUschtnidt  und 
A.).  2)  Bei  Telangiectasien ,  bedeutenden  Degenerationen ,  sarcomatösen, 
steatomatösen  und  andern  Geschwülsten  (Sömmerrinff ,  SnuceroUe,  Listotv, 
Hoff7n(tnn,  Birrel,  Kleuitz,  Talrich  und  A.).  3)  Bei  ungewöhnlicher  Grösse 
und  Länge  einer  Schamlippe ,  welche  den  Beischlaf  und  die  Bewegungen  in 
dem  Grade  beeinträchtigt,  dass  die  Frau  ausdrücklich  ihre  Beschneidung  ver- 
langt (Mnuriceau,  Wagner  und  A.).  —  Bei  der  Operation  giebt  man  der 
Kranken  eine  horizontale  Rückenlage  mit  stark  abducirten  und  flectirten 
Schenkeln,  so  dass  sich  der  Steiss  dicht  am  Bettrande  befindet,  und  lässt 
sie  von  2  Gehülfen  gehörig  fixiren,  während  ein  dritter  die  Zureichung  der 
Instrumente  übernimmt.  Etwaige  sich  an  der  Operationsstelle  befindende 
Haare  werden  vorher  abgeschnitten;  erstreckt  sich  dirf  Geschwulst  bis  dicht 
an  die  Urethra ,  so  führt  man  vor  der  Operation  den  Katheter  ein.  Der 
zwischen  den  Schenkeln  der  Patientin  stehende  Operateur  fasst  nun  mit  den 
Most  Encyklopädie.  2te  Aufl.  I.  42 


65d 


EXSTIRPATIO 


Fingern  der  linken  Hand  oder  mit  einer  Pincette  oder  Zange  die  k»-ank(» 
Lefize ,  zieht  sie  in  eine  zur  Abtragung  geeignete  RicU,tung ,  und  schneidet 
sie  durch  einen  oder  mehrere  Messerzüge,  oder,  falls  die  Entartung  weniger 
gross  ist,  mittels  der  Cowper'schen  Scheere  weg.  Man  beobachte  hierbei 
ja  das  richtige  Maass,  und  entferne  bei  cancrösen  Entartungen  die  Ge- 
schwulst bis  auf  den  letzten  Rest,  gehe  dagegen  mit  grösserer  Sparsamkeit 
in  den  Fällen  zu  Werke,  wo  das  Leiden  gutartiger  Natur  ist,  und  bei  to- 
taler Ausrottung  desselben  grosse  Verunstaltung  und  Störung  in  der  Excre- 
tion  des  Harnes  entstehen  kann.  Blutstillung,  Verband  und  Nachbehaad- 
lung  werden  ganz  nach  den  allgemeinen  Regein  besorgt;  nur  hat  man  dar- 
auf zu  sehen:  1)  dass  durch  emen  eingelegten  und  gehörig  verstopften  Ka- 
theter die  Entleerung  der  Blase  von  Zeit  zu  Zeit  bewirkt  und  der  Harn- 
strahl von  der  Wunde  abgeleitet  wird ;  2)  dass  bei  etwaiger  Verwundung 
der  Scheide  keine  Atresie  derselben  zu  Stande  komme,  was  sich  sehr  leicht 
durch  einen  dazwischen  gelegten  befeuchteten  Leinwandstreifen  verhindern 
lässt.  Trockne  Charpie,  Heftpflasterstreifen,  eine  gespaltene  Corapresse  und 
eine  T-Binde  beschliessen  die  Operation. 

Exstiiyatio  lienis ,  die  Ausrottung  der  Milz.  Dass  die  neuere  Chi- 
rurgie diese  Operation  mit  Stillschweigen  übergeht,  ist  um  so  auffallender, 
da  schon  in  den  ältesten  Zeiten  davon  die  Rede  ist,  und  zahlreiche  Bei- 
spiele vorkommen,  welche  die  Entbehrlichkeit  dieses  Organs  bei  Thieren 
und  bei  Menschen  hinlänglich  beweisen.  Themison,  als  Urheber  dieser  Ope- 
ration, soll  die  Milz  mit  einem  glühenden  Eisen  drei  bis  viermal  zu  durch- 
stechen angerathen  haben ;  Plinius  and  Serenus  Samonicus  kannten  Fälle  von 
gelungenen  Exstirpationen.  Adrian  Znccarelln  vollzog  nach  Fioravanti  die 
Ausrottung  der  Milz  an  einer  Frau  ohne  Nachtheii,  ebenso  hatte  die  von 
Ferrerius  wegen  Milzschwindsucht  unternommene  Operation  einen  glückli- 
chen Erfolg.  Ähnliche  Fälle  beschrieben  D.  Crüger,  T.  ClarUe,  F.  Home, 
Ferguson,  v.  Schönherg,  v.  LcnhosseJ: ,  Schultze.  Traumatische  Verletzungen 
der  Milz ,  namentlich  wenn  sie  tief  in  das  Gewebe  derselben  eindringen ,  und 
somit  ein  tödtliches  Blutextravasat  zu  veranlassen  drohen,  bilden  die  vor- 
nehmste Indication  zur  Exstirpatio  lienis.  Ist  die  Operationsstelle  nicht  durch 
die  Verwundung  gegeben,  so  wii-d  man  sich  am  zweckmässigsten ,  nach 
SchuUze,  den  äussern  Rand  des  linken  Rectus  abdominis  zur  Incision  wäh- 
len, indem  man  das  Messer,  nach  den  bei  der  Laparotomia  angegebenen 
Grundsätzen,  einen  Finger  breit  imterhalb  der  Rippenknorpel  aufsetzt  und 
es  in  einer  Länge  von  4  Zoll  abwärts  führt.  Auf  solche  Weise  würde  die 
Eröffnung  der  Bauchhöhle  ohne  Verletzung  bedeutender  Gefässe  und  des 
Diaphragma  geschehen,  und  man  hätte  eine  Wunde,  durch  welche,  falls 
nicht  krankhafte  Vergrösserungen  der  Milz  statt  hätten ,  diese  leicht  hervor- 
gezogen werden  könnte,  um  die  Unterbindung  ihrer  Gelasse  ausserhalb  der 
Bauchhöhle  zu  bewirken.  Zur  Vermeidung  allgemeiner  Nervenaffectionen 
giebt  Schultze  den  zu  befolgenden  Rath ,  den  Plexus  lienalis  vorher  zu 
durchschneiden  und  zurückzuschieben,  damit  er  nicht  mit  in  die  Ligatur  ge- 
fasst  werde  (C.  A.  S.  SchuUze,  Über  die  Verrichtung  der  Milz  und  die  Ex- 
stirpation  derselben  bei  Thieren  luid  Menschen;  in  Hecker' s  Lit.  Annalen, 
Bd.  Xn.  S.  385. 

Exstirpatio  mammae,  s.  Aroputatio  mammae, 

Exstirpatio  oculi,  die  Ausrottung  des  Auges.  Man  versteht  hier- 
unter die  schnittweise  Entfernung  des  entarteten  Augapfels  mit  oder  ohne 
Erhaltung  der  Augenlider.  —  Die  Krankheiten,  welche  die  Exstirpation  des 
Augapfels  bedingen,  zerfallen  nach  Ihrem  Sitze  in  drei  Classen,  indem  sie 
entweder  die  Augenlider  und  die  übrigen  den  Augapfel  umgebenden  Weich- 
gebilde, den  Augapfel  selbst,  oder  die  knöchernen  Augenwandungen  befal- 
len haben.  Es  werden  demnach  folgende  krankhafte  Zustände  die  Opera- 
tion erfordern: 

L  Krankheiten  der  Augenlider  und  der  übrigen  den  Aug- 
apfel umgebenden  Weichtheile.  1)  Ist  entweder  durch  eine  zufäl- 
lige äussere   Verletzung   oder    eine    ajidere    krankhafte   Destruction    ein   so 


EXSTIRPATIO  659 

grosser  Defect  des  obem  Augenlides  entstanden ,  dass  selbst  eine  Blepharo- 
plastik  den  Verlust  zu  ersetzen  nicht  im  Stande  ist,  so  muss  der  Augapfel 
entfernt  werden ;  denn  dadurch ,  dass  er  diese  Bedeckung  verliert ,  wird  er 
allen  äussern  schädlichen  Einflüssen  ausgesetzt.  Häufige,  oft  wiederkehrende 
Entzündungen  des  Augapfels ,  welche  zuletzt  in  Exulceration  oder  gänzli- 
ches Absterben  desselben  übergehen,  sind  gar  nicht  zu  vermeiden.  Der 
Kranke  erblindet  allmälig,  und  er  hat  dann  nicht  nur  ein  ihm  nichts  nützen- 
des ,  sondern  vielmehr  ihn  durch  Schmerzen  sehr  belästigendes  Auge. 
2)  Müssen  die  Augenlider  wegen  krebsai'tiger  Metamorphose  entfernt  wer- 
den, so  findet  auch  hier  zum  Theil  die  erste  Anzeige  ihre  Anwendung.  Es 
kommt  hier  aber  noch  ein  anderer  Umstand  hinzu ,  welcher  die  unbedingte 
Entfernung  des  oft  scheinbar  noch  gesunde.i  Auges  erfordert.  Es  ist  näm- 
lich auch  hier,  wie  bei  jedem  andern  Krebsübel,  nie  genau  zu  bestimmen, 
wie  tief  das  Leiden  schon  gewurzelt  hat.  Gewöhnlich  ist  die  Thränendrüse 
und  das  den  Augapfel  umgebende  Zellgewebe  in  Mitleidenschaft  gezogen, 
und  wollte  man  hier  dies  zur  Schnung  des  Auges  sitzen  lassen,  so  würde 
man  das  Übel  noch  um  vieles  verschlimmern ,  und  der  Kranke  leicht  ein 
Opfer  dieser  unzeitigen  Schonung  werden.  Im  günstigsten  Falle  müsste  er 
sich  hinterher  doch  noch  der  gänzlichen  Exstirpation  unterwerfen,  und  so 
unnöthigerweise  zweimal  eine  höchst  schmerzhafte  Operation  aushalten. 
8)  Nicht  selten  bilden  sich  an  den  den  Augapfel  umgebenden  Weichtheilen 
Balggeschwülste ,  schwammige  Auswüchse ,  Verhärtungen  des  Zellgewebes, 
Steatome  und  dergl.  mehr,  welche  so  an  Grösse  zunehmen,  dass  sie  den 
Augapfel  ganz  aus  seiner  Höhle  drängen,  so  dass  diese  nun  theils  durch 
fortwährende  Einwirkung  der  Luft,  theils  durch  andere,  leicht  zugängliche, 
schädliche  Einflüsse  insultirt  wird.  Da  nun  diese  mechanischen  Hindernisse, 
welche  den  Rücktritt  des  Auges  in  seine  normale  Lage  nicht  zulassen,  uns 
oft  so  unzugänglich  sind,  dass  wir  sie  nicht  ohne  vorherige  Wegnahme  des 
Augapfels  entfernen  können ,  ihre  Entfernung  aber  der  Bösartigkeit  wegen 
unumgänglich  nothwendig  ist,  so  müssen  wir  auch  in  diesem  Falle  den  Aug- 
apfel mitfortnehmen.  Endlich  ist  dieses  nothwendig  4)  bei  der  Papula  ma- 
ligna, wenn  das  Übel  nicht  schon  in  seinem  Entstehen  unterdrückt  werden 
konnte ,  sobald  sich  stechende  Schmerzen  bis  in  die  Orbita  hinein  erstrecken, 
die  Augenlider ■  sich  zu  entzünden  und  anzuschwellen  anfangen,  indem  das 
Übel  sonst  mit  «iner  furchtbaren  Rapidität  um  sich  greift,  und  zuletzt  selbst 
die  totale  Exstirpation  nutzlos  macht.  —  IL  Krankheiten  am  Aug- 
apfel selbst.  5)  Wassersucht  des  Augapfels,  Hydrophthalmus ,  beson- 
ders im  Glaskörper,  ist  häufig  ein  unheilbares  Übel.  Der  Augapfel  wird 
ungewöhnlich  vergrössert ,  und  muss  wegen  Mangels  an  Raum  seine  nor- 
male Lage  in  der  Augenhöhle  verlassen.  Hierdurch  entstehen  oft  wieder- 
kehrende Entzündungen  und  Elxulcerationen,  und  nicht  selten  ist  dies  Übel 
zugleich  mit  Varicositäten  verbunden.  Auf  dieser  Höhe  der  Krankheit  er- 
scheinen die  unsäglichsten  Schmerzen  im  entarteten  Auge,  und  selbst  das 
gesunde  leidet  in  solchem  Grade  mit,  dass  es  unbrauchbar  wird;  endlich 
platzt  das  hydropische  Auge,  verliert  seine  natürliche  Form  und  geht  unter 
den  furchtbarsten  Schmerzen  in  carcinomatöse  Verschwärung  über.  Sobald 
der  Kranke  aller  Sehkraft  auf  dem  leidenden  Auge  beraubt  und  die  krank- 
hafte Metamorphose  so  weit  fortgeschritten  ist ,  dass  man  jenen  schlechten 
Ausgang  der  Krankheit  mit  Gewigsheit  voraussehen  kann,  würde  es  unrecht 
seyn,  wenn  man  den  Kranken  noch  lange  Zeit  mit  einem  langwierigen  und 
schmerzhaften  Leiden  quälen  wollte.  Man  wird  hier  daher  immer  besser 
thun,  die  Exstirpation  des  Auges  lieber  früher  zu  unternehmen,  ehe  noch 
das  Übel  einen  so  bösartigen  Charakter  angenommen  und  den  Gesamrator- 
ganismus  in  einem  solchen  Grade  in  Mitleidenschaft  gezogen  hat,  dass  die 
Operation  den  Zweck  der  Lebenserhaltung  verlieren  könnte.  Auch  kann 
hier  die  Entstellung,  welche  durch  den  fehlenden  Augapfel  hervorgebracht 
wii'd,  sehr  gut  durch  ein  künstliches  Auge  ersetzt  werden ,  welch(es  in  jedem 
Falle  einem  krankhaft  entarteten  Augapfel  vorzuziehen  ist.  6)  Cirsophthal- 
mus ,     Staphyloma    corneae    totale ,    Carcinoma    bulbi ,     Fungus    haemtito- 

42* 


660  EXSTIRPATIO 

des  et  meduUaris  oculi  erfordern  ebenfalls  die  Exstirpation  des  Augapfels. 
III.  Krankheiten  der  Orbita.  7)  Es  sind  diese  Osteostcatomata,  Exo- 
stosen ,  Caries  und  Nekrose  der  Orbitalknochen.  8)  Sind  fremde  Körper, 
als  Lanzen  -  oder  Pfeilspitzen ,  Posten ,  gehacktes  Blei  etc.  ins  Auge  einge- 
drungen und  haben  sie  dasselbe  gänzlich  zerstört ,  so  ist  die  Exstirpation 
desselben  erforderlich.  —  Die  Instrumente  zur  Operation  sind:  1)  Em 
Augenlidhalter.  2)  Zum  Fixiren  des  Augapfels  bedient  man  sich  des  Schmucker'- 
schen  Pfriemens  oder,  nach  Richter,  Beer  und  v.  Gräfe,  der  Ansa.  3)  Zur 
Exstirpation  des  Augapfels  selbst  hat  man  vielerlei  Messer  und  eigene  Ex- 
stirpatorien  angegeben,  wie  das  löffeiförmige  von  Bartisch,  das  geknöpfte 
von  Fahricius  UUdamts,  das  myrtenförmige  von  Solitigcn,  ferner  zweischnei- 
dige, auf  der  Fläche  gekrümmte  von  Petit,  Wenzel,  Beer  und  v,  Gräfe. 
Am  einfachsten  und  besten  ist  woi  zu  diesem  Zwecke  ein  gewöhnliches  bau- 
chiges Scalpell ,  mit  welchem  man  vollkommen  ausreicht.  4)  Zur  Durch- 
schneidung des  Sehnerven  und  zur  Entfernung  des  zurückgebliebenen  krank- 
haften Zellstoffes  und  der  Thränendrüse  bedient  man  sich  der  gekrümmten 
stumpfspitzigen  Cowper'schen  Scheere.  5)  Eine  gute  anatomische  Pincette. 
6)  Gefässunterbindungsapparat.  7)  Eine  Wundspritze.  8)  Feuer-  und 
Waschschwämme.  9)  Kaltes  und  warmes  Wasser  und  Eis.  10)  Charpie, 
Plumaceaux,  Heftpflasterstreifen,  eine  Compresse  und  2  Rollbinden.  11)  Re- 
staurantien.  Sollte  eine  nicht  zu  stillende  Blutung  eintreten ,  so  scheint  es 
nicht  überflüssig,  wenn  ein  Kohlenbecken  nebst  cylindrischen  Eisen  bei  der 
Hand  sind.  Gehülfen  sind  3  bis  4  erforderlich,  welche  der  Operateur,  ohne 
weitere  Auseinandersetzung,   anzustellen  weiss. 

Operation.  Diese  kann  auf  eine  doppelte  Weise  gemacht  werden: 
entweder  der  Augapfel  wird  allein  exstirpirt,  oder  es  müssen  die  Augenlider 
mit  entfernt  werden;  Regel  ist  es  jedoch,  dass,  wenn  irgend  die  Augenli- 
der ei'halten  werden  können,  dies  geschehen  muss.  I.)  Entfernung  des 
Augapfels  mit  Erhaltung  der  Augenlider.  Da,  wo  die  Augenli- 
der noch  nicht  erkrankt  sind,  ist  diese  Operation  angezeigt,  und  zerfallt 
dieselbe  in  vier  Acte :  als  a)  Trennung  der  äussern  Augenlidcommissur ; 
b)  der  Augapfel  wird  durch  einen  Kreisschnitt  von  seinen  Verbindungen  ge- 
trennt ;  c)  Durchschneidung  des  Sehnerven ;  d)  Blutstillung  und  Verband.  — 
Act  I.  Lösung  der  äussern  Augenwinkelcommissur.  Der  Kranke 
sitzt  auf  einem  Stuhle ,  ein  hinter  ihm  stehender  Gehülfe  legt  seine  linke 
Hand  unter  des  Kranken  Kinn,  und  drückt  so  dessen  Kopf  gegen  seine 
Brust,  mit  der  rechten  Hand  hebt  er  das  Augenlid  mittels  eines  Augenlid - 
halters  in  die  Höhe ,  während  ein  zweiter  Gehülfe  das  untere  Augenlid  her- 
abzieht. Der  Operateur  stellt  sich  zwischen  die  Beine  des  Kranken,  nimmt 
ein  gradspitzioes  Scalpell  zwischen  Daumen  und  Zeigefinger,  je  nachdem 
das  zu  operirende  Auge  das  linke  oder  rechte  ist,  macht  einen  horizontalen 
Einschnitt  von  der  Länge  eines  halben  bis  ganzen  Zolls.  Sollte  man  hierbei 
nicht  Raum  genug  gewinnen,  so  kann  man  auch  einen  perpendiculären  Ein- 
schnitt in  den  Bulbus  selbst  machen,  um  den  Augapfel  dadurch  zu  coUabiren. 
Act  II.  Trennung  des  Augapfels  von  seinen  Verbindungen. 
Bevor  man  zur  Trennung  des  Augapfels  von  seinen  Verbindungen  übergeht, 
muss  man  denselben  erst  exstirpiren.  Jüngl;en  bedient  sich  hierbei  des 
Schmucker'schen  Pfriemens,  v.  Gräfe  der  schon  beschriebenen  Ansa.  Hat 
man  nun  den  Augapfel  gehörig  fixirt,  so  lässt  man  von  dem  Gehülfen  die 
Augenlider  stark  von  dem  Auge  abziehen ,  damit  sie  nicht  verletzt  werden, 
nimmt  dann  ein  geballtes  Bistouri  in  die  rechte  Hand,  und  beginnt  den 
Schnitt,  indem  man  den  Augapfel  nach  oben  zieht,  an  dem  untern  Theile. 
Man  hüte  sich  aber  den  Augapfel  nicht  gewaltsamer  Weise  aus  der  Or- 
bita zu  ziehen,  indem  man  theils  dem  Kranken  viele  Schmerzen  durch 
diese  Zerrung  hervorbringen  würde ,  theils  aber  auch  Nervenzufälle  er- 
weckte. Man  setzt  die  Spitze  des  Messers  in  dem  dem  Operirten  zur  Lin- 
ken liegenden  Augenwinkel  ein,  stösst  es  tief  in  die  Örbita ,  umkreist 
dann  den  Augapfel  in  sägefSrmigen  Schnitten  dicht  am  untern  Augenlidrande, 
führt  den  Schnitt  bis  etwas  über  die  entgegengesetzten  Augenwinkel  hinaus. 


EXSTIRPATIO  661 

und  nimmt  dann  das  Messer  wieder  aus  der  Orbita  heraus.  Hierauf  macht 
man  an  dem  obern  Theile  einen  eben  solchen  Schnitt;  indem  man  den  Aug- 
apfel nach  unten  zieht,  setzt  man  das  Messer  entweder  in  den  ersten  Ein- 
stichspunkt ein,  oder  etwas  tiefer,  so  dass  dieser  gekreuzt  wird,  stösst  das 
Messer  tief  in  die  Orbita  ein ,  umkreist  nun  ebenfalls  den  Augapfel  in  einem 
sägeförmigen  Schnitte  dicht  am  obern  Orbitalrande,  und  führt  den  Schnitt 
so,  dass  er  mit  dem  am  entgegengesetzten  Augenwinkel  zusammenläuft,  oder 
ihn  ebenfalls  kreuzt.  So  -viel  als  thunlich  entferne  man  sogleich  alles  Zell- 
gewebe mit,  hüte  sich  aber  wohl  die  knöchernen  Augenwandungen  nicht  zu 
verletzen.  Starke  Blutungen  während  der  Operation  dürfen  nicht  beachtet 
werden  und  nicht  an  der  Vollendung  derselben  hindern.  Act  III.  Durch- 
schneidung des  Sehnerven,  Entfernung  der  Thränendrüse 
und  des  noch  übrigen  krankhaften  Zellgewebes.  So  wie  der 
Bulbus  von  allen  seinen  Verbindungen  getrennt  ist,  geht  man  mit  einer  ge- 
schlossenen krummen  Cowper'schen  Scheere  ein  in  die  Orbita  und  durch- 
schneidet den  Sehnerven;  es  versteht  sich  von  selbst,  der  Bulbus  ist  mittels 
Daumen  und  Zeigefinger  der  linken  Hand  oder  auch  durch  Instrumentalhülfe 
fixirt.  Man  beachte  hierbei  besonders,  dass  der  Nerve  möglichst  dicht  am 
Foramen  opticum  abgeschnitten  werde,  was  besonders  bei  fungösen  Entar- 
tungen des  Auges  von  grosser  Wichtigkeit  ist.  Hierauf  reiniget  man  die 
Wunde  durch  Einspritzen  von  kaltem  Wasser,  sieht  nach  ob  noch  krank- 
hafte Theile  vorhanden  sind  und  entfernt  selbige.  Die  Thränendrüse  fasst 
man  mit  einer  gut  schliessenden  anatomischen  Pincette  und  sucht  sie  durch 
eine  Scheere  zu  entfernen.  Sollte  die  Blutung  durch  die  gewöhnlichen 
Styptica  nicht  gestillt  werden  können,  so  ziehe  man  das  Brenneisen  in  An- 
wendung. —  Act  IV.  Verband.  Ist  die  Blutung  ganz  gestillt,  so  füllt 
man  die  Augenhöhle  locker  mit  feiner  krauser  Charpie  aus,  nähert  hierüber 
die  Augenlider  einander,  reinigt  sie  vom  Blute  und  hält  sie  mit  Heftpflaster- 
streifen an  einander.  Auch  da»  gesunde  Auge  muss  mittels  englischem  Pfla- 
ster verklebt  werden,  indem  bei  der  leisesten  Bewegung  Zerrung  und  Schmerz 
in  der  verwundeten  Seite  entsteht.  Hierauf  wird  der  Kranke  zur  Ruhe  ge- 
bracht und  kalte  Umschläge  über  die  leidende  Stelle  gemacht.  II.)  Ent- 
fernung des  Augapfels  mit  gleichzeitiger  Fortnahme  der  Au- 
genlider. Hierbei  bedient  man  sich  am  besten  des  Schmucker'schen  Pfrie- 
mens  oder  der  Ansa.  Man  trennt  alsdann  die  Augenlider,  indem  man  das  Bi- 
stouri in  dem  innern  Augenwinkel  einsetzt,  den  Schnitt  längs  des  Orbital- 
randes bis  auf  den  Knochen  erst  am  untern  Augenlide  bis  zum  entgegenge- 
setzten Augenwinkel  fortführt  und  dann  so  auf  dieselbe  Weise  das  obere 
Augenlid  trennt.  Alles  Krankhafte  der  Augenlider  muss  mit  wegge- 
nommen werden.  Der  Augapfel  selbst  wird  auf  oben  beschriebene  Weise 
entfernt. 

Exstirpaiio  ovnrii ,  die  Ausrottung  des  Eierstocks.  Der  erste 
Act  der  Operation,  die  Eröffnung  der  Bauchhöhle,  geschieht  unter  genauer 
Beachtung  derjenigen  Cautelen ,  welche  bei  der  Laparotomie  nothwendig 
sind.  Die  Lage  und  Hervorragung  der  Geschwulst  bestimmen  den  Ort  der 
Incision,  welche  man  indess,  wo  es  nur  irgend  angeht,  am  zweckmässigsten 
in  der  Linea  alba  verrichtet.  Smith  durchschnitt ,  einen  Zoll  unter  dem  Na- 
bel, drei  Zoll  lang  die  Linea  alba;  MncdownVj^  neun  Zoll  langer  Schnitt 
wurde  nach  dem  Verlaufe  der  Fasern  des  Musculus  obliquus  abdominis  ge- 
macht ;  Martini  begann  den  Schnitt  drei  Zoll  unter  dem  Nabel ,  und  dila- 
tirte  ihn  dann  auf  dem  Finger  nach  oben  und  unten  bis  auf  eine  Länge  von 
neun  Zoll.  Adhäsionen  des  Tumor  mit  den  umliegenden  Theilen ,  dem  Omen- 
tum, Peritonaeum,  Uterus,  Gedärmen  etc.  löst  man  vorsichtig  mit  den  Fingern 
oder  dem  Scalpellstiele,  und  sucht  die  Geschwulst  aus  der  klaffenden  Wunde 
hervorzuziehen.  Hierauf  umgeht  man  den  mit  dem  Uterus  zusammenhängen- 
den Stiel,  schnürt  ihn  mit  einer  starken  Ligatur  fest  zusammen  und  schnei- 
det den  Tumor  einen  halben  bis  ganzen  Zoll  von  der  umbuniienen  Stelle 
entfernt  weg.  Ist  der  Stiel  etsvas  breiter  und  hat  man  Ursachi^  ein  Abglei- 
ten der   Lrtgatur  zu    befürchten,   so   durchsticht   man  seine  Mitte   mit  eine*" 


662  EXSTIRPATIO 

Nadel,  welche  mit  zwei  Fäden  versehen  Ist,   und  bindet  an  jeder  Seite  die 
entsprechenden  Enden  zusammen. 

,  Exstirpatio  pnroiidis ,  die  Ausrottung  der  Ohrspeicheldrüse. 
Sie  gehört  imstreitig  zu  den  schwierigsten  und  gefährlichsten  Operationen, 
wenn  man  die  anatomische  Lage,  den  Reichthum  an  Gefässen  und  Nerven 
und  die  Wichtigkeit  der  Nachbargebilde  bedenkt,  welche  dabei  verletzt 
werden  und  zu  Blutungen ,  Krämpfen  und  Lähmungen  Veranlass\ing  geb^n 
können.  Die  hauptsächlichsten  Indicationen  zur  Exstirpation  der  Ohrspei- 
cheldrüse sind:  1)  der  Krebs  und  2)  so  bedeutende  Anschwellungen  und 
Verhärtungen  dieser  Drüse,  dass  dadurch  eine  höchst  nachtheilige  und  selbst 
lebensgefährliche  Compression  der  nahe  liegenden  Gebilde,  besonders  der 
grossen  Halsgefässe,  erzeugt  wiid.  Man  muss  jedoch  von  der  Operation 
abstehen,  wenn  der  Krebs  bereits  eine  zu  grosse  Ausdehnung  gewonnen  und 
namentlich  die  Umgebungen  der  Drüse  so  sehr  ergriffen  hat,  dass  an  eine 
voUkommne  Entfernung  des  Entarteten  nicht  mehr  gedacht  werden  darf. 
Ebenso  wenig  kann  von  der  Exstirpation  noch  die  Rede  seyn,  wenn  der 
Cancer  parotidis  das  Product  einer  carcinomatösen  Dyskrasie  ist ,  oder  w  enri 
er  schon  ein  solches  Allgemeinleiden  zu  Wege  gebracht  hat.  Nachdem  man 
den  Operationsbedarf  besorgt  hat,  lagert  man  den  Kranken  mit  erhöhter 
oberer  Körperhälfte  auf  einen  Tisch  oder  Bett,  jedoch  so,  dass  durch  die 
Senkung  des  Kopfes  eine  Erhöhung  und  Anspannung  des  Halses  und  somit 
auch  der  kranken  Partien  erreicht  wird.  Kopf  und  Stamm  werden  von  den 
dabei  angestellten  Gehülfen  fixirt ,  welche  zugleich  auf  stark  spritzende  Ge- 
fässe  ihr  Augenmerk  zu  richten  und  der  Blutung  durch  die  Compression  zu 
begegnen  haben.  Die  Operation  beginnt  man  durch  einen  hinlänglich  grossen 
Längen-  oder  Kreuzschnitt,  vorausgesetzt,  dass  die  den  Tumor  umkleidende 
Haut  vollkommen  gesund  ist;  nimmt  die  letztere  an  der  Entartung  Theil, 
oder  ist  sie  so  reichlich  vorhanden,  dass  sie  später  nur  hinderlich  seyn 
wurde,  so  umgeht  man  sie  mit  zwei  halbmondförmigen  Schnitten,  um  sin 
hernach  mit  der  Drüse  zugleich  wegzunehmen.  Ist  die  Geschwulst  von  der 
sie  umgebenden  Haut  lospräparirt,  so  spaltet  man  ihre  Kapsel,  zieht  sie  mit 
einer  Ansa  oder  einem  Haken  hervor  und  löst  sie  mit  einem  Scalpellstiele, 
den  Fingern  und  nur  im  Nothfalle  mit  dem  Messer  vollständig  heraus. 
Hängt  die  Kapsel  der  Geschwulst  aber  so  fest  an,  dass  letztere  nicht  isofftt 
herausgeschafft  Averden  kann ,  so  muss  jene  mit  exstirpivt  werden.  Ist  die 
Ausschälung  des  Tumors  bis  auf  eine  kleine  Stelle  geschehen ,  Welche  mit 
der  Carotis  so  innig  zusammenhängt,  dass  ihre  Durchschneidung  nothwendig 
eine  Verletzung  der  letztern  nacüi  sich  ziehen  muss ,  so  begnügt  man  sich 
damit,  den  Rest  in  eine  l^igatnr  (^Goodlnnd^  zu  fassen,  und  vor  dieser  das 
Corpus  delicti  abzuschneiden.  Dieses  darf  jedoch  nur  bei  einer  gutartigen 
Geschwulst  der  Ohrspeicheldrüse  gestattet  werden,  bei  einer  bösartigen  oder 
scirrhösen  muss  man  zur  Unterbindung  der  Carotis  communis  seine  Zuflucht 
nehmen,  und  erst  wenn  man  diese  verrichtet  hat,  das  mit  dem  Tumor  ver- 
wachsene Stück  der  Carotis  facialis  samiht  jenem  herausschneiden  (^RicJic- 
rarid ,  Tang) ,  ohne  darauf  die  Unterbindung  des  obern  Endes  der  Carotis 
zu  versäumen ,  weil  dadurch  heftige  Blutungen  entstehen  können.  Blieben 
einzelne  verdächtige  Reste  der  Drüse  oder  ihrer  Umgebung  sitzen ,  so  fasst 
man  sie  nachträglich  mit  der  Pincette  und  trägt  sie  mit  flachgefuhrten  Mes- 
serzügen oder  mit  der  Cowper'schen  Scheere  ab.  Jetzt  reinigt  man  die  ' 
Wunde,  sammelt  die  Ligaturen  im  untern  Wuiidwinkel,  reinigt  die  Ränder 
dur^ch  lange  Heftpflasterstreifen  und  beendigt  durch  Charpie ,  Compressent 
und  eine  Binde  den  Verband.  Ist  der  S\ibstanzverlust  der  Haut  so  gross, 
dass  eine  Annäherung  der  Wundränder  nicht  gelingt,  so  bleibt  nur  die  Hei"" 
lüng  per  secundam  intentionem  übrig.  '  ' 

Exslirpath  tumorum,  die  Ausrottung  der  Geschwulste.  Lupieh 
und  balglose  Tumoren  (Lipoma,  Sarcoma,  Steatoma  etc.),  welche  das  An- 
sehen ungemein  entstellen,  den  Kranken  durch  ihre  Grösse  und  Schwere 
belästigen,  dre'  Functionen  einzelner  Theile  stören,  oder  wol  gar  dem  Le- 
ben Gefahr  drohen,  eignen  sich  zur  Exstirpation,  vorausgesetzt:  l)  das«  die 


EXSTIRPATIO  663 

geringen  KrSfte  des  Kranken  dagegen  keinen  Einspruch  thun;  T)  dass  sich 
der  Tumor  ohne  Verletzung  wichtiger  Nachbargebilde  entfernen  lässt;  3)  das» 
derselbe  nicht  für  das  relative  Wohlbefinden  des  Kranken  Bedürfnis»  gewor- 
den ist,  und  4)  dass  er  ein  rein  örtliches  Übel  und  nicht  das  Resultat  einer 
noch  fortbestehenden  Dyskrasie  oder  eines  anderweitigen  AJlgemeinleidens 
ist,  in  welchem  Falle  der  Operation  eine  angemessene  allgemeine  Cur  vor- 
ausgehen nniss.  Je  nach  der  verschiedenen  Natur  und  Beschaffenheit  des 
Turners,  nach  seiner  Grösse,  seiner  Form,  seinem  Sitze,  seinem  festern  oder 
lockern  Zusammenhange  mit  den  Nachbargebilden,  nach  der  Verwundbar- 
keit ^nd  dem  Kräftezustand  des  Patienten  etc.,  nimmt  man  die  Ausrottung 
entweder  mit  dem  Messer  {Cehiis) ,  oder  mit  der  Ligatur  (Gmi/  v.  Chttuliac, 
Fabricius  ah  Aquapendente) ,  oder  durch  Erregung  eines  adhäsiven  oder  sup- 
purativen  Entzündungsprocesses  (Cehus ,  Panl  v.  Aeißna),  oder  endlich  da- 
durch vor,  dass  man  mehrere  Mefthoden  mit  einander  verbindet.  I.)  Aus- 
rottung mit  dem  Messer.  Diese  Methode  führt  am  schnellsten  und 
sichersten  zum  Ziele,  und  verdient  deshalb  auch  den  Vorzug  vor  den  übri- 
gen, welche  nur  unter  besondern,  später  näher  anzugebenden  Umständen 
zur  Ausführung  kommen  dürfen.  —  Operationsbedarf.  1)  Einige  grade 
und  einige  convexe  Scalpelle  mit  einem  fast  schneidenden  Stielende.  2)  Eine 
scharffassende  Pincette  und  einen  Schmucker'schen  Pfriemen.  3)  Zwei 
stumpfe  Rust'sche  Haken.  4)  Eine  Hohlscheere.  5)  ßlutstiJlungsapparat. 
6)  Heftnadeln  nebst  Fäden.  7)  Schwämme  mit  kaltem  und  warmen  Was- 
ser. 8)  Charpie,  Compressen,  Heftpttasterstreifen  und  Binde.  Vorberei- 
tung. Der  Kranke  sitzt  oder  Hegt,  je  nachdem  es  die  Grösse  und  der  Sitz 
der  Geschwulst  erfordern ,  stets  jedoch  so ,  dass  dem  Operateur  von  allen 
Seiten  die  nöthige  Zugänglichkeit  gestattet  ist.  Gehülfen  sind  2  —  3,  auch 
im  Nothfalle  4  erforderlich ,  Vielehe  der  Operateur  zu  beschäftigen  weiss.  — 
Operation.  Im  Allgemeinen  dient  hierbei  als  Regel:  1)  den  Tumor  so 
vollständig  wegzunehmen ,  als  es  nur  irgend  möglich  ist.  2)  Bei  einer  Lu- 
pie  den  Balg  nicht  vor  der  Vollendung  der  Operation  zu  verletzen,  weil 
hinterher  das  Ausschälen  desselben  mit  doppelten  Schwierigkeiten  verbunden 
ist.  3)  Bedeutende  blutende  Gefasse  werden  sogleich  unterbunden.  4)  Um 
stets  eine  klare  Einsicht  in  das  Operationsobject  zu  erhalten ,  muss  ein  Ge- 
hülfe während  der  Operation  mittels  Schwamm  und  Wasser  ununterbrochen 
die  Reinigung  der  Wunde  besorgen.  5)  Was  nur  immer  mit  dem  Finger 
oder  Soalpellstiele  gelösst  werden  kann,  muss  stets  den  Vorzug  vor  dem 
Messer  haben.  Nach  Ritst  soll  man  die  Haut  und  den  Balg  mit  einem 
Schnitte  spalten,  und  den  letztern  erst  nach  geschehener  Entleerung  seines 
Inhalts  auszuschneiden  oder  sonst  zu  entfernen  suchen.  Nach  dem  Sitze  der 
Geschwulst  und  seiner  Ba.sis,  nach  der  Grösse  oder  Kleinheit  desselben  und 
der  sie  umkleidenden  gesunden  oder  krankhaften  Haut,  trennt  man  den  Balg 
entweder  perpendiculär  oder  macht  einen  Kreuzschnitt,  und  ist  die  überlie- 
gende  Haut  mit  ergriffen  und  degenerirt,  so  wird  auch  diese,  bis  auf  das 
Gesunde ,  mit  weggenommen.  Wo  durch  vorherzusehende  totale  Wegnahme 
des  Tumors  edle  Theile  beeinträchtigt  werden ,  muss  eine  theilweise  Exstir- 
pation  statt  haben  und  der  Rest  durch  die  Eiterung  eerstört  werden.  Der 
Verband  und  die  Nachbehandlung  ist  höchst  einfach.  Die  Wundränder  wer- 
den, wenn  der  Sack  gänzlich  entfernt  ist,  durch  blutige  Nähte  vereinigt, 
und,  wenn  eine  theilweise  Exstirpation  statthatte,  durch  Vereiterung  die 
Heilung  zu  Stande  gebracht.  Bildet  sich  ein  fistulöses  Geschwür,  so  liegt 
der  Grund  davon  meistens  in  einem  zurückgebliebenen  Rest,  den  man  bald- 
möglichst durch  das  Messer  oder  Ätzmittel  zu  entfernen  suchen  muss.  — 
II.)  Ausrottung  durch  die  Ligatur.  Wenn  gleich  dieso  Methode  der 
vorigen  bei  weitem  nachsteht,  so  verdient  sie  dennoch  den  Vorzug  und  Em- 
pfehlung :  1)  bei  messerscheuen  Personen ,  2)  bei  Geschwülsten  in  der  Nähe 
edler  Organe,  deren  Verletzung  zu  befürchten  ist,  und  3)  bei  Geschwül- 
sten ,  welche  mit  zahlreichen  und  grossen  Gefässen  versehen  sind.  — 
UI.)  Ausrottung  durch  Erregung  einer  Entzündung  in  der 
Geschwulst.     Wenn  die  Anwendung  des  Messer»  untersagt  ist,   der  Tu- 


664  EXSTIRPATIO 

mor  einen  dünnen  Balg  und  ein  flüssiges  Contentum  hat,  oder  wenn  seine 
durch  ein  Aligemeinleiden  bewirkte  Genesis  zwar  erkannt,  seine  Entfernung 
aber  wegen  lebensgefährlicher  Zufälle,  welche  er  erregt,  dennoch  dringend 
erforderlich  ist ,  so  muss  man  zu  dieser  Methode  seine  Zutiucht  nehmen. 
Man  erreicht  diesen  Zweck  durch  die  Application  eines  Ätzmittels,  durch 
Injection  eines  reizenden  Fiuidums  und  durch  das  Eiterband. 

Eücstirpatio  uteri,  die  Ausrottung  der  Gebärmutter.  Ein  nicht 
reponirbarer,  durch  Prolapsus,  Inversion  oder  durch  beide  zugleich  aus  sei- 
ner ursprünglichen  Lage  gekommener  Uterus  eignet  sich  nur  dann  zur  Ex- 
stirpation,  wenn  damit  unheilbare  Destruction,  heftiger  Schmerz,  wieder- 
holte Blutungen  etc.  verbunden,  und  somit  die  wichtigsten  und  selbst  das 
Leben  bedrohende  Störungen  des  Körpers  zu  fürchten  sind.  Die  Methode 
der  Exstirpation  ist  verschieden ,  je  nachdem  man  es  mit  einem  prolabir- 
ten  oder  nicht  prolabirten  Uterus  zu  thun  hat,  je  nachdem  sie  total  oder 
partiell  seyn  soll,  und  endlich  je  nachdem  der  Schnitt,  die  Ligatur  oder 
die  Cauterisation  nothwendig  sind.  Die  hierzu  erforderlichen  Listrumente 
sind:  1)  Ein  Exstirpatorium,  d.  h.  entweder  ein  gewöhnliches  gerades  oder 
sichelförmiges  Bistouri,  oder  ein  Herniotom  etc.  2)  Eine  Scheere,  z.B.  die 
Sauter'sche,  Siebold'sche,  Mill'sche  etc.  3)  Einige  Polypenzangen  von  ver- 
schiedener Grösse.  4)  Gut  fassende  starke  Pincetten  und  Haken.  5)  Li- 
faturen  von  verschiedener  Stärke.  6)  Ein  Speculum.  7)  Einige  Katheter. 
)  Spritze,  Schwämme,  Charpie ,  Compresse,  T-Binde,  Pflasterstreifen,; 
Wasser  etc.  Vor  der  Operation  wird  die  Kranke  auf  em  Queriager  ge- 
bracht, oder  so  auf  einen  Tisch  gelegt,  dass  die  Nates  etwas  über  den 
Rand  desselben  hervorragen  und  ihre  Füsse  auf  untergestellte  Stühle  ge- 
stützt werden  können,  also  ähnlich  wie  bei  der  Lithotomie  (s.  dies.  Art.). 
Auf  die  dort  beschriebene  Weise  muss  auch  im  Allgemeinen  die  Anstellung 
der  Geliülfen  und  die  Vorbereitung  geschehen ,  wozu  ganz  besonders  die 
Entleerung  der  Blase  und  die  Application  eines  Katheters  gehören ,  um  die 
Harnröhre  vor  jeder  Beleidigung  zu  schützen.  Gescivieht  die  Exstirpation 
innerhalb  der  Beckenhöhle,  also  bei  nicht  prolabirtem  Uterus,  so  ist  es 
zweckmässig,  den  »Grund  der  Gebärmutter  durch  einen  Druck  auf  die  Bauch- 
decken fixiren  zu  lassen.  —  I.)  Totale  Exstirpation.  1)  Bei  vor- 
gefallener Gebärmutter.  Das  älteste  und  am  häufigsten  angewendete 
Verfahren  ist  die  Wegschneidung  nach  vorher  applicirter  Ligatur.  Mit 
Recht  warnt  aber  schon  Rotisset  vor  einer  unvorsichtigen  Anlegung  der  Li- 
gatur, damit  nicht  die  Blase  oder  vorgetriebene  Gedärme,  oder,  wie  in 
dem  von  Hitgsch  erzählten  Falle,  die  Harnröhre  mitgefeisst  werde.  Ah'je. 
Hunter  schnitt  das  Prolabirte  unterhalb  einer  um  den  Hals  angelegten  Liga- 
tur mit  einem  Cirkelschnitt  weg.  Beispiele,  in  welchen  die  Entfernung, 
durch  den  Schnitt  ohne  vorherige  Unterbindung  versucht  wurde,  erzählen 
Pare ,  van  Uecr.  A.  Lnngenheck^s  mit  hoher  Kunstfertigkeit  bewirkte  Ope- 
ration betraf  einen  so  weit  vorgefallenen  carcinomatösen  Uterus,  dass  sein 
Scheidentheil  etwas  über  die  Labia  majora  herausragte.  Er  löste  zuerst 
mit  einem  Scalpell  unter  Beihülfe  der  Pincette  die  herausgetriebene  Scheide 
von  ihrer  Verbindung  mit  der  Gebärmutter  los,  präparirtc  dann  die  letztere 
aus  dem  Peritonaeum  heraus ,  ohne  dieses  zu  durchschneiden ,  und  liess  nur 
ein  unbedeutendes  Stück  des  Fundus  uteri  an  dem  Bauchfell  zurück.  ISur  mit 
Mühe  gelang  es,  die  starke  Blutung  durch  Unterbindung  zu  stillen,  worauf 
der  durch  da»  Peritonaeum  und  die  Vagina  gebildete  leere  Beutel  mit  Charpie 
ausgestopft  wurde.  Die  Operirte  genas  vollkommen.  Seltener  als  diese 
Operationsweise  wurde  die  blosse  Ligatur  angewendet,  welche  Mnrshal  aber» 
der.isie  bei  eif^m  cancröseu  vorgefallenen  Uterus  anwendete,  durch  heftig 
eintretende  Schmerzen  am  dritten  Tage  gegen  den  Schnitt  vertauschen 
musste.  2)  Nach  k  ün  st  li  ch  bewirktem  Prolapsus.  Die  Idee  hierzu 
entstand  wahrscheinlich  durch  den  günstigen  Ausgang ,  den  die  meisten  Ex- 
stirpationen  vorgefallener  Gebärmütter  nahmen;  doch  erinnert  Sauter  dage- 
gen mit  Recht,  da.ss  dieselbe  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  deshalb  niciit  aus- 
führbar  kcy,    weil    die   krebshafle   Gebärmutter   dabei   gewaltsam    aus   den 


EXSTIRPATIO  665 

Verbindungen  gerissen  werden  müsse,  welche  sich  zwischen  W\t  und  den 
Nachbartheilen ,  namentlich  der  Blase  und  dem  Rectum,  in  Folge  chroni- 
scher Entzündung  gebildet  hätten.  Nach  G.  v.  Siehold  soll  man  nach  Spal- 
tung der  hintern  Commissur  den  Uterus  mittels  einer  Hakenzange  herabzie- 
hen, die  Trennung  der  Scheide  von  der  Vaginalportion  sowol  vor-  als  hin- 
terwärts durch  eui  rechtwinklig  gebogenes  Scalpell  bewirken ,  in  das  Cavum 
peritonaei  durch  das  Bistouri  cache  eindringen,  und  die  kreisförmige  Los- 
trennung durch  eine  stumpfe  Kniescheere  vollenden.  3)  Ohne  Prolapsus 
von  der  untern  Beckenapertur  aus.  Sattler  war  der  Erste,  der 
diese  Operation  an  einer  50jährigen  Frau  gegen  ein  wirkliches  Carcinoma 
uteri  ausführte,  welche  jedoch  tödtlich  ablief.  E.  v.  Siebohl  verrichtete  die 
Operation  das  erste  Mal  an  einer  S8 jährigen,  das  zweite  Mal  an  einer  SOjäh- 
rigen  Frau.  Zur  Trennung  der  Scheide  bediente  er  sich  des  Savigny'schen 
Fistelmessers,  zur  Durchschneidung  der  runden  und  breiten  Mutterbänder 
einer  kleinen  Poljpenscheere.  Da  bei  der  ersten  Operation  unmittelbar  nach 
der  Spaltung  der  Seitentheile  der  Scheide  ein  Zurückziehen  des  Uterus 
stattgefunden  hatte ,  so  zog  er  bei  der  zweiten  mittels  einer  gekrümmten 
silbernen  Nadel  mit  stählerner  Spitze  eine  Ansa  durch  die  Vaginalportion. 
Beide  Kranke  unterlagen  einer  heftigen  Peritonitis.  —  Holschcr^s  und  Langen- 
heck's  Fälle  der  Art  endeten  ebenfalls  mit  dem  Tode.  Bhmdcll  spaltete  erst 
die  hintere  Wand  der  Vagina  in  querer  Richtung  mit  einem  eigenen  Mes- 
ser, zog  den  mit  einem  Doppelhaken  erfassten  Fundus  uteri  nach  dem  un- 
tern Theil  des  Beckens  herab,  löste  die  Gebärmutter  aus  ihren  übrigen 
Verbindungen  und  endete  mit  Durchschneidung  der  breiten  Mutterbänder. 
Die  Blutung  war  gering,  ein  Prolapsus  intestinorum  unterblieb  und  die 
Kranke  genas.  4)  Nach  vorgängiger  Laparotomie.  Der  Vorschlag 
Gttithcrlci' s ,  dem  die  Verfahrungsarten  Osicmder's  unanwendbar  und  zu  ein- 
seitig schienen,  wurde  zuerst  von  Langenheck  (1825)  an  einer  S.9  Jahr  alten 
Frau,  welche  bereits  hektisches  Fieber  und  ein  ziemlich  vorgeschrittenes 
Carcinom  der  Gebärmutter  hatte,  ausgeführt.  Er  spaltete  die  Bauchwan- 
dung in  der  Linea  alba  durch  einen  von  der  Symphysis  ossium  pubis  bis 
zwei  Zoll  unter  den  Nabel  reichenden  Schnitt ,  liess  die  Gedärme  und  die 
Harnblase  von  einem  Gehülfen  zurückhalten,  ergriff  mit  der  linken  Hand 
die  Gebärmutter  und  brachte  mit  der  rechten  eine  lange ,  eigens  dazu  an- 
gefertigte Scheere  geschlossen  in  die  Bauchhöhle ,  womit  er  zuerst  das  rechte 
Ovarium  und  dann  den  Uterus  nebst  seinen  scirrhösen  Anhängen  von  der 
Scheide  losschnitt.  Um  die  Reste  und  den  letzten  Zusammenhang  mit  einem 
graden  Scalpelle  zu  lösen,  wurde  die  Gebärmutter  aus  der  klaffenden  Wund- 
spalte hervorgezogen.  In  die  Vagina  wurde  ein  Schwamm  eingeführt  und 
die  Bauchwunde  durch  Heftpflasterstreifen  vereinigt.  Bei  der  Section  der 
8  Stunden  darauf  gestorbenen  Kranken  fand  man  die  Zeichen  der  Peritonitis 
exsudatoria,  ein  beträchtliches  Blutextravasat ,  sphacelöse  Veränderung  des 
Blasengrundes  und  eine  von  scirrhösen  Partien  vollständig  gereinigte  Wunde 
vor.  n.)  Partielle  Exstirpation.  In  Deutschland  war  es  zuerst 
Rilst,  der  die  partielle  Ausrottung  der  Gebärmutter  bei  einer  50jährigcn 
Frau  gegen  einen  faustgrossen  carcinomatösen  Auswuchs  des  Muttermundes 
versuchte.  Er  überzeugte  sich  hierbei  von  der  Unzulänglichkeit  der  von 
Oslander  zur  Hemmung  der  Hämorrhagie  empfohlenen  Mittel,  und  hält  es 
für  wahrscheinlich ,  dass  die  Kranke  trotz  der  bereits  entstandenen  Kachexie 
zu  retten  gewesen  wäre,  wenn  man  weniger  Vertrauen  zu  jenen  als  unfehl- 
bar angepriesenen  Stypticis  gehabt  hätte,  v.  Griife  lixirte  den  krebshaft 
entarteten  Hals  der  Gebärmutter  mit  der  Hand,  und  trennte  ihn  durch  wie- 
derholte Incisionen  mittels  einer  langgriffigen ,  stumpfspitzigen  Hohlscheere. 
Richeramd  will  die  scirrhöse  Vaginalportion  mit  einem  Zangendrucke  weg- 
schneiden ,  oder  falls  sich  der  Uterus  bis  an  die  Schamspalte  herabziehen 
lässt ,  die  Excision  mit  einem  gewöhnlichen  Bistouri  bewirken.  Bit/puglren, 
hisfranc,  Rccamier ,  Canella  und  A.  bedienen  sich  in  der  Regel  eines  Spe- 
culum  vaginae,  um  die  Wandungen  der  Scheide  vor  einer  Verletzung  zu  si- 
chern.    Sie  wenden  dieses  Instrument  entweder  blos  in  der  Absicht  an,  um 


666  EXTASIS  -  EXTRAVASATIO 

binerhalb  desselben  die  Vagiiialportion  mit  einem  Haken,  z.B.  dem  Muzeux'- 
schen ,  zu  fassen,  oder  aber,  um  zugleich  im  Räume  desselben  die  Excision 
vorzunehmen.  Im  ersten  Falle  wird  das  Instruntent,  nachdem  der  Haken 
eingegriffen  hat ,  entfernt ,  und  die  Portio  vaginalis  bis  a«  den  Scheidenein- 
gang gezogen,  um  hier  abgetragen  zu  werden;  im  zweiten  bleibt  der  Cy- 
Bnder  so  lange  liegen,  bis  das  Krankhafte  mittels  dazu  geeigneter  Werk- 
zeuge excidirt  worden  ist.  (S.  Dietrichs,  Von  einem  Vorfalle  und  glücklich 
unternommener  Absetzung  der  Gebärmutter.  Regensburg,  1745.  —  Osiander 
im  Reichsanzeiger  1803,  und  im  Göttinger  gelehrten  Anzeiger  1808.  — 
Struve  in  Hufeland's  Journal,  1803,  Bd.  XVI.  St.  3,  S.  123.  —  El.  v.  Sie- 
hold,  in  dess.  Lucina,  Bd.  I.  St.  3,  S.  403.  —  Rtist ,  in  der  Salzb.  med. - 
chir.  Zeitung,  1813,  Bd.  III.  S.  188.  —  Dupuytren,  Über  Ätzung  des  car- 
cinomatösen  Orificiura  uteri.  In  LnngenhecVs  Neuer  Bibliothek ,  Bd.  II.  St.  4, 
S.  576.  —  V.  Gräfe ,  Ausrottung  des  Gebärmutterhalses.  In  dessen  und 
o.  Walther's  Journal,  Bd.  VI.  Hft.  1,  S.  70.  —  Holscher,  Völlige  Ausrot- 
tung der  Gebärmutter.    In  v.  Gräfe'' s  u.  v.  WaUher''s  Journal ,  Bd.  VI.  Hft.  4). 

Ch.  J.  D.   fViedow. 

Extasis,  die  Extase,  s.  Ecstasis. 

Extractio,  das  Ausziehen,  Herausnehmeu ,  s.  Exaeresis. 

Extravasatio,  die  Ergiessung  einer  Feuchtigkeit.  Ist) 
Austritt  einer  gesunden  Feuchtigkeit  aus  ihren  Gefässen  ins  Zellgewebe  oder 
in  die  Höhlen  des  Körpers,  z.B.  des  Bluts,  Urins  etc.,  auch  der  Luft,  da- 
her wir  annehmen : 

Extravnsntio  sanguinis  externa,  welche  bei  Lebenden  das  Wesentliche 
der  Sugillation  und  des  Ecchymoma  macht  (s.  diese  Art.). 

Extravasatio  sanguinis  interna,  innere  Blutergiessung ,  s.  Ecchymosis 
in  cerebrura,  in  pectoris  cavitatem,  Vulnus  pectoris,  abdo- 
minis  und  Haem  orr  hagia. 

Extravasatio  aeris.  Austreten  von  Luft,  s.  Emphysem a. 

Extravasatio  urinac,  Austreten  des  Harns.  Ist  meist  Folge  Ton 
Zerreissung  oder  anderer  Verletzung  der  Harnwege  (s.  Lithiasis,  Vul- 
nus ureterum,  vesicae  urinariae,  Fistula  urinaria). 

Manche  Ärzte  rechnen  auch  die  Ansammlungen  in  Folge  krankhafter  Se- 
cretionen ,  z.  B.  die  Wasseransammlungen ,  zu  den  Extravasatlonen ,  jedoch 
mit  Unrecht.  Die  blutigen  Extravasatlonen  kommen  am  häufigsten  vor ; 
Alles,  was  Blutungen  erregen  kann,  kann  auch  ein  blutiges  Extravasat  her- 
vorbringen, vorzüglich  aber  mechanische  Gewaltthätigk^iten :  Stoss,  Fall, 
Stichwunden ,  w  odurch  die  Gefasswaudungen  zerreisscn.  Je  mehr  man  den 
Bluterguss  sehen  kann,  desto  unbedeutender  ist  er;  je  weniger  dies  derFall 
ist,  je  mehr  das  Blut  in  die  Höhlen  des  Kopfs,  der  Brust,  des  Unterleibes 
getreten  ist,  desto  schlimmer  ist  wegen  der  Wichtigkeit  der  betroffenen  und 
durch  Druck  in  ihrer  Function  gestörten  Organe  die  Prognose  (s.  Ecchy- 
mosis).  Die  Cur  beruht  auf  folgenden  Indicationen ;  1)  Verhütung  des 
fortdauernden  Ergusses,  zumal  von  Blut;  2)  Hinwegschaffung  des  bereits 
Ergossenen ;  S)  Beseitigung  der  Folgekrankheiten  und  Complicationen.  Die 
Natur  thut  auch  hier  viel ,  indem  der  Druck  des  schon  ergossenen  Blutes 
häufig  das  blutende  Gefäss  zusammendrückt  und  dadurch  einen  fernem  Blut- 
erguss verhütet.  Die  Kunst  geht  dahin ,  etwaige  Congestionen  abzuleiten, 
fremde  Körper  zu  entfernen,  Depressionen  des  Schädels  zu  heben,  Knochen- 
splitter auszuziehen,  und  durch  Adstringentia,  besonders  durch  Application 
der  Kälte,  die  Fasern  zusammenzuziehen  und  so  die  Bildiing  eines  Blut- 
propfes zu  befördern,  in  welcher  Hinsicht  bei  Blutungen  die  A<iua  kreosoti 
t^anz  besonders  wirksam  ist,  sowol  innerlich  als  äusserlich  angewandt.  Die 
hiesigen  Doctoren  Räder  und  Wiedow  haben  noch  ganz  neuerlich  bei  be- 
deutender Metrorrhagie,  bei  heftigem  Nasenbluten,  bei  einer  Verwundung 
nm  Carpus  mit  Verletzung  von  Arterien  die  gute  Wirkung  dieser  nachge- 
machten Aqua  Binelli  wahrgenommen.  Die  frühe  Anwendung  reizender  spi- 
rituüser  Mittel ,    sowie  die  zu  frühe  Öffnung  der  Blutgeschwulst  sind  »ehr 


EXTRAVASATIO  667 

zu  (adeln  (s.  Contusio  und  Ecchymoma),  die  Kälte  dagegen  entspricht 
den  oben  genannten  drei  Curindicationen  in  den  meisten  Rücksichten  und 
darf  nie  verabsäumt  werden.  Kann  man  Eis  und  Schnee  nicht  haben,  so 
wende  man  daher  stets  die  frisch  bereiteten  Schmucker'schen  kalten  Fomen- 
tationen  an.  Zuweilen  folgen  Entzündungen  und  Paralyse  auf  bedeutende 
Quetschungen  und  Extravasate,  welche  dann  die  bekannte  Behandlung  er- 
fordern. Sie  werden  am  besten  dadurch  verhütet,  da.ss  man  die  ersten 
7  Tage  hindurch  kalte  Umschläge  von  Essig,  Wasser,  Nitrum  und  Salmiak 
macht,  bei  heftigen  Schmerzen  allenfalls  noch  Blutegel  applicirt,  dann  aro- 
matische Fomentationen  (Spec.  aromaticae,  Flor,  arnicae,  in  Wein  infundirt) 
umschlägt  und  zuletzt  die  Cur  mit  geistigen  Einreibungen  beschliesst,  z.  B. 
mit  folgendem  Spiritus:  I^?  Spirit.  saponis ,  Spirit.  vini  camphorat.  ana  jjj, 
Sphit.  sah  atiimon.  caust.  51^.  M.  S.  Zum  Einreiben.  Sehr  selten  sind 
Extravasate  des  Chylus,  indem  die  grössern  lymphatischen  Gelasse 
nur  Selten  in  Folge  eines  Rippenbruchs  etc.  verletzt  werden ,  noch  seltener 
der  Ductus  thoracicus,  wo  sich  dann  vielleicht  der  Rust'sche  Tumor  lym- 
phaticus  bildet  (s.  Abscessus  ly mphaticus).  —  Eiterige  Extra- 
vasate in  Folge  von  Entzündung  geben  in  allen  drei  Höhlen  des  Körpers 
eiiie  schlechte  Prognose,  weil  schon  die  Entzündung  der  in  ihnen  liegendeiji 
Organe  an  sich  schlimm  genug  ist.  Bei  Caries  vertebrarum,  bei  Abscessus 
musc.  psoas  und  der  Niere  erregt  der  Eiter  häutig  eine  Peritonitis  und  bil- 
det nach  aussen  einen  sog.  Congestionsabscess  (s.  Abscessus  sympto- 
maticus),  und  im  Gehirn  lähmt  der  Eiter  die  geistige  Thätigkeit.  Beide 
Fälle  geben  eine  schlechte  Prognose.  Künstliche  Geschwüre  in  der  Näho 
der  Ablagerung:  Blasenpflaster,  Ätzmittel,  Haarseil,  Glüheisen,  innerlich 
Abführungen  aus  Kalomel,  Rheum,  Jalape ,  Senna  (wenn  der  Kranke  nicht 
gar  zu  schwach  ist,  alle  3  Tage  wiederholt),  leisten  hier  noch  am  meist«n. 
Blutextravasate  in  den  Augenkammern  können  durch  mechanische 
Verletzungen  des  Auges:  bei  der  Staaroperation ,  durch  Stoss,  Stich,  Schnitt, 
durch  Commotion ,  durch  Encephalitis ,  durch  CoHiquation  der  Säfte  bei  Fe- 
bris  putrida  entstehen.  Riist  sah  sie  zweimal  in  Folge  ungeregelter  Menses, 
besonders  stark  zur  Zeit  der  Menstruation ,  hervortreten ,  sowie  denn  aucli 
die  Ophthalmia  menstrualis  ein  sehr  mit  Blutgefässen  injicirtes  Auge  zeigt 
(s.  Inflammatio  oculi).  Sehr  häufig  sind  die  Ecchymosen  hinter  der 
Conjunctiva.  Die  Cur  ist  die,  dass  wir  die  etwa  fortwirkenden  Ursachen 
bekämpfen,  den  Scorbut  behandeln  und  durch  Anwendung  der  Kälte  und 
später  der  Spirituosa  die  Resorption  begünstigen  (s.  Haematophthal- 
mos  und  Vulnus  bulbi  oculi).  Blutextravasate  in  der  Unter- 
leibshöhle sind  häufig  Folge  von  penetrirenden  Bauch  wunden  mit  Ver- 
letzung der  Blutgefässe  oder  blutreicher  Organe.  Eine  gute  Lage  des  Kran- 
ken nach  der  Seite  hin ,  wo  sich  die  Bauchwunde  befindet  und  das  Offen- 
halten dieser  Wunde  mittels  eines  ausgefranzten  Leinwandläppchens  ,  leisten 
hier  schon  etwas  (s.  Vulnus  abdominis).  Gallenextravasate  in 
Folge  von  Verletzung  der  Gallenblase  und  deren  Gänge  sind  selten.  Der 
Reiz  der  Galle  in  der  Bauchhöhle  ist  aber  so  bedeutend,  dass  der  Kranke 
unter  Ohnmächten,  kalten  Gliedern,  Ekel,  Erbrechen,  Dyspnoe  oft  schnell 
stirbt.  Auch  hier  ist  die  Cur  die  der  Bauch  wunden.  Eiterextravasa  te  in 
der  Bauchhöhle,  die  man  wol  Ascites  pumlentiis  genannt  hat  und  die  von 
Vereiterung  irgend  eines  Organs  der  Bauch ^  oder  Brusthöhle  herrühren,  in- 
dem ein  Abscess  plötzlich  berstet,  sind  wegen  ihres  Reizes,  worauf  Perito- 
nitis und  Tod  folgen ,  sehr  gefährlich ,  aber  Gottlob !  auch  selten ;  denn  der 
Eiter  wird  hier  oft  in  eine  besondere  Hülle  eingeschlossen  und  entweder  re- 
sorbirt ,  oder  er  bahnt  sich  einen  Weg  nach  aussen ,  ohne  in  das  Cavum 
abdominis  zu  gelangen ,  indem  sich  zwischen  der  Eiterhöhle  und  den  äussern 
Bedeckungen  in  Folge  der  bereits  entstandenen  Entzündung  Adhäsionen  ge- 
bildet haben  (s.  Vulnus  abdominis).  Über  die  Blutextravasate 
in  die  Brusthöhle  ist  schon  unter  dem  Artikel  Ecchymosis  geredet  wor- 
den. Zur  Diagnose  dient  noch,  dass  bei  den  durch  den  Druck  des  Extra- 
vasat«   hervorgebrachten    Respirationsbeschwerden    das    Einathmen     leichter 


668        EXULCERATIO  —  FACIES  HDPPOCRATICA 

als  das  Ausathinen  ist ,  dass  der  Kranke  in  der  Rückenlage  Erleichterung 
fühlt  und  durchaus  nicht  auf  der  gesunden  Seite  liegen  kann,  dass  der 
Herzschlag  zitternd  und  die  Harnabsonderung  sparsam  ist  oder  ganz  man- 
gelt und  dass  man  bei  Application  des  Stethoskops  und  des  Plessimeters  den 
Brustton  an  der  leidenden  Seite  nicht  wahrnimmt.  In  den  Hodensack 
können  Extravasate  von  Blut,  Eiter,  Serum,  Luft  und  Urin  stattfinden  (s. 
Haeraatocele,  Hydrops  tunicarum  scroti  et  testiculi,  Pyo- 
cele,  Hernia  ventosa  scroti,  Fistula  vesicae  urinariae).  Zu- 
weilen entsteht  eine  Hydrocele  dadurch,  dass  die  seröse  Ergiessung  durch 
den  geöffneten  Leistencanal  aus  der  Brusthölile  kommt.  Die  Prognose  ist 
hier  im  Allgemeinen  günstiger  und  die  Cur  leichter,  als  bei  Extravasation 
in  der  Kopf-,  Brust-  und  Bauchhöhle.  Der  serösen  Extravasate  in 
der  Rückenmarkshöhle  ist  anderswo  gedacht;  s.  Hydro rrhachitis,  der 
blutigen  bei  Vulnusmedullaespiralis. 

KxulceratiOj  Helcosis,  Ulceraüo,  Vers ch wärung.  Ist  ein  in 
den  Weichgebilden  durch  äussere  oder  innere  Ursachen,  oder  durch  beide 
zugleich  entstandener  Krankheitsprocess,  wodurch  sich  ein  Geschwür  bildet 
und  unterhält ,  das  sich  durch  Absonderung  von  Jauche  von  jeder  gutartigen 
Eiterung  unterscheidet  (s.  Abscessus,  Inflammatio,  Suppuratio 
und  Ulcus).  Die  Verschwärung  ist,  nach  Äi«l  (s.  dess.  Chirurgie,  Bd.  VI. 
S.  740),  ein  Pseudosuppurationsprocess  mit  vorwaltender  Tendenz 
zur  Trennung  und  Zerstörung  der  organischen  Gebilde,  die  Jauche  dabei 
das  Product  dieser  krankhaften  vital  -  chemischen  Umbildung  der  organischen 
Masse,  die  sich  vom  wahren  Eiter  dadurch  unterscheidet,  dass  sie  zerstö- 
rend wirkt,  der  Eiterungsprocess  dagegen  das  Verlorengegangene  zu  er- 
setzen strebt.  „Exulceration  und  Suppuration,  heisst  es  a.  a.  O.,  sind  da- 
her von  einander  unterschieden  wie  Erkrankung  von  Genesung,  wie  Zer- 
störung von  Organisation." 

ExuinliiJicatio*  Ist  veraltete  Benennung  für  Uernin  umlilicalis  und 
Prolapsus  uinbilici. 

Exutoriuin.  Ist  ein  durch  Seidelbast  erregtes  künstliches  Ge- 
schwür, s.  Caustica. 


F. 


Facies  üippocratica ,  das  Hippokratische  Gesicht.  Der 
ganze  äussere  Habitus  des  Kranken  ist  dem  Arzte  häutig  zur  Erkenntnis» 
und  Diagnose  der  Krankheiten  von  grosser  Wichtigkeit;  ebenso  ists  mit  der 
Physiognomie  als  dem  äussern  Ausdrucke  eines  jeden  Leidens  im  Gesichte 
der  Fall.  Sowie  es  daher  eine  physiologische  und  psychologische  Physiogno- 
mik giebt,  so  giebt  es  auch  eine  pathologische,  die  dem  wahren  prakti- 
schen Arzte  Aufschlüsse  verschafft  und  ihn  zu  Einsichten  führt,  zu  welchen 
er  ohne  dieselbe  nie  gelangt  seyn  würde  (s.  Most  und  L.  Nisle  in  llom''s 
Archiv,  1826,  Januar,  und  1827,  Juli.  .7.  Koppel,  Dissertatio  de  Kaciei  in 
nonnuUis  morbis  mutationibus.  Berol.  1829).  Die  Pathognomik,  nach  ü'islc, 
oder  die  pathologische  Physiognomik  ist  den  Täuschungen  des  Beobachters 
weniger  unterworfen  als  die  Physiognomik  schlechtweg,  d.  i.  die  Physiogno- 
mik der  Gesunden;  denn  der  gesunde  IMensch  kann  sich  leichter  verstellen 
als  der  Kranke,  und  daher  behauptet  sie  in  der  Scmiotik  der  Krankheiten 
mit  Recht  einen  ehrenvollen  Platz.  Es  ist  hier  nicht  der  Ort ,  diesen  inter- 
essanten Gegenstand,  auf  weichem  grösstentheiU  der  aus  vieljähriger  Er- 
fahrung hervorgegangene  sogenannte  praktische  Tact  aller  wahren  Praktiker 
beruht,  weiter  auszuführen,  da  wir  auf  den  Gegenstand  .selbst  verweisen 
müssen  (s.  Physiognomia  pat  h  o  log  i  ca);  nur  des  hippokratischen  Ge- 
sichts oder  der  Gesichtszüge  eines   dem  Tode  nahen  Kranken ,    der   an  Fe- 


FAMES  CANINA  —  FEBRIS  669 

bris  nen'osa,  typhosa,  putrida  leidet,  im  letzten  Stadio  der  Phthisis  u.  s.  £. 
sich  befindet,  wollen  wir  hier  gedenken.  Ein  eigenthümlicher,  nicht  selten 
bald  matter,  bald  Terklärter,  überirdischer  Blick,  bei  auffallender  Entstel- 
lung- des  Gesichts  durch  Abmagerung,  blasse,  gelbe  Farbe,  und  der  allge- 
meine Ausdruck  des  Leidens  und  Schmerzgefühls ,  oft  auch  der  ruhigen  Er- 
gebung ,  geben  sich  hier  dem  Beobacher  deutlich  zu  erkennen.  Ausserdem . 
bemerken  wir  matte,  glanzlose,  tiefliegende  Augen,  eingefallene  Wangen, 
spitze  Nase ,  Breitwerden  der  Nasenflügel  bei  jedem  Athemholen ,  zuweilen 
kreideweise  Nasenspitze,  eine  gelbliche,  weissliche  Färbung  der  Haut  über 
der  Nase  in  Form  einer  Brille ;  die  Lippen  sehen  blass ,  bläulich  aus ,  sind 
schlaff,  welk,  dünn  und  mit  Schmuz  belegt,  bedecken  nicht  ganz  die  Zähne; 
der  Mund  steht  häufig  etwas  offen,  die  Maxiila  inferior  hängt  herab,  häufig 
beobachtet  man  auch  zugleich  Verzerrungen  des  Gesichts  und  klebrige, 
kalte  Schweisse  an  Kopf  und  Gliedern.  Dieses  sind  die  vorzüglichsten 
Merkmale  der  Facies  hippocratica ,  welche  neben  anderen  schlimmen  Zei- 
chen (z.  B.  grosse  Schwäche,  sehr  schneller,  kleiner,  sehr  l^ht  zu  com- 
primirender  Puls,  ängstliche,  röchelnde,  rasselnde,  sehr  schnelle  Respiration) 
den  nahen  Tod  verkünden. 

Farnes  canina,  bovina,  Cynorexia,  Bulimos,  Bnlimin,  Wolfs-» 
hunger,  Hundshunger.  Ist  ein  krankhafter  Appetit  mit  schlechter 
Verdauung ,  häufig  mit  Erbrechen ,  Obstructio  alvi  etc. ;  s.  Appetitus 
morbosus  und  Dyspepsia. 

Fanatismus),  der  Fanatismus.  Ist  nach  den  gewöhnlichen  Be- 
griffen ein  übertriebener  Eifer,  eine  Leidenschaftlichkeit,  welche  sich  an 
dunkle  Vorstellungen  knüpft;  also  ein  Eifer  für  wenig  oder  gar  nicht  ver- 
standene Begriffe.  Da  dieses  aber  nur  bei  solchen  Personen  der  Fall  seyn 
kann ,  welche  ihren  Verstasid  nicht  gehörig  cultivirt  und  ihre  Vernunft  durch 
Übercultur  der  Phantasie  verdunkelt  haben,  so  sind  solche  Menschen  als 
mehr  oder  weniger  psychisch  krank  anzusehen.  Der  Fanatismus  erzeugt  und 
unterhält  demnach  fortdauernd  einen  Wahnsinn  (Amentia  fanatica),  und  da- 
her gebrauchen  die  psychischen  Ärzte  häufig  das  Wort  Fanatismus  für  sol- 
chen Wahnsinn;  s.  Amentia. 

Fastidiiun,  Ekel,  s.  Nausea. 

Fatuitas,  ImleciUitas  ingenii,  Amentia  (^Snuvages,  Sagar,  Vogel), 
Idioiismus  (Pinel),  Morosis  (Ljn»je'),  Blödsinn,  Stumpfsinn.  Dieses 
Übel  ist  in  den  meisten  Fällen  angeboren ,  oder  es  entwickelt  sich  doch  in 
der  Kindheit,  wo  die  intellectuellen  Fähigkeiten  und  das  Empfindungsver- 
mögen noch  nicht  ausgebildet  sind ;  daher  denn  die  Krankheit  fast  immer 
unheilbar  ist.  Esquirol  (Pathologie  u.  Therapie  d.  Seelenstörungen.  A.  d. 
Franz-  von  K.  Cli.  HiUe.  Leiz.  18^7,  S.  492)  unterscheidet  den  angebornen 
Blödsinn  von  dem  erworbenen,  in  der  Pubertät  entstandenen,  dem  er  den 
Namen  Verwirrtheit  (dementia,  demence)  beilegt.  Er  nimmt  verschiedene 
Grade  des  Blödsinns  an  und  betrachtet  den  Cretinismus  als  eine  Varietät 
desselben.     (S.  auch  Amentia). 

Favus ,  Wachsgrind  ,s.  Tinea  capitis. 

Febricula,  das  kleine,  schwache  Fieber,  das  Fieberchen,  s.  Fe- 
brishectica. 

Feliris»  Pgretos,  Pyr,  Pyrexin,  das  Fieber.  Ist  derjenige  Krank- 
heitszustand, bei  welchem  widernatürlich  Frost,  Hitze,  Übelbefinden,  unre- 
gelmässiger Puls,  oft  Mattigkeit,  Durst,  Angst,  Schweiss,  Beklommenheit 
und  Schmerzen  bemerkt  werden.  Nach  abstracten  Begriffen  giebt  es  nur 
ein  Fieber,  sowie  es  nur  eine  Entzündung  giebt;  ja,  wir  können  nach 
jenem  Begriffe  mit  demselben  Rechte  sagen:  Es  giebt  nur  eine  Krankheit, 
sowie  es  nur  eine  Gesundheit  giebt.  Mit  solchen  philosophischen  Reflexio- 
nen ist  aber  dem  Praktiker  nichts  gedient ;  er  nimmt  die  Sache  concret, 
specialisirt  und  individualisirt,  um  so  ein  Regulativ  zu  bekommen,  welches 
ihn  der  Sache  näher  führt.     Da  die  eigenthüraliche  Natur  und  das  Wesen 


670  FEBRIS 

des  Fiebers  uns  ebenso  unbekannt  Ist  wie  das  Wesen  des  Lebens,  so  ist, 
wie  auch  Vogel  schon  bemerkt,  nichts  schwieriger,  als  eine  völlig  richtige. 
Oberall  passende  Definition  eines  Fiebers  zu  geben.  Nur  eine  Beschreibung 
und  genaue  Zeichnung  des  Fiebers  ist  uns  zu  skizziren  möglich ,  und  damit 
ist  dem  Praktiker  denn  auch  Torzüglich  gedient.  Wir  müssen  uns  dabei 
aber  wohl  hüten,  solche  Beschreibungen  für  Definitionen  zu  halten.  Es 
giebt  ja  so  Vieles  in  der  Welt,  was  wir  recht  gut  kennen,  was  wir  zu  lei- 
ten, zu  regieren,  zu  unserm  Nutzen  zu  gebrauchen  verstehen,  ohne  deshalb 
das  Wesen  der  Sache  zu  kennen;  überhaupt  ist  alle  unsere  Kenntniss,  all 
unser  Wissen  in  der  Welt  mehr  ein  formelles,  empirisches,  als  ein  rationel- 
les ,  essentielles.  Dies  muss  auch  der  praktische  Arzt  nicht  vergessen  und 
sich  daher  stets  bemühen ,  sich  nützliche  Kenntnisse  fürs  Leben  zu  verschaf- 
fen, und  dieses  acht  praktische  Studium  nicht  durch  transscendentale,  hyper- 
physische Speculationen,  durchs  Schaffen  nutz-  und  fruchtloser  Hypothesen 
und  Theorien  vernachlässigen.  Ich  rede  hier  zuerst  von  den  Fiebern  im 
Allgemeinen, und  dann  von  den  besondern  Arten,  Unterarten,  wesentlichen 
oder  nicht  wesentlichen  Benennungen  der  Fieber,  wie  sie  das  Alphabet  des 
Beiwortes  darbietet. 

Von  den  Fiebern  im  Allgemeinen.  Jedes  Fieber  giebt  sich  durch 
Symptome  zu  erkennen ,  deren  Gesammtheit  uns ,  mögen  immerhin  einzelne 
der  anzugebenden  Symptome  fehlen,  ein  richtiges  Bild  dieser  Cardinalkrank- 
heit  repräsentirt.  Wir  betrachten  das  Fieber  in  seinem  ganzen  Verlaufe 
und  nehmen  fünf  Stadien  desselben  an ,  ohne  deswegen  diejenigen  zu  tadeln, 
die  mehr  oder  weniger  Fieberstadien  statuiren ;  denn  diese  Eintheilung  ist 
mehr  zum  Behufe  der  Wissenschaft,  und  die  wissenschaftlichen  Eintheilungs- 
gründe  können  verschiedene  Grundlagen  haben.  Erstes  Stadium:  Sta- 
dium prodrnmorum  seu  opportunitntis ,  das  Stadium  der  Vorboten.  Es 
giebt  sich  durch  folgende  Zeichen  zu  erkennen:  Schwere  in  den  Gliedern, 
Gefühl  von  Wüstheit  im  Kopfe,  Unruhe,  traumvoller  Schlaf,  öfteres  Gäh- 
nen ,  Ohrensausen ,  Trübheit  vor  den  Augen ,  Hohläugigkeit ,  oft  Thränen- 
fluss,  veränderter,  metallischer,  bitterer,  fader,  pappiger,  salziger  etc.  Ge- 
schmack, Appetitlosigkeit,  Trägheit,  Gleichgültigkeit,  Aufliören  gewohnter 
Schweisse,  Trocken  werden  gewohnter  Hautausschläge,  überhaupt  vermin- 
derte Function  der  Haut,  Ziehen,  Dehnen,  Recken  in  den  Gliedern,  im  Rü- 
cken, Schauder,  schnell  über  die  Haut  fahrend.  Frösteln,  abwechselnd  flie- 
gende Hitze.  Zweites  Stadium:  Stadium  frigoris ,  das  Stadium  dea 
Frostes.  Aus  dem  Frösteln  wird  Fieberfrost,  der  in  Hinsicht  der  Stärke 
und  Dauer  sehr  verschieden,  bei  einigen  Fiebern  sehr  kurz  und  sehr  gelind, 
oft  kaum  bemerkbar,  bei  andern  sehr  stark  und  anhaltend  ist,  so  dass  er 
oft  Stunden  lang  währt,  dass  die  Zähne  klappern,  die  Glieder  schlottern, 
das  Gesicht  blass  und  bläulich  wird,  die  Nägel  und  Lippen  todtenbleich 
aussehen.  Dabei  nimmt  das  Volumen  des  Körpers  ab ,  die  Finger  werden 
dünner,  so  dass  selbst  festsitzende  Ringe  abfallen;  aber  merkwürdig!  da» 
Thermometer  zeigt  keine  Verminderung  der  thierischen  Wärme,  sondern 
diese  ist  selbst  bei  dem  stärksten  Gefühl  von  Kälte  oft  noch  erhöht  und  be- 
trägt mehr  als  den  normalen  Stand  von  bekanntlich  SO'^-j-R.  (Äini/t/). 
Einige  Ärzte  wollen  zwar  verminderten  Calor  animalis  im  Fieberfrost  be- 
merkt haben ,  z.  B.  Burserius  bei  Febris  intermittens ;  doch  haben  meine 
genau  angestellten  Versuche  gezeigt,  dass  die  Temperatur  verschiedener 
Körpertheile  zur  Zeit  des  Frostes  fast  immer  dieselbe  sey  wie  einige  Stun- 
den vor  dem  Froste ,  und  dass  nur  im  Stadium  der  Hitze  wirkliche  Tem- 
peraturerhöhung bemerkbar  sey.  Das  Gefühl  der  Kälte  und  v^irkliche  Kälte 
sind  zweierlei  (M.),  Der  Puls  ist  in  diesem  Stadium  klein,  schnell,  hart, 
zuweilen  wenig  entwickelt,  schleppend,  selbst  langsam,  die  Muskeln  sind 
mehr  oder  weniger  in  klonischem  Krampf,  das  Hautsystem  unempfindlicher, 
die  Respiration  beengt,  der  Athem  kurz,  jagend.  Das  Blut  ist  von  den 
äussern  Theilen,  von  der  Peripherie  zum  Theil  zurückgewichen,  und  strebt 
mehr  nach  dem  Centrum  hin;  daher  ist  die  Congestion  zu  den  Innern  Thei- 
len, zu  dem  Herzen  und  zu  den  lockern  Eingew eiden,  zu  den  Lungen,  zum 


FEBRIS  671 

Gehirne,  zu  Milz  und  Leber  oft  sehr  gross.  Auch  die  iniiern  Secretionen, 
B.  Stuhlgang  und  Urinabsonderung ,  sind  aus  diesem  Grunde  in  der  Frost- 
periode oft  verstärkt.  Drittes  Stadium:  Stndium  caloris,  das  Stadium 
der  Hitze.  Manche  bösartige  Fieber  erreichen  dieses  Stadium  nicht;  sie 
tüdten  schon  im  vorigen,  unter  den  allgemeinen  Zeichen  der  Erstarrung, 
der  Apoplexie  und  Paralyse.  Doch  ist  dies  Gottlob!  sehr  selten  der  Fall, 
besonders  in  unsern  Gegenden  von  Deutschland.  In  den  meisten  Fällen  folgt 
auf  das  Stadium  des  Frostes  das  der  Hitze.  Zuerst  stellt  sich  die  trockne 
Hitze  ein;  dann  folgt  bei  günstigem  Verlaufe  des  Fiebers  die  feuchte 
Hitze.  Bei  ersterer  fülilt  der  Kranke  oft  noch  Frostschauer,  obgleich  das 
Gesicht  schon  röther  aussieht;  späterhin  empfindet  er  selbst  die  Hitze,  die 
oft  so  stark  ist,  dass  er  klagt,  er  müsse  verbrennen.  Nun  zeigen  sich  häu- 
fig starker  Durst,  heftige  Kopfschmei^zen ,  grosse  Unruhe,  selbst  Delirien; 
der  Puls  geht  stärker,  voller,  freier  als  in  der  Periode  des  Frostes,  die 
Haut  ist  geröthet,  besonders  im  Gesichte,  an  den  Händen  und  auf  der  Brust; 
ihre  Temperatur  ist  erhöhet  und  zeigt  am  Thermometer  31  — 329  R, ,  bei 
manchen  Fiebern,  z.  B.  beim  Scharlach  selbst  35  —  SS^-J-R.  Viertes 
Stadium:  Stadium  criticum,  das  Stadium  der  Krise.  Erreicht  das 
Fieber  dieses  Stadium,  so  ist  der  Tod,  wenigstens  in  diesem  Paroxysmus, 
der  Regel  nach  nicht  zu  befürchten.  Der  Puls  wird  nun  breiter,  weicher 
und  wogend,  die  Haut  dünstet  aus,  wird  feucht,  es  stellt  sich  starker 
Schweiss  ein,  der  sich  wie  Wassertropfen  auf  der  Haut  zeigt  und  auf  ihr 
fliessend  wird.  Der  Patient  fühlt  sich  beruhigt,  sehr  erleichtert,  und  ver- 
fällt gewöhnlich  in  ruhigen  Schlaf;  die  vorher  meist  trockne  Zunge  und 
Nase  werden  feucht,  und  zuweilen  stellt  sich  etwas  Durchfall  ein.  In  sel- 
tenen, schlimmen  Fällen  bleibt  die  feuchte  Hitze  aus;  es  zeigen  sich  blaue 
Flecken  und  Streifen  (Ecchymosen,  Vibices)  auf  der  Haut;  der  Kranke 
klagt  weder  über  Frost,  noch  Hitze,  fühlt  sich  ganz  wohl,  heiter,  schwitzt 
ganz  kalt;  der  Puls  ist  sehr  frequent,  weich,  ungleich,  aussetzend;  alsdann 
folgt  bald  der  Tod.  —  In  diesen  vier  verschiedenen  Stadien  zeigt  der  Harn 
bedeutende  und  merkwürdige  Verschiedenheiten.  Im  ersten  und  zweiten  Sta- 
dium ist  er  gewöhnlich  sehr  hell  und  ohne  Bodensatz ,  ganz  wie  der  soge- 
nannte Krampfurin  hysterischer  Personen;  im  dritten,  besonders  aber  im 
vierten  Stadium  wird  er  anfangs  dunkler,  röther  und  bildet  einen  Boden- 
satz; späterhin  erscheint  er  roth  und  trübe  und  bleibt  so.  Nach  und  nach, 
im  Verlaufe  des  Fiebers,  wird  er  blasser  und  es  bildet  sich,  hat  er  eine 
Zeitlang  gestanden,  eine  Wolke  oben  im  Gefösse;  sov\ie  sich  das  Fieber  der 
Krise  nähert,  senkt  sich  diese  Wolke  im  Urine  und  geht  zuletzt  in  den  Bo- 
densatz über.  Je  voUkommner  die  Krise  ist,  desto  stärker  ist  dieser  Boden- 
satz. Die  chemische  Analyse  zeigt  darin  anfangs  wenig  Phosphorsäure  und 
gar  keine  Harnsäure.  Letztere  findet  sich  erst  bei  eintretender  Krise,  wo 
auch  die  Phosphorsäure  an  Quantität  zunimmt,  darin  (s.  ReiVs  Arch'iv  f. 
Physiolog.  Bd.  II.),  Doch  nicht  bei  allen  Fiebern  beobachtet  man  diese 
Harnveränderungen,  z.  B.  nicht  bei  den  sogenannten  nervösen  Fiebern ;  doch 
fehlen  bei  den  eigentlichen  Nervenfiebern  die  Krisen  nicht  gänzlich ,  sie  sind 
nur  nicht  so  auffeilend,  bestehen  oft  in  Darmausleerungen,  später 'in  Haut- 
abschuppungen,  wie  die  Exantheme;  doch  ist  auch  die  Desquamation  oft 
gering,  obgleich  der  spätere  Verlust  der  Kopfhaare  schon  darauf  deutet. 
Fünftes  Stadium:  Stndium  reconvalescentiae ,  das  Stadium  der  Ge- 
nesung. Der  Fieberkranke  fühlt  sich  meist  ermattet,  theils  durch  die  hef- 
tigen Fieberbewegungen  im  zweiten  und  dritten  Stadium,  theils  durch  die 
Krisen  (Schweiss,  Durchfall  etc.).  Doch  versichern  auch  viele  Kranke,  dass 
sie  sich  jetzt  wohler  als  vor  Eintritt  des  Fiebers  befinden;  ja,  nicht  selten 
ist  das  Fieber  ein  heilsames  Mittel,  das  eine  wohlthätige  Revolution  im 
Körper  bewirkt  und  dadurch  oft  hartnäckige  Übel  mancherlei  Art  heilt. 
So  wurden  chronische  Durchfälle,  chronische  Krankheiten  der  Leber,  der 
Milz,  veraltete  Wechselfieber,  selbst  schleichende  Fieber,  Lähmungen  aller 
Art,  Convulsionen ,  Epilepsie,  Hypochondrie,  Rheumatismen,  selbst  Melan- 
cholie, die  allen  Kunstbemühungen  widerstanden,  wie  die  Erfahrung  gelehrt 


672  ,       FEBRIS 

hat,  glücklich  durch  Fieber  geheilt.  Manche  Fieber  haben  noch  den  Nutzen, 
dass  sie  den  Menschen  vor  ähnlichen  Angriffen  schützen,  z.  B.  Blattern, 
Masern ,  Scharlach ,  Fleckfieber ;  selbst  das  gelinde  Kuhpockenfieber.  Doch 
nicht  jedes  Fieber  ist  erwünscht;  viele  sind  so  bösartig,  dass  sie  häufig  den 
Tod  herbeifuhren,  andere  sind  zwar  gefahrlos,  aber  sie  lassen  Anlage  zu 
Recidiven  zurück ,  z.  B.  Febris  intermittens ;  noch  andere  haben  häufig  noch 
gchlimmere  Folgen,  z.  B.  die  sogenannten  Nervenfieber,  welche  nicht  selten 
sehr  grosse  Schwäche ,  Lähmungen :  Blindheit ,  Taubheit  etc.  zur  Folge  ha- 
ben, —  Obgleich  die  genannten  Symptome  des  Fiebers  zusammengenommen 
keinen  Zweifel  über  die  Anwesenheit  eines  Fiebers  übrig  lassen,  so  sind  sie, 
streng  genommen,  doch  alle  keine  essentiellen  Zeichen,  da  in  einzelnen,  wie- 
wol  nur  seltenen  Fällen ,  einzelne  derselben  fehlen  können,  obgleich  ein  Fie- 
ber da  ist.  Weder  Pulsus  celer,  noch  frequens,  weder  der  Frost,  noch  die 
Hitze,  noch  beide  zusammen  sind  wesentliche  Fiebersymptome;  denn  ein 
schneller  und  frequenter  Puls  findet  sich  häufig  des  Abends  bei  Gesunden, 
ausserdem  auch  bei  Chlorotischen  ohne  Fieber,  und  Frösteln  und  Hitze  sind 
Erscheinungen,  die  nicht  selten  bei  Gesunden  nach  starken  Mahlzeiten  (sog. 
Ochsenfieber)  und  des  Abends  beim  zu  Bette  gehen  und  bei  Eintritt  der 
Müdigkeit  bemerkt  werden.  Gelegenheitsursachen  der  Fieber.  Sie 
sind  sehr  zahlreich,  und  theils  solche,  die  im  Menschen  und  seiner  Natur, 
seiner  Constitution  etc.,  theils  solche,  die  in  seiner  Umgebung,  in  der  Aus- 
senwelt  liegen.  Eine  hervorstechende  Reizbarkeit  des  arteriellen  Systems, 
besonders  des  Herzens ,  wie  bei  Sanguinischen ,  grosse  Empfindlichkeit  des 
Nervensystems,  reizbares  Gemüth,  zarter  Körper,  weiche,  feine,  empfind- 
liche Haut  geben  eine  besondere  Anlage  zu  Fiebern ;  daher  leiden  Kinder, 
zarte  Frauenzimmer,  solche,  welche  gerade  menstruirt  sind,  Sanguiniker 
und  Reconvalescenten  leichter  an  Fiebern ,  und  sie  werden  schon  durch  ge- 
ringere Ursachen  davon  ergriffen  als  Greise,  robuste  Männer  und  Phlegma- 
tiker. Doch  sind  die  Fieber  bei  letztern ,  sind  sie  einmal  davon  befallen, 
auch  heftiger ,  weil  ihr  Reactionsvermögen  stärker  ist.  So  z.  B.  leiden  Kin- 
der häufiger  an  Febris  inflammatoria  als  Männer;  aber  die  Krankheit  ver- 
läuft bei  jenen  schneller  und  das  geringere  Reactionsvermögen  macht  sie 
weit  gelinder  als  bei  Personen  zwischen  30  und  50  Jahren.  Unter  allen 
Fiebern,  sie  mögen  Namen  haben,  wie  sie  wollen,  sind  indessen  diejenigen 
mit  gelinderm  oder  stärkerm  entzündlichen  Charakter  die  häufigsten,  vor- 
ausgesetzt, dass  die  Fieberkranken  sonst  gesund  und  kräftig  sind.  Innere 
Gelegenheitsursachen  der  Fieber  sind:  jede  widernatürliche,  das  Gefäss-  und 
Nervensystem  treffende  Reizung  durch  Verletzung,  Entzündung,  Verhärtung, 
Degeneration,  durch  Vollblütigkeit  (Plethora)  oder  örtliche  Congestion  der 
Säftemasse,  Mischungsveränderungen  derselben  (sog.  schlechte  Säfte),  durch 
Dyskrasien  aller  Art,  durch  verdorbene  Speisen,  Getränke,  Wasser,  Luft, 
durch  Mangel  an  Nahrung,  Verderbniss  der  Galle,  des  Schleims,  aller  Se- 
und  Excretionen,  durch  ausgetretenes,  ergossenes,  stockendes  Blut;  reizende 
Krankheitserzeugnisse :  grosse  Geschwülste ,  Gewächse ,  Auswüchse ,  Wür- 
mer, Harn-  und  Gallensteine,  reizende  fremde  Körper  in  Wunden  und  Ge- 
schwüren, reizende  Knochensplitter  bei  complicirten  Beinbrüchen;  heftige 
Anstrengungen  des  Körpers  und  der  Seele:  Gemüthsbewegungen,  anhalten- 
des Studiren  und  Nachtwachen  etc.  Auch  die  Stufenjahre  des  Lebens  sind 
eine  vorzügliche  Gelegenheitsursache  mancher  krankhafter,  oft  fieberhafter 
Zustände,  die  wir  Entwickelungskrankheiten  nennen.  Sowie  der  Grund  des 
Lebens  theils  in  uns,  theils  in  der  Aussenwelt  liegt  (inneres  und  äusseres 
Lebensraoment) ,  ebenso  ists  auch  mit  dem  Fieber  der  Fall.  Das  Leben 
selbst  giebt  die  eine  Bedingung  zu  allen  Krankheiten ,  also  auch  zu  den 
Fiebern;  die  andere  Bedingung  ist  die  Aussenwelt,  die  im  Missverhältnisse 
zu  uns  krank  macht  und  tödtet,  in  Harmonie  mit  uns  gesund  erhält  und 
Krankheiten  heilt.  Die  vorzüglichste  äussere  Gelegenheitsursache  der  fieber- 
haften Krankheiten  ist  die  Atmosphäre.  Eine  schädliche  Beschaffenheit  der- 
selben,  eine  zu  kalte,  zu  feuchte,  zu  warme,  zu  trockne  Luft,  unreine 
Stoffe  in  derselben  durch  verdorbene  Pflanzen,  in  Verwesung  übergegangene 


FEßRIS  673 

thlerische  Korper,  durch  thierische  Gifte  (Contagien) ,  durch  faulendes  Wasj- 
«er,  ungesunde,  feuchte,  dem  Sonnenlichte  nicht  zugängliclie  Wohnungei\, 
plötzlicher  Wechsel  der  Witterung,  diese  Dinge  machen  Tausende  von  Meiv 
sehen  krank  und  erregen  die  verschiedenen  fieberhaften  Krankheiten,  die 
bald  entzündlich,  nervös,  faulig,  bald  epideniisch,  endemisch,  iuiasmatisch, 
contagiös  sind,  von  der  einfachen  Febris  catarrhalis  an  bis  zu  dem  bösarti- 
gen Typhus,  dem  gelben  Fieber,  der  Cholera  morbus  in  Indien  und  der 
orientalischen  Pest.  Aber  sie  sind  nicht  die  einzige  Ursache  solcher  Fieber; 
ein  tieferer  Grund  liegt  noch  in  dem  eigenthümlichen  Leben  der  Atmosphäre, 
das  wir  noch  wenig  kennen ,  in  dem  elektro  -  magnetischen  Zustande  der 
Luft,  in  den  noch  wenig  erforschten  Veränderungen,  die  das  Innere  der 
Erde  auf  die  Luft  ausübt,  wovon  oft  der  schnelle  Temperatursvechsel  die 
Folge  ist  (vgl.  Hufelmul,  Über  atmosphärische  Krankheiten  und  atmosphär. 
Ansteckung.  Berlin  1823).  Das  Studium  der  grossen  verheerenden  Seuchen, 
die  seit  vielen  Jahrhunderten  das  Menschengeschlecht  heimsuchten,  die  Ect^ 
forschung  ihrer  Ursachen ,  führt  uns  in  die  tiefsten  Geheimnisjse  der  Natur, 
wo  unser  Wissen  immer  Stückwerk  bleiben  wird.  Die  Erfahrung  von  Jahr- 
tausenden hat  uns  über  jene  schrecklichen  Seuchen  viel  Treffliches  gelehrt, 
so  dass  wir,  wissen  wir  ihre  Entstehung  auch  nicht  genau,  sie  doch  genau 
erkennen  können  und  manche  herrliche,  grosso  Heilmittel  dagegen  anzuwen- 
den im  Stande  sind.  Unser  verehrter  Veteran,  der  Geh.  Med.  Rath  S.  G. 
Vogel  hieselbst,  den  ich  so  glücklich  bin  persönlich  zu  kennen,  und  dessen 
freundschaftlichem  Rathe  bei  der  Cur  mancher  wichtiger  Kranken  ich  selu* 
viel  zu  verdanken  habe,  sagt  in  seinem  vortrefflichen  Handbuche  der  prajcr 
tischen  Arzneiwissenschaft  über  die  Fieber  im  Allgemeinen  noch  FolgendeSi: 
„Die  Fieber  verschonen  kein  Alter,  selbst  das  Kind  im  Mutterleibe  nicht, 
kein  Geschlecht,  noch  irgend  eine  Leibesbeschaffenheit,  und  keine  Lebensart 
und  Vorsicht  kann  durchaus  vor  ihnen  schützen,  weil  ihre  allenthalben  ob- 
waltenden Ursachen  uns  beständig  umgeben  und  mit  unsern  nöthigsten  Be- 
dürfnissen auf  das  Genaueste  und  Unvermeidlichste  verwebt  sind.  Daher 
bleiben  auch  nur  wenige  Menschen  ihr  Leben  hindurch  von  dieser  Krankheit 
gänzlich  verschont,  und  fast  immer  ist  die  letzte  Scene  des  menschlichen 
Lebens  ein  fieberhafter  Zustand,  wenn  es  nicht  durch  plötzliche  Ursachen 
plötzlich  geraubt  wird."  Vor  ungefähr  150  Jahren  starben  nach  Sydenhant's 
Berechnung  von  100,000  Menschen  in  London  65,000  an  Fiebern ;  aber  seit 
Sydenhmii's  Zeiten  hat  diese  Sterblichkeit  sehr  abgenommen,  und  man  rech- 
net im  Allgemeinen  nur  den  lOten  Theil  der  Menschen,  der  überhaupt  durclj 
Fieber  getödtet  wird ,  weil  man  sie  seit  jener  Zeit  weit  vernünftiger  und 
glücklicher  hat  behandeln  lernen.  Die  Fieber  sind  so  alt  als  das  Menschen- 
geschlecht; sie  können  in  jeder  Weltgegend  und  in  jedem  Klima  vorkommen, 
sind  aber  jetzt  nicht  mehr  so  einfach  und  regelmässig,  wie  zu  Hippolrntes 
Zeiten,  weil  die  Menschen  jetzt  weniger  der  Natur  gemäss  leben  als  damah;. 
Rechnen  wir  alle  Krankheiten  mit  Fieber,  alle  inneren  und  äusseren  Ent- 
zündungen etc.  zum  Fieber,  so  kann  man  annehmen,  dass  zwei  Drittheile 
aller  Krankheiten,  die  das  Menschengeschlecht  heimsuchen,  Fieber  sind. 
Doch  hat  es  seine  Nachtheile,  wenn  wir  dem  Fieber  am  Krankenbette  einen 
so  weiten  Spielraum  geben,  wovon  unten  ein  Mehrere».  Die  einfachen  Fie- 
ber sind  die  häufigsten  und  natürlichsten  Krankheiten  des  menschlichen  Kör- 
pers,  sie  sind  Krankheitsaffectionen  mit  Fieber,  wenigstens  zu  Anfange  des 
Erkrankens ,  wobei  sich  weder  eine  volle  Form,  noch  ein  eigentlicher  Krank- 
heitscharakter ausgeprägt  oder  ausgebildet  hat,  wobei  kern  hervorstechendes 
Localleiden  bemerkt  wird,  und  welche  Affectionen  häufig  ohne  volle  Aus- 
bildung verschwinden,  theils  durch  Naturhülfe  und  Diät,  theils  durch  eine 
empirische,  symptomatische  Behandlung  des  praktischen  Arztes,  die  häuf,«;- 
dann  die  glücklichste  ist,  wenn  sie  mehr  negativ  als  positiv  eingeleitet  wird 
(s.  Febris  simplex  und  Febris  neuropathi  ca).  Eine  gründliche 
Kenntniss  der  allgemeinen  Pathologie  und  Therapie,  eine  richtige  Ei|isicht 
in  unsern  Apparatus  medicaminum  ist  hier  schon  hinreichend.  Der  Name 
Fieber  ist  beinahe  ebenso  unbestimmt  und  allgemein  als  der  Name  Krank- 
Moet  Encyklopädie.  2te  Aufl.  I.  43 


674  FEBRIS 

heit.     Es  macht  auch  gar  nichts,  dem  Übel  einen  bestimmten  Namen  zu  ge-' 
ben;   ja,  dieses  Bestreben  ist   oft  nachtheilig  für   die  Praxis,    denn  es  giebt 
viele   Tausend   unbestimmte   fieberhafte   Affectionen ,    die   wir   empirisch   am 
glücklichsten  heilen,  wenn  wir  ihnen  keinen  speciellen  Namen  geben  und  so 
freier  von  Vorurtheilen  sind    (s.  Affectio).      Der   wahre  Praktiker   weiss, 
dass   alle  Handbücher   der    prakiischen  Heilkunde    nur  Schemata   entwerfen, 
dass  sie  das  Bild  der  Krankheit   in  seiner  Vollendung  und   in  den    möglichst, 
höchsten  Stufen,  in  der  grössteii  Ausbildung  entwerfen  und  entwerfen  müs- 
sen; aber  er  weiss  auch,  dass  er  am  Krankenbette  nie    die  volle  Zeichnung 
des  Kranklieitsbildes    wiederlinden    wird ,    eben    weil    in   der  lebenden  Natur 
nichts  im  Seyn,    im  Stillstande,    sondern  Alles   im  Werden,    im  Bilden    und 
Rückbilden,  im  Schaffen  und  Zerstören  begriffen  ist,  weil  das  Leben  selbst, 
also    auch  das  kranke  Leben,    ein    ewiges  Werden,   nichts   Bestehendes   ist. 
So  sagt   auch  Hhhicr  in   seiner  acht   praktischen    Therapie   bei  Gelegenheit 
des  entzündlichen  Klebers  ganz  richtig:  ,,Das  nun  zu  entwerfende  Bild  (die- 
ses Fiebers)  wird  vielleicht  nie  beobachtet.     Allein  seine  Aufstellung  ist  höchst 
nothwendig ,  um  diese  Fiebermodificalion  In  den  verschiedenen  Verhältnissen 
stets  wieder    zu  erkennen  und    bei  den   verschiedenen  Arten   Wiederholungen 
zu  vermeiden."     Steht  irgend  ein  Fieber  in  voller  Ausbildung  da,  so  ist  es 
PHicht  des  Arztes,    sich  mit  der  Benennung  Fieber  nie  zu  beruhigen ,  wenn 
•gleich  es    in  seltenen  Fällen   essentielle  Fieber   giebt;    sindern    er    niuss  dio 
Krankheit   näher   erforschen   und  besonders    darrtach   sehen,    ob  irgend    eine 
Localaffection,  irgend  eine  innere  Entzündung  dem  Fieber  zum  Grunde  liegt; 
also  genau  untersuchen ,  ob  das  Fieber,  was  bei  ausgebildetem  Übel  so  häu- 
fig der  Fall  ist,    etwas  Symptomatisches  sey,    oder  nicht;    denn  es  ist  kei- 
nem Zweifel    mehr  unterworfen,    dass  mit  den  Fortschritten    der  Pathologio 
die  Menge  der  Fieber  in  gleichem  Verhältnisse  abnehmen  wird,  wie  wir  zu 
tiefern  Blicken  in  die  verschiedenen  Krankheiten  des  Gefasssystems :  der  Ar- 
terien,    Venen  und  lymphatischen  Gefasse,    und  der  Eingeweide   der  Hirn-, 
Brust-  und  Unterleibshöhle  und  zu  einer  richtigem  Erkenntniss  und  Unter- 
scheidung derselben  gelangen  Werden,    und  zum  Theil    schon  gelangt    sind. 
Ich  erinnere  hier  nur  an  die  grosse  Ähnlichkeit  in  den  Zufallen  bei  Phlebi- 
tis und  Typhus,    an   die  Häufigkeit    des   Vorkohimens   von    Geschwüren   im 
Dünndarm  bei  der  letztern  Fieberart  (s.  P.  Ch.  A.  Louis,    Recherches  ana- 
tomi(|ues,  pathologiques  et  th^rapeutiques  sur  la  nialadie  connue  sous  le  nom 
de  Gastro  -  Ent^rite ,    Fievre  putride,    adynami<lue  etc.    Par.   1829.     Tom.  I 
et  Ii.)>  an  die  krankhaften  Ziistäiule  der  J..eber  und  Milz    bei  P'ebris  inter- 
mittens ,    an  das  offenbare  krankhafte  Ergriffensej n  der  Blutmasse  im  Faul- 
fieber, an  die  Febris  puerperalis .  die  in  vielen  Fällen  nur  das  Symptom  ei- 
ner Myelitis,  Phlebitis,  Peritonitis  ist,  an  das  heftige  inflammatorische  Fie- 
ber, das  in  einzelnen  Fällen,  wo  weder  Pnenmonioj  noch  Carditis,  noch  ir- 
gend eine  topische  Eingcweideontzündung  damit  complicirt  ist,  dennoch  häu- 
fig nur  das  Symptom  einer  Inflammatio,  besonders  der  Arteriitis,  nach  neuem 
Untersuchungen    abgicbt    ( l'ct.   Frnnk ,    SihünU'iu    und    mehrere    französische 
Ärzte   der  neuern    Zeit).      Das    Wesen    und    die    nächste    Ursache    des 
Fiebers  kennen  wir,  wie  schon  oben  gesagt  worden,  sehr  wenig.     Die  Mei- 
nungen darüber  waren  und  sind  erstaunt    vielfach  und    weitläufig.     Man  hat 
um    so    mehr    darüber   raisonnirt,    je   weniger    man   davon    weiss.     Mit   dem 
Wechsel  der  medicinischen  Systeme  ward  jedesmal  eine  andere  Fieberdefini- 
tion  zu  Tage  gefördert.     Wollen  wir  das  Fieber  näher  erforschen,    so  müs- 
sen wir   1)  uns  nicht  an  ein  oder  das  andere  Fiebersymptoni  halten,  sondern 
die  Gesammtheit"  aller  Symptome  ins  Auge  fassen.     2)  Wir  müssen  uns  nicht 
zu    weit    in    leere    Speculationen    einlassen ,    nicht    zum  Universum    und    den 
Sonnensystemen  hinaufsteigen,  um  ein  Fieber  z\i  erklären;  wir  müssen  hübsch 
fein  auf  der  Erde  und  bei  dem  lebenden   Körper  bleiben,  und  aus  den  phy- 
siologischen    und    pathologischen    Erscheinungen    desselben    Licht    Schöpfen. 
S)  Wir  müssen    den  ganzen   Verlauf  des  Fiebers,    seine  Krisen  etc.    gehörig 
berücksichtigen.     Viele  Erklärungen    des  Fiebers  von  sonst    berühmten  Ärz- 
ten sind  keine  Erklärungen,    sondern  Wortspiele,    wodurch  die  Sache  niciit 


FEBRIS  675 

aufgehellt  werden  kann.  Einige  berühmte  Autoren  kommen  ihr  indessen  nä- 
her auf  die  Spur  als  andere.  Boerhaave  sagt:  „Febris  est  velocior  cordis 
contractio  cum  aucta  resistentia  ad  capillaria,"  und  nennt  auch  das  Fiefcer 
einen  Spasmus  universalis;  hier  ist  mehr  der  Frost  als  die  Hitze  ins  Auge 
gefasst.  Burserhis  beschreibt  das  Fieber  so :  „Totius  corporis  morbus,  ple- 
rasque  functiones  laedens,  modo  acutus,  modo  lentus,  modo  assiduus,  modo 
intermittens ,  et  periodice  recurrens,  a  rebus  praeter  naturam  excitatus,  ut- 
plurimum  cum  viriura  animalium  imminutione,  pulsu  celeri  aut  crebro,  calo- 
risque  naturalis  mutatione  conjunctus,  coctione,  aut  critica  excretione  sol- 
vendus,  quando  primarius  est,  et  in  salutem  finitur. "  Nach  Spretigel  ist 
die  nächste  Ursache  des  Fiebers  derjenige  innere  Zustand  des  Körpers ,  wo- 
durch eine  allgemeine  Gegenwirkung  der  belebten  festen  Theile,  deren  Thä- 
tigkeit  vorher  unterdrückt  war,  hervorgebracht  wird.  Demnach  müssten 
alle  Fieber  ursprünglich  asthenisch  seyn  und  dann  zur  Sthenie  werden. 
Dies  ist  aber  durchaus  irrig;  denn  die  Thätigkeit  der  Functionen  ist  zu  An- 
fange des  Fiebers  nicht  unterdrückt,  sondern  nur  intensiver,  und  späterhin 
wird  sie  mehr  extensiv.  Ein  kleiner  Puls  ist  nicht  immer  ein  Zeichen  von 
Schwäche ;  man  muss  wahre  und  scheinbare  Schwäche  wohl  unterscheiden 
(s.  Adynamia).  Cullen  hat  Manches  richtiger  aufgefasst.  Er  sagt:  „Das 
Fieber  entsteht  durch  vermehrten  Nervenreiz,  Dieser  äussert  sich  zuerst 
am  meisten  in  den  kleinen  und  empfindlichem  Gelassen.  Dadurch  entsteht 
das  Bleicherwerden  und  der  Frost,  und  die  Congestion  des  Bluts  zum  Her- 
zen. Letzteres  reagirt  durch  die  vermehrte  Reizung  stärker,  das  Blut  wird 
mit  grosser  Kraft  nach  der  Pei-ipherie  getrieben,  und  so  erklärt  sich  das 
Stadium  der  Hitze."  Manches  davon  ist  einleuchtend,  doch  bleibt  es  noch 
zu  erklären,  wie  auf  solche  Weise  ein  Mensch,  nachdem  er  eine  kurze  Zeit, 
oft  nur  15  Minuten ,  am  Fieberfrost  gelitten ,  14  Tage  und  länger  brennende 
Fieberhitze  haben  kann'<  Brown  und  Weickard  geben  schon  darin  eine  Blosse, 
dass  sie  nur  Eine  Art  von  Fiebern,  die  asthenischen,  annehmen.  Weickard 
sagt  ganz  kurz:  „Das  Fieber  ist  eine  Krankheit,  bei  welcher  Reaction  und 
Hitze  auf  vorhergegangenen  Torpor  und  Kälte  folgt."  Diese  Definition  passt 
ebenso  gut  auf  die  Frostbeulen,  als  aufs  Fieber.  Reil  nennt  bekanntlich 
jede  Krankheit  Fieber,  und  was  Andere  Fieber  nennen,  bezeichnet  er  mit 
dem  Namen  Gefässfieber.  Letzteres  ist  ihm  eine  allgemeine  Krankheit  der 
thierischen  Kräfte ,  des  Herzens ,  aller  Blutgefässe ,  besonders  der  Arterien. 
Dies,  ist  viel  zu  allgemein  genommen.  Marcus  sagt  in  seiner  spec.  Therapie, 
Thl.  I.:  „Alle  Fieber  sind  Krankheiten  der  Irritabilität  und  Entzündunga- 
zustände;  das  Wesen  beider  ist  eins,  nämlich  Contraction  in  den  Arterien.'* 
Demnach  wäre  die  Systole  des  Herzens  ein  Fieber!  Die  einseitigen  Ansich- 
ten eines  Ackermann  und  C.  Ch.  Reich,  wovon  ersterer  in  einem  Übermass, 
letzterer  in  Mangel  an  Sauerstoff  das  Wesentliche  des  Fiebers  sucht,  be- 
dürfen keiner  Widerlegung.  Troxler  erklärt  das  Fieber  fast  uneigentlich 
für  eine  Krankheit,  er  hält  es  gegentheils  für  einen  Ausdruck  des  Strebens 
des  Individuums  nach  einem  identischen  Zustande  des  Ganzen.  ,,  So  geht, 
sagt  er,  Entzündung  in  Fieber  über,  zu  Eiterung  der  Lunge  kommt  Fie- 
ber, weil  die  Naturkraft  im  lebenden  Organismus  nach  Gleichgewicht  und 
Harmonie  strebt."  Hierin  liegt  viel  Wahres  und  viel  Falsches.  In  den  er- 
sten beiden  Stadien  des  Fiebers  ist  allerdings  grosse  Differenz  da,  aber  in 
den  spätem  Stadien  ist  die  Differenz  aufgehoben.  Die  Missverhältnisse  zwi- 
schen Sensibilität  und  Irritabilität,  die  wir  am  Abende  bei  jedem  Gesunden 
wahrnehmen,  werden  durch  nächtliche  Ruhe  und  Schlaf  gehoben;  demnach 
wäre  auch  der  Schlaf  der  Tendenz  nach  eins  und  dasselbe  mit  dem  Fieber. 
Aber  die  Tendenz,  der  Endzweck  einer  Sache  erhellet  und  erklärt  noch 
nicht  das  Wesen  derselben.  Der  unsterbliche  Pet.  Frank  betrachtet  das 
Fieber  ganz  richtig  als  den  „Schatten  einer  Ki-ankheit;"  es  ist  nach  ihm 
jedes  Fieber  nur  der  Ausdruck  des  Grades  der  Reaction  des  Gesammtorga- 
nismus  gegen  die  auf  irgend  ein  Organ  oder  System  des  Körpers  einwir- 
kende schädliche  Potenz.  Immer  nur  zu  einem  bestimmten  Organe  oder 
Systeme   haben  die  äussern  schädlichen   Einflüsse  ihre  Beziehung,  nie  zum 

43* 


676  FEBRIS 

ganzen  Organisrnns,  da  im  letztern  Falle  das  Resultat  Ihrer  Einwirkung, 
allgemeine  Krankheit,  nur  Tod  seyn  könnte.  Wäre  ein  F'ieber  also  wirk- 
lich eine  allgemeine  Krankheit,  die  alle  Systeme  und  Organe  des  Körpers 
ergriffe,  so  müsste  jeder  Ficlierkranke  sterben,  indem  die  Vis  medicatrix 
naturae,  oder,  was  einerlei  ist,  die  Reaction  des  Gesamnitorgani.smus  unter- 
drückt wäre,  mithin  Heilung,  die  doch  die  Arznei  ohne  Autokratie  der  Na- 
tur nicht  herbeiführen  kann,  nicht  erfolgen  könnte.  Dass  Vitalitätsverände- 
rungen im  Herzen  und  den  grossen  Gefässen  bei  allen  Fiebern  stattfinden, 
ist  ausgemacht;  auch  vital- chemische  Veränderungen  im  Blute  der  Fieber- 
kranken lassen  sich  nachweisen,  doch  bleiben  nähere  Untersut:hungeu  da&r 
über  «och  eine  Aufgabe  der  gegenwärtigen  und  künftigen  Generation  der 
Ärzte  (s.  Fermentatio  und  Febris  depurativa).  Nach  Himly  (V'or- 
lesungen  der  spec.  Nosologie  und  Therapie,  1815.  Mscrpt.)  besteht  das  We- 
sentliche des  Fiebers  in  einem  Wissverhältnisse  zwischen  Peripherie  und  Cen- 
trum;  anfangs  mit  grösserer  Contractilität  in  der  Peri;>herie,  mit  darauf  fol- 
gender grösserer  Contractilität  im  Centrum.  bis  zum  Überwinden  jener  Con- 
tractilität in  der  Peripherie  Er  sagt:  ,,  Wir  sehen  dieses  ganz  deutlich  in 
den  Blutgefässen;  diese  sind  contrahirt;  daher  folgt  Hatilblässe  und  die 
schnelle  Respiration.  Das  Herz  reagirt  nun  gegen  die  Capillargefässe;  diese 
geben  endlich  nach;  so  wird  aus  der  trocknen  Hitze  die  feuchte:  es  stellt 
^ich  der  Schweiss  ein.  Aber  es  scheint  nicht  allein  in  den  Blutgefässen  zu 
liegen;  wir  bemerken  im  Fieberfrost  grosse  Unempfindlichkeit  der  Haut; 
dass  diese  blos  durch  die  Contractilität  der  Blutgefässe  entstehen  sollte,  ist 
nicht  zu  erwarten.  Anfangs  scheint  die  ganze  Peripherie  mehr  in  vermehr- 
ter Contractilität  zu  seyn,  nachher  auch  das  Centrum,  selbst  das  Nerven- 
system und  alle  übrigen  Systeme  Daher  entsteht  in  den  ersten  Perioden 
Gefühllosigkeit,  in  dem  Stadium  der  Hitze  bei  heftigem  Fieber  starker  Kopf- 
schmerz, Phantasiren  etc.  Warum  sollten  nicht  fluch  diese  Antagonisten 
existiren?  Wir  finden  oft  auch  bei  andern  Krankheiten  Disharmonie  im  irri- 
tablen luid  sensiblen  Systeme,  oder  im  sensiblen  allein,  z.  B.  Disharmonie 
zwischen  den  Empfindungs  -  und  Bewegungsnerven,  oder  auch  im  irritablen 
System  allein.  In  der  Periode  des  Frostes  scheint  das  Wirkungsvermögen 
bei  Fieberkranken  vergrössert  zu  seyn;  daher  finden  wir  auch  bei  acht  in- 
flammatorischen Fiebern  starken,  bei  acht  typhösen  dagegen  höchst  unbe- 
deutenden Frost;  auch  bei  zarten  Kindern  ist  der  Fieberfrost  gering,  selbst 
bei  Febris  intermittens,  bei  alten  Leuten  dagegen  recht  stark."  Wenn 
durch  diese  Ansichten  meines  achtungswerthen  Lehrers  auch  nicht  das  We- 
gen des  Fiebers  erklärt  worden,  so  verbreiten  sie  doch  einiges  Licht  über 
die  Innern  Zustände  und  Veränderungen,  welche  im  Organismus  zur  Zeit 
des  Fiebers  vor  sich  gehen.  —  Meine  indi\nduelle  Ansicht  über  das  Wesen 
und  die  nächste  Ursache  des  Fiebers  ist  ungefähr  folgende:  1)  Im  lebenden 
Organismus  herrscht  ein  Gesetz,  das  sich  sowol  im  Geistigen  als  im  Kör- 
perlichen, auf  gleichen  Principien  beruhend .  offenbart  und  in  Beziehung  zum 
Somatischen  als  innere  Grundform  für  die  Heilkraft  der  Natur  (Autocratia) 
angesehen  werden  kaiui.  Es  bleibt  nämlich  von  jeder  einigermassen  voll- 
kommen gebildeten  Seelenthätigkeit  im  Innern  der  Seele  eine  Spur  zurück, 
und  zwar  unbewusst,  welche  nachher  wieder  in  die  Entwickelung  des  be- 
wussten  Seelenlebens  eingehen  kann.  Femer  befinden  sich  unsere  bewussten 
Seelenthätigkeiten ,  sowol  unter  sich,  als  gegen  die  unbewussten  Spuren,  in 
einem  steten  Streben ,  die  in  ihnen  beweglich  gegebenen  Elemente  gegen 
einander  auszugleichen.  Dasselbe  finden  wir  im  Körperlichen  wieder.  Denn 
2)  jedes  Svstem  des  menschlichen  Leibes  besteht  aus  der  Gesammtheit  der 
Spuren,  welche  von  frühern  jjebensentwickelungcn  sich  erhalten  haben,  aus 
einer  grossen  Menge  elementarischer  Lebenskräfte,  die  zwar  in  innigor  Ver- 
bindung sind,  und  so  ein  Ganzes  bilden,  aber  do<:h  auch  in  gewisser  Hin- 
sicht als  besondere  Lebenskraft,  jede  einzeln,  z.  B.  im  Nerven,  im  Blutge- 
fäaae,  im  Muskel,  in  der  Drüse  etc.  fortbestehen.  3)  Auch  für  diese  Spuren 
oder  elementarischen  Lebenskräfte  giebt  es  einen  ähnlichen  Wechsel  des  An- 
geregtaeyns  und  Nichtangeregtseyns,  wie  für  die  Seelenthätigkeiten.     Beson- 


i  FEBRIS  677 

dcrs  bemerkbar  rst  dJeser  Wechsel  bei  den  Zustanden  des  Schlafs  und  des 
Wachens,  der  Verdauung,  bei  starker  Körperanstrengung,  Geistesanstren- 
gung etc.,  wobei  wir  ja  auch  so  häufig  eine  Febricula  bemerken,  die  durch 
Ruhe  des  Körpers  und  des  Geistes,  durch  den  Schlaf,  durch  Vermeidung 
aller  Geistesanstrengungen  verschwindet.  4)  Alle  Einwirkungen  auf  ein  ge- 
wisses organisches  System  treffen  zunächst  eine  dieser  verschiedenen  elemen- 
tarischen Lebenskräfte;  von  da  pflanzen  sie  sich  weiter  auf  die  übrigen  fort 
und  vermindern  sich  dadurch  in  dem  zuerst  ergriffenen  Systeme.  5)  Wirkt 
nun  irgend  etwas  krank  machend  auf  irgend  ein  System  oder  Organ  unse- 
res Leibes ,  z.  B.  das ,  was  wir  Erkältung  nennen  ,  aufs  Hautnervensysteni ; 
80  zeigen  sich  die  Spuren  zuerst  in  diesem  Systeme,  verbreiten  sich  aber 
später  auf  ein  anderes  System,   wie  z.  B.  bei  den  meisten  Fiebern  vom  zu- 

Ierst  ergriffenen  Nervensystem  aufs  Blutsystem,  und  vermindern  sich  dadurch 
im  Nervensystem;  daher  denn  auch  die  Symptome  des  Stadii  prodromorura 
febris ,  welche  alle  auf  Nervenverstimmung  deuten ,  bei  wirklich  ausgebro- 
chenem Fieber  zum  Theil  verschwinden.  Das  Fieber  selbst  gleicht  nun  die 
Disharmonien  aus ,  die  mit  dem  Ende  desselben  gehoben  sind.  Ist  es  aber 
sehr  heftig,  ist  die  Einwirkung  aufs  ganze  System  zu  stark  gewesen,  so 
kann  es  entweder  nicht  zur  Reaction  kommen,  und  der  Tod  folgt  plötzlich, 
oder  es  wird  eine  zu  heftige  Reaction  hervorgerufen ,  die  einen  zu  heftigen 
Aufwand  von  Lebenskräften  erfordert,  so  dass  keine  volle  Ausgleichung 
stattfinden  kann,  und  nun  entweder  der  Tod  oder  Übergang  in  andere 
Krankheiten  erfolgt.  So  erklärt  es  sich,  wie  manche  FMeber  als  Naturbe^ 
strebungen  heilsam,  andere  tödtlich  seyn  können.  Die  Heilkraft  der  Natur 
hat  stets  eine  bestimmte  Norm  und  einen  bestimmten  Endzweck ;  sie  besteht 
in  der  Ausgleichung  zwischen  den  gesund  gebliebenen  und  den  erkrankten 
Spuren  oder  Kräften  eines  Systems  des  Körpers,  oder  des  Menschen  über- 
haupt. (Vergl.  G.  F.  Ch.  Greincr:  Der  Arzt  im  Menschen,  oder  die  Heil- 
kraft der  Natur,  Bd.  I.  1827.  Allgemeine  Lit.  Zeit.  Sept.  1829.  Nr.  170. 
F.  E.  BeneTcc  in  Hecher's  Lit.  Annal.  Bd.  XV.  1829). 

Einth  eilung  der  Fieber  formen.  Fu)jcl  sagt  mit  Recht  ^Hand- 
buch der  prakt.  Arzneiwissenschaft  Bd.  I.):  ,,Das  ganze  Heer  der  Fieber 
lässt  sich  unstreitig  unter  wenige  Classen  bringen,  wenn  man  den  Grund 
dazu  in  den  allgemeinen  Grundsätzen  der  Ätiologie,  insofern  diese  eine  un- 
mittelbare Beziehung  auf  ihre  Heilung  hat,  sucht;  und  diese  Eintheilung 
kann  allein,  ausser  dass  sie  die  Erkenntniss  der  Sache  ohnehin  ungemein 
erleichtert,  einen  wahren  praktischen  Nutzen  haben  und  den  philosophischen 
Zweck  erfüllen,  den  man  von  Rechtswegen  bei  allen  Distinctionen  und  Ab- 
theilungen der  Krankheiten  beständig  vor  Augen  haben  sollte. "  Er  ordnet 
alle  Fieber,  sie  mögen  in  der  Welt  Namen  haben,  wie  sie  wollen,  unter 
sieben  besondere  Classen,  welche  Eintheilung  für  die  Praxis  vom  grössten 
Werthe  ist.  Hier  finden  noch  folgende  Bemerkungen  statt.  1)  Sehr  wich- 
tig ist  die  Eintheilung  des  Fiebers  nach  seinem  Charakter;  dieser  ist 
entweder  mehr  oder  weniger  entzündlich,  oder  nervös,  oder  faulig. 
Bei  dem  entzündlichen  Fieber  (^Fehris  injlammaiona  synochicn,  sihenicn^, 
welches  in  unsern  Gegenden  von  Norddeutschland  häufig  vorkommt,  sind 
die  Organe  des  Kreislaufs  gereizt  und  die  Lebensthätigkeit  ist  erhöhet. 
Beim  sogenannten  nervösen  Fieber  (Fehr.  nervosa) ,  welches  bei  uns  in  der 
Regel  nie  als  solches ,  sondern  als  Folge  anderer  fieberhaften  und  nicht  fie- 
berhaften Krankheiten,  besonders  bei  zu  schwächender  oder  zu  reizender  Be- 
handlung, auftritt,  ist,  neben  der  Reizung  im  Blutgefässsystem ,  vorzüglich 
Gehirn  und  Nervensystem  der  leidende  Theil ;  der  Kranke  leidet  an  schein- 
barer oder  an  wirklicher  Schwäche,  und  diese  Unterscheidung  ist  von  der 
grössten  Wichtigkeit  für  die  Behandlung  (s.  Adynamia).  Dass  man  Ner- 
venfieber auch  asthenische  oder  typhöse  Fieber  nennt,  ist  unrichtig;  weil 
es  keine  primären  Fieber  mit  wahrer  Schwäche  geben  kann.  Besser  ist  es 
daher,  die  asthenischen  Fieber  vom  Nervenfieber  zu  trennen,  obgleich  letz- 
tere auch  asthenische  werden  können.  Mit  Recht  sagt  Sundelin  {Berends^s 
Vorlesungen  Bd.  I.  S.  112.  Anmerk.):    „Für  die  Praxis  ist  die  EintJieilung 


678  FEBRIS 

d«r  Fieber  überhaupt  In  hypersthenlsche  und  asthenische,  als  in  zwei  grosse, 
sich  gewissermassen  entgegengesetzte  Hauptgeschlechter,  sehr  nachtheilig, 
v.eil  der  Arzt  dadurch  nur  allzu  leicht  zu  einem  einseitigen  Verfahren  ver- 
leitet werden  kann ,  oder  wenigstens  veranlasst  wird  vorauszusetzen ,  dass 
ein  jedes  Fieber  entweder  hypersthenischer  oder  asthenischer  Natur  sey, 
und  deshalb  entweder  eine  schwächende  oder  eine  erregende,  stärkende  Be- 
handlung erheische;  da  es  doch  eine  grosse  Anzahl  von  Fiebern  giebt,  wel-' 
che  weder  zu  den  hypersthenischen,  noch  zu  den  asthenischen  gehören,  und' 
daher  weder  schwächend,  noch  stärkend  behandelt  werden  dürfen,  wie  die' 
activen  Fieber,  die  Reizfieber  etc."  Beim  Faul fi eher  (^Fchris  ptttridn, 
maligna,  parahjticn  etc.')  ist  nicht  allein  das  Blutsystem  gereizt,  sondern' 
auch  die  Säfteraasse  hat  eine  besondere  Neigung  zur  Auflösung  und  Ent- 
mischung, wobei  grosse  Schwäche  im  Blut  -  und  Nervensystem  obwaltet. 
Ausser  bösartigen  epidemischen  Fiebern ,  die  Gottlob !  höchst  selten  bei  uns' 
sind,  tritt  das  Faulfieber  fast  nie  als  solches  auf,  ist  aber  oft  die  Folge  ei- 
nes entzündlichen  oder  Gallen-,  Schleimfiebers,  wenn  der  Kranke  schlechte' 
Säfte  hat,  Diätfehler  begeht,  ungesunde  Luft  athmet,  oder  der  Arzt  das 
Fieber  schlecht  behandelt.  —  unter  diesen  verschiedenen  Charakteren  des 
Fiebers  muss  man  sich  nichts  Feststehendes  denken.  Verschiedene  Einflösse' 
können  ein  und  dasselbe  Fieber  bei  einem  und  demselben  Kranken  bald  da- 
hin verändern ,  dass  der  entzündliche  Charakter  in  den  nervösen  oder  fauli- 
gen übergeht.  Alle  sogenannten  Fieberformen  sind  im  weitern  Sinne  ört- 
fiche  Übel ;  ihr  Variiren  im  Verlaufe  kommt  daher ,  weil  der  Grad  der  Ile- 
action  des  Organismus  variirt.  Wir  können  hier  drei  Grade  dieser  Zustände 
annehmen.  Entweder  die  Reaction  ist  stärker  als  die  einwirkende  schädliche 
Potenz  (Synocha),  oder  sie  steht  mit  letzterer  in  gleichem  Verhältnisse 
(Erethismus),  oder  die  schädliche  Potenz  ist  stärker,  als  die  Reaction 
und  gewinnt  die  Oberhand  über  die  letztere  (Torpor,  Paralysis).  Diese 
verschiedenen  Reactionsweisen  können  aber  bei  ein  und  demselben  Fieber 
mannigfaltig  variiren ,  und  daher  passt  auch  die  Eintheilung  der  Fieber  in 
die  mit  irritabler,  sensibler  oder  D  o  pp  eise  hwä  che,  die  auch  nur 
das  Verhältniss  des  Grades  der  Reaction  gegen  die  einwirkende  schädliche 
Potenz  anzeigt,  für  die  Praxis  nur  insofern,  als  sie  uns  einen  Massstab  un- 
seres Handelns  abgiebt.  Aber  zu  einer  allseitigen  und  richtigen  Einsicht  in 
die  Fieber  gehört  weit  mehr  als  die  Berücksichtigung  der  Action  und  Re- 
action. Das  Fieber  mag  ein  selbstständiges  oder  symptomatisches,  ein  an- 
haltendes oder  aussetzendes,  ein  Gallert-,  Katarrhal-  oder  rheumatisches 
Fieber  seyn,  im  Anfange  hat  es  in  unsern  Gegenden  fast  durchgängig  einen 
(in  den  meisten  Fällen,  wenn  keine  bedeutenden  Localentzündungen  zugegen 
sind,  gelinden)  entzündlichen  Charakter,  wenigstens  in  den  ersten  5  —  7  Ta- 
gen, und  eine  strenge  Diät  neben  gelinden,  leichten  Antiphlogisticis,  z.  B.. 
Pot.  Riverii  mit  Aq.  flor.  sambuci,  Cremor  tartari  etc.  hat  mir  fast  immer 
einen  günstigen  Erfolg  herbeigeführt.  Es  ist  allerdings  wahr,  dass  der  ent- 
zündliche Charakter  im  Verlauf  des  Fiebers  oft  plötzlich  nervös  oder  putrid 
werden  kann ;  aber  dies  ist  doch  nur  die  Ausnahme  von  der  Regel ,  und 
nach  meiner  innersten  Überzeugung  würden  viele  tausend  Fieberkranke  nicht 
dem  Tode  geopfert  worden  seyn,  hätte  der  Arzt,  weniger  voreilig,  nicht 
sogleich  einen  solchen  nervösen  oder  putriden  Charakter  statuirt  und  wäre 
er  vorsichtiger  in  der  Verordnung  reizender,  erhitzender  Mittel  gewesen. 
Da  nun  aber  der  Fiebercharakter  nichts  Feststehendes  bei  ein  und  demsel- 
ben Fieber  ist,  ja,  da  manches  Fieber  so  golind  und  manches  andere  so 
complicirt  erscheint,  dass  man  ihm  keinen  von  den  genannten  drei  Charakte- 
ren beilegen  kann,  so  ists  auch  falsch,  wenn  manche  sonst  berühmte  Arzte 
unserer  Zeit  in  ihren  Vorlesungen  oder  Handbüchern  den  Fiebercharakter 
als  obersten  Eintheiiungsgrund  aufstellen  und  darnach  das  ganze  Fieberheer 
unter  die  drei  Genera:  Fchris  sifiiochica,  Fehris  liiphosa ,  Fchris  parnhjtica, 
'f  u>ii(hi ,  zu  bringen  sich  bestreben.  2)  Man  theilt  die  Fieber  ferner  ein : 
it)  :iac!»  dem  T)  pus,  d.  i.  die  Ordnung  und  Zeitfolge,  in  welcher  die  An- 
fdUe  wiederkehren,  in  «)  Fclres  lypicnc,   ß)  Febtcs  attjpkae ,  atncticnc ,  er- 


FEBRIS_  679 

raHcac.  Letztere  haben  gar  keinen,  festen  Tj-pus.  ^om  ersteren  giebt  e» 
drei  Hauptarten:  an)  Fehris  continua  com/micjis,  die  entNveder  eine  b'enigna, 
z-  B.  Bphemera  (einfaches  eintägiges  Fieber),  oder  eine  F.  maligna  seyn 
kann,  bb)  Fehris  continua  remittens.  Bei  dieser  findet  eine  Reihe  von  Fe- 
bribus  contiuuis  statt,  welche  in  das  zweite  und  dritte  Fjebierstadium  zu- 
rücktreten und  Ijierdurch  ein  Stadium  des  Nachlasses  (R.emissI6)  machen; 
sowie  der  Zunahme  (Exacerbatio),  wenn  sie  sich  im  dritten  Stadium 
befinden,  cc")  Felris  intermitlens ,  das  Wecliselfieber.  Ist  auch,  wie 
das  vorige,  ein  componirtes  Fieber,  wobei  die  Krankheit  auch  in  das  erste 
und  fünfte  Stadium  tritt,  also  aussetzt  und  nicht  wahrnehmbar  ist.  Diese 
freie  Zeit  heisst  Intermissio,  der  Anfall  Paroxysmus.  Bei  den  Arten 
an  und  bb  haben  wir  demnach  zwei  Typi  zu  betrachten:  1)  den  Typus  ei- 
nes jeden  Anfalls  für  sich  mit  seinem  incrementum  und  decrementum;  2)  den 
grossen  Typus  oder  das  Verhalten  zu  den  vorigen  und  den  folgenden  Typis. 
Kommt  die  Exacerbation  oder  der  Paroxysmus  früher  als  das  letzte  Mal,  so 
heisst  die^  Typus  anticipans,  im  umgekehrten  Fall  Typus  postpo- 
nens.  Sowol  der  kleine  als  der  grosse  Typus  der  Fieber  hat  feste  Regeln; 
denn  auch  in  der  kranken  Natur  findet  dieselbe  Ordnung  und  Gesetzmässig- 
keit statt,  die  wir  an  der  gesunden  Natur  bewundern.  Wir  finden  hier 
a)  mehr  oder  weniger  einen  täglichen  Typus ;  daher  muss  der  Arzt  bei  fie- 
berhaften Krankheiten  nicht  blos  Morgen  und  Abend,  sondern  gestern  Mor- 
gen und  heute  Morgen,  gestern  Abend  und  heute  Abend,  mit  einander  ver- 
gleichen, um  aufs  Reine  zu  kommen,  ob  die  Krankheit  im  Ganzen  noch  zu- 
oder  abnimmt,  b)  Wir  bemerjcen  bei  Fiebern  meist  immer  eine  Differenz 
oder  einen  Gegensatz  zwischen  zwei  und  zwei  Tagen  ,  wo  die  gleichen  und 
die  ungleichen  Tage ,  jede  Reihe  unter  sich,  einander  entsprechen  ;  z.  ß.  die 
Tage  1,  3,  5,  7,  9,  11,  13,  15  u.  s,  f.  entsprechen  sich  und  sina  bekannt- 
lich die  schlimmsten;  eben  so  entsprechen  sich  die  leichtem  und  bessern 
Krankheitstage  2,  4,  6,  8,  10,  12,  14  u.  s.  f.  Dies  liegt  nicht  an  der  Zahl, 
sondern  an  den  Zeiten  und  im  Wechsel  und  Verlauf  ^es  Fiebers,  c)  Auch 
für  den  grossen  Typus  giebt  es  verschieciene  Zahlen.  Die  bedeutendsten 
sind  die  Krankheitstage  7,  14  i^nd  21.  Ohne  Zweifel  sind  hier  kosmische 
und  tellurische  Einflüsse,  Einwirkung  des  Mondes  auf  atmosphärische  Ver- 
änderungen etc.,  die  wir  nicht  genauer  angeben  können,  mit  im  Spiel,  dass 
gerade  diese  Tage  die  bedeutendsten  für  Leben  und  Tod  des  Kranken  siiiä 
(s.  Richard  McatVs  und  BnJfuur^s  Schriften  über  EInfiuss  des  IVIondes  aiif 
Fieber  etc.).  b~)  Nach  der  Verbindung  des  Fiebers  mit  oder  ohne  anderes 
Leiden,  nach  den  hervorstechenden  Zufallen,  nach  seinem  Verlaufe,  nach 
der  Dauer,  dem  L^rsprunge,  der  Gelegenheitsursache,  dem  günstigen  odef 
ungünstigen  Erfolge  u.  s.  f.  theilt  man  die  Fieber  noch  ein  in  einfache;  und 
zusammengesetzte  {Febr.  siniplex  et  complicata') ,  in  hitzige,  schleich<fnde  vuid 
langwierige  (F.  acuta,  Icnta,  chronica,  s.  Acutus  morbus);  in  selbst- 
ständige  und  zufällige  (F.  substantiva,  esscntialis,  symptonuiticn);  in  ursprüng- 
liche und  abgeleitete  (F.  primaria,  idiopathicä  et  secundaria,  sympathica); 
in  epidemische,  endemische,  sporadische,  gutartige,  bösai'tige,  in  anstecken- 
de, nicht  ansteckende  (f.  epidemica,  endemica,  sporndien,  benigna,  mnli\ina, 
contntjiosn,  non  contagiosa)  u.  s.  w.  Ein  gewöhnliches  leichtes,  entzündliches 
Fieber  ohne  Nebenleiden  heisst  ßphemera;  ist  aber  eine  innere  Localentzün- 
dung,  Neigung  zur  Fäulniss  der  Säfte,  hervorstechende  Störung  der  Ver- 
dauung, Nervenleiden,  Katarrh,  Rheumatismus  etc.  dabei,  so  ists  schon 
F'ebris  complicata;  auch  das  Wundfieber,  Eiterungsfieber,  Kindbettfieber 
gehört  hierher.  Überhaupt  sind  die  complicirten  Fieber  häufig  und  sehr 
mannigfaltig,  da  wir  in  der  Natur,  und  am  Krankenbette  selten  das  Ein- 
fache wahrnehmen.  Die  Zeit  ist  nicht  ohne  Wechsel,  so  auch  die  Krank- 
heiten und  ihr  Verlauf,  und  mannigfaltige  Schattirungen  finden  hier  statt, 
die  wie  die  B'arben  der  Abendröthe  in  einander  verlaufen,  und.  dem  Arzte 
täglich  Gelegenheit  geben,  seine  Beobachtungsgabe  und  seineu  Scharfsinn 
zu  prüfen.  Der  Name  ist  oft  willkürlich,  oder  thut  das  Wenigste;  nuf  ihn 
kommt  es  wahrlich  am  wenigsten  an !     So  hat  man  früherhin  auch  wol  nach 


680  FEBRIS 

den  bedeutendsten  Zufällen,  die  mit  dem  Fieber  verbunden  jünd,  Brech- 
fieber,  Schweissfieber,  Schlaffieber  (^Fehr.  vomitorin,  helodes,  co- 
mntosft)  statuirt,  wo  es  vielleicht  besser  gewesen  wäre,  die  Krankheit  ihrer 
Ursache  nach,  woher  das  Erbrechen,  Schwitzen,  Schlafen  kommt,  und  nicht 
nach  dem  Zufalle  zu  benennen.  —  Was  die  selbst« tandigen,  essentiel- 
len Fieber  betrifft,  so  cxistiren  sie  allerdings,  obgleich  viele  Ärzte  daran 
gezweifelt  haben;  denn  wenn  es  auch  ausgemacht  ist,  dass  die  nicht  selbst- 
iständigen,  sogenannten  symptomatischen  Fieber,  z.  B.  das  Pocken-,  Schar- 
lach-, Masern-,  Pest-  und  Fleckfieber,  das  Eiterungs  - ,  Zehr-,  Wund- 
und  Wurmfieber  etc. ,  die  Mehrzahl  der  Fieber  ausmachen ,  so  lassen  sich 
dennoch  jene  selbstständigen  Fieber,  die  als  solche  eine  für  sich  bestehende 
ganz  eigene  Krankheit  sind  und  von  keiner  andern  Krankheit  abhängen,  hin- 
länglich am  Krankenbette  nachweisen  (s.  unten  Febris  neuropathica).  — 
Die  epidemischen  Fieber  verbreiten  sich  oft  sehr  weit  über  ganze  Län- 
der etc.,  weil  ihre  Gelegenheitsursache:  kalte,  heisse,  anhaltend  trockna 
Luft,  schneller  Wechsel  des  Wetters,  Mangel  an  Nahrung,  Misswachs, 
Theuerung,  schlechtes  Getreide  etc.,  sich  ebenfalls  über  weite  Länderstre- 
cken ausdehnen  kann.  Von  diesen  Fiebern  giebt  es  zwei  Unterarten:  a)  die 
stehenden  oder  Stand fi eher  (^Febr.  staiioiimna) ,  die  unbestimmte  Zeit 
zu  herrschen  pflegen  und  deren  Charakter  bald  entzündlich,  gallig,  bald 
gelind  nervös  ist;  b)  die  jährlichen  oder  Jahresfieber  (Fehr.  annu(i), 
die  den  Jahreszeiten ,  ist  die  Witterung  nicht  ungewöhnlich ,  angemessen 
sind  (s.  Constitutio).  Ansteckende  Fieber  sind  solche,  denen  ein 
Contagium  zum  Grunde  liegt;  endemische  solche,  welche  durch  einhei- 
misclie,  fortdauernd  wirkende  schädliche  Einflüsse  hinsichtlich  des  Orts,  der 
Gegend,  der  Lage  etc.  entstehen ,  z.  B.  die  Febris  intermittens  quartana  in 
sumpfigen  Gegenden,  wie  in  Mantua,  Genua,  Seeland,  Holland  (s.  Con- 
tagium, Endemia,  Miasma).  Sporadische  Fieber  kommen  nur  bei 
einzelnen  Menschen,  durch  besondere  Gelegenheitsursachen  veranlasst,  vor; 
das  gutartige  und  bösartige  Fieber  findet  in  unsern  Gegenden,  wo 
wir  Gottlob!  weder  Pest,  noch  gelbes  Fieber  haben,  mehr  in  den  Köpfen 
der  Arzte  als  in  der  Wirklichkeit,  einzelne  Fälle  ausgenommen,  statt.  — 
Prognose  der  Fieber  im  Allgemeinen.  Um  diese  richtig  zu  stellen, 
müssen  wir  besonders  die  Complicationen  des  Fiebers,  die  Natur  des  Kran- 
ken ,  seine  Constitution  und  die  aus  dem  ganzen  Verlaufe  und  den  Ursachen 
hervorgehenden  Eigenthümlichkeiten  der  Fieberart  berücksichtigen.  Im  All- 
gemeinen kann  man  annehmen ,  dass  das  Fieber  um  so  bedeutender  ist ,  je 
heftiger  und  anhaltender  der  Frost  und  die  darauf  folgende  Hitze  erscheuien. 
Alle  Fieber  mit  örtlichen  Entzündungen  edler  Organe:  des  Herzens,  der 
Jjunge,  der  Luftröhre,  des  Magens,  des  Gehirns,  der  Leber,  Milz,  Nieren 
(^CardUis,  Pneunwnia ,  Angina,  Gastritis,  Encephalitis,  Hepatitis,  Splenitis, 
Nephritis) ,  also  alle  symptomatischen  Fieber  der  Art  oder  richtiger  alle  Ent- 
zündungen mit  Fieber,  sind  gefährlicher  als  Fieber  ohne  entzündliche  Com- 
plicationen. Je  unregelmässiger  das  Fieber  erscheint,  je  stärker  die  Phan- 
tasien, die  Schlafsucht  dabei  sind,  je  mehr  wir  grosse  Unruhe,  Angst,  Ver- 
wirrung, Krämpfe,  Ohnmächten,  wahre  Schwäche,  heftige  anhaltende 
Durchfälle  dabei  bemerken ,  desto  gefährlicher  ist  es.  Schlimme  Zeichen 
sind:  beständiges  Irrereden,  anhaltende  Schlummersucht,  grosse  Schmerzen, 
plötzliches  Aufhören  derselben  mit  Sinken  der  Kräfte,  Röthe  der  Augen,  ein 
stierer,  wilder  oder  sehr  matter  Blick,  sehr  trockne,  schwarze,  zitternde 
Zunge,  schwerer,  röchelnder  Athem ,  Härte,  Zuiückgezogenheit  und  grosse 
Empfindlichkeit  der  Magengegend,  aufgetriebener  Unterleib  durch  Luft 
(Meteorismus),  anhaltendes,  schmerzhaftes,  grünes,  schwarzes  Erbrechen 
und  solcher  Durchfall  u.  s.  w.  Dass  bei  schwächlichen,  vorher  schon  un- 
gesunden, kachektischen ,  durch  Alter,  Krankheit  und  andere  Ursachen  er- 
schöpften Personen,  bei  Schwangern,  Wöchnerinnen,  bei  reizbaren  Kindern 
und  Frauenzimmern ,  selbst  einfache  Fieber  leichter  gefährlich  und  bösartig 
werden  als  bei  andern  gesunden  Menschen,  bedarf  keiner  Erwähnung.  Doch 
giebt  es  epidemische  und  contagiöse  Fieber,  wo  Schwächlinge  leichter  durch- 


FEBRIS  681 

kommen  als  robuste  und  voHsaftJge  Personen.  Viele  Fieber  entscheiden  sich 
durch  Krisen ,  denen  fast  immer  manche  scheinbar  schlimme  Zufälle  voran- 
gehen, deren  Erkenntniss  daher  von  Wichtigkeit  ist.  Dass  aber  auch  Fie- 
ber mit  heftigem  Froste  und  starker,  mehrere  Stunden  anhaltender  Hitze 
nicht  immer  gefährlich  sind,  sondern  oft  den  unbedeutendsten  Mitteln  wei- 
chen, davon  giebt  uns  die  Intermittens  den  besten  Beweis.  Heute  liegt  viel- 
leicht ein  Bauer  heftig  krank  daran  nieder,  er  geht  morgen  zum  Schulzen, 
lässt  sich  das  Fieber  abschreiben  und  —  es  bleibt  weg  (s.  Febris  inter- 
mittens). Solche  Thatsachen  müssen  uns  lehren,  dass  wir  da,  wo  es 
schlimm  aussieht,  nicht  immer  Gefahr  ahnen  und  deshalb  mit  heroischen 
Mitteln  in  den  Kranken  hineinfeuern ;  auch  gelinde  Mittel  vermögen  oft  recht 
viel!  —  Kritische  Ausleerungen  der  Fieber.  Sie  sind  die  Folgen 
der  schon  im  Innern  des  Körpers  vorgegangenen  Krisis  oder  Entscheidung 
des  Fiebers,  oder,  was  seltener  vorkommt,  die  Ursache  der  Entscheidung 
und  Besserung.  Es  würde  falsch  seyn  anzunehmen,  dass  bei  jedem  Fieber 
ein  Fieberstoff  obwalte,  der  die  nächste  Ursache  des  Fiebers  sey  und  durch 
die  Krise  aus  dem  Körper  geschafft  werde.  Nur  bei  einzelnen  Fiebern  ist 
dies  der  Fall;  mag  nun  dieser  Stoff  Folge  des  Fiebers  selbst  und  der  Um- 
Btimmung  in  der  Production  und  Vegetation  seyn  oder  nicht,  mag  er  auch 
nur  in  den  seltensten  Fällen  die  B'ieberursache  abgeben,  gegentheils  häufi- 
ger wol  nur  das  Fieber  unterhalten;  genug,  die  Beobachtung  am  Kranken- 
bette spricht  dafür  und  beweist,  dass  ohne  Stoffwechsel  kein  Fieber  statt- 
finden kann,  sowie  überhaupt  im  lebenden  Organismus  das  Dynamische  stets 
das  Materielle  verändert,  wie  dieses  schon  die  durch  Gelnüthsbewegungen 
Schnell  veränderte  Muttermilch  beweist  (s.  Cacogalactia,  Febris  de- 
purativa,  Fermentati o).  Oft  aber  ist  dieser  Stoffwechsel  so  zart,  so 
fein,  dass  er  unsern  Sinnen  leicht  entgeht  und  schwer  zu  entdecken  ist. 
Wir  sehen  deutlich,  dass  manche  Stoffe  im  Fieber  verhalten  werden  und 
im  Körper  zurückbleiben ,  z.  B.  die  Harnsäure  im  Fieberurin  vor  der  Krise 
( s.  oben  das  vierte  Stadium  des  Fiebers ) ,  woran  vielleicht  die  Heftigkeit 
der  Fiebetbewegungen  Schuld  ist.  —  Die  vorzüglichsten  kritischen  Auslee- 
rungen sind:  1)  Blutungen.  Sie  sind  wahrhaft  kritisch,  wenn  sie  die 
Folge  übermässiger  Erregung  des  Herzens  und  der  grossen  Gefässe  sind; 
sind  daher  stets  wohlthätig  bei  entzündlichen,  synochischen  Fiebern  und  bei 
jjngen,  vollblütigen  Subjecten,  in  den  ersten  sieben  Tagen  der  Krankheit, 
bei  kräftigen  Männern  mit  sanguinischem  Temperamente,  bei  solchen  Kran- 
ken, wo  unterdrückte  Blutungen:  Nasenbluten,  Hämorrhoidalfluss ,  Men- 
struation ,  vorhergingen ,  bei  Personen ,  die  flüchtige  Reize :  Spirituosa,  Lei- 
denschaften, auf  sich  wirken  Hessen.  Solche  Blutungen  können  als  kritisch 
und  wohlthätig  betrachtet  werden,  theils,  indem  sie  als  allgemeine  negative 
Reize  wirken,  theils,  indem  sie  das  Entleerungsmittel  übermässig  gefüllter 
Blutgefässe  abgeben.  Diesen  günstigen  Blutungen  gehen  folgende  Zeichen 
vorher:  wogender,  langsamer,  oft  doppelschlägiger  Puls,  heftiger  Andrang 
des  Bluts  zum  Kopfe,  Gesichtsröthe ,  Ohrensausen,  Dunkelwerden  vor  den 
Augen,  Angst,  Unruhe,  Auffahren  im  Schlafe,  Schwere  und  Jucken  in  der 
Nase,  oder  Kreuzschmerzen,  Leibweh  etc.,  je  nachdem  der  Ort  der  Blutung 
verschieden  ist.  Während  und  nach  der  Blutung,  wodurch  ein  natürlich  aus- 
sehendes Blut  in  massiger  Quantität  ausgeleert  wird,  fühlt  sich  der  Kranke 
sehr  erleichtert,  und  es  folgt  meist  ein  angenehmer,  ruhiger  Schlaf.  Es 
giebt  aber  auch  symptomatische,  böse  Hämorrhagien ,  welche  das  Zeichen 
anfangender  Paralyse  sind.  Hier  ist  der  Puls  sehr  klein,  schnell  und  weich, 
der  Kranke  höchst  matt  und  blass,  und  beim  Nasenbluten  tröpfelt  nur  sehr 
langsam  ein  zu  dünnes,  dunkles,  wässeriges,  nicht  gerinnendes  Blut  aus  der 
Nase.  Die  vorzüglichsten  Blutungen  sind:  Nasenbluten,  Hämorrhoidalfluss 
und  Menstruation.  Kritisches  Nasenbluten  finden  wir  am  häufigsten  bei  B'ie- 
bern  der  Kinder,  Weiber  und  solcher  Personen,  die  viel  mit  dem  Kopfe 
arbeiten.  Starkes  Klopfen  der  Karotiden,  der  Arteria  temporalis,  drücken- 
der Kopfschmerz,  Nebel  vor  den  Augen,  rothes,  heisses  Gesicht,  Jucken 
der  Nase,   zuweilen   auch  Niesen,    sind   gewöhnliche  Vorboten.      Kritischen 


682  FEBRIS  ' 

Hämorrholdalfliiss  bemerken  wir  meist  bei  Fieberkranken,  ^ie  sdion  ober 
SO  Jahre  alt  sind,  und  weit  häufiger  bei  Männern  als  bei  Weibern.  Vor- 
boten sind:  Brennen  im, Kreuze,  Jucken  am  After,  Drängen  zum  Stuhlgange, 
Schweisse  in  der  Schamgegend,  öfters  auch  Drängen  zum  Harnlassen.  Die, 
kritische  INIenstruation  tritt  meistens  dann  ein,  wenn  die  Fieberkrise  ohnge- 
fähr  um  die  Zeit  der  Menses  kommt.  Vorboten  sind:  ziehende,  dehnende. 
Schmerzen  in  der  Lendengegend,  im  Kreuze  und  Unterleibe,  öfters  Drängea 
zum  Harnlassen  ,  Harnbreusen ,  Anschwellen  der  äussern  Genitalien  und  an- 
dere, dem  Frauenzimmer  bekannte  Zeichen.  Ausserdem  können  auch  kriti- 
sche Blutungen  aus  dem  Magen,  den  Nieren,  fast  aus  allen  Organen,  die 
bei  coraplicirten  Fiebern  mit  leiden,  entstehen.  Verminderung  der  Fieber- 
anfälle, Erleichterung  und  Ruhe  sind  stete  Begleiter  solcher  wohlthätigen 
kritischen  Blutungen  (s.  Haem  or  r  hagia).  2)  Kritischer  Schweiss. 
Er  tritt  am  Ende  jeder  Exacerbation  am  häufigsten  ein.  Vorher  geht  ein 
Gefühl  von  Taubheit  in  der  Haut ,  zuweilen  ein  Jucken ,  Prickeln  darin. 
Alsdann  wird  die  Haut  erst  weich,  gedunsen,  später  feucht,  besonders  zu- 
erst in  den  Gelenkbeugen  und  am  Halse;  der  Puls  wird  langsamer  und  vol- 
ler und  die  Absonderung  des  Urins  geringer;  auch  ist  in  der  Regel  Neigung 
zum  Schlafe  da ;  der  Schweiss  selbst  ist  warm  und  nur  wenig  klebrig.  Ein 
kalter  Schweiss  bei  zusammengesunkener,  nicht  gedunsener  Haut,  wobei  der 
Puls  sehr  klein  und  frequent  ist,  giebt  keine  gute  Krise  ab,  ist  gar  nicht 
kritisch,  sondern  zeigt  Gefahr  und  Verschlimmerung  des  Fiebers  an.  3)  Kri- 
tischer Urin.  Ist  schon  beim  vierten  Stadium  des  Fiebers  erwähnt  wor- 
den. Er  ist  mehr  qualitativ  verändert  als  quantitativ  verstärkt,  sieht  röth- 
lich  aus,  die  Wolke  darin  senkt  sich,  wird,  wenn  er  ruhig  steht,  nach  ei-r 
nigen  Stunden  zum  Bodensatze,  der  von  weisslicher,  gelblicher,  röthlich- 
brauner  Farbe  ist,  zusammenhängt,  kein  bedeutendes  Gewicht  hat  und  über 
welchem  der  Harn  nicht  stinkt.  4)  Kritischer  Durchfall.  Wir  beob- 
achten diese  Krise  am  häufigsten  bei  Fiebern  mit  hervorstechendem  Leiden 
des  Darmcanals,  wo  die  Zunge  gelb  belegt  ist.  Auch  zu  Anfange  der  Ma- 
sern ,  des  Scharlachfiebers  ist  er  in  den  meisten  Fällen  ein  gutes  Zeichen, 
und  vermindert  die  Congestionen  zum  Kopfe,  die  Delirien  und  die  Heftig- 
keit des  Fiebers.  Vorboten  sind:  die  trockne  Zunge  wird  feucht,  der  Schleim 
darauf  löst  sich,  der  Unterleib  wird  etwas  gespannt,  aufgetrieben,  es  ent- 
steht Kollern  und  Kneipen  im  Leibe ;  dabei  eine  gewisse  Lahmheit  in  dea 
untern  Extremitäten  und  zuweilen  ein  aussetzender  Puls.  5)  Kritisches 
Erbrechen.  Ist  bei  manchen  gastrischen  Fiebern  höchst  wohlthätig.  Ein 
Gefühl  von  Kälte,  Schauder,  Zittern  der  Lippen,  kalte  Schwelsse  an  dex 
Stirn,  Schwindel,  Ekel,  Drücken,  Beklemmung  in  der  Magengegend,  und 
ein  langsamer,  aussetzender  Puls  gehen  als  Vorboten  dieser  wohlthätigen 
Krise  fast  immer  vorher.  6)  Kritischer  Speichelf luss.  Ist  eine  sel- 
tene Krise,  die  wir  nur  bei  Pocken-  und  Fieckfiebern  als  wohlthätig  be- 
trachten ,  die  aber  auch  beim  Mercurialfieber  als  kritisch  angesehen  werden 
kann,  da  mit  völlig  eingetretener  Salivation  dieses  Fieber  an  Heftigkeit  je- 
desmal verliert  (s.  Febris  salivalis).  7)  Kritische  Sputa  aus  den 
Lungen.  Werden  nur  bei  Lungenentzündungen  kritisch  beobachtet  (s.  In- 
flammatio  pulmonum).  8)  Hautentzündungen  als  Krise.  Ära 
9ten,  Uten  Tage  der  Krankheit  zeigen  sich  bei  manchen  Fiebern  kleine 
Ausschläge  an  den  Lippen ,  auch  wohl  kleine  Furunkeln  im  Gesichte ,  am 
Halse,  leichte  Entzündung  der  Parotiden  oder  anderer  Drüsen  am  Halse, 
welche  als  kritisch  zu  betrachten  sind,  wenigstens  ein  sicheres  Zeichen  von 
wirklicher  Verminderung  des  Fiebers  geben.  9)  Oedema  pedum  als  Krise. 
Ist  höchst  selten  wahrhaft  kritisch.  Bemerken  wir,  dass  bei  Zunahme  des 
Fiebers  plötzlich  die  Füsse  anschwellen ,  so  deutet  dies  auf  bald  eintretende 
allgemeine  Wassersucht.  Übrigens  finden  wir  am  Ende  der  Fieber  häufig 
geschwollene  Füsse,  wo  die  Geschwulst  nicht  kritisch  ist,  sondern  als  Folge 
der  abhängigen  Lage  der  untern  Extremitäten  und  allgemeiner  Schwäche 
betrachtet  werden  muss.  —  Nicht  alle  Fieber  entscheiden  sich  durch  solche 
Krisen;    viele   verschwinden   allmäüg   ohne  dieselben  (per  Lysin),    z.  B. 


FEBRIS  683 

manche  reine  Nervenfieber.  Je  mehr  ein  Fieber  das  Gefasssystem  heftig  er- 
regt hat ,  je  stärker  z.  B.  der  Hautkranipf  und  je  heftiger  der  Frost  war, 
desto  stärkere  und  deutlichere  Krisen  werden  erfolgen.  Die  Krisen  zeigen 
sich  daher  am  meisten  bei  entzündlichen,  inflammatorischen  Fiebern  und  ge- 
ben somit  mehr  Licht  über  den  Charakter  des  Fiebers,  als  über  seine  Hef- 
tigkeit; denn  ein  gewöhnliches  Katarrhalfieber  kann  z.  B.  eine  recht  tüch- 
tige Krise  erregen,  dagegen  entscheiden  sich  die  schwersten  Nervenfieber 
meist  immer  per  Lysin ,  oder  wenigstens  durch  solche  Krisen ,  die ,  weil  sie 
undeutlich  auftreten,  oft  übersehen  werden,  z.  B.  durch  unbedeutende  Ex- 
antheme mit  darauf  folgender  Desquamation  und  theilweisem  Verlust  der 
Kopfhaare,  durch  gelinde  Diarrhöen  etc.  Cur  der  Fieber  im  Allge- 
meinen. Obgleich  es  keine  allgemein  gültige,  für  alle  Fieber  passende 
Curmethode  geben  kann,  da  die  Fieber  ihrem  Charakter  und  den  Ursachen 
nach  sehr  verschieden  sind;  so  giebt  es  doch  ein  ärztliches  Verfahren,  das 
in  der  Regel  zu  Anfange  aller  fieberhaften  Krankheiten  passend  ist  und  am 
Krankenbette ,  laut  der  täglichen  Erfahrung,  das  meiste  Heil  bringt.  Dieses 
Verfahren  beruhet  auf  dem  Grundsatze:  ,,  bei  jedem  einfachen  Fieber  sich 
mehr  negativ  als  positiv  zu  verhalten,  und  bei  den  verwickelten  heftigem 
Fiebern  zu  Anfange  ja  kein  Arzneimittel  ohne  gehörige  Indication  anzuwen- 
den ,  kein  Fieber  aus  wahrer  Schwäche  anzunehmen  und  lieber  etwas  Un- 
wirksames oder  gar  nichts,  als  reizende  eriiitzende  Mittel  zu  verordnen." 
Vor  dem  letztem  MissgrilTe  können  Anfänger  nicht  genug  gewarnt  werden. 
Es  giebt  bei  uns  keine  primär  asthenischen,  nervösen,  putriden  Fieber  bei 
früher  gesunden  Naturen,  und  auch  die  ganze  Gattung  von  Fiebern,  wel- 
che wir  Nervenfieber  nennen ,  sind  zu  Anfange  der  Krankheit  nichts 
•weniger  als  Schwächefieber.  Sie  verlaufen  nach  meiner  Erfahrung  da  oft 
am  glücklichsten,  wo  gar  kein  Arzt  hauset,  wo  die  Armuth  wohnt,  die  kei- 
nen Arzt  bezahlen  will.  Die  allgemeine  Behandlung  der  Fieber  muss  höchst 
einfach  seyn.  Folgende  Punkte  werden  dies  näher  erörtern:  1)  Jeder  Fie- 
berkranke verhalte  sich  ruhig  und  still,  spreche  nicht  viel,  athme  reine 
Zimmerluft,  Aermeide  Erkältung,  verweile  in  einem  Zimmer,  das  dem  Lichte 
zugänglich,  nach  Süden  gelegen,  und  im  Winter  nicht  zu  stark,  nicht  über 
12°  R.,  geheizt  ist.  2)  Tritt  der  Fieberfrost  ein,  so  muss  sich  der  Kranke 
zu  Bette  begeben,  sich  massig  warm  zudecken  und  etwas  warmen  Thee 
von  Flor,  sambuci,  auch  wohl  mit  etwas  Zucker  und  Succus  citri  vermischt, 
trinken.  3)  Alle  hitzige  Speisen  und  Getränke  sind  bei  Fieberkranken  in 
den  ersten  acht  Tagen  der  Krankheit,  wenigstens  bei  allen  Fiebern  in  un- 
serer Gegend,  deren  Charakter  der  Regel  nach  mehr  oder  weniger  entzünd- 
lich ist,  höchst  schädlich.  Daher  müssen  Kaffee,  Bier,  Branntwein,  Wein,, 
Rum,  Fleischspeisen,  Eier,  Mehlspeisen,  frisches,  grobes  oder  schlechte.-i 
Brot ,  vermieden  werden.  Strenge  Vermeidung  aller  reizenden ,  erhitzenden. 
Arzneien  giebt  am  Krankenbette,  nach  meiner  Erfahrung,  das  grösste  Glück. 
Die  Idee,  dass  gesunde  Menschen  schon  in  den  ersten  Tagen  der  Kri^nkiieit 
an  einem  Fieber  mit  wahrer  Schwäche  leiden  könnten,  ist  falsch.  Dass  die- 
ses aber  bei  ungesunden,  kachektischcn  Körpern,  bei  Personen  mit  Dyskra- 
sien ,  bei  Säufern ,  bei  zarten ,  sensibeln  Frauenzimmern ,  besonders  wenn 
solche  im  Wochenbette  liegen,  der  Fall  seyn  könne,  leidet  auch  keinen 
Zweifel.  Hier  führen  selbst  gelinde  Antiphlogistica  leicht  einen  Collapsus 
herbei  (s.  Delirium  tremens).  Dies  sind  aber  corrumpirte  Fälle  und 
Ausnahmen  von  der  Regel.  4)  Doppelt  schädlich  sind  alle  hitzige  Getränke 
im  Fieberanfalle,  sowol  in  der  Periode  des  Frostes,  als  in  der  Hitze;  sie 
können  heftige  und  tödtliche  innere  Entzündungen  erregen.  Dieselben  Nach- 
theile führen  die  reizenden,  erhitzenden  Arzneien:  Opium,  Kampher,  Vale- 
riana, Serpentaria  etc.  herbei.  Der  Mensch  darf  im  Fieberanfalle  ganz  und 
gar  nichts  essen;  mu.ss  dagegen  recht  viel  trinken:  in  der  Zeit  des  Fieber- 
frostes warmen  Thee,  in  der  Zeit  der  Fieberhitze  kühlende  Getränke,  um 
den  Durst  zu  löschen.  Hier  ist,  wenige  Fälle  ausgenommen,  reines,  fri- 
sches Quellwasser,  das  weder  gekocht,  noch  erwärmt,  im  Winter  nur  ein 
paar  Stunden   im  warmen  Zimmer   aufbewahrt  werden  muss,  das  allerbentc 


684  FEBRIS 

Getränk.      Auch    Zuclcerwas.SfT  mit   CitroiiPiisafl ,    Limonade ,    Obstbruhen, 
Haferschleim,    Brotwasser   sind    passend.     Der  Kranke  darf,    sollten  heftige 
Durchfälle    nicht  contraindiciren,    recht   viel  von    diesen  Getränken    trinken, 
and  er  muss  öfters  dazu  aufgefordert  werden.     Zur  beliebigen  Auswahl  und 
um  abzuwechseln,  da  einerlei  Getränk  dem  Kranken  oft  zuwider  wird,  die- 
nen folgende  in  Richter^s  Therapie  angegebene,  sehr  passende  Fiebergetränke: 
I^r  Rad.  scorzover. ,  Pnssnlnr.  minor,  ana  5Jjj ,  Hord.  decorticat. ,  Rnd.  liqui- 
rit.  ana  g)y,    Conc.  contus.  coq.  c.    Aq.  fontnnne  S)iv,    Col.  refrig.    adde  Syr, 
gucci  citri  5JJ.  M.  S.  Zum  gewöhnlichen  Getränk.     I^  Hordei  decortic.  (1!ord, 
perlat. ,   Aven.  decort.}  jjj ,    Coq.  c.  Aq.  fontnn.  Sv.   p.  V2  Jiorne.     Col.  adde 
Succ.  citri  rec.  expr.  '5i\s ,  Sncch.  hordei  3J.   M.  S.   Vt  prim.     ^'  Aqune  fon~ 
tan.  decoct.  puriss,  ffiv,    Acet.  vini  seu  Succ.  citri  gjjj,    Syr.  ruh.  id.  ^jj.  S. 
IJt  prius  (sehr  kühlend).     R;  Roob.  ribium  s.  cerasorum  s.  herber,  s.  moror. 
^,    inftmd.  c.  Aq.  fcrvid.  fijj — jjj.    Stent  ad  sohtt.  adde  Succ.  citri  q.  s.  ad 
grat.  sapor.  (für  Damen).     Bei  Neigung  zu  Durchfällen  passen  folgende  drei 
verschiedene  Formeln  zu  Getränken :  I^f  Sem.  milii  decoct. ,  Oryzac  coniritae , 
ana  3J,    Aqune  fontan.  ßv.    Coq.    per  Y4  hör.    Col.    adde   Sacch.    nlbi   q.   p. 
R  Amygdal.  dulc.  excort.  3vj,  Sem.  papav.  albi  5jjj  t^re  c.  Aq.  fontan.  pur~ 
u],   cui    adde   Syrup    althaeae   ^fy.      I^  Ras.    cornu  cervi  5)^,    Gxim.  mimos. 
3Jj  >  f^oq    c.  Aq.  fontan.  ßjjj ,    ut  remaneant  ffijj ,    col.  adde  Syr.  althaeae  §jj. 
Ist  Neigung  zu  Verstopfung  da,  so  passen  folgende  Ptisanen :  I^'  Crem.  tart. 
BJi  i  infund.  c.  Aq.  fönt,  fervid.  fi  jj ,  Stent  ad  solut. ,  sub  fin.  adde  Pulv.  rad. 
Uquirit.  3.ilv»  col.  adde  Conserv.  ros.  ^vj.     ^;  Crem.  tart.  jjj,  Passul.  major, 
contus.  §ijf\,  infunde  c.  Aq,  fönt.  ferv.  fe'iv,  ebnll.  paulisper.  Cola.     ^<  Pulp. 
tamarind.  5IV,    Post,  althaeae  3JJ ,   infund.    c.  Aq.  fönt,  fervid.   fijj,   stent  ad 
eolut.    Cola.     5)  Hat  ein  Fieberkranker  binnen  24  Stunden  keine  Leibesöff- 
nung gehabt,    so  lasse  man   ihn  nicht   blos  die  zuletzt   genannten  Fieberge- 
tränke ad  libitum  trinken,    sondern  man  verordne  auch  ein  eröffnendes  Kly- 
stier  (s.  Clysma  aperiens).      Ausserdem    beobachte   man   eine   sparsame, 
wässerige,  kühlende  Diät.     Arzneien  bedarf  es  zu  Anfange  der  gewöhnlichen 
einfachen  Fieber  gar  nicht.     Richter  sagt  (Spec.  Therapie  Bd.  L)  mit  Recht: 
„Da  sich  im  Anfange  alle  Fieber  gleich  sind  und  die  durch  Einwirkung  der 
Fieberursache  erzeugten  Zufälle  des  Reizes  allein  bemerkt  werden,  so  sollte 
man  eigentlich  so  lange  gar  keine  Arznei  verordnen ,  bis  sich  eine  deutliche 
Indication  zeigt.     Um   indessen    den  Kranken    nicht  ohne  Recept   zu   lassen, 
verordne  man  ein  Mittel,  welches  gelind  alle  Absonderungen,  besonders  die 
der  Haut,    befördert,    kühlt   und   den  Krampf  im   arteriellen  System    löst." 
z.  B.   ^l  Kali  carbon.  pur.  3^,    Succ.    citri  q.    s.  ad  saturationem ,   Aq.  flor. 
sambuci  3J^)j,  Tart.  emetici  gr.  j,  Syr.  cernsnr.  3J.  M.  S.  Zweistündlich  einen 
Esslöffel  voll.     Ist   aber   ein  Fieber  sehr  heftig   und   mit  Localentzündungen 
complicirt,    dann  erfordert  es  allerdings  kräftige  Mittel,  'Antiphlogistica  etc. 
(3.  Inflammatio,  Scarlatina,  Variolae,  Morbilli  etc.).     6)  Sobald 
sich  die  Vorboten  irgend  einer  wohlthätigen  Krise  einstellen,  suche  man  letz- 
tere durch  zweckdienliche  Mittel  zu  befördern,  und  störe  sie  gar  nicht;  z.B. 
solches    Nasenbluten    und    solche   Diarrhöe    dürfen    nicht    gestopft,     solche 
Schweisse  durch  ein  kühles  Verhalten  nicht  unterdrückt  werden.     7)  Höchst 
wichtig  ist  noch  die  Regel,  zur  Zeit  der  Kri.sen  ,   bei  den  Vorboten  dersel- 
ben ,    ein  bis  zwei  Tage  lang    gar  keine  Arzneien  zu  geben ,    damit  die  be- 
vorstehende   Krise  nicht   gestört  werde.      Will  sich    z.  B.   das  Fieber  durch 
Schweiss   entscheiden,    und    man    giebt  eine  Laxanz,    so    verdirbt  man  da.s, 
was    die  Natur   gut  machen    wollte.      Überhaupt   steht    man   sich    bei    allen 
activcn,  sich  durch  Krisen  entscheidenden,  nicht  zu  schweren,  also  der  Hef- 
tigkeit nach  mittelmässigen  Fiebern  am  besten ,    wenn  man  sich  mehr  passiv 
verhält,  weil  hier  ein  gutes  diätetisches  Verfahren  die  Hauptsache  ausmacht. 
Von  den  einzelnen  Fieberarten.     Alles,    was  die  Fieber  im  Be- 
sondern betrifft,    wird  hier  abgehandelt  werden;   da  aber  die  Fiebereinthei- 
hingen ,    deren  zum  Theil    schon  oben  gedacht  worden,    oft  auf  unwesentli- 
chen Dingen  beruhen  und  daher  ausscronlentlich  viele  Fiebernamen  entstan- 
den sind ,  wovon  oft  sehr  viele  auf  ein  und  dasselbe  Fieber  zu  gleicher  Zeit 


FEBRIS  685 

passen,  so  will  ich  auch  in  den  Beiwörtern  die  alphabetische  Reihefolge  bei- 
behalten und  hier  nur  soviel  bemerken,  dass  ich  als  Hauptarten  folgend« 
Fieber  statuire :  Fehris  inftammaiorxa .  F.  nervosa,  F.  neuropalhica ,  F.  pu- 
trida,  F.  tffistrica  {saOurralis,  biliosa,  verminosa,  pituitosa),  F.  intermittens 
und  F.  hecHca ;  ausserdem  aber  bei  den  gleichbedeutenden  Benennungen  auf 
den  gebräuchlichsten  Namen,  unter  welchem  ich  das  Fieber  abgehandelt  habe, 
verweisen  werde.  Wenn  ich  blos  auf  Febris  hinweise,  so  deutet  dies  an, 
dass  der  Name  schon  unter  der  Abhandlung  von  dem  Fieber  im  Allgemei- 
nen vorgekommen  und   seiner  Bedeutung  gedacht  worden  ist. 

Febris  ahdominalis ,  splanchriica  (^ Achermann').  Ist  eine  ungewöhnlich« 
Benennung  für  das  gastrische  Fieber;  s.  Febris  gastrica. 

Febris  acuta,  acutissima,  das  hitzige  und  das  sehr  schnell  verlaufend« 
Fieber.  Enteres  kann  21  Tage,  letzteres  nur  2 — 3  Tage  währen;  s.  Acu- 
tus morbus. 

Febris  adenosa,  Drüsen fi eben  So  hat  man  wol  die  Pest  und  jede« 
bösartige  Fieber  genannt;  s.  Febris  nervosa,  putrida,  Pestis. 

Febris  adynamica,  Schwächefieber,    s.  Febris  asthenica. 

Febris  aestiva  emopaea,  europäisches  Sommerfieber,  s.  Febris  inter- 
mittens. 

Febris  alba.  Ungewöhnliche  und  ältere  Benennung  für  Bleichsucht;  s. 
Icterus  albus. 

Febris  aniatoria,  Liebesfieber.  Auch  so  hat  man  die  Bleichsacht 
wol  genannt,  besonders  wenn  ein  Schwächefieber,  Febris  hectica,  hinzutritt; 
s.  Icterus  albus. 

Febris  amphemerina,  das  tägliche  kalte  Fieber,  s.  Febris  inter- 
mittens quotidiana. 

Febris  amuia,  Jahresfieber.  Es  herrscht  zu  einer  bestimmten  JaV 
reszeit,  entweder  im  Frühling  (Febr.  vernalis),  oder  im  Herbste  {Febr.  au- 
lumnalis),  oder  im  Sommer  (^Febr.  aesHva)  oder  im  Winter  (^Febr.  hijemalis). 
Sein  Charakter  ist  sehr  verschieden  und  diese  Eintheilung  giebt  uns  darüber 
allein  keine  Auskunft ;  bald  ist  er  stark  entzündlich ,  bald  katarrhalisch, 
rheumatisch,  gallig  u.  s.  w.  (s.  Febris  und  Co  ns  ti  tutio). 

Febris  auoinala,  ist  ein  Fieber  ohne  festen  Typus  (s.  Febris),  wie 
dies  bei  nervösen  und  Nervenfiebern  am  häufigsten  der  Fall  ist. 

Febris  anlicipans  und  postponens.  Ist  ein  Fieber  mit  Typus  anticipan«i 
oder  postponens,  wie  dies  bei  der  Febr.  intermittens  öfters  vorkommt.  Der 
erstere  Typus  giebt  eine   bessere   Prognose  als  der  letztere  (s.  Febris). 

Febris  aphtliusa,  das  Aphthe ufi eher.  Ist  eine  Abart  des  Nerven- 
und  Faulfiebers,  das  aus  einem  Gallenfieber  entstand,  und  wobei  die  Aphthen 
mitunter  etwas  Wesentliches  sind  (s.  Febris  putrida,  B'ebr.  neuro- 
pathica), 

Febris  ardens,  Causus,  das  Brennfieber.  Galen  nennt  so  die  Febris 
intermittens  tertiana.  Neuere  verstehen  darunter  ein  heftiges  Bntzündungs- 
fieber,  eine  Synocha  im  höhern  Grade,  wo  brennende  Hitze,  sehr  starker 
Durst  und  Leberafiectionen  zugegen  sind  (s.  Febris  inflammat oria). 
Viele  verstehen  auch  darunter  die  Synocha  nervosa,  wobei  bekanntlich  eine 
hohe  Temperatur  des  Körpers  stattfindet.  Ältere  auch  das  Gallenfieber  (s. 
Febris   biliosa). 

Febris  arieriosa,  Febr.  vasorum,  Febr.  cardiaca  Ackermanni,  Gefäss- 
fieber.  Ist  ein  solches  Fieber,  wo  der  Sitz  besonders  im  Herzen  und  den 
grossen  Gefässen  ist,  also  unser  hypersthenisches ,  stark  entzündliches  Fie- 
ber, unsere  Synocha  sanguinea,  welche  die  neuern  Franzosen  Arteriitis, 
Arterienentzüudung  nennen  und  ganz  aus  den  Fiebern  wegstreichen.  Da 
wir  aber  dieses  Fieber  leichter  als  die  etwa  vorhandene  Arteriitis  erkennen 
können,  welche  letztere  nur  die  Section  aufhellet,  so  bleiben  wir  in  diesem 
Handbuche  dem  alten  Namen  getreu  und  nennen  es  entzündliches  Fieber 
(s.  Febris  infl  ammatoria),  ohne  deswegen  eine  dabei  etwa  stattfin- 
dende Arteriitis,  die  doch  wol  nicht  immer  die  nächste  Ursache,  sondern 
oft  auch  Folge  dieses  Fiebers  seyn  mag,  im  geringsten  zu  leugnen. 


686  'FEBRIS 

Fehris  asodes,  Gallenfieber,   s.  Fcbris  biliös a. 

Febris  asthenica,  das  asthenische  Fieber.  Ist  dasjenige  Ding,  das 
zur  Zeit  des  Brownianisinus  in  Deutschland  soviel  in  den  Köpfen  der  Ärzte 
gespukt  hat  und  sie  verleitete,  recht  tüchtig  mit  Wein,  Valeriana,  Arnica, 
Serpentaria,  Kampher  etc.  zu  excitiren  und  dadurch  Tausende  von  Fieber- 
kranken ins  Grab  zu  stürzen,  die  nach  meiner  Überzeugung  gerettet  wor- 
den wären,  hätten  sie  gar  keine  ärztliche  Hülfe  gehabt.  Ein  ursprüngliches 
Schwächefieber  (Febris  asthenica  seu  adynauüca  primaria)  giebt  es  gar  nicht; 
dass  indessen  bei  vorhandener  wahrer  Schwäche  ein  jedes  Fieber  leicht  asthe- 
nisch werden,  d.  h.  die  schon  vorhandene  Schwäche  noch  vermehren  könne, 
ist  leicht  zu  begreifen,  erklärt  aber,  wie  Sundeliti  ganz  richtig  sagt,  kei- 
neswegs das  ursprünglich  asthenische  Fieber.  Dass  wir  ferner  bei  den  Fie- 
bern schwächlicher,  vorher  schon  ungesunder  Naturen,  wenn  auch  der  Cha- 
rakter des  Fiebers  entzündlich  ist,  nicht  in  dem  Grade  schwächen  dürfen 
wie  bei  andern  robusten  Personen,  ist  bekannt;  es  giebt  hier  Zustände,  wo 
wir  weder  schwächen  noch  reizen  dürfen ,  z.  B.  beim  eigentlichen  Nerven- 
fieber ,  und  dennoch  würde  es  höchst  einseitig  seyn  ,  hier  ein  asthenisches 
Fieber  anzunehmen.  Die  Zeichen  der  wahren  Schwäche  bei  Fiebern  sind 
bekannt  (s.  Adynamia).  In  diesem  Sinne  kann  jedes  Fieber  in  seinem 
Verlaufe  asthenisch  werden.  Dies  ist  besonders  der  Fall,  1)  wenn  die  in- 
tiammatorischen  Fieber  und  die  damit  meist  immer  verbundenen  Localent- 
zündungen  nicht  streng  genug  antiphlogistisch  behandelt  wurden;  2)  wenn 
die  schwächende  Methode  übertrieben  worden  war;  3)  wenn  man  reizende, 
erhitzende ,  sogenannte  stärkende  Mittel  in  der  falschen  Voraussetzung  ,  von 
Asthenie  anwandte ,  wodurch  erst  eine  sogenannte  indirecte  Asthenie  hervor- 
gerufen wurde.  Die  Eintheilung  der  Fieber  nach  Brown'schen  Grundsätzen 
in  hypersthenische  und  asthenische  ist  für  die  Praxis,  wie  schon  oben  be- 
merkt worden,  sehr  nachtheilig  gewesen.  Ebenso  nachtheilig  ist  der  falsche 
Grundsatz,  dass  nervöse  Fieber,  Nervenfieber  und  Typhus,  diese  drei  schon 
unter  sich  wesentlich  verschiedenen  Krankheiten ,  asthenische  Fieber  wären. 
Ich  statuire  nur  solche  Fieber  letzterer  Art,  die  es  in  ihrem  Verlaufe  unter 
besondern  Umständen,  vorzüglich  durch  ein  tiefes  Leiden  des  Nervensystems 
und  darauf  folgende  Entmischung  der  Säfte,  zumal  des  Blutes,  werden. 
So  ist  mir  ein  jedes  ausgebildete  Faulfieber,  wenn  die  erste  Periode  des 
Reizfiebers  vorüber  ist  und  alle  Zeichen  der  Fäulniss,  daneben  ein  grosser 
CoUapsus  vasorum,  da  sind,  ein  asthenisches  Fieber  (s.  Febris  putrida). 
Wo  dieses  nicht  der  Fall  ist,  da  hüte  man  sich  ja,  wahre  Schwäche  anzu- 
nehmen ;  denn  nichts  ist  täuschender  als  das  subjective  Gefühl  von  Schwä- 
che bei  Fieberkranken  und  der  sogenannte  schwache  Puls.  Man  beobachte 
solche  Kranke  zu  verschiedenen  Tageszeiten  und  schon  der  Wechsel  der  Zu- 
fälle ,  der  Wechsel  der  Gefühle  wird  uns  lehren ,  dass  Schwäche  hier  kein 
constantes  Symptom  ist.  Ausserdem  ist  auch  die  Meinung,  wirkliche  Schwä- 
che durch  flüchtig  reizende  Mittel ,  durch  Wein ,  Kampher,  Serpentaria  etc. 
beben  zu  können,  höchst  falsch  und  einseitig.  Solche  Mittel  sollen  uns  nur 
dazu  dienen ,  den  Weg  für  die  permanent  stärkenden  ftlittel :  bittere  Ex- 
tracte,  China,  Nutrientia  zu  bahnen.  Wenden  wir  sie  anhaltend  an,  so 
wird  der  Kranke  dadurch  immer  schwächer,  immer  reizbedürfiiger,  ebenso 
wie  der  Säufer,  der  immer  grösserer  Dosen  von  Spiritiiosis  bedarf  und  des- 
sen Körper  dennoch  immer  schwächer  wird^  so  dass  CoUapsus  vasorum  und 
Delirium  tremens  erfolgt. 

Febris  alrnbilaria,  schwarz- galliges  Fieber.  So  nennt  Gate» 
das  viertägige  Fieber  (s.  Febris  intermittens  quartana),  welches  die 
alten  Ärzte  bekanntlich  von  der  schwarzen  Galle  ableiteten.  Andere  ver- 
stehen darunter  ein  secnndäres  gastrisches  Fieber,  was  die  Neuern  auch  wol 
venös -gastrisches  Fieber  nennen  (^Grant,  Bcrcnds). 

Febris  ati/picn,  nlactica ,  crraticn.  Ist  ein  Fieber  ohne  festen  Typus, 
also  identisch  mit  Febris  anomala  (s.  Febris).  Das  Wort  atypisch  wird 
auch  häufig  füi*  Febris  nervosa,  maligna  genommen ,  deren  Charakter  nichts 
Typisches  hat  (Uufehmd). 


FEBRIS  a87 

Febüs  6(Wi</nrt,  das  g^iitarti^e  Fieber,  im' Ge^nsatze  zu  dem  bösar- 
tigen (FeUris  maligna).  Bei  der  benigna  zeigen  die  Symptome  gar  keine,  bei 
der  maligna  viel  Gefahr  an.  Da  jedes  gutartige  Fieber  durch  zufällige  Um- 
stände bösartig  werden  kann,  so  lässt  sich  kein  feststehendes  Kriterium  der 
Bösartigkeit  auffinden,  und  deshalb  verwarf  schon  Sydenham  mit  Recht  diese 
Eintheilung.  „Jedes  heftige,  grosse  Fieber  kann  leicht  gefährlich,  also  bös- 
artig werdön  ,  sagt  Berends  (Worles.  von  SundeUn  Bd.  II.  S.  76).  Einigt) 
suchen  das  Kriterium  der  Bösartigkeit  in  einer  Neigung  zur  Zersetzung  der 
organischen  Substanz ,  welche  bei  einigen  Fiebern  sehr  bald  hervortritt 
Andere  in  der  contagiösen  Natur,  oder  in  einem  bald  hervortretenden  Dar- 
niederliegen der  Kräfte ;  wieder  Andere  in  dem  Hervortreten  ganz  ungewöhn- 
licher Symptome  oder  in  einer  täuschenden  Gelindigkeit,  aus  welcher  plötz- 
lich die  bösesten  Symptome  und  die  grösste  Gefahr  hervorgehen.  Allen  die- 
sen Bestimmungen  liegt  allerdings  etwas  Wahres  zum  Grunde,  allein  es  ist 
dennoch  nicht  hinreichend,  um  die  bösartigen  Fieber  als  ein  eigenes  Ge- 
schlecht hinzustellen."  Berends  macht  mit  Recht  darauf  aufmerksam,  dass 
die  Fäulniss  so  wenig  wie  die  Contagiosität  das  Kriterium  der  Bösartigkeit 
sey,  obgleich  ältere  Ärzte  das  Faulfieber  schlechtweg  Febris  maligna  nen- 
nen, sowie  es  denn  auch  sehr  gutartige  contagiöse  Fieber,  z.  B.  manche 
Blattern-  und  Masernfieber,  geben  kann.  Er  nennt  aber  ein  solches  Fie- 
ber besonders  bösartig,  das  einen  unregelmässigen  Verlauf  mit  Symptomen« 
die  unter  sich  nicht  übereinstimmen,  nimmt.  Aber  auch  dies  ist  kein  siche- 
res Kriterium;  denn  bei  solchen  Fiebern  tritt  zuweilen  selbst  sehr  schnelia 
Genesung  ein,  wie  dies  bei  den  nervös  -  erethistischen  Fiebern  der  Wöchne- 
rinnen, bei  der  sogenannten  Febr.  puerperalis  incipiens  oft  der  Fail  ist  (Mos// 1 
\ogel  sagt  (Handb.  d.  prakt.  Arzneiwissenschaft  Th.  I.  S.  17):  „Gutartige 
B'ieber  nenne  ich  solche,  die  an  sich  betrachtet  keihe  ungewöhnliche  und 
gefährliche  Zufälle  begleiten ,  und  bei  sonst  gleichen  Umständen  unter  einer 
guten  und  der  Krankheit  angemessenen  Behandlung  einen  guten  Ausgang  zu 
haben  pflegen.  Bösartige  sind  diesen  entgegengesetzt.  Diesen  möchte  ich 
noch  einen  dritten  Zustand  lünzusetzwi,  wo  gute  uhd  schlechte  Zeichen  so 
mit  einander  vermischt  sind,  dass  sie  einander  gleichsam  die  Wage  halten 
und  dass  aus  dem  Umfange  aller  Umstände  weder  für  das  Eine ,  noch  für 
das  Andere  etwas  Bestimmtes  fliesst.  Übrigens  können,  nach  meinen  Be- 
griffen, Gut-  und  Bösartigkeit  in  einander  übergehen."  Logisch  richtiger 
würde  es  seyn,  wenn  wir  keine  Febris  benigna  und  maligna  statuirten,  son- 
dern dafür  die  Ausdrücke:  „Fieber  mit  laichten  gefahrlosen  Zufällen,  oder 
mit  schweren,  bedeutenden  Symptomen"  wählten,  wobei  wir  denn  ganz  be- 
sonders auf  unserer  Hut  seyn  müssen,  scheinbar  gefährliche  Zufälle  (man 
denke  an  den  epileptischen  Insult)  von  wirklich  Gefahr  bringenden  genau 
und  streng  zu  unterscheiden. 

Fehris  hiliosn,  pohjchalicn,  Sijnochits  hiliosiis,  Febr.  asodes  ^  Febr.  cko- 
lerica  (^HofJ'mnnn^,  Febr.  mesenicrica  (^Baißwi),  Febr.  gastricn  i^Ballonim'), 
Febr.  intestinalis  {Riedel,  Heister),  Febr.  nrdens,  Cmtsus  der  Altern,  Febris 
hejmtica  Richteri,  das  Gallenfieber.  Ist  ein  solches  Fieber,  wobei  eine 
vermehrte  Gallenabsonderung  entweder  als  Ursache  oder  als  begleitendes 
hervorstechendes  Symptom,  das  oft  erst  im  Verlaufe  des  Fiebers  erscheint, 
zugegen  ist.  Diese  vermelirte  Gallensecretion  hat  wieder  ihren  Grund  in 
einer  krankhaften  Reizung  und  Vollsaftigkeit  der  Leber ,  die  bald  idiopa- 
thisch,  bald  sympathisch,  vom  Gehirn  ausgehend,  seyn  kann.  Zur  Zeit 
des  in  Deutschland  herrschenden  Gastricismus,  jener  Lehre,  deren  Repräsen- 
tanten ein  Tissot,  Stoll,  Richter  und  zum  Theil  auch  Voyel  waren,  dehnte 
man  das  Gebiet  der  gastrischen  Fieber,  worunter  die  Febris  biliosa  gehört, 
sehr  weit  aus;  daher  ist  es  nothwendig,  verschiedene  hierher  gerechnete 
Fieberzustände  genau  zu  unterscheiden.  1)  Häufig  ist  von  altern  und  neuern 
Ärzten  jedes  heftige  inflammatorische  Fieber,  besonders  die  Synocha  nervosa 
mit  bedeutenden  Hirnaffectionen,  die  sympathisch  die  Leber  in  t  Mitleiden- 
schaft ziehen,  unrichtig  erkannt  und  mit  dem  Namen  Febris  biliosa  inflam- 
matoria  benannt  worden.     Auch-  hat  man  Hepatitis  nicht  selten  für  Gallen- 


688  FEBRIS 

fieber  gehalten.  Diese  Zustände  sind  aber  sehr  Tefschiedan.  Bei  FebrU 
biliosa  ist  die  Leber  nur  in  einem  gereizten,  nicht  entzündeten  Zustande, 
und  die  Synocha  nervosa,  die  häufige  Begleiterin  der  Encephalitis,  unter- 
scheidet sich  hinreichend  von  dem  eigentlichen  Gallenfieber  dadurch,  dass 
die  gastrischen  Zeichen  gleich  zu  Anfange  der  Krankheit  nur  unbedeutend, 
dagegen  die  Symptome  der  Kopfaffection  hervorstechend  sind.  Berends  sagt 
(Vorles.  Bd.  II.  S.  212):  ,,Das  Gallenfieber  kann  sich  unter  mancherlei 
Krankheitsformen  verstecken  und  kann  als  Encephalitis  biliosa,  als  Gastritis, 
Hepatitis  biliosa,  als  Apoplexia  biliosa.  in  Form  von  Krämpfen  (Convulsio- 
nes  biliosae) ,  selbst  als  Amaurose ,  als  Angina ,  Pneumonie ,  Pleuritis ,  als 
Haemoptysis  und  Dysenteria  biliosa  auftreten ;  acute  und  chronische  Exan- 
theme können  ebenfalls  den  galligen  Charakter  haben.  Auch  Erysipelas, 
Urticaria  sind  nicht  selten  biliös,  ja  es  giebt  auch  gallige  Flechtenaus- 
Bchläge.  Dergleichen  verlarvte  gallige  Krankheiten  kommen  besonders  in 
gewissen  Jahren  vor,  wo  der  gallige  Genius  epidemisch  oder  als  stationäre 
Krankheit  herrscht."  Allerdings  liegt  hierin  für  den  Praktiker  viel  yVc.hre8. 
Es  giebt  Zeiten,  wo  Leber-  und  Gehirnaffectionen  zu  jedem  Fieber  kom- 
men können,  desgleichen  zu  den  acuten  Exanthemen,  zu  Innern  Entzündun- 
gen, sowie  auch  die  chronischen  Hautausschläge  und  die  Rose  mit  der  Le- 
berfunction  fast  immer  in  Verbindung  stehen ,  daher  auch  Rust  mit  Recht 
die  ächte  und  falsche  Rose  unterscheidet  (s.  Erysipelas  und  Pseudo- 
Brysipelas).  In  solchen  Zelten  entscheiden  sich  fast  alle  Fieber  und  Ent- 
zündungen durch  Leber-  und  Darmkrisen,  so  wie  das  Gallenfieber,  aber 
deswegen  hat  man  noch  kein  Recht,  jene  Fieber  und  Entzündungen  biliös 
zu  nennen,  so  wie  es  auch  höchst  falsch  seyn  würde,  sie  gleich  anfangs  mit 
Brech  -  und  Purgirmitteln  zu  behandeln  und  die  oft  höchst  nöthlgen  Blut- 
ausleerungen und  andern  Antiphlogistica  zu  versäumen  oder  nicht  vorherge- 
hen zu  lassen,  wenn  anders  die  Zeichen  wiiklicher  heftiger  Entzündung, 
nicht  blos  entzündlich  -  gallige  Affectionen  oder  Reizungen  neben  dem  Fieber 
da  sind.  Im  letztern  Falle  sind  gelinde  Brechmittel,  Digestiv-  und  Purgif- 
mittel hinreichend  und  auch  indicirt;  ja  alle  kühlende  Salze,  die  diese  Wir- 
kung nicht  haben,  vermögen  hier  nicht  so  viel  als  kühlende  Purgirsalze, 
Sundelin  sagt  mit  Recht  in  s.  Anmerk.  zu  Berends' s  Vorles.  Bd.  II.  S.  212: 
„  Man  muss  jene  entzündlich  -  galligen  Affectionen  oder  Reizungen ,  w  eiche 
der  antiphlogistischen  Behandlung  keinesweges  weichen ,  sondern  nur  erst 
aufhören,  wenn  die  Leber-  und  Darmkrise  eingetreten  ist,  und  deshalb  den 
Gebrauch  der  Digestiv-,  Brech-  und  Purgirmittel  erheischen,  keinesweges 
mit  denjenigen  symptomatischen  Entzündungen  verwechseln,  welche  in  den 
die  kritischen  Ausleerungen  übernehmenden ,  und  zu  diesem  Zweck  von  der 
Naturkraft  zu  einer  höhern,  leicht  excedirenden  Thätigkeit  angeregten  Se- 
cretionsorganen ,  in  der  Leber  und  im  Darmcanal ,  entstehen  und  allerdings 
örtliche  Blutentziehungen,  versüsstes  Quecksilber  und  besonders  Blasenpfiaster 
erheischen,"  (Diese  Zustände  hat  man  wol  Hepatitis  chronica,  Gastritis 
chronica  etc.  genannt.)  „Von  beiden  wieder  verschieden  sind  die,  in  Folge 
der  Reizung  der  ersten  Wege  von  den  abgelagerten  scharfen  Stoffen  ent- 
stehenden, entzündlichen  Affectionen  der  ersten  Wege.  Sie  indiciren,  nebst 
einer  möglichst  raschen  Ausleerung,  ein  demulcirendes  Verfahren."  Ganz  so 
beobachtete  ich  die  sogenannten  nervös -galligen  Fieber,  welche  hier,  in 
und  um  Rostock,  im  Jahre  1829  epidejnisch  herrschten,  und  wobei  oft 
vierzehn  Tage,  lang  Durchfälle  stattfanden.  Ich  gab  anfangs  ein  Vomitiv, 
nachher  stets  Emulsionen:  Emuls.  amygdalar.,  papaver.  albi  etc.,  meist  ohne 
allen  andern  Zusatz,  zuweilen  mit  Natrum  nitricum  vermischt  (s.  Dysen- 
teria), und  rettete  dadurch  Personen,  die  schon  Tage  lang  im  Delirium 
blandum  und  Sopor  gelegen  hatten.  Alles  heftige,  active  Verfahren  war 
nachtheilig,  wie  mehrere  hiesige  Ärzte  leider!  genug  haben  erfahren  müssen. 
2)  Wir  unterscheiden  in  der  Praxis  mehrere  verschiedene  Zustände  von  Gal- 
lenfieber :  a)  Febris  n  coJIuvie  biliosa  ortn.  Ist  zu  Anfange  ein  blosses  Sa- 
burralfieber,  von  Polycholie,  von  zu  reichlichem  Erguss  der  Galle  in  den 
Magen  und  Zwölffingerdarm  entstanden.     Symptome.   Gleich  anfangs  gelb 


FEBRIS  689 

belegte  Zunge,  bitterer  Geschmack,  Ekel  vor  Fleischnahrung,  Brennen  im 
Mastdarm,  trüber  hochgefarbter  Urin,  grüne,  dünne  Stuhlgänge;  die  Krank- 
iieit  kommt  sporadisch  vor  bei  Subjecten,  welche  an  Polycholie  leiden. 
Ursachen.  Werden  unten  angegeben  werden.  Cur.  Zuerst  ein  Vomitiv 
aus  gr.  jj  Tart.  emet.  und  5j  Crem.  tart. ;  ist  schon  spontanes  Erbrechen 
erfolgt,  so  ist  lauwarmer  Chamillenthee,  in  Menge  getrunken,  sehr  gut. 
Nachher  giebt  man  milde  bittere  Extracte :  Extr.  taraxaci ,  graminis  mit 
Tart.  depur. ,  Crem,  tartari  etc.  b)  Febris  liliosa  secundaria,  Febr.  humo- 
ralis,  venosa  der  Alten,  Febris  hepaiica  Richteri.  Dieses  Fieber  ist  das 
wahre  Gallenfieber  und  nicht  so  leicht  als  das  vorige  Fieber  zu  heilen. 
Symptome.  In  den  ersten  Tagen  der  Krankheit  oft  kein  Zeichen  von 
Gallenergiessung  in  den  ersten  Wegen;  denn  die  Schärfe  der  Galle  hat  ei- 
nen krampfhaften  Zustand  in  den  Gallengängen  erregt,  wodurch  die  Aas- 
leerung der  Galle  in  den  Darmcanal  verhindert  wird  (Äic/t/tr).  Die  Zunge 
ist  rein,  die  Präcordien  sind  frei,  obgleich  wol  selten  der  bittere  Geschmack 
fehlt  (^Berends).  Das  Fieber  beginnt  mit  bedeutendem  Froste ,  worauf  an- 
dauernde staike  Hitze  folgt;  dabei  heftiger,  wüthender  Durst,  starker 
Kopfschmerz ,  häufig  mit  Delirien  und  vorzüglich  im  Vorderkopfe.  In  vielen 
Fällen  sind  die  gastrischen  Symptome  aber  schon  gleichzeitig  da:  bitterer 
Geschmack ,  gelbliche  Gesichtsfarbe ,  übelriechender  Athem ,  gelb  belegte 
Zunge,  hochgefärbter  Urin,  der  Leinwand  safrangelb  färbt  und  durch  Zu- 
satz von  Acid.  muriat.  einen  grünen  Niederschlag  (Zeichen  von  Gallenge- 
halt)  bildet.  Die  Fieberhitze  ist  brennend,  der  Puls  breit,  voll  und  weich, 
zuweilen  aussetzend ,  die  Wangen  färbt  eine  umschriebene ,  ins  Gelbliche 
spielende  Röthe,  ähnlich  dem  Minium  rubr. ,  die  Herzgrube  ist  geschwol- 
len und  schmerzhaft,  zuweilen  pulsirend.  Die  gelbliche  Färbung  erscheint 
auch  im  Weissen  des  Auges ,  in  den  Mundwinkeln  ■,  an  den  Nasenflügeln. 
Häufig  stellt  sich  bitteres  Aufstossen  und  galliges  Erbrechen  ein.  Es  er- 
folgen heftige  Schmerzen  in  den  Hypochondrien,  Brust-  und  Seitenstiche, 
Auftreibung  des  Unterleibes ,  Obstructio  alvi  oder  symptomatische  Diarrhöe. 
Das  Fieber  ist  des  Vormittags  am  heftigsten,  sein  Charakter  am  häufigsten 
entzündlich,  in  seltenern  Fällen  und  bei  verkehrter  Behandlung  wird  er 
später  faulig ;  die  Krise  erfolgt  durch  galliges  Erbrechen  und  Purgiren. 
Heftiger  Kopfschmerz,  Ohrensausen,  verstärkte  Speichelabsonderung,  Locker- 
werden des  Zungcnbelegs,  häufige  Schauder  zeigen  den  Turgor  nach  Oben 
an  und  indiciren  zu  einem  Vomitiv ;  Schwere  und  ziehende  Schmerzen  in 
den  Schenkeln,  Kolikschmerz,  intermittirender  Puls  deuten  auf  den  Turgor 
nach  Unten.  Meist  folgt  zuerst  Erbrechen,  später  Durchfall.  Die  Auslee- 
rungen sind  bald  dünn ,  bald  dicker  an  Consistenz ,  sind  gelblich ,  grünlich, 
schwärzlich  und  zuweilen  so  scharf,  dass  sie  Magenkrampf,  Brennen  im 
Halse,  Wundseyn  des  Afters,  selbst  Enteritis  erregen  können.  Die  Gene- 
sung erfolgt  nach  hinreichenden  durch  Natur-  oder  Kunsthülfe  hervorgeru- 
fenen kritischen  Darmausleerungen  oft  sehr  schnell.  Erfolgen  diese  Krisen 
nicht,  so  stellen  sich  Brustschmerzen,  trockner  Husten,  Zeichen  von  fal- 
scher Pneumonie  und  Pleuritis  ein.  Ein  reichlicher  rother  Bodensatz  im 
Urin  und  ein  allgemeiner  duftender  Schweiss  sind  auch  als  kritisch  heilsam 
zu  betrachten.  Ursachen  des  Gallen fi eher s.  Sind  im  Allgemeinen 
dieselben  der  Gallenruhr  (s.  Cholera).  Die  Krankheit  ist  oft  epidemisch, 
oft  endemisch;  sporadisch  erregen  sie  heftige  Gemüthsbewegungen,  grobe, 
schwer  zu  verdauende  Kost,  Ubermass  im  Genuss  der  Spirituosa,  verschie- 
dene Gifte.  „Endlich  entsteht,  sagt  Berends,  das  Gallenfieber  auch  con- 
sensuell  vom  Gehirn  aus  durch  Hirn reizun gen ,  Hirnentzündung,  Kopfver- 
letzungen." Diagnose.  Für  die  Praxis  müssen  wir  genauer  die  Synocha 
nervosa  von  der  Febris  biliosa  unterscheiden.  Bei  jener  treten  die  Zufalle 
von  Leberaffection  erst  am  5ten,  7ten  Tage  zu  dem  "heftigen,  mit  Kopfaf- 
fection  verbundenen  Fieber.  Dagegen  nenne  ich  nur  denjenigen  Zustand 
ein  Gallenfieber,  wo  die  Zeichen  der  PolyCholie  schon  am  ersten  Tage  der 
Krankheit  mit  auftreten.  Hier  sind  die  Vomitive  bei  massigem  Fieber  indi- 
cirt ,  dort  passen  Kälte  und  kühlende  Purganzen ,  und  ein  Vomitiv  würde 
.Most  Encyklopädie,  2te  Aafl,  T.  44 


690  FEBRIS 

doi  Hirnleiden  Termehren,  obgleich  ich  von  der  herrlichen  Wirkung  dessel- 
ben im  Stadium  moibi  fiencid  und  ehe  heftiges  Fieber  da  ist,  besonders  bei 
der  zur  Synocha  nervosa  so  sehr  geneigten  Scarlatina ,  mich  öfters  über- 
zeugt habe.  Cur  des  wahren  Gallen  fi  eher  s.  Bei  der  Febris  biliosa 
secundaria  suchen  wir  zuerst  den  Gallenstoff  durch  milde  Mittel  nach  dem 
Darmcanal  zu  locken,  verordnen  zum  Getränk  Cremor  tartari  und  Zucker- 
wasser in  Menge ;  ausserdem  H/  ^o'-  Riverii  c.  succo  citri  parat.  5Jjj ,  Aqua0 
chnmouiill . ,  —  melissne  ana  gjj ,  Syr.  mannae  5J,  Tart.  emct.  gr.  j.  M.  8. 
Stündlich  einen  Esslöllel  voll.  Ist  die  Reizbarkeit  des  Darmcanals  aber  sehr 
gross,  so  dass  schon  von  selbst  Erbrechen  und  Durchfall  erfolgt,  was  oft 
selbst  zu  Anfange  der  Krankheit  der  Fall  ist  und  mehrere  Tage  anhalten 
kann,  sind  Magen-  und  Leibschmerz  bedeutend,  so  passen  die  genannten 
Mittel  nicht ;  wir  müssen  sie  hier  wie  eine  Cholera  ansehen ,  innerlich  De- 
coct.  salep ,  althaeae ,  Emuls.  amygdalar. ,  im  Nothfalle  selbst  kleine  Ga- 
ben Opium  geben,  erweichende,  schleimige,  ölige  Klystiere  und  äusserlicb 
aromatische  Fomentationen,  selbst  Senfteige  auf  den  Unterleib  anwenden, 
bis  die  Reizung  vorüber  ist ,  alsdann  passen  die  obigen  Mittel :  Pot,  Riverii, 
Crem,  tartari  etc.  Häufig  turgescirt  die  Galle  zugleich  nach  Oben  und  Un- 
ten. Hier  gebe  man  nach  Beseitigung  des  Reizes  und  Krampfs  ein  VomitiT 
aus  Ipecac.  3j  und  Tart.  eniet.  gr.  j — jj  ,  welches  in  4  Theile  getheilt  und 
davon  alle  V4 — Vi  Stunden  ein  Theil  genommen  wird  {BerenJs).  Nach  der 
Ausleerung  geben  wir  ein  paar  Tage  viel  Crem.  tart.  mit  Zuckerwasser, 
oder  Ser.  lact,  tamarindorum ,  Decoct.  fruct.  tamarindorum.  Wiederholung 
dieser  Brech-  und  Laxirmittel  sind  nur  selten  nothwendig.  Bewirken  sie 
längere  Remissionen  des  Fiebers,  so  sind  sie  indicirt  gewesen.  Nach  gehö- 
rigen Ausleerungen  passen  bis  zur  Genesung  Extr.  taraxaci ,  graminis ,  car- 
dui  bened. ,  rutae,  gentianae,  zuerst  mit  Aq.  fontana  und  etwas  Salmiak, 
später  mit  aromatischen  Wassern ,  am  Ende  mit  Tinct.  rhei  vinosa  und 
aquosa,  Infus,  cal.  aromatici.  Die  China  wird  hier  nur  spät  und  selten  ver- 
tragen, c)  Zuweilen  hat  das  Gallenfieber  einen  stark  entzündlichen  Cha- 
rakter (Febris  biliosa  intlammatoria).  Hier  sind  Blutausleerungen  und  an- 
dere Antiphlogistica  die  ersten  Mittel,  besonders  wenn  Hirn-  oder  Lungen- 
entzündungen zugegen  sind  (s.  Febris  inflammatoria),  sonst  nimmt 
das  Fieber  leicht  den  putriden  Charakter  an.  Aber  auch  hier  sind  Vomitive 
oft  neben  den  gelinden  säuerlichen  Laxativen  zu  Anfange  die  besten  Mittel 
(s.  Febris  putrid a).  d)  Unter  die  Febres  biliosae  malignae,  putridae 
hat  man  in  frühern  Zeiten  eine  ganze  Classe  bösartiger,  miasmatischer,  zum 
Theil  contagiöser  Fieber:  das  westindische  gelbe  Fieber,  die  sogenannte 
amerikanische  Pest,  die  Sumpffieber  des  Pringle,  die  Cholera  morbus,  weil 
hierbei  bedeutende  Leberaffectionen  sind,  gerechnet;  hat  die  ebenso  bedeu- 
tenden Hirnaffectionen  hier  aber  zu  gering  angeschlagen  (s.  Febris  pu- 
trida  und  Typhus),  e)  Alle  nicht  epidemischen,  also  sporadisch  entste- 
henden Gallenfieber  sind,  wenn  sie  nicht  zu  heftig  auftreten,  als  wohlthä- 
tige  Natnrbestrebungen  zu  betrachten,  die  durchaus  kein  eingreifendes  Ver- 
fahren erdulden,  sondern  nur  ein  leitendes,  milderndes,  die  Leber-  und 
Darmkrise  beförderndes.  Sie  heben  nämlich  die  sogenannte  übermässige 
Venosität  des  Körpers ,  entfernen  Atrabilis ,  Lifarcten  ,  Hämorrhoidal  -  und 
Gichtdyskrasie ,  und  sind  somit  im  Mannesalter  bei  cholerischem  Tempera- 
mente ,  bei  starker  Leberfunction ,  bei  Gelehrten ,  Hypochondristen ,  bei 
Vita  scdentaria  oft  sehr  erwünschte  Fieber.  Ja,  mir  sind  zwei  Fälle  vor- 
gekommen, wo  ein  solches  Gallenfieber  eine  mehrjährige  Epilepsie  nocturna 
ex  abdomine  heilte. 

Febris  brevis,  das  kurze  Zeit  dauernde  Fieber.  Ist  ein  leichtes 
gelindes  Fieber,  z.  B.  eine  Ephemerea  trium  dierum,  s.  Febris  simplex. 

Febril  britanuica  scu  gnviirncnosa ,  das  englische,  brandige  Fie- 
ber. Ein  bösartiges,  epidemisches  Faulfieber,  das  öfters  in  England 
herrschte ,  unter  den  heftigsten  Symptomen  auftrat  und  durch  Brand  schnell 
tödtele;  s.  Febris  putrid a. 

Fuhris  bullosa,  das  Blascnfieber ,  s.  Pemphigus. 


FEBRI3  691 

Fehria  cacoetJies.  Ist  ein  hektisches  Fieber  durch  bösartige  Eiterung, 
t.  B.  bei  Carcinom;  a.  Febris  hectica. 

Fehris  carcerum,  das  Gefängnissfieber,  Kerkerfieber.  Ist  in 
der  Regel  ein  fauliges  oder  Fleckfieber  (s.  Febris  putrida  und  P e t e - 
chiae  acutae).  Verdorbene,  ungesunde  Luft,  sohlechte  Nahrung,  Man- 
gel an  Licht,  deprimirende Leidenschaften,  Unreinlichkeit  bringen  es  in  den 
Gefangnissen  Europas ,  die  zur  Schande  der  Menschheit  rorzugsweise  bei 
uns,  weniger  oder  gar  nicht  im  freien  Amerika,  noch  immer  för  die  Ge- 
sundheit so  nachtheilig  sind,  oft  hervor. 

Fehris  castrensis,  das  Lagerfieber.  Ist  gleichfalls  fast  immer  ein 
Typhus-  oder  Faulfieber.  Viele  Tausend  Soldaten  sind  von  jeher  durch 
solche  bösartige,  aus  ungesunder  Luft,  Aufenthalt  in  sumpfigen  Gegenden^ 
unter  freiem  Himmel,  im  feuchten  Bivouac,  aus  schlechter  Nahrung,  unge- 
hundem  Trinkwasser,  Kummer,  Noth  und  Mangel  etc.  entstehende  Fieber 
getödtet  worden.  Hierher  gehört  die  Pest  der  Athener,  welche  Thuoydides 
(De  hello  Peloponnes.  Lib.  VIII.  Hist.  2,  cap.  49)  so  schön  beschrieben  hat, 
die  ansteckenden  Krankheiten  unter  den  Östreichern  in  Itedien  und  beson- 
ders das  sogenannte  ungarische  Fieber  (^Febris  hungaricn,  Theriodes^ 
Lues  Ptmnoniae) ,  vulgo  Cerehri  vermis  genannt,  welches  besonders  von 
SchenJc  so  gut  beschrieben  ist.  Gewöhnlich  befiel  dieses  Fieber  des  Nach- 
mittags um  3  oder  4  Uhr  die  Menschen.  Der  Frost  dabei  war  sehr  gering, 
die  darauf  folgende  Hitze  quälte  Nacht  und  Tag.  Heftige  Kopfschmerzen, 
Betäubung,  Druck  in  der  Herzgrube,  wüthender  Durst,  am  2ten,  3ten  Tage 
heftige  Delirien,  trockne,  dürre  Zunge,  häufig  blutige  Diarrhöen,  oder  eia 
Abgang  wie  Fleischwasser,  Koliken,  Seitenstich,  später  Lähmungen,  Pete- 
chien, geschwollene  Parotiden,  waren  die  gewöhnlichen  Symptome.  Allö 
Weintrinker  starben  sicher. 

Fehris  cntarrhalis ,  Cntarrhus  acutus,  das  Katarrhalfieb er.  Ist  ein 
solches  Fieber,  das  als  Reizfieber  in  gelinderm  oder  stärkerm  Grade  auftritt 
und,  wie  das  rheumatische  Fieber,  von  Retentionen  der  Hautsecretion ,  nach 
vorhergegangener  Erhitzung,  Erkältung  und  plötzlichem  Witterungswechsel, 
ausgeht  imd  meist  immer  mit  entzündlicher  vikärer  Reizung  der  Schleim-' 
membranen  und  der  serösen  und  fibrösen  Häute  verbunden  ist.  Wir  nennen 
diese  Reizung  katarrhalische  Entzündung ,  die  nach  Verschiedenheit  des  Orts 
als  Ophthalmia  catarrhalis,  Catarrhus  nasi  et  pulmonum,  Angina  catarrhalis, 
Catarrhus  vcsicae  urinariae  etc.  auftreten  kann.  Das  diese  AfFectionen  be- 
gleitende Fieber  ist  in  der  Regel  gelind  entzündlich,  erfordert  die  gewöhn- 
liche Fieberdiät,  kühlende  Fiebergetränke,  innerlich  gelinde  und  kühlende 
Diaphoretica :  Aq.  flor.  sambuci ,  Oxymel ,  Salmiak ,  kleine  Dosen  Tart. 
emetic.  etc.  (s.  Febris,  und  Blennorrhoea  nasi,  pulmonum,  vesi- 
cae  urinariae,  Angina  catarrhalis  etc.).  Katarrhe  und  Katarrhal- 
fieber  herrschen  bekanntlich  am  meisten  im  Frühling  und  Herbst,  wo  sie 
epidemisch  grassiren  und  zuweilen  in  verschiedenen  Formen ,  nach  Verschie- 
denheit des  herrschenden  Krankheitsgenius,  bald  als  Febres  catarrhales  in- 
flammatoriae,  bald  als  Febr.  catarrh.  gastricae,  nervosae ,  pituitosae,  pu- 
tridae  (Febris  catarrhalis  maligna)  auftreten.  Letzteres  ist  bei  den  grossen, 
nur  selten  erscheinenden,  dann  aber  ganze  Welttheile  heimsuchenden,  Ka- 
tarrhalepidemien  besonders  der  Fall  (s.  Influenza). 

Fehris  chronica,  ein  langwieriges,  langsam  verlaufendes  Fieber, 
Z.B.  die  Zehrfieber,  die  symptomatischen  Fieber  bei  innerlichen  Eiterungen. 

Fehris   caerulea,   das   blaue  Fieber;    kommt   vorzüglich  bei   zart^It ' 
Kindern  vor  und  ist  eine  Abart  der  Blausucht;  s.  Cyanosis.  '  '  ;■•'' 

Fehris  comatosa,  ein  Bieber  mit  bedeutender  Schlafsucht-"(^, 
Febris  intermittens  comatosa  und  Carus.  Ein  solches  schlafsüch- 
tiges Fieber  mit  galligen  Complicationen  herrschte  z.  B.  nach  Sydenbain 
(Opp.  med.  p.  241  u.  318)  in  den  Jahren  1675  —  78  in  England,  das  sich 
mit  der  herrschenden  Influenza  verband ;  ferner  nach  Grant  (Ori  the  läte 
Influenza  etc.)  im  Jahre  1775 ,  wo  gleichfalls  eine  Influenzepidemie  in  Eng- 
land herrschte;    auch  in  unserer,   «n  grossen  Erscheinungen  in  der  physi- 

44* 


692  FEBRIS 

sehen  und  moralischen  Welt  so  merkwürdigen  und  fruchlb ringenden  Zeit 
habe  ich,  besonders  seit  dem  Jahre  182G,  ähnliche  Schlaffieber  als  Febres 
intermittentes   perniciosae   beobachtet,    vorzüglich   im  Jahre  1827   und  1829 

(itfosO- 

Fehris  comitatn,  ein  mit  Begleitung  anderer  Krankheit:  Exanthem,  Ent- 
zündung etc. ,  auttretendes  Fieber. 

Fehris  complicata,  ein  verwickeltes,  mit  andern  Fiebern  oder  Lo- 
calentzündnngen  complicirtes  Fieber.  Oft  sind  letztere  aber  die  Ursache 
des  Fiebers,  wo  es  richtiger  ein  symptomatisches  genannt  wird. 

Febria  composita,  ein  zusammengesetztes  Fieber,  wo  zu  den 
gewöhnlichen  Zufällen  sich  noch  andere  wichtige,  auf  Complicationen  deu- 
tende Symptome  gesellen. 

Fehris  contn{)iosa,  ein  ansteckendes  Fieber,  dem  ein  von  einem 
Körper  zum  andern  sic4i  fortpflanzender  Krankheitsstoff  zum  Grunde  liegt ; 
8.  Contagi  u  m. 

Fehris  coutimiis ,  ein  anhaltendes  Fieber,  welches  ohne  bedeuten- 
den Nachiass  foi-tgeht,  wie  dies  bei  ganz  leichten  und  bei  schweren  Fiebern 
oft  der  Fall  ist. 

Fehris  conlinua  coiiUnens ,  s.  Fe  bris. 

Fehris  contimia  rcmittens,  s.  Febris. 

Fehris  conlinua  non  pulvis,  s.  Febris  inflammat oria. 

Fehris  dentitionis ,  das  Zahnfieber.  Ist  ein  Fieber,  das  zur  Zeit  des 
ersten  Zahnens  der  Kinder  zuweilen  eintritt,  besonders  bei  sehr  reizbaren 
!uid  vollsaftigen  Kindern  (s.  Dentitio).  Sowie  man  in  frühem  Zeiten  fast 
«die  Kinderkrankheiten  vom  Zahngeschäft  oder  von  Würmern  abzuleiten  sich 
berechtigt  glaubte,  so  gingen  in  der  neuern  Zeit  mehrere  Ärzte  ins  andere 
Extrem  über,  und  leugneten  die  Existenz  der  Zahnkrankheit  völlig.  Wenn, 
mm  der  Durchbruch  der  Zähne  bei  Kindern  ein  rein  physiologischer  Vorgang 
ist  und  zu  den  Entwickelungen  des  Körpers  gehört ,  der  ein  neues  Lebens- 
stadium andeutet,  wo  wichtige  Veränderungen  im  ganzen  Organismus  (Ent- 
wickelung  des  Gehirns,  vollkommnere  Sinnesfunction,  anfangende  Geistes- 
entwickelung)  vor  sich  gehen,  so  ist  es  doch  zugleich  ausgemacht,  dass 
dieser  Vorgang  ebenso  leicht  als  jede  andere  Eiitwickelung,  z.  B.  als  das 
Hervortreten  und  das  Verschwinden  der  Menses,  krankhaft  werden  kann. 
Fast  alle  Kinder  leiden  daher  während  des  Durchbruchs  der  ersten  Zähne 
mehr  oder  weniger  an  anomal  gesteigerter  Sensibilität,  an  consensucliem^ 
Leiden  des  Darmcanals,  an  Durchfall,  Ai)petitmangel ,  Abmagerung,  Husten, 
besonders  aber  an  Congestion  zum  Kopfe ,  an  kleinen  Fieberbewegungen ; 
sie  sind  eigensinnig,  unruhig,  bekommen  leicht  Krämpfe.  Die  Vorboten 
des  Zahndurchbruches  sind  deutliches  Anschwellen  und  Breii erwerden  des 
Zahnfleisches,  etwas  Speichelfluss ,  weites  Ölfnen  des  Mundes,  Beissen  auf 
die  Finger,  die  Brustwarze  oder  auf  jeden  andern,  in  den  Mund  gebrachten 
Körper.  Bei  vollsaftigen  Kindern  wird  das  Naturbestreben  der  allgemeinen 
Körperentwickelung,  wovon  der  Zahnausbruch  nur  die  Folge  ist,  leicht  ex- 
cc^jsiv  zu  stark,  sie  leiden  deutlich  an  Fieberbewegungen,  am  sogenannten 
Zahnfieber,  das  dann  häufig  mit  Krämpfen  begleitet  ist.  Schon  oben  (s. 
Dentitio)  habe  ich  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  die  hierbei  eintre- 
tenden, oft  grünen  Durchfälle  als  höchst  wohlthätig  und  kritisch  zu  be- 
trachten sind,  ebenso  wie  <lie  vermehrte  Speichelabsonderung.  In  dieser 
Zeit  ist  plötzliche  Erkältung  des  Kindes ,  ebenso  wie  der  Gebrauch  stopfen- 
der Mittel ,  doppelt  gefährlich ,  befördert  die  Heftigkeit  des  Zahnhebers, 
der  Krämpfe,  und  die  traurigen  Folgen  sind  nicht  selten  Wasserkopf ,  Atro- _ 
phie,  Epilepsie  und  Lähmungen.  Höchst  einseitig  würde  es  seyn,  wenn 
man  alle  krankhaften  Zufälle  beim  Zahnen  von  örtlicher  Spannung  und  Aus- 
dehnung des  Zahnfleisches ,  seiner  Gefässe  und  Nerven  ableiten  wollte.  Die 
Ursache  liegt  mehr  in  der  meist  immer  zu  s^hr  gesteigerten,  seltener  ver- 
minderten Vitalität  der  einzelnen  Systeme  des  Kindesorgauisnius ,  welche. die 
Natur  durch  die  kritischen  Bestrebungen  ( Speichejfluss ,  Durchfall)  ins 
Gleichgewicht  zu  bringen   sucht.     Cur.    ,Mau  verjiaite   t^ch  bei  der  Zahn- 


FEBRIS  695 

krankhcit  der  Kinder  melir  passiv  als  aotiv.  Man  vermeide  ErkäUnng,  halte 
die  Kinder  aber  nicht  zu  warm,  besonders  den  Kopf  nicht,  weil  sonst  die 
Congestion  zu  ihm  vermehrt  wird ;  man  vermeide  alle  reizende,  erhitzende 
Nahrungsmittel.  Sind  die  Augen  roth  und  glänzend  ,  ist  das  Kind  vollsaftig, 
die  Congestion  zum  Gehirn  bedeutend,  so  setze  man  ein  paar  Blutegel  an 
den  Kopf,  und  gebe  innerlich  Emuls.  amygdal.  dulc. ,  allenfalls  mit  etwas 
Nitrum,  bei  grünen  Stuhlgängen  Absorbentia;  gebrauche  aber  höchstens 
1  —  2  Tage  solche  Arzneien,  und  setze  sie  dann,  wenn  die  Zufälle  gelinder 
sind,  wieder  aus.  Ein  ganz  vorzügliches  Mittel  ist  hier  der  Mercur.  dulcis 
in  folgender  Verbindung :  ^>  Mercur.  dnlcis  gr.  ß ,  Mngnes.  cnrhon. ,  Gumm. 
arab.  ana  gr.  v,  Elaeosacch.  foeniculi  9llf.  M.  f.  p.  dispens.  dos.  vj.  S. 
Dreimal  täglich  y, —  1  Pulver  mit  der  Muttermilch  (Af.).  Auch  die  Con- 
vulsionen  der  Kinder  erfordern  bei  inflammatorischem  Fieber  eine  solche 
kühlende  Behandlung.  Aromatische  Bäder,  Absorbentia  sind  hier  zweck- 
mässig, nicht  aber  die  erhitzenden  Antispasmodica.  Ist  das  Zahnfleisch  sehr 
gespannt,  so  hat  man  das  Durchschneiden  desselben  angerathen,  besonders 
um  zugleich  stattfindende  Convulsionen  zu  heben  (^Ocsterlein).  Ich  fand  hier 
stets  einige  Blutegel  hinter  die  Ohren  hinreichend.  Magern  Kinder  beim 
Zahngeschäft  sehr  ab ,  werden  sie  ganz  siech ,  fehlt  es  an  Reaction ,  so  kann 
der  Zahnausbruch  nicht  gehörig  von  Statten  gehen.  Hier  ist  die  Vitalität 
zu  gering.  In  solchen  Fällen  erregte  man  eine  allgemeine  Reaction  durch 
das  Einimpfen  der  Kuhpocken ,  worauf  sichtbar  neues  Leben  und  Gedeihen 
eintrat  (s.  Seiler  in  HitfclamVs  Journ.  1822,  Mai).  Solche  Fälle  geben  uns 
die  Lehre ,  dass  wir  überhaupt  beim  Zahnfieber  als  Naturbestreben  nicht 
activ  eingreifen  dürfen^  dass  eine  zu  schwächende  Behandlung,  besonders 
wenn  sie  mehrere  Tage  angewandt  wird,  leicht  eine  zu  geringe  Vitalität 
hervorrufen  und  Abzehrung  zur  Folge  haben  kann ,  so  wie  gegentheils  rei- 
zende Mittel  die  Ausbildung  einer  Encephalitis  befördern  können. 

Febris  depurnlivn.  Darunter  verstehen  wir  ein  sogenanntes  reinigen- 
des Fieber,  welches  nach  den  altern  Begriffen  den  Fieberstoff  aus  dem 
Körper  schaffen  soll.  Daher  theilte  man  die  Fieber  nach  ihrem  Verlaufe  in 
den  Zeitraum  der  Rohheit,  der  Kochung  und  der  Krise  (^Stadium  cniditntis, 
Stad,  coctiovis,  Stad.  criseos~),  je  nachdem  der  Fieberstott"  noch  roh,  oder 
schon  geschickt  zur  Entscheidung,  oder  durch  Krisen  schon  ausgeschieden 
war.  Diese  etwas  stark  materielle  Ansicht  hat  für  die  Praxis  den  grossen 
Nutzen,  dass  wir  die  Fieber  mehr  als  Naturbestrebungen  ansehen,  die  durch 
ein  zu  actives  Verfahren  leicht  gestört  werden  können,  und  zwar  nur  auf 
Kosten  und  zum  grossen  Schaden  des  Kranken.  Es  giebt  viele  Fieber,  wo 
materielle  Fieberreize  nachgewiesen  werden  können:  Anomalien  in  der  Mi- 
schung, besonders  der  flüssigen  Theile,  die  als  Incitamente  auf  die  festen 
wirken.  Dahin  gehören  verschiedene  Dyskrasien  des  Blutes ,  eine  zu  grosse 
Erregbarkeit  desselben,  eine  vorherrschende  Venosität  darin,  orgamsche 
Abnormitäten  und  Degenerationen:  Tuberkeln,  Krebs,  Markschwamm,  quan- 
titativ und  qualitativ  veränderte  Secretionen  aller  Art ,  der  Galle ,  des 
Schleims  etc. ,  welche  materielle  Fieberursachen  werden  können.  „Wenn 
wir  auch  diese  Mischungsfehler,  sagt  mit  Recht  Sundclin,  nicht  genauer 
kennen,  so  lehrt  uns  doch  eine  getreue  Beobachtung,  auf  welche  Weise  die 
Natur  sie  verbessert  und  ausgleicht.  So  wissen  wir  aus  der  Erfahrung, 
dass  die  wahrscheinliche  Mischungsabnormität  des  Blutes,  welche  den  wah- 
ren galligen  und  gastrischen  B^iebern  zum  Grunde  liegt,  von  der  Naturkraft 
durch  vermehrte  und  veränderte  Abscheidungen  in  der  Leber  und  im  Nah- 
rungscanal  ausgeglichen  wird ,  und  wir  müssen  daher  dergleichen  Abschei- 
dungen zu  befördern ,  zu  regeln  luid  zu  erleichtern  suchen.  Wenn  uns  be- 
kaimt  ist ,  dass  bei  der  wahren  Lungenschwindsucht  die  Entstehung  von 
Aftergebilden  in  der  Lungensubstanz  als  ein  feindseliger  Reiz  aufs  Gefässsy- 
stem  wirkt,  ein  wahres  Reizfieber  hervorbringt;  so  werden  wir"  jede  rei- 
zende Einwirkung  vermeiden,  und  im  Gegentheil  durch  ein  vorsichtiges 
temperirendes  Verfahren  dem  gereizten  Zustande  entgegen  wirken.  (S.  Bc- 
raids^  Vorles.   Bd.  II.  S.  65,  Anmerk.).     Man  nimmt  freilich  auch  immate- 


694  FEBRIS 

rielle  Reize  als  Flebemrsache  an  (JFebris  sine  rnnfcrJo).  Da  aber  jeder  !m 
materielle  Reiz,  selbst  der  psychische  nicht  ausgenommen,  sogleich  die  Ma- 
terie Yerändert,  besonders  das  Blut,  die  Lymphe,  die  Milch  (s.  Cacoga- 
lactia);  so  werden  auch  dadurch  schnell  materielle  Fieberreize  hervorge- 
rufen, welche  nicht  allein  das  Fieber  unterhalten  können,  sondern  auch  ma- 
terielle Krisen  nothwendig  machen.  Nichts  bringt  schneller  im  Materiellen, 
besonders  in  den  Säften,  anomale  Veränderungen  hervor  als  derjenige  im- 
ponderable  Stoff,  den  wir  Elektricität  nennen.  Der  einfache  Galvanismus, 
7..  B.  eine  Zink-  und  Kupferplatte  mit  Verbindungsdraht,  auf  eine  durch 
Vesicatorien  entblösste  Hautstelle  applicirt,  hat  die  Folge,  dass  die  ganz 
milde,  wässerige  Secretion  dieser  Stelle  augenblicklich  so  scharf  und  ätzend 
wird,  dass  sie  die  gesunde  Haut  excoriirt.  Nun  wissen  wir,  dass  bei  allen 
Fiebern  das  Normalverhältniss  der  Elektricität  im  Blute  gestört  ist;  so  das» 
bei  Febr.  inflammatorin — E.,  bei  wahren  Schwächefiebern -{- E.  vorwaltet, 
wie  dieses  viele  Versuche  von  Vasalli ,  Cmidi ,  Berlinghieri  und  von  Pfaff  in 
Kiel  bewiesen  haben  (s.  Froriep's  Notizen,  1828.  Pfaff'  in  MeckeVs  Archiv 
für  Physiologie,  1817,  Bd.  III.  Hft.  2).  Jede  Störung  des  elektrischen 
Verhältnisses  hat  aber  stets  eine  Störung  im  chemischen  Verhältnisse  zur 
Folge,  da  eins  das  andere  bedingt.  Schon  deshalb  sind  wir  berechtigt,  in 
Fiebern  anomale  Mischungsverhältnisse  des  Blutes,  die  freilich  die  cheniischo 
Analyse  nicht  immer  entdecken  möchte,  zu  supponiren. 

Fehris  dupUcntn,  das  Doppelfieber.  Ist  ein  solches  Fieber,  wo  sich 
Zwei  Fieber  so  verbinden ,  dass  jedes  seinen  eigenen  Typus  hält ,  wie  dieu 
beim  Wechselfieber  zuweilen  der  Fall  ist;  s.  Febris  intermittens. 

Felris  elodes,  helodes ,  das  Seh wi tzfieber.  Ist  in  England  als  ein 
gefahrliches  epidemisches  Fieber,  wobei  starker,  stinkender,  nicht  kritischer 
Seh  weiss  eintritt,  beobachtet  worden;  s.  Anglicus  Sudor. 

Felris  endemica,  das  einheimische  Fieber;  s.  Endemia  und  Febris. 

Fehris  epncmnstica ,  crescens.  Ist  dasjenige  Fieber ,  wo  die  Krankheits- 
erscheinungen im  Verlauf  bis  zur  Akme  zunehmen :  also  das  Gegentheil  von 
der  Fehris  parncmastica ,  decrescens,  welche  mit  grosser  Heftigkeit  auftritt 
und  im  fernem  Verlaufe  allmälig  abnimmt.  Verläuft  dagegen  ein  Fieber  seine 
Stadien  mit  einer  gewissen  Gleichmässigkeit,  Gleichförmigkeit  und  ohne  son- 
derliche Steigerung  oder  Abnahme  der  Symptome  bis  zur  Reconvalescenz, 
so  nennen  wir  es  Fehris  homotonos ,  aequaliter  decurrens. 

Fehris  ephemer a,  EpJiemera,  Fehris  simplex,  Ephemera  diaria,  legitimay 
extensa,  Felris  lenignn,  Siftiocha  simplex,  Pi/rexia  simplex,  Fehris  neutriut 
generi'i,  das  einfache  Fieber,  Tages fieber.  Ist  unter  allen  Fiebern 
das  einfachste ,  gelindeste  und  von  kurzer  Dauer ;  kürzestens  hält  es  24 
Stunden  an,  in  den  meisten  Fällen  dauert  es  aber  mehrere  Tage  {Ephemera 
trium  dierum,  plurium  dierum,  protracta),  bis  zum  dritten,  vierten  Tage  ist 
es  eine  Febris  continua ,  alsdann  geht  es  entweder  in  Genesung  oder  in  ein 
anderes,  oft  inflammatorisches  Fieber  über  und  nimmt  den  remittirenden  oder 
intermittirenden  Typus  an.  „Die  Ephemera,  sagt  Berends,  scheint  die 
Grundlage  aller  Fieber  auszumachen,  welche  nur  als  Verlängerungen  der- 
selben betrachtet  werden  können."  Dieser  Satz  enthält  viel  Wahres  und 
viel  Falsches.  Der  Charakter  der  Ephemera  ist  der  gelind  entzündliche; 
diese  Natur  haben  bei  uns  freilich  die  meisten  Fieber;  doch  giebt  es  in  an- 
dern Weltgegenden  (und  in  einzelnen  Jahren  auch  bei  uns)  epidemische  Fie- 
ber, die  gleich  mit  ganz  andern  Symptomen  als  denen  der  Ephemera  auf- 
treten, z.B.  die  bösartigen  Kerker-  und  Lagerfieber,  das  gelbe  Fieber  etc. 
(s.  Febris  castrensis,  Febris  flava).  Zeichen  des  einfachen 
Fiebers.  Gelinder  Schauder,  gelinder  Frost  von  kurzer  Dauer,  worauf 
bald  gelinde  feuchte  Hitze  folgt,  dabei  nur  wenig  Durst,  wenig  Kopfweh. 
Die  Krise  erfolgt  meist  am  dritten  Tage  durch  Schweiss  und  Urin ,  seltener 
durch  Blutungen.  Ursachen  sind  die  allgemeinen  des  Fiebers,  Erkältung, 
gelinder  Katarrh  etc.  Cur.  Die  Heilung  bewerkstelligt  unter  gehöriger 
Diät  und  Ruhe  meist  immer  allein  die  Natur.  Man  verhalte  sich  daher  pas- 
siv,  verordne  höchstens  die  oben  angegebenen  gelinden  Mittel,  die  Fieber- 


FEBRIS  695 

getränke,   und  halte  auf  eine  «trenge  Fieberdiät  mit  Beruck«*iclitigung  einer 
gelinden  Diaphoresig  (s.  Febris). 

Fehris  epiala.  So  nannte  man  vrol  ein  bösartiges  Fieber,  da«  mit  hef- 
tigem Froste  und  oft  mit  gleichzeitiger,  aber  gelinder  Hitze  auftritt,  wie 
dies  bei  manchen  epidemischen  Fiebern  beobachtet  worden  ist. 

Febris  epidemica ,  das  epidemische  Fieber.  Es  befallt  an  einem 
Orte  und  in  einer  Gegend  mehrere  Menschen  auf  einmal  und  auf  einerlei 
Weise.  Solche  Fieber  können  miasmatische  oder  contagiöse  seyn.  So  herr- 
schen bald  katarrhalische,  rheumatische,  bald  stark  entzündliche,  bald  gal- 
lige ,  bald  gallig  -  faule ,  bald  exanthematische  Fieber  epidemisch  (s.  £  p  i  - 
demia,  Contagium,  Miasma,  Constitutio,  Febris). 

Fehris  erethisticn  nervosa,  das  erethistische  Reizfieber.  Ist  eine 
neuere  Benennung  für  entzündlich  -  nervöses  Fieber;  s.  Febris  inflam- 
matoria  nervosa. 

Fehris  erratica,  s.  Febris  atypica. 

Fehris  erysipelatosa ,  das  Rothlaufsfieber.  Ist  der  Begleiter  rosen- 
artiger  Entzündungen,  besonders  der  Gesichtsrose,  wo  es  wegen  der  Kopf- 
affection  recht  heftig  ist  und  ganz  den  Charakter  der  Synocha  nervosa  hat 
(s.  Febris  inflammatoria).  Gewöhnlich  sind  bei  der  Rose  gastrische 
Beschwerden;  daher  wir  das  Fieber  oft  durch  Emetica  zu  Anfange  verhüten 
(s.  Erysipelas).  Ist  es  völlig  ausgebildet  und  ohne  Kopfaffectionen ,  z.B. 
bei  der  Rose  an  den  Gliedern ,  so  passen  Pot.  Riverii  mit  Aq.  flor.  sambuci, 
Salmiak  und  kleine  Dosen  Tart.  emeticus. 

Fehris  exanthemalicn ,  Ausschlags fi eher.  Ist  der  Vorläufer  oder 
Begleiter  der  verschiedenen  acuten  Exantheme,  und  hat  zu  Anfange  in  der 
Regel  einen  mehr  oder  weniger  entzündlichen  Charakter,  der  aber  im  Ver- 
lauf der  Krankheit  durch  verschiedene  zufällige  Umstände  nervös  oder  fau- 
lig werden  kann,  wozu  eine  zu  schwächende,  oder  zu  früh,  vor  dem  sie- 
benten Tage,  angewandte  reizende  Behandlung  häufig  beiträgt;  s.  Scat'^ 
iatina,  Variolae,  Varioloides,  Morbilli,  Petechiae. 

Febris  ßava,  Americana,  Fievre  mafelotte,  Ficvre  Je  Siam,  Morbtis  SiO' 
mcTisis^  TypJms  tropiciiSy  Typhus  ideroJes  Indiarum  occidentnlium ,  Pestis  oc- 
cidentalis,  Vomitus  tiiger,  das  gelbe  Fieber.  Diese  verheerende  Seuche 
ist  bis  jetzt  bei  uns  Gott  Lob!  noch  nicht  beobachtet  worden.  Sie  ist  ur- 
sprünglich miasmatisch,  entsteht  durch  atmosphärische  Einflüsse,  wird  spä- 
ter oft  contagiös  und  alsdann  durch  andere  atmosphärische  Einflüsse  wie- 
derum beschränkt.  Symptome.  Sind  im  Allgemeinen  die  des  nervösen 
und  fauligen  Fiebers,  zu  Anfange  aber  oft  die  der  Synocha  nervosa.  Nach 
Fogel  befällt  sie  vorzüglich  Fremdlinge,  besonders  nach  Erhitzung  und  EJr- 
kältung ,  wozu  die  kühlen  Nächte  in  den  heissen  Tropen  so  viel  Gelegenheit 
geben.  Zuerst  zeigen  sich  Gefühl  von  grosser  Mattigkeit ,  Neigung  zu  Ohn- 
mächten, Schwindel,  Betäubung,  Übelkeit,  anhaltender,  wüthender  Kopf- 
schmerz, dann  Schauder,  kalter  Schweiss,  worauf  brennende  Hitze,  heftige 
Angst,  Brustbeklemmung,  Druck  in  der  Herzgrube ,  Dyspnoe,  Gesichtsröthe, 
brennende  Augen ,  heftiges  Gliederreissen ,  wüthender  Durst ,  beständiger 
Ekel,  galliges  Erbrechen,  Diarrhöe,  Schlaflosigkeit  und  unerträgliche  Un- 
ruhe folgen.  Dabei  ist  der  Puls  sehr  geschwind,  weich,  voll,  nie  hart,  zu- 
weilen schwach  und  unterdrückt;  die  Haut  bald  trocken,  bald  feucht;  wäh- 
rend der  Ohnmächten  werden  die  Kranken  nicht  blass ,  sondern  gelb ,  wel- 
ches sich  nach  der  Ohnmacht  wieder  verliert.  Nach  wenigen  Tagen,  oft 
schon  am  zweiten  Tage,  überzieht  den  ganzen  Körper  von  Oben  herunter 
eine  gelbe  Farbe,  welche  Gelbsucht  in  seltenen  Fällen,  wenn  sie  später 
kommt,  auch  kritisch  ist.  Hier  aber  nehmen  die  Zufälle  mit  und  bei  ihr 
zu,  der  Puls  sinkt  immer  mehr  und  mehr,  wird  schwächer,  aussetzend  und 
dadurch  oft  langsamer,  der  Kranke  fallt  in  Sopor,  Delirien,  Stupor,  und 
bekommt  klebrige  Seh  weisse;  auch  die  Zunge  wird  feucht,  ohne  dass  die« 
ein  gutes  Zeichen  wäre,  die  Lippen  und  Mundhölile  werden  hochroth,  e« 
stellen  sich  passive,  colliquative  Blutungen  aus  allen  Theilen  des  Körpers 
ein,   eine  Menge  schwarze»,  jauchiges  Blut  geht  von  Unten   und  Oben  ab. 


696  FEBRIS 

Nun  treten  Zuckungen,  Zittern,  Kälte  der  Extremitäten,  Petechiae  secun- 
dariae  hinzu,  und  der  Tod  beschliesst  die  Trauerscene.  Die  Leichen  gehen 
schnell  in  Verwesung  über;  die  Section  zeigt  Spuren  von  Entzündung  und 
Brand  im  Magen,  in  der  Leber,  Milz,  im  Gehirn,  grosse  schsvarze  Flecken 
daselbst,  in  der  Gallenblase  und  ihren  Gängen  eine  Menge  stinkender,  fau- 
ler, schwarzer  Galle  und  aufgelösten  Blutes.  —  Eigenthümlich  ist  es,  dass 
diese  schreckliche  Krankheit,  die  oft  schon  binnen  48  Stunden  unter  Betäu- 
bung und  Lähmung  tödtet ,  nach  allen  Erfahrungen  nie  weiter  als  zwischen 
dem  Äquator  und  dem  35sten  Grade  der  Breite,  und  zwar  nur  der  nördli- 
chen, nicht  der  südlichen  Breite,  und  auch  da  nur  in  der  Nähe  der  Mee- 
resküste, nicht  über  SO  Meilen  davon,  entsteht.  Auf  dieselbe  Weise  hat 
sich  das  gelbe  Fieber,  wenn  es  von  Aussen  hergebracht  wurde,  in  Europa 
gezeigt.  Es  hat  sich  nie  weiter  als  in  dieser  Breite  (in  Spanien  und  Ita- 
lien) ,  und  auch  da  nur  in  der  Nachbarschaft  des  Meeres ,  verbreiten  kön- 
nen, weil  jenseits  dieser  Grenze  in  der  Atmosphäre  die  (uns  freilich  ihrem 
Wesen  nach  unbekannteo)  Bedingungen  fehlen,  unter  welchen  sich  die  An- 
■  steckung  in  der  Luft  selbst  fortpflanzen  kann.  Seit  einigen  Jahren  entstand 
unter  den  Ärzten  und  Naturforschern ,  besonders  in  Frankreich ,  ein  heftiger 
Streit  über  die  Frage,  ob  das  gelbe  Fieber  anstecke  oder  nicht?  Dieser 
Streit  ist  noch  nicht  geschlichtet,  und  bedeutende  Männer,  die  viele  Jahre 
und  in  verschiedenen  Gegenden  die  Krankheit  beobachteten ,  z.  B.  der  franz. 
Arzt  Chervin,  sprechen  ihr  alle  Ansteckungsfähigkeit  ab.  Auch  J.  A.  von 
Beider  (Unters,  über  d.  epidem.  Sumpffieber  etc.  Leipz.  1829),  der  mit 
grosser  Aufopferung  18  Jahi-e  lang  Untersuchungen  über  gelbes  Fieber  und 
Sumpffieber  anstellte,  ist  dieser  Meinung.  Er  behauptet  etwas  einseitig, 
dass  sich  die  Febris  flava  ursprünglich  nur  auf  Schiffen  aus  den  Ausdün- 
stungen des  faulgewordenen  Kiel  -  oder  Grundwassers  entwickele.  Im  All- 
gemeinen sind  die  Ärzte  einig  über  die  Ursachen  dieser  Seuche.  Ein  heis- 
ses ,  feuchtes  Klima ,  besonders  in  der  Nähe  der  See ,  die  schädlichen  Aus- 
dünstungen an  Orten,  wo  viele  Menschen  in  engem,  schlechtgelüftetem 
Räume  zusammengedrängt  sind ;  dies  sind  die  Umstände ,  die  eintreten  müs- 
sen, wenn  sich  die  Krankheit  erzeugen  soll.  Am  stärksten  wirken  nun 
diese  schädlichen  Einflüsse  unter  den  Tropen  und  in  den  benachbarten 
Landstrichen  auf  niedrigem,  feuchtem  Boden.  Die  Verheerungen  der  Seuche 
beginnen  hier  mit  der  heissen  Regenzeit  und  hören  mit  ihr  auf.  Darüber 
sind  alle  Ärzte  und  Naturforscher  einig.  Missverhältnisse  in  der  Luftelektri- 
cität  spielen  hier  eine  grosse  Rolle.  Mit  einem  schnellen  Wechsel  von  •\- 
und  — E.  beginnt  diese  Regenzeit,  und  oft  steht  das  Elektrometer  bald 
schnell  auf  0,  bald  auf  5  Gi-ad.  Während  des  Regens  entladet  sich  die- 
selbe, indem  Wetterleuchten  des  Abends  fast  regelmässig  eintritt  (J.  v, 
Humboldt).  Dazu  kommt,  dass  Dr.  Shecut  in  Charleston  im  Jahr  1817,  als 
daselbst  das  gelbe  Fieber  schrecklich  wüthete,  zufällig  die  Beobachtung 
machte,  dass  die  Operationen  seiner  Elektrisirmaschine  mit  dem  Entstehen, 
Fortschreiten  und  Abnehmen  dos  gelben  Fiebers  variirten ,  so  dass ,  als  das 
Fieber  in  der  Stadt  zuerst  erschien,  ja  schon  einige  Zeit  vorher,  die  elektri- 
sdien  Kräfte  offenbar  abnahmen;  als  es  am  heftigsten  wüthete,  Funken 
nicht  gezogen  werden  konnten ,  und  als  es  nach  einem  schweren  Gewitter 
gänzlich  aufhörte,  die  Maschine  sehr  starke  Wirkungen  zeigte.  Er  leitet 
daher  von  Mangel  der  Luftelektricität  und  von  Missverhältnissen  derselben 
die  Krankheit  ab  (s.  HufelaiuVs  Journal,  Bd.  LIX.  St.  6,  S.  141).  Wie 
pflanzt  sich  nun  aber  die  einmal  entwickelte  Krankheit  fort?  Wie  wandert 
sie  in  oft  entlegene  Gegenden  ?  Überschreitet  sie  w  irklich ,  und  auf  welche 
Art,  Berge,  Ströme  und  Meere?  Hierüber  sind  die  Meinungen  verschieden. 
Bis  zu  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  nahm  man  allgemein  an,  dass  das 
gelbe  Fieber  anstecke,  dass  es  auf  einer  gewissen  Höhe  der  Verschlimme- 
rung die  Eigenschaft  erlange ,  sich  durch  sich  selbst  fortzupflanzen ,  und 
zwar  unabhängig  von  den  Ursachen  ( in  der  Atmosphäre) ,  die  es  hervorge- 
bracht haben ;  dass  dies  mittels  eines  Keimes  oder  Giftstoffs ,  oder  mittels 
der  Ausströmungen  in  Luftgcstalt,    denen  eine  specifisch   schädliche  Eigen- 


FEBRIS  697 

Schaft  uiwohiie,  vor  sich  gehe.  Nach  dieser,  die  Ansteckung  vertheidigen- 
de»  Theorie  ist  es  also  möglich,  dass  sich  das  Übel  sowol  durch  mittelbare 
als  durch  unmittelbare  Berührung  mit  Gelbeufieberkranken  fortpflanzt,  und 
dass  es  also  in  andere  Länder  verschleppt  werden  kann ,  wo  es  sich ,  wie 
ßich  dies  von  selbst  versteht,  um  so  leichter  verbreitet  und  eine  bösartige 
Gestalt  annimmt,  je  mehr  der  Ort  unter  solchen  atmosphärischen  Einflüssen 
>gt«ht,  die  denen,  welche  es  zu  erzeugen  im  Stande,  gleichkommen.  Eine 
hohe  Temperatur  ist  der  Verbreitung  der  Krankheit  stets  günstig  gewesen; 
dagegen  hat  heftige  Kälte  den  stärksten  Epidemien  stets  ein  Ende  gemacht. 
Ist  also  das  gelbe  Fieber  ansteckend ,  wovon  auch  Dr.  Mntthäi  (s.  dess. 
.Preisschr.  über  das  gelbe  Fieber)  überzeugt  ist  und  dafür  triftige  Gründe 
angeführt  hat;  so  ists  durchaus  nothwendig ,  1)  dass  in  Europa  eine  ge- 
sunde Bevölkerung  sogleich  abgesondert  werde,  sobald  die  Krankheit  er- 
scheint, dass  also  Gesundheitscordons ,  Quarantaineanstalten  etc.  durchaus 
nothwendig  sind,  und  dass  unser  Sanitätssystem  mit  aller  Strenge  gehand- 
habt, ja  noch  geschärft  werden  muss,  um  grosses  Unglück  zu  verhüten; 
denn  wenn  auch  nicht  jedes  gelbe  Fieber  bei  seinem  ersten  Entstehen  con- 
tagiös  ist,  so  kann  doch  ein  und  dieselbe  Epidemie  zugleich  mit  und  ohne 
Contagion  seyn,  wie  wir  dieses  in  unsern  Gegenden  zuweilen  selbst  an 
Ruhr  -  und  Scharlachepidemien  wahrnehmen.  Cur  des  gelben  Fiebers.  Zu 
Anfange  ist  der  Fiebercharakter  häufig  eine  Synocha  nervosa,  besonders  bei 
robusten,  vollsaftigen  Personen;  daher  kalte  Kopfumschläge,  Sturzbäder, 
Entfernung  der  Plethora  durch  Aderlassen,  Blutegel  an  den  Kopf,  durch 
Laxanzen  (doch  nicht  zu  anhaltend  und  nicht  zu  stark,  weil  sonst  die 
Kräfte  zu  schnell  sinken  und  wahre  Adynamie  eintritt)  nothwendig  sind. 
Dies  verhütet  am  besten  den  Übergang  in  Paralyse  und  Colliquation ,  der, 
wenn  er  eingetreten  ist,  nach  den  bekannten  Regeln  behandelt  werden  muss 
(s.  Febris  putrida),  besonders  durch  Tonica,  Antiseptica  (s.  Dan.  Os- 
yoody  Schreiben  über  das  gelbe  Fieber  etc.,  übers,  von  Heinecken;  Bremen, 
1822).  Als  Präservative  rühmt  Osgood  Vermeidung  eines  jeden  plötzlichen 
Temperatur« echsels,  jeder  heftigen  Körperbewegung,  und  Sorge  für  einen 
gehörigen  Grad  von  Perspiration  und  Urinsecretion ,  welche  sorgfältig  un- 
terhalten wei-den  müssen.  Nach  FAchhorn  (s.  dess.  Schrift:  Das  gelbe  Fie- 
ber etc.  Mit  Vorrede  von  Julius.  Berlin,  1833)  zeigt  sich  beim  gelben  Fie- 
ber besonders  ein  Leiden  des  Magens  und  des  Zwölffingerdarms.  Je  hefti- 
ger das  Fieber  ist,  desto  gelinder  ist  dieses  Leiden,  und  umgekehrt.  Er 
nimmt  fünf  Formen  der  Krankheit  an.  In  der  ersten  leidet  hervorste- 
chend der  Magen.  Hier  beginnt  das  Übel  meist  plötzlich,  zuweilen  nach 
einigen  Tagen  Übelbefinden ,  mit  Kopfschmerz  und  gelindem  Frost  von  kur- 
zer Dauer.  Meist  erst  mit  dem  Stadium  der  Hitze  kommt  das  Erbrechen; 
vorher  geht  ein  eigenes  Gefühl  von  Wundseyn  und  Hitze  im  Magen;  dann 
starke  Hitze,  heftig  klopfender  Kopfschmerz ,  rothes,  ins  Bläuliche  spie- 
lendes Gesicht,  mattes  Auge ,  Durst ,  der  durchs  Erbrechen  heftiger 
wird,  schneller,  weicher,  oft  sehr  voller  Puls,  sparsamer,  trüber,  dunkler 
Harn,  feuchte,  klebrig,  schmierig  anzufühlende  Haut.  Zwischen  dem  drit- 
ten und  fünften  Tage  ändert  sich  die  Scene:  der  Puls  wiid  häufig  und 
klein ,  oft  aber  auch  langsam  (50  Schläge  in  der  Minute) ,  der  Urin  ist  un-» 
terdrückt  oder  sieht  wie  Kaffee,  Chocolade  aus;  dabei  heftige  Schweisse, 
grosse  Schwäche,  Ohnmächten,  stille  Phantasien,  Sopor,  oder  auch  volles 
Bewusstseyn  bis  zum  Tode.  In  dieser  Periode  tritt  das  schwarze  Erbrechen 
ein;  das  Erbrechen  entleert  anfangs  Schleim  und  Wasser,  übertrifft,  wie 
bei  der  morgenländi-schen  Cholera,  das  Genossene;  später  zeigen  sich  Blut- 
punkte darin ,  und  noch  später  besteht  es  blos  aus  dunklem  Blute.  Der 
Tod  folgt  unter  schwarzen  Stuhlgängen  ,  Schluchzen  und  Convulsionen.  — 
Cur.  Keine  schwächende  Mittel.  Dienlich  sind  Reizmittel ,  Mineralsäure, 
zumal  Schwefelsäure  mit  Opium ,  äusserlich  Waschungen  mit  Essig ,  auch 
wol  mit  recht  kaltem  Wasser.  —  Zweite  Form:  Hier  ist  das  Gehirn- 
leiden  hervorstechend;  man  bemerkt  alle  Zeichen  einer  Encephalitis;  spä- 
ter  gesellen   sich    Petechien,    Sopor,    schwarzes    Erbrechen,    kleiner   Puls 


608  FEBRIS 

hinzu;  der  Tod  erfolgt  onter  Convulsionen.  Cur-  Hier  ht  Kalomel  In 
grossen  Gaben  mit  kleinen  Dosen  Opium  das  Hauptmittel.  Ist  in  den  er- 
sten 5  Tagen  das  Kopfleiden  nicht  beseitigt,  so  ist  der  Kranke  ohne  Retf 
tung  verloren.  Zuweilen  sind  hier  auch  acute  Petechien.  —  Dritte  Form: 
Febris  flava  mit  hervorstechendem  Allgemeinleiden  und  mit  geringem  Leiden 
einzelner  Organe  in  der  ersten  Periode.  —  Vierte  Form:  Gelbes  Fieber 
mit  hervorstechendem  Leiden  des  arteriellen  Systems  (^Typhus  vasculosus^. 
Hier  giebt  E.  vorzüglich  Schwefelsäure  und  China.  —  Fünfte  Form: 
Febris  flava  mit  hervorstechendem  Leiden  des  Nervensystems.  Diese  ist  die 
schlimmste  Form  von  allen.  Vorboten  sind:  gelinde  Schmerzen  im  Kopfe 
und  Kreuze;  einige  Stunden  später  bricht  das  Fieber  unter  leichtem  Schau- 
der auf.  In  den  ersten  Stunden  zählt  man  100,  bald  aber  130 — 140  Puls- 
echläge  in  der  Minute.  Das  Gesicht  ist  blass,  die  Wangen  sind  dunkelroth, 
der  Urin  blass ,  sparsam ,  bald  dunkel ,  doch  ohne  Bodensatz ;  dabei  grosse 
Mattigkeit ,  wenig  Durst ,  kein  Magen  -  oder  Leibschmerz.  Gegen  die 
zwölfte  Stunde  werden  die  Augen  roth,  die  Pupille  sehr  klein,  es  gesellen 
sich  Delirien,  Sopor,  zuweilen  auch  Agrypnie  hinzu.  Man  bemerkt  keine 
Exacerbationen  und  Remissionen,  wie  bei  den  vier  andern  Formen.  Der 
Puls  wird  schon  am  Ende  des  ersten  Tages  langsam,  sinkt  bis  auf  90. 
Nun  folgt  leiser  Schmerz  im  Magen ,  Erbrechen  schleimiger,  dfinner  Massen ; 
alle  Secretionen  vermindei'n  sich ,  am  Ende  des  dritten  Tages  hört  der  Urin- 
fiuss  gänzlich  auf;  ausserdem  hartnäckige  Obstructio  alvi,  braune  trockne 
Zunge,  Dysphagie.  Der  Kranke  hat  kein  Fieber,  erbricht  viel,  bekommt 
Schluchzen  und  —  stirbt.  Hier  sind  Nervina,  Aetherea,  gleich  anfangs  Ol. 
terebinth. ,  in  den  Mund  geschmiert ,  auch ,  wie  bei  der  Cholera ,  der  kau- 
stische Salmiakgeist,  alle  5  Minuten  zu  15 — 25  Tropfen  in  einer  Tasae 
"Wasser,  kalte  Waschungen  etc.  zu  versuchen. 

Fchris  gangraenosa,  Brandfieber,  s.  Febris  britannica  und  Febria 
putrida. 

Febris  gasirica,  aldominalis ,  intestinalis^  mescntericn,  splanchnica  (Acker- 
mann, Bischoß} ,  das  gastrische  Fieber,  auch  Fc6m  remittcns  atttvmna- 
lis  genannt.  Hierher  rechnet  man  verschiedene  Fieber ,  welche  alle  von  Un- 
reinigkeiten  in  den  ersten  Wegen ,  von  örtlichen  Leiden  des  Speisecanals  und 
Gallensystems,  von  den  Störungen  in  den  Functionen  aller  zur  Verdauung 
dienenden  Organe  (Milz,  Pankreas  etc.)  entstehen,  und  sich,  sollen  sie  gut 
verlaufen,  durch  kritisches  Erbrechen  und  kiitische  Diarrhöe  entscheiden 
müssen.  Symptome  der  Febris  gastrica  und  des  Status  gastricus  im  All- 
gemeinen sind:  Schauer  mit  vorübergehender,  oft  abwechselnder  Hitze ,  Ge- 
fühl von  Ermüdung,  eigenthümliche,  den  rheumatischen  ähnliche  Glieder- 
schmerzen, Appetitlosigkeit,  widriger,  unangenehmer  Geruch  aus  dem  Munde, 
Geschmacklosigkeit  oder  fader,  bitterer  Geschmack,  Leibesverstopfung,  spä- 
ter Neigung  zu  Durchfällen.  Diese  Zufälle  machen  oft  das  mehrere  Tage 
dauernde  Stadium  der  Vorboten  aus.  Alsdann  tritt  ein  heftiger  Fieberfrost 
ein,  worauf  Hitze,  Durst,  starker  Kopfschmerz,  Gesichtsröthe,  die  oft  in» 
Gelbliche  spielt,  folgen.  Dabei  Gefühl  von  grosser  Mattigkeit,  Nieder- 
geschlagenheit; Schlaflosigkeit,  Unruhe,  Verdriesslichkeit ,  zuweilen  des 
Nachts  Delirien;  hochrother,  blutigrother ,  brennender  Harn  mit  röthlichem 
Bodensatze,  oder  anfangs  ein  trüber  Urin  (JJrina  jumentosa')  mit  kleienarti- 
gem  Bodensatze.  Ist  das  Fieber  heftig,  so  ists  eine  Continua,  die  aber 
nach  Eintritt  der  bekannten  Krisen  zur  Remittens,  selbst  zur  Intermittens 
wird.  Die  Dauer  der  Krankheit  ist  nach  dem  verschiedenen  Grade  der  Hef- 
tigkeit und  der  mehr  oder  weniger  richtigen  (passiven,  leitenden,  die  Kri- 
sen befördernden)  Behandlung  verschieden,  bald  nur  5  —  7,  bald  14  Tage 
und  länger.  Die  Diagnose  ist  nicht  immer  leicht.  Die  Anamnese,  die 
Gegenwart  des  Status  gastricus ,  der  herrschende  Fiebercharakter  geben  die 
beste  Auskunft.  Besonders  herrscht  diese  Krankheit  in  feuchten,  sumpfigen 
Gegenden:  Holland,  Seeland,  Holstein,  Mecklenburg  etc.  Solche  Fieber 
sind  oft  epidemisch  und  endemisch.  Man  hüte  sich  ja  und  verwechsele  sie 
nicht  mit  echten  nervösen,  typhösen  Fiebern ;  denn  jede  active»  zu  reizende 


FEBRIS  699 

imd  «tärkende  Behandlung  macht  sie  zu  Faulfiebem.  ür&achen.  Sind 
1)  Sordes  primarura  viarum.  Sie  erregen  das  sporadische  gastrische  Fieber, 
welches  wir  Sab  urralfieber  nennen  (s.  Febris  saburralis,  Febris 
intestinalis  im  engern  Sinne).  2)  Auch  das  secundäre  Gailenfieber, 
S)  das  Schleimfieber,  4)  das  Wurmfieber,  desgleichen  das  aus  dem  gastri- 
schen Fieber  entstandene  Faulfieber  gehören  hierher  (s.  Febr.  gastrica 
secundaria  s.  biliosa,  Febris  pituitosa,  Febris  verminosa, 
Febris  putrida).  Allgemeine  Behandlung  dieser  Fiebergat- 
tung. Man  erforsche,  ob  man  mit  einem  primären  (Febris  saburralis)  oder 
eecundären  gastrischen  Fieber  zu  thun  habe.  Im  ersten  Falle  sind  sogleich 
Brech-  und  Purgirmittel  zur  Entferrung  der  schädlichen  Stoffe,  im  zweiten 
erst  auflösende,  reizmildernde  Mittel  anzuwenden  (s.  Febris  biliosa), 
und  erst  später,  wenn  sich  der  Turgor  der  schadhaften  Materie  nach  Oben 
oder  Unten  zeigt,  sind  die  Evacuantia  indicirt.  Die  specielle  Behandlung 
•wird  bei  den  einzelnen  Arten  der  Febris  gastrica  vorkommen  (s.  Febri« 
biliosa,  pituitosa,  saburralis,  verminosa  etc). 

Febris  hecticn ,  Febris  lenta,  pJUkisica,  Febris  lenia  nervosa ^  das  Zehr- 
fieber, schleichende  Fieber,  die  Abzehrung,  das  Abzehrungs- 
fieber. Obgleich  dieses  Fieber  in  den  meisten  Fällen  nur  ein  Symptom 
der  hektischen  Krankheilen,  der  Atrophien  und  Phthisen,  und  ebenso  wie 
die  colliquativen  Zufälle  etwas  Secundäres  ist ;  so  handle  ich  dasselbe  den- 
noch hier  ab,  und  zwar  mit  demselben  Rechte,  wie  auch  hier  die  Febri» 
intlammatoria ,  typhosa  unter  den  Fiebern  vorkommen,  die  der  strenge  Sy- 
stematiker immerhin  aus  der  Fieberlehre  streichen  und  unter  die  Artikel  Ar- 
teriitis, Phlebitis  etc.  bringen  mag;  denn  ich  schreibe  für  den  Praktiker, 
der  sich  an  das  Bestehende,  Bewährte  halten  muss.  Die  Febris  lenta  er- 
scheint häufiger  am  Ende  als  zu  Anfange  der  Abzehrungen,  ist  auch  nicht 
die  Ursache  der  letztern ,  sondern  die  Folge ,  ist  stets  ein  sporadisches  Übel, 
hervorgegangen  aus  Organisationsvcrletzungen  einzelner  Systeme  und  Ge- 
bilde. Für  klinische  Zwecke  müssen  wir  mehrere  Arten  dieses  Fiebers  an- 
nehmen, da  nach  der  Erfahrung  dasselbe  bald  als  ein  acuter  Krankheitszu-' 
Stand  ohne  stattgefundene  vollkommne  Krisen,  bald  durch  abnorme  Mischungs- 
verhältnisse in  der  Säftemasse,  bald  durch  erhöhte  Reizbarkeit  des  Gefass- 
nnd  Nervensystems,  bald  durch  mehrere  dieser  Ursachen  zu  gleicher  Zeit 
entstanden,  angesehen  werden  muss.  Symptome  im  Allgemeinen.  Das 
Fieber  entsteht  unmerklich ,  schleichend ;  zuerst  zeigen  sich  kleine  Anfalle 
von  vermehrter  Wärme  mit  schnellem,  härtlichem,  oft  ungleichem  Pulse,  be- 
sonders nach  der  Mittagsmahlzeit,  nach  dem  Genuss  warmer  Getränke ,  nach 
jeder  bedeutenden  Bewegung  des  Gemüths  und  des  Körpers.  Dabei  bemerkt 
man  fast  gar  kein  Stadium  des  Frostes,  sondern  nur  Wärme,  oft  brennende, 
trockne  Haut ,  besonders  in  den  Händen  und  unter  den  Fusssohlen ,  ver- 
mehrten Durst,  sparsamen  Urin,  schnellere  Respiration,  umschriebene  Röthe 
der  Wangen,  oft  kurzen,  trocknen  Husten.  Zieht  das  Fieber  ab,  so  fol- 
gen ermattende  Schweisse,  röthlicher  Bodensatz  im  Urin;  ausser  der  Exa- 
cerbation zeigt  der  Urin  oft  eine  Fetthaut  auf  der  Oberfläche  und  an  dem 
Rande  des  Glases,  und  riecht  wie  Veilchen.  Ausserdem  beobachten  wdr  die 
übrigen  Zeichen  der  Abzehrung  mehr  oder  weniger ;  z.  B.  gestörte  Ver- 
dauung ,  Neigung  zu  Durchfallen ,  allgemeine  Abmagerung  des  Körpers. 
Weil  der  Fieberanfall  häufig,  besonders  zu  Anfange,  höchst  gelind  ist,  so 
nennen  es  Einige  schlechtweg  Fieberchen,  Febricula  (SeJle,  Mmminghanx). 
Übrigens  sind  die  Beschreibungen  desselben  verschieden ,  da  ältere  Arzte  die 
einzelnen  Arten  nicht  genau  unterschieden.  Ursachen  im  Allgemeinen. 
Sind  sehr  zahlreich.  Junge  zartgebaute  Subjecte  mit  Habitus  gracilis,  phthi- 
sicus,  die  eine  sitzende  Lebensart  führen,  den  Geist  mehr  als  den  Körper 
anstrengen,  Kinder,  Frauenzimmer  und  Jünglinge  aus  schwindsüchtigen  Fa- 
milien, mit  platter  Brust,  umschriebener  Gesichtsröthe,  mit  feiner  Haut, 
solche,  die  früher  an  Scropheln  litten,  disponiren  am  meisten  zu  diesem 
Fieber.  Auch  gesellt  es  sich  leicht  zu  verschiedenen  Kachexien,  kommt  zu 
Ende  der  Wassersucht,  Krebssucht,   Tuberkelsucht,  Diabetes,  zu  Phthi&i» 


700 


FEBRIS 


pvilmonalis,  hepatica,  mesenterica  etc.     Spärliche  Nahrung,  Mangel  an  Mut- 
termilch bei  Säuglingen,  schlechte,  grobe  Kost  bei  Reconvalcscenten,  unter- 
drückte Hautausschläge,    grosser  Säfteverlust   durch  Abscessus    lymphaticus, 
durch  starke  Blutungen  ,    durch  Onanie,    übermässige  Geistesanstrengungen, 
überhaupt  Ausschweifungen  in  Baccho  et  V euere,    Apolline  et  Minerva  sind 
die  vorzüglichsten  Ursachen.     Prognose.    Ist  im  Allgemeinen  schlecht.    So 
wie  alle  Abzehrungen  einen  chronischen  Verlauf  haben ,  so  auch  das  hektische 
Fieber.     Je    schwerer   die  Ursache   des  Fiebers,    in  den  meisten  Fällen    die 
Hauptkrankheit,  zu  heben  ist,  desto  geringere  Hoffnung  der  Heilung  ist  da. 
Ist  das  Fieber  nach  Säfteverlust,  nach  Ausschweifungen  aller  Art  bei  sonst 
gesunden  Subjecten    entstanden ,    so  ist   die  Prognose   noch   am  günstigsten. 
Cur   im  Allgemeinen.     1)  Man  erforsche  und  entferne  wo  möglich   die  Ur- 
sachen,  stille  z.  B.  die  heftigen  Blutflüsse,    verhüte  den  starken  Samenver- 
lust  durch   Enthaltsamkeit   von   Ausschweifungen ,    durch    Unterlassung   der 
Manustupration ,    rathe  dem  Stubensitzer  und  Gelehrten  mehr  Bewegung  im 
Freien   und    mechanische    Beschäftigungen   an ,    man    suche    zurückgetretene 
Hautausschläge  durch  Bäder,  reizende  Mittel:  Knpp^s  und  Autcnrieth's  Salbe 
(s.  Amaurosis),    wieder  auf  die  Haut   zu  leiten,    stark  eiternde  Wunden 
zu  heilen  etc.     2)  Man  suche  den  Körper  zu  stärken  durch  nährende,   nicht 
zu  reizende,  dem  Körperzustande  angemessene  Nutrientia,  Roborantia,  Amara, 
ausgewählt  nach  dem  verschiedenen  Charakter  des  Fiebers.  —    Wir  nehmen 
hier   folgende   einzelne  Arten    desselben   an.      1)  Fehris   lenta  inllnmmntoria, 
das    entzündliche   Zehr fi eher.      Es  findet  häufig   statt   bei  chronisch 
entzündlichen  Zuständen  der  Lungen,  der  Bronchien,  der  Lymphdrüsen,  und 
tritt  besonders  bei  der  echten  Schwindsucht,  besonders  bei  der  sogenannten 
raschen,    galoppirenden,   bald  längere  Zeit  anhaltend,   bald  nur  mit  Unter- 
brechungen, von  Zeit  zu  Zeit,    sowie  allmälig  eine  Partie  der  tuberkulösen 
Linige  nach  der  andern  in  Entzündung  und  Eiterung  übergeht,  ein.    Sym- 
ptome,    Neben  den  oben  genannten  noch  die  eines  massigen  inflammatori- 
schen  Fiebers:    grosse,    trockne   Hitze,    lebhaftes   Fieber,    rothe,    trockne 
Zunge,    sparsamer,    feuriger   Urin,    Obstructio   alvi,    Bruststiche,    Husten, 
Angst,  Beklemmung.    Cur.   Vermeidung  alles  Erhitzenden,  des  Weins,  Biers, 
Kaffees,  der  Fleischsuppen,  ist  höchst  noth wendig.    Passend  sind  gelind  küh- 
lende Mittel :  Pot.  Riverii  mit  Aq.  flor.  sambuci  und  Salmiak ,  Cremor  tar- 
tari   mit  Zuckerwasser,    Limonade,    wenn   der  Husten   es  erlaubt,    Molken, 
Selterwasser,  kleine  Dosen  Salmiak,  säuerliche  Früchte,  Gurkensaft,  Tisa- 
nen  von  schleimigen  süsslichen  Wurzeln,   Rad.  graminis,  Althaeae,  mit  Mi- 
neralwassern,   strenge    kühlende  Diät,    Obst,    besonders   aber   als  Nutriens 
frische  ungekochte,    noch  warme  Kuhmilch,    Eselsmilch,    Buttermilch,  Cho- 
kolade   ohne  Gewürz,    Suppen   von    Sago,    Salep,    Arrow -Root   in  Wasser 
oder  Milch.     In  der  Regel  verschwindet  dieser  inflammatorische  Zustand  bei 
solcher  Behandlung  binnen  9  — 14  Tagen.     Sind  die  Bruststiche  sehr  stark, 
so  lasse  man  dreist  4  —  6  Blutegel  ans  Sternum  appliciren.     2)  Fcbris  Icnta 
gastricn.     Das    gastrische   Zehrfieber    begleitet  am  häufigsten  bedeu- 
tende organische  Leiden:    Scirrhositäten   der  Leber,    des  Magens,    Darmca- 
nals,  Pankreas,  gesellt  sich  daher  zuweilen  auch  zum  Icterus.     Symptome. 
Anwesenheit  des  Status  gastricus  (s.  P^ebris  gastrica),  schwächeres,  ge- 
linderes Fieber  als  bei  der  Lenta  inflammatoria,  remittirender  Typus,  lang- 
samer Verlauf,    gelbliche,   graue,    erdfahle  Gesichtsfarbe,    verdorbener  Ge- 
.schmack,    schmuzig- schleimig  belegte  Zunge,    Neigung   zu  Erbrechen    und 
Diarrhöe,   Druck  im  Unterleibe.     Cur.     Man  behandle  die  Grundkrankheit. 
Sind   zufällig  Sordes    da,    so    gebe    man    ein  Laxaus    aus  Crem,    tartari    und 
Rheum ,    und  glaubt  man  gegen  das  Grundübel  schon  hinreichend  durch  so- 
genannte  Resolventia   agirt  zu    haben ,    so    verbinde    man    Resolventia    und 
Amara:  Gumm.  asae  foetidae  mit  Rheum  und  Quassia,  Extr.  rutae,  taraxaci, 
gentianae   mit   Salmiak,    Tinct.   rhei    in    A(j.    aurantior.    gelöst,    und    dergl. 
Man  verordne  guten   Wein,    massig  genossen,  und  zweimal  täglich  50  Tro- 
pfen  Elix.   viscer.    Hoffmauni    oder  Eiix.    Hob.   Whytt.    darunter    gemischt, 
lasse  aromatjäche,    stärkende  Bäder  nehmen   und   rathe,    wenn   der  Kranke 


FEBRIS  701 

sich  bessert,  Bewegung  im  Freien  an.  Die  Nahrungsmittel  können  hier 
kräftiger,  gewürzreicli  und  animalisch  seyn,  doch  mit  Berücksichtigung  der 
Nervenzufälle,  des  etvvanigen  Durchfalls,  des  Orgasmus  im  Blute,  der  Ob- 
structio  alvi.  Man  fange  daher  mit  kleinen  Portionen  der  Nahrungsmittel 
an,  3)  Fehris  leula  nervosa  scnum ,  Mnraspomyra ,  das  Entkräftungs- 
fieber  alter  Leute.  Auf  diese  Krankheit  hatte  man  bisher  wenig  geach- 
tet, bis  neuerlich  C.  F.  Nagel  (Über  das  Entkräftungsfieber  der  alten  Leute. 
Altena,  18i!9)  darauf  aufmerksam  machte  (s.  auch  Uecler^s  Lit.  Annal.  1830, 
Januar,  S.  68).  Symptome  und  Verlauf.  Die  Krankheit  befällt  mehr 
Weiber  als  Männer.  Ein  langes  Stadium  prodromorum  von  3  —  4  Wochen, 
wo  anhaltende  Müdigkeit  und  Gefühl  von  Entkräftung  Hauptsymptome  sind, 
geht  vorher.  Allmälig  stellt  sich  ein  tägliches  Fieber,  anfangs  mit  kürzern, 
später  mit  längern  Exacerbationen  des  V^ormittags,  Abends,  des  Nachts, 
gewöhnlich  ohne  Frost  und  Schweiss  ein,  wobei  das  sonst  blasse,  apathische 
Gesicht  dunkelroth  aussieht ,  die  Augen  glänzend  werden ,  die  Kranken  an 
Unruhe  und  Delirien  leiden,  die  blande  sind;  dabei  Kopfschmerz  im  Vorder- 
kopfe, Druck  in  der  Herzgrube,  Übelkeit,  Würgen,  Erbrechen.  Fast  im- 
mer ist  die  Haut  trocken  ,  selbst  kühl ,  nur  in  der  Handfläche  und  an  den 
Fusssohlen  breiuiend.  Die  Zunge  ist  in  den  ersten  14  Tagen  mit  einein 
dünnen  weissen  Überzuge  bedeckt,  später  wird  sie  röthlich  mit  Erhebung 
der  Papillen,  wie  bei  Scarlatina.  Der  Puls  ist  normal,  nur  in  den  Anfäl- 
len etwas  beschleunigt;  der  Urin  ist  anfangs  dick  und  bräunlich,  wird  spä- 
ter klar,  hell,  strohgelb,  bildet  mitunter  eine  kleine  Wolke,  die  sich  bei 
günstigem  Ausgange  in  Bodensatz  verwandelt.  Häufig  leiden  die  Kranken, 
wenn  die  Kunst  nichts  dagegen  thut,  tagelang  an  Verstopfung,  späterhin 
an  Diarrhöe.  Geht  der  Urin  unwillkürlicli  ab ,  stellt  sich  wahres  Koma  eiiv, 
wird  das  Gesicht  sehr  roth  und  aufgedunsen ,  so  folgt  der  Tod  binnen 
ä  —  4  Tagen.  Die  nächste  Ursache  der  Krankheit  sucht  Nagel ,  gestützt 
auf  Sectionen,  in  Gastro  -  Enteritis.  Gelegentliche  Ursachen  sind:  Diätfeh- 
ier,-  Erkältungen,  Surapfmiasma,  die  bekannten  Schädlichkeiten  der  Som- 
mer -  und  Herbstzeit ,  metastatische  Rose.  Cur.  Strenge  Diät ,  Vermei- 
dung aller  reizenden ,  schwerverdaulichen  Speisen  und  Getränke.  Frische 
Luft,  Reinlichkeit,  häufiger  Genuss  des  kalten  Wassers,  bei  hervorstechen- 
den entzündlichen  Zufällen  einige  Blutegel  an  die  Oberbauchgegend,  inner- 
lich Pot.  Riverii  mit  Mucilaginosis  und  etwas  Aq.  laurocerasi,  laue  Bäder, 
bei  Obsti'uctio  alvi  täglich  milde  Klystiere,  bei  Abnahme  der  Krankheit  Ka- 
lomel  (V4  Gran  p.  d.) ,  bei  Congestionen  und  Delirien  kalte  Kopiumschläge ; 
diese  Mittel  werden  von  Nagel  vorzüglich  empfohlen.  In  einem  Falle  en- 
dete dies  Übel  mit  Gangraena  senilis  (^Most).  4)  Fehris  lenta  piltdtosn,  das 
Schleimzehr fieber.  Es  gesellt  sich  besonders  zu  Wassei'suchten  und 
Blennorrhöen  aller  Art,  zu  Status  pituitosus,  Phthisis  pituitosa,  Fluor  albus 
chronicus.  Symptome.  Gelindes  Fieber  mit  remittirendem ,  selbst  inter- 
mittirendem  Typus,  sehr  langsamer  Verlauf,  dabei  blasses,  aufgedunsenes 
verfallenes  Antlitz,  gänzlicher  Appetitmangel,  grosse  Störung  der  Digestion 
und  Assimilation,  fader,  schleimiger,  seifenartiger  Geschmack ,  Ructus,  Fla- 
tus, Oppression  der  Herzgrube ,  vermehrter  Speichelfluss,  Würgen,  Vomltus 
inanis;  Dyspnoe,  Mattigkeit,  Stumpfheit,  verdriessliches,  mürrisches  W^esen; 
kurz  alle  Zeichen  des  Status  pituitosus  (s.  Blennorrhoea  ventriculi 
et  Intestinorum).  Später  geht  das  Fieber  in  eine  Continua  über,  die 
Schwäche  wird  immer  grösser,  es  treten  Oederaa  pedum,  Hydrops  univer- 
salis und  colliquative  Diarrhöen  liinzu,  und  der  Tod  folgt  durch  aligemeine 
Erschöpfung.  Cur.  Man  behandle  das  Grundübel,  die  Blennorrhoe,  die 
Wassersucht,  wirke  auf  den  Unterleib  durch  Rheum,  Quassia,  gebe  Robo- 
rantia,  Tonica ,  Cort.  chinae,  Winteranus  mit  Zimmt,  Angelica,  Ariüca, 
Mallaga-,  Madeirawein,  besonders  Rad.  arnicae,  bei  grossem  Torpor  auch 
Faba  pichurim,  selbst  Cuprum  und  Ferrum  sulphuricum,  besonders  bei  den 
Blennorrhöen  (doch  bei  der  Wassersucht  die  Tonica  mit  grosser  Einschrän- 
kung), .und  die  andern  stärkenden  Mittel,  die  bei  Febris  lenta  gastrica  an- 
gegeben worden  sind.    5)  Fehris  lenta  nervosa,  das  nervöse  Zehrfieber. 


702  FEßPJS 

Pfierzu  prSdisponirt  voraöglich  der  gracile,  reizbare,  schwächliche  Habitus, 
das  zarte  Frauenzimmer  und  die  Kindernatur,  auch  der  junge  Onanist,  da- 
gegen die  phlegmatische,  torpide  Constitution,  der  Hjpochondrist  in  de 
vierziger  Jahren  mehr  zur  Febr,  lenta  gastrica  und  pituitosa,  und  das  ro 
buste ,  jugendliche ,  sanguinisch  -  cholerische  Temperament  mehr  zur  Febr. 
lenta  inllammatoria  Anlage  hat.  Symptome.  Sind  denen  der  gelinden 
Febr.  nervosa,  besonders  im  letzten  Stadium,  ähnlich.  Der  Puls  ist  klein, 
schwach ,  ungleich  ,  zitternd ,  hervorstechend  die  sogenannte  Schwiiidsuchts- 
rose,  die  Congestion  zum  Kopfe,  der  Kranke  ist  sehr  reizbar  für  Sinnes- 
eindrücke, besonders  für  die  des  Gesichts,  ist  schreckhaft,  geistig  sehr  ver- 
stimmt, wechselnd,  niedergeschlagen,  höchst  abgespannt,  leidet  an  ewiger 
Unruhe,  Herzklopfen,  Schlaflosigkeit,  delirirt,  sieht  Funken  und  Flecken 
vor  den  Augen ,  leidet  später  an  Gesichtstäuschungen ,  kleinen  Krämpfen, 
der  Puls  wird  höchst  klein ,  krampfhaft ,  es  folgt  grosse  Unruhe ,  Zittern, 
abwechselnd  mit  ruhigen  Augenblicken,  wo  Ahnungsvermögen,  geistiges  Se- 
hen in  die  Ferne,  prophetischer  Sinn  eintreten.  Später  gesellen  sich  Zit- 
tern des  ganzen  Körpers ,  Flechsenspringen ,  Flockenlesen  hinzu ,  und  der 
Tod  erfolgt  durch  grosse  Erschöpfung  und  Paralyse  wichtiger  Organe. 
Dieses  Zehrfieber  ist  gewöhnlich  am  Ende  einer  jeden  wahren  Lungen- 
schwindsucht da,  wenn  nicht  viel  Lungensubstanz  mehr  vorhanden  ist,  die 
in  Entzündung  und  Eiterung  übergehen  kann.  Cur.  Kann  unter  solchen 
schlimmen  Umständen  nur  palliativ  seyn.  Man  mindere  die  Reizbarkeit 
durch  kleine  Dosen  Opium,  durch  Extr.  hyoscyami ,  Digitalis,  Extr.  lactu- 
cae  virosae,  welche  auch  einige  Nachtruhe  verschaffen,  durch  Aq.  lauroce- 
rasi  etc.  Ist  keine  Lungenschwindsucht  da,  so  gehe  man  von  diesen  Mit- 
teln allmälig  zum  Acidnm  oxymuriaiicum,  zum  Elix.  visceral.  Hoffmanni,  zu 
den  bittern  Extracten,  der  Quassia,  der  China,  in  Verbindung  mit  Elix. 
acid.  Halleri,  später  zum  Eisen  über,  und  reiche  gute  leichte  animalische 
Kost;  alsdann  ist  oft  noch  Hoffnung  der  Genesung  da. 

Fehris  hemitriiaea,  semilertiana,  HemUritaeus.  Ist  die  Verbindung  einer 
Febr.  intermittcns  quotidiana  mit  der  Quartana;  s.  Febr.  intermittens. 

Felris  hepatica  Richteri,  das  Leberfieber  nach  Richter;  s.  Febria 
b  i  1  i  o  s  a. 

Fehris  homotonos ,  gleichförmiges  Fieber,   s.  Febris  epacmastica. 

Febris  hydrocephalica.  Das  hydrocep haiische  Fieber  iüt  Syn»^ 
ptom  der  acuten  Hirnwassersucht;  s.  Inflammatiocerebri.  ' 

Felris  hypersthenica.  Das  hypersthenische  Fieber,  nach  Broten 
und  den  Erregungstheoretikern,  ist  jedes  bedeutende  inflammatorische  Fie- 
ber; 6.  Febris  inflammatoria. 

Febris  inflammntorin ,  hypersthenica,  sthenica,  Febr.  synochica,  Synochrt, 
Synocha  simplex,  Synochus  non  pjitris  (^Slahl ,  Cullen,  JReiV),  Febris  continua 
inflammatoria  (P.  Frank) ,  Fehris  sepienaria  {Platner)  ,  Febris  amjiosihenica 
(Hildenbrand'),  Phlogopyra,  Sthenopyra  (^Swediatir) ,  Fehris  angeiotenica  (Pi~ 
nel)'i  auch  von  Alteren  Febris  continua  non  pniris,  Febris  contincns,  homo~ 
tona ,  acinastica,  anabasta ,  Synochus  inflammatoria,  Causus  inflammaloritis 
etc.  genannt,  das  entzündliche,  sthenische,  synochische  Fieber, 
das  Brennfieber  der  Älteren  und  Irritabilitätsfieber  der  Neueren. 
Dieses  Fieber  ist  in  unsern  Gegenden  von  Norddeutschland  eins  der  häufig- 
sten und  ist  mir  bis  jetzt  ohne  Localentzündungen,  wohin  besonders  Pneu- 
monie, Encephalitis,  Diaphragmitis,  Hepatitis  gehören,  noch  nicht  vorge- 
kommen. Symptome.  Nur  selten  tritt  es  mit  Vorboten  auf;  sind  sie  da, 
80  bestehen  sie  in  Schwere,  Trägheit,  Steifheit  in  den  Gliedern,  zuweilen 
etwas  Schläfrigkeit  zu  ungewöhnlicher  Zeit.  Meist  immer  >tritt  das  Fieber 
plötzlich,  ohne  Vorboten,  mit  starkem  Froste  ohne  vorhergehenden  Schau- 
der auf,  der  %  bis  selbst  %  St\inden  anhält  und  recht  schüttelnd  ist,  so 
dass  die  Zähne  im  Munde  klappern.  Ist  die  Gelegenheitsursache,  was  häu- 
fig der  Fall  ist,  Erkältung  des  Körpers  nach  Erhitzung,  bei  plötzlichem 
Witterungswechsel ,  nach  heftiger  Körperanstrengung  bei  rauhen  Ostwinden 
etc.,  so  pfleg;t  dieser  Fieberfrost  meist  7,   zuweilen  auch  erst  14,  zuweilen 


FEBRIS  703 

21  Stunden  oach  der  Erkältung,  und  häufiger  gegen  Abend  oder  in  der 
Nacht  als  zu  andern  Zeiten,  nach  raemen  Beobachtungen^  ehizutreten  (M.). 
Auf  das  Froststadiura  folgt  grosse,  brennende,  gelinde  Hitze,  die  sich  aber 
beim  Befühlen  des  Dritten  unter  der  Hand  vermindert,  also  kein  Calor  mor- 
dax,  wie  bei  Febr.  nervosa  und  putrida,  ist.  Dabei  voller,  starker,  har- 
ter, zuweilen  unterdrückter,  härtlicher  und  kleiner,  aussetzender  Puls, 
schnelle  Respiration ,  heisscr  Athem ,  trockne ,  rothe  Zunge ,  Röthe  des  Ge- 
sichts,  mitunter  auch  der  Augen,  feuerrother,  heisser  Urin,  heftiger  Durst, 
Kopfschmerz,  Unruhe,  Schlaflosigkeit,  oft  heftige,  wilde  Raserei.  Der  Puli 
geht  stets  nur  massig  schnell,  bei  Erwachsenen  selten  über  100  Schläge  in 
der  Minute,  behält  stets  eine  gewisse  Gleichförmigkeit,  das  Gesicht  ist  ge- 
spannt, aber  nicht  schlaff,  nicht  aufgedunsen,  die  rothe  Zunge  ist  oft  ganz 
leicht  mit  einem  Weiss  überzogen ,  als  hätte  man  mit  Kreide  darüber  ge- 
wischt; der  Harn  ist  roth,  aber  nicht  trübe  Meist  immer  ist  Neigung  zu 
Leibesverstopfung  da,  zuweilen  Magendrücken  und  Ekel,  Neigung  zum  Er- 
brechen ,  der  Kopfschmerz  sitzt  mehr  im  Vorder  -  al^  im  Hinterkopfe.  Der 
Typus  des  Fiebers  ist  eine  continua  remittens,  die  Remission  kommt  des 
Morgens,  die  Exacerbation  des  Abends.  Der  Kranke  hat  in  der  Regel  viel 
Muth  und  äussert  viel  Lebenskraft,  behält  bei  gelindem  Grade  des  Fiebers, 
das  ganz  einer  starken  Ephemera  gleicht,  völlig  klares  Bewusstseyn  und 
äussert  nur  Neigung  zum  Schlaf.  Das  aus  der  Ader  gelassene  Blut  gerinnt 
leicht  und  schnell,  hat  wenig  Blutwasser,  zeigt  sich  oft  auf  der  Oberfläch« 
schaumig  (Kopp)  und  bildet  die  bekannte,  aus  den  fibrösen  Theilen  dea 
Bluts  bestehende  Speckhaut  (Crusta  inflammatoria ,  Corium  pleuriticum). 
Sie  ist  ziemlich  gleichförmig  weiss,  wie  Speck,  sehr  zähe,  selbst  schwer 
mit  dem  Messer  zu  zerschneiden ,  und  spielt ,  gegen  das  Licht  gehalten, 
nicht,  wie  die  Crusta  in  Febr.  nervosa  und  putrida,  in  Regenbogenfarben. 
Die  Dauer  des  Fiebers  beträgt  nach  dem  verschiedenen  Grade  der  Heftig- 
keit 5,  7,  11 — 14  Tage,  wo  es  sich  in  der  Regel  unter  kritischem  Urin, 
kritischem  Erbrechen,  Durchfall  oder,  was  häufig  ist,  unter  Blutungen  ent- 
scheidet. Diese  Krisen  erfolgen  stets  an  den  ungleichen  Tagen,  in  der  Re- 
gel am  5ten,  7ten,  9ten  Tage,  wo  dann  die  Heftigkeit  des  Fiebers  bedeu- 
tend nachlässt  und  somit  der  eigentliche  entzündliche  Charakter  verschwin- 
det. In  schlimmen  Fällen,  besonders  bei  übermässig  schwächender  Behand- 
lung, oder  wenn  die  Krisen  zu  heftig  und  anhaltend  sind,  z.  B.  Blutungen, 
Diarrhöen,  oder  wenn  reizende  erhitzende  Mittel  gegeben  wurden,  nimmt 
das  Fieber  einen  andern  Charakter  an.  Alles  übertriebene  Schwächen,  noch 
mehr  die  reizende  Methode ,  machen  das  Fieber  leicht  nervös,  selbst  putrid. 
Letzteres  ist  besonders  dann  der  Fall,  wenn  Opium  gegeben  wurde,  wel- 
ches Mittel  so  leicht  schädliche  Mischung&veränderungen  im  Blute  hervor- 
bringt {Hufeland).  Der  Tod  erfolgt  durch  Übergang  in  Paralyse,  oder 
Apoplexie,  oder  durch  innere,  in  Brand  übergegangene  bedeutende  Entzün- 
dungen, besonders  in  den  Lungen,  im  Herzen ,  im  Gehirn.  Das  entzündliche 
Fieber  geht  um  so  schneller  in  ein  typhöses,  putrides  über,  1)  je  heftiger 
es  auftritt;  so  z.  B.  hat  das  gelbe  Fieber  und  die  Pest  nur  ein  sehr  kurzem 
Stadium  inflammatorium  und  es  folgt,  wie  bei  allen  febribus  malignis,  bald 
Paralyse;  2)  je  schwächlicher  die  Constitution  des  Kranken  ist;  bei  schwa- 
chen Kindern  folgt  daher  leicht  der  typhöse,  bei  Greisen  mehr  der  paraly- 
tische Charakter  (s.  Fe  bris  putrida),  bei  kräfdgen  Naturen  ist  dagegen 
der  Übergang  in  Febris  intermittens  nicht  ganz  seifen.  Ursachen.  Prä- 
disponirende  sind:  das  kindliche,  jugendliche  und  männliche  Alter.  Fast 
alle  Fieber  sind  bei  Kindern  inflammatorisch ,  nur  dauern  sie  als  solche  nicht 
lange,  höchstens  5  —  7  Tage,  weil  es  der  Kindernatur  an  Energie  fehlt. 
Heftiges  Nasenbluten,  anhaltender  Gebrauch  schwächender  Mittel  macht  si« 
sehr  leicht  typhös.  Dagegen  haben  alte  Leute  weniger  Disposition  zu  die- 
sem Fieber;  hat  sich  dasselbe  aber  bei  ihnen  gebildet,  so  erreicht  es  meist 
einen  heftigen  Grad  und  geht  leicht  in  den  putriden  Charakter  über.  Dies 
ist  selbst  bei  bedeutender  Febris  catarrhalis  der  Greise  nicht  selten  der 
Fall.    In  der  mittlem  Perlode  des  Lebens  entsteht  die  Krankheit  nicht  so 


704  FEBRIS 

leicht  als  in  den  Kinderjahren ,  aber  doch  leichter  als  bei  Greisen.  Sic 
dauert  hier  als  Synocha  ain  längsten,  oft  selbst  10 — 14  Tage,  und  die 
frühe  Anwendung  der  reizenden  Mittel  schadet  hier  am  meisten,  die  der 
schwächenden  dagegen  am  weiugsten ;  ja ,  in  manchen  bedeutenden  Fällen, 
z.B.  bei  Complication  der  Synocha  mit  Encephalitis,  Pneumonie,  sind  selbst 
S  —  4mal  wiederholte  Aderlässe  nothwendig,  und  zwar  um  so  mehr,  je  ro- 
buster die  Constitution  ist.  Nur  bei  der  VVohlgenährtheit  und  VoUsafligkeit 
der  Säufer  findet  diese  Regel  wegen  des  so  leicht  entstehenden  CoUapsus, 
der  selbst  das  Delirium  tremens  befördern  kann,  eine  Ausnahme.  Das  san- 
guinische Temperament  ist  geneigt  zu  leichter  Entstehung  einer  flüchtigen 
Synocha,  ^vie  bei  Kindern;  das  cholerische  zu  einer  nicht  so  leicht  ausge- 
bildeten, aber  alsdann  auch  sch\yeren  Synocha.  Das  phlegmatische  Tem- 
perament disponirt  am  wenigsten  zu  seiner  Ausbildimg  und  zu  seiner  längern 
Dauer;  bei  Melancholischen  entstehen  diese  Fieber  nicht  leicht,  aber  ^^enn 
sie  entstehen,  so  eri-eichen  sie  leicht  einen  sehr  hohen  Grad  und  gehen,  wie 
bei  Greisen,  nicht  selten  in  Paralyse  (Febr.  putrida)  über.  Bei  Weibern 
verhält  sich  die  Synocha  wie  bei  Kindern ;  sie  werden  leicht  davon  ergrif- 
fen ,  besonders  zur  Zeit  der  Menstruation  und  der  Schwangerschaft ;  aber 
die  Kiankheit  erreicht  selten  einen  hohen  Grad  und  dauert  als  Synocha  sel- 
ten länger  als  5  —  7  Tage.  Sie  geht  auch  leicht  in  Typhus  über,  besonders 
durch  Missbrauch  der  Blutausleerungen.  So  behandelte  einer  unserer  hie- 
sigen Ärzte ,  ein  eifriger  Anhänger  des  Broussais ,  vor  sechs  Jahren  einen 
50jährigen  Mann  an  Pneumonie  und  inflammatoi-ischem  Fieber.  Es  wurde 
binnen  fünf  Tagen  dreimal  zur  Ader  gelassen,  auch  bekam  er  einige  50  Blut- 
egel an  die  Brust.  Am  neunten  Tage  starb  der  Mann.  Eine  Stunde  vor 
dem  Tode  verordnete  der  junge  Arzt  noch  Rheinwein,  Moschus  etc.,  war 
aber  kaum  aus  der  Thür,  als  der  Tod  die  Verordnungen  überflüssig  machte. 
Andere  Fälle  sind  mir  bekannt,  wo  diesem  Arzte  sonst  gesunde  Frauen  an 
der  Synocha ,  die  durch  starke  Venaesectionen  und  die  Application  von  mehr 
als  100  Blutegeln  in  ein  wahres  Schwächefieber  überging ,  am  siebenten 
Tage  starben.  Am  häufigsten  kommt  die  Synocha  vor  bei  trockner,  kalter 
Luft,  bei  anhaltend  wehenden  Ost-  und  Nordost\^inden;  daher  häufig  bei 
trocknen ,  strengen  Wintern.  Die  leichtern  Arten  kommen  im  Frühling  vor, 
z.  B.  die  leichtern  Schnupfenfieber,  die  fast  immer  einen  synochischen 
Charakter  haben.  Was  die  Gegenden  und  das  Klima  betrifft,  so  finden 
wir  die  echte  Synocha  am  häufigsten  in  trocknen ,  hochliegenden  und  in 
nördlichen  Gegenden ,  weit  seltener  in  feuchten  tiefliegenden  Gegenden  und 
in  den  heissen  Zonen.  Gelegentliche  Ursachen  sind  alle  solche  Einflüsse, 
welche  die  Irritabilität  bedeutend  erhöhen.  Dahin  gehören  vorzüglich 
1)  Unterdrückung  gewohnter  Blutungen;   2)  ungewohnt    kräftige  Nahrung; 

5)  heftige  körperliche  Bewegung,  besonders  bei  gewohnter  Vita  sedentaria; 
4)  schneller  VVechsel  von  Hitze  und  Kälte,  sowol  durch  verschiedene  Tem- 
peratur im  Winter ,  durch  plötzlichen  Wechsel  von  stark  geheizten  Zimmern 
und  Winterkälte,  als  auch  durch  plötzlichen  Witterungswechsel,  durch  Er- 
hitzung und  darauf  folgende  Erkältung  des  Körpers ,  Avodurch  die  Hautaus- 
dünstung plötzlich  unterdrückt  und  das  Hautnervensystem  nachlheilig  ver- 
stimmt wird;    5)  heftige   Leidenschaften,    besonders    Zorn    \md    Schrecken; 

6)  Missbrauch  geistiger  Getränke  und  stark  gewürzter  Speisen;  7)  verschie- 
dene tliierische  Contagien,  besondei-s  Blattern,  Masern,  Scharlach;  8)  Ver- 
wundungen und  Quetschungen  aller  Art.  9)  Auch  die  Luftconstitutlon  hat 
grossen  Einfluss,  inflammatorische  Fieber  allgemein  herrschend  zu  machen, 
so  dass  sie  in  ganzen  Epidemien  auftreten  und  allen  übrigen  fieberhaften 
Krankheiten  mehr  oder  weniger  diesen  Charakter  mittheilen  (s.  Constitu- 
tio).  10)  Alle  Exantheme  acuter  Art,  sowie  alle  örtliche  Eingeweideent- 
zündungen sind  bei  uns  und  bei  sonst  gesunden  Körpern  mit  einem  Fieber 
verbunden,  welches  der  Regel  nach  bei .  Erwachsenen  bis  zum  siebenten 
Tage  synochisch  ist,  wovon  nur  zarte  Kinder,  schwache  Weiber,  Wöchne- 
rinnen und  Greise  eine  Ausnahme  machen.  Diagnose.  Ist  leicht.  Sie 
ergiebt  sich  aus  den  anaranestischcn  und  gegenwärtigen  Zeichen  des  Fiebers, 


FEBRIS  705 

aus  der  Betrachtung  der  Constitution,  der  vorhergegangenen  Schädlii:hkeiten 
\tnd  aus  der  Dauer  des  Krankseyns.  Einzelnen  Symptomen,  wenn  sie  auch 
noch  so  überzeugend  scheinen ,  traue  man  nie ;  nur  die  Gcsammtheit  aller 
charakteristischen  Zeichen  und  anderer  Eigenheiten  dieses  Fiebers,  z.  B.  die 
häutige  Complication  mit  Pneumonie,  acuten  Exanthemen,  besonders  Scar- 
latina,  stellt  die  Diagnose  fest.  Prognose.  Ist  gut.  Kein  synochische« 
Fieber  kann  als  solches  tödten;  nur  durch  den  Übergang  in  Febr.  nervosa, 
paralytica,  oder  durch  Apoplexie  ist  dies  möglich.  Nur  durch  seine  Verbin- 
dungen, besonders  durch  Entzündung  innerer  Theile  mit  ungünstigem  Aus- 
gange (Eiterung,  Brand),  wird  es  am  häufigsten  tödtlich.  Hat  die  Synocha 
noch  nicht  länger  als  5  —  7  Tage  gewährt,  so  ist  sie  in  unsern  Gegenden 
selbst  bei  anscheinend  fürchterlichen  Zufällen  nicht  gefährlich;  auch  täuscht 
sie  nie,  wie  manche  Formen  der  Febr.  nervosa,  durch  anscheinende  Gutar- 
tigkeit. Heftige  anhaltende  Kopfschmerzen  oder  Bauchschmerzen,  heftige 
Rasereien  deuten  auf  Encephalitis  oder  Enteritis ,  und  stellen  die  Prognose 
weniger  günstig.  Ist  gegen  den  14ten  Tag  noch  keine  glückliche  Krise 
erfolgt,  so  ist  der  Übergang  in  Febris  nervosa  oder  putrida  zu  fürchten 
Schlimme  Zeichen  sind  ein  nicht  kritisches  Nasenbluten  in  einzelnen  weni- 
gen Tropfen,  plötzliches  Eintreten  und  Wiederverschwinden  geschwollener 
Parotiden,  gehindertes  Schlucken  ohne  Angina,  innere  Hitze  bei  äusserer 
Kälte,  und  umgekehrt  (/iic/iter).  Behandlung.  Ist  sehr  einfach.  Wir 
wenden  alle  entzündungswidrige  Mittel,  bald  stärker,  bald  gelinder  an,  je 
nachdem  das  Fieber  heftiger  oder  gelinder  ist.  Die  vorzüglichsten  Mittel 
suid  Aderlassen,  örtliche  Blutausleerungen,  innerlich  Nitrum  mit  Tart.  vi- 
triolat.  in  Emulsion  etc.  (s.  Antiphlogistica).  Hierbei  sind  folgende 
Cautelen  zu  berücksichtigen:  1)  Ist  das  Fieber  einfach  und  gelind,  z.  B 
eine  Febris  continua  benigna,  ein  leichtes  katarrhalisches  oder  rheumiitisches 
Fieber,  und  ohne  bedeutende  Localaffectionen ,  so  bedarf  es  keiner  grossen 
Kunsthülfe;  die  Natur  heilt  es  von  selbst  bei  guter  Diät  (s.  Febris  ephe- 
mera).  Hat  der  Kranke  aber  eine  schwache  Brust  und  Habitus  phthisicus, 
so  sey  man  aufmerksam  selbst  bei  Katarrh  und  Angina,  damit  man  bei  oft 
hinzukommender  LungenafFectioii  durch  Antiphlogistica  und  strenge  Diät  der 
Pneumonie  vorbeugt.  2)  Kunsthülfe  wird  dringend  gefordert,  sobald  vor- 
zügliche Neigung  zu  Pneumonie  oder  Encephalitis  da  ist,  wo  heftige  fest- 
sitzende Brustschmerzen,  grosses  Hinderniss  in  der  Respiration ,  oder  heftiger 
Köpfschmerz,  Phantasiren,  Sopor  etc.  da  ist.  Hier  achte  man  vorzüglich  auf 
den  Puls,  ob  er  hart,  schnell,  unterdrückt,  und  ob  die  Haut  trocken  ist. 
Hier  sind  Aderlässe,  Neutralsalze  etc.  höchst  nothwendig.  3)  Die  Blut- 
ausleerungen  sind  das  erste  und  grösste  Mittel.  Sie  müssen  früh,  in 
deti  ersten  drei  Tagen  der  Krankheit  angewandt  werden ,  besonders  wenn 
das  Fieber  Folge  von  Localentzündungen  ist;  Je  stärker,  härter  und  je 
gleichraässiger  der  Puls,  je  robuster  die  Constitution,  je  trockner  das  Wet- 
i  ter  und  je  näher  der  Kranke  der  mittlem  Lebensperiode  ist,  je  heftiger  der 
-Fieberfrost  war,  je  stärker  die  Delirien,  je  röther  die  Augen,  je  heisscr, 
ängstlicher  und  kürzer  der  Athem  ist,  desto  nothwendiger  sind  sie.  Die 
Venaesection  verdient  hier  den  Vorzug  vor  den  Blutegeln.  Man  lässt  soviel 
Blut  weg,  bis  der  Puls  weicher  und  voller,  oder,  wo  er  nicht  unterdrückt 
war,  weicher  und  kleiner  wird.  Besonders  tottheilhaft  ists,  eine  grosse 
Aderöffnung  zu  machen,  damit  das  Blut  rasch  äl)fliesst,  wodurch  ein  wohl- 
thätiger  Collapsus  vasorum  hervorgerufen  wird.  Auch  ist  es  bei  recht  hef- 
tigen Fiebera  mit  Encephalitis,  starker  Pneumonie  etc.  sehr  gut,  dem  Kran- 
kea  in vsitzender  Stellung  zur  Ader  zu  lassen,  wodurch  leichter  eine  Ohn- 
macht,' die  hier  so  erwünscht  ist  und  nicht  gestört  werdeit  darf,  hervorge- 
rufen wird  (3f.).  Nach  Umständen  müssen  8,  12,  16  und  mehrere  Unzen 
Blut  gelassen  werden.  Nach  den  ßlutausleerungen  giebt  man  bei  Hirnaflfe- 
ctionen  (Febris  synochica  nervosa,  Febris  inflammatoria  gastrica,  Encepha- 
litis, Phrenitis  und  wie  sonst  diese  Zustände  genannt  worden  sind)  Purgir- 
salze,  z.  B.  bei  der  Scarlatina  Sal  Glauberi,  Sal  anglic. ,  bei  Pneumonie 
aber  Nitrum  mit  Tart.  vitriolat. ,  z.  B.  ^  Dccoct.  rad.  nlthneae  gvjjj ,  Nitri 
Mo 8t  Encyklopädie.  2te  Aufl.  I.  45 


•706  FEBRIS 

üepurnü  5jj  —  ]]]■>  Tart.  viiriolaii  gfy  —  3vj,  Syr.  nlihaene  5).  M.  S.  Stünd- 
lich 1  Esslöffel  voll.  In  folgenden  Fällen  nehme  man  sich  mit  dem  Aderlass 
aber  in  Acht :  a)  um  so  mehr ,  je  länger  die  Krankheit  schon  gedauert  hat, 
z.  B.  wenn  schon  der  8te,  9te,  lOte  Tag  der  Krankheit  da  ist;  b)  wenn 
schon    längere  Zeit   im  Stadio  prodroraorum  Esslust  und  Verdauung   gestört 

-waren;  c)  wenn  anhaltender  Durchfall  da  ist;  d)  wenn  schon  verschiedene 
kritische  Ausleerungen  stattgefunden  haben ;  e)  wenn  die  Constitution  des 
Kranken  zu  langer ,  feststehender  Synocha  nicht  geneigt  ist ,  wie  dies  bei 
Kindern,  bei  Greisen,  bei  zarten  Frauenzimmern,  bei  Wöchnerinnen  etc.  der 
Fall  ist;  f)  wenn  die  das  Fieber  erregenden  Schädlichkeiten  flüchtiger  Art 
waren,  z.  B.  heftige  Affecten,  Rausch  durch  Spirituosa;  g)  wenn  das  Wet- 
ter lange  Zeit  nass  und  feucht  war,  sowie  denn  ein  trockner  Winter  und 
Frühling  mehr  Indication  zum  Aderlassen  giebt  als  ein  heisser  Sommer  und 
Herbst.  Auch  achte  man  auf  den  Genius  der  Epidemien,  der  öfters  nicht 
rein  entzündlich  ist  (s.  Cons  titutio).  4)  Um  die  Zeit  der  Krise  sey  man 
ja  vorsichtig,  störe  diese  nicht,  am  wenigsten  durch  Blutlassen,  das  hier 
oft  schon  nach  drei  Stunden  tödten  kann.  Weiss  man  nicht ,  wohin  die 
Krise  sich  wenden  wird ,  so  verhalte  man  sich  passiv  oder  gebe  ganz  ge- 
linde Mittel,  z.  B.  etwas  Salmiak  mit  Aq.  flor.  sambuci,  etwas  Spirit.  Min- 
dereri  mit  Vin.  antimon.  Huxhami,  um  gelind  auf  Diaphoresis  und  Expecto- 
ration  (z.  B.  bei  Febr.  catarrhalis  und  Pneumonie)  zu  wirken.  Ist  die  Haut 
des  Kranken  trocken  und  das  Fieber  noch  bedeutend,  so  bewirken  diese 
Mittel  keinen  Schweiss,  nur  kräftigere  Antiphlogistica  sind  dies  zu  vermögen 
im  Stande.  Hier  ist  aber  auch  noch  keine  nahe  Krise  zu  erwarten.  Ist 
aber  die  Zeit  da,  wo  die  Krisen  eintreten  und  zeigen  sich  die  Vorboten  der- 
selben, so  befördern  wir  das  Nasenbluten  durch  warme  in  die  Nase  gezo- 
gene Dämpfe,  Menstrualblutung  durch  warme  Dämpfe  an  die  Genitalien, 
durch  Blutegel  und  Schröpfköpfe  an  die  innere  Seite  der  Schenkel,  Hämor- 

^rhoidalblutung  durch  Blutegel  an  den  After  etc.  {^Berends) ;  oft  sind  solche 
Beförderungsmittel  aber  nicht  einmal  noth wendig,  die  Natiu:  macht  es  ohne 
uns  meist  schon  recht  gut;  wir  thun  am  besten  uns  mehr  passiv  zu  verhal- 
ten, wo  kritische  Tage  und  Vorboten  der  Krise  sind  {Most).  5)  Übertrei- 
ben wir  die  schwächende  Methode ,  so  stürzen  wir  den  Kranken  entweder 
in  ein  typhöses,  putrides  Fieber,  oder  wir  verlängern  doch  das  Leiden,  in- 
dem wir  die  Kräfte  zu  sehr  geschwächt  haben.  Die  Action  und  Reaction 
des  Fiebers  ist  nicht  hinreichend ,  um  die  sogenannte  Kochung  des  Fiebers 
zu  .bewirken,  die  Krisen  bleiben  nun  zurück,  und  es  giebt  Nachkrankheiten, 

-6)  Iji  andern  Fällen  sind  die  Krisen  zu  heftig;  z.  B  Blutungen,  Diarrhöen, 
Schvveisse.  Hier  müss.en  wir  sie  durch  strenge  Diät ,  kühles  Verhalten ,  bei 
Diarrhöen  durch  w'ärmeres  Verhalten,  gelinde  Diaphoretica,  Mucilaginosa, 
durch  Vermeidung  des  Obstes,  des  Salzes,  der  Säuren  etc.  zu  massigen  su- 
chen. Senst  geht  der  intiiammatörische  Fiebercharakter  leicht  in  den  nervö- 
sfen  oder  putriden  über.  7)  Glauben  wir  aus  den  bekannten  Zeichen  diesen 
sehlimraen  tjT>ergang  «ditig  erkannt  zu  haben,  so  müssen  wir  dennoch 
höchst  vorsichtig  mit  den  excitirenden  Mitteln  seyn.  Kampher,  Serpentaria, 
Antica,  Opium  sind  höchst  gefährlich.  Nur  mit  einem  schwachen  Infus, 
yalerianae,  calami  aromatici,  in  Verbindung  mit  Salmiak  und  kleinen  Dosen 

.  Tart.  emeticus,  oder  init  Lifus.  valerianae  .und  Spirit.  Mindereri  köimen  wir 
einen  Versuch  machen,  und  dann  muss  der  Erfolg  uns  lehren ,  ob  wir  damit 
fortfahren  dürfen.  Reizen  wir  zu  stark,  so  springt  die  Krankheit  wieder 
zur  Synocha  über,  oder  es  erfolgt  schnell  Paralyse.  Richten  wir  aber  un- 
ser Handeln  so  ein,  dass  wir  weder  reizen,  noch  schwächen,  dass  wir  24 
Stunden  und  linger  Dinge  verordnen,  die  höchst  gleichgültig  sind,  die  z.  B. 
ut  aliquid  fecisse  videatur,  aus  Syr.  sacchari  3J,  Aq.  fontis  3VJ,  Liq.  ano- 
dyn.  3j,  bestehen,  so  fahren  wir  oft  am  besten  und  sehen,  dass  die  Natur- 
kraft bei  allen  Fiebern  das  Meiste  thut.  8)  Sind  Localentzündungen  mit 
dem  Fieber  oomplicirt,  so  appliciren  wir  mit  Nutzen  Blutegel  an  den  lei- 
denden Theii ,  z.  B.  bei  Angina  an  den  Hals ;  doch  reichen  diese  bei  Er- 
wachsenen, bei  robusten .  Naturen  uie  allein  aua  und  können  das  Aderlassen 


FEBRIS  707 

nicht  entbehrlich  machen.  Auch  durch  Schröpfen  und  Scarificiren  leeren 
wir  topisch  oft  Blut  aus  (s.  Angina  und  Inflammatio) ;  doch  muss,  wo 
ein  Aderlass  indicirt  ist,  dieser  vorhergehen  (^Richter').  9)  Gegen  den  hef- 
tigen Kopfschmerz  und  das  Phantasiren ,  selbst  gegen  Sopor ,  der  oft  ein 
reines  Zeichen  von  Encephalitis  mit  Synocha  nervosa  ist ,  wenden  wir  sym- 
utomatisch  hohe  Lage  des  Kopfes  auf  Matrazzen  von  Pferdehaaren,  kalte 
kopfumschläge ,  Blutegel  in  die  Temporalgegenden  und  reizende  Fussbäder 
an  (s.  Balneum).  Auch  Senfpflaster  an  die  Waden  und  Vesicatorien  im 
Nacken  sind  zweckmässig;  doch  passen  sie  durchaus  nicht  in  den  ersten 
Tagen  der  Krankheit,  am  wenigsten  ohne  vorhergegangene  hinreichende 
Blutausleerungen.  Erst  wenn  der  Puls  zwar  noch  schnell,  aber  nicht  mehr 
voll,  gespannt  und  hart  schlägt,  wenn  die  Hitze  nur  noch  massig  ist,  wenn 
ein  Hautkranipf  stattfindet ,  wodurch  die  Haut  dauernd  trocken ,  rauh  luid 
spröde  bleibt,  sind  sie  von  Nutzen  (^Ricliter^.  Viele  junge  Ärzte  missbrau- 
chen die  äussern  Reizmittel ,  wenden  sie  bei  Fiebern  zu  früh,  ohne  gehörige 
Indication  an,  und  vermehren  durch  den  örtlichen  Reiz  den  allgemeinen  im 
Nerven-  und  Blutsystem,  oder  das  Fieber.  10)  Hat  das  inflammatorische 
Fieber  den  Kranken  unmittelbar  nach  einer  starken  Mahlzeit  ergriffen ,  so 
bleiben  die  Speisen  unverdaut  im  Magen  liegen  und  die  Symptome  von  Sol- 
des sind  zugegen.  Hier  gebe  man  ein  leichtes  Brechmittel  (s,  Emetica), 
doch  erst  nach  voraufgegangenen  hinlänglichen  Blutausleerungen  (^Richter, 
Vogel).  11)  Klystiere  passen,  wenn  Obstructio  alvi  da  ist,  bei  allen  ent- 
zündlichen Fiebern,  nur  bei  den  fieberhaften  Zuständen  der  Wöchnerinnen 
passen  sie  in  den  ersten  3  —  4  Tagen  nach  der  Niederkunft  nicht,  weil  sie 
den  Uterus,  der  der  Ruhe  bedarf,  reizen.  Höchst  nothvvendig  sind  sie  bei 
den  Fiebern  der  Kinder.  Sie  geben,  des  Abends  applicirt,  eine  ruhige  Nacht. 
Man  wendet  sie  auch  bei  den  Fiebern  zarter  Frauenzimmer  mit  Nutzen  an 
(Af.),  und  bereitet  sie  aus  erweichenden,  kühlenden  Dingen  (s.  Clysma 
aperiens,  refrigerans).  12)  Was  die  Diät  beim  inflammatorischen  Fie- 
ber betrifft,  so  findet  hier  Alles,  was  darüber  oben  gesagt  worden,  seine 
Anwendung  (s.  Fe  bris).  Besonders  vergesse  man  die  wohlthätigen  Fieber- 
getränke nicht.  13)  Sehr  wichtig  ist  es,  zwei  Verschiedenheiten  des  in- 
flammatorischen Fiebers,  die  sich  am  Krankenbette  genau  nachweisen  las- 
ijen,  zu  unterscheiden,  nämlich  a)  ob  das  Blutsystem  hervorstechend  leidet 
{FeJjris  synochica  sanguinea,  Himhj)  oder  b)  ob  mehr  das  sensible  System 
afficii-t  worden  ist  (Fehris  synochica  nervosa,  Himly).  Zur  Diagnose  und 
Behandlung  dient  Folgendes:  «)  Bei  der  Synocha  nervosa  (die  weiter 
nichts  als  ein  Fieber  mit  Hirnaffectionen ,  mit  anfangender  oder  schon  aus- 
gebildeter Encephalitis,  oder  solchem  Hydrocephalus  acutus  ist,  und  wobei 
sympathisch  das  Lebersystem  leidet,  daher  einige  Altere  und  Neuere  es 
Fehris  inflammatoria  gastrica,  Fehris  nervosa  erethistica,  erethistisches 
Nerven fieber  nennen;  sowie  einige  Ältere  es  irrig  als  ein  Nerven-  und 
Schwächefieber  mit  entzündlichem  Fieber  ansehen  und  Fehris  nervosa  inflam- 
matoria nennen)  sind  alle  Zeichen  der  Encephalitis:  rege,  lebhafte  Phanta- 
sien, blitzender  Blick  und  Röthe  der  Augen,  später  Stupor,  Zufalle  der 
Apoplexie,  frequenter  schneller  Puls,  oft  130 — 140  Schläge  in  der  Minute, 
trockne,  heisse  Haut,  rother,  feuriger  Urin  ohne  Bodensatz,  nicht  selten 
kleine  Convulsionen  der  Gesichtsmuskeln,  Reissen  in  den  Gliedern,  trockne 
Nase,  Leibesverstopfung,  kein  Gefühl  von  Mattigkeit,  oft  selbst  nicht  in 
der  Akme  der  Krankheit,  Leberaffectionen :  bitterer  Geschmack,  gelbe  Zun- 
ge, gallige  Ausleerungen  nach  Oben  und  Unten,  doch  selten  vor  dem  5ten, 
7ten  Tage,  wo  in  der  Regel  der  synochische  Zustand  in  Typhus  oder  so- 
gldch  in  Paralyse  übergeht,  und  entweder  der  Tod  oder  Nachkrankheiten: 
Lähmungen  aller  Art,  bei  Kindern  Hirnwassersucht,  allgemeine  Wassersucht, 
bei  Erwachsenen  Adhäsionen  zwischen  dem  Hirn  und  seinen  Häuten,  scir- 
rhöse  Klumpen  in  der  Hirnmasse,  Blindheit,  Taubheit,  Blödsinn  etc.  erfolgen. 
Die  vorzüglichsten  Ursachen  sind  Contagien,  besonders  Scarlatina  und 
Fleckfieber;  ungewohnter  Genuss  geistiger  Getränke  bei  Kindern,  der  Nar- 
cotica,  der  bittern  Biere  bei  Erwachsenen,  Sonnenstich,   heftige  Nerven- 

45 '^ 


708  FEBRIS 

reizungen,  mechanische  Reizungen  des  Kopfs,  reizende  Knochensplitter  etc., 
anhaltender  Gebrauch  des  Opiums,  Hyoscyamus,  des  Kaniphers  ,  der  Amara 
bei  Typhusfiebern;  Gemüthsbewegungen.  Prädisponirend  wirken  sensible 
Constitution,  wie  bei  ftindern ,  Frauen,  bei  Künstlern,  Gelehrten,  bei  Vita 
sedentaria.  6)  Bei  der  Sijnocha  saniiuinen  fehlen  viele  dieser  Zeichen ,  da- 
gegen sind  die  oben  beschriebenen  Symptome  der  hervorstechenden  Affectiorf 
des  Bliitsystems  prävalirend  (s.  Febris  in  flammatoria).  Der  Puls  geht 
nicht  so  schnell,  ist  weit  regelmässiger,  die  Phantasien  sind  nicht  so  leb- 
haft, es  ist  mehr  Besinnungskraft  und  mehr  Schläfrigkeit  da;  alle  Symptome 
sind  nicht  so  stürmisch  und  harmoniren  besser,  der  Zeit  und  dem  Räume 
nach;  die  Constitution  ist  mehr  robust,  muskelstark,  wie  in  mittlem  Jahren; 
auch  ein  arbeitsames  Leben  mit  Körperanstrengung  in  freier  Luft  disponirt 
weit  mehr  dazu  als  eine  Vita  sedentaria.  Ursachen  sind  vorzüglich:  Blat- 
tern und  Masern,  Verletzungen  der  Lunge  durch  Stichwunden,  Pneumonie, 
plötzlich  gehemmte  gewohnte  Blutungen,  Hämorrhoiden,  Menstruation,  schnel- 
ler Temperaturweclisel ,  ungewohnte  heftige  Körperbewegung,  ungewohnte, 
stark  nährende,  reizende  Kost,  starke,  trockne  Winterkälte,  anhaltende  Ost- 
winde u.  s.  f.  r)  Auch  der  Verlauf  dient  zur  Diagnose.  Die  Synocha 
sanguinea  tödtet  selten  vor  dem  7ten  Tage ,  die  Synocha  nervosa  mitunter 
schon  am  Isten,  2ten,  Sten  Tage  durch  Apoplexie  oder  Paralyse;  z.  B.  in 
bösen  Scharlachepidemien.  Die  Krisen  und  kritischen  Tage  sind  bei  der 
S.  sanguinea  weit  regelmässiger  als  bei  der  S.  nervosa;  ja,  häufig  geht  letz- 
tere per  Lysin  in  Genesung  über ;  übrigens  entscheidet  sie  sich  selten  durch 
Schweiss,  weit  häufiger  durch  Nasenbluten;  oft  erfolgt  sehr  schnell  Gene- 
sung, zuweilen  schleicht  sie  sich  aber,  besonders  wenn  heftiges  Nasenbluten 
und  anhaltender  Durchfall  hinzukommen,  in  Typhus  über.  Sind  die  Augen 
glänzend,  lebhaft  und  roth  (nicht  matt  und  schmierig,  wie  beim  Typhus), 
■ist  die  Pupille  sehr  klein,  der  Blick  stechend,  das  Phantasiren  sehr  lebhaft, 
das  Auge  sehr  empfindlich  gegen  Licht,  die  Nase  ganz  trocken  und  mit 
trocknen  dicken  Eiterpfropfen  verschlossen,  so  ist  die  Gefähr  sehr  gross, 
und  Stupor  und  die  übrigen  Zeichen  der  Paralyse  sind  sehr  nahe,  d)  Die 
Behandlung  der  Sifiiochn  samjidnea  ist  die  strenge  antiphlogistische,  wie 
sie  üben  bei  Febris  infiammatoria  angegeben  worden.  Aderlassen,  Blutegel 
und  innerlich  die  Mixtur  aus  Nitrum  und  Tart.  vitriolatus  sind  tincmtbehi'- 
liche  Heilmittel.  Lässt  man  das  erstemal  recht  viel  Blut  und  aus  einet 
grossen  Aderöffnung  weg,  so  erspart  man  die  wiederholten  Aderlässe;  be- 
sonders nöthig  ist  dies,  wenn  unterdrückte  Blutungen  und  sehr  kräftige 
Nahrung  bei  recht  wohlgenährtem,  robustem  Körper  schädlich  einwirkten. 
Häufig  ist  der  Puls  hier  unterdrückt;  man  lasse  so  lange  Blut  laufen,  bis 
er  weicher,  grösser,  voller,  wogend  wird.  G^gen  den  Sten  Tag ,  und  wenn 
sich  das  Fieber  schon  sehr  gemässigt  hat,  verordne  man  kein  Nitrum  mehr, 
sondern  Salmiak  in  Fliederwasser,  mit  etwas  Vinum  stibiat.  oder  Tart.  eme- 
ticus.  Dies  befördert  die  Diaphoresis,  die  hier  häufig  als  günstige  Krise 
eintritt.  Auch  begün.stigen  diese  Mittel  die  Krise  durch  den  Urin.  Fol- 
gende Formel  hat  mir  hier  oft  viel  geleistet:  ^r  Sah  ammon.  dep.,  Shcc. 
iiquir.  ana  5jj  — jjj »  'i<l-  flor.  smnhiivi  gvjjj ,  Sijr.  aUhficac  5J ,  Tart.  emetici 
gr.  j.  M.  S.  Stündlich  einen  Esslölfel  voll,  c)  Was  die  Cur  der  Si/nochn 
uervosrt ,  des  erethistischen  Fiebers  betrifft,  so  muss  auch  hier  im 
Allgemeinen  antiphlogistisch  verfahren  werden.  Man  vergesse  nicht,  dass 
die  Synocha  sanguinea  bei  zarten  Subjecten  häufig  in  diese  Form  über- 
'springt,  sowie  denn  auch  das  Zunehmen  bedeutender  Localentzündinigen 
andererseits  aus  der  Synocha  nervosa  eine  Synocha  sanguinea  machen  kann. 
Die  Eigenthümlichkcit  des  entzündlich  -  nervösen  Fiebers  erfordert  manche 
Modificationen  des  antiphlogistischen  Apparats  und  manche  Rück.sichten ,  die 
hier  erörtert  werden  müssen.  «)  Etwa  fortwirkende  ursächliche  Schädlich- 
keiten ,  z.  B.  Knochensplitter  des  Craniums  etc.  entferne  man,  p)  Man  ver- 
mindere alle  Sinnesreize.  Ein  dunkles  Zimmer,  Geräuschlosigkeit,  wenig 
Umgebung,  höchst  reine  Zimmerluft,  kein  Räuchern,  kein  Tabaksdampf, 
sind   nothweudig    zu    berücksichtigende   Dinge.     Doch    vermeide    man   auch 


'    FEBRIS  709 

Langeweile  des  Kranken;  einen  Gesellschafter  zur  ruhigen  Unterhaltung 
niuss  er  haben,  sonst  verfolgt  er  fixe  Ideen ,  kommt  auf  Ideenjagd  und  sinkt 
immer  tiefer  in  seine  Phantasien,  y)  Höchst  wichtig  ist  kühle  Luft,  kühle 
Temperatur,  tägliche  Erneuerung  der  Ziramerluft.  Das  Krankenzimmer  darf 
im  Winter  nicht  über  10°  R.  geheizt  werden,  in  den  heissen  Sommertagen 
kühle  man  die  Luft  durch  Einsprengen  mit  kaltem  Wasser  und  Essig  ab, 
wo  der  Verdunstungsprocess  Kälte  zurücklässt,  und  wiederhole  dies  täglich 
einige  Mal.  J)  Man  scheue  bei  jugendlichen  robusten  Subjecten  weder  die 
allgemeinen,  noch  die  örtlichen  Blutausleerungen.  Sie  sind  oft  höchst  noth- 
wendig,  besonders  in  den  ersten  3  —  5  Tagen  der  Krankheit,  doch  handle 
man  mit  Vorsicht  und  übertreibe  das  Schwächen  nicht;  oft  reicht  man  schon 
mit  Blutegeln  an  die  Schläfen  aus.  f)  Innerlich  passen  vorzüglich  Purgir- 
salze,  z.  B.  Sal  Glauberi,  Sal  anglic.  I^  Sah  Glnuheri  5Jj,  Aquae  fontanae 
föj»  Oxym.  simpl.  3Jjj.  M.  S.  Stündlich  2  Esslöffel  volL  Sie  leiten  vor- 
trefflich vom  Kopfe  ab  und  wirken  zugleich  wohlthätig  auf  die  Leber,  ent- 
fernen auch  die  vielleicht  schon  übermässig  abgesonderte  Galle,  die  sonst 
leicht  als  kranker  Reiz  die  gastrischen  Symptome  vermehrt.  C)  Am  4ten, 
5ten  Tage  der  Krankheit,  wenn  sich  das  Fieber  durch  fortgesetztes  Purgi- 
reu  gemässigt  hat,  passt  besonders  der  Mercur.  dulcis,  Abends  und  Mor- 
gens zu  1  —  2  Granen,  oft  auch  mit  Nutzen  in  Verbindung  eines  Graus 
Herb,  digitalis  (Af.).  Ausserdem  sind  hier  auch  die  Mineralsäuren  jetzt 
sehr  nützlich,  besonders  Acid.  muriat.  oxjgenat. ,  Elix.  acid.  Halleri,  z.  B. 
I^  Elix.  acid.  Hallcri  5jj?  Syr.  ruh.  idaei  5Jjj.  M.  S.  Stündlich  einen  Thee- 
löffel  voll  mit  einem  Glase  kalten,  frischen  Wassers  zu  nehmen.  Oder  fol- 
gende Formel:  I^  Acid.  muriat.  oxygen.  g)^  —  5J,  Aquae  destillatac  3vjjj, 
Syr.  simpt.  ^j.  M.  det.  in  vitr.  nigr.  color,  S.  Stündlich  1  Esslöffel  voll. 
Doch  wende  man  bis  zum  5ten,  7ten  Tage  der  Krankheit  erst  die  vegetabi- 
lischen Säuren,  die  Fiebergetränke  in  Menge  an  (s.  Febris).  /;)  Der  Kopf 
des  Kranken  muss  sehr  kühl  gehalten  werden  und  hoch  liegen ,  nicht  in 
F'ederkissen ,  sondern  in  Pferdehaarmatrazzen.  Sind  die  ZuHille  heftig,  so 
sind  kalte  Kopfumschläge  von  Eis,  Schnee,  Essig,  Wasser,  im  Sommer  mit 
Nitrum  und  Salmiak,  das  als  Pulver  jedesmal  vor  dem  Auflegen  aufgestreut 
wird,  vermischt,  die  herrlichsten  Mittel,  die  in  jedem  Stadium  passen,  nichts 
weniger  als  schwächen  und,  früh  angewandt,  oft  allen  gefährlichen  Folgen 
vorbeugen.  Vor  Erkältung  fürchte  man  sich  nicht;  denn  in  diesem  Fieber 
kann  der  Mensch  sich  ebenso  wenig  erkälten ,  als  der  Maniacus  im  Irren- 
hause. Auch  die  kalten  Sturzbäder  nach  C'«mc,  Fröhlich  u.  A.  sind  hier 
oft  nothwendig  (s.  Scarlatina).  i9)  Man  vermeide  alle  reizenden,  er- 
hitzenden Arzneien  und  Nahrungsmittel ;  man  richte  sich  genau  nach  dem 
Verlaufe  des  Fiebers,  und  glaubt  man  aus  den  Zeichen  auf  den  Übergang 
des  Krankheitscharakters  in  wahre  Schwäche,  auf  sogenanntes  typhöses, 
nervöses  Fieber  schliessen  zu  dürfen,  so  fange  man  dennoch  mit  den  leich- 
testen excitirenden  Mitteln  au ,  gebe  anfangs  Aqua  oxymuriatica  mit  Infus, 
valerianae,  oder  Infus,  valerianae  mit  Pot.  Riverii,  etwas  Salmiak,  Tart. 
emeticus  u.  s.  w. 

Fchris  ijitermitlens,  Dialcipyra,  das  Wechselfieber,  kalte  P'ieber, 
aussetzende  Fieber,  Fieber  schlechtweg.  Es  giebt  eine  ganze  Gat- 
tung von  aussetzenden  Fiebern ,  die  ihren  Namen  dem  Typus  verdanken, 
der  hier  allerdings  sehr  merkwürdig  ist  und  uns  über  die  eigentliclie  Natur 
dieser  Fieber  durch  Analogie  Aufschluss  giebt,  indem  wir  das  Wechselfieber 
als  den  Neurosen  sehr  ähnlich  finden ,  die ,  wie  z.  B.  Epilepsie ,  Katalepsie, 
Chorea  etc.  alle  gleichfalls  etwas  Periodisches  haben ;  der  Unterschied  ist 
vorzüglich  der,  dass  bei  der  Febris  intermittens  in  der  Regel  das  G^nglien- 
und  Spinalnervensystem  vorzugsweise  krankhaft  ergriffen  ist ,  bei  der  Epi- 
lepsie und  Katalepsie  dagegen  mehr  das  Gehirn,  daher  der  Mangel  an  Be- 
wusstseyn;  doch  giebt  es  auch  bösartige  Wechselfieber,  wobei  sidi  die 
krankhafte  Affection  bis  zum  Gehirn  dergestalt  erstreckt,  dass  Phantasiren, 
selbst  heftige  Raserei,  Bewusstlosigkeit  erfolgen.  Symptome  und  Dia- 
gnose dieser  Fiebergattung.      Die  Intermittens   zeichnet  sich   dadurch  au«, 


710  FEBRIS 

dass  der  Kranko  nach  jedem  Fieberaiifall,  der  sich  durch  starken,  oft  stun- 
denlang anhaltenden  Frost  und  mehrere  Stunden  dauernde  Hitze  zu  erken- 
nen giebt,  eine  freie  Zwischenzeit  hat,  wo  er  sich  anscheinend  wohl  be- 
findet ,  und ,  wenige  schlimme  Fälle  ausgenommen ,  seinen  gewohnten  Ge- 
schäften nachgehen  kann ,  wenn  anders  nicht  schon  durch  die  Länge  der 
Zeit  und  durch  die  öftere  Wiederkehr  der  Anfalle  der  Körper  zu  schwach 
geworden  ist.  Der  Frost  dauert  selten  über  eine  Stunde,  ist  recht  heftig, 
mit  Blauwerden  der  Lippen,  Kälte  der  Glieder,  Blauwerden  der  Nägel  und 
Zähneklappern  verbunden;  dann  stellt  sich  die  trockne  Hitze  mit  heftigem 
Kopfschmerz,  schnellem,  ängstlichem  Athraen,  grossem  Durstete,  ein,  dauert 
S  —  6  Stunden,  worauf  dann  nach  ein  paar  Stunden  feuchte  Hitze,  reich- 
licher Schweiss  und  Erleichterung  von  allen  Beschwerden  folgen.  Gewöhn- 
lich endet  der  Paroxysmus  mit  einem  erquickenden  Schlafe,  und  der  Kranke 
erwacht,  einige  Mattigkeit  abgerechnet,  ganz  wohl  und  munter.  Der  Fie- 
beranfall kommt  entweder  alle  Tage ,  oder  einen  Tag  um  den  andern ,  oder 
noch  seltener:  darauf  stützt  sich  die  Eintheilung  des  kalten  Fiebers  in  täg- 
liches, dreitägliches,  viertägliches  Fieber  (Febris  intermittens 
quotidiana,  tertiana,  quartana),  welche  wir  auch  schlechtweg  Quotidiana, 
Tertiana,  Quartana  nennen.  Die  Alten  haben  an  der  Eintheilung  die- 
ses Fiebers  nach  dem  Typus  viel  subtilisirt,  was  für  die  Praxis  wenig 
Werth  hat,  und  mancher  akademische  Lehrer  thut  sich  selbst  darauf  etwas 
zu  Gute,  in  seinem  Auditorium  oder  seiner  Klinik  stundenlang  darüber  zu 
schwatzen ,  um  dadurch  seine  Belesenheit  an  den  Tag  zu  legen.  Nur  allein 
für  die  Prognose  hat  der  Typus  einigen  Werth;  wdr  wissen  nämlich  aus  der 
Erfahrung,  dass  in  der  Regel  die  Krankheit  um  so  leichter  geheilt  werden 
kann,  je  häufiger  der  Anfall  kommt,  ganz  so,  wie  es  mit  der  Epilepsie  der 
Fall  ist;  ferner,  dass  ein  Wechselfieber  mit  Typus  vagus  und  anticipans 
leichter  ist  als  mit  Typus  fixus  und  postponens,  was  eine  zweite  Ähnlich- 
keit hinsichtlich  der  Prognose  der  Epilepsie  abgiebt.  Daher  ist  die  Quoti- 
diana leichter  als  die  Tertiana,  und  diese  leichter  als  die  Quartana  zu  hei- 
len ,  und  Metamorphosen  von  der  Quotidiana  zur  Tertiana  und  Quartana 
zeigen  Verschlimmerung,  das  Gegentheil  Besserung  an.  Einige  schulgerechte 
Eintheilungen  und  Formen  der  Febr.  intermittens  nach  dem  Typus  und  den 
oft  nur  supponirten  Compositionen  mehrerer  dieser  Fieber  in  einem  Kran- 
ken mögen  hier  Platz  finden:  1)  Febris  intermittens  quotidiana,  das  tägli- 
che Wechselfi  eher,  fängt  meist  des  Morgens  an,  der  Frost  dauert  sel- 
ten länger  als  «/,  —  %  Stunde,  seine  Hitze  zieht  sich  lange  hin,  so  dass  die 
Apyrexie  oft  kaum  1  Stunde  dauert.  Häufig  hat  es  den  Typus  anücipans 
und  geht  leicht  in  eine  Febr.  remittens  über.  Sehr  ähnlich  sind  sich  die 
einzelnen  Anfälle  an  den  Tagen  1,  3,  5,  7,  9,  11  etc.,  und  wieder  die 
Paroxysmen  an  den  Tagen  2,  4,  6,  8,  10,  12  etc.,  sowol  in  Betreff  ihrer 
Intensität,  als  ihres  Typus,  der  Zeit  ihres  Beginnens  etc.  Daher  kommt  es, 
dass  Viele  deshalb  sagen ,  es  sey  eine  Febr.  tertiana  duplicata ,  was  ebenso 
wenig  der  Fall  ist,  wie  bei  andern  Fiebern,  die  an  den  ungleichen  Tagen 
heftiger  als  an  den  gleichen  erscheinen  (Himli/).  Feuchte  Kälte  im  Früh- 
ling, im  Herbst  und  in  feuchten  Wintern  befördert  die  Quotidiana  am  mei- 
sten. 2)  Fehris  intermittens  tertiana,  das  dreitägliche  (nicht  dreitägige) 
Wechselfieber;  denn  es  kommt  jeden  dritten  Tag  und  nur  ein  freier 
Tag  ist  dazwischen.  Es  beginnt  meist  des  Mittags,  besonders  gegen  11  Uhr 
(M. ),  mit  starkem  Froste,  worauf  heftige  Hitze,  starke  Kopfschmerzen, 
selbst  Delirien  folgen  Es  ist  die  häufigste  Form  von  Wechselfieber  und 
ist  bei  uns  meist  immer  mit  gastrischen  Beschwerdeu :  gelb  belegter  Zunge, 
Neigung  zum  Erbrechen  etc. ,  verbundpn.  Der  ganze  Paroxysmus  dauert 
meist  6 — 12  Stunden,  dagegen  er  bei  der  Quotidiana  wol  16  —  20  Stunden 
und  länger  währt.  Vorherrschend  ist  hier  der  Typus  anticipans,  wodurch 
es  sich  der  Quotidiana  nähert.  Gute  Zeichen  sind,  wenn  die  Hitze  bald 
feucht  wird,  wenn  die  Apyrexie  immer  länger  währt,  wenn  nach  dem  drit- 
ten Paroxysmus  ein  honigartiger  Ausschlag  am  Munde  entsteht.  Die  Ter- 
tiana macht    die  häufigsten   Recidive,    besonders  an  den  Tagen   7,  14,  21. 


FEBRIS  711 

Sie  kommt  am  meisten  epidemisch,  und  dann  Im  Frühling  und  Herbste  vor 
Die  Febr.  interm.  tertiana  autumnalis  hat  oft  einen  Typus  postponens  und 
nähert  sich  so  der  Quartana,  wodurch  die  Krankheit  hartnäckiger  wird. 
S)  Fehris  intermittens  quartana,  das  viertägliche  VVechselfieber,  tritt 
gewöhnlich  gegen  Abend  und  mit  starkem,  anhaltenden  Proste  ein,  und  der 
ganze  Paroxysmus  dauert  höchstens  8  — 10  Stunden.  Es  ist  häufig  ende- 
misch, herrscht  in  sumpfigen  Gegenden;  die  Menschen  bekommen  bald  eine 
schmuzig  graue,  bleiche  Gesichtsfarbe,  die  Leber  und  Milz  schwellen  an, 
daher  Manche  dieses  Fieber  auch  Fehris  hepaticn,  splenica  nannten.  Dps 
Übel  dauert  oft  viele  Monate.  Trat  es  im  Frühling  auf,  so  vergeht  es  oft 
im  Sommer,  trat  es  aber  im  Herbst  auf,  so  währt  es  meist  immer  und  ohne 
kräftige  Kunsthülfe  den  ganzen  Winter  hindurch.  Menschen  mit  atrabilari- 
gcher  Constitution,  mit  Unterleibsfehlern,  haben  die  meiste  Anlage  dazu; 
doch  habe  ich  in  seltenen  Fällen  auch  Kinder  von  4  bis  8  Jahren  daran 
leiden  sehen  (M.),  besonders  atrophische  Kinder.  4)  Auch  will  man  Fehris 
interm.  quintanae,  sextanae,  septanae,  octanae  beobachtet  haben;  doch  hat 
man  hier  wol  häufig  Recidive  mit  dem  Typus  verwechselt,  oder  es  waren 
irreguläre  Tertian  -  und  Quartanfieber.  5)  Sind  die  Perioden  beim  Wech- 
selfieber constant,  so  nennt  man  es  Fehr.  interm.  regularis;  wo  aber  das 
Gegentheil  stattfindet,  Fehr.  interm,  irregularis,  atypica ,  vaga,  erratica. 
Zuweilen  folgt  der  zweite  Paroxysmus,  wenn  die  Fieberhitze  des  ersten 
noch  nicht  ganz  abgezogen  ist  {Fehr.  interm.  suhintrans);  ist  die  Krankheit 
so  beschaffen,  dass  sie,  wie  in  manchen  schlimmen  und  complicirten  Fällen, 
in  ein  anhaltendes  Fieber  übergeht  {Fehr.  interm.  stthcontinua^ ,  und  ist  der 
Typus  feststehend  {Fehr.  interm.  fixa') ,  so  giebt  dies  eine  ungünstigere  Pro- 
gnose als  wenn  das  Gegentheil  stattfindet.  6)  Man  hat  einfache  und  dop- 
pelte, zusammengesetzte  und  verwickelte,  gutartige  und  bösartige  Wechsei- 
fieber  {Fehr.  interm.  simplex,  dxi/plex  vel  triplex,  composita,  complexa,  henigna 
et  maligna')  statuirt.  Kommen  bei  der  Quotidiana  in  24  Stunden  zwei  Par- 
oxysmen,  was  sehr  selten  der  Fall  ist,  so  ists  eine  Fehr.  interm.  quotidiana 
duplex;  häufiger  ist  die  Quartana  duplex  oder  triplex,  wo  jeden  Tag  irgend 
ein  Fieberanfall  vorkommt.  Das  Doppelfieber  nennt  man  eine  Fehr.  com- 
posita, die  Verbindung  der  Quotidianfieber  mit  der  Tertiana,  oder  der  letz- 
tern mit  der  Quartana  eine  Fehr.  interm.  complexa  ( Hemitritaeus ,  Febr. 
hemitritaea,  Febr.  mesenteria,  tritaeophyia )  Diese  Subtilitäten  sind  ohne 
praktischen  Werth,  und  dann  ist  es  auch  noch  die  grosse  Frage,  ob  man 
das  Typische  einer  einfachen  Quotidiana,  Tertiana  und  Quartana,  das  nach 
Mondwechsel  etc.  sich  buntscheckig  verändern  kann ,  hier  wol  richtig  ge- 
deutet hat?  Zu  den  bösartigen  Wechselfiebern  rechnet  man  die  Febr.  interm. 
suhcontinuae  und  die  Fehr.  interm.  comitatae,  welche  letztere  meistens  von 
schlimmen  Zufällen,  von  soporösen,  apoplektischen,  asthmatischen,  synkopti- 
schen  und  andern  Affectionen,  von  übermässigen  Schweissen  etc.  begleitet 
sind ,  daher  man  sie  Fehr.  interm.  soporosae,  afoplecticae,  sy7icopales,  nsthma- 
ticae,  epialae  genannt  hat.  Verschiedene  bösartige  epidemische,  endemische 
und  miasmatische  Fieber,  z.  B.  die  Sommer-  und  Stoppelfieber,  welche  in 
den  Jahren  1826  —  29  in  Holland  an  den  Küsten  der  Nordsee,  im  Ditmai- 
schen ,  Oldenburgischen,  Holsteinschen,  ja  hier  und  da  in  ganz  Norddeutsch- 
land herrschten,  zum  Theil  selbst  das  ungarische  Fieber,  das  englische 
Schweissfieber,  verschiedene  fieberhafte  Volkskrankheiten  in  Scandinavien, 
Westindien  u.  s.  f.  gehören  hierher  7)  Es  giebt  offenbare  und  verlarvte 
Wechselfieber  ( Fehr.  interm.  manifestae  et  larvatae) ,  deren  Diagnose  sehr 
wichtig  ist.  Wenn  zu  den  verschiedenen  Zeiten,  wo  im  Allgemeinen  der 
Krankheitsgenius  zur  Intermittens  neigt,  wie  dies  z.  B.  hier  in  Mecklenburg 
seit  einigen  Jahren  der  Fall  ist,  Kopfschmerz,  Zahnschmerz,  apoplektische 
und  soporöse  Anfälle ,  Blindheit  etc.  einen  intermittirenden  und  regelmässigen 
Typus  haben,  so  können  und  müssen  wir  annehmen,  dass  hier  eine  Febr. 
interm.  larvata  stattfinde.  Selbst  wenn  der  Typus  unregelmässig  ist,  bleibt 
diese  Annahme  für  die  Praxis  von  Werth.  8)  Den  Unterschied  in  epide- 
mische,  sporadische  und  endemische  VVechselfieber   hat  die  tägliche 


712  FEBRIS 

Erfahrung  als  richtig  bestätigt.  Sowie  in  Holland  die  Krankheit  an  ver- 
schiedenen Orten  fast  immer  endemisch  ist,  so  war  sie  seit  einigen  Jahren 
nach  der  bösartigen  Epidemie  in  Groningen  fast  in  ganz  Deutschland  epide- 
misch, und  noch  jetzt  kommt  sie  in  meiner  Praxis  sporadisch  in  jeder  Jah- 
reszeit, und  im  Frühling  häufig  epidemisch  vor.  9)  Höchst  wichtig  ist  für 
den  Praktiker  die  Eintheilung  der  Wechselfieber  nach  der  Natur  und  dem 
Charakter  derselben.  Hier  unterscheiden  wir  a)  Fchr.  interm,  simplex ,  ¥. 
interni.  nervosa  simplex  (Frnjifc),  das  einfache,  nicht  mit  ungewöhnlichen 
Symptomen  begleiiete  Wechselfieber;  i»)  Fchr.  interm.  composita.  Zu  dem 
zusammengesetzten  Wechselfieber  rechnen  wir  «)  die  Febr.  interm.  inflam- 
matoria,  welche  meist  immer  eine  F.  subcontinua  ist,  deutlich  entzündliche 
Zufälle  äussert,  und  nach  Umständen  zu  Anfange  mehr  oder  weniger  anti- 
phlogistisch behandelt  werden  muss;  /S)  die  F.  interm.  saburralis;  y)  die  F. 
interm.  biliosa;  d)  die  F.  interm.  pituitosa;  s)  die  F.  interm.  atrabilaris  s. 
venosa;  f)  die  F.  interm.  putrida ;  tj)  die  F.  interm.  verminosa;  &~)  die  F. 
interm.  maligna,  c)  Das  örtliche  Wechselfieber  (F.  interm.  topica).  Ist  in 
der  Regel  eine  Febr.  interm.  larvata,  rf)  Das  symptomatische  Wechselfieber 
(F.  interm.  symptomatica).  Ist  häufig  ein  Wurm  -  oder  Wechselfieber  mit 
intermittirendem  Typus.  Weiterer  Verlauf  der  Wechselfieber.  1)  Ge- 
radezu sind  sie ,  die  F.  interm.  malignae ,  perniciosae ,  comatosae ,  comitatae 
ausgenommen,  selten  tödtlich.  Letztere  tödten  zuweilen  im  Stadium  des 
Frostes  durch  Krampf,  Apoplexie,  oder  im  Stadium  der  Hitze,  wie  z.  B. 
der  Anglicus  sudor  durch  ungeheure  Schweisse.  Auch  in  den  Epidemien  der 
Influenza ,  der  Febr.  catarrhalis  maligna  waren  die  bösartigen  Wechselfieber 
sehr  häufig  (s.  Influenza).  2)  Sehr  oft  gehen  die  intermittirenden  Fie- 
ber in  remittirende  über;  besonders  die  Quotidiana  cum  typo  anticipante; 
und  zu  eingewurzelten  Quartanis  kommt  leicht  Febr.  hectica.  3)  Eine  Febr. 
jntermittens  geht  oft  in  die  andere  über,  z.  B.  die  Tertiana  cum  typo  an- 
ticipante in  die  Quotidiana,  und  durch  den  Typum  postponentem  in  die 
Quartana.  4)  Oft  verschwindet  das  Wechselfieber  eine  Zeit  lang,  kehrt 
aber  als  Recidiv  wieder.  5)  Sehr  häufig  bilden  sich  sogenannte  Fieberku- 
chen, nämlich  Geschwülste  in  der  Milz,  in  der  Leber,  seltener  im  Pankreas 
und  den  raesentferischen  Drüsen.  Sie  vergrössern  sich  während  des  Anfalls 
und  bei  Luna  crescente,  vermindern  sich  etwas  während  der  Intermission 
und  bei  Luna  decrescente  (Mos*)?  zuweilen  erreichen  sie  eine  ungeheure 
Grösse;  so  fand  unter  andern  Monro  eine  40  ß  schwere  Milz,  die  durch 
eine  hartnäckige  Quartana  sich  so  vergrössert  hatte.  In  Mantua,  wo  die 
Quartanae  endemisch  sind ,  tragen  viele  Menschen  die  ungeheuer  grosse  Le- 
ber und  Milz  in  einem  Tragbeutel  (Foderc).  Bei  der  Quotidiana  sind  die 
Fieberkuchen  sehr  selten ,  häufiger  bei  der  Tertiana ,  am  häufigsten  bei  der 
Quartana.  Je  jünger  der  Kranke  und  je  stärker  und  anhaltender  hier  der 
Fieberfrost  ist,  desto  leichter  entstehen  sie.  Häufig  zeigen  sie  sich  erst 
dann ,  wenn  ein  habituelles  Fieber  durch  die  China  gehoben  ist.  6)  Bei 
langwierigen  Wechselfiebern  entsteht  leicht  Wassersucht,  sehr  oft  erst  Oe- 
dema  pedum,  später  Hydrops  abdominalis,  pectoris,  universalis,  zum  Theii 
herrührend  von  den  organischen  Leber-  und  Milzleiden.  Bei  frischem  Wech- 
selfieber entsteht  nach  schneller  Heilung  desselben  oft  ein  kritischer  Hydrops 
pedum  sehr  schnell,  verschwindet  aber,  ohne  dass  ein  Recidiv  erfolgt,  in 
8  — 14  Tagen  durch  den  Gebrauch  von  Wacholderthee  und  Calam.  arom. 
ohne  Nachtheil  (3fos0-  ^  Zuweilen  beobachtet  man  neben  der  vergrösscr- 
ten  Leber  icterische  Zufalle,  oder  ein  Gemisch  von  Icterus  und  Chlorosis, 
eine  schmuzig- gelbliche,  bleiche  Erdfarbe,  wobei  die  Augen  oft  weiss  und 
keine  weissen  Sedes  da  sind,  sondern  zuweilen  ein  grünlicher,  galliger, 
selbst  kritischer,  aus  Polycholie  hervorgegangener  Durchfall.  8)  Mit  der 
Verschlimmerung  des  Wech'selfiebers  bricht  zuweilen  plötzlich  ein  krätzarti- 
ger Ausschlag  hervor ,  der  sich  von  der  wahren  Krätze  durch  einen  schnel- 
len und  allgemeinen  Ausbruch  unterscheidet.  Zuweilen  ist  er  blos  Folge 
vom  starken  Schwitzen  und  Unreinlichkeit,  wo  er  weniger  zu  bedeuten  hat. 
In  manchen  bösartigen  Fieberepidemien  sah  man  auch  FricselausscMag  ne- 


FEBRIS  ,         713 

ben  dem  Wechselfieber.  9)  Ein  Wechselfieber  kann,  besonders  bei  Kindern, 
in  Epilepsie  übergehen ,  wovon  ich  drei  Fälle  beobachtet  habe.  Auch  fin- 
den sich  mehrere  in  altern  Schriftstellern  aufgezeichnet  (s.  Solenander,  Con- 
sil.  med.  Francof.  1596.  Fol.  Sect.  1.  cons.  25.  Beaumes  von  den  Convuls. 
der  Kinder.  1791.  S.  237.  Ahlefeld,  Diss.  de  Epilepsia  febr.  interm.  comite. 
Giess.  1765.  Motion,  Pyretol,  Cap.  9.  bist.  l4.  Lyso7i's  prakt.  Abhandl. 
V.  Wechselfieber.  1774.  S.  107.  Medicus,  Samml.  von  Beobacht.  Bd.  11. 
S.  S73,  387,  409.  Zürich  1764).  Andererseits  hat  manches  Wechelfieber 
auch  Epilepsie  geheilt.  In  andern  Fällen  entstand  durch  die  öftern  Con- 
gestionen  zum  Kopfe  während  der  Frostperiode  bei  jungen,  zarten  Subjecten 
Stumpfsinn  und  Blödsinn.  10)  Das  sporadische  Wechselfieber  geht  in  der 
Regel  in  Gesundheit  über,  wobei  der  letzte  Anfall,  ebenso  wie  bei  Epilepsie, 
in  der  Regel  besonders  stark  ist.  Nicht  selten  dauert  die  Krankheit  bei 
vernachlässigter  Hülfe  mehrere  Wochen ,  und  dann  bleibt  bei  der  Heilung 
grosse  Neigung  zu  Recidiven  zurück.  11)  In  vielen  B^ällen  ist  das  Wechsel- 
fieber das  Heilmittel  anderer  chronischer  Krankheiten  (s.  Febris).  So  heilt 
die  Quartana  häufig  die  Gicht,  die  Hämorrhoiden,  die  Hypochondrie,  In- 
farcten  und  Verstopfungen  in  Leber  und  Milz,  indem  sie  die  sogenannte 
venöse  Dyskrasie,  die  krankhaft  erhöhte,  jenen  Übeln  zum  Grunde  liegende 
Venosität,  durch  Ausgleichung  hebt.  Dieses  wichtige  Wechselfieber,  das  wir 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  als  ein  Noli  me  tangere  ansehen  müssen,  nen- 
nen wir  Febr.  interm.  atrabilaris.  Aber  auch  jedes  andere  Wechselfieber, 
z.  B.  die  Quotidiana,  Tertiana  heilt  solche  Krankheiten,  und  es  ist  Regel, 
dasselbe  bei  Epileptischen,  bei  Amaurose,  Taubheit,  Gicht,  Abdominalübeln 
vor  dem  5ten  bis  lOten  Anfalle  nicht  zu  heilen.  Ursachen  der  Febr.  in- 
termittens.  Die  Krankheit,  besonders  die  epidemische  Art,  befällt  jedes  Al- 
ter, jede  Constitution,  jedes  Geschlecht;  doch  sind  vorzüglich  Menschen  mit 
sogenannten  Verstopfungen  der  Leber,  der  Milz,  und  solche  dazu  prädispo- 
nirt,  welche  schon  früher  an  Wechselfiebern,  auch  an  der  Krätze  gelitten 
haben  {Himly,  van  Hooven').  Auch  chronische  Exantheme  anderer  Art  be- 
günstigen, insofern  sie  mit  der  Leber  in  Verbindung  stehen,  die  Intermittens, 
desgleichen  Erysipelas  habituale,  Urticaria  (^Most).  Kleine  Kinder  können 
auch  am  Wechselfieber  leiden;  doch  tritt  es  hier  nicht  leicht  in  seiner  gan- 
zen Form  auf,  wenigstens  ist  das  Stadium  frigoris  fast  immer  gering.  Un- 
ter die  gelegentlichen  Ursachen  rechneten  die  Alten  Übermass  von  Schleim 
bei  der  Quotidiana,  von  Galle  bei  der  Tertiana,  von  atra  bilis  bei  der 
Quartana  (Ce/sws,  Galcnus),  welche  Ansicht  jetzt  freilich  nicht  mehr  Mode, 
aber  dennoch  nicht  ohne  praktischen  Werth  ist.  So  z.  B.  ist  das  mit  Sa- 
burral  -  und  Wurmfieber  auftretende  sporadische  Wechselfieber  meist  immer 
bei  Kindern  eine  Quotidiana,  die  Tertiana  ist  häufig  mit  gastrischen  Be- 
schwerden, die  Quartana  mit  atrabilarischem  Zustande,  mit  venöser  Dyskra- 
sie, verbunden  (M.).  —  Eine  vorzügliche,  aber  noch  wenig  ihrem  Wesen 
nach  ergründete  Ursache  liegt  in  einer  besondern  Beschaffenheit  der  Atmo- 
sphäre. Daher  erklärt  sich  das  häufige  Erscheinen  des  kalten  Fiebers  in 
den  Jahren  1806,  1807  bis  1813,  worauf  es  in  vielen,  nicht  sumpfigen  Ge- 
genden Deutschlands  eine  Seltenheit  wurde ,  bis  es  im  Jahre  1826 ,  wo  es 
zum  Theil  recht  bösartig  und  complicirt  als  europäisches  Sommer  -  und 
Herbstfieber  in  den  Epidemien  zu  Groningen,  im  Oldenburgischen,  Holstei- 
nischen, Ditmarschen  etc.  auftrat,  wieder  erschien  und  bis  jetzt,  als  Febr. 
interm.  vernalis  und  autumnalis,  desgleichen  hier  und  da  sporadisch  im  Som- 
mer und  Winter  zur  Tagesordnung  gehört.  Es  scheint  selbst  ausgemachte 
Sache  zu  seyn,  dass  von  der  Zeit  jener  Epidemien  an  sogar  der  herrschende 
Krankheitscharakter,  der  früher  entzündlich  war,  sich  mehr  in  den  nervös - 
gastrischen  verwandelt  habe  (s.  Cons  ti  tut io).  L. /.  Schmidtniann  (Summa 
observationum  medicarum  ex  praxi  clinica  triginta  anaor.  depromtarum.  1819. 
Vol.  I.  et  II.)  leitet  die  Ursache  der  Abnahme  von  Febris  intermittens  von 
dem  häufigem  Genuss  des  Kaffees  her,  sich  stützend  auf  seine  Beobachtun- 
gen ,  welche  ergeben ,  dass  in  den  Jahren ,  wo  während  der  französischen 
Invasion  der  theure  Kaffee  seltener  getrunken  wurde,    die  Wechselfieber  im 


714  .  FEBRIS 

Osnabrückschen  häufiger  waren,  und  wieder  abnahmen,  als  nach  dem  Frie- 
den der  Kaffee  durch  seine  Wohlfeilheit  wieder  mehr  Eingang  fand.  Hier- 
bei ist  zu  bemerken,  dass  der  grosse  Cyklus  bedeutender  Epidemien  gerade 
in  jene  Zeit  der  Continentalsperre  fiel,  der  Kaffee  also  etwas  Zufälliges  war, 
und  wir  1826  trotz  der  Wohlfeilheit  des  Kaffees  dennoch  grosse  Wechsel- 
fieberepidemien erlebt  haben.  Dass  ein  eignes  Miasma  des  kalten  Fiebers 
existire,  ist  wohl  ziemlich  gewiss.  Dieses  entwickelt  sich  vorzüglich  in 
feuchten  Gegenden  und  durch  Sumpfluft.  So  gingen  den  Epidemien  voa 
1826  grosse  Überschwemmungen,  welche  Seen  und  Teiche  stehenden  Was- 
sers bildeten,  vorher;  so  weiss  man,  dass  in  einzelnen  Städten  die  Intermit- 
tens  oft  nur  in  einer  Strasse,  wo  gerade  ein  stehendes  Wasser  in  der  Nähe 
war,  endemisch  herrschte  und  mit  der  Austrocknung  des  Sumpfes,  Grabens 
etc.  auf  immer  verschwand  (Göttingen,  Friedrichslust).  Feuchte  Luft  und 
Sumpfluft  begünstigen  das  Miasma,  aber  letzteres  kann  sich  auch  in  trock- 
nen Sommern  entwickeln ,  wie  dies  unsere  Zeit  hinlänglich  bewiesen  hat. 
Die  Intermittens  ist  durchaus  eine  eigenthümliche  Krankheit,  die  von  der 
Remittens  nicht  blos  dem  Grade  nach ,  sondern  wesentlich  verschieden  ist. 
Letztere  kann  zu  allen  Krankheiten  hinzukommen,  nicht  aber  die  Intermit- 
tens, obgleich  sie,  besonders  die  Quotidiana,  in  die  Remittens  übergehen 
kann.  Höchst  wahrscheinlich  ist  das  Wechselfieber,  ebenso  wie  der  epi- 
leptische Insult,  nur  das  Symptom  einer  tiefer  liegenden  Krankheit,  beson- 
ders des  Gangliennervensystems  und  der  parenchymatösen  Eingeweide,  die 
bei  jeder  Intermittens  leiden.  Dies  ist  vorzugsweise  bei  der  epidemischen 
Form  der  Fall.  Sporadische  Wechselfieber  sind  in  einzelnen  Fällen ,  z.  B. 
die  Intermittens  atrabilaris,  weiter  nichts  als  kräftige  Naturbesti'ebungen  zur 
Ausgleichung  der  erhöhten  anomalen  Venosität,  sind  also  theils  Präservative, 
theils  Heilmittel  aller  aus  letzterer  entstehenden  chronischen  Übel.  Einige 
Ärzte  haben  specifische  Reize  körperlicher  Art  angenommen,  die  W^echsel- 
fiebcr  erregen  sollen.  So  will  man  von  einem  cariösen  Zahne  die  Krankheit 
entstehen  gesehen  haben.  Hier  war  es  wol  Täuschung.  Doch  hat  die  Er- 
fahrung hinlänglich  bewiesen,  dass  Reizungen  des  Systema  uropoeticum  al- 
lerdings Wechselfieber  erregen  können  (s  unten  Febrisinterm.  exir- 
ritatione  organornm  uropoeticor  u  m).  Prognose.  Alle  Wechsel- 
fieber sind  im  Allgemeinen  gutartige  Krankheiten ,  wenn  sie  einzelu ,  spora- 
disch vorkommen,  nicht  zu  sehr  vernachlässigt  werden  und  die  äussern  Um- 
stände nicht  zu  ungünstig  sind.  Eine  grosse  Ausnahme  machen  hiervon  die 
endemischen  und  die  in  grossen  Epidemien  auftretenden  Wechselfieber.  Er- 
stere  sind  an  demselben  Orte,  z.  B.  in  Mantua,  Seeland,  Laland ,  Holland, 
oft  unheilbar ,  können  mehrere  Jahre  den  Menschen  quälen ,  und  nur  der 
Aufenthalt  in  einem  andern,  trocknen  und  hochliegenden  Lande  bleibt  neben 
dem  Gebrauch  kräftiger  Mittel  die  einzige  Hülfe.  Die  grossen  Wechselfie- 
berepidemien, wie  z.B.  das  europäische  Sommerfieber  von  1826,  sind  gleich- 
falls sehr  bedeutend.  Sie  scheinen  besonders  alle  20  bis  25  Jahre  mit  neuer 
Kraft  aufzutreten  und  oft  auf  Jahre  den  Krankheitsgenius  umzuändern ;  we- 
nigstens beobachtete  ich  dies  bei  den  Epidemien  von  1806  und  1826,  wo 
die  Intermittens  nie  ganz  rein ,  häufig  mit  gastrischen  und  nervösen ,  selbst 
mit  soporösen,  synkoptischen  und  apoplektischen  Zufällen  complicirt  erschien. 
Am  schlimmsten  sind  die  in  der  Mitte  der  Epidemie  auftretenden  Wechsel- 
fieber. Au.sserdem  richtet  sich  die  Prognose  zum  Theil  nach  dem  kleinen 
Typus.  Die  Tertianae  sind  im  Ganzen  besser  als  die  Quotidianae.  Letz- 
tere entscheiden  sich  zwar  früher,  gehen  aber  leicht  durch  Typus  anficipan.s 
in  eine  Remittens  über^  so  dass  die  Apyrexie  zuletzt  ganz  verschwindet  und 
das  fortwährende  Fiebern  den  Kranken  .sehr  angreift  Am  Iangwierig,sten 
sind  die  Quartanae;  bei  ihnen  ist  die  Neigung  zu  Recidiven  am  grössten. 
Die  Febr.  interm.  vernalis  ist  besser  als  die  autumnulis.  Erstere  vergeht 
bei  guter  Witterung  und  bei  zweckmässiger  Diät,  wenn  sie  sonst  eine  Sim- 
plex ist,  mei.st  von  selbst,  und  der  Ausschlag  am  Munde  kündigt  diesen 
günstigen  Ausgang  an.  Dagegen  dürfen  die  Herbstfieber  sich  nicht  selbst 
überlassen    bleiben,    sonst   werden   sie   hartnäckiger   und   schwer   zu   heilen. 


FEBRIS  715 

kennen  den  ganzen  Winter  dauern,  in  anhaltende  Fieber  fibergehen,  end- 
lich die  Digestionsorgane  schwächen ,  Fieberkuchen  und  Wassersuchten  er- 
regen und  so  den  Tod  durch  Erschöpfung  und  Hektik  herbeiführen.  Die 
Febr.  interm.  inflammatoria  giebt  eine  gute ,  die  mit  putridem  Charakter, 
die  Subcontinua,  die  Anomala  und  die  Comitata  dagegen  eine  schlimme 
Prognose;  doch  sind  letztere  bei  früher  und  richtiger  Kunsthülfe  schneller 
zu  heilen  als  manche  sonst  gutartige  Tertiana  und  Quartana.  Behandlung. 
Sie  muss  theils  gegen  die  Heftigkeit  der  Anfälle,  theils  gegen  das  Grund- 
Sbel  gerichtet  seyn,  ist  also  eine  symptomatische  und  eine  radicale. 
1)  Man  vermeide  den  Genuss  fester  Speisen  kurz  vor  dem  Anfalle,  weil 
letzterer  dadurch  heftiger  wird ,  der  Magen  aber  im  Fieberfroste  nichts  ver- 
dauen kann,  2)  Man  lege  sich  beim  Eintritte  des  Frostes  zu  Bette  und 
verhalte  sich  ruhig,  wie  bei  jedem  Fieber  (s.  Febris).  Während  des  Fro- 
stes muss  warmer  Thee  von  Flor,  sambuci,  Flor,  chamomillae,  aber  nichts 
Kaltes  getrunken  werden.  Dauert  dieses  Stadium  lange  und  ist  das  Fieber 
keine  Febr.  interm.  inflammatoria,  so  kürzen  einige  Tropfen  Liq.  anodyn., 
auch  wol  Tinct.  opii  den  Anfall  ab ,  und  schaden  nicht.  Besonders  wohl- 
thätig  ist  dies  für  schwache  Personen,  für  Schwangere  (^Berends).  Dr.  Mehl- 
hausen  giebt,  wenn  vorher  die  ersten  Wege  gereinigt  worden,  kurz  vor  dem 
Anfalle  "4  bis  l'/o  Gran  Opium,  mit  Zucker  oder,  wenn  er  China  anwendet, 
mit  der  letzten  Dose  derselben,  wonach  der  Anfall  meist  ausblieb  (s.  Rusf» 
Magaz.  Bd.  XXVI.  Hft.  2.  S.  385).  Eine  hartnäckige  Tertiana,  welch© 
schon  drei  Recidive  gemacht  hatte,  heilte  ich  bei  einem  26jährigen  Mädchen 
durch  eine  Dosis  des  folgenden  Pulvers .  I^r  Opii  purissimi  gr.  j ,  Chinini 
sulphurici  gr.  jj,  Cort.  cinnnmomi  gr.  vj,  Maijnes.  cnrhon.  gr.  iv,  Sacchari 
alli  5j.  M.  f.  p.  Dieses  Pulver  wurde  kurz  vor  dem  Anfalle  genommen. 
Es  erfolgte  allgemeine  Wärme  und  der  schon  beginnende  Frost  verschwand. 
Der  nächste  Anfall  kam  nicht  wieder,  auch  späterhin  kein  Recidiv;  doch 
stellte  sich  nun  Oedema  pedum  ein,  was  indessen  binnen  14  Tagen  durch 
Wacholderthee  verschwand.  3)  Der  Anfall  wird  sehr  vermindert ,  ja  wol 
ganz  verhütet,  wenn  man  kurz  vor  seinem  Eintritte  ein  laues  Bad  von  Cha- 
millen  nimmt.  Noch  wirksamer  ists,  wenn  man  eine  halbe  Stunde  vor  dem 
Anfalle  (man  sieht  den  bald  eintretenden  Paroxysmus  schon  um  diese  Zeit 
an  der  veränderten  bläulich  -  blassen  Gesichtsfarbe)  die  in  Paris  zuerst  be- 
kannt gewordenen  kreisföi-migen  Umschnürungen  der  Glieder  mittels  2  —  2'/3 
Zoll  breiter  Bänder,  oder  die  Compression  der  Arterien  mittels  eines  Tour- 
niquets  anwendet  (s.  Bourgery:  Quelques  faits  sur  l'emploi  des  ligatures  des 
membres  dans  la  plupart  des  maladies  periodiques.  Paris,  18^7.  TroschcJ  m 
Gräfe's  und  Wnlther^s  Journal  der  Chirurgie  und  Augenheilkunde,  Bd.  Xl. 
Hft.  2.  1828.  S.  322.  Archiv,  general.  de  M6dec.  T.  XV.).  Beide  Mittel 
bewirken  oft,  dass  der  Anfall  ganz  ausbleibt,  die  Ligaturen  sind  indessen 
der  gewagtem  Compression  der  Arterien  vorzuziehen.  Man  hemmt  dadurch 
nur  die  Circulation  in  den  oberflächlichen  Venen  und  Arterien.  Die  Wir- 
kung ist  Gefühl  von  Taubheit,  das  sich  selbst  bis  zum  Schmerze  steigert, 
wo  es  alsdann  Zeit  ist  die  Binden  zu  lösen.  In  der  Regel  lässt  man  sie 
nur  eine  halbe  Stunde  lang  liegen,  und  löst  sie  dann  allmälig  von  allen  vier 
Gliedmassen  in  Zwischenräumen  von  einigen  Minuten.  Bei  der  ersten  An- 
wendung bleibt  häufig  das  Froststadium  nur  aus ,  bei  der  zweiten  bei  be- 
vorstehendem folgenden  Paroxysmus  oft  alle  Fieberstadien.  Nach  Bourgery 
ist  das  Binden  in  England,  namentlich  in  Wales,  schon  lange  ein  Volksmittel. 
Ich  habe  bei  mehreren  Kranken  diese  kreisförmigen  Umschnürungen  mit 
Nutzen  z>ir  Abkürzung  des  Fieberanfalls  angewandt,  konnte  aber  nur  iu 
leichten  Fällen  das  Fieber  dadurch  allein  heilen  (M.).  4)  Ist  der  Fieber- 
frost vorüber ,  tritt  die  Hitze  ein ,  so  müssen  die  säuerlichen  Fiebergetränke 
reichlich  getrunken  und  der  Schweiss  abgewartet  werden  (s.  Febris). 
Auch  das  kalte  Brunnenwasser,  öfters  und  in  kleinen  Portionen  getrunken, 
kühlt  ganz  vortrefflich  und  schadet  hier  durchaus  nicht.  Ist  das  Fieber 
abgezogen,  so  muss  wegen  des  Schweisses  mit  Vorsicht  die  Leib-  und  Bett- 
wäsche gewechselt  werden.     Dies   erleichtert   sehr  und  befördert  Ruhe  und 


716  FEBRIS 

Schlaf.  5)  Ausser  den  schon  genannten  Mitteln  zur  Verminderung  oder  Ab- 
haltung des  nahe  bevorstehenden  Anfalls ,  die  nicht  immer  blosse  Palliative, 
sondern  zuweilen  auch  Radicalmittel  sind,  indem  die  Verhütung  eines  An- 
falls schon  einen  bedeutenden  Eingriff  in  das  Typische,  Periof^lsche  der 
Paroxysmen  macht,  den  mächtigen  Gewohnheitstrieb  schwächt  und  so  die 
perverse  Natur  wohlthätig  umstimmt,  gehören  hieher  noch  folgende  oft  sehr 
wirksame  Mittel:  a)  Ein  Vomitiv  aus  Tart.  emet.  und  Ipecacuanha  kurz 
vor  dem  Anfalle  genommen;  besonders  nützlich  bei  gleichzeitigen  gastrischen 
Beschwerden.  Man  kann  es  eine  Stunde  vor  dem  Anfalle  reichen,  b)  Ein 
Hausmittel  bei  unsern  Landleuten  ist  Branntwein  und  Pfeffer,  zwei  Stunden 
vor  dem  Anfalle  genommen,  das  häufig  letztern  verhütet.  Doch  passt  es 
nicht  bei  der  Intermittens  inflammatoria.  c)  In  andern  Fällen  wurde  der 
Anfall  vermindert  oder  abgehalten  durch  starken  Kaffee,  mit  Wein  infundirt, 
durch  Reiben  und  Bürsten  des  ganzen  Körpers ,  durch  Bewegung  im  Freien, 
in  warmer  Luft,  durch  verschiedene  sympathetische  Mittel,  die  oft  auf  eine 
wunderbare  Weise  höchst  wirksam  sind ,  wie  ich  in  mehr  als  hundert  Fäl- 
len beobachtet  habe,  und  deren  unten  gedacht  werden  soll;  auch  die  Elektri- 
cität  und  der  Galvanismus ,  schon  die  einmalige  Anwendung  dieser  Kräfte, 
bewirkte  in  mehreren  Fällen  gründliche  Heilung  (Afosf).  Radicalcur  des 
Wechselfiebers.  Ein  höchst  wirksames  Specificum  ist  bekanntlich  die  Chi- 
narinde und  die  aus  ihr  bereiteten  Präparate:  das  Extr.  chinae  frig.  parat., 
besonders  aber  das  Chininum  sulphuricum  und  Chininum  muriaticum.  Da  es 
aber  sehr  viele  Fälle  giebt,  wo  wir  höchst  schlecht  fahren  würden,  wenn 
wir  diese  Specifica  sogleich  anwenden  wollten,  wo  es  überhaupt  besser  ist, 
das  Fieber  eine  Zeit  lang  als  etwas  Kritisches  zu  dulden,  als  es  zu  vertrei- 
ben ;  so  werden  folgende  Cautelen  hier  am  rechten  Orte  seyn :  1)  Die  Fälle, 
wo  ein  Wechselfieber  sehr  heilsam  gegen  venöse  Dyskrasie,  gegen  Neurosen 
aller  Art  ist,  sind  schon  oben  angegeben  worden.  Hier  dürfen  wir  vor  dem 
7ten,  lOten  Anfalle  nichts  gegen  das  Fieber  thun,  nur  die  symptomatischen 
und  palliativen  Mittel:  Fliederthee  im  Froste,  Fiebergetränke  in  der  Hitze, 
sind  hier  an  ihrer  Stelle.  Aber  auch  bei  sonst  gesunden  Naturen  stopfe 
man  ein  gewöhnliches  Wechselfieber  ja  nicht  zu  schnell ,  sonst  entstehen 
leicht  manche  B'olgekrankheiten;  denn  sowie  die  contagiösen  acuten  Exan- 
theme, sind  sie  einmal  eingetreten,  ihren  Verlauf  machen  müssen,  der  nie 
ganz  gestört,  sondern  in  Betreff  seiner  Heftigkeit  nur  gemässigt  werden  darf, 
ebenso  ists  mit  dem  miasmatischen  Wechselfieber.  Diese  Meinung  älterer 
und  zum  Theil  neuerer  Ärzte  (^Sydeiihnm,  Marcus^  hat  viel  Wahres,  und 
daher  ists  bei  mir  Regel,  vor  dem  4ten  Anfall  keine  China  oder  Chinasalze,, 
sondern  auflösende  und  ausleerende  Mittel  zu  geben ;  doch  warte  man  auch 
nicht  zu  lange  damit;  denn  a)  je  länger  das  Fieber  dauert,  desto  hartnäcki- 
ger wird  es;  b)  desto  mehr  zieht  es  tiefere  Verderbniss:  Kachexien,  Fie- 
berkuchen, Oedem,  nach  sich;  c)  desto  schwerer  ists  nachher  durch  Chuia 
zu  heben,  weil  die  Digestion  schon  sehr  gelitten  hat  und  die  China  dann 
Durchfälle  erregt ;  d)  weil  alsdann  die  Neigung  zu  den  luiangenehmen  Reci- 
diven  grösser  ist;  e)  weil  die  Febr.  interm.  comatosa  dann  schon  manchmal 
den  Tod  herbeigeführt  hat.  Man  warte  bei  gesunden  Personen  und  bei  den 
bedeutenden  Wechselfiebern  ja  nicht  zu  lange  mit  der  Radicalcur.  2)  Um 
radical  zu  heilen,  suche  man  die  gelegentlichen  Ursachen,  die  die  Krankheit 
unterhalten,  zuerst  auf,  und  entferne  sie.  In  den  meisten  Fällen  passt  zu- 
erst ein  gelindes  auflösendes  Mittel ,  z.  B.  Pot.  Riverii  mit  Aq.  tior.  sam- 
buci  und  Salmiak,  dann  ein  Vomitiv;  denn  wenn  es  auch  gerade  keine 
Intermittens  gastrica  ist,  so  stört  der  Fieberfrost  doch  immer  etwas  die 
Verdauung,  und  leicht  finden  sich  Sordes  vor.  Ausserdem  wirkt  das  Vomi- 
tiv auch  als  erschütterndes  Mittel  wohlthätig  aufs  Nervensystem.  Bleibt  das 
Fieber  dadurch  noch  nicht  weg,  so  giebt  man  die  China;  z.  B.  die  China 
flava  pulverisata,  stündlich  zu  ^j  —  5|>,  oder  auch  Chininum  muriaticum, 
gr.  jv — jj  mit  Zucker,  'wovon  in  jeder  Apyrexie  stündlich  ein  Pulver  ge- 
nommen wird.  Gern  .setze  ich  einige  Gran  Magnesia  zu  jeder  Dosis  des 
Chinins,  weil  letzteres,  meinen  Beobachtungen  zufolge,    daduich   v>irksauier 


FEBRIS  717 

•vjrd,  sowie  denn  auch  schon  die  Altern,  z.  B.  Fr'iedr.  Hoffinniin,  Jf 'Ulis 
u,  A.  kaiische  Mittel  zum  Chinadecocte  rein  empirisch  hinzufügten,  z.  B. 
Ölv  Sal  essent.  tartari  zu  8  Unzen  Decoct.  Chinae,  wodurch  freilich  wol  eine 
chemische  Zersetzung,  aber  eben  deswegen,  nach  meinen  Beobachtungen, 
ein  höherer  Grad  der  Wirksamkeit  der  China  bezweckt  wird  (Most)-  ^^ 
fielen  B'ä'Ien  habe  ich  bei  armen  Leuten  mit  kleinen  Dosen  China  und  Tart. 
emeticus  VVechselfieber,  die  schon  3  —  5  Wochen  und  länger  dauerten,  glück- 
lich geheilt  und  dadurch  Kosten  erspart ;  z.  B.  I^  Tart.  emctici  gr.  jj ,  Chi- 
nin, sulphur.  gr.  vj,  Maines,  carbon.  3j»  Sacchari  albi  5jj.  M.  f.  pulv.  Di- 
vide in  xjj  p.  aeq.  S.  Alle  1—2  Stunden  1  Pulver  mit  Wasser.  3)  Bei 
der  Febr.  intermittens  inttammatoria  ist  während  der  Anfälle  ein  harter,  vol- 
ler Puls,  viel  Brustbeschwerde,  Angst,  Kopfschmerz,  besonders  heftige  Hitze, 
grosser  Durst.  Jugendliches  Alter,  sanguinische  Constitution,  trocknes,  hel- 
les Wetter  im  Februar,  März  und  April  begünstigen  diese  Form,  die  fast 
immer  eine  Quotidiaua,  selten  eine  Tertiana  ist  und  wobei  nur  geringe  Apy- 
rexie  stattfindet,  indem  die  Anfälle  sehr  anhaltend  sind.  Cur.  GeJind  anti- 
phlogistisch: Crem,  tartari,  Pot.  Riverii  mit  Salmiak  und  Tart.  emet.  in  refr. 
dosi,  Vermeidung  alles  Erhitzenden,  täglich  ableitende  Klystiere,  in  der  Fie- 
berhitze die  bekannten  Fiebergetränke  sind  anzurathen.  Später  passen  Infus- 
flor.  chamomillae,  Elix.  acid.  Halleri,  dreimal  täglich  20  Tropfen  in  einem 
Glase  Wasser  (M.),  und  erst,  wenn  keine  entzündliche  Diathese  mehr  da 
ist,  dient  die  China,  aber  nicht  in  Substanz,  sondern  als  Decoct.  Giebt 
man  sie  früher ,  so  bringt  sie  grossen  Schaden.  Sind  die  Bruststiche  an- 
haltend,  besonders  in  den  ersten  drei  Tagen  der  Krankheit,  so  müssen 
selbst  Aderlässe  und  Blutegel  angewandt  werden.  Man  scheue  •  sich,  hier 
nicht  vor  der  Venaesection ,  denn  neuere  Erfahrungen  haben  gelehrt ;  das« 
sie  selbst  während  des  Frostes  angewandt  nützlich  war,  den  Paroxysmus 
abkürzte  und  die  heftigen  Congestionen  zum  Kopfe  und  zu  deii  Lungen  mäs- 
sigte  (s.  Macintosh  in  Edinb.  med.  änd  surg.  Journ.  Apr.  u.  Octbr.  1827. 
Hurn's  Archiv,  1828.  Mai  u.  Juni  S.  508— 564.  Reich  in  RusCs  Magaz. 
1830.  Bd.  XXXI.  Hft.  2.  S.  322  u.  i.).  Wenn  Hr.  Prof.  Reich  indessen  so 
weit  geht,  jedes  Wechselfieber,  sowol  das  frische  als  das  veraltete,  durch 
Aderlassen  curiren  zu  wollen,  wenn  er  die  Lungenentzündung  mit  der  In- 
termittens identificirt,  so  möchte  diese  Ansicht  doch  wol  nur  einseitig  ge- 
nannt werden.  Zwar  stützt  er  sich  auf  seine  vieljährige  Erfahrung  und 
versichert,  dass  die  Venaesection  hier  allen  schlimmen  Folgen  der  Intermit- 
tens vorbeuge.  Aber  dagegen  wird  öine  grosse  Menge  anderer  Praktiker 
sich  gleichfalls  auf  die  Erfahrung  berufen  und  versichern  können,  dass  durch 
ein  Emeticum,  durch  China  und  Chinin  ebenfalls  Wechselfieber  oluie  schlimmo 
Folgen  geheilt  worden  sind.  Ein  Nichtarzt  in  hiesiger  Gegend,  der  meh- 
rere hundert  Wechselfieber  durch  sympathetische  Mittel  geheilt  haben  will, 
hat  auch  ein  Recht  sich  auf  seine  Erfahrungen  zu  berufen.  Hier  müssen 
>-vir  doch  einen  Unterschied  zwischen  Erfahrung  und  Erfahrung  machen. 
Keine  wahre  Pneumonie  wird  durch  Sympathie  geheilt  werden  können,  wol 
aber  ein  Wechselfieber;  der  praktische  Arzt  unterscheidet  genauer,  und  er 
lässt  in  vorkommenden  Fällen ,  bei  heftigen  Brustaffectionen  und  VoUsaftig- 
keit  auch  bei  der  Intermittens  dreist  zur  Ader,  ohne  deswegen  jene  Zufälle 
gleich  Pneumonie  zu  nennen ;  aber  er  berücksichtigt  auch  den  stationären 
Krankheitsgenius  und  schwächt  nicht  ohne  Noth  (s.  Constitutio).  Die 
neuesten  Erfahrungen  des  Dr.  William  Stokes  in  Dublin  (s.  Edinb.  med. 
and  surg.  Journ.  1829.  Jan.  Horn^s  Archiv,  1830.  April  und  Mai  S.  340), 
betreifend  das  Aderlassen  bei  Wechselfiebern,  sprechen  gar  nicht  für  die 
allgemeine  Anwendung  desselben,  we  Hr.  Reich  es  will,  sondern  eher  für 
das  Gegentheil.  4)  Die  Febr.  intermittens  saburralis  erfordert  zuerst  ein 
Brechmittel,  dann  in  den  fieberfreien  Tagen  Abführungen  von  Infus,  lax. 
Vienn. ,  Aq.  chamomill.  und  Tinct.  rhei  aquos.,  späterhin  bittere  Extracte. 
Die  Chinarinde  ist  hier  selten  nöthig  (^Berends).  5)  Die  Febr.  intermittens 
gastrica,  biliosa,  muss  gleichfalls  mit  einem  Brechmittel  behandelt  werden, 
das-  man  zwei   Stunden   vor  dem  Anfalle  giebt.     Häufig  bleibt  da«  Fieber 


718  FEBRIS 

darnach  schon  aus.  Im  Frühling  hat  es  zugleich  oft  eine  entzündliche  Na- 
tur, die  die  Behandlung  der  Febr.  interm.  inflammatoria  erfordert.  Ist  diese 
entfernt  oder  nicht  zugegen,  so  passt  Decoct.  cort.  chiuae  regiae  mit  Chi- 
nin, sulphuricum.  Das  gallige  Herbstwechselfieber  nimmt  leicht  einen  putri- 
den Charakter  an  und  wird  eine  continua,  wenn  wir  das  Vomitiv  versäumen. 
Nach  Anwendung  desselben  geben  wir  die  China  in  Substanz,  alle  2  Stun- 
den 3)V»  und  daneben  in  der  andern  freien  Stunde  jedesmal  eins  von  fol- 
genden Pulvern:  ^;  Chinhii  murintici  gr.  j,  Mngnes.  carhon. ,  Cort.  cinnamomi 
ana  gr.  iv,  Opii  puri  gr.  74,  Sacchnri  alhi  3j.  M.  f.  p.  (M.),  wodurch  es 
in  der  Regel  geheilt  v>ird,  wenn  wir  eine  ganze  Apyrexie  hindurch  Nacht 
und  Tag  eingeben.  6)  Die  Febr.  intermittens  pituitosa  erscheint  gewöhn- 
lich als  Quotidiana  oder  Quartana,  sie  ist  oft  recht  hartnäckig  uud  wird 
leicht  habituell  und  chronisch.  Cur.  Zuerst  die  Behandlung  des  Schleim- 
fiebers (s.  Febris  pituitosa),  dann  Decoct.  chinae  reg.  mit  Salmiak  und 
Vin.  stibiatum.  7)  Die  Febr.  intermittens  atrabilaris  s.  venosa  erkennt  man 
an  der  atrabilarischen  Constitution ,  an  der  erhöhten  Venosität.  Sie  findet 
sich  am  häufigsten  bei  gichtischen ,  hämorrhoidalischen ,  hypochondrischen 
Personen  mit  chronischen  Digestionsfehlern,  gelblicher  Gesichtsfarbe  etc. 
Cur.  Man  lasse  mehrere  Anfälle  vorbeigehen,  ehe  man  das  Fieber  durch 
China  und  Chinin  heilt,  gebe  anfangs  Pot.  Riverii,  Aq.  flor.  chamomillae, 
Salmiak  und  Tart.  emet.  in  refr.  dosi,  später  erst  ein  Vomitiv,  dann  erst 
Cort.  chinae,  Chinin.,  aber  noch  in  Verbindung  mit  Extr.  graminis,  taraxaci, 
Salmiak  u.  dgl.  8)  Febr.  intermittens  maligna,  perniciosa,  comitata,  sopo- 
rosa,  apoplectica  etc.  Die  bösartigen  Wechselfieber  zeigen  sich  vorzüglich 
nur  zur  Zeit  der  epidemischen  Intermittens.  Da  nun  der  Genius  der  Epi- 
demie nicht  immer  derselbe  ist,  so  passt  auch  nicht  immer  ein  und  dieselbe 
Behandlung.  Medicus  gab  zu  seiner  Zeit  Nitrum  mit  China  und  Hess  häufig 
zur  Ader.  IVerlhof  gab,  wenn  der  Anfall  kommen  wollte,  Ol.  animale  Dip- 
pelii,  Störcl{  liess  die  Kranken  warm  reiben  und  gab  während  des  Frostes 
Naphtha  vitrioli  p.  d.  Sj?  wodurch  eine  heftige  Erschütterung  entstand,  die 
sich  mit  schleunigem  Abziehen  des  Frostes  in  eine  angenehme  Wärme  auf- 
löste. Berencls  sagt  (Vorles.  Bd.  II.  S.  250):  „Bei  diesen  Fiebern  kommt 
alles  darauf  an,  dass  man  bald  eine  richtige  Diagnose  gewinne.  Selten  über- 
lebt ein  Kranker  den  fünften  Paroxysmus.  Der  herrschende,  stationäre  oder 
epidemische  Krankheitscharakter  (s.  Constitutio),  die  ungewöhnliche 
Form  der  Krankheit,  das  Erscheinen  eines  ziegelrothen  Bodensatzes  im  Urin, 
welcher  sich  aber  leider!  oft  erst  zu  spät  zeigt,  erleichtern  die  Diagnose." 
Charakteristisch  ist  auch  das  plötzliche  Auftreten  eines  bedeutenden  Fiebers, 
häufig  schon  in  den  ersten  fünf  Stunden,  mit  Raserei  und  andern  heftigen 
Zufällen  etc.  verbunden,  welche  bei  zweckmässiger  Behandlung  bald  abzie- 
hen und  wo  der  Kranke  schon  am  andern  Tage  scheinbar  hergestellt  ist. 
Behandlung,  a)  Indicatio  vitalis  ist,  zuerst  das  lebensgefährliche  Sym- 
ptom im  Paroxysmus:  Apoplexie,  Epilepsie,  Katalepsie,  Asthma  bis  zur  Or- 
thopnoe, Pneumonia  intermittens,  Sopor,  Paralysis,  Tetanus,  Vomitus,  Cho- 
lera, Cardialgia  etc.,  seiner  Natur  gemäss  zu  behandeln  und  dadurch  den 
Anfall  zu  vermindern  und  abzukürzen.  Daher  versäume  man  bei  starken 
Congestionen  zum  Kopfe,  zu  der  Brust  die  Blutausleerungen  ja  nicht.  Wo 
bei  vollsaftigen  Naturen  apoplektische,  epileptische  und  asthmatische  Zufälle 
von  Bedeutung  sind,  haben  wir  bei  der  seit  1826  nicht  selten  vorkommen- 
den Febris  interm.  perniciosa  mit  grossem  Nutzen  eine  massige  Venaesection 
am  Arm  und  Blutegel  an  den  Kopf  appllcirt,  daraufreizende  Fussbäder  und 
Klystiere,  und  innerlich  grosse  Dosen  Chinin  mit  V4  Gran  Opium  alle  1  —  2 
Stunden  gereicht  (^Most^.  Sind  keine  Blutcongestionen  da,  erscheinen  kata- 
leptische  Zufälle,  heftige  Kardialgie,  Cholera,  Kolik,  Erbrechen,  so  passen 
freilich  die  Blutausleerungen  selten,  aber  desto  herrlichere  Wirkung  sieht 
man  von  dem  Opium  als  Pulv.  Doweri,  so  dass  der  Kranke  stündlich  % — V2 
Gran  Opium  bekommt,  worauf  bald  ein  wohlthätiger  Schweiss  folgt.  Man 
versäume  hier  aber  auch  einige  andere  sehr  wohlthätige  Mittel  nicht,  z.  B. 
bei  Kopfcongestionen  kalte  Kopf  umschlage  von  Eis,  Schnee,  Fomentat.  fri- 


FEBRIS  719 

gidae  Schmucken;  warme  aromatische,  mit  Wein  bereitete  Bähungen  auf 
'den  Unterleib  bei  hervorstechendein  Leiden  des  Darmcanals ;  Senfteige  an 
die  Waden,  Vesicatorien  in  den  Nacken  und  auf  die  Brust;  bei  Synkope 
innerlich  Moschus,  Wein,  Reiben  und  Bürsten  des  Körpers,  Naphtha,  Ol. 
animale  Dippelii  u.  s.  f.  b)  Ist  der  Anfall  im  Abziehen ,  so  müssen  eiligst 
solche  Mittel  verordnet  werden ,  welche  wo  möglich  den  zweiten  Anfall  (der 
Typus  ist  höchst  selten  ein  Quotidian-,  fast  immer  ein  Tertian-  oder  Quar- 
tantypus)   verhüten.       Hier    passen   folgende   Mittel:    I^  Cort.    cldnae   fusc, 

regiae ,    —  —  rühr,  ana  gß ,  Aquae  ferv.  Sjj ,  infunde  et  coque  ut  re- 

man.  Sjll,  Col.  adde  Vini  Rhenani  gvj.  M.  S.  Zweistündlich  2  Esslöftel  voll. 
fy  Chinini  sulphurici  gr.  j — jj  —  \j,  Opii  purissitni  gr.  %  —  y, ,  Magncs.  car- 
bon.  gr.  vj,  Cort.  nuranlior.,  Sacchari  alhi  ^j>.  M.  f.  pulv.  dispens.  dos.  tal. 
xvj.  S.  Zweistündlich  ein  Pulver.  Mit  diesen  Arzneien  wird  gewechselt,  so 
dass  der  Kranke  stündlich  einnimmt.  Ausserdem  kann  man  alle  drei  Stun- 
den ein  Kljstier  von  Decoct.  chinae  mit  2 — 3  Gran  Chinin,  sulphui'ic.  ap- 
pliciren ;  auch  die  durch  Vesicatorien  entblössten  Hautstellen  mit  Chinasalz 
bestreuen  (nach  Lesieurs  Methode  endermique  ou  emplastro  -  endermique, 
vergl.  Art.  F  r  i  c  t  i  o ) ,  und  daneben  täglich  drei  Fussbäder  von  warmem 
Wasser  und  Acid.  nitrico -  muriat.  (man  nimmt  auf  jedes  Fussbad  von  jeder 
concentrirten  Säure  1  Esslöffel  voll)  anwenden  (Klcincrfs  Repert.  1828. 
St.  7.  S.  38;  St.  8.  S.  38,  139;  St.  9.  S.  121,  123).  c)  Zeigen  sich  trotz 
dieser  kräftigen  Behandlung  dennoch  die  Vorboten  des  zweiten  Anfalls,  so 
gebe  man  auf  einmal  20 — 40  Tropfen  Laudan.  liquid.  Syd.  und  40  Tropfen 
Naphtha,  applicire  das  erwärmte  Eisen  als  Epispasticum  und  Rubefaciens 
an  beide  Fusssohlen,  an  die  Waden,  selbst  an  den  Rücken  (s.  Caustica), 
und  lege  um  die  obern  Extremitäten  eine  halbe  Stunde  lang  die  kreisförmi- 
gen Binden  (s.  oben) ,  reiche  auch ,  wenn  gastrische  Beschwerden  da  sind, 
ein  Brechmittel.  Doch  kam  ich  stets  mit  ersteren  Mitteln  aus;  der  zweite 
Anfall  ward  dadurch  in  der  Regel  sehr  vermindert  und  der  dritte  blieb  bei 
fortgesetztem  Gebrauch  der  China  und  des  Chinins,  doch  ohne  Opium,  stets 
aus  (iW.).  Über  die  bösartigen  Wechselfieber  vergl.  Werlhof  in  Comm.  Nor. 
Ann.  1732.  Hatte,  Molitor  und  Boerhaave  in  Halleri  Diss.  pract.  Tom.  V. 
Torti,  Therapeut,  spec.  ad  febr.  period.  pernicios.  Francof.  et  Lips.  1756. 
Clegkorn,  Beobacht.  üb.  epid.  Krankh.  in  Minorka.  A.  d»  Engl,  von  AcTcer- 
mann.  Gotha,  1756.  Gerson  u.  JtiUus,  Magaz.  d.  ausländ.  Literat,  d.  ge». 
Heilkunde,  Jahrg.  1827,  1828  u.  1829.  Desgleichen  alle  deutschen  n^cdic,- 
chirurg,  Journale  von  1827 —  1830).  9)  Die  Febr.  intermittens  putrida  ist 
eine  Complication  des  Wechselfiebers  mit  putriden  Zufällen  (s.  Febr.  pu- 
trida). Sie  entsteht  nur  bei  früher  schon  ungesunden,  kachektischen  Sub-v 
jecten,  bei  herrschendem  putriden  Krankheitsgenius,  und  sporadisch  nur  dann 
wenn  bei  Febr.  intermittens  gastrica  die  Evacuantia  versäumt  worden  sind. 
Cur.  Zuerst,  wenn  der  Kranke  nicht  schon  zu  schwach  ist,  ein  Vomitiv 
aus  reiner  Ipecacuanha,  dann  Decoct,  chinae  mit  Elix.  acid.  Halleri  Chi' 
ninum  sulphuric.  mit  Aq.  cinnamomi ;  und  die  Beha-ndlung  des  Faulfiebera 
(s.  Febr.  putrida).  Mit  dem  Opium  muss  man  hier  höchst  vorsichtig 
seyn,  denn  es  befördert  die  Blutzersetzung  und  Putrescenz,  wie  jedes  an- 
dere Narcoticum.  10)  Die  Complication  des  Wöchselfiebers  mit  Wurmkrank- 
heit (Febr.  interm.  verminosa)  ist  bei  Kindern  nicht  ganz  selten.  Häufig 
ist  der  Frost  unbedeutend,  die  Hitze  ist  sehr  stark,  der  Typus  eine  Ter- 
tiana, nicht  selten  sind  convulsivische  und  sopöröse  Zufälle  dabei.  Cur. 
Zuerst  ein  Infus,  valerianae  et  sem.  cynae ,  daneben  dreimal  täglich  1 — 2 
Gran  Merc.  dulcis,  worauf  gewöhnlich  schon  Würmer  abgehen.  In  der 
Apyrexie  reicht  man  darauf  China  in  Decoct.  mit  Chinin,  sulphuricum. 
(Vergl.  Leo,  Magaz.  f.  pr.  Heilkunde  u.  Naturwissensch.  Warschau  1828, 
Jahrg.  1.  Hft.  1).  11)  Die  Febr.  intermittens  larvata  wird  gegenwärtig  bei 
uns  seit  dem  Jahre  1826  häufiger  als  sonst  beobachtet.  Nicht  selten  ists 
ein  sog.  örtliches  Wechselfieber  (Febr.  interm.  topica),  das  vorzugsweise 
den  Kopf  ergreift  und  als  periodischer  heftiger  Kopfschmerz,  selbst  mit  Ra- 
Berei,  Sopor,  als  Prosopalgie,  Zahnschmerz,  Blindheit,  zuweilen  mit  Erysipe- 


720  ,  FEBRIS 

las  faciei  verbunden  erscheint.  Der  stationäre  Genius,  das  epidemische  Herr- 
schen von  Wechselfiebern  und  besonders  der  inter  mittlren  de  Typus  dienen 
7.ur  Diagnose.  Letzterer  ist  häufiger  Typus  quotidianus  und  tertianus  als 
tjuartanus  (M.).  Im  December  1821  bekam  ich  den  ersten  Fall  der  Art  zu 
beobachten.  Eine  robuste  Frau,  48  Jahr  alt,  litt  seit  zwei  Tagen  an  hef- 
tigen periodischen  Kopfschmerzen  mit  Delirien  und  Raserei,  zugleich  schwoll 
die  eine  Seite  des  Gesichts  rosenartig  an.  Der  Paroxysmus  kam  jeden  Mor- 
gen um  5  Uhr  mit  heftigem  Fieber,  Frost  und  Hitze,  Leibesverstopfung, 
und  dauerte  bis  11  Uhr  Vormittags.  Alsdann  trat  Schweiss  ein,  es  ver- 
schwanden alle  Beschwerden,  selbst  die  Gesichtsgeschwulst,  und  Patientin 
konnte  aufstehen.  Am  2ten,  Sten,  4ten  Tage  stellte  sich  der  Anfall  jedes- 
mal eine  Stunde  später  ein  und  hörte  eine  Stunde  später  auf.  Ich  verord- 
nete Sal  anglic.  mit  Infus,  laxativ. ,  später  die  China  und  ein  Vesicatorium 
im  Nacken,  und  in  8  Tagen  war  die  Kranke,  deren  Anfälle  täglich  gelin- 
der wurden,  vollkommen  hergestellt  (s.  MosVs  Geschichte  des  Scharlach- 
fiebers. Leipz.  1826.  Bd.  II.  S.  219).  Späterhin  fand  ich  bei  der  Febris 
larvata  zuerst  ein  Brechmittel ,  dann  Chinin,  sulphuric.  mit  Opium,  alle  diese 
Mittel  in  der  Apyrexie  gereicht,  am  wirksamsten.  12)  Die  Febr.  interm. 
habitualis,  chronica,  diuturna,  refractaria,  erfordert  zur  glücklichen  Heilung 
viel  Scharfsinn  des  Arztes.  Eine  schlechte  Diät,  Erkältung,  Versäumniss 
einer  angemessenen  Behandlung,  besonders  der  Recidive,  schlechte  Nahrung, 
feuchte  Wohnun<Ten,  Unreinlichkeit  in  Kleidung  und  Bettwäsche,  Scropheln, 
Gicht,  Unterleibsstockungen,  Infarcten,  schlechte  Verdauung  und  endemi- 
sche Schädlichkeiten,  wie  in  Holland,  Seeland,  Mantua;  dies  sind  die  vor- 
züglichsten Ursachen,  die  die  Intermittens  chronisch  und  langwierig  machen 
und  so  zu  den  verschiedenen  Folgekrankheiten,  auch  nach  Hebung  des  Fie- 
bers, am  meisten  beitragen.  Bei  atrophischen  Kindern,  bei  phlegmatischen, 
lymphatischen,  an  Blennorrhöen  leidenden  Constitutionen,  bei  alten  Leuten 
mit  Asthma  pituitosum,  ist  die  Neigung  zur  chronischen  Intermittens  am 
grössten.  Cur.  Eine  schnelle  Vertreibung  des  Fiebers  ist  hier  in  den  mei- 
sten Fällen  schädlich.  Dagegen- passen  bei  Status  pitultosus  erst  Pot.  Ri- 
verii  mit  Salmiak ,  mit  bittern  Extracten ,  zuweilen  eine  Dosis  Merc.  dulcis 
mit  Rheum,  dann  erst  die  China,  anfangs  auch  erst  in  Verbindung  mit  Sal- 
miak. Zur  Nachcur  wähle  man  die  am  Ende  der  Schleimkrankheit  dienen- 
den Roborantia  (s.  Blennorrhoe a).  Fast  ebenso  ist  die  Behandlung  bei 
der  Complication  mit  Scropheln.  Hier  passen  Merc.  dulc.  mit  Sulphur.  au- 
rat. ,  Rheum,  Magnesia,  Eichelkaffee,  und  alsdann  die  China;  hilft  diese 
nicht,  so  wirkt  oft  die  Aqua  antimiasmat.  Köchlini  noch  hellsam.  Beim 
VVechselfieber  mit  Infarcten ,  Stockungen  in  Leber  und  Milz,  bei  Hypochon- 
dristen  mache  man  mit  Kali  tartarlc.  und  Extr.  graminis,  taraxaci,  trifolii 
den  Anfang ,  gebe  dann  Gum.  ammonlac. ,  Sapo  stiblatus ,  bei  grossem  Tor- 
por  auch  Extr.  gratiolae,  p.  d.  ^ü,  Extr.  hellebori  nigr.  p.  d.  gr.  v,  bei 
bedeutendem  Leberleiden  auch  Belladonna  (^Berends^.  Dabei  leichtverdau- 
liche animalische  Kost.  Erst  späterhin  passt ,  wenn  das  Fieber  noch  anhal- 
ten sollte,  die  China,  noch  besser  das  Chinin  mit  Magnesia,  und  bei  MUz- 
anschwellungen  Eisen  mit  China.  —  Empirisch  hat  man  gegen  hartnäckige, 
eingewurzelte  Wechselfieber  noch  empfohlen  Cuprum  ammonlacale  und  sul- 
phurlcum,  Ferrum  sulphuricum,  Argentum  nitricum,  selbst  den  Arsenik  als 
Tinctura  Fowieri.  Letzterer  hellte  in  vielen  Fällen  Wechselfieber,  die  al- 
len andern  Mitteln  trotzten  (Jleim,  Hnrless ,  Himhj).  Manche  Ärzte  wollen 
aber  schlimme  Folgen  nach  dem  Gebrauche  des  Arseniks  gesehen  haben, 
vorzüglich  Wassersucht  und  Hektik.  Grosse  Vorsicht  erfordert  das  Mittel 
allerdings,  doch  ist  es  in  den  Händen  des  geschickten  Arztes  kein  Gift.  In 
einem  recht  hartnäckigen  Falle  hellte  ich  durch  folgendes  Pulver:  Kr  Chinini 
sulphurici  gr.  jj^,  Opii  puriss.  gr.  iv,  Merc.  dulcis.,  Extr.  nuc.  vomicae  ana 
gr.  j,  Magnes.  carhon.,  Sacclinri  albi  ana  ^i>.  M.  f.  pulv.  disp.  dus.  vjjj.  S. 
Alle  3  Stunden  ein  Pulver.  IS)  Obgleich  die  China  und  das  Chinin  als  ein 
Specificum  gegen  das  Wechselfieber  angesehen  werden  müssen,  so  hat  doch 
die  Erfahrung  genug  bewiesen,    dass  auch  viele   andere  Mittel   das  Fieber 


?  FEBRIS  721 

heilten,  und  zwar  theils  Arznei-,  theils  Hausmittel.  Hierher  gehören  Cort. 
angusturae,  anrantior. ,  bippocastani ,  Salicis,  Herba  rutae,  absinthii,  Ca- 
lam.  aroinat. ,  Gentiana ,  kurz  fast  alle  Amara  und  Adstringentia ,  desglei- 
chen manche  Acria  und  Narcotica:  Flor,  arnicae,  Rad.  zingiberis,  Piper  ni- 
grum ,  Spinnwebe  ,  Belladonna ,  Hyoscyamus.  Ein  sehr  wirksames  russi- 
sches Volksraittel  ist  Herba  thlaspeos  bursae  pastoris,  welches  Dr.  Gesling 
(^Schcrcr's  Nord.  Annalen  d.  Chemie,  Bd.  VIII.  Hft.  1,  S.  30)  empfiehlt. 
Von  S3  Fällen,  worunter  21  Tertianae  und  12  Quotidianae  -waren,  \vurden 
24 ,  und  von  69  andern ,  worunter  24  Quotidianae ,  43  Tertianae  und  2 
Quartanae  waren ,  wurden  19  Quotidianae ,  56  Tertianae  und  1  Quartana 
durch  dieses,  allenthalben  wild  wachsende  Kraut  geheilt.  Die  Dosis  der 
Herba  sicca  ist  5ji ,  einige  Minuten  vorher  in  Kornbranntwein  macerirt  und 
zwei  Stunden  vor,  oder  eine  Stunde  nach  dem  Paroxysmus  gereicht.  In 
schlimmen  Fällen  giebt  man  4 — 6  Dosen  während  einer  Apyrexie.  Bei  reiz- 
baren Personen  entsteht  darnach  Übelkeit,  Erbrechen  und  Laxiren.  Hilft 
es  in  einer  Zeit  von  drei  Apyrexien  nicht,  so  hört  man  wegen  gefährlicher 
Nachkrankheit  damit  auf.  Sind  gastrische  Unreinigkeiten  da,  so  muss  ein 
Vomitiv  dem  Gebrauche  vorhergehen;  ist  es  eine  Febr.  interm.  intlamma- 
toria,  so  passt  das  Mittel  nicht.  —  Was  die  neuern  Erfahrungen  über  das 
Chinin  betrifft,  so  ists  zwar  bequemer  für  den  Kranken,  Chinin,  als  China 
zu  nehmen,  doch  verhütet  die  Cort.  chinae  mehr  als  das  Chinin  die  Reci- 
dive.  Unter  den  Präparaten  des  letztern  ist  nach  den  Versuchen  in  der 
berliner  Charit^  das  Chinin,  muriat.  wirksamer  als  das  Chinin,  sulphuricum. 
14)  Unter  die  zahlreichen  Volksmittel  gegen  die  Intermittens  gehören  noch 
die  sympathetischen  Mittel,  welche  ich  in  mehr  als  hundert  Fällen 
als  sehr  wirksam ,  bei  Kranken  aller  Art  und  aus  den  verschiedensten  Stän- 
den beobachtet  habe.  Das  sympathetische  Mittel  bestehe  nun,  worin  es 
wolle,  so  hilft  es,  wenn  der  Kranke  daran  glaubt  oder  wenn  er  nur  denkt, 
dass  man  Sympathie  gebrauche.  In  dieser  Gegend  ist  das  sogenannte  Ab- 
schreiben ein  solches  Mittel.  Man  schreibt  Namen  und  Alter  des  Kran- 
ken auf,  und  damit  Punctum.  Eine  hiesige  vornehme  Dame  leidet  seit  drei 
Wochen  an  der  Tertiana ,  die  der  Hausarzt  vergebens  mit  Chinin,  sulphur. 
etc.  zu  bekämpfen  sich  bemühet.  Sie  erfährt,  dass  ein  Mann  in  Stralsund 
das  Fieber  durch  Sympathie  (welche?  das  wusste  ich  nicht)  heilen  könne, 
sie  schreibt  an  diesen  Mann  und  schickt  den  Brief  durch  Gelegenheit  mit 
einem  Kaufmann  hin.  Dieser  ist  nach  Verlauf  von  10  Tagen  zurückge- 
kehrt. Sie  bedankt  sich  bei  ihm  für  die  gütige  Besorgung  des  Briefes,  in- 
dem schon  4  Tage  das  Fieber  ausgeblieben  sey.  Der  Kaufmann  hatte  den 
Brief  aber  vergessen ,  denn  er  fand  sich  noch  in  seiner  Brieftafel ,  verschwieg 
aber  wohlweislich  seine  Nachlässigkeit,  und  —  das  Fieber  kam  nicht  wie- 
der. Ein  Schultheiss  in  einem  benachbarten  Dorfe  ohnweit  Rostock  stand 
in  grossem  Rxife  das  Fieber  abzuschreiben.  Er  half  durch  diese  Sympathie 
vielen  Landleuten.  Eine  Frau  in  dem  nahen  Kirchdorfe  leidet  auch  am 
Wechselfieber.  Der  eine  Sohn  des  Schulzen  geht  zur  Kirche,  wo  ihn  die 
Frau  beauftragt ,  dem  Vater  zu  sagen ,  dass  er  ihr  das  Fieber  abschreiben 
möge.  Der  Knabe  versprichts,  vergisst  es  aber  zu  bestellen.  Nach  einigen 
Tagen  schickt  die  Frau,  weil  ihr  das  Fieber  ausgeblieben,  dem  Schulzen 
1  Schil.,  das  gewöhnliche  Honorar  für  seine  Mühe.  Dass  der  Grund  der 
Sympathie  nicht  blos  im  Glauben  und  in  der  Einbildung  liege,  beweist  der 
Umstand,  dass  auch  kleinen  zweijährigen  Kindern,  wie  ich  weiss,  durch 
Sympathie  vom  Fieber  geholfen  worden  ist.  Es  ist  hier  nicht  der  Ort  über 
die  Sympathie  zu  reden ;  ich  verweise  auf  eine  meiner  Volksschriften ,  wo 
dieser  Gegenstand  weitläufig  erörtert  worden  ist.  (S.  Mosfs  Arzt  als  wah- 
rer Hausfreund;  Leipz.  18^9,  ThI.  II.  S.  39  —  45).  Gewiss  ist  es  jetzt 
wol  an  der  Zeit,  auch  die  Sympathie  und  den  unleugbaren  Zusammenhang, 
worin  alle  lebende  und  leblose  Körper  zu  und  mit  einander  stehen,  mehr 
zu  würdigen,  einen  tiefern  Bück  ins  Naturleben  zu  werfen  und  einen  Ge- 
genstand, der  vom  höchsten  Interesse  ist,  nicht,  wie  bisher  fast  durchge- 
hends  geschehen,  als  Unsinn  zu  belächeln,  ohne  ihn  genau  geprüft  zu  haben. 
MoBt  Encyklopädic.  2te  Aufl.   T.  4g 


722  FEBRIS 

15)  Es  giebt  eine  Febris  intermittens  ex  irritatione  organonim  wropoetico- 
rum,  welche  ich  selbst  einigemal  als  sporadisches  Übel  beobachtet  habe. 
Alles,  was  einen  fremdartigen  Reiz  in  der  Urinblase,  in  den  Nieren,  in  der 
Harnröhre  macht:  Blasensteine,  Gries ,  und  deren  häufige  Folgen:  Blen- 
norrhoe, Mictus  cruentus,  ferner  reizende  Bougies ,  die  man  wegen  Strictu- 
ren  in  die  Harnröhre  bringt,  können  nach  der  Erfahrung  ein  Wechselfieber 
erregen  (s.  Trnka  de  Krzowitz  Histor.  febr.  interm.  Vol.  I.  P.  1,  cap.  5), 
Ja,  es  giebt  solche  Wechselfieber,  die  als  wohlthätig  und  kritisch  betrach- 
tet werden  können.  So  behandle  ich  seit  sieben  Jahren  einen  40jährigen 
Mann  mit  atrabilarischer  Constitution ,  der  an  einer  chronischen  Blennorrhoe 
der  Harnblase  leidet,  sich  periodisch  aber  sehr  gut  befindet.  Ohngefähr 
dreimal  im  Jahre  bekommt  er  Anfälle  von  Strangurie,  Ischurie  mit  heftigen 
Schmerzen;  diese  steigern  sich,  bis  endlich  ein  wahres  Wechselfieber,  selbst 
mit  komatösen  Zuföllen,  mit  Delirien  sich  einstellt,  und  zwar  als  Quotidiana, 
worauf  die  Harnbeschwerden  plötzlich  verschwinden,  der  Urin  gut  fliesst 
und  sich,  so  lange  das  Fieber  dauert,  eine  ungeheure  Menge  Schleim,  der 
weisslich  und  stinkend  ist,  absondert.  Ich  verordne  dann  Salmiak  mit  Pot. 
Riverii,  Aq.  melissae  und  Extr.  millefolü,  worauf  das  Fieber  binnen  10  Ta- 
gen verschwindet  und  somit  auch  der  ungeheure  Schleimtiuss.  Zur  Nach- 
cur  erst  bekommt  der  Kranke  China ,  und  zwar  mit  Salmiak.  Drei  bis  Vier 
Monate  befindet  dieser  Mann  sich  nun  ganz  wohl.  Dann  fangen  die  Urin- 
beschwerden wieder  an,  das  Harnen  wird  sehr  schwer  und  schmerzhaft. 
Emulsionen  mit  Opium,  Merc.  dulc.  mit  Opium  und  Ipecacuanha  vermögen 
sehr  wenig  dagegen.  Der  Kranke  liegt  in  den  höchsten  Schmerzen  und 
wünscht  sich  nichts  sehnlicher  als  seinen  Erretter,  das  Wechstlfieber ,  das 
stets  als  eine  Quotidiana  erscheint  und  ihn  nun  schon  zu  zehn  verschiede- 
nen Zeiten  besucht  hat.  Bemerken  muss  ich  noch,  dass  genaue  Untersuchun- 
gen bei  diesem  Kranken  bis  jetzt  keinen  Blasenstein  entdecken  Hessen.  Die 
Cur  dieses  Wechselfiebers  besteht  darin,  dasS  man,  wenn  es  nicht,  wie  im 
vorliegenden  Falle,  kritisch  ist,  die  reizenden  Schädlichkeiten  in  der  Harn- 
röhre, der  Blase,  z.  B.  Bougies,  Steine  entfernt,  oder  vorläufig,  bis  dies 
bewerkstelligt  werden  kann.  Oleosa,  Mucilaginosa ,  Emulsionen  mit  etwas 
Opium  giebt.  Diese  allein  helfen  in  den  meisten  Fällen.  Sollte  aber  das 
Fieber  aus  reiner  Gewohnheit  und  als  Irapressio  remanens  zurückgeblieben 
seyn,  dann  China  und  Chinin,  16)  Bei  der  gründlichen  Cur  des  Wechsel- 
fiebers  müssen  wir  nicht  allein  den  Fieberanfall  vertreiben,  sondern  auch 
dafür  sorgen,  dass  keine  Recidive  folgen.  Nach  der  Erfahrung  hat  eine 
Epidemie  mehr  Neigung,  Recidive  zu  machen,  als  die  andere;  auch  beob- 
achten wir  sie  häufiger  bei  der  Tertiana  und  Quartana  als  bei  der  Quoti- 
diana, häufiger  im  Herbst  als  im  BVühling,  häufiger  bei  Weibern,  wo  das 
Recidiv  sehr  leicht  zur  Zeit  der  Menstruation  kommt,  als  bei  Männern. 
Auch  kommt  es  sehr  dara\if  an  ,  mit  welchen  Mitteln  wir  das  Fieber  geho- 
ben haben.  Alles  was  das  Fieber  schnell  vertreibt:  Opium,  Vomitiv,  Schreck, 
Sympathie  etc. ,  lässt  auch  leicht  ein  Recidiv  zu ;  dagegen  ist  die  Neigung 
zu  Rückfällen  viel  geringer,  wenn  wir  das  Fieber  successive  und  zwar  durch 
China  heben.  Selbst  das  Chinin  hinterlässt  leichter  Recidive  als  die  China ; 
daher  ich  gern  Decoct.  chinae  in  Verbindung  mit  Chinin ,  und  später  Chinin 
mit  Pulvis  chinae  anwende.  In  gewissen  Perioden  kommt  der  Anfall  leicht 
wieder,  besonders  zur  Zeit,  wo  der  7te ,  14te  oder  21  ste  Anfall  stattgefun- 
den haben  würde ;  daher  kommt  die  Tertiana  am  leichtesten  14  Tage ,  die 
Quotidiana  am  leichtesten  7  Tage  nach  dem  letzten  Anfalle  wieder,  wenn 
nicht  zufällige  Schädlichkeiten:  Erkältung,  Schrecken,  Magenverderbniss 
und  Durchfall  etc. ,  das  Recidiv  früher  herbeiführten.  Um  Recidive  zu  ver- 
hüten, muss  man  bei  allen  Wechselfiebern,  die  mehr  als  drei  Anfälle  mach- 
ten, auch  wenn  das  Fieber  schon  vorbei  ist,  noch  längere  Zeit  China ,  doch 
in  kleinern  Dosen,  fortgebrauchen  lassen,  z.  B.  dreimal  täglich  3lV  Cort. 
chinae,  nach  zwei  Tagen  setzt  man  etwas  Rad.  caryophyllat.  zu,  und  giebt* 
letztere  später  ganz  rein.  Kommt  aber  der  7te  Fieberanfall,  z.  B.  bei  der 
Quotidiana  der  7te,  bei  der  Tertiana  der  14te,  bei  der  Quartana  der  2lsto 


FEBRIS  723 

Tag;  80  muss  der  Kranke  eine  grössere  Dosis  China,  desgleichen  3 — 4 mal 
täglich  % — 1  Gran  Chinin,  sulphuric.  nehmen.  Man  fange  mit  dieser  gros- 
sem Gabe  schon  24  Stunden  vor  diesen  wichtigen  Tagen  an  und  setze  sie 
erst  24  Standen  nachher  aus.  In  der  Z\vischenzeit  kann  man  die  Arznei- 
mittel eher  ganz  entbehren  als  gegen  den  7ten  Anfallstag.  Man  hat  selbst 
Fälle  beobachtet,  wo  das  Fieber  gegen  den  7ten  Anfall  wiederkam;  man 
war  nun  airfmerksam  und  gab  die  China,  als  der  14te  Anfall  kommen  wollte, 
nnd  er  blieb  aus;  aber  zur  Zeit  des  21sten ,  als  man  schon  gar  nicht  mehr 
daran  dachte  und  gar  keine  Arznei  gab,  kam  er  wieder  (^Himly ,  Most"). 
Ich  verhüte  daher  die  Recidive  auf  diese  Weise:  a)  Ists  z.  B.  die  Quoti- 
diana  und  ist  der  Anfall  am  Isten  Mäiz  zuletzt  gekoiümen ,  so  bekommt  der 
Kranke  gewöhnliche  Dosen  China  oder  Chinin  am  6ten,  7ten  und  8ten,  dann 
wieder  am  ISten,  14ten  und  I5ten  und,  will  man  recht  vorsichtig  seyn, 
auch  noch  am  20sten,  21sten  und  22sten  März.  Die  übrige  Zeit  gebe  ich 
nur  bei  guter  Diät  Tinct.  chin.  comp,  mit  Wein,  1  —  2raal  täglich  40  —  60 
Tropfen.  6)  Ists  aber  eine  Tertiana ,  die  am  Isten  März  verschwand ,  so 
bekommt  der  Kranke  volle  Dosen  China  und  Chinin  (alle  2  Stunden)  am 
iSten,  14ten  und  15ten,  am  27sten,  28sten  und  29sten  März,  desgleichen 
am.  löten,  Uten  und  12ten  April.  An  den  andern  Tagen  nimmt  er  folgen- 
des Pulver:  ^r  Flor,  chamomill. ,  Rad.  cnlnm.  arom.,  —  geiUimiae ,  —  ca~ 
rijophyllat.  ana  ^j^,  Cort.  ciniiamomi,  Piper,  nigri  ana  3j-  M.  f.  pulv.  S. 
Dreimal  täglich  1  Theelöffel  voll  mit  etwas  Wein  oder  Branntwein.  Patien- 
ten ,  die  kein  Pulver  mögen ,  nehmen  dafür  Folgendes :  R;  Exir.  ahsinthii 
3vj ,  —  gent.  rühr.  3jj »  -^(f-  menth.  er. ,  —  cinnnm.  s.  v.  ana  ^v,  Tinct.  au- 
rnntior.  §ft.  M.  S.  Dreimal  täglich  1  Esslöffel  voll,  c)  Ist  bei  der  Quar- 
tana der  letzte  Anfall  auf  den  Isten  März  gefallen,  und  sind  keine  Folge- 
krankheiten, die  den  Gebrauch  der  China  contraindiciren,  zugegen,  so 
nimmt  der  Kranke  volle  Dosen  China  und  Chinin  am  ]9ten,  SOsten,  21sten 
und  22stenMärz,  am  9ten,  lOten,  Uten  und  12ten  April,  am  SOsten  April, 
Isten,  2ten  und  3ten  Mai.  In  der  Zwischenzeit  gebraucht  er  die  so  eben 
angegebenen  Formeln ,  entweder  das  Pulver  oder  die  bittere  Mixtur.  Alle 
Schädlichkeiten,  die  Recidive  befördern:  Abendluft,  Zugluft,  nasse  Witte- 
rung, Sumpfluft,  Überladung  des  Magens  durch  schwer  verdauliche  Kost, 
saure  und  kalte  Speisen  und  Getränke;  Alles,  W8is  Durchfall  und  Erkältung 
erregt,  deprimirende  Affecten,  Purganzen,  Coitus,  Nachtwachen  etc.,  muss 
Streng  vermieden  werden.  Auch  der  Anblick  von  Fieberkranken  im  Frost- 
istadium  wirkt  psychisch  nachtheilig.  Entsteht  dennoch  ein  Rückfall,  so 
gebe  man  bei  Magenverderbniss  erst  ein  Vomitiv,  und  dann  kräftig  China 
und  Chinin.  Helfen  diese  Mittel  nichts ,  so  versuche  man  Cuprum  ammonia- 
cale,  Magister,  bismuthi  und  Eisenpräparate,  in  sehr  hartnäckigen  Fällen 
als  die  letzte  Zuflucht  auch  den  Arsenik.  Doch  wende  man  alle  diese  Mit- 
tel nur  da  an,  wo  die  gewöhnlichen  Ursachen  des  chronischen  Wechselfie- 
bers nicht  mehr  stattfinden  (s.  Febr.  intermitt.  habitualis).  17)  Was 
die  Diät  beim  Wechselfieber  betrifft,  so  lässt  sich  diese  im  Allgemeinen 
kaum  bestimmen.  Sie  muss  mit  den  Arzneien  gleichen  Schritt  gehen;  beim 
Gebrauche  des  Salmiaks,  der  Pot.  Riverii,  wie  bei  der  Intermittens  inflam- 
matoria  schmale,  dünne  Kost,  beim  Gebrauche  der  China  gute  animalische 
Nahrung,  doch,  wie  sich  von  selbst  versteht,  nicht  im  B'ieberanfalle.  In 
allen  Fällen  sind  zu  vermeiden  schwer  verdauliche  Nahrung ,  besonders  hart- 
gekochte Eier,  Mehlspeisen,  grobe  Fische,  saure  Kost,  selbst  Obst  wegen 
seiner  Kälte  und  Säure.  Sehr  wichtig  ist  warme  Bekleidung  des  Körpers, 
Flanellkleidung,  und  Vermeidung  jeder  Erkältung.  Bei  der  Intermittens  in- 
flammatoria  passt  auch  der  Wein  in  der  Apyrexie  nicht,  dagegen  ist  er  ein 
gutes  Präservativ  gegen  Sumpffieber,  wenn  man  sich  in  sumpfigen  Gegen- 
den aufhalten  muss,  besonders  wenn  Herba  absinthii  darin  infundirt  worden 
ist.  Für  Ärmere  ist  hier  ein  guter  Wermuthbranntwein  schon  ein  herrliches 
Mittel.  Bei  der  Intermittens  biliosa  passt  in  der  ersten  Zeit  der  Obstge- 
nuss,  desgleichen  bei  der  Intermittens  putrida  incipiens,  später  der  Wein, 
besonders   guter  Medoc  und  Saint  Julien.     Bei   der  Intermittens  perniciosa 

46* 


■324  FEBRIS 

kann  man ,  wenn  die  etwaigen  Congestionen  zum  Kopfe  schon  gehoben  sind 
oder   nicht   stattfinden,    die  China    mit  Wein    geben,    besonders    mit   altem 
Rheinwein;    dies  passt  auch    bei  der  gewöhnlichen  Tertiana.     Man  verhütet 
dadurch   die  von  der  China   oft   entstehenden  Magenbeschwerden.     Auch  10 
Tropfen  Naphtha  vitrioli  zu  jeder  Dosis  der  mit  Wasser   oder  Wein  einge- 
rührten China   kurz  vor  dem  Einnehmen    getröpfelt,    verhütet   die  nach  der 
China  leicht  erfolgenden  Durchfälle.     Nur   bei  der  Febr.   interm.   atrabilaris 
sey  man  mit  dem  Weine,  sowie  auch  mit  der  China  vorsichtig.     Auch  stark 
nährende  Speisen    passen  hier  nicht  immer,    man  denke  an  die  Grundkrank- 
heit.     Ist  das  Fieber  gehoben ,   so  rathe  man  massige  Bewegung  im  Freien, 
gute  animalische  Kost  und  Wein    an.     Enthaltung   von  kräftigen  Nahrungs- 
mitteln, daneben  Stuben-  oder  gar  Betthüten ,  Mangel  an  activer  Bewegung 
befördern  nur  die  Recidive.     18)  Was  die  Behandlung  der  Folgekra na- 
belten bedeutender  Wechselfieber  betrifft,  so  sind  hier  folgende  praktische 
Cautelen  zu  beherzigen :    «)  Die  häufigsten  Nachkrankheiten   sind  die  soge- 
nannten  Fieberkuchen    und    die    Wassersucht,    in    seltenern     Fällen 
auch    die   Trommelsucht.      Plethora    abdominalis,     besonders    in    Leber    und 
Milz ,  liegt  ihnen  ztnu  Grunde,     h)  Am  sichersten  werden  diese  Nachkrank- 
heiten verhütet,  wenn  man  das  Fieber  nicht  zu  schnell,  nicht  vor  dem  Sten, 
4ten  Anfall,   bei  Hypochondristen  und  solchen  mit   atra  bilis    nicht  vor  dem 
7ten,  8ten  Anfalle,    durch  China  heilt;    ferner,  wenn  man  neben  der  China 
auch  flüchtiger   stärkende  Mittel:    Aromatica  und  Aetherea,   z.  B.  Naphtha, 
Wein,  Calamus,  Flor,  chamomillae  in  Pulverform  {Himhj,  B'tscftoff  in  Wien), 
Caryophyllata,    Zimmt  etc.    giebt.     c)  Sind  die  Fieberkuchen   schon  da,    so 
passen  anfangs  Extr.  taraxaci,    rutae,    gentianae   mit  aromatischen  Wassern 
und  etwas  Salmiak,    später   China   mit   Salmiak,    zuletzt  China   mit   Eisen, 
daneben   zuweilen  ein  Pulver    aus  Herb,  belladonnae   gr.  jj  und  Merc.  dulc. 
gr.  3,   Einreibungen  von  Opodeldok,    Lin.  volat.  camphorat.  mit  etwas  Un- 
guent.  mercur.  in  den  Unterleib.      Viel  Bewegung   im  Freien,    Reiten,   aro- 
matische  Bäder   unterstützen    die  Cur    bedeutend.      d}  Ist   die  Wassersucht 
Folgekrankheit,    so  passen  bei  Torpor .Stpiilla,    Digitalis,  Kanthariden,  ab- 
wechselnd mit  Crem,  tartari  und  Ol.  juniperi  gereicht,    und  erst  zuletzt  die 
China,      c)  Ist  Trommelsucht  da,    die   in  der  Regel   nur  symptomatisch   zur 
Wassersucht  und    zu  sehr  bedeutenden  Abdominalfehlern  kommt,    so  ist  we- 
nig Hoffnung  da.     Die  Cur  ist  dieselbe  der  Wassersucht.  —  Bei  der  Quoti- 
diana   wandte   man    mit   Erfolg   im  Hotel  Dien   zu  Paris    neuerlich   die   cir- 
kelförmigen  Ligaturen  um  beide  Oberarme,  kurz  vor  dem  Anfalle,  an,  wo- 
durch der  Anfall  stets  vermindert,  oft  gehoben  ward.     Sie  müssen  recht  fest 
angelegt   werden.     Klagt    der  Kranke   über  Congestionen ,    so  löst   man   sie 
alle  3  Minuten.   —    Gegen  hartnäckige  Quartanfieber,    wogegen  China   und 
Chinin  oft  nichts  leisten,  gab  Berndt  in  vielen  Fällen  mit  Nutzen  das  Extr. 
hellebori  nigri  mit  Salmiak.   —    Der  Dr.  Medwedew  zu  Mariampol  in  Russ- 
land hat  seit  25  Jahren  alle  Wechselfieber  ohne  Arzneien,  blos  durch  Hun- 
ger curirt.     Der  Kranke  mnss  drei  Tage  lang  strenge  hungern,    sich  jeder 
Speise   enthalten  und    nur  viel  kaltes  Wasser    trinken.     Ist  der  Anfall    aus- 
geblieben, so  gewöhnt  er  sich  allmälig  und  vorsichtig  wieder  an  leichte  Nah- 
rung (s.  Cnspe^rs  Wochenschrift,  l^Si,  Nr.  18,  S.  86). 

Fehris  intestinalis,  s.  Febrisgastrica. 

Febris  Incten ,  Galactojryrn ,  das  Milchfieber.  Ist  dasjenige,  meist 
immer  gutartige  Fieber,  woran  der  Regel  nach  nur  Wöchnerinnen  leiden. 
Symptome  sind:  leichte  fieberhafte  Zufälle,  die  sich  zwischen  dem  2ten 
und  4ten  Tage  nach  der  Entbindung  einstellen  und  von  vielen  Geburtshel- 
fern und  Hebammen  von  der  in  die  Brüste  eintretenden  Milch  abgeleitet 
werden.  Zuweilen  beginnt  es  nur  mit  leichtem  Schauer  über  den  Rücken 
und  die  obern  Gliedmassen  ,  der  in  wirklichen  Frost  übergeht,  worauf  Hitze 
des  ganzen  Körpers,  Durst,  schneller  Athem  und  solcher  Puls,  Kopfschmerz, 
folgen.  Die  Brüste  sind  gewöhnlich  hart  und  strotzen  von  Milch,  der  Lo- 
chienfluss  ist  unterdiückt,  der  ganze  Anfall  dauert  höchstens  8 —  12  Stunden 
und  endet  mit  allgemeinem  Seh  weisse,   freier  Milchsecretion ,    wo  die  Milch 


FEBRIS  725 

oft  freiwillig  aus  den  Brüsten  fiiesst,  und  mit  Wiederkehr  des  Lochienflusses, 
der  oft  stärker  als  früher  geworden  ist.  Ursachen.  Sind  nicht  in  der 
nach  den  Brüsten  eintretenden  Milch,  sondern  in  einem  allgemeinen  Leiden 
des  Blutsystems,  selbst  in  Veränderung  der  Blutmasse,  hervorgebracht  durch 
Überfluss  von  Säften ,  die  zur  Milchabsonderung  bestimmt  sind ,  zu  suchen 
(y.  Froriep').  Dies  ist  besonders  der  Fall  bei  vollsaftigen  Weibern  und  da, 
■wo  auf  irgend  eine  Weise  die  Milcliausleerung  versäumt  oder  gehindert  wird. 
Dafür  sprechen  folgende  Umstände:  1)  Nicht  alle  Wöchnerinnen  leiden  am 
Milchfieber ;  daher  ists  kein  wesentlicher  Zufall  des  Wochenbettes ;  nur 
solche  Weiber,  die  das  Kind  zu  spät  anlegen,  später  als  sechs  Stunden 
nach  der  Geburt,  die,  welche  nicht  selbst  stillen,  und  endlich  solche,  die 
sehr  vollsaftig  sind,  einen  sehr  blutreichen  Körper  haben  und  deren  Brüste 
von  Milch  hart  und  strotzend  erscheinen ,  sind  fast  immer  diesem  Fehler  un- 
terworfen. 2)  Auch  bei  der,  zumal  plötzlichen  Entwöhnung  des  Kindes 
kann  die  Mutter  ein  wahres  Milchfieber  aus  gleichen  Ursachen,  wie  im 
Wochenbette,  bekommen.  Prognose.  Ist  gut;  das  Fieber  ist  nicht  ge- 
fährlich und  vergeht  bei  dünner,  magerer  und  kühlender  Diät  in  der  Regel 
ohne  Kunsthülfe  in  wenigen  Tagen ;  nur  bei  Vernachlässigung  oder  verkehr- 
ter erhitzender  Behandlung  luid  solcher  Diät  können  gefährliche  Zufälle  er- 
folgen. Behandlung.  1)  Am  besten  ist  die  Cura  prophylactica;  man 
verhüte  das  Übel  durch  frühes  Anlegen  des  Kindes,  durch  dünne,  kühlende 
Diät,  Ruhe  etc.,  welche  Cur  mit  doppelter  Aufmerksamkeit  bei  Müttern, 
die  nicht  selbst  stillen ,  angewandt  werden  muss ;  doch  entgehen  diese  sow  ie 
vollsaftige  Wöchnerinnen  der  Krankheit  selten  (s.  Ablactatio).  Auch  die 
Entwöhnung  von  der  Brust  muss  allmälig  geschehen.  2)  Ist  das  Fieber 
schon  da,  so  suche  man  die  Hautthätigkeit  zu  unterstützen,  gebe  etwas 
Spir.  Minderen  mit  Aq.  flor.  sambuci  und  Syr.  rub.  id.,  oder  Potio  Riverii 
mit  Aq.  flor.  sambuci  und  Tart.  emet.  in  refr.  dosi,  vermeide  besonders  Er- 
kältung ,  und  vermindere  die  Anhäufung  der  Milch  in  den  Brüsten  durch 
Anlegung  des  Kindes.  Kann  dieses  die  Milch  nicht  verbrauchen ,  so  nehme 
man  andere  Säuglinge  und  im  Nothfalle  Milchpumpen  zur  Hülfe.  3)  Sind 
die  Brüste  sehr  hart  und  schmerzhaft ,  so  leite  man  lauwarme  Dämpfe  v6n 
Fliederthee  an  dieselben  und  lege  trocken  gewärmte  Servietten  auf.  4)  Da- 
bei müssen  die  Brustwarzen  gelind  gerieben  werden,  auch  die  Wöchnerin 
mehr  auf  der  Seite  als  auf  dem  Rücken  liegen,  wobei  mit  grosser  Erleich- 
terung die  Milch  meist  von  selbst  ausfliesst  (ü.  Froriep ,  Osthoff'}.  5)  Dauert 
ein  solches  Fieber  bei  dieser  zweckmässigen  Behandlung  länger  als  vier  Tage, 
so  ists  kein  Milchfieber,  sondern  es  liegen  andere  Ursachen  (Mastitis,  Me- 
tritis,  Peritonitis,  Myelitis  etc.)  zum  Grunde. 

Fehris  larvata ^  verlarvtes  Fieber;  s.  Febria  interraittens  lar- 
vata. 

Fehris  lenta ,  das  schleichende,  auszehrende  Fieber;  s.  Febris  he- 
c  t  i  c  a. 

Fehris  localis,  topica,  das  örtliche  Fieber.  So  hat  man  wol  die 
Febris  intermittens  larvata,  wobei  fast  immer  nur  ein  Theil  des  Körpers 
vorzugsweise  leidet,  genannt  (s.  d.  Art.). 

Febris  hjmphatica,  das  Saugader fi eher.  So  hat  man  wol  das  zu 
Atrophie  und  Abscessus  lymphaticus  sich  gesellende  Zehrfieber  genannt  (s. 
Febris  hectica). 

Febris  maligna,  das  bösartige  Fieber.  Ist  das  Gegentheil  vom 
gutartigen  Fieber;  s.  Febris  benigna. 

Febris  merctirialis ,  das  Mercurialfieber;  s.  Febris  salivalis. 

Febris  mesenterica y  das  Gekr  ös  f  ieber.  Ist  nach  den  Älteren  die 
Febris  hemitritaea ,  nach  den  Neuern  die  Febris  gastrica ;  auch  nennen  Ei- 
nige in  unserer  Zeit  das  zur  Atrophie  hinzukommende  Fieber  so  (s.  Atro- 
phia  infantilis,  Febr.  gastrica,  Febr.  intermittens). 

Febris  miliaris,  das  Frieselfieber;  s.  Miliaria.  v 

Febris  nwrbillosa,  das  Masemfieber;  s.  Morbilli. 

Febris  neroosa,   ty^^hosa,  asthcnica,    Febris  typhodes,   FeW.  nilynamha , 


726  FEBRIS 

Fchr.  gastrica  nervosa,  Felr.  maligna  (der  Älteren),  Fchr.  coni'mua  nervosa 
(P.  Frnnit),  Febr.  ntncta  (Seile),  das  nervöse,  typhöse,  asthenische 
Fieber,  weniger  richtig  Nervenfieber,  Typhusfieber  genannt;  denn 
der  Typhus  ist  gleich  den  Menschenpocken  und  dem  Scharlach  ein  Fieber 
eigen thümlicher  Art,  welches  mit  Recht  zu  den  Exanthemen  gerechnet  wird, 
und  so  \vie  die  Pocken  ein  Eiterungsstadium  haben ,  auch  ein  eigenes  Sta- 
dium nervosum  in  seinem  Verlaufe  beschreibt  (^Bischoff).  In  der  Beschrei- 
bung ,  Diagnose  und  Heilung  des  nervösen  Fiebers  herrschte  bisher  ein 
grosser  Wirrwar,  und  dies  ist  zum  Theil  noch  jetzt  der  Fall.  Vorurtheile 
der  Ärzte,  Systemsucht,  falsche,  auf  der  Subjectivität  des  Beobachters  be- 
ruhende Wahrnehmungen  und  tausend  andere  Dinge,  wohin  besonders  Au- 
toritätsglauben und  blinde  Nachbeterei  gehören,  haben  hier  für  die  specielle 
Pathologie  und  Therapie  gewaltige  Irrthümer  hervorgebracht ,  und  es  hat 
sich  ein  ängstliches  Bestreben  zur  Classification  nach  einem  einseitigen  Fun- 
damente (Sthenie  und  Asthenie)  eingeschlichen,  welches  den  anfangenden 
praktischen  Ai'zt  leicht  verwirrt,  die  Aufmerksamkeit  von  dem  Wesentlichen 
der  Krankheit ,  von  der  Hauptsache ,  abzieht ,  und  leicht  zu  einem  verkehr- 
ten, nachtheiligen,  eingreifenden  und  heroischen  Heilverfahren  verleitet. 
Man  vergleiche  nur,  wie  verschiedenartig  sonst  berühmte  Männer  das  Bild 
dieses  Fiebers  zeichnen,  wie  widersprechend  ihre  Beschreibungen  sind!  — 
Beweis  genug ,  dass  in  der  Natur  und  am  Krankenbette  die  Sache  sich  an- 
ders verhält  als  in  den  Köpfen  und  Handbüchern  der  Ärzte.  Es  ist  eine 
höchst  falsche  Tendenz ,  die  Praxis,  die  Erfahrungen  am  Krankenbette  nach 
der  Theorie  zuzuschneiden;  wir  sollen  als  echte  Minister  der  Natur  nur  die 
Theorie  nach  der  Erfahrung  feststellen,  die  Erfahrung  nur  zur  Theorie  er- 
heben, nicht  aber  die  Theorie  der  Erfahrung  mit  Gewalt  aufdrücken.  Am 
besten  steht  sich  der  praktische  Arzt ,  wenn  er  von  allen  solchen  theoreti- 
schen Dingen  und  Fiebertheorien  der  neuern  Zeiten  gar  keine  Notiz  nimmt, 
wenn  er  dagegen  seine  Fieberkranken  nach  den  gründlichen,  auf  Erfahrung 
gestützten  Kenntnissen ,  die  ihm  eine  gute  generelle  Nosologie  und  Therapie 
djirbietet,  behandelt  und  bei  allen  Fiebern,  die  das  Bild  des  inflammatori- 
schen Fiebers  nicht  deutlich  darbieten,  sich  vor  jedem  activcn,  eingreifen- 
den Verfahren ,  besonders  vor  einer  reizenden,  erhitzenden  Behandlung,  we- 
nigstens in  den  ersten  Tagen  der  Krankheit,  in  Acht  nimmt.  Supponirt  er 
zn  früh  ein  wahres  Schwächefieber,  wo  vielleicht  nur  eine  Febris  gastrica, 
saburralis  oder  Febris  inflammatoria  nervosa  obwaltet,  so  ist  der  Schade, 
den  diese  Ansicht  auf  seine  Curmethode  hat,  nicht  zu  berechnen.  Denn  es 
ist  ein  wahres ,  grosses ,  ewiges  Naturgesetz ,  dass  aus  dem  Idealen  das  Reale 
wird,  dass  die  Idee  die  Welt  regiert  und  umgestaltet.  Dieses  Gesetz  lässt 
sich  im  Moralischen,  wie  im  Physischen  nachweisen  Man  halte  einen  gu- 
ten Menschen  nur  fortwährend  für  schlecht  und  böse,  behandle  ihn  darnach, 
und  —  er  wird  schlecht  werden.  Man  halte  nur  in  der  Idee  irgend  ein 
Fieber  für  eine  wahre  Febris  typho.sa,  man  glaube  nur,  dass  der  Kranke 
an  wirklicher  Schwäche  leide,  man  behandle  demnach  ihn  reizend,  stimuli- 
rend ,  stärkend,  wo  Antiphlugistica,  Evacuantia,  Antigastrica  vielleicht  die 
wahren  Mittel  gewesen  wären ,  und  man  wird  bald  dasjenige  durch  Kunst 
oder  richtiger  durch  Unkunst  aus  dem  Fieber  machen,  was  man  fälschlich 
supponirte  gefunden  zu  haben ,  ehe  es  da  war.  Doch  die  Zeit  ist  endlich 
gekommen,  wo  man  diese  Missgeburt,  Reste  des  Brownianismus,  zum  Wohle 
der  Menschheit  immer  mehr  und  mehr  auszurotten  sich  bestrebt.  Ja,  es 
scheint  sogar,  als  wenn  man  schon  ins  andere  Extrem  übergehen  wollte; 
wenigstens  leiten  unsere  Jüngern  Ärzte  fast  alle  Nervenfiebnr  von  Exanthe- 
men in  den  Gedärmen,  in  der  Ileo- Coecalgegend,  von  Ileitis,  Ileo- Ente- 
ritis, Phlebitis  ab,  und  glauben  ohne  Application  von  einem  halben  Schock 
Blutegel  an  den  Unterleib  nicht  fertig  werden  zu  können ,  indem  sie  als 
echte  Anhänger  von  tiron^sais  Diesem  jetzt  in  Deutschland  noch  nachfolgen, 
da  er  in  Pnris,  sowie  in  ganz  Frankreich,  längst  als  einseitiger  Praktiker 
erkannt  worden  i.st.  Man  hat  mit  dem  Worte  Nervenfieber  verschie- 
dene Begriffe  verbunden,  die  leicht  confundiren  können,  wenn  man  die  An- 


^  FEBRIS  ^27 

sieht  des  Autors   nicht  kennt.     Einige  verstehen  dai'unter  schlechtweg  ein 
asthenisches   oder  Schwächefieber   (der    schiechteste   Begriif,    der    zahllose 
Missgriire  für  die  Praxis  zur  Folge   gehabt   hat  und  noch  hat);   Andere  ein 
Fieber  mit  hervorstechenden  Nervensymptonien ;  noch  Andere  ein  Fieber  mit 
uiu'egehnässigem  Verlauf,  mit  unzusauimenhängenden ,  ja  sich  widersprechen- 
den Erscheinungen  (Seile,  Pyretologia,  p.  266.     P.  Frank,   Epitome.  L.  I. 
p.  21,  56,  93).      Für   klinische  Zwecke   ist   es  durchaus    nothwendig,    ge- 
wisse Unterschiede,  die  am  Krankenbette  nachgeAiesen  werden  können,  an- 
zunehmen.    Demnach  unterscheide  ich   1)  nervöses  BMeber   (^Febris  ner- 
vosa)   und   2)  Nervenfieber   (Ftbm   neuropathica^ ,    lege   diesen  Fiebern 
aber  nicht  den  Namen  Seh wächefi eher  bei,  denn  berühmte  Autoren  ge- 
stchen, dass  hier  nicht  immer  wahre  Schwäche  stattfinde  {Richter,  Berends), 
was    auch  die  Erfahrung    als  richtig  bestätigt.     Wenn  wir    in  den  medicmi- 
schen  Schriften  aus  der  Brown'schen  Periode  (vom  Jahre  1796 — 1810)  von 
einem  typhösen  Fieber,  von  Febr.  typhodes,  Typhus  lesen ,  so  muss  uns  dies 
nicht  irre   machen.      In  jener  Zeit  nannte  man  jedes  Fieber  mit  Betäubung, 
die  ausgebildete  Synocha  nervosa,    daher  selbst  das  Fleckfieber  Typhus  (s. 
Typhus).   —    1)  Febris  ncrvusa,   das    nervöse   Fieber.     Ist  ein  Fieber 
mit  nervösem  Charakter,  d.  h.  mit  irritabler  Schwäche,  mit  Sinken  der  Le- 
bensthätigkeit  in  einzelnen  Systemen,  besonders  im  Blut-  und  Muskelsysteni. 
Dieses  nervöse  Fieber,  oder  richtiger:  Fieber  mit  nervösen,  typhö- 
sen  Zufällen,    ist   stets   etwas    Secundäres,    ist   Folge    eines 
andern  vorausgehenden  Fiebers,  besonders  Folge  des  entzündlichen, 
synochischcn  Fiebers,    wenn  dieses  entweder  zu  schwächend  (bei   schwäch- 
lichen Subjecten) ,  oder  zu  wenig  schwächend  (bei  robusten  Subjecten),  oder 
gar   reizend,    incitirend ,    stärkend   behandelt  wurde   (s.  oben   Febris   in- 
flamra  ator  ia).      Besondere   Neigung   zu    diesem   Fiebercharakter   hat   dio 
Synocha  nervosa  bei  erhitzender  Behandlung ;  auch  die  Febris  biliosa  secun- 
daria und    die  saburralis  wird    leicht  zur  Febris  nervosa,    wenn  die  auslee- 
renden  und    kühlenden   Mittel    versäumt ,    wenn    hitzige    Dinge    angewandt 
werden,    und    ein  hoher  Wärmegrad  des  Zimmers  stattfindet.     Symptome 
des  nervösen  Fiebers  und  des  Status  nervosus  sind:    grosse  Empfindlichkeit 
der  Sinne,    traumvoller,    unruhiger  Schlaf,    Eingenommenheit,    Gefühl  von 
Leerheit  des  Kopfes,    Schwindel,   Ohrensausen,    leichtes  Irrereden,   trockne 
Zunge,   Zittern  der  Glieder,   Hastigkeit   in  allen  Körperbewegimgen ,    doch 
ohne   Energie   und   Ausdauer,    klarer,    etwas   röthlicher   Urin,    Gefühl   von 
Leichtigkeit ,  von  flüchtigen,  reissenden  Schmerzen  in  den  Gliedern ,  trockne, 
heisse  Haut,    Calor  mordax,    Appetitmangel,   Magenschmerz,    Druck   in  der 
Herzgrube ,  Empfindlichkeit  der  Lebergegend ,  bald  viel ,  bald  wenig  Durst, 
schneller,  frequenter,  weicher,  aber  nicht  immer  ganz  schwacher,   oft  aber 
unregelmässiger   Puls,    der    wol    120 — 130   in   der   Minute   zählt;    klebrige 
Schweisse,   Neigung  zu   Diarrhöe.     Ausserdem   bemerken   wjr   alle   Zeichen 
wahrer  Schwäche  (s.  Adynamia).     Verlauf.     Kann  bei  eintretender  Ge- 
nesung doch  mehrere  Wochen  währen ,   ehe   der  Kranke  wieder   zu  Kräften 
kommt,   selbst  Hektik  kann    die  Folge   seyn.     Erfolgt   der  Tod,    so  nimmt 
das   Fieber   erst   einen    putriden   Charakter    an    und    der  Mensch   stirbt   am 
14ten,    17ten,    Slsten,   25sten  Tage   an  Paralvse.      Nie  erfolgt  bei   diesem 
secundären ,   nervösen  Fieber   der  Tod   durch  Apoplexie   oder  Convulsionen. 
Ursachen.     Weibliches  Geschlecht,    zarte  Kinder,    Wöchnerinnen,    men- 
struirte  Frauenzimmer,  schwächliche  Männer  bei  Vita  sedentaria,  Personen, 
die  durch  deprimirende  Leidenschaften,   durch  Kummer  und  Elend  gelitten, 
haben  die  meiste  Anlage  dazu.     Gelegentliche  Ursachen  sind  ausser  Diätfeh- 
lern vorzüglich  die  verkehrte  Behandlung  entzündlicher  und  galliger  Fieber, 
ein  zu  actives  Verfahren  von  Seiten  des  Arztes  zur  Zeit  der  bevorstehenden 
Krisen,  also  am  5ten,  7ten,  9ten,  Uten,   14ten  Tage  gewöhnlicher  Fieber, 
an  welchen  Tagen    der   entzündliche  Fiebercharakter   auch   vorzugsweise   in 
den  nervösen  überzuspringen   pflegt.     Behandlung.      1)  Am   besten   ists, 
man  verhüte  durch   richtige  Behandlung   des  primären,    nicht  nervösen  Fie- 
bers dieses   corrumpirte  Ding:   die  Febris  nervosa.    Doch  bteht  dies  nicht 


728 


FEBRIS 


immer  in  unserer  Gewalt.  Auch  der  herrschende  Krankheitsgenius  spricht 
etwas  mit.  Auch  Diätfehler  und  heftige  Gemüthsbewegungen  können  ohne 
Schuld  des  Arztes  bei  zarten  Subjecten  die  Metamorphose  in  Febris  nervosa 
bewirken.  2)  Bei  der  Diagnose  des  wahren  typhösen  oder  nervösen  Cha- 
rakters übereile  man  sich  ja  nicht;  besonders  halte  man  die  Zeichen  der 
Synocha  nervosa  und  die  der  bevorstehenden  verschiedenen  Krisen  bei  acti- 
ven,  inflammatorischen,  mit  Localentzündungen  verbundenen  Fiebern  nicht 
für  die  Zeichen  der  Febris  nervosa  (s.  Febris  und  Febr.  inflammato- 
ria).  Höchst  wichtig  ist  es,  die  nervösen  Zufälle,  die  im  "Verlaufe  der 
exanthematischen  Fieber,  des  Typhus  petechialis ,  abdominalis,  der  Scarla- 
tina,  der  Blattern,  Masern,  der  Enteritis,  Ileitis  etc.  eintreten  können, 
nicht  sogleich  für  eine  echte  Nervosa  zu  halten  und  reizende,  erhitzende 
Mittel  zu  verordnen.  Weit  häufiger  ist  der  Charakter  hier  synochisch- ner- 
vös und  erfordert  ganz  andere  Arzneien  (s.  Febr.  Inflam matoria  ner- 
vosa). Selbst  die  Febris  miliaris,  die  Febr.  aphthosa  und  Febr.  petechia- 
lis, welche  Sinidelin  (^Horiis  Archiv,  1826,  Jan.  u.  Febr.,  S.  6)  exanthe- 
matische  Nervenfieber  nennt,  rechne  ich  nicht  hierher,  obgleich  ihnen  ein 
Stadium  nervosura  zugeschrieben  werden  kann.  Um  alle  Missgriffe  zu  ver- 
meiden, verhalte  man  sich  hier  in  den  ersten  Tagen  mehr  passiv  als  activ, 
handle  symptomatisch,  verordne  bei  Durchfällen  Emuls.  sem.  papav.  albi, 
ganz  rein;  sind  keine  Durchfälle  da,  so  gebe  man  Infus,  valerianae  mit  et- 
was Spirit.  Mindereri  und  Vin.  stibiat. ;  ist  ein  hoher  Grad  von  Schlaflosig- 
keit und  Nervenreizbarkeit  da,  so  gebe  man  des  Abends  eine  Dosis  Pulv. 
Doweri.  Vor  dem  anhaltenden  Gebrauche  des  Opiums,  der  Valeriana,  Ser- 
pentaria,  Arnica,  besonders  aber  des  Kamphers,  hüte  man  sich  sehr.  Man 
kann  auch  wol  24  Stunden  und  länger  alle  Arznei  aussetzen  oder  etwas 
Unwirksames  verordnen,  und  beobachten,  wie  sich  der  Kranke  befindet; 
besonders  ist  dies  nöthig,  wenn  unsere  Reizmittel  das  Blutsystem  sehr  auf- 
geregt haben.  Nicht  selten  entsteht  dann  ein  allgemeiner,  warmer 
Schweiss,  der  Puls  hebt  sich,  wird  langsamer  und  die  Krankheit  hat  sich 
hierdurch  gebrochen  (M.).  Wichtig  ist  es,  die  hervorstechenden  Symptome 
der  Febris  nervosa  während  des  Krankheitsverlaufes,  die  nach  den  ursäch- 
lichen Momenten,  nach  Alter,  Constitution  etc.  verschieden  seyn  können, 
gehörig  zu  würdigen.  Wir  unterscheiden  hier  folgende  Fälle :  a)  Febris 
nervosa  erethistica,  subinflammntoria,  sonst  Typhus  versntilis ,  Fehr.  nervosa 
versntilis  (jFVrtJiA)  genannt,  das  erethistische  Nervenfieber.  Es  ent- 
steht am  häufigsten  sporadisch,  bei  jungen,  blühenden,  reizbaren  Kindern  in 
der  Dentitionsperiode,  bei  Jünglingen  und  Mädchen  in  der  Pubertät,  bei 
sensiblen  Frauen  während  der  Menstruation  und  im  Wochenbette,  wenn 
schon  vorher  Kränklichkeit  da  war,  oder  wenn  heftige  Gemüthsbewegungen, 
starke  Erkältung,  schwächende  Einflüsse  etc.  einwirkten.  Symptome. 
Schneller  Wechsel,  grosse  Mannigfaltigkeit  und  Widerspruch  in  allen  Sym- 
ptomen, heftige  Delirien,  bald  von  fröhlicher,  bald  von  trauriger  Art,  hy- 
sterische Verstimmung  des  Nervensystems,  zuweilen  Convulsionen ,  abwech- 
selnd bald  sehr  schneller  und  kleiner,  bald  härtlicher  Puls,  der  zuweilen 
selbst  normal,  sogar  langsamer  geht,  obgleich  zugleich  die  Hauttemperatur 
und  Respiration  oft  verändert  ist  —  dies  sind  charakteristische  Zeichen. 
Ausserdem  mangeln  die  Zeichen  irgend  einer  Localentzündung,  und  Diar- 
rhöen sind  nicht  immer  dabei.  Cur.  Die  Krankheit  ist  nicht  gefährlich, 
verschwindet  bei  gelinden  Mitteln  oft  in  wenigen  Tagen.  In  den  meisten 
Fällen  passt  ein  temperirendes  Verfahren ,  kühle  Luft ,  reizlose  Diät ;  bei 
Kindern  Emulsio  sem.  papav.  albi  mit  etwas  Nitrum,  Crem,  tartari;  bei 
Erwachsenen  zuerst  oft  ein  Vomitiv,  dann  Pot.  Riverii  mit  Infus,  valeria- 
nae, menth.  crispae,  Abends  '/^  Gran  Opium  als  Pulv.  Doweri,  höchstens 
2 — 3  Abende  gereicht,  zum  Getränk  Elix.  acid.  Halleri  mit  Syr.  rub.  idaei, 
mit  Wasser  vermischt.  Bei  etwaiger  Leibesverstopfung  versäume  man  die 
Klystiere  nicht,  bei  heftiger  Diarrhöe  gebe  man  Emuls.  sem.  papav.  albi 
5vjjj,  Syr.  diacod.  gj.  M.  S.  Stündlich  1  Esslöffel  voll.  Auf  diese  Weise 
ährt  man  am   besten.     Sind  heftige  Convulsionen    da,    so  gebe   mau  Flor. 


1 


FEBRIS  729 

einci  mk  Castoreum  und  Thee  von  Flor,  chamornillae.  Arnica  und  Hyoscya- 
mus ,  Kampher  mit  Serpentaria  passen  bei  dieser  Fieberform  gar  nicht. 
Epidemisch  entsteht  diese  Krankheit  zuweilen  bei  exantheraatischen  Fiebern, 
indem  die  Synocha  nervosa  vorhergeht ,  deren  richtige  Behandlung  das  Übel 
verhütet  (s.  Febris  inf lammatoria).  Dass  SurtWc/in  die  Febris  nervosa 
erethistica  von  der  Febr.  nervosa  versatilis  Frnnk's  trennt  (s.  Horiis  Archiv, 
1826,  Jan.  u.  Febr.,  S.  4),  dazu  ist  kein  triftiger  Grund  vorhanden;  es 
sind  zwei  Stadien  einer  und  derselben  Krankheit ,  die  im  zweiten  Stadium 
den  Gefässerethismus  nur  weniger  heftig  als  im  ersten  zeigt  (Mcs()-  b)  Fe- 
hris  nervosa  lenta ,  das  schleichende  Nervenfieber,  richtiger  schlei- 
chendes, hektisches  Fieber  mit  nervösem  Charakter.  Ist 
häufig  der  Begleiter  der  Auszehrung,  besonders  der  Lungenschwindsucht  (s. 
Febris  lenta  nervosa);  in  andern  Fällen  entsteht  es  aus  der  Febris 
nervosa  acuta,  richtiger  Synocha  nervosa,  und  kann  dann  in  die  Febris  pa- 
ralytica  Himhj,  d.  i.  Febris  nervosa  torpida,  stupida,  übergehen.  Sym- 
ptome und  Cur;  s.  Febris  hectica.  c)  Febris  nervosa  stupida,  lor" 
pida ,  nervöses  Fieber  mit  Torpor  ( Typhus  cotnatodes  Sauvages ,  Le- 
thargus Vogel).  Tritt  wol  niemals  als  primäres  Leiden  auf,  ist  in  der  Re- 
gel ein  böser  Ausgang  der  Synocha  inflammatoria,  der  Synocha  nervosa,  der 
Febris  lenta  inilammatoria  und  nervosa;  auch  nehmen  epidemische  Schleim- 
iieber,  epidemische  Gallentieber ,  die  sich  noch  am  7ten,  9ten  Tage  nicht 
durch  Krisen  entschieden,  wo  Fehler  in  der  Diät  und  Behandlung  stattfan- 
den, wo  die  Evacuantia  versäumt  und  durch  narkotische  und  andere  Mittel 
Unheil  angerichtet  worden,  leicht  diesen  Charakter  an.  Symptome. 
Stumpfheit  des  Emptindungsvermögens  und  der  Sinne,  langsame  oft  stam- 
melnde Sprache,  trockne,  mit  kalten  Schweissen  bedeckte  Haut,  halbge- 
schlossene, blasse,  matte  Augen,  viel  Schläfrigkeit,  zuweilen  noch  Calor 
mordax  und  hochrother  Urin,  veränderte  Gesichtsfarbe.  Der  Puls  geht  an- 
fangs noch  frecjuent ,  später  gleichmässig ,  langsam ;  alsdann  fehlt  oft  alle 
Hitze.  Die  Kranken  liegen  in  soporösera  Schlummer,  woraus  sie  schwer  zu 
ermuntern  sind,  sind  höchst  unbesinnlich,  gleichgültig,  träge,  leiden  oft  an 
Schwerhörigkeit,  später  an  Friesel,  Aphthen,  an  Leibesverstopfung,  Me- 
teorismus, Diarrhöen.  Cur.  1)  Man  berücksichtige  die  anamnestischen 
Zeichen.  Ging  Schleim-  oder  Gallenfieber  vorher,  so  passt  in  den  meisten 
Fällen  zuerst  ein  kräftiges  Vomitiv,  dann  gebe  man  Arnica  mit  Salmiak  und 
lege  ein  Vesicatorium  in  den  Nacken.  Kommt  darnach  mehr  Leben,  mehr 
Reactionsfieber,  zeigen  sich  dabei  Blutcongestionen  zum  Kopfe,  so  mache 
man  kalte  Kopf  umschlage ,  kalte  Sturzbäder,  die  auch,  wenn  sie  schnell  und 
periodisch,  nicht  anhaltend,  dauernd  angewandt  werden,  als  kräftige  Reize 
zu  betrachten  sind.  2)  Man  behandle  das  hervorstechende  Symptom:  den 
Torpor,  Stupor,  man  excitire  mit  Serpentaria,  Arnica,  Wein,  Sal  volatile, 
lege  an  verschiedene  Stellen  Vesicatorien  und  Senfteige ,  gebe  bei  trockner, 
dünner  Haut  Kampher  mit  Gewürzen,  Faba  pichurim,  Ol.  cajeputi;  und 
wenn  die  Besserung  fortschreitet,  so  verbinde  man  die  flüchtigen  Reizmittel 
mit  gewürzhaften,  fixem,  roborirenden  Arzneien:  Cort.  Winteran, ,  auran- 
tior. ,  chinae,  Rad.  cal.  aromat. ,  galangae.  Kubeben,  Terpenthin,  wie  bei 
Febris  lenta  pituitosa.  Dabei  sind  gute  Nutrientia,  animalische  Kost,  Ge- 
bratenes, heisse  Weine,  Madeira,  Mallaga,  frische  Luft,  Bewegung  im 
Sonnenscheine,  stärkende  Bäder,  Frottiren  des  Körpers  mit  der  englischen 
Fleischbürste  (s.  Frictio)  sehr  zu  empfehlen,  d)  Febris  nervosa -ptitrida, 
nervöses  Fieber  mit  Zufällen  von  Fäulniss.  Ist  der  Übergang 
des  nervösen  Fiebers  in  Faulfieber,  oder  es  geht  eine  Synocha  nervosa, 
eine  Febris  lenta  inflammatoria  durch  falsche  Behandlung  und  Diätfehler,  be- 
sonders durch  heisse  Zimmerluft,  durch  atmosphärische  Verderbniss  in  die- 
sen Zustand  über.  Cur.  Die  des  Faultiebers;  reine  und  kalte  Luft,  kalte 
Sturzbäder  und  innerlich  Mineralsäuren  und  China  sind  die  Hauptmittel  (s. 
Febris  putrida),  2)  Febris  neuropathica,  das  eigentliche  Nervenfie- 
ber. Ist  ein  Fieber  mit  primärem  hervorstechenden  Leiden  des  Nervensy- 
stems,  daher   icli  ea  auch  Febris   neuropathica,   nicht  Febr.  nervosa  s.  ty- 


730  FEBRIS 

phosa  nenne,  wegen  der  vorherrschenden  Affection  des  Gehirns,  des  RGcken- 
niarkä  und  der  Gangliennerven,    die  aber  nicht  auf  Adjnainie    dieser  Orga- 
nenreilie  beruhet.     Daher  ist  es  auch  kein  Sohwäoliefieber,  obgleicii  in  sei- 
nem Verlaufe  wahre  Schwäche,  wie  zu  jeder  Krankheit,  limzukuaunen  kann; 
es  ist  ein  Morbus   sui   generis,    schon    von  Anfang   an   mit   eigenthümlichem 
Charakter,    dessen    Symptome   nach    Verschiedenheit   der   Constitution,    der 
Witterung,    des    herrschenden    Krankheitsgenius    manche    Verscliiedenlieiten . 
darbieten,  —  eine  Krankheit,    die  in  Betretf  ihres  eigenthämiichen  Veiiaufs 
viel  Alinliches  mit  den  acuten  Exanthemen,  besonders  mit  den  primären  Pe- 
techien und   der  Scarlatina  hat,    und   deren  wesentliches  Symptom   die  Ty- 
phomanie  ist.     Sov^e  das  iniiammatorische  Fieber  in  der  Regel  etwas  Sym- 
ptomatisches  ist ,    dem   verschiedenartige   Localaffectionen ,    besonders   Ent- 
zündungen zum  Grunde  liegen :    ebenso  ist  dieses  Nervenfieber  in  allen  sei- 
nen verschiedenen  Formen  auch  nur  ein  solches,  wobei  fast  durchgängig  to- 
pische  Aifectionen  durch   die  Section   nachgewiesen   werden,    z.  B.   bei   der 
Febris  neuropathica  abdominalis  (^l^ijphus  abdominalis  Schüitlein,  Typhus  spo- 
radiais  Ponmier^  eme  Exanthembildnng  in  der  lleo-Coecalgegend  des  Darm- 
canals ,    die ,    gleich   andern   Exanthemen ,    ihren    bestimmten  Verlauf  nimmt 
"und  ohne  Nachtheil  für  den  Kranken  weder  durch   eine  eingreifende  schwä- 
chende,   noch  durch    eine   solche  reizende  Behandlung   gestört  werden   darf 
(s.  Magnus,  Dlssert.  de  Typho  abdominali.  VVürzb.   1826).     Ebenso  können 
andere   Localaffectionen    beim    Typhus    cerebralis    und  icterodes   (Phlebitis, 
Arteriitis  der  Aorta  descendens  etc.)  nachgewiesen  werden.     IVIan  könnte  also 
mit  Fug  und  Recht  fast   alle  Fieber  aus  der  Fieberlehre    streichen   und  sie 
würden  demnach  nur  noch  historischen  Werth  behalten.     Dass  dies  Verfah- 
ren für   ein   neues  System  der  Krankheiten  vielleicht   zeitgemäss  sey ,    kann 
wol  möglich  seyn.     Für  den  Praktiker   und  für    eine  mediciiiische  Encyklo- 
pädie  ists  aber  besser,   vorläufig  noch  beim  Alten  zu  bleiben.     Denn  1)  das 
Fieber  bleibt  doch  immer  das  Hauptsymptom  und  zugleich  der  Thermometer 
für  die  grössere  oder  geringere  Heftigkeit  der  etwa  obwaltenden  Inflammatio 
interna,  occulta.     2)  Es  ist  noch  nicht  ausgemacht,  ob  letztere  jedesmal  in 
noth wendigem  Causalnexus  zum  Nervenfieber  steht,    ob    sie   mitunter   nicht 
auch  etwas  Secundäres,    Folge  des  Fiebers  sey,    das   sich  erst  im  Verlaufe 
desselben  ausbildet.      Kann   die  Localaffection   nicht    auch    als    ein   anderer 
Morbus  sich  blos   mit   dem  B'ieber  verbinden  ?     Solche  Complicationen  kön- 
nen in  emer  Zeit  weit  häufiger  als  in  der  andern  vorkonunen ;   ja,  sie  kön- 
nen,   wie  die  Jahre  1826 — 1829  gelehrt  haben,   in    manchen  Epidemien  nie 
fehlen;    dennoch  sind  wir  nicht  berechtigt,    das  Wesen  der  Krankheit  darin 
zu  suchen;  denn  es  giebt  auch  Nervenfieber  sine  llco- Enteritide,  sine  En- 
teritide occulta,  sine  Eacephalitide,  Phlebitide  etc.     Daher  steht  es  iftit  die- 
sen Entzündungen   noch  schlimm,    luid  nur   die  Section  giebt  ims  volle  Ge- 
wissheit.     Dies    ist   der   Grund,    dass    ich   hier   das   ältere    Bewährte,    das 
praktisch  Brauchbare   dem  Neuern,    noch   nicht   genugsam  Bestätigten   vor- 
ziehe.    Auch  scheint  unsere  Zeit,    angeregt  durch   die  Aufmerksamkeit,    die 
Brotissnis'  Lehre  auf  den  Darmcanal  leitete,  den  Innern  Entzündungen,  den 
Subinflammationen ,    der  Inflammatio  occulta,    chronica   eine  zu   grosse  Aus- 
dehnung zu  geben,  und  es  ist  wahrlich  Zeit,  genauer  zu  unterscheiden,  um 
nicht  jeden  bei  der  Section  aufgefundenen  Blutflecken  sogleich  mit  dem  Na- 
men Entzündung    zu    stempeln,    sondern    auch    zu    bedenken,    dass  viele 
Veränderungen   nach   dem  Tode   in  der  Leiche  vor  sich  gehen,    die   also 
mit  der  Krankheit  im  Leben  in  keiner  Verbindung  standen  (vgl.  Spitta ,  Die 
Leichenöffnung   in   Bezug   auf  Pathologie   und  Diagnostik.    Stendal,    18-6). 
Symptome   des   Nerven  fiebers   im  Allgememen.     Sind   kaum  zu  be- 
stimmen.    Doch  sind  folgende  fast   allen  Arten  dieses  Fiebers  eigen :    1)  ein 
Stadium  prodromorum,  das  5,  7  bis  9  Tage  währen  kann,   ehe  die  Krank- 
heit selbst  da  ist.     Man  bemerkt  Uiüust,  Trägheit,    Zerschlageiiheit  in  den 
Gliedern,  periodisch  Unruhe,  Angst,  Verstimmung  des  Gemüths,  Verdriess- 
lichkeit,    Schlaflosigkeit   oder    viel    Schläfrigkeit,    traumvollen    Schlaf,    der 
gar  nicht  erquickt  und  nach  welchem  die  Ivi'aukca  höchst  ermattet  und  ab- 


FEBRIS  731 

gpspannt  erwachen.  Ansscrdem  ist  Mangel  an  Esslust,  Ekel,  Druck  in  der 
Herzgrube,  Empfindlichkeit  für  Sinneseindrücke:  grelles  Licht,  starkes  Ge- 
räusch, Idiosynkrasie  des  Geschmackssinns  zugegen.  2)  Diese  Vorboten  stei- 
gern sich  allraälig  immer  mehr,  und  nun  bricht  die  Krankheit  selbst  mit 
kurzem,  unbedeutendem  Froste  und  anhaltender,  bald  stärkerer,  bald  ge- 
linderer Fieberhitze  aus,  welolies  Fieber  Ähnlichkeit  mit  einem  Ka- 
tarrhalfieber  hat,  wobei  der  Ki'anke  mitunter  schon  delirirt,  ohne  ein- 
mal das  Bette  zu  hüten.  3)  Im  Verlaufe  dieses  Fiebers,  das  anfangs  eine 
Remittens,  später  eine  Continua  continens  ist,  sind  die  kritischen  Tage  und 
wirkliche  Krisen  wenig  zu  bemerken,  der  ganze  Gang  der  Krankheit  zeigt 
viel  Unsicheres ,  Unbestimmtes ,  Unregelmässiges ,  durchaus  nichts  Festes, 
Bestimmtes,  wie  bei  echten  inflammatorischen  Fiebern.  Die  Exacerbationen 
fallen  mehr  in  die  Morgenstunden ,  kommen  mehr  nach  Mitternacht  als  des 
Abends.  Zuweilen  klagen  die  Kranken  über  gar  keine  Schmerzen ,  zuwei- 
len aber  über  Kopfschmerz,  besonders  im  Hinterkopfe,  in  der  Orbita,  in 
der  Herzgrube,  in  der  Lebergegend,  in  den  Genitalien,  wo  Gefühl  von 
Dehnen  und  Ziehen  stattfindet  und  wohin  männliche  Kranke  besonders  viel 
greifen.  Mitunter  klagen  die  Kranken  auch  über  Halsweh,  Übelkeit,  Ma- 
gendiücken ,  über  rheumatische  Schmerzen  in  den  Gliedern.  Alle  diese 
schmerzhaften  Affectionen  wechseln  sehr,  so  dass  sie  binnen  48  Stunden  bald 
dasind,  bald  verschwinden.  Der  Puls  geht  stets  frequent,  meist  130  Schläge 
in  der  Minute,  ist  in  einigen  Fällen  und  zu  Anfange  der  Krankheit  mehr 
härtlich  und  regelmässig  als  weich  und  schwach.  Die  Haut  ist  bald  mit 
klebrigen  Schweissen  bedeckt,  bald  dürr,  brennend  (Calor  mordax),  die 
Zunge  ist  meist  dürr  und  trocken,  die  Respiration  schnell,  der  Durst  im 
geringern  Grade  der  Krankheit  gross ,  im  höhern  Grade  fehlt  er  oft  ganz ; 
ja,  es  stellt  sich  selbst  eine  Art  von  Wasserscheu  ein;  daher  die  Altern  die- 
ses Fieber  wol  Hydrophobia  spontanea  nannten  (^Sauvagesy  In  der  Höhe 
der  Krankheit  ist  die  Zunge  nebst  den  Lippen  oft  mit  braunen ,  schwarzen 
Krusten  überzogen;  stets  ist  Neigung  zu  Diari-höe  da,  die  Stuhlgänge  sind 
oft  dünn ,  stinkend ,  schwärzlich ,  selbst  blutig.  Der  Harn  ist  in  den  ersten 
14  Tagen  der  Krankheit  oft  wenig  verändert;  er  ist  nicht  ungewöhnlich  rolh, 
bleibt  meist  hell,  blass,  höchstens  bildet  sich  eine  kleine  Wolke  darin,  die 
eich  aber  nicht  senkt.  Nicht  selten  zeigen  sich  im  Verlaufe  der  Krankheit 
alle  Zeichen  wahrer  Schwäche,  also  eine  Complication  des  Nervenfiebers 
mit  nervösen  Zufällen  (s.  Fe  bris  nervosa):  grosse  Mattigkeit,  Zittern, 
Sehnenhüpfen,  Unvermögen  sich  aufrecht  im  Bette  zu  erhalten.  Haben  die 
Kranken  Neigung  zum  Schwitzen,  so  bekommen  sie  leicht  weisses  und  rothes 
Friesel  (s.  Miliaria,  Purpura),  desgleichen  Schwämmchen  im  Munde 
und  in  den  Digestionsorganen,  weshalb  man  die  Krankheit  dann  wol  Febris 
miliaris  nervosa,  Febris  aphthosa  genannt  hat.  4)  Meist  immer  ist  das  Ner- 
■venfieber  ein  solches,  das  sich  lange  hinzieht,  und  bei  günstigem  Ausgange 
sind  oft  8,  10  und  mehrere  Wochen  nöthig,  ehe  der  Kranke  wieder  zu 
Kräften  kommt.  Anschwellungen  der  Parotiden,  besonders  aber  der  lympha- 
tischen Drüsen  in  der  Nähe  der  Parotis ,  hält  man  für  ein  gutes  Zeichen 
der  Besserung ;  werden  sie  aber  plötzlich  platt,  verschwinden  sie  schnell,  so 
zeigt  dies  Gefahr  an.  Vor  dem  17ten,  SIsten,  28sten  Tage,  an  welchen  in 
schlimmen  Fällen  am  häufigsten  der  Tod  folgt,  findet  fast  gar  keine  Bes- 
serung statt.  Ja,  es  scheint  fast  gleichgültig  für  den  Gang  der  Krankheit 
zu  seyn ,  wir  mögen  geben  was  für  Mittel  wir  wollen.  Bösartige  Fieber 
dieser  Art ,  complicirt  mit  Encephalitis ,  Hepatitis ,  Enteritis  occnlta ,  mit 
Schleim-  und  Gallenfiebern ,  mit  Petechien,  mit  Febr.  putrida,  z.B.  die  so- 
genannten Lager-,  Hospital-,  Schiffs-  und  Kerkerfieber,  die 
Kriegspest,  auch  TyphitjS  co7itagiosus ,  pctechialis ,  icicrodes ,  ahdominnUSy 
Fehris  nervosa  jnitnda  genannt,  tödten  oft  schon  am  3ten ,  5ten ,  7ten  Tage 
besonders  wenn  der  Arzt  positiv  verfahrt  und  das  Schwächen  oder  Exciti- 
ren  übertreibt.  Der  Tod  erfolgt  in  den  meisten  Fällen  unter  Convulsionen 
oder  durch  Apoplexie.  Diagnose.  Der  Unterschied  z\>ischen  Nervenfie- 
ber und  nervösem  Fieber  ist  für  die  Praxis  sehr  wichtig;  denn  ersteres  er- 


732  FEBRIS 

fordert  bei  seinem  Auftreten  ein  mehr  negatives,    letzteres,  dessen  Cha- 
rakter wahre  Schwäche  ist,    mehr  ein   positives  Hellverfahren.     Die  Un- 
terscheidung  ist   nicht  ganz   leicht,    weil  die  Neuropathica   häufig   auch  ein 
Stadium  nervosum  (nach  dem7ten,  9ten  Tage)  durchläuft,  also  alsdann  alle 
Zeichen  der  Febris  nervosa  darbietet.      Die  Constitution   des  Kranken,    daa 
Auftreten   und   der   ganze  Verlauf   des  Übels ,    die  Eigenthümlichkeit   seiner 
besondern  Arten  und  der  herrschende  Krankheitsgenius  müssen  hier  wohl  be- 
rücksichtigt  werden.      Zur   Diagnose   dient:    «)  Nervöse   Fieber   sind   stets 
solche,  denen  andere  fieberhafte  Krankheiten  vorhergingen;  sind  etwas  Se- 
cundäres,  haben  also  kein  Stadium  prodromorum;  die  Nervenfieber  sind  da- 
gegen etwas  Primäres,    die  oft  ein  langes  Stadium  der  Vorboten    und  einen 
langsamem  eigenthümlichen  Verlauf  haben ;  nicht  selten  auch ,  wie  die  exan- 
thematischen  Fieber,    sehr  gut  verlaufen,   wenn  nur  jedes  heftige,    positive 
Heilverfahren  vermieden  wird  (s.  Typhus   abdominalis),      b)  Alle  ner- 
vöse Fieber  sind  corrumpirte  Krankheiten ,   unglückliche  Ausgänge   gewöhn- 
licher  gutartiger  Fieber ,    deren  Ursachen   meist    immer   in   verkehrter  Diät 
und  Behandlung   liegen  ;    dagegen  sind  die  Nervenfieber   keine  corrumpirteu 
Krankheiten,  keine  Krankheitsausgänge,  kein  Übergang  in  wahre  Schwäche, 
sondern  eine  eigenthümliche  Krankheit,   begründet  in  primär  hervorstechen- 
dem Leiden  des  Nervensystems    ohne  walirc  Adynamie.      c)  Die  Febris  neu- 
ropathica erscheint  in  der  Regel  als  epidemisches,    miasmatisches    oder  con- 
tagiöses  Übel,    seltener  sporadisch;    die  Febr.  nervosa  ist  stets  etwas  Spo- 
radisches,    d)  Durch  zweckmässig  angewandte  gelindere  oder  stärkere  Exci- 
tantia  und  Nervhia  können  wir,  besonders  bei  der  Nervosa  stupida,  torpida, 
oft  noch  viel  ausrichten ;    bei  der  Febr.  neuropathica  passen  sie  zu  Anfange 
gar   nicht,    und  auch  im  Verlaufe   nur  dann,    wenn   wirklich  nervöse  Sym- 
ptome hinzutreten ,  aber  auch  hier  noch  mit  der  grössten  Vorsicht.    Mir  sind 
Epidemien   der  F'ebr.  neuropathica  vorgekommen ,    wo  die  Kranken  bei   ge- 
linden kühlenden  Mitteln:    Cremor  tartari,  Molken,    Buttermilch  etc  ,   ohne 
Arzt  am  schnellsten  und  sichersten  genasen;  dagegen  starben  da,  wo  Arzte 
gebraucht  wurden,  meist  die  Hälfte  der  Kranken,  indem  diese  die  Idee  von 
Asthenie  und  deren  Gegengift:    Wein,  Kampher,    Opium,   Arnica  etc.  nicht 
fahren  lassen  wollten.     Auf  diese  Ärzte  passt  ganz  das  Ciceronianische :  „ut 
fuerit  melius,   non  didicisse"  (Tusc.  quaest.  Lib.  IL),      c)  Die  Febris  ner- 
vosa tödtet  bei  üblem  Ausgange  am  häufigsten  durch  Erschöpfung  oder  un- 
ter den  Zeichen  der  Putrescenz ,    die  Neuropathica   häufiger   durch  Convul- 
sionen  und  Apoplexie,   besonders  in  den  ersten  14  Tagen  und  bei  reizender 
Curmethode.      f)  Die  Febris  nervosa  macht,   wenn  nicht   zufällig   ein  wohl- 
thätiger  Schweiss   eintritt,   was  selten  der  Fall   ist,    gar  keine  Krisen;    die 
Febris  neuropathica  macht  dagegen  Krisen,  besonders  durch  den  Darmcanal, 
die  nicht   gestört  werden   dürfen    (s.  unten  Febris    neuropathica   cum 
Enteritide,  Ileitide),    und  durch  Hautausschlag,  der  indessen  oft  erst 
am  Ende  der  Krankheit  erfolgt,    wie  ich  dieses    ganz  so  wie  Dr.  Heifjeldcr 
(s.  Hechcr's  Annalen  ,  1830,  Januar)  in  drei  Fällen  beobachtet  habe.     Auch 
durch   den  Urin   finden  Krisen   statt   (s.   Febris   putrida).      g)  Obgleich 
jede  ausgebildete  Febris  neuropathica  kürzere  oder  längere  Zeit  ein  Stadium 
nervosum  zu  durchlaufen  pflegt,   obgleich   es  einzelne  Epidemien  giebt,   wo 
dieses  Stadium  früh  auftritt  und  sich  lange  hinzieht  (s.  Febris  neuropa- 
thica  cum  Febre   nervosa),   so  bleibt  das  echte  Nervenfieber  dennoch 
wesentlich  von  der  Febr.  nervosa  verschieden    und    der  Unterschied  ist  hier 
ebenso  gross ,  wie  zwischen  Febr.  morbillosa  und  Febr.  inflammatoria.    /i)  Zu 
nervösen  Fiebern  prädisponiren  nur  schwächliche  Naturen,  zum  Nerveiifieber 
oft  recht   robuste,   junge  Subjecte,    die   ein  Übermass   von   Saft   und   Kraft 
besitzen,  besonders  solche,    die  sich  in  der  Pubertätszeit  befinden.     Ursa- 
chen   des  Nervenfiebers.     Prädisposition  geben    das  jugendliche   und  männ- 
liche Aller,    und  sowol  die  robuste   als  die  zarte  Constitution.     Kinder   und 
Greise  bleiben  am  meisten  davon  verschont.     Jünglinge  und  Mädchen  in  der 
Pubertätsperiode  bekommen  die  Krankheit  am  häufigsten;  Frauen  und  Män- 
uu'   bis  zu  40  Jalurea   bleiben  uuch  nicht   immer  verschont.     Die  Krankheit 


FEBRI3  733 

herrscht  am  häufigsten  epidemisch,  selten  rein,  sehr  oft  mit  gastrischen  Be- 
schwerden, mit  Kopfaffectionen  oder  Exanthemen  verbunden.  Die  einzelnen 
Bpideroien  bieten  grosse  Mannigfaltigkeiten  dar;  in  einigen  verschont  die 
Krankheit  die  robusten  Naturell  und  greift  die  schwachen  an,  in  andern  ists 
umgekehrt.  Überhaupt  wird  bei  uns  das  Nervenfieber  durch  den  herrschen- 
den Krankheitsgenius  fast  immer  so  moditicirt,  dass  uns  nur  eine  richtige 
Einsicht  in  diesen  Genius  bei  der  Behandlung  solcher  B'ieber  richtig  zu  lei- 
ten im  Stande  ist  (s.  Constitutio).  Die  vorzüglichste  Ursache  liegt  in 
unbekannten  atmosphärischen  Einflüssen ,  in  der  Luftconstitution ,  und  eine 
der  ersten  gelegentruihen  Ursachen  ist  heftige  Erkältung  in  solchen  Zeiten. 
Auch  bedeutende  Gemüthsbewegnngon,  deprimirende  Leidenschaften,  Kum- 
mer ,  Elend ,  unreine  Luft  in  Thälern ,  die  von  Bergen  eingeschlossen  sind, 
können  dazu  beitragen.  Ausserdem  scheint  das  epidemische  Wechselfieber, 
sowie  die  Influenza  den  ganzen  Krankheitscharakter  zur  Neuropathica  und 
Gastrica  auf  mehrere  Jahre  verändern  zu  können.  .  Man  vergleiche  deshalb 
nur  die  epidemischen  Krankheiten  der  Jahre  1742  — 1746,  1762 — 1768, 
1782—1789,  1802—1808,  und  1826,  wo  das  epidemische  Wechselfieber 
als  europäisches  Sommerfieber  auftrat,  bis  in  die  letztern  Jahre  (1830  fg.), 
mit  einander,  und  man  wird  finden,  das  sich  jedesmal  nach  den  Jahren 
1742,  1762,  1782,  1802  und  1826  der  Krankheitsgenius  geändert  und  aus 
dem  rein  inflammatorischen  der  gastrisch  -  nervöse ,  richtiger  gastrisch- 
neuropathische,  geworden  ist.  Prognose.  Ist  mehr  gut  als  schlecht; 
doch  ist  sie  verschieden  nach  der  Constitution ,  nach  der  Form  des  B'iebers, 
nach  den  günstigen  oder  ungünstigen  Lebensverhältnissen,  nach  der  mehr 
oder  weniger  zweckmässigen  Behandlung  etc.  Behandlung.  Lässt  sich 
im  Allgemeinen  kaum  bestimmen.  Sie  ist  nach  Verschiedenheit  der  Fieber- 
form, nach  den  verschiedenen  Zeiträumen  der  Krankheit  und  nach  den  ver- 
schiedenen Complicationen  sehr  verschieden ;  bald  derivirend ,  temperirend, 
beruhigend,  bald  ausleerend,  krampfstillend,  reizend,  excitirend.  Für  de^ 
Praktiker  sind  daher  folgende  Cautelen  höchst  wichtig:  1)  Im  Stadio  pror- 
dromorum  können  wir  die  ganze  Krankheit  oft  unterdrücken,  wenn  wir  dem 
Unpässlichen  ein  Vomitiv  geben ,  und  hinterher  ein  Diaphoreticum  aus  Spir. 
Mindereri,  Vin.  stibiat.  und  Aq.  flor.  sambuci.  Ist  das  Übel  aber  schon 
wirklich  ausgebrochen,  so  dürfen  wir  ohne  gehörige  Indication  nicht  vomi- 
ren  lassen.  Heftige  Purgirmittel,  die  man  wol  als  Präservative  empfohlen 
hat,  sind  dagegen  höchst  nachtheilig.  Doch  giebt  es  Fälle  (ich  selbst  habe 
dergleichen  mehrere  erlebt),  wo  die  Krankheit  bei  den  ersten  Vorboten  durch 
Glühwein  und  Punsch  mit  darauf  folgendem  Rausche  und  starker  Transspi- 
ration  im  Keime  erstickt  wird.  Männer,  die  an  Wein  gewöhnt  sind,  mö- 
gen dies  wol  am  ersten  riskiren  können ,  weniger  Frauenzimmer  und  Kin- 
der. Hier  möchte  das  Nervenfieber  dadurch  zur  Sjnocha  nervosa  mit  ört^ 
liehen  Entzündungen  gesteigert  werden.  2)  In  unsern  Gegenden  von  Nord- 
deutschland tritt  das  Nervenfieber  oft  mit  gastrischen  Beschwerden  compli- 
cirt  auf  (s.  Fe  bris  neuropathica  gastrica).  Dies  war  besonders  der 
Fall  in  und  um  Rostock  im  Jahre  1829,  besonders  in  der  Sommer-  und 
Herbstzeit.  Hier  zeigen  sich  gleich  neben  den  allgemeinen  Symptomen  gelb 
und  weisslich  belegte  Zunge,  bitterer  Geschmack,  Übelkeit.  Cur.  Zuerst 
ein  Vomitiv  aus  reiner  Jpecacuanha ,  später  Potio  Riverii  mit  Aq.  flor.  sam- 
buci, bei  anhaltenden  Durchfällen  Emuls.  sem.  papav.  albi  mit  Syr.  diaco^ 
dion.  Man  stopfe  hier  die  Diarrhöe  ja  nicht  zu  früh  durch  Opium.  3)  Häu- 
fig ist  das  Nervenfieber  mit  Unterleibsleiden,  besonders  mit  partieller  eigen- 
thümlicher  Entzündung  und  Exanthembildung  der  lleo  -  Coecalgegend  des 
Darmcanals ,  welche  Hufelnnd  ganz  richtig  zuerst  mit  dem  Namen  Ileitis 
pustulosa  (s.  dess.  Journ.,  1830,  St.  4)  bezeichnet,  mit  Enteritis  und  He- 
patitis occulta  verbunden.  Daher  ist  es  nothwendig,  diese  Verschiedenhei- 
ten genau  zu  unterscheiden.  3)  Fehris  neuropathica  cum  EntcriiUle ,  Ileitide 
(Typhus  abdominalis  der  Neuern;  s.  dies.  Art.).  Das  Nervenfieber  mit  so- 
genannter Darmentzündung  hat  folgende  Symptome:  das  Stadium  der  Vor- 
boten  ist  nicht  bedeutend ,    dauert  höchstens  3  ■ —  5  Tage ,    die  Nervenver- 


'    734  FEDRIS 

Stimmung  ist  auch  nicht  sehr  gross,  viele  der  angegebenen  Zeichen  dieses 
Stadiums  fehlen;  dagegen  sind  als  Vorboten  katarrhalische  AfFectionen,  ge- 
linde katarrhalische  Fieberbewegungen,  etwas  Husten,  Reiz  zum  Niesen, 
trockne  Nase ,  thränende  Augen ,  Reiz  zum  Husten  constant.  Die  eigent- 
liche Krankheit  tritt  mit  Frost  und  anhaltender  Hitze,  mit  vielem  Durste, 
Angst,  Unruhe,  Kopfschmerz,  Delirien  auf,  der  Puls  schlägt  120  bis  130, 
ist  nicht  immer  weich ,  die  Schlaflosigkeit  ist  des  Nachts  recht  quälend ,  der 
Typus  des  Fiebers  ist  bis  zum  7ten  Tage  eine  Remittens,  später  erst  eine  Con- 
tinua  continens.  Der  Unterleib  ist  häufig  gespannt;  diese  Spannung  nimmt 
zu  bis  zum  Meteorismus.  Berührt  man  den  Unterleib,  so  findet  man  ihn 
fast  immer  schmerzenfrei  in  der  Oberbauchgegend  und  um  den  Nabel  herum; 
doch  über  den  Schossbeinen,  wo  der  innere,  schräge  Bauchmuskel  mit  dem 
geraden  zusammenstösst,  macht  ein  angebrachter  Druck,  besonders  wenn  er 
allroälig  tiefer  bis  gegen  die  Lendenwirbel  eindringt,  bedeutenden  Schmerz. 
Kranke,  die  deliriren,  verziehen  alsdann  die  Gesichtsmuskeln,  und  dieser 
Gesichtszug  hat  Ähnlichkeit  mit  dem  Lächeln.  Die  Kranken  leiden  nicht  an 
wahrem  Sopor  oder  Stupor,  sondern  an  einer  eigenthümlichen  Betäubung 
und  Umnebelung  des  Innern  Sinnes,  die  wir  mit  dem  Namen  Typhomanie  be- 
zeichnen (^Stmdelin ;  s.  auch  Pommerns  Beiträge  zur  nähern  Kenntniss  des 
sporadischen  Typhus.  Tübing.  1821).  Dieser  Schmerz  ist  anhaltend,  fest- 
sitzend, giebt  sich  bei  jedesmaliger  Untersuchung  des  Leibes  kund,  und  ist 
eins  der  sichersten  Zeichen  der  Darmentzündung  (s.  /.  R.  Bischoff,  Darstel- 
lung d.  Heilungsmethode  in  d.  medicin.  Klinik  zu  Wien  in  d.  Jahren  1826 
u.  1827.  Wien,  1829).  Ausserdem  klagen  die  Kranken  ^iel  über  Kreuz- 
schmerzen, die  ziemlich  anhaltend  sind.  Oft  schon  am  2ten ,  Sten  Tage  der 
Krankheit  gehen  viele  Blähungen  ab,  und  es  stellt  sich  Diarrhöe  ein.  Die 
Sedes  sind  schleimig,  gallig,  blutig,  schwärzlich,  höchst  stinkend,  der  Ab- 
gang erleichtert  wenig.  Die  Physiognomie  des  Gesichts  bekommt  etwas 
Längliches,  und  dadurch  wird  die  Miene  ungewöhnlich  auffallend.  Die 
Zunge  ist  anhaltend  dürr,  oft  in  der  Mitte  mit  einem  braunen  Streifen  ver- 
sehen ,  zuweilen  glühend  roth,  dann  bald  feucht,  bald  trocken,  nach  jedem 
Trinken  trocknet  sie  gleich  wieder ,  der  Bauch  ist  heiss ,  der  Puls  in  den 
Exacerbationen  sehr  schnell  und  gespannt.  Der  Sitz  der  Subinflammation 
ist  am  häufigsten  im  Hüftdarm ,  Krummdarm ,  Ileum ,  an  dessen  Anfang 
kleine,  hie  und  da  entzündete  Maculae  et  Papulae  sich  befinden,  die  sich 
später  vermehren,  endlich,  wo  das  Ileum  im  Becken  gegen  die  Wirbelsäule 
zu  liegt  und  sich  gegen  den  Blinddarm  erstreckt,  ein  allgemein  verbreitetes 
Exanthem  mit  Exulceration  darstellen.  Es  erstreckt  sich  oft  gegen  das 
Ende  des  Hüftdarms  ununterbrochen  so  weit,  dasr  es  1  —  3  Zoll  Länge  ein- 
nimmt. Das  Exanthem  pflanzt  sich  zuweilen  tief  in  alle  Darnihäute,  nicht 
blos  in  die  Schleimhaut  des  Darms,  fort;  dieser  wird  schwärzlich,  mit  Ge- 
schwüren bedeckt,  die  blutige  Jauche  absondern,  wodurch  selbst  der  Darm 
durchfressen  und  Kothaustritt  in  die  Unterleibshöhle  die  Folge  seyn  kann 
(^Bisclioff).  Bei  gutem  Ausgange  der  sogenannten  Entzündung  ist  dies  aber 
nicht  der  Fall,  nur  in  ungünstigen  Fällen  folgt  Exulceration  und  Gangrän. 
In  guten  Fällen  vergeht  diese  Entzündung,  die  nie  Suppuration  oder  Bil- 
dung von  Pseudomembranen  hinterlässt,  von  selbst  unter  gutartigen  Durch- 
fällen ,  die  hier  als  kritisch  zu  betrachten  sind  (s.  Eischoff',  Grundzüge  zur 
Erkenntniss  und  Behandlung  der  Fieber  und  Entzündungen.  2te  Aufl.  Wien, 
1830;  besonders  aber  folgende,  sehr  beachtenswerthe  Schrift:  F.  Lesser, 
Die  Entzündung  und  Verschwärung  der  Schleimhaut  des  Verdauungscanais, 
als  seibstständige  Krankheit ,  Grnndleiden  vieler  sog.  Nervenfieber  etc. 
Berl.  1830).  Behandlung.  Darf  durchaus  nicht  eingreifend,  activ  seyn. 
Reizende,  stärkende  Mittel  sind  höchst  schädlich,  antiphlogistische  Mittel 
desgleichen.  Höchstens  setzen  wir  einige  Blutegel  an  die  leidende  Stelle 
des  Unterleibes,  und  nur  bei  recht  vollsaftigen  Personen  und  nur  in  den 
ersten  8  Tagen  der  Krankheit  (nicht,  wie  Bischnff  in  Wien  dies  that,  noch 
am  18ten  Tage!!)  passt  ein  kleiner  Aderlass.  Nichts  ist  hier  schädlicher 
als  die  Übertreibung  des   antiphlogistischen  Apparats ;   denn   wir   haben  es 


FEBRIS  735 

hier  mit  keiner  echten  Entzündung  zu  thun,  dies  beweisen  schon  die  be- 
ständigen Veränderungen  der  Gekrösdrüsen  in  den  dei\  afficirtcn  Theilen  des 
Darms  entsprechenden  Stellen;  daher  die  Franzosen  diesen  entzündungsähn- 
lichen Zustand  Doihinenteritis  nennen  (^Louis,  Bretonneau,  Trousseau,  Lan- 
dini; 8.  Uecker's  Annal.  Bd.  XV.  Hft.  4).  Innerlich  dienen  solche  Mittel, 
welche  die  heftigen  Durchfälle  massigen,  aber  nicht  stopfen,  z.  B.  in  der 
ersten  Zeit :  ^r  Emnls.  sem.  pnpnv.  nlbi  Sj ,  Natri  nitrici  ^jy ,  Syr.  diacod, 
§j.  M.  S.  Alle  2  Stunden  1  Esslöffel  voll.  Dabei  Vermeidung  aller  salzi- 
gen ,  sauren  und  animalischen  Kost.  Nur  schleimige  Dinge :  Sago ,  Salep, 
Hafer-,  Gersten-  und  Graupenschleim  sind  passend.  Halten  die  Durchfälle 
über  acht  Tage  an  ,  stellen  sich  bedeutende  Schmerzen  im  Leibe ,  Angst, 
Unruhe  in  höherm  Grade  ein  ,  so  gebe  man  des  Abends  Y4 —  y,  Gran  Opium 
als  Pulv.  Doweri ,  und  ausserdem  innerlich :  I^  Eniuls.  sem.  papav.  nihi  5vjij, 
Land,  liquid.  Syd.  ^jy ,  Sijr.  emuls.  5J.  M.  S.  Zweistündlich  1  Esslöffel  yoU. 
Auch  der  Salmiak  ist  hier  ganz  an  seiner  Stelle,  z.  B.  ^'  Decoct  rnd.  al- 
</irtC«e  3VJ3J  ,  SaJ.  ammon.  dep  ,  Succ.  liqnir.  dep.  ana  5jj — jjj  ?  Land,  liquid. 
Sijd.  gtt.  xjj ,  Syr.  diacod.  gj.  M.  S.  Zweistündlich  1  Esslöifel  voll  (M.). 
Diese  einfache  Behandlung  hat  mir  im  Jahre  1829  bei  mehr  als  40  solchen 
Kranken  die  besten  Dienste  geleistet.  Hören  die  Diarrhöen  auf,  tritt  Bes- 
serung, Verminderung  des  Fiebers,  Verschwinden  der  Typhomanie  eirt,  dann 
passen  gelind  stärkende  Mittel,  Decoct.  columbo,  Infus,  rad.  calam.  aro- 
matici  mit  bittern  Extracten,  Spirituosen  Tincturen,  zuletzt  Decoct.  chinae. 
Alle  äusserlichen  und  Innerlichen  reizenden  Mittel ,  selbst  den  Merc,  dulcis 
fand  ich  in  den  meisten  Fällen  schädlich.  Höchst  wichtig  ist  die  Regel, 
den  Kranken  im  Nervenfieber  nicht  dursten  zu  lassen.  Man  reiche  schlei- 
mige und  säuerliche  Getränke  in  Menge  und  nöthige  fleissig  zum  Trinken 
(s.  Hau,  Über  Erkenntniss  und  Heilung  des  Norvenfiebers,  1829),  Ich 
fand  das  Trinken  von  kaltem  Wasser  bei  vielen  Kranken  nützlich  ;  selbst 
da,  wo  zugleich  Diarrhöen  waren  und  es  ohne  mein  Wissen  reichlich  ge- 
nommen wurde,  sah  ich  keinen  Nachtheil  davon.  Sind  starke  Kopf-  oder 
Bru.stcongestionen  da,  so  nützen  kalte  Umschläge  (!?«?«).  Lesser's  Vor- 
schlag, den  IV^erc.  dulc.  in  grossen  Dosen  zu  geben,  um  die  Krankheit 
gleich  anfangs  zu  unterdrücken ,  verdient  Aufmerksamkeit ;  in  kleinen  Dosen 
bekam  er  meinen  Kranken  nicht  gut  (Mosl).  b)  Fehris  neuropatliica  cum 
Uepatitide  (^Typhus  irterodes) ,  Nerven fi eher  mit  Leberleiden.  Ist 
in  unsern  Gegenden  höchst  selten ,  ist  alsdann  ein  gelinder  Grad  des  gelben 
Fiebers  und  muss  auch  so  behandelt  werden  (s.  Febris  flava).  Kommt 
das  Leberleiden  erst  später  zu  dem  Fieber,  oder  wird  das  mit  Hepatitis 
verbundene  Fieber  nervös,  so  sind  dies  secundäre  Zustände,  die  nicht  hier- 
her gehören.  Auch  die  bedeutenden  Leberaffectionen  bei  der  Synocha  ner- 
vosa sind  etwas  Secundäres ,  entstanden  per  consensum  vom  Gehirne  aus 
(s.  Febris  inflammatoria).  c)  Fehris  neuropnthicn  cum  Encephalitide 
(^Tifjihus  cerehralis) ,  Nerven  fi  eher  mit  hervorstechendem  Kopf- 
leiden. Wir  bemerken  dasselbe  vorzüglich  beim  Fleckfiebcr  und  bei  hö- 
hern Graden  der  Febris  scarlatina.  Es  ist  dieses  Fieber  identisch  mit  der 
Synocha  nervosa,  und  muss  auch  so  behandelt  werden.  Besonders  wirksam 
sind  kühlende  Purganzen,  kalte  Luft,  kalte  Kopfumschläge,  selbst  Blutegel 
an  die  Schläfen,  Mineralsäuren  (s.  Febris  inflammatoria  und  Inflam- 
matio  cerebri  et  meningum).  d)  Fehris  nevropathica  cum  Fehre  ner- 
vosa sen  lyphosa ,  Nervenfieber  mit  nervösen,  typhösen  Zufäl- 
len. Jedes  Nervenfieber  kann  in  seinem  Verlaufe  diese  Complication  ein- 
gehen, woran  theils  gelegentliche  Ursachen :  verkehrte  Behandlung,  Diät- 
fehler, theils  auch  der  Einfluss  des  herrschenden  Krankheitsgenius  Schuld 
seyn  können.  Symptome  und  Behandlung  gehen  aus  der  Vergleichung 
der  Febr.  nervosa  und  neuropathica  hervor.  Es  giebt  mitunter  Epidemien, 
wo  diese  schlimme  Complication  häufig  auftritt,  besonders  wenn  Furcht, 
Angst  vor  der  Ansteckung  bei  contagiösen  Fiebern  obwaltet.  Charakteri- 
stische Zeichen  sind  hier  während  des  Fiebers :  kleine  Pupille,  Empfindlich- 
keit des  Gemüths,  Niedergeschlagenheit,  Krampf  im  Schlünde,  häufiges  Wür- 


738  FEBRIS 

{jpn  uud  Erbrechen,  Schmerz  in  der  Herzgrube,  Zittern  der  Gesichtsmus- 
keln, der  Gliedmassen,  massig  schneller,  weicher,  schwacher  Puls,  meist 
nur  100 — 110  in  der  Minute,  Flechsenspringen ,  wahre  Schwäche.  Das 
Stadium  prodromorum  kann  hier  acht  Tage  und  länger  dauern,  aber  eben  so 
oft  auch  fehlen,  und  die  Krankheit  plötzlich  (nach  Erkältung,  Nachtschwär- 
nien,  Rausch)  einbrechen.  Cur.  Diese  Fieberform,  welche  man  auch  Ty- 
phus nervosus  genannt  hat  (^Himly) ,  erfordert  flüchtige  Excitantia ,  vorerst 
VVcin,  Naphtha,  Tinct.  macidis,  vanillae,  cinnamomi,  um  die  starke  Em- 
pfindlichkeit des  Magens  abzustumpfen  und  so  das  quälende  Erbrechen  zu 
stillen ,  da  ohnehin  alle  Arzneien  weggebrochen  werden.  Dann  passt  Infus, 
valerianae  mit  Tinct.  valerianae  anodyna,  später  Infus,  cal.  aroniat.  mit 
Extr.  card.  benedicti ,  Decoct.  gel  urbani  ,  und  wenn  die  grosse  Em- 
pfindlichkeit nicht  mehr  da  ist,  etwas  Kampher,  später  China  und  gute 
Nutrientia. 

Fehris  pnludosn,  Malaria,  das  Marsch-  oder  Sumpffieber.  Hier- 
her rechnet  man  vorzüglich  die  Intermittens,  die  Biliosae  epidemicae  nervo- 
sae  et  putridac,  zum  Theil  auch  die  Febr.  flava,  die  Dysenteria  und  Cho- 
lera epidemica  (s.  diese  Art.). 

Fehris  imrturieniium ,  das  W  o  c  h  e  n  f  i  e  b  e  r.  Ist  dasjenige  Fieber, 
welches  die  meisten  Wöchnerinnen  gleich  nach  der  Entbindung,  gewöhnlich 
«/,  —  1  Stunde  nachher,  befällt  und  die  grösste  Ähnlichkeit  mit  einer  leich- 
ten Intermittens  hat.  Es  beginnt  mit  unbedeutendem  Froste ,  der  oft  nur 
*/4  Stunde  dauert,  worauf  Hitze,  Schweiss  und  Schlaf  folgen.  Beim  Er- 
wachen fühlt  sich  die  Frau  erquickt  und  denkt  daran ,  dem  Kinde  die  Brust 
zu  reichen.  Bleibt  die  Placenta  zurück,  so  wiederholt  sich  dies  intermitti- 
rende  Fieber  binnen  24  Stunden  2  —  Smal ,  und  der  Frost  hält  oft  über 
eine  Stunde  an  (s.  Placenta  uteri  adnata  et  retenta).  Ist  dies 
nicht  der  Fall,  so  dauert  der  ganze  Paroxysmus  nur  2 — 4  Stunden,  ist 
nicht  gefährlich  und  kehrt  auch  bei  guter  Diät  und  Warmhalten  nicht  wie- 
der. Dieses  Fieber  scheint  ebenso  sympathisch  vom  Reiz  des  Uterus  zu  ent- 
stehen, als  manches  Wechselfieber  vom  Reiz  der  Harnwerkzeuge  ausgeht. 
Cur.  Es  bedarf  gar  keiner  Arzneien.  Die  Wöchnerin  muss  sich  warm  zu- 
decken ,  warmen  Fliederthee  trinken  und  den  Schweiss  gehörig  abwarten, 
was  überhaupt  in  den  ersten  neun  Tagen  des  Wochenbettes  von  Wichtig- 
keit ist.  Bei  recht  vollblütigen  Frauen  ist  dieser  Fieberanfall ,  besonders 
das  Froststadium,  stärker  als  bei  magern.  Hält  der  Frost  über  eine  halbe 
Stunde  an,  kehrt  er  in  24  Stunden  ebenso  heftig  wieder,  so  sind  in  der 
Regel  bedeutende  Verletzungen  der  Geburtstheile  zugegen,  welche  genauer 
untersucht  werden  müssen. 

P^ebris  pcstilcnliaUs ,  Fehris  pestilens,  das  Pestfieber.  So  nannte  man 
in  alten  Zeiten  jedes  bösartige  Fieber,  besonders  wenn  es  epidemisch  und 
contagiös  herrschte  und  einen  nervösen  und  fauligen  Charakter  hatte.  Im 
engern  Sinne  und  gegenwärtig  versteht  man  darunter  das  die  Pest  beglei- 
tende Fieber;  s.  Pestis. 

Fehris  fietcchialis ,  das  Fleckfieber,  Petechienfieber.  Ist  eine 
exanthematische  Krankheit;  s.  Petechiae  acutae. 

Fehris  phlegmnticn ,  das  Schleimfieber,  s.  Febris  pituitosa. 

Fehris  phthisica ,  Fehris  hecticn  exulccrntn ,  das  phthisische  Fieber. 
Ist  ein  Zehrfieber  mit  örtlichem  Leiden,  vorzüglich  mit  Vereiterung  der  Lun- 
gen; s.  Febris  hectica  und  Phthisis  pulmonalis. 

Fehris  pituitosn,  ^lutinosa,  phlegmnticn ,  Fehris  nervosa  (Thom.  Glnss}, 
das  Schleimfieber.  Es  entsteht  von  übermässiger  Absonderung,  zu  star- 
ker Anhäufung  und  fehlerhafter  Mischung  des  Schleims  in  den  Verdauungs- 
organen, ist  also  eine  Krankheit  der  Schleimhaut  des  Tubus  intestinalis  als 
Folge  unvollkommner  Blutbereitnng;  und  diese  ist  wiederum  Folge  von  un- 
vollkommner  Assimilation  und  Chylification ,  verursacht  durch  mangelhaften 
EinHuss  der  organischen  Nerven,  sovvol  des  Nerv,  splanchnicus  als  des  va- 
gus,  auf  den  Chemismus  der  Assimilation.  Das  Schleimfieber  sowie  die 
Schleimsucht  sind  langwierige  Übel,  wobei  selbst  das  Blut  der  Kranken  auf 


FEBRIL  737 

einer  niedrigen  Stufe  der  Organisation  steht  und  me^ir  Schleim  und  Eiweiss- 
stoff,  dagegen  weniger  Cruor,  als  bei  Gesunden  enthält.     Daraus  erklärt  es 
sich,    warum  Schleinifieber  und   Schleimsucht   so  leicht  die  Atrophien,    die 
Bleichsucht,    die  habituellen  Wechselfieber   begleiten,    so  dass   schon  Galen 
die  Intermittens  quotidiana  schlechtweg  Febris  pituitosa  nennt;  warum  ver- 
fütterte Kinder,  überhaupt  alle  Menschen  mit  schwacher  Nutrition  so  häufig 
an  Wurmlcrankheit ,   die   mit  Febris  pituitosa  und  Schleimsucht  dem   Wesen 
nach  eins  ist,    leiden  etc.    'Symptome.    Im  Frühling  und  Herbst,    beson- 
ders bei  feuchter  Witterung,    zeigt  sich   die  Krankheit   am  häufigsten,    und 
wird  dann,  vorzüglich  in  sumpfigen,  morastigen  Gegenden ,  leicht  epidemisch. 
Das  Fieber  hat  stets  ein  langes  Stadium  prodromorum ,  das  oft  viele  Wochen 
währt  und  an  Appetitlosigkeit,  Neigung  zu  Aufstossen,  schlechter  Verdauung, 
viel  Schleimabsonderung  im  Munde,    besonders  des  Morgens   nach  dem  Auf- 
stehen,  an  weissbelegter  Zunge,    fadem,    pappigem  Geschmack,    an  öfterm 
Würgen,  Durchföllen,   Aufgetriebenheit  des  Leibes,   Magendrücken  etc.    er- 
kannt  wird,   welche   Symptomengruppe  Status  pittiitosus   heisst   Cs.  Blen- 
norrhoea  ventriculi  et  intestinorum).     Der  Anfang  des  Fiebers  ist 
dunkel;    zuerst  stellen   sich   des  Abends  leichte  Frostschauer,    abwechselnd 
mit  KUtze  ein,   worauf  Schweiss  folgt,   nach  welchem  sich  der  Kranke  sehr 
ermattet  fühlt.     Später  tritt  das  Fieber,  das  stets  nur  gelind  scheint,  wobei 
der  Puls  oft  nur  wenig  Frequenz  hat,  deutlicher  ein;  hat  etwas  Schleichen- 
des ,   so  dass  Remission  und  Exacerbation  kaum  zu  unterscheiden  sind ;    das 
Gesicht   schwillt   häufig  etwas  leukophlegmatisch  auf,    es    zeigen   sich  blaue 
Ringe  um  die  Augen,  blaue  Lippen;  Zunge,  Zähne  und  Zahnfleisch  sind  mit 
Schleim   überzogen,    der    Speichel  bekommt   eine   schleimige  Beschaffenheit; 
dabei  Druck  in  der  Herzgrube,  Ekel,  Erbrechen,  grosse  Niedergeschlagen- 
heit.    Das  aus  der  Ader  gelassene  Blut  zeigt  eine  Schleimkruste,  der  Blut- 
kuchen ist   sehr  locker,    lässt  sich  leicht  zerdrücken,    selbst   die  Blasen  der 
gelegten  Vesicatorien  enthalten  Schleim  {Kerends).      Das  Übel   dauert  ohne 
gehörige  Kunsthülfe  mehrere  Wochen,   und  de«"  Tod  folgt  häufig  durch  Ab- 
zehrung und  Wassersucht,      Im  Frühling  hat  das  Schleimfieber  zuweilen  ei- 
nen subinflammatorischen  Charakter,   wo  indessen  starke  Antiphlogistica  sel- 
ten passen;    im    Sommer   verbindet  es   sich   zuweilen  mit   galligen   Fiebern, 
nimmt    ndtunter  auch  den   nervösen  Charakter  an.      Zuweilen  erzeugt   es  in 
seinem  Verlaufe  passive  Pneumonie,  Hepatitis,  Pharyngitis,  welche  bei  schwä- 
chender   Behandlung   leicht   in   Brand   übergehen.      Häufig   gleicht   sich   die 
Krankheit   durch  Erbrechen,    massige   Durchfälle  und   nächtliche  Schweisse, 
seltener  durch  Friesel   und  Speichelfluss  aus;    als  ein  glücklicher  Metasche- 
matismus   ist  der  Übergang  in   die  Intermittens,    besonders   in  die  Tertiana, 
zu  betrachten  (^Berends).      Die  Genesung  erfolgt  stets  sehr  langsam,  da  das 
Schleimfieber  die    Körper-   und    Geisteskräfte    sehr   angreift.      Ursachen. 
Sind   im  Allgemeinen  die   der   Schleimsucht   (s.  Blennorrhoea).     Spora- 
disch erscheint   die  Krankheit   am   häufigsten   bei  Kindern  und  Greisen,    bei 
fihlegmatischem  Temperamente,    bei  Vita  sedentaria,  durch  Übermass   reiz- 
oser  Nahnmg,  der  Mehlspeisen,  Milchspeisen,  der  wässerigen,  wenig  Nah- 
rungsstoff enthaltenden  Vegetabilien.     Auch    der  Missbrauch   häufig   genom- 
mener starker  Purgirmittel  und  der   übermässige  Genuss  des  Weissbiers  be- 
günstigen die  Krankheit  (Raimanri).     Endemisch  herrschen  die  Schleimfieber 
in  allen  den  Gegenden,    wo  die  endemische  Intermittens  zu  Hause  ist.     Auf 
die  Bildung  des  epidemischen  Schleimfiebers  hat  die  Constitutio  annua  einert 
bedeutenden  Einfluss.      Als  im   Jahre  1764  die   merkwürdige  Epidemie    de^ 
Art  in  Neapel  herrschte  (s.  Sarcone,  Geschichte  d.  Krarikh.,  welche  1764  irt 
Neapel  herrschten.  Zürich,  1770),  beobachtete  man  in  ganz  Italien,  Frank- 
reich und  Deutschland  viele  Kardialgien ,    Koliken ,   Ruhren ,   selbst  Nerven- 
fieber mit  pituitösem  Charakter,     Behandlung.     Wir  haben  hier  folgende 
Indicationen    1)  den  Schleim  zur  Ausleerung  geschickt  zu  machen   und  aus- 
zuleeren, 2)  die  Verdauungsorgane  zu  stärken  und  die  Grundkrankheit:   die 
Schleimsucht,  durch   zweckdienliche  diätetische  und   pharraaceutische  Mktel 
zu  heben,  3)  die  eigenthümlichen  Krisen  des  Schleimfiebers  zu  berück^ichti- 
MoBt  Eucyklopädie.  2te  Auil.  T.  47 


738  FEBRIS 

gen  und  zu  befordern.  In  den  gewöhnlichen,  nicht  complicirten  Fällen  passt 
zuerst  ein  auflösendes,  sogenanntes  einschneidendes  Mittel,  das  den  über- 
mässig angehäuften  Schleim  in  Magen  und  Gedärmen  zur  Ausleerung  ge- 
schickt macht;  z.  B.  I^  Sal.  aminon.  dep.,  Succ.  liquirit.  dep,  ana  3jj»  ^9- 
fior.  chamomill.  ^xj,  Tnrf.  emclici  gr.  jj,  Oxym.  simpl.  5J.  M.  S.  Alle  2 — 3 
Stunden  2 — 3  Esslöffel  voll  (^Rcrends).  Alsdann  giebt  man  ein  Vomitiv  aua 
rehier  Ipecacuanha,  nach  Umständen  mit  Tart.  emet.  versetzt,  das  man  im 
"Verlaufe  des  Fiebers,  wenn  von  selbst  nicht  «ou  Zeit  zu  Zeit  Erbrechen 
folgt,  wiederholt.  Geht  der  Turgor,  was  self^ener  ist,  mehr  nach  Unten, 
so  passt  statt  des  Brechmittels  Rheum  mit  Salmiak.  Ist  Wurmcomplication 
zugegen ,  so  gebe  man  mitunter  eine  Dosis  Merc.  dulc.  mit  Rheum.  Man 
setze  aber  den  Gebrauch  der  Mittelsalze  und  des  Quecksilbers  nicht  zu  lauge 
fort,  sondern  gehe  bald  zu  Calam.  arom  ,  Valeriana,  Senega  und  Arnica  über. 
Überhaupt  behandle  man  den  Kranken  reizend  roborirend ,  und  unteistütze 
die^e  Cur  durch  eine  gute  Diät,  wie  dieses  bei  der  Schleimkrankheit  ange- 
geben worden  (s.  Blennorrhoea  im  Allgemeinen,  und  insbesondere  Blen-^ 
norrhoea  ventriculi  et  intest  inor  u  m).  Was  die  Beförderung  der 
Krisen  betrifft ,  so  werden  die  des  Digestioiw^pparats  durch  die  genannten 
Evacuantia  und  Laxantia  befördert ;  die  fehiern  Hautkrisen  unterstützen  wir 
durch  Infus,  valerianae  mit  Spirit.  Mindereri,  bei  bedeutender  Höhe  der 
Krankheit  auch  durch  Kampher.  Eine  kritische  Salivation  wird  durch  Senf- 
molken, Infus.  Herb,  meath.  pip.,  Flor,  arnicae  mit  Senf  als  Gurgelwasser, 
befördert  (^Berends). 

Fehris  puerperalis ,  das  Kindbetter  infieber.  Jedes  Fieber  der 
Wöchnerinnen  könnte  man  dem  W  orte  nach  hiehec  rechnen ,  selbst  die  Febr. 
parturientium,  die  Febr.  lactea,  die  intermittens  etc.  Man  hat  wirklich 
auch  höchst  verschiedene  Krankheitszustände  Kindbetterinfieber  genannt  und 
dabei  dennoch  stets  die  Idee  festgehalten,  dass  die  Krankheit  ein  Morbus 
sui  generis  sey.  Dies  ist  nicht  der  Fall,  und  daher  kommt  es,  dass  sich 
die  Ärzte  über  das  Wesen  und  die  Natur  dieses  Fiebers  nicht  vereinigen 
können ,  was ,  wenn  die  Febris  puerperalis  eine  eigenthümliche  Krankheit 
wäre,  doch  ge>viss  schon  lange  der  Fall  seyn  müsste.  Das  Bestreben,  we- 
sentlich verschiedene  Dinge  zu  identificiren ,  ist  lächerlich  und  unpraktisch, 
und  eine  Krankheit  za  statuiren  ,  die ,  gleich  dem  Proteus ,  alle  Gestalten 
annimmt  und  unter  allen  Charakteren  auftritt,  ist  ein  Unding  nach  der  Na- 
tur und  Logik,  ist  ein  Chaos  von  Krankheitefi  und  Symptomen,  die  wol  in 
den  Köpfen  der  Arzte ,  aber  nicht  in  der  Natur  und  am  Krankenbette  als 
eine  eigenthümliche  Krankheitsform  nachgewiesen  werden  können.  So  war 
seit  Brown  die  Febris  nervosa,  ebenso  wie  die  Puerperalis,  ein  solches  Un- 
ding mit  Proteusgestalten ,  fähig  eine  babylonische  Sprachverwirrung  unter 
den  Ärzten  herbeizuführen,  hätten  scharfsinnige  Naturbeobachter  beide  nicht 
genauer  njit  der  Natur  verglichen  und  bessere  Resultate  zu  Tage  gefordert. 
Ich  könnte  demnach  das  Kindbetterinfieber,  das  in  Wahrheit  das  ganze  Fie- 
bergeschlecht paph  seinen  verschiedenen  Charakteren  der  Synocha,  der  Ner- 
vosa, Gastrica,  Putiida,  mit  und  ohne  Localentzündungen  umfasst,  hier  füg- 
lich übergehen,  indem  ich  auch  keine  Febris  infantilis,  virilis,  senilis  etc. 
aufgeführt  habe.  Da.  indessen  alle  Krankheiten,  die  eine  Wöchnerin  befallen 
können,  durch  die  Eigenthümlichkeit  der  weiblichen  Constitution  und  durch 
die  Vorgänge  xler  Schwfingerschaft  und  des  Wochenbettes  eigenthümlich 
modificirt  erscheinen ;  besonders  alle  Fieber  und  Localentzündungen,  welche 
daher  ebenso,  wie  dies  bei  Säufern  der  B'all  ist,  eine  besonders  vorsichtige 
und  modificli-te  Behandlung  erfordern  (s.  Delirium  tremens);  so  giebt 
dies  einen  triftigen  Grund,  die  Febris  puerperalis  nicht  ganz  zu  übergehen. 
Es  wird  hier  also  in  der  Kürze  von  sehr  verschiedenen  Krankheiten ,  die 
man,  wenn  man  will,  Arten  der  Febris  puerperalis  nennen  mag,  die 
Rede  seyn ,  ins^ofern  sie  Wöchnerinnen  befallen.  Doch  ehe  die  schulgerech- 
ten Lehren  über  das  Puerperalfieber  im  engern  Sinne  abgehandelt  werden, 
möge  hier  einiges  Allgemeine  über  die  Fieber  der  Wöchnerinnen  Platz  finden. 
Um   ^*i^   \v,eit^n  und  engsten  Begriff  der  Febris  puerperalis   zu  vermeiden. 


FEBPtlS  739 

defiiurt  Rilgen  (Gemeinsame  deutsche  Zeitschrift  für  Geburtshülfe  Bd.  V. 
Hft.  1.  S.  111 — 124)  die  Krankheit  folgendermassen :  „Jedes  eine  Kindbet- 
terin  befallende  Fieber,  welches  mit  Erweichung,  Congestion  und  Entzün- 
dung einiger  innerhalb  der  drei  Haupthöhlen  gelegenen  Gebilde  so  verbun- 
den ist,  dass  das  Fieber  und  dessen  örtliche  Complication  dem  Daseyn,  oder 
dem  Grade,  oder  der  besondern  Eigenthüralichkeit  nach,  wenigstens  zum 
Theil  als  Folgen  der  eigenthümlichen  Verhältnisse  der  gedachten  Zeit  ange- 
sehen werden  müssen ,  ist  im  engen  Sinn  —  Kindbetterinfieber.  *'  Dass  auch 
dieser  Definition  Zwang  angethan  worden,  sieht  man  leicht  ein;  obgleich  ihr 
einiger  praktische  Werth  nicht  abzusprechen  ist.  Wir  wollen  die  Sache  ganz 
einfach  betrachten:  Fieber  und  Fieberbewegungen  bei  Wöchne- 
rinnen sind  gar  nichts  Seltenes;  denn  die  Wöchnerin  ist  als  eine  Verwun- 
dete zu  betrachten.  Alles,  was  störend  in  die  kritischen  Bewegungen  des 
Wochenbettes  ( Wochenschweiss ,  Milchsecretion ,  Lochienfluss )  eingreift  : 
Schreck,  Angst,  Gemüthsbewegungen,  besonders  Furcht  und  Ärger,  erregt 
leicht  Fieber.  Ebenso  schädlich  sind  Diätfehler,  Erkältung.  Nicht  selten 
fangen  solche  Fieber  mit  starkem  Froste  und  folgender  Hitze  an,  dabei 
grosse  Unruhe ,  Angst ,  schneller  Puls  etc.  Cur.  Man  untersuche  den  Leib, 
den  Uterus,  ob  LocalafFectionen  da  sind.  Ist  dies  nicht  der  Fall,  so  hüte 
man  sich  ja  vor  einem  eingreifenden  Verfahren,  besonders  vor  Blutauslee^ 
rungen;  denn  ächte  inflammatorische  Fieber,  wie  z,  B.  bei  ausgebildeter 
Pneumonie  im  vollsaftigen  Körper  des  Mannes,  kann  keine  Wöchnerin  be- 
kommen, wohl  aber  ein  erethistisches,  der  p-ebris  neuropathica  ähnliches  Fie- 
ber. Ich  habe  solche  Fieber  mit  scheinbar  furchtbaren  Zufällen  auftreten 
sehen  und  dennoch  erfolgte  bei  nicht  eingreifender  Behandlung  die  Gene- 
sung oft  in  wenigen  Tagen  (s.  Febris  nervosa  erethistica).  Hier 
können  Mineralsäuren  und  kleine  Dosen  Opium  oft  Wunder  thun ,  wenn  sonst 
diese  Mittel  nicht  contraindicirt  sind.  Blutausleerungen,  überhaupt  alle  be- 
deutend eingreifende  Mittel,  führen  zwei  grosse  Nachtheile  herbei;  der  be- 
deutendste ist  der:  sie  erregen  Furcht  und  Angst  im  Gemüthe  des  Kranken 
und  sie  sind  durch  ihre  schädlichen  Eingriffe  in  den  Organismus,  indem  sie 
schwächen  oder  überreizen,  nachtheilig.  Erfahrne  Praktiker  gestehen,  dass 
Entzündungen  und  Fieber  der  Wöchnerinnen  (d.  h.  das  sogenannte  Kind- 
betterinfieber) oft  einen  rapiden,  zerstörenden  Charakter  zeigen  und  durch 
das  kräftigste  antiphlogistische  Verfahren  selten  oder  gar  nicht  beschränkt 
werden  (s  Pfeufer  in  Horn's  Archiv  1824.  März  u.  April  S.  251.  Froriep's 
Geburtshülfe  1827.  Th.  II.  S.  526.  Busch  a.  a.  O.).  Ich  setze  hinzu:  sie 
würden  in  vielen  Fällen  geheilt  worden  seyn,  hätte  man  weniger  kräftig, 
mehr  exspectando  verfahren,  hätte  man  mehr  bedacht,  dass  es  auch  Ent- 
zündungen giebt,  die  kein  kräftiges  Blutlassen  vertragen.  In  der  Regel 
haben  die  Fieber  der  Wöchnerinnen  den  Charakter  der  Synocha  nervosa 
der  Febris  nervosa  erethistica.  Eine  diesen  Fiebern  angemessene  Behand- 
lung mit  Berücksichtigung  der  Wochenbettskrisen  führt  hier  das  meiste  Heil 
herbei.  ,iStatt  der  wohlthätigen  Kälte  passt  hier  demnach  nur  kühle  und 
gleichmäSlige  Zimmertemperatur,  statt  der  kühlenden  Purgirsalze,  die  hier 
den  Wochenschweiss  hemmen  und  durch  Erregung  von  Durchfällen  den  Ute- 
rus stören  und  ihm  die  Ruhe  zur  Heilung  rauben  würden,  ölige  Emulsionen, 
besonders  aber  kleine  Dosen  Mineralsäuren,  statt  der  Aderlässe  häufig  nur 
Blutegel  u.  s.  f.  Das  weibliche  Geschlecht  steht  auch  in  physischer  Hin- 
sicht der  Kindernatur  weit  näher  als  das  männliche;  und  diese  Kindernatur 
spricht  sich  im  Wochenbette,  wo  die  Sensibilität  erhöhet  und  die  Reizbar- 
keit gesteigert  ist,  noch  stärker  aus.  So  wie  beim  epidemischen  Typhus 
nichts  so  gewiss  zum  Tode  führt,  als  Furcht,  indem  dadurch  das  ächte 
Stadium  nervosum  schneller  herbeigeführt  wird,  ebenso  gewiss  ist  es  auch 
dass  Tausende  von  Wöchnerinnen  bei  Febr.  erethistica  hätten  gerettet  wer- 
den können,  hätte  man  das  Übel  für  weniger  bedeutend  gehalten.  Alle 
gute  Schriftsteller  halten  die  Febris  puerperalis  im  engern  Sinne  für  etwas 
sehr  Gefährliches.  Allerdings  kann  dies  im  Verlauf  desselben,  sobald  der 
typhöse  Charakter  eintritt,  der  Fall  werden.     Sie  bedenken  aber  nicht,  das» 

47» 


740  FEBRJS 

auch  die  Miene  des  Arztes  am  Krankenbette,  die  Miene  der  Angehörigen 
deutlicher  und  lebendiger  zu  der  Wöchnerin  spricht  als  die  beredteste  Spra- 
che. Diese  Mienen  sagen :  die  Krankheit  ist  bedeutend ,  ist  gefährlich ;  ihre 
Wirkung  ist  Erregung  von  Furcht,  und  n»in  erst  wird  sie  gefährlich.  Be- 
rücksichtigen wir  zugleich,  dass  es  tausend  und  abertausend  unbestimmte 
Krankheitsaffeclionen  giebt,  die  die  Erfahrung  als  solche  nachweist,  die, 
ohne  eine  bestimmte  Krankheitsform  angenommen  zu  haben ,  wieder  ver- 
schwinden, wie  sie  gekommen  sind;  ferner,  dass  jeder  Krankheitsprocess  eiYi 
fortschreitender,  im  Bilden  und  Rückbilden  begriffener  ist,  dass  also  auch 
jedes  Fieber  der  Wöchnerin  sein  Incrementum,  Status  und  Decrementum  hat, 
dass  es  oft  gar  nicht  zu  einer  bedeutenden  Höhe  kommt,  dass  in  der  leben- 
den kranken  Natur  unzählige  Mittelstufen  stattfinden  müssen ,  ehe  der  soge- 
nannte sthenische  Fiebercharakter  zum  wahrhaft  asthenischen  werde ;  so  ists 
nachtheilig  für  den  Kranken  wie  für  den  Arzt,  die  Malignität  der  Febris 
puerperarum  festzuhalten.  Wer  das  Leben  und  Treiben  der  Ärzte  kennen 
gelernt  hat,  wird  auch  mit  mir  die  Beobachtung  gemacht  haben,  dass  den- 
jenigen Ärzten,  die  die  sogenannte  Malignität  der  Febris  puerperalis  nicht 
festhalten,  die  wenigsten  Wöchnerinnen  an  diesem  Fieber  sterben.  Bei  den 
andern  heisst  es :  Aus  Furcht  zu  sterben,  sind  sie  (die  Kranken)  gar  gestor- 
ben! Häufig  sind  die  Fieber  der  Wöchnerinnen  weiter  nichts  als  Wund- 
fieber, Folge  der  bei  jeder  Geburt  stattfindenden  Verletzung  des  Uterus; 
wer  hier  durch  Furcht  und  Aderlassen  die  schon  an  sich  schwache  Energie 
schwächt,  handelt  ebenso  verkehrt  als  derjenige,  der  die  Lebenskräfte  durch 
Excitantia  zu  heben  sich  bestrebt  und  so  örtliche  Entzündungen  veranlasst 
(vergl.  Febris  vulaeraria).  Die  unglücklichen  Ideen  von  Sthenie  und 
Asthenie  schaden  hier  am  meisten.  Es  ist  schon  ein  grosser  Tadel,  wenn 
man  eine  Keule  aufhebt ,  um  eine  Laus  zu  tödten ,  noch  mehr  trifft  dieser 
Tadel  diejenigen  Ärzte,  die  scheinbar  gefährliche  Zufälle  für  gefährlich  hal- 
ten und  dagegen  heroische  Mittel  verordnen,  die  Öl  ins  Feuer  giessen.  Man 
bedenke  doch,  wie  gefährlich  der  epileptische  Insujt  aussieht,  und  dennoch 
überstanden  ihn  Menschen  viele  tausend  Mal,  ohne  dass  er  tödtete,  ja  ohne 
dagegen  zu  mediciniren.  Der  Productionstrieb ,  der  bei  den  Schwangern  sich 
auf  den  Fötus  bezog,  wird  nach  der  Niederkunft  ein  äusserer.  Eine  er- 
höhte plastische  Thätigkeit  als  Nachhall  der  eben  vollendeten  Schöpfung 
waltet  noch  fort  und  äussert  sich  als  Absonderungsprocess  (Wochenschweiss, 
Lochien,  Milchsecretion).  Alles,  was  diesen  Process  plötzlich  stört,  hemmt, 
unterdrückt,  macht  einen  schlimmen  Verlauf  des  Wochenbettes,  und  erregt 
Fieber  und  Entzündungen,  weil  andere  Organe  vicariirend  auftreten,  worin 
dieser  Process  nun  als  eine  anomale  Erscheinung  auftritt.  L\  den  ersten  9 
Tagen  des  Wochenbettes  ist  der  plastische  Trieb  stärker  als  späterhin,  die 
Brüste  allein  genügen  ihm  nicht,  auch  Schweisse  und  Lochien  müssen  helfen. 
Hier  wirken  also  besonders  Erkältung  und  Diätfehler  schädlich,  besonders 
das  Wechseln  der  Wäsche,  der  Genuss  nährender,  gewürzhafter,  erhitzender 
Speisen  und  Getränke.  Auch  die  Gemüthsbewegungen  sind  hier  so  nach- 
theilig, weil  sie  ganz  besonders  auf  die  Milchsecretion  störend  einwirken, 
vor  allen  aber  die  Furcht  und  der  Schreck.  Alle  sporadischen  Fieber  bei 
Wöchnerinnen  halte  ich  in  den  ersten  Tagen  der  Krankheit  für  nicht  ge- 
fährlich. Etwas  ganz  Anderes  ist  es  dagegen  mit  Febris  puerperalis  noso- 
comialis,'  \yo  zufällige  Schädlichkeiten,  Typhuscontagium  etc.  dasselbe  so 
bösartig  machen,  wie  ich  dieses  in  Krankenhäusern  genug  beobachtet  habe. 
Schulgerecht  nimmt  man  verschiedene  Arten  der  Febris  puerperalis  sensu 
strictiori  an,  welche  Hr.  Dr.  Tott  in  Ribnitz  auszuarbeiten  die  Güte  hatte, 
die  ich  also  hier  folgen  lasse. 

Fehnif  pueiyernlis  simpIex,  Fehr.  puerpernlis  erysipelatosa,  Febr.  puerp. 
serosa -inllammntoria,  das  einfache  Kindbetterinfieber.  Symptome 
sind:  vorwaltende  Zeichen  von  Peritonitis,  Epiploitis,  Enteritis,  Metritis, 
Ganglionitis  und  Adenitis  abdominalis  (s.  Inflammatio  peritonaei, 
intestinum  m,  uteri  etc.),  wenn  die  Unterleibshöhle  ausschliesslich,  — 
oder  von  Phrenitis,  Encephalitis,  besonders  Meningitis,  wenn  die  harte  Hii'u- 


FEBRIS  741' 

haut  consensaell  ergriffen  ist,  was  am  häufigsten  bei  Personen  mit  Anlage  zu 
Kopf-^  und  Brustleiden  stattfindet.  Da  man  Bauchfellsentzündung  hier  am 
häufigsten  findet ,  so  nennen  Viele  die  Krankheit  schlechtweg  Peritoniiis 
puerp^ralis.  Charakteristisch  ist  daher  auch  ein  topischer  Schmerz  an  ir- 
gend einer  Stelle  des  Unterleibes,  gewöhnlich  in  der  Nabelgegcnd,  anfäng- 
lich vagirender  Art,  sich  aber  bald  über  das  ganze  Abdomen  verbreitend 
und  bei  äusserer  Berührung  sich  vermehrend,  je  nach  der  Affection  dieses 
oder  jenes  Eingeweides  oder  Organs.  Häufig  folgen  nun  bald  Ekel,  Übel- 
keit, Erbrechen,  Angst,  Kolikschmerz  mit  vermehrten  oder  verminderten 
Stuhlgängen,  hoher  Grad  von  Empfindlichkeit  des  Unterleibes,  besonders 
wenn  die  Abdominalmuskeln  leiden  (Myositis  abdominalis),  Geschwulst  des- 
selben ,  Strangarie ,  Harnverhaltung ,  Tenesmus ,  bei  Ganglionitis  abdomina- 
lis Marmorkälte  der  Extremitäten,  Singultus,  Sehnenhüpfen  und  andere  Ner- 
venzuflille,  oft  auch  eine  Art  Hydrophobie,  Aphonie  (^ßerends);  pneumoni- 
sche, pleuritische,  encephalitische  Sym{)tome  (im  letztern  Falle  dumpfe 
Kopfschmerzen,  Sopor,  Delirium);  Unterdrückung  der  Lochien,  oft  gleich 
anfänglich,  oft  erst  im  Verlaufe  der  Krankheit;  seltener  sind  die  Fälle,  wo 
sie  fortfli essen  (hier  litt  wol  wenig  oder  gar  nicht  die  Geschlechtssphäre); 
verhinderter  Eintritt  der  Milchsecretion  oder  Verschwinden  der  schon  statt- 
gefundenen, daher  V^elk  -  und  Schlaffwerden  der  Brüste ,  häufig  auch  Fort- 
dauer der  Milchsecretion ,  das  Fieber  ist  dem  Typus  nach  ein  remittirendes, 
oft  an  Intermittens  grenzendes ,  gewöhnlich  am  Abende  exacerbirendes ,  von 
serös  -  entzündlicher  Natur;  jedoch  mit  kleinem,  schnellem,  variablem,  den 
Abdominalentzündungen  eigenthümlichem  Pulse,  sowie  mit  entschiedener  Nei- 
gung zu  Synochus  und  Typhus.  Die  Krankheit  tritt  bald  früher,  bald  spä- 
ter nach  der  Entbindung  ein,  oft  unmittelbar  nach  dem  Milchfieber,  daher 
am  2ten,  Sten  Tage  nach  derselben,  oft  aber  auch  erst  nach  2 — 3  Wochen. 
2)  Fehtns  puerpernlis  vcre  infiamnmtoria  s.  phlegnionodes,  Synocha  ptierpernlis. 
Die  örtlichen  Zufälle  der  verschiedenen,  bald  dieses  bald  jenes  Abdominal- 
organ ergreifenden,  späterhin  sich  selbst  auf  Lunge,  Pleura  und  Hirnhäute 
verbreitenden  Entzündung  sind  hier  wie  bei  Nr.  1;  jedoch  nicht,  wie  dort, 
von  entzündlicher  Aifectiou  der  serösen  und  Schleimhäute  ausgehend  (daher 
nicht  Hymenitis,  Meningitis,  Neuritis,  Adenitis),  sondern  durch  Phlogose 
der  Arterien  und  Venen  (?  31.),  sowie  der  Muskelhaut  der  Organe  bedingt, 
also  durch  Angioitis  im  Allgemeinen  und  durch  Arteriitis,  Phlebitis,  Myositis 
insbesondere;  dabei  ein  Fieber  von  wahrhaft  entzündlichem,  phlegmonösem, 
vom  Blutgefasssystem  ausgehendem  Charakter  (s.  Febris  Inflam matoria), 
das  bei  der  diesen  Fiebern  eigenthümlichen  Luftconstitution  (trockne  Luft, 
Ostwinde)  sich  häufig  von  den  serösen  Gefässen  auch  auf  die  rothen  fort- 
pllanzt.  S)  Fehris  puerperalis  (jnstrica.  Hier  sind  neben  den  örtlichen  Sym- 
ptomen, wie  bei  Nr.  1,  die  bekannten  gastrischen  Zufälle;  bald  ists  mehr 
eine  Febris  atrabilaris,  bald  mehr  eine  gastrico  -  venosa  (s.  oben  Febris 
gastrica  und  biliosa,  desgl.  Richter's  Therapie  Th.  I.  S.  298).  Man 
hüte  sich  hier  aber  ja  vor  Verwechselung  der  gastrischen  Symptome  mit  den 
consensuellen  Signis  gastricis  als  alleiniger  Folge  der  entzündlichen  AtTectioii 
der  gastrischen  Organe.  4)  Fehris  puerperalis  nervosa,  Ti/phis  puerperalis. 
Hier  sind  die  örtlichen  Zufälle,  wie  bei  Nr.  1,  also  die  Zeichen  von  Hyme- 
nitis, Ganglionitis,  Adenitis  abdominalis,  und  in  weiterer  Verbreitung  auf 
Kopf  und  Brust  auch  Adenitis  thoracica  und  Meningitis ,  begleitet  von  einem 
Fieber  nervösen  Charakters  (gewöhnlich  eine  Febr.  nervosa  erethistica,  nur 
kurz  vor  dem  Tode  Febr.  torpida,  paralytica.  M.),  iu  welches  überzugehen 
auch  die  Febr.  puerperalis  simplex  grosse  Neigung  hat.  5)  Fehris  puerpe- 
ralis putrida,  endemicn,  epidemica,  nosacomialis ,  Synochus  putridus,  malignus 
(^Harless).  Auch  hier  sind  die  örtlichen  Zufälle  die  der  Febris  puerperalis 
simplex.  Doch  sind  die  Schmerzen  im  Unterleibe  meist  nur  gering,  häufig 
nur  in  der  Tiefe  des  Abdomens,  dagegen  die  hier  schon  früh  auftretenden 
Brust  -  und  Kopfaffectionen  bedeutender ;  das  Fieber  zeigt  die  Symptome 
des  putriden  Charakters  (s.  Febr.  putrida),  herrscht  in  der  Regel  epide- 
misch,  sich  entwickelnd  aus  einem  Miasma,   das  häufig  in  überfüllten,   un- 


1^2  FEBRIS 

reinlichen  Kranken-  und  Gebärhäusern  beobachtet  \vird.  Hier  ist  es  zultetJst 
selbst  ansteckend,  contagiös  (Basedow,  Tott) ,  obgleich  Neumann  diesem  wi- 
derspricht. Auch  ausserhalb  Kranken  -  und  Gebäranstalten  kann  es ,  unter 
ungünstigen,  die  Febris  putrida  befördernden  Schädlichkeiten,  zuweilen  vor- 
kommen. Typhöse  GehirnafFectionen ,  Delirium  blandum,  Sopor,  Ausfluss 
einer  fauligen,  blutig -saniösen,  unerträglich  stinkenden,  die  Zimraerluft  ver- 
pestenden Feuchtigkeit  aus  den  Genitalien,  allgemeiner  Frieselausschlag  ohne 
Krisen  und  Erleichterung,  höchster  Grad  von  Adynamie:  dies  sind  die  ge- 
wöhnlichen Zeichen  dieser  schlimmen  Form.  Der  Tod  erfolgt  gewöhnlich 
zwischen  dem  5ten  und  9ten  Tage,  nur  selten  früher  oder  später,  Genesung 
nur  unter  unvollkommner  Zertheilung  der  Abdominalentzündung  und  durch 
Übergang  in  Phthisis  puerperalis  mit  nicht  ganz  schwindendem  Bauchschmerz, 
der  nicht  selten  Ascites  purulentus  oder  aquosus  folgt.  Diagnose  des 
Puerperalfiebers.  Ist  nicht  schwierig.  Die  eigenthümlichen  örtlichen ,  ent- 
zündlichen Affectionen  des  Unterleibes  unterscheiden  es  leicht  von  andern 
gastrischen,  typhösen  und  synochischen  Fiebern,  desgleichen  vom  Friesel- 
fieber.  Man  könnte  es  vielleicht  mit  dem  Milchfieber  ver\Vechseln.  Dies  isC 
aber  nur  von  kurzem  Verlaufe,  begleitet  die  eintretende  Milchsecretion  sym- 
ptomatisch, erscheint  besonders  bei  plethorischen  Frauenzimmern,  bei  star- 
ker Blutcongestion  und  nach  12  —  24stündiger  Suppression  der  Lochien  ,  bei 
versäumter  Milchausleerung,  bei  Mastitis;  hier  fehlen  die  Localaffectioneit 
des  Unterleibes,  die  bei  Febr.  puerperalis  stets  zugegen  sind.  Von  eine? 
ächten  Peritonitis  unterscheidet  sich  unsere  Krankheit,  nach  Bums,  durch 
die  charakteristische  Niedergeschlagenheit,  Schwäche  und  den  Kopfschmerz, 
durch  die  mindere  Hitze  und  Röthe  des  Gesichts,  durch  den  mindern  Durst, 
durch  das  nicht  immer  entzündliche  Fieber,  durch  die  Zeichen  von  Metritis; 
dagegen  ist  bei  Peritonitis  der  schnell  zunehmende  und  fixe  Leibschmerz  das 
Hauptsymptom.  Von  den  Nachwehen  unterscheidet  sich  die  Krankheit  durch 
die  eigenthümliche  Beschaffenheit  der  Wochenbettsfunctionen,  durch  die  Stelle, 
die  Periodicität  des  Unterleibsschmerzes,  sowie  durch  die  geringere  Heftig-" 
keit  aller  Zufälle.  Die  Kolik  könnte  man  noch  mit  dem  Puerperalfieber  ver- 
wechseln. Hier  fehlt  aber  die  heissere  Haut,  die  trockne  Zunge;  auch  ist 
der  Puls  bei  der  Kolik  weich,  der  Leib  stärker  aufgetrieben,  es  erfolgen 
Ructus  «nd  Flatus ;  auch  sind  die  Füsse  hier  zuweilen  schon  anfangs  kalt 
(ßwms).  Die  reine  Metritis  -wird  man  gleichfalls  mit  Febr.  puerperalis  nicht 
leicht  verwechseln,  da  sie  ihre  eigenthümlichen  Zeichen  und  Verlauf  hat 
(s.  Inflammatio  uteri).  Ausgänge.  «)  Zertheilung  erfolgt  häufig 
unter  Wiedereintritt  der  etwa  gehemmten  Lochien-  und  Milchsecretion;  oft 
geht  eine  grosse  Menge  Blut ,  zuweilen  |von  lymphatischer ,  milchiger  Be- 
schaffenheit aus  den  Genitalien  ab.  Auch  durch  starke  Darmausleerungeit 
seröser  Art,  selbst  durch  kritische  Schweisse,  Urin,  Salivation  entscheidet 
sich  dieses  Fieber;  nicht  selten  vermindert  es  sich  abor  auch  ohne  deutliche 
Krisen  (^Mitjuef).  h)  Ausschwitzung,  Ergiessung,  Exsudation  (Eccrisis  idio- 
statica,  erronea.  Fr.  ab  Hihleiihrand')  einer  eiterartigen,  an  Gestaltung, 
Farbe,  Consistenz  nicht  immer  gleichen,  meist  weisslichen,  der  dicken  oder 
geronnenen  Milch  sehr  ähnlichen,  bald  mehr  käsigen,  flockigen,  bald  eiweiss- 
artigen  Materie.  Bei  diesem  ungünstigen  Ausgange  finden  wir  dieses  Flui- 
dum  theils  unter  dem  Bauchfelle,  unter  dem  Netze,  theils  auf  der  Ober- 
fläche der  Leber,  der  Milz,  als  einer  Continuation  des  Bauchfells  vermöge 
ihres  serös- häutigen  Epitheliums;  ans  demselben  Grunde  auch  im  Cavo  uteri, 
in  schlimmen  Fällen  auch  aus  dem  Brustfelle  abgesetzt^  sogar  in  der  Brust- 
höhle über  die  Lungen  ergossen,  oder,  aus  der  Arachnoidea  kommend,  auch 
über  das  Gehirn  und  seine  Höhlen  verbreitet.  Zuweilen  finden  sich  in  den 
Leichen  häufiger  Spuren  von  Entzündung  der  Tuben  und  Ovarien  als  des 
Uterus  (^Nägele,  Bums,  Fandenznnde').  Die  Exsudation  geht  am  häufigsten 
•von  der  Innern  Fläche  des  Darmfells  aus ,  wo  sie  am  stärksten  und  bestimm- 
testen (als  Krise  am  unrechten  Orte)  erscheint.  Zuweilen  erfolgt  statt  die- 
ser Exsudation  purulenter  Materie  blos  Ergiessung  von  limpidem  Serum  in 
die  Bauchhöhle  (Ascites  aquosus),    worauf  gar  häufig  Brand  oder   allraäli- 


FEßRI»  743 

ger  Tod  durch  Abzehrung  Mgt.  Der  Ausgang  iii  Rxsudation,  welcher  bei 
dem  tödtlich  werdenden  Puerpe^öilfiebfer  nie  fehlt  (ffrtr?ess)  und  am  häufig- 
sten auf  die  Febr.  puerp.  simplex  folgt,  findet  zwischen  dem  5ten  und  lOten 
Tage  der  Krankheit-,  oft  üner\*artet  Schnell  untei*  Nachlass  der  örtlichen' 
Beschwerden,  also  bei  scheinbarer  Besserung  stöftt.  Zeichen  derselben  sind: 
weiche,  nicht  harte  Auftreibnrtg  des  Unterlteibes  (Meteorismus) ,  worin  man' 
eine  Art  von  Fluctuation  fühlt,  desgleichen  dunltelrothe,  umschriebene  Flecke 
auf  der  Wange  (Ä«scA).  c)  Metastasen,  besonders  auf  die  Lymphgefässc 
(Bftscft)  in  Form  von  Drösenanschwellungfen ;  d)  Abscesse,  Eiterungen  im 
Zellgewebe ,  Zerstörung  einzelner  Organe ;  e)  Melancholien,  chronische  Ent- 
zündungefn,  Verwachsungen,  faulige  AuflösiWg'  d^t  Eingeweide,  Putrescentia 
uteri,  Phlhisis  abdominalis  pnerperalis,  und  f)  Brand.  Letzterer  ist  unter 
den  Ausgängen  der  Puerperal!*  gar  nicht  selten,  besonders  wenn  der  Fie- 
bercharakter nervös  oder  putrid  ist,  wenn  sich  die  Entzündung  auf  den  Ma- 
gen und  die  Gedärme  verbreitet,'  die  Unterleibsganglien  ergreift  etc.  Ein 
kleiner  intermittirender  Puls ,  kälte  klebrige  Seh  weisse,  Facies  hippocratica, 
Sopor,  Delirien,  Vermindefune 'd«r  Schmerzen  bis  auf  einen  gewissen  Grad 
etc.  deuten  seinen  Eintritt  an  r'desgleichen  ein  starker  Schüttelfrost;  M. ). 
Ui'sachien.  Pi-äd}s^ttirortd"AVn-kt  AHdSj  vväs  die  Ähhäufung  der  Säfte  im 
Urtterieibe  während  der'SdiWaH'gerschaft  und' Entbindung  befördert,  die  Un-. 
tefflelbstirgane  drückt  urtd  pfeSsff  die  Gefässmündun'gen  verkleinert  und  sie 
90  Unfflhig  macht ,  ^em  beim'dSJ^bäracte  eintretenden  starken  Säfteandrange 
zu  widWstehen.  Versäumte»  UMWrbtützung  des  Unterleibes  durch  Leibbinden 
»ach  der'fereburt,  bes'ö'n'derS 'bdi"'ganz'' jungen  ,  bei  laxen  und  altern  Frauen, 
rhetrmatis^h'e  Leiden  ^  chronische 'Diarrhöen ,  zu  frühes  und  übermässiges  Ver-' 
arbeiten  der  Weh«*i^  zu  kurzer'  öder  zu  langer  Verlauf  des  GebäraCtes,  de- 
primirendeAffecte,''Mis'ii;braach''grosser  Gaben  Opium  bei  der  Geburt;  strenge 
Kälte,  grosse  Sortuniefhitze^nasskä'lte  Witterung,  herrschende  Scharlach- 
und  Mäs«rhepidemien','  sitzende'^-  weichliche  Lebensart  (daher  die  höhern 
Stände)'^  desgleichen  'hiehr  die ''nördlichen  als  südlichen  Länder  geben  die 
raeistÄ^ 'Disposition  '*^  diesem' -Übeh  •  Gelegenheitsursachen  sind:  ganz  vor- 
züglich Erkältung  vor  und  wjih*önd  des  Gebäractes,  desgleichen  im  Wochen- 
bette; hier  besonders  durch"  sW 'kühles  Getränk,  durch  unvorsichtigen  und 
z\i 'häufigen ''Wfechsel  der  LeifcXväsche,-  zu  heisse  oder  zu  kalte  Wochenstu- 
b^'^'  ferner  plötzlicher' SchCeck',  Ärger,  ■  Missbrauch  hitziger  Getränke  und 
Atzheien  ,1  schwere  ühdl  ftö'^htteWe  Entbindungen,  zu- Stark  drückende  Leib- 
binden iftt  Wochenbettfe',''-Pläcehtä  l?etbnta,  grobe  Veirl'«t«!ngen  der  Genita- 
lien d^ii»öh  Hebartittj*«'  und  GJebiKt<tshelfer; '^ein  sich  iri  Entbindungshäusern 
entwi^költtdes ,  jöd6th  ntir'  b^sichrlinktinfitirendes,  nicht  durch  andere  Per- 
sonen ausserhalb  der' Anstalt- 'f#Jtzupflan!zehdes  Contagium,  das  sich  aber 
auch  ausserhalb  Gebär -und ''Krankenhäusern  aus  gewissen  epidemischen- 
und  endemischen  Ursachlert'^' ans  ^ner  eigenen  katarrhalisch  -  nervösen  Witte- 
rungsconslitution  (Wc/jfe*^,' 'äusi  dem  Nerven- und  Faulfiebercontagium  ent- 
wickeln känh.  -^  Das  ächte' ent'zünd liehe  Puerperalfieber  (Nr.  2.) 
entsteht  durch  offenbare' Erkältung  am  häufigsten,  zumal  bei  vorherrschen- 
der enCzündlicher  Wilterungsconstitution ,  bei  plethorischen  Frauen ,  häufig 
bei  derbsten  Eritbindtthg',dur'€h  Missbrauch  erhitzender  Speisen,  Getränke 
und  Arzn'eiert^  du^ch  plötzliche  Suppression  der  Lochien,  Verletzungen  der 
Genitalieft;  die  gästf  isc  he  F'or  m  (Nr.  5.)  am  häufigsten  im  Herbst,  be- 
sdhdWs  bei  Status  'gastricus' und  solcher  Luftconstitution ;  die  nervöse 
Form  vöriöglfch  durch  Schrecken,  Kummer,  Sorge,  bei  sensibler,  nervö- 
ser K'SrperbeschafFenheit,  bei'  zarten,  schwächlichen,  jugendlichen  Subjecten; 
auch  eigenes,  in  Kränkewhäuserri > sich  entwickelndes  Contagium,  desgleichen 
die' heissC'' Sommerzeit  begünstigen  die  Puerperalis  nervosa;  sowie  auch  die 
putride' Form  durch  eirt  anderes  Contagium  in  und  ausserhalb  den  Spi- 
tälern, begünstigt  durch  Luftbeschaffenheiten  eigenthümlicher  Art,  leicht 
hervorgerufen  wird,  was  indessen  Gottlob !  selten  vorkommt  (s.  Febris 
putrida).  Wesen  der  Krankheit.  Ist  nach  des  Verfassers  (JTo«) 
Ansicht  entzündliche  Affection   des  gesammten  serösen  und  'mucösen  Häute- 


744  FEBRIS 

nnd  Gefässsystems ,   der   grossen  Nervengeflechte  \m  Uiiterleibe  (Hyineniti«, 
Adenitis,    Ganglionitis   abdominalis),    und   in    weiterer    Verbreitung    auf  die 
Brusthöhle  (bei  Disposition  zu  Katarrhen,    serösen  Pneumonien),    sowie  auf 
die  Kopfhöhle,    auch    der   Pleura  und   Dura   mater   (Hymcnitis  thoracica  et 
Meningitis);  oft  aber  auch  Entzündung  der  arteriösen,  venösen  und  der  Mus- 
kelpartien der  Abdominalorgane  (Arteriitis,  Phlebitis,  Myositis  abdominalis), 
besonders    bei    phlegmonösem  Charakter    des    Fiebers.     Die  Puerperaüs    hat 
auch  in  ihrer  einfachen  Form  entschiedene  Neigung  zum  nervösen  Charakter. 
Busch,  Hnrless  und  Andere  halten  die  Krankheit  für  identisch  mit  Peritoni- 
tis,   häufig   zugleich   mit    entzündlichen  Localaffectionen  in  Bauch-,  Brust-, 
und  Schädelhöhle,    selbst   in    den  Extremitäten    als  Phlegmatia   alba  dolens 
(^^Husch,  Gemeinsame  deutsche  Zeitschrift  f.  Geburtshülfe  Bd.  II.  Hft.  3.  S. 
483  —  53.9).      Doch   scheint   letztere   eher   ein  Morbus   sui   generis    zu   seyn 
(Tüf/).     Sundelin^s  neue,  noch  durch  zu  wenige  Erfahrungen  bestätigte  An- 
sicht ist  diese:    das  Puerperalfieber   ist  ein«;  eigenthümliche  Krankheit,   aus- 
gehend von  einer  Alteration  und  abnormen  Ki'asis  und  Vegetation   der  Ner- 
ven-, besonders  der  Gangliensubstanz,    sowol   qualitativer  als   quantitativer 
Art  (s.  Berends  Vorlesungen  von  Sundelin   Bd.,  VL  AbtUeil.  2.    S.  ^7  fg.). 
Behandlung.     Ist  nach  des. Verf.  (ü'aff)  Ausicht.  folgende:   a)  Prophy- 
laktisch Vermeidung  aller  bei  den  Ursachen  angegebenen  Schädlichkeiten, 
so  >yeit  uns   dies   möglich  ist,    sowol   in   der   Schyvangerschaft,,    als   bei   dert 
Entbindung  und  dem  Wochenbette;    vorsichtige ,  und   sorgfältige  Leitung  des 
Nachgeburtsgeschäfts,    gleichmässige  Erhaltung:  der  Transspiration  im  Wo- 
chenbette (Wochenschweiss),  zeitiges  Anlegen  des  Kindes,   Vermeidung  aHe.s 
überflüssigen   Arzneigebrauchs ,    Hebung    etvvaniger   Stuhlverstopfuug    durch 
ein  . einfaches  Lavement,    nicht   durch  Salztränke  (oder  g»r  durch  Electiiar. 
lenitivura ,    wie  dies  dumme  Hebammen  noch  «o  häufig  ftm  2ten,  3ten  Tage 
nach  der  Geburt  anordnen,    worauf  ich  die   ßchlimmst^  Zufalle  folgen  sah,. 
Mosi)',  bei  unterdrücktem  Lochien fluss  am  2ten,  3ten  T^ge  nach  d^'  Geburt' 
lauwarme  Injeclionen    von  Infus,  flor.  chamomillae  in  die  Scheide;,  bei  con- 
tagiösem    Charakter    der   Krankheit   iiv   Spit4l«ra  etc..  strenge   Reiitiictikeit, 
Luftreinigung   durch  Ventilatoren   und  Isoliruog    der  Krauken;    die  sonst  so 
herrlichen    Guyton-Morveau'schen  Räucherungen   erregeu  leicht  Pnieumonie, 
und  sind  daher  contraindicirt  (^Busch ,  Tott).   ,, (Zweckmässig  möchte,  hier  die 
Solutio  calcar.  oxymuriat. ,  womit  Tücher  angefeuchtet  und  im  Zimmer  aufii 
gehangen  werden,  seyn.    Vergl.  d.  Art.  Gangraeaa  iw>6ocomialis.  iH.),* 
Bei  Neigung   zu  Leibesverstopfung   in  der  Sohwangersf^haft    passt  Ol.  .ricini 
n)it  Salz  und  Manna  (noch  besser  der  in  dar  That  her;<-lich..>virkende  Leou- 
Iiard'sche  Trank,  oder,  folgende  gaitz  ähnlich  wirkende  .>|ixtur:  IV  ^^^'  Glau- 
heri  gjj,  — nrnjUc.  5J,  Atf.  fönt,  ftjj ,   Vini  rühr,  5JJ.  IM.  S.    Morgens  .'/i  —  1 
Übertasse  voll    zu  nehmen;    Most'),   bei    plethori''>ohen  Subjecten    mit  Brust- 
und  Kopfcongestionen  einige  Tage  vor  der  Nicd,^rkunft  .ein  Aderlass  am  Ann. 
Auch  das  Selbstsstillen,  iluhe  des  Geistes  und  .des, Körpers  im  Wochenbette, 
Vermeidung    der   Wochenvisiten,    schützt   vor    der    Kr4iikhc.it-     (Die  be:itcn 
Präservative   sind    Sorge    für    die  Krisen    durch  Schweiss,    Lochieafluäs  und 
Milch,  vor  dem  7ten  Tage  kein  Wechseln  der  Leib-  und  Bettwäsche;  letir , 
ter^  müssen   aufs  vurslchtigste   getrocknet  uud    erwärjnt  iseyn ;    fea»er   keine' 
Arzneien  oder  Lavements  vor  dem.  vierten  Ta^'«  nach  de^;  Niederkunft,  wenn 
auch  die  Leibcsötlnung  fehlt;  strenge  Diät,  H^^ferschlejm,  ^Brotsupi^^,  nicht« 
Festes  vor  dem  7ten  Tage.  Most).     Die  thera4)«u tis.chc   Behandlung,, 
der  Fuerpcrnlis  simpler   erfordert  Blutepel,    15  —  20  Stück,   *n  deiwUnter-; 
leib,  aber  erst  dann,  wann  die  cnlzündlichcn  Lotalleideu  deutlich  hervorgehe 
treten  sind.     Man  applicirt  sie  an  die  scIimerzhttfLesteu  Stellen  de.s  Abdomen^«» 
Mit  dem  Aderlässen  scy  mau  vorsichtig,  wiederhole  es  nie.     Nach  d«n  BlutrS 
ausleerungen  passt  innerlich  Merc    duicis  und  Extrr  hyoscy.imi,    p,  d.  gr.  j,  f 
alle  4  Stunden  gereicht  (^Schuci/häiiscr),    noch  besser  jfit  Kalomel  mit  Digi- 
talis (A/iV/Mc/),    daneben    innerlich    l'ot.   Riverii  511.    Ai|.    flor.  sambuci  gvj, 
.stündlich    1   ICsslöffel  voll,    und   zugleich    wariuo    Fomcnta'Jonen    von    Herb, 
hjüscyami,    ticutae,    Cap.  papav.    uuf  den  Unterleib,    späterhin   Lin.  volat. 


FEBRIS  745 

camphor.  mit  Tlnct.  opü,  mit  Unguent.  mercurlale  zum  Einreiben,  besonn 
ders  wenn  schon  Ausschwitzung  da  ist  (J\iligueV) ;  bei  metritischen  Symptomen 
und  Meteorismus  trockne  Schröpfköpfe  auf  den  Unterleib  und  Einspritzungen 
von  Herba  cicutac  3JJ,  mit  2  Schoppen  Wasser-  gekocht,  in  die  Mutter- 
scheide (^Autenrieth ,  Amelung^,  bei  bedeutenden  Schmerzen  kleine  Dosen 
Jpecacuanha,  allenfalls  mit  Kalomel.  Bei  entzündlicher  Affection  der  Brust- 
höhle, entstanden  (nach  BuscJi)  durch  Rücktritt  des  venösen,  im  Uterus  an- 
gehäuften Blutes  in  die  Lungenzellen  oder  durch  gestörte  Rückwirkung  der 
Gefössthätigkeit  im  Unterleibe  auf  die  Brust,  oft  in  Folge  früherer  Disposi-, 
tion  zu  Brustleiden ,  sowie  bei  vorwaltendem  Hirnleiden ,  passt  die  diesen 
auch  ausser  dem  Wochenbette  vorkommenden  Übeln  angemessene  Behand- 
lung (s.  Pneumonia,  Encephalitis);  also  bei  Meningitis  Blutegel  an 
die  Schläfe,  dann  kalte  Kopfumschläge,  innerlich  Nitrum  mit  Lactucarium»; 
später  Merc.  dulcis,  alle  2  Stunden  '/o — 1  Gran,  Vesicatoria  in  den  Nacken, 
bei  entzündlichem  Brustleiden  Aderlass,  Blutegel,  Nitrum  mit  Tart.  vitrio- 
lat.  in  einem  Decoct,  rad.  alfhaeae  u.  s.  f.  (Man  vergesse  aber  nicht,  dass 
man  eine  Wöchnerin  vor  sich  hat,  und  schwäche  nicht  zu  viel.  .Most).  .  Eine 
reizlose ,' nicht  blähende  Diät,  Ruhe  der  Seele  und  des  Körpers ,  teroperirte, 
Stubenluft,  leichte  Bettdecken,  Vermeidung  des  grellen  Lichts,  vorsichtiger 
Wechsel  der  Wäsche,  Sorge  für  gehövigei  Sedes  und  Urinsecretion»  gehörigia 
Entfernung  von  Nachgeburtsresten :  diese  Dinge  sind  nicht  zu  übersehen. 
Die  Felr.  puerperalis  inflammataria  erfordert, au^i^er  den  Blutegeln  oft  ein«». 
Aderlass;  doch  nehme  man  sich  sehr  damit  in  Acht^  vyenn- die  Krankheit 
schon  5-T-8  Tage  gedauert  hat.  Hier  p?isse*i  anfangs  Nitrum,  vegetabili- 
sche Säuren,  ein  Pulver  aus  fy  Tart,  dcpwnti^j^,  —  natronat,  ^V),  ,—r-, eme- 
tid  gt:  jj,  Sacchari  ^]}.  M.  f.  p.  Sj  ZvveiKtündlich  .einen  Theelöffel  voll  mit 
Wasser  {WeicJcnrd);  daneben  lauwarme  Umschläge  yon  Rad.  althaeae  und. 
Jlad.  consol.  major,  ana,  auf  den  Unterleib  (fufi/is).  Die  Febr.  puerperalia 
atrabilaris  erfordert  anfangs  Resolventia  frigida:  JPot>  Riyerii .  mit  Salmiak 
und  Tart.  emet.  in  refr.  dosi,  dann  Laxirmittel  aus  Tamarindem,  Salzen; 
bei  bedeutenden  Localalfectionen  auch  Blutausleerungen.  Dieselbe  Cur  ;er-, 
fordert  anfangs  die  Febr.  piierp.  ^«s/r?co-tJt'»ios«,  besonders  Pot.  River,  cun» 
siicco  citri  parat,  mit,  Sal  amnion.  und  Tart.  emetic. ,  bei  Turgescenz  der 
.^(»rdes  nach  Obqn  «in  Vomitiv  aus  Ipecacuanha  (doch  «rst  nach  den  nöthi- 
gen  Blutausleerungen) ,  bei  Turgescenz  nach  Unten  Laxantia  aus  Tamarin- 
den, Salzen  etc.  Aber  auch  hier  übersehe  man  die  Localalfectionen ,  nicht, 
sondern  wende  Blutegel- etc..  dagegen  an.  Auch  bei  der  Febr.  pmerp.  nervosa 
wende  man  letztere  anfangs  gegen  die  iLocalentzüi^dungen  an,  g^be  inner- 
lich Kalomel,  maclie  die  genannten  Unvi^phläge , vnd  Einreibuiig^p  auf  den 
Leib,  verordne  erst  später  Vesicatoria,  Moschus,  Liq«*  c.  c.  succ.,  Valeriana^ 
Arnica,  Kampher.  ,( In  4er  Regel  waltet  hier  die  erethistische  Form  vorf 
hier  passen  vorzüglich  .Mineralsäuren  mit  Lifus.  yaler.  und>  kleine  Dosen 
Tinct.  opü.  Most.)  Bei  des:  Ffbr.  pucrp.  pUtrida  ipaaspn  vorzüglich  die  Mi- 
neafalsäurei) ,  die  Valeriana ,  Arnica  ( s.  Eebris  puttida),  besonders  die 
Aqua  oxymuriatica.  —  Eine  etwas  andere,  zum  Theil  noch  zu  prüfende, 
Curmcthode  hat  Bvsch  empfohlen.  Bei  den  ersten  Zeichen  der  Febr.  puer-f 
peraüs  mit  entzüntjlichem  Leiden  des  Unterleibes,  räth  er  an:  massig  er- 
wärmtes, mehr  kühles,  geräuschloses,  verdunkeltes  Krankenzimmer,  ßedeckt- 
lialten  der  Wöchnerin:  alle  2,  Stunden  warme  Einspritzungen  in:,dJe  Vagina 
und  den  Uterus  von  Decoct.,  malvae  et  ieicutaft,  Aufmunterung  des  Kindes 
zum  Saugen;  zum  Getränk  Dfäicoct.  flor,  ma4vae,>  bei  kalten' Füssen, Reiben 
derselben  mit  erwärmten  Tüchern,  Aderlässe  mit  grosser  Vorsicht,,  nur  bei 
den  dringendsten  Anzeigen  und  nie  wiederholt,  nur  gleiche  anfangs,  ebensQ, 
die  Blutegel.  Grosse  Spannung  und  heftiger  anhaltender  Schmerz  des  Un-; 
terleibes  indiciren  die  Blutausleerung.  Bei  massigem  Localleiden  des  Unjer- 
l<5ibes  erst  am  2ten  Tage  Blutegel,  anfangs  innerlich  Ol.  ricini  bonum  oder 
Ol.  papav.  albi  in  Emulsion  und  mit  Extr.  hyoscyami,  Extr.  belladonnae, 
selten  mit  Opium,  oder  Aq.  amygdal.  amarar.  in  rfemlich  grossen  Gabeir, 
oder  mit  Tart.  emetic. ,   z,  B.   wenn  keine  andere  Indication  früher  zu  er- 


746  FEBRIS 

füllen  war:  1^  Sem.  pafav.  albi  ^^,  fiat  c.  aq.  comm.  l.  n.  Kmufsjo  ^^jj)  ?  «<W« 
Ol  nmyijdal.  dule.  51,  FuJv.  igumm.  viimns.  ^Y],  Extr.  hyoscijnmi  gr.  vj  —  vjjj, 
Tart.  emeticl  gr.  j.  M.  S.  Stündlich  1  Esslöffel  voll ;  zugleich  Einreibungen 
des  Unterleibes  mit  erwärmtem  Ol.  hyoscyanii,  bei  Meteorismus  mit  etwas 
Unguent  mercur.  einer,  versetzt.  Bauch  und  Brüste  werden  dabei  mit  er- 
wärmtem Flanell  bedeckt;  bei  Stuhlverhaltung  gebe  man  ein  Klystier.  Nitrum 
und  Mittelsalze  passen  gar  nicht,  Brechmittel  nur  da,  wo  die  Sordes  <leut- 
lich  nach  Oben  turgesciren  ^  nicht  bei  den  so  häufigen  consensuell  vorhan- 
denen gastrischen  Zeichen.  Folgt  am  2ten  Tage  der  Krankheit  nach  dieser 
Cur  keine  Linderung,  oder  ist  schon  gleich  anfangs  die  Krankheit  sehr  hef- 
tig; so  passt  Kalomel,'  alle  2  Stunden  */i,  % — 1  Gran  in  steigenden  Ga- 
ben, b«i  hohem  Reizzustande  in  Verbindung  mit  Gumm.  mimos.  und  Extr. 
hyoscyami ,  ^  oder  Y^  Gran  Ipecacuanha,  alternirend  mit  der  obigen  Olemnl- 
sron.  Eine  hierauf  folgende  massige  Diarrhöe  schadet  nicht.  Am  2ten  Tage 
pasSt  auch 'ein  lauwarmes  Bad  mit  einem  Zusätze  von  3  —  4  ffi  Kochsalz. 
(Ohno  grosse  Noth  bade  man  keine  Wöchnerin  ;  Vorurtheile  und  Hebammen 
gind  dagegen,  erregen  Angst  und  Furcht,  und  —  schaden;  ausserdem  ists 
auch  gar  nicht  zu  leugnen,  dass  Erkältung  dabei  leicht  ^tattfindten  und  so 
das  Mittel ' mehr  schaden  als  nützen  kann.  Most.)  Tritt  keine  hervorste- 
chende Reizung  des  Magens  ein,  sosteigt  man  mit  den  Brechweinsteingaben. 
Am  Sten  Tage  sind  die  Blutegel  2U  10-^15  Stück,  wenn  sie  schon  am  er- 
^en  Tage  gesetzt  worden,  ausfeilen  zu  wiederholen.  Die  innern  Mittel 
werdien  fortgesetzt.  Wird  der  Öürehfall  heftig  oder  zftigen  sich  die  Vor- 
böten der  SaliVation,  so  vermindert  man  die  Gaben  des  Kalomelr;  die  In- 
jectionen  \Verden  fortgesetzt.  Ist  die  Haut  sehr  ti-öcken,  So  lege  man  Senf- 
te^ige  an  die  Waden,  undr^eibe  in  den  Unterleib- tmd  an  die  innere,  Fläche 
delf-  Schenkel  Ungnent.' mercur.  einer.  Ekeln  den  Kranken  jet2Jt  die  öKgetf 
Mittel,  so.  gebe'  man  Decoct.  rad.  althaeae  5"^j,  Tart.  -ömet.  gr  j:;  Extr^ 
hyoscyanii  gr.  yj,  Syr.  ■»mygdal.  51^  Mit  diesen  Mitteln  fährt  man  w'äh-" 
rehd  der  Dauer  des  entÄündiichen  Zeitraums  fort ,  giebt  weder  Valeriana,^ 
noch  fthliliche  Mittel,  Setzt  aber  zu  dem  Kalomel,  Wenn  verstärkte  nervöse 
Erscheinungen  eintreten,  '/r, —  '/^ — ^'/j  Gran  Kampher,  Svlweilen  eine  kleine 
Dosis  Opium."  Einer  stärkenden' Nachcur  bedarf  es  nicht;  Bei  drohender 
odfer  wirklic'h' eingetretener' Exsndation  giebt  Bii^'ich-  K»1i\p\ier  mit  Kalomel,' 
alternirend  mit  einem  'Infüso  -  Decöctnm  Sertegae  und  Digitalis ,'  läs.st  diö 
kleinen  Dösert  Tart.  emet.  foYUat^en  ,  und  das  Ungniant./ mercur.  mit  Linim.- 
Völ.  camphoft;  und  'Trn*ti  cafnth4ridum  einreJ'beiW'  'igelten  ist  vollkommene 
Aü8s<!hNVitzHng  zu  heilen^  hier  räth'er  innerlich  zum  Oleum  terebihth. ,  em- 
pllflsch  'na«h  ▼Öi'angeg^mgWien  ;B>l<*itaftlslee4'uhgen  von  A'i/n<r  empfohlen ;  dabei 
aar'  Heb>ing  der  sitikendlenKräftö  VäleriaiVavSei-pehtaria  mit  Liq.  c.  c.  .succ.',' 
lNapluh3  »»Tc,  über  den  Bauch  eiii  grosses 'VesicafOrium  ,f  boi  nervöser,- putri- 
der Complication  aucli  Öhlna,  Moschus.  Bei  lanffsam'erfoigender  Ausschwitzüng 
dienen  Diuretiea  mit  TortitiS',  b'el. zurückgebliebener  Verdickung  und,  Verhär- 
tung des'  Bauchfell*!  tcfä'fcige  MeriAirialeinreiböngen  un<il  innerlieh  Sen(iga } 
den  reizende^l  Heilplan«!  »\ende^  man  nie  zn  fi-üh  an.'  Bei"  der  PuerperaHs  mit 
Kiitizündnng  der  Brust<Mf^ane  rnth  '*r  anfang.<  einen  Adevlass,  daneben  die* 
Einspritzuhgfert' in'den''ütet'tl6,'  innei^üch  kli?\ne  Dosen- Tkrt.  emet.,  und!  die! 
Behandlung ,'i'vtie'  bei  Pfterperaliö  cum  Peritoniti'de'.  Tritt  die  Krankheit 
plötütliöh  mit)  Bnceph»'l'ilis''W»f,  wobei  Schmer/Iosigkeit  des  Leibes,  aber' 
gr^sfee- Unrtihe,  Gescht^äftzigkeit,' Raserei' etci' stattfinden,  dann  soglfiich  ein' 
AdeiMt^is:  von  'lO-i-ÜO  Urizeiiy  hinterher  Rv  Nf^'i  depur.  .5jj.  Tnrtttr.  emet.- 
gr.  jjj  IjaPtUciirii  ar.  vj — ^vjjj,  Emnls.  acmJprif)^')):  ^vj.  M.  S.  Alle  8  Stnn-' 
den  1  Esslölfel  voll,  alternirend  damit  alle  2  Stünden  1—3  Gran  Kaldmtl^' 
allfe  1^ — 2  St«nden  die  obigen  wannen  IrVjectionen  in  die  Vagina;  dabei  hau-' 
tiges  Anlegen  des  Kind<*s;  nur  bei  Stupor  kalte  Kopfunischläge,  bei  nicht 
bald  eintretender  Bes.«<erung  Blutegel  an  die  innere  Seite  der  Oberschenkel, 
bei  grosser  Heftigkeit  und  Dauer  der  Raserei  auch  an  den  Kopf;  selbst 
Wiederholung  des  Aderlasses;  bei  trockner  Haut  neben  dem  Kalomel  Sal- 
miak mit  Tart.  stibiat,    Sinapismen,   ableitende  Lavements;   beim  Stupor  in 


FEBRIS  .1^17 

der  acuten  Encephalitis  Vertieidung  äfö*  Narcoticä,  dagegeri  n^lien  den.  an- 
dern Innern  Mitteln  Fomeniiren  der  untern  Extremitäten!  mit  warmem  Senf- 
autguss,  in  Flahelltüchern  übergeschlagen,  Injectionen  in  die  Scheide,  kalte 
Kopfuriischläge,  Sinapismen:  an  verschiedenen  Stellen, .  selbst  in  den  Nacken 
und  auf  die  Oberarme;  bei  andauerndem  Hirnleiden  ist  eine  Vesicatoriums- 
wunde  im  Nacken  offen  z?ü  erhalten.  Man  sorge  ausserdem  für  Wiederher- 
stellung der  Milchsecretion  durch  Waridhalten.  de«  Brüste,  trockne  Schröpf- 
fcöpf«.  Anlegen  des  Kindes  etc.  Die.  eigentlichen  Nervina  excitantia  sind 
mit  grosvser  Vorsicht  und  erst  spät  anzavs"endeni;  »Bei  langsam  eintretender 
Encephalitis  dienen  innerlich  Kalorael  'A^-l  Grari  in  steigender  Gabe;  aus- 
serdem Salmiak,  Tart.  emetv  und  Lactuoarium  in  einem  Decoct.  rad.  althaeae; 
in  einigen  Fallen  passen  daneben  dreimal  täglich  40 — ^50  Tropfen  Aqua 
lauro  cerasi.  Blutententziehungen  sind  hier  selten,  indicirt,  häufiger  ein 
Fontanell  am  Arm  zur  Derivation  vom  Kopfe^  besonders  bei  Verstandesveir- 
rückung.  Bei  den  entzändlichen  Localleideh  'der  Extremitäten,  die  Busch 
als  eine  Varietät  der  Puerperalis  ansieht,  räth  er  «)  gegen  die  Lyinphg«-^ 
schwülste  an  einzelnen  Stellen  der  Extremitäten  •  ausser  den  obigen  innera 
Mittel«  äusserlich  Einreibungen  von  Oli  hyosöyami,  warme  Bedeckung  mit? 
Flanell,  bei  grossen  Schmerzen  Blutegel  (Ädeijässesind  selteh.  nöthig.) ,  bei 
schmerzhafter  Geschwulst  Empl.  cicutae  et  m^rcnriah  ana.  '  Später  die  Be-; 
handlung  der  etwaiiigen  Lymphabscesse.  (s.- Abs-cessus  lymphaticus). 
Oft  sind  diese  Geschwülste  kritisch  öden  raietastatirioh  in  der  Pilerperalis  curti 
Peritonitide.  Hier  vermeide  man,  warine  Bedeafcung  tuid  das  Einireiben  von 
Ol.  hyoscyami  ausgenommen ,' jede  örtliche  Behandlung,  fc)  Bei  d^r.' iPhIeij~' 
malia  alba  dolens  berücksichtigt  er  anfangs^  alsö.in  der  entzündlichdniiPe-' 
riode,  vorzüglich  Wiederherstellung  der  WochenseAretion.  durchudi©  aiigege^, 
benen  Injectionen  etc.,  bei  sehr  heftigem  Fieber  und  plethorisrhem  Körpe» 
ein  Aderlass,  besser  noch  20  Blutegel  aii  das  leidende  Glied;  innerlich  .sille 
2  Stunden  1  —  2  Gran  Kalomel  mit  Extr.  hyoscyami ^  Einreiben  des  Schen- 
kels mit  Unguent.  mercuriale  und  Ol.,  hydscyami^  aeben  dem  Kalomel  auch 
kleine  Dosen  Tart.  emet.  als  Ekelcuu;  Erbrechctt  und  Durchfall  müssen 
verhütet  werden;  Bei  eintretender  Ausschwitzong  lege  man  sogleich  ein' 
grosses  Vesicator  auf  die  obere  Wade  (^noch  besser  i»  Form  -eines  zwei  Zoll 
breiten  Bandes  rings  um  den  Schenkel,  oberhalt)  des  Kniees^  Most),  halte 
die  Stelle  durch  reizende  Salben  8  —  14  Tage  offen  ,•  reibe  Linim.  völat.  mit 
Tinct.  cantharid.  in  den  Schenkel.,  gebe  innerlich  Kalomel  mit  Digitalis  und 
Tart.  emeticus.  Legen  sich  die  Schmerzen,  so  vermindere  man  die  Gaben/ 
dieser  Mittel ;  ist  die  Ausschwitzung  chronisch  geworden  und  nichts  Ent- 
zündliches mehr  da,  so  passt  innerlich  .mit  Vorsicht  Ol.  terebinthinae.  Im 
Verlaufe  der  Phlegmatia  tritt  oft  ein  Stadium  nervosum  ein.  Hier  Wechsel© 
man  oft  die  Vesicantia,  gebe  innerlich  Senega,  Arrnica,  Tart.  emet.  in  refr. 
dosi;  späterhin,  wenn  Paralysen  zurückbleiben,  wende  man  warme  Schwe- 
felbäder, Acupunctur,  Elektricität  an.  Alie  kalten  oder  warmen  Fomenta-^ 
tionen  sind  bei  der  Phlegmatia  verwerflich.  —  Auch  die  Putrescenlin  uteri 
hält  Busch  für  eine  Varietät' der  Febris. puerperalis,  obgleich  sie  wol  rich- 
tiger eine  Hysteromalacie  ist  (^'l'ott ,  Most,  RnmiscK).  Seine  Behandlung  ist 
die  allgemeine  der  Puerperalis,  erst  bei  wirklicher  Putrescen»  verbindet  er 
die  genannten  Injectionen  mit  Decoct.  chinae;  gesteht  aber,  dass  hier  leider! 
alle  Hülfe  fast  immer  vergebens  ist.  Bei  der  Puerperalis  mit  gastrischem, 
nervösem,  putridem  Fiebercharakter  empfiehlt  J5<asc/»,  dem  auch  Verf.  (^Totty 
beistimmt,  die  Localentzündungen  nicht  aus  der  Acht  zu  lassen,  die  Neriina, 
Excitantia  nicht  zu  früh  zu  gebrauchen;  die  Brechmittel  nur  bei  dringender 
Anzeige;  in  der  putriden  Form  Vorsicht  bei  Anweridiuig  der  China,  nur  ne- 
ben Kalomel  und  Tart.  stibiatus;  daneben  Einspritzungen  und  fleissiges  An- 
legen des  Säuglings,  Sundelin  (^Berends^s  Vorlesungen.  Bd.  VI.  Abtheil.  2. 
S.  471  u.  f.)  empfiehlt  besonders  reine  Zimmerluft,  die  höchste  Reinlichkeit, 
Isoliren  der  erkrankten  Wöchnerinnen  in  Spitälern  von  den  gesunden ,  als 
Prophylactica ;  bei  wirklich  ausgebrochener  Krankheit  als  Morbus  sui  gene- 
ris  Erweckung  der  Tendenz   der  Krankheit  zu   den  kritischen  Ausscheidun- 


748  FEBRIS 

gen,  je  nach  dem  Charakter  der  Epidemie,  Endemie,  der  Localität,  der 
Körperconstitution  der  Kranken,  bald  mittels  eines  antiphlogistischen,  bald 
antibiliösen,  antigastrischen,  antiseptischen,  erregenden,  krampfstillenden 
Verfahrens;  also  Nachahmung  der  Naturbestrebungen  im  Kindbetterinfieber; 
specieller  aber  ein  Heilverfahren  gegen  die  Alteration  der  Nervensubstanz 
(sich  aussprechend  durch  eine  abnorm  gesteigerte  Vegetation  derselben  etc.). 
Ein  oder  mehrere  Brechmittel,  das  Chlor,  das  Quecksilber,  die  Kälte,  bei 
symptomatischer  Peritonitis  Blutegel,  Fomentationen ,  Vesicantien  %yerdea 
empfohlen  (s.  Berends's  Vorlesungen  a.  a.  O.).  C.  A.  Toit. 

Nachschrift  desIHerausgebers.  Da  ich  über  das  Puerperalfie- 
ber viele  eigene  Erfahrungen  gemacht  habe ,  welche  in  der  Einleitung  zu 
diesem  Artikel  keinen  Platz  finden  konnten,  so  will  ich  das  Merwürdigste 
daraus  hier  noch  aphoristisch  mittheilen.  1)  Ein  Puerperalfieber  als  Morbus 
sui  generis  existirt  nicht ;  doch  haben  alle  Fieber  und  Entzündungen  im 
Wochenbette  einen  eigenthümlicheri  (erethistischen)  Charakter;  erfordern  da- 
her, wie.  bei  Säufern  und  Kindern,  ein  vorsichtiges,  nicht  eingreifendes  Ver- 
fahren. Alles,  was  die  Wochenschweisse ,  die  Milch  -  und  Lochiensecretion 
plötzlich  stört;  muss  vermieden  werden.  Dies  ist  das  grösste  Präservativ 
(vergl.  Tonnalle  in  Archiv»  geh^ral.  de  Medecine.  T.  XXII.  1830.  Mars, 
pagw  345).  2)  Gewisse,  noch  nicht  genau  erforschte  Luftbeschaffenheiten 
erregen  in  gewissen  Jahren  die  Puerperalfieber  häufiger  als  in  andern  Jahren. 
Die  meisten  Fälle  beobachtete  ich  in  den  Jahren  1812,  1813,  1822,  1823, 
1826  und  1827  (vergl.  auch  Miguel  in  Horn's  Archiv,  1829,  Jan.  u.  Febr. 
Si  84r  u.  f.  ■  A.  V.  Siehold's  Pathol. -therap.  Darstell,  des  Kindbettfieberä. 
Frankf.  :  1826.  D'Oirfrcpont  in  Salzburg,  med. -chirurg.  Zeitung,  1821.  Neu- 
maim  in  SiehohVs  Journ.  f.  Geburtshülfe,  1827.  Bd.  VII.  St.  1.  S.  53  —  84). 
Wichtig  ist  noch  der  Umstand,  dass  Rückgratskrankheiten,  besonders  Mye- 
hlis,  im  Wochenbette  unter  der  F'orm  der  Puerperalis  auftreten  können 
( s.  J.  Bintcrhergcr  in  der  med.  -  chirurg.  Zeitung,  1828.  Nr.  54  etc.  und  in 
HufelancCs  Journ.  1830.  Febr.  S.  53),  worüber  auch  ich  eine  Beobachtijng 
gemacht  habe.  Vor  dem'  4ten  und  nach  dem  15ten  Tage  der  Niederkunft 
habe  ich  nie  ein  Puerperalfieber  gesehen.  3)  Am  Isten,  2ten  Tage  eines 
solchen  Fiebers  unterdrückte  ich  die  ganze  Krankheit  in  mehreren  Fällen 
durch  folgendes  Mittel  ^  Y^t  Elix.  ncid.  Halleri  5j»  Laudnni  lufuid.  Syd.  5tv. 
M.  S.  Alle  3  Stunden  15  —  25  Tropfen  in  einer  Tasse  Haferschleim.  Diese 
Tropfen  werden  nur  24  Stunden  lang  gegeben ,  alsdann  setzt  man  sie  aus 
und  beobachtet  den  Erfolg.  Ich  kann  nach  der  strengsten  Wahrheit  ver- 
sichern, dass  dieses  Mittel  mir  ausserordentliche  Dienste  geleistet  hat.  Zwei 
Fälle  will  ich  statt  aller  anführen.  Frau  K. ,  ?>S  Jahre  alt,  von  mittler 
Constitution ,  bekommt  am  6ten  Tage  nach  einer  etwas  schweren  Nieder- 
kunft durch  heftigen  Ärger  ein  Fieber  mit  V2stündigeiu  Froste;  darauf  starke 
Hitze,  Kopf-  und  Leibschmerz,  grosser  Durst,  etwas  Raserei,  Puls  120 — 130, 
Zittern,  grosse  Angst,  keine  gastrischen  Zeichen,  kein  Durchfall,  Leib  etwas 
weich  und  aufgetrieben,  Uterus  schmerzhaft,  Lochien  unterdrückt.  Sie  ge- 
braucht obiges  Mittel  einen  Tag  lang,  kommt  in  starken  Schweiss,  legt  ihr 
Kind  fleissig  an  und  ist  am  andern  Tage  gesund.  Nach  2  Tagen  kommt 
derselbe  B^ieberaiifall  jnach  heftigem  Ärger.  Ich  erkläre  das  Ganze,  um 
keine  Furcht  zu  erregen,  wiederum  für  Kleinigkeit,  verordne  dieselben  Tro- 
pfen, und  nach  24  Stunden  ist  das  Puerperalfieber  wiederum  verschwunden. 
Sie  hat  sich  seitdem  gesund  und  wohl  befunden  und  stillte  ihr  Kind,  das 
gut  gedieh,  selbst.  —  Frau  Seh.,  eine  sensible,  reizbare  Person  von  26 
Jahren ,  bekommt ,  5  Tage  nach  einer  schweren  Geburt,  von  einer  Hebamme 
Elect.  lenitiv.  zur  Beförderung  der  Leibesöfl'nung.  Es  erfolgt  Durchfall, 
Verminderung  der  Milchsecretion,  unterdrückter  Wochensch weiss ,  Fieber 
mit  Frost,  Hitze,  Kopfschmerz,  Übelkeit,  aufgetriebenem,  schmerzhaftem 
Unterleibe,  Puls  125;  Abends  Delirien.  Sie  gebraucht  am  Isten  und  2ten 
Tage  der  Krankheit  obige  Tropfen ,  die  Diarrhöe  und  der  Erethismus  legen 
sich ;  sie  ist  nach  3  Tagen  völlig  wieder  hergestellt  und  bis  jetzt  gesund. 
4)  Eine  streng  antiphlogistische  Cur  passt  bei  Puerperalfieber  höchst  selten. 


FEßRIS  749 

Denn  o)  gchwächliche,  reizbare  Frauen  bekommen  die  Krankheit  leichter 
als  robuste,  vornehme  leichter  als  Bauerweiber.  6)  Sie  folgt  auch  auf 
starke  Blutflüsse  (veigl.  Mende  in  Geuieins.  deutsch.  Zeitschrift  f.  Geburts- 
hülfe.  Bd.  I.  Hft.  3.  1827.  S.  573  —  601).  c)  Sie  tritt  oft  mit  Diarrhöe  ein, 
welche  bei  acht  inHainmatorischem  B'ieber  nicht  stattfinden  kann,  gegentheil» 
letzteres  schon  an  sich  vermindert.  Die  entzündlichen  Localaffectionen  müs- 
sen uns  nicht  irre  führen;  sie  sind  oft  secundär,  oft  passive  Entzündungen; 
die  Blutausleerungen  heben  wol  das  Congestive,  es  tritt  auf  einige  Stunden 
scheinbare  Besserung  ein ,  aber  hinterher  vvirds  desto  schlimmer ,  weil  der 
CoUapsus  darnach  schneller  eintritt.  Wie  herrlich  eine  nicht  eingreifende 
Cur  wirke,  beweisen  die  von  Busch  (a.  a.  O.)  angeführten  glücklichen  Rer 
sultate  seiner  sanften  Methode.  Dass  aber  ,sowol  mit  Acj.  lauro  cerasi,  als 
mit  dem  Kalomei  hier  viel  Missbrauch  getrieben  wird,  liegt  am  Tage,  wenn 
man  sich  nur  entschliesst,  bei  solchen  Kranken  einmal  auf  24  —  48  Stunden 
alle  diese  Mittel  auszusetzen  und,  ut  aliquid  fecisse  videatur,  eine  reino 
Emuls.  sem.  papav.  albi  zu  verordnen.  Es  verhält  sich  hier  ebenso  wie  mit 
dem  Nervenfieber,  wo  die  Natur  das  Mederi  besser  versteht  als  ein  ganzes 
Consilium  medicum  (s.  Febris  neuropathica).  5)  Die  Phlegmatia  alba 
dolens  kann  ich  mit  Busch  nicht  als  Varietät  des  Puerperalfiebers  erkennen ; 
denn  sie  kommt  auch  bei  Männern  vor  (s.  Horn's  Archiv  1825.  Mai  u.  Juni. 
S.  532),  und  ich  selbst  beobachtete  sie  einst  bei  einer  73jährigen  Frau. 
Auch  die  Putrescentia  uteri  ist  ebenso  wenig  eine  Varietät  der  Puerperalis 
als  die  Gastromalacie  eine  Varietät  der  Gastritis  oder  des  mit  Gastritis  ver- 
bundenen Fiebers.  Sie  ist  von  mir  ohne  bedeutendes  Fieber  beobachtet 
worden,  und  ifch  halte  sie  mit  Jöri)  für  die  Folge  eines  zu  starken  Abwel- 
kungs  -  oder  Absterbungsprocesses  der  Membrana  decidua,  wogegen  inner- 
lich Mineralsäuren,  Wein,  gute  Nutrientia,  antiseptische  Einspritzungen  zu 
empfehlen  sind,  6)  Dass  bei  heftigen  Fiebern  der  Wöchnerinnen  leiclit  Pe- 
ritonitis, Encephalitis  hinzukommen  können,  und  zwar  mit  grosser  Neigung 
zu  Exsudationen ,  ist  Thatsache.  In  solchen  Fällen  habe  ich  auf  den  Merc. 
dulc.  mit  Digitalis  das  meiste  Vertrauen  gesetzt.  7)  Höchst  einseitig  würde 
es  seyn,  das  epidemische,  contagiöse  Nosocomialkindbetterinfieber  als  Norm 
für  alle  Puerperalfieber  aufzustellen.  Hier,  sowie  im  wirklichen  Stadio  ner- 
voso  und  putrido  der  sporadischen  Puerperalis,  wo  im  Verlaufe  der  Krank- 
heit und  bei  hohem  Grade  derselben  Indicatio  vitalis  allen  andern  vorgeht, 
mögen  die  von  Stegmnnn  (^florn^s  Archiv,  1827,  Mai  u.  Juni)  empfohlenen 
kalten  Umschläge  auf  den  Unterleib,  die  man  sogar  neben  Aderlässen  zu 
Anfange  der  Krankheit ,  nebst  dem  Innern  Gebrauche  des  Eises  in  kleinen 
Stücken ,  mit  Nutzen  angewandt  hat ,  indicirt  seyn  (^Jngielshj  in  RusVs  Ma- 
gaz.  1826.  Bd.  XXHI.  Hft.  2.  S.  335).  8)  Mögen  im  Verlaufe  des  Puer- 
peralfiebers verschiedene  Localentzündungen  stattfinden,  wovon  das  B'ieber 
theils  Reflex,  theils  Ursache  ist;  mag  immerhin  bei  der  inflammatorischen 
Form  auch  eine  Arteriitis  stattfinden,  so  zweifle  ich  doch  daran,  dass,  wie 
Dr.  Tott  will ,  inflammatorischer  Charakter  und  Phlebitis  gleichzeitig  existi- 
ren  können,  da  diese  alle  Zeichen  des  Typhus  hat.  Tonnelle  sagt  in  seiner 
Abhandlung  über  Fievres  puerperales  (a.  a.  O.) ,  dass  man  bei  dieser  Krankr 
heit  am  häufigsten  Peritonitis  und  niur  in  seltenern  Fällen  Entzündung  und 
Eiterung  der  Venen  und  lymphatischen  Gefässe  des  Uterus,  worauf  zuerst 
Dance  in  Archiv,  general.  de  Medecine  aufmerksam  gemacht,  beobachte. 
Die  meisten  Fälle  endeten  mit  dem  Tode,  wahrscheinlich,  weil  man  durch 
öftere  Aderlässe  und  öfters  wiederholte  Anwendung  von  jedesmal  50  (!!!) 
Blutegeln  die  Kranken  so  sehr  herunterbrachte,  dass  sie  aus  Erschöpfung 
starben,  welcher  Missbrauch  noch  im  Jahre  18i!9  im  Hospital  la  Maternit^ 
zu  Paris  stattfand.  Lesenswerth  sind  folgende  Schriften :  A.  E.  v.  Siebold, 
Versuch  e.  pathol.  -  therapeut.  Darstellung  des  Kindbettfiebers,  nebst  Schil- 
derung, wie  es  im  Febr.  bis  April  1825  in  der  Gebäranstalt  der  kön.  Uni- 
versität zu  Berlin  geherrscht  hat.  Berlin  1826.  A.  C.  Bnudelocque,  AbhandK 
über  die  Bauchfellentzündungen  der  Wöchnerinnen.  A.  d.  Franz.  mit  Zu- 
sätzen u.  Anmerk.  von  Busch.    Potsdam  1832. 


750  FEBRIS 

Felris  purpurn  miliaris,  Purpurfrieselfieber,  s.  Purpura  und  Miliaria. 

Fcbris  putriän,  Si/nochns  putris  (^Gnlen,  Boerhanve,  dem  Stvieten),  Typhtui 
{CiiUen,  Heil),  Fehris  condnua  mnUijna  (^Huxlumi) ,  Febriü  conünens  puiridn 
{^Sclle),  Fehris  typhodes  (J.  Frnnl;)^  Fehris  pulrida  siiiiplex  (^liichler),  Fehris 
pitiiitosa  mnlitjna,  Fehr.  ptUi-ido-gasirica,  Febr.  pntrido  -simjjuinen  (^Syderihnm, 
Oimbius,  Stoll),  Febr.  paralytica  {Himly),  das  Faulfieber,  faulige  Fie- 
ber, Auch  in  der  Lehre  von  diesem  Fieber  hen-scht,  ebenso  wie  in  der 
Leiire  vom  Nervenfieber,  eine  grosse  Verworren  Weit,  die  für  solche  Arzte» 
die  an  Worten  und  Namen  kleben ,  leicht  zu  einer  nachtheiligen  Behandluni; 
führen  kann.  Bereiids  sagt  (s/  dess  Yorles.  von  SmideJin.  Bd  II.  S.  165): 
,,Das  Faultieber  gehört  seiner  Natur  nach  dem  asthenischen  Fieber  an,  ob- 
gleich es  gar  nicht  selten  einen  starkenAnstiich  des  entzündiichen  und  hy- 
])ersihenis<  hen  zeigt,  Charakterisirt  wird  dieses  Fieber  durch  eine  Neigung 
der  organischen  Krasis,  besonders  in  den  Säften  und  vorzugsweise  im  Blute, 
zur  Zersetzung  und  Entmischung.  Späterhin  treten  freilich  auch  Nervenzu- 
fälle hervor ,  welche  aber  secundär  und  e'me  Folge  des  vorhergegangenen 
Krankheitszustandes  sind."  Hiermit  ist  allerdings  das  Wesentliche  des  Faul- 
tiebers  auseinandergesetzt.  Aber  auch  an  sich  ist  das  F'aulfieber  selten  et- 
was Primäres,  in  den  meisten  Fällen  nur  etwas  Secuiidäres,  ein  hoher  Grad 
des  Nervenfiebers ,  ein  Ausgang  desselben  in  Putrescenz ,  oder  es  ist  die 
Folge  eines  corrumpirten,  schlecht  behandelten  gastrischen  Ffebers,  eines 
8aburral  -  und  VVurmfiebers,  eines  Schleiinfiebers,  oder  es  ist  Symptom  des 
B;andes  bedeutender  Theile,  oder  das  Ende  von  phthisischen  Krankheiten, 
von  Hydropsien  bei  einem  hohen  Grade  von  Dyskrasie,  Kachexie,  Kakochy- 
inie.  Ferner  nehmen  die  Petecliial  -  und  Aphihenfieber,  die  Febris  neuropa- 
thica  cum  Enteritide  leicht  einen  fauligen  Charakter  an,  besonders  bei  schäd- 
lichen Luftbeschaffenheiten  und  bei  dyskrasischen  Subjecten.  Sowie  wir  die 
Frage  aufwerfen  können :  Sind  die  Fieber  überhaupt  etwas  Selbstständiges, 
oder  sind  sie  mehr  etwas  Symptomatisches?  ebenso  ists  auch  hier  der  Fall. 
Primäre  Nervenlieber,  primäre  Fieber  mit  Schwäche,  mit  Fäulniss  findet 
man  in  allen  Handbüchern  der  Medicin ,  aber  höchst  sparsam  am  Kranken- 
bette. Ich  habe  sie  in  einer  12jährigen,  nicht  unbedeutenden  Praxis  bis 
jetzt  nur  selten  gefunden.  Wohl  aber  habe  ich  häufig  Fieber  beobachtet 
und  behandelt,  die  in  ihrem  Verlaufe,  bald  früher,  bald  später,  einen  soge- 
nannten typhösen,  nervösen  oder  putriden  Charakter  annahmen;  doch  war 
das  Verhälmiss  zu  dem  inflammatorischen  Charakter,  wohin  ich  auch  den 
katarrhalischen  und  rheumatischen  rechne  (so  dass  also  das  Wort  inflam- 
matorisch ja  nicht  sogleich  an  Blutlassen  und  Nitrum  erinnern  darf),  ge- 
ring, ohngefähr  5  zu  100,  so  dass  ich  von  100  Fieberkranken,  wenn  ich 
die  Intermittens  ausnehme,  die  man  zu  den  Neurosen  als  Folge  von  Affection 
des  Gangliensysteras  zählen  kann,  in  der  Regel  95  mit  mehr  oder  weniger 
starkem  inflammatorischem  Fiebercharakter  und  nur  5  mit  dem  nervösen 
Charakter,  oder  mit  dem  putriden  beobachtet  habe,  und  obendrein  letztern 
Charakter  nie  als  primär  auftretend.  Damit  will  ich  aber  nicht  behaupten, 
dass  dies  Verhältniss  in  andern  Ländern  Und  Klimaten,  besonders  in  sumpfi- 
gen, morastigen  Gegenden,  auch  so  sey  (vgl.  MonlfnJcon ,  Über  die  Sümpfe 
und  die  durch  die  Sumpfausdünstungen  hervorgerufenen  Krankheiten.  A.  d. 
Franz.  v.  Heyfehler.  Leipzig,  1825.  Preisschrift)  ;  denn  bei  allen  fieberhaften 
Krankheiten  ist  der  Einfluss  des  Klimas,  der  Gegend,  der  Luftbeschaffen- 
heit, der  Lebensart,  der  Nahrungsmittel  nicht  zu  übersehen,  wie  dies  die 
generelle  Nosologie  hinreichend  lehrt.  Die  nördlichen  Theile  Europas  zeich- 
nen sich  durch  Vorherrschen  von  Entzündungen  und  entzündlichen,  sowie 
gastrischen,  rheumatischen  Fiebern  aus,  was  in  Südeuropa  und  in  den  heis- 
»en  Zonen  nicht  der  Fall  ist.  Doch  hat  es  auch  bei  uns  bösartige  epidemi- 
sche Fieber  gegeben,  die  sich  dadurch  auszeichneten,  dass  sie  oft  schon 
früh  einen  putriden  Charakter  annahmen.  Die  Zeichen  dieses  putriden 
Charakters  oder  des  sogenannten  Faulfiebers  sind  im  Allgemeinen  fol- 
gende: grosse,  brennende  Hitze  (Calor  mordax),  kleiner,  weicher,  veränder- 
licher Puls,  grosse  und  wahre  Schwäche  (s.  Adynamia),  fauliger,  stinken- 


FEBRIS  751 

der  Geruch  des  Atheros,  der  Ausdünstung,    des  Urbs,  Stuhlganges,    selbst 
des  Blutes,  Flecken,  Petechien  und  Striemen  auf  der  Haut,  ßlutblasen  auf 
derselben,    passive  Blutungen  aus  Nase,    Mund,  After,   aus  der  Harnröhre, 
aus  der  Haut,  höchst  flüssiges,  dunkles,  zuweilen  hellrothes,    nicht  gerina- 
bares   Blut,    aufgetriebener  Unterleib,   Meteorismus,   heftige   Durchfälle   mit 
braunem,    schwarzem,    schaumigem,    höchst   stinkendem    Abgange;    trüber, 
brauner,    schwarzer  Urin  mit  reichlichem  Bodensatz,    ähnlich  den  Bierhefen, 
klebrige,  kalte  Schweisse.     Die  Kranken  liegen  sich  leicht  durch,  die  durch- 
gelegenen Stellen ,.  sowie  'die ,   wo  früher  Sinapismen  und  Vesicatorien  gele- 
gen haben,    werden  leicht  brandig,    der   Tod   erfolgt  unter   diesen  Zufällen 
meist    binnen    wenigen  Tagen,    selbst    Stunden.      Manche  Kranke    erbrechen 
grasgrüne  Galle,  oder  eine  dem  Kaffeesatz  ähiiliche  Masse,  stark  verkohlte» 
Blut,    z.  B.    beim  gelben  Fieber   das  sog.   schwarze    Erbrechen.      Zuweilen 
bildet  das  aus  der  Ader    gelassene  Blut  eine  schleimige,    in  Regenbogenfar- 
ben spielende  Crnsta  pleuritica,   oder  das  Blut   sieht   selbst  chocoladefarben 
aus.     Sehr  oft  werden  Zunge,  Lippen  und  Nase  schwarz,  es  entstehen  bran-r 
dige  Geschwüre  im  Rachen,   brandige  Bubonen,   Carbunkel,    z.  B.    bei  der 
Pest;   die  Krankea  rutschen  im  Bette  herunter,    können  nicht  auf  der  Seit» 
liegen,  sinken  immer  wieder  auf  den  Rücken,  dabei  Sopor,  Stupor,  Delirium 
blandum;    aus   den  Augen   fliesst    grüngelblicher  Schleim,    die  untere  Kinn- 
backe hängt  herunter  (zwei  böse  Zeichen);   im  letzten  Stadium  entsteht  oft 
ein  starker  Schweiss,    der  Puls    wird   immer  langsamer;    dabei  Zittern    der 
Glieder,  Spasmus  cynicus,  Convulsionen  aller  Art,  die  dem  Tode  kurz  vor- 
hergehen.    Der  Gang  der  Krankheit  ist  stets  eine  Febris  continua  contmens, 
macht,  also  gar  keine  Remissionen,  alle  Symptome  stimmen  mit  einander  über- 
ein,   was  bei  Febris  nervosa  nicht  der  Fall  ist.     Die  Leichen  gehen  schnell 
in  Verwesung  über.     Oft  finden  wir  die  untere  Fläche  der  Leber  blau,    die 
Milz  sehr  weich,  häufig  an  dem  Magen  und  den  Gedärmen  Stellen,  die  mit 
dunklem  Blute  injicirt  sind  und  wie  entzündet  aussehen.     Eigentliche  Krisen 
fehlen  beim  Faulfieber.      Tritt  Besserung   ein,   so   erkennt  man   dies  daran, 
dass  sich  die  Kräfte  heben,  der  Puls  normaler  wird ,  die  Zeichen  der  Putre- 
scenz  sich  vermindern,    ein  allgemeiner   warmer  Schweiss   eintritt   und   sich 
röthliche  Kr j stalle  im  Urin  (Arenulae)  zeigen.     Sie  sind  klein,  röthlich  und 
glänzend,   bestehen  aus  Harnsäure  und  rosiger  Säure,    zeigen  sich    auch  als 
Krisen  bei  der  Febris  neuropathica ,  nicht  aber  bei  der  Febris  nervosa,  so- 
wie am  Ende  eines  Gichtanfalls.      Sind  schon    14  Tage  der  Krankheit  ver- 
flossen und  haben  die  Symptome    noch  viel  Einklang,    sind  keine  bedeuten- 
den Ausleerungen  da,  so  ist  Hoffnung  zur  Genesung  vorhanden.     Ursachen 
des  Faulfiebers.      Die  Krankheit  befällt   ebenso  häufig  robuste,    starke,    als 
schwache  Personen,  da  sie  sowol  aus  entzündlichen  als  aus  nervösen  P'iebern 
entstehen  kann.    Gelegentliche  Ursachen  sind :  verschiedene  Luftverderbnisse, 
feuchte,  warme  Witterung,  schlechte  Nahrungsmittel,  Mangel  an  guter  Nah- 
rung ,    wie  in  den  Jahren    des  Missw achses ,    der  Noth ,  des  Krieges ,  einge- 
schlossene, schlechte,  verdorbene  Luft  in  Krankenhäusern,  Lazarethen,  Ker- 
kern,   Schiffsräumen,    allgemeine   Verderbniss   der    Säfte   durch   Kachexien, 
schlechte  Behandlung  entzündlicher,    galliger,    pituitöser  Fieber,    besonders 
aber  der  neuropathischen  Fieber.     Treffen  mehrere  solcher  schädlichen  Ein- 
flüsse zusammen,    so   werden    fast   alle  Fieber  putrid.      Am   häufigsten    aber 
kommt  das  Faulfieber  epidemisch  vor,   wo  dann  die  nächste  Ursache  in  der 
Luft,  in  einem  Miasma  zu  suchen  ist,   nicht  aber  in  einem  Contagium,   ob- 
gleich contagiöse  Fieber  aus  Faulfiebern  werden  können,  wodurch  aber  ihre 
Natur  verändert  wird.     Herrschen  Faulfieber  epidemisch,  so  nehmen  fast  alle 
andere  Krankheiten  leicht  den  putriden  Charakter  an,  besonders  der  Typhus 
contagiosus,   die  acuten  Exantheme,    die  Angina,   Katarrhal-,    Gallen-  und 
Schleimfieber,  und  die  Ruhr  (s.  diese  Artikel).     Behandlung  im  Allge- 
meinen.    Äusserlich  dienen  Kälte,  kalte  Sturzbäder,  kalte  Zimmerluft,  Ver- 
besserung derselben    durch  die   übersauren    salzsauren  Räucherungen,    kalte 
Waschungen;    innerlich   vegetabilische    und    später    mineralische    Säuren   in 
grossen  Dosen,  mit  kaltem  Wasser  veraiischt  und  kalt  getrunken,  denn  auch 


752 


FEBRIS 


<las  kalte  Wasser  ist  ein  herrliches  und  grosses  Antisepticuni,  das  selbst  bei 
den  Diarrhöen  keinen  Schaden  bringt;  ferner  China,  Chinin,  später  in  Ver- 
bindung mit  excitirenden  Mitteln,  besonders  mit  Arnica.  Nichts  ist  bei  Faul- 
liobern  scliädlicher  als  die  frühe  Anwendung  von  reizenden,  erhitzenden  und 
narkotischen  Mitteln.  Der  vorhandene  Fieberreiz  im  Blute  und  im  ganzen 
Gefässsystem  wird  dadurch  vermehrt  und  die  Neigung  zur  Zersetzung  um 
so  eher  befördert.  Diese  Mittel  wirken  ebenso,  wie  ein  hoher  Wärmegrad 
des  Zimmers,  heisse  Stubenluft,  dicke  Federbetten,  höchst  nachtheilig,  be- 
fördern wahre  Adynamie,  führen  das  Stadium  nervosuui  schneller  herbei, 
erregen  secundäre  Petechien,  Vibices,  passive  Blutungen  aller  Art,  und  stür- 
zen den  Kranken  ins  Grab.  Dagegen  ist  die  Kälte  das  grösste  Heilmittel, 
das  in  allen  Stadien  der  Krankheit  passt,  und  früh  angewandt,  alle  schlim- 
men Zufälle  im  Verlaufe  der  Krankheit  verhütet.  Glaubt  man  späterhin  am 
6ten,  7ten,  9ten  Tage  der  Krankheit  excitiren  zu  müssen,  so  fange  man  mit 
Infus,  arnicae  und  Succus  citri  an  und  gehe  dann  zur  China  über.  Die 
Diät  muss  anfangs  streng  vegetabilisch,  säuerlich  seyn,  da  animalischo 
Nahrungsmittel,  wie  narkotische  Arzneien,  die  Putrescenz  befördern.  Man 
verordne  daher  säuerliche  Nahrungsmittel  und  Getränke,  Obst,  saure  Früch- 
te, mit  Essig  und  Gewürzen  eingemachte  Früchte,  als  Gurken,  Kirschen, 
Pflaumen  u.  dgl.  Nur  bei  der  Reconvalescenz  passt  gute  animalische  Kost, 
daneben  Wein,  bittere  Extracte:  Extr.  rutae,  Card,  bened. ,  gentianae,  in 
aromatischen  Wassern  und  mit  Tinct.  rhei  vinosa,  Decoct.  chinae  mit  Elix. 
viscer.  Hoffmanni.  Einzelne,  oft  Gefahr  drohende  Symptome  der  Krankheit 
erfordern  die  besondere  Aufmerksamkeit  des  Arztes  und  eine  zweckmässige 
symptomatische  Behandlung.  Diese  sind:  1)  Die  Diarrhöe.  Sie 
ist  zu  Anfange  des  Faulfiebers,  wenn  dieses  die  Folge  eines  Gallen-,  Sa- 
burral-,  Wurm-,  Schleimfiebers  ist,  oft  kritisch  und  darf  nur  mit  Vorsicht 
gestopft  werden.  Im  einfachen  primären  Faulfieber  ist  sie  häufiger  sympto- 
matisch, mässigt  in  den  ersten  paar  Tagen  die  Heftigkeit  des  Reizfiebers, 
schwächt  aber  bei  längerm  Anhalten  nur  zu  schnell.  Daher  dürfen  wir  sie 
hier  nur  kurze  Zeit  ansehen ,  und  die  übrigen  Zeichen  müssen  uns  lehren, 
ob  schon  ein  hoher  Grad  von  Schwäche  da  ist,  oder  nicht.  Ist  wahre  Ady- 
namie unverkennbar,  so  verordnen  wir  gegen  den  Durchfall  Decoct.  rad. 
columbo ,  salep ,  Extr.  rad.  arnicae ,  und  hilft  dieses  noch  nicht ,  so  reichen 
wir  mit  Vorsicht  1  —  2  Dosen  Opium.  Bei  Diarrhöe  mit  dem  Charakter 
des  Torpors,  also  nicht  in  den  ersten  Tagen  des  Faulfiebers,  passen  inner- 
lich Alaun,  Gummi  kino,  Infus,  rad.  arnicae  mit  Decoct.  cort.  chinae.  Sehr 
vorsichtig  muss  derjenige  Durchfall  behandelt  werden,  welcher  sich  im  spä- 
tem Verlauf,  wenn  die  Krankheit  bereits  ihre  Höhe  überschritten  hat,  ein- 
stellt. Hier  verdient  das  Extract  und  der  Aufguss  der  Arnica  den  Vorzug, 
besonders  wenn  man  zugleich  schleimige  Getränke,  z.  B.  Decoct.  rad.  salep, 
in  Anwendung  bringt  (^BerenJs).  2)  Aphthen.  Sie  deuten  häufig  auf  ent- 
zündliches Ergriffenseyn  des  Digestionsapparats,  auf  gastrische  Ablagerungen, 
und  erfordern  die  vorsichtige  Anwendung  eines  Brechmittels.  Am  häufigsten 
erfolgen  sie,  wenn  die  Febris  gastrica  wegen  versäumter  Emetica  zur  Pu- 
trida  wird.  Hier  säume  man  nicht,  zuerst  ein  Brechmittel  zu  geben.  Zu- 
weilen sind  die  Aphthen  auch  etwas  Kritisches,  wie  die  Dothinenteritis  (Ilei- 
tis pustulosa  Uufeland)  bei  Febr.  neuropathica,  und  hängen  oft  wesentlich 
mit  dem  Fieber  zusammen,  z.  B.  bei  Febr.  aphthosa.  Hier  dürfen  wir  sie 
nur  mit  Mucilaginosis  behandeln.  Sind  sie  blos  etwas  Symptomatisches, 
sind  keine  gastrischen  Zeichen  daneben,  so  passen  die  gewöhnlichen  Mittel 
(s.  Aphthae,  Angina  aphthosa),  sind  sie  brandig,  bösartig,  so  geben 
wir  Mineralsäuren,  Solutio  vitrioli  albi,  coerul.,  Decoct.  chinae  (s.  Angina 
gangraenosa),  bei  grosser  Emplindlichkeit  passt  aber  nur  reines  Decoct. 
althaeae  ohne  tonische  Mittel.  3)  Exantheme.  Sie  gehören  oft  zur  Na- 
tur der  Krankheit,  z.B.  bei  der  Febris  petechialis ,  wenn  diese  einen  fauli- 
gen Charakter  annimmt.  Hier  ists  wichtig ,  die  kritischen  von  den  nicht 
kritischen  Petechien  zu  unterscheiden  (s.  Petechiae).  Letztere,  sowie 
die  Vibices,   die  in  der  Akme  des  Faulfiebera  hinzukommen,   oft  erst  am 


FEBRIS  753 

Uten,  14ten  Tage,  sind  ein  schlimmes,  grosse  Verderbniss  des  Blutes  an- 
deutendes Zeichen.  Hier  können  die  Antiseptica  :  China  und  Mlneralsäuien, 
in  grossen  Dosen  nur  noch  die  meiste  Hülfe  geben.  4)  Blutflüsse.  Das 
Nasenbluten  ist  hier  weniger  gefährlich  als  blutiger  Stuhlgang  und  Urin ; 
Lungenblutfluss  zeigt  sichern  Tod  an  {Berends).  Alle  Blutungen  im  ausge- 
bildeten Faulfieber  müssen  so  schnell  als  möglich  gestillt  werden ;  innerlich 
Elix.  acid.  Halleri ,  Acid  phosphor. ,  die  Verbindung  Yon  Alaun  mit  Kino; 
äusserlich,  z.  B.  bei  Nasenbluten,  Charpie  mit  Acetum  saturni  angefeuchtet 
in  die  Nase  gebracht,  bei  blutigem  Stuhlgange  Klystiere  von  Hausenblase. 
Daneben  innerlich  Wein,  Decoct.  chinae  mit  Elix  acid  Halleri,  bei  Blut- 
husten besonders  Opium  (^Berends) ;  doch  nicht  anhaltend.  5)  Sind  durch- 
gelegene Stellen  am  Rücken  etc.  brandig  geworden,  so  verbinde  man 
mit  Camphora  gumra.  arab.  trita.  Reinlichkeit  und  Waschen  mit  Spiritus 
camphoratus  verhütet  das  Übel  am  besten.  6)  Meteor ismus.  Er  gesellt 
eich  fast  immer  zu  der  Diarrhöe,  erregt  leicht  Dyspnoe  und  ist  ein  gefähr- 
liches Zeichen ,  hohen  Grad  der  Paralyse  und  nahen  Tod  andeutend.  Man 
giebt  dagegen  krampfstillende  Klystiere  aus  Valeriana,  Chaniillen  und  Kam- 
pher. Zuweilen  erfolgt  Meteorismus  aus  unvorsichtig  und  plötzlich  unter- 
drückter Diarrhöe,  wenn  Sordes,  Wurmcolluvies  da  sind.  Hier  ist  das 
Symptom  weniger  gefährlich  und  verschwindet  nach  Decoct.  fruct.  tamarin- 
dor.  mit  Crem,  tartari;  äusserlich  passen  aromatische  Bähungen  auf  den 
Unterleib.  Ist  der  Meteorismus  Folge  von  innerm  Brande,  so  hat  man  kalte 
Umschläge  auf  den  Unterleib  empfohlen ;  doch  ist  hier  alle  Hülfe  meist  ver- 
gebens. —  Für  die  Praxis  ist  es  noth wendig,  die  besondern  Verschiedenhei- 
ten und  Complicationen  der  Febris  putrida  gehörig  ins  Auge  zu  fassen.  Ich 
unterscheide  hier  mit  Sundelin  (^Berends^  Vorlesungen,  Bd.  II.  S.  167,  An- 
merk.)  folgende  Arten:  a)  Febris  putrida  primaria,  simplecc.  Es  ist  stets 
ein  epidemisches  Übel,  entsteht  aus  miasmatischen  Einflüssen,  befällt  alle 
Constitutionen  ohne  Unterschied,  gründet  sich  auf  eine  ursprüngliche  Nei- 
gung zur  Entmischung  im  Blute,  erscheint  anfangs  als  ein  heftiges  Reizfie- 
ber, als  ein  wahres  Blutfieber,  worauf  bald  der  Charakter  der  Schwäche 
folgt.  Ohnmächten,  Schwäche  und  Gefühl  von  Betäubung,  zuweilen  auch 
heftiger  Fieberfrost ,  worauf  oft  schon  schnell  Sopor  folgt ,  gehen  dem  Aus- 
bruche vorher  J» dann  alle  Zeichen  der  Putrida.  Es  giebt  Länder  und  Ge- 
genden in  Europa,  wo  dieses  primäre  Faulfieber  bis  jetzt  nie  geherrscht 
hat.  In  Deutschland  ist  es  seit  vielen  Jahren  nicht  dagewesen.  Die  letz- 
ten Epidemien  herrschten  im  17ten,  sehr  wenige  im  18ten  Jahrhunderte, 
Cur.  Kalte  Luft,  kalte  Waschungen  und  Sturzbäder,  innerlich  anfangs  ve- 
getabilische ,  später  Mineralsäuren  in  grossen  Dosen ;  noch  später  Valeriana^ 
Arnica,  Serpentaria ,  Calam.  arom. ,  Cort.  chinae,  Winteran. ,  Wein,  Ge- 
würze etc.  Den  Kampher  wende  man  ja  nicht  zu  früh  an;  nur  bei  deutli- 
cher Schwäche  im  Arteriensystem,  bei  Collapsus  vasorum,  bei  kühler,  wel- 
ker Haut ,  secundären  Petechien ,  Ecchymosen ,  passiven  Blutungen  ,  ent- 
standen aus  lähmungsartiger  Schwäche  der  Gefässenden ,  ist  er  indicirt. 
Dagegen  kann  die  Arnica  in  Verbindung  mit  Succ.  citri ,  Acet.  vini ,  weit 
früher  mit  Nutzen  angewandt  werden,  da  sie  sich  selbst  bei  Complicationen 
mit  Gastricismus  und  Saburra  verträgt  (^Sundelin).  b)  Fehris  puirido-ga- 
strica,  Fehr.  putrido-venosa.  Das  gallig- gastrische,  das  venöse 
Faulfieber  entsteht  secundär  aus  der  Febr.  gastrica,  biliosa,  durch 
schlechte  Behandlung,  durch  frühe  Anwendung  der  Excitantia,  Roborantia, 
Tonica  und  bei  Versäumniss  der  Evacuantia ,  wodurch  die  Ab  -  und  Aus- 
scheidung von  Galle  und  Darmschleim ,  durch  /eiche  sich  solche  Fieber  ent- 
scheiden, unterdrückt  wurde,  und  nun  die  Blutkrasis  leidet.  Symptome. 
Sind  die  des  Status  gastricus  und  der  Putrescenz.  Die  Anamnese  dient  zur 
Diagnose.  Cur.  Anfangs  antigastrisch,  doch  mit  Vorsicht,  um  nicht  zu 
sehr  zu  schwächen.  Man  gebe  ein  Vomitiv,  das  nicht  durchschlägt,  sorge 
bei  Obstructio  alvi  für  Leibesöffnung  durch  Klystiere  von  Ser.  lactis  tama- 
rind.,  gebe  innerlich  vegetabilische  Säuren,  verordne  kalte  Waschungen,  bei 
höherem  Grade  der  Fäulniss  Wein,  Arnica,  Mineralsäurea ;  doch  die  China 
Most  EneyUopädie.  Zte  Aufl.  I.  43 


^Si  FEBRIS 

mit  Vortiicht  und  nie  eher  als  bis  die  ersten  Wege  gereinigt  sind.  Wie 
herrlich  hier  oft  bei  allen  Zeichen  der  Schwäche  ein  Vomitiv  als  erregende» 
und  ausleerendes  Mittel  wirkt,  ist  unglaublich;  ich  habe  die  überraschend- 
sten und  glänzendsten  Erfolge  davon  gesehen  (M.).  c)  Fehris  pulrido-ncr- 
vosa ,  das  nervöse  Faulfieber.  Bei  nervösen  und  Nerventiebern,  wo 
vorzugsweise  das  organische  Nervensystem,  die  Reproductions-  und  Gan- 
gliennerven leiden ,  ist  auch  durch  den  verminderten  Einfluss  dieser  Nerven 
die  Assimilation,  Sanguification  und  Reproduction  sehr  verniindert.  Daher 
können  sie,  z.  B.  das  nervöse  Schleimheber,  leicht  einen  fauligen  Charakter 
annehmen;  besonders  wenn  solche  Fieber,  wie  dieses  häufig  der  B'all  ist, 
aus  epidemischen  Witterungseinttüssen  und  Luftverderbniss  entstehen.  So 
z.  B.  nehmen  die  acuten  Exantheme,  die  Scarlatina,  Petechialis  purpurata, 
die  Febris  morbillosa,  variolosa  etc.  bei  früher  Anwendung  reizender  erhi- 
tzender Mittel  zuerst  einen  nervösen  Charakter  an ,  indem  durch  die  Exci- 
tantia  das  Nerven-  und  Blutsystem  so  aufgeregt  wurde,  dass  darauf  Ab- 
stumpfung, Sopor,  Stupor  folgt.  Nun  leidet  die  ganze  Assimilation  und 
Blutbereitung ,  die  ohne  den  gehörigen  Einfluss  des  organischen  Nervensy- 
stems bekanntlich  nicht  von  Statten  gehen  kann ,  und  so  folgt  dann  auf  den 
nervösen  der  faulige  oder  paralytische  Fiebercharakter.  Cur.  Hier  passen 
besonders  kalte  Luft,  kalte  Sturzbäder,  Besprengen  mit  kaltem  Wasser,  in- 
nerlich Miueralsäuren,  besonders  Acidum  muriat.  oxygenat.  und  später  Ar- 
nica,  Kampher,  China,  d)  Febris  putrido -■  asthenica  sensu  strictiori,  das 
asthenische  Faulfieber,  Z  er  se  tzun  gs  fiebe  r.  Sowie  das  soge- 
nannte primäre  Faultieber  ein  solches  ist,  das  anfangs  fast  immer  ein  in- 
Uammatorisches  Stadium,  wenn  auch  nur  zuweilen  von  kurzer  Dauer,  hat, 
daher  als  Reizfieber  auftritt ,  das  bei  unvorsichtiger  schwächender  oder  bei 
zu  reizender  Behandlung  schnell  den  fauligen  Charakter  annimmt,  so  ist  die- 
ses Zersetzungsfieber  nur  dadurch  vom  primären  Faulfieber  verschieden,  dass 
es  ursprüglich  aus  echt  inflammatorischen  Fiebern,  wobei  keine  Neigung 
zur  Putrescenz  war,  im  Verlaufe  deshalb  entstand,  weil  frühes  Aderlassen 
und  die  antiphlogistische  Cur  versäumt  oder  nicht  strenge  genug  angewandt 
wurde,  und  somit  indirecte  Asthenie  im  Gefass-  und  reproductiven  System 
entstand.  Es  kaiui  also  sporadisch  entstehen,  ohne  dass  die  das  eigentliche 
Faultieber  befördernden ,  miasmatischen  Verhältnisse  der  lAft  herrschend 
gind.  Auch  am  Ende  der  Zehrkrankheiten,  der  Wassersuchten,  des  Diabe- 
tes, der  Phthisis,  aller  Krankheiten,  denen  organische  Verletzungen  und 
Leiden  der  Unterleibseingeweide  zum  Grunde  liegen,  beobachten  wir  es 
liäufig ,  wo  es  eine  wahre  Zersetzung  der  Säfte  und  den  nahen  Tod 
anzeigt.  Es  ist  hier  etwas  Symptomatisches,  ebenso  wie  beim  Brande 
wichtiger  äusserer  oder  iimerer  Theile ,  eine  durch  die  noch  stattfin- 
dende schwache  Lebenskraft  modificirte  Putrescenz ,  ein  anfangender  Pro- 
cess  der  VervNesung,  des  Todes  bei  lebendigem  Leibe.  Die  Cur  besteht 
darin,  dass  wir  auch  hier  stark  erregende,  tonisirende  Mittel,  Antiseptica 
gegen  die  allgemeine  Zersetzung  und  Fäulniss  der  Säfte  anwenden.  Doch 
sind  hier  alle  unsere  Bemühungen  fast  immer  vergebens,  da  wir  die  Ursa- 
chen ,  die  organischen  Zersetzungen  nicht  heben  können,  e)  Febris  putrido 
symptomaticn.  Ein  symptomatisches  Faulfieber  nennt  Sundelin  ein 
solches,  was  von  grosser  Verderbniss  sogenannter  ünreinigkeiten  in  den  er- 
sten Wegen  (fauliges  Satburral-  und  Wurmfieber),  vom  Brande  grösserer 
und  wichtiger  innerer  Theile  entsteht.  Lu  eigentlichen  Sinne  ist  die  Pu- 
trescenz bei  allen  Faulfiebern,  die  secundär  entstehen,  gleichfalls  nur  ein 
Symptom,  dessen  Ursache  der  Arzt  zu  erforschen  und  zu  entfernea  bat. 
Daher  ist  diese  Species  als  überflüssig  zu  betrachten. 

Fehris  remiUens ,  das  nachlassende  Fieber,  s.  Febris. 

Fehris  rubra  pruriyinosa.  Ist  eine  ältere  Benennung  des  Nesselfiebers; 
s.  Urticaria. 

Febris  snhurralis,  gastrica  saburralis,  das  Saburralfieber,  sog. 
Unreinigkeits  fiebe r.  Ist  eine  Art  de*  gastrischen  Fiebers,  welches 
durch  ein  Leiden  des  Majjens  und  Doriucanuls,  herrührend  von  Nahrungs-, 


FEBRIS  755 

Ab-  und  Aussonderungsstoffen,  verursacht  und  unterhalten  wird.  Alle  Nah- 
rungsmittel, welche  wegen  Schwerverdaulichkeit  oder  Schwäche  des  Ma- 
gens nicht  gehörig  verdauet  werden  und  so  den  Magen,  die  Gedärme,  die 
Leber,  die  Milz,  die  Bauchspeicheldrüse  zu  krankhaften  Absonderungen  ge- 
neigt machen,  indem  sie  als  fremder  Reiz  zuerst  die  Digestionsorgane  an- 
greifen, worauf  Schwäche  derselben  folgt,  können  dieses  Fieber  erregen. 
Symptome.  Mangel  an  Esslust,  Widerwillen  gegen  Fleischspeisen,  sau- 
res, ranziges ,  fauliges  Aufstossen ,  bitterer,  schleimiger,  saurer,  fauliger  etc. 
Geschmack,  Druck  und  Schwere  im  Magen,  Aufgetriebenheit  und  Spannung 
des  Unterleibes,  Übelkeit,  Erbrechen,  Abgang  recht  stinkender  Blähungen, 
lehmiger,  trüber  Urin,  zuweilen  recht  stinkende  Diarrhöe,  ausserdem  Kopf- 
schmerz, Schwindeln,  Frösteln  und  Kälte,  worauf  bald  Hitze  und  übelrie^ 
«hender  Schweiss  folgen.  Der  Puls  ist  in  der  Fieberzeit  bald  stark,  bald 
schwach,  meist  unterdrückt,  das  Athemholen  erschwert.  Der  Fiebercha- 
rakter ist  zu  Anfange  der  Krankheit  meist  immer  etwas  entzündlich ,  hat  aber 
Neigung  bald  nervös  bald  faulig  zu  werden,  besonders  wenn  die  Krankheit 
verkehrt  behandelt  wird  (s.  Febris  nervosa  und  Febr.  putrrda).  Oft 
hilft  sich  die  Natur  durch  tüchtige  kritische  Ausleerungen  nach  Oben  und 
Unten,  und  das  Übel  verschwindet  in  wenig  Tagen  neben  einer  guten  Diät 
von  selbst.  Behandlung.  Zuerst  ein  Vomitiv  aus  Tart.  emet.  und  Ipe- 
cacuanha,  daneben  Enthaltung  von  allen  Fleischspeisen  mehrere  Tage  lun- 
durch.  Dienlich  sind  viel  wässerige,  säuerliche  Getränke  (s.  Febris),  ge- 
kochtes und  ungekochtes  Obst.  Hat  der  Kranke  hach  dem  Vomitiv,  das 
aus  S — 4  Gran  Tart.  emet.,  1  Scrupel  Ipecacuanha,  4  Unzen  Wasser  und 
1  Unze  Oxym.  squillit.  bestehen  muÄS  (alle  5  Minuten  2  Esslöffel  voll  bis 
zur  Wirkung),  nur  wenig  abgeführt,  ist  das  Fieber  heftig,  mit  Delirien 
verbunden ,  so  passt  fy  Infus,  laxat.  Vienn.  3Jj ,  Aqune  fontan.  jv ,  Sal 
GJauheri,  Syr.  mnnnae  ana  gj.  M.  S,  Stündlich  1 — 2  Esslöffel  voll  (itf.), 
wodurch  theils  die  Congestionen  vom  Kopfe  abgeleitet,  theils  die  schadhaf- 
ten Stoffe  im  Darmcanal,  die  Sordes  primarum  viarum  ausgeleert  werden. 
In  leichtern  Fällen  verschwindet  das  Fieber  bei  solcher  Behandlung  schon 
am  5ten,  7ten,  in  schwerern  am  9ten  Tage.  Alsdann  passt  ein  Infus,  laxat. 
Vienn.  mit  Aq.  foeniculi  ana  5Jj ,  Tinct.  rhei  aquos.  5)^ ,  alle  Stunden  ein 
Esslöffel  voll ,  wornach  gelindes  Purgiren  folgt.  Smd  auf  solche  Weise 
Magen  und  Gedärme  gehörig  gereinigt,  dann  passt  Blix.  viscer.  Hoffmanni 
oder  Tinct.  aurantior.  composita,  wovon  dreimal  täglich  50  Tropfen  mit  ei- 
nem Glase  Wein  genommen  werden.  Wer  vor  gehöriger  Reinigung  des 
Darracanals  und  in  der  Heftigkeit  des  Fiebers  geistige  Getränke  und  Fleisch- 
suppen geniesst,  stürzt  sich  in  grosse  Gefahr. 

Fehris  salivnlis,  das  Speichelfi  eher.  Ist  ein  Fieber  mit  hervorste- 
chender Reizung  der  Speicheldrüsen ,  mit  vermehrter  und  veränderter  Abson- 
derung des  Speichels.  Symptome.  Schauder,  Frost,  oft  mehrere  Stun- 
den lang,  Hitze,  häufiger,  schneller  Puls,  Trockenheit  der  Haut,  des  Mun- 
des, Durst;  zuweilen  beim  Urinlassen  schmerzhafte  Empfindungen.  Das 
Fieber  exacerbirt  des  Abends ,  macht  zuweilen  binnen  24  Stunden  2  Exa- 
cerbationen; am  3ten  oder  6ten  Tage,  auch  wol  noch  später,  entstehen 
rheumatische  Gelenkschmerzen,  Reizung  der  Speicheldrüsen,  Zunahme  aller 
Fiebersymptome,  und  ein  oft  bedeutender  Speichelfluss ,  der  sich  gegen  den 
5ten,  7ten,  9ten  Tag  einstellt  und  mehrere  Tage,  selbst  Wochen,  anhal- 
ten kann;  dabei  aufgelockertes,  blutendes  Zahnfleisch,  Excoriation  der 
Zunge ,  Flecken ,  Pusteln  und  Geschwüre  auf  denselben  und  im  Rachen, 
Wackeln  der  Zähne,  zuweilen  Hautausschläge,  Schwinden  des  Gehörs, 
Ekel,  Magenschmerz,  Erbrechen,  Durchfall,  wenn  der  Speichel  verschluckt 
wird.  Nicht  selten  erfolgen  wässerige ,  schaumige  Stühle  als  Folge  von 
krampfhafter,  vermehrter  Secretion  des  Succus  pancreaticus,  eine  wahre 
Diarrhoea  pancreatica ,  wobei  Brennen  im  Magen  und  krampfhafte  Bewe- 
gungen im  Unterleibe  stattfinden.  Entsteht  keine  Ausleerung ,  so  können 
Entzündung  innerer  Theile,  nervöser,  fauliger  Zustand  und  Tod  folgen. 
Die  Krankheit  verläuft  binnen  7,  14,  21  Tagen;  sie  entscheidet  sich  dui'ch 

48  * 


^SQ  FEBRIS 

breiartige  Stähle,  starken  Schweiss,  durch  Harn  mit  Bodensatz.  Febri« 
nervosa,  putrida,  hectica,  Metastasen,  Parotitis,  Fluxus  hepaticus,  splene- 
ticus,  Ausfallen  der  Haare,  Desquamatio  cutis,  linguae  etc.  sind  beim  hef- 
tigen Speichelfieber  nicht  selten  beobachtet  worden.  Dauert  der  Speichel- 
fluss  lange,  so  hört  er  oft  plötzlich  auf,  es  entsteht  Blässe  und  Kälte  des 
Gesichts,  Brand  im  Munde,  kleiner,  schwacher  aussetzender  Puls,  Angst, 
kalte  Sch>Yeisse ,  Facies  hippocratica,  und  der  Tod  binnen  wenigen  Stun- 
den. Ursachen.  Zuweilen  ist  das  Speichelfieber  weiter  nichts  als  ein 
Symptom  de»  bevorstehenden  kritischen  Speichelflusses,  der  bei  Fleckfiebern, 
beim  Pockentieber  als  wohlthätig  betrachtet  werden  muss.  Aber  auch  hier 
können  die  Bestrebungen  der  Natur  und  das  Fieber  so  heftig  auftreten,  dass 
wir  es  massigen  müssen,  wie  dieses  bei  der  Cur  näher  erörtert  wird.  Auch 
der  Missbraüch  der  Mercurialien ,  besonders  der  äussere  Gebrauch  der  Queck- 
silbersalbe gegen  Krätze ,  Syphilis  inveterata  kann  die  Krankheit  im  hohen 
Grade  erregen.  Das  hier  entstehende  Mer  c  ur  ialf  i  eb  er  ist  ein  wahres 
Speichellieber,  dessen  Heftigkeit  sich  gewöhnlich  mit  dem  Eintritte  des 
Speichelllusses  bricht,  häufig  aber  noch  besonderer  Heilmittel  bedarf.  Ei- 
nige Contagien  haben  eine  besondere  Neigung,  Fieber  mit  Affection  der 
Speicheldrüsen  und  Salivation  hervorzubringen ;  daher  man  miasmatische 
Luftbeschatfenheit  und  sowol  mittelbar  als  unmittelbar  verschiedene  Conta- 
gien, vorzüglich  das  der  Pocken,  der  Hundswuth,  und  in  manchen  Epide- 
mien das  des  Typhus,  zu  den  ursächlichen  Momenten  des  Speichelfiebers 
zählen  kann.  Anschwellungen  der  Speicheldrüsen  beobachtete  man  häutig 
in  einzelnen  Scharlachepidemien  schon  am  2ten,  oten  Tage  der  Krankheit 
und  späier  starke  Absonderung  eines  qualitativ  veränderten  Speichels  (s. 
Mosfs  Geschichte  des  Scharlachfiebers.  Bd.  I.  S.  1^1,  124,  129,  130). 
Dies  war  besonders  in  denjenigen  Epidemien  der  Fall,  die  zur  Zeit  herr- 
schender Inlluenzepidemien  wütheten  (Ebendas  ßd.  1.  S.  176 — 185).  Ge- 
legentliche Ursachen  des  Speichelfiebers  sind:  langes  Wachen,  Fehler  der 
Phantasie,  langer  Hunger,  Geraüthsbewegungen,  Aufregung  des  Geschlechts- 
triebes. Prädisposition  geben  kindliches  Alters,  weibliches  Geschlecht,  phleg- 
matisches Temperament,  lymphatische  Constitution;  auch  Menschen  mit  Ha- 
bitus apoplecticus ,  mit  Buckel ,  mit  dem  Fehler  des  Wiederkauens  haben 
besondere  Anlage  und  Neigung  dazu.  Behandlung.  Sie  richtet  sich  nach 
den  Zufällen.  Bei  entzündlicher  Beschaffenheit  des  Fiebers ,  das  häufig  eine 
Synocha  nervosa  ist,  passen  Antiphlogistica  ,  selbst  Aderlässe,  kühlende  Pur- 
ganzen.  Li  der  spätem  Periode  der  Krankheit  kommt  oft  Parotitis  der  ei- 
nen Seite  des  Gesichts  hinzu,  die  in  der  Regel,  wenn  auch  die  Zeichen 
von  Schwäche  da  sind,  Blutegel  erfordert.  Zur  Beförderung  der  Krisen 
passt  besonders  Salmiak  mit  Tart,  emet.  in  refr.  dosi;  bei  krampfliaftem 
Pulse ,  Zittern  und  Klopfen  des  Herzens  Digitalis ;  bei  hohem  Schwächegrade 
dienen  kräftige  Reizmittel ,  besonders  Rheinwein.  Der  Gebrauch  des  Mer- 
curs  erheischt  Vorsicht,  er  muss  bei  den  Vorboten  des  Speichelfiebers,  selbst 
wenn  wir  es  absichtlich  erregen  und  die  sogenannte  Schmiercur  gegen  Lues 
inveterata  gebrauchen,  sogleich  ausgesetzt  werden.  Dauert  der  Speichel- 
'  fluss  aus  Schwäche  lange  fort ,  so  verordne  man  äusserlich  Gurgelwasser  aus 
Decoct.  columbo  mit  Tinct.  catechu,  innerlich  Lifus.  rad.  arnicae,  Decoct. 
cascarillae,  simarubae,  welche  Mittel  auch  beim  Bauchspeichelfluss  nützlich 
sind;  dabei  ableitende  Mittel,  Vesicatorien  in  den  Nacken,  bei  Bauchspei- 
chelfluss auf  den  Unterleib.  Tritt  Besserung  ein,  mässigt  sich  durch  die 
genannten  Krisen  das  Fieber,  so  verordne  man  stärkende  Mittel,  besonders 
Decoct.  chinae,  und  äusserlich  Schwefelkalibäder  bei  Solchen,  die  durch 
Mercurialvergiftung  die  Krankheit  bekommen  haben. 

Febris  scarlnlina,  das  Scharlachfieber,  s.  Scarlatina. 

Felris  Simplex ,  das  einfache,  gutartige  Fieber,  s.  Febris  ephemera. 

Fehris  soporosa ,  apoplecticn ,  ein  Fieber  mit  Sopor,  Apoplexie,  s.  Fe- 
bris intermittens  perniciosa. 

Felris  splanvhnka,  das  Eingeweidefieber,  s.  Febris  gastrica. 


FEBRIS  757 

Fehris  sporadica,  da«  sporadische  Fieber,  im  Gegensatz  des  epi- 
demischen ,  s.  F  e  b  r  i  s, 

Febris  slationaria ,  das  feststehende  Fieber,  welches  an  einem 
Orte  oder  in  irgend  einer  Gegend  beständig  bleibt,  bis  ein  anderer  Krank- 
heitsgenius auftritt;  s.  Febris  und  Constitutio. 

Fehris  sthenica f  das  sthenische,  entzündliche  Fieber,  8.  Febris  in- 
flammatoria. 

Febris  stomachicii  infiammatorin,  das  entzündliche  Magen fieber. 
So  hat  man  wol  die  Gastritis  genannt;  s.  Inflaramatio  stomachi. 

Febris  subcontinua.  Ist  ein  in  eine  Febris  continua  übergehendes  Wech- 
selfieber, s.  Febris  in  t  er  mitten  s. 

Febris  sitbcruenin ,  hepntica.  So  hat  man  ein  mit  Fluxus  hepaticus  com- 
plicirtes  Wechselfieber  genannt. 

Febris  subintrnvs ,  ein  einfallendes  Fieber.  Ist  ein  Wechselfieber, 
wobei  der  Paroxysmus  mit  dem  Aufhören  des  vorhergehenden,  wie  zuweilen 
bei  der  Quotidiana,  anfängt;  s.  Febris  intermittcns. 

Febris  suppurntorin ,  das  Eite  rungsfieber.  Ist  ein  solches,  welches 
den  Übergang  jeder  nicht  unbedeutenden  Entzündung  in  Eiterung  begleitet. 
Symptome  sind:  die  Zufalle  des  entzündlichen  Fiebers  lassen  plötzlich 
nach  und  der  Kranke  scheint  sich  zu  bessern  ;  dies  ist  aber  nur  scheinbar ; 
denn  bald  entsteht  ein  mehr  oder  weniger  heftiger  Frostanfall ,  der  bald  von 
kürzerer,  bald  von  längerer  Dauer  ist.  Hierauf  stellt  sich  zuerst  trockne  Hitze 
mit  brennendem  Gefühl  in  den  Wangen,  in  den  Handtellern  und  Fusssohlen 
ein ,  worauf  feuchte  Hitze  und  ein  Sediment  im  Urin  folgen.  Diese  Anfälle 
wiederholen  sich,  wie  eine  Intermittens ,  so  oft  alle  24  Stunden,  bis  der  Ei- 
ter ausgeleert  worden  ist.  Bei  Innern  Eiterungen  gehen  sie  oft  in  Febris 
hectica  über.  Die  Cur  ist  die  des  Abscesses.  Einige  nennen  auch  das 
hektische,  mit  Innern  Eiterungen  verbundene  Fieber  Febris  suppuratoria. 

Fehris  synochica^  das  synochische,  entzündliche  Fieber,  s,  Febris 
inflammatoria. 

Febris  synocMca  nervosa,  das  synochisch-nervöse  Fieber.  Ist 
ein  entzündliches  Fieber  mit  heftigen  KopfafFectionen ,  was  Einige  unrichtig 
nervöses  Fieber  nennen;  s.  Febris  inflammatoria. 

Febris  topicn,  örtliches  Fieber,  s.  Febris  localis. 

Fehris  torpens,  Unthätigkeitsfieber.  Ist  ein  Fieber  mit  dem  Cha- 
rakter des  Torpors ,  Avie  dies  im  Verlaufe  verschiedener  Fieber,  besonders 
der  Pituitosa,  Nervosa,  Neuropathica  etc.,  zuweilen  der  Fall  ist. 

Febris  urticata,  das  Nesselfieber,  s.  Urticaria. 

Febris  vngn,  ein  abweichendes  Fieber.  Ist  gleichbedeutend  mit 
Febris  anomal a. 

Febris  vnriolosa,  das  Blattern  fieber,  Pocken  fieber.  So  nennen 
wir  im  engern  Sinne  dasjenige  Fieber,  welches  die  Menschenpocken  beglei- 
tet. Im  weitern  Sinne  des  Worts  kann  man  auch  das  zu  den  falschen,  zu 
den  modificirten  Pocken  und  zu  den  Kuhpocken  sich  gesellende  Fieber  so 
nennen;  s.  Variolae,Varicellae,  Varioloides,  Vaccina. 

Febris  vtisorum,  das  Gefässfieber.  Ist  eine  Krankheit  der  thieri- 
schen  Kräfte  des  Herzens  und  aller  Blutgefässe,  besonders  der  Arterien,  ist 
die  häufigste  Fieberform,  die  Febris  inflammatoria,  obgleich  bei  allen  Fie- 
bern das  Herz  und  die  grossen  Blutgefässe,  gelbst  die  Blutmasse,  die  qua- 
litativ verändert  ist,  eine  Hauptrolle  spielen. 

Fehris  venosn,  venöses  oder  Gefässfieber.  So  nennt  Ballonius  je- 
des Fieber ,  das  im  Gefasssystem  seüien  Sitz  hat  und  eich  durch  Schweiss 
und  Urin,  sowie  durch  Blutungen  entscheidet.  Nach  ihm  ist  es  also  iden- 
tisch mit  Febris  vasorum.  Neuere  verstehen  unter  Febris  venosa  oft  eine 
Febris  gastrica  nervosa  oder  gastrica  atrabilaris;  s.  Febris  biliös a. 

Fehris  verminosn,  das  Wurmfieber.  Gehört  seiner  Natur  nach  zum 
Schleimfieber,  entsteht  am  häufigsten  bei  Kindern,  wenn  Spulwürmer  in 
grosser  Menge  da  sind.  Symptome  sind  die  des  Status  vermino.sus ,  als: 
unreine  Zunge,  Appetitlosigkeit,  Übelkeit,  schneller  Wechsel  der  Gesicht^- 


758  FEBRIS      " 

färbe ,  Avobei  oft  ein©  Wange  roth ,  die  nndere  blass  aasSieht ,  periodischer 
Leibschmerz ,  besonders  um  den  Nabel ,  trübe  Stimmung ,  Verdriesslichkeit, 
sauer  riechende  Schweisse,  Ohrensausen,  Kopfweh,  des  Abends  etwas  Hitze 
mit  schnellem  Pulse,  zuweilen  Krämpfe,  Ohnmächten.  Der  Charakter  des 
Fiebers  ist  selten  stark  entzündlich,  gleicht  mehr  der  Febr.  pituitosa  ner- 
vosa, der  Febr.  lenta  nervosa,  es  macht  keine  deutlichen  Remissionen  und 
Exacerbationen ,  ist  bald  des  Morgens ,  bald  des  Abends  stark ,  hat  wenig 
Typisches  und  zieht  sich  oft  in  die  Länge.  Cur.  Die  Radicalcur  ist  die 
der  Wurmkrankheit  und  der  Verschleimung  (s.  Helmint hiasis  und  Blen- 
norrhoea);  dooh  passt  diese  Cur  erst  nach  gehobenem  Wurmfieber;  denn 
heftig  wirkende  Wurmmittel  und  drastische  Purganzen  würden  das  Fieber 
verschlimmern  und  nachtheilig  aufs  Nervensystem  -wirken.  Folgendes  Mittel 
hat  mir  bei  der  Febr.  verminosa  anfangs  stets  gute  Dienste  geleistet:  ^f  In- 
fus, rad.  vnlerian.  ordhi.  ^vj ,  Potinn.  Riverii  5Jß  ,  Sah  amtnon.  dqi. ,  Succ. 
liquir.  dep.  ana  3}->  Extr.  taraxaci  3jj ,  Syr.  mnnnae  5IV,  Tart.  emetici  gr.  fj-. 
M.  Hiervon  erhalten,  wohl  umgeschüttelt,  2  —  5jährige  Kinder  alle  2' — 3 
Stunden  einen  halben,  ältere  Kinder  einen  ganzen  Esslöffel  voll.  Ausserdem 
lasse  man  Morgens  und  Abends  1  TheelöfFel  voll  Linim.  volat.  camphor; 
und  Ol.  hyoscyami  infus,  ana ,  in  den  Unterleib  einreiben ,  verordne  eind 
wässerige  Diät:  Vermeidung  von  Mehl-,  Milch-  und  Fleischspeisen,  und 
setze ,  -wenn  Leibesverstopfung  da  ist ,  kleinen  Kindern  Klystiere  aus  Milch 
und  Öl ,  grössern  aus  Chamillenthee ,  Öl  und  Salz.  Ist  das  Wurmfieber  vor- 
über, dann  gebe  man  bei  abnehmendem  Monde  die  bekannten  Wurmmittel 
(s.  Ant  helmin  thica  und  Helminthiasis) ,  und  gebe  hinterher  bittere 
Mittel :  Kalmus ,  Ruta ,  Cort.  aurant.  mit  Rheum ,  gegen  die  nachbleibende 
Schwäche  und  Verschleiraung  des  Darmcanals  (s.  Bl  ennorrhoea). 

Fehris  vesicularis ,  hullosa,  das  Blasenfieber,  s.  Pemphigus. 

Fehris  vulneraria,  Fehris  traumatica ,  das  Wundfieber.  Ist  dasjenige 
Fieber,  welches  sich  zu  bedeutenden  Wunden,  Quetschungen,  complicirten 
Beinbrüchen  etc.  gesellet.  Himhj  sagt  in  seinen  Vorlesungen  über  medici- 
nische  Chirurgie  (Mscpt.  de  1815):  „Das  Wundfieber  ist  eine  blosse  Aus- 
dehnung der  topischen  Entzündung,  deswegen  entsteht  es  desto  leichter,  je 
grösser  und  bedeutender  die  Wunde  und  je  sensibler  die  Constitution  ist ; 
weswegen  auch  durch  eine  sogenannte  antiphlogistische  Behandlung  dasselbe 
mehr  befördert  als  abgehalten  wird."  Diese  Ansicht  enthält  viel  Wahres 
und  viel  Falsches.  Wir  müssen  hier  mehrere  Zustände ,  die  sich  durch  die 
Erfahrung  nachweisen  lassen ,  imterscheiden.  1)  Das  Wundfieber  ist  oft 
weit  mehr  als  eine  blosse  Ausdehnung  der  topischen  Entzündung.  Auch  der 
bedeutende  Eingriff  in  den  Organismus,  der  stets  mit  grossen  Verletzungen 
verbunden  ist,  der  nachtheilige  Nerveneindruck  und  die  schädlichen  psychi- 
schen Einflüsse,  die  der  Schmerz,  die  Furcht  vor  Operationen,  die  Unge- 
wissheit  des  Erfolgs  etc.  hervorbringen ,  sind  hier  von  hoher  Bedeutung. 
Je  gebildeter  und  geistreicher  der  Verletzte  ist,  desto  bedeutender  wird  un- 
ter sonst  gleichen  Umständen  das  Wundfieber  seyn,  2)  Allerdings  leiden 
sensible  P<.»rsonen  leichter  an  Wundfieber  als  robuste,  starke;  denn  bei  er- 
stem, z.  B.  bei  Kindern,  zarten  Frauen,  Wöchnerinnen,  ist  die  Empfind- 
lichkeit erhöhet  und  die  Energie  nur  schwach.  Dagegen  können  robuste, 
zumal  ungebildete  Männer  mehr  a\ishalten ,  weil  sie  weniger  zart  fühlen. 
Aus  diesem  Grunde  ist  auch  das  Benehmen  derjenigen  Operateurs  zu  tadeln, 
die,  in  der  falschen  Voraussetzung  dadurch  das  Wundfieber  zu  verhüten^ 
vor  der  7u  unternehmenden  Operation  durch  Aderlassen ,  Purganzen  und 
knappe  Diät  den  Kranken  schwächen,  ihn  aber  dadurch  receptiver  und  em- 
pfänglicher für  das  folgende  Wnndfieber  machen,  abgesehen  von  dem  zwei- 
ten Nachtheile,  der  darin  besteht,  dass  der  Kranke  die  etwa  später  entste- 
hende Eiterung  weniger  gut  ertrafren  kann,  da  es  ihm  an  Kräften  fehlt. 
3)  Robuste  Subjecte  bekommen  nicht  leicht  Wundfieber ;  nur  bei  bedeuten- 
den Verletzungen,  besonders  bei  solchen  an  nervenreichen  Theilen ,  ist  es 
der  Fall;  sind  sie  aber  einmal  davon  ergriffen,  so  ist  das  Fieber  allemal 
heftiger  und  anhaltender  als  bei  sensiblen  Personen ,   die  zwar  leichter  da« 


FEBRIS  759 

von  befallen  werden,  bei  denen  es  aber  weniger  heftig  auftritt  und  oft  keine 
48  Stunden  anhält.  So  z.  ß.  bekommen  Kinder  und  schwächliche  Frauen 
oft  schon  nach  kleinen  Verletzungen,  nach  unbedeutenden  Verbrennungen 
etwas  Fieber,  das  aber  in  der  Regel  bald  von  selbst  verschwindet  und  wo- 
gegen Avir  wenig  zu  thun  nöthig  haben,  wo  wir  auch  durch  einen  strengen 
antiphlogistischen  Apparat  schlecht  fahren  würden.  4)  Bei  manchen  sehr  be- 
deutenden Verletzungen,  z.B.  bei  Zerschmetterungen  der  Glieder,  bei  hef- 
tiger Reizung  durch  Knochensplitter  etc.,  sind  die  Nervenaffeclionen  oft  so 
bedeutend,  dass  es  gar  nicht  einmal  zu  einem  Wundfieber  kommt.  Das 
Glied  geräth  in  Convulsionen ,  es  entstehen  die  fürchterlichsten  allgemeinen 
Nervenzufälle,  Starrkrampf,  und  oft  schon  binnen  24  Stunden  der  Tod. 
5)  Bei  sehr  bedeutenden  Verletzungen  und  Kränkungen  der  Seele  kann 
ebenso  gut  ein  Wundtieber  entstehen  als  bei  bedeutenden  Verletzungen  des 
Körpers,  und  das  Nervensystem  ist  sowol  hier  als  dort  der  primär  leidende 
Theil,  dagegen  leidet  das  Blutsystem  erst  secundär.  Hieraus  erhellet  deut- 
lich ,  dass  sich  sehr  verschiedene  Zustände  beim  Wundfieber  gestalten  kön- 
nen, sowol  nach  Verschiedenheit  der  Constitution  als  nach  den  schädlichen 
vorhergegangenen  Ursachen.  Es  ist  daher  zu  tadeln,  wenn  M,  E.  A.  Nau- 
mann in  Bonn  (s.  dess.  Handbuch  der  medicinischen  Klinik;  Bd.  I.;  Berlin, 
1829)  das  Wundtieber  schlechtweg  für  eine  Varietät  des  entzündlichen  Fie- 
bers ansieht,  da  wir  es  mit  demselben  Rechte,  wollen  wir  die  Fälle  zusam- 
menzählen, zu  der  Febr.  nervoso  -  erethistica  rechnen  könnten.  Behand- 
lung. Ist  nach  den  Umständen ,  nach  den  Ursachen  und  der  Constitution, 
nach  der  grössern  oder  geringern  Bedeutung  der  verletzten  Orgaue  etc.  ver- 
schieden. 1)  Wir  verhüten  bei  nothwendigen  Operationen  ein  bedeutendes 
Wundfieber  am  besten  dadurch ,  «)  dass  wir  den  zu  Operirenden ,  wenn  er 
auch  robust  und  vollsaftig  ist,  weder  durch  Aderlässe,  noch  durch  Purgan- 
zen und  knappe  Diät  schwächen ,  J)  dass  wir  kurz  vor ,  während  und  gleich 
nach  der  Operation  die  Empfindlichkeit  durch  massigen  Genuss  des  Weins 
und  durch  eine  gute  Dosis  Opium  abstumpfen.  Das  Opium  ist  bei  bedeu- 
tenden Zerschmetterungen  der  Glieder  nacn  Entfernung  der  reizenden  Kno- 
chensplitter etc.  das  erste  und  grösste  Mittel ,  den  schrecklichen  Tetanus 
zu  verhüten.  Ebenso  herrlich  bewährt  es  sich  bei  bedeutenden  höchst  schmerz- 
haften Verbrennnngen ,  bei  sehr  schweren  Geburten ,  wo  auch  ein  Glas  gu- 
ter Wein  nicht  schädlich  ist.  Es  ist  ein  Vorurtheil ,  wenn  Geburtshelfer  der 
schwer  Kreisenden  dieses  Labsal  versagen.  Ich  habe  nie  Nachtheile  im 
Wochenbette  davon  gesehen,  sondern  nurVortheil,  das  Wochen- und  Milch- 
fieber waren  geringer,  weil  der  Nerveneindruck  der  Wehen  schwächer  und 
die  Verwundung  (denn  jeder  Uterus  wird  durchs  Gebären  verwundet)  we- 
niger fühlbar  ward.  2)  Ist  das  Wundfieber  schon  eingetreten,  so  erfordert 
PS  nach  Verschiedenheit  der  Zufälle  eine  verschiedene  Behandlung,  o)  Bei 
den  sensiblen  Subjecten,  bei  zarten  Kindern,  Frauen,  schwächlichen  Män- 
nern ,  ists  in  der  Regel  ein  erethistisches  Fieber ,  ein  Gemisch  von  Fieber, 
Nervenzufällen  ,  Krampf  und  Kopfcongestion.  Hier  passen  äusserlich  kühle 
Luft,  kalte  Waschungen  des  Kopfs,  innerlich  Limonade,  Crem,  tartari  mit 
vielem  kalten  Wasser  und  Zucker  zum  Getränk,  bei  Leibesverstopfung  er- 
öffnende Klystiere,  bei  stärkerer  Neigung  zu  Obstructio  alvi  Decoct.  fruct. 
taroarindor.  mit  Sal  Glauberi.  Legen  sich  binnen  2  —  3  Tagen  die  Fieber- 
znfälle  nicht,  so  verordne  man  Infus,  valerianae,  des  Abends  Pnlv.  Doweri, 
Castoreum,  Moschus  und  andere  Antispasmodica.  7;)  Bei  irritablen  Subjecten, 
bei  robusten  vollsaftigcn  Männern ,  ist  dagegen  oft  eine  strengere  Antiphlo- 
gosis  nothwendig;  besonders  bei  bedeutenden  Verletzungen  des  Hirnschädels, 
der  Lungen.  Hier  sind  oft  Aderlässe,  innerlich  Nitrum  mit  Tart.  tartari- 
sat. ,  Tart.  vitriolat.  in  Emuls.  sem.  papav.  alb.  nothwendig.  Dabei  achte 
man  ja  auf  die  Kopfcongestionen  und  die  Leibesverstopfung.  Sind  diese  da, 
so  passen  kühle  Luft,  kalte  Waschungen,  innerlich  Purgirsalze  u.  s.  f.  (s. 
Febr.  inflammatoria  nervosa).  —  c)  Bei  dem  von  mir  sogenannten 
Seelenwundfieber  verordne  man  guten  Muth,  Trost,  Ruhe  des  Kör- 
pers und  der  Seele.     Hier  passt  zu  Anfange  oft  ein  Brechnüttel,    hinterher 


760  FERMENTATIO 

Wein,  gute  i'egetabilUche ,  «äuerllche  Kost ;  eind  Nepenzulalle  da,  dann 
Antispasmodica. 

Fermentatlo )  die  Gährung.  Dieser  pathologische  Begriff  ist  aus 
der  Chemie  entieimt.  Die  altern  Ärzte,  besonders  Sylvius,  leiteten  fast  alle 
Krankheiten  von  Gährungsprocessen ,  >\obei  entweder  Acescenz  oder  Alca- 
lescenz  prävalire,  ab;  in  unserer  Zeit  hat  man  über  solche  Hypothesen  oft 
riitleidig  gelächelt ,  ohne  im  Grunde  etwas  Besseres  dafür  zu  geben.  Dass 
die  Säfte  des  Körpers ,  besonders  das  Blut ,  in  vielen  Krankheiten  chemisch 
verändert  werden  und  Neigung  zur  Entmischung,  Auflösung,  Fäulniss  be- 
kommen können,  ist  Thatsache.  Dieser  ki'ankhafte  Process  kann  nun  lang- 
sam oder  geschwind  vor  sich  gehen.  Im  erstem  Falle,  z.  B,  beim  soge- 
nannten putriden  Fieber,  können  wir  ihn  mit  Fug  und  Recht  Fermentatio, 
im  letztein,  z.  B.  bei  Vergiftungen  durch  Vipern-,  Schlangenbiss ,  Blau- 
säure, Effervescenz  nennen,  und  zwar  aus  folgenden  wichtigen,  wol  noch 
nicht  hinreichend  beachteten  Gründen :  1)  Jede  Fermentation  von  vegetabi- 
lischen und  anin)alischen  Stoffen  in  ihren  verschiedenen  Graden,  der  geisti- 
gen, sauren  und  faulen  Gährung,  ist  nach  den  neuern  Entdeckungen  in  der 
Physik  ein  elektrischer  Process.  Bei  der  geistigen  Gährung  ist  das  Ferment 
der  positive  Erreger  (Zijgom) ,  das,  mikroskopisch  betrachtet,  aus  kleinen 
ISLÜgelchen  besteht;  der  negative  Erreger  ist  der  Zucker,  die  Indifferenz 
glebt  das  Wasser.  Jedes  wirksame  Zygomküchelchen  mit  seiner  Zuckerf 
Wasseratmosphäre  bildet  eine  Kette,  so  dass  die  ganze  flüssige  Masse  (der 
Gährung)  als  ein  Meer  galvanischer  Ketten  erscheint  (s.  A.  KöUe ,  Über  d. 
vVesen  und  die  Erscheinung  des  Ga Ivanismus  etc.  Stuttgart,  1825).  2)  Rit- 
ter hat  bewiesen,  dass  ein  beständiger  Galvanismus  den  Lebensprocess  im 
Thierrelche   unterhalte,    und    auch  Prochas1:n    (s.    dess.   Physiologie;    Wien, 

1820,  Abschn.  3)  leitet  das  Leben  aus  den  Gesetzen  des  elektx-ischen  Pro- 
cesses  ab.      Der  scharfsinnige  Kreysig   sagt  (Kusf's  Magaz.   Bd.  IX.  Hft.  2, 

1821,  S.  337):  „Ich  behaupte,  was  die  Geschichte  des  bebrüteten  Hühn- 
chens uns  zeigt,  dass  die  Einheit  des  Lebens,  die  in  der  Eifeuchtigkeit 
«innlich  dargestellt  wird,  durch  das  Bebrütetwerden  in  zwei  sinnliche  B'a- 
ctoren  zerfällt :  in  Blut  und  Nervenmark ;  dass  beide  als  die  nächsten  sinn- 
lichen Factoren  des  organischen  Lebens  anzusehen  sind ,  die  immerfort  nach 
Wiedervereinigung  streben  und  wirklich  nur  wie  zwei  Pole  einer  Kraft  sich 
verhalten,  so  dass  alle  sinnliche  Thätigkelten  des  Lebens  durch  das  gleich- 
zeitige Zusammenwirken  beider  erst  wirklich  werden  und  dass  relativ  grös- 
gere  Abweichung  des  einen  oder  des  andern  von  der  Norm  die  oberste  Be- 
dingung alles  Erkrankens  und  so  der  oberste  Grund  In  der  Würdigung  al- 
les Erkrankens  in  der  thierisch  -  organischen  Sphäre  ist."  3)  Wenn  es  nun 
gleichvvol  grosse  Schwierigkeiten  macht,  die  Elektricität  zur  Basis  der  Le- 
benslehre (des  normalen  ,  wie  des  abnormen  Lebens  und  der  Krankheiten) 
zu  erheben  ;  so  wissen  wir  doch ,  dass  diese  Kraft  eine  höchst  nothwendige 
Bedingung  des  Lebensprocesses  ausmacht  und  dass  z.  B.  bei  allen  Fiebern 
das  Normalverhältniss  zwischen -f- E.  und — E.  in  den  Säften,  besonders  im 
Blute,  gestört  ist  (s.  Febris  depurativa),  dass  die  Luftelektricität  bei 
epidemischen ,  miasmatischen  und  contagiösen  Krankheiten  eine  sehr  grosse 
Rolle  spielt  (s.  Febris  flava);  ferner,  dass  jeder  chemische  Process  zu- 
gleich einen  dynamischen  einschilesst  und  nur  die  Folge  von  dem  gegensei- 
tigen Wirken  von  -|-E.  und  — E.  ist;  endlich,  dass  die  entgegengesetzten 
Pole  der  galvanischen  Säule  sich  auch  chemisch  als  Säure  und  Kali  entge- 
gengesetzt sind.  Nehmen  wir  nun  alle  diese  Thatsachen  zusammen,  berück- 
sichtigrii  wir  die  grosse  Wahrheit,  dass  immaterielle  schädliche  Einflüsse, 
z.B.  heftige  Att'cte,  augenblicklich  (wahrscheinlich  durch  Störung  des  Nor- 
malverhältnisses  zwischen  -\-  und  —  E.  im  Körper)  die  Säftemasse  verändern, 
dass  überhaupt  jede  Störung  des  Dynamischen  ohne  gleichzeitige  Verände- 
rung und  Störung  des  Materiellen  nicht  gedacht  werden  kann,  indem  nach 
den  höchsten  Forderungen  der  Vernunft  Materie  und  Kraft  dem  Wesen  nach 
eins  sind,  da  wir,  wenn  wir  uns  eins  ohne  das  andere  denken,  auf  einen 
inhaltsleeren  Begriff  stossen ;    eo  erscheint   uns  der  Materialismus  eines  Syl- 


FIBULATIO  —  FILARIA  DRACUNCULUS  761 

viitn  de  le  Boe,  eines  TTiom.  Willis  und  Liidwig  Hoffmann  etc.  nicht  mehr 
so  crass.  Sie  waren  treue  Beobachter  der  kranken  Natur  und  fanden  em- 
pirisch dasselbe,  was  wir  durch  das  Fortschreiten  der  Naturwissenschaften 
zugleich  auf  wissenschaftlichem  Wege  gefunden  haben.  Eine  geläuterte  Säf- 
tepathologie,  verbunden  mit  einer  nicht  übertriebenen  Solidarpathologie,  ist 
für  den  echten  Praktiker  unerlässlich ;  denn  nur  aus  dem  Ziisammenwirken 
des  Dynamischen  und  Materiellen ,  die  sich  wechselseitig  bald  als  Ursache, 
bald  als  Wirkung  bedingen ,  lässt  sich  das  Leben  und  seine  Abnormität  er- 
kennen. Dip  Lebensansichten  eines  Ritter,  Prochnskn ,  Kreysig  und  vieler 
andern  grossen  Männer  unserer  Zeit  und  ihre  Theorien  des  Krankseyns  ent- 
halten grosse  Wahrheiten ;  aber  sie  sind  ebenso  einseitig  aufs  Dynamische 
basirt,  als  die  altern  Ansichten  eines  Sylvius  aufs  Materielle.  Letztere  ha- 
ben gerade  eben  soviel  Werth  als  erstere;  nur  die  Vereinigung  beider  führt 
zu  der  richtigen ,  weniger  einseitigen  Ansicht.  Bei  der  Lehre  von  den  Fie- 
bern, Kachexien  und  Dyskrasien  wird  jeder  praktische  Arzt  aus  der  genauen 
Betrachtung  des  Gesagten  eine  Menge  Resultate  ziehen ,  welche  für  die 
Praxis  höchst  fruchtbar  werden  können ,  da  die  Thatsachen  sich  am  Kran-; 
kenbette  nachweisen  lassen. 

Fibulatio,  Infilulatio,  Ancteriasmus.  Ist  Verwahrung  der  Geschlechts- 
theile  mittels  mechanischfer  Verrichtungen  gegen  die  Ausübung  des  Beischlafs. 
Einige  afrikanische  Völker  infibuliren  ihre  Weiber  und  Töchter,  indem  sie 
ihnen  die  Schamlefzen  zusammennähen,  und  in  Italien  und  Spanien  bedienea 
gich  eifersüchtige  Ehegatten  lederner ,  mit  Metallklappen  und  Vorlegeschloss 
versehener  Keuschheitsgürtel,  welche  die  Form  einer  T-Binde  haben.  Die 
Infibulation  der  Männer,  zumal  der  Sänger  und  Schauspieler,  auch  der  Kna- 
ben und  Jünglinge,  die  Onanie  trieben,  Avar  schon  bei  den  Römern  in  Ge- 
hrauch (s.  Celsns,  De  medicina,  Lib.  VIL  Sect.  25.  Mnrtial,  Epigramm» 
81,  Lib.  VII.).  Man  zog  die  Vorhaut  hervor,  durchstach  sie  vor  der  Ei- 
chel und  legte  dann  einen  Metallring  (die  sogenannte  Fibula) ,  der  an 
beiden  Enden  vereinigt  wurde,  ein,  wodurch  das  Reiben  der  Eichel  bei 
Onanisten,  beim  Coitus  beschwerlich  und  schmerzhaft  und  ganz  unmöglich 
gemacht  wird.  Für  Onanisten  empfiehlt  S.  G.  Vogel  (Unterricht  für  Altern 
etc.,  wie  das  Laster  der  Selbstbetieckung  zu  verhüten  etc.  Stendal,  1786) 
die  Innbulation  sehr  warm.  Weinhold  (Von  der  Übervölkerung  in  Mittel- 
turopa etc.  Halle,  18<27)  that  den  abenteuerlichen  Vorschlag,  alle  unver- 
heiratheten  Männer  zu  infibuliren,  um  der  Übervölkerung  vorzubeugen;  — 
^n  alle  Moralität  tödtendes  Mittel!  — 

S^ilaria  DracuncnliiS ,  F.  medincnsis,  Vena  seu  Gordius  medinen" 
eis,  der  Fadenwurm.  Er  kommt  nicht  in  Europa,  nur  in  heissen  Ge- 
genden, in  Arabien,  Persien,  am  Ganges,  in  Bombay,  in  Oberägypten ,  Gui- 
nea, am  Senegal  vor,  wo  er  als  endemisch  zu  betrachten  ist  und  Menschen 
und  Thiere  heimsucht.  Er  ist  einfach,  weiss,  oft  nur  wenig  Zoll,  oft  5  —  7 
Ellen  lang ,  hat  einen  kleinen  Rüssel ,  nach  Andern  zwei  kleine  Hörner  am 
Kopfe;  sein  Sitz  ist  das  Zellgewebe  der  Haut,  besonders  an  den  Gliedern; 
er  liegt  bald  ausgestreckt,  bald  gekrümmt,  verursacht  empfindliches  Jucken 
und  Schmerz,  späterhin  Geschwulst  an  der  kranken  Stelle;  es  bildet  sich 
hier  eine  Pustel  oder  Abscess ,  wodurch  der  Wurm  auf  die  Oberfläche  aus- 
bricht und  leicht  entfernt  werden  kann.  Reisst  der  Wurm  ab,  so  entstehen 
schlimme  Geschwüre ;  am  besten  ists ,  ihn  früh,  ehe  er  sehr  gross  geworden, 
auszuschneiden.  Dieser  Wurm  ist  nicht,  wie  es  in  iiusf's  Chirurgie,  Bd.  VIL 
S.  124  heisst,  1  —  3,  sondern  oft  selbst  10  Fuss  lang  (s.  Oppenheim  in 
Gerson's  und  Julius^  Magaz.  Hamburg,  1833,  April,  S.  224  u.  f.).  Auch 
ist  es  falsch,  wenn  derselbe  mit  der  fabelhaften  Furia  infernalis  (s.  die». 
Art.)  in  Rusfs  Chirurgie,  Bd.  VII.  S.  620,  confundirt  wird,  welche  letztere 
ja  auch  nur  in  Schweden ,  Finnland  und  Esthland  vorkommen  soll.  —  Nach 
Oppenheim,  der  den  Fadenwurm  mehreremal  unter  den  Türken  sah,  kommt 
er  mehr  bei  Erwachsenen  als  bei  Kindern  vor,  und  zwar  häufig  an  der  In- 
nern  Seite  der   Wadenmuskeln,    am  Fussgelenke,    in   der   Kniebeuge,    am 


762 


FISSXmA  —  FISTULA 


Oberarm.  Ef  erregt  fürchterliche  Schmerzen  und ,  wie  natürlich ,  gestörte 
Function  des  leidenden  Theils.  Oft  sind  2 — 3  Fadenwürnier  bei  einem  und 
demselben  Kranken  gleichzeitig  da.  Zuerst  fühlt  der  Patient  einen  prikeln- 
den  Schmerz,  dann  folgt  Röthe  des  leidenden  Theils;  nach  10 — 14  Tagen 
erscheint  ein  kleines  härtliches  Pünktchen ,  das  zu  einer  weisslich  glänzen- 
den, kleinen  Geschwulst  wird,  die  sehr  heftig  schmerzt  und,  wenn  sie  nicht 
geöffnet  wird,  nach  8  — 14  Tagen  aufbricht,  etwas  Eiter  entleert,  und  sich 
da  das  Ende  des  kleinen  weissen  Wurms  zeigt.  C  n  r.  Sie  besteht  darin, 
dass  letzteres  ausgezogen  wird,  was  die  Eingebornen  mit  viel  Geschicklich- 
keit yerrichten.  Sie  legen  an  das  Endchen,  das  oft  nur  %  Zoll  lang  zu 
sehen  ist,  ein  feines,  in  der  Mitte  sehr  dünnes  Hölzchen,  um  welches  sich 
sogleich  von  selbst  das  Ende  des  Wurms  schlingt.  Das  Hölzchen  wird  nun 
rasch ,  aber  vorsichtig  umgedrehet ,  und  so  wickelt  man  w  ol  8  — 10  Zoll 
lang  den  Wurm  auf.  Der  dabei  stattfindende  heftige  Schmerz  erfordert, 
dass  man  vorerst  damit  aufhört,  die  Rolle  des  Hölzchens  an  der  Wunde  be- 
festigt und  täglich  mit  dem  Drehen  fortfährt,  welches  bei  langen  Würmern 
oft  4  Wochen  Zeit  erfordert,  bis  das  Ende  des  Wurms  heraus  ist.  Dass 
der  Wurm  sich  von  der  Rolle  wieder  losmache,  ist  nicht  zu  befürchten. 
Nach  Oppenheim  kommt  das  Übel  viel  in  Afrika,  in  Guinea  vor,  daher  der 
Name  Guineawurm;  es  befällt  jedes  Alter,  jeden  Stand,  jedes  Geschlecht,, 
jede  Hautfarbe.  Nach  ihm  ists  bestimmt  ein  Wurm  und  nicht,  ^yie  man 
früher  glaubte,  ein  abgestorbenes  Lymphgefäss,  was  noch  kürzlich  Arzte  in 
Bombay  meinten  (s.  Edinb.  medical  and  surgical  Journal,  1831,  Januar). 
Reisst  der  Wurm  bei  der  Operation  ab ,  so  kann  das  zurückgebliebene  Ende 
nur  durch  eine  langwierige,  oft  Monate  dauernde  Eiterung,  die  man  durch 
erweichende  Kataplasmen  befördert ,  allmälig  entfernt  werden.  Zuweilen 
folgt  der  Brand  auf  das  Abreissen  des  Wurms.  Innere  Mittel  helfen  wenig 
gegen  das  Übel;  allenfalls  giebt  man,  der  Schmerzen  und  Schlaflosigkeit  zu 
begegnen ,  Abends  Pulv.  Doweri.  Äusserlich  hilft  zur  Linderung  der  Schmer- 
zen das  Einreiben  des  Liniment,  volatile  camphorat.  (l.öffler);  vielleicht,  um 
den  Wurm  krank  zu  machen,  selbst  zu  tödten,  könnte  man  Unguent.  mer- 
curiale  einreiben  (Most). 

Fissura,  die  Fissur,  Spalte.  Man  statuirt  ausser  den  anatomi- 
schen Fissuren  (Fissura  orbitalis,  spheno-maxillaris.  glenoidalis  etc.)  auch 
pathologische ,  in  das  Gebiet  der  Chirurgie  gehörende ,  als :  Fissura  capilla- 
ris ,  Haarbruch  der  Knochen;  auch  nennt  man  Fissuren  leichte  Risse,  ober- 
flächliche Verschvvärungen  der  Haut,  besonders  an  den  Lippen,  an  den' 
Händen,  am  After,  an  der  Brustwarze,  also  die  sog.  Hautschrunden, 
aufgesprungene  Haut  (s.  R  ha  g  ad  es). 

Fistllla,  die  Fistel.  Ist  jede  veraltete  widernatürliche  {)fFnung  am 
Organismus,  durch  welche  sich  Flüssigkeit  aus  irgend  einer  Höhle  oder  ei- 
nem Ausführungsgange  nach  Aussen  oder  in  eine  andere  Höhle  entleert. 
Dadurch  unterscheidet  sich  das  Übel  von  dem  fistulösen  Geschwür,  was 
man  im  gemeinen  Leben  noch  jetzt,  in  der  altern  Chirurgie  durchgrhends, 
mit  der  Fistel  zusammenwirft  (s.  Ulcus  fistulosum)-  Ursachen.  Sind 
mechanische  oder  chemiscbe  Verletzungen  solcher  Höhlen,  die  zur  Ansamm- 
lung von  Flüssigkeiten  bestimmt  sind,  oder  .solche  Verletzungen  ihrer  Aus- 
führungsgänge, Verstopfung  derselben,  wodurch  sich  die  Flüssigkeiten  in 
zu  grosser  Menge  ansammeln,  Zerreissung,  Entzündung,  Eiterung,  Brand 
erregen,  wobei  das  Fluidum  ins  Zellgewebe  extravasirt  und  .sich  widerna- 
türliche Abflussöffnungen  bilden.  Auch  kann  Entzündung  und  Eitertmg  an 
oder  in  den  Wandungen  der  Höhlen  und  Ausführungsgänge  durch  Zerstö- 
rung dieser  Gänge  und  Häute  F'^isteln  erregen.  Am  häutigsten  sind  die  Fi- 
steln Folge  eines  Absccsses,  seltener  Folge  von  Verwundungen.  Beim  Auf- 
bruche der  Biterge.schwulst  entleert  sich  Eiter,  vermischt  mit  derjenigen 
Flüssigkeit  (Speichel,  Thränen ,  Galle,  Urin  etc.),  welche  die  Höhle  oder 
der  Ductus  excretorius ,  womit  der  Abscess  communicirt,  gerade  enthält. 
Ziuweilcn   sind   mehrere,    eu weilen   nur  eine  Öffnung   da.     Ist   der   fifitulöse 


FISTULA  763 

Gang  nur  kurz,  so  rieht  eich  seine  Öffnung,  sowie  dJe  Entzfln^nng  sich 
mindert,  etwas  zusammen  und  seine  Ränder  vernarben,  aber  eine  Öffnung 
bleibt  zurück.  Ist  aber  der  Fistelcanal  länger,  so  zieht  sich  die  äussere 
Öffnung  zusammen,  um  welche  sich  ein  fungöser  Wall  bildet,  der  in  seiner 
Mitte  eine  sehr  enge,  oft  kaum  zu  bemerkende  Öffnung  hat.  Ein  gewisser 
Grad  von  Entzündung  bleibt  zurück,  verwandelt  den  ganzen  innern  Über- 
zug des  Canals  in  ein  schleimhäutiges  Gewebe ,  der  Canal  wird  bei  längerer 
Dauer  callös,  verhärtet,  verwandelt  sich  in  eine  graulich- weisse,  dicke, 
harte  Masse,  die,  wie  bei  jedem  alten  Ulcus  fistulosum,  zuletzt  selbst  knor- 
pelig wird,  und  die  Heilung  ist  alsdann  manchen  Schwierigkeiten  unterwor- 
fen. Kann  man  die  Flüssigkeit  noch  durch  den  natürlichen  Abführungscanal 
ableiten,  ist  letzterer  noch  nicht  verschrumpft,  sein  Lumen  noch  normal,  die 
Fistel  noch  nicht  veraltet,  so  dass  man  keine  künstliche  Öffnung  zu  machen 
braucht ,  so  ist  die  Prognose  günstiger  als  im  entgegengesetzten  Falle. 
Cur.  Im  Allgemeinen  sind  hier  folgende  Indicationen  zu  berücksichtigen: 
1)  Wir  stellen  den  natürlichen  Austührungsgang  wieder  her  und  bewirken 
dadurch,  dass  der  widernatürliche,  d.i.  die  Fistel,  heilt.  Wir  leiten  so  die 
Flüssigkeit  von  der  Fistel  ab ,  und  dieses  Verfahren  gelingt  fast  immer  bei 
allen  frischen  Fisteln ,  wenn  sich  der  mucöse  Überzug  oder  die  Callositäten 
noch  nicht  gebildet  haben.  Hierzu  dienen  Aufschlitzen  der  Fistel ,  Compres-" 
slon,  reizende  Mittel  etc.,  um  adhäsive  Entzündung  zu  bewirken,  wodurch 
die  Heilung  bewirkt  wird.  2)  Ist  die  Herstellung  des  natürlichen  Ausfüh- 
rungsganges nicht  mehr  möglich,  so  bilden  wir  einen  künstlichen,  worauf 
die  Heilung  der  Fistel  durch  zweckmässige  Mittel  erreicht  werden  kann. 
Das  Nähere  darüber  wird  bei  den  verschiedenen  hier  folgenden  Arten  von 
Fisteln  vorkommen ,  wo  wir  auch  der  übrigen ,  nach  unserer  Definition  nichü 
hierher  gehörigen,  uneigentHch  sogenannten  Fisteln,  der  Nachweisungen  we- 
gen, gedenken  wollen. 

Fistula  ani,  Archoryrinx,  Mastdarmfistel.  Ist  jeder  fistulöle  eiternde 
Gang  in  der  Nähe  des  Mastdarms,  der  entweder  mit  der  Höhle  des  letztern 
communicirt  oder  wobei  nur  das  die  äussere  Wand  des  Mastdarms  umge- 
bende Zellgewebe  zerstört  ist.  Wir  unterscheiden  daher  1)  Fislula  ani  com- 
j)leta,  vollständige  Mastdarmfistel,  wo  äusserlich  am  After  die  eine,  inwen- 
dig in  der  Höhle  des  Mastdarms  die  andere  Öffnung  ist,  die  Fistel  also 
ganz  durchgeht;  2)  Fistula  ani  incompleta,  wo  nur  eine  Öffnung  stattfindet, 
entweder  nach  Aussen  (F.  ani  incompleta  externa) ,  oder  allein  im  Mastdarm, 
bald  tiefer,  bald  höher  herauf  (F.  ani  incompleta  interna,  occulta,',  3)  Ft- 
stula  ani  simplex ,  wo  nur  ein  Gang  stattfindet ;  4)  Fistula  ani  compositOy 
wo  mehrere  Gänge  da  sind,  die  wiederum  entweder  communiciren  oder  meh- 
rere Öffnungen  haben;  5)  Fistiila  ani  complicata,  wenn  Syphilis,  Caries^ 
fremde  Körper,  Blasensteine,  Krankheiten  der  Blase,  Urethra,  Vagina  etc. 
zu  gleicher  Zeit  neben  der  Fistel  bemerkt  werden.  Ursachen  der  Mast- 
darmfisteln. Sind :  1)  Eiternde  Hämorrhoidalknoten ,  wodurch  die  Mast-» 
darmschleimhaut  zerstört  wird.  Die  Fistelbildung  geht  hier  langsam  vor 
sich;  es  geht  lange  Zeit  Jucken  am  After  vorher,  ausserdem  die  Symptome 
der  Hämorrhoidaldiathese.  Nun  bildet  sich  im  Umfange  des  Afters  eine  kno- 
tige Geschwulst,  welche  sich  oft  nur  durch  eine  kleine  Öffnung  entleert ; 
oder  die  Fistel  hat  weniger  Tendenz  nach  Aussen  aufzubrechen,  setzt  sich 
vielmehr  nach  Oben  fort,  und  kann  oben  mit  einer  zweiten  Öffnung  im 
Recto  verbunden  seyn  (^Schreffcr ,  Chclius).  2)  Mechanische  Verletzungen 
der  Tunica  interna  recti  durch  fremde ,  mit  dem  Kothe  abgehende  Körper, 
die  Entzündung  und  Eiterung  zur  Folge  haben  kann ;  desgleichen  3)  Ent- 
zündung und  Eiterung  des  Mastdarms  durch  Päderastie,  was  in  Italien  und 
Frankreich  häufig ,  aber  auch  in  Deutschland  leider !  nicht  selten  die  Ur- 
sache von  Mastdarmfisteln  ist.  4)  Eitergeschwüre  in  der  Nähe  des  Mast- 
darms oder  metastatische  Abscesse,  welche  durch  Senkung  des  Eiters  die 
äussere  Wandung  des  Mastdarms  mehr  oder  weniger  von  seinem  Zellgewebe 
entblössen;  z.  B.  häufig  Leberabscesse ,  seltener  Geschwüre  der  Lunge,  die 
ruweilen  als  kritisch   angesehei»  werden  müssen.     5)  Heftige  Erschüttenui- 


764  FISTULA 

gen  des  Körpers  durch  starkes  Reiten,  Fahren  können  bei  blinden  Hämor- 
rhoiden die  erste  Veranlassung  zur  Bildung  der  Mastdarrafistel  seyn.  Dia- 
gnose. Erkannt  und  unterschieden  werden  diese  Fisteln  «)  durch  die  Ana- 
mnese, die  Art  ihrer  Entstehung,  durch  ihre  meist  langsame  Bildung  und 
ihren  chronischen  Verlauf;  h)  durch  den  Abgang  von  Darmgas,  vom  Koth, 
von  reinem  Eiter  oder  Koth  mit  Eiter  vermischt  durch  die  Fistel ;  c)  vor- 
züglich aber  durch  die  Untersuchung  mit  dem  Finger  und  der  Sonde.  Man 
bestreicht  erstem  mit  Öl ,  bringt  ihn  in  den  durch  ein  Klystier  vom  Koth 
entleerten  Mastdarm ,  nimmt  dann  eine  etwas  dicke  Sonde ,  führt  sie  in  den 
Canal  der  Fistel  (bei  Weibern  fast  parallel  mit  dem  Damm,  bei  Männern 
mehr  nach  Oben  gerichtet) ,  leitet  sie  nach  dem  untern  Ende  des  Mastdarms 
zu  und  fühlt  dann  mit  dem  Finger  zu,  ob  sie  in  das  Rectum  gfedrungen  ist. 
Die  innere  Ölfnung  der  Fistel  befindet  sich  am  öftersten  unmittelbar  ober- 
halb der  Stelle ,  wo  sich  die  innere  Haut  des  Rectums  mit  der  äussern  ver- 
einigt, selten  etwas,  doch  nie  höher  als  5  —  6  Linien,  also  circa  '/j  Zoll 
(^Sabntier ,  Rihcs,  Larrey,  Chelius).  Die  innere  Fistelöffnung  muss  man  ja 
nicht  im  Grunde  der  Fistel  suchen  und  hier  viel  sondiren ,  sonst  macht  mau 
nur  Fisteln,  indem  man  den  Mastdarm  durchbohrt.  Sind  mehrere  äussere 
Fistelöffnungen  da,  so  versäume  man  nicht,  sie  alle  nach  einander  zu  son- 
diren, um  zu  erforschen,  ob  sie  mit  einander  in  Verbindung  stehen.  Man 
untersuche  öfters  und  in  verschiedenen  Lagen :  auf  dem  Rücken  mit  ange- 
zogenen Schenkeln,  in  der  Seitenlage,  stehend,  mit  vorn  übergebeugtera 
Körper,  .um  sich  genau  von  der  Gestalt  der  B'istel  zu  überzeugen,  d)  Zu- 
weilen kann  man  die  innere  Fistelöffnung  schon  sehen,  wenn  der  Kranke 
den  Mastdarm  sehr  hervordrängt,  e)  Die  Application  der  Darmsaitenbougies 
und  der  Injectionen  gefärbter  Flüssigkeiten  dient  zur  nähern  Erforschung 
der  Beschallenheit  der  F'istel,  und  ist,  wo  man  nicht  ganz  sicher  in  der 
Diagnose  ist,  nicht  zu  versäumen,  f)  Bei  einer  Fistula  incompleta  interna 
untersuche  maa  vorzüglich  die  Stelle,  wo  der  Kranke  den  heftigsten  Schmerz 
empfindet ,  oder  merke  sich  denjenigen  Punkt ,  der  sich  durch  abnorme 
Weichheit ,  Härte  oder  Schlaffheit  auszeichnet ,  wozu  ein  feines  Gefühl  mit 
dem  Finger  nothwendig  ist.  Alsdann  sondiren  wir  mit  einer  hakenförmig 
gebogeneu  Sonde ;  aber  man  muss  auch  mit  geraden  Sonden  untersuchen, 
da  der  Fistelcaual  sich  oft  nach  Oben  fortsetzt  (^Schreger) .  Eine  bläulich- 
röthliche  Stelle  am  After,  welche  beim  Berühren  meist  härter  und  schmerz- 
haft ist  und  nach  angewandtem  Druck  Eiter  in  den  Mastdarm  ergiesst,  giebt 
den  Grund  der  nach  Aussen  blinden  Fistel  zu  erkennen.  Prognose  und 
Cur.  1)  Die  Heilung  ist  nicht  ganz  leicht,  weil  die  Function  des  Mast- 
darms: der  mechanische  Druck  der  Excremente,  die  Unreinlichkeit  dadurch 
etc.,  oft  störend  einwirkt.  2)  Sehr  alte  Mastdarmfistein ,  welche  viele  und 
callöse  Öffnungen  haben,  Brücken  etc.  bilden,  sind  unheilbar,  besonders 
wenn  zugleich  die  innere  Öffnung  unerreichbar  ist.  S)  Die  Operation  durch 
den  Schnitt  oder  die  Ligatur  ist  das  erste  und  beste  Heilmittel.  Aber  wir 
dürfen  nicht  jede  Mastdarmfistel  heilen.  Sie  ist  zuweilen  als  ein  wohlthäti- 
ger  Ausftuss,  als  ein  vicariirendes  Absonderungsorgan  zu  betrachten,  das 
andere  Beschwerden  gemindert  und  entfernt  hat.  Bei  Coraplicationen  mit 
Krankheiten  der  Blase,  Prostata,  Caries  der  Beckenknochen,  Phthisis,  bei 
chronischem  schwerem  Leberleiden  darf  man  die  Fistel  weder  durch  Opera- 
tion, noch  auf  andere  Weise  heilen.  Die  gehörige  Behandlung  des  Allge- 
meinleidens bleibt  hier  Hauptsache;  wir  erleichtern  hier  die  von  der  Fistel 
herrührenden  Beschwerden  durch  Erweiterung  der  äussern  P'istelöffnung  und 
durch  Reinlichkeit.  Bei  jeder  schon  altern  Fistel,  selbst  da,  wo  sie  nicht 
als  ein  vicariirendes  Secretionsorgan  angesehen  werden  kann ,  operire  man 
nie  ohne  vorher  gesetzte  Fontanellen.  Auch  darf  die  Operation  nie  gemacht 
werden,  wenn  heftige  Geschwulst  und  Entzündung  in  den  der  Fistel  nahen 
Weichgebilden  da  ist,  sondern  wir  müssen  diese  vorher  beseitigen.  4)  Bei 
Fistula  incompleta  interna  ist  die  Heibuig  nur  durch  Spaltung  des  Sphinkters 
und  der  Scheidewand  zwischen  dem  Fistelgange  und  dem  Mastdarme  mög- 
lich.    Es   ist   hinreichend,    wenn   die  Spaltung   von  der   inncrn  Öffnung  aa 


FISTULA  765 

begiiHit ;  selbst  da ,  wo  der  Canal  sich  höher  hinauf  erstreckt.  Die  Haupt- 
sache ist  hier  die  Trennung  des  Sphinkters,  denn  ohne  diese  kleben,  weil 
sich  die  Faeces  im  Mastdärme  anhäufen ,  die  Fistelwandungen  nicht  zusam- 
men, heilen  also  auch  nicht.  5)  Bei  Fistula  incompleta  externa  brauchen 
wir  die  Scheidewand  nicht  immer  zu  spalten.  Wir  sorgen  nur  dafür,  dass 
der  Eiter  gehörig  abtüessen  kann,  und  ist  die  EntblSssung  des  Mastdarms 
nicht  gross,  so  heilt  bei  Anwendung  anderer  noch  zu  erwähnender  Mittel 
die  Fistelwandung  mit  den  nahen  Weichgebilden  oft  ohne  Schwierigkeit  zu- 
sammen. 6)  Besondere  Rücksicht  verdienen  die  in  der  Nähe  des  Mastdarms 
sich  bildenden  Abscesse.  Sind  sie  entzündlich,  ist  der  Schmerz  darin  bren- 
nend, klopfend  und  bedeutend  stark,  so  setzen  wir  Blutegel  an,  lassen  er- 
weichende Kataplasmen  überschlagen  und  öffnen  den  Abscess,  damit  der. 
Eiter  das  Zellgewebe  im  Umfange  des  Mastdarms  nicht  zerstört,  frühzeitig 
mit  der  Lanzette.  Dies  verhütet  die  Entstehung  der  Fistel.  Auch  die  klei- 
nen, nicht  sehr  schmerzhaften,  sich  langsam  bildenden  furunkelartigen  Ge- 
schwülste ,  die  in  der  Regel  hart  anzufühlen  sind ,  bringen  wir  durch  Cata- 
plasniata  emoUientia,  irritantia,  durchs  Auflegen  von  Empl.  diachyl.  gum- 
mös, des  Nachts,  in  Eiterung,  öffnen  sie,  und  befördern  dann  die  Heilung 
nach  den  bekannten  Regeln  (s.  Abscessus).  Zuweilen  bilden  sich  nach 
vorausgegangenem  Duichbruche  der  Mastdarmwand  durch  Anhäufung  der 
Faeces  und  des  Eiters  recht  grosse  Abscesse,  die  bei  kachektischen  Sub- 
jecten  starke  Eiterung,  Zehrheber,  selbst  brandige  Zerstörung  zur  Folge 
haben.  Hier  muss  kein  Kreuzschnitt  gemacht,  also  die  Mastdarm  wand  nicht 
gespalten  werden;  es  ist  vorläufig  genug,  eine  grosse  Öffnung  zu  machen, 
damit  der  Eiter  frei  abBiesst,  und  erst,  wenn  durch  innere  gute  Nutrientia 
und  Roborantia  die  Kräfte  gehoben ,  die  Eiterung  massiger  und  das  Lumen 
des  Fistelganges  kleiner  geworden  ist,  dürfen  wir  die  Scheidewand  zwischen 
Fistel  und  Mastdarm  trennen.  7)  Letzteres  Verfahren  ist  auch  nothwendig, 
wenn  bei  der  nach  Innen  blinden  Mastdarmfistel  die  äussere  Wand  des  Re- 
ctums  eine  ziemliche  Strecke  weit  entblösst  ist.  Ist  dies  nicht  der  Fall,  so 
heilen  veraltete  Fisteln  der  Art  oft  recht  gut  durch  reizende  Injectionen, 
wozu  schwache  Solutionen  von  Lap.  caust. ,  Lap.  infernalis,  Sublimat,  mit 
Liquam.  myrrhae,  Aq.  calcis  dienlich  sind.  8)  Zur  Operation  der  Mast- 
darmfisteln durch  den  Schnitt  sind  verschiedene  Instrumente  erfunden  wor- 
den, z.  B.  das  Bistouri  cache,  verschiedene  Syringotome,  Fistelmesser  von 
Pott,  Snvigni/,  Remm,  Dzondi  und  A.  Man  kann  sie  entbehren,  da  ein  ge- 
rades Bistouri,  eine  gerinnte  Sonde  ohne  blindes  Ende,  und  ein  hölzernes 
Gorgeret  schon  hinreichend  sind  (^Chelius}  Zuerst  reinigt  man  den  Mast- 
darm durch  ein  Klystier,  entfernt  die  etwaigen  Haare  von  der  Fistelstelle 
und  lässt  den  Kranken  eine  solche  Lage  im  Bette  oder  auf  einem  Tische 
annehmen ,  dass  der  Körper  auf  die  Seite  zu  liegen  kommt ,  wo  die  Fistel 
ist ,  wobei  der  Schenkel  der  leidenden  Seite  ausgestreckt ,  der  andere  gegeu 
das  Becken  gebogen  seyn  muss.  „Man  bringt  das  geölte  Gorgeret  in  den 
Mastdarm  bis  über  die  innere  Öffnung  der  Fistel ,  wenn  eine  solche  zuge- 
gen ist ,  die  Aushöhlung  des  Gorgerets  gegen  die  Seite  der  Fistel  gerichtet. 
Dann  führt  man  die  gerinnte  Sonde  durch  den  Canal  der  Fistel  und  durch 
die  innere  Fistelöffnung  auf  das  Gorgeret ,  was  man  deutlich  fühlt ,  wenn 
man  mit  der  einen  Hand  das  Gorgeret,  mit  der  andern  die  Sonde  fasst  und 
beide  gegen  einander  bewegt.  Die  Sonde  übergiebt  man  einem  Gehülfen, 
welcher  zugleich  die  Hinterbacken  anspannt,  hält  das  Gorgeret  selbst,  im- 
mer gegen  die  Sonde  angedrückt,  führt  nun  ein  gerades  Bistouri  in  der 
Rinne  der  Sonde  bis  auf  das  Gorgeret,  und  durchschneidet  im  Zurückziehen 
des  Bistouris  alle  Theile,  welche  sich  zwischen  der  Sonde  und  dem  Gorge- 
ret befinden;  wovon  man  sich  überzeugt,  indem  man  nach  vollendetem 
Schnitte  die  Sonde  und  das  Gorgeret,  ohne  sie  aus  ihrer  gegenseitigen  Be- 
rührung zubringen,  durch  die  Wunde  auszieht"  (s.  Ckelius  Chirurgie,  1828,. 
Bd.  I.  Abth.  2,  S.  597).  Ein  höheres  Aufschneiden  ist,  wenn  die  Fistel 
höher  als  die  innere  Fistelöffnung  geht ,  überflüssig ,  wenigstens  nicht  immer, 
wie  Ältere  wollen,  nothwendig.     Bei  sehr  tiefliegender  iiuierer  Fistelöffnung 


766  FISTULA 

kann  man  das  Gorgeret  enthehren,  indem  man  die  biegsame  gerinnte  Sonde 
einbringt,  durch  die  Fistel  in  den  Mastdarm  führt,  das  Ende  derselben  mit 
dem  Zeigefinger  aus  dem  Recto  leitet  und  die  auf  der  Sonde  liegenden 
Theile  durch  ein  auf  der  Rinne  der  letztern  fortgeschobenes  Bistouri  durch- 
schneidet. Bei  einer  Fistula  ani  incompleta  externa  wird ,  wenn  man  die 
Operation  nöthig  erachtet,  die  Hohlsonde  bis  zum  Grunde  der  Fistel  ge- 
bracht, gegen  das  im  Mastdarm  befindliche  Gorgeret  angedrückt  und  auf 
angegebene  Weise  die  Scheidewand  mit  dem  geraden  Bistouri  durchschnit- 
ten. 9)  Nach  der  Operation  reinigt  man  zuerst  die  Wunde  mit  lauem  Was- 
ser und  Schwamm,  alsdann  führt  man  den  Zeigefinger  der  linken  Hand  ins 
Rectum  bis  an  das  obere  Ende  der  Wunde  ein  und  legt  mittels  einer  Sondo 
oder  Kornzange  eine  mit  Öl  bestrichene  Charpie\>ieke  zwischen  die  Ränder 
<ler  ganzen  Länge  nach  ein.  Solcher  Wieken  werden  auf  diese  Weise  60 
viele  eingebracht,  als  zur  AufüUung  der  ganzen  Wunde  noth wendig  sind. 
Zuletzt  legt  man  eine  gehörig  dicke  Wieke  in  den  Mastdarm,  damit  die  an- 
dern Wieken  sich  nicht  verschieben,  legt  darüber  noch  ein  Plumaceau,  dann 
Heftpflaster,  darüber  eine  Compresse  und  zur  Befestigung  des  Ganzen  eine 
T-Binde.  Der  Kranke  muss  im  Bette  zubringen  und  gleich  nach  der  Ope- 
ration etwas  Opium  nehmen.  Alle  24  Stunden  erneuert  man  den  Verband, 
sorgt  dafür,  dass  täglich  einmal  Leibesöffnung  folgt,  wozu  Klistiere  voa 
lauem  Wasser  zur  Beförderung  der  Sedes  dienen.  Bei  den  nächsten  Ver- 
bänden werden  die  Wieken  nicht  mehr  beölt ;  auch  stets  kleinere  eingelegt, 
gowie  sich  die  Wunde  durch  Granulation  verengert.  Salben  sind  zur  Hei- 
lung überflüssig ;  trockner  Verband  und  weiterhin  das  leise  Berühren  der 
Wundränder  mit  Höllenstein  zur  Beförderung  der  Vernarbung  sehr  zu  em- 
pfehlen. 10)  Während  oder  nach  der  Operation  durch  den  Schnitt  können 
verschiedene  Zufälle  eintreten :  n)  Blutungen.  Nur  wenn  sie  bedeutend  sind, 
berücksicktigt  man  sie;  wendet  Pulv.  stypticus  an,  unterbindet  das  blutende 
Gefass ;  hilft  aber  ersteres  nicht  und  will  die  Ligatur  nicht  gelingen,  so 
muss  man  tamponniren.  Man  bringt  einen  festen  Charpiepropf ,  der  mit  zwei 
starken  Fäden  kreuzweise  zusammengebunden  ist,  in  den  Mastdarm  bis  über 
das  blutende  Gefass,  lässt  die  Fäden  zum  Mastdarm  heraushängen,  und 
stopft  letztern  ganz  mit  Charpiebäuschchen  aus ,  die  man  mit  den  Fäden 
zuletzt  zusammenbindet.  Bei  Weibern  muss  man  zugleich  die  Vagina  tam- 
prfnniren.  l)  Heftige  Entzündung.  Sie  erfordert  Blutegel ,  kalte  Umschläge, 
erweichende  Klystiere ,  erweichende  Kataplasmen  (^Cooper') ,  Ölmixturen- 
c)  Ist  später  die  Eiterung  zu  copiös,  so  gebe  man  innerlich  Roborantia  und 
verbinde  mit  trockner  Charpie,  mit  Aq.  calcis,  Liquam.  myrrhae.  d)  Zu- 
weilen stellen  sich  spastische  Beschwerden:  Kolik,  Harnverhaltung  etc.  ein. 
Hier  dienen  innerlich  Ölmixturen  mit  Extr.  hyoscyami ,  Opium ;  äusserlich 
warme  Überschläge,  besänftigende  Klystiere.  11)  Häufig  heilen  wir  die 
Mastdarmfisteln  durch  die  Unterbindung.  Sie  hat  viele  Vorzüge  vor  dem 
Schnitte;  denn  wenn  bei  letzterem  die  Heilung  auch  rascher  erfolgt,  so  ist 
der  Schmerz  bei  der  Unterbindung  doch  nur  höchst  gering ,  Blutungen  sind 
gar  nicht  zu  fürchten ,  und  der  Kranke  braucht  nicht  das  Bette  zu  hüten. 
Man  wähle  sie  daher  jedesmal  in  solchen  Fällen,  wo  die  Fistelötfnung  hoch 
steht,  wo  sehr  erweiterte  Hämorrhoidalgefässe  sind,  der  Kranke  an  habi- 
tuellen Diarrhöen  leidet  und  vor  dem  Schnitte  eine  grosse  Furcht  hat.  Ist 
die  innere  Fistelöfi'nung  aber  nicht  hoch,  sind  mehrere  Nebengänge  da,  ist 
eine  bedeutende  Entblössung  des  Mastdarms  zugegen,  ist  die  äussere  Fistel- 
öffnung vom  After  entfernt  und  das  Subject  bei  guten  Säften ,  nicht  ka- 
chektiscb,  so  verdient  der  Schnitt  den  Vorzug.  1<J)  Bei  der  Unterbindung 
bedient  man  sich  mehrfach  zusammengelegter  hänfener  oder  seidener  Fäden 
oder  einer  geklöckelten  seidenen  Schnur,  welche  vor  den  em|)fohlenen  Sil- 
ber- und  Bleidräthen  den  Vorzug  verdient.  IVIan  zieht  den  Faden  mittels 
einer  feinen  biegsamen ,  mit  einem  Öhr  versehenen  Sonde  oder ,  bei  hoher 
Innerer  Fistelöffnung ,  mittels  des  Desault'schen ,  Schreger'schen  oder  Rei- 
ßinger'schen  Apparats  etc.  durch  die  Fistel  und  den  Mastdarm,  bindet  beide 
Enden  des  B'adens  massig  fest  zusammen  uiid  zieht  alle  2 — STage  die  Fä- 


FISTÜLA  '  767 

den  durchs  Zusammenbinden  etwas  fester  an;  so  wird  allmäUg  die  Scheide- 
wand zwisciten  Mastdarm  und  Fistel  getrennt  und  die  Fistel  heilt  von 
Oben  nach  Unten  allmälig,  sowie  der  Theil  successive  durchschnitten  wor- 
den. Ists  eine  Fistel  mit  einer  blinden  Öffnung  nach  Oben,  so  stösst  man 
mit  dem  kleinen  Troikar,  der  sich  am  Reisinger'schen  Apparate  befindet, 
die  Mastdarm  wand  erst  durch,  um  den  Faden  durchziehen  zu  können. 
Man  muss  die  Fäden  nur  so  fest  zusammenbinden ,  dass  der  Kranke  einen 
gelinden  Druck ,  aber  keinen  Schmerz  empfindet.  In  den  ersten  Tagen 
muss  der  Patient  sich  ruhig  verhalten,  aber  später  kann  er  seinen  Geschäf<- 
ten  nachgehen.  Mau  sorge  täglich  für  breiige  Stuhlausleerung.  Entsteht 
heftiger  Schmerz,  so  muss  die  Ligatur  lockerer  zusammengebunden  werden. 
Gegen  die  dritte  Woche  hin  wird  die  Schnur  leicht  mürbe,  man  muss  da- 
her eine  neue  an  die  alte  binden  und  sie  damit  einziehen,  so  dass  die  neue 
Ligatur  die  alte  weggenommene  ersetzt.  Ist  der  Theil  ganz  durchschnitten, 
was  mitunter  erst  in  vier  Wochen  der  Fall  ist,  so  verbindet  man  die  nach- 
gebliebene kleine  eiternde  Stelle  mit  trockner  Charpie  und  betupft  die  Rän- 
der zuweilen  leicht  mit  Lap.  infernalis.  —  Thom.  CopelmiiTs  Schrift  (Über 
die  vorzüglichsten  Krankheiten  des  Mastdarms  und  des  Afters.  A.  d.  Engl, 
von  Friedreich.  Halle,  1819;  recens.  Leipz.  Lit.- Zeitung,  1819,  Nr.  288, 
S.  2300)  ist  sehr  belehrend.  Auch  hat  Nasse  über  die  chronische  Entzün- 
dung des  Mastdarms  sehr  schön  geschrieben  (s.  Honi's  Archiv,  1817,  Hft.  1) 
und  besonders  die  Diagnose  berücksichtigt,  und  auf  den  wurm-  und  kugel- 
förmigen Kothabgang,  auf  die  mit  Tenesmus  abgehenden  eiterartigen  Mas- 
sen ,  auf  die  öftern  Ructus  bei  Rectitis  chronica  aufmerksam  gemacht.  Nacii 
Copelnnd  leiden  an  letzterm  Übel  mehr  Frauenzinuner ,  als  Männer,  gewiss 
oft  deshalb ,  weil  sie  von  Hebammen  nicht  selten  bei  der  Geburt  unzweck- 
mässig behandelt  werden,  in  der  vierten  Geburtsperiode  sich  zu  sehr  durch 
Drängen  schaden  und  ihr  Mastdarm  nicht  durch  Klystiere  vorher  geleect 
worden  ist. 

Fistula  liliosn,  Gallenfistel.  Entsteht  durch  Trennung  der  Gal- 
lenblase oder  des  Gallenganges,  nachdem  sich  vorläufig  Verwachsung  der- 
selben mit  dem  Bauchfelle  gebildet  hat.  Der  Sitz  der  Fistel,  aus  deren 
Öffnung  Galle  fliesst,  ist  am  häufigsten  die  Lebergegend,  seltener  entfernt 
davon;  der  Gallenverlust  ist  oft  bedeutend,  ohne  dass  schlimme  Zufalle  ent- 
stehen ;  zuweilen  heilt  die  Fistel ,  wenn  ein  Gallenstein  abgegangen  ist, 
bricht  aber  oft  wieder  auf  und  der  Kranke  befindet  sich  besser  als  vorher. 
Ursachen.  Häufig  Hydrops  vesicae  felleae ,  wo  die  schwappende  Ge- 
ecliwulst  unter  den  kurzen  Rippen  zu  fühlen  ist  (s.  d.  Art.),  unter  öftern 
Zufällen  von  Kolik  und  Diarrhoea  biliosa  endlich  aufbricht  und  das  Ge- 
schwür nun  Galle  entleert.  Die  Ursache  der  Anhäufung  der  Galle  in  der 
Gallenblase  (Hydrops  vesicae  felleae)  sind  fast  immer  Gallensteine  (s.  Li- 
thiasis).  Die  Fälle,  wo  ohne  Hydrops,  durch  Ulceration  der  Gallenblase 
oder  des  Gallenganges  in  Folge  eines  Abscesses  in  der  Nachbarschaft,  z.B. 
eines  Leberabscesses ,  eine  Gallenfistel  entsteht,  sind  seltener.  Cur.  1)  Man 
fiondire  genau,  und  findet  man  einen  Gallenstein  in  der  Fistel,  so  suche 
man  ihn  zu  entfernen.  Gewöhnlich  müssen  wir  die  Öffnung  durch  Quell- 
meissel  oder  Darmsaiten  (nie  durch  den  Schnitt ,  denn  dieser  kann  die  schöna 
Adhäsion  mit  dem  Bauchfelle  trennen)  vorher  erweitern.  Den  Stein  ziehen 
wir  vorsichtig  mit  der  Kornzange  heraus,  wobei  man  sich  durchs  Umdrehen 
der  den  Stein  fassenden  Zange  überzeugt,  dass  die  Gallenblase  nicht  mic 
gefasst  worden  ist.  2)  Man  gebe  innerlich  die  gegen  Gallensteine  zweck- 
dienlichen Mittel  (s.  Colica  calculosa  und  L i t h i a s i s)  ,  vor  Allem  daa 
Durand'sche,  und  lasse  die  Fistelötfnung  nicht  eher  zuheilen,  bis  alle  Gal- 
lensteine mechanisch  oder  chemisch  entfernt  worden  sind.  S)  Ist  dies  der 
Fall ,  so  heilt  die  Fistel  bei  trocknem  Verbände ,  gelinder  Compression  und 
behutsamem  Betupfen  mit  Lap.  infernalis  bald.  4)  Da  die  Kranken  in  der 
Regel  schwach  sind,  so  gebe  man  innerlich  gute  Nutrientia  luid  Roborantia 
mit  Berücksichtigung  des  Grades  der  Digestionskraft. 

Fistula  colli  congenita ,  die  angebor ne  Hals fi sie  1.     Hierüber   hat 


768  FISTULA 

^schcrson  eine  kleine  lesenswertlie  Abiiandlung:  „De  fistulis  colli  congenitis 
«tc.  Berol.  1832"  geschrieben.  Er  zählt  11  Fälle  dieses  bi#  jetzt  unbe- 
kannt gebliebenen  Bildungsfelilers  auf.  Symptome:  Mau  findet  hier  eine 
Fistel  an  der  Seite  des  Halses ,  zwischen  den  beiden  Köpfen  des  Muse,  ster- 
jiocleido-mastoideus,  oder  am  Innern  Rande  desselben;  im  ersten  Fall  dicht 
em  Schlüsselbein,  im  zweiten  mehr  oder  weniger,  jedoch  selten  mehr  als 
1  Zoll  vom  Brustbeine  entfernt.  Die  Öffnung  ist  meist  sehr  eng,  oft  dabei 
eine  blosse  Vertiefung  der  Haut ,  oder  von  einem  röthlichen  erhabenen 
Rande  umgeben.  Ihr  Secret  ist  durchsichtig,  klebrig,  ungefärbt,  zuweilen 
«iterartig ,  und  die  Quantität  oft  sehr  gering.  Jede  Erhitzung  des  Körpers 
vermehrt  die  Absonderung.  Zuweilen  folgt  die  Fistelöffnung  den  Bewegun- 
gen des  Schlundkopfs  beim  Schlucken.  —  Das  Übel  kommt  angeboren  und 
erblich  vor,  und  zwar  entweder  an  einer  Seite —  meist  der  rechten  —  oder 
an  beiden  Seiten  des  Halses.  Es  ist  bei  der  Geburt  oft  unmerklich  und 
kommt  erst  später  deutlicher  zum  Vorschein,  wo  die  Fistel  alsdann  oft  mit 
<lem  Schlundkopfe  oder  der  Speiseröhre  zusammenhängt.  —  Ais  Ursache  sta- 
tuirt  Aschersoii  die  Heinmungsblldung ,  wo  die  leidenden  Theile  auf  einer 
frühern  Entwickelungsstufe,  auf  der  des  Embryo,  wo,  nach  Rathke,  Bur~ 
4lach  und  v.  Bner,  noch  zur  Seite  des  Halses  sich  die  Kiemenspalten  auch 
beim  menschlichen  Embryo  vorfinden,  stehen  geblieben  sind.  Cur.  Da  das 
Übel  keine  grosse  Beschwerden  macht  und  aus  wichtigen  Gründen  habi- 
tuelle Absonderungen  nicht  immer  ohne  Gefahr  gestopft  werden  dürfen,  so 
jsts  am  besten,  nichts  dagegen  zu  unternehmen.  In  einem  Falle,  wo  man 
die  Fistel  mit  Atzmitteln  zu  heilen  versucht  hatte,  entstand  Anschwellung, 
heftiger  Schmerz  und  Dysphagie,  und  diese  Zufälle  hielten  an,  bis  der  Aus- 
Jluss  sich  wieder  herstellte.  Ein  anderer  Heilungsversuch  fiel  selbst  tödt- 
lich  aus ,  wie  Ascherson  erzählt  (s.  auch  Dzondi ,  De  fistulis  tracheae  con- 
^enitis.    Halae,  1829). 

Fistuln  corneae,  Hornhautfistel.  So  hat  man  wol  ein  Geschwür 
der  Cornea,  das  entweder  penetrirt  oder  nicht  penetrirt,  genannt.  (S.  In- 
flammatio  und  Ulcus  corneae).  Nach  Ji'mijlcen  entsteht  die  Hornhaut- 
üstel  theils  durch  Eitersenkung  bei  Abscessen  und  veralteten  Geschwüren, 
die  am  obern  Theile  der  Hornhaut  sitzen ,  theils  durch  mechanische  Ver- 
letzungen ,  penetrirende  Stichwunden  etc. ,  die  sich  bei  längerm  Bestehen, 
»chlechter  Behandlung,  oder  in  Folge  obwaltender  Dyskrasien  und  Kachexien 
in  Geschwüre  verwandeln.  „Sie  erscheinen  als  trübe  Streifen  in  der  Horn- 
haut, welche  sich  von  Oben  nach  Unten  erstrecken,  und  nach  Unten  mit 
einer  Eitersammlung  im  Parenchym  der  Hornhaut,  mit  einem  Onyx  oder 
Unguis  enden;  ihre  Öffnung  liegt  am  obern  Theile  der  Hornhaut,  bald  aa 
der  äussern,  bald  an  der  Innern  Wand  derselben."  Diese  B'isteln  komraea 
gelten,  wie  Jünyken  versichert,  vor,  weil  Hornhautwunden  leicht  heilen, 
ausgenommen  bei  gichtischen  und  scrophulösen  Personen.  Die  Prognose 
ist  hier,  zumal  wenn  schon  Collositäten  zugegen  sind,  ungünstig,  und  der 
geschickte,  eben  genannte  Berliner  Augenarzt  spricht  sich  so  aus:  ,,Man 
kann  von  Glück  sagen  —  heisst  es  in  RitsVs  Chirurgie ,  Bd.  VTI.  S.  173,  — 
wenn  das  Sehvermögen  theilweise  erhalten  oder  nur  so  viel  von  der  Horn- 
haut gerettet  wird,  dass  späterhin  das  Gesicht  durch  eine  künstliche  Pu- 
pillenbildung wieder  hergestellt  werden  kann.  Nicht  immer  ist  indess  der 
Erfolg  der  Cur  ein  so  günstiger,  und  bisweilen  endet  das  Übel  mit  gänzli- 
cher Trübheit  der  Hornhaut."  Er  verwirft  bei  der  Cur  jeden  mechanischen 
Eingriff,  jede  Art  von  Operation,  welche  nicht  blos  früher,  sondern  noch 
neuerdings  von  Ärzten  empfohlen  ist,  indem  dadurch  stets  der  Zustand  des 
Augeg  durch  Steigerung  der  Entzündungserscheinungen  und  des  anomalen 
Vegetationsprocesses  verschlimmert  werde.  Man  soll  sich  daher  mit  phar- 
jnaceutischen  Heilmitteln,  die  den  Charakter  des  Geschwürs  umstimmen  und 
dem  Vegetationsprocess  des  Auges  eine  andere,  bessere  Richtung  geben» 
begnügen  und  die  Heilung  der  Fistel  der  Natur  überlassen;  überhaupt  sie 
■wie  jedes  Hornhautgeschwür  behandeln.  Aufmerksamkeit  verdient  die  neue 
Methode ,  Höllenstein  auf  Geschwike  und  Flecken  der  Hornhaut  zu  bringen. 


FISTULA  769 

welche  Im  Bulletin  de  Therapeutique  1832  (s.  auch  Behrendts  Med.-chirurg. 
Journalistik  des  Auslandes,  1832.  Decbr.  S.  277)  angegeben  worden  ist. 
Man  nimmt  nämlich  eine  silberne  dicke  Sonde,  erhitzt  das  Ende  derselben 
einen  Zoll  lang  an  der  Flamme  eines  Lichts,  und  bestreicht  es  dann  mit 
einem  Stück  Höllenstein.  Dieser  schmilzt  sogleich  und  verbindet  sich  mit 
der  metallischen  Oberfläche,  indem  er  dieselbe  mit  einer  dünnen  Schicht  de» 
Ätzmittels  überzieht.  Hierauf  lässt  man  das  Instrument  kalt  werden ,  rei- 
nigt und  polirt  es  ein  wenig ,  und  hebt  es  zum  Gebrauch  auf. 

Fistuln  dentnlis,  die  sogenannte  Zahnfistel.  Ist  auch  keine  eigent- 
liche Fistel,  sondern  ein  Ulcus  fistulosum,  entstanden  durch  einen  Abscess 
oder  durch  ein  Geschwür  am  Zahnfleische ,  durch  Caries  der  Zahnwurzel  etc. 
Vorher  gehen  längere  Zeit  Zahnschmerzen ,  die  aber  selten  lange  anhalten, 
oft  auch  nur  unbedeutend  sind.  Es  bildet  sich  eine  röthlich  -  weissliche  Ge- 
schwulst an  der  Stelle  des  kranken  Zahns,  dieser  hebt  sich  merklich  in  die 
Höhe ,  obgleich  seine  Krone  oft  noch  ganz  gesund  ist ;  es  bildet  sich  nun 
ein  Abscess  im  Zahnfleische  und  ausserhalb  des  Mondes  auf  der  Wange,  und 
der  gesund  scheinende  Zahn  schmerzt,  wenn  man  ihn  mit  einer  metallenen 
Sonde  berührt.  Cur.  Man  muss  zuerst  den  verdächtigen  Zahn  ausziehen 
und  dann  adstringirende  Mundwasser:  Infus,  salviae,  Tinct.  katechu  etc.  ge- 
brauchen. Schliesst  sich  die  Fistel  nicht  bald,  so  ist  entweder  eine,  andere 
cariöse  Zahnwurzel  schuld  oder  es  ist  Caries  des  Processus  alveolaris  zuge- 
gen (s.  Odontalgia  und  Caries).  —  Die  Zahnfistel  kommt  häufiger  an 
der  obern  als  untern  Kinnlade  vor,  sie  geht  meist  von  den  obern  Augen-, 
Schneide-  und  vordem  Backzähnen,  seltener  von  den  hintern  aus.  Die  Er- 
kenntniss  ist  leicht.  Der  Schmerz,  der  Gebrauch  der  Sonde,  der  Ausflus» 
von  meist  übelriechendem  Eiter,  der  durchs  Streichen  in  grösserer  Menge 
hervorquillt,  geben  sie  zu  erkennen.  Zuweilen  ist  die  Fistelöffnung  ge- 
schlossen, und  dann  zeigt  sich  an  ihrer  Stelle  eine  kleine,  beim  Druck 
schmerzhafte  Geschwulst;  zuweilen  sind  mehrere  Fistelöffnungen  da,  die 
sich  in  der  Tiefe  in  einen  Punkt  concentriren ,  zuweilen  ists  umgekehrt  der 
Fall.  Nur  selten  durchbohrt  die  Fistel  die  Wangenhaut  oder  öffnet  sich  in 
die  Highmorshöhle,  meist  immer  das  Zahnfleisch ;  der  letztere  Fall  giebt  da- 
her auch  eine  günstigere  Prognose,  als  die  beiden  erstem.  —  Schliesst  sich 
die  Fistel  nach  der  Entfernung  des  cariösen  Zahnes  nicht,  so  ist  entweder 
der  benachbarte  Zahn  an  der  Wurzel  krank ,  der  dann  gleichfalls  entfernt 
werden  muss,  oder  es  ist  in  Folge  einer  zu  spät  geöffneten  Parulis  Caries 
der  Kinnlade  entstanden,  wogegen  das  Glüheisen  angewandt  werden  muss. 
Nur  an  den  voi'dern  Zähnen  des  Oberkiefers  bedarf  es  nicht  sogleich  der 
Extraction  des  Zahns,  da  hier  das  Übel  sich  oft  Jahre  lang  hinzieht,  ohne 
Caries  des  Alveolarrandes  zu  erregen;  nur  muss  für  gehörigen  Ausfluss  des 
Eiters  gesorgt  werden.  Ich  kannte  eine  Dame,  welche  eine  solche  Zahn- 
fistel 10  Jahre  lang  ohne  Nachtheil  trug,  obgleich  sie  sich  zum  Auszie- 
hen des  Schneidezahns,  der  an  der  Krone  gesund  war,  nicht  entschliessen 
wollte  (M.). 

Fistuln  frontalis.  Die  Stirnhöhlen fistel  folgt  leicht  aof  geschwü- 
rige Zerstörung  der  über  der  Stirnhöhle  gelegenen  Weichgebilde,  zumal  in 
Folge  allgemeiner  Syphilis ,  oder  es  ist  eine  mechanische  Verletzung  Schuld. 
Sie  entleert  meist  Schleim  oder  Eiter,  zuweilen  aber  auch  Luft,  die  mitun- 
ter unter  die  Gesichtshaut  dringt  und  ein  Emphysem  veranlasst,  z,  B.  ober- 
halb der  Nasenwurzel  (Dtifuytren).  In  einem  Falle  communicirte  die  Rstel 
mit  den  Respirationsorganen,  und  es  entstand  Orthopnoe,  als  man  die  vor- 
dere Lamelle  des  Sinus  frontalis  entfernt  hatte,  die  indessen  dadurch','  Öasfe 
man  schnell  diese-  Öffnung  mittels  eines  Pflasters  bedeckte,  schnell  wieder 
verschwand.  Die  Cur  der  Fistula  frontalis  ist  di^  des  etwanigen  Grund- 
üb«ls,  der  allgemeinen  SyphiÜB  etc.  und  die  nach  den  Umständen  gegert 
Vulnus,  Caries,  Necrosis ,  Abscessm  sinus  frontalis  erforderliche  chirurgische 
Hülfe  (s.  diese  Artikel).  -    ,    :;i. 

Fistula  glandulae  lacrytnaUs.     Die  Thränendrüsenfis tel  ist  selte- 
ner al*  die  sog.  Thrinenfistel ;    doch   können  Stichwunden  und  Entzündung 
Most  Eucyklopädie.  2te  Aufl.  I.  49 


770  FISTULA 

der  Thränendrüse  sie  veranlassen.  Zeichen  sind:  ausser  den  anamnesti- 
schen findet  man  am  obern  Augenlide  nach  Aussen  hin  eine  kleine  haarför- 
mige  ÖlTnung,  an  welcher  gich  fortwährend  ein  Tropfen  einer  hellen,  klareo 
Flüssigkeit:  der  Thränen,  ansammelt,  der,  wenn  man  ihn  wegAischt,  bald 
»ieder  erscheint,  und  welche  Absonderung,  sobald  der  Kranke  weint,  ver- 
mehrt wird.  Später  vyird  die  Fistel  callös  und  bekommt  einen  kleinen  aufr 
geworfenen  Ring  in  ihrem  Umfange;  zuweilen  ist  gleichzeitig  Ectropiiun  oder 
Lagophthalmos  zugegen,  wo  dann  das  Auge  sehr  trocken  erscheint.  Cur. 
Ist  nicht  leicht,  besonders  wenn  schon  Callositätea  da  sind.  Die  Fistel  schliesst 
sich  nur  nach  Zerstörung  ihrer  Öffnung  mittels  Lapis  infernalis,  wovon  man 
ein  kleines  konisch  zugespitztes  Stückchen  in  die  Olfnung  bringt,  und  so  ei- 
nen Brandschorf  erregt.  Die  darauf  folgende  Entzünduijg  mildert  man  durch 
kalte  Umschläge  von  Wasser,  Bleiwasser  und  überlässt  die  Absonderung  des 
Schorfes  der  Natur.  Ist  diese  erfolgt,  so  verschliesst  mau  die  Öffnung  mit 
einem  Klebpflaster,  bedeckt  das  obere  Augenlid  in  der  Gegend  der  Thränen- 
driise  mit  einer  graduirten  Cumpresse  und  befestigt  diese  durch  einen  Mono-f 
culus,  damit  die  Thränen  abgehalten  werden.  Der  Kranke  muss  jede  Ver- 
anlassung zum  Weinen  vermeiden  und  sich  in  heiterer  Gemüihsstimmung  er- 
halten. Hat  sich  die  Öffnung  durch  solches  Verfahren  nicht  völlig  geschlos- 
sen, so  wiederholt  man  die  Cauterisation,  Hilft  diese  nicht,  so  bleibt  nur 
noch  die  Anwendung  des  Glüheisens  übrig  (./«»(///ew). 

Fiatula  Iacr\fn(ilis,  Dacryosyrinx ,  Thränenfistel.  Man  hat  verschie- 
dene Zustände  Thränenfistel  genannt  und  die  Fälle  nicht  immer  genau  un- 
terschieden. Bei  der  wahren  Fistula  sacci  lacrymalis  findet  eine  regelwidrige 
Öffnung  im  Thränensacke  statt,  aus  welcher  Thränenfeuchtigkeit  ausHiesst. 
Wir  unterscheiden  hier  a)  Fistula  lacrymalis  eMcrua,  wo  sich  äuss«rlich  auf 
der  Wange  die  abnorme  Olfnung,  in  Folge  von  VervNundungen,  häufiger 
noch  durch  Aufenthalt  der  Thränen  im  Thränensack  wegen  Atonie  des  Sacks, 
Atresie  der  Ausführungsgänge  etc.  zeigt,  b)  Fistula,  lacrymalis  interna.  Hier 
geht  die  abnorme  Öffnung  in  die  Nase,  der  Kranke  schneuzt  Thränen  aus; 
der  Thränensack  hat  ein  abnormes,  röthliches  Änsehn,  ist  aufgetrieben,  em- 
pfindlich; nicht  selten  ist  schon  Caries  im  Grunde  da,  der  Kreuike  schneuzt 
kleine  Knochenstücke  aus,  ist  syphilitisch,  scrophulös  etc.  Da  jede  wahra 
Thränensackfistel  ein  Geschwür  der  Schleimhaut  des  Thränensacks  mit  ei- 
ner engen  callösen  Öffnung  ist,  das  als  Folge  anderer  Krankheiten  des 
Thräijensacks  betrachtet  vierden  kann,  so  ist  e&  in  praktischer  Hinsicht 
vrißhlig,  bei  der  Untersuchung  diejenigen  Th^ile  des  Thränenorgans ,  wel- 
che die  Thränen  vom  Augapfel  in  die  Nase  leiten  sollen,  nicht  ausser  Acht 
zu  lassen,  sondern  ih.e  etvvanigen  Anomalien  gehörig  aufzusuchen.  Vorzüg- 
lich interessiren  uns  hier  die  Krankhcjiten  der  untern  Partie  des  Thränen- 
sacks und  Nasencanais  als  ursächliche  IVIomente  der  Thränenfistel.  1)  Die 
sügena^inte,  Hernia  sacci  lacrymalis  und  der  Hydrops  desselben.  Ist  eine 
blosse  Ausdehnung  des  nicht  schmerzhaften  Thränensacks;  drückt  man  dar- 
auf, so  gehen  die  Thränen  in  die  Nase  oder  laufen  auch  auf  die  Wange 
(ä,  Dacryocystitis).  2)  Späterhin  gesellt  sich  Blennorrhoe  hinzu,  der 
Thränensack  wird  roth,  schmerzhaft,  hart,  der  Druck  darauf  schmerzt  sehr; 
en  entleert  Thränen  und  Schleim.  3)  Li  diesem  Zustande  kann  das  Übel 
Jaiice  l^g  verharren,  ehe  der  Thränensack  aufbricht  und  eine  wirkliche 
Thränenfistel  ejitsteht.  Kurz  vor  dem  Aufbruche  entstehen  oft  Gesichtsrose, 
Fidner,  GtjscKwulst,  dos  halben  Kopfes,  selbst  Delirien,  welche  Zufalle  mit 
d,^ji^  Aufbruche  sch^tiell  ver^hwinden.  4)  Nun  geht  der  Thränensack  in 
wifjdicüe  Vereitermig  über,,  da  früher  die  entleerte  Flüssigkeit  nur  krank- 
liijft  abgesonderter  Schleim  und  Thränenfeuchtigkeit  war.  Es  bilden  sich 
leicjit,  Auswüchse,  di©  den  ganzen  Sack  ausföUen ,  die  hintere  Fläche  leidet^ 
/das  Os  unguis  ver/^tjert,  und  nun  gehen  die  Coatenta  in  die  Nase.  Der 
Unkundige .  hält  diesea  Zustand  oft  für  einen  chronischen  Katarrh  oder  für 
ein  gewöhnliches  Nasengeschwür.  5)  Die  durch  Verletzung  des  ThräneOr 
sacks  «ntslandene  Thr4nenfiütel  hat  nicht  diesen  langsamen  Varlaufi  Sie 
heilt  schnell   bei  gutof;  ^feliandlung,    dagegen   die    wahre  Thränenfistel   eia 


FISTULA  ,  771 

sehr  langwieriges  und  lästiges  Übel  ist.  Behandlung.  Der  Zustand  der 
Thiänenpunkte ,  der  Thräaencanälchen  und  des  Ductus  nasalis  muss  zuerst 
gehörig  erforscht  werden.  1)  Die  wahre  Atresie  der  Thränenpunkte  ist  sel- 
ten ,  häufig  auch  nicht  4'oss.  Einspritzungen  mit  AneVs  Spritze  entdecken 
sie ,  desgleichen  die  Anel'sche  Sonde ,  die  man  vorsichtig  einbringt.  Durch 
Entzündung  kann  sich  ein  Thränenpunkt  schliessen;  ist  der  andere  noch 
ollen,  so  versieht  der  die  ganze  Function.  Operiren  kann  man  hier  nicht 
gut.  Oft  ist  Blepharoplegie  Ursache.  2)  Hat  man  sich  überzeugt,  dass  das 
Thränencanälchen  nicht  verwachsen  ist,  so  untersucht  man  den  Nasencanal 
mit  einer  feinen  fischbeinernen  Sonde,  die  man  horizontal  in  den  geöffneten 
Tiiränen^ck  bringt,  an  der  hintern  Wand  desselben  perpendiculär  hält  und 
go  die  Öffnung  des  Ductus  nasalis  aufsucht.  Ist  der  Canal  noch  offen ,  so 
lege  man  anfangs  eine  mit  Mandelöl  bestrichene  E- Saite  der  Violine,  später 
A- Saiten,  zuletzt  D- Saiten  ein,  ungefähr  6  Zoll  lang,  und  fahre  damit 
täglich  fort  (s.  Weller,  Krankheiten  des  menschl.  Auges.  S.  113).  3)  Ist 
die  Schleimhaut  des  Sacks  geschwollen  und  weich ,  so  macht  man  Einspriz* 
Zungen  von  schwacher  Solut.  lap.  infern.,  Aq.  Goulardi  mit  Laudanum;  ist 
sie  aber  hart  und  knotig,  so  verbinde  man  mit  Präcipitatsalbe,  womit  man 
die  Darmsaite  bestreicht.  4)  Ist  Caries  zugleich  da,  zeigen  sich  schwarn-^ 
mige  Excrescenzen,  ist  die  Jauche  schwarzkörnig,  so  verbinde  man  mit  Asa 
foetida  und  Myrrhe,  und  behandle  das  Grundübel.  5)  Ein  grosses  Mittel, 
Thränenfisteln  zu  verhüten,  sind  die  Einreibungen  von  Mercurialsalbe  bei 
Dacryocystitis  wegen  allgemeiner  Blennorrhoe  aus  Gicht,  Scropheln  und  an- 
dern Ursachen,  z.  B.  ^  Mercur.  solub.  Hahnemanni  $j,  Unguent.  simpl.  3j}. 
M.  exactiss.  S.  Abends  und  Morgens  eine  Erbse  gross  recht  anhaltend  in 
den  Tlu'änensack  einzureiben.  Dabei  zweckmässige  innere  Mittel  gegen  das 
Grundübel  {Himhj ,  M.).  6)  Statt  der  Darmsaiten  hat  man  auch  Bleidraht 
empfohlen;  er  passt  aber  nur  am  Ende  der  Cur,  wenn  die  Darmsaiten  wo- 
chenlang gebraucht  worden  sind. 

Fistula  lactea,  die  Milchfistel.  Sie  folgt  zuweilen  auf  Mastitis  oder 
Lymphgeschwulst  bei  stillenden  Frauen  oder  bei  solchen,  welche  noch  län- 
gere Zeit  nach  dem  Entwöhnen  des  Kindes  Milch  in  den  Brüsten  behalten. 
Häufig  gehen  die  Fisteln  in  die  Tiefe  des  drüsigen  Parenchyms  und  entlee- 
ren Eiter  mit  Milch  vermischt;  dabei  fühlt  man  mehrere  harte  Stellen  in  der 
leidenden  Brust.  Cur.  Ist  noch  viel  Entzündliches  da,  dann  entzündungs- 
widriges Verfahren  (s.  Inflammatio  glandularum  und  Absoessus 
lacteus),  später  dienen  die  bei  Abscessus  lacteus  angegebenen  Resolven- 
tia;  dabei  die  Behandlung  der  Fistel  mittels  Lapis  infernalis,  wie  bei  Fistula 
glandulae  lacrymalis  angegeben  worden. 

Fistula  laryngis  et  tracheae.  Ausser  den  angebornen  Fisteln  des  Kehl- 
kopfs und  der  Luftröhre  (s.  oben  Fistula  colli  congenita)  können  die- 
selben auch  durch  Schuss-,  Hieb-,  Schnitt- und  Stichwunden,  durch  syphi- 
litische und  scrophulöse  Geschwüre,  durch  Abscesse  etc.  entstehen.  Ist  die 
Luft,  welche  durch  die  Fistel  geht,  bedeutend,  so  folgt  Aphonie,  doch  kann 
der  Mensch,  sobald  die  Öffnung  durch  Vorwärtsbeugen  des  Kopfs  geschlos- 
sen wird ,  sogleich  wieder  reden ,  obgleich  meist  undeutlich ,  sobald  nämlich 
die  Fistel  unterhalb  der  Stimmritze  ihren  Sitz  hat.  Cur.  Ist  die  Öffnung 
klein,  so  kann  man  die  Ränder  der  Fistel  cauterisiren  und  durch  den  so 
erregten  Entzündungsprocess  schliessen;  ist  sie  aber  sehr  gross,  so  mnss 
man  sich  damit  begnügen ,  die  Öffnung  durch  ein  Klebpflaster  und  eine  pas- 
sende Metallplatte ,  welche  der  Mensch  zeitlebens  tragen  muss,  zu  verschlies- 
gen  und  so  der  unangenehmen  Aphonie  vorzubeugen,  Velpeau  theilte  der 
■Academie  des  Sciences  zu  Paris  ( vergl.  F.  J.  Behrend's  Repertor.  d.  med. 
chir.  Journalistik  des  Auslandes.  Jahrg.  3.  1833.  Novbr.  S.  198)  eine  neu*e 
Methode,  Luftröhrenfisteln  mit  Erfolg  zu  behandeln,  mit.  Ein  24  Jahr  alter 
Mann  wollte  sich  durch  Halsabschneiden  tödten ;  er  wurde  gleich  von  einem 
Wundarzte  behandelt;  doch  blieb  eine  Luftröhrenfistel  von  3  Zoll  Durch- 
messer zurück.  Der  Kranke  begab  sich  ins  Hotel  -  Dieu ,  wo  ihn  Hr.  Dtt- 
puytren  durch  eine  ähnliche  Operation,  wie  bei  Hasenscharte,  heilen  wollte, 

49* 


772  FISTULA 

die  VCTelnigung  aber   nicht  gelang.     Die  Fistelöffiiung ,  worein  man  beijuc m 
einen  Finger  führen  konnte,  befand  sich  /.wischen  dem  Zungenbein  und  dein 
Schildknoipel.     Nahrung  und  Getränke,  sowie  Sjieichel  und  ßronchialschiiiiu 
liefen  unaufhörlich  aus  der  Öffnung  heraus,  der  Kranke  konnte  nur  mit  vom 
iibergesenktem  Kopfe   reden,    dennoch  war  die   Stimme   rauh  und    stosseiid. 
Die  Wunde  Iving  mit  dem  Kehlkopfe  und  mit  dem  Rachen  Ku.<)ammen.     Fi/ 
pcnu  sagt:    „Ich  beschloss,    an  die  OlVnung  nicht,    wie   dies  l)ei  der  Na.-' , 
den  Lippen  geschieht,  eine  Decke  anzunähen,  sondern  sie  ihrer  ganzen  Tie'.u 
iidch  durch  einen    wirklichen  Pfropf  von    lebenden  Geweben    auszufüllen  \u\i] 
zu  schliessen.     Ich  schnitt  zu  diesem  Behufe  einen  1  Zoll  breiten  und  20  1. 
liien  langen  Lappen  vorn  vor  dem  Larjnx  aus,    stülpte  ihn  von  unten  n;i 
üben  um  und  liess  ihm  nur  einen  4  Linien  breiten  Stiel,  rollte  ihn  auf  sciik; 
llautüberlläche  auf,    die  dadurch  nach  innen  kam,    und  machte  endlich  dar- 
aus einen   abgestumpften  Kegel   oder  eine   Art  Cylinder,    den   ich  senkretht 
bis   in  den  Grund    des  Loches,    das    ich   kurz  vorher    wund  gemacht   hatte, 
einbrachte.      Durch  das  Ganze   führte  ich  2  lange  Nadeln    mit  der  umwu; 
denen  Naht  durch."      Die   Vereinigung  geschah  von   oben  her  volikomnn 
nach  einem  Monat  sah  man  keine  Fistel  mehr,   und  die  Stimme  war  wiedi : 
da;  nur  eine  ganz  kleine  Fistelspalte,    deren  Heilung  weder   durch   Höllen- 
jslein,  noch  durch  das  Giüheisen  zu  erzielen  war,    blieb  zurück. 

Fistula  jierinaei,  die  Mi  ttelfleis  chfistel.  Sie  ist  entweder  eine 
Mastdarm  -  oder  Harnw'egetistel ,  die  sich  hier  öffnet  (s.  Fistula  a  n  i  und 
Fistula  urinaria).  > 

Fistula  recii.     Ist  dasselbe,  was  Fistula  anl.  " 

Fistula  recto  -  urethrniis y  Mastdarm-Blasenfistel,  s.  Fistula  urinaria. 

Fistula  retto-va(jinaUs,  Masidarm-Scheidenfistel,  s.  Fistula  urinaria. 

Fistula  renalis,  s.  Fistula  urinaria  completa. 

Fistula  sacci  lacrymalis,  die  T  h  räncn  sack  fi  steh  Ist  die  richtigere 
Benennung  für  Thränenfistel.     S.  Fistula  lacrymalis. 

Fistula  salivalis.  Spei  chel  fistel.  Ist  eine  mit  callösen  Rändern  um- 
gebene ,  meist  sehr  enge  Öffnung  in  derjenigen  Gegend  der  einen  oder  der 
andern  Backe,  wo  die  Speicheldrüse  oder  der  Ductus  Stenonianu«  liegt,  aus 
welcher  Öffnung,  besonders  während  des  Kauens  und  Sprechens,  Speichel 
fliesst.  Die  Quantität  desselben  ist  oft  ganz  bedeutend,  so  dass  Appetit- 
niangel,  Störung  in  der  Digestion  und  Abmagerung  folgen.  Ursachen 
sind:  1)  Verletzungen  der  Speicheldrüse  oder  des  Speichelganges,  Vernach- 
lässigung der  Heilung  derselben  per  reunionem.  2)  Verstopfung  des  Spei- 
chelganges durch  steinige  Concretionen ,  besonders  bei  blennorrhoischen  und 
anhritischen  Subjectea.  Hier  bildet  sich  nach  dem  Laufe  des  Ductus  sali- 
valis eine  fluctuirende  Geschwulst,  die  nur  langsam,  oft  erst  nach  Verlauf 
von  6 — 10  Wochen,  grösser  wird,  und  endlich  aufbricht  und  den  Speichel 
entleert.  Cilr.  1)  Bei  der  Speicheldrüsenfistel  wenden  wir  die  Compression 
und  den  Lap.  infernalis  an.  Wir  betupfen  die  Fistelöffnung  alle  2  —  3  Tage 
mit  Höllenstein,  legen  täglich  einen  trocknen  Verband  und  darüber  eine  l'/i 
Zoll  dicke  Compresse  an ,  die  wir  mit  der  Halfterbjnde  hinreichend  befesti- 
gen, 2)  Um  die  Fistel  des  Stenon'schen  Ganges  zu  heilen,  stellen  wir  ent- 
^veder  den  natürru:hen  Weg  füi'  den  Speichel  wieder  her,  oder  bilden ,  wo 
dies  nicht  melir  angeht,  einen  künstlichen,  wodurch  der  Speichel  in  den 
IVIund  abfliesst.  Bei  noch  frischer  Fistel  wenden  wir  ersteres  V  erfahren  an ; 
denn  hier  ist  das  untere  Ende  des  Ganges,  wie  die  Sonde  darüber  Auskunft 
giebt,  noch  offen.  •«)  Bei  frischen  Trennungen,  Wunden,  vereinigen  wir 
durch  die  umwundene  Naht  und  legen  nach  Massgabe  der  Grösse  der  Ver- 
letzung 1,  2  —  3  Stifte  an.  b)  Wir  führen  eine  seidene  Schnur  mittels  ei- 
ner feinen  geöhrten  Sonde  durchs  untere  Ende  des  Stenon'schen  Ganges  bis 
in  die  Fistel  und  lassen  diese  so  lauge  liegen,  bis  der  Canal  sich  gehörig 
erweitert  hat.  Geringe  Speiolielsecrction  aus  der  Fistel,  Neigung  zur  Hei- 
lung derselben  und  die  bald  erfolgte  Heilung  nach  Anwendung  des  Lap.  in- 
Icrnaliß  sind  die  Zeichen,  dass  dies  Verfahren  gelungen  sey.  c)  Wnr  be- 
tupfeu  ^achdiiicklich  die  Fistclöffnung  mit  Lap.  infemulis,    so  dass  sich  ein 


FISTULA  •  773 

Schorf  bildet ,  den  wir  m'rt  einer  In  Alkohol  getauchten  Compresse  bedecken 
und  einen  zweckmässigen,  comprimirenden  Verband  darüber  legen,  d)  Auch 
die  Compression  des  Stenon'schen  Ganges  von  der  Fistel  bis  zur  Drüse,  wo- 
bei ödematöse,  sich  aber  leicht  zertheilende  Anschwellung  der  Drüse  und  de- 
ren Nachbarschaft  erfolgen  kann,  ist  empfohlen  worden  (^Massaneuve,  Desault, 
Hichter,  Schreger,  Vibonj),  selbst  in  hartnäckigen  Fällen  die  Compression  der 
Drüse  selbst,  wodurch  diese  ihre  Function  verliert  und  zusammenschrumpft 
(^Desault,  Richter).  Allerdings  ist  die  Speichelfistel  wegen  der  Deformität 
hn  Gesichte,  wegen  des  steten  Nässens  der  Wange  und  selbst  wegen  des 
Verlustes  eines  zur  Digestion  so  nothwendigen  Saftes  ein  unangenehmes  Übel, 
und  alte  Fisteln  heilen  sehr  schwer;  dennoch  bedarf  es  einer  solchen  gewiss 
nachtheiligen  Compression  der  Parotis  nicht,  da  uns,  wenn  alle  andern  Heü- 
versuche  misslingen,  die  von  Vihnrg  vorgeschlagene  Unterbindung  des  bloss- 
gelegten  hintern  Endes  des  Ductus  Stenonianüs  übcig  bleibt  (Most).  3)  Ist 
die  Fistel  alt,  ihre  Öffnung  callös  und  das  untere  Ende  des  Ductus  oblite- 
rirt,  hat  das  Causticum  keinen  günstigen  Erfolg  hervorgebracht,  so  muss 
ein  künstlicher  Speichelgang  gebahnt  werden.  Hierzu  sind  verschiedene 
Operationsmethoden  vorgeschlagen,  a)  Man  durchbohrt  im  Grunde  der  Fi- 
stel in  schräger  Richtung  mit  einem  kleinen  Troikar  zweimal  die  Wangen- 
haut, zieht  durch  diese  Öffnungen  einen  Bleidrath,  dessen  mittlerer  Theil 
in  den  Grund  der  Wunde  zu  liegen  kommt.  Die  in  die  Mundhöhle  gerich- 
teten Enden  desselben  werden  zusammengedreht  und  nahe  an  der  Innern 
Fläche  der  Wange  abgeschnitten;  zugleich  wird  die  äussere  Wunde  durch 
die  umschlungene  Naht  vereinigt  (Deyuisc,  Beclnrd).  Der  Speichel  fliesst 
nun  an  dem  ßleidrahte  in  den  Mund  und  die  Schiingo  desselben  fällt  nach 
einiger  Zeit  von  selbst  ab ;  auch  die  äussere  Wunde  schliesst  sich  schnell. 
Ein  wiederholter  Verband  ist  hier  gar  nicht  nothwendig;  daher  dies  Ver- 
fahren vor  andern  grosse  Vortheile  hat  (Chclius).  b)  Üblicher  ist  folgende 
Operationsmethode :  Man  frischt  die  «allösen  Ränder  der  Fistel  mit  dem 
Messer  an,  durchstösst  dann  mit  einem  kleinen  Troikar  sammt  Röhre,  nahe 
an  der  hintern  Mündung  des  Speichelganges  etwas  nach  unten  in  schiefer 
Richtung  die  Backe,  indem  man  ein  Stück  Korkholz  in  den  Mund  bringt, 
tim  die  Zunge  nicht  zu  verletzen.  Mau  zieht  nun  das  Stilet  des  Troikars 
zurück ,  schiebt  durch  die  liegenbleibende  Canule  eine  Darmsaite  ein  und 
entfernt  die  Canule.  Man  lässt  jetzt  den  Kranken  kauen,  um  die  Mündung 
des  Speichelganges  durch  den  ausfliessenden  Speichel  zu  entdecken,  und 
schiebt  das  in  der  Wunde  stehende  Saitenende  in  diese  Mündung  und  unge- 
fähr V2  Zoll  in  derselben  fort,  worauf  man  den  Kranken  wieder  kauen  lässt, 
um  sich  zn  überzeugen,  dass  der  Speichel  noch  zwischen  der  Saite  und  der 
Wandung  des  Speichelganges  austiiessen  kann ,  widrigenfalls  man  eine  dün- 
nere Saite  einführen  müsste.  Das  im  Munde  hängende  Saitenende  biegt  man 
in  dem  Mundwinkel  nach  Aussen,  und  befestigt  es  mit  Heftpflaster  auf  der 
Wange.  Die  Wundränder  vereinigt  man  aufs  genaueste  mit  Heftpflaster, 
bedeckt  sie  mit  Charpie,  legt  Heftpflaster  darüber  und  befestigt  diesen  Ver- 
band durch  ein  unter  dem  Kinn  angelegtes,  auf  dem  Kopfe  zusammengebun- 
denes Tuch.  Diesen  Verband  lässt  man  SO — 40  Stunden  liegen,  alsdann 
haben  sich  die  Wundränder  vereinigt,  und  man  kann  nun  auch  die  Darm- 
saite herausziehen.  Perctj  nimmt  mit  Vortheil  statt  der  Darmsaite  einen  Blei- 
draht, dessen  eines  Ende  in  das  obere  Ende  des  Stenon'schen  Ganges,  das 
andere  in  die  künstliche  Öffnung  in  den  Mund  gebracht,  hier  umgebogen 
und  durch  den  leichten  Druck  der  Wange  gegen  die  Zähne  festgehalten  wird. 
Der  Kranke  darf,  soll  die  äussere  Fislelöffnung  durch  schnelle  Vereinigung 
heilen,  weder  kauen,  noch  reden;  durch  ein  Röhrchen  müssen  ihm  flüssige 
Speisen  eingeflösst  werden,  und  er  muss  sich  höchst  ruhig  verhalten.  Das 
Nichtbeachten  dieser  Regel  ist  häufig  an  dem  Misslingen  der  Heilung  schuld; 
zuweilen  ist  auch  ein  cariöser  Zahn  die  Ursache,  der  dann,  ehe  man  die 
Operation  wiederholt,  entfernt  werden  .muss.  4)  Ist  der  Ductus^ Stenonianüs» 
wegen  Verstopfung  durch  steinartige  Concremente  zu  einer  fluctviirenden  Ge- 
schwulst angeschwollen ,    so  öffne  man    vom  Munde  aus  die  Geschwulst  mit 


774  ^  riSTUI.A 

der  Lanzette  und  entferne  den  Stein  durchs  Ausschneiden.  Ist  kein  Stein 
da,  so  führe  man  eine  feine  Sonde  in  den  Ductus,  um  so  der  etwanigen 
Verstopfung  und  Anhäufung  Luft  zu  verschaffen. 

Fistula  stercorea,  Kothfistei.  Dieses  elcelhafte  Übel  besteht  in  einer 
veralteten  widernatürlichen  Öffnung,  die  mit  der  Höhle  des  DarmcanaU  com- 
municirt  und  aus  welcher  Excremente  oder  Chylus,  je  nachdem  die  Fistel 
an  einem  höhern  oder  tiefern  Theile  des  Darms  stattfindet,  abgehen.  Ent- 
leeren sich  alle  Faeces  durch  dieselbe,  hört  die  B^unction  des  Mastdarms 
ganz  auf,  so  nennt  man  es  einen  widernatürlichen  After  (^Anus  proe- 
iernnturalis) ,  der  also  als  der  höchste  Grad  der  Kothfistei  anzusehen  ist. 
Letztere  ist  im  engern  Sinn  derjenige  Zustand,  wo  theils  auf  dem  natür- 
lichen, theils  auf  dem  widernatürlichen  Wege  der  Koth  ausgeleert  wird. 
Die  äussere  Öffnung  der  Fistel  ist  meist  rund,  eingezogen,  mit  strahligen 
Runzeln  der  Haut  umgeben ,  die  Ränder  derselben  sind  roth ,  etwas  entzün 
det;  zuweilen  sind  mehrere  Öffnungen  da,  die  in  einen  Canal  führen.  Ge- 
wöhnlich hängt  die  Haut  fest  mit  den  Muskeln  zusammen ,  nur  selten  ist  sie 
degenerirt,  wo  sie  sich  zuweilen  in  Form  einer  Röhre  erhebt  und  von  den 
Muskeln  entfernt.  In  einzelnen  Fällen  hat  sich  der  Darm  zurückgezogen 
und  das  Bauchfell  bildet  eine  trichterförmige  Verlängerung,  häufiger  sind 
aber  die  Darmenden  unmittelbar  mit  dem  Peritonaeo  verbunden.  Je  näher 
die  Kothfistei  dem  Magen  liegt,  desto  bedeutender  ist  das  Übel  für  den  Ge- 
sammtorganismus;  denn  der  Appetit  ist  hier  zwar  stark,  aber  die  Ernährung 
ist  gering,  weil  der  Chylus  abfiiesst,  worauf  Abmagerung  und  Zehrfieber 
folgen  können.  Ist  der  künstliche ,  oder  richtiger  widernatürliche  After  am 
untern  Theile  des  Ileums  oder  Colons  befindlich ,  so  geht  wirklicher  Koth 
ab  und  die  Nutrition  leidet  weniger.  Durchs  Rectum  wird  in  solchen  Fäl- 
len nur  weisslicher,  bald  dickerer,  bald  dünnerer  Schleim,  das  Secret  der 
dicken  Gedärme,  entfernt.  Ein  häufiger  schlimmer  Zufall  ist  der  Darmvor- 
fall, der  sich  bei  Anus  praeternaturalis  zuweilen  plötzlich  in  Folge  heftiger 
Anstrengung,  oder  langsam  durch  Einschiebung,  Invagination,  bildet  und  oft 
von  bedeutendem  Umfange  ist.  Meist  entsteht  er  nur  an  einem  Darmende, 
hat  eine  konische  Gestalt,  ist  an  der  Basis  zusammengezogen  und  an  der 
Spitze  mit  einer  Öffnung  versehen,  aus  welcher  sich  Koth  entleert,  oder 
nur  Schleim,  wenn  der  Vorfall  aus  dem  untern  Darmende  besteht.  Der  vor- 
gefallene Theit  sieht  roth  aus,  späterhin  oft  schwärzlich,  sondert  stets  Schleim 
ab,  verdickt  sich,  wird  zuletzt  ganz  unempfindlich.  Zuweilen  bemerkt  man 
eine  peristaltische  Bewegung  daran ;  er  vergrössert  sich  bei  Anstrengungen, 
gleich  einer  Hernia,  vermindert  sich  in  horizontaler  Lage,  oder  tritt,  wenn 
er  noch  klein  ist,  ganz  zurück.  In  alten  Darmvorfällen  finden  häufig  Ver- 
wachsungen mit  der  Öffnung,  durch  die  sie  hervorgetreten  sind,  statt,  avo- 
durch  selbst  Einklemmung  entstehen  kann.  In  einzelnen  Fällen  sind  zwei 
Hervorragungen  da,  wo  die  Spitze  der  einen  Koth,  die  der  andern  Schleim 
entleert.  Hier  sind  beide  Darmenden  prolabirt.  Ursachen  sind:  1)  Pcnc- 
trirende  Bauchwunden,  wobei  die  verletzten  und  vorgefallenen  Gedärme  bran- 
dig geworden  sind.  2)  Eingeklemmte,  in  Brand  übergegangene  Hernien,  wo 
die  Kothfistei  das  Leben  rettete.  3)  Bedeutende  und  tiefliegende  Abscesse 
am  Unterleibe,  die  einen  Theil  oder  den  ganzen  Darm  zerstören  und  wobei 
sich  Verwachsung  des  lädlrten  Darms  mit  dem  Peritonaeum  bildet,  welche 
den  Austritt  der  Darracontenta  in  die  Bauchhöhle  und  dessen  tödtliche  Fol- 
gen verhütet.  Behandlung.  1)  Zuweilen  bewirkt  die  Natur  die  Heilung, 
indem  sich  derjenige  Theil  des  Bauchfells,  der  mit  dem  verletzten  Dann 
verwachsen  ist,  allmälig  in  die  Unterleibshöhle  zurückzieht  und  eine  trich- 
terförmige Höhle  zum  Durchgange  der  Darmcontenta  aus  dem  obern  Darm- 
ende ins  untere  bildet.  Dies  ist  am  häufigsten  der  Fall,  wenn  nur  ein  Theil 
der  Darmwandung,  nicht  eine  ganze  Darmschlinge  (^Enlerndialysis^ ,  z.  B. 
durch  Verwundung  etc.,  zerstört  ist.  Im  letztern  Falle  liegen  die  Darm- 
enden oft  parallel  oder  im  spitzen  Winkel,  bilden  so  eine  her\'orspringende 
Scheidewand  und  verhindern  die  gewünschte  Communication  ,  die  dann  ohne 
Kunsthülfe  nicht  erlangt   werden    kann.     2)  Ist   ein   künstlicher  After   die 


FISTULA  775 

Folge  von  penetrirenden  Öauchwunden,  von  grossen  Nabel-  oder  Ba'jch- 
brüclien;  so  hellt  häufig  der  verletzte  Darm  mit  den  Rändern  der  äiissefri 
Wunde  zusammen,  oder  der  Bruchsack  verwächst  mit  den  Äponfeüroscn  tind 
Bauchdecken,  es  kann  sich,  weil  das  ausdehnbare  Zellgewebe  hier  fehlt, 
keine  trichterförmige  Höhle  bilden  und  sich  so  das  Darmstück  in  den  Un- 
terleib zurückziehen.  In  solchert  Fällen  kann  nur  durch  eine  zweckmässige 
Kunsthülfe  geheilt  werden.  Was  nun  die  Cur  des  künstlichen  Afters  betriift, 
so  versuchen  wir  jedesmal  3)  zuerst  die  Exspectationscur.  Wir  sorg«n  füt 
gehörigen  Abfluss  des  Kothes,  bedecken  die  Öffnungen  mit  Charpie,  ver- 
meiden jeden  Druck  auf  die  Fistel ,  geben  gut  nährende  leicht  verdauliche 
Speisen,  und  rathen  öftere  Klystiere  und  gelinde  den  Leib  offen  erhaltende 
Mittel  an.  Sind  mehrere  fistulöse  Gänge  da,  so  vereinigen  wir  sie  durch 
den  Schnitt  in  einen  Gang.  Ist  Irritation  und  Entzündung  zugegen,  so  le- 
gen wir  Cataplasmata  emoUientia,  wodurch  auch  leichte  Callositäten  geho- 
ben werden,  auf.  Sind  letztere  aber  hart,  fest,  trocken,  so  schneiden  wir 
sie  mit  dem  Messer  weg.  Zu  enge  Öffnungen,  wodurch  der  Köthabfliiss 
verhindert  wird ,  erweitern  wir  durch  Pressschwamm.  Ohne  grosse  Noth 
schneide  man  nicht  in  die  Fistel,  weil  man  dadurch  leicht  die  mögli'he  Ver- 
wachsung mit  dem  Bauchfelle  trennen  kann.  Ist  die  Öffnung  durch  Press- 
schwamm erweitert,  so  verhüten  wir  die  neuen  Verengerungen  durchs  Ein- 
legen eines  grossen  Bourdonnets ,  was  auch  dem  Darmvorfalle  am  besten 
vorbeugt.  Bei  Gegenwart  des  letztem  versuchen  wir  zuerst,  den  Darm  zu- 
rückzubringen, entweder  mit  den  Fingern  oder,  wenn  dies  nicht  gelingt, 
durch  anhaltenden  Druck  mittels  einer  Binde,  wobei  das  Bette  gehütet  und 
jede  Körperanstrengung  untersagt  werden  muss.  Bei  eingeklemmtem  Vor- 
falle schneiden  wir  die  Strictur  an  der  Wurzel  des  Prolapsus  vorsichtig  ein. 
Bei  einer  solchen  mehr  passiven  und  sanften  Behandlung  hat  man  oft  die 
Freude ,  dass  nach  Verlauf  von  Wochen ,  Monaten  etc.  die  Naturkraft  die 
Fistel  auf  die  beschriebene  Weise  (s.  Nr.  1.)  hebt,  dass  die  Excrcmeute 
successive,  ohne  dass  Kolikschmerzen  entstehen,  den  natürlichen  Weg  neh- 
men, und  der  Koth  nur  wenig  und  selten  aus  der  Fistel  kommt.  Unter  sol- 
chen Zeichen  kann  man  die  Fistel  allmälig,  doch  nie  zu  schnell ,  nie  wenn 
Kolikschmerz  und  Kothanhäufung  in  der  Fistelgegend  stattfinden,  zuheilen 
lassen.  Entstehen  aber  bei  ziemlich  geheilter  Fistel  Übelkeit,  Erbrechen, 
Leibschmerz,  besonders  in  der  Fistelgegend,  schmerzhafte  Spannung  des  Un- 
terleibes, dabei  Obstructio  alvi,  so  hat  sich  der  Koth  zwischen  den  beiden 
Darmenden  zu  sehr  angehäuft.  Hier  muss  man  durch  Pressschwamm  die 
Fistelöffnung  erweitern  (in  dringenden  Fällen,  wo  gefährliche  Zufälle  durch 
die  Kothanhäufung  entstehen,  durch  den  Schnitt),  eine  elastische  Röhre  ins 
obere  Darmstück  einführen  und  auf  jede  Weise  den  angehäuften  Excremen- 
ten  Ausfluss  verschaffen;  sonst  berstet  der  ausgedehnte  Darm  und  die  Con- 
tenta  gehen  ins  Cavum  abdomlnis,  erregen  Enteritis,  Gangrän  und  Tod. 
4)  Aber  nicht  immer  erreicht  man  durch  ein  solches  passives  Verfahren  sei- 
nen Endzweck;  die  Darmfistel  bleibt,  weil  eine  Scheidewand  da  ist,  welche 
die  Communication  des  obern  Darmendes  mit  dem  untern  unmöglich  macht ; 
dies  ist  um  so  gewisser  der  Fall,  je  mehr  wir  mit  Ausdauer  das  eben  (Nr.  3.) 
beschriebene  verfahren  anwandten,  ohne  unsern  Endzweck  zu  erreichen. 
Was  in  solchen  Fällen  zu  thun  sey,  darüber  haben  uns  die  Erfahrungen 
von  Dupuytren  und  Snhntier  viel  Auskunft  gegeben,  welche  ich  hier  mit 
Chelius's  Worten  (Chirurgie  3te  Aufl.  1828.  Bd.  I.  Abth.  1.  S.  587)  wieder- 
geben will.  „Man  untersucht  (in  solchen  Fällen)  zuerst  die  Lage  der  bei- 
den Darmenden  aufs  genaueste  mit  geölten  dicken  Sonden  oder  mit  den  Fin- 
gern, wozu  oft  vorläufige  Erweiterung  der  äussern  Öffiung  durch  Press- 
schwamm  nothwendig  ist.  Fleischwucheryngen,  die  jedoch  genau  von  einem 
Darmvorfalle  unterschieden  werden  müssen,  entfernt  man  durchs  Ätzmittel, 
durch  die  Unterbindung  oder  die  Scheere.  Bedient  man  sich  dicker  Sonden 
(weiblicher  Katheter)  zur  Untersuchung,  so  Tfereinige  man  sie,  wenn  sie  in 
das  obere  und  untere  Darmstück  eingebracht  sind,  au.«isen  mit  einander  und 
drehe  sie  um  ihre  Axe,  welche  Bewegung  durch  die  Scheidewand  gehindert 


7^76  FISTULA 

wird.  Hat  man  sich  von  der  Lage  der  Darmenden  überzeugt,  so  leite  man 
auf  dem  Finger  oder  der  Hohlsonde  die  Arme  der  Dupuytren'schen  Dariu- 
Bcheere  in  die  beiden  Darmenden,  so  dass,  wenn  sie  geschlossen  sind,  we- 
nigstens 272  Zoll  von  der  Scheidewand  gefasst  wird.  Man  mache  mit  den 
eingebrachten  Zangenarmen  dieselbe  Drehung,  wie  mit  den  Sonden,  um  sich 
zu  überzeugen,  dass  sie  gehörig  eingebracht  sind.  Durch  die  an  den  Grif- 
fen der  Scheere  befindliche  Schraube  wird  sie  auf  den  Grad  geschlossen, 
dass  nur  geringer  Schmerz  entsteht ;  die  Griffe  der  Zange  werden  mit  Lein- 
wand umwickelt  und  an  einer  T-Binde  befestigt.  Jeden  Tag  wird  die 
Zange  etwas  fester  geschraubt.  Erfolgt  geringer  Schmerz ,  so  ist  es  gut ; 
stärkerer  gebietet  Lüftung  der  Zange.  Der  Kranke  geniesst  blos  milde  Nah- 
rung; man  gebe  ihm  erweichende  Klystiere.  Gegen  heftige  Leibschmerzen 
wendet  man  Olmixturen ,  besänftigende  Klystiere ,  Umschläge ,  und  bei  ent- 
zündlichen Zufällen  angemessene  antiphlogistische  Mittel  an. "...  „  Wenii 
die  Darmscheere  die  Scheidewand  durchschnitten  hat  und  sich  löset,  so  müs- 
sen immer  ervveii-hende  Klystiere  fortgesetzt,  und  die  Schliessung  der  Fistel 
darf  nur  versucht  werden ,  wenn  der  Stuhlgang  auf  natürlichem  Wege  sich 
schon  längere  Zeit,  auch  ohne  Klystiere,  eingestellt  hat.  Die  Schliessung 
der  Fistel  (welche  oft  die  schwierigste  Aufgabe  des  ganzen  Behandlung  ist) 
kann  man  bewirken  durch  ruhige  Lage,  durch  einen  massigen  Druckverband 
mit  verschieden  geformten  Pelotten  und  durch  ein  elastisches  Bruchband, 
durchs  Betupfen  mit  Höllenstein,  durch  das  Zusammenpressen  der  Fistel- 
ränder mittels  einer  eigenen ,  von  Dupuytren  angegebenen  Klemme ,  durch 
Heftpflaster,  durch  die  blutige  Naht,  oder  auch  durch  Abtragung  des  gan^ 
zen  Cirkels  der  der  Adhäsion  widerstehenden  Schleimhaut  an  der  Mündung 
der  P'istel,  und  selbst  durch  Ablösung  eines  Theils  der  äussern  Bedeckungen 
oberhalb  der  Öffnung  derselben.  Gewöhnlich  bleibt  diese  kleine  fistulöse 
Öffnung  mehrere  Jahre  hindurch,  indem  nur  periodenweise  einige  Tropfen 
Darmunrath  abttiessen,  und  schliesst  sich  endlich  von  selbst."  5)  Lst  der 
künstliche  After  schon  veraltet  oder  die  Operation  fruchtlos  angewandt,  so 
muss  der  Mensch  sein  Übel,  das,  wenn  wirkliche  Faeces  abgehen,  ausser 
der  Ekelhaftigkeit  und  Unbequemlichkeit  keine  unangenehmen  Folgen  hatj 
geduldig  ertragen  lernen.  Ein  guter  Apparat  zum  Auffassen  der  Excremente 
ist  hier  sehr  wünschenswerth.  Der  zweckmässigste  besteht  aus  einem  Bruch- 
bande, welches  statt  einer  Pelotte  mit  einer  elfenbeinernen  Platte  versehen 
ist,  die  in  der  Mitte  eine  Öffnung  hat  und  mittels  eines  Cylinders  aus  Gum- 
mi elasticum  mit  einem  silbernen  Behälter  zusammenhängt ,  aus  welchem  der 
Rückfluss  der  Excremente  durch  eine  Klappe  verhindert  wird. 

Fistula  ureterica,  urelJwaiis,  urcthro- vaginalis,  s.  Fistnla  urinaria. 

Fistula  urinaria,  Urias,  Urinfistel,  Harnfistel.  Lst  eigentlich  ein 
langes,  enges,  an  irgend  einer  Stelle  mit  den  Harnwegen  communicirendes 
Geschwür,  aus  welchem  Harn  üiesst;  doch  versteht  man  darunter  auch  ein 
Ulcus  sinuosum  in  der  Nachbarschaft  der  Harnwege,  das  nicht  mit  letztem 
coramunicirt  und  daher  auch  keinen  Harn  excernirt.  Ersteres  ist  die  voll- 
kommne,  letzteres  die  unvollkommne  Harnfistel  (Fistula  urinaria 
completa  et  incompleta),  ganz  nach  der  Ansicht  der  Mastdarmfisteln,  ge- 
nannt worden.  In  praktischer  Hinsicht  dürfen  beide  hier  nicht  getrennt 
werden.  1)  Fisiula  urinaria  incompleta.  Ist  entweder  eine  äussere,  fal- 
sche oder  innere.  Erstere  entsteht  dui'ch  Abscesse,  Geschwüre  in  der 
Nähe  des  Harnröhrencanals ,  indem  sich  der  Eiter  hier  ansammelt,  nach  ver- 
schiedenen Richtungen  senkt,  das  die  Urethra  oder  die  Blase  umgebende 
Zellgewebe  zerstört ,  und  sich  so  ein  Ulcus  sinuosum,  oft  complicirt  mit  In- 
durationen ,  Caries  der  Beckenknochen  etc.  bildet ,  das  ohne  Kunsthülfe  nicht 
heilt  Erkannt  wird  es  theils  aus  der  Anamnese,  theils  aus  der  Untersuchung 
mit  der  Sonde,  die  nicht  in  die  Harnröhre  oder  Blase  eindringt,  nicht  mit 
dem  eingebrachten  Katheter  in  Berührung  kommt,  wobei  das  Geschwür  auch 
nie  Urin ,  die  Harnröhre  nie  Eiter  aussondert.  Letztere  (die  Fistula  urina- 
ria incompleta  interna)  entsteht  gewöhnlich  auch  an  der  Urethra,  seltener 
an  der  Blase  oder   den  Ureteren,    ist  die  Folge   von   Zerreissungen    dieäer 


FISTULA  777 

Thelle  dnrch  Snssere  Gewaltthätigkeiten ,  durch  Zui-Gckhaltitng  des  Harns, 
naheliegende  Abscesse,  durch  eingeklemmte  Steine,  durch  rohes  Katheterisi- 
ren,  wobei  die  Pars  membianacea  durchstossen  worden.  Erkannt  wird  die- 
selbe durch  die  anamnestischen  Zeichen,  durch  das  Gefühl  von  Schmerz 
während  und  nach  dem  Harnlassen,  durch  blutigen,  eiterartigen  Ausfluss 
aus  der  Harnröhre,  besonders  aber  durch  eine  sich  während  des  Uriniren^ 
vergrössernde  Geschwulst,  welche  durch  äussern  Druck  kleiner  wird  oder 
ganz  verschwindet,  worauf  Urin  mit  Eiter  vermischt  aus  der  Harnröhre  oder 
in  das  Zellgewebe  fliesst ,  und  im  letztern  Falle  eine  nicht  begrenzte  Urin- 
ergiessung  bildet.  Ausserdem  fehlt,  wie  schon  der  Name  anzeigt,  die  äus- 
sere Fistelöflnung.  !2!)  Fistula  urinnria  completn.  Sie  kommt  am  häufigsten 
vor;  ihre  innere  Öffnung  mündet  an  irgend  einem  Punkte. des  uropoetischeii 
Systems ,  entspringt  entweder  aus  der  Niere ,  den  Ureteren ,  der  Blase  oder 
der  Urethra;  ihre  äussere,  mitunter  von  der  innern  sehr  entfernte  Öffnung 
zeigt  sich  bald  am  Damme,  bald  am  Hodensacke,  an  der  Ruthe,  am  Hin- 
terbacken, am  Schenkel,  an  den  Lenden,  am  Unterleibe,  in  der  Vagina 
oder  iai  Mastdarme.  Der  Fistelgang  ist  gewöhnlich  ein  krummer ,  mit  har- 
ten, callösen  Wandungen;  oft  führen  mehrere  Gänge  zu  einer  und  derselben 
innern  FistelöfFnung,  nur  selten  sind  mehrere  äussere  und  ebensoviel  innere 
Öffnungen  zugegen.  Zuweilen  kommt  die  complete  Urinfistel  nicht  zu  Ta- 
ge, steht  mit  dem  Colon  in  Verbindung,  wo  der  Urin  mit  dem  Stuhlgange 
aböiesst;  oder  mit  der  Vagina,  oder  gar  mit  dem  Cavo  abdominis;  im  letz- 
tern Falle  entsteht  eine  tödtliche  Urinergiessung.  Ursachen.  Sind  sehr 
mannigfaltig;  vorzüglich  aber  folgende:  1)  Mechanische  Schädlichkeiten  s 
Zerreissungen ,  Verletzungen  der  Blase  etc.  durch  Blasensteine,  Wunden, 
besonders  Stichwunden,  durch  schwere  Geburten,  rohes  Accouchement,  wenn 
bei  Zangengeburten,  besonders  bei  Querlagen  und  bei  vereitelten  Versuchen 
zur  Wendung  auf  die  Füsse  die  Zange  an  den  Kindeskopf  gelegt  und  zu- 
gleich die  Urinblase  mit  gefasst  wird.  Auch  der  Blasenstich  durch  den 
Bauch  oder  durchs  Rectum,  der  Steinschnitt  etc.  können  unter  ungünstigen 
Umständen,  mangelnder,  verkehrter  Behandlung  Schuld  seyn;  desgleichen 
grosse  Nierensteine  mit  Nierenabscessen  etc.  '.^)  Chemische  Schädlichkeiten  : 
z.  B.  scharfe,  corrodirende  Jauche  durch  Carcinoma  recti,  vaginae,  kann  die 
Häute  der  Blase  etc.  durchfressen  und  so  die  Fistel  erregen.  3)  Alles ,  wa.H 
incomplete  innere  oder  äussere  Harnfisteln  erregt:  grosse  Ausschweifung^ 
in  Venere,  Abscesse  und  Geschwüre  im  Mastdarm,  Mastdarmfisteln,  Ge- 
schwülste und  Geschwüre,  in  Eiterung  übergegangene  Verhärtungen  in  der 
Nachbarschaft  der  Harnwege  etc. ,  ist  als  entfernte  Ursache  der  completeri 
Harnfistel  anzusehen,  da  aus  der  Fistula  urinaria  incompleta  bei  mangelnder 
oder  verkehrter  Behandlung  leicht  eine  Fistula  urinaria  completa  wird. 
Prognose.  Sie  hängt  mehr  von  dem  Sitze  und  der  Dauer  der  Fistel,  von 
den  ihr  zum  Grunde  liegenden  Ursachen,  von  der  Constitution  des  Subjects, 
ob  dieses  bei  guten  Säften,  oder  kachektisch:  scrophulös,  syphilitisch  ist, 
an  Dyscrasia  cancrosa,  scorbutica,  rhachitica  etc.  leidet,  ab,  als  von  der 
Diagnose  in  Fistula  completa  et  incompleta.  Erstere  heilt,  wenn  die  innere 
Öffnung  mit  keinem  Substanzverlust  verbunden  ist,  oft  recht  gut,  die  Fi- 
stula urinaria  urethralis  heilt ,  unter  .  gleichen  Umständen ,  leichter  als  die 
Fist.  urin.  vesicalis.  Ist  die  Urethra  aber  mit  bedeutenden  Stricturen  be- 
haftet und  degenerirt,  ist  sie  gänzlich  verstopft  und  kann  die  Öffnung  nicht 
wieder  hergestellt  werden,  so  ist  die  Heilung  unmöglich  und  der  Kranke 
kann  zufrieden  seyn,  dass  der  Urin  nur  auf  abnormem  Wege  abfliesst.  Höchst 
schwierig  heilen  diejenigen  Fisteln ,  welche  mit  dem  Colon ,  dem  RectuiA 
oder  der  Scheide  communiciren.  Dass  Kachexien  und  Dyskraslen  aller  Art, 
geschwächte  Gesundheit,  Abmagerung,  Zehrfieber  etc.  ausserdem  die  Pro- 
gnose sehr  trüben,  versteht  sich  von  selbst.  Cur.  Sie  erfordert  genaue 
Unterscheidung  der  Fälle,  richtige  anatomische  und  chirurgische  Kenntnis.s, 
Übung  in  technischer  Anwendung  von  Instrumenten,  Fertigkeit  im  Operiren 
und  —  Geduld.  1)  Höchst  wichtig  ist  die  Verhütung  der  Fistel,  was  in 
vielen  Fällen  durch  zweckmässge  Behandlung  der  dem  Übel  vorhergehenden 


778  FISTULA      , 

Schäfllichkeiten:  der  Verwundungen,  durch  Vermeidung  der  Operatbnen  an 
der  Blase  kachektischer  Steinkranken,  durch  richtige  innere  Cur  der  etwa 
vorhandenen  syphilidschen  Dyskrasie  etc.  erlangt  werden  kann.  Zeigen  sich 
Abscesse  in  der  Nachbarschaft  der  Blase,  der  Harnröhre,  so  müssen  diese 
nicht  zu  spät  geöffnet  und  der  Krebs  des  Rectums  j  der  Vagina  nicht  der 
Natur  überlassen ,  sondern  für  gehöriges  Reinhalten ,  Abfluss  der  Jauche, 
Verbesserung  derselben  durch  Antiseptica  etc.  gesorgt  werden.  2)  Die  in- 
complete  äussere  Harnfistel  behandeln  wir  wie  jedes  andere  fistulöse  Ge- 
schwür. ErvYeiterung  des  meist  engen  Fistelganges  durch  den  Schnitt  in 
konischer  Gestalt,  so  dass  die  Spitze  desselben  gegen  die  Urethra  oder  die 
Blase  (nach  Verschiedenheit  der  Direction  der  blinden  Fistelöffnung)  gerich- 
tet ist,  also  Blosslegung  des  Eiterherdes,  Örfnung  eines  jeden  Nebenganges, 
Sorge  für  gehörigen  Abfluss  des  Eiters,  und  später  ein  comprimirender  Ver- 
band; dieses  Verfahren  reicht  hier  schon  hin,  um  die  Heilung  zu  bewirken. 
Zugleich  muss  der  Kranke  massig  leben,  Spirituosa  meiden,  zuweilen  ein 
Laxans  aus  Rheum,  Senna  und  Sal  Glauberi  nehmen,  nährende,  reizlose, 
gewürzlose  Kost  genicssen  und  sich  geistig  und  körperlich  ruhig  verhalten. 
Sind  Callositäten  da,  so  erweichen  wir  diese  durch  Cataplasmata  emolUentia, 
nach  Umständen  mit  gewissen  Reizmitteln  verbunden ,  durch  Digestivmittel, 
und  achten  darauf,  ob  Caries  oder  Dyskrasie:  Syphilis,  Arthritis,  Scrophu- 
losis,  Rhachitis  etc.  da  ist,  wornach  die  innere  Cur  eingerichtet  werden 
muss.  3)  Bei  Fistula  urinaria  incompleta  interna  ist  häufig  die  Harnröhre 
verengt.  Wir  erweitern  sie  zuerst  durch  Application  der  Bougies ,  und  le- 
gen dann  anhaltend  einen  Katheter  von  mittler  Dicke  ein,  wodurch  der  freie 
Abfluss  des  Urins  befoi'dert  und,  bei  frischem  Übel,  oft  die  Heilung  allein 
erlangt  wird ,  indem  wir  so  den  Andrang  des  Urins  zur  Fistel  verhüten. 
Bei  alten  Fisteln  gelingt  dies  aber  selten.  Hier  müssen  wir  durch  eine  In- 
cision  aus  der  Fistula  incompleta  eine  completa  machen.  Auch  wenn  be- 
deutende Harninfiltrationen  da  sind ,  versäume  man  den  Einschnitt  nicht, 
sonst  entsteht  durch  die  Harninfiltration,  die  durch  Compression  nicht  im- 
mer verhütet  oder  entfernt  werden  kann,  der  Brand  dieser  Theile.  4)  Com- 
plete  Urinfisteln,  deren  innere  Öffnung  in  die  Nieren  oder  Harnleiter  geht, 
werden  oft  durch  Nierensteine  oder  andere  fremde  Körper,  oft  allein  durch 
den  gehinderten  Abfluss  des  Urins  aus  der  Blase,  unterhalten.  Durch  Ent- 
fernung der  Ursachen^  z.  B.  durch  Wegräumung  des  fremden  Körpers,  durch 
Er\^eiterung  der  Harnröhre  etc.  gelingt  hier  oft  die  Heilung.  Sind  solche 
Ursachen  aber  nicht  zugegen,  so  ist  die  Heilung  sehr  schwierig,  ja  unmög- 
lich. Dahin  gehören  z.  B.  die  Urinfisteln  als  Vitium  congenitum,  wo  in  sel- 
tenen Fällen  der  Urachus  offen  blieb  und  der  Urin  am  Nabel  ausfloss  etc. 
5)  Bei  der  completen  Harnröhrenfistel  legen  wir  zuerst  elastische  Bougies 
und  Katheter  nach  Massgabe  der  Verengerung  ein,  und  gehen  suecessive  von 
den  dünnern  zu  den  dickern  Kerzen  und  Kathetern  über,  um  die  Urethra 
allmälig  zu  ihrem  natürlichen  Lumen  zu  bringen.  Mitunter  müssen  wir  die 
Stricturen  auch  durch  andere  Mittel,  durchs  Causticuin,  durch  den  Schnitt 
etc.  heben  (s.  Strictura  urethrae).  Zugleich  sorgen  wir  für  Reinlich- 
keit der  Fistel  und  der  Umgebung  derselben,  wenden  bei  gereiztem  Zustande 
der  leidenden  Theile  warme  Umschläge,  im  Nothfalle  Blutegel,  warme  Halb- 
bäder an,  entfernen  etwanige  fremde  Körper  aus  der  Fistel,  berücksichtigen 
das  Allgemeinleiden,  den  Kräftezustand  des  Kranken  und  richten  darnach 
die  innere  Cur  ein.  Hiinter,  Richter,  Bell  widerrathen  zwar  das  Einlegen 
des  Katheters;  doch  bleibt  er,  wo  Stricturen  sind,  stets  nothwendig,  um 
den  Urin  auszuleeren,  und  wir  lassen  ihn  deshalb  auch  liegen  und  befesti- 
gen ihn  mit  einer  T-Binde.  Nur  da,  wo  keine  Stricturen  sind,  wo  die 
Fistel  durch  Ulceration  der  Harnröhre  entstand ,  wo  die  letztere  höchst  reiz- 
bar ist  und  das  Katheterisiren  viel  Schmerz  erregt  und  die  allgemeine  Rei- 
ruug  vermehrt,  passt  seine  Anwendung  nicht.  6)  Haben  wir  auch  den  na- 
türlichen Weg  zum  Abfluss  des  Harns  g<  bahnt  und  ist  die  Harnröhre  bis  zu 
ihrem  natürlichen  Lumen  erweitert  worden,  so  heilt  dennoch  nicht  immer 
die  Fistel,  weil  häufig  der  ganze  Fistelgang  callös  ist.     Hier  führe  man  eine 


FISTUJ.A  779 

Hohlsönde  in  die  Fistel,  bringe  sie  mit  der  Rinne  einer  In  die  Blase  -^e- 
brachten  gefurchten  Sonde  in  Berührnng  und  erweitere  die  B'istel  durch  den 
Schnitt  mittels  des  Bistouris  dergestalt,  dass  die  Wunde  eine  Trichterform 
erhält  und  mit  ihrer  Spitze  der  Innern  Fistelöffnung  entspricht.  Callositäten 
an  den  Rändern  der  letztem  müssen  scarificirt  oder,  nach  A.  Cooper,  mit 
Salpetersäure  betupft,  und  dann  die  Wunde,  wenn  es  der  Sitz  der  Fistol 
an  der  Harnröhre  erlaubt,  blutig  vereinigt  werden;,  wo  nicht,  so  stopfen 
wir  die  Wunde  mit  Charpie  oder  mit  Leinwandstreifen  bis  an  die  Wunde 
<ler  Harnröhre ,  nicht  aber  in  diese ,  aus ,  verbinden  mit  Heftpflaster  und 
T  -  Binde,  und  sorgen  dafür,  dass  durch  gutes  Verhalten  und  einfachen  Ver- 
band die  Wunde  vom  Grunde  aus  durch  Granulation  sich  schliesst.  7)  Sind 
mehrere  Fistelölfnungen  da,  so  müssen  sie  sämmtlich  in  solchen  Fällen  mit- 
tels Hohlsonde  und  Bistouris  getrennt  werden.  Sitzt  die  F'istel  an  der  Seite 
der  Harnröhre,  so  bringen  wir  eine  gefurchte  Sonde  in  dieselbe,  eine  an- 
dere in  die  Fistel,  setzen  beide  in  Berührung  und  erweitern  darauf  den  Fi- 
stelgang durch  den  Schnitt  in  konischer  Form.  8)  Sehr  schlimm  sind  die 
Harnfisieln  mit  einer  solchen  Strictur  der  Harnröhre,  bei  der  völlige  Ver- 
"wachsung  stattfindet.  Hier  erweitern  wir  erst  die  Fistel,  und  führt  sie  nicht 
zur  Strictur,  so  müssen  alle  sie  bedeckende  Weichgebildc  in  der  Richtung 
gegen  die  Spitze  der  Leitungssonde  eingeschnitten  und  diese  bis  in  die  Blase 
vorgeschoben  werden.  Diese  Operation  ist  aber  schwierig  und  wegen  der 
v-u  fürchtenden  bedeutenden  Blutungen,  der  heftigen  Entzündung,  der  oft 
folgenden  profusen  Eiterung,  die  Zehrfieber  erregen  kann,  nicht  ohne  Ge- 
fahr. 9)  Bei  der  Mastdar  m  -  ßl  asenfist  el  bringt  man  einen  biegsamen 
Katheter  einen  Zoll  weit  in  die  Blase,  befestigt  ihn  gehörig  mit  einer  T- 
Binde,  sorgt  dafür,  dass  er  sich  nicht  verstopfe,  dass  der  Mastdarm  täglich 
durch  Kljstiere  entleert  und  gereinigt  werde ,  und  lässt  den  Kranken  bei 
strenger  und  stärkender  Diät  die  Seitenlage  im  Bette  beobachten.  Dadurch 
wird  der  Urin  fortdauernd  von  der  Fistel  abgehalten  und  mitunter  nach  ei- 
nigen Wochen  strenger  Beobachtung  dieser  Curregeln  Heilung  bewirkt. 
Häufig  ist  diese  Fistel  Folge  der  Verletzung  des  Mastdarms  beim  Stein- 
schnitte. Gelingt  die  Cur  auf  die  genannte  Weise  nicht ,  so  versuchen  wir 
erst  die  Atzmittel  oder  Glüheisen ,  appücirt  an  die  Fistelöffnung  im  Mast- 
darme, die  das  Speculum  ani  Dunuifireti's  entdeckt,  oder  wir  spalten  das 
Rectum  vom  Punkte  der  Verletzung  bis  zu  seinem  Ende  {Desaull,  Dttpuytren. 
S.  Animon,  Parallele  d.  franz.  u.  deutschen  Chirurgie.  182S.  S.  111).  Fünf 
bis  sechs  Cauterisationen  reichen  oft  hin ,  das  Übel  zu  heilen  oder  zu  ver- 
bessern (s.  Chelius,  Chirurgie.  Bd.  L  Abth.  2.  S.  614).  10)  Die  Blasen- 
Scheidenfistel  ist  ein  sehr  schlimmes  Übel,  leider!  bei  schweren  Ge- 
burten, rohem  Accouchement  durch  unwissende  Geburtshelfer  und  Hebammen, 
deren  Zahl  unter  Badern  und  alten  Weibern  in  Deutschland  noch  immer 
nicht  gering  ist,  gar  so  selten  nicht,  indem  Entzündung,  Zerreissung,  Brand 
der  Vagina  dem  Übel  vorhergehen.  Die  Beschwerden  dieser  Fistel  sind 
höchst  traurig,  die  Geschlechtstheile  werden  durch  den  stets  austiiessenden 
Urin  entzündet,  excoriirt,  die  reinlichsten  Frauen  bekommen  einen  ekelhaf- 
ten Uringeruch,  des  eheliche  Glück  und  die  Zufriedenheit  der  Gattin  wird 
selbst  oft  getrübt;  die  Schamlefzen  und  Nymphen  schwellen  an,  es  bilden 
sich  Concremente  zwischen  ihnen,  die  Blase  verliert  nach  und  nach  alle 
Capacität,  die  Harnröhre  verengert  sich  etc.  Bei  der  Cur  haben  wir  dahin 
zu  sehen ,  dass  der  Durchgang  des  Urins  durch  die  Vagina  verhindert  und 
dass  Annäherung  der  Wundränder,  soviel  als  möglich,  bewirkt  werde. 
«)  Bei  frischer  Fistel  hilft  oft  folgendes,  Monate  lang  fortgesetztes  Verfah- 
ren. Wir  bringen  einen  dicken,  biegsamen  Katheter  in  die  Blase,  befesti- 
gen diesen  mittels  eines  verschiebbaren  und  mit  einer  Öffnung  zur  Aafnahme 
des  Katheters  versehenen  silbernen  Stabes  an  eine  bruchbandähnliche  Ma- 
schine. Zugleich  suchen  wir  durch  eine  VVieke  von  Leinwand,  durch  einen 
mit  Charpie  ausgestopften,  mit  Gummi  elasticum  oder  Wachs  überzogenen 
Handschuhfinger,  oder  durch  eine  kleine  Flasche  von  Gummi  elasticum, 
woran   vorn  ein  dünnes   Stück   Schwamm   befestigt,    welche  Dinge  in    die 


780  FISTULA 

Vagina  gebracht  werden ,  die  Wundränder  einander  zu  nähern ,  wobei  die 
Kranke  die  Rückenlage  stets  vermeiden  muss  (^üesault,  Barnes}.  Dabei  mü.s- 
gen  die  Tampons  oft  herausgenommen,  gereinigt  und  durch  neue  ersetzt  wer- 
den, i)  Bei  alten  Fisteln  hilft  die  angegebene  Curmethode  nichts;  hier  ist 
die  FistelölTnung  meist  rund,  callös.  In  diesem  Falle,  desgleichen  da,  wo 
<iie  Frau  sich  der  bei  a)  angegebenen  langweiligen  Cur  nicht  unterwerfen, 
«ondern  schneller  geheilt  seyn  will,  müssen  wir  operiren.  Für  specielle 
Fälle  sind  hier  die  verschiedenen  Operationsmethoden  von  Roonhuysen ,  Nä- 
gele, Dupuiflren,  Lallemand  u.  A.  in  Anwendung  zu  bringen.  Chelitis  (a.  a.  O.) 
sagt  darüber  Folgendes :  .,  1)  Nach  vorangegangener  Anfrischung  der  callö- 
sen  Ränder  der  Fistel  suchen  wir  dieselbe  blutig  zu  vereinigen,  was  nach 
HoonhuysetCs  Vorschlag  Falio  und  Völler  verrichtet,  wozu  Nägele  verschie- 
dene Technicismen  (Vereinigung  der  Fistelränder  durch  die  Vereinigungs- 
zange ohne  Ligatur,  durch  die  Umstechung  mittels  einer  Nadel  und  Einzie- 
hung von  Fäden,  welche  man  zusammenwindet,  durch  die- Vereinigungszange 
nebst  einer  Ligatur,  und  durch  die  umschlungene  Naht)  vorgeschlagen,  und 
welche  Schreger  (Annalen  des  chirurg.  Klinikums  zu  Erlangen.  1817.  S.  78) 
durch  die  Kürschner  -  und  die  Knopfnaht  mit  glücklichem  Erfolge  neuerdings 
ausgeführt  hat.  Nach  vorgenommener  Vereinigung  der  Fistelränder  muss  ein 
Katheter  anhaltend  eingelegt  werden  («)  und  die  Operirte  die  Rückenlage 
vermeiden.  Heilt  die  Fistel  nicht  völlig,  so  kann  die  Operation  wiederholt, 
oder  die  Schliessung  der  Fistelöffnung,  wenn  sie  klein  ist,  durch  vorsichtiges 
Betupfen  mit  Höllenstein  (vielleicht  mit  dem  Glüheisen)  und  das  Einbringen 
von  Tampons ,  welche  mit  Digestivmitteln  bestrichen  sind,  versucht  werden. 
Wäre  nach  geheilter  Fistel  die  Blase  zusammengeschrumpft,  so  kann  man 
sie  durch  milde  Einspritzungen  auszudehnen  suchen.  2)  Dupuytren  bringt 
sein  oben  otfeues  Speculum  vaginae,  mit  dem  Ausschnitte  nach  Oben  ge- 
richtet, in  die  Scheide,  und  dann  das  Glüheisen  oder  den  Höllen-  oder 
Ätzstein,  an  einem  dünnen  Stabe  befestigt,  in  den  Cjlinder,  berührt  damit 
die  Fistelmündung  während  einer  Minute  und  spritzt  dann  lauwarmes  Was- 
ser ein.  Oft  wird  in  5 — 6  Tagen  eine  gleiche  Application  nothwendig. 
Durch  ein  vorgehaltenes  Licht  kann  man  die  Stelle  der  Fistel  erleuchten 
(s.  Sntison  in  Sabatier^s  Medecine  op^ratoire.  Nouv.  ^dit.  Vol.  I.  p.  49). 
3)  Lallemand  {Froriep''s  Notizen.  Nr.  2S2.  S.  186)  macht  zuerst  mit  einem 
Modellirwachs  einen  Abdruck  der  Fistel,  um  den  Umfang  ihrer  Öffnung  und 
ihre  Entfernung  von  der  Scheidenöffnung  genau  zu  kennen.  Hierauf  werden 
die  Ränder  der  Fistel ,  mittels  eines  eigenen  auf  einen  Ring  befestigten  Ätz- 
niittelträgers ,  mit  Höllenstein  vorsichtig  berührt  und  so  zu  einem  gehörigen 
Grade  von  Entzündung  gebracht.  Hat  sich  der  Brandschorf  gelöst  und  die 
Ränder  der  Fistel  sind  roth,  geschwollen  und  in  Eiterung,  so  bringt  Lnlle- 
mand  seinen  Vereinigungskatheter  ( Sonde -airigne)  ein,  welcher  den  Harn 
aus  der  Blase  ableitet  und  zugleich  Haken  enthält,  die  in  den  hintern  Rand 
der  Fistel  eingesetzt  und  wodurch  die  beiden  BMstelränder  einander  genähert 
und  in  Berührung  gehalten  werden.  Reicht  einmalige  Berührung  des  Instru- 
ments nicht  hin,  so  wird  es  wiederholt  angewandt.  Die  veränderte  Beschaf- 
fenheit der  Fistelöffnung  und  ihre  Vernarbung  erfährt  man  durch  wiederholte 
Anwendung  des  Modellirwachscs. "  So  weit  ChcJius.  Da  der  Endzweck 
dieser  Operationsmethoden  Vereinigung  der  Fistelränder  durch  Entzündung 
bezweckt,  so  verdient  auch  Alter  und  Constitution  des  Kranken,  wornach 
sich  bekanntlich  jede  Entzündung  modificirt,  Berücksichtigung.  Bei  jungon 
vollsaftigen  Frauen  mag  daher  der  Schnitt  und  die  Vereinigung  durch  Liga- 
turen, Nadel  und  Faden  den  Vorzug  verdienen,  bei  altern,  laxen,  ge- 
schwächten ,  kachektischen  Weibern  dagegen  das  Ätzmittel  oder  Glüheisen, 
welches  Mittel  hier  alle  Aufmerksamkeit  verdient. 

FisluJa  venIricuU,  die  Magenfistel.  Sie  folgt  am  häufigsten  auf  Ab- 
scesse  und  Stichwunden,  welche  penetriren  und  eine  Verwachsung  zwischen 
der  Fistelöffnung  und  den  naheliegenden  Theilen  erregen.  Man  hat  Bei- 
spiele, dass  Menschen  12  Jahre,  Andere  S8  Jahre  das  Übel  ohne  Beschwerde 
ertrugen,  wenn  anders  die  Fistelöffnung  nur  klein,  nur  einige  Linien,  V4 —  '/■, 


FLATULENTIA  —  FLUXUS  781 

Zoll  gtoas  in  der  Peripherie,  war;  doch  musste  die  Öffnung,  sollten  nicht 
Speisen  und  Getränke  ausfliessen,  mittels  eines  Pfropfs  verstopft  werde»; 
auch  war  das  Tragen  eines  Bauchgürtels  nothwendig.  Klein,  Wenler,  Go- 
tht,  EHmüller,  Menzel,  Sicigertlinl  u.  A.  haben  solche  Fälle  beschrieben. 
Cur.  Verhütet  wird  das  Übel  durch  richtige  Behandlung  der  penetrirenden 
Wundei  (s.  Vulnus  ventriculi,  abdominis);  doch  ist  dies  nicht  immer 
möglich,  so  .^ie  mir  denn  auch  ein  Fall  bekannt  ist,  wo  ein  junger  Mensch 
ein  Messer  verschluckt  hatte,  welches  erst  nach  Jahren  sich  einen  Weg 
nach  Aussen  bahnte  und  eine  Magentistel  hinterliess.  Das  Radicalmittel 
möchte  darin  bestehen,  durch  Hautüberptlanzung  und  nach  Vclpenu's  Me- 
thode die  Fistel  zu  heilen.  S.  Fistula  laryngis  et  tracheae. 
.  ■  F^^^^«?«  D<?sicrt/is,  Harn  blase  nfistel.  Ist  eine  nicht  selten  vorkom- 
mende Art  von  Harnfistel,  die  am  häufigsten  an»  Blasenhalse  vorkommt,  be- 
sonders in  Folge  recht  heftig  entzündlicher  Tripper,  wenn  Schonung  und 
Kühe  fehlt  oder  gar  keine  oder  verkehrte  reizende  Behandlung  stattfindet. 
Ich  kenne  einen  Mann,  der  sich  bei  heftiger  Gonorrhöe  auf  Reisen  befand, 
täglich  mehrere  Meilen  fuhr,  keine  strenge  Diät  hielt  und  nach  4  Wochen 
Hiebt  allein  sich  bedeutende  Stricturen  der  Harnröhre,  sondein  auch  *ine 
anii  Mitteltteisch  sich  öffneiide  Harnblasenfistel  zuzog.  Die  Heilung  der  letz i 
tern. gelang  nicht;  der  Kiianlkflf;  behielt  noch  Jahre  lang  sein  Übel,  beim 
üciriiren  hielt  er  indessen  stels"den  Finger  auf  die  Öifnung,  und  so  schlos« 
sich  dieselbe. zuletzt  von  selbst.     S.  auch  Fistula  urinaria. 

Flatulentia,  Flnlus,  Blähungen,  Winde  im  Leibe,  in  den  Ge- 
d-ärmen,  Abgang  dieser  Winde.  Ist  Übermass  von  Gasentwickelung  aus 
Schwäche  der  Digestionsorgane,  oft  verbunden  mit  Krampf,  wodurch  ni3,n- 
cherlei'  Beschwerden  entstehen  (s.  Co  lica'fl  atu  lenta).  Wir  beobachten 
die  Flatulenz  am  häufigsten  bei  Hypochondrie,  Hysterie,  Kardialgie,  Pyro- 
»is,  Icterus,  Haematuresis, 'Infarctus,  äträt  Biiis  und  andern  Übeln  des  Un- 
terleibes ,  bei  Krämpfen ,  Katalepsie ,  Chorea,  Epilepsie  etc.  Zuweilen  ruhi-t 
diese  Flatulenz  gar  nicht  vom  Darmcanale  her,-  sondern  es  ist  eine  Diathe- 
sis  pneumatosa  des  Zellgewebes,  welche  im  höhern  Grade  Emphysema  uni- 
versale erregt  (s.  d.  Art.  Tympaniti;*),  wogegen  palliativ  das  Streichen 
und  Manipuliren  hilft, 

Flexio  uteri,  Beugung  des  Uterus,  wo  der  Grund  der  Gebär- 
mutter entweder  vor-,  rück-  oder  seitwärts  geschoben  ist;  s.  Hystero- 
loxia. 

FloccilegiuiQ}  Floccorum  venatus,  das  Flockenlesen,  s.  Carpho- 
1 0  g  i  a. 

Fluctuatio,  das  SchAvanken,  Schwappen,  die  Fluctuation. 
Hierunter  versteht  man  in  der  Chirurgie  das  schwankende  Gefühl ,  welche» 
eich  dem  Finger  oder  der  Hand  darbietet,  sobald  man  einen  Theil  des  Kör- 
pers untersucht,  welcher  widernatürliche  Flüssigkeit:  Eiter,  Lymphe,  Jau- 
che etc.  enthält.  Die  Wahrnehmung  der  B'luctuation  ist  bei  Untersuchung 
von  Abscessen  zur  Diagnose  nothwendig;  doch  gehört  oft  ein  feines  Gefühl 
dazu.  Flüssigkeiten,  die  sich  in  Folge  abnormer  Secretionen  in  der  Brust- 
und  Bauchhöhle  befinden,  entdeckt  man  durch  die  Auscultation ,  durclu 
Stethoskop   und   durch   den  Plessimeter  (s.  d.  Artikel). 

Flumen  dysentericum ,  die  Ruhr,  s.  Dysenteria. 

Fluor  albusi»  muliebris,  vayinae,  uterinus,  der  weisse  Fluss,  s.  lieu- 
corrhoea.  >   ,  V 

Fluxus ,  Fluwio.  So  nannten  die  Alten  den  Katarrh ,  worunter  ^ie 
mancherlei  blennorrhoische  und  andere  Übel   verstanden, 

Fluxio  frigida.     Ist  der  veraltete  Name  für  Apoplexia. 

Fluxio  alvina,  der  Durchfall,  s.  Diarrhoea. 

Fluxus  aurium,  Ohrenfluss,  s.  Otorrhoea.  .      :        '. 

Fltixm  coeliacus,  Coeliaca,  Coeliaca  Affeclio;  CoeliacttPaisiö^  Pnaslo 
veniriculosa ,    Diarrhoen   chymosn,    D.    laden,   D.    chylosn ,    FlUfnis  chlJlosJ^s, 


782  FLÜXÜS 

Murlns  voelirtcus  ,  Clußiiorrlwea  ,  Chylorrhocn  ,  Fluor  nlhus  inlestinonaiiy 
Rlilchr  iihr,  weisse  Ruhr,  weisser  Bauchfluss.  Ist  chronische 
Blennorrhoe  des  tiefern  Theils  des  Darmcanals,  verbunden  mit  erhöhtet 
Ueizbarkeit  desselben  (ähnlich  dem  Fluor  albus  der  Frauenzimmer),  mit 
dem  Abgange  eines  weisslichen  oder  weisslich  -  grauen  Schleims  aus  dem 
Mastdarme ,  der  unter  Tenesmus  und  so  erfolgt ,  dass  die  natürliche  und 
gewöhnliche  Leibesöffnung  von  dieser  krankhaften  Ausleerun;,'  verschieden, 
ganz  für  sich  und  zu  anderer  Zeit  eintritt  (^Hichter,  Sommerring ,  Dreifssigi 
Lhthoff).  Die  Alten  glaubten,  dass  Chymus  und  Chylus  abgehe,  vermisch- 
ten die  chronischen  Blennorrhöen  der  Digestionsorgane ,  die  iiuiern  Vereite- 
rungen und  die  Lienterie  mit  diesem  Übel  (daher  die  verschiedenen  unrich- 
tigen Namen) ,  und  nur  in  neuei'er  Zeit  unterschied  man  dasselbe  genauer.  - 
Symptome  und  Verlatif.  1)  Das  Hauptsymptom  ist  der  unter*  Tenes- 
mus erfolgende  Abgang  der  geininnten  weisslichen ,  milchartigen ,  dem  Eiter 
oder  Chylus  ähnlichen  Flüssigkeit ,  der  des  Tages  oft  alle  Stunden  erfolgt, 
jueist  oluie  die  natürliche  Leibesölfnung,  zuweilen  kurz  vor  dem  Stuhlgange, 
mitunter  init  kleinen  Blutstreifen  vermischt.  Die  Quantität  beträgt  höch- 
6t<$^s  1' — 2  Esslölfel  voll.  2)  Dabei  vermehrte  Empfindlichkeit  des  Untor- 
leil>ÄS,  besonders  in  der  Gegend  des  Colon  träiisversum  und  Coecum.  3)  Die 
Krankheit  entsteht  nie  bei  Gesunden,,  sondero^lbei  kränklichen  Menschen,,  die 
oft ^chwi  lange  vorher  an  Dyspepsie,  Drucie*-in  der  Herzgrube,  Flatulenz, 
P^robis,  Appetitlosigkeit,  abwechselnd  mit  Appetitus jnorbosus ,  an  Koliken, 
Kardialgie  etc.  gelitten.  4)  Das  Übel  ist  langwierig  und  hartnäckig,  kann 
Jahre  lang  dauern,  macht  oft  bedeutende  Re  t-  und  Intermissionen,  besonders 
in  4ßr  schönen  Sommer-  und  Herbstzeit,  erscheint  häufig  nur  als  Symptom 
tieferer  Leiden  der  Digestion,  welche  stets  gestört  ist;  dabei  sind  hysteri- 
sche, spasmodische  Beschx'yerden,  Koliken,  Blaisenkrarapf  njcht  selten;  spä- 
terhin magert  der  Kranke  ab,  die  Kräfte  sinken,  er  ist  njürrisch,  verdriess- 
iich,  laimig,  der  abgehende  Schleim  wird  übelriechend,  blutig,  serös,  die 
H^ut  ist  trocken  und  dürr,  die  Krankheit  endet,  indem  der  Tod  durcU 
Febris  hectica  erfolgt.  5)  Die  Section  zeigt  vergrösserte ,  angeschwollene 
Schleimdrüsen  des  Darmcanals,,  solphe  mesenterische  Drüsen,  Abnorn)itätßp 
in  der  Leber,  der  Milz,  dem  Pankreas,  wie  bei  Melaena,  materieller  Hypo- 
chondrie. Ursachen  sind:  Hämorrhoidalcongestion,  Menstruatio  suppressa, 
Status  verminosus,  besonders  Askariden,  Missbrauch  drastischer  Purgirmit- 
tel,  vorhergegangene  Koliken,  heftige  Ruhren  und  Durchfälle,  verschiedene 
Desorganisationen  der  Abdominaleingeweide,  anomale  Gicht  und  Rheumatis- 
mus, chronische  Exantheme  etc.  Behandlung.  IVfan  unterscheide  geimn 
die  Fälle  «ach  den  Ursachen,  untersuche  den  Zustand  der  ganzen  Gesund- 
heit des  Kranken,  berücksichtige  die  Dauer  des  Übels,  das  Localleiden  und 
curire  den  Kranken  nicht  geistlos  empirisch,  wie  dies  hier  so  oft  geschieht, 
sondern  nach  rationellen  Grundsätzen.  Hier  sind  folgende  Punkte  zu  beher- 
zigen: 1)  Die  Fälle,  wo  Askariden  Schuld  sind,  sind  selten,  kommen  nur 
bei  Kindern  vor,  erfordern  Klystiere  von  kaltem  Wasser,  bei  hoher  Reiz^ 
barkejt  des  Mastdarms  von  Haferschleim  etc. ,  um  die  Askariden  zu  entfer- 
nen. iJ)  Leiden  abgezehrte,  atrophische,  scrophulöse  junge  Leute  an  der 
Milchmbc,  so  ist  sie  Symptom  jener  Übel  und  verschwindet  bei  richtiger 
Behandlung  derselben.  3)  Bei  jungen  Mädchen  ist  zuweilen  Onanie  Schuld. 
4)  Örtliche  Reizungen  des  Mastdarms  durch  Päderastie,  durch  Ansteckung 
von  Tripperstoff,  durch  Geschwüre  imd  Fisteln,  welche  eine  sogenannte 
fäls(;he  Milcbruhr  erregen,  heilen  wir  durch  die  dagegen  zweckdienlichen 
Mittel.  5)  Hämorrhoidalbeschwerden  sind  bei  Männern  oft  die  Ursache  des 
Fluxus  coeliacus ,  der  hier  weiter  nichts  ist  als  Schleimhämonhoiden  im  ho- 
hem Theile  des  Darmcanals.  Häufig  verschwindet  das  Übel  mit  dem  Ein- 
tritt des  blutigen  Hämorrhoidalflusses.  Die  Cur  ist  hier  ganz  die  der  gold- 
nen  Ader;  wir  geben  inneillch  Crem,  tartar. ,  Schwefel,  bei  Torpor  Aloe, 
Eisen  etc. ,  um  die  Hämorrhoiden  in  Fluss  zu  bringen.  6)  Häufig  entsteht 
da«  Üb/ei  durch  anomale  Gicht.  Hier  gebe  man  Guajak,  Schwefel,  Kalk- 
vva«äer;  späterhin  Decoct.  uvae  ursi,    täglich  zu  3J  —  3JJ  auf  10  Unzen  Co- 


FLÜXUS  783 

latur ;  daneben  Schwefelbadei  und  ander©  Antarthritica  7)  Steht  das  Übel 
mit  chronischen  Exanthemen  in  Verbindung,  mit  denen  es  auweilen  selbst 
alternh-t.,  so  thun  allgemehie  Bäder,  Vesicatorien  auf  den  Unterleib,  inner- 
lich Antimonialia  und  Mcrcurialia  gute  Dienste.  8)  In  hartnäckigen  Fällen 
achte  man  stets  auf  Plethoi-a  abdominalis,  atra  Bilis,  auch  Anschoppungen 
und  Verhärtungen  der  Leber,  der  Milz,  gebe  innerlich  Gunimata  ferulaeea, 
Asa  foetida,  Kxtr.  chelidonü ,  taraxaci,  mit  Aloe,  Sulph.  praecip.  etc. 
(s,  Haemorrhagia.  ventriculi,  Haemorrhoides,  Infarctns)^.  9)Oft 
ist  allgemeiner  Status  pituitosus  da,  welchen  wir  behandeln  müssen  (s.  Blen- 
norrhoea  ventriculi  et  intestinorum).  10)  Äussere  Mittel:  reizende 
Einreibungen  in  den  Unterleib,  allgemeine  Bäder  luid  besonders  zweckmässig; 
ausgewählte  Klystiere  unterstützen  sehr  die  Cur.  Bei  heftigen  Anfällen  von 
Tenesfljus  dienen  Lavements  von  Salep,  Stärkemehl,  Milch,  mit  Zusatz  von 
Opijiijx,  späterhin,  von  adstringirenden  Decocten  von  Lign.  campechiense, 
Cort.  ulmi  «ampestr.;,  mit.  etwas  Opium.  In  hartnäckigen  Fällen  passen 
Klystiere  aus  kaltem  Wasser,  aus  Aqua  Goulardi  mit  Laudanum ,  anhaltend 
gebraucht.  In  einem  Falle  der  Art  halfen  folgende  Klystiere :  ^r  Mercur. 
&uhUm.  corros.  gr.  iv,  Aq.  iialcis  £j,  Lnud-lüfuid.  Syd.  5)y.  M.  S.  Zu  6 
Klystieren,  täglich  eins  mit  lauwarmer  Milch  zu  setzen  (^Most),  welche  acht 
Wochen  lang  angewandt  wurden,  nachdem  vorher  und  zugleich  innerlich 
anhaltend  Rheum,  Quassia,  Gentiana  rubn,  Cort.  cascarilL  imd 'Simaruba 
und  zuletzt  Pyrmonter  Brunnen  verordnet  worden.    . 

Fluxus  colliquntivus ,  s.  Diarrhoea  coUiquativa. 

Fluxus  cruenim  cutn  tenesmo.  So  nennen  Einige  nicht  ganz  unpassend 
die  Ruhr;  s.  Dysenteria. 

FluxttiS  Jinemorrhoidalis ,  s.  Haemorrhoides. 

Fluxus  hepniicus,  Hepatorrhoea,  Dysenteritt  Jiepaticn  (^Gordoii),  Diarrhoea 
serosa  -  $a/)iguinea ,  Leberfluss.  Unter  diesen  Benennungen  versteht  man 
verschiedene  langwierige  Krankheitszustände ,  bei  denen  durch  den  After 
serös -blutige,  oft  jauchige,  ichoröse,  eiterähnliche  Flüssigkeit  ohne  Kolik- 
schmerz und  ohne  Tenesmus  abgeht.  Wir  unterscheiden  hier  1)  Fhixus 
hepaticus  verus.  Hier  sitzt  das  Übel  wirklich  in  der  Leber,  diese  sondert 
statt  wirklicher  Galle  blutige  Galle  ab.  Vorboten  sind  Gefühl  von  Voll- 
heit  und  Spannung  in  der  Lebergegend,  Leibesverstopfung,  Übelkeit,  zu- 
weilen galliges  Erbrechen,  oft  Ausleerung  von  Blut  und  Galle  nach  Oben. 
Cur.  Ist  die  der  Leberkrankheiten,  der  Plethora  abdominalis,  Melaena  etc. 
(s,  Haemorrhagia  ventriculi).  2)  Fluxus  hepaticus  spuritis.  Hier  ist 
der  Sitz  nicht  die  Leber ,  sondern  ein  anderes  Organ ;  man  nennt  daher  das 
Übel  häufiger  und  richtiger  nach  Verschiedenheit  des  leidenden  llieils,  wor- 
in die  blutige  Secr.etion  stattfindet ,  Fluxus  pancreaticus,  mesentericus,  Flttxus 
splencticus.  Hier  ists  weiter  nichts  als  Vomitus  cruentus  und  Morbus  niger 
(s.  Haemorrhagia  ventriculi).  In  andern  Fällen  ist  der  falsche  Leber- 
Llutfluss  kein  blutiges  Secret,  sondern  röthliche  Jauche,  welche  aus  Leber- 
geschwüi-en  kommt  und.  durch  den  Darmcanal  ausgeführt  wird  (s.  Inf  lara- 
in atio  hepatis).  Hieraus  geht  schon  hervor,  dass  die  Symptome  de« 
Übels  nach  Verschiedenheit  des  Grundübel*  sehr  verschieden  seyn  müssen. 
Am  häufigsten  finden  wir  ausser  dem  beschriebenen  Abgange  folgende  Zei- 
chen: «)  Chronische  Dyspepsie,  Ructus,  Flatus,  Pyrosis,  Übelkeit,  weiss- 
lich,  schmuzig  belegte  Zunge,  unangenehme  Gefühle  im  Unterleibe,  schlechte 
Gesichtsfarbe  als  Vorboten  und  Begleiter  des  .Übels.  6)  Die  entarteten  Aus- 
leerungen stellen,  sich  ganz  alhnälig  ein,  erfolgen  anfangs  nur  mit  der  Lei- 
besöfl'nung  und  werden  kaum  bemerkt;  später  erscheinen  sie  auch  ohne 
Stuhlgang,  doch  nie  öfter  als  3  —  6mal  den  Tag,  sind  röthlich,  gelblich 
von  Farbe,  meist  dünnflüssig,  oft  geruchlos,  oft  süsslich ,  faul,  cadaverös 
riechend,  von  Quantität  verschieden,  meist  in  grösserer  Menge  als  bei  Fluf 
Jius  coeliacus,  c)  Mit  der  Zunahme  der  zum  Grunde  liegenden  organischen 
Fehler  entstehen  nun  icterische  Zufalle-,  Abmagerung,  Febris  hectica,  zu- 
letzt Wassersucht  und  der  Tod.  rf)  Das  Übel  ist  sehr  langwierig,  kann 
Mpn^te^    ja  selbst  ein  ganzes  Jahr  dauera,  iiaacht  mitunter  R^-  und  Inter- 


784  FLÜXUS 

missionen ,  geht  überhaupt  gleichen  Schritt  mit  der  Besserung  oder  Ver- 
sclilimnierung  des  Gruiidübels,  und  ist,  kann  letzteres  nicht  gehoben  wer- 
den, unheilbar.  Ursachen  sind:  Plethora  abdominalis,  atra  Bilis,  krank- 
haft erhöhte  Venosität,  und  deren  Begleiter  und  Folgen:  Stockungen, 
Verhärtungen  in  Leber,  Milz,  Infarcten;  ferner  Geschwüre  der  Leber,  un- 
terdrückte Hämorrhoiden,  heftige  Entzündungen  der  Eingeweide  des  Unter- 
leibes, Scorbut,  Faulfieber  etc.  Cur.  Ist  die  der  Grundkrankheit,  deir 
Melaena,  der  Hämorrhoiden,  der  unterdrückten  Menses,  der  Stockungen  in 
Leber  und  Milz,  der  Infarcten,  der  Phthisis  hepatica,  lienalis.  In  letztem 
Fällen  passen  innerlich  bittere  resolvirende  Extracte,  Alauamolken,  Myrrhe^ 
Kaikwasser,  Klystiere  von  Aq.  calcis,  Myrrhensolution;  bei  vorhandenea 
Geschwüren  Kalkwasser,  Selterwasser  mit  Milch,  die  Milch-  und  Molken- 
cur,  später  Cascarille,  Simaruba,  China,  Lign.  campechiense  etc.  mit  Be- 
rücksichtigung der  individuellen  Körperbeschaffenheit  nach  den  allgemeinen 
Heilregeln.  Man  könnte  diesen  Fluxus  hepaticus  füglich  aus  den  Handbü- 
chern der  praktischen  Heilkunde  streichen,  wenn  es  anders  nützlich  wäre, 
bedeutende  Symptome,  die  zur  Diagnose  des  Grundübels  dienen,  nicht  un- 
ter allgemeine  Gesichtspunkte  zu  fassen  und  das  Studium  der  Alten  zu  ver- 
nachlässigen. 

Fluxus  locMnlis  suppressus.  Lochin  suppressa,  Ischolochia ,  die  unter- 
drückte Kindbettreinigung^  Unter  Lochienfloss  verstehen  wir  den 
aus  den  Geschlechtstheilen  der  Kindbetterin  kommenden,  zum  normalen  Ver- 
lauf des  Wochenbettes  noth wendigen  Blutfluss,  der  später,  gegen  den  ach- 
ten Tag  nach  der  Geburt,  blasser,  wässeriger  und  schleimiger  wird  (Loclüa 
primitiva  seu  rubra,  und  Lochia  secundaria,  alba  seu  lactea)  und  in  dieser 
Beschaffenheit  4 — 6  Wochen  anhält.  Durch  Schreck,  Ärger,  Erkältung, 
Diätfehler  kann  dieser  Fiuss  in  den  ersten  Tagen  des  Wochenbettes  plötz- 
lich unterdrückt  werden.  Wenn  wir  nun  auch  mit  manchen  Geburtshelfern 
nicht  annehmen,  dass  diese  Anomalie  [die  Ursache  bedeutender  Fieber  und 
Entzündungen  der  Wöchnerin  sey,  so  ist  doch  soviel  gewiss  1)  dass  di« 
Unterdrückung  der  Lochien  als  Symptom  manche  bedeutende  Fieber  des 
Wochenbettes  begleiten  kann  (s.  Febr.  puerperal is);  2)  dass  sie  auch 
bei  unbedeutenden  Fiebern  stattfindet  (s.  Febr.  lactea);  S)  dass  dieselbe 
vvol  häufiger  begleitendes  Symptom  als  Ursache ,  mehr  Folge  der  durch 
schädliche  Einflüsse  im  Organismus,  besonders  im  Nervensystem  gesetzten 
Verstimmungen  und  Revolutionen,  die  sich  als  Signa  morbi  fientis  im  Stadio 
der  Vorboten  kund  geben ,  als  Ursache  der  Krankheit  selbst  ist.  4)  Nach 
meinen  Erfahrungen  hört  bei  manchen,  besonders  bei  sensiblen  Frauen,  der 
Lociiienfluss  am  2ten,  3ten  Tage  oft  ohne  allen  Nachtheil  plötzlich  auf, 
ohne  dass  besondere  Veranlassungen  obgewaltet  hätten,  kommt  aber  am 
5ten,  7ten  Tage,  che  er  ganz  weisslich  wird,  noch  einmal  wieder.  Ks  be- 
darf hier,  da  das  Allgemeinbefinden  gut  ist,  keiner  Arzneien.  Oft  ist  aber 
die  Frau  ängstlich,  glaubt,  dass  das  plötzliche  Aufhören  der  Lochien  ge- 
fährlich sey.  In  solchen  B^ällen  kann  man  durch  folgende  gelinde  Arznei 
binnen  24  Stunden  den  Fluss  wieder  herstellen :  I^  Pol.  Riverii  succ.  ciiri 
pnraiae  3ij,  Aq,  Hör.  Chamom.,  —  Falerianac  ana  §3Jj,  Tart.  emetici  gr.  ^ 
M.  S.  Stündlich  1  Esslöffel  voll  (^Most').  Zuweilen  treten  dann  mit  dem 
Lochialfluss ,  ebenso  wie  bei  spastischen  Frauen  während  der  ersten  Tage 
des  Wochenbettes ,  Leibschmerzen  (Colica  lochialis)  ein ,  ähnlich  den  Nach- 
wehen (s.  Dolores  post  partum),  wogegen  wir  die  gewöhnlichen  Anti- 
spasmodica,  z.  B.  Tinct.  castorei,  Liq.  c.  c.  succin.,  Tinct.  valerianae,  opii 
etc.  mit  Nutzen  verordnen. 

Fhixtis  menstruus  anomnhis,  unregelmässige,  zu  geringe,  zu  starke, 
unterdrückte  oder  zurückgehaltene  Menstruation;  s.Menstruatio  dif- 
ficilis,  nimia,  suppressa,retenta. 

Fluxus  niger  et  fuscus  niuüerum,  schwarzer,  braöner  Ausfluss 
aus  der  Scheide.  Ist  Symptom  von  Carcinoma  «terf,  vaginae,  "von 
Metrorrhagia  chronica  etc.  '■    ■'  • 

Fhtanis  spleneticus,   Müablutfluss,   s.  Haemorrhagia  ventriculi. 


FOETOR  ORIS  —  FOETOR  PEDUM      7g5 

Foetor  oris,  stinkender  Athem,  übler  Geruch  aus  dem  Munde. 
Ist  1)  Symptom  verschiedener  Krankheiten  des  Mundes :  der  Stomacace  scor- 
butica,  mercurialis,  des  Abscessus  gingivalis,  Cancer  oris,  Caries  dentium; 
2)  bemerken  wir  ihn  bei  Angina  gangraenosa,  anch  schon  bei  jeder  andern 
heftigen  Angina ;  3)  bei  Status  gastricus ,  bei  Geschwüren  in  der  Nasenhöhle, 
am  Kehlkopfe  etc. ;  4)  in  andern  Fällen  ist  das  Übel  chronisch ,  ohne  das» 
sichtbare  Fehler  der  Mund-,  Nasen-  oder  Rachenhöhle  da  sind,  wo  der 
Appetit  gut  und  die  Zunge  nicht  belegt  ist;  ja  zuweilen  ists  angeboren  und 
erblich;  dabei  der  Geruch  so  widerlich,  dass  er  Ekel  und  Erbrechen  bei 
einem  Andern  zu  erregen  im  Stande  ist.  Cur.  Bei  Nr.  1,  2  und  3  behan- 
deln wir  das  Grundübel,  verordnen  Gurgel wasser  von  Alaun,  Vitriol,  De- 
coct.  quercus,  Tinct.  myrrhae,  Kino,  Catechu,  bei  gastrischen  Beschwer- 
den Vomitive,  Laxative  etc.  Ist  aber  der  stinkende  Athem  ein  altes  Übel 
(Nr.  4) ,  so  helfen  Gurgelwasser  etc.  nur  palliativ.  Hier  rathe  man  öfteres 
Ausspülen  des  Mundes  mit  kaltem  Wasser,  das  Kauen  von  gewürzhaften 
Dingen:  Gewürznelke,  Ingwer,  Kalmus,  Zimmt  etc.,  täglich  einigemal  ge- 
braucht, an.  Aber  auch  diese  Mittel  sind  fast  immer  nur  Palliative;  sie 
helfen  nur  ein  paar  Stunden,  indem  ihr  Geruch  den  Mundgeruch  übertäubt 
und  nach  dem  Grundsatze:  Lumen  majus  obscurat  minus,  verschwinden  macht. 
In  einem  Falle  hob  folgendes  Mittel,  anhaltend  gebraucht,  das  chronische 
Übel:  I^  Calcur.  oxymurint.  3jj,  Aq.  fontanne  Sj.  Solv.  Cola.  S.  Zum  Gur- 
geln dreimal  täglich  anzuwenden  (^Most^.  Auch  rathen  französische  Ärzte 
Morsellen  an ,  worin  sich  etwas  Chlorkalk  befindet.  Dechamps  empfiehlt  hier 
(s.  Journ.  de  Chimie  medic. ,  Janv.  18,8,  p.  28)  folgende  Morsellen:  R/  Cnl- 
car.  oxijmuriat.  5jj  ■,  Sacchari  3vjjj ,  Amyli  3J ,  Gtitnm.  trngncanth.  3j  5  Car- 
min.  rühr.  gr.  jjj.  M.  f.  l.  a.  Trochisc.  pond.  gr.  jjj.  S.  Zweistündlich  5  —  6 
Stück  auf  der  Zunge  zerschmelzen  zu  lassen.  Folgende  Mischung  fand  ich 
bei  einer  Frau  sehr  nützlich :  I^  Aqune  oxymuriat. ,  —  destillntne  ana  5iv. 
M.  det.  in  vitr.  charta  nigr,  involut.  S.  Zum  Gurgeln.  Selbst  die  reine 
oxygenirte  Salzsäure ,  nach  der  preussischen  Pharmakopoe  bereitet ,  habe  ich 
in  schlimmen  Fällen  sehr  wirksam  gefunden.  Sie  wirkt  nicht  so  nachtheilig 
auf  die  Speicheldrüsen  als  Chlorkalk  und  Chlornatrum,  welche  daher  nur 
als  schwache  Solutionen  in  Gurgelwassern  angewandt  werden  dürfen.  Zu- 
weilen scheint  der  üble  Geruch  aus  dem  Munde  mit  Ataxien  der  Menstrua- 
tion ,  mit  Fehlern  der  Innern  Geschlechtstheile ,  bei  Männern  selbst  mit  Hä- 
morrhüidaldiathese,  mit  chronischen  Exanthemen  in  Verbindung  zu  stehen. 
Nicht  selten  ist  Schwäche  der  Digestion,  chronische  Verschleimung  des  Ma- 
gens und  der  Gedärme  schuld,  häufig  auch  ein  krankhafter  Zustand  der 
Schleimhaut  der  Mund-  und  Rachenhöhle.  In  einem  solchen  Falle  leistete 
das  Ol.  therebinth. ,  dreimal  täglich  10  Tropfen  auf  Zucker  und  mit  Wasser 
genommen,  recht  gute  Dienste  (^Mosf). 

Foetor  pediun,  Sudor  pedum  foetidus,  der  stinken d'e  Fuss- 
schweiss,  die  sogenannten  schwitzenden  und  stinkenden  Fasse. 
Dieser  chronisch -pathologische  Zustand,  woran  manche  Personen  Jahre  lang 
leiden,  ist  eigentlich  mehr  ein  heilsames  Naturbestreben,  als  eine  Krankheit 
zu  nennen.  Fast  nie  leiden  Kinder  daran,  meist  immer  nur  Erwachsene, 
zumal  in  den  Jahren  20  bis  50.  Häufig  sind  die  Menschen  rheumatisch  oder 
noch  mehr  gichtisch,  und  die  Gicht  ist  bei  ihnen  Morbus  hereditarius.  Hier 
hat  nicht  allein  der  Fussschweiss,  sondern  auch  der  Seh  weiss  in  den  Ach- 
^  seihöhlen  einen  starken ,  widerlichen  Geruch ,  den  die  Menschen  selbst  bei 
Beobachtung  der  grössten  Reinlichkeit  nicht  vertreiben  können.  Solche 
Schweisse  scheinen  freies  Ammonium  zu  enthalten,  doch  sind  mir  chemische 
Analysen  darüber  nicht  bekannt.  Höchst  schädlich  und  gefährlich  ist  es, 
den  stinkenden  Fussschweiss  durch  äussere  kalte,  adstringirende  Mittel,  durch 
kaltes  Baden  der  Füsse  etc.  zu  vertreiben ,  weil  die  Unterdrückung  der  kri- 
tischen Ausscheidung,  wenn  auch  nicht  immer,  doch  häufig  gefährliche  Me- 
tastasen nach  allen  Innern  oder  äussern  Organen  zur  Folge  hat.  Nach 
fremden  und  eigenen  Erfahrungen  erregt  der  Foetor  pedum  suppressus  nicht 
selten  1)  Amnmosis  metastnticn ,  die  plötzlich  auftritt,  so  dass  der  Mensch 
Most  Encjklopädie.  2te  Aufl.  T.  5Q 


786  FOMENTATIO 

heute  noch  gesund,  aber  schon  binnen  ein  paar  Tagen  stockblind  ist  (s. 
Amblyopia  und  Amaurosis  metastatica).  In  einem  Falle  wurden 
nur  trockne  Fussbäder  von  heissem  Sande  angewandt,  der  Fussschweiss  trat 
bald  wieder  ein  und  die  Amaurose  verschwand  ohne  jedes  andere  Mittel. 
Recht  gut  ist  es,  bei  Foetor  pedum  suppressus  ausser  diesen  Sandfussbä- 
dern,  die  man  mit  Senfpulver  schärfen  kann,  innerlich  Diaphoretica,  na- 
mentlich Spiritus  Minderen,  Aq.  flor.  sambuci  und  Tart.  emetic.  in  refracta 
dosi,  anfangs  auch  wol  ein  Vomitiv,  bei  Vollsaftigen  Blutegel  an  die  Augen 
und  hinterher  derivirende  Purganzen  anzuwenden.  2)  In  einem  Falle,  wel- 
chen ich  in  der  Allgero.  Medlc.  Zeitung;  Altenburg,  1334,  Nr.  40  mitge- 
theilt  habe,  erregte  der  unterdrückte  Fussschweiss  Angina  pectoris,  und  die 
Section  zeigte  eine  beginnende  Verknöcherung  am  Ursprünge  der  Aorta. 
3)  Auch  hat  man  Verschwärung  am  Herzen  als  Folge  der  Unterdrückung 
stinkender  Fusssch weisse  beobachtet  (s.  Cardielcosis). 

FomentatiO}  Fomentum,  die  Bähung,  Fomentation.  Ist  die 
Anwendung  bald  warmer  und  feuchter,  bald  kalter,  trockner  Arzneimittel 
auf  irgend  eine  Stelle  der  Hautoberfläche,  und  zwar  mittels  Compressen, 
Beutel  etc.  Ist  die  Form  breiig,  so  heisst  es  Cntaplasma,  sind  es  Salben, 
Öle,  Gerate,  Pflaster,  so  ist  auch  solche  äusserliche  Anwendung  von  dem 
Begriff  Foraentatio  ausgeschlossen.  Im  engern  Sinne  versteht  man  unter 
letzterer  nur  allein  feuchte ,  sowol  warme ,  als  kalte  Umschläge.  Die  Trä- 
ger derselben  sind  Leinwand ,  Flanell ,  Charpie ,  Papier ,  Meerschwamm  etc. 
Zu  warmen  Fomentatiouen  ist  der  Flanell  als  Träger,  zu  kalten  die  Lein- 
wand, oder  auch  eine  Rindsblase,  worein  Wasser,  Eis  kommen,  vorzuziehen. 
Bei  letztern  muss  man  stets  mehrere  Compressen  in  Bereitschaft  haben,  da- 
mit bei  der  nothwendig  öftern  Erneuerung  des  Umschlages  nicht  die  noch 
wai'me ,  eben  vom  leidenden  Theile  entfernte  Compresse ,  sondern  eine  an- 
dere kältere  zunächst  übergeschlagen  werden  kann.  Um  das  Lager  und  die 
Kleider  vor  Nässe  zu  schützen,  sind  die  Rindsblasen  und  Wachstuch  anzu- 
wenden. Letzteres ,  noch  mehr  der  durchsichtige  Wachstaffet  nützen  be- 
sonders dazu,  dass  man  bei  Anwendung  warmer  Fomentationen  diese  damit 
bedeckt  (sowie  auch  Kataplasmen) ,  um  ein  zu  schnelles  Kaltwerden  dersel- 
ben zu  verhüten.  Sehr  viele  äusserliche  Arzneimittel :  Salze,  Säuren,  Wein- 
geist, Infusa  und  Decocta  von  aromatischen,  adstringirenden  und  andern  Arz- 
neistoffen lassen  sich  in  Form  fcnchter  Bähungen  benutzen  und  ihre  Anwen- 
dung ist  weit  bequemer  und  weniger  lästig,  als  die  der  Kataplasmen.  Man 
wendet  sie  mittels  flanellner  oder  leinener,  vier-  bis  sechsfach  zusammenge- 
legter Compressen,  welche  in  der  Flüssigkeit  getränkt  worden,  und  auf  die 
Weise  an,  dass  man  zugleich  die  schon  aufgelegte  feuchte  Compresse  mit 
dem  Fomentum  begiesst ;  doch  ist  dies  bei  eiskalten  Umschlägen ,  z.  B.  bei 
Application  der  Schmucker'schen  kalten  Fomentationen.,  nicht  so  gut,  als 
jene  Methode,  wo  man  stets  recht  kalte  Compressen  nimmt,  diese  mit  Essig 
und  Wasser  anfeuchtet ,  mit  Salmiak  und  Nitrum  zugleich  inwendig  be- 
streuet und  dann  auflegt.  —  Unter  Bähung  verstehen  w  ir  vorzugsweise 
die  feuchten  Fomentationen ,  die  bald  warm ,  bald  lau ,  bald  kühl  angewandt 
werden  und  in  ihren  Wirkungen  sehr  verschieden  sind,  daher  wir  erwei 
chende,  zertheilende,  zusammenziehende,  stärkende,  be- 
sänftigende, reizende,  erschlaffende  und  andere  Bähungen  un- 
terscheiden, die  bei  zahlreichen  Übeln,  namentlich  bei  Entzündungen,  Eite- 
rung, Brand,  bei  Verhärtung,  Verdickung,  Auflockerung,  selbst  bei  allge- 
meinen und  innern  Krankheiten,  bei  Krämpfen,  Schwäche,  Neuralgie,  Hä- 
morrhagien  etc.  mit  Nutzen  angewandt  werden.  Die  Spec.  emollientes,  aro- 
maticae,  resolventes ,  ad  Gargarisma,  ad  Fomentum,  ad  Enema  etc.  sind 
aus  jeder  Pharmakopoe  ihren  Bestandtheilen  nach  bekannt.  Sollen  die  Bä- 
hungen zugleich  schmerzstillend  sejn,  so  kann  man  zu  den  Spec.  emollienC. 
Herba  hyoacyami,  cicutae,  belladonnae  zusetzen.  Zn  den  zertheilenden 
Bähungen  zählt  man  Aq.  Goulardi,  Decoct.  quercus,  ulmi ,  Sohlt,  alumink, 
Aqua  vnlnerar.  Thedenii ,  obgleich  diese  eben  so  gut  zu  den  adstringirenden 
gerechivet  werden  können.     Zu  den    reizenden  Bähungen   nimmt  man  Li- 


FONTICÜLÜS  787 

fusa  und  Decocta  von  Senfsamen ,  Essig ,  Meerrettig ,  spanischem  Pfeifer  mit 
Zusatz  von  Acidum  aceticum,  Alkohol  etc.  •  Die  meisten  Coliyria  werden  in 
Form  von  B'omentationen  angewandt;  auch  beruhet  der  glückliche  Erfolg, 
dessen  sich  der  geniale  Rust  in  der  Behandlung  der  Geschwüre  rühmen 
darf  (s.  dessen  Schrift  über  Helkologie) ,  grösstentheils  auf  der  Vertauschung 
der  Salben  älterer  Wundärzte  gegen  die  aromatischen,  gelind  erregenden, 
besänftigenden  und  sonstigen  Fomentationen.  Eine  beliebte  Formel  von 
Rnst ,  welche  bei  falscher  Rose,  bei  schmerzhaften  Geschwüren  etc.  zur  Be- 
sänftigung und  Zertheilung  dient,  ist  folgende:  I^  Aceti  plumhici  5j,  Infm. 
ihr.  chnmomiU.  föj ,  Tinct.  opii  si7npl.  Pharm.  Bortiss.  recent.  5jjj.  M.  ^. 
Umgeschüttelt  und  lauwarm  anzuwenden.  —  Rusfs  reizendes  Foment  bei 
schlaffen  reizlosen  Geschwüren  und  bei  Gangrän  ist  dieses:  ]^  Camphorne 
iritae  3jj — Sjjj»  Gummi  mimos.  pulv.  3jj?  solve  tereiido  in  Fini  gnllici  dlhi 
5vjjj.  Zur  Belebung  der  Vitalität,  zur  Beschleunigung  der  Vernarbung  und 
zur  Beschränkung  wuchernder  Vegetation  verordnet  derselbe  folgende  Fo- 
mentation :  I^  Ltifid.  infernal,  cryst.  ^jv ,  solve  in  Aquae  chamomill.  jvj ,  adde 
Tinct.  opii  Sjfl-  M.  S.  Mit  Läppchen  aufzuschlagen  und  Wachstaffet  dar- 
über zu  legen.  hugoVs  lodfomentationen  gegen  Scropheln ,  solche  Geschwüre 
etc.  sind  erst  schwach,  später  stärker  anzuwenden:  ^i  lodi  gr.  jj — iv,  Kali 
hydriodici  gr.  iv  —  vjjj ,  Aquae  destillatae  Sj.  Auch  lob^,  er  einen  rothma- 
chenden und  kaustischen  lodliquor  (s.  Kurtz  in  Rusfs  Ma^az.  Bd.  XXXVII. 
Hft.  1).  Die  kalten  Fomentationen  wirken  wohlthätig  j  ur  Verhütung  von 
Blutandrang  und  heftiger  Entzündung  bei  Kopfverletzungen,  Brustwunden, 
grossen  Quetschungen  der  Glieder,  Beinbrüchen;  sie  conü- nsiren  und  stär- 
ken die  geschwächten  Fasern  und  vermindern  die  Productio  i  und  Nutrition, 
sind  daher  bei  allen  activen  Congestionen ,  Entzündung-.n ,  Blutungen  etc. 
indicirt.  Man  muss  sie  alle  5  — 10  Minuten  erneuern  und  darnach  sehen, 
dass  sie  so  kalt  als  möglich  angewandt  werden.  Recht  kaltes  Brunnenwas- 
ser, Eis  und  Schnee,  Wasser,  worein  Eisstücke  geworfen,  sind  am  wirksam- 
sten. Man  muss  ganze  Eimer  voll  Wasser  in  der  Nähe  des  Kranken  und 
bei  der  Hand  haben,  auch  sie  im  Winter  nicht  zu  lange  im  geheizten  Zim- 
mer stehen  lassen ,  sondern  wenigstens  alle  Stunden  frisch  erneuern.  Zu 
kalten  Kopfumschlägen  eignet  sich  eine  Rindsblase,  welche  halb  mit  kaltem 
Wasser  und  halb  mit  Schnee,  Eisstücken  gefüllt  ist,  besonders  gut.  Ist 
weder  Eis ,  noch  Schnee  zu  haben ,  so  sind  die  Schmucker'schen  kalten  Fo- 
mentationen, stets  frisch  bereitet,  dem  kalten  Wasser  vorzuziehen.  Man 
schlägt  drei  Theile  Salpeter  und  einen  Theil  Sal  ammoniac.  crud. ,  gröblich 
zerstossen,  in  ein  Tuch,  legt  es  auf  den  leidenden  Theil  und  befeuchtet  es 
mit  6  Theilen  Essig  und  12  —  24  Theilen  kaltem  Wasser;  sind  die  Salze 
geschmolzen,  so  erneuert  man  die  F^mentation.  Auch  die  Calcaria  muria- 
tica,  wie  das  obige  Pulver  in  ein  Tuch  geschlagen  und  auf  den  leidenden 
Theil  gelegt,  alsdann  die  Compresse  mit  Wasser  befeuchtet,  bringt  eine 
Kälte  hervor,  die  noch  bedeutender,  als  die  von  der  Auflösung  des  Salpor 
ters  und  Salmiaks  ist.  —  Die  trocknen  Fomentationen  dienen  theils  zur  Er- 
wärmung ,  theils  zur  Verhütung  der  Erkältung  irgend  eines  leidenden  Theils. 
Hierher  gehören:  erwärmte  wollene  Tücher,  warme  Watten,  Asche,  Sand, 
Mehlj  Wärmflaschen,  warme  Steine  etc.  Ihre  Anwendung  ist  sehr  ausge- 
breitet, namentlich  bei  Rheumatismen,  Rose,  Krämpfen,  Kolik,  Magen- 
krampf, zur  Wiederbelebung  Scheintodter  (s.  Asphyxia).  Sie  wirken  er- 
wärmend, belebend,  die  unmerkliche  Hautausdünstung  vermehrend.  Auch 
die  Kräuterkissen,  welche  aromatische,  zertheilende  und  andere  Species  mit 
oder  ohne  Kampher  enthalten ,  gehören  hierher ;  sowie  die  Kräutergürtel, 
Kräutermützen ,  Kräuterunterbetten ;  die  Unterbetten ,  Matrazzen ,  gefällt 
mit  zermahlner  Lohe  bei  schwächlichen  kachektischen ,  scrophulösen  Kin- 
dern u.  s.  f. 

Fonticulus,  Fontanelltt ,  ein  Font  an  eil.  Ist  ein  künstliches  Ge- 
schwür, welches  wir  an  verschiedenen  Stellen  des  Körpers  anbringen,  ge- 
wöhnlich aber  diejenigen  Stellen  vorziehen ,  wo  ein  ziemlich  dickes  Zeilge- 
webe  und    ein   merklicher  Zwischenraum  zwischen   den  Mnskeln   befindlich 

50* 


788  PORMICATIO 

ist,  z.  B.  am  Arme  zwischen  den  Muse,  deltoides  und  biceps,  anden  Wa- 
den zwischen  dem  Gastrocnemius  internus  und  Solaeus,  am  Schenkel  zwi- 
schen dem  Vastus  intei'nus  und  Gracilis.  An  magern  Theilen  ,  auf  blossen 
Muskeln,  reizen  sie  zu  heftig  und  erregen  oft  bedeutende  Entzündung, 
Schmerz  bei  der  Bewegung  des  Theiles,  oder  sie  trocknen  leichter  aus.  Je 
näher  wir  künstliche  Geschwüre  an  die  Stelle  legen ,  wo  der  Sitz  der  Krank- 
heit ist,  desto  wirksamer  sind  sie.  Es  giebt  zwei  Methoden,  Fontanelle~zu 
machen.  Die  erste  und  bequemste  ist  diese:  Ein  Gehülfe  fasst  mit  Daumen 
und  Zeigefinger  die  Haut  auf  der  zu  operirenden  Stelle,  bildet  eine  Falte 
uod  hebt  sie  etwas  in  die  Höhe,  der  Operateur  vergrössert,  indem  er 
gleichfalls  mit  dem  Daumen  und  Zeigefinger  seiner  linken  Hand  die  Haut- 
stelle anfasst,  diese  Falte,  und  schneidet  alsdann  mit  einem  Bistouri  dieje- 
nige Stelle  der  Hautfalte  durch,  welche  sich  zwischen  seinen  und  des  Ge- 
hülfen Fingern  befindet.  Man  legt  eine  oder  mehrere  Erbsen  oder  Bohnen, 
mit  Digestivsalbe  bestrichen ,  in  die  Wunde ,  darüber  Heftpflaster ,  eine 
kleine  Compresse  und  eine  etwas  fest  anschliessende  Binde.  Auf  solche 
Weise  wird  das  Fontanell  in  Fluss  gebracht,  täglich  verbunden  und  durch 
eingelegte  Erbsen  offen  erhalten.  Ist  die  Eiterung  eingetreten,  so  bedarf 
es  nicht  immer  der  Zugsalben;  wir  verbinden  nur  alle  2  —  3  Tage  damit, 
setzen  auch  wol ,  wenn  aus  Mangel  an  Reiz  die  Eitening  aufhört,  etwas 
Pulv.  cantharid.  und  Präcipitat  zu  der  Digestivsalbe.  Über  die  Fontanelle 
legen  wir  Wachspapier,  welches  den  übi'igen  Verband ,  Compresse  und  Binde 
reinlich  erhält;  auch  müssen  wir  alle  durch  Eiter  entstandene  Unreinlich- 
keit  bei  jedesmaligem  Verbände  durch  Schwamm  und  laues  Wasser  entfer- 
nen. Eine  andere,  bei  furchtsamen  Kranken  anzuwendende  Methode  ist  die, 
dass  man  eine  klehie  spanische  Fliege ,  wie  ein  Silbergroschen  gross ,  noch 
besser  ein  Empl.  fenestratum  mit  Kali  causticum  auf  die  Hautstelle  legt, 
wo  die  Fontanelle  gebildet  werden  soll.  Am  zweiten,  dritten  Tage  verbin- 
det man,  indem  man  die  Eschara  entfernt  hat,  mit  Erbse,  Digestivsalbe 
und  legt  den  Verband  auf  die  angegebene  Weise  an.  Die  künstlichen  Ge- 
schwüre ,  wohin  die  Fontanelle  und  Haarseile  ( Setaceum)  und  alle  andere, 
absichtlich  durchs  Causticum,  Glüheisen,  durch  Seidelbast,  durch  Unguen- 
tura  irritans,  Unguent.  tartari  stibiati  etc.  erregten  Geschwüre  zu  rechnen 
sind ,  finden  grosse  Anwendung  bei  mancherlei  äusserlichen  und  innerlichen 
Übeln.  Ihre  allgemeine  Wirkung  ist,  besonders  im  Anfange,  re\Tilsorisch, 
derivatorisch ,  vorzüglich  aber  die,  dass  sie  die  Vegetation  und  Production 
umändern  und  so  den  krankhaften  Bildungen  aller  Art,  den  Afterorganisa- 
tionen in  einzelnen  Organen  Schranken  setzen,  allen  krankhaften  Metamor- 
phosen mit  organischen  Destructionen  mehr  oder  weniger  Einhalt  thun, 
durch  den  anhaltenden  Reiz  eine  neue  Action  im  Körper  erregen  und  pa- 
thologische Absonderungen  zu  Wege  zu  bringen,  wodurch  andere  anomale 
Secretionen ,  besonders  die  der  Schleimhäute,  der  serösen  und  fibrösen  Mem- 
branen, gestillt  werden  können.  Am  meisten  leisten  die  künstlichen  Ge- 
schwüre bei  örtlichen  Fehlern  mit  organischen  Destructionen,  mit  und  ohne 
begleitendes  Allgemeinleiden.  Wir  wenden  sie  daher  an  und  lassen  sie  an- 
haltend ,  Monate ,  Jahre  lang  gebrauchen :  1)  bei  Phthisis  pulmonalis  tuber- 
culosa,  ehe  die  Tuberkeln  in  Eiterung  übergegangen  sind.  Hier  leistet  ein 
grosses  Fontanell  auf  die  Brust ,  noch  besser  ein  Haarseil  zwischen  den 
Rippen,  ausserordentlich  -viel  (^Most").  2)  Bei  chronischem  Asthma,  bei 
Phthisis  pulmonalis  pituitosa  und  Angina  pectoris,  gleichfalls  auf  die  Brust 
applicirt.  3)  Bei  veralteten  rheumatischen  Übeln  der  Glieder ,  bei  Hüftweh. 
4)  Bei  Tumor  albus,  Tumor  lymphaticus.  5)  Gegen  Hydrocephalus  chro- 
nicus, Epilepsie,  Taubheit,  hartnäckige  Augenfehler,  Geschwüre  in  den 
Ohren  etc.  legen  wir  mit  Nutzen  ein  Haarseil  in  den  Nacken.  Ausserdem 
benutzen  wir  die  Haarseile  noch  zu  vielen  andern  chirurgischen  Zwecken 
(s.  Setaceum),  z.  B.  zur  Öffnung  lymphatischer  Abscesse,  zur  Heilung 
der  Hydrocele  (^Pott) ,  der  Schusswunden,  Fisteln  u.  s.  w. 

PonnicatiOf  Mifrmcciasis,  Mijrmecismus,  Mynneciasmtis ,  das  Amei- 
senlaufen.    Ist  ein  juckendes,    knebelndes  Geluhi  in  der  Haut,    wie  von 


FRACTURA  789 

Ameiäen,  das  periodisch  bei  Hysterie,  Hypochondrie,  Epilepsie  und  bei  an- 
dern sogenannten  Nervenübeln  zuweilen  beobachtet  wird  und  Folge  von 
Verstimmungen  im  Hautnervensysteme  ist.  Zuweilen  geht  es  der  Auia  epi- 
leptica  kurz  vorher.  Reiben  des  leidenden  Theils  mit  Flanell ,  mit  erwärm- 
ten Tüchern,  mit  reizenden,  Spirituosen  Dingen  vertreibt  den  Zufall  schnell. 
Einige  verstehen  unter  Myrmekiasis  auch  die  Kriebelkrankheit  (s.  Raphania). 
*  !Fractura ,  der  Bruch,  der  Knochenbruch,  die  Fractur. 
Ist  Trennung  des  Zusammenhanges  eines  Knochens,  entstanden  durch  irgend 
eine  äussere  Gewaltthätigkeit ,  also  ganz  dasselbe  an  den  harten  Theilen, 
•was  eine  Wunde  an  den  weichen  ist.  Auch  die  Trennung  eines  Knorpels 
nennt  man  wol  Bruch.  Eintheilung  der  Knochenbrüche  (^Fracturae  os- 
sluni).  Wir  theilen  sie  ein :  1)  Nach  dem  Grade  des  Bruchs  «)  in  Frnctura 
completn,  wenn  der  Knochen  ganz  durchbrochen  ist,  &)  in  Frnctura  incom- 
pJeta,  wo  entweder  ein  einzeln  liegender  Knochen  nicht  ganz,  sondern  nur 
zum  Theil ,  oder  wo  von  zwei  neben  einander  liegenden  Knochen  nur  einer 
zerbrochen  ist ,  z.B.  am  Unterschenkel ,  am  Vorderarm.  2)  Nach  der  Rich- 
tung der  Fractur.  Hier  unterscheiden  wir  «)  den  Querbruch  (Fractura 
transversa),  wo  der  Bruch  quer  durch  den  Knochen  geht;  &)  den  schie- 
fen Bruch  (Fr.  ohliqua),  wo  der  Knochen  schief  gebrochen  ist;  c)  den 
Spalt-  oder  Schlitz bruch  (^Fr.  longitudinnlis) ,  wo  die  Knochenfasern 
der  Länge  nach  getrennt  sind,  wie  dies  am  häufigsten  an  den  flachen  Kno- 
chen der  Fall  ist,  z.B.  an  der  Scapula,  am  Os  ilei,  an  den  Ossibus  cranii. 
3)  In  Hinsicht  der  An-  oder  Abwesenheit  der  Nebenverletzungen  theilt  man 
die  Fracturen  o)  in  Frnctura  simplex ,  &)  Fr.  cum  comminutione ,  c)  Fr.  com- 
plicata, je  nachdem  es  ein  einfacher  Bruch  ohne  Nebenverletzungen,  oder  ein 
solcher  mit  Knochenzersplitternng ,  oder  mit  andern  Verletzungen,  mit  gleich- 
zeitiger Luxation,  Wunde,  Verletzung  einer  Arterie  etc.  ist.  4)  Endlich 
unterscheiden  wir,  ob  und  wie  die  Knochenenden  verschoben  und  verrückt 
sind,  den  Bruch  ohne  Verrückung  (^Fr.  sine  dislocatione)  von  dem  Bruch 
mit  Verrückung  (^Fr.  cum  dislocatione').  Ersterer  findet  vorzüglich  an 
den  flachen  Knochen  statt ,  deren  Bruch  daher  oft  gar  nicht  erkannt  wird ; 
letzterer  besonders  an  den  Röhrenknochen ,  wo  zuweilen  die  Dislocation  auch 
erst  Folge  der  Bewegungen  des  Gliedes  und  vom  untersuchenden  Wundarzte 
zur  genauem  Diagnose  erregt  wird,  was  indessen,  da  uns  jetzt  die  Auscul- 
tation  zu  Gebote  steht,  ein  verwerfliches,  den  Kranken  Schmerzen  erregen- 
des Verfahren  genannt  werden  kann.  Zuweilen  sind  die  Knochenenden  zur 
Seite  geschoben  (Dislocatio  ad  latus) ,  oder  sie  liegen  der  Länge  nach  über 
einander,  so  dass  das  Glied  verkürzt  erscheint  (^Dislocatio  ad  aami),  z.  B. 
beim  Bruch  der  Tibia  und  Fibula,  so  dass  die  Zehen  nach  hinten,  der  Hacken 
nach  vorn  zu  stehen  kommen.  Diagnose.  Die  Erkennung  und  Unter- 
scheidung eines  Bruches  ist  oft  sehr  schwer,  zumal  wenn  das  Glied  flei- 
schig, stark  geschwollen  und  entzündet  ist,  wenn  an  einem  Gliede,  wo  sich 
zw  ei  Knochen  befinden ,  nur  einer  gebrochen  ist  und  keine  Dislocation  statt- 
findet. Zeichen  eines  Bruches  sind  im  Allgemeinen  folgende:  n)  Ungestalt- 
h<!it  des  Gliedes ;  U)  Verkürzung  desselben ;  c)  ungewöhnliche  Biegsamkeit 
oder  Beugung  des  Gliedes  an  Stellen,  wo  kein  Gelenk  ist;  <i!)  wahrnehm- 
bare Crepitationen  beim  vorsichtigen  Rotiren  des  Gliedes.  Man  fühlt  oft 
das  Geräusch ,  welches  die  an  einander  geriebenen  Knochen  verursachen, 
mit  der  die  leidende  Stelle  umfassenden  Hand ;  auch  hört  man  es ,  wenn  es 
ruhig  im  Zimmer  ist,  oft  deutlich.  Kann  man  es  nicht  wahrnehmen,  so  un- 
terlasse man  ja  nicht,  das  in  dieser  Hinsicht  von  Kergaradcc  vorgeschlagene 
Stethoskop  anzuwenden ,  um  sich  durch  die  Auscultation  von  dem  wirkli- 
chen Vorhandenseyn  der  Fractur  aufs  vollkommenste  zu  überzeugen  (s.  Au- 
scultatio  und  Stethoscopium);  c)  heftige  stechende  Schmerzen  an  der 
gebrochenen  Stelle ,  entstanden  vom  Reize  und  von  der  Verletzung  der  Mus- 
keln und  Nerven ;  f)  fortdauernde ,  zunehmende  Zeichen  der  Quetschung ; 
(/)  Geschwulst  des  Gliedes ,  welche  stets  mit  dem  Schmerze  im  Verhältniss 
steht.  Nimmt  man  diese  Symptome  zusammen  und  berücksichtigt  die  bei 
den  einzelnen  Arten   der  Fracturen   noch  stattfindenden  speciellen  Zeichen, 


790  FRACTURA 

so  wird  man  einen  obwaltenden  Knochenbnich  nicht  leicht  verkennen.  Die 
Folgen  und  Wirkungen  einer  Fractur  sind :  gestörte  Function  des  Giiedes, 
Verkürzung  oder  Verlängerung  desselben,  Ungestaltheil ,  Krümmung  des  ver- 
letzten Theiles,  Schmerzen,  Entzündung,  Fieber,  oft  Nervenzufölle ,  mit- 
unter Eiterung,  Brand.  Zuweilen  leiden  in  Folge  der  Comraotion,  der  ge- 
waltsamen Erschütterung  ,  auch  entferntere  Theile  :  Gehirn ,  Rückenmark, 
Lungen  (s.  Comraotio)  u.  s.  w.  Prognose.  Ein  einfacher  Bruch  ist 
natürlich  leichter  als  ein  complicirter  zu  heilen,  ein  Querbruch  leichter  als 
ein  schiefer,  ein  Bruch  an  einem  kleinen  Knochen  leichter  als  im  umgekehr- 
ten Falle.  An  den  Enden  heilen  die  Knochen  langsamer  als  in  der  Mitte. 
Starke  Quetschungen  und  Wunden ,  Reizung  und  Verletzung  nervenreicher 
Theile  durch  Knochensplitter,  mit  Verletzung  der  Blutgefässe,  der  Aponeu- 
rosen  etc.  machen  die  Heilung  immer  schwierig.  Auch  richtet  sich  die  Pro- 
gnose nach  dem  Alter  und  der  Constitution  des  Kranken.  Bei  jungen,  star- 
ken ,  gesunden  Subjecten  heilen  Fracturen  leichter  und  schneller  als  bei  be- 
jahrten, abgelebten,  schwächlichen  und  kachektischen  Personen.  Bei  Schwan- 
gern soll  die  Heilung  äusserst  langsam  vor  sich  gehen,  ja  man  will  behaup- 
ten, dass  sie  nicht  eher  als  bis  nach  der  Entbindung  erfolge.  Die  Jahres- 
zeit ist  ja  auch  nicht  ohne  Einfluss  auf  die  Heilung,  und  im  Sommer  und 
Herbste  sind  bei  warmer  Witterung  mehr  beschwerliche  Zufälle  zu  befürch- 
ten als  in  den  übrigen  Jahreszeiten.  Im  Allgemeinen  dauert  die  Heilung  ei- 
nes Bruchs  zwischen  4  und  8  Wochen.  Behandlung.  Wir  haben  bei 
der  Cur  der  Beinbrüche  folgende  Indicationen :  1)  Sorge  für  einen  zweck- 
mässigen Transport  des  Kranken;  2)  Einrichtung  der  Bruchenden,  wenn 
hie  verrückt  sind  (^Reposilio) ;  3)  Befestigung  und  Erhaltung  des  Knochens 
in  seiner  natürlichen  Lage  durch  guten  Verband  und  zweckmässige  Lage 
des  Gliedes;  4)  Abwendung  und  Behandlung  der  den  Bruch  begleitenden  lo- 
calen  und  allgemeinen  Zufälle.  1)  Was  den  Transport  des  Kranken  vom 
Orte  der  Verletzung  nach  seiner  Wohnung  oder  nach  einem  zweckmässigen 
Lpcale  anbetrifft,  so  muss  besonders  dafür  gesorgt  werden,  dass  Alles,  was 
den  Schmerz  vermehrt:  Anstrengung  des  Gliedes,  rohes  Anfassen  desselben, 
Erschütterungen  durch  Fahren  etc. ,  vermieden  werde.  Am  besten  sind 
Tragbahren,  worauf  der  Kranke,  wenn  untere  Extremitäten  verletzt  sindj 
fortgeschafft  werde.  Sehr  zweckmässig  sind  die  in  folgenden  Schriften  nä- 
her beschriebenen  Maschinen  zum  Transportiren  und  zum  sonstigen  Gebrauch 
aller  schwer  Verwundeten:  M.  S.  Knoll,  Beschreibung  einer  Bettmaschine, 
eines  Fahrsessels  und  einer  Leibschüssel.  Wien,  1798.  —  Bell,  Lehrbuch 
der  Wundarzneikunst,  Leipz. ,  1793.  —  Richter,  Anleit.  zum  Verbände.  Bres- 
lau, 1827. —  Koppeiistädter ,  Erfindung  einer  Maschine,  bei  jeglichem  Bein- 
bruch passend.  2)  Die  Einrichtung  des  Bruches  (Repositio)  geschieht  durch 
die  Ausdehnung  des  Gliedes  (^Extensio) ,  die  Gegenausdehnung  (Con/rnorfcn- 
sio)  und  durch  die  Wiedereinrichtung  selbst  (^Conformaüo).  Erstere  wird 
durchs  ümfasseqi  des  Gliedes  unterhalb  der  Bruchstelle  und  durch  gleich- 
massiges  Anziehen  und  Verlängern  nach  Unten  bewerkstelligt ,  die  Contraex- 
tension  durchs  Umfassen  und  Zurückhalten  des  Gliedes  oberhalb  dör  Bruch- 
stelle, und  letztere  (die  Conformation)  verrichtet  während  und  nach  gesehe- 
ner hinlänglicher  Ex-  und  Contraextension  der  Operateur  mit  seiner  Hand, 
um  den  dislocirten  Knochen  wieder  in  seine  natürliche  Lage  und  Stellung 
zu  bringen,  so  ^iass  das  eine  Knochenende  gerade  vor  das  andere  zu  stehen 
kommt.  Am  besten  und  zweckmässigstcn  ist  es,  bei  der  Reposition  den 
Kranken  auf  ein  Bette  zu  legen ,  welches  so  eingerichtet  seyn  muss ,  dass 
es  nicht  blos  für  den  Kranken ,  sondern  auch  für  den  Operateur  bequem  ist, 
damit  letzterer  bei  der  Operation  des  Einrichtens  nicht  ermüdet,  wodurch 
sonst  leicht  die  Schmerzen  der  Kranken  vermehrt,  die  Zeit  der  Reposition 
verlängert ,  und  ein  Misslingen  der  letztern  herbeigeführt  werden.  Hier 
mochte  ich  die  Maschine  Von  Koppenstädter  (a.  a.  O.)  besonders  empfehlen, 
da  sie  eine  gute  Ex-  und  Contraextension  bcNvirkt,  man  nicht  nöthig  hat,' 
eine  Binde  anzulegen,  und  sie  für  jeden  Bruch  passt  (^Wicdow^.  Um  nun 
den  Knochenbrucli  zwerkmässig  einzurichten   und  in  der  gehöfigen  Lage  zu 


FR.VCTÜRA  791 

crliHlleii,  verfährt  inaji  fulgeiidcrinassen :  Naclidcm  der  Kranke  vorsichtig 
entkleidet  worden,  wobei  Stiefel,  Strümpfe,  Beinkleid,  Rockävmel  am  be- 
sten durch  Trennung  in  den  Nähten  entfernt,  nicht  mit  Gewalt  abgezogeit 
werden  müssen,  stellt  der  Operateur  drei  kunstfertige,  v»;rständige  Perso- 
nen, nach  vorhergegangener  genauer  Instruction,  als  Gehülfen  an,  am  be- 
sten kunstverständige  und  muskelstarke  Leute,  wovon  zwei  die  Ex-  und 
Contraextension  machen,  der  dritte  aber  die  schon  vorher  verfertigten  und 
in  Ordnung  hingelegten  Bandagen  dem  Operateur  darreicht.  Der  die  Ex- 
tension verrichtende  Gehülfe  umfasst  mit  beiden  Händen  das  Glied  unterhalb 
der  Bruchstelle ,  der  die  Contraextension  machende  oberhalb  derselben.  Sind 
beide  nun  angestellt,  so  ziehen  sie  ganz  langsam  und  in  gerader  Richtung, 
nicht  ruckweise,  nach  sich  zu,  und  zwar  so  lange,  bis  das  leidende  Glied 
etwas  länger  als  das  gesunde  erscheint.  Alsdann  sucht  der  Operateur  die 
Bruchenden  durch  massiges  Umfassen  und  Drücken  der  Bruchstelle  an  und 
vor  einander  zu  bringen  und  legt,  um  sie  genau  in  dieser  Lage  zu  erhalten, 
den  Verband  an.  Während  letzteres  geschieht,  darf  die  Ex-  und  Contraex- 
tension nicht  ganz  aufhören.  Wii-d  der  Wundarzt  lange  nach  geschehener 
Verletzung,  nach  zwei,  drei  Tagen  gerufen,  ist  schon  starke  Geschwulst, 
heftige  Entzündung  da ,  so  darf  man  unter  keiner  Bedingung  die  Reposition 
vornehnMjn,  denn  ein  solcher  Versuch  würde  heftige  Schmerzen,  Vermeh- 
rung der  Entzündung ,  ja  selbst  Convulsionen  herbeiführen.  Hier  muss  erst 
die  Heftigkeit  der  Entzündung,  der  Geschwulst,  der  Schmerzen  durch  An- 
tiphlogistica :  Blutegel ,  kalte  Umschläge ,  Nitrum  innerlich ,  häufig  auch 
Pulv.  Doweri  gemindert  werden,  ehe  man  reponirt.  3)  Der  Verband  be- 
steht in  Compressen ,  Binden  ,  Schienen ,  Bändern ,  Strohladen ,  Maschinen 
u.  dgl.  m. ,  je  nachdem  es  die  Umstände  erfordern.  Die  Compressen  dürfen 
nicht  zu  dick  zu  seyn,  höchstens  zwei-  bis  vierfach,  weil  sie  sonst  die 
W  irkungen  der  darüber  zu  legenden  Binden  und  Maschinen  schwächen.  Die 
Binden,  deren  man  sich  gewöhnlich  bedient,  sind  entweder  einfache  Cirkel- 
binden,  oder  die  vielköpfigen,  18-  oder  22köpfigen  Binden.  Letztere  ver- 
dienen vor  allen  den  Vorzug,  weil  bei  ihrer  Anlegung  das  Glied  am  wenig- 
sten gerückt  zu  werden  braucht.  Die  Schienen  bestehen  aus  Pappe,  Lin- 
denholz und  dergl.  Sie  werden  genau  der  Form  des  Gliedes  angepasst  und 
deshalb  beschnitten  und  vor  der  Anlegung  mit  Compressen,  die  in  kaltes 
Wasser  getaucht  werden,  ausgefüllt.  Wir  legen  sie  über  die  schon  ange- 
legten Compressen  und  Binden  und  befestigen  sie  mit  Bändern.  Was  das 
Übrige  des  Verbandes  betrifft,  so  verweisie  ich  auf  die  angeführte  neue 
Schrift  von  Richter.  Empfuidet  der  Kranke  mehr  Festigkeit  im  Gliede, 
haben  die  Schmerzen  bedeutend  nachgelassen;  so  ist  dies  ein  Zeichen,  dass 
die  Reposition  gut  gelungen  und  der  Verband  zweckmässig  angelegt  worden 
ist.  Im  entgegengesetzten  Falle  muss  der  Verband  xvieder  abgenommen, 
der  Bruch  aufs  Neue  untersucht,  etwa  wieder  reponirt  und  die  Bandagen 
aufs  Neue  und  besser  angelegt  werden.  Den  ersten  gut  angelegten  Ver- 
band lässt  man  5,  6  —  8  Tage  liegen;  nur  wenn  er  früher  zu  lose  oder 
wegen  heftiger  Geschwulst  zu  fest  geworden,  erneuert  man  ihn  früher,  und 
zwar  ebenso  vorsichtig,  wie  das  erstemal,  wobei  man  nachsieht,  ob  die 
Lage  des  gebrochenen  Knochens  noch  normal  ist.  Die  schon  den  Alten  be- 
kannte, aber  in  Vergessenheit  gerathene  Methode,  für  die  PVactnren  der 
Gliedmassen  sich  eines  unveränderlichen,  bis  zur  völligen  Heilung  liegen 
bleibenden  Verbandapparats  zu  bedienen,  hat  seit  Kurzem  wiederum  die 
Aufmerksamkeit  des  chirurgischen  Publicum«  erregt  «nd  die  neuesten  Er- 
fahningen,  die  man  damit  in  Paris,  London  und  Berlin  jüivgst  gemacht, 
sprechen  sehr  zu  Giuvsten  desselben.  Dieff'enhnch  hat  einen  solchen  Verband 
schon  vor  ein  paar  Jahren  mit  Nutzen  bei  Fiacturen  angewandt,  und  Be- 
rard  jun.  in  Paris  lobt  ihn  gleichfalls  (s.  Archives  g^n^rales  de  M^ec.  Juin 
u.  Novbr. ,  1833).  Nach  ihm  haben  die  Araber  sich  .schon  eine«  solchen 
Verbandes  bedient;  die  Griechen  gebrauchen,  nach  Puuqiicville ,  eine  Art 
Mastix  zu  diesem  Zweck.  In  Brasilien  verbindet  man  Knochenbrüclie  mit 
biegsamem  Schilfe  oder  Rohre,   welches   bis  zur  völligen  Consolidation   lie- 


792  FRACTURA 

gen  bleibt.  Assalini  in  Italien  gebrauchte  dazu  angefeuchtete  Pappe,  und 
«ach  A.  Jauhert  verändern  die  persischen  Ärzte  fast  niemals  den  bei  Fra- 
cturen  zuerst  angelegten  Verband.  In  Spanien  und  Ägypten  ist  diese  Me- 
thode auch  gebräuchlich  und  wahrscheinlich  von  den  Mauren  oder  Arabei. 
eingeführt  worden.  In  der  Chirurgie  Europas  war  dieses  Verfahren  nui 
wenig  gekannt  und  geübt.  Beiloste  beschreibt  1697  einen  Fall  von  einer 
auf  diese  Weise  geheilten  Fractur;  der  Apparat  bestand' aus  Leinwand,  die 
in  dne  Mischung  von  Eiern,  Rosenöl  und  etwas  Weinessig  getaucht  aufge- 
legt wurde ;  Compressen ,  Rollbinden  etc.  wurden  ebenfalls  damit  angefeuch- 
tet; das  Ganze  wurde  bald  hart  und  blieb  ruhig  bis  zur  geschehenen  Hei- 
lung liegen.  Moscnti  ist  der  erste ,  dem  wir  eine  Abhandlung  über  diesen 
Gegenstand  verdanken  (s.  Mem.  de  l'Acad.  de  Chir.  Tom.  IV.).  Er  ge- 
brauchte ebenfalls  Eiweiss  dazu,  um  die  Verbandstücke  erhärten  zu  lassen. 
Indessen  ist  es  Larrey,  dem  wir  die  Wiedereinführung  und  Begründung  die- 
ser Verbandraethode  verdanken.  Seit  der  Zeit  haben  sich  für  und  gegen 
diesen  Gegenstand  eine  Menge  Stimmen  erhoben,  Larrey  der  Sohn  hat 
in  seiner  1832  in  Paris  erschienenen  Inauguraldissertation  klar  und  deutlich 
diese  Methode  geschildert.  Berard  sammelte  Erfahrungen  darüber.  Wir 
theilen  das  Wesentlichste  aus  seinem  oben  citirten  Aufsatze  mit.  Sein  Ver- 
bandapparat besteht  aus  gewöhnlichen  Zeugschienen  (^drnp  fanon) ,  einer 
ISköpligen  Binde,  Longuetten,  Coniprfessen,  mit  Bindfaden  umwickelten  Stroh- 
schienen etc.  Dieser  Verband  dient  für  alle  Gliedmassen  und  wird  nur  we- 
nig modificirt.  So  gehört  zu  den  Fracturen  des  Unterschenkels  noch  ein 
Fersenkissen  von  Werg  und  eine  Binde  zum  Steigbügel  j  dagegen  zu  den  Fra- 
cturen des  Unterarms  noch  eine  schmale  Rollbinde  zur  Bildung  des  Hand- 
schuhs um  Finger  und  Hand.  Die  Spitzen  der  Finger  und  Zehen  bleiben 
frei,  damit  man  aus  ihrer  Wärme,  Fai'be  und  Form  den  Zustand  des  ein- 
gehüllten Gliedes  erkennen  könne.  Nach  gehöriger  Ausdehnung  und  Ge- 
genausdehnung und  kunstgemässer  Reduction  der  Fractur  wird  der  Ver- 
bandapparat auf  die  bekannte  Weise  angelegt.  Jedes  Verbandstück  wird 
zuvor  in  eine  Mischung,  die  Larrey  der  Sohn  Etowpade  nennt  und  die  aus 
gleichen  Theilen  Eiweiss ,  Kampherspiritus  und  Bleiwasser  (cau  blanche')  be- 
steht ,  und  mit  dieser  Mischung  gehörig  getränkt.  Sowie  der  Verband  an- 
gelegt ist,  wird  das  Ganze  noch  einmal  durch  und  durch  mit  der  Etoupade 
benetzt  und  diese  Flüssigkeit  noch  durch  eine  Art  Besen  (oder  Pinsel) 
gleichsam  in  alle  Zwischenräume  hineingefügt.  Nach  24  Stunden  ist  die  Flüs- 
sigkeit erhärtet  und  bildet  mit  den  Verbandstücken  eine  einzige  feste  Masse, 
welche  nur  mit  grosser  Mühe  zu  trennen  ist.  Dieser  Verband  bleibt  so 
lange  liegen,  bis  man  eine  völlige  Consolidation  der  Fractur  vermuthen 
kann.  Sov^^e  diese  eingetreten,  giebt  man  dem  Kranken  ein  alkalisches 
Bad,  wodurch  der  Verband  vollkommen  losgeweicht  wird.  Gewöhnlich  ist 
die  Heilung  so 'vollkommen  geschehen,  dass  das  Glied  auch  nicht  die  ge- 
ringste Ungestalt  zeigt.  Es  schliesst  B.  seine  Abhandlung  mit  folgenden 
Sätzen:  1)  „Der  bleibende  und  unveränderliche  Verbandapparat  passt  für 
die  Behandlung  sowol  der  einfachen  als  der  complicirten  Fracturen  der 
Röhrenknochen.  2)  Mit  Ausnahme  des  Falles ,  wo  das  fracturirte  Glied  eine 
sehr  bedeutende  Anschwellung  zeigt,  kann  man  so  früh  als  irgend  möglich 
nach  geschehener  Verletzung  diesen  Verband  anlegen,  und  zwar  sogleich, 
wenn  die  Fractur  einfach  ist ,  und  nachdem  man  den  dringendsten  Indica- 
tionen  genügt  hat,  wenn  sie  complicirt  ist.  3)  Vollkommnes  Zusammenhal- 
ten der  Bruchenden,  dauernde  Unbeweglichkeit  bis  zur  Heilung,  Festigkeit 
des  Apparats,  sodass  der  Kranke  mit  Sicherheit  Lagenveränderungen  vor- 
nehmen kann,  grösste  Einfachheit,  Zeitersparniss  für  den  Wundarzt,  indem 
der  Verband  nicht  gewechselt  zu  werden  braucht,  —  das  sind  die  Haupt- 
vortheiie,  welche  diese  Methode  darbietet,  und  einige  von  diesen  Vorthei- 
len  bekommen  bei  gewissen  Complicationen ,  namentlich  bei  zugleich  beste- 
llenden äussern  Wunden,  einen  ganz  ungemeinen  Werth"  (s.  auch  BehrauVs 
Repertor.  d.  ausl.  med. -chir.  Joiu-nalistik ,  1834,  Mai,  S.  38  u.  fg.).  Bei 
Fracturen  des  Unterschenkels,   sowie   zur  Unterstützung    gebrochener  Glie- 


FRACTURA  793 

der ,  bei  Ancylosis  spuria  bedient  man  sich  auch  mit  Nutzen  des  trocknen- 
oder  feuchten  Sandes.  (Vgl.  d.  Art.  Arenatio).  4)  Die  gewöhnlichsten 
Zufalle  bei  Fracturen  sind:  Entzündung,  Geschwulst,  Spannung  und  einiger 
Schmerz  im  Gliede ,  bei  reizbaren,  sensibeln  Personen  auch  wol  Fieber, 
Auffahren  im  Schlafe,  etwas  Convulsivisches ,  wogegen  innere  Mittel  noth- 
wendig  sind  (s.  Pebris  erethistica,  F.  vulneraria  und  Inflamma- 
tio).  In  solchen  Fällen  ist  Abends  Pulv.  Doweri,  p.  d.  gr.  |^ — ]^  Opiumi 
höchst  wirksam.  Die  Diät  muss  in  den  ersten  fünf  Tagen  dünn ,  später 
nahrhaft,  aber  nicht  reizend,  nicht  schwer  verdaulich  und  blähend  oder 
Obstruction  erregend  seyn.  Bei  letzterer  gebe  man  leichte  eröffnende  Mit- 
tel: Sal  Glauberi,  Infus,  sennae  in  gelinden  Dosen,  so  dass  kein  eigentliches 
Purgiren  erfolgt.  Bei  einfachen  Brüchen  ist  Begiessen  des  Verbandes  mit  kal- 
tem Wasser  hinreichend,  selbst  wenn  bedeutende  Quetschung  da  ist.  Fehlt 
diese,  so  heilt  der  Bruch  auch  bei  trocknem  Verbände  recht  gut,  wie  in 
vielen  Hospitälern  solches  Verfahren  üblich  ist.  Auch  verhütet  man  dadurch 
am  besten  die  Erzeugung  von  Maden  im  Verbände ,  die  sich  in  den  heisseiv 
Sommertagen  bei  fleissigem  Begiessen  des  Verbandes  mit  Spirituosen  Dingen 
oft  schon  einstellen,  Avenn  der  erste  Verband  kaum  vier  Tage  gelegen  hat 
(^Most).  Indessen  verordnet  man  häufig  auch  Fom.  frigida  Schmucken,  Aq. 
vuln.  Thedenii,  Aq.  Goulardi,  Mischungen  aus  Wasser,  Essig  und  Salmiak, 
bei  heftigen  Contusionen  Decoote  aromatischer  Kräuter ,  besser  Infusionen 
derselben  in  Wein  etc.  (Viel  Überflüssiges  treiben  hier  die  Wundärzte,  wo 
kaltes  Wasser  ausreichen  würde;  doch  wollen  ängstliche  Kranke  nicht  im- 
mer daran  glauben;  um  das  geängstete  Gemüth  zu  bertihigen,  mag  es  wol 
zu  verantworten  seyn,  den  Apotheker  zu  bereichern.  Most).  Zuweilen  un- 
terhalten Knochensplitter  die  Entzündung,  Hier  müssen  erweichende  Kata- 
plasmen  bis  zur  Entfernung  der  Splitter  angewendet  werden.  In  solchen 
Fällen,  bei  heftigen  Schmerzen,  heftiger  Geschwulst  entferne  man  schon  am 
2ten,  Sten  Tage  den  ersten  Verband,  um  die  Ursache  der  ungewöhnlichen 
Zufälle  zu  entdecken  und  zn  entfernen.  Die  Heilung  des  Bruchs  bewirkt 
die  Natur  durch  die  Callusbildung.  Es  quillt  aus  den  Bruchenden  des  Kno-« 
chens  nach  und  nach  ein  gallertartiger ,  eiweissähnlicher  Saft  hervor ,  der 
successive  härter  wird  (Crt77»s)  und  die  Bruchenden  vereinigt.  Bei  jungeiv 
Leuten  und  bei  dünnen  Knochen  erfolgt  dieser  Process  am  ■  frühesten ;  daher 
heilt  die  Clavicula  schon  in  20,  das  Os  femoris  oft  erst  in  60  Tagen, 
Blieben  die  Bruchenden  nicht  in  gehöriger  Vereinigung,  so  erfolgt  eine  un- 
förmliche Bildung  des  Callus,  was  meist  auch  bei  Fractura  complicata  der 
Fall  ist,  wenn  viele  Knochensplitter  da  waren.  Zuweilen  bildet  sich  de^ 
Callus  zu  wenig  oder  die  Vereinigung  der  Knochenenden  findet  wegen  des 
festen  Verbandes,  Mangels  an  Ruhe  etc.  nicht  statt.  Dieser  Umstand  bil- 
det das  sogenannte  künstliche  Gelenk,  dessen  Heilung  durch  Setaceum, 
Operation  etc.  gehoben  werden  muss  (s.  Articulus  praeternaturalis). 
Jetzt  von  den  einzelnen  Brüchen,  ihrer  Erkenntniss  und  Behandlung  nach 
alphabetischer  Ordnung. 

Fractura  anconnea ,  Bruch  des  Fortsatzes  am  Ellenbogen. 
Entsteht  leicht  durch  Fall,  Stoss  oder  Schlag  an  die  Ellenbogenspitze. 
Die  Diagnose  ist  nicht  schwer;  die  Bewegung  des  Arms  ist  mit  heftigen 
Schmerzen  verbunden,  die  sich  bis  in  die  Achselhöhle  erstrecken.  Der 
Verband  ist  einfach;  man  legt  ein  Paar  graduirte  Compressen  zur  Seite, 
bevor  man  das  Knochenstück  gehörig  eingebracht  het,  führt  dann  eine  Cir- 
kelbinde  darüber  weg  und  giebt  dem  Arme  eine  halb  gerade ,  halb  gebQ-. 
gene  Richtung.  '' 

Fractura  antihrachii ,  Bruch  des  Vorderarms.  Es  zerbricht  hier 
entweder  der  Radius  allein ,  oder  nur  die  Ulna ,  oder  es  sind  beide  Knochen 
zerbrochen.  Im  letztern  Falle  ist  die  Diagnose  am  leichtesten.  Der  Kranke 
kann  den  Arm  weder  beugen  noch  ausstrecken,  auch  keine  Pronation  und 
Supination  machen;  es  ist  Geschwulst  und  Spannung  da,  die  Gestalt  des 
Theils  ist  widernatürlich  verändert,  zuweilen  der  Vorderarm  verkürzt,  man 


79*  FfiACTURA 

hürt  beim  Rotiren  des  Arms  deutliche  Crepitation  etc.  Ist  der  Radius  ge- 
brochen, so  erkennt  man  dies,  wenn  ein  Gehülfe  den  Vorderarm  an  der 
Verbindung  mit  dem  Obsrarra  fasst  und  die  Pronation  und  Supination  vom 
Wundarzte  mit  der  einen  Hand  gemacht  wird,  während  die  Bruchstelle  mit 
der  andern  Hand  umfasst  worden.  Am  obern  Theile  des  Radius  ist  eine 
Fractur  schwieriger  zu  erkennen.  Bei  einem  Bruche  der  Ulna  legt  man  die 
Hand  auf  die  Bruchstelle  und  lässt  den  Arm  beugen  und  ausstrecken ,  wel- 
ches dem  Kranken  zum  Theil  noch  möglich  ist;  dann  fühlt  man  den  Bruch 
und  nimmt  deulich  die  Crepitation  wahr.  Die  Reposition  muss  in  einer  ge- 
bogenen Lage  des  Arms  geschehen,  und  zwar  so,  dass  die  flache  Hand  des 
Kranken  gegen  die  Brust  gekehrt  und  der  Daumen  aufwärts,  der  kleine 
Finger  nach  unten  gerichtet  ist.  Die  Aus  -  und  Gegenausdehnung  darf  we- 
gen der  vielen  Muskeln  nicht  am  Gliede  selbst,  muss  vielmehr  an  der  Hand 
und  am  Oberarme  des  Kranken  vorgenommen  werden.  Dann  suche  man  die 
gebrochenen  Knochenstücke  mit  den  Fingern  in  ihre  gehörige  Lage  zu  brin- 
gen und  die  Enden  der  Spindel  und  der  Ellenbogenröhre,  wenn  sie  sich  an- 
einander gelegt  haben,  gehörig  zu  entfernen.  Was  den  Verband  anbetrifft^ 
so  muss  selbiger  so  eingerichtet  werden ,  dass  die  Knochenenden ,  nachdem 
sie  gehörig  eingerichtet  sind ,  in  ihrer  Normallage  erhalten  und  das  Anlegen 
des  einen  an  den  andern  Knochen  verhütet  werde.  Zu  diesem  Zwecke  sind 
viele  Methoden  angegeben ;  doch  scheint  mir  folgende  am  zweckmässigsteu 
zu  seyn,  indem  ich  mehrere  Kranke  auf  diese  Weise  mit  Glück  behandelt 
habe.  Nachdem  die  Aus-  und  Gegenausdehnung  gemacht  worden  ist,  lege 
ich  eine  gespaltene  Compresse  um  die  Bruchstelle,  unmittelbar  darauf  zwei 
graduirte  Cumpressen  von  der  Dicke  eines  Zolls  auf  jede  Seite  des  Arms, 
über  diese  dann  eine  Cirkelbinde.  Die  gespaltene  Compresse  dient  dazu, 
dass  sich  die  graduirten  Compressen  nicht  verschieben  können ,  welches  leicht 
geschehen  würde,  wenn  man  sie  auf  den  blossen  Arm  anlegte.  Über  die 
Cirkelbinde  befestige  ich  dann  zwei  Schienen  von  Holz,  die  ausgehöhlt  und 
vorher  mit  Leinwand  ausgepolstert  werden,  und  binde  sie  mit  3 — 4  Band» 
chen  von  Leinwand  zusamnien.  Nun  hat  der  Arm  Festigkeit  und  hinrei- 
chende Haltung.  Sind  beide  Knochen  gebrochen,  so  verfährt  man  auf  eben 
dieselbe  Weise ,  nur  dass  man  dann  dem  Arme  mehr  Festigkeit  giebt  durch 
eine  Strohlade,  oder  nach  der  Ririitung  des  Arms  einen  blechernen  Kasten 
anfertigen  läsSt,  worein  der  Arm  gelegt  und  mittels  eines  Tuches  um  den 
Hals  des  Kranken  getragen  wird.  Ist  der  Bruch  endlich  complicirt ,  so  wen- 
det man  statt  der  Cirkelbinde  die  ISköpfige  Binde  an  und  legt  den  Arm  in 
der  angezeigten  Lage  auf  ein  Kissen. 

Fractur a  hrachit,  Bruch  des  Oberarms.  Die  Erkenntniss  dieses 
Bruches  ist  in  den  meisten  Fällen  sehr  leicht,  indem  man  den  Knochen  von 
allen  Seiten  untersuchen  kann.  Bei  der  Einrichtung  des  Bruches  setzt  man 
den  Kranken  auf  einen  Stuhl ,  und  hebt  den  Arm  ganz  vom  Körper  ab ,  so 
dass  man  frei  hinzukommen  kann.  Die  Aus  -  und  Gegenausdehnung  ge- 
schieht alsdann  am  obern  und  untern  Ende  des  Armbeins;  ist  aber  der 
Bruch  ganz  unten,  so  geschieht  die  Ausdehnung  am  Vorderarm;  der  Ge- 
hülfe, der  die  Gegenausdehnung  macht,  stellt  sich  an  die  entgegengesetzte 
Seite  des  Kranken,  umfasst  denselben  mit  beiden  Armen  und  legt  seine 
Hände  gefaltet  unterhalb  der  Achselgrube  an.  Um  die  Einrichtung  zu  er- 
leichtern,  müssen  die  Muskeln  soviel  wie  möglich  erschlafft,  der  Vorderarm 
also  massig  gebogen  seyn.  Ist  die  Einrichtung  geschehen  imd  befindet  sich 
der  Bruch  am  mittlem  Theile,  so  legt  man  auf  die  Bruchstelle  eine  ange- 
feuchtete gespaltene  Compresse.  Hier  ist  die  Cirkelbinde  der  ISköpfigen 
vorzuziehen,  weil  man  sie  ohne  Beschwerde  an-  und  ablegen  kann.  Als- 
dann legt  man  darüber  zwei  Schienen  nach  innen  und  aussen ,  von  gehöri- 
ger Länge,  die  genau  nach  der  Gestalt  des  Theils  eingerichtet  sind,  und 
befestigt  sie  ebenfalls  mit  einer  Binde  oder  mit  Lein  wand  bändern.  Der  Vor- 
derarm muss  in  eine  Tragbinde  oder  noch  besser  in  einen  blechernen  Ka-^ 
sten  gelegt  werden,  und  zwar  so,  dass  er  sich  in  der  Mitte  der  Pronalio« 
und  Supination  befindet.      Ist  der  Bruch  complicirt,  80  verdient  die  lökön 


FRACTÜRA  795 

pfige  Binde  allemal  den  Vorzug ,  weil  man  diese  ab  -  und  anlegen  kann, 
ohne  den  Ann  zu  verrücken. 

FracUtra  cartilai/ivis  ihyreoideae,  Bruch  des  schildförmigen  Knor- 
pels. Dieser  zum  Glück  nicht  oft  vorkommende,  aber  wegen  der  Wichtig- 
keit der  Theile  auch  immer  höchst  gefährliche  Bruch  kann  erfolgen  durch 
einen  plötzlichen  Fall  mit  diesem  Theile  auf  eine  scharfe  Kante  von  Holz, 
Eisen  etc.,  und  zwar  dann  am  ersten,  wenn  der  Hals  ganz  entblösst  ist* 
Die  wenigen  davon  aufgezeichneten  Fälle  sind  immer  tödtlich  gewesen.  Die 
Gefahr  hängt  vorzüglich  von  der  durch  die  Verengerung  der  Luftröhre  zu 
befürchtenden  Erstickung,  von  der  Quetschung  und  Zerreissung  der  vielen 
Nerven  und  Blutgefässe  ab ,  die  nothwendig  Convulsionen  und  Blutungen 
zur  Folge  haben  müssen.  In  Ansehung  der  Hülfe  lässt  sich  wenig  bestim- 
men. Man  muss  den  Knorpel  durch  einen  gelinden  Druck  mit  den  Fingern 
wieder  einzurichten  suchen,  und  da  sich  keine  Binde  anlegen  lässt,  den 
Bruch  der  Natur  überlassen.  Könnte  man  durch  eine  äussere  Handanlegung 
nicht  auskommen,  so  würde  die  einzige  Hoffnung,  das  Leben  zu  erhalten, 
von  einem  frühzeitig  gemachten  Kehlschnitt  abhängen,  um  den  eingedrückten 
Theil  mittels  einer  dui'ch  die  Wunde  eingebrachten  Sonde  nach'  aussen  zu 
leiten.  Der  Patient  müsste  wegen  des  beschwerlichen  Schluckens  durch 
Klystiere  ernährt  werden.  <      :  ■ 

Frncttira  claviculne,  Bruch  des  iSchlüsselbeins.  Dieser  Bruch 
kommt  nicht  selten  vor;  er  kann  bewirkt  werden  durch  einen  Fall,  wobei 
der  Arm  ausgestreckt  ist,  ausserdem  aber  auch  durch  einen  Schlag,  Stura 
etc.  Der  Knochen  bricht  entweder  an  dem  einen  oder  andern  Ende,  am 
gewöhnlichsten  aber  in  der  Mitte.  Der  Bruch  ist  ferner  einfach  oder  com-i 
plicirt,  entweder  schief  oder  quer.  Bei  einem  Querbruch  verschieben  sich 
die  Enden  nicht  leicht,  die  Diagnose  ist  daher  in  diesem  Falle  oft  seh» 
schwer,  indem  man  keine  Ungleichheit  der  Schulter  sieht  und  die  Bewegung 
des  Arms  nicht  sehr  gehindert  ist.  Man  bemerkt  blos  eine  G^chwulst  über 
dem  Schlüsselbeine,  wobei  der  Kranke  über  Schmerzen  klagt;  beides  wird 
gewöhnlich  übersehen  und  einer  Quetschung  zugeschrieben.  Ist  dagegen 
der  Knochen  schief  gebrochen,  so  ist  die  Diagnose  leicht.  Man  fühlt  nicht 
aliein  den  Bruch  deutlich,  sondern  sieht  auch  leicht  die  verschobenen  En- 
den und  hört  zuweilen  ein  Knarren  derselben.  Der  Kranke  kann  den  Obcr'r 
arm  nicht  bewegen ,  es  entsteht  Geschwulst  mit  heftigen  Schmerzen ,  die 
Schulter  Und  der  Arm  sinken  herab,  fallen  vorwärts  auf  die  Brust  Und  ver- 
ursachen eine  grosse  Ungestaltheit.  Die  Bruchenden  sind  dabei  entweder 
nach  der  Länge  oder  nach  der  Breite  verschoben.  Ein  einfacher  Bruch  ist 
gewöhnlich  mit  keinen  schweren  Zufallen  verbunden ,  aber  wal ,  wenn  er 
coraplicirt  ist,  wenn  Erschütterungen  der  Luiigen  und  dadurch  verursachte 
Brustzufälle  mancherlei  Art  entstehen;  ist  der  Bruch  splitterig,  so  können 
die  grossen  Blutgefässe,  welcfie  unter  der  Clavicula  liegen,  verletzt  wer- 
den. Zuweilen  erfolgen  krampfhafte  und  fieberhafte  Zufälle  und  eine  hef- 
tige Entzündung  und  Eiterung.  Auch  kann  gleichzeitig  eine  Rippe  niit  ge-* 
brechen  seyn.  Die  Reposition  dieses  Bruches  ist  leicht ;  aber  schwer  ists 
denselben  in  seiner  eingerichteten  Lage  zu  erhalten.  Alles  kommt  dahef 
auf  einen  solchen  Verband  an,  wodurch  eine  hinlänglich  starke,  gleichför- 
mige und  bis  zur  völligen  Heilung  fortgesetzte  Ausdehnung  bewirkt  wird» 
Man  setzt  den  Kranken  auf  einen  niedrigen  Stuhl  ohne  Rückenlehne.  Eiii 
Gehülfe  stellt  sich  hinter  denselben,  legt  eine  dicke  Compresse  zwischen  die 
Schulterblätter  auf  das  Rückgrat  und  stwnmt  sein  rechtes  Knie  dagegen. 
Mit  beiden  Händen  fasst  er  alsdann  die  Schulter  an  der  Articulation  des 
Arms  und  zieht  dieselbe  so  stark,  als  nöthig  ist,  zurück.  Der  Wundarzt 
sucht  nun  die  Einrichtung  zu  bewirken.  Ist  dies  geschehen ,  so  werden  die 
Vertiefungen  über  und  unter  dem  Schlüsselbeine  mit  angefeuchteter  Charpie 
ausgefüllt,  ein  Paar  weiclie,  längliche  Compressen  kreuzweise  über  «nander, 
über  diese  eine  grössere  Compresse ,  längs  des  Schlüsselbeins  aber  eine 
Pappschiene  gelegt  und  alles  mit  einem  schicklichen  Verbände  befestiget,  wo- 
bei der  Ellenbogen  der  leidenden  Seite  zur  Unterstützung  in  eine  Tragbindc 


796  FRAGTURA 

gelegt  werden  muss.  Mit  diesem  Verband  reicht  man  Jn  den  meisten  Fäl- 
len aus,  obgleich  viele  zweckmässige  und  nützliche  Bandagen  von  Brasdory 
Evers,  Brmninghausen ,  Desault^  Flajani,  Boy  er  und  A.  angegeben  wor- 
den sind. 

Prnctura  colli  ossis  Irachii,  Bruch  des  Oberarmbeinhalses.  Die- 
ser Bruch  ist  freilich  sehr  selten ,  kommt  aber  doch  zuweilen  vor  und  hat 
manches  Eigene,  Seine  Erkenntniss  ist  oft  sehr  schwer,  weil  man  fast  nur 
allein  durch  die  Achselgrube  hinzukommen  kann.  Noch  schwieriger  ist  die 
Diagnose,  wenn  keine  Verrückung  vorhanden  ist.  Ist  der  Hals  des  Ossis 
brachii  abgebrochen,  so  befindet  sich  der  Bruch  etwas  über  der  Gegend, 
wo  der  Deltamuskel  sich  ansetzt.  Man  wird  ihn  dadurch  erkennen  können, 
dass  der  Arm  unbeweglich  ist,  dass  aber  die  Schulter  dicht  unter  dem  Acro- 
miura  und  dem  Processus  coracoideus  des  Schulterblattes  ihre  runde  Gestalt 
behält  und  mit  der  andern  Schulter  gleich  bleibt;  der  kranke  Arm  ist  nicht 
länger  als  der  gesunde,  und  bei  der  Bewegung  des  Arms  wird  man,  wenn 
man  die  Finger  auf  den  verletzten  Ort,  besonders  in  die  Achselgrube  legt, 
ein  Knarren  der  Bruchenden  gewahr  werden.  Eben  diese  Kennzeichen  wer- 
den auch  in  Verbindung  mit  dem  Alter  des  Kranken,  indem  der  Kopf  noch 
lange  und  zuweilen  bis  ins  SOste  Jahr  ein  Ansatz  bleibt ,  die  Trennung  dieses 
Ansatzes  zu  erkennen  geben,  und  den  Bruch  von  der  Verrenkung  des  Ober- 
arms nach  Unten ,  womit  er  am  ersten  verwechselt  werden  könnte ,  unter- 
scheiden. Bei  der  Einrichtung  und  dem  Verbände  hat  man  vorzüglich  dahin 
zu  sehen,  dass  das  Armbein  gehörig  von  der  Brust  entfernt  gehalten  werde, 
weil  sonst  durch  die  Wirkung  der  Brustmuskeln  der  untere  Theil  des  Kno- 
chens gewöhnlich  näher  an  die  Brust  herangezogen  und  auf  diese  Art  der 
Bruch  verschoben  wird.  Bei  der  Ausdehnung  hat  man  also  dafür  zu  sorgen, 
dass  während  derselben  auch  zu  gleicher  Zeit  das  obere  Ende  des  Armbeins 
vom  Leibe  abgezogen  werde,  wodurch  zugleich  die  Einrichtung  bewirkt 
wird.  Man  fösst  deshalb  den  Vorderarm  beugen,  um  den  Muse,  biceps  za 
erschlaffen,  und  zugleich  den  Arm  ein  wenig  in  die  Höhe  heben.  Es  fasst 
odann  ein  Gehülfe  mit  der  einen  Hand  die  Hand  der  kranken  Seite,  mit 
seiner  andern  aber  das  Ellenbogengelenk ,  und  extendirt  auf  solche  Weise, 
Ist  eine  Gegenausdehnung  nöthig,  so  soll  man,  nach  Desault,  dieselbe  am. 
gesunden  Arm  vornehmen,  der  deshalb  an  dem  obern  Theile  angefasst  wird. 
Die  Einrichtung  wrd  auf  diese  Art  leicht  bewirkt  und  es  bleibt  Platz  ge- 
nug zur  Anlegung  des  Verbandes  übrig.  Nach  geschehener  Einrichtung  legt 
man  dann  um  den  Arm  eine  4  Zoll  breite  und  ly,  Fuss  lange  Binde,  zwi- 
schen ihn  und  die  Rippen  aber  eine  leinene  Matrazze  von  der  Dicke  eines 
Querfingers,  worauf  man  den  Arm  sammt  der  Brust  mit  e"  er  4  Zoll  brei- 
ten Binde  umwickelt.  Dies  ist  die  Methode  nach  Lcdrcm.  Mehrere  von 
Böttclur,  Brünninghmisen ,  Desault  u.  A.  angegebene  Verbände  sind  nachzu- 
sehen in  Richter^s  Anleitung  zum  Verbände.    Breslau ,  1827.  > 

Fractura  colli  ossis  femoris ,  Bruch  des  Schenkelbeinhalses.  Der 
Schenkelhals  zerbricht  am  öftersten  durch  einen  Fall  auf  den  grossen  Tro- 
chanter,  einen  Sturz  vom  Pferde  oder  auch  durch  einen  Gegenstoss,  wenn 
jemand  von  einer  Höhe  herab  mit  geraden  Beinen  springt  oder  auf  die  Knie 
fällt.  Es  entsteht  dieser  Bruch  um  so  leichter,  da  der  Schenkelbeinhals  eine 
schiefe  Lage  hat,  von  unten  nach  oben  breiter  als  von  hinten  nach  vorn  ist, 
hohle  Flächen  hat  und  von  lockerer,  schwammiger  Substanz,  auch  überdem 
wenig  bedeckt  und  seiner  schwammigen  Textur  wegen  einer  Caries  von  In- 
nern Ursachen  sehr  ausgesetzt  ist  (s.  Arthrocace).  Bei  jungen  Leuten 
ist  er  ein  blosser  Ansatz,  bei  Alten  hingegen  wird  er  spröde.  Die  Dia- 
gnose ist  gewöhnlich  sehr  schwer.  Zu  den  wesentlichsten  Kennzeichen 
dieses  Bruchs ,  wodurch  er  sich  auch  besonders  von  einer  Verrenkung  des 
Schenkels ,  mit  welcher  er  gar  leicht  verwechselt  werden  kaiui ,  unter- 
terscheidet,  gehören  folgende:  1)  der  grosse  Trochanter  ist  nach  allen  Sei- 
ten hin  sehr  beweglich ;  man  bemerkt  dies  vorzüglich ,  wenn  man  mit  der 
einen  Hand  das  Knie  umfasst  und  die  andere  auf  den  Trochanter  legt.  Bei 
einer  Verrenkung  ist  der  Trochanter  nicht  so  beweglich ,  und  ist  der  Bruch 


FRACTURA  797 

unter  demselben ,  so  bewegt  er  sich  gar  nicht.  2)  Die  Spitze  des  Fusses 
lässt  sich  leicht  nach  Innen  und  Aussen  wenden,  -weil  der  Kopf  nicht  wi- 
dersteht, sondern  unbeweglich  in  seiner  Pfanne  bleibt.  3)  Der  Schenkel 
lässt  sich  leicht  bis  zur  gehörigen  Länge  ausdehnen;  sobald  aber  die  Aus- 
dehnung nachgelassen  wird,  verkürzt  er  sich  wieder.  4)  Wenn  der  Fuss 
nicht  zu  sehr  verkürzt  ist,  die  Bruchenden  also  nicht  ganz  von  einander 
gewichen  sind,  so  hört  man  bei  der  Bewegung  des  Schenkels  ein  Knarren; 
nur  muss  man  eine  solche  Bewegung  nicht  ohne  Noth  machen ,  um  die  Ver- 
rückung nicht  zu  vermehren.  5)  Der  kranke  Schenkel  lässt  sich  nicht  ohne 
Schmerz  von  dem  gesunden  entfernen ;  nähert  man  ihn  aber  dem  gesunden, 
so  spürt  der  Kranke  Linderung.  6)  Das  Knie  und  die  Fussspitze  sind  aus- 
wärts gekehrt  und  das  verletzte  Bein  ist  kürzer  als  das  gesunde.  Überdem 
empiindet  der  Kranke  einen  lebhaften  Schmerz  im  Schenkelbuge  und  kann 
<las  Bein  nicht  aufheben,  das  Knie  ist  wenig  gebogen  und  der  Hinterbacken 
auf  dieser  Seite  dicker.  Ist  der  Bruch  stark  verrückt,  so  steht  der  grosse 
Trochanter  nach  Aussen  zu  über  der  äussern  Fläche  des  Darmbeins.  — 
Eine  Trennung  des  Schenkelkopfes  vom  Halse,  womit  der  Bruch  des  Schen- 
kelhalses auch  verwechselt  werden  kann,  lässt  sich  vermuthen,  wenn  der 
Kranke  noch  sehr  jung,  und  das  Geräusch  bei  der  Bewegung  des  Schenkels 
dumpfer  ist,  als  es  bei  dem  Bruche  zu  seyn  pflegt.  Die  Behandlung  ist  in- 
dessen dieselbe.  Die  Heilung  des  Schenkelbeinhalsbruches  ist  immer  sehr 
schwierig,  zumal  bei  alten,  kachektischen  Personen.  Es  bleibt  häutig  eine 
Verkürzung  des  Fusses,  Verunstaltung  des  Gliedes  und  Hinken  zurück, 
wiewol  bei  der  jetzigen  verbesserten  Behandlung  nicht  so  oft  als  ehemals, 
wo  man  den  Bruch  nicht  selten  verkannte.  Ergiessungen  von  Blut  oder 
andern  Feuchtigkeiten  am  verletzten  Gelenke,  Vereiterungen  und  innere  dis- 
ponirende  Ursachen  machen,  wenn  sie  stattfinden,  die  Prognose  immer  sehr 
bedenklich.  Nach  der  Heilung  erfolgt  gewöhnlich  eine  ödematöse  Geschwulst 
des  Beins ,  die  von  einer  Verengerung  der  Venen  herrührt.  Die  Hauptsache 
bei  der  Cur  beruhet  darauf,  den  auswärts  gefallenen  und  verkürzten  Schen- 
kel wieder  einwärts  zu  bringen  und  herunter  zu  ziehen,  um  dadurch  die 
von  einander  entfernten  Knochenstücke  aufs  genaueste  an  einander  zu  brin- 
gen. Man  legt  zu  dem  Ende  den  Patienten  gerade  ausgestreckt  auf  ^ine 
Matrazze.  Ist  der  Schenkel  nicht  verkürzt,  so  legt  man  sogleich  die  Ban- 
dage an.  Ist  aber  der  Schenkel  verkürzt  und  sind  die  Bruchstücke  ver- 
schoben, so  macht  man  zuerst  die  Aus-  und  Gegenausdehnung.  Man  zieht 
nämlich  ein  breites  starkes  Band ,  z.  B.  ein  schmales  Handtuch ,  zwischen 
den  Beinen  durch  über  die  gesunde  Seite,  und  lässt  es  oben  von  einem  Ge- 
hülfen halten,  ^in  anderer  umfasst  das  Knie.  Nun  greift  man,  wenn  der 
Bruch  auf  der  rechten  Seite  ist,  mit  der  linken  Hand  unter  dem  Schenkel 
durch  und  legt  sie  oben  auf  dessen  innere  Seite.  Mit  der  rechten  Hand  er- 
greift man  den  Schenkel  über  dem  Knie,  und  lässt  nun  die  Gehülfen  zie- 
hen, indem  man  oben  mit  der  linken  Hand  den  Schenkel  auswärts  vom  Kör- 
per wegzieht,  damit  der  rauhe  Knochen  die  weichen  Theile  nicht  reibe. 
Hat  das  Glied  seine  gehörige  Länge  erhalten ,  so  drückt  man  mit  der  linken 
Hand  auf  den  grossen  Trochanter ,  mit  der  rechten  aber  das  verletzte  Glied 
fest  an  das  gesunde  und  lässt  es  in  dieser  Lage  halten.  Der  Bruch  ist  nun 
eingerichtet  und  bleibt  so,  wenn  man  auch  allenfalls  nur  die  Schenkel  mit 
einem  Bande  über  den  Knien  zusammenbindet.  Um  nun  aber  diesen  Bruch 
möglichst  gut  und  sicher  zu  heilen ,  erfand  Hagedorn  eine  Maschine  (s.  des- 
sen Abhandl.  über  den  Bruch  des  Schenkelbeinhalses,  nebst  einer  neuen  Me- 
thode, denselben  leicht  und  sicher  zu  heilen.  Leipzig,  1808).  Auch  hat 
Brünninghausen  (Über  den  Bruch  des  Schenkelbeinhalses.  Würzburg,  1789) 
eine  sehr  zweckmässige  Maschine  angegeben,  sowie  Boyer,  v.  Siebold,  Älhan. 
Fractura  costarum,  Bruch  der  Rippen.  Die  Rippen  können  durch 
eine  äussere  Gewaltthätigkeit  sowol  an  ihrem  vordem,  mittlem,  als  hintern 
Theile  brechen,  und  zwar  so,  dass  der  Bruch  entweder  da,  wo  die  Gewalt 
gewirkt  hat,  oder  an  einer  davon  entfernten  Stelle  stattfindet.  Trifft  näm« 
lieh  die  Gewalt  die  vordem  Enden  der  Rippen,  so  bricht  gemeiniglich  der 


798  FRACTURA 

mittlere  Theil,  wie  z.  B.  beim  Überfahren  eines  Wagens  über  die  Biust, 
bei  einer  Quetschung  zwischen  zwei  harten  Körpern  oder  bei  einem  Fall 
von  einer  Anhöhe.  Wenn  aber  ein  Schlag  oder  Stoss  den  mittlem  Theil 
der  Rippe  trifft ,  so  erfolgt  der  Bruch  an  dem  Ort  der  Verletzung  selbst. 
Die  wahren  Rippen  brechen  indessen  leichter  als  die  falschen.  Auch  bre- 
chen von  jenen  die  zwei  oder  drei  obersten ,  well  sie  von  dem  Schlüssel- 
beine und  den  Brustmuskeln  geschützt  werden,  nicht  so  leicht  als  die  übri- 
gen. Trifft  die  Gewalt  mehrere  Rippen  zugleich ,  so  brechen  sie  auch  nicht 
so  leicht ,  als  wenn  nur  eine  davon  getroffen  wird ,  wiewol  auch  mehrere 
Kippen  zugleich  brechen  können.  Die  Bruchenden  können  entweder  nach 
Aussen  oder  nach  Innen  reichen.  Im  erstem  Falle,  welches  freilich  der 
seltner*  ist,  hat  man  weiter  keine  Verletzungen  der  Innern  Theile  zu  be- 
fürchten ,  als  die  Folgen  der  Quetschung  und  Erschütterung.  Wenn  aber 
die  Bruchenden  nach  Innen  gewichen  sind,  so  werden  auch  gewöhnlich  die 
Innern  Theile  der  Brust  vei'letzt  und  es  entstehen  gefährliche  Zufälle :  Be- 
klenunung  der  Brust,  beschwerlicher  Hasten,  ein  schäumender,  blutiger  Aus- 
wurf, unoidentlicher ,  kaum  merklicher  Puls,  Entzündung  der  Pleura  und 
der  Lungen,  Entzündungsfieber,  Verwundung  der  Lunge  und  daher  entste- 
hende Austretung  der  Luft  und  drohende  Erstickung,  Windgeschwulst,  Blut- 
ergiessung  in  der  Brust,  Ergiessung  des  Eiters  in  die  Brusthöhle,  Geschwüre 
und  Verhärtungen  in  den  Lungen,  Pulsadergeschwulst  und  der  Tod.  Die 
Diagnose  ist,  wenn  die  Bruchenden  nach  Aussen  gewichen  sind,  leicht. 
Im  entgegengesetzten  Falle  aber  ist  die  Erkenntniss  um  so  schwieriger,  wenn 
der  Bruch  nahe  an  den  Wirbelbeinen  befindlich  ist,  wo  man  der  starken 
Muskeln  wegen  mit  dem  Gefühl  nicht  bis  auf  den  Knochen  dringen  kann. 
Auch  wird  die  Entdeckung  des  Bruchs  erschwert,  wenn  die  Enden  wenig 
verschoben  sind ,  wenn  eine  Windgeschwulst ,  eine  beträchtliche  Blutunter- 
laufung  oder  starke  Geschwulst  zugegen  sind.  Das  Knarren  bei  diesen 
Brüchen  ist  zuweilen  auch  sehr  unzuverlässig,  weil  die  etwa  gegenwärtige 
Windgeschwulst  beim  Anfühlen  ein  ähnliches  Geräusch  macht.  (Das  Ge- 
räusch der  Crepitation  einer  Fractur  ist  von  dem  knisterndem  Geräusche 
beim  Druck  aufs  Emphysem  leicht  zu  unterscheiden.  Most).  Um  indessen 
den  Bruch  zu  entdecken,  muss  man  die  verletzten  Rippen  an  dem  schmerz- 
haften Orte  der  Länge  nach  untersuchen ,  einen  abwechselnden  Druck  dar- 
auf anwenden  und  Acht  geben ,  ob  man  nicht  ein  Knarren  unter  den  Fin- 
gern bemerkt,  das  auch  zum  Theil  durch  das  Athemholen  oder  die  Bewe- 
gung der  Brust  zu  entstehen  pflegt,  und  durch  die  aufgelegten  Finger  be- 
Dierkbar  wird ,  besonders  wenn  man  das  Ohr  dicht  daran  legt.  Die  Grösse 
der  Gewaltthätigkeit  und  das  Daseyn  der  übrigen  Zufälle ,  die  Windge- 
schwulsi  ausgenommen ,  lassen  nie  mit  Sicherheit  auf  einen  vorhandenen 
Bruch  schliessen.  Der  Ausgang  eines  Rippenbruchs  hängt  theils  von  dem 
Bruche  selbst ,  theils  aber  auch  vorzüglich  von  den  dabei  verletzten  Theilen 
ab;  die  Prognose  ist  daher  immer  sehr  vorsichtig  zu  stellen.  Die  Heilung 
erfordert  zuerst  die  Reposition.  Sind  die  Bruchenden  nach  Aussen  gewichen, 
so  sucht  man  sie  mit  den  Fingern  wieder  in  ihre  natürliche  Lage  zu  drücken. 
Ist  dies  geschehen ,  so  legt  man  eine  Compresse ,  mit  zertheilenden  Mitteln 
befeuchtet,  darauf  und  befestigt  sie  mit  einer  breiten  Binde,  füllt  auch  wo], 
damit  die  Bruchenden  sich  nicht  verschieben  können,  vor  der  Anlegung  der 
Compresse  den  Zwischenraum  ober-  und  unterhalb  der  Rippe  mit  Charpie 
oder  aufgerollten  Leinwandstreifen  sorgfältig  aus.  Der  Kranke  darf  nicht 
husten,  muss  sich  sehr  ruhig  verhalten  und  auf  dem  Rücken  oder  auf  der 
gesunden  Seite  liegen.  Ist  die  Rippe  nach  einwärts  gebrochen,  so  gelingt 
die  Einrichtung  zuweilen  sehr  gut ,  w  enn  beide  Enden  der  gebrochenen 
Rippe,  sowol  das  vordere  als  das  hintere,  durch  die  Hände  des  Wundarztes 
zusammengedrückt  und  etwas  weniges  erschüttert  werden,  wodurch  man  hof- 
fen kann,  dass  sich  die  Bruchenden  vermöge  der  Elasticität  der  Rippen  und 
.,der  Mitwirkung  der  Muskeln  in  die  Höhe  heben.  Wird  aber  die  Aneinan- 
derbringung  der  Bruchenden  auf  diese  Art  nicht  erreicht,  so  ist  es  nöthig, 
einen  Schnitt  durch  die  Intercostalmuskeln  in  der  Mitte  zweier  Rippen,   um 


FRACTURA  799 

die  laturcostalgefässe  nicht  zu  verletzen,  nnt  eben  der  Vorsicht,  wie  beim 
Empyem  zu  maclien.  Man  bringt  darauf  ein  Elevatorium  oder  einen  Finger 
in  die  gemachte. Öffnung,  geht  damit  unter  der  gebrochenen  Rippe  fort  und 
sucht  sie  zu  erheben.  Die  Wunde  heilt  bald  wieder  zu.  Auf  die  Stelle  de» 
Bruch«  legt  man  eine  sehr  dünne  Compresse,  auf  das  vordere  und  hintere 
Ende  der  verletzten  Rippe  aber  eine  starke,  wenigstens  einen  Zoll  dicke 
Longuette,  um  dadurch  die  Wirkung  der  nachher  anzulegenden  Bitj^lc  auf 
den  Bruch  selbst  zu  verhindern,  und  zu  verhüten  dass  die  Enden  wieder 
nach  einwärts  gepresst  werden.  Kann  man  wegen  einer  starken  Sugillation 
und  Geschwulst  keinen  Bruch  entdecken,  ungeachtet  mehrere  der  obigen 
Zufälle  nach  geschehener  Verletzung  da  sind,  so  muss  man  die  Geschwulst 
öffnen,  die  Rippe  entblössen  und  sie  genau  untersuchen;  weil  die  Zufalle, 
wenn  sie  von  einer  zerbrochenen  Rippe  veranlasst  oder  von  Knochensplit- 
tern unterhalten  werden,  die  Anwendung  aller  andern  Mittel  fruchtlos  ma- 
chen würden.  Findet  man  daher  spitzige  Knochenstücke  oder  abgelöste 
Splitter,  die  das  Rippenfell  und  die  Lungen  reizen,  so  müssen  sie  mit  einer 
kleinen  Zange,  mit  dem  Finger,  mit  Haken,  oder  auf  irgend  eine  andere 
geschickte  Weise  herausgezogen  werden,  weil  sonst  der  Kranke  in  Lebens- 
gefahr bleibt.  Was  die  Behandlung  der  Nebenzufälle  betrifft,  darüber  sind 
die  Artikel  Febris  vulneraria,  Emphysema,  Dyspnoea,  Pleuri- 
tis, Pneumonia,  Haemorrhagia  pulmonum  etc.  nachzulesen. 

Fracturn  cruris,  Bruch  des  Unterschenkels.  Die  Knochen  des 
Unterschenkels ,  das  Schienbein  (Tibia)  und  das  Wadenbein  (Fibula)  kön- 
nen entweder  beide  zugleich ,  und  zwar  an  einer  und  derselben  Stelle ,  oder 
an  verschiedenen  Stellen  brechen,  oder  es  bricht  auch  nur  ein  Knochen  für 
sich  allein.  Der  Bruch  kann  entweder  einfach  oder  verwickelt,  schief  oder 
quer  seyn.  Die  Ursachen  sind  gewöhnlich  ein  Fall,  ein  Schlag  zur  Seite; 
ein  Sprung  beim  Voltigiren,  Tanzen  etc.  Wenn  beide  Knochen  an  einer 
und  derselben  Stelle  gebrochen  sind ,  so  ist  die  Diagnose  leicht.  Der 
Kranke  kann  den  Fuss  nicht  bewegen ,  noch  viel  weniger  darauf  gehen  oder 
treten;  man  hört,  wenn  man  das  Bein  sanft  bewegt,  ein  Knarren  der  Bruch- 
enden, die  Oberfläche  ist  imgleich  und  angeschwollen.  Ist  das  Schienbein 
allein  gebrochen,  so  hört  man  ebenfalls  ein  Knarren  der  Bruchenden,  und 
fühlt  sehr  leicht  die  Ungleichheiten  vom  Bruch,  wenn  man  an  dem  vordem 
scharfen  Rande  herunter  streicht.  Wenn  aber  das  Wadenbein  gebrochen 
und  das  Schienbein  unverletzt  ist,  so  hält  es  schwerer,  den  Bruch  zu  ent- 
decken. Der  Kranke  kann  dann  noch  auf  dem  Fusse  stehen  und  einige 
Bewegung  damit  machen ;  indessen  ist  das  Auswärtsstehen  des  äussern  Knö- 
chels bei  einem  stärkern  Drücken  auf  das  Wadenbein,  sowie  das  Knarren, 
welches  man  bemerkt,  wenn  der  Fuss  abwechselnd  von  Innen  nach  Aussen 
gedreht  wird,  ein  ziemlich  sicheres  Kennzeichen.  Auch  entdeckt  man  zu- 
weilen den  Bruch,  wenn  man  von  dem  äussern  Knöchel  nach  Oben  ztf 
streicht,  duixhs  Gefühl.  Die  Prognose  richtet  sich  nach  der  Beschaffen- 
heit des  Bruchs  und  der  Zufalle.  Gewöhnlich  ist  aber  Zersplitterung  da, 
wodurch  nicht  selten  bedenkliche  Zufälle,  zumal  wenn  der  Kranke  eine  üble 
Constitution  hat ,  herbeigeführt  werden.  Behandlung.  Nachdem  man 
vorher  das  Lager  des  Kranken  bereitet  und  die  Verbandstücke  in  Ordnung 
gebracht  hat,  macht  man  die  Einrichtung.  Hierzu  müssen  die  Muskeln  er- 
schlafft und  das  Knie  massig  gebogen  seyn.  Man  erreicht  dies ,  wenn  der 
kranke  Unterschenkel  auf  ein  besonderes  Kissen  oder  eine  Matrazze,  die 
überall  hart  und  gleichmässig  ausgestopft  ist,  gelegt  wird,  und  zwar  80, 
dass  er  einen  Fuss  höher  als  der  übrige  Körper  zu  liegen  kommt,  der 
Oberschenkel  also  gegen  den  Leib  gebqgen,  und  alle  Muskeln  in  Ruhestand 
versetzt  sind.  Diese  Lage,  wobei  der  Kranke  übrigens  auf  dem  Rücken 
liegt,  wird  auch  während  der  Heilung  beibehalten.  Die  Ausdehnung  wird 
nun  nahe  am  Knie,  die  Gegenausdehnung  an  den  Knöcheln  und  dem  Fusse 
gemacht.  Sind  beide  hinlänglich  geschehen,  so  macht  man  die  Einrichtung 
und  sucht  Alles  gleich  und  eben  zu  machen,  weshalb  man,  um  sich  davon 
Zu   ftberzeugen,    mit  den  Fingern  an   dem   vordem  Rand   und   der   vordem 


800  FRACTURA 

Fläche  des  Schienbeins,  sowie  an  der  äussern  Fläche  des  Wadenbeins  lang- 
sam herunter  fährt.  Ist  nun  die  Einrichtung  geschehen ,  so  legt  man  den 
Verband  an,  und  sucht  ebenso,  wie  bei  einem  Bruche  des  Vorderarms,  das 
Nebenaneinanderheilen  der  beiden  Knochen  zu  verhüten.  Man  schlägt  zu 
dem  Ende  vor ,  zwei  lange  graduirte  Compressen ,  die  etwas  unter  dem  Knie 
anfangen  und  bis  an  die  Knöchel  gehen ,  1  Zoll  breit  und  V2  Zoll  dick  sind, 
zwischen  beide  Knochen  unmittelbar  auf  die  Haut  und  in  entgegengesetzter 
Richtung ,  die  eine  an  der  äussern  und  vordem  Seite ,  die  andere  aber  nach 
Hinten  und  Innen  zu  legen.  Darauf  wird  die  ISköpfige  Binde  angelegt  und 
dann  die  Schienen,  welche  die  Länge  des  Gliedes  haben  und  unten  und  oben 
mit  zwei  Löchern  für  die  hervorragenden  Erhabenheiten  versehen  seyn  müs- 
sen. Die  Schienen  werden  mit  Leinwandbändern  befestiget ,  und  da  der 
Fuss  beim  Ende  der  Wade  oft  schnell  an  Dicke  und  B'leisch  abnimmt,  so 
muss  man  die  Zwischenräume  mit  Charpie  behutsam  ausfüllen.  Man  legt 
alsdann  den  Fuss  in  die  Strohlade,  unter  die  Ferse  eine  hinlänglich  dicke 
Compresse,  an  die  Fusssohle  zur  Unterstützung  auch  noch  ein  Brettchen  und 
macht  dann  zwei  Reifen  über  das  Bette,  damit  die  Bettdecke  den  ki-anken 
Fuss  nicht  belästige.  Bei  diesem  Bruche  verdienen  übrigens  die  Maschine 
von  JSrnMM  oäer  Snuter ,  die  Schwebemaschinen  \on  Faust ,  Gräfe,  Dornhlüth, 
in  manchen  Fällen  auch  das  Fussbette  von  Posch  vorzüglich  angewendet  zu 
werden. 

Fraciura  femoris,  Bruch  des  Oberschenkelbeins.  Dieser  Bruch 
kommt  wegen  der  Länge  des  Knochens  und  der  spröden  Beschaffenheit  des- 
selben ziemlich  oft  vor.  Der  Knochen  kann  zwar  an  jeder  Stelle  brechen, 
am  öftersten  aber  geschieht  es  in  der  Mitte.  Der  Bruch  kann  einfach  oder 
complicirt,  quer  oder  schief  seyn.  Die  Diagnose  ist  ziemlich  leicht.  Das 
Glied  ist  gespannt  und  schmerzhaft ;  man  fühlt  die  Bruchenden  ,  die  gemei- 
niglich nach  Vorn ,  Hinten  oder  zur  Seite  gewichen  sind ,  und  hört  ein  Knar- 
ren derselben ;  das  Bein  ist  verkürzt.  Am  obern  Theile  muss  man  schon  die 
grösste  Aufraerksamkeie  anwenden,  um  den  Bruch  zu  erkennen.  Um  die 
Einrichtung  zu  machen,  lässt  man  den  Kranken  auf  das  vorher  für  ihn 
bereitete  Lager  auf  den  Rücken  legen  und  zwar  so,  dass  die  Muskeln  des 
Schenkels  möglichst  erschlafft  werden.  Die  Aus  -  und  Gegenausdehnung 
darf  daher  nicht  in  ausgestreckter  Lage,  wie  es  sonst  gebräuchlich  war, 
geschehen.  Der  Schenkel  muss  vielmehr  einen  stumpfen  Winkel  mit  dem 
Körper  machen  und  das  Knie  massig  gebogen  seyn.  Die  Gegenausdehnung 
macht  ein  Gehülfe  mit  beiden  Händen  an  dem  obern  Theile  des  Schenkels, 
oder  man  legt,  wenn  dies  nicht  lunreicht,  zwischen  die  Schenkel,  doch  so, 
dass  der  Hodensack  nicht  gedrückt  werde,  ein  Handtuch.  Oft  erreicht  man 
auch  seinen  Zweck ,  wenn  man  während  der  Ausdehnung  das  Becken  fest 
gegen  das  Bette  oder  die  Matrazze  andrücken  lässt.  Die  Ausdehnung  wird 
am  untern  Ende  des  Schenkels  gemacht;  sind  aber,  wie  es  gewöhnlich  der 
Fall  ist,  die  Hände  allein  nicht  hinreichend,  so  legt  man  über  das  Knie 
ebenfalls  ein  schickliches  Tuch  an,  um  mit  diesem  die  Ausdehnung  zu  ma- 
chen, während  dessen  ein  andrer  Gehülfe  den  Fuss  unten  zuriickhält,  damit 
das  Bein  nicht  in  ausgestreckte  Lage  komme.  Ist  nun  die  Einrichtung  ge- 
schehen, so  legt  man  den  Verband  an.  Über  den  Bruch  kommt  eine  ange- 
feuchtete gespaltene  Compresse  zu  liegen,  worauf  das  ganze  Glied  von  unten 
bis  oben  mit  der  ISköpfigen  Binde  umwickelt  wird.  Man  legt  alsdann  zu 
beiden  Seiten  des  Schenkels  zwei  Schienen,  die  der  Länge  und  Breite  des 
Gliedes  angemessen  sind.  Die  innere  Seitenschiene  muss  bis  übers  Knie  ge- 
hen und  oben  für  die  Schenkelbiegung  halbmondförmig  ausgeschnitten  seyn. 
Die  äussere  muss  auch  übers  Knie  herunter  und  nach  oben  über  den  Tro- 
chanter  gehen,  für  welchen ,  sowie  iur  die  Erhabenheiten  am  Kniegelenke, 
die  Schienen  eine  passende  Öffnung  haben  müssen.  Unter  den  Schenkel 
kommt  ebenfalls  eine  Schiene  zu  liegen,  die  aber  nicht  bis  ans  Kniegelenk 
gehen  darf,  damit  der  vordere  Rand  die  Kniegelenke  nicht  drücke.  Zur 
gleichmässigen  Anlage  der  Schienen  stopft  man  die  Höhlungen  mit  Charpie 
aus.     Man   befestigt  sie  darauf  mit  drei   oder  mehreren  Bandschleifen   und 


FRACTURA  80*1 

Ipgt  zu  mehrerer  Befestigung  die  Strohlade  au.  Der  gaiize  auf  ^e>-ie  Art 
verbundene  Schenkel  wird  auf  eiq  etwas  erhabenes  Kissen  gelegt ,  das  ge- 
rade die  Länge  des  Schenkels  hat ,  bis  in  die  Kniekehlen  reicht  und  durch 
z\Vei  untergelegte  Bänder  unten  und  oben  um  den  Schenkel  befestigt  wird. 
Der  Nutzen  hiervon  lässt  sich  leicht  einsehen.  Der  Schenkel  wird  auf  diese 
Art  nicht  nur  in  einer  horizontalen,  ruhigen  und  sichern  Lage  erhalten,  son- 
dern beide  Gelenke  wei'den  auch,  wenn  der  Kranke  mit  dem  Rücken  etwas 
erhaben  liegt,  in  einer  massigen  Beugung  erhalten.  Es  lässt  sich  auch  zu- 
gleich zur  Ausleerung  des  Koths  unter  den  erhabenen  Schenkel  bequem  ein 
Becken  schieben  und  der  Kranke  kann  sich  überdem  an  ein  über  dem  Bette 
befestigtes  Handtuch  halten  und  aufrichten.  Sehr  zweckmässige  Maschinen 
sind, angegeben  von  Gooch,  Aulen,  Böttcher,  Lanz,  Laurer  u.  A. 

Frnctura  fstulne,  Bruch  des  Wadenbeins,  s.  Fractura  cruris. 
Frnclura  maxillae  inferioris ,  Bruch  der  Unterkinnlade.  Dieser 
Bruch  gehört  wegen  der  grossen  Festigkeit  der  Substanz  des  Knochens,  und 
weil  die  Untei'kinnlade  so  sehr  beweglich  ist,  sich  daher  eher  verrenkt  als 
dass  sie  bricht,  unter  die  seltenern  Knochenbrüche.  Es  muss  daher  schon 
eine  beträchtliche,  von  vorn  gegen  das  Kinn  kommende  Gewalt  seyn,  wo- 
durch die  Kinnlade  bricht.  Sie  bricht  entweder  an  der  einen  Seite  aliein, 
an  beiden  Seiten  zugleich,  in  der  Mitte,  oder  sie  wird  auch  ganz  zermalmt. 
Der  Bruch  ist  entweder  schief  oder  geht  quer  durch,  ist  entweder  einfach 
oder  complicirt,  mit  oder  ohne  Verrückung.  Ist  die  Kinnlade  nur  an  einer 
Seite  gebrochen ,  so  bemerkt  man  keine  sonderliche  Verschiebung ;  doch  wird 
gemeiniglich  das  hintere  Ende  nach  Innen  gezogen  und  das  Kinn  nach  Unten. 
Ist  sie  an  beiden  Seiten  zugleich  gebrochen,  so  wird  durch  die  Wiikung 
der  Muskeln  das  Kinn  nach  Unten  und  rückwärts  gezogen,  der  Mund  steht 
offen,  auf  jeder  Seite  stehen  die  hintern  Enden  in  die  Höhe  und  die  mitt- 
lem Zähne  stehen  mit  dem  abgebrochenen  Stücke  tiefer.  Ist  der  Knochen 
auf  beiden  Seiten  gebrochen,  so  ist  die  Diagnose  leicht.  Schwerer  ist  der 
Bruch  zu  erkennen ,  wenn  der  Knochen  nur  an  einer  Seite  gebrochen  ist 
und  keine  Dislocation  stattfindet.  Man  kann  sich  jedoch  von  dessen  Dasejn 
überzeugen,  wenn  man  einige  Finger  der  einen  Hand  auswendig  an  das  Kin;» 
legt,  den  Kinnbacken  damit  nach  Unten  drückt,  unterdessen  aber  mit  der 
andern  Hand  den  hintern  Theil  der  Bruchseite  ergreift  und  damit  den  Un- 
terkiefer an  den  Oberkiefer  drückt.  Die  Bruchenden  bewegen  sich  auf  diese 
Weise,  reiben  sich  aneinander  und  verursachen  ein  Knarren,  das  die  Gegen- 
wart eines  Bruchs  zu  erkennen  giebt.  Ist  die  Kinnlade  auf  beiden  Seiten 
gebrochen,  so  ist  sie  durch  die  Action  der  Muskeln  ganz  verschoben  und 
der  Kranke  hat  ein  schiefes  Kinn.  Die  Reposition  ist  ziemlich  leicht. 
Man  bringt  ein  paar  Finger  in  den  Mund,  setzt  sie  auf  den  in  die  Höhe 
gehobenen  Theil  der  Kinnlade  und  drückt  sie  herunter;  zu  gleicher  Zeit 
aber  drückt  man  den  andern  Theil  derselben  in  die  Höhe.  Man  richtet  sich 
dabei  nach  den  Zähnen;  wenn  diese  ganz  natürlich  und  egal  stehen,  so  be- 
finden sich  auch  die  Knochenstücke  in  ihrer  natürlichen  Lage,  welches  man 
auch  durch  das  äussere  Gefühl  am  Rande  der  Kinnbacke  erfahren  kann. 
Die  losen  Zähne  werden  gleich  wieder  an  Ort  und  Stelle  gedrückt;  hat  sich 
aber  ein  Zahn  zwischen  die  Bruchenden  geklemmt  und  hindert  die  Einrich- 
tung, so  muss  er  weggenommen  werden,  Ist  ein  doppelter  Bruch  da,  so 
vei-fährt  man  auf  der  andern  Seite  ebenso.  Es  kommt  nun  darauf  an,  den 
Bruch  in  der  Einrichtung  zu  erhalten,  um  eine  neue  Verrückung  zu  verhüten. 
Der  Kranke  muss  deshalb  nicht  sprechen ,  nicht  kauen ,  überhaupt  die  Kinn- 
backe gar  nicht  bewegen  und  alle  Gewalt  von  Aussen  sorgfältig  vermeiden. 
Man  legt  alsdann  eine  befeuchtete  Compresse  unter  die  Kinnlade,  über  die 
Compresse  aber  ein  nach  der  Gestalt  der  Kinnlade  geschnittenes  und  gebo- 
genes Stück  Pappe,  welches  vorher  eingeweicht  worden.  Wo  ein  doppelter 
Bruch  stattfindet ,  muss  diese  Pappe  die  ganze  Kinnlade  genau  umgeben ; 
bei  einem  einfachen  ist  es  schon  zur  Hälfte  genug.  Zur  Unterstützung  bin- 
det man  über  die  Pappschiene  ein  Tuch,  das  auf  eben  die  Weise,  wie  bei 
Zahnschmerzen ,  ilra  das  Kinn  zu  liegen  kommt  und  oben  auf  dem  Kopfe  zu- 
Mont  Eiicyklopädie.  2te   Aufl.  I.  51. 


802  FRACTÜRA 

gebun«len  wird,  wobei  man  aber  zuweilen  nachsehen  muss,  ob  es  etwa  locker 
wird.  Andere  empfehlen  die  vierköpfige  Binde  oder  auch  das  Capistrum 
duplex.  Oft  hält  es  ausserordentlich  schwer,  den  Knochen  eingerichtet  zu 
erhalten.  Man  ratli  daher,  die  nächsten  Zähne  jedes  zerbrochenen  Stück» 
init  einem  Goldfaden  zusammenzubinden,  um  so  die  Stücke  mehr  an  einan- 
der zu  halten.  Oft  sind  aber  die  Zähne  zu  locker,  oder  stehen  zu  nahe,  so 
dass  es  nicht  ganz  gelingt.  Sind  Splitter  da,  so  müssen  diese  behutsam  an- 
gedrückt oder  herausgenommen  werden.  Getrennte  fleischige  Theile,  -wenn 
üie  zuvor  in  die  gehörige  Lage  gebracht  worden,  heilen  meistens  wieder  an, 
ohne  dass  der  Knochen  an  der  äussern  Fläche  verdirbt.  Entsteht  aber  Ab- 
blätterung,   so  muss  man  diese  abwarten  und  gehörig  behandeln. 

Fractura  olecrnni,  Bruch  des  Fortsatzes  am  Ellenbogen,  s.  Fractura 
anconaea. 

Fractura  ossis  cocaßjis ,  Bruch  des  Steissbeins.  Die  gewöhnlich- 
jjten  Veranlassungen  zu  diesem  Bruche  sind  schwere  Geburten  und  ein  Fall 
mit  dem  Hintern  auf  einen  spitzen  Körper.  Man  leistet  hier  dieselbe  Hülfe, 
wie  beim  Bruche  des  untern  Theiles  am  Heiligenbeine ,  indem  man  durch 
einen  in  den  Mastdarm  gebrachten ,  vorher  mit  Öl  bestrichenen  Finger  den 
Bruch  zu  reponiren  sucht.  Nach  der  Wiedereinrichtung  sucht  man  durch 
kreuzweise  gelegte  Heftpflasterstreifen  den  Knochen  in  die  Höhe  zu  halten, 
legt  überdies  noch  zwei  Longuetten  auf  beide  Seiten,  und  eine  grössere  dar- 
über an ,  und  befestiget  Alles  mit  einer  T  -  Binde. 

Fractura  ossis  hyuidei,  Bruch  des  Zungenbeins.  Wegen  der  tie- 
fen Lage  und  grossen  Beweglichkeit  des  Zungenbeins  ist  dieser  Bruch  ge- 
wiss äusserst  selten ;  doch  hat  Herr  Callisen  ein  Zungenbein  gesehen ,  an 
welchem  unzweifelhafte  Zeichen  eines  vorhergegangenen  Bruchs  und  eina 
deutliche  Beinnarbe  vorhanden  waren.  Dieff'enhach  beobachtete  eine  Fractur 
am  rechten  Hörne  des  Zungenbeins  in  Folge  von  Erhängen.  Er  entdeckt© 
den  Bruch  bei  der  Untersuchung  des  Halses  mit  dem  Finger.  Bei  kühlen- 
der Behandlung  erfolgte  nach  mehreren  Wochen  die  Heilung.  Ein  besonde- 
rer Verband  >vurde  nicht  angelegt  (s.  Medic.  Zeitung,  v.  e.  Vereine  f.  Heil- 
kunde in  Preussen.  18S3.  Nr.  15), 

Fractura  ossium  manus,  Bruch  an  den  Knochen  der  Hand, 
o)  Bruch  der  Hand  wurzelkno  chen.  Es  gehört  schon  eine  grosse 
Gewalt  dazu ,  wenn  die  Knochen  der  Handwurzel  brechen  sollen.  Wegen 
Ihrer  Gewalt  und  ihrer  Lage,  die  sie  neben  einander  haben,  bricht  nicht 
leicht  ein  einzelner  Knochen ,  sondern  es  werden  gewöhnlich  mehrere  der- 
tielben  zersplittert  und  zermalmt ,  w obei  die  weichen  Theile  mehr  oder  we- 
niger beschädigt  weiden.  Gewöhnlich  sind  mit  einer  solchen  Zermalmung 
der  Handwui'zelknochen  heftige  Entzündung,  Quetschung,  Wunden,  Blutung 
und  allerlei  Nervenzufälle  verbunden.  Die  Folgen  davon  sind  Eitcransamm- 
lungen ,  Geschwüre,  Brand  und  Caries,  so  dass  nicht  selten  die  Amputation 
der  ganzen  Hand  erforderlich  ist.  In  Hinsicht  der  Cur  sucht  man  vorläu- 
fig» so  gut  es  gehen  will,  die  Knochen  in  ihre  natürliche  Lage  zu  drücken 
und  die  Zufälle  zu  heben.  In  der  ersten  Zeit  legt  man  blos  eine  zusam- 
menhaltende Binde  an,  unterstützt  aber  dabei  den  Vorderarm  gleichförmig 
mittels  einer  mit  Compressen  bedeckten  Schiene.  Der  Arm  muss  in  eine 
Tragbinde  gelegt,  die  Hand  zwischen  der  Pronation  und  Supination  gehal- 
ten und  die  möglichste  Ruhe  des  Gliedes  beobachtet  werden.  Hat  die  Hef- 
tigkeit der  Zufälle  nachgelassen ,  so  sucht  man  den  verletzten  Theilen  eina 
grössere  Festigkeit  zu  verschaff'en  ,  indem  man  auf  und  unter  der  Hand  ein 
Paar  Schienen  anbringt,  die  Ungleichheiten  mit  Charpie  ausfüllt  und  die 
Schienen  nut  einer  Cirkelbinde  befestigt.  Gewöhnlich  bleibt  doch  eine  Stei- 
figkeit und  Verwachsung  des  Handgelenkes  übrig ,  weshalb  es  nöthig  ist, 
dasselbe  von  Zeit  zu  Zeit  zu  bewegen,  i)  Bruch  der  Mittelhandkno- 
chen. Dieser  Bruch  kommt  schon  häufiger  vor  als  ein  Bruch  der  Hand- 
v*urzelknochen.  Die  Behandlung  ist  übrigens  ganz  dieselbe.  Da  indessen 
diese  Knochen  bet>ser  zu  fühlen  und  auch  grösser  sind,  so  wird  auch  di» 
Eänricbtung  diese«  Bruchs  bequemer  und  voUständigor  gemacht  werden  kÖQ- 


frIctüra  803 


nen,  c)  Bruch  der  Finger.  Wenn  ein  Finger  gebrochen  wi  und  der 
Wundarzt  hält  die  Erhaltung  desselb'en  für  möglich ,  so  unternimmt  er  di« 
Einrichtung,  bei  welcher  selten  eine  Aus-  und  Gegenausdehnung  nothig 
seyn  wird.  Ist  dies  aber  der  Fall,  so  macht  er  die  Ausdehnung  am  Finger, 
die  Gegenausdehnung  am  Ellenbogen.  Ist  nur  ein  Finger  gebrochen,  so 
dient  beim  Verbände  der  andere  zur  Schiene.  Sind  alle  Finger  zerschmet- 
tert, so  legt  man  zwischen  zwei  Finger  eine  dünne,  mit  einer  dünnen  Coro- 
presse  umwickelte  Schiene,  und  verbindet  so  zwei  Finger  zugleich.  Wäre 
der  Daumen  allein  gebrochen,  so  könnte  man  auf  seine  obere  und  untere 
Fläche  eine  dünne  Schiene,  oder  auch  zwischen  ihn  und  den  Zeigefinger 
eine  keilförmige  Compresse  legen,  wovon  das  dicke  Ende  an  die  Spitze 
desselben,  der  dünne  Theil  nach  der  Mittelhand  zu  gelegt  werden  müsste. 
Der  Daumen  würde  sodann  an  den  Zeigefinger  befestigt.  Um  die  Steifig- 
keit zu  verhüten,  müssen  die  Gelenke  so  bald  als  möglich  gelind  bewegl 
werden. 

Frnctura  ossium  nasi,  Bruch  der  Nasenknochen.  Die  Nasenkno- 
chen brechen  nur  selten  an  ihrem  obern  Theile ,  weit  eher  hingegen  nach 
Unten  zu,  wo  sie  breiter  und  dünner  sind.  Der  Bruch  kann  sowol  an  einem 
als  an  beiden  Knochen  der  Nase  stattfinden.  Die  Ursache  ist  entweder  ein 
Stoss  oder  Schlag  von  der  Seite  oder  die  Gewalt  trifft  die  Nase  von  Vorn, 
so  dass  beide  Knochen  einwärts  gebrochen  und  zersplittert  werden.  Gemei- 
niglich ist  der  Bruch  complicirt  und  es  ist  theils  eine  Verrenkung  des  einen 
oder  andern  Knochens,  theils  eine  Verletzung  der  inwendigen  Nasenknochen 
zugleich  mit  zugegen.  So  lange  noch  keine  Entzündung  da  ist,  ist  die 
Diagnose  leicht.  Man  sieht  schon  die  Verunstaltung  der  Nase  und  er- 
kennt den  Bruch  bei  der  Untersuchung  durchs  Gefühl.  Schwerer  aber  ißt 
sie,  wenn  schon  starke  Geschwulst  in  der  Nase  und  den  angrenzenden 
Theilen  da  ist.  Man  bekommt  in  diesem  Falle  nur  dann  erst  völlige  Ge- 
wissheit ,  wenn  die  Geschw  ulst  zertheilt  ist.  Die  Cur  erfordert  zuerst  die 
Reposition.  Man  lässt  den  Kranken  auf  einem  Stuhl  ohne  hohe  Lehne  sitzen 
den  Kopf  von  einem  hinter  demselben  stehenden  Gehülfen  umfassen  und  un- 
beweglich fest  halten.  Der  Wundarzt  bewickelt  eine  Sonde  mit  Charpie 
oder  Leinwand,  taucht  sie  in  Öl  oder  bestreicht  sie  mit  einer  Salbe,  bringt 
sie  dann  in  die  Nase  und  hebt  den  gebrochenen  Knochen  gelind  in  die  Höhe, 
wobei  er  zugleich  den  Zeige  -  und  Mittelfinger  der  andern  Hand  auswärts 
an  die  Nase  legt,  um  einen  Gegendruck  zu  bewirken.  Man  reponirt  auf 
diese  Weise  erst  an  der  einen  Seite,  und  im  Fall  der  Bruch  beide  Knochen 
getroffen  hat,  nachher  auf  der  andern  Seite.  Der  Wundarzt  untersucht 
darauf  mit  dem  kleinen  Finger,  den  er,  wo  möglich,  in  die  Nase  bringt, 
ob  auch  die  zerbrochene  Scheidewand  zugleich  mit  eingerichtet  sey;  ist  die- 
ses nicht  der  Fall,  so  bleibt  er  mit  dem  Finger  auf  der  einen  Seite  der 
Nase  und  führt  in  die  andere  die  Sonde,  um  die  Einrichtung  zu  vollenden 
und  Alles  gleich  und  eben  zu  machen.  Ist  die  Sinrichtung  geschehen,  so 
legt  man  zu  jeder  Seite  der  Nase  eine  Compresse,  die  mit  Wasser  und  Es- 
sig, Aq.  vulnerar.  Thedenii  etc.  benetzt  worden  ist,  bedeckt  diese  mit  einer 
grössern  Compresse  und  befestigt  Alles  mit  Heftpflasterstreifen,  die  sich  an 
der  Nasenwurzel  kreuzen  müssen. 

Frnctura  ossimi  pedis ,  Bruch  an  den  Knochen  des  Fusses. 
Wir  unterscheiden  hier,  wie  beim  Bruch  der  Handknochen,  verschiedene 
Arten.  Am  häufigsten  ist  der  Bruch  der  Fuss  wu  rzelknochen,  und 
unter  diesen  Brüchen  erfordert  der  Bruch  des  Fersenbeins  ganz  vorzüglich 
eine  genaue  Betrachtung.  Das  Fersenbein,  besonders  der  Höcker  desselben 
(Tuberositas  calcanei) ,  kann  zuweilen  durch  eine  äussere  Gewaltthätigkeit, 
nuch  wol  allein  durch  eine  heftige  Anstrengung  der  Muskeln ,  z.  B.  beim 
»Springen,  Tanzen  etc.  zerbrochen  werden.  Das  obere  Bruchstück  wird  hier- 
bei in  die  Höhe  gezogen,  man  fühlt  äusserlich  keine  Ferse  und  der  Kranke 
kann  weder  gehen,  noch  auf  den  Fuss  treten.  Zur  Wiedereinrichtung  müs- 
sen die  Wadenmuskeln  erschlaflft  werden,  indem  man  das  Knie  beugen,  den 
Fusi    aber  ausstrecken   lässt  und   das    nach  Oben    gewichene   Knochenstfick 

51* 


804  FRACTORÄ 

herunter  and  mll  dem  andern  in  Berührung  zu  bringen  sucht.  Man  legt 
alsdann  eine  etwas  dicke  Compresse  über  den  Brnch  und  verbindet  den  ver- 
letzten Theil  mit  einer  zweiköpfigen  Cirkelbinde,  die  sich  über  dem  Fuss- 
gelenke  kreuzen  muss.  Ist  dies  geschehen,  so  wird  eine  Longuette,  die  von 
der  Mitte  des  Oberschenkels  bis  unten  über  die  Zehen  reicht,  an  die  hintere 
Seite  des  Schenkels  angelegt,  und  mit  einer  Cirkelbinde  befestiget,  wobei 
die  Enden  der  Longuette,  damit  sie  nicht  nachgeben,  umgeschlagen  und  mit 
der  Binde  ebenfalls  befestigt  werden  können.  Die  Vertiefungen  neben  der 
Achillessehne  werden  mit  Charpie  ausgefüllt.  Um  die  Ausstreckung  des 
Fusses  noch  mehr  zu  erhalten,  kann  man  noch  eine  Schiene,  welche  von 
der  Wurzel  der  Zehen  bis  an  den  Unterschenkel  herauf  geht,  anlegen  und 
diese  mit  einer  Binde  befestigen.  Auch  kann  man  sich  eines  ähnlichen  Ver- 
bandes wie  bei  der  Zerreissung  der  Achillessehne  bedienen.  Die  übrigen 
Brüche  der  Knochen  der  Fusswurzel,  des  Mittel  fusses  und  der  Zehen  wer- 
den ebenso  wie  die  Brüche  der  Handknochen  und  der  Finger  behandelt 
(s.  Fractura  ossium  manus). 

Fr  actum  ossium  pelvis ,  Bruch  der  Becken  knochen.  Sowol  an 
dem  Darmbeine,  als  an  dem  Sitz-  und  Schambeine  kann  durch  Überfahren 
eines  Wagens,  durch  einen  Fall  von  einer  Höhe,  durch  einen  Schuss  etc. 
ein  Bruch  entstehen.  Die  Zufälle ,  mit  denen  ein  solcher  Bruch  begleitet 
ist,  sind  oft  sehr  bedeutend.  Der  Körper  verliert  dadurch  das  Gleichge- 
wicht und  der  Kranke  kann  weder  stehen  noch  gehen.  Gewöhnlich  ist  da- 
mit auch  eine  Erschütterung  des  untern  Endes  des  Rückenmarks  verbunden ; 
es  ei'folgt  daher  eine  Lähmung  der  untern  Extremitäten,  Verhaltung  oder 
unwillkürlicher  Abgang  des  Urins  und  des  Kothes,  und  ausserdem  oft  Ent- 
zündung der  im  Unterleibe  liegenden  Theile ,  wodurch  Fieber,  Schlaflosig- 
keit, Schluchzen,  Erbrechen,  Vereiterung,  Urinfisteln,  ja  Brand  und  Tod 
veranlasst  werden  können.  Beim  Bruch  des  Sitz-  und  Schambeins  ist  die 
Diagnose  gemeiniglich  sehr  schwer,  weil  nicht  leicht  eine  Verschiebung 
und  em  Geräusch  wahrgenommen  wird,  im  Fall  nicht  etwa  am  Schambein 
ein  ganzes  Stück  des  einen  oder  andern  Astes  abgetrennt  ist.  Ist  das  Darm- 
bein gebrochen,  so  wird  zuweilen  das  abgebrochene  Stück  nach  der  Bauch- 
höhle getrieben,  und  dann  ist  der  Bruch  durch  die  entstandene  Vertiefung 
und  ungleiche  Beschaffenheit  dieser  Seite  leicht  zu  erkennen.  Wenn  dies« 
Kennzeichen  fehlen,  so  lässt  man,  um  das  Daseyn  eines  Bruchs  zu  entdecken, 
den  Schenkel  der  kranken  Seite  gelind  bewegen,  während  dessen  der  Wund- 
arzt zugleich  seine  Hände  an  das  Darmbein  legt ,  um  durch  das  Aneinander- 
reihen und  Knarren  den  Bruch  möglichst  zu  erforschen.  Nur  muss  diese 
Untersuchung  sehr  behutsam  geschehen,  damit  nicht  auf  diese  Art  eine  Dis- 
location  entstehe ,  die  vorher  nicht  da  war.  (Dass  hier  wie  in  allen  zweifel- 
haften Fällen  von  Fracturen  das  Stethoskop  angewandt  werden  und  daher  je- 
der) Arzt  und  Wundarzt  Gewandtheit  und  Übung  im  Auscultiren  haben  müsse, 
versteht  sich  von  selbst.  Most.^  Die  Prognose  beruhet  vorzüglich  in  der 
An-  und  Abwesenheit  der  Zufälle,  die  theils  von  der  Erschütterung  des 
Rückenmarks,  theils  von  der  Entzündung  der  Innern  Theile  abhängen.  Der 
Bruch  an  und  für  sich  betrachtet,  ist  nicht  gefährlicher  als  jeder  ander« 
Bruch.  Heilen  aber  die  Bruchenden  in  verrückter  Lage  zusammen,  so  kann 
dies  bei  Frauenzimmern  sehr  nachtheilige  Folgen  für  das  Geburtsgeschäft 
haben.  Die  Cur  erfordert  demnach  hauptsächlich,  dass  man  sowol  der  Ent- 
zündung, als  auch  den  consensuelJen  Zufällen  ernstlich  begegne.  Was  die 
Reposition  betrifft,  so  legt  man  den  Kranken,  wenn  ein  Stück  des  Darm-| 
heins  abgebrochen  ist,  auf  den  Rücken,  und  lässt  den  Körper  nach  der  ge- 
sunden Seite  hin  beugen,  damit  schon  durch  die  Kraft  der  Beugemuskeln 
der  Kamm  des  Darmbeins  mehr  nach  Oben  und  Innen  gezogen  werde.  Der 
Oberschenkel  der  leidenden  Seite  wird  etwas  nach  Aussen  und  an  den  Leib 
gebogen ,  um  die  Muskeln ,  welche  das  Darmstück  nach  Unten  ziehen ,  da- 
durch zu  erschlaffen.  Der  Wundarzt  legt  dann  an  beide  Hüften  seine  flache 
Hand  und  drückt  den  Kamm  des  gebrochenen  Darmstücks  nach  Innen  und 
Oben,   gegen  den  Kamm  des  Knochens  auf  der  gesunden  Seile,   um  so  di«. 


FRACTURA  805 

rflUSge  Eliirichtung  zu  bewirken.  Sind  bei  einem  Bruch  des  Scham  -  oder 
Sitzbeins  die  Bruchenden  einwärts  gedrückt,  so  könnte  man  bei  Frauenzim- 
mern die  Reposition  durch  die  Vagina,  bei  Mannspersonen  vielleicht  durch 
das  Intestinum  rectum  bewirken.  Der  Kranke  muss  darauf  gerade  ausge- 
streckt auf  dem  Rücken  liegen  und  in  dieser  Lage  verharres.  Der  Verband 
bei  diesen  Brüchen  ist  sehr  einfach.  Er  besteht  blos  aus  einigen  mit  einem 
zweckmässigen  zertheilenden  Mittel  angefeuchteten  Compressen,  die  mit  ei- 
ner Serviette  oder  einer  breiten  Binde  befestigt  werden  (9.  C.  C.  Crevc, 
Von  den  Krankheiten  des  weiblichen  Beckens.  Berl.  1795.  Cooper's  Chirurg. 
Handbibliothek.  Th.  I.  Abth.  1.  S.  51.  Duverney,  Traitö  des  maladies  des 
OS.  T.  I.  chap,  6.  art.  7.  p.  284.  Heidelb.  klin.  Annalen.  IV.  S.  S.  409. 
A.  L.  Richter,  Von  den  Brüchen  u.  Verrenkungen  d.  Knochen.  Berl.  1828. 
S.  184). 

Fractura  patcllne,  Bruch  der  Knieschelbe.  Die  Kniescheibe  zer- 
bricht am  leichtesten  durch  irgend  eine  Gewaltthätigkeit,  einen  Stoss,  Schlag, 
Schuss  oder  Fall  aufs  Knie.  Oft  aber  zerbrich^  sie  allein  durch  die  gewalt- 
same Action  der  Ausstreckemuskeln ,  die  mit  sehr  starken  Sehnen  an  der 
Kniescheibe  befestigt  sind.  Es  giebt  verschiedene  Arten  dieses  Bruchs. 
1)  Die  Kniescheibe  ist  in  die  Quere  gebrochen ,  welches  der  häufigste  Fall 
ist.  Die  Diagnose  ist  hier  leicht;  man  fühlt  die  Fractur  deutlich;  es  ent- 
steht eine  Vertiefung  auf  dem  Knie,  weil  das  obere  Bruchstück  durch  die 
starke  Wirkung  der  Ausstreckemuskeln  in  die  Höhe  gezogen  wird ,  das  an- 
dere aber  sitzen  bleibt.  Der  Kranke  kann  den  Fuss  weder  aufheben,  noch 
ausstrecken,  und  die  Beugung  des  Kniees  ist  schmerzhaft.  Es  kommt  bald 
eine  starke  Geschwulst  hinzu,  2)  Der  Bruch  in  der  Länge  ist  sehr  selteu 
und  die  Diagnose ,  weil  die  Enden  sich  nicht  verschieben,  schwer.  Ist  noch 
keine  Geschwulst  da,  so  fühlt  man  eine  längliche  Spalte  und  bei  Aneinan- 
derschieben  der  Bruchstücke  die  Crepitation.  S)  Der  Bruch  ist  zersplittert, 
wie  dies  oft  bei  Schnsswunden  des  Knies  vorkommt.  Die  an  den  obern  Aus- 
streckemuskeln befindlichen  Stücke  gehen  nun  in  die  Höhe,  die  an  den  un- 
tern bleiben  sitzen.  Es  entsteht  bald  heftige  Geschwulst  und  Entzündung. 
4)  Zuweilen  zerreisst  blos  das  Kniescheibenband,  Die  Ausstrgckemuskeln 
ziehen  dann  die  Kniescheibe  in  die  Höhe  und  es  entstehen  alle  Zufölle  des 
Querbruchs.  Die  Heilung  des  Kniescheibenbruchs  besteht  darin,  dass  man 
die  Knochenstürke  in  genaue  Berührung  mit  einander  bringt,  sie  in  dieser 
Lage  zu  erhalten  und  deshalb  die  Ausstreckemuskeln  des  Unterschenkels  zn 
erschlaffen  sucht.  Man  lässt  deshalb  den  Kranken  sich  auf  einen  Stuhl 
setzen,  den  Fuss  aber  aussti-ecken  und  so  in  die  Höhe  heben,  dass  der 
Schenkel  mit  dem  Unterleibe  einen  rechten  Winkel  macht.  Man  legt  dann 
eine  Cirkelbinde  an,  die  vom  Unterleibe  bis  zum  Knie  herabläuft,  eine  an- 
dere Cirkelbinde  aber  wickelt  man  von  den  Fusszehen  bis  zum  Kniegelenke 
herauf.  Erstere,  als  die  Hauptbinde,  welche  das  obere  in  die  Höhe  gezo- 
gene Knochenstück  der  Patella  wieder  mit  dem  untern  genau  vereinigen  soll, 
muss  etwas  fest  liegen;  die  zweite  dient  mehr  zur  Unterstützung.  Erreicht 
man  den  gewünschten  Endzweck  auf  diese  Weise  noch  nicht,  so  muss  man, 
wenn  die  Geschwulst  und  Entzündung  sich  gelegt  haben,  einen  festern  Ver- 
band zu  Hülfe  nehmen.  Man  legt  auf  beiden  Seiten  der  Kniescheibe  ein 
Paar  feste,  ungefähr  ^4  Ellen  lange  Compressen,  die  mit  einer  über  und 
unter  dem  Knie  angelegten  Cirkelbinde  befestiget  werden.  Zwischen  die 
Cirkelgänge  wickelt  man  ein  zwei  Finger  breites  Stück  Pappe  ein,  um  Fal- 
ten zu  verhüten  und  die  Binde  oben  und  unten  glatt  zu  erhalten.  Die  En- 
den der  Compressen  werden  hierauf  über  die  Binde  zurückgeschlagen,  die 
obern  Theile  herab,  die  untern  aber  aufwärts  gebogen  und  durch  weitere 
Umwickelung  der  Cirkelbinde  befestigt.  Ausserdem  sind  über  die  verschie- 
denen sehr  zweckmässigen  Verbandsarten  beim  Kniescheibenbruch  nachzule- 
sen Evers  und  Bücking,  Mohrenheim,  Schmalz,  Bell,  Böttcher ,  Boyer,  Bui- 
rer,  Renge  u.  A. 

Fractura  radii,  Bruch  der  Armspindel,  s.  Fractura  antibrachii. 

Fraciura  scapulae,  Brach  des  Schulterblattes.     Da;>  Schulterblatt 


80(5  FRACTURA 

zerbricht  nicht  «o  leicht  als  andere  Knochen  des  Körpers,  theilä  weil  es  keine 
feste  Verbindung  hat,  theils  weil  es  mit  fielen  weichen  Theilen  bedeckt  ist. 
Es   kann  aber   dennoch  zuweilen   durch   äussere   Gewaltthätigkeit   an   allen 
Stellen  brechen,    und  nach  Verschiedenheit  der  Stellen  zuweilen  eine  Dlslo- 
cation  stattfinden,  zuweilen  aber  auch  nicht.     Ist  keine  Verschiebung  da,  so 
erkennt  man  den  Bruch  fast  gar  nicht  und  kann  ihn  nur  vermuthen.     Aber 
auch  dann,  wenn  wirklich  eine  Dislocation  vorhanden  ist,  ist  der  Bruch  oft 
schwer  zu  entdecken,  weil  man  den  Knochen  nicht  allenthalben  untersuchen 
kann.     Um  aber  den  Bruch  in  zweifelhaften  Fällen  zu  entdecken,  lässt  man 
den  Arm  der  leidenden  Seite  durch  einen  Gehülfen  gelind  bewegen  und  legt 
die  Finger  auf  das  Schulterblatt,    wobei  man,    wenn  wirklich  ein  Bruch  da 
ist,   irgendwo  eine  widernatürliche  Vertiefung   und   Beweglichkeit   nebst  ei- 
nem Knarren  durch   die  Bruchenden  bemerken  wird.      Bei  einem  Bruche  des 
Acromiums  sinkt  überdem  die  Scliulter  herab ,  und  man  fühlt  eine  Vertiefung 
»n  der  Stelle,  wo  sich  das  Schlüsselbein  mit  dem  Acromium  verbindet.    Mau 
kann   diesen  Fall   leicht    mit   einer  Verrenkung    des    Oberarms   verwechseln, 
yrenn  man  nicht  genau  untersucht  und  besonders  auf  die  widernatürliche  Be- 
■weglichkeit  des  Acromiums,  wobei  der  Kranke  den  Arm  bewegen  kann,  zu 
wenig  Rücksicht  nimmt.     Den  Bruch  am  Processus  coracoideus  erkennt  man 
leicht.     Ist   der  Hals   des  Schulterblattes   gebrochen,    so  entdeckt    man  den 
Bruch,  wenn  man  die  Finger  unter  die  Achsel,    besonders  an  den  Ort  legt, 
wo   die  Grube  befindlich   ist,    und  den  Arm  zugleich   bewegen  lässt,    wobei 
man  gewöhnlich   eine  widernatürliche  Beweglichkeit  und   ein  Knarren  wahr- 
nimmt.    Der  Bruch  des  Schulterblattes  an  und  für  sich  ist  nicht  bedenklich, 
wol  aber  sind  es  die  Zufälle.      Da  dieser  Bruch  immer  eine  grosse  Gewalt- 
thätigkeit voraussetzt,  so  entsteht  sehr  leicht  eine  Erschütterung  des  Rücken- 
marks und  der  Eingeweide  der  Brust,  worauf  gewöhnlich  Blutspeien,  Brust- 
entzündung,  ja  Schwindsucht   folgen  kann.      Unter  dem  Schulterblatte  ent- 
steht leicht  Entzündung  und  Eiteransammlung,  wodurch ,  im  Fall  nicht  bald 
dem  Eiter    ein  Abiiuss  verschafft    wird,    das    Schulterblatt   und    die  Rippen 
cariös  werden  können.     Bei  einem  Bruche  des  Halses  und  des  Acromiums  am 
Schulterblatte   folgt   zuweilen  Lähmung  und   ein  Schwinden    des  Arms.     Die 
Reposition   ist   bei   diesen   Brüchen   im    Ganzen    genommen    sehr   schwer, 
und  man  muss  bei  derselben  vorzüglich  auf  eine  zweckmässige  Wirkung  der 
Muskeln  sein   Augenmerk   richten.      Wenn    der   Körper    und   die  Gräte   des 
Schulterblattes   gebrochen   sind,   so  lässt    man   den  Arm   der  kranken    Seite 
durch  einen  Gehülfen  aufwärts  bewegen  und  langsam   nach  dem  Kopfe  füh- 
ren, so  dass  die  Stirn  desselben  in  die  Beugung  des  Armes  zu  liegen  kommt. 
Durch  diese  Lage  werden  der  Musculus  teres  major  und  minor  gespannt  und 
diese  verrichten  so  die  Ausdehnung;    der  Musculus  rhomboideus  inferior  und 
superior  aber  halten  das  Schulterblatt  an  der  Grundfläche  zurück  und  machen 
die  Gegenausdehnung.     Man  kann  nun  leicht  mit  den  Fingern  die  Bruchen- 
den  in   ihre    gehörige  Lage   drücken.      Ist  dies  geschehen,    so  legt   man  die 
flache  Hand  auf  die  Stelle    des  Bruchs  und  lässt   den  Arm  wieder  herunter- 
>Yärts  an  seine  Stelle  bewegen.     An  beiden  Seiten  der  Gräte  werden  sodanu 
ein  paar  Longuetten  und  darüber  eine  Compresse,  auch  wol  über  diese  noch 
eine  nach  der  Figur  des  Schulterblattes  geformte  Schiene  gelegt,  und  alles 
mit  einer  Serviette  oder  mit  einer  einfachen  Sternbinde  befestigt.     Der  Ann 
muss,  um  eine  neue  Verschiebung  zu  verhüten,  in  einer  kurzen  Armschlinge 
getragen   werden.  —      Wenn   der  obere   und    hintere  Winkel   des    Schulter- 
blattes gebrochen  ist,  so  muss  man,  um  die  Einrichtung  zu  erleichtern,  vor- 
züglich   suchen   den  Musculus  levator   anguli   scapulae,    wodurch   das  abge- 
brochene Stück    immer  von    den  übrigen  Knochen  abwärts  und    in  die  Höhe 
gezogen  wird,    zu  erschlaffen.      Man    lässt    deshalb  den  Kopf  und   den  Hals 
des  Kranken  nach  der  leidenden  Seite  hin  beugen ,  oder  auch  blos  den  Kopf 
räch  hinten    halten.      Auch    während  der  Cur   muss   diese  Lage  beibehalten 
v> erden,    welches  man  durch    das  Anlegen  einer  Binde,    die  über   eine  unter 
dem  Halse  zugebundene  Schlafmütze  geht  und  angeirähet  ist ,  von  hier  aber 
unter  di«  kranke  Achsel  wieder  nach  dem  Kopfe  zu  läuft,    wo  sie  befestigt 


FRACTURA  807 

T?lrd,  erreichen  kann.  Ist  der  Hals  des  Schulterblattä  und  der  Processu« 
coracoideus  gebrochen ,  so  lässt  man ,  um  den  Bruch  einzurichten ,  den  Arm 
des  Kranken  gerade  und  nach  Vorn  zu,  von  Unten  nach  Oben  in  die  Höhe 
heben,  und  drückt  mit  den  Fingern  die  Bruchstücke  in  Ordnung.  Ebenso 
•verfährt  man  bei  einem  Bruche  des  Acromiums,  wobei  aber  auch  die  Höhlen 
und  Vertiefungen  wohl  ausgefüllt  werden  müssen.  Zum  Verbände  dient  die 
sogenannte  aufsteigende  Kornährenbinde.  Auch  bei  diesen  letztern  Brüchen 
muss  nothwendig  der  Vorderarm,  besonders  der  grosse  Hocker  des  Ellen- 
bogens in  einer  Armschlinge  sorgfältig  getragen  werden  (s.  T.  K.  Ä.  Vogt, 
Abhandlung  eines  sehr  seltenen  zusammengesetzten  Bruchs  beider  Schulter- 
blätter und  des  rechten  Schlüsselbeins.    Leipz.   1800.    Mit  2  Kupfertfln.  4.). 

Frnctura  Sterin,  Bruch  des  Brustbeins.  Das  Brustbein  kann  durch 
einen  Schlag  oder  Stoss,  durch  einen  Fall  von  einer  Anhöhe,  durch  Über- 
fahren eines  Wagens  etc.,  auf  verschiedene  Weise,  entweder  oben,  in  der 
Mitte,  oder  unten  brechen.  Der  Bruch  geht  entweder  quer  durch  das  Brust- 
bein, oder  es  ist  ein  Sternbruch,  wenn  z.  B.  eine  matte  Kugel  das  Brust- 
bein trifft.  Wenn  eine  Verrückung  da  ist,  so  findet  sie  gewöhnlich  einwärt« 
statt,  sehr  selten  auswärts.  Oft  aber  entsteht  keine  Verrückung.  Die 
Diagnose  ist,  wenn  eine  Verrückung  stattfindet ,  ziemlich  leicht.  Man 
fühlt  nämlich  von  der  äussern  Seite  des  Brustbeins  eine  Ungleichheit,  und 
hört  beim  Ein-  undAusathmen  des  Kranken  ein  Knarren  an  der  Bruchstelle, 
welches  noch  deutlicher  wird,  wenn  man  die  Hand  auf  das  Brustbein  legt. 
Zuweilen  schiebt  sich  auch  bei  jedesmaliger  Respiration  ein  Stück  des  ge- 
brochenen Brustbeins  über  das  andere,  und  dann  ist  die  Erkenntniss  noch 
leichter.  Man  untersuche  aber  auch  in  der  Gegend  der  Verletzung  alle 
Köpfe  der  Rippen,  um  zu  erfahren,  ob  der  Knorpel  einer  Rippe  sich  abge- 
trennt habe  ,  auch  ob  die  Rippen  selbst  gebrochen  sind  oder  nicht.  Wenn 
keine  Verrückung  da  ist,  so  bedarf  es  keiner  Einrichtung  und  man  hat  wei- 
ter nichts  dabei  zu  thun,  als  den  Zufällen  durch  eine  zweckmässige  Behand- 
lung zu  begegnen.  Der  Kranke  muss  sich  indessen  äusserst  ruhig  verhalten. 
Am  besten  ist  für  ihn  die  Rückenlage,  jedoch  so,  dass  der  Oberleib  etwa» 
nach  Vorn  gebeugt  ist,  weil  in  einer  ganz  geraden  Lage  die  Bruahenden 
leicht  durch  die  Wirkung  der  Muskeln  von  einander  gezogen  werden  können. 
Sind  aber  die  Bruchenden  verschoben  und  einwärts  gedrückt,  so  muss  man 
die  Einrichtung  derselben  vornehmen.  Man  giebt  in  dieser  Hinsicht  den 
Rath ,  den  Kranken  ausgestreckt  auf  den  Rücken  zu  legen  und  die  Rippen 
zu  beiden  Seiten  nieder  zu  drücken,  wodurch  man  bewirken  wirde,  dass, 
zumal  bei  einem  abwechselnden  Drucke,  die  Brnchenden  wegen  der  Elasti- 
cltät  des  Brustbeins  von  selbst  in  ihre  gehörige  Lage  treten  v^ürden.  An- 
dere lassen  den  Kranken  auf  einem  Stuhl  sitzen,  die  Schulterblätter  von  ei- 
nem Gehülfen  rückwärts  ziehen  und  beide  Seiten  der  Brust  von  dem  Wund- 
arzte etwas  stark  zusammendrücken,  wodurch  ebenfalls  die  Rippen  gegen 
den  vordem  Thell  hingetrieben  und  die  niedergedrückten  Theile  des  Brust- 
beins oft  wieder  in  ihre  natürliche  Lage  gebracht  werden.  Kann  man  auf 
solche  Weise  den  gewünschten  Zweck  nicht  erreichen,  so  bleibt  nichts  An- 
deres übrig  als  durch  Trepanation  die  eingedrückten  Knochenenden  hervor- 
zuziehen und  in  die  normale  Lage  zu  bringen.  Der  Verband  muss  einfach 
seyn  und,  um  das  Atliemholen  nicht  noch  mehr  zu  erschweren,  nicht  zu  fest 
anliegen.  Man  bedeckt  den  Bruch  daher  blos  mit  einer  Compresse,  die  mit 
epirituösen  Dingen,  mit  Wasser  und  Essig,  -Aq  vulner.  Thedenii  etc.  be- 
leuchtet worden ,  und  befestigt  sie  mit  einer  Serviette. 

Fractnra  iihiae,  Bruch  des  Schienbeins,  s.  Fractura  cruris. 

Fraciura  ulnae,  Bruch  des  Ellenbogenknochens,  s.  Fractura  anti- 
brachii. 

Fractura  vertehrnrum ,  Bruch  der  Wirbelbeine.  Die  Wirbelbeine 
können  entweder  an  ihrem  Körper,  oder  auch  an  den  stacheligen  Fortsätzen, 
zuweilen  auch  an  den  Querfortsätzen  brechen.  Am  häufigsten  kommt  der 
Bruch  an  den  Hals  -  und  Lendenwirbeln,  seltener  an  den  Rückenwirbeln  vor. 
Ursachen  sind:  vorzüglich  Schusswunden,    ausserdem  Sturz  von  beträcht- 


80H  FRAGIUTAS  OSSIUM  -  FRICTIO 

litJier  Höhe,  das  Auffallen  eines  Balkens,  eines  Mauersteins  etc.  auf  den 
Kücken.  Der  Bruch  des  Processus  spinosus  wird ,  wenn  nicht  schon  bedeu- 
tende Geschv<^st  da  ist,  durchs  Gefühl  leicht  erkannt,  die  Fractur  aui 
Körper  der  Wirbelbeine  ist  dagegen  schwerer  zu  entdecken,  oft  nur  aus  den 
Zufällen  and  Folgen  zu  vermuthen.  Ist  bei  einem  Bruche  des  Stachelfort- 
satzes Dislocation  zugegen,  so  lässt  sich  die  Einrichtung  mit  den  Fin- 
{2;ern  leicht  bewerkstelligen.  Man  legt  dann  zu  beiden  Seiten  ein  Paar 
schmale,  aber  dicke  Longuetten,  und  befestigt  sie  mit  einer  breiten  Binde. 
Dabei  muss  der  Kranke  während  der  Cur  die  Bauchlage  beobachten ,  kann 
aber  abwechselnd  auch  auf  der  Seite  liegen.  Ist  der  Körper  eines  Wirbel- 
beins gebrochen,  so  ist  der  Ausgang  immer  sehr  bedenklich.  Es  können 
echlimme  Nervenzufälle  mit  nachfolgender  Lähmung,  besonders  der  untern 
Extremitäten,  und  andere  Beschwerden  in  Folge  des  Drucks  und  des  Reizes 
aufs  Rückenmark  entstehen.  Man  muss  freilich  suchen,  den  Bruch,  wenn 
Dislocation  stattfindet,  wieder  einzurichten,  bei  gleichzeitiger  Wunde  die 
losen  Knochenstücke  und  alles  Fremdartige  zu  entfernen;  aber  leider!  er- 
folgt, wenn  der  Tod  nicht  eintritt,  häutig  Caries  und  der  Kranke  stirbt, 
war  die   Verletzung  irgend  bedeutend,    später   hektisch. 

Ch.  J.  D.  Wiedow. 

FragilftftS  OSSium»  Osteopsnthß-osis ,  krankhafte  Brüchig- 
keit, sehr  leichte  Zerbrechlichkeit  der  Knochen  wegen  zu  gros- 
ser Sprödigkeit,  Trockenheit.  Zuweilen  ist  das  Übel  blos  local,  und  wenn 
man  hier  genau  untersucht ,  so  findet  man ,  das  schon  lange  vorher  an  der 
Stelle,  wo  durch  die  geringfügigsten  Ursachen  ein  Knochenbruch  entstand, 
Caries  occulta  stattfand.  Aber  auch  als  Allgemeinleiden  findet  man  das 
Übel  mitunter.  Hier  brechen  schon  bei  den  kleinsten  Bewegungen,  oft 
schon  beim  schnellen  Umdrehen  im  Bette,  ein  oder  mehrere  Glieder,  aber 
merkwürdig  1  sie  heilen  auch  leicht  wieder,  oft  ohne  alle  Kunsthülfe,  und 
recht  schnell.  Die  nächste  Ursache  dieses  Leidens  suchen  Einige  in  einer 
kaiischen  Schärfe  der  Knochen,  die  die  Lymphe  und  Knochengallerte  auf- 
löse, so  dass  wegen  Mangel  der  letztern  die  Knochen  spröde  werden  müss- 
ten  {Isenßamm').  Chemische  Analysen  haben  diese  Ansicht  aber  nicht  be- 
stätigt. Gelegentliche  und  veranlassende  Ursachen  sind:  Ausschweifungen  in 
Baccho ,  Venere ,  ferner  Scorbut ,  Syphilis  und  anomale  Gicht.  Fast  nie 
finden  wir  die  Krankheit  vor  dem  40»ten,  öOsten  Jahre,  nie  bei  Weibern, 
stets  nur  bei  Männern,  sowie  Emollities  ossium  stets  nur  bei  erstem  be- 
obachtet wird.  Ein  Kranker  der  Art  fiel  vom  Wagen  und  zerbrach  sich 
den  Vorderarm  in  17  Stücke;  ein  Anderer  zerbrach  neunmal  die  Knochen 
der  Extremitäten  im  Bette.  Das  Übel  ist  bis  jetzt  für  unheilbar  gehalten 
worden,  da  man  keine  Specifica  kennt,  welche  die  krankhafte  Sprödigkeit 
und  Brüchigkeit  des  Knochensystems  zu  heben  vermochten.  Liegt  offenbar 
Gicht,  Scorbut  oder  Sypliiiis  zum  Grunde,  so  behandeln  wir  das  Grundübel. 
Oft  ist  die  Fragilität  blos  Folge  des  Marasmus  im  hohen  Alter  und  dajin 
stets  unheilbar. 

Fraxil1>oefiia ,  die  indianische  Pocke,  Erdbeerpocke ,  die  Yaws,  s. 
Syphilis. 

FrictIOf  Fricatio  ,  Atwtripsis ,  das  Reiben,  Einreiben.  Ist  eine 
gewöhnliche  Verfahrungsart,  welche  an  verschiedenen  äussern  Körpertheilen 
mittels  der  Hand  oder  eines  andern  Körpers  und  zu  verschiedenen  Zwecken, 
als  Palliativ-  und  Hellmittel,  angewandt  wird.  So  unbedeutend  die  Friclio- 
nen  zu  seyn  scheinen,  so  bedeutend  und  wichtig  sind  sie;  ja  sie  sind  bei 
vielen  äusserlichen  und  imierlichen  Übeln  unentbehrlich.  Wir  unterscheiden 
hier  1)  das  Reiben  eines  Körperthcils  mit  der  trocknen  Hand  eines  Anderen. 
Dass  durchs  Bestreichen  und  gelinde  Reiben  mit  der  Hand  oder  mit  den 
Händen  eines  Andern  Kröpfe  und  andere  Geschwülste  geheilt  worden  sind, 
dass  diese  Kraft  den  Königen  von  England,  besonders  Eduard  dem  Bekeu- 
ncr,  ingewohnt  habe,  desgleichen  dem  deutschen  Grafen  von  Hasprug,  dass 
viele  ander«<,  gebildete  und  ungebildete  Personen  durch  das  blosse  Berühren 


FRICTIO  a09 

der  Kranken  mh   Ihren  Händen  Heilung   hervorgebracht  haben,  ist  bekannt 
(s.  Kluge,    Darsteli.   d.  animal.  Magnetism.   Berl.  1815.   S.  21  u.  f.).     Wir 
wollen   nicht   untersuchen,    ob    feine  magnetische   und    elektrische   Einflüsse 
oder  ob  der  psychische  Eindruck  hier  gewirkt  habe;  indessen  bleibt  so  viel 
gewiss  und  eine  Menge  von  eigenen  Beobachtungen  haben  es  als  reine  That- 
sache  bestätigt,     dass    das   anhaltende  Reiben   und   Bestreichen    mittels   der 
blossen  Hand  eines  Andei-n  ein  herrliches  Palliativ  sey:  a)  bei  rheumatischen 
Schmerzen  der  Glieder;  &)  bei  allen  Beschwerden  und  Schmerzen  spastischer 
Art,  bei  Hysterie,  Hypochondrie,  Migräne,  besonders  aber  bei  der  Eklampsie 
der  Kinder.     Hier   dienen  die   bei  Eklampsie  (s.  d. )  angegebenen   magneti- 
schen Striche  auch  als  diagnostisches  Zeichen.      Sind  z.  B.  durch  die  allge- 
Hieinen  Krämpfe   die  Augäpfel  verdreht,    nach  Oben  gerichtet,   und  bekom- 
men sie  nach  '/^ständiger  Anwendung  jener  Striche   keine  normale  Richtung, 
so  ist  dies   ein  Zeichen ,    dass  materielle  Ursachen ,    z.  B.    Exsudationen    im 
Gehirne  als  Folge  von  Encephalitis  etc.  zum  Grunde  liegen  (Most),     c)  Bei 
Kardialgie  und  Colica  flatulenta;   bei  ersterer  reibt  man   anhaltend  von   der 
rechten  zur  linken  Seite  im  Cirkel  die  Magengegend,  bei  letzterer  den  gan- 
zen Unterleib ,    gleichfalls   im  Cirkel  und   nach   dem  Laufe   der  dicken   Ge- 
därme,    rf)  Von  grosser  Wirkung  ist   das  Bestreichen  mit  der  Hand  bei  den 
Convulsionen  hysterischer  und   epileptischer  Personen.      Man    kann  zuweilen 
selbst  den  Ausbruch  derselben  durch  Striche  vom  Kopfe  zur  Herzgrube  ver- 
hüten und  den  Anfall  dadurch   abkürzen  (M.).     e)  Personen,    die  an  perio- 
dischem Schwindel  leiden,  fühlen  jedesmal  Erleichterung,  wenn  ein  Anderer 
ihnen   anhaltend  den  Kopf  streicht.      2)  Das    anhaltende  Reiben ,   hei'vorge- 
bracht  durch    die  Friction    eines  wollenen   oder   seidenen  Hemdes ,    auf  dem 
blossen  Körper   getragen.     Es   ist   unglaublich,    wie  gross  und   herrlich   die 
Wirkungen  der  Flanellhemden  in  allen  rheumatischen  und  gichtischen  Übeln, 
selbst  bei  chronischen  Nervenbeschwerden,   bei  Abdominalleiden,  Dyspepsie, 
Plethora  abdominalis,    atra  ßilis,    bei  Hysterie,    Hypochondrie,    bei  Ataxien 
der  Menses  und  bei  vielen  ähnlichen  Übeln  sind.     In  unserm,  dem  schnellen 
Witterungswechsel  so  sehr  unterworfenen  Klima,   besonders  in   den  Städten,' 
die ,    wie  mein  Wohnort  Rostock ,    an  den  Seeküsten  liegen ,    entstehen  eine 
Menge  rheumatischer,   gichtischer  und   spastischer  Übel,   besonders  epilepti- 
sche Zufälle,  selbst  zuweilen  Trismus  und  Tetanus,  durch  Erkältung.    Nichts 
präservirt  hier  besser  als  Flanellkleidung  auf  dem  blossen  Leibe,    besonders 
von  blauem  Flanell.     Sie  bewirkt  durch  die  anhaltende  Friction  einen  wohl- 
thätigen  Reiz  aufs  peripherische  Nervensystem,    vielleicht   selbst   durch  Er- 
weckung von  thierischer  Elektricität,    hebt  die  Disharmonien  zwischen  die- 
sem und  dem  Centralnervensystem ,  welche  leider!  durch  den  schnellen  Wit- 
terungs  -  und  Temperaturwechsel  (letzterer  beträgt  in  Rostock  sehr  viel  und 
macht  binnen  12  Stunden  oft  eine  Differenz  von  14  bis  20"  R.  aus)  so  häufig 
sind,    wobei  auch   die  grossen  und  plötzlichen    gleichzeitigen  Variationen   im 
Zustande   der  Luftelektricität ,    des  Elektro  -  Magnetismus  etc.,   die  wir  fast 
nur  physikalisch,  nur  sehr  wenig  physiologisch  kennen,    wol  nicht  zu  über- 
sehen sind.     Das  Tragen  seidener  Hemden  hat  ausser  der  Friction  noch  die 
grosse  Wirkung,    dass  der  Körper   dadurch  gleichsam   isolirt  wird,    so    das» 
die  Anomalien  in   der  Luftelektricität   und    die  nachtheiligen  Wirkungen   des 
plötzlichen  Witterungswechsels  auf  ihn  weniger  einwirken  können.     Man  lässt 
am  besten  Hemden  von  rothen  seidenen  Zeuchen,  z.  B.  von  recht  schwerem 
Satin  turc,    von   schweren!  Levantine  etc.    verfertigen,    wozu  für  einen  Er- 
wachsenen 8 — 9  Ellen  nothwendig  sind,  und  wechselt  damit  alle  acht  Tage, 
indem  man  sie  fortwährend  tragen  lässt.     Schade,  dass  die  seidenen  Zeuche 
so    theuer    sind;     denn   die   Elle   von   schwerem    Satin  turc   ist    nicht   unter 
1  Gulden  zu  kaufen,  daher  Arme  sich  dieselben  nicht  gut  anschaffen  können. 
Die  herrlichen  Wirkungen  dieser  Hemden  sind  bekannt;  am  meisten  sind  sie 
Hysterischen,  Hypochondristen  und  Epileptischen  zu  empfehlen.     3)  Das  ab- 
sichtliche Reiben  mit  erwärmten  wollenen  Tüchern.     Ist  bekanntlich  ein  vor- 
zügliches Hülfsmittel  zui"  Wiederbelebung  Scheintodter  aller  Art,  desgleichen 
das  stärkere  Reiben  mittels   weicher  Bürsten    (s.  Asphyxia).     In  England 


810  FRICTIO 

ist  die  sogenannte  Fleischbürste,  eine  welche  mit  einem  Stiel  Tersehcn« 
Bürste,  gegen  rheumatische,  gichtische  und  spastische  Localschmerzen  aller 
Act,  selbst  als  diätetisches  und  Präseivativmittel  sehr  im  Gebrauch.  Di© 
Kranken  bürsten  sich  selbst  Morgens  und  Abends  V4 — 1  Stunde  lang  die 
leidenden  TheUe,  bei  chronischen  Unterleibsleiden  selbst  den  Unterleib,  und 
die  herrlichen  Wirkungen  dieses  Verfahrens  sind  bekannt.  In  Deutschland 
ist  ihr  Gebrauch  mit  Unrecht  noch  zu  wenig  eingeführt.  Auch  bei  Blutcon- 
gestionen  zum  Kopfe  ist  das  Bürsten  des  Rückens,  Nackens,  der  Brust  und 
der  untern  Extremitäten  als  derivatorisches ,  die  ßlutcirculation  gleichmässi- 
ger  machendes  Mittel  zu  empfehlen,  desgleichen  bei  erethistischen  Blutungen 
aus  Nase  und  Lungen.  Da  die  nächste  Ursache  eines  jeden  epileptischen  In- 
sults in  vermehrter  Congestion  zum  Gehirn  zu  suchen  ist  (s.  Epilepsia), 
so  habe  ich  mit  Nutzen  bei  den  Vorboten  des  Anfalls  die  Nackengegend  und 
den  Rücken  kräftig  bis  zur  Hautröthe  bürsten  lassen  und  dadurch  zuweilen 
den  Ausbruch  der  Krämpfe  verhütet  (Müs<).  4)  Die  Frictionen  und  Ein- 
reibungen von  Arzneien  in  die  Haut  Qjiunctio,  Illitio^  mittels  der  Hand  oder 
v?ollener  Tücher  etc.  Jedem  Arzte  ist  bekannt ,  dass  Arzneistoffe  aller  Art 
durch  Application  aufs  Hautsjstem  in  den  Körper  gebracht  werden  können. 
Die  Action  des  Reibens,  die  Friction  mit  und  ohne  Arzneien  ist  als  diäteti-- 
8ches  Mittel  zur  Reinigung,  Belebung  und  Stärkung  der  Haut  höchst  wich-^ 
tig,  wird  daher  noch  jetzt  im  Orient  häufig  angewandt,  in  Europa  aber 
noch  immer  zu  sehr  vernachlässigt,  obgleich  jeder  Arzt  weiss,  wie  gross  ihr 
Nutzen  zur  Verhütung  der  Gicht,  zur  Hellung  bei  Krankheiten  aus  Schwä- 
che, bei  Lähmungen,  Stockungen  aller  Ait  etc.  ist.  Manche  Ärzte,  beson- 
ders aber  auch  die  Wundärzte ,  übersehen  bei  der  äussern  Anwendung  gifti- 
ger Arzneien  häufig  die  bedeutenden,  durch  Absorption  hervorgebrachten 
allgemeinen  Wirkungen,  oder  vergessen  zum  Nachtheile  der  Kranken,  dass 
dergleichen  stattfinden  können.  Die  äussere  An\\endiing  des  Arseniks,  Queck- 
silbers, des  Bleies,  Kupfers,  der  narkotischen  Gifte  etc.  erregt  nach  der 
Erfahrung  nicht  selten  allgemeine  Zufälle,  welche  ganz  denen,  die  durch 
den  innern  Gebrauch  jener  Gifte  entstehen ,  ähnlich  sind.  Am  leichtesten 
und  häufigsten  ist  das  der  Fall  bei  Kindern,  zarten  Frauen  und  bei  Mäd- 
chen und  Jünglingen,  welche  in  der  Pubertät  begriffen  sind,  desgleichen  bei 
allen  geschwächten  Subjecten,  bei  Greisen.  Viele  Wundärzte  wissen  es  nicht, 
dass  giftige  Stoffe,  in  Klystieren  beigebracht,  z.  ß.  Opium,  Belladonna,  Ta- 
bak, Bilsenkraut  etc. ,  oft  die  fürchterlichsten  Zufälle  erregen  und  dass  da- 
her in  indicirten  Fällen  die  Dosis  jener  Stoffe  allemal  nur  klein  seyn,  nur 
■wenig  die  durch  den  Mund  zu  reichende  Gabe  übersteigen  darf.  Es  würde 
zu  wellläufig  seyn,  hier  aller  Fälle  und  Übel  zu  gedenken,  wo  wir  mit 
Nutzen  äusserlich  Arzneistoffe  einreiben.  Ich  erinnere  hier  nur  an  die  flüch- 
tigen Salben,  die  ätherischen  in  Spiritus  aufgelösten  Öle  bei  Krämpfen,  an 
die  Mercurialeinreibungen  bei  chronischen  unschmerzhaften  Drüsenverhärtun- 
gen, bei  Lues  inveterata  zur  Erregung  der  Salivation  als  Louvrier- Rust'- 
sche  Schmiercur  (s.  Syphilis),  an  den  Nutzen  reizender  Einreibungen  bei 
chronischen  Gelenkleiden,  beim  Keuchhusten  im  zweiten  Stadium,  bei  chro- 
nischen Augenübeln,  zur  Zertheilung  von  Balggeschwülsten,  an  die  erwei- 
chenden äussern  Mittel  gegen  Ankylose,  Caput  obstipum,  gegen  schmerz- 
hafte Gelenkübel  etc.,  an  die  fettigen  Salben  und  fetten  Öle  mit  Zusatz  von 
Opium ,  Hyoscyamus  bei  Kardialgien ,  Koliken ,  Krämpfen ,  bei  Dolor  faciei, 
Ischias  etc.  Ebenso  gross  und  ausgebreitet  ist  in  den  höhern  Ständen  der 
Gebrauch  der  wohlriechenden  Wasser,  besonders  der  Eau  de  Cologne  bei 
Migräne  und  andern  Nervenübeln,  wobei  zu  bemerken,  dass  der  tägliche 
Gebrauch  solcher  Wasser  bei  Gesunden  oft  nachtheilig  wirkt  und  durch 
Überreizung  des  Geruchorgans  selbst  Nervenverstimmung  und  Diathesis  spa- 
stica  befördert.  Contraindicirt  sind  alle  Frictionen,  sowol  das  Reiben  mit 
der  blossen  Hand ,  als  mit  Arzneien ,  bei  allen  örtlichen  acuten ,  innerlichen 
und  äusserlichen  Entzündungen  am  leidenden  Orte.  Wohl  aber  passen  si« 
hier  oft  als  reizerregende,  derivatorische,  revulsorische  Mittel  an  Theileii, 
die   vom  leidenden  Organe   efitfernt  sind.     AU  Regel  kann  man   aunejuiieiu 


FRICTIO  811 

dass  FrictJonen  da ,  wo  sie  heftige  Schmerzen  erregen ,  stets  contraindicirt 
sind,  wovon  wir  nur  die  reizenden,  Röthe,  Pusteln  oder  Blasen  erregenden 
Salben  und  Waschwasser,  applicirt  an  entferntere,  dem  leidenden  Organo 
nicht  zu  nahe  liegende  Theile,  ausnehmen.  Der  Unfug,  der  mit  der  An- 
wendung stark  reizender  Salben  und  spirltuöser  Dinge  bei  Entzündungen, 
bei  frischen  Quetschungen  mit  Geschwulst  etc.  von  unwissenden  Wundärzten 
noch  getrieben  wird,  wo  Linim.  volat.  camph.,  Spirit.  saponis,  camphor. 
gleich  herhalten  müssen,  wenn  nur  kalte  Fomentationen  von  Wasser,  Essig, 
Schnmcker's  Fomentation  indicirt  sind,  ist  leider!  immer  noch  sehr  gross. 
Jene  Heilkünstler  unterscheiden  nicht  gehörig  das  Stadium  irritationis  und 
das  Stad.  relaxationis  bei  Verletzungen  der  Art.  Die  Alten  hielten  viel  auf 
Einreibungen  bei  chronischen  Krankheiten;  die  Kranken  wurden  von  einem 
eigens  dazu  bestellten  und  instruirten  Wundarzte  und  Bader,  Salbarzt 
(^laTQnktinirjc') ,  eingerieben,  meist  am  ganzen  Körper,  womit  häubg  Bäder 
und  starke  Leibesübungen  verbunden  wurden.  Sowie  die  Methode  er.dermi- 
que  noch  neuerlich  die  Franzosen  in  Anwendung  brachten, ♦im  wirksame 
Arzneien,  auf  die  durch  Vesicatorien  entblössten  Hautstellen  applicirt,  durch 
Absorption  in  den  Körper  zu  bringen;  ebenso  wichtig  ist  die  Methode  iatra- 
liptique ,  wo  wir  unsere  Arzneistotfe  in  die  Oberhaut  einreiben ,  bald  in  der 
Absicht,  dass  sie  absorbirt  werden  sollen,  bald  nur  deshalb,  damit  sie  di^ 
hohe  Reizbarkeit  und  Empfänglichkeit  des  Hautsystems  gegen  schädlichQ 
Einflüsse  vermindern.  Bekannt  sind  hier  die  guten  Wirkungen  der  Ölein- 
reibungen bei  Hydrops ,  als  Präservativ  gegen  die  orientalische  Pest ,  als 
Radicalmittel  gegen  Scabies  nach  vorausgeschickten  Waschungen  mit  Seifen- 
Wasser,  als  Unterstützungsmittel  bei  herpetischen  Ausschlägen  (^HtifelanJy 
Aatenrieth,  Bischoff'^;  auch  im  Stadio  desquamationis  scarlatinae  zur  Verhü- 
tung der  leicht  folgenden  Hautvvassersucht  (s.  Schröpf  in  HufelantVs  Journ. 
Bd.  IV.  S.  752.  V.  A.  Brera,  Anatripsologie,  oder  die  Lehre  v.  d.  Einrei- 
bungen; übers,  von  Eyerd.  Wien  1800,  1801.  2  Bde.).  Über  die  durch 
Lambert,  Rkherand,  PaiUard  und  Andere  empfohlene  Methode  endermique 
ou  emplastro- endermique  vgl.  Nouv.  Bibiiotheque  medicale,  1826.  Hecler^s 
Lit.  Annalen  1827.  Juli.  S.  68.  Mnnsfehl,  m  d.  Gemeins,  deutschen  Zeitschr. 
f.  Geburtshülfe.  Bd.  II.  Hft.  2.  S.  293.  Lesieur,  Bnlhj,  Lisfrnnc,  in  Revue 
medicale,  Avr,  et  Sept.  1827.  Diese  ender  mische  Methode,  welche 
ungefähr  seit  10  Jahren  bekannt  und  ebenso  lange  häufig  angewandt  wor- 
den ist,  besteht  bekanntlich  darin,  dass  man  auf  eine  oder  die  andere 
durch  ein  Vesicatorium  oder  auf  andere  Weise  von  der  Oberhaut  entblösst© 
Stelle  verschiedene  wirksame  Arzneistoffe  einstreuet  oder  letztere  in  anderer 
Form  auf  dieselbe  applicirt,  damit  sie  durch  Resorption  in  den  Körper  ge- 
langen, um  verschiedenen  Heilzwecken  zu  entsprechen.  Obgleich  eine  grosse 
Menge  von  Versuchen  selbst  bei  Gesunden ,  zumal  in  den  Hospitälern  Eng- 
lands, Frankreichs  und  Deutschlands,  darüber  angestellt  worden  sind;  so 
sind  die  Stimmen  über  die  Vortheile  dieser  Methode  vor  andern  Heilmetho-r 
den ,  zumal  vor  dem  innerlichen  Gebrauche  der  Arzneien ,  dennoch  bis  jetzt 
getheilt.  Bei  allen  Krankheiten,  die  den  ganzen  Organismus  ergreifen,  ver- 
dient der , innerliche  Gebrauch  der  Arzneien  unstreitig  den  Vorzug,  dagegen 
die  endermische  Methode  bei  örtlichen,  zumal  chronischen  Übeln,  vielleicht 
vorzuziehen  ist.  Dabei  ist  zu  berücksichtigen,  dass  jeder  bedeutende  Entr 
zündungsprocess  die  Einsaugung  mehr  oder  minder  verhindert.  Man  hat 
auch  in  Blutegelwunden,  auf  Hautstellen,  die  durch  kaustischen  Salmiak- 
geist, durch  concentr.  Schwefelsäure  entblösst  worden,  Arzneistoife  appljcirt; 
doch  hat  man  dieses  Verfahren  nicht  immer  wirksam  gefunden.  Bei  durch 
Vesicatorien  entblössten  Hautstellen  kann  man  ausserdem  nicht  sorgfältig 
und  häutig  genug  die  Fläche  abtrocknen,  ehe  man  das  Mittel  anwende:, 
sonst  spült  die  ausquiliende  Feuchtigkeit  einen  Theil  des  Arzneistoffs  weg. 
Aus  diesen  Gründen  bedient  sich  J.  A.  Uoffmann  (s.  Httfeland^s  Journ.  1833; 
Jan.  und  Febr.  S.  100  u.  S.  33.)  der  Siedehitze.  Er  hält  ein  Messer^ 
bei  kleinen  Hautstellen  nur  eine  Stricknadel,  eine  Minute  lang  in  siedendes 
und  m  Sieden  unterhaltenes  Wasser  und  applicirt  sie  heiss  auf  die  Epidenui;». 


812  FRICTIO 

Es  bildet  sich  fast  augenblicklich  ein  Schorf,  welcher  ge,spalten  vvh-d,  und 
Huf  dessen  darunter  liegende,  von  der  Oberhaut  völlig  entblösste  wunde 
Haut  das  Mittel  mittels  eines  kleinen  Hornspatels  aufgetragen  wird.  Als 
Vortheile  dieses  Verfahrens  vor  dem  frühern  giebt  U.  an:  1)  dass  es  weit 
weniger  Umstände  macht,  2)  dass  man  sogleich  und  nur  so  viel,  als  man 
braucht,  Schorf  bewirkt.  Das  Vesicatorium  wirkt  tiefer  und  mehr,  als  von 
Nutzen  ist;- der  durch  dasselbe  erregte,  oft  bedeutende  Entzündungszustand 
vernichtet  oder  beschränkt  wenigstens  sehr  die  Aufsaugungsfähigkeit.  3)  Ist 
der  Schmerz  nicht  sehr  heftig,  und  ist  schnell  vorübergehend,  und  4)  kann 
man  damit  die  kleinste  Hautstelle  entblössen.  Dieser  Umstand  empfiehlt  das 
Verfahren  besonders  an,  wo  stets  neue  Hautstellen  entblösst  werden  müssen, 
und  weil  nach  LenibcrVs  Erfahrung  mehrere  kleine  Applicationsstellen  vor- 
theilhafter  sind,  als  eine  grosse,  auch  der  beste  Ort  für  Anwendung  der  en- 
dermischen  Methode  der  Verlauf  der  betreffenden  Nerven  ist.  Der  zweck- 
massigste  Verband,  man  mag  die  Haut  entblössen,  auf  was  für  Art 
man  will,  ist  ein  Stück  Wachspapier,  welches  man  unmittelbar  auf  die  ent- 
blösste,  mit  der  Arznei  bedeckte  Fläche  legt  und  es  mit  englischem  Pflaster 
oder  Heftpflasterstreifen  befestigt.  Legt  man  irgend  ein  Pflaster  unmittel- 
bar auf  die  Applicationsstelle,  so  wirkt  die  Wegnahme  des  Verbandes  zu 
reizend  und  schmerzerregend.  Die  zweckmässigste  Form  der  Arznei- 
stoffe ist  die  des  feinsten  Pulvers,  weniger  wirksam  ist  die  Salbenform  (die 
nur  angewendet  werden  kann,  wenn  man  es  mit  einer  gar  zu  gereizten 
Oberfläche  oder  mit  einem  die  Haut  sehr  heftig  reizenden  Mittel  zu  thun 
hat),  wahrscheinlich  weil  sie  die  Mündungen  gleichsam  verklebt;  am  aller- 
wenigsten aber  wirkt  dasselbe  Mittel  in  flüssiger  Form ,  z.  B.  als  Tinctur, 
vermuthlich  weil  entweder  zu  viel  abfliesst  oder  zu  viel  in  den  Verband 
dringt.  Die  besten  Stellen  für  die  Application  sind  die,  welche  dem 
leidenden  Theile  und  dessen  Nerven  am  nächsten  liegen ;  sodann  die  Theile, 
welche  eine  feinere  Oberhaut  oder  eine  stärkere  Transspiration  haben,  mit 
einem  Worte,  die  im  Allgemeinen  schon  empfindlichem;  daher  die  vordem 
Theile  des  Halses,  die  Stelle  hinter  den  Ohren,  die  innem  Theile  der  Arme, 
Schenkel  etc.  Bei  raschem  Stoffwechsel,  bei  sanguinischem  Temperamente 
mit  nicht  trockner,  spröder  Haut,  bei  Kindern,  Blondins,  beim  weiblichen 
Geschlecht,  bei  zarter,  wolliger  Haut,  ist  die  Aufsaugung  am  thätigsten, 
bei  Abend,  sowie  in  der  Nacht,  und  bei  feucht- warmer  Temperatur  ara 
bedeutendsten.  Sie  wird  femer  durch  das  möglichste  Gleichgewicht  aller 
Functionen  begünstigt,  durch  hervorstechendes  Leiden  irgend  eines  Organs 
oder  Systems,  durch  abnorme  Thätigkeit  im  Blute,  durch  überwiegende 
Plasticität  (bei  Entzündung,  Eiterung,  Schwangerschaft)  und  jedes  einsei- 
tige Hervortreten  irgend  einer  Secretion  (bei  Durchfall,  fliessenden  Gold- 
adern, partiellem  Schweisse,  Wassersucht)  behindert  oder  gar  aufgehoben. 
Auch  scheint  die  Wirkung  bei  grosser  Hitze  und  wenn  die  Atmosphäre  über- 
reich an  Elektricität  ist,  langsam  und  träge  zu  seyn.  —  Die  Mittel,  wel- 
che Hoffnitmn  anwandte,  waren:  1)  MorpMu7n  sulphuricum,  was  er  für  kräf- 
tiger und  sicherer  in  der  Wirkung,  als  das  M.  aceticura  hält;  er  beginnt 
mit  V4  Gran  und  steigt  höchstens  bis  l'/o  Gran;  die  Wirkung  folgt  oft  schon 
binnen  10  Minuten,  oft  erst  nach  4 — 6  Stunden.  Das  Morphium  erzeugt 
örtlich  fast  gar  keinen  Schmerz,  die  Applicationsstelle  entzündet  sich  fast 
gar  nicht  und  heilt  höchstens  binnen  6  Tagen ,  wo  dann  eine  neue  gewählt 
werden  muss.  Verstopfung  war  stets  zugegen,  und  in 'allen  Fällen,  wo 
Heilung  oder  Besserung  folgte,  fehlte  auch  nicht  das  charakteristische  Na- 
senjucken. Ausser  Kopfweh  und  Schwindel  wurde  keine  bedeutende  Hirn- 
aft'ection  bemerkt.  .Bei  unheilbarem  Carcinoma  uteri  wandte  H.  neben  dem 
innerlichen  Gebrauche  des  Opiums  das  schwefelsaure  Morphium  nach'«nder- 
mischer  Methode  an ,  und  die  fürchterlichen  Schmerzen  verminderten  sich 
bedeutend.  Zuletzt  halfen  aber  beide  Älittel  nichts  mehr  und  nur  Aqua 
laurocerasi  gab  einige  Linderung.  Venerische  Knochenschmerzen  hob  das 
Morph,  acetic.  in  der  Dosis  von  '/■. — l'A  Gran,  abwechselnd  auf  den  Ihiken 
Oberschenkel   and    rechten  Oberarm   applicirt;    binnen    %  —  2  Stunden   k-at 


FPJCTIO  813 

Hfilfe  auf  1  bis  S  Tage  ein.  In  4  Fällen  von  chronischen  Kopfschmerzen 
glückte  es  nur  einmal,  sie  mit  Morph,  acetic.  zu  heben.  Es  wurde,  nach- 
dem 10  Blutegel  applicirt  worden,  viermal,  in  Zwischenräumen  von  2  —  5 
Tagen,  auf  entblösste  Hautstellen  am  Kopfe,  zu  I72 — S'/,  Gran  steigend, 
angewandt  und  der  Schmerz  völlig  beseitigt.  In  7  Fällen  von  Gelenkrheuma 
wurde  das  Morphium  meist  neben  innerlicher  Anwendung  anderer  Mittel 
fünfmal  ohne  Erfolg  applicirt.  In  2  Fällen  von  Keuchhusten  entstanden  nach 
Morph,  acetic.  und  sulphuric. ,  sowie  nach  Extr.  belladonnae  neue  Schmer- 
zen, und  zwar  um  so  heftiger,  wenn  die  Mittel  rein  und  nicht  in  Salben- 
form angewandt  worden  waren.  In  2  Fällen  von  heftigem  Kiampfhusten  bei 
Er^^achsenen  half  1  Gran  Morph,  sulpuric.  auf  die  von  Vesicatorien  am  Halse 
bewirkten  wunden  Stellen  sehr  schnell  und  vollkommen  genügend.  2)  Chi- 
ninuni  sulphuricum.  Man  muss  es  mit  Unguent.  rosatum  anwenden.  In  rei- 
ner Pulverform  angewandt  folgt  bedeutende  Hautentzündung  im  Umkreis« 
von  mehreren  Zollen,  häufigerer  Puls  etc.  (Lembert,  Martini),  Gegen  In- 
termittens  hat  es  zuweilen  geholfen,  doch  ist  hier  der  innerliche  Gebrauch 
vorzuziehen  (Mosi).  3)  Kermes  mincrale  wandte  Hofj'mnnn  dreimal  bei  chro- 
nischen Katarrhen  alter  Leute,  in  die  Mitte  des  Halses  applicirt,  an-  In 
emem  Falle  vermehrte  sich  die  Expectoration  wenige  Stunden  darauf,  in 
einem  andern  nicht.  Bei  allen  dreien  entstand  Übelkeit  und  vermehrter 
Stuhlgang.  Das  Mittel ,  täglich  einmal  zu  V2  bis  höchstens  2  Gran  aufge- 
legt, muss  auch  in  Salbenform  applicirt  werden,  sonst  bilden  sich  bald 
Krusten  ,  deren  Ablösung  Schmerz  und  Mühe  machen.  4)  Flores  zinci.  Bei 
einem  2'/23ährigen,  an  Krämpfen  beim  Zahndurchbruch  leidenden  Kinde  be- 
schwichtigte '/o  Gran  davon  mit  etwas  Unguent.  rosat.  auf  eine  aufgezogene 
wunde  Stelle  hinter  den  Ohren  gelegt,  diese  Zufälle.  Drei  Tage  darauf 
erschien  ein  Backenzahn.  Bei  Epilepsie  leistete  das  Mittel  nichts.  Es  wirkt 
auf  die  Hautstelle  ebenso  austrocknend  als  Kalomel ,  daher  man  oft  neue 
wählen  muss. —  Bei  einer  Haut-  und  Bauchwassersucht  nach  überstandenera 
Scharlach  brachte  1  Gran  Kalomel,  über  den  Nabel  applicirt,  nach  l'/o  Stun- 
den mehrere  wässerige  Stühle  hervor;  hierauf  wurden,  bei  Abwesenheit  je- 
der entzündlichen  Reizung,  2  Gran  Extr.  squillae  auf  eine  wunde  Stelle  in 
der  rechten  Nierengegend  gebracht ,  was  heftigen  Schmerz  und  hohe  Rö- 
thung  der  Stelle,  aber  keine  vermehrte  Diuresis  erregte.  Aloeextract  zu 
2 — 6  Gran,  in  die  Herzgrube  gebracht,  hob  stets  binnen  4 — 12  Stunden 
die  durch  Morphium  acetic.  und  sulphuric.  entstandene  Stuhl  Verstopfung  ohne 
Schmerz.  —  Nach  Hoffmann  passt  die  endexun.  Methode  in  ihrem  gegen- 
wärtigen Zustande  im  Allgemeinen  nur  für  einen  symptomatischen  Cur- 
plan.  Narcotica  scheinen  am  sichersten  zu  wirken,  und  periodische  Krank- 
heiten, Neuralgien,  sich  am  besten  für  dieselbe  zu  eignen,  In  Fällen,  wo 
Zeitverlust  schaden  kann,  ist  es  räthlich,  ein  bereits  erprobtes  Verfahren 
der  enderm.  Methode  vorzuziehen,  da  sich  die  Resultate  derselben  häufig 
widersprechen,  selten  auch  ganz  reine  Versuche  gemacht  worden  sind,  und 
man  häufig  dabei  die  gute  derivirende  Wirkung  der  Epispastica  und  Vesi- 
cantia  nicht  mit  in  Anschlag  gebracht  hat.  So  sah  z.  B.  Dr.  Steverson 
(s.  Calcutta  Transact.  of  the  med.  and  physical  Society.  18S1.  Vol.  V.  und 
Behrendts  Repert.  1832.  Mai.  S.  156)  seit  mehreren  Jahren  grossen  Nützen 
von  der  Anwendung  des  Strychnins  gegen  Amaurose,  als  Streupulver  auf 
die  nach  Blasenpflastern  entstandenen  wunden  Stellen  in  der  Schläfe  ange- 
wandt, wo  täglich  Vi  Gran  verbraucht  wurde.  Dagegen  versuchte  gleich- 
falls V.  Amman  das  Strychnin  auf  endermische  Weise  gegen  schwarzen  Staar, 
aber  vergebens;  er  sah  keinen  Erfolg,  fürchtet  vielmehr  geschadet  zu  haben 
(s.  dess.  Zeitschr.  f.  Ophthalmologie.  1832.  Bd.  II.  Hft.  4).  —  M.  W.  Gerhard 
in  Philadelphia  macht«  unter  den  Augen  des  Prof.  Jaclson  mehr  als  200  en- 
dermische Versuche  mit  tonischen,  narkotischen,  purgirenden, 
harntreibenden  und  Brechmitteln,  auch  mit  Quecksilber  und 
lodine.  Chinin,  sulphuricum  reizte  die  durch  Vesicatorien  entblösste  Haut 
heftig,  erregte  aber  kein  Fieber,  wirkte  stärkend  und  unterdrückte  Quoti- 
dianen  und  Tertianen  glücklich,    angewandt  während   der  Apyrexie   in  Pul- 


814  FUIVnGATIO 

Terform  oder  Gerat  anf  Jie  wunde  Stelle;  doch  erforderte  jeder  einzeln« 
Fall  20  bis  112  Gran  Chinin.  (Mit  der  letztern  grossen  Dosis  Chinin  kann 
man,  das  Mittel  innerlich  gereicht,  wol  20  Kranke  der  Art  heilen.  Most.y 
Es  fand  wahre  Resorption  statt.  Chinaextract  zeigte  ähnliche,  doch  schwä- 
chere Kräfte.  Unter  den  Opium präparaten  eignet  sich,  nach  Gerhardy 
der  Opiumessig  (hJncli  (hops  der  Engländer)  am  besten  zur  enderniischeii 
Methode.  Es  ergaben  sich  schnell  schmerzstillende  Wirkungen,  schneller, 
als  beim  innerlichen  Gebrauche ;  das  Opium  traf  ja  die  Hautnerven  selbst. 
Schwefelsaures  und  essigsaures  Morphin,  besonders  das  erstere, 
haben  zu  Folge  ihrer  concentrirten  Kraft  und  Auflöslichkeit,  vor  alfen  an- 
dern Medicament'en ,  die  durch  die  Haut  wirken  sollen,  den  Vorzug;  denn 
y,  —  4  Gran  schafften  in  Neuralgien  und  rheumatischen  Alfectionen  grossen 
Nutzen.  Auch  Belladonna,  Schierling  und  Stechapfel  äusserten, 
wie  alle  Narcotica,  von  hieraus  angewandt,  schnellere  Kraft,  als  auf  dem 
"Wege  des  Darmcanals.  —  Unter  den  Purgirraitteln  lässt  die  Aloe  von 
der  Haut  aus  am  vortheilhaftesten  sich  anwenden.  Zehn  Gran  machten  nach 
einer  Stunde  mehrere  Ausleerungen.  Auch  Gummig utt  purgirt  gut,  irri- 
tirt  aber  stärker,  als  die  Aloe,  llheum,  Jalape  und  Elaterium  blie- 
ben ohne  Wirkung.  Das  Ol.  crotonis  erzeugte  selten  Stühle,  mehr  lei- 
stet p.  d.  zu  1  Scrupel  das  Extr.  colocynthid.  compos.  Alle  Diuretica 
aus  dem  Pflanzenreiche,  namentlich  Squilla,  Digitalis,  wirkten  stark  auf  den 
Harn.  Von  den  Brechmitteln  wirken  nur  die  vegetabilischen  (Emetin  zu  10 
Gran ,  Tabaksöl  u.  s.  f.)  Brechen  erregend.  Tartarus  emet.  reizt  zu  sehr. 
Mercur  und  lodine  thun  dieses  nicht;  sie  verhalten  sich,  als  wenn  sie  in 
den  Darmcanal  eingeführt  worden  wären.  Eine  stärkere  Dosis  bleibt  aber 
stetes  Erforderniss  bei  Anwendung  der  Methode  endermique.  Dasselbe  ist 
auch  der  Fall  bei  der  iatraleptischen  Methode,  die  daher  viel  Arznci- 
8toff  consumirt.  So  hat  man  wol  Chinin,  sulphuricum  mit  Unguent.  rosal. 
vermischt,  sowol  bei  Febr.  intermittens  als  bei  andern  verschiedenen  irrita- 
tiven  Leiden  mit  anhaltendem  Typus,  entstanden  durch  den  Einfluss  von 
Sumpfmiasma,  mit  Nutzen  eingerieben,  aber  oft  12  Gran  alle  3  Stunden, 
wodurch  die  Cur  A'iel  theurer  wird,  als  bei  dem  Innern  Gebrauche  desselben 
Mittels  (s.  (ie  Simoiii  in  Semanario  da  Sande  publica-  Rio  de  Janeiro  1832. 
BehreniVs  Repert.  1832.  Octbr.  S.  107).  —  Bei  Gelenkrheumatismen  wand- 
ten Troiissenu  und  Honnef  (Archives  generales  de  Medec.  1831.  Novbr.  und 
BehreniVs  Repert.  1832.  März.  S.  383)  in  den  von  Recnmier  dirigirten  Kran- 
kensälen die  Morphiumpräparate  an.  Eine  grosse  Anzahl  von  Kranken,  die 
an  genanntem  Übel  litten,  sind  durch  die  Anwendung  von  Morphium  sul- 
phuric.  und  M.  miiriat.  ohne  alle  weitere  Mittel  behandelt  worden.  Es  wur- 
den diese  Präparate  dem  Morph,  acetic.  vorgezogen,  weil  dieses  nicht  so 
schnell  und  viel  schwerer  absorbirt  wird.  Es  wurde  die  Haut  über  d^n 
Gelenken  durch  eine  Ätzsalbe  wund  gemacht  und  dann  auf  die  entblössto 
Stelle  nach  Umständen  1  —  6  Gran  der  erwähnten  Präparate  eingestreuet, 
und  nur  in  seltenen  Fällen  eine  geringe  Dosis  von  diesen  Mitteln  innerlich 
in  Pillen  gegeben.  Sowie  dadurch  an  einem  Gelenk  oder  an  einer  Stelle 
der  Rheumatismus  entfernt  war,  wurde  derselbe  überall  verfolgt,  wo  er  am 
Körper  hervortrat.  Die  meisten  Fälle  wurden  geheilt.  Die  Ätzsalbe  bestand 
aus  Ammon.  caustic.  concentr.  5J,  Axung.  porci  3J,  Sev.  ovi  gjv.  Troussenu 
und  Bonnet  können  diese  Behandlungsweise  nicht  genug  rühmen ;  sie  geste- 
hen ,  dass  dies  die  leichteste  und  sicherste  Weise  sey ,  die  sog.  Gelenkgicht 
ohne  materielle  Ablagerung  zu  heilen,  vergessen  dabei  aber  den  Antheil  an 
dem  günstigen  Erfolge  der  Cur,  den  das  Unguent.  irritans  nothwendig  hat, 
mit  in  Anschlag  zu  bringen. 

Fumig^atio,  das  Räuchern,  Beräuchern.  Ist  diejenige  Methode, 
wo  wir  Arzneien  auf  glühenden  Kohlen  oder  andern  heissen  Körpern  ver- 
brennen und  den  Rauch,  der  dadurch  entsteht ,  an  den  ganzen  Körper  oder 
an  einzelne  Körpertheile  gehen  lassen.  Unter  dem  Volke  ist  das  Räuchern 
bei  rheumatischen  und  gichtischen  Übeln  sehr  gebräuchlich.  Die  Glieder 
werden  entblösst,  ein  Kohlenbecken  mit  glühenden  Kohlen  neben  den  Kran- 


FÜMIGATIO  815 

kcn  gestellt  und  darauf  Wacholderbeeren,  Bernstein,  Mastix  etc.  geworfen. 
Damit  der  Rauch  die  leidenden  Theile  recht  kräftig  berühren  könne,  setzt 
ßich  der  Kranke  auf  einen  Stuhl  und  hängt  sich  eine  grosse  bis  auf  die 
Erde  reichende  Decke  oder  solchen  Mantel,  worunter  das  Kohlenbecken  be- 
findlich ist,  um.  Solche  Räucherungen  sind  äusserst  wirksam ;  ihre  Wirkung 
wird  vermehrt,  wenn  man  in  Fällen,  wo  es  vertragen  wird,  zugleich  die 
Frictionen  mittels  erwärmten  und  durchgeräucherten  Flanells  damit  verbin- 
det. Ebenso  üblich  sind  bei  den  niedern  Ständen  Mecklenburgs  die  Urin- 
räncherungen  gegen  Gicht  und  Rheumatismus.  Man  nimmt  den  Urin  des 
Kranken ,  giesst  ihn  successive  auf  ein  heisses  Eisen ,  und  lässt  den  Dunst 
davon  an  den  leidenden  Theil  gehen.  In  mehreren  Fällen  sah  ich  auffal- 
lende Wirkungen  von  diesem  etwas  ekelhaften  Mittel;  doch  lasseich  es  da- 
hin gestellt  seyn,  ob  die  guten  Wirkungen  nur  den  Wasserdämpfen  oder 
auch  den  besondern  Bestandtheilen  des  Urins  zugeschrieben  werden  müssen 
(^Most).  In  medicinisch  -  chirurgischer  Hinsicht  betrachten  wir  folgende  ver- 
schiedene Fumigationen:  1)  Schwefelräucherungen.  Sie  sind  von 
ausgezeichneter  Wirksamkeit  gegen  Scabies ,  Psydracie ,  gegen  verschiedene 
chronische  Hautausschläge.  Man  streuet  gestossenen  Schwefel  auf  glühende 
Kohlen  oder  auf  heisses  Eisen  und  leitet  den  Dampf  mit  Vorsicht,  damit  die 
Respirationsorgane  nicht  leiden,  durch  Röhren  oder  unmittelbar  in  dicht  ver- 
schlossene Kasten,  worin  sich  das  leidende  Glied  oder  der  ganze  Körper  mit 
Ausnahme  des  Kopfes  befindet.  Sowol  die  Auswahl  der  dazu  erforderlichen 
Apparate,  als  auch  die  Art  und  Weise  der  Anwendung  sind  nach  individuel- 
len Umständen  sehr  verschieden,  worüber  folgende  Schriften  nähere  Auskunft 
geben:  J.  Wächter,  Über  den  Gebrauch  d.  Bäder  etc.,  nebst  einem  Berichte 
über  d.  medicin,  Werth  der  Schwefelräucherungen  in  verschiedenen  Krank- 
heiten des  menschlichen  Organismus.  2te  Aufl.  Wien,  1818.  J.  de  Cnrro, 
Anleit.  z.  Errichtung  einer  Räucherungsanstalt  u.  z.  Anwendung  der  Schwe- 
felräucherungen insbesondere.  Wien,  1817.  J.  H.  Karsten,  Über  die  Krätze 
etc.  Hannover,  1818.  Medic.  -  chirurg.  Zeitung,  1821.  S.  171,  182;  1822. 
S.  312;  1822,  III.  S.  242.  HufelamVs  Journ.  1822.  Jan.  S.  115.  Bd.  LIV. 
Hft.  1.  Bd.  LVII.  St.  3.  S.  81.  Traite  de  la  m^thode  fumigatoire  ou  de 
l'emploi  medical  des  bains  et  douches  de  vapeurs,  par  T.  Rapou,  1823  u. 
1824.  2  Bde.  Memoires,  rapports  et  observations  sur  les  fumigations  sul- 
fureuses;  par  J.  C.  Gales,  2te  edit.  Par.  1823,  avec  des  planches  coloriees. 
2)  Que  cksi  Ib  err  äuc  hernngen.  Sie  wurden  schon  in  frühern  Zeiten 
als  Zinnoberräucherungen  gegen  Lues  inveterata  angewandt ,  später  durch 
die  Mercurialschmiercur  verdrängt ,  neuerlich  aber  von  schwedischen  und  dä- 
nischen Ärzten  wiederum  empfohlen  (vgl.  d.  Art.  Syphilis  und  HufelnmCs 
Journ.  Bd.  LVII.  St.  4.  S.  54;  desgl.  Kleineres  Repert.  1827.  St.  2.  S.  83. 
St.  6.  S.  29.  St.  12.  S.  65).  Bei  hartnäckigen  syphilitischen  Hals-  und 
Nasengeschwüren  lässt  Dicff'enhach  in  Berlin  Tabak  rauchen,  der  mit  Zinno- 
ber vermischt  ist.  Die  Kranken  müssen  den  Dampf  oft  durch  die  Nase  lassen. 
Man  ninunt  3j  ?  später  5jj  Zinnober ,  vermischt  diese  mit  Wasser  und  feuch- 
tet damit  V4  Pfund  Tabak  an,  trocknet  ihn  dann  und  lässt  davon  täglich 
6  bis  8  Pfeifen  verbrauchen  (s.  Froriep's  Notizen.  Bd.  XVI.  S.  304). 
8)  Theerräu  cherungen  Sie  sind  besonders  gegen  Lungenschwindsucht 
empfohlen  worden  ,  haben  sich  aber  nur  in  der  Phthisis  puimonalis  pituitosa 
und  bei  chronischen  Brustkatarrhen  nützlich  gezeigt.  Bei  einem  heftigen 
Brustkrampfe  waren  Opium,  Moschus  etc.  vergebens  angewandt,  der  Kranke 
roch  zufällig  in  die  Theerbüchse  eines  Kutschers,  und  der  Krampf  ver- 
schwand auf  der  Stelle  (s.  Leo^s  Magaz.  f.  Heilk.  u.  Naturwissensch.  War- 
schau, 1828.  Jahrg.  I.  Hft.  1.  S.  17  —  33).  Bei  Lungeaverschleimung,  asth- 
matischen Beschwerden  und  Phthisis  pituitosa  ohne  Erethismus  im  Blutsystem 
wirken  die  Theerdämpfe  ganz  vortrefflich.  Der  Kranke  muss  sich  in  einem 
Zimmer  (bei  geschlossenen  Thüren  und  Fenstern)  aufhalten,  worin  man  nach 
der  Grösse  desselben  sechs  und  mehrere  flache  porzellanene  Teller  placirt, 
worauf  alle  8 — 15  Minuten  kleine  Portionen  siedend  gemachten  Theers  ge- 
gossen werden.      Das   Zimmer  wird  dadurch   von  dem   verdampften   Tbeer 


816  FmnGATIO 

tliirchdnmgen  und  dieser  durchs  Athmen  in  die  Respirationswege  gebraclit 
(s.  HufcJamVs  Journ.  Bd.  XLVJ.  St.  2.  S.  85.  Bd  L.  St.  1.  S.  ÜO.  Bd.  LH. 
St.  5.  S.  10.  Bd.  LV.,  St.  1.  S.  55.  Bd.  LXV.  St.  5.  S.  46).  Die  auf  solche 
Weise  angewandten  Theerräucherungen  gaben  nach  den  vor  wenigen  Jahren 
in  dem  Charit^  -  Krankenhaluse  zu  Berlin  angestellten  Versuchen  folgende  Re- 
sultate: Von  54  Lungensüchtigen,  bei  denen  sie  angewandt  wurden,  wurden 
4  dadurch  geheilt,  6  zum  Theil  merklich  gebessert,  6  blieben  unverändert, 
12  wurden  schlimmer  und  16  starben  (s.  Henke's  Zeitschrift  f.  Staatsarznei- 
kunde. VIL  Ergänzungsheft.  1827.  S.  266  —  273).  Wahrscheinlich  litten 
jene  4  Genesenen  nicht  an  der  wahren,  d.  i.  an  der  auf  Tuberkeln  beruhen- 
den Lungenschwindsucht.  Da  der  äusserliche  und  innerliche  Gebrauch  des 
Theers  als  Salbe  gegen  Tinea  capitis,  als  Aqua  picea  gegen  Gicht,  gegen 
verschiedene  chronische  Exantheme  nicht  ohne  Wirksamkeit  ist,  so  könnte 
man  auch  in  solchen  Fällen  die  Theerdämpfe,  sowol  in  die  Respirationswega 
als  auf  die  blosse  Haut  angewandt,  versuchen.  4)  Narkotische  Räu- 
cherungen. Dass  narkotische  Mittel  auch  als  Räucherungen  sehr  wirksam 
sind  und  in  starken  Dosen  ganz  dieselben  Zufälle  der  Vergiftung  hervor- 
bringen, die  ihr  innerer  Gebrauch  verursacht,  ist  ebenso  bekannt,  wie  das 
Verfahren  der  Diebe  im  Orient ,  gestützt  auf  diese  Thatsachen ,  den  Rauch 
von  Opium  in  die  Schlafzimmer  derjenigen,  welche  sie  bestehlen  wollen,  zu 
blasen,  damit  diese  betäubt  werden  und  dem  Diebstahle  kein  Hinderniss  iu 
den  Weg  legen.  Dass  das  Ki-aut  vom  Stechapfel,  mit  Tabak  gemischt  und 
täglich  geraucht,  ein  herrliches  Mittel  bei  chronischem  Krampfasthma  sey, 
ist  schon  oben  erwähnt  worden  (s.  Antasthmatica  und  Asthma).  Auch 
möchten  starke  Räucherungen  von  Datura  stramonium  in  der  Hydrophobie 
wol  besonders  dann  indicirt  seyn,  wenn  der  Kranke  wegen  bedeutenden 
Schlundkrampfes  das  Extr.  daturae,  das  hier  zu  den  wirksamsten  Mitteln 
gehört,  nicht  mehr  schlucken  kann  (s.  Hnrless,  Über  d.  Behandlung  dor 
Hundswuth,  und  insbes.  über  d.  Wirksamkeit  der  Datura  stramonium  gegen 
diese  Krankheit.  Frankf.  a.  M.  1809).  Auch  in  der  Epilepsie  hat  man  die,-e 
und  andere  narkotische  Räucherungen  mit  Nutzen  angewandt  (s.  HufelmiiVs 
Journal.  Bd.  LV.  St.  2.  S.  86  —  93);  doch  passen  sie  nur  in  solchen  Fällen, 
wo  der  innerliche  Gebrauch  der  Narcotica  indicirt  ist  (s.  Epilepsia),  be- 
sonders da,  wo  beträchtliche  Störungen  und  Abweichungen  der  Thätigkeit 
des  Gehirns,  hartnäckige  Stockungen  im  Unterleibe  und  ein  torpider  läh- 
mungsartiger Zustand  der  Abdominalnei-vengeflechte  obwalten.  In  einem  Falle 
leisteten  achtwöchentliche  Räucherungen  des  Körpers  mit  1  — 3  Quentchea 
Herb.  dat.  slramon. ,  täglich  angewandt,  gegen  hartnäckige  Hysterie  mit 
Nymphomanie  und  psychischem  Leiden  die  herrlichsten  Dienste  (Jtfos*)- 
5)  Räucherungen  mit  Chlorgas,  sogenannte  Chlorgasbäder.  Der  Ge- 
brauch der  Chlorine  in  flüssiger  Form  als  Acid.  muriat.  oxygenatum  inner- 
lich gegen  Scarlatina,  Febris  erethistica,  Angina,  Gastromalacie,  Febris 
dentitionis,  gegen  Diathesis  phthisica  (Göt/e«),  Hydrophobie,  thierische  Con- 
tagien,  gegen  chronische  Leberfehler  etc.  ist  bekannt.  Der  Engländer  Will. 
WaJlace  versuchte  gegen  Hypochondrie  mit  Leberstockungen  mit  grossem 
Nutzen  das  Chlorgas ,  wozu  er  eine  eigene  Vorrichtung  erfand  (vgl.  Samm- 
lung auserlesener  Abhandlungen.  Bd.  XXX.  S.  543  u.  660.  Bd.  XXXI.  S.  1). 
Der  Apotheker  Zeise  in  Altona  wendet  in  seiner  dort  bestehenden  Badean- 
stalt seit  1825  die  Chlorgasbäder  mittels  einer  sehr  sinnreich  ausgedachten 
Einrichtung  in  ähnlichen  Fällen  mit  grossem  Nutzen  an.  Die  zur  Anwen- 
dung dieser  Bäder  mit  dem  gewöhnlichen  Dampfbadapparate  gemachten  Ver- 
änderungen bestanden  darin,  dass  sämmtliche  Thürritzen  mit  dünn  geschnit- 
tenem Badeschwamm  bedeckt  wurden,  der  beim  Gebrauch  mit  einer  Solutio 
kali  carbonici  befeuchtet  ward.  Die  Ö^nungen  am  Halse  des  Badenden 
wurden  gleichfalls  mit  Tüchern  bedeckt,  die  in  dieselbe  Auflösung  getaucht 
waren,  und  zur  grössern  Vorsicht  ward  noch  der  ganze  Apparat  mit  einem 
mit  der  nämlichen  Flüssigkeit  benetzten  Laken  umgeben,  auf  welche  Weise 
man  das  eindringende  Chlorgas  durch  die  neutralisirende  KaliauHösung  un- 
schädlicii    machen   konnte.     Zu    einem   solchen  Gasbade    lässt   man   nun   die 


FUNGUS  817 

Chlorine  sich  ebenso  wie  bei  den  Guyion  -  Morveau'schen  Räucherungen  (s. 
unten)  entwickeln.  Man  mischt  nämlich  1  Loth  piüverisirten  Braunstein  und 
$  Loth  Küchensalz ,  giesst  darauf  2  Loth  mit  ebenso  -viel  Wasser  verdünnte 
Schwefelsäure,  bringt  diese  in  ein  steinernes  oder  porzellanenes  Gefäss, 
welches  auf  einem  Glühkohlenbecken  erhitzt  wird,  und  leitet  die  sich  schnell 
entwickelnden  Dämpfe  in  die  Bademaschine,  worin  der  Kranke  sich  befin- 
det. Die  angegebene  Portion  ist  zur  Entwickelung  des  Gases  für  ein  Bad 
genug.  Ehe  das  Gas  hingeleitet  wird,  kann  man  die  Temperatur  der  Luft 
im  Badekasten  durch  hineingelassene  Wasserdämpfe  bis  auf  40''  Reaum.  er- 
höhen. Ln  Bade  steigt  der  Puls  des  Kranken  oft  bis  auf  ISO  Schläge,  die 
Ausdünstung  wird  sehr  stark  und  es  stellt  sich  auf  der  Haut  das  Gefühl 
ein ,  als  kröchen  eine  Menge  Kerbthiere ,  die  hier  und  dort  kleine  Stiche 
anbringen,  darauf  herum  (s.  Gerson  und  Julius  Magazin;  März  u.  Apr.  1826, 
S.  181.  J/ccA-er's  Liter.  Annalen ,  Febr.  1826.  Huf el and' s  Journ.,  Jul.  1826, 
S.  1S6).  Neuerlich  hat  man  auch  zur  Auflösung  und  Heilung  der  Lungen- 
tuberkeln das  Athmen  einer  mit  Chlorgas  vermischten  Stubenluft  empfohlen, 
oder  auch  das  Chlorgas  mittels  des  Gannal'schen,  noch  besser  des  Cotte- 
reau'schen  Apparates ,  beschrieben  und  abgebildet  in  Pierer^s  AUgem.  med. 
Zeitung,  1831,  Nr.  16,  einathmen  lassen,  und  die  darüber  von  französischen 
Ärzten  angestellten  Versuche  scheinen  Aufmerksamkeit  zu  verdienen  (s.  Ar- 
chiv, general.  de  Medecine,  1830  u.  1831);  doch  muss  die  Folgezeit  erst 
entscheiden,  ob  dadurch  wirklich  die  Schmelzung  von  Tuberkeln  und  so 
radicaie  Heilung  der  echten  Lungenschwindsucht  bewerkstelligt  werden 
könne  oder  nicht  (s.  Phthisis  pulmonalis  tuberculosa).  Die  Beob- 
achtungen über  den  Nutzen  des  Kochsalzes  in  Lungenblutungen  bei  Hajbitus 
phthisicus  (s.  Haemorrhagia  pulmonum),  desgleichen  über  die  guten 
Wirkungen ,  die  die  Ausdünstung  des  Seetangs  (Fucus  marinus)  auf  Schwind- 
süchtige hat  (s.  Laennec  in  Revue  medicale,  Juin  1825),  lassen  vermuthen, 
dass  die  Chlorine ,  welche  jenen  Mitteln  an  Wirkung  nicht  unähnlich  ist, 
hier  auch  nicht  ohne  Erfolg  seyn  müsse.  6)  Die  Guy ton-Morveau'- 
schen  Räucherungen,  die  Übersalzsauren  oder  Chlorineräucherungen 
zur  Reinigung  der  Luft  in  verpesteten  und  mit  unreiner  Luft  angefüllten 
Gemächern.  Der  grosse  Nutzen  dieser  Räucherungen  zur  Zerstörung  aller 
Gontagien:  des  Typhus-,  Faulfieber-,  Scharlach-,  Blattern-,  Hospital- 
brand-Contagiums  etc.,  ist  bekannt.  Aber  auch  jede  andere  Luftverderbniss 
in  Zimmern ,  entstanden  durch  Überschwemmung ,  Gährung  und  Fäulnis» 
vegetabilischer  und  animalischer  Stoffe,  wird  durch  dieselben,  desgleichen 
durch  die  so  herrliche  Chlorkalkauflösung  (s.  Gangraena  nosocomia- 
lis),  am  besten  und  schnellsten  zerstört  und  gehoben.  Um  ein  Zimmer  von 
10  Fuss  Höhe ,  Tiefe  und  Breite  zu  reinigen ,  ist  folgende  Mischung ,  welche 
kaum  Vi  Silbergroschen  kostet ,  hinreichend :  Man  nimmt  trocknes  pulveri- 
sirtes  Küchensalz  Öjjj »  gutes  Braunsteinoxyd  5j )  mischt  beides  und  schüttet 
es  in  einen  Steintopf,  den  man  in  die  Mitte  des  Zimmers  stellt.  Nun  trö- 
pfelt man  folgende  Mischung  aümälig  auf  jenes  Pulver  :  I^  Acidi  sulphurici 
conccnir. ,  Aqune  destillat.  ana  3j|v »  setzt  den  Topf  auf  ein  Becken  mit  glü- 
henden Kohlen  und  rührt  das  Ganze  fleissig  mit  einem  Glasstabe  um.  Wäh- 
rend der  Gasentwickelung  muss  das  Zimmer  genau  verschlossen  und  kein 
Kranker  darin  befindlich  seyn.  Später  öffnet  man  Thüren  und  Fenster  ein 
paar  Stunden  lang  und  transportirt  die  Kranken  aus  den  verpesteten  Zim- 
Htern  in  die  auf  angegebene  Weise  gereinigten.  Durch  diese  Räucherungen 
■wurde  einst  10,000  an  Fleckfieber  und  Febris  putrida  leidenden  Spaniern 
das  Leben  gerettet  (s.  Bibliotheque  medicale;  T.  XX.  p.  125  und  Annales 
deChimie;  T.  LXXIII.  p.  331).  Sie  sind  neben  der  Anwendung  des  Chlor- 
kalks allem  andern  Räuchern  mit  Essig,  mit  gewöhnlichen  salzsauren  und 
salpetersauren  Dämpfen  u.  s.  f.  vorzuziehen. 

Kung^uSs  Spongosis,  Schwamm,  Schwammgewächs.    Unter  die- 
sem Namen  versteht  man  im  Allgemeinen  einen  jeden  schwammigen,   weich 
anzufühlenden,  weisslichen,    bläulichen  etc.  Auswuchs,  der  an  allen  Theilen 
des  Körpers,    selbst  an   den  Knochen  voiküauaea  kann,    und  daher  seiner 
Most  Encyklopädie.  2te  Aufl.  I.  52 


818  .        FUNGÜS 

Form  und  Natur  nach  ebenso  viele  Verschiedenheiten  darbietet,  wie  die  ein- 
zelnen Theile,  Organe  und  Systeme  des  Körpers,  an  denen  er  vorkommt, 
verschieden  sind.  Da  die  Ähnlichkeit  mit  einem  Schwämme,  mit  einem 
Pilze,  durchaus  keinen  hinreichenden  Grund  giebt,  darnach  eine  ganze  Gat- 
tung von  Afterorganisationen  zu  bestimmen,  wohin  ebenso  gut  die  Aphthen 
und  Polypen  als  der  Tumor  albus  und  der  Markschwamm,  diese  oder  jene 
Exostosen ,  Caro  luxurians  und  andere  höchst  verschiedene  organische  Lei- 
den gerechnet  werden  könnten ,  so  lassen  wir  den  vagen  und  unbestimmten 
Begriff  von  Fungus  auf  sich  beruhen,  hoffend,  dass  bei  einer  spätem  und 
bessern  systematischen  Bearbeitung  der  Chirurgie  und  Medicin  ein  scharfsin- 
niger, genialer  Kopf  mehr  Ordnung  in  diesen  Wirrwarr  bringen  und  auch 
eine  richtigere  Terminologie  schaffen  werde ,  —  folgen  dem  alten  Sprach- 
gebrauche, und  führen  hier  alphabetisch  alle  diejenigen  verschiedenen  orga- 
nischen Leiden,  welche  unter  der  Rubrik  Fungus  vorzukommen  pflegen,  der 
Reihenfolge  nach  auf. 

Funißus  ariictdorum,  Tumor  nlhus  tiriicnlorum ,  der  Gliedschwaramr 
Ist  ein  chronisches  Geleiikiibel,  welches  von  einem  entzündlichen  Leiden  der 
das  Gelenk  umgebenden  Weichgebilde  seinen  Ursprung  ninunt ,  ist  also  als 
ein  Ausgang  der  Inflammatio  membranae  synovialis,  Lifl.  tendinuui,  Infi, 
aponeurosium  und  besonders  der  Intt.  ligamentorum  zu  betrachten,  welche 
Entzündungen  bei  recht  acutem  Verlaufe  zu  gleicher  Zeit  auftreten ,  bei 
langsamerem  Verlaufe  allmälig  von  einem  Gelenktheile  zum  andern  überge- 
hen, und  eine  gelatinöse  Exsudation  zur  Folge  haben.  Mehrere  Schriftstel- 
ler unterscheiden  den  rheumatischen  und  den  scrophulösen  Gliedschwamm. 
Diese  Unterscheidung  ist  sowol  ätiologisch  als  pathologisch  onrichtig;  sie 
confundirt  Inflammatio  telac  medullaris  in  ossium  apophysibus  und  deren 
Folgen  (ArthrocacCj  Luxatio  spontanea)  mit  dem  Tumor  albus.  Für  diu 
Praxis  ist  dies  nicht  so  selu*  von  Bedeutung ,  da  die  Cur  beider  keine  auf- 
fallenden Verschiedenheiten  darbietet.  Symptome  und  Verlauf  des  Tu- 
mor albus  (Fung.  articul.  rheumaticus  der  Altern).  Das  Übel  ergreift  am 
häufigsten  das  Kniegelenk  (Tumor  albus  genu  ,  Gonalgia),  hat  viel  Ahnli- 
ches mit  Gonarthrocace  (s.  Arthrocace),  und  durchläuft  drei  Perioden. 
Erstes  Stadium.  Mehr  oder  weniger  heftiger  Schmerz,  der  nicht  blos 
das  ganze  Gelenk  einnimmt ,  sondern  sich  auch  längs  der  Aponeurosen  und 
Flechsen,  welche  sich  am  Gelenke  inseriren ,  erstreckt.  Zugleich  mit  die- 
sem Schmerze  erscheint  eine  weiche,  weisse,  elastische,  pulpöse,  gleich- 
massig  über  das  ganze  Gelenk  verbreitete  Geschwulst.  In  seltenen  Fällen 
entstand  sie  ohne  Schmerz  im  leidenden  GUede,  oder  nachdem  ein  heftiger 
Schmerz  in  einem  andern  Gelenke  plötzlich  verschwunden  war  (Boyer). 
Liegt  dem  Übel  eine  innere  Ursache  zum  Grunde,  so  ereignet  es  sich  nicht 
selten,  dass  die  Menschen  sich  des  Abends  anscheinend  gesund  zu  Bette  le- 
gen, plötzlich  in  der  Nacht  durch  heftige  Schmerzen  erweckt  werden ,  und 
des  Morgens  ist  die  bedeutende  Geschwulst  schon  da.  Die  geringste  Bewe- 
gung vermehrt  den  Schmerz,  die  Kranken  halten  das  Glied  stets  gebogen, 
weil  diese  Lage  noch  am  erträglichsten  ist.  Das  Gelenk  behält  seine  na- 
türliche Farbe  und  Wärme,  aber  die  Hautbedeckungen  sind  gespannt,  und 
die  Geschwulst  ist  am  stärksten  ober-  und  unterhalb  der  Kniescheibe  und 
zur  Seite  des  an  die  Tibia  sich  inserirenden  Bandes,  wo  man  oft  ein*  Art 
Fluctuation  bemerkt,  ohne  dass  Flüssigkeit  da  ist.  Das  ganze  Glied  wird 
durch  die  gekrümmte  Lage  und  durch  die  mangelnde  Bewegung  in  kurze«- 
Zeit  so  steif  und  unbeweglich ,  dass  man  an  eine  wahre  Ankylose  denken 
sollte.  In  diesem  Zustande  kann  das  Übel  lange  Zeit  verharren,  die 
Schmerzen  lassen  nach,  und  es  bleibt  nur  eine  Art  Taubheit  und  Unbeweg- 
lichkeit'  zurück.  Häufiger  schreitet  es  aber  ohne  Intermissionen  fort ,  oder 
die  Schmerzen  stellen  sich  nach  geringen  äusseren  oder  ohne  alle  wahrnehm- 
bare Ursachen  wieder  ein,  und  es  erfolgt  nun  das  zweite  Stadium.  Die 
Geschwulst  nimmt  allmälig  so  bedeutend  zu,  dass  sich  das  Gelenk  bis  zum- 
doppelten,  dreifachen  Umfange  vergrössert,  dass  am  Knie  die  Fossa  poplit«|i 
ganz  ausgefüllt  wird;    die  Hautbedeckungen   werden   blass,    glänzend,    orik 


FUNGUS  ,  %\^ 

varicosen,  bläulichen  Gefässen ,  selbst  mit  Blutaderknoten  besetzt,  Ober  dert 
Gelenke,  oft  auch  unter  demselben  werden  die  Muskeln  magerer,  das  Fleisch 
schwindet  und  der  Umfang  des  Gliedes  vermindert  sich  an  diesen  Stellen, 
theils  weil  die  Blutcirculalion  gehemmt ,  theils  weil  die  Ernährung  des  Glie- 
des gestört  ist.  Zuweilen  tritt  Ödem  hinzu  und  dadurch  wird  die  Mager- 
keit des  Gliedes  weniger  auffallend.  Die  Schmerzen  sind  noch  immer  hef- 
tig, oft  an  einzelnen  Stellen  heftiger  als  in  der  ganzen  Geschwulst,  sie  exa- 
cerbiren  des  Abends,  bei  Bettwärme,  Witterungswechsel;  jede  Bewegung 
des  Gliedes  vermehrt  sie  aufs  fürchterlichste.  Die  Lymphdrüsen  in  der  Lei- 
stengegend, bei  Tumor  albus  der  obern  Extremitäten  die  unter  den  Ach- 
seln, schwellen  an,  die  Geschwulst  selbst  wird  hart,  je  weiter  das  Übel 
fortschreitet.  Unter  diesen  stets  heftiger  werdenden  quälenden  Zufällen  ver- 
gehen Tage,  Wochen,  und  so  geht  das  Übel  nun  endlich  in  das  dritte 
Stadium  über,  in  das  Stadium  suppurationis.  Die  Schmerzen  im  Gelenke 
sind  füixhterlich;  einige  Theile  der  Geschwulst  werden  hart,  ungleich,  roth 
voa  Farbe,  und  es  bilden  sich  Abscesse,  deren  Richtung  sehr  verschieden 
ist,  die  aber  meist  immer  mit  einander  in  Verbindung  stehen.  Es  zeigt  sich, 
wenn  der  Eiterherd  nicht  zu  tief  liegt ,  deutliche  Fluctuation ,  und  der  durch 
die  Natur  oder  Kunst  geöffnete  Abscess  entleert  eine  grosse  Menge  Eiter'; 
dieser  ist  entweder  zu  Anfange  von  guter  Beschaffenheit  und  wird  erst  Spal- 
ter schlecht,  jauchig,  dünnflüssig,  faulig;  oder  er  ist  gleich  anfangs  seröili 
klebrig,  eiterähnlich,  es  schwimmen  weisse  Flocken,  wie  geronnene  MileU, 
wie  Eiweiss,  darin.  Der  Eiterausfluss  vermindert  nicht  den  Umfang  der 
Geschwulst ,  der  eine  oder  andere  Abscess  schliesst  sich ,  aber  es  bilden  sich 
an  andern  Stellen  neue,  welche  sich  entweder  ebenfalls  schliessen  oder  tA 
unheilbare  fistulöse  Geschwüre  übergehen.  Nun  leidet  wegen  der  heftigen 
Schmerzen,  des  Schlafmangels  und  vielleicht  wegen  der  Resorption  des  EJi-^ 
ters  ins  Blutsystem ,  besonders  vermöge  der  Venen  in  und  nahe  bei  deih 
Gelenke,  auch  das  früher  noch  ziemlich  gute  Allgemeinbefinden.  Es  tretefti 
Appetitmangel ,  Febris  hectica  mit  kleinem ,  schnellem ,  frequentem  Pulse, 
mit  coUiquativen  Schweissen  und  Diarrhöen  ein ,  und  der  Tod  folgt  aus  Ent- 
kräftung und  Kachexie.  Diagnose,  Zwischen  Tumor  albus  und  Arthro- 
cace  finden  zwar  viele  Ähnlichkeiten  der  Symptome  statt;  doch  wird  eine 
Vergleichung  beider  Übel  in  ihrem  ganzen  Verlaufe,  der  lange  vor  dem  Er- 
scheinen der  Geschwulst  auftretende  Schmerz  bei  Arthrocace,  der  vorzüg- 
lich an  einer  Stelle  des  Gelenks  fixirt  ist,  die  im  zweiten  Stadium  nicht 
über  das  ganze  Gelenk  verbreitete,  nicht  gleichmässige,  nicht  elastische, 
mehr  ungleiche ,  harte ,  am  stärksten  an  den  Tuberositäten  des  Knochens 
sich  befindende  Geschwulst  etc.  die  Diagnose  erleichtern  (s.  unter  Arthro- 
cace besonders  den  Artikel  Gonarthrocace).  Dass  Chelius  in  seinem  Hand- 
buche der  Chirurgie  noch  beide  Übel  identificirt  und  z.  B.  Tumor  albus 
genu  und  Gonarthrocace  für  eins  hält ,  verdient  kein  Lob.  Überhaupt  ist 
der  Artikel  Tumor  albus,  sowie  der  der  Arthrocace  <lie  schwächste  Seite 
des  ganzen,  sonst  so  brauchbaren,  schätzbaren  Buches.  Ursachen.  Die 
nächste  Ursache  des  Tumor  albus  ist  eine  chronische  Entzündung  der  Sy- 
novialmembram ,  der  Bänder,  Sehnen  und  Aponeurosen  des  Gelenks.  Ver- 
anlassungen dazu  sind  theils  innere,  theils  äussere.  Zu  erstem  gehört  vor- 
züglich der  Rheumatismus,  der,  durch  starke  Erkältung  und  Witterungs- 
wechsel veranlasst,  am  liebsten  die  grossem  Gelenke  ergreift,  weshalb  der 
Tumor  albus  auch  am  häufigsten  am  Knie  vorkommt.  Auch  scorbutische, 
arthritiscbe,  syphilitische  Dyskrasie ,  Metastasen  nach  Blattern,  Masern, 
Flechten,  plötzlich  unterdrückte  Hämorrhoiden  und  Menses  rechnet  man 
hierher.  Gelegentliche  Ursachen  sind  bei  gleichzeitiger  Prädisposition  be- 
sonders mechanische  Schädlichkeiten :  Stoss ,  Schlag ,  Fall  aufs  Gelenk. 
Prognose.  Ist  im  Allgemeinen  schlecht ,  besonders  wenn  das  Übel  schon 
alt,  das  Subject  kachektisch  und  frühe  Hülfe  versäumt  worden  ist,  wenn 
im  Verlaufe  der  Krankheit  durch  die  zerstörende  Eiterung  schon  die  Knor- 
pel urtd  Knochen  ergriffen  worden  sind,  wenn  schon  Febris  hectica  da  ist. 
Der  glücklichste  Ausgang  ist  hier  allein  die  Ankylose  dös  Gelenks,  wodurch 


820  FmGUS 

das  Glied  und  das  Leben  erhalten  werden  (s.  Cooper's  Neuestes  Handbuch 
der  Chirurgie;  übers,  von  L.  F.  v.  Froriep^  1820;  Bd.  II.  RtisVs  Arthro- 
kakologie,  1817.  Boj/er'«  Vorlesungen  über  Knochenkrankheiten ;  herausgeg. 
von  Richerand;  übers,  von  Spaiigenhert/ ,  1804;  Th.  II.).  Cur.  Ist  nach 
den  verschiedenen  Stadien  des  Übels  verschieden.  Im  ersten  Stadium  sind 
Blutegel,  Schröpf  köpfe ,  selbst  Aderlässe,  warme  Bäder,  innerlich  Antiphlo- 
gistica  höchst  nothwendig.  Im  zweiten  Stadium  passen  Fontanelle,  Moxa, 
Glüheisen  ans  Gelenk,  innerlich  Antimonialia ,  Mercurialia ,  Diaphoretica; 
im  dritten  Stadium  sorgen  wir  dafür,  dass  die  Eiterung  keine  bedeutenden 
Zerstörungen  erregt,  und  behandeln  das  .Allgemeinleiden  nach,  bekannten 
Kunstregeln  (vgl.  d.  Art.  Ar throcace  und.  Febris  hectica). 

fungtis  cellulosus,  der  Zell  schwamm.  So  beschreibt  v.  Gräfe  (s. 
Gräfe  und  Wahhcr's  Journ.  für  Chirurgie  etc.  Bd.  XUI.  Hft.  1)  einen  zum 
Gesclüecht  der  Zeilschwämme  (^Coclomyces)  gehörigen  Schwamm,  für  wel- 
chen er  den  Namen  7'?{ntor  pneumonodes  -vorschlägt.  Er  beobachtete  ihn  an» 
Rücken  eines  Kranken  als  eine  elastische,  begrenzte,  schmerzlose  Geschwulst, 
welche  sich  S  Zoll  breit  vom:  Schulterblatt  bis  zu  den  Lendenwirbeln  er- 
streckte und  bei  starkem  Fingerdruck  ein  Knistern  wahrnehmen  liessi  Dia 
Oberhaut  war  dabei  gesund ;  auch  kein  Zusammenhang  mit  größsern  Cavi- 
täten  vorhanden.  Er  exstirpirte  dieses  Aftergelenke ,  welches  mit  Lungen-» 
Substanz  die  grösste  Ähnlichkeit  ihatte )  .daher  er  denn  den  neuen  Namen 
vorzuschlagen  sich  berechtigt  hält.  t  •    ■  .  •    ■  .  •    . 

Fmigus  cerelri,  Ueiiiia  cerehri  dequisita.  Chelius,  der  sogenannte 
Hirn  schwamm.  Ist  diejenige  partielle  Erhebung  des  Gehirns,  welche 
nach'  Kopfverletzungen  durch  eine  abnorme  Öffnung  der  Hirnschale  hervor- 
tritt, sich  auf  letzterer  etwas  ausbreitet  und  so  einem  Seh waramge wachse 
ähnelt ,  das  oft  zu  einer  ansehnlichen .  Grösse  wächst ,  besonders  wenn  es 
nicht: von  der  harten  Hirnhaut  bedeckt  wird,  sondern  diese  verletzt  ist. 
Veranlassungen  sind:  niedrige  Stelle  der  Hirnschalenölfnung ,  bedeu- 
tende (prrösse  der  letztern,  starke  Congestion  und  bedeutendes  Fieber  bei 
penetrirenden  Kopfwunden,  das  Verbinden  der  Wunden  jnit  erschlaffenden 
Mitteln.  Das  Übel  darf  nicht  mit  Heruia  cei'cbri  congenita  und  mit  Ecchj- 
mosis  Neonatorum  (s.  d.  Art.)  verwechselt  werden.  Cur.  Zur  Verhütung 
des  Übels  bei  Verletzten  dienen:  massige  Compression  auf  die  entblösste 
Stelle  des  Gehirns  mittels  eines  weichen,  dünnen,  genau  der  ÖiTnung  ent- 
sprechenden Schwamraes,  mittels  des  Belloste'schen  Blechs.  Am  besten  ist 
der  Schwamm,  von  welchem  man  bei  jedem  Verbände  ein  neues  Stück  auf- 
legt, und  das  Ganze  mit  einer  Binde  befestigt.  Verträgt  der  Kranke  auch 
diesen  gelinden  Druck  nicht,  so  muss  man  es  bei  kühlender  Diät,  erhabe- 
ner Kopflage,  bei  den  Innern  derivirenden ,  antiphlogistischen  Mitteln,  nebst 
Vermeidung  aller  fetten ,  erschlafTendeu  Salben ,  bewenden  lassen.  Ist  der 
Hirnschwamm  schon  entstanden,  so  wende  man  kalte  Kopfumschläge,  Ad- 
stringentia, Solut.  Aluminis,  Vitriol!  coerulei  mit  Wasser,  Wein,  Brannt- 
wein an.  Ist  er  sehr  gross,  so  schneidet  man  ihn  vorher  mit  dem  Mes- 
ser ^yeg,  wendet  darauf  die  Adstringentia  an  und  legt  einen  massig  com- 
priipirenden  Verbajad,  desgleichen  vorher  den  erwähnten  Schwamm,  auf  die 
Geschwulst. 

Futifjiis  cranii^  Hirnschädelschwamjn.  Ist  ein  vom  Pericranium  und 
dem  Hirnschädel  ausgehender  Schwamm,  eine  wahre  Knochenkrankheit,  ähn- 
lich in  seinen  Zufällen  dem  Fungus  durae  matris,  nur  mit  dem  Unterschiede, 
ä&ss  die  Geschwulst  härter  ist,  langsamer  entsteht  und  häufig  nicht  so  hef- 
tige Schmerzen  macht  wie  jener.  Beide  verhalten  sich  zusammen. wie  Tu- 
mor albus  und  Arthrocace;  häufig  sind  beide  Übel  mit  einander  complicirt. 
Symptome,  Ursachen,  Prognose  und  Cur  sind  ganz  dieselben  des 
JFungus  durae  matris. 

Fungus  durae  matris,  schwammiger  Auswuchs  auf  der  harten 
llirnhaut.  Ist  eine  Afterorganisation  auf  der  Oberfläche  der  Dura  mater, 
welche  späterhin  den  darüberliegenden  Theil  des  Craniums  ditixh  Druck  und 
Absorption  zerstört,   unter  die  äussern  Bedeckungen  tritt  und  daselbst  eine 


FUNGUS  821 

gleiclimässfge,  umschriebene,  farblose,  elastisch  welche,  oft  compressible, 
pulsirende  Geschwulst  bildet.  Symptome  und  Verlauf,  Die  äusserst  un- 
eichern  Vorboten  sind;  bald  geringer,  bald  heftiger,  periodischer,  fixer 
Kopfschmerz,  der  zuweilen  auch  den  ganzen  Kopf  einnimmt,  Schwindel,  Be- 
täubung, Erbrechen,  Gesichtsblässe  etc.  erregt.  Zuweilen  fehlen  alle  diese 
Vorboten.  Nun  zeigt  sich  die  oben  beschriebene  Geschwulst  mit  folgenden 
charakteristischen  Zeichen:  1)  Sie  puisirt,  doch  nicht  so  lebhaft  wie  ein 
Aneurysma.  2)  Wir  fühlen  in  ihrer  Peripherie  den  Rand  der  Knochenlücke 
mit  seinen  bald  mehr  spitzen,  scharfen,  bald  stumpfen  Hervorragungen. 
S)  Je  weniger  dieser  Rand  abgerundet  ist,  desto  bedeutender  schmerzt  die 
Geschwulst,  je  mehr  er  es  gegentheils  ist,  desto  weniger.  4)  Zuweilen 
lässt  sich  die  Geschwulst  reponiren ,  und  alsdann  hören  plötzlich  alle  Schmer- 
zen auf.  5)  Nicht  selten  sind  kleiner  Puls,  Erbrechen,  Schluchzen,  kalte 
Glieder,  kalte  Schweisse,  Ohnmächten  secundäre  Zufälle  des  Übels.  6)  Im 
höchsten  Grade  folgt  Lähmung,  Sinnlosigkeit,  Verlust  des  Verstandes.  7)  Je 
grösser  die  Geschwulst  wird ,  desto  mehr  vermindert  sich  die  Pulsation ;  die 
Hautbedeckungen  werden  roth ,  entzündet,  die  Geschwulst  bricht  auf,  be- 
kommt fungöse  Excrescenzen ,  welche  häufig  bluten  und  hässHche  blutige 
Jauche  absondern.  Alsdann  tritt  Febris  hectica  mit  Colliquationen  hinzu, 
und  der  Tod  folgt  soporös,  synkoptisch,  nachdem  die  Sinne  und  Geistes- 
kräfte schon  länger  gelähmt  sind.  Die  Section  zeigt,  dass  die  Geschwulst 
inwendig  bräunlich ,  graulichweiss  und  an  einzelnen  Stellen  aus  Medullar- 
substanz  zusammengesetzt  ist ,  dass  viele  Gefässe  sie  durchdringen ,  dass  die 
äussere  Tafel  des  Craniums  scharf  begrenzt  ist ,  die  innere  dagegen  schief 
ausläuft  und  in  grösserm  Umfange  Zerstörung  erlitten  hat.  Das  Übel  ist 
»ehr  selten  angeboren,  ist  nach  Snndifort,  Siehold  und  Walther  nicht  blos 
ein  Leiden  der  Dura  mater,  sondern  auch  eine  primäre  Entartung  des  Cra- 
niums und  Pericraniums  (s.  Fungus  osseus),  welche  Louis,  Wenzelf 
Chelim  nur  als  Folgezustand  betraichten.  Wahrscheinlich  giebt  es  auch  hier 
zwei  verschiedene  Formen,  ganz  wie  Tumor  albus  und  Arthrocace,  wo  im 
erstem  Falle  der  Fungus  von  den  weichen  Theilen ,  in\  zweiten  von  den 
Knochen  als  EmoUities  ossium,  Osteosarcosis  etc.  ausgeht  (Fungus  cranii). 
Ursachen  des  Fungus  durae  matris.  Sind  dieselben  des  Fungus  articulo- 
rum  und  der  Arthrocace :  Syphilis,  Rheuma,  Scropheln,  äussere  mechanische 
Schädlichkeiten,  Quetschungen,  Commotio  cerebri,  Knochenbruch  etc. ;  doch 
können  letztere  ohne  innere  Dyskrasien  das  Übel  wol  nie  allein  erregen. 
Entstand  es  ohne  alle  äussere  Veranlassung,  so  denke  man  stets  an  innere 
Ursachen.  Die  Gegenwart  mehrerer  ähnlicher  Afterorganisationen,  dabei  ein 
ungesundes  Ansehn,  eine  schlechte  Digestion,  Nutrition,  ein  schon  früheres 
langwieriges  Siechthum  des  Körpers ;  dieses  sind  die  Zeichen ,  welche  die 
sogenannte  Diathesis  fungosa  charakterisiren.  Das  erste  Resultat ,  die  nächste 
Wirkung  dieser  Ursachen  ist  eine  erysipelatöse,  metastatische,  typhöse,  mit 
passiven  Congestionen  verbundene  Entzündung  der  Dura  mater  (bei  Fungus 
cranii  des  Pericraniums  und  Craniums ,  besonders  der  Diploe) ,  mit  Neigiuig 
zu  plastischen  Exsudationen  und  Stagnationen,  mit  Wucherung,  Auflocke- 
rung und  fungösen  Excrescenzen.  Prognose.  Ist  sehr  schlimm,  in  der 
Regel  folgt  der  Tod,  die  Heilung  wird  selten,  ja  selbst  Linderung  des 
Übels  nur  in  einzelnen  Fällen  bewirkt;  denn  die  Krankheit  ist  ja  fast  immer 
nur  das  Resultat  von  einer  bedeutenden  allgemeinen  Dyskrasie ,  von  grosser 
Verderbniss  der  Säfte,  wo  jede  Cur,  sie  mag  Namen  haben,  wie  sie  wolle, 
misslingt.  Cur.  Nur  in  den  seltenen  Fällen,  wo  die  genannte  Diathesis 
fungosa  fehlt,  wo  nur  äussere  Gewaltthätigkeiten  das  Übel  erregten,  kön- 
nen wir  Heilung  hoffen.  Hier  dienen  :  1)  frühzeitig  angewandte  Aderlässe, 
kalte  Kopfumschläge,  knappe  Diät,  kräftige  Derivantia ,  Vesicatorien ,  La- 
xanzen ,  im  Stadio  prodromorum  angewandt.  2)  Ist  die  Geschwulst  schon 
zum  Vorschein  gekommen ,  so  helfen  alle  diese  IVlittel  gar  nichts.  Wir  müs- 
sen hier  operiren,  die  Geschwulst  biossiegen,  die  Knochenlücke  vergrössern 
und  durchs  Messer  oder  durch  die  Ligatur  den  Schwamm  entfernen.  Wir 
tfeiuien  die  Haut  durch   ein&n  Kreuzsohnitt ,   den  wir  auf  jeder  Seite   einen 


822  FUNGUS 

Zoll  länger  machen  als  die  Geschwulst  selbst  Ist.  Dann  löse  man  die  Lap- 
pen bis  zu  ihrer  Basis  ab,  schlage  sie  um,  trenne  die  Galea  aponcurotica 
nnd  das  Periosteum,  wenn  sie  nicht  verwachsen  sind,  gleichfalls  durch  ei-/ 
nen  Kreuzschnitt,  und  lege  das  Schwammgewächs  bloss;  sind  erstere  ver- 
wachsen, so  mache  man  zwei  Schnitte  an  der  Basis  der  Geschwulst,  wo- 
durch der  Rand  der  Knochenlücke  blossgelegt  wird.  An  letztern  setze  man 
an  verschiedenen  Stellen  die  Trepankrone,  erweitere  hiermit  und  durch  die 
Hey'sche  Säge  (zur  Entfernung  der  Brücken)  die  Knochenöffnung ,  um  den 
Schwamm  an  seiner  Basis  genau  untersuchen  zu  können.  Findet  man  den 
Zusammenhang  desselben  mit  der  Dura  mater  nicht  sehr  fest ,  so  trenne  man 
ihn  mit  den  Fingern  oder  mit  dem  Stiel  des  Scalpells,  im  Gegentheil  mit 
dem  letztern,  und  ist  die  Dura  mater  degenerirt,  so  schneide  man  auch  das 
degenerirte  Stück  aus,  lege  eine  Ligatur  an  und  binde  diese  gelind  zusam- 
men. Die  Nachbehandlung  ist  die,  welche  nach  der  Trepanation  angewandt 
wird  (s.  Gräfe's  und  Wallher's  Journ.  f.  Chirurgie,  Bd.  IL  St.  2,  S.  248). 
Diese  Operation  kann  allein  noch  retten,  dagegen  befördern  die  vorgeschla- 
genen Einschnitte,  die  Compression  und  die  Caustica  den  Tod.  Zuweilen 
ist  der  Hirnhautschwamm ,  nach  Otto ,  mit  Fungus  cranii  verbunden ,  Indem 
dieser  entweder  die  harte  Hirnhaut  in  Mitleidenschaft  zieht,  oder,  nur  ihre 
Fasern  auseinander  drängend,  durch  dieselben  in  die  Schädelhöhle  hinein- 
wächst. Es  ist  daher,  nach  v.  Amnion,  anzunehmen,  dass  sowol  der  Fun- 
gus cranii  als  der  Fungus  durae  matris  nur  verschiedene,  aber  oft  gleich- 
zeitig vorkommende  Formen  einer  und  derselben  Krankheit  seyen.  Die  be- 
sten Schriften  über  dieses  Übel  sind:  Wenzel,  Über  die  schwammigen  Aus- 
wüchse auf  der  harten  Hirnhaut.  Mainz,  1811;  Fol.  —  Blasius,  De  fungi 
durae  matris  accui-atiori  distinctione.  Hai.,  1829.  —  Louis  in  den  M^m.  de 
l'acad.  de  Clür.  T.  V.  p.  4,  T.  XIH.  p.  12.  —  Ebermaier,  C.  H.,  Über 
den  Schwamm  der  Schädelknochen  und  die  schwammigen  Auswüchse  der 
haxtea  Hirnhaut.  Mit  10  Abbildungen.  Düsseldorf,  1829;  4.;  (die  beste 
Monographie  über  diesen  Gegenstand).    • 

Frnigus  genu,  der  sogenannte  Knieschwamm.  Ist  kein  Fungus  arti- 
ciilorum,  kein  Tumor  albus,  sondern  eine  Krankheit  der  Schleimbeutel  des 
Knies;  s.  Hygroma. 

Fungus  haematodes ,  Fungtis  cancrosus  hacmatodes,  Mclaena  fungosa  car- 
fdnodcs,  Aneurysma  per  nnnslomosin,  Tumor  fungosus  sntignincus,  Anem^jsma 
S})07igiosum ,  Tclangieclasia ,  der  Blutschwamm.  Ist  eine  abnorme  Aus- 
dehnung der  Capillargefässe  irgend  eines  Theiles,  ein  rein  örtliches  Übel, 
das  mit  der  Telangiektasie  einerlei  ist  und  daher  auch  von  Chclius  so  ge- 
nannt wird.  Da  verschiedene  Schriftsteller  das  Übel  mit  Krebs,  mit  Fun- 
gus meduUaris  verwechselt  haben,  so  herrscht  weder  in  der  Terminologie, 
noch  in  den  Ansichten  über  die  Natur  des  Blutschwamms  Übereinstimmung. 
/46erncf/i»/'s  Medullarsarkom,  John  Burns^  schwammige  Entzündung ,  Hnrless' 
Fungus  cancrosus  sind  nicht  streng  vom  Blutschwamm  geschieden;  dagegen 
nennen  mehrere  Engländer  (s.  B.  Hey ,  Wardrop  u.  A.)  den  Markschwamm 
höchst  falsch  Fungus  haematodes,  und  Boyer  und  Brcschet  verstehen  wieder 
unter  Melanosis  den  Fungus  meduUaris.  Es  ist  also  hier  eine  wahre  Sprach- 
verwirrung entstanden ,  und  bevor  nicht  diese  durch  eine  bestimmtere  Ter- 
minologie und  Diagnose  gehoben  worden,  ists  für  den  Praktiker  am  besten, 
sich  an  die  Symptome  und  das  Krankheitsbiid  selbst  zu  halten ,  also  an  die 
Sache  und  nicht  an  den  Namen.  Symptome  des  Fungus  haematodes. 
Das  Übel,  dessen  Sitz  ursprünglich  in  der  Haut  und  dem  unterliegenden 
Zellgewebe  befindlich  ist,  befällt  am  liäufigsten  Kinder,  seltener  Erwach- 
sene, ist  öfters  auch  angeboren  (hier  gewöhnlich  Nacvus  mnlernus,  N.  hae- 
mnlodes  genannt).  Es  beginnt  mit  einem  rothen  oder  bläulichen  Flecken, 
ist  anfangs  wenig  oder  gar  nicht  über  die  Haut  erhaben ,  gestaltet  sich  aber 
später  zu  einer  röthlichen,  bläulichen  Geschwulst,  die  sich  bei  jeder  hefti'- 
gen  Körperanstrengung  vergrösscrt ,  lebhafter  von  Farbe  wird,  sich  zum 
Thell  wegdrücken  lässt,  nach  aufgehobenem  Fingerdruck  aber  gleich  wieder 
erscheint,    und  worin   der   Kranke  ein   eigenes   kriebeliidcs ,    oft   klopfendes 


FüNGUS  823 

Gefühl  wahrnimmt.  Sieht  die  Geschwulst  bläulich  aus,  6o  ists  eine  venSse, 
sieht  sie  mehr  röthlich  aus,  eine  arterielle  Angiektasie  (s.  d.  Art.);  ents§eht 
das  Übel  nur  im  Zellgewebe  unter  der  Haut ,  so  bleibt  diese  anfangs  län- 
gere Zeit  farblos,  man  bemerkt  ein  täuschendes  Gefühl  von-Fluctuation, 
und  erst  später  wird  die  Haut  verändert.  Besonders  diese  Form  von  Fun- 
gus haematodes  subcutanen«  ist  leicht  mit  Fungus  meduUaris  zu  verwech- 
seln. Im  Verlaufe  des  Übels ,  oft  erst  allmälig  und  nach  Jahren ,  nimmt  der 
Umfang  des  Blutschwammes  zu ,  bis  zur  Grösse  eines  Hühnereies ,  eines  Gän- 
seeies, Kinderkopfes,  indem  sich  einzelne  fluctuirende  Stellen  erheben.  Die 
Haut  wird  nun  dünn,  oft  durchsichtig,  sie  bricht  auf  und  es  entstehen  aus 
den  krankhaft  erweiterten,  atonischen  Capillarblutgefässen  oft  bedeutende, 
schwer  zu  stillende,  häufig  wiederkehrende  Blutungen.  Zuweilen  schliesst 
sich  die  Öffnung  durch  eine  anscheinend  feste  Narbe ;  oft  bilden  sich  darin 
rothe,  schwammige  Wucherungen,  welche  blos  aus  geronnenem  Blute  beste- 
hen. Überhaupt  zeigt  der  Blutschwamm  in  seiner  Substanz  viel  Ahnliches 
mit  der  Placenta ,  also  Convolute  unzähliger  Blutgefässe ,  lockeres  Zellge- 
webe, Blutklumpen,  Fächer,  Höhlen,  traubenförmige  Knötchen  etc.  Ur- 
sachen. Das  Übel  entsteht  in  jedem  Alter,  bei  jeder  Constitution,  am 
häufigsten  bei  jungen ,  schwammigen  Kindern  und  Frauen.  Es  befällt  vor- 
züglich die  obern  Theile  des  Körpers,  kommt  daher  am  häufigsten  auf  dem 
Kopfe,  an  der  Wange,  am  Halse,  am  Rücken,  an  den  Augenlidern,  an  der 
Lippe  vor.  Zuweilen  giebt  eine  äussere  Verletzung  Veranlassung  dazu. 
(Vor  25  Jahren  wurde  dem  Herausgeber  dieses  Werks  zufällig  ein  Dornen- 
stock in  die  Gegend  der  linken  Schulter  geworfen.  Eine  Zacke  desselben 
verletzte  ein  wenig  die  Haut,  im  Umfange  zeigte  sich  Blutunterlaufung. 
Das  Übel  verschwand  bald  nach  Spirituosen  Fomentationen ,  aber  es  bildete 
sich  ein  kleiner  bläulicher  Fleck,  welcher  binnen  7  Jahren  zur  Grösse  eines 
Taubeneies  heranwuchs ;  die  Geschwulst  wurde  für  eine  Telangiektasie  er- 
kannt. Vor  18  Jahren  wurde  das  Übel  in  Göttingen  von  LnngenhecJc's  er- 
stem Hospitalwundarzte,  Dr.  PmtU.,  operirt.  Die  Blutung  war  unbedeutend, 
aber  es  trat  Anschwellung  der  Achseldrüsen  und  Fieber  hinzu,  so  dass  ich 
drei  Wochen  das  Bette  hüten  musste.  Nachher  wuchs  der  Blutschwamm 
wieder.  Er  ist  jetzt  wol  ein  Gänseei  gross,  besteht  aus  5  —  6  einzelnen 
Partikeln,  die  Oberhaut  ist  dünn;  Blutung  ist  noch  nie  entstanden,  Schmerz 
ist  gar  nicht  eingetreten,  meine  Gesundheit  ungetrübt,  daher  betrachte  ich 
das  Geschwür  als  ein  Noli  me  tangere ,  und  werde  es  ohne  die  grösste  Noth 
nicht  wieder  schneiden  lassen.  Mosl).  Prognose.  Da  der  Blutschwamm 
durchaus  ein  örtliches  Übel  ist,  so  ist  die  Prognose  im  Allgemeinen  gut; 
denn  es  fehlt  hier  eine  specifische  Degeneration,  eine  allgemeine  Dyskrasie; 
nur  bedeutende  Blutungen  können  das  Allgemein  leiden  trüben.  Die  Verschie- 
denheit nach  dem  Sitze,  Umfange,  nach  der  Grösse  der  Geschwulst,  nach 
Alter  und  Constitution  des  Kranken,  giebt  eine  bald  mehr,  bald  weniger 
günstige  Prognose.  Oft  vergrössert  sich  in  dem  Mannesalter  der  Schwamm 
gar  nicht,  in  der  Pubertätszeit  nimmt  er  dagegen  am  schnellsten  zu.  Cur. 
Wir  besitzen  mehrere  Mittel ,  die  das  Übel  heilen  ;  doch  müssen  sie  nach 
den  Umständen  ausgewählt  werden ;  wir  nennen  hier  folgende :  1)  Wir  wen- 
den Adstringentia  und  Cgmpression  an ;  wir  fomentiren  z.  B.  mit  kaltem  Was- 
ser, mit  Solutio  aluminis  in  Aq.  rosarum  (^Ahcrncthj) ,  mit  Solutio  vitrioli 
coerulei  (Mosi) ,  legen  Eis  auf,  und  bringen  einen  nach  der  Localität  ver- 
schieden eingerichteten  comprimirenden  Verband  durch  Pelotten,  Platten  etc. 
an.  Dieses  Verfahren  passt  bei  angebornen  Muttermälern ,  bei  kleinen  Tel- 
angiektasien. 2)  Wir  heilen  durch  die  Ligatur;  sie  ist  aber  nur  bei  ge 
stielten  Blutschwämmen  mit  dünner  Basis  anzuwenden.  S)  Wir  exstirpiren 
die  Geschwulst.  Diese  Methode  ist  allen  übrigen  vorzuziehen ;  denn  sie  be- 
wirkt am  sichersten  radicale  Heilung ;  nur  darf  nichts  von  der  Geschwulst 
sitzen  bleiben  und  der  Schnitt  muss  im  ganzen  Umfange  des  Fungus  im  ge- 
sunden Fleische,  in  gehöriger  Entfernung  von  allen  krankhaft  ausgedehnten 
Gefässen,  geschehen;  sonst  entsteht  leicht  heftige  Blutung,  und  der  Schwamm 
wächst  wieder.     Kann  man   nicht  die  ganze  Geschwulst  entfernen,    so  nnt.«,s 


824  FUNGUS 

der  Rest  durch  das  GlQheisen  oder  durch  Caustica  aufs  kräftigste  zerstört 
werden.  4)  Ist  die  Exstirpation  wegen  der  Localität  und  des  grossen  Um- 
fanges  des  Blutschwamms  nicht  möglich  ,  so  zerstören  wir  ihn  durchs  Glüh- 
eisen ,  wodurch  wenigstens  sein  Fortschreiten  in  den  meisten  Fälleu  "Verhin- 
dert wird.  5)  Telangiektasien,  die  eine  grosse  Ausbreitung,  aber  wenig  j 
Tiefe  haben,  zerstören  wir  am  zweckmässigsten  durchs  Causticum,  z.  B. 
durch  Lapis  causticus,  Butyr.  antimonii ,  Pulv.  Cosmii  etc.  (s.  Cancer). 
6)  Kleine  Naevi  materni  versehenden  bei  Kindern  schon  dadurch,  das- 
man  mehrere  Kuhpocken  durch  frische  Schutzpockenlymphe  darauf  hervor- 
zubringen sucht.  7)  Bei  bedeutenden  Blutschwämmen  am  Kopfe,  am  Auge, 
am  Knie  etc.  hat  man  die  Unterbindung  des  Schlagaderstammes,  mit  dessen 
Verzweigungen  die  Geschwulst  in  Verbindung  steht ,  angerathen  und  in  ein- 
zelnen Fällen  auch  mit  Glück  ausgeführt  (^Travers,  Wardrop,  Dripu>/tren. 
S.  Medico-chirurgical  Transact.  Vol.  II.  p.  1,  Vol.  VI.  p.  111,  Vol.  IX. 
p.  203.  RusVs  Magaz.  Bd.  VII.  S.  161),  Sind  aber  die  Anastomosen  be- 
deutend, so  reicht  auch  die  Unterbindung  nicht  hin,  und  wir  müssen  hin- 
terher noch  die  Compression  anwenden  (Ditpuijtren).  8)  Helfen  alle  diese 
Curmethoden  nichts,  steht  wegen  Grösse  des  Schsvamms  ein  Allgemeinleiden 
zu  befürchten,  sind  die  Blutungen  bedeutend,  so  bleibt  zuletzt  noch  die 
Amputation  des  leidenden  Gliedes,  um  das  Leben  zu  retten,  übrig.  Zum 
Glück  sind  solche  Fälle  sehr  selten;  denn  der  Fungus  haematodes  cutaneus 
und  subcutaneus  kommt  am  häufigsten  vor. 

Fungus  mammae,  Cancer  mammae  fungosus,  der  Brustschwamm. 
Das  wahre  Krebsgeschwür  der  Brust  ist  höchst  selten  mit  Schwamrabildung 
verbunden,  und  oft  ists  dann  weiter  nichts  als  Fungus  meduUaris  (s  d.  Art. 
und  Cancer  mammarum).  Indessen  sind  die  Fungositäten  im  Brustkrebs- 
geschwür als  secundäre  Erscheinungen  nicht  ganz  selten  und  es  scheint  im 
höhern  Grade  des  Übels  oft  eine  Complication  von  Fungus  und  Carcinora 
gtattzufinden.  Nach  Blasiiis  QRusfs  Cliirurgie,  Bd.  VII.  S.  602)  giebt  es 
zwei  Arten  von  Brustkrebs,  welche  sich  am  öftersten  mit  Schwammbildung 
verbinden.  Die  eine  ist  der  Krebs  des  Warzenhofes,  bei  welchem  im  letz- 
tern die  Drüschen  hart,  knotig  werden,  sich  excoriiren  und  in  Ulceration 
übergehen,  die  auch  die  Warze  ergreift  und  zerstört.  Auf  der  exulcerirten 
Oberfläche  erscheint  ein  weicher,  sehr  gefässreicher,  leicht  blutender  Schwamm, 
welcher  sehr  wuchert ,  und  in  dessen  Umfang  sich  die  Ulceration  unter  der 
Haut  verbreitet,  die  sich  indessen  verfärbt  und  das  Geschwür  wie  mit  einem 
schwärzlichen  Ringe  umgiebt.  Dabei  ist  ein  heftiger  brennender  Schmerz  an 
der  leidenden  Stelle,  und  die  ganze  Brust,  welche  voll,  rund  und  elastisch 
erscheint,  befindet  sich  in  einem  gereizten  Zustande ,  der  mit  dem  Schwamm 
der  Ulcerationsfläche  in  einem  Verhältnisse  zu  stehen  scheint ,  indem  er 
manchmal  einstweilen  verschwindet ,  sobald  der  freilich  wieder  rasch  wach- 
sende Schwamm  abgebunden  oder  zerstört  wird.  Die  Brust  selbst  pflegt 
bis  zum  Tode  gesund  zu  bleiben ;  doch  wird  auch  sie  manchmal  geschwürig 
und  mit  schwammigen  Auswüchsen  besetzt.  Das  später  hinzukommende  All- 
gemeinleiden führt  häufig  oft  schon  den  Tod  herbei ,  bevor  bedeutende  Zer- 
störungen des  leidenden  Theils  stattgefunden  haben.  —  „Die  zweite  Art  des 
schwammigen  Brustkrebses  —  sagt  Blasius  —  ist  der  Tumor  acutus  fungosus 
mammae,  welcher  sich  durch  seinen  raschen  Verli  uf  auszeichnet,  und  be- 
sonders bei  fetten  Personen  mit  starken  Brüsten  vorkommt.  Er  ergreift  die 
fanze  Brust,  deren  Ba.sis  hart  wird  und  in  einen  festeii  Zusammenhang  mit 
em  Pectoralmuskel  tritt,  während  die  Oberfläche  derselben  eine  dunkle  Pur- 
purröthe  bekommt.  Bald  scheint  sich  die  Geschwulst  an  3  —  4  Stellen  zu- 
zuspitzen, die  Röthe  wird  tiefer  und  die  Oberfläche  mit  Knötchen  bedeckt; 
es  erfolgt  Aufbruch  der  Geschwulst,  aber  diese  ergicsst  dabei  keine  Flüs-  "^ 
sigkeit,  sondern  es  wuchert  aus  ihr  eine  leicht  und  stark  blutende  fungöse 
Masse  von  fibröser  Besch.affenheit  hervor."  Dabei  heftige  brennende ,  klo- 
pfende Schmerzen  in  der  Brust,  schnelles  Sinken  der  Kräfte,  besonders 
durch  den  häufigen  Blutverlust  aus  den  Fungositäten,  rasclies  Fortschreiten, 
des   örtlichen  Leidens,   schnelle  Zerstörung   der  Brust,   die   ganz  weich  und 


,  FIJNGUS  825 

««f  der  Oberfläche  brandig  wird ,  —  scheussHcher  Gestank  des  Geschwürs, 
Resorption  der  Jauche  in  die  Biutmasse,  Febris  putrida,  Delirien,  mehrere 
Tage  lang  Sopor,  Torpor  und  —  Tod.  —  Folgende  Form  des  schwammi- 
gen Auswuchses  aus  einer  carcinomatösen  Brust  soll,  nach  Bell,  am  häufig- 
sten vorkommen :  Es  bildet  sich ,  wenn  die  Krebsgeschwulst  an  der  Haut 
haftet,  ein  Geschwür  mit  lappigen,  verzogenen  Rändern,  uin  welche  die 
Haut  bleifarbig  ist,  die  Venen  sehr  deutlich  daliegen,  und  innerhalb  rferen 
»ich  aus  der  Mitte  des  Geschwürs  ein  schwammiger  Auswuchs  erhebt,  wel- 
cher schnell  aufwuchert,  weich  ist  und  eine  dunkelschmuzige  Farbe  hat,  so 
dass  er  todter  Substanz  gleicht,  auch  sich  an  der  Oberfläche  in  Hautläpp- 
chen abschuppt.  Das  Geschwür  sondert  dünne,  stinkende  Jauche  ab  und 
es  folgen  häufig  bedeutende  Blutungen.  Cur.  Ist  bei  vorgeschrittenem  Übel 
nur  eine  palliative,  und  zwar  die  des  Krebses  und  des  Fungus  medullaris 
(s.  d.  Art.).  Leider  I  vermag  die  Kunst  hier  wenig.  Zu  versuchen  ist  noch, 
wenn  die  Kräfte  des  Kranken  es  erlauben,  die  Entziehungscnr  und  das 
Decoct.  Zittmanni  mit  mehr,  als  gebräuchlich  ist,  Fol.  sennae  versetzt, 
wie  dieses  O.  Beiire  anräth  (s.  Hecker's  Wissenschaftl.  Annalen,  18S3,  De- 
cember,  S.  385  —  421). 

Fungjis  medullae  spinnlis,  Hernia  meduUae  spinalis,  der  Rückenmarks- 
schwamm.  Dieses  dem  Gehirnbruche  analoge  Übel  kommt  höchst  selten 
vor.  Es  besteht  darin ,  dass  das  gesunde  oder  schwammig  entartete  Rücken- 
mark durch  eine  anomale  Spalte  der  Wirbelsäule  tritt  und  hier  eine  nicht 
fluctuirende  Geschwulst  bildet ,  wodurch  es  sich  von  Hydrorrhachis  unter- 
scheidet. Ursachen  sind  mechanische  Verletzungen,  Stoss,  Fall.  Oft 
kommt  das  Übel  erst  Jahre  lang  nach  einer  solchen  Veranlassung.  Die  Fol- 
gen sind:  Lähmung  der  Gliedmassen,  zumal  der  untern,  wenn  anders  die 
Geschwulst  am  untern  Theile  des  Rückens  ihren  Sitz  hat,  Lähmung  der 
Blase ,  des  Mastdarms ,  Caries  vertebrarum ,  zuletzt  Febris  hectica  und  Tod. 
Cur.  Ist  dieselbe  des  Hirnschwamms  (s.  Fungus  durae  matris),  mo- 
dificirt  nach  individuellen  Umständen. 

*  Fungus  medullaris ^  Fungus  cancrosus  inedu,lJaris  Harless,  Snrcomtt 
medulläre  Ah ernethy,  Spongoid  infiammation  Bums ,  Fungus  ccrchralis, 
Cancer  cerehriforme ,  Encephaloide  Laennec ,  Cancer  mollis  B eclard,  Me- 
lanosis (?)  Boy  er  et  Breschet,  Tela  accidcnialis  viedullaris,  Mark- 
schwamm,  krebsartiger  Markschwamm,  markartiges  Fleisch- 
gewächs, schwammige  Entzündung,  Medul  larcarcinom  (Laen- 
nec^ ,  Hirnschwamm,  hirn artiger  Krebs,  Encephaloidenge- 
webe,  weicher  Krebs,  Melanose.  Ist  eine  Afterorganisation  ,  ein 
Schwammgewächs ,  welches  aus  einer  dem  Gehirn  ähnlichen  Masse ,  der 
Form,  Farbe  und  chemischen  Analyse  nach,  besteht;  jedoch  ist  die  Sub- 
stanz des  Gehirns  etwas  weicher.  Dieses  Schwammgewächs  findet  sich  ent- 
weder frei  vor,  oder  es  erscheint  in  Form  einer  Infiltration,  oder  es  ist  in 
häutigen  Bälgen  eingeschlossen.  Symptome.  Das  Übel  erscheint  zuerst 
als  eine  kleine,  begrenzte,  glatte,  unebene,  farblose,  feste,  doch  nicht 
harte  Geschwulst ,  die  später  successive  elastisch  wird  und  ein  täuschendes 
Gefühl  von  Fluctuation  darbietet.  Jetzt  wird  allmälig  die  Oberhaut  dünn, 
verwächst  mit  der  Geschwulst,  bricht  endlich  auf,  sondert  blutige  Jauche 
ab ,  es  bildet  sich  schnell  Wucherung  schwammiger  Massen ,  letztere  nehmen 
zu ,  und  so  erscheint  die  runde  Hautöffnung  kleiner  als  das  Schwammge- 
wächs, welches  an  seiner  Basis  eingeschnürt  worden  ist.  Diese  fungöse 
Excrescenz  blutet  bei  der  geringsten  Berührung,  ist  immer  sehr  schmerz- 
haft, das  Allgemeinbefinden  leidet,  und  das  Übel  verläuft  im  Allgemeinen 
rascher  als  der  Krebs.  Da  der  Markschwamm  noch  manche  Verschieden- 
heiten darbietet,  so  hat  man  folgende  Unterschiede  angenommen:  1)  Der 
in  häutige  Bälge  eingeschlossene  Markschwamm ,  Fungus  medullaris  cysticus, 
Encephaloide  encystee  Laennec.  Er  ist  verschieden  von  Grösse,  von  der 
einer  Haselnuss  bis  zu  der  eines  massig  grossen  Apfels ,  die  eingeschlossenen 
Bälge  sind  nicht  über  Vj  Linie  dick,  weisslichgrau ,  silber-  oder  milchweiss 
von  Farbe ,  nach  ihrer  Dicke  mehr  oder  weniger  halbdurchsichtig ,  von  knor- 


826  FmGUS 

pelartiger  Textur,  vom  Schwämme  selbst  leicht  zu  trennen;  dieser  ist  er- 
kennbar durch  feines,  sehr  gefässreiches  Zellgewebe,  das  aus  mehrfach  ge- 
trennten Lappen  besteht  und,  schneidet  man  ihn  an  der  Oberfläche  in  dünne 
Scheiben,  von  zarten  röthlichen  Linien  durchzogen  ist.  2)  Der  freiliegende 
Markschwamm.  Er  ist  verschieden  von  Grösse,  von  der  eines  Hanfsamen- 
korns bis  zu  der  eines  Fötuskopfes;  seine  Gestalt  ist  sphärisch,  oft  platt, 
oval ,  unregelmässig ;  er  ist  auf  der  Oberfläche  durch  melir  oder  minder  tiefe 
Einschnitte  in  Lappen  getheilt,  gleicht  in  seiner  Innern  Structur  dem  Fung. 
meduUaris  cysticus,  doch  ist  er  etwas  härter  von  Consistenz,  dem  Speck 
ähnlich,  enthält  aber  kein  Fett,  und  die  Kysten  oder  Bälge  fehlen.  3)  Der 
in  Form  einer  Infiltration  erscheinende  Markschwamm.  Er  ist  unregelraässig 
von  Gestalt,  verliert  sich  allmälig  in  die  Umgebungen,  durchdringt  die  nor- 
malen Gewebe  in  grösserer  oder  geringerer  Menge,  und  gicbt  diesen  da.her 
ein  verschiedenartiges  Ansehn.  4)  Der  in  Form  einer  Hautwarze  auftretende 
Markschwamm.  Er  kommt  am  häufigsten  an  der  Glans  penis,  am  Augenlide 
vor  und  geht  erst  später  in  eine  Excrescenz  mit  fongöser  Masse  über  (JL«n- 
genbeclc).  (Hier  ist  die  Verwechselung  mit  Scirrhus  und  Carchiom  am  leich- 
testen möglich ;  vielleicht  ist  ein  solches  Übel  auch  mehr  dem  Carcinom  als 
dem  Medullarsarkom  anzureihen.  Most^.  5)  Der  in  maschenförmigen  Gewe- 
ben erscheinende  Markschwamm  (^Btirns}.  Ist  wol  nur  etwas  Zufälliges. 
Wenn  die  Arten  Nr.  1  und  2  einen  gewissen  Grad  von  Entvvickelung  er- 
reicht haben,  so  zeigen  sie  folgende  gemeinschaftliche  Charaktere:  Eine 
gleichartige,  der  Marksubstanz  des  Gehirns  ähnelnde  milchw eisse  Beschaff"en- 
heit,  von  Consistenz  gebundener  als  bei  jener,' von  stellenweise  leicht  ro- 
senfarbigem Anstriche,  auch  wol  ins  Graue  oder  Gelbliche  spielend,  in 
dünne  Scheiben  geschnitten  halbdurchsichtig,  in  grössern  Massen  undurch- 
sichtig; bei  grössern  Anhäufungen  findet  man  darin  eine  grosse  Zahl  von 
mit  ihren  Stämmen  auf  der  Oberfläche  laufenden,  mit  ihren  Ästerf  in  die 
Masse  eindringenden,  sehr  dünnwandigen,  leicht  zerreissenden  und  dann 
Extravasate  in  der  Masse  erzeugenden  Blutgefässen.  (Demnach  sind  die 
dem  Fungus  haematodes  ähnelnden  Zeichen  hier,  nur  etwas  Secundäres. 
Most}.  Schon  anfangs  entstehen  durch  den  Druck,  durch  die  Spannung 
der  Geschwulst  Störungen  mancherlei  Art ,  besonders  in  den  nahe  gelegenen 
Organen:  heftige  durchschiessende  Schmerzen,  Stiche  etc.  Nach  diesem 
Stadium  der  Rohheit,  das  oft  lange  Zeit  dauert,  folgt  nun  das  der  Erwei- 
chung; die  Haut  wird  livid ,  rosenartig  entzündet,  sie  bricht  auf,  es  sickert 
eine  seröse,  jauchige  Flüssigkeit  aus  den  entstandenen  kleinen  Offnungen, 
diese  vergrössern  sich ,  es  bilden  sich  äusserst  schnell  Fungositäten ,  die  ro- 
thes  und  abwechselnd  schwarzes  Blut  ergiessen ,  in  Fäulniss  übergehen  und 
eine  höchst  übelriechende  Jauche  absondern.  Häufig  tritt  nun  Leber-,  aber 
auch  Lungenleiden  hinzu  (ToH);  der  Kranke  leidet  an  innern  Schmerzen, 
Angst,  hat  eine  livide,  erdfahle,  selten  glänzend  gelbe  Gesichtsfarbe,  es 
tritt  Febris  hectica,  fortwährendes  Erbrechen  alles  Genossenen,  Oedera  der 
Füsse,  oft  allgemeine  Wassersucht  hinzu,  und  der  Tod  macht  den  Leiden 
ein  Ende.  Bei  dem  infiltrirten  Markschwamtn  ist  der  Erweichungsprocess 
mehr  em  Übergang  in  einen  weichen  Brei,  und  es  bildet  sich  zuletzt  ein 
dicker  Eiter;  die  erweichte  Masse  ist  oft  von  extravasirtem  Blute  schwarz- 
roth  gefärbt,  oder  sie  erscheint  wegen  des  Faserstoffes ,  welchen  das  extra- 
vasirte  und  zersetzte  Blut  darin  absetzte,  als  ein  trockner  Teig;  oft  ist 
hier  die  Erweichung  bei  hin  und  wieder  unversehrt  gebliebenen  Lappen  nur 
partiell.  Im  Allgemeinen  tritt  der  Erweichungsprocess  des  Markschwamiues 
später  ein  aXß  der  der  Tuberkeln  und  des  Scirrhus,  aber  nie  in  solchen» 
Grade,  dass  die  erweichte  Masse ,  wie  z,  B.  das  erweichte  Tuberkelgewebe, 
ausgeworfen  wird;  übrigens  sind  Blutungen  im  Stadium  der  Erweichung 
häufig.  Was  den  Sitz  des  Markschwamms  betrilTt,  so  hat  man  ihn  in  al- 
len Theilen  und  Organen  des  Körpers,  mit  alleiniger  Ausnahme  des  Her- 
zens und  der  grossen  Gefässe,  vorgefunden.  (Dagegen  spricht  die  Beob- 
achttmg  von  Bartchj.,  vgl.  dess.  Observatio  singtilaris  fungi  meduUaris  in 
corde.  Halae,  182L  Most).    Man  triift  ihn  an  in  den  Lungen,  in  der  Leber, 


FUNGUS  827 

im  Zellgewebe  des  Mittelfelles  (hier  besonders  nach  Laennec  den  P.  meduU. 
«•Nsticus),  aber  auch  zuweilen  auf  der  äussern  Haut,  wo  er  häoßg  als  eine 
weiche,  fluctuirende  Geschwulst  erscheint,  die  aber  beim  Öffnen  mit  der 
I^anzette  nur  wenig  blutige  Feuchtigkeit  von  sich  giebt;  ferner  häufig  in 
dem  copiösen  und  laxen  Zellgewebe  der  Gliedmassen  und  der  grossen  Höh- 
len, wo  vorzugsweise  der  freiliegende  Markschwamm  gefunden  wird,  selte- 
ner in  der  Substanz  der  innern  Organe,  zuweilen  im  Uterus,  besonders  hier 
die  als  Infiltration  erscheinende  Form.  Auch  in  der  harten  Hirnhaut  kommt 
er  in  verschiedenen  Formen  vor,  besonders  nach  Schädelverletzungen  (9. 
Fung.  durae  matris;  hier  ist  er  aber  nicht  immer  von  allgemeiner  Dys». 
crasia  neuro  -  fungosa  bedingt,  besonders  wenn  er  nicht  ursprünglich  aus 
der  Diploe  der  Ossa  cranii  entspringt.  M.) ;  in  der  Augenhöhle ,  im  Aug- 
apfel, wo  er  sich  von  der  Insertion  des  Nervus  opticus  bis  ins  Gehirn  er- 
streckt (^Panizza,  Schayer - Eliason ,  Diss.  de  fungo  medullari  oculi.  BeroL 
1827);  in  den  weiblichen  Brüsten ,  wo  er  als  eine  weiche,  scheinbar  fluctui- 
rende Geschwulst  erscheint;  in  der  Milz,  in  den  Nieren,  in  den  Hoden  und 
Nebenhoden  (hier  mit  oder  ohne  Gefühl  von  Schwere  in  den  Schenkeln, 
glatt,  oval  von  Gestalt,  beim  Druck  nachgebend,  elastisch,  der  Hydrocele 
ähnlich,  mit  weichem,  elastischem,  zuweilen  aber  aufgetriebenem  Samen- 
strange, anfangs  mit  fehlenden,  später  mit  bedeutenden  Lendenschmerzen, 
die  besonders  nach  dem  Essen  stärker  werden,  mit  tief  nach  Innen,  in  die 
Gegend  des  Nabels  und  Quergrimmdarms  bei  magern  Subjecten  deutlich 
fühlbaren  Geschwülsten,  wozu  endlich  Febris  hectica,  Hydrops  und  Tod, 
welchen  die  Exstirpation  des  Hoden  stets  beschleunigt,  kommt).  Endlich 
finden  wir  den  Markschwamm  auch  am  Duodenum,  der  Einmündung  des 
Gallenganges  gegenüber,  im  Gekröse,  im  Netze,  welches  oft  ganz  in  Mark- 
schwamm verwandelt  ist;  in  den  Muskeln  und  lymphatischen  Drüsen ,  in  den 
Knochen,  zumal  nach  Contusionen  und  Fracturen.  Nach  Einigen  kommt 
das  Übel  an  innern  Organen  nur  deuteropathisch  vor,  nachdem  die  Ge- 
schwulst sich  äusserlich  schon  gezeigt  hatte.  Dafür  spricht  ein  von  mir 
(To«)  beobachteter  Fall,  wo  nach  exstirpirtem  Fungus  medullaris  an  der 
rechten  Lende  das  Übel  sich  nun  in  den  Lungen  entwickelte  und  den  Tod 
herbeiführte.  (In  solchen  Fällen  sind  wir  eher  berechtigt  anzunehmen ,  dass 
die  Dyscrasia  neuro  -  fungosa ,  welche  an  einem  Theile  des  Körpers  in  der 
Producirung  des  Fungus  medullaris  gestört  ward,  nun  eine  andere  Stelle 
wählt,  wohin  sich  der  anomale  Productionstrieb  wendet.  Most).  Diagnose. 
Ist  beim  innern  Markschwamm  sehr  schwierig,  und  das  Übel  ist  leicht  zu 
verwechseln  mit  den  Zufällen  von  Scirrhen  und  andern  organischen  Entar- 
tungen. Der  äussere  Markschwaram  unterscheidet  sich  vom  Scirrhus  durch 
folgende  Zeichen:  1)  Der  Scirrhus  (nicht  die  gutartige  Induration)  bildet 
gleich  anfangs  eine  harte,  höckerige,  feste,  nicht  zusammendrückbare ,  knor- 
pelfurtige  Geschwulst,  deren  Masse  theils  aus  einer  speckartigen  harten, 
theils  aus  einer  weichen,  bräunlichen,  bläulich  -  schwärzlichen ,  grünlichen 
Materie  besteht.  Der  Markschwamm  fühlt  sich  dagegen  weicher,  elasti- 
scher, gespannter,  gleichförmiger  an,  bekommt  später  eine  verlängerte, 
warzenähnliche  Gestalt,  wie  ein  konischer,  hemisphärischer  Lappen,  und  es 
bilden  sich  mehrere  solcher  Anhänge,  wovon  jeder  einzelne  elastisch  ist  und 
das  trügerische  Gefühl  der  Fluctuation  darbietet.  2)  Ein  äusserlich  ange- 
brachter Druck  vermindert  den  Schmerz  beim  Markschwamm,  was  beim 
Scirrhus  nicht  der  Fall  ist  (s.  Horn's  Archiv,  1828,  September  u.  October, 
S.  753  u.  f.).  S)  Wird  der  Scirrhus  zum  Krebs,  so  sind  die  Schmerzen 
äusserst  heftig,  stechend,  brennend,  die  Verschwärung  schreitet  von  Aussen 
nach  Innen,  oder  umgekehrt,  es  sondert  sich  sogleich  eine  höchst  stinkende 
Jauche  ab.  Dagegen  sind  die  Schmerzen  bei  dem  in  Erweichung  überge- 
henden Markschwamm  viel  gelinder,  nicht  so  brennend,  und  die  erste  Se- 
cretion  ist  eine  seröse  Flüssigkeit ,  die  erst  später  saniös  und  stinkend  wird. 

4)  Scirrhus  und  Krebs  kommt  am  häufigsten  in  drüsigen  Theilen ,  Mark- 
schwamm am  häufigsten  im  Zellgewebe  und  in  den  fibrösen  Membranen  vor. 

5)  Der  Krebs   befällt  vorzüglich  Personen   in  den  vierziger  Jahren,   beson- 


828  FUNGÜS 

ders  In  der  Periode  der  Decrepltät;  der  Markschvramm  dagegen  häufig  jün- 
gere Subjecte,  selbst  Kinder.  Von  einem  Tumor  cysticus  ist  der  Mark- 
echwamm  leichter  zu  unterscheiden ,  indem  dieser  oft  ganz  unschmei'zhait 
ist,  was  man  selbst  zu  Anfange  des  F.  mediillaris  nicht  bemerkt.  Zur 
Diagnose  zwischen  Fungus  medullaris  und  Fungus  hacmatodes  dient:  1)  Der 
F.  medullaris  beruhet  auf  einer  specifischen  Dy.>»krasie,  breitet  sich  daher 
auch  auf  entfernte  Organe  aus,  der  Fung.  haematodes  ist  ein  örtliches  Übel 
(eine  wahre  Telangiektasie),  das,  selbst  wenn  es  aufgebrochen  ist  und  fun- 
göse  Excrescenzen  bildet ,  sich  nie  auf  entfernte  Theile  fortpflanzt  {CheUus}, 
2)  Der  F.  haematodes  ist  stets  ein  primitives  Übel  des  Capillargefässsystem.s, 
der  feinen  Arterien  oder  Venen,  was  bei  F.  medullaris  nie  der  Fall  ist. 
S)  Vergleicht  man  alle  charakteristischen  Zeichen  beider  Übel  genau  mit- 
einander (s.  oben),  so  wird  man  sie  nicht  mit  einander  verwechseln.  Ihre 
Gegenüberstellung  würde  nur  Wiederholung  seyn.  Ursachen  des  Mark- 
schwamms.  Sie  liegen  ziemlich  im  Dunkeln.  In  den  meisten  Fällen  ent- 
wickelt sich  die  Krankheit  ohne  eine  wahrnehmbare  entfernte  Ursache,  und 
wir  finden  dann  gewöhnlich,  dass  das  Übel  nicht  local,  sondern  in  mehreren 
Organen  vorhanden  ist,  dass  eine  allgemeine  Dyskrasie  da  ist,  die  Befalle- 
nen an  Asthma,  Dyspnoe,  an  ikterischen  Beschwerden  leiden.  Übrigens 
rechnet  man  unter  die  prädisponirenden  Ursachen  ausser  jener  eigenthümli- 
chen  DIathesis  fungosa  das  jugendliche  Alter,  zumal  mit  scrophulöser  Ka- 
chexie; dagegen  werden  ältere  Subjecte  selten  ergriffen.  Ausserdem  neigt 
dazu  die  arthritische ,  leprotische,  melanotische  und  syphilitische  Kachexie 
(^Harless,  H'edemeyer) ,  die  Periode  der  Pubertätsentwickelung,  und  bei 
Weibern  in  der  Decrepität.  Gelegenheitsursachen  sind:  äussere  Verletzun- 
gen, Druck,  Stoss  (in  einem  Falle  entstand  das  Übel  durch  den  Stoss  eine» 
Schafbocks.  Tott),  Quetschung,  heftige  örtliche  Reizung  etc.,  die  zu  jener 
allgemeinen  Dyskrasie,  als  einem  tief  in  der  Vegetation  wurzelnden  Leiden, 
das  bald  erblich,  bald  erworben  ist,  hinzukommen  müssen,  wenn  der  Mark- 
schwamm  entstehen  soll.  Wesen  des  Markschwamms.  Ist  nach  Hartes* 
eine  Abart  des  weichen  Krebses ,  nach  ffey,  M'rtrdrop,  zum  Theil  auch  nach 
Maunoir  und  v.  Walthcr  nicht  verschieden  von  Fungus  haematodes,  was  wir 
indessen  nicht  annehmen,  sondern  Chelius  völlig  beistimmen.  Auch  Dzondi 
will  unrichtiger  Weise  den  Namen  Markschwamra  mit  Blutschwamra  ver- 
tauscht wissen.  Nach  Kluge  ist  der  Rlcdullarscbwamm  ein  aus  den  Nervcn- 
scheiden  entspringendes  Parasitengewächs,  nach  Maunoir  eine  Umwandlung 
der  Organe  in  Nervenmark  oder  ein  Extravasat  des  letztern;  nach  Pnnizzn 
ein  Product  oder  eine  Wirkung  der  scrophulösen  Constitution,  nicht  inuiier 
im  Nervenmark,  sondern  auch  in  den  fibrösen  Gebilden  wurzelnd,  welches 
Übel  am  Auge  mit  dem  Hordeolum  anfange.  Nach  Lmipciiltcck  ist  der  P'un- 
gus  medullaris  das  Product  eines  schleichenden ,  chronischen  Entzündungs- 
proce.sses,  welcher  statt  der  Induration  in  Auflockerung  des  Haargefässsy- 
stems  übergeht,  mit  Ausschwitzung  eines  schlechten  Thierstoffes,  aus  wel- 
chem eine  fungöse,  mit  Caro  luxurians  zu  vergleichende,  weiche,  aerreiss- 
bare,  der  Hirnsubstanz  analoge  Masse  gebildet  wird;  nach  Dzondi  ists  eine 
PseudoOrganisation  einer  fibrösen  Membranenpartie  in  Folge  einer  Entzün- 
dung; nach  .S'wnrfc/jn  das  Product  eines  fehlerhaften,  anomalen  Reproductions- 
und  Vegetationsprocesses,  der  sich  durch  Ablagerung  eines  ei w eissartigen 
Aftergewebes  ausspricht,  worauf  dann  ein  Absterbungsprocess  (die  Erwei- 
chung) erfolgt.  (Diese  Ansicht  passt  weit  eher  auf  die  Tuberkelsucht,  als 
auf  den  Markschwamm.  Most).  Zu  den  vorzüglichsten  Ursachen  rechnet  er: 
Einwirkung  mechanischer  Gewalt,  Erregung  des  Gesammlorganismus  durch 
den  Cenuss  starker  Gewürze,  spirituöser  Getränke,  durch  erschütternde 
Geinüthsbewegungen,  grosse  Schnier/en,  fieberhafte  Krankliciten ,  besonders 
aber  die  Anwendung  erregender,  reizender,  vielleicht  zur  Zertheilung  der 
Geschwulst  angewandter  Mittel  (s.  Berends,  Vorles.  üb.  prakt.  Arzneiwi.s- 
Ben.'^ch.;  herausgcgeb.  von  Sundclin.  Berlin,  18.9;  Bd.  VII.  S.  2ß0  —  SJfiS). 
Prognose.  Ist  .sehr  mi.sslich;  .selbst  das  einzige  Rettungsmittel,  die  E\- 
Hlirpation,    lüift  nur,    wenn  sie  frühzeitig  angewandt  wird,   che  sich  selbat 


FUNGUS  829 

f  die  örtlichen  Symptome  vollständig  entwickelt  haben,  ehe  das  Stadium  der 
!  Erweichung  eingetreten  ist.  Bei  schon  vorhandenem  sichtbaren  Allgemein- 
leiden ist  nur  palliative  Hülfe  möglich.  Häufig  folgt  selbst  auf  die  Exstir- 
pation  des  noch  unentwickelten  örtlichen  Übels,  bald  Scirrhus  oder  selbst 
Fungus  medullaris  der  Lungen  (^Wedemeyer,  Tott)  und  schnellerer  Tod  durch 
allgemeine  Fortpllanzung  des  Leidens,  durch  Hektik,  Hydrops.  Besonders 
schlimm  ist  der  Fungus  medullaris  testiculi,  und  die  Exstirpation  hier  miss- 
lich. Cur.  Man  exstirpire  die  Geschwulst,  ehe  sie  völlig  ausgebildet  ist 
und  ehe  sich  Allgemeinleiden  eingefunden  hat.  Ist  letzteres  schon  da ,  so 
bleibt  uns  nur  die  palliative  Cur  übrig;  wir  geben  Opium ,  Belladonna ,' Extr. 
lactucae  virosae,  Hyoscyamus,  Blausäure,:  Aq.  laurocerasi,  um  Schmerzen 
zu  lindern  und  Ruhe  zu  verschaüen.  Äusserlich  dienen  nach  Umständen 
Blutegel,  Cataplasmata  emoUientia ,  anodyna ,  mit  Opium,  Aq.  Goulardi, 
Extr.  belladonnae;  dabei  eine  reizlose,  nähiende  Kost.  Im  Erweichungs- 
gtadium  machen  innerlich  Opium  und  Belladonna ^  um  die  Schmerzen  zu  be- 
sänftigen ,  die  Hauptsache  aus.  Jedes  heroische  Verfahren  ist  hier  unver- 
antwortlich, da  es  die  kurz;e  Lebensfrist  des  Unglücklichen  nur  verbittert. 
Eine  besondere  Erwähnung  verdient  hier  noch  der  Markschwamm  in  den 
Lungen  und  im  Uterus. 

Fungus  medulhtris 'pulmonum ,  PMhisie  cancreuse  Bayle,  Encephaloides 
des  pouvwns  Laennec,  der  Markschwamm  in  den  Lungen,  das  En- 
cephaloidengew^be  derLungen.  Symptome.  Das  Übel  tritt  sel- 
ten mit  Fieber  auf ,  dagegen  mit  stets  zunehmender  Dyspnoe;  späterhin  stel- 
len sich  pleuritische  und  pneumonische  Affectionen,  auch  eiterartige  Sputa 
ein,  wobei  die  Esslust  und  Kräfte  oft  noch  lange  Zeit  gut  bleiben.  Im 
weitern  Verlaufe  des  Übels  zeigt  sich,  war  es  nicht  schon  früher  der  Fall, 
häufig  der  Markschwamm  an  äussern  Theilen ,  und  es  entwickelt  sich  in  den 
Lungen  zugleich  das  Tuberkelgewebe;  zuletzt  kommen  Abmagerung,  Febris 
hectica,  Hydrops  hinzu,  «nd  der  Kranke  stirbt  an  der  Auszehrung.  Zuwei-t 
len  erfolgt  der  Tod  schon  früher,  ehe  der  Kranke  abmagert,  und  zwar  in 
Folge  des  Drucks  der  Geschwulst  auf  die  benachbarten  Organe :  aufs  Herz, 
auf  die  Lungen ,  wodurch  Erstickung  erfolgen .  kann.  Der  Lungenmark- 
schwamm  erscheint  am  häufigsten  in  der  eingebalgten  Form,  in  der  Grosso 
von  Haselnüssen  oder  Kastanien,  jedoch  zuweilen  auch  frei  oder  intiltrirt; 
zugleich  häufig  auch  in  andern  Partien,  besonders  in  der  Leber,  im  Ge- 
hirne. Er  nimmt  rasch  zu,  verläuft  ungefähr  in  1 — 2  Jahren,  und  tödtet 
meist  auch  schon  vor  dem  Eintritt  der  Erweichung  durch  Erstickung.  In 
einem  Falle  bemerkte  man  stets  eine  tiefe  Inspiration,  verbunden  mit  einem 
schnaufenden  Geräusche,  wie  von  einem  Blasebalge,  dabei  bleiches,  ängst- 
liches Ansehen,  Mangel  an  Schlaf  etc.  (Medical  and  phy.sical  Journal,  1Ö27, 
p.  1048  seq.).  Ursachen.  Das  Übel  kommt  vorzüglich  im  Mannesalter 
bei  der  venösen  Constitution ,  bei  Cachexia  atrabilaris  und  Hämorrhoidaldia- 
these  vor  (s.  Haemorrhagia  ventriculi);  auch  hat  man  es  nach  Ex- 
stirpation des  äusserlichen  Markschwamms ,  nach  Amputation  damit  behafte- 
ter Glieder  entstehen  sehen.  Cur.  Sie  kann  wegen  unvollkommner  Kennt- 
niss  von  diesem  Lungenaftergewebe  und  den  daher  fehlenden  Heilanzeigea 
bis  jetzt  nicht  angegeben  werden.  (S.  Laennec ,  Die  mittelbare  Auscultation. 
A.  d.  Franz.  Weimar,  1822;  Ai't.  6.  Bayle,  Recherches  sur  la  Phthisie 
pulmonaire;  Sect.  V.  p.  21)2). 

Fungus  medullaris  uteri,  Markschwammgewebe,  Encephaloi- 
dengewebe  im  Uterus,  der  Blutkrebs  des  Uterus  (ß.v.  S.iehold'). 
Er  erscheint  nach  Meckel  (Handb.  d.  pathol.  Anatomie ,  S.  S16)  ent>veder 
in  der  Form  einer  Anschwellung  und  Vergrösserung  der  Gebärmuttersub- 
stanz, oder  in  Form  fungöser,  dick  gestielter,  bei  der  Berührung  leicht 
blutender,  nach  geschehener  Abbindung  oder  Excision  sich  bald  wiederer- 
zeugender Polypen ,  oder  er  sitzt  um  das  Gewebe  des  Uterus  selbst,  in  des- 
sen Gesammtmasse  oder  nur  im  Körper ,  am  häufigsten  aber  in  der  Schei- 
denportion. Nach  Baillie  (Anatomie  des  krankhaften  Baues  des  Uterus  etc. 
S.  213  —  216)  kommt  das  Übel  in  Gestalt  von  Knoten,  von  der  Grösse  ei- 


830  FUNGUS 

ner  Haselim^s  bis  zu  der  einer  Faust  und  grösser  vor,  hat  auf  der  Ober- 
Qäche  oder  in  der  Substanz  des  Uterus  seinen  Sitz,  ist  rundlich  von  Form, 
zeigt  beim  Aufschneiden  eine  weisse,  feste,  mit  dicken,  starken  Flächen 
durchzogene  Substanz;  oder  es  erscheint  in  Form  einer  gewissen  Art  ähn- 
lich construirter  Polypen.  Sein  Verlauf  ist  rascher  als  der  des  Tuberkel- 
gewebes. Nähere  Symptome  sind:  1)  im  Stadium  des  nicht  erweichte» 
Markschwammes  sehr  schnelle  Anschwellung  und  Vergrösserung  des  befedle- 
nen  Theils  des  Uterus ,  besonders  des  Scheidentheils ;  in  Folge  dessen ,  so- 
Avie  in  Folge  des  Druckes  entstehen  Schmerzen  im  Kreuze,  Einschlafen  der 
Schenkel,  Schmerz  und  Hinderniss  beim  Stuhlgange  und  Harnen,  ein  be- 
deutendes Gefühl  von  Schwere  im  Becken,  wie  bei  Carcinoma  uteri.  Ist  die 
Portio  vaginalis  vorzugsweise  befallen,  so  ist  diese  colossal  vergrössert,  ver- 
zerrt, bisweilen  glatt  und  prall,  noch  öfter  uneben,  wulstig,  fast  immer 
nachgebend,  elastisch,  welche  Zeichen  durch  die  innere  Untersuchung  deut- 
lich erkannt  werden.  Leidet  mehr  das  Corpus  uteri,  so  dehnt  sich  der 
Uterus  bedeutend  aus,  er  fühlt  sich  in  der  Vagina  und  im  Recto  als  eine 
weiche  Geschwulst  an  und  ragt  zuweilen  selbst  über  den  Schambogen  her- 
vor. Beim  weitem  Fortschreiten  des  Übels  sondert  sich  eine  schleimige, 
schon  anfangs  übelriechende,  scharfe,  oft  mit  Blut  vermischte  Flüssigkeit 
ab;  die  Menses  sind  ungemein  schmerzhaft,  unregelmässig,  oft  sehr  profus, 
das  Leiden  verbreitet  sich  oft  schon  in  diesem  Stadium  über  die  Scheide, 
über  die  Ovarien,  über  die  Harnblase  und  das  Rectum,  nicht  selten  linden 
sich  grosse  Massen  von  Markschwamm  in  der  Bauchhöhle,  ausgehend  vom 
Darmfell,  mit  Auflockerung  und  Verwandlung  desselben  in  schleimhautähn- 
liche Gebilde  vor  {Sv/ndelin^.  2)  Im  Stadium  der  Erweichung  oder  des 
Überganges  in  Carcinom,  welcher  sehr  früh,  früher  als  beim  Scirrhus  uteri 
(gegen  v.  Sichold^  zu  erfolgen  pflegt,  bemerken  wir:  unebene,  höckerige 
Beschaffenheit  der  Scheide;  vom  Uterus,  besonders  von  der  Vaginalportion, 
sprossen  polypenartige  Excrescenzen ,  welche  bei  der  geringsten  Berührung 
bluten ;  periodisch  einen  reichlichen  Ausfluss  von  scharfer ,  ätzender ,  übel- 
riechender Flüssigkeit,  welche  die  Schenkel  und  Genitalien  excoriirt  und 
bösartige  Geschwüre  macht.  Es  bilden  sich  grosse  blumenkohlartige,  selbst 
aus  der  Scheide  hervorragende,  leicht  blutende  Excrescenzen,  nach  Clarke 
Convolute  von  den  feinsten,  sich  auf  der  Oberfläche  der  Geschwulst  befin- 
denden Arterien ,  die  sich  krankhaft  erweitern ;  die  schon  lange  stattfindende 
Kachexie  nimmt  zu,  die  Abmagerung  wird  bedeutend,  die  hydropischen  An- 
schwellungen machen  reissende  Fortschritte,  der  stinkende  Ausfluss  ist  mit 
askaridenähnlichen ,  käseartigen  Partikeln  vermischt ,  der  Mastdarm ,  die 
Blase,  die  Scheide  werden  angefressen,  das  hektische  Fieber  wird  bedeu- 
tender, xmd  der  Tod  erfolgt  unter  copiösen  Blutergüssen.  Ulsamer  (v.  Sie~ 
hoU's  Journ.  f.  Geburtshülfe ,  1828;  Bd.  VIII.  St.  2,  S.  461  u.  f.)  beobach- 
tete in  einem  Falle  ziehende  Schmerzen  in  den  Gliedern  und  in  der  Sacral- 
gegcnd,  grosse  Schwäche,  starke  Blutflüsse  mit  Ohnmächten,  Fluor  albus, 
erschwerte  Stuhl  -  und  Urinausleerung ,  zunehmende  Entkräftung ;  bei  der 
Untersuchung  per  vaginam  eine  glatte,  runde,  die  Beckenhöhle  ausfüllende, 
schmerzlose,  faustgrosse,  birnförmige,  schwammige  Geschwulst;  der  Tod  er- 
folgte unter  Convulsionen.  Die  Section  ergab :  Eiter  im  Becken ,  einen 
harten,  vergrösserten  Uterus,  eine  die  ganze  Vagina  ausfüllende  hirnartige, 
mit  dünnen,  feinen  Blutgefässen  durchzogene  und  durch  mehrere  vom  Mut- 
terhalse ausgehende  Fasern  zusammengehaltene  Masse ,  Zerstörung  der  hin- 
tern Wand  des  Mutterhalses ,  Verwandlung  desselben  in  diese  faserige  Sub- 
stanz, die  vordere  Wand  nicht  degenerirt,  aber  verkürzt  und  ganz  ver- 
krümmt, im  Fundus  uteri  ebenfalls  einen  angehenden  Markschwamm.  Ru~ 
doJphi  will  noch  nie  im  Uterus  einen  wahren  Markschwamm  gefunden  ha- 
ben. Ursachen.  Sind  im  Ganzen  wenig  bekannt;  nach  v.  Siehold  sollen 
Häniorrhoidalcongestionen  nach  dem  Uterus  und  Plethora  abdominalis  das 
Übel  begünstigen.  Sttndelin  sah  die  Krankheit  viermal  bei  jungen,  laxen, 
zugleich  vollsaftigen ,  aufgedunsenen ,  scl>on  verheiratlicten  Frauen ,  die  schon 
geboren   hatten    und   an  Leukorriiöe   und  Metrorrhagie  litten.      Sie   erfolgte 


r  FUNGÜS  831 

spontan,  ohne  evidente  Gelegenheitsursache,  Cur.  Ist  im  Allgemeinen  wie 
bei  Scirrhus  und  Carcinoma  uteri  (s.  Cancer).  Bei  der  Innern  Cur  be- 
rücksichtige man  vorzüglich  Scropheln,  krankhaft  erhöhte  Venosität;  man 
vermeide  alle  reizende  Einflüsse,  rathe  reizlose,  nährende  Diät  und  körper- 
liche und  geistige  Ruhe  an,  Vermeidung  des  Coitus,  setze  zu  Anfange  des 
Übels  von  Zeit  zu  Zeit  Blutegel  an  die  Schenkel,  applicire  Fontanelle  da- 
hin ,  sorge  für  gehörige  Leibesöffnung  durch  milde  Laxantia ,  gebe  bei  Leib- 
schmerzen Oleosa,  vermeide  bei  Koliken,  Kardialgie,  Erbrechen,  bei  Neur- 
algie streng  alle  reizenden ,  erhitzenden  Mittel ,  wende  dagegen  erweichende 
Klystiere ,  laue  Bäder,  Aqua  lauro  cerasi ,  niemals  Zink,  Ipecacuanha, 
Opium,  Naphtha,  Liq.  c.  c.  succ.  etc.  an.  Ist  das  Übel  noch  nicht  weit 
fortgeschritten,  so  versuche  man  die  Radicalcur  und  verordne  höchstens  die 
milden  Resolvcntia:  Seife,  Taraxacum,  milde  Ferulacea ,  Gunim.  ammonia- 
cum,  Li((uor  digestivus ,  Kali  tartaricum,  aceticum,  Obersalzbrunnen,  Ma- 
riakreuzbrunnen in  kleinen  Portionen,  Aqua  lauro  cerasi.  Herb,  belladonnae 
in  kleinen  Dosen,  nie  Kalorael.  Beim  Eintritte  des  Erweichungsprocesses 
ist  gewöhnlich  eine-  bedeutend  starke  entzündliche  Reizung  zugegen.  Hier 
vermeide  man  doppelt  alles  Reizende,  Erhitzende,  gebe  külile,  antiphlogi- 
stische Mittel,  setze  wiederholt  Blutegel  an  die  Genitalien,  an  den  After, 
ifts  Perinaeum,  gebe  bei  starken  Blutflüssen  Mineralsäuren,  besonders  Acid. 
phosphoricum,  und  suche  durch  reinigende,  balsamische  Injectionen  den 
häuslichen  Ausfluss  zu  verbessern.  (Hier  leistet  das  sehr  verdünnte  Acid. 
pyrolignosum ,  z.  B.  gj  in  jx  Aq.  salviae ,  mehr  als  alle  Balsamica ,  die  in 
der  Regel  zu  reizend  sind.  Most}.  Fast  immer  sind  alle  diese  Mittel  nur 
Palliative  und  es  ist  an  keine  Radicalcur  zu  denken.  Die  Exstirpation  des 
ergriffenen  Theils  oder  des  ganzen  Uterus  leistete  nichts,  sondern  sie  be- 
schleunigte nur  das  Lebensende,  C.  A.  Tott. 

Nachschrift  des  Herausgebers.  Der  Fungus  medullaris  ist  ein 
so  wichtiges  und  erst  in  neuern  Zeitea  gehörig  gewürdigtes  Übel,  die  Na- 
tur desselben  ist  noch  so  wenig  ergründet  und  die  dagegen  empfohlenen 
Heilmittel  lassen  so  sehr  im  Stich ;  so  Vieles  über  dies  furchtbare  Übel 
bleibt  noch  den  Untersuchungen  einer  spätem  Zeit  überlassen,  dass  es  wol 
nieht  überflüssig  ist,  jeden  Beitrag  dazu  zu  sammeln,  um  zu  richtigem  Re- 
sultaten zu  gelangen.  Folgende  Bemerkungen,  sowol  das  Resultat  der 
neuevn  Forschungen  als- der  eigenen  Erfahrungen,  mögen  daher  hier  noch 
«ne  Stelle  finden.  1)  Cheliua  sagt  in  seinem  echt  praktischen  Handbuche 
der  Chirurgie:  ,^Gegen  den  Markschwamm  vermag  die  Kunst  wenig.  Die 
stärksten  Ätzmittel  vennögön  nicht  das  Wachsthum  desselben  zu  beschrän- 
ken. Das  einzige  Mittel,  das  die  Möglichkeit  der  Heilung  gewährt,  ist  die 
frühzeitige,  voUkoramne  Bxstirpatioji  der  Geschwulst,  oder  die  Amputation 
des  Gliedes,  an  dem  das  Übel  seinen  Sitz  hat.  Doch  ist  auch  dieses  Ver- 
fahren in  den  seltensten  Fällen  von  einem  glücklichen  Erfolge  gekrönt,  in- 
dem das  Übel  entweder  an  der  Stelle  seines  frühern  Sitzes,  oder  in  einem 
andern  Organe  wiederkommt,  und  schnellere  Fortschritte  macht.  Die  Zeit, 
wann  sich  die  Krankheit  wiedfer  zeigt,  ist  verschieden;  oft  wuchert  schnell 
aus  der  Operationswunde  die:  fungöse  Masse  wieder  hervor ;  oft  erst  im  Sta- 
^m  der  Cicatrisation ;  oft  erst,  nachdem  die  Wunde  einige  Zeit  geschlos- 
sen ist."  Diese  Thatsachen.beweisen  doch  wol  hinlänglich,  dass  das  Übel 
nur  das  Product  eines  Allgemeinleidens,  einer  Dyscrasia  fungosa,  oder  rich- 
tiger einer  Dyscr,  neuro -fungosa  ist;  und  wir  sollten  daher  von  der  Exstir- 
pation, die  wol  einzig  in  den  Fällen,  wo  eine  «nrichtige  Diagnose  ein  rein 
örtliches  Übel  für  Medullarschwamm  ansah,  nur  Hülfe  leistete,  endlich  ganz 
abstehen.  Worin  besteht  aber  jene  Dyskrasie?  in  welcher  Verbindung  steht 
sie  mit  der  Dyscrasia  cancrosa ,  mit  der  Dyscr.  scrophulosa ,  besonders  in  spä- 
tem Jahren,  wo  letztere  so  verborgen  und  so  räthselhaft  in  Form  von  ver- 
schiedenen Lungen-  und  Leberleiden  auftritt?  —  Vermag  die  Kunst  auch 
nichts  gegen  den  Markschwamm  als  das  Product  eines  schon  bedeutend  ge- 
steigerten Grades  der  Dyscrasia  neuro  -  fungosa ,  so  vermag  sie  doch  viel 
gegen  diese  Dyskra;iie,  um  die  örtliche  Aftevorganisation  in  ihrer  Bildung  zu 


832  FUNGUS 

hemmen,  die  Bildung  neuer  Markschwämme  zu  rerhüten  und  so  das  Leben 
lange  Zeit  zu  erhalten.  Es  ist  Thatsache,  dass  oft  die  bedeutendsten  Ab- 
normitäten der  wichtigsten  Organe  ohne  allen  Einfluss  auf  die  Bildung  einer 
namhaften  Krankheit,  oder  auf  die  Herbeiführung  des  Todes  selbst  bleiben 
können.  Sectionen  haben  es  hinreichend  bewiesen,  dass  man  in  den  Lei- 
chen von  Personen,  deren  Gesundheit  wenig  oder  gar  nicht  im  Leben  ge- 
trübt war,  oft  ein  entartetes  Gehirn,  die  Ventrikel  desselben  von  Wasser 
ausgedehnt ,  das  Herz  und  die  grossen  Gefässe  verknöchert ,  fehlerhaft  ge- 
bildet, abnorm  gelagert,  die  Lungen  grösstentheils  in  Eiter  aufgelöst,  mit 
steinigen  Concrementen  und  Melanosen  angefüllt,  den  Magen,  die  Leber,  die 
Milz  krankhaft  verändert  und  andere  bedeutende  Abnormitäten  vorgefunden 
hat  (S.- G.  Vogel,  AUg.  med. -diagnostische  Untersuchungen.  Stendal,  18:2 i). 
Ein  stiller  und  ruhiger  Gang  des  Lebens  war  hiiu'eichend ,  um  den  Orga- 
nirsmus  in  den  Grenzen  der  relativen  Gesundheit  zu  erhalten  und  das  Leben 
nicht  zu  verkürzen.  Sollten  wir  nun  nicht  auch  bei  der  Dyscrasia  neuro - 
fungosa  dadurch  Vieles  bewirken  können?  Allerdings!  Eine  strenge  Diät, 
ein  ruhiges,  einfaches,  von  jedem  Extrem  entferntes  Leben,  der  Genusa 
leichter  Vegetabilien ,  die  Vermeidung  aller  animalischen  Kost,  aller  Spiri- 
tuosa,  aller  Gewürze,  Sorge  für  Ruhe  des  Körpers  und  der  Seele,  für  reine 
Luft,  tägliche,  massige  Bewegung  im  Freien,  der  öftere  Gebrauch  der  lauen 
Bäder ,  und  vorzüglich  die  strengste  Vermeidung  aller  reizenden ,  erhitzenden 
und  narkotischen  äussern  und  Innern  Arzneien;  —  diese  Dinge  sind  es  vor- 
züglich, auf  welche  ich  hier  um  so  mehr  aufmerksam  machen  rauss,  da  viele 
jüngere  Ärzte  sie  zu  wenig  beachten.  Durch  eine  solche  Diät  habe  ich  in 
mehreren  Fällen  die  Ausbreitung  des  Fungus  medullaris  auf  entferntere  Or- 
gane und  die  Fortbildung  des  schon  gebildeten  Fungu*  Jahre  lang  verhütet. 
Zugleich  will  ich  hier  noch  auf  ein  Mittel  aufmerksam  machen,  dessen  Wir- 
kungen bei  solchen  Kranken  sich  mir' in  zwei  Fällen  evident  bewiesen  ha- 
ben. Es  ist  dieses  das  Acid.  njtricum  dilutum,  dreimal  täglich  zu  10 — 15 
Tropfen ,  und  anhaltend ,  Monate  lang  gebraucht.  Es  vermindert  den  Ere- 
thismus im  Blut-  und  Nervensysteme  solcher  Kranken  und  verhütet  dadurch 
den  Übergang  des  Markschwamms  in  Erweichung.  Kennen  wir  auch  nicht 
genau  die  Natur  dieses  Übels ,  so  wissen  wir  doch  soviel ,  dass  ein  krank- 
hafter Vegetationsprocess  dasselbe  hervorruft,  dass  es  eine  Afterorganisation 
als  Folge  eines  anomal  erhöhten  Productionstriebes  sey,  die  deswegen  auch 
mehr  bei  Kindern  und  jungen  Leuten  vorkommt;  also  kein  heterologes,  son- 
dern ein  homologes,  auf  entzündlicher  Stimmung  und  erhöhtem  Bildungs- 
triebe beruhendes  Aftergewächs.  Alles  was  daher  den  anomal  erhöhten  Bil- 
dungstrieb herabsetzt:  knappe  Diät,  vegetabilische  Kost,  Mineralsäuren  etc. 
muss  hier  von  Nutzen  seyn.  Selbst  die  Entzündungs-  oder  Hungercur,  mit 
oder  ohne  gleichzeitige  Anwendung  der  Louvrier- Rust'schen  Schmiercur, 
sind  Mittel,  die  bei  kräftigen  Subjecten  und  in  einzelnen  Fällen  angewandt 
zu  werden  verdienten.  2)  Die  hirnartige  Masse  des  Fungus  medullaris 
stimmt  auch  in  ihrer  chemischen  Analyse  mit  der  Gehirnsubstanz  völlig  über- 
ein; beide  bestehen  aus  Albumen,  fettiger  Materie,  Osmazom,  Kalkerde, 
Magnesia,  phosphorsaurem  Kali,  Schwefel  und  Phosphor  (^Maunoir).  Die 
Hirnmasse  ist  aber  eine  organische  Substanz  höhei"er  Ordnung  j  die  nicht 
durch  Generatio  aequivoca ,  nicht  durch  Verwelken ,  Absterben  der  Organe, 
wie  die  Hydatiden  in  den  Ovarien,  der  Krebs  in  den  Brüsten  etc.,  sondern 
nur  durch  erhöhten  Bildungstrieb,  wir  mögen  ihn  nun  entzündliche 
Stimmung,  Irritation  oder  chronische  Entzündung  nennen,  producirt  wer- 
den kann.  Auch  dieser  umstand  spricht  für  die  gute  Wirkung  einer  ma- 
gern, knappen,  reizlosen  Diät.  S)  Da  jede  Afterorganisation  im  fortschrei- 
tenden Bilden  oder  Rückbilden  .begriffen  ist,  wodurch  auch  die  auffallenden 
Metamorphosen  im  Verlauf  des  Fungus  medullaris  hervorgebracht  werden, 
indem  das  primitive  Leiden  des  Zellgewebes  oder  der  Nervenscheiden  sich 
auf  das  Capillargefasssystem  und  auf  die  Häute  verbreitet,  so  sieht  man 
leicht  ein  ,  dass  nur  eine  Vergleichung  alier  anamnestischen  und  gegenwär- 
tigen Zeichen ,  die  strenge  Berücksichtigung  des  Vorkommens  und  der  Eigen- 


FUNGUS  833 

thümUchkeheii  des  Übels,  die  Diagnose  zwischen  Krebs,  Fungus  haeraato- 
des  und  Fungus  medullaris  sicher  machen  können.  Die  Vernachlässigung 
dieser  Rücksichten  ist  die  vorzüglichste  Ursache  von  den  verschiedenen  An- 
sichten und  Meinungen  über  die  genannten  Übel,  von  der  Verwechselung 
des  Fungus  haematodes  und  Fungus  medullaris  und  von  der  Sprachverwir- 
rung in  Betreff  der  Terminologie.  Eine  aufmerksame  skeptische  Lecture 
folgender  hieher  gehörenden,  für  die  Praxis  höchst  wichtigen  Schriften  und 
Abhandlungen  giebt  für  diesen  Ausspruch  die  besten  Belege:  J.  Wnrdrop, 
ObserAat.  on  Fungus  haematodes  etc.  1809;  übers,  von  Kühn.  Leipz.  1817. 
Ch.  V.  JValther,  Über  Verhärtung  u.  Scirrhus  etc.  in  Dessen  und  v.  Gräfe's 
Journal  f.  Chirurgie  u.  Augenheilkunde.  Berl.  1825.  Bd.  V.  St.  2.  A.  Scnrpn, 
SuUo  Scirro  e  sul  Cancro.  Milano,  1821.  AhernetJty-,  Surgical  Works.  Vol.  II. 
Hey,  Practical  observations  in  Surgery.  Edit.  III.  Lond.  1814.  Chap.  6. 
./.  Jiunis,  Diss.  on  inflammation.  1800.  Vol.  II.  p.  302.  Mmmoir,  Abhandl. 
über  den  Mark  -  und  Blutschwamm.  Aus  d.  Franz.  Frankf.  1820.  Lnennec 
et  Breschet  in  Dictionnaire  des  Sciences  medicales.  Art.  Encephnloide  et  He- 
mntodc.  Nach ' Scnrpn  unterscheidet  sich  der  anfangende  Fungus  medullaris 
vom  Fungus  haematodes  durch  die  grössere  Elasticität  Nach  ihm  ist  es 
ziemlich  schwer,  einen  anfangenden  Fungus  medullaris  von  einer  scrophulö- 
sen  Geschwulst  zu  unterscheiden,  die  eine  Drüse  afficirt  hat.  Hier  soll  es 
ausser  der  grössern  Elasticität  des  Fungus  medullaris  kein  anderes  äusseres 
diagnostisches  Zeichen  geben.  4)  Höchst  wichtig  ist  die  richtige  Diagnose 
zwischen  Scirrhus  und  Fungus  medullaris  testiculi.  Ausser  den  bekannten 
Zeichen  dient ,  nach  Scnrpa,  besonders  das  zur  Diagnose ,  dass  der  Scirrhus 
j ,  der  Medullarschwamm  aber  häufig  zugleich  den  Nebenhoden  ergreift. 
Auch  die  Scropheln  können  die  Hoden  ergreifen,  und  zugleich  können  ähn- 
liche Geschwülste  im  Gekröse  stattfinden,  wie  bei  Fungus  medullaris  testiculi. 
Hier  hat  der  Wundarzt  sich  besonders  in  Acht  zu  nehmen,  den  Testikel  nicht 
zu  exstirpiren,  will  er  nicht  den  Tod  befördern  (^Scnrpa,  v.  Froriep),  der 
oft  erst  %  Jahr  später  durch  Scirrhus  der  Gekrösdiüsen  erfolgt.  5)  Mark- 
und  Blutschwamm  hält  Kudolphi  für  verschiedene  Formen  ein  und  desselben 
Übels,  und  auch  Bernstein  confundirt  beide  (s.  v.  SielohVs  Journal  f.  Ge- 
burtshülfe.  Bd.  VIII.  St.  2.  S.  461  —  467.  Bernsteines  Handbuch  f.  Wund- 
ärzte. 1818.  Bd.  II.  S.  286),  und  dennoch  stehen  die  diagnostischen  Zeichen 
beider  fest  (s.  o.);  wozu  noch  der  Umstand  kommt,  dass  der  Markschwamra 
bis  jetzt  nur  bei  Menschen,  der  Blutschwamra  und  der  Krebs  aber  häufig 
auch  bei  Thieren :  bei  Pferden ,  Schafen ,  Ziegen ,  Schweinen ,  Hunden  etc. 
vorgefunden  wird  (s.  B.  A.  Grcve,  Erfahrungen  und  Betrachtungen  über  die 
Krankheiten  der  Hausthiere  im  Vergleich  mit  den  Krankheiten  des  Menschen. 
1821.  Bd.  II.).  An  den  Genitalien  der  Hunde  und  Pferde  nnd  an  den  Eu- 
tern der  Kühe  habe  ich  selbst  Scirrhen  beobachtet,  die  in  wahren  Krebs 
übergingen,  desgleichen  einen  Fungus  haematodes  am  Auge  eines  Pferdes, 
aber  noch  nie  einen  Fungus  mit  hirnartiger  Substanz  (s.  Cumin  in  Edinb. 
med.  and  phys.  Journ.  Apr.  1827.  Honi's  Archiv,  1827.  Juli  und  August. 
S.  694  —  718).  6)  Dass  dem  Markschwamm  fast  immer  eine  bald  mehr 
acute,  bald  mehr  chronische  Entzündung  vorhergehe,  haben  zahlreiche  Be- 
obachtungen bewiesen,  wozu  auch  Schindler  {Rusfs  Magaz.  1827,  Bd.  XXV. 
Hft.  2.  S.  251)  einen  merkwürdigen  Fall  liefert,  wo  Schmerz  im  Becken 
und  Fieber  der  für  Psoitis  gehaltenen  Krankheit  vorherging,  der  rechte  Fuss 
unbrauchbar  blieb ,  und  sich  bei  der  56jährigen  Kranken  am  untern  Rande 
der  innern  Fläche  des  Poupart'schen  Bandes  eine  haselnussgrosse  Geschwulst 
zeigte,  die  bald  so  gross  wurde,  dass  sie  die  ganze  innere  Seite  des  Ober- 
schenkels einnahm.  Der  kranke  Schenkel  übertraf  an  Umfang  den  gesunden 
viermal,  alle  angewandten  Mittel,  selbst  die  Inunctionscur  bis  zur  Saliva- 
tion,  halfen  nichts,  und  die  Kranke,  welche  am  12ten  October  1821  sich 
zuerst  krank  gefühlt,  starb  am  lOten  April  1822  unter  immerwährenden  Blu- 
tungen aus  der  aufgebrochenen  Geschwulst  und  aus  den  fungösen  Excrescen- 
zen  an  Febris  hectica.  Schindler  unterscheidet  (a.  a.  O  )  der  Natur  getreu 
den  Markschwamm  von  der  Melanose ;  er  betrachtet  den  Medullarschwamm 
Most  Eiicjklopädic.  2tc  Aufl.  T.  -     53 


834  FÜNGÜS 

ganz  richtig  als  eine  Afterorganisation  in  Folge  der  En(zündung  ,  und  i^ 
Beobachtung  beweist,  dass  derselbe  nicht  immer  ohne  Schmerzen  entstell 
auch  dass  er  bei  Personen  vorkommen  könne,  die  nie  syphilitisch  gewesen 
sind.  7)  Die  Fungus  raedullaris  als  Aftergebilde  muss  in  seiner  Bildung  dtir<  ii 
knappe  Diät,  durch  Hunger-  und  Inunctionscur  vermindert  werden.  Alx  r 
er  hat  auch  seine  Vita  propria;  deshalb  reicht  jene  allgemeine  Entziehung>- 
cur  nicht  allein  aus:  wii'  müssen  auch  den  Boden,  worauf  er  wuchert,  in 
der  Ernährung  beschränken.  So  heilte  Maunoir  einen  Fungus  medulhiris 
testiculi  radical  durch  Unterbindung  der  Arteria  spermatica;  und  ähnliche 
Fälle  beschreiben  Schön  und  WnUmann.  —  Einen  interessanten  Fall  von 
Markschwamm  am  Kopfe  einer  Frau ,  der  seinen  ursprünglichen  Sitz  in  der 
Markhaut  des  Craniums,  welche  die  Zellen  der  Diploe  auskleidet,  genom- 
men, theilt  Gr äff  (^  Gräfe' s  und  WaJthers  Journal  f.  Chirurgie  etc.  Bd.  X. 
Hft.  1.  S.  76 — 140)  mit;  wo  sich  also  die  Schädelknochen  selbst  in  Mark- 
schwamm verwandelten.  Auch  hier  half  die  Exstirpation  nichts;  denn  der 
Schwamm  wuchs  nach  der  Heilung  der  Wunde  rascher  wieder,  und  die 
Frau  starb  in  der  traurigsten  Lage  unter  Sopor  und  Lähmung.  Ebenso  le- 
senswerth  sind  die  drei  Fälle  von  gleichfalls  unglücklich  abgelaufenem  Mark- 
schwamm, welche  Professor  Jäger  zu  Stuttgart  (Heidelb.  klin.  Annalen. 
Bd.  IV.  Hft.  1.  1828)  mittheilt;  desgleichen  die  von  Chevalier,  Ware,  Fer- 
guson und  JVeher  (s.  Hortes  Archiv.  1827,  Nov.  u.  Dec. ;  1828,  Jan.  u.  Febr. 
MecTieVs  Archiv  f.  Anat.  u.  Physiol.   1827.  Nr.  2.  Apr.  — Juli,  S.  198). 

Fungus  ossens,  Fvmgus  medullnris  in  ossihus,  der  Krebs-  oder  Mark- 
schwamm  in  den  Knochen.  Ist  dasselbe  Übel  in  den  Knochen,  was  in 
den  weichen  Theilen  der  Fungus  raedullaris  ist.  Unter  den  Benennungen 
Exostosis,  Spina  ventosa,  Osteosarcoma ,  findet  man  dasselbe  häufig  be- 
schrieben (s.  d.  Art.).  Es  ist  primär  eine  Entzündung  der  Knochenzellen- 
haut, welche  anschwillt,  sich  später  verdickt  und  Fungositäten  treibt.  Ei- 
nige verstehen  unter  Fungus  osseus  speciell  den  Krcbsschwamra  über  oder 
unter  dem  Handgelenke,  wo  sich  allmälig  eine  Geschwulst  der  Hand  ohne 
bedeutende  Schmerzen  bildet,  die  Hand  steif  wird  und  erst  nach  Jahren 
plötzlich  zu  einer  bedeutenden  Grösse  anwächst,  die  Haut  sich  verändert, 
die  Schweisslöcher  grösser  und  schwarz  werden,  wie  von  eingebrannten 
Pulverkörnern;  dabei  erhöhte  Temperatur  des  Theils,  der  sich  oft  so  hart 
wie  ein  Knochen,  oft  wie  Muskelfleisch  anfühlt.  Dem  Übel  liegt  eine  Dys- 
rrasia  neuro  -  fungosa ,  nach  Einigen  (z.  B.  Bauer)  eine  Dyscr.  cancrosa  zum 
Grunde,  und  die  gelegentliche  Ursache  ist  häufig  mechanische  Gewaltthä- 
tigkeit;  daher  erscheint  es,  ebenso  wie  der  Fungus  raedullaris,  meist  nach 
der  Amputation  des  leidenden  Theils  an  andern  Knochen  wieder.  Cur.  Ist 
die  der  Arthrocace,  der  Exostose.  Man  wende  früh  Blutegel,  kalte  Um- 
schläge, innerlich  Antiphlogistica  an,  um  den  schlimmen  Ausgang  in  Fun- 
gus osseus  zu  verhüten  (s.  Fungus  durae  matris,    Sarcoma). 

Fungus  testiatli ,  Hodenschwamm,  s.  Fungus  raedullaris.  Den 
Schwamm  des  Hoden  hat  man  auch  Fiingus  tunicae  alhugineac  genannt; 
Callisen  nennt  ihn  Lipoma  testiculi.  Die  Neuern  nennen  so  eine  gutartige 
Geschwulst  des  Hoden ,  ähnlich  der  Sarcocele,  w  omit  Ältere  sie  häufig  con- 
fundirt  haben,  welche  iu  ihrem  Verlaufe  aufbricht  und  wobei  sich  ein  fün- 
göser  Auswuchs  bildet,  der  nicht  mit  den  ähnlichen  Excrescenzen,  die  sich 
in  den  höhern  Stadien  des  Krebs  -  oder  Markschwammgeschwürs  zeigen, 
verwechselt  werden  darf.  Die  Hautbedeckungen  und  der  Zellstoff  werden 
verdickt,  verhärtet  und  die  Geschwulst  ist  oft  bis  zu  der  Grösse  eines  Gän- 
seeies, ja  eines  Kinderkopfes  gestiegen.  Später  röthet  sich  an  einer  Stelle 
derselben  die  Haut,  sie  verdünnt  sich,  es  bildet  sich  ein  kleiner  Abscess, 
der  keinen  Eiter  ergiesst,  wobei  Härte  und  Schmerzen,  die  früher  statt- 
fanden, aufhören,  aus  der  Abscessöffnung  aber  ein  schmerzloser,  nur  beim 
Druck  etwas  schmerzender  Fungus,  der  zuweilen  blutet  und  oberflächlich 
eine  stinkende  Jauche  absondert,  hervorschiesst.  Wird  der  Schwamm  weg- 
genommen oder  zerstört,  so  verwachsen  die  Hautbedeckungen  darüber  durch 
eine  Narbe,    welche  fest  mjt   dem  Hoden   verbunden  ist.     Lawrence  hat  die 


FüNGüS     ,  835 

Krankheit  unter  dem  Namen  Fungus  testiculi  im  Edinburgh  medic.  and  sur- 
gical  Journal  for  July  I80S.  p.  257  sehr  gut  beschrieben  und  eine  genauö 
Diagnose  derselben  angegeben.  Nach  ihm  besteht  das  Übel  anfangs  in  einer 
entzündlichen  Affection  der  drüsigen  Substanz  des  Hoden,  welche  stark  an- 
schwillt, aber  von  der  dichten,  nicht  nachgebenden  Tunica  albnginea  ein- 
geschlossen wird,  und  eben  deswegen  sich  durch  heftige  Schmerzen  und  Härte 
des  Theils  charakterisirt.  Dann  aber  werden  die  Häute  der  Hoden  und  des 
Scrotums  in  einer  gewissen  Ausdehnung  aufgesogen  und  zerstört,  dadurch 
hebt  sich  die  Einscimürung ,  der  Schmerz  hört  auf  und  durch  jene  in  der 
Albuginea  entstandene  Öffnung  gehen  die  Tubuli  seminiferi  mitten  liindurch 
in  die  fungöse  Excrescenz.  Diese  steht  deutlich  in  Verbindung  mit  der 
breiigen  Substanz  des  Hoden,  von  der  oft  nur  die  Hälfte,  oft  -/j  zurück- 
bleiben ;  zuweilen  hat  man  den  Hoden  gänzlich  bis  auf  den  Nebenhoden  ver- 
schwunden angetroffen.  Zuweilen  fand  man  dagegen  den  Hoden  ganz  ge- 
sund und  der  Fungus  entsprang  aus  der  Tunica  albuginea,  daher  der  Name 
Fungus  tunicae  albugineae,  was  aber  Lmcrence  nicht  beobachtet  haben  will. 
Ursachen  sind  zuweilen  unbekannt;  in  einigen  Fällen  ging  mechanische 
Verletzung,  starke  Quetschung,  in  andern  eine  bedeutende  Gonorrhöe  vorher. 
Was  die  Diagnose  betrifft,  so  sagt  Blnsiiis  {Rust's  Chirurgie.  Bd.  VII. 
S.  607):  ,,Man  darf  den  Schwamm  des  Hoden  nicht  mit  dem  Vorfalle  der 
Hodensubstanz  verwechseln,  welcher  bei  Eiterungen  des  Hoden  vorkommt 
und  sich  unter  der  Form  grauweisser,  flockenartiger  Körper,  die  sich  her- 
vorziehen lassen ,  darstellt.  Andererseits  muss  man  sich  hüten ,  das  Übel 
mit  Sarcocele  und  besonders  mit  der  bösartigen,  dem  Carcinom,  zu  ver- 
wechseln, wovon  es  sich  durch  die  anfangs  heftigen  und  nicht,  wie  beim 
Krebse,  lancinirenden  Schmerzen,  überhaupt  durch  den  entzündlichen  Zu- 
stand des  Hoden,  später  nach  erfolgtem  Aufbruche  durch  das  Aussehn  der 
Ulceratiorisöffnung  und  des  Fungus  unterscheidet."  Die  Prognose  ist  gut. 
Selbst  ohne  Hülfe  wird  die  Geschwulst  nach  und  nach  kleiner,  der  Fungus 
verschwindet  und  das  Geschwür  heilt,  wenn  auch  sehr  langsam.  Cur.  Im 
ersten  Stadio,  bei  der  Heftigkeit  der  Schmerzen  und  Härte  der  noch  nicht 
aufgebrochenen  Geschwulst  dienen  Blutegel  und  Antiphlogistica  interna,  knappe 
Diät,  äusserlich  kalte  Umschläge  von  Bleiwasser,  oder  lauwarme  Umschläge 
von  Semmelkrumen  und  Bleiwasser,  je  nachdem  diese  oder  jene  die  Eupho- 
rie oder  Kakophorie  anzeigt.  Im  zweiten  Stadio,  wo  sich  nach  dem  Auf- 
bruch der  Geschwulst  schon  ein  Fungus  gebildet  hat,  schneidet  man  letz- 
tern mit  dem  Messer  so  tief  als  möglich  weg,  verbindet  die  Wunde  mit 
einem  einfachen,  etwas  comprimirenden  Verbände,  worauf  sich  die  noch 
übrige  Hodenanschwellung  verliei-t  und  die  Wunde  ohne  Schwierigkeit  heilt. 
Den  ganzen  Hoden  hier  zu  exstirpiren  ist  unnöthig  und  verwerflich.  Auch 
hat  man  durch  die  Ligatur,  sowie  durchs  Causticum  den  Fungus  zerstört; 
doch  verdient  das  Messer  als  das  rascheste  und  schmerzloseste  Mittel  den 
Vorzug.  Sollte  er  aber  nach  dem  Schnitt  wieder  wachsen,  sp  kann  man 
ihn  mit  Lapis  infernalis  wegbeizen  und  einen  comprimirenden  Verband  mit- 
tels Heftpflasterstreifen  anwenden  (s.  S.  Cooper's  Handbuch  d.  Chirurgie. 
Weimar,  1831.  Bd.  III.  S.  235.  CaUisen,  Syst.  chirurgiae  hodiernae  Edit. 
1800.  Vol.  II.  p.  145.  Dict.  des  sciences  medicales.  Vol.  L.  Artik.  Sarco- 
cele). A.  Cooper  versteht  in  seiner  Schrift:  Observalions  on  the  structure 
and  diseases  of  the  testis.  London  1830,  recens.  in  Casper's  krit.  Repertor. 
1833.  Bd.  XXXII.  Hft.  3.  S.  350  von  Holscher,  unter  dem  Namen  Fungus 
testiculi,  auch  fungoide  Krankheit  genannt,  ein  Hodenübel,  das  nicht 
mit  dem  hier  beschriebenen  gutartigen  Fungus  zu  verwechseln  ist,  sondern 
wol  nur  ein  Krebs-  oder  MeduUarschwamm  des  Hoden  seyn  muss.  Es  be- 
ginnt, nach  ihm,  mit  Auftreibung  und  Härte  des  Hoden,  der  schon  in  3 — 4 
Monaten  durch  und  durch  erkrankt  ist;  anfangs  wenig  schmerzt,  später  aber 
mit  flüchtigen,  stechenden  Schmerzen  begleitet  ist,  worauf  Aufbruch  und 
fungöse  Auswüchse  folgen.  Bis  jetzt  half,  nach  Cooper,  kein  Mittel,  selbst 
nicht  die  Castration  dagegen.  Holscher  meint ,  dass  eine  Hunger  -  und  Ent- 
aäehungscur  dagegen  zu  versuchen  sey. 

53* 


836  FUNGUS 

Ftinijus  tuiiicae  alhutjinedc,  s.  Fuiigus  testiculi. 

Fuiiiius  uiceris,  der  Schwamm  in  Geschwüren.  Eine  zu  starke 
Granulation  in  eiternden  Wunden  und  Geschwüren,  die  dann  Ulcera  fungosa 
genannt  weiden  (s.  diesen  Artikel),  bezeichnet  man  mit  den  Benennungen 
Caro  luxurians ,  Ecsnrcotna,  Hijpcrsarcosis,  wildes  Fleisch.  Je  nach  der 
Natur  dieser  Afterorganisationen  unterscheiden  wir  Funi/us  htxurians,  Fungus 
Imemorrhnyicus  und  Fumjus  mdJiijnus.  Der  erstere  ist  blassroth,  unempfind- 
lich, schlaff,  schleimig  und  sehr  wuchernd,  der  zweite  gelblich,  blaiuoth, 
.»;ch  .">  arzblau  ,  weich,  uneippfindlich ,  und  beider  leisesten  Berührung  blutend. 
Die  dritte  Form  ist  härter,  blaurotii,  glänzend,  sehr  empfindlich,  schmerz- 
haft, up.d  sie  blutet  nicht  allein  sehr  leicht  bei  der  Berührung,  sondern 
häufig  auch  von  selbst.  Die  Ursachen  dieser  Afterbildungen  sind  theüs 
örtliche,  theils  allgemeine,  als:  schlechte  Behandlung  der  Wunden  und  Ge- 
.schwüre  mit  fettigen,  erschlaffenden,  zu  reizenden  Mitteln,  Zulassung  von 
Eiteranhäufung,  fremde  reizende  Körper,  die  man  zu  entfernen  unterlassen: 
Sehnen,  Knochensplitter,  Exfoliationen  bei  Caries,  Nekrose;  scorbutischc, 
neuro -fungöse,  carcinomatöse  D}skrasie  etc.  Cur.  Man  suche  zuei'st  die 
veranlassenden  Ursachen,  sovNeit  sie  bekannt  sind,  zu  entfernen  oder  ihre 
schädlichen  Wirkungen  zu  mindern.  Daher  entferne  man  reizende  Knochen- 
splitter, behandle  die  Caries,  Nekrose  nach  bekannten  Regeln,  vermeide 
fette  Salben,  verbinde  mit  trockner  Charpie  und  lege  einen  mehr  compri- 
mirenden  Verband  an.  Als  topische  Mittel  dienen ,  wenn  das  Übel  nur  ge- 
ring und  nur  Caro  luxurians  da  ist,  verschiedene  Adstringentia:  Decoct. 
Quercus,  Ratanhiae,  in  Verbindung  mit  Aq.  calcis,  Solut.  alurainis;  im  stär- 
kern Grade  wenden  wir  A(jua  kreosoti,  Solut.  concentr.  Vitrioli  albi,  coe- 
rulei ,  Tinct.  myrrhae,  Tinct.  opii;  im  noch  stärkern  Merc.  praecipit.  ruber 
als  Streupulver  (nicht  in  Salbenform)  an  und  verbinden  trocken  und  com- 
primirend ,  indem  eine  Compresse ,  darüber  eine  Bleiplatte  und  Binde  oder 
die  von  Baynton  empfohlenen  Elnwickelungen  mit  Heftpflasterstreifen  ange- 
wandt werden.  Sind  diese  Mittel  zur  Minderung  und  Zerstörung  der  fun- 
gösen  Wiicherungen  nicht  hinreichend  oder  sind  sie  schon  sehr  bedeutend, 
so  entfernen  wir  sie  durch  den  Schnitt,  durch  die  Ligatur  oder  durch  ein 
Atzmittel,  und  wenden  dann  hinterher  die  oben  genannten  Adstringentia  etc. 
an.  Jedes  dieser  zuletzt  genannten  Mittel  hat  seine  besondern  Indicationen. 
1)  Das  Ätzmittel.  Es  nützt  vorzüglich  da,  wo  ganze  Ulcerationsflächen 
von  mehr  breiten  als  hohen  Auswüchsen  bedeckt  sind.  Wir  streuen  hier 
entweder  Alumen  ustum  oder  rothen  Präcipitat,  oder  Tart.  emet.  3  —  5  Li- 
nien dick  auf,  desgleichen  als  besonders  wirksam  bei  stets  wiederkehrenden 
Wucherungen  den  Mercur.  dulcis,  oder  wir  bepinseln  die  wuchernde  Fläche 
mit  Butjr.  antimonii,  oder,  was  weniger  Schmerz  macht,  mit  ConraiVs  Salbe: 
1|'  Liq.  slihii  uiuriat.  Sjjj,  Cmn^horae  gj^ ,  Ojni  puri  5)^^  Axung.  porci  5}]. 
M.  S.  Täglich  2mal  auf  die  Fungositäten  zu  streichen.  Rust  rühmt  folgen- 
den Liquor:  I^?  Croci  austrinci  gr.  x  —  xv,  Acid.  sulphur.  concaiir.  3f>.  M.  S. 
Mittels  eines  Charpiepinsels  aufzutragen.  Bevor  die  flüssigen  Ätzmittel  ap- 
plicirt  werden ,  muss  die  fungöse  Fläche  von  Eiter  und  Jauche  gereinigt 
worden  seyn;  übrigens  passen  die  flüssigen  Caustica  mehr  bei  festen  Fun- 
gositäten mit  geringer,  die  trocknen  Caustica  dagegen  besonders  bei  lockern 
Auswüchsen  mit  starker  Secretion.  Bei  sehr  schmerzhaften  carcinoraatösen 
Wucherungen  passt  Tinct.  opii,  womit  die  Charpie  befeuchtet  wird,  und, 
wenn  der  Schmerz  gelinder  geworden,  das  Unguent.  oorrosivum  Graefii, 
oder  l/(??jnjM»<rs  Unguent.  arsenicale.  2)  Das  glühende  Eisen.  Seine  An- 
wendung ist  in  solchen  Fällen  vorzuziehen,  wo  man  wegen  der  Localität 
oder  wegen  zu  befürchtender  heftiger  Blutung  das  Messer  anzuwenden  mit 
Recht  Bedenken  trägt ,  und  wo  man  zugleich  wegen  Torpor  und  Leblosig- 
keit des  Geschwürs  eine  recht  starke  Reaction  zu  erregen  beabsichtigt. 
Im  Ganzen  muss  man  dies  Mittel  selten  anwenden ;  denn  gewöhnlich  zer- 
stört das  Glüheisen,  wird  es  von  ungeübter  Hand  geführt,  nicht  tief  genug, 
da  es  sich  durch  Bildung  einer  Borke  selbst  eine  Schranke  setzt;  ausserdem 
schmerzt  es  behr,    wirkt  durch  Furcht  bei  vielen  Kranken   psychisch    nach- 


FmGUS  837 

theilig,  und  die  Brandboike  sitzt  meist  sehr  lange  fest,  nicht  zu  gedenken, 
dass  sie  bei  schlechter  Application  oft  am  Glüheiseii  sitzen  bleibt,  das  man, 
um  dieses  zu  verhüten,  nur  stets  bewegend,  nicht  stillhaltend,  anwenden 
darf.  Am  harten  Gaumen,  am  Alveolarrande  ist  es  andern  Causticis  vorzu- 
ziehen, doch  schneidet  man  bedeutende  Excrescenzen  erst  mit  dem  Messer 
weg  und  wendet  gleich  hinterher  das  Glüheisen  an.  S)  Der  Schnitt,  fst 
bei  bedeutend  grossen  Fungositäten  den  andern  Mitteln  vorzuzie!»cn.  Man 
bedient  sich  dazu  bei  grossen  Auswüchsen  des  Bistouris,  bei  kleinen  der 
Richter'schen  oder  Cooper'schen  Scheere.  4)  Die  Unterbindung.  Auch 
sie  ist,  wie  das  Glüheisen,  nur  selten  anwendbar;  nur  da,  wo  man  heftige 
Blutungen  vermeiden  will,  wo  sich  der  Kranke  vor  dem  Messer  sehr  scheuet, 
wo  der  Fungus  einen  Stiel,  eine  schmale  Basis  hat,  bedient  man  sicli  der- 
selben, indem  man  um  den  Stiel  des  Fungus  einen  seidenen  Faden  oder  ei- 
nen Silberdraht  so  tief  als  möglich  legt,  diesen  massig  fest,  so  dass  kein 
Schmerz  erfolgt,  anzieht  und  dieses  täglich  stärker  fortsetzt,  bis  der  Aus- 
wuchs abstirbt  und  abfällt.  In  sehr  vielen  Fällen  verdient  der  Schnitt  we- 
gen seiner  schnellern,  sicherern  und  von  geringern  Nachtheilen  begleiteten 
Wirkung,  selbst  wegen  der,  der  Zeit  nach  geringern  Schmerzen,  den  Vor- 
zug vor  der  Ligatur,  sowie  vor  dem  Glüheisen. 

Fungus  uteri,  der  Gebärmutter  schwamm.  Ist  eine  unbestimmte 
Benennung  für  verschiedene,  leicht  blutende,  bald  weiche,  bald  härtliche, 
bald  bösartige,  bald  gutartige  Auswüchse  der  Gebärmutter,  die  man  als 
überflüssig  aus  der  med.-cair.  Terminologie  streichen  könnte  (s.  Cancer 
uteri,  Polypus  uteri). 

Fungus  vesicae  urinariae,  der  Schwamm  der  Harnblase,  „Hierun- 
ter versteht  man,  sagt  ßlasius  in  I{u!>t^s  Chirurgie  Bd.  \I1.  S.  615,  weiche, 
schw  animige  Auswüchse  aus  der  Innern  Fläche  der  Harnblase ,  w  eiche  eine 
nicht  seltene  Ursache  der  Harnbeschwerden,  besonders  älterer  Personen, 
werden.  Man  muss  dieselben  nicht  mit  den  sarcomatösen  Excrescenzen  der 
Blase  verwechseln,  wie  dies  häufig  geschehen  ist  und  noch  geschieht;  sie 
unterscheiden  sich  von  denselben  durch  ihre  geringere  Consistenz,  obgleich 
die  pathologische  Anatomie  noch  nicht  auf  eine  genügende  Weise  die  Gren- 
zen zwischen  beiden  Afterbildungen  gezogen  hat,  und  das  von  der  Consi- 
stenz  hergenommene  Merkmal  häufig  schwankend  erscheinen  muss.  Bestimm- 
ter zu  trennen  ist  die  Krankheit  von  den  scirrhösen  und  anderartigen  Ver- 
dickungen der  Blasenwäüde ,  wenigstens  in  anatomischer  Hinsicht ;  denn 
freilich  in  diagnostischer  Hinsicht  ist  auch  hier  noch  grosse  Ungewissheif, 
um  so  mehr,  als  sich  zum  Schwamm  Verdickung  der  Blasenhäute  hinzuge- 
scUen  kann,  wenn  durch  denselben  das  Harnlassen  erschwert  und  gehemmt 
wird."  Die  Diagnose  dieser  Schwämme  ist  im  Leben  sehr  unsicher;  man 
kann  aus  den  Symptomen  nur  auf  organische  F^ehler  der  Blase  im  Allgemei- 
nen schliessen.  Meist  immer  sind  Harnbeschwerden,  oft  ähnlich  denen,  die 
die  Lithiasis  begleiten,  zugegen,  nur  in  den  seltenen  Fällen,  wo  der  Fun- 
gus im  Körper  der  Blase,  nicht  im  Blasenhalse  seinen  Sitz  hat,  fehlen  die 
Zeichen  der  Dysurie,  Ischurie,  Strangurie.  Sondirt  man,  so  findet  man 
keinen  Stein  in  der  Blase,  sitzt  der  Fungus  aber  am  Blasenhalse,  so  findet 
nicht  allein  öftei's  gänzliche  Harnverhaltung  statt,  sondern  der  Katheter 
stösst  auch  auf  ein  Hinderniss.  Ob  dieses  aber  eine  Verdickung  der  Blascn- 
wandung,  ein  Fungus,  oder  eine  Anschwellung  der  Prostata,  oder  ein  Sar- 
com  ist,  —  dies  lässt  sich  nicht  unterscheiden.  Nach  dem  Katheterisiren 
entstehen  durch  den  Reiz  der  Blase  und  der  Schwämme  oft  heiliger  Blasen - 
schmerz,  Schleimabgang  mit  dem  Urin,  Bluthai'nen,  welche  Zufälle  sich 
selbst  bis  zur  Cystitis  steigern  können.  Hat  das  Übel  einen  hohen  Grad 
Erreicht,  worauf  oft  Jahre  hingehen  können,  so  folgen  alle  Sjinptouie  der 
Vschöpfung,  und  der  Tod  durch  Febris  hectica,  Hydrops  oder,  was  seltc- 
•^  ist,  durch  hartnäckige  Ischurie,  macht  dem  unerkannten  Leiden  ein  Ende. 
I^XSection  giebt  dann  erst  volle  Gewissheit.  Die  Schwämme,  sagt  lilc- 
aiui  entspringen  von  der  Oberfläche,  häufiger  noch  aus  der  Dicke  der  in- 
neiiQaut  ^m-  Blase,  bisweilen  auch  aus  dem  Zellgewebe  unter  der  Schleiu.' 


838    FUINICULUS  VARICOSUS  -~  FURIA  INFERNALIS 

haut,  obgleich  dies  meistens  Sarcorae  sind ;  häufig  hat  man  sie  auch  mit  der 
Piüotata  zusammenhängend  gefunden ,  so  dass  sie  aus  dieser  zu  entspringen 
schienen.  Sie  haben  meistens  eine  schmale  Basis  und  dehnen  sich  in  der  Blase 
quastenförmig  aus;  manchmal  sitzen  sie  auch  mit  breiter  Basis  auf,  doch  sind 
diese  breitbasigen  Auswüchse  viel  häufiger  sarcomatöser  als  schwammiger  Art. 
Sie  haben  eine  weiche,  ungleiche  Oberfläche,  welche  fleischfarbig,  von  Ge- 
fässen  durchzogen,  röther,  selbst  dunkelroth,  manchmal  auch  ganz  blass, 
selbst  milchweiss  erscheint;  durchschnitten  zeigen  sie  sich  gewöhnlich  blas- 
ser, bisweilen  ganz  weiss,  sind  locker,  obschon  von  festerm  Zusammenhange 
als  dem  äussern  Anfühlen  nach,  und  von  faseriger  oder  ganz  homogener  Be- 
schaffenheit, wie  die  von  weichem  Süsskäse  {Acrel),  oder  wie  ein  Stück 
eingewässerter  Placenta  {Sömmerring'),  oder  wie  et«as  festes  geronnenes  Ei- 
weiss  {Blasius),  dabei  Aufwucherung  an  der  kranken  Stelle  der  Schleimhaut. 
In  einzelnen  Fällen  fand  man  den  Fungus  in  Verschwärung,  auf  ihm,  häufi- 
ger in  ihm  Steine,  und  er  schien  sich  um  adhärente  und  eingesackte  Steine 
iierumzubilden.  Die  Grösse  der  Schwämme  ist  von  der  einer  Erbse  bis  zu 
der  eines  Gänseeies;  meist  ist  nur  ein  Schwamm  vorhanden,  zuweilen  aber 
auch  S,  6  und  mehrere ,  die  selbst  die  ganze  Blase  ausgefüllt  haben ;  oft  ist 
die  ganze  innere  Fläche  der  Blase  damit  besetzt  (^Desatdt),  am  häufigsten 
kommen  sie  am  Blasendreieck  und  am  Blasenhalse  vor,  am  seltensten  im 
Biasengrunde  oder  an  der  vordem  Wand  der  Blase.  Ursachen  des  Bla- 
senschwamm s  Sind  ziemlich  unbekannt;  das  Übel  kommt  häufiger  bei 
Männern  und  nach  der  Pubertät,  als  bei  Weibern  und  Kindern  vor;  doch 
fand  Deschamps  einst  dasselbe  bei  einen  an  Lithiasis  leidenden  ISjäturigen 
Knaben.  Venöse  Constitution,  atra  Bilis,  Plethora  abdominalis  venosa,  In- 
l'arcten,  Gicht,  überhaupt  Alles,  was  Gries  und  Stein  erregt,  begünstigt 
auch  dieses,  oft  nur  secundär  bei  Blasenstein,  Blasenhämorrhoiden ,  Mictus 
cruentus  vorkommende,  so  wenig  mit  Sicherheit  im  Leben  zu  erkennende 
Übel.  Cur.  Wo  die  Diagnose  so  schlimm  ist,  lässt  sich  nicht  viel  curlren. 
Innere  Mittel  gewährten  bis  jetzt,  wie  Blasius  versichert,  niemals  Hülfe, 
und  äussere  Mittel  leisteten  im  Ganzen  auch  nur  sehr  wenig.  Ist  ein  Bla- 
senstein da  und  wird  der  Steinschnitt  gemacht  imd  der  Schwamm  mit  dem 
Steine  gefasst,  so  dass  man  erstem  abreisst,  so  folgt,  nach  Chopm't,  Morand, 
Housfet  und  Guerin,  in  der  Regel  der  Tod.  Desault  riss  bei  der  Litliotomie 
einen  am  Blasenhalse  sitzenden  Schwamm  ohne  Nachtheil  drehend  heraus. 
Deschnmps  Hess  beim  Steinschnitt  in  einem  Falle  den  Schwamm  unberührt 
und  er  gab  sich  nachher j  nachdem  der  Stein  entfernt  worden,  durch  keine 
Zufälle  weiter  zu  erkennen.  ,,Wenn  man  daher,  sagt  Blasius,  neben  dem 
Stein  noch  einen  Fungus  erkennt,  so  wird  es  wohl  in  der  Regel  am  besten 
seyn,  gar  nicht  zu  operiren;  nur  wenn  der  Stein  mit  dem  Schwämme  in  gar 
keiner- Cohäsion  steht,  kann  es  unter  Umständen  zweckmässig  seyn,  den 
Stein  mittels  des  ßlasenschnitts  zu  entfernen,  den  Schlamm  aber  unberührt 
zu  lassen."  Übrigens  sagt  der  Professor  Blasius  in  Halle  mit  Recht,  dass 
uns  nichts  weiter  als  eine  palliative  Behandlung  übrig  bleibe :  also  sorgfäl- 
tige Regulirung  der  Diät  und  Lebensweise,  Beobachtung  der  Euphorie  und 
Kakophorie  darin,  Sorge  für  tägliche  gute  und  hinreichende  Excretio  alvina, 
Vermeidung  der  Spirituosa,  der  Excesse  in  Venere,  darneben  bei  Hinder- 
uiss  in  der  Harnausleerung  die  Application  eines  elastischen  Katheters,  und 
bei  völliger  Harnverhaltung,  wenn  das  Katheterisiren  nicht  angeht  und  zu 
viel  Reiz  erregt,  auch  die  Ischurie  einen  hohen  Grad  erreicht  hat,  die  Pun- 
ctur  der  Blase;  —  dies  sind  noch  die  einzigen  Mittel,  die  uns  bei  diesem 
traurigen  Übel  anzuwenden  übrig  bleiben.  / 

FuniculilS   varicosus,    varicöser  Saraenstrang,    s.    Varicocel    '. 
funiculi   spermatici. 

I^urf uratio »  der  Kleiengrind,   5.  Herpes  furfuraceus. 

Furia  infernalis,  die  HölUnfarie,  der  Tollwurm.  Dar"ter 
▼erstand  man  früher  ein  Thier,  welches  sich  in  den  Körper  der  Me'<^hen 
und  Tlüere  begeben  und  dann  die  heftigsten  Schmerzeii  bis  zum  To'  ^^'"" 


FUROR  ÜTERIINUS  —  FURUNCULUS  839 

Ursachen  sollte.  Die  Sage  Ton  diesem  Thiere  gtammt  aus  Schweden;  dort 
BoU  es  einheimisch  seyn,  ist  aber  noch  nie  beobachtet  worden;  nur  ein 
kleines ,  zartes ,  kaum  2  Linien  langes ,  wurmförmiges ,  schon  eingetrockne- 
tes Insect,  >velches  man  dem  Ritler  Linne  vorzeigte,  und  für  diese  FurJa 
ausgab,  hat  letztere  einige  Zeit  im  System  erhalten.  Auch  in  Liefland  soll 
die  Fufia  infei'nalis  vorkommen.  Professor  Baer  in  Königsberg  sagt  darüber 
(vgl.  Froriejt's  Notizen,  1828.  Bd.  XX.  Nr.  2.  Kleinen'' s  Repertor.  1828. 
Hft.  10.  S,  16)  Folgendes :  „  Von  Allem ,  was  über  die  Furia  infernalis  ge- 
fabelt worden,  beschränkt  sich  das  wirklich  Beobachtete  wol  nur  darauf, 
dass  Personen  plötzlich  einen  Schmerz  an  einer  Stelle  des  Körpers  empfan- 
den, und  dass  dann  an  dieser  Stelle  ein  bösartiger  Carbunkel  entstand,  auf 
welchen  ein  allgemeines ,  oft  sehr  schnell  tödtendes  Fieber  folgte.  "  Weder 
m  Esthland,  noch  in  Liefland  vernahm  Baer  jemals  etwas  von  diesem  Wur- 
me,  obgleich  jetzt  die  Sache  dort  wieder  aufgefrischt  wird.  An  der  blauen 
Blatter  sterben  allein  in  Esthland  jährlich  über  100  Menschen ,  und  es  ist 
sehr  Avahrscheinlich ,  dass  das  Übel  weiter  nichts  als  unsere  schwarze 
Blatter  sey,  die  ebenso  wie  die  finnische  Blatter  und  die  Jaswa 
in  Sibirien  (s.  Altenburger  med.  Annalen.  Apr.  1828.  S.  575)  durch  Über- 
tragung des  Milzbrandgiftes  entsteht.  Da  man  weiss,  dass  Fliegen,  Mücken 
und  andere  Insecten,  welche  sich  auf  dem  durch  Milzbrand  crepirten  Vieh 
befinden ,  das  Gift  verschleppen  und  durch  ihren  Stich  auf  Menschen  und 
Vieh  übertragen  können,  so  mag  dieser  Umstand  wol  die  Sage  von  der 
Furia  infernalis  erregt  haben.  Die  Behandlung  ist  demnach  die  der 
schwarzen  Blatter  (s.  Anthrax). 

Furor  uterinuis»  die  Mutterwuth.,  s.  Nymphomania. 

*Vva:uxkCViA.u.»f  Abscessus  nucleaius,  Furimcuhis  stifpvratorim ,  verus, 
leniijnus,  Blutschwär,  Furunkel,  eiternder  Blutschwär,  Kern- 
abscess.  Ist  eine  erhabene,  umgrenzte,  harte,  dunkelrothe,  sehr  schmerz- 
hafte ,  empfindliche  Entzündungsgeschwulst  in  der  Haut ,  von  der  Grösse 
einer  Erbse ,  einer  Wallnuss  bis  zu  einer  geballten  Faust ,  mit  grosser  Nei- 
gung zur  Eiterung  und  Verhärtung.  Der  Furunkel  entsteht  an  allen  Thei- 
len  der  Oberfläche  des  Körpers,  am  häufigsten  aber  an  solchen  Stellen,  die 
sich  durch  eine  grössere  Menge  von  Fett  auszeichnen,  z.  B.  auf  den  Wan- 
gen, auf  dem  Rücken ,  an  den  Hinterbacken,  am  Schenkel  etc.  Zu  Anfange 
ist  der  Schmerz  und  die  Geschwulst  unbedeutend.  Später  werden  sie  olt 
sehr  vermehrt,  und  alle  Symptome  der  Entzündung  sind  stark  ausgeprägt. 
Ist  der  Blutschwär  gross  und  das  befallene  Subject  empfindlich,  zart,  so 
stellt  sich  auch  wol  Fieber  ein,  z.  B.  bei  Kindern,  zarten  Frauen.  Allmä- 
lig  spitzt  sich  die  Geschwulst  zu ,  sie  wird  an  der  Spitze  weich ,  weisslich, 
sie  bricht  endlich  auf,  und  aus  der  Ölfnung  fliesst  Eiter,  mit  Blut  vermischt. 
Früher  oder  später  kommt  ein  gelblicher  Pfropf,  der  sogenannte  Eiter- 
pfropf, Eiterstock,  zum  Vorschein,  nach  dessen  Entfernung  oder  Zer- 
störung der  Abscess  bald  heilt.  Der  Furunkel  verläuft  meist  in  S — 7  Ta- 
gen ,  zuweilen  nimmt  er  aber  einen  chronischen  Verlauf  und  währt  dann  oft 
mehrere  Wochen.  Dies  ist  besonders  bei  verkehrter  Behandlung  durch  kalte, 
adstrlngirende  Mittel,  welche  eine  Verhärtung  befördern,  der  Fall.  Ur- 
sachen. Sind  oft  nicht  aufzufinden,  zuweilen  entsteht  das  Übel  bei  sonst 
ganz  gesunden  Leuten ;  manche  Subjecte  haben  eine  grosse  Anlage  dazu  und 
werden  oft  von  mehreren  Furunkeln  zu  gleicher  Zeit  helmgesucht.  Häufig 
ist  die  Ursache  im  Unterleibe,  in  schlechter  Assimilation  zu  suchen,  oder 
Scrophulosis,  Ai'thritis,  Scorbut,  Syphilis,  Mercurialkachcxie  liegen  zum 
Grunde.  Zuweilen  ist  der  Furunkel  offenbar  kritisch;  z.B.  wenn  er  in  der 
Reconvalescenz  hitziger  Fieber,  nach  plötzlicher  allgemeiner  Erkältung  des 
Körpers,  während  der  Menstruation  entsteht.  Über  die  nächste  Ursache 
oder  das  Wesen  des  Blutschwärs  sind  die  Autoren  sehr  verschiedener  Mei- 
nung. Richter  sucht  sie  in  stockenden  Säften  und  ausgetretenem  Blute ;  dle 
meisten  Wundärzte  nehmen  an,  es  sey  eine  Entzündung  oder  Entartung  ei- 
ner Hautdrüse,  eine  Art  des  Rust'schen  Pseudo - Erysipelas ,   wo  die  Phleg- 


840  FURWSCULUS 

mone  nur  als  Reflex  jenes  Leidens  entstehe.  Dass  die  Folliculi  sebacei  der 
Sitz  des  Übels  seyn  sollen,  dagegen  spricht  die  häufig  ausserordentliche 
Grösse  des  Furunkels,  der  weit  melir  in  die  Tiefe  geht,  wogegen  jene  nur 
oberflächlich  liegen.  Langenheck  meint,  es  sey  eine  Entzündung  der  Haut- 
drüse mit  dem  Blutschwär  verbunden.  Nach  Ritter  (s.  Gräfe's  u.  Walthers 
Journ.  f.  Chirurgie  etc.  Bd.  III.  Hft.  1.  S.  81)  soll  das  Übel  allein  in  Folge 
von  Erkältung  entstehen,  indem  die  durch  die  Haut  auszuscheidende  Thier- 
schlacke  (der  Kohlenstofi}  durch  Nervenleitung  nach  dem  Innern  des  Oi'ga- 
nismus  gebracht  und  von  dort  wieder  nach  der  Haut  zurückgeworfen  wei'de. 
Diese  Ansicht  ist  eben  so  einseitig  als  sein  Vorschlag,  den  Furunkel  durch 
frühe  Application  blutiger  Schröpfköpfe  zu  zertheilen.  Langenhech  hat  diese 
Ansicht  in  seiner  Nosologie  und  Therapie  der  chirurgischen  Krankheiten 
gründlich  widerlegt.  Dupuytren  stellt  Folgendes  über  die  Entstehung  und 
den  Sitz  des  Furunkels  auf:  „Es  erstrecken  sich,  sagt  er,  aus  der  tiefer 
liegenden  Schicht  der  Lederhaut  viele  faserige,  zarte  Scheidewände  nach 
Innen,  und  diese  verbinden  sich  mit  dem  Zellgewebe  unter  der  Haut.  Diese 
Wände  begrenzen  mehr  oder  weniger  grosse  Zellen,  welche  aus  Fettgewebe, 
aus  Nerven  -  und  Gefässverzweigungen  bestehende  Bündel  einschliessen.  In 
der  Entzündung  eines  oder  mehrerer  dieser  Bündel  besteht  der  Furunkel. 
Das  entzündete  Bündel  dehnt  durch  die  Geschwulst  die  Zelle  aus  und  es 
wird  durch  die  Reaction  der  fibrösen  Wände  gedrückt,  daher  die  heftige 
Entzündung^  die  Spannung  und  der  Schmerz."  Behandlung.  Nach  allen 
Erfahrungen  darf  man  an  keine  Zertheilung  des  Fuiunkels  denken,  sondern 
er  muss  in  Eiterung  gesetzt  werden,  damit  der  üble  Ausgang  in  Verhärtung 
nicht  entstehe.  Zu  diesem  Zwecke  dienen  Überschläge  von  einem  Breie, 
aus  Semmel  und  Milch  bestehend,  welchem  man  zur  Linderung  der  Schmer- 
zen noch  Herba  cicutae,  hyoscyami,  Capita  papaveris,  Flores  chamomillae  etc. 
zusetzt.  Hat  sich  die  Entzündung  gemindert,  hat  der  Schmerz  nachgelassen, 
so  wählt  man  zur  raschern  Beförderung  der  Suppuration  reizende  Mittel, 
z.  B.  einen  Brei  aus  Roggenmehl  mit  Honig,  geröstete  Zwiebeln,  Emplastr. 
de  gummi  ammoniaco,  Emplastr.  diachyl.  gummös,  etc.  Vor  der  Entfernung 
des  Eiterpfropfes  kommt  die  gründliche  Heilung  nicht  zu  Stande;  man  kann 
letztern  oft  leicht  mit  der  Pincette  hervorholen  oder  herausdrücken.  Nach 
Dupui/tren's  Rath  ist  es  oft  zweckmässig,  zu  Anfange  des  Furunkels,  wenn 
grosse  Spannung,  bedeutender  Schmerz  und  eine  ganz  rothe  Entzündungs- 
geschwulst da  ist,  einen  einfachen  oder  einen  Kreuzschnitt  recht  tief  bis 
zur  Basis  des  Blutschvvärs  zu  machen.  Ist  aber  das  Übel  schon  älter,  so 
entsteht  jedesmal  Eiterung,  und  es  ist  besser,  die  Ölfnung  des  Abscesses 
der  Natur  zu  überlassen,  als  die  Lanzette  anzuwenden.  Ist  ein  begleiten- 
des Fieber  da,  so  dienen  gelinde  antiphlogistische  und  sedative  Mittel.  Bei 
Personen,  welche  zu  Furunkeln  disponirt  sind,  wirken  wir  auf  den  Darni- 
canal  durch  gelinde  Abführungen  und  behandeln  die  etwa  zum  Grunde  lie- 
gende Dyskrasie.  C.  Köpcle. 

Nachschrift  des  Herausgebers.  Man  muss  sich  wundern,  dass 
die  meisten  altern  und  neuern  Wundärzte  den  primären  Sitz  des  Furunkels 
in  den  Talgdrüsen ,  in  den  Cryptis  sebaceis  der  Haut  suchen.  Selbst  Lan- 
genleck (Nosologie  und  Therapie  d.  chir.  Krankheiten.  Bd.  I.  S.  352)  und 
Clielius  (Chirurgie,  2te  Aufl.  Bd.  I.  Abth.  1.  S.  74)  sind  noch  dieser  Mei- 
nung. Wir  kennen  mehrere  chirurgische  Übel ,  welche  ihren  Sitz  bestimmt 
in  den  Talgdrüsen,  Cryptae  sebaceae,  auch  Folliculi  und  Glandulae  seba- 
ceae  genannt,  haben.  So  besteht  z.  B.  die  Gutta  rosacea,  von  den  Fran- 
zosen Couperose,  von  WUUm  und  Bntenian  Acne  genannt,  und  eine  Art 
der  Sycosis  menti  offenbar  in  einer  Entzündung  der  Talgdrüsen,  und  eben- 
so giebt  es  Tumores  cystici,  die  in  den  Crvptis  sebaceis  ihren  Ursprung 
nehmen,  ohne  dass  wir  deswegen  alle  Balggeschwülste  aus  ihnen,  wie  Sn- 
hatier  will,  entstehen  lassen  oder  den  von  ihm  vorgeschlagenen  Namen  Tu- 
mores sebaceos  exlensos  in  Schutz  nehmen  (s.  Snhuticr.  Medecine  operatoire 
etc.;  par  Sanson  et  Bcgin.  Paris.  1824.  Tom.  111.  p.  76).  Man  vergleiche 
nun  aber  die  Syntpiomc  und  den  chronischen  Verlauf  dieser  genaimtcn  Übol 


FURMCULUS  841 

mit  den  Symptomen  und  Verlauf  des  Furunkels,  und  man  wird  schon  durch 
die  grosse  Verschiedenheit,  welche  zwischen  Furunkel,  Gutta  rosacea  und 
Sycosis  stattfindet ,  auf  den  Gedanken  gerathen  ,  dass  die  Talgdrüsen  nicht 
der  Sitz  des  Furunkels  seyn  können.  Dazu  kommt,  dass  der  sogenannte 
Eiterpfropf  wesentlich  zu  diesem  Übel  gehört ,  dass  da ,  wo  er  fehlt ,  kein 
wirklicher  Furunkel  existirt,  dass  die  Bildung  dieses  Eiterpfropfes  nur  ein 
Absterbungsprocess ,  eine  Art  Gangränescenz  des  Zellgewebes  ist,  und  dass 
die  Ähnlichkeit  des  Furunkels  und  des  Carbunkels  dem  Wesentlichen  nach 
grösser  sey  als  man  bisher  geglaubt  hat.  Auch  hier  hatten  die  Alten  Recht, 
indem  sie  nur  einen  Furunculus  benignus  und  Furunculus  malignus  (den 
Anthrax)  annahmen.  Unstreitig  hat  Dupuytren  die  richtigste  Ansicht  vom 
Furunkel.  Mögen  seine  Worte,  aus  Sahatier  (a.  a.  O.  T.  11.  S.  403)  ent- 
lehnt, hier  noch  ausführlicher  als  oben  Platz  finden:  „La  peau  presente  k 
sa  face  profonde  une  multitude  de  cloisons  fibreuses,  qui  se  detachent  du 
derme  et  s'unissent  au  tissu  cellulaire  sous  -  cutane.  Ces  cloisons  circunscri- 
vent  des  loges  plus  ou  raoins  larges ,  qui  renferment  un  paquet  de  tissu 
adipeux  et  des  rameaux  nerveux  et  vasculaires,  qui  vont  s'epanouir  ä  la 
surface  libre  des  tegumens.  C'est  dans  l'intlammation  isolee  d'un  ou  d'uii 
tres-petit  nombre  de  ces  paquets  celluleux  que  consiste  le  furoncle.  L'an- 
thrax  ne  differe  du  furoncle  que  par  son  etendue  et  la  multiplicite  des  pa- 
quets celluleux  qui  sont  enflammes  a  la  fois.  La  phlogose  debutant  par  1« 
tissu  adipeux,  eile  tend  a  lui  communiquer  plus  de  volume,  a  l'etendre  eu 
lueme  tems  que  la  cloison  fibreuse  qui  le  contient  reagit  sur  lui  et  Je  com- 
prime.  II  resulte  de  lä  des  accidens  inflammatoires  tres-violens  et  une  gan- 
grene  de  l'un  et  de  l'autre  organe. "  Aus  diesem  Grunde  sind  die  frühen 
und  tiefen  Einschnitte  sowol  beim  Furunkel  als  beim  Carbunkel  nützlicli. 
Sie  überheben  den  Kranken  vieler  unnöthiger  Schmerzen,  und  meine  eigene 
Erfahrung  stimmt  dafür.  Ausführlicher  findet  man  die  neuern  und  bessern 
Ansichten  über  den  Furunkel  und  dessen  Behandlung  in  der  Schrift  eines 
,  meiner  verehrungswüi'digsten  Herren  Collegen,  des  Hrn.  Dr.  C.  Kruuel  hie- 
selbst,  auseinandergesetzt.  Sie  führt  den  Titel:  Commentatio  de  follicu- 
lorum  sebaceorum  morbis.  Rostochii  1828.  —  Rust  nennt  den  Blutschwär  - 
eine  Pseudophlegmone.  knch  Sommer  (s.  RusVs  Chirurgie.  Bd.  VII.  S.  6.1) 
ist  der  Meinung,  dass  Dujmytren^s  oben  ausgesprochene  Ansicht  über  den 
Sitz  des  Übels  die  richtigere  sey.  Er  statuirt  ausser  dem  gewöhnlichen, 
oben  beschriebenen  Blutschwär  noch:  1)  Furunculus  haemorrJwidalis ,  d.  i. 
eine  Entzündung  der  Häute  und  des  umliegenden  Zellgewebes  einzelner  Hä- 
morrhoidalknoten und  Säcke,  mit  umschriebener,  faustgrpsser ,  brennend 
heisser  Geschwulst  am  Rande  des  Afters,  welche  leicht  in  Brand ,  bösartige 
Geschwüre  oder  Fisteln  übergeht.  2)  Furunculus  chronicus.  Er  erscheint 
leicht  bei  kachektischen  Personen ,  die  heftig  an  Pocken,  Masern,  Syphilis 
oder  Mercurialmissbrauch  gelitten  haben,  kommt  am  häufigsten  an  den  Bei- 
nen vor,  hat  dieselbe  Grösse,  wie  der  acute  Blutschwär,  seine  Entzündungs- 
symptome sind  aber  \yeniger  ausgeprägt,  Schmerz,  Röthe,  Hitze  nur  gerüig, 
und  die  Eiterung  ist  erst  in  3  —  4  Wochen  vollständig.  Im  Umfange  dieses, 
oft  zahlreich  auftretenden  Blutschwärs  zeigt  sich  oft  ein  herpetischer  Aus- 
schlag. 3)  Furunculus  cnrlimculosus ,  in  England  von  Foslroo'cc  sporadisch 
beobachtet,  erscheint  als  dunkelrothe,  plattgedrückte,  linsenförmige  Ge- 
schwulst, die  heftige  Schmerzen  erregt,  anfangs  ein  durchsichtiges  Serum 
giebt,  langsam  zur  Reife  gelangt,  einen  kleinen  Eiterpunkt  mit  harter  Um- 
gebung bildet,  und  nach  Innen  einen  so  lebhaften  Entzündungsgrad  erreicht, 
dass  das  Zellgewebe  in  Form  eines  kleinen  Brandschorfs  abstirbt,  wodurch 
nach  geschehener  Heilung  eine  Grube  zurückbleibt. —  Was  die  Ursachen 
dieses  Übels  betrifft,  so  sagt  darüber  der  oben  genannte  Autor:  „Fast  im- 
mer liegt  irgend  eine  innere,  wenn  auch  geringfügige  Ursache  dem  Erschei- 
nen des  Blutschwärs  zum  Grunde.  Diese  besteht,  zumal  bei  zahlreich  auf 
einmal  erscheinenden  Furunkeln ,  in  jugendlicher  Vollsaftigkeit ,  in  eigen- 
thümlicher  Hautplethora  bei  gleichzeitiger  Unreinlichkeit  und  gestörter  Aus- 
dünstung,  in  gichtischer,   heipetischer ,   scrophulöser  Anlage,    Unordnungen 


842  FIJRUNCÜLUS 

im  Unterleibe,  hi  der  Menstruation.  Gern  kommt  das  Übel  im  Frülilingc  ; 
zuweilen  erscheint  es  als  Krise  für  andere,  nicht  geliörig  ausgebildete^  Krank- 
heiten."  (Nach  meinen  Erfahrungen  besonders  bei  Personen  mit  krankhaft 
erhöhter  Venosität,  zumal  im  Mittelalter  des  Lebens,  bei  Anlage  zu  Gicht 
und  Goldadern,  -  -  aber  auch  bei  jungen  Leuten  in  den  zwanziger  Jahren, 
besonders  wenn  sie  im  Winter  viel  Schweinfleisch  genossen ,  in  den  Monaten 
Februar  und  März.  Most.}  „Auch  ansteckend  —  fährt  jener  Autor  fort  — 
will  man  das  Übel  beobachtet  haben ;  es  giebt  Per&onen  mit  eigenthfimlich 
trockner,  spröder,  dunkel  tingirter  Haut,  bei  denen  bisweilen  eine  Menge 
kleiner  Blutschwäre  gleichzeitig  mit  einigen  grössern  erscheint ,  die  den  ge- 
wöhnlichen Verlauf  nehmen ,  deren  Narben  aber  ein  herpetisches  Ansdui  ge- 
winnen, und  borkige,  nässende  Geschwüre  bilden.  Die  durch  Erkältung 
gestörte  Hautfunction  (die  verhaltene  Thierschlacke  nach  Ritter)  ist  eine 
häufige  Veranlassung  der  Entstehung  der  Blutschwäre,  was  besonders  Riltcr 
nachgewiesen  hat  (der  indessen  den  Antheil,  welchen  daran  die  sog.  scharfen 
Säfte,  besonders  eine  anomale  Blutbereitung  und  Blutmischung  haben,  über- 
sehen hat.  Most.}.  Auch  als  Volkskrankheit  sah  man,  besonders  bei  schnel- 
lem Temperaturwechsel  der  Atmosphäre,  die  Furunkel  herrschen,  in  wel- 
chem Falle  sie  die  Periode  der  andern  Erkältungsfieber,  am  öftersten  von 
14  oder  21  Tagen,  zu  halten  pflegt,  wie  Ritter  dies  mehreremal  im  Jahre 
1819  beobachtete.  Wenn  Furunkel  beim  Tumor  albus  unten  am  Knie  zum 
Vorschein  kommen,  so  soll,  nach  Bramhilla,  dadurch  zuweilen  die  Krankheit 
geheilt  werden."  Mein  seliger  Vater  beobachtete  in  der  Nähe  von  Hanno- 
ver in  den  Jahren,  wo  das  Brotkorn  sehr  theuer  war,  z.  B.  in  den  Jahren 
1806,  1809,  1812,  1813,  und  die  ärmere  Volksclasse  fast  nur  von  Kartof- 
feln lebte,  häufiger  Blutschwäre  und  andere  chronische  Ausschläge,  als  zu 
andern  Zeiten,  zumal  bei  Kindern  und  alten  Leuten,  die  oft  gleichzeitig  8 
bis  12  Stück  Furunkel  am  Leibe  hatten.  Eine  Verbesserung  der  Diät, 
Brech  -  und  Laxirmittel,  Antimonialia  und  am  Ende  der  Ciu-  Robomntia 
aniara  leisteten  hier  neben  der  topischen  Behandlung  die  besten  Dienste. 
„Die  Prognose  des  Blutschwärs  ist  —  sagt  Sommer  —  im  Allgemeinen 
durchaus  günstig,  weil,  sobald  sich  der  Eiterstock  gelöst  hat,  die  Heilung 
mit  wenig  Ausnahmen  schnell  erfolgt.  Nur  sehr  grosse,  an  empfindlichen 
Stellen  sitzende,  zahlreich  auf  einmal  erscheinende  Blutschwäre  bei  reizba- 
ren geschwächten  Kranken  oder  Kindern  können  zuweilen  eirJge  Bedenk- 
lichkeiten (Fieber,  Nervenzufälle,  3/.)  erregen.  Dasselbe  kann  erfolgen, 
wenn  der  Blutschwär  bei  vorwaltender  Kachexie  in  ein  bösartiges  Geschwür 
übergeht,  brandig  wird  oder,  in  Folge  einer  tiefliegenden  Disposition,  un- 
aufliörlich  wieder  erscheint  und  der  Pveflex  eines  wichtigen  Innern  Leidens 
ist."  Bei  der  Cur  bemerkt  Sommer  ganz  richtig,  dass  wir  in  den  meisten 
Fällen  den  Furunkel  durch  Eiterung  zu  heilen  uns  bestreben  müssen.  Ritter 
lobt  indessen ,  um  hervortretende  Furunkel  In  der  Geburt  zu  ersticken,  blu- 
tige Schröpfköpfe,  die  man  auf  die  leidende  Stelle  setzt.  Vnzer  will  die 
Zerthellung  durch  frühe  Anwendung  von  Empl.  cicutae,  Empl.  mercurlal.  u. 
Ol.  petrae  bewirkt  haben.  Am  besten  Ists,  die  Eiterung  zu  befördern  uiid 
zu  diesem  Zweck  dienen  die  Umschläge  von  Spec.  emoüientes ,  bei  heftigen 
Schmerzen  mit  Herb,  cicutae,  hyoscyami,  Sem.  papaver. ,  Opium  versetzt; 
bei  Torpidität,  Trägheit,  chronischem  Verlauf  und  Schmeralosigkelt  dienen 
die  Kerndl'schen  reizenden  Umschläge  (s.  Abscessus).  Die  Entfernung 
des  Eiterpfropfs  ist  sowol  bei  dem  künstlich  als  von  selbst  aufgebrocheren 
Abscess  stets  zu  berücksichtigen,  sonst  heilt  der  Blutschwär  nicht.  Die 
warmen  Umschläge  müssen  der  Härte  wegen  auch  noch  nach  der  Öffnung 
des  Absc<»sses  so  lange,  bis  diese  nachgelassen,  fortgesetzt  werden,  wenig- 
stens bei  Tage,  des  Nachts  Ists  dagegen  besser,  wenn  ein  Emplast.  diachyl. 
statt  der  Kataplasmen  übergelegt  wird.  Nicht  selten  bleibt  selbst  nach  der 
Heilung  des  Furunkels  noch  einige  Härte  im  Thelle  zurück ;  alsdann  kann 
man  Smal  täglich  etwas  von  folgender  Mischung  einreiben :  I^-  Uniiucnt.  mer- 
curial.  einer.  5ij ,  Liiiim.  volnt.  camph.  jj.  M.  Der  chronische  Blutschwär 
wud  ausser  der  Anwendung  der  reizenden  Maturantien  auch,  nach  .J.  Pcti-rw», 


GALACTACRATIA  843 

durch  heisse  Wasserdämpfe,  die,  so  heiss  es  der  Kranke  vertraj^eii  kann, 
mittels  einer  Maschine,  eines  Trichters  etc.  an  den  Theil  gelassen  werden, 
schneller  zur  Reife  gebracht.  Zuweilen  verzögert  sich  dennoch,  gerade  wie 
beim  reizlosen  Bubo  inguinalis,  wochenlang  die  Eiterung;  alsdann  kann  man 
mittels  eines  Kreuzschnitts  den  Blutschwär  öffnen  und  selbst  dann  noch  das 
Ätzkali  daVauf  in  derselben  Art,  wie  bei  Tumor  albus,  appliciren.  Bei  oft 
wiederkehrendem,  chronischem,  constitutionellem  Übel  ist  eine  innere  Cur 
nothwendig ,  vorzüglich  solche  Mittel ,  welche  die  Säfte  verbessern :  Spec. 
lignorum,  Sarsaparille,  Dulcamara,  Schwefel,  Pulv.  Plummeri,  Aethiops  an- 
-timonlalis  (iiwsf)?  dabei  knappe  Diät,  Vermeidung  des  fetten  Fleisches.  Die 
Landleute  setzen  mit  Nutzen  blutige  Schröpfköpfe  längs  des  Rückens  und 
der  Schenkel  und  nehmen  innerlich  alle  8  Tage  ein  Laxans  aus  Rheum,- 
Aloe,  Jalape,  welche  Cur  neben  vielem  Wassertrinken  mit  Vermeidung  des 
Weins,  des  starken  Biers  und  Branntweins  bei  Männern  mit  Plethora  abdo- 
minalis venosa  nach  der  Erfahrung  sehr  wirksam  gegen  solche  constitutio- 
nelle ,  mit  Herpes  haemorrhoidalis  verbundene  Furunkeln  ist  (^Most).  Gegen 
den  Furunculus  carbunculosus  z*eigt  sich  innei'lich  das  Acid.  sulphuric.  dilu- 
tum,  Smal  täglich  15 — 20  Tropfen  in  einem  grossen  Glase  Wasser,  sehr 
wirksam  (Foslroolcc).  Vevgl.  auch  Ritter  m  v.  Gräfe's  u.  v.  Walther^s  Journ. 
d.  Chirurgie  etc.  Bd.  III.  S.  81.     Heim  in  Horii's  Archiv.  Bd.  VII.  S.  151. 

Furunculus  gangraenosus,  mnJignus,  s.  Anthrax. 

Furunculus  palpchrnrum ,  der  Blutschwär  der  Augenlider.  Er 
kommt  am  obern  Augenlide  häufiger  als  am  untern  vor,  erregt  lästiges 
Spannen,  Jucken,  Geschwulst,  die  oft  so  gross  ist,  dass  der  Kranke  das 
Auge  nicht  öffnen  kann.  Durch  die  folgende  Eiterung  wird  nicht  selten  e'm 
grosses  Stück  Haut  zerstört,  so  dass  das  Augenlid  wegen  Verkürzung  sich 
nach  Aussen  kehrt  (s.  Entropium).  Zuweilen  folgt  Induration.  Cur. 
Anfangs  lauwarme  Katapiasmen  von  Spec.  emoUientes  mit  Pulv.  herbae- 
hyoscjami;  zeigt  sich  ein  Eiterpunkt,  so  öffne  man  früh  mit  der  Lancette 
in  der  Richtung  der  Fasern  des  Kreismuskels,  damit  nicht  bei  alimäliger 
Durchfressung  ein  grösseres  Stück  Haut  verloren  gehe.  Am  Ende  der  Cur 
passen,  um  Erschlaffung  des  Augenlides  zu  verhüten,  lauwarme  Umschläge 
von  Herb,  millefolii,  Flor,  chamomiliae;  reizende  Mittel,  die  wol,  sitzt  der 
Furunkel  an  andern  Stellen ,  indicirt  wären ,  passen  hier  nicht ,  weil  sie  dem 
Augapfel  nachtheilig  werden  können.  Das  sog.  Gerstenkorn  am  Rande 
der  Augenlider  gegen  den  innern  Winkel  zu  ist  seiner  Natur  nach  auch  nur 
ein  kleiner  Furunkel,  der  häufig  bei  scrophulösen  Subjecten  vorkommt.  Bei 
der  Öffnung  dieses  Abscesses  sey  man  vorsichtig,  um  die  Thränenpunkte 
und  Thränenröhrchen  im  innern  Augenwinkel  nicht  zu  verletzen  (s.  auch  d. 
Artikel  Hordeolum). 

Furunculus  spurius,  s.  pustulodes,  der  falsche  Blutscliwär.  So 
nennt  man  die  kleinen ,  zahlreich  auf  einmal  vorkommenden ,  zuweilen  den 
Varicellen  ähnlichen  Furunkel ,  die  von  der  Grösse  einer  Erbse  oder  Bohne 
sind  und  Personen  befallen,  welche  an  Pocken,  Syphilis,  Scropheln  gelitten 
oder  zu  viel  Mercur  genommen  haben.  Cur.  Ist  die  des  Grundübels;  in- 
neriich  dienen  Spec.  lignorum,  Aeihiops  antimonialis  etc.  (s.  Furunculus); 
äusserlich  versäume  man  nicht,  Bäder  anzuwenden,  besonders  Salz-  und 
Schwefelbäder. 


G. 


Cralactacrati» j  das  übermässige  Ausfliessen  der  Milch. 
Entsteht  in  den  meisten  Fällen  aus  einem  Fehler  der  Brustwarzen ,  wodurch 
sie  unvermögend  werden,  die  Milch  gehörig  aufzuhalten;  besonders  ist  dies 
bei  schlaffen,  laxen  Weibern,  mehr  bei  Blondinen  als  bei  Brünetten,  der 
Fall.  Cur.  Man  wende  äusserlich  gelinde  Adstringentia,  Tonica:  Decoct. 
quercus,  kaltes  Wasser,   Umschläge  von  Essig  und  Wasser  auf  die  Warzen 


844     GALACTAPOSTEMA  —  GALACTONCUS 

an.  Zuweilen  ist  die  Galaktakratie  nur  Symptom  der  Polygalie  oder  einer 
andern  Krankheit  der  Brustdrüse  etc.,  wo  dann  das  Gruudübel  behandelt 
werden  muss  (s.  Galactorrho  ea,  Abscessus  lacteus).  Ist  die  Milch- 
absonderung zu  copiös ,  weil  die  Mutter  gesund  und  wohl  genährt  ist,  kann 
das  Kind  die  Milch  nicht  alle  verzehren ,  so  fliesst  sie  in  der  Regel  von 
selbst  weg.  Aufbinden  der  Brüste,  fleissige  Körperbewegung,  eine  weniger 
nährende  Diät,  zuweilen  innerlich  etwas  Arcan.  dupllcat. ,  äusserllch  Einrei- 
bungen von  Linim.  volat. ,  vermindern  hier  die  Milchsecretion;  doch  wende 
man  diese  Mittel  nicht  zu  lange  an,  sonst  folgt  gänzlicher  Milchmangel. 

Crülactaposteilia. j  Mllchabscess,    s.  Abscessus  lacteus. 

Oalactinocydes ,  richtiger  Galactinuspnmjus ,  der  Gailert- 
schwamm.     Ist  ein  Tumor   mit  gallertartiger  Masse. 

Oalactirrboea ,  übermässige  Milchabsonderung ,  s.  Galactor- 
rho ea. 

Oalactisctaesis»  Galadoschesis ,  Milchverhaltung.  Ist  gehin- 
derte Aussonderung  der  Muttermilch  in  den  Brüsten  wegen  verschiedener 
Krankheiten  der  letztern,  oder  wegen  zu  seltener  Ausleerung  der  Milch 
(s.  Tnflammatio  mammae,  Abscessus  lacteus,  Ablactatio,  Fe- 
bris  lactea).  Einige  verstehen  darunter  auch  ein  Hinderniss  in  der  Milch- 
secretion, also  Mangel  an  Muttermilch,  indem  es  an  hinreichenden  Säften 
zur  Galactopoesis  fehlt;  s.  Abscessus  lacteus. 

Cralactodiaeta,  die  Milchdiät,  welche  bei  vielen  dyskrasiscben 
Übeln,  bei  Phthisis  vera,  bei  Arthritis  inveterata  etc.  oft  mehr  als  alle 
Arzneien  wirkt. 

Oalactodiarrhoea.     Ist  ein  milchähnlicher  Durchfall. 

Oalactoedeina*  Ist  die  ödematöse  Milchgeschwulst  bei  Milchrae- 
tastasen. 

Oalactoinetastaisis»  Milchversetzung,  s.  Metastasis  lactea. 

Oalactoinetruin ,  der  Milchmesser,  Mi  l  c h  g ü  t e  m  e  s s e  r , 
Milchprüfer.  Man  hat  zur  Prüfung  der  Güte  der  Frauenmilch,  beson- 
ders in  Betreff  der  Wahl  der  Ammen  ^  verschiedene  Instrumente  erfunden, 
wohin  auch  der  Milchfettmesser  (^Galnctofiomctruni)  gehört.  Derbeste 
Milchprüfer  bleibt  immer  der  Säugling;  bekommt  ihm  die  Milch  der  Mutter 
oder  Amme  gut,  so  ist  dies  ein  Beweis  ihrer  Güte  für  ihn.  Ist  die  Mut- 
ter oder  Amme  gesund ,  ist  die  Milch  der  letztern  nicht  viel  älter  als  der 
Säugling,  nicht  zu  fett  und  nicht  zu  wässerig,  hat  die  Amme  gesunde 
Brustwarzen,  ein  ruhiges  Temperament,  liebt  sie  Ordnung  und  Reinlich- 
keit, leidet  sie  weder  an  Syphilis,  an  Scropheln  oder  andern  Dyskrasien, 
noch  an  Epilepsie,  Katalepsie,  Hysterie,  Hektik;  so  kann  man  annehmen, 
dass  ihre  Milch  dem  Säuglinge  gut  bekommen  werde.  Die  chemische  Ana- 
lyse der  Milch  kann  uns  über  ihre  gute  oder  schlechte  Beschaffenheit 
keine  Auskunft  geben.  Sie  zeigt  uns  wol  die  gröbern  Bestandtheile  der- 
selben, aber  nicht  ihre  feinern  Verschiedenheiten,  die  bei  der  noch  war- 
men ,  eben  aus  den  Brüsten  abgesonderten  Milch  in  einem  vitalen  Dufte, 
in  einem  geistigen  Principe  bestehen.  Daher  erklärt  sich  der  grosse  Vorzug, 
den  die  frische,  noch  warme  Milch  vor  der  schon  altern  kalt  gewordenen, 
nach  aller  Erfahrung,  besitzt. 

Oalactomyces.  So  nennen  Einige  den  weichen  Krebs;  s.  Fungus 
medullaris. 

OalactonCUS»  Ist  Tumor  lacteus.  Geschwülste ,  welche  durch  die 
bedeckende  Haut  eine  der  Milch  ganz  ähnliche  Flüssigkeit  absondern,  hat 
man  in  seltenen  Fällen  als  chronisches  Leiden  beobachtet.  Fr.  Koller  (Di.-- 
sert.  de  lactls  e  scroto  secretione  anomala.  Zürich  1833)  berichtet  von.  einem 
18jährigen  Manne,  der,  seit  3  Jahren  kränklich,  periodisch  an  einem  kiesel- 
artigen Exanthem  litt,  worauf  Geschwulst  und  bedeutende  Grösse  des  Scro- 
tums  folgte.  Dasselbe  war  mit  Fett  angefüllt  und  einer  Weiberbrust  nicht 
unälmlich.      Es    zeigten   sich    periodisch    Bläschen   auf    dem    Scrotura,    und 


GALACTOPIIORA  —  GALACTORRHOEA  845 

druckte  man  auf  letzteres,  so  floss  die  milchige  Flüssigkeit  stäi'ker  aus;  die 
.Secretion  betrug  sonst  wol  in  wenigen  Tagen  3  Pfund.  Die  mikroskopische 
und  clieniische  Untersuchung  zeigte,  dass  man  es  mit  keiner  lymphatischen, 
sondern  mit  einer  milchigen  Flüssigkeit  zu  thun  hatte. 

Oalactophora,  Gnladopoca  (rcmedia),  Milch  machende  Mittel. 
Sind  solche  Mittel,  welche  die  Erzeugung  der  Milch  befördern  und  einen 
stärkern  Milchandrang  nach  den  Brüsten  hervorbringen.  Da  die  Milchabson- 
derung als  die  fortgesetzte  Beziehung  des  Bildens  und  Producirens  der  Mut- 
ter auf  den  Fötus  betrachtet  werden  kann,  indem  sie  das  Mittel  ist  zur 
fortdauernden  Gemeinschaft  der  Mutter  und  des  Neugebornen  mittels  des 
ernährenden  Stolfes,  so  sieht  man  leicht  ein,  dass  Alles,  was  diesen  pro- 
«iuctiven  Trieb  stören  kann :  heftige  Bewegungen  des  Körpers  und  der  See- 
le, häufiger  Coitus,  oft  wiederkehrende  Menstruation,  Kranklieiten  der  Mut- 
ter, Mangel  an  guter  Nahrung  etc.,  auch  die  Milchsecretion  vermindert. 
Die  besten  milchmachenden  Mittel  sind  daher  nicht  in  Specificis ,  sondern 
darin  zu  suchen,  dass  wir  Alles,  was  diesen  Productionstrieb  stört,  aufsu- 
chen und  entfernen,  und  so  das  Normalverhältniss  wieder  herstellen.  Ist 
blos  Mangel  an  Säften  da,  so  sind  gute  Nutrientia,  massige  Bewegung  im 
Freien,  frische  Luft,  Frohsinn,  Alles,  was  den  Körper  nährt  und  stärkt, 
die  besten  Mittel  (s.  Abscessus  lacteus). 

Oalactoplania.  Ist  Austreten  der  Milch  und  Verbreiten  dersel- 
ben in  benachbarte  Theile ,  z.  B.  durch  Verletzung  der  Milchgefässe ,  durch 
Milchabscess  in  den  Brüsten,  was  auch  Gelegenheit  zu  Milchfisteln  geben 
kann. 

Cralactoplerosis,  Milchüberfluss,  die  Überfüllung  mit  Milch. 
Ist  bei  vollsaftigen  Frauen  im  Wochenbette  und  in  der  Stillungsperlode  nicht 
selten;  aber  sie  ist  nur  dann  als  Krankheit  zu  betrachten,  wenn  daraus  für 
die  Mutter  nachtheilige  Folgen:  Abmagerung,  Hektik  etc.  hervorgehen;  s. 
Galactorrhoea. 

Oalactopyra,  Galnctopyretos,  das  Milchfieber,  s,  Febris  lactea. 

Oalactorrboea,  GalacHrrhoea,  Pohjgalia,  übermässige  Milch- 
absonderung. Unter  diesem  Namen  versteht  man  verschiedene  Krank- 
heitszustände :  1)  Galactorrhoea  vera.  Sie  findet  allein  nur  aus  den  weib- 
lichen Brüsten  in  der  Periode  nach  der  Entbindung  statt.  Ein  absolutes 
Mass  der  Milchsecretion  lässt  sich  bei  Stillenden  nicht  festsetzen.  Nur  dann, 
wenn  dadurch  Nachtheile  für  Letztere  eintreten:  Abmagerung,  Atrophie, 
Kräfteverlust,  Reizbarkeit  der  Nerven,  Neigung  zu  Krämpfen,  Gesichts- 
blässe, reizende  Schmerzen  in  den  Gliedern,  im  Nacken  und  Rücken,  Herz- 
klopfen, Husten,  wobei  aus  Mangel  an  Energie  häufig  die  Milch  ohne  vor- 
heriges Saugen  des  Kindes  von  selbst  ausfliesst  und  die  Wäsche  benetzt 
(Galactacratia) ,  können  wir  den  Zustand  als  krankhaft  ansehen.  Hier  ists 
hohe  Zeit  dagegen  zu  wirken,  sonst  folgt  hektisches  Fieber,  Abzehrung, 
CoUiquation  der  Säfte  und  Tod.  Ursachen.  Zarte,  sehr  junge  Frauen- 
zimmer mit  Habitus  gracllis,  phthisicus,  solche,  die  hysterisch,  schwächlich 
und  hektisch  sind,  die  bei  Schwäche  des  Körpers  zwei  Kinder  oder  zu  lange 
stillen,  die  den  Säugling  zu  oft,  häufiger  als  alle  2  —  3  Stunden  anlegen, 
die  an  anomaler  Menstruation ,  an  Krankheiten  des  Uterus  und  der  Ovarien 
leiden  (Galactorrhoea  composita),  bei  denen  Erethismus  vorwaltet,  sind  am 
häufigsten  zu  dieser  Krankheitsform  prädisponirt.  In  der  Regel  ist  hier  die 
Milch  auch  <jualitativ  verändert;  daher  auch  der  Säugling  leicht  abmagert, 
an  Verstopfung,  mit  Diarrhöen  abwechselnd,  an  Krämpfen  etc.  leidet.  Cur. 
Man  verhütet  das  Übel  bei  den  genannten  Subjecten,  die  in  der  Regel  um 
so  stärkere  Milchsecretion  haben,  je  kleiner  die  Brüste  sind,  durchs  Nicht- 
stillen ;  der  Säugling  muss  gleich  nach  der  Geburt  eine  gute  Amme  haben. 
Im  niedern  Grade  der  Krankheit  muss  das  Kind  seltener  angelegt  und,  wenn 
es  schon  8  —  9  Monate  alt  ist,  bald  abgewöhnt  werden;  im  höhern  Grade 
muss  dies  gleich  geschehen,    das  Kind    muss  eine  Amme  haben  und  bei  der 


S4ß  GALACTOSCHESIS  —  GÄLACTOTROPHIA 

Mutter  dahin  gesehen  werden,  dass  alle  erregenden  und  entferntem  Ui 
oben  der  Krankheit  verschwinden,  dass  Alles,  was  die  Milchsecretion  ve 
inehrt,  vermieden  wird.  Gescliieht  dies  nicht;  so  kann  2)  Galactorrlun  > 
chronica  erfolgen.  Hier  kann  der  Milchausfluss  selbst  nach  dem  Entwöhnt  ; 
Jahre  lang  währen  und  so  Atrophie  und  Febr.  hectica,  selbst  bei  ziemli<  i 
robusten  Frauen,  zur  Folge  haben.  Ja,  man  hat  Beispiele,  dass  dann  da^ 
Übel  viele  Jahre,  in  einem  Falle  selbst  15  Jahre,  anhielt  (s.  Stnrlc's  Klini- 
sche Nachrichten.  Th.  II.  Jena,  1789.  S.  65).  Hier  bedarf  es  einer  kräfti- 
gen innerlichen  Behandlung  gegen  den  allgemeinen  Krankheitszustand;  stär- 
kende Biere,  gute  Nutrienlia,  innerlich  Aromatica,  Amara,  China  mit  Elix. 
acid.  Halleri  u.  s.  f.  3)  Galaclorrhoea  spuria,  anoinaln,  crronea.  Hieher 
rechnet  man  wiederum  verschiedene  Zustände,  fi)  Die  Milchsecretion  kommt 
liier  in  solchen  Lebensperioden  vor,  wo  sie  den  Naturgesetzen  gemäss  nicht 
stattfinden  sollte,  z.  B.  bei  Neugebornen.  Hier  ist  der  Handgriff  unwissen- 
der Hebammen,  durch  Druck  die  milchartige  Flüssigkeit  aus  den  Brüsten  zu 
pressen,  höchst  schädlich.  Wenn  die  kleinen  Brüste  nicht  entzündet  sind, 
Jienen  laue  Fomentationen  von  Spec.  aromatic,  Einreibungen  von  Unguent. 
camphorat.,  Unguent.  digitalis,  oft  ist  schon  das  Auflegen  des  Empl.  diachyL 
^immos.  hinreichend.  Ist  aber  schon  bedeutende  Entzündung  da,  so  mache 
man  Umschläge  von  Semmelkrumen  mit  Milch,  oder  von  Hafergrützbrei  mit 
einer  sehr  kleinen  Quantität  Aq.  Goulardi.  Zuweilen  folgt  darauf  noch  Zer- 
theilung,  \%o  nicht,  so  hat  der  kleine  Abscess  wenig  zu  bedeuten;  denn  er 
heilt  bald  und  ist  nicht  gefährlich.  —  Die  Galaktor rhöe  der  Schwan- 
gern gehört  auch  hierher.  Sie  tritt  zuweilen  vor  der  Entbindung  so  stark 
auf,  dass  daraus  für  Mutter  und  Kind  Nachtheile:  Abortus,  schlechte  Er- 
nährung der  Fi'ucht  etc.  entstehen.  Cur,  Die  Brüste  müssen  in  die  Höhe 
gebunden  und  in  Baumwolle  eingefüttert  werden.  Ausserdem  Bähungen  der- 
selben mit  lauem  Wein,  aromatischen  Kräutern,  massige  Diät,  zuweilen  küh- 
lende gelinde  Laxanzen,  trockne  Schröpfköpfe  an  den  Unterleib  (ßeji). 
Auch  bei  Nichtschwangern,  bei  Jungfern,  bei  Frauen  nach  dem  Auf- 
hören der  Menstruation  kann  Galaktorrhöe  stattfinden.  Hier  ist  sie  nur  ein 
Zeichen  einer  tiefer  liegenden  Krankheit ,  besonders  als  Symptom  verschie- 
dener Leiden  des  Uterus ,  der  Ovarien ,  organischer  Fehler  derselben ,  der 
anomalen  Menstruation  etc.  zu  betrachten.  Behandlung.  Ist  die  des 
Grundübels  mit  Berücksichtigung  der  Constitution  der  Kranken.  &)  Auch 
aus  andern  Organen  als  aus  den  Brüsten:  durch  Schweiss,  durch  die  Spei- 
cheldrüsen, durch  den  Nabel,  durch  die  Augen  etc.  Avill  man  Milchtiuss  be- 
obachtet haben.  Diese  Galactorrhoea  erronea  im  engern  Sinn  ist  keine 
wahre  Milchmetastase;  denn  die  Milch  in  den  Brüsten  war  hier  vor  dem 
Krankheitszustande  ßit  gar  nicht  vorhanden,  die  Brüste  waren  schlaff  und 
eingesunken,  und  das  Secret  ist  dem  Chylus,  dem  Schleim,  der  Lymph« 
ähnlicher.  Die  Krankheit  hat  mit  Diabetes  mellitus  mehr  Ähnlichkeit  und 
muss  auch,  wenn  sie  chronisch  ist,  so  behandelt  werden  (P.  Frnnk ,  Reil^. 
Dauert  die  Milchabsonderung  noch  mehrere  Wochen  nach  dem  Entwöhnen 
fort,  wie  dies  zuweilen  bei  schwammigen,  laxen  Frauen  der  Fall  ist,  so 
nützen  Pillen  aus  Extr.  chinae  frigid,  parat.,  Ammon.  muriat.  martiat.,  Pulv. 
aromat.  und  Alaun.  (^Klutfe  u.  Nicolai  in  Casper^s  Wochenschrift  f.  die  ge- 
sammte  Heilkunde  1833.  Nr.  18). 

Cralactoschesis »  Milchverhaltung,  s.  Galactischesis. 

Cralactostasis.     Ist  Metastasis  lactea. 

Cralactotropbia,  die  Ernährung  mit  Milch.  Die  Milch  ist  im 
ersten  Lebensjahre  die  zweckmässigste  Nahrung  für  den  Menschen.  Ausser- 
dem ist  sie,  wenn  sie  warm  aus  dem  Euter  der  Thiere  und  ungekocht  ge- 
nossen wird,  wenn  sie  allein  das  einzige  Nahrungsmittel  ausmacht,  zur  Ver- 
längerung des  Lebens  Sch\\indsüchtiger  oft  sehr  wohlthätig.  Ja,  man  hat 
merkwürdige  Bei.?piele,  dass  Jünglinge,  die  durch  Onanie  schon  hektisch 
geworden,  durch  kein  Mittel  schneller  genasea  als  durch  das  Trinken  der 
Milch  an  der  Brust  einer  Amme. 


GALACTOZEMIA  —  GALYANIÖMÜS  847 

j*  Galactozcmia,  der  Milchrerlust,  z.  B.  bei  Gaiaktorrhöe,  oder 

die  Verminderung  der  Alilch  in  den  Bi  üstcn  aus  andern  Ursachen ,  durch 
neue  Schwangerschaft,  Menstruation,  Mangel  an  Nahrung.  Cur.  Ist  nach 
den  Ursachen  vei'scliieden.  Bei  neuer  Schwangerschaft,  bei  öfterer  "Wieder- 
kehr der  Regehl  helfen  alle  milchmachenden  Mittel  nichts,  das  Kind  muss 
entwöhnt  und  gehörig  mit  leichter  Nahrung  genährt  werden.  Ists  noch  kein 
halbes  Jahr  alt,  so  muss  es  eine  Amme  haben. 

Cralacturia,  Chjjluria,  das  sogenannte  Milchha«nen.  Ist  Abgang 
einer  milcluihniichea  Flüssigkeit  durch  die  Harnwege,  ein  Fluxus  coeliacus 
per  renes  oder  Diabetes  chjfosus  der  Altern,  eine  modificirte  Harnruhr,  die 
wie  letztere  behandelt  werden  muss  (s.  Diabetes,  und  Reifs  Fieberlehre 
Th.  111.  S.  346).  Häufig  ists  aber  weiter  nichts  als  Blennorrhoe  der  Harn- 
blai,e  (s.  Blennorrhoea   vesicae    urinariae). 

CS^alea^  die  Glückshaube.  Einige  nennen  so  den  drückenden  Kopf- 
schmerz.    S.   Cephalalgia. 

CraleainaurosiiS*  Ist  Beer's  amaurotisches -Katzenauge.  S.  Aman- 
rosis. 

Oaleancon,  der  sogenannte  Katzen-  oder  Wieselarm.  So  nennt 
man  eine  Verunstaltung  des  Arms,  welche  von  Abnormitäten  des  Schulter- 
gelenks herrührt. 

Oalenica  (remedia').  So  nennt  man  die  von  Claud.  Galenus  empfoh- 
lenen einfachen,  meist  vegetabilischen  Arzneimittel  im  Gegensatz  der  Spa- 
ylrica  und  Chemien  (s.  Claud.  Galeni  Opp.  Edit.  Kühn). 

Craleropia,  das  Heitersehen.  Ist  ein  Gesichtsfehler,  der  die 
Gegenstände  in  einer  heitern,  zum  Theil  glänzenden  Erleuchtung  erscheinen 
lässt;  wie  dies  z.  B.  bei  Myopie,  wenn  die  Gegenstände  dem  Auge  nahe 
stehen,  öfters  der  Fall  ist,  da  bekanntlich  Kurzsichtige  in  der  Nähe  ein 
scharfes  Gesicht ,  ein  erhöhtes  Sehvermögen  (Oxyopia)  besitzen. 

OallicuSI  morbus,  die  venerische  Krankheit,  s.  Syphilis. 

Cralvanisnins,  der  sogenannte  Gal'vanismus.  Ist  eine  Modifica- 
tion  der  Elektricität,  die  von  Gnlvnni,  ihrem  Entdecker,  den  Namen  fuhrt. 
Nach  dem  Ausspruche  der  grössten  Naturforscher  unserer  Zeit,  eines  Alex. 
V.  Humboldt,  BerzeHus  u.  A.  m. ,  ist  keine  Entdeckung  der  Physik  grösser, 
glänzender  und  in  ihren  Folgen  reicher  gewesen  als  diese ;  ja  A.  v.  Humboldt 
sagt  in  seinen  Vorlesungen  über  die  physikalische  Geographie  (in  Mscpt.), 
dass  die  Entdeckung  des  Galvanismus  für  die  physische  Welt  ebenso  hoch 
anzuschlagen  sey ,  als  die  Entdeckung  von  Amerika  für  die  politische  und 
moralische.  Ich  schweige  hier  von  der  grossfen  Entdeckung,  die  durch  den 
Galvanismus  den  berühmten  Oersted  vor  wenigen  Jahren  auf  den  Elektro- 
magnetismus führte,  wodurch  die  Identität  der  Elektricität  und  des  Magne- 
tismus, die  als  Wirkungen  einer  und  derselben  Kraft  angesehen  werden  kön- 
nen, bewiesen  ward,  obgleich  diese  Kraft  mit  dem  Leben  und  Krankseyn  in 
inniger  Verbindung  steht  (s.  Fermentatio),  und  es  der  gegenwärtigen 
und  nächstfolgenden  Generation  der  Ärzte  noch  vorbehalten  bleibt,  für  die 
Praxis  fruchtbringende  Resultate  aus  diesen  grossen  Entdeckungen  zu  ziehen. 
Ich  rede  hier  nur  von  dem  Galvanismus  und  der  Elektricität  im  eugern 
Sinne,  insofern  sie  als  Heilmittel  betrachtet  werden  können.  —  Schon  vor 
40  Jahren  erschien  über  die  medicinische  Anwendung  der  Elektricität  fol- 
gende höchst  wichtige  Schrift  in  deutscher  Sprache :  C.  G.  Kühn ,  An  Wen- 
dung und  Wirksamkeit  der  Elektricität  zur  Erhaltung  und  Wiederher.^tel- 
l'jng  der  Gesundheit  des  menschlichen  Körpers.  Aus  d.  Französ.  des  Abts 
Bertholon  de  St..  Lnzare.  Leipzig,  1788  u.  89.  2  Theile;  worin  eine  M'enge 
Thatsachen  enthalten  sind,  welche  den  grossen  Nutzen  der  vorsichtig  ange- 
v/andten  .Elektricität  in  den  hartnäckigsten  Übeln ,  besonders  in  Epilepsie, 
Katalepsie,  Hysterie,  in  Paralysen  aller  Art  darthun.  Noch  mehr  ward  dies 
bestätigt  durch  folgende  Schrift:  Deiman,  Über  die  gute  Wirkung  d.  Elektr. 
in  verschiedenen  Krankheiten,     Mit  Anraerk.  und  Zusätzen  von  Kühn.  1793. 


848  GALVANISmiS 

2  Thlp.  Die  Aufmerksamkeit  der  Ärzte  auf  die  med.  Anwendung  der  Eleklri- 
oität  in  Krankheiten  wurde  hierdurch  aufs  Neue  angeregt;  denn  was  früher- 
hin  Arzte  und  Naturforscher  darüber  in  einzelnen  Schriften  oder  zerstreut 
bekannt  gemacht  hatten,  war  fast  im  Strome  der  Zeit  untergegangen.  (Vgl. 
Deshiis,  Diss.  de  hemiplegia  per  electricitatem  curata.  1749.  Feurslein,  Dis.-. 
<le  Epilepsia,  p.  81.  Franklin  in  Lond.  Magazine,  May,  1759.  Mmujb , 
Histoire  de  l'electricite.  P.  111.  Par.  175^.  p.  85.  Morris  in  Gentleman"s 
Magaz.  for  the  year  1755.  p.  379.  Pomn  et  Aniaud  in  Journ.  de  Med. 
Vol.  LXXII.  1783.  p.  214.  Snuvnges,  Suite  des  exp^riences.  p.  l39.  SloH, 
Rat.  med.  P.  III.  p.  410.  WiUieim,  Observat.  elect.  med.  Wirceb.  177^. 
p.  148.  Rapport  de  M.  M.  Corricr,  Mitloet,  Darcet,  Philipp,  Je  Prcux, 
Dcsessnrz  et  PauJct  sur  les  avantages  reconnus  de  la  nouvelle  methode  d'ad- 
luinistrer  l'electricite  dans  les  maladies  nerveuses,  particulierement  dans  l'i'pi- 
lepsie  et  catalepsie,  par  M.  le  Dru,  connu  sous  le  nom  Camus.  1783).  Die 
Elektrisirmaschinen  wurden  nun  in  Deutschland  am  Krankenbette  häufiger  in 
Bewegung  gesetzt;  aber  die  Ärzte  selbst  verstanden  sich  wenig  auf  das 
Technische  der  Elektricität ,  auf  die  zweckmässigste  Alt  der  Anwendung; 
auch  hatten  sie  nicht  immer  Lust,  eine  so  beschwerliche,  Geduld  erfordernde 
Behandlung  selbst  mit  ins  Werk  zu  setzen.  Sie  übertrugen  die  Anwendung 
Nichtärzten  oder  ihren  Wundärzten,  versäumten  darneben  häufig  die  phar- 
maceutischen  Mittel,  achteten  nicht  genug  auf  die  Individualität  des  Kran- 
ken, überreizten  häufig  durch  das  reizende  elektrische  Fluidum  da,  wo  Blut- 
entziehungen hätten  vorhergehen  müssen,  wandten  die  Elektricität  in  den 
meisten  Fällen  gleich  anfangs  zu  stark  an,  setzten  das  Mittel  nicht  lange 
genug  fort;  ku>z  sie  spielten  so  planlos  mit  diesem  kräftigen  Fluidum,  dass 
die  buntscheckigsten  Resultate  herauskamen,  und  dass  die  Zahl  der  Fälle, 
wo  das  Übel  ungeheilt  blieb  oder  sich  wol  gar  darnach  verschlimmerte,  den 
Fällen  mit  glänzendem  Erfolge  fast  gleich  kam.  Nun  wurde  nicht  die 
verkehrte  Application  des  Mittels ,  nein ,  das  Mittel  selbst  wurde  als  ein  sehr 
zweideutiges  und  verdächtiges  angeklagt  und  um  so  mehr  in  der  Praxis  ver- 
nachlässigt, da  es  die  Bequemlichkeit  der  Ärzte  vorzieht,  lieber  ein  Recept- 
papier  zu  beschreiben ,  als  stundenlang  einen  Kranken  zu  elektrisiren.  So 
standen  die  Sachen,  als  im  Jahre  1791  der  unsterbliche  Aloijs  Galvani,  Leh- 
rer der  Arzneikunde  zu  Bologna ,  den  nach  ihm  benannten  Galvanismus  ent- 
deckte. Erst  als  im  Jahre  1800  der  Naturforscher  Volta  die  schätzbare  Er- 
findung machte,  den  einfachen  Galvanismus  zu  vervielfältigen,  wodurch  die 
sogenannte  Voltasäule  hervortrat,  fing  man  an  den  Galvanismus  gegen 
Krankheiten  anzuwenden.  Die  Physiker  gingen  mit  ihren  Experimenten  vor- 
an, die  Ärzte  folgten  nach.  Es  entstand  in  Deutschland  in  den  Jahren 
1802 — 1808  eine  solche  Wuth  Kranke  zu  galvanisiren,  da  man  dieses  Mittel 
für  die  wahre  Ancora  sacra  hielt,  es  wurde  so  planlos  dabei  verfahren  \uid 
unwissende  Laien  missbrauchten  den  Galvanismus  bei  Kranken  auf  solche 
Weise,  dass  auch  dieser  in  Misscredit  und  Vergessenheit  gerieth.  Einen 
grossen  Antht-il  daran  hatten  auch  die  darüber  erschienenen  Schriften,  worin 
weder  eine  richtige  Anweisung  zur  zweckmässigen  Anwendung,  noch  Über- 
einstimmung in  den  Resultaten  zu  finden  war  (s.  Auijnstin^s  Versuch  einer 
vollständ.  Geschichte  d.  galvan.  Elektric.  u.  ihrer  med.  Anwendung.  Berlin, 
1801.  Derselbe:  Vom  Galvanism.  u.  dess.  Anwendung.  1801.  Bischofl  in 
JlufcInmVs  Journ.  Bd.  XXX.  St.  2.  Orapcngiesser,  Versuche  den  Galvanis- 
mus zur  Heilung  einiger  Krankheiten  anzuwenden.  Berlin,  1802.  Heihvag, 
Über  Galvanism.  etc.  Hamburg,  1802.  Martens,  Therapeut.  Anwend.  d. 
Galvanism.  1803.  Slrtwe,  Syst.  d.  medic.  Elektric.  mit  Rücksicht  auf  di>n 
Galvanismus.  1802.  Woll;e,  Nachricht  von  den  zu  Jever  durch  die  Galvani- 
Yoltaische  Gehörgebekunst  beglückten  Taubstummen  etc.  Osnabrück,  1802). 
Seit  mehreren  Jahren  prüfte  ich  die  Kräfte  des  Galvanismus  bei  Thieron 
und  Menschen,  bei  Gesunden  und  Kranken;  ich  verband  den  Galvanismus 
mit  .der  gewöhnlichen  Elektricität,  behandelte  so  Epilcptisclie  und  Paralyti- 
sche, Hysterische,  Gichtische  etc.  imd  sah,  da  ich  mit  Ausdauer  und  mit 
manchen  nicht  unbedeutenden  Aufopferungen  den  Gegenstand  als  Lieblings- 


GALVANISMUS  849 

Sache  betrieb,  mich  anch  durch  zahlreiche  glänzende  Resultate  belohnt,  die 
ich  späterhin  ausfiihiiich  bekannt  machte  (s.  meine  Schriften :  Die  Heilung 
d.  Epilepsie  etc.  Hannov.  1822;  Über  d.  Heilkräfte  d.  Galvan.  Lüneb.  1823, 
und  meine  Abhandll.  in  Horn^s  Archiv  1825,  Mai  bis  August,  und  in  der 
Neuen  Sammlung  auserles.  Abhandlungen  f.  prakt.  Ärzte.  Leipzig,  1825; 
Bd.  VIU.  St.  4  und  5).  Jedem  praktischen  Arzte  und  Wundarzte,  der 
Lust  und  Liebe  hat,  ein  grosses,  noch  nicht  in  seinem  ganzen  Umfange  ge- 
würdigtes dynamisches  Heilmittel  kennen  zu  lernen,  empfehle  ich  das  Stu- 
dium dieser  Schriften  und  Abhandlungen  ;  denn  die  medicinische  Anwendung 
desselben  erfordert  viel  Kenntniss,  viel  Übung  und  viel  Geduld,  sonst  rich- 
tet man  mehr  Schaden  als  Nutzen  an.  Dass  der  Galvanisraus  kein  Univer- 
salmittel sey,  versteht  sich  von  selbst;  dass  aber  die  Fälle,  wo  er  alle  an- 
dere Mittel  an  Wirksamkeit  übertrifft ,  auch  nicht  ganz  selten  sind ,  dies 
glaube  ich  aus  vieljähriger  Erfahrung  mit  Recht  behaupten  zu  können.  Ich 
verweise,  was  das  Specielle,  sowie. das  Theoretische  betrifft,  auf  die  ange- 
führten Schriften ,  besonders  auf  die  vom  Galvanisraus.  Da  indessen  der  junge 
Arzt  wenig  Gelegenheit  hat,  die  Anwendung  des  Cralvanismus  in  klinischen 
Anstalten  und  Hospitälern  zu  lernen  (leider!  wird  auch  hier  dieselbe  mit  einer 
höchst  tadelnswerthen  Nachlässigkeit  betrieben,  und  häufig  gar  nicht  unter  den 
Augen  des  Directors  vorgenommen,  sondern  der  Famulus  betreibt  sie  ad  libitum, 
oder  überlässt  sie  gar  den  Krankenwärtern,  wie  ich  darüber  Beispiele  aus 
den  ersten  klinischen  Anstalten  Deutschlands  anführen  könnte) ,  so  werde  ich 
hier  das  AUernothwendigste  in  der  Kürze  mittheilen.  1)  Die  Constru- 
ction  der  Voltasäule.  Man  lässt  sich  80  — 100  Doppelplatten,  die  2 '/j  Zoll 
Durchmesser  haben  und  aus  Zink  und  Kupfer,  jede  y^  Zoll  dick,  bestehen, 
von  einem  Klempner  mit  Zinn  zusammenlöthen.  Diese  Zahl  ist  hinreichend, 
da  sie  bei  gut  aufgebauter  Säule  und  verstärkt  durch  leitende  Eisenstangen, 
schon  sehr  grosse  Wirkungen  hervorbringt.  Nun  lässt  man  sich  ein  kleines 
Gestell ,  das  auf  Glasfüssen  steht ,  in  der  Mitte  mit  vier  Glasröhren  zum  Ein- 
legen der  Platten  und  oben  mit  einer  Schraube  versehen  ist,  verfertigen. 
Beim  Aufbauen  der  Säule  nimmt  man  zuerst  unten  eine  Zinkplatte  mit  einem 
Haken ,  worin  ein  Loch  befindlich  ist ,  in  welchem  man  einen  Leitungsdraht 
von  Messing,  Kupfer  oder  Stahl  befestigt,  legt  diese  Platte  zwischen  die 
Glassäulen,  dann  darauf  ein  ebenso  grosses,  mit  Salzwasser  wohl  durchnäss- 
tes  Tuchläppchen,  dann  darauf  die  erste  Doppelplatte  so,  dass  die  Kupfer- 
seite unten  zu  liegen  kommt ,  dann  wieder  ein  feuchtes  Tuchläppchen ,  dann 
wieder  die  Doppelplatte  mit  der  Kupferseite  nach  unten  und  so  geht  es  fort, 
bis  alle  80 — 100  Doppelplatten,  abwechselnd  mit  den  Zwischenleitern,  den 
Feuchten  Tuchlappen,  auf  einander  geschichtet  sind.  Ist  dies  geschehen,  so 
legt  man  das  letzte  Tuchläppchen  und  zu  allerletzt  eine  einfache  Kupfer- 
platte mit  Haken  und  Loch,  worin  der  andere  Leitungsdraht  befestigt  wird, 
auf,  und  schraubt  dann  die  ganze  Säule  recht  fest  zu.  Dabei  ist  zu  be- 
merken, n)  dass  alle  Platten  und  Drähte  bei  jedesmaligem  Aufbauen  der 
Säule  recht  rein  poHrt,  auf  Brettern  abgerieben  und  blank  gescheuert  seyn 
müssen ;  6)  dass  man  die  Tuchläppchen  einige  Stunden  vorher  in  einer  höchst 
concentrirten  Auflösung  des  Kochsalzes  in  kochendem  Wasser  eingeweicht 
haben  muss ;  c)  dass  die  Läppchen  kurz  vor  dem  Aufstapeln  der  Platten  so 
stark  als  möglich  ausgedrückt  werden ;  d)  dass  man  die  Doppelplatten  kurz 
vor  dem  Aufbauen  der  Säule  am  Feuer  erwärmen  muss,  soll  die  Wirkung 
anders  recht  stark  seyn.  e)  Will  man  den  ganzen  Körper  galvanisiren ,  so 
befestigt  man  die  Leitungsdrähte  des  obern  und  untern  Pols  der  Säule  durch 
Umwickeln  an  6  —  8  Fuss  lange,  dicke  Eisenstangen;  eine  Erfindung  von 
mir,  die  die  Wirkung  bedeutend  verstärkt.  2)  Anwendungsmethoden 
des  Galvanisraus.  Sind  theils  solche,  die  eine  partielle,  theils  solche,  die 
eine  allgemeine  Wirkung  haben.  Will  man  den  ganzen  Körper  galvani- 
siren ,  so  setzt  der  Kranke  beide  Füsse  in  ein  laues  Fussbad ,  worein  die 
Eisenstange  vom  untern  Pol  der  Säule  geleitet  worden ,  befeuchtet  die  Hände 
mit  Salzwasser,  nimmt  eine  kleine  Eisenstange  zur  Hand  und  beinihrt  damit 
in  kleinen  Pausen  die  andere  mit  dem  obern  Pol  der  Säule  in  Verbindung 
Most  Enc^klopädte.  2te  Aufl.  I.       ^  54 


850  GALVANISMUS 

stehend«  Stange.  Die  Wiikunp;  ist,  dass  jedesmal  eine  allgemeine  Korpcr- 
erschütterung ,  wie  durch  einen  elektrischt-n  Schlag  erfolgt,  dass  das  Blnt- 
und  Nervensystem  höchst  aufgeregt  wird  und  bei  fortgesetztem  Gebrauche 
von  Vi  —  1  Stunde  häufig  Erliitzung  und  Schweiss  erfolgt.  Will  man  to- 
jiisch  den  Galvanismus  nur  auf  ein  einzelnes  Glied  wirken  lassen,  z.  B.  auf 
den  Arm,  auf  den  Schenkel;  so  muss  der  Kranke  Hand  oder  Fuss  mit  Salz- 
wasser anfeuchten,  diese  mit  der  Eisenstaiige  des  untern  Pols  in  Verbin- 
dung bringen ,  wo  ~dann  ein  Gehülfe  den  Draht  vom  obern  Pole  an  einen  in 
einer  Glasröhre  befindlichen  Conductor  befestigt,  und  diesen  abwechselnd  an 
eine  befeuchtete  Stelle  des  Oberarms,  des  Schenkels  bringt.  Bei  Applica- 
tion des  Galvanismus  ans  Auge,  Ohr  (gegen  Amaurose,  Surditas)  muss  man 
sehr  vorsichtig  seyn ;  man  nimmt  anfangs  höchstens  6  — 10  Doppclplatten 
zur  Säule,  lässt  den  untern  Pol  derselben  mit  der  Hand  des  Kranken  be- 
rühren, und  berührt  dann  mit  dem  Conductor  des  obern  Säulenpols  vorsich- 
tig, ohngefahr  4 — lOmal  in  der  Minute,  die  Ohrmuschel,  den  Meatus  ex- 
ternus,  das  Augenlid,  die  Augenbrauen  etc.  Täglich  legt  man  eine  Dop- 
pclplatte zu  bis  auf  40 — 60,  wendet  das  Mittel  binnen  24  Stunden  1  —  2mal, 
jedesmal  'ä — V2  Stunde  an,  und  fällt  dann  wieder  in  der  Plattenzahl  bis 
auf  6.  Alles  richtet  sich  hier  nach  individueller  Reizempfänglichkeit.  Bei 
Sprachlosigkeit  als  Folge  der  Lähmung  berührt  der  Kranke  mit.  der  einen 
Hand  wieder  den  untern  Säulenpol,  und  der  Gehülfe  bringt  den  Conductor 
des  obern  Säulenpols  abwechselnd  an  den  Kehlkopf,  an  die  Zungen wurzcl 
etc.  Ein  Mehreres  darüber  findet  sich  in  SitnJclin''s  Anleit.  z.  med.  Anwen- 
dung der  Elektric.  u.  d.  Galvanismus.  Berlin,  1822,  und  in  Mosfs:  Über 
die  Heilkräfte  des  Galvanismus.  Noch  muss  ich  bemerken ,  dass  die  zuerst 
von  mir  angewandte  Methode,  dem  Kranken  das  galvanische  Fluidum  in  der 
geschlossenen  Kette  durch  Strömungen  mitzutheilen,  wo  er  ausser  der  er- 
sten Erschütterung,  die  man  auch  gelind  einrichten  kann,  nichts  Schmerz- 
haftes empfindet,  in  manchen  Füllen  vor  den  Erschütterungen  durchs  fort- 
gesetzte Schliessen  und  Olfnen  der  Kette  den  Vorzug  verdient.  Man  lässt 
den  Kranken  V45  V2  —  1  Stunde  ruhig  in  der  geschlossenen  Kette  verweilen. 
3)  Indicationen  und  Co  ntraindicationen  des  Galvanismus  als  Heil- 
mittel-sind  folgende:  «)  Bei  allen  entzündlichen  Fiebern  und  entzündlichen 
Affectionen,  bei  allen  Nervenaflectionen  mit  Erethismus,  bei  allen  Krämpfen 
und  Convulsionen  der  Art,  passt  der  Galvanismus  nicht.  Entzündung,  Fie- 
ber und  Erethismus  müssen  erst  entfernt  seyn,  wenn  er  nützen  soll.  6)  Bei 
allen  frischen  Lähmungen  nach  Apoplexia  sanguinea  passt  er  in  den  ersten 
4 — 6  Wochen  nicht,  und  dennoch  erfordert  seine  Anwendung;  viel  Vorsicht, 
häufig  müssen  gleichzeitig  Blutausleerungen,  derivirende,  auf  den  Darmcanal 
wirkende  Mittel  und  eine  kühlende  knappe  Diät  angewandt  werden,  und  dio 
galvanische  Behandlung  eiideiten.  t)  Unbedingte  Anwendung  findet  da.«» 
Mittel  bei  Epilepsie  und  Paralysen  mit  dem  Charakter  des  Torpor,  bei  ört- 
licher Schs>äciie  einzehier  Theile  und  bei  allen  Affectionen,  welchen  Man- 
gel an  Thätigkeit  und  .Atouie  zum  Grunde  liegt.  (S.  Lnbaume,  llemarks  on 
the  hi.story  and  philo.sophy,  but  particularly  on  the  medical  efficacy  of  Ele- 
ctricity  and  Galvani.<ni  in  ihe  eure  of  nervous  and  chronic  disorders.  Lon- 
don, 1820).  Unter  Berücksichtigung  dieser  Cautelen  wendet  man  den  Gal- 
vanismus mit  Nutzen  an:  «)  bei  Hydrops  topicus  und  universalis,  besonder» 
auch  bei  Hydrops  saccatus  abdominis  ;  denn  der  Galvanismus  greift  tief  in 
die  Picproduction  und  bewirkt  schnelle  Resorption  krankhafter  Secretionen. 
ß)  Bein»  chronischen  Asthma  im  vorgerückten  Alter.  Hier  wendet  man  auch 
wol  den  einfachen  Galvanismus  (^MiuisfortCs  Apparat)  an,  indem  man  eine 
Kupferplatte  auf  den  Rücken,  die  Zinkplatte  aufs  Stenium  legt,  nachdem 
die  Stellen  der  Haut  durch  Vesicatorien  eutblösst  worden,  wo  man  dann  ) 
durch  einen  Kupferdraht  beide  Platten  mit  einander  verbindet  inul  Tag  und  i 
Nacht  tragen  lässt.  y)  Bei  Hcrnia  incarcerata  und  Volvulus.  Hier  läs.st 
man  den  einen  Pol  mittels  ciiies  Conductors  in  den  After  bringen ,  und  mit 
dem  andern  Pule  berührt  man,  ohne  den  Innern  Mund  zu  berühren,  den 
Pharyijx    (i.  Leroy   iVEtioUci  in  Archiv.   g«5nörai.    de  Medec. ,    Octbr.  182S, 


GALVMISMUS  851 

\x.  Heclcr''s  Lit.  Annal.,  1823,  Januar),  rf)  Beim  Schemtode  (s.  Asphyxia, 
Acupunctura,  E  1  ectropunctura).  e)  Bei  eingewurzelten  und  leich- 
tern Epilepsien,  theils  durch  die  Voltasäule  (s.  Epilcpsia),  theils  als 
Mansford'scher  Apparat  (s.  Mansford,  Untersuchungen  über  die  Natur  und 
Ursachen  d.  Epilepsie  etc.  A.  d.  Engl,  von  Cerutli.  Leipzig,  1822.  Vsher 
Pearson  in  New  England  Journ.  of  Medicine  and  Surgery  1827.  Pierer\'s 
Alig.  medic.  Annalen,  1827,  Juli.  Gerson  und  Julius  Magaz.  der  ausländ. 
Lit.  d.  ges.  Heilkunde,  1827,  Juli  u.  August).  Doch  nützt  dieser  Apparat 
nur  in  leichtern  Fällen,  f )  Auch  gegen  chronische ,  atonische  Gicht ,  zur 
Zertheilung  von  Gichtknoten ,  gegen  Hemiplegia ,  Sprachlosigkeit ,  gegen' 
Struma,  Hydrocephalus  chronicus,  Fungus  articulorum  habe  ich  den  Galva- 
nismus  nicht  ohne  Nutzen  angewandt  (s.  meine  Schrift  über  Galvanismus, 
S.  18 — 60).  TJ)  Bei  Fehi'is  intermittens  wirkt  der  Galvanismus  in  der  Apy- 
rexie  ausserordentlich,  und  ist  daher  besonders  bei  der  habituellen  Form  zu 
empfehlen  (s.  Febris  intermittens).  ^)  Nach  meinen  Ansichten  und 
Schlüssen  aus  der  Analogie  kann  man  den  Galvanismus  cum  conditione  (mit 
Berücksichtigung  des  individuellen  Körperzustandes)  noch  versuchen  bei  ano- 
maler Menstruation,  bei  Impotenz  und  Steiilität,  bei  Contracturen ,  Anky- 
losen, Spina  bifida,  Hydrucele,  bei  Abscessus  lymphaticus,  bei  chronischer 
Migräne,  bei  Harn-  und  Blasensteinen,  um  diese  aufzulösen,  bei  Atrophie 
und  Gastromalacie,  bei  Hydrophobie.  Auch  habe  ich  bemerkt,  dass  die  all- 
gemeine Anwendung  des  Galvanismus  bei  «ironischer  Dyspepsie,  bei  Schlaf- 
losigkeit und  Neigung  zu  Obstructio  alvi  herrliche  Dienste  thut. 

Der  Galvanismus ,  der  früherhin  auch  M e t a  1 1  r e i z  oder  thierische 
Elektricität  genannt  worden,  und  die  gewöhnliche,  durch  Reibwerk- 
zeuge hervorgerufene  Elektricität,  erregen  gegenwärtig  aufs  Neue  das  ärzt- 
liche Publicum  auf  eine  höchst  interessante  Weise ,  und  werden,  sollten  sich 
die  kürzlich  in  England  gemachten  Erfahrungen  bestätigen ,  vielleicht  in 
Kurzem  das  IVlittel  abgeben,  einen  tiefern  Blick  in  die  Ökonomie  des  Orga- 
nismus, des  normalen  und  abnormen  Lebensprocesses,  zu  gewähren,  als  es 
bis  jetzt  dem  scharfsinnigsten  Naturforscher  möglich  war.  Ich  bin  gegen- 
wärtig zwar  nicht  mehr  der  Meinung  Ritter's,  Procliaskn's  und  A. ,  die  das 
Leben  im  Organischen  nur  für  einen  elektrischen  oder  galvanischen  Process 
hielten  und  aus  den  Gesetzen  des  ietztei-n  alle  Lebensverrichtungen  zu  er- 
klären sich  bemühten.  Auch  ist  die  thierische  Elektricität  von  der  gemei- 
nen noch  verschieden ,  wofür  eine  Menge  Thatsachen  sprechen ,  obgleich 
wir  die  feinen  Unterschiede  genau  anzugeben  bis  jetzt  nicht  im  Stande  ge- 
wesen sind  (s.  Bertliold's  Lehrbuch  d.  Physiol.  des  Menschen,  Bd.  I.,  1829, 
S.  80) ,  und  wenn  früherhin  manche  Anhänger  SchelUng^s  den  Kreislauf  des 
Bluts  und  andere  Lebensfunctionen  geradezu  und  nur  allein  für  elektrische 
und  magnetische  Äusserungen  hielten  (s.  PA.  F.  TFflWtcr's  Physiologie ,  1807, 
Bd.  II.  S.  9  u.  fg.),  so  wissen  wir  jetzt  genauer,  wie  viel  und  wie  wenig 
von  ihren  transcendentalen  Speculationen  zu  halten  sey.  Selbst  der  grosse 
Naturforscher  G.  R.  Trcviranus  (Die  Erscheinungen  u.  Gesetze  des  organ. 
Lebens.  Bremen,  1831;  Bd.  I.  S.  412)  sagte  noch  jüngst:  „Wärme  und  Licht 
sind  die  äussern  Bedingungen  des  Lebens.  Dass  das  Leben  auch  durch 
elektrische  Einflüsse  bedingt  sey,  lässt  sich  nicht  darthun, 
doch  können  sie  zur  Erreichung  gewisser  Zwecke  des  Lebens  dienen."  In- 
dessen lässt  sich  nach  allen  Thatsachen  an  dem  Vorhandenseyn  elektrischer 
Strömungen  im  lebenden  organischen  Wesen  und  deren  Begründung  durch 
den  Gegensatz  alkalischer  und  saurer  Reactionen ,  worauf  Donne  (s.  Jour- 
nal hebdomad.  und  Behrendts  Repertor.  der  med. -chir.  Jourucdist.  des  Aus- 
landes, 1834,  Juni,  S.  182)  noch  neuerlich  aufmerksam  macht,  nicht  zwei- 
feln ,  z.  B.  zwischen  der  äussern  Haut  (saurer  Pol )  und  dem  Darmcanal 
(alkalischer  Pol) ,  zw  ischen  Magen  und  Leber  etc. ;  auch  sind  viele  Gründe 
für  die  Identität  des  galvanischen  und  des  Nervenfluidums  vorhanden,  wor- 
auf ich  schon  vor  Jahren  und  kürzlich  noch  A.  P.  W.  Phillip  aufmerksam 
gemacht  haben  (s.  dess.  Abhandl.  in  London  medic.  Gazette,  Mai,  1834,  u. 
Behrendts  Repertor.,  Juni,  1834,  S.  127.  —  Most,  Über  die  Heilkräfte  des 

54* 


852 


GALVANISMÜS 


etc.  Galvanismus,  1823,  S.  S72).  Diese  der  galvanischen  Kraft  so  älm- 
liche  Nerventhätigkeit ,  die  mit  ersterer  fast  identisch  genannt  werden  kann, 
vermittelt  nun  aber  bekanntlich  die  Bewegungen  der  willkürlichen  und  nn- 
willkürlichen  Muskeln  und  alle  Secretionen,  sie  steht  auch  der  Assimilation 
vor  und  begründet  die  Entwickelung  der  thierischen  Wärme.  Auch  haben 
es  Versuche  sattsam  bewiesen,  dass  der  Voltaismus,  wenn  er  wie  die  Ner- 
venthätigkeit  angewendet  wird,  aus  dem  Blute  analoge  Secretionen  zu  er- 
zeugen und  selbst  thierische  Wärme,  nach  Phillip,  zu  entwickeln  im  Stande 
ist,  —  alles  Thatsachen,  die  auf  die  hohe  Bedeutung  unsers  Gegenstandes,  der 
noch  fernerer  Untersuchungen  in  Menge  bedarf,  aufmerksam  machen.  —  Ob 
in  seinen  feinsten  Wirkungen  der  Galvanismus  mit  der  Elektricität  eins  oder 
verschieden  sey,  wollen  wir  hier  nicht  untersuchen.  Wir  wissen,  dass  der- 
selbe mit  der  Reibungselektricität  alle  wesentliche  Merkmale  überein  habe, 
dass  man  ebenso  gut  mit  dem  galvanischen  als  mit  dem  elektrischen  Flui- 
dum  leidener  Flaschen  elektrisch  laden,  mit  beiden  einen  Menschen  ins  elektri- 
.sche  Bad  stellen  kann  etc.  Wir  könnten  daher  beide  (E.  und  G.)  als  eine 
Kraft  ansehen,  wie  es  die  meisten  Naturforscher  thun,  doch  wird  die  Zeit 
nicht  mehr  fern  seyn ,  wo  aus  den  verschiedenen  Wirkungen ,  die  der  Gal- 
vanismus ,  die  Elektricität  und  der  mineralische  Magnetismus  im  Organischen 
hervorbringen,  auch  ihre  Differenzen  uns  klarer  vor  Augen  liegen  werden. 
Nach  den  kürzlich  angestellten  Beobachtungen  von  Hodgkin  (s.  Medico  -  chi- 
rurgical  Review,  January  1832,  und  BehrencVs  Repertorium  der  med.-chir. 
Journalistik  des  Auslandes,  Decbr.  1832  und  Novbr.  1833)  kann  man  durch 
elektrische  Einwirkung  Krankheiten  von  einem  Individuum  auf  ein  anderes 
übertragen.  Ein  seit  4  Monaten  an  einem  Wechselfieber  leidender  Kranke 
wurde  auf  das  Isolatorium  gebracht  und  durch  eine  Verbindung  mit  dem 
elektrischen  Conductor  positiv  elektrisirt ,  und  zwar  im  Stadium  der  Fieber- 
hitze, Herr  P.  Sviith  hielt  die  Kugel,  mit  welcher  dem  im  elektrischen 
Bade  sich  befindenden  Fieberkranken  Funken  entzogen  wurden.  Der  Er- 
folg war,  dass  das  Wechselfieber  bei  letzterm  ausblieb,  dagegen  wurde  Hr. 
Smith  schon  des  Abends  unwohl  und  bekam  eine  Intermittens ;  als  er  sieben 
Anfälle  erlitten,  heilte  er  sich  nun  durch  dieselbe  elektrische  Cur.  HoihjMn 
machte  noch  andere  Versuche.  Er  vaccinirte  ein  Kind  auf  die  gewöhnliche 
Weise ;  der  Erfolg  war  günstig.  Als  die  Kuhpocken  am  Sten  Tage  zum 
Weiterimpfen  geschickt  waren,  öffnete  er  eine  Pustel,  setzte  nun  den  \ac- 
cii'.irten  aufs  Isolatorium ,  machte  einem  noch  nicht  Vaccinirten  mit  einer 
neuen ,  durchaus  nicht  mit  Schutzpockenlymphe  versehenen  Lancette  eine 
kleine  Stichwunde  in  den  Oberarm,  und  applicirte  dann  einen  4  Zoll  lan- 
gen, in  einer  Glasröhre  befindlichen  Draht  so  zwischen  beide  Individuen, 
dass  das  eine  Ende  des  Drahts  in  die  geölfnete  Kuhpocke ,  das  andere  in 
die  Stichwunde  des  nicht  auf  dem  Isolatorium  sich  befindenden  Knaben  zu 
stehen  kam  Nun  wurde  die  Elektrisirmaschine  8  Minuten  lang  in  Bewe- 
gung gesetzt.  Es  fand  vollkommene  Vaccination  mit  regelmässigem  Ver- 
laufe der  Kuhpocken  statt.  Als  man  aber  von  dieser  durch  elektrische  Strö- 
mung hervorgebrachten  Kuhpocke  wieder  zwei  Kinder  auf  elektrische  Weise 
impfte,  so  fand  man,  dass  daraus  nur  unechte  Kuhpocken  entstanden.  — 
Dieser  Umstand  von  Krankheitsübertragung  durch  elektrische  Einwirkung 
(der  uns  bei  Anwendung  der  Elektricität  in  Krankheiten  zur  Vorsicht  auf- 
fordert, damit  wir  beim  Abnehmen  der  Funken  aus  dem  Körper  des  im 
elektrischen  Bade  sitzenden  Kranken  unserm  eigenen  Körper  keine  Krank- 
heitsstoffe zuführen)  erinnert  an  die  sog.  magnetischen  und  sympa- 
thetischen Curen  älterer  und  neuerer  Zeit,  welche  wir  oft  früherhin,  be- 
vor wir  die  grossen  Wirkungen  der  Elektricität,  des  Galvanismus  und  Mi- 
neralmagnetismus  auf  Gesunde  und  Kranke  und  ihre  durch  synthetischen 
und  analytischen  Beweis  von  Ocrsted,  Farndny  und  A.  dargcthanen  wech- 
selseitigen Beziehungen  und  ihre  grosse,  fast  auf  Identität  deutende  Ver- 
wandtschaft näher  kennen  gelernt  haben,  in  un.sercr  Einfielt  milleidig  belä- 
chelten ,  ohne  den  tiefen  Grund  zu  ahnen ,  worauf  ihre  grossen  ,  oft  so  räth- 
selliaften  Wirkungen,    die  als  Thatsachen   feststehen,    beruhen.     Die  Fort- 


GÄLVÄNISMUS  853 

silultte  In  der  Physiologie  und  Physik  haben  zu  dem  schon  oben  erwähnten 
frrossen  Resultate  geführt,  dass  die  Nerventhätigkeit ,  die  Muskeibewegung 
und  der  Calor  animalis  nur  als  Producte  der  elektrischen  Actionen  betrach- 
tet werden  können,  dass  das  Blut  beide  Arten  der  ElektricitäC  äussere,  und 
dass  daher  einige  Secrctionen,  z.  B.  Milch,  Chylus,  Urin,  Schweiss,  saurer 
Natur,  andere,  wie  Galle,  Speichel,  alkalischer  Natur  sind  und  so  die  bei- 
den Pole  der  Voltasäule  bildlich  darstellen  (s.  Edwards  in  the  medico-chi- 
rurgical  Re"view,  Jun.  1832),  ferner,  dass  die  Eiektricität  und  der  Magne- 
tismus allen  Körpern  in  der  ganzen  Natur  anhaften,  dass  schon  Differenzen 
in  der  Temperatur  eines  und  desselben  oder  des  andern  Metalles  (Thermo>- 
magnetismus)  dies  offenbaren;  dass  die  latente  Eiektricität  wahrscheinlich 
ebenso  gut,  wie  der  latente  Galvanismus  (bei  geschlossener  Kette)  die 
merkwürdigsten ,  nie  geahaeten  Erscheinungen  hervorzubringen  im  Stande 
ist,  endlich,  dass,  wie  Ritter  so  schön  dargethan ,  wahrscheinlich  ein  fort- 
währender galvanischer  Process  die  Lebensverrichtungen  im  Thierreiche  und 
im  Pflanzenreiche  unterhalte ;  —  aus  der  Pathologie  wissen  wir,  wie  schnell 
und  kräftig  wir  oft  die  heftigsten  nervösen  und  rheumatischen  Schmerzen, 
stockende  Säfte,  Ansammlungen  lymphatischer  und  seröser  Feuchtigkeiten- 
4urch  Elektropunctur,  Eiektricität  und  durchs  Bestreichen  mit  dem  Magnet, 
selbst  mit  blossen  Eisenstäben,  worüber  der  Geheimerath  Snchge  eine  inter- 
essante Beobachtung  bei  einem  Veitstanzkranken  in  Dobberan  angestellt 
(s.  Chorea  St.  Viti),  heilen  können;  —  kurz,  diese  und  viele  andere 
wichtige  Thatsachen,  wohin  auch  die  der  sympathetischen,  zeither  nur 
Schäfern ,  Schmieden  und  alten  Weibern  überlassenen  Curen  gehören ,  mah- 
nen uns  auf  die  dringendste  Weise,  diesem  so  sehr  vergessenen  Gegenstande, 
den  die  Alten  kannten  und  so  gründlich,  schön  und  richtig  beschrieben,; 
unsere  volle  Aufmerksamkeit  zn  schenken.  In  dieser  Hinsicht  will  ich  hier 
eines  längstvergessenen  Autors  gedenken ,  dessen  Buch  gerade  vor  mir  liegt. 
Der  Titel  ist:  Sehastiani  Wirdig,  ,M.  D.  et  P.  P.  Nova  mediana  spirituura. 
curiosa,  scientia  et  doctrina ,  unanimiter  hucusque  neglecta  etc.  Hamburg!, 
1688.  Hier  finden  wir  Cap.  26  des  2ten  Buches  überschrieben :  De  cura- 
tione  spirituum  diastatica.  Die  diastatische  Curmethode  ist  nach  ihm  mit 
der  sympathetischen ,  welche  auch  die  magnetische  heisst ,  identisch.  Sie 
wird  —  sagt  er  —  bewerkstelligt  1)  durch  sympathetische  Pflaster,  Salben 
und  Pulver,  2)  durch  die  vier  Elemente:  Feuer,  Luft,  Wasser,  Erde, 
3)  durch  Thiere:  Schlangen,  Hunde,  Schweine,  Blutegel,  Vögel,  Ameisen, 
Fische,  4)  durch  Pflanzen,  was  Transplnntniio  genannt  wird,  und  in  semi- 
natione,  implantatione,  insitione ,  irrotatione  geschieht.  5)  Die  im  engern 
Sinn  magnetische  Cur  per  attractionem ,  und  endlich  6)  diejenige,  welche 
per  contactum  et  »ffrictionem  bewerkstelligt  wird.  S.  190  u.  fg.  heisst  es  j 
„Quid  sit  magnetismus  et  sympatheisnius  ?  superius  sufficienter  peculiari  tit. 
dictum :  Est  nimirum  nobis  magnetismus  mutuus  et  communis  s^iirituum  sen- 
8us  seu  consensus.  Curatio  itaque  magnetica  et  sympathetica ,  fit  et  perfi- 
citur  mutuo  et  coramuni  Spirituum  sensu :  Dum  enim  Spiritus  in  sanguine  vel 
mumia  quadara  extravasata  curantur,  curiose  tractantur,  deligantur,  in  tem- 
perato  loco  foventur,  a  putredine  et  aeris  injuria  conservantur ,  vegetantur, 
in  animali  sano  et  robusto  bene  sese  habent,  libere  flagrant  et  radiant;  ean- 
dem  curiosam  curationem  una  sentiunt  et  consentiunt  etiam  reüqui  universi 
corporis  Spiritus,  eademque  alacritate  vitulantur,  eadem  serenitate  flagrant, 
radiant:  dum  autem  male  et  crudeliter  tractantur,  eandem  injuriam  sentiunt 
et  reliqui  in  reliquo  corpore  Spiritus."  Wirdig  versichert  nun ,  dass  er  bei 
verschiedenen  Krankheiten  von  sympathetischen  Curen  ausserordentlichen 
Erfolg  gesehen  habe  und  führt  einzelne  Fälle  und  den  Gebrauch  solcher 
Mittel  an.  Das  folgende  Capitel  führt  die  Überschrift:  De  curatione  spiri- 
tuum morbidorum  per  transplantationes ,  und  das  letzte  handelt  de  amuletis; 
beide  gehören  bekanntlich  auch  zu  den  sympathetischen  Mitteln,  und  ich 
kann  versichern,  dass  ich  sowol  von  der  Transplantation  als  von  den  Amu- 
leten,  wobei  allerdings  elektrische,  mineralmagnetische  Einflüsse  in  den  mei- 
sten Fällen  mit  im  Spiele  seyn  und  die  Hauptwirkung  hervorbringen  mügen. 


854  GALYANISMUS 

herrliche,  Wirkungen  in  verschiedenen  Übebi  gesehen  habe.  Ja  in  hiesiger 
Stadt,  sowie  in  ganz  Mecklenburg,  ist  der  Glaube  an  die  "Wirksamkeit 
eyropathetischer  Mittel  sehr  gross,  und  zwar  nicht  allein  das  Volk,  die  nie- 
dern  Stände,  auch  ein  grosser  Theil  der  höhern  Classen  glaubt  daran,  und 
dies  hat  seinen  guten  Grund.  Es  sey  mir  erlaubt,  hier  noch  einige  Worte 
ober  diesen  Gegenstand  zu  verlieren  und  meine  Ansichten  darüber  auszu- 
sprechen. Unter  dem  Worte  Sympathie  verstehen  wir  den  nähern  Zu- 
sammenhang zwischen  jedem  Einzelwesen  mit  den  übrigen,  welcher  durch 
unmittelbare  Wahrnehmung  im  Gefühl  des  in  diesen  Zusammenhang  Ge- 
brachten, oder  in  Beobachtungen  und  Wirkungen  erkannt  wird,  ohne  das* 
dabei  der  nähere  Grund  dieser  gegenseitigen  Gemeinschaft,  wodurch  dieselbe 
vermittelt  wird,  bis  jetzt  angegeben  werden  konnte.  Das  Gebiet  der  Sym- 
pathie von  früherhin  weit  grösser  als  jetzt ;  die  ganze  Astrologie  beruhete 
auf  ihr;  die  Annahme  einer  geheimen  Sympatliie  zwischen  Naturwesen  war 
aber  dennoch  im  Glauben  der  Völker  von  jeher  ziemlich  allgemein  verbrei-' 
tet,  und  dieser  Glaube  ist  auch  jetzt  noch  ^■\el  grösser,  als  man  gewöhnlich 
anzunehmen  pflegt.  Dass  sympathetische  Rlittel  und  überhaupt  sympatheti- 
sche Curen  oft  sehr  wirksam  sind,  dies  ist  eine  Thatsache,  die  sich  nicht 
leugnen  lässt.  Sollen  wir  nun  Thatsachen,  in  denen  ein  Eintluss  hervortritt, 
zu  dessen  Erklärung  die  wissenschaftlich  aufgestellten  schulgerechten  Erklä- 
rungsprincipe  bis  jetzt  nicht  hinreichen ,  ganz  und  gar  leugnen  ?  Dies  hiessc' 
doch  wahrlich  den  Eigendünkel  aufs  Höchste  treiben !  Der  einsichtsvolle, 
und  bescheidene  Naturforscher  muss  dagegen  eingestehen,  dass  unsere  Kennt- 
nisse über  die  Naturkräfte  noch  nicht  so  weit  vorgerückt  sind,  um  überall 
eine  befriedigende  Erklärung  ertheilen  zu  können.  Wirken  geistiges  und 
körperliches  Leben  in  ihrer  Verbindung  gegenseitig  nicht  auch  ausser  sich"? 
Kann  der  Mesmerismus  als  Thatsache  geleugnet  werden?  Unser  Wissen  ist 
hier  sehr  mangelhaft,  und  daher  geziemt  es  uns  wol,  ein  scharfes  und  ent- 
scheidendes Urtheil  über  so  Manches,  was  nach  dem  Volksglauben  in  Sym- 
pathie durch  das  allgemeine  Naturleben  noch  eine  Stütze  hat,  vorläufig, 
noch  zurückzuhalten;  dagegen  ists  Pflicht,  die  Thatsachen  zu  sammeln,  sie 
kritisch  zu  sichten  und  mit  Umsicht  und  Vorsicht  zu  versuchen,  sie  wissen- 
schaftlich zu  deuten.  Wenn  wir  beobachten ,  dass  heftige  Eindrücke  auf 
unsere  Seele:  Trauer,  Schrecken,  Furcht,  Angst,  die  an  sich  nichts  Ma- 
terielles sind ,  die  grössten  materiellen  Veränderungen  im  Körper  erregen 
können  und  somit  oft  die  traurigsten,  langwierigsten  Krankheiten  zur  Folge 
haben ,  —  wenn  wir  als  Thatsache  wissen ,  dass  heftiger  Ärger  der  stillen- 
den Mutter  die  vor  wenigen  Minuten  noch  ganz  gesunde  Muttermilch  der- 
gestalt zu  einem  Gift  umzuändern  im  Stande  ist,  dass  der  Säugling,  der  da- 
von trinkt,  plötzlich  an  Zuckungen  stirbt,  —  wie  dergleichen  Beispiele  an- 
geführt werden  können ,  —  wenn  wir  ferner  wahrnehmen ,  wie  Ansteckungs- 
stoft'e  auf  eine  oft  so  feine  und  daher  noch  räthselhafte  Weise  sich  verbrei- 
ten, oft  Jahre  lang  in  fremden  Hüllen  wirksam  bleiben  und  aufs  Neue  Epi- 
demien erregen  können ;  so  müssen  wir  auch  annehmen ,  dass  sehr  ^iele 
Krankheiten ,  die  durch  solche  imd  andere  feine  schädliche  Einflüsse  entste- 
hen ,  durch  ähnliche  feine,  aber  entgegengesetzt  wirkende,  also  wohlthätige 
Einflüsse  und'  ohne  Arzneien  aus  der  Apotheke  entfernt  werden  können. 
Mende  sagt  (s.  Mnsins'  Modic.  Kalender,  1814,  S.  93)  mit  Recht:  „Die 
sympathetischen  Curen  haben  einen  zu  grossen  Einfluss  aufs  allgemeine 
Wohl,  als  dass  wir  sie  ganz  mit  Stillschweigen  übergehen  könnten.  Man 
hat  nicht  ohne  Ursache  getadelt,  dass  meistens  Selbsttäuschung  oder  gar 
Betrügerei  dabei  zum  Grunde  liege,  dass  die  verordneten  Mittel  mit  der 
gehofften  Wirkung  auf  vernünftige  Weise  durchaus  in  keinen  ursächlichen 
Zusammenhang  zu  bringen  seyen,  und  dass  während  des  Gebrauchs  dieser 
Mittel  die  beste  Zeit  zu  einer  schnellen  und  gründlichen  Heilung  versäumt 
werde.  So  richtig  diese  Vorwürfe  im  Allgemeinen  sind,  so  wird  dennoch 
dabei  auf  die  unleugbare  Wirksamkeit  solcher  Curen  zu  we- 
nig Rücksicht  genommen,  und  es  giebt  daher  noch  einen  andern  Ge- 
sichtspunkt ,  von  dem  aus  man  sie  nothwcndig  betrachten  muss.    Man  kann 


GALVANISMÜS  -  855 

es  als  gewiss  annehmen,  dass  Einflüsse,  die  unter  gewissen  Umständen  eine 
wohlthätige  Wirkung  auf  den  inenschliciien  Körper  äusserten,  unter  andern 
Umständen  eine  naciitheilige  liervorbringen  können.  Sympathetische  Curen 
kann  man,  wenn  man  nicht  allen  Thatsachen  Hohn  sprechen  will,  ihre 
Heilkraft  in  einzelnen  Fällen  durchaus  nicht  absprechen."  Diese  Kraft  ent- 
springt, nach  Meiule,  hauptsächlich  aus  drei  \ erscliiedenen  Ursachen.  Die 
erste  ist  die  Wirkung  dieser  Curen  auf  das  geistige  Vermögen  des  Men- 
schen. Die  Aufmerksamkeit  wird  von  der  Krankheit  ab  -  und  auf  einen  an- 
dern Gegenstand  geleitet,  nämlich  auf  das  Heilverfahren ;  seine  Einbildungs- 
kraft wird  beschäftigt  und  die  Kraft  des  Willens  aufgerufen.  Die  zweite 
Ursache  liegt  in  der  Entfernung  aller  andern  Mittel,  was  bei  jeder  sympa- 
thetischen Cur  Bedingung  ist.  Betrachtet  man  das  Heilverfahren  des  gemei- 
nen Mannes,  ja  selbst  bisweilen  die  Mittel,  die  von  unsern  privilegirten 
Ärzten  verordnet  werden,  so  findet  man  häufig,  dass  sie  die  Krankheit,  ge- 
gen die  man  sie  anwandte,  nicht  heilen,  sondern  gegentheils  verschlimmern 
musstcn.  Man  denke  nur  an  die  unzählbaren  Salben  und  Pflaster,  die  ge- 
gen alle  Geschwüre  gebraucht  werden,  an  die  Menge  abführender  und 
schvveisstreibender  Mittel ,  mit  denen  der  Landmann  seinen  Körper  bestürmt, 
um  sich  leicht  zu  überzeugen,  dass  eine  Enthaltung  von  allen  diesen,  so 
häufig  schädUchen  Dingen  die  Heilung  seines  Übels  sehr  befördern  kann.  — 
Eine  dritte  Ursache  der  wohlthätigen  Wirkung  der  Sympathie  liegt  in 
gleichzeitig  angewandten  und  zur  Cur  gehörigen  Nebenmitteln,  die  aber  für 
unwichtig  gehalten  und  meist  übersehen  werden.  Bei  den  Mundschwämm- 
chen bespricht  man  z.  B.  das  Übel,  lässt  aber  den  Mund  zugleich  mit  einer 
schwachen  Auflösung  von  Alaun  ausspülen';  die  Rose  wird  gestillt,  d.  h. 
man  schlägt  aus  Stahl  und  Stein  Funken  auf  den  kranken  Theil ;  dann  wird 
alle  Nässe  vermieden  und  Papier  aufgelegt ,  worin  Bleiweiss  gewickelt  ge- 
wesen war.  Fussschäden  werden  mit  einem  Öl  bestrichen ,  lose  bedeckt  und 
zugleich  Ruhe,  gute  Diät,  Enthaltung  von  Spirituosis,  von  gesalzenen, 
schwerverdaulichen  Speisen  etc.  empfohlen.  Welcher  Einsichtsvolle  wird 
hier  den  wahren  Grund  der  Besserung  übersehen?  Curen  der  Art  haben 
daher  auch ,  zumal  beim  gemeinen  Manne ,  oft  Wunder  gethan ,  w  eil  sie 
nothwendige  Bedingungen  der  Heilung  herbeiführten,  die  vorher  versäumt 
■wurden}  in  den  höhern  Ständen  leisteten  sie  dagegen  oft  nichts,  weil  diese 
Bedingungen  ohnedies  schon  erfüllt  waren  und  die  Hindernisse  der  Besse- 
rung in  ganz  andern  Umständen  lagen.  Nach  Mende  vnd  Masius  giebt  es  ausser 
diesen  drei  mitwirkenden  Ursachen  der  Wirksamkeit  sympathetischer  Rlittel 
noch  eine  vierte,  die  freilich  von  Manchen  geleugnet  wird,  aber  dennoch  alle 
Aufmerksamkeit  verdient.  Dies  ist  die  unzuberechneude  Wirkung, 
die  aus  dem  Innern  Zusammenhange  aller  Dinge  und  aus  ih- 
rer, wenn  gleich  verborgenen  Sympathie  hervorgehend,  im 
menschlichen  Körper  oft  die  grössten  und  unerwartetsten 
Veränderungen  hervorbringt."  Die  erhabensten  Geister,  sagt 
Mende,  haben  einen  solchen  Zusammenhang  nicht  blos  geahnet,  sondern  sie 
haben  bewiesen ,  dass  die  Weltordnüng  und  die  Erhaltung  derselben  darauf 
mit  gegründet  sind.  Wie  klein  und  jämmerlich  erscheint  der  Klügler,  der 
unter  lauter  Wundern  mit  seinem  schwachen  Ve'rstande  allenthalben  an  der 
Grenze  des  Unbegreiflichen  steht  und  der  dennoch  das  Wunderbare  keck  zu 
leugnen  wagt!  Wenn  auch  nicht  die  Elektricität,  der  Galvanismus  und 
selbst  die  Erscheinungen  am  Magnet,  uns  den  Blick  in  ein  unermessliches 
Reich  von  Wirkungen  und  Veränderungen  eröifnet  hätten ,  deren  innete  Ur- 
sache wir  nicht  keimen;  so  würde  es  doch  lächerlich  seyn,  verborgene 
Kräfte  zu  leugnen,  blos,  weil  wir  sie  nicht  vollkommen  in  unserer  Gewalt 
haben  und  das,  was  sie  hervorbringt,  nicht  erklären  können.  Und  mit  die- 
sen Kräften  wagen  wir  leichtsinnig  umzugehen ;  ja !  wir  vertrauen  ihre  Ver- 
waltung den  rohesten  und  unwissendsten  Menschen!  Gleichen  wir  nicht 
hierin  den  Kindern,  die  mit  dem  Feuer  spielen,  ohne  seine  verderbliche 
Wirkung  zu  ahnen?  Die  Klugen  unter  uns  zucken  dabei  die  Schultern, 
ohne  dass  sie  es  der  Miihe  werth  halten,    auf  eine  so  wichtige  Sache  nur 


856  GALYANISMUS 

einmal  ihre  Aufmerksamkeit  zu  richten.  Betrachte  man  die  sympathetischen 
Curen  von  welcher  Seite  man  will ,  so  sind  sie  für  das  Wohl  und  das  Wehe 
der  Menschen  von  grosser  Bedeutung;  sie  müssen  aber,  sowie  sie  jetzt  be- 
nutzt werden,  unfehlbar  öfters  Unheil  anrichten.  Nur  dann  erst,  wenn  sie 
den  Pfuschern  und  dem  Pöbel  überhaupt  entrissen  sind ,  wenn  unsere  Arzte 
eie  zu  Gegenständen  imer  Untersuchung  und  Prüfung  machen  und  wenn 
daä ,  was  von  ihnen  unter  bestimmten  Umständen  zu  halten  ist .  in  unsern 
heilkundigen  Schulen  gelehrt  und  erörtert  wird;  nur  dann  erst  dürfen 
Kranke  den  grössten  Nutzen  davon  erwarten."  Masitis  a.  a.  O.  sagt ,  dass 
er  völlig  derselben  Meinung  sey,  und  setzt  hinzu:  „Es  giebt  freilich  selbst 
Ärzte ,  die  über  Sympathie  absprechen ,  wie  ein  Dorfküster ;  solche  Arzte 
hätten  aber  besser  gethan,  Dorfküster  zu  werden,  als  Ärzte."  —  Wirkten 
sympathetische  Mittel  nur  auf  Erwachsene  heilkräftig  ein ,  so  könnte  man 
sagen,  dass  hier  die  psychischen  Einflüsse,  der  Glaube,  das  Vertrauen  zur 
Cur  etc.,  dte  Hauptsache  wären.  Was  soll  man  aber  dazu  sagen,  wenn 
solche  Mittel  auch  bei  kleinen  Kindern,  die  doch  weder  Glaubens-,  noch 
hinreichende  Phantasie  -  oder  Verstandeskraft  besitzen,  ebenso  wirksam  sind? 
Ich  kenne  drei  verschiedene  sympathetische  Mittel  gegen  Leisten  -  und  Ho- 
densacksbrüche,  welche  ich  bei  mehreren  '/o,  1-  bis  5jährlgen  Kindern  mit 
dem  grössten  Nutzen  anwenden  sah,  und  die  ich  nachher  selbst  als  wirksam 
erprobt  habe ,  so  dass  von  jener  Zeit  an  die  Brüche  dieser  Kinder  ver- 
schwanden und  das  so  beschwerliche  Tragen  eines  Bruchbandes  nicht  nöthig 
war.  Alle  diese  sympathetischen  Mittel  sind  nach  meiner  Überzeugung  nur 
durch  Hervorrufung  elektrischer  und  magnetischer  Kräfte  wirksam;  man  be- 
haupte aber  ja  nicht,  dass  diese  Kräfte  hier  fehlen  müssten,  weil  sie  nicht 
grobsirmlich  in  die  Augen  fallen ;  vor  Oersted  glaubte  man  auch ,  dass  die 
geschlossene  Kette  der  Voltasäule  keine  Thätigkeit  äussere,  und  jetzt  wis-» 
sen  wir,  dass  gerade  sie  allein  die  merkwürdigsten  elektro  -  magnetischen 
Erscheinungen  darbietet.  In  derThat,  Wirdig  (a.  a.  O.)  hat  nicht  unrecht, 
wenn  er  die  diastatische  und  sympathetische  Cur  mit  der  magnetischen  iden- 
tificirt.  Ich  bin  der  festen  Überzeugung,  dass,  wenn  jemals  eine  wissen- 
schaftliche Begründung  dieser  Cur  möglich  ist,  wir  ausser  gehöriger  kriti^ 
scher  Sichtung  der  Thatsachen  diese  durch  Anwendung  der  anerkannten  und 
noch  zu  entdeckenden  elektrischen  und  magnetischen  Gesetze  auf  diese  Cu- 
ren möglich  machen  werden.  Ich  kenne  ein  sehr  feines  Reagens,  welchem 
zur  Prüfung  der  sympathetischen  Mittel  auf  elektro  -  magnetische  Kräfte  sehr 
nützlich  ist,  und  schliesse  diese  Abhandlung  mit  der  Bemerkung,  dass  ich 
durch  vieles  Nachforschen  verschiedene  sympathetische  Mittel  gegen  Nerven- 
übel, Blutflüsse  aller  Art,  gegen  Warzen,  Balggeschwülste,  Krämpfe,  ge- 
gen Gicht,  'Rheumatismus,  Veitstanz,  fallende  Sucht,  gegen  Gewächse, 
Gliedschwamm  ,  Blutschwamm ,  Krebs  und  andere  Krankheiten  .  genau  ken- 
nen gelernt  und  mich  selbst  in  mehreren  Fällen  von  ihrer  Wirksamkeit  über- 
zeugt habe;  auch  bin  ich  gern  erbötig,  denen,  welche  diesen  Gegenstand 
aus  besonderm  Interesse  genauer  kennen  zu  lernen  wünschen ,  hinreichende 
nähere  Auskunft  zu  geben.  —  Über  die  Anwendung  des  Galvanismus  zur 
Heilung  der  Stummen  und  Taubstummen  ist  eine  interessante  Schrift  vor- 
handen, betitelt:  C.  H,  Wolle,  Nachricht  von  den  zu  Jever  durch  die  Gai- 
vani  -  Voltaische  Gehör -Gebe- Kunst  beglückten  Taubstummen,  und  von 
S}rre!i</er''s  Methode,  sie  durch  die  Voltaische  Elektricität  auszuüben.  Olden- 
burg, 1802.  Das  Buch  belichtet  von  mehr  als  30  Taubstummen,  welche 
fast  alle  durch  recht  starke  Anwendung  galvanischer  Schläge  durch  Ohren 
und  Glieder  ihr  Gehör  wieder  erhielten.  Die  Säule  war  70  Düppelplatten 
stark  und  die  tägliche  Zahl  der  Schläge  betrug  600 —  1000.  Dass  hier- 
durch eine  ausserordentliche  Aufregung  des  Gehörorgans  erfolgen  musste, 
die  eine  Zeit  lang  wohlthätig  wirkte,  so  lange  der  künstbWie  Reiz  conti- 
nuirt  wurde,  ist  natürlich.  Mündliche  Nachrichten,  welche  ich  aber  aus 
Jever  erhielt,  berichteten  leider,  dass  die  meisten  jener  Taubstummen  bald 
wieder  in  die  frühere  Taubheit  zurückgefallen  seyen.  Mir  selbst  fehlt  es  an 
hinreichenden  Erfahrungen  über  diesen  Gegenstand;    doch  glaube  ich,   dass 


GAMMISMUS  —  GANGLION  857 

der  Galvanismus  bei  Surditas  torpida,  crescendo  und  später  decrescendo 
api)licirt,  recht  viel  leistet,  und  ich  fordere  daher  meine  CoUegen  zu  Ver- 
suchen auf. 

Oaminisiuus,  s.  Arenatio. 

Cran^liitis  (nicht  GnngUonitis).  Ist  jede  Ganglienentzündnng. 
Nissen  nennt  die  Cholera  orientalis  im  höhern  Grade  Gnvylionitis  medullnris, 
centralis,  den  gelindern  Grad  derselben  Gnnglionitis  neurilematis  seu  periphe- 
rica. Viele  chronische  Krampfübel  sind  von  Entzündungen  der  Nerven  und 
Ganglien  des  Unterleibes  abhängig,  z.  B.  von  einer  Entzündung  einzelner 
Partien  des  Vagus,  Sympathicus,  die  man  früher,  als  man  noch  nicht  so 
genau  secirte,  für  Spasmi  sine  materia  hielt. 

*  Ga^n^lioHt  Ganglium,  das  Überbein.  Ist  eine  kleine,  meist 
runde,  etwas  harte  Geschwulst,  ^Yelche  am  häutigsten  an  den  Extensoren 
der  Hände,  seltener  an  den  Füssen  entsteht,  von  der  Grösse  einer  Hasel- 
nuss  bis  Wallnuss  ist  und  an  den  langen  Flechsen,  die  eine  eigene  Scheide 
haben,  sitzt.  Die  Geschwulst  ist  in  der  Regel  elastisch  und  schmerzlos  und 
nur  bei  allmäliger  Zunahme  macht  sie  zuweilen  Störung  in  der  Function  des 
Gliedes  durch  äussern  Druck ,  entzündet  sich  und  erregt  oft  heftige ,  sich 
dem  ganzen  Glicde  mittheilende  Schmerzen.  Bei  der  anatomischen  Untersu- 
chung der  Geschwulst  findet  man  einen  eigenen  flechsigen ,  auf  der  Flech- 
senscheide sitzenden  Sack,  häufig  auch  eine  Spalte  in  letzterer,  und  im 
Sacke  eine  eiweissartige  Flüssigkeit,  die  aus  dem  ergossenen  Flechsensafte 
zu  bestehen  scheint.  In  seltenern  Fällen  ists  blos  eine  Erweiterung  der 
Flechsenhaut.  Die  häufigste  Veranlassung  ist  mechanische  Gewaltthä- 
tigkeit ;  bei  Frauenzimmern  entsteht  das  Übel  am  häufigsten ,  besonders 
durch  Anstrengungen  der  Hand  beim  Waschen ,  beim  Öffnen  schwerer 
Schlösser  etc.  Cur.  Bei  einem  kleinen,  noch  nicht  zu  alten  Überbein  sirtd 
reizende  Einreibungen  von  Opodeldok ,  Liniment,  volat.  camphor. ,  beson- 
ders aber  von  Unguent.  saponato-camphoratum,  verbunden  mit  einem  etwas 
starken  Druck  auf  die  Geschwulst,  hinreichend.  Man  befördert  dadurch  die 
Resorption  und  die  Verwachsung  der  leidenden  Stelle.  Der  Druck  wird 
auf  die  Weise  applicirt ,  dass  man  eine  plattgedrückte  Bleikugel  in  Lein^ 
wand  wickelt  und  mittels  einer  Cirkel binde  recht  fest  auf  , die  kleine  Ge- 
schwulst bindet.  Ist  die  Geschwulst  schon  gross  und  alt,  so  versuche,  man 
folgende  Salbe  zum  Einreiben:  I^  Sapon.  dumestivi  ^(^,  Tere  Uquef.  cl  nq. 
fönt.  q.  s.  adde  Spirit.  cnmphorat.,  —  sal.  amnion.  caust.  ana  §lli.  M.  Da- 
neben verordne  man  die. oben  beschriebeiie  Comprcssion,  die  man  focfwäh-i 
rend  anwenden  und  dabei  dreimal  täglich  die  Salbe  recht  warm  einreibea 
lässt.  Hilft  dieses  Mittel  binnen  vier  Wochen  nicht,  so  schlage  man  mit 
einem  Hammer  auf  das  Ganglion,  wodurch  es  oft  plötzlich  platzt  und  sich, 
zertheilt.  Besser  aber  ist  es,  dieses  heroische  Verfahren  zu  vermeiden  und 
statt  dessen  die  Haut  über  dem  Ganglion  zu  verschieben,  mit  der  Lanzette 
einzustechen,  die  Feuchtigkeit  in  die  benachbarte  Cellulosa  zu  drucken,  da- 
bei reizende  Einreibungen  anzuwenden,  die  Wunde  schnell  durch  Heftpfla- 
ster zu  vereinigen  und  dann  Compression  anzuwenden.  Auf  diese  Weise 
heilt  man  das  Ganglion  oft  sehr  schnell  und  die  Wunde  heilt  durch  schnelle 
Vereinigung  ohne  Eiterung.  Christian  Hoppe. 

Nachschrift  des  Herausgebers.  Selten  wird  das  Überbein, 
auch  von  Altern  Nervenknoten  genannt,  grösser,  als  ein  Taubenei. 
Der  einzige  Schriftsteller,  der  eines  von  der  Grösse  eines  Kindeskopfes  er- 
wähnt, ist,  wie  Heijfcldcr  behauptet-^  Jidcs  Cloquct.  Ihr  vorzüglichster  Sitz 
ist  der  Rücken  der  Hand  und  die  Handwurzel.  Bei  Dienstmädchen  kommen 
sie  zuweilen  unter  der  Kniescheibe,  in  der  Kniekehle,  an  der  Tuberositas 
tibiae  vor,  sowie  bei  Leuten,  die  viel  auf  den  Knien  beten  oder  arbeiten. 
Zuweilen  bleibt  das  Übel  Jahre  lang  schmerzlos  und  ohne  Veränderung, 
selbst  20 — SO  Jahre  liindurch  (./m?.  Cioquef^,  Zuweilen  sind  ausser  den 
mechanischen  Ursaclien  oder,  wo  diese  fehlen,  innere  Schuld,  besonders 
rheumatische ,  gichtische ,   gonorrhoische  Schärfe ;   alsdann  zeigen  sich  meh^ 


858  GANGRAENA 

rere  Gaiif^lion,  und  sie  nehmen  rasch  an  Grösse  zu.  Auch  auf  mctastatische 
Weise  können  sie  entstehen.  JE  ine  krallige,  vollblütige,  vierzigjährige  Frau, 
erzählt  Ucijfeldcr  (^liusfs  Chirurgie,  Bd.  VJl.  S.  651),  entwöhnte  ihr  Klud 
und  gebrauchte,  um  die  drückende  Milch  schnell  aus  den  Brüsten  zu  besei- 
tigen, mehrere  Stunden  kalte  .Umschläge  auf  die  strotzenden  Brüste.  Bald 
darauf  fühlte  sie  heftiges  Gliederreissen ,  das  nach  48  Stunden  zwar  nach- 
iess,  v\orauf  indessen  auf  beiden  Handrücken  mehi-ere  Geschwülste  sich  bil- 
deten, die  den  Ganglien  durchaus  ähnlich  waren,  bei  der  leisesten  Berüh- 
rung schmerzten  und  eine  röthliche  Flüssigkeit  enthielten,  wie  ein  Einstich 
in  dieselben  mich  überzeugte.  Ahnliche  Geschwülste  entstanden  bei  einem 
28jährigen  Älanne,  der  den  Tripperausfluss  durch  kalte  Umschläge  wäh- 
rend der  Entzündungsperiode  unterdrückt  hatte.  —  Die  Diagnose  der 
Ganglien  ist  leicht.  Ihr  Sitz,  ihre  Gestalt,  Farbe,  Beweglichkeit,  und  ihre 
Unempfindlichkeit  in  den  meisten  B^ällen ,  sowie  ihre  Verbindung  mit  einer 
Flechse,  sichern  vor  Irrthum.  „Hat  ein  Ganglion,  sagt  Heijfddcr,  seinen 
Sitz  in  der  Synovialhaut,  welche  die  Tendiiies  der  Flexoren  der  Finger 
umgiebt,  so  ptiegt  es  wol  aus  zwei  Abtheilungen  zu  bestehen,  von  welchen 
die  eine  in  die  Handfläche  hinabsteigt,  während  die  andere  über  dem  Liga- 
mentum carpi  annulare  auf  den  Vorderarm  hinaufsteigt.  Sucht  man  in  ei- 
nem solchen  Falle  die  obere  Partie  zu  comprimiren,  so  wird  die  untere 
grösser  und  mehr  gespannt;  comprimirt  man  dagegen  die  untere,  so  er-» 
scheint  die  obere  mehr  gespannt ;  dabei  fühlt  man.  deutlich  eine  Art  Fluctua- 
tion,  und  enthält  das  Ganglion  auch  jene  knorpelartigen  Körperchen,  so 
bemerkt  man  ganz  deutlich  ein  Rauschen  von  dem  Durchgang  derselben 
durch  den  engen  Canal,  welcher  beide  Geschwulstpartien  mit  euiander  ver- 
bindet." Eine  Verwechselung  der  überl>eine  mit  kleinen  Balggeschwülsten 
kann  nicht  gut  stattfinden,  weil  letztere  höchst  selten  in  der  Nähe  eines 
Tcndo  gefunden  werden  und  nie  mit  ihm  zusammenhängen.  Jules  Cluqtiet 
■warnt  vor  einer  Verwechselung  mit  Synovialge.schwülsten ,  welche  in  der 
Nähe  der  Gelenke  von  der  Anhäufung  des  Synovialschleims  in  einem  Bruch- 
sacke entstehen,  der  sich  dadurch  bildet,  dass  die  Synovialhaut  durch  eine 
Öffnung  der  benachbarten  Bänder  vorfällt.  Man  erkennt  diese  Geschwülste 
am  besten  daran ,  dass  sie  unter  einem  von  allen  Seiten  angebrachten  Druck 
gänzlich  verschwinden.  —  Die  Curmethodeu  der  Überbeine  sind,  je  nach 
den  Umständen:  Zertheilung,  Compression,  Injection,  Exstir- 
pation,  das  Haarseil  oder  die  Zerdrückung.  Jules  Chquct  liess  Ka- 
lihandbäder  nehmen  und  drei  Monate  lang  graue  Quecksilbersalbe  einreiben, 
und  die  Zertheilung  erfolgte.  Denselben  guten  Erfolg  sah  iiiist  schon  nach 
dem  anhaltenden  Tragen  eines  stark  klebenden  Pflasters.  Soll  die  Zeithei- 
lung rascher  bewirkt  werden,  so  muss  stets  gleichzeitig  Compression 
angewandt  werden.  Die  Zerrelssung  des  Sacks  ist  wegen  des  Drucks 
schmerzhaft,  auch  pa.sst  sie  nicht,  wenn  im  Balge  knorpelige  Theil- 
chen  enthalten  sind,  weil  diese  sehr  schwierig,  resorblrt  werden.  Die  An- 
wendung des  Haarseils  hinterlässt  oft  bösartige  Geschwüre,  weit  bes- 
ser ist  in  den  Fällen,  wo  die  Zertheilungsversuche  fehlschlugen,  der 
Einstich,  wodurch  das  Fluidum  aus  dem  Balge  entfernt  und  dann 
durch  Einspritzen  von  warmem  Rothwein ,  wie  bei  Hydrocele ,  adhäsive 
Entzündung  und  radicale  Heilung  bewirkt  wird  (^HeiffeUler).  Sind  die  Gan- 
glien gross,  schmerzhaft  und  hindern  sie  die  freie  Function  des  Gliedes,  so 
kann  man  sie,  wenn  jene  Jnjcctionen  nichts  fruchteten,  auch  völlig  exstir- 
j)iren,  gerade  wie  eine  Bnlggoschwulst,  worauf  man  per  prunam  inlentionem 
zu  heilen  sucht,  oder  sie  in  Eiterung  setzt;  doch  ist  ersteres  vorauziehen, 
•weil  leicht  üble  Geschwüre  folgen.  Macht  das  Überbein  keine  Beschwerde, 
so  i.sts  am  besten,  es  ruhig  sitzen  7.\i  lassen,  zumal  wenn  sein  Sitz  die  hohle 
Hand  ist  oder  die  Sehnen  der  Beugemuskeln  der  Fhiger ,  weil  Ste'dheit  des 
Gliedes  darauf  folgen  kann. 

Ciaiiji^i'nena/  et  l^^iiliacclus,  der  heissc  und  der  kalte  Brand. 
Unter  Bmiid  im  Allgemeinen  verstehen  wir  partiellen  Tod  (Mortificatio), 
wo  das  Subjcct  noch  Icbt^   ubor  ein  'i'heil  des  Körpers  zu  Cadaver  gewor- 


GÄNGRAENA  859 

Ite  ist;  dagegen  nennen  die  Alten  auch  das  Carcinom,  den  Herpes  exedens 
und  verschiedene  bösartige  Geschwüre  Gangrän.  Für  die  Praxis  ist  dio 
genane  Unterscheidung  zwischen  Gangrän  und  Sphacelus  sehr  wichtig,  und 
mit  Unrecht  haben  die  neuern  Wundärzte  diese  von  den  Alten  angenommene 
Eintheilung  zu  wenig  berücksichtigt.  Denn  bei  der  Gangrän  ist  im  leiden- 
den Theile  noch  Empfindung,  Biutumlauf,  und  es  ist  noch  möglich,  diesen 
Theil  zu  retten j  beim  Sphacelus  ist  der  leidende  Theil  verloren,  er  ist  todt 
und  unsex-e  Behandlung  muss  nur  dahin  gerichtet  seyn/  die  noch  lebenden 
benachbarten  Theile  zu  schützen,  dass  sie  nicht  gleichfalls  in  Brand  über^- 
gehen  (^Kraus).  Der  praktische  Arzt  und  Wundarzt  muss  es  sich  vorzüglich 
angelegen  seyn  lassen ,  sich  ein  treues  Bild  von  dem  ganzen  Verlaufe  des 
Brandes,  von  dem  Übergange  gewisser  Entzündungen  in  den  heissen  Brand» 
von  der  Bildung  dieses  Brandes  (^Gani/racnosis')  sowol  mit  als  ohne  vorher- 
gegangene Entzündung,  und  von  dem  av eitern  Verlaufe  desselben  bis  zum 
wirklichen  Absterben  (^Sphacelus)  zu  entwerfen,  um  früh  genug  diese  Zufälle 
zu  erkennen  und  die  zweckmässigsten  Mittel  zur  Erhaltung  des  leidenden 
Thcils  anzuwenden.  Der  Brand  im  engern  Sinne,  d.  i.  der  kalte  Brand,  so^ 
vVol  in  den  weichen  als  festen  Theilen  (Sphacelus;  Necrosis)  ist  demnach 
der  örtliche  Tod  eines  Körpertheils ,  d.  i,  derjenige  Zustand ,  wo  in  ihm  alle 
organische,  sensible  sowol  als  vegetative,  Lebenskraft  aufliört  und  nun  der 
Chemismus  in  dem  vom  Leben  Abgeschiedenen  freies  Walten  bekommt  (Tfl 
Sprengel^.  Hierdurch  unterscheidet  sich  der  Brand  auf  das  schärfste  vod 
der  Lähmung  und  der  örtlichen  Asphyxie ,  bei  w  eichen  Zuständen  einige  or'+ 
ganische  Thätigkeit  noch  fortdauert,  wenn  sie  auch  äusserlich  wenig  sicht- 
bar ist  und  oft  kaum  bemerkt  werden  kann;  wobei  namentlich  das  vegetar- 
tive  Leben  stets  noch  in  solchem  Grade  zugegen  ist ,  dass  der  Chemismus 
keine  Gewalt  über  den  ergriffenen  Theil  erhalten), '  und  also  keine  Verwe- 
sung eintreten  kann.  Eintheilung  des  Brandes.^ i^Ist  sehr  wichtig.  1)  Mjui 
theilt  den  Brand  in  den  feuchten  und  trocknen ,  'ufeint  erstem  Gangraena, 
letztern  Sphacelus;  besser  ists  aber,  uuter  Gangrän  den  heissen  Brandj 
wo  die  Lebenskräfte  noch  nicht  völlig  erloschen  sind  und  der  in  der  Regel  die 
Folge  vorhergegangener  Entzündung  ist,  unter  Sphacelus  aber  den  trock-, 
nen  Brand,  d.  i.  den  völligen  partiellen  Tod  zu  verstehen  {CfieUiis).  [Noch 
besser  ists,  wenn  wir  den  feuchten  Brand  Gangraena  humida,  Sphacelus 
humidus,  den  trocknen  Gangraena  sicca,  Sphacelus  siccus  nennen;  denn 
mancher  Brand  ist  auch  in  seinem  ganzen  Verlaufe  entweder  ein  feuchter 
oder  ein  trockner.  Most].  Beim  feuchten  Brande  wird  das  Todte  auf  eine 
Weise  entmischt  und  zersetzt,  welche  ganz  analog  ist  der  feuchten  Verwe- 
sung bei  vollsaftigen  Leichen ;  beim  trocknen  dagegen  findet  keine  wirkliche 
faulige  Verwesung,  sondern  mehr  Austrocknung,  Verdorrung  statt,  analog 
dem  Zustande  von  Leichen  magerer  und  trockner  Personen ,  die  in  Bieikel- 
lern  oder  sonst  an  Orten  aufbewahrt  werden ,  wo  die  zur  Fäulniss  noth- 
wendigen  Bedingungen  fehlen.  Er  entsteht  am  häufigsten,  wenige  Fälle 
ausgenommen ,  ohne  alle  vorhergegangene  Entzündung.  2)  Es  giebt  einen 
entzündlichen  und  nicht  entzündlichen  Brand.  Ersterer  ist  häufig 
nur  ein  hoher  Grad  von  Entzündung,  die  in  Gangrän  überzugehen.  Miene 
macht.  S)  Der  wichtigste  Unterschied  bezieht  sich  auf  die  Ursachen,  und 
wir  müssen  demnach  zwei  Reihen  von  Arten  des  Brandes  aufstellen,  deren 
erste  solche  Brandarten  enthält,  welche  aus  örtlichen,  gewöhnlich  mechani- 
schen oder  chemisch- dynamischen  Ursachen  hervorgehen,  während  in  der 
zweiten  diejenigen  Brandarten  zusammengefasst  werden,  welche  aus  innerti 
allgemeinen  und  gewöhnlich  rein  adynamischen  Ursachen  erzeugt  werden.  In 
beiden  kommt  Gangrän  und  Sphacelus,  entzündlicher  und  nicht  entzündli- 
cher Brand  vor.  Symptome  und  Diagnose.  Die  charakteristischen 
Zeichen  des  wirklichen  Brandes  sind  dieselben  der  Verwesung :  der  brandige 
Theil  hat  Gefühl,  Empfindung,  Wärme  verloren,  \Yird  missfarbig  und  meist 
faul  und  stinkend.  Da  der  Brand  häufig  der  Ausgang  der  Entzündung  ist, 
so  interessirt  uns  die  Gangrän  weit  mehr  als  der  Sphacelus.  Der  sehr 
schmerzhafte,  heftig  entzündete  Theil  verliert  plötzlich  allen  Schmerz,  wird 


860  GANGRAENA 

<lunkelroth,  bleifarbig,  schwärzlich,  verliert  den  Turgor  vitalis  ,  ist  teigig 
anzufühlen,  so  dass  ein  angewandter  Druck  mit  dem  Finger  Gruben  darii 
zurücklässt.  Es  bilden  sich  kleine  Blasen,  welche  ein  schwarzes  Wassei 
enthalten  ,  die  Epidermis  lässt  sich  mit  leichter  Mühe  wegnehmen ,  oft  aucl: 
folgen  tiefer  liegende  Theile  nach,  ohne  dass  der  Kranke  schmerzhafte  Em- 
pfindungen äussert.  Der  Theil  verliert  neben  seiner  Spannkraft  auch  seint 
Function ,  verbreitet  einen  aashaften  Geruch ,  der  Kranke  ist  sehr  erschöpft 
und  sehnt  sich  nach  Ruhe.  Zuweilen  fühlt  er  sich  aber  auch  ganz  wohl, 
glaubt,  dass  es  sich  mit  ihm  bessere,  weil  der  Schmerz  nachgelassen,  ver- 
nachlässigt daher  oft  den  Brandschaden,  ist  ziemlich  gleichgültig;  der  Puls 
klein,  schnell,  aussetzend;  dabei  abwechselnde  kleine  Frostschauer,  kalte 
Extremitäten ,  kalte  Schweisse ,  Sehnenhüpfen.  Hier  ist  die  Lebensgefahr 
sehr  gross.  Ursachen.  Alles,  was  einen  zu  heftigen  Grad  von  Entzün- 
dung, Hemmung  der  Circulation,  Schwäche,  Unterdrückung  der  Nerven- 
thätigkeit  und  dadurch  Verminderung  und  Erlöschen  der  Lebenskraft  in  ir- 
gend einem  Theile  des  Organismus  bewirkt ,  kann  Brand  erregen ,  z.  B.  ein 
hoher  Grad  von  Entzündung,  besonders  der  rosenartigen,  wenn  diese  mit 
nassen  Umschlägen ,  mit  reizenden  Pflastern  und  Salben  behandelt  wird ; 
complicirte  Beinbrüche,  Schusswunden  mit  Knochenzersplitterung,  bedeu- 
tende Verbrennungen,  Frostbeulen,  grosse  Quetschungen,  bedeutende,  mit 
Commotio  corporis  verbundene  Verwundungen ,  alle  diese  Übel  werden  leicht 
brandig,  besonders  wenn  zugleich  unreine  Luft  im  Krankenzimmer  einwirkt, 
oder  gar  eine  Contagion  (Hospitalbrand),  wenn  der  Kranke  schwächlich  und 
erschöpft  ist  und  seine  Lebenskraft  durch  schwächende  Einflüsse  aller  Art: 
Ausschweifungen,  Hunger,  Noth,  Elend,  Furcht,  Säfteverlust,  Status  pi- 
tuitosus,  gastricus,  Faulfieber  gelitten  hat  oder  noch  leidet.  Auch  das  Al- 
ter und  seine  Gebrechen  (Marasmus)  sind  häufig  die  alleinige  Ursache  des 
Brandes;  desgleichen  Zerstörung  der  Erregbarkeit  eines  Theils  durch  starke 
Reize:  Blitzstrahl,  dui^ch  verschiedene  thierische,  vegetabilische  und  minera- 
lische Gifte,  durch  Raphanie,  durch  den  Genuss  des  Mutterkorns,  des  Tau- 
niellolchs  etc.  Behandlung  des  Brandes.  Wir  haben  hier  fünf  Indica- 
tionen  zu  erfüllen :  «)  die  prophylaktische.  Sie  ist  höchst  wichtig ;  wir 
müssen  den  Brand  verhüten ,  wo  sein  Eintreten  zu  befürchten  steht.  Eine 
richtige  Behandlung  der  Entzündung,  wo  wir  weder  übermässig  schwächen; 
noch  zu  früh  reizen,  bleibt  hier  Hauptsache  (s.  Infi  ammatio).  fc)  Die 
palliative  Behandlung ,  d.  i.  wir  beschränken  das  Fortschreiten  des  schon 
eingetretenen  Brandes;  c)  Beförderung  der  Abstossung  und  Entfernung  des 
Brandigen,  Abhaltung  seines  Einflusses  auf  die  gesunden  benachbarten  Theile; 
d)  Unterstützung  der  Lebenskräfte,  überhaupt  Berücksichtigung  des  Allge- 
meinbefindens durch  zweckmässige  innere  Mittel ;  c)  endlich  sorgen  wir  für 
die  Heilung  des  zurückgebliebenen  Geschwürs  und  suchen  wo  möglich  den 
Substanzverlust  zu  er.setzen.  Dass  wir  vor  Allem  die  etwa  noch  einwirken- 
den schädlichen  Ursachen  des  Brandes  entfernen  müssen ,  versteht  sich  von 
selbst.  Ausserdem  ist  hier  Folgendes  zu  berücksichtigen:  1)  Man  hüte  sich 
ja,  den  Theil  für  schon  völlig  brandig  zu  halten,  wenn  nur  Gangränescenz 
da  ist.  Ging  eine  heftige  Entzündung  vorher  und  ein  inflammatorisches 
Fieber,  ist  das  Subject  jung  und  kräftig,  entstand  die  Gangrän  nach  äus- 
sern Verletzungen,  ist  noch  nicht  alle  Wärme  und  Empfindung  im  leidenden 
Theile  verschwunden ,  so  kann  nur  ein  angemessenes  antiphlogistisches  Ver- 
fahren und  der  Gebrauch  erweichender  Überschläge  das  Fortschreiten  des 
Brandes  verhüten  (^Chelins}.  3)  Wird  ein  entzündeter  Theil  durch  unnach- 
giebige Aponeurosen  eingeschnürt,  so  können  allein  tiefe  und  grosse  Ein- 
schnitte der  Entwickelung  und  weitern  Ausbreitung  des  Brandes  Grenzen 
setzen.  3)  Um  das  wirklich  Todte  von  den  gesunden  Theilen  zu  trennen, 
sind  Einschnitte,  Umschläge,  antiseptische  und  eiterbefördernde  Mittel  etc. 
nach  Umständen  nothwendig.  Die  Einschnitte  mache  man  bis  auf  die  ge- 
sunden Theile,  antputire  aber  nicht,  wie  ehemals  üblich  war,  den  brandi- 
gen Theil,  da  die  Natur  die  Grenze  zwischen  dem  Lebendigen  und  Todten 
besser   als  die  Kunst  kennt.     In  diese  Einschnitte  streuen  wir  Pulv*>r  aus 


GANGRAENA  861 

^hina,  Kampher,  Salmiak,  Myrrhe,  Cort.  salic. ,  quercus,  Alaun  u.  dergl. ; 
B.  bei  feuchtem  Brande  folgendes:  ^f  Snl.  anvnoniaci  dep.,  Gumm.  viyr- 
hac,  Camphorae  ana  Sjj-  M.  f.  pulv.  S.  Zum  Einstreuen  in  die  Einschnitte 
Hoppe).  Ausserdem  wenden  wir  Foraentationen  von  Decoct.  chinae,  quer- 
us,  salic,  hippocast. ,  mit  Zusatz  von  Roth  wein,  Spirit.  camphorat.,  Tinct. 
>der  Extr.  myrrhae,  von  Acid.  citri,  muriat. ,  sulphuric.  dilut.  an.  Auch 
ler  rohe  Holzessig  ist  neuerlich  ganz  vorzüglich  empfohlen  worden ;  ferner 
st  das  Pulv  carbon.  ligni  til.  bei  feuchtem  Brande  sehr  gut  zum  Einstreuen, 
ihd  dabei  gährende  Breie,  welche  Kohlensäure  entwickeln,  z.  B.  Bierhefen 
u  Umschlägen  {Most).  4)  In  vielen  Fällen  reichen  aromatische  und  feucht- 
varme  Überschläge  und  gehörige  Reinigung  bei  jedesmaliger  Erneuerung 
les  Verbandes  aus.  Dadurch  wird  am  besten  der  cadaverose  Geruch  ver- 
nindert;  dagegen  vermehrt  ihn  häufig  das  Einstreuen  der  genannten  anti- 
eptisehen  Pulver,  sobald  diese  nicht  bei  jedem  Verbände  entfernt  werden; 
l^nn  wenn  sie  theil weise  vertrocknen  und  in  den  Einschnitten  sitzen  blei- 
)en,  verhindern  sie  nur  den  freien  Ausfluss  der  Brandjauche  (CÄe/iws). 
))  Wenn  der  Brand  trocken  ist,  so  passen  weder  Einschnitte,  noch  nasse 
Zementationen;  auch  die  Salze  zum  Einstreuen  sind  hier  schädlich.  Man 
.erbinde  hier  mit  Salben  reizender  Art,  mit  Unguent.  de  styrace,  Bals.  Ar- 
;aei ,  Ol.  terebinthinae  {Himlij).  6)  Hat  sich  das  Todte  von  dem  Gesun- 
ien  getrennt,  was  die  Furche  in  der  Peripherie  des  Brandigen  anzeigt,  so 
rerbindet  man  mit  Unguent.  digestivum,  damit  die  Eiterung  besser  von 
■Statten  geht,  der  brandige  Theil  immer  mehr  zusammenkriecht,  zuletzt  ab- 
fällt und  ein  reines  Geschwür  mit  Granulationen  zurückbleibt,  dessen  Hel- 
ung  nach  den  bekannten  Kunstregeln  befördert  wird  (s.  Abscessus  und 
Ulcus).  7)  Was  die  innere  Behandlung  betrifft,  so  ist  der  Brand  häufig 
mit  allgemeiner  Entkräftung,  Febris  nervosa,  putrida  verbunden;  daher  hier 
besonders  Decoct.  chinae  mit  Infus,  arnicae,  valerianae,  serpentarlae,  Wein, 
Kampher,  MineraLsäuren  etc.  nothwendig  sind  (s.  Febris  putrida).  Sind 
zu  Anfange  des  Brandes  Sordes  primarum  viarum  da,  so  versäume  man  ja 
das  Brechmittel  nicht.  Entsteht  nach  dem  Genüsse  des  Weins,  nach  den 
reizenden  Arzneien,  nach  Serpentaria ,  Kampher,  schneller  Puls,  grosse 
Unruhe,  starke  Fieberhitze,  so  passen  sie  nicht.  Hier  dienen  innerlich  Ar- 
nica,  Mineralsäuren  und  eine  weniger  reizende  Diät.  Zuweilen  ist  beim 
Brande  eine  Febris  nervosa  ercthistica,  besonders  bei  zarten  Subjecten,  wo 
spasmodische  Zufälle  eintreten.  Hier  passen  Moschus ,  kleine  Dosen  Pulv. 
Doweri,  Sal  volatile ,  Mineralsäuren  {Most).  Die  besondern  Arten  des 
Brandes  erfordern  manche  Modificationen  und  genauere  Berücksichtigun- 
gen in  der  Wahl  der  Heilmittel;  daher  ihrer  hier  besonders  gedacht  wer- 
den muss. 

Gangrnena  aqunticn.  So  hat  man  wol  den  sogenannten  Cancer  aquati- 
cus  oris  genannt,  der  mit  der  Gastromalacie,  der  Putrescentia  uteri  viel 
Ahnliches  hat,  ohne  vorhergegangene  Entzündung  entsteht  und  wodurch  der 
leidende  Theil  in  seinen  organischen  Gebilden  ohne  Unterschied  der  Stru- 
ctur  in  eine  glutinöse,  graulich  -  weisse  oder  ulceröse  Masse ,  was  auch  beim 
Hospitalbrande  der  Fall  ist,  verwandelt  wird  (s.  Stomacace).  Einige 
nennen  diese  Gangrän  auch  Gangrnena  alhescens  {Qnesnay)  und  haben  sie 
nach  starken  Blutflüssen  als  Folge  der  Depletion  und  neben  allgemeiner 
Wassersucht  ohne  vorhergegangene  Entzündung  entstehen  sehen  {Most). 

Gnngraena  contagiosa.  Der  contagiöse  Brand  entsteht  entweder 
durch  Milzbrandgift,  oder  durch  ein  schädliches  Miasma  in  Hospitälern,  oder 
durch  Typhuscontagium  bei  den  Verwundeten ;  s.  Gangraena  ex  pustula 
maligna  und  Gangr.  nosocomialis. 

Gangraena  ex  arlhritide  anomaln,  der  schmerzhafte  Brand  an  den 
Füs.sen,  entstanden  durch  anomale  Gicht,  der  Pott'sche  Brand.  Dieser  Brand 
ist  durch  Pott  und  KirMand  zuerst  beschrieben  (s.  PotVs  Sänimtl.  chir.  Werke; 
Bd.  II.).  Er  befällt  schon  Männer,  nicht,  wie  die  Gangraena  senilis,  nur 
Greise,  besonders  solche,  welche  früher  schon  an  Podagra  und  Gicht  gelit- 
ten  haben   und    von  Natur  sensibel,    reizbar   sind.     Symptome.     Heftige 


862  GANGRAENA 

reissende,  brennende  Schmerzen  am  Fusse,  als  wolle  sich  dos  Podagra  ein- 
stellen, die  oft  8 — 14  Tage  dauern.  Es  erhebt  sich  nun  eine  geringe  öde- 
matöse  Geschwulst,  die  Oberhaut  trennt  sich  bald  ab  und  es  bildet  sich 
ein  brandiges  Geschwür.  Dabei  stets  Schwächefieber,  heftige  Schmerzen  im 
Fusse ,  keine  Ruhe  bei  Tage  und  Nacht ,  sehr  frequenter  Puls ,  grosse  Mat- 
tigkeit und  oft  schon  der  Tod  durch  Erschöpfung ,  ehe  noch  der  Brand  weit 
um  sich  gegriffen  hat.  Ursache.  Anomale,  schlecht  entwickelte  Gicht 
bei  schwachen,  reizbaren  Subjecten.  Kleine  Verletzungen  des  Fusses,  einer 
Zehe  etc.  geben  oft  die  erste  Veranlassung.  Cur.  Innerlich  grosse  Dosen 
Opium  (^Pott),  äusserlich  Breiumschläge  von  Capit.  papav.  in  Milch  gekocht. 
KirlJanä  gab  Opium ,  abwechselnd  mit  Kalomel.  Die  China  und  die  anti- 
septischen äusserlichen  Fomentationen  sind  stets  nachtheilig. 

Gangrnenn  ex  comImsHonc ,  Brand  durch  Verbrennung,  durch 
Feuer,  durch  andere  chemische  Schädlichkeiten:  Vitriolöl ,  kaustisches  Kali 
etc.  Ist  in  der  Regel  trocken ,  erfordert  die  Cur  der  Verbrennung  im  vier- 
ten Grade  und  zu  Anfange  antiphlogistische  und  eitermachende  Mittel;  8. 
Combustio. 

Gangraciia  ex  decuJjüu,  Deculitus  gangraenosnis ,  Brand  vom  Durch- 
liegen, Aufliegen,  entstanden  durch  Druck,  besonders  am  untern  Thcile 
des  Rückens  bei  langwierigem  Krankenlager,  allgemeiner  Schwäche,  bösar- 
tigen Fiebern,  Marasmus.  Cur.  Man  verhütet  das  Übel  durch  zweckmässige 
äussere  und  innere  Mittel  (s.  Decubitus).  Um  verschwärende  Resorption 
zu  verhüten ,  verbindet  man  mit  Zink  -  und  Bleisalben ,  vermischt  mit  Kam- 
pher und  Opium;  bei  tiefer  Exulcei'ation  passen  aromatische  Überschläge 
von  Flor,  chamomillae,  Herb,  roris  marini,  bei  wirklichem  Brande  eine  Salbe 
aus  Eigelb,  Ol.  terebinthinae  und  Kampher.  Daneben  die  innere  Behand- 
lung des  Allgemeinleidens. 

Gangraenn  ex  impedita  sanguinis  circulaiione ,  Brand  durch  aufge- 
hobenen Kreislauf.  Entsteht,  wenn  Blutgefässe  und  Nervenstämme  ei- 
nem zu  lange  anhaltenden  Drucke  (durch  festen  Verband,  durch  die  Ligatur 
und  Torsion  grosser  Gcfässe  zur  Heilung  des  Aneurysma,  durch  Tourni(iuet, 
grosse  Gewächse  etc.)  ausgesetzt  sind,  woduich  das  Fortstroraen  des  Bluts 
verhindert  und  Tödtung  der  Nerven  veranlasst  wird.  Cur.  Man  suche, 
wo  möglich,  die  den  Kreislauf  stöi-enden  Hindernisse  zu  entfernen  und  die 
gleichsam  paralysirten  Theile  durch  reizende  Eini'eibungen  und  Fomentatio- 
nen zu  beleben.  Zuweilen  gelingt  es  so ,  das  Auastomosiren  der  kleinern 
Arterien  wieder  herzustellen,  womit  schon  viel  gewonnen  ist.  Ist  schon 
Gangrän  wirklich  da,  so  behandle  man  diese,  mache  aromatische  Fomenta- 
tionen etc. 

Gangraenn  ex  sugillatione,  Brand  nach  Quetschungen.  Entsteht, 
wenn  ein  Theil  des  Körpers  durch  bedeutende  Gewalt  zerstört  oder  verletzt 
worden  ist,  z.  B.  wenn  durch  grobes  Geschütz  ein  Glied  ganz  weggerissen, 
oder  bei  Scbusswunden  Knochen  verletzt  sind,  und  dabei  die  erste  Behand- 
lung nicht  zweckmässig  war,  oder  auch,  wenn  bedeutende  Quetschungen 
und  Blutunterlaufungen  schlecht  behandelt  worden  (s.  Ecchymoma).  Cur. 
Zu  Anfange  muss  das  Verfahren  im  Allgemeinen  antiphlogistisch  seyn;  ört- 
lich dienen  kalte  Umschläge;  allmälig  gehe  man  zu  den  sanft  reizenden  und 
belebenden  Mitteln  über,  wende  aromatische  spirituöse  Fomentationen  an, 
bis  sich  gute  Eiterung  einstellt.  Sind  Theile  ganz  weggerissen,  so  muss 
man  oft  amputiren,  und  zwar  so  hoch  am  Gliede,  als  man  gewiss  seyn  kann, 
dass  die  Erschütterung  und  Zersplitterung  nicht  bis  dahin  gedrungen  i.st. 
Knochensplitter  und  fremde  Körper  suche  man  auf  gelinde  und  schickliche 
Weise  zu  entfernen,  sonst  erregen  sie  allein  oft  den  Brand,  der  dann  nach 
den  allgemeinen  Regeln  zu  behandeln  ist. 

Gangraenn  ex  pernionihtis ,  Brand  nach  Frostbeulen,  durch  Er- 
frieren. Er  entsteht  am  häufigsten  dadurch ,  dass  die  erfrornen  Theile  oder 
der  erfrorne  ganze  Körper  zu  schnell  dem  Wechsel  von  der  Kälte  zur  Wärme 
ausgesetzt  worden ,  was  natürlich  den  örtlichen  oder  allgemeinen  Tod  zur 
Folge  haben  muss.     Cur.     Ist  die  der  in  Brand   übergehenden  Entzündung, 


r  GANGRAENA  863 

also  anfangs  noch  die  Antiphlogosis  mit  Berücksichtigung  der  Erfrierung  (s. 
Asphyxie  durch  Frost  und  Perniones). 

GoAigraena  ex  pitstnla  maliijnn ,  ex  vesicula  gnngraenescenic.  Der  Brand 
durch  die  sogenannte  schwarze  Blatter  oder  bösartige  Pustel, 
welcher  mit  der  Gangraena  nosocomialis  als  Gangraena  contagiosa  bezeichnet 
werden  kann ,  ist  Folge  der  örtlichen  Ansteckung  durch  Milzbrandcontagium. 
Zuerst  zeigt  sich  ein  rother  Punkt,  worauf  sich  schnell  ein  schwärzliche« 
Bläschen ,  mit  weisslichem ,  \iolettcm  Rande  und  ödematöser  Geschwulst  um- 
geben ,  bildet.  Dabei  wenig  örtlicher  Schmerz ,  aber  heftiges  Fieber  mit  Ir- 
rereden, Erbrechen,  Ohnmächten.  Da  die  Wolle  und  das  Fell  des  an  dem 
Milzbrande  oder  der  Blutseuche  crepirten  Viehes  die  Ansteckung  mittheilt, 
so  leiden  am  häufigsten  Metzger,  Hirten,  Gerber,  Wollarbeiter  an  der 
Krankheit.  Zuweilen  ist  nicht  immer  unmittelbare  Berührung  zur  Ansteckung 
noth wendig;  der  Genuss  des  Fleisches  von  solchem  kranken  Vieh  brachte 
manchmal  gar  keine,  manchmal  sehr  gefährliche  Zufälle  hervor.  Ob  das 
Gift  von  Älenschen  übertragen  werden  könne,  ist  noch  ungewiss.  Cur. 
Örtlich  Ausschneiden  der  Pustel,  Beizen  mit  Höllenstein ,  Glüheisen,  Fomen- 
tationen  von  Acid.  oxymurlat.,  Calcar.  oxymuriat. ;  innerlich  anfangs  ein  Vo- 
mitiv oder  Tart.  emetic.  in  refr.  dosi,  bei  Sinken  der  Kräfte  Arnica,  Ser- 
pentaria,  Mineralsäuren.     Ein  Mehreres  darüber  siehe  bei  Anthrax. 

Gangraena  externa.  Die  Prognose  des  äussern  Brandes  ist  im 
Allgemeinen  besser  als  die  des  inner  n,  wo  in  Folge  heftiger  ICntzündun- 
gen  edle  Eingeweide  in  Zerstörung  übergehen;  doch  ist  der  Brand,  wenn 
er  ein  ganzes  Glied  ergrilfen ,  häufig  auch  tödtlich.  Der  Brand  des  Ma- 
gens,  des  Gehii-ns,  der  Lungen  kommt  in  der  Praxis  höchst  selten  vor, 
weil  in  der  Regel  die  Heftigkeit  der  vorangegangenen  Entzündung  den  Tod 
herbeiführt,  ehe  es  zum  Brande  kommen  kann.  Dagegen  ist  partieller 
Brand  der  Gedärme,  besonders  als  Folge  einer  Hernia  incarcerata,  weit 
häufiger.  Die  wirkliche  Gangrän  der  Innern  Theile  muss  wohl  von  Mala- 
cosis  und  Melanosis  unterschieden  werden  (^Most)  (s.  diese  Art.  und  Gan- 
graena interna). 

Gangraena  heluonum ,  Brand  der  Schlemmer.  Er  entsteht  nur  sel- 
ten, stets  nur  bei  Personen,  die  bei  einer  sitzenden  Lebensart  sehr  gut  es- 
sen und  trinken.  Lange  Zeit  vorher  bemerken  solche  Menschen  viel  Träg- 
heit, Schläfrigkeit;  sie  bekommen  leicht  Adiposis  raorbosa  und  die  Symptome 
des  Brandes  sind  dann  ganz  so,  wie  bei  Gangraena  senilis  (s.  unten),  nur 
mit  dem  Unterschiede ,  dass  der  Verlauf  schneller  und  das  Übel  meist  un- 
heilbar ist.  Ursachen.  Alles,  was  frühes  Alter  herbeiführt,  besonders 
Onanie,  Ausschweifungen  im  Coitus.  Auch  bei  höchst  liederlichen  Subjecten, 
bei  Freudenmädchen ,  bei  Päderasten  hat  man  wol  diesen  Brand  nach  leich- 
ten Quetschungen  an  den  Gliedern ,  besonders  am  Fusse ,  gesehen.  Cur. 
Innerlich  Excitantia,  Roborantia,  China,  gute  Nutrientia,  Elix.  acid.  Hal- 
leri,  stärkende  Bäder,  daneben  äusserlich  spirituöse  aromatische  Mittel. 

Gangraena  Immida,  der  feuchte  Brand.  Er  unterscheidet  sich  vom 
trocknen  Brande  dadurch,  dass  sich  Brandblasen  mit  reissfarbigem  Wasser 
bilden,  welche  platzen  und  raissfarbige  brandige  Geschwüre,  mit  vieler  stin- 
kenden, die  nahen  Theile  zerstörenden  Jauche  erfüllt,  bilden.  Werden  diese 
fauligen  Säfte  in  die  allgemeine  Säftemasse  des  Körpers  eingesogen,  so  kann 
dadurch  secundär  ein  recht  bösartiges  Faulfieber  entstehen,  das  dann  meist 
mit  dem  Tode  endet.  Um  diese  Resorption  zu  verhüten,  wenden  wir  die 
austrocknenden  antiseptischen  Pulver  zum  Einstreuen  an,  z.  B.  i^  Carhoiu 
lign.  tu.,  Gummi  myrrh. ,  Cort.  chinac  rulr.  ana  5jj-  M.  f.  p. ,  und  sorgen 
dafür,  dass  die  Jauche  durch  tägliche  Reinigung  des  Verbandes  und  der 
Einschnitte  gehörig  abfiiessen  kann.  Ausserdem  leistet  Folgendes  zugleich 
als  Fomentation  gute  Dienste :  I^  Cort.  quere,  concin.  ^jjj ,  Coq.  c.  aq.  fon- 
tan.  gjj,  ut  rem.  fij,  col.  adele  Acidi  pyro-lignosi  5J.  M.  S.  Mit  Compres- 
ßcn  überzuschlagen  (M.). 

Gangraena  interna.  Der  innere  Brand  kann  in  allen  Höhlen  und 
Eingeweiden   stattfinden   als   Folge   eines    hohen   Grades    von   Entzündung. 


864  GANGRAENA 

Einige  nennen  auch  die  Malakosen,  die  neuroparalytischcn  Entzündungen 
(nach  Auteitrielh) ,  die  Neurophlogosen  (nach  Schöiücin)  Gangnän ,  aber  mit 
Unrecht,  z.  B.  die  Franzosen  die  Lungenerweichung  Gangiene  du  pouniou 
(Lacnnec,  Gendrin,  Bayle) ;  denn  hier  geht  keine  Entzündung  vorher,  ebenso 
wenig  als  bei  der  Gasti'omalacia  infantum  (s.  Malacosis  pulmonum  etc.). 
Die  Symptome,  welche  den  Übergang  heftiger  innerer  Entzündungen  in 
Brand  anzeigen,  sind:  plötzliches  Verschwinden  aller  Schmerzen,  ein  gerin- 
gerer oder  stärkerer  Schüttelfrost,  das  täuschende  Gefühl  von  Wohlbefin- 
den, Heiterkeit  des  Gemüths,  Geistesklarheit  (besonders  bei  Gangrän  im 
Unterleibe),  sehr  kleiner,  schwacher,  kaum  zu  fühlender  Puls,  kalte  Extre- 
mitäten, kalte  Schweisse  etc.  und  der  Tod  binnen  2*  Stunden.  Cur.  An 
Rettung  des  Kranken  ist  bei  wirklich  eingetretenem  Innern  Brande  nicht  zu 
denken,  nur  durch  Verhütung  dieses  Zustandes,  durch  richtige  Behandlung 
der  Inüammatio  interna,  der  Pneumonie,  Gastritis,  Hepatitis,  Enteritis, 
Encephalitis  etc.  können  wir  das  Leben  retten.  Dass  der  Lungenbrand  nicht 
immer  die  Folge  eines  hohen  Grades  von  Pneumonie,  sondern  zuweilen  nur 
in  einer  eigenthümlichen  Modification  der  Entzündung  begründet  sey,  dafür 
sprechen  die  Beobachtungen,  dass  robuste  Männer  wochenlang  an  Blutspeien 
und  Husten  ohne  bedeutendes  Fieber  litten ,  und  plötzlich  die  Expectoration 
höchst  stinkend  wurde  und  durch  kein  Mittel  zu  verbessern  war,  worauf 
bald  der  Tod  folgte  und  die  Section  den  Lungenbrand  nachwies  (s.  .7.  L. 
C.  Schröder  van  der  Kolk,  Observat.  anatondco -  pathologici  et  practici  ar- 
gumenti.   Amstelod.  1826.  Fascicul.  I.). 

Gangracna  metnstatica ,  der  metastatische  Brand.  Ist  eine  sehr 
seltene  Erscheinung,  tritt  fast  immer  schmerzlos  auf  und  macht  sich  da- 
durch bemerkbar,  dass  er  mit  dem  Gefühl  von  Kälte,  Taubheit,  Einge- 
schlafenseyn  und  Schwere  des  Gliedes  erscheint,  worauf  dann  gewöhnlich 
schon  eine  bedeutende  Portion  der  untern  Extremität  missfarbig  und  kalt 
gefunden  wird.  Dieser  Brand  beginnt  an  den  Fusszehen ,  geht  bald  über 
den  ganzen  Fuss ,  schreitet  nach  Oben  über  das  Knie ,  der  ganze  Schenkel 
wird  bleifarbig  uud  schwarz,  beim  Einschneiden  kommt  nur  wenig  schmu- 
zige  Jauche ;  er  ist  also  ganz  dem  Sphacelus  analog ,  der  ohne  vorherge- 
gangene Entzündung  entsteht.  Cur.  Innerlich  und  äusserlich  die  kräftig- 
sten Excitantia,  Roborantia,  Antiseptica  (s.  Cooper's  Handb.  d.  Chirurgie; 
Art.  Mortification.  Tho7nson,  Über  die  Entzündung.  A.  d.  Engl,  von 
Kruclenhcrg.    Halle,   1820  u.  1821;  Bd.  II.  S.  288). 

Gangraenn  nosocomialis ,  der  Hospitalbrand.  Er  entsteht  gewöhn- 
lich an  solchen  Orten,  wo  viele  Kranke  und  Verwundete  zusammengedrängt 
sind  und  wo  das  Contagium  des  Typhus ,  Fleckfiebers ,  auf  die  Wunden  und 
Geschwüre  der  V'erwundeten  einwirkt,  daher  vorzüglich  in  grossen  Lazare- 
then ,  Hospitälern ,  zur  Kriegszeit.  Aber  auch  ausserdem  kann  durch  inficirte 
Kleidungsstücke,  Bandagen,  Charpie  das  Contagium  verschleppt  werden 
und,  kommt  es  mit  Wunden  in  Berührung,  die  leichteste  Verwundung,,  das 
unbedeutendste  Geschwür  brandig  machen.  Dass  Luftconstitution ,  Witte- 
rung und  Klima  auf  die  Entwickelung  und  den  Charakter  des  Hospitalbran- 
des Einfluss  haben,  leidet  keinen  Zweifel;  ja,  zuweilen  scheint  sich  neben 
Unreinllchkeit  dadurch  allein  ein  Miasma  zu  entwickeln,  das  diesen  Brand 
erregt,  ohne  dass  ein  wirkliches  Typhuscontagium  nachgewiesen  werden 
kann  (Most).  Der  Verlauf  dieses  Brandes  ist  im  Allgemeinen  folgender: 
Die  wunden  Stellen  werden  schmerzhaft ,  die  Ränder  schwellen  an ,  werfen 
sich  etwas  um  und  bekommen  ein  röthlich- blaues,  violettes,  schwärzliches 
Ansehn,  und  der  Grund  der  so  inficirten  Wun(^en  und  Geschwüre  ist  mit 
einem  klebrigen,  schmuzigen ,  aschgrauen  Schleime  überzogen,  der  eine 
wirkliche,  halb  durchsichtige,  mit  der  Oberfläche  der  Wunde  ziemlich  fest 
zusammenhängende  Membran  bildet,  welche  an  Dichtigkeit  und  Ausdehnung 
zunimmt  und  die  Ursache  des  graulich- weissen  Ansehns  der  Wunde  ist. 
Man  kann  diese  Masse  nicht  von  letzterer  abstreifen ,  da  sie  mit  ihr  fest  zu- 
sammenhängt. Die  Eiterung  hört  auf,  statt  ihrer  tritt  eine  bedeutend  starke  ' 
Absonderung  von  Jauche  ein,   die  einen  hö<:hst  ekelhaften,   eigenthümlichen 


GANGRAENA  865 

Geruch  hat ,  dei-  nicht  zu  verkennen  ist ,  wenn  m^  ihn  einmal  gerochen- 
hat.  Die  Verderbniss  der  umliegenden  Theile  greift  nun  rasch  um  sich,  sie 
gerathen  schnell  in  einen  höchst  aufgelöi^ten  Zustand,-  es  treten  bedeutende 
Blutungen  ein,  die  zuweilen  tödten;-  doch  stirbt  der  Kranke  meist  an  dem 
Allgemeinleiden,  an  dem  herrschenden  Typhus  contagiosus.  Das  Fieber, 
■welches  sich  bald  mit  den  örtlichen  Erscheinungen  des  Brandes  verbindet, 
kündigt  sich  nämlich  zuerst  an  durch  Appetitlosigkeit,  Druck  in  der  Herz- 
grube, Ekel,  Erbrechen,  Schlaflosigkeit,  schnellen,  mehr  schwachen  als 
vollen  Puls,  heisse  Haut,  grosse  Angst,  Unruhe,  Delirien,  anfangs  Leibes- 
verstopfung, später  durch  erschöpfende  Durchfälle,  bei  längerer  Dauer  de«, 
Übels  durch  Febris  hectica  mit  den  Zufällen  der  CoUiquation.  Der  Hospi- 
.^talbrand  ist  von  den  scorbutischen  Complicationen  der  Wunden  und  Ge- 
schwüre ganz  verschieden;  in  einigen  Fällen  sah  man  ihn  ohne  vorherge- 
gangene Verletzungen  in  Form  kleiner  entzündeter  Blüthen  oder  Bläschen 
entstehen  (Thomson};  in  andern  Fällen  war  der  Charakter  des  Übels,  wahr- 
scheinlich durch  den  Einfluss  der  rein  entzündlichen  Luftconstitution ,  ent- 
zündlich. In  solchen  Fällen  zeigt  sich  ein  rother  Ring  um  die  Wunde,  der 
Schmerz  ist  heftig  und  klopfend,  der  Puls  schnell  und  gespannt,  und  die 
eintretenden  Blutungen  erleichtern  sehr.  Die  Prognose  ist  im  Allgemei- 
nen schlimm ,  weil  in  den  meisten  Fällen  die  ganze  Säftemasse  vom  Typhus- 
contagium  ergriffen  ist.  Cur.  1)  Das  Wichtigste  ist  Verhütung  des  Hospi- 
talbrandes als  einer  schlimmen  Complication  zu  Wunden  und  Geschwüren. 
Höchst  nothwendig  ist  hier  die  Sorge  für  Reinigung  der  Luft  durch  Venti- 
latoren, durch  übersalzsaure  Räucherungen,  durchs  Aufhängen  grosser,  in 
Solutio  calcariae  oxymuriaticae  angefeuchteter  Tücher  in  den  Krankenzim- 
mern ,  sobald  sich  die  ersten  Spuren  des  Nosocomialbrandes  zeigen ,  durch 
die  grösste  Reinlichkeit  beim  Verbände.  Die  Chlorkalkauflösung  wird  bef 
jedesmaligem  Eintauchen  der  Tücher  stark  umgeschüttelt  oder  umgerührte 
Sie  besteht  aus:  fy  Calcariae  chloratae  (seu  Calc.  oxtjmurint.,  seu  Ckloti 
calcariae  I'h.  Borttss.')  Sf^,  Aquae  fontan.  Sx  —  xjj.  M.  2)  Äussern  sich  an 
der  Wunde  die  ersten  Symptome  des  Brandes,  so  gebe  man  innerlich,  be- 
sonders wenn  gastrische  Sordes  da  sind ,  ein  Vomitiv ,  hirtterher  ein  gelin- 
des Laxans  aus  Lifus.  sennae,  Rheum  und  Sal  Glauberi  (Pouteau,  Ditssatis- 
soj/),  wodurch  wir  oft  allein  dem  Fortschreiten  der  Krankheit  Einhalt  thünt 
Hinterher  passen  innerlich  Wein  in  kleinen  Portionen,  Mtneralsäuren.  S)  Was 
die  örtliche  Behandlung  der  Wimde  betrifft ,  so  passen  zu  Anfange  Wasdhuö-* 
gen  und  Verbinden  mit  gutem  Essig,  worin  die  Charpie  angefeuchtet 'wor- 
den. Ist  der  rothe  Rand  da,  so  mache  man  zugleich  Umschläge  von  Cä- 
rottenbrei ,  Bierhefen.  Schreitet  das  Übel  dennoch  fort  oder  ist  das  Ansefiti 
der  Wunde  mehr  ödeniatös  als  entzündlich,  so  verbinde  man  mit  Chlorkalk- 
auflösung, z.  B.  I^  Calcar.  oxymurint.  3II,  solve  Aquae  fontanae  ^xvj,  Cbl'a:^ 
Auch  das  Acid.  pyro-lignosura  hat  man  hier  mit  Nützen  angewandt^  des- 
gleichen eine  Solutio  arsenici  albi.  Bekommt  die'  Wunde  darnach  keiii  bes- 
seres Ansehn ,  so  säume  man  ja  nicht ,  das  Glüheisen  anzuvyenden ,  und  .zwar 
recht  kräftig  auf  die  ganze  Oberfläche  der  geschwürigen  Stelle.  Den  Brand- 
schorf  verbindet  man  dann  mit  einer  Salbe  aus  Terpenthin  und  Chinaj^ulver 
mit  etwas  Salmiak,  z.  B.  ^f  Ol,  ierehinthinae  ^ij,  Cort.  cJnnae  pM?i>.  3jjj, 
Sal.  ammon.  dep.  5j-  M.  f.  unguent.  S.  Zum  Verbinden.  Hat  er  sich  gi?r- 
löst  und   das  Geschwür   ein  schlechtes  Ansehn ,    so  wiederholt   man  dije  Ap- 

flicatlon  des,  Glüheisens  oder  betupft  die  ganze  Fläche  mit  Lapis  infernahs. 
st  aber  das  Ansehn  des  Geschwürs  besser,  so  verbindet  man  nlit  BälSf.  Ar- 
caei ,  wozu  etwas  Präcipitat  gemischt  worden.  Einschnitte  dürfen  hier  liie- 
mals  gemacht  werden,  ebenso  wenig  wie  bei  der  Gangraena  senilis. 

Gnngraena  senilis,  der  schmerzlose  Brand  an  den  FuSszehen 
der  Greise.  Er  befällt  meist  nur  abgelebte  Greise  im  hohen  Alter-  oder 
solche ,  die  früh  alt  geworden  sind  und  am  Marasmus  senilis  leiden.  Er 
tritt  fast  immer  ohne  Entzündung  auf,  fast  immer  zuerst  an  der  grossen 
Zehe,  seltener  am  Knöchel.  Ein  Gefühl  von  Lähmung,  Schwere,  Kälte  im 
Gliede  geht  vorher,  die  schmerzlose  Stelle  wird  schwarz,  brandig,  ohne 
Most  Encyklopädi«.  2te  Aafl.  I.  55 


8G6    GANGRÄENESCENTIA  —  GASTERALGIA 

dass  der  Kranke  es  einmal  g'ewahr  wird;  gie  schrumpft  zusammen,  winl 
aschgrau j  mumienartig.  Ursachen.  Sind  die  des  Marasmus  senilis,  die 
Gebrochen  des  Alters:  Abnahme  der  Lebenskraft,  der  Recepti\'ilät,  Ver- 
knöcherung der  kleinen  Blutgefässe,  Störung  in  der  Circulation  etc  ;  die 
nächste  Ursache  dieses  Brandes  ist  also  Atrophie,  Absterben  des  Gefäss- 
systems  durch  Rückbildung,  besonders  ein  Absterben  des  arteriellen  Systems 
(s.  Ballinif  in  v.  Grafe^s  und  Wnlthers  Journal  f.  Chirurgie  etc  Bd.  XFV. 
Hft.  1.  S.  32.  1830).  Gewöhnlich  fühlen  sich  solche  Greise  vor  dem  Aus- 
bruche des  Übels  schon  längere  Zeit  kalt,  stumpfsinnig;  sie  sind  reizlo*, 
mürrisch,  schläfrig,  leiden  an  Leibesverstoi)fung.  Männer  sind  dem  Übel 
häufiger  unterworfen  als  Frauen.  Cur.  Das  Übel  ist  zwar  nicht  plötzlich 
lödtlich,  kann  gegentheils  viele  Wochen  dauern;  aber  dennoch  ist  es  sel- 
ten heilbar ,  sondern  ein  Vorbote  des  Todes  aus  Altersschwäche.  Kräftige 
Fleischbrühen,  guter  alter  Wein,  aromatische  Bäder,  der  tägliche  Genuss 
der  freien  Luft  verhüten  bei  Greisen  diesen  Brand  am  ersten.  Ist  er  da, 
so  geben  wir  innerlich  belebende,  stärkende  Mittel:  Wein,  China,  gute 
Nutrientia,  verbinden  äusserlich  mit  Bals  Arcaei ,  Unguent.  de  styrace,  wo- 
durch das  Leben  wol  noch  einige  Zeit  hingehalten  wird. 

Gnvijrncna  scorhuiica.  Er  kommt  bei  höhern  Graden  des  Scorbuts  vor, 
besonders  im  Munde,  darf  nicht  mit  der  brandigen  Scharlachbräune  ver- 
wechselt werden  (s.  Angina  gangraenosa,  maligna)  und  erfordert 
die  antisrorbutische  Behandhing  (s.  Scorbutus),  innerlich  China  und  Mi- 
neralsäuren ,  äusserlich  Decoct.  quercus  mit  Alaun  etc. 
.   Gnngraena  sicca,  s.  Gangraena, 

Ganyraena  spnsmodica ,  der  krampfhafte  Brand,  auch  der  Whytt'- 
sche  Brand  genannt,  weil  Dr.  U'hytt  ihn  zuerst  beschrieben.  Er  befallt 
schwache  reizbare  Subjecte,  die  durch  Säfteverlust  aller  Art:  grosse  Eite- 
rungen, Samenverlust,  durch  anhaltendes  Nachtwachen  etc.  höchst  ge- 
schwächt worden  sind.  Symptome.  Oft  nach  vorhergegangener,  höchst 
unbedeutender  Verletzung,  oft  ohne  diese,  entstehen  heftige  Schmerzen  im 
Gliedp,  Geschwulst,  Röthe,  schneller  Brand;  dabei  harter,  kleiner,  ge- 
schwinder Puls,  dürre,  trockne  Haut,  eben  solche  Zunge,  Ekel,  Erbrechen, 
Druck  in  der  Herzgrube,  es  folgen  schnell  Delirien,  Ohnmächten,  Sehnen- 
liüpfen,  allgemeine  Convulsionen  und  alle  Zufälle,  wie  bei  Gangraena  ex 
jjustula  maligna.  Cur.  Innerlich  flüchtige  Excitantia,  z.B.  \^' Moschi  ojiti- 
mi,  Snl.  vtilnt.  c.  c.  ana  gr.  iv,  Sncihnri  aVii  9j.  M.  f.  p.  disp.  dos.  xjj.  S. 
Stündlich  ein  Pulver  mit  Wasser.  Erfolgt  ein  allgemeiner  warmer  Schweiss 
darnach,  so  steht  der  Brand  still,  der  Kranke  ist  gerettet  und  bedarf  nun 
reizend -stärkender  Mittel:  Valeriana  mit  Calam.  arom.  als  Infusion,  mit 
Decoct.  chinae ,  Wein  etc.  Äusserlich  wenden  wir  anfangs  die  Pott'schen 
Breiumschläge  von  Mohnköpfen  in  Milch  gekocht  an;  später  die  andern, 
nach  den  Liuständen  auszuwählenden  Aniiseptica.  Cliristinn  Hoftpe. 

■  "  ^'  Clang^raeneseeittla,  Ganffrncnosis.    Ist  der  anfangende  heisse  Brand, 
«.•'Gangr  a  ena. 

Ct^ar^alismns,  das  Kitzeln,  besonders  das  naturwidrige,  wie  die 
Onanie,  Nymphomanie.  Einige  Neuere  verstehen  darunter  auch  den  thieri- 
8chen  Magnetismus;  s.  Titillatio,  Onania,  Nymphomania,  Magne- 
ti.smuä  animalls. 

.  Ciarg^arisina »  ein  Mittel  zum  Gurgeln  (Gargarismus),  z.  B. 
Mund-  und  Gurgelwasser,  die  zur  Reinigung  des  Älundes  von  Schleiua, 
Blutete  bei  Krankheiten  der  Mundhöhle,  bei  Angina,  Stomacace,  Morbus 
haemorrhagicus  Werlhofü  etc.  angewandt  werden  (s.  d.  Artikel). 

Oasteralg^ia ,  Mügenschmers.  Unter  dieser  unbeMimmten  Be- 
nennung, die  viele  ftlen.schen  überhaupt  für  Bauchschmerz,  Bauchweh  neW- 
luen ,  vorstehen  Einige  jeden  heftigen  Magenschmerz  ohne  Neigung  zu  Ohn- 
mächten und  ohne  Fieber  (Gastrodynia),  der  von  Digestionsfehlorn,  durch 
gastrische  Reize ;  Sordes,  Magensäure,  scharfe  Galle,  Überladung  mit  schwer- 


GASTERANGEMPHRAXIS  —  GASTRERETHISIA  867 

verdaulichen  Speisen,  Wurmreiz  etc  entsteht.  Andere  nennen  so  den  voa 
organischen  Fehlern ,  von  Scirrhositäten  des  Magens ,  von  Magensteinen  her- 
rührenden Magenschraerz.  Der  praktische  Arzt  wird  sich  nicht  blos  an  das 
Symptom ,  den  Schmerz  halten ,  sondern  die  Ursachen  desselben  erforschen 
und  dagegen  seinen  Curplan  richten.  Mac  Adam  (s.  Behrendts  Repertor. 
1834.  S.  63)  sagt  mit  Recht:  „Was  die  Gastrodynia  neuralgica  betrifft,  so 
ist  sie  oft  mit  Gastritis  verwechselt  und  dem  Kranken  dadurch  viel  Unheil 
zugefügt  worden,  da  die  Behandlung,  welche  für  letztere  passt,  gegen  er- 
stere  Nachtheil  bringt.  In  der  Gastr.  neuralg.  wird  der  Schmerz  durch 
äussern  Druck  eher  gemindert,  als  vermehrt  oder  gesteigert,  —  er  macht 
regelmässige  Intermissionen,  die  Zunge  ist  weiss,  der  Appetit  meist  stärker, 
als  gewöhnlich,  der  Schmerz  wird  durchs  Essen  oft  gemindert,  —  er  er- 
neuert sich  alle  2  Stunden  nach  dem  Essen,  Diarrhöe  ist  selten,  meist  hart- 
näckige Obstr.  alvi  zugegen ;  der  Urin  ist  bleich ,  wird  häufig  und  in  klei- 
nen Portionen  gelassen.  Die  Krankheit  dauert  Jahre  lang  ohne  besonderes 
AJlgemeiuleiden  oder  Fieber;  zuweilen  sind  Dyspnoe,  Herzklopfen,  ziehende 
Schmerzen  in  den  Armen  da.  Bei  Gastrodynia  inflammatoria  (Gastritis)  ist 
der  Schmerz  selten  so  heftig  als  bei  der  Gastrodynia  nervosa ;  er  steigert 
sich  durch  Druck,  hat  keine  deutlichen  Intermissionen,  verschwindet  nie  ganz; 
die  Zunge  ist  dick  belegt  mit  rother  Spitze  und  solchen  Rändern;  der  Durst 
nach  kalten  Getränken  ist  sehr  gross,  der  Appetit  ist  schlecht,  die  Zufälle 
verschlimmern  sich  gleich  nach  genossener  Nahrung,  der  Urin  ist  hochroth 
und  häufig,  und  oft  ist  Diarrhöe  zugegen." 

Clasterang^emptiraxiiSl,  Gasterangiemphmwis,  der  Magenin farct- 
Ist  Überfüliung  der  Blutgefässe  des  Magens,  wodurch  der  sog.  Infarctus 
dieses  Theils  entsteht;  s.  Infarctus. 

Oasterataxia.  Ist  jeder  krankhafte  Zus^find  der  Gewebe  der  Ma- 
genhäute. 

Oastrencliyta,  die  Magen  spritze.  Ist  ein  höchst  nützliches  In- 
strument zum  Einspritzen  und  Auspumpen,  um  schädliche  Stoffe  und  Flüssig- 
keiten,  die  sich  im  Magen  befinden,  zu  verdünnen  und  auszuleeren.  Ein 
elastisches  Rohr  von  Gummi  elasticum,  welches  mit  Öl  bestrichen  und  dann 
in  den  Magen  gebracht  wird,  befindet  sich  an  der  metallenen  Spritze,  wo- 
durch man  z.  B.  bei  verschluckten  Giften  zuerst  lauwarmes  Wasser  einspritzt, 
dasselbe  dann  wieder  heraufholt,  wieder  Wasser  einspritzt,  und  so  mit  dem 
Einspritzen  und  Heraufholen  bei  ruhig  liegen  bleibendem  Rohr  (denn  die 
Construction  der  Spritze  ist  schon  dazu  eingerichtet)  so  lange  fortfährt,  bis 
die  Einspritzungen  ohne  fremdartige  Stoffe  ganz  rein  wieder  heraufkommen. 
Sehr  vorzüglich  ist  die  Magenpumpe  vom  Mechanicus  Weiss  in  London,  von 
deren  Zweckmässigkeit  ich  mich  in  mehreren  Fällen  von  Vergiftung  selbst 
überzeugt  habe  (vgl.  Asphyxia  durch  Gift  und  Intoxicatio). 

C^astrenteromalacia.  Ist  Erweichung  des  Magens  und  der  Därme. 
S.  Gastr ontalacia. 

Gastrepatitis*     Ist  Complication  einer  Gastritis  mit  Hepatitis. 

Oastrerettlisia ,  Irrilatio  systematis  gastrici y  krankhafte  Rei- 
zung des  gastrischen  Systems,  d.  i.  des  Magens  und  der  übrigen 
■Verdauungswerkzeuge.  Sie  ist  häufig  die  Veranlassung  zu  gastrischen  Lei- 
den, zu  Entzündungen  des  gastrischen  Systems,  kann  primär  oder  secundär 
seyn ,  ist  häufig  gleichzeitig  bei  gastrischen  Leiden  zugegen ,  ohne  letztere 
veranlasst  zu  haben,  häufig  die  Folge  von  Sordes  primarum  viarum,  von 
Saburra  etc.  Nur  insofern  verdient  sie  die  Berücksichtigung  des  Arztes,  als 
die  Heilmittel  bei  gastrischen  Leiden  nach  dem  stärkern  oder  schwächern 
Grade  dieser  Reizung  ausgewählt  werden  müssen.  Rührt  sie  von  scharfen 
und  unverdauten  Stoffen  her,  so  wird  sie  durch  ein  Vomitiv  und  durch 
Emulsionen,  die  später  gereicht  werden,  am  besten  gehoben  (s.  Febris 
biliosa,  gastrica).  Bei  entzündlichen  Leiden  des  Darmcanals  ist  sie  ein 
ät«ter  Gesellschafter,    der  mit  Hebung   der  Entzündung  in  der  Regel   ver- 

55* 


86B  GASTRICISIVTÜS  —  GASTROBROSIS 

Bchvrindet.  Oft  bleibt  aber  noch  eine  Gastrerethisia  spastica  zurück ,  wel- 
che durch  gelinde  demulcirende  Mittel:  Emuls.  amygdal.  dulc. ,  Einuls.  seni. 
papav.  albi,  und' durch  eine  vorsichtig  ausgewählte  Diät  mit  Vermeidung 
aller  schwerverdaulichen,  sauren,  salzigen  und  scharfen  Dinge,  am  besten 
gehoben  wird. 

CrastriciSfnus»  der  Gastricismus.  Ist  diejenige  medicinische  An- 
sicht, weiche  alle  oder  doch  die  meisten  Krankheiten  von  Unreinigkeiten  im 
Magen  und  Darmcanal,  die  die  Gastriker  selbst  mit  dem  Worte  Gastricismus 
bezeichnen,  herleitet,  und  durch  Brech  -  und  Purgirmittel  zu  heilen  sucht. 
Mag  diese  Lehre  von  Brownianern  und  Naturphilosophen  immerhin  dem 
Spotte  preisgegeben  worden  seyn ,  so  lehrt  doch  eine  ruhige  Beobachtung 
der  Krankheiten  in  verschiedenen  Weltgegenden  und  die  Erfahrung  hoch- 
verdienter Ärzte,  eines  Tissot,  Richter,  Sloll,  Vogel  u.  A.,  wenigstens  Folgen- 
des:  1)  Es  giebt  Zeiten  und  Witterungseinttüsse ,  welche  den  gastrischen 
Krankheiten  so  ausserordentlich  günstig  sind,  dass  alle  fieberhaften,  zum 
Theil  auch  viele  chronische  Krankheiten  den  gastrischen  Charakter  anneh- 
men (s.  Constitutio).  Dies  war  z.  B.  in  Nord-  und  Westdeutschland 
besonders  in  den  Jahren  1760 — 1790  der  Fall,  und  gegenwärtig  herrscht 
dieser  Charakter,  vermischt  mit  dem  nervösen,  wiederum  seit  dem  Jahre 
18:26  vor  (s.  Febris  nervosa  u.  Febris  inter  mitten  s).  2)  Es  giebt 
Länder  und  Gegenden ,  wo  die  Unmässigkeit  im  Essen  und  Trinken  recht 
zu  Hause  ist.  Dahin  rechne  ich  vorzüglich  Norddeutschland,  besonders  Ham- 
burg, Lübeck,  Mecklenburg,  Pommern,  den  ganzen  Länderstrich  an  der  Ost- 
see bis  Königsberg  und  weiter  hinauf.  Hier  sind  die  gastrischen  Übel  stets 
Torherrschend.  Dagegen  beobachtet  man  sie  seltener  in  Sachsen,  Baiern, 
Würtemberg,  in  ganz  Süddeutschland  und  in  Frankreich,  wo  die  Menschen 
massiger  leben  und  ein  froheres  Gemüth,  leichtes  Blut  und  leichten  8inn 
besitzen.  3)  Die  grossen  Influenzepidemien,  wie  sie  in  den  Jahren  1742, 
3762,  1782  u.  f.  herrschten,  scheinen  die  Neigung  zum  gastrischen  Krank- 
heitsgenius zu  begünstigen ,  sowie  denn  auch  die  Epidemie  vom  Jahre  1782 
häufig  galliger  Natur  war  (vgl.  S.  G.  VogeVs  Handbuch  d.  prakt.  Arznei- 
wissenschaft. Th.  n.  S.  278).  4)  Dasselbe  scheint  bei  jedesmaligem  Auf- 
treten der  grossen  Wechselfiebcrepidemien ,  die  ungefähr  in  20  —  ;i5  Jahien 
zeither  ihren  Cyklus  machten,  der  Fall  zu  seyn  (s.  F'ebr.  intermittens). 

OastrifSmiU ,  weniger  richtig  Gastricismus.  So  nennt  man  die 
ÜberiüUung  des  Magens  und  die  dadurch  entstandenen  Unreinigkeiten;  s. 
Febris  gastrica,   saburralis. 

C^astritis,  die  Magenentzündung,  s.  Inflammatio  ventriculi. 

Crastroataxia  acida,  Pyrosis,  S  ä  u  r  e  b  i  I  d  u  n  g  in  den  Digestions- 
organen. Sie  kommt  am  häutigsten  bei  Kindern  und  Greisen ,  ausserdem  bei 
spastischen  Constitutionen,  bei  Hysterischen,  bei  Hjpochundristen  vor.  Eine 
gute,  mehr  animalische  Diät,  der  innere  Gebrauch  der  Magnesia,  der  Ocul. 
cancror. ,  besonders  aber  der  bitle;n  Extracte  mit  etwas  Sal  tartari  nnd 
Tinct.  rhei  in  aromatischen  Wassern  sind  die  besten  Hülfsmittel  (s.  Absor- 
bentia,  Amara,  Dyspepsia). 

GastrolirOKis  et  £nterobro.<^is ,  Buptura  seu  Perforatio  ventri- 
culi et  Ruptura  inlestinoruin ,  Durchlöcherung  des  Magens,  Durch- 
löcherung der  Gedärme.  Diese  ähnlichen  Übel  können  entweder  durch 
mechanische  Verletzungen  des  Magens  und  der  Gedärme,  oder  spontan  durch 
Krankheit  der  Magen  -  und  Darmhäute  entstehen.  Die  erstere  Art  überge- 
hen wir  hier  (s.  V'uln  er  a  stom  a,c  hi,  in  t  esti  no  rum)  und  betrachten 
uur  die  spontane  Durchlöcherung  der  genannten  Theile  (Gastrobrosis  und 
Enterolrosis  npoiitancn).  Am  häufigsten  ist  die  spontane,  aus  Innern  Ursa- 
chen entstehende  Durchlöcherung  des  Magens,  diese  äusserst  merkwürdige, 
\)'is  zur  neuesten  Zeit  noch  wenig  aufgehellte  pathologische  Erscheinung, 
beobachtet,  die  Enterobrosis  spontanea  dagegen  seltener  gesehen  worden. 
Ein   Fall  der    letztern   ist  anderswo    in  diesem    Werke    aufgeführt    worden 


GASTROBROSIS  869 

(s.  ConTolvulns).  Mehrere  Fälle  der  Gastrobrosis  spontanea  finden  wit 
unter  den  Benennungen  Pcrforatio,  Diabrosis,  Erosio  ventriculi  in  altern  und 
neuern  Schriften  aufgeführt  (s.  v.  Swieten,  Comment.  in  Boerhaavii  Aphor. 
T.  III.  Hildburgh.  1754,  p.  150,  Misceil,  german.  Vol.  III.  cas.  3.  p,  170, 
P.  BoreUus,  Observ.  med.  phys.  Cent.  I.  obs.  66.  A.  Wenclcer,  Diss.  sistens 
observ.  de  virgine,  ventriculum  per  viginti  tres  annos  perforatum  alente.  1735. 
Olberg  in  ReiVs  Archiv  f.  Physiologie.  Bd.  IV.  S.  380.  Lovell  in  American 
Recorder.  18 i5.  Corrinl  in  Journ.  des  Savans.  an.  1688.  Bonnet,  Sepulchret. 
Lib.  III.  sect.  7.  obs.  S.  Braun  in  Sammlung  auserlesener  Abhandlungen  f. 
prakt.  Ärzte.  Bd.  VII.  S.  622).  Die  ausführlichsten  Nachrichten  über  die- 
ses merkwürdige  Übel,  woran  auch  Napoleon  auf  St.  Helena  seinen  Tod 
fand  (s.  Napoleon  Buonaparte's  Krankheit,  Tod  und  Leiche.  Nach  dem 
Berichte  seines  Leibarztes  Arnott  etc.  A<is  d.  Engl.  ül)ers.  Leipzig,  1823. 
S.  25),  finden  sich  in  folgenden  Scliriften:  Dictionnaire  des  Sciences  m6di- 
cales.  Tom.  XL.  Art.  Perforation.  Medecine  legale,  par  Ledmx ,  Renard, 
Lesne  et  Rieux,  Paris,  1819.  Becker  in  Hufelancfs  Journ.  1827.  St.  3,  4  u.  5. 
Der  Geh.  Medicinalrath  Becker  zu  Parchim  theilt  hier  einen  merkwürdigen 
Fall  mit,  wo  ein  23jähriges  Mädchen  durch  spontane  Durchlöcherung  des 
Magens  einen  schnellen  Tod  fand.  Seine  dieser  Krankengeschichte  ange- 
hängten Bemerkungen  über  Gastrobrosis  überhaupt  und  ihre  verschiedenen 
Arten  sind  mit  vielem  Scharfsinne  entworfen,  und  verdienen  dort  von  jedem 
Arzte  nachgelesen  zu  werden.  Ich  werde  das  Wichtigste  daraus  hier  im 
Auszuge  mittheilen ;  denn  wenn  auch  die  spontane  Gastrobrosis  eigentlich 
nur  das  Finale  verschiedener  Magenleiden  ist,  und  fast  immer  hier  die  Hülfe 
des  Arztes,  besonders  wenn  die  Magencontenta  erst  in  die  Bauchhöhle  ge- 
treten sind ,  zu  spät  kommt,  so  ist  es  doch  höchst  wichtig ,  die  aus  den  bis- 
herigen Erfahrungen  entlehnten  Resultate  kennen  zu  lernen,  die  diesen  un- 
glücklichen Ausgang  verkünden.  Nur  auf  diese  Weise  wird  es  möglich  seyn, 
ihm  vielleicht  durch  zeitige  Kunsthülfe  vorzubeugen.  Symptome  der 
Gastrobrosis  und  Enterolfl'osis  spontanea,  als  Folge  des  Ergusses  der  Con- 
tenta  in  die  Bauchhöhle.  Sie  sind  so  constant,  eigenthümlich  und  charakte- 
ristisch, dass  man  das  Übel  nicht  verkennen  wird.  1)  Ein  plötzlich,  häufig 
bei  vollem  Gefühle  des  Wohlseyns  entstehender,  anfangs  dem  Gefühle  dea 
Kranken  nach  blos  auf  eine  kleine  Stelle  sich  beschränkender,  ganz  eigen- 
thümlicher  Schmerz,  der  sich  von  den  oft  früher  erlittenen  Magen  -  und 
Kolikschmerzen  deutlich  unterscheidet,  äusserst  heftig  ist,  sich  allmälig  über 
den  ganzen  Unterleib,  zuweilen  auch  nach  dem  Rücken  und  den  Schultern 
hin  verbreitet  und  ohne  irgend  eine  Unterbrechung  bis  zum  Tode,  der  in 
der  Regel  innerhalb  24  Stunden  erfolgt,  fortdauert.  Kein  äusseres  oder  in- 
neres Mittel  vermag  diesen  Schmerz  zu  heben,  ja  nicht  einmal  zu  lindern. 
Während  dieses  fürchterlichen  Schmerzgefühls  bleibt  das  Bewusstseyn  klar 
bis  zum  Tode,  wie  dies  bei  allen  acuten  und  chronischen  reinen  Unterleibs- 
übeln der  Fall  zu  seyn  pflegt  {Most).  2)  Eine  eigene  Entstellung  und  Ver- 
zerrung der  Gesichtszüge  als  Folge  dieses  Schmerzes.  3)  Schon  beim  ersten 
Entstehen  des  Schmerzes  hat  der  Kranke  gleichzeitig  das  Gefühl  einer  tiefen, 
tödtlichen  Verletzung,  einer  plötzlichen  Vernichtung  der  Kräfte,  mit  dem 
Vorgefühl  des  bald  erfolgenden  Todes.  4)  War  Würgen  und  Erbrechen  ein 
Vorbote  der  Gastrobrose,  was  oft  der  Fall  ist,  so  hört  es  mit  dem  eigeu- 
thümlichen  Schmerze  fast  immer  auf.  5)  Gleichzeitig  mit  dem  Anfalle  de« 
Schmerzes  ziehen  sich  die  Bauchmuskeln  krampfhaft  zusammen,  und  der 
Unterleib  fühlt  sich  anfangs  steif  und  hart  an.  Späterhin  wird  er  ganz 
weich  und  tympanitisch  aufgetrieben  (Folge  der  ins  Cavum  abdominis  er- 
gossenen Stoffe,  der  genossenen  Nahrungsmittel,  der  Getränke,  Arzneien, 
der  Gasarten  etc.).  6)  Häufig  ist  der  Durst  unauslöschlich;  viele  Kranke 
empfinden  beim  Trinken  Erstickungsgefühl,  wenn  sie  dabei  aufrecht  sitzen. 
Es  entsteht  Dyspnoe  als  Folge  der  Tympanitis ,  und ,  hat  der  Kranke  viel 
getrunken,  ein  sonderbares,  eigenthümiiches  Gefühl  des  augenblicklichen 
Nachfolgens  einer  schweren  Masse  im  Unterleibe  nach  der  Seite,  auf  wel- 
che der  Kranke  sich  im  Liegen  wendet.    7)  Gefühl  von  Kälte  im  Unterleihe, 


870  GASTROBROSIS 

kühle  Haut,  Marmorkälte  der  Extremitäten.  8)  Der  Puls  ist  anfangs  oft 
normal,  späterhin  jedesmal  schnell,  bald  härtlich,  bald  schwach.  Ausgänge. 
Bei  wirklichem  Erguss  der  Contenta  in  die  Bauchhöhle  erfolgt  immer  der 
Tod  und  kein  Mittel  in  der  Welt  kann  die  Qualen  des  Unglücklichen  lin- 
dern. Die  Section  zeigt  deutlich  die  nach  den  Ursachen  und  Arten  der 
Gastrobrosis  verschieden  beschaffene  Durchlöcherung  einer  oder  mehrerer 
Stellen  des  Magens,  oder  des  Darms,  besonders  des  Dünndarms  (Louts), 
den  Erguss  der  Contenta  und  in  Folge  dessen  zuweilen  Spuren  von  Ent- 
zündung (s.  unten).  Erfolgte  der  Erguss  der  Contenta  aber  nicht,  in  wel- 
chen Fällen  die  Krankheit  weniger  heftige  Symptome  (keine  Zufälle  von 
Tympanitis,  Dyspnoe  etc.)  äussert,  traten  besondere  Umstände  ein,  die  den 
Erguss  verhüteten,  so  wurde  wenigstens  der  plötzlich  erfolgende  Tod  ab- 
gewandt und  in  einzelnen  Fällen  lebten  die  Kranken  noch  Jahre  lang  nach- 
her. „Untersuchen  wir,  sagt  Becker  a.  a.  O. ,  diese  Umstände  genauer,  so 
werden  sich  folgende  verschiedene  hierbei  stattfindende  Fälle  unterscheiden 
lassen;  1)  Wenn  eine  phlegmonöse,  erysipelatöse ,  ia  selbst,  wie  dies  meh- 
rere der  bekannt  gemachten,  wiewol  seltneren  Beobachtungen  beweisen, 
eine  chronische  Gastritis  an  einer  oder  mehreren  Stellen  in  Ulceration  über- 
ging ,  vor  dem  Beginn  der  Eiterung  aber ,  oder  gleichzeitig  mit  dieser, 
durch  die  Exsudation  der  coagulablen  Lymphe  eine  Adhäsion  der  Magen- 
häute mit  den  benachbarten  Theilen  bewirkt  w  ard.  Geschieht  dies ,  so  ist 
überhaupt  der  Erfolg  doppelt:  entweder  zerstört  der  Eiter,  wenn  der  Eite- 
rungsprocess  fortschi-eitet ,  nachdem  die  Magenhäute  durchfressen  sind,  nun 
auch  diejenigen  Theile,  mit  denen  die  Adhäsion  derselben  stattfand,  \»vraus 
sehr  mannigfaltige  Erfolge  entstehen  können ;  oder  das  Fortschreiten  der  Ei- 
terung wird  unter  sehr  günstigen  Umständen  beschränkt,  aufgehalten,  und 
es  entsteht  durch  die  Heilkraft  der  Natur  eine  wirkliche  Anheilung  und  Ver- 
narbung der  perforirten  Stelle.  In  den  Fällen,  in  denen  eine  Adhäsion  der 
Magenhäute  mit  den  benachbarten  Theilen  stattfand,  lassen  sich,  nach  der 
Verschiedenheit  der  Stelle  der  Adhäsion  sowol  als  der  von  der  Ulceration 
ergriffenen  Theile ,  den  bekannten  Beobachtungen  gemäss ,  mehrere  ganz 
verschiedene  Zustände  unterscheiden."  Hier  führt  Becher  folgende  an : 
fl)  War  die  vordere  Wand  des  Magens  der  Sitz  des  Abscesses  oder  der 
chronischen  Exulceration ,  und  war  in  Folge  der  entzündlichen  Adhäsion  eine 
Verwachsung  der  vordem  Magenwand  mit  dem  Peritonealüberzug  derselben 
und  dadurch  mit  den  Bauchmuskeln  erfolgt,  so  bahnt  sich  der  Eiter  einen 
Weg  nach  Aussen  und  es  bildet  sich  eine  Magen fistel,  wobei  der  Mensch 
Jahre  lang  leben  kann,  h)  War  die  der  Leber  zugekehrte  Seite  des  Ma- 
gens der  Sitz  der  Vereiterung  und  der  dadurch  veranlassten  Gastrobrose, 
so  fand  man  nicht  selten  eine  Verwachsung  der  Magenhäute  mit  der  Leber, 
wodurch  der  Erguss  der  Contenta  verhütet  und  das  Leben  gerettet  ward, 
c)  In  mehreren  Fällen  fand  man  Verwachsung  der  Magenhäute  mit  dem 
Pankreas,  d)  Seltener  erfolgte  Verwachsung  des  Magens  an  seinem  Milz- 
ende mit  dem  Zwerchfell.  Es  erfolgt  bei  dieser  Gastrobrose  kein  Erguss 
der  Contenta,  es  sey  denn,  dass  die  Zerfressung  auch  an  der  correspondi- 
renden  Stelle  des  Diaphragma  stattfindet,  wo  durch  Austretung  des  Magen- 
inhalts in  die  Brusthöhle  der  baldige  Tod  durch  Erstickung  erfolgt,  e)  Hal- 
1er  fand  einst  eine  Verwachsung  des  Magens  mit  dem  Colon,  wo  die  per- 
forirte  Stelle  des  Magens  sich  ins  Colon  endete  und  deshalb  kein  Erguss  in 
die  Bauchhöhle  stattfinden  konnte,  f)  Verschliessung  des  Lochs  im  Magen 
durch  die  vereiternde  Milz,  wo  höchst  wahrscheinlich  die  Vereiterung  vom 
Magen  zur  Milz  übergegangen  war.  2)  In  andern  Fällen  wurde  der  Erguss 
der  Contenta  in  die  Bauchhöhle  dadurch  verhindert,  dass  eine  Geschwulst 
die  durchlöcherte  Stelle  des  Magens  verstopfte,  worüber  merkwürdige  Fälle 
aus  den  Schriften  verschiedener  Autoren  bei  Becker  nachzulesen  sind.  Ja 
einem  seltenen  Falle  endete  die  perforirte  Stelle  des  Magens  in  einen  häu- 
tigen Sack ,  und  dieser  verhinderte  das  Austreten  der  Conteutaj  (s.  Henning 
in  Hufelnnd's  Journal,  Bd.  XXV.  St.  1 ,  S.  130).  3)  Einzelne  Fälle  sind 
beobachtet,   wo  bei  Gastrobrcse  keiner  der  angeführten  Umstände  zur  Ver- 


GASTROBROSIS  871 

bütung  des  Ergusses  dor  Contenta  stattfand,  und  dieser  Erguss,  merkwür- 
dig genug,  dennoch  nicht  erfolgte  (s.  Morgaiini,  De  sedibus  et  causis  mor- 
borum.  Epist.  XXIX.  Nr.  14.  Salzb.  medic.  -  chirurg.  Zeitung,  1816; 
Bd.  II.  S.  29).  4)  Nicht  immer  zeigte  die  Section  eine  eigentliche  Durch- 
löcherung der  Magenhäute,  sondern  zuweilen  nur  einen  Riss,  der  den  Py- 
Jorus  vom  Duodenum  trennte,  wodurch  die  Contenta  des  Magens  sich  in  die 
Bauchhöhle  ergossen  (s.  Rahii's  Briefwechsel;  Samml.  2,  S.  440).  Ein- 
theilung  der  Gastrobrosen.  Man  kann  nach  den  verschiedenen  Ur- 
eachen folgende  Arten  dieser  Krankheit,  nach  Becher,  festsetzen. 

I.  Gastrobrosis  per  accidens,  die  äussere,  nicht  im  Organismus  selbst 
begründete  und  durch  keine  organisch -dynamischen  Ursachen  bedingte  Ga- 
strobrose. Sie  kann  erfolgen  A)  durch  alle  auf  den  Magen  einwirkende  ver- 
letzende Schädlichkeilen:  1)  durch  Verwundungen,  durch  schneidende,  ste- 
chende Instrumente  (^Gasirobrosis  tmumatica^;  2)  durch  äussere  Gewaltthä- 
tigkeiten,  Stösse,  Schläge  auf  die  Magengegend ,  durch  heftiges  Erbrechen, 
durch  Fall,  Sturz,  unnatürliche  Drehungen  des  Körpers  (^Gaslrobrosis  vio- 
Jenta,  Laceratio  ventriculi^ ,  durch  Heben  schwerer  Lasten  bei  chronischen 
Magenfehlern,  durch  Unmässigkeit  im  Essen  und  Trinken,  besonders  wenn 
schon  vorher  ein  chronischer  Entzündungszustand  des  Magens  die  Häuie 
desselben  verändert,  verdünnt  etc.  hatte;  3)  durch  plötzliche  Entwickelung 
von  Gasarten,  als  Folge  reichlicher,  blähender  Nahrung.  Solche  Pralle  hat 
man  nach  übermässigem  Genuss  von  Weintrauben,  grünen  Pflaumen,  Sauer- 
kraut ,  frischem  Obste ,  Frischem  Biere  beobachtet  (^Rhodius ,  Camerarius^ 
Acrel,  Richter^.  B)  Durch  chemische  Einwirkung  verschluckter  Gifte  auf 
den  Magen  veranlasste  Gastrobrose  (^Gust^^obrosis  venenaia  seu  toxica) ;  z.  B. 
durch  Arsenik,  Sublimat,  Aurum  muriat. ,  durch  Antimonialpräparate,  Ku- 
pfergifte, concentrirte  Mineralsäuren.  Man  findet  hier  Spuren  von  Entzün- 
dung ,  Gangränescenz  des  Magens ,  bald  geringere  Perforation ,  bald  gar 
keine  wirkliche  Durchlöcherung;  ferner  Spuren  des  verschluckten  Giftes  etc. 

II.  Gastrobrosis  sponttmeu.  Sie  entsteht  durch  innere,  dynamisch- che- 
mische, im  Organismus  selbst  begründete  Krankheitszustände,  kommt  weit 
häufiger  vor  als  die  Gastrobrosis  per  accidens,  und  erscheint  unter  verschie- 
denen Umständen.  Daher  6  Unterarten  derselben  angenommen  werden  kön- 
nen. 1)  Gastrobrosis  gangraenosa ,  durch  Gangränescenz  verursachte  Gastro- 
brose. Sie  kann  entstehen  o)  in  Folge  der  Gastritis  acuta,  die  in  Brand 
übergeht.  Diese  ist  fast  immer  partiell,  nur  auf  einen  kleinen  Theil  des 
Magens  beschränkt,  denn  wenn  bei  der  Entzündung  des  ganzen  Magens 
Brand  erfolgt,  so  tödtet  dieser,  bevor  es  zur  Perforation  kommen  kann 
(RicAffr).  Die  Diagnose  dieser  Gottlob!  seltenen  Gastritis  acuta  partialis 
ist  schwierig  (s.  Richter's  Chir.  Bibliothek,  Bd.  XII.  St.  214.  Ilufeland's 
Neueste  Annalen  d.  franz.  Heilkunde,  Bd.  II.  S,  30  und  den  Art.  Inflam- 
matio  ventriculi).  /<)  In  Folge  von  Metastasen,  die  Entzündung  des  Ma- 
gens mit  grosser  Neigung  zum  Brande,  oder  Gastromalacie  erregen;  beson- 
ders rechnet  man  hierher  Erysipelas  retropulsum,  Masern,  Frieselinetastasen. 
c)  Gastrobrose  als  Folge  einer  sogenannten  chronischen  Gastritis  mit  darauf 
folgendem  Brande.  Sie  wird  am  häufigsten  beachtet  bei  der  Pest ,  bei  dem 
gelben  Fieber,  dem  contagiösen  und  sporadischen  Typhus  (vergl,  BecJcer 
a.  a.  O.  S.  53  u.  f.).  2)  Gastrobrosis  ulcerosa.  Die  durch  Vereiterung  der 
Magenhäute  verursachte  Gastrobrosis  ist  seltener  als  die  Gastrobrosis  gan- 
graenosa. Sie  ist  rt)  Folge  von  Gastritis  acuta,  wo  der  Eiter  entweder 
durch  eine  Magenfistel,  oder  durch  eine  sich  öfters  füllende  und  entleerende 
Vomica  ventriculi  entleert  und  im  günstigsten  Falle  Heilung  und  Vernarbung 
des  Abscesses  folgt.  Oder  der  Eiter  zerstört  die  Magenhäute,  die  Contenta 
gehen  in  die  Bauchhöhle,  oder  es  bilden  sich  Adhäsionen  mit  der  Leber, 
Milz,  dem  Zwerchfelle,  wodurch  der  schnelle  Tod  abgewendet  wird,  b)  Sie 
ist  Folge  der  Gastritis  chronica,  wobei  in  der  Regel  auch  die  Ulceratiou 
einen  chronischen  Charakter  hat  (s.  Inflammatio  ventriculi).  c)  Ga- 
strobrosis als  Folge  schon  vorhandener  krankhafter  Vegetationen  der  Ma- 
genhäute, z.  B.  kldner  Geschwülste,   Pusteln,  Tuberkeln  etc.,   die  durch 


872  GASTROBROSIS 

irgend  eine  Veranlassung  in  Entzündung  und  Eiterung  tibergingen.  Diese 
Form  der  Gastrobrose  ist  nicht  ganz  selten.  3)  Gastrobrosis  scirrhosa,  cnr- 
vinomatosa.  Ist  häufig  die  Folge  von  Scirrhus  und  Carcinora  des  Magens. 
Am  häufigsten  ist  der  Sitz  des  Übels  am  Pylorus,  seltener  im  Fundus  ven- 
triculi.  Jst  Vereiterung  und  wirklicher  Magenkrebs  schon  da,  so  ist  alle 
Hülfe  umsonst.  Napoleon's  Krankheit  a,  a.  O.  Schäffer  in  Hufeland's  Journ. 
1816.  April.  S.  18.  SchencJ:,  ebend.  Bd.  XXVII  St.  1.  S.  85.  Ahercromhie 
in  N.  Samml.  auserles.  Abhandl.  f.  prakt.  Ärzte.  Bd.  VIII.  S.  544).  4)  Gastro- 
Irosis  durch  Verdünnung  der  Magenhäute.  Letztere  ist  eine  Art  Atrophie  ohne 
Entzündung,  ursprünglich  ein  Leiden  der  Schleimhaut,  zuweilen  bei  Grei- 
sen vorkommend  und  vielleicht  nur  durch  den  chronischen  Verlauf  von  der 
Gastromalacie  der  Kinder  verschieden  (^Scoutetten,  RaucJi) ;  oft  zugleich  neben 
Scirrhus  pylori  zugegen  (s.  Rolhi,  der  Magen,  seine  Structur  und  Verrieb- 
tung.  1823.  S.  128.  Hopfengärtner  in  Hufeland's  Journ.  1819.  Oct.  S.  7), 
Zuweilen  kann  diese  Verdünnung  auch  angeboren  seyn.  Diese  Gastrobrose 
macht  am  häufigsten  cirkelrunde  Löcher  ohne  Spuren  von  Entzündung. 
5)  Gastrobrosis  per  gastromalaciam.  Ist  leider !  fast  immer  da ,  wenn  die 
Magen  er  weichung  der  Kinder  tödtet  (s  Gas  tromal  acia).  6)  Gnstrobro- 
ftis  als  Folge  eines  kaustischen ,  auf  chemische  Weise  die  Magenhäute  zer- 
störenden wahren  organischen  Septicums,  nicht  selten  durch  Flechtenschärfe 
hervorgerufen.  Mehrere  Thatsachen  sprechen  für  die  Selbsterzeugung  ani- 
malischer Gifte  im  lebenden  Körper  (s.  Hufeland's  Neueste  Annalen  d.  franz. 
Arzneikunde.  Bd.  I.  S.  462.  Bd.  II.  S.  32.  Sammlung  auserles.  Abhandl.  f. 
prakt.  Ärzte.  Bd.  VII.  S.  34).  Selbst  chemische  Analysen  des  abnormen 
Magensaftes  haben  dies  bewiesen.  7)  Gastrobrosis  verminosa.  Diese  durch 
Würmer  erzeugt  seyn  sollende  Perforation  des  Magens  (oder  der  Gedärme) 
haben  zwar  Einige  angenommen;  doch  ist  dies  nicht  wahrscheinlich,  da 
nach  Rudolphi  und  Bremser  den  Eingeweidewürmern  die  dazu  nothwendigen 
Bohrwerkzeuge  fehlen;  indessen  wird  ein  Fall  der  Art,  wo  sich  Spulwür- 
mer in  einer  Geschwulst  der  Inguinalgegend  bei  einer  44jährigen  Frau  be- 
fanden, vom  Dr.  J.  B.  de  Castro  -  Torrciras  im  Diario  general  de  las  cien- 
cias  medicas.  Barcell.  1827,  März,  mitgetheilt.  Auch  sind  in  der  neuesten 
Zeit  mehrere  Fälle  bekannt  geworden ,  wo  Spulwürmer  die  Gedärme  durch- 
fressen haben.  Vgl.  d.  Art.  Helminthiasis.  Cur  der  verschiedenen 
spontanen  Gastrobrosen.  1)  Bei  der  schon  eingetretenen  wirklichen 
Durchlöcherung  des  Magens  und  der  Gedärme  ist  wol  alle  Hülfe  zur  Ret- 
tung des  Kranken  vergebens ,  besonders  wenn  der  bedeutende  Meteorismus 
den  Austritt  der  Contenta  ins  Cavum  abdominis  anzeigt.  Hier  rauss  der  Arzt 
durch  sanfte  und  beruhigende  Mittel  die  Qualen  des  Unglücklichen  zu  er- 
leichtern suchen  und  für  die  Euthanasie  diejenige  Sorge  tragen ,  die  Mitleid 
und  Menschlichkeit  erheischen.  Da  der  Genuss  aller  inneren  Mittel  die 
Schmerzen  vergrössert,  selbst  das  mildeste  Öl,  so  beschränke  man  sich  auf 
äussere  Mittel ,  lasse  bei  Vollblütigen  zur  Ader ,  setze  Blutegel  in  die  Ma- 
gengegend, reibe  Opiatsalben  in  die  Glieder  und  in  den  ganzen  Rücken  und 
wende,  um  den  quälenden  Durst  zu  stillen,  laue  Bäder  an.  Auch  die  Me- 
thode endermicjue  nach  Lembert  u.  A.  (vgl.  Rtist's  u.  Cnsper's  krit.  Reper- 
torjum  Bd.  XXV.  Hft.  1.  1830.)  möchte  hier  wol  an  ihrer  Stelle  seyn,  um 
Opiate  durch  Hauteinsaugung  in  den  Körper  zu  bringen  und  so  die  Leiden 
zu  mildern.  2)  Höchst  Avichtig  ist  die  Präservativcur.  Man  verhütet  in 
vielen  Fällen  die  Gastrobrose  durch  frühe  und  zweckmässige  Behandlung 
der  vorhergehenden  Krankheit,  wie  dieses  anderswo  gelehrt  worden  (s.  Ga- 
stritis, Enteritis,  Ga  stro  malacia,  Intoxicatio  etc.).  3)  Man 
richte  sein  Augenmerk  voizüglich  auf  etwanige  Metastasen  durch  plötzlich 
geheilte  Flechten,  solche  habituelle  Fussgeschwüre,  Erysipelas  habituale, 
Miliaria  retrogressa,  durch  rheumatische  und  gichtische  Schärfen  etc.,  be- 
sonders wenn  die  Kranken  schon  früher  an  allerlei  dyspeptischen  Beschwer- 
den, an  Koliken,  Kardialgien  etc.  litten.  Hier  versäume  man  ja  nicht,  an- 
fangs Blutegel  in  die  Magengegend,  dann  äusserlich  Vesicantia,  Pustelsalbe 
etc.  anzuwenden,  und  später  Fontanellen  zu  setzen.     4)  Man  achte  auf  Ga- 


GASTROCATHARSIS  —  GÄSTROMALACIA    873 

stritis  chronica  partialis  und  occulta,  und  verwechsle  diese  nicht  mit  Kolik, 
mit  Kardialgie;  auf  Gastromalacie ,  auf  Scirrhositäten  des  Magens,  und  be- 
handle diese  nach  den  Regeln  der  Kunst  (s.  die  verschiedenen  Artikel  dieser 
und  aller  andern  Übel,   die  Gastrobrose  zur  Folge  haben  können). 

CJ^astrocatharsis ,    richtiger  Gaslmnabole.     Ist   der  Magenau«- 

wurf,  z.  B.  durch   Erbrechen,  Wiederkauen  etc. 

Crastrocele,  Magenbruch,  s.  Hernia  ven tricuH.  '  ' 

Crastrocolitis*      Ist  Magenentzündung   mit  Entzündung  des  Colon^ 
C^astrocystitis*     Ist  eine  Gastritis,    complicirt  mit  Cystitis. 
Crai^trodynia ,  Magenschmerz,  s.  Gasteralgia. 

Oastro-l^nteritis  Bronssnis,  s.  Inflammatio   ventriculi,  In- 
fi am  matio  intestinorum. 

G^astrolitbiasisr.      Ist   die  durch  Magensteine    (^Gastrolithi)  verur- 
sachte Krankheit;  s.  Calculus  und  Lithiasis. 

*  Gastromalacia  et  Snteromalacia,  Pseudophlogosis  ventrkuH 
interioris  et  tJitestinorum  resolutiva  et  culliquntiva  {?),  Resolutio  et  Dinhrosi9 
viembranarum  ventriculi  (^Harless) ,  Gastropnthia  (firemwc/t),  gallertartige 
Magengrund  -  und  Darmerweichung,  atonisch  -  k  achekti  sehe 
Pseudophlogosis  der  Innern  Haut  des  Magens  und  der  Gedärme  mit 
Aufweichung  und  endlichem  Sphacelismus  derselben  (^Harless).  Ist  eine  der 
häufigsten  speciellen  Formen  der  krankhaften  Ei-weichung  (s.  Malacosis). 
Symptome.  Gewöhnlich  anfangs  gänzliche  Appetitlosigkeit  als  alleinige 
Vorboten,  zuweilen  vorhergegangene  Gastritis  acuta  oder  chronica,  zugleich 
mehr  oder  weniger  anhaltende  Diarrhöe.  Die  Excremente  sehen  grünlich, 
•wie  Spinat,  oder  auch  schleimig,  wässerig,  faulig  aus,  sind  copiös  und  von 
sehr  üblem  Gerüche.  Oft  ist  eine  Art  von  Lienterie  dabei.  Gewöhnlich ' 
lässt  dieser  Durchfall  erst  kurz  vor  dem  Tode  nach.  Bei  Erwachsenen  äus- 
sert sich  das  Übel  in  der  Form  der  Phthisis  gastrica  et  intestinalis  (Hnrless). 
Hier  bemerken  wir  statt  der  Durchfälle  Melaena,  heftigen  Dnrst,  Hinfällig- 
keit ,  ein  eigenthümliches  inneres  Leiden ,  das  sich  in  der  Physiognomie  aller 
Abdominalkranken  ausdrückt  (eingefallenes  Gesicht,  tiefliegende,  aber  unge- 
mein klare,  ausdrucksvolle,  schmachtende  Augen,  Neigung  zum  häufigen 
Reiben  der  Nase,  Verdrossenheit,  Gefühl  von  Angst  und  Scheu),  und  wel- 
ches auf  den  ersten  Blick  zu  erkennen  ist  (^Criiveilhier,  Tott^.  Säuglinge 
sind  sehr  mürrisch,  verlangen  nur  nach  der  Mutterbrust,  verschmähen  jede 
andere  Nahrung,  wollen  stets  umhergetragen  werden;  grössere  Kinder  sind 
unwillig,  wenn  man  sie  anblickt,  sind  in  der  Regel  sehr  unruhig,  schreien 
viel,  ziehen  die  Schenkel  an  den  Leib,  haben  anfangs  Fieber  mit  sehr  fre- 
quentem  Pulse,  der  schnell  und  härtlich  ist  und  bis  zum  Tode  immer  klei- 
ner wird.  Dabei  heisse  Zunge,  trockne  Lippen,  sehr  heisse  Hände,  später 
Wechsel  zwischen  Hitze  und  Kälte,  zuletzt  wahre  Leichenkälte,  oft  schon 
in  den  ersten  Tagen  der  Krankheit.  Charakteristisch  ist  noch  das  Erbrechen. 
Es  ist  fast  immer  zugegen,  fehlt  selten,  cessirt  nur  kurz  vor  dem  Tode. 
Alle  Nahrungsmittel  und  Getränke  werden  weggebrochen;  ausserdem  spon- 
tanes Erbrechen  saurer,  grünlicher,  brauner  Stoffe,  oder  einer  schleimigen, 
galligen  Materie,  bei  Erwachsenen  zuweilen  Blutbrechen;  Säuren,  Wein, 
Zimmtwasser  verweilen  noch  am  längsten  im  Magen.  Zuweilen  ist,  wenn 
die  Krankheit  langsam  verläuft,  ein  eigener,  sehr  schmerzhafter  Magenhu- 
sten zugegen.  Die  Respiration  ist  in  einzelnen  Fällen  beengt,  in  andern 
frei  bis  kurz  vor  dem  Tode.  Der  Unterleib  ist,  wenige  Fälle  ausgenommen, 
aufgetrieben  und  schmerzhaft.  Fast  immer  finden  wir,  dass  kleine  Kinder 
schnell  abmagern,  oft  schon  nach  wenigen  Tagen  der  Krankheit,  der  Hals 
wird  schnell  runzelig,  das  Gesicht  eingefallen,  die  Glieder  sehr  mager.  Zu 
Anfange  des  Übels  schreien  die  Kinder  häufig,  späterhin  verwandelt  sich 
das  Geschrei  in  ein  schmerzliches  Stöhnen  und  Wimmern,  die  Kinder  wer- 
den nun  ruhiger,  können  gut  auf  dem  Rücken  liegen,  sind  in  steter  schein-' 
barer  Betäubung    mit  halbgeschlossenen  Augen   und  leichter  ErweckbarkeH, 


874  GASTROMALACIA 

also  in  einer  Art  Coma  vi^il  ( Aprypnocoma  mit  sclinuizig  blassem  Gesicht 
und  Mangel  an  Turgor  vitalis,  gerade  dem  Sopur  entgegengesetzt,  nacU 
fremden  und  eigenen  Beobachtungen  ein  nie  fehlendes ,  oft  schon  in  den  er- 
sten Tagen  der  Krankheit  stattfindendes  Zeichen,  Tgl.  Blttsiiis  in  Rusfg 
Magaz.  Bd.  XXVII.  Hft.  3.  S.  453.  >/.).  Auch  jetzt  dauert  der  Durst  noch 
fort,  die  Kranken  trinken  in  grossen  Zügen  nüt  Gier  und  Hastigkeit,  habeu 
zu  Säuren  und  Wein  die  meiste  Neigung  (nach  Blasius  fehlte  in  einem  Falle 
sowol  der  Durst  als  die  grünliche  Diarrhöe,  aber  das  Agrjpnocoma  war 
da;  3f.),  und  der  Tod  folgt  oft  schnell  unter  Convulsionen,  Verdrehen  der 
Augen,  oder  ganz  sanft  unter  den  Symptomen  der  Erschöpfung,  nicht  sel- 
ten bei  ungetrübten,  zuweilen  gar  gesteigerten  Geisteskräften.  Sind  aber 
Complicationen  mit  hydrocepliaüschen  Leiden  da,  so  stirbt  der  Kranke  un- 
ter Delirien  und  Sopor.  Die  Krankheit  dauert  in  den  seltenern  acuten  Fäl- 
len oft  kaum  24  Stunden  {Camerer) ,  gewöhnlich  3,  5,  8 — lO  Tage,  ja  zu- 
weilen selbst  2  —  4  MtMiate  (Hesse),  befällt  vorzug"sweise  Kinder  von  4  Mo- 
naten bis  IV2  Jahren  (^Jni/er') ,  aber  auch  ältere,  besonders  zahnende  Kinder. 
Erwachsene  werden  gar  nicht  {CriweiUner)  oder  nur  mit  Complicationen  von 
Hirn-  und  Brustleiden  vom  Übel  befallen  (S.  G.  Vogel).  Es  kann  spora- 
disch und  epidemisch  vorkommen ,  beginnt  in  seiner  einfachen  Gestalt  mit 
Erscheinungen  von  Unterleibsentzündungen  und  herrscht  epidemisch  am  häu- 
figsten,  wenn  Durchfälle,  Dysenterien  und  Wechselfieber  häufig  sind  (Cru- 
veilhier).  Abweichend  von  dem  nach  Camerer,  (JruveiUäer,  Hesse,  Jäger, 
S.  G.  Vogel,  Harlcss,  Pilschnft ,  Richter,  Fleischmann,  Chaussier,  Maas  und 
Wiesmnnn  oben  entworfenen  Krankheitsbilde  sind  die  Zeichen  der  Krankheit 
nach  Rhades  (s.  JJorii's  Archiv  1822.  Sept.  u.  Octbr.).  In  einem  Falle  tra- 
ten zuerst  entzündliche  Brusfaffectionen  mit  ziemlich  heftigem  Fieber  auf, 
alle  Zeichen  von  Abdominal-  und  Magenleiden  fehlten,  späterhin  stellten  sich 
hydrocephaülische  Symptome:  Krämpfe  mit  Bewusstlosigkeit  und  Anästhesie, 
Wechsel  von  Frost  und  Hitze,  erschwertes  Schlingen,  aber  weder  Durch- 
fall, noch  Erbrechen  ein,  und  der  Tod  erfolgte  unter  Convulsionen.  In  ei- 
nem andern  Falle  entstand  zuerst  Durchfall,  bald  Erbrechen,  der  Durst  war 
nur  massig  imd  nahm  erst  später  an  Heftigkeit  zu.  Der  Tod  erfolgte  unter 
anhaltendem  Erbrechen  und  weder  kalte  Gliedmassen ,  noch  bedeutendes 
Fieber,  noch  Unterleibsschmerzen  wurden  bemerkt.  In  einem  dritten  Falle 
waren  hydrocephalische  Symptome  zugegen.  Die  Symptome  der  Entero- 
inalacie,  die  nicht  selten  zugleich  mit  der  Gastromalacie  auftritt,  kennen 
wir  nicht  genau ;  sie  sind  zu  Anfange  denen  der  letztern  ähnlich.  Das  Übel 
erTeift  am  häufigsten  Kinder,  seltener  Erwachsene  (^Hesse) ,  befällt  entwe- 
der den  ganzen  Darmcanal  oder  einzelne  Theile  desselben  (^Ramisch,  Bums)i 
dabei  anhaltendes  leichtes  Fieber ,  bald  heftige  anhaltende ,  bald  massige 
oder  gar  keine  Diarrhöe;  die  Leibschmerzen  sind  nur  gering  und  vorüber- 
gehend ,  der  Verlauf  ist  fast  immer  acut ,  selten  chronisch  ( Louis  beobach- 
tete nur  einen  Fall  letzterer  Art).  Der  Tod  erfolgt  häufig  plötzlich  durch 
Ruptur  des  Darms  und  Austreten  der  Contenta  in  die  Bauchhöhle.  Im  glück- 
lichsten Falle  entsteht  Peritonitis  (s.  unten).  Diagnose.  Die  Gastromala- 
cie unterscheidet  sich  von  Encephalitis  hydrocephalica  durch  den  ihr  eigen- 
thümlichen  höhern  Grad  von  übler  Laune  der  Kranken ,  durch  nur  schein- 
baren mehr  dem  Coma  vigil  gleichenden  Sopor,  der  in  der  Hirnhöhlen  Was- 
sersucht als  wirklicher  Sopor  erscheint.  In  letzterer  sind  die  Kinder  nur 
schwer  zu  erwecken,  in  der  Gastromalacie  aber  sehr  leicht,  obschon  sie 
gleich  wieder  in  ihren  apathischen  Zustand  der  Schläfrigkeit  zurücksinken 
(Blnsius,  Tod,  Most).  Hydrocephalische  Kinder  fordern  keinesweges  Ge- 
tränke oder  Speisen,  sie  verschlingen  sie  zwar  auch  im  soporösen  Stadium, 
leeren  sie  aber  nur  dann  durch  Erbrechen  aus ,  wenn  sie  aufgenommen  und 
umhergetragen,  also  gerüttelt  werden.  Sie  fiebern  meistens  anhaltend ,  sind 
sehr  warm,  selbst  heiss,  schwitzen  stark,  zumal  am  Kopfe.  Bei  der  Gastro- 
malacie sind  die  Kinder  im  Stadio  soporoso ,  oft  schon  in  den  ersten  Tagen 
der  Krankheit,  leichenkalt,  ihr  Puls  ist  frequent,  klein,  unzählbar;  im  Sta- 
dio soporoso  hydrocephaü  zwar  auch  frequent,  aber  nicht  selten  auch  träge. 


GASTROMALACIA  875 

höchst  ungleich,  oft  mehr  oder  weniger  voll.  Wenn  bei  Oastronialacie  die 
Kinder  wimmern,  winseln,  stöhnen  und  der  Ton  ein  mühsames  erschwertes 
Schreien  mit  einem  wenig  gehaltenen,  gleichsam  ersterbenden  Laut  endigend 
ist  (//JWrtn/);  so  bemerkt  man  dagegen  bei  Hydrocephalus  ein  periodisches, 
gellendes,  mehr  unarticulirtes  thierisches  Aufschreien,  auch  fehlt  bei  letz- 
terra  das  Anziehen  der  Schenkel  an  den  Unterleib  Eine  echte  acute  Gastri- 
tis und  Enteritis  der  Kinder  charakterisirt  sich  durch  Verstopfung,  Schmerz- 
haftigkeit  und  Auftreibung  des  Unterleibes ,  und  durch  bedeutenderes  Fie- 
ber; bei  Helminthiasis  fehlt  das  anhaltende  heftige  Fieber,  der  verzehrende 
Durst,  das  Erbrechen  und  das  wichtige  Zeichen  der  schnellen  Abmagerung 
imd  des  Agrypnocoma.  Ursachen.  Prädisposition  geben  vorzüglich  das 
kindliche  Alter  von  der  Geburt  an  bis  zum  zweiten  Jahre  (//esse),  beson- 
ders die  Dentitionsperiode,  auch  die  Zeit  des  Entwöhnens  (CVt/jicrcj).  Nach 
Vo(jcl  können  Kinder  in  jedem  Alter  befallen  werden,  nach  Harless  beson^- 
ders  zwischen  dem  5ten  und  lOten  Lebensjahre.  Bei  magern  abgezehrten 
Kindern  ist  das  Übel  häufiger  als  bei  robusten ,  starken  beobachtet  worden, 
besonders  bei  solchen,  die  sich  von  Natur  oder  durch  zu  frühe  Reizung 
der  Geistesfunctionen  zu  schnell  entwickelten.  Gewisse  Witterungseinflüsse, 
schneller  Temperaturwechsel ,  besonders  im  Spätsommer,  gastrisch  -  rheuma- 
tischer Krankheitsgenius ,  erbliche  Anlage  in  einzelnen  Familien  (^Gnitidner), 
verschiedene  chronische  Fehler  des  Magens  scheinen  das  Übel ,  das  in  selt- 
nem Fällen  auch  im  Mannes-  und  Greisenalter  vorkommen  kann  (//esse, 
VoijcT) ,  zu  begünstigen.  Gelegenheitsursachen  sind  :  schlechte  Mutter  -  und 
Ammenmilch,  zu  schnelles  oder  unvorsichtiges  Entwöhnen,  Auffüttern  der 
Kinder  ohne  Brust  (das  Verhältniss  des  Vorkommens  der  Krankheit  bei  Säug- 
lingen und  Aufgefütterten  ist  nach  Rnmherg  wie  1  : 4.  Most),  Ernährung  mit 
rohen  Speisen,  saurem,  grobem  Brote,  gestörte  Hautthätigkeit,  Metastasefi 
der  Masern,  des  Frieseis  (^ Hesse,  ZcJlcr),  unterdrückte  Eruption  der  letz- 
tern, AfFectionen  anderer  Organe,  besonders  Hydrocephalus  acutus  (./««/er. 
Zeller,  Cnmerer,  Rhtuh's) ,  Febr.  verminosa,  intermittens ,  bösartige  faulige, 
adynamische  Fieber,  Vergiftungen  durch  metallische  oder  andere  Gifte,  Ein- 
A\irkung  heisser  Sonnenstrahlen  auf  den  Kopf  (^Caincrer) ,  gastrische  Leiden 
aller  Art,  hitzige  Gallenfieber,  Cholera,  Diarrhöe  (Poinmer).  Auch  die  Milz- 
erweichung (^Si>1e7ioTnHlaci(i)  will  man  als  Ursache  der  Erweichung  des  Car- 
diaUheils  des  Magens  beobachtet  haben;  doch  ist  die  Splenomalacie  wol 
öfter  Folge  als  Ursache  der  Gastromalacie.  Wesen  der  Gastro-  und 
Enteromalacie.  Darüber  herrschen  sehr  verschiedene  Ansichten.  Nach 
J.  Hiinler,  Allan  Bums,  Adams,  Wilson  Philipp  und  Treviramis  ists  eine  Art 
Selbstverdauung  (^Autopepsia)  des  Magens,  Product  der  auflösenden  und  noch 
nach  dem  Tode  fortwirkenden  Kraft  eines  chemisch  allzuscharfen  Magensaf- 
tes, wodurch  die  Magenhäute  aufgelöst  werden  sollen,  also  eine  Digestio 
post  mortem.  Fr.  Hoffmann  hält  die  Krankheit  für  Aufätzung  des  Magens 
durch  scharfe  Galle,  Andere  leiten  sie  ab  von  einem  übermässig  alkalischen 
Magensafte;  Cruihshank  nennt  sie  eine  Zerstörung  des  Magens  durch  ver- 
stärkte Einsaugungskraft  der  resorbirenden,  Gefässe ;  Jäger  eine  Zerstörung 
des  Magens  durch  eine  in  Folge  einer  Lähmung  der  Magennerven,  beson- 
ders des  Nerv,  vagus,  krankhaft  und  im  Übermass  abgesonderte  Essigsäure 
als  perverses  Analogon  des  Magensaftes.  Nach  Fleischmann  entsteht  die 
Gastromalacie  durch  eine  qualitative  Vei'stimmung  der  Vitalität  des  Magens, 
•wobei  er  eine  Störung  des  polarischen  Gegensatzes  zwischen  der  Hydrogen 
bildenden  Milz  und  dem  Oxygen  erzeugenden  Magen  (daher  die  Erweichung 
im  Fundus  ventriculi)  annimmt.  Meclel  sagt:  „Es  ist  eine  Verdauung  der 
Magenhäute  durch  den  Magensaft  in  Folge  einer  vom  Nervensystem  ausge- 
henden Schwächung  des  Magens  und  einer  höhern  Steigerung  der  sauren 
Beschaffenheit  des  Magensaftes  zur  Essigsäure,  die  wol  immer  erst  nach 
dem  Tode  eintritt  und  sich  allraälig  ausbreitet. "  Nach  Cruveilhier  ists  eine 
Umbildung  des  Magens  in  Folge  einer  Reizung  durch  die  auf  denselben  ab- 
gelagerte Materia  perspirabilis  retenta ;  nach  Chaussier  und  Laisne  eine  Zer- 
■törung  des  Magens  durch  eine  Erosion  oder  Ulceration,   wobei  ein  bei  der 


876  GASTROMALACIA 

Berührung  die  letztere  noch  vermehrender  Ichor  abgesondert  werden  soll. 
Nach  Spiltn  ists  ein  wahrer  Reconstructionsprocess ,  ein  Rückgang  auf  eine 
frühere  Bildungsstufe  in  einer  Periode,  wo  die  grösste  Receptivität  und  wich- 
tigste Bedeutung  des  Nahrungscanais  einen  kräftigen  ununterbrochenen  Ner- 
veneintluss  erheische,  aber  gerade  nun  desselben  beraubt  werde;  nach  Leu- 
hossel:  wirkt  ein  Hirnleiden  sympathisch  auf  den  Magen  und  verändert  einer- 
seits dessen  Organisation  so,  dass  sie  der  auflösenden  Kraft  der  thierischen 
Säfte  nicht  länger  widerstehen  kann;  andererseits  macht  jenes  Leiden  die 
Säfte  des  Darmcanals  ungewöhnlich  scharf  und  ätzend,  wahrscheinlich  durch 
übermässige  Entwickelung  von  Essigsäure,  welche  abnorme  Secretion  eine 
vicariirende ,  mit  dem  Hautorgan  in  Bezug  stehende  seyn  soll.  (Dass  das 
Frieselexanthera  eine  der  Essigsäure  ähnliche  Säure  aus  dem  Körper  schei- 
det, ist  bekannt,  und  schon  der  Geruch  deutet  darauf  hin.  Da  nun  Milia- 
ria retropulsa  der  Gastromalacie  oft  vorhergeht,  da  überhaupt  nur  Kinder 
Ton  atrophischem  Habitus  mit  vorwaltender  Acescenz  des  Digestionsapparats 
an  der  Magenerweichung  nach  meinen  Erfahrungen  leiden ;  so  verdient  diese 
chemische  Ansicht  noch  näher  geprüft  zu  werden.  Most}.  Richter  hält ,  fast 
wie  Spitta,  die  Gastromalacie  für  das  Resultat  eines  Rückbildungsprocesses, 
da  überhaupt  das  kindliche  Alter  auch  zu  Umbildungen  anderer  Organe 
disponire;  Cnmerer  für  die  Folge  des  wegen  entzündlicher  Affection  unter- 
brochenen Einflusses  des  Nervus  vagus  auf  den  Magen ;  Blnsius  u.  Ramkch 
für  einen  Morbus  sui  generis ;  Hesse  bald  und  öfters  für  die  Ursache  der 
Gastritis  chronica  oder  acuta,  bald  und  öfters  für  ein  aus  fehlerhafter  Er- 
nährung, Desorganisation  zu  erklärendes  Übel;  JiiUard  für  die  Wirkung  ei- 
ner acuten  Gastritis,  wenn  das  Übel  weit  verbreitet,  einer  chronischen, 
wenn  es  sich  partiell  beschränkt;  Wendt  für  das  zufällige  Product  einer 
Gastritis  überhaupt;  Gödecke  und  Rudolphi  für  das  der  blossen  thierischen 
Fäulniss ;  Harlcss  für  eine  adynamische  Pseudophlogosis  der  innern  Magen- 
haut mit  rascherm  oder  langsamerem  Übergange  in  eine  krankhafte  Abson- 
derung eines  fast  kaustisch  werdenden  Gemisches  von  Schleim  und  plasti- 
scher Lymphe,  woraus  sich  zuletzt  eine  wahre  sphacelöse  Kachexie  entspinne; 
Sundelin  endlich  für  das  Product  eines  abnormen  biochemischen  Einflusses 
des  in  seiner  Vegetation  hiebei  alterirten  oder  auch  nur  dynamisch  verstimm- 
ten Nervus  vagus  auf  den  Magen,  zu  welchem  abnormen  Nerveneinflusse 
besonders  Metastasen  des  Frieselexanthems ,  verhinderte  Eruption  desselben, 
rheumatische  Versetzungen ,  Dyskrasien  und  Kachexien  Veranlassung  geben 
sollen.  Für  die  Richtigkeit  dieser  Ansicht  von  der  Gastromalacie  als  einem 
ursprünglichen  Nervenleiden  sprechen  der  plötzliche,  unerwartete  Ausbruch 
der  Krankheit  bei  scheinbar  gesunden  und  kräftigen  Kindern,  die  Disposition 
solcher  Kinder  zu  dieser  Krankheit,  deren  geistige  Sphäre  sehr  früh  in  An- 
spruch genommen  wiirde,  die  ungemein  böse  Laune  und  grosse  Reizbarkeit, 
die  äusserst  schnell  eintretende  Hinfälligkeit,  das  Hinzutreten  des  Übels  zu 
Gehirnleiden ,  besonders  zur  hitzigen  Hirnhöhlenwassersucht  ;  tür  den  meta- 
statischen  Ursprung  derselben  die  Eigenthümlichkeit  des  Frieselcontagiums, 
den  Nervus  vagus  zu  attaqulren ,  das  von  CruveUhicr  zugleich  bei  der  Ga- 
stromalacie beobachtete  blatternähnliche  Exanthem  auf  der  Schleimhaut  des 
Magens;  endlich  der  Umstand,  dass  Dyskrasien  und  Kachexien  auf  die  Kra- 
sis  und  Vegetation  einzelner  Nervenzweige  pathologisch  einzuwirken  und 
Alteration  in  ihnen  hervorzubringen  im  Stande  sind.  Die  Entstehung  der 
Darmerweichung  erklärt  Hnrless  wie  die  der  Gastromalacie  ;  Camerer  leitet 
sie  ab  aus  der  Einwirkung  einer  durch  krankhaft  aufgehobenen  Einfluss  des 
Nerv,  sympathicns  bedingten  Säure  auf  den  Darmcanal.  Gewiss  liegt  der 
Grund  zu  diesem  Übel  in  einem  abnormen  biochemischen  Einflüsse  des  in 
seiner  vegetativen  Sphäre  alterirten,  vielleicht  auch  nur  dynamisch  verstimm- 
ten Abdominalnervensystems  auf  die  Darmhäute ,  veranlasst,  wie  die  Gastro- 
malacie, durch  Frieselmetastasen ,  verhinderten  Ausbruch  dieses  Exanthems, 
Versetzungen  von  Rheuma,  Dyskrasien  und  Kachexien,  was  sich  aus  den 
oben  bei  Magenerweichung  angegebenen  Umständen,  besonders  auch  aus  dem 
auf  der  Darmschleirabaut  gefundenem    variolösem   Exanthem   erklären  lässt. 


GASTROMALÄCIA  877 

Weiterer  Verlauf  der  Gastro-  und  Enteromalacle.  Bei  der  plötzlich 
auftretenden  und  ausgebildeten  Gastromalacie  folgt  häufig  der  Tod;  doch 
nicht  so  oft  als  bei  Enteronialucie,  indem  die  Magenliäute  zerreisscn  (Gastro- 
brosis)  und  die  Contenta  austreten.  Nur  dann  wird  das  Leben  gefristet, 
wenn  nach  Abstossung  der  erweiterten  Partien  der  Magen  mit  einem  be- 
nachbarten Organ  (häufig  mit  der  Milz)  verwächst.  Eine  blos  erweichte 
Schleimhaut  bei  Integrität  der  übrigen  Häute  kann  wol  sich  abstossen  und 
dann  regenerirt  werden.  Bei  der  Darmerweichung  ist  der  Ausgang  in  Durch- 
bohrung häufiger  (Lowis).  Er  verkündet  sich  durch  plötzlich  eintretende, 
durch  kein  Mittel  sich  vermindernde,  heftige  Schmerzen ,  Einfallen  des  Ge- 
sichts, Übelkeit,  Erbrechen,  Delirien,  und  der  Tod  erfolgt  20 — 48  Stunden 
nach  der  Perforation.  Letztere  befand  sich  stets  in  der  Mitte  der  erweich- 
ten Stelle,  wobei  kein  übler  Geruch  des  erweichten  Darms  bemerkbar  ward. 
Zuweilen  fand  man  in  den  Leichen  eine  allgemeine,  öfter  aber  nur  eine  theil- 
weise  Autlösung  der  Magen  -  und  Darmhäute,  bald  mit  bald  ohne  Durch- 
löcherung (s.  Gastrobrosis).  Treten  die  Contenta  in  die  Bauchhöhle, 
so  erfolgt  schneller  Tod ,  doch  hat  man  Fälle  gefunden ,  wo  eine  Peritonitis 
hinzutrat,  sich  exsudative  Ljmphe  ergoss ,  wodurch  die  Darmöflnung  heilte, 
und  so  das  Leben  erhalten  ward,  indem  die  Darmstelle  mit  dem  Bauchfelle 
zusammenwuchs.  Cur.  Als  Präservativ  betrachtet  Camerer  Blutegel  an  den 
Kopf,  Entfernung  der  Magensäure,  innerlich  bei  schwachen  blutarmen  Sub- 
jecten  Ferr.  muriat. ,  bei  Zusammenhang  mit  exanthematischen  Processen 
Moschus,  unter  Umständen  Baryt,  muriat.  und  äussere  Hautreize.  Ausser- 
dem rälh  er  an:  weniges  Trinken,  erneuertes  Anlegen  des  Kindes  an  die 
Brust.  Ist  die  Krankheit  Familienübel,  so  muss  eine  gute  Amme  gewähU 
und  das  Kind  sehr  lange  gestillt,  auch  nur  allmälig,  entwöhnt  und  vorsichtig 
an  andere  Nahrung  gewöhnt  werden.  Nach  CVjilei/Äier  dient  als  Prophy- 
lacticum  eine  gesunde  Amme,  -wo  möglich  von  eiiueia,  dein  der  Äiterii  entge- 
gengesetzten Temperamente,  spätes  Entwöhnen,  zur  Nahrung  Fleischbrühe 
mit  Milch,  bei  schon  eingetreleuem  Durchfalle  Vermeidung  aller  Arzneien, 
besonders  der  Anthelminthica.  Befällt  der  Durchfall  ein  eben  entwöhnte* 
Kind,  bekommt  dieses^  brennenden  Durst,  magert  es  schnell  ab ,  will  es  nur 
wässerige  Kost,  so  gebe  man  ihm  schnell  die  alte  oder  eine  andere  passende 
Amme  wieder.  Bei  ausgebrochener  Krankheit  soll  man  dem  Kinde  nur  .we- 
nig zu  trinken  geben ,  am  besten  passt  frische ,  ungekochte ,  noch  warm© 
Thiermilch,  bei  kleinen  Kindern  die  Mutterbrust,  in  kleinen  Portionen  ge- 
reicht. Blutentziehungen,  Evacuantia  und  Vesicantia  sind  nach  Cruveilhier 
schädlich.  Innerlich  giebt  er  kleine  Dosen  Opium,  besonders  Extr.  opii 
aquos. ,  bei  Gastromalacie  in  Klystieren ,  bei  Enteromalacie  durch  den Mund, 
und  äusserlich  lobt  er  warme  aromatische  Bäder,  die  einen  solchen  Wärme- 
grad haben,  dass  das  Kind  in  Seh  weiss  geräth.  Jäger  giebt  zurBeschrän-« 
kung  des  Übels  eine  .Mischung  aus  Licj.  kali  carbon. ,  Tinct.  rhei  aquo>vS., 
Extr.  fruct.  aurant.  immaturor. ,  Syr.  diacod.  und  Aq.  foeniculi ,  und  rätb 
Eichelkaffee  und  eine  gute  Amme  an.  Wiesnumn^  (J.  Vogel  (in  Weimar); 
und  Hufeland  empfehlen  innerlich  das  Opium;  Sundelin  sow.ol  innerlich  als 
in  Klystieren,  auch  vorsichtig  sehr  kleine  Dosen  Morphium  acetic.  und  sulr 
phuricum.  Nasse  die  Salpetei-Säure,  Rhades  und  Blasius  die  Aq.  oxymuria-- 
tica:  R/  Decoct.  rad.  nlthaene  5ijj,  Aquae  oxymunat.  5)!,  Sgr.  althaene  gj- 
M.  S.  Stündlich  1-1—2  Theelötiel  voll.  Dabei  ein  einfaches  warmes  Bad, 
warme  aromatisch  -  ätherische  Fomcntationen  auf  den  Unterleib,  zum  Getränk 
Kuhmilch  mit  Fenchelthee,  späterhin  EichelkaffeCi  Nach  Pommer  dienen 
kalte  Kopfumschläge,  warme  Fomentationen  der  Magengegend  mit  Decoct. 
chinae  rubr. ,  salic,  quercus.,  Spec.  aromatic. ,  in  Roth  wein,  infundirt,  und 
innerlich  salzsaures  Eisen:  1^  Decoct.  rad.  althaeae  gjj,  Giimm.  nMJijos.  5jj» 
Ferri  muriatici  oxydulaü  ^\i,  Si/r.  althaeae  5vj-  M.  S.  Z\>eistündlich  t  The€>^ 
löffel  voll.  C.  Fo.(/ci  .räth  statt  der  Milch  als  Prophylaciicum  Salepschleini 
und  Eichelkaffee  an.  Nehmen  die  Kinder*  nur  ungern  die  künstliche  Nah- 
rung, bekommen  sie  nach  dem  Genüsse  derselben  weissliche,  hellgraue  ge- 
hackte Sedeä,    leiden  sk;  aii  öfterer  Stuhlveihaitung ,   au  Blähungen,  Leib~ 


878  GASTROMALACIA 

schmerz,  Abmagerung,  späterhin  an  öfterm  Erbrechen,  wobei  die  genossene 
Milch  nicht  sauer  oder  geronnen  aufstösst,  ist  der  Durst  bedeutend,  so  räth 
er  Roth«  ein  in  kleinen  Portionen  an  Nach  Pitschaft  passen  laue  Bäder, 
ein  ruhiges  Verhalten,  versüsster  Gerstenschleim  in  kleinen  Portionen,  auch 
Fenchel  -  und  Anisthee ,  und  innerlich  I^  Aq.  flor.  nurnnt.  gjj ,  Acidi  pyro- 
iiynosi  5]  ?  Sijr.  emuls.  53.  M.  S.  Stündlich  72  Esslüffel  voll.  Sundelin  lobt 
kaltes  Fomentiren  des  Kopfes,  laue  Bäder,  Milchnahrung,  höchst  massige 
Befriedigung  des  Durstes;  bei  kleinen  Kindern  soll  man  einen  Saugbcutel 
uiit  Apfel-  oder  Mohrrübenbrei  füllen,  und  sie  daran  saugen  lassen.  In 
schlimmen  Fällen  soll  man  auch  vorsichtig  kleine  Dosen  Kampher  innerlich 
in  Emulsioneu  mit  Gummi  arabicum,  auch  in  Klystieren  reichen.  Bei  der 
Darmerweichung  passt  im  Allgemeinen  dieselbe  Curmethode.  Zur  weitera 
Belehrung  über  die  noch  nicht  hinreichend  erforschte  Gastro-  und  Eniero- 
liialacle  sind  nachzulesen:  Bercnds'  Vorlesungen  von  SundeHn.  Berlin,  18^9. 
Bd.  Vil.  fcj.  421,  sowie  die  daselbst  citirten  Schriften;  ausserdem:  Cruveil~ 
hier.  Über  d.  gallertartige  Magengrunderweichung  etc.  A.  d.  Französ.  mit 
Anmerk.  v,  C.  Vogel.  Liegnitz,  1823.  Camerer,  Über  die  Natur  der  krank- 
haften Magenerweichung.  Mit  Vorrede  von  Autenricth.  Stuttgart,  1828. 
Hesse,  Über  die  Erweichung  der  Gewebe  und  Organe  d.  menschl.  Körpers. 
Leipzig,  1827.  S,  174—189  u.  S.  205  seq.  C.  Billard,  Die 'Schleimhaut 
des  Magens  und  des  Darmcanals  im  gesunden  und  kranken  Zustande.  A.  d. 
Franz.  mit  Anmerk.  von  Urban.  Leipz.  1828.  Ph.  C.  A.  I.ouis,  Anat.  path. 
Untersuch,  üb.  d.  Erweichung  mit  Verdünnung  u.  Zerstörung  der  Schleim- 
haut des  Magens  Aus  d  Französ.  v.  Bünger.  Berl.  1827.  Raniisch ,  De 
gastromalacia  et  gastropathia  infantum.  Prag,  1825;  ferner  die  Abhandlun- 
gen von  Andral,  Krieg,  Bums,  Cloquet ,  Allen,  Adams,  Wilson  Philipp^ 
Fleischmann,  Lenhosse):,  Chnussier,  Maas,  Zeller  und  Pohl  über  diesen  Ge- 
genstand (s.  Rust's  Magaz.  Bd.  XXVI.  Hft.  2.  Bd.  XXX.  Hft.  l.  N.  Ab- 
handl.  f.  prakt.  Ärzte.   Bd.  XII.  St.  1).  C.  A.  Tott. 

Nachschrift  des  Herausgebers.  Die  Erweichung  des  Magens, 
wie  die  der  Gedärme,  ist  eine  so  wichtige  Krankheit,  die  Ansichten  über 
das  Wesen  derselben  und  die  WaJil  der  Mittel  sind  so  verschieden,  dass  ich 
einige  Zusätze  zu  obigem  Artikel  um  so  mehr  für  nöthig  erachte,  da  jeder 
Beitrag  zu  dieser  noch  nicht  hinreichend  erforschten  Krankheit  wünschens- 
werth  »eyn  muss,  ich  aber  in  meiner  Praxis  mehrere  Krankheitsfälle  der  Art 
zu  beobachten  Gelegenheit  gehabt  habe.  Höchst  wichtig  ist  vor  Allem  eine 
genaue  Diagnose  Zwischen  Fehris  dentitionis,  Fehris  hgdrocephalica ,  Fehris 
vervlinosa,  Febris  lenta  mit  Atrophie  und  zwischen  der  Gastromalacie  finden 
manche  ähnliche  Symptome  statt,  die  die  Unterscheidung  um  so  schwieriger 
machen,  da  jeue  Übel  nicht  selten  mit  diesem  coraplicirt  erscheinen,  häufig 
die  Magenerweichung  wol  auch  nur  Folge  jener  Übel,  al.so  etwas  Secundä- 
res  ist;  denn  fast  immer  zeigte  die  Section  ausser  der  bekannten  Erweichung 
des  Magens  und  der.  etwauigen  Gastrobrosis  merkwürdige  Abnormitäten  in 
andern  Gebihlen:  im  Gehirn,  in  den  Lungen,  in  der  Leber,  in  den  Nieren, 
in  der  Milz  (s.  Fleisckmnvn  und  unten  die  erste  Beobachtung).  Da  die 
Symptome  und  der  Verlauf  der  Krankheit  nicht  immer  gleich  sind,  so  ist  es 
für  klinische  Zwecke  nöthig ,  mehrere  verschiedenartige  Zustände  genauer 
zu  beleuchten.  Ganz  richtig  sagt  Becker  in  seiner  schönen  Abhandlung  über 
Gastrobrosis  (s.  HufelniuVs  Journal  1827.  St.  3,  4  und  5),  die,  obgleich 
grö&stentheils  aus:  „  Medecine  legale  par  Lecieux ,  Renard,  Lesnc  et  Rieux, 
Paris,  1819 "  entlehnt,  doch  auch  viele  eigene  Ansichten  entwickelt,  dass 
die  Natur  dieser  wahrhaft  proteusartigen  Krankheit  durch  die  bisherigen 
Untersuchungen  keinesweges  schon  genügend  erläutert  worden  sey,  obgleich 
Jäger' s,  Chaussier's  und  Cruveilhier's  Verdienste  um  diesen  Gegenstand  alle 
Anerkennung  verdienen.  Auch  er  wirft  dabei  die  gewiss  nicht  überflüssige 
Frage  auf,  ob  die  Gastromalacie  wirklich  als  ein  primäres  Leiden  des  Ma- 
gens, wodurch  die  übrigen  krankhaft  gefundenen  Eingeweide  nur  in  Mit- 
leidenschaft gezogen  würden,  oder  ob  sie  als  ein  secundäres,  als  Reflex 
krankhafter  Zustände  anderer  Gebilde,  zu  betrachten  sey'?    Ich  unterscheide 


GASTROMALACIA  879 

daher  folgende  Arten:    1)  Gnstromnlacia  primaria  seu  acuta.      Ist,   wie   die 
Cr.  chronica,  nur  eine  Kinderkrankheit,    eine  Unterart  der  Gastrobrosis  und 
ein  Morbus  siii  generis.      Bei    robusten  Kindern  tritt  sie  mit  mehr  oder  we- 
niger entzündlichen  Zufällen,    ähnlich  der  Gastritis  und  Encephaütid  hydro- 
cephalica  auf;  bei  schwächlichen  dagegen  wie  die  G.  chronica,  nur  mit  dem 
Unterschiede,  dass  sie  rascher  verläuft  und  dass  die  Bauchdecken  gespannt 
und  hei  SS,  nicht,  wie  in  den  gewöhnlichen  Fällen  der  Gastromalacie,  läh- 
mungsartig  erschlafft  sind  (M.) ,  welches  Gespanntseyn  entzündliche  Aifection 
des  Bauchfells  und  der  Gedärme  verrauthen  lässt.      Weder  Genuss  von  Gif- 
ten, noch  andere  in  die  Sinne  fallende  Schädlichkeiten  sind  vorhergegangen. 
Die  Krankheit  kann  schon   in   wenigen  Stunden  tödten  (s.  unten  den  ersten 
Krankheitsfall),  besonders  bei  blutreichen  Kindern.     Bei  Schwäclilingen  ver- 
läuft sie  in  5  bis  9  Tagen,  wo  entweder  schnelle  Genesung  oder  Tod  folgt. 
Hier  tritt  sie  als  ein  reines  Nervenleiden  auf,  zeigt  keine  entzündlichen  Zu- 
fälle, erregt  sehr  schnelle  Abmagerung,    daneben  Erbrechen,  grüne,  weiss- 
lich- gelbe  stinkende  Sedes,  und  oft  schon  am  Isten,  2len,  3i,en  Tage  jenes 
nie  fehlende  eigenthümliche  Agrypnocoma.     Cur.    Bei  wirklich  entzündlichen 
Zufällen  einige  Blutegel  an  den  Kopf,  an.  die  Magen  gegend ;  dann  innerlich 
Decoct.  althaeae  mit   Aq.  oxymurialica  (s.  oben).      Fehlen  die  Zeichen   ent- 
zündlicher Affectionen,    dann   gebe   man   sogleioh   die    let^ztgenannten  Mittel, 
lasse  recht  warme  Fomentationen  von  Spec.  aroraat.   auf  den   Unterleib  ma- 
chen,   gebe  bei  der  Besserung  Decoct.  rad.  colambo,  cascarilL,  und  zuletzt 
Tinct.  Bestucheffii,  nachher  Tinct.  ferri  muriatici.     2)  Gastramalacin  secun- 
daria seu  chronica.     Sie  kann  zu  chronischen  Hirnleiden,  zu  Atcophia  intan- 
tum,    zur  Dentitionsperiode  bei   schwächlichen  Kindern  hinzukommen.     Auch 
aufgefütterte,  schlecht  genährte,    plötzlich  entwöhnte  Kinder,    die  zä  Scro- 
phulosis  neigen,  haben  Disposition  dazu.     Vorboten  sind;  Mangel  an  Esslüst, 
unregelmässige,  bald  zu  häufige,  bald  zu  seltene,  dabei  sehr  veränderte,  oft 
grünliche  Sedes,  periodisches.  Erbrechen  etc.     Cur.    Im  Stadio  prodromorum 
pas.sen  Liq.  kali  carbon.  ^j ,  Aq.  foenicuü ,  Syr.  rhei  ana  gj.    Alle  2  Stunden 
l  Theelöffel  voll.     Dabei  Reiben  desHiganzen  Körpers  mit  erwärmtem  Flanell, 
aromatische  Bäder,  recht  warm  applicrrt,  gesunde  Mutter-  oder  Aniinenmilch, 
später  Eichelkaffee.     Bei  wirklich  ausgebrochenem  Übel   hat   auch   hier  an- 
fangs die  Aq.  oxymuriatica  nach  Blnsius,  später  Rheum,  Columbo,  Simaruba 
und  Eisen   die  besten  Dienste    geleistet.      In   einigen  Fällen   gab  ich,   wenn 
keine  Diarrhöen    stattfanden,    dreimal  täglich  % — ^  Vi  Gran  Merc.  dulcis  mit 
einigen  Granen  Magnes.  carbon.  und  Zucker,    welche  Pulver    einen  gallert- 
artigen bräunlich- gelben  Schleim  (der  wie  Kalbtleischgelee  bei   d«r  Berüh- 
rung zitterte),  mit  den  Sedes  vermischt,  entfernten,  worauf  schnelle  Besse- 
rung  folgte.      Wenn   der   agrypnocomatöse  Zustand    bei    der    Gastromalacie 
deutlich  den  verminderten  Nerveneinlluss  auf  die  splanchnischen  Eingeweide 
als  etwas    der  Krankheit.  Wesentliches  a'us.spricht ,    wenn  wir   ferner    wissen, 
dass  nichts  so  kräftig  die  Nerven  wiederum  belebt,  als  der  Galvanismus,  so 
könnte  man  in  Versuchung  geratheii ,  solche  Kinder  vorsichtig»  zu  galvanisi- 
ren.     Dies  ist  zwar   bis  jetzt  von  mir  nicht  geschehen,    wohl  aber  habe  ich 
abwechselnd  Säuren  und  Kalien  (die  Aq.  oxymüriüt.  und  Liquor  kali  carbon., 
Magnesia)  gegeben,    weiche  Gegensätze  gleichfalls   im  Magen  eine  der  gal- 
vanischen ähnliche  belebende  Wirkung  hervorbringen;    und  ich    muss  geste- 
hen,  das.s  der  gute  Erfolg   dieser  scheinbar  incönsequenten  Cur   meine  Er- 
wartungen  noch  übertraf.      Auch  Nagel  fand,    wie  ich   in  den  Neuen   bres- 
iauer  Sammlungen   a.  d.  Gebiete   d,  Heilkunde,    1829.    Bd.  L,    lese,    Merc. 
dulc.  mit  Magnesia  in  der  Gastromalacie  nützlich.     3)  Gasiromalneia  »puria. 
So  nenne   ich   denjenigen   Zustand,    wo    kleine  Kinder   beim  Zahnen   (schnell 
abmagern,    sich  häufig  erbrechen  und  grüne  Stuhlgänge  haben.     Die  Neue- 
ren mögen  solche  Zustände  oft  für  Gastromalacie  gehalten  haben,  aber  mit 
grossem  Unrecht      Bei.  der  wirklichen  Gastromalacie  fehlt  das  Agryfnoeoma 
und  das  Gefühl  von  Kälfe  der  Glieder,    also  <lie  Abwesenheit  jeder  Fieber- 
hitze niemals,    desgleichen  die  grünliehen  Sedes,    obgleich  das  Erbrechen 
fehlen  kann ;  nur  die  Giisir  omni  acta  acuUt  oder  acutissima ,  welche  Gottlob ! 


880  GASTROMALACIA 

selten  erscheint  (ich  habe  nur  einen  Fall  der  Art  gesehen;  siehe  den  ersten 
Krankheitsfall) ,  mag  hiervon  eine  Ausnahme  machen ,  wenn  nicht  auch  sie 
vielleicht  ein  secundärer,  vom  Gehirn  und  Rückenmark  ausgehender  Zustand 
ist.  Wie  schnell  Kinder -beim  Zahnen  abmagei'n  können,  wie  schnell  sie 
bich  aber  auch  wieder  zu  erholen  im  Stande  sind,  selbst  ohne  Arzneien, 
dies  kann  der  Praktiker  in  der  Kinderpi'axis  genug  beobachten.  Aber  hif-r 
fehlt  durchaus  das  Agrypnocoma,  dagegen  sind  hier  Convulsionen  :  Eklampsie 
etc.j  häufiger.  Man  hüte  sich  ja,  solchen  Kindern  in  der  Meinung,  der  C>a- 
stromalacie  damit  zu  begegnen,  Opium  zu  geben.  Selbst  in  d«r  wirkliche'! 
Gastromalacie  halte  ich  es  innerlich  für  ein  zweideutiges  Mittel,  wenigstens 
habe  ich  es  hier  nur  äusserlich  als  Unguent.  oder  Empl,  opiat.  ange>\anclt. 
4)  Was  das  Wesen  oder  die  nächste  Ursache  der  Gastromalacie  betrilft,  so 
ists  weit  besser,  dass  wir  geradezu  sagen:  es  ist  ein  Morbus  sui  generis, 
d.  h.  wir  kennen  das  Wesentliche  der  Krankheit  nicht ,  als  dass  wir  im  ge- 
lehrten Tone  uns  mit  Definitionen  in  Worten  behelfen,  die  uns  wiedeinmi, 
tie  zu  erklären ,  viele  Mühe  machen  würden,  ohne  dass  das  Ganze  nur  im 
mindesten  fruchtbringend  für  die  Praxis  wäre.  Wie  verschieden  die  Ansich- 
ten darüber  sind,  haben  wir  oben  schon  gehört.  Sundelins  Ansicht  scheint 
noch  den  meisten,  die  Spitta^s  dagegen  den  wenigsten  praktischen  Werth  zu 
haben;  denn  der  Ausspruch:  „die  Krankheit  ist  ein  Rückbildungsprocess " 
erklärt  nichts  Wesentliches,  da  wir  überhaupt  von  dem  Wesen  aller  Bildung 
wenig  wissen,  sobald  wir  nur  die  schulgerechten  Kunstausdrücke  aus  unse- 
rer Sprache  streichen,  die  uns  in  der  Täuschung  des  Vielwissens  nur  zum 
Nachtheile  der  Praxis  erhalten.  Auch  die  Rhachitis  ist,  wenn  wir  wollen, 
ein  Rückbildungsprocess,  uud  dennoch ,  wie  gross  müssen  die  Differenzen 
dieses  Processes  seyn,  wenn  er  so  verschiedenai-tige  Producte  hervorbringt!  — 
Sehr  wahr  sagt  Becker  {HufelmuVs  Journ.  1827.  St.  5.  S.  25):  „Nicht  min- 
der ungewiss  (als  die  Diagnose)  und  schwankend  ist  unser  Wissen  über  das 
eigentliche  Wesen,  die  nächste  Ursache  der  Krankheit.  Dies  beweisen  diu 
widersprechenden  Ansichten  daüber,  sowol  der  altern  als  der  neuern  Ärzte. 
Unter  letztern  machte  bereits  Jäger  awf  die  Analogie  aufmerksam,  welche 
zW'ischen  der  von  Boer  zuerst  beschriebenen  Putrescenz  der  Gebärmutter, 
dem  Spitalkrebse  und  manchen  phagedänischen  Geschwüren  und  der  gallert- 
artigen Magenervveichung  stattfindet."  Herr  Med. -Rath  Klnalsch  in  ßeilin 
(^Uufdaad's  Journ.  1823.  Jan.  u.  Febr.)  hat  diese  Idee  mit  vielem  Schart- 
hinn  weiter,  verfolgt  und  aufs  Neue  auf  die  unverkennbare  Analogie,  welche 
zwischen  Cancer  aquaticus,  Putrescentia  uteri  und  <iastromalacia  stattfindet, 
ebenfalls  hingewiesen.  In  diesen  Krankheitsformen  findet  eine  wirkliche  or- 
ganische Zersetzung,  eine  wahre  Auflösung  der  nächsten  organischen  Be- 
jjtandtheile  und  dann  erst  nachfolgende  Zerstörung  statt ,  w  eiche  durchaus 
von  der  eigentlichen  Gangränes:cen&  in  ihrem  Wesen  abweicht  und  mit  die- 
ser nicht  zu  ver\\echseln  ist.  Wird;  freilich  durch  diese  sich  auf  Analogie 
gründende  Idee  das  Wesen  der  Krankheit  ebenfalls  nicht  aufgehellt,  so  ge- 
währt sie  doch  ,$uwol  ein  Regulativ  für  die  fernere  Untersuchung  dieser 
dunklea  pathologischen  Zustände,  als  zugleich  eine  Hindeutung  auf  eine 
sichere  und  zweckmässigere  Heilart,  und  verdient  in  dieser  Hinsicht  mehr 
Berücksichtigung  und  Beifall  als  die,  soviel  i  mir  bekannt,  zuerst  von  dem 
Herrn  Recensenten  der  Schrift  Cruveilhier^s:  Medecinc  pratiijue  eclairee. 
Paris,  1821.  C^h.  1.  in  der  Allg.  Halleschen  Literaturzeitung,  1824.  Nr.  57. 
S.  454  ausgesprochene ,  nachhei'  von  Mehreren  beifallig  angenommene  Hj-po- 
these  einer,  bei  dieser  Krankheit  sowol,  als  bei  der  ähnlichen  Erweichung 
anderer  Gewebe  des  Körpers  stattfindenden  Rückbildung,  oder  Rückschrei- 
ten auf  die  frühere  Bildungsstufe.  ,Denn  durch  diese  Annahme  wird  das 
Wesen  dieser  Krankheit  ebenfalls  nicht  positiv,  sondern  nur  negativ  oder 
insofern  erläutert ,  dass  das  Vorhergehen  eines  entzündlichen  Zustandes  als 
ursächliches  Moment  gänzlich  ausgeschlossen ,  und  auf  den  Zustand  eines 
sehr  hohen  Grades  von  Schwäche  hingedeutet  wird.  Die  neuesten  Erfah- 
rungen über  die  gute  Wirkung  der  Holzsäure,  besonders  aber  der  Salpeter- 
säure und  des  Chlora  in  der  Gastromalacie  sprechen  sehr  zu  Gunsten   der 


GASTROMALACIA  881 

Jäger'schen  Ansicht  (vergl.  Pitschafl  in  Rnst's  Magazin.  Bd.  XXI.  S.  203. 
Wiesmann  in  Hom^s  Archiv,  1824.  Sept.,  Octbr.  S.  205.  Blasius  in  Rus^s 
Magazin,  ß.l.  XXVII.  Hft.  3.  S.  453.  BnumgnrUm,  Dissert.  de  Gastro-  et 
Knteromalacia  infantum.  Berol.  1831).  Auch  sind  meine  eignen  Erfahrungen 
höchst  günstig  dafür,  besonders  für  die  Aq.  oxymuriatica ,  wie  dies  in  den 
unten  angehängten  Krankengeschichten  näher  erörtert  worden  ist.  Betrach- 
ten wir  die  Umstände  und  Fälle,  unter  denen  die  Gastromalacie  am  häufig- 
sten auftritt,  genauer,  so  finden  wir,  dass  schlecht  genährte  Kinder,  be- 
sonders vom  4ten  bis  zum  löten  Lebensmonate  die  meiste  Neigung  dazu  ha- 
ben. Zugleich  sagen  uns  die  Resultate  der  Sectionen,  dass  entweder  eine 
kaustische  Schärfe,  die  chemisch  zerstörend  auf  die  Magenhänte  einwirkte, 
stattfand,  oder  dass  das  Übel  in  wahre  Gangränescenz  in  Folge  von  Meta- 
stasen (besonders  Masern,  Friesel,  Erysipelas)  überging.  Der  tödtliche  Aus- 
gang durch  Gastrobrosis  ist  demnach  Folge  entweder  von  Gangrän  oder 
von  einem  wahren  organischen  Septicura.  Die  Gastrobrose  ist  daher  eigen- 
thümlicher  Art ,  ist  verschieden  von  jeder  andern  bei  Erwachsenen  beobach- 
teten Durchlöcherung  des  Magens,  ist  durchaus  nicht  die  Folge  von  Ent^- 
zündung,  wie  die  Sectionen  bewiesen  haben,  da  man  nur  höchst  selten  Spu- 
ren von  Congestion  und  nie  von  Entzündung  am  leidenden  Organe  fand 
(vgl.  Becker  a.  a.  O.  -fbi.  5.  S.  31).  Dr.  Romberg  in  Berlin  (s.  Rust's  Ma- 
gazin, Bd.  XXX.  Hft.  1.  S.  144)  fand  folgendes  Verhältniss  des  häufigem 
oder  seltenern  Auftretens  der  Krankheit :  Unter  50  Fällen  kommen  nur  6  auf 
ein  späteres  Alter  als  über  das  2te  Lebensjahr,  nämlich  vom  Isten  bis  3ten 
Monate  (incl.)  6  Fälle,  vom  4ten  bis  6ten  M.  17  F.,  vom  7ten  bis  Uten 
M.  7  F.,  vom  Isten  bis  2ten  Jahre  14  F.,  vom  3ten  bis  5ten  Jahre  6  F. 
Alle  diese  Umstände  berechtigen  zu  der  Annahme ,  dass  die  eigentliche  gal- 
lertartige Erweichung  der  Magenhäute  stets  nur  eine  Kinderkrankheit  eigen- 
thümlicher  Art  constituire,  die  auch  ohne  wirkliche  Gastrobrose  in  Folge 
allgemeiner  der  Chlorosis  ähnlicher  Kachexie  tödten  könne,  und  durchaus  nicht 
auf  Entzündung,  sondern  vielmehr  auf  unvollkoraraner  Assimilation,  Chymi- 
fication  und  Sanguification  in  Folge  eines  mangelhaften  Einflusses  der  orga- 
nischen Nenen ,  besonders  des  Vagus  und  Sympathicus  maximus ,  beruhe, 
wodurch  der  Chemismus  der  Assimilation  nicht  gehörig  von  Statten  geht. 
So  bemerken  wir  bei  Status  pituitosus ,  besonders  bei  chronischer  Blennor- 
rhoe der  Gedärme,  nicht  selten  Abgang  eines  sehr  scharfen  kaustischen 
Schleims ,  und  die  epidemischen  Einflüsse ,  welche  auch  bei  der  Gastromala- 
cie nicht  ganz  übersehen  werden  dürfen,  sind,  der  Erfahrung  gemäss,  oft 
Ursache,  dass  pituitöse  Fieber  einen  putriden  Charakter  annehmen.  Sowie 
ferner  Helminthiasis  und  Atrophie  Schleimfieber  begünstigen,  die  auch  in  ih- 
rem, freilich  langsamem  Verlaufe  manche  Ähnlichkeit  mit  der,  besonders 
chronischen  Gastromalacie  darbieten  (Frostgefuhl ,  kalte  Extremitäten,  kalte 
Schweisse,  Apathie,  Ermattung),  so  sind  atrophische  und  an  Wurmkrank- 
heit leidende  Kinder  besonders  auch  zur  Magenerweichung  disponirt.  Nur 
Säuglinge  mit  blondem  Haar  und  blauen  Augen  waren  nach  meinen  Beob- 
achtungen der  Gastromalacie  unterworfen,  nicht  aber  solche  mit  dunklem 
Teint.  Wenn  Pohl  in  seiner  übrigens  schätzbaren  Dissertation:  CoUectanea 
sistens  de  Gastritidis  morborumque,  qui  eam  sequuntur,  pathologia.  Lips. 
1822,  die  Gastromalacia  infantum  von  einer  vorhergegangenen  Gastritis 
acuta  aut  chronica  ableitet,  so  irrt  er  darin  laut  den  Resultaten  aus  den 
Leichenöffnungen  und  allen  Symptomen  der  Krankheit  offenbar.  Auch  F. 
Lesser  leitet  in  seiner  gehaltvollen  Schrift:  Die  Entzündung  und  Verschwä- 
rung  der  Schleimhaut  des  Verdauungscanais.  Berlin,  1820.  Abschn.  6,  die 
Gastromalacie  von  Entzündung  der  Magenschleimhaut  ab,  aber  leider  ist  in 
unserer  Zeit  der  Begriff  von  Inflaromation  so  sehr  ausgedehnt  worden,  dass 
er  allen  Werth  am  Krankenbette  verlieren  muss.  Wie  wenig  dieses  auf 
Wahrheit  gegründet  ist,  lehrt  schon  der  Umstand,  dass  die  Magengegend 
oft  gar  nicht  schmerzt ,  wie  ich  es  oft  wahrgenommen ,  desgleichen  Dr. 
Wolf  hei  einem  Kinde,  das  3  Wochen  krank  war,  aber  nicht  erbrach,  nur 
grüne  Sedes  hatte,  oft  alle  Stunden  Extr.  nuc.  vom.  und  Columbo  bekam, 
Most  Bncyklopädi«.  Ste  Aufl.  I.  55 


g82  GASTR0MALAC1A 

aber  dennoch  etarb  (s.  Rusfs  Magaz. ,  1827,  Hft.  1,  8.  99).  Weit  rkbö- 
ger  is^t  Carl  VogeVs  Ansicht,  dass  die  Krankheit  wesentlich  der  Chlorosis 
ähnlich  sey ;  daher  er  denn  auch  Rothwein,  Eichelkaffee,  und  im  hohen 
Grade  täglich  1  —  2  Tropfen  Tinct.  opii  crocata  anräth  (s.  Rus€s  Magazin, 
1828,  Hft.  2,  S.  S15).  Wundern  muss  man  sich,  dass  Winter  (s.  Rnsf* 
Magaz.,  Bd.  XXXIII.  Hft.  2,  S.  2S2— 327)  in  seiner  übrigens  guten  Ab- 
handlung gleichfalls  das  Wesen  der  Krankheit  in  Entzündung  in  Folge  ye- 
nöser  Congestion  sucht.  Meissner,  der  in  seinem  Handbuche  der  Kinder- 
krankheiten richtig  bemerkt ,  dass  die  Zeichen  dieser  Krankheit ,  woran  auch 
alte  Branntweintrinker  leiden  können,  oft  trügerisch  und  die  Diagnose  schwer 
sey,  hält  das  Übel  fiir  ein  der  Putrescentia  uteri  Boer's  ähnliches;  er  lobt 
besonders  innerlich :  I^  Aq.  fior.  nnphne  §jj ,  Acid.  pyroUgnosi  3jj ,  Sijr.  emul- 
siv.  §].  M.  S.  Alle  Stunden  einen  halben  Esslöfiei  voll.  Eine  genaue  Be- 
schreibung und  Kritik,  desgleichen  eine  ausführliche  Literatur  der  Magen- 
erweichung findet  man  in  folgender  Schrift:  C.  Fr.  Pletiner,  De  Gastroma- 
lacia  dissert.  Berol.  1827.  —  Zum  Beschluss  mögen  hier  einige  Krankheits- 
falle noch  Platz  finden. 

'Erster   Fall.     Garlrotnalacia   amlissima.     Im  Jahre  1826   bekam  ich 
das  leicht  geborene  Kind  des  Musicus  W.  hieselbst,  1  Tag  alt,  wegen  an- 
haltenden Schreiens   in  die  Cur.     Das  Kind  wollte   die  Brust   der  sensiblen, 
blonden,  an  Hysterie  leidenden  Mutter  nicht  anfassen.     Ich  fand  die  Brüste 
sehr  hart   und  aufgetrieben   von  Milch,    Hess   sie  durch   eine    andere  Person 
aussaugen,  so  dass  der  Säugling,  ein  Knabe  mit  blondem  Teint,   die  War- 
zen fassen  konnte,    und  das  Geschäft   ging   gut  von  Statten;   das  Schreien 
unterblieb ,   sowie  der  Hunger  gestillt  war.     Später  fing  der  Knabe  an  sehr 
wohlgenährt  zu  werden  ,  litt  indessen  fortwährend  an  Hartleibigkeit ,    hatte, 
wenn  er  nicht  klystiert  wurde,  nur  alle  zwei  Tage  Öffnung,  die  Sedes  wa- 
ren hart,  oft  weisslich,  zähe  und  gehackt;  dabei  des  Nachts  sehr  unruhiger 
Schlaf  und  mitunter  leichte  Convulsionen.     Eröffnende  Laveraents ,  laue  Bä- 
der, zuweilen  etwas  Syr.  rhei ,    mannae  mit  Aq.  foeniculi  änderten  den  Zu- 
stand nicht  auf  die  Dauer.    Die  nächtliche  Unruhe  nahm  zu,  der  Leib  musste 
stets  durch  Klystiere  offen    erhalten  werden  ,    und  das  Kind  wurde   dennoch 
immer  wohlgenährter.     Es  entwickelten   sich  die  Sinne  für   sein  Alter  ziem- 
lich  rasch;    das  Kind    war  weder  reizbar,    noch  schläfrig,    und  machte  der 
Mutter,  das  ewige  nächtliche  Schreien  abgerechnet,  \'iel  Freude.     Die  Lei- 
besöffnung wurde  allmälig   regelmässiger,    und  auch  des  Nachts   schlief  das 
Kind  weit  ruhiger.      Die  Sedes  waren   zuweilen   etwas   grünlich;    doch  war 
die»  nur  selten  der  Fall.     Periodisch,  besonders  alle  7 — 8  Tage,  trat  wie- 
der eine  sehr  unruhige  Nacht  mit  Aufschreien  aus  dem  Schlafe ,    doch   ohne 
Convulsionen ,   ein.      Das  Kind   blieb  wohlgenährt   und   dem  Anscheine   nach 
gesund  bis  zum   dritten  Monate.      Hier  werde  ich   eines  Morgens    früh  eilig 
zu  demselben  verlangt,    finde   es  aber   bei  meiner  Ankunft   schon   todt.     Es 
hatte   die    Nacht    über   bis   gegen   5  Uhr   ruhig    geschlafen,    war   dann   mit 
einem  heftigen  Geschrei   aufgewacht,    hatte  mit  den  Gliedern  gezuckt,    wu- 
am  Kopfe  und  au  den  Extremitäten  kalt  geworden  und  binnen  einer  Stunde 
gestorben.      Section.     Sie   wurde    12  Stunden   nach   dem    Tode    gemacht. 
Der  äussere  Habitus  der  Leiche  war  ein  blasses,  aufgedunsenes,   leukophle- 
gmatisches  Ansehn ,    Schlaffheit  aller  Muskeln ;    das  Blut   war   in    allen  Ge- 
fassen  dünnßüssig  und   arm  an  Cruor.     Das  Gehirn  war  im  normalsten  Zu- 
stande, weder  Spuren  von  Entzündung,  noch  von  Extravasat  oder  Exsudat 
zu  finden,   die  Brusthöhle  zeigte  gleichfalls  nichts  Abnormes;    der  Unterleib 
wurde  geöffnet  und  der  Magen  inwendig  in  seinem  ganzen  Fundus  mit  einer 
gallertartigen  Masse,   mit  Zerstörung  der  Schleimhaut  und  grosser  Mürbig^ 
keit,  so  dass  man  ohne  Mühe  mit  dem  Finger  alle  Magenhäute  durchstossen 
konnte,   gefunden.     Dieselbe  Rlürbigkeit   fand  sich  an   mehreren  Stellen  de« 
Darmcanals,    der   leer  und   von    Luft  aufgetrieben  war.      Auffallend    mürbe 
war  auch  die  Leber,    die  Milz,    das  Herz  und  die  linke  Niere,    welche  zu- 
gleich nox--h  einmal  so  gross  als  die  rechte  war.     Der  Pylorus  war  rund  um- 
her Von   rothen   Blut^efäsaen  wie  injicirt,    zeigte  indessen   keine  Spur  von 


GASTROMÄLACIA  883 

Entzündung.  Seit  14  Tagen  hatte  das  Kind ,  wie  ich  ron  der  Mutter  er- 
fuhr, sich  oft  erbrochen  j  seit  8  Tagen  war  es  mitunter  gefüttert  worden, 
und  hatte  besonders  den  Tag  vor  dem  Tode  eine  grosse  Quantität  Milch 
und  Semmel  genossen,  welche  Masse  eine  Stunde  vor  dem  Tode  wieder 
.  durch  Erbrechen  ausgeleert  worden  war.  Hier  lag  also  durchaus  nicht  nur 
ein  topisches  Leiden,  sondern  ein  Allgemeinleiden,  eine  wahre  Cachexia  ma- 
lacosa,  ähnlich  der  Cachexia  chlorotica,  wie  der  aufgedunsene  Habitus  und 
die  Section  bewiesen,  klar  am  Tage. 

Zweiter  Fall.  Grtstromalncia  acuta.  Am  lOten  Decbr.  1828  bekam 
ich  den  kleinen  Sohn  des  Hrn.  M.  hieselbst,  8  Tage  alt,  blond,  mager,  mit 
folgenden  Zufällen  in  die  Cur.  Öfteres  Erbrechen  seit  3  Tagen  ,  schneller, 
kleiner  Puls,  Gesichtsblässe,  kalte  Glieder,  kalter  Kopf,  Agrypnocoma, 
ausserordentlich  schnelle  Abmagerung  und  Schwäche,  grünliche,  stinkende 
Diarrhöe.  Vor  3  Tagen,  wo  das  Übel  begonnen  hatte,  war  das  Kind  noch 
ganz  wohl  gewesen,  hatte  aber  vielen  Durst  gezeigt,  und  am  ersten  Abend, 
aber  nicht  später,  etwas  brennende  Hände  gehabt.  Die  Anamnese  ergab 
Folgendes :  Die  Mutter  des  Kindes  ist  26  Jahre  alt ,  hat  schon  dreimal  ge- 
boren, ist  mager,  blass  und  hysterisch,  hat  in  ihrer  Kindheit  an  Rhachitis, 
in  der  Pubertätszeit  aber  mehrere  Jahre  an  Anomalien  der  Menstruation  und 
Chlorosis  gelitten.  Cur.  Das  Übel  hielt  ich  für  Gastromalacie ,  verordnete 
innerlich  die  Aq.  oxymuriatica  in  Decoct.  rad.  althaeae  nach  Blasius,  Hess 
den  Unterleib  mit  warmen  aromatischen  Kräutern  und  Wein  fomentiren,  den 
Rücken  mit  Avarmen  trocknen  Flanelltüchern  reiben  und  verordnete  laue  äthe- 
rische Bäder.  Der  Erfolg  war  sehr  günstig.  Das  Erbrechen  liess  nach, 
das  blasse  apathische  Gesicht  bekam  Röthe  und  Leben,  die  grünen,  gehack- 
ten Stuhlgänge  wurden  gelblich  und  von  normaler  Beschaffenheit,  und  das 
Kind  erholte  sich  schnell  wieder.  Später  gab  ich  Decoct.  salep,  etwas  Tinct. 
rhei  mit  Aq.  foeniculi ,  und  liess  drei  Stahibäder  nehmen.  Die  Mutter  wollte 
sich,  so  sehr  ich  auch  darauf  drang,  nicht  zur  Anschaffung  einer  Amme  ent- 
schliessen.  Sie  hat  den  Knaben  fortgestillt,  der  sich  bis  zum  heutigen  Tage, 
einige  Digestionsschwäche  und  Neigung  zu  Obstrüctio  alvi  abgerechnet,  ganz 
wohl  befindet  und  auch  beim  Zahnen  (er  hat  jetzt  10  Zähne)  nur  Vvenig 
gelitten  hat.  Er  soll  jetzt  (April  1830)  mit  Vorsicht  entwöhnt  werden. 
Dieser  Fall  beweist,  dass  auch  Kinder  in  den  ersten  Lebenstagen  das  Übel 
bekommen  können. 

Nachschrift.  Ende  Aprils  wurde  der  Knabe,  obgleich  er  sehr  vor- 
sichtig entwöhnt  und  nur  mit  der  leichtesten  Milchnahrung  genährt  worden, 
dennoch  noch  einmal,  8  Tage  nach  dem  Entwöhnen,  von  der  schrecklichen 
Gastromalacie  befallen.  Er  magerte  so  schnell  ab  und  alle  bekannten  Zu- 
fälle :  der  grosse  Durst ,  die  Gier ,  womit  er  trank ,  die  Schnelligkeit  des 
Pulses,  das  Agrypnocoma,  das  Erbrechen  waren  so  bedeutend,  dabei  mehr 
Neigung  zu  Obstrüctio  alvi,  Sedes  grün,  gelblich,  zähe,  gehackt,  dass  ich 
für  sein  Leben  fürchtete.  Ausser  aromatischen,  warmen  Bädern  und  Aq. 
oxymuriatica ,  welche  in  den  ersten  4  Tagen  wenig  leisteten ,  besserte  sich 
der  Zustand  auf  24  Stunden  durch  den  Genuss  von  Rothwein  (alle  2  Stun- 
den 1  Theelöffel  voll)  bedeutend.  Am  andern  Tage  Verschlimmerung.  Jetzt 
gab  ich  6  Dosen  aus:  ly  Merc.  dulc.  gr.  ß,  Mngnes.  cnrhon.  gr.  v,  Giimm. 
arab.,  Sacchari  albi  ana  gr.  vj.  Alle  3  Stunden  % — 1  Pulver.  Hiernach 
entschied  sich  die  Krankheit.  Es  ging  durch  den  Stuhlgang  der  gallertar- 
tige Schleim  ab;  der  Knabe  bekam  nun  Tinct.  nervina  Bestucheff, ,  dreimal 
täglich  5  —  8  Tropfen  mitRothvvein,  ist  jetzt  wieder  gesund  und  wohl,  und 
hat  bis  heute  (24sten  Juli)  12  Pfund  an  Gewicht  zugenommen. 

Dritter  Fall.  Gastromalada  chronica.  Am  6ten  Juli  1829  bekam 
ich  das  6  Monate  alte,  magere,  abgezehrte,  aufgefütterte  Kind  des  Mau- 
rers St.  mit  dieser  Krankheit  in  die  Cur.  Es  hatte  schon  seit  mehreren 
Wochen  an  schlechter  Verdauung ,  an  öftern  grünen ,  gehackten  Dui'chfällen, 
Erbrechen  von  Schleim  etc.  gelitten.  Auch  jetzt  waren  die  Sedes  ganz  wie 
Spinat,  von  sehr  üblem  Geruch,  der  Puls  klein,   schnell  und  schwach,  das 


884.  GASTROMALACIA 

Gesicht  und  die  Glieder  kalt,  kalte  Seh  weisse;  dabei  stetes  Wimmern ,  hSchst 
verfallnes  Gesicht ,  Agrypnocoma ,  aber  kein  Erbrechen ,  der  Leib  etwas 
aufgetrieben ,  aber  nicht  schmerzhaft.  Die  Anamnese  ergab  dieses :  die  Mut- 
ter des  Kindes  ist  höchst  ungesund,  leidet  an  Krämpfen,  an  habitueller  Ver- 
stopfung des  Leibes,  war  in  der  Kindheit  rhac.hitisch  ,  später  höchst  schwäch- 
lich, reizbar,  an  Verkehrtheiten,  Melancholien  leidend.  Im  Wochenbette 
trat  heftiges  Fieber  mit  Mania  puerperalis  ein.  Deshalb  bekam  das  Kind 
keine  Brust ,  sondern  wurde  mit  Milch  -  und  Mehlspeisen  ,  mit  grober  Kost, 
selbst  mit  Biersuppen  und  andern  schädlichen  Dingen  gefüttert.  Behand- 
lung. Zuerst  ein  w  armes  Bad  mit  Spec.  aromat. ,  wonach  aber  kein 
Schweiss  folgte;  innerlich  I^f  Liq.  Jcali  carbon.  ö\ij  -Ai).  foeniculi  3J(^,  Syr. 
rhei  §j.  M.  S.  Stündlich  1  Theelöffel  voll ;  äusserlich  zum  Einreiben  dee 
Leibes  Linim.  volat.  camph.  gj ,  Laudani  liquid.  Syd.  5tV.  Den  7tenr  Juli. 
Etwas  Besserung.  Die  Sedes  haben  eine  natürliche  gelbliche  Farbe  bekom- 
men ,  die  Glieder  sind  wärmer  geworden ,  der  schlafwache  Zustand  ist  ver- 
schwunden; auch  die  Stimme  ist  kräftiger  geworden,  so  dass  das  Kind 
nicht  mehr  wimmert,  sondern  periodisch  laut  schreiet.  Bedeutenden  Durst 
hat  das  Kind  nicht;  es  bekommt  Haferschleim  mit  etwas  Zimmt  zum  Ge- 
tränke. Den  lOten  Juli.  Da  sich  der  kleine  Patient  nach  diesen  Mitteln 
ziemlich  erholt  hatte,  so  verordnete  ich  jetzt  nur  eine  strenge  Diät,  frische, 
ungekochte,  noch  warme  Kuhmilch,  und  mitunter  etwas  Kalbfleischbouillon 
zur  Nahrung,  alle  2  Tage  ein  laues  Bad  von  aromatischen  Kräutern  mit 
Calam.  arom. ,  und  innerlich  Tinct.  nervina  Bestuchetf. ,  dreimal  täglich 
4  —  6  Tropfen  in  Salepschleim.  Ich  rieth,  diese  Mittel  mehrere  Wochen 
lang  fortzusetzen,  besonders  da  sie  dem  Kinde  so  gut  bekamen,  dass  es  au- 
genscheinlich an  Munterkeit  und  Kräften  zunahm,  und  die  schwächenden 
Diarrhöen  verschwunden  waren.  Mein  Rath  wurde  nur  in  den  ersten  8  Ta- 
gen befolgt.  Dann  unterblieb  das  Mediciniren  wie  das  Baden.  Auch  die 
Diät  wurde  nicht  streng  beobachtet;  das  Kind  bekam  wieder  grobe  Kost 
und  fing  wieder  an  magerer  zu  werden.  Meine  Vorstellungen  fnichteten 
wenig;  so  ermüdete  ich  und  blieb  weg.  Den  SOsten  August.  Heute  werde 
ich  vdederum  zu  meiner  kleinen  Patientin  verlangt.  Die  Zufalle  waren  wie- 
derum ganz  dieselben  wie  am  6ten  Juli,  aber  in  einem  noch  höhern  Grade; 
die  Gesichtszüge  höchst  leidend,  die  Augen  tief  in  der  Augenhöhle,  der 
Körper  war  seit  wenigen  Tagen  höchst  mager  und  welk  geworden ;  das 
Agrypnocoma  war  bedeutend.  Warme  aromatische  und  ätherische  Fomenta- 
tionen  auf  den  Unterleib ,  innerlich  Aq.  oxymuriatica  nach  Blasius.  Den 
Slsten  August.  Keine  Besserung  des  Krankheitszustandes,  obgleich  ^\\  Chlor 
verbraucht  ist  und  die  grünen  Sedes  gelblich  geworden  sind.  Ich  verord- 
nete nun  das  Acid.  pyro -lignosum  nach  Pitschaft  (s.  oben),  und  Hess  die 
warmen  Foraentationen  fortsetzen.  Den  22sten  August.  Verschlimmerung. 
Höchst  kleiner,  schneller,  kaum  fühlbarer  Puls,  kalte  Schweisse,  aufgetrie- 
bener Unterleib ,  schrecklicher  Durst  und  die  cigenthümliche  Physiognomie 
der  Gastrobrose  (s.  den  Art.).  In  der  Nacht  zwischen  2  und  3  Uhr  folgte 
der  Tod.  Section.  Ich  verrichtete  sie  16  Stunden  nach  dem  Tode,  und 
fand  einen  höchst  abgemagerten  Körper,  am  Rücken  Todtentlecke,  höchst 
mürbes,  weiches  Herz,  eben  solche  Leber,  Milz;  das  untere  Ende  des 
Oesophagus,  der  Magengrund  und  mehrere  Stellen  des  Dünndarms  zeigten 
einen  Überzug  von  gelblich- bräunlichem  Schleime  (ganz  ähnlich  dem  gal- 
lertartigen, zitternden  Schleime,  der  bei  der  Besserung  abzugehen  und  sich 
durch  Stuhlgang  zu  entleeren  pflegt.  Siehe  oben  den  zweiten  Fall),  ein- 
zelne dunkle  mistfarbige  Stellen ,  die  so  mürbe  waren ,  dass  man  alle  Ma- 
gen- und  Darmhäute  an  diesen  Stellen  mit  den  Fingern  zerreiben  konnte; 
ausserdem  im  Fundo  ventriculi  ein  wirkliches  Loch  von  der  Grösse  eines 
Silbergroschens,  Die  Gedärme  waren,  wie  der  Magen,  leer,  und  erstere 
durch  Luft  aufgetrieben ,  letztere  zusammengefallen.  Nirgends  war  eine 
Spur  von  Entzündung  zu  bemerken.  Der  Kopf  wurde,  weil  die  Angehöri- 
gen dies  nicht  zugeben  wollten,  nicht  geöffnet.  Noch  muss  ich  bemerken, 
dasä  der  Magen  an  einer  kleinen  Stelle  im  Grunde  desselben   mit  der  Milz 


QASTROMETROTOMIA  —  GASTRQSCOPU         885 

adh^nvte,    welche  Stelle   deutlich   eine  Vernarbung  zeigte  uud  gegenwärtig 
nicht  so  missfarbig  als  andere  Stellen  der  Magenschleimhaut  erschien. 

Vierter  Fall.  Gnstromnlacin  invipiens.  Am  24sten  November  1829 
wurde  ich  zu  dem  hiesigen  Schneidermeister  P.  verlangt,  um  dessen  Kind, 
ein  Mädchen  von  9  Monaten,  mager,  blass,  das  schon  längere  Zeit  an  al- 
lerlei Digestionsfehlern  gelitten,  in  die  Cur  zu  nehmen.  Die  Mutter  leitete 
das  Übel  von  den  Zähnen  her ,  indem  gerade  zwei  Zähne  durchgeschossen 
waren,  erzählte,  dass  sie  das  Unglück  gehabt,  schon  ein  Kind  ganz  an  der- 
selben Krankheit  zu  verlieren,  dem  ein  älterer  hiesiger  Arzt  ein  Brechmittel 
verordnet  habe,  worauf  es  binnen  einer  Stunde  gestorben  sey.  Sie  bat 
mich  deshalb,  diesem  Kinde  doch  ja  kein  Vomitiv  zu  verschreiben.  Alle 
Zufälle  sprachen  deutlich  die  anfangende  Gastromalacie  aus.  Die  Hände  et- 
was heiss ,  der  Leib  und  Kopf  kühl ,  die  Sedes  häufig ,  dünn  und  grünlich, 
das  Kind  lag,  wie  die  Mutter  sich  ausdrückte,  stets  im  halben  Schlummer, 
trank  häufig  und  viel,  erbrach  aber  nur  selten.  Behandlung.  Ein  war- 
mes Bad  von  28  Grad  Reaum. ,  bestehend  aus  Flor,  chamomillae ,  Herba  ro- 
rismar.,  salviae  und  ähnlichen  Dingen,  Innerlich  Aq.  oxymuriat.  in  Decoct. 
rad.  althaeae;  ausserdem  Einreibungen  des  ganzen  Unterleibes  mit  Linim. 
volat.  terebinthinatum.  Da  die  Mutter  gesund  zu  seyn  schien,  so  untersagte 
ich  ausser  der  Muttermilch,  die  oft  und  in  kleinen  Portionen  gereicht  wurde, 
jec^e  andere  Nahrung.  Das  Resultat  war ,  dass  bei  genauer  Befolgung  aller 
gemachten  Verordnungen  das  Kind  sich  von  Stunde  an  besserte  und  in  vier 
Tagen  völlig  hergestellt  war.  Zur  Nachcur  wurden  erst  Kalmusbäder,  dann 
Stahlbäder  verordnet  und  innerlich  die  Tinct.  ferri  muriat. ,  täglich  2 — Smal 
1  —  3  Tropfen  in  Haferschleim  gereicht.  Es  war  eine  rechte  Freude,  die 
schnell©  Zunahme  des  Gedeihens  bei  diesem  Kinde  zu  sehen.  Es  wurde 
späterhin  mit  Vorsicht  entwöhnt,  allmälig  an  leichte  Nahrung  gewöhnt,  und 
ist  bis  zum  heutigen  Tage  ein  gesundes  blühendes  Kind  und  wohlgenährt 
und  munter.  —  Ausser  den  hier  mitgetheilten  Fällen  von  Gastromalacie  sind 
mir  noch  5  ähnliche  vorgekommen;  in  zweien  folgte  der  Tod  schon  3  Stun- 
den nachdem  ich  die  Kinder  in  die  Behandlung  bekommen,  und  die  Section 
zeigte  nur  alleinige  Gastromalacie,  ohne  Erweichung  des  Oesophagus,  in 
den  andern  S  Fällen  genasen  die  Kleinen.  Sie  waren  durch  schlechte  Nah- 
rung schon  längere  Zeit  abgemagert.  Leider  ist  es  das  Loos  der  unglück- 
lichen unehelichen  Kinder,  dass  sie  von  der  eigenen  Mutter,  die  sich  fast 
immer  als  Amme  vermiethet,  stiefmütterlich  behandelt  und  alten  Weibern  in 
die  Kost  gegeben  werden,  wo  sie  in  Unreinlichkeit  und  durch  Verfüttern 
den  frühen  Tod  finden.  Wann  wird  die  Zeit  kommen ,  wo  der  Staat  auch 
diesen  langsamen  Kindermord  bestraft? 

dastrometrotomia,  der  Kaiserschnitt,  s.  Gastrotomia. 

Crastrono<>(OS*  Ist  jedes  Magen-  oder  Unterleibsleiden,  aber  keine 
gastrische  Krankheit. 

O^astropathia,  Magenleiden.  Jedes  noch  nicht  hinreichend  er- 
kannte Magenleiden,  jede  krankhafte  Affection  desselben  pflegt  man  Gastro- 
pathie  zu  nennen.  Letztere  dient  daher  zur  Polterkammer  für  jeden  nicht 
genau  erkannten  Krankheitszustand  des  Magens,  wo  es  also  besser  ist  die- 
sen genau  zu  untersuchen,  als  sich  mit  jenem  Worte  zu  begnügen.  Dafts 
Ramisch  die  Gastromalacie  so  nennt,  verdient  getadelt  zu  werden. 

Gastroplltbisis.     Ist  Phthisis  abdominalis. 

G^astrorrhag^ia,  Magenblutung,  s.  Haemorrhagia  ventriculi, 
Vomitus  cruentus. 

C^astrorrbapbia ,  die  Bauchnaht.  Ist  eine  Art  der  chirurgi- 
schen blutigen  Nähte,  welche  bei  Bauch-  und  Darm  wunden  angewandt  wird  ; 
8.  Vulnus. 

Oastroscopia»  die  Untersuchung  des  Unterleibes,  die 
Bauch  sc  hau.  Ist,  wie  das  Untersuchen  des  Bauches  mit  der  Hand,  zur 
Erkenntniss  und  Unterscheidung   der  Zeit  der   Schwangerschaft,   mancher 


886  GASTROSES  —  GERONTOXON 

Fieber  mit  Entzündungen  der  Lebw,  des  Magens,  der  Gedärme,  desglei- 
ctien  mancher  chronischer  Übel  von  Wichtigkeit.  Bei  Febris  nervosa,  neu- 
ropathica,  bei  Icterus,  bei  den  verschiedenen  Leiden  der  Leber,  der  Milz, 
des  Magens ,  Pankreas ,  des  Uterus ,  der  Ovarien ,  des  Mastdarms  etc.  ver- 
säume man  die  Untersuchung  durchs  Gefühl  und  Gesicht  ja  nicht. 

OastroseiS,  die  Gastrosen.  Ist  der  Gattungsname  für  alle  Magen- 
krankheiten, welche  Alihert  (Nosologie  naturelle;  T.  I.  Paris,  1807)  unter 
die  Trophopathien  subsumirt.  So  nennt  daher  derselbe  die  ganze  Classe 
der  Magenleiden. 

Oastrotomia,  s.  Hysterotomia. 

Oeniantralgia*  Ist  jedes  schmerzhafte  Leiden  der  Oberkinnbacken- 
hShle,  das  seinen  Grund  in  Entzündung,  Eiterung,  Polypen,  Exostosen  ira 
Antro  Highmori,  entstanden  durch  fremde  Körper,  Würmer,  die  sich  hin- 
einbegeben können,  durch  Verletzung  beim  Ausziehen  des  dritten  und  vier- 
ten Backenzahns ,  durch  syphilitische  Dyskrasie  etc. ,  hat  und  nach  der 
Grundkrankheit  behandelt  werden  muss. 

Oenneticocnesmus •  krankhaftes  Jucken  der  Zeugungs- 
t heile.  Ist  oft  ein  recht  lästiges  Übel,  besonders  bei  Frauen  (Pruritus 
vulvae),  wo  häufig  Fluor  albus  dazu  Gelegenheit  giebt.  Ein  wirksames 
Mittel  ist  hier  der  innere  Gebrauch  des  Bals.  copaivae,  dreimal  täglich  zu 
20  Tropfen.  Er  verschaffte  die  schnellste  und  vollkommenste  Heilung ,  wo 
schon  viele  äussere  und  innere  Mittel,  selbst  Opiate,  fruchtlos  angewandt 
worden  waren.  In  zwei  andern  Fällen,  wo  der  Copaivabalsam  nichts  half, 
waren  Waschungen  mit  Solutio  boracis ,  in  einem  dritten  das  Bestreuen  der 
heftig  gereizten  und  aufgekratzten  Theile  mit  einem  Pulver  aus  Amylum  und 
Lap.  calaminaris  nützlich  (s.  Ruan  in  North  American  medical  and  surgical 
Jüurn.  Octbr.  1828.  Hufeland's  Journ.  1830,  Januar,  S.  139).  Bei  Haut- 
excoriationen  durch  Fluor  albus  fand  ich  Zinksalbe  sehr  nützlich.  Bei  Män- 
nern entsteht  ein  beschwerliches  Jucken  der  Geschlechtstheile,  besonders  in 
den  Schamhaaren,  durch  Sudor  perinaei,  durch  ähnlichen  Schweiss  am 
Schooshügel.  Dieser  rührt  oft  von  Gicht  und  Hämorrhoiden  her,  scheint 
oft  kritisch  zu  seyn  und  darf  nicht  durch  kalte  und  zurücktreibende  Mittel 
vertrieben  werden.  In  mehreren  Fällen  half  hier  innerlich  ein  Pulver  aus 
Crem,  tartari  und  Flor,  sulphur.  Sind  Filzläuse  die  Ursache,  so  vertreibt 
man  diese  durch  die  bekannten  Mittel  (s.  Antiphthiriaca).  Bei  einem 
anhaltenden  Jucken  an  der  Glans  penis  achte  man  auf  allgemeine  Blennor- 
rhoe, behandle  den  sogenannten  Eicheltripper  durch  öfteres  Waschen  der 
Eichel  und  Vorhaut  mit  kaltem  Wasser,  mit  Kalkwasser,  mit  einer  höchst 
schwachen  Solutio  vitrioli  coerulei  (3(?f  in  Sj  Wasser),  und  durch  innere 
Mittel  gegen  die  Blennorrhoe.  Ausserdem  übersehe  man  nicht ,  dass  fremde 
Reize  in  der  Blase,  Blasensteine,  oft  ein  anhaltendes  und  beschwerlichea 
Jucken  an  der  Eichel  verursachen,  wo  denn  das  Grundübel  zu  behandeln  ist. 

CTeochosia,  das  Erdbad,  s.  Balnium. 

Oerontopia,  schwaches  Gesicht  der  Alten. 

Oerontoplithalniia.     Ist  Ophthalmia  senilis. 

Oerontoxon,  Gcrontotoxon ,  Macula  nrcuata,  Arcus  senilis,  der 
Gr  eisenbog  en,  Altersbogen.  Ist  eine  bei  alten  Leuten  oft  entste- 
hende bogenförmige  Verdunkelung  am  untern  Rande  der  Cornea,  die  sich 
nicht  blos  bei  Menschen ,  sondern  auch  bei  Thieren  findet.  Das  Übel  ge- 
hört zu  den  Gebrechen  des  Alters ,  zum  Marasmus  senilis ,  und  ist  unheil- 
bar, weil  es  das  Product  desselben  Processes  ist,  der  die  Arterien,  Knor- 
pel etc.  in  Knochenmaterie  verwandelt.  Zuweilen  findet  sich  die  Macula 
oculi  areuata  aber  auch  bei  jungen  Leuten  (^Mohrcnhcim ,  Si/hd,  Waiulrop, 
vgl.  Weilers  Krankheiten  des  Auges,  1822;  S.  133);  ja,  sie  kann  sogar 
angeboren  seyn.  Hier  versuche  man  die  gegen  Hornhautttecke  empfohlenen 
Mittel  (s.  Macula  corneae),  wenn  das  Sehvermögen  dadurch  beeinträch- 
tigt werden  sollte,  wem  indessen  nur  selten  der  Fall  ist. 


GEUSröDYSPHORlA  --  GLAUCEDO  887 

Oeufiifoclysphoria.  Ist  jede  zu  starke,  schmerzhafte  Affection 
durch  schnieckbare  Gegenstände;  z.  B.  bei  Aphthen  im  Munde.  Hier  ma- 
chen scharfe,  salzige,  saure  Dinge,  scharfe  Arzneien,  Mund-  und  Gurgel- 
wasser oft  heftige  Schmerzen.  Sie  müssen  in  solchen  Fällen  blos  aus  schlei- 
migen Dingen  bestehen  (s.  Angina  aphthosa  und  Febris  putrida). 

Ola^ucedo,  Glaucoma,  Oculus  caesiws,  Catnrncta  viridis,  Cat.  glau- 
comnlosa,  das  Glaukom,  der  sog.  grüne  Staar.  Ist  eine  graugrünliche 
Trübung  des  Glaskörpers  mit  gleichzeitig  oder  schon  früher  vermindertem, 
später  ganz  aufgehobenem  Sehvermögen.  Diese  Trübung  des  Glaskörpern 
geht  gewöhnlich  sehr  langsam  vor  sich ,  aber  die  Abnahme  des  Gesichts  oft 
sehr  schnell,  oft  augenblicklich;  sie  steht  wenigstens  mit  der  Trübheit  des 
Corpus  vitrei  in  keinem  Verhältnis«.  Da  nun  letztere  nur  ein  Grünsehen 
aller  Gegenstände,  nicht  völlige  Blindheit  zur  Folge  haben  würde,  so  muss 
man  den  Grund  des  gänzlichen  Mangels  an  Sehvermögen  in  den  sensiblen 
Theilen  des  Auges  suchen.  Daher  nennt  auch  TJ^eUer  das  Glaukom  keine 
Krankheit  besonderer  Art,  sondern  eine  recht  schlimme  Form  von  Amaurose. 
Auch  Ilimly  sagt  mit  Recht:  „Wo  Glaukom  ist,  da  ist  auch  schwarzer  und 
nicht  selten  zugleich  grauer  Staar."  Symptome,  Ursachen  und  Ver- 
lauf. Am  häufigsten  ist  das  Übel  arthritischen  Ursprungs.  Hier  geht  ent- 
weder eine  acute  oder  eine  schleichende  arthritische  Augapfelentzündung  vor- 
her. Erstere  giebt  sich  durch  bohrende,  reissende,  den  Augapfel  gleichsam 
spaltende  Schmerzen  zu  erkennen.  Der  Kranke  leidet  zugleich  an  Mücken- 
sehen, die  Pupille  erweitert  sich,  wird  der  Pupille  wiederkäuender  Thiere 
ähnlich,  so  dass  ihr  horizontaler  Durchmesser  sich  erweitert.  Diese  Form 
behält  die  Pupille  und  das  Gesicht  wird,  selbst  bei  höchbt  geringer  Trü- 
bung des  Glaskörpers ,  immer  schwächer  (^Henediclj  Himlij,  Langenhecli). 
Bei  der  schleichenden  Ophthalmia  arthritica  sind  die  schmerzhafter.  Alfectio- 
nen  oft  so  gering,  dass  nur  ein  scharfer  Beobachter  die  wahre  Krankheit 
entdecken  kann.  Bei  jungen  Leuten  kommt  das  Übel  fast  nie  vor,  nur  bei 
Personen  zwischen  30  und  60  Jahren.  Im  weitern  Verlaufe  des  Glaukom;* 
wird  der  Glaskörper  immer  durchsichtiger;  dabei  trübt  sich  häufig  die  Linse 
(Cataracta  viridis,  glaucomatosa) ,  sieht  grau  -  grünlich  aus,  wächst  in  ih- 
rem Umfange,  füllt  die  hintere  Augenkammer  aus,  drängt  die  Iris  hervor, 
legt  sich  in  die  erweiterte  Pupille  und  verkleineft  die  vordere  Augenkam- 
mer. Nun  wird  das  Auge  atrophisch ,  die  Augendeckel  fallen  ein  und  schlies- 
sen  sich  für  immer  {Vt'eUei-).  Diagnose.  Ist  nicht  immer  leicht.  Zu  An- 
fange des  Übels  sieht  die  Pupille  oft  graulich  aus  und  hat  Ähnlichkeit  mit 
Cataracta.  Hier  dient  zur  Unterscheidung  1)  dass  die  Verdunkelung  tiefer 
liegt;  2)  dass  der  Kranke  weit  schlechter  sieht  als  er  bei  Cataracta  inci- 
piens,  bei  leichter  Verdunkelung  der  Linse  sehen  würde;  3)  man  findet  den 
höchsten  Verdunkelungspunkt  nicht,  wie  bei  Cataracta,  in  der  Mitte  der 
Linse,  sondern  sehr  variabel,  immer  an  der  andern  Seite,  als  wie  man  selbst 
beim  Beschauen  des  Auges  steht.  Jeder  graue  Staar  ist  in  der  Mitte  satu- 
rirter,  wir  mögen  das  Auge  besehen,  von  welcher  Seite  wir  wollen,  bei 
Glaukom  ist  eine  tiefere  Spiegelung  im  Auge  (Hmily).  Bei  fortgeschritte- 
nem Übel  ist  die  Diagnose  leichter.  Die  Erweiterung  der  nach  beiden  Au- 
genwinkeln in  die  Länge  gezogenen  Pupille  ist  sehr  bedeutend,  so  dass  man 
oft  den  ganzen  Umfang  des  hinzugekommenen  grünen  Staars  sehen  und  bei 
genauer  Besichtigung  noch  einen  zweiten  grünen  Ring  um  diesen  entdecken 
kann.  Dabei  ist  der  Mensch  total  blind,  oft  die  Farbe  selbst  meergrün, 
selbst  die  der  Cornea,  und  die  Sclerotica  zeigt  grosse  variköse  Gefässe. 
Cur.  Das  ausgebildete  Glaukom  ist  unheilbar".  Durch  eine  zweckmässige 
Behandlung  der  Ophthalmia,  der  Iritis  arthritica  (Einreibungen  von  Linim. 
volat.  camph.  und  Laudan.  ana  in  die  A\igengegend,  Vesicatorien  in  den 
Nacken,  aufs  Auge  warme  aromatische  Kräuter,  Einreibungen  der  Brech- 
■weinsteinsalbe  hinter  die  Ohren ,  innerlich  Merc.  dulc. ,  Sulph.  aurat.  und 
Guajak)  verhütet  man  am  besten  diesen  schlimmen  Ausgang.  Ebenso  muss 
anck  die  Behaiidlung  seyn ,  wenn  auf  einem  Auge  schon  ein  Glaukom  da 
iat,  damit  nicht  auch  das   andere  Auge   ergriffen  wird   and   verloren   geht. 


888        GLAUCOSIS  —  GLOSSOSCOPU 

.  Hier  wende  man  besonders  eine  recht  kräftige  innere  Cur  gegen  die  Gicht 
an  (s.  Antarthritica  und  Arthritis).  Äusserlich  versuche  man  das 
Strychuin  nach  der  Methode  emplastro  -  endermique ,  worüber  der  Artikel 
Amaurosis  nachzulesen  ist. 

Olaucosis.  Ist  der  das  Glaukom  hervorbringende  Process,  die  Bil- 
dung oder  Entstehung  des  Glaukoms;  also  nicht  einerlei  mit  Glancomn. 

Crlenitis*  So  nennt  Hnrlcss  die  Entzündung  der  KrystalUinse ;  8 
Len  litis. 

CrlobuiS  liystericus ,  Nodus  hystericus,  hysterische  Kugel, 
hysterischer  Knoten.  Ist  das  Gefühl  Hysterischer,  als  ob  ein  Pfropf 
im  Halse  stecke,  hervorgebracht  durch  Krampf  der  Halsmuskeln,  das  oft 
nnd  periodisch  eintritt,  aber  nie  tagelang  mit  gleicher  Heftigkeit  anhält  («. 
Hys  teria). 

G^losi^agpra,  Glossalgia,  Zungenschmerz.  Einige  verstehen  dar- 
unter jedes  Zungenübel  mit  Schmerz,  Andere  blos  Zungenschmerz  ohne  be- 
deutende Entzündung  und  Geschwulst.  Bei  Milz  -  und  Leberfehlern ,  bei 
Sordes  primaium  viarum ,  desgleichen  nach  dem  Insult  der  Epilepsie  schmerzt 
nicht  selten  die  Zungenspitze,  ohne  dass  Verletzung  durchs  ßeissen  vorher- 
gegangen wäre.  Später  zeigen  sich  ganz  kleine  Bläschen,  die  in  der  Regel 
mit  dem  Zungenschmerz  binnen  ein  paar  Tagen  von  selbst  verschwinden- 
Bei  Hysterischen,  bei  Leber-  und  Milzfehlern  fand  ich  häufig  einen  perio- 
dischen Zungenschmer?;  neben  den  kritisch  scheinenden  Bläschen ;  auch  beob- 
achtete ich,  dass  junge  Mädchen,  die  über  periodischen  Schmerz  der  Zun- 
genspitze klagten,  häufig  onanirten  (^Most). 

CMossanthraX,  bösartige  Zungenblatter,  Zungencarbun- 
kel.  Ist  zuweilen  ein  Symptom  der  Angina  gangraenosa,  besonders  bei 
höchst  kachektischen  Personen.  In  einzelnen  Fällen  beobachtet  man  sie  als 
Folge  des  Milzbrandgiftes;  s.  Anthrax,  Febris  putrida  und  Vesi- 
cula    gangraenescens. 

C^lossitiSj  Glossonciis  inflammatorius ,  Angina  lUtgunria,  Zungenent- 
zündung, s.  Inflammatio  linguae. 

C^lossocarcinoina,  Zungenkrebs,  s.  Cancer  linguae. 

C^lossocele,  Prolapsus  linguae,  Zungenvorfall.  So  hat  man 
wol  den  Zufall  genannt,  wo  die  Zunge  wegen  eines  Bildungsfehlers,  wegen 
Glossoplegie  aus  dem  Munde  stark  hervortretend  erscheint;  s.  auch  Bal- 
buties. 

dossolysis  und  Olossopleg^ia ,  Zungenlähmung.  Der  erste 
Name  bezeichnet  Lähmung  der  Zunge  mit  Erschlaffung ,  der  andere  eine 
Lähmung  derselben  mit  Krampf  und  Steifheit.  Das  Übel,  das  wegen  der 
Wichtigkeit  des  Organs  in  Betreff  der  Sprache  und  des  Speisengenusses 
höchst  traurig  ist,  erscheint  am  häufigsten  in  Gesellschaft  anderer  Paraly- 
sen und  als  Folge  der  Apoplexie.  Bei  der  Glossoplegie,  die  zuweilen  als 
Ausgang  einer  Glossitis  auftritt,  nehme  man  sich  anfangs  mit  den  reizenden 
Mitteln  in  Acht,  bei  der  Glossolysis  passen  sie  früher.  Die  Cur  ist  wie 
bei  jeder  Paralyse.  Der  Galvanismus  verdient  hier  besonders  angewandt  zu 
werden  (s.  Galvanismus  und  Paralysis). 

Olossorrliag^ia ,  bedeutende  Zungenblutung,  s.  Haemorrhagia. 

€rl<-  SSOScirrhuus     Zungenkrebs,  s.  Cancer. 

Olossoscopia,  die  Untersuchung  der  Zunge.  Das  Beschauen 
und  Befühlen  der  Zunge  ist  zur  Erkenntnis»  und  Diagnose  vieler  Krankhei- 
ten ebenso  wichtig,  als  die  Untersuchung  des  Pulses  Sowol  die  verschie- 
dene Gestalt  und  Haltung  der  Zunge  als  auch  der  Zungenbeleg  sind  es,  die 
uns  am  meisten  interessiren ;  daher  mögen  hier  folgende  Notizen  Platz  fin- 
den:  Eine  rothe  und  aufgeschwollene  Zunge  deutet  auf  Glossitis,  eine  auf- 
geschwollene trockne  Zunge  mit  stammelnder  Sprache  auf  nahe  bevorste- 
hende Delirien ;  vermindertes  Volumen  der  Zange  mit  ungewöhnlicher  Weich- 


■  GLOSSOSCOPIA  889 

heit  und  Beugsamkeit  finden  wir  häufig  bei  Hektischen ,  mid  eine  gegen  den 
Schlund  zurückgebogene  Zunge  soll  Krämpfe  andeuten.  Unbeweglichkeit 
der  Zunge  ist  entweder  Folge  von  Krampf  oder  von  Lähmung,  besonders 
nach  Schlagfluss.  Das  Zittern  der  Zunge  betrachten  wir  a)  bei  vermehr- 
tem Blutreiz,  6)  bei  gastrischen  Fiebern  mit  Unreinigkeiten  der  ersten  Wege, 
die  nach  oben  turgiren,  c)  bei  Nervenfiebern  als  Folge  der  erhöhten  Sensi- 
bilität und  geringen  Irritabilität.  Im  letzten  Stadium  der  Schwindsucht  sieht 
die  ganz  dünne,  magere  Zunge  gewöhnlich  hellroth  und  rein  aus,  wenn  ge- 
rade keine  Aphthen  da  sind.  —  Vom  grössten  VVerthe  ist  für  den  Praktiker 
die  richtige  Deutung  des  Zungenbelegs,  wie  diese»  die  ältesten  Ärzte  schon 
einsahen.  Hierbei  ist  zu  berücksichtigen,  dass  die  Beschaffenheit  der  Ab- 
sonderung auf  der  Zunge  häufig  auch  im  gesunden  Zustande  nicht  bei  allen 
Menschen  dieselbe  ist.  So  haben  starke  Tabaksraucher,  Tabakskauer  fast 
immer  eine  belegte  Zunge ,  und  bei  den  meisten  Menschen ,  die  an  eine  rei- 
zende, gewürzhafte  Nahrung  und  an  geistige  Getränke  gewöhnt  sind,  fin- 
den wir  eine  feuchte ,  an  der  Wurzel  mit  Schleim  überzogene  Zunge.  Im 
Allgemeinen  unterscheiden  wir:  1)  die  reine  und  rot  he  Zunge.  Sie  deu- 
tet, wenn  sie  zugleich  feucht  ist,  auf  Gesundheit,  wenigstens  auf  Mangel 
an  Fieber  und  nicht  stattfindende  Krankheiten  der  Digestionsorgane.  Bei 
gastrischen  Fiebern,  bei  chronischen  Krankheiten  der  Leber,  Milz,  bei 
Gichtdyskrasie  zeigt  das  Reinenverden  der  früher  belegt  gewesenen  Zunge 
eine  eintretende  Entscheidung  der  Krankheit  an.  Ist  die  Zunge  rein,  roth 
und  zugleich  trocken,  so  deutet  dies  entweder  auf  Krampf  oder  auf  hef- 
tige Localentzündungen ,  zuweilen  aber  nur  auf  Plethora  abdominalis,  Fla- 
tulenz, Unterleibskrämpfe.  Eine  sehr  rot  he  und  spitze  Zunge  ohne  Be- 
leg lässt  schon,  ehe  die  Eruption  da  ist,  die  Scarlatina  vorhersagen.  Auch 
bei  Menschen  mit  Anlage  zu  Blutspeien  ist  die  Zunge  sehr  roth.  2)  Die 
feuchte,  mit  schmierigem,  weiss  lieh -gelblichem,  übel- 
flchmeckendem  Schleime  belegte  Zunge,  verbunden  mit  vermehr- 
ter Speichelabsonderung  und  häufigem  Spucken,  deutet  auf  gastrische  Be- 
schwerden, auf  Sordes  primarum  viarum.  3)  Eine  trockne  Zunge  ist  be| 
gesunden  Leuten  des  Morgens  bemerkbar,  wenn  sie  des  Nachts  mit  oifenera 
Munde  schlafen.  Ausserdem  finden  wir  sie  bei  Plethora  abdominalis ,  bei 
Flatulenz,  bei  Krämpfen  ex  abdomine.  In  letzterm  Falle  richten  sich  die 
Zungenpapillen  oft  wie  Borsten  in  die  Höhe.  Bei  Febris  ienta  nervosa,  bei 
Febris  synochica  nervosa  mit  Subsultus  tendinum  und  Krampfzufällen,  sowie 
bei  heftigen  innern  Entzündungen  ist  die  Zunge  fast  immer  hochroth  und 
trocken.  Bei  allen  Nerven  -  und  Faulfiebern  im  Stadio  der  wahren  Schwäche 
ist  sie  trocken  und  mit  einem  schmuzigen  Beleg  überzogen.  Im  höchsten 
Grade  der  Trockenheit  bilden  sich  Risse  und  Spalten,  welche  in  hitzigen 
Fiebern  Gefahr  anzeigen.  *)  Nicht  jede  belegte  Zunge  deutet  auf  Dige- 
stionskrankheiten, nur  wenn  auch  die  übrigen  Zeichen  des  Status  gastricus 
da  sind ,  hat  sie  Bedeutung.  Denn  der  Zungcnbeleg  kann  von  örtlicher 
Affection  der  Zunge,  von  veränderter  und  vermehrter  Schleimabsonderung, 
von  Aphthen,  Angina,  von  Reizungen  der  Respirationsorgane  etc.  herrühren. 
Es  war  ein  grosser  Fehler  der  Gastriker,  von  belegter  Zunge  sogleich  auf 
Gastricismus  zu  schliessen.  Ein  weisser,  dünner,  leichter  Zungenbeleg 
mit  durchschimmernder  Röthe  findet  sich  beinahe  im  Verlaufe  eines  jeden 
Fiebers,  sowie  häufig  auch  bei  gesunden  Menschen.  Der  gelbliche  Zun- 
genüberzug deutet  auf  Beimischung  des  Farbestoffs  der  Galle,  zeigt  sich 
aber  auch  bei  den  Krisen  der  Pneumonie.  Die  weissbelegte  Zunge  wird  des 
Morgens  gleich  nach  dem  Genuss  von  Kaffee  gleichfalls  gelb,  was  uns  aber 
nicht  täuschen  darf.  Ist  die  Zunge  aber  von  Anfange  der  Krankheit  an  mit 
einem  gelben,  zähen  Schleim  überzogen,  so  kann  man  mit  Sicherheit  an- 
nehmen, dass  Gallencomplicationen  da  sind.  In  Fiebern  mit  sehr  grosser 
Hitze  trocknet  durch  letztere  der  schleimige  Zungenbeleg  auf,  wodurch  die 
Zunge  erdfahl ,  bläulich ,  bleifarben  im  Überzuge  erscheint.  Bei  atra  Bilis, 
Hypochondrie,  Infarcten,  Stockungen  in  der  Vena  portarum,  die  die  Alten 
auch  Porta  malorum  nannten,   bei  Scorbut  und   andern  Dyskrafiien,  finden 


890  GLOSSOSPASMÜS  —  GONOCELE 

wir  gleichfalla  den  letztgenannten  Überzug,  der  selbst  firnissartig,  in  Fm- 
ben  schillernd  angetroffen  wird.  Eine  speckartige,  mit  dickem,  weis»- 
lich- grauem,  schmuzigera  Überzuge  belastete  Zunge  finden  wir  bei  Status 
pituitosus,  bei  Febr.  intermittens  quartana,  chronica,  bei  Infarcten ;  eine 
braunbelegte  Zunge  bei  heftiger  Febr.  biliosa,  bei  Icterus  flavus  chro- 
nicus, bei  Febris  putrida.  Hier  ist  sie  meist  zugleich  trocken  und  in  schlim- 
men Fällen  der  Putrescenz  sogar  schwarz.  5)  Was  die  einzelnen  Theile  der 
Zunge  betrifft,  so  ist  der  Zungenbeleg  jedesmal  an  der  Zungenwurzel  stär- 
ker als  anderswo,  weil  hier  die  meisten  Schleimdrüsen  liegen.  Ist  nur  die 
rechte  Hälfte  der  Zunge  belegt,  so  deutet  dies  mitunter  auf  Leberfeh- 
ler, auf  Prosopalgie  und  Migräne  der  rechten  Seite  des  Kopfs,  ists  die 
linke  Hälfte  der  Zunge,  so  soll  es  Milzfehler  und  die  andern  genannten 
Übel  an  der  linken  Körperhälfte  anzeigen.  Einige  Arzte  legen  viel  Werth 
auf  den  Umstand,  ob  die  Zunge  bei  stattfindenden  Krisen  vom  Rande  oder 
von  der  Mitte  aus  rein  wird.  Im  letztern  Falle  können  wir  wenigstens  eine 
voUkommnere  Krise  als  im  erstem  Falle  annehmen.  6)  Dass  bei  der  Unter- 
suchung der  Zunge  der  Arzt  sich  vor  Täuschungen  durch  zuFällige  Dinge: 
Genuss  von  Heidelbeeren,  Kirschen,  Kaffee,  Milch,  wodurch  rothe,  gelbe, 
weissliche  Überzüge  auf  kurze  Zeit  erfolgen,  in  Acht  zu  nehmen  habe,  ver- 
steht sich  von  selbst.  So  macht  auch  der  GenuSs  von  Rothwein  die  Zunge 
gleich  hinterher  bläulich,  schwarz,  wenn  sie  früher  nur  sehr  leicht  mit  ei- 
nem weissem  Schleime  überzogen  war. 

CrloiS($OSpa!i(inus 5    Glossocoma,   der  Zungenkrampf.     Ist  ein  to- 

Sischer  Krampf,  der  zuweilen  bei  oder  gleich  nach  einem  heftigen  Anfalle 
er  Epilepsie  und  Hysterie  bemerkt  wird ,  wobei  die  Zunge  sich  bewegt, 
sich  krampfhaft  zusammenzieht  oder  gar  tetanisch  steif  wird.  Häufig  ver- 
geht dieser  Zufall  von  selbst,  in  seltenern  Fällen  bleibt  stammelnde  Sprache 
und  ein  gewisser  Grad  von  Lähmung  zurück.  Cur.  Ist  die  allgemeine  an- 
tispasraodische ;  s.  Spasmus. 

Cruathancylosis ,  die  Ankylose  der  Kinnbacken.  Es  giebt 
kein  Gelenk  des  Körpers,  was  nicht  ankylotisch  werden  könnte.  Völlige 
Unbeweglichkeit  der  Maxiila  inferior  finden  wir  Gott  Lob!  selten;  häufiger 
Lsts  Ancyiosis  spuria,  deren  Behandlung  nach  den  verschiedenen  Ursachen 
(Entzündung,  Eiterung,  Quetschung  des  Gelenks,  lose  Koiorpel  in  demsel- 
ben, P'ractur,  Luxation  etc.)  verschieden  seyu  muss. 

Onathoplastice ,  die  Wangenbildung,  s.  Chirurgia  curtorum. 

Onatborrliag'ia«  Ist  bedeutende  Blutung  aus  der  Innern  Fläche 
der  Wangen,  z.  B,  bei  Scorbut ,  Morbus  Werlhofii  etc.;  s.  Haeraor- 
r  h  a  g  i  a. 

Cromplliasis )  Gomphiasmus ,  das  Stumpfwerden,  Fühlbar- 
werden der  Zähne,  z.  B.  nach  dem  Genuss  von  Säuren.  Einige  ver- 
stehen darunter  auch  das  Losewerden,  das  Wackeln  der  Zähne,  den  Zahn- 
schmerz. Bei  Faulfiebern,  wo  der  häufige  Genuss  von  Säuren  indiciit  wer- 
den muss ,  muss  man  diese ,  um  die  Zähne  zu  schonen ,  mit  schleimigen  Din- 
gen und  sehr  verdünnt  oder  mit  Wasser  vermischt  mittels  eines  Röhrchens 
eingeben,  so  dass  die  Zähne  davon  nicht  berührt  werden.  Ist  dies  doch 
geschehen ,  so  hilft  gleich  nachher  das  Abreiben  der  Zähne  mit  Magnesia. 

Oona^a,  richtiger  Gonymjra,  die  Kniegicht,  s.  Arthritis. 

Oonal^ia,  besser  Gony algin,  Knieschmerz.  So  wird  häufig  der 
rheumatische  oder  gichtische  Schmerz  im  Knie  genannt.  Einige  nennen  sehr 
unbestimmt  so  auch  den  Tumor  albus  genu,  die  Gonarthrocace  und  andere 
Übel  am  Knie  (s.  d.  Art.). 

Gonceystitis.     Ist  Entzündung  der  Samenbläschen. 

Oonobolia.     Ist  bei  Ploncqnet  PoUutio  diurna. 

Ctonocele,  sogenannter  Samenbruch.  Ist  Ergics9ung  de»  Sa- 
men« aus  den  zerrissenen  Samenbläschen  ins  Zellgewebe. 


GONORRHOEA  891 

Oonorrlioeai»  ßlennorrhoen  urethrne ,  Urethritis,  Ureihralyia,  Medor- 
hoea  viiilis,  Cntmrhus  urethrac ,  Phallorrhoea ,  Profluviuni  mucomm  urethrae, 
der  Tripper,  die  Gonorrhöe.  Lst  im  Allgemeinen  jeder  auf  Entzün- 
dung der  Harnröhre  folgende,  bald  durch  syphilitische  Ansteckung  in  Folge 
des  unreinen  Beischlafs,  bald  ohne  diese  stattfindende,  längere  Zeit  anhiil- 
tende  Schleimfluss  der  Urethra ,  der  ebenso  wie  andere  Blennorrhöen  durch 
einen  subinflammatorischen  Zustand  der  Schleimhaut  dieser  Theile  unterlviil- 
ten  wird.  Symptome  und  Verlauf.  Wie  jede  Blennorrhoe  durchläuft 
auch  der  Tripper  verschiedene  Stadien ,  die  für  die  Diagnose  und  Cur  Toa 
Wichtigkeit  sind.  1)  Stadium  invasionis,  das  der  Ansteckung.  Es  beginnt 
mit  letzterer  und  hat  eine  Dauer  von  3,5,  selten  8  —  14  Tagen ,  ehe  das 
2te  Stadium  eintritt.  In  seltenen  Fällen  dauert  es  bei  recht  virulenter  An- 
steckung nur  einige  Stunden,  aber  es  können  in  andern  seltnen  Fällen  selbst 
14 — 21  Tage  vergehen,  ehe  der  eigentliche  Tripper  losbricht.  Vor  dem 
Slsten  Tage  kann  daher  Niemand  nach  dem  in  Bordellen  gepflogenen  Bei- 
schlafe ganz  sicher  davor  seyn.  Die  Symptome  dieses  Stadiums  als  die  Vor- 
boten des  Trippers  sind:  unangenehme,  juckende,  kitzelnde  Empfindung  an 
der  Eichel,  besonders  an  der  Ölfnung  der  Harnröhre,  zuweilen  stärkerer 
Reiz  zum  Coitus ,  Erectionen ,  selbst  Pollutionen ,  Trieb  zum  öftern  Urin- 
lassen. Nach  einigen  Tagen  nimmt  dies  unangenehme  Gefühl  dergestalt  zu, 
dass  es  lästig  und  schmerzhaft  wird;  dazu  kommt  Hitze,  Brennen,  flüchfeige 
Stiche  in  der  Harnröhre,  Röthe  und  etwas  geschwollene  Ränder  ihrer  Off-, 
nung ;  der  Schmerz  ist  besonders  beim  Uriniren  des  Morgens  früh  am  stärk- 
sten; auch  die  Erectionen  werden  jetzt  schmerzhaft  und  es  zeigt  sich  meist 
am  Sten,  4ten  Tage  nach  der  Ansteckung  in  der  Öffnung  der  Harnröhro 
etwas  serös -schleimige  Feuchtigkeit,  wie  Ei  weiss,  die  beim  Uriniren  abgeht 
und  sich  in  der  Zwischenzeit  wieder  einfindet.  Bei  reizbaren  Kranken  be- 
merkt man  oft  Frösteln  und  ein  drückendes  Gefühl  in  den  Augenhöhlen,  ähn- 
lich dem  vor  Ausbruche  eines  Katarrhs.  Jetzt  beginnt  das  2te  Stadium, 
Stadium  inflammatoriutn ,  wo  die  Entzündung  der  Harnröhre  nach  Ver.jchie-» 
denheit  der  mehr  oder  weniger  virulenten  Ansteckung  und  der  mehr  oder 
weniger  irritablen  Constitution  des  Kranken  bald  stärker,  bald  gelinder  ist 
and  hierin  ihren  höchsten  Grad  erreicht.  In  den  niedern  und  gelindem  Gra- 
den des  Übels  nehmen  die  Beschwerden  des  ersten  Stadiums  nicht  bedeu- 
tend zu,  das  Brennen  stellt  sich  nur  beim  Urinlassen  ein,  beschränkt  sich 
nur  auf  den  vordem  Theil  der  Harnröhre ,  der  Au.sttuss  wird  nicht  bedeu- 
tend stark  nnd  verschwindet  bei  guter  Diät  oft  ohne  Kunsthülfe  binnen  ei- 
nigen Tagen.  Im  höhern  Grade  ist  nicht  blos  Brennen,  sondern  vAahrer 
Schmerz  da,  der  sich  über  die  ganze  Harnröhre  erstreckt  und  besonders  zu 
Anfange  des  Urinirens  jedesmal  höchst  empfindlich  ist ,  desgleichen  ,  wenn 
der  Kranke  die  letzten  Tropfen  Harn  aus|)resst;  der  Tripperausflu.ss  wird 
mehr  schleimig,  macht  in  der  Wäsche  gelblich -grüne  Flecken,  ist  des  Mor- 
gens am  stärksten  und  zuweilen  selb.st  mit  Blutstreifen  gemischt.  Anfangs 
ist  er  dünn  und  scharf,  reizt  dadurch  die  kranken  Theile  und  vermehrt  so 
den  Schmerz,  welcher  allmälig,  sowie  der  Austluss  dicker,  milder  und  eiter- 
artiger wird,  abnimmt.  Im  höchsten  Grade  der  Entzündung,  in  der  Akme 
der  Krankheit,  ist  der  Schmerz  am  heftigsten,  verbreitet  sich  oft  über  das 
Perinaeum ,  in  seltenen  Fällen  selbst  bis  in  den  Unterleib ,  dabei  starke  Hitze 
des  Penis,  bedeutendere  Geschwulst  des  Orificii  urethrae,  sowie  der  ganzen 
Harnröhre,  daher  denn  der  Urin  in  einem  dünnen  Strahle  abgeht;  der  Kranke 
kann  nur  mit  ausgespreizten  Beinen  gehen  und  stehen ;  des  Abends  zeigt 
sich  deutlich  ein  Fieber,  das  in  der  Nacht  am  stärksten  ist  und  den  Typus 
einer  Continua  remittens  hat.  Nun  hört,  wie  bei  jeder  sehr  heftigen  Ent- 
zündung der  Schleimhaut,  die  Secretion  oft  auf  (t rockner  Tripper, 
Gonorrhoen  sicca) ,  die  Entzündung  verbreitet  sich  auf  die  benachbarten 
Theile;  es  folgen  Cystitis,  Dysurie,  Strangurie,  Ischurie,  Krümmung  des 
Gliedes  (^Gonorrhoen  chordnfn,  Chorda  veiwris),  besonders  nach  unten,  die 
Vorhaut  entzündet  sich,  die  Eichel  schwillt  bedeutend  an  (Phimosis'),  die 
entzündet«  Vorlwut  rieht  sich  hinter  die  Eichel  zurück,   schnürt  diese  ein 


892  GONORKHOEA  v 

und  erregt  die  heftigste  Geschwulst  der  letztern,  Indem  sie  nicht  wicd^ 
herübergeht  (^Paraphimosis) ,  worauf  wegen  Hemmung  der  Blutcirculation  de, 
Brand  der  Eichel  folgen  kann.  Nicht  selten  schwellen  nun  auch  die  Lymph- 
drüsen längs  des  Penis,  die  Leistendrüsen  an,  bilden  consensuelle  und  sym- 
E tomatische  Bubonen,  die  sich  yon  dem  Bubo  syphiliticus  durch  nichts  als 
los  durch  die  Abwesenheit  des  primitiven  Chankers  unterscheiden  (s.  Sy- 
philis) und  nicht  selten  die  Grösse  eines  Hühnereies  erreichen,  in  der  Re- 
gel sich  zertheilen,  seltener  in  Eiterung  übergehen,  häufiger  noch  Indura- 
tion hinterlassen.  Bei  der  Gonorrhoea  sicca  zeigt  sich  mitunter  auch  Ent- 
zündung und  Geschwulst  der  Nebenhoden  (^Epididi/mitis^ ,  unpassend  auch 
Hernia  humoralis,  Gonorrhoea  in  scrotum  genannt,  wobei  ziehende,  drük- 
kende  Schmerzen  im  Scrotum,  im  Unterleibe,  in  den  Lenden  und  dem  Rücken 
bemerkt  werden ;  oder  auch  die  Tunica  vaginalis  und  selbst  der  Hode  schwillt 
an,  desgleichen  der  Ductus  spermaticus,  der  sich  im  ßauchringe,  besonders 
■wenn  die  Venae  spermaticae  zugleich  varikös  ausgedehnt  sind ,  mitunter  ein- 
klemmt und  hier  die  heftigsten  Schmerzen  erregt.  Die  Entzündung  dieser 
Terschiedenen  Theile  macht  nun  allerlei  consensuelle  Beschwerden:  Ekel, 
Erbrechen,  Kolik,  Magenkrampf  und  andere  spasmodische  Zufalle,  Diar- 
rhöen, der  Mensch  kann  weder  gehen  noch  stehen,  er  muss  das  Bette  hü- 
ten. Die  Geschwulst  des  einen  Hoden  geht  auch  auf  den  andern  über,  ver- 
schwindet oft  plötzlich,  sowie  der  Tripper  wieder  fliesst,  hinterlässt  oft  In- 
duration, Hydrocele,  und  bei  unzweckmässiger  oder  versäumter  Hülfe  kann 
selbst  Gangrän  folgen.  Zuweilen  zeigt  sich  in  diesem  Stadium  ,  besonders 
bei  plötzlich  unterdrücktem  Tripper,  nicht  selten  eine  heftige  Augenentzün- 
dung ,  welche  das  Auge  schnell  zerstören  kann ,  und  die  von  der  durch  zu- 
täliiges  Einbringen  des  Tripperschleims  ins  Auge  entstandenen  unterschieden 
werden  muss  (s.  Ophthalmia  gonorrhoica).  3)  Stadium  relaxationis. 
Es  tritt  ein,  sobald  das  entzündliche  Stadium  8 — 14  Tage  gedauert  hat 
und  nun  die  Heftigkeit  aller  Zufälle  abnimmt.  Es  sondert  sich  ein  dickli- 
cher, weisslich -  gelber ,  zuweilen  grün- gelblicher  Schleim  ab,  bald  in  grös- 
serer ,  bald  in  geringerer  Menge ,  der  gegen  das  Ende  des  Trippers  sich 
oft  in  Fäden  ziehen  lässt  und  sich  immer  mehr  vermindert,  so  dass  er  bei 
günstigem  Ausgange  binnen  8 —  14  Tagen  ganz  verschwindet  und  somit  das 
Übel  als  geheilt  angesehen  werden  kann.  Doch  erscheint,  wenn  der  Kranke 
Diätfehler  beging  oder  unzweckmässig  behandelt  wurde,  oder  wenn  er  schon 
öfters  an  Trippern  litt,  sehr  leicht  ein  4tes' Stadium,  der  sogenannte  Nach- 
tripper (^Gonorrhoen  secundaria),  als  eine  reine  chronische  Blennorrhoe, 
die  zuweilen  Monate,  selbst  Jahre  lang  dauern  kann.  Hier  sind  keine  ent- 
zündlichen Zufalle  mehr  da  und  nur  nach  Diätfehlern  inid  bei  reizbaren  Sub- 
jecten  erregt  das  Harnen  etwas  Brennen;  aber  es  fliesst  etwas  Schleim,  meist 
in  kleinen  Quantitäten,  gewöhnlich  weisslich,  klebrig,  hell,  eiweissartig, 
mild,  ohne  Geruch  und  Schärfe  ab,  der  beim  Erwachen  des  Morgens  oft 
die  Öffnung  des  Penis  zuklebt  und  von  vielen  Kranken  kaum  beachtet  wird, 
bis  sie  seine  anhaltende  Dauer  von  Monaten  aufmerksam  und  bedenklich 
macht;  alsdann  ist  das  Übel  in  den  meisten  Fällen  schon  sehr  hartnäckig. 
Einthe^ilung  und  Diagnose.  Nach  dem  Verlaufe  hat  man  eine  Gonor- 
rhoea acuta,  slhenica,  und  eine  G.  chronica,  hahitualis,  passiva,  asthenica, 
ntonica;  nach  der  An-  oder  Abwesenheit  von  andern  Übeln  eine  G.  arthii- 
tica ,  haemorrhoidalis ,  scrophuhsa  oder  G.  simplex^  nach  den  Symptomen 
eine  G.  sicca  oder  fluidn ;  endlich  nach  den  verschiedenen  Organen ,  die  an 
Blennorrhoe  leiden,  eine  G.  vern,  interna,  urethralis  oder  G.  sjmria,  ex~ 
lerna ,  Balanohlennorrhoea  (sogen.  Eicheltripper)  angenommen.  Die 
Diagnose  des  Trippers  ist  sehr  leicht.  Obgleich  Gicht,  Hämorrhoiden  und 
Scropheln,  heftige  Erkältung  der  Genitalien  zuweilen  einen  Tripper  erre- 
gen, so  können  wir  dennoch  fast  mit  Gewissheit  annehmen,  dass  er  von 
unreinem  Beischlafe  und  Ansteckung,  mag  der  Kranke  immerhin  dieses  leug- 
nen, entstanden  sey,  1)  wenn  er  bei  jungen  Leuten  mit  heftigen  Zufällen 
auftritt  und  nicht  langsam  und  schleichend  erscheint,  2)  wenn  im  Stadium 
inflammationis  eine  oder  mehrere  jener  heftigen  entzündlichen  Affectioncn  der 


GONORRHOBA  893 

enachbarten  Theile  oder  des  Penis  selbst  bemerkt  werd^.  Doch  giebt  es 
luch  junge  Leute  mit  schlaffer,  lymphatischer  Körperbeschafifenheit ,  ^wo 
auch  der  durch  Ansteckung  erfolgte  Tripper  ohne  heftige  Zufälle,  ohne  Ent- 
zündungen der  Geschlechtstheile  und  fast  ohne  alle  Schmerzen  auftritt  und 
bei  guter  Diät  so  verläuft.  Die  alte  Eintheilung  in  Gonorrhoen  bcnigna  und 
maligna,  wobei  angenommen  wurde,  dass  erstere  ohne,  letztere  durch  ve- 
nerische Ansteckung  erfolgt  sey,  hat  keinen  praktischen  Werth,  da  wir  ei- 
nen jeden  acuten  Tripper  zu  Anfange  mehr  oder  weniger  antiphlogistisch 
behandeln  müssen,  und  zwar  um  so  mehr,  je  heftiger  das  Stad.  inÜamma- 
tionis  und  die  entzündlichen  Affectionen  des  Penis  und  der  Umgegend  auf- 
treten. Prognose.  Ist  bei  zweckmässiger  Behandlung  günstig.  Bei  ge- 
lindem Grade  des  Trippers  bleibt  die  Krankheit  rein  örtlich  und  hinterlässt^ 
ausser  dem  etwa  folgenden  Nachtripper,  keine  üblen  Folgen  und  keine  or- 
ganischen Fehler;  auch  tritt  wahre  Eiterung  nicht  ein.  Die  höhern  Grade 
des  Trippers  sind  dagegen  wegen  der  leicht  eintretenden  heftigen  entzünd- 
lichen Zufälle  (Chorda,  InHammatio  testiculi,  Epididymitis,  Ophthalmitis) 
und  ihrer  Folgen  (Hydrocele,  Varicocele,  Spermatocele ,  Strictura  urethrae, 
Induratio  colli  vesicae  urinäriae,  prostatae,  testis  etc.),  selbst  wegen  des 
eintretenden  Brandes,  der  den  Tod  herbeiführen  kann,  sehr  gefährlich;  be- 
sonders wenn  hier  frühe  und  zweckmässige ,  d.  i.  antiphlogistische  Hülfe  ver- 
säumt wurde.  Bei  jungen  Leuten  lässt  sich  übrigens  der  Tripper  leichter 
heilen  als  bei  alten,  wo  überhaupt  die  Neigung  zu  chronischen  Schleimflüs- 
sen grösser  ist.  Der  Eieheltripper  als  örtliches  Übel  ist  leicht  zu  heilen; 
oft  ist  er  aber  reines  Symptom  der  Gicht ,  der  allgemeinen  Blennorrhoe ,  des 
Steins  und  dann  hartnäckig  (s.  Balanoblennorrhoea).  Jeder  acute 
Tripper  giebt  im  Allgemeinen  eine  günstigere  Prognose  als  der  chronische, 
und  zwar  um  so  mehr,  je  weniger  die  tiefern  Theile  der  Urethra  leiden r 
doch  ist  letzterer  wiederum  um  so  ungünstiger,  je  mehr  allgemeiner  Habitus 
pituitosus ,  Arthritis ,  Haemorrhoides ,  Scropheln  zugleich  zugegen  sind ,  oder 
wenn  Stricturen,  Induratio  prostatae  die  Gonorrhöe  habituell  machen.  Cur. 
Sie  erfordert  viel  Scharfsinn  von  Seiten  des  Arztes  und  eine  richtige  Wür- 
digung sowol  der  verschiedenen  Stadien  des  Übels  als  der  Körperconstita- 
tion  des  Kranken  und  vieler  andern  Nebenumstände.  In  dieser  Hinsicht  sind 
folgende  Cautelen,  die  ich  mir  aus  eigener  vieljähriger,  glücklicher  Praxis 
abstrahirt  habe ,  wohl  zu  berücksichtigen :  1)  Bei  den  ersten  Zeichen  eines 
bevorstehenden  Trippers,  also  im  Stadio  invasionis  und  höchstens  1 — 24 
Stunden  nach  der  Ansteckung  durch  den  unreinen  Beischlaf,  wo  weder 
Schmerz  beim  Uriniren,  noch  andere  entzündliche  Zufälle  zugegen  sind,  wo 
nur  eine  juckende,  kitzelnde  Empfindung  an  der  Öffnung  der  Harnröhre  und 
vermehrte  Röthe  ihrer  Lefzen  den  bevorstehenden  Tripper  verrauthen  lassen, 
habe  ich  durch  folgende  Mittel  den  Ausbruch  des  Übels  ohne  nachtheilige 
Folgen  oft  gänzlich  verhütet:  n)  durch  öfteres  Waschen  und  Baden  des 
Gliedes  mit  kaltem  Wasser  und  Acid.  oxymuriaticum  zu  gleichen  Theilen, 
wobei  auch  die  Kälte ,  welche  jedes  Contagiura ,  also  auch  das  des  Trippers, 
zerstört,  in  Anschlag  zu  bringen  ist;  h)  durchs  Eintröpfeln  folgender  Flüs- 
sigkeit in  die  mit  den  Fingern  auseinandergezogene  Öffnung  der  Harnröhre, 
alle  2 — S  Stunden,  wobei  man  durchs  Aufrechthalten  des  Penis  darauf  sieht, 
dass  die  wenigen  eingetröpfelten  Tropfen  einige  Minuten  in  der  Harnröhre 
bleiben:  I^  Cnlcar.  oxymuriat.  Sji,  Aquae  rosnrum  51  v,  Post  solut.  col.  add^ 
Tinct.  opii  Richteri  5jj.  M.  S.  Äusserlich.  Alle  Einspritzungen  zur  Zerstö- 
rung des  sogenannten  Trippergiftes,  z.  B.  die  von  Girtanner  empfohlenen 
Solutionen  von  Lap.  infernalis,  Grünspan,  Sublimat  etc.  sind  nachtheilig; 
sie  reizen  theils  chemisch,  theils  mechanisch  durchs  Einbringen  der  Spritze 
die  Harnröhre,  und  vermehren  so  die  Entzündung  und  den  Tripper,  der 
dadurch  oft  nur  heftiger  wird.  Dass  indessen  schwache  Auflösungen  von 
Lap.  caustic. ,  Lap.  infernalis ,  von  Sublimat  mit  Opium ,  zur  rechten  Zeit 
und  zum  Eintröpfeln  und  Waschen  des  Gliedes  angewandt,  den  folgenden 
Tripper  verhüten  können,  will  ich  nicht  in  Abrede  stellen;  doch  habe  ich 
keine  solchen  Erfahrungen  darüber  als  über  den  Chlorkalk,  der  aber. in  je- 


994  GONORRHOEA 

ner  Auflösung  am  besten  gleich  nach  dem  Beischlafe,  nachdem  das  Indi_ 
duum  -vorher  den  Penis  gewaschen  und  auch  durchs  baldige  Urinlassen  u 
Harnröhre  von  etwa  haften  gebliebenem  Ansteckungsstoffe  gereinigt  hat,  an 
gewandt  werden  rauss.  Ich  lasse  dann  das  Mittel  2  —  3  Tage  fortsetzen, 
worauf  häufig  jene  Vorboten  verschwinden  und  kein  Tripper  folgt.  Neh- 
men die  Zufälle  aber  zu  oder  sind  sie  schon  in  dem  Grade  vorhanden,  dass 
etwas  dünne,  scharfe  Feuchtigkeit  in  der  Harnröhre  sitzt,  so  findet  jenes 
Präservativ  keine  Anwendung  mehr,  der  Tripper  darf  nicht  mehr  unter- 
drückt werden ,  sondern  er  muss  seine  Zeit  fliessen ,  damit  andern  schliinmen 
Folgen  vorgebeugt  wird.  2)  Sehr  wichtig  ist  eine  gute  Diät  im  Stadio  in- 
fiammationis ,  ja  schon  früher  beim  Heftigerwerden  der  Zufälle  im  Stadio 
invasionis.  Sie  allein  heilt  manchen  Tripper  ohne  alle  Arznei.  Alle  er- 
hitzende, stark  nährende,  feste,  blähende,  salzige  und  saure  Speisen,  alle 
Spirituosa,  Bier,  Kaffee  und  Thee  müssen  vermieden,  dagegen  viel  wässe- 
rige und  schleimige  einhüllende  Suppen:  Haferschleim,  Graupenschleim,  Sa- 
lep ,  Sago ,  Reissmehl  genossen  und  viel  kaltes  Wasser  getrunken  werden. 
Ausserdem  muss  der  Kranke  ein  Suspensorium  tragen ,  damit  der  Hodensack 
nicht  herunterhängt,  was  sonst  leicht  Entzündung  und  Anschwellung  der 
Hoden  bewirken  kann,  sich  so  wenig  als  möglich  bewegen,  den  Penis  oft 
in  lauwarmer  Milch  baden  und  überhaupt  Reinlichkeit  der  Genitalien  beob- 
achten. Ich  kenne  einen  jungen  Mann,  der  durch  eine  solche  strenge  Diät 
zu  Anfange  der  Gonorrhöe  diese  jedesmal  binnen  14  Tagen  und  ohne  alle 
Arznei  geheilt  hat.  Ein  solches  zweckmässiges  Regimen  gewähnt  den  gros- 
sen Vortheil ,  dass  dadurch  alle  gefahrliche  Zufälle ,  die  in  der  Entzündungs- 
periode sonst  so  leicht  eintreten ,  verhütet  werden  und  der  ganze  Verlauf 
des  Übels  höchst  gelind  und  gutartig  bleibt.  Damit  der  Arzt  hier  doch  et- 
was verschreibt,  was  zugleich  als  schleimiges  Mittel  einhüllt  und  nützlich 
wirkt ,  gebe  ich  innerlich  Emuls.  sem.  papav.  albi  oder  amygdalarum  dul- 
cium  ohne  andern  Zusatz  esslöffclweise ,  und  ausserdem  des  Abends  einen 
Theeläifel  voll  Magnesia  carbon.  oder  Ocul.  cancrorum.  Ist  der  Ausfluss 
noch  bedeutend,  der  Schmerz  aber  nur  noch  gering,  so  gebe  ich  folgendes 
Pulver,  welches  gelind  diaphoretisch  wirkt:  Rr  Sacchnri  lactis  5J ,  Ocul. 
cnncror. ,  Maines,  carbon.  ana  3j »  Sacchari  alhi  51^ ,  Sulph.  aurnti  gr.  yjjj. 
M.  f.  pulv. ,  wovon  3  —  4mal  täglich  ein  guter  Theelöffel  voll  mit  Wasser 
genommen  und  Haferschleim  nachgetrunken  wird.  Ist  dieses  Pulver  ver- 
braucht und  die  Entzündung  nui'  noch  gering,  ihr  Charakter  mehr  venös 
als  synochal ,  was  in  der  Regel  bei  schlaffen,  lymphatischen  Subjecten,  bei 
vorgerücktem  Alter  und  bei  den  meisten  Kranken,  die  vom  Anfange  der 
Krankheit  an  strenge  Diät  hielten ,  der  Fall  ist ;  so  gebe  ich  jetzt  die  Ku- 
beben :  Vy  Pipern,  cubehar.  5JJ ,  Ocul.  cancror.  5jj ,  EUicos.  focnicuU  3fJ.  M. 
f.  pulv.  S.  3 — 6mal  täglich  1  —  2  Theelöffel  voll.  Bei  dieser  Behandlung 
habe  ich  binnen  14  Tagen,  höchstens  3  —  4  Wochen,  fast  immer  die  Go- - 
norrhöe  ohne  nachtheilige  Folgen  geheilt.  Alle  Einspritzungen  halte  ich  bei 
acuten  Trippern  für  schädlich  und  auch  bei  dem  chronischen  oder  Nach- 
tripper erfordert  ihre  Anwendung  alle  Vorsicht.  Hinsichtlich  der  Diät  ist 
noch  zu  bemerken,  dass  auch  hier  die  Fälle  wohl  zu  unterscheiden  sind, 
Männer,  die  an  sehr  reizende  Nahrung  und  an  geistige  Getränke  so  ge- 
wöhnt sind,  dass  sie  in  gesunden  Tagen  täglich  wol  2 — 3  Flaschen  Wein 
trinken ,  dürfen  nicht  ganz  auf  eine  wässerige  Diät  gesetzt  werden.  Sie 
können  wol  2 — 3  Gläser  Wein  des  Tages  trinken,  wenn  anders  keine  be- 
deutenden Schmerzen  und  entzündlichen  Zufälle  vorhanden  sind;  sonst  folgt 
leicht  Nachtripper.  3)  Aber  nicht  immer  bekommt  man  Tripperkranke  vom 
Anfange  des  Übels  an  in  die  Cur.  Bei  manchen  ist  die  gute  Diät  vernach- 
lässigt, sie  haben  sich  viel  bewegt,  sind  gefahren,  geritten,  haben  Spiri- 
tuosa, Fleischsuppen,  Gewürze,  geräuchertes,  gesalzenes  Fleisch  etc.  genos- 
sen ,  wol  gar  den  Coitus  während  des  Übels  exercirt.  Hier  sind  oft  schon 
heftige  entzündliche  Zufälle  aufgetreten,  die  Entzündung  hat  den  synocha- 
len  Charakter  und  erfordert  vor  allem  den  ganzen  antiphlogistischen  Appa- 
rat.    Hier  versäume  man  bei   robusten  Subjecten  ja  den  Aderlass  nicht;   in 


GONORRHOEA  895 

andern  Fällen  reichen  Blutegel  ans  Scrotum,  an  die  Schenkel,  ans  Perl- 
naeum,  selbst  an  den  Penis  (z.  B.  bei  Gonorrhoea  sicca  und  chordata)  aus. 
Dabei  innerlich  1^7  Emuls.  amygilnl.  duh.  3vjjj ,  Nitri  depurati  3jj  ■>  Tart.  vi- 
triolali  5|i ,  Syr.  cmuhiv.  gj.  M.  S.  Stündlich  1  —  2  Esslöffel  voll;  dane- 
ben strenge  antiphlogistische  Diät  und  Ruhe.  AJle  Einspritzungen  und  da« 
Einbringen  von  Bougies  sind  hier  doppelt  nachtheilig.  Dagegen  passen  hier 
ganz  besonders  erweichende  Bähungen  und  Baden  des  Gliedes  mit  warmer 
Milch,  Decoct.  flor.  sambuci,  Sem.  lini,  Herb,  und  Rad.  althaeae,  warme 
Breiumschläge  aus  Hafergrütze,  Leinsamenraehl  und  Milch,  bei  heftigen 
Schmerzen  mit  Zusatz  von  Herb,  hyoscyami,  cicutae.  Doch  wende  man 
diese  Mittel  nur  so  lange  an,  bis  der  Ausfluss  stärker  geworden  und  die 
heftigen  Schmerzen  nachgelassen  haben;  sonst  erschlaffen  sie  zu  sehr  und 
befördern  dadurch  den  Nachtripper.  Ein  Tragbeutel  muss  hier  anzulegen 
ja  nicht  versäumt  werden,  sonst  entsteht  sehr  leicht  Hodengeschwulst. 
4)  Bei  zarten,  sensiblen  Subjecten  hat  die  Entzündung  selten  einen  echt  in- 
flammatorischen ,  mehr  den  erethistischen ,  erysipelatösen ,  sensiblen  Charak- 
ter; die  Schmerzen  sind  hier  oft  bedeutend,  erregen  Fieber  mit  kleinen 
spasniodischen  Zufällen,  ohne  dass  bedeutende  topische  Entzündung  und 
Geschwulst  zugegen  ist.  Hier  passen  innerlich  die  genannten  Emulsionen 
ohne  Nitrum,  dagegen  wirkt  hier  ein  Zusatz  von  Extr.  hyoscyami  sehr  wirk- 
sam; z.  B.  I^  Emuls.  sem.  papav.  alb.  gx,  Ewtr.  hyoscyami  gr.  x.  M.  Su 
Stündlich  1  Esslöffel  voll;  und  ausserdem  des  Abends  vor  dem  Schlafenge- 
hen eins  der  folgenden  Pulver:  I^  Rad.  ipccac.  gr.  V4,  Camphorae  gr,  j^, 
Opii  purissimi  gr.  %,  SaciJiari  alhi  ^j.  M.  f.  pulv.  disp.  dos.  vj.  In  der 
Regel  reichen  diese  Mittel  in  der  angegebenen  Dosis  aus,  um  die  erhöhte 
Reizbarkeit  im  leidenden  Theile  zu  beschränken;  zuweilen  müssen  wir  aber 
mit  der  Gabe  steigen  und,  um  den  baldigen  erwünschten  Erfolg  zu  sehen, 
alle  3  Stunden  1  Gran  Kampher  und  Abends  und  Morgens  '^ — 1  Grau 
Opium  reichen.  5)  Bei  der  Gonorrhoea  sicca,  als  dem  höchsten  Grade  der 
synochalen  Entzündung,  giebt  es  nur  eine  Methode,  den  plötzlich  ver- 
schwundenen Tripperfluss  wieder  hervorzurufen.  Sie  besteht  in  der  stren- 
gen Anwendung  antiphlogistischer  Mittel,  wie  oben  Nr.  3  angegeben  worr 
den.  Blutegel ,  laue  erschlaffende  Bähungen  und  Breiumschläge  sind  hier 
durchaus  nothwendig,  desgleichen  innerlich  Nitrum  in  Emulsion.  Sobald 
der  Ausfluss  sich  wieder  gehörig  gezeigt  hat  (nicht  früher),  passt  Opium  mit 
Emuls.  sem.  papav.  albi,  und  man  lässt  dann  das  Nitrum  weg.  6)  Ebenso 
streng  antiphlogistisch  muss  bei  dem  Fortschreiten  der  Harnröhrenentzün- 
dung zum  Blasenhalse,  zur  Blase,  zur  Prostata  verfahren  werden,  sonst 
folgt  leicht  Induration  oder  Eiterung  dieser  Theile.  7)  Ist  Urinverhaltung 
Symptom  des  Trippers,  so  ist  diese  in  der  Regel  entzündlich- spastischer 
Natur.  Daher  passen  zuerst  Blutegel,  bei  recht  Robusten  ein  Aderla.ss, 
darauf  ein  allgemeines  Bad  von  27»  R.  Wärme,  hinterher  Emuls.  sem.  pa- 
pav. albi  mit  Extr.  hyoscyami,  auch  Morgens  und  Abends  Folgendes: 
fy  Mercur.  dtilc. ,  Cfunphurac  ana  gr.  )w ,  Opii  pmi  gr.  74 ,  Liquir.  coctae  )j. 
M.  f.  p.  Ausserdem  erweichende  Klystiere,  laue  Fomentationen,  Einreibun- 
gen von  Linim.  volat.  carophor.  und  Laudanura  in  die  Blasengegend,  Inses- 
sus  von  krampfstillenden  Kräutern.  Das  Nitrum  passt  hier  nicht,  ebenso 
wenig  das  Einbringen  des  Katheters ;  ja  man  muss  im  Nothfalle  und  hei 
fruchtloser  Anwendung  der  genannten  Mittel ,  wenn  durch  die  anhaltende 
Urinverhaltung  die  Zufälle  heftig  werden,  eher  zmn  Troikar  greifen  und 
den  Blasenstich  machen,  als  zum/  Katheter.  Zuweilen  ist  die  ürinverhal^ 
tung  rein  krampfhaft,  es  ist  Cystospasmus  da;  alsdann  passen  gleich  an- 
fangs die  genannten  Antipasmodica.  8)  Die  Gonorrhoea  chordata  ist  gleich- 
falls häufig  entzündlich -spastischen  Ursprungs  und  erfordert  ganz  die  Cur, 
wie  die  Urinverhaltung;  doch  kann  man  hier  innerlich  das  Nitrum  in  Emul-» 
sionen  geben.  Man  setzt  Blutegel  an  den  Penis,  macht  Fomentationen  von 
Chamillen ,  Valeriana ,  Bilsenkraut ;  wendet  mit  grossem  Nutzen  örtliche 
Dampf-  und  Wasserbäder,  auch  allgemeine  laue  Bäder  an,  und  giebt  spä- 
ter innerlich  etwas  Extr.  hyoscyami,   Opium  etc.     Zuweilen  folgen  Blutui;- 


896  GONORRHOEA 

gen  aus  der  Harnröhre,  die  sehr  erleichtern  und  n(cht  ohne  grosse  Noth  g«- 
stopft  werden  müssen  (s.  Haematuria  stillatitia).  Die  Diät  muss 
hier,  wie  auch  bei  Nr.  3,  4,  5,  6  und  7,  mehr  oder  weniger  antiphlogi- 
stisch seyn.  Schleimige  einhüllende  Getränke,  Zuckerwasser,  Brot-  und 
Wassersuppen  sind  allein  dienlich.  9)  Consensuelle,  nicht  syphilitische  Bu- 
bonen,  überhaupt  alle  Entzündungen  der  Leistendrüsen  bei  Trippern  ohne 
gleichzeitige  Chanker,  müssen  zertheilt  werden.  Äusserlich  dienen  hier 
kalte  Umschläge  auf  den  Bubo  von  Aq.  Goulardi,  mit  dicken,  schweren 
Compressen  übergeschlagen,  auch  selbst  die  Compression  ist  hier  zu  An- 
fange recht  wirksam.  Ist  die  Entzündung  der  Drüse  aber  schon  ausgebildet, 
ist  der  Schmerz  sehr  heftig,  so  setze  man  erst  Blutegel  an  und  mache  dann 
laue  Fomentationen  von  aromatischen  Kräutern ,  allenfalls  noch  mit  Bleiwas- 
ser  vermischt.  Doch  lasse  man  letzteres  weg,  sobald  Spuren  von  Eiterung 
da  sind.  Alsdann  passen  warme  erweichende  Breiumschläge  (s.  Cata- 
plasma),  denen  man  noch  Herb,  hyoscyami,  cicutae  zusetzt.  Ist  sehr 
■wenig  Reiz  und  Leben  im  Bubo ,  ist  er  schon  über  acht  Tage  alt  und  will 
ersieh  nicht  zertheilen,  so  passen  reizende  Umschläge  von  gebratenen  Zwie- 
beln, Seife,  Senf,  z.  B.  das  Kerndl'sche  Kataplasma:  I^  Pulv.  sem.  Sinnp., 
Cepar.  assntnr.  ana  ^jj ,  S(vpon.  nigri  gj.  Coc.  c.  aq.  fontnn.  q.  s.  ad  con- 
sist.  catnplasm.  Diese  Masse  wird  einen  Zoll  dick  auf  die  geschwollene  leb- 
lose Leistendrüse  gelegt  und  dann  dieselbe  unmittelbar  mit  einem  heissen 
Cataplasma  emolliens  bedeckt.  Der  Umschlag  wird  nur  einmal  täglich  ge- 
wechselt und  des  Nachts  der  Bubo  mit  Empl.  diachyl.  gummös,  bedeckt 
Die  Ölfnung  des  Abscesses  überlässt  man  gern  der  Natur;  in  Fällen,  wo 
die  Kerndl'schen  Umschläge  passen,  bedient  man  sich  mit  Nutzen  dazu  oft 
des  Causticums  (s.  Abscessus).  Ein  anfangender  consensueller  Bubo  zer- 
theilt sich  am  besten  bei  früh  angewandten  kalten  Bleiwasserfomentationen, 
Compression  und  dem  innerlichen  Gebrauche  des  Tart.  emeticus  in  refr.  dosi. 
10)  Was  die  Behandlung  der  Phimosis  betrifft,  so  können  wir  ihrer  Ausbil- 
dung anfangs  durch  kalte  Fomentationen  von  Essig  und  Wasser,  von  Blei- 
wasser oft  Grenzen  setzen.  Ist  sie  aber  schon  ausgebildet  und  der  entzünd- 
liche Charakter  heftig,  so  müssen  3  —  6  Blutegel  an  die  Vorhaut  gesetzt  und 
innerlich  Nitrum  in  Emulsion  gegeben  werden.  Ist  das  Subject  robust,  so 
passt  selbst  nach  Umständen  ein  Aderlass.  Äusserlich  dienen  hier  laue  Bä- 
der aus  Milch,  solche  Fomentationen  und  Umschläge  von  Hafergrütze,  Al- 
thaea,  Malva,  Verbascum,  bei  heftigen  Schmerzen  mit  Zusatz  von  Schier- 
ling und  Bilsenkraut.  Ist  Verdacht  syphilitischer  Ansteckung  da,  so  bringe 
man  eine  Hohlsonde  unter  die  Vorhaut  und  schlitze  sie  mit  dem  Bistouri 
auf,  wo  man  dann  häufig  schon  Chanker  unter  derselben  wahrnimmt  (Rjwt). 
Die  Blutung  dabei  erleichtert  sehr  und  überhebt  uns  der  Application  der 
Blutegel;  auch  verhütet  das  Aufschneiden  (das  am  besten  so  geschieht,  dass 
man  äusserlich  auf  der  untergebrachten  Hohlsonde  die  Spitze  des  Messers 
aufsetzt  und  so  nach  unten  ziehend  die  Vorhaut  trennt)  die  sonst  leicht  er- 
folgende Verwachsung  zwischen  Vorhaut  und  Eichel  und  macht  die  umständ- 
lichen Einspritzungen  unter  der  Vorhaut  zur  Reinigung  der  Theile  überflüs- 
sig. Ist  die  Heftigkeit  der  Entzündung  vorüber,  oder  hat  diese  von  Haus 
aus  mehr  den  erethistischen  ,  spastischen ,  erysipelatösen ,  sensiblen  Charak- 
ter, so  passen  äusserlich  trockne  aromatische  Kräuterkissen,  später  selbst 
mit  Kampher  versetzt,  z.  B.  die  Spec.  resolvent,  externae,  und  innerlich 
dienen  Emulsionen  mit  Kampher  und  Abends  Pulv.  Doweri.  Zuweilen  ist 
die  Entzündung  mehr  ödematös  und  die  Anschwellung  der  Vorhaut  bläulich- 
blass  von  Farbe  und  dabei  von  bedeutendem  Umfange.  Hier  passen  Fo- 
mentationen von  aromatischen  Kräutern  mit  Wein,  Branntwein,  Spirit.  la- 
vandulae  versetzt.  11)  Jede  Paraphimosis  ist  schlimmer,  als  eine  Phimosis, 
da  hier  leicht  Brand  folgen  kann.  Ist  die  Geschwulst  noch  nicht  bedeutend, 
so  kann  man  durch  Ansetzen  von  Blutegeln,  durch  schnelles  Wechseln  von 
warmen  und  eiskalten  Fomentationen  die  Eichel  oft  dergestalt  verkleinern, 
dass  sich  die  Vorhaut  herüberziehen  lässt.  Häufig  gelingt  dies  nicht,  und 
es  ist  auch  nicht  einmal  gut,   solche  Versuche  wiederholt  anzustellen;    das 


GONORRHOEA  897 

beste  Hülfsmittel  bleibt  die  Operation.      Man   hebt  nämlich  die  Vorhaut  in 
der  Nähe   der  Einklemmung  in  die  Höhe,    bringt   eine  Hohlsonde  ein,    und 
spaltet  auf  dieser  den  einklemmenden  Ring   der  Vorhaut  durch.     Dies  Ver- 
fahren versäume   man   bei  bedeutender   Anschwellung   und  bläulicher  Färb« 
der  Eichel,    bei  gleichzeitiger  Harnverhaltung  ja  nicht,  sonst  tritt  Gangrän 
ein ,  die  Corpora  cavernosa  penis  werden  davon  ergriffen  und  die  Eichel  geht 
trotz    aller  antiseptischen  Mittel   dann  oft   verloren.     12)  Bei  der  anfangen- 
den Entzündung   der  Nebenhoden  zertheilt   man   diese   oft   rasch   durch   ein 
Vomitiv,  durch  kalte  Fomentationen  von  Aq.  Goulardi,  von  Essig  und  Was- 
ser.    Hört  der  TripperausHuss  zugleich  auf,  so  sind  oft  Blutegel  und  innere 
Antiphlogistica  nöthig.    Bei  jeder  ausgebildeten  Epididymitis  passen  aber  jene 
kalten  Umschläge  nicht;    hier  sind  bei  Robusten   oft  Aderlässe,   bei  Andern 
stets    Blutegel    ans    Scrotum   nothwendig ,    hinterher   warme   Fomentationen 
und  Umschläge  von    Spec.  emoUientes   mit   Aq.  Goulardi,    Herb,  hyoscyami, 
Opium,  Ciocus;    dabei   sorge  man  durch  Clysmata    aperientia   für   gehörige 
Leibesöffnung   und   gebe  innerlich   Nitrum   und   Tart.    vitriolat.   mit   Emuls. 
jsem.  Papaver.  albi.     Zuweilen  ist  die  Entzündung  nicht  rein  inflammatorisch, 
mehr   erethistisch ,   spastisch,    erysipelatös ,   die  Härte   des  Hoden  ist  bedeu- 
tend, die  Geschwulst  von  grossem  Umfange;    der  Patient  ist  reizbar,  leidet 
an  Blasenkrampf,   Kolikschmerz,    Übelkeit  etc.     Hier  passen  äusserlich  lau- 
warme Umschläge  von  Flor,  chamomillae.  Herb,  cicutae,    hyoscyami,  Spec. 
aromatic.,   des  Nachts  Empl.  cicutae  et  hyoscyami,   innerlich  1^  Opü  pmis- 
simi  gr.  \\,    Rad.  ipecnc.    gr.  Y4,     Tart.  vitriolat.    gr.  vj,    Sacchari  alhi  ^j. 
M.  f.   pu]v.    disp.   dos.  xjj.    S.     Alle   2  Stunden  V2 — 1  Pulver   mit  Wasser. 
.Späterhin    bei    erfolgter  Zertheilung    muss   der   Hode   noch   immer  in    einem 
Suspensorio  getragen  und  dieses  mit  einem  Pulver  aus  aromatischen  Kräutern 
ausgefüttert  werden.     Selten  bildet  sich  hier  ein  Abscess,  ists  aber  der  Fall, 
so  muss  man  frühzeitig  öffnen  und  Injectionen    von  Aq.  salviae  mit  Liquam. 
niyrrhae   und  Tinct.   opü   anwenden,    damit   der  Hode  nicht   durch    die   um 
üich  greifende  Eiterung  zerstört  wird.     Alle  früh  angewandte  reizende  Ein- 
reibungen von  Linim.  volat.  caraph.,  Unguent.  mercuriale,  Unguent.  digitalis, 
Unguent.   kali  hydriod.,    die  später   zur  Zertheilung    der  chronischen  Härte 
sehr  wirksam  sind ,  sind  im  entzündlichen  Stadium  höchst  nachtheilig ,  über- 
haupt schadet  hier  schon  jedes  Einreiben  auf  mechanische  Weise,  und  nähme 
man  selbst   das  mildeste  Ol   dazu.     13)   Die  nach  plötzlich  verschwundenem 
Tripper  entstandene  Augenentzündung  erfordert   schnelle  Hülfe:    Blutegel  in 
die  Schläfe,    Vesicatorien   in  den  Nacken,    warme  Fussbäder,    antiphlogisti- 
sche Diät,  dunkles  Zimmer,  äusserlich  lauwärme  Umschläge  von  Merc.  Subli- 
mat, corros.  gr.  j,  Aq.  destillat.  5VJ,  Tinct    opü  Richten  Sjj,  innerlich  Merc. 
dulc.  mit  Opium.     Dass  bei  dieser,  sowie  bei  ähnlichen  Metastasen  des  Trip- 
pergifts auf  andere  Schleimhäute  als  die  Conjunctiva,  z.  B.  auf  die  Lungen, 
auf   die   Nasenschleimhaut ,    in   den   Gehörgang ;    auf  fibröse  Häute :   Blase, 
Gelenke,    Dura  mater  etc.,    ein  Hervorrufen   des  Trippers  in  der  Harnröhre 
oft  überflüssig  ist,    um  solche  Versetzungen  zu  heilen,    dies  habe   ich  öfters 
erfahren  (s.  Inflammatio  oculi  venerea).     14)  Bei  gesunden  und  kräf- 
tigen  Personen  bedarf  das   Stad.  relaxationis   fast  gar   keiner  Mittel  mehr; 
denn  die  Natur  allein  heilt  den  Tripper,  sowie  die  Entzündungszufälle  ver- 
schwunden sind.     Ist  der  Kranke  aber   schwächlich  oder   schon  bei  Jahren, 
so  muss    er  zur  Verhütung    des  Nachtrippers    mediciniren.      Da  die  Entzün- 
dungszufalle  hier  nicht  mehr  obwalten,  so  passen  die  antiphlogistischen  Mit- 
tel nicht  mehr,    sie  verschlimmern   die  Blennorrhoe  durch  Hervorrufung  von 
'  Erschlaffung  und  Atonie;    dagegen   sind  hier  die  Balsam,  naturalia:   Balsam, 
copaivae,    peruvian.  nigr.,    Tereb.  venet. ,  Kubeben,    recht  an  ihrer  Stelle; 
z.  B.    Bals.    copaivae  2  —  Smal  täglich  20  —  30   Tropfen  in   Zuckerwasser, 
oder  I^  Tereb.  venet.  3jj ,  Rooh  samhuci,  —  junipcri  ana  gj.  M.  f.  Electuar. 
S.  3  —  4mal  täglich  1 — 2  Theelöffel  voll.     Die  pulverisirten  Kubeben  geben 
•wir   ganz   rein,    3  —  4 mal    tägüch    1  —  2   Theelöffel   voll;    doch    nicht   alle 
Kranke  vertragen   sie;    manche   reizbare   sanguinische   Personen    bekommen 
Übelkeit,  Erbrechen,  Schwindel,  Ohnmächten  darnach,  und  wir  müssen  sie 
Most  Encyklopädie.  2te  Aufl.  1.  57 


898  GONORREOEA 

deshalb  anssetzen.  Zuweilen  werden  sie  in  solchen  Fällen  In  folgender  Ver- 
bindung hesser  vertragen:  R-  Pijier.  cuhehnr.  5JIV,  Ocul.  cano'or.  3jj»  -W/i- 
gncs.  cnrijon.  3].  Sacchari  idclis  g)^.  M.  f.  p.  S.  Alle  2  —  3  Stunden  1  —  2 
Theelöffel  voll  (3f.)'  ^^^  Wdi  m  diesem  Stadio  inuss  nährend,  aber  nicht 
reizend,  erhitzend  seyn.  Gute  Fleischbouillons,  bei  Schwächlichen  etwa» 
Rothwein,  Decoct.  chinae,  Chinin.,  Cort.  aurantior, ,  sind  oft  allein  hinrei- 
chend ,  den  Tripper  ohne  alle  reizende  balsamische  Mittel  zu  heilen.  In- 
dessen ist  dies  nicht  immer  der  Fall,  sondern  es  bedarf  der  kräftigsten  An- 
wendung derselben,-  besonders  wenn  der  Nachtripper  schon  im  Anzüge  ist. 
Hier  sind  verschiedene  Formeln  berühmt  geworden :  I^r  Aq.  menth.  crisp., 
Spir'it.  viin,  Bnls.  copaivae ,  Syr.  iior.  auravt.  ana  §jj,  Aq.  ßor.  anrmit.  §], 
Spirit.  nilri  duJc.  5jj.  M.  S.  Morgens  2,  Mittags  und  Abends  1  Theelöffel 
voll,  vorher  stark  umgeschüttelt  zu  nehmen  (s.  Chopart  u.  Ansinux  in  RtisCs 
Magaz.  ßd  XII.  S.  274).  ^f  Bnls.  copnivnc,  —  tohiiam  ana  ^^,  Aq.  rostir. 
ruhrar.  §vj ,  Gumm.  minws.  giv ,  Spirit.  nitri  dulc.  5jj-  M.  S.  Dreimal  täg- 
lich 1  Esslöffel  voll.  DelpecJi  wendet  gegen  Gonorrhöe  sogleich  im  entzünd- 
lichen Stadium  Folgendes  an,  was  aber  besser  im  Stadium  relaxationis  passt: 
1|'  Aq.  mcnihnc,  — flor.  aurnnlii,  Syr.  citri,  Bnls.  copnivae  ana  5J ,  Acid, 
svlphuric.  3j.  M.  S.  4 — 5mal  täglich  1  Theelöffel  voll  in  Haferschleim. 
Jnmes  Thorn  (vgl.  Gerson^s  u.  Julius^  Magaz.  d.  ausländ.  Lit.  d.  Heilkunde. 
1828.  Jan.  u.  Febr.  S.  158)  giebt  bei  Tripper  ein  aus  Copaivbalsani  berei- 
tetes Präparat,  wo  blos  durch  die  Destillation  das  Öl  getrennt  worden,  und 
von  der  reinen  Resina  baisam.  peruv.  dreimal  täglich  10 — 20  Gran  in  Pil- 
lenform genommen  werden.  Nach  ihm  passt  das  Mittel  in  allen  Stadien  des 
Trippers,  und  es  beschwert  den  Magen  nie.  Gegen  den  Nachtripper  em- 
pfiehlt James  Thorn  Extr.  rad.  tormentill.  3'h  i"  6  Unzen  Wasser  aufgelöst, 
zum  Einspritzen.  15)  Wenn  der  Tripper  2  —  S  Wochen  lang  gewährt  hat 
und  sich  der  Ausfluss,  nachdem  er  sich  schon  vermindert  hatte,  wieder  ver- 
mehrt und  nicht  rund,  eiterähnlich,  sondern  eiweissartig  ist,  so  können  wir 
ihn  für  eine  Gonorrhoea  secundaria  incipiens  halten.  Hier  passen  der  an- 
haltende Gebrauch  der  oben  (Nr.  14)  angegebenen  balsamischen  Mittel. 
Zuweilen  hat  man  von  grossen  Dosen  Bals.  copaivae  Nutzen  gesehen;  ja 
einige  französische  Ärzte,  z.  B.  Moulaud,  Ducros,  Diigos,  Martin  in  Marseille 
geben  ihn  sogar  esslöffelweise.  Doch  ist  dies  nicht  zu  rathen;  es  entsteht 
Ekel,  Erbrechen  und  oft  anhaltende  Magenschwäche  darnach  (Most).  Höchst 
wichtig  ist  es,  beim  Nachtripper  die  Fälle  gehörig  zu  unterscheiden,  n)  Bei 
reizbaren,  zarten  Subjecten  mit  Erethismus,  wo  noch  Jucken  und  Brennen 
den  Ausfluss  begleiten,  passt  am  besten  Decoct.  chinae,  Tinct.  nervina  Be- 
stucheffii,  Calam.  aromaticus,  oder  folgende  Mixtur:  R'  Rad.  cal.  aromat.f 
—  cnryophyllat. ,  Cort.  chinae  fnv.  ana  ^jlt ,  infnnd.  nq.  fontan.  ^xvjjj  ut  rem. 
^xj ,  col.  adde  Tinct.  aurantior.  3jj ,  Laud.  liquid.  Syd  31^-  M.  S.  Alle  S 
Stunden  1  — 2  Esslöffel  voll  (M.).  Dabei  äusserlich  Baden  der  Genitalien 
in  Rothwein,  Einreibungen  ins  Perinaeum  von  Linim.  volat. ,  desgleichen 
R»  Aqnne  Goulardi  gjj,  Tinct.  opii  simpl.  ^\\.  M.  S.  Lauwarm  davon  in 
die  Harnröhre  täglich  dreimal  etwas  einzutröpfeln.  Dann  passt  vorzüglich 
Ef  Vitell.  ovor.  No  jj,  Aceti  vini,  Ol.  olivnr.  ana  gjjj,  Bals.  peruv.  "5"^'].  M.  S. 
Zweistündlich  1  Esslöffel  voll  zu  nehmen  (Dr.  Friche  in  Hamburg).  Erst 
später  dienen  innerlich  Myrrhe,  Kino  und  Ferrum  sulphuricum.  ü»)  Haben 
phlegmatische,  torpide  Constitutionen  durch  eine  zu  dünne  knappe  Diät, 
durch  antiphlogistische  und  schwächende  Mittel  zu  Anfange  des  Trippers 
ihre  Genitalien  zu  sehr  erschlafft,  hat  der  Arzt  sich  hier  vor  früher  Anwen- 
dung der  Balsame,  der  Kubeben,  die  hier  selbst  gleich  zu  Anfange  dreist 
gegeben  werden  können  (wenn  anders  keine  heftigen  entzündlichen  Zufälle 
da  sind)  zu  sehr  gefürchtet .  so  entsteht  leicht  ein  schw  er  zu  heilender  Nach- 
tripper. Hier  sind  folgende  Pillen  sehr  wirksam:  I^  Terel.  venet.,  Extr. 
pentianae,  Gum.  Mno,  Fcrri  sulphurici  ana  5jj-  M.  f.  pil.  pond.  gr.  jj.  Con- 
.'>pei-(f.  pulv  Jiquir.  S.  Dreimal  täglich  5  —  8  Stück.  Durch  diese  Pillen 
wurde  ein  achtwöchentlicher  Nachtripper  bei  einem  etwas  phlegmatischen, 
26jährigen  Manne  binnen  acht  Tagen  geheilt,   nachdem  folgende  Mfachung, 


GONORRHOEA  899 

die  sonst  in  gewöhnlichen  Fällen  auch  recht  wirksam  ist,  fruchtlos  ange- 
wandt worden  war:  I^  Balsam,  copaivae  5J,  Vitell.  ovor.  q.  s.,  Syr.  emul- 
siv,  5Jj ,  Aq.  foeniculi  5VJ,  Tinct.  opü  sitnpl.  gtt.  xx.  M.  S.  Gut  umgeschüt- 
telt  alle  3  Stunden  1  Esslöjffel  voll  (^Martini).  In  sehr  hartnäckigen  Fällen 
und  bei  Abwesenheit  alles  Erethismus  ist  auch  die  Tinct.  cantharid. ,  drei- 
mal täglich  5  — 10  Tropfen  in  Haferschleim  empfohlen  worden ;  doch  erfor- 
dert dies  Mittel  Vorsicht.  Man  setze  es  sogleich  aus,  wenn  entzündliche 
Zufalle  und  Harnbeschwerden  entstehen.  So  nachtheilig  die  Einspritzungen 
bei  allen  acuten  Trippern  sind,  so  nützlich  sind  sie  beim  Nachtripper,  nur 
muss  man  eine  vorn  ganz  abgestumpfte  Tripperspritze  dazu  gebrauchen.  Zu 
den  Einspritzungen  empfehlen  sich  folgende  Formeln,  welche  man  der  Reihe- 
folge nach,  je  nachdem  das  Übel  noch  frisch  oder  älter  ist,  anwendet;  denn 
wo  noch  viel  Reiz  ist,  passt  anfangs  am  besten  Blei,  später  Zincum  sul- 
phuricum,  Sublimat,  Myrrhe,  in  sehr  hartnäckigen  Fällen  Zincum  aceticum 
und  blausaures  Quecksilber.  I^  Sacchari  saturni  ^j,  Aq.  rosarum  5JJJ,  Tinct. 
thchaic.  5jjj-  M.  S.  Lauwarm  einzuspritzen.  I^  Merc.  suhlimat.  corros.  gr.  \^, 
Aq.  desülhUae  ^j],  Tinct.  opii  vinos.  öjj-  M.  S.  Ut  supra.  ^r  Sacchari  satumi 
5|x>  Aq.  rosarum  3JJII,  Tinct.  thehaic.  "5]%  ■>  Liquam.  myrrh.  ^fv  —  5J.  M.  S. 
Zum  Einspritzen.  ^  Hydrargyri  boruss.  gr.  jj,  solve  in  Aquae  deslUlat.  3xiv, 
—  lauroccrnsi  5jj-  M.  S.  Zum  Einspritzen.  (^Honi).  I^  Zinci  sulphurici  gr.  iv, 
Aq.  rosar.  31V.  M.  S.  Wie  oben.  I^  Zinci  ncetici  gr.  iv,  Aq.  rosar.  3IV. 
M.  S.  Wie  oben.  In  sehr  hartnäckigen  Fällen  hat  man  auch  von  2  Zoll 
lang  eingebrachten  Bougies,  mit  Bleimitteln  bestrichen,  noch  Nutzen  gesehen. 
16)  Obgleich  viele  Arzte  in  neuern  Zeiten  sowol  die  Kubeben  als  den  Co- 
paivbalsam  gleich  anfangs  beim  Tripper  und  oft  in  grossen  Dosen  gebrau- 
chen (^ James  Adams,  Crawford,  Broughton,  Alex.  H.  Stevens,  Milis  Marhj, 
W.  Crane,  H.  Jeffreys,  Dupuytren,  Bourqueiot,  Ducros,  Dugos,  Delpech, 
EJcelundy  die  Ärzte  der  berliner  Charite  und  nach  ihnen  viele  andere  Ärzte 
Deutschlands),  so  passen  sie  doch  nur  in  solchen  Fällen,  wo  der  Charakter 
der  Entzündung  mehr  erysipelatös  und  die  Constitution  mehr  lymphatisch 
als  irritabel  ist.  Nach  meinen  Erfahrungen  passen  sie  nicht  bei  Habitus 
phthisicus,  bei  Blutcongestion  zum  Kopfe,  z.  B.  bei  Habitus  apoplecticus, 
nicht  bei  Diathesis  haemorrhoidalis.  Auch  zeigen  sie  sich  nicht  wirksam, 
wenn  ein  Kranker  schon  einmal  durch  Kubeben  vom  Tripper  befreit  und 
nun  aufis  Neue  befallen  worden  ist.  Dass  das  Mittel  oft  in  acht  Tagen  die 
Gonorrhöe  heilt,  habe  ich  selbst  genug  erfahren,  aber  es  ist  die  grosse 
Frage,  ob  nicht,  wenn  das  Übel  durch  Syphilis  entstand,  secundäre  vene- 
rische Beschwerden  durch  ein  so  schnelles  Heilen  des  Trippers  nachfolgen; 
ausserdem  haben  die  Kubeben  vor  dem  Bals.  copaivae  gar  keinen  Vorzug 
und  es  giebt  einzelne  Fälle  genug,  wo  während  ihres  Gebrauchs  dennoch 
der  Tripper  drei  Wochen  und  länger  anhielt  (s.  auch  Ru.<it's  Magaz.  Bd.  XII. 
S.  271.  Bd.  XV.  S.  57),  ja  bei  manchen  Kranken  leisteten  sie  gar  nichts 
(s.  HecJier^s  Lit.  Annalen  1826.  März  S.  350.  Gräfe^s  und  Wnlther''s  Journ. 
f.  Chirurgie  Bd.  II).  Dagegen  habe  ich  bei  einer  guten  Diät  binnen  14  Ta- 
gen oft  allein  durch  folgende  Mittel  die  Krankheit  gehoben :  I^  Fol.  malvae 
31V,  Rad.  althaeae  ^j,  Sem.  cannalis  gjjj.  M.  C.  C.  S.  Zwei  Esslöffel  voll 
mit  4 — 6  Tassen  Wasser  V4  Stunde  zu  kochen  und  täglich  zu  verbrauchen 
{Tode);  daneben  IV  Tinct.  lialinae  5jj ,  Aq.  laurocerasi^^^.  M.  S.  Alle  2 
Stunden  30 — 40  Tropfen  mit  Haferschleim  (Friclce).  Überhaupt  scheinen 
die  kaiischen  Mittel  zu  Anfange  des  Trippers  sehr  viel  zu  leisten,  z.  B. 
Magnesia  carbon.,  Ocul.  cancrorum;  auch  Sal.  tartari  3j  in  ^vjjj  Emuls. 
Bern,  papav.  albi  hat  mir  oft  herrliche  Dienste  gethan.  Über  die  von  Eini- 
gen gerühmte  Anwendung  der  Kubeben  und  des  Copaivbalsams  in  Klystieren 
nach  Velpeau  u.  A.  habe  ich  keine  eignen  Erfahrungen.  Vielleicht  ist  dieses 
Verfahren  bei  grosser  Magenschwäche  und  hoher  Reizbarkeit  des  Hautsy- 
stems zur  Verhütung  des  eigenthümlichen ,  nach  grossen  Dosen  Bals.  copaiv. 
leicht  entstehenden  Exanthems  (s.  Kopp  in  HufelnmVs  Journ.  1827.  S.  82), 
das  den»  Nesselausschlage  .ähnejt,  anzuwenden.  Ein  Mittel,,  das  versucht  zu 
erden  verdient,    sind   bei   Tripper  die  Einspritzungen  von  Höllensteinanf- 

57* 


900  GONORRHOEA 

losung,  die  schon  Carmichnel  empfahl,  doch  sie  aus  Furcht  Tor  den  Folgen, 
die  er  in  heftige  Entzündung  setzte,  nicht  selbst  anwandte.  Diese  Furcht 
ist  eben  so  ungegründet  als  die  vor  der  Application  des  Lapis  infemalis  bei 
frischen  Verbrennungen.  Dies  haben  zahlreiche  Erfahrungen  bestätigt.  Ph't- 
Upp  Burnclt  Lucas  (London  Med  Gaz.  183S.  Apr.  BehreniVs  Repertor.  d. 
Journalistik  d.  Auslandes.  Aug.  1833.  S.  99)  erzählt  mehrere  Fälle  von  ge- 
hörig nachgewiesenen  Trippern  im  ersten  Stadium,  wovon  er  mehrere  durch 
Einspritzung  von  10  Gran  Lap.  infernal,  in  1  Unze  Rosenwasser  sehr  schnell 
und  gründlich  binnen  ein  paar  Tagen  heilte.  Die  erste  Einspritzung  machte 
gewöhnlich  im  Augenblicke  einen  heftigen  Schmerz ,  der  ungefähr  20  Minu- 
ten anhielt  und  auch  beim  Urinlassen  sich  noch  zeigte.  Gleich  darauf  wurde 
die  Absonderung  dicker  und  sparsamer,  und  nach  einer  zweiten  Einspritzung 
verschwand  sie  gleich,  und  der  Kranke  war  geheilt.  Meistens  reichten 
2  Einspritzungen  hin ,  bisweilen  aber  mussten  sie  wiederholt  werden.  Im 
P'Jachtripper  leistete  das  INIittel  gar  nichts.  Der  Arzt  muss  selbst  und  zwar 
der  Art  die  Injection  machen,  dass  er  die  Spitze  der  gefüllten  knöchernen 
Spritze  mit  der  rechten  Hand  ins  Orificium  penis  führt  und  mit  der  linken 
zugleich  die  Harnröhre  etwa  2%  Zoll  unter  ihrer  Mündung  zusammendrückt, 
dajnit  die  Einspritzung  nicht  zu  hoch  hinauf  gehe.  Merkwürdig  und  neu  ist 
die  Thatsache,  dass  der  Tripperschleim,  innerlich  unter  Nahrungsmitteln  ge 
geben,  bei  Gesunden  gleichfalls  Gonorrhöe  erregt  (s.  Kleincrt^s  Repertor. 
1834.  Nüvbr.  S.  51).  17)  Nach  oft  überstandenen  Trippern  bleiben  häufig 
Verengerungen  der  Harnröhre,  welche  das  Uriniren  mehr  oder  weniger  be- 
schwerlich machen ,  zurück.  Man  heilt  sie  durch  das  Einbringen  der  Darm- 
saiten, später  der  Bougies  von  Gummi  elasticum  oder  durch  das  Ätzmittel 
(s.  Strictura  Urethra e).  18)  Unordentliches,  oft  beschwerliches,  oft 
unterdrücktes  Harnlassen  ist  zuweilen  Folge  von  heftigen  Trippern,  wenn 
diese  Induratio  prostatae  oder  Ind.  colli  vesicae  urinar.  erregten.  Hier  pas- 
sen innerlich  Mercurialia,  Antimonialia,  Extr.  cicutae,  belladonnae,  digital, 
purp.;  äusserlich  Linim.  volat.  camphor.  mit  Unguent.  mercuriale,  Elektri- 
cität,  Bäder.  Der  Urin  muss  hier  öfters  durch  den  Katheter  abgelassen 
werden ;  geht  dips  nicht,  so  muss  im  Nothfall  der  Blasenstich  den  Urin  ent- 
fernen. Ist  die  Urinverhaltung  rein  spastisch,  ohne  organische  Fehler,  dann 
innerlich  Pulv.  Doweri,  Extr.  hyoscyami,  Clysmata,  Cataplasmata  et  Fomen- 
tationes  antispasmodicae  (s.  Cy  s  tos  pasmus).  19)  Bleibt  nach  der  Gonor- 
rhöe Krümmung  des  Penis  (Chorda  chronica)  zurück,  so  sind  in  der  Regel 
organische  Fehler:  Narben,  Verhärtungen  etc.  Schuld.;  daher  das  Übel  oft 
schwer  zu  heilen  ist.  Einreibungen  des  Penis  mit  Unguent.  mercuriale  und 
jjinim.  volat.  camphorat.;  ausserdem  folgendes  Pflaster:  ^/  Empl.  7ncrcurial. 
3jjj  — otcMfrtc  5ß:,  — dinchijl.  gummös.  Sjß,  Pulv,  rad.  helladonn.  3lv-  M.  f. 
empl.,  welches  anhaltend  gebraucht  wird,  dabei  innerlich  Cicuta,  Aconit, 
Digitalis,  Morc.  dulcis  mit  Sulph'ur.  aurat.  ,  ausserdem  Douche,  Elektricität, 
Balnea  su;phurata  et  alcalina,  leisten  noch  das  Meiste.  5:0)  Bei  der  nach 
Phimosis  zuweilen  zurückbleibenden  ödematösen  Geschwulst  der  Vorhaut 
(Phimosis  chronica)  dienen  Waschmittel  von  Spirit.  Serpylli,  Sp.  vini  cam- 
phor., Solut.  aluminis,  Vitrioli  coerulei.  21)  Die  nachbleibenden  Verhärtun- 
gen der  Prostata,  der  Inguinaldrüsen  und  Hoden  sind  um  so  schwerer  zu 
heilen,  je  älter  sie  schon  sind.  Bei  frischem  Übel  passt  I^  Extr.  cicutae  )j, 
—  hcUadoiiiKie  ^fv ,  — aconiti  3jv,  Aqune  menth.  crisp.  5vjjj ,  —  Imi/rocerasi 
5J^,  Tnrt.  emciici  gr  if>.  M.  S.  2  — Smal  täglich  1  Esslöffel  voll;  dabei 
äusserlich  Empl.  cicutae,  belladonnae,  mercuriale.  Gewöhnlich  folgt  binnen 
14  Tagen  bei  anhaltendem  Gebrauche  dieser  Mittel  Zertheilung  bis  auf  ei- 
nen gewissen  Grad.  Alsdann  gebe  ich  innerlich  Spongia  usta  mit  Magnesia 
und  Cicuta,  z.  B.  }^  Herh.  cicutae  gr.  iv — vj ,  Sponifiac  ustae  5(>  —  •)]» 
Magnes.  cnrhon.  gr.  vj ,  Cort.  auraittior. ,  Sacchari  alhi  ana  ^fl-  M.  f.  pulv. 
dispens.  dos.  xxiv.  S.  2  —  Smal  täglich  ein  Pulver;  zugleich  wird  äusserlich 
1^  Knli  hgdriod.  3ß  —  )j ,  Vngueiit.  simplic.  jft.  M.  f.  Unguent.  S.  Dreimal 
täglich  eine  Erbse  gross  eingerieben.  Ist  die  Induration  der  Hoden,  der 
Prostata   schon  veraltet,    haben  die  eben    genannten  Mittel    nichts  geleistet, 


QPNORRHOEA  901 

so  helfen  oft  noch  allgemeine  Schwefel  -  Aind  Kalibäder,  die  Kopp'schen 
Gichtbäder  (s.  Arthritis),  die  örtliche  Anwendung  des  Galvanismus,  der 
Elektricität ;  besonders  bei  Prostata  indurata  ein  Haarseil  durchs  Perinaeuin, 
V4  Jahr  lang  im  Fluss  erhalten.  Hier  uiuss  auch  der  Katheter  öfters  appli- 
cirt  und  bei  Hodenverhärtung  stets  ein  Suspensorium  getragen  werden. 
Folgende,  oft  sehr  unwesentliche  Unterschiede  und  Arten  des  Trippers  müs- 
sen hier  der   Vollständigkeit  wegen  noch  alphabetisch  aufgeführt  werden. 

Gonorrhoen  acuta,  interna.  Ist  eine  wahre  Entzündung  der  Harnröhre, 
besonders  des  untern  Theils,  also  jeder  frische  Tripper. 

Gonorrhoen  henigna,  Blennorr'hajjia.  Ist  jeder  gelinde  Schleimausfluss, 
Howol  aus  den  männlichen  als  weiblichen  Genitalien.  Häutig  versteht  man 
darunter  auch  den  nicht  venerischen  Ti'ipper  im  Gegensatze  der  G.  mnlüjna 
seu  stfjihililicn.     S.  Gonorrhoeainsons. 

Gonorrhoen  chordnta,  Tripper  mit  (meist  entzündlich -spastischer)  Krüm- 
mung des  Gliedes  (s,  oben). 

Gonorrhoen  chordntn  chronicn,  Krümmung  des  Gliedes  als  Folge  der 
durch  den  Tripper  nachgebliebenen  organischen  Abnormitäten  (s.  oben). 

Gonorrhoen  feminnrum,  Gonorrhoen  seu  Mcdorrhoea  sexus  sequioris,  weib- 
licher Tripper.    Ist  veralteter  Name  für  weisser  Fl uss;  s.  Leucorrhoea. 

Gonorrhoen  hnbitualis ,  chronicn  virornm,  habitueller  Tripper.  Ist 
ein  anhaltender,  oft  Jahre  lang  dauernder,  habituell  gewordener  Nachlripper, 
dem  theils  allgemeine  Ursachen:  Blennorrhoe,  theils  örtliche  Schwäche  und 
Laxität  der  Genitalien  zum  Grunde  liegt.  In  der  Regel  sind  hier  Verhär- 
tungen der  Vorsteherdrüse,  des  Blasenhalses  etc.  zugegen.  Das  Gummi  am- 
moniacum ,  die  Rad.  senegae  und  der  Salmiak  leisten  hier,  wie  bei  jedem 
chronischen  Tripper,  werden  sie  anhaltend  gebraucht,  oft  noch  die  besten 
Dienste,  wofür  Eisenmnim^s  und  auch  meine  Erfahrungen  sprechen. 

Gonorrhoen  insons,  nicht  venerischer  Tripper.  Entsteht  durch 
verschiedene  Ursachen,  durch  den  Beischlaf  mit  nicht  venerischen,  aber  un- 
reinlichen ,  an  Fluor  albus  leidenden  Frauenzimmern ,  durch  Metastasen  von 
Gicht,  Rheuma,  Scropheln,  Erkältung  (Gonorrhoen  melnstnticn,  arthriticaf 
rheuiitnlicn ,  scrophulosa^ ,  oder  consensuell  durch  Blasensteine,  Hämorrhoiden 
(G.  conscnsualis,  hnemorrhoidnlis),  welche  Zustände  richtiger  Urethrohlennor- 
rhoen  ex  causa  arthritica,  rheumatica,  ex  haemorrhoidibus  mucosis  etc.  ge- 
nannt werden.  Die  Symptome  der  Grundkrankheit:  bei  Gicht,  Stein,  der 
gleichzeitige  Abgang  von  Gries,  von  Xanthoxyd  und  rosiger  Säure  im  Harne, 
bei  Hämorrhoiden  die  gleichzeJtigen  Zeichen  dieser  Diathese,  müssen  neben 
den  gelinden,  wenig  entzündlichen  Zufällen  und  dem  mehr  chronischen  Ver- 
laufe der  Blennorrhoe  zur  Diagnose  dienen.  Auch  mechanische  und  chemi- 
sche Reize:  öfteres  Katheterisiren,  reizende  Bougies,  der  Durchgang  kleiner 
Blasensteine,  Onanie  etc.  können  eine  sogenannte  Gonorrhoea  insons  erregen. 

Gonorrhoen  nasnlis.  So  hat  man  wol  den  chronischen  Nasenkatarrh 
(9.  Blennorrhoea  narium)  oder  den  Ausfluss  aus  venerischen  Nasenge- 
schwüren (G.  nnsntis  veneren)  genannt. 

Gonorrhoea  nigrn,  der  sogenannte  schwarze  Tripper.  Hiermit  hat 
man  wol  den  übel  gefärbten  schwärzlichen  Schleimabgang  nach  heftiger 
Harnröhrenentzündung  mit  Blutungen  oder  den  nach  chronischen  Blennor- 
rhöen  der  Blase,  nach  Haematuresis  bezeichnet.  Vor  mehrern  Jahren  kam 
durch  Nichtärzte  das  Gerücht  hierher,  dass  sich  in  Hamburg  ein  bösartiger 
Tripper  mit  schwärzlichem  Abgange  und  grosser  Neigung  zum  Brande  ge- 
zeigt habe,  der  dort  durch  die  Freudenmädchen  verbreitet  werde  und  sich 
von  Leipzig  aus  nach  Hamburg  verpflanzt  habe,  indem  ein  damit  behafteter 
Orientale  ihn  nach  der  Leipziger  Messe  gebracht.  Da  man  bis  jetzt  nichts 
darüber  in  öffentlichen  Blättern  vernommen  hat,  so  scheint  dasselbe  ein  lee- 
res Gerücht  gewesen  zu  seyn. 

Gonorrhoea  prostnticn.  Ist  ein  oft  chronischer  Ausfluss  aus  der  Harn- 
röhre von  krankhaft  abgesondertem  Liquor  prostaticus,  häufig  eine  Art  des 
Nachtrippers  als  Folge  organischer,  durch  acute  Tripper  entstandener  Ab- 
normitäten der  Prostata.    Der  Ausfluss  ist  nicht  bedeutend,  aber  sehr  hart-, 


902  GONORRHOEA 

nackig,  weicht  den  gewohnlichen  Mitteln  gegen  Nachtripper  nur  selten; 
seine  Quelle  ist  theils  die  Prostata,  thells  die  Gruppe  der  Drüsen  der  Harn- 
röhre, und  das  Secret  ist  häufig  eiweissartig  oder  milchig;  dabei  fehlen  alle 
Zeichen  von  Entzündung;  und  die  Geschlechtstheile  sind  höchst  atonisch  und 
erschlafft.  In  diesen  Fällen  leisten  leichte  galvanische  Schläge  durch  die 
Harnröhre  sehr  viel.  Man  errichtet  eine  VoUasäule  von  10,  15,  allmälig  bi^ 
20  Doppelplatten  (s.  Gal  vanismu  s),  legt  den  Conductor  des  Zinkpols  in 
ein  Gefäss  mit  lauem  Wasser,  worein  auch  der  Penis  gehalten  wird.  Zu- 
gleich berührt  der  Kranke  mit  einem  Metallstabe,  den  er  in  der  angefeuch- 
teten Hand  hält,  alle  V4 — '  Minute  den  Kupferpol  der  Säule.  Man  wende. 
auf  diese  Weise  den  Galvanismus  3  —  4  Wochen  lang,  täglich  '/^  —  %  Stunde 
lang  an  ('t/osf).  Auch  ein  Vesicatorium  aufs  Os  sacrum  oder  in  die  Damm 
gegend  gelegt  und  einige  Zeit  im  Zuge  erhalten,  haben  englische  Ärzte 
hier  sehr  wirksam  gefunden. 

Gonorrhoen  secundaria,  posthuina,  inveterata,  Fluor  urethrae,  der  Nach- 
t ripper;  s.  oben. 

GonorrJioea  sicca,  der  sogenannte  trockne  Tripper;  richtiger  In- 
flammalio  urethrae  violenta,  activa,  sthenica;   s.  oben. 

Gonorrhoea  sexus  sequioris ,  s.  Leucorrhoea. 

Gonorrhoen  sjmrinj  externa,  Blennorrhagia  spurin,  notha,  hnlani  virorum, 
G.  spuria  Inhialis  fcmiuarum ,  falscher,  unächter,  Eichel-  oder 
Schamlefzentripper.  Ist  chronische  Blennorrhoe  der  Eichel  und  bei 
Frauenzimmern  der  Nymphen  und  äussern  Schamlefzen  (s.  Balanoblen- 
norrhoea  und  Leucorrhoea). 

Gonorrhoen  strictorin,  Verengerungstripper.  Ist  ein  WundseMi 
der  Harnröhre  durch  Stricturen,  oft  ein  gelinder  Nachtripper,  der  aucli 
durch  verborgene,  in  der  Hai-nröhre  sich  befindende  Chanker  unterhalten 
werden  kann.  Nicht  selten  erregen  letztere,  wenn  sie  bedeutend  sind ,  eiiu 
Gonorrhoea  ulcerosa,  puritlenta,  Pyuria  urethralis,  wobei  die  eiterähnliclie 
Flüssigkeit  aus  kleinen  Geschwüren  der  Art,  die  häufig  die  Folge  zu  schnell 
geheilter  und  unterdrückter  Tripper  sind ,  entspringt.  Hier  bedarf  es  anti- 
syphilitischer Mittel. 

Gonorrhoea  veneren,  syphilitica,  virulenta,  maligna,  impura ,  contagiosa, 
der  wahre  venerische  Tripper,  entstanden  durch  syphilitische  An- 
steckung Obgleich  viele  Autoren  die  Gonorrhöe  zu  den  venerischen  Übeln 
rechnen  (Ajidrc,  Swedinur,  Girlanncr,  Fritze,  Walch),  so  haben  doch  Andere 
(Dwwcrtn,  Tode,  P.  Frn7ik,  Hörn)  durch  triftige  Gründe  bewiesen,  dass  Trip- 
per und  Chanker  zwei  ganz  verschiedene  Krankheiten  sind.  Dass  die  Sy- 
philis aus  Trippern  entstehen  kann ,  lässt  sich  zwar  nicht  leugnen ,  ebenso 
wenig  als  dass  die  Gonorrhöe  häufig  die  Folge  des  Coitus  mit  syphilitischen 
Dirnen  ist.  Damit  ist  aber  noch  nicht  bewiesen,  dass  das  Übel  selbst  ein 
venerisches  sey.  Auch  werden  wir  ohne  Mercur  bei  der  Heilung  des  Trip- 
pers fertig,  und  wir  können  mit  Bestimmtheit  annehmen,  dass  auf  jeden  gut 
geheilten  Tripper,  d.  h.  einen  solchen,  wo  wir  den  kritischen  Austluss  nicht 
plötzlich  unterdrücken,  wo  der  Verlauf  seine  drei  bis  vier  Wochen  dauert, 
keine  anderweiten  syphilitischen  Beschwerden  folgen  werden.  Ganz  anders 
verhält  es  sich  aber  bei  dem  durch  Kubeben  und  Copaivbalsam  zu  schnell 
geheilten  Tripper,  gleichviel  ob  das  Übel  allein  oder  vielleicht  mit  einem  in 
der  Harnröhre  verborgenen  Chanker  zugleich  existirt.  Letzteren  statuire  ich 
in  solchen  Fällen,  wo  sich  zugleich  neben  der  Gonorrhöe  schnell  Buboiien 
bilden.  Hier  können  nach  der  Erfahrung  später  alle  höhern  Grade  der  Sy- 
philis folgen.  Deswegen  haben  wir  aber  dennoch  beim  acuten  Tripper  kei- 
nen Mercur  nöthig.  Denn  1)  wir  heilen  jeden  Tripper  schon  allein  durch 
eine  gute  Diät  und  gelinde  antiphlogistische  Mittel  zu  Anfange  des  Übels, 
und  später  durch  alle  diejenigen  Äliltel,  welche  bei  chronischen  BIcnnorrhöen 
wirksam  sind.  2)  Mag  immerhin  venerisches  Gift  den  Tripper  verursacht 
haben,  so  bedürfen  wir  hier  dennoch  um  so  weniger  des  Mercurs,  da  wir 
mit  andern  Mitteln  füglich  ausreichen  und  selbst  die  S}|)hilis  nach  zahlrei- 
chen Erfahrungen  ohne  Mercur  geheilt  werden  kann  (Oppenheim,  Desruelles, 


GONOSCHEOCELE  -.  GRAVEDO  903 

von  Fering  [  Syphilido  -  Therapie,  Wien  1826]  u.  A.  m.).  Obgleich  ich  nun 
gerade  dieser  Cur  nicht  unbedingt  das  Wort  reden  kann,  so  lassen  sich  die 
Thatsachen,  die  in  grosser  Menge  vorhanden  sind,  dennoch  keines weges 
leugnen.  Es  kommen  mitunter  Fälle  vor,  wo  Tripper  und  Chanker  zu  glei- 
cher Zeit  ein  und  denselben  Kranken  nach  dem  Beischlaf  mit  verdächtigen 
Frauenzimmern  befallen ;  ich  selbst  habe  dieses  zweimal  beobachtet.  Hier 
gebe  ich  die  schleimigen  Emulsionen,  die  kaiischen  Mittel,  ausserdem  Abends 
und  Morgens  V2 — 1  Gran  Kalomel  mit  %  Gran  Opium,  und  lasse  strenge 
Diät  hallen.  Unter  solcher  Behandlung  heilten  Tripper  und  Chanker  binnen 
3  —  4  Wochen,  ohne  dass  schlimme  Folgen  entstanden  wären  (vgl.  Syphi- 
lis). Auch  bei  Nachtrippern,  denen  mitunter  wol  ein  verborgener  Chanker 
zum  Grunde  liegen  mag,  habe  ich  von  12 — 16  Gran  Merc.  dulc.  mit  6  Gran 
Opium,  in  3  Tagen  verbraucht,  oft  herrliche  Dienste  gesehen.  Zum  Nach- 
lesen empfehle  ich  als  die  neuesten,  vollständigsten  und  besten  Schriften: 
Eiscnmmin ,  der  Tripper  in  allen  seinen  Formen  und  in  allen  seinen  Folgen. 
2  Theile.  Erlangen  1830,  und  Simon  jun.,  Geschichte  des  Trippers.  1829. 

Gonorrhoen  Vera,  libidinosn,  wirklicher  Samenfluss,  dem  Worte 
»nd  der  Sache  nach.     Ist  gleichbedeutend  mit  PoUutio. 

Oonoscbeocele*     Ist  dasselbe,  was  Spermntoccle. 

Cronozemaa.     Ist  häufiger  Samenverlust,  s.  Pollutio. 

Oonyag^ra,  die  Kniegicht,  s.  Arthritis.  "^ 

Qonyalg^ia,  der  Knieschmerz;  unrichtig  häufig  mit  Gonyagra 
gleichbedeutend  genommen,  obgleich  jedes  örtliche  Leiden  des  Knies:  Fra- 
ctura  pateliae,  Fungus  etc.,  mit  Schmerzen  verbunden  seyn  kann. 

Gonyancon,  krankhafte  Krümmung  des  Knies,  z.  B.  bei 
Ancylosis,  nach  mechanischen  Verletzungen  des  Schenkels  etc. 

Oonyocele»  sogenannter  Kniebruch.  So  nannte  man  ehemals  eine 
bedeutende  Geschwulst  des  Kniegelenks,  die  richtiger  Gonyoncus  genannt  wird. 

Cronyorrbeuina.     Ist  rheumatischer  Knieschmerz. 

Orainia,  zäher  Schiein»  der  Augenlider,  wie  bei  manchen  Blephar- 
ophthahuien;  sogenannte  Augenbutter,  besonders  in  den  Augenwinkeln,  und 
am  stärksten  des  Morgens  nach  dem  Erwachen ;  gleichbedeutend  mit  Epi- 
phora sebacea,  Leraositas. 

Crrampus»  Cmmpus,  derGrampf,  Ramm,  Klamm.  Ist  ein  plötz- 
lich durch  Druck  oder  gezwungene  Bewegung  und  Stellung  eines  Gliedes 
entstandenes  Gefühl  von  Kriebeln,  Kälte  und  Steifigkeit  in  irgend  einer  Ex- 
tremität, das  in  wenig  Minuten  durch  Reiben  des  Theils  von  selbst  ver- 
schwindet. Rheumatische  und  spastische  Constitutionen  leiden  am  häufigsten 
daran.     Frottiren  und  Bürsten  des  Theils   hilft  dem  Zufalle  bald  ab. 

Orasugf,  der  Achselgestank,  Bocksgeruch.  Ist  ein,  manchen 
Personen  eigenthümlicher ,  übelriechender  Schweiss  unter  den  Achseln,  auch 
an  den  Füssen,  im  Perinaeum.  Er  findet  sich  besonders  bei  Gichtischen, 
bei  Hämorrhoidariis  und  bei  Frauenzimmern  mit  Ataxien  der  Menstruation, 
besteht  aus  stinkendem  Ammonium  und  brenzlicher  Säure;  reagirt  alkalisch, 
und  ist  fast  immer  als  kritisch  anzusehen.  Plötzliches  Vertreiben  desselben 
durch  kaltes  Wasser,  Bleiwasser  etc.  hatte  Blindheit,  Taubheit  und  andere 
schlimme  Zufälle  zur  Folge  (Most). 

Gravedo,  der  Stockschnupfen,  als  Vorläufer  des  füessenden 
Schnupfens  (^Destillatio  Celsi,  s.  Blennorrhoea  narium).  Ist  jedesmal 
ein  Zeichen  von  einem  höhern  Grade  der  Entzündung  der  Nasenschleimhaut, 
erfordert  kühlende  Diät,  kühlende  Diaphoretica  und  äusserlich  Dampfbäder 
von  Flores  sambuci.  Auch  der  Dunst  von  heissem  Kaffee  erleichtert  die  Be- 
schwerden des  Stockschnupfens  sehr.  Ist  er  chronisch,  so  denke  man  an 
Krankheiten  der  Thränenwege,  an  Polypen. 

Gravedo  neonatortim,  Rhinani/ia,  Kinderschnupfen,  Verstopfang 
der  Nase.      Hieran   leiden  Kinder  gewöhnlich  schon  in   den  ersten  Tagen 


904  GRAVIDITAS 

nach  der  Geburt.  Sie  athmen  dann  mit  offenem  Munde ,  geben  einen  pfei-/ 
fenden,  kreischenden  Ton  von  sich  und  man  hört  deutlich,  dass  das  Hin- 
derniss  des  Afhmens  in  der  Nase  steckt.  Diese  ist  gewöhnlich  voll  Schleim, 
der  in  den  Mund  und  den  Schlund  zurückfiiesst,  sich  vor  die  Luftröhre  setzt 
und  Erstickung  veranlassen  kann.  Cur.  Man  halte  das  Kind  sogleich  in 
die  Höhe ,  nehme  es  aus  der  Wiege,  und  reize  die  Nase  inwendig  mit  einer 
in  Ol  getauchten  Feder,  wodurch  ein  Niesen  entsteht  und  durch  Entfernung 
des  Schleims  die  Nase  frei  wird.  Nachher  bringe  man  täglich  etwas  Majo- 
ranbutter mit  einer  Feder  in  die  Nase.  Zuweilen  ist  ein  Fehler  der  ersten 
Bildung  an  der  Nasen  Verengerung  Schuld,  dem  alsdann  schwer  abzuhelfen  isti, 

Oraviditas,  Cyesis,  die  Schwangerschaft.  Ist  derjenige  Zu-i 
stand  des  weiblichen  Körpers  (vom  Augenblick  der  Empfangniss  bis  zur  Ge-^ 
burt ,  mei.st  eine  Zeit  von  40  Wochen) ,  wo  sich  das  Product  eines  frucht- 
baren Beischlafs  in  ihm  befindet  und  sich  in  ihm  ernähren  und  zu  einem  rei- 
fen Fötus  entwickeln  kann.  Obgleich  die  regelmässige  Schwangerschaft: 
der  Vorgang  der  Conception,  die  Ausbildung  des  Embryo  und  seiner  Hüllei 
mit  der  Placenta ,  etwas  rein  Physiologisches  ist  und  demnach  nicht  in  dia 
Pathologie  gehört,  so  giebt  es  doch  theils  solche  regelwidrige  Schwanger- 
schaften, die  der  praktische  Arzt  als  Krankheit  ansieht,  theils  ist  auch  die 
normale  Schwangerschaft  Veranlassung  mancher  pathologischer  Erscheinun- 
gen; daher  dieser  Gegenstand  hier  nicht  ganz  übergangen  werden  darf. 
Wir  betrachten  zuerst  die  verschiedenen  Arten  der  Schwangerschaft:  1)  Grn- 
viditas  normalis,  reguhtris,  uterina,  die  regelmässige  Gebärmutterschwanger- 
schaft. Ist  die  häufigste  Art,  dauert  275  bis  280  Tage,  wenn  kein  Abor- 
tus oder  Partus  praematurus  oder  serotinus  erfolgt;  im  letztern  Falle  kann 
sie  sich  bis  spätestens  44  bis  45  Wochen  verlängern.  Sie  kann  eine  Gra^i- 
ditas  Simplex  oder  multiplex,  cum  gemellis,  trigeminis  etc.  seyn.  2)  Gra- 
viditas  anomala,  irregularis,  exiraufcrina ,  Paraojesis,  regelwidrige 
Schwangerschaft  am  unrechten  Orte,  welche  in  einigen  Fällen 
viele  Jahre  dauern  kann ,  wo  sich  zuweilen  ein  sog.  Lithopnedion  bildet, 
übrigens  folgende  Unterarten  begreift:  «)  Conccptio  et  Grnviditas  ovnria, 
Empfangniss  und  Schwangerschaft  im  Eierstocke;  b)  ConcepÜo  et  Grnviditns 
tubnrin,  wo  das  kleine  Ei  in  die  Muttertrompete  aufgenommen  wird  und  da- 
selbst verweilt ;  c)  Conccptio  et  grnviditns  tuho  -  titerinn ,  inid  Conceptio  et 
Grnviditas  in  uteri  suhstantia  s.  intcrstitinlis.  Hier  dringt  das  Ei  durch  die 
Muttertrompete  bis  zur  Mündung  derselben  in  die  Wandung  des  Uterus, 
und  bleibt  innerhalb  der  Substanz  des  letztern;  d)  Conceptio  et  Grnviditas 
ventrnlis  seu  abdominalis ,  wo  das  Eichen  aus  dem  Eierstocke  kommt ,  aber 
nicht  von  der  Tuba  aufgenommen  wird ,  sondern  in  der  Bauchhöhle  bleibt ; 
f)  Grnviditas  ahdominnlis  secundaria.  Sie  entsteht,  wenn  später  durch  Zer- 
reissung  des  Uterus  und  der  Scheide,  oder  (war  es  eine  G.  tubaria  oder 
Ovaria)  durch  Zerreissung  der  Muttertrompete  oder  des  Eierstocks  bei  schon 
früherer  Entwickelung  des  Fötus  dieser  in  die  Bauchhöhle  dringt.  Ausser- 
dem unterscheidet  man  noch  folgende  Arten :  3)  Graviditns  vaginalis,  wo  sich 
der  Fötus  in  der  Vagina  befinden  soll ,  was  mit  Recht  Vjele  bezweifeln ; 
4)  Crraviditas  mixta,  ist  (unpassend  benannt)  diejenige  Schwangerschaft, 
wenn  neben  einer  wahren  und  normalen  Graviditas  ein  Mondkalb  oder  ein 
in  der  Ausbildung  zurückgebliebener  Fötus  vorhanden  ist ;  5)  Graviditas 
sitnplex  und  multiplex,  je  nachdem  eine  oder  mehrere  Früchte  zu  gleicher 
Zeit  da  sind;  6)  G.  vera,  nnturnlis.  Ist  Graviditas  normalis  (s.  oben); 
7)  6f.  praeternaturalis.  Ist  jede  G.  extrauterina ;  8)  Grnvitidns  sptirin,  fal- 
sche Schwangerschaft.  Ist  diejenige,  wo  eine  Mola,  Mondkalb  oder  ein 
anderer  widernatürlicher  Körper  ohne  einen  wahren  Fötus  sich  im  Uterus 
befindet;  9)  Grnviditas  vesicularis,  hydatica,  Ist  eine  Graviditas  spuria,  ent- 
standen durch  Blasenmolen,  Mola  vesicularis,  Mola  racemosa  etc. 

Zeichen  der  Schwangerschaft,  Sie  sind  bei  der  Graviditas  normal!*, 
die  Auscultation  und  die  fühlbaren  und  sichtbaren  Bewegungen  des  Fötus 
ausgenommen,  alle  unsicher  (s.  Exploratio  obstetricia).  Was  die 
Zeichen    der  Graviditas   extrauterina    betrifft,    so   sa^t   darüber  v.  Froriep: 


QRAYIDITAS  905 

„Die  (gar  nicht  bestSiidigen )  Erscheinungen,  welche  die  Gegenwart  einer 
Schwangerschaft  ausserhalb  des  Uterus  vermuthen  lassen  und  die  man  da- 
her als  Zeichen  annimmt,  sind  folgende:  die  Geschwulst  des  Unterleibes 
ist,  mit  einem  Gefühl  von  Schwere  und  Druck  (bei  gewissen  Arten  dieser 
Schwangerschaft  mit  heftigen  Schmerzen),  nur  in  einer  Seite  befindlich,  von 
•welcher  Seite  auch  gewöhnlich  der  Fuss  wie  taub  ist;  der  leere  Uterus  wird, 
yerhältnissmässig  zur  Dicke  des  Leibes,  wenig  ausgedehnt;  die  Vaginalpor- 
tion  erleidet  eine  Veränderung,  wie  im  zweiten  Monate  der  regelmässigen 
Schwangerschaft  und  hat  eine  schiefe  Richtung  nach  der  Seite  des  beschwän- 
gerten Organs  hin  (^Feiler) ;  die  anfangs  etwas  angeschwollenen  Brüste  wer- 
den bald  welk,  und  enthalten  gar  keine  milchige  Feuchtigkeit.  In  Rück- 
sicht der  Menstruation  findet  grosse  Verschiedenheit  statt,  sie  kann  fehlen 
und  (regelmässig  oder  regelwidrig)  vorhanden  seyn ;  dabei  stellen  sich  häu- 
fig fieberhafte  Zufälle  etc.  ein.  Die  Bewegung  der  Frucht  findet  an  einem 
ganz  ungewöhnlichen  Orte  statt;  die  Frucht  ist  bei  Bauchschwangerschaften 
deutlicher  (anders  als  bei  der  Gebärmutterschwangerschaft}  durch  die  Bauch- 
decken, die  Vagina  oder  den  Mastdarm  zu  fühlen.  Früher  oder  später 
finden  sich,  bei  wenig  oder  mehr  verändertem  Muttermunde,  vergebliche 
heftige  Geburtsschmerzen  ein  (ßoer).  Für  die  einzelnen  Arten  der  Schwan- 
gerschaft am  unrechten  Orte  kennt  man  keine  besonderen  Zeichen;  doch 
sdll  der  Abgang  einer  schleimigen  und  blutigen  Feuchtigkeit  von  schwärz- 
licher Farbe  zur  Zeit,  wo  sonst  die  Menstrualperiode  euizutreten  pflegte, 
die  Schwangerschaft  in  der  Tuba  begleiten ,  die  besonders  auch  mit  einer 
sehr  heftig  schmerzenden  Spannung  in  der  Seite  verbunden  ist  und  wo  dann 
die  Frau  gewöhnlich  an  der  mit  dem  Bersten  der  Muttertrompete  verbunde- 
nen Blutung  stirbt  (s.  Heim  in  Horn's  Archiv  1812.  Jan.  u.  Febr.).  Ebenso 
sollen  bei  Graviditas  ovaria  beständig  heftige  Schmerzen  vorhanden  seyn.' 
Nur  beim  Abgange  der  Frucht,  oder  wenn  diese  im  Körper  zurüpkbleibt, 
nach  dem  Tode  der  Schwangern,  wird  die  Diagnose  völlig  entscheidend.'* 
Es  hat  die  Physiognomie  der  an  Graviditas  extrauterina  leidenden  Frauen 
etwas  ganz  Eigenthümliches ,  Frappantes.  Der  Blick  ist  angstvoll,  furcht- 
sam, in  sich  gekehrt,  die  Gesichtszüge  haben  etwas  Hängendes,  Leidendes, 
die  Gesichtsfarbe  ist  blass,  und  ein  auffallender  Zug  um  die  Mundwinkel 
bemerkbar  (^Mosl}.  Die  Behandlung  einer  solchen  Unglücklichen  in  der 
Schwangerschaft  muss  sich  vorzüglich  auf  ein  gutes  diätetisches  Verhalten, 
möglichste  Ruhe ,  Vermeidung  alles  Erhitzenden,  Erweckung  von  Muth,  Ver- 
heimlichen ihres  Zustandes,  auf  den  Gebrauch  gelinder  Arzneien,  welche  die 
etwanigen  Schmerzen  lindern  und  den  Leib  oifen  erhalten,  beschränken. 
Nähert  sidi  der  Zeitraum  der  Geburt,  so  muss  häufig,  wenn  das  Kind  lebt, 
oder  das  todte  Kind  schlimme.  Zufälle  für  die  Mutter  erregt,  der  Kaiser- 
schnitt gemacht  werden  (s.  Gastrotomia),  sonst  kann  die  Schwanger- 
schaft Jahre  lang  dauern ,  der  Fötus  sich  durch  Geschwüre  aus  dem  Körper 
schaffen  oder,  meist  ohne  Nachtheil  für  die  Mutter,  die  todte  Frucht  sich 
mit  einer  kalkartigen  Kruste  überziehen  (Litlwpaedion).  Ists  eine  Graviditas 
Ovaria  oder  tubaria,  so  bildet  sich  die  Frucht  selten  vollständig  aus,  sie 
stirbt  entweder  vor  der  Zeit  ab,  oder  die  Mutter  findet  in  heftiger  Hae- 
morrhagia  interna,  durch  Bersten  der  Tuba  den  Tod.  Ein  Mehreres  dar- 
über siehe  in  den  mitgetheilten  Fällen,  welche  beschrieben  sind  in  Hont's 
Archiv  1812,  1817,  1818,  in  Ehrhnrd''s  Sammlung  von  Beobacht.  Hft.  1,  in 
SiehohVs  Journ.  f.  Geburtshülfe ,  Bd.  IL  St  2,  ferner  bei  W.  Josephi,  Über 
Schwangerschaft  ausserhalb  der  Gebärmutter  etc.  1803,  Noel  in  ScheikharcVs 
Magazin  f.  Geburtshülfe  Bd.  L,  KleinerVs  Repertoriura  1827.  Hit.  8.  S.  40., 
Hft.  10.  S.  20  —  23,  52.  —  1828.  Hft.  2.  S.  27.,  Hft.  3.  S.  108.,  Hfl.  4. 
S.  82,  83.,  Hft.  8.  S.  72.,  Hft.  9.  S.  54  —  62,  79.,  Hft.  11.  S.  79.  —  Was 
die  Diät  und  Lebensweise  der  Schwangern  im  Allgemeinen  betrifft,  so 
sind  alle  ihnen  zu  empfehlende  Regeln  in  folgendem  Satze  enthalten:  „Eine 
Schwangere  sey  massig  und  halte  sich  in  Allem,  was  sie  vornimmt,  im  Es- 
sen und  Trinken,  beim  Schlafen  und  Wachen,  bei  Arbeit  und  Ruhe,  im 
Vergnügen    und    bei   ernsthaften   Beschäftigungen  an   den  mittleren  Grad." 


906  GRAVIDITAS  \ 

Dieses  wird  um  so  noth wendiger,  je  wahrscheinlicher  es  ist,  dass  eine  GraX 
viditas  praeternaturalis  stattfindet.  Hier  ists  besonders  wichtig,  ohne  Nothl 
der  Schwangern  nicht  alle  Genüsse  zu  versagen,  die  ihr  unschädlich  sind,! 
damit  sie  nicht  durch  die  ungewöhnlich  strengen  Vorschriften  aufmerksam 
gemacht  wird,  ihren  Zustand  ahnet  und  in  Furcht  geräth.  ■ —  Folgende  spe- 
cielle  diätetische  und  medicinische  Regeln  finden  hier  noch  für  Schwangere 
statt:  1)  Eine  ängstliche,  übertriebene  Befolgung  der  Diät  ist  höchst  nach- 
theilig ;  denn  die  Schwangerschaft  ist  keine  Krankheit.  Wer  daran  gewöhnt 
ist,  kann  massig  Kaffee,  Thee ,  Wein,  schwaches  Bier  gemessen.  Starke 
Gewürze,  stark  gesalzene  und  geräucherte  Speisen  sind  schädlich.  Dienlich 
dagegen  leichte  Suppen  von  Tauben-,  Kalb  -  und  Hühnertieisch,  Brot-  oder 
Wassersuppen,  auch  besonders  Milchspeisen,  leichte  Mehlspeisen,  gute  Klose, 
leichtes,  gutes  Gemüse,  kein  fi'isches,  grobes,  schlechtes  Brot;  alle  diese 
Dinge  müssen  in  kleinen  Portionen  genossen  und  wenigstens  alle  3  —  4  Stun- 
den dem  Munde  etwas  geboten  werden.  Doch  richte  man  sich  nach  der 
bisherigen  Gewohnheit  und  ändere  diese  nicht  ohne  Noth  ab.  2)  Höchst 
schädlich  ist  der  Genuss  von  Branntwein,  Bitterbier,  Wein  und  Kaffee  im 
Übermass,  wodurch  Congestionen  und  Abortus  befördert  werden  können. 
Dagegen  ist  der  Genuss  verdünnender,  erfrischender  Getränke,  der  Milch, 
der  Obstbrühen ,  der  Limonade ,  besonders  in  heissen  Sommertagen ,  sehr  zu 
empfehlen.  Sie  sind  dem  Gedeihen  der  Frucht  nützlich  und  verhüten  man- 
che andere  Beschwerden  der  Schwangerschaft:  Übelkeit,  Erbrechen  etc. 
S)  Nie  entferne  sich  die  Schwangere  plötzlich  von  ihrer  früher  gewohnten 
Lebensordnung,  gehe  nicht  plötzlich  aus  gewohnter  Thätigkeit  zu  müssiger 
Ruhe  über  u.  s.  w. ;  .doch  vermeide  sie  alle  rasche,  angreifende  Bewegung 
und  jede  heftige  Anstrengung  des  Körpers.  4)  Jede  Schwangere  mache  es 
sich  zur  Regel,  täglich  die  frische  Luft  zu  geniessen,  spazieren  zu  gehen 
und  nicht  viel  zu  Hause  zu  sitzen.  Die  meisten  schwangern  Frauen  in  den 
grössern  Städten  vernachlässigen  den  Genuss  der  reinen  atmosphärischen  Luft, 
und  dies  ist  der  Hauptgrund  von  ihrem  Übelbefinden.  Nur  bei  sehr  heissem, 
sehr  kaltem,  stürmischem  und  regnigem  Wetter  leidet  das  Spazierengehen 
eine  Ausnahme.  5)  Schädlich  sind  zu  stark  geheizte,  mit  unreiner  Luft  und 
mit  stark  duftenden  Blumen  angefüllte  Wohn-  und  Schlafzimmer,  sowie  je- 
der schnelle  Wechsel  der  Temperatur.  6)  Die  Kleidung  der  Schwangern 
sey  einfach,  warm  und  gehörig  weit  und  bequem,  damit. sie  den  Leib  nicht 
einpresse.  Alle  Schnürleiber ,  Corsets  müssen  verbannt  werden ,  denn  sie 
tödten  oft  Mutter  und  Kind  (s.  Mosfs  moderner  Todtentanz  etc. ,  Hannov. 
1824).  Besonders  müssen  die  Brüste,  der  Unterleib  und  die  Füsse  vor  Er- 
kältung geschützt  und  wärmer  als  ausser  der  Schwangerschaft  gehalten  wer- 
den. Daher  passen  keine  baumwollenen,  sondern  wollene  Strümpfe,  keine 
am  Halse  ausgeschnittenen  Kleider,  sondern  besser  ein  gehörig  weiter  Ober- 
rock. Recht  gut  ists,  wenn  in  der  zweiten  Hälfte  der  Schwangerschaft  eine 
gute,  von  Barchent  oder  Rehleder  verfertigte,  der  Wölbung  des  Leibes  an- 
passende Leibbinde,  weiche  vor  Erkältung  schützt  und  die  durch  die  Last 
des  Unterleibes  entstehenden  Beschwerden  am  besten  erleichtert ,  getragen 
wird.  Am  meisten  bedürfen  derselben  corpulente  Frauen.  7)  Vieles  Sitzen 
schadet;  denn  es  engt  den  Leib  zu  sehr  ein  und  hindert  die  Entwickelung 
des  Kindes.  Daher  ists,  besonders  in  den  letzten  Monaten  der  Schwanger- 
schaft, sehr  gut,  dass  die  Schwangere,  wenn  sie  der  Ruhe  bedarf,  sich  zu- 
weilen ausgestreckt  aufs  Sopha  lege.  Dass  indessen  Bewegung  und  Ruhe 
abwechseln  müssen,  dass  ein  mehrstündiges  Liegen  auf  dem  Sopha  oder  gar 
im  Bette  nichts  taugt,  ist  schon  oben  gesagt  worden.  8)  Ebenso  schädlich 
sind  heftige  Körperbewegungen:  Tanzen,  Laufen,  Springen,  Fahren  auf  un- 
ebenen Wegen  und  in  schlechten  Fuhrwerken.  Noch  schlimmer  sind  heftige 
Gemü  t  hs  be  wegungen.  Sie  sind  physisch  und  moralisch  nachtheilig  für 
die  Frucht  und  für  die  Mutter.  9)  Was  das  sog.  Versehen  der  Schwan- 
gern betrifft,  so  kann  dies  in  seltenen  Fällen  wol  stattfinden,  obgleich  viele 
Erzählungen  der  Art  nur  zu  den  Kindermärchen  und  Fabeln  gehören.  Am 
häufigsten  sind  nach  meinen  Beobachtungen  recht   leidenschaftliche  Schwan- 


GRÄVIDITAS  907 

gere  diesem  Versehen  unterworfen ;  daher  es  für  sie  doppelt  wichtig  ist,  sich 
zu  beherrschen  und  die  für  ihre  und  des  Kindes  Gesundheit  so  wohltliätige 
Gemüthsruhe  zu  bewahren.  10)  Der  Schlaf  ist  für  Schwangere  ein  Ge- 
genstand von  höchster  Wichtigkeit.  Im  Schlafe  ist  bekanntlich  die  Vegeta- 
tion und  Production  am  kräftigsten.  Da  nun  das  Leben  der  Schwangern 
auf  diese  Functionen  besonders  gerichtet  seyn  muss,  damit  Bildung  und 
Wachsthum  der  Frucht  befördert  werde,  so  ist  die  Sorge  für  einen  ruhigen 
Schlaf  höchst  nothwendig.  Eine  heitere  und  ruhige  Gemüthsstimmung,  hin- 
reichende Bewegung  den  Tag  über ,  ein  gutes ,  geräumiges ,  ruhiges  Schlaf- 
zimmer, die  Vermeidung  grosser  Abendgesellschaften,  die  das  Nervensystem 
nur  reizen,  der  späten  und  grossen  Soupers,  alle  diese  Dinge  sind  wohl  zu 
berücksichtigen;  auch  ists  gut,  wenn  jede  Schwangere  täglich  1  —  2  Stun- 
den länger  schläft,  als  sie  ausser  der  Schwangerschaft  gewohnt  ist.  11)  Die 
Brüste  der  Schwangern  erfordern  eine  besondere  Pflege.  Sie  sollen  nach 
der  Geburt  das  Kind  ernähren  und  werden  in  dieser  Absicht  schon  in  der 
Schwangerschaft  zum  Stillungsgeschäfte  vorbereitet ,  indem  sich  die  Milch- 
gefässe  darin  stärker  ausbilden ,  lockerer  werden  und  anschwellen.  Der 
Nachtheil  einer  nicht  vor  Erkältung  schützenden,  zu  kühlen  Bekleidung  der- 
selben und  das  Schädliche  jeder  drückenden  Kleidung  erklärt  sich  aus  die- 
sem Umstände.  Vier  bis  sechs  Wochen  vor  der  Entbindung  erfordern,  be- 
sonders bei  Erstgebärenden,  die  Brustwarzen  eine  besondere  Pflege.  Sie 
sind  gewöhnlich  weich,  fein,  sehr  dünn,  klein  und  eingezogen.  Daher  müs- 
sen sie  täglich  einigemal  mit  einem  Saugglase  oder  mit  einer  thönernen  Pfeife 
hervorgesogen,  mit  einer  Mischung  aus  Rum  oder  Franzbranntwein  und 
Wasser  zu  gleichen  Theilen  gewaschen  und  mit  einem  aus  Lindenholz  ver- 
fertigten Warzenhütchen,  worin  die  Warze  gehörigen  Raum  hat,  bedeckt 
w^erden ;  sonst  kann  später  das  Kind  die  Warzen  nicht  fassen ,  sie  werden 
bald  wund  gesogen,  und  das  Stillen  wird  dadurch  schmerzhaft,  oft  ganz 
unmöglich.  Auch  die  in  Paris  verfei-tigten  Warzenhütchen  von  Gummi  ela- 
sticum  sind  sehr  zu  empfehlen  und  verdienen,  weil  sie  bequemer  und  wei- 
cher sind,  vor  den  hölzernen  noch  den  Vorzug  (s.  Abscessus  lacteus). 
12)  Nie  darf  eine  Schwangere  weder  die  Urin  -,  noch  die  Stuhlausleerungen 
aufhalten  oder  unterdrücken.  Daher  muss  sie  lieber  die  Gesellschaften  und 
den  Aufenthalt  an  öffentlichen  Orten ,  wo  die  Schamhaftigkeit  mit  den  Ver- 
richtungen dieser  natürlichen  Bedürfnisse  contrastirt,  vermeiden,  als  sich  da- 
durch diejenigen  Nachtheile  zuziehen ,  die  darauf  stets  folgen ,  als  Beängsti- 
gungen, Leibschmerz,  Magenweh,  Kopfschmerz  etc.  13)  Sehr  gut  ists, 
wenn  sich  Schwangere  alle  2  —  3  Tage  die  Genitalien  und  Schenkel  mittels 
Schwamms  und  lauen  Wassers  abwaschen  und  sich  ebenso  oft,  zumal  in  den 
letzten  vier  Wochen  der  Schwangerschaft,  mit  Ol.  amygdalar. ,  Pomade, 
Gänsefett  das  Pei-inaeum  einreiben.  14)  Leibesverstopfung  darf  nie  länger 
als  24  Stunden  geduldet  werden;  alsdann  ist  ein  Clysma  aperiens,  emolliens 
nothwendig.  Da  die  meisten  Frauenzimmer  aus  Schamhaftigkeit  das  Klystie- 
ren  von  Andern  scheuen,  so  ists  gut,  wenn  sie  sich  eine  Spritze  mit  krum- 
mem Röhrchen  anschaffen  und  es  so  selbst  verrichten  können.  15)  Haben 
Schwangere  vor  gewissen  Speisen  oder  Getränken  einen  Widerwillen, 
so  müssen  sie  den  Genuss  derselben  vermeiden.  Dagegen  dürfen  nicht  alle 
ungewöhnliche  Gelüste  zu  verschiedenen  Dingen  befriedigt  werden,  wenn 
sie  sonst  nachtheilig  sind.  Der  Glaube,  dass  dies  geschehen  müsse,  ist 
falsch;  denn  die  Frucht  leidet  dadurch  nichts  (^Most^.  16)  Jede  Schwan- 
gere darf  nur  massig  den  Genuss  der  physischen  Liebe  sich  erlauben.  Aus- 
schweifungen im  Coitus  befördern  in  der  ersten  Hälfte  der  Schwangerschaft 
leicht  Abortus,  und  in  der  zweiten  Hälfte  erregen  sie  in  der  Rückenlage 
leicht  Kolik;  am  besten  ist,  wenn  der  Mann  den  Coitus  hier  nur  alle  8 — 14 
Tage  einmal  und  a  dorso  ausübt.  17)  Am  Vomitus  gravidarum  leiden  man- 
che Frauen  in  der  ersten  Hälfte  der  Schwangerschaft  sehr  viel.  Ursachen 
sind  Überladung  des  Magens,  häufiger  allein  hohe  Reizbarkeit  der  Digestions- 
organe, spastische  Constitution.  Zuweilen  ist  Vollblütigkeit,  Neigung  zu 
Obstructio  aivi,   enge  Kleidung  Schuld.     Cur.    Man  entferne  die  Ursachen, 


908  GRAYIDITAS 

rathe  gute  Diät  an*,  rermeide  Alles,  was  Krampf  verursacht:  bei  Vollblviti- 
gen  dienen  kühlende  Mittelsalze,  Fussbäder,  zuweilen  selbst  ein  kleiner 
Aderlass,  dabei  Vermeidung  des  Weins,  der  Fleischspeisen,  des  Kaffees, 
Thees.  Ist  die  Person  aber  blass,  schwächlich,  hatte  sie  früher  schon  Nei- 
gung zu  Krämpfen,  so  dienen  des  Morgens  Thee  aus  Herb,  menth.  pip.  mit 
etwas  Zimmt,  mit  Weissbrot  genossen.  Diese  Nahrung  wird  oft  vom  Ma- 
gen zurückbehalten,  wenn  Kaffee  und  grüner  Thee  stets  ausgebrochen  wer- 
den. Überhaupt  müssen  solche  Schwangere  jedesmal  nur  wenig,  dagegen 
öfter  des  Tages  etwas  gemessen,  und  oft  mehr  leicht  verdauliche  feste  als 
flüssige  Kost.  Einreibungen  der  Magengegend  mit  Unguent.  nervinum  wir- 
ken hier  auch  sehr  gut  (vgl.  auch  Nr.  18),  18)  An  Säureerregung  und 
Sodbrennen  leiden  viele  Schwangere.  Die  Ursachen  sind  meist  immer 
dieselben  des  periodischen  Erbrechens.  C  u  i'.  In  vielen  Fällen  passt  zuerst : 
^.'  Infus,  laxat'w.  Vienn.  gjj ,  Aqune  chamomill.  31V ,  Syr.  mannae  §j ,  Tinct. 
rhei  nquos.  5jj>  SnJ.  Glauberi  3jjj>  M.  S.  Alle  5 — 10  Minuten  1  Esslöffel 
voll  bis  zur  Diarrhöe.  Die  folgenden  Tage  gebe  man  I^  lind,  cdlnm.  nrom.., 
lAgn.  quassiae ,  lind,  gentimine  rühr.,  Ocul.  cnncror.  ana  5jj»  Mnijncs.  car- 
hon.  3j)  Elaeosacch.  citr.  5jjj.  M.  f,  pulv.  S.  Dreimal  täglich  1  Theelöffel 
voll  mit  Wasser.  Ausserlich  dienen :  ^!  Bnls.  peruv.  nigri,  OL  succini,  —  ro- 
rismarin. ,  —  Invandulne  ana  gtt.  x,  mixtis  adde  Spirit.  serpyUi  51V,  —  viui 
rectificnt.  53,  Tinct.  opii  shnpl.  5j.  M.  S.  Gut  umgeschüttelt  dreimal  täglich 
y,  Esslöffel  voll  in  -die  Magengegend  einzureiben.  Ohne  eine  strenge  Diät, 
ohne  Sorge  für  tägliche  hinlängliche  Körperbewegung  und  Excretio  alvi  ist 
dies   tibel,     sowie    auch    das    periodische    Erbrechen    nicht    zu   bekämpfen. 

19)  Diarrhöen.  Kommen  vorzüglich  in  der  ersten  Hälfte  der  Schwanger- 
schaft, selbst  bei  Frauen  vor,  die  regelmässig  leben  und  sich  nicht  erkältet 
haben,  weil  die  erhöhte  Thätigkeit  des  Uterus  sympathisch  auch  die  des 
Darmcanals  erhöht.  Cur.  Dauert  der  Durchfall  schon  acht  Tage,  beson- 
ders wenn  Tenesmus,  Blutabgang  dabei  ist ,  so  kann  leicht  Abortus  entste- 
hen. Man  massige  sie  daher  durch  Decoct.  salep, ,  columbo ,  etwas  Tinct. 
rhei,  im  Nothfall  Opium,  und  lasse  strenge  Diät  beobachten  (s.  Diarrhoea). 

20)  Obstrucüo  alvi  stellt  sich  vorzüglich  in  den  letzten  Monaten  der  Schwan- 
gerschaft ein.  Ursachen  sind  tiefliegender  Kindeskopf,  weites  Becken, 
falsche  Lagen  des  Uterus ,  vieles  Stillsitzen ,  schwerverdauliche  Nahrung. 
Die  Folgen  sind  Angst,  Herzklopfen,  Congestion  zum  Kopfe,  Fieber.  Cur. 
Sparsame  vegetabilische  Diät,  öftere  Klystiere,  kühlende  Salze,  Sal  Glau- 
beri, Zuckerwasser,  Limonade.  Ausserdem  die  gegen  die  Ursachen  wirken- 
den Mittel.  21)  Die  Koliken  der  Schwangern  bemerkt  man  am  häufigsten 
bei  hysterischen  Weibern.  Thee  von  Flor,  chamomill. ,  Herb,  menth.  crisp. 
und  Sem.  foeniculi ,  einige  Tropfen  Liquor  anodyn.  und  Liq.  c.  c.  succin., 
bei  Obstructio  alvi  Clysma  antispasmod.  mit  Asa  foetida  heben  den  Anfall 
bald  (s.  Colica).  22)  Schwangere  mit  Habitus  apoplecticus,  mit  Habitus 
phthisicus  müssen  wegen  der  oft  bedeutenden  Congestion  zu  Kopf  und  Brust 
recht  strenge  Diät  hallen,  starke  Körperbewegung  meiden,  desgleichen  %>arme 
Zimmer,  warme  Federbetten,  beengende  Kleidung,  Fleischspeisen  und  Spi- 
rituosa.  Sorge  für  tägliche  gehörige  Leibesöffnung,  häutiges  Trinken  von 
Zuckerwasser,  Limonade,  Afjua  crystallina,  Kühlhalten  des  Kopfs,  Abends 
ein  warmes  Fussbad  von  Senf  und  Kochsalz,  bei  starken  Congestionen  selbst 
Blutegel,  kleüie  Aderlässe  etc.  sind  hier  nach  Umständen  nothwendig  Ent- 
stehen bei  solchen  Personen  Blutungen:  Nasenbluten,  Bluthu.sten,  ßlutbre- 
chen,  Hämorrhoidal  -  und  Menstrualblutfluss;  so  stille  man  diese  ja  nicht 
voreilig,  sondern  beobachte  das  Allgemeinbefinden,  das  sich  in  der  Regel 
darnach  bessert.  Nur  bei  den  Zufällen  der  Depletion  wende  man  .solche 
«topfende  Mittel  an  (s.  Haemorr hagia).  25)  An  Blutaderknoten  der 
Schenkel  und  der  Geburtstheile  leiden  manche  Schwangere,  besonders  die 
mit  blondem  Teint ,  und  ältere  Frauen.  Sie  erregen  Druck ,  Spannung, 
Schmerzen ,  verhindern  den  freien  Gebrauch  des  leidenden  Gliedes  und  kön- 
nen durch  zufallige  Verletzungen  aufspringen,  gefahrliche  Blutungen  und 
^äter  schlimme   Geschwüre   hinterlassen.      Die  vorzüglichsten  Ursachen 


GRAYIDITAS  909 

sind:  Druck  des  schwangern  Uterus  und  Schwäche  des  Venensystems, 
sitzende  Lebensart,  Neigung  zu  Obstructio  alvi ,  schiefe  Lage  der  Gebär- 
mutter, laxe  Körperconstitution ,  Quetschungen  der  Schamlippen,  allgemein« 
Anlage  zu  Varikositäten,  krankhaft  erhöhte  Venosität  (s.  Varix  im  Allge- 
meinen). Cur,  Ist  nach  den  Ursachen  verschieden.  Schiefe  Lage  des  Ut^ 
rus  verhüten  und  verbessern  wir  durch  zweckmässige  Leibbinden ,  bei  Ob- 
»tructio  alvi  passt  der  massige  Gebrauch  des  Pülnaer  Wassers,  dabei  küh- 
lende, wenig  nährende  Diät.  Äusserlich  dienen  spirituöse  Waschungen  des 
leidenden  .Gliedes,  kalte  Waschungen,  Solut.  aluminis,  Schnürstrümpfe  von 
Barchent,  bei  Tage  getragen  und  des  Nachts  abgelegt,  bei  Blutungen  aus 
den  Knoten  Essig,  Char[)ie  und  Druck,  TJieden's  Einwickelungen  des  ganzen 
Gliedes,  horizontale  Lage  desselben.  Nach  Bhtff  ist  die  Radicalcur  am 
zweckmässigsten  während  des  Wochenbettes  durch  innerlich  kühlende  Mit- 
tel, äusserlich  durch  adstringirende  Decocte,  kaltes  Wasser  und  durch  Cora- 
pression  (nicht  durch  Eröffnung  der  Knoten)  und  Einwickelung  des  ganzen 
Gliedes  zu  erlangen  (s.  v.  Gräfe  in  der  Vorrede  zu  BelVs  System  der  Chi- 
rurgie S.  VIII).  24)  Auch  Husten  und  asthmatische  Beschwerden 
sind  in  der  Schwangerschaft  nichts  Seltenes.  Ein  blosser  Erkältungshustei» 
weicht  schon  durch  warmes  Verhalten,  Thee  von  Flor,  sambuci,  Spec.  pe- 
ctoral.  Zuweilen  ists  ein  Krampfhusten,  besonders  zu  Anfange  oder  am 
Ende  der  Schwangerschaft.  Hier  lasse  man  die  Brust  mit  erwärmtem  Fla- 
nell reiben ,  Flanellkleidung  anlegen  und  Thee  von  Melisse ,  Menth,  crisp. 
und  Sem.  foeniculi  trinken.  Ist  der  Husten  aber  anhaltend,  ist  Asthma  und 
starke  Expectoration  damit  verbunden,  so  ist  das  Übel  bedenklich  und  er- 
fordert schnelle  Hülfe;  bald  ausleerende,  ableitende,  kühlende,  bald  beruhi- 
gende, krampfstillende  Mittel;  sonst  können  durch  den  Säfteverlust,  durch 
die  heftigen  Erschütterungen ,  die  der  Husten  auf  den  schwangern  Leib  er- 
regt ,  leicht  schlimme  Folgen  entstehen.  25)  Die  örtlichen  Schmerzen  der 
Schwangern:  Kopf-  und  Zahnweh,  Ohrenschmerz,  Rückenweh, 
entstehen  entweder  von  Congestionen  oder  Krampf,  und  erfordern  Derivantia, 
Revulsoria,  Antispasmodica.  26)  An  Convulsionen,  an  Strangurie, 
Dysurie  und  Ischurie  leiden  manche  Schwangere;  sie  erfordern  die  da- 
gegen wirksamen  Mittel  (s.  diese  Artikel) ,  doch  vergesse  man  nicht,  dass 
örtliche  Congestionen ,  abnorme  Lage  des  Uterus  und  der  Frucht  oft  Ur- 
sache sind,  dass  in  solchen  Fällen  kühlende  Mittel  allein  passen,  die  er- 
hitzenden und  starken  Antispasmodica  aber  fast  immer  das  Übel  verschlim- 
mern. 27)  Zu  den  Gott  Lob !  seltenern  Übeln  der  Schwangern  gehören 
Metritis,  Rheumatismus  uteri,  Hydrops  uteri,  Metrorrhagia ,  welche  gefahr- 
liche Zufälle  erregen.  Die  Erkenntniss  und  Cur  dieser  Übel  wird  anderswo 
gelehrt  werden  (s.  diese  Artikel).  28)  Höchst  wichtig  ist  für  die  Weiber- 
praxis noch  die  Regel,  dass  wir  hier  alle  Arzneien  in  kleinen  Dosen  geben 
müssen,  besonders  in  der  Schwangerschaft,  wollen  wir  davon,  besonders 
von  den  heroischen ,  nicht  die  heftigsten  Wirkungen  erleben.  Die  Dosis  musa 
der  gleich  seyn,  welche  bei  9  —  12jährigen  Kindern  passt.  Überhaupt  mache 
man  sichs  bei  allen  nicht  bedeutenden  Zufällen  der  Schwangern  zur  Regel, 
mehr  passiv  als  activ  zu  verfahren,  und  mehr  auf  ein  gutes  diätetisches  Ver- 
halten als  auf  viele  Arzneien  zu  sehen;  denn  der  Nachtheil  des  häufigen 
Arzneigebrauchs  liegt  hier  am  Tage,  und  die  Volksmeinung,  eine  Schwan- 
gere dürfe  nicht  mediciniren,  hat  hierin  zum  Theil  ihren  Grund.  29)  Nach 
meinen  zahlreichen  Beobachtungen  ist  es  für  die  Gesundheit  der  Mutter  und 
für  die  kräftigere  Ausbildung  der  Frucht  von  grossem  Vortheil ,  wenn  die 
Schwangere  so  spät  als  möglich  mit  ihrer  Schwangerschaft  bekannt  gemacht 
wird.  Es  ist  früh  genug,  wenn  die  Bewegungen  der  Frucht  sie  darüber 
belehren.  Die  Eindrücke,  welche  Gemüthsbewegungen  und  AfFecte  der  Mut- 
ter auf  die  Frucht  etwa  äussern,  haben  in  der  ersten  Hälfte  der  Schwanger- 
schaft die  nachtheiligste  Wirkung  und  die  n^eiste  Gewalt.  Bei  der  Zwillings- 
schwangerschaft ist  der  Umstand,  dass  die  einzelnen  Bewegungen  der  Frucht 
dem  Räume  nach  nicht  so  gross  und  auch  nicht  so  stark  sind,  als  bei  ge- 
wöhnlicher Schwangerschaft,   selbst  nicht  am  Ende  derselben  und  bei  sonst 


910  GRITALOPEX  —  HABITUS 

bedeutender  Ausdehnung  des  Unterleibes,  ein  wichtiges  diagnostisches  Zei- 
chen, welches  nie  fehlt.  Diese  Bewegungen  der  Früchte  erregen  nie,  we- 
der in  der  rechten,  noch  in  der  linken  Seite  des  schwängern  Leibes  so  be- 
deutende sichtbare  Erhöhungen,  als  es  der  Fall  ist,  wenn  im  Uterus  nur 
ein  Kind  betlndlich  ist. 

Ol'3^alopex.  Ist  ein  durch  Onanie,  durch  zu  häufigen  Coitus 
schwindsüchtig  Gewordener  { Hij^imkrates ) ,  was  bei  jungen  Leuten  leider! 
so  häufig  der  Fall  ist,  wo  jeder  Reiz  grössere  Blutcongestion  zu  den  Lun- 
gen macht. 

Gryposis,  s.  Onychogryposis. 

Ouinmata,  Gummigewächse  am  menschlichen  Körper.  Sind 
chronische,  mehr  oder  weniger  elastische  Geschwülste,  vorzüglich  an  den 
Gelenken,  die  bald  venerischen,  bald  gichtischen  Ursprungs  sind,  sich  bald 
schneller,  bald  langsamer  ausbilden  und  oft  mit  Auftreibung  des  Knochens 
verb\mden  sind.  Cur.  Ist  die  des  Grundübels  (s.  Arthritis,  l^yphilis, 
Exostosis,  Osteomalacia).  Die  Gummata  venerea  befallen  vorzüglich 
die  Ossa  cranii,  die  Scapula,    das  Sternum  und  die  Tibia. 

Crunalgia,  Knieschmerz,  s.  Gonalgia. 

Gutta  rOi^acea,  Acne  Willan,  die  Couperose  (Jont^t),  der 
sog.  Kupferhandel,  Finnen  im  Gesichte.  Ist  ein  chronischer,  bräun- 
lich, kupferig  aussehender,  auf  der  Spitze  der  Nase  beginnender  Ausschlag 
im  Gesichte,  entsteht  vorzüglich  durch  Missbrauch  geistiger  Getränke,  durch 
Ataxien  der  Menses,  durch  scharfe  Säfte  etc.  Cur.  Innerlich  Haeraatoca- 
thartica,  gute  Diät,  Antimonialia,  Sulphurata;  zugleich  äusserlich  mit  Vorsicht 
Salben  von  Zink ,  Blei ,  Vitriol ,  kleine  Dosen  Mercur  etc.  Auch  folgendes 
Waschwasser  ist  hier  oft  sehr  wirksam :  ^'  Aquae  Goulardi,  —  rosarum  ana 
31V,  Sulphur.  pulü.  5jj-  M.  S.  Stark  umgeschüttelt  Abends  und  Morgens  an- 
zuwenden. Heim  empfiehlt  innerlich:  ^f  Liquor  sapoiiis  stibiati  5jj»  Tinct, 
colocynihid.  5J.  M.  S.  Dreimal  täglich  30  —  40  Tropfen  in  Haferschleim,  wel- 
ches auch  ich  sehr  wirksam  fand  (s.  Herpes,    Tinea,  Crusta  lactea). 

Gutta  opacn,  der  graue  Staar,  s.  Cataracta. 

Gutta  serena,  der  schwarze  Staar,  s.  Amaurosis. 

Crynaecia.     Ist  bei  Hippohrates  die  Menstruation. 

Crynaecolog^ia*  Ist  die  Lehre  von  der  Natur,  der  Schwangerschaft, 
der  Geburt  und   den  Krankheiten  des  Weibes. 

Gynaecoinaston«  Ist  übermässige  Ausdehnung  der  weiblichen  Brü- 
ste durch  Fett  etc. 

Crynandros.     Ist  ein  sog.  Zwitter. 

Cryuatresia»    Ist  Vagina  clausa^  a.  Atresia  vulvae. 


H. 


Habitus*  der  Habitus.  Ist  der  in  die  Sinne  fallende  Ausdruck  der 
formellen  und  organischen  BeschafTenheit  des  Körpers,  wobei  Grösse,  Um- 
fang, Form,  Farbe,  Haltung,  Lage  und  Stellung  des  Individuums,  welche 
Dinge  der  Begriff  des  Habitus  in  sich  fasst,  besonders  in  Betracht  kommen. 
Der  Habitus  ist  als  der  Reflex  des  innern  Zustandes  des  Lebensprocesses 
anzusehen  und  daher  für  die  Erforschung  von  Krankheiten  höchst  wichtig. 
Er  giebt  häufig  dem  Arzte  die  erste  Idee  von  der  Anlage  zu  dieser  oder 
jener  Krankheitsform  oder  von  der  schon  wirklich  stattfindenden  Krankheit. 
Der  gesunde  Mensch  zeigt  einen  seinem  relativen  Gesundheitszustande  ange- 
messenen Habitus,  und  je  weniger  letzterer  in  Krankheiten  bedeutende  Ver- 
änderungen erleidet,   desto  weniger  hat  die  Krankheit  zu  bedeuten.     Wenn 


HABITUS  911 

in  Fiebern  das  Gesicht  des  Kranken  plötzlich  verfällt,  wenn  seine  Haltung 
Hnd  sein  ganzes  äusseres  Gepräge  dergestalt  verändert  erscheint,  dass  selbst 
die  Bekannten  des  Kranken  sagen:  „Wir  kennen  ihn  kaum  wieder,"  so  ist 
das  Leiden  bedeutend  und  nicht  selten  folgt  der  Tod  (s.  Facies  hippo- 
cratica).  Auch  auf  das  Temperament  und  die  G«müthsbeschafl"enheit  des 
Menschen  (^Hahitus  animi}  lässt  der  Habitus,  d.  i.  schlechtweg  der  äussere 
Habitus  (^Habitus  corporis)  schliessen.  Ein  Mensch,  der  weder  edle  Haltung, 
noch  Anstand  hat,  der  nachlässig  im  Stehen  und  Gehen,  nachlässig  in  Klei- 
dung, linkisch  im  Reden  und  in  seinen  Handlungen  ist ,  ein  solcher  Mensch 
-hat  Anlage  zu  Seelenleiden,  die  sich  früher  oder  später  entwickeln,  beson- 
ders zu  Dummheit,  Stumpfsinn,  Blödsinn.  Uns  interessirt  hier  vorzüglich  der 
Habitus  morbosiis,  wodurch  sich  entweder  die  Anlage  oder  die  schon  ent- 
wickelte Form  irgend  einer  Krankheit  ausspricht,  die  sowol  aus  Fehlern 
der  Mischung,  als  aus  denen  der  Organisation  entstehen  kann.  Die  Scro- 
pheln,  die  Rhachitis,  die  Bleichsucht,  der  Schlagfluss,  die  wahre  Lungen- 
schwindsucht, die  Krankheiten  aus  Fehlern  der  Mischung:  Dyskrasien,  Ka- 
chexien aller  Art  und  viele  andere  Übel,  geben  sich  durch  den  Habitus  auf 
den  ersten  Blick  zu  erkennen.  Allen  Ärzten  ist  der  Habitus  scrophulosus, 
chloroticus,  apoplccticus ,  phthisicus,  der  Habitus  spasticus,  arthriticus  etc. 
bekannt  (s.  Scrophul  osis,  Icterus  albus,  Apoplexia,  Phthisis, 
Spasmus,  Arthritis).  Auch  die  eingewurzelte  Syphilis:  die  Wasser- 
sucht, die  Atrophie,  die  Herzkrankheiten  geben  sich  durch  einen  bestimm- 
ten Habitus,  besonders  durch  den  Ausdruck  des  Gesichts  zu  erkennen.  So 
erkennt  der  aufmerksame  Kinderazt  auch  an  den  verschiedenen  Gesichtszügen 
des  Kindes,  ob  sein  Leiden  im  Kopfe,  in  der  Brust-  oder  in  der  Bauchhöhle 
seinen  Sitz  hat  (^Veron,  Maladies  des  enfans.  Paris,  1825).  Nicht  blos  das 
allgemeine  formelle  und  organische  Verhältniss  des  ganzen  Körpers,  sondern 
auch  das  eines  jeden  einzelnen  in  die  Sinne  fallenden  Theils  ist  bei  Betrach- 
tung des  Habitus  zu  berücksichtigen;  daher  der  verschiedene  Ausdruck  des 
Gesichts,  die  Stellung  und  Haltung  der  Gliedmassen  etc.  (Phjsiognomia  pa- 
ihoJoi/icn,  Facies  hifipocraticn).  Im  Allgemeinen  betrachten  wir  hier  1)  die 
Veränderungen  des  körperlichen  Umfanges  als  Zeichen  vorhandener 
Krankheitsverhältnisse.  Der  grössere  oder  geringere  Körperumfang  gründet 
»ich  auf  den  Zustand  des  Nutritionsprocesses,  auf  ungewöhnliche  Anhäufung 
von  Säften ,  auf  starken  Antrieb  derselben  nach  der  äussern  Körperttäche. 
ft)  Vergrössertes  Körpervolumen  entsteht  entweder  durch  üppige 
Vegetation,  besonders  der  Fettbildung,  oder  als  Folge  eines  vermehrten 
Säftetriebes  nach  Aussen,  oder  als  Folge  von  Krankheiten,  wo  entweder  ein- 
Kelne  Theile  oder  der  ganze  Körper  voluminöser  erscheinen  (Wassersucht, 
Emphysem  etc.).  Fettleibige  Personen  sind  in  der  Regel  muskelschwach, 
bie  werden  durch  hitzige  Krankheiten  weit  schneller  erschöpft  als  magere 
Subjecte;  auch  lehrt  die  Erfahrung,  dass  frühe  Fettleibigkeit  bei  Kindern, 
Jünglingen  und  jungen  Mädchen  kein  gutes  Zeichen  ist  und  auf  kein  hohes 
Lebensalter  schliessen  lässt.  Fettleibige  haben  laxe  Faser,  sind  zu  Krank- 
heiten der  Blutkrasis,  zu  Bleichsucht  und  Wassersucht  disponirt;  auch  bei 
vorherrschenden  Leiden  des  Unterleibes  zu  Schlagflüssen.  Bekom.nen  sie 
Fieber  und  Entzündungen,  so  darf  man  nur  mit  Vorsicht  schwächen,  sonst 
entsteht  leicht  Collapsus  vasorum  (s.  Delirium  tremens).  Im  Mannes- 
alter bei  vorherrschender  Plethora  abdominalis  ist  ein  gewisser  Grad  von 
Fettleibigkeit  oft  mit  Hämorrhoidalkrankheit,  mit  Digestionsfehlern,  Arthri- 
tis und  Hypochondrie  verbunden.  Schnelle  Zunahme  der  Fettleibigkeit  bei 
Männern  und  Frauen  deutet  häufig  auf  bald  erfolgende  Gicht,  auf  Hämor- 
rhoiden und  Blutbrechen.  Eine  schwammige  Auftreibung  des  Unterleibes  mit 
Gesichtsblässe  ist  bei  Frauenzimmern  ein  Zeichen  von  anomaler  Menstrua- 
tion, bei  Männern  deutet  sie  auf  Excesse  in  Baccho  et  Venere,  und  auf 
Schwäche  der  Unterleibsorgane,  auf  Neigung  zu  Wassersucht.  Anschwel- 
lung des  Körpers  durch  vermehrten  Säfteandrang  nach  der  Haut,  durcb  ge- 
steigerten Turgor  vitalis  bemerken  wir  schon  bei  Gesunden  in  heissen  Soro- 
mertagcn;  ausserdem  besonders  bei  acuten  Exanthemen,  bei  Blatter«,  Masern, 


912  HABITUS 

Scharlach  {  auch  die  Congestion  des  Bluts  zum  Kopfe  kann  Anschwellung  des 
Haupts  erregen,  wie  wir  dies  bei  der  Gesichtsrose  wahrnehmen.  Der  dicke 
Kopl"  bei  Habitus  apoplecticus  ist  gleichfalls  Folge  des  habituellen  starkem 
Blutandrangs  zum  Kopfe,  in  Folge  dessen  übermässige  Ernährung  und  ein 
zu  starker  Bildungstrieb  daselbst  staltfindet.  Congestion  und  Entzündung 
begründen  am  häufigsten  topische  Anschwellungen  des  Körpers,  verbunden 
mit  den  ihnen  eigenthüralichen  Zeichen  (s.  Congestio  und  Inflammatio). 
Nicht  selten  sind  sie  aber  auch  Folge  von  Eiteransammlungen,  von  Emphy- 
sem als  Symptom  des  bösartigen  Faulfiebers,  als  Folge  von  Brustverletziiii- 
gen.  Die  allgemeine  hydropische  Anschwellung  ist  an  dem  allgemeinen  Ha- 
bitus hydropicus,  an  dem  bleichen,  gedunsenen  Ansehn,  an  der  schlaffen 
Faser,  an  den  in  der  Geschwulst  einige  Zeit  zurückbleibenden,  durch  Fin- 
gerdruck verursachten  Gruben  etc.  leicht  zu  erkennen,  fc)  Vermindertes 
Körpervolumen  ist  das  Resultat  eines  zu  schwachen  organischen  Bil- 
dungsprocesses.  Bedeutende  Magerkeit  deutet  bei  Kindern  auf  Krankheit 
des  Lymph-  und  Drüsensystems,  bei  Greisen  auf  ^Marasmus,  bei  jüngst  Ver- 
heiratheten  auf  übermässigen  Geschlechtsgenuss  (späterhin  folgt  bei  gutem 
Leben  oft  Adiposis).  Wohl  zu  unterscheiden  von  der  eigentlichen  Abmage- 
rung ist  diejenige  Abnahme  des  Körperumfanges ,  die  in  Krankheiten  nach 
Unterdrückung  des  Turgor  vitalis  entsteht  und  Collnpsus  heisst.  Bei  bös- 
artigen Faulfiebern ,  beim  Brande  innerer  Theile ,  bei  bedeutendem  Blutver- 
lust, bei  Herz-,  Magen-  und  Darmentzündungen,  selbst  bei  heftigen  Pneu- 
monien finden  wir  ihn  bald  früher ,  bald  später  eintretend.  Er  zeigt  eine 
tief  gesunkene  Lebenskraft  an  und  tritt  um  so  früher  ein,  je  schwächlicher 
das  Subject  an  sich  und  je  bedeutender  das  Leiden  irgend  eines  zu  den  Le- 
bensverrichtungen wichtigen  Organs  ist.  Eine  übermässige  oder  zu  spät  an- 
gewandte antiphlogistische  Methode  führt  hier  den  CoUapsus,  der  dann 
Kampher  und  andere  Reizmittel  indicirt,  häufig  herbei.  2)  Abweichun- 
gen in  dem  Verhältnisse  des  Körpers,  der  Grösse  und  Form 
nach.  Ihre  Erforschung  und  Deutung  ist  zur  Erkenntniss  der  Krankheiten 
mit  Habitus  morbosus  höchst  wichtig.  Wer  lang  und  schmächtig  gewachsen 
ist,  hat  in  der  Regel  eine  schwächliche  Constitution  mit  erhöhter  Sensibilität. 
Erfolgt  bei  jungen  Leuten  sehr  schnelles  Wachsthum,  so  ist  immer  dabei 
eine  gesteigerte  Sensibilität  und  eine  ungleiche ,  mit  Congestionen  nach  dem 
Kopfe  oder  der  Brust  verbundene  Blutcirculation.  Sind  Kinder  für  ihr  Alter 
im  Wachsthum  sehr  zurückgeblieben,  so  kann  man  auf  Krankheiten  des 
Lymph-  und  Drüsensystems,  auf  Scropheln,  Rhachitis,  Atrophie  mit  Gewiss- 
heit rechnen;  vorausgesetzt,  dass  sie  zur  rechten  Zeit  und  von  gesunden 
Altern  geboren  worden  sind,  die  nicht  auffallend  die  sogenannte  Zwergsta- 
tur besitzen.  Wichtiger  als  das  allgemeine  Grössenverhältniss  des  ganzen 
Körpers  ist  das  der  einzelnen  Theile  zu  einander,  und  jede  Formabweichung 
vom  normalen  Verhältnisse,  das  sich  nach  Alter  und  Geschlecht  arithmetisch 
in  Zahlen  ausdrücken  lässt  (wie  dies  die  Anatomie  und  die  latromathematik 
lehrt) ,  ist  ein  Zeichen  von  irgend  einem  krankhaften  Zustande.  Ein  grosser 
Kopf  deutet  bei  Säuglingen  auf  übermässigen  Säfteandrang  nach  demselben 
und  auf  vorherrschende  Bildung  der  Gehirnsubstanz  mit  Neigung  zu  Wasser- 
kopf. Ein  langer  Wuchs  mit  langem,  dünnem  Halse,  mit  engem,  flachem 
und  kurzem  Brustkasten ,  mit  hervorstechenden  Schulterblättern ,  klaren, 
wässerigen  Augen,  weisslichen,  guten  Zähnen  beurkundet  den  Habitus  phtlü- 
bicus  mit  Congestion  nach  den  Lungen  und  Neigung  zu  Blutspeien  und 
Schwindsucht.  Den  Habitus  apoplecticus  erkennt  man  an  einem  dicken  Ko- 
pfe ,  an  kurzem ,  dickem  Halse ,  an  kurzen  Gliedern ,  an  Congestio  capitis. 
Auch  zu  Hämorrhoiden,  Blutbrechen  und  Gicht,  nicht  blos  zu  Schlagfluss, 
haben  solche  Leute  Neigung.  Auffallende  Kleinheit  des  Schädels  deutet  auif 
mangelhafte  Entwickelung  des  Gehirns  und  auf  Neigung  zu  Blödsinn,  wenig- 
stens auf  beschränkte  Geisteskräfte.  Vollkommne  Verkrüppelung  des  Kör- 
pers ist  stets  Folge  bedeutender  Störungen  im  Vegetationsprocesse.  Ausser- 
dem begünstigen  die  Krümmungen  einzelner  Theile  mannigfaltige  Krankheits- 
bildungen,  besonders  die  Cyphosis;   sowie  denn  ein    missgestaltete»  Becken 


HABITUS  .  913 

bei  Frauen    leicht   das   Gebären    erschwert,   ja  zuweilen    selbst    unmöglich 
macht    (s.    Hy  st  erotomia).      3)  Der  Grad    der   grössern   oder   geringem 
Straffheit  oder  Laxität  des  Zellgewebes,  überhaupt  des  Zusammen- 
hanges  im  organischen  Gewebe,    wovon   die  Extreme   die -sogenannte  Fibra 
striata   et   laxa   der   Alten    ausmachen,    ist   gleichfalls   zur   Erkenntniss   der 
Krankheitsanlagen  und  der  Krankheiten  von  Wichtigkeit  (s.  Constitutio) 
4)  Dasselbe  findet   in  Betreff  der  Haltung   und  Lage   des  Körpers  statt. 
«)  Ist  sie  normal  und  in  allen  Theilen  gleichmässig,  so  deutet  dies  im  All- 
gemeinen auf  einen  gleichmässigen ,  ungestörten  Fortgang  des  Lebensproces- 
ses.     Ist  eine  besondere  Lebhaftigkeit  und  ein  schneller  Wechsel  in  Haltung 
und  Stellung  des  Körpers  da,    so  ist  das  Erregungsverhältniss  ungleichmäs- 
sig,  z.  B.  bei  Erethismus  und  den  daher  rührenden  Übeln.     6)  „Die  ruhige 
Lage  eines  Kranken   (sagt  Berndt} ,    wenn  sie   mit  Gleichmässigkeit   in   d«r 
Haltung   und  einem    gewissen  Grade   vitaler  Spannung   und   des  Lebenstur- 
gors  in  dem  organischen  Gewebe  der  einzelnen  Theile  verbunden  ist,  giebt 
darum  ein  Zeichen,  dass  die  vorhandene  Krankheit  mit  keinem  bedeutenden 
Aufruhr   und   besonders    tiefem   Eingriffe    in    den    Lebensprrocess    verbunden 
sey."     c)  Wesentlich  verschieden  von  b  ist  das  passive  Darniederliegen,  das 
wir  bei  bösartigen  Fiebern  als  Folge  eines  vergiftenden  Eingriffs  aufs  Ner- 
vensystem,   oder  als  Folge   eines  Drucks   aufs  Gehirn    (hier   mit  Mangel   an 
Bewusstseyn  und  Empfindung)  wahrnehmen.     Das  schlaffe  Niedersinken  des 
Kopfes    auf  die   Brust ,    das  Herabsinken   des    Körpers   nach    dem  Fussende 
und  an  die  Seitenwände  des  Bettes ,    das  gegenseitige  Anstützen  der  Schen- 
kel im  Kniegelenke  bei  sonst  gleichzeitiger  passiver  Lage,   das  passive  Da- 
liegen   der   Arme,    das  Zittern   der  Glieder,    der   Lippen,    der  Zunge,    des 
Unterkiefers;    alle   diese   Zeichen   des    gesunkenen    Lebens    und    des   vitalen 
Turgors  zeigen   hohen  Schwächegrad  und  Lebensgefahr  an.      d)  Die   unru- 
hige Lage  und  Haltung   des  Kranken   ist  stets  ein  Zeichen  von   gesteigerter 
Erregung ;    sie  geht ,  mit  Angst  verbunden ,  unter  den  unter  c  angegebenen 
Zufällen  häufig  dem  Tode   kurz  vorher.     Dennoch  ist   das  unruhige  Verhal- 
ten der  Kranken  nur   im  Vergleich   mit  anderweitigen  Krankheitserscheinun- 
gen  zu  deuten,   und  erscheint   bald   als  Folge    einer   durch  Anstrengung  im 
Gefässsystem  gesetzten  Reizung  und  davon  herrührenden  Spannung,  vorzüg- 
lich ausgehend  vom  Gehirne  und  vom  Unterleibe ,  bald  als  Folge  eines  Hin- 
dernisses in  dem  ungestörten  Fortgange  des  Lebensprocesses  in  irgend  einem 
Organe,  wie  z.  B.  bei  Herzkrankheiten  (Berndt) ;   oder  endlich  ist  es  Folge 
eines  Ausfallens    der  Thätigkeit  irgend  eines  wichtigen  Organs  aus  der  all- 
gemeinen  Lebenskette    der  Organenreihe ,   und   des    daraus   hervorgehenden, 
ungleichmässigen    Wechselverhältnisses   derselben.      Bei   reizbaren    Subjecten 
und  in  der  Akme  der  Krankheit  als  Vorläufer  der  Krisen  ist  die  Unruhe  des 
Kranken  weniger  bedeutend.     Tritt  sie  in  der  Reconvalescenz  ein,   so  zeigt 
sie   oft   den    Eintritt   eines    Recidivs   an.      e)  Bei    der   besondern    Lage    des 
Kranken    nehme    man   auf  die   Gewohnheit   in    gesunden   Tagen    Rücksicht. 
Nur  die  davon   abweichende  Lage   des  Kranken   verdient  vom  Arzte  in  Be- 
treff der  Deutung  des  Übels  berücksichtigt   zu  werden.     Die  ungev* öhnliche 
Lage  auf   einer  Seite  mit  Unvermögen    auf  der  entgegengesetzten   liegen  zu 
können,  deutet  an,  dass  der  Sitz  der  Krankheit,  wenn  dieser  tiefer  liegend 
vermuthet  werden  kann,  auf  derjenigen  Seite,  auf  welcher  der  Kranke  liegt, 
befindlich  sey.     So  liegen  z.  B.  die  Kranken  j  die  an  nicht  heftiger  Hepati- 
tis ,  an  massiger  Pneumonie  der  rechten  Lunge  leiden ,  meist  auf  der  rechten 
Seite.     Ist  indessen  ein  schmerzhaftes  Übel  oberflächlich   oder  ein  tiefer  lie- 
g^endes    mit   heftiger   Entzündung   und  Geschwulst  verbunden,    so   wird    der 
Druck  darauf  beim  Liegen  nicht  wohl  vertragen.    Bei  Entzündung  und  Was- 
sersucht des  Herzbeutels  findet  man  einen  steten  Wechsel  in  der  Seitenlage, 
weil  keine  derselben  eine  dauernde  Erleichterung  giebt.    Die  Bauchlage  deu- 
tet an,   dass  acute  oder  chronische  Krankheiten  (Flatulenz,   Plethora  abdo- 
minalis, Magen-,  Milz-,  Leberübel)  in  der  Bauchhöhle  stattfinden.    Bei  Cy- 
stitis  beugt  sich  der  Kranke  nach  vorwärts  gegen  das  Becken  zu.    Das  An- 
ziehen der  Schenkel  findet  man  bei  Kindern ,  wenn  sie  an  Schmerzen  in  desR 
Most  Encyklopädie.  2tc  Aufl.  I.  58 


914  HABITUS 

Bauchhöhle  leiden.  Bei  Plethora,  Anschoppungen,  Physkonie  in  der  Leber, 
in  der  Milz  suchen  die  Kranken  oft  zu  Anfange  des  Übels  die  Lage  auf  der 
leidenden  Seite.  Die  ungewöhnliche  horizontale  Rückenlage  bemerken  A-vir 
im  adynamischen  Stadium  der  Fieber,  wenn  es  den  Kranken  an  Kraft  fehlt 
sich  in  eine  andere  Lage  zu  begeben  (ein  schlimmes  Zeichen) ;  auch  bei  vie- 
len organischen  Herzkrankheiten  suchen  die  Kranken  diese  Lage  (^Kreysig'). 
Nicht  selten  nehmen  solche  Unglückliche  aber  auch  die  sitzende  Lage,  selbst 
nach  vorn  herübergebückt ,  die  Arme  auf  die  Knie  und  das  Gesicht  in  beide 
Hände  gelegt,  an.  Eine  mehr  sitzende  Lage  mit  erhobener  Brust  finden 
wir  bei  allen  Krankheiten,  bei  denen  ein  bedeutendes  Hindernlss  in  der  Re- 
spiration und  im  kleinen  Blutumlaufe  stattfindet;  desgleichen  bei  Leuten  mit 
Blutcongestionen  zum  Kopfe.  Können  bei  Pleuritis,  Pneumonie,  bei  Hy- 
drops pectoris,  Phthisis  exulcerata  die  Kranken  gar  nicht  mehr  liegen,  müs- 
sen sie  Nacht  und  Tag  sitzen,  so  ist  die  Krankheit  schon  in  bedeutendem 
Grade  da.  f)  Auch  Stellung,  Gang  und  Haltung  des  nicht  bettlägerigen 
Kranken  sind  von  Bedeutung  in  Beziehung  auf  die  Krankheitserforschung. 
Wenn  Knaben,  Jünglinge  und  junge  Mädchen  an  allerlei  Zufallen  von  er- 
höhter Sensibilität ,  gesunkener  Irritabilität ,  an  Erethismus ,  Abmagerung, 
Dyspepsien  etc.  leiden,  bald  auf  einem  Beine,  bald  mit  gebogenen  Knien 
stehen.  Hang  zum  Anlehnen,  zum  Stützen,  zum  Sitzen  haben,  den  Kopf 
auf  eine  Seite  hängen  lassen ,  gebückt  gehen  etc. ,  so  kann  man  auf  Onanie 
mit  Wahrscheinlichkeit  schliessen  (Ä.  G.  Vogel^.  Aus  der  Neigung  junger, 
zarter  Kinder  von  7  — 10  Jahren ,  allerlei  verschiedene  linkische  Bewegun- 
gen zu  machen,  wobei  unwillkürliche,  nicht  vom  Willen  hinlänglich  gelei- 
tete Haltungen,  Stellungen,  Fallenlassen  der  in  den  Händen  gehaltenen  Ge- 
genstände, Mangel  an  Ruhe  beim  Sitzen,  abwechselnde,  bald  fröhliche, 
muthwillige,  bald  misslaunige,  trübe  Gemüthsstimmung  stattfinden,  kann 
man  schon  im  voraus  Nervenübel:  besonders  Chorea,  Katalepsia,  Epilepsie, 
prognosticiren  (^Most^.  Um  bestimmte  Körperdeformitäten  zu  erforschen, 
muss  gleichfalls  die  Haltung  und  der  Gang  des  Menschen  betrachtet  wer- 
den. Eine  schiefe  Haltung  des  Körpers  mit  watschelndem  Gange,  mit  auf- 
fallendem Hintenausstecken  der  Posteriora,  mit  Hinken  etc.,  deutet  auf  De- 
formitäten des  Beckens,  auf  Krümmungen  des  Rückgrats,  auf  Coxarthrocacc. 
Bei  der  Untersuchung  müssen  solche  Kranke  ganz  entkleidet  und  der  Kör- 
per so  gestellt  werden,  dass  sich  beide  Fersen  und  beide  innere  Kondyü 
der  Kniegelenke  berühren,  dass  der  Kopf,  gerade  gerichtet  mit  dem  Kinn,' 
mit  dem  Mittelpunkte  des  Manubrii  sterni  in  einer  senkrechten  Linie  steht, 
beide  Arme  aber  gerade  auf  die  Hüften  hinabgesenkt  werden  Nach  Be- 
trachtung dieser  geraden  Körperstellung  iässt  man  den  Kopf  senken  und  den 
ganzen  Körper  allmälig  nach  Vorn  in  gerader  Linie  beugen.  Die  Gräten- 
fortsätze  des  Rückgrats  treten  somit  mehr  hervor,  und  man  wird  ihre  Ab- 
weichungen entdecken.  Auch  die  Art  und  Weise,  wie  solche  Kranke  lie- 
gen, gehen,  stehen,  sich  im  Bette  aufrichten,  dient  zur  Diagnose  (s.  Ar'-' 
throcace,  Cyphosis,  Lordosis).  5)  Sehr  wichtig  ist  die  F'arbe  d'6s 
Körpers  und  deren  Abweichung  vom  Normalen  zur  nähern  Erforschung 
des  Krankheitszustandes.  Durch  Alienationen ,  gesteigerte  oder  gesunkene, 
Thätigkeit  im  Gefässsysteme ,  häufig  durch  modificirten  Nerveneinfluss  (Af- 
fecten)  hervorgerufen,  entsteht  veränderter  Säfteantrieb  nach  der  Haut:  die 
nächste  Ursache  jeder  Anomalie  der  Körperfarbe.  Hier  ist  Folgendes  zu 
bemerken:  n)  Häufigen  Wechsel  der  Gesichtsfarbe  bemerken  wir  am  öfter- 
sten in  den  Evolutionsperioden  des  Lebens  als  blosse  Folge  veränderter  dy- 
namischer Wechselverhältnisse  zwischen  den  einzelnen  Systemen  und  Orga- 
nen, z.  B.  bei  Kindern  in  der  Dentitionsperiode ,  bei  jungen  Mädchen  kurz 
vor  dem  Eintritte  der  Regeln,  oder  auch  bald  nach  der  Conception,  über- 
haupt da,  wo  Erethismus  vorwaltet,  bei  exanthematischen  Fiebern,  bei  den 
Krämpfen  junger  Subjecte,  wo  das  Erregungsverhältniss  im  Nervensysteme 
schwankt;  ein  Zustand,  der  zwischen  krampfimfter  Spannung  und  Erschlaf- 
fung wechselt,  wo  jedes  positive  und  heroische  Eingreifen  mit  Arzneien 
Irüchst  nachtheilig  ist  (s.  Febris  nervosa  erethistica,  Febr.  neuro- 


HABITUS  915 

pathica,  Febr.  puerperalis).  /;)  Eine  plötzliche  und  dauernde  Verän- 
derung der  Hautfarbe  zeigt  bedeutende  Anomalien  im  Blutsysteme,  ausge- 
hend vom  Nervensysteme,  an.  So  hat  man  in  seltenen  Fällen  Neger  weiss 
und  Weisse  schwarz  sehen  werden ;  in  letzterm  Falle  ist  dies  von  Verhaltung 
des  Venenbluts,  von  übermässiger  Ansammlung  desselben  in  den  feinsten 
Gefassen ,  wodurch  Übermass  von  Kohlenstoff  unter  die  Haut  abgesetzt  wird, 
im  erstem  von  bedeutenden  Kachexien ,  besonders  Chlorosis ,  abzuleiten. 
Auch  die  Veränderung  der  Farbe  des  Kopfhaars  ist  nicht  ohne  Bedeutung. 
Hysterische  Frauenzimmer  mit  blondem  Haar  nähern  sich  der  Genesung, 
wenn  ihr  Haar  dunkler  wird,  ja,  in  der  Ehe  und  durch  öftere  Schwanger- 
schaften wird  ihr  blondes  Haar  oft  ganz  braun  wegen  des  bei  Gravidität 
stets  stattfindenden  Übermasses  von  Kohlenstoff,  der  zugleich  auch  die  Areola 
der  Brustwarzen  dunkler  färbt  (Mos*)-  c)  Die  rothe  Farbe  der  Haut  ist 
Folge  vermehrten  Antriebs  des  arteriellen  Blutes  zur  Peripherie ;  die  Tinten 
dieser  Farbe  sind  um  so  heller,  je  zarter;  um  so  dunkler,  je  derber  die 
Haut  ist.  Röthe  ist  ein  meist  immer  stattfindendes  Zeichen  von  Entzündung 
gefässreicher  Theile ,  ist  daher  Symptom  acuter  Exantheme  etc.  Bei  Ga- 
stritis, Enteritis,  Carditis  ist  die  Farbe  der  Haut  oft  bleich,  weil  in  ihr  als 
Folge  des  dynamischen  Wechselverhältnisses  Krampf  obwaltet.  Im  letzten 
Stadium  der  Pneumonie  erbleicht  die  Haut  nicht  selten  wegen  der  be- 
schränkten Blutbewegung  und  der  Hindernisse  in  der  Respiration,  rf)  Die 
bleiche  Farbe,  die  Hautblässe  deutet  auf  wässerig- schleimigen  Zustand  des 
Blutes  und  auf  mangelhafte  Oxydation  desselben,  auf  Chlorosis,  Blennor- 
rhoe ,  auf  Krankheit  der  Vegetation :  Atrophie ,  Gastromalacie ,  Hydrops, 
auf  mangelhafte  Nutrition ,  Assimilation  und  Sanguification.  Oft  ist  sie  aber 
auch  Folge  von  Hautkrampf,  z.  B.  beim  Fieberfrost.  Bleiche  Farbe  zu  An- 
fange acuter,  bösartiger,  contagiöser  Krankheiten  und  bei  früher  gesunden 
Subjecten  deutet  tiefe  Verletzung  des  Nervensystems  und ,  ist  sie  constant, 
ein  Fieber  mit  wahrer  Adynamie  an ;  auch  ist  dieselbe  ein  steter  Begleiter 
der  Ohnmacht.  Bei  Chlorosis  und  Leucorrhoea  chronica  ist  die  Gesichts- 
farbe oft  kreideweiss ,  wie  das  Gesicht  einer  Kinderleiche ;  eigenthümllch 
ist  diese  Farbe  den  Albinos,  den  Kakerlaken,  e)  Die  erdfahle  und  Bleifarbe 
sind  Abarten  der  bleichen  Farbe,  die  ins  schmuzige  Braun  oder  Olivengrün 
spielen.  Bei  Kachexien ,  bei  Obstructio  hepatis  ,  lienis ,  bei  Colica  saturnina 
bemerken  wir  sie.  Bei  bösartigen  Fiebern  im  adynamischen  Stadium  und 
im  Verlaufe  anderer  acuter  Krankheiten  tritt  sie  oft  plötzlich  mit  der  Facies 
hippocratica  kurz  vor  dem  Tode  ein.  f)  Die  gelbe  Farbe  als  Anomalie 
deutet  auf  Anhäufung,  Zurückhaltung  des  GallenstofFs  im  Blute  und  auf 
Absetzung  desselben  ins  Hautgewebe,  setzt  jedesmal  Störungen  in  der  Gal- 
lensecretion  voraus,  und  begleitet  daher  fast  alle  Krankheiten  der  Leber. 
Bei  bedeutenden  Pneumonien  sieht  das  Gesicht  des  Kranken  oft  schmuzig- 
gelb  und  erdfahl  aus  wegen  Hinderniss  in  der  Blutcirculation,  der  Respira- 
tion und  wegen  der  davon  abhängenden  unvollkommnen  Entkohlung  des  Blu- 
tes, g)  Die  grünliche  Hautfarbe  deutet  auf  Milzkrankheiten  ;  die  gelblich- 
schwarze, mulattenähnliche  auf  unheilbare  Gelbsucht,  auf  bedeutende  Stok- 
kungen  im  Pfortadersystem,  auf  Übermass  von  Kohlenstoff  im  Blute,  auf 
venöse  Dyskrasien.  K)  Die  bläuliche,  ins  Dunkelrothe  und  grell  Blaue  spie- 
lende Farbe  deutet  vorherrschende  Venosität  des  Blutes  an  ,  findet  sich  bei 
organischen  Fehlern  des  Herzens,  bei  Cyanose  constant,  und  tritt  bei  chro- 
nischen Lungenübeln,  bei  Asthma,  Hydrothorax,  bei  Tussis  convulsiva  pe- 
riodisch ein.  Auch  Branntwein  -  und  Weintrinker  bekommen ,  besonders  im 
Winter  und  durch  Kälte,  eine  blaurothe  Gesichtsfarbe,  i)  Die  schwärzliche 
Farbe  einzelner  Hautstellen  ist  oft  Folge  von  Quetschungen,  von  Melanose, 
von  bedeutendem  Icterus,  erfolgt  zuweilen  auch  nach  kurz  vorhergegfuige- 
nen  heft'.j  en  Gichtanßllen ,  ist  Symptom  des  Scorbuts,  der  PhtBisis  cyano- 
tico-pulmonalis,  des  Milzbrandes,  des  Anthrax,  des  Vipernbisses,  der  In- 
toxikation durch  narkotische  Gifte  etc.  6)  Auch  die  Schwere  oder  Leich- 
tigkeit des  Körpei-s  ist  bei  Krankheiten  zu  berücksichtigen.  Bei  Hektik 
und  Atrophie  werden  Menschen    mit   zartem  Knochenbau    oft   ungewöhnlich 

58* 


916  HAEMADONOSIS  —  HAEMATISTHMUS 

leicht,  indem  ein  grosser  Theils  des  Fetts  und  der  Muskelsubstanz  aufgezehrt 
wird.  Wenn  zarte  Kinder  den  Wärterinnen  sehr  schwer,  wie  ein  Bleikluinpen, 
beim  Tragen  vorkommen,  so  sagt  das  Volk,  dass  das  Kind  sich  nach  dem 
Grabe  hinziehe;  daran  ist  etwas  Wahres,  denn  dies  Symptom  zeigt  in  hitzi- 
gen Krankheiten  einen  tief  gesunkenen  Kräftezustaud  an,  wobei  der  Mensch 
sich  selbst  aufrecht  zu  halten  unvermögend  ist.  Eine  ungewöhnliche  Schwere 
und  Unbehülflichkeit  bei  nicht  fieberhaften  Zuständen  der  Kinder  deutet  auf 
übermässige  VoUsaftigkeit  und  Anhäufung  von  Stoffen  im  Unterleibe,  auf 
bald  folgende  Atrophie ,  Scrophein  und  Digestionsfehler  aller  Art. 

HAeinadonOSiS »  Haematangionosis ,  Haematangionusos.  So  nennt 
man  jede  Krankheit  der  Blutgefässe;  im  engern  Sinne  die  Aneu- 
rysmen, Anglektasien  etc.  Im  weitern  Sinne  kann  man  auch  die  bei  Syn- 
ocha  oft  stattfindende  Arteriitis,  die  bei  Typhus  beobachtete  Phlebitis  und 
andere  ähnliche  Zustände :  Eiterung  und  Brand  der  Venen  etc. ,  hierher 
rechnen. 

Haemadostosis $  Blutgefässverknöcherung.  Findet  häufig 
bei  alten  Leuten  statt ,  besonders  an  den  untern  Extremitäten ,  worauf  dann 
häufig  Gangraena  senilis  folgt ;  desgleichen  in  der  Nähe  des  Herzens ,  wo 
periodische  Angst,  Herzklopfen,  Pulsus  irregularis  als  Zufalle  erscheinen. 
Auch  bei  Angina  pectoris ,  bei  verschiedenen  organischen  Herzfehlern  findet 
man  nicht  selten  solche  Hämadostosen  (s.  Morbi  cordis). 

Haemag^Og^a  (remedin),  biutausleerende  Mittel;  z.  B.  Ader- 
lassen, Blutegel,  Scarificationen,  Schröpfen,  bekanntlich  die  ersten  und 
stärksten  Antiphlogistica. 

Haeinalops,  Haemntomma,  Hypliaema,  Hi/poaema,  SugiUatio,  die 
Blutunterlautung.  Ist  jedes  Austreten  von  Blut  durch  mechanische 
Verletzungen,  wie  bei  Quetschungen  (s.  Contusio,  Sugillatio,  Ec- 
chymosis).  Im  engern  Sinne  versteht  man  darunter  die  Blutunterlaufinig 
des  Auges,  das  sog.  Blutauge  (^HnemntopJithahnos  und  Ecchyinosis  in  or- 
bitani).  Cur.  Kalte  Umschläge  von  Wasser,  Schnee,  Wasser  und  Essig, 
Bleiwasser,  wie  bei  jeder  Quetschung.  Erfolgt  keine  baldige  Resorption, 
ist  die  Blutunterlaufung  bedeutend,  sind  wichtige  Theile  in  der  Nähe,  ist 
durch  Eiterung  Caries  zu  befürchten,  so  lasse  man  das  Blut  durch  einen 
Einschnitt  aus  (s    Ecchymoma  capitis  neonatorum). 

Haciuaporia,  richtiger  Olignem'm,  Blutmangel,  s.  Anaemia. 

Haeuiataug^ionosis,  s.  Haemadonosis. 

Haematapostcina ,  ein  Blutabscess ,  s.  Abscessus  und  F u - 
runcul u  s 

Haeiuatemesis j  Blutbrechen,  s.  Haemorrhagia  ventriculi  et 
int  est  i  n  omni. 

Haematencephalon ,  Blutung  im  Schädel,  Hirnblutung. 
Ist  häufig ,  selbst  wenn  sie  nicht  durch  äussere  Verletzungen  entstand,  die 
nächste  Ursache  des  Schlagflusses  (s.  Apoplexia),  häufig  Folge  starker 
epileptischer  Anfälle,  wo  hinterher  oft  tagelang  Betäubung,  Sopor,  Unbe- 
sinnlichkeit,  so  lange  bis  durch  Resorption  des  Blutes  der  Druck  aufs  Ge- 
hirn aufhört,  stattfinden  (vgl.  Comniotio  cerebri  und  Epilepsia). 

Haeinatepig^astriuin.  IstBlutergiessung  zwischen  dem  Bauch- 
felle und  den  Baucliiiiuskeln. 

Haematepischesis ,  krankhafte  Verhaltung  des  Blutes, 
z.  B.   bei  Menstruaiio  retenta,  suppressa,  Fluxus  lochiorum  suppressus. 

HaemathidrOfSis ,  das  Blutschwitzen.  Ist  in  seltenen  Fällen 
bedeutender  Menstrualanomalien  und  als  Folge  von  fürchterlicher  Todes- 
angst beobachtet  worden  Zuweilen  ists  Symptom  böser  Faulfieber  und  ein 
Zeichen  des  höchsten  Grades  der  CoUiijuation  und  des  nahen  Todes. 

Haeniatisthinus ,  Blutergiessung  im  Rachen.  Kann  bei 
Verwundungen,   bei  dem  Scorbut,   bei  der  Blutfleckenkrankheit  stattfinden. 


HAEMATOCATHiVRTICA  —  HAEMATOCELE       917 

und  dann  Würgen  ,  Erbrechen,  Husten,  selbst  Erstickung«gefahr,  wenn  Blut 
in  die  Luftröiire  dringt,  erregen.  Cur.  Die  allgemeine  der  Blutungen  (s. 
Haemorrhagia),  mit  Berücksichtigung  des  leidenden  Organs,  dessen 
Function  und  der  mehr  oder  weniger  gefährlichen  Folgen. 

BEaematocathartica  (remedia),  blut  reinigen  de  Mittel.  Sie 
wirken  diaphoretisch  und  diuretisch,  wurden  von  altern  Ärzten  hochge- 
schätzt, von  Neuern  aber  oft  mit  Unrecht  verachtet.  Man  rechnet  hierher 
Rad.  graminis ,  bardanae ,  graminis  majoris  (von  Carex  arenaria) ,  sarsapa- 
rillae,  smilac.  chinae,  Lignum  guajaci ,  Cort.  mezerei;  auch  die  Antimonial- 
schwefelverbindungen.  Wenn  diese  theils  erregenden ,  reizenden ,  theils 
scharfen  und  auflösenden  Mittel  bei  einem  warmen  Verhalten  und  zweck- 
mässiger Diät  lange  und  andauernd  gebraucht  werden,  und  zwar  in  Form 
lauer  Getränke ,  so  wirken  sie  nicht  blos  diaphoretisch  und  diuretisch ,  son- 
dern sie  greifen  auch  in  die  gesammte  Ernährung  und  Vegetation  ein ,  in- 
dem sie  die  Resorption  steigern ,  die  Secretionen  der  Schleimmembranen ,  be- 
sonders der  Synovialhäute,  der  serösen  und  fibrösen  Häute  befördern,  um- 
stimmen und  verbessern,  und  zugleich  die  Assimilation  und  Nutrition  auf 
eine  heilsame  Weise  herabsetzen  luid  unterbrechen.  Solche  blutreinigende 
Species,  3 — 6  Wochen  lang  bei  magerer  Diät  und  Warmhalten  des  Kör- 
pers gebraucht,  leisten  die  herrlichsten  Dienste  bei  hartnäckigen  und  alten 
Ablagerungen  und  Stockungen  in  den  Drüsen  und  secernirenden  Membra- 
nen ,  bei  eingewurzelten  Abnormitäten  und  Krankheiten  der  Vegetation  über- 
haupt, bei  hartnäckigen  Kachexien  und  Dyskrasien,  denen  keine  wahre 
Schwäche,  sondern  abnorme,  vegetative  und  reproductive  Thätigkeit  zum 
Grunde  liegt,  z.  B.  bei  veralteten  und  eingewurzelten  rheumatischen,  gich- 
tischen ,  scrophulösen ,  herpetischen ,  leprösen ,  psorischen  Kachexien  und 
Dyskrasien,  bei  Syphilis  inveterata,  depravata,  bei  allen  aus  solchen  Übeln 
entstandenen  chronischen  Hautübein ,  Knochenanschwellungen.  Bei  hohem 
Grade  der  Schwäche  der  Digestionsorgane  und  des  ganzen  Körpers  als 
Folge  jener  Übel,  sowie  bei  fauliger  und  scorbutischer  Dyskrasie,  bei  Nei- 
gung zu  colliquativen  Schweissen  und  Diarrhöen,  bei  Diabetes,  Phthisis  etc. 
sind  sie  contraindicirt.  Frictionen,  warme  Bäder  und  Bähungen,  höhere 
Zimmertemperatur  unterstützen  die  guten  Wirkungen  der  hämatokatharti- 
schen  Mittel.  Folgende  blutreinigende  Species  haben  mir  bei  eingewurzel- 
ter Gicht,  bei  chronischen  Exanthemen,  bei  hartnäckigem  Herpes  und  bei 
Syphilis  inveterata,  4  —  6  Wochen  lang  in)  Monate  Mai  gebraucht,  mit  dar- 
auf folgender  Kräuter-,  Brunnen-  und  Badecur  die  herrlichsten  Dienste  ge- 
leistet: I^  Lign.  guajaci  §jj ,  Bad.  bardanae,  -'—  saponariae ,  —  chinae  ana 
§jjj ,  —  liquiritiae,  —  snrsapariUae,  —  graminis,  —  caric.  arenar.  ana  3J(v, 
Cort.  mezerei ,  Ptitam:  nuc.  jugland.  immatur.  ana  gj ,  Fol.  sennne  5|^ ,  Herb, 
trifol.  fibr.  gjj ,  Rad.  calnm.  arom.  5J|^.  M.  f.  c.  c.  Spec.  Divide  in  vjjj  part. 
aequal.  S.  Täglich  eine  Portion  mit  5  Pfd.  Wasser  bis  auf  3  Pfd.  einzu- 
kochen und  den  Tag  über  zu  verbrauchen.  Ich  selbst  gebrauche  jährlich 
14  Tage  lang  eine  .solche  Cur  gegen  chronische  und  erbliche  Gicht,  und 
präservire  mich  so  auf  Jahresfrist  vor  allen  Leiden,  die  die  Gicht  mit  sich 
führen  und  die  mich  früher  oft  des  Jahres  mehrere  Monate  lang  quälten  und 
zu  Geschäften  unfähig  machten.  Bei  gutem  Wetter  fange  ich  diese  Cur  bei 
einer  höchst  einfachen,  leicht  nährenden  Diät  (leichte  Fleischsuppen,  kein 
Fleisch,  keinen  Wein,  keinen  Kaffee,  Thee ,  keine  Gewürze,  dagegen  viel 
gekochte  weiche  Eier,  Brot-  und  Wassersuppen),  schon  Ende  Aprils  an  (itf.)« 

Haeinatocele 9  Haemaioscbeum,  Oscheocele  crucnia,  Bluthoden- 
sacksbruch,  Blutbruch.  Ist  Verderbniss  der  Hodensubstanz,  ein  Blut- 
schwamm des  Hoden  (Fungus  haematodes  testiculi) ,  wodurch  dieser  in  eine 
schwammige  Masse ,  ähnlich  den  Corporibus  cavernosis  penis ,  wenn  diese 
mit  Blut  angefüllt  sind  (Erection),  verwandelt  wird.  Man  fühlt  den  Testi- 
kel  im  Grunde  des  Hodensacks  nicht  in  seiner  natürlichen  Festigkeit,  son- 
dern teigig,  schwammig;  dabei  ist  die  ganze  Tunica  vaginalis  mit  einer  blu- 
tigen ,    braunrothen ,    chocoladeähnlichen   Masse   angefüllt ,    und   die  Tunica 


918    HAEMATOCOLPUS  —  HAEMATOPHOBIA 

vaginalis  propria  lederartig  anzufühlen.  An  der  vordem  Fläche,  wo  sie  den 
Hoden  umgiebt,  fühlt  man  eine  harte,  gespannte  Geschwulst,  die  wenig 
elastisch  ist,  wenig  fluctuirt.  Örtliche  Gewaltthätigkeiten,  mit  Entzündung 
des  Testikels  begleitet ,  veranlassen  das  Übel  am  häufigsten.  Cur.  Man 
mache  die  Operation ,  wie  bei  der  Radicalcur  der  Hydrocele ,  und  findet 
man  den  Testikel  verdorben ,  so  castrirt  man  (s.  auch  Fungus  haema- 
todes  testiculi).  Von  diesem  sogenannten  Blutbruche  muss  die  Blut- 
unterlaufung  des  Hodensacks,  die  nicht,  wie  jener,  ein  chronisches  Übel  ist 
(Haematocele  oedemntosa,  cellularis,  Ocdemn  scroti  cruentuni) ,  wohl  unter- 
schieden werden.  Sie  folgt  oft  schnell  unter  Ohnmächten,  Krämpfen  etc. 
auf  Quetschungen  des  Hoden,  und  besteht  in  einer  Ergiessung  des  Blutes 
ins  Zellgewebe  des  Hodensacks,  welcher  blau  und  dunkelroth  aussieht,  so- 
wol  in  Folge  von  Quetschung  als  von  Extravasateinsenkung.  Sie  erfordert 
die  Cur  der  Quetschungen,  und,  wenn  keine  Resorption  erfolgt.  Öffnen 
und  Auslassen  des  Bhitcoagulums.  Anfangs  kalte  Umschläge,  später  Infus, 
arnicae  mit  Spirit.  caniphoratus,  bei  heftiger  frischer  Quetschung  und  be- 
deutenden Schmerzen  selbst  Blutegel  etc.,  damit  der  Übergang  in  Brand 
verhütet  werde.  Auch  einen  Krampfaderbruch  (^Haematocele  varicosa')  hat 
man  angenommen,  der  nichts  weiter  als  ein  hoher  Grad  von  Varicocele  ist, 
wo  eins  der  ausgedehnten  Blutgefässe  geplatzt  und  die  vasculöse  Substanz 
des  Hoden  höchst  erschlafft  ist.     Cur.     Die  der  Varicocele. 

Haema/tocolpus«  So  nennt  man  bald  eine  Blutergiessung ,  bald 
eine  Ansammlung  von  Blut  oder  Menstrualsecret  in  der  nach  Aussen  ver- 
schlossenen Mutterscheide  (s.  Atresia). 

fiaematocystis.  Ist  Blutergiessung  in  der  Harn-  oder  Gallenblase, 
die  verschiedene  Ursachen  haben  kann  ,  vorzüglich  aber  durch  mechanische 
Verletzungen  entsteht.  Einige  nennen  auch  die  Blutblase,  besonders  die  so- 
genannte Hydatis  cruenta,  Haematocystis. 

Haematog'aster}  Blutergiessung  in  dem  Magen,  s.  Haemorrha- 

giaventriculi. 

Maematoma,  die  Blutgeschwulst,   besonders  am  Kopfe  Neu- 

geborner;  s.  Ecchymoma. 

Ifacmatouiediastiiiuin,  Blutergiessung  in  dem  Mittelfell,  s.  Hae- 
morrhagia. 

Haeinatoinma,  Blutauge,  s.  Haemalops. 

Macuiatoniphalon,  Haematomplialus,  der  sogenannte  Nabelblut- 
bruch. Ist  eine  Hervortieibung  des  Nabels  durch  ergossenes  Blut,  oft 
auch  durch  blutiges  Serum,  was  man  durch  eine  Öffnung  des  Nabels, 
ebenso  wie  bei  Ascites  mit  hervorgetriebenem  Nabel  das  Wasser,  leicht  ent- 
fernen kann. 

Hacinatomyces*  So  nennt  Ritgen  den  Fungus  haematodes.  Rich- 
tiger wäre  Haemaloncus ,  nach  Kraus,  doch  ist  zu  bedenken,  dass  der  Blut- 
schwamm sich  nie  hart  anfühlt. 

Haematonosos.  Ist  jede  Blutkrankheit ,  z.  B.  Chlorosis ,  Scor- 
but  etc. 

ffiaeinatopedesis.  Ist  Durchschwitzen  von  Blut,  s.  Haemi- 
drosis. 

Haematopericardium,  Blutergiessung  in  dem  Herzbeu- 
tel. Entsteht  am  häutigsten  durch  Verwundungen  und  erregt,  wenn  das 
Blut  nicht  freien  Abfluss  hat,  Angst,  Erstickungszufälle,  kurz  alle  Zeichen 
des  Hydrops   pericardii. 

Hacmatopholtia,  UnemophoUa,  die  Blut  scheu.  Ist  die  Abnei- 
gung vieler  Personen,  Blut  zu  sehen.  Solche  werden  fast  immer  ohnmäch- 
tig beim  Anblicke  desselben.  Diese  Idiosynkrasie  findet  sich  häufig  bei  recht 
robusten  vollsaftigen  Menschen,   die  nichts  weniger  als  reizbare  Nerven  ha- 


HAEMATOPHTHALIWUS  —  HAEMATURU  919 

bell.  Ja,  Ich  kenne  einen  athletischen  Schlächter,  der  täglich  Thierblut  se- 
hen kann,  beim  Anblick  von  Menschenblut  aber  stets  ohnmächtig  wird. 

Maematoplltlialmus ,  Blutauge  (s.  Haemalops  und  Ecchy- 
mosis  iii  orbitam).  Kraus  will,  dass  man  die  Blutergiessung  ins  Innere 
des  Auges  Haemntophthahnos  oder  Haemophthnhnos ,  die  ausserhalb  des  Aug- 
apfels Ärtcjjinl'ops  oder  Unemntontma  nennen  soll  (s  dess.  Etymologisch  -  me- 
dicinisches  Lexikon.  2te  Aufl.  1826.  S.  379).  Er  hat,  obgleich  der  Gegen- 
stand nicht  unwichtig  ist,  bis  jetzt  keine  Nachahmer  darin  gefunden. 

Haeinatoplanesitsi.  Ist  Verirrung  des  Blutes,  d.  h.  es  tritt 
in  Theile  über,  wohin  es  nicht  gehört,  bei  Entzündungen  in  die  feinsten 
lymphatischen  Gefösse  etc. 

IZaeinatops»  s.  Haemalops. 

Maematoptysia 5  Blutspeien,  s.  Haemorrhagia  pulmonum. 

Hacmatorrlioea ,  Blutfluss,  s.  Haemorrhagia. 

Haeinatoi^clieum ,  Bluthodensacksbruch ,  s.  Haematocele. 

Haeinatoscopia,  s.  Haemorrhoscopia. 

Haeinatosepsis*  Ist  Annäherung  des  Bluts  zur  Fäulniss,  z.  B. 
bei  Febris  putrida. 

Haematospilia.  Ist  Morbus  maculosus  haemorrhagicus  Werlhofil, 
nach  Aiihcrt. 

MaematospongitS.  Ist  gleichbedeutend  mit  Fungus  haematodes, 
und  besser  als  Haematoncus. 

Haematostaticaf  Styptka  (remedia),  Ischaema,  blutstillende  IVlit- 
tel ,  s.  Haemorrhagia. 

Maematosteon.  Ist  Bluterguss  in  die  Zellen  und  Hohlen 
der  Knochen,  wie  dies  z.  B.  bei  manchen  Arten  von  Caries  der  B'all  ist. 

HaeinatothoraX.  Ist  innere,  verborgene,  sich  in  die  Brust- 
hohle ergiessende  Lungenblutung,  und  meist  immer  Folge  einer 
äussern  Gewaltthätigkeit.     Zufälle  und  Cur  s.  bei  Vulnus  pectoris. 

Haeiuatozemla*  So  nennt  man  jeden  chronischen ,  habituellen 
Blutverlust. 

Hacmaturia,  Haematuresis,  Mictus  crtiientus,  smignineus,  Urina  san- 
guinea,  das  Blutharnen.  Manche  verstehen  darunter  jeden  Blutabgang 
aus  der  Harnröhre ;  dies  ist  falsch ;  denn  eine  Haemorrhagia  penis  kann 
stattfinden,  die  vom  eigentlichen  Blutharnen  sehr  verschieden  ist.  Bei  der 
Hnematuria  vera  muss  die  Blutung  hinter  dem  Sphincter  vesicae  urinariae 
herkommen,  also  entweder  eine  Haematuria  vcsicalis  oder  renalis  (Nephror- 
rhagia)  seyn ;  alle  anderen  Blutungen  aus  der  Urethra  gehören  zur  Haema- 
turia spuria.  Symptome  der  Haematuria  vera.  Der  mit  Blut  vermischte 
Harn  geht  mit  einigen  Schmerzen,  mit  Drängen  und  einiger  Anstrengung  ab, 
ist  mit  dem  Harn  innig  gemischt ,  präcipitirt  und  coagulirt  sich  nicht ,  färbt 
aber  die  hineingelegte  Leinwand  röthlich.  Diese  Zeichen  dienen  zur  Dia- 
gnose; denn  nicht  jeder  blutig  aussehende,  röthliche  Harn  ist  Blutharnen. 
Auch  nach  dem  Genuss  von  rothen  Rüben,  Rubia  tinctorum,  Rheum ,  Him- 
beeren wird  ein  röthlicher  Harn  abgesondert,  aber  die  Excretion  geht  hier 
ohne  alle  Schmerzen  vor  sich.  In  hitzigen  Fiebern  ist  der  Urin  gleichfalls 
röthlich;  diese  Färbung  spielt  aber  ins  Gelbliche,  und  die  Leinwand  wird 
dadurch  nicht  roth,  sondern  gelb  gefärbt.  Wir  unterscheiden  zwei  Arten 
der  wahren  Hämaturie:  es  ist  entweder  eine  blutige  Secretion  des  Harns, 
da,  oder  das  Blut  wurde  dem  Harn  erst  hinterher  beigemischt.  1)  Secretio 
vrinae  sanguinolenta.  Der  Harn  sieht  hier  blutig ,  röthlich  aus ,  ist  mit  dem 
Blute  innig  gemischt,  färbt  die  Leinwand  roth ,  coagulirt  und  präcipitirt  kein 
Blut<  Ursachen.  «)  Missbrauch  reizender  diuretischer  Mittel,  der  Kan- 
thariden ,  des  Terpenthins ;  bei  Schwäche  der  Theile  erregen  schon  Spargel, 
Sellerie,    Rettige  Mictus    cruentus.      6)  Starke   Erschütterungen,    heftiges 


920  HAEMATURIA 

Reiten,  schweres  Tragen,  anhaltendes  Fahren  auf  unebenen  Wegen,     c)  In 
seltenen  Fällen  entsteht  sie  als  Anomalie  der  Menstruation ,  wo  sie  dann  pe- 
riodisch alle  3  —  4  Wochen   eintritt.      d)  Im   höhern   Grade   des    Scorbuts, 
der   Petechien ,    im    coUiquativen   Stadium   bösartiger   Fieber :    der   Masern, 
Blattern ,   Pest ,   der  Febris  putrida  etc.    kann    sie    symptomatisch    erfolgen 
Behandlung.     Richtet   sich   nach    den    Ursachen.     Wo   Acria   einwirkten, 
gebe  man  Kampher  mit  Opium,  Ölemulsionen;  setze  aber,  wenn  die  Schmer- 
zen heftig  und  entzündliche  Zufälle  da  sind,  vorher  Blutegel  an  die  Nieren- 
gegend     War  mechanische  Gewalt    die  Ursache,    so  lasse  man   kräftig   zur 
Ader ;    wenn  die  Constitution    schwach   ist ,    so   dient   ein   kleiner  Aderlass ; 
hinterher  kalte  Umschläge  in  die  Nierengegend,  Ruhe,  knappe  Diät,  schlei- 
mige  Getränke,    innerlich    Ölemulsionen    ohne    Salze.      Entwickelt   sich  das 
Übel  allmälig,   so  ist  es  sehr  schwer  zu  heben  und  endet  häufig  mit  Verei- 
terung der  Nieren       Man   beseitige   hier   die    entfernten  Ursachen ,    regulire 
z.B.  die  stockende  Menstruation,  setze  Blutegel  an  die  Genitalien,  bei  hef- 
tigen Schmerzen  innerlich  Eraulsio  sem.  papav.  albi  mit  etwas  Opium ;  spä- 
ter Uva  ursi,    China,   Myrrhe  (s.  Blennorrhoea  vesicae).     In  bösarti- 
gen Fiebern  wende  man  die  gegen  colliquative  Blutungen  geeigneten  Mittel  an 
(s.  Febris  putrida).     2)  Bei  der  zweiten  Art  des  Mictus  cruentus  ist  die 
Harns ecretion  normal,  das  Blut  wird  dem  Urine  erst  in  der  Blase 
beigemischt.      In   diesem  Falle  coagulirt   und   präcipitirt   sich    das  Blut   aus 
dem  Urin   im  Uringlase.      Hier    entsteht  leicht  Harnverhaltung ,    indem   sich 
die  Blutpfröpfe  vor  den  Schliessmuskel  der  Blase  legen,  was  selbst  das  Ein- 
bringen   des   Katheters    schwierig   machen    kann.      Verweilt   das    coagulirte 
Blut  länger  in  der  Blase,  so  wird  der  Cruor  vom  Urine  ausgewaschen,  der 
fibröse  Theil  bleibt  zurück,  und  geht  er  durch  die  Urethra  ab,  so  erscheint 
das  Blut  weisslich    in  Gestalt   eines  Wurms,    was   schon   zu    dem   Irrthume, 
es  sey  ein  wirklicher  Wurm  abgegangen ,  Anlass  gegeben  hat.     Auch  in  den 
Nieren  kann  das  Blut  durch  Erschütterungen ,  Verwundungen ,   Nierensteine 
etc.  extravasiren  ,  wo  es  dann  gleichfalls  dem  Harne  nicht  ordentlich  beige- 
mischt ist.     Am  häufigsten  kommt  diese  Beimischung  durch  Blasenhämorrhoi- 
den,  durch  Blasensteine.     Bei  letztem  lassen  die  Kranken  oft  kaffeebraunen 
Harn,   der   auch   von  Beimischung   des  Blutes    herrührt.      Die    schmerzhafte 
Stelle  lehrt,  woher  das  Extravasat  kommt.     Cur.    Ist  die  der  Grundkrank- 
heit (s.  Lithiasis,   Haemorrhoides  vesicae  etc.).     Nach  den  Ursa- 
chen und  dem  Orte  der  Blutung  hat  man  noch  folgende  Arten  angenommen: 
Haematnrin  haemorrhoidniis ,   wenn  Blasenhämorrhoiden  Schuld  sind. 
Haemnturia  prostaticn ,  Stymntosis  prostaticn,  wenn  die  Blutung  aus  der 
Prosta^  kommt,  z.B.  als  Folge  übermässigen  Beischlafs  bei  sehr  geschwäch- 
ten Genitalien,    als  Folge  von  Krankheiten    der  Vorsteherdrüse,    wo   in  der 
Gegend  derselben  vorzüglich  Schmerz  empfunden  wird;   mitunter  ein  Nach- 
hall der  öfters  überstandenen  Gonorrhöe. 

UaemnUirin  renalis,  Nephrorrhayia ,  Haemorrhagia  renum,  Nierenblu- 
tung, die  häuligste  Art  des  Blutharnens.  Die  oft  bedeutenden  Nieren-  und 
Lendenschmerzen  nnd  der  Abgang  eines  meist  hellrothen ,  mit  Blut  innig  ge- 
mischten Urins ,  der  mit  einiger  Beschwerde  abgeht ,  lassen  das  Übel  leicht 
erkennen. 

Haematurin  seminalis ,  Stymatosis  seminalis ,  Blutung  aus  den  Sa- 
menbläschen. 

Hacmaturia  spuria  seu  simulatu ,  scheinbares  Blutharnen,  z.B.  wo 
der  Genuss  von  färbenden  Stoffen  den  Harn  roth  färbt  (s.  oben). 

Haemaluria  stiUatitia,  urethralis,  Stymatosis,  Hnemorrhngin  peni$  s- urc~ 
thrne,  Urelhrorrhagia ,  Phnllorrhagia  ,  Harn  r  ö  hren  b  In  t  un  g.  Ist  keine 
wahre  Hämaturie,  die  Blutung  entsteht  meist  unwillkürlich,  das  Blut  geht 
ohne  Drängen,  ohne  Schmerz  und  ohne  Harn,  oft,  nur  tropfenweise  ans  der 
Harnröhre  ab;  seine  Quelle  können  die  Urethra,  die  Prostata,  der  Hode 
oder  die  Samenbläschen  seyn.  Die  Krankheit  befällt  höchst  selten  Weiber, 
fast  immer  nur  Männer  wegen  der  bei  ihnen  längern  Harnröhre,  wo  zuwei- 
len an  einer  Stelle   ein   örtlicher  Schmerz,  selbst   mit  wollustähiilicUer  Em- 


HAEMATUS  —  HAEMIDROSIS  921 

pfindung  und  Erectio  penis,  vorhanden  ist.  Die  Blutung  ist  in  der  Regel 
gering.  1)  Ist  der  Sitz  die  Harnröhre  (Urethrorrhagia)  ,  so  fehlen  die  Zu- 
fälle der  Hämaturie  in  der  Blase  oder  den  Nieren,  das  Blut  fliesst  unwill- 
kürlich ab;  daher  auch  im  Schlafe  und  bei  erschlafftem  Penis,  nie  bei  Ere- 
ctionen.  Das  Übel  kann  wochenlang  dauern  und  rührt  häufig  von  Hämor- 
rhoiden und  vom  Tripper,  von  scharfen  Aphrodisiacis  her.  Cur.  In  den 
meisten  Fällen,  wenn  keine  Entzündung  da  ist,  innerlich  Mineralsäuren  mit 
Opium.  Mit  äussei'lich  stopfenden  Mitteln  sey  man  vorsichtig,  besonders 
•wenn  Hämorrhoiden,  organische  Fehler  der  Prostata  Schuld  sind.  Waren 
scharfe  Mittel  Ursache,  so  passen  schleimige  und  ölige  Mittel.  Ist  die  Blu- 
tung aber  paralytischer  Art,  z.  B.  bei  Scorbut,  Febris  putrida,  oder  aus 
reiner  Atonie  der  Genitalien  entstanden,  so  passen  kaltes  Baden  der  Geni- 
talien, kalte  Injectionen  von  Solutio  sacch.  saturni,  aluminis ,  vitrioli  albi, 
von  Aqua  Goulardi.  2)  Ist  die  Blutung  am  äussern  Penis  durch  Verwun- 
dungen etc.  entstanden  (Phallorrhagia) ,  so  muss  man  diese  nach  den  Regeln 
der  Chirurgie  behandeln  (s.  Vulnus  penis).  3)  Bei  Stymatosis  seminalis 
kommt  blos  mit  oder  gleich  nach  Ejaculatio  seminis  das  Blut.  Ausschwei- 
fende Jünglinge ,  wollüstige  Haeraorrhoidarii  und  Solche,  die  an  organischen 
Fehlei'n ,  besonders  Geschwüren  der  Samenbläschen  leiden ,  haben  die  meiste 
Anlage  dazu.  Cur.  Wir  behandeln  die  Blutupg  nach  ihrem  verschiedenen 
Charakter  und  ihren  Complicationen.  Allgemeine  stärkende  Mittel  in  Ver- 
bindung mit  örtlichen  Bädern  und  Enthaltsamkeit  geben  den  geschwächten 
Theilen  wiederum  den  gehörigen  Grad  von  Kraft. 

Haematuria  testicularis,  Stynintosis  tcsticulnris ,  Hodenblutung. 

Uaemnturia  ureterica ,  Harnleiterblutung.  Kann  als  wahres  Blut- 
harnen vom  Reiz  und  Druck  eines  durch  die  Harnleiter  gedrängten  Nieren- 
steins entstehen.  Strangurie  und  Schmerz  ia  der  Lendengegend  nach  dem 
Laufe  der  Ureteren  sind  Symptome  derselben  (s.  Lithiasis). 

Hnemntiiria  vesicalis,  Cyslorrhagin  seu  Hnemorrhngin  vesicne  urinnriae, 
H  a  r  n  b  1  a  s  e  n  b  1  u  t  u  n  g.  Ist  die  zweite  Art  des  Mictus  cruentus ,  wo  das 
Blut  dem  normal  secernirten  Urine  beigemischt  ist ,  oft  als  Fasern ,  Schleim, 
Fleischklümpchen  abgeht,  sich  im  Urine  zu  Boden  setzt,  coagulirt,  und 
wobei  Schmerzen,  Cystospasmus ,  Strangurie,  selbst  Urinverhaltung  beob- 
achtet werden  (s.  oben). 

Haeinatus,  Blutergiessung  in  das  innere  Ohr,  s.  Haemorrhagia. 
Haemaxis.    Ist  Blutlassen,  Schröpfen. 

Maeiuidrosis ,  Hnemorrhngia  per  cutem  illaesam ,  das  Blut- 
schwitzen. Ist  Transsudation  eines  aus  kranken  Hautgefässen  ergosse- 
nen Blutes  durch  die  unverletzte  Oberhaut;  eine  Blutsecretion,  die  nur  sel- 
ten vorkommt,  meist  partiell:  im  Gesichte,  an  der  Brust,  an  den  Fingern, 
Zehen,  in  der  Dorsal-  oder  Volarfläche  der  Hand,  an  der  Fusssohie,  weit 
seltener  an  der  gesammten  Hautoberfläche.  Ursachen.  Gewöhnlich  ists 
ein  vicariirender  oder  constitutioneller  Blutfluss,  der  am  häufigsten  bei  Wei- 
bern vorkommt  und  die  Stelle  der  Menses  vertritt,  wo  er  dann  den  vierwö- 
chentlichen Typus  hat.  Zuweilen  folgt  er  auf  deprimirende  Gemüthsaffecte, 
auf  hohen  Grad  von  Furcht,  Angst,  Schreck,  wie  uns  denn  die  Geschichte 
einzelner  christlicher  Märtyrer  erzählt,  dass  sie  unter  den  von  römischen 
Kaisern  und  Christenverfolgern  ihnen  verhängten  langsamen  Todesstrafen 
mitunter  Blut  geschwitzt  haben  sollen.  In  bösartigen  putriden  Fiebern  ist 
das  Blutschwitzen  als  Folge  eines  hohen  Grades  von  Blutkrasis  der  Vorbote 
des  nahen  Todes,  und  dann  zeigen  sich  gleichzeitig  andere  passive  Blutun- 
gen, z.  B.  aus  Nase,  Lungen,  After  etc.  (s.  Febris  putrida).  Dia- 
gnose. Ist  leicht.  Man  sieht  die  Haut  mit  einem  blutigen  Thau  bedeckt, 
wischt  man  diesen  weg,  so  tritt  bald  darauf  aufs  Neue  wieder  Blut  hervor. 
In  seltenen  Fällen  schwitzte  der  Mensch  aber  kein  Blut,  sondern  rothen 
Schweiss  auf  den  Genuss  von  Rothwein  (^Bartholinus) ,  sowie  wir  denn  auch 
wissen,  dass  nach  dem,  neuerlich  von  Dr.  v.  Stahly  jun.  gegen  Epilepsie 
und_andere  Neurosen  empfohleneu  Innern  Gebrauche  des  Indigo  der  Kranke 


922  HAEMISCHESIS  —  HAEMORRHAGIA 

blauen  Schweiss  bemerkt.  Prognose.  Ist  bei  Solchen,  wo  der  Blutr 
schweiss  partiell  ist  und  für  die  Menses  yicariirt,  gut;  schlimmer  ist  das 
nach  deprimirenden  Affecten  entstandene  Übel,  am  schlimmsten,  wenn  es  zu 
Febris  putrida  tritt.  Ist  es  Folge  heftiger  Anstrengungen ,  z.  B.  nach  Con- 
vulsionen,  so  hat  es  nicht  viel  zu  bedeuten  (Äicm).  Cur.  Bei  vicarHren-i- 
dem  Blutschweisse  regulire  man  die  retenten  oder  unterdrückten  Menses  (s. 
Menstruatio  retenta,  suppressa),  bei  der  nach  Schreck  etc.  ent- 
standenen Krankheit  dienen  Opium,  Wein  und  andere  Antispasmodica ,  bd 
Blutschwitzen  in  Folge  bösartiger  Fieber  äusserlich  Waschungen  mit  kaltem 
Wasser,  Wein,  innerlich  Kampher,  Arnica  etc.  In  altern  Schriften  finden 
wir  mehrere  Beispiele  periodischer ,  örtlicher  und  allgemeiner  Hamid rosen. 
S.  Acta  med.  Berolinens.  Dec.  I.  Tom.  IV.  Cap.  3.  BarthoUnits ,  Histor. 
anat  rar.  Cent.  I.,  hist.  13,  Cent.  IV. ,  bist.  62.  Pezold,  Observ.  med.  chir. 
select.  Obs.  64.  Fliitius ,  Hist.  natural.  Libr.  3,  cap.  19,  Tom.  I.  p.  620. 
Auch  Karl  IX.  wurde  vor  seinem  Tode  von  einem  aligemeinen  Blutschweisse 
befallen  (s.  Dict.  des  sciences  medicales;  T.  XX.  p.  34;4-). 

Haemischesis«  Ist  Verhaltung  eines  normalen  oder  sonst  nothi- 
gen  Blutabganges. 

Haeinodia,  Hehetudo  dentium,  das  sog.  Stumpfs eyn,  Empfind- 
lichseyn  der  Zähne,  wie  nach  dem  Genüsse  von  Säuren,  von  saurem 
Obste.  Abreiben  der  Zähne  mit  pulverisirter  Kreide,  Krebsaugen,  Magnesia 
etc.  hilft  dem  Übel  schnell  ab. 

Ifaeinopbo1>ia,  Blutscheu,  s.  Haematophobia. 

Hacmophthalinos 9  s.  Haemalops. 

Kaeinoptye^is ,  Blutspeien,  s.  Haemorrhagia  pulmonum^ 

Haemorinefsiis«  s.  Co  n gestio. 

Haeinorrhag^ia  ,  Haemorrhoea  ,  Profusio  sanguinis ,  B 1  u  t  f I  u  9  s , 
Hämorrhagie,  Blutung.  Wir  verstehen  darunter  jeden  Austritt  des 
Blutes  aus  den  Blutgelassen,  Nicht  jede  Blutung  ist  etwas  Krankhaftes; 
es  giebt  auch  physiologische  Blutungen,  wie  es  solche  Congestionen  giebt 
(die  normale  Menstruation ,  der  Lochialfluss ,  die  Turgescenz  des  Uterus 
kurz  vor  den  Regeln,  die  Turgescenz  des  Penis  bei  der  Erection,  die 
Schamröthe  etc.).  Eigentlich  ist  jeder  Blutttuss  für  sich  keine  Krankheit 
zu  nennen,  er  ist  nur  das  Symptom  eines  krankhaften  Zustandes  der  blu- 
tenden Gefdsse  oder  des  ganzen  Gefässsystems ,  und  hat  nicht  selten  ört- 
liche oder  allgemeine  Störungen  in  den  Functionen  der  leidenden  Organe  zur 
Folge.  Ausser  der  Menstrual-  und  Lochialblutung  rechnen  Manche  auch 
den  Hämorrhüidalfluss  zu  den  normalen  Blutungen.  Da  aber  dieser,  mag  er 
immerhin  für  den  Kranken  wohlthätig  seyn,  nur  das  Symptom  der  Hämor- 
rhoidaldyskrasie  ist ,  so  gehört  er  ebensowol  als  die  kritischen  Blutungen 
bei  der  Synocha  in  die  Pathologie.  Diagnose  der  Blutungen.  Ist  nur  bei 
Innern  Blutungen  sch\^ierig,  besonders  wenn  sie  in  den  Höhlen  des  Körpers 
ohne  Ausweg  nach  Aussen  stattfinden.  Die  Vorboten ,  die  den  meisten  Blu- 
tungen vorhergehen  und,  bei  bedeutender  innerer  Blutung,  die  Zeichen  des 
Blutverlustes:  Gesichtsblässe,  kalte  Glieder,  Ohnmächten,  sehr  kleiner, 
schwacher  Puls  etc.  müssen  hier  leiten.  Symptome  der  Blutungen  im 
Allgemeinen.  Häufig,  besonders  bei  activen  Blutungen,  gehen  Vorboten  vor- 
her, die  sich  durch  die  Zeichen  der  Congestion  und  des  Erethismus,  durch 
Gefühl  von  Druck,  Schwere,  Jucken  und  Prickeln  im  leidenden  Theile, 
durch  erhöhte  Temperatur,  Röthe,  Geschwulst,  Gefühl  von  Klopfen  und 
Spannung,  durch  unruhigen,  Iraumvollen  Schlaf ,  Schwindel,  schwere  Träu- 
me etc.  zu  erkennen  geben  (s.  Congestio,  Erethismus,  Plethora). 
Der  Blutfluss  selbst,  das  Hauptsymptom  der  Krankheit,  erfolgt,  wenn  die 
genannten  Vorboten  ihre  Höhe  erreicht  haben.  Die  Farbe  des  ausflies.sen- 
den  Blutes  ist  bei  Verletzung  von  Gefässen  an  den  obern  Theilen  des  Kör- 
pers und  bei  verletzten  Arterien  melrr  hellroth,  aus  Venen,  au  untern  Thei- 
len  des  Körpers  und   bei   längerm  Aufenthalt  in   Höhlen   mehr  dunkel   und 


HAEMORKHAGIA  Ö23 

schwärzlich;  z.  B.  bei  Morbus  niger,  bei  Metrorrhagia  habitualis.  Ausser- 
dem sind  die  Zufalle  nach  dem  Orte  der  Blutung  sehr  verschieden,  bei 
Haematencephalon  Betäubung,  Sopor,  Apoplexie,  Paralyse;  bei  Haemopty- 
sis  Husten ,  Räuspern ,  Bruststiche ,  Asthma ;  bei  Vomitus  cruentus  Druck 
und  Spannung  in  der  Herzgrube ,  Übelkeit ,  Erbi-echen ,  Ohnmächten  etc. 
Auch  die  Quantität  des  Blutverlustes,  die  Wichtigkeit  des  blutenden  Organs, 
der  verschiedene  Charakter  der  Blutungen ,  das  Alter  und  die  Constitution 
des  Kranken,  der  schnellere  oder  langsamere  Blutverlust,  welche  Umstände 
auch  die  Prognose  begründen,  modificiren  die  Zufälle  mannigfaltig.  Män- 
ner von  mittlem  Jahren,  von  plethorischer,  robuster  Constitution  ertragea 
einen  schnellen  und  grossen  Blutverlust  noch  am  leichtesten.  Weiber  in  der 
Decrepitätszeit  können  dagegen  den  grössten  Blutverlust,  wenn  er  nur  all- 
mälig  stattfindet,  ohne  grossen  Schaden,  und  leichter  als  Männer  ertragen. 
Beträgt  die  Quantität  eines  schnellen  Blutverlustes  mehrere  Pfunde ,  so  kann 
der  Tod  entweder  auf  der  Stelle  unter  allen  Zeichen  der  Oligämie  (Ge- 
sichtsblässe, schwacher,  matter,  höchst  kleiner,  intermittirender  Puls,  kalte 
Schweisse,  Ohnmächten,  Krämpfe)  eintreten,  oder  es  erfolgen  andere  schlim- 
me Zufälle  durch  die  gesunkene  Lebenskraft  im  Nervensystem ,  im  irritablen 
und  productiven  Systeme,  wo  wegen  grosser  Störung  in  der  Niitrition,  As- 
similation und  Sanguification  Febris  lenta,  Kachexien,  besonders  Chlorosis 
und  Hydrops  den  Kranken  späterhin  tödten.  Eintheilung  der  Blutungen. 
Ist  sehr  mannigfaltig,  je  nachdem  der  bald  mehr,  bald  weniger  für  die  Kli- 
nik wichtige  Eintheilungsgrund  nach  Entstehung,  Charakter  und  Localität 
der  Bluttiüsse  dabei  berücksichtigt  worden  ist.  1)  Haemorrhagia  per  Ana~ 
stomosin.  Hier  geht  das  Blut  in  solche  Gefässe  über,  die  im  normalen  Zu- 
stande kein  Blut  führen,  z.  ß.  in  secernirende  Gefässe,  aus  welchen  es  als 
blutiges  Secret  abgeht.  Das  Blutharnen  und  der  Bluthusten  sind  häufig  die- 
ser Art,  und  wir  finden  fast  immer  Anomalien  in  der  Structur  dieser  Theile 
(s.  Haematuria,  Haemorrhagia  pulmonum).  2)  Haemorrhagia  per 
Dinpedesin.  Die  Blutungen  vom  Durchschwitzen  des  Blutes,  welche  die  Al- 
ten zu  viel  statuirten,  sind  sehr  selten;  häufiger  sind  es  blutige  Secretio- 
nen.  Nur  bei  Paralyse ,  in  bösartigen  Fiebern  finden  kurz  vor  dem  Tode 
wahre  Haemathidrosen  statt,  3)  Haemorrhagia  per  Rhexin  et  Diaeresin.  Ist 
diejenige  Blutung ,  wo  ein  Gefäss  durch  Dehnung  nach  Innen  oder  durch 
äussere  mechanische  Gewalt  zerrissen  ist.  4)  Haemorrhagia  per  Diabrosin^ 
Blutung  durch  Verätzen ,  Zerfressen  der  Gefässe ;  z.  B.  durch  scharfe  Mine- 
ralsäuren ,  auch  nicht  selten  durch  carcinomatöse  Jauche  ,  z.  B.  bei  Cancer 
oris,  mammae;  höchst  selten  wol  durch  gutartige  Eiterung.  5)  Haemor- 
rhagia interna  et  externa.  Erstere  kann  in  allen  Höhlen  des  Körpers,  vom 
Gehirn  bis  zu  der  Scheidenhaut  des  Hoden,  desgleichen  im  ganzen  Zellge- 
webe stattfinden  (Petechiae,  Vibices,  Sugillatio);  letztere  an  allen  äussern 
Theilen  des  Körpers  (s.  Ecchymosis).  6)  Haemorrhagia  arteriosa  et  ve- 
nosa.  Ihrer  ist  schon  oben  gedacht.  Nicht  jedes  dunkelrothe  Blut  kommt 
aus  Venen.  Bei  den  Innern  Blutungen  bekommt  auch  das  Arterienblut  eine 
dunkle  Farbe,  wenn  es  längere  Zeit  im  Körper  stockt  und  dadurch  carbo- 
nisirt  wird.  7)  Haemorrhagia  ex  causis  topicis  et  ex  causis  imiversalibus. 
Dieser  Unterschied  ist  für  die  Praxis  sehr  wichtig  ;  denn  bei  ersterer  be- 
darf es  oft  nur  örtlicher,  bei  letzterer  ausserdem  stets  auch  innerer  allge- 
meiner Mittel.  Alle  kritische  und  nicht  kritische  Blutungen  in  Fiebern  ent- 
stehen aus  allgemeinen  Ursachen  (s.  Febris,  Febr.  infla  m  mato  ria, 
F.  putrida).  Auch  sind  in  der  Regel  alle  Metrorrhagien,  wenn  nicht  et- 
wa eine  Verwundung  oder  schwere  Geburt  vorherging ,  aus  allgemeinen 
Ursachen  abzuleiten.  Man  kann  hier  auch  eine  Haemorrhagia  mixta  unter- 
scheiden; wo  nämlich  allgemeine  Anlage  zu  Blutungen  stattfindet,  ein  Theil 
aber  besonders  krank  und  schwächlich  ist ,  an  weichem  daher  vorzugsweise 
die  Blutung  eintritt.  So  z.  B.  ist  der  Bluthusten ,  besonders  wenn  er  bei 
Habitus  phthisicus  erfolgt,  oft  eine  solche  Blutung  gemischter  Art.  8)  Hae- 
morrhagia periodica.  Periodisch  eintretende  Blutungen  aus  verschiedenen  Or- 
ganen hängen   häufig  mit  Anomalien   der  Menstruation  zusammen ;    so  z.  B. 


924  HAEMORRHAGIA 

bekommen  Frauenzimmer  bei  Menstruatio  retenta  et  suppressa  zuweilen  al- 
ler vier  Wochen  Nasenbluten ,  Bluthusten  etc.  Auch  der  Hämorrhoidalblut- 
fluss  hat  bei  Männern  zuweilen  etwas  Periodisches  (s.  Ha  emor  r  hoides). 
9)  Von  der  grössten  Wichtigkeit  ist  die  Eintheilung  der  Blutungen  nach  ih- 
rem verschiedenen  Charakter.  Hier  unterscheiden  wir  a)  Hnemorrhngin 
activa,  sthenica,  hypersthenicn ,  synochica,  irrilabilis,  Blutung  aus  Übermass 
■von  Saft  und  Kraft,  entstanden  durch  active  Congestion,  gutes  Leben, 
wohlgenährten  Körper,  durch  rein  entzündliche  Fieber  etc.  b)  Haemorrhagia 
erethisticn,  durch  Erethismus  der  Blutgefässe  entstanden ,  z.  B.  bei  Habitus 
phthisicus,  bei  Kindern,  sensiblen  Frauenzimmern,  schwächlichen,  sanguini- 
schen Jünglingen,  c)  Haemorrhagia  passiva,  asthe7iica,  typhosa,  paralylica, 
Blutung  aus  Schwäche,  passiver  Congestion,  aus  Mangel  an  Lebenskraft, 
aus  Doppelschwäche,  z.  B.  bei  Febr.  putrida  im  Stadium  der  Colliquation, 
im  hohen  Grade  verschiedener  Kachexien,  des  Scorbuts,  der  symptomati- 
schen Petechien,  der  Blutfieckenkrankheit  etc.  10)  Haemorrhagia  haeredi- 
taria,  Blutung  aus  erblichen  Ursachen,  Nach  der  Erfahrung  giebt  es  zu- 
weilen sogenannte  Bluterfamilien,  wo  alle  Mitglieder  derselben  an  Blu- 
tungen leiden  und  oft  bei  geringen  äussern  Verletzungen ,  besonders  aber 
beim  Ausziehen  eines  Zahns,  durch  Verblutung  ihren  Tod  finden,  weil  es 
den  Blutgefässen  an  natürlicher  Contractionskraft  fehlt  und  man  daher  die 
Blutung  oft  gar  nicht  stillen  kann.  Ausserdem  kann  man  auch  eine  erbliche 
Disposition  zu  Blutungen  aus  verschiedenen  Organen,  besonders  zu  Vomitus 
cruentus,  Haemoptysis  und  Haemorrhoides  fluentes  annehmen,  da  die  Er- 
fahrung solche  in  einzelnen  Familien  nachweist,  wo  alle  Glieder  in  den  ver- 
schiedenen Lebensperioden  daran  leiden,  sowie  es  auch  Familien  giebt,  wo 
alle  Mitglieder  ihren  Tod  an  Apoplexie  finden.  11)  Haemorrhagia  simpIex 
et  composila.  Ist  eine  ausser  wesentliche ,  zum  Eintheilungsgrund  benutzte 
Differenz  der  Blutungen.  Die  Haem.  compositae  kommen  am  häufigsten  bei 
Fiebern  und  Entzündungen,  bald  kritisch,  bald  symptomatisch,  bald  mit 
dem  synochischen,  bald  mit  dem  erethistischen  oder  paralytischen  Charakter 
■vor.  12)  Haemorrhagia  vicaria  et  non  vicaria.  Hierher  gehören  die  Fälle, 
wo  z.  B.  Hämorrhoiden  vicariirend  für  die  Menstruation  erscheinen,  und 
umgekehrt,  wo  Nasensenbluten ,  Bluthusten  stellvertretend  für  Menses,  für 
Haemorrhoides  fluentes  auftreten ,  wo  für  die  Menstruation  periodisch  Blu- 
tungen aus  den  Fingerspitzen ,  den  Brustwarzen ,  aus  der  Haut  erfolgten. 
Ursachen  der  Hämorrhagien.  Sie  gehen  zum  Theil  schon  aus  der  auf- 
geführten Eintheilung  hervor.  Prädisposition  geben  erbliche  Anlage ,  eine 
hervorstechende  erhöhte  Reizbarkeit  des  Gefässsystems,  die  angeboren,  er- 
erbt oder  acquirirt  seyn  kann,  Deformitäten  des  Thorax  und  organische 
Fehler  der  Lungen,  des  Herzens,  Obstructio  hepatis,  lienis.  Jünglinge  und 
Männer  sind  den  Blutungen  mehr  unterworfen  als  Greise.  Da  die  Conge- 
stion während  der  verschiedenen  Lebensperioden  vom  Kopfe  zur  Brust,  und 
von  da  zum  Unterleibe  geht;  so  leiden  Kinder  auch  am  häufigsten  an  Na- 
senbluten, Jünglinge  an  Blutspeien,  Männer  an  Hämorrhoiden.  Was  die 
Körperconstitution  und  das  Temperament  betrifft,  so  sind  robuste,  vollsaf- 
tige und  gutgenährte  Subjecte,  Sanguiniker  zu  activen  Blutflüssen,  schwa- 
che, reizbare  Kinder ,  Frauen  und  Jünglinge  zu  den  erethistischen,  schwam- 
mige, torpide  Phlegmatiker  aber  zu  den  passiven  Hämorrhagien  disponirt. 
Dass  manche  Blutflüsse  häufiger  als  andere  vorkommen ,  z.  ß.  Nasenbluten 
öfter,  als  Blutbrechen,  dies  liegt  theils  in  dem  verschiedenen  Bau  der  Or- 
gane, in  dem  Verhältniss  der  Menge  der  kleinern  Blutgefässe  zu  den  grös- 
sern, theils  in  der  Beziehung  ,  in  welcher  gewisse  Orgaue  in  bestimmten  Pe- 
rioden des  Lebens  zum  ganzen  Organismus  stehen  (Ausbildung  des  Kopfs, 
der  Brust,  der  Geschlechtssphäre  in  der  Evolution).  Auch  eine  hervorste- 
chende, erhöhte  Reizbarkeit  in  den  Gefassen  einzelner  Organe  trägt  dazu 
bei,  z.  B.  das  Blutspeien  bei  Schs\indsüchtigen,  die  Metrorrhagie  bei  reiz- 
baren hysterischen  Weibern  entstehen  mit  aus  dieser  Ursache;  sowie  denn 
auch  manche  Einflüsse  specifisch  gewisse  Organe  zu  reizen  und  in  ihnen 
Congostionen  und  Blutungen  hervorzurufen  im  Stande  sind;  so  z.  B.   erre- 


HAEMORRHAGIA  925 

gen  Kanthariden  oft  Hämaturie,  Onanie  und  übermässiger  Coltus  Metror- 
rhagie etc.  Gelegenheitsursachen  sind  dieselben  der  Congestion.  Schneller 
Temperaturwechsel ,  Alles ,  was  die  Blutcirculation  beschleunigt :  heftige 
Körperbewegungen ,  Gemüthsbewegungen ,  hitzige  Getränke ,  reizende  Nah- 
rung ,  erhitzende  Arzneien :  Juniperus ,  Ol.  cajeputi ,  terebinth. ,  Sassafras, 
Sabina ,  Balsame  etc. ;  Alles ,  was  als  äussere  oder  innere  Ursache  den  Blut- 
umlauf hemmt :  enge  Kleidungsstücke ,  organische  Fehler  der  Gefässe ,  Druck 
grosser  Geschwülste  auf  einzelne  Blutgefösse ;  plötzliche  Entfernung  der  äus- 
sern Unterstützung  der  Gefässe,  wie  nach  plötzlich  vermindertem  Druck  der 
Atmosphäre,  wie  die  passive  Metrorrhagie  nach  einer  zu  schnellen  Geburt. 
Ferner  geben  Gelegenheitsursachen:  Unterdrückung  gewohnter  activer  Blu- 
tungen, der  Menses,  der  Haemorrhoides  fluentes,  Krankheiten  des  Gefass- 
systems-,  Fieber  und  Entzündungen  (Arteriitis,  Phlebitis  bei  Fiebern);  end- 
lich alle  Schädlichkeiten ,  welche  direct  die  Organisation  der  Gefässe  zerstö- 
ren :  mechanische  Verletzungen ,  Hieb  - ,  Stich  - ,  Schusswunden ,  Verletzung 
der  Gefässe  per  Rhexin,  Diabrosin  et  Diaeresin.  Prognose  der  Blutun- 
gen. Wird  bestimmt  durch  den  Charakter  der  Blutung;  active  Hämorrha- 
gien  sind  besser  als  erethistische ,  diese  besser  als  paralytische;  ferner  durch 
Alter  und  Constitution  des  Kranken.  Verstimmung  der  Reizbarkeit  und  Ab- 
normitäten in  der  Verrichtung  des  Gefäss  -  und  Nervensystems  deuten  im 
Kindesalter  oft  schon  Dispositio  phthisica ,  im  Greisenalter  Apoplexie  an. 
Die  Quantität  des  Blutverlustes  bestimmt  nicht  immer  die  Gefahr,  unbedeu- 
tende Blutungen  des  Gehirns,  der  Lungen,  des  Magens  geben  eine  schlech- 
tere Prognose  als  bedeutender  Blutverlust  durch  Verwundungen,  bei  Nasen- 
bluten etc.  Auch  der  Umstand ,  ob  die  Hämorrhagie  kritisch ,  symptoma- 
tisch oder  vicariirend  ist,  darf  nicht  übersehen  werden.  Behandlung  im 
Allgemeinen..  Ist  theils  eine  klinische,  theils  eine  chirurgische,  bald  mehr 
eine  symptomatische,  bald  mehr  eine  radicale.  Die  einzelnen  Arten  der 
Blutungen  erfordern  bald  mehr  diese ,  bald  jene ,  bald  die  Verbindung  bei- 
der. Die  klinische  Cur  stützt  sich  auf  folgende  Indicationen:  1)  Hebung 
der  entfernten  Ursachen ;  2)  richtige  Behandlung  der  Blutung  nach  ihrem 
Charakter  als  Synocha ,  Erethismus  oder  Paralyse ;  3)  Berücksichtigung  der 
Organe,  worin  sie  stattfindet;  4)  Berücksichtigung  zufalliger  Differenzen 
und  Verhältnisse ,  unter  denen  sich  Blutungen  vorfinden  können.  Ad  1.  Die 
häufig  stattfindende  Plethora  können  wir  wol  für  den  Augenblick  durch 
Aderlässe  heben,  und  müssen  dies  in  dringenden  Fällen  thun.  Aber  die  zur 
Gewohnheit  gewoi'denen  Aderlässe  machen  die  Plethora  immer  schlimmer. 
Es  ist  daher  besser,  die  Bildung  der  Blutmenge  durch  magere  Kost,  viel 
Bewegung,  wenig  Schlaf  zu  hindern.  Bei  excedirender  Reizbarkeit  des  Ge- 
fässsystems  ohne  gleichzeitige  Energie  desselben  passen  besonders  Digitalis, 
Valeriana ,  laue  Bäder ,  kühlende ,  nährende  Diät ,  gelinde  eröffnende  Mittel, 
bei  hoher  Reizbarkeit  zuweilen  auch  eine  Dose  Opium  oder  Extr.  hyoscyami. 
Sind  Missbildungen  einzelner  Organe  da ,  so  können  wir  nur  palliativ  durch 
strenge  Diät  und  durch  von  Zeit  zu  Zeit  angestellte  Blutausleerungen  die 
Congestion  und  Disposition  zu  Blutungen  mindern.  Bei  erhöhter  Reizbarkeit 
einzelner  Organe,  z.  B,  der  Lungen,  des  Uterus,  macht  eine  strenge  Diät, 
zuweilen  etwas  Hy ose jamus,  Opium,  neben  kühlenden,  derivirenden  Mitteln 
die  Hauptsache  aus  (s.  Haemorrhagia  pulmonum,  uteri).  Daneben 
müssen  alle  die  Blutung  erregenden  oder  noch  unterhaltenden  besondern  Ein- 
flüsse :  schneller  Temperaturwechsel ,  drückende  Kleidung  etc.  beseitigt  wer- 
den. Ad  2.  Der  Gattungscharakter  der  Blutungen  wird  zwar  als  synochi- 
scher,  activer,  erethistischer  und  paralytischer,  ebenso  wie  die  Fieber,  be- 
stimmt. Das  Bild  einer  jeden  dieser  Blutungen  findet  sich  aber  ebenso  we- 
nig rein  in  der  Natur,  als  das  Bild  des  rein  inflammatorischen,  des  ent- 
zündlich-nervösen und  putriden  Fiebers,  kann  daher  auch  nur  als  Schema 
dem  Arzte  dienen  (s.  unten  die  Gattungen  der  Hämorrhagien).  Ad  3.  Noth- 
wendig  ist  die  Berücksichtigung  des  blutenden  Organs,  theils  weil  letzteres 
mitunter  den  Charakter  der  Blutung  bestimmt,  theils  weil  von  dem  Organe 
und  seiner  alienirten  Function   manche  Symptome  abhängen,   die  der  Arzt 


926  HAEMORRHAGU 

entfernen  muss ,  und  ausserdem  manche  Mittel  gegera  einzelne  Arten  dei 
Blutung  specifisch  -wirken.  So  z.  B.  muss  bei  Haemoptysis  auch  der  die 
Schliessung  der  blutenden  Gefässe  hindernde  Husten,  bei  Vomitus  cruentus 
aus  gleichem  Grunde  das  Erbrechen  berücksichtigt  werden.  Bei  Metror- 
rhagie wirkt  Tinct.  cinnamomi  specifik,  bei  Epistaxis  der  Kinder  vermeiden 
wir  das  bei  erethistischen  Hämorrhagien  sonst  so  schön  wirkende  Opium, 
weil  es  hier  besonders  die  Congestionen  zum  Kopfe  vermehrt.  Hier  wirken 
ganz  besonders  die  Säuren,  vorzugsweise  die  Aqua  oxymuriatica ,  ^ß  in  svj 
Aqua  destillata,  so  herrlich.  Ad  4.  Das  Verhältniss  der  Blutung  zu  andern 
Übeln  ist  gleichfalls  nicht  zu  übersehen.  Kritische  Blutungen  dürfen  weder 
unterdrückt,  noch  gestopft  werden;  auch  die  vicariirenden,  relativ  heilsamen 
nur  erst  dann,  wenn  die  frühere  Blutung  wiederhergestellt  ist.  Symptoma- 
tische, nicht  kritische,  paralytische  Blutungen  müssen  wir  so  schnell  als 
möglich  stopfen ,  da  hier  die  Kräfte  sonst  schnell  sinken  und  das  Übel  lang- 
wieriger und  schlimmer  wird ,  wenn  anders  auch  das  Leben  erhalten  wurde.  — 
Von  grossem  Nutzen  sind  ableitende,  revulsorische  Mittel  bei  Blutungen  acti- 
ver  Art.  Dahin  gehören  1)  Blutausleerungen  an  entfernten  Stellen,  die  bei 
den  Vorboten  der  Krankheit  und  zu  Anfange  derselben  das  Meiste  leisten. 
Hier  kann  der  Aderlass  weder  durch  Blutegel,  noch  durchs  Schröpfen  er- 
setzt werden;  z.  B.  bei  Menstruatio  und  Haemorrhois  suppressa,  bei  den 
Vorboten  des  Abortus  und  der  daher  rührenden  Metrorrhagie ,  bei  Epistaxis, 
Haemoptysis  und  andern  Blutungen  oberhalb  des  Zwerchfells.  2)  Abfüh- 
rungen. Sie  passen  auch  nur  bei  activen  Blutungen  und  bei  denen,  wo 
Blutausleerungen  angezeigt  sind;  besonders  aber  bei  gastrischen  Symptomen, 
bei  gleichzeitiger  Obstructio  alvi  und  daher  entstandener  Congestion  zum 
Kopfe  und  zu  den  Lungen ,  doch  können  sie  den  Aderlass  nie  ersetzen.  Die 
kühlenden  Purgirsalze  passen  nicht  bei  Abdominalblutungen;  nur  bei  Me- 
laena  geben  wir  wol  Tamarinden  und  Manna ;  doch  nicht  als  ^e^'ulsorische, 
sondern  als  ausleerende  Mittel ,  um  das  coagulirte  Blut  aus  den  Gedärmen 
zu  entfernen.  3)  Vesicatorien  und  trockne  Schröpfköpfe ,  warme  Umschläge 
und  Localbäder  an  die  mit  dem  blutenden  Organe  in  Antagonismus  stehen- 
den Theile,  z.  B.  bei  erethistischem  Nasenbluten,  bei  solcher  profuser  Men- 
gtruation  an  die  untern  Gliedmassen.  4)  Kleine  Dosen  Ipecacuanha  und 
Tart.  emeticus.  —  Die  äussere  Behandlung  der  Blutflüsse  besteht  in 
der  Stopfung  der  Hämorrhagie  durch  äussere  Mittel.  Dass  nicht  alle  Blu- 
tungen plötzlich  gestopft  werden  dürfen ,  dass  viele  kritisch  sind  und  die 
Plethora  und  Congestion  heben,  ist  bekannt.  Nur  da,  wo  örtliche  Ursa- 
chen, mechanische,  örtliche  Verletzung  der  Gefässe  vorhergingen;  da,  wo 
die  Blutungen  in  wichtigen,  edlen  Organen  (Lungen,  Gehirn)  stattfinden, 
wo  sie  heftig  sind  und  die  Zufälle  der  Depletion  herbeiführen,  wo  sie  den 
paralytischen  Charakter  an  sich  tragen  (colliquative  Blutflüsse  in  Febris  pu- 
trida  etc.) ,  sind  die  stopfenden  Mittel  dringend  indicirt.  Letztere  wirken 
dadurch,  o)  dass  sie  einen  Blutpfropf  bilden,  wodurch  der  Austritt  des 
Bluts  aus  dem  Gefässe  verhindert  wird ,  &)  indem  sie  die  Contraction  in  den 
blutenden  Gefässmündungen  erhöhen  und  so  die  Öffnung  der  Gefässe  ver- 
gchliessen,  c)  endlich  dadurch,  dass  sie  den  Zufluss  des  Blutes  zur  bluten- 
den Stelle  unterbrechen.  Zu  den  ersten  gehören  klebende  Mittel:  Amylura, 
Gummi  arab. ,  Charpie ,  Schwamm,  auch  Ätz-  und  Brennmittel.  Zu  der 
zweiten  Art  rechnen  wir  alle  Adstringentia:  kalte  Luft,  kaltes  Wasser,  Es- 
sig, Foment.  frigida  Schmuckeri ,  Eis,  Schnee,  in  Form  von  Umschlägen, 
Einspritzungen;  desgleichen  verdünnte  Mineralsäuren,  Bolus,  Lapis  haema- 
tites  ,  Terra  catechu ,  bei  paralyti.';chen  Blutungen  besonders  die  verdünnte 
Schwefelsäure  etc.  Zu  den  mechanisch  stopfenden  Mitteln  gehört  besonders 
der  äussere  Druck ,  Compression  des  blutenden  Theils  oder  der  Hauptader 
desselben  durchs  Tourniquet,  die  Unterbindung  der  Gefässe  durch  die  Li- 
gatur und  bei  Arterienblutung  die  neuerlich  sehr  empfohlene,  der  Ligatur 
noch  vorzuziehende  Torsion  der  Arterie,  die  darin  besteht,  dass  man  das 
blutende  Gefäss  blosslegt,  mit  einer  Pincette  anfasst,  und  diese  dann  12 — 
20mal  umdreht,  bis  die  Pincette  vom  zugedrehten  Gefässe  abspringt.     Herr 


HAEMORRHAGIA  927 

Dr.  Fric7:e,  Vorsteher  des  Hamburger  allgem.  Krankenhauses,  welcher  im 
Jahre  1831  die  Güte  hatte,  mir  dort  mehrere  Amputirte  zu  zeigen,  versi- 
cherte, dass  er  die  Torsion  stets  mit  Nutzen  angewandt  habe.  Dagegen 
ist  die  Ligatur  zur  Heilung  von  Aneurysmen  oft  ganz  unentbehrlich  (s.  G. 
L.  Dielerich'.  Das  Aufsuchen  der  Schlagadern  behufs  der  Unterbindung  etc. 
Nürnb.  1831). 

Gattungen  der  Hämorrhagien.  Da  alle  Blutungen,  sie  mögen 
heissen  wie  sie  wollen,  entweder  den  Charakter  der  Synocha,  oder  den 
des  Erethismus ,  oder  den  der  Paralyse  an  sich  tragen ,  welcher  Umstand  bei 
der  Behandlung  von  grösster  Wichtigkeit  ist;  so  giebt  dies  ein  vollkommnes 
Recht,  darnach  die  Blutungen  in  drei  verschiedene  Gattungen  einzutheilen. 

I.  Hnemorrhauin  synochica,  activa,  sthenicn,  Blutung  mit  dem  Cha- 
rakter der  Synocha.     Symptome.     Die  Vorboten  der  Congestion  sind 
hier  am  deutlichsten  (s.  oben);  Unruhe,  Schlaflosigkeit  oder  grosse  Neigung 
zum  Schlaf,    schreckhafte  Träume,   dabei   etwas    Febrilisches,    abwechselnd 
Frost  und  Hitze,    vermehrter,    frequenter,    harter,    voller  Puls,    doch  nicht 
so  frequent,  aber  voller,  wogender  als  bei  sthenischen  Entzündungen ,  häutig 
auch  Pulsus  dicrotus;   rother  Urin,  Druck,    Schwere,  Hitze,  Jucken  in  den 
Theilen,  aus  welchen  die  Blutung  erfolgen  wird,  oft  Röthe,  vermehrtes  Vo- 
lumen,   höhere  Temperatur   derselben.      Die   Blutung   selbst   erfolgt,    sowie 
diese   Prodromi    den   höchsten    Grad    erreicht   haben.      Diagnose.     Active 
Blutungen  erfolgen  am  häufigsten  bei  robusten,  gut  genährten,  vollsaftigen, 
starken,   kräftigen  Personen   mit  Habitus   apoplecticus  und   im   mittlem  Le- 
bensalter,   besonders   bei  vorherrschender  Diathesis   inflammatoria ,    bei   dem 
Wechsel  der  Jahreszeiten,  bei  trocknen  Ostwinden,  bei  plötzlichem  Tempe- 
raturwechsel,   Luftveränderungen,    zumal   wenn   heftige  Körperbewegungen, 
hitzige  Speisen  und  Getränke,  starke  Biere,  Wein,  reizende  Arzneien,  Ge- 
müthsbewegungen,  heftiges  Tanzen  bei  enger  Kleidung  etc.,  kurz  Alles,  was 
Congestion  und  Orgasmus  im  arteriellen  Systeme  erregt,  hinzukommen.    Auch 
die  Kindernatur   neigt   zu  activen  Blutungen ,    besonders  Nasenbluten ;    aber 
es  verhält  sich   hier  ebenso  wie   bei   inflammatorischen  Fiebern.      Der  syno- 
chische  Charakter   ist   nicht   dauernd ,    hält   meist   nur   kurze  Zeit   an ,    der 
Blutfluss   selbst  hebt  ihn,   und  alle  heftig  eingreifenden  Mittel,    sowol  anti- 
phlogistische als   reizende,    sind   hier   doppelt   schädlich ;    eine   negative  Be- 
handlung, passives  Verhalten,  Entfernung  aller  schädlichen  Einflüsse,  Ver- 
meidung  der  stopfenden  Mittel,    wenn   nicht  Indicatio  vitalis   da  ist,    kühle 
Luft,  magere  Diät  sind  besonders  zu  empfehlen.     Die  activen  Blutungen  fin- 
den wir  bei  vorwaltender  Reizbarkeit   des  Gefässsystems ,    bei  Diathesis   in- 
flammatoria,   bei    gleichzeitiger  normaler,    oft  selbst   excessiver  Energie  de» 
Blutgefässsystems.     Cur.     Strenge   antiphlogistische  Diät,    derivirende  küh- 
lende Mittel   beseitigen  am  besten  die   prädisponirenden  und  erregenden  Ur- 
sachen   dieser  Blutungen,    indem    sie   den  subinflammatorischen  Zustand   der 
Gefässe   und   die    Congestion    heben.      Präservirende   Aderlässe    nehme    man 
nicht  ohne  Noth  vor;    sie  sind  freilich,    wenn  der  Mensch   schon  daran  ge- 
wöhnt ist,    bei    drohenden  Zufällen,   z.  B.  bei  den  Vorboten    der  Apoplexia 
als   Haemorrhagia    cerebri ,    nothwendig ,    aber   man    suche   hinterher   durch 
strenge,  knappe  Diät,    .selbst  durch  Digitalis  mit  Crem,  tartari,    dabei  täg- 
lich recht  vieles  Trinken  von  frisch  geschöpftem  kalten  Quellwasser  (6 — 12 
Mass  oder  Pott  binnen  24  Stunden,  wodurch  oft  aller  Arzneigebrauch  über- 
flüssig wird)  den  Kranken  allmälig  von  dem  häufigen  Blutlassen  zu  entwöh*' 
Den.     Bei  der  schon  eingetretenen  activen  Blutung  selbst  haben  wir  Folgen- 
des zu  beachten:  1)  Im  Allgemeinen  ist  diese  Blutung  etwas  Kritisches,  ein 
wohlthätiges   Bestreben    der   Natur,    die   Beschwerden   der   Congestion   und 
Plethora,  die  ihr  vorhergehen ,  zu  entfernen.     Sie  beseitigt  sich  also  dadurch 
selbst,    hört  von   selbst   durch  gute  Diät  und  Ruhe   des  Körpers    auf,    oder 
kann  wenigstens   als  synochische  Blutung   nicht  lauge   stattfinden.     Nur  das 
blutende  Organ  muss  vorzüglich  hier  berücksichtigt  werden.     Kritische  Blu- 
tungen  aus    der   Nase,    dem    Uterus,    den   Hämorrhoidalgefassen   überlassen 
wir,  wenn  Indicatio  vitalis  nicht  da  ist,  der  Natur,  befördern  sie  wol  selbst. 


928  HAEMORRHAGIA 

Bei  Haemorrhagia  cerebri,  pulmonum  etc.  dagegen  müssen  wir  der  Blutung 
Grenzen  setzen ,  weil  sie  durch  Störung  der  B^uiiction  und  Organisation  die- 
ser edlen  Organe  sonst  leicht  gefährliche  Nachkrankheiten  hinterlassen.  Un- 
ter solchen  Umständen  bedienen  wir  uns  im  Anfalle  der  Blutung  selbst 
n)  der  ßlutausleerungen :  wir  lassen  dem  leidenden  Theile  so  nahe  als  mög- 
lich zur  Ader.  Eine  recht  tüchtige  Venaesection  ist  besser  als  grössere 
Quantitäten  Blut ,  wiederholt  entzogen ,  da  erstere  einen  bessern  CoUapsus 
macht.  Blutegel  und  Schröpfen  können  hier  ebenso  wenig  als  bei  Congestio- 
nen  den  Aderlass  ersetzen.  Bei  anomalen  Hämorrhoiden  und  solcher  Men- 
struation, z.B.  bei  Haemoptysis  aus  Menstruatio  oder  Haemorrhois  suppressa, 
lässt  man  gern  am  Fuss  zur  Ader.  6)  Daneben  ist  oft  der  ganze  innere  an- 
tiphlogistische Apparat :  Nitrum  mit  Crem,  tartari,  mit  Tart.  vitriolat,  säuer- 
liche kühlende  Laxanzen  von  Tamarinden ,  Cassia,  Elect.  lenitiv. ,  unter  den 
Salzen  Natrum  tartaricum ,  Kali  aceticum ,  Sal  Glauberi  (aber  keine  drasti- 
schen Purganzen)  nothwendig ,  die  indessen  nicht  zu  anhaltend  angewandt 
werden  dürfen,  besonders  nicht  bei  Kindern,  zarten  Jünglingen  und  Frauen 
nicht  bei  Säufern  und  solchen  Personen,  die  bei  sonstiger  Fettleibigkeit 
häufig  muskelschwach  sind,  weil  hier  der  Übergang  in  Erethismus  ohnehin 
leicht  erfolgt  und  jene  Mittel  die  Paralyse  befördern  können,  c)  Die  äus- 
sern styptischen  Mittel:  kaltes  Wasser,  Gummi  arab.  etc.  passen  zu  An- 
fange synochischer  Blutungen  nicht,  erst  beim  Übergange  in  Erethismus  fin- 
den sie  ihre  Anwendung,  d)  Unentbehrlich  sind  dagegen  die  Derivantia  und 
Revulsoria,  Sinapismen  an  die  Füsse,  Fussbäder  etc.  2)  Die  Diät  und  das 
Verhalten  muss  streng  antiphlogistisch  seyn.  Dienlich  sind  kühlende,  säuer- 
liche Getränke,  Limonade,  Speisen  ohne  Gewürz  und  leicht  verdaulicher, 
vegetabilischer  Art,  Zuckerwasser;  kühle  Zimmerluft,  erhöhte  Lage  des 
blutenden  Theils,  Körper-  und  Geistesruhe,  strenge  Vermeidung  alles  Er- 
hitzenden; alle  Speisen  und  Getränke  müssen  kühl,  nicht  warm  genossen 
werden.  3)  Einige  Modificationen  dieser  Behandlung  erfordern  die  Blutun- 
gen aus  den  Lungen,  dem  Magen  etc.  (s.  unten).  4)  Die  Besserung  activer 
Blutungen  erfolgt  bald;  denn  der  Charakter  der  Synocha  ist  nur  kurz,  wes- 
halb eine  anhaltende  Antiphlogosis  auch  nicht  passt.  Einer  stärkenden  Nach- 
cur  bedarf  es  gar  nicht ,  oft  ist  dieselbe  selbst  schädlich  und  befördert  neue 
Plethora  und  Congestion.  Magere  Diät,  kühlende  Getränke,  mitunter  re- 
vulsorische  Mittel  sind  oft  auch  in  der  Reconvalescenz  als  Präservative  vor 
Recidiven  nothwendig.  Bei  activen  Blutungen  aus  Nase,  Lunge,  Magen, 
Gebärmutter  etc.  geben  G.  Spnjrami,  Cuhini  und  andere  italienische  Ärzte 
1  —  2mal  5ft  Seeale  cornutum,  was  sehr  wirksam  seyn  soll,  indem  es  den 
Puls  langsam  macht  und  selbst  die  thierische  Wärme  vermindert.  Beim  Blut- 
brechen gab  Sp.  alle  Stunden  6  Gran,  bei  Metrorrhagia  gravidarum  im  Sten 
Monate  binnen  24  Stunden  sogar  1  Unze  Mutterkorn  mit  Nutzen.  Er  sagt, 
dass  das  Mittel  nicht  specifik  auf  den  Uterus,  sondern  aufs  ganze  Blutsy- 
stem, und  zwar  deprimirend ,  wie  Belladonna,  wirke  (s.  BehrentTs  Reper- 
tor.,  1834,  Januar,  S.  44). 

IL  Haemorrhagia  erethisHca.  Der  Blutfluss  mit  dem  Charakter 
des  Erethismus  hat  ähnliche  Vorboten  wie  der  der  Synocha;  doch 
wechseln  jene  Symptome  öfter  und  stimmen  nicht  mit  einander  so  überein 
als  bei  der  ersten  Gattung.  Der  Puls  ist  hier  nicht  so  voll  und  hart ,  mehr 
härtlich,  klein,  spastisch,  zusammengezogen,  ungleich,  sowie  die  Blutcircu- 
lation  ungleicher  ist,  so  dass  einzelne  Theile  an  Congestion,  die  Glieder 
aber  an  Blutleere  leiden,  Hände  und  Füsse  oft  kalt,  blass  und  mit  kalten, 
klebrigen  Schweissen  bedeckt  sind.  Die  Stelle,  woraus  die  Blutung  erfol- 
gen wird,  kann  an  allen  Theilen  des  Körpers  vorkommen,  die  Hitze  darin 
ist  stechend,  nicht  juckend,  kitzelnd,  die  Röthe  derselben  saturirter,  dabei 
das  Gefühl  von  unangenehmer  Überfüllung  und  lästiger  Pulsation.  Die  Reiz- 
barkeit des  Nervensystems ,  das  Spastische ,  besonders  im  Hautsystem ,  das 
Gefühl  von  Ängstlichkeit,  Ermattung,  Aufgeregtheit,  selbst  der  wasserhelle 
Urin  und  das  Auftreten  klonischer  Krämpfe  dienen  zur  Diagnose.  Der  Blut- 
fluss selbst  bildet  sich  entweder  durch  blutige  Secretion  oder  durch  Anasto- 


IIAEMORRHAGIA  929 

mose,  ist  der  Quantität  nach  sehi-  verschieden,  erleichtert  zwar  anfangs  die 
Zufälle   der  Congestion ,    aber  nur  zu  bald    fühlt   der  Kranke   sich  sciiwach 
und  abgespannt  durch  den  Blutverlust,   was  bei  der  activen  Blutung  nie  zu 
Anfange,    oder  so  lange   sie   als  solche  existirt,    der  Fall  ist.     Die  Zeichen 
der  Vorboten   dauern  oft  auch  während   der  Blutung   noch   fort,   ja  werden 
zuweilen  noch  heftiger  als  früher,  so  dass  sehr  kleiner  Puls,  Krämpfe,  Zit- 
tern,   Kälte  der  Glieder,    während    andere  Theile    heiss  und   brennend   sind 
etc. ,    eintreten  und  alle  Zeichen  auf  wahre  Schwäche   hindeuten.     Reizbare, 
sensible,  schwächliche,  hysterische  Personen,  scrophulöse  Kinder,  Jünglinge 
und  Mädchen,   besonders  auch  solche,    die  schnell  gewachsen  sind,   die  den 
Habitus  phthisicus  zeigen,  sind  am  meisten,  Männer  weit  seltener,  und  Greise 
gar  nicht  zu  den  erethistischen  Blutungen  disponirt,  die  häufig  als  Haemor- 
rhagia  narium,    pulmonum,   bei  Typhus,  Blattern,  Masern  etc.  vorkommen, 
auch  aus  jeder  activen  Blutung  entstehen ,  sobald  der  Blutverlust  nicht  ganz 
unbedeutend  war,   indem  so  die  Energie  sinkt,    die  Reizbarkeit  des  Gefäss- 
systems   aber   erhöht  wird.      Bildet  sich   die  Blutung  durch  Anastomose,    so 
.sind  die  Symptome   heftiger ,    als  wenn    eine  blutige  Secretion   zum  Grundo 
liegt.     Stärker  ist  dann  die  Blutwallung,  der  Wechsel  von  Frost  und  Hitze, 
das  Pulsiren  der  Gefässe,  der  Blutverlust  ist  grösser,  die  Hitze  des  leiden- 
den Theils    stechend,   die  Farbe    des   weniger   gerinnbaren  Blutes   dunkler; 
dabei  Calor  mordax,  Gefühl  von  Ermattung  und  im  höhern  Grade  oft  Über- 
gang in  Paralyse.     Ursachen.     Sind  die  allgemeinen  der  Blutungen;    be- 
sonders aber  Erkältung    einzelner  Theile,   vorzüglich  wenn   gewohnte  ßlut- 
tiüsse   dadurch    unterdrückt    wurden ;    acute  Krankheiten   mit   erethistischem 
Charakter,  bei  Kindern  Blattern,  Masern,  Scharlach;  bei  Erwachsenen  Fe- 
bris   nervosa    versatilis ;     starker    Säfteverlust    durch    anhaltende   Diarrhöen, 
Tabes  dorsalis,    Onanie,    Galaktorrhöe,    überhaupt  Alles,    was  aufgeregten, 
spastischen  Zustand  befördert,  wie  dieser  bei  Dispositio  phthisica  schon  von 
Haus  aus  stattfindet.     Cur.     Die  Anlage  zu  erethistischen  Blutungen  heilen 
wir  durch  solche  Mittel ,    die ,  ohne  zu  überreizen ,  die  Energie  stärken  und 
die  grosse  Reizbarkeit  im  Gefäss  -  und  Nervensysteme  herunterstimmen.    Va- 
leriana,   mit  Vorsicht  und  nicht  zu  anhaltend  Hyoscyamus  und  Opium,    be- 
sonders die  Digitalis,  späterhin  leichte  Amara,  zuletzt  China  und  Eisen  sind 
hier  neben  lauen  Bädern,  reizloser,  nährender  Kost  zu  wählen.     Diese  Mit- 
tel, ausser  der  Zeit  der  Blutung  angewandt,   heilen  das  Allgemeinleiden  oft 
auch  radical.     Im  Anfalle   der  Blutung   &.lbst  macht   man   anfangs   zuweilen 
mit  Vorsicht   einen   kleinen  revulsorischen  Aderlass,    besonders   bei    Blutung 
wegen  Abortus,    bei  Menstruatio  suppressa.     Häufiger  sind  in  andern  Fällen 
Blutegel,    so  nahe  als  möglich  an  das  leidende  Organ   gesetzt,    hinreichend, 
um   den  Bluterguss   in  wichtige  Organe    (Gehirn ,    Brusthöhle)   zu  verhüten. 
Innerlich   passen   vorzüglich  Elix.    acid.  Halleri    mit  Tinct.    digitalis,    etwas 
Tuict.  opii,   Acid.  phosphoricum  zu  20 — 40  Tropfen  iu  Valerianathee ,   alle 
Va  Stunden  gereicht.     Bei   chronischen  Blutungen   dieser  Art  passen  vorzüg- 
lich Tinct.  digitalis.    Herb,    digital,    mit  Sacch.    saturni   und   etwas  Opium, 
Abends  und  Morgens   gereicht,    Extr.  hyoscyami.     Die  Eisenpräparate   pas- 
sen oft  erst  spät  und  nur  da,  wo  keine  Überreizung  mehr  zu  befürchten  ist.; 
Wir   wählen   dann    erst   die  leichtern   Präparate,    z.  B.  Tinct.    Bestucheftii, 
Tinct.   ferri    cydoniat. ,    ferri   muriat.      Ist   während   solcher  Blutungen   der 
spastische  Zustand  vorherrschend,  z.  B.  bei  den  Metrorrhagien  Hysterischef, 
so  nützen  ausser  dem  Opium,    Hyoscyamus,    der  Digitalis   besonders   Ipeca- 
cuanha  in  refr.  dosi,  Castoreum,  Moschus,  bis  dieser  Zustand  und  die  Blu- 
tung nachlässt.     Hat   diese  aufgehört,    so  gebe  man   das  Elix.   acid.  Halleri 
noch   fort,    wähle   dann  Elix.    vitrioli  Mynsichti,    Infus,  cal.  arom. ,    caryo- 
phyllat,  quassiae,  später  Tinct.  chinae  composita,  die  Brunnen  von  Fachin- 
gen ,  Driburg ,  Pyrmont ,    Spaa ,  Schwalbach ,  künstliche  und  natürliche  Ei- 
senbäder.    Periodisch   zeigt   sich   während   dieser  Cur   zuweilen   noch   etwas 
Spastisches,    besonders   bei  Hysterischen,    wo    wir  dann   Digitalis,    Opium, 
Castoreum  den  Tonicis  interponiien  müssen.     Übrigens  muss  dies  allgemeine 
Heilverfahren    nach  der  Art  der  Blutung   in  Hinsicht  des  blutenden  Organ» 
Most  Encyklopiidie.  2te  Aufl.   i.  \  59 


930  HAEMORRHIGU 

besonders  niodificirt  werden ;  dabei  berücksichtige  man  das  Causalverhältniss, 
den  Typus  der  Blutung.  Unter  den  äussern  Mitteln  boi  erethistischen  Blu- 
tungen nehmen  die  revulsorischen  den  ersten  Platz  ein ;  doch  passt  der 
Aderlass  nur  zu  Anfange,  besonders  wenn  die  Hämorrhagie  durch  Unter- 
drückung normaler  oder  relativ  wohlthätiger  Blutungen  entstand.  Hier 
schaden  alle  reizenden,  erhitzenden  Mittel:  Opium,  Castoreum  etc.,  und 
die  Erfahrung  zeigt,  dass  sie  oluie  eine  vorhergegangene  Venaesection  nichts 
leisten.  Vesicatorien ,  Siuapisiuen  an  dieFüsse,  Fussbäder,  trockne  Schröpf- 
köpfe sind  als  Derivantia  nicht  zu  vergessen.  Stopfende  Mittel  passen  bei 
d'ethistischen  Blutungen  durch  Blutsecretion  nicht.  Der  Blutverlust  ist  hier 
nicht  bedeutend,  hört  oft  von  selbst  auf,  und  sie  erregen  daher  nicht  sel- 
ten Blutstockungen,  z.  B.  in  den  Lungen,  im  Uterus,  Magen,  die  zu 
schlimmen  Folgekrankheiten  Anlass  geben.  Überhaupt  kann  man  mit  diesen 
Mitteln,  wohin  auch  der  innere  Gebrauch  der  Mineralsäuren  gehört,  bei 
Haemoptysis  mit  phthisischer  Anlage,  bei  manchen  Metrorrhagien  nicht  vor- 
sichtig genug  seyn ,  denn  nur  zu  häufig  ist  Phthisis  pulmon.  exulcerata,  Car- 
cinoma uteri  die  unglückliche  Folge  vom  voreiligen  Stopfen  der  Blutung 
dieser  Theile.  Die  Diät  bei  erethistischen  Häraorrhagien  muss  reizlos  und 
nährend  seyn.  Schleimige  Dinge :  Sago,  Salep,  Hafer-  und  Gerstenschleim, 
Fleischbrühen ,  weiche  Eier  sind  dienlich.  Bier  und  Wein  passen  nicht  zu 
Anfange  und  auch  später  nur  in  kleinen  Portionen.  Häufig^  wird  aber  alles 
Erhitzende  nicht  vertragen.  Die  Genesung  geht  immer  langsam  von  Stat- 
ten ;  hat  der  Kranke  viel  Blut  verloren ,  so  kommen  die  Kräfte  nur  langsam 
wieder ,  weil  die  Nutrition ,  Sanguification  und  Reproduction  leidet  und  die 
Nervenreizbarkeit  noch  immer  fortdauert.  Daher  kommen,  wenn  die  mit 
Vorsicht  und  Scharfsinn  eingeleitete  Radicalcur  versäumt  wird ,  leicht  Reci- 
dive.  Liehen  Island.,  China,  bei  hoher  Reizbarkeit  besonders  Digitalis ,  Ipe- 
cacuanha,  allgemeine  aromatische  und  stärkende  Bäder ,  gute  Nutrientia  müs- 
seti  daher  in  Gebrauch  gezogen  werden. 

in.  Haemorrhnyin  parnhjtica.  Bei  den  Blutungen  mit  dem  Cha- 
rakter der  Paralyse  ist  schon  längere  Zeit  ein  bedeutendes  Leiden  der 
Reproduction  vorhergegangen,  wie  Scorbut,  Faul-  und  Fleckfieber,  Pete- 
chiae  secundariae ,  Morbus  maculosus  Werlhofii ;  sowie  denn  Seotionen  be- 
wiesen haben,  dass  vorzüglich  dem  letztern  Übel  Milz-  und  Leberleiden 
häufig  zum  Grunde  liegen  (s.  F.  J.  Uergi ,  Dissert.  über  WcrVwfs  Blut- 
fleckenkrankheit ;  1823).  Die  paralytische  Blutung  besteht  nie  als  Krank- 
heit für  sich,  sondern  stets  als  Symptom  und  im  Gefolge  anderer  Krank- 
heitsforuien  mit  dem  Charakter  der  Doppelschwäche.  Ihr  fehlen  daher  auch 
die  gewöhnlichen  Prodromi  der  activen  und  erethistischen  Blutujig :  die 
Symptome  der  Congestion  und  Plethora.  Die  Blutung  selbst  hat  folgende 
eigenthümliche  Symptome:  1)  Sie  stellt  sich  häufig  in  mehreren  Organen 
zu  gleicher  Zeit  ein ,  besonders  da ,  wo  das  ganze  Gefässsystem  paralysirt 
ist  (s.  Febr.  putrida,  Petechiae,  Scorbutus).  i)  Der  Puls  ist 
klein,  zitternd,  ungleich,  iiitermittirend,  sehr  weich,  schwappend,  facillime 
comprimendus,  3)  Das  Blut  selbst  ist  wässerig,  gelblichbraun,  schwärzlich, 
gerinnt  nicht ,  ist  oft  übelriechend ,  geht  leicht  in  Fäulniss  über.  4)  Die 
Blutung  ist  schwer  zu  stillen ,  weil  der  CoUapsus  vasorum  so  bedeutend  und 
wahre  Adynamle  zugegen  ist.  5)  Sie  erleichtert  den  Kranken  gar  nicht,  ist 
also  nicht  kriiiscb,  macht  ihn  gegentheils  immer  kränker,  schwächer,  hin- 
falliger, vermehrt  in  acuten  Fiebern  die  Zufalle  von  Calor  mordax,  und  es 
folgen  bald  La hmungt^n,  Sopor,  Stupor,  Tyrapanitis ,  Marmorkälte  der  Glie- 
der, kalte  klebrige  Schweisse ,  Erschlaffung  der  Sphinkteren.  Die  nächste 
Ursache  ist:  Parplyse  derGefässe,  hervorgegangen  bald  aus  fauliger  Dys- 
krasie  des  Bluts ,  bald  aus  mangelhafter  Oxydation ,  aus  zu  schwacher  Er- 
regung des  Gefässsystems.  Priidisposition  giebt  eine  laxe,  schlalVe,  phle- 
gmatische Körperconstitution ,  aufgedunsener,  schwammiger  Körperbau,  das 
mittlere  Lebensalter  mit  torpider  Constitution,  ganz  vorzüglich  aber  das 
Greiseaaker.  Gelegentliche  Ursachen  sind  feuchte,  verdorbene,  an  Sauer- 
slüfV  arme  Atmosphäre,   sumpfige  Gegenden,    unreine  Luft  in  Gefängnissen, 


HAEMORRHAGU  931 

kura  Alles,  was  Scorbut,  Typhus  carcerura,  Febr.  putrida  liervorbringt. 
Übrigens  kann  bei  Gesunden  jeder  grosse  Blutverlust,  jede  zu  starke  aotiv« 
und  erethistische  Blutung ,  Alles ,  was  die  Nutrition  stört  und  die  Kraft« 
schnell  aufreibt,  die  paralytische  Blutung  erregen.  Dahin  gehören  Mangel 
an  guter  Nahrung,  an  Körperbewegung,  deprimirende  Affecten,  besonders 
Kummer,  Furcht,  Schreck;  narkotische  Pflanzengifte,  besonders  der  Miss- 
brauch des  Opiums,  des  Laurocerasus  in  Febris  puerperalis,  Febr.  putrida; 
animalische  Gifte:  Schlangen-  und  Viperngift,  die  chemisch  das  Blut  zer- 
setzen; heftige  Einwirkung  der  Elektricität,  Blitzstrahl;  plötzliche  Entfer- 
nung äusserer  Unterstützung  der  Gefässe ,  z.  B.  der  paralytische  Mutter- 
bluttiuss  durch  schnelle  übereilte  Geburten  bei  laxen  Weibern,  wo  in  der 
Schwangerschaft  das  Tragen  der  Leibbinden  versäumt  worden  etc.  Pro- 
gnose. Ist  im  Allgemeinen  schlimmer  als  bei  andern  Blutung-en.  Die  Na- 
tur heilt  den  Bhitiiuas  nie,  häutig  vermag  ihn  selbst  alle  Kunsthnlfe  nicht 
zu  stillen.  Je  grösser  die  Quantität  des  verloren  gegangenen  Blutes  ist, 
desto  schlimmer  steht  es  um  den  Kranken;  besonders  schlimm  sind  die  sym- 
ptomatischen Blutungen  in  Faulfiebern,  Typhus  putridus  (s.  Febris  pu- 
trida), zumal  wenn  ausser  andern  Theilen  auch  die  Lungen  bluten.  Cur. 
Die  Hauptmittel  sind  hier  Mineralsäuren  in  grossen  Dosen,  Wein,  China, 
Alaun,  Gewürze;  kalte  Luft,  recht  kaltes  Wasser  innerlich,  mitunter  Blei 
(s,  Febris  putrida).  Folgende  Punkte  müssen  hier  besonders  berück- 
sichtigt werden :  1)  Um  die  Prädisposition  für  paralytische  Blutungen  bei 
laxen,  torpiden  Subjecten  zu  vermindern,  dienen  Gewürze,  Ol.  aetherea, 
Balsam,  natural. ,  Tonica,  Amara,  China,  Caryophyllat. ,  Angustura,  Kal- 
mus, Quassia,  Martialia,  animalische,  reizende  Diät,  Weingenuss,  besonders 
Rothwein,  bittere  Biere,  Bewegung  im  Freien,  gesunde  Luft,  gesunde,  nach 
Süden  liegende  Wohn-  und  Schlafzimmer,  gesunde  Nahrung,  Verhütung  al- 
ler oben  angegebenen  schädlichen  Gelegenheitsursachen.  2)  Bei  der  Blu- 
tung selbst  geben  wir  zuerst,  um  nur  so  schnell  als  möglich  dieselbe  zu 
stopfen,  die  Mineralsäuren,  vorzüglich  Acid.  sulphuric. ,  Aqua  oxymuriat. , 
Elix.  acid.  Halleri,  mit  Haferschleim,  mit  Syrup  versetzt,  z.  B.  i^  Acid. 
oxymwriat.  jjy ,  Syr.  ruh.  idaei  gjjj ,  Aq.  cinnamomi  s.  v.  gvj.  M.  S.  Halb- 
stündlich 1  —  2  Esslöffel   voll   in  einer  Tasse  Haferschleim.      1^  Eliic.    acid. 

Halleri  3jj,  Syr.  cinnamomi^],  Atf.  tnenih.  pip, , crisp.  ana  51V.  M.  S. 

Wie  oben.  Sehr  wirksam  ist  fy  Elix.  vitrioli  Mynsichli  5J,  —  acid.  Halleri 
3J3,  Aq.  cardnmomi  3IV,  Syr.  cinnamomi  5J.  M.  S.  Wie  oben.  IV  Acidi 
phosphorki  Fh.  Boruss.  gjjj.  S.  Alle  V2  Stunden  10  —  20  Tropfen  in  einer 
Tasse  Haferschleim.  3)  Dabei  Berücksichtigung  des  Grundübels :  bei  Febr. 
putrida  und  Collapsus  vasorum  Arnica,  Kampher,  Angelica ,  Serpentaria. 
4)  Ein  Hauptmittel  ist  die  China,  indem  sie  die  gesunkene  Energie  des 
Blutsystems  hebt,  der  Erschlaffung  Grenzen  setzt  und  die  Contraction  be- 
fördert. Sobald  nur  durch  Mineralsäuren,  Kälte  und  die  unten  angegebenen 
äussern  stopfenden  Mittel  die  Blutung  etwas  gelinder  geworden,  findet  sie 
ihre  Anwendung.  Wir  verordnen  Decoct.  chinae  flav.  oder  rubr.  mit  Elix. 
acid.  Halleri.  Auch  die  ebenfalls  nicht  so  rasch  wirkenden  Adstringentia: 
Gummi  kino ,  Succ.  catechu ,  besonders  aber  Decoct.  lign.  Campech. ,  Gort. 
Salicis,  quercus,  Alaun  sind  in  Anwendung  zu  bringen,  namentlich  wo  die 
paralytische  Blutung  einen  chronischen  Verlauf  hat:  bei  Scorbut,  Morbus 
VVerlhofii  etc.  5)  Wir  müssen  diese  Mittel  nach  den  Arten  der  Blutung  be- 
sonders auswählen ;  so  passt  nach  der  Erfahrung  bei  Haemorrhagia  paraly- 
tica  uteri  besonders  Tinct.  cinnamomi  mit  Elix.  acid.  Halleri,  bei  der  des 
Darmcanals  Ligu.  Campechiense ,  bei  paralytischen  Blutungen  der  Nierea 
und  Harnblase  Alaunmolken,  bei  Lungenblutungen  Opium  (doch  mit  Vor- 
sicht und  nur  bei  Indicatio  vitalis ,  weil  es  die  Blutzersetzung  nur  befördert). 
6)  Höchst  wichtig  sind  die  topischen  Mittel.  Wir  können  hier  alle  bekann- 
ten Styptica  dreist  anwenden ,  und  müssen  dies  thun ,  da  die  innern  Mittel 
allein  nicht  ausreichen.  Momentanes  Einwirken  der  Kälte,  des  kalten  Was- 
sers, des  Eises;  die  Solutionen  von  Alaun,  Vitriol,  alb.  et  coerul.,  Decoct. 
querciu  mit  Alkohol,    Wein,    bei  Blutungen   des  Mundes  verschiedene   r^ei- 

50* 


932  HAEMORRHAGIA 

zeiide  und  adsuingirende  Gurgelwasser  von  Alaun,  Calechu,  Ferr.  «ulphu- 
ric. ,  selbst  Blei,  bei  Darmblutungen  ähnliche  Klystiere,  alle  diese  Mittel 
müssen  nicht  unversucht  bleiben.  Auch  reizende,  belebende,  ätherische, 
aromatische  Mittel  in  der  Nähe  des  blutenden  Theils ,  v\  armes  Wasser  c\U 
Epispasticura  (nur  keine  Vesicatorien  und  Sinax)ismen ,  weil  sie  leicht  bran  • 
dige  Geschwüre  machen),  Fomentationen  von  warmem  Wein,  Branntwein, 
Einreibungen  von  Linim.  volat.  cainphorat  und  terebinthinatum,  besonders 
auf  den  Unterleib  bei  paralytischer  Metrorrhagie,  sind  von  grossem  Nutzen. 
7)  Trockne,  kühle,  reine  Luft,  Verbesserung  derselben  durch  übersalzsaure 
Räucherungen ,  Chlorkalkauflösung ,  strenge  Beobachtung  der  Reinlichkeit, 
öfteres  Öffnen  und  Besprengen  der  Zimmer  mit  Essig,  mit  Acet.  aromaticum 
unterstützen  die  Cur.  8)  Die  Diät  muss  kräftig,  nährend,  reizend,  bele- 
bend seyn.  Kräftige  Bouillons ,  Eier ,  Wein ,  Gewürze  ,  Zimmt ,  Pomeran- 
zen ,  Bischof.  Liegt  der  Kranke  in  Sopor,  so  muss  er  zum  Einnehmen  der 
Arzneien,  der  Getränke  angehalten  und  geweckt  werden.  9)  Die  Genesung 
geht  stets  sehr  langsam  von  Statten,  weil  die  Kräfte  so  sehr  gesunken  sind, 
Ein  rheumatisch- nervöses  Ziehen  im  Nacken,  Gefühl  von  Kälte  im  Occiput 
und  dumpfer  Kopfschmerz  bleiben  noch  lange  Zeit  nach.  Der  anhaltend 
fortgesetzte  Gebrauch  des  Eisens ,  des  Elix.  vitrioli  Mynsichti ,  der  China^ 
der  Stahlbäder,  der  tonischen  und  bitlern  Roborantia  mit  steter  Rücksicht 
auf  den  Grad  der  geschwächten  Verdauungskräfte  und  mit  Vermeidung  der 
schwächenden  Durchfälle,  sind  immer  zur  Nahrung  nothwendig.  —  Was  die 
einzelnen  Ai'ten  der  Blutungen  betrifft,  so  kommen  einige  schon  an  andern 
Stellen  dieses  Werkes  vor;  doch  sollen  sie  mit  den  gehörigen  Nach  Weisun- 
gen, der  Vollständigkeit  wegen,  hier  alle  alphabetisch  aufgeführt  und  auch 
der  abgeh£uidelten  Gattungen  noch  einmal  namentlich  gedacht  werden. 

Hueniorrhagia  alba,  Lymphorrhoea.  So  hat  man  wol  Blutung  aus  weis- 
sen Gefassen ,  Lymphfluss,  durch  Verletzung,  Zerreissung  eines  lympha- 
tischen Gefässes,  besonders  bei  krankhafter  Ausdehnung  desselben  (s.  Ab- 
scessus  lymphaticus,  Hydrops  uteri)  genannt.  Richtiger  ist  hier 
die  Benennung  Lymphorrliagia  (^Most). 

Haemorrhatiiii  activa  ,  s.  oben  Haemorrhagia  synochica. 

Uaemorrhagia  nlveolaris ,  Phatnorrhngia ,  Zahnhöhlenblut fluss. 
Folgt  zuweilen  auf  das  Ausziehen  eines  Zahnes ,  indem  das  blutende ,  im 
Alveolarrande  der  Maxiila  befindliche  Gefäss  sich  weder  zurückzieht,  noch 
oontrahirt.  Die  gewöhnlich  unbedeutende  Blutung  nach  der  Operation  des 
Zahnausziehens  ist  hier  oft  beträchtlich,  in  andern  Fällen  zwar  die  Quanti- 
tät, welche  binnen  einer  Viertelstunde  verloren  geht,  nur  gering;  aber  die 
Blutung  hört  nicht  auf,  währt  Tag  und  Nacht,  lässt  dem  Menschen  keine 
Ruhe  zum  Schlafen,  keine  Zeit  zum  Essen,  ja,  sie  kann  ihn  blass  und  ohn- 
mächtig machen.  Cur.  Anfangs  versuche  man  kaltes  Wasser,  Essig  und 
Wasser,  was  man  in  den  Mund  nimmt,  bringe  Baumwolle,  mit  Acid.  sul- 
phur.  dilut.  angefeuchtet,  in  die  Zahnhöhle,  oder  Tinct.  ferri  muriatici. 
Hilft  dies  Alles  nicht,  so  ist  das  Wirksamste,  die  blutende  Stelle,  die  in 
der  Regel  nur  ein  kleiner  Punkt  ist,  mit  einem  glühenden  Diahte  zu  ätzen, 
nachdem  sie  kurz  vorher  abgetrocknet  worden  ist. 

Hnemort'hagin  am,  Uaemorrhagia  ex  ano,  After  blutfl  uss.  Früher- 
hin nannte  man  fast  jeden  Bluttluss  aus  dem  After  Hämorrhoiden.  Jetzt  mi- 
terscheiden  wir  richtiger  folgende  Blutungen  aus  dem  After:  1)  Anomale 
Menstrualblutung  aus  dem  Mastdarme.  Sie  kann  bei  Menstruatio  suppressa 
stattfinden.  Auch  kann  sie  normal  seyn,  wenigstens  findet  man  bei  den 
profusen  Katamenien  vollsaftiger  und  sehr  wollüstiger  Weiber,  dass  sie  oft 
zu  gleicher  Zeit  per  vaginam  und  per  anum  menstr)iiren.  2)  Häufig  ists 
Hämorrhoidalblutfluss  aus  allgemeiner  Hämorrhoidaldyskrasie  (s.  Haemor- 
rhoi|d<^s)  oder  wegen  localer  Hämorrhoiden.  Für  die  Praxis  würde  es  viel- 
leicht gut  seyn,  letztere  ganz  von  erstem  zu  trennen  und  ihi>€n  einen  an- 
dern Namen  zu  geben,  da  ohnehin  der  Begriff  Hämorrhoiden  in  dem  ge- 
wöhnlichen Sinne  mehi'  umfasst ,  als  er  dem  Worte  nach  bedeuten  sollte. 
S)  Wir  unterscheiden  Prociwrknyia ,   d.  i.  jede  Blutung  aus  dem  After,  von 


HAEMORRHAGI.l  933 

Hnematochezia ,  d.  i.  blutiger  Stuhlgang.  Letzterm  kann  Diarrhoea  cruenta, 
Dysenterie,  colli<|uative  Blutung  des  ganzen  Darmcanals  (Enterorrbagia  pa- 
ralytica),  wie  bei  bösartigen  Faulfiebern,  zum  Grunde  liegen.  4)  Der  blu- 
tige Stuhlgang  kann  von  Morbus  niger  herrühren  (s.  Haemorrhagia  ren- 
triculi).  5)  Verschiedene  mechanische  Verletzungen  können  die  Ursache 
seyn.  Die  Cur  ist  in, diesen  verschiedenen  Fällen,  we  sich  von  selbst  ver- 
sieht, verschieden,  mit  Berücksichtigung  des  Grundübels  und  des  Charak- 
ters der  Blutung.  Sind  mechanische,  traumatische  Verletzungen  oder  Ope- 
rationen die  Ursaehe  der  Mastdarmblutung  (^Archorrhagia  sangtiinea^ ,  so 
mache  man  Einspritzungen  von  Wasser  S  Theile,  Essig  1  Theil  und  Brannt- 
wein '/n  Theil,  von  Solut.  alumin. ,  Decoct.  quercus,  und  bringe  damit  ge- 
tränkte Charpie  oder  Waschschvvamm  ein. 

Hncuiorr hagin  arlenaruw.  Der  Blutliuss  aus  Arterien  kann  äusserlich 
oder  innerlich  aus  verschiedenen  Ursachen,  die  entweder  locale  oder  allge- 
meine sind,  stattfinden.  Verletzungen  bedeutender  Arterien  durch  Verwun- 
dungen ,  das  Bersten  eines  innerlichen  Aneurysma  etc.  führen  oft  den  Tod 
,"?choa  binnen  v\enigen  Augenblicken  herbei,  bei  äussern  Blutungen  durch  die 
Symptome  der  Depletion ,  bei  den  Innern  zugleich  durch  die  augenblicklichen 
Folgen  des  in  die  Kopf- ,  Brust-  oder  Bauchhöhle  extravasirten  Blutes,  die 
bald  Apoplexie,  Orthopnoe  etc.  erregen  (s.  Aneurysma,  Valnus,  Hae- 
morrhagia ex  causistopicis,  Apoplexia). 

llnctHonhayia  dsihenica  So  nennen  Einige  fälschlich  die  erethistische 
Blutung,  obgleich  bei  letzterer  keine  wahre  Schwäche,  nur  etwas  Spasti- 
sches ,  zuni  Grunde  liegt ,  und  daher  zu  Anfange  ein  kleiner  revulsorischer 
Aderlass  in  sehr  vielen  Fällen  passt.  Nur.  die  paralytische  Blutung  kann 
man  mit  Recht  Haenioirhägia  asiheiiica  nennen,  da  ihr  allein  wahre  Schwäche 
der  Lebenskraft  (Doppelschwäche)  zum  Grunde  liegt.  •> 

Hnemorrhiigia  auriuvi,  Otorrhagia,  OtonThoea  snnguinoleuta,  Ohr ett" 
blutfluss.  Blutungen  aus  dem  Innern  Ohre  sind  selten.  Sie  können  statt- 
finden 1)  bei  Commotio  cerebri,  als  Folge  der  heftigen  Erschütterung,  me- 
chanischer Verletzung  der  Schläfenbeine ,  wodurch  Zerreissungen  des  Trom- 
melfells entstehen.  In  solchen  Fällen  ist  die  Prognose  sehr  schlimm,  denn 
weini  auch  die  Blutung,  wie  immer,  aus  den  Ohren  nicht  gefährlich  ist,  so 
ists  doch  hier  die  ihr  zum  Grunde  liegende  Ursache.  Oft  kommt  dabei  we- 
nig Blut  aus  dem  äussern  Ohre,  aber  die  Otorrhagia  interna  ist  um  so  be- 
deutender, und  das  Blut  fliesst  durch  die  Eustachische  Röhre  und  aus  Nase 
und  Mund.  Auch  kann  es  eine  blutige  Cerebralotorrhöe  seyn,  die  dann  auf 
bedeutende  organi.-iche  Verletzung  des  Gehirns ,  auf  Fractur  des  Schädels, 
Zerreissung  der  Gehirngefässe,  Commotio  cerebri  mit  darauf  folgendem  Blut- 
cxtravasat  etc.  schliessen  lässt.  2)  Der  Ohrenblutfluss  ist  durch  äussere 
Verletzung  des  Gehörorganes,  durch  eine  Stichwunde,  durch  fremde  Körper 
im  Ohre  etc.  entstanden;  ist  dabei  das  Trommelfell  nicht  verletzt,  so  ists 
nur  eine  Otorrhagia  externa  und  der  Blutverlust  meist  unbedeutend.  Geht 
die  Verletzung  aber  tiefer,  so  kann  Otitis,  Otorrhoea  purulenta,  Taubheit 
die  Folge  seyn  (s.  Schumncher's  Med.-chir.  Bemerk.  1800;  S.  151,  162). 
3)  Jii  seltenen  Fällen  ist  anomale  Menstruation  als  periodische  Blutung  aus 
den  Ohren  beobachtet  worden.  Auch  Haemorrhoides  suppressae  können  sie 
erregen  (^s.  K.  J.  Heck,  Krankheiten  des  Gehörorgans;  18ii7;  S.  159).  4)  Im 
höchsten  Grade  bösartiger  Fieber  mit  Colliquation ,  im  höchsten  Grade  des 
Scorbuts  kann  neben  den  Blutungen  aus  andern  Organen  das  aufgelöste  Blut 
auch  aus  den  Ohren  fliessen.  Cur.  Jst  nach  den  Ursachen  verschieden. 
Man  behandle  das  Grundübel  und  .stopfe  die  Blutung,  Nr.  4  ausgenommen, 
ja  nicht  ohne  die  grö.sste  Noth,  da  leicht  organische  Fehler  des  so  zarten 
Gehörorgans  darauf  folgen. 

Haemorrhagia  cerelri,  Gehirnblutungi  Sie  macht  das  Wesentliche 
der  Apoplexia  sanguinea  aus ,  und  der  franz.  Arzt  Rochoux  hat  das  Verdienst, 
hierauf  aufs  Neue  aufmerksam  gemacht  zu  haben ,  obgleich  die  Sache  selbst 
nicht  neu  ist;  denn  schon  Fr.  Ho jf mann  nennt  den  Schlagfluss  Haemorrhagia 
«erebri  interstitialis  (s.   die  Nachschi-ift  zu  dem  Artikel  Apoplexia). 


934  HAEMORKHAGIA 

Haemorrkfiglrt  dentvtm,     Blutungen  aus  der  Krone  kranker  Zähne   ent- 
stehen zuweilen  bei  Hydrops ,   bei  scorbutischer  Kachexie.     Sie  können  mit- 
onter  bedeutend  werden.     Cur.    Man  tamponire  mit  Charpie  und  Wund was- 
ser,  Pulv.  stypticus,  welche  in  den  hohlen  Zahn  gebracht  werden.     Ist  die 
Krone  des  Zahns  ganz  weg,   so  bringe  man  Gumm.  sandarach. ,   in  Alkohol 
gelöst,   mit  Baumsvülle  auf  die  blutenden  Wurzeln;    dieses  Mittel  wird,  in- 
dem der  Alkohol  verttiegt ,  bald  hart  und  bildet  einen  Kitt.     Am  bedeutend- 
sten   sind    stets  die   Blutungen   aus    dem  Halse   der  Zähne,    der    bei  jungen 
Leuten    mit   dem   Zahnfleisch    bedeckt    ist,    wenn    dieser    cariös    geworden. 
Diese  Blutung  kann  sowol  bei  gesunden  als  bei  kachektischen  Personen  vor- 
kommen und  selbst  Tage  lang  anhalten.     Hier  versuche  man  erst  das  Plom- 
biren, dann  Glühdraht,   helfen  diese  Mittel  nichts,  so  muss  bei  Nichtkachek- 
tischen  der  Zahn  ausgezogen  werden  (s.  Haemorrhagia  oris), 
Hnemorrhagia  erethistica ,  s.  oben  Haemorrhagia. 
Haemorrhagia  ex  caitsis  iopicis,  Blutung  aus  örtlichen  Ursachen, 
örtliche  Blutung,    entstanden  durch   organische  Verletzung.      Sie   interessirt 
vorzüglich  den  Wundatzt  und  Operateur;    aber  auch  der  Arzt  muss  sie  ge- 
nau kennen ,  und  sie  darf  daher  nicht ,  wde  Cullen  und  Reil  wollen ,  von  den 
klinischen  Abhandlungen   der  Blutungen   ausgeschlossen  werden ,    was  Hanse 
ganz   richtig    bemerkt.      Da  die  örtlichen  Blutungen  meistens    von   mechani- 
schen Ursachen    herrühren;    so  fehlen  hier   alle  Vorboten.      Die  Diagnose 
ist  leicht,    wo  die  Blutung   in  äussern  Organen   stattfindet  und   das  Blut  zu 
Tage   kommt,    schwieriger  sind  die   örtlichen  Blutungen   in  innern  Organen. 
Ist  der  Blutfluss  bedeutend ,   das  Blut  hellroth ,    springt  es  in  einem  grossen 
Bogen  und   in  Absätzen    hervor,    so  deutet  dies   auf  Verletzung   einer   nicht 
ganz  unbedeutenden  Pulsader;   aber   auch   das  dunkle  Venenblot   kommt  oft 
sprungweise  aus  dem  Gefässe,    wenn  unter  der   blutenden  Vene   gerade  eine 
Pulsader  liegt.      Dass  unter  Umständen    auch  arterielles  Blut   dunkel   ausse- 
hen kann,    z.  B.  in  bösartigen  Faulfiebern,    oder  wenn  es  lange  in  Höhlen 
des  Körpers  verweilt,   ist  schon   oben   erwähnt  worden.      Zerschnittene  Ge- 
fässe bluten  weit  stärker  als  zerrissene  oder  gequetschte;    ja  man  darf  bis- 
weilen   das  geöffnete  Gefäss   nur  quetschen  und  die  Blutung   steht  sogleich. 
Die  nächste  Ursache  aller  Localblutllüsse  ist  Trennung  der  Continuität, 
am  häufigsten   per  Diaeresin,    seltener   per  Rhexin,    noch   seltener  per  Dia- 
brosin  hervorgebracht,    also  durch   äussere  Verwundungen  aller  Art,    durch 
Hieb-,    Schnitt-,    Stich-  und  Schusswunden;    durch  Knochensplitter,    Nie- 
ren - ,     Blasen  -    und    Gallensteine ;      durch    heftige    Körperanstrengungen : 
Schreien,    Rufen,    Lachen,    Singen,    heftige   Anstrengung   beim  Heben   und 
Tragen  schwerer  Lasten,  beim  Coitus ,    bei  der  Entbindung;    durch  mecha- 
nische   Hindernisse    für    den    Blutumlauf:    grosse    Geschwülste,     Steatome, 
Schwangerschaft,    enge  Kleidungsstücke;    durch    kaustische  Mittel,    Krebs- 
jauche etc.     In  manchen  F'ällen  finden  wir   zugleich   als  Prädisposition    eine 
gewisse  Mürbigkeit  der  Blutgefässe,  nicht  selten  sind  auch  organische  Herz- 
und  Lungenfehler.    Varices,    Aneurysmen  Ursache  örtlicher   Blutungen.     Die 
Prognose   ist    im   Allgemeinen    kaum    zu    bestimmen.      Die    Blutflüsse   per 
Rhexin  et  Diabrosin  sind  oft  gefährlicher  als  die  per  Diaeresin,  da  ihre  Ur- 
sachen (Krebs)  sie  oft  unheilbar  machen.    Die  grössere  oder  geringere  Quan- 
tität des  Blutverlustes,    die  Grösse  und  Wichtigkeit   des  blutenden  Gefässes 
und   Organs,    der  schnelle   oder   langsame   Blutverlust,    das   Alter    und   die 
Constitution,    alle  diese  Dinge  verdienen  hier   grosse  Berücksichtigung.     Die 
Cur   ist  mehr  chirurgisch  als  klinisch.      Letztere  findet   besonders   ihre  An- 
wendung,   wenn    heftige  Congestionen    sie  erregten,    oder  wenn  die  Zufälle 
des  Blutverlustes:    Ohnmächten  etc.  entstehen    (s,  Asphyxia    durch  IMut- 
verlust,  Haemorrhagia  synochica,  erethistica).      Blutungen  durch 
Verletztuigen  äusserer  Theile  müssen,  wenn  sie  sehr  bedeutend  sind,  schnell 
durch  Compression ,    durchs  Tourniquet,    durchs  Tamponiren  für  den  ersten 
Augenblick  gestillt  werden.     Die  sichersten  Mittel  sind  aber  die  Ligatur  und 
die  Torsion    der    Arterie,    welche    blutet.      Da    viele  Verwundungen    heftige 
Kntzündung  und  Fieber  fur  Folge  haben,  so  stopfe  man  die  Blutung,  wenn 


HAEMORRHAGIA  »35 

«je  nicht  b«deutend  ist,  ja  nicht;  sonst  ist  man  oft  genSthigt ,  späterhin 
noch  znr  Ader  zu  lassen  (s.  Vulniiis).  Bei  Blutungen  innerhalb  der  Schä- 
delhöhle müssen  wir  diese  schnell  stillen,  und  durch  Aderlässe,  Bhitegel, 
kalte  Umschläge,  Fussbäder ,  Senfteige,  Laxanzen  kühlender  Art  etc.  das 
Extravasat  verhüten  oder  entfernen.  Späterhin  befördert  man  die  Resorption 
desselben  durch  Arnica,  durch  Kaloniel  mit  Digitalis,  p.  d.  Vi — 1  Gran. 
Was  bei  den  Blutungen  der  Lungen,  des  Magens,  der  Leber,  Milz  etc.  als 
Folge  mechanischer  Verletzung  zu  thun  ist,  lehrt  der  Artikel  Ton  den  Wun- 
den (s.  Vulnus). 

Haemorrhtujia  tx  causis  tmivcrsalibus.  Die  Blutungen  aus  allgemeinen 
Ursachen:  Congestion,  Pletlwra,  scorbutischer  Dyskrasie,  Diathesis  haemor- 
rhoidalis  etc  sind  vorzüglich  das  Object  des  Arztes  (s.  oben  Haemorrha- 
gia,  Haemorrhoides  etc.). 

Haenwrrhngin  hnn-editnrin,  Blutung  wegen  erblicher  Anlage. 
Ihrer  ist  zum  Theil  schon  oben  gedacht  worden.  Die  männlichen  Individuen 
einer  Familie  werden  häuliger  mit  der  Neigung  zu  diesem  Übel  angetroifen 
als  die  weiblichen.  Häufig  findet  man  bei  diesen  Unglücklichen  blondes 
Haar,  feine  Haut,  Habitus  scrophulosus,  Arthritis,  blaue  Flecke  an  den 
Gliedern  etc.  Cur.  Obgleich  bis  jetzt  solche  Kranke  sowol  nach  äussern 
Blutungen  durch  geringe  Verletzungen,  als  auch  nach  innern  Hämorrhagien 
fast  immer  starben ,  da  wegen  des  mangelnden  Tonus  des  Blutgefässsystems 
die  Blutung  nicht  gestillt  werden  konnte;  so  ist  das  Übel  doch  wol  nicht 
immer  unheilbar,  wenn  wir  die  allgemeine  Diathes©  als  die  Ursache,  nicht 
blos  das  zufällige  Symptom:  die  Blutung,  zu  behandeln  uns  bemühen.  Hier 
sind  zn  empfehlen:  Siillen  solcher  Kinder  durch  eine  gesunde  brünette  Am- 
me, Salz-,  Soolen-  und  Seebäder,  anfangs  lau,  allmälig  kalt,  bei  grössern 
Kranken  ausser  solchen  Bädern  besonders  noch  innerlich  anhaltend  Elix.  acid. 
Halleri  mit  Deco(;tuin  chinae  (Ai.)  (s.  Haemorrhagia.  Vergl.  auch  Keller, 
Diss.  de  haemorrh.  haereditaria,  Wirceb.  18-^4.  Precht,  Di»»,  de  haemorrh. 
haered.,  Wirceb.  1827.  Hecker^s  Lit.  Annalen  d.  gesammt.  Heilkunde  1829. 
H.  C.  Richen's  Neue  Untersuchungen  in  Betreff  der  erblichen  Neigung  zu 
tödüichen  Blutungen.    Frf.  1829). 

Ilaemort-hai/ia  interna  seu  occuUa.  Ist  eine  solche  Blutung,  wo  das  er- 
gossene Blut  nicht  nach  Aussen  ablliesst,  sondern  der  Erguss  innerhalb  der 
Schädel-,  Brust-  oder  Bauchhöhle,  im  Magen,  Uterus ,  in  der  Harnblase 
(bei  Steinoperation)  stattfindeL  EUiofson  (s.  Medico  chirurg.  transactions 
1825,  p.  2  )  theilt  einen  Fall  von  tödtlicher  occulter  Magenblutung  mit,  ohne 
dass  man  eine  deutliche  Ruptur  eines  Blutgefässes  bei  der  Section  auffinden 
konnte;  nur  an  einer  Stelle  fand  man  eine  unbedeutende  Corrosion  dei" 
Schleinihaut.  Zuweilen  folgt  gleicii  nach  der  Ausstossung  der  Frucht  eine 
innere  Gebärmutterblutung,  wobei  der  Uterus  weich,  gross  (nicht 
contrahirt  als  eine  harte  Kugel)  anzufühlen  ist  und  der  Ausfiuss  wegei 
krampfhafter  Constriction  des  Muttermundes  nicht  erfolgen  kann.  Die  Ge- 
bärmutter bleibt  weich,  dehnt  sich  aber  immer  mehr  aus  und  die  Kranke 
hat  alle  Zufälle  bedeutender  Hämorrhagien:  Ohnmächten,  kalte  SchWeisse, 
kleinen,  schnellen,  zusammengezog^enen,  matten  Puls,  Schluchzen,  Erbrechen, 
grosse  Angst  etc.  Selbst  in  der  Schwangerschaft  kann  eine  Metroi'rhagia 
interna ,  ohne  dass  gerade  stets  ein  Theil  der  Placenta  sich  gelöst  hätte, 
vorkommen.  In  einem  von  Will.  Henderson  Cnoufoot  (s.  Edinb.  med.  and 
surgical  Journal  1824.  Octbr. )  mitgetheilten  Falle  wurde  eine  im  7tcn  Mo- 
nate der  Schwangerschaft  sich  befindende,  in  ihrem  Zimmer  ruhig  sitzende 
Dame  plötzlich  von  einer  ansserordentlichen  Schwäche  und  von  Ohnmächten 
befallen.  Ohne  Wehen  zu  haben  klagt  sie  über  ein  Gefühl  von  Ausdehnung 
im  untern  Theile  des  Bauches,  fühlt  fortwährend  die  Bewegung  des  Kindes, 
hat  eine  Todtenblässe  des  Gesichts  und  einen  sehr  kleinen  Puls.  Bei  der 
Untersuchung  fand  man  den  Gebärmuttermund  geschlossen ,  die  Kindestheile 
in  der  rechten  Seite,  in  der  linken  dagegen  eine  ausgedehnte,  weiche  und 
leicht  zusammendrückbare  Geschwulst  Endlich  erfolgte  die  Geburt  ganz 
regelmässig,  nur  ging  nach  der  Ausstossung  des  Kindes  eine  nicht  unbedeu- 


938  HAEMORRHAGIA 

tende  Menge  coagnlirten  Blutes  ab,  worauf  der  Uterus  sich  zusammenzog 
und  keine  Nachblutung  folgte.  —  Ich  behandelte  einst  ein  junges  Frauen- 
zimmer, welches  im  dritten  Monate  schwanger  war,  mit  einem  fast  ähnlichen 
Übel.  Die  Zufälle  waren:  drückender  Schmerz  im  Bauche:  schnelle  Auf- 
treibung desselben ,  Ohnmächten ,  kalte  Schweisse  etc.  Belebende  Mittel 
wirkten  wohlthätig ,  bald  darauf  trat  eine  bedeutende  Metrorrhagie  ein  und 
das  Blut  ging  theils  flüssig,  theils  coagulirt  ab.  Abortus  folgte,  merkwür- 
dig genug,  nicht;  die  Frau  erholte  sich  ailmälig  durch  gute  animalisch^ 
Kost  und  China,  und  sie  gebar  zur  rechten  Zeit  einen  gesunden,  starker. 
Knaben.  —  Ist  die  Metrorrhagie  bei  Wöchnerinnen  bedeutend  gewesen  und 
die  Constitution  schwach,  so  kann  der  Körper  sich  nicht  von  dem  Blutver- 
lust erholen ;  es  tritt  trotz  der  besten  nährenden  und  stärkenden  Mittel 
ndynamisches  Fieber  ein  und  meist  folgt  der  Tod  am  5ten,  7ten  Tage  unter 
Erschöpfung  und  Convulsionen  ex  inanitione.  Die  gefährlichsten  Innern  Blu- 
tungen sind  die,  welche  auf  das  Bersten  eines  Innern  Aneurysma  folgen. 
Das  plötzliche  Auftreten  aller  Zufälle  innerer  Blutungen,  besonders  die  Tod- 
teublässe des  Gesichts  und  der  Lippen,  die  Ohnmächten  und  Convulsionen, 
so  wie  die  Anwendung  des  Stethoskops  und  Plessimeters  geben  hier  Aus- 
kunft. Die  Cur  ist  die  der  Häraorrhagie  im  Allgemeinen ;  in  der  Regel  pas- 
sen belebende,  analeptische  Mittel  (s.  Haemo  rr  hagia). 

Haemorrhagia  intesiinorum ,  Blutung  der  Gedärme,  s.  Haemorrhagia 
ventriculi. 

Haemorrhagia  irritalilis ,  active  Blutung ,  s.  oben  Haemorrhagia 
isynochica. 

Haemorrhagia  narium,  Epistaxis,  Rhinorrhagia ,  Haemorrhinia ,  auch 
schlechtweg  bei  Hippolcrates  nur  Haemorrhagia  genannt,  das  Nasenbluten. 
Es  kommt  in  der  Regel  nur  aus  einem  Nasenloche,  meist  nur  tropfenweise, 
zuweilen  aber  auch  wol  in  massigem  Strome.  Gewöhnlich  sieht  das  Blut 
hochroth  aus;  der  Blntfluss  ist  in  gewöhnlichen  Fällen  nicht  von  langer 
Dauer,  in  seltenern  Fällen  dauert  er  Stunden,  ja  Tage  lang  und  der  Blut- 
verlust beträgt  mehrere  Pfunde.  Zuweilen  ttiesst  das  Blut  viel  nach  hinten 
in  den  Rachen  (^Choanorrhagia^ ,  wird  im  Schlafe,  besonders  von  Kindern, 
verschluckt  und  dann  weggebrochen,  welcher  Umstand  bei  der  Diagnose 
nicht  zu  übersehen  ist.  Besonders  sind  Jucken,  Kitzel  in  der  Nase,  Niesen, 
brennendes  Gefühl  in  den  Nasenlöchern,  neben  den  Zufällen  der  Congestion 
zum  Kopfe  die  Vorboten  des  Nasenblutens,  Veranlassungen.  1)  Am 
häufigsten  kommt  das  Übel  im  kindlichen  Alter  und  zur  Zeit  der  Pubertät 
vor.  2)  Durch  äussere  Verletzungen,  besonders  Quetschungen  der  Nase 
durch  Schlag,  Fall,  Stoss  etc.,  kann  es  in  jedem  Alter  entstehen.  3)  Alles 
was  Congestion  zum  Kopfe  macht :  heftiges  Niesen,  Husten ,  starke  Erschüt- 
terungen durch  Ohrfeigen ,  Keuchhusten ,  kann  es  erregen.  4)  Bei  Neigung 
dazu  sind  oft  starke  Gerüche,  Glockenläuten,  Einwirkung  der  Sonnenstrah- 
len auf  den  Kopf,  Erkältung  der  Füsse,  schneller  Wechsel  von  der  Kälte 
zur  Wärme,  heisse  Stuben,  Frühlingsluft,  besonders  bei  uns  Ende  Aprils 
und  Anfang  Mais,  schon  V^eranlassung.  5)  Bei  Kindern  sind  oft  Würmer 
Schuld.  6)  Bei  alten  Leuten  kommen  Blutungen  aus  dem  rechten  Nasen- 
loche oft  bei  chronischen  Leberleiden,  aus  dem  linken  Nasenloche  bei  sol- 
chen Milzleiden  vor.  7)  Bei  inflammatorischen  Fiebern  macht  das  Nasen- 
bluten oft  eine  gute  Krise  (s.  Febris);  dagegen  ist  es  beim  bösartigen 
Typhus,  bei  Febr.  putrida  oft  ein  sehr  lästiges,  oft  schwer  zu  stillendes 
Symptom,  desgleichen  bei  Scorbut,  Morbus  haemorrhagicus  WerHiofü.  Die 
Prognose  ist  verschieden.  Nasenbluten  bei  sonst  gesunden  Kindern  und 
Jünglingen  oder  Mädchen  ist  an  sich  in  der  Regel  nicht  gefährlich;  doch 
wer  als  Kind  viel  Nasenbluten  hatte,  bekommt  in  spätem  Jahren  leicht 
Blutspeien  und  Schwindsucht,  und  oft  nach  den  40er  Jahren  Hämorrhoiden. 
Das  kritische  Nasenbluten  ist  bis  zu  einem  gewissen  Grade  und  bei  inflarai- 
matorischen  Fiebern  höchst  wohlthätig ,  das  symptomatische  in  bösartigen 
Fiebern  und  Kachexien  aber  sehr  schlimm  (s.  Febris  in  fla  m  mat  o  ria, 
F.  putrida).     Behandlung.    Blutstillende,  styptische  Mittel :  Einschnau- 


HAEMORRHAGU  937 

bon  von  kaltem  Wasser,  von  Essig  und  Wasser,  Einspritzungen  davon,  kalte 
Umschläge  auf  die  Nasengegend,  innerlich  kühlende  säuerliche  Getränke  und, 
wenn  dies  noch  nicht  hilft,  Zustopfen  der  Nase  mit  Charpie,  diese  die  Blu- 
tung allerdings  oft  stillenden  Mittel  haben  wir  freilich  in  unserer  Gewalt, 
und  voreilige  Praktiker  sind  gleich  damit  bei  der  Hand ;  aber  6in  solches 
Verfahren  richtet  oft  viel  Unheil, für  die  Folge  an.  In  folgenden  Fällea  ist 
ein  frühzeitiges,  übereiltes  Stopfen  des  Nasenblutens  höchst  nachtheilig  und 
gefährlich,  l  1)  Wenn  die  Blutung  bei  jungen  Leuten  durch  starke  Erhitzung: 
Laufen,  Fechten,  Reiten,  Tanzen,  besonders  bei  enger  Körperkleidung, 
durch  den  ungewohnten  Genuss  der  Spirituosa ,  durch  starkes  Bitterbier, 
durch  Narcotica,  besonders  Opium,  Belladonna,  durch  heftige  AflFecten: 
Zorn  und  Wuth;  kurz  durch  Alles,  was  heftige  Congestion  zum  Kopfe 
macht,  entstand.  Solche  Blutungen  haben  den  synochischen  Charakter, 
dürfen  nicht  gestopft  werden,  wenn  nicht  der  Blutverlust  nach  Verlauf  von 
ein  paar  Stunden  noch  bedeutend  ist;  sonst  folgt  Apoplexie,  Taubheit,  Blind- 
heit, Bluthusten ,  Schwindsucht.  2)  Höchst  wichtig  ists,  das  Nasenbluten 
junger  Leute  mit  Habitus  phthisicus  nicht  zu  stopfen ;  sonst  geht  die  Gon- 
gestion nach  den  Lungen,  es  folgt  um  so  schneller  Haemoptysis  und  Phthisis. 
S)  Das  Nasenbluten  in  inflammatorischen  und  erethistischen  Fiebern ,.  bei 
Blattern,  Masern,  Scharlach  etc.  ist  in  den  ersten  8  Tagen  der  Krankheit 
kritisch  und  darf  nicht  gestopft  werden.  Selbst  zu  Anfange  der  Krankheit 
ist  es  oft  sehr  wohlthätig.  Man  verlialte  sich  hier  passiv,  lasse  das  Blut 
fliessen,  wenn  es  auch  ein  Pfund  und  mehr  bringen  sollte  (denn  an  Ver- 
blutung ist  bei  jungen  Leuten  nicht  zu  denken),  rathe  Ruhe,  kühle  Luft, 
säuerliches  kühles  Getränk  und  Ablegung  aller  Kleidungsstücke  an.  Stopft 
man  das  Nasenbluten  in  den  ersten  5—8  Tagen  bei  Scharlach  oder  Fleck- 
fieber, so  kann  der  Tod  durch  Apoplexie  erfolgen.  Auch  das  Nasenbluten 
durch  Plethora  abdominalis ,  bei  Icterus,  Hämorrhoiden,  wegen  unordentli- 
cher Plutcirculation  darf  ohne  Noth  nicht  gestopft  werden.  Wir  geben  hier 
innerlich  mit  Nutzen  Kalomel  mit  Digitalis,  setzen  Blutegel  an  den  After 
etc.  (s.  Haemorrhoides).  —  Früh  stillen  müssen  wir  dagegen  jedes  zu 
heftige  erethislische  und  jedes  paralytische  Nasenbluten  (s.  oben  Haeni. 
erethistica  und  paralytica),  also  1)  das  scorbutische  Nasenbluten. 
2)  Das,  was  bei  heftigen  typhösen  und  putriden  Fiebern  sich  gegen  den 
iSten ,  14ten  Tag  einstellt  und  gewöhnlich  mit  jeder  Fieberexacerbation  ein 
Recidiv  macht.  Häutig  ist  hier  der  Arzt  selbst  Schuld  daran,  wenn  er  in 
solchen  Fiebern,  besonders  bei  Typhus  petechialis ,  ohne  gehörige  Indication 
und  zu  früh  Kampher,  Opium  und  Aiiiara  verordnet.  Hier  muss  die  innere 
Behandlung  der  paralytischen  Blutung  (s.  o.)  stattfinden;  desgleichen  sind 
örtlich  die  Styptica  höchst  nothwendig,  selbst  Solut.  aluminis ,  vitrioli  albi, 
Aq.  Goulardi.  In  diesen  Fällen  darf  man  sich  nicht  begnügen,  die  Nasen- 
löcher zuzustopfen ;  denn  die  Blutung  läuft  auch  nach  hinten  durch  die  Cho- 
anae.  Man  schiebt  hier  eine  Darmsaite  durch  die  Nase  in  letztere,  und  zieht 
sie  aus  dem  Munde  heraus.  An  dieses  Ende  knüpft  man  einen  starken  Fa- 
den, und  daran  einen  grossen  Bausch  Charpie,  mit  Essig  angefeuchtet,  zieht 
alsdann  die  Darmsaite  am  Nasenloche  wieder  an  und  klemmt  so  die  Charpie 
in  die  Choanae.  Sind  so  die  hintern  Öffnungen  der  Nasenlöcher  verstopft, 
so  stopft  man  auch  die  vordem  mit  Chai-pie  zu,  indem  man  kurz  vorher  Aq. 
vulner.  Thedenii  in  die  Nase  gespritzt  hat ;  die  Fäden  befestigt  man  auf 
der  Wange  mit  Heftpflaster.  Wenn  die  Blutung  mit  der  B'ieberexacerbation 
kommt,  so  muss  der  Apparat  bis  zur  nächsten  Exacerbation  liegen  bleiben. 
Hat  er  in  andern  Fällen  12  Stunden  gelegen,  so  nimmt  man  ihn,  indem  man 
schon  zum  neuen  Anlegen  ein  anderes  Fadenende  daran  geknüpft  hat,  her- 
aus, und  legt  neue  Charpie  ein,  die  weniger  als  die  blutig  gewordene  den 
Kranken  inconimodirt.  3)  Bei  jedem  Nasenbluten  nach  traumatischen  Ver- 
letzungen verlasse  man  sich  nicht  auf  innere  Mittel  allein,  sondern  wende, 
ist  es  bedeutend ,  auch  äusserlich  Styptica  an :  Wasser  und  Branntwein, 
Essig,  Arqnebusade^  Solut.  alum.  zum  Einschnauben,  desgleichen  dynamisch- 
sympathetische:    plötzliches,  unerwartetes  Spritzen  von  Wasser  ins  Gesicht, 


038  HAEMORRHÄGIA 

pegen  die.  Genitalien;  auch  kann  man,  nach  Bromßehl,  einen  mit  kaltem 
Wasser  gefüllten  Schafdcum  in  die  Nase  bringen.  —  Was  das  aus  innern 
Ursachen  entstandene  Nasenbluten  betrifft,  so  würde  es  überflüssig  seyn, 
die  verschiedenen  Charaktere  dieses  Nasenblutens  (Synocha,* Erethismus, 
Paralysis)  hier  anzugeben,  da  darüber  schon  oben  gehandelt  worden  ist. 
Daher  nur  noch  dieses:  «)  Das  synochische  Nasenbiulen  hat  die  bekannten 
Vorboten  der  Kupfcongestion:  Gesichtsröthe,  Schwindel,  Ohrenklingen,  star- 
kes Pulsiren  der  Karotiden ,  gespannten ,  frequenten ,  harten  und  wogenden 
Puls  etc.  Es  ist  die  häufigste  Form  und  weit  häufiger  als  das  passive  pa- 
ralytische Nasenbluten,  zeigt  sich  fast  immer  tropfenweise  {Slilliridinm)^ 
höchst  selten  im  Strahle,  das  Blut  sieht  hellroth  aus,  coagulirt  schnell,  bil- 
det Blutpfröpfe,  die  oft  aus  der  Nase  heraushängen;  der  Kranke  fühlt  sich 
dadurch  sehr  erleichtert,  und  viele  vorangegangene  Beschwerden  verschwin- 
den. Das  kritische  Nasenbluten  in  Fiebern  ist  oft  so  gering,  dass  wir  e» 
künstlich  befördern  müssen  (s.  Febris).  Ist  dieses  acüve  Nasenbluten  hin- 
reichend, um  Congestion,  Plethora,  Fieber  und  Entzündungen  zu  entfernen, 
so  überlassen  wir  es  der  Natur;  ist  es  nicht  hinreichend  kritisch,  so  müssen 
wir  noch  zur  Ader  lassen  und  den  antiphlogistischen  Apparat  anwenden; 
bei  Pneumonie,  Encephalitis  und  Angina  mit  zu  schwachem  Nasenbluten  pas- 
sen daher  Aderlass,  Blutegel,  innerlich  Nitrum,  Crem  tartar.,  bei  galliger 
Complication  mit  Tamarinden,  Infus,  laxativ.  mit  Sal.  Glauben,  mit  Salmiak 
tind  Tart.  emetic.  u.  s.  w.  6)  Das  erethistische  Nasenbluten  hat  die  be- 
kannten Zeichen  dieser  Blutung  (s.  oben).  Es  erscheint  tropfenweise  oder 
im  Strahle,  erleichtert  bald  die  Zufälle  der  Kopfcongestion,  bald  nicht,  ver- 
schlimmert sie  bei  starkem  Blutverlust  jedesmal,  je  nachdem  es  eine  Secre- 
tio  sanguinolenta  oder  eine  Haemorrhagia  narium  per  Anastomosin  ist.  Spasmo- 
dische  Zufälle,  Kälte  und  Blässe  der  Haut,  besonders  der  Glieder,  Angst, 
Zittern,  Sinnestäuschungen,  Neigung  zum  Erbrechen,  diese  Zufälle  erschei- 
nen um  so  eher,  je  heftiger  und  andauernder  der  Blutverlust  ist.  Acute 
Exantheme  bei  zarten  Kindern  erregen  diese  Blutung  oft.  Die  Quantität 
des  vergossenen  Blutes  ist  hier  bedeutender  als  bei  der  synochischen  Form, 
welche  letztere  zuweilen  am  Ende  auch  erethistischer  Natur  werden  kann. 
Cur.  Ists  blutige  Secretion  und  sind  die  Kopfcongestiuihen  bedeutend,  so 
dient  ein  kleiner  revulsorischer  Aderlass;  zuweilen  reichen  Blutegel  in  die 
Schläfe,  an  den  Hals,  aus.  Daneben  innerlich  Mineralsäuren,  Ipecacuanha 
in  refr.  dosi ,  Digitalis,  bei  Krämpfen  Antispasmodica  u.  s.  w.  Mitunter  hat 
das  erethistische  Nasenbluten  einen  intermittirenden  Typus.  In  diesem  Falle 
passt  das  Chinin,  sulphuricum  oder  die  China  (s.  Heidelberger  klinische  An- 
iialen  18:28.  Bd.  IV,  Supplementheft  1.  S.  143— IßO).  c)  Das  paralytische 
Nasenbluten  erfordert  ausser  den  angegebenen  topischen  Mitteln  innerlich 
Mineralsäuren  in  grossen  Dosen,  China,  Acid.  oxymuriat. ,  Alaun,  Ferrum 
sulphuric.  etc. 

Haeuwrrhnf/in  ocnli  interni,  Blutung  im  Innern  des  Augapfels. 
Entsteht  vorzüglich  durch  mechanische  und  chemische  Schädlichkeiten  (i. 
Yulnus  biilbi  ocu  li). 

Unemorrhngin  oesophmji,  Blutung  aus  dem  Schlünde,  8.  Haemorrha- 
gia vent  ricul  i. 

Hnewnrrhaijin  orhitne,  Blutung  au»  der  Augenhöhle.  Erfolgt  in 
seltenen  Phallen  als  Anomalie  der  Menstruation,  oder  neben  den  Blutungen 
aus  andern  Organen  als  höchster  Grad  der  Paralyse  in  Febris  putrida.  .Am 
häufigsten  sind  aber  Verwundungen  der  Augenhöhle  Schuld  (s.  Vulnus 
orbitae)  •  _ 

Ilnemnrrhrtipn  on>,  Stomatoithnftin,  Blutung  aus  emem  oder  dem  an- 
dern Theile  der  Mundhöhle.  Hierbei  hat  man  in  Betreff  der  blutenden 
Stelle  sehr  subtilisirt  und  verschiedene  unwesentliche  Namen  erfunden,  ohne 
deren  Kountniss  wir  den  Mundblutfliiss  sehr  gut  erkennen  und  heilen  kön- 
nen, wenn  wir  nur  wissen,  welcher  Ursache  und  Charakters  er  ist.  Wenn 
das  Zahnfleisch  die  Quelle  ist,  so  heisst  die  Blutung  Ulorrha;rin ;  ists  die 
Zahnhöhle:  Phatnorrhaj;ia ;  ist»  der  Gaumen  und  Rachen:  i^'morrhni/ia ;  die 


HAEMORRHAGIA  »39 

innere  Fläche  der  Wangen:  Gnathorrnffia ',  kommt  sie  aus  der  Zunge!  Glos^ 
sorrhagia;  aus  den  Lippen:  Clieilnrthngia;  aus  dem  Schlünde:  Pharyinjorrha- 
gin.  Ursaclien.  1)  Örtliche  Verletzungen  der  Zunge,  des  Zahnfleisches, 
der  innern  Wange,  z.  B.  beim  Beissen  und  Fehibeissen  auf  fremde  Körper, 
beim  epileptischen  Insult;  durch  Wunden,  durch  Brand  in  der  Mundhöhle, 
durch  Angina  gangraenosa.  2)  Häufig  ist  die  Blutung  Symptom  von  AUge- 
meinleiden,  von  typhösen  und  paralytischen  Fiebern,  Scorbut,  Morbus  ma- 
culos.  Werlhofii,  Mercurialkrankheit ,  Febris  salivalis.  Auch  der  schvrarze 
Zungenbeleg  in  jenen  schlimmen  Fiebern  entsteht  nach  meinen  genauen  Un- 
tersuchungen oft  von  blutigem  Durchschwitzen  (^Most^.  3)  Zuweilen  ists 
blos  Folge  von  dem  sogenannten  örtlichen  Scorbute  am  Zahnfleische ,  ent- 
standen durch  Missbrauch  schlechter  Zahnpulver,  kalischer  Mittel,  Tabaks- 
asche, Unreinlichkeit,  vom  übermässigen  Genuss  animalischer  Kost  in  heissen 
Sommertagen.  Diagnose.  Ist  leicht.  Man  lässt  den  Kranken  den  Mund 
ausspülen  und  untersucht  dann  die  blutende  Stelle,  die  so  oft  sichtbar  wird 
nnd  mitunter  etwas  schmerzt.  Auch  lässt  man  ihn  mit  geschlossenem  Munde 
saugen  und  dann  ausspeien,  worauf  das  Bluten  sich  stärker  zeigt,  oder  den 
Mund  mit  Essig  ausspülen ,  worauf  es  sich  vermindert  oder  ganz  aufhört ; 
ausserdem  kommt  das  Blut  ohne  Husten ,  höchstens  mit  etwas  Räuspern, 
wodurch  die  Diagnose  von  Haemoptysis  leicht  wird.  Cur.  Oft  hilft  schon 
Ausspülen  des  Mundes  mit  kaltem  Wasser  und  Essig.  Ist  die  Blutung 
symptomatisch,  z.  B.  bei  Scorbut,  Morbus  Werlhofii,  Mercurialkrankheit^ 
80  wenden  wir  örtlich  Gurgelwasser  von  Decoct.  chinae,  Alaun  und  Brannt- 
wein, von  Essig,  von  Tinct.  myrrhae,  Tinct.  catechu  ana  p.  dosi  60  Tro- 
pfen in  einer  Tasse  Wasser,  an,  und  behandeln  durch  gute  innere  Mitteil 
das  Grundübel.  Entstand  die  Blutung  durch  Verletzungen,  Operationen,  so 
lässt  man  den  Mund  mit  drei  Theilen  kaltem  Wasser  und  einem  Theile 
Branntwein  ausspülen;  bei  bedeutenden  Zungenblutungen  dient  das  Com- 
pressorium  von  Lnmpe ,  bei  Zahnblutung,  wenn  andere  Mittel  nichts  fruch- 
ten, das  Glüheisen;  doch  versuche  man  vorher  die  Compression  mittels  des 
Korks  in  die  blutende  Zahnhöhle,  die  Aqua  vulner.  Theden.  ,  mit  Charpie 
eingedrückt. 

Hnemorrlini/ia  penis ,  virgae  viriUs.  Die  Blutung  aus  dem  Penis  in  Folge 
von  Verletzungen  oder  chirurgischer  Operationen  oder  bösartiger  Geschwür«, 
bei  Gonorrhoea  chordata,  Gangrän  etc.,  sind  oft  sehr  bedeutend,  ja  Schnitt- 
wunden oder  Amputatio  penis  können  durch  Blutverlust  tödten,  besonder.» 
wenn  die  Verletzung  mehr  an  der  Symphyse  stattfindet  und  der  ganze  Penis 
abgeschnitten  ist,  wobei  die  Corpora  cavernosa  sich  zurückziehen  und  die 
Gefässe  so  nicht  aufgefunden  und  unterbunden  werden  können.  Man  mache 
hier  eiskalte  Umschläge,  streue  Pulv.  stypticus  auf,  suche  durch  einen  Fin- 
gerdruck im  Perinaeum  den  Stumpf  wieder  hervorzutreiben  und  verhüte  bei 
Amputatio  penis  das  Zurückziehen  des  Stumpfs  durch  das  vorher  angelegte 
Bleiband,  das  auch  so  lange  liegen  bleibt,  bis  die  Gefahr  der  Nachblutung 
vorüber  ist  (t).  Gräfe).  Ausser  der  durch  mechanische  Ursachen  entstande- 
nen Blutung  des  Penis  kann  sie  auch  im  entzündlichen  Stadium  des  Trip- 
pers (s.  Gonorrhoea),  durch  Kanthariden ,  durch  Scorbut,  bei  Febri« 
putrida  (s.  Haematuria),  aus  den  Gefässen  der  innern  Harnröhrenhaut, 
aus  den  Samenbläschen,  den  Ductibus  deferentibus  als  Harnröhrenblutung 
stattfinden.  Bei  alten  Hämorrhoidariis ,  die  in  der  Onanie  und  physischen 
Liebe  viel  ausgeschweift  haben,  die  häufig  an  Trippern  gelitten  und  starke 
Weine:  Burgunder,  Portwein,  Ungarwein  lieben,  finden  wir  häufig  Blut- 
Tind  Schleimflüsse  aus  dem  Penis,  sowie  denn  auch  diese  Hämorrhagie  oft 
für  unterdrückte  Hämorrhoiden  vicariirend  auftritt.  Die  Behandlung  ist 
nach  den  Ursachen,  die  zu  entfernen  sind,  sowie  nach  dem  Charakter  der 
Blutung  verschieden.  Im  acuten  Stadium  des  Trippers  antiphlogistisch,  bei 
passivem  Charakter,  oder  in  Folge  mechanischer  Verletzung,  bei  geschwäch- 
ten Genitalien,  bei  angiektasischer  Ausdehnung  der  Gefässe,  kalte  Um- 
schläge von  Eiswasser,  Solut.  aiuminis,  Aq.  Goulardi  etc. ,  innerlich  viel 
kaltes   Wasser  u.  8.  w.      Die   Blutungen   aus  den    Samenbläschen  und  den 


940  HAEMOREIIAGIA 

Ductibus  deforentibus  erfolgen  nur  bei  und  gleich  nach  der  Samenergiessuiig, 
besonders  bei  geschwächten  Wollüstlingen,  welche  sich  durch  Aphrodisiaca 
reizen,  oder  wenn  der  Beischlaf  unmässig,  zu  oft  und  schnell  hinter  einan-. 
der  getrieben  wird.  Die  Cur  ist  die  so  eben  beschriebene,  dabei  innerlicb 
China,  Mineralsäjiren.  vi 

Unemorrhaiiia  petechinlis ,    Blutung   durch    die    Blutfleckenkrankheit,   tb 
Haeraorrhagia  oris  und  Mor  b  u  s  inacul  os  us  Werl  h  o  fii. 

Hacmorrhtiijia  pulmonum,  Pneumonorrhngin ,  ffnemoplißis ,  Hncmopiismws, 
Haemoptoe,  Emploe,  Emptmjs,  Sputum  cruenlum,  Smu/uinis  fainr ,  Blutung 
aus  den  J^ungen,  Bluthusten,  Blut  speien,  Blutaus  fluss,  Lun- 
gen b  1  utfluss.  Hierunter  versteht  man  Blutung  nicht  blos  aus  den  Lun- 
gen, sondern  auch  aus  andern  Respirationsorganen,  aus  dem  Kehlkopf,  der 
Luftröhre,  den  Bronchien,  die  man  dann  wol  in  specie  Lanjngorrhnijin, 
Tracheorrhaijia,  Ep'ujloUürrhaijia  nennen  könnte,. um  sie  von  der  eigentlichen 
Lungenblutung,  Pnca,non()rrhn(jia,  zu  unterscheiden.  Einige  .\rzte  nenneiv 
die  Blutung  aus  der  Luftröhre,  Mundhöhle,  Z^nge,  aus  den  Choanen  Hae- 
moptoe oder  Sputum  cruentum ,  die  aus  den  Lungen  dagegen  Hnemopttfsis 
(Gß/ciiMS,  Riverius ,  Ludwig,  Fr.  Ho/]'mnnn,  Z.  Platrier).  Viele  verstehen 
unter  Sputum  crucnlmn  auch  den  blutigen  Auswurf  bei  Pneumonie.  Dia- 
gnose. Tracheorrhagie  ist  nicht  immer  leicht  von  Haemoptysis  z\i  unter- 
scheiden, da  die  gewöhnlichen  Zeichen  der  erstem:  Gefühl  von  Kitzel  und 
Schmerz  in  der  Luftröhre,  und  zwar  an  einer  bestimmten  Stelle,  Blutans- 
wurf mit  blossem  Räuspern,  oft  auch  bei  letzterer  sind.  Zudem  ist  die 
Tracheorrhagie  auch  oft  niit  Husten  verbunden.,  wenn  das  vergossene  Blut 
in  die  Lungen'  herabfällt.  In  vielen  Fällen  sind  beide  Blutungen  zugleich 
da,  und  ausserdem  hat  die  Diagnose  nur  für  die  Folgeznstände ,  die  sie  am 
besten  aufhellen,  Wichtigkeit.  Zuweilen  werfen  manche  Kranke  etwas  Grau- 
schwärzliches  ,  Bräunliches  des  Morgens  aus,  was  man  irrig  für  Blut  gehal- 
ten. Es  ist  aber  ein  der  Farbe  nach  veränderter  Bronchialdrüsensaft,  ent- 
standen durch  den  Rnss  der  Nachtöllampe.  Die  Blutungen  aus  den  Choanis 
können,  wenn  das  Blut  auf  die  Glottis  fällt,  für  Bluthusten  gehalten  wer- 
den; aber  hier  dient  der  Mangel  aller  Brustbeschwerden  zur  Diagnose;  auch 
steht  die  Blutung,  wenn  man  Essig  und  Wasser  in  die  Nase  spritzt.  Bei 
heftigen  Lungenblutungen  kann  etwas  Blut  durchs  Verschlucken  in  den  Ma- 
gen kommen  und  ausgebrochen  werden,  oder  der  heftige  Husten  erregt 
sympathisch  Erbrechen,  was  auch  nicht  übersehen  werden  muss.  Bei  den 
Blutungen  aus  der  Mundhöhle  ist  die  Unterscheidung  leicht  (s.  Haeraor- 
rhagia oris).  Symptome.  Die  Vorboten  sind  hier  sowol  bei  der  acti- 
Tcn ,  als  bei  der  erethistischen  Form  die  gewöhnlichen  Zeichen  der  Conge- 
htion:  abwechselnd  Angst,  Frost,  Hitze,  voller  harter  Puls,  Herzklopfen, 
sparsamer  Urin,  beschwerliches  Athemholen,  besonders  beim  Inspiriren,  Reiz 
zum  Husten,  Bruststiche,  Brennen  und  Wärme  unter  dem  Brustbeine,  über- 
haupt bei  der  Pnenmonorrhagia  synochica  fast  alle  Zeichen  anfangender 
Pneumonie;  dagegen  sind  diese  bei  der  Pn.  erethistica  nicht  so  bedeu:end, 
sondern  die  spastischen  Zufälle  mehr  hervorstechend,  als:  blasser,  wasser- 
heller  Urin,  Congostion  zum  Kopfe  mit  circumscripter  Röthe  auf  den  *VVan- 
gen,  dabei  bald  kalte,  trockne  Haut,  bald  Hitze,  besonders  in  der  vola 
manus  und  planta  pedis,  freijuenter,  schneller,  kleiner,  härtlicher,  zusammen- 
gezogener Puls  etc.  Diese  Zufälle  nehmen  bis  zum  wirklichen  Bluthusten  zu. 
kurz  vor  dem  Eintritt  des  letztern  stellt  sich  ein  meist  süsslicher,  selten 
salzi<Ter  Geschmack  ein,  dabei  das  Gefühl  einer  wallenden,  kochenden,  nicht 
unangenehmen  Wärme  in  der  Brust,  ein  Kitzeln  in  der  Luftröhre  und  im 
Kehlkopfe,  das  dann  zum  Husten  reizt,  unter  welchem  der  Blutauswurf  selbst 
erfolgt.  Die  Quelle  des  Bluts  sind  zuweilen  die  Bronchialgefässe ,  häufiger 
aber  ists  eine  Secretio  sanguinolenta  aus  den  sogenannten  Lungenbläschen. 
Das  Blut  ist  meist  hellroth ,  also  arteriell,  wenigstens  sieht  es  beim  ersten 
Anblicke  so  aus;  was  an  spätem  Tagen  ausgehustet  wird,  ist  oft  verkohlt, 
.sieht  daher  dunkler  aus,  was  ebenso  wenig  eine  venöse  Blutung  anzeigt, 
als  das  ausgewaschene  Blut,   das  dem   rohen  Fleische  ähnelt,   und   auch  im 


HAEMORRHAGIA  911 

Verlaufe  unter  den  Sputis  vorkommen  kann,  auf  ausgehustete  Lungenstficke 
deutet.  Zu  Anfange  kommt  meist  reines  Blut,  beim  Nachlasse  ists  mit  Schleim 
yermischt.  Die  Quantität  beträgt  in  den  meisten  Fällen  nur  einige  Esslöflel 
voll,  in  seitnern  Fällen  ein  Pfund  und  mehr.  Dann  ist  die  Respiration  stei» 
zischend,  rasselnd  und  von  sehr  unangenehmem,  Angst  erregendem  Tone. 
Die  Auscultation  mittels  des  Stethoskops  zeigt  auch  bei  unbedeutender,  lang- 
samer Blutung  (Haemoptysis)  diesen  bei  Lungenblutsturz  (Haemorrhagia  pul- 
monum) schoii  ohne  Stethoskop  bemerkbaren  Ton.  Der  Verlauf  des  Übels 
ist  in  den  meisten  Fällen  chronisch,  und  es  bleibt  grosse  Neigung  zu  Reci- 
diven  zurück;  bei  heftigem  Blutverlust  kann  indessen  unter  den  Symptomen 
der  Deplelion  und  Erstickung  der  Tod  folgen.  Bei  erethistischem  Bluthu- 
sten ist  das  Quantum  des  vergossenen  Blutes  meist  bedeutender  als  bei  der 
synochischen  Form;  es  coagulirt  nicht  so  schnell  und  bildet  auch  keine  so 
bedeutende  Speckhaut  als  bei  recht  activen  Blutungen.  Die  Erleichterung 
des  Kranken  während  der  Blutung,  die  Menge  des  Blutverlustes  und  seine 
ßeschalfenheit  dienen  zur  Diagnose,  ob  es  eine  blutige  Secretion  ist  oder 
ob  es  durch  Anastomose  erfolgte  (s.  oben).  Die  paralytischen  Lungenblu- 
tnngen  finden  nur  bei  hohem  Grade  von  Kachexie,  bei  alten,  abgelebten 
Leuten ,  als  Symptom  der  Febris  putrida ,  der  Petechien ,  des  Scorbuts  etc. 
statt.  Das  Blut  sieht  schwarz,  dünn,  aufgelöst,  braungelb  aus,  der  Atheia 
ist,  wie  beim  Lungenbrande,  röchelnd  und  stinkend;  dabei  alle  übrigen  Zei- 
ehen  der  Adynämie  und  CoUiquation.  Der  Typus  der  Hämoptysis  ist  last 
immer  intermittirend,  die  Intermissionen  sind  meist  von  unbestimmter  Dauer, 
kehren  indessen  zuweilen  auch  regelmässig  wieder,  z.  B.  wenn  die  Blutung 
in  den  FJxacerbationen  der  Fieber  oder  als  Haemorrhagia  vicaria  auftritt. 
Bei  organischen  Fehlern  wird  das  Blutspeien  oft  habituell,  dagegen  ist  ei 
bei  mechanischen  Verletzungen  meist  nur  von  kurzer  Dauer,  Ursachen. 
Verschiedene  Dinge  geben  Prädisposition  z«  Bluthusten ,  deren  Unterschei- 
dung wichtig  ist.  1)  Eine  besondere  Anlage  dazu  giebt  der  Habitus  phthi- 
sicus,  wo  umschriebene  Gesichtsröthe  (sog.  Schwindsuchtrose)  neben  den 
übrigen  Zeichen:  langgestreckter  Wuchs,  langer  Hals,  platte  Brust  etc. 
(s.  Habitus  und  Phthisis)  stattfindet.  Wir  finden  hier  meist  blonde» 
Haar,  blaue  Augen,  sehr  schnellen  Puls,  sehr  weisse  Zähne.  2)  Prädispo- 
nirt  dazu  das  jugendliche  Alter,  wenn  das  kindliche  Alter  und  die  damit 
verbundene  Neigung  zu  Epistaxis  vorüber  ist.  3)  Einigen  Eintluss  haben 
die  Tageszeiten.  Die  meisten  Anfälle  des  Bluthustens  konnuen  in  der  Nacht 
oder  des  Morgens ;  im  ersten  Falle  am  häufigsten  zwischen  2  und  3  Uhr, 
im  letztern  gegen  11  Uhr  Vormittags.  Veränderter  Druck  der  Atmosphäre 
und  elektromagnetische  Processe  können  hier  von  Einfluss  seyn.  (Nicht  blos 
Blutungen,  auch  die  Paroxysmen  der  Gicht,  der 'Epilepsie,  Hysterie  etc. 
fallen ,  merkwürdig  genug !  nach  meiner  Beobachtung  häufig  in  die  Stunden 
von  2  bis  3  des  Nachts,  und  von  10  bis  11  des  Vormittags,  wo,  nach 
Jlansteeii's  jahrelangen,  trefflichen  Beobachtungen  die  Intensität  des  Erd- 
magnetismus gerade  ihr  Maximum  und  Minimum  erreicht.  Most.y  Auch  hö- 
here 'J.'emperatur  des  Körpers,  in  Schlafzimmern,  die  klein  und  dumpfig 
sind,  selbst  die  niedrige  Lage  des  Körpers,  oft  auch  der  Coltus,  können 
des  Nachts  Veranlassung  geben.  4)  Ein  fehlerhafter  Bau  und  Deformitäten 
des  Brustkastens :  Buckel,  Rückgratskrümmungen,  oft  mit  gleichzeitigen  Ver- 
wachsungen der  Lungen,  prädisponiren  in  einzelnen  Fällen  zu  Blutspeien ,  in 
andern  Fällen  aber  gar  nicht ;  die  verschiedenen  Formen  von  Kyphosis, 
Skoliosis  und  Lordosis  machen  den  Unterschied,  indem  die  Lungen  hier  bald 
mehr  '  oder  weniger,  bald  gar  nicht  durch  Beengung  des  Raums  leiden. 
5)  Am  häufigsten  finden  wir  Haemoptysis  aus  aligemeinen  Ursachen ,  Con- 
gestion  zur  Brust  in  der  Entwickelungsperiode  vom  Jünglings  -  zum  Man-  i 
nesalter,  also  zwischen  den  Jahren  14  und  SO,  bei  Frauenzimmern  am  häu- 
figsten zwischen  den  Jahren  14  und  20.  Erscheint  das  Übel  erst  gegen  das 
40ste  Jahr,  so  ists  gewöhnlich  Folge  anderer  ungeregelter  Blutungen,  der 
Hämorrhoiden,  Menstruation,  oder  Folge  organischer  Fehler,  besonders  der 
Varicea  pulmonum.     Gelegentliche  Ursachen.    Sind  gleichfalls  selir  zahlreich. 


942  HAEMORRHAGIA 

1)  Heftige  körperliche  Anstrengungen:  Heben,  Laufen,  Schieben,  Reitei^ 
besonders  aber  starke  Anstrengung  der  Lungen:  starkes  Schreien,  vieles 
lautes  Reden  ,  wie  bei  Schauspielern ,  Declamatoren ,  Predigern ,  Ausrufern  ; 
Commotio  cerebri  et  pectoris  durch  Sturz ,  Anstrengungen  der  Lungen  beim 
Blasen  der  Trompete,  Posaune  etc.  2)  Schneller  Wechsel  der  Temperatur, 
starke  Winterkälte  und  heisse  Stuben,  Alles,  was  Pneumonie  macht,  kalte, 
trockne  Nord-  und  Nordostwinde,  welche  besonders  neben  andern  gelegent- 
lichen Schädlichkeiten:  Erhitzung  durch  Spirituosa,  Erkältung,  heftige  Kör- 
perbewegung, etc.,  active,  synochische  Lungenblutung  erregen.  So  kann 
selbst  eine  Haemoptysis  epidemica  durch  die  Witterungsconstitution  begrün- 
det werden  (^Sydenham,  Opp.  omn.  Sect.  VL  cap.  7,).  3)  Das  Ausbleiben 
gewohnter  Blutungen,  der  Menses,  der  Hämorrhoiden  (s.  Haemor rhoides 
und  Menstruatio  retenta).  4)  Zuweilen  ist  ein  tuberkulöser  Zustand 
der  Lungen,  wodurch  die  Blutcirculation  in  letztern  beeinträchtigt  wird, 
Ursache.  Es  platzen  einzelne  Tuberkeln ,  welche  venöses ,  dunkles  Blut 
durchs  Aushusten  entleeren,  ohne  dass  dasselbe  lange  gelegen  hat.  Bei 
Lungengesc'jwüren  und  Brustkrebs  kann  auch  per  Diabrosin  diese  Blutung 
erfolgen.  5)  Müller,  Friseurs,  Steinmetze,  Hütten-  und  Metallarbeiter  lei- 
den wegen  ihrer  den  Lungen  nachtheiligen  Profession  nicht  selten  Ein  ere- 
thistischen  Lungenblutungen.  6)  In  seitnern  Fällen  sind  Verwundungen  den 
Brust,  Stichwunden,  Rippenbrüche  die  einzige  Ursache,  und  die  Disposition 
braucht  hier  gar  nicht  stattzufinden  (s.  Fractura  costarum).  7)  Pneii- 
monien  haben  fast  immer  einige  blutige  Secretion  (Sputa  cruenta)  zur  Folge. 
Bei  bedeutenden  Lungenentzündungen  mit  Neigung  zum  Lungenbrande  ent- 
steht durch  die  grosse  Quantität  des  secernirten  und  aufgelösten  Blutes 
häufig  der  Tod  durch  Erstickung.  (Dass  der  Lungenbrand  nicht,  we 
Laennec  behauptet,  jedesmal  ein  dem  Anthrax  und  der  Pustula  maligna  ähn- 
licher Morbus  sui  generis  sey,  sondern  zuweilen  auch  als  schlimmer  Ausgang 
heftiger  Pneumonien  erfolge,  haben  Beobachtungen  von  Andral,  Nicod  u.  A. 
[s.  Leipzig.  Abhandl.  f.  prakt.  Ärzte.  Bd.  XH.  St.  1.  18i8.]  noch  neuerlich 
wiederum  bestätigt;  vgl.  auch  Gangraena  interna).  8)  Organische  Feh- 
ler des  Herzens  und  der  Aorta,  Verhärtungen  grosser  Abdominaleingeweide, 
Schwangerschaft,  enge  Kleidung  bei  starker  Körperbewegung,  z.  B.  Schnür- 
leiber beim  Tanze ,  kurz  Alles,  was  die  Blutcirculation  in  einzelnen  Theilen 
hemmt  und  so  Congestion  in  dem  schwammigen,  lockern  Lungenparenchym 
macht,  kann  Blutungen  der  Lungen  erregen.  Prognose.  Ist  mehr  schlimm 
als  gut,  weil  das  blutende  Organ  ein  so  höchst  wichtiges  ist  und  jede  Lun- 
genblutung ein  Leiden  dieses  Organs  als  Folgekrankheit  hinterlassen  kann, 
sowie  denn  manche  Hämoptysis  schon  auf  ein  solches  schliessen  lässt.  1)  Die 
Gefahr  des  Verblutens  ist  nicht  gross;  freilich  sieht  das  Blutspeien,  noch 
mehr  der  Blutsturz,  oft  sehr  gefährlich  aus,  doch  blutet  sich  der  Kranke 
nie  todt;  nur  bei  einem  heftigen  Rippenbruche,  wo  das  Rippenstück  einen 
grossen  Theil  der  Lunge  verletzt,  sowie  bei  andern  bedeutenden  mechani- 
schen Verletzungen  dieses  Organs  kann  Verblutung  und  Tod  stattfinden 
(s.  Fractura  costarum).  2)  Höchst  selten  erfolgt  auf  diese  Blutung 
Erstickung.  Nur  bei  bedeutenden  organischen  Lungenfehlern  oder  bei  V^er- 
wundungen  der  Lunge  mit  gleichzeitiger  grosser  Bewusstlosigkeit,  Sopor, 
wo  der  Mensch  aus  Schwäche  oder  Unbesinnlichkeit  nicht  mehr  aufhustea 
kann ,  oder  bei  Coraplication  anderer  Verletzungen,  z.  B.  der  Luftröhre,  des 
Mundes,  besonders  bei  gleichzeitigem  Emphysem,  bei  organischen  Fehlern 
des  Herzens ,  des  Herzbeutels  etc. ,  ist  bei  sonst  bedeutender  Hämoptysis 
Erstickung  zu  befürchten.  S)  Für  sich  ist  das  Blutspeien  nicht  gefährlich; 
aber  in  sehr  vielen  Fällen  ists  ein  böses  Zeichen  von  phthisischer  Anlage, 
von  der  Gegenwart  der  Lungentuberkeln  und  von  bald  erfolgender  Lungen- 
eiterung. Dabei  ist  es  höchst  wichtig,  die  Veranlassung  der  Blutung  ge- 
hörig zu  würdigen.  Je  bedeutender  und  heftiger  die  äussere  gelegentliche 
schädliche  Einwirkung  war,  eine  desto  bessere  Prognose  kann  man  stellen. 
Wenn  z.  B.  Jemand  nach  starker  Körperbewegung,  nach  einem  Sturz  vom 
Pferde  etc.  Blutspeien  bekommt,  so  ist  dies  nicht  so  gefährlich,  ab>  wenn  es 


HAE:\IORilHAeaA  943 

Yon  selbst ,  durch  eine  geringe  Veranlassung ,  z.  B.  nach  einer  kleinen  Ga- 
müthsbewegung ,  durchs  Bücken  zur  Erde  etc.  erfolgt.  4)  Das  Blutspeien 
ist  um  sfr  böser,  je  öfter  ein  Recidiv  kommt,  z.  B.  bei  Phthisischen;  dage- 
gen hat  es  bei  Schwängern,  bei  Frauen  in  der  Decrepilätsperiode ,  bei  den 
Haemorrhoidibus  retentis  alter  Leute  weniger  zu  bedeuten.  5)  Die  blutigen 
Sputa  in  den  ersten  3  —  5  Tagen  der  Pneumonie  bedeuten  nichts  Schlim- 
mes ;  sie  gehören  zum  normalen  Verlauf  der  Krankheit ;  nur  wenn  die  Sputa 
noch  gegen  den  7ten,  9lcn  Tag  hin  nicht  rund,  eiterartig  (Sputa  cocta), 
sondern  noch  Sputa  cruenta  sind,  wenn  die  andern  Krisen  im  Urine  fehlen, 
ist  \^egen  nicht  gehöriger  Entscheidung  der  Krankheit,  wegen  möglicher 
Folgen  von  Lungeneiterung ,  Verhärtung  etc.  Gefahr  zu  fürchten.  Über- 
haupt ist  die  bei  Fiebern  und  Entzündungen,  aus  örtlichen  und  momentanen 
Congestionen  der  Lunge  abhängige,  meist  active  Blutung  weniger  von  Be- 
deutung als  die  erethistische  Hämoptysis  der  jungen  Leute  mit  Habitus  scro- 
phulosus,  tuberculosus,  phthisicus.  6)  Daher  ist  auch  das  Alter  des  Kran- 
ken von  Bedeutung.  Besonders  schlimm  ist  das  Blutspeien  in  den  Pubertäts- 
jahren, wo  ohnehin  die  Congestion  zur  Brust  so  bedeutend  und  die  Lungen- 
gefässe  noch  nicht  kräftig  genug  ausgebildet  sind,  zumed  wenn  phthisische 
Anlage  vorhanden  ist.  7)  So\%ie  die  Quantität  des  Blutverlustes,  besonders 
bei  Recidiven,  die  Prognose  mit  bestimmt,  ebenso  ist  auch  die  Qualität  des 
ausge\sorfenen  Blutes  nicht  ohne  Bedeutung.  Ists  hellroth,  bildet  es  bald 
Coagulum  und  eine  Speckhaat,  so  deutet  es  auf  Synocha  und  Blutsecretion, 
wie  z.  B.  bei  Blutsturz  nach  mechanischen  Gewaltthätigkeiten;  giebt  also 
eine  bessere  Prognose,  als  wenn  es  hellroth,  dünn  und  flüssig  bleibt  und  in 
grösserer  Quantität  secernirt  wird  (Zeichen  der  erethistischen  Blutung);  am 
schlimmsten  ist  das  dünne,  aufgelöste,  dunkle,  missfarbige  Blut  bei  Paralyse 
(s.  Gangraena  pulmonum).  8)  Ein  hefiiger  Husten,  ein  festsitzender 
Schmerz  unter  dem  Brustbeine,  bedeutendes  Asthma:  Umstände,  die  organp- 
sche  Fehler  vermuthen  lassen;  ferner  starker  Eiterauswurf,  heftiges,  noch 
nach  der  Blutung  anhaltendes  Fieber  mit  kleinem,  frequentem,  spastischem 
Pulse,  mit  Schwindsuchtsrose,  Gefühl  von  Schwäche,  Hinfälligkeit,  Nacht- 
schweisse,  sind  schlimme  Zeichen.  Dass  ausserdem  die  Complicationen  von 
Scorbut,  organischen  Fehlern  und  Eiterungen  in  der  Brust,  von  Pneuraonva 
typhosa,  Typhus,  Febris  putrida  etc.,  die  schlimmste  Prognose  bei  Lungen- 
biutungen  stellen,  versteht  sich  von  selbst.  Behandlung.  Ist  höchst  ver- 
schieden, je  nachdem  es  eine  »ynochlsche,  erethistische  oder  paralytisch« 
Lungenblutung  ist.  Die  herrlichsten  und  hülfreichsten  Mittel  bei  der  ersten 
Art  tödten  bei  der  letztern  und  umgekehrt.  1)  Bei  Haemopdjuis  synochica 
ist  Aderlassen  das  erste  und  wichtigste  Mittel,  gerade  wie  bei  Pneumonie 
Man  lässt  während  der  Blutung  8,  15,  ja  16  Unzen  Blut  am  Arme,  beson- 
ders bei  Robusten,  bei  starker  Oppressio  pectoris,  starkem  Röcheln  und 
Kochen  in  der  Brust,  bei  vorhergegangenen  mechanischen  Schädlichkeiten, 
Sturz,  Fall,  wenn  der  Kranke  durch  Überfahren  eines  Wagens  über  di« 
Brust  Blutsturz  bekommen  hat.  Aber  auch  ohne  solche  Veranlassungen  ist 
zu  Anfange  des  Blutspeiens  bei  sonst  gesunden  Subjecten  das  Aderlassen  ja 
nicht  zu  versäumen,  denn  nur  dadurch  können  wir  den  schlimmen  Folgen 
am  besten  vorbeugen.  Waren  unterdrückte  Menses,  Hämorrhoiden  Schuldi, 
so  zieht  man  die  ^'enaesection  am  Fnsse  vor;  setzt  auch  wol  Blutegel  an 
die  Schenkel.  In  andern  Fällen  können  letztere  deis  Aderlassen  nie  ersetzen 
und  die  Broussais'sche  Blutegelpraxis  hat  durch  Versäumuiss  des  Aderlassena 
bei  Blutspeien  und  Pneumonie  viel  zu  verantworten.  „Würde  es  nur  ein« 
Methode  geben  das  Blutspeien  zu  behandeln ,  sagt  mit  vollem  Rechte  Himhj, 
80  würden  sich  beim  Aderlassen  mehrere  Kranke  besser  befinden  als  beim 
Opium  und  bei  den  Säuren;"  allerdings,  denn  die  synochalen  und  erethisti- 
schen Lungenblutungen  kommen  am  häufigsten  vor.  Hinterher  geben  wir 
Nitrum  mit  Tart.  vitriolatus  in  Emulsionen,  später  erst  Salmiak  (weil  er 
anfangs  zu  sehr  zum  Husten  reizt).  Auch  die  vegetabilischen  Säuren  dienen 
zu  Anfange  nicht  rein,  sondern  in  schleimigen  Vehikeln ,  z.  B.  I^  Sal.  essen- 
iinl.  tnrUiri  öih    M'  ^'''<^^  idaci  ^\'}%     Alle    '^  Stunden    1  Esslöüei   voll   in 


944  HAEMORRHAGIA 

Haferschleim.  Vor  dem  frühen  Gebrauche  der  Mineralsäuren,  des  Zixnmts, 
des  Opiums  hüte  man  sich.  Dagegen  passen  laue  Hand-  und  Fussbäder, 
revulsorische  Mittel,  Epispastica  an  die  Füsse,  auf  die  Brust,  eröifnende 
Klystiere-  Höchst  gefährlich  sind  äussere  kalte  Umschläge  von  Essig,  Was- 
ser etc.  auf  die  Brust;  sie  können  heftige  Pneumonie  durch  plötzliches  Un- 
terdrücken der  Blutung  erregen ,  besonders  wenn  diese  durch  starke  Er- 
lützung  veranlasst  wurde;  nur  wo  der  Blutsturz  ungeheuer  stark  ist,  wo 
schon  mehrere  Pfunde  Blut  verloren  gegangen  sind ,  wo  also  Indicatio  vita- 
lls  jede  andere  Rücksicht  verdrängt,  dürfen  wir  sie,  als  leidige  Rettungs- 
inittel  für  den  Augenblick,  anwenden.  Hier  mögen  denn  auch  innerlich  kal- 
tes Wasser,  Mineralsäuren  gereicht  werden.  Die  Diät  ist  die  allgemeine  der 
Haemorrhagia  synochica  (s.  oben).  Der  Kranke  niuss  mehr  sitzen  als  lie- 
gen ,  sich  höchst  passiv  verhalten ,  Alles ,  w  as  die  Sinne  und  das  Gemüth 
reizt,  vermeiden,  kühle,  reine  Luft  athmen,  viel  schleimige  Dinge:  Emuls. 
sem.  papav.,  amygdalar.,  Decoct.  rad.  althaeae  etc.,  zu  sich  nehmen  und  alle 
heissen  oder  ganz  kalten  Getränke  vermeiden ;  auch  alle  enge  Kleidung  ab- 
legen und  keinen  Tabak  rauchen.  <J)  Bei  Uaemopiijsis  erethislica  ist  ein  klei- 
ner Aderlass  von  4  —  6  Unzen  zu  Anfange  in  den  meisten  Fällen  gleichfall» 
nothwendig ,  besonders  wenn  es  Secretio  sanguinolenta  ist.  Versäumt  man 
den  hier  so  treiflich  wirkenden  revulsorischen  kleinen  Aderlass,  so  wird  di« 
Blutung  durch  Übergang  von  der  Blutsecretion  in  Haemorrhagia  per  Ana- 
stomosin oft  sehr  coplös.  Bei  Neuheit  des  Übels ,  bei  starken  Blutcongestio- 
nen,  unterdrückten  Regeln  und  Hämorrhoiden  zögere  man  ja  nicht  damit. 
Nach  dem  Aderlass  oder,  wo  dieser  nicht  nöthig  war,  gleich  anfangs,  sind 
Säuren  innerlich,  mit  vielem  Haferschleim  vermischt,  unentbehrlich  (s.  oben 
Haemorrhagia);  desgleichen  bei  Convulsionen  besonders  Opium,  z.  B. 
Tinct.  opii  zu  2 — 6  Tropfen,  Extr.  hyoscyami  oder  Ol.  hyoscyami  gj,  Ol. 
amygdal.  dulc.  gjj.  Täglich  zweimal  2 — 3  Theelöffel  voll  {Harless) ,  vor- 
züglich aber  die  Digitalis,  am  besten  aber  in  folgender  Verbindung:  iy  Tinct. 
ofui  simpl.  5ll>  —  digital.  5jj-  M.  S.  Abends  und  Morgens  10,  15  —  20  Tro- 
pfen. Auch  wirkt  hier  folgendes  Pulver  sehr  gut:  I^  Caslorei  gr.  jj ,  Herb, 
digit.  purp.  gr.  j ,  Tart.  tartarisai.  gr.  vj ,  Gumm.  arab. ,  Sacchnri  albi  ana 
■^1^.  M.  f.  p.  S.  Dreimal  täglich  ein  Pulver  mit  Wasser  (^Most).  Die  bei 
Metrorrhagien  so  vortreffliche  Ipecacuanha  eiTegt  leicht  Erbrechen;  auch 
Nicoliana,  Arnica  und  Senega,  desgleichen  Kampher  und  Moschus  passen 
hier  durchaus  nicht.  Wir  haben  es  hier  mit  Lungeublutung  zu  thun ;  Alles, 
was  Magen  und  Lunge  reizt,  schadet,  und  gegen  das  symptomatische  Spa- 
stische haben  wir  Opium,  Digitalis  und  Castoreum,  auch  das  Infus,  valeria- 
nae,  die  ohne  schädliche  Nebenwirkung  vollkommen  hinreichen.  Den  Reiz 
zum  unnöthigen  Husten  mildern  wir  am  besten  durch  Extr.  hyoscyami, 
Opium,  Mucilaginosa  und  Oleosa.  Letztere  schwächen  indessen,  anhaltend 
gebraucht,  leicht  den  Magen.  Revulsorische  Mittel:  reizende  Fussbäder, 
Senf-  und  Meerret tigteige  an  die  Füsse,  auf  die  Brust,  an  die  Oberarme 
sind  sehr  nützliche  Nebenraittel.  Mit  den  äussern  kalten  und  den  innerlich 
stopfenden  Mitteln  sey  man  auch  bei  dem  erethistischen  Blutspeien  sehr  vor- 
sichiig;  besonders  nachtheilig  ists  bei  Habitus  phthisicus,  wo  die  schlimmen 
Folgen  davon  nie  ausbleiben.  Nur  bei  Indicatio  vitalis  dürfen  wir  hier  zu 
kalten  Getränken ,  kalten  Umschlägen  greifen.  Bei  spastischem  Reizhusten 
verordnen  wir  Linim.  volat.  camph.  mit  Ol.  hyoscyami  und  Laudanum  zum 
Einreiben  in  die  Brust,  vermeiden  aber  die  sonst  nützlichen  antispasmodi- 
.schen  Fomentationen ,  weil  sie  die  Brust  durch  mechanischen  Druck  oppri- 
liiiren  und  dem  Kranken  stets  lästig  sind.  3)  Bei  Haemoptgsis  parahjtica  als 
Symptom  bösartiger  Fieber  passen  vorzüglich  grosse  Dosen  Mineralsäuren 
mit  China  (s.  oben  Haemorrhagia  paralytica),  im  Scorbut  besonders 
Myrrhe,  Kino,  Terra  catcchu ,  Alaun,  schwefelsaures  Eisen  und  Kupfer, 
z.  B.  1^  Vitrioli  coerulei  gr.  xv,  A(f.  destill.  Ü]],  Gumm.  arab.  5jj-  M.  S. 
Stündlich  y,  —  1  Esslöffel  voll.  Dabei  behandle  man  das  Grundübel,  den 
Scorbut,  den  Typhus,  das  Faulfiober ,  wo  also  innerlich  Serpentaria,  Se- 
nega, Arnica,   Kampher,    Moschus,    Bals.   vitae  Hoffm. ,    Tinct.    zingiberis. 


HAEMORRHAGIA  9-15 

ciiinamoini ,  myrrhae,  Wein  etc,  nothwendig  sind.  Ausserdem  wende  man 
äusserllch  reizende  Mittel :  Linim.  volat.  canijWi. ,  terebinth.,  mit  Tinct.  can- 
tharidura  zu  Einreibungen,  und  die  kräftigsten  adstringirenden  und  stypti- 
schen  Mittel:  starken  Essig,  verdünnte  Schwefelsäure,  Solut.  vitrioH  coerulei, 
aluminis  in  Form  kalter  Umschläge  auf  die  Brust  an.  Die  revulsorisohen 
Mittel  finden  hier  keine  Anwendung ;  die  Diät  muss  reizend  und  kräftig  seyn 
(s.  Haemorrhagia  paralytica).  —  Ausser  der  wichtigen  Indication, 
die  Hämoptysis  ihrem  Charakter  nach  zu  behandeln,  wie  eben  gezeigt  wor- 
den ,  ist  eine  zweite  Anzeige  die  Hebung  der  entferntem  Ursache ;  eine 
dritte:  Verhütung  der  Recidive;  eine  vierte:  Berücksichtigung  der  Compli- 
cationen.  Alle  diese  Indicationen  erfüllen  wir  durch  zweckmässige  diäteti- 
sche und  pharraaceutische  Mittel  sowol  während  der  Blutung  als  bei  der 
Reconvalescenz ,  wie  dieses  aus  folgenden  praktischen  Cautelen  näher  her-f 
vorgeht,  a)  Die  Zimmerluft  des  Kranken  muss  weder  zu  kalt,  noch  heiss 
seyn.  Sie  muss  nicht  durch  Staub ,  Sand ,  Auskehren  etc.  verunreinigt  wer- 
den, ft)  Alle  Anstrengungen  der  Lungen  durch  lautes  Reden,  alle  reizende 
Speisen  und  Getränke  sind,  die  seltene  paralytische  Hämoptysis  ausgenom- 
men, sorgfältig  zu  vermeiden,  c)  Haeraoptysis  habitualis  finden  wir  am  häu- 
figsten bei  Schwindsüchtigen;  nur  die  radicale  Cur  der  letztern,  die  freilich 
meist  pium  desiderium  ist,  vermag  sie  radical  zu  heilen  (s.  Phthisis  pul- 
monalis).  d)  Bei  Blutspeien  wegen  Pneumonie  oder  als  Haemorrhois  et 
Menstruatio  vicaria  passen  innerlich  keine  Mineralsäuren,  sondern  Mucilagi- 
nosa.  Oleosa  neben  Aderlassen,  Blutegeln  ad  anum  etc.,  bei  synocliischem 
Zustande  auch  Nitrum.  e)  Die  unmittelbare  Beseitigung  der  Blutung,  die 
allerdings  uns  im  Anfalle  der  Hämoptysis  beschäftigt  und  mit  gehöriger  Vor- 
sicht und  Rücksicht  auf  das  Grundübel  und  die  Folgen  beschafft  werden 
muss,  ist  ganz  und  gar  nicht  die  Hauptsache.  Der  wichtigste  Gegenstand 
der  Cur  ist  die  Behandlung  im  Zeiträume  der  sogenannten  Reconvalescenz 
oder  richtiger  im  Zeiträume,  wo  das  Lungenübel  oder  jedes  andere  Übel, 
wovon  das  ßlutspeien  nur  das  Symptom  ist,  ohne  Haemorrhagia  pulmonum 
unsere  ganze  Aufmerksamkeit  auf  sich  zieht.  Hier  giebt  es  verschiedene  Zu- 
stände, a)  Die  Constitution  ist  plethorisch,  die  Anlage  zu  synochischer 
Hämoptysis  da.  Vermeidung  alles  dessen,  was  Congestion  macht,  magere 
Diät,  vegetabilische  Kost,  Vermeidung  schnellen  Temperaturwechsels,  hef- 
tiger Körperbewegungen ,  der  Anstrengung  der  Lungen ,  aber  viel  Wasser- 
trinken, Sorge  für  gute  Leibesöffnung  durch  gelinde  kühlende  Laxanzen: 
Sal  Glauberi,  Tamarinden,  viel  Limonade,  aber  kein  Bier,  keinen  Wein, 
keine  Gewürze,  im  Nothfall  einen  Aderlass ;  diese  Mittel  sind  hier  Haupt- 
mittel. Auch  das  Kochsalz,  dreimal  täglich  ^j  in  Pulverform,  wirkt  hier 
ganz  vortrefflich,  indem  es  die  Leibesöffnung  befördert  und  zum  Wassertrin- 
ken nöthigt.  Die  mittlem  und  niedern  Stände  glauben  nicht  an  die  wohl- 
thätigen  Wirkungen  des  Wassertrinkens  ;  ja  Viele  haben  eine  wahre  psychi- 
sche Wasserscheu.  Hier  verordne  ich  Syr.  rub  id.,  wovon  alle  2  Stunden 
1  Theelöffel  voll,  mit  einem  Glase  Wasser  gemischt,  genommen  werden  muss. 
/8)  In  den  meisten  Fällen  ists  Haemoptysis  erethistica  bei  Dispositio  phthisica. 
Auch  hier  muss  das  ganze  Regimen  streng  kühlend,  die  Nahrung  nicht  rei- 
zend, nicht  erhitzend,  sondern  gutnährend  und  leicht  seyn  (vegetabilische 
Kost,  Milchdiät,  Landluft).  Alles,  was  die  Congestion  zu  den  Lungen  ver- 
mehrt, muss  streng  vermieden  werden.  Linerlich  passt  hier  besonders  Digi- 
talis mit  Crem,  tartari.  Litt  die  Nutrition  durch  den  Blutverlust,  ist  det 
Kranke  mager,  sensibel,  sehr  reizbar,  so  thut  die  China  im  Decoct,  das 
Chinin,  neben  leichten  Fleischsuppen  herrliche  Dienste  (M);  auch  die  Ex- 
Iracte  von  Card,  bened. ,  Trifol. ,  Quassia ,  mit  Vorsicht  die  Stahlbrnnnen 
von  Spaa,  Schwalbach,  Driburg,  Pyrmont  leisten  hier  sehr  viel.  Mit  dem 
innerlichen  Gebrauche  der  Eisenpräparate  sey  man  ja  recht  vorsichtig. 
Junge  Subjecte  mit  Habitus  phthisicus  vertragen  sie  höchst  selten,  wegen 
ihrer  reizenden  Wirkung  aufs  Blutsystem.  Laue  Bäder,  anfangs  antispasmo- 
dische,  später  Salzbäder,  besonders  wenn  die  Phthisis  sich  aus  Scropheln 
entwickelte,  zuletzt  Lohe-  und  Stahlbäder,  sind  nicht  zu  vernachlässigen 
Most  Encyklopädie.  2tc   Aufl.   I.  QQ 


946  HAEMORRHAGIA 

(s.  Phthisis,  Scrophulosis).  y)  Nach  paralytischem  Blutspeien  pas- 
sen zur  Nachcur  besonders  China,  Cascarille,  Angusstura,  Ziuimt,  Pomeran- 
zen, Ingwer,  Balsania  natiiralia  und  vorzüglich  die  Eisenpräparate  (s.  Amara). 
Nicht  selten  sind  die  Lungen  höchst  reizlos ,  es  sammelt  sich  übermässig 
Schleim  darin  an,  w\e  bei  ßlennorrhoea  chronica.  Hier  dienen  Flor,  benzoes 
mit  Sulph.  aurat. ,  Senega,  Squilla,  Tinct.  guajaci  volat. ,  Asa  foetida. 
f}  Endlich  giebt  es  auch  noch  eine  Menge  empirischer  Mittel ,  die  bei 
Häraoptvsis  in  besonderm  Rufe  stehen.  Dahin  gehören  mi)  grosse  Dosen 
Nitriim.  Sie  passen  in  sehr  vielen  Fällen  bei  synochischem  und  erethisti- 
schcm  Blutspeien  zu  Anfange  der  Krankheit  und  bei  jungen  Subjecten. 
Es  giebt  Fälle  bei  letzterer  Art,  wo  sie  die  Venaesection  entbehrlich  ma- 
chen. Am  besten  bekommt  das  Nitrum  mit  Decoct.  rad.  althaeae  und  Ha- 
ferschleim. 66)  Sperma  ceti  verordneten  häufig  ältere  Ärzte  in  Auflösung, 
z.  B.  3jj  in  8  Unzen  Wasser  gelöst  und  mit  Eidotter  abgerieben.  Es  wirkt 
ausserordentlich  schmerzlindernd  bei  heftigen  Brustschmerzen  und  kann  durch 
die  Öle  von  Mandeln,  Mohnsamen  etc.  nicht  ganz  ersetzt  werden  (iW.) ,  da- 
her dies  Mittel  mit  Unrecht  als  obsolet  betrachtet  wird,  cc)  Tägliche  Kly- 
stiere  eröffnender  und  reizender  Art  passen  vorzüglich,  wenn  das  Blut- 
speien mit  Hämorrhoidal  -  und  Menstrualataxien  zusammenhängt,  dd)  Florcs 
zi7ui  und  Sacchaium  snlurni  hat  man  mit  Nutzen  bei  chronischem  Blutspeien 
alter  Schwindsüchtiger  gebraucht.  Bei  hoher  Receptivität  müssen  diese  Mit- 
tel aber  mit  Opium  verbunden  werden,  ec)  Vitrioltim  mariis.  Passt  nur  bei 
lebensgefährlichen  paralytischen  Lungenblutungen ,  p.  d.  2  Gran  alle  1  —  2 
Stunden  in  Haferschleim.  Bei  synochischen  und  erethistischen  Blutungen 
würden  wir  schlecht  damit  fahren.  /^')  Snl  ammonincum.  Man  giebt  alle 
2  Stunden  y]  —  5l^  mit  Pulv.  liquiritiae,  beharrlich  fortgesetzt,  bei  erethi- 
stischem ,  bedeutendem,  Gefahr  drohendem  Blutsturz,  wodurch  der  Blutung, 
den  Recidiven  und  B^olgekranklieiten  oft  gesteuert  wird  (^Sparigenherij,  Fischer, 
cfr.  nuf^hiiid's  Journal,  1827.  Febr.  S.  117 — 128);  selbst  da,  wo  Mineral- 
säuren fruchtlos  waren,  leistete  er  zur  Stillung  des  Bluts  noch  gute  Dienste. 
«/</)  Sympathetische  Mittel.  Sie  sind  beim  Blutspeien,  sowie  bei  vie- 
len andern  Hämorrhagien  nach  meinen  zufälligen  Beobachtungen  oft  recht 
wirksam;  z,  B.  man  bindet  ein  rothes  Band  um  beide  Hände,  man  bespricht 
das  Blut  etc.  Das  Mittel  wirkt  durch  veränderten  Nerveneindruck  und  auf 
psychische  Weise.  Ebenso  sah  ich  von  erregter  Furcht,  von  plötzlichem 
Schrecken  Blutungen  augenblicklich  stehen. 

Hnemorrhtigia  retunn ,  s.  Haeniaturia. 

Hnemorrhayin  scorhutica,  s.  Haemorrhagia  paralytica  und  Scor- 
butus. 

Haemorrhagia  sthcnica,  active,  sthenische  Blutung,  s.  oben  Haemor- 
rhagia s  y  n  o  c  h  i  c  a. 

Haemorrhagia  synochica,  synochischer  Blutfluss.  Ist  schon  oben 
beschrieben  worden;  s.  Haemorrhagia. 

Haemorrhagia  trachene,  Trachcorrhagia ,  Blutung  aus  der  Trachea,  s. 
Haemorrhagia  pulmonum.  Entstand  diese  Blutung  durch  Verwun- 
dungen, durch  verschluckte  fremde  Körper  oder  durch  die  Operation  der 
Laryngo-  oder  Tracheotomie,  ward  die  Arteria  thyreoidea  superior  oder  in- 
ferior z.  B.  beim  Halsabschneiden  der  Selbstmörder  verletzt,  so  müssen  diese 
Gefasse,  sowoi  Arterien  als  Venen,  ist  die  Blutung  bedeutend,  unterbunden 
werden;  ist  sie  nicht  bedeutend,  so  ist  der  Blutfluss  oft  selbst  nützlich, 
a.  B.  bei  Laryngotomie. 

Haemorrhagia  urethrae,  Harnröhrenblutung,  s.  Haematuria  stil- 
latitia. 

Haemorrhagia  uteri,  Metrorrhagia ,  Metrorrhoea  sanguinolcnta,  Hijsteror- 
rhagia,  der  Gebärmutterblu tfluss,  die  Mutterblutung.  Ist  jeda 
krankhafte  Blutung  aus  den  Innern  weiblichen  Genitalien ,  verschieden  von 
dem  Menstrual-  und  Lochialblutfluss,  dessen  Ataxien  freilich  zur  Metrorrha- 
gie führen  können.  Jede  krankhafte  Blutung  aus  den  Gelassen  des  Uterus 
und  der  Vagina  (Haontorrhagia  uteri  sensu  ülxictiori  und  Haem.  vaginae  ücu 


HAEMORRHAGIA  947 

Cotporrhagia) ,  die  Qualität  und  Quantität  des  abgehenden  Blutes  mug^ 
seyn  wie  sie  wollen,  z.  B.  Menstruatio  niinia,  profusa  etc.,  gehören  hier- 
her; also  jeder  Blutfluss  dieser  Organe  mit  Störung  des  relativen  Wohlbe- 
findens des  Individuums.  Die  Quelle  des  BIuLes  sind  meist  immer  die  Ge- 
fässe  des  Uterus,  seltener  die  der  Vagina  allein,  häufiger  noch  beide  zo 
gleicher  Zeit.  Demnach  sind  die  Erscheinungen  der  Metrorrhagie  und  Col- 
porrhagie,  wie  die  Cur  beider,  sich  gleich  und  dieselben  (^Hnase).  Dia- 
gnose. Ist  leicht;  denn  fast  immer  fliesst  das  Blut  aus  ( Metrorrhagia 
aperta),  und  die  Fälle,  wo  es  sich  im  Uterus  sammelt  oder  gar  in  die 
Bauchhöhle  tritt,  z.  B.  bei  V^ulva  clausa,  bei  Ruptura  uteri,  sind  selten; 
doch  kann  auch  Placenta  praevia,  der  vorliegende  Kindeskopf,  Spasmus 
orificii  uteri,  Blutcoagulum,  das  Blut  im  Uterus  zurückhalten.  Die  Sym- 
ptome der  Metrorrhagia  occulta,  interna  sind:  dumpfer  Schmerz  am  Orte 
der  Ergiessung,  Auftreibung  des  Unterleibes,  kleiner,  schneller,  schwacher 
Puls,  Gesichtsblässe,  Ohnmächten,  kalte  Extremitäten  und  die  übrigen  Zei- 
chen eines  jeden  starken  Blutverlustes  (s.  oben).  Die  Symptome  der 
Metrorrhagie  im  Allgemeinen  sind  sehr  verschieden  nach  den  verschiedenen 
Ursachen  und  der  Art  nnd  dem  Charakter  des  Blutflusses;  nur  der  letztere 
ist  das  allgemeinste  und  constanteste  Symptom.  Seine  Quantität  beträgt 
bald  nur  einige  Unzen,  bald  mehrere  Pfunde,  die  Farbe  des  Blutes  ist  bald 
rothlich,  arteriell,  bald  dunkel,  venös,  carbonisirt;  bald  gehen,  wie  bei 
activen  Metrorrhagien,  Vorboten  vorher,  bald  fehlen  dieselben.  Aus  diesem 
Grunde  gehe  ich  sogleich  zu  den  verschiedenen  Arten  der  Mutterblutung, 
die  sich  auf  den  Charakter,  die  Entstehungsweise  und  die  Ursachen  des 
Übels  gründen,  über.  1)  Metrorrhagie  durch  Blutsecretion.  Sie 
kommt  am  seltensten  vor ;  vorher  gehen  die  Symptome  der  Congestion  nach 
«Jen  Geschlechtstheilen :  Schwere  in  den  Beinen,  Druck,  Spannung,  Schmerz 
im  Kreuze,  Lendenziehen,  etwas  Strangurie,  Hitze  und  Aufgetriebenheit  des 
Unterleibes,  erhöhter  Geschlechtstrieb,  Anschwellung  der  Genitalien  etc. 
Alsdann  sondert  sich  zuerst  eine  gelblich -schleimige  Feuchtigkeit  ab,  di« 
allmälig  röther  wird  und  wo  zuletzt  reines  arterielles  Blut  abgeht,  das  lang- 
sam, in  Absätzen,  und  ohne  tumultuarische  Zufälle,  meist  auch  nur  in  ge- 
ringen Quantitäten,  secernirt  wird.  ^  Fliesst  das  Blut  wegen  Hinderniss  nicht 
aus ,  so  bildet  es  im  Uterus  ein  Coagulum ,  später  wie  eine  fleischige ,  po- 
lypöse Masse  aussehend,  und  wird  durch  Wehen  ausgestossen.  Hört  diese 
Art  Metrorrhagie  auf,  so  folgt  Erleichterung  aller  Zufälle,  sanfter  Schweiss 
und  Schlaf;  so  lange  der  Puls  aber  noch  hart,  voll  und  geschwind  ist,  die 
krankhaften  Gefühle  in  den  Genitalien  und  die  Kreuz-  und  Rückenschmer- 
zen sich  nicht  gelegt  haben,  kann  man  die  baldige  Wiederkehr  der  Blutung 
v«rmuthen.  2)  Metrorrhagie  durch  Anastomose.  Sie  hat  die  Sym- 
ptome der  erethistischen  Blutungen.  Vorboten  sind:  Schauder,  Frösteln, 
abwechselnd  Hitze,  spasmodische  und  kleine  febrilische  Zufälle,  abwechselnd 
bald  blasses,  kaltes,  bald  rothes,  heisses  Gesicht,  kalte  Hände  und  Füsse, 
Sinnestäuschungen,  drückender  Kopfschmerz,  Kreuzschmerzen,  Auftreibung 
des  Unterleibes,  Stiche  im  Mastdarm  und  Perinaeum ;  kleiner,  zusammenge- 
zogener, unregelmässiger,  oft  intermittirender  Puls,  exaltirte  Phantasie,  mit- 
unter selbst  kleine  Delirien,  hohe  Reizbarkeit  und  Empfindlichkeit  der  Sinne, 
Herzklopfen,  Nausea,  Vomitus,  Kardialgie,  Husten  und  andere  sympathi- 
sche spasmodische  Zufälle ,  heftiges  Drängen ,  spannender  Schmerz  und  Hitze 
im  Uterus,  wobei  die  äussere  Haut  des  Körpers  oft  ganz  kalt  wird,  die 
Glieder  zittern  und  die  Kranke  kalt  schwitzt  Der  Blutfluss  ist  weit  stär- 
ker als  bei  Nr.  1,  er  erleichtert  fast  nie,  vermehrt  dagegen  alle  heftigen 
vorangegangenen  Zufälle ;  es  können  bei  bedeutender  Blutung  die  fürchter- 
lichsten Krämpfe,  Ohnmächten,  Marmorkälte  der  Gliedei',  Sopor,  ja  Schein- 
tod durch  Depletion  entstehen.  Auch  wenn  die  Blutung  vorüber  ist,  befin- 
det sich  die  Kranke  immer  weit  schwächer  und  abgespannter  als  bei  andern 
Blutungen  der  Art.  Die  Metrorrhagie  durch  Anastomose  kommt  sehr  häufig 
vor;  sie  hat  den  erethistischen  Charakter,  der  überhaupt  bei  Mntterblut- 
iiüssen ,    mit    Einschluss   des    paralytischen ,    am    öftersten    gefunden    wird. 

60» 


918  HAE'tlORRIIAGIA 

5)  Metrorrhagie  durch  Paralyse.  Sie  hat  alle  Symptumc  der  Hae- 
Kiorrhagia  paralytica  und  koiiuuL  sowol  mit  aU  ohne  Fieber  vor;  z.  B  bei 
Febris  putrida,  bei  Scorbut ,  Blutfleckenkrankheit.  Schwammige,  aufgedun- 
sene, leukophlegmatische  Weiber  mit  Atunie  der  Abdominaiblutgefiisse  lei- 
den, besonders  nach  überstandenen  schweren  Geburten,  am  meisten  daran. 
4)  Melrorrhagia  non  gravidarum.  Im  ungeschwängerten  Zustande  erscheint 
dieselbe  bald  als  Menstruatio  praematura,  bald  als  Menstruatio  nimia  oder 
aia  Älenstr.  serotina  und  profusa  in  der  Periode  der  Decrepität  (s.  diese  Art.), 
5}  Melrorrhagia  gravidarum.  Zuweilen  haben  Schwangere  noch  ihre  Regeln, 
am  häuiigaten  \\\  der  ersten  Hälfte  der  Schwangerschaft.  Sie  erscheinen 
pciiodiäch  zur  bestimmten  Zeit,  die  Blutung  ist  gering,  stört  das  Wohlbe- 
finden sehr  wenig,  der  Muttermund  ist  dabei  verschlossen  etc.  Diese  Blu- 
tung ist  kein  Gegenstand  der  Pathologie.  Die  häufigsten  Ursachen  der  wah- 
ren Melrorrhagia  gravidarum  sind:  «)  in  der  ersten  Hälfte  der  Schwanger- 
fcciiaft  Alles,  was  Fehlgeburten  macht  (s.  Abortus);  by  in  der  zweiten 
Hälfte    der     Schwangerschaft    Placenta    praevia    und    Partus    praematurus. 

6)  Melrorrhagia  parturientium  et  puerperarum.  Der  Mutterblutfluss  während 
oder  nach  der  Entbindung  entsteht  am  häufigsten  durch  örtliches  Leiden  de» 
Uterus,  ist  oft  sehr  stark,  so  dass,  wenn  nicht  schnelle  Hülfe  geleistet  wird, 
der  Tod  durch  Verblutung  erfolgen  kann.  Ursachen.  Diese  Blutung  ent- 
siehi  während  der  Entbindung  n)  durch  zu  frühe,  theiUveise  oder  gänzliche 
Treuiumg  der  Placenta ,  wo  dann  bei  vorliegendem  Kopfe  oder  Steisse  des 
Kindes  das  Blut  nicht  abCiiesst,  sondern  den  Uterus  auftreibt,  die  Wehen 
nachbleiben  und  alle  Zufälle  einer  Innern  Blutung :  kleiner  Puls,  kaltes  Ge- 
sicht, kalte  Glieder,  Ohnmächten,  Convulsionen  etc.  erfolgen;  6)  durch  Zer- 
reibsung  des  Nabelstranges  vor  der  Geburt;  c)  durch  Ruptur  eines  Varix 
im  Uterus;  d)  durch  Zerreissung  der  Gebärmutter.  Gleich  nach  der  Ent- 
bindung gehört  der  Blutabgang  bei  der  Geburt  des  Kindes,  wie  bei  der 
Lostreunung  der  Placenta ,  zum  normalen  Hergange  des  Gebui'tsgeschäfts. 
Die  schnell  folgenden  Contractionen  des  Uterus  stillen  diese  Blutung  in  we- 
nig Augenblicken.  Ist  aber  der  Uterus  vorgefallen ,  oder  befinden  sich 
fremde  Körper :  abgerissene  Theile  des  Kindes ,  Reste  von  Eihäuten  oder 
von  der  Placenta,  darin,  oder  ist  Placenta  clausa  zugegen,  so  dass  die  Con- 
tractionen nicht  gehörig  oder  gar  nicht  erfolgen  können ,  so  entsteht  diese 
Art  der  Metrorrhagie.  Häufig  erfolgt  sie  auch  aus  reiner  Atonie  und  Läh- 
mung des  Uterus,  aus  Mangel  an  Kraft  zu  Contractionen,  welche  Atonie, 
wenn  sie  allgemeh»  ist  und  sich  nicht  blos  auf  einen  Theil  des  Uterus  be- 
schränkt, die  fürchterlichsten  Blutungen  und  den  Tod  binnen  wenigen  Mi- 
nuten erregen  kann.  Besonders  schlimm  ists  hier,  wenn  die  Placenta  schon 
vor  Eintritt  der  heftigen  Blutung  abgegangen  war.  Die  Ursachen  sind  hier: 
schlaue,  schv>ache,  kachekiische  Constitution,  übermässige  Ausdehnung  des 
Uterus  durch  Zwillingsschwangerschaften,  grosse  Pla:en  a,  viel  Kinds w asser, 
besonders   aber   eine    sehr   schwere   oder   sehr   schnell   erfolgte    Entbindinig. 

7)  Metrorrhagie  als  Folge  organischer  Krankheiten.  Ausser 
der  Zeit  der  Katamenien,  der  Schwangerschaft  und  der  Entbindung  sind 
Blutungen  aus  Uterus  und  Vagina  nicht  selten  Symptom  von  Carcinoma 
uteri,  Polypen  und  andern  Gewächsen  und  organischen  Fehlern  der  Innern 
Geschlechtstheile  (s.  diese  Artikel),  die  bald  der  Diaeresis ,  bald  der  Rhexis 
oder  Diab^•o^is  ihr  Entstehen  verdanken.  8)  Metrorrhagie  als  Sym- 
ptom der  Metritis.  Kann  oft  kritisch  und  wohlthätig  seyn  (s.  In- 
t'lgiinaiatio  uteri). 

Ursachen  der  Metror.'hagien.  1)  Das  Übel  ist  rein  topisch,  eine  ört- 
liche Krankheit  des  Uterus,  z.  B.  entstanden  durch  mechanische  Verletzun- 
gen, durch  rohe  Hebammen,  Geburtshelfer,  durch  heftige  Körperanstren- 
gung: Heben  schwerer  La.sten ,  übermässige  Anstrengung  bei  der  Geburt, 
durclt  mechanische  Hindernisse  in  der  Circulation ,  durch  Verhärtungen  iin 
ßf'cken,  harten  Daimunrath,  oder  durch  Geschwüre,  Scirrhus ,  Krebs  de« 
I  torus,  durch  Polypen,  Steatome.  2)  Bei  Schwangern  ist  vorzüglich  par- 
tielle oder  allgemeine  Trennung   des   Eies   und   der  Placenta ,   also  Abortus 


HAEMORRHAGIA  949 

Ursache.  S)  Bei  Gebärenden  am  häufigsten  7^^  frfihe  Trennung  der  Placenta, 
Zerreissung  eines  Varix,  des  Nabelstranges  vor  erfolgter  Entbindung,  sel- 
tener Ruptura  uteri.  4)  Nach  der  Entbindung  am  häufigsten  Schwäche  nnd 
Lähmung  des  Uterus,  Placenta  clausa,  Spasmus  uteri,  später  zu  frühes  Auf- 
stehen aus  dem  Wochenbette;  ausserdem  geistige  Getränke,  erhitzende  Arz- 
neien und  hoher  Temperaturgrad  während  der  Wochenzeit.  6)  Wenn  die 
Menstruation  vor  Alter  ausbleiben  will,  so  schlägt  sie  oft  einen  Monat  über, 
es  entsteht  statt  ihrer  die  sogenannte  fliegende  Hitze.  Dann  kommt  auf  ein- 
mal eine  sehr  profuse  Menstruation,  wo  ein  kleiner  Aderlass  und  Minerai- 
säuren  mit  etwas  Opium  und  Zimmt  herrliche  Dienste  thun.  6)  Häufig  sind 
Metrorrhagien  rein  dynamischen  Ursprungs,  hervorgegangen  aus  allgemeiner 
Anlage  zu  Blutungen.  Ihre  nächste  Ursache  ist  Erethismus  oder  Paralyse 
der  Uteringefässe ,  höchst  selten  Synocha.  Nur  bei  robusten  Weibern,  bei 
Diathesis  phlogistica,  wenn  zur  Zeit  der  Dccrepität  durch  nährende,  ge- 
würzhafte Kost,  durch  hitzige  Getränke  Metrorrhagie  entstand,  kann  sie  an- 
fangs den  synochischen  Charakter  haben  und  der  Kranken  Erleichterung 
verschaffen.  Die  erethistische  Mutterblutung  finden  wir  am  häufigsten  bei 
schwächlichen,  hysterischen,  an  Fluor  albus  leidenden  Frauen,  und  die  Dis- 
position dazu  kann  erblich,  angeboren  oder  durch  schädliche  Einflüsse  und 
solches  Regimen  erworben  seyn.  Disposition  zu  Mutterblutflüssen  giebt  er- 
höhte Reizbarkeit  des  gesammten  weiblichen  Körpers,  besonders  der  Geni- 
talien ,  wie  bei  schwächlichen ,  hysterischen ,  magern ,  blassen  Personen ,  bei 
Vita  sedentaria ,  Onanie,  wodurch  leicht  erethistische  Blutungen  erfolgen. 
Dagegen  machen  fehlerhafte  Lagen  des  Uterus,  besonders  bei  reizlosen, 
schwammigen,  phlegmatischen  Frauen  leicht  Blutungen  des  Uterus  mit  pa- 
ralytischem Charakter.  Organische  Krankheiten  des  Uterus,  unterdrückte 
Hämorrhoiden  und  eine  reizende,  erhitzende  Lebensweise  begünstigen  gleich- 
falls die  Anlage  zu  diesen  Blutungen.  Wollüstige  Ausschweifungen,  Miss- 
brauch geistiger,  reizender  Getränke,  Enimenagoga,  heftige  excitirende 
Affecten,  Metritis,  Erysipelas  genitalium,  starke  Körperbewegungen,  in 
seitnern  Fällen  inflammatorische  Fieber,  erregen  bei  robusten  Frauen  im 
mittlem  Lebensalter  am  häufigsten  synochische,  kritische  Metrorrhagien,  die 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  als  heilsam  zu  betrachten  sind.  Sie  nehmen 
aber  bald,  wenn  sie  irgend  bedeutend  waren,  den  erethistischen  Charakter 
an  und  erfordern  dann  die  unten  angegebenen  innern  Mittel.  Die  paralyti- 
sche Metrorrhagie  erregen  vorzüglich  unreine,  feuchte,  kalte  Luft,  feuchte, 
enge,  dumpfe  Wohnzimmer,  Vita  sedentaria,  träges,  luxuriöses  Leben,  zu 
warmes  Verhalten  der  Genitalien,  langes  Schlafen,  Missbrauch  der  Kohlen- 
becken, deprimirende  Affecten ,  viel  schleimige,  pappige,  fade,  mehlige  Nah- 
ning,  grosser  Säfteverlust  durch  häufige  Laxanzen ,  Aderlässe,  besonders 
durch  öftere  frühere  Metrorrhagien,  Abortus,  Fluor  albus  etc.  Prognose. 
Jede  bedeutende  Metrorrhagie  muss  wegen  des  grossen  Blutverlustes,,  wegen 
ihrer  Folgen  hinsichtlich  der  gestörten  Nutrition  und  Assimilation,  wegen  der 
zu  grossen  Neigung  zu  Recidiven  und  wegen  anderer  schlimmen  Zufälle  als 
eine  höchst  wichtige  Krankheit  betrachtet  werden.  1)  Die  aus  örtlichen 
Ursachen,  organischen  Fehlern  und  Verletzungen  entstandene  Metrorrhagie 
ist  schlimmer  als  die  aus  reinen  dynamischen  Missverhältnissen  entstandene, 
weil  wir  die  Ursache  der  erstem  oft  gar  nicht  entfernen  können.  2)  Die 
Metrorrhagia  synochica  ist  oft  kritisch  und  giebt  dann  eine  günstige  Pro- 
gnose; die  Metrorrhagia  erethistica  ex  secretione  sanguinolenta  orta  ist,  weil 
der  Blutverlust  massig  und  also  keine  Folgen  des  Verblutens  eintreten,  auch 
nicht  sehr  schlimm;  aber  sie  hinterläs.'^t  Neigung  zu  Recidiven,  wodurch  das 
Übel  oft  chronisch  wird.  Gefährlicher  ist  die  Metrorrhagia  erethistica  per 
Anastomosin;  denn  der  Blutverlust  ist  hier  schnelle-  und  grösser,  die  spas- 
modischen  Beschwerden  sind  bedeutender;  und  folgt  bei  zeitiger  Hülfe  auch 
höchst  selten  der  Tod  durch  Depletion,  so  hinterlässt  sie  doch,  besonders 
durch  die  häufigen  Becidive,  leicht  Hektik,  Wassersucht  und  organisch© 
Fehler  des  Uterus.  An  letztern  sind  vorzüglich  die  voreiligen  Ärzte  Schuld, 
wenn  sie   die  Blutungen   durch  kalte   Einspritzungen   stopfen.     Die  Metrov- 


950  HAEMOPtRHAGIA 

rhag'ia  paralytica  ist  am  allerschlimmsteii ;  sie  tödtet  oft  plötzlich  durch 
Verblutung  oder  nimmt,  wo  sie  symptomatisch  bei  Scorbut,  Blutflecken- 
krankheit etc.  auftritt,  einen  chronischen  Verlauf  und  tödtet  durch  höhern 
Grad  von  Kachexie.  3)  Weiber  in  der  Periode  der  Decrepität  ertragen  am 
leichtesten  bedeutende  Metrorrhagien ;  junge  und  ganz  alte  Subjecte  weit 
weniger.  4)  Die  Menstruation  während  der  Schwangerschaft,  wo  die  Blu- 
tung aus  der  Vagina  als  eine  vicarürende  anzusehen  ist,  hat  man  ohne  Nach- 
theil für  Mutter  und  Kind  häufig  beobachtet.  5)  Wegen  der  grössern  Ge- 
fahr der  Verblutung  sind  alle  plötzlich  entstehenden  Mutterblutflüsse  schlim- 
mer als  die,  welche  allmälig  erfolgen.  6)  Je  höher  die  Nervenreizbarkeit 
der  Kranken,  je  stärker  die  Convulsionen  oder  der  folgende  Sopor,  die  Ohn- 
mächten und  die  übrigen  Zeichen  der  Verblutung  sind,  desto  lebensgefähr- 
licher ist  die  Blutung.  7)  Jede  noch  so  geringe  Metrorrhagie  der  Schwan- 
gern ist  bedeutend  und  meist  immer  Vorbote  des  Abortus.  Sie  ist  um  so 
schlimmer,  je  weiter  die  Schwangerschaft  vorgerückt  ist,  ferner  wenn  Pel- 
lentia,  Abortiva  einwirkten,  wenn  organische  Fehler  des  Uterus  Schuld  sind. 
Wird  die  Blutung  auch  gestillt  und  der  Abortus  verhütet ,  so  stirbt  doch 
die  Frucht  im  Mutterleibe  leicht  ab.  8)  Höchst  gefährlich  ist  die  Metror- 
rhagie während  der  Entbindung,  besonders  ^^enn  die  Placenta  concentrisch 
auf  dem  Muttermunde  sitzt  oder  sich  im  Fundus  uteri  zu  früh  löst.  Eine 
Ruptura  uteri  completa  ist  absolut  tödtlich,  eine  incompleta  vernarbt  zuwei- 
len, hinterlässt  aber  dann  oft  noch  organische  Fehler  des  Uterus,  Neigung 
zu  Abortus,  Blutimgen,  Vereiterungen.  9)  Auch  die  Metrorrhagie  gleich 
nach  der  Entbindung,  entstanden  durch  ungleiche  Zusammenziehungen  des 
Uterus,  ist  schlimm,  wenn  man  die  Ursache:  Placenta  incarcerata,  adhae- 
rens,  lacerata,  nicht  schnell  heben  kann.  Am  schlimmsten  ist  die  Metror- 
rhagie aus  allgemeiner  Atonie  und  Paralyse  des  Uterus.  Cur.  1)  Bei  der 
Metrorrhagia  synochica,  die  selten  vorkommt,  können  wir  uns  passiv  ver- 
halten. Ruhe,  horizontale,  kühle  Lage,  säuerliche  Getränke,  Crem,  tartari 
sind  hinreichend.  Bei  starken,  robusten  Personen  mit  vollem,  hartem  Pulse, 
besonders  wenn  etwas  Febrilisches  da  ist,  bei  Metritis  incipiens  dient  Ader- 
lass,  Nitrura  in  Emulsion.  Ist  dies  nicht  der  Fall,  ist  die  Blutung  bedeu- 
tend, so  nimmt  sie  bald  den  erethistischen  Charakter  an  und  erleichtert 
dann  gar  nicht  mehr,  sondern  es  stellen  sich  die  spasmodischen  Beschwer- 
den etc.  ein.  Hier  passt  besonders  Ipecac.  in  refr.  dosi  und  Sal  culinare 
(Af.),  später  Elix.  acid.  Halleri  mit  Tinct.  opii  und  Tinct.  cinnamomi  (s. 
Nr.  2).  2)  Bei  Metrorrhagia  erethistica  wirkt  specifisch:  R»  Elix.  acid. 
Halleri  5jj|l,  Latidnn.  liquid.  Syd.  5ß ,  Tincl.  ciimamomi  gj.  M.  S.  Alle 
Vi — 1  Stunde  2j,  30  —  50  Tropfen  in  Haferschleim.  Bei  sehr  hohen  Gra- 
den der  Reizbarkeit  passt:  ^r  Cttslorei  opt,  gr.  iv,  Rad.  ipecac.  gr.  jj,  Opii 
puriss.  gr.  j,  Elaeos.  cinn(t7nomi  5jj-  M.  f.  pulv.  divide  in  xjj  p.  aequal.  S. 
Alle  74)  Vz — 1  Stunde  ein  Pulver  mit  Wasser.  Besonders  wirksam  sind  diese 
Pulver,  wenn  der  Puls  höchst  klein,  ungleich  und  zusammengezogen,  die 
Gesichtsfarbe  blass ,  die  Haut  kalt  und  trocken ,  der  Urin  was.-serhell  ist, 
■wenn  die  Blutung  bei  gracilem,  zartem  Körperhabitus  stattfindet.  Hier 
wirkt  auch,  abwechselnd  mit  obigem  Pulver  gereicht.  Folgendes  sehr  gut: 
1^  Herb,  digital,  purpnr.  gr.  j.  Crem,  tartari,  Sacchari  albi  ana  ^(s.  M.  f. 
p.  disp.  dos.  xjj.  S.  2  —  3mal  täglich  ein  Pulver  mit  Wasser  (M.).  Es  giebt 
indessen  Fälle,  wo  wir,  wie  unten  angegeben,  den  Zimmt  bei  frischen  Blu- 
tungen der  Art  vermeiden,  alles  Erhitzende  untersagen  und  selbst  einen 
kleinen  revulsorischen  Aderlass,  z.  B.  bei  Metrorrhagia  abortiva,  anwenden 
müssen.  Dagegen  sind  diese  Pulver  um  so  dringender  indicirt,  je  bedeuten- 
der die  Zufälle  der  Depletion  sind.  3)  Die  Metrorrhagia  paralytica  erfor- 
dert Mineralsäuren  in  grossen  Dosen,  besonders  bei  schnellen,  bedeutenden 
Blutungen;  desgl.  Naphthen,  Valeriana,  Ol.  cinnamomi  )j  in  Naphth.  vi- 
trioli  5jj  gelöst,  alle  '/i  Stunde  15 — 30  Tropfen,  ferner  Tinct.  valer.  mit 
Tinct.  cinnamomi.  Ist  die  Blutung  mehr  chronisch,  dann  Alaun,  p.  d.  5 — 10 
Gran,  Decoct.  chinae,  Ferrum  sulphuricum,  heisse  Weine,  kräftige,  gewürz- 
hafte Nutrientia.     S)  Die  zu  frühe  und  die  zu  stark  fliessende  Menstruation 


HAEMORRHAGIA  951 

erfordert  roraOglich  eine  strenge  innerliche  Behandlung  (s.  Menstruat io 
praematura  et  profusa).  4)  Bei  der  Metrorrhagie  in  der  Periode  dea 
Aufhörens  der  Menstruation  dienen  bei  robusten  Frauen  oft  ein  revulsori- 
scher  Aderlass,  innerlich  Crem,  tartari,  Nitrum,  kühlende  Getränke,  anti- 
phlogistische Diät.  Häufig  ist  der  Charakter  aber  nicht  synochisch,  die 
Constitution  ist  schwächlich,  reizbar,  hysterisch.  Hier  müssen  die  gegen 
Metrorrhagia  erethistica  dienlichen  Mittel:  Eüx.  acid.  Halleri  mit  Tinct. 
cinnamomi,  Tinct.  opii,  später  allgemeine  aromatische  und  tonische  Bäder, 
innerlich  Amara  roborantia:  Calam.  aromat.,  Quassia,  China,  Stahlbrunnen 
etc.,  verordnet  werden.  Nicht  selten  hat  diese  Blutung,  \^enn  sie  langwie- 
rig geworden,  bei  schwammigen,  aufgedunsenen  Weibern  den  paralytischen 
Charakter.  Hier  passen  innerlich  anfangs  Elix.  acid.  Halleri  mit  Tinct.  cin- 
oamomi .  später,  und  wenn  die  Blutung  wochenlang  dauert,  innerlich  Tinct. 
ferri  muriat. ,  selbst  im  iSothfall  Ol.  martis,  p.  d.  zu  1 — 2  Tropfen  in  Ha- 
ferschleim. Eine  solche  chronische  paralytische  Metrorrhagie,  die  allen  Mit- 
teln trotzte,  wich  nach  dem  anhaltenden  innern  Gebrauche  des  Sacchari 
saturni  mit  Opium  (Af.).  Vor  stopfenden  Mitteln ,  Injectionen  hüte  man  sich 
hier  ja;  sie  erregen  Stockungen  in  den  Gefässen  des  Uterus,  Scirrhus  und 
Carcinoma  uteri ;  ausserdem  verblutet  sich  eine  solche  Frau  bei  chronischfei- 
Blutung  dieser  Art  fast  nie.  5)  Bei  Metrorrhagia  abortiva  in  der  ersten 
Hälfte  der  Sch■^^a^gerschai't  ist  ein  revulsorischer  kleiner  Aderlass  nebst  ge- 
linden antiphlogistischen  Mitteln,  selbst  bei  spasmodischen  BescUwerdon,  Co- 
lica  abortiva,  zu  Anfange  allen  andern  Mitteln  vorzuziehen  (s.  Abortus). 
6)  Bei  Placenta  praevia  ist  Ruhe,  horizontale  Lage,  innerlich  kühlende  säuer- 
liche Getränke,  Elix.  acid.  Halleri,  ein  mit  Essig  angefeuchteter  Schwamm 
in  die  Vagina,  kalte  B'oiuentationen  der  Genitalien,  des  Unterleibes,  bei 
spasmodischen  Beschwerden  kleine  Dosen  Opium  abwechselnd  mit  den  Säu- 
ren anzuwenden.  Ist  die  Blutung  sehr  stark,  drohet  sie  Lebensgefahr,  so 
muss  die  Mutter  künstlich  entbunden  werden.  7)  Die  Metrorrhagie  während 
der  Entbindung  ist  von  allen  Mutterblut  Aussen  die  gefährlichste  Art.  Hier 
haben  wir  Folgendes  zu  beachten:  n)  Bei  zu  früh  gelöster  Placenta,  bei 
zerrissenem  Nabelstrange ,  bei  geborstenem  Varix  muss  die  Mutter  so  schnell 
als  möglich  künstlich  entbunden  werden,  damit  der  Uterus  sich  contrahireii 
kann.  Nur  auf  diese  Weise  ist  hier  das  Leben  zu  retten.  Leider  wiid  der 
Geburtshelfer  aber  oft  schon  zu  spät  gerufen.  Leidet  eine  Frau  zu  Ende 
der  Schwangerschaft  an  vielen  Blutaderknoten,  so  kann  man  auch  Varice« 
uteri  voraussetzen,  und  es  muss  daher,  zur  Verhütung  der  möglichen  Gefahr, 
die  Mutter  selbst  bei  der  normalen  Lage  des  Kindes  künstlich  entbunden 
werden  (Oslander).  Nebenbei  und  hinterher  passen  Elix.  acid.  Halleri  mit 
Tinct.  cinnamomi  und  etwas  Opium.  6)  Bei  Ruptura  uteri  können  wir, 
wenn  sie  bedeutend  ist,  nur  palliative  Hülfe  durch  Anodyna  und  andere 
sanfte  Mittel  leisten.  Ist  sie  nicht  bedeutend,  so  kann  oft  noch  chirurgi- 
sche Hülfe  retten  (s.  Buer's  Abhandl.  Bd.  I.  Buch  1.  S.  24.  Steiiis  Anna- 
len.  St.  1.  S.  101.  Klose  in  SiehohVs  Journ.  f.  Geburtshülfe  Bd.  I.  St.  1. 
S.  80.  Gehler's  Klein.  Schriften.  Th.  H.  S.  122)  ,  besonders  wenn  nur  das 
Os  uteri  und  die  Vagina  zerrissen  sind,  c)  Bei  Atonie  des  Uterus  sind  die 
Wehen  oft  sehr  schwach,  die  Geburtsarbeit  zieht  sich  in  die  Länge,  die 
Wehen  bleiben  zuletzt  ganz  aus  und  dabei  verliert  die  Kreisende  sviccessive 
oft  viel  Blut.  Hier  passen  ganz  besonders  die  bei  n  genannten  Tropfen. 
Auch  kann  man  p.  d.  40  —  60  Tropfen  Tinct  cinnamomi  ganz  rein,  und 
abwechselnd  15  —  20  Tropfen  Hallersches  Sauer,  jede  '/i  Stunde  geben.  Ist 
die  Geburt  regelmäs.sig,  so  hilft  hier  das  Seeale  cornutum  oft  zur  Beförde- 
rung der  Wehen  und  zur  Beendigung  der  Geburt,  mit  welcher  der  Blut- 
fluss  in  der  Regel  aufhört,  d)  Alle  Einspritzungen  von  adstrlngirenden, 
lauwarmen  oder  gar  kalten  Dingen  in  den  noch  nicht  von  der  Frucht  und 
der  Nachgeburt  befreiten  Uterus  sind  unnütz  und  obendrein  schädlich. 
8)  Auch  die  gleich  nach  der  Entbindung  sich  ein.stcllende  Metrorrhagie  kann 
sehr  gefährlich  werden,  n)  Sind  hier  fremde  Körper,  Reste  der  Placenta  etc. 
Schuld,   so  entferne  man  diese  so  schnell   als  möglich,  indem  man  mit  der 


952  HAEMORRIIAGIA 

Hand  wie  bei  der  Wendung  auf  die  FQsse  eingeht.  Ists  eine  Placenta  ad- 
nata  und  lacerata,  so  löse  man  diese  nach  den  bekannten  Regebi  der  Kunst. 
Zuweilen  ist  das  Eingehen  mit  der  Hand  wegen  Krampfes  im  Muttermunde 
unmöglich.  Hier  müssen  innere  Mittel :  Opium  in  kleinen  Dosen ,  Ipecac. 
und  Tart.  emetic.  in  refr.  dosi  (^Froriep},  und  änsserlich  Opiatsalbe,  laue 
aromatische  Umschläge  auf  den  Unterleib,  Einreibungen  von  Unguent.  opii, 
von  einer  Salbe  aus  Fett  und  Pulv.  herbae  belladonnae  in  den  Muttermund 
angewendet  werden.  Dasselbe  ist  der  Fall  bei  Placenta  incarcerata,  wenn 
Krampf  den  Uterus  zur  Hälfte  in  der  Mitte  verschlossen  hat,  so  dass  man 
leicht  dadurch  getäuscht  werden  und  glauben  könnte,  der  Uterus  sey  leer. 
Hier  bestreiche  man  seine  äussere  Handfläche  mit  erwärmtem  Ol.  h^oscyam. 
und  Land,  liquid,  ana,  gehe  dann  in  die  Gebärmutter  ein  und  suche  durch 
Einreibungen  an  der  Stelle,  wo  der  Nabelstrang  an  den  Uterus  gewachsen 
zu  seyn  scheint,  den  Krampf  zu  heben  und  dann  die  Placenta  zu  entfernen. 
Ist  kein  Krampf  da,  so  kann  man  sogleich  die  Reste  der  Placenta  und  et- 
wanige  Blutklumpen  durch  Injectionen  von  lauem  Wasser  mittels  einer  Mut- 
terspritze entfernen;  doch  ists  besser,  mit  der  Hand  einzugehen;  denn  oft 
verschliessen  die  Blutklumpen  Vagina  und  Muttermund,  und  die  Blutung 
kann  im  Uterus  noch  ganz  bedeutend  fortdauern,  besonders  wenn  zugleich 
Atonie  zum  Grunde  liegt.  Hier  bewirkt  auch  der  Reiz  der  eingebrachten 
Hand  die  regelmässigen  Contractionen,  worüber  uns  die  Untersuchung  des 
Unterleibes,  wo  der  Uterus  als  eine  harte  Kugel  anzufühlen  ist,  Auskunft, 
giebt.  Doch  traue  man  diesem  Zeichen  nicht  allein ;  der  untere  Abschnitt 
des  Uterus  kann  schlaff  und  ausgedehnt  bleiben  und  die  alleinige,  kaum 
geahnte  Ursache  tödtlicher  Blutungen  werden  (ßwsc/t,  Mendc  in  d.  Gemeins. 
deutsch.  Zeitschrift  f.  Geburtskunde.  Bd.  I.  Hft.  2.  S.  315).  6)  Ist  der 
Uterus  von  allen  fi'emden  Körpern  leer  und  hängt  die  Blutung  lediglich  von 
Atonie  und  Lähmung  desselben  ab,  so  gebe  man  innerlich  abwechselnd,  alle 
10  — 15  Minuten,  grosse  Dosen  Naphtha,  Mineralsäuren,  starke,  durchdrin- 
gende ,  erhitzende  Weine ,  besonders  aber  Tinct.  cinnamomi ,  theelöffelweise. 
Auch  Folgendes  ist  sehr  wirksam:  I^  Ol.  cinnmnomi  5lV5  Naphth.  vUrioIi^^. 
M.  S,  Alle  15  Minuten  25 — 30  Tropfen.  Dabei  ist  die  örtliche  Behandlung 
höchst  wichtig.  Dahin  gehören:  «)  Starke  Einreibungen  in  den  Unterleib 
von  Spirit.  camphoratus,  Linim.  volatile.  /S)  Reiben  des  Muttermundes  und 
der  Klitoris  als  Reizmittel,  um  die  Contractionen  zu  bewirken  (Spangenherg, 
Wigand).  y)  Wir  wenden  änsserlich  einen  anhaltenden  Druck  auf  den  gan- 
zen Unterleib  an,  der  den  ausgedehnten,  erschlafften  Uterus  compriniirt  und 
so  nicht  selten  die  gewünschten  Contractionen,  ohne  welche  die  Blutung 
nicht  stehen  kann ,  sehr  schnell  hei-vorruft ;  z.  B.  wir  füllen  einen  Beutel 
mit  etwa  SO  —  40  Pfund  trocknera,  erwärmtem  Sande,  legen,  indem  wir 
gleichzeitig  mit  der  ganzen  Hand  die  innere  Gebärmutterwand  betasten,  die- 
sen auf  und  lassen  ihn  nach  herausgezogener  Hand  noch  längere  Zeit  liegen 
iKluge  in  SiehoUs  Journ.  f.  Geburtshülfe  etc.  1821.  Bd.  VH.  St.  1.  S.  143 
bis  154).  J)  Helfen  auch  diese  Mittel  nichts,  alsdann  greife  man  zu  den 
bekannten  Injectionen,  die  leider,  wenn  sie  unvorsichtig  oder  ohne  die  grösste 
Noth  angewandt  werden,  oft  die  nachtheiligsten  Folgen:  Scirrhus ,  Carci- 
noma uteri,  hinterlassen.  Man  spritze  lauwarmes  Wasser  3  Theile,  mit 
1  Theil  Rothwein  oder  halb  so  viel  Branntwein  vermischt,  mittels  der  Mut- 
terspritze in  den  Uterus,  und  ziehe  das  Röhrchen  der  Spritze  nicht  gleich 
nachher  heraus,  damit  die  Flüssigkeit  länger  in  der  Gebärmutter  verweilen 
kann.  Euispritzungen  von  kaltem  Wasser,  von  Essig  und  Wasser,  Solutio 
aluminis,  vitrioli  etc.  wandte  man  früher  viel  an;  sie  sind  aber  aus  zwei 
Gründen  gänzlich  zu  verwerfen:  erstens,  weil  der  Blutfluss,  wenn  er  auch 
augenblicklich  darnach  steht,  leicht  von  Neuem  wiederkommt  (^Froricp'); 
zweitens,  weil  sie  die  genannten  schlimmen  Folgen  haben  und  Verhärtungen 
und  Krebs  der  Gebärmutter  erzeugen;  ja  d'Oulrepont  in  VVürzburg  leitet 
die  häufig  auf  Metrorrhagien  folgende  Metritis  von  den  kalten  Einspritzun- 
gen ab,  und  er  sah  letzteres  Übel  seit  der  Zeit,  wo  er  keinen  Gebrauch 
mehr  davon  machte,    nach  solchen  Blutungen    nie  folgen  (s.  Gemeins,  deut- 


HAEMORRHAGIA  953 

sehe  Zeitsclir.  f.  Geburfskunde.  1821.  Bd.  IV,  Hft.  1.  S.  40).  Dagegen  sind 
die  lauwarmen  Einspritzungen  oft  sehr  wirksam,  ohne  jene  Nachtheile  her- 
beizuführen (^Proriep).  Ist  die  Gefahr  sehr  gross,  so  kann  man  momentan 
wirkende  recht  kalte  Umschläge  von  Wasser,  Fomentatio  frigida  Schmucken 
zugleich  äusserlich  auf  den  Unterleib  anwenden.  Sie  müssen  aber  plötzlich 
angewandt  und  oft  erneuert  werden.  Die  lauen  Injectionen  kann  man  alle 
5  — 10  Minuten,  bis  die  Blutung  steht,  wiederholen,  f)  In  sehr  schlimmen 
Fällen  hat  man  in  der  Gebäranstalt  zu  Berlin  auch  die  Aorta  descendens 
von  dem  äussern  Unterleibe  oder,  noch  besser,  von  der  GebärmutterhShle 
aus  durch  einen  kräftigen  Druck  mittels  des  Zeige-  und  Mittelfingers  com- 
primirt  (^Siehold) ,  und  hiervon  Nutzen  gesehen.  Dagegen  blieb  das  anem- 
pfohlene Binden  der  obern  und  untern  Extremitäten  oft  ohne  Erfolg  (^Froriep)^ 
sowie  auch  das  Einbringen  des  Tampons  in  den  Uterus,  was  selbst  nachthei- 
lig werden  kann,  indem  der  fremde  Körper  die  gleichmässigen  Contractionefi 
verhindert.  Sind  alle  Zeichen  der  Verblutung  nach  grossem  Blutverlust  ein- 
getreten, so  bleibt  uns  nur  ein  einziges  RettuHgsmittel :  die  Transfusion 
des  Blutes,  übrig,  welche  in  den  neuesten  Zeiten  die  glänzendsten  Re- 
snltate  geliefert  hat.  Durch  sie  allein  wurde  schon  manche  Frau  ,  die  im 
Scheintode  durch  Verblutung  lag,  aus  den  Armen  des  Todes  gerissen.  Am 
besten  ists,  man  spritzt  alle  5  —  8  Minuten  bei  Erwachsenen  12 — 15  Drach- 
men so  eben  von  gesunden  Personen  abgezapftes  Blut  nach  Obßn  zu  in  die 
Armvene.  Eine  5  -  bis  6malige  Wiederholung  war  oft  schon  hinreichend 
(s.  Scheel,  Über  Transfusion  des  Blutes;  neue  Ausg.  nebst  Forts,  von  Dief- 
fetihach.  Berlin,  1827.  HufelamVs  Journal.  Bd.  LXV.  St  5.  S.  92—102. 
Brigham  u.  Douglas  Fox  in  London  med.  and  phys.  Journ.  Bd.  LVIII.  S.  45. 
Gersoiis  u.  Julius^  Magaz.  d.  ausländ.  Lit.  d.  Heilk.  1827.  Juli  u.  August 
S.  61  —  91.  Froriep's  Notizen.  Bd.  XVI.  St.  22.  Nr.  22).  Durch  dieses 
langsame  Einspritzen  werden  die  Zufalle  von  Angst,  Dyspnoe  etc.  verhütet. 
f)  Entsteht  die  Metrorrhagie  gleich  nach  der  Entbindung  und  ist  die  Pla- 
centa  noch  nicht  abgegangen ,  so  kann  man  sowol  die  Placenta  schnell  lö- 
sen, als  auch  die  Blutung  stillen  durch  das  neue  Mojon'sche  Verfahren. 
Es  besteht  darin,  eine  Mischung  aus  kaltem  Wasser  und  Essig  durch  die 
Nabelschnurvene  in  den  noch  festhangenden  Mutterkuchen  mittels  einer 
Spritze  einzuspritzen.  Die  Dosis  ist  von  jedem  2  —  3  Unzen.  Auch  lau- 
warmes Wasser  und  Branntwein  ana  §jjj  zu  einer  Einspritzung  sind  mit 
Nutzen  angewandt  worden.  Der  günstige  Erfolg  dieses  Verfahrens  wurde 
in  vielen  Fällen  bestätigt  C'vgl«  Legras  in  Froriep^s  Notizen,  1828.  Nr.  2. 
Hoffmann  in  HusCs  Magazin,  1827.  Hft.  1.  S.  105.  Gerson's  und  J»7?W 
Magazin.  1827.  Mai  u.  Juni.  Froricp's  Notizen,  1826.  Juli.  S.  250.  Gemein- 
same deutsche  Zeitschrift  f.  Geburtskunde.  Bd.  I.  S.  621.  Taroni  in  den 
Annali  universali  di  medlcina.  Milano,  1827).  9)  Bei  der  Metrorrhagia  vi- 
caria,  welche  zuweilen  statt  der  Hämorrhoiden  sich  einstellt,  suche  man 
letztere  als  eine  in  ihren  Folgen  weniger  gefährliche  Blutung  durch  Attra- 
hentia  etc.  zu  befördern  (s.  Haemorrhoides).  10)  Ist  die  Metrorrhagie 
Folge  von  Prolapsus ,  Inversio  oder  Retroversio  uteri ,  so  bringt  man  den 
Uterus  nach  den  Regeln  der  Geburtshülfe  in  seine  normale  Lage,  erhält 
diese  bei  Prolapsus  durch  zweckmässige  Pessarien  und  macht  Einspritzun-r 
gen  von  lauem  Wein,  Essig,  Wasser  (s.  Hysteroloxia  und  Prolapsus 
uteri).  Rührt  die  Blutung  von  Polypen  her,  so  müssen  diese  durch  Liga- 
tur oder  Schnitt  entfernt  werden;  ist  Scirrhus  und  Carcinoma  uteri  Schuld,' 
so  behandeln  wir  auch  hier  das  Grundübel,  geben  innerlich  Cicuta,  Mercur, 
Belladonna,  Laurocerasus ,  Digitalis,  bei  Krämpfen  Opium,  und  machen  bei 
den  Blutflüssen  Einspritzungen  von  Infus,  herb,  cicutae,  hyoscyami,  Myrrha, 
Acid.  pyro-lignos.  etc.  (s.  Scirrhus  und  Carcinoma  uteri).  11)  Sind 
Verhärtungen  der  Abdominaleingeweide  die  Ursache  der  Metrorrhagie,  so 
behandle  man  diese  durch  die  bekannten  Resolventia.  In  solchen  Fällen 
leisteten  mir  folgende  Tropfen:  IV-  Extr.  cicutae,  — dulcamarac  ana  3j»  ^7- 
lanrocerasi  gj^,  Tn'»'i.  emetici  gr.  jj.  M.  S.  Dreimal  täglich  20  —  SO  Tropfen, 
anhaltend  gebraucht,  heiTÜche  Dienste  und  die  symptomatische  Metrorrhagie 


954  HAEMORRHAGIA 

•wurde  grändiich  geheilt  (Most).  12)  In  der  Roconvalescenz  dienen  zur 
Nachciir  der  Metiorrhngien  gute  Roborantia,  Nutrlentia,  Amara  u.  s.  f. 
(s.  oben  Haemorrhagia)  Diese  Mittel  müssen  nach  dem  Charakter  der 
Blutung  vorsichtig  ausgewählt  werden.  Dasselbe  ist  mit  der  Diät  der  Fall. 
Bei  synochalen  und  erethistischen  Mutterbluttlüssen  hüte  man  sich  ja  vor 
früher  Anwendung  der  China  und  des  Eisens;  denn  diese  Mittel  hinterlassen 
leicht  neue  Congestionen,  Anschoppungen,  Indurationen  in  den  Abdominalein- 
geweiden  und  andere  Übel.  Selbst  bei  paralytischen  Blutungen,  wo  sie  in- 
dicirt  sind,  hinterlassen  sie  oft  eine  so  gewaltige  Magenschsväche,  besonders 
das  Ol.  niartis,  dass  Monate  darauf  hingehen,  ehe  die  Verdauungsorgane 
wieder  stärker  werden  (Afosf).  IS)  Die  Lebensordnung  und  das  Verhalten 
der  an  Metrorrhagie  Leidenden  ist  zwar  dasselbe,  wie  bei  Häniorrhagien 
überhaupt;  doch  ist  hier  noch  Folgendes  zu  bemerken:  n)  Die  Kranken 
müssen  auf  Matrazzen  oder  Stroh  liegen,  mit  dem  Kopfe  sehr  niedrig,  mit 
dem  Hintern  und  den  Füssen  hoch.  Besonders  nothwendig  ist  dies  bei  den 
Zeichen  der  Depletion,  zur  Verhütung  der  Ohnmächten.  Am  besten  ist  die 
Rückenlage  mit  übergeschlagenen  oder  nahe  an  einander  gelegten  Schenkeln. 
Alle  warme  Bedeckungen,  besonders  Federbetten,  sind  schädlich,  desgleichen 
jede  körperliche  Belegung;  der  Unterkörper  muss  kühl  und  ruhig  erhalten 
werden.  6)  Reine,  kühle  Zimmerluft  ist  höchst  nothwendig.  c)  Bei  schwa- 
chen, reizbaren  Kranken  müssen  alle  starke  Sinnesreize,  Besuche,  vieles 
Reden,  starkes  Geräusch,  grelles  Licht,  Alles,  was  Schreck  erregt,  ver- 
mieden werden,  rf)  Bei  Leibesverstopfung  sind  Klystiere  wegen  der  dabei 
nachtheiligen  Körperbewegung  schädlich.  Man  befördere  sie  lieber  durch 
Crem,  tartari,  Electuar  leniriv,  und  stellt  sich  das  Bedürfniss  zum  Stuhl- 
gange ein  ,  so  bediene  man  sich  eines  Steckbeckens,  e)  Der  Schlaf  ist  bei 
erethistischen  Blutungen  des  Uterus  nicht  zu  verweigern;  man  befördere  ihn 
durch  Stille  und  Dunkelheit  des  Zimmers.  Aber  man  unters\iche  von  Zeit 
zu  Zeit,  wie  sich  die  Blutung  verhält,  ob  sie  steht,  wiederkehrt  und  zu- 
nimmt, oder  nicht.  Man  halte  ja  Ohnmächten  nicht  für  Schlaf;  der  Puls 
und  die  Blutung  muss  hier  zur  Diagnose  dienen.  Bei  paralytischen  Blutun- 
gen darf  die  Kranke  während  des  Blutflusses  so  wenig  als  möglich  schlafen. 
14)  Zur  Verhütung  der  Wiederkehr  von  Metrorrhagien,  besonders  wenn  sie 
schon  öfters  sich  eingestellt  haben ,  ist  eine  strenge  anhaltend  fortgesetzte 
Diät  im  weitern  Sinne  des  Worts,  dem  jedesmaligen  Charakter  der  voraus- 
gegangenen Blutung  gemäss ,  durchaus  nothwendig.  Da  die  recidivirende 
Metrorrhagie  in  der  Regel  eine  erethistische  ist,  so  dient  ein  massig  warmes 
Verhalten  des  Unterleibes,  Vermeidung  der  Erkältung  der  Füsse,  der  war- 
men Betten,  massige  Bewegung  und  Aufenthalt  in  freier,  warmer  Luft. 
Alles,  was  die  Genitalien  reizt,  lebhafte  Phantasie,  schlüpfrige  Romane, 
Coitus  muss  vermieden  werden.  Die  Diät  muss  nährend ,  aber  durchaus 
nicht  reizend  seyn.  Aromatische  und  Eisenbäder,  Einreibungen  des  Unter- 
leibes mit  Kampher,  Bals.  peruv.  und  ätherischen  Ölen,  in  Spir.  serpylli  ge- 
löst (s.  Amaurosis),  A'orsichtiger  Gebrauch  der  China  in  Tincturen,  De- 
cocten,  der  Ratanhia,  später  der  leichtern  Eisentincturen  etc.  sind  zu  em- 
pfehlen. 15)  Empirische  Mittel  bei  Metrorrhagie  sind:  n)  Brechmittel,  be- 
sonders bei  oft  wiederkehrendem  Übel  (s.  v.  Froriep^s  Notizen,  1828.  Bd. 
XXII.  Nr.  19).  Sie  können  nachtheilige  Folgen  haben;  besser  ist  der  an- 
haltende, wochenlange  Gebrauch  des  Tart.  emetic.  in  refr.  dosi  als  Ekelcur. 
i)  Die  Tampons  als  Stypticum  in  den  Uterus  gebracht.  Sie  sind  durchaus 
in  jeder  Metrorrhagie  zu  verwerfen;  denn  sie  hindern  den  Ausfluss  des  Blu- 
tes, die  Contractionen  des  Uterus,  und  schaden,  indem  sie  so  die  Blutung 
unterhalten  (y.  Froricp,  Mcndc,  Hanse),  c)  Nützlich  ist  das  Anlegen  einer 
Leibbinde,  besonders  bei  schlaffen  Subjecten  nach  paralytischen  Blutungen. 
Hier  auch  in  der  Schwangerschaft.  Auch  hat  man  beim  habituellen  Verlauf 
paralytischer  Piletrorrhagien  mit  Nutzen  einen  Kräutergürtel  um  den  Unter- 
leib, angefüllt  mit  Spec.  aromat.,  Pulv.  cort.  quercus,  Chinae,  Gall.  turcic, 
der  des  Tages  zweimal  in  Rothwein  oder  Branntwein  getaucht  wird,  anhal- 
tend tragen  lassen,    if)  Bei  paralytischer  Metrorrhagie  dienen  zur  Nachcur  und 


HAEMORRHAGIA  955 

um  Recldive  zu  verhüten  Decoct.  rad.  ratanhiae,  besonders  aber  bei  noch 
fortwährender  Blutung  Cort.  adstringens  brasil.,  anhaltend  gebraucht.  Man 
giebt  alle  2  Stunden  1  Esslöffel  vom  Decoct  ( 53  auf  gvjjj  Colatur)  ;  auch 
die  geistige  Tinctur  der  Rinde  ist  sehr  wirksam  (^Brimner  in  N.  Jahrbüchern 
d.  deutsch.  Medicin  von  Harless.  Supplementband  2;  S.  131  — 151).  Diese 
Rinde  leistete  dem  Dr.  Brunner  in  l4  Fällen  die  ausgezeichnetsten  Dieste. 
Bei  langwierigen,  passiven  Gebärmutterflüssen,  bei  Metrorrhagia  habitualis, 
welche  nicht  selten  jahrelang  währt,  indem  periodisch  ein  heftiger  Blutfluss 
entsteht  und  ausser  der  Zeit  ein  dünnflüssiges,  missfarbiges  Blut  von  üblem 
Gerüche  in  kleinen  Quantitäten  ausfliesst,  das  Gesicht  erdfahl,  livid  ist  etc., 
ist  die  Sabina,  nach  v.  Wedeländ^s  und  Feisfs  neuern  Beobachtungen,  sehr 
wirksam ,  z.  B.  I^  Pulv.  lierh.  sahinne  5jjj ,  Extr.  sahinae  5jj ,  Ol.  sahinaa 
(lest.  5j.  M.  f.  pil.  pond.  gr.  jjj.  Consp.  lycopod.  S.  Dreimal  täglich  4, 
5 — 10  Stück  zu  nehmen  (s.  Gemeins,  deutsche  Zeitschr.  f.  Geburtskiuide. 
Bd.  IV,  Hft.  4,  S  618).  Diese  Pillen  erhöhen  die  Thätigkeit  der  Schleim- 
haut des  Uterus,  steigern  die  Contractionen  der  Gefässwandungen  und  ver- 
mehren den  Bkitumtrieb  und  die  Zusammenziehungskraft  der  Bewegfasern. 
Daher  passen  sie  bei  Atonie  des  Uterus  und  deren  Folgen :  Metrorrhagie, 
Fluor  albus  etc.  ,  ganz  besonders,  e)  Räucherungen  der  Geschlechtstheile 
mit  Bacc.  juniperi,  Mastix,  Bernstein,  Myrrhe  etc.,  desgleichen  Fomenta- 
tionen  von  Spiritus  aromaticus  sind  bei  der  paralytischen  Metrorrhagie  zu- 
weilen nützlich  gewesen,  f)  Sehr  wirksam  ist  das  anhaltende  Reiben  und 
Frottiren  des  Unterleibes,  besonders  in  der  Gegend  des  Muttergrundes,  des- 
gleichen des  Os  uteri  und  der  Klitoris  bei  Atonie  des  Uterus  und  daher  rüh- 
»ender  Blutung,  g)  Bei  erethistischer  Metrorrhagie  sind  2  —  4  Schröpfköpfe, 
auf  die  Brust  gesetzt,  als  revulsorisches  Mittel  oft  recht  heilsam.  Innerlich 
hat  man  hier  grosse  Dosen  Kochsalz  und  Wasser  empfohlen,  die  aber  mehr 
bei   synochalen  Blutungen  passen. 

Haemorrhngin  vngmae,  Colporrhngia,  Elytrorrhagia,  Hnematocolpiis,  Hae~ 
tnorrhoen  vnginnlis,  die  Scheide nblutung.  Sie  ist  eben  nicht  selten, 
kann  verschiedene  Ursachen  haben,  muss  aber  von  dem  Menstrual-  und 
Wochentiuss  wohl  unterschieden  werden.  Die  örtliche  Untersuchung  mittels 
des  Fingers  und  eines  guten  Speculum  vaginae  (vgl.  die  Art.  Aedoebpsia 
und  Exploratio  obs tetricia),  mitunter  auch  Injectionen,  um  die  Scheide 
vom  Blute  zu  reinigen  und  so  leichter  die  blutende  Stelle  zu  entdecken,  die- 
nen zur  Diagnose,  sowie  wir  zugleich  aus  der  Anamnese  die  ursächlichen 
Momente  näher  kennen  lernen.  Diese  sind  :  häufig  mechanische  Ver- 
letzungen, Verwundungen,  Blutaderknoten  und  andere  Gefässausdehnungeii 
der  Scheide ;  auch  anomale  Menses  und  Hämorrhoiden  können  hier  vicarii- 
rend  periodische  Blutung  erregen.  Sind  Varices  Ursache,  so  findet  man 
diese  nicht  allein  in  der  Scheide,  sondern  auch  an  den  Schenkeln,  den 
grossen  Schamlefzen,  welche  kleiner  werden,  sowie  das  stets  dunkle  Blut 
aus  der  Scheide  fliesst.  Selten  ist  diese  Blutung  so  stark,  dass  sie  tödtlich 
wird,  es  müsste  denn  ein  recht  grosser  Varix  seyn.  Zuweilen  berstet  ein 
solcher,  ohne  dass  Blutung  nach  Aussen  folgt,  indem  das  venöse  Blut  zwi- 
schen die  Häute  der  Scheide  und  die  benachbarten  Weichtheile  tritt.  Es 
bildet  sich  dann  oft  ein  bedeutend  grosses,  durch  Druck  und  Spannung  lä- 
stig werdendes  Extravasat,  ein  sog.  Thrombus  vaginalis,  der  später  gleich- 
falls berstet  und  Erguss  von  Eiter  und  verderbtem  Blute  veranlassan  kann 
(^Bruherger^.  Bei  jeder  chronischen,  oft  Wochen,  Monate  lang  anhaltenden,  oft 
nur  ein  paar  Tage  cessirenden,  meist  nicht  sehr  profusen  Blutung  aus  der 
Scheide,  untersuche  man  diese  genau  (s.  Exploratio  obstetricia),  da- 
mit die  Quelle  des  Blutes  entdeckt  werde ;  häufig  finden  wir  dann  Krebs 
des  Uterus,  carcinomatöse  und  condylomatöse  Auswüchse,  veraltete  Chanker 
am  Muttermunde,  im  Scheidengrunde,  Prolapsus  vaginae,  uteri  etc.  In  ge- 
richtlicher Hinsicht,  bei  Untersuchung,  ob  Coitus  violentus  und  Entjungfe- 
rung stattgefunden,  ist  die  an  sich  unbedeutende,  durch  Zerstörung  des 
Hymen  entstandene  Colporrhagie,  die  aber  oft  auch  künstlich  nachgemacht 
wird  5  wichtig.     Man  achte  daher  zugleich  auf  das  Zeichen ,  ob  die  kleinen. 


95ß  HAEMORRHAGIA 

meist  narh  der  Lange  rerraufer.den  Einrisse  am  Eingänge  der  Scheide  da 
sind,  ob  sie  frisch  sind  etc.  Zu  den  gefährlichsten,  Gott  Lob!  seltenen 
Colporrhagien  geliört  die  ,  welche  durch  Zerreissung  der  Scheide  in  Folge 
eines  /u  starken  Wehenandrangs  (aber,  nach  Goldson,  am  Endo  der  Schwan- 
gerschaft auch  ohne  diesen)  entsteht,  wobei  oft  ein  deutliches  Geräusch 
wahrgenommen  v.ird,  plötzlich  Nerveiizufälle :  Ohnmächten,  kalte  Glieder, 
Todtenblässe  folgen,  die  Gedärme  vorfallen,  die  Frucht  in  die  Unterleibs- 
höhle tritt  und  unter  beträchtlichem  Blutsturz  oft  in  wenig  Minuten  der  Tod 
folgt,  wie  ich  vor  7  Jahren  hier  in  Rostock  einen  solchen  traurigen  Fall 
erlebt  habe  (M.),  auch  C.  E.  Th.  v.  Sichold  in  E.  C.  J.  v.  Siehold's  Jour- 
nal für  Geburtshülfe,  Bd.  XIII.  St.  1 ,  1833,  S.  46  einen  solchen,  der  tödt- 
üch  ablief,  beschrieben  hat.  Die  Behandlung  der  Scheidenblutung  lässt 
sich  im  Allgemeinen  kaum  bestimmen.  Ist  die  Blutung  bedeutend  ,  so  mu.ss 
man  diese  zuerst  zu  stillen  suchen,  also  symptomatisch  verfahren,  weiche 
Schwämme,  Charpiebäusche  mit  styptischen  Mitteln,  mit  kaltem  Wasser, 
Solut.  aluminis  etc.  befeuchtet,  einbringen,  später  aber  vor  Allem  darnach 
sehen,  dass  man  die  Ursache  der  Blutung  entfernt.  Ists  Metrorrhagie,  so 
kann  ein  solches  Ausstopfen  der  Scheide,  wie  dies  die  meisten  Hebammen 
thun,  wenig  nützen,  wohl  aber  dadurch  schaden,  dass  das  Blut,  weil  sein 
Abfluss  somit  nicht  erfolgen  kann,  sich  nun  im  Uterus  anhäuft. 

Haemorrlingia  ventrirtcli,  ocsophaiji,  intestinornm  lenuium,  lienis  et  hejin- 
tis,  Hacmaiemeslg,  Vomitus  crueutus,  Gasterorrhaijia,  Oesophagorrhagia,  Me- 
laena,  Morbus  nigcr  Hippocralis,  Fltixiis  spletictiius ,  Blutung  des  Ma- 
gens, des  Darnicanals,  oft  auch  des  Oesophagus,  der  Leber,  der 
Milz;  schwarze  Krankheit.  Hierunter  verstehen  \'Nir  den  Blutfluss  aus 
den  Gefässen  des  Magens,  des  dünnen  Darms  und  der  diesen  nahe  gelege- 
nen Organe,  bei  welchem  das  ergossene  Blut  durch  Erbrechen  oder  auch 
gleichzeitig  durch  den  Stuhlgang  ausgeleert  wird  (ffnnsc).  Die  Blutungen 
aus  den  genannten  verschiedenen  Organen  kann  man  unter  einen  Gesichts- 
punkt fassen,  da  die  Häiuorrhagie  hier  jedesmal  ein  Symptom  von  einem 
tiefern  Leiden  der  Unterleibsorgane  ist,  sobald  wir  dasjenige  ßlutbrechen, 
welches  plötzlich  bei  früher  Gesunden  nach  mechanischen  und  chemischen 
Verletzungen  (Giften)  des  Darmcanals  eintritt,  nicht  mitrechnen.  Viele 
Ärzte  halten  Vomitus  cruentus  und  Morbus  niger  für  zwei  verschiedene 
Krankheiten,  Andere  für  die  acute  und  chronische  Form  ein  und  desselben 
Übels  {Spnngenherg ,  Über  die  Bluttlüsse  in  medicin.  Hinsicht;  1805.  S.  391), 
noch  Andere,  z.  B  Marcus  (Entwurf  der  spec.  Therapie;  T.  II.  1810; 
S.  361),  suchen  nachzuweisen,  dass  diejenige  Krankheit,  welche  den  Namen 
Vomitus  cruentus  oder  Melaena  trägt,  in  den  bei  weitem  meisten  Fällen 
gar  keine  für  sich  bestehende  Krankheitsform,  sondern  weit  öfter  eine  Milz- 
entzündung sey,  für  welche  das  Bluterbrechen  nur  ein  pathognomonisches 
Zeichen  abgebe.  Allerdings  wird  der  praktische  Arzt  bei  Untersuchung  sol- 
cher Kranken  sich  nicht  allein  mit  dem  Symptom  (der  Blutung)  begnügen, 
sondern  denjenigen  Dingen  nachforschen ,  die  sie  erregen  oder  von  denen  sie 
Folge  ist.  Die  Erfahrung  bestätigt  es  auch,  dass  Milzleiden  hier  häufig  mit 
im  Spiele  sind ;  aber  auch  auf  die  Leber  müssen  wir  unsere  Aufmerksamkeit 
richten,  vor  allen  Dingen  aber  den  krankhaften  Zustand  der  Blutgefässe  des 
Magens  und  Dünndarms  selbst  nicht  übersehen.  Überdem  sind  die  Fälle 
gar  nicht  selten,  dass  die  Leber  und  Milz  nur  an  Plethora,  nicht  an  wirk- 
licher Entzündung  leiden,  wo  dann  das  Blutbrechen  als  Krise  für  diese  Ple- 
thora, ebenso  wie  der  Fluxus  haemorrhoidalis  als  Krise  für  die  Dialhesis 
haemorrhoidalis,  anzusehen  ist.  Ja,  der  Vomitus  cruentus  ist  oft  weiter 
nichts  als  eine  Übertragung  der  Menstrual-  oder  Hämorrhoidalcongestion, 
und  erscheint  dann  als  Haemorrhagia  vicaria  für  jene  Blutungen.  Die  Se- 
ctionen  der  an  Blntbrechen  Verstorbenen  haben  hinlänglich  bewiesen ,  dass 
hier  Abnormitäten  im  Magen,  in  der  Leber,  Milz,  selbst  im  Pankreas  statt- 
fanden, wodurch  Hindernisse  in  der  Blutcirculation  und  Blutanhäufung  im 
Pfortadersysteme,  in  den  Vasis  brevibus  ventriculi,  die  nächste  Ursache  des 
Bluterj^usses,    entstehen  musstcn.      Aus   demselben  Grunde    ist  das  Blutbrc- 


HAEMORRHAGIA  957 

che»  auch  symptomatisch  oft  bei  Splenitis  und  Hepatitis  beobachtet  worden, 
und  unstreitig  rührt  das  Blutbrechen  bei  der  Febris  flava  zunächst  von  einer 
hierbei  constanten  Hepatitis  her  (s.  diese  Art.).  Überhaupt  sind  die  Resul- 
tate der  Leichenöffnungen  nach  Vomitus  cruentus  im  Allgemeinen  fol^ 
geude :  1)  Ausgezeichnete  Blutleere  in  der  "Vena  cava  und  Vena  portaruui, 
besonders  in  den  grossen  Gefässen  des  Pfortadersystems.  2)  Verhärtungen, 
Scirrhositäten  der  Leber  und  Milz,  bald  kleine,  harte  Milz  und  sehr  grosse, 
ange.schwollene  Leber,  bald  umgekehrt  kleine  Leber  und  sehr  grosse  Milz, 
die  sehr  vseich  und  mürbe  war.  Häufiger  ist  indessen  letztere  klein,  mit 
hornartigen  Concretionen  auf  ihrer  Oberfläche  besetzt,  äusserlich  weisslich, 
oft  knorpelartig  und  so  hart,  dass  man  sie  kaum  mit  dem  Messer  durch- 
schneiden kann  ( Munjagni ,  P,  Frank ,  Fr.  Hoffmanii).  S)  Der  Magen  ist 
mit  schwarzem  Blute  angefüllt,  die  innere  Haut  desselben  von  dunkelrother 
Farbe,  mit  schwarzen  Flecken,  die  beim  Druck  schwarze  Materie  ergiessen. 
Seltener  fand  man  Spuren  von  Entzündung  des  Magens.  4)  Die  Gedärme 
sind  ausgedehnt  und  oft  mit  schwarzer,  pecharliger,  klebriger  Materie  (der 
atra  Bllis  der  Alten)  angefüllt.  5)  Die  Gefässe  des  Unterleibes  sind  in  ih- 
fer  Ausdehnung  sehr  verändert.  Die  Art.  coronar.  ventriculi  ist  grösser  als 
die  beiden  Aste  der  Art.  coeliaca,  die  Vasa  brevia  sind  fingersdick,  die  Ve- 
nac  mesaraicae  und  mesocolicae  ausgedehnt  bis  zum  Umfange  eines  dünnen 
Darras ,  mit  grossen  Varices  versehen ,  welche  atra  Bllis  enthalten ;  auch  die 
Hämorrhoidalgefässe  sind  zuweilen  varikös  ausgedehnt  und  voll  von  jenem 
schwarzen  Blute.  6)  In  der  Bauchhöhle  findet  man  eine  grosse  Ansammlung 
von  gelbem  Serum.  Aus  solchem  Leichenbefunde  ersieht  man,  dass  Alles, 
was  Plethora  abdominalis  macht,  besonders  aber  Desorganisationen  in  den 
Unterleibsorganen  zum  ßlutbrechen  Disposition  geben.  Alle  diese  Dinge 
können  aber  auch  Hämorrhoiden  zu  Stande  bringen.  Für  eine  systematische 
Bearbeitung  der  speciellen  Nosologie  und  Therapie,  die  in  Encyklopädien 
aus  bekannten  Gründen  nicht  stattfinden  kann  ,  ist  es  daher  zweckmässig, 
alle  Krankheiten  des  Darmcanals,  wobei  derselbe  als  blutführendes  Organ 
leidet,  also  die  Haemorrhagiae  tubi  intestinalis  im  weitern  Sinne,  unter  ei- 
nen Gesichtspunkt  zu  fas.sen  Hier  unterscheiden  wir  am  besten  und  für 
klinische  Zwecke  die  meist  acuten  Hämorrhagien  von  den  chronischen,  oft 
wiederkehrenden,  auf  Plethora  abdominalis  und  atra  Bilis  beruhenden  Blu- 
tungen. Letztere  würden  seyn :  1)  Vomitus  cruentus  chronicus,  auch  Mor- 
bus niger,  Flu.xus  spleneticus  genannt.  2)  Fluxus  hepaticas  verus  als  chro- 
nische .Secretio  sanguinolenta  Hepatis  (s,  Fluxus  hepaticus).  3)  Die 
Hämorrhoiden  aus  allgemeiner  Hämorrhoidaldyskrasie  (s.  d.  Art.).  Zu  den 
acuten  Blutungen  des  Darmcanals  können  wir  zählen :  1)  die  örtlichen  Hä- 
morrhoiden (s.  d.  Art.) ,  2)  Vomitus  cruentus  acutus  als  Folge  mechanischer 
und  chemischer  Schädlichkeiten:  Quetschungen  der  Magengegend,  der  Le- 
ber, Milz,  Genuss  scharfer  Gifte  etc.  3)  Die  Blutungen  als  Folge  acuter 
Splenitis ,  Hepatitis ,  Enteritis ,  Dysenteria ,  die  colliquativen  ,  paralytischen 
Blutungen  des  Darmcanals  bei  bösartigen  Fiebern.  Allen  chronischen  Blu- 
tungen des  gesammten  Darmcanals  liegt  Plethora  abdominalis  und  atra  Bilis 
(erhöhte  Venosität  der  Neuern)  zum  Grunde.  Sie  sind  die  Quelle  der  zahl- 
reichsten chronischen  Übel  im  Mannesalter  und  ihre  genaue  Würdigung  für 
die  Praxis  daher  höchst  wichtig.  Es  ist  hier  also  wol  der  passendste  Ort 
von  der  Plethora  abdominalis,  sowie  von  der  atra  Bilis  besonders  zu  reden. 
1.  Plethora  ahdominalis.  Ihre  mannigfaltigen  Symptome,  die  in  grös- 
sern oder  kleinern  Intervallen  den  Blutungen  oft  jahrelang  vorhergehen ,  sind 
1)  Gefühl  von  Vollheit,  Aufgetriebenheit,  Spannung  im  Unterleibe,  Flatu- 
lenz. 2)  Zuweilen  eine  nicht  von  Blähungen  herrührende,  oft  tagelang  an- 
haltende, mit  dem  Aderschiage  an  der  Hand  correspondirende  Pulsation  in 
der  Magengegend,  ohne  dass  ein  Aneurysma  da  ist,  herrührend  von  der 
Überfüllung  der  Coeliaca,  der  Magenarterien  etc.  mit  Blut.  3)  Bedeutende 
Empfindlichkeit  des  Unterleibes,  besonders  der  Magengegend,  für  Druck 
von  Aussen ,  durch  enge  Kleider  etc.  4)  Bei  genauer  Untersuchung  des  Un- 
terleibes,  wobei  der  Kranke  horizontal  mit  angezogenen  Schenkeln  und  er- 


gSjJ  HAEMORRHAGU 

schlafften  Bauchmuskeln  liegen  muss,  findet  man  die  Leber-,  oft  auch  die 
Milzgegend  deutlich  aufgetrieben,  und  diese  nie  zu  unterlassende  Untersu- 
chung giebt  bei  einiger  Übung  viel  Auskunft.  5)  Zuweilen  flüchtige  Stiche 
im  LJnterleibe,  sogenanntes  Milzstechen,  besonders  nach  der  Mahlzeit,  nach 
starker  Körper  -  und  Gemüthsbewegung.  Es  rührt  bald  von  plötzlicher 
Hemmung  der  Circulation  des  Bluts  in  der  Leber  oder  Milz  ,  bald  nur  von 
Flatulenz  her.  6)  Das  erste  Gefühl  von  Vollheit,  was  beim  Aufstehen  des 
Morgens  bemerkt  wix-d,  verliert  sich  gewöhnlich  nach  dem  Frühstück,  im 
hohem  Grade  ist  das  Gefühl  stärker  nach  der  Mahlzeit,  im  mittlem  Grade 
in  der  Regel  am  schlimmsten  2  —  3  Stunden  nach  dem  Mittagsessen,  oft 
gleich  nach  dem  Mittagsschlafe,  verbunden  mit  verdriesslicher  Gemüthsstim^ 
mung.  7)  Appetit  und  Verdauung  sind  anfangs  noch  ziemlich  gut,  später 
aber  schlecht.  Der  Kranke  leidet  an  übermässiger  Gallensecretion ,  Mageiv- 
säure ,  Flatulenz,  Obstructio  alvi,  abwechselnd  mit  Diarrhöe,  welche  mo- 
mentan erleichtert,  sowie  der  Genuss  von  etwas  Wein,  Branntwein,  Litjuor 
etc.  gleichfalls  augenblickliche  Erleichterung  giebt.  Blähende  Kost :  Kohl, 
Rüben,  Mehlspeisen,  besonders  Klösse ,  Pfannkuchen,  frisches  Brot  und  sehr 
feite    Speisen ,     besonders    Schweinefleisch ,     bekommen     am    schlechtestea. 

8)  Sehr  charakteristisch  ist  die  Zunge.  Sie  sieht  weisslich  aus ,  als  wäre 
üie  leicht  mit  Kreide  überstrichen,  ist  meist  dürre,  trocken,  und  es  finden 
gich  tiefliegende,  bald  longitudinale,  bald  transversale  Runzeln  oder  Risse, 
S,   5,    7  und  mehrere  an  der  Zahl,    oft  V4  Zoll  lang,    auf   derselben  (.W.). 

9)  Nicht  so  charakteristisch  ist  der  Puls ;  nur  in  den  höhern  Graden  der 
Plethora  geht  er  träge,  langsam,  schleppend,  ist  etwas  hart  und  intermittirt 
zuweilen  (Pulsus  abdominalis  morborum  chronicorum).  10)  Ungleiche  Blut- 
vertheilung,  daher  oft  kalte  Glieder,  heisses  Gesicht,  aufgetriebene,  heisse 
Magengegend.  11)  Ausserdem  verschiedene  Anomalien  des  Nervensystems, 
der  Sinneseindrücke,  Verdriesslichkeit,  eine  Empfindung  als  sey  ein  Schnu- 
pfen im  Anzüge  (Af.),  ohne  dass  es  zum  Katarrh  kommt,  Pulsationen  im 
Kopfe,  im  Nacken,  Mouches  volantes,  Ohrenklingen,  Verstimmung  des  Gei- 
stes (s.  Haemorrhoidum  Diathesis).  Die  vorzüglichsten  Veranlas- 
sungen sind:  1)  der  eigene  Bau  des  Unterleibes,  wo  fast  alles  Venenblut 
durch  die  Vena  portarum  muss,  da  hier  zwei  Arterien  auf  eine  Vene  kom- 
men ,  in  andern  Theilen  des  Körpers  aber  das  umgekehrte  Verhältniss  statt- 
findet; auch  der  eigne  Bau  der  Pfortader,  die  keine  Klappen  hat,  erschwert 
die  ßlutcirculation.  2)  Der  Darmcanal  ist  den  verschiedenen  Einwirkungen 
der  roheslen  und  reizendsten  Diät  ausgesetzt,  welche  durch  mechanische  und 
chemische  Reize  Plethoj-a  und  Disposition  zu  Blutungen  erregen.  Die  Quan- 
tität und  Qualität  der  mehr  oder  minder  reizenden  Speisen,  der  Gewürze, 
der  Spirituosa  ist  hier  in  Anschlag  zu  bringen.  3)  Auch  der  Missbrauch 
reizender  Arzneien,  der  Aloe,  des  Eisens,  der  reizenden  Klystiere  gehört 
hierher.  4)  Erbliche  Anlage ,  Mannesalter,  Vita  sedentaria,  enge  Kleidungs- 
stücke, 5)  das  Tragen  schwerer  Lasten,  zu  vieles  Reiten,  Fahren;  Unter- 
drückung anderer  gewohnter  Blutungen. 

11.  Airn  Bilis.  Hierunter  verstehen  wir  theils  das  Product,  die  soge- 
nannte, häufig  durch  Plethora  abdominalis  entstandene  schwarze  Galle,  d.i. 
denjenigen  SlofF,  der  bald  heller,  meist  aber  dunkelgrün  bis  zur  Tinten- 
bchvsärze  aussieht,  bald  mehr  dünn,  meist  aber  zähe,  dick,  theerartig  ist, 
wie  flüssiges  Pech,  einen  eigenthümlich  widerlichen,  raoderartigen,  aashaf- 
ten Geruch  hat,  bald  allein  aus  reiner  Galle,  bald  aus  Galle,  Fett,  Schleim, 
Blut  und  Harzen  besteht,  sich  im  Darmcanal  und  der  Nachbarschaft  befin- 
det und  im  glücklichen  Falle  durch  Erbrechen  oder  Stuhlgang  ausgeleert 
wird;  theils  nennen  wir  so  auch  die  Krankheit  selbst,  den  Morbus  atrabi- 
larius,  Cachexia,  Intempcries  atrabilaria  oder  die  zu  ihr  disponirende  Kör- 
perbcschalTenheit  (Constitutio  atrabilaria).  Da  der  Morbus  niger  Hippocrati» 
mit  den  schwar/galligen  Krankheiten  in  eine  Classe  gehört,  so  werde  ich 
auch  der  atra  Biiis  hier  besonders  und  um  so  mehr  gedenken,  da  neuere 
Ärzte  sogar  die  Existenz  derselben  geleugnet  haben ,  die  aber  wichtige  That- 
»achcn   der  Erfahrung    am  Krankenbette    nicht   zu  kennen   :<cheinen,    noniit 


HAEMORUHAGLi  959 

der  ehrwürdige  Veteran  S.  G.  Vogel  seine  unübertreffliche  Abhandlnng  über 
atra  Bilis  (Berliner  med.  -  chir.  Encyklopädie,  Bd.  III.  S.  653  —  681)  erst 
neuerlich  bereichert  und  diesen  wichtigen  Gegenstand  wiederum  in  seine  al- 
ten Reclite  eingesetzt  hat.  Die  Symptome  der  atra  Bilis  im  niedern 
Grade  sind  ganz  die  der  Plethora.  Vogel  sagt:  „Zu  den  beständigsten  und 
gewöhnlichsten  Zufällen  und  Zeichen  eines  atrabilarischen  Zustandes,  die 
jedoch  bei  weitem  nicht  immer  sämmtlich,  oft  nur  einzeln  und  unter  getvis- 
sen  Bedingungen  zugegen  sind,  und  deren  relatives  Zusammentreffen  nur 
dem  verständigen  DiaguosLiker  das  wahre  Bild  vor  Augen  stellt ,  gehören 
mehr  oder  weniger  und  in  verschiedenen  Graden  folgende :  1)  Alle  diejeni- 
gen ,  welche  Unordnungen  und  Abnormitäten  in  der  Function  der  Ver- 
dauungswerkzeuge ,  in  den  Präcordien  und  im  Unterleibe ,  zu  erkennen  ge- 
ben, als  unreiner  Mund,  saurer  Speichel,  verdorbener,  saurer,  fader  oder 
bitterer,  fauler  Geschmack,  solches  Aufstossen,  Sodbrennen,  verdorbena 
Zähne,  lockeres,  entfärbtes  Zahnfleisch,  öfteres  Spucken,  Beängstigungen 
und  Unruhe,  übelriechender  Athem,  iWangel  an  Esslust,  oder  widernatürlich 
scharfer  Appetit,  dessen  Befriedigung  zuweilen  eine  kurze  Linderung  ver- 
schafft, meistens  aber  schnelle  Sättigung  herbeiführt  oder  übel  bekommt, 
Aufblähung  nach  jedem  Genüsse,  Übelkeiten  und  Erbrechen,  grosser  Durst, 
mehr  oder  weniger  gelblich  oder  schwärzlich  belegte  Zunge,  Schmerz  und 
Wundseyn  der  zuweilen  ganz  reinen  Zunge  mit  rother  Spitze  und  rothen 
Rändern,  Aphthen;  Schwindel,  Ohrensausen,  eingenommener,  schwerer  Kopf, 
Beschwerden,  Spannung,  Empfindlichkeic  der  Präcordien,  eines  oder  beider 
Hypochondrien,  Klopfen  in  den  Präcordien,  im  Unterleibe,  Flatulenz,  Ko- 
liken, Seufzer,  Herzklopfen,  Schläfrigkeit,  Schluchzen;  Stuhlzwang,  Ver- 
stopfung, oder  kleine,  wässerige,  stinkende,  unbefriedigte  Stühle,  oder 
trockner,  harter,  zäher,  schwärzlicher,  abgerundeter  Stuhlgang;  Brand  und 
Hitze  im  Leibe,  Hämorrhoiden;  Schlaflosigkeit;  dunkel  gefärbter,  trüber, 
dicker,  lehmiger,  zuweilen  schwarzer  oder  wässeriger  Urin;  gelblichgrün- 
liche Augen ,  anfangs  bleiches,  dann  braunes,  dunkles,  gelbliches,  schwärz- 
liches, trübes  Gesicht,  ein  finsterer,  mürrischer  Blick,  tiefliegende,  glanz- 
lose, mit  blauen  Ringen  umgebene  Augen;  äusserlich  fühlbare  Anschwellung, 
Verhärtung  der  Milz,  der  Leber,  der  Gebärmutter  etc.  2)  Die  Beschaffen- 
heit und  die  Functionen  des  Haut-  und  Nervensystems,  das  Gemeingefühl, 
die  Integrität  der  Sinne,  werden  so  oft  von  dem  Leiden  des  Unterleibes  al- 
lerirt,  dass  sie  sich  auch  theils  für  sich,  theils  in  ihren  mannigfaltigen  Ver- 
bindungen ,  einander  verrathen  und  zu  Merkmalen  dienen.  Daher  die  dunkle, 
braune,  gelbliche  Farbe  der  Haut,  Neigung  zu  kalten  Extremitäten,  über- 
haupt ein  frostiges  Wesen,  blasse,  steife,  träge  Lippen,  blasse  Nägel, 
trockne,  keiner  bedeutenden  Ausdünstung  fähige  Haut,  oder  klebrige,  übel- 
riechende Schweisse,  Nachtsch weisse,  Aderknoten,  besonders  an  den  untern 
Gliedmassen,  blaue  Adern,  Jucken  in  der  Haut,  Ausschläge  auf  derselben, 
Geschwüre,  zuweilen  schwärzlich  gefärbte  Verhärtungen  und  Geschwülste 
daselbst,  Kälte  hie  und  da  in  der  Haut,  die  der  Kranke  nicht  fühlt,  Kälte 
auf  dem  Scheitel,  die  sich  nach  dem  Nacken  herunterzieht,  Abmagerung, 
Brennen  in  den  Händen  und  Fusssohlen,  fliegende  Hitze ,  ein  lästiges  Ziehen 
und  Schmerzen  in  allen  Gliedern ,  Einschlafen  derselben.  Schwere  und  Träg- 
heit des  ganzen  Körpers,  Empfindlichkeit  gegen  die  Luft,  Zittern  der  Glie- 
der und  Zuckungen,  Genitalreiz,  Schmerzen  in  den  Füssen  und  Waden, 
Ausfallen  der  Haare ,  Ausschläge  und  Schweisse ,  Jucken  an  den  Geburts- 
theilen,  viel  Urinlassen,  dunkelbrauner,  schwarzer  Harn.  S)  Mehr  oder 
weniger  leiden  daher  auch  der  Puls  und  der  Athem,  welche  beide  meistens, 
wenn  kein  Fieber  sie  beschleunigt,  langsamer  als  gewöhnlich  sind.  Der 
Puls  weicht  auch  nicht  selten  von  seiner  Ordnung  ab ,  wird  unregelmässig, 
ungleich  aussetzend."  —  Die  Classe  der  chronischen  Übel,  welche  nach 
Vogel  eine  Wirkung  der  sogenannten  schwarzen  Galle  seyn ,  zum  Theil  auch 
diese  hervorbringen  können,  ist  sehr  gross.  Er  rechnet  hierher:  Hypochon- 
drie, Melancholie,  Manie,  Melaena,  Nervenkrankheiten  aller  Art,  selbst  Epi- 
lepsie, Katalepsie,   Tetanus;    Gicht,  hartnäckige  Rheumatismen,  Blultlüsse, 


969 


HAEMORRHAGIA 


Geschwüre,  Flechten  und  andere  Hautübel,  Migräne,  Prosopalgie,  Amau- 
rose, Asthma,  Schwindsucht,  chronischen  Husten  mit  grünlichem,  eiterarti- 
^em,  dunklem,  schwärzlichem,  erdigem  Auswurfe,  Trommelsucht,  anginöse 
Halsbeschwerden,  Blennorrhöen,  Anschwellungen  der  Milz,  Leber,  d^s  Ute- 
rus, Ataxien  der  Menstruation,  Urinbeschwerden  etc.  Die  atrabiJarische 
Materie  kann,  ohne  dass  sie  eine  bedeutende  Schärfe  annimmt  und  heftige 
Erscheinungen  hervorbringt,  lange  Zeit  an  irgend  einem  Orte  im  Unterleibe 
stocken,  bis  sie  durch  die  Kunst  oder  duixh  zufällige  Ursachen  aufgelöst 
und  mobil  gemacht  wird.  Zuweilen  ist  sie  so  scharf,  säuerlich,  ätzend,  das« 
sie  Blutgefässe,  worin  sie  stockt,  zerfrisst,  Farben  zerstört,  mit  Erden 
aufbraust  und  beim  Erbrechen  Schlund  und  Mund  angreift  und  die  Zähne 
^tumpf  macht  (VogeV).  Ich  fand  sie  bei  einem  Manne,  wo  sie  nach  einer  Apo- 
plexie durch  den  Stuhlgang  ausgeleert  wurde,  so  scharf,  dass  sie  die  Haut 
um  den  After  herum  corrodirte  und  eine  Entzündung ,  wie  von  Vesicatorien, 
und  Hautblasen  erregte.  Sie  befand  sich  zwischen  dem  grünlichen  dünneu 
Stuhlgange ,  der  mit  schwarzen ,  dünnen  pechartigen  Partikeln  untermischt 
war".  Der  atrabilarische  Stoff  wird  nicht  immer  aus  Galle  gebildet ,  er 
herrscht ,  wie  letztere ,  oft  auch  schon  im  Blute  vor ,  und  kann  durch  die 
Vasa  brevia  aus  der  Milz  in  den  Magen  gelangen,  und  der  Morbus  niger 
Hippocratis  wird  vorzüglich  durch  schwarzgailige  Infarcten  hervorgerufeu 
(  Voijel).  Man  halte  aber  nicht  voreilig  jeden  Stuhlgang  mit  Abgang  schwar- 
zer Stoffe  für  atra  Bilis,  Auch  Eisenmittel ,  gerbestoffhaltige  Arzneien, 
Rothwein,  Heidelbeeren,  Kirschen,  brauner  Kohl  etc.,  können  die  schwarze 
Färbung  verursachen.  Was  die  Disposition  und  Veranlassungen 
zum  Morbus  atrabilarius  betrifft,  so  sind  Männer  mehr  als  Frauen  dazu  dis- 
pouirt,  besonders  die  von  melancholischem  Temperamente,  trockner  Haut, 
dunklem  starken  Haar,  mit  tiefliegenden,  hohlen  Augen,  gespannter  reizba- 
rer Faser,  schlechter  Verdauung,  mit  schwärzlicher  Gesichtsfarbe;  zank- 
süchtige, zornige,  empfindliche  Pei'sonen,  oft  von  tiefdenkendem  Geiste,  zu 
grossen  Untersuchungen  fähige  Köpfe,  die  an  heftigen  Gemüthsbewegungen, 
Obstructio  alvi  leiden  und  eine  sitzende  Lebensart  führen.  Fast  nur  allein 
Li  den  mittlem  Jahren  und  bei  herannahendem  Alter  kommt  die  Krankheit 
vor.  Die  nächste  Ursache  ist  mangelhafte  Decarbonisation  des  Bluts;  die 
sogenannte  erhöhte  Venosität  Puchetfs  und  die  Symptome  des  Morbus  atra- 
bilarius sind  ein  und  dasselbe.  Die  Gelegenheitsursachen  sind  dieselben  dex 
Plethora  abdominalis  (s.  oben) ,  wozu  noch  folgende  zu  rechnen  sind :  depri- 
mirende  Affecten,  gestörte  Fieberkrisen,  schlecht  behandelte  Wechselfieber, 
unterdrückte  Hämorrhoiden  und  Katamenien,  schnelles  Unterlassen  gewohn- 
ter Thäligkeit,  Reichthum  nach  Armuth,  grosse  Hitze,  plötzlicher  Wechsel 
d«r  Lufttemperatur,  Sumpfluft,  grobe,  pappige  Kost,  starke  Bitterbiere, 
manche  Contaglen,  die  dephlogistisirend  und  giftig  auf  den  Körper  wirken, 
endlich  eine  eigenthümllche  Luflbeschairenheit :  die  atrabilarische  Luftcon- 
stitution,  die,  nach  Voijcl ,  1801  und  1803  und  wiederum  1826  an  den  nord- 
westlichen Küsten  von  Holland  etc.  geherrscht  haben  soll,  also  mit  der  ei- 
genthümlichen  Luftconstitution  der  grossen  Epidemien  der  Intermittens  und 
der  Influenza,  worauf  ich  anderswo  hingedeutet  habe  (s.  Febr.  intermit- 
tens), vielleicht  auch  mit  der  die  Cholera  orientalis  begünstigenden  Luft- 
constitution einerlei  ist.  Dass  hier  ein  anomales  Blut,  das  nicht  blos  rei- 
zend, sondern  auch  deprimirend,  narkotisch,  wie  Kohlendampf  auf  Gehirn 
vnid  Nervensystem  wirkt  und  dadurch  manche  Erscheinungen  der  erhöhten 
Venosität  hervorruft,  dass  ein  solches  überkohltes  Blut  hier  die  Hauptrolle 
spielt,  liegt  am  Tage  und  bedarf  keines  fernem  Bev>elses.  Behandlung 
der  Plethora  abdominalis  und  atra  Biiis.  Wir  wenden  sie  an ,  ausser  der 
prophylaktischen  Cur,  gegen  alle  anderen  daraus  entstehenden,  oben  ge- 
nannten Übel,  auch  zur  Verhütung  des  Vomitus  cruentus  und  Morbus  niger, 
sowol  zur  Verhütung  der  Krankheit  selbst,  als  zur  Verhütung  ihrer  Reci- 
dive.  Hier  sind  folgende  Regeln  von  Wichtigkeit:  1)  Vermeidung  aller 
Schädlichkeiten,  welche  Plethora  erregen,  Vermeidung  des  vielen  Sitzens, 
jeder  unz^eckmüssigca  Kost ,  der  Spirituosa,  dagegen  tägliche  massige  Kör- 


HAEMORRHAGU  961 

peibewegungen,  viel  Wassertrinken.  Der  Kranke  muss  gutes,  frisches,  eben 
geschöpttes  kaltes  Quellwasser  täglich  in  grossen  Quantitäten,  zu  6,  S, 
selbst  12  Mass  oder  Pott,  aläo  12,  16  bis  t-i  ^  nach  dem  Civilgewicht,  zu 
jeder  Tageszeit ,  nur  nicht  während  des  iVlittagsessens ,  erst  2  Stunden  nach- 
iier,  zu  sich  nehmen.  Dies  ist  das  grösste  Mittel  zur  Verbesserung  des 
kranken,  dicken,  zähen,  schwarzen,  hie  und  da  stockenden  Blutes.  Schäd- 
lich sind  dagegen  Kaffee,  Branntwein,  Wein,  starkes  Bier,  blähende  Kost, 
enge  Kleidung,  Erkältung,  besonders  der  Füsse,  alle  deprimirenden  Affecte. 
2)  Innerlich  passen ,  besonders  im  Frühling  und  Herbst ,  auflösende  Extracte 
und  Neulralsalze ;  z.  B.  Extr.  taraxaci,  graminis,  chclidonii  maj. ,  Tart. 
tartarisat. ,  Tart.  solubilis,  Sal  aninioniacum ;  desgleichen  die  Brunnen  von 
Karlsbad,  Schwalheim,  Driburg,  Pyrmont.  Bei  eingewurzeltem  Übel  sind 
auch  Gummi  ammoniac. ,  Asa  foetida ,  Fei  taur.  anzurathen.  3)  Ist  die  Ple- 
thora abdominalis  bedeutend  und  ereignen  sich  keine  Blutungen ,  so  stockt 
zum  Theil  das  venöse  Blut  in  den  Gefässen,  zum  Theil  ist  auch  die  ganze 
Blutmasse  zu  reich  an  Kohlenstoff,  und  es  entwickelt  sich  so  der  eigent- 
liche atrabilarische  Zustand  als  Folge  oder  höherer  Grad  der  Plethora. 
Hier  ist  nur  vom  chronischen  Morbus  atrabilarius  die  Rede,  nicht  von  dem 
fieberhaften  und  acuten  als  B^olge  kohlenstoffhaltiger  Gifte,  flüchtiger  Con- 
tagien  und  Miasmen.  Bei  diesem  langwierigen  Krankheitszustande  ist  Fol- 
gendes zu  berücksichtigen :  a)  Bekommt  ein  solcher  Mensch  irgend  ein  Fie- 
ber und  sind  die  Zufälle  nicht  heftig  und  gefährlich ,  so  müssen  alle  hitzige, 
reizende,  aufregende,  auch  alle  auflösende  und  ausleerende  Mittel  nach  Mög- 
lichkeit vermieden  weräen.  Das  Fieber  selbst,  besonders  wenn  es  ein  Wech- 
selfieber ist,  ist  hier  oft  sehr  heilsam,  ist  als  kritisches  Naturbestreben  zur 
Entfernung  der  Plethora  abdominalis  und  Hebung  der  Cachexia  atrabilaria 
zu  betrachten,  indem  dadurch  die  atra  Bilis  zur  Auflösung  und  Ausleerung 
fähig  gemacht  wird.  Das  Fieber  ist  hier  also  blos  in  seinen  Grenzen  zu 
halten ,  aber  nicht  zu  hemmen  oder  zu  unterdrücken  ,  weim  seine  Bösartig- 
keit und  Gefahr  kein  anderes  Verfahren  gebietet  (  Vogel).  6)  Ist  kein  Fie- 
ber zufällig  eingetreten,  so  berücksichtige  man,  ob  die  atrabilarischeJMate- 
rie  beweglich,  turgescirend  und  zur  Ausleerung  geschickt  ist,  oder  nicht. 
Ist  sie  noch  zähe,  verdickt,  fest  anhängend,  so  wenden  wir  nach  Umstän- 
den bald  mildere,  bald  schärfere  ilesolventia  an,  und  die  Cur  erfordert  viel 
Zeit,  Geduld  und  Umsicht.  Ist  sie  aber  zur  Ausleerung  geschickt,  so  ge- 
ben wir  wiederholt  mildere  oder  derbere,  kräftigere  Ausleerungsmittel.  „Un- 
ter diesen  (auflösenden  und  ausleerenden)  Mitteln,  sagt  Vogel,  verdienen 
besonders  die  Mellagines  und  Extr.  tarax. ,  graminis,  chelid.  maj.,  fumariae, 
uiarrub.  albi,  millefolii,  cicutae,  belladonnae ,  die  Terra  foliat.  tartari,  das 
Kalomel,  der  Goldschvvefel ,  Brechweinstein  (refr.  dosi),  Molken,  Butter- 
milch ,  das  Hydromel ,  Seiter  - ,  Fachinger  -  Wasser  etc.  den  Vorzug.  Zu 
den  scharfem  und  eindringenden,  bei  kalten,  feuchten  Constitutionen  beson- 
ders anwendbaren  gehören  die  Gummata  ferulacea ,  die  Arnica ,  der  Tart. 
tartarisat.,  die  Squilla,  Kermes  mineral.,  die  Karlsbader  Wasser,  der  Seid- 
schutzer  und  Püllnaer  Brunnen  etc.  Häufig  müssen  hierbei  laue  Bäder,  Ein- 
reibungen von  kräftigen  Linimenten,  vieles  Getränk  von  verdünnenden,  ein- 
schneidenden Tisanen ,  eine  sehr  angemessene  Diät ,  Klystiere ,  zuweilen 
Blutegel,  warme  Umschläge  etc.  zu  Hülfe  genommen  werden.  Zu  merken 
ist,  dass  die  schwarze  Galle  immer  eine  Vorbereitung  erfordert,  ehe  sie 
ausgeleert  werden  kann.  Steckt  sie  in  den  Präcordien,  so  wird  sie  oft 
schon  von  selbst  ausgebrochen,  oder  doch  nach  einer  leichten  Hülfe.  Es 
gelingt  oft  vortrefflich,  nach  einigen  Dosen  Kalomel  am  andern  Tage  ein 
passendes  Abführungsmittel  zu  geben,  wodurch  zugleich  dia  schwarze  Galle, 
wenn  sie  vielleicht  noch  nicht  recht  deutlich  war,  nicht  selten  zum  Vor- 
schein kommt."  c)  Besteht  die  schwarze  Galle  mehr  aus  Blut  als  aus  Galle, 
so  nehme  man  sich  ja  mit  Brechmitteln  in  Acht,  um  Blutausbi-üche  zu  ver- 
hüten. Besonders  ist  dies  wichtig,  wenn  blos  die  Zufälle  der  Plethora  ab- 
dominalis und  die  Vorboten  von  Vomitus  cruentus  da  sind,  wenn  die  soge- 
nannte atrabilarische  Materie  nichts  Scharfem  enthält,  wenn  sie  weder  säuer- 
Most  ^ncj'klopädie.  litc  Aufl.  I.  Q£ 


d62 


HAEMORRHAGU 


lieh ,  noch  alkalisch  reagirt.  —  Nach  diesen  einleitenden  Betrachtungen 
gehe  ich  zu  unserer  Krankheit,  sowol  zu  der  acuten  als  chronischen  Form, 
selbst  über. 

A)  Vomitus  cruentus,  acute  Form,  B)  Morlus  niger,  chronische  Form. 
Bei  beiden  wird  Blut  in  den  Darmcanal  ergossen  und  dann  ausgeführt.  Hier 
müssen  wir  zuerst  untersuchen,  ob  es  wirklich  Blut  ist,  ferner  ob  dieses 
der  Kranke  nicht  etwa  verschluckt  oder  eingesogen  hat,  wie  dies  bei  Kin- 
dern zuweilen,  wenn  die  Brustwarzen  der  stillenden  Mutter  bluten  oder 
wenn  sie  an  Nasenbluten  leiden,  der  Fall  ist.  Ist  es  wirklich  secernirt,  so 
forsche  man  nach,  ob  es  aus  der  Nase  (den  Choanis),  dem  Magen  oder  den 
Lungen  kommt,  was  nicht  immer  leicht  auszumitteln  ist.  Denn  ist  eine  Blu- 
tung stark,  so  entsteht  häufig  zugleich  Erbrechen  und  Husten  durch  den 
consensuellen  Reiz  beider  Organe,  sowol  bei  Lungen-,  als  bei  Magenblu- 
tungen. Die  chemische  Untersuchung  des  Blutes  haben  hier  Einige  als  dia- 
gnostisches Zeichen  vorgeschlagen,  behauptend,  dass  das  Blut  aus  dem  Ma- 
gen säuerlich  reagire.  Allerdings  ist  dies  oft  der  Fall,  sobald  der  hinzu- 
kommende Succus  gastricus  vorherrschend  sauer  ist.  Da  aber  auch  bei  Hä- 
moptysis  Erbrechen  und  also  auch  Beimischung  des  Magensaftes  zum  ausge- 
leerten Blute  stattfinden  kann  ,  so  ist  dies  Zeichen  nicht  sicher.  Das  ein- 
zige sichere  Unterscheidungszeichen  giebt  die  Affection  der  leidenden  Stelle. 
Die  Vorempfindungen  und  Vorboten  der  Magenblutungen  sind  Druck  ,  Bren- 
nen in  den  Präcordien ,  Magenkrampf,  Übelkeit ,  Gefühl  von  bedeutender 
Schwäche  und  Mattigkeit.  Alsdann  folgen  zuerst  Erbrechen,  wodurch  Blut 
ausgeleert  wird.  Ein  paar  Tage  später  macht  der  Abgang  des  schwarzen 
Blutes  durch  den  Stuhlgang  die  Diagnose  noch  gewisser.  Was  die  Beschaf- 
fenheit des  ausgebrochenen  Blutes  betrifft,  so  ist  dieses  zuweilen  hellroth 
und  flüssig  Hier  ists  erst  frisch  in  den  Magen  ergossen,  z.  B.  bei  dem 
acuten  Blntbrechen ,  und  seine  Quelle  sind  die  Kranzadern  des  Magens. 
Häufiger  wird  es  in  dicken  Klumpen  ausgeworfen,  ist  schwarz  oder,  wenn 
der  Cruor  ausgewaschen  ist,  weisslich,  röthlich,  wie  Leber-  oder  Fleisch- 
stücke aussehend.  In  andern  Fällen,  wo  Morbus  atrabilarius  zum  Grunde 
liegt,  sieht  es  wie  Wagent beer,  Roob  sambuci  aus,  ist  klebrig,  zähe,  pech- 
artig ,  sowol  der  Abgang  nach  Oben ,  als  nach  Unten.  Die  Quantität  ist 
sehr  verschieden.  Ists  eine  zufällige  Haemorrhagia  oesophagi  oder  kommt 
es  aus  dem  Rachen,  so  bringt  es  oft  sehr  wenig,  beim  wahren  Morbu.s  ni- 
ger dagegen  binnen  24  Stunden  oft  2,  3  und  mehrere  Pfunde.  Im  letztem 
Falle  liegt  es  zuweilen  schon  lange  vorher  im  Magen,  wie  die  Ohnmachen 
und  übrigen  dem  Erbrechen  oft  vorhergehenden  Zufälle  einer  Haemorrhagia 
interna  dieses  beweisen.  Häufig  ist  die  Milz  hier  die  Quelle  der  Blutung, 
und  genaue  Beobachtungen  beweisen,  dass  dieses  Organ  sehr  oft  vor  der 
Blutung  anschwillt,  nach  dem  Blutabgange  aber  wieder  kleiner  wird;  auch 
<Ue  Vasa  brevia  geben  bei  jedem  chronischen  Blutbrechen  das  Elut  mit  her, 
desgleichen  die  Gefässe  des  Dünndarms.  Arten  des  Blutbrechens.  1)  Das 
acute  Leiden.  Ist  häufig  rasche  Folge  von  mechanischen  oder  chiemi- 
schen  Verletzungen  des  Magens,  entsteht  durch  Stösse  auf  die  Magenge- 
gend, wie  beim  Boxen,  durch  verschlucktes  Glas,  Blutegel,  durch  Arsenik 
und  andere  scharfe  Gifte;  auch  plötzlich  unterdrückte  Hämorrhoiden  und 
Menstruation  können  bei  vorwaltender  Magenschwäche  das  acute  Blu'brechen 
erregen,  besonders  da,  wo  allgemeine  Anlage  zu  Hämorrhagien  s' atifindet. 
In  allen  diesen  Fällen  ists  kein  Morbus  niger,  sondern  Vomitus  cruentns. 
Cur.  Da  die  Gefahr  Wegen  leicht  entstehender  Gastritis  und  Enteritis  sehr 
gross  ist,  so  vermeide  man  alle  Styptica,  und  gebe  weder  kaltes  Getränk, 
noch  Säuren.  Bei  heftigen  Zufällen  versäume  man  Aderlassen  und  Blutegel 
nicht ;  ist  die  Blutung  nicht  stark ,  so  machen  wir  blos  kalte  Umschläge  auf 
die  Magengegend.  Gegen  Arsenik  passt  viel  Milch,  Öl,  später  Hepar  sul- 
phuris ,  bei  Sublimatvergiftung  eine  Solution  von  Amylum  (s.  Intoxica- 
t  i  o) ,  sind  verschluckte  Blutegel  Schuld ,  so  lassen  wir  eine  Auflösung  von 
KQch.sal:^  trinken  etc.  Sind  unterdrückte  Menses  Ursache,  dann  gleich  ein 
Aderlass'  am  Fuss  und  innerlich  schleimige  Getränke^    äusserlich  kalte  Um- 


HAEMORRHAGIA  963 

schlage;  bei  sehr  starker  Blutung  in  der  Decrepitätsperiode  oft  einen  star- 
ken Aderlass,  innerlich  Crem,  tartari,  später  mit  Flor,  sulphuris  vermischt; 
auch  Blutegel  an  den  Mastdarm,  an  die  Genitalien,  bei  Schwächlichen  aber, 
wo  die  Blutung  den  erethistischeii  Charakter  hat,  Elix.  acid.  Halleri  in  Ha- 
ferschleim. 2)  Blutbrechen  als  Symptom  anderer  allgemeliier  Leiden, 
z.  B.  bei  Febr.  flava,  Scorbut,  Morbus  Werlhofii,  Febr.  putrida.-  Cur. 
Ist  die  des  Grundübels  und  in  den  meisten  Fällen  die  der  paralytischen 
Blutungen  (s.  Haemorrhagia  paralytica),  also  Elix.  acid.  Halleri, 
Tinct.  cinnamomi,  Alannmolken,  Kochsalz  (K.  RusK) ,  Decoct.  chinae,  Ol. 
terebinth.  mit  Eidotter  etc.  3)  Das  chronische  Blutbrechen,  Bei 
der  Melaena  Hippocratis  ist  ein  chronisches  topisches  Leiden  im  Magen 
selbst,  am  häufigsten  und  vorzüglichsten  aber  in  der  Milz.  Der  Kranke  ist 
hier  oft  gar  nicht  plethorisch,  meist  hager,  blassgelblich,  erdfahl  von  Farbe, 
leidet  schon  seit  langer  Zeit  an  dyspeptischen  Beschwerden  aller  Art,  aa 
Magendrücken,  Übelkeit,  saurem  Erbrechen,  an  Geniüthsverstimmung ,  kurz 
an  den  Zufällen  der  atra  Bilis,  ist  schon  über  40  Jahre  alt,  litt  an  depri- 
mirenden  Affecten  ,  an  hartnäckigem  Wechselfieber  etc.  Er  fühlt  sich  end- 
lich einige  Tage  sehr  matt,  ohnmächtig,  nun  geht  die  Ausleerung  des  dunk- 
len, oft  theerähnlichen  Blutes  von  Oben  und  Unten  vor  sich.  Es  erfolgen 
oft  tiefe  Ohnmächten  und  starker  Blutverlust ;  doch  tödten  beide  höchst  sel- 
ten plötzlich.  Nach  der  Entfernung  jener  blutigen  und  atrabilarischen  Mas- 
sen befindet  sich  der  Kranke  nun  besser ,  fühlt  sich  sehr  erleichtert ,  seine 
Hypochondrie  ist  weg,  seine  Verdauung  wird  besser.  Aber  in  der  Regel 
macht  das  Übel  Recidive,  die  anfangs  erst  nach  2  —  S  Jahren,  dann  öfter, 
selbst  2  —  Smal  im  Jahre  kommen,  worauf  der  Tod  durch  Schwäche,  Ab- 
zehrung und  Wassersucht  folgt.  Die  Section  zeigt  dann  die  oben  beschrie- 
benen organischen  Fehler  der  Abdominaleingeweide.  Cur.  Man  lasse  sich 
ia  nicht  verleiten,  vor  dem  Eintritte  der  Blutung  dem  Kranken  stärkende 
Mittel  zu  geben.  Sowie  der  Kranke  bricht,  so  muss  es  fort,  weil  das  Blut 
oft  schon  lange  im  Magen  und  Darmcanal  gelegen  hat.  Gewöhnlich  erfolgt 
Erbrechen  von  selbst ;  ist  dies  aber  nicht  der  Fall ,  so  gebe  man  dennoch 
ja  kein  Vomitiv,  sondern  suche  durch  Klystiere  und  gelind  eröffnende  Mittel 
das  Blut  und  die  schwarze  Galle  nach  Unten  auszuführen.  Bei  dem  Er- 
brechen gebe  man  innerlich  so  wenig  Arzneien  wie  möglich,  lasse  höchstens 
kalten  Thee  von  Herb,  melissae ,  menthae  trinken ,  gebe  bei  den  Ohnmäch- 
ten etwas  Liquor.  In  der  Regel  hört  das  Erbrechen  schon  nach  24  Stun- 
den auf.  Alsdann  verordne  man  innerlich  Serum  lactis  tartarisat.  oder  ta- 
marindor. ,  mache  ätherische ,  warme  Umschläge  auf  den  Unterleib ,  lasse 
strenge  Diät  halten,  gebe  keine  heissen  Speisen  und  Getränke,  nichts  Fe- 
stes, auch  keine  Arzneien  in  Pulver-  oder  Pillenform,  keine  grossen  Quan- 
titäten von  Nahrungsmitteln,  kein  grobes,  kein  frisches  Brot  etc.;  dagegen 
Obstsuppen,  schleimige  Dinge,  leichte  Bouillons,  und  lasse,  wenn  keine 
schwarzen  Massen  mehr  abgehen ,  viel  weichgekochte  Eier ,  Hirschhorngal- 
lerte, gute  Fleischbrühen  etc.  geniessen.  Hält  der  Blutabgang  aber  meh- 
rere Wochen  an,  wird  der  Kranke  immer  schwächer,  so  gebe  man  innerlich 
Ser.  lactis  aluminosum.  Mit  den  Amaris,  den  stärkenden,  adstringirenden 
Mitteln  sey  man  auch  hier  sehr  vorsichtig.  Ist  der  Stuhlgang  mehrere  Wo- 
chen mit  Blut  vermischt,  nimmt  der  Blutabgang  gar  kein  Ende,  zeigen  sich 
die  Symptome  der  paralytischen  Hämorrhagie ,  so  gebe  man  innerlich : 
R;  Aquae  Inurocerasi  ^^ ,  Tinct.  cinnamomi  5j-  M-  S-  Viermal  täglich  50 — 
60  Tropfen  {Most);  auch  Eisenpräparate,  selbst  Ol.  martis,  p.  d.  1  —  2 
Tropfen  alle  2  Stunden  in  Haferschleim,  desgleichen  Ol.  terebinthinae,  alle 
2  Stunden  20  —  30  Tropfen,  sind  hier  oft  recht  wirksam.  Indessen  sind 
die  Fälle  einer  solchen  habituellen,  chronischen  Melaena  nur  selten.  Weit 
häufiger  kommt  es  vor,  dass  der  Blutabgang  in  8  — 10  Tagen  vorüber  und 
der  Kranke  gerade  nicht  sehr  schwach  darnach  geworden  ist.  Hier  achte 
man  ja  auf  Plethora  abdominalis  und  atra  Bilis,  und  verordne  bei  Anzeigen 
dazu,  um  Recidive  zu  verhüten,  Extr.  graminis,  taraxaci,  weiterhin  anhal- 
tend Lac  auimoniacale,    dreimal  täglich  2  Esslöffel  voll,    und  halte  auf  eine 

61* 


964  HAEMORRHOIDES 

gute  animalische,  leichtyerdauliche  Nahrung,  auf  tägliche  massige  Bewegung 
iiu  Freien  und  zu  Fuss,  und  wähle  nach  den  individuellen 'Umständen  die 
oben  bei  Plethora  abdominalis  und  atra  Bilis  empfohlenen  Mittel,  gebe  in- 
dessen nur  mit  Vorsicht  die  Antimonialia ,  Mercurialia  und  Sulphurata,  die 
Squilla,  Arnica,  v.eil  sie  in  den  meisten  Fällen  zu  reizend  sind;  nur  da,  wo 
offenbare  Leber  -  und  Milzauftreibungen  stattfinden ,  geben  wir  sie  w  ol  ab- 
wechselnd mit  Extr.  tarax. ,  chelid. ,  cicutae ,  digitalis ;  aber  hier  hat  mir 
der  anhaltende  Gebrauch  von  Lac  ammoniacale  stets  eben  so  gute  Dienste 
geleistet ;  desgleichen  die  Herb,  belladonnae ,  10  und  mehrere  Wochen  an- 
haltend gebraucht  (Most).  Noch  späterhin  leistet  das  Elix.  vitrioli  Myn- 
sichti,  anhaltend  gebraucht,  oft  noch  sehr  viel.  Dagegen  versäume  man  den 
Gebrauch  der  genannten  Mineralwasser  ja  nicht,  worunter  Karlsbad  obenan 
steht.  Höchst  selten  gelingt,  wenn  das  Übel  schon  Recidive  gemacht,  die 
Radicalcur,  doch  kann  man  das  Leben  des  Kranken  durch  gute  Diät  und 
gelinde  Arzneien  lange  erhalten ,  besonders  wenn  die  gegen  Plethora  abdo- 
fliinalis  so  nützlichen  sogenannten  Frühlingscuren  nicht  versäumt  werden. 

*  Haemorr holdes,  Morlus  hncmorrhoidnlis ,  Fluxus  hnemorrhoidalis 
(yeraihet  Ha emorrhoisis,  Haemorrhois,  HneinorrJintiin  inlcstini  recti),  die  Hä- 
morrhoiden, Hä  ni  or  rh  oidal  kran  k  heit,  die  sogen,  güldene  Ader, 
Goldader fluss,  Gol'daderk rankheit.  Man  unterscheidet  hier  1)  Hä- 
morrhoidalbesthv\  erden ,  2)  blinde  Hämorrhoiden,  3)  Hämorrhoidalfluss, 
4)  Schleimhämorrhoiden ,  anomale  Hämorrhoiden. 

I.  Diathesis  hncmorrhoidalis ,  Motus  haemorrhoidales ,  Molimina  Jiaemor~ 
rhoidalin ,  Hämorrhoidaltriebe,  Hämorrhoidalanlage,  Hämor- 
rhoidalbeschw  erden.  Symptome.  Sind  als  Vorläufer  der  Uaeinor- 
rJioides  tlucnies  {crucntae,  tnucosne')  und  coecne  zu  betrachten,  bestehen  n)  in 
entfernten,  imbestimmten,  auch  der  Gicht,  Lithiasis  etc.  zukonnnenden  Be- 
&'fchwerden  der  krankhaft  erhöhten  Venosität  (der  atra  Bilis,  Af.) ,  die  Mo- 
nate, selbst  Jahre  lang  den  h  gedachten  örtlichen  Zufällen,  periodisch  kom- 
mend und  gehend,  vorhergehen  können,  als:  Druck,  Schwere,  ängstliches 
Gefühl,  Brennen  im  Unteileibe,  Dyspepsie,  Flatulenz,  besonders  nach  blä- 
hender Kost,  Nausea,  Ructus  acidus,  bald  Obstructio  alvi,  bald  Durchfall, 
zuweilen  Kolik,  Kardialgie,  Kopfweh,  Wüstigkeit  des  Kopfs,  Schwindel, 
mit  Schleim  bedeckte  Zunge,  Schläfrigkeit,  schreckhafte  Träume,  Klingen 
und  Sausen  in  den  Ohren ,  tiefliegende  Augen  mit  blaulichen  Ringen ,  Herz- 
klopfen ,  Flimmern ,  schwarze  Punkte  vor  den  Augen ,  Neigung  zum  Husten, 
Katarrh  ohne  vorhergegangene  Veranlassung,  mitunter  Dyspnoe,  förmliches 
Asthma,  zumal  bei  Gcmüthsbewegungen,  nach  starker  Mahlzeit,  Bergstei- 
gen ;  Erleichterung  dieser  Beschwerden  bei  massiger  Bewegung  zu  Fusse, 
zu  Pferde,  weniger  Erleichterung,  oft  Vermehrung  beim  Fahren  ( Toü)  5 
Rauhigkeit  im  Halse,  Räuspern,  Brennen,  Schmerz  in  der  Brust ,  Schauder, 
fliegende  Hitze,  starke  Schweisse  nach  leichten  Bewegungen,  Seufzen,  erd- 
fahle, bleiche,  gelbliche  Gesichtsfarbe;  Schwere,  Mattigkeit,  Einschlafen 
der  Glieder,  Ameisenkriechen  und  andere  Zufälle  kranken  Gemeingefühls, 
Ärgei'lichkeit ,  Verdriesslichkeit,  hyppchondrische  Stimmung.  In  Folge  des 
nach  dem  Recto  turgescirenden  Blutes  und  der  dadurch  entstandenen  Rei- 
zung der  HämoiThoidal  - ,  sowie  der  mit  ihnen  connectirenden  Gefässe  der 
Harnwerkzeuge,  Geschlechtstheile,  überhaupt  des  Gefässapparats  des  Becken», 
erfolgen  endlich  Z»)  die  örtlichen,  nähern  Beschwerden,  welche  schon  siche- 
rer die  Tendenz  der  Naturkraft  zur  Entladung  der  erhöhten  Venosität  durch 
Haetnorrhoides  coecne  et  fiuculcs  verkünden,  mitunter  aber  auch  nur  als  Be- 
gleiter verborgener  öicht,  Lithiasis  angesehen  «erden  können  (weil  Hämor- 
rhoiden und  Steinbildung  nach  meiner  Anaicfit  niu'  ungünstige  Krisen  der 
Gicht  sind,  sobald  die  wahren  Krisen  durch  Schweiss  ur.d  Urin  nicht  hin- 
reichen. Most).  Diese  sind:  Gefühl  von  Vollheit  ui.d  Hitze,  Schwere, 
Reissen,  Stiche,  Krampf  im  Mastdarme,  Tenesmus,  Reissen,  Ziehen  und 
Klopfen  im  Kreuze,  Os  sacrum,  im  ganzen  Rücken,  Pruritus  podicis  ohne 
Askiuidcn,  Colica  haemorrhoidalis ,  starker  Trieb  zum  Coicus,  oft  ohu«  die- 


iiae:\iorrhoiües  965 

spn  Trieb  Erectionen ,  nächtliche  Pollutionen ,  Jacken  an  der  Eichel ,  in  der 
Harnröhre,  leichte  Anschwellung  des  Praeputii  und  der  Hoden,  Schmer?!, 
Spannung  darin,  Blennorrhoea  urethrae,  Dysurie,  trüber,  schleimiger  oder 
mit  orangefarbenem  (harnsaurem)  oder  rosenrothem  (Xanthoxyd  enthalten- 
dem) Bodensatz  versehener  Urin ,  oft  selbst  Ischurie ,  Schleimabgang  aus 
dem  Mastdärme  ohne  Pressen,  wodurch  er  sich  von  den  Schleimhämorrhoi- 
den  unterscheidet,  Schweisse,  Ausschläge  am  Perinaeum.  Ursachen.  Prä- 
disposilion  giebt  erbliche  Anlage,  besonders  das  Lebensalter  zwischen  den 
Jahren  30  und  52;  um  so  mehr,  je  stärker  die  Gelegenheitsursachen  ein- 
wirken. Diese  Alllage  geht  aus  einer  ursprünglichen  Diathesis  morbosa  der 
zur  Ausscheidung  kohlenwasserstoffiger  Verbindungen  aus  der  Blutmasse  be- 
stimmten ,  dem  ßlutgefässsystera  angehängten ,  Colatorien  oder  Reinigungs- 
oi'gane  (der  Lungen ,  welche  in  Gasgestalt  den  Kohlenwasserstoff  ausfüh- 
ren,  der  Nitren,  der  äussern  Haut,  welche  im  Harn,  im  Schweisse,  der 
Leber,  welche  in  der  Galle,  der  Darmschleimhaut,  welche  im  Schleime  die 
Blutreinigung  bewerkstelligen).  Gelegenheitsursachen  sind  alle  solche  Dinge, 
welche  jene  Ausscheidung  des  Kohlenwasserstoffs  aus  dem  Blute  durch  die 
genannten  Organe  beeinträchtigen  und  direct  zur  Vermehrung  jenes  Stoffes 
beitragen;  als:  übermässiger  Genuss  fetter,  mehliger,  viel  Kohlenwasserstoff 
enthaltender  Speisen,  der  Gewürze,  schweren  Biere,  des  Kaffees,  der  Spi- 
rituosa;  sitzende  Lebensart,  Mangel  an  Körperbewegung,  wie  bei  Gelehr- 
ten, Künstlern,  Schreibern,  Schustern,  Schneidern;  Störungen  in  den  Fun- 
ctionen der  genannten  Reinigungsorgane,  besonders  durch  Erkältung,  Auf- 
enthalt in  feuchten,  heissen  Klimaten,  in  kältern  Seegegenden ,  in  dunkeln, 
feuchten,  nicht  nach  Mittag  gelegenen  Wohnungen;  deprimirende  Affecten 
und  Leidenschaften  aller  Art,  Excesse  im  Schlafen  und  Wachen,  im  Bei- 
schlafe, oder  auch  zn  grosse  Enthaltsamkeit  (^Puchclt) ,  Onanie,  Schwan- 
gerschaft, Cessation  der  Katamenien  im  Alter  der  Decrepität.  Wesen. 
Hämorrhoidaltriebe  sind  als  ein  Bestreben  der  Natur  zu  betrachten,  eine 
durch  die  krankhaft  erhöhte  Venosität  gesetzte  Störung  in  der  harmonischen 
Wechselwirkung  der  organischen  Systeme  durch  Antrieb  des  Blutes  nach 
den  Gefässen  des  Mastdarms  (wol  nur  secundär,  primär  aber  zum  Pfortader- 
system ,  Most')  zu  heben ,  oder ,  mit  andern  Worten :  die  krankhaft  erhöhte 
Venosität,  wie  in  andern  Fällen  durch  Gicht,  Stein  etc.,  hier  bei  vorhan- 
dener Anlage  durch  einen  congestiven  Zustand  der  Hämorrhoidalgefässe  von 
combustibeln  Stoffen  zu  entladen  und  so  gleichsam  eine  Krise  für  anderwei- 
tige Leiden  herbeizuführen.  Ausgänge.  Häufig  folgen  Haemorrhoides 
fluentes,  oder  coecae;  zuweilen  verschwinden  die  Molimina  ohne  weitere 
Folgen;  mitunter  bilden  sich  anderweitige  Leiden:  allgemeine  Kachexie, 
Gelbsucht,  Leber-,  Magenverhärtung,  Hypochondrie,  Neurosen  aller  Art, 
Haemoptysis,  Haematemesis,  BlutHüsse  aus  andern  Theilen  als  Folgewir- 
kung der  Regurgitation  des  Blutes  von  den  Hämorrhoidalgefässen  nach  an- 
dern, meistentheils  in  krankhafter  Anlage  begriffenen  Organen.  Cur.  War 
noch  kein  Hämorrhoidalfluss  früher  da ,  ist  durch  letztern  kein  anderweiti- 
ges Übel  zu  beseitigen ,  so  können  wir  die  Hämorrhoidalanlage ,  ohne  die 
Haeniorrh.  fluentes  zu  befördern ,  dreist  heilen  Bei  starken  Trieben ,  bei 
robusten,  plethorischen  Subjecten,  bei  Frauen  in  der  Decrepität,  in  der 
Schwangerschaft,  nach  vorhergegangenen  Erkältungen,  Erhitzungen,  und 
bei  vollem  hartem  Pulse  passt  ein  Aderlass  am  Fuss ;  bei  weniger  dringen- 
den Anzeigen  dazu  Blutegel  ad  anum,  perinaeum,  bei  fehlenden  Indicationen 
zu  Blutausleerungen  oder  nach  diesen  innerlich  alle  2  — 3  Stunden  1  Thee- 
löffel  voll  Crem,  tartari  2  Theile  mit  Flor,  sulphuris  1  Theil,  auch  mit 
Magnes.  carbon.  versetzt.  Bei  vielen  Wallungen  und  Neigung  zum  Ent- 
zündlichen, bei  fieberhaftem  Zustande  giebt  man  Crem,  tartari  ganz  rein  mit 
Wasser,  bis  einige  Stühle  erfolgen.  Bei  spastischen  Beschwerden  ohne  be- 
deutende Reizung  im  Gefässsystera  wirken  Flor,  sulphur.  mit  Rheum,  Pulv. 
ecphract.  Sellii,  auch  Folgendes;  I^  Magnes.  sulphnric.  jj,  Aq.  melissne, 
Tincf.  rhei  aqtios.  ana  jjj.  M.  S.  Morgens  und  Abends  die  Hälfte,  sehr  gut; 
desgleichen  Flor,  sulphur.  mit  Extr.  hyoscyanü,  mit  Pulvia  rad    valer. ,  Flor. 


966  HAEMORRHOIDES 

charaomillae,  äusseilich  krainpfstillende  Umschläge,  Eini-eibuiigen ,  ein  Kli- 
stier von  1,  2  —  6  Gran  Kalomel,  Aq.  valer.  jjiv,  Guram.  arab.  5J>.  (^Ko^yp). 
Bef  krampfhafter  Coustrictio  recti  passen  kleine  Klystiere  mit  Extr.  hyoscyami; 
bei  grossem  Torpor  innerlich  zweimal  täglich  1  Gran  Extr.  aloes  aquos.  mit 
,Sal  amar.  —  Sind  schon  früher  fliessende  Hämorrhoiden  da  gewesen,  hat 
man  Hoffnung ,  andere  Leiden  durch  Beförderung  eines  Hämorrhoidalflusses 
zu  beseitigen,  dann  passen  Laxantia  aus  Priores  sulphuris,  Blutegel  ad  anum, 
Fussbäder,  warme  Dämpfe ,  Dampfbäder,  bei  krampfhaftem  Zustande  im 
Unterleibe  innerlich  zugleich  Extr  hyoscyami,  Flor,  chamomillae,  Rad.  va- 
lerianae.  Passives  Verhalten,  reizlose  Diät  im  Herbst  und  Frühling  sind, 
zumal  bei  kritisch  sich  verkündenden  Hämorrhoidaltrieben ,  oft  das  beste 
Mittel,  um  die  Beschwerden  anderer  Axt  zu  heben  und  einen  heilsamen  Hä- 
morrhoidalfluss  unter  fieberhaften  Reactionen  zu  befördern.  Will  man  die- 
sen nicht  befcirdern,  so  passen  zur  radicalen  Beseitigung  der  Molimina  Extr. 
tarax  ,  gramlnis,  saponariae,  chelidonii  in  grossen  Gaben,  desgleichen  Gumm. 
ammoniac. ,  Asa  foetid. ,  bei  spastischen  Beschwerden  mit  kleinen  Dosen  Fei 
taur. ,  Aloe;  ausserdem  Eger- ,  Mariakreuz-,  Obersalzbrunnen,  im  Frühling 
bei  Robusten  PüUnaer  Wasser,  später  Karlsbader  Brunnen  (natürlicher  oder 
der  künstliche),  anhaltender  Gebrauch  von  Kali  tartaricum  und  aceticum  mit 
den  genannten  resolvirenden  Extracten.  (Sehr  wirksam  sind  auch  blutrei- 
nigende Species  [s.  Haemat ocathartica],  desgleichen  der  sechswöchent- 
liche Gebrauch  der  Aq.  soterin  GJiigini,  welche  vom  Med.-Rath  Votjel,  so- 
wie von  mir  oft  mit  grossem  Nutzen  verordnet  worden.  Sie  besteht  aus 
}y  Magnes.  cnrhon.  3jjj,  solve  in  Aq.  fontnn.  frigid,  fijjß,  agitnndo  sensim 
fidmisce  Acidi  sulphur.  diluli  5ix.  M.  S.  Dreimal  täglich  ein  ßierglas  voll. 
Die  Verdünnung  der  Schwefelsäure  ist  Acid.  sulph.  concentr.  1  Theil,  Was- 
f-er  6  Theile,  Most).  Auch  Fran1;^s  salzig  -  gasartiges  Mineralwasser  zu 
8 — 10  Unzen  binnen  einer  halben  Stunde  des  Morgens  nüchtern,  4 — 5  Wo- 
chen lang  getrunken,  die  Spec.  lignor. ,  das  Decoct.  Zittraanni  sind  in  sol- 
chen Fällen  nützlich.  Höchst  wichtig  ist  die  Diät,  sowol  während  der  Mo- 
limina, als  zu  andern  Zeiten,  zur  radicalen  Cur.  Ruhe  des  Körpers  und 
der  Seele,  horizontale  Lage,  Matrazzen,  nur  massig  warme  Bedeckung, 
Vermeidung  aller  geistigen  Getränke,  des  Branntweins,  Weins,  Kaffees, 
Thees,  der  Chokolade,  dagegen  viel  kaltes  Wasser,  schwache  Limonade, 
schwaches  gutes  Bier,  leichte  reizlose  Diät,  Wassersuppen,  Compots  von 
säuerlichen  Früchten ,  leichte  Fleisohsuppen ,  keine  stark  gewürzten ,  kräf- 
tigen ,  blähenden  Speisen ;  Äiässigkeit  im  Essen  während  der  Molimina  ist 
oft  allein  hinreichend ,  um  die  Anfälle  zu  beseitigen ;  ausser  der  Zeit  der 
Triebe  fleissige  Bewegung  im  Freien ,  körperliche  Arbeit ,  Vermeidung  aller 
Spirituosa,  alles  Fetten,  Sauren,  Ge\^ürzten,  Blähenden,  Erhitzenden,  eine 
leicht  nährende  Kost,  zum  Getränk  am  besten  Brunnenwasser;  heitere,  ru- 
hige Gemüthsstimmung. 

IL  Hnemorrhoides  coecae ,  Varices  vasoriim  haemorrhoidnlium,  blinde 
Hämorrhoiden,  Hämoirhoidaladerknoten.  Sym-ptome.  Häufig  die  Vor- 
boten der  Molimina,  die  in  einzelnen  Fällen,  wo  örtliche  Schädlichkelten 
(Reizungen  des  Mastdarms,  durch  scharfe  Klystiere,  schwere  Geburten  etc.) 
stattfanden,  fehlen.  Es  zeigen  sich  am  Mastdarm  oder  in  demselben  {Hae- 
morrh.  externne  et  internne)  kleine ,  Spargelköpfen  gleichende ,  bläuliche, 
bleifarbene,  glänzend  dunkelrothe ,  oft  beuteiförmige  (//.  snccatnc) ,  weiche, 
glatte,  oft  lederartig  hart  werdende  (ff.  scirrhosne)  Geschwülste  von  der 
Grösse  einer  Erbse  bis  zu  der  einer  Faust,  sich  bildend  in  der  Schleimhaut 
des  Mastdarms  und  von  mannigfaltiger  Gestalt  (ff.  itvnlcs,  morif armes ,  ver- 
rncosne,  vcsicnles),  mit  bald  breiter,  bald  stielförmiger  Basis,  häufig  eine 
schleimige,  übelriechende  Feuchtigkeit  secernirend ;  anfänglich  zeigt  sich 
nur  ein  Knoten,  später  kommen  mehrere,  oft  zuletzt  ein  ganzer  Knoten- 
wulst um  die  Mastdarmöffnung,  ein  förmlicher  Klumpen  von  Knoten.  In 
Folge  dieser  Geschwülste  (mehr  der  nach  Aussen  als  der  nach  Innen  gele- 
genen) entsteht  Spannung  und  Druck ,  bei  zunehmender  Grösse  derselben 
Tcuesmns ,    dabei  fast  immer  Obstructio  alvi,  heftiger  Schmerz  beim  Stuhl 


HAEMORRHOIDES  067 

gange  wegen  der  harten  Kothstücke,  platte,  nicht  cirkelrunde  Form  de» 
nicht  zu  starken  Abgangs.  Bei  heftigem  Drängen  kommen  die  Haeraorrh. 
internae  oft  hervor ,  treten  anfangs  zurück ,  bleiben  späterhin  vor  dem  Ano 
liegen,  sind  nur  durch  Kunst  zurückzubringen,  schwellen  zur  Zeit  der  Mo- 
limina, aber  auch  nach  jeder  reizenden  Diät,  nach  Debauchen  in  Baccho 
(^Tott)  an,  und  dürfen  nicht  mit  andern  Geschwülsten,  Warzen,  Kondylo- 
men am  After  verwechselt  werden.  Zur  Diagnose  dienen  die  Molimina,  selbst 
bei  scirrhösem  Zustande ;  bei  den  rein  örtlichen  Knoten  ist  die  Diagnose ' 
schwieriger.  Ursachen.  Ausser  den  genannten  der  Molimina  bei  allge- 
meiner Diathese,  entstehe^  diese  Knoten  oft  auch  aus  örtlichen  Ursachen: 
durch  hartnäckige  Leibesverstopfung,  Vita  sedentaria.  Missbrauch  der  Kly- 
stiere,  Stuhlzäpfcjien ,  der  Purgirmittel,  des  Schwefels ,  durch  Päderastie, 
Schwangerschaft,  häutige  Geburten;  häufig  ist  auch  erbliche  topische  Schwäche 
des  Mastdarms  Schuld.  Das  Wesen  der  blinden  Hämorrhoiden  ist  variköse 
Ausdehnung  und  Erweiterung  der  Hämorrhoidalvenen  und  dadurch  anfäng- 
lich der  Schleim-  und  zuletzt  auch  der  äussern  Haut  des  Mastdarms ,  welche 
die  Hülle  der  Varices  bilden,  als  Folge  entN^eder  der  Diathesis  haemorrhoi- 
dalis,  oder,  wie  bei  den  topischen  Leiden ,  aus  einer  Schwächung,  Erschlaf- 
fung der  Hämorrhoidalvenen  und  dadurch  veranlasster  passiver  Congestion 
nach  diesen,  Anhäufung  von  Blut  in  ihnen.  Ausgänge.  Häufig  Hämor- 
rhoidaltluss ;  oft  verschwinden  sie ,  wechseln  mit  den  fliessenden ,  kehren  pe- 
riodisch wieder,  verbinden  sich  mit  denselben,  es  bleiben  auch  ausser  der 
Zeit  der  Molimina,  hier  der  Anschwellung  der  Hämorrhoidalvenen  (finemorrh, 
iMjnento  genannt) ,  erschlaffte,  blutleere  Gesphwülste,  oft  mit  geronnenem 
Blute  gefüllt  und  dann  zuweilen  sehr  gross  werdend,  zurück;  öfter  harte 
Indurationen  der  Knoten,  fälschlich  Haemorrhoides  scirrhosae  genannt,  nicht 
selten  Entzündung  derselben  (ff.  furentes ,  inflammatae ,  dolenies),  mit  wü- 
thendem  Brennen  und  Schmerz  im  Recto,  Fieber,  selbst  Gonvulsionen,  ent- 
stehend durch  starke  Bewegung,  Missbrauch  der  Spirituosa,  reizende  Spei- 
sen, Obstructio  alvi ,  Gallenreiz,  wobei  auch  consensuelle  Schmerzen  im 
vRecto,  Perinaeo,  im  Kreuze  stattfinden.  Die  Knoten  gehen  dann  oft  in  Ei- 
terung über,  es  bilden  sich  Fisteln  in  ihnen  und  im  Mastdarm  (s.  Fistula 
ani),  oder  es  folgt  auf  die  heftige  Entzündung  tödtlicher  Brand,  oder  In- 
duration mit  bösartiger  Exulceration ,  fälschlich  Carcinoma  recti  genannt, 
wobei  häufig  Prolapsus  ex  ano,  Fistelbildung  vorkommt.  Im  günstigsten 
Falle  heilen  durch  Hämorrhoidalfluss  und  örtliche  Behandlung  die  Knoten. 
Cur.  «)  Bei  den  aus  der  Diathesis  haemorrhoidalis  entspringenden  Knoten 
gebe  man  innerlich  anhaltend  Kali  tartaric. ,  Kali  acetic. ,  mit  bittern  auflö- 
senden Extracten ,  Eger  -  ,  Mariakreuz  -  ,  Karlsbader  - ,  Obersalzbrunnen, 
auflösende  Visceralklystiere  neben  reizloser  Diät  (s.  oben  Diathesis  hae- 
morrhoidalis). Zur  Zeit  der  Anschwellung  der  Knoten  dienen  beson- 
ders Ruhe,  reizlose  Diät,  gelinde  Laxantia,  ganz  vorzüglich  Kali  tartaric, 
Magnes,  sulphurica,  Natrum  phosphoric.  mit  Flor,  sulphuris ,  im  Nothfall 
Blutegel  in  der  Nähe  der  Knoten,  noch  besser  Öffnung  derselben  durch 
Lanzettenstich;  bei  entzündeten  Varices  nach  Umständen  Aderlass,  Blutegel 
ans  Perinaeum  etc.,  Schröpfköpfe  an  die  Oberschenkel,  örtliche  laue  Däm- 
pfe ,  erweichende  Fomentationen ,  solche  Insessus  mit  Zusatz  von  Herba 
hyoscjamij  schleimige  Injectionen  ins  Rectum,  bei  heftigem  Brennen  aus 
2 — 4  Loth  frischem  Leinöl,  Bestreichen  der  Knoten  mit  Milchrahm,  Eieröl, 
ungesalzener  Butter;  weniger  zu  empfehlen  ist  Unguent.  althaeae  mit  Opium 
(1'ott);  späterhin  bei  Nachlass  der  Schmerzen  die  obigen  Fomentationen  mit 
Zusatz  von  Acet.  saturni ,  Verbinden  mit  Gerat,  saturni,  Unguent.  linariae, 
mercuriale  cum  opio ;  innerlich  nach  gehobener  Diathesis  inflammatoria  zur 
Beruhigung  Extr.  hyoscyami,  Opium;  bei  zurückbleibendem  Torpor  der 
Knoten  nach  gehobener  Entzündung  RiisVs  Mischung:  1^  Unguent.  satumin. 
5f], ,  Alum.  crudi  3jj ,  Opii  puri  5j^.  M.  S.  Mittels  Leinwandläppchen  auf- 
zulegen. Auch  Linira.  saponato  -  terebinth. ,  in  Aq.  chamomill.  oder  Acj.  sa- 
turni gelöst  und  warm  aufgelegt  (ßereriJs)  ,  oder  auch  eine  Salbe  aus 
I^'  Butyr.  rec.  msithi  2Jj,    Alum.   criuli  3j,    v\  eiche  Mittel   auch  bei   leeren, 


988  HAE^.IORRHOIDES 

schlaffen  Knoten  passen ,  sind  zu  empfehlen.  Die  mit  geronnenem  Blute  ge- 
füllten Knoten  öffnet  man  mit  der  Lanzette ;  bei  starker  Entzündung  und 
drohender  Eiterung  der  Varices ,  wenn  die  Schmerzen  klopfend  sind ,  dienen 
erweichende  Breie,  baldiges  Öffnen  mit  der  Lanzette,  Verbinden  mit  Blei- 
salbe; bei  starken  Blutungen  Ausrottung  des  Knotens  durch  den  Schnitt  (s. 
Thom.  CopclaiuVs  Bemerk,  über  die  vorzügl.  Krankh.  des  Mastdarms  etc. 
A.  d.  Engl,  von  Friedreich.  Halle,  1819.  Richter' s  Anfangsgr.  d.  Wundarz- 
neikunst; Bd.  VI.  S.  397);  auch  als  Palliativ  mache  man  diese  Operation 
ausser  der  Z*it  der  Molimina.  Sind  während  des  Stuhlgangs  Knoten  vorge- 
fallen, so  zieht  man  die  Nates  auseinander,  und  bringt  jene  durch  einen 
sanften,  anhaltenden  Druck  mit  der  flachen  Hand  oder  mittels  des  mit  Öl 
bestrichenen  Fingers  zurück;  bei  eingeklemmten  Knoten  erweitert  man  den 
After  mittels  eines  Speculnm  ani  mit  sehr  dünnen  Branchen,  worauf  man  die 
Knoten  reponirt;  oft  müssen  letztere  aber  vorher  geöffnet  und  vom  Blute 
befreit  werden,  fc)  Auch  die  aus  örtlichen  Ursachen  entstandenen  Hämor- 
rhoidalknoten werden  nach  Verschiedenheit  der  Umstände  (Entzündung,  Ei- 
terung etc.)  ebenso  behandelt.  Bei  starken  Blutungen  kann  man  hier  dreist 
kaltes  Wasser  zu  Umschlägen,  Einspritzungen  anwenden;  radical  heilen  wir 
sie  durch  die  Exstirpation,  besonders  wenn  sie  schon  indurirt  sind.  Über- 
haupt wenden  wir  hier  zur  Heilung  täglich  kalte  Klystiere,  jedesmal  unmit- 
telbar nach  erfolgter  Leibesöffnung,  anfangs  temperirt,  nach  und  nach  käl- 
ter, 14  Tage  und  länger  an,  anfangs  zu  3  —  4-  Unzen,  nach  und  nach  bei 
horizontaler  Lage  auf  der  linken  Seite  in  grössern  Portionen.  Doch  vermei- 
den wir  sie  bei  Flnxus  haemorrhoidalis,  bei  Blutspeien,  Blutbrechen,  Habi- 
tus apoplecticus,  weil  sie  leicht  schädliche  Folgen  hinterlassen  (s.  Sommer 
Diss.  de  haemorrhoidis  coecis.    Berol.  1821). 

ni.  Flmvus  haemorrhoidnlis ,  Hnemorrhoides  fJiientes ,  Hämorrhoidal- 
fluss,  Go  Id  aderf  In  SS,  fliessende  Hämorrhoiden.  Symptome. 
Nachdem  Monate,  Jahre  lang  die  verschiedenen  Vorboten  der  oben  beschrie- 
benen Molimina  stattgefunden,  vermehren  sich  diese  bedeutend:  als  Kolik, 
Strangurie,  Tenesmus,  Herzklopfen,  Angst  etc. ,  es  zeigt  sich  nun  der  Blut- 
abgang per  anum  nach  der  Kothausleerung,  zuweilen  mit  dem  Kothe  ver- 
mischt, öfters  ohne 'Pressen  und  Schmerzen,  wenn  nämlich  die  blutenden 
Gefässe  unter  dem  Schliessmuskel  am  äussern  Rande  des  Afters  sitzen.  Die 
Menge  des  abgehenden  Blutes  ist  sehr  verschieden ,  oft  nur  wenige  Tropfen, 
nur  Blutstreifen  auf  den  Faeces,  diese  oft  nur  mit  blutigem  Schleim  über- 
zogen, oft  2  Unzen,  oft  mehrere  Pfunde  (^Haemorrh.  profusne).  Ist  der 
Blutfluss  zu  gering,  so  fühlt  der  Kranke  sich  nicht  von  den  frühern  Be- 
schwerden erleichtert;  ist  er  zu  stark,  so  zeigen  sich  andere  unangenehme 
Folgen;  ein  bestimmtes  Mas,s  des  kritischen  Btutttusses  lässt  sich  nicht  an- 
geben, da  die  Individualität  des  Menschen  verschieden  ist.  Das  abgehende 
Blut  ist  beim  Abgange  und  bald  nach  der  Ergiessung  roth  und  flüssig,  bei 
längerem  Verweilen  sieht  es  schwarz  und  geronnen  aus,  riecht  widerlich 
(ähnlich  dem  Lochienfluss,  Most),  fliesst  entweder  nur  wenige  Minuten,  häu- 
figer einige  Tage  lang  unter  Wiederholung  bei  jedem  Stuhlgange.  Die  Blu- 
tung kehrt  oft  regelmässig,  oft  atypisch,  jährlich  zwei,  drei  und  mehrere 
Male ,  häufig  in?  Frühling  und  Herbst ,  wo  Evolutionen  im  Makrokosmus 
stattfinden,  alle  halbe  Jahre,  alle  drei  Monate,  selbst  wöchentlich  zurück; 
oft  ists  nur  eine  einzige  Blutung  im  ganzen  Leben,  selten  habitueller  Blut- 
verlust. Jeder  neuen  Blutung  gehen  die  Molimina  vorher,  werden  aber  im- 
mer seltener,  je  mehr  sich  der  Fluss  regulirt  (stellen  sich  indessen  bei  dem 
Aufhören  des  jedesmaligen  Flusses  ebenso  oft  ein,  als  sie  ihm  vorhergehen, 
Most),  und  dieser  erfolgt  zuletzt  selbst  öfter  ohne  Empfindung  {Tott). 
Nach  dem  Blutabgange  fühlt  sich  der  Kranke  erleichtert,  wenn  derselbe 
hinreichend  für  ihn,  also  kritisch  war;  symptomatischer  oder  örtlicher  Hä- 
morrhoidalfluss  erleichtert  fast  gar  nicht;  der  kritische  Fluss  wechselt  mit 
Gicht,  Stein  etc.  häufig  ab,  lindert  oder  beseitigt  die  durch  diese  erregten 
Beschwerden,  begleitet  diese  Übel  aber  oft  nur  als  Complication ,  mit  ihnen 
aus   einer  Quelle  entsprungen.     Diagnose.     Die  Ruhr   unterscheidet  sich 


HAE'^IORPtHOIDES  9Ö9 

Ton  dfim  GoWaderflass   dnrch  den  Abgang   des  reinen  Blutes,    der  oft   alle 
10  Minuten   folgt,    mit  stärkerem  Tenesmiis,    oft  mit  Fieber,   jedesmal  mit 
vorhergehender  Kolik  verbunden  ist,    und  wo  Ruhr-  und  Stuhlgänge   deut- 
lich unterschieden  sind.     Auch  das  Epidemische  der  Krankheit,  das  oft  feh- 
lende Stadium  der  Vorboten   der  Hämorrhoiden  (Diathesis   haemorrhoidalis), 
die   fehlenden  Varices,    die   mangelnde   Periodicität,    das   den  Hämorrhoiden 
nicht  immer  gemässe  Alter,  der  fehlende  eigenthümliche  Geruch  des  Hämor- 
rhoidalblutes  etc.,  dienen  zur  Unterscheidung  (^Drcijssi(f).     Ursachen.     Al- 
les, was  die  Hämorrhoidaldiathese  steigert,  befördert  den  Fluxus  als  Folge 
allgemeiner   Ursachen.     Diätfehler,    besonders    Erkältung,    Erhitzung,    Ob- 
structio    alvi,    erhitzende   Speisen   und  Getränke,    auch  Witterungswechsel, 
kosmische  und  tellnri.<che  Einflüsse,  die  Evolutionen  der  Jahreszeiten   neben 
vorherrschender  Plethora   abdominalis,    atra  Bilis ,    gehören    hierher.     Ursa- 
chen der  zu  sparsam  ttiessenden  Hämorrhoiden  sind:  Missbrauch  kalter,  ad- 
stringirender  Klystiere,    aller  Dinge,    welche   den    Fluss    stopfen    (s.   Hae- 
morrh.  suppressae),  aber  auch  wol  die  noch  nicht  vollendete  Fähigkeit 
der  Naturkraft,  den  Übergang  der  Diathesis  haemorrhoidalis  in  den  Hämor- 
rhoidalttuss  zu  bewirken,  woran  ein  fehlerhaftes  Regimen,  zu  vieler  Arznei- 
gebrauch,   grosse    Nervenreizbarkeit    und   Anspannung    des    Nervensystems 
Schuld   seyn   kann.     Wesen.     Der  Hämorrhoidalblutfluss   ist   eine  Krise  für 
anderweitige  Leiden;    er  entsteht,    wenn   die   Molimina   den    höchsten  Grad 
erreicht  haben,  gleichsam  als  eine  Auflösung  jener  in  ihm,  wodurch  die  Dis- 
harmonien,   weiche   die   erhöhte  Venosität  erzeugte,    gehoben  werden.     Das 
Periodische    hat  seinen  Grund   in    der  Lebensweise ,   .wie  in   der  Periodicität 
atmosphärischer  Einflüsse.   'Ausgänge.    Der  Hämorrhoidälfluss   wird    kri- 
tisch für  die  erhöhte  Venosität  und  deren  Beschwerden,    wenn  er  stark  ge- 
nug ist;    der  Kranke   kann   dann    bei  zweckmässiger  Lebensweise   ein  hohes 
Alter   dabei  erreichen.      Bei  Kindern ,    Jünglingen   folgt   leicht  Wassersucht, 
Gelbsucht  und  andere  Kachexien;  im  höhern  Alter  in  Folge  des  Verschwin- 
dens   der  Hämorrhoiden   kommen   leicht   apoplektische ,    paralytische  Zufälle, 
innere   tödtliche    Entzündungen,   in   Folge    zu   starker   Hämorrhoiden   leicht 
Kachexien:  , Hydrops,  Febr.  hectica,  wenn  man  sie  aber  mä.ssigen  will,  Apo- 
plexie vor.     Sind  die  Goldadern  zu   sparsam  fliessend ,   so  zeigen   sich  nicht 
selten  Hypochondrie,  Vomitus  cruentus.    Blutspeien,  Obstruclionen  der  Le- 
ber, der  Milz.     Bei  Schwangern  folgt  auf  Hämorrhoidälfluss  leicht  Abortus; 
bei  Complicationen   mit   andern   bedeutenden  Krankheitsformen    ist  der  Aus- 
gä,ng  oft  bös,  und  es  zeigen  sich  theils  örtliche  Krankheiten  des  Mastdarms, 
theils  auch   die  Zufälle   der  Haemorrh.   suppressae.     Cur.     1)  Sie   muss  je- 
desmal,   sobald  der  Blutfluss  dem  Kranken  Erleichterung  der  den  Molimini- 
bus  eigenen  Beschwerden  verschafft ,  eine  passive  seyn,  lediglich  eine  reiz- 
lo.se ,     nährende ,    bei   Orgasmus   im  Gefässsystem    eine    wässerige ,    schmale 
Diät,    Ruhe   des  Körpers   in   horizontaler  Lage,    Geraüthsruhe,    Vermeidung 
zu  grosser  Wärme  und  Kälte,  schneller  Abwechslung  beider,  der  Erkältung 
der  Füsse  und  des  Unterleibes,  Vermeidung  kalter,  zugiger  Abtritte.     Arz- 
neimittel  passen  gar  nicht,    höchstens  bei  Obstruction   ein  eröffnendes  Kly- 
stier.     2)  Dagegen   gebrauchen  wir   bei   den   rein  örtlichen   fliessenden  Hä- 
morrhoiden mit  Nutzen  kalte  Klystiere,  später  Decoct.  salic. ,  quere,  Alaun, 
kalte  Umschläge  auf   den  After,   um  den  Fluss  zu  unterdrücken.      3)  Nicht 
immer  sind   die  Hämorrhoiden  bei  Schwangern    etwas  Ortliches ;    gewiss  hat 
auch   die   erhöhte  Venosität   in   der    Schwangerschaft   einigen  Antheil  daran. 
Daher  sey  man  hier  vorsichtig  mit  dem  activen  topischen  Verfahren  (^Tott^. 
4)  Bei  den   zu  sparsamen  Hämorrhoiden,    nach  oben  aufgestellten  Begriffen, 
wendet  man  dieselben  Mittel,  wie  bei  den  unterdrückten  (s.  d.)  an,  beson- 
ders  wenn   Gicht,    Hypochondrie,    psychische    Leiden,    Neurosen    da   sind, 
welche  nach  geregelten  Hämorrhoiden,    der  Erfahrung  gemäss,    nicht  selten 
verschwinden.      5)  Zeigen   sich   die   Hämorrhoiden    schon    im    Kindes-   oder 
Jünglingsalter,  so  schiebe  man  ihre  Entwicklung  so  viel  wie  möglich  durch 
die  gegen  die  krankhaft  erhöhte  Venosität  gerichteten  Mittel  hinaus,     6)  Bei 
profusem  Hämorrhoidälfluss^  d.  h.  bei  solchem,    wo  sich  die  Folgen  starker 


970  HAEMORRnOIDES 

Blutuopen :  Gesiclitsblässe ,  Flimmern  vor  den  Atigeii  ,  Ohrensausen  ,  bei 
fangsamer  und  starker,  oft  wiederkehrender  Blutung  Dyspepsie,  Anorexie, 
Magerkeit,  Febris  hectica  etc.  zeigen  (s.  H  ae  m  or  rhagia),  muss  man 
nach  Umständen  den  Fluss  massigen,  anhalten,  selbst  unterdrücken;  doch 
letzteres  nur  bei  drohender  Lebensgefahr.  7)  In  seltenen  Fällen  ist  bei  ro- 
busten Leuten  selbst  während  des  Flusses  der  entzündliche  Charakter  vor- 
waltend. Hier  strenge  und  knappe  Diät,  Fasten,  Wassertriuken ,  Alaun- 
inolken ,  Crem,  tartari,  Pot.  lliverii ,  selbst  Nitrum,  ein  kleiner  Aderla.ss  am 
Arm,  Vermeidung  aller  örtlichen  Mittel.  8)  In  den  mei:äten  Fällen  begleiten 
spastische  Zufälle  den  Fluss.  Kleine  Dosen  Ipecacuanha,  kleine  öabeu 
Opiumtinctur ,  oft  wiederholt,  bei  Hypochondristen  Pillen  aus  Asant  und 
Castoreum,  wirken  hier  am  besten.  Hiufig  .sind  Blutwallungen  und  spasti- 
sche Beschwerden  zugleich  da  und  der  Biutfluss  ist  sehr  profus.  Hier  pas- 
sen Eiix.  acid.  Halleri  mit  Tinct.  cinnam.  und  Tinct.  opii ;  au.s.«erdem  die- 
nen Frictionen  der  Arme  mit  warmen  Tüchern,  Armbäder,  cirkelformige 
Um.schnürungen ,  trocknes  Schröpfen  der  Herzgrube,  Linim  volat.  camph. 
in  den  Unterleib  eingerieben,  innerlich  Valeciana  mit  Äther.  Ist  aber  der 
Blutflnss  massig,  so  passen  solche  Mittel  nicht,  >veil  sonst  die  Symptome 
der  Haemorrh.  suppressae  eintreten.  9)  Bei  dem  selten  vorkommenden  pas- 
siven, atonisclien  HämorrhoidalHusse  gebe  man  Thee  von  Herb,  millet'olii, 
Elix.  acid.  Halleri,  Tinct.  cinnamomi,  Ol.  cinnamomi,  Acid.  phosphor. ,  Ra- 
tanhia,  Tormentilla,  Alaun,  Catechu ,  China,  selbst  Eisen,  \  erbindungen 
dieser  Mittel  mit  Kalmus ,  Cort.  aurantior.  ;  äusserlich  passen  kalte  Um- 
schläf^e,  kalte  Klysiiere,  Fomentationen  von  warmem  Branntwein,  Aq.  vul- 
nerar.  Theden.,  Klystiere  von  Gumm.  arab.  und  Tinct.  opii,  selbst  von 
Säuren;  bei  Lebensgefahr  Einbringen  von  Tampons,  mit  Sol.  aluminis,  Aci« 
Goulardl  befeuchiet ,  besonders  bei  örtlichen  Hämorrhoiden.  Sind  gro».se 
Hämorrhoidalsäcke  da,  so  muss  man  sie  durch  einen  Schnitt  entfernen.  Hat 
die  Blutung  ihr  Ende  erreicht,  ist  das  Übel  nicht  veraltet,  das  Subject 
nicht  kachektisch,  so  versuchen  wir  die  Radicalcur  (s.  Haemorrh.  coe- 
cae).  In  andern  Fällen  beschränken  wir  uns  auf  ein  gutes  Regimen,  näh- 
rende, nicht  erhitzende  Diät,  massige  Bewegung  im  Freien,  Sitzen  auf  har- 
ten Holzrohrstühlen ,  auf  pferdehaarnen ,  mit  Leder  überzogenen  Polstern, 
Vermeidung  warmer  Betten ;  zum  täglichen  Getränke  kaltes  Wasser^  reines, 
nicht  starkes,  gut  gegohrnes  Malzbier  ohne  alle  künstliche  Zusätze ,  leichter, 
rother  Wein  ausser  der  Zeit  des  Blutflusses  (Toll).  10)  Nicht  selten  sind 
"Würmer ,  Milz  -  und  Leberverstopfungen  Ursachen  des  profusen  Flusses. 
Nach  beendigter  Blutung  wirke  man  dagegen,  verordne  Gummata  ferulacea, 
Anthelminthica ,  bei  Nervenreizbarkeit  Valeriana,  bei  Gefa.ss^chwächp  M'Ile- 
folium ,  Quassia,  Trifolium,  China,  und  mit  >  ersieht  Eisen. 

IV.  Ilncmorrhoides  ohstrnctne,  Fhunts  hnemorrhoidulis  cessavs ,  der  sich 
a  1 1  m  ä  l  i  g  m  i  n  d  <^  r  n  d  e  H  ä  m  o  r  r  h  o  i  d  a  l  f  1  u  s  s  ,  und  Hncinorrhnidcs  sup- 
pressae,  der  unterdrückte  Hämorrhoi  dal  fluss.  1)  Die  fliessenden 
Hämorrhoiden  verm'.ndern  sich  entweder  nach  und  nach  ohne  weitere  Fol- 
gen,  z  B  im  höhern  Alter,  oder  es  entsteht  daraus  Hypochondrie,  Hyste- 
rie, Kardialgie,  Flatuler^z,  Obstruction ,  Dyspepsie,  Leber-  und  Milzleiden, 
Melaena,  Asthma,  Hydrothorax,  Phthisis  pulmonalis  exulcerata ,  pituitosa, 
Haemoptysis,  Herzklopfen,  Paralyse,  Apoplexie,  Arthritis,  Lumbago,  Ischias, 
Neuralgien  aller  Art  Ursachen  der  Minderung  des  Blutflusses.  Fehler- 
haftes Regimen,  Erhitzung,  Erkältung,  zu  reizende  Diät,  Gemüthsbe.ve- 
gungen,  gastrische  Reize,  Dyscrasia  arthritica,  venerea,  Ausschlag.-^metasta- 
sen,  Fieber,  Missbrauch  kalter  und  adstringirender  Lavements,  solcher  Bä- 
der und  Fomentationen  ;  aber  auch  Mangel  an  Naturkraft  zur  Bestreitung 
des  Blutflusses,  zu  hohe  Ncrvenreizbarkeit  im  Unterleibe,  dadurch  Irrujigen 
zwischen  der  Wech-^clwirkung  des  Gefäss  -  und  Nervensystems,  gestörter 
Entladnngsproces'*  aus  den  Hämorrhoidalgefässen ,  mit  ihren  oben  genannten 
Fol''»*n  oft  aus  gemeinschafüicher  (^nelle  entspringend,  daher  beide  nur 
Coelfect  einer  und  denselben  L-rsache  sind.  Cur.  Regelmässige  Wiederher- 
stellun'»  des  Flusses  ist  nur  bei  noch  vorhandenen  IVlvlimii)ibus  möglich,  so- 


HÄEMORRHOiDES  971 

bald  die  Ursachen  der  Retention  entfernt  sind.  Wir  geben .  hier  bei  hoher 
Nervenreizbarkeit  Antispasmodica,  innerlich  und  äusserlich;  bei  mangelnder 
Naturkraft  und  Abwesenheit  jenes  gereizten  Zustandes  im  Unterleibe  die  so- 
genannten Pellentia :  Aloe ,  Myrrhe ,  Elix.  aperitiv.  Clauderi ,  proprietatis, 
longae  vitae ,  Sabina ,  Helleborus ,  Crocus  ,  Borax ,  Pil.  Stahlii ,  Bacheri, 
Dampfbäder  ad  anum ,  warme  Fussbäder ,  öfters  Blutegel  an  den  After, 
-trockne  Schröpfköpfe  an  die  innere  Seite  der  Schenkel,  erweichende  Kli- 
stiere, Reiben  der  untern  Gliedsnassen,  im  Sonuner  warme  Halbbäder  etc. 
Finden  aber  gar  keine  Hämorrhoidaltriebe  statt,  so  stehe  man  überhaupt 
von  allem  Mediciniren  ab.  Man  verfahre  mit  Umsicht ;  bei  erhöhter  Gefäss- 
reizbarkeit  passen  die  Innern  Pellentia  gar  nicht.  2)  Die  Haeniorrhoides 
suppressae  entstehen  am  häufigsten  durch  plötzliche  starke  Erkältung ,  be- 
sonders der  Nates,  der  Füsse,  durch  Schreck,  Zorn,  Excesse  in  Baccho, 
starkes  Reiten,  Fahren,  Laufen,  Ihre  gefährlichen  Folgen  sind:  Krämpfe, 
Congestionen,  Entzündungen  innerer  Organe,  Lähmungen,  Amaurose,  Schlag- 
fluas,  Blutungen  des  Magens,  der  Lungen,  und  besonders  die  der  Enteritis 
sehr  nahe  stehende  Collca  haemorrhoidalis,  wobei  Angst,  Würgen,  Erbre- 
chen, Dyspnoe,  Leibesverstopfung,  Neigung  zu  Ohnmächten,  kalte  Extre- 
miiäten,  Übergang  in  Enteritis  beobachtet  werden.  Cur.  In  den  meisten 
Fällen  zuerst  Aderlass,  Blutegel,  Dampfbäder  ad  anum,  innerlich  Ahtiphlo- 
gistica,  nachher  Ipecacuanha,  Extr,  hyoscyami ,  Opium  mit  Kalomel.  Bei 
der  Hämorrhoidalkolik  sogleich  ein  Aderlass  am  Fuss,  innerlich  Mucilaginosa, 
Oleosa,  Mandelmilch  mit  Extr.  hyoscyami  (auch  mit  Opium,  Most),  erwei- 
chende Umschläge  auf  den  Unterleib,  warme  Fussbäder,  bei  Zeichen  von 
Enteritis  sogleich  Blutegel  an  den  Unterleib,  innerlich  Kalomel  mit  Extr. 
hyoscyami,  Oleosa  etc.  Zugleich  suche  man  den  unterdrückten  Fluss  durch 
Blutegel,  Dampfbäder  ad  anum,  durch  Schröpfen  der  Kreazgegend,  erwe'- 
chende  Klystiere ,  warme  Fussbäder,  wieder  herzustellen.  Die  Diät  muss 
reizlos  und  antiphlogistisch  seyn.  Häufig  verschwinden  dann,  selbst  ohae 
dass  der  Fluss  wiederkommt,  die  gefährlichen  Zufälle.  Alsdann  passt  die 
Cur  der  sich  allmälig  mindernden  Hämorrhoiden  (s.  oben).  Stellen  sich  statt 
der  Mastdarmhämorrhoiden  andere  Zufälle:  Neurosen,  krankhafte  Affectio  • 
nen  des  Gehirns,  der  Brust-  und  Unterleibsorgane,  Blutflüsse  aus  andern 
Organen,  Hämorrhoidalaffectionen  der  Genitalien  :  Geschwulst  der  Hoden, 
Cystitis  etc. ,  entzündliche  Fieber ,  jedoch  mit  fast  immer  remittirendem  Ty- 
pns ,  acute  oder  chronische  Affectionen  des  Gehirns ,  der  Lungen ,  der  Becken- 
organe etc.  ein ,  oder  mit  andern  Worten :  lösen  sich  Hämorrhoidaltriebe  in 
sie  auf,  woran  bei  Jüngern,  kräftigern  Subjecten  sehr  oft  ein  hoher  Grad 
von  venöser  Plethora  und  dadurch  bedingte  venöse  Congestionen  nach  ein- 
zelnen Theilen,  aber  auch  eine  im  sensibeln  System  erwachende,  wiewol 
noch  immer  einer  bestimmten  Richtung  ermangelnde,  kritische,  auf  die  Aus- 
gleichung der  durch  die  erhöhte  Venosität  hervorgerufenen  Beschwerden  ge- 
richtete Erregung,  eine  in  ihren  Bestrebungen  gleichsam  unschlüssig  zu  nen- 
nende Naturkraft  Schuld  ist,  so  heisst  man  diesen  Zustand 

V.  Haemorrhoides  anomalnc ,  anomale  Hämorrhoiden.  Auch  die 
auf  das  allmälige  Cessiren  der  fliessenden  Hämorrhoiden  folgenden  Beschwer- 
den gehören  gewissermassen  hierher,  wenn  wir  unter  anomalen  Hämorrhoi- 
den nicht  lieber  Stellvertreter  in  der  Anlage  und  Entwickelung  begriffener, 
noch  nicht  da  gewesener  Hämorrhoiden  verstehen  wollen.  Cur  der  Hämor- 
rhoidalanoma'ie.  Man  regulire  und  entwickele  den  Hämorrhoidalfluss  (s.  oben 
Haemorrh.  retentae)  und  gebrauche  die  Pellentia  nur  bei  deutlich  im 
Unterleibe  entwickelter  Affection  und  nur  da,  wo  weder  das  Blut-,  noch 
das  Nervensystem  besondei'S  aufgeregt  ist.  Am  häutigsten  passen  reizlose 
Diät,  tägliche  Fussbewegung  im  Freien,  Reiten,  Molkencur,  die  Wasser 
von  Eger,  Mariakreuzbrunnen,  Karlsbad,  wiederholte  Blutegel  ad  anum, 
Vermeidung  alles  stürmischsn  Eingreifens  durch  Arzneien,  bei  Entzündungen 
Antiphlogistica,  bei  chronischen  Blennorrhöen  der  Lunge  Fontanelle  auf  die 
Brust ,  Selterwasser ,  Obersalzbrunnen.  Bei  den  verschiedenen  Blutungen 
der  Lunge,    des  Magens  etc.    stopfe  man  diese  ja  nicht,    nur  bei  Lidicatio 


972  IL\E:\IORRnOIDES 

vitalis  pelio  man  kühlende,  goliiul  dorlvironde  MUtol  mit  steter  Bprück>ich- 
tigiinff  des  auf  sanfte  Art  zu  befördernden  Hämorrlioidalflusses.  Besondere 
Betrachtung  verdienen  hier  die 

Hacvion'hnides  organorum  urnpneticnrum  et  genUnlium.  Symptome  der- 
selben sind  rt)  Molimina  haemorrhoidalia:  heftige  Schmerzen  in  den  Genita- 
lien, den  Nieren,  der  Harnblase,  Krampf  in  den  Kremasteren,  schmerzhaf- 
tes in  die  Hohe  Ziehen  der  Hoden,  Incontinentia  urinae,  Ischnria,  heftige 
Strangnrie,  lästiges  Jucken  an  der  Eichel,  schmerzhafte  Erectionen,  bedeu- 
tendes Gefässfieber,  Tenesmns,  Meteorisnnis,  Erysipeias  genitalium,  furun- 
kulöse  Geschwülste  an  den  grossen  Schamlefzen,  entzündliche  Anschwellnng 
der  Hoden,  Ingninaldrüsen,  bei  Weibern  das  Gefühl  als  werde  der  Uterus 
mit  Gewalt  in  das  Becken  hinabgezogen,  überhaupt  ein  Gemisch  entzünd-t 
lieh -spastischer  Affection.  b}  Haemorrhoides  coecae.  Bliii<le  Hämor;hoiden 
der  Geschlechts-  und  Urinwerkzeuge  geben  sich  kund  durch  heftige  Schmer- 
zen in  der  Blase,  bei  Anschwellung  der  Varices  durch  Ischurie.  theils  durch 
Entzündung,  krampfhafte  Constric:ion,  theils  durch  mechanische  Verschlies- 
sung  der  Blasenöffniing;  durch  Anschwellung  der  Prostatagefasse  und  daher 
entstehende  Ischurie,  wo  Hinderniss  beim  Katheterisiren  und  fühlbare  Ge- 
schwulst der  Prostata  bei  Untersuchung  mit  dem  in  den  Mastdarm  gebrach- 
ten Finger  bemerkbar  sind;  seltener  sind  die  aus  Varices  urethrae  herrüh- 
renden Urinbeschwerden.  Auch  Ausdehnungen  der  Vena  spermatica  (Cirso- 
et  Varicocele) ,  in  der  \  agina ,  am  Os  uteri,  welche  letztere  am  besten  durch 
ein  Speculum  vaginae,  auch  durchs  Touchiren  zu  ermitteln,  gehören  hier- 
her, f)  Haemorrhoides  tluen^es.  Sie  kommen  am  häutigsten  aus  dem  Bla- 
senhalse, geben  sich  durch  gleichzeitige  oder  vorhergehende  Molimina,  durch 
Abgang  von  Blut  mit  dem  Urin,  das  coagulirt  und  präcipitirt  und  mit  Schmerz 
abgeht  (s.  Haematuria)  zu  erkennen.  Zuweilen  sind  wüthende  Schmer- 
zen, Strangune,  Ischurie,  selbst  allgemeine  Convulsionen  ,  starker  Blutver- 
lust dabei  Zuweilen  geht  Blut  tropfenweise  ohne  Harnanstrengung  imd  mit 
leichten  Bewegungen  ab  (Haematuria  stillatitia)  ,  dabei  öfters  Erectio  penis, 
Brennen  und  Zusammenziehen  darin,  Schmerz  beim  Druck  des  Gliedes,  vor, 
während  oder  gleich  nach  dem  Uriniren.  Wesen.  Ist  gleich  dem  der  nor- 
malen Hämorrhoiden,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  hier  die  Turgescenz 
des  Venenblutes  nach  den  Gelassen  der  Genitalien  und  Urinwerkzeuge  geht, 
woran  Dispositio  haereditaria,  besonders  aber  Onanie,  Excesse  in  Venere. 
Missbrauch  der  Diuretica,  der  Aphrodisiaca,  syphilitische,  arthritiscbe  und 
rheumatische  Affectionen  Schuld  seyn  können.  Ausgänge.  Gefährliche 
Ischurie,  Cystitis  mit  ihren  F'olgen:  Eiterung,  Verdickung  der  Häute,  Brand, 
Induratio  et  Exulceratio  testium,  der  Inguinaldrüsen,  Febris  hectica  durch 
starken  Blutverlust,  Exulceratio  uteri,  vaginae ;  blinde  Hämorrhoiden  des 
Urin-  und  Genitaliensystems  verursachen  oft  Hinderniss  in  der  Ausübung 
desCoitus,  und  die  plötzliche  Unterdrückung  der  Hiessenden  kann  dieselben 
gefährlichen  ZuHille  erregen  wie  die  Unterdrückung  der  normalen  Hiessenden 
Hämorrhoiden.  Cur.  1)  Während  der  Schmerzanfälle  gebe  man  in  den 
mehr  entzündlichen  Zuständen  (welche  Form  indessen  seltener  ist)  nach  an- 
gewandtem Aderlassen  und  Blutegeln  ad  anum  und  perinaeum  innerlich  Crem, 
tart.  als  Laxans;  bei  den  mehr  spastischen  (häutigem)  Zuständen  ohne  vor- 
hergehende Blutausleerungen  Oleosa,  Mucilaginosa  mit  Extr.  hyoscyami, 
Opium,  Castoreum  ,  Ipecac.  in  refr.  dosi  ,  krampfstillende  Einreibungen, 
Umschläge,  solche  Klystiere,  selbst  mit  Zusatz  von  Opium,  warme  anti- 
spasmodische  Bäder;  bei  Ischurie  als  Symptom  der  Cjstitis  Aderlass ,  Blut- 
egel, innerlich  Oleosa;  bei  Verstopfung  des  Blasenhalses  durch  Blutgerinnsel 
erweichende  Injoctionen  durch  den  Katheter;  bei  spastischer  Ischurie  Oleosa 
und  Hvoscyamus.  Ausserdem  schiebe  man  die  A|)plication  des  Katheters, 
sobald  das  antiphlogistische  und  antispastische  Verfahren  fruchtlos  angewen- 
det worden,  und  die  Umdrehung  um  seine  Axe  gelingt,  nicht  zu  lange  auf. 
Mifislingt  die  Anwendung,  so  muss  man  oft  die  Punction  machen.  Sind  Ere- 
ctionen der  Knthe  und  nächtliche  Pollutionen  häufig,  so  gebe  man  Abend« 
eine  kleine  Dosis  Kam[)hcr,  bei  viel  Spastischem  mit  Opium  versetet.     Beim 


HAEMORRIiOlDES  973 

Ervsipelas  der  Schauigegeiid  und  Genitalien  passen  zuerst  meist  Blutegel, 
späier  warme  Fonientationen  von  Hyoscjamus  und  Cicuta,  noch  später  Ein- 
reibungen von  Unguent  raercuriale;  bei  Neigung  zu  Eiterung  maturirende 
Umschläge,  Öffnung  des  Abscesses  etc.  2)  Radical  heilen  wir  durch  mög- 
iichste  Hervorrutung  von  Hämorrhoiden  im  Recto;  doch  gelingt  dies  nur  bei 
frischem  Übel  und  wenn  schon  früher  Mastdarraknoten  da  waien.  Dazu  die- 
nen innerlich  kleine  Dosen  Lac  sulphuris,  öfters  Blutegel  ad  anum,  erwei- 
chende Dämpfe  und  Breiumschläge  dahin  und  aufs  Perinaeum,  kalte  Um- 
schläge von  Waaser,  Easig ,  Eis,  Schnee  auf  die  äussern  Geburtstheile  eu;. 
(s.  Owrinn,  Observat.  circa  morbos  varios.  T.  II.). 

VI.  Uncmorrhumes  mucosae,  nlhae,  Schleimhämorrhoiden,  weisse, 
Hämorrhoiden.  Symptome.  Abgang  eines  bald  milden,  eiweiss-,  gallert- 
artigen, dicken,  fettigen,  gläsernen,  frosclilaichartigen,  bald  sehr  scharf 
fiesaenden,  elgenlhümlich ,  wie  Fussschweiss  stinkenden,  grünen,  gelben, 
eiterartigen,  mit  Bhitstreifen  gemischten  Schleims  aus  dem  After,  nach  dem 
Stuhlgange ,  unter  Brennen ,  Gefühl  eines  Pflockes  im  Mastdarm ,  Pressen 
und  Stuhlzsvang,  oft  auch,  wenn  blinde  Hämorrhoiden  den  Schleim  abson- 
dern ,  ausser  der  Zeit  der  Stuhlausleerung  und  ohne  bedeutende  Empfindung, 
dann  auch  in  nicht  beträchtlicher  Menge;  sonst  oft  zu  Esslöffeln,  emige  Tage 
lang.  Dabei  allmäUge  Verminderung  des  Allgemeinleidens,  zuletzt  Aufhören 
des  Schieimflusses ,  gewöhnlich  zuerst  typisciies,  späterhin  atypisches  Ein- 
treten, zuletzt  oft  Habituellwerden  desselben.  Die  Vorboten,  die  bei  dea 
örtlichen,  nicht  typisch  erscheinenden  Blennorrhöen  des  Mastdarms  fehlen, 
sind  hier  Spannung ,  schmerzhafte  Gefühle  in  den  Gedärmen ,  Dyspepsie, 
Flatulenz ,  Kreuz  -  und  Lendenschmerz ,  Kolik ,  Krämpfe  in  den  Genitalien, 
Strangurie,  Prurigo  podicis,  überhaupt  die  Symptome  der  Diathesis  haemor- 
rhoidalis ;  herpetische  Ausschläge,  Excoriationen  am  After  und  den  Genita- 
lien, starkes  Jucken  am  Perinaeum,  starke  übelriechende  Seh  weisse  dieser 
Theile  (der  Sudor  perinaei  fehlt  selten,  selbst  bei  den  blutigen  Hämorrhoi- 
den ist  er  da,  sowie  bei  der  Diathese  und  den  blinden  Hämorrhoiden.  Wird 
er  plötzlich  durch  kaltes  Waschen  unterdrückt,  so  können  dadurch  dieselben 
gefährlichen  Zufälle,  wie  bei  Haemorrh.  suppressis  und  bei  den  stinkenden 
Fussschvveissen  entstehen,  Most).  Diagnose.  Von  Blennorrhöen  des  Mast- 
darms, Fluxus  coeliacus,  von  Eitererguss  tief  in  demselben  liegender  Abscesse 
und  von  Mastdarmfisteln  unterscheidet  man  die  nicht  örtlichen  Schleimhämor- 
rhoiden durch  die  Dispositio  haemorrhoidalis ,  durch  die  auch  den  Haemoirh. 
fluentes  et  coecae  vorhergehenden  örtlichen  Molimina;  auch  das  häufige  Al- 
terniren  oder  Complicirtseyn  mit  blinden  oder  tliessenden  Hämorrhoiden  un- 
terscheidet sie  von  den  sogenannten  örtlichen  Schleimhämorrhoiden,  die  rich- 
tiger BlennorrJwea  inteslini  rccti  heissen  (s.  Blennorrhoea).  Ursachen. 
Sind  die  allgemeinen  der  Hämorrhoiden.  Warum  in  einem  Falle  aus  der 
Diathesis  haemorrhoidalis  blutige,  im  andern  Schleimhämorrhoiden  entstehen, 
ist  schwer  anzugeben ;  vielleicht  liegt  der  Grund  dazu  in  einer  eigenthüm- 
lichen  Tendenz  der  erhöhten  Venosität  selbst,  sich  hier  durch  verstärkte 
Thätigkeit  der  Schleimmembranen,  dort  durch  Ausscheidung  von  Blut  zu 
enüaden.  (Solche  Erklärungen  sagen  sehr  wenig,  und  es  wäre  daher  zu 
wünschen,  dass  die  specielle  Nosologie  und  Therapie  gänzlich  davon  gerei- 
nigt würde.  Most}.  Päderastie,  unterdrückte  Katarrhe,  rheumatische,  arthri- 
tioche,  herpetische  Metastasen,  Ruhr,  Erkältung,  chronische  Entzündung  des 
Mastdarms  etc.  erregen  am  häufigsten  die  sogenannten  örtlichen  Schleim- 
hämorrhoiden (s.  Blennorrhoea  ventriculi  et  intestinorura).  Aus- 
gänge. Gewöhnlich  chronischer  Verlauf,  häufig  Intermissionen,  periodische 
Wiederkehr,  oft  Habituell  werden.  Gefährlich  sind  die  Schleimhämorrhoideu 
an  und  für  sich  nicht;  nur  bei  Unterdrückung  und  Stockung,  z.  B.  im  ho- 
hen Alter,  folgt  leicht  Schleimasthma,  bei  Complicationen  mit  Dyskrasien 
häufig  Tod  durch  Hektik,  Hydrops,  oder  chronische  Entzündung,  Ver- 
dickung des  Rectums,  Anschwellung  und  Auflockerung  seiner  Häute,  con- 
sensuelle  Affection  der  Conjunctiva  oculi,  der  Schleimhäute  der  Nase,  des 
Halses,  Ohis,  des  Schlundes,  Strictureu,  Exulceration  und  FisLeln  des  Mast- 


974  HAEMORRHOIDES 

darms  etc.  Cur.  Gehen  die  Schleimhämorrhoideii  dem  blutigen  Hämüirhol- 
daiflusäe  voraus  oder  zeigen  sich  angeschwollene  Varices,  so  befördere  man 
im  ersten  Falle  dieselben  (s.  oben) ;  im  letzLern  dienen  Blutegel  an  die  Kno- 
ten. Besteht  der  Schleimfluss  für  sich ,  so  gebe  man  zuerst  Extr.  tarax  , 
trifol. ,  millefol.,  centaur.  min..  Herb.  lieh.  Island.,  später  Lign.  campech., 
Simaruba,  Catechu,  Quassia,  China,  Eisen;  auch  Klystiere  aus  Decoct. 
herb,  millefol.  oder  lieh,  island.  sind  nützlich.  Zugleich  berücksichtige  man 
etwanige  Complicationen,  gebe  bei  Unterdrückung  oder  Stockung  des  Schleim- 
ilusses  Clysmata  emoUientia,  Bähungen,  innerlich  Lac  suiphuris,  hüte  sich 
vor  dem  Gebrauch  der  bei  Excoriationen  und  Sudor  peiinael  gebräuchlichen 
zurücktreibenden  Mittel,  beobachte  nur  Reinlichkeit,  öfteres  Waschen  mit 
lauem  Wasser,  bei  starkem  Jucken  Öleinreibungen.  Bei  allgemeiner  Blen- 
norrhoe dienen  innerlich  besonders  Salmiak  in  grossen  Dosen ,  zuweilen  eine 
oder  ein  paar  Dosen  Kalomel,  etwas  Rheum,  Senega,  Kalmus  (s.  Blen- 
norrhoea).  ,  Dieselbe  Behandlung  erfordern  die  als.  Biasenkatarrh,  als 
Schleimfluss  aus  der  Scheide,  dem  Uterus  auftretenden  anomalen  Hämor- 
rhoiden, sowie  der  sogenannte  Hämorrhoidaltripper  (s.  Blennorrhoea 
vesicae  urinariae,    Leucorrhoea,  Gonorrhoea  benigna). 

C.  A.  Tott. 
Nachschrift  des  Herausgebers.  Folgende  Bemerkungen,  hervor- 
gegangen aus  der  Praxis,  mögen  hier  noch  eine  Stelle  finden.  1)  Wichtig  ist  die 
Unterscheidung  der  Hämorrhoiden  nach  ihren  ursächlichen  Momenten.  Hier 
unterscheide  ich  a)  die  rein  topischen,  V)  die  symptomatischen, 
aus  allgemeiner  Anlage  zu  Hämorrhagien  hervorgehenden  und  c)  die  aus  tie- 
fern Fehlern  der  Unterleibsorgane  herrührenden  Goldadern.  Die  erste  Art 
kann  bei  Kindern  und  jungen  Leuten  durch  örtliche  Reize ,  Prolapsus  ani, 
Blasensteine,  scharfe  Klystiere  etc.  vorkommen.  Bei  h  gingen  in  der  Kind- 
heit und  Jugend  oft  Nasenbluten,  Asthma,  Blutspeien  vorher,  die  Conge- 
stion  geht  im  Mannesalter  mehr  nach  dem  Unterleibe,  erregt  Plethora  ab- 
dominalis, wovon  dann  der  Hämorrhoidalttuss  die  Krise  ist.  Bei  c  haben  wir 
es  vorzüglich  mit  Milz-  und  Leberleiden,  Icterus  etc.  zu  thun.  Hiernach 
muss  also  die  Cur  verschieden  seyn.  2)  Wenn  bei  den  örtlichen  Hämorrhoi- 
den äusserliche  ,  zurücktreibende  Mittel:  kaltes  ^Vasser,  Adstringentia  indi- 
cirt  sind,  so  finden  sie  die  grösste  Contraindiction  n)  bei  allgemeiner  Anlage 
zu  Blut\ingen,  It)  bei  Abdominalfehlern,  <)  bei  allen  plethorischen,  auch  son;jt 
gesunden  Subjecten,  d)  bei  Manie,  Melancholie,  Hypochondrie,  Epilepsie; 
denn  häufig  entfernen  sie  solche  schlimme  Übel,  oder  erregen  in  andern 
Fällen,  wenn  wir  sie  örtlich  zurücktreiben,  gefährliche  Blutungen  des  Ma- 
gens, der  Lungen,  Schlagfluss,  Lähmungen  etc.  Hat  dagegen  ein  Mensch 
die  Hämorrhoiden  noch  nicht  lange,  sind  bei  mangelnder  allgemeiner  Anlage 
Äu  Blutungen  seine  Unterleibsorgane  gesund,  hat  er  z.  B.  nur  viel  kftimm 
gesessen,  viel  und  heftig  geritten,  so  .sind  die  darauffolgenden  fliessenden 
Hämorrhoiden  solche,  die  bei  kühlenden  Mitteln  bald  von  selbst  auihörcn. 
Es  bedarf  hier  keiner  äussern  Mittel,  und,  kommt  der  Fluss  später  nicht 
wieder,  auch  keiner  Attrahentia  und  Pellentia.  3)  Die  allgemeine  Hämor- 
rhoidaldyskrasie  macht  drei  verschiedene  Stadien;  das  erste  bezeichnet  die 
Molimina,  das  zweite  das  Stadium  criticum:  die  Haeraorrh.  fluentes,  und 
das  dritte  sind  wieder  die  Molimina.  Man  nuiss  also  nur  bei  den  vorherge- 
henden, nicht  bei  den  dem  Fluxus  nachfolgenden  Trieben  die  Haemurrh. 
fluentes  befördern  wollen.  4)  Die  dazu  empfohlenen  innerlichen  erhitzenden 
Pellentia  stiften  in  den  meisten  Fällen  mehr  Schaden  als  Nutzen.  Nur  bei 
torpiden  Subjecten,  wo  weder  das  Blut-,  noch  das  Nervensystem  aufgeregt 
ist,  wo  '/ngleieh  hartnäckige  Obstrnctio  alvi  stattfindet,  pa.ssen  Aloe,  Eisen, 
Elektricität  und  ähnliche  Mittel.  Bei  Männern  im  vorgerückten  Alter  blei- 
ben wegen  allgemeinen  oder  topischen  Torpors  die  gewohnten  Hämorrhoiden 
oft  stehen.  Hier  leisteten  Flor,  suiphuris,  ganz  rein,  dreimal  täglich  1  Thee- 
Iöfi"el  voll ,  desgleichen  Extr.  aloi-s  .uiuos. ,  Crocus ,  p.  d.  zu  2  bis  6  Gran, 
Pillen  aus  Guin.  ammon.,  Asa  foetid.  und  Extr.  aloes  aquos.,  desgleichen 
alle    8  Tage   ein  Gran   Merc.   dulc.  mit   Crocus,    die    herrlichsten   Dienste 


HAEMORRHÖIDES  975 

5)  Die  so  sehr  gerühmte,  kühlende,  velzlose,  gervürzlosc  Diät,  passt  nicht 
bei  allen  Hämorrhoidariis.  Man  muss  die  Fälle  genau  unterscheiden ,  und 
die  Diät  muss  mit  den  Arzneien  gleichen  Schritt  halten.  Bei  torpiden  Sub- 
jccten  passt  eine  reizende,  gevvürzhafte  Diät.  Bei  jungen,  vollsaftigen,  an 
reizende  Speisen  und  Spiiituosa  gewöhnten  Personen  ist  zwar  beim  Hämor- 
rhoidalfluss,  besonders  wenn  er  profus  und  schmerzhaft  ist,  die  kühlende, 
magere  Diät  durchaus  nothwendig.  Aber  etwas  Anderes  ists  bei  der  Hä- 
moiihoidalanlage.  Lebt  der  Mensch  hier  zu  mager,  zu  enthaltsam  im  Essen 
und  Trinken,  so  fehlt  es  der  Natur  an  Kraft  zur  Hervorbiingung  der  Hae-_ 
morrh.  fluentes;  er  v\ird  sich  viele  Jahre  mit  den  Moliminibus  quälen;  ja  es 
können  anomale  Hämorrhoiden  daraus  entstehen ,  ebenso  wie  bei  wirklich 
Schwächlichen  keine  regelmässige  Gicht  (Podagra  etc.),  sondern  Arthiitis 
irregularis  sich  zu  bilden  pflegt.  Ich  kenne  einen  32jährigen,  nicht  sehr 
vollsafiigen  Mann,  der  schon  mehrere  Jahre  an  Diathesis  haemorrhoidalis 
leidet,  ohne  dass  die  Hämorrhoiden  in  Fluss  kommen.  Strenge  magere  Diät 
vermehrte  die  Beschwerden  mehr  als  dass  sie  sie  vermindert  hätte.  Ich  rieth, 
einmal  auf  einen  Tag  recht  tüchtig  Wein  zu  trinken  und  bis  Mitternacht 
zu  schwärmen.  Am  andern  Tage  fühlte  sich  beim  Erwachen  der  Kranke  so 
leicht  und  wohl ,  als  es  seit  langer  Zeit  nicht  der  Fall  gewesen  war.  Es 
stellte  sich  gallige  Diarrhöe,  untermischt  mit  schwärzlichen  Pünktchen  ein, 
welche  ihm  alle  Hämorrhoidalbesch werden  auf  mehrere  Monate  verschwinden 
machte  und  also  kritisch  zu  seyn  schien.  Sowie  sich  nachher  dieselben  Be- 
schwerden bei  dem  übrigens  massig  lebenden  Manne  wieder  ehistellten,  ge- 
brauchte er  dieselbe  Weincur,  und  der  Erfolg  war  sich  stets  gleich.  Auf 
diese  Weise  sind  schon  mehrere  Jahre  verflossen,  ohne  dass  sich  Hämorrhoi- 
dalfluss  eingestellt  hätte,  das  künstlich  erregte  Rauschfieber  und  die  folgende 
kritische  Diarrhöe  scheint  die  Diathese  hier  ebenso  periodisch  aufzuheben,  als 
die  Haemorrh.  fluentes  dieses  bei  Ä.ndern  zu  thun  pflegen.  Und  ist  denn 
das  bei  Plethora  abdominalis  und  atra  Bilis  eintretende  wohlthätige  soge- 
nannte Reinigungsfieber,  das  auch  bei  der  Gichtdiathese  zu  den  erwünsch- 
ten Errcheinungen  gehört,  ist  die  Febris  gastrico- venosa  mit  ihren  wohl- 
thätigen  Lober-  und  Darmkrisen  nicht  gleichfalls  auf  ähnliche  Weise,  wie 
jenes  künstlich  erregte  Fieber,  wirksam  ?  6)  Die  grösste  Berücksichtigung 
verdient  ^o^vol  bei  der  Diathesis  haemorrhoidalis  als  bei  den  blinden  Zacken 
die  Leibesöffnung.  Ist  sie  zu  sparsam  oder  hart,  so  leiden  die  Kranken  sehr 
viel.  Ich  verordne  daher  in  der  Regel  folgendes  Pulver,  wovon  Abends  vor 
dem  Schlafengehen  1  —  2  Theelöffel  voll  genommen  werden:  I^  Crem,  tar- 
iari  3J ,  Flor,  sulphur.  gf, ,  Elaeos  focnic.  5jj.  M.  f.  p.  Dies  bewirkt  für 
den  andern  Morgen  eine  gute  breiige  Ausleerung.  Ausserdem  des  Morgens 
ein    Glas    kaltes    Wasser    und   zum    Frühstück    Salzgurken    und    Weissbrot. 

7)  Bei  den  fliessenden  Hämorrhoiden  finden  wir  selten  einen  acht  synochi- 
schen  Zustand,  der  Aderlässen  erforderte.  Ist  der  Blutfluss  zu  stark,  so 
liegt  in  der  Regel  Erethismus  oder  Schwäche  zum  Grunde.  Anfangs  gebe 
ich  bei  knapper  Diät  Tart.  tartarisat. ,  auch  Sal  essent.  tartari,  später  Mil- 
Iefoli\un,  Cort.  aurantior,  ein  Glas  Bischof,  Tinct.  cinnamomi,  noch  später 
und  bei  Reizlosigkeit  Rheum,  etwas  Aloe  neben  einer  etwas  reizenden  Diät. 

8)  Die  Zufälle  der  durch  Erkältung,  Schreck,  starke  Erhitzungen  unter- 
drückten Hämorrhoiden  sind  oft  so  hefiig,  dass  bei  mangelhafter  Hülfe  schon 
binnen  24  Stunden  der  Tod  folgen  kann.  Ohne  Aderlassen  habe  ich  hier 
nicht  fertig  w erden  können ,  selbst  wenn  die  Subjecte  nicht  sehr  vollblütig 
waren;  der  Aderlass  am  Fuss  verdient  hier  den  Vorzug.  Klystiere  von  Sei- 
fenwasser sind  hier  sehr  nützlich.  In  drei  Fällen  sah  ich  von  plötzlich  un- 
terdrücktem Sudor  perinaei  Anschwellung  des  Testikels,  einmal  Blindheit  und 
einmal  die  hefligste  Kolik  entstehen.  Fomentationen  des  Perinaeums  mic 
Senfdecoct,  mit  Seifenwasser  neben  innerlichen  kühlenden,  derivirenden 
Mitteln,  Blutegeln  etc.  leisteten  schnelle  Hülfe.  9)  Bei  den  nicht  zur  ge- 
wöhnlichen Zeit  eintretenden  Goldadern  (Haemorrh.  retentae)  ist  höchst 
selten  ein  Aderlass  indicirt.  Er  stört  das  Naturbestehen  zu  Hervorrufung 
der  Haemorrh.  fluentes.      Blutegel  an   den   After,    Fussbäder ,   Dampfbäder, 


976  HAEMOßllHOSCOrU 

Klysllere  und  andere  Attrahentia  leisten  in  solchen  Fällen,  wo  die  Retention 
bei  Plethora  andere  Blutungen  aus  Magen,  Lunge  etc.  befürchten  lässt,  die 
besten  Dienste.  Innerliche  Mittel  passen  hier  selten ;  ich  gebe  gewöhnlich 
Thee  von  Flor,  chainom.  und  Herba  melissae;  die  sogenannten  Pellenlia  sind 
in  solchen  Fällen,  v\o  Magen  oder  Lungen  schwach  sind,  höchst  gefährliche 
JVUttel. 

Haemorrhoides  uteri,  Metrorrhagia  haemorrhoidalis ,  Menorrhagia  e  ma- 
riscis,  die  Mutterhäinorr hoid  en.  Dieses  IJbei,  welches  schon  Celsus, 
Jetivs  u.  a.  ältere  Ärzte  kannten ,  verdient  hier  noch  einer  besondern  Er- 
wähnung. Es  tritt  anfangs  als  blinde  Hämorrhoiden  auf,  die  vorzüglich  am 
Halse  der  Gebärmutter  sitzen  und  varicöse  Venenerweiterungen  sind.  Auch 
im  Innern  des  Uterus,  am  innern  Muttermunde,  so  wie  am  Fundus  uteri, 
iiönnen  sie  ihren  Sitz  haben.  Seltener  findet  man  sie  am  äussern  Mutter- 
munde, wo  sie  dann  leicht  durchs  Touchiren ,  durchs  Speculum  vaginae  ent- 
deckt werden.  Ausser  den  gewöhnlichen  Hämorrhoidalbeschwerden  erregen 
sie  oft  noch  Unfruchtbarkeit  und  beschweren  zur  Zeit  der  Ausleerungen,  wo 
ein  hämorrhoidalischer  Blut-  und  SchleimHuss  erfolgt,  durch  ein  lästiges 
pressendes,  drückendes  Gefühl  in  der  Lendengegend.  —  Die  Diagnose 
ist  wichtig ;  denn  häufig  wird  das  Übel  verkannt  oder  mit  andern  Krank- 
heiten verwechselt.  Auskunft  geben,  wenn  man  durchs  Touchiren  nichts 
entdeckt  und  die  varicösen  Gefässausdchnungen  im  Innern  des  Uterus  stalt- 
iinden,  die  Periodicität  der  Zufälle,  die  nicht  den  vierwöchentlichen  Typus 
der  Menses  haben,  das  gleichzeitige  Vorhandenseyn  der  Afterbeschwerdeii 
oder  das  Alterniren  mit  letztern.  Zuweilen  folgen  sie  als  vicariirende  Blu- 
tung auf  plötzlich  unterdrückte  Mastdarmhämorrhoiden.  Die  Kranken  füh- 
len, zumal  beim  Coitus  und  zur  Zeit  der  Menses  Druck,  Spannung  im  Ute- 
rus, ein  wehenartiges  Drängen,  als  wolle  die  Gebärmutter  aus  der  Scheide 
prolabiren.  Untersucht  man  alsdann,  so  findet  man  oft  mehrere  kleine  Kno- 
ten am  Muttermunde,  die  bei  der  Berührung,  da  sie  oft  entzündet  sind, 
heftig  schmerzen  und  böse  Geschwüre,  Verhärtung,  Krebs  zur  Folge  haben 
können,  so  wie  denn  das  Carcirioma  uteri  nicht  selten  hämorrhoidalischeii 
Ursprungs  ist,  überhaupt  Personen  mit  atrabilarischer,  hämorrhoidalischer 
Constitution  zur  Diathesis  cancrosa  am  meisten  disponiren  (s.  Cancer). 
Kessler  {Husl's  Chirurgie.  Bd.  VIII.  S.  l2!0)  sagt  ganz  richtig:  „Treten 
die  Mutterhämorrhoiden  unter  der  Form  des  Blutflusses  auf,  so  ist  die  Quan- 
tität des  Bluts  meist  nur  gering;  er  tritt  ausser  der  Zeit  der  monatlichen 
Reinigung  ein,  die  häufig  ganz  ausbleibt;  er  erleichtert  oder  hebt  die  ihia 
vorhergehenden  Hämorrhoidaltriebe.  Entweder  tliesst  reines  Blut  oder  BluC 
mit  Schleim  vermischt,  oder  aber  es  geht  auch  nur  Schleim  ab  (Leucorrhoea 
haemorrhoidalis)."  Ursachen  sind:  Atonie  und  erhöhte  Reizbarkeit  des 
Uterus,  spastische  Constitution,  allgemein  erhöhte  krankhafte  Venosität. 
Zu  häufiger  Coitus,  Onanie,  Missbranch  der  Emmenagoga ,  enge  Schnür- 
brüste, Druck  des  Kindeskopfs  bei  der  Geburt  geben  bei  solcher  Anlage  häu- 
fig Veranlassung  des  Übels.  —  Die  Prognose  ist  nicht  die  beste,  da 
das  Übel  oft  recht  hartnäckig  und  chronisch  ist.  Bei  der  Cur  müssen  wir 
vorzüglich  die  ganze  Constitution  durch  ein  regelmässiges  Leben ,  durch  gute 
Diät,  vieles  Wassertrinken,  durch  auflösende,  auf  den  Unterleib  wirkende 
Mittel  zu  verbessern  suchen  (s.  Haemorrhoides  und  Haemorrhagia 
ventriculi).  Nützlich  ist  der  Gebrauch  von  Crem,  tartari  und  Flores 
äulphuris  in  kleinen  Dosen ;  alle  stark  treibende,  reizende  Mittel  sind  schäd- 
lich. Waren  früher  Mastdarmhämorrhoiden  da,  so  lasse  man  warme  Dämpfe 
ad  anum,  verordne  erweichende  Klystiere  und  mache  gleichzeitig  Injectionen 
in  die  Scheide  von  kaltem  Wasser,  Essig.  Hilft  dies  nicht,  so  bleibt  nur 
noch  die  symptomatische  Behandlung  der  krampfhaften  und  entzündlichen 
Zufälle  übrig. 

IlaemorrllOSCOpiA»  die  Blutschau.  Ist  die  Beurtheilung  des 
aufgefangenen  Biuies,  um  daraus  auf  den  Znstand  des  Organismus  zu 
schüeääca.      Der  Grad   der  Geriiuibarkeit   oder  Flüssigkeit  des  Blutes,    das 


HAEMORRHOSCOPIA  977 

Verhältniss  des  Cruors  znm  Serum ,  die  Farbe  desselben ,  sein  Geruch ,  die 
Bildung  oder  Abwesenheit  des  Blutschaums,  der  trichter-  oder  becherförmi- 
gen Gestalt  auf  der  Oberfläche  des  aus  der  Ader  gelassenen  Blutes ,  seine 
Temperatur,  Elektricität ,  grössere  oder  geringere  Neigung  zur  Fiiulniss; 
diese  und  viele  andere  Beschaffenheiten  desselben  sind  für  den  praktischen 
Arzt  von  Wichtigkeit  (s.  Lauer,  Über  die  Verschiedenheit  des  Blutes,  in 
Hecker's  Liter.  Annalen ,  1830.  Novbr.  S.  265  u.  f.;  desgleichen  die  Artikel 
Febris  inflammatoria ,  Febr.  biliosa,  Febr.  depurativa,  Icte- 
rus albus  et  flavus  etc.).  Die  Blutschau  wird  am  richtigsten  Hnemn- 
toscopia  genannt.  Schon  die  ältesten  Ärzte  achteten  mit  Recht  auf  die  Ei- 
genschaften des  Blutes,  aber  sie  übertrieben  dieses  Studium,  so  dass  sie, 
gerade  wie  die  Astrologen  und  Chiromanten,  die  Lebensverhältnisse,  die 
Todesart,  die  Krankheiten  und  das  Temperament  des  Menschen  aus  dem 
Blute  prognosticirten  (Haematomnn(in) ,  und  hierüber  manche  abenteuerliche 
Meinung  hegten.  Die  Fortschritte,  welche  die  analytische  Chemie  in  neue- 
rer Zeit  durch  zahlreiche  Untersuchungen  des  Blutes  von  Gesunden  und 
Kranken  gemacht,  haben  theils  zur  Berichtigung  der  frühern  falschen  An- 
sichten beigetragen,  theils  aber  auch  das  Resultat  geliefert,  dass  man  ge- 
sundes und  krankes  Blut  nicht  immer  chemisch  unterscheiden  kann.  Dadurch 
wird  aber  keinesweges,  wie  Kessler  meint,  die  semiotische  Bedeutung  des 
Blutes  beschränkt  (/jM.<?fs  Chirurgie.  Bd.  VIII.  S.  130);  denn  es  würde 
höchst  einseitig  seyn,  der  Chemie  das  Vorrecht,  jede  Differenz  zwischen  den 
Fluidis  allein  zu  bestimmen,  einzuräumen,  oder  überhaupt,  wie  Manche  der 
irrigen  Meinung  sind,  anzunehmen,  dass,  wo  die  Chemie  nichts  finde,  auch 
nichts  vorhanden  sey.  Gegentheils  müssen  die  Beobachtungen  von  gefähr- 
lichen Zufallen,  die  nach  der  Infusion  und  Transfusion  des  Thierbluts  im 
menschlichen  Körper  constant  erfolgen,  dadurch  aber,  dass  man  Menschen- 
blut dazu  nimmt,  verhütet  werden,  auf  grosse,  nicht  durch  die  Chemie  zu 
entdeckende  Verschiedenheiten  des  Bluts  zwischen  jeder  Thiergattung,  ja 
zwischen  jedem  Individuum,  schliessen  lassen,  welche  vielleicht  erst  später 
durch  feinere  Reagentien  als  die,  welche  zeither  die  Chemie  besitzt,  wer- 
den entdeckt  werden.  Dass  ein  Überfluss  an  Serum,  Farblosigkeit  des  Blut- 
kuchens und  die  Abwesenheit  der  Crusta  pleuritica  das  Nichtvorhandenseyn 
einer  Entzündung,  dagegen  eine  geringere  Menge  von  Serum,  ein  Überfluss 
an  Cruor,  vermehrte  Consistenz,  eine  intensiv  rothe  Farbe,  verbunden  mit 
einer  dicken,  festen  Speckhaut,  die  Gegenwart  einer  Entzündung  andeute, 
dass  die  gelbgrünliche  Färbung  des  Blutserums  das  Vorherrschen  der  Galle, 
die  safrangelbe  Farbe  aber  Icterus  anzeige  etc.,  dies  wussten  schon  die  Al- 
ten ohne  unsere  neuere  Chemie.  Sie  wussten  aber  auch  viel  Gutes  über  die 
Fluida,  zumal  übar  das  Blut,  was  in  neuern  Zeiten,  wo  man  die  Humoral- 
pathologie  mit  Unrecht  vernachlässigte,  übersehen  oder  vergessen  worden  ist 
(s.  Harvcifs  Exercitationes  de  generatione  animalium.  Wolfs  Theoria  ge- 
nerationis.  WinterVs  Darstellung  der  4  Bestandtheile  der  anorgan.  Natur; 
übersetzt  von  Schuster.  Jena,  1804).  Wäre  unsere  Kenntniss  über  das  Blut 
und  seine  Metamorphosen  vollkommner,  so  würde  der  Streit,  ob  es  ein  Ca- 
pillargefässsystem  giebt  oder  nicht,  längst  geschlichtet  seyn,  und  wir  müs- 
sen die  Alten  auch  darin  loben,  dass  sie  kein  solches  System,  sondern  nur 
ein  Intermediäres,  ein  Pareuchym  statuirten,  in  welcherA  die  Umwandlung 
des  arteriellen  ins  venöse  Blut  vor  sich  geht  (s.  H.  Koch,  Comment.  de 
parenchymate  et  vasor.  capillarium  systemate.  Rost.  1834).  Es  ist  ausge- 
macht, dass  Blut  und  Chylus  die  beiden  Urflüssigkeiten  des  höhern  Thier- 
leibes  der  Wirbelthiere  sind,  dass  alle  Secreta  als  secundäre  Flüssigkeiten, 
sowie  alle  Bildung  aus  diesen  beiden  Urfluidis  hei-vorgehen ;  dass  die  zu- 
erst im  Embryo  sich  bildenden  Gefässe  venöse  sind;  dass  das  Venenblut 
für  das  höhere  Thier  das  Urblut  abgiebt;  dass  das  blosse  Verweilen  des 
Bluts  in  Arterien  dasselbe  dunkler  macht,  wie  dieses  an  aneurysmatischen 
Erweiterungen  einer  Arterie  unterhalb  des  Sacks  zu  sehen  ist ;  dass  die 
Venosität  den  Hauptcharakter  des  männlichen,  die  Arteriellität  den  des  ju- 
gendlichen Alters  ausmachen;  dass  bei  Phthisis  pulmonalis  vera  oft  ein 
Most  Encjklopädie.  2te  Aufl.  T.  62 


978  HAEMURESIS  —  HEHÖYCHROUM 

«Hrocter  Übergang  des  arteriellen  Bluts  in  die  Venen  stattfindet,  dagegen 
hei  vorherrschender  Venosität,  bei  atra  Bilis,  Infarcten,  bei  morgenländi- 
schcr  Cholera  auch  in  den  Arterien  dunkles  Blut  gefunden  wird ,  u.  s.  f. 
Eine  in  dieser  Hinsicht  sehr  lesenswerthe,  mit  vielem  Scharfsinn  abgefasste, 
in  echt  philosophischem  Geiste  bearbeitete  Schrift  ist:  S.  L.  Steiiiheim,  Die 
Humoralpathologie ;  ein  kritisch -didaktischer  Versuch.  Schleswig,  1826.  — 
Dass  auch  das  Blut  eine  Expansionskraft  besitze,  so  dass  dasselbe  Blutquan- 
tum nach  Umständen  bald  einön  grössern,  bald  einen  kleinern  Raum  ein- 
nehme, was  unsere  treu  beobachtenden  Alten  schon  mit  ihrer  Plethora 
rarefacta  seu  ad  volumen  andeuteten,  erleidet  keinen  Zweifei.  Diese  Blut- 
expansion findet  man  bei  Synocha  nervosa,  bei  manchen  Exanthemen,  bei 
Reizfiebern  alter  Trinker,  wo  der  volle  und  anscheinend  kräftige  Puls  zum 
Aderlass  zu  indiciren  scheint,  der  echte  Praktiker  aber  Blutausleerungen, 
weil  sie  hier  offenbar  schaden,  nicht  anwendet,  sondern  lieber  die  Kälte, 
die  Mineralsäuren  etc.  (s.  Spitln:  Von  der  Expansion  des  Blutes.  Rostock, 
1835.  4.). 

Maemurcsis»  Blutharnen,  s.  Haematuria. 

Hallucmationes»  Alucinntiones ,  Täuschungen  der  Sinne 
durch  zu  lebhafte  Imagination,  durch  krankes  Gemeingefühl,  besonders  Täu- 
.schungen  de»  Gesichts  und  Gehörs,  z.  B.  bei  psychisch  Kranken,  während 
des  Phantasirens  bei  hitzigen  Fiebern ,  im  Delirium  tremens ,  wo  die  Kran- 
ken Gesichter  und  andere  nicht  existirende  Dinge,  fremde  Stimmen  etc.  zu 
sehen,   zu  hören  glauben  und  dadurch   oft  ausserordentlich  unruhig  werden. 

Maiuartbritis.  Ist  bei  Caclius  AurcUanus  die  allgemeine  Gicht; 
richtiger  Nväre  Holarthritis  oder  Catholarihrilis.  S.  Arthritis  universalis, 

Haplopathia.     Ist  jede  einfache  (nicht  complicirte)   Krankheit. 

Hainularia  subcomiiressa  Riidolphi,  der  Fühl  wurm.  Ist 
ein  im  menschlichea  Körper,  besonders  bei  Kachektischen  vorkommender 
Wurm,  der  in  kranken  Bronchialdrüsen  gefunden  worden,  nur  einen  Zoll 
lang  ist,  rundlich,  schwarzbraun,  von  der  Seite  eingedrückt  erscheint,  übri- 
gens wol  nur  selten  vorkommt  und  im  Leben  fast  nie  erkannt  wird. 

Helietuclo  dentiusn,  Stumpfseyn  der  Zähne,  s.  Haemodia. 

Ilchctudo  Visus,  schwaches  Gesicht,  Blödsichtigkeit,  s.  Visus  hebetudo. 

Hcctica  (^Fehric),  HecCtsis  der  Franzosen,  Tales  nervosa,  Hektik, 
schleichendes  Fieber,  s.  Febris  lenta,  hectica. 

Ilectica  aldominnlis ,  chloroiica,  cxulccrata,  nervosa,  s.  Phthisis  ab- 
dominalis, Chlorosis,  Tabes,  Phthisis  pulmonalis. 

Hecticopyra »  hektisches  Fieber,  s.  Febris  hectica. 

Medroccle,  Bruch  am  Gesäss,  s.  Hernia  intestini  recti. 

Hcdychrouin  (jncdicamen') ,  ein  Arzneimittel  von  angenehmer 
Farbe.  So  unbedeutend  die  Farbe  der  verordneten  Arznei  für  manchen 
Arzt  scheinen  mag,  so  wichtig  ist  »le  of^  dem  Kranken,  der  bekanntlich 
auch  psychisch  anders  reagirt  als  der  Gesunde.  Bei  Kindern,  bei  sensiblen, 
hysterischen  Frauen,  bei  Hypochondristen  muss  man  auch  den  psyclüschen 
Eindruck,  den  die  Farbe  der  Arzneien  auf  sie  macht,  wohl  berücksichtigen. 
Unter  den  Pulvern  machen  die  grell  blauen,  rothen,  grauen  und  schwarzen, 
überhaupt  alle  reine  Farben  einen  unangenelimcn  Eindruck  beim  Einnehmen, 
z.  B.  Cupr.  ammoniat.,  Ferrum  hydrocyanic. ,  Kermes  miner.,  Suiph.  aurat., 
Aethiops,  Antira.  crud.,  Pulv.  carbon. ;  weniger  Eindruck  machen  die  gelb- 
lichen, hellgrauen,  weisslichen,  und  am  liebsten  werden  die  ganz  weissen 
Pulver  genommen.  Bei  den  Mixturen  ists  ebenso.  Je  auffallender  die  Farbe 
ist,  desto  mehr  Eindruck  macht  sie;  man  hält  die  Arznei  für  eine  unge- 
wöhnliche, seltene,  sc^hliesst  daraus,  dass  auch  die  Krankheit  wol  etwas  Un- 
gowölwilichcs,  Seltenes,  Gefahrvolles,  Unheilbares  etc.  eey,  und  was  der- 
gleichen Grillen  mehr  sind.  Viele  Kranke  bekommen  schon  einen  Wider- 
willen  beim  Anblick  einer  jeden   dicken,   dunkeln  Mixtur,   daher  auch  die 


HEDYSMA  —  HELCOMA  979 

Auswahl  des  Sy/ups  als  Zusatz  nicht  gleichgültig  ist.  Andere  glauben,  dass 
eine  wahre,  wasserhelle  Mixtur,  z.  B.  Pot.  Riverii  mit  Aq.  melissae  ohne 
Zusatz,  unwirksam  und  nur  ein  wenig  Wasser  sey  etc.,  daher  der  Arzt  auf 
solche  Idiosynkrasien  und  Vorurtheile,  die  bei  der  Heilung  oft  unglaublich 
viel  thun,  Rücksicht  nehmen  muss.  Man  berücksichtige  daher  beim  Recept- 
verschreiben  auch  die  chemische  Reaction  und  Färbung  der  ArzneistofFe  • 
setzt  man  z.  B.  zu  einer  Mixtur,  worin  Spirit.  sal.  ammon.  anisat.  ist,  Syr. 
papav.  rhoead. ,  so  wird  die  Farbe  schmuzig  grün  und  sieht  hcässlich  aus; 
dagegen  die  Verbindung  von  diesem  Syrup  mit  Mineral-  und  Pflanzensäuren 
eine  schone  rothe  Farbe  annimmt. 

Hedysma,  das  Versüssungsmittel,  Soll  ein  solches  den  Ge- 
schmack einer  unangenehmen  Arznei  wirklich  verbessern  ( Corrigens ) ,  so 
muss  man  dahin  sehen,  dass  es  den  reinen  Geschmack  nicht  verwischt.  So 
z.  B.  macht  der  Zusatz  süsser  Syrupe  zu  bittern  Exti'acten  letztere  nur  wi- 
derlicher.   (S.  Adjuvantia). 

Helcoinaj  Helcosis,  Helcydrion,  richtiger  Helcoma  corneae,  Horn- 
hautgeschwür. Die  Helkome  der  Hornhaut  sind  oberllächliche  Geschwüre, 
die  neben  den  Hornhautflecken  (Nubecula,  Macula  corneae,  Leucoma)  als 
Folge  vorhergegangener  oder  noch  statttindender  Ophthalmien  zu  betrachten 
sind ;  auch  auf  Verwundungen,  Quetschungen  des  Auges,  besonders  bei  gleich- 
zeitiger Arthritis,  Scrophulosis,  Gonorrhöe,  Impetigo  etc.  folgen  dieselben  mit- 
unter, indem  die  einfache  Wunde,  der  Abscess  zum  Ulcus  wird  (s.  Ophthal- 
mia rheumatica,  exanthematica,  arthritica,  aegyptiaca  etc.). 
In  den  meisten  Fällen  passt  das  Betupfen  des  kleinen  Geschwürs  mittels  ei- 
nes kleinen,  anfangs  mit  sehr  verdünntem ,  später  mit  reinem  Laudanum  liq. 
Syd.  angefeuchteten  Pinsels;  dabei  Berücksichtigung  des  Grundübels  durch 
innerliche  zweckmässige  Mittel.  Oft  machen  letztere  die  Hauptsache  aus, 
und  wir  dürfen  dann  topisch  nicht  zu  kräftig  verfahren,  höchstens  passt  et- 
was Tinct.  opii  mit  Aq.  destill,  und  Gumm.  arab.  als  Augenwasser.  Der 
Zusatz  von  Sublimat  ist  bei  tiefgehendem  Ulcus  gefährlich,  der  der  Blei- 
mittel passt  auch  nicht,  weil  die  zurückbleibenden  Narben  darnach  trüber 
werden  {Himly).  Sind  die  Geschwüre  aber  alt  und  wenig  empfindlich,  so 
passt  Sublimat,  rother  Präcipitat,  Aerugo  in  Salbenform,  bei  callösem  Cha- 
rakter Solut.  salis  tartari.  Zuweilen  ists  ein  Ulcus  fungosum  mit  grossen 
Blutgefässen  in  der  Peripherie.  Hier  verordne  man  eine  schwache  Solut. 
lap.  infernalis.  Ists  ein  Ulcus  varicosum  mit  dicken,  aufgetriebenen  Venen 
so  steche  man  diese  auf  und  wende  Solut.  vitrioli  albi,  aluminis  an.  Mitun- 
ter haben  diese  Geschwüre  einen  sphacelösen  Charakter,  z.  B.  bei  Ophthal- 
mia neonatorum.  Es  bildet  sich  eine  Art  Kruste  auf  dem  Geschwüre,  die 
sich  abstösst  und  worauf  die  Oberfläche  des  Geschwürs  ganz  weiss  wird. 
Bessert  sich  ein  solches  Geschwür ,  so  geht  die  weisse  Oberfläche  in  kleinen 
Läppchen  fort;  bildet  sich  aber  zum  zweitenmal  eine  Kruste,  so  wird  die 
Cornea  meist  durchfres-sen  und  so  das  Auge  zerstört.  Hier  müssen  äusser- 
lich  Opium,  Sol.  aluminis,  Decoct.  chinae  angewandt  werden.  Die  Dia- 
gnose der  Hornhautgeschwüre  ist  gar  nicht  leicht.  iDer  Ausfluss  kann  kein 
Zeichen  geben,  da  er  zu  gering  ist  und  mit  der  Thränenfeuchtigkeit  und 
dem  Meibom'schen  Schleim  gemengt  wird.  Zu  vermuthen  ist  ein  Helkom, 
wenn  das  Auge  sehr  empfindlich,  bedeutend  lichtscheu  ist  und  häufig  thränt. 
Durch  die  Autopsie,  besonders  wenn  man  das  kranke  Auge  im  Profil  beob- 
achtet, wird  es  erst  völlig  erkannt;  aber  auch  hier  entdeckt  man  es,  wenn 
es  am  obern  Rande  der  Cornea  sitzt,  oft  erst  spät.  Häufig  gehen  viele 
kleine  Blutgefässe  nach  dem  Punkte  der  Cornea,  wo  das  kleine  Geschwür, 
das  von  der  Seite  angesehen  eine  Vertiefung  zeigt,  sitzt.  Die  Folgen  sind 
oft  sehr  schlimm.  Abgerechnet  die  hohe  Empfindlichkeit  und  den  Schmerz 
des  Auges,  bleibt  im  günstigsten  Falle  doch  stets  als  Folge  der  Vernarbung 
eine  geringe  Trübung  der  Hornhaut  zurück,  im  ungünstigen  penetrirt  das 
Geschwür,  der  Humor  aqueus  fliesst  aus,  es  folgt  Prolapsus  iridis,  wol  gar 
Vorfall  der  Krystalllinse,  hinterher  Atrophie  und  Verlust  des  Auges.    Ausser- 

62* 


1)80  HELCOS  -  HELMINTHUSIS 

dem  geht  die  Heilung  solcher  Geschwüre  stets  sehr  langsam  vor  sich,  und 
das  Auge  muss  besonders  geschont  werden,  und  zwar  bis  zur  völligen  Hei- 
lung des  Helkoms. 

Welcos»  das  Geschwür,  s.  Ulcus.  Die  Alten  verstanden  unter  Uxof 
jede  örtliche  Verletzung  und  den  dadurch  verursachten  Schmerz. 

Melcoisis,  s.  Helcoma. 

ISelctica  (retnedia),  Zugmittel,  s.  Epispastica. 

Melcydrion,  ein  kleines  Hornhautgeschwür,  s.  Helcoma. 
*    llellasis,  Heliosis^  Apricatio,  das  Sonnen,  der  wohlthätige  Einfluss 
des  Sonnenlichts  auf  den  Körper    (s.  Balneum   aereum,    solare).      Im 
engem  Sinne  versteht  man  darunter  auch  den  Sonnenstich;    s.  Insolatio. 

Melniintbag^Og^a y  Helminthica  (^remcdia') ,  besser  Anthelminthica, 
Wurmmittel,  wurmtreibende  Mittel,  s.  Authelminthica  und  Hel- 
rainthiasis. 

'''Helmintlliasis»  Scoleciasis,  Morbus  verminosus,  Status  vemdnosus, 
Saljurra  verminosn,  Vermitio,  die  Wurmkrankheit,  die  Wurmsucht. 
Ist  dasjenige  Leiden,  welches  durch  eine  zu  grosse  Menge  Intestinalwürmer 
erregt  wird,  eine  Kachexie,  nahestehend  der  allgemeinen  Schleimsucht,  wo 
neben  den  der  Blennorrhoe  des  Darmcanals  eigenthümlichen  allgemeinen 
Symptomen  (s.  Blennorrhoea  ventriculi  et  intestinorum,  Febris 
pituitosa)  noch  besondere  Erscheinungen  hinzutreten,  die  auf  das  Daseyn 
von  Würmern  in  den  ersten  Wegen  hindeuten.  Obgleich  der  menschliche 
Organismus  in  seiner  Gesammtheit  den  Grund  und  Boden  für  Würmer  ab- 
giebt,  so  ist  es  doch  dem  Zwecke  dieser  Abhandlung  nicht  angemessen,  die 
bis  jetzt  im  menschlichen  Körper  aufgefundenen  Wurmarten  einer  speciellen 
Betrachtung  zu  würdigen;  nur  die  im  Darmcanal  vorkommenden  und  durch 
ihre  Einwirkung  auf  den  Körper  die  Hülfe  der  Therapie  in  Anspruch  neh- 
menden sind  es,  die  hier  unsere  Aufmerksamkeit  verdienen.  (Über  die  im 
meinschlichen  Körper  und  mitunter  auch  bei  den  Thieren  ausserhalb  des 
Darmcanals  vorkommenden  Würmer  sind  die  Artikel:  Filaria  Dracun- 
culus,  Strongulus  Gigas,  Distoma  hepaticum,  Polystoma 
pinguicula,  Cysticercus  cellulosae,  Hamularia  subcompressa 
und  Hydatides  nachzulesen.  Most).  Die  Helminthologen  haben  uns  mit 
iünf  Wurmarten  bekannt  gemacht,  die  nur  innerhalb  des  Darmcanals  an- 
getroffen, und  darum  vorzugsweise  Darmwürmer  genannt  werden.  Diese 
verschiedenen  Arten  sind  nun  folgende:  1)  der  Peitschenwurm,  Haar- 
kopf, Trichocephnlus  dispar,  'fr.  hominis.  Der  Aufenthalt  dieser  Species 
sind  die  dicken  Gedärme,  vorzüglich  der  Blinddarm.  Man  erkennt  die- 
sen Wuim  an  folgenden  Zeichen.  Er  hat  einen  walzenrunden,  peitschen-^ 
förmigen ,  sehr  elastischen  Körper ,  der  an  seinem  Vordertheile  sehr  dünn 
und  haarförmig  verläuft,  am  Hintertheile  aber  sich  bedeutend  verdickt 
und  keulenartig  endet;  die  Mundöii'nung  ist  cirkelrund  und  wegen  Klein- 
heit oft  kaum  wahrzunehmen.  Das  Hintertheil  des  Männchens  ist  dach 
spiralförmig  aufgerollt,  und  hat  an  seinem  Ende  eine  Röhre,  aus  welcher 
das  Zeuguugsgiied  hervorragt.  Dagegen  zeichnet  sich  das  Weibchen  ausser 
der  etwas  bedeutendem  Länge  durch  einen  längern  haarförmigen  Vorderthcii 
aus;  der  weniger  eingekrümmte  Hintertheil  enthält  die  Eierstöcke  mit  den 
elliptisch  geformten  Eiern,  um  den  Darmcanal  liegend,  und  am  Ende  eine 
kleine  Öffnung,  welche  nach  der  Ansicht  des  verdienten  Bremser  als  After 
und  Scheide  zu  betrachten  ist.  Die  ganze  Länge  des  Peitscheii''.vurmes  be- 
tfägt  selten  über  zwei  Zoll  {Bremser} ;  er  ist  gewöhnlich  weiss  von  Farbe, 
selten  gefärbt.  2)  Der  Pfriemenschwanz,  Springwurm,  Maden- 
wurift,  die  Askaride,  Oxijims  vermiculnris ,  Ascnris  vermicularis,  Helmin- 
thion. Er  hält  sich  immer  nur  im  Dickdarm,  vorzüglich  im  Mastdarm,  auf, 
sucht  am  häufigsten  Kinder,  seltener  Erwachsene  heim.  Er  charakterisirt 
sich  durch  einen  walzenrunden,  sehr  elastischen  Körper,  der  pfriemenförmig ' 
in  eine  äusserst  feine  Schwanzspitze  ausläuft,  und  durch  eine  deutliche  cirkel- 
iörmige  Mund  Öffnung.     Das  stumpf  zulaufende  Schwanzende  ie»  Mäniichens^ 


HELMINTHUSIS  981 

kt  flach .  spiralförmig  aufgei'oUt,  beim  Weibchen  Ist  es  gerade  und  pfriemeii- 
fönnig.  Diese  im  Menschen  vorkommende  Art  der  Askariden  zeichnet  sich 
ausserdem  noch  durch  die.  Eigenthümlichkeit  aus,  dass  am  abgestumpften 
Körperende  an  beiden  Seiten  blasenförmige  Seitenmembranen  hervortreten, 
zwischen  denen  der  Schlqnd  als  linienförmige  Röhre  verläuft.  Der  Spring- 
wurm ist  selten  länger  als  V4  2oll;  er  geht  oft  in  unzählbarer  Menge  mit 
den  Excrementen  des  Kranken  ab,  und  macht  sich  durch  seine  springende 
Bewegung,  sowie  durch  seine  weisse,  fadenförmige  Gestalt  leicht  bemerkbar. 
8)  Der  Spulyvurm,  Ascaris  lumhricoides ,  Hehnins,  üblicher  in  der  Mehr- 
zahl Uelndnthcs.  Sein  Aufenthaltsort  sind  vorzüglich  die  dünnen  Gedärme, 
von  wo  aus  er,  wenn  er  in  grosser  Menge  vorhanden  ist,  zuweilen  auch  in 
den  Magen  dringt  und  dann  oft  durch  Erbrechen  entlteert  wird.  "Dieser 
Wurm  ist  Ärzten  und  Laien  so  bekannt,  dass  eine  Beschreibung  beinahe 
überflüssig  ist.  Es  ist  3  — 12  Zoll  lang,  oft  so  dick  wie  eine  Federspule, 
hat  einen  walzenrunden,  elastischen,  an  beiden  Enden  etwas  zugespitzten 
Körper,  ein  etwas  dünneres  Vorder-  als  Hinterende;  um  seine  Mundöffnung 
stehen  in  B'orm  eines  Dreiecks  drei  kleine  kugelförmige  Erhabenheiten, 'eine 
Art  von  fleischiger  Warzen  oder  Knötchen,  hinter  welchen  sich  ein  Oirkel- 
schnitt  betindet.  Er  weicht  in  Hinsicht  seiner  Fai'be  bedeutend  ab ,  so  da«s 
man  ihn  oft  weisslich,  fleischfarben,  bald  aber  braunroth,  bald  blaurotU  an« 
trifft;  ist  er  abgestorben,  so  hat  er  eine  strohgelbe  Farbe.  Die  beiden  Sei- 
ten seines  Körpers  sind  mit  einer  herablaufenden  kleinen  Furche  bezeichne^, 
und  das  Kopfende  wird  deutlich  von  dem  übrigen  Körper  durch  eine. kreis- 
förmige Einsenkung  getrennt.  Das  Männchen,  gewöhnlich  kleiner  als  das 
Weibchen,  hat  ein  gekrümmtes  Schwanzende,  aus  dem  das  doppelte  männ- 
liche Glied  hervorragt;  das  Weibchen,  bei  welchem  die  Zeugungsorgane 
die  ganze  Körpermasse  in  Anspruch  nehmen ,  hat  zur  Aufnahme  des  doppel- 
ten männlichen  Zeu^ungsgliedea  eine  diesem  entsprechende  doppelte  Öffnung; 
das  Schwanzende  ist  gleichfalls  gerade  ausgestreckt.  Unter  allen  Wurmarleii 
kommt  der  Spulwurm  am  häufigsten  vor,  und  man  trifft  ihn,  besonders  bei 
schwächlichen  Subjecten,  oft  in  unglaublicher  Menge  an.  4)  Der  Band- 
wurm, der  breite  oder  kurzgegliederte  Bandwurm,  der  Grub en-T> 
köpf,  Bothriocephalus  latus  Bremser,  Tacnia  lata  Bloch,  Tae*'ia  vitltjavis. 
Das  Charakteristische  dieses  Wurmes  ist  der  weiche,  langgezogene,  .flache, 
gedrückte,  gegliederte,  bandförmige  Körper  mit  zwei  oder  vier  verschieden 
gestalteten  Gruben  oder  auch  blumenförmigen  Lappen  an  dem  bewaffneten 
oder  auch  unbewaffneten  Kopfende.  Selten  wird  dieser  Wurm  in  Deutsch- 
land beobachtet;  dagegen  scheint  Russland,  das  angrenzende  Preussen^  Po-' 
len,  die  Schweiz  und  einige  Gegenden  von  Frankreich  sein  eigentliches  Va- 
terland zu  seyn.  Beobachtete  man  ihn  in  Deutschland,  so  ward  er  nur  bei 
solchen  Individuen  gefunden,  die  aus  den  genannten  Gegenden  herstammten^ 
Der  Aufenthalt  der  Taenia  lata  sind  die  dünnen  Gedärme;  der  Kopf  und 
die  Randgruben  des  Wurmes  sind  länglich,  und  die  auf  denselben  sich  be- 
findenden Eindrücke  oder  Gruben  werden  Aon  Rudoiphi  für  den  Anfang  der 
Nahrungswege  gehalten,  wogegen  Bremser  behauptet,  dass  sich  zwischen 
den  grubenartigen  Vertiefungen  eine  einfache  Mundöffnung  befinde.  Der 
Hals  ist  oft  kaum  unterscheidbar;  doch  ist  die  Grenze  zwischen  Kopf  und 
Hals  in  vielen  Fällen  durch  eine  Furche  deutlich  bezeichnet  und  der  faden- 
förmige Hals  verläuft  oft  mehrere  Zoll  lang,  bevor  er  sich  in  den  breitem 
sogenannten  Körper  des  Wurmes  verliert.  Die  vordersten  Glieder  sind' run- 
zelförraig,  die  folgenden  zahlreichern  kurz,  mehr  breit  als  lang,  fast  vier*^ 
eckig;  dagegen  haben  die  hintern  Glieder  ein  mehr  längliches  Ansehn.  Bei 
den  Bandwürmern  findet  keine  Geschlechtstrennung  statt;  denn  die  einzel-^ 
npn  Glieder  haben  in  ihrer  Mitte  eine  deutliche  Öffnung  oder  Grube,  aus 
der  eine  zapfenartige  Hervorragung  tritt  (das  männliche  Glied  nach  Bremser), 
in  deren  Nähe  die  Eierstöcke  blumenartig  gelagert  sind,  so  dass.  also  jede» 
Glied  als  ein  besonderes  Thier  betrachtet  werden  könnte.  Die  Länge  des 
Grubenkopfes  weicht  sehr  ab,  da  maii  dieselbe  von  15,  20 — 60  Fuss  und 
darüber  beobachtet  hat;  die  grösste  Breite  desselben  steigt  von  %  bis.  auf 


982  *      HELMINTHIASIS 

1  Zoll.  Seine  Farbe  ist  ursprünglich  weiss,  obgleich  auch  Schattirungen  ins 
Weissgraue  vorkommen.  5)  Der  Kettenwurm,  Kürbiswurm,  Kürbis- 
bandwurm, der  langgegliederte  Bandwurm,  Taenia  solium  Brem- 
ser, Rudolphi,  Taeiiin  cucurhitina  Pallas.  Auch  er  bewohnt  nur  die 
dünnen  Gedärme  des  Menschen  und  wird  bei  allen  europäischen  Völkern, 
jedoch  mit  Ausnahme  derjenigen,  wo  der  Grubenkopf  vorkommt,  gefunden. 
Die  dieser  Art  zukommenden  Kennzeichen,  wodurch  sie  von  dem  Gruben- 
kopf, mit  dem  sie  in  frühern  Zeiten  verwechselt  wurde  ^  leicht  zu  unter- 
scheiden ist,  sind  folgende:  ein  beinahe  halbkugelförmiger,  scharf  begrenz- 
ter Kopf,  ein  abgestumpfter  Saugrüssel ,  ein  nach  Vorn  zunehmender  Hals 
mit  Gliedern,  welche  nach  Vorn  sehr  kurz,  in  der  darauf  folgenden  Strecke 
fast  viereckig,  nach  Hinten  (am  Hintertheile  des  Wurms)  länglich,  alle  aber 
unmerklich  abgestumpft  und  mit  Randlöchern  versehen  sind,  die  ohne  Ord- 
nung wechselseitig  stehen.  Der  Kopf  ist  mit  vier  Saugmündungen  versehen, 
in  deren  Mitte  findet  man  eine  gewölbte  Hervorragung,  um  welche  kreis- 
förmig doppelte  Reihen  kleiner  Häkchen  bemerkt  werden,  was  n\ir,  da  der 
Kopf  sehr  klein  ist,  das  bewaffnete  Auge  wahrzunehmen  im  Stande  ist.  Der 
Hals  ist  ebenfalls  sehr  dünn,  bald  kürzer,  bald  länger.  Die  Glieder  des 
Körpers  sind  anfangs  schmal  und  sehr  kurz,  verlängern  sich  aber  immer 
mehr,  je  mehr  sie  sich  vom  Kopfende  entfernen.  An  ihrem  Seitenrande  bie- 
ten sie  bald  rechts,  bald  links,  ohne  bestimmte  Ordnung,  kleine  warzen- 
förmige Hervorragungen  dar,  welche  in  der  Mitte  eine  deutliche  Öffnung 
haben,  die  zu  den  Eierbehältern  führt.  Die  ganze  Länge  des  Wurmes  be- 
trägt bald  nur  10,  bald  20,  30,  selbst  40  Ellen.  Seine  Breite  ist  sehr  ab- 
weichend ;  am  Kopfende  beträgt  sie  oft  nicht  mehr  als  die  Dicke  eines  Pfer- 
dehaars, am  Schwanzende  und  Körper  wohl  V4  Zoll;  auch  hat  hierauf  das 
Contractions  -  und  Expansionsvermögen  des  Thieres  Einfluss,  weshalb  der 
Wurm  oft  bald  dünner,  durchscheinend,  bald  dicker,  undurchsichtiger  er- 
scheint. Sowol  der  Bandwurm  als  der  Kettenwurm  besitzen  die  Zeugungs- 
organe beiderlei  Geschlechts  in  den  meisten  ihrer  einzelnen  Glieder,  mithin 
ist  ihnen  das  Selbstbefi-uchtungsvermögen  eigen.  Aus  dieser  Eigenthümlich- 
keit  des  Baues  erklärt  es  sich,  wie  die  Bandwürmer  sich  so  sehr  vermehren 
können.  Was  aber  ihre  Reproductionskraft  hinsichtlich  der  einzelnen  Glie- 
der betrifft,  wornach  sich  ganze  Strecken  abgerissener  Glieder  wieder  bil- 
den sollen,  so  ist  solche  Annahme  nicht  sehr  wahrscheinlich,  bleibt  wenig- 
stens fernem  Untersuchungen  vorbehalten. 

Genesis  der  Intestinalwürmer.  Über  das  Entstehen  der  Ein- 
geweidewürmer, sowie  über  ihren  ganzen  thierischen  Haushalt ,  ist  noch  ein 
tiefes  Dunkel  verbreitet.  Die  sonderbarsten  und  widersprechendsten  Ideen 
wurden  aufgestellt,  um  die  Entstehung  dieser  Thierart  zu  erklären  Alle 
lassen  sich  jedoch  auf  zwei  Hauptvorstellungsweisen  zurückführen.  Nach 
der  einen  werden  nämlich  alle  Eingeweidewürmer  von  Würmern  derselben 
Art  erzeugt;  nach  der  andern  können  sie  sowol  bei  Menschen  als  Thieren 
ohne  Zuthun  von  Altern,  durch  ursprüngliche  Zeugung,  primitive  Zeugung 
nach  Bremser  (Generatio  aequivoca,  spontanea,  originaria)  entstehen.  Die 
Meinung  älterer  Naturforscher  war  allgemein  die,  dass  diese  Thiere  mittels 
der  Speisen  und  Getränke  durch  den  Mund  in  den  thierischen  Körper  kämen, 
indem  sie  als  ausgemacht  annahmen,  dass  auch  ausserhalb  des  Körpers,  in 
Flüssigkeiten,  im  Wasser  etc.  Thiere  angetroffen  würden,  die  den  Intesti- 
nalwürmern  ganz  ähnlich  seyen.  Andere  Naturforscher  nahmen  an,  dass 
nur  die  Eier  solcher  Thiere  auf  irgend  eine  Weise  in  den  Körper  gelangten. 
Brera  behauptet,  dass  die  aus  der  Erde  und  dem  Wasser  in  den  thierischen 
Organismus  geführten  Wärmer  durch  den  Wechsel  ihres  Aufenthaltsorts  eine 
totale  Bildungs  -  und  Formveränderung  erlitten.  Dagegen  meinten  Andere, 
dass  die  Wurmeier  in  den  Zeugungssäften  von  den  Altern  der  organischen 
Substanz  des  Fötus,  des  Kindes  beigemischt  würden.  Das  Unhaltbare  die- 
ser Hypothesen  bestimmte  neuere  Naturforscher  zu  einer  andern  Ansicht 
überzugehen,  und  sie  glaubten,  in  der  Generatio  aequivoca  eine  genügende 
Erklärung  zu  finden.     Die  Erfahrung  lehrt  nämlich,   dass  organische  Sab- 


HELMINTHIASIS  983 

stanzen:  Pflpnzenlheile ,  Samen,  Korner,  Stücken  Fleisch  etc.  mit  Wasser 
Übergossen  und  dem  Einflüsse  des  Liclits  und  der  Wärme  ausgesetzt,  in 
kürzerer  oder  längerer  Zeit  aus  sich  selbst  und  ohne  Zuthun  von  Keimen 
kleine  Thlerchen,  die  Infusorien,  Infusionsthiere,  die  durchs  Mi- 
kroskop deutlich  wahrzunehmen  sind,  bilden,  was  nian  daher  Generatio 
primaria  s.  aer^uivoca  genannt  hat.  So  gut  wie  vom  Organismus  unter  be- 
sondern Umstäiiden  fremdartige  Körper  aufgenommen  und  zu  homogenen 
Theilen  verarbeitet  werden ,  ebenso  gut  können  sich  integrirende  Theile  des 
Organismus  wieder  von  ihm  trennen.  Die  Schriftsteller  bezeichnen  als  den 
GrundstolF,  aus  welchem  diese  ursprüngliche  Bildung  hervorgeht,  bald  be- 
stimmt geartete  Säfte  des  Thierkörpers,  bald  das  Zellgewebe.  Um  nun 
diesen  Vorgang  an  andere  Erscheinungen  der  thierischen  Ökonomie  anzu- 
reihen luid  auf  die  allgemeinen  Bedingungen  zurückzurühren ,  wodurch  und 
unter  welchen  Umständen  thierisch  -  organische  Massen  ins  Daseyn  gerufen 
werden ,  ist  es  erforderlich,  die  der  Wurnibilduug  wahrscheinlich  zum  Grunde 
liegenden  Momente  näher  zu  betrachten.  Hier  nimmt  nun  unstreitig  die  ver- 
änderte Verrichtung  des  Darmcanals  einen  wesentlichen  Platz  ein.  Die  Er- 
fahrung lehrt  nämlich,  dass  die  Wurmerzeugung  vorzugsweise  in  solchen 
Individuen  tiorirt,  die  an  Energiemangel  des  Darmcanals  leiden,  bei  denen 
mithin  eine  fehlerhafte  für  die  thierische  Ökonomie  nicht  genügende  Chyli- 
fication  erfolgt,  die  nothwendig  Abweichungen  in  den  normalen  Mischungs- 
verhältnissen des  Chylus  hervorbringt  und  gleichzeitig  auf  die  Function  der 
einsaugenden  Gefässe  einen  nachtheiligen  Einlluss  äussern  muss.  Um  diesen 
abnormen  Zustand  hervorzurufen,  sind  nach  der  Erfahrung  verschiedene 
Schädlichkeiten  als  ursächliche  Momente  der  Wurmbildung  zu  be- 
trachten. Dahin  gehören  besonders  der  häufige,  übermässige  Genuss  zäher, 
schwerverdaulicher,  schleimiger,  fetter,  mehliger  Nahrungsmittel;  ferner  un- 
thätige  Lebensweise,  Mangel  an  Bewegung,  Aufenthalt  in  feuchter,  kühler, 
nebliger  oder  regniger  Witterung,  in  einem  solchen  Klima,  Lichtmangel  etc., 
kurz  Alles,  was  Blennorrhoe  macht.  Da  nun  unter  solchen  obwaltenden 
Einflüssen  der  gesammte  Vegetationspro cess  durch  quantitativ  und  qualitativ 
veränderte,  allen  Lebensverrichtungen  zum  Grunde  liegende  Chylltication  auf 
eine  niedrigere  Stufe  der  thierischen  Ausbildung  gestellt  wird,  so  ist  es  er- 
klärbar, warum  nun  die  Entwickclung  des  höhern  thierischen  Charakters 
gehemmt  wird  und  dagegen  die  Bildung  plastischer,  der  iiiedern  Thiergat- 
tung  ähnelnder  Stoffe  erfolgt.  Wir  sehen  ähnliche  Vorgänge,  wenn  die  aus- 
bildende Metamorphose  auf  einer  so  niedern  Stufe  verweilt,  dass  sie  ihre 
Producte  nicht  über  die  Püanzennatur  erheben  kann,  und  finden  in  dieser 
Hinsicht  die  auffallendsten  Beweise  in  der  Harnruhr  (s.  Diabetes),  wo 
die  pflanzliche  Zuckerbildung  vorherrschend  ist,  im  Hydrops,  wo  es  zuwei- 
len nur  zur  Ausbildung  seröser  Flüssigkeiten  kommt  etc.  Sind  somit  die 
Bedingungen  gestellt,  die  ein  eigenes,  selbstständiges  thierisches  Leben  bil- 
den können,  so  bedarf  es  weiter  nichts  als  der  Einwirkung  der  wechselsei- 
tigen Verhältnisse,  die  den  nun  einmal  angelachten  Lebensfunken  ferner  un- 
terhalten und  ausbilden.  (Ausserdem  ist  es  hinlänglich  bewiesen,  dass  viele 
Thiere  niederer  Organisation  sich  durch  Generatio  aequivoca  erzeugen  und 
später  geschlechtlich  fortpflanzen  können ;  dahin  gehören  die  Endobranchen, 
die  Helminthen,  die  Eingeweidewürmer,  und  wahrscheinlich  auch  die  Poly- 
pen. Most.)  Diagnose  der  Wurmkrankheit.  Sie  ist  sowol  im  Allgemeinen 
als  im  Besondern  leider  noch  so  unsicher  und  unzuverlässig,  dass  man,  aus- 
ser dem  wirklichen  Abgange  der  Darmwürmer  selbst,  aus  der  grossen  Masse 
der  von  den  SchrifuStellern  aiifgestellten  und  die  Gegenwart  der  Würmer  be- 
»eichnenden  Symptome  nicht  ein  einziges  als  xmtrüglich  für  klinische  Zwecke 
aufführen  kann.  Dazu  kommt  noch  der  Übclstand,  dass  die  den  Intestinal- 
würmern  zugeschriebenen  Symptome  zum  Theil  auch  andern  Krankheitszu- 
ständen  eigenthümlich  sind,  namentlich  den  Scropheln,  der  Atrophie,  dem 
Status  gastricus,  pituitosus,  dem  Hydrocephalus  chronicus  u.  a.  m.  (Alles 
dieses  beweist,  dass  Scropheln,  Atrophie,  Blennorrhoe  und  Helminthiasis 
wesentlich   picht  verschieden  sind,   dasa  letztere  daher  häufig  mit  erstem 


984       '  HELMINTHIASIS 

compUcirt  und  die  radicale  Cur:  Verbesserung  der  zu  schwachen  Chylifica- 
tion  und  Nutrition,  bei  allen  eine  und  dieselbe  ist.  Most}.  Sehr  häußg 
werden  einzelne  Darmwürmer  von  übrigens  ganz  gesunden  Individuen,  und 
ohne  Zeichen  irgend  einer  Störung  des  allgemeinen  Wohlbefindens  zu  ver- 
anlassen, entleert.  Häufen  sie  sich  aber  in  grösserer  Anzahl  in  den  ersten 
Wegen  an ,  oder  werden  sie  in  sehr  reizbaren  Subjecten  erzeugt,  so  erregen 
sie  allerdings  mancherlei  Beschwerden,  die  bald  gelinder,  bald  heftiger  und 
dann  als  die  Symptome  der  Helminthiasis  zu  betrachten  sind.  Diese  sind: 
Oft  und  schnell  wechselnde,  veränderliche,  bald  blasse,  bald  rothe  Gesichts- 
farbe, blaue  Ringe  um  die  Augen,  Jucken  und  Kitzeln  in  der  Nase,  öfteres 
und  schnelles  Ansammeln  eines  heilen  Wassers  im  Munde,  Ausfluss  des  Spei- 
chels aus  demselben  während  der  Nachtzeit,  ungleiche,  bald  verminderte, 
gewöhnlich  aber  gesteigerte  Esslust,  grosse  Vorliebe  für  feste,  besonders 
mehlige  Speisen;  ein  süsslich  fader,  übler,  oft  fauliger  Geruch  aus  dem 
Munde,  schleimiger  Überzug  der  Zunge,  Ekel,  Übelkeit,  vorzüglich  bei 
leerem  Magen  oder  nach  dem  Genuss  süsslicher  Dinge,  wirkliches  Erbrechen 
einer  wasserhellen  Flüssigkeit,  Übelbefinden  nach  dem  Genuss  von  Senf, 
Zwiebeln,  Meerrettig,  aufgelockertes  Zahnfleisch,  cariöse  Zähne,  Druck, 
Schmerz  im  Unterleibe,  in  der  Nabelgegend,  periodisch  eintretende  Collca 
verminosa  mit  Auftreibung,  Spannung  des  Abdomens,  Gefühl  einer  kriechen- 
den, nagenden,  kneipenden  Empfindung  daselbst,  oft  harter,  aufgetriebener 
Bauch  bei  magern  Gliedern,  Anschwellung  der  Oberlippe,  der  Nase.  Hierzu 
gesellen  sich  mancherlei  Störungen  der  Digestion:  seröse,  schleimige  Diar- 
rhöe, Tenesmus ,  Jucken  am  After,  abwechselnd  Obstructio  alvi;  periodisch 
Kopfschmerzen,  besonders  bald  nach  der  Mahlzeit,  unruhiger  Schlaf,  ängst- 
liche Träume,  Sprechen  im  Schlaf,  Zähneknirschen,  selbst  Somnambulismus, 
Täuschungen  des  Geruchs,  gestörtes  Sehvermögen,  erweiterte  Pupille,  Di- 
plopie, Chromopsie,  vorübergehende  Blindheit,  Klingen,  Sausen  und  Brau- 
sen in  den  Ohren,  Krämpfe  der  Augenmuskeln,  Verdrehen  der  Augäpfel, 
Angst,  Herzklopfen,  Unruhe,  periodisch  Dyspnoe,  ein  kurzer,  trockner, 
krampfhafter  Husten,  höchst  veränderlicher,  krampfliafter ,  oft  interraittiren- 
der  Puls;  Abgang  eines  blassen,  molkigen,  milchweissen  Urins,  sauer  rie- 
chende Schweisse.  In  heftigen  Graden  ist  die  Wurmkrankheit  die  Ursache 
von  Convulsionen  aller  Art,  von  Chorea,  Epilepsie,  Katalepsie,  von  Sopor, 
Delirien,  Lähmung,  Sprachlosigkeit,  von  Schmerzen  in  den  Gliedern,  die 
den  rheumatischen  ähneln,  von  Verstimmufig  des  Geistes,  Trübsinn,  von 
hypochondrischen  und  hysterischen  Beschwerden  aller  Art.  Kinder  mit  vie- 
len Spulwürmern  leiden  gewöhnlich  an  übler  Laune,  und  es  gesellen  sich 
leicht  fieberhafte  Zufälle,  oft  begleitet  von  Krämpfen  aller  Art,  hinzu  (s. 
Febris  verminosa).  Endlich  können  bei  längerer  Dauer  und  Vernach- 
lässigung des  Übels  Abmagerung  und  Febris  hectica  mit  den  bekannten  Fol- 
gen eintreten,  Prognose  der  Wurn.krankheit.  Das  Daseyn  und  die  An- 
wesenheit der  Würmer  giebt  an  und  für  sich  keine  bedenkliche  Aussicht  für 
die  Zukunft  des  Kranken;  wol  aber  wird  sie  durch  den  Umstand  bedenk- 
lich, dass  der  Wurnierzeugung  selbst  ein  Leiden  der  gesammlen  Reprodu- 
ction,  welches  tief  in  ihre  Verrichtungen  eingreift  (die  Cachexia  pituitoso- 
verminosa,  M.) ,  zum  Grunde  liegt,  und  dieses  im  Verein  mit  den  Würmern 
kann  allerdings  Erscheinungen  hervorrufen  und  Ausgänge  herbeiführen,  die 
für  den  Kranken  von  übler  Bedeutung  sind.  Die  Erfahrung  lehrt  täglich, 
dass  Individuen  von  ihrer  Kindheit  bis  zum  Greisenalter  Würmer  ohne  Stö- 
rung ihrer  Gesundheit  beherbergen.  Aber  nur  bei  geringer  Anzahl  ist  dies 
der  Fall ;  ist  ihre  Menge  zu  gross ,  so  entsteht  allemal  Krankheit.  Dass  die 
alte  Ansicht,  Eingeweidewürmer  könnten  die  Gedärme  durcbbohren  und  da- 
durch schlimme  Zufälle  ßrregen,  nicht  irrig  sey,  bedarf  keines  Beweises; 
doch  sind  die  Fälle  selten.  In  der  medic.  Zeitung  d.  Auslandes  1833.  Nr.  62 
wird  die  Beobachtung  mitgetheilt ,  dass  aus  verschiedenen  Theilen  des  Kör- 
pers sich  Würmer  entl&eDt -hätten;  Dr.  Siehenhaar  erwähnt  einer  Durchboh- 
rung der  Gedärme  durch  Spulwürmer  (s.  Hufeland's  Journ.  183+,  April)  und 
Professor  Vlvi^hmunH  sen.  hl  Erlangen  theilt  in  demselben  Journ,  1835,  Juni, 


HELMINTHIASIS  985 

(ünen  interessanten  Fall  mit,  wo  bei  einem  4jährigen  Mädchen  durch  Spul- 
würmer das  Ileum  durchbohrt  wurde  und  nach  S  Wochen  der  Tod  folgte, 
nachdem  sich  in  der  Regio  umbilicalis  ein  Abscess  gebildet,  woraus  ein  starker 
Spulwurm  hervorgekrochen.  Die  Section  bestätigte  die  Darmdurchbohrung. 
Ganz  richtig  bemerkt  Fleischinann ,  was  viele  gute  Praktiker  gleichfalls  be-, 
obachtet  haben,  dass  die  Sp\*würmer  zuweilen  lange  den  anthelminthischen 
und  abführenden  Arzneien  widerstehen,  dass  endlich  aber  nach  10 — 14tägi- 
ger  consequenter  P'ortbehandlung  dieselben  auf  einen  Klumpen  zusammenge- 
häuft oder  eigentlich  gerollt,  mit  einander  auf  einmal  abgehen.  In  einem 
solchen  Kfläuel  fand  Fleischmnnn  einmal  S7 ,  ein  anderes  Mal  23  todte  Spul^T. 
würmer.  Am  häufigsten  finden  wir  die  Wurm besch werden  bei  Kindern,  sel- 
tener bei  Erwachsenen  (hier  vorzüglich  nur  Taenia),  häufiger  bei  Kindern( 
der  niedera  Stände  als  bei  denen  der  Vornehmen,  woran  die  Lebensweise 
und  die  die  Würmer  erzeugende  Nahrung  bei  erstem  vorzüglich  Schuld  ist,- 
wogegen  bei  den  Kindern  der  Vornehmen  mehr  Fieischnahrung,  die  dei; 
Wurmerzeugung  nicht  günstig  ist,  stattfindet.  Inwiefern  nun  der  Arzt  fähig 
ist,  viel  oder  wenig  auf  die  Lebensverhältnisse  seiner  Kranken  einzuwirken, 
mehr  oder  weniger  den  gestörten  luul  gesunkenen  Digestions-  und  Assimila- 
tionszustand des  Darmcanais  zu  erregen ,  vorsichtig  zu  stärken  und  zur  nor- 
malen Thäligkeit  zurückzutühten,  inwiefern  es  in  seiner  Macht  steht,  auf 
den  Aufenthalt,  das  Gemüth,  auf  Luft,  Licht,  Nahrung,  Wohnung  und  Klei- 
dung des  Kranken  wohlthätig  einwirken  zu  können,  cnler  ijicht,  insofern  wird 
es  ihm  auch  möglich  werden,  eine  schnellere,  spätere  oder  gar  keine  radi- 
cale  Heilung  zu  verkünden.  Je  jünger  der  Kranke. ist;,  je  länger  das  Übel 
.schon  gewährt  hat,  um  so  ungünstiger  ist  die  Prognose;  besser  ist  sie  bei 
Erwachsenen  und  bei  erst  kürzlich  ausgebildetem  Übel.  Auch  ist  die  Vor- 
hersage verschieden  nach  Verschiedenheit  der  Wurmarten.  Besser  ist  sie  be^ 
Spulwürmern  als  bei  Askariden,  weil  diese  sich  so  schnell , regenerii'en,  bes- 
ser wieder  bei  letztern  als  bei.  der  Taenia,  weil  diese  oft  sehr  schwer  zu 
entfernen  und  die  Anlage  zu  neuer  Bandwurmbildung  noch  schwerer  zu  he- 
ben ist.  Behandlung.  Die  Cur  der  Wurmkraukheit  im  Allgemeinen  er- 
fordert nicht  allein  die  Entfernung  der  Würmer,  sondern  ihre  wesentliche 
Aufgabe  ist:  die  vorhandene  Dispositio  pituitoso-verminosa  aufzuheben  und 
die  gesunkene  Vitalität  des  Darmcanais  und  der  ganzen  Nutrition  und  Chy- 
lification  durch  zweckmässige  Mittel  zu  erregen  und  zu  stärken.  Diesen  ge- 
gebenen Curindicationen  genügt  nun  die  Anwendung  verschiedener  Arzneien, 
durch  deren  Wirkung  wir  entweder ,  den  kachektischen  Zustand  beseitigen 
wollen;  oder  es  sind  solche  Mittel,  die  specifisch  und  mechanisch  auf  die 
Würmer  einwirken ,  wodurch  sie  erkranken  oder  getödtet  und  somit  leicht 
ausgeführt  werden  können.  Hierzu  sind  die  Anthelminthica  und  Laxantia  in 
Gebrauch;  unter  letztern  besonders  solche,  die  eine  heftige  peristaltische 
Bewegung  hervorrufen  und  dadurch  den  Schleim  und  die  Würmer  leichter 
aus  dem  Darmcanal  entfernen.  Um  die  Disposition  zu  Intestinalwünnern  auf- 
zuheben, dienen  Amara  und  Amaro-aetherea,  Aromatica,  desgleichen  solchß 
Arzneistoffe,  die  die  angehäul'cen  lymphatischen  und  schleimigen  Stoffe  verr 
ändern ,  ausleeren  oder  für  die  Resoi|)tiün  tauglicher  machen.  Hieher  gehö- 
ren alle  gegen  Blennorrhoea  ventricuii  empfohlenen  Mittel,  besonders  kleine 
Dosen  Neutralsalze,  kleine  Gaben  des  Merc.  dulc. ,  des  Rheum,  der  milden 
Antimonialia.  Eine  angemessene  Diät  macht  auch  hier,  wie  bei  Febris  pi- 
tuitosa  und  Blennorihöe,  die  Hauptsache  aus.  Die  Classe  der  Anthelminthica 
ist  sehr  gross.  Alle  Amara,  Amaro-aetherea,  alle  Acria,  alle.  Arzneien ,  die 
ein  widerlich  riechendes  ätherisclies  Öl  enthalten,  sind  den  Würmern  zuwi- 
der. Dahin  gehören  vorzüglich:  Sem.  santonici,  sabadilli,  Rad.  filicis  maria, 
Semen,  herba  et  flores  tanaceti,  Rad.  allii  sativi  et  allii  cepae,  Putam.  nuc. 
jugland.,  Cort.  Geoffr.  Surinamens.,  Rad.  valer.  minor,,  Conferva  helmintho- 
chort.,  Gumm.  asae  foetidae,  Camphora,  Petroleum,  Ol.  jtejrebinth.,  Ol.  c.  c. 
empyreumat.  et  rectificat.  s.  Dippelii,  endlich  Kalojnel ,  .Merc.  vivus. ,  Tart» 
emetic.  in  refr.  dosi,  Baryta  muriatica,  Sal.  ammoniac. ,  Aq.  calcis,  Flor. 
zinci,  reichliche  Quantitäten  des  kalten  Wassers,   massige  Dosen  der  salini- 


986  HELMINTHIASIS 

sehen  Mineralwasser  u.  a.  m.  Zu  den  abführenden  Mitteln ,  welche  entwe- 
der mit  den  Anthelminthicis  in  kleinen  Dosen,  um  den  Torpor  des  Darin- 
canals  zu  entfernen ,  gereicht ,  oder  nach  vorhergegangenem  Gebrauch  der 
wurmwidrigen  Mittel  zur  Entfernung  der  erkrankten  Würmer  in  Anwendung 
gebracht  werden,  gehören:  Sal  Glauberi,  Kalomel  in  grossen  Dosen,  Rad. 
jalap. ,  Rad.  rhei,  Folia  sennae,  Herb,  gratiolae,  Rad.  heilebori  nigri,  Grana 
tiglii,  Ol.  crotonis,  Aloe,  Scammonium,  Gummi  gutt.,  fette  Öle,  Ol.  oliva- 
rum,  ricini  u.  a.  m.  Dass  ausser  diesen  Mitteln  bei  vorhandenen  Krämpfei» 
und  andern  nervösen  Leiden  die  besänftigenden  und  krampfstillenden  Mittel 
gleichzeitig  ihre  Anwendung  finden ,  dass  bei  bedeutender  Verschleimung  der 
ersten  Wege,  den  Umständen  gemäss,  bald  auflösende,  bald  Brech  -  und 
Laxirmittel  vorausgehen  oder  gleichzeitig  in  Gebrauch  gezogen  werden  müs- 
sen, versteht  sich  wol  von  selbst.  Die  äusserliche  Anwendung  mancher  Mit- 
tel begünstigt  oft  auffallend  die  Wirkung  der  innern  Anlhelminthica ,  z.  ß. 
Einreibungen  von  Ol.  cajeputi,  tanaceti,  absinthii,  petrolei  mit  Succ.  allii 
sativi  und  Fei  taur.  recens.,  Umschläge  von  Knoblauch  mit  Tanacetum ,  von 
Wermuth  mit  Essig,  Salben  aus  Sapo  venet.  mit  Kampher,  Aloe  etc.;  auch 
Klystiere  von  solchen  Mitteln  verdienen  empfohlen  zu  werden.  Die  Diät 
bei  allen  Wurmkrankheiten  erfordert  den  Genuss  animalischer  Speisen,  und 
zwar  wählt  man  die  zartern  Fleischarten:  Fleischbrühen  von  Tauben,  Hüh- 
nern, Kalbfleisch;  junges  Gemüse,  was  reichlich  gewürzt  wird,  besonders 
in  Verbindung  mit  Zwiebeln,  Knoblauch,  Meerrettig  etc.  Auch  ein  gut  aus- 
gegohrnes  Bier  und  der  massige  Genuss  des  rothen  Weins  sind  zu  empfeh- 
len. Schädlich  sind  alle  Mehlspeisen,  alle  Kartoffeln,  alle  Hülsenfrüchte, 
alle  Klösse,  Pfannkuchen,  jedes  fette  Backwerk,  das  schwarze,  schwerver- 
dauliche oder  jedes  fi-ische  und  feuchte  Brot,  die  Butter,  die  fetten  Fleisch- 
nnd  Fischspeisen. 

Diagnose  und  Behandlung  der  Helminthiasis  in  Betreff  der  einzel- 
nen Wurmarten.  1)  Trichocephalus.  Für  die  Gegenwart  des  Peit- 
schenwurms giebt  es  keine  Symptome,  die  ihn  bestimmt  anzeigten;  er  macht 
auch  fast  nie  Beschwerden.  Selten  geht  er  mit  den  Excrementen  ab;  am 
häufigsten  findet  man  ihn  in  Leichen.  Zuweilen  waren  die  Menschen  im 
Leben  ganz  gesund,  häufiger  aber  litten  sie  an  chronischen  Übeln  der  Di- 
gestionsorgane mit  überv\iegender  Neigung  zum  Status  pituitosus.  2)  Die 
Askariden.  Sie  geben  sichere  diagnostische  Zeichen  ab.  Diese  sind:  ein 
höchst  lästiges  Jucken  im  Mastdarm  und  am  After,  das  .sich  des  Abends 
und  in  der  Bett  wärme  vermehrt,  oft  so  heftig  wird,  dass  Tenesmus,  Kräm- 
pfe, Ohnmächten,  bei  Weibern  übermässige  Geschlechtslust  erfolgen  und 
dass  selbst  die  Vagina  und  beim  männlichen  Geschlechte  die  Urethra  schmer- 
zen, jucken  und  brennen;  ferner  oft  Abgang  durch  den  Stuhl  in  grosser 
Menge;  zuweilen  kriechen  sie  trocken  aus  dem  Rectum,  gehen  in  die  Va- 
gina, geben  Anlass  zu  Onanie,  zu  Fluor  albus  etc.  Cur.  Eine  grosse 
Menge  Mittel  sind  empfohlen  worden,  theils  zu  ihrer  Entfernung,  theils  um 
ihre  Regeneration  zu  verhüten.  Wir  verordnen  zweimal  täglich  ein  Klysticr 
von  Knoblauch  und  Haferschleim,  von  Infus,  absinthii,  von  Decoot.  quassiae 
mit  Asa  foetida  (p.  d.  ^^ — j),  von  einer  schwachen  Sublimatsolution ;  zu 
jedem  Klystier  für  Kinder  nur  V4  Gran  Sublimat.  Auch  frische,  reichlich 
kohlensaures  Gas  enthaltende  Mineralwasser  sind  als  Klystiere  recht  wirk  • 
sara.  Sind  die  Askariden  bei  Erwachsenen  in  grosser  Menge  vorhanden,  so 
sind  sie  stets  ein  Zeichen  von  Blennorrhoe  oder  Gicht.  Hier  entfernen  wir 
sie  am  besten  dur<-h  Klystiere  von  kaltem  Wasser,  noch  besser  mittels  der 
sich  an  den  meisten  Badeörtern  befindenden  Douche  ascendeirte,  wodurch 
alle  dicken  Gedärme  rein  ausgespült  werden.  Hinterher  behandeln  wir  das 
Grurtdübel  (s.  Blennorrhoea  und  Arthritis).  Auch  bei  Kindern  erfor- 
dert die  Verschleimung  allgemeine  Mittel,  z.  B.  abwechselnd  etwas  Rheum, 
Mercur.  dulc. ,  anhaltend  Amaro-aetherea,  Araara,  Calam.  aromat. ,  Geum 
urbanum,  Ruta,  Gentiana,  Cascarille,  Trifolium,  Quassia,  zuletzt  China 
und  Eisen.  Die  innerlichen  Anthelminthica  passen  bei  Askariden  weniger 
?ls  bei  Spulwürmern,   weil  sie  sich  nur  im  untern   Theile  des   Dickdarms 


HELMINTHUSIS  ^  987 

aufhalten.     Zur  Entfernung  derselben   reichen  die   angegebenen    Lavements 
völlig  hin;    doch  ist  dabei  Folgendes  zu  beobachten:   o)  sie  müssen  so  kalt 
applicirt  werden ,  als  es  der  Kranke   nur  vertragen  kann ;    6)  die  Quantität 
derselben  darf  nur  gering,    höchstens   3  —  4  Unzen    (für  Kinder  2  Unzen) 
seyn,  damit  sie  länger  im  Darmcanal  verweilen;  c)  sie  dürfen  nicht  zu  sel- 
ten,   müssen  wenigstens  2  —  Smal  täglich  applicirt  werden.     Statt  der  Kly- 
stiere  hat  man  auch  warme  Bähungen   des  Afters  mit  Knoblauch  und  Milch, 
Valeriana,  Asant  etc.  empfohlen,  desgleichen  Stuhlzäpfchen  von  Speck,    von 
Honig   oder   Seife    mit  Aloe,    von  Charpie   mit   Unguent.  mercuriale   bestri- 
chen etc.;    doch  leisten   die  Lavements  nach    allen  Erfahrungen  das  Meiste. 
Vermuthet  man  die  Askariden  auch  in  dem  obern  Theile  des  Dickdarms,  so 
kann  man,  nach  Bremser,  von  der  Störck'schen  Wurmlatwerge  Abends  und 
Morgens    einen  Theelöffel  voll  geben,    und    das  Verhältniss   der  Rad.  jalap. 
darin  der  Art  verändern,    dass  leichte  Abführungen  erfolgen.     Nachdem  da- 
mit 3 — 4  Tage  continuirt  worden,  giebt  man  gelinde  bittere,  stärkende  Mit- 
tel: Extr.  rutae,  trifolii,  card.  benedict.  mit  aromatischen  Wassern,  Tinct. 
rhei  u.  dergl.      3)  Spulwürmer.    Ihre   Gegenwart    wird   nur    durch   Ein 
sicheres  Zeichen  :  durch  ihren  Abgang  mit  den  Excrementen  oder  nach  oben 
durch  Erbrechen,  erkannt.     Alle  übrigen  Zeichen  sind  ungewiss;  da  ihr  Sitz 
indessen  die   dünnen  Gedärme  sind,    so  müssen  auch  die  diesen  Theilen  zu- 
nächst   liegenden  Gebilde  von   ihren    feindseligen  Einwirkungen   am   meisten 
afficirt  werden ,  und  daher  ist  nach  der  Behauptung  vieler  geachteten  Auto- 
ren nächst  dem  Abgange  der  Spulwürmer  von  allen  übrigen  Zeichen  das  der 
schmerzhaften,  nagenden  Empfindungen  in  der  Nabelgegend  noch  das  wahr- 
scheinlichste  Symptom    ihres  Daseyns.      Cur.    Die  Spulwürmer  lassen  sich 
unter  allen  Intestinalwürmern  am  leichtesten  entfernen ,    wozu  indessen  vor- 
züglich innerliche  Arzneien  erfordert  werden.     Am  leichtesten  gehen  sie  nach 
allen  Erfahrungen  bei   abnehmendem  Monde  weg;    in   dieser  Zeit   reicht  oft 
schon  der  Gebrauch  roher  Möhren ,  des  Morgens  nüchtern  genossen ,  zu  ih- 
rem Abgange  hin.     Unter  den  übrigen  Anthelminthicis  stehen  hier  Sem.  cynae, 
Rad.  valerian.,  Sem.  tanaceti,  Asa  foetida,  Extr.  rutae,  Extr.  nuc.  jugland. 
immaturor.  oben  an,  z.  B.  I^  Pulv.  Sem.  cynae,  —  rad.  valcrinnnc  ana  3jfl> 
Rooh  dauci  q.  s.  ut  fint  Electuar.  S.  Täglich  3  —  4mal  1  Theelöffel  voll.    Ist 
diese  Latwerge  verbraucht,    so  giebt    man  2  —  3  Tage    lang  jeden  Morgen 
folgende  Purganz:  ^  Merc  dulc.  gr.  jj  —  iv,  Rnd.  rhei  gr.  vj,  — jalap.  gr. 
X — XV,   FAaeosacchari  valerian.  3j^-     M.  f.  pulv.  disp.  dos.  jjj.     Kinder  von 
3 — 4  Jahren  nehmen   täglich   einmal   die  Hälfte   eines   solchen  Pulvers.      In 
manchen  Fällen  gehen    die  Würmer  leichter  ab,    wenn    man  Anthelminthica 
und  Purgantia  mit  einander  verbindet;   z.  B.  1^  Sem.  sanlonici  gr.  xv,  Rad. 
rhei   gr.  xjj ,    Alocs  lucid.    gr.  vj ,    Merc.   dulc.    gr.  jjj ,    Rad.  ipecac.   gr.  j, 
Elaeos.  anisi  5J1k-    M.  f.  pulv.  divide  in  jjj  part.  S.    Jeden  Morgen  nüchtern 
ein  Pulver  (^Andry),  welche  Dosis  für  3  —  4jährige  Kinder  passt.     Sehr  wirk- 
sam ist  auch  SlörcVs  Wurmlatwerge :  I^  Pulv.  rad.  jalap., valerianae, 

Tort,  natronati  ana  3j,  Oxym.  squillit.  jjj.  M.  f.  Eleciuar.  S.  4  —  6mal  täg- 
lich 1  Theelöffel  voll;  desgleichen  die  Latwerge  von  Jahn  und  Oslander'. 
^  Aethiop.  antimon.  5j  ?  Sem.  santonic. ,  Rad.  jalap.  ana  ö]l ,  Oxym.  squillit. 
q.  s.  Mt  ßat  Electuar.  S.  Wie  oben.  Auch  die  Corapositionen  von  Selle^ 
Rosenstein  u.  A.  sind  sehr  in  Ruf  (s.  Haase,  Chronische  Krankheiten.  Bd.  III. 
Abth.  2.  S.  693  u.  f.).  [Die  Erfahrung  bestätigt  es  täglich,  dass  die  Spul- 
würmer nach  einfachen  Mitteln  oft  gar  nicht  abgehen,  sondern  dass  durch 
verschiedene  Zusammensetzungen  erst  ein  glänzender  Erfolg  bewirkt  wird. 
Ich  theile  daher  hier  zwei  Corapositionen  mit,  die  mich  nie  im  Stiche  ge- 
lassen haben.  Zuerst  reiche  ich  folgende  Mixtur:  ^t  Sem.  smitonid,  Rad. 
valerian.  ana  3jjj»  infu/nd.  aq.  fönt.  q.  s.  ut  rem.  col.  ^vj,  ndde  Extr.  nuc. 
fugland.  immatur.  Sjjl,  Tinct.  valerian.  anodyn.  3j,  Meli,  despumat.  §j,  Sah 
ammoniac.  3]%y  Oxym.  squillit.  ^fir.  ^M.  S.  Zweistündlich  1  Esslöffel  voll. 
Ist  diese  Mixtur  verbraucht,  so  gebe  ich  drei  Tage  lang  Kindern  von  8 — 14 
Jahren  einen  ganzen,  Jüngern  zur  Zeit  %  Theelöffel  voll  von  folgender  Lat- 
werge:  fy  Pulv.  sem.  santon.  5jjj,  — rad.  valerianae,  —  —  jalap.  ana  3j, 


988  ^     ,    -      HELItfINTHIASIS 

Jethiop.  tnfnern}.  ^\^,  Meli,  despumat.  §jjj,  M.  f.  Elect.  S.  Drefmal  täglich 
Vi  —  1  Theelöffel  voll  wohlumgerührt  zu  nehmen.  In  mehf  als  hundert  Fäl- 
len hat  sich  mir  die  ausgezeichnete  Wirkung  dieser  Mittel  bestätigt ,  nnr 
müssen  sie  bei  abnehmendem  Monde  verordnet  werden.  Zugleich  inuss  i<;h 
noch  die  Bemerkung  machen,  dass  hier  an  der  Küste  des  baltischen  Meeres 
unter  Kindern  sehr  viel  Spulwürmer ,  unter  Erwachsenen  sehr  viel  Band- 
würmer (nach  Geh.  Rath  Sachse  leidet  hier  der  lOte  Mensch  an  Taenia) 
herrschen,  was  in  meinem  frühern  Wohnorte  unweit  Hannover  durchaus 
nicht  stattfand.  Junge  Ärzte  mögen  sich  besonders  hüten,  in  diesem  Punkte' 
einseitig  zu  urtheilen,  und  selbst  von  Laien  kann  der  Arzt  protitiren ;  nur 
muss  man  es  nicht  wie  jener  Arzt  machen,  der  ein  Kind  mit  heftiger  Febris 
verminosa  behandelte,  es  für  Febris  nervosa  hielt,  dem  vernünftigen , Vater 
des  Kindes ,  der  ihn  auf  Würmer  aufmerksam  machten  wollte ,  barsch  ant- 
wortete: „Ich  bin  kein  Wurmdoctor,"  und  daher  abgeschatft,  dem  Kinde 
aber  durch  Anthelminthica  32  Spulwürmer  binnen  8  Tagen  entfernt  wurd^j 
worauf  es  schnell  von  seiner  Febris  nervosa  befreit  ward.  Jeder  Arzt,  uqd 
wäre  er  der  gescheuteste,  muss  bei  Veränderung  seines  Wohnortes,  seiner 
Gegend,  wiederum  die  Localität  des  neuen  Domicils  studiren.  Most.]  Sehr 
wohlthuend  sind  auch  äusserliche  Mittel:  warme  Umschläge  aus  Infus,  sera, 
santon.  und  tanaceti  über  den  Unterleib,  Einreibungen  von  Ol.  tanaceti, 
Absinthii,  Cajeputi,  von  Linim.  volat.  caniphor.  mit  Ol.  terebinth. ,  Ol.  c.  c. 
foetid.  u.  a.  m.,  z.  B.  I^  Ol.  tanaceti  5j,  Aximg.  porci  51V  M.  S.  Zum  Ein- 
reiben. (^Himly^.  ^!  Ol.  terebinth..,  — tanaceti, —  c  c.  foelid.,  — succini 
ana  5j?  Linim.  volat.  camph.,  Spiril.  sah  amnio7i.  crtMs^  ana  3!^.  M.  S. 
Wohlumgeschüttelt  dreimal  täglich  1  Theelöffel  voll  in  den  Unterleib  ein^ 
zurelben  (Most').  In  hiesiger  Stadt  (Rostock)  ist  ein  äusserliches  Haus- 
oder  Volksmittel  gegen  Spulwürmer  schlechtweg  unter  dem  Namen:  „das 
Umbinden  gegen  Würmer"  bekannt,  welches  häufig  bei  Wurmübel  der  Kin- 
der mit  Nutzen  gebraucht  wird  und  in  einzelnen  Fällen  die  Würmer  ab- 
trieb, die  vorher  allen  andern,  innerlich  gereichten  Mitteln  trotzten  {Most}. 
Da  dieses  Mittel  als  ein  sympathetisches  angesehen  wird,  so  halten  mehrere 
unserer  Ärzte  nichts  davon,  vergessen  aber,  dass  es  sehr  wirksame  Bestand- 
tlieile  enthält  und  dass  durch  Frictionen,  durch  Lemhert's  Methode  emplastro- 
endermique  etc. ,  die  örtlichen  Mittel  mehr  als  örtliche  Wirkungen  äussern. 
Der  hiesige  Schuhmacher  Rieper,  sehr  berühmt  im  Umbinden  gegen  die  Wür-i 
mer ,  verrichtet  dies  auf  folgende  Art :  er  nimmt  Asant,  Kampher,  schwarzen 
Kümmel  und  Knoblauch,  von  jedem  Theile  für  Y2  Schilling,  ausserdem  eine 
Messerspitze  voll  Küchensalz,  eben  soviel  Schiesspulver  und  7  Körner  schwar- 
zen Pfeffer.  Alles  wird,  gehörig  gestossen,  gequetscht  und  vermischt,  in 
einen  kleinen,  feinen,  leinenen  Beutel  gethan,  und  dieser  mittels  etwas  Wa- 
gentheers auf  den  Nabel  geklebt  und  daselbst  durch  Binden  fest  erhalten. 
Man  wendet  das  Mittel  neun  Tage  lang  bei  abnehmendem  Monde  an;  das. 
Kind  bekommt  in  dieser  Zeit  keine  reine  Wäsche,  wird  auch  nicht  gewa- 
schen. Am  8ten  Tage  wird  Infus,  fol.  sennae  zum  Purgiren  gereicht,  am 
9ten  wird  der  Beutel  abgenommen  und  verbrannt.  4)  Taenia.  Die  Dia- 
gnose des  Band-  und  Kettenwurms  ist  mit  manchen  Schwierigkeiten  ver- 
knüpft: denn  obgleich  es  in  der  Eigenthümlichkeit  dieser  Art  Intestinal wür- 
mer  liegt,  dass  sich  ihre  hintern,  mit  reifen  Eiern  versehenen  Glieder  leicht 
vom  Körpei'stück  trennen  und  mit  den  Darmausleerungen  ausgeleert  werden 
(sogenannte  Kürbiskerne)  und  somit  erkannt  werden  könnten,  so  ist  es  doch 
selten,  dass  die  Aufmerksamkeit  des  Patienten  darauf  geleitet  wird.  Aus 
der  grossen  Anzahl  trügerischer  Zeichen  haben  folgende  in  der  Erfahrung 
sich  noch  als  die  sichersten  bewährt.  Die  Kranken  empfinden  oft  und  plötz- 
lich in  der  obern  Bauch  - ,  und  besonders  in  der  Magengegend  ein  Gefühl, 
das  von  ihnen  als  stechend  oder  beissend  beschrieben  wird;  sie  versichern 
ferner,  dass  sie  oft  die  Empfindung  eines  Druckes,  eines  schweren,  kalten, 
seinen  Ort  verändernden,  gleichsam  !.nrabfallenden  Körpers  wahrnehmen, 
wodurch  Schauder  erregt  und  Fieberkälte  über  den  Unterleib  und  den  Rük- 
ken  hervorgebracht  wird.     Auch  wollen   solche  Kranke  zu  betitimmten  Zei- 


HELMINTHIASIS  989 

tca  periodisch  eine  wellenföi-jnige  Bewegung,  die  sich  auf  einen  Punkt  fixirt 
und  daselbst  wie  eine  zusammengezogene  Masse,  gleich  einem  Knaul,  ver- 
weilt, empfunden  haben.  Alle  diese  Erscheinungen  vermehren  sich  nach 
dem  Genuss  saurer,  bitterer  Substanzen,  und  sie  werden  zuweilen  so  heftig, 
dass  Schwindel,  Angst,  Gefühl  von  Berauschung,  Sinnestäuschungen,  Ohn- 
mächten, Krämpfe,  Kriebeln  und  Jucken  in  den  Händen  und  Füssen  etc. 
erfolgen.  Behandlung.  Sie  erheischt  bei  beiden  Bandwurmarten  kräftige 
Anthelmhithica  und  Purgantia;  daneben  eine  leicht  verdauliche  und  gut  ge- 
salzene Nahrung  von  animalischen  Speisen,  namentlich  Fleischbrühen,  Sar- 
dellen ,  Heringe.  Innerlich  empfiehlt  man  starke  Dosen  von  Rad.  tilic.  maris, 
von  Stannum  granulatura,  Ol.  filic.  mar.,  Ol.  animale  Dippelii,  Ol.  Chaberti, 
Ol.  ricini,  Kalomel,  Resina  jalap. ,  Gummi  gutt.,  Scammonium,  Koloquin- 
then,  Ol.  crotonis;  auch  Klystiere  von  einem  Decoct  der  frischen  Wallnuss- 
schalen,  von  Asant;  Einreibungen  von  Ol.  terebinth. ,  Kampher,  Ol.  Ra- 
berti  etc.  Die  berühmtesten  ältesten  Methoden,  die  genannten  und  ähnliche 
Mittel  in  angemessenen,  zweckmässigen  Verbindungen  und  in  richtigen  Zeit- 
räumen anzuwenden,  sind  die  Methoden  von  Aiston,  von  Beck,  Bremsert 
Clx)ssius,  Goumt,  Richard  von  Hautesierk,  Herrensvliwand^  Hufeland,  Laborde, 
Lagene,  Mathieu,  Nuffer,  Odier,  Plnter,  Ratier,  Rougere,  Renaud,  Rosensicin, 
Seile,  Vieussens,  Weigel  und  Werlhof.  Eine  genaue  Angabe  dieser  Specifica 
und  eine  ausführliche  Beschreibung  ihrer  Anwendung  würde  hier  am  unrech- 
ten Orte  stehen;  man  findet  sie  fast  in  jedem  Handbuche  der  Therapie  (s. 
Haasc,  Chron.  Krankheiten.  Bd.  HI.  Abth.  2.  Leipzig,  1824.  S.  693—710. 
Richter,  Spec.  Therapie  im  Auszuge.  Berlin,  1823.  Bd.  II.  S.  395  u.  f.). 
Viele  dieser  Specifica  helfen  doch  nicht  in  allen  Fällen ;  obendrein  sind  die 
meisten  Curen  dieser  Art  oft  weit  schlimmer  als  die  Krankheit  selbst,  in- 
dem die  heroischen,  heftig  wirkenden  Drastica  den  Kranken  oft  gewaltig 
angreifen  und  die  Würmer  doch  nicht  immer  abgeh&ii.  Man  ist  daher  in 
neuern  Zeiten  mit  Recht  von  den  heroischen  Mitteln  ziemlich  zurückgekom- 
men, man  hat  eingesehen,  dass  auch  gelinde  Anthelminthica  den  Bandwurm 
abtieiben,  wenn  sie  nur  recht  anhaltend  gebraucht  werden  und  der  Kranke 
dabei  ein  gutes  diätetisches  Verhalten  beobachtet;  ausserdem  würde  man 
höchst  unpraktisch  verfahren,  wenn  niau  bei  der  Wahl  der  Mittel  die  Con- 
stitution des  Kranken  nicht  berücksichtigte.  Wenn  ein  unempfindlicher,  tor- 
pider Körper  recht  gut  Gummi  gutt. ,  Resina  jalap.  und  Koloquinthen  ver- 
trägt, so  ist  dies  bei  sensiblen,  reizbaren  Subjecten  ganz  und  gar  nicht  der 
B^all.  Es  bleibt  daher  in  individuellen  Fällen  allein  dem  Scharfsinne  des 
Arztes  überlassen ,  seine  Behandlungjai;t  und  die  gegen  Bandwurm  famös 
gewordenen  Specifica  nach  richtigen  pathologischen  und  therapeutischen 
Kenntnissen  auszuwählen  und  die  feinen  Nuancen  in  der  Wirkung  solcher 
Arzneien  gehörig  in  Anschlag  zu  bringen.  Auch  ist  es ,  da  der  Bandwurm 
ja  kein  lebensgefährliches  Übel  ist,  weit  besser,  wenn  wir  erst  mit  gelinden 
Mitteln  die  Cur  beginnen  und  ein  gutes  Regimen  höher  dabei  taxiren,  als 
bis  jetzt  von  den  Ärzten  geschehen  ist.  Das  diätetische  Verhalten 
bei  Taenia  besteht  darin,  dass  Alles,  was  diesem  Wurme  zuwider  ist,  der 
Kranke  befolgen,  was  ihm  angenehm  ist,  dagegen  vermeiden  möge,  a')  Strenge 
Vermeidung  aller  schleimigen  Speisen;  der  Mehl-  und  Milchspeisen,  der  Kar- 
toffeln, der  Klösse,  des  Pfannkuchens,  des  frischen  Käses.  6)  Der  Kranke 
muss  soviel  als  möglich  stachelige  Dinge  geniessen :  Fische  mit  Gräten ,  He- 
ringssalat, Sardellen.  Auch  die  Juckfaseln  (Stizolobiuin)  wirken  auf  ähnliche 
mechanische  Weise;  desgleichen  alle  körnige  Dinge:  Erdbeeren,  Himbeeren, 
Stachel  -  und  Johannisbeeren ,  Kirschen  mit  den  Kernen  verschluckt ;  ferner 
langgeschnittenes  Gemüse  von  gelben  Wurzeln,  Steckrüben,  Vitsbohnen, 
Sauerkraut,  c)  Das  Spielen  auf  der  Maultrommel ,  auf  der  Orgel ,  die 
Elektricität  durch  den  Leib,  der  Galvanismus  durch  die  obern  und  untern 
Glieder,  alle  diese  Erschütterungen  sind  den  Bandwürmern  zuwider,  und 
er  geht,  wenn  wir  sie  zugleich  mit  den  Bandwurmmitteln  anwenden,  viel 
leichter  als  unter  andern  Umständen  ab.  </)  Der  Kranke  muss  des  Morgens 
nüchtern   binnen    einer   Stunde  3  — 4  Gläser    recht   kaltes   Wasser    trinkeu. 


990  HELMINTHIASIS 

e)  Er  muss  dann  und  wann  ein  Klystier  von  lauer  Milch  nehmen,  um  den 
Wurm  herunter  zu  locken,  f)  Die  beste  Zeit  zur  Abtreibung  des  Wurms 
ist  der  abnehmende  Mond  oder  die  Periode,  wo  der  Wurm  sich  häufig  in 
einen  Klumpen  zusammenzieht.  Alsdann  entfernt  ihn  oft  schon  ein  gewöhn- 
liches Purgaus  aus  Jalape  und  Kalomel.  Was  nun  den  Gebrauch  der  Heil- 
mittel und  die  Wirksamkeit  einiger  vorzüglicher  Specifica  und  Methoden  be- 
trifft, so  theilen  wir  darüber  nur  das  Wichtigste  und  Bewährteste  mit. 
«)  Closshis's  Methode.  Um  sich  von  der  Gegenwart  des  Bandwurms  zu 
überzeugen ,  giebt  man  zuerst  folgendes  Probirmittel :  ^f  TereUnth.  venet.  3j» 
VUeU.  oüor.  q.  s.  Aq.  menth.  pip.  3IV.  M.  f.  Emuls.  S.  Esslöffelweise.  Nach 
dem  Gebrauch  dieses  Mittels  gehen  in  der  Regel  einige  Bandwurmglieder, 
die  sogenannten  Kürbiskerne,  ab.  Alsdann  verordnete  Clossius  eine  bestimmte 
Diät,  die  vorzüglich  darin  bestand,  dass  der  Kranke  in  einem  Zeiträume  von 
vier  Wochen  durchaus  nichts  Anderes  geniessen  durfte  als  scharfe  gesalzene 
Speisen,  scharfen  Käse,  gesalzene  Fische,  Pökelfleisch,  rohen  Schinken  etc., 
und  zugleich  mehr  Wein  als  gewöhnlich  trinken  musste.  Hierauf  gab  er 
3  —  4  Tage  Abends  einen  Gran  Opium,  darauf  ein  Pulver  aus  12  Gran  Ka- 
lomel und  eben  soviel  Lapid.  cancr.  ppt. ,  mit  6  Gran  Pulv,  aromat. ,  und 
2  Stunden  später,  vor  dem  Schlafengehen,  ^^ — j  Ol.  amygd.  dulc.  rec. 
expr. ;  am  folgenden  Morgen  wird  eins  von  diesen  Pulvern  genommen : 
R  Pulv.  gummi  gnit.  gr.  xxxvj,  —  rad.  angelicae  gr.  vjjj,  —  herb.  cnrd. 
hened. ,  —  epileptic.  Mnrchion.  ana  ^j.  M.  Divid.  in  tres  partes.  S.  Nach 
Vorschrift.  Das  erste  dieser  Pulver  erregt  gewöhnlich  innerhalb  2  Stunden 
2 — Smaliges  Erbrechen  und  einige  Stuhlgänge,  die  durch  dünne  Fleischbrühe 
oder  Thee  von  Herb.  card.  bened.  erleichtert  werden.  Ist  der  Wuiin  in- 
nerhalb zwei  Stunden  nicht  völlig  abgegangen,  so  giebt  man  ein  zweites 
Pulver  und  ist  auch  dieses  ohne  Erfolg,  so  wird  nach  einigen  Stunden  die 
dritte  und  letzte  Dosis  gereicht,  worauf  erst  in  den  folgenden  Tagen  der 
Wurm  abgeht.  Das  Alter  und  die  Constitution  des  Kranken  erfordern  ou, 
dass  man  kleinere  Dosen  des  Mittels  giebt.  i)  Himhj's,  vom  Dr.  Most  sehr 
wirksam  befundene  Curmethode  ist  diese:  Haben  die  Bandwurmkranken  län- 
gere Zeit  nichts  gebraucht,  so  wird  erst  ad  praeparandum,  um  den  Schleim 
aus  dem  Darmcanal  zu  entfernen,  ein  Laxans  aus  Merc.  dulc,  Rad.  jalap. 
und  Ol.  valer.  destillat.  gegeben.  Einen  Tag  später  nimmt  der  Kranke  fol- 
gende Pillen  so  lange  bis  sie  verbraucht  sind :  I^  Fell,  tniir.  insjrissat. ,  Te~ 
rchinth.  venet. ,  Asne  foetidac  ana  5jj ,  Extr.  alocs  aquos  5j.  M.  f.  pil.  p. 
gr.  jj.  S.  2  —  Smal  täglich  10 — 15  Stück,  oder  soviel,  dass  täglich  drei 
breiige  Stühle  folgen.  2  —  3  Tage  nach  Gebrauch  dieses  Mittels  ge- 
hen gewöhnlich  schon  die  sogenannten  Kürbiskerne  ab.  Nach  14  Tagen 
gewöhnt  sich  der  Wurm  etwas  an  das  Mittel;  man  wechselt  daher  die  Arz- 
nei, was  bei  jeder  Bandwurmcur  von  Wichtigkeit  ist,  und  giebt  Folgendes: 
Rr  Stanni  graimlaü  51^,  Sem.  snntonici  5jj,  Extr.  nhsinthii  5j,  Meli,  cntdi. 
q.  s.  ad  Electuar.  M.  S.  Viermal  täglich  1 — 2  Theelöffel  voll;  nach  8  Ta- 
gen setzt  man  3)^  Rad.  filic.  mar.,  und  8  Tage  später  eine  Unze  Oxymel. 
squIUit  hinzu ;  dann  gehen  gewölmlich  noch  mehrere  Enden  des  Wurms  ab. 
Geschieht  dies  nicht  mehr,  so  giebt  man  nun:  1^  Ol.  nsphalti  5]},  Nnphth. 
vitrioli  q.  s.  ad  pei-fect.  sohlt.  S.  Morgens  und  Abends  20  —  25  Tropfen. 
Hinterher  passen  bittere  Extracte  und  ganz  zuletzt  Eisenmittel.  Was  die 
Radicalcur  anlangt,  so  sagt  Himhj  darüber  Folgendes:  „Sie  ist  oft  schwer 
zu  bewerkstelligen,  denn  wir  kennen  die  Verhältnisse  nicht  genau,  die  die 
Taeniabildung  bedingen.  In  verschiedenen  Gegenden,  sowol  in  der  Schweiz 
als  an  den  Küsten  der  Ostsee,  ist  der  Bandwurm  vorzüglich  zu  Hause;  in 
beiden  Gegenden  geniesst  man  sehr  fette  Kost.  Viele  leiten  den  Ursprung 
der  Wurmbildung  vom  Wasser  ab;  darin  liegt  aber  der  Keim  bestimmt  nicht, 
ebenso  wenig  wie  in  der  Luft.  Der  Kranke  muss  alle  wurmerzeugende  Spei- 
sen und  Getränke:  Mehlspeisen,  Pfannkuchen,  Klösse,  Milchspeisen  etc.  ver- 
meiden, sein  Darmcanal  muss  angeregt  und  gestärkt  werden  durch  Calamus 
aromat.,  Rheura,  später  besonders  durch  Martialia.  Um  sicher  zu  seyn,  dass 
sich  der  Wurm  nicht  wieder  reproducirt,  gebe  man  zuweilen  etwas  Stannum 


HELMINTHIASIS  991 

grantilatum  mit  Sem.  cjnae  und  Filix  mas  in  Latwergenform;  dadnrch  wird 
der  Wurm  krank  und  geht  dann  in  einzelnen  Stücken  vveg.  Eine  Verände- 
rung des  Wohnorts  ist  unnöthig,  wenn  der  Kranke  nur  seine  Lebensweise 
verändert  (s.  Htmly^s  Vorles.  über  spec.  Nosol.  u.  Therapie.  Mnscpt.  de  1815). 
c)  HufeJnnd's  Methode  (s.  dess.  Journal  d.  pr.  Heilkunde.  Bd.  Xi  St.,  3.) 
ist  folgende:  Er  lässt  alle  Morgen  nüchtern  eine  Abkochung  von  Knoblauch 
in  Milch  trinken,  und  dabei  täglich  dreimal  einen  Esslöffel  voll  Ol.  ricini, 
ausserdem  täglich  eine  halbe  Unze  Limatura  stanni  mit  Conserva  rosarura 
nehmen,  dabei  täglich  einigemal  den  Unterleib  recht  stark  mit  Petroleum 
einreiben ,  viel  salzige  und  scharfe  Speisen  gemessen ,  und  des  Abends  noch 
ein  Milchklystier  setzen.  Diese  Methode  wird  mehrere  Wochen  hindurch 
anhaltend  und  überhaupt  so  lange  fortgesetzt,  bis  das  Kopfende  des  Wurms 
erscheint;  späterhin  muss  der  Kranke  anhaltend  Pyrmonter-  oder  Driburger- 
brunnen  trinken,  li)  Sehr  wirksam  und  berühmt  ist,  vorzugsweise  gegen 
Taenia  lata,  Nuffer's  Mittel,  welches  nach  genauer  Prüfung  die  franz.  Re- 
gierung im  J.  1775  für  18,000  Livres  kaufte  und,  wie  folgt,  öffentlich  be- 
kannt machte.  Der  Kranke  geniesst,  nachdem  keine  besondere  Vorbereitung 
vorausgegangen,  des  Abends  eine  leichte  Suppe,  die  aus  l'/j  fö  Wasser, 
4 — 5  Loth  frischer  Butter,  4  Loth  Weissbrot  und  etwas  Salz  besteht,  und 
nimmt,  wenn  er  am  selbigen  Tage  keine  Leibesöffnung  hatte,  Abends  ein 
erölfiiendes  Kly stier  aus  Decoct.  flor.  malvae  et  herb,  althaeae,  mit  etwas 
Kochsalz  und  4  Loth  Provenceröl.  Gleich  am  andern  Morgen  sehr  früh  und, 
der  Vorschrift  nach,  noch  im  Bette  liegend,  nimmt  der  Kranke  das  soge- 
nannte Specificum,  nämlich  K?  Pulv.  rad.  filic.  mar.  3jj  ?  Aq.  fiUc.  mar.  scu 
Aq.  fior.  til.  dest.  yv  —  3VJ.  M.  S.  Auf  einmal  zu  nehmen.  Der  hierauf  er- 
folgende Ekel  und  die  Neigung  zum  Erbrechen  lassen  sich  oft  durch  das 
Kauen  der  eingemachten  Citronen  -  oder  Pomeranzenschalen  beseitigen.  Wo 
jedoch  das  Pulver  weggebrochen  wird,  muss  es,  sobald  der  Ekel  vorüber 
ist,  aufs  Neue  in  der  angegebenen  Quantität  gegeben  werden.  Hat  nun 
aber  der  Kranke  dieses  Pulver  zwei  Stunden  bei  sich  behalten,  so  nimmt 
er  einen  drastischen  Bolus,  dieser  besteht  aus  ^>  Mercur.  dulcis,  Scnmtnonii 
ana  gr.  x,  Gummi  gutt,  gr.  vj,  Conserv.  hyacinth.  q.  s.  fiat  Bolus,  und  trinkt 
allmälig  eine  Tasse  leichten  Thees  hinterher.  Dieses  thut  er  auch,  sobald 
das  Mittel  zu  wirken  anfängt,  und  bis  dahin,  wo  der  Wurm  abgeht.  Dann 
nimmt  er  eine  Tasse  Fleischbrühe  oder  eine  leichte  Suppe,  und  hält  eine 
massige  Mittagsmahlzeit.  Sollte  aber  der  Kranke  den  obigen  Bolus  nicht 
ganz  bei  sich  behalten ,  so  nimmt  er  nach  vier  Stunden  noch  einige  Drach- 
m€in  bis  zu  1  Unze  Seidschützer  Bittersalz,  in  heissem  Wasser  aufgelöst. 
Meistens  geht  der  Wurm  noch  an  demselben  Tage  ab ,  in  welchem  Falle 
der  Kranke  auf  dem  Nachtstuhle  sitzen  bleibt,  an  dem  Wurme  durchaus 
nicht  zieht,  von  Zeit  zu  Zeit  eine  Tasse  Thee  trinkt  oder  noch  etwas  Bit- 
tersalz nimmt,  und  den  Nachtstuhl  nicht  eher  verlässt  als  bis  der  Abgang 
des  Wurms  erfolgt  ist.  Wo  jedoch  der  Wurm  entweder  gar  nicht,  oder 
nur  stückweise  abgeht,  wird  gleich  am  folgenden  Tage  das  ganze  Verfah- 
ren, wie  es  angegeben  ist,  aufs  Neue  wiederholt.  Doch  machen  ein  zartes 
Alter  und  grosse  Reizbarkeit  des  Kranken  oft  eine  Verminderung  der  Gabe, 
besonders  in  Bezug  auf  den  drastischen  Bolus,  nothwendig.  Dies  ist  auch 
der  Fall,  wo  der  Wurm  schon  auf  das  Farrnkrautpulver,  und  noch  vorher, 
ehe  der  drastische  Bolus  genommen  ist ,  vom  Kranken  abgeht,  e)  Gar  nicht 
angreifend  und  doch  oft  recht  wirksam  ist,  besonders  bei  blutreichen  Sub- 
jecten ,  WeigeVs  Methode.  Sie  ist  ganz  einfach  und  besteht  darin,  dass  der 
Kranke  anhaltend,  selbst  Monate  lang ,  jeden  Abend  eine  Tasse  von  Folgen- 
den nimmt:  ^t  Sal.  Glnuberi  5!^ — j,  Aq.  fontanae  Sjj.  M.  Ausserdem  nimmt 
er  des  Tages  über  zweimal  SO  Tropfen  Elix.  vitrioli  Myns.  in  Wasser, 
f)  Die  Curmethode  des  Herrn  Dr.  Most  besteht  nach  dessen  mündlichen 
Mittheilungen  darin,  dass  er  bei  der  oben  angegebenen  strengen  Diät  robu- 
sten, jugendlichen  und  reizbaren  Subjecten  Folgendes  verordnet:  ^^  Sah 
Glauben  5J,  —  anglic.  3^:,  —  culinar.  3jj»  Aq.  fontan.  Sjj,  Elix.  acid, 
Hallen  5j.    M.  S.,  Morgena  früh,  nüchtern  V2  — 1  Obertasse  voll.     Dieses 


I^a 


HELMINTHIASIS 


Mittel    wird  S — 4  Wochen   lang  gebraucht.      Geht  der  Bandwurm  ab,    so 
wird  an  dem  Ende   nicht  gezogen ,    dasselbe  aber   mit  reiner  Blausäure  be- 
tupft oder  der  Schlag  einer  galvanischen  Batterie  durch  das  Wurmende  und 
die  Hand  des  Kranken  geleitet;  alsdann  kann  man  sicher  seyn,  dass  dadurch 
der  ganze  Wurm  getödtet  worden  ist  und  sicher  durch  ein  Purgans  aus  In- 
fus, sennae   und  Tinct.  rhei  aquos.   abgehen   wird.     In    mehr   als   40  Fällen 
half  obige  Mixtur,  nachdem  schon  vorher  die  heftigsten  Drastica  von  andern 
Ärzten   fruchtlos  gegeben    worden  waren.      Sind   die  Kranken   nicht  reizbar, 
blutreich,  sondern  mehr  torpide,  so  gebrauchen  sie  nur  vier  Tage  lang  obige 
Mixtur  und  nehmen  dann  3  —  4  Tage  abwechselnd,    und  dann  ebenso  lange 
ausgesetzt,  folgende  Pillen:  Iv  Tcrebinth.  vcnct.  öh  Sripon.  jalap.  5)^,  Cnni~ 
phorne  ^fj,    Merc.   dujc.   gr.  vjjj,    Extr.  hjoacynmi   gr.  vj.    M.    f.   pil.  pond. 
gr.  jj.  S.    Alle  3  Stunden  2 — 4  Stück  zu  nehmen,     Haben  die  Kranken  ein 
sehr  reizbares  Nervensystem,  sind  es  z.  B.  sensible,  zu  Convulsionen  dispo- 
nirte  Frauen;    so   nehmen    sie  abwechselnd   zwei  Tage    lang   die  Salzmixtur 
und  jeden   dritten    Tag   die   folgenden   Pillen :    ]^r    Gumm.    asae  foetid.  ^j^, 
Md'c.  dnlcis  gr.  x,  Sap.  medicat.  5]l-  M.  f.  pilul.  pond.  gr.  jj,  consp.  Lycop. 
S.    Dreimal  täglich    10  —  20  Stück,    und    ausserdem    Abends   und  Morgens: 
Rr  Naphth.  vitrioli  ojj)    Ol.  ricini  gj.    M.   S.   Theelöffelweise.     Auch  vertra- 
gen  solche  Kranke   sehr    gut   das   Crotonöl,    z.  B.    l^  Ol.    croton.   tUjl.    opt. 
gtt.  X,   Alcoh.  vini  gj^.    M.  S.     Dreimal   täglich  25  —  40  Tropfen,    wodurch 
Purgiren  erregt  wird    und    der  Bandwurm   oft  sehr   leicht  abgeht.     «;)  Eine 
neue  Curmethode   ist   die  vou  Peschier  (s.  HufelaiuVs  Journal.  1825,  Decbr. 
S.  143.     Gerson's  und  Julius'  Magaz.   18:^6.  Jan.  u.  Febr.  S.   133).      Da  er 
mit  Hufeland  n.  A.    das  Polypodium  filix  mas  für  das  beste  Bandwurmmittel 
hält,  die  Wurzel  aber,    in  Substanz  gereicht,    oft   unangenehme  Nebenwir- 
kungen hat,     so  suchte  er   das  wirksame   Princip  derselben    aufzufinden  und 
ward  so  der  Erfinder  eines  Präparats,  welches  höchst  wirksam  ist.     Er  ge- 
wann  nämlich    aus   der   Wurzel    durch   Destillation  im  Sandbade    ein    fettes 
bräunliches   Öl    von   empyreumatisch  -  ätherischem   Gerüche,    welches  er   in 
Pillenform   gegen   den  Bandwurm    verordnete:    I^  Olei  flic  mar.    gtt.  xxxvj, 
Pulü.  rad.  filic.  mar. ,    Conserv.    rosar.   ana  q.  s.    ut  fiant  pilul.    No.  xx.    S. 
Des  Abends  alle   %  Stunden  5  Stück,   bis   sie  verbraucht  sind.     Am  andern 
Morgen  wird  ein  leichtes  Laxans   genommen    und  der  Wurm  geht  dann  un- 
vermerkt mit  dem  ersten  Stuhlgange  ab.     Mehr  als  80  Bandwürmer  wurden 
auf  diese   Weise   binnen    fünf   Monaten    abgetrieben.      Das  Öl   erregt  weder 
Magendrücken  noch  Kolik ;    es   muss  aber   aus  der   frischen  Wurzel  bereitet 
werden.     Die   neuesten  Erfahrungen   sprechen  sehr  zu  Gunsien  dieses  schon 
In  vielen  Apotheken  officinellen  Öls,  dessen  genaue  Bereitungsart  in  Ge'ujcr^s 
Magaz.   1827.  S.  78  und  in  PoDgendorfs  Annal.  1827.  St.  1.  S.  122  angege- 
ben ist.     /()  Endlich  erwähnen  wir  noch  der  neuen  Heilmethode  von  Schmidt, 
wodurch  der  Bandwurm   in  3  —  5  Tagen   abgetrieben   wird,    ohne   dass   die 
Cur  den  Kranken  angreift.      Im   Berliner   Krankenhause    wurden  auf   Befehl 
des   Ministeriums    Versuche    mit   diesem  Geheimmittel   angestellt,    welche   so 
güiistige  Resultate   herbeiführten ,    dass  dem   Dr.  Schmidt   für   die  Bekannt- 
machung  seiner  Curmethode    vom  Könige   von  Preussen    ein  Jahrgehalt  von 
nu'lireren  hundert  Thalern    auf  Lebenszeit  bewilligt    worden  ist.     Das  ganze 
Heilverfahren  ist  in  Rusfs  Magaz,  Bd.  XXVII.  Hft.  3.  S.  505  fg.    ausführ- 
lich bekannt  gemacht.     Es  bestätigt  die  rein  empirische  Thatsache,  dass  die 
Anthelminthica ,    einzeln    angewandt,    durchaus    nicht  so   wirksam   sind,   als 
wenn  sie  in   sehr  zusammengesetzten   Receptformeln  verordnet   werden.     Die 
Cur  selbst   ist  diese:    Zuerst   nimmt  der  Krarrke   des  Morgens   I^  Pulv.  rad. 
valerian.  min.  5v! ,    Fol.  sennae  5jj  ■,   inf.  aq.  ferv.  Col.  xvj.  adde  Sal.  Glau~ 
hcri  crijstall.  5j.ij  >    Syr.  mannae  gjj,   Elaeos.  tanaceti  5jj>    M.  S,     Alle   zwei 
Stunden  2  Esslöflel  voll;  dabei  muss  der  Kranke  viel  schwarzen  Kaffee  mit 
Syr.  commun,  odor  Zucker  trinken.     So  wird   bis  Abends    7  Uhr  fortgefah- 
ren.    Des  Mittags    wird    eine  dünne  Mehlsuppe  genossen  und   des  Nachmit- 
tags   einige  Stück  Hering    mit  Heringsmilch.      Des  Abends  8  Uhr  muss  der 
Kranke  Heringssalat,  mit  gehacktem  rohen  Sclünken  und  recht  viel  Öl  und 


HELMINTHICA  —  HEMITRITAEUS  993 

Zucker  vermischt,  genlessen.  Hierijach  gehen  oft  schon  Glieder  des  Band- 
wurms ab.  Am  nächsten  Morgen  nimmt  der  Kranke  um  6  Uhr  stündlich 
von  folgenden  Pillen:  ^lJsa  foctidae,  Extr.  yraminis  ana  Sjjj?  Pulo.  t/utti,  — 

rad.  rhei,_ jnlap.  ana  5jj, ipccac. ,  —  Jierb.  digit.  purp.,  Sulph. 

aurati  ana  ^j? ,  Merc.  dulcis  ^jj ,  Ol.  tanaceti  aethcr. ,  —  anisi  —  ana  gtt. 
XV.  M.  f.  1.  a.  pil.  pond.  gr.  jj.  Consp.  Lycop.  et  dent.  ad  vitr.  bene  ob- 
turat.  S.  Stündlich  6  Pillen  mit  einem  Theelöffel  voll  gewöhnlichen  Syrup. 
Eine  halbe  Stunde  nach  der  ersten  Dosis  reicht  man  dem  Kranken  1  Ess- 
löfFel  voll  Ol.  ricini.  In  der  Zwischenzeit  wird  des  Tages  über  viel  schwar- 
zer Kaffee  mit  Zucker  getrunken.  Nachmittags  2  Uhr  geht  gewöhnlich  der 
ganze  Wurm  ab ;  alsdann  wird  mit  den  Pillen  nicht  weiter  fortgefahren. 
Gehen  aber  nur  einzelne  Stücke  weg,  so  continuirt  man  mit  der  Arznei  und 
giebt  den  2ten  Esslöffel  voll  Ol.  ricini  mit  gestossenem  Zucker.  Zu  Mittag 
wird  Fleischbrühe,  Abends  eine  Fleischsuppe  genossen.  Am  andern  Tage 
giebt  man  aus  Vorsicht  noch  dreimal  6  Pillen,  Morgens,  Mittags  und  Abends. 
Dies  ist  das  ganze  complicirte  Verfahren ,  wo  die  glänzenden  Resultate  mehr 
in  der  Zusammensetzung  bekannter  Mittel  als  in  neuen  Mitteln  selbst  zu 
suchen  sind.  (Diese  Curraethode  hat  sich  hundertfältig  bewährt;  sie  giebt, 
besonders  den  jungen  Ärzten,  eine  grosse  Lehre,  nämlich  die:  ja  nicht  über 
die  oft  Jiöchst  mannigfaltigen  Receptcompositionen  älterer  erfahrener  Ärzte 
voreilig  und  lieblos  zu  urtheilen,  selbst  wenn  sie  gegen  die  Schulregeln  der 
Receptirkunst  streiten  und  Stoffe  darin  zusammengemischt  werden,  die  sich 
decomponiren ;  denn  gerade  die  Verbindung  verschiedener  Stoffe  bringt  oft 
nur  jin  wiiksames  Tertium  hervor,  das  in  den  einfachen  Arzneikörpern  viel- 
leicht nie  zu  finden  ist;  ja  häufig  ist  gerade  das  Decomponirende  das  wirk- 
sar  ste  Princip.  Most^.  C.  Kopeke. 

Helminthica  (remedia),  Wurmmittel;  unrichtige  Benennung  für 
Anthelminthica. 

HeUnlntllopyra ,  HelmintJiopyretos ,  das  Wurmfieber,  s.  Febris 
verrainosa. 

Helopyra,  Helopyretos,  das  Sumpffieber,  s.  Febris  paludosa. 

Helos  OCuli«  Ist  Prolapsus  iridis.  Am  Fusse  bedeutet  es  Cla- 
vus  pedis. 

Helosis,  HcJotis.  So  nennt  man  wegen  des  Verdrehtseyns  am  Auge 
das  Schielen,  am  Augenlide  das  Ec-  und  Entropium;  aas  gleichem  Grunde 
nennen  Einige  so  auch  die  Plica  polonica. 

Hemer alopia,    die  Nachtblindheit  im  Gegensatze  der  Nyctalopia, 

s.  Visus  diurnus  et  nocturnus. 

Henuantbropia.  Ist  ein  schwerer  Wahnsinn,  wobei  der  Men3ch 
mehr  Thier,  nur  ein  halber  Mensch  ist. 

Hemicephalus.  Ist  eine  Missgeburt  mit  einem  (wirklich  oder 
scheinbar)  halben  Kopfe,  ein  Seitenstück  zum  Acephalus. 

Heiuicrania,  halbseitiges  Kopfweh,  Migräne,  s.  Cephalalgia. 

Hemiopia,  Hemiopsia,  Vistis  dimidiahis,  Halbsichtigkeit,  ein 
Gesichtsfehler,  wo  der  Kranke  den  vor  sich  habenden  Gegenstand  nur  halb 
sieht;  z.  B.  bei  Macula  corneae,  Amblyopia  amaurotica,  Cataracta  etc. 

Hemlpagia«     Ist  Clavus  hystericus,  s.  Hysteria. 

VLemiplesia f  Hemiplexla,  Epiplegia,  der  Halbschlag,  die  He- 
miplegie. Ist  einseitige,  halbseitige  Lähmung  als  Folge  der  Apoplexie  (s. 
Apoplexia,  Epilepsia,  Paralysis),  die,  häufiger  an  der  rechten  als 
an  der  linken  Körperhälfte  vorkommend,  dann  oft  vorRecidiven  des  Schlag- 
flusses schützt  und  das  Leben  der  Kranken  auf  solche  Weise  manchmal,  frei- 
lich sehr  mangelhaft,  lange  erhält  iM.}. 

Hemitritaeus,  das  halbdreitägliche  Wechselfi  eher,  s.  Febris  in- 
termittens,  semitertiana,  Febr.  hemitritaeus. 

Most  Encyklopädie.  2te  Aufl.  I.  ß^ 


9^4 


HEPATALGIA  —  nERNU 


Hepatalgfla »  der  Leb  er  schmerz.  Ist  die  vage,  unbestimmte  Be- 
nennung für  die  verschiedenen  Leiden  der  Leber  und  Gallenblase;  daher 
man  eine  Hepatalgia  arthritica,  caiculosa ,  emphractica,  muscularis,  phleg- 
monoidea,  sarcomatica  etc.  statuirt  hat,  je  nachdem  Gichtmetastasen,  Gal- 
lensteine, Infarcten,  Entzündung  der  Bauchdecken  in  der  Lebergegend,  Le- 
berentzündung ,  Fleischgeschwülste  die  Leber  krankhaft  ergriffen  haben. 

Hepatapostema ,  Leberabscess,  s.  [nflammatio  hepatis,  Li- 
thiasis,Fisiula  biliös a. 

Hepatempliraxis ,  sogenannte  Verstopfung  der  Leber,  s.  Phy- 
sconia  hepatis. 

Hepathyderos*  Ist  eine  durch  Leberleiden  veranlasste  partielle 
oder  allgemeine  Wassersucht. 

Hepatisatio«  Ist  Verwan*dlung  der  Lungensubstanz  in  eine  leber- 
ähnliche Masse,  wie  z.  ß.  bei  Phthisis  tuberculosa  pulmonum. 

Hepatitis,  Leberentzündung,  s.  Inflammatio  hepatis. 

Mepatocele,  Leberbruch,  s.  Hernia  hepatis, 

IEepatolitliia(>iis ,  CnJculm  hepalis,  Steinbildungskrankheit, 
steinige  Coiicremente  in  der  Leber;  s.  Lithiasis. 

BLepatoncus,  Lebergeschwulst.  Ist  Physconia  hepatis,  welche  höchst 
unrichtig  einige  Neuere  Hepatitis  chronica  nennen. 

Hepatoplltlioe ,  Leberschwindsucht,  s.  Phthisis  hepatica. 

Ilepatosplenitis*  Ist  acute  oder  chronische  Entzündung  der  Le- 
ber und  Milz. 

HeracleiiS  morbus,  die  fallende  Sucht,  s.  Epilepsia. 

Herculeus  morbus.     Ist  gleichbedeutend  mit  Epilepsie. 

Kereditarius  morbus,  eine  erbliche  Krankheit,  welche  von 
Altern  und  Grossäitern ,  am  häufigsten  durch  eine  krankhafte  Disposition, 
auf  die  Kinder  übertragen  wird,  s.  Constitutio,  Habitus,  Morbus. 

Hermapbroditus ,  ein  Zwitter,  Hermaphrodit.  Unter  die- 
ser Benennung  versteht  man  diejenigen  Individuen ,  welche ,  angeblich  oder 
scheinbar,  die  Zeugungstheile  beider  Geschlechter  mit  einander  vereinigen. 
Neuere  Untersuchungen  haben  aber  trotz  der  vielen  Fabeleien  einer  frühem 
Zeit  gelehrt,  das  es  unter  Menschen  durchaus  keine  wahre  Zwitter,  h.  h. 
solche  Subjecte  giebt,  die  völlig  ausgebildete  Zeugungstheile  beider  Ge- 
schlechter, wie  bei  einigen  Thierclassen  beobachtet  wird,  besässen.  Alle 
angeblichen  Beobachtungen  darüber  sind  ohne  Beweiskraft.  Alle  beobach- 
teten Fälle  lassen  sich  auf  zwei  Classen  zurückführen.  Die  erste  und  am 
häufigsten  vorkommende  ist  die,  wo  das  Geschlecht  nur  beim  ersten  Anblick 
wegen  Missbildung  der  äussern  Geschlechtstheile  zweifelhaft  ist,  bei  genauer 
Untersuchung  aber  unwidersprechlich  sich  kundgiebt;  dahin  gehören  die 
Männer  mit  gespaltenen  Hoden  (^Androgyni)  mit  oder  ohne  Hi/^pospaJiae^is, 
die  Gijnandri  mit  dicker  verlängerter  Klitoris  etc.  Zu  der  zweiten  Classe 
gehören  die,  wo  die  äussern  Genitalien  so  missgebildet  sind,  dass  sich  dar- 
aus der  Geschlechtscharakter  nicht  bestimmen  lässt  (s.  Henke''s  Gerichtliche 
Medicin;  18  4;  S.  115  —  124). 

Hernia,  Rnmex,  Cele,  Rupturn^  Ectopia  Jierniosat  der  Bruch  (in 
den  weichen  Theilen),  der  sogenannte  Leib  schaden.  Ist  derjenige  ab- 
norme Zustand ,  der  durch  das  Austreten  eines  Eingeweides  aus  seiner  Höhle 
in  das  umliegende  Zellgewebe  oder  in  eine  andere  Höhle  entsteht.  Da  die- 
ses in  allen  drei  Höhlen  des  Körpers  mit  den  darin  befindlichen  Eingevvei- 
den  der  Fall  seyn  kann,  so  thcilt  man  alle  Hernien  in  drei  Classen:  in 
Kopf-,  Brust-  und  Bauchbrüche  (^Ilcrnin  capitis,  pectoris  und  abdo- 
minalis; ('liclius^ ,  wovon  die  letztern  bekanntlich  am  häufigsten  vorkommen, 
besonders  an  denjenigen  Stellen  dos  Unterleibes,  wo  schon  Öffnungen  des 
Bauchfells  zum   Durchgange   von   Gefässen ,    Nerven   etc.   stattfinden.     Die 


HERNIA  095 

Lehre  von  den  Brüchen  ist  in  den  neuern  Zelten  durch  die  Fortschritte  in 
der  pathologischen  Anatomie  sehr  vervollkommnet  worden,  und  die  Behand- 
lung derselben  in  unserer  Zeit  weit  rationeller  als  früher,  wo  man  mit  Pfla- 
stern ,  Salben  und  Kräutern  sie  noch  zu  heilen  wähnte ,  wo  noch  sogenannte 
Bruchschneider  (Herniotomi)  im  Lande  umherstreiften,  die  als  unwis- 
sende Charlatans  und  Betrüger  die  Bruchkranken  um  Leben  und  Gesundheit 
brachten.  —  Die  Eintheilung  der  Hernien  ist  sehr  mannigfaltig;  sie  stützt 
sich  bald  auf  die  Localität  des  Theils,  woran  ein  Bruch  entstand,  bald  auf 
diejenigen  Theile,  die  der  Bruch  enthält,  bald  auf  die  Complicationen  und 
Zufalle,  die  dabei  stattfinden  u.  s.  f., 'worüber  das  Speciellere  unten  bei 
Aufzählung  der  einzelnen  Arten  der  Brüche  vorkommen  wird.  Symptome 
im  Allgemeinen.  Da  es  keine  Symptomatologie  giebt,  die  auf  alle  Brüche 
passt  und  zur  Erkenntniss  derselben  hinreichte,  so  verweise  ich  auch  hier 
auf  die  besondern  Arten  ,  um  Wiederholungen  zu  vermeiden.  Dass  die  Brüche 
im  Allgemeinen  am  häufigsten  vorkommen  besonders  in  der  Leistengegend, 
am  Nabel ,  an  den  Schamlefzen  und  am  obern  und  vordem  Theile  des  Ober- 
schenkels (^Hernia  mguhmlis,  H.  umbilicalis,  H.  labii  pudendi  externi,  H.  cru~ 
ralis),  dass  die  meisten  Bräche  entweder  einen  Theil  des  Netzes  oder  einen 
Theil  des  Darmcanals,  oder  beide  zugleich  enthalten  (H.  intestinalis ,  H. 
omentaJis,  Enteruepiploccle)',  dass  ein  solcher  Bruch,  wenn  er  nicht  ange- 
wachsen oder  eingeklemmt  ist ,  eine  schmerzlose ,  farbenlose ,  mehr  oder 
weniger  elastische  Geschwulst  an  einer  der  bezeichneten  Stellen  des  Unter- 
leibes darbietet,  dass  diese  Geschwulst  bald  grösser,  bald  kleiner  wird,  je 
nachdem  der  Kranke  horizontal  liegt  oder  aufrecht  steht,  dass  sie  bei  jedem 
Nisus,  beim  Husten,  Lachen,  bei  Verrichtung  der  Excretio  alvina  grösser 
wird,  sich  bei  der  Rückenlage  oft  zurückbringen  lässt;  dass  die  Kranken 
zuweilen  an  Blähungen,  Kolik,  Obstructio  alvi  leiden;  diese  Zeichen  mögen 
hier  im  Allgemeinen  genannt  wei'den.  Ursachen  der  Brüche  im  Allgemei- 
nen. Prädisposition  giebt  die  schlaffe  Constitution  mit  laxem  Zellgewebe, 
ein  gewisser  Grad  von  Fettleibigkeit,  ein  schlaffes,  verlängertes  Mesente- 
rium, das  zu  sehr  nachgiebt;  ferner  sind  Subjecte,  die  fettleibig  waren  und 
schnell  mager  wurden ,  sehr  zu  Brüchen  disponirt  {Scarpa}.  Vorzügliche 
Anlage  giebt  das  Jünglings-  und  Mannesalter;  Blondinen  und  Männer  von 
hellem  Kopfhaar  leiden  häufiger  an  Brüchen,  als  Brünetten  und  Männer  mit 
dunklem  Teint.  Bei  Männern  kommen  die  Inguinalbrüche  am  häufigsten 
vor,  weil  bei  ihnen  der  Bauchring  weiter  als  bei  Frauen  ist;  dagegen  lei- 
den letztere  häufiger  an  Cruralbrüchen,  da  bei  ihnen  der  Raum  unter  dem 
Poupart'schen  Bande  grösser  ist.  Was  das  Verhältniss  des  häufigem  oder 
seltenern  Vorkommens  der  Leisten  -  und  Schenkelbrüche  zwischen  der  rech- 
ten und  linken  Seite  des  Körpers  bei  beiden  Geschlechtern  betrifft,  so  er- 
gah  eine  Anzahl  von  4155  Bruchkranken  Folgendes:  1)  An  Leistenbrüchen 
der  rechten  Seite  litten :  Männer  1710,  Frauen  35 ,  Summa  1745.  2)  Aa 
Leistenbrüchen  der  linken  Seite  litten:  Männer  921,  Frauen  84,  Summa 
1005.  3)  An  doppelten  Leistenbrüchen  litten :  Männer  lOOS ,  Frauen  47, 
Summa  1053.  ,  4)  Schenkelbrüche  der  rechten  Seite  fanden  sich  vor:  31  bei 
Männern,  dagegen  150  bei  Frauen,  Summa  181.  5)  Schenkelbrüche  der 
linken  Seite  hatten  18  Männer  und  96  Frauen,  Summa  114.  6)  Die  Schen- 
kelbrüche, welche  an  beiden  Seiten  stattfanden,  waren  bei  Männern  höchst 
selten;  denn  unter  57  Fällen  waren  53  weiblichen  Geschlechts.  (S.  C  F. 
E.  Mehlis  Comment.  de  morbis  hominis  dextri  et  sinistri.  Gotting.  1818. 
[Preisschrift]  S.  89).  Gelegentliche  Ursachen  der  Brüche  sind  alle  diejeni- 
gen Dinge,  welche  eine  kräftige  Thätigkeit  der  Abdominalmuskeln  und  des 
Zwerchfells  auf  die  Gedärme  hei'vorbringen,  als:  jeder  Nisus  des  Körpers, 
Anstrengungen  durch  Springen,  Lachen,  Schreien,  durchs  Heben  und  Tra- 
gen schwerer  Lasten,  beim  Erbrechen,  beim  Gebären,  bei  der  Leibesöffnung, 
zumal  wenn  Hartleibigkeit  da  ist,  beim  Husten,  Niesen  etc,  Je  unbedeu- 
tender die  Veranlassung  eines  Bruches  ist,  desto  gewisser  finden  wir  bei 
dem  Kranken  die  oben  beschriebene  Dispositio  herniosa.  Nicht  jeder  Bruch 
erscheint  plötzlich ,  häufig  allraälig ,  so  dass  der  Kranke  die  Zeit  seines  Er- 

63=^ 


996  HERNIA 

scheinens  nicht  bestimmen  kann.  Ist  aber  ersteres  der  Fall,  fio  empfindet 
dev  Kranke  an  der  Bruchstelle  plötzlich  etwas  Schmerz ,  verbunden  mit  dem 
Gefühl  als  ob  an  dieser  Steile  etwas  nachgebe  {Lawrence).  Zuweilen  füh- 
len die  Kranken  schon  lange  vor  dem  Erscheinen  des  Bruches  eine  Schwäche, 
Vollheit  und  Nachgiebigkeit  in  der  Gegend  des  Bauchringes.  Prognose. 
Jeder  wahre  Bruch  (s.  Hernia  vera  im  Gegensatze  der  H.  spuria)  ist 
ein  bedeutendes  Übel,  das  Jahre  lang,  ja  das  ganze  Leben  hindurch  dauern 
kann ,  manche  Beschwerden  mit  sich  führt  und  unter  Umständen  selbst  le- 
bensgefährlich werden  kann  '(s.  Hernia  incarcerata).  Übrigens  ist  die 
Prognose  nach  Alter  und  Constitution  des  Kranken ,  nach  der  Dauer  des 
Übels,  nach  dem  Freisein  oder  der  Einschnürung  des  Bruchs,  nach  der 
An-  oder  Abwesenheit  der  Entzündung  und  ihrer  Folgen,  nach  den  gleich- 
zeitig stattfindenden  oder  felileuden  Complicationen  und  nach  andern  Um- 
ständen sehr  verschieden.  Die  Innern  Brüche,  der  Lungenbruch  bei  Fi'actura 
costarum,  die  Herniae  cerebri,  stoiiiachi,  überhaupt  alle  Brüche,  worin 
wichtige  Theile,  edle  Organe  befindlich  sind,  geben  eine  schlechtere  Pro- 
gnose als  da,  wo  dieses  nicht  der  Fall  ist.  Die  Brüche  bei  Kindern  sind 
meist  ohne  Gefahr,  denn  sie  sind  wegen  Weichheit  und  Dehnbarkeit  der 
Fasern  leicht  zu  reponiren,  und  sie  klemmen  sich  nur  selten  ein  (CooptT); 
auch  sind  die  B^olgen  einer  vernachlässigten  oder  verkehrten  Behandlung  hier 
nicht  so  bedeutend  als  bei  Erwachsenen ,  wo  weit  leichter  Enteiitis  und 
Brand  zu  befürchten  ist.  Bei  alten  Leuten,  deren  Zellgewebe  gewöhnlich 
auch  schon  schlaff  ist,  sind  selbst  bedeutende,  nicht  mehr  reponible  Brüche 
selten  gefährlich;  doch  kann  hier  leichter  als  bei  Kindern  Entzündung  und 
Kinklemmung  entstehen,  und  die  allgemeine  Schwäche  des  hohen  Alters  er- 
heischt dann  eine  sehr  vorsichtige  Behandlung.  Behandlung  im  Allgemei- 
nen. Die  erste  Indication  bei  allen  beweglichen  Brüchen,  bei  allen  gewöhn- 
lichen Abdominalhernien ,  ist  die  Zurückbringung  des  Bruchs  (7'rtxfs, 
BeposUio  h^rmne);  die  zweite  besteht  darin,  dass  der  reponirte  Bruch  fort- 
dauernd durch  ein  gutes  Bruchband  zurückgehalten  werde.  Die  Taxis 
gelingt  am  besten  des  Morgens,  bei  leeren  Gedärmen,  in  der  Rückenlage 
mit  erhöhtem  Hintern,  angezogenen,  gebogenen  Schenkeln,  und  mit  der 
Neigung  des  Körpers  nach  der  Seite  des  Bruches  hin.  Mastdarm  und  Harn- 
blase müssen  zuvor  entleert  werden.  In  solcher  Lage  geht  der  Bruch  bei 
Application  eines  massigen  Drucks  mit  der  Hand  in  der  Richtung,  die  der 
Bruch  beim  Heraustreten  nahm,  leicht  zurück.  Nach  der  Taxis  wird  un- 
mittelbar das  Bruchband  angelegt,  um  so  eine  fortdauernde  gleichmässig« 
Compression  gegen  die  Bruchöffnung  zu  bezwecken.  Ein  gutes  Bruchband 
i^Brachcriuni)  rauss  eine  elastische  Feder  haben  und  eine  Pelotte,  die  genau 
der  Bruchöffnung  entspricht.  Auch  die  Bruchbänder  bei  Kindern  müssen 
elastisch  seyn,  denn  alle  .nicht  elastischen  Bruchbänder  taugen  nichts.  Die 
Feder  muss  von  Stahl  gemacht  ^Yerden  und  einen  Halbcirkel  bilden.  An 
das  eine  Ende  der  Feder  ist  eine  Platte  von  Eisen  genietet,  \^ eiche  zur 
Pelotte  dient,  indem  ihre  innere  Fläche  mit  Wolle  oder  Rosshaar  ausgepol- 
stert wird  und  so  eine  schwache  Wölbung  erhält.  Diese,  sowie  das  ganze 
Bruchband  wird  mit  Leder  überzogen,  und  in  manchen  Fällen  noch  ein  Er- 
gänzungsriemen ,  der  zwischen  die  Schenkel  durch  zu  liegen  kommt,  daran 
befestigt.  Ein  Bruchband  mit  beweglicher  Pelotte,  mit  der  Schiaul)e  ohne 
Ende,  hat  manche  Vorzüge  vor  dem  mit  unbeweglicher  Pelotte.  Überhaupt 
muss  für  jeden  einzelnen  Fall  das  Bruchband  nach  einem  genauen  Masse  (s. 
Hernia  inguinalis)  vom  Mechanicus  verfertigt  und  dann  in  derselben 
Lage,  worin  die  Taxis  geschehen,  dem  Kranken  angelegt  werden,  wobei 
dahin  zu  sehen  ist,  dass  kein  Theil  der  Bruchcontenta  ausgetreten  sey  und 
so  vom  Bruchbande  gedrückt  werde,  was  so  häufig  die  Veranlassung  zu 
Hernia  adnata  giebt.  Die  Stellen,  wo  das  Bruchband  anliegt,  müssen  wö- 
chentlich 2 —  Smal  mit  Spirit.  camphoratus  gewaschen  werden;  entsteht  den- 
noch Excoriation,  so  dient  Aqua  Goulardi.  (Vergl.  Brimningliauscn ,  Unter- 
richt über  Brüche,  Bruchbänder  etc.  Würzburg,  1811.  J.  J.  Lafotxl ,  Snr 
les  bandages  herniaires  usitees  jusqu'u  ce  jour  et  les   bandages  renixigrades 


HERNU .  997 

ou  nourelle  espt-c«  de  brayer,  Par.  1818.  Jmllle,  Abh.  ßber  Bruchbänder. 
A.  d.  Franz  v.  Schrajcr.  INIit  14  Kiipfeni.  Nürnberg,  1800).  Contraindl- 
drt  ist  der  Gebrauch  des  Bruchbandes  in  folgenden  Fällen;  1)  Bei  allen 
sehr  grossen  j  nicht  reponibeln  Scrotalbrüchen,  wo  nur  ein  Suspensorium 
passt.  2)  Bei  jeder  vollständigen  Hernia  adiiata.  Ist  indessen  die  Verwach- 
sung nur  partiell ,  so  passt  zuweilen  noch  ein  Bruchband  mit  ausgehöhlter 
Pelotte.  S)  Bei  allen  coinplicirten  Brüchen ,  wo  das  compliciite  neben  dem 
Bruche  stattfindende  Übel  durch  die  Compression  leiden  und  sich  dadurch 
verschlimmern  würde.  4)  Bei  jeder  Hernia  inflammata,  incarcerata,  gan- 
graenosa, wodurch  nur  die  Entzündung,  die  Geschwulst,  der  Schmerz  und 
die  Gangränescenz  befördert  werden  würde.  In  manchen  Fällen  wird  durch 
ein  gutes,  fortwährend  gut  anliegendes  Bruchband  der  Bruch  selbst  radical 
geheilt,  worüber  6Vie?iHS  (Chirurgie ,  Bd.  I.  Abth.  1,  S.  692)  Folgendes  sagt: 
„Wenn  die  Eingeweide  durch  das  Bruchband  gehörig  zurückgehalten  wer- 
den,  so  zieht  sich  der  ßruchsack  nach  und  nacli  zusammen,  zugleich  ent- 
steht durch  den  anhaltenden  Druck  des  Bruchbandes  eine  schleichende  Ent- 
zündung, wodurch  völlige  Verwachsung  des  Bruchsackhalses  und  auf  diese 
Weise  Radicalcur  bewirkt  wird.  Die«  geschieht  gewöhnlich  bei  Kindern, 
häufig  bei  Erwachsenen,  aber  nie  bei  altern  Subjecten.  Wegen  dieser  all- 
mäligeji  Verengerung  des  Bruchsack halses  beim  fortgesetzten  Tragen  des 
Bruchbandes  darf  dasselbe  nicht  wieder  abgelegt  werden,  wenn  man  nicht 
gewiss  gu  seyn  glaubt,  dass  Radicalcur  entstanden  ist,  weil  sonst  beim  Wie- 
dervorfallen der  Eingeweide  sogleich  Einklemmung  durch  den  verengerten 
Bruclisackhals  entsteht.  Während  der  Kranke  das  Bruchband  trägt,  muss 
er  jede  heftige  Anstrengung  vermeiden."  Da  indessen  der  ßruchkranke  nicht 
ein  und  dasselbe  Bruchband  Jahre  lang  tragen  kann,  indem  das  Leder  vom 
Schweisse  etc.  leidet  und  leicht  mürbe  wird,  zuweilen  auch  die  Feder  springt, 
so  muss  derselbe  sich  mehrere  gleich  gute  Bracherien  in  Vorrath  halten  und 
beim  Wechseln  derselben  in  horizontaler  Körperlage  alle  Vorsicht  beobach- 
ten. Auch  ohne  Bruchband  erfolgt  bei  manchen  Brüchen  schon  durch  eine 
anhaltende  horizontale  Lage ,  durch  knappe  Diät  und  kalte  Fomentationen 
nicht  selten  Radicalcur.  Nach  FaJmcius  Hildanus  (Opp.  Cent.  V.  Observ. 
58)  heilte  ein  sechswöchentliches  Betthüteu  radical  einen  schon  20  Jahr  al- 
ten Bruch,  hedran  und  Arnaud  erzählen  ähnliche  Fälle.  Grosse  Biüche, 
die  nur  zum  Theil  reponibel  waren,  wurden  durchs  Betthüten,  durch  Ader- 
lässe, wiederholte  Laxanzen  und  knappe  Diät  zuv\eilen  so  sehr  an  Umfang 
vermindert,  dass  sie  sich  völlig  reponiren  Hessen  (^flcij,  Pract.  Observ.  in 
Surgery,  p.  219);  doch  ist  dieses  V^erfahren  bei  alten  Leuten  nicht  anzu- 
wenden. Dass  nach  der  Taxis  grosser  Brüche  zusveilen  allgemeine  Zufälle: 
Kolik,  Ekel^  Erbrechen  entstehen,  die  nur  durch  Entfernung  des  Bruch- 
bandes gehoben  werden  können,  dieses  leiten  Einige  davon  her,  dass  die 
Capacität  des  Unterleibes  sich  vermindert  habe  und  den  zurückgebrachten 
Bruchcontentis  nicht  Raum  genug  bliebe.  Häutiger  mögen  hier  aber  Ent- 
zündung des  Netzes,  eines  Theils  des  Darms,  Adhäsionen,  unvollkommne 
Taxis  Schuld  seyn.  (S.  Schmuciccr's  Cliir.  Wahrnehmuugen ,  Th.  II.  S.  243). 
Nach  Ravin  (Essai  sur  la  theorie  des  hernies  etc.  Par.  1822)  kann  ein  Bruch 
nur  durch  Obliteration  des  Bruchsacks  und  der  aponeurotischen  Öffnung  ra- 
dical geheilt  werden.  Er  empfiehlt  dazu  eine  fortgesetzte  Rückenlage  und 
die  Application  eines  mit  Alaunwasser  befeuchteten  Druckapparats.  Lantjen- 
iecTc  (Abhandl.  von  den  Leisten-  und  Schenkelbrüchen,  S.  121)  räth  zu  die- 
sem Zwecke  ein  elastisches  Bruchband  mit  einer  konischen  Pelotte  an,  die 
fest  in  den  Bauchring  drückt.  Der  Kranke  muss  dabei  vier  Wochen  lang 
die  Rückenlage  beobachten;  entsteht  oberflächliche  Exulceration,  so  verbin- 
det man  mit  Bleicerat;  später  wird  noch  ein  Bruchband  mit  gewöhnlicher 
Pelotto  eine  Zeit  lang  getragen.  Dass  diese  Methoden  in  vielen  Fällen  un- 
zureichend und  zuweilen  selbst  gefährlich  seyn  können,  haben  mehrere  B^älle 
bewiesen.  Schon  in  den  altern  Zeiten  wollte  man  die  reponibeln  Brüche, 
besonders  die  Hernia  inguinalis,  bald  durch  ein  Causticum  an  der  Bruch- 
öffnung, bald  durch  Ligatur,  durch  die  bkitige  Nacht,  bald  durch  eine  nur 


998  HERJNIA 

bei  Hernta  incarcerata  indiclrte  Operation  heilen.  Man  ist  aber  davon  mit 
Recht  zurückgekommen,  weil  diese  Methoden  oft  lebensgefährlich  sind  und 
dennoch  die  beabsichtigte  Schliessung  des  Bauchringes  etc.  nicht  immer  er- 
reicht wird.  Ausserdem  besitzen  wir  in  unserer  Zeit  so  vollendete,  ihrem 
Endzweck  ganz  entsprechende  Bruchbänder,  dass  darin  nichts  zu  wünschen 
übrig  bleibt,  und  die  Erfahrung  lehrt,  dass  bei  jungen  Leuten  und  bei  an- 
haltendem jahrelangen  Tragen  dieser  Bracherien  auch  nicht  selten  der  Bruch 
radical  geheilt  wird.  Indessen  giebt  es  doch  einzelne  besondere  Fälle,  wo 
auch  bei  nicht  eingeklemmten  Brüchen  ein  operatives  Verfahren  nothwendig 
wird.  Chelius  (a.  a.  O.,  Bd.  I.  Abth.  1,  S.  705)  sagt  darüber  Folgendes: 
„Wenn  nun  gleich  die  sogenannte  Radicaloperation  der  Brüche  als  allgemei- 
nes Verfahren  ganz  verwerflich  ist,  so  kann  doch  bei  Brüchen,  auch  ohne 
Einklemmung ,  die  Operation  manche  Vortheile  gewähren  und  angezeigt 
.seyn  :  a)  Um  bestimmte  Localzustände  zu  beseitigen  und  die  Anlegung  eines 
Bruchbandes  möglich  zu  machen ;  z.  B.  bei  der  Complication  eines  Leisten- 
bruches mit  Hydrocele  und  zwar  mit  einem  gemeinschaftlichen  Brucksacke; 
bei  jungen  Subjecten,  die  an  grossen  Brüchen  leiden,  welche  durch  kein 
Bruchband  gehörig  zurückgehalten  werden  können;,  bei  partiellen  Verwach- 
sungen zwischen  den  vorgefallenen  Theilen  und  dem  Bruchsacke  oder  dem 
Hoden  bei  angeborenem  Leistenbruche.  6)  Wenn  keine  genaue,  sichere, 
gleichmässige  Wirkung  des  Bruchbandes  möglich  ist ,  wo  durch  die  Opera^ 
tion  das  Vortreten  des  Bruches  vielleicht  so  beschränkt  werden  kann ,  dass 
auch  bei  einer  weniger  sichern  Anlage  des  Bruchbandes,  z.  B  bei  sehr  fet- 
ten oder  sehr  magern  Personen ,  wo  das  Bruchband  sich  immer  verrückt  etc., 
der  Bruch  zurückgehalten  wird,  c)  Wenn  weder  vor,  noch  nach  der  Ope- 
ration ein  Bruchband  getragen  werden  kann ;  z.  B.  bei  Hinkenden ,  oder 
wenn  der  Hode  beständig  in  der  Weiche  liegt,  d)  ScJireger  (Chirurg.  Ver- 
suche, Th.  I.  S.  160)  wirft  überdies  noch  die  Frage  auf:  ob  nicht  bei 
Schenkelbrüchen  diese  Operation  vielleicht  angezeigt  wäre,  weil  bei  diesen 
durch  die  unsichere  Lage  des  Bruchbandes  so  v\enig  genützt  wird  und  sie 
bei  entstehender  Einklemmung  so  leicht  brandig  werden.  Auch  wäre  bei 
diesen  Brüchen  nach  der  Operation  nicht  so  leicht  Rückfall  wie  beim  Lei- 
stenbruche zu  befürchten ,  weil  nicht  ein  unverwachsener  Theil  des  Bruch- 
sackes hinter  dem  Ligamente  zurückbleibt;  was  die  Erfahrung  bestätigt,  da 
man  nach  der  Operation  der  Schenkelbrüche  auch  ohne  Gebrauch  des  Bruch- 
bandes selten  Recidive  beobachtet."  Die  Operation  wird  ganz  so  wie  bei 
Hernia  incarcerata  verrichtet,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  man  nach 
zurückgebrachten  Eingeweiden  sich  bemühet,  im  Bruchsackhalse  durch  Sa- 
rificationen ,  Ausstopfen  mit  Charpie  etc. ,  Entzündung ,  und  später  durch 
fortgesetzte  Compression  Verwachsung  desselben  zu  bewirken.  So  giebt  es 
CheUits  an,  setzt  aber  ganz  richtig  hinzu,  dass  die  Gefahr,  welche  stets 
mit  der  Herniotomie  verbunden  ist,  und  der  Ungewisse  Erfolg,  welchen  die 
Erfahrung  in  den  meisten  Fällen  dargethan  hat,  die  Operation  nur  auf  die- 
jenigen Fälle  beschränken  müssen ,  wo  dadurch  irgend  ein  der  Application 
des  Bruchbandes  entgegenstehendes  Hinderniss  entfernt  werden  kann.  Höchst 
wichtig  ist  die  Behandlung  derjenigen  Zufälle,  welche  sich  zu  einem  Bruche 
gesellen  können,  wohin  vor  Allem  die  Einklemmung  des  Bruchs  ge- 
hört (s.  Hernia  cruralis,  inguinalis,  umbilicalis,  H.  incarce- 
rata). Nach  diesen  allgemeinen  Betrachtungen  gehe  ich  zum  Speciellern 
über,  um  das  Heer  der  Brüche  alphabetisch  aufzuführen,  und  bei  jeder  Art 
das  Nöthige  zu  bemerken.  Eine  kurze  Aufzählung  der  vorzüglichstea  Schrif- 
ten und  Abhandlungen  möge  den  Übergang  bilden.  —  G.  Vogel,  Abhandl. 
aller  Arten  von  Brüchen.  Leipz.  1764.  P.  Potl,  Abhandl.  von  den  Brüchen; 
in  der.5.  Sämmtl.  chirurg,  Werken.  Berlin,  1787;  Bd.  L  S.  219.  Goin,  Es- 
sai sur  difft-rentes  hernies.  Par.  176S,  A.  G.  Richter,  Abh.  von  d.  Brüchen. 
2te  Aufl.  Göttingen,  1785.  Gauthier,  Diss.  sur  l'usage  des  caustiques  pour 
la  gudrison  radicale  des  hernies.  Lond.  et  Paris,  1774.  A.  Scarpn,  Ana- 
tom. -  Chirurg  Abhandl.  über  die  Brüche.  A.  d.  Ital.  mit  Zusätzen  von  B. 
W.  Seiler.    2te  Ausg.   mit  21  Kupfertafeln.     Leipz. ,   1822.      IV.  Lawrence, 


HBRNIA  999 

Abh.  Ton  d,  Brüchen  etc.  A.  d.  Engl,  von  G.  v.  d.  Busch.  Bremen,  1818. 
Jos.  u.  Karl  Wendel  in  Lader' s  Journ.  f.  Chirurgie,  Bd.  III.  St.  2.  S.217  u.  f. 
Asiley  Cooper,  Anatomie  und  chirurg.  Behandlung  der  Leistenbrüche  und  der 
angeborenen  Brüche.  Herausgegeb.  v.  J.  F.  M.  Krütttje;  1819.  C.  J.  M. 
Laitgenheck ,  Commentat.  de  structura  peritonaei  etc.  Gotting. ,  1817;  mit 
20  Kupfertafeln.  J.  Cloquet,  Recherches  anatoinir|ues  sur  les  Hernies  de 
l'abdomen.  Par. ,  1817.  Snm.  Cooper,  Han^b.  der  Chirurgie.  A.  d.  Engl, 
von  L.  F.  V.  Froriep-,  1820;  Bd.  IL  S.  281—375.  P.  Camper , 'i«on.  her- 
niar.  inguinal.  Ed.  Sövimerring.  Francof. ,  1801.  F.  C.  Hesselhach,  Anat.- 
chir.  Abhandl.  über  den  Ursprung  der  Leistenbrüche;  1806.  Dess.  Neueste 
anatom. - patholog.  Untersuch,  über  die  Leisten-  und  Schenkelbrüche.  Mit 
15  Kupfern.  Würzb. ,  1815.  Langenhech ,  Abh.  von  d.  Leisten-  und  Schen- 
kelbrüchen. Mit  8  Kupfern.  Götting.,  1821.  J.  F.  Meckel,  Tract.  de  morbo 
hernios.  congenito  etc.  Berol.,  1772.  Wrisherg ,  Obs.  anat.  de  testiculor. 
ex  abdomine  in  scrotum  descensu  etc.  in  Commeat.  Soc.  Reg.  Scient.  Got- 
ting., 1778.  Vrohß,  Abbildung  d.  Gefässe,  welche  man  bei  der  Operation 
eines  männlichen  Schenkelbruches  zu  schonen  hat.  Amsterd. ,  1801.  A.  Monro 
in  LangenlecFs  Bibl.,  Bd.  I.  St.  3.  Hüll  in  v.  Siehold's  Chiron.,  Bd.  IL 
St.  1.  LangenhecVs  Neue  Bibliothek,  Bd.  IL  St.  1.  Scarpa ,  Neue  Abhandl. 
üb.  Schenkel-  u.  Mittelfleischbrüche;  übers,  von  Seiler.  Mit  7  Kupf. ;  1822. 
Breschet,  Considerations  anatomitjues  et  pathologiques  sur  la  hernie  femorale. 
Par.,  1819.  A.  de  Ghnhernnl,  Neue  Methode,  den  Schenkelbruch  zu  ope- 
riren;  übers,  a.  d.  Span,  von  Schreger;  1817.  S.  T.  Sömmerring,  Über  die 
Ursache,  Erkenntniss  und  Behandlung  der  Nabelbrüche;  1811.  OJcen's  Preis- 
schrift üb.  Nabelbrüche;  1810.  Timm  in  SiehohVs  Chiron.,  Bd.  IL  St.  2,  3. 
RiOJce  in  Rusfs  Magazin,  Bd.  VIII.  Hft.  1.  S.  T.  Sömmerring,  Über  die 
Brüche  am  Bauche  und  Becken,  ausser  der  Nabel-  und  Leistengegend;  1811. 
Monro,  Anatomy  of  the  guUet,  stomach  and  intestines.  Edinb. ,  1811;  p.  380. 
Gadermnnn,  Über  den  13ruch  durch  das  Hüftbeinloch  etc.  Landshut,  1823. 
Stark,  Dissert.  de  hernia  vaginali  et  strictura  uteri.  Jen.,  1796.  Thiemig, 
Dissert.  de  hernia  cerebri.  Gott.,  1792.  Nägele,  Über  angebornen  Hirn- 
bruch etc.  in  Hufeland's  Journ.,  1822,  Mai. 

Hernia  abdominalis,  Enterogastroccle ,  Unterleibsbruch,  Darm- 
bauchbruch.  Ist  ein  jeder  Bruch,  der  sich  im  Umfange  der  Bauchwand 
bildet.  Früher  verstand  man  darunter  nur  die  Hernia  ventralis ,  die  H.  ?i- 
neae  alhae,  letzt  unterscheidet  man  richtiger  die  H.  ventralis  von  der  H. 
abdominalis  als  Gattungsname  für  alle  am  Unterleibe  stattfindenden  Brüche 
(s.  Chelius  a.  a,  O.  Bd.  I.  Abth.  1,  S.  674  und  739.  Bernstein,  Pr.  Hand- 
buch für  Wundärzte;  1818;  Bd.  IL  S.  467).,  Es  gehören  demnach  hierher 
1)  die  durch  den  Leistencanal  hervortretende  Hernia  inguinalis ;  2)  die  un- 
ter dem  Ligamentum  Poupartii  sich  zeigende  Hernia  crurnlis;  3)  die  Herma 
umhilicnlis ;  4)  die  H.  foraminis  ovnlis ;  5)  die  Hernia  ventralis ,  welche  im 
Umfange  des  LTnterleibes  durch  abnorme  Öffnungen  hervortritt ;  6)  die  H. 
ischindica ;  7)  die  H.  perinaei ;  8)  die  H.  vaginalis ;  9)  die  H.  iniestini  recti 
(s.  diese  Art.).  Unter  allen  diesen  Brüchen  sind  die  Leisten-,  Schenkel - 
und  Nabelbrüche  am  häufigsten.  Sie  enthalten  in  der  Regel  einen  Theil 
des  Netzes  oder  der  dünnen  Gedärme  (ff.  intestinalis,  omentalis);  seltener 
einen  Theil  des  Dickdarms,  oder  des  Magens,  der  Harnblase,  der  inner» 
Genitalien  {H.  ventriculi,  vesicae,  ovarii  etc.).  Beim  Hervortreten  solcher 
Theile  aus  der  Cavität  des  Unterleibes  verlängert  sich  das  Bauchfell  und 
bildet  so  einen  Sack,  den  Brucksack,  worin  sich  die  Contenta  des  Bruch» 
befinden.  Nur  in  seltenen  Fällen  fehlt  dieser  Bruchsack,  nämlich  1)  nur  da, 
wo  durch  heftige  Gewalt,  durch  Verletzung ,  durch  unzweckmässige  Anwen- 
dung des  Causticum«,  angewandt  zur  vermeintlichen  Radicalcur  nach  Gau- 
ihier  und  A. ,  der  den  Bruchsack  bildende  Theil  des  Peritonaeums  verletzt 
ward.  2)  Der  Bruchsack  kann  von  selbst  durch  Absorption  zerstört  oder 
wegen  Zartheit  ohne  grosse  Gewalt  zerrissen  worden  seyn.  8)  Es  fehlt  der 
Bruchsack,  weil  das  vorgefallene  Eingeweide  ausserhalb  dem  Bauchfelle  in 
der  Cavität  des  Unterleibes  lag,   z.  B.  die  Harnblase,   der  Blinddarm  etc. 


1000  HERMIÄ 

Die  Öffnung,  wodurch  der  Bruchsack  mit  der  Bauchhöhle  in  Verbindung 
steht,  heisst  Bruchsackmündung,  der  Theil  zwischen  dieser  und  dem 
Fundus  des  Bruchsacks:  Bruch  sackhals;  den  übrigen  Theil  des  Bruchs 
nennt  man  Körper,  sein  blindes  Ende  den  Boden  des  Bruchsacks. 
Durch  die  Länge  der  Zeit  verändert  sich  der  Bruchsack  sehr  häufig;  man 
findet  ihn  verdickt,  lederartig,  aus  mehreren  Schichten  gebildet,  woran  häu- 
figer eine  Induration  des  ausserhalb  des  Bruchsackes  sich  befindenden  Zell- 
gewebes als  eine  Degeneration  des  Bauchfells  selbst  Schuld  ist,  veranlasst 
durch  unpassende,  drückende  Bruchbänder,  durch  schlechtes  Anlegen  der- 
selben u.  s.  w.  Die  Unterleibsbrüche  sind  von  verschiedener  Grösse.  Oft 
sind  sie  wegen  Kleinheit  kaum  zu  entdecken ,  und  diese  Fälle  gehören  zu 
den  schlimmsten ;  denn  solche  Brüche  lassen  sich  schwer  reponiren ,  incar- 
ceriren  aber  leicht,  daher  ist  auch  die  Prognose  im  Allgemeinen  bei  kleinen 
Brüchen  ungünstiger  als  bei  grossen,  die  sich  nicht  so  leicht  einklemmen 
{Hey,  Poit,  Hesselhach,  Langenhecli) ,  wol  aber  zuweilen  eine  solche  Grösse 
ei"langen ,  dass  der  grösste  Theil  der  Gedärme  sich  darin  befindet ,  dass  z.  B. 
Scrotalbrüche  bis  an  die  Kniee  reichen  und  das  Gehen  höchst  beschwerlich 
machen.  Bei  grossen  Nabelbrüchen  ist  der  Bruchsack  oft  sehr  dünn,  bei 
kleinen  Cruralbrüchen  oft  sehr  dick;  durch  die  Länge  der  Zeit  können  sich 
Stricturen  darin  bilden ,  die  Gedärme  durch  Subintlammation  und  darauf  fol- 
gende Exsudation  mit  dem  Bruchsacke  verwachsen  (Ilernia  ndnata)  und  da- 
durch Hindernisse  in  der  Anwendung  der  Bracherien  entstehen.  INlan  mache 
es  sich  daher  zur  Regel ,  jeden  Bruchkranken ,  der  durch  irgend  eine  Ver- 
anlassung im  Bruche  Schmerzen  empfindet,  sogleich  antiphlogistisch  zu  be- 
handeln, die  Rückenlage  anzurathen  und  auf  den  Bruch  nach  Umständen 
Blutegel  und  hinterher  kalte  Fomentationen  zu  appliciren.  Die  Existenz  der 
oben  beschriebenen  Dispositio  herniosa  beweist  vorzüglich  der  Umstand,  dasa 
an  ein  und  demselben  Subjecte  nicht  selten  mehrere  Brüche  an  verschiede- 
nen Stellen  vorkommen.  Lttiujcnbeck  sagt  darüber  (s.  dessen  Vorlesungen 
über  Chirurgie,  Mscpt.  de  1815):  „Ein  jeder  Mensch  hat  Anlage  zu  Brüchen, 
vorzüglich  aber  Menschen  mit  laxem  Zellgewebe,  fettleibige  Personen,  be- 
sonders wenn  sie  nachher  mehr  oder  weniger  abgemagert  sind."  Snm.  Coo- 
per  sagt :  „Unter  die  prädisponirenden  Ursachen  der  Brüche  rechnen  die 
Schriftsteller  eine  A^idernatürliche  Grösse  der  Öffnungen,  durch  welche  die 
Därme  sich  hervordrängen,  ein  ungewöhnlich  langes  Mesenterium  oder  Omen- 
tum etc.  Es  ist  wahr,  dass  in  Betreff  des  Bauchringes  die  transversalen, 
tendinösen  Fasern,  die  von  Natur  den  obern  und  äussern  Theil  desselben 
durchkreuzen  und  verstärken,  bei  einigen  Personen  weit  schsvächer  als  bei 
andern  sind.  Die  Vorstellung,  dass  der  reichliche  Genuss  des  Öls  als  Nah- 
rung das  Vorkommen  der  Brüche  sehr  begünstige,  ist  in  vielen  Schriften 
vorherrschend.  (Dann  müssten  die  Jaden  mehr  an  Brüchen  leiden  als  die 
Christen ,  was  die  Erfahrung  nicht  bestätigt.  3J.).  Einige  von  den  ange- 
führten prädisponirenden  Ursachen  dürften  wol  Zweifel  erregen;  es  giebt 
indessen  manche  Umstände,  welche  beweisen,  dass  ein  natürlicher  Mangel 
des  Widerstandes  an  irgend  einem  Thciie  der  Wandungen  des  Unterleibes 
bestimmt  unter  diese  Ursachen  aufzunehmen  ist.  W^ir  brauchen  nur  zu  be- 
merken, wie  leicht  Personen,  denen  das  Bauchfell  verwundet  worden,  die- 
sem Übel  unterworfen  sind  (s.  Richcrand's  Nosographie  chirurgicale ,  T.  III. 
p.  317.  Schmuclcer^s  Vermischte  chir.  Schriften ,  Bd.  I.  S.  107) ;  und  wie 
Männer  weit  häufiger  einen  Leistenbruch  bekommen  als  Weiber,  und  dies 
offenbar  wegen  der  grossen  Weite  des  Bauchringes  bei  erstem,  sowie  aus 
gleicher  Ursache,  wegen  des  grössern  Raumes  unter  dem  Poupart'schen 
Bande,  die  Weiber  häufiger  den  Schenkelbrüchen  unterworfen  sind."  Auch 
Chelius  ist  im  Allgemeinen  derselben  Meinung.  „Die  Prädisposition  zu  Un- 
terleibsbrüchen (sagt  er),  welche  angeboren  oder  erworben  seyn  kann,  be- 
steht in  einer  Erschlaffung  oder  Schwäche  der  Bauchwandungen  und  in  ei- 
ner grössern  Ausdehnung  der  natürlichen  Öffnungen  am  Unterleibe.  Dies 
kann  hervorgebracht  werden:  durch  Dickleibigkeit,  durch  starke  Ausdehnung 
der  Bauchwand  bei  Wassersucht  oder  Schwangerschaft  |  durch  schnelles  Ma-i 


HERMA  1001 

gerwerden,  durch  Narben  nach  Wunden,  besonders  wenn  die  Verletzung 
der  Bauch  wand  mit  Quetschung  verbunden  war;  durch  krankhafte  Verände- 
rung der  Eingeweide  des  Unterleibes,  durch  Überfüllung  derselben  mit  ro- 
hen Nahrungsmitteln ,  durch  übermässigen  Genuss  erschlaffender  Getränke 
u.  s.  w."  Bei  den  ursprünglich  ohne  Bruchsack  vorkommenden  Abdominal- 
brüchen durch  Vorfall  des  Coecums ,  der  Urinblase  etc.  bildet  sich  leicht 
hinter  dem  Bruche ,  indem  das  daran  adhärirende  Bauchfell  nachgezogen 
wird,  ein  Bruchsack,  in  welchen  nicht  selten  die  im  Cavo  peritcmaei  befind- 
lichen Eingeweide  treten,  worauf  man  zu  achten  hat,  weil  dadurch  oft  sehr 
schlimme  Zufälle  erregt  werden.  Doch  sind  diese  Brüche  Gott  Lob!  selten. 
Ist  ein  Bruch  unbeweglich ,  nicht  reponibel ,  ist  zugleich  weder  Entzündung, 
noch  Schmerz  zugegen,  leidet  der  Mensch  weder  an  Obstructio  alvi,  noch 
an  Erbrechen,  so  ist  es  ein  angewachsener  Bruch  (Hernia  adnata) ;  im  ent- 
gegengesetzten Falle  ein  eingeklemmter  (Hernia  incarcerata).  Bei  der  H.  * 
adnata  sind  die  Eingeweide  unter  sich  verwachsen ,  oder  die  Verwachsung 
findet  nur  mit  dem  Bruchsacke  statt.  Die  Ursachen  und  Präservationscur 
sind  schon  oben  angegeben  worden.  Klemmt  sich  ein  solcher  Bruch  ein,  so 
ist  die  Prognose  bei  der  Herniotomie  höchst  unsicher,  besonders  bei  alten 
Adhäsionen  zwischen  den  Gedärmen  unter  sich,  welche  sehr  schwer  loszu- 
präpariren  sind.  Ist  ein  solcher  Bruch  nicht  eingeklemmt,  so  lässt  man ,  ists 
eine  H.  scrotalis,  nur  ein  Suspensorium  tragen,  und  man  vermeidet,  selbst 
wenn  es  Inguinalbruch  ist ,  das  Anlegen  des  Bruchbandes  aus  bekannten 
Gründen.  Nicht  selten  vergrössert  sich  ein  solcher  Bruch  auch  nur  wenig, 
weil  die  Adhäsionen  es  verhüten.  Die  dagegen  empfohlenen  Bruchbänder 
mit  ausgehöhlter  Pelotte  entsprechen  selten  ihrem  Endzwecke.  Weit  besser 
ists,  eine  lange  fortgesetzte  Rückenlage,  sparsame  Kost,  öftere  Abführun- 
gen, und  auf  den  Bruch  kalte  Fomentationen  zu  empfehlen,  wodurch  in 
zwei  Fällen  die  allmälige  Resorption  grosser  und  verwachsener  Brüche  ge- 
lang und  so  das  Anlegen  eines  Bruchbandes  möglich  und  nützlich  ward 
(^Chelius). 

Hernia  acquisitn,  ein  erworbener  Bruch,  im  Gegensatze  des  an- 
geborenen Bruches  (^Hernia  congenita').  Ist  ein  solcher,  der  durch 
besondere  Gelegenheitsursachen ,  mit  oder  ohne  Dispositio  herniosa,  längere 
oder  kürzere  Zeit  nach  der  Geburt  entstand,  wo  also  die  Fortsätze  des 
Bauchfells ,  die  bei  der  H.  congenita  noch  offen  geblieben  und  die  Einge- 
weide durchliessen ,  schon  verschlossen  sind;  der  sich  also  hier  aufs  Neue 
oder  an  einer  andern  Stelle  bildet,  nachdem  der  Processus  peritonaei  nach 
dem  Descensus  testiculi  längst  geschlossen  ist.  Die  Hernia  congenita  ist  in 
den  meisten  Fällen  entweder  ein  Leisten-  oder  ein  Hodensacksbruch,  der 
sich  dadurch  von  ähnlichen  Brüchen  unterscheidet,  dass  die  vorgefallenen 
Theile:  Darm,  Netz,  unmittelbar  an  den  Hoden  anliegen,  also  kein  beson- 
derer Bruchsack  vorhanden  ist,  sondern  die  besondere  nächste  Hülle  des 
Hoden  sowol  die  Bruchcontenta  als  den  Testikel  enthält  (s.  Hernia  ingui- 
nalis).    Auch  die  H.  umbilicalis  und  H.  dorsalis  sind  zuweilen  angeboren. 

Hernia  adlposn,  lApnrocele,  Sieatocele,  sogen.  Fettbruch.  Hierunter 
versteht  man  1)  die  Netzbrüche;  2)  die  aus  reinen  B'ettklumpen  bestehen- 
den Nabel-  und  Inguinalbrüche;  S)  die  pyramidenförmigen  Anhänge,  welche 
sich  zuweilen  an  der  Lamina  externa  peritonaei  bilden  und  dann  durch  die 
verschiedenen  Offnungen  der  Unterleibsgegend  hervortreten  ;  4)  die  Fettan- 
häufung im  Samenstrange  (s.  Hernia  pinguedinosa). 

Hernia  adnata,  agnata,  concrcta,  ein  angewachsener  Bruch;  ».  Her- 
nia und  Hernia  abdominalis. 

Hernia  a'crea  umhilici ,  Pneumatomphalus  G aleni,  Pneumatomphalocele, 
der  Wind  nah  elbruch.  Ist  Auftreibung  des  Nabels  durch  Luftentwicke- 
lung im  Zellgewebe  daselbst,  erscheint  zuweilen  bei  Hydrops  abdominis,  um- 
bilici,  auch  als  Complication  mit  Hernia  aquosa  intestinalis  umbilici,  mit 
Tympanitis ;  mitunter  bemerkt  man  das  Übel  auch  in  den  letzten  Monaten 
der  Schwangerschaft  (^Most).  Cur.  Ist  die  des  Grundübels,  der  Zufall 
hat  weit  weniger   zu  bedeuten  als  der  wahre  Nabelbruch.     Ist   die  Auftrei- 


1002  HERNIA 

1}  ung  bedeutend ,  so  kann  man  die  Luft  durch  Acupunctur  eatleeren  und  dann 

aromatische  Fomentationen  anwenden. 

Hemia  annularis,  Bauchringbruch.  Ist  jeder  durch  den  Annulus 
abdominalis  und  über  dem  Poupart'schen  Bande  hervortretende  Bruch  (s. 
Hernia  inguinalis).  Viele  nennen  so  auch  jeden  anfangenden,  noch 
kl.einen,  pyramidenförmigen  Bruch  in  der  Gegend  des  Bauchringes,  der  spä- 
tecf  zum  completen  Inguinal  -  und  Scrotalbruch  wird. 

Hernia  ammU  umbilicalis,  N abelTingbruch.  So  nennt  man  wol  den 
wahren  Nabelbruch  zum  Unterschiede  von  dem  falschen,  wo  die  Ge- 
därme nicht  durch  den  Nabelring  selbst,  sondern  im  Umfange  desselben  her- 
vortreten (s.  Hernia  umbilicalis). 

Hernia  aquosa  intestinalis  umhilici,  Hydrenteromphalns ,  Enterohydrotn- 
p^alns,  der  Wasserdarmnabelbruch.  Ist  ein  gewöhnlicher  Nabel- 
bruch, bei  welchem  sich  im  Bruchsacke  eine  wässerige  Feuchtigkeit  befin- 
det, was  zuweilen  bei  Hydropischen  der  Fall  ist.  Cur.  Ist  die  der  Her- 
nia umbilicalis.  Bei  bedeutender  Wasseransammlung  öffnet  man  vorsichtig 
die  Nabelspitze,  und  entleert  das  Wasser  (s.  Hydrops  umbilicalis). 

Hernia  aquosa  scroti ,  Hodensackwasserbruch.  Ist  Wasseransamm- 
lung im  Hodensacke,  welche  man  früher  zu  den  falschen  Brüchen  rechnete 
(s.  Hydrops  tuuicarum  scroti). 

Hernia  aquosa  umhilici.  So  hat  man  ehemals  den  Hydrops  umbilicalis 
genannt. 

Hernia  arteriae.  Ist  von  Älteren  zuweilen  gleichbedeutend  mit  An&t- 
rysma  genommen. 

Hernia  hroncliinlis ,  Hernia  gulturalis,  Bronchocele ,  Tracheocele,  der  so- 
gen. Windkropt",  Luftröhrenbruch.  So  hat  man  bald  eine  Art  des 
Kropfes,  bald  eine  Windgeschwulst  am  Halse,  die  ich  einst  nach  starkem 
Erbrechen  plötzlich  entstehen  und  bald  wieder  verschwinden  sah,  genannt 
(s.  E  m  p  h  y  s  e  m  a  und  S  t  r  u  m  a). 

Hernia  cnfitis,  Kopfbruch,  Bruch  am  Kopfe.  Kommt  vorzüglich 
nur  als  Hernia  cerebri  vor,  wenn  wir  die  uneigentlich  sogenannte  Hernia 
oculi  (^Prolnpsus  hiMi,  Exophihalmos') ,  und  die  Hernia  sacci  lacrymalis  (Da- 
cryocystitis ,  Atonia  sacci  lacrymalis)  nicht  hierher  rechnen. 

Hernia  cnrnosa  scroti,  der  sogen.  Fleischbruch  des  Tes«tikels 
oder  des  ganzen  Hodensacks.  So  hat  man  bald  die  scrophulöse  oder  syphi- 
litische Hodenanschvvellung,  bald  den  Scirrhus,  bald  den  Fungus  raeduUaris 
testiculi,  bald  eine  Varietät  der  Elephantiasis  in  der  Haut  des  Hodensacks 
genannt  (s.  Sarcocele). 

Hernia  cereh'i,  Encephalocele ,  der  Hirnbruch.  Ist  ein  angebornes 
Übel ,  das  der  Form  und  den  Symptomen  nach  mit  dem  Hirnschwamm ,  den 
Einige  Hernia  cerebri  acquisita  nennen,  übereinkommt  (s.  Fungus  cere- 
bri). Diese  angeborne  Krankheit  ist  die  Folge  von  unvollkommener  Aus- 
bildung der  Schädelknochen ,  erscheint  am  häufigsten  in  der  Sutura  sagitta- 
lis,  an  der  hintern  Fontanelle,  zuweilen  auch  an  den  andern  Fontanellen; 
sie  charakterisirt  sich  durch  eine  anfangs  kleine ,  später  grössere ,  spitze, 
elastische,  fluctuirende  Geschwulst,  welche  von  den  Integumenten  des  Schä- 
dels bedeckt  ist,  die  aber  an  ihrer  Spitze  dünn  und  ohne  Haare  erscheinen. 
Der  Hirnbruch  vermindert  sich  durch  angewandten  Druck,  erscheint  aber 
nach  Aufhören  desselben  schnell  wieder,  er  pulsirt  öfters,  und  man  bemerkt 
daran  ein  Erheben  und  Niedersinken  beim  Aus-  und  Einathmen;  die  Öff- 
nung, durch  welche  er  tritt,  fühlt  sich  unregelmässig  an.  Prognose  und 
Cur.  Kinder  mit  grossen  Hirnbrüchen  sterben  in  der  Regel  bald;  sie  lie- 
gen in  Betäubung,  erbrechen  sich  häufig,  und  der  Tod  folgt  unter  Convul- 
sionen  und  Lähmung  in  Folge  des  Drucks  aufs  Gehirn.  Die  Section  7eigt 
Umänderungen  der  Galea  aponeurotica  und  der  Dura  mater  in  eine  gleich- 
artige Masse  als  Bruchsack,  worin  eine  Portion  Gehirn,  überzogen  von  der 
Pia  mater  und  Arachnoidea,  sich  befindet,  ausserdem  nicht  selten  Hydroce- 
phalus  internus,  Hydrops  veatriculorum,  Hydrorrhachitis,  wovon  der  Hirn- 
bruch häufig  nur  ein  Symptom  ist.    Da  die  Hirnmassc  nicht  selten  beim  Hirn- 


HERMA  1Ö03 

brache  ausserordentlich  weich  gefunden  worden,  so  ists  oft  wol  nur  eine 
wahre  Encephalomalacie,  die  als  nächste  Ursache  des  Übels  betrachtet  wer- 
den kann  (s.  Rostan,  Recherches  sur  le  ramoUissement  du  cerveau.  Par.  1820). 
Dadurch  unterscheidet  sich  dasselbe  wesentlich  von  der  sogenannten  Hernia 
cerebri  acquisita  (s.  Fungas  cerebri),  wobei  das  Parenchym  des  Gehirns 
an  sich  gesund  ist,  die  etwanige  mechanische  Verletzung  ausgenommen.  Bei 
grossen  Hirnbrüchen  verhalten  wir  uns  passiv,  wenden  keine  Compression 
an ,  verwahren  die  Geschwulst  nur  gegen  äussere  Eindrücke.  In  einzelnen 
Fällen  hat  man  die  Function  gemacht  und  die  Flüssigkeit  entleert,  wodurch 
sich  der  oft  bedeutende  Umfang  des  Bruches  sehr  vermindert,  in  der  Regel 
aber  ein  schnellerer  Tod  befördert  wird.  Vielleicht  möchte  ein  sehr  lang- 
sames, allmäliges  Entleeren  durch  Acupunctur  weniger  gefährlich  seyn  (s, 
Hydrops  capitis  interni,  Hy d  r orrhachitis).  Ist  der  Hirnbruch 
noch  neu  und  klein,  so  hat  man  die  Compression  und  das  Zurückbringen 
desselben  wie  bei  Fungus  cerebri  empfohlen ,  auch  dadurch  in  einzelnen  Fäl- 
len das  Übel  geheilt.  Doch  achte  man  dabei  auf  das  Grundübel  und  setze 
diese  Curart,  wenn  Sopor,  Convulsionen  und  andere  Zufälle  des  Drucks 
entstehen  sollten ,  nicht  fort.  Die  Kopfblutgeschwulst  der  Neugeborenen 
unterscheidet  sich  vom  Hirnbruche  1)  dadurch ,  dass  sie  meist  Immer  an  den 
Ossibus  bregmatis,  nie  in  der  Gegend  der  Fontanellen,  vorkommt,  2)  dass 
gie  nicht  pulsirt  und  sich  beim  Athemholen  nicht  abwechselnd  erhebt  und 
fällt,  3)  dass  sie  nicht,  wie  der  Hirnbruch,  die  Symptome  des  Drucks  aufs 
Gehirn  erregt. 

Hernia  compJetn,  ein  vollkommener  Bruch.  Ist,  im  Gegensatze 
der  H.  incompleta,  ein  solcher,  der  schon  einen  bedeutenden  Umfang  erlangt 
hat  und  in  welchem  der  ganze  Canal  oder  Umfang  eines  Darms  liegt.  Ei- 
nige nennen  auch  die  Hernia  inguinalis,  sobald  sie  zur  Hernia  scrotalis  ge- 
worden, eine  Hernia  completa;  ehe  aber  dies  der  Fall  ist,  Hernia  incompleta. 

Ilernia  concreta,  s.  Hernia  adnata. 

Hernia  congenita,  angeborener  Bruch,  s.  Hernia  acquisita. 

Hernia  cordis,  Cardiocele ,  Herzbruch.  So  hat  man  wol  den  Vorfall 
oder  das  Herabsinken  des  Herzens  durch  das  Zwerchfell  in  die  Bauchhöhle 
(Cardiocele  abdominalis ,  diaphragmatica ,  interna) ,  desgleichen  das  Hervor- 
drängen eines  Theils  des  Herzbeutels  und  des  Herzens  in^Folge  eines  Rip- 
penbruches (Cardiocele  externa ,  costalis)  genannt.  Die  Behandlung  die- 
ses gefährlichen  Übels  ist  meist  nur  eine  palliative,  sedative,  mit  Vermei- 
dung activen  Verfahrens  (s.  Hernia  pulmonum  und  Fractura  co- 
starum). 

Hernia  cruralis ,  Hern,  femornlis,  Merocele,  der  Schenkelbruch- 
Ist  derjenige  Bruch,  welcher  durch  den  Schenkelring  (Annulus  cruralis),  ge- 
wöhnlich an  der  Innern  Seite  der  Schenkelgefässe ,  seltener  an  der  äussern 
Seite  derselben ,  hervortritt ,  und  am  häufigsten  bei  Weibern  vorkommt  (s. 
Hernia).  Da  die  Öffnung  des  Schenkelringes  grösser  als  die  des  Bauch- 
ringes ist,  so  würden,  könnten  die  Eingeweide  hier  so  unmittelbar  als  bei 
letzterem  gegen  die  Öffnung  andrücken,  die  Schenkelbrüche  häufiger  als  die 
Leistenbrüche  vorkommen,  was  indessen  theils  wegen  der  genannten  Ursa- 
che, theils  auch  deshalb,  weil  der  Annulus  cruralis  keine  Gefässe  durchlässt 
und  ursprünglich  nicht  offen  ist ,  nicht  stattfindet.  Symptome  des  Cru- 
ralbruches.  Zuerst  zeigt  sich  eine  kleine,  runde,  tiefliegende  Geschwulst 
unter  dem  Poupart'schen  Bande,  die  bei  ihrer  allmäligen  Vergrösserung  eine 
breite  Basis  bekommt  und  deren  grösster  Durchmesser  der  schiefen  Richtung 
der  Weiche  entspricht.  Nie  wird  dieser  Bruch  so  gross  als  ein  Leisten- 
bruch. Zuweilen  entsteht  das  Gefühl  von  Taubheit  und  eine  ödematöse 
Anschwellung  des  Schenkels  ,  besonders  des  Fusses ,  sobald  der  Bruch  bei 
grösserer  Ausbreitung  auf  die  Schenkelgefässe  und  Nerven  drückt.  Die 
Diagnose  zwischen  Hernia  cruralis  und  H.  inguinalis  ist  beim  Manne 
leicht;  denn  die  H.  inguinalis  folgt  hier  der  Richtung  des  Samenstranges; 
schwieriger  ist  sie  bei  Frauen,  weil  hier  der  Samenstrang  fehlt  und  der 
Bauchring  dem  Schenkelringe   nälier  liegt.    Beim  Maime  umfasat   der  Funi- 


1004  HERKIA 

culus  ßpennaticus  den  obcrn  Theil  des  Bruchsackhalses  des  Cruralbiuches, 
indem  der  Samenstrang  einen  halben  Cirkci  nach  Innen  beschreibt ;  daher 
liegt  der  Hals  der  Schenkelbrüche  mitten  zwischen  der  Arteria  epigastrica 
und  dem  Funiculus.  Erstere  liegt  fast  immer  nach  Aussen,  wenigstens  bei 
jeder  Hernia  cruralis  interna;  nur  bei  der  höchst  seltenen  Hernia  cruralis 
externa,  die  an  der  äussern  Seite  der  Schcnkelgefässe  vorkommt  (^Cloqtwty 
HcssclhacJi) ,  liegt  sie  nach  Innen.  Die  Bedeckungen  des  Schenkelbruches 
sind:  die  äussere  Haut,  dann  das  oft  sehr  dicke,  mit  Fett  angefüllte  Zell- 
gewebe und  die  Drüsen;  dann  folgt  das  oberflächliche  Blatt  der  Fascia  lala, 
dann  der  Bruchsack  als  der  hervorgetriebene  Theil  des  Peritonaeums ,  der 
auf  seiner  Oberfläche  mit  lockerem  Zellgewebe  bedeckt  ist.  Ein  grosser 
Schenkelbruch  tritt  oft  durch  die  Öffnung  hervor ,  durch  welche  die  Vena 
saphena  geht;  alsdann  ist  er  meist  nur  von  der  Haut  und  dem  Zellgewebe  ■ 
bedeckt.  Sein  Inhalt  ist  am  häufigsten  ein  Theil  des  Krumnidarms,  seltener 
ein  Theil  der  Blase.  Die  besonderen  Zeichen  der  Hernia  intestinalis ,  omen- 
talis  und  der  Hernia  vesicae  urinariae  dienen  hier  zur  Diagnose.  Wegen 
der  Ähnlichkeit  in  der  Form  kann  dieser  Bruch  mit  einem  Bubo,  mit  einer 
angeschwollenen  grossen  Glandula  inguinalis  verwechselt  werden.  Zum  Un- 
terschiede dienen  hier  die  allgemeinen  Zeichen  des  Bruches  (s.  oben).  Kr 
lässt  sich,  da  Verwachsung  nicht  möglich  ist,  stets  rcj)oniren,  nur  nicht  bei 
der  Incarceration ,  die  dann  aus  ihren  eigenthümlichen  Zeichen  erkannt  wird, 
als  Obstructio  alvi,  Erbrechen,  Schmerz,  Kolik  etc.  Zuweilen  ist  ein  ei- 
ternder Netzbruch  da ,  der  von  einem  eiternden  Bubo  nur  durch  die  Ana- 
mnese unterschieden  werden  kann.  Eben  diese  muss  uns  bei  der  Diagnose 
zwischen  Hernia  cruralis  und  Abscessus  lumbalis  leiten.  In  seltenen  Fällen 
ist  ein  geschwollener  Bubo  und  eine  kleine  Hernia  cruralis  zugleich  da; 
hier  ist  die  Erkenntniss,  so  lange  keine  Incarceration  da  ist,  schwierig. 
Der  Bruch  kann  hier  hinter  der  Drüse  liegen,  und  die  Operation,  die  bei 
bedeutenden  allgemeinen  ZuHillen  von  Incarceration  stets  indicirt  ist,  ent- 
deckt erst  das  präsumirte  Übel.  In  einem  Falle  fand  ich  einen  Bubo,  aber 
keinen  Bruch.  Die  Zufälle  des  Ileus  dauerten  fort,  und  der  Kranke  starb. 
Die  Section  zeigte  einen  bedeutenden  Convolvulus.  Behandlung.  Sie 
besteht  in  der  Taxis  und  in  der  Anlegung  eines  guten  Bruchbandes.  Die 
Taxis  ist  oft  schwierig.  Ist  der  Bruch  klein,  so  gelingt  sie  am  besten 
durch  einen  Druck,  ge.'-ade  von  Vorn  nach  Hinten;  ist  er  gross,  so  repo- 
nirt  man  erst  von  Unten  nach  Oben  und  dann  von  Vorn  nach  Hinten,  wäh- 
rend der  Schenkel  in  der  Weiche  gebogen  ist.  Das  Bruchband  nniss  einen 
kürzern  Hals  (der  der  Richtung  des  Püupart'schcn  Bandes  entspricht)  als 
das  Leistenbruchband  haben  ,  und  die  Pelotte  darf  nicht  über  die  Biegung 
der  Weiche  herabreichen;  das  ganze  Bruchband  nuiss  besonders  gut  und 
stark  anschliessen.  Lunijcnhcch  (  Vorles.  üb.  Chirurgie,  Msrpt.  1815)  sagt: 
„Gewöhnlich  glaubt  man,  die  Einklemmung  geschehe  durch  das  Lig.  Pou- 
partii ;  allein  die  Spalte  unter  demselben  scheint  viel  zu  gross  und  es  gehen 
zu  viele  wichtige  Thcile  durch  dieselbe,  als  dass  man  glauben  könnte,  es 
sey  hier  eine  Einklemmung  möglich.  Diese  geschieht  ganz  allein  durch  die 
Fascia  lata  und  zwar  auf  folgende  Weise:  Es  hat  näudich  die  Fascia  lata 
dicht  unter  dem  Poupart'schen  Bande  mehrere  kleine  Öffnungen ,  die  mit 
Fettmasse  ausgefüllt  sind;  durch  diese  ÖÜnungen  dringt  der  Bruchsack  mit 
Keinem  Inhalte,  so  dass  er  gleich  unter  den  allgemeinen  Bedeckungen  liegt. 
Die  Einklemmung  ist  gewöhnlich  stärker  als  bei  Leistenbrüchen ,  eine  lang 
fortgesetzte  Taxis  hier  gefährlich,  weil  es  gewöhnlich  Darmbrüche  sind. 
Daher  schiebe  man  die  Operation  ja  nicht  lange  auf,"  CItcUus  sagt  (a.  a. 
().,  Bd.  \.  Ablh.  1,  S.  728):  „Der  Schenkelbruch  kann  in  der  äussern  und 
innern  Lüi^ke  der  Schonkelgefässe  eingeklemmt  werden.  Die  Einklemmung 
ist  gewöhnlich  si-hr  heftig,  und  wenn  die  Zurückbringung  nicht  gtlingt,  die 
Operation  bald  angezeigt."  Letztcrc  geschieht  auf  folgende  Weise:  Man 
macht  den  Hautschnitt  in  schiefer  Richtung,  entsprechend  dem  Laufe  dea 
Lig  Poupartii,  und  verlängert  ihn  'A  Zoll  über  die  Bruchgoschwulst  gegen 
die  ä^)ina   ilei  und  die  Sjiuph.  ossiuni  pubis.      Nun  trennt   man  das  Zellge- 


HERJSIA  1005 

webe  nach  der  Richtung  des  Hautschnitts,  wie  bei  djiv  Operation  der  Her- 
nia  inguinalis  incarcerata,  entfernt  mit  Schonung  der  Drüsen  die  oft  bedeu- 
tend angehäufte,  fast  netzartige  Fettinasse,  schneidet  dann  das  oberfläch- 
liche Blatt  der  Fascia  lata  ein ,  legt  den  Bruchsack  bloss ,  und  öffnet  ihn 
vorsichtig.  Zuweilen  stösst  man  nach  Durchschneidung  der  Haut  und  dea 
Zellgewebes,  was  daher  sehr  behutsam  geschehen  muss,  unmittelbar  auf  den 
Bruchsack;  hier  ist  der  Bruch  durch  die  Öffnungen  des  obern  Blattes  der 
Fascia  lata  hervorgetreten.  Bei  Öffnung  des  Bruchsacks  kann  man  leicht 
den  Darm  verletzen,  da  er  hier  in  Form  einer  kleinen  Schlinge,  ohne  vom 
Netze  bedeckt  zu  seyn,  meist  unmittelbar  unter  dem  Sacke  liegt.  „Wenn 
die  Einklemmung,  sagt  Chelitis,  von  der  äussern  Lücke  der  Schenkelgefösse 
oder  von  der  Öffnung  des  äussern  Blattes  der  Fascia  lata  verursacht  wird, 
so  muss  der  sehnige  Rand  dieser  Öffnung  mit  Vorsicht  eingeschnitten  wer- 
den. Besteht  aber  die  Einklemmung  in  dem  Schenkelringe,  so  sind  ver- 
schiedene Verfahrungsweisen  angegeben :  a)  Man  soll  bei  Weibern  die  Spitze 
des  linken  Zeigefingers  oder  die  Hohlsonde  zwischen  den  Bruchsackhals  und 
die  Eingeweide  einführen,  das  geknöpfte  Bistouri  einleiten,  und  das  Lei- 
stenband in  der  Richtung  nach  innen  und  oben  einschneiden.  &)  Bei  Män- 
nern soll  zur  Schonung  des  Samenstranges  das  geknöpfte  Bistouri  auf  der 
an  der  Innern  Seite  eingeführten  Hohlsonde  eingeleitet  und  das  Leistenband 
an  seiner  Ansetzung  an  die  Gräte  des  Schambeins  (^Gimhemafs  Band)  ho- 
rizontal nach  Innen  oder  vielmehr  ein  wenig  schräg  abwärts  2  oder  3  Li- 
nien tief  eingeschnitten  werden  (^Scarpa).  Dupuytren  schneidet  schräg  von 
Unten  nach  Oben  längs  des  Randes  des  äussern  Leistenbandes  hin,  in  der 
Richtung,  in  welcher  der  Samenstrang  herabläuft,  c)  Um  die  Verletzung 
der  Arteria  epigastrica  oder  der  Art.  obturatoria  sicher  zu  vermeiden,  soll 
man  den  Arnaud'schen  Haken  unter  das  Leistenband  einführen,  und  es  da- 
mit schräg  nach  dem  Nabel  (in  dieser  Richtung)  in  die  Höhe  ziehen,  wäh- 
rend man  die  Kraft  des  Zuges  durch  den  unter  das  Poüpart'sche  Band  ein- 
dringenden Finger  unterstützt  und  die  Eingeweide  zurückschiebt.  Würde 
dadurch  das  Leistenband  nicht  hinlänglich  ausgedehnt,  so  soll  man  mehrere 
seichte,  nur  1  Linie  tiefe  Einschnitte  in  den  Rand  des  Leistenbandes  ma- 
chen, und  dann  mit  dem  Arnaud'schcn  Haken  dasselbe  in  die  Höhe  ziehen 
(^Sclircger').  In  derselben  Absicht  wandte  man  das  Dilalorium  von  Lehlanc 
an.  Auch  soll  man  durch  Eindrängen  des  Zeigefingers  zwischen  die  innerex 
Fläche  des  Bruchsackes  und  den  Rand  des  Gimbernal'schen  Bandes  dieses 
ausdehnen  oder  auch  zerreissen  (Äwsf  und  A.)."  Über  diese  verschiedenen 
Methoden  giebt  Ckelius  sein  kritisches  Urtheil  dahin  ab,  dass  bei  a  und  b 
leicht  die  Artex'Ia  epigastrica  und  obturatoria  verletzt  werden  könne  (wo- 
durch bedeutende  Blutung,  selbst  Bluterguss  in  die  Bauchhöhle,  die  weder 
durch  Pnlv. -styptic.  ,  noch  durch  Pressschwamm,  Charpie,  noch  durch  die 
Compression  von  Hesselhach  und  A,  allemal  habe  gestillt  werden  können, 
entsteht),  dass  bei  c  wegen  der  unblutigen  Erweiterung  und  des  Mangels 
an  folgender  Entzündung  die  Wiedereutstehung  des  Bruchs  begünstigt  werde, 
dass  sie  oft  zur  Entfernung  der  Einklemmung  nicht  hinreiche,  und  ausser- 
dem die  Theile  leicht  gequetscht  werden  könnten.  Dies  habe  auch  Hessel- 
hach zu  einem  andern  Verfahren  bewogen,  das  darin  besteht,  den  blossge- 
Icgten  untern  Rand  des  Leistenbandes  mit  der  Pincette  zu  fassen  und  schich- 
tenweise von  Unten  nach  Oben,  2  Linien  tief  einzuschneiden,  und  den  Zei- 
gefinger zwischen  die  Eingeweide  und  die  Stelle  der  Einklemmung  einzu- 
führen. Reicht  dieser  Schnitt  nicht  aus,  so  wird  er  durch  die  Fasern  der 
Aponeurose  des  äussern  schiefen  Bauchmuskels  über  den  Samenstrang  hin 
verlängert,  der  Samenstrang  von  einem  Gehülfen  nach  Oben  geschoben, 
und  das  innere  Leistenband  auf  diese  Weise  eingeschnitten.  Diese  Methode 
ist  freilich  sicher,  aber  bei  Fettleibigen  sehr  schwer  auszuführen.  Deshalb 
giebt  Chelius  dem  Verfahren  von  Scarpa  und  Dupuytren  den  Vorzug,  wobei 
er  auf  folgende  Punkte  aufmerksam  macht :  1)  Man  schiebe  die  Spitze  des 
Zeigefingers  so  zwischen  die  vorgefallenen  Theile  und  das  Gimbernat'sche 
Band,  dass  man  den  Nagel  hinter  den  scharfen  Rand  dieses  Bandes  bringt. 


1006  HERNU 

thefls  um  mit  dem  Finger  das  Pulsiren  zu  bemerken,  theils  um  mit  dem 
Nagel  das  Gefäss  vom  hintern  Rande  des  Bandes  wegzuschieben.  2)  Auf 
dem  Finger  leite  man  die  sondenförmige  Spitze  des  Cooper'schen  Hernio- 
toms  hinter  den  sichelförmigen  Rand  des  Gimbernat'schen  Bandes ,  so  dasg 
die  Schneide  nicht  über  diesen  hinausragt.  Mit  der  Volarßäche  des  Zeige- 
fingers drücke  man  die  Schneide  gegen  das  Gimbernat'sche  Band,  um  die 
Trennung  durch  Druck  und  nicht  durch  Zug  zu  bewirken.  Auch  ein  klei- 
ner Schnitt  erweitert  sich  oft  durch  das  Eindringen  mit  dem  Finger  hinrei- 
chend, um  die  vorgefallenen  Theile  zurückbrmgen  zu  können.  Lnnijenhedt 
sagt:  „Man  kann  bei  der  Operation  des  Schenkelbruchs  leicht  die  Ai'teria 
epigastrica  und,  ist  er  klein,  auch  die  cruralis  verletzen.  Sie  liegt  gerade 
auf  dem  ßruchsack,  zuweilen  auch  an  der  äussern  Seite  desselben;  bei 
Männern  verletzt  man  auch  leicht  den  Samenstrang.  Deshalb  sind  die  Mei- 
nungen über  die  Richtung  des  Schnitts  sehr  verschieden,  nämlich  ob  er 
nach  Innen  oder  nach  Aussen  gerichtet  werden  soll.  Allein  es  gilt  hier  die- 
selbe Regel,  wie  beim  Leistenbruche:  wo  nämlich  der  Bruch  selbst  liegt, 
da  liegen  keine  grossen  Gefässe,  weil  sie  vom  Bruche  auf  die  Seite  gescho- 
ben werden.  Man  mache  daher  die  Einschneidung  der  eiförmigen  Öffnung 
der  Fascia  lata  wie  beim  Bauchringe,  d.  h.  mitten  über  dem  Bruche,  ge- 
rade nach  Oben,  weder  nach  Aussen,  noch  nach  Innen.  In  der  Regel  be- 
darf es  auch  nur  eines  kleinen  Einschnitts.  Ein  grosser  Schnitt ,  der  bis 
ins  Ligam.  Poupartli  ginge,  könnte  allerdings  den  Samenstrang  und  beson- 
ders das  Vas  deferens  verletzen."  Nach  Langenbecli's  Methode  habe  ich 
zweimal  den  Cruralbruch  mit  Glück  operirt.  Dass  indessen  in  dem  höchst 
geltenen  Falle,  wo  der  Bruch  auf  der  äussern  Seite  der  Schenkelgefässö 
liegt ,  der  Schnitt  nach  Aussen  und  Oben ,  gegen  den  obern  Darmbeinstachel, 
gerichtet  werden  müsse,  versteht  sich  von  selbst.  Man  bringt  die  Einge- 
weide ganz  so  wie  beim  Leistenbruch  zurück ,  wobei  man  sich  besonders  zu 
hüten  hat,  die  Fascia  propria  des  Muse,  obliquus  externus  nicht  für  den 
Bruchsack  anzusehen,  und  diesen,  in  der  Meinung  ihn  schon  geöffnet  zu 
haben ,  ungeöffnet  einzubringen  (^A.  Coopet').  Auch  der  Verband  und  die 
Behandlung  nach  der  Operation  sind  ganz  wie  beim  Leistenbruche  (s.  Her- 
nia  inguinalis).  Langcnhecl;  empfiehlt  als  Radicalcur  nicht  eingeklemm- 
ter Schenkelbrüche  noch  eine  Operation  mittels  der  Ligatur,  die  hier  weit 
leichter  als  bei  Hernia  inguinalis  seyn  soll.  Das  Verfahren  dabei  s.  Her- 
nia  inguinalis. 

Hernia  cystica,  s.  Hernia  vesicae  urinariae. 

Uernia  dolorosa.  So  haben  Einige  wol  die  mit  Schmerzen  verbundene 
Hernia  incarcerata,  die  Kolik  dabei  etc.  genannt. 

Hernia  dorsalis,  Hern,  ischiadicn,  Ischiocele,  der  sog.  Rückenbrucli, 
richtiger  Hüftbeinbruch.  Ist  derjenige,  nur  selten  vorkommende  Bruch, 
welcher  zwischen  dem  Sitzbeinausschnitt ,  über  den  Ligamentis  sacroischia- 
dicis  und  dem  Musculus  glutaeus  hervortritt ,  oft  eine  bedeutende  Grösse  er- 
reicht, so  wol  bei  Männern  als  bei  Frauen  vorkommt,  und  zw^r  häufiger  auf 
der  rechten  als  auf  der  linken  Seite,  zuweilen  angeboren,  am  häufigsten 
aber  erworben  ist,  und  dessen  Inhalt  bald  blos  Gedärme,  sowol  dünne  als 
dicke,  bald  die  Urinblase,  bald  der  Uterus,  bald  mehrere  dieser  Theile  zu- 
gleich sind.  Fälle  der  Art  sind  beobachtet  ^\orden  von  Popen,  Bertrnndi, 
Camper,  Lassus,  Richerand,  ScJireger,  Monro  und  Bezahl.  In  einzelnen 
Fällen  sind  es  wol  weiter  nichts  als  vergrösserte  Schambrüche  (bei  Weibern) 
und  Mittelfleischbrüche  (bei  Männern)  gewesen  (^Scarpa}.  Symptome. 
So  lange  der  Bruch  klein  ist  und  ihn  die  Musculi  glutaei  bedecken,  ist  er 
sehr  schwer  zu  erkennen.  Chelius  sagt :  „Man  berücksichtige  bei  der  Dia- 
gnose zuerst  den  Sitz  der  Geschwulst.  Der  Verdacht  eines  Bruches  wird 
um  so  grösser,  wenn  dieselbe  angeboren  ist  und  eine  Gestalt  hat,  welche 
andere  Geschwülste  nicht  leicht  zu  haben  pflegen,  z.  B.  eine  kegelförmige. 
Zur  Überzeugung  kommt  es  nur,  wenn  man  die  Därme  in  dem  Bruche  fühlt, 
welche  sich  zurückbringen  lassen  und  wieder  vorfallen.  Bei  kleinen  Brüchen 
kann  man  die  Waldungen  der  Därme   keines weges  fühlen.     Auch   ohne  Ver- 


HERNIA  1007 

wachsung  kann  die  Zurückbringung  dieser  Brüche  wegen  £2nge  der  Öffnung, 
durch  welche  der  Bruch  hervortritt,  unmöglich  seyn.  Bei  grossen  Brüchen 
findet  man  eine  Leerheit  des  Unterleibes.  Der  angeborne  Hüftbeinbruch 
geht  im  Anfange  mit  einer  breiten  Basis  vom  Körper  ab;  bei  grossen  Brü- 
chen ist  der  Hals  schmäler  als  der  Grund.  Da  die  Harnblase  allein  im 
Rückenbruche  liegen  kann ,  so  müssen  die  Erscheinungen  des  ßlasenbruchs 
bei  der  Diagnose  berücksichtigt  werden  (s.  Hernia  vesicae  urinariae). 
Die  Unterscheidung  dieses  Bruches  von  einer  Fett  -  oder  Balggeschwulst 
kann  schwierig  seyn ;  für  einen  Abscess  kann  er  leicht  gehalten  werden, 
wenn  er  in  Eiterung  übergeht.  Die  Spina  bifida  unterscheidet  sich  von  die- 
sem Bruche  durch  ihren  Sitz  in  der  Mitte  des  Kreuzbeines ,  durch  ihre  FIu- 
ctuation  und  ihre  Durchsichtigkeit  in  den  meisten  Fällen"  Cur.  Ist  der 
Bruch  klein,  so  lässt  er  sich  leicht  zurückbringen  und  durch  ein  zweckmäs- 
sig eingerichtetes  Bracherium  in  dieser  Lage  erhalten.  Bei  grossen  Brüchen 
ist  die  Taxis  oft  schwer;  sie  gelingt  aber,  wenn  man  sie  allmälig  vornimmt, 
wobei  eine  anhaltende  horizontale  Lage  im  Bette,  eine  knappe  Diät  und  äus- 
serlich  kalte  Umschläge  zur  Beförderung  des  guten  Erfolgs  viel  beitragen. 
Eine  Bruchbandage  mit  hohler  Pelotte,  eingerichtet  nach  Grösse  und  Um- 
fang der  Geschwulst,  ist  dabei  oft  sehr  nützlich.  „Das  Zurücktreten  des 
Bruches  kann  unmöglich  seyn  (sagt  Chelius) ,  wegen  Verwachsung ,  oder, 
wenn  die  meisten  Organe  des  Unterleibes  im  Bruche  liegen,  wegen  Zusam- 
menziehung  der  Bauchwand.  Nach  A.  Cooper  soll,  wenn  die  Hernia  ischla- 
dica  die  Operation  noth\^ endig  machte,  die  Mündung  des  Sacks  geradezu 
nach  Vorn  erweitert  werden ;  doch  fand  Junes  die  Mündung  des  Bruchsackä 
vor  der  Airteria  iliaca  interna,  unter  der  Art.  obturatoria,  aber  oberhalb 
der  Vene."  Diese  Brüche  werden  oft  ausserordentlich  gross,  und  alsdann 
ist  eine  fortgesetzte  horizontale  Lage  im  Bette  und  das  diätetische  Verhal- 
ten, nebst  Sorge  für  tägliche  gehörige  Leibesöffnung  und  Harnabfluss,  die 
Hauptsache  (s.  Papen,  Epist.  ad  Alb.  de  Haller  de  stupenda  hernia  dorsali. 
Gotting.,  1750.  Bezold  in  Horn's  Archiv,  1810;  Bd.  I.  Hft.  1.  v.  SiehoMa 
Chirurg.  Beobacht.  u.  Erfahrungen.   Arnstadt,  1812;  Bd.  HI.  S.  292), 

Hernia  duplex,  ein  doppelter  Bruch,  Ist  entweder  ein  Leisten-^ 
oder  Scrotalbruch  in  beiden  Seiten  des  Körpers,  oder  auch  ein  solcher,  dci; 
mit  einem  andern  Bruche  complicirt  ist. 

Hernia  externa,  ein  äusserer  Bruch.  Ist  eine  äusserlich  am  Kör- 
per sich  befindende  Hernia,  im  Gegensatz  der  Hernia  interna.,  wohin  z.  B.^ 
die  Cardiocele  abdominalis  gehört  (s.  Hernia  cordis). 

Hernia  fenmralis,  Schenkelbruch,  s,  Hernia  cruralis. 

Hernia  foraminis  ovalis,  Hern,  ovalaris ,  Hern,  ovalaris  oiluratoria,  E»~i 
terocele  ovalaris,  Oodeocele,  der  Bruch  des  eirunden  oder  eiförmigen 
Loches,  Ist  derjenige  Bruch,  wo  das  Bauchfell  und  die  einzelnen  Coa- 
tenta  durch  die  kleine  Öffnung  des  Ligam.  obturatorium  hervortreten ;  zu- 
weilen können  auch  die  Musculi  obturatorii  mit  einem  Theile  der  Membrana 
obturatoria  hervorgetrieben  werden  (Langenhecli).  Wir  finden  hier  eine  Ge- 
schwulst mit  dem  allgemeinen  Charakter  des  Bruches  unter  dem  Ramus 
ascfendens  ossis  pubis,  neben  der  Symphysis.  Das  Schambein  liegt  vor  dem 
Bruchsackhalse ;  der  untere ,  innere  und  äussere  Theil  desselben  ist  vom  Li- 
gam, obturatorium  umgeben.  Der  Fundus  des  Bruchsacks  liegt  entweder 
zwischen  den  vordem  Köpfen  des  Muse,  adduetor ,  oder  zwischen  Muse,  p«- 
ctinaeus  und  Adduetor  brevis.  Die  Vasa  obturatoria  liegen  an  der  äussern 
und  hintern  Seite,  was  indessen  dann,  wenn  die  Arteria  obturatoria  und 
epigastrica  gemeinschaftlich  entspringen,  nicht  immer  der  Fall  ist.  Dieser 
Bruch  ist  selten,  er  entsteht  häufiger  bei  Weibern  als  bei  Männern,  kann 
Därme,  Netz  und  selbst  die  Urinblase  enthalten,  wird  aber  jedesmal  nur 
dann  sichtbar,  wenn  er  schon  eine  bedeutende  Grösse  erlangt  hat  und  eine 
Menge  Darmtheile  etc.  vorgefallen  sind.  Der  bezeichnete  Sitz  der  Ge- 
schwulst, die  Art  der  Entstehung,  die  besondere  elastische  Spannung  def- 
gelben,  die  Möglichkeit  der  Reposition,  die  übrigen  Zeichen  des  Bruchs, 
die  häufig   hierbei   bemerkbaren    gastrischen   Beschwerden   etc.   dienen   zur 


1008  HERNU 

Diagnose.  Cur.  Man  bringt  den  Bruch  in  gehöriger  Korperlage  des  Kran- 
ken zurück  und  legt  dann  graduirte  Conipressen  und  Spica  inguinalis  an. 
Noch  zweckmässiger  ist  ein  Leistenbruchband,  dessen  Hals  mehr  nach  Un- 
ten verlängert ,  und  dessen  Pelotte  unmittelbar  unter  dem  Querast  des 
Schambeines  auf  den  Ursprung  des  Muse,  pectinaeus  zu  stehen  kommt. 
Entsteht  Einklemmung,  so  behandelt  man  diese  durch  die  für  jeden  Fall 
geeigneten  Innern  und  äussern  Mittel  (s.  Hernia  ine  ar  cerata).  Bleiben 
alle  Mittel  ohne  Erfolg ,  so  muss  die  Operation  nach  allgemeinen  Regeln 
gemacht ,  die  Erweiterung  der  eingeklemmten  Stelle  aber  durch  stumpfe 
Haken,  von  Innen  nach  Aussen  und  Unten  bewerkstelligt  werden,  da  sonst 
\Negen  Verletzung  der  bedeutenden  Gefässe  und  des  Nervus  obturatorius 
leicht  gefährliche  Zufälle  erfolgen.  —  Hat  sich  ein  kleiner,  äusserlich  noch 
nicht  sichtbarer  Eilochbruch  eingeklemmt,  so  ist  die  Diagnose  sehr  schwie- 
rig. Die  hier  auftretenden  allgemeinen  Symptome  des  Ileus,  der  Schmerz 
im  eirunden  Loche ,  der  durch  den  Fingerdruck  vermehrt  wird  und  sich  von 
dieser  Stelle  aus  über  den  ganzen  Unterleib  verbreitet,  diese  Zeichen,  ne- 
ben denen  der  Anamnese,  lassen  den  Bruch  nur  vermuthen.  Und  daher  ist 
der  Rath,  durch  einen  tiefen  Einschnitt  den  Unterleib  nahe  über  den  Scham- 
beinen zu  öifnen,  den  Einige  gegeben  haben,  höchst  gefähi-lich  und  tollkühn, 
da  die  Diagnose  so  schwierig  ist  und  der  Ileus  auch  von  Convolvulus  und 
Intussusceptio  herrühren  kann.  Es  bleibt  hier  also  nichts  übrig,  als  strenge 
Anwendung  pharmaceutischer  Mittel  neben  fortwährender  horizontaler  Lage 
mit  erhöhtem  Hintern.  (Mariini,  Chirurg.  Streitschriften;  Abth.  4,  S.  61. 
mickel  in  Salzb.  med.  -  chir.  Zeitung,.  1816;   Bd.  III.  S.  427). 

Hernia  funicuU  umhiliculis,  Nabelstrangbruch.  Ist  eine  Hernia 
umbilicalis  congenita  als  Fehler  der  ersten  Bildung ,  indem  die  im  dritten 
Monate  des  Fötus  zum  Theil  noch  im  Nabelstrange  liegenden  Gedärme  in 
den  spätern  Monaten  und  bei  der  Geburt  noch  nicht  völlig  in  die  Bauch- 
höhle zurückgezogen  sind  (s.  Hernia  umbilicalis). 

Hernia  ganyrucnosa ,  brandiger  Bruch.  Gangrän  entsteht  vorzüg- 
lich dann  in  irgend  einem  Bruche,  wenn  er  incarcerirt  ist  und  ein  mehr 
oder  weniger  bedeutender  Grad  von  Entzündung  vorhergeht.  Die  Fälle. 
wo  der  Brand  in  einem  Bruche  aus  freien  Stücken  und  ohne  alle  vorherge- 
oangene  Entzündung  und  Einklemmung  entstehen  soll,  wie  Bernstein  (Hand- 
buch f.  Wundärzte,  181S;  Bd.  II.  S.  452)  will,  mögen  wol  auf  Täuschun- 
gen beruhen.  Die  vorhergegangene  Einklemmung,  der  Ileus,  das  plötzliche 
Aufhören  des  Schmerzes  im  Bruche ,  die  äussern  Zeichen  des  Brandes  (s. 
Gangraena)  an  demselben,  die  welke,  bleifarbene  Beschaffenheit  der  Ge- 
schwulst, das  Aufhören  des  Erbrechens,  des  Singultus,  das  frei\>illige  Zu- 
rücktreten des  incarcerirten  Bruches,  die  von  selbst  erfolgenden,  früher  we- 
der durch  Klysliere,  noch  durch  Ol.  ricini,  Ol.  crotonis  zu  bewirkenden 
Sedes,  der  kleine,  schnelle  Puls,  mitunter  die  grosse  Heiterkeit  und  das 
täuschende  Gefühl  von  Besserung;  alle  diese  Zeichen  dienen  zur  Diagnose. 
Der  Ausgang  ist  entweder  Tod  durch  innern  Brand,  oder  die  Geschwulst 
wird  schwarz,  stinkend,  bricht  auf,  entleert  Winde,  Koth,  und  der  Kranke 
wird  gerettet,  behält  aber  eine  Fistula  stercoralis.  Cur.  Das  Hauptmittel 
bleibt  Verhütung  des  Brandes  durch  Verhütung  oder  frühe  und  zweckmäs- 
sige Behandlung  der  Incarceration ,  durch  eine  zur  rechten  Zeit  verrichtete 
Herniotomie,  die  leider  von  den  nicht  operirenden  Ärzten  und  Wundärzten, 
besonders  bei  Cruralbrüchen,  häufig  gar  nicht  oder  zu  spät  angewandt  wird. 
Das  Speciellere  bei  der  Cur  des  brandigen  Bruches  wird  unten  vorkommen 
(s.  Hernia  incar cerata). 

Hernia  {lutturalis ,  s.  Hernia  bronchialis. 

Hernia  hcpntis,  Leberbruch.  Ist  höchst  selten,  oft  verwechselt  mit 
Physconia  hepatis,  mit  einer  Hernia  ventralis.  Ein  innerer  Leberbruch  kann 
bei  Verletzung  des  Zwerchfells  stattfinden. 

Hernia  Jinmornlis ,  Hern,  vcneris.  So  hat  man  höchst  unpassend  wol  die 
bei  Tripper  und  Clianker  vorkommende  Hodengesch%vulst  genannt;  6.  Got 
norrhoea,  Inflammatio  testiculi,  Syphilis. 


HERNIA  1009 

Heritia  incnrcerata ,  der  eingeklemmte  Bruch.  Wird  die  Commu- 
nication  zwischen  Bauchhöhle  und  Bruch  wegen  zunehmenden  Volumens  der 
Hernia  oder  wegen  Enge  der  Bauchöffnung  (des  Annulus  abdominalis,  crura- 
lis  etc.)  unterbrochen,  so  entsteht  derjenige,  stets  sehr  bedeutende  und  ge- 
fährliche Zustand,  den  wir  Einklemmung  (Invarceratio)  nennen,  wobei 
stets  ein  Missverhältniss  zwischen  dem  Bruchinhalte  und  dem  Bruchsacke 
stattfindet.  Eine  Hernia  incarcerata  ist  demnach  der  Zustand ,  wenn  die  in 
den  Bruchsack  herabgefallenen  Eingeweide  im  Halse  des  Bruchsacks  oder 
an  irgend  einer  andern  Stelle  im  Bruche,  vom  Bauchringe  oder  einem  andern 
Theile,  wie  von  einem  Bande  zusammengeschnürt  werden,  so  dass  die  Her- 
nia nicht,  wie  gewöhnlich,  zu  reponiren  ist,  der  Durchgang  des  Kothes, 
der  Winde  etc.  in  den  meisten  Fällen  gehemmt  wird,  eine  hartnäckige  Lei- 
besverstopfung, Übelkeit,  Erbrechen  und  alle  Symptome  des  Ileus  oder  Mi- 
serere entstehen,  die  Bruchtheile  entzündet  werden;  und,  wird  frühe  und 
zweckmässige  Hülfe  versäumt ,  der  Bruche  gangränös  wird ,  worauf  der  Tod 
oder  eine  Kothfistel  folgt.  „Die  Schwierigkeit  der  Reduction  (sagt  Pott~) 
kann  hier  von  verschiedenen  Ursachen  herrühren.  Die  Grösse  des  Netz- 
stückes oder  der  entzündete  Zustand  desselben ,  die  Menge  von  Därmen  und 
Mesenterium,  eine  Entzündung  des  Darms  oder  eine  Ausdehnung  desselben 
durch  Koth,  oder  durch  Luft,  oder  die  Kleinheit  der  Öffn-ung  des  Tendo, 
durch  welchen  der  Bruch  hervorgedrungen  ist:  bald  kann  diese,  bald  jene 
Ursache  Schuld  seyn ;  gleichviel ;  —  lässt  sich  der  Bruch  nicht  zurückbrin- 
gen, leidet  der  Patient  an  Schmerzen  im  Bruche  und  an  Leibesverstopfung, 
80  nennen  wir  dies  eine  Hernia  incarcerata.  "  Symptome  der  Hernia  in- 
carcerata. Sie  sind  kürzlich  folgende:  Ungewöhnliche  Schmerzen  im  Bruche, 
die  durch  äussern  Druck,  durch  Niesen,  Husten  und  andere  Erschütterun- 
gen vermehrt  werden ,  zuerst  nur  am  Bruchhalse  und  Annulus  stattfinden, 
später  sich  über  den  ganzen  Bruch,  noch  später  über  den  ganzen  Unterleib 
verbreiten.  Sie  sind  anfangs  vagirend  und  periodisch,  kolikartig  (Colica 
herniosa),  später  fix,  und  der  Bruch  erscheint  gespannt,  später  aufgetrie- 
ben, selbst  roth,  entzündet;  dabei  hartnäckige,  nicht  zu  bezwingende  Lei- 
besverstopfung, Übelkeit,  Erbrechen,  wodurch  anfangs  Speisen,  nachher 
Galle,  Getränke,  endlich  Koth  entleert  wird  (^Miserere).  Der  Kranke  hat 
grosse  Angst ,  Unruhe ,  Fieber  mit  kleinem ,  schnellem ,  zusammengezogenem 
Pulse.  Im  höchsten  Grade  des  Übels  sind  die  Extremitäten  kalt ,  der  Leib 
wird  tynipanitisch  aufgetrieben,  oft  bis  zur  Grösse  einer  Schwangern  im 
neunten  Monate ,  es  entstehen  Schluchzen ,  kalter  Athem ,  kalte  Schweisse, 
höchst  kleiner  Puls,  die  Symptome  des  Brandes  im  Bruche  werden  sichtbar 
und  fühlbar ,  und  nun  erfolgt  meist  der  Tod  oder  eine  Kothfistel  unter  den 
oben  genannten  Zufällen.  Ursachen.  Die  Einklemmung  kann  hervorge- 
bracht werden  n)  durch  einen  ungewöhnlichen,  vermehrten  Vorfall  der  Ein- 
geweide, z.  B.  nach  heftigen,  ungewohnten  Körperbewegungen,  bei  versäum- 
ter Anlegung  des  Bruchbandes ;  li)  durch  Überfüllung  der  im  Bruche  befind- 
lichen Därme  durch  Faeces ,  wie  nach  starken  Mahlzeiten  etc. ;  c)  durch 
Ausdehnung  der  Gedärme  mittels  Luftentwickelung,  z.  B.  nach  dem  Genuss 
blähender  Speisen:  der  Kohlarten,  trockner  Hülsenfrüchte,  einer  Menge 
grünen  Obstes;  rf)  dui'ch  Verwickelung  der  Eingeweide,  Convolvulus; 
e)  durch  entzündliche  Anschwellung  des  Bruches  und  Bauchringes  in  Folge 
mechanischer  Verletzungen  etc.  „Die  Erkenntniss  der  speciellen  Ursache 
der  Einklemmung  (sagt  Chelius)  ist  oft  schwierig,  oft  unmöglich.  Folgende 
Umstände  können  den  Arzt  leiten:  1)  Bei  Brüchen,  weiche  schnell,  durch 
heftige  Gewaltthätigkeiten  entstehen,  oder  wo  bei  geringer  Ausdehnbarkeit 
der  Öffnung,  durch  welche  dieselben  treten,  eine  grössere  Portion  Einge- 
weide plötzlich  hervorfallen,  wird  die  Unnachgiebigkeit  dieser  Öffnung  mei- 
stentheils  die  Ursache  der  Einklemmung  seyu.  2)  Dass  die  Einklemmung 
im  Bruchsackhalse  bestehe,  kann  man  mit  aller  Wahrscheinlichkeit  vcrmu- 
then  bei  Brüchen,  die,  lange  durch  ein  Bruchband  zurückgehalten,  plötz- 
lich wieder  vorfallen;  wenn  die  Öffnung,  durch  die  der  Bruch  herausgetre- 
ten, nicht  gespannt  ist,  wenn  die,  obgleich  selir  gespannte,  Bruchgeschwulst 
Moet  Encyklopädie.  2te  Aufl.  I.  04 


1010  HERNIA 

beweglich  ist  tind  beim  Versuche  der  Zurückbringung  hinter  der  Bauchvran- 
dung  eine  Geschwulst  entsteht.  S)  Die  Zerreissung  des  Bruchsacks ,  oder 
die  entzündliche  Affection  der  im  Bruche  liegenden  Theile,  als  Ursache  der 
Einklemmung,  vermuthet  man  durch  die  Gewaltthätigkeit,  welche  auf  den 
Bruch  selbst  gewirkt  hat.  4)  Die  Überfüllung  der  Eingeweide  durch  Inte- 
stinalmaterie  verursacht  die  Einklemmung  meist  nur  langsam,  bei  alten  Brü- 
chen, durch  allmälige  Anhäufung  der  Faeces ,  oder  durch  Überladung  des 
Magens.  5)  Die  Verwickelungen  der  Eingeweide  unter  sich  und  die  dadurch 
bewirkte  Einklemmung  kann  man  vor  der  Operation  nicht  bestimmen."  Die 
Einklemmung  a^K  Annulus  abdominalis  und  Annulus  cruralis  kommt  am  häu- 
figsten vor;  sJe  ist  meist  sehr  heftig  und  acut.  Zuweilen  kann  das  Zellge- 
webe, welches  den  Hals  des  Bruchsacks  umgiebt  und  nicht  selten  allmälig 
in  einen  hohen  Grad  von  Induration  übergeht,  die  alleinige  Ursache  der 
Incarceration  seyn.  Ebenso  kann  die  im  Bruchsack  befindliche  Portion  Netz 
sich  verhärten  oder  den  Darm  einschnüren,  oder  der  Darm  kann  sich  um- 
drehen (^Scarpa)  und  die  Einklemmung  erregen.  Hier  kann  anfänglich  der 
Bruch  unter  allen  Zufällen  der  Incaarceration  oft  noch  zurückgebracht  wer- 
den, aber  die  Zufälle  verschwinden  nicht,  und  es  erfolgt  keine  Leibesöff- 
nung.  Zuweilen  geht  ein  harter,  unvorsichtig  verschluckter  Körper  durch 
den  Darmcanal  glücklich  bis  zum  Bauchringe,  bleibt  aber  hier  stecken  und 
erregt  so  die  Einklemmung;  bei  Innern  Entzündungen  des  Unterleibes,  bei 
Peritonitis  puerperalis  kann  selbst  als  Folgezustand  Incarceration  entstehen. 
Nach  den  verschiedenen  Ursachen  und  nach  den  Zufällen  und  dem  Verlaufe 
der  Einklemmung  unterscheiden  wir  drei  Arten  derselben :  1)  die  acute  Ein- 
klemmung mit  entzündlichem  Charakter;  2)  die  krampfhafte  Einklemmung 
mit  erethistischem,  spastischem  Charakter;  3)  die  chronische,  langsam  ent- 
stehende Incarceration  mit  dem  primären  Charakter  des  Torpors  und  dem 
secundären  der  Entzündung  im  Bruche.  Die  Prognose  ist  bei  jeder  Her- 
nia  incarcerata  ungewiss ,  doch  bei  der  spastischen  und  chronischen  Form 
etwas  günstiger  als  bei  der  acuten,  wo  die  Entzündung  bald  in  Brand  über- 
geht, brigens  richtet  sie  sich  sehr  nach  den  individuellen  Fällen,  nach 
den  verschiedenen,  bei  jeder  Prognose  zu  berücksichtigenden  Umständen, 
nach  dem  Grade  des  Übels,  ob  frühe  Hülfe  gesucht  wurde  oder  nicht,  ob 
pharmaceutische  Mittel  und  die  Taxis  das  Übel  entfernten,  oder  ob  operirt 
werden  muss,  in  welchem  Falle  man  die  Vorhersagung  nicht  zu  günstig 
stellen  darf,  da  man  nicht  immer  weiss,  was  sich  bei  der  Herniotomie  er- 
eignen kann.  Behandlung  der  Hernia  incarcerata.  Sie  erfordert  viel 
Umsicht,  eine  genaue  Diagnose,  strenge  Berücksichtigung  der  Natur  der 
Einklemmung  und  eine  gehörige  Auswahl  der  theils  chirurgischen,  theils 
pharmaceutischen  Innern  und  äussern  Mittel ,  ausgewählt  nach  den  verschie- 
denen Umständen,  nach  der  Dauer  des  Übels  u.  s.  f.  Folgende  Punkte 
werden  dieses  genauer  bestimmen.  1)  Ist  der  Bruch  nicht  sehr  gross,  em- 
pfindet der  Kranke  darin  gleich  anfangs  heftigen  Schmerz ,  verbreitet  sich 
dieser  bald  über  den  ganzen  Unterleib,  wird  auch  letzterer  gespannt,  auf- 
getrieben, bei  der  Berührung  schmerzhaft,  ist  die  Bruchgeschwulst  sehr  ge- 
spannt, mitunter  wol  gar  schon  geröthet,  erfolgen  schon  binnen  den  ersten 
24  —  28  Stunden  Erbrechen,  Fieber,  Obkructio  alvi,  nehmen  alle  diese 
Zufälle  schnell  zu,  so  haben  wir  eine  acute  Einklemmung  (^Incarceratio 
acuta,  inflammntorin)  vor  uns.  Sie  erfolgt  am  häufigsten  bei  neu  entstan- 
denen, überhaupt  bei  noch  kleinen  Inguinal-  und  Cruralbrüchen ,  und  das 
jugendliche  und  Mannesalter  disponirt  am  meisten  dazu.  Doch  lasse  man 
sich  nicht  duixhs  Alter  irre  leiten,  man  halte  sicli  mehr  an  die  Zufälle; 
denn  es  giebt  auch  kräftige  Greise,  bei  denen  die  acute  Form  vorkommen 
kann.  Hülfs mittel.  Das  erste  ist  hier  ein  Aderlass;  bei  Robusten  lässt 
man  eine  grosse  Quantität  bis  zur  Ohnmacht,  am  besten  aus  einer  grossen 
Aderölfnung  am  Arme.  Gleich  darauf  setzen  wir  Blutegel  in  die  Umgegend 
des  Bruches,  und  schlagen  hinterher  alle  5  Minuten  eiskalte  F'omentationen 
über:  kaltes  Wasser,  worin  Eis  befindlich,  jedesmal  frisch  bereitete  Fomen- 
tatio  frigida  Schmucken,  gestossenes  Eis  in  Compressen,  Schnee  etc      Sind 


HERNU  1011 

diese  Mittel  bei  nihlgcr  horizontaler  Lage  des  Kranken  y,  —  1  Stunde,  un- 
mittelbar nach  dem  Aderlass,  anhaltend  gebraucht  worden,  so  ists  Zeit,  di« 
Taxis  zu  versuchen.  Man  verrichte  sie,  wie  oben  angegeben  worden  (s.  oben 
Hernia).  Gelingt  der  erste  Versuch  nicht,  so  lasse  man  durch  zwei  Ge- 
hülfen  die  Schenkel  des  Kranken  in  die  Höhe  heben,  als  wolle  man  ihn  bei 
dem  Beine  aufhängen,  und  versuche  so  noch  einmal  vorsichtig  die  Reposi- 
tion, doch  ohne  Gewalt  zu  gebrauchen.  Länger  als  eine  Viertelstunde  darf 
der  jedesmalige  Versuch  zur  Taxis  nicht  dauern  (J.  Cooper,  Scnrpa').  Sind 
die  Schmerzen  im  Bruche  noch  sehr  heftig ,  haben  sie  durchs  Aderlassen  und 
durch  Anwendung  der  Fomentationen  nicht  bedeutend  nachgelassen,  so  stehe 
man  ganz  von  der  Taxis  ab,  setze  eröffnende,  nicht  reizende  Klj stiere  und 
fahre  mit  den  kalten  Fomentationen  fort.  Nach  4  —  6  Stunden  mache  man 
einen  zweiten  Versuch  der  Taxis.  Gelingt  auch  dieser  nicht,  so  wende 
man  bei  Robusten  einen  zweiten  Aderlass  an  und  versuche  die  Reposition 
unmittelbar  nach  dem  darauf  folgenden  CoUapsus.  Kleiner  Puls ,  kalte  Glie- 
der, blasses  Gesicht  und  die  übrigen,  allen  heftigen  Unterleibsentzündungen 
eigenen  Symptome,  besonders  der  die  Anfänger  leicht  täuschende  kleine  und 
geschwinde  Pulsus  abdominalis,  dürfen  in  den  ersten  2  bis  3  Tagen  der  In- 
carceration  nicht  vom  Aderlass  abhalten.  Alle  innere  Mittel,  alle  erhitzende, 
nährende  Speisen  und  Getränke,  alle  Naphthen  und  sogenannten  krampfstil- 
lenden Tropfen  sind  bei  dieser  Einklemmung  durchaus  schädlich.  Ist  die 
Taxis  gelungen ,  was  man  leicht  durch  das  Gefühl  mit  den  Fingern ,  ^urch 
den  freigewordenen  Bauchring,  durch  das  Geräusch  von  Kollern  beim  Zu- 
rücktreten des  Darms  etc.  erkennt,  so  lasse  man  den  Kranken  noch  einige 
Stunden  horizontal  liegen,  setze  so  lange  die  kalten  Umschläge  noch  fort, 
und  lege  dann ,  wenn  aller  Leibschmerz  verschwunden  ist ,  em  gutes  Bruch- 
band an.  Oft  wiederholte  Versuche  zur  Reposition  taugen  nichts ;  erregen 
sie  heftigen  Schmerz  oder  werden  sie ,  bevor  dieser  sich  bedeutend  vermin- 
dert hat,  angewandt,  so  verschlimmern  sie  die  Entzündung.  Sind  24,  höch- 
stens 28  Stvuiden  fruchtlos  verflossen,  so  muss  zur  Operation  geschritten 
werden ,  deren  Ausgang  um  so  glücklicher  ist ,  je  früher  sie  angewandt  wird 
und  je  weniger  Versuche  zur  Taxis  gemacht  worden  sind  (s.  unten).  Nach 
der  Taxis  passen  zur  Beförderung  der  Leibesöffnung  eine  Mixtur  mit  Glau- 
bersalz, z.  B.  I^  Ol.  Uni  2Jlf,  Vitell.  ov.  q.  s.,  Aq.  fontan.  3vjjj,  fiat  Emuls. 
ndde  Snl.  Glmileri ,  Syr.  rhei  ana  gj.  M.  S.  Stündlich  2  Esslöffel  voll. 
2)  Die  krampfhafte  Einklemmung  (Incarceraüo  spastica,  spasmodicn) 
hat  folgende  Symptome:  Der  Bruch  ist  gespannt,  aber  nicht  schmerzhaft, 
der  Leib  ist  verstopft,  das  Erbrechen  fehlt  oder  folgt  nur  unmittelbar  nach 
dem  Genuss  von  Getränken,  der  Puls  ist  klein,  spastisch,  zusammengezo- 
gen, die  Respiration  ängstlich,  die  Kranken  wechseln  oft  die  Gesichtsfarbe, 
es  entstehen  oft  schnell  allerlei  bedenkliche  Zufälle ,  wie  bei  Febris  erethi- 
stica;  aber  diese  lassen  schon  in  1 — 2  Stunden  nach,  machen  Remissionen, 
ja  in  seltenen  Fällen  selbst  Intermissionen  (^Most^.  Die  Kranken  haben  den 
Habitus  spasticus,  die  sensible  Constitution;  oft  hängt  die  Einklemmung  mit 
gleichzeitigen  Krämpfen,  mit  Helminthiasis,  mit  Kolik,  Kardialgie  zusammen; 
oft  gingen  Erkältung  der  Füsse,  besonders  schnelle  Wetterveränderung, 
Colica  flatulenta  als  Schädlichkeiten  vorher.  Hülfs mittel.  Hier  dienen 
warme  Bäder,  aromatische  Einreibungen  und  Umschläge  auf  den  Unterleib; 
zur  Hebung  des  Krampfes  zugleich  innerlich  kleine  Dosen  Ipecacuanha  und 
Tart.  emetic. ,  desgleichen  Abführungen  von  englischem  Salze ;  aber  vor  dem 
Gebrauche  des  Opiums  hüte  man  sich,  obgleich  es  in  andern  Fällen  von 
Krampf  oft  recht  herrlich  wirkt;  denn  es  vermehrt  hier  die  schon  an  sich 
80  schlimme  Leibesverstopfung.  Folgende  Formeln  sind  aus  eigner  Praxis : 
^/  Rad.  ipecac.  gr.  jj,  Tart.  emetici  gr.  j,  Sacchari  albi  ^vjjj.  M.  f.  p.  di- 
vido in  vjjj  p.  S.  Alle  % —  %  Stunde  ein  Pulver.  I^  Linim.  volat.  camphor.y 
Ol.  hyoscyami  infus,  ana  gj ,  Land,  liquid.  Syd.  3jj-  M.  S.  Stark  umgeschüt- 
telt alle  V2  Stunde  2  Theelöffel  voll  in  den  ganzen  Unterleib  einzureiben. 
Nach  dem  Verbrauche  obiger  Pulver  dient  folgendes  Laxans :  I^  Ol.  Uni  §j, 
Vitell.  ovi  q.  s.,   Aq.  cJiamomillae  gvjj.    M.  f.  Emuls,  adde  Sal.   anglic.  gj, 

64* 


1012  HERNIA 

Syi\  mmna«  §jjl.  M.  S.  Alle  V2  Stunde  1  —  2  Essloffel  voll.  Über  den 
Bruch  werden  von  Einigen  kalte,  von  Andern  warme  aromatische  Fomen- 
tationen  angerathen.  Nach  meinen  Erfahrungen  ists  am  besten ,  abwech- 
selnd bald  kalt,  bald  warm  den  Bruch  zu  fomentiren ;  denn  der  schnelle 
Wechsel  von  Kälte  und  Wärme  (Thermoraagnetisraus)  bringt  ähnliche  Wir- 
kungen auf  die  Muskel  -  und  Nervenfaser  hervor  wie  der  Galvanismus,  weon 
gleich  in  schwächerra  Grade;  und  dass  dieser  hier  sehr  wixksam  sey,  dafür 
si)rechen  Leroi  (VEtiolles^  Erfahrungen,  welcher  unten  gedacht  werden  soll 
(Most).  Einige  rathen  Klystiere  von  Tabaksrauch,  von  Decoct.  nicotianae 
(5fi  auf  1  S  Colatur)  an.  Aber  ihre  Anwendung  erfordert  Vorsicht.  Ich 
sah  bei  einem  jungen  sensiblen  Manne  tetanische  Zufälle  darnach  entstehen; 
besser  sind  die  gewöhnlichen  krampfstillenden  Lavements  (s.  Clysma  an- 
tispasmodicum).  Nicht  immer  ist  die  Einklemmung  rein  krampfhaft, 
oft  ist  etwas  Entzündliches  dabei,  besonders  wenn  die  Einklemmung  schon 
über  24  Stunden  dauerte,  indem  die  Entzündung  als  secundäre  Erscheinung 
auftritt.  Hier  vermeide  man  die  warmen  Fomentationen  auf  den  Bruch, 
mache  recht  kalte  Umschläge,  setze  Blutegel  an,  oind  versäume,  ist  der 
Bruch  nur  irgend  schmerzhaft,  den  Aderlass  nicht,  der  hier  am  besten  im 
warmen  Bade  oder  gleich  nachher  angewandt  wird.  Über  die  Anwendung 
der  Innern  Arzneien  muss  die  Euphorie  entscheiden.  Bricht  der  Kranke  die 
genomiuene  Arznei  jedesmal  wieder  weg,  so  setze  man  sie  aus.  Die  Taxis 
wird  auf  angegebene  Art,  unmittelbar  nach  dem  waimen  Bade  und  dem 
Aderlass,  verrichtet.  Sie  gelingt  hier  weit  häutiger  als  bei  der  entzündli- 
chen Einklemmung ;  daher  hier  die  Operation  seltener  nothwendig  wird. 
3)  Die  chronische  Einklemmung.  Sie  entsteht  vorzüglich  bei  alten 
Iienten  durch  Überfüllung  der  im  Bruch  liegenden  Därme,  bei  sehr  grossen 
Brüchen,  wo  die  Bauchöffnung  alle  Elasticität  verloren  hat.  Häufig  geht 
eine  mehrtägige  Leibesverstopfung,  der  Genuss  reichlicher,  blähender  Spei- 
sen vorher,  und  im  Bruche  hat  sich  Koth  angehäuft.  Die  Hernia  ist  nicht 
sehr  gespannt,  ist  nicht  schmerzhaft,  verträgt  bei  der  Taxis  selbst  starken 
Druck,  der  Leib  ist  etwas  aufgetrieben,  aber  er  schmerzt  nicht.  Die  Kran- 
ken leiden  nicht  an  Fieber,  der  Puls  geht  selbst  langsam,  wohl  aber  an 
Ructus,  Flatus,  an  Übelkeit,  Erbrechen  und  Obstructio  alvi.  Der  Verlauf 
des  Übels  ist  langsam,  oft  schicken  die  Leute  erst  zum  Arzte,  wenn  acht 
Tage  und  länger  verflossen  sind ;  oft  macht  das  Übel  Remissionen ,  es  er- 
folgt mitunter  etwas  Stuhlgang,  das  Erbrechen  hört  ein  paar  Tage  auf, 
stellt  sich  später  aber  wieder  ein.  Die  Hü Ifs mittel  sind  hier  Purganzen 
aus  Ol.  ricini,  Ol.  crotonis,  reizende  Klystiere  von  Essig,  Wasser,  mit  Sal- 
zen, Tart.  emeticus,  Klystiere  von  Tabaksrauch,  von  Decoct.  nicotianae, 
abwechselnd  kalte  und  warme  Fomentationen  auf  den  Bruch.  Bei  der  Taxis 
muss  man  den  Bruch  etwas  zusammendrücken,  um  so  einen  Theil  der  im 
Bruche  sich  befindenden  Faeces  in  den  Unterleib  zurückzubringen.  Gelingt 
die  Reposition  nicht,  so  bleibt  auch  hier  nur  die  Operation  übrig;  doch 
braucht  man  hier  damit  nicht  so  sehr  zu  eilen  als  bei  der  acuten  Form ; 
man  kann  es  immer  ein  paar  Tage  ansehen,  besonders  wenn  die  Zufälle 
nicht  heftig  und  bedenklich  sind.  —  Überhaupt  lässt  sich  bei  jeder  Art  von 
Einklemmung  die  Zeit,  wann  die  Operation  indicu't  ist,  nicht  im  Allgemei- 
nen bestimmen.  Es  giebt  Fälle,  wo  bei  jungen,  robusten  Leuten,  beson- 
ders bei  kleinen,  plötzlich  und  erst  jüngst  entstandenen  Brüchen,  bei  sol- 
chen, wo  die  Einklemmung  im  Bruchsackhalse  besteht,  schon  nach  Verlauf 
von  8  bis  12  Stunden  die  Operation  nothwendig  wird ;  ein  längeres  Zögern 
Jbringt  hier  nur  Gefahr  und  macht  den  guten  Erfolg  der  Operation  ^unsicher. 
Höchst  schädlich  sind  hier  die  oft  wiederholten  Versuche  zur  Taxis,  und 
Desault^s  Rath,  lieber  ganz  davon  abzustehen  und  bald  zu  operiren,  ist  wohl 
zu  beherzigen.  Auch  bei  der  spastischen  und  chronischen  Incarceration  ist 
die  Operation,  sobald  Entzündungszufälle  hinzutreten,  die  sich  nicht  in  we^ 
nigen  Stunden  beseitigen  lassen,  indicirt.  Wir  besitzen  indes.sen  noch  ein 
sehr  wirksames  Mittel  bei  der  spastischen  und  chroni.schen  Einklemmung, 
das   wir,    sind   keine    bedeutenden  secundären  Entzündungszufälle   zugegen. 


IIERNIA  1013 

stets  erst  vor  der  Operation  versuchen  sollten.  Es  ist  dieses  der  Galva- 
nismus,  zu  diesem  Zwecke  von  Leroi  iVEiioKes  empfohlen  und  mit  Glück 
angewandt  (s.  Archiv,  gen^ral.  de  M^decine.  Oct.  1826.  Frorie-p's  Notizen. 
Novbr.  1826.  Nr.  332.  Heclcr's  Literar.  Annalen,  1828.  Jan.  S.  105),  Man 
nimmt  eine  frisch  aufgerichtete  Voltasäule  von  12  —  20  anderthalb  Zoll  im 
Durchmesser  haltenden  Doppelplatten,  bringt  den  einen  Pol  der  Säule  in  den 
After  und  schliesst  die  Kette  durch  Berührung  des  Pharynx  mit  dem  Con- 
ductor.  Es  entsteht  dadurch  ein  schneller  Motus  peristalticus,  das  Darm- 
stück wird,  ist  es  nicht  angewachsen,  zurückgezogen,  es  erfolgt  Diarrhöe, 
und  alle  bedenkliche  Zufälle  des  Ileus  hören  auf.  4)  Die  Operation  der 
Hernia  incarcerata  besteht  aus  folgenden  Acten:  a)  Einschneidung  der  Haut; 
6)  Blosslegung  des  Bruchsacks;  c)  Erweiterung  des  Bruchsackhalses  oder 
der  Bauchöirnung;  ti)  Zurückbringung  der  Eingeweide.  Wer  kein  geschick- 
ter, geübter  und  gewandter  Operateur  ist,  bleibe  davon.  Übrigens  ist  das 
Verfahren  dabei  nach  Verschiedenheit  des  Bruchs  verschieden ;  daher  hier 
keine  nähere  Beschreibung  desselben ,  die  man  in  jedem  guten  Handbuche 
der  Chirurgie  findet,  die  aus  Büchern  aber  nie  allein  erlernt  werden  kann, 
folgt  (s.  Hernia  cruralis,  H.  inguinalis).  5)  Ist  die  frühe  Anwen- 
dung der  Operation  versäumt,  so  erfolgt  auf  die  vorhergegangene  Entzün- 
dung Gangränescenz  im  Bruche  (s.  Hernia  gangraenosa),  und  zwar  am 
häufigsten  bei  der  acuten  Einklemmung,  dagegen  kann  bei  der  chronischen 
Form  in  seltenen  Fällen  Übergang  in  Eiterung  stattfinden.  Häufig  muss 
man  auch  dann  noch,  um  das  Leben  zu  retten,  die  Operation  machen. 
Findet  man  nun  bei  letzterer,  dass  die  Gedärme  dunkel,  violett,  schwärz- 
lich aussehen,  dass  ihre  Wärme  vermindert  ist,  so  ist  freilich  schon  die  an- 
fangende -Gangränescenz  da ,  aber  die  Gedärme  können  noch  erhalten  wer- 
den; man  muss  sie  daher  in  den  Unterleib  zurückbringen,  wo  sie  bald  wie- 
der Leben  und  Wärme  bekommen.  Ist  ein  Theil  des  Darms  durch  Brand 
zerstört ,  so  entsteht  leicht  eine  Kothfistel ,  besonders  wenn  das  ganze  Lu- 
men desselben  sphacelös  geworden  ist.  „Besteht  wirklicher  Brand  (sagt 
Chelius),  welcher  sich  durch  Verlust  des  Glanzes,  durch  aschgraue  Farbe, 
mürbe  Beschaffenheit  der  äussern  Haut  des  Darms  charakterisirt ,  so  muss, 
wenn  die  brandige  Stelle  nur  klein  ist,  dieselbe  mit  der  Lanzette  angesto- 
chen ,  eine  Gekrösschlinge  angelegt,  der  Darm  zurückgebracht  und  die  bran- 
dige Stelle  in  einer  der  Bauchöffnung  entsprechenden  Lage  festgehalten  wer- 
den. Ist  eine  Darmschlinge  vom  Brande  ergriffen,  folglich  die  Continuität 
des  Darmcanals  aufgehoben,  so  werde  blos  das  Brandige  mit  der  Scheere 
abgetragen,  da  durch  die  vorausgegangene  Entzündung  schon  Verwachsung 
des  übrigen  Darmes  mit  dem  Bruche  zu  Stande  gekommen  ist,  welche  jede 
Ergiessung  des  Kothes  in  den  Unterleib  verhütet."  Dies  ist  aber  nicht  im- 
mer der  Fall.  Es  giebt  gangränöse  Brüche,  bei  denen  eine  grosse  Partie 
Darm  brandig  geworden  ist,  wo  wir  alles  Brandige  wegschneiden  müssen, 
bis  wir  an  gesunden  Darm  kommen,  wo  dann  durch  JohcrCs  Verfahren  leicht 
Heilung  folgt,  ohne  dass  eine  Kothfistel  zurückbleibt  (s.  Johert,  Mem.  sur 
les  plaies  du  canal  intestinal.  1827.  Heclcer^s  Literar.  Annalen,  1827.  Juli. 
S.  351).  Johert  lässt  bei  ganz  durchschnittenen  Gedärmen  den  Kranken 
gefärbtes  Mandelöl  trinken,  um  abzuwarten  ,  bis  es  sich  am  Darmende  zeigt, 
wodurch  man  das  obere  Ende  erkennt.  Alsdann  wird  eine, gerade  Nadel 
von  Innen  nach  Aussen  an  jeder  Seite  des  Darms  durchgestochen  und,  nach- 
dem alles  mit  warmem  Wasser  gereinigt  worden,  das  untere  Ende  des  Dar- 
mes einen  Zoll  liineingeschoben ,  und  dann  das  obere  Ende  in  dieses  hinein- 
geschobene Ende  gebracht,  so  dass  die  seröse  Haut  die  innere  Fläche  des 
untern  Darmstücks  bildet  und  die  seröse  Haut  des  obern  Endes  damit  in 
Berührung  kommt.  Auf  diese  Weise  heilen  die  Gedärme  sehr  leicht  zusam- 
men ;  bringt  man  aber  die  innere  und  die  äussere  Fläche  zusammen,  so  heilt 
der  Darm  niemals;  denn  nur  homogene  Theile  heilen  leicht  und  schnell  zu- 
sammen, nicht  heterogene,  wie  z.  B.  seröse  und  mucöse  Häute.  Oft  hat 
sich  die  brandige  Zerstörung  auch  schon  über  die  Bauchdecken,  wenigsten« 
in  der  Nähe  der  Bruchöffnung,   verbreitet.     Hier  ist  an  keine  Adhäsion  zu 


M14  HERmA 

denkeiiu  Biet  schneide  man  alles  Brandige  weg,  bis  man  an  gesunden  Darm 
kommt,  den  man  dann  nach  Jobert  vereinigt.  Dass  mehrere  Zoll  Darm  ohne 
Schaden  verloren  gehen  können,  ist  bekannt,  ja,  mein  Freund,  Dr.  Stein- 
metz, rettete  einst  eine  Frau,  der  er  sogar  4  Fuss  brandigen  Darm  weg- 
geschnitten hatte  (s.  RusVs  Magazin,  1828.  Bd.  XXVII.  Hft,  2.  S.  381. 
Hufcland's  Journ.  1830.  St.  5.  S.  24 — 34).  Dass  man  ausserdem  einen  sol- 
chen Bruch  ganz  wie  Gangrän  zu  behandeln  und  also  Antiseptica  anzuvTen- 
den  habe,  versteht  sich  von  selbst.  Der  Dr.  Fräiikel  (s.  v.  Gräfe's  und 
t).  Walthcr's  Journal  für  Chirurgie  etc.  1834.  Bd.  XX.  Hft.  4.  S.  537  f.) 
sagt:  „Die  gewöhnlichste  Ursache  der  Einklemmung  eines  Bruches  ist  die 
relativ  zu  grosse  Ausdehnung  desselben  durch  fäculente  Stoffe,  durch  Darm- 
gas oder  fremde  Körper,  welche  sich  anhäufen  und  endlich  in  vollkommne 
Stockung  gerathen ;  aber  die  hinzukommende  Inflammation  ist  nicht  Ursache, 
sondern  Folge  der  Einklemmung,  deshalb  ihr  Ausgang,  ohne  ärztliche  Hülfe, 
brandige  Zerstörung  des  der  Einschnürung  preisgegebenen  Darmstücks.  Die 
fibrösen,  die  Einschnürung  bewirkenden  Gebilde  besitzen  überhaupt  eine  ge- 
ringere Neigung  zur  Entzündung,  als  die  eingeschnürten  Theile.  Bei  Netz- 
brüchen findet  in  der  Regel  die  Einklemmung  nur  dann  statt ,  wenn  zur 
Epiplocele  noch  eine  Portion  Netz  sich  hinzugesellt.  Auch  eine  für  sich 
bestehende  Zusammenziehung  der  aponeurotischen  Gebilde  der  Leistenspalte 
und  des  Ligam.  Poupartii  kann  für  die  Ursache  der  Einklemmung  gelten,  so 
lange  wir  keines  Bessern  belehrt  sind.  Manchmal  tritt  der  eingeklemmte 
Bruch  gleich  nach  Eröffnung  des  Bruchsacks  und  ohne  Einschnitt  des  Bauch- 
ringes von  selbst  zurück,  und  dieser  Einschnitt  braucht  höchst  selten  mehr 
als  einige  Linien  zu  betragen ,  um  den  Bruch  durchzulassen.  Die  Einklem- 
mung hört  vom  Augenblicke  an  auf,  wo  die  Spannung  oder  Contraction  im 
eingeklemmten  Theile  nachlässt."  Die  Entzündung  und  der  Krampf,  meint 
Frünlcel,  bewährten  sich  nur  selten  als  die  wahren  Factoren  der  Einklem- 
mung. Doch  erleidet  dieser  Satz  in  Betreff  des  Krampfs  grosse  Einschrän- 
kung, Beide  hören  auf,  wenn  die  Reduction  des  Bruchs  gelungen  ist.  Die 
etwa  nachfolgende  Peritonitis  hängt  von  dem  Grade  der  Vulnerabilität  des 
Kranken  ab  und  ist  die  Folge  des  blutigen  Eingriffs.  „Die  Incarceration, 
sagt  Fräiikel ,  ist  ursprünglich  nur  ein  mechanischer  Zustand  ,  und  die  da- 
durch gestörten  Verhältnisse  in  der  Wechselwirkung  zwischen  einklemmen- 
den und  eingeklemmten  Theilen  bringen  jene  Affectionen  zu  Stande.  Hier, 
wie  dort,  folgt  der  Einklemmung  ein  Zustand  der  örtlichen  Lähmung  in  der 
peristaltischen  Thätigkeit  und  überhaupt  eine  Hemmung  des  Kreislaufs,  wo- 
bei übrigens  viel  aufs  Alter  des  Bruchs  und  die  Reizbarkeit  des  Kranken  an- 
kommt. Mit  dem  Aufhören  der  Incarceration  tritt  in  der  Regel  der  normale 
Zustand  wieder  ein  und  die  Gefahr  hat  ein  Ende.  Allein  in  einem  so  vor- 
theilhaften  Lichte  auch  die  Herniotomie,  von  diesem  Gesichtspunkte  betrach- 
tet, erscheint;  so  hat  sie  doch  auch  ihre  grossen  Nachtheile:  lange  währen- 
des Krankenlager,  oft  folgende  Peritonitis,  die  nicht  selten  einen  exsudati- 
ven Charakter  annimmt  und  leicht  tödtlich  wird  etc.  Auch  kann  leicht  ein 
Darmstück  verletzt  werden,  und  der  widernatürliche  After  ist  wol  eben  so 
oft  die  Folge  der  Operation  als  der  Gangrän.  Endlich  rauss  noch  der  Ver- 
letzungen des  Samenstranges  und  bedeutender  Arterien  gedacht  werden. 
Um  so  mehr  ist  es  zu  beklagen,  dass  bis  jetzt  noch  kein  allgemeines  Krite- 
rium bekannt  ist,  welches  der  Wahl  der  Älittel  und  überhaupt  der  ärztlichen 
Handlungsweise  die  passende  und  heilbringende  Richtung  zu  geben  im  Stande 
wäre.  Unter  den  gebräuchlichen  Mitteln  gegen  Incarceration  nehmen  die 
Blutentziehungen  eine  bedeutende  Stelle  ein,  indem  sie  erschlaffen,  die  Ent- 
zündung massigen  und  den  Krampf  lösen.  Da  aber  die  Entzündung  auf 
mechanischen  Verhältnissen  beruhet  und  nur  selten  idiopathisch  ist;  so  kann 
die  Fortsetzung  eines  kräftigen  antiphlogistischen  Verfahrens  hier  um  so  ge- 
fährlicher werden,  je  leichter  und  merklicher  diese  Entzündung  in  Brand 
übergeht.  Deshalb  hat  ein  Nachlass  der  Symptome  keine  grössere  indici- 
rende  Wichtigkeit,  als  eine  Steigerung  derselben,  da  die  Extreme  sich  hier 
einander  innig  berühren.     Alsdann   kann  die  Operation  entweder  überflüssig 


HERNIA  1015 

pder  auch  zu  spät  seyn,  und  oft  thut  der  Chirurg  wohl,  mildere  Mittel  an- 
zuwenden." Li  dieser  Hinsicht  empfiehlt  Fränkel  vorzüglich  das  Extractum 
belladonnae  (3j  auf  gjj  Unguent.  althaeae),  wovon  alle  Stunden  auf  die 
Bruchstelle  und  den  ganzen  Unterleib  eingerieben  wird.  In  6  Fällen  von 
Einklemmung  (es  waren  alle  Cruralbrüche  ^bei  Weibern)  sah  er  davon  den 
glänzendsten  Erfolg.  Auch  bei  einem  Nabelbruch  half  das  Mittel;  doch  gin- 
gen Blutausleerungen  voran ,  die  er  eben  so  wenig ,  als  die  warmen  Bäder, 
kalten  Umschläge,  Einreibungen  von  Ol.  crotonis  etc.  verwirft.  Besonders 
in  solchen  Fällen,  wo  man  zum  Messer  zu  greifen  pflegt,  will  er,  dass  man 
das  Belladonnaextract  vorher  erst  versuchen  solle.  Die  Einreibungen,  die 
sanft  applicirt  werden  müssen,  zieht  er  den  Fomentationen  des  Extracts,  in 
Wasser  gelöst,  vor;  doch  wandte  Fngol  Diipoujet  letztere,  gleichfalls  mit 
günstigem  Erfolge,  in  vier  Fällen  von  Hern,  incarc  an  (s.  Revue  medicale 
1831.  Novbr.).  —  Die  Erfahrung  lehrt,  dass  r*ian  oft  schon  die  Hernio- 
tomie  für  unumgänglich  nöthig  hielt,  und  dennoch  trat  von  selbst  oder  durch 
unbedeutende  Mittel,  selbst  Gemüthsbewegungen  etc.  der  Bruch  zurück 
(s.  De  Haen,  Praelect.  ed.  IVasserbcrg.  Ann.  II.  p.  158),  Seit  einigen  Jah- 
ren wende  ich  zur  Reposition  eingeklemmter  Brüche  folgende,  in  der  AUg. 
medic.  Zeitung,  AlLenburg  1834.  Nr.  35.  näher  beschriebene  neue  Metho- 
de, worauf  ich  zufällig  gekommen,  mit  vielem  Glücke,  zumal  bei  einge- 
klemmten Leistenbrüchen  der  Kinder,  wo  sie  mir  stets,  selbst  nach  24stün- 
diger  Einklemmung  und  40 — SOmaligem  Erbrechen,  gelang,  an.  Die  Re- 
position des  Bruchs  geschieht  auf  folgende  Weise:  Der  Kranke  wird  so  auf 
einen  Tisch  gelegt,  dass  die  Lenden  ein  paar  Fuss  höher,  als  der  Kopf  zu 
liegen  kommen.  Alsdann  reibe  ich  langsam  mit  der  einen  Hand  (ist  der 
Bruch  rechts  mit  der  rechten,  ist  er  links  mit  der  linken  Hand)  6  — 10  Mi- 
nuten lang  erwärmtes  Ol.  hyoscyami  mit  Extr.  belladonn.  (3ft  auf  5J  Ol) 
in  die  Bruchstelle,  wende  dann  einen  massigen  Druck  mit  der  Hand  auf  den 
Bruch  an,  indem  ich  ihn  so  zwischen  die  Finger  fasse,  als  wenn  man  einen 
Beutel  von  Gumm.  elastic.  ausdrücken  will,  lasse  vorher  die  beiden  Schen- 
kel dicht  an  den  Unterleib  ziehen ,  so  dass  die  Plattfüsse  auf  den  Tisch  zu 
stehen  kommen,  ergreife  nun  plötzlich  während  des  fortgesetzten  Drucks 
mit  der  einen  Hand  den  Unterschenkel  der  leidenden  Seite,  mit  der  andern 
Hand  hebe  ich  ihn  einen  Fuss  hoch  in  die  Höhe  und  stosse  ihn  schnell  und 
mit  einiger  Kraft  wieder  auf  den  Tisch,  so  dass  der  Plattfuss  letztern  hart 
berührt.  In  demselben  Augenblicke  springt  der  Bruch ,  oft  mit  hörbarem 
Geräusch,  zurück.  Auch  ohne  die  genannten  Einreibungen  ist  mir  dieses 
Manöver  von  erwünschtem  Erfolg  gewesen.  Ob  der  Schreck  oder  die  Er- 
schütterung und  die  dadurch  veränderte  Lage  und  Bewegung  der  Därme  im 
Verhältniss  zum  Bauchringe,  oder  eine  Bewegung  des  letztem  selbst,  die 
nächste  Ursache  dieser  glücklichen  Repositionsmethode  sey?  —  dies  lasse 
ich  dahin  gestellt  seyn.  ■ —  Auch  die  glücklichen  Resultate,  welche  die  An- 
wendung der  Saugpumpe  bei  eingeklemmten  Brüchen  geliefert,  wodurch 
nicht  selten  dann  selbst  noch  die  Reposition  gelang,  wenn  die  Operation 
mittels  des  Messers  dringend  indicirt  schien,  fordern  den  Praktiker  auf, 
diese  vor  der  Herniotomie  nicht  unversucht  zu  lassen.  Zahlreiche  Beobach- 
tungen theilen  darüber  mit:  Btesch  in  HufelamVs  Journal.  1832.  St.  7.  und 
L.  Köhler  in  Hecker's  Wissenschaftl.  Annalen  der  ges.  Heilk.  1835.  Hft.  4. 
Schon  durch  Anwendung  eines  grossen  trocknen  Schröpfkopfs,  wodurch  die 
Luft  auf  der  Bruchstelle,  die  er  bedeckt,  verdünnt  wird,  gelang  in  einzel- 
nen Fällen  die  Reposition.  Noch  wirksamer  ist  die  Saugpumpe,  welche  aus 
einer  Glasglocke  besteht,  die  man  auf  die  Bruchstelle  setzt,  und  woran  sich 
eine  kleine  Luftpumpe  (mit  Stempel  und  Stiefel)  befindet.  Nach  einigen  10 
bis  20  Stempelzügen  tritt  der  eingeklemmte  Bruch,  meist  mit  nicht  unbe- 
deutendem Schmerz  für  den  Kranken,  natürlich  noch  stärker  hervor.  _  Dann 
nimmt  man  die  Glasglocke  weg  und  versucht  die  Taxis,  welche  meist  au- 
genblicklich gelingt.  In  Ermangelung  der  Säugpumpe  kann  man  ein  Bier- 
glas in  der  Art,  wie  einen  Schröpfkopf,  d.  i.  nachdem  man  durch  eine  Licht- 
flamme die  Luft  darin  verdünnt  hat,  auf  die  Bruchstelle  setzen,  und  darauf 


1016  HERNIA 

die    Taxis  versuchen.     Köhler  zählt  23  Fälle,   wo  ihm  die  Saugpumpe  die 
herrlichsten  Dienste  bei  eingeklemmten  Brüchen  leistete. 

Hernia  iiicomplein ,  pnriialis,  ein  unvollkommner  Bruch,  auch  nach 
unwesentlichen  Verschiedenheiten  Hernia  hiteraHs,  parva,  LiUrica,  perstri- 
ctoria,  sacciformis ,  appcndiailaris  genannt,  welche  Namen  sich  meist  alle 
auf  kleine  Leistenbrüche  beziehen  (s.  auch  Hernia  completa);  oder  man 
nennt  auch  eine  noch  nicht  aus  dein  Annulus  hervorgetretene  Hernia  ingui- 
nalis  externa  eine  Hernia  incompleta. 

Hernia  inflammatay.  der  entzündete  Bruch.  So  hat  map  wol  die 
acute  Einklemmung  genannt;  s.  Hernia  incarcerata. 

Hernia  inguinalis ,  Buhonocele ,  der  Leistenbruch.  Ist  ein  solcher 
Bruch,  der  durch  den  Bauchring  tritt,  sich  anfangs  in  der  Weiche  zeigt, 
bei  Männern  aber,  wenn  Hülfe  versäumt  worden,  sich  später  in  den  Hoden- 
sack begiebt  (^Hernia  scr^nlis ,  Oscheocele^,  bei  Weibern  dagegen  sich  in 
die  äussei-e  Schamlippe  senkt  (^  Hernia  lahii  puilendi  externi)  und  diese  her- 
abdrückt. Sehr  wichtig  ist  die  Eintheilung  in  äussern  und  innern  Lei- 
stenbruch (^Hernia  inguinaJis  externa  und  Hernia  inguinalis  interna}.  Die 
Diagnose  beider  ist  nur  unter  genauen  anatomischen  Kenntnissen  möglich. 
Man  bemerkt  innerhalb  der  Beckenhöhle  in  der  Gegend  des  Bauchringes 
zwei  Gruben ,  die  äussere  und  die  innere  Leistengrube  ( Fovea  processus 
vaginalis  und  Fovea  inguinalis  interna).  Die  erstere  wird  an  der  äussern 
Seite  von  der  Spina  anterior  superior  cristae  ossis  ilei  und  an  der  innern 
von  der  Art.  epigastrica  begrenzt;  sie  ist  bestimmt  zum  Durchgange  des 
Samenstrangs,  der  in  einem  Fortsätze  des  Peritonaeums :  Tunica  vaginalis 
communis  genannt,  eingeschlossen  ist.  Fallen  die  Gedärme  nun  durch  diese, 
auch  Foramen  processus  peritonaei  genannte,  Grube,  so  entsteht  der  äus- 
sere Leistenbruch.  Die  innere  Leistengrube  am  Annulus  abdominalis  wird 
begrenzt  an  der  äussern  Seite  von  der  Art.  epigastrica,  an  der  innern  Seite 
von  der  zum  Ligament  gewordenen  Art.  umbilicalis ,  welche  jetzt  als  ein 
Leistenband  angesehen  werden  muss.  Die  Art.  epigastrica  liegt  also  im  nor- 
malen Zustande,  wenn  kein  Bruch  vorhanden  ist,  zwischen  beiden  genann- 
ten Gruben.  Beide  Gruben  theilen  den  Bauchring  oder  richtiger  Leisten- 
canal  gleichsam  in  zwei  Hälften,  so  dass  man  durch  jede  Grube  in  den  ohn- 
gefähr  IV2  Zoll^langen  Annulus|hineinfahren  kann.  Fallen  nun  Därme  durch 
die  Fovea  inguinalis  interna,  so  entsteht  der  innere  Leistenbruch.  Die 
Hernia  inguinalis  externa  entsteht  demnach  an  der  Stelle  des  nur  seltea 
völlig  obliterirten  Canals  der  Scheidenhaut.  ., Dieser  Bruch,  sagt  Chelius, 
steigt  von  Oben  und  Aussen  nach  Innen  und  Unten,  in  der  Richtung  des 
Samenstranges,  als  eine  cylindrische  Geschwulst  herab,  der  Samenstrang  «,^ 
liegt  an  ihrer  innern  und  hintern  Seite,  die  Epigastrica  steigt  unter  dem 
Bruchsackhalse  und  an  seiner  innern  Seite  herauf;  wenn  man  ihn  zurück- 
bringt, so  hört  man  ein  eigenthümliches  Gurren."  Lnngenhecl;  sagt:  „Der 
äussere  Leistenbruch  entsteht,  wenn  nach  der  Schliessung  des  Pcocessus 
peritonaei  (Tunica  vaginal,  communis)  ein  Eingeweide  des  Unterleibes  in  die 
äussere  Leistengrube  sich  senkt,  diese  nach  und  nach  hinunterdrückt,  das 
Peritonaeum  an  dieser  Stelle  verlängert  und  so  einen  neuen  abnormen  Bauch- 
fellfortsatz :  den  Bruchsack  bildet ,  welcher  nun  nach  und  nach  durch  den 
Bauchring  hinuntersteigt.  Wird  nun  aus  diesem  Bruche  eine  Hernia  scrota- 
lis,  so  gleitet  der  Fundus  des  Bruchsacks  auf  der  Tunica  vaginalis  propria 
hinunter,  die  die  gemeinschaftliche  Scheidenhaut  umschliesst.  in  letzterer 
befinden  sich  also  folgende  Theile  eingeschlossen:  der  Testikel  mit  der  Tu- 
nica vaginalis  propria,  der  Funiculus  spermaticus  und  der  Bruchsack  mit  sei- 
nem Inhalte:  Darm,  Netz  etc.  Bei  der  Herniotomie  findet  man,  Avenn  es 
ein  Scrotalbruch  ist,  diejTheile., in  folgender  Ordnung:  zuerst  die  vordere 
Wand  des  Hodensacks  mit  dem  Zellgewebe,  dann  der  Muse,  creniaster,  dann 
d  e  vordere  Wand  der  Tunicafvaginalis  communis.  Sie  ist  derb  und  fest, 
wie  ein  Bruchsack,  und  lässt  sich  mit  Leichtigkeit  abpräpariren.  Nun  folgt 
die  vprdcre  Wand  des  Bruchsacks;  dann  der  vorgefallene  Theil  und  endlich 
das  Netz,     Gehtjnan  weiter  fort  nach  Hinten,    so; kommt  erst   dio  hintere 


HERNIA  1017 

Wand  des  Bruchsacks,  hinter  dieser  der  Saraenstrang,  dann  die  hintere 
Wand  der  Tunica  vaginalis  communis,  darauf  die  hintere  Partie  des  Krema- 
ster etc.  Vor  Verletzung  des  Samenstranges  braucht  man  sich  bei  der  Ope- 
ration des  äussern  Leistenbruches  gar  nicht  zu  fürchten.  Zur  Diagnose  des 
Bruches  dient,  dass  er  von  der  äussern  Seite  der  Weiche,  von  der  Gegend 
der  Spina  anterior  superior  cristae  ossis  ilei  her  sich  zeigt  und  schräg  nach 
Innen  geht.  Häufig  kann  man  ihn  schön  früh,  ehe  er  durch  den  Bauchring 
hervorgetreten,  oberhalb  des  Lig.  Poupartii  sehen,  besonders  wenn  der 
Kranke  hustet;  denn  die  Tunica  vaginalis  communis  bildet  schon  innerhalb 
der  Bauchhöhle  eine  Scheide  für  den  äussern  Leistenbruch ,  noch  ehe  er  zum 
Annulus  abdom.  kommt.  Die  Art.  epigastrica  liegt  hier  an  der  Innern  Seite 
des  Bruchsacks ,  und  der  grösser  werdende  Bruch  nach  der  Symphysis  os- 
sium  pubis  hin;  daher  muss  der  Bauchring  bei  Incarceration  dieses  Bruches 
in  der  Richtung  nach  Aussen  eingeschnitten  werden."  Der  innere  Leisten- 
bruch, von  A.  Cooper  veniro  -  inguinal  Hernia  (Bauchbruch)  genannt,  wo  der 
Bruchsack  als  abnormer  Fortsatz  des  Bauchfells  in  die  innere  Leistengrube 
zwischen  die  Art.  epigastrica  und  die  obliterirte  Art.  umbilicalis  hinabge- 
drückt wird  (also  nicht  dahin,  wo  der  Funiculus  spermaticus  liegt),  üat 
das  Charakteristische,  dass  er  aus  der  Leistengrube  gerade  von  Innen  nach 
Aussen  durch  den  äussern  Leistenring  hervortritt.  Er  ist  daher  runder  an 
Gestalt,  hat  einen  kürzern  Hals;  er  hebt  den  Innern  Schenkel  des  Bauch- 
ringes stärker  in  die  Höhe;  der  Samenstrang  mit  der  Tunica  vaginalis  liegt 
frei  an  der  äussern  Seite  des  Bruchsacks,  und  beim  Zurückbringen  hört 
man  kein  Gurren  (^Chelius')',  auch  wird  er  nie  so  gross  an  Umfang  als  die 
Hernia  inguinalis  externa.  Je  älter  die  Leistenbrüche  sind,  desto  schwieri- 
ger ist  die  Diagnose  zwischen  dem  äussern  und  Innern  Inguinalbruche;  denn 
ersterer  hat  oft  völlig  seine  cylindrische  Form  und  seinen  schiefen  langen 
Hals  verloren  und  tritt  gerade  aus  der  Bauchhöhle  nach  Aussen.  Auch  die 
Lage  des  Samenstranges  verändert  sich  bei  alten  und  grossen  äussern  Lei- 
stenbrüchen nicht  selten ,  und  der  Druck  der  Geschwulst  drängt  die  Gefässe 
desselben  ott  auseinander.  Der  Inhalt  der  Leistenbrüche  ist  am  häufigsten 
der  Krummdarm ,  seltener  der  Blinddarm  und  der  Wurmfortsatz.  Netz  fin- 
det man  häufig  in  diesen  Brüchen,  vorzüglich  an  der  linken  Seite;  höchst 
selten  und  meist  nur  bei  Weibern  tritt  in  den  Innern  Leistenbruch  ein  Theil 
der  Harnblase  oder  der  Innern  Geschlechtstheile.  Zuweilen  ist  der  Leisten- 
bruch angeboren  (Hernia  inguinalis  congenita).  Er  entsteht,  wenn  mit  dem 
Testikel  zugleich  oder  doch  gleich  nach  seinem  FleBabsteigen  ein  Theil  der 
Eingeweide  flurch  den  noch  otfen  gebliebenen  Scheiden'iautcanal  hervortritt 
und  der  Darm  also  die  Tunica  albuginea  testiculi ,  mit  welcher  er  auch  zu- 
weilen verwächst,  berührt.  Veranlassungen  zu  diesem  Bruche  geben:  ein 
längeres  Liegenbleiben  des  Hoden  im  äussern  Leistenringe  und  Verwachsun- 
gen des  Hoden  mit  dem  Netze.  Langcnheck's  scharfsinnige  Ansicht  über  das 
Peritonaeum,  seine  Duplicaturen  und  Fortsätze  hat  über  die  Entstehungs- 
weise dieser,  wie  der  Hernia  inguinalis  accjuisita,  viel  Licht  verbreitet  (s. 
Dess.  Abhdl.  v.  den  Leisten-  und  Schenkelbrüchen  1821,  und  Dess.  Com- 
ment.  de  structura  peritonaei  1817).  Beim  angebornen  Leistenbruche  bildet 
die  Tunica  vaginalis  propria  den  Bruchsack,  er  ist  meist  immer  ein  Darra- 
bruch  und  verhält  sich  ganz  so,  wie  die  Henm  inguinalis  externa,  nur  mit 
dem  Unterschiede,  dass  er  sich,  weil  sich  hier  kein  Bruchsack  zu  bilden 
braucht,  schneller  entwickelt  und  die  Eingeweide  mit  dem  Hoden  selbst  in 
Berührung  kommen.  Die  Diagnose  der  Leistenbrüche  von  andern  in  der 
Leistengegend  vorkommenden  Geschwülsten,  namentlich  von  Hydrocele,  Va- 
ricocele,  Funiculus  spermaticus  inflammatus ,  von  Incarceration  des  Testikels 
im  Bauchringe,  von  der  Fettanhäufung  des  Zellgewebes  im  Samenstrange 
(s.  Hernia  pinguedinosa  scroti),  von  Eiteransammlung  etc. ,  ist  nicht 
schwierig,  wenn  wir  die  Anamnese,  die  charakteristischen  Zeichen  der  Lei- 
stenbrüche und  der  genannten  Geschwülste  (s.  diese  Art.)  genau  mit  einan- 
der vergleichen.  Ist  der  Leistenbruch  ein  Netzbruch  (Hernia  omentalis,  Epi- 
plocele) ,  wo  er  sich  teigig,  ungleich,  strangartig  anfühlt,  ^ine  breitere  Basis 


1018  HERmA 

hat,  sich  langsamer  entwickelt,  schwerer  zu  reponh-en  ist  und  oft  ein  lästi- 
ges ziehendes  Gefühl  im  Unterleibe  erregt,  so  ähnelt  er  zwar  dem  Krampf- 
aderbruche. Zur  Untersucheidung  dient  aber,  dass  bei  letzterem  der  Bauch- 
ring nicht  ausgedehnt  ist,  dass  man  die  einzelnen  Stränge  der  geschwollenen 
Gefösse  zwischen  den  Fingern  fühlt  und  ein  starker  Druck  auf  Augenblicke 
die  Geschwulst  sehr  verkleinert,  ohne  dass  man  nöthig  hat,  sie  in  den  Un- 
terleib zu  schieben.  Legt  man  den  Kranken  auf  den  Rücken  und  bringt  die 
Geschwulst  zurück,  lässt  man,  während  man  auf  den  Bauchring  drückt,  den 
Kranken  sich  aufrichten,  so  erscheint  dennoch  die  Geschwulst  wieder,  was 
bei  der  Hernia  nicht  der  Fall  ist.  Bei  Hydrocele  ist  der  Annulus  frei  und 
die  Rückenlage,  sowie  jeder  Nisus,  hat  auf  die  Geschwulst  keinen  Eintluss. 
Über  das  späte  Herabsteigen  des  Hoden  giebt  der  Mangel  des  Testikels  an 
dieser  Seite  des  Hodensacks  bei  kleinen  Knaben  Aufschluss.  Bei  der  ent- 
zündlichen Geschwulst  des  Samenstranges,  die  freilich  durch  ähnliche  Schäd- 
lichkeiten wie  der  Bruch  entstehen  kann,  dringt  die  Geschwulst  oft  zum 
Bauchringe  und  steigt  bis  zum  Testikel  herab,  sie  ist  prall,  schmerzhaft, 
der  Kranke  leidet  an  Fieber,  selbst  consensuell  an  Übelkeit,  Erbrechen, 
Obstructio  alvi.  Ist  nun  schon  früher  ein  Bruch  zugegen;  so  ist  die  Dia- 
gnose oft  recht  schvsderig.  Der  Mangel  an  hartnäckiger  Leibesversto- 
pfung und  an  fortwährendem  Erbrechen  ist  hier  aber  nicht  zu  übersehen. 
Bei  der  Fettanhäufung  im  Zellgewebe  des  Samenstranges  tritt  das  Fett  oft 
aus  dem  Bauchringe  heraus  und  bildet  eine  Geschw\ilst,  die  die  Alten  Her- 
nia adiposa  nannten,  die  übrigens  gar  keine  Beschwerde  macht.  Behand- 
lung der  Leistenbrüche.  Wenn  ein  Leistenbruch  sich  selbst  überlassen, 
bleibt,  so  schwebt  der  Kranke  wegen  der  zu  befürchtenden  Einklemmung 
in  steter  Gefahr;  ausserdem  wird  der  Bruch  immer  grösser,  er  tritt  ins 
Scrotum,  zuletzt  fallen  alle  dünnen  Gedärme  und  das  ganze  Netz  in  den 
Bruch ;  die  vorgefallenen  Theile  verwachsen  häufig  mit  dem  Bruchsacke, 
er  kann  nicht  mehr  zurückgebracht  werden;  die  Kranken  leiden  öfters  an 
Digestionsfehlern,  an  Verstopfung,  bei  grossen  Brüchen  an  Excoriationen, 
an  Entzündung  und  Geschwüren  des  Scrotums,  kurz,  das  Übel  ist  ein  be- 
deutendes, ein  langwieriges  und  oft  lebensgefährliches.  Daher  ist  hier  ein 
gutes  Bruchband  das  erste  Hülfsmittel.  Am  besten  ists,  dass  man  für  jeden 
einzelnen  Fall  genau  das  Mass  nimmt  und  darnach  die  Stahlfeder  und  das 
ganze  Bruchband  machen  lässt.  Das  Mass  nimmt  Langcnhcck  auf  folgende 
Weise.  Der  Bruch  wird  reponirt,  dann  legt  man  das  eine  Ende  des  Mas- 
ses (wozu  sich  ein  Streifen  dünnen  Bleies  am  besten  eignet)  auf  den  Bauch- 
ring, führt  das  andere  Ende  über  das  Darmbein  hinweg,  oberhalb  des  gros- 
sen Trochanters  und  unterhalb  der  Crista  ossis  ilei,  bis  zur  hintern  Fläche 
des  Ossis  sacri.  Über  diese  Theile  kommt  die  Stahlfeder  zu  liegen;  das 
einhüllende  Leder  aber  geht  von  der  Mitte  des  heiligen  Beines  noch  weiter 
um  die  gesunde  Seite;  es  endigt  sich  in  einen  Riemen,  der  vorn  auf  der 
Bruchstelle  an  der  Pelotte  befestigt  wird.  Beim  äussern  Leistenbruche  muss 
letztere  etwas  länger  seyn ,  weil  der  Processus  vaginalis  schräg  von  der 
Aussenseite  nach  dem  Annulus  hingeht.  Bei  Richter ,  Brünniiii/hauscn  und 
Juville  (s.  oben  Hernia)  findet  man  gute  Abbildungen  von  Bruchbändern. 
Sind  an  beiden  Seiten  Brüche,  so  muss  man  zwei  besondere  Federn  machen 
lassen,  die  mit  ein  und  demselben  Riemen  überzogen  werden.  Soll  ein  gut 
nässendes  Bruchband  den  Bruch  radical  heilen ,  so  muss  letzterer  noch  nicht 
zu  alt  und  auch  der  Kranke  noch  nicht  über  das  Rlannesaltcr  hinaus  seyn, 
das  Band  selbst  aber  mehre  Jahre  unausgesetzt,  bei  unruhig  liegenden  Per- 
sonen selbst  des  Nachts  getragen  werden.  „Die  Einklemmung  der  Leisten- 
brüche, sagt  Clielüis,  kann  an  dem  äussern  oder  Innern  Leistenringe,  in  dem 
Bruchsackhalse,  oder  in  Stricturen  des  Bruchsackkörpers  ihren  Sitz  haben." 
Wenn  diese  auf  keine  Weise  durch  die  angegebenen  Mittel  gehoben  werden 
kann  (s.  Hernia  incarcer ata),  so  muss  der  Bruch  operirt  werden.  Be- 
sonders säume  man  damit  nicht,  wenn  der  Bruch  elastisch,  gespannt,  gleich- 
förmig ausgedehnt  und  höchst  schnterzhaft,  also  eine  Enteroccle  incarcerata 
ist.     Ists  ein  eingcklenuuter  Netzbruch  (Epiplocele  incarcerata),   so  ist  die 


J 


HERMA  1019 

Geschwulst  mehr  weich,  teigig,  die  Schmerzen  sind  nicht  bedeutend,  man 
kann  die  Geschwulst  etwas  zusammendrücken,  aber  es  geht  nichts  in  den 
Unterleib  zurück,  und  der  Kranke  hält  die  Incarceration  länger  aus.  Die 
Herniotomie  besteht  in  der  Eröffnung  des  Bruchsacks  und  in  der  Erweite- 
rung des  Annulus  oder  der  eingeklemmten  Stelle.  Zum  Apparatus  instru- 
mentorum  gehören:  ein  Unterbindungsapparat,  eine  Pincette,  ein  convexes 
und  ein  gerades  Scalpell,  eine  Scheere,  eine  Hohlsonde,  ein  Bruchmesser 
von  Richter  oder  Cooper,  ein  Schwamm,  und  kaltes  Wasser.  Der  Kranke 
■wird  auf  einen  Tisch  gelegt,  worauf  sich  eine  Matrazze  befindet.  Ist  der 
Bruch  gross ,  schon  ein  Scrotalbruch ,  so  bildet  man  vor  dem  Einschnitte 
eine  Hautfalte,  bei  kleinen  Brüchen  spannt  man  die  Haut  vorher  an.  Man 
fange  den  Schnitt  oben  auf  dem  Annulus,  wo  der  Bruch  am  schmälsten  ist, 
an,  und  zwar  in  der  Mittellinie  der  Geschwulst.  Alsdann  überzeuge  man 
sich  erst  von  der  Lage  des  Samenstranges,  ehe  man  den  Hautschnitt  nach 
Unten  verlängert.  Man  sey  überhaupt  beim  Hautschnitt  recht  vorsichtig, 
übereile  sich  ja  nicht,  mache  ihn  mit  einem  recht  scharfen  convexen  Scal- 
pell, und  hüte  sich  bei  der  Hernia  inguinalis  interna  vor  Verletzung  des 
Samenstranges.  Hat  man  die  Haut  durchgeschnitten,  so  trifft  man  bei  äus- 
serem Leistenbruch  den  Kremaster.  Sind  die  Arteriae  scrotales  durchschnit- 
ten, so  unterbindet  man  sie  sogleich  und  ehe  man  weiter  operirt.  Man  fasst 
nun  die  Bedeckungen  des  Bruchsacks  mit  der  Pincette,  hebt  sie  hügelförmig 
in  die  Höhe  und  schneidet  so  nach  und  nach  mit  einem  flach  gehaltenen  ge- 
raden Scalpell  so  lange  davon  ab,  bis  man  auf  diese  Weise  den  ganzen  vor- 
dem Theil  des  Bruchsacks  abpräparirt  und  blossgelegt  hat,  wobei  man  sich 
ganz  ruhig  Zeit  lässt.  Der  Bruchsack  wird  auf  dieselbe  Weise  aufgehoben 
und  eingeschnitten;  man  sucht  eine  kleine  Falte  desselben  mit  der  Pincette 
zu  fassen,  hebt  sie  dann  in  die  Höhe  und  schneidet  sie  mit  einem  sehr  klei- 
nen, scharfen,  convexen  Scalpell  mit  dünnem  Stiel  flach  durch.  Welche 
Rücksichten  man  hierbei  ausserdem  zu  nehmen  hat,  geht  von  selbst  aus  der 
oben  beschi-iebenen  Verschiedenheit  in  Betreff  der  Construction  der  Hernia 
inguinalis  externa,  interna  und  congenita  hervor.  Die  Hauptsache  bleibt, 
jedesmal  zu  wissen,  welchen  Theil  man  vor  sich  hat.  Der  Bruchsack  ist 
von  weissem,  glänzendem,  glattem  Ansehn,  er  lässt  sich  schwer  mit  der  Pin- 
cette fassen,  die  leicht  darauf  abgleitet,  was  beim  Zellgewebe  und  der 
Tunica  vaginalis  communis  nicht  der  Fall  ist.  Kann  man  mit  dem  Finger 
nicht  unter  den  Innern  Schenkel  des  Bauchringes  kommen,  so  ist  dies  ein 
Zeichen,  dass  der  ungeöffnete  Bruchsack  vorliegt.  Je  älter  die  Brüche  sind, 
je  länger  die  Einklemmung  dauerte ,  desto  mehr  Bruchwasser  enthalten  sie 
(was  Manche  irrig  für  eine  Complication  mit  Hydrocele  angesehen  haben) 
und  desto  weniger  ist  Gefahr  bei  Eröffnung  zu  befürchten ;  je  kleiner  der 
Bruch  ist,  oder  je  mehr  die  Därme  mit  dem  Bruchsacke  verwachsen  sind, 
desto  eher  können  sie  verletzt  werden.  Ist  der  Bruchsack  ein  klein  wenig 
geöffnet,  so  hebt  man  den  Rand  der  Öffnung  mit  der  Pincette  in  die  Höhe 
und  erweitert  die  Öffnung  mit  einer  stumpfspitzigen  Scheere,  bis  man  einen 
Finger  in  die  Bruchsackhöhle  bringen  kann ;  auf  diesem  erweitert  man  den 
ganzen  Bruchsack  durch  den  Schnitt  mittels  der  Scheere  nach  Oben  und 
Unten.  Sind  Adhäsionen  da,  so  muss  man  diese  mit  den  Fingern,  und  wenn 
dies  nicht  gelingt,  vorsichtig  mit  dem  Messer  trennen,  und  sich  vor  Ver- 
letzung der  Gedärme  hüten.  Nach  Eröffnung  des  Bruchsacks  versuche  man 
die~  allmälige  Reposition  durch  Entwickelung  der  einzelnen  Theile  und  durchs 
Hineinschieben  in  den  Unterleib ;  sind  die  Därme  sehr  durch  Luft  ausge- 
dehnt, so  kann  man  diese  durch  Acupunctur  herauslassen,  und  dann  die 
Reposition  versuchen.  Gelingt  diese  nicht,  so  muss  man  den  Bauchring  er- 
weitern und  zwar  an  der  eingeklemmten  Stelle  und  mit  Vermeidung  von 
Verletzung  der  Epigastrica,  wozu  man  sich  des  Richter'schen,  Cooper'schen 
oder  Dupuytren'schen  Messers  oder  auch  eines  geknöpften  Bistouris  bedie- 
nen kann.  „Bei  der  Erweiterung  verfährt  man,  sagt  Cheliiis ,  auf  folgende 
Weise.  Man  lässt  die  Eingeweide  von  der  Stelle,  wo  man  die  Incision 
machen  will,    von  dem  Gehülfen   auf  schonende  Weise  entfernen,   zieht  oüt 


1020  HERNIA 

dem  Daumen  nnd  Zeigefinger  der  rechten  Hand  den  Bruchsack  etwas  nach 
Aussen,  und  führt  die  Spitze  des  Zeigefingers  der  linken  Hand  zwischen  die 
Eingeweide  und  den  Bruchsackhals,  leitet  auf  diesem  Finger  ein  gekrümm- 
tes schmales,  mit  einem  stumpfen  Knöpfchen  versehenes  Bistouri,  flach  auf 
dem  Finger  aufliegend,  ein ,  richtet  die  Schneide  desselben  gegen  die  Stelle, 
wo  der  Einschnitt  geschehen  soll,  uad  schneidet  diese  Stelle  der  Einklem- 
mung ein,  indem  man  den  Griff  des  Messers  hebt  oder  mit  dem  Finger  der 
linken  Hand  die  Schneide  desselben  andrückt.  Ist  aber  die  Einklemmung 
so  bedeutend,  dass  der  Finger  nicht  eingeführt  werden  kann,  so  bringe  man, 
nachdem  man  den  Bruchsackhals  etwas  hervorgezogen  hat,  eine  geölte,  nach 
Massgabe  der  Umstände  etwas  gebogene  Hohlsonde  zwischen  die  Eingeweide 
und  die  Stelle  der  Einklemmung,  richte  die  Rinne  gegen  die  Stelle,  wo  der 
Einschnitt  geschehen  soll,  fasse  ihren  Handgriff  mit  den  Fingern  der  linken 
Hand  so,  dass  diese  die  Eingeweide  ^*on  der  Sonde  entfernen,  gebe  ihr 
eine  solche  Lage,  dass  ihre  Spitze  gegen  die  innere  Fläche  des  Darmfells 
anliegt,  und  schiebe  auf  ihrer  Rinne  das  geknöpfte  Bistouri  ein.  Liegt  die 
Stelle  der  Einklemmung  tief,  so  kann  es  sicherer  seyn,  die  Einge\Veide  et- 
was anzuziehen,  um  auch  diese  Stelle  sehen  zu  können.  Die  Richtung  des 
Schnitts  muss  immer  eine  solche  seyn ,  dass  wichtige  Verletzungen  vermie- 
den werden;  die  Grösse  desselben  sey  von  der  Art,  dass  der  Zeigefinger 
ohne  Gewalt  über  die  Stelle,  wo  die  Strictur  bestand,  eingeführt  werden 
kann.  Durch  den  bis  in  die  Bauchhöhle  eingebrachten  Finger  überzeuge 
man  sich,  ob  keine  zweite  Einklemmung  zugegen  ist,  welche  eine  zweite 
Erweiterung  erfordert."  Ist  eine  grössere  Erweiterung  nöthig,  so  räth 
Chelius,  mit  dem  Finger,  mit  kleinen  stumpfen  Haken,  also  unblutig  zu  er- 
weitern, um  die  Epigastrica  nicht  zu  verletzen  und  doch  soviel  Raum  zu 
gewinnen,  als  zur  Reposition  des]  Bruchinhalts  nothwendig  ist.  Allerdings 
giebt  es  bei  grossen  Brüchen  mit  Verhärtung,  Degeneration  des  Netzes,  mit 
vielen  Gedärmen  etc.  Fälle,  wo  ein  kleiner  Einschnitt  nicht  hinreicht,  mit 
jeder  kleinen  Erweiterung  aber  die  Gefahr  der  Verletzung  der  Epigastrica 
vvächst.  Man  erweitere  also  die  Öffnung  ja  nicht,  bevor  man  sich  nicht 
mit  dem  Finger  durchs  Pulsiren  der  Epigastrica  von  ihrer  Lage  überzeugt 
hat,  wo  denn  der  Einschnitt  des  Annulus  nach  der  freien  Seite  hin  gemacht 
■werden  muss.  Die  unblutige  Erweiterung  hat  auch  hier  dieselben  Nach- 
theile, wie  beim  Schenkelbruch  (s.  Hernie  cruralis)  angegeben  worden. 
Langenheck  verfährt  daher  in  Fällen,  wo  wegen  Vergrösserung  des  Ein- 
schnitts die  Epigastrica  verletzt  werden  könnte,  auf  folgende  Weise:  Er 
schneidet  successive  den  Bauchring  von  Aussen  nach  Innen  ein,  d.  h.  er 
präparirt  den  Bauchring  von  Aussen  ganz  frei,  so  dass  man  seine  beiden 
Schenkel  sehen  kann,  hebt  dann  mit  der  Pincette  die  einzelnen  Lagen  des 
innern  Schenkels  in  die  Höhe  und  schneidet  sie  behutsam  und  nach  und 
nach  in  kleinen  Partikeln  mit  dem  Scalpell  durch.  Auf  solche  Weise  ver- 
letzt man  weder  das  Peritonaeum,  noch  die  Epigastrica,  nur  die  Art.  abdo- 
minalis Halleri  wird  verletzt.  Durchschnitte  man  etsva  dennoch  die  Epiga- 
strica, so  hat  man  sie  frei  vor  sich  Hegen  und  kann  sie  sogleich  unterbinden 
(s.  Vulnus  abdominalis).  Bei  der  Reposition  der  Bruchcontenta  wer- 
den die  dem  Bauchringe  zunächst  liegenden  Theile  zuerst ,  die  andern  s|)ä- 
ter  in  den  Unterleib  gebracht.  Bei  einer  Hernia  intestinali-omentalis  repo- 
nirt  man  erst  die  Därme  und  hält  das  Netz  so  lange  zurück,  damit  es  nicht 
zugleich  mit  hineindringt  und  Umschlingungen  und  Einschnürungen  macht. 
Die  Reposition  selbst  macht  man  mit  den  beiden  beölten  Zeigefingern  so, 
dass  man  den  einen  Finger  so  lange  auf  dem  zuerst  hineingeschobenen  Theile 
ruhen  lässt,  bis  der  zweite  Zeigefinger  den  andern  Theil  nachgeschoben  hat, 
und  so  ai)wechselnd,  bis  Alles  eingebracht  ist,  fortfahrt.  Gelingt  die  Re- 
position a\if  diese  Weise  nicht,  so  umfasst  man  die  ganze  Geschwulst  mit 
den  Fingern,  drückt  sie,  wie  bei  der  Taxis,  gelind  zusammen,  und  sucht 
sie  drehend  und  schiebend  in  den  Unterleib  zu  bringen,  was  bei  kleinen 
Brüchen  besonders  leicht  gelingt.  Ists  ein  äusserer  Leistenbruch,  so  ists 
nicht  genug,   die  Theile  blos  durch  den  Annulus  zu  bringen,   man  muss  sie 


HERNIA  1021 

auch  noch  gegen  die  Spina  anterior  ßuperior  cristae  ossis  ilei  wegschieben, 
weil  sie  durch  die  Fovea  processus  vaginalis  und  schon  über  dem  Poupart'- 
schen  Bande  in  den  Bruchcanal  gekommen  sind.  Die  Einklemmung  kann, 
wenn  man  dies  versäumt,  sonst  fortdauern.  Bei  einem  innern  Leistenbruche 
ist  dies  zwar  nicht  nöthig,  doch  ists  der  Vorsicht  wegen  besser,  bei  jeder 
Reposition  die  Finger  so  tief  als  möglich  hinter  den  reponirten  Theilen  hin- 
aufzuschieben,  um  sicher  zu  seyn,  dass  wenigstens  nicht  noch  in  der  Nähe 
des  Bauchringes  Einklemmung  oder  Verschlingung  stattfindet  (Langenhecli). 
Nach  vollendeter  Reposition  schiebt  man  zuerst  einen  in  feine  beölte  Lein- 
wand gewickelten  Charpiebausch  gegen  den  Bauchring  hinauf,  füllt  dann 
das  Übrige  mit  Charpie  aus,  und  befestigt  Alles  mit  Compressen  und  Spica 
inguinalis.  So  heilt  die  Wund©  vom  Grunde  aus.  Der  erste  Verband  bleibt 
2 — 3  Tage  liegen,  dann  erneuert  man  ihn  täglich  und  füllt  stets,  um  alle 
oberflächliche  Heilung  zu  verhüten,  die  Wunde  genau  mit  Charpie  aus. 
Man  setzt  erweichende  ölige  Klystiere,  lässt  die  ölige  Salzmixtur  (s.  oben) 
gebrauchen,  und  folgt  darauf  reichlicher  Stuhlgang,  so  kann  man  den  Kran- 
ken schon  für  gerettet  halten.  —  Langenheck' s  Radicalcur  nicht  ein- 
geklemmter Brüche,  die  indessen  ein  gutes  Bruchband  entbehrlich  macht, 
besteht  darin,  durch  eine  Ligatur  im  Bruchsacke  eine  Liflammatio  adhaesiva 
zu  errregen ,  worauf  Verwachsung  erfolgt.  Sein  Verfahren  ist  kürzlich  die- 
ses :  Zuerst  Durchschneidung  der  allgemeinen  Bedeckungen  auf  dem  Annulu5, 
bei  grossen  Brüchen  verlängert  man  den  Schnitt  nach  Oben  und  Unten  um 
3  Zoll;  dann,  bei  Hernia  inguinalis  externa,  Abpräpariren  der  Kremasteren, 
wie  oben  gezeigt,  und  des  Zellgewebes;  dann  schneidet  man  die  Tunica 
vaginalis  durch  und  trennt  sie  ganz,  nicht  stückweise,  vom  Bruchsacke  ab, 
den  man  ganz  blosslegt  und  reinigt.  Er  wird  nicht  geöffnet,  man  bringt 
nur  die  Gedärme  in  den  Unterleib.  Nun  fasst  man,  während  ein  Gehülfe 
die  Lamellen  der  Tunica  vaginalis  communis  zur  Seite  hält,  den  Bruchsack 
und  zieht  ihn  dicht  unter  den  Bauchring;  das  Zellgewebe,  was  den  Funi- 
culus  am  Annulus  befestigt,  ist  leicht  zu  trennen,  man  streicht  es  mit  dem 
Stiel  des  Scalpells  vom  Bruchsacks  ab,  um  den  Samenstrang  nicht  zu  ver-« 
letzen.  •  Ebenso  befreiet  man  den  Bruchsack  an  seiner  hintern  Wand,  so 
dass  dieser  ganz  frei  und  vom  Saraenstrange  und  Vas  deferens  nicht  mehr 
durch  Zellgewebe  gehalten  wird.  Man  führt  nun  zwischen  den  Funiculus 
und  Bruchsack  eine  stumpfe  silberne  Sonde,  in  deren  Öhr  sich  eine  aus  drei 
Fäden  bestehende  Ligatur  befindet.  Der  Wundarzt  fasst  den  Bruchsack, 
nachdem  er  sich  nochmals  von  der  völligen  Leere  desselben  überzeugt  hat, 
mit  seinen  fünf  Fingern,  und  der  Gehülfe  zieht  die  so  hoch  als  möglich  an- 
gelegte Ligatur  massig  fest  zusammen.  Ists  eine  Hernia  scrotalis,  so  trennt 
man  nicht  den  ganzen  Bruchsack,  sondern  nur  den  Bruchsackhals,  so  nahe 
am  Annulus  wie  möglich,  reponirt  die  Contenta  vorsichtig  und  genau  und 
legt  dann  die  Ligatur  an.  Zieht  man  diese  zu  fest  an  und  besteht  sie  nicht 
aus  drei  aneinandergelegten  gewichsten  Fäden,  so  kann  man  selbst  den 
Bruchsack  durchschneiden.  Dass  weder  Gedärme,  noch  der  Funiculus  mit 
gefasst  worden,  davon  überzeugt  man  sich  durch  die  Abwesenheit  von  Leib- 
schmerz ,  Übelkeit,  durch  den  Mangel  des  bei  Castration,  sobald  der  Samea- 
strang unterbunden  worden,  eintretenden  eigenthümlichen  Schmerzes.  Die 
Ligatur  wird  sanft  zugezogen ,  in  eine  Schleife  gebunden  und  am  Rande 
der  Wunde  mit  Heftpflastern  befestigt;  auf  die  Wunde  legt  man  Charpie, 
und  der  Kranke  muss  ein  Suspensorium  tragen  und  horizontal ,  mit  angezo- 
genen Schenkeln ,  sich  ruhig  im  Bette  verhalten.  Dabei  dünne  Diät  und 
innerlich  Crem,  tartari,  und  fehlt  die  Leibesöffnung,  Sal  Glauberi;  bei  hef- 
tigen Entzündungszufällen  und  Fieber  muss  zur  Ader  gelassen  werden.  Ge- 
wöhnlich entsteht  Eiterung,  wie  bei  der  Radicalcur  der  Hydrocele.  Die 
Ligatur  wird  aller  zwei  Tage  etwas  fester  gezogen,  und  sie  muss  oft  3  —  4 
Wochen  liegen  bleiben,  bis  sie  den  Bruchhals  ganz  durchschnitten  hat.  Ent- 
stehen Abscesse  am  Scroto,  so  bringe  man  diese  durch  erweichende  Brei- 
umschläge zur  Reife.  Von  20  Operirten  der  Art  starben  LangenlecJc  zwei. 
Der  eine  war  von  Natur  sehr  ängstlich  und  starb  nach  14  Tagen ,  indem  ein 


1022  HERNU 

Brief  ihn  in  Schrecken  gesetzt  hatte.  Es  entstand  plötzlich  Schwinden  des  nicht 
entzündeten  Scrotums,  kleiner  Puls,  Delirien  und  binnen  2"!  Stunden  der  Tod. 
Bei  dein  andern  war  der  Bruch  schon  geheilt,  es  entstand  aber  ein  Abscess 
am  Rücken  und  der  Kranke  starb  an  Febr.  nervosa  erethistica.  Man  sieht 
also,  dass  die  Radicalcur  nach  Langenhech  nicht  immer  günstig  abläuft. 

Hcrnia  interna,  innerlicher  Bruch,  s.  Hernia  externa. 

Hcrnia  intesünalis ,  Enterocele,  ein  Darmbruch,  s.  Hernia  cruralis, 
inguinalis,  umbilicalis. 

Hernia  inteslinali- ommtalis ,  EntcroepiploceJe ,  Darmnetzbruch,  ß,  Her- 
niainguinalis. , 

Hernia  intestini  recti,  Archocele,  Hedrocele,  der  Mastdarmbruch. 
Ist  ein  Prolapsus  ani,  der  Yorgetretene  Darmtheile  enthält.  Personen  mit 
nach  rückwärts  geneigtem  Becken,  mit  geringem  Vorsprung  des  Promonto- 
riums und  mit  geringer  Krümmung  des  Ossis  sacri  haben  die  meiste  Nei- 
gung dazu.  Die  Hartnäckigkeit  und  bedeutende  Grösse  des  Prolapsus,  die 
Ungleichartigkeit  der  Geschwulst,  die  an  einer  Seite  grösser,  elastischer, 
derber  als  an  der  andern  ist ,  die  platte  Form  des  obern  Bauches,  das  Grös- 
serwerden  der  Geschwulst  beim  Husten,  die  Möglichkeit  der  Reposition,  daa 
kollernde  Geräusch  dabei,  diese  Zeichen  'dienen  mit  Ausnahme  des  ange- 
wachsenen Bruches  zur  Diagnose.  C  u  r.  Sie  besteht  in  der  Reposition  und 
in  den  Mitteln,  den  Bruch  in  guter  Lage  zu  erhalten  (s.  Prolapsus  ani). 
Bei  sehr  grossen  angewachsenen ,  verdickten  Brüchen  bleibt  ni«:hts  übrig, 
als  die  Theile  vor  Druck  und  Reiz  zu  schützen. 

Uernia  invetcrata,  ein  veralteter  Bruch.  Ist  ein  solcher,  der,  weil  er 
schon  zu  lange  vorhanden,  nicht  mehr  zu  reponiren  ist,  z.  B.  ein  grosser  Scrotal- 
bruch,  weil  Adhäsionen  darin  stattfinden;  s.  Hernia  u.  Hernia  inguinalis. 

Hernia  iscliiadica ,  Hüftbeinbruch,  s.  Hernia  dorsalis. 

Hernia  Jahii  pudendi  externi,  Episiocele,  der  Schamlefzenbruch. 
Ist  eine  Hernia  inguinalis,  die  sich  bei  Weibern  entweder  in  die  äussere 
Schamlefze  oder  hinter  die  Öffnung  der  Mutterscheide  herabsenkt.  Die 
pudendal  Hernia  nach  A.  Cooper,  der  hintere  Schamlefzenbruch  nach  Seiler, 
ist  eine  Varietät  des  Mittelfleischbruches  (s.  Hernia  inguinalis  und 
Hernia  perinaei)  wobei  man  den  Annulus  ganz  frei  fühlt. 

Hcrnia  lacrymalis  inflammnta,  fisUdosa.  So  hat  man  höchst  unrichtig 
die  Entzündung  oder  den  Abscess  im  Augenwinkel  genannt;  6.  Anchilops 
und  Aegilops. 

Hernia  lateralis,  Seitenbruch,  s.  Hernia  incompleta. 

Hernia  lienalis,  Sphnocele,  Milzbruch,  s.  Hernia  ventralis. 

Hernia  lineae  alhae,  s.  Hernia  Ventralis. 

Hernia  Liltrica.  Der  kleine  oder  JAttre'sche  Bruch  ist  ein  solcher,  bei 
■welchem  nicht  der  'ganze  Darm,  sondern  nur  eine  Wand  desselben  in  der 
Brnchöflfnung  liegt,  so  dass  der  Canal  des  Darms  zwar  verengert,  aber,  so 
lange  keine  Einklemmung  stattfindet,  doch  nicht  ganz  undurchgänglich  ist. 
Am  meisten  findet  man  ihn  als  Hernia  inguinalis,  cruralis  und  ventralis,  und 
zwar  nur  von  der  Grösse  einer  Mandel  bis  zu  der  einer  Olive  (s.  Hernia 
incompleta). 

Hcrnia  lumlalis,  Lendenbruch,  So  hat  man  eine  Geschwulst  an 
den  Lenden,  entstanden  durch  Hypertrophie  und  Prolapsus  der  Nieren,  ge- 
nannt, lu  einem  Falle  war  diese  Geschwulst  unschmerzhaft,  gespannt,  sie 
Hess  sich  zurückbringen  und  es   folgte  eine  stärkere  Urinsecretion. 

Uernia   medullae    spinaJis,     s.    Fungus    medullae    spinalis. 

Hernia  mesenterica,  Gekrösbruch.     So  nennt  A.  Cooper  den  Zustand, . 
wenn  eine  von  den  Lagen   des  Mesenteriums    durch  äussere  Gewalt  verletzt 
wird ,    während   die  andere  den  natürlichen  Zustand  beibehält ,    so  dass   die 
Gedärme  sich  in  die  Öffnung  drängen  und   eine  Art  von  Bruch  bilden. 

Hernia  mcsocoUca.  Der  Bruch  des  Mesokolons  entsteht  nach  A.  Cooper, 
wenn  im  Abdomen  die  Därme  z>vischen  die  Lagen  des  Rlesokolons  eingleitea 
(s.  A.  Cooper,  On  crural  Hernia  etc.  p.  85).  Die  Diagnose  ist  im  Leben 
oft  sehr  schwierig. 


HERNIA  1023 

Hemia  ocuK,  s.  Hernia  capitis. 

Hernia  oesophagea,  Pharyngoccie.  So  haben  die  Alteren  verschieden« 
Geschwülste  am  Halse  genannt,  besonders  den  sogenannten  Prolapsus  oeÄO- 
phagi  vel  pharyngis,  die  Vertiefungen  und  Beutel  im  obern  Theile  des 
Schlundes,  die  oft  mit  Dysphagie  verbunden  sind;  s.  Prolapsus  oeso- 
phagi  et  pharyngis. 

Hernia  omentaUs,  Epiplocele,  Netzbruch,  s.  Hernia  cruralis,  in- 
guinalis,  umbilicalis. 

Hernia  ovalaris,  s.  Hernia  foraminis  ovalis. 

Hernia  ovarii,  der  Eierstockbruch.  So  hat  man  die  höchst  öeltene 
Hernia  genannt,    worin  sich  ein  Theil  des  Eierstocks  befand. 

Hernia  partialis,  s.  Hernia  incompl et a. 

Hernia  pectoris,  Hernia  thoracica,  Brustbruch.  Diese  Brüche  kom- 
men Gott  Lob!  selten  vor.  in  der  Regel  sind  es  Lungenbrüche,  seltener 
Herzbrüche;  s.  Hernia  cordis,  Hernia  pulmonum,  Hernia  phrenica. 

Hernia  perinaei,  Hernia  perinaealis,  Perinaeocele ,  der  Mittelfleisch-» 
bruch,  der  Dammbruch.  Ist  ein  solcher  Bruch,  der  sich  äusserlich  am 
Perinaeum  bildet  und  nach  Verschiedenheit  des  Geschlechts  hinsichtlich  sei- 
ner Entstehungsart  einige  Modificationen  darbietet.  Bei  Frauen  bildet  er 
sich ,  wenn  Eingeweide  zwischen  den  Mastdarm  und  die  Scheide  herunter- 
treten und  nun  zwischen  letzterer  und  dem  After  der  Bruch  erscheint,  der 
in  der  Regel  mit  einer  Hernia  vaginalis  coraplicirt  ist.  Bei  Männern  kommt 
er  seltener  vor;  hier  zeigt  sich  die  Geschwulst  am  häufigsten  in  der  Gegend 
des  Blasenhalses,  und  der  Inhalt  des  Bruchs,  der  bald  Darm,  bald  Netz, 
bald  ein  Theil  der  Harnblase  ist,  bahnt  sich  hier  den  Weg  zwischen  der 
Blase  und  dem  Mastdarm,  und  erregt,  was  bei  Weibern  seltener  der  Fall 
ist,  häufig  Urinbeschwerden.  „Der  Mittelfleischbruch,  sagt  Chelius,  ist  sel- 
ten, und  wird  nur  möglich  bei  einem  beträchtlichen  Drange  der  Eingeweide 
nach  Unten,  bei  grossem  Widerstände  der  Bauchdecken,  bei  starker  Er- 
schlaffung der  Bauchfellfalte  zwischen  Scheide  und  Mastdarm  oder  Rectum 
und  Blase;  bei  einer  vermehrten  Inclination  des  Beckens  nach  rückwärts. 
Der  Mittelfleischbruch ,  welcher  die  Blase  enthält ,  entsteht  besonders  in  der 
Schwangerschaft,  wo  durch  den  ausgedehnten  Uterus  die  Blase  nach  Unten 
und  Aussen  gedrängt  wird."  (Wie  sehr  letzteres  besonders  im  8ten,  9tea 
Monate  der  Schwangerschaft  der  Fall  ist,  davon  kann  schon  die  Erschei- 
nung einen  Beweis  geben,  dass  die  Schwangere,  wenn  der  Kopf  vorliegt 
und  man  diesen  etwas  in  die  Höhe  schiebt,  bald  nach  der  Untersuchung 
dicken  Harn  mit  Bodensatz  lässt,  wenn  dieser  vorher  auch  ganz  klar  war, 
indem  sich  oft  Gries  zwischen  dem  gedx'ückten  Theile  der  Blase  aufhält.  M.) 
Cur  des  Mittelfleischbruchs.  Er  kann  ohne  grosse  Mühe  reponirt  werden; 
alsdann  legen  wir  eine  Bandage  an,  welche  aus  einer  das  Becken  umschlies- 
senden  Feder  besteht,  von  deren  hinterm  Theile  eine  gekrümmte  Feder  her- 
abgeht, an  deren  Ende  eine  konische  Pelotte  befestigt  ist,  welche  gerade 
auf  die  Bruchstelle  zu  liegen  kommt  und  durch  die  Ki-aft  der  Fedei»  und 
einen  elastischen  Beinriemen  in  ihrer  Lage  erhalten  wird.  Chelius  sagti 
„Würde  dieser  Bruch  eingeklemmt  und  wäre  die  Reposition  beim  Gebrauch 
angemessener  Mittel  nicht  möglich ,  so  würde  die  Operation  weder  schwer, 
noch  gefährlich  seyn,  da  sich  die  Öffnung  des  Bruchsackes  immer  fast  aus- 
serhalb des  untern  Bodens  des  Beckens  befindet,  nach  geöffnetem  Bruch- 
sacKe  ein  geknöpftes  Bistouri  zwischen  den  Darm  und  den  harten  Rand  des 
Bruchsacks  eingeschoben  und  durch  einen  kleinen  Einschnitt  von  Unten  nach 
Oben  in  schräger  Richtung  nach  der  Seite  die  Einklemmung  gehoben  wer- 
den könnte."  Gehen  die  Eingeweide  bei  Weibern,  besonders  bei  schwän- 
gern Frauen ,  längs  der  Mutterscheide  herab  und  treten  sie  zwischen  ihr  und 
dem  Muse,  levator  ani  hervor  und  bilden  an  der  untern  Hälfte  der  Scham- 
lippe eine  Geschwulst,  so  entsteht  der  Cooper'sche  Schambruch  (^pudendal 
Hernia').  Er  muss  vom  Leistenbruche,  d«r  sich  bei  Vergrösserung  auch  in 
die  Schamlefze  senkt,    wohl  unterschieden  werden   (s.  Hernia   labii  pu- 


1024  HERNIA 

dcndi  externi).  Der  hier  freie  Bauchring  und  die  Untci'suchiing  durch 
die  Scheide,  wo  man  deutlich  an  der  Seite  derselben  fühlt,  ^^ie  .sich  dei' 
Bruch  in  die  Höhe  erstreckt,  dienen  zur  Diagnose  von  der  Hernia  inguinali- 
labialis.   Die  Cur  ist,  lässt  sich  der  Bruch  reponiren,  NNie  beim  Vaginalbruche. 

Henüa  pJircnica,  Zwerchfellbruch.  Ist  eine  innerliche  Hernia  pe- 
ctoris, wo  die  Eingeweide  des  Unterleibes  durch  die  natürlichen  ÖITnungea 
des  Zwerchfells  oder  durch  abnorme  (bei  Fehlern  der  ersten  Bildung,  bei 
Verwundungen)  in  die  Brusthöhle  treten.  Die  Diagnose  ist,  wenn  äussere 
Verletzungen  mangeln,  höchst  schwierig,  die  hefngen  Beschwerden  der  llo- 
spiraiion:  Dyspnoe,  Orthopnoe,  Herzklopfen,  Angst,  fuhren  oft  schnellen  Tod 
herbei  und  nur  erst  die  Section  giebt  Auskunft.    . 

Hernia  pingtieiUnosn  scroti,  LiparoccJc,  der  sogenannte  Fettbruch 
des  Hoden  sack  s.  Ist  kein  eigentlicher  Bruch,  sondern  Fettanhäufung  in 
der  Cellulosa  des  Samenstranges,  welches  Fett  durch  den  Bauchring  heraus- 
ti"itt.  Da  das  Übel  gar  keine  Beschwerde  macht,  so  kann  mau  es  dulden. 
Auch  am  Nabel  trifft  man  zuweilen  dieselbe  Erscheinung  (^Lipamphalus). 

Hernia  pulmonaUs,  Hernia  pulmonum,  der  Lungenbruch.  Ist  elii 
Brustbruch,  in  welchem  sich  ein  Theil  der  Lunge  befindet.  Zuweilen  ist 
das  Übel  angeboren,  wo  man  eine  unvollkommene  Entwickelung  der  Brust- 
höhlenwandungen als  Fehler  der  ersten  Bildung  antrifft.  In  andern  Fällen 
ists  eine  Hernia  acquisita  als  Folge  von  mechanischen  Verletzungen ,  von 
bedeutenden  Rippenbrüchen,  von  Zerreissung  der  Intercostalmuskeln  bei-hef- 
tigem  Husten,  von  Caries  costarum,  stcrni  etc.  Der  Bruch  zeigt  sich  als 
eine  sich  allmälig  vergrössernde ,  weiche,  elastische  Geschwulst,  welche  bei 
den  Bewegungen  des  Thorax  und  des  Athemliolens  periodisch  mit  jeder  In- 
spiration etwas  kleiner,  mit  jeder  Exspiration  etwas  grösser  wird  und  ein 
schmerzhaftes  Ziehen  hervorbringt,  welches  nach  der  Reposition  der  Ge- 
schwulst stets  verschwindet.  Cur.  Man  sucht  die  Bruchcontenta  zu  repo- 
niren und  dann  durch  anhaltende  Compression  zurück  zu  halten. 

Hernia  purulenta  scroti,  Empyocele,  Oscheocele  pm^h'nta,  Eiterbruch 
des  Hodensacks.  So  hat  man  wol  eine  Ansammlung  von  Eiter  innerhalb 
des  Hodensacks  oder  in  der  Substanz  des  Hoden  selbst  genannt. 

Hernia  renalis,  Ncphrocele,  Nierenbruch.  So  nannten  die  Alten' un- 
eigentlich jede  Geschwulst  in  der  Nierengegend  mit  Störung  der  Nieren- 
function ,  z.  B.  Hypertrophie ,  Entzündung»geschwulst  der  Nieren ,  Nieren- 
abscess  in  Folge  von  Calculus  renalis  etc. 

Hernia  rupta.  Ist  jeder  Bruch,  bei  welchem  der  Bruchsack  zerrissen 
ist,  wozu  meist  mechanische  Schädlichkeiten  Anlass  geben. 

Hernia  sacci  lacnjinalis,  Thränensack  bru  eh.  So  hat  man  uneigent- 
Uch  die  Entzündung  und  Auftreibung  des  Thränensacks  mit  darauf  folgen- 
der Verhärtung  oder  mit  Thränenfistcl  genannt;  s.  Dacryocystitis, 
F  i  s  t  u  1  a  1  a  c  r  y  m  a  1  i  s. 

Hernia  sajiguinea  scroti,  Hacmctocele,  der  sogenannte  Blutbruch  des 
Hodensacks.  Ist  widernatürliche  Anhäufung  von  ßlutextravasat  im  Ho- 
densacke, bald  mit,  bald  ohne  Krankheit  des  Testikels;  s.  Haematocele. 

Hernia  sclcroticae,  Bruch  der  Sclerotica  des  Auges.  So  hat  man 
uneigentlich  das  Staphyloma  sclcroticae  genannt  (s.  d.  Art.),  welches  meist 
nur  ein  Symptom  der  Wassersucht  des  Glaskörpers  ist;  s.  Hydrops  oculi. 

Hernia  scrotalis ,  Oscheocele,  Uscheophi/ma ,  Enterooscheocele ,  der  Ho- 
densa  c  k  i>  ruch.  Ist  ein  grosser  ins  Scrotum  herabgestiegener  Leisten- 
bruch; s.  Hernia  inguinalis. 

Hernia  scrotalis  ciirnosa,    s.  Hernia   carnosa   scroti,    Sarcocele. 

Hernia  seminalis  scroti,  der  sogenannte  Samenbruch  des  Hodensacks; 
8.  S  p  e  r  m  a  t  o  c  e  1  e. 

Hanta  Spinae.  So  hat  man  wol  die  Rückgratswassersucht  genannt; 
8.  H  y  d  r  o  r  r  h  a  c  h  i  t  i  s. 

Hernia  splenis ,  Splenoccle,  Milzbruch.  Ist  eine  seltene  Hernia  ven- 
tralis,  wurin  sich  ein  Theil  der  Milz  befindet.  Häufig  haben  Ältere  auch 
die  JVUlzphyskonie  nach  der  Intennittcns  irriger  Weise  so  genannt. 


HERNIA  1025 

Hernia  jtpitria,  ein  falscher  Bruch.  So  nannten  die  Alten  jede  Ge- 
schwulst, welche  mit  einem  Bruche  Ähnlichkeit  hat,  daher  bald  Balg-  und 
Drüsengeschwülste,  bald  verschiedene  Prolapsus,  bald  und  ganz  vorzüglich 
die  verschiedenen  Krankheiten  des  Hodensacks,  des  Testikels  und  Samen- 
Stranges;  z.B.  Hydrocele,  Haematocele,  Sarcocele,  Fungus  medullaris  scroti, 
Varicocele,  Spermatocele  etc.  Clielius  nimmt,  wie  wir  oben  gehört  haben, 
ganz  richtig  an,  dass  an  allen  drei  Höhlen  des  Körpers  wahre  Brüche  ent- 
stehen können,  Andere  beziehen  diesen  Begriff  enger  nur  auf  die  Unterleibs- 
brüche. So  sagt  Langenheck'.  „Ein  wahrer  Bruch  (Hernia  vera)  ist  das 
Heraustreten  eines  Baucheingeweides  aus  dem  Unterleibe  ohne  Verletzung 
des  Bauchfells  und  der  äussern  Bedeckungen,"  welcher  Definition  mit  eini- 
gen Einschränkungen  auch  S.  Cooper  (a.  a.  O.)  beitritt.  Dagegen  ist  Che- 
lius''  Erklärung  weit  umfassender  und  bestimmter  für  den  Begriff  von  Hernia 
im  Allgemeinen,  und  nicht  blos  auf  die  Abdominalbrüche  beschränkt. 

Hernia  thoracica,  s.  Hernia  pectoris. 

Hernia  umhilicalis,  Exomphalos,  Omphalocele,  EnterompJialos ,  Hernia 
annuU  umhilicalis,  der  wahre  Nabelbruch.  Er  tritt  durch  die  Öffnung 
des  Nabelringes;  dagegen  bilden  sich  die  sogenannten  falschen  Nabelbrüche 
im  Umfange  des  Nabels  (s.  Hernia  ventralis,  Hernia  lineae  albae). 
Wir  unterscheiden  Hernia  umbilicalis  congenita  und  acquisita.  Der  auge- 
borne  Nabelbruch  als  Folge  zu  langsamer  Ausbildung  der  Bauchmuskeln  im 
B'ötus,  wo  der  Situs  viscerum  des  dritten  Monats  noch  später  als  gewöhn- 
lich fortdauert,  ist,  mit  Ausnahme  sehies  Grundes,  durclisichtig,  vom  zelli- 
gen Gew  ebe  des  Nabelstranges  und  von  einem  Bruchsacke  umgeben ;  er  liefet 
in  einem  dreieckigen  Räume,  der  durch  das  Voneinanderweichen  der  Nabel- 
stranggefässe  gebildet  ward ,  wobei  die  beiden  Arterien  stets  unten  oder  zur 
Seite,  die  Vena  umbilicalis  aber  oben  liegt.  Dieser  Bruch  enthält  fast  im- 
mer dünne  Gedärme,  seltener  Dickdarm,  Netz,  noch  seltener  den  Magen, 
die  Leber,  die  Milz.  Der  Exomphalos  acquisitus  entsteht  am  häufigsten  bei 
Kindern  von  der  Geburt  an  bis  zur  12ten,  löten  Woche,  wo  der  Nabelring 
zum  Theil  noch  offen  oder  doch  nur  schwach  obliterirt  ist.  Wo  der  Bruch 
erst  im  spätem  Lebensalter  erscheint,  da  hat  man  in  der  Regel  übersehen, 
dass  früher  schon  ein  ganz  kleiner  Bruch  da  war.  Veranlassungen  bei 
Kindern  sind :  beständiges  Schreien ,  Unruhe ,  Leibweh,  Blähungen ;  bei  Er- 
wachsenen, wo  voi-zugsweise,  Weiber  daran  leiden:  Schwangerschaft,  Hy- 
drops abdominis,  Adiposis  mörbosa.  Bei  Kindern  und  bei  kleinen  Nabei- 
brüchen hat  die  Geschwulst  eine  cylindrische ,  konische  Gestalt,  bei  grös- 
sern Brüchen  eine  runde  Form  und  eine  ganz  verstrichene  Nabelnarbe ;  der 
Grund  ist  fast  immer  circulär.  Bedeckt  wird  der  Bruch  1)  von  der  äussern 
Haut,  2)  von  der  feinen,  die  äussere  Fläche  der  Abdominalmuskein  umklei- 
denden Aponeurose ;  dann  gelangt  man  3)  an  den  Fundus  des  Bruchsacks, 
der  vom  verlängerten  Bauchfelle  gebildet  wird ;  er  ist  sehr  dünn ,  und  mit 
den  Bedeckungen  und  Eingeweiden  an  der  Spitze  der  Geschwulst  öfters  ver- 
wachsen; der  stets  sehr  kurze  Bruchsackhals  hängt  mit  dem  sehnigen  Na- 
belringe innig  zusammen.  Häufig  finden  hier,  besonders  bei  alten  und  gros- 
sen Brüchen,  Verwachsungen  statt;  daher  bei  Erwachsenen  die  Reposition 
fast  immer  schwierig,  oft  unmöglich  ist;  der  Darminhalt  geht  dann  nur  mit 
Schwierigkeit  durch ,  er  häuft  sich  zwischen  Bruch  und  Nabel  im  Darmtheile 
an,  erregt  Kolik,  fürchterliche  Leibschmerzen,  Erbrechen,  Krämpfe,  ohne 
dass  stets  wirkliche  Einklemmung  stattfindet.  So  behandelte  ich  in  meinem 
frühern  Wohnorte  Stadthagen  binnen  vier  Jahren  fünfmal  eine  sehr  corpu- 
lente  Gastwirthin  mit  Nabelbruch.  Warme  Fomentationen  von  Infus,  cha- 
momillae  auf  den  Bruch  und  innerlich  eine  ölige  Salzmixtur  zum  Purgiren 
hoben  das  Übel  jedesmal  binnen  24  Stunden.  Nachher  trat,  während  ich 
abwesend  war  und  ein  anderer  Arzt  die  Kranke  behandelte,  eine  wirkliche 
Incarceration  mit  schnell  folgendem  Brande  ein  und  die  Frau  starb  in  Ver- 
lauf von  drei  Tagen.  Wie  schwierig  hier  die  Operation  wegen  der  bedeu- 
tenden Verwachsungen  ist,  brauche  ich  nicht  zu  bemerken.  Cur  der  Na- 
belbrüche. 1)  Beim  angebornen  Exomphalos  reponiren  wr  vorsichtig  den 
MoRt  vBncyklopädie.  2te  Aufl.  I.  Q^ 


1026  HERNIA 

Bruch,  legen  graduirte  Coiiipresseu  über,  die  mit  HeftpHaster  und  Leibbin- 
den befestigt  werden.  Ist  der  Bruch  aber  gross ,  so  lässt  er  sich  schwierig 
reponiren ,  und  die  Kinder  sterben  bald  nach  der  Geburt ,  indem  die  Haut 
sich  vom  Bruche  ablöst  und  die  Eingeweide  bloss  zu  liegen  kommen.  Hier 
sichern  wir  die  Geschwulst  gegen  äussern  Druck;  zuweilen  bilden  sich 
Fleischwärzchen,  wodurch  die  Stelle  allmiilig  mit  einer  festen  Haut  bedeckt 
wird.  2)  Leichter  ist  der  in  den  ersten  Lebensmonaten  entstandene  Bruch 
zu  heilen ,  da  er  sich  ohne  Schwierigkeit  reponiren  lässt.  Eine  convexe 
Pelotte  Yon  Lindenholz,  mit  weichem  Leder  überzogen,  mit  Heftpflaster 
und  Binde  befestigt  und  anhaltend  in  guter  Lage  erhalten,  heilt  das  Übel 
bei  der  natürlichen  Tendenz  des  Nabelringes  zur  Obliteration  in  wenig  Wo- 
chen. Auch  kann  man,  nach  Hbnli/  und  Langenbecl;,  einen  kleinen  Lein- 
wandbeutel in  Form  einer  Pelotte,  etwas  grösser  als  der  Bruch,  verferti- 
gen, diesen  mit  folgendem  adstringirenden  Pulver:  R>  Alum.  crudi,  Gumm. 
Inno,  GaJlar.  turcic.  ana  5jj  ?  Cort.  chinae  51'^.  M.  f.  p.  gross.,  ausfüllen,  in 
Rothwein  tauchen  und  mit  Heftpflasterstreifen  und  Binde  auf  dem  Nabel 
befestigen.  Alle  Tage  lässt  man  etwas  Rothwein  an  dieses  Beutelchen  trö- 
pfeln. In  14  Tagen  heilt  darnach  in  der  Regel  der  Bruch  (Most),  nur 
muss  der  Verband  gut  anliegen  und  bei  Unruhe  des  Kindes  öfters  nachge- 
sehen werden.  3)  Erwachsene  müssen  ein  Bruchband  mit  elastischen  Rie- 
men, wie  bei  den  Hosentragbändern ,  tragen,  wodurch  die  Bewegungen  des 
Leibes  nicht  beschränkt  werden  und  die  Pelotte  doch  stets  anschliesset. 
„Vor  den  vielen,  zum  Theil  sehr  complicirten  Nabelbruchbändern,  sagt 
ChcJius,  verdient  ein  elastisches  Bruchband  nach  Art  der  Leistenbruchbän- 
der, dessen  Feder  genau  der  Wölbung  des  Bauches  angemessen  ist  und  des- 
sen Pelotte  in  gerader  Richtung'  von  der  JFeder  abgeht ,  den  Vorzug ;  oder 
eine  etwas  concave  metallene  Platte,  an  welcher  mit  einer  Feder  eine  Pe- 
lotte befestigt  ist,  und  die  durch  einen  elastischen  Gürtel,  welcher  an  den 
beiden  Enden  der  Platte  angehängt  wird,  in  gehöriger  Lage  erhalten  wird.'' 
4)  Lässt  sich  ein  grosser  Nabelbruch  nicht  reponiren,  so  muss  die  Pelotte 
des  Bruchbandes  ausgehöhlt  seyn,  wodurch  der  Bruch  wenigstens  in  seiner 
sonst  immer  zunehmenden  A^eigrösserung  beschränkt  wird.  Doch  halte  man 
nicht  jeden  grossen  Nabelbruch  für  irreponibel.  Eine  14tägige  horizontale 
Lage,  knappe  Diät  und  kalte  Umschläge,  darneben  öftere  vorsichtige  sanfte 
Versuche  zur  Reposition  vermögen  oft  viel,  besonders  bei  gleichzeitiger  An- 
wendung kühlender  Laxanzen  (M.).  5)  Die  Radicalcur  des  nicht  einge- 
klemmten Nabelbruches,  nach  Dcsault  und  Langenhecli ,  ist  in  den  meisten 
Fällen  aus  triftigen  Gründen  verwerflich  (s.  CJieliiis  Chirurgie ,  Bd.  I. 
Abth.  1,  S.  738);  nur  bei  mehrere  Zoll  langen,  beuteiförmig  hervorstehen- 
den Nabelbrüchen,  wodurch  die  feste  Anlage  des  Bruchbandes  verhindert 
wird ,  kann  die  Ligatur  zweckmässig  seyn.  6)  Ist  bei  Hernia  umbilicalis 
incarcerata  die  Operation  indicirt,  so  muss  auch  hier  der  Hautschnitt  mit 
grosser  Vorsicht  gemacht  werden ;  denn  die  Bedeckungen  sind  dünn  und  der 
Bruchsack  ist  häufig  verwachsen  oder  zerrissen.  Der  Einschnitt  geschieht 
in  senkrechter  Richtung;  lassen  sich  die  Bruchcontenta  nach  Eröifuung  des 
Bruchsacks  nicht  so  reponiren ,  so  schneidet  man  mittels  Hohlsonde  und 
Knopfbistouri  den  Nabelring  nach  Unten  ein.  Man  operire  hier  aber  nicht 
zu  früh ;  oft  wirken  Abführungen  und  kalte  Umschläge  noch  gut  und  ma- 
chen die  ausserdem  so  schwierige  Operation  überflüssig. 

Hernia  umbilicalis  spuria.  s.  Hernia  ventralis. 

Hernia  umhilici  a  carne  fnnijoaa,  Sarcomphahis.  Ist  eine  Geschwulst, 
ein  Abscess  am  Nabel  mit  schwammigen  Fleischwucherungen. 

Hernia  umhilici  purulenta,  Empyomphalocelc.  So  hat  man  höchst  un- 
richtig einen  Nabelabscess  genannt.  Dasselbe  ist  auch  der  Fall  mit  der 
ßlutunterlaufung  am  Nabel ,  welche  man 

Hernia  umhilici  snnguinea ,  Hnemaiomphalocelc  olim  zu  nennen  beliebte. 

Hernia  uteri ,  Hi/sterocele,  Gebärrautt  erb  rnc  li.  Früher  nannte  man 
80  den  Prolapsus  uteri ,  jetzt  versteht  man  darunter  einen  jeden  Bruch, 
worin  sich  ein  Theil  des  dislocirten  Uterus  befindet. 


HERNa  1027 

Hernia  vaginalis,  Elytrocele,  der  Scheidenbruch,  Mutt  e  ischei- 
denbruch.  Er  zeigt  sich  am  häufigsten  an  der  einen  oder  andern  Seite 
der  Scheide,  seltener  an  der  vox'dern  oder  hintern  Wand  derselben,  als  eine 
gespannte,  elastische,  unschmerzhafte,  beim  Husten  sich  vergrössernde ,  bei 
der  Rückenlage  sich  vermindernde  Geschwulst,  welcher  bei  allmriliger  Ver- 
grösserung  zwischen  die  Schamlefzen  tritt,  wie  ein  Prolapsus  uteri  aussieht 
und  von  Unkundigen  auch  oft  damit  verwechselt  worden  ist.  Dieser  Bruch 
entsteht,  indem  die  Eingeweide  in  der  Falte  des  Bauchfells  zwischen  Ute- 
rus und  Rectum  oder  zwischen  Uterus  und  Blase  nach  Unten  getrieben 
werden.  Zur  Diagnose  dient,  dass  man  den  Muttermund  ganz  frei  fühlt, 
was  bei  Prolapsus  und  Inversio  uteri  nicht  der  Fall  ist.  Auch  bei  Polypen 
des  Uterus  und  der  Vagina  ist  der  Muttermund  nicht  normal;  man  kann 
letztere  nicht  zurückschieben,  man  fühlt  deutlich  ihre  Insertionspunkte ,  da- 
gegen lässt  sich  die  elastische  Hernia  vaginalis  völlig  nach  der  Spitze  zu 
reponiren,  aber  sie  tritt  in  ihrer  vorigen  Gestalt  wieder  heraus,  sowie  man 
die  Finger  weglässt.  Ist  der  Bruch  an  der  hintern  Scheidenwand ,  so  steht 
er  gewöhnlich  tiefer  als  an  der  vordem;  meist  ist  die  Blase  dabei  dislocirt, 
und  daher  treten  verschiedene  Harnbeschwerden  auf.  Entstand  der  Bruch 
schnell,  so  hat  die  Kranke  das  Gefühl,  als  wäre  etwas  in  der  Seite  zerris- 
sen; es  treten  Kolikschmerzen  ein,  die  später  periodisch  wiederkehren. 
Nicht  selten  ist  mit  grossen  Vaginalbrüchen  ein  Prolapsus  ani  complicirt. 
Ursachen.  Bei  schlaffen,  laxen  Weibern,  bei  Blondinen,  bei  grosser 
Laxität  der  Scheide  durch  viele  Geburten  und  Abortus,  bei  Neigung  des 
Beckens  nach  rückwärts  entsteht  das  Übel  leicht,  wenn  heftige  Geburts- 
anstrengungen stattfinden.  Bei  Unverheiratheten  ist  dieser  Bruch  sehr  selten. 
Cur.  Man  applicirt  efn  eröffnendes  Klystier,  lässt  die  Harnblase  sich  ent- 
leeren, die  Frau  die  Rückenlage  annehmen,  und  reponirt  mit  den  Fingern, 
indem  man  bis  zum  Muttermunde  geht,  den  Bruch.  Alsdann  legt  man  ein 
cylindrisch  geformtes,  aus  adstringirenden  Mitteln  und  Traganthgurami  ver- 
fertigtes Pessarium  ein ,  welches  man  mit  einer  T  -  Binde  befestigt.  Adstrin- 
girende  Einspritzungen ,  anhaltende  Rückenlage  und  obiges  Pessarium  heilen 
den  frischen  Scheidenbruch  oft  radical.  Tritt  er  während  der  Geburt  vor, 
so  hält  man  ihn  anhaltend  mit  beiden  in  die  Vagina  gebrachten  Fingern  so 
lange  zurück,  bis  der  Kopf  vorliegt,  legt  alsdann  die  Zange  an  und  be- 
schleunigt die  Geburt.  In  höchst  seltenen  Fällen  klemmt  sich  während  der 
Schwangerschaft  und  durch  anhaltende  Leibesverstopfung  der  Bruch  ein. 
Gelinde  Laxanzen ,  Rückenlage  und  kalte  Fomentationen  bewirken  in  der 
Regel  soviel  ,  dass  er  wieder  reponirt  werden  kann  ,  da  die  Theile  sehr 
nachgiebig  sind  und  daher  die  Einklemmung  nie  bedeutend  wird-, 

Hernia  varicosa ,  Krampfaderbruch ,  s.  Varicocele. 

Hernia  venarum.  So  nannten  Ältere  mitunter  die  varikösen  Auftreibun- 
gen der  Blutadern;  s.  Angiectasia  und  Varices. 

Hernia  veneris.  Ist  eine  alte  Benennung  für  Inflammatio  testiculi  vene- 
rea;  s.  Gonorrhoea  und  Syphilis. 

Hernia  veniosa  scroti,  Pneumatocele,  Oscheocele  Haiulenta,  der  sogenannte 
Windbruch  des  Hodensacks.  Einen  eigentlichen  Windbruch  giebt  es 
nicht;  was  man  dafür  hielt,  war  entweder  eine  Hydrocele  oder  Hernia  in- 
guinalis  congenita  (Po«)j  oder  noch  öfter  ein  Emphysem  des  Scrotums;  s. 
Emphysema. 

Hernia  ventrnlis,  Laparocele,  der  Bauchbruch.  Ist  jeder  Bruch,  der 
an  der  Vorderfläche  oder  an  den  Seiten  des  Unterleibes  durch  widernatür- 
liche Öffnungen  hervortritt.  Das  Übel  kommt  selten  vor,  alsdann  am  häu- 
figsten in  den  Zwischenräumen  der  geraden  Bauchmuskeln,  seltener  an  den 
Seiten  des  Unterleibes  vom  Darmbeine  bis  zu  den  untern  Rippen ,  noch  sel- 
tener in  der  Lendengegend  (Hernia  lumbalis).  Veranlassungen  sind  die- 
selben der  Hernia  vaginalis,  ausserdem  Bauchwunden,  in  welchem  Falle 
meist  der  -Bruchsack  fehlt.  Die  Brüche  der  weissen  Linie  (Hernia  lineae  al- 
bae),  die  mehr  oberhalb  als  unterhalb  des  Nabels  vorkommen,  gehöi-en 
hierher.     Ihr  Contentura  ist  fast  immer  Netz ;   die  unter  dem  Nabel  befind- 

65* 


1028  ^  HERNIOTOMIA 

Hellen  cnthaUcii  auch  Dünndarm,  zuweilen  einen  Thcil  der  Blase,  des  Ute- 
rus. Da  sie  stets  durch  eine  längliche  Spalte  hervortreten ,  so  ist  ihre  Ge- 
stalt oval,  besonders  am  Bruchsackhalse,  der  daher  sehr  eng  und  klein  im 
Ver^iloich  zun  Fundus  ist,  wodurch  sie  sich,  sowie  durch  den  Ort,  wo  sie 
vorkonuncn  und  durch  den  freien  Nabelring,  von  den  Nabelbrüchen  unter- 
scheiden. Wenn  sie  indessen  nahe  am  Nabel  vorkommen,  so  können  sie  die- 
sen oft  bedecken;  daher  man  genau  untersuchen  niuss.  Solche  Brüche  nann- 
ten die  Alten  Herniae  unibilicales  spuriae.  Diese  Brüche  entstehen  am  häu- 
ligstjcn  bei  Frauenzimmern ,  besonders  die  in  der  Linea  alba;  ilue  Bedeckun- 
gen sind  dieselben  der  Hernia  umbilicalis.  Die  Hernia  ventralis  muss  von 
den  sogenannten  Fettbrüchen  der  weissen  Linie  (s.  Hernia  adiposa, 
pi  ng  u  cdin  0  sa"),  d,  i.  eine  Portion  Fett,  welche  sich  durch  eine  Spalte 
der  weissen  Linie  hervordrängt,  was  gar  keine  Beschwerde  macht,  wohl 
unterschieden  werden,  damit,  wenn  zufällig  bei  solchen  Subjecten  Kolik  ent- 
steht, man  das  Übel  nicht  für  Hernia  incarcerata  hält  und  zu  einem  unnö- 
thigen  Verfahren  schreitet.  Auch  der  sogenannte  Magen bruch  (^Hernia 
voitriculi,  Gastrocclc}  gehört  zu  den  Bauchbrüchen.  Er  entsteht  an  der 
linken  Seite  des  Processus  ensiformis ,  ist  meist  nur  eine  Wallnuss  gross, 
erregt  Leibweh,  Kolik,  Erbrechen,  grosse  Empfindlichkeit  der  Magengrube, 
Schluchzen ,  besonders  bald  nach  der  Mahlzeit ,  enthält  aber  gew  öhnlich  nur 
einen  Theil  des  Colon  transversum ,  höchst  selten  einen  Theil  des  Magens. 
Oft  entdeckt  man- die  Geschwulst  nur  beim  Stehen,  beim  Überbeugen ,  beim 
Husten;  die  Ziifälle  vermindern  sich  in  horizontaler  Lage,  bei  leerem  Ma- 
gen. Cur  der  Bauchbniche.  Man  i'eponirt  sie  bei  horizontaler  Lage  des 
Kranken  und  logt  ähnliche  Bandagen  wie  bei  Hernia  umbilicalis  an.  Selten 
erfolgt  radicale  Heilung.  Entsteht  Einklemmung,  so  erweitert  man  die 
Bauchöffnung  nach  einer  Seite,  wo  keine  bedeutenden  Gefässe  liegen.  Der 
Magenbruch  luuss  schnell  reponirt  und  durch  eine  Pelotte  zurückgehalten 
werden,  die  nicht  zu  klein  ist  und  an  ein  Fischbeincorset  befestigt  wird. 

Jlcrnia  vcniriculi,  Mageubruch,  s.  Hernia  ventralis. 

Hernia  vcsicae  urinnriac ,  Cystocelc ,  der  H  a  r  n  b  1  a  s  e  n  b  r  u  c  h.  Die 
Harnblase  kann  bei  schlaffen  Subjecten  uiid  bei  schlaffer  Adhäsion  der  Nach- 
bartheile  theilweise  durch  den  Bauchring  als  Hernia  inguinalis  vorfallen,  zu- 
weilen auch  in  einem  Cruralbruche,  am  häufigsten  aber  in  einer  Hernia  pe- 
rinaei,  seltener  in  der  Hernia  vaginalis  vorkommen.  Je  grösser  die  Ge- 
schwulst ist,  desto  stärker  sind  die  Harnbeschwerden:  Strangurie,  Ischurie, 
Incontinentia  urinae.  Drückt  man  auf  die  Geschwulst,  so  empfindet  der 
Kranke  Drang  zum  Harnlassen,  und  es  Hlesst  dicker,  triiber  Urin  weg. 
Applicirt  man  den  Katheter,  so  fäl/t  die  Geschwulst,  während  der  Harn 
llicsst,  zusammen.  Cur.  Bei  nicht  eingeklemmtem  Bruche  reponiren  wir 
diesen  und  halten  ihn  durch  ein  passendes  Bruchband,  das  verschieden  nach 
der  Art  des  Bruches  eingerichtet  sejn  muss,  zurück.  Lässt  sich  der  Bruch 
ni<:ht  leicht  reponireu,  so  applicirt  man  den  Katheter  und  entleert  so  die 
Blase,  worauf  die  Reposition  leicht,  selbst  bei  Einklemmungen  erfolgt.  Ist 
Urinverhaltmig  da ,  so  muss  gleichfalls  die  baldige  Anwendung  des  Kathe- 
ters nicht  vcr.säumt  werden.  Ist  der  abgettosscne  Urin  dick  und  trübe,  wie 
Bierhefen  oder  Lehmwasser,  so  zeigt  dies  einen  längern  Aufenthalt  dessel- 
ben in  dem  eingeklemmten  Theile  der  Harnblase  an. 

Hcniiotoinia ,  6Wofo7ma,  der  Bruchschnitt,  dieHernioto- 
mie.  Ist  diejenige  Operation,  welche  wegen  ihrer  Wichtigkeit  und  ihrer 
oft  bedeutenden  Folgen  in  unsern  Tagen  vorzüglich  nur  bei  eingeklemmten 
Brüchen ,  um  Braiul  und  Tod  zu  verhüten ,  angewendet  wird ,  dagegen  bei 
nicht  eingekl««imten  Brüchen ,  als  sogenannte  Radicalcur,  aus  triftigen  Grün- 
den und  vorzüglicli  deswegen  zn  a  erwerfen  ist ,  w  eil  nach  meinen  Zählun- 
gen von  I2  Operirten  wenigstens  Einer  stirbt,  gleichviel  ob  an  der  Opera- 
tion .selbst  o<ler  an  zufälligen  Schädlichkeiten  während  der  ersten  sechs  Wo- 
chen (/u'.).  Das  Verfahren  bei  der  Herniotomie  ist  schon  oben  beschrieben 
werden;  s.  Hernia  cruralis,  Hernia  inguinalis,  Hernia  incar- 
cerata, Hernia  umbilicalis. 


HEPvPES  1029 

*  Herpes»  Serpiyo  (zu  eng  Iinpelii;o,  zu  allgemein  LkJicn  genannt), 
Flechte,  Schwinden.  Ist  ein  chronisches  Exanthem,  wo  auf  einer 
meist  rothen  Grundfläche  (Area)  der  Haut  mehrere  Bläschen,  Blätterchen 
stehen,  also  nicht  jedes  einzelne  Bläschen,  wie  beim  Friese!  und  andern 
Hautausschlägen,  eine  besondere  Area  hat.  Symptome  im  Allgemeinen. 
Bei  nur  selten  gleichzeitigem,  meist  immer  nur  secundärem,  als  Folge  de» 
Hautreizes  entstehendem  Fieber,  welches  ohne  entschiedenen  Charakter  ist 
und  meist  nacji  verschwundener  erster  Reizung  aufhört  oder  nur  den  Cha- 
rakter der  Lenta  annimmt,  bilden  «sich  sehr  langwierige,  Monate,  Jahro 
dauernde,  oft  bald  verschwindende,  bei  schnellem  Witterungswechsel  aber 
leicht  wiederkehrende  Knötchen,  Quaddeln*,  Bläschen,  Pusteln 
auf  dieser  oder  jeuer  Stelle  der  Haut,  die  auf  eine  vorhergegangene  Der- 
matitis folgen  und  beim  Verschwinden  derselben  in  Borken,  Krusten,  Grin- 
der übergehen.  Diese  Bläschen  sind  oft  nur  mit  bewalfnetem  Auge  wahr- 
nehmbar, verschonen  keinen  Theil  des  Körpers,  we«;hselu  zuweilen  ihren 
Ort ,  treten  unter  mannigfaltigen  Formen  auf ;  aus  ihnen  quillt ,  sobald  sie 
gekratzt  werden  und  aufspringen,  eine  klebrige,  oft  scharfe  Feuchügkeit, 
aber  nie  wahrer  Eiter;  sie  vermehren  sich  alsdaiui  an  der  leidenden  Stelle, 
und  verursachen  Jucken,  Brennen,  Hautröthe.  Die  Blechten  verschonen 
kein  Alter,  kein  Geschlecht,  zeigen  sich  bei  Kindern  am  häufigsten  am 
Kopfe  und  im  Gesichte,  in  der  Pubertätszeit  mehr  auf  der  Brust,  im  mitt- 
lem Alter  mehr  am  Bauche,  im  Greisenalter  an  den  Beinen.  Ausserdem 
lieben  sie  die  Gelenke  und  die  Zwischenräume  zwischen  den  Fingern,  be- 
fallen die  Hände  selbst  aber  nur  selten,  sind  zuweilen  vagirend  und  ergrei- 
fen dann  wol  successive  alle  Theile  des  Körpers;  doch  breiten  sie  sich  in 
der  Regel  langsam  aus,  gemeiniglich  kreisförmig  von  einem,  bei  noch  lei- 
dendem Umfange,  oft  reinen,  gesunden,  wol  verschieden  gefärbten  Mittel- 
punkte. Zuweilen  wandern  sie  so  rasch  weiter ,  dass  von  ihnen  die  ganze 
Hautoberfläche  überzogen  wird  (galoppirende  Flechte) ,  und  erscheinen  dann 
unter  fürchterlicher  Form  (^Tott);  dabei  wol  ganz  callöse  Entartung  der 
Haut  mit  darauf  folgender  erschwerter  Bewegung  der  Glieder.  (So  sah 
ich  diese  schlimme  Form  als  Erb--  und  Familienübel  bei  einer  SOjährigcn 
unverheiratheten  Person.  Keine  Stelle  des  Körpers  blieb  verschont,  das 
Gesicht  war  scheusslich  entstellt,  die  Haut  allenthalbeu  callös,  röth!l<-h, 
spröde,  selbst  die  Vagina  war  callös  Und  verengert;  die  Menses  fehlten, 
jede  Bewegung  des  Körpers  war  schmerzhaft,  die  Verdauung  litt,  und  der 
Tod  folgte  nach  jahrelangem  Leiden  durch  Hektik.  Most).  Oder  die  Haut 
wird  dünn,  wie  verbrannt,  die  Haare  verändern  ihre  Farbe  und  fallen  aus, 
der  Ausschlag  kriecht  wol  selbst  unter  die  Nägel,  stösst  diese  ab,  es  son- 
dert sich  eine  ekelhaft  riechende,  herpetische  Flüssigkeit  in  Menge  ab,  die 
Haut  scheint  sich  in  Suppuration  zu  befinden.  Aber  nur  selten  ist  der  lier- 
petische  Ausschlag  allgemein,  gewöhnlich  beschränkt  er  sich  nur  auf  ein- 
zelne Theile,  geht  rund  um  den  Hals,  um  das  Kinn,  oder  nur  ait  das  Prae- 
putium,  besonders  an  die  innere  Fläche,  oder  an  die  Lippe,  vorzifiglich  au 
die  Unterlippe  (^Hcrj)cs  coUmis,  periscelis,  praeputialis,  lalkalis),  gewöhnlich 
dann  nur  als  Folge  entzündlicher  Reize.  Das  bei  allen  B'lechtert  constanle 
Symptom  des  Juckens  und  Brennens  ist  zu  gewissen  Tageszeiten  und  bei 
gewissen  Witterungszuständen  so  heftig,  dass  selbst  der  feste  Vorsatz  des 
Kranken,  nicht  kratzen  und -reiben  zu  wollen,  öcheitert,  dass  sogar  Erslik- 
kungszufälle  entstehen.  So  sah  ich  bei  einem  an  Herpes  haemorrholdalis 
scroti  leidenden  Juden  melancholische  All'ectiunen  durch  den  heftigen  Haut- 
reiz erfolgen  (Tort),  desgleichen  eben  dadurch  erhöhten  Geschlechtstrieb. 
Die  übrigen  F'unctionen  des  Körpers  leiden  nur  bei  Flechten  aus  innern  Ur- 
sachen, oder  bei  Complicationen  mit  andern  Leiden;  ist  dies  nicht  der  Fall, 
so  dauert  die  sonstige  Gesundheit,  selbst  unter  den  fürchterlichsten  Zufäl- 
len des  Herpes ,  vollkommen  fort ;  nur  erst  spät  entsteht  Abmagerung  und 
Febris  hectica;  dabei  dann  auch  wol  luduratio  hepatis,  lienis,  Brustleiden, 
Anasarca  universalis,  bei  längerer  Dauer  Verbreitung  des  Ausschlags  nach 
Innen;  daher  Affection  der  iuncrn  Schleimhäute,  besonders  der  Vagina,  wo- 


1030  HERPES 

durch  hier  eine  ganz  eigene  lästige  Form  der  Leukorrhoe  erzeugt  wird; 
ferner  Affection  der  Schneider'schen  Membran,  der  innern  Haut  des  Mundes 
und  Larynx,  Ophthalmia  impetiginosa ,  Otorrhöe.  Auch  befällt  der  Herpes 
wol  primär  die  innern  Schleimhäute,  erregt  dann  Banchflüsse  aller  Art,  Blen- 
norrhöen  aus  der  Scheide,  aus  andern  Theilen,  Phthisis  trachealis,  die  sog. 
Flechtenbräune  (Angina  herpetica)  etc.  Letztere  befällt  gern  Kinder  und 
Frauenzimmer ,  meist  nach  vorhergegangenen  leichten  Fieberbewegungen ,  er- 
regt Schlingbeschwerden,  zahlreiche,  truppweise  stehende  Pusteln ,  von  den 
Tonsillen  ausgehend;  sie  pflanzt  sich  oft  nach  den  Lippen  fort,  gegen  den 
siebenten  Tag  platzen  diese  Pusteln  ,  bilden  kleine  Geschwüre  im  Munde, 
an  den  Lippen ,  welche  Borken  bekommen ,  bei  deren  Abfallen  sie  bald  hei- 
len (Tott).  D.iagnose.  Der  Herpes  unterscheidet  sich  von  andern  Exan- 
themen durch,  das  Vorhergehen  einer  eigenen,  gelinden,  chronischen  Entzün- 
dung irgend  einer  Hautstelle,  die  etwas  aufgetrieben,  röthlich,  spannend, 
juckend,  brennend  ist;  durch  die  bald  mehr  gedrängte,  bald  mehr  zerstreute 
Form  des  Exanthems,  das  immer  truppweise  zusammensteht,  eine  gemein- 
schaftliche Area  hat,  sich  mit  einer  harten,  cirkelrunden  Grundfläche  er- 
hebt, anfangs  hellroth,  später  blassgelblich  aussieht,  in  der  Kälte  nicht, 
wie  Scabies,  verschwindet,  wobei  die  Knötchen  sich  später  in  kleine,  un- 
durchsichtige, stets  circumscripte,  oft  ovale,  halbmondförmige,  trianguläre, 
den  Figuren  der  Schriftzüge  gleichende  Bläschen  verwandeln,  umgeben  von 
einer  rothen  Area,  welche  von  der  im  Umfange  fortdauernden  chronischen 
Entzündung  herrührt.  Der  Ausschlag  wird  nicht  blasser  nach  angewandtem 
Fingerdruck,  juckt  und  brennt,  secernirt  oft  scharfe,  schmierige,  brenzlich, 
faulig  riechende  Feuchtigkeit,  wodurch  Exulceration  der  Haut  und  Krusten- 
bildung entsteht.  Unter  den  verhärteten  Krusten  dauert  die  abnorme  Se- 
cretion  fort;  daher  das  rasche  Regeneriren  der  Borken,  wenn  sie  auch  oft 
abfallen.  Weniger  umfassend  und  nicht  auf  alle  Herpesspecies  passend  sind 
die  von  Vogel  (Beiträge  zur  Natur  der  Flechtenkrankheit,  in  den  Allgem. 
medic.  Annalen ,  1818;  Januar,  S.  21)  angegebenen  diagnostischen  Merkmale, 
als:  Sprödigkeit,  Zerspringen  der  Oberhaut,  wodurch  eine  schuppenartige, 
für  sich  fortbestehende  Degeneration  derselben  bedingt  wird,  primäre  (bei 
andern  Exanthemen  secundäre)  Desquamation ,  eigentlich  nur  ein  beständiger 
Verschuppungsprocess  der  Oberhaut,  beständiges  Eintreten  von  Runzeln  in 
Folge  der  Flechten ,  fast  immer  das  Erscheinen  derselben  an  den  von  Natur 
zum  Faltenschlagen  geneigten  Theilen,  an  den  Gelenken,  den  Kopfintegu- 
menten ,  am  Knie ,  an  der  Nase ,  dem  Scrotum ,  an  den  Sphinkteren  des 
Afters,  Mundes,  der  Augenlider.  (Die  Diagnose  des  Herpes,  seiner  Arten, 
wie  aller  acuten  und  chronischen  Exantheme,  lernt  man  am  besten  und 
schnellsten  durch  die  Autopsie.  Schon  deshalb  allein  ists  für  den  jungen 
Arzt  so  unumgänglich  nothwendig ,  grosse  klinische  Anstalten ,  grosse  Hospi- 
täler und  Krankenhäuser,  z.B.  in  Hamburg,  Berlin,  Würzburg,  Wien,  Pa- 
ris etc. ,  zu  besuchen ;  und  daher  ists  wahrhaft  zu  bedauern ,  dass  so  manche 
junge  Doctoren  ins  praktische  Leben  treten,  ohne  irgend  solche  Anstalten 
besucht  zu  haben,  wovon  auch  Rostock,  dessen  medicinisch -  klinische  An- 
stalten erst  seit  ein  paar  Jahren  in  der  Entwickelung  begriffen  und  bis  jetzt 
höchst  dürftig  sind,  leider!  noch  neue  Beweise  liefert.  Mosf).  Ausgänge 
des  Herpes.  Die  Heilung  erfolgt  durch  Kunst-  oder  Naturhülfe.  Letzteres 
findet  statt  beim  Wiedereintritt  unterdrückter  Ausleerungen ;  auch  wol  nach 
Fiebern,  Rose.  Nicht  selten  tritt  der  Herpes  zurück,  worauf  Affection  der 
innern  Schleimhäute,  hartnäckige,  oft  lebensgefährliche  Bauchttüsse  aller  Art, 
Blennopththoe,  chronische  Katarrhe,  Asthma  humidum,  Otorrhöe,  Catarrhus 
vesicae,  Leukorrhoe  etc.,  Anschwellungen,  Verhärtungen  der  Leber,  Milz, 
des  Uterus,  der  Mesenterialdrüsen,  der  Harnblase,  und  als  Folge  hiervon 
wieder  Hydrops,  Icterus,  Ophthalmien,  Gastritis,  Otitis,  Pleuritis,  Pneu- 
monie, organische  Krankheiten  des  Herzens  und  der  grossen  Gefässe,  Epi- 
lepsie, Apoplexie,  Melancholie,  Manie,  Amaurose,  Paralysen  anderer  Theile, 
Hypochondrie,  Hysterie,  spastische  Brustaifectionen ,  Herzklopfen  etc.  ent- 
stehen   köunci!.      Durch    die  Heftigkeit,    Bö.sartigkeit   und  lange  Dauer  des 


HERPES  1031 

Übels,  durch  die  zuletzt  allgemeine  Verbreitung  desselben  wird  ein  grosser 
Theil  der  allgemeinen  Bedeckungen  entartet,  es  folgt  selbst  Ulceratlon  der 
Haut,  Induration  des  Zellgewebes,  und  als  Folge  liier\'on  wieder  Oedema 
pedum,  Anasarca  universalis,  Knochenkrankheiten,  Abmagerung,  Febris- 
lenta,  Tod.  Ursachen.  1)  Prädisposition  giebt  das  höhere  Alter,  die 
Pubertätszeit ,  die  Periode  der  Decrepität ,  zumal  bei  BVauenzimraern ;  fer- 
ner: erbliche  Anlage,  überstandene  Vaccine  bei  Kindern,  Dyscrasia  syphili- 
tica, scorbutica,  serophulosa,  impetiginosa ,  haeraorrhoidalis ,  endemische 
Constitution  (daher  häufig  in  der  Lombardei),  cholerisches  Temperament, 
Neigung  zu  Leberkrankheiten  und  Ei"ysipelas.  2)  Gelegentliche  Ursachen 
sind:  «)  örtliche:  langsam  oder  plötzlich  unterdrückte  Hautausdünstung, 
Unreinlichkeit ,  feuchtes  Zimmer ,  feuchtes  Klima ,  zu  seltener  Wechsel  der 
Leib-  und  Bettwäsche,-  Beschäftigung  mit  Verarbeitung  der  Wolle  und  des 
Öls  (daher  leicht  bei  Webein  und  Wollspinnern  Herpes  entsteht),  das  Be- 
wohnen neuer  Häuser,  zu  enge  Kleidungsstücke,  schneller  Temperaturwech- 
sel, Nachtluft,  starke  Sonnenhitze,  wie  in  heissen  Zonen,  Arbeiten  in  Berg- 
werken, Gruben,  am  Feuer,  im  Sommer  an  der  freien  Luft,  sehr  *auhe» 
stark  reibende  und  die  Haut  reizende  wollene,  haarige  Bekleidung,  beson- 
ders bei  starker  Körperbewegung  und  an  Theilen,  die  stark  ausdünsten, 
anhaltende  Frictionen  der  Haut,  zu  kaltes  Baden,  reizende  Salben  und 
Pflaster,  Contusionen  mit  Hautexcoriation  etc.  6)  Allgemein  wirkende 
Gelegenheitsursachen  sind :  fehlerhafte  Gallenabsonderung ,  gallige  Infarcten, 
Gelbsucht,  Zorn,  Ärger,  Schrecken,  anhaltender  Kummer,  Verdruss,  ga- 
strische Unreinigkeiten  aller  Art,  Missbrauch  der  Spirituosa,  der  scharfen,  ge- 
salzenen ,  gewürzten ,  geräucherten  Speisen ,  des  fetten  Schweinefleisches, 
Übermass  animalischer  Kost ,  verdorbene  Nahrung ;  Schwelgerei ,  besonders 
auch  der  schnelle  Übergang  von  ihr  zu  einer  frugalen  Lebensweise ,  bei 
Kindern  schlechte  Muttermilch,  Mangel  derselben,  schlechte  Nahrung,  Atro- 
phie; Erschlaffung,  Verhärtung  der  Leber  und  Milz,  sehr  unthätige  sitzende 
Lebensart,  verminderte  Urinabsonderung  (häufig  Ursache  der  Flechten  bei 
alten  Leuten) ,  unterdrückte  Lochien ,  Hämorrhoiden ,  Katamenien ,  Fuss- 
schweisse,  Schleimflüsse,  Milchabsonderung,  schnell  geheilte  natürliche  und 
künstliche  Geschwüre,  sehr  entkräftende  Ausleerungen,  Excesse  in  Venere, 
Onanie,  gewaltsame  Unterdrückung  oder  unregelmässige  (bald  eine  Zeit 
lang  gar  keine,  dann  zu  viel)  Befriedigung  des  Geschlechtstriebes.  Die 
meisten  dieser  Schädlichkeiten  finden  sich  bei  Kriegsheeren ,  in  belagerten 
Städten,  in  Gefängnissen,  Arbeitshäusern,  auf  Schiften,  in  engen,  schmu- 
zigen  Gassen  grosser  Städte;  daher  unter  diesen  Umständen  so  häufig  Flech- 
ten vorkommen.  Wesen.  Die  Flechten  sind  nach  Sicndeliri's  und  Anderer 
richtiger  Ansicht  Aftergebilde ,  Aftervegetationen  auf  und  in  der  Haut,  welche 
gleichsam  als  Parasiten  ein  eigenthümliches ,  vegetatives  Leben  führen  und 
sich  zu  einer  bestimmten  Form  und  Gestaltung  ausbilden.  (Dies  sind  auch 
alle  andern  acuten  und  chronischen  Exantheme.  Most~).  Andere  nehmen  ein 
eigenes  Contagium  herpeticum ,  welches  nach  humoralpathologischen  Ansich- 
ten die  Flechtenschärfe  (Dyscrasia  herpetica)  erzeugt,  an;  doch  ist  letztere 
wol  nur  secundär  (^Tott^.  Noch  Andere  suchen  die  nächste  Ursache  des 
Herpes  in  verhinderter  Excretion  des  Harnstoffes ,  in  Erzeugung  animali- 
scher Schärfe  in  der  Haut  als  Folge  einer  übermässig  starken  Verdauung 
und  Schärfe  des  Magensaftes.  Nach  der  Naturlehre  ists  ein  anomaler  Or- 
ganisationszustand der  leidenden  Haut,  wodurch  diese  ihren  animalischen 
Charakter  verliert,  und  daher  nicht  mehr  zur  Hautreproduction  schicklich 
bleibt;  Mangel  an  thierischeni  Leim,  Übermass  an  Thonerde  in  der  Haut 
mit  der  Bildung  von  Animalmoosen  auf  diesem  thonigen  Boden;  welche 
Theorie  für  die  Praxis  gänzlich  imbrauchbar  ist.  Cur.  1)  Bei  frischen  oder 
aus  örtlichen  Ursachen  entsprungenen  Flechten  reichen  örtliche  Mittel  aus, 
welche  bei  schon  lange  daiiernden,  habituellen,  bei  denen,  woran  alte, 
kränkliche,  kachektische ,  dyspeptische  Personen  leiden,  nur  mit  grosser, 
Vorsicht,  nie  ohne  gleichzeitige  innere,  gegen  das  Allgemeinleiden  gerich- 
tete Mittel  angewandt  werden  dürfen ;   zugleich   müssen  sie   die  Flechten 


1032  HERPES 

mehr  beschränken,  mildern,  als  vertreiben.  2)  Bei  consensuellem  Heroes 
berücksichtigen  wir  zuerst  die  innere  Ursache,  und  wenden  äussere  Mittel 
erst  spät,  allmälig  und  mit  Behutsamkeit  an,  anfänglich  noch  in  Verbindung 
mit  iimern  Mitteln.  3)  Auch  bei  den  symptomatischen  Flechten  ist  dies 
Verfahren  nothvvendig ;  dabei  Berücksichtigung  der  allgemeinen  oder  örtli- 
chen, bald  mit  erhöhter,  bald  mit  verminderter  Empfindlichkeit  verbundenen 
Hautschwäche,  der  Plethora,  des  Gefässerethismus  im  Hautsystem.  4)  Bei 
solchen  Flechten,  die  für  das  Allgemeinbefinden  wohlthätig  sind,  die  ein 
vicariirendes  Absonderungsorgan  für  andere  Leiden  abgeben ,  nach  dei'en 
Verschwinden  die  sonstige  Gesundheit  zerstört  wird,  z.  B.  Asthma,  Sclüeim- 
husten  folgt  (^Tott),  wie  beim  Herpes  senum,  passen  nur  gelinde  äussere 
Mittel,  welche  den  Reiz  mildern,  wie  Oleosa;  die  innere  Behandlung  ist 
hier  Hauptsache.  5)  Dass  wir  in  allen  ii^ällen  die  oben  angegebenen  prä- 
disponirenden  und  gelegentlichen  Ursachen  bei  der  Cur  möglichst  entfernen 
oder  abimlten  müssen,  versteht  sich  von  selbst.  6)  Die  Diät  muss  einfach 
und  streng  seyn  mit  Vermeidung  aller  fetten,  salzigen,  scharfen,  geräucher- 
ten Nahrung.  Sehr  wohlthätig  ist  der  Genuss  des  Obstes,  der  säuerlichen 
Früchte ,  der  Erdbeeren ,  Weintrauben ;  die  Sorge  für  gehörige  Hautcultur 
durch  Waschen,  Baden,  bei  chronischen  Flechten  der  nicht  anhaltende  Ge- 
brauch von  Sool  -  und  Seebädern ,  der  Stahlbäder ,  vorzüglich  aber  der 
Schwefelbäder.  Das  Regimen  muss  auch  nach  Hebung  des  Übels  noch  lange 
Zeit  beibehalten  werden.  7)  Entstehen  nach  schnellem  Verschwinden  der 
Flechten  schlimme  allgemeine  Zufälle  (Flechtennietastase) ,  so  behandeln  wir 
diese  nach  den  bekannten  Regeln,  sorgen  für  baldige  Wiederherstellung  des 
Ausschlags  durch  Einreibungen  von  Tinct.  cantharidum ,  Unguent.  tartari 
cmetici,  durch  Reiben,  Bürsten  der  Hautstelle,  wo  die  Flechte  früher  statt- 
fand, wenden  warme  Schwefelbäder,  innerlich  Schwefel,  Antimonium  an, 
legen  künstliche  Geschwüre,  Fontanellen  etc.  Bei  Leucorrhoea  a  metastasi 
herpetica  empfiehlt  Wcinhold  besonders  den  Graphit  innerlich.  8)  Die  In- 
nern gegen  Flechten  empfohlenen  Mittel ,  mit  denen  wir  von  Zeit  zu  Zeit 
wechseln,  theils,  damit  der  Kranke  sich  nicht  an  ein  einzelnes  gewöhnt, 
theils ,  um  vielleicht  empirisch  das  passendste  zu  finden ,  sind  folgende : 
Frisch  ausgepresste  Kräutersäfte  von  Taraxacum,  Chelidonium,  Furaaria 
(^Tott),  Dulcaniara,  sowol  das  Decoct  der  Stipites  als  das  Extiact ,"  Abko- 
chungen von  Rad.  bardanae,  sapouariae,  überhaupt  alle  sogenannten  blut- 
reinigenden Species  (s.  Haema  to  cat  harti  ca).  Sehr  wirksam  ist  auch 
das  Decoctum  Zittmanni,  wodurch  von  mir,  neben  angewandter  Entzie- 
hungscur  nach  Siruve,  eine  neunjährige  grindige  Flechte  im  Gesichte,  die 
allen  Mitteln  trotzte ,  gründlich  geheilt  ward  (7'oH) ;  desgleichen  Guajak  mit 
Antimonium  und  Schwefel;  bei  bösartigem,  ccrrodiiendem,  fast  carcinoma- 
tösem  Charakter  der  Flechte  passen  Aconit,  Belladonna,  Helleborus,  Pul- 
satilla;  auch  sind  in  diesen  Fällen  innerlich  Mineral-  und  Pflanzensäuren 
empfohlen  wozden :  Acid.  nitric. ,  Acid.  citr. ,  besonders  bei  Erethismus  vas- 
culosus  cutaneus,  bei  Dyscrasia  scorbutica  {Pclcra).  Auch  das  Sal  Glauberi, 
gelind  and  anhaltend  gebraucht,  wurde  beim  Herpes  mit  Hautgefässerethis- 
mus  nützlich  gefunden  (Koj)p).  Bei  syphilitischer  Dyskrasie,  Plethora,  Nei- 
gung zu  Blutungen  sind  die  Säuren  gleichfalls  sehr  nützlich;  hier  ist  der 
innere  Gebrauch  des  Schwefels  contraindicirt.  Bei  den  Flechten  im  Man- 
nesalter ist  häufig  atra  Bilis,  Infarctus,  Diathesis  haemorrhoidalis  die  Ur- 
sache. Hier  behandle  man  das  Grundübel,  vermeide  äussere  Mittel,  gebe 
innerlich  Crem,  tartari,  Tart.  tartarisat. ,  Flor,  sulphuris,  mitunter  Mercu- 
rialia,  Antimonialia  etc.  Bei  allgemeiner  Schwäche  im  Hautsystem,  bei  Di- 
gestionsschwäche passen  nach  etwaniger  Entfernung  von  Sordes  Amara,  Fei 
taur. ,  Aloe,  bei  scrophulöser  Dyskrasie  besonders  Tinct.  iodü ,  Baryta  mu- 
riatica  etc.  Einzelne  gerühmte  Mischungen  sind  folgende:  ^f  Rad.  caric. 
arenar.  gfv ,  —  lujuiriiiae  5li  •>  Cort.  ulmi  ^jj ,  coq.  c.  Aq.  fontim.  q.  s.  ut  re- 
man.  ff j ;  col.  udde  Salis  thermar.  CaroUnens.  5j ,  Natri  cnrhonici  öfi-  M-  S. 
Täglich  zu  verbrauchen,  und  zwar  3  —  4  Wochen  lang  {Hcini).  (Leistete 
mir  wenig  Dienste.  Totl),     ly  Liquor,  snpon.  stiiiat.  5vj ,  Tinct.  colocynthid. 


HERPES  1033 

5ij.  M.  S.    Alle  3  Stunden  20  Tropfen  in  Haferschleim  (Heim).     I^  Aelhiop. 
milimonidl.  3j  ■>    Exir.  dulcanutr. ,    Gtimm.  (ßiajnci  ana  5jj-    M..  f.  l.  a.  pilul. 
gr.  jj.  consp.  jmlv.corl.  cinnani.  S.   Täglich  5  —  8  Stück  (ilwst).     1^  Aclliiop. 
antimoniah ,    Gumm,  guajuci  ana  öjj  i   Exir.    dulcamnr.  51^.    M.  f.  inJ.  pond. 
gr.  ij.  consp.  pulo.  rad.  liquir.    S.    Dreimal  täglich  6 —  12  Stück  zu  nehmen 
(J.  Franli).     ]^  Graphit,  pim,  Fl.  sulphiris,  Antim.  crudi  ana  3IV,  Merc.  so- 
luh.  Hahncmnnni  ^j,  Extr.  dulcarnnr.,  —  pulsatilL  niijr.,  Piilv.  lierh.  Jaccac 
ana  5JJ5   Citmphorae  5j-  M.  f.  c.  Syrup.  fumar.  Electuar.  S.    In  8  Tagen  zu 
verbrauchen  (  Weinhold^,     Dem  Graphit   gebührt  wol  wenig  Antheil  an  den 
gelungenen  Heilungen  ( Tott).     ly  Aelhiop.  yvaphitial.  5jj ,  Sacchari  alln  3ti. 
M.  f.  pulv.  divid.   in  xjj  p.  aeijual.     S.     Alle   3  Stunden   ein  Pulver.     (Der 
Graphitmohr    besteht   aus   Argent.    viv.    und    Graphit   zu   gleichen    Theilen, 
durch  anhaltendes  Reiben  vermischt).     9)  Die  äusserlich  gegen  Flechten  em- 
pfohlenen Mittel,    Avelche,  je  nach  Umständen,  ganz  zu  vermeiden  sind,  in 
andern  Fällen    aber   allein,    in   noch   andern    mit   inuern  Mitteln  verbunden, 
vorsichtig   und    behutsam    angewandt  werden    müssen,    sind   sehr   zahlreich. 
Besonders   zu   empfehlen  sind:    Einfache  warme  Wasser-   oder  Seifenbäder, 
bei  heftigem  Hautjucken   mit  Zusatz  von  Amjlum,    Sem.  lini,    Decoct.  flor. 
malvae;     selbst    örtliche   Milch-    und    Ölbäder,     künstliche    und    natürliche 
Schwefelbäder,  besonders  Elisen,   Nenndorf,  Aachen,  die  Bäder  zu  Warm- 
brunn, Landeck,   Baden,  Wiesbaden,    Salzhausen  in  Hessen;   bei  Schwäche 
und   zum    Schluss   der    Cur   Eisen-    und    Soolbäder,    desgleichen   Seebäder. 
Sehr  wirksam  bewiesen  sich  die  Soolbäder  zu  Sülz  in  Alecklenburg  und  die 
Bäder  der  Ostsee  (7'oH).     Bei  harten,   trocknen,    schuppigen  Flechten  die- 
nen  ortliche   Dampfbäder,    Gales"  Schwefelräucherungen   (s.    Fumigatio), 
Foraentationen  aus  erweichenden  Decocten  von  Althaea ,   Malva ,    Sem.  lini, 
b'ei  heftigen  Schmerzen    mit  Zusatz  von  Herb,  hyoscyami,   Milch,    Öl;    bei 
reizlosem  Zustande  Einreibungen   von  Fett,    bei   den    Flechten   alter  Leute 
Ol.  nuc.  jugland. ,    amygdal.    dulc. ,   zu  gleichen  Theilen  mit  Aq.  saturnina. 
Ausserdem  lobt  man,    nach  verschiedener  Beschaffenheit  der  Flechten,    fet- 
tige Salben,  vermischt  mit  Graphit,  Schwefel,  Manganesium,  oder  mit  Blei, 
Kohlenpulver,    Vitriol,  alb. ,   Unguent.  mercur.  alb.,    rubr. ,    Unguent.  oxy- 
genat.    Allioni ;    in   hartnäckigen   Fällen    ist   die   Rust'sche   Schmiercur   sehr 
wirksam;    desgleichen  die   Cosme'sche   und   Helmund'sche   Salbe    (s.    Can- 
cer);   oder   auch  ly  Sulphuris  depjir. ,   Arsenici  alhi   ana  5j?   Acct.    destUL, 
Unguent.  ceruss.  ana  53.    M.  f.  Unguent.     Mit  diesem ,   sowie   mit  den  Blei- 
mitteln,   mnss    bei    der    Anwendung    sehr   vorsichtig    umgegangen    werden. 
Ferner  hat  man  empfohlen  als  äussere  Mittel:    Waschungen  und  Einreibun- 
gen von  Acid.  oxymuriat.  dilut. ,  von  Album  graec.  in  Milch  gekocht  (^Cons  • 
JjTUcli),   Antimonialschwefelwasser ,  Decocte  von  Dulcamara,    Cicuta,    Jacea, 
Nicotiana,  Digitalis,  bei  eiterartiger  Absonderung  von  Aq.  calc.  ustae,  De- 
coct. putam.    nuc.   jugland.,    Solut.    aluminis,    vitrioli  albi,    Sacch.   saturni, 
Mercur.  sublim,  corros. ,    Aij.  phagedaenica.    Aqua  nigra   (Kalomel  in  Kalk- 
wasser gelöst);    in  hartnäckigen  Fällen  dienen  Solut.   hepat.  sulphur. ,    De- 
coct.   herb,    sabin. ,    Succ.  nicotian.,    Acet.   destillat. ,    Aufstreuen  von  Pulv. 
carbon. ,  cretae  albae,  und  hepat.  sulphur.  (Schelucr') ,  von  Metall-  und  an- 
dern Salzen  {Richter).     Bei  den  borkigen,   rissigen  Flechten  lobt  man  Pfla- 
ster aus  Graphit  mit  Empl.  lithargyr. ,    ein  Vesicans,    das  Auflegen  der  fri- 
schen Blätter  von  Chenopod.  bon.  Henric. ,    Breiumschläge  von  Solanum  ni- 
grum ,  besonders  bei  gleichzeitigen  heftigen  Schmerzen  (^Alibcrt) ,    künstliche 
Geschwüre   in  der  Nähe  der  Flechten,    theils,    um  das  Weiterkriechen   dea 
Herpes  zu  verhindern,  theils,  um  von  edlern  auf  unedlere  Theile  abzuleiten. 
Ist  die  Flechte  geheilt,   so  dienen  zur  Reinigung  des  Hautorgans  Waschun- 
gen von  Borax,    in  Aq.  ros.   gelöst.      Die  Wahl   dieser  verschiedenen  Mittel 
richtet  sich  nach  dem  mehr  oder  weniger   reizlosen   oder  gereizten  Zustande 
der  Flechten  und   ihrer  Peripherie,    nach  den   ihnen  zum  Grunde   liegenden 
Ursachen  (Scrophulosis ,    Syphilis,    Arthritis,    Scabies),    wo   sie   neben   den 
innern  Mitteln  angewandt  werden;   nach  dem  Alter  und  der  Hartnäckigkeit 
des   Übels   etc.      Gerühmte  Mischungen   zuiji   äusserlichen   Gebrauche  sind: 


1034  HERPES 

^>  Mucil.  sem.   cydonior.  s.  PsijUii , foen.  gracci   ana  5J ,    Camphorne, 

Mastich.  ana  q.  s.  ut  f.  Vmjiieni.  (Ist  besonders  gut  bei  veraltetem  Herpes). 
I^  Liquor.  caJcar.  chlorvi.  Sjjj  —  v,  Ol.  oUvrir.  rec.  5\i>  W.  S.  Wohl  uni- 
geschüttelt  dreimal  täglich  mit  einem  Pinsel  elvva.s  davon  auf  die  afficirte 
Stelle  zu  streichen.  (Ist,  nach  Kojxf),  neben  zweckmässigen  innern  Mitteln 
sowol  bei  trocknen,  als  bei  nassen  Flechten  wirksam).  1^'  Axung.  jmrcl  53], 
Ol.  amygdal.  dulc.  5vi,  Cnlcnr.  chlorin.  3jjji  Hydrargijr.  sulfhurici  5jj-  M.  f. 
Unguent.  S.  Z\un  Einreiben.  I^  Lad.  sulphuris  5],  Sacch.  saturni  ^j,  Aq. 
rosnrum  5vüj.  M.  S.  Früh  und  Abends  die  P'Iechten  damit  zu  benetzen 
(^BelV).  ¥y  Merc.  tinhlim.  corros.  gr.  vjjj  ,  Aq.  rosar.  5VJ  —  vjjj ,  Lad.  siil- 
phuT.  5J3  ?  Sacch.  saturni  öii-  M.  S.  Wohl  umgescliüttelt  dreimal  täglich  die 
Flechten  damit  zu  benetzen,  auch  damit  beleuchtete  Leinwandcompressen 
aufzulegen.  —  Jetzt  von  den  einzelnen  Arten  der  Flechten. 

Herpes  aleppiniis ,  s.  Lepra  o  c  c  i  d  e  n  t  a  1  i  s. 

Herpes  crustaceus ,  crui^tosus ,  die  schorfige,  borkenartige 
Flechte.  Symptome.  Gelbe  oder  weissliche ,  bräunlich-  oder  grün- 
lich-gelbe Borken,  welche  sich  aus  einer  honig-  oder  gummiartigen  Aus- 
schwitzung bilden,  kürzere  oder  längere  Zeit  auf  der  Haut  sitzen,  dann  ab- 
fallen, sich  aber  bald  wieder  aufs  Neue  erzeugen.  iMehrere  Arten  des  Im- 
petigo Willan  und  der  Psijdracia  P.  Frank  gehören  hierher.  Zuerst  bil- 
den sich  eine  Menge  kleiner  Bläschen  (Herpes  miliaris) ,  am  häufigsten  auf 
der  Wange,  aber  auch  aut  den  Gliedern,  am  Bauche,  seltener  am  Halse, 
zuweilen  am  ganzen  Körper,  welche  platzen,  jene  Borken  bilden,  wegen 
der  darunter  angesammelten  Jauche  in  die  Tiefe  fressen,  oft  glatt,  oft  rauh, 
glänzend  aussehen,  heftiges  Jucken  erregen,  und  grosse  Neigung  zu  Recidi- 
ven  hinterlassen.  Von  dieser  Art  ist  auch  derjenige  Herpes  labialis  am  Rande 
der  obei:n  und  untern  Lippe,  welcher  aus  einem  Halbkreis  oder  aus  einem 
ganzen  Kreise  von  Bläschen  rund  um  den  Mund  herum  besteht,  grosse  Nei- 
gung zur  Kiterung  hat,  mit  Geschwulst,  Härte,  Röthe,  Steifigkeit,  Schmerz 
und  Fieber  verbunden  ist.  Nach  S  —  4  Tagen  bilden  sich  aus  den  Bläs- 
chen dicke  dunkle  Borken,  welche  bald  abfallen  und  oft  Eiterung  hinter- 
lassen ,  wobei  meist  Angina  uvularis  oder  tonsillaris  herpetica  zugegen  ist. 
Das  Übel  entsteht  als  Folge  der  Erkältung,  oder  es  ist  Symptom  von  Ab- 
dominalleiden, oft  kritisch  bei  Gallenfiebern,  Gallenruhr,  Febr.  intermittcns, 
bei  heftigen  Katarrhen,  bei  Abdominalentzündangen  etc.  Cur.  Bei  der  kri- 
tischen, symptomatischen  Form  behandle  man  das  Grundübel  und  wende 
äusserlich  gelinde  Mittel :  Oleosa ,  an ,  in  andern  Fällen  und  wenn  schon 
Exulceration  da  ist,  verbinde  man  mit  Unguent.  corros.  Graefii ,  in  veralte- 
ten Fällen  mit  Unguent.  Cosmic. ,  Helmundii  (s.  Cancer). 

Herpes  eclhjnia ,  Herpcs  jilcerostis,  die  eiternd«  Flechte.  Sym- 
ptome. Entzündliche  confluirende  Areolae,  mit  gelblichen,  gleichfalls  zu- 
sammcnfliessenden  Blätterchen  bedeckt,  die  nur  an  den  Lippen  und  im 
Schlünde  eine  pustulöse  Form  annehmen,  gleichsam  Aphthen  darstellen,  nach 
drei  Tagen  in  braune  Krusten  übergehen,  wobei  die  Zunge  mit  einem  gelb- 
weissen,  eiterähnlichen  Pelze  überzogen,  der  ganze  Schlund  roh  und  wund 
und  das  Schlucken  unmöglich  ist.  Dabei  oft  symptomatischer  Speichelfluss 
mit  Auswurf  einer  Menge  häutiger,  zerstörter  Theile ;  am  fünften  Tage  wirft 
der  Lippenausschlag  unter  steter  Erleichterung  eine  Menge  dicker  Eiterkru- 
sten ab,  der  neue  Ausschlag  rückt  immer  wieder  nach,  die  Schwämmchen 
im  Munde  etc.  fangen  an  sich  zu  schälen,  und  die  Heilung  erfolgt  nach 
10 — 12  Tagen,  wobei  unter  Brennen  und  Tenesmus  ziegelrother  Harn  und 
Abgang  dünner  Sedes  bemerkt  werden.  Nach  Tilesiits  (^Rust's  Magazin, 
Bd.  XXVII.  Hft.  1)  hat  Baleman  diesen  Ausschlag  unter  Phhjzncin  beschrie- 
ben; er  ist  mit  Crusta  bctea  verwandt,  von  ihm  zur  Mundfäule  nur  ein 
blosser  Übergang,  ist  oft  kritisch  und  erscheint  am  häufigsten  unter  der 
Nase ,  an  den  Lippen  und  im  ganzen  Innern  des  Miuides  und  Halses. 
Cur.  Innerlich  Mercur.  dulc.  zum  Purgiren,  äusserlich  die  Mittel,  welche 
bei  Crusta  lactea  und  Stomacace  empfohlen  worden. 

Herpes  cxedens,  rodens,  phagedncnicm ,   Estiouienos,  Lupus  vornx,  For- 


HERPES  1035 

mica  corrosiva,  Ulcus  herpetkum,  Nomn  (^Ignis  sacer'),  fressende  Flechte. 
Symptome.  Auf  einem  oder  mehreren  Theilen  der  Haut  entsteht  ein  Knöt- 
chen oder  eine  Pustel,  die  bald  in  ein  fressendes,  immer  weiter  um  sich 
greifendes  Geschwür  (Noma)  übergeht,  welches  stinkende,  zähe,  hässliche 
Jauche  absondert.  Zuweilen  ist  die  saniöse  Eiterung  nur  gering  und  die 
Zerstörung  der  Weichgebilde  mehr  Folge  der  dicken ,  feuchten ,  von  Zeit  zu 
Zeit  abfallenden,  sich  aber  bald  und  in  grösserm  Umfange  regenerirenden 
Krusten.  In  ihrem  Fortschreiten  beschränkt  sich  diese  Flechte  nicht  blos 
auf  die  Haut,  sondern  sie  ergreift  auch  die  Muükeln ,  Knorpel,  Knochen. 
Gewöhnlich  zeigt  sich  zuerst  dunkle  Röthe ,  tauber ,  tief  sitzender  Schmerz 
oder  heftiges  Jucken,  beim  Kratzen  Zunahme  desselben;  dai'auf  erhebt  sich 
die  Epidermis  und  sondert  sich  in  Lappen  ab ,  es  bildet  sich  eine  grosse, 
mit  klebriger,  stark  brennender  Jauche  gefüllte  Blase,  und  nun  geht  die 
beschriebene  Zerstörung  vor  sich.  Die  allgemeinen  Zufälle  dabei  sind: 
Schlaflosigkeit,  Dyspepsie,  erschöpfende  Durchfälle,  Anschwellung  der  Le- 
ber, allgemeine  Kachexie,  Febris  lenta  mit  Colliquescenz,  örtlicher  und  all- 
gemeiner Hydrops  etc.  Das  Übel  beiallt  jedes  Geschlecht,  jeden  Stand, 
meist  aber  scrophulöse  Subjecte,  seltener  robuste,  gesunde;  es  liebt  vor- 
zugsweise das  Gesicht,  die  Oberlippe,  die  Nasenflügel,  auch  wol  das  Kinn 
(Meniagra) ,  verbreitet  sich  auf  die  Stirn,  überzieht  das  ganze  Gesicht,  die 
Augenlider  ausgenommen.  Seltener  zeigt  es  sich  an  andern  Theilen,  zuwei- 
len ists  vagirend  oder  allgemein  verbreitet,  die  Schmerzen  sind  heftig  bren- 
nend,  die  Ränder  des  Ausschlags  und  Geschwürs  stark  geröthet,  mit  weit 
verbreiteter  Entzündung  umgeben  und  mit  vielen  juckenden  Bläschen  be- 
setzt. Ursachen  sind  fast  immer  Cachexia  scrophulosa,  syphilitica,  atra- 
bilaris,  arthritica,  wonach  die  Form  des  Herpes  verschieden  modilicirt  er- 
scheint (s.  Hufeland's  Journ. ,  Bd.  IL  St.  2).  Cur.  Bei  Erwachsenen  wen- 
det man  die  Inunctionscur  an  (^Helni)  ,  äusserlich  dient  Natrum  chlorin.  in 
Wasser  gelöst  (^Lisfranc) ;  das  Bestreichen  mit  Folgendem :  K;  Hijdrargyr, 
nitric.  crystall.  5j »  solve  in  Acidi  nitrici  5J ,  mittels  eines  Pinsels ;  oder  man 
verbindet  mit  Unguent.  corros.  Graefii  (s.  Sachs,  Darstellung  der  gebräuch- 
lichen äussern  Heilmittel,  §.  122).  Folgt  auf  diese  Flechte,  was  nicht  sel- 
ten im  Gesichte  der  Fall  Ist,  der  Hautkrebs,  so  geben  wir  innerlich  Tinct. 
arsenic.  Fowleri  seu  Harlessii,  und  verbinden  äusserlich  mit  Cosme's  oder 
Helmimd's  Mittel  (s.  Cancer). 

Herpes  furfuraceus,  farinosus,  Porrijjo,  Aspredo,  Herpes  siniplcar,  Fur- 
fiirntio ,  Pityriasis,  die  kteienartige,  mehlige,  einfache  Flechte, 
Hautkleie,  Kleiengrind.  Symptome.  Zuerst  ein  ganz  feiner  Her- 
pes miliaris,  zuweilen  selbst  Ähnlichkeit  mit  Scabies;  die  ganz  kleinen  ober- 
flächlichen Bläschen  enthalten  eine  milde  Feuchtigkeit,  trocknen  bald,  und 
die  Oberhaut  schuppt  sich  dann  wie  feine  Kleie  oder  Mehl  ab.  An  zarten 
Hautstellen  und  bei  zartem  Hautsystem  kommt  diese  Flechte  häufig  vor; 
z.  ß.  im  Gesicht ,  an  den  Ohren ,  am  Kinn ,  am  Halse ,  und  häufiger  bei 
Blondinen  als  bei  Brünetten,  am  häufigsten  bei  Kindern  und  zarten  Frauen; 
auch  auf  dem  Kopfe,  am  After,  an  den  Genitalien  kann  sie  vorkommen.  In 
der  Regel  ist  sie  rein  örtlichen  Ursprungs ,  bricht  ohne  F"'ieber  aus ,  hat  vor- 
züglich nur  in  der  Epidermis  ihren  Sitz,  entspricht  der  Pityriasis  Will a 71, 
ist  oft  flüchtig,  vagirend  (Herpes  fugax),  kriecht  zuweilen  rasch  fort,  und 
bildet  in  bedeutenden  Fällen  runde  Flächen  mit  erhabenen,  umschriebenen 
Rändeni.  Cur.  Oft  reichen  örtliche  schleimige  Mittel  aus;  in  schlimmen 
Fällen  dient  ly  Nntri  horacic.  5jf^,  solve  in  Aq.  destilJat.  3J.  M.  S.  Zum  Wa- 
schen (^Reinhardf) ,  oder  auch  i^  Acidi  hydrocyan.  Ph.  horuss.  5j?  AlcoJiol. 
vini,  Aq.  rosarum  ana  gjjj.  M.  S.  Wie  oben.  In  zwei  Fällen  entstand  diese 
Flechte  auf  dem  behaarten  Theile  des  Kopfs  durch  Übertragung  des  Hun- 
deräudecontaglums  bei  zwei  Kindern.  Innerlich  Aethlops  antimon.  und  Ci- 
cuta,  äusserlich  Sublimat,  Sacch.  saturni  und  Lac  sulphur.  in  Aqua  rosar. 
heilten  das  Übel  bald  (s.  Tott  in  Horn's  Archiv,  Mai  und  Juni  1828). 

Herpes  niadidtis,  Herpes  squnmoso  -  hmiidits ,  feuchte,  schuppige 
Flechte.     Ist  eine  Abart  der  Herpcs  squamostis   (s.  unten),    vvo   sich  eine 


1036  HERPES 

grosse  Menge  Jauche  aus  den  ki'ankcn  Hautstellen  absondert,  so  dass  die 
Leibwäsche  durchnässt  wird ;  dabei  zeigen  sich  Spalten  in  der  streifig  aus- 
sehenden Haut,  die  grossen  sich  bildenden  Schuppen  extoliircn  nur  am  Rande 
der  Flechte ,  bleiben  daher  lappenförmig  an  der  Haut  hängen  5  zugleich  vm- 
erträgliches  Hautjucken ,  starke  Hautröthe  von  carminartiger  Färbung,  fürch- 
terliches Brennen,  Excoriation  der  gesunden  Haut  durch  die  scharfe  Jauche. 
Zuweilen  hört  periodisch  das  Jucken  auf,  kommt  aber  bei  der  geringsten 
Veranlassung  wieder,  und  ist  besonders  peinigend,  wenn  innere  Schleimhäute, 
besonders  die  Vagina,  ergriffen  worden  sind.  Die  meisten  Arten  von  Wil- 
lan's  Ecthyma  gehören  hierher. 

Herpcs  pusiulosus ,  miliaris ,  phlyciacnodes  (Larry) ,  die,  f  r  i  e  s  e  1  a  r  t  i  g  e 
Flechte.  Sie  hat  mit  dem  Friesel  viel  Ahnliches,  unterscheidet  sich  da- 
von aber  durch  die  gemeinschaftliche  Area ,  worauf  die  kleinen  Bläschen ,  die 
eine  wässerige,  klebrige  Feuchtigkeit  enthalten,  sitzen.  Zuweilen  ist  letz- 
tere scharf,  übelriechend,  es  bilden  sich  ungleiche,  rauhe,  gelblich -braune 
Borken,  und  der  Ausschlag  juckt  und  brennt  bedeutend,  besonders  des  Nachts 
und  nach  Erhitzung.  Am  häufigsten  erscheint  dieser  Herpes  auf  dem  Hand- 
rücken,  an  den  Armen,  Schenkeln,  zuweilen  an  allen  Theilen  des  Körpers, 
an  der  Vorhaut,  wo  er  leicht  mit  Chankern  verwechselt  werden  kann,  an 
der  Eichel  etc. ,  wo  indessen  Gerat,  calamin.  leicht  Heilung  bewirkt ;  bei 
Weibern  kommt  er  oft  als  Herpes  genitalium  vor  (v.  Froricp') ,  bei  Männern, 
die  an  Hämorrhoiden  leiden,  an  den  Geschlechtstheilen ;  höchst  selten  befällt 
er  indessen  das  Gesicht.  Ursachen  sind  häufig  Abdominalleidcn,  Leber- 
verhärtung, Missbrauch  reizender  Speisen,  spirituöser  Getränke,  Ataxien  der 
Menses  etc.  Willnn  und  Bntcman  beschränken  die  Benennung  der  Flechten 
allein  auf  diese  Art;  auch  ihr  Eczema  gehört  hierher. 

Herpcs  squamosus,  schuppige  Flechte,  von  Manchen  auch  Liehen 
ferax  genannt,  in  höherm  Grade  Fsoru  Jeprosa,  nach  Bateman  und  IVillnn 
nach  den  verschiedenen  Graden  Ecthyma,  Rhypia ,  Psoriasis.  Symptome. 
Zuerst  Hautentzündung,  carminartige  Röthe  der  Haut,  Jucken,  Brennen; 
dann  an  verschiedenen  Stellen  Pusteln,  welche  sich  rasch  vermehren,  eine 
scharfe,  jauchige,  übel,  wie  verbranntes  Mehl,  riechende  Feuchtigkeit  er- 
giessen;  dann  sondert  sich  die  Epidermis  in  breiten,  durchsichtigen,  feuch- 
ten, sich  stets  regenerirenden  Schuppen  ab.  In  einem  Falle  sah  ich  diesen 
Herpes  an  den  Augenlidern  (Tott),  zuweilen  kommt  er  an  das  Scrotum,  an 
die  Vorhaut,  wo  er  leicht  Phimosis  erregt  etc.  Die  Schuppen  sind  verschie- 
den geformt,  an  der  Innern  Handfläche  oft  kreisförmig  (Herpes  sijuamosus 
circinnatus) ,  sind  trocken,  lederartig  und  dünn,  zumal  an  der  Hand-  und 
Fnsswurzel,  unter  dem  Fusse,  um  die  Hand;  sind  gelblich  -  grün ,  wie  der 
Liehen  an  den  Baumrinden;  nicht  selten  werden  dann  oft  die  Nägel  ergrif- 
fen, welche  hornaitig  indurirt  werden,  eine  schlechte  Form  annehmen  und 
abfallen.  Zu  dieser  Art  des  Herpes  gesellet  sich  häufig  AUgemeinleideu, 
besonders  Ödem  des  Gesichts ,  Wassersucht  in  verschiedenen  Cavitäten, 
dann  Nachlass  des  Schmerzes  und  des  Juckens  (vielleicht  als  Folge  einer 
Metastase  des  Flechtenstoffs  nach  Innen  ?  Tott') ;  bei  ungünsti(!;em  Ausgange 
tiefe  Vereiterung,  Febris  hectica,  Tod;  bei  günstigem  Ausgange  entsteht 
Heilung  häufig  unter  Eintritt  anderer  Leiden.  Die  gelindeste  Form  dieser 
Art  ist  der  Herpes  stjuamosus  centrifugus  an  den  Händen,  welcher  nach 
mehrmaliger  Desquamation  von  selbst  schwindet. 

Herpes  Zoster,  Zona,  lynis  sacer,  Ilieropyr,  der  Gürtel.  Sympton»e. 
Zuerst  heftiges  Fieber,  worauf  ein  hochrother,  feuriger  Streifen  am  Rücken, 
bandförmig  und  sehr  regelmässig,  bald  ganz,  bald  nur  auf  der  einen  Seite 
des  Unterleibes  bis  zum  Nabel,  bis  zur  Cardia  sich  herumzieht;  seltener 
zieht  dieser  Gürtel  hinauf  nach  der  Brust  gegen  den  Hals.  Der  leidende 
Theil  schmerzt  sehr,  besonders  bei  äusserer  Berührung;  es  schiessen  bald 
kleine,  der  Blatterrose  ganz  ähnliche  Blasen  auf  der  entzündeten  Hautstelle 
auf,  welche  ein  klebriges  Serum  enthalten,  platzen  und  den  leidenden  Theil 
mit  einer  Kruste  überziehen.  Dessenungeachtet  dauern  die  Schmerzen  fort, 
selbst  nach  Abfall  der  Krusten,   unter  welchen  oft   eine  oberfläclüiche  Sup- 


HERPES  1037 

puratioii  stattfindet.  Diagnose.  Frmih,  Richter,  HenVcy  Consbruch  u.  A. 
zähl  eil  den  Zoster  zur  Blatterrose,  Wichmann,  Hufeltmd,  Bcrends,  Larrey, 
Dupuijlrcn  mit  meluerem  Rechte  zum  Herpes.  Er  unterscheidet  sich  vom 
Erjgipelas  pustulosum  durch  seine  Beschränktheit  und  bandartige  Form ,  durch 
die  schnellere  Blasenbildung,  durch  die  grössere  Schmerzhaftigkeit  (  Tf 'ic/j- 
mmm''s  Diagnost.  Bd.  I.  S.  71) ,  durch  die  einzelne  Bildung  von  Krusten  aus 
den  successiv,  nicht  >\ie  bei  Blatterrose  auf  einmal,  platzenden  Blasen ,  durch 
die  längere  und  unbestimmte  Dauer,  durch  das  später  unbedeutende  Fieber 
(^jUttrscrii  Institut.  n>ed.  pr.  Lips.  1787.  T.  II.  p.  40).  Vom  Pemphigus  ist 
der  Zoster  gleichfalls  verschieden  (s.  d.  Art.  und  Wichmann  1.  c.  Bd.  IL). 
Ursachen  und  Wesen,  Wie  bei  andern  Arten  von  Herpes ^  nach  Burse- 
rius  ist  die  materielle  Ursache  ein  sehr  kaustischer  Stoff,  nach  Andern  ist» 
eine  eigenthümliche  Störung  der  Leberfunction,  der  Gallenabsonderung ;  nach 
IJ'ichjiiaim  ein  specifisches  Miasma  (?).  Cur.  Zuerst  gelinde  Evacuantia 
und  Diaphoretica  (^Wichmann,  Conshruch) ,  ausserdem  viel  verdünnende  Ti- 
sanen  von  Gramen ,  Lapath.  acut. ,  Bardana ,  Molken ,  Antimonialia  (^Bitrse- 
ritis).  Meidung  aller  starken  Ausleerungen  und  der  äussern  Repellentia,  nach 
Dcsault  Emetica  und  äusserlich  Bleiwasser  (??),  nach  Richter  ausleerende 
diaphoretisciie  Mittel:  Antimonialia,  Mercurialia,  Tamarindenmolken,  Spe- 
cies  lignorum;  nach  Marcus,  der  die  Zona  mit  starkem  Fieber  vmd  acut 
verlaufen  sah,  passen  antiphlogistisch  -  diaphoretische  Mittel;  äusserlich 
Breiumschläge ,  Decoct.  malvae ,  Älucil,  gummi  arab. ,  süsser  Milchrahm, 
selbst  Bleiwasser  zur  Linderung  der  grossen  Schmerzen.  Die  Krusten  er- 
weicht man  am  besten  mit  süssem  Mandelöl ,  damit  sie  bald  abfallen  und 
die  darunter  befindliche  scharfe  Materie  nicht  weiter  um  sich  fresse.  Die 
französischen  Ärzte  Jiretonneau ,  Velfcau,  Serres,  Clement,  Gucrscnt  und 
Geoffroy  haben  Ätzungen  mit  Höllenstein  beim  Zoster  mit  Erfolg  angewandt. 
Man  sticht  vorher  die  Pusteln  auf,  lässt  das  Serum  ausfliessen  und  betupft  sie 
dann  mit  dem  durch  Wasser  befeuchteten  Lapis  infernalis.  C.  A.  Tott. 

Nachschrift  des  Herausgebers.  Der  Herpes  ist  häufig  sehr 
schwierig  zu  heilen,  weil  wir  die  Fälle  nicht  genau  unterscheiden  und  auf 
die  Ätiologie  und  Cur,  in  Betreff  der  unterhaltenden  Schädlichkeiten  und 
der  feinen  Nuancen  in  der  Wirkung  der  Arzneien,  oft  zu  wenig  Rücksicht 
nehmen.  Folgende  Bemerkungen,  aus  dem  eigenen  ärztlichen  Wirken  ge- 
nommen, mögen  daher  hier  noch  Platz  finden.  1)  Schlechte  Verdauung, 
gestörte  Hautfunction  und  solche  Anomalien  in  der  Nierenfunction  finden 
wir  häufig  bei  allen  chronischen  Flechten.  Hier  sind  letztere  oft  weiter 
nichts  als  das  Symptom  eines  Leber-  oder  Milzleidens,  der  atra  Bills,  der 
Gicht,  Lithiasis.  Eine  gute  Behandlung  des  Grundübels  (bei  Dyspepsie 
und  Leberfehiern:  Extr.  Gram.,  Tarax. ,  Gumm.  asae  foet. ,  Fei  taur. ,  Tart. 
tartarisat.,  zuweilen  eine  Dosis  Merc.  dulc.  mit  Rheum ;  bei  Arthritis  und 
anomaler  Diaphoresis:  Schwefel,  Guajak,  Antimonium,  Kampher  etc.)  macht 
hier  die  Hauptsache  aus.  2)  Von  den  Schwefelbädern  zu  Elisen  und  Nenn- 
dorf habe  ich  bei  inveterirtem  Herpes  überraschende  Wirkungen  gesehen; 
besonders  von  den  dortigen  Schlammbädern  in  Verbindung  mit  dem  Trinken 
des  Schwefclw  assers.  3)  Ohne  strenge  Diät  ist  keine  alte  und  allgemeine 
Flechte,  wenn  ihr  Umfang  irgend  bedeutend  ist,  zu  heilen.  Der  übermäs- 
sige Genuss  von  Wein,  Bier,  Branntwein,  der  tägliche  Genusa  des  Flei- 
sches, besonders  des  fetten,  sowie  des  Kaffees,  vereitelt  oft  alle  Bemühun- 
gen des  Arztes.  In  schlimmen  Fällen  muss  der  Kranke  wenig  essen,  3  —  4 
VVochen  lediglich  entweder  nur  Milch,  oder  Weintrauben  oder  anderes  Obst 
geniessen,  und  täglich  3 — 4ß  l'isanen  von  Dulcam. ,  Sarsaparill,,  Bardana, 
Saponaiia,  Sassafras,  Cort.  ulrai  med.,  von  Malztrank  trinken.  Bei  obiger 
Diät  und  diesen  Arzneien  heilten  Flechten,  die  mehrere  Jahre  alt  waren  (M.). 
4)  Ataxien  der  Menstruation,  desgleichen  Onanie,  sind  bei  jungen  Mädchen 
oft  Ursache  des  Übels.  5)  Die  venerischen  Flechten  erscheinen  als  roth- 
gelbe, dunkelblaue  Flecken,  welche  keine  Feuchtigkeit  enthalten,  sich  ge- 
schwind ausbreiten  und  vorzüglich  die  Geburtstheile,  das  Gesicht  und  die 
Brustwarzen,   seltener  den  Hals  und  die  Brust  einnehmen.     Man   muss   die 


1038  HERPES 

ähnlich  ausfeehenden ,  von  Dyspepsie ,  Leberfehlern ,  Hämorrhoidaldiathese 
herrührenden  flechtenartigen  Ausschläge  auf  der  Brust  und  dem  Halse  ja 
nicht  mit  dem  syphilitischen  Herpes  verwechseln.  Letzterer  erfordert  Aethiops 
antimonialis ,  Merc.  solub.  Hahnemanni,  in  schlimmen  Fällen  die  Schmier - 
und  Hungercur,  ersterer  kann  bei  guter  Diät  durch  Tisanen  allein  geheilt 
Werden  (s.  Haematocathartica).  6)  Sehr  wirksam  ist  bei  sonst  ge- 
sunden Personen  gegen  nicht  localen  Herpes  Folgendes :  I^  Sah  culinnr. 
3J3,  —  Glauben  5II,  Aq.  fontnn.  Sj.  M.  S.  Davon  täglich  soviel  getrun- 
ken, dass  2 — 3  Stühle  erfolgen.  Dieses  Mittel  muss  vier  Wochen  anhal- 
tend gebraucht  werden.  7)  In  allen  hartnäckigen  Fällen  verordne  ich 
1^  Aetliiop.  antimoninl.  gr.  v  —  x,  Magnes.  carhon.  gr.  iv,  Lact,  sulphuris, 
Gumm.  guttjaci  ana  gr.  vjjj  ,  Sacchari  ^j-  M.  f.  pulv.  disp.  dos.  xxrv.  S. 
Dreimal  täglich  ein  Pulver  (für  Erwachsene)  und  damit  6  — 12  Wochen  fort- 
gefahren. 8)  Da  ich  sehr  viele  Ärzte  kenne,  welche  den  Graphit  ohne  al- 
len Nutzen  anwandten ,  so  habe  ich  bis  jetzt  keine  Lust  gehabt ,  denselben 
zu  versuchen,  besonders  da  ich  mit  andern  Mitteln,  wurden  sie  mit  Aus- 
dauer angewandt ,  stets  ausreichte.  9)  Chronische  Flechten  aus  allgemeinen 
Ursachen  werden  durch  innere  Mittel  allein  selten  völlig  geheilt;  sie  blei- 
ben in  gelindem  Grade  stehen ,  machen ,  wenn  auch  die  Ursache  gehoben 
ist,  in  der  Heilung  keine  Fortschritte,  weil  theils  die  Hautstellen  desorga- 
nisirt  sind,  theils  letztere  bei  dem  Wechsel  der  Witterung  und  der  Tempe- 
ratur stets  aufs  Neue  leiden.  Es  bedarf  also  der  örtlichen  Mittel,  die 
nicht  blos  nach  dem  Standpunkte  der  Reizempfänglichkeit  der  leidenden 
Hautstelle ,  sondern  auch  nach  andern  Indicationen  ausgewählt  werden  müs- 
sen. Hier  hat  die  Erfahrung  mich  Folgendes  gelehrt :  r/)  Bei  gleichzeitigem 
Gebrauche  innerer  Mittel,  des  Antimons,  des  Aethiops,  der  Spec.  lignorum, 
bei  strenger  Diät  und  Vermeidung  der  Erkältung  können  wir  die  Externa 
ohne  Gefahr  vor  Metastasen  anwenden.  Von  allen  Arzneien  ist  das  Blei 
noch  am  meisten  zu  fürchten;  die  Gefahr  verschwindet  aber  völlig  und  die 
Flechte  wird  nicht  zurückgetrieben ,  w  enn  man ,  bei  grossem  Umfange  der- 
selben, täglich  die  Bleiraittel  nur  auf  einen  kleinen  Theil  der  Hautstelle  an- 
wendet. 6)  Im  Allgemeinen  leisten  bei  feuchter  Flechte  die  austrocknen- 
den und  condensirenden  Mittel,  z.B.  Blei,  Zink,  Kohle;  bei  trocknem  Her- 
pes dagegen  mehr  die  auflockernden  und  öligen:  Mei'cur,  Schwefel,  Aq. 
calcis,  Ol.  nuc.  jugland.  gute  Dienste,  c)  Viele  Flechten  vertragen  durch- 
aus keine  fettigen  Mittel,  keine  Öle,  keine  Salben.  Dies  ist  besonders  bei 
reizbarem  Hautsystem  der  Blondinen  der  Fall,  wo  oft  schon  Empl.  diachyl. 
gummös.  Ausschlag  erregt.  Hier  geben  wir  Blei  ,  Quecksilber ,  Schwefel 
und  die  andern  indicirten  Externa  in  Solutionen  oder  Schüttelmixturen. 
d)  Bei  rein  localen  Flechten  wirkt  das  Waschen  mit  kaltem  Wasser,  mit 
Essig,  Citronensaft  oft  recht  herrlich.  Sie  entstehen  häufig  durch  Reiben 
und  Unreinlichkeit,  desgleichen  durch  Einwirkung  starker  Hitze  oder  Kälte. 
In  der  Regel  sind  solche  Flechten  trocken,  mehlig,  die  Haut  ist  spröde, 
sie  schuppt  sich  ab  und  regenerirt  sich  krankhaft.  Hier  leistet  das  Nussöi 
die  herrlichsten  Dienste.  Entstehen  die  Flechten  an  vielen  Stellen  des  Kör- 
pers zu  gleicher  Zeit ,  befallen  sie  bald  diesen ,  bald  jenen  Theil ,  hat  der 
Urin  einen  auffallenden  Geruch,  wird  er  ohne  bekannte  Veranlassungen  bald 
sparsam ,  bald  zu  häufig  abgesondert ,  ist  das  Hautsystem  in  Unordnung, 
fehlt  die  Transspiration ,  die  gehörige  Weichheit  und  Geschmeidigkeit  der 
Haut,  leidet  die  Digestion,  cessiren  während  der  Flechten  andere  Beschwer- 
den: Hämorrhoiden,  Magenkrampf,  Gliederreissen ,  Schwindel,  erscheinen 
diese  wieder,  sowie  die  Flechten  verschwinden;  so  ists  ausgemacht,  dass 
wir  es  mit  keinem  örtlichen  Übel  zu  thun  haben ,  die  innere  Cur  also  die 
Hauptsache  ausmachen  muss.  10)  Der  Herpes  centrifugus  (Dartre  centrifuge 
Alibert')  ist  eine  Abart  der  Kleienflechte.  Er  heilt  meist  immer  schon 
nach  Anwendung  örtlicher  Mittel.  Das  Wirksamste  ist  eine  Zinksalbe,  in 
den  Umfiing  derselben,  und  eine  Salbe  aus  rothem  Präcipitat  (51^  auf  gfj 
Fett)  in  d.Mi  rtüttolpunkt  eingerieben  {Most').  11)  Bei  Herpes  squamosus 
.siccus,    sowie   bei  jedem  Herpes  inveteratus   ist  neuerlich  das   Pulver  der 


HERPES  1039 

Treba  Jap.an  sehr  empfohlen  worden.  Man  reibt  dasselbe  mit  Essig  an, 
streicht  die  Mischung  auf  Leinwand  oder  Leder,  und  bedeckt  dainit  des 
Abends  die  trockne  Flechte.  Am  andern  Morgen  wird  der  Umschlag  ent- 
fernt ,  und  die  Schuppen  werden  mit  einer  Bürste  abgerieben.  In  hartnäcki- 
gen Fällen  wiederholt  man  den  Umschlag  einigemal  und  giebt  innerlich  eine 
Purganz.  Oft  heilt  die  Flechte  schon  nach  einmaliger  Anwendung  des  Mit- 
tels (s.  HufelamVs  Journ.,  1820,  Jan.;  Uortis  Archiv,  1829,  Septbr.  und 
Octbr.).  12)  Eine  6  Jahr  alte  hartnäckige  trockne  Flechte  im  Gesicht  und 
an  den  Gliedern  trotzte  dem  anhaltenden  Gebrauche  von  Aethiops,  Guajak, 
Schwefel  etc.  innerlich ;  auch  die  Aq.  phagedaenica  zum  Waschen  leistete 
nichts.  Es  wurde  nun  neben  dem  innerlichen  Gebrauche  der  Holztränke 
folgendes  Wasf"*-  -^aer  verordnet,  worauf  das  Übel  in  vier  Wochen  völlig 
geheilt  ward;  I^  Merc.  dulcis  öÜ,  —  sulJim.  corros.  9fJ,  Aq.  calcis  Sj. 
M.  S.  Zum  Waschen  (Most  sen.).  Bei  einer  achtjährigen,  sehr  hartnäckigen 
Borkenttechte  wurde  durch  achtwöchentlichen  Innern  Gebrauch  der  Tinct. 
cantharidum,  p.  d.  4 — 8  Tropfen  in  Haferschleim,  Heilung  bewirkt  (M.). 
Bei  einer  feuchten ,  fürchterlich  fressenden  Flechte  leistete  mir  Folgendes 
die  herrlichsten  Dienste :  I^^  Exir.  cicutae  5jjj »  —  helladonnae  5j  ^  Mercitr. 
suhJm.  corros.  ^j,  Aq.  rosnrum  'S'j.  M.  S.  Zu  Umschlägen.  13)  Bei  Herpes 
Zoster,  der  zwischen  Blatterrose  und  Herpes  in  der  Mitte  steht  und  wobei 
oft  die  Leberfunction  leidet ,  leistet  folgende  Cur  das  Meiste.  Zuerst  und 
bei  dem  fieberhaften  Zustande  :  K/  Pot.  liiverii  c.  aceto  vini  5Jjj ,  Aq.  ßor. 
sambuci  51V,  Tnrt.  emetic.  gr.  j.  M.  S.  Stündlich  1  Esslöffel  voll  mit  Flie- 
derMiee.  Hat  sich  der  Ausschlag  gebildet  und  die  Heftigkeit  des  Fiebers 
gebrochen,  dann  ein  Vomitiv  aus  Tart.  emet.  und  Ipecac. ;  zuletzt  eine  Mix- 
tur aus  Salmiak  mit  Tart.  emet.  in  refr.  dosi  Äusserlich  wende  ich  blos 
Oleosa  mit  Decoct.  malvae ,  am  Ende ,  nach  acht  Tagen  mit  etwas  Aq. 
Goulardi  vermischt,  an.  I4)  Was  die  verschiedenen  Benennungen  und  die 
oft  kleinlichen  Unterschiede  der  Flechten  nach  Bateman ,  Alibert  und  Wil- 
Inn  betrifft,  so  zeigen  diese  mehr  die  verschiedenen  Stufen  und  Grade  des 
Übels  als  das  Wesentliche  desselben  an,  und  der  praktische  Arzt,  der  ra- 
tionell nach  den  Ursachen  die  E'lechten  innerlich  zu  behandeln  weiss,  und 
die  feinen  Nuancen  in  der  Wirkung  der  Arzneien  und  Arzneicompositionen 
genau  zu  taxiren  versteht,  If  uarf  jenes  Studiums  nicht  immer,  da  dieses 
mehr  auf  das  gelehrte  Wisserf  als  auf  die  Praxis  gerichtet  ist ,  sowie  über- 
haupt unsere  Diagnostiker  mehr  scharfsinnige  Dialektiker  als  Praktiker  sind, 
indem  sie  unwesentliche  Dinge  gewaltsam  trennen  (s.  Diagnostica  do- 
c  t  r  i  n  a).  Als  empirisches  Mittel  gegen  'trockne  Flechten  lobt  man  neuer- 
lich noch  die  wässerige  Auflösung  der  Cocusnussöl- Sodaseife,  welche 
schon  allenthalben  als  Toilettenartikel  im  Handel  vorkommt  (s.  HufelnniVs 
Journ.,  1832;  St.  6,  S.  137).  Als  ein  noch  wirksameres  Mittel  kann  ich 
Bäder  von  Flusswasser,  worin  gjjj  Acid.  muriat.  und  3JJ  Acid.  nitric.  ge- 
schüttet ,  alle  2  Tage  ein  solches  Bad  ;  auch  Waschungen  der  Stellen  mit 
öjj  der  erstem  und  5j  der  letztern  Säure  in  1  ß  warmem  Wasser ,  alle 
Abend  angewandt,  empfehlen.  —  Folgende  Spielarten  der  Flechte  verdienen 
noch  genannt  zu  werden:  1)  Herpes  iris,  die  Irisflechte.  Sie  kommt 
selten  und  dann  meist  nur  auf  dem  Rücken  der  Hand  vor.  Es  bilden  sich 
nämlich  hier  ein  oder  mehrere  kreisförmige  Flecken,  von  der  Grösse  eines 
Silbergroschen ,  auf  denen  vom  zweiten  Tage  an  Bläschen  erscheinen ,  und 
deren  jeder  Fleck  aus  vier  concentrischen  Ringen  von  verschiedener  Farbe 
besteht.  In  der  Mitte  ist  nämlich  ein  Bläschen,  welches  nach  2  —  3  Tagen 
sich  abflacht,  trübe  wird  und  eine  gelblich  weisse  Farbe  bekommt;  um  das- 
selbe läuft  ein  dunkler  oder  braunrother  Ring ,  um  diesen  ein  zweiter  gelb- 
*nh  weisser  Ring,  ihn  umgiebt  ein  dritter  Ring,  der  schmäler  als  der  an- 
d«.  /^  ist,  dunkelroth  aussieht  und  von  einem  vierten  Ringe,  der  am  7.  —  9. 
Tage  erscheint  und  rosenroth,  später  fleischfarben  ist,  umgeben  wird.  Acht 
Tage  später  sind  die  Bläschen  ganz  verschwunden  und  es  haben  sich  dünne 
Krusten  gebildet,  die  bald  abfallen.  Das  Allgemeinbefinden  wird  durch  diese 
Flechte  gar  nicht  gestört.     2)  Herpes  labialis,  die  Lippenflechte,     Sie 


1040  HETEROCIUISIA  —  HIDROTOPOEA 

kommt  liäufig  vor,  indem  sich  bald  an  der  obern ,  bald  an  der  unterm  Lippe, 
bald  an  den  Mundwinkeln  Gruppen  von  Bläschen  bilden,  die  auf  einer  ge- 
meinschaftlichen Area  sitzen,  zuweilen  einen  halben,  selbst  einen  ganzen 
Kreis  um  den  Mund  fornüren ,  auch  sich  oft  bis  zum  Kinn ,  bis  zur  Wange, 
zu  den  Nasenflügeln  forterstrecken;  dabei  brennende  Hitze,  harte,  rothe, 
glänzende  Geschw  ulst  der  Lippe ,  Schmerz  bei  der  Berührung.  Die  mit  kla- 
rer Lymphe  gefüllten  Bläschen  werden  am  2ten  Tage  undurchsichtig,  das 
Fluidum  darin  trübe,  gelblich  weiss;  sie  platzen  nach  3 — 4  Tagen,  die 
Geschwulst  mindert  sich,  es  bilden  sich  bräunliche  Borken ,  welche  in  4  —  5 
Tagen  abfallen  und  noch  einige  Zeit  eine  geröthete  Hautfläche  hinterlassen. 
Das  ganze  Übel  dauert  höchstens  14  Tage,  bei  reiabaren  Personen  ist  an- 
fangs etwas  Fieber  dabei,  auch  etwas  Angina.  Die  Cur  ist  zuerst  anti- 
phlogistisch, antigastrisch,  gelinde  Laxanzen  sind  nützlich;  örtliche  Mit- 
tel sind,  das  Bestreichen  mit  reinem  Öl,  mit  Milchrahra  abgerechnet,  nicht 
nothwendig ,  ja  öfters  schädlich ,  da  das  Übel  bei  Gallenfiebern ,  bei  der  In- 
ter^nittens,  bei  Ruhr,  bei  heftigen  Katarrhen  oft  als  Krise  erscheint.  Ist 
dies  nicht  der  Fall,  ist  der  Herpes  rein  örtlich,  so  kann  man  eine  schwache 
Solutio  vitrioli  albi  anwenden,  später  eine  Auflösung  von  Cuprum  sulphuri- 
cum.  3)  Her/ies  pmeputialis.  Es  erscheinen  hier  an  der  Innern  Fläche  der 
Vorhaut  kleine  Bläschen  auf  einem  rothen,  nur  einen  Silbergroschen  gros- 
sem Grunde,  welche  durchsichtig  sind,  sich  in  1  —  2  Tagen  vergrössern, 
trübe  und  gelbweisslich  werden,  dann  platzen,  mitunter  zusammenäies«en 
und  so  am  4.  —  6.  Tage  schon  kleine  Geschwüre  bilden.  Diese  haben  einen 
vveisslichen  Grund,  flache  Ränder,  erregen  etwas  Biennen,  heilen  abe»  bei 
Vermeidung  von  Erhitzung  und  strenger  Reinlichkeit  binnen  10  Tagen  von 
selbst.  Man  muss  diese  Geschwüre  nicht  mit  syphilitischen  Geschwüren  ver- 
wechseln. Die  Ursachen  sind  oft  unbekannt.  Häufig  kommt  das  Übel 
bei  kleinen  Knaben,  oft  aber  auch  bei  Jünglingen  und  Männern  vor,  beson- 
ders wenn  scharfe  Säfte  da  sind  und  der  Mensch  in  Baccho  ausschweift; 
zuweilen  ist  chronische  Balanitis  und  überhaupt  Blennorrhoe  Schuld,  vor 
Allem  aber  vernachlässigtes  Waschen  und  Reinigen  der  Eichel  und  Vorhaut 
bei  Personen ,  die  blennorrhoisch ,  arthritisch  sind  oder  an  Lithiasis  leiden. 
Cur.  Man  reinige  die  Eichel  und  Vorhaut  gehörig  mit  kaltem  Wasser, 
touchire  dann  oberflächlich  die  Bläschen,  verbinde  mit  trockner  Charpie  und 
lasse  diese  2  —  3  Tage  liegen.  Alsdann  ist  das  kleine  Geschwür  oft  schon 
in  der  besten  Heilung,  die  bei  trocknem  Verbände  in  4  —  6  Tagen  vollendet 
ist.  Auf  diese  Weise  habe  ich  diesen  Herpes  stets  schnell  geheilt.  Recidive 
kommen  aber  häufig  wieder;  man  verhütet  sie  dadurch,  dass  man  bei  den 
ersten  Spuren  von  Röthe  und  Jucken  Bleiwasser  anwendet  und  Pulv.  cort. 
quercus  zum  Bestreuen  hinterher  gebraucht  (^Most). 

Meter ocraiiia »  halbseitiges  Kopfweh,  s.  Cephalalgia. 

Meter® litlia,  das  unrichtige  Sprechen,  das  sich  Verspre- 
chen;  auch  die  abnorme  Stimme  wixd  so  genannt,  richtiger  Hctcrojihonia. 

Meterorexiftj  fremdartiger  Appetit,  wie  Pica,  Malacia  etc. 
Alihcrt  nennt  so  die  ganze  Classe  der  dyspeptischen ,  mit  Appetitus  morbosiu 
(s.  d.)  verbundenen  Krankheiten. 

Hexis^j  der  habituelle  Körperzustand,  die  Constitution ,  das  ge- 
sunde oder  kranke  Befinden  eines  Menschen  (s.  Constitutio  und  Habitus). 

Midroa»  Ilidroln,  auch  Hi/dron,  Aestntes,  Sudamina,  Eccesmata,  Pa- 
pulae siulurnlcs,  die  Hitz-  oder  Schweissblätterchen.  Sind  kleine, 
spitzige  Hautbläschen  mit  röthlichem  Umfange,  welche  bei  zarten  Personen 
nach  heftigen  Erhitzungen,  im  Sommer,  bei  heisser  Witterung,  nach  über- 
mässigem Ganzen ,  Weintrinken  etc.  meist  plötzlich  entstehen,  besonders  an 
der  slirn,  am  Halse.  Cur.  Öfteres  Waschen  mit  kaltem  Wasser,  mit  Spirit. 
camphorat.  vertreibt  sie  bald.  Innerlich  passt  Crem,  tartari,  Limonade  und 
kühlende  Diät   (s.  Miliaria  chronica). 

Hidropyrn.  das  Schweissfieber ,  s.  Anglicus  sudor. 

Midrotopocn  (^rcmvdia),  seh weissraach^nde  Mittel,  s.  Diaphoretica. 


.     mOPTR  —  HOMOEOPATHIA  1041 

Hieropyr,  ^        eilige  Feuer,  der  Gürtel,   s.  Herpes  Zoster. 

Hiinautouia ,  t^.innntosis,  die  Verlängerung  des  Zäpfchens. 
Ist  ein  beschwerliches  Symptom  bei  Angina  uvularis,  wodurch  das  Gefühl 
von  Schlucken  und  Würgen  entsteht  (s.  Angina  uvularis). 

Hippus  pupillae«  So  nennt  man  das  merkwürdige  Zittern  der  Iris 
und  die  daher  entstehenden,  schnell  wechselnden  Erweiterungen  und  Verenge- 
rungen der  Pupille.  Es  ist  meist  Symptom  bei  anfangender  Amaurose  spasti- 
scher Personen,  bei  Epileptischen,  Hypochondristen,  Hysterischen,  nicht  sel- 
ten complicirt  mit  Rollen  des  Bulbus ,  Nictitatio ,  Nystagmus.  In  einzelnen 
Fällen  sah  ich  Hippus  periodisch  kurz  vor  dem  hysterischen  Anfalle  nach 
vorhergegangener  sehr  verengerter  Pupille  entstehen.  Cur.  Die  des  Grund- - 
Übels,  der  Amblyopie,  der  Krämpfe,  daher  Antispasmodica  etc. 

Homoeopathia»    nach    Kmm    richtiger    HomoeopatJiogeniolJierapifi, 
die  Homöopathie    (d.  i.  gleichartiges  Leiden),    die  Hahnemann 'sehe 
Curmethode.      Ist   dasjenige   Heilverfahren,    nach    welchem    ein   EinfluSf?, 
der  bei  Gesunden   eine  bestimmte  Krankheitsform  hervorbringt,    gegen  ebcu 
diese  Krankheit,   wo  sie  sich  von  selbst  ausgebildet  zeigt,   angewandt  wer- 
den soll.     Seit    zwei    Decennien   hat    diese    neue   Lehre  in   Deutschlaftd   die 
meiste  Epoche  gemacht,  sich  viele  Anhänger,  besonders  in  der  Gegend  von 
Leipzig,  Dresden  und  in  diesen  Städten  selbst  verschafft;  aber  die  I^eftrzahi 
der   praktischen  Ärzte   huldigt  ihr    aus  triftigen  Gründen  nicht ;    sie  werden 
von  den  Anhängern  flaJmemami's,  der  als  Greis  noch  neuerdings  in  Paris  lebt, 
Allopathen  genannt.      Nach  dieser  Lehre  gilt  der,    grosse  EiIl.sc^lränkun- 
gen    bedürfende   Grundsatz:    Similia  similibus   curnntur;    sie   verachtet    alle 
Anatomie  und  Physiologie,  alle  Ätiologie;  man  soll  sich  blos  an  die  Krank- 
heitssymptome  halten    und   darnach    diejenige  Arznei   auswählen,    welche   in 
Gesunden   die    ähnlichen  Symptome   hervorbringt.     Die   Vis  naturae    conser- 
vatrix  et  medicatrix  soll  bei    allen  Krankheiten  nichts,    die  homöopathischen 
Arzneien,  welche  in  unendlich  kleiner  Dose,  ganz  den  Contrastimulisten  und 
Anhängern  Rnsori's  in  Italien  entgegen,    selbst   in   der  Gabe   von  Decillioii- 
theilchen    eines  Grans    gereicht  werden-    dagegen  Alles  thun.     Es  würde  zu 
weitläufig  seyn ,    das  Ganze  dieser  paradoxen  Lehre  hier  darzustellen.     Da- 
her mag  es  genügei^^uf  folgende  Abhandlungen  und  Schriften  Hahnemann  s 
und   seiner   Anhänger    zu    verweisen :     S.  Hahnemann   in    Hufeland'' s  Journal 
Bd.  II.  St.  3.  S.  391.  St.  4.  S.  465.  Bd.  III.  S.  138.  Bd.  IV.  S.  772.  Bd.  V. 
S.  3.    Bd.  VII.  S.  HO.   Bd.  X.  S.  195.    Bd.  XXVI.    St.  2.  S.  5.     S.  Hahne- 
mann, Fragmenta  de  viribus  medicamentorum  positivis  sive  in  sano  corp.  hum. 
observatis.  II.  Vol.  Lips.   1805.     Dess.  Heilkunde  der  Erfahrung,  Berl.  1806. 
Hess.  Organon  der  rationellen  Heilkunde.  3te  Aufl.  Dresd.  1824.     Bess.  Reine 
Arzneimittellehre.  6  Theile.  Dresd.  1821.     Dess.  Chronische  Krankheiten,  ihrf 
eigenthümliche  Natur   und   homöopathische  Heilung.    Dresd.  1828  und  18291 
4  Theile.     CasparCs    Erfahrungen   in  der  Homöopathie.    Leipz.  1823.      Dcsi 
Homöop.   Dispensatorium.    Leipz.    1829.    3te  Aufl.      E.  Stapf^s  Archiv   f.   d. 
homöopath.  Heilk.  Bd.  I  —  VIII.  (Wird  fortges.)     Schönherg,  ll  sistema  me- 
dico  del    Dr.  Hahnemann.   Neap.  1823.     Rati,  Über  den  Werth  des  homöo- 
path. Heilverfahrens.  Heidelb.  1824.     G.  A.   Weher's  Systematische  Darstel- 
lung der  antipsorischen  Arzneimittel  in  ihren  reinen  Wirkungen.     Nach  Hah- 
nemann bearbeitet.    Braunschw.   1830.  —     Es  konnte  nicht  ausbleiben :  eine 
solche  einseitige  Lehre  musste  gerechten  Tadel  finden,    um  so  n»!hr,  da  sie 
allf  Krankheiten  sicher  und  gründlich  zu  heilen  sich  anmasste.     Widerlegun- 
gen der  Homöopathie  finden  sich   nebst  scharfsinnigen  Kritiken  in  folgenden 
Schriften :  Allgem.  med.  Annalen.  1822.  S.  524.     S.  Hahnemann's  Homöopa- 
thie, gewürdigt  von  J.  Ch.   G.  Jörg.  Leipz.  1822.     Neues  Journal  d.  Erfin- 
dungen, Theorien  u.  Widersprüche.  Bd.  I.  St.  3.  Intellig.  Bl.  S.  37.    Heclier's 
Lit.  Annal.  Bd.  IL  1810.  S.  31.  S-   191.     Kranzfehler,    Symbola  ad  criticen 
novae  theoriae  homoeopathicae  dictae.    Erlang.  1812.     Puchclt  in  HufelaniVs 
Journ.   Bd.  XLIX.  St.  6.     Bischoff"' s  Ansichten    über  das   bisherige  Heilver- 
fahren und  über  die  ersten  Grundsätze  der  homöopathischen  Krankheitslehre. 
Prag,   1819.     Abgenöthigte   Belege   zu   den   in   den  Werken   der  FinstemLss 
erzählten  Thatsachen.    Altenb.    1824.      Jorges  kritische  Hefte   f.    Ärzte   und 
Most  Encyklopädie.  2te  Aufl.  T.  ()ß 


1042  HOMOEOPATHIA 

•Nichtärzte.  Hft.  2.  S.  49.     Hl.  F.  Niefsch's  Bemerkungen  über  Homöopatliie, 
vorziifrlich  für  Nichtärate.  Hanau,  1825.     F.  A.  Simon  jnn.,    S.  HalineniHnn, 
Psendomessias  medicus  der  Verdünner  etc.     Für  Arzte    u.  Nichtärzte.    Ham- 
burg,  1830.  —     Dr.  Krmts  in  Göttingen,   mein  yerehrungswürdiger  Lehrer, 
sagt  in  seinem  Et) moi.-medic.  Lexikon,  2te  Aufl.  1826.    S.  403  u.  f..  über 
die  Homöopathie:    „Unglücklicher  Weise  hat  Hahneraann  mit  dem  dazu  gar 
nicht  passenden  Worte  eine  Irrlehre  bezeichnet,    welche  zwar  eher  unterge- 
lien  wird  als  die  Kenntniss  des  Worts  in  der  frisch  geschafTenen  Bedeutung 
—  denn  über  diese  ^^^rd  man  noch  nach  Jahrhunderten  lachen,  bemitleidend 
die  Schwäche  unsers  Zeitalters  — ,   welche  aber  in  den  Händen,  in  welche 
sie  nach  und  nach  zu  gerathen  anfängt,  erst  noch  manches  Unheil  anrichten 
wird.     Hahnemann  ist  ein   anerkannt  guter  Pharmaceut,    und  hatte   sich  als 
solcher   durch  Darstellung   seines   sogenannten    Mercurius  solubilis    und   zum 
Theil  durch  seine  Abhandlung  über  Arsenikvergiftung,  wenn  gleich  nach  ihm 
diese  Lehre  um  ein  Bedeutendes  vervollkommnet  ist,  unverwelkliche  Lorbee- 
ren erworben.     Zum  eigenen  Schaden  zertritt  er  den  wohlerworbenen  Ruhm 
durch  das  Hhiüberpfuschen  in  Regionen,  die  er  gar  nicht  kennt.     Er  ist  nicht 
Physiolog  und  kann   also    auch    ni«:ht  Arzt  seyn.      Indem  er    in  dieser  Lage 
organische  Erscheinungen  beurtheilen  wollte,    musste  ihm  begegnen,  was  in 
ähnlichen   Fällen    so    häutig  begegnet:   die  Schale   für   den  Kern,    die  todte 
Form  für  den  Geist  zu  nehmen.     Er  übersah  auf  diese  Weise,    ohne   es  zu 
ahnen,  dass  dieselben  organischen  Erscheinungen  der  Form  nach  einen  völlig 
entgegengesetzten    Grundcharakter    haben,    dass   also    Krankheiten,    welche 
dem  Äussern  nach   als  dieselben   erscheinen,   ihrem  wahren  Wesen  nach  sich 
völlig  entgegengesetzt  seyn  können.     So  können  z.  B.  die  beiden  der  Form 
nach    einander    entgegengesetzten   Krankheiten:    Ischurie   und   Enurese 
dem  Wesen  nach  sich  völlig  gleich  seyn ,    da  die   eine  wie  die  andere  ent- 
weder von  Paralyse  oder  von  Überspannung  der  Kräfte  und  Turgescenz  der 
Säfte  herrühren  kann.     Ebenso  hat  umgekehrt  der  Arzt  nicht  selten  mehrere 
Fälle   derselben  Krankheitsform:    Durchfälle,    Anginen,    Ophthalmien  etc.  zu 
behandeln,  von  denen  einzelne,  ihrem  Innern  Wesen  nach,    das  voUkommne 
Widerspiel  ihrer  selbst  sind.     So  haben  die  anginösen  Erscheinungen  bei  der 
Wasserscheu   und    bei  manchen    hysterischen  Zufällen   den   sensiblen  Grund- 
charakter und  sind  also  formelle  und  wesentliche  Homöopathien  (im  rechten 
Sinne  des  Wortes).     Ebenso   sind    die   Anginen   beim  echten  Scharlach   und 
beim   Narkotismus    durch    Belladonna   Homöopathien,    weil    beide    vorherr- 
schende Irritabilität  oder  Muscular  -  und  ßlutthätigkeit  zum  Grundcharakter 
haben ;    beide  Arten  von  Anginen    bilden  aber   gegen  einander  die  entschie- 
densten Antipathien  und    erfordern  zur  gründlichen  Cur   geradezu  entgegen- 
gesetzte  Mittel,   so   dass  Contrnrin  contrarüs,   nicht,    wie   Hahnemann   will, 
SitiüUa  similibus  einander  entgegengesetzt  werden  müssen,  um  die  gewünschte 
Heilung  zu  bewirken,    und  dass   es   nur  rohen,   unwissenden,   dummdreisten 
und  gewissenlosen  Quacksalbern  oder  armen  verblendeten  Unwissenden   ein- 
fallen kann,   gegen  Scharlach  Belladonna  geben  zu   wollen.     Dass  hin   und 
wieder  einige  Besitzer  von   medicinischen  Doctordiplomen,    welche  auf  ihren 
Namen  lauten,    der  neuen  Irrlehre    beigetreten  sind,    kann    dieser   bei  Ver- 
nünftigen und  Besonnenen  keinen  Vorschub  leisten  :  denn  wol  kaum  ist  noch 
etwas  Tolles  und  Aberwitziges   zu  ersinnen,    dem  nicht   schon  einmal   soge- 
nannte Ärzte  nachgelaufen  wären.     Auch  der  Hahnemann'schen  Irrlehre  müs- 
sen, nach  dem    gewöhnlichen  Laufe   der  Dinge,    noch  Viele  nachtreten,   ehe 
sie  ihren  Culminationspunkt  erreicht   haben  und  ilu'en  Hinuntergang  machen 
wird.     Wie  könnte  es  auch  anders  kommen ,  da  unter  100  sogenannten  Ärz- 
ten selten  2  oder  3  sind,  welche  diesen  Namen  verdienen,  welche  nach  ge- 
höriger Vorbereitung  durch   eine  geläuterte  Physiologie  und   die  unerlässlicb 
dazu  gehörige  Physik  und  Psychologie  ihre   eigentlich  medicinischen  Studien 
begonnen  haben  "  —     Indessen  bekam  die  Homöopathie  von  Tage  zu  Tage 
mehr  Anhänger,  so  wol  im  In-  als  Auslande,  unter  denen  bedeutende  Namen 
glänzen,  von  denen  ich  nur  Uufeland  in  Berlin,    FT o//"  in  Warschau,  Rau  in 
Giessen,   M'iedemann  in  München,    Mühlcnbcin  und   Weher  in  Braunschweig, 
Mm:  Mülki'  in  Leipzig  et«,    nenne.     Der  würdige  Veteran  Hufelmtd  zeigte, 


HOMOEOPATHIA  1043 

dass  es  unrecht  sey,  die  Lehre  geradezu  zu  verwerfeo  oder  mit  Spott  und 
Hohn  zn  verfolgen  (s.  Hufelnnd's  Journal,  1826.  1828,  Juni).  Eine  fernere 
Erklärung  über  Homöopathie  ist  wiederum  ganz  neuerlich  von  ihm  in  seinem 
Journ.  d.  prakt.  Heilk.  1830,  Febr.  abgedruckt,  und  da  die  Stimme  eines 
flufelnnd  in  Dingen,  worüber  noch  pro  und  contra  gestritten  wird,  gewiss 
als  eine  gewichtige  angesehen  werden  muss,  so  will  ich  hier  die  Ansichten 
des  grossen  berliner  Lehrers  in  der  Kürze  mittheilen,  die  jeder  ruhig  den- 
kende und  humane  Arzt  im  Ganzen  unterschreiben  wird.  1)  „Prüfet  Alles 
und  das  Gute  behaltet!  Das  ist  und  bleibt  das  erste  Gebot  in  allen  Wis- 
senschaften und  in  der  Medicin  besonders.  Wir  haben  aus  den  gemeinsten 
Volkssagen  und  Volksmitteln,  ja  aus  Charlatanerien  und  Irrthümern,  manche 
heilsame  Wahrheit  erlernt  und  uns  zugeeignet ;  warum  also  nicht  auch  aus 
der  Honu)opathie?"  2)  „Die  Medicin  ist  eine  Erfahrungswissenschaft,  die 
Praxis  ein  fortdauerndes  Experiment,  mit  der  Menschheit  angestellt.  Und 
das  Experiment  ist  noch  nicht  geschlossen.  Haben  wir  es  den  Brownianera 
erlaubt  und  erlauben  es  noch  den  Contrastimulisten,  das  Opium  und  alle 
andere  heroische  Mittel  in  ungeheuer  grossen  Dosen  anzuwenden,  warum 
sollten  die  Homöopathen  nicht  die  Erlaubniss  haben,  sie  in  ungeheuer  klei- 
nen Dosen  anzuwenden?"  S)  „Unser  höchstes  Palladium  ist  Freiheit  des 
Denkens,  Freiheit  der  Wissenschaft.  Nur  so  kommen  wir  weiter!  Keine 
Art  von  Despotie,  keine  Alleinherrschaft,  kein  Druck  des  Glaubenszwanges!) 
Selbst  die  Regierung  darf  in  wissenschaftliche  Gegenstände  nicht  eingreifen,/ 
weder  hemmend,  noch  eine  Meinung  begünstigend;  denn  beides  schadetJ 
Nur  Prüfung  durch  Erfahrung,  Rede  und  Gegenrede,  fortgesetzte  freimü- 
thige  Untersuchung,  und  die  Zeit,  können  und  werden  sicher  am  Ende  das 
Wahre  von  dem  Falschen,  das  Brauchbare  vom  Unbrauchbaren  sondern." 
4)  „Es  giebt  auch  in  der  Medicin  mehrere  Wege  zum  Ziele.  Der  eine  führt 
langsamer,  schwerer,  gefährlicher,  der  andere  schneller,  sicherer,  gefahrloser 
dahin.  Ja,  scheinbar  entgegengesetzte  Behandlungsarten  können  dasselbe 
Resultat  hervorbringen.  Die  Ursache  ist  das  Medium,  wodurch  Alles  im 
lebenden  Körper  geschieht,  und  so  auch  die  Wirkung  der  Heilmittel  ver- 
mittelt wird:  die  innere  Heilkraft,  die  Autokratie  und  Autonomie 
der  lebenden  Natur  selbst.  So  heilen  Verbrennungen  ebenso  gut  durch  kal- 
tes Wasser  als  durch  Hitze  und  erhitzende  Dinge,  durch  Verraittelnng  der 
Erregbarkeit  und  des  Lebensprocesses ;  die  eine  Methode  heilt  auf  directem, 
die  andere  auf  indirectem  Wege,  die  eine  durch  Entreizung,  die  andere  durch 
Überreizung.  So  heilt  der  Eine  katarrhalische  Fieber  durch  kühlende  Mit- 
tel, der  Andere  durch  erhitzende  und  schwe^^^^treibende."  5)  „Je  älter  wir 
werden,  desto  mehr  sehen  wir  ein,  wie  wenig  >.  vissen;  aber  die  Erkennt- 
niss  des  Nichtwissens  ist  auch  schon  ein  hoher  Grad  des  Wissens.  Sie  macht 
uns  bescheiden  und  nachsichtig,  billigdcnkend  gegen  anders  Denkende." 
6)  „Die  Homöopathie  ist  durchaus  zu  verwerfen  als  allgemeines  Princip  der 
ganzen  Heilkunde.  Ja,  sie  würde  als  solches,  in  ihrer  ersten  rohen  Gestalt 
angenommen,  das  Grab  der  Wissenschaft  und  auch  der  Menschheit  werden. 
Aber  sie  ist  beachtenswerth  und  nicht  zu  verwerfen  als  eine  eigene  Heilungs- 
methode für  bestimmte  Krankheitsfälle,  und  untergeordnet  den  höhern  Priii- 
cipien  der  rationellen  Medicin.  Dies  spreche  ich,  sagt  Hufelund,  mit  eben 
so  vollkommner  Überzeugung  aus,  wie  das  erste,  und  ich  bin  es  der  Wahr- 
heit schuldig,  der  allein  ich  huldige.  Ohne  mich  liier  darauf  einzulassen, 
•welchen  Antheii  die  Diät  oder  die  unendlich  kleinen  Dosen  der  Heilmittel  a» 
der  Cur  haben ,  ist  es  doch  nicht  zu  leugnen ,  und  nicht  blos  die  Erfahrun- 
gen anderer  achtbarer  Männer,  sondern  auch  eigene  Beobachtungen  haben 
mich  überzeugt,  dass  sie  nicht  selten,  und  zuweilen  höchst  auffallend,  und 
nach  vergeblichem  Gebrauch  anderer  kräftiger  Heilmethoden ,  Hülfe  geleistet 
hat."  7)  „Die  Homöopathie  ist  eine  directe  Cur,  die  Cur  der  Krankheit 
an  sich.  Aber  die  Sache  ist  nicht  neu ;  von  jeher  gab  es  Arzte ,  welche  die 
Krankheit  an  sich,  d.  h.  die  innere  Lebensveränderung,  welche  den  Krankr- 
beitserscheinungen  zunächst  zum  Grunde  liegt,  zum  Gegenstande  der  Cur 
machten.  Dahin  gehören  z.  B.  alle  specidsche  Curarten:  die  Cur  der  Sy- 
philis, der  Scabies,  der  Wechselfieber  durch  die  Specifica  Mercur,  Schwe- 

66* 


1044  HOMOEOPATHIA 

fei,  China  etc.  Auch  die  diagnostische  Bestimmung  ist  nicht  neu;  denn  es 
war  der  älteste  und  natürlichste  Weg  der  Erkenntniss,  die  Symptome  zu 
beachten  und  zum  Grunde  zu  legen,  und  aus  den  wesentlichen  Symptomen 
die  nächste  Ursache  der  Krankheit  zu  construiren.  Aber  der  Unterschied 
ist  der,  dass  die  rationelle  Medicin  ausser  den  Phänomenen  noch  ganz  an- 
dere höchst  wichtige  Quellen  der  Diagnose  hat  und  benutz^,  nämlich  die 
Genesis  und  die  Reagenz,  wodurch  nothwendig  die  Diagnose  viel  umfassen- 
der, tiefer  und  sicherer  wird ,,  als  dies  bei  der  Homöopathie  der  Fall  ist. 
Letztere  legt  sämmtliche  Symptome,  die  rationelle  Medicin  aber  nur  die 
wesentlichen  und  constanten  Symptome  zum  Grunde  der  Diagnose  und  Cur. 
Die  Homöopathie  ist  also  reine  Empirie."  8)  „Immer  bleibt  die  Homöopa- 
thie eine  symptomatische  Curart,  und  ihr  bleibt  daher  das  Schicksal 
jeder  symptomatischen  Behandlung.  Sie  kann  die  Symptome,  z.  B.  den 
Schmerz  etc.  heben,  aber  die  Krankheit  bleibt,  und  es  treten  nun  dieselben 
Symptome  wieder  auf  oder  die  Krankheit  nimmt  eine  gefährlichere  Form  an.'* 
Die  Hülfe  ist,  auch  nach  HufelaniVs  Erfahrungen,  bei  solchem  homöopathi- 
.schen  Verfahren  oft  nur  temporär,  nicht  dauerhaft.  Bekanntlich  achten  die 
Homöopathen  durchaus  nicht  auf  die  Ursachen  der  Krankheiten,  weil  Hah- 
nemann  die  Ätiologie  verachtete.  Seit  ein  paar  Jahren  hat  indessen  dieser 
geniale  Kopf  Manches  in  seiner  Lehre  verändert.  So  z.  B.  werden  allen 
chronischen  Krankheiten  drei  Krankheitsursachen  zugeschrieben,  nämlich  ent- 
weder Psora,  oder  Syphilis,  oder  Sycosis.  Ist  erstere  da,  so  werden  die 
antipsorischen  Arzneien  ,  jedoch  in  den  winzigen  homöopathischen  Dosen  ge- 
reicht, ist  Syphilis  Schuld,  so  heilt  eine  homöopathische  Gabe  Mercur,  und 
rührt  das  Übel  von  Sycosis  her,  so  hilft  allein  der  Succus  thujae  articulatae 
(s.  Hahnemnmis  Chronische  Krankheiten  etc. ).  So  einseitig  immerhin  diese 
Ansicht  ist,  so  deutet  sie  doch  an,  dass  die  Homöopathen  es  selbst  wohl 
fühlen,  wie  traurig  es  um  die  Heilkunst  steht,  wenn  wir  alle  Ätiologie  ver- 
achten. 9)  „Man  sage,  was  man  will,  fährt  Hufeland  fort,  die  eii^zige 
gründliche  Cur  einer  Krankheit  ist  und  wird  ewig  bleiben  (wie  es  auch 
schon  der  Wortverstand  giebt)  diejenige,  welche  das  Übel  in  der  Wurzel 
angreift,  und  so  den  Grund  desselben  hebt,  d.  h.,  welche  zuerst  die 
Innern  und  äussern  Verhältnisse  aufsucht,  durch  welche  das  Übel  erzeugt 
ist  oder  unterhalten  und  genährt  wird,  und  diese  hebt;  das  Verhältniss  der 
verschiedenen  coexistirenden  Krankheitszustände  erforscht ,  die  einander  we- 
sentlich bedingen,  und  diese  beseitigt;  immer  zuerst  die  reizende  Ursache 
entfernt,  ehe  sie  an  die  Aufhebung  der  Reizung  geht;  und  nun  erst,  wenn 
dieses  alles  beseitigt  ist  und  das  Übel  dennoch,  selbstständig  geworden, 
fortdauert,  oder  wenn  gar  keine  entfernten  Ursachen  zu  entdecken  sind,  die 
Krankheit  an  sich  zum  Gegenstande  der  Behandlung  macht.  Wie  oft  be- 
handelt der  Arzt  die  Wassersucht,  die  Hypochondrie,  Hysterie,  das  Asthma 
etc.  durch  die  kräftigsten,  gegen  die  Krankheit  unmittelbar  gerichteten  Mit- 
tel lange  vergebens!  Endlich  entdeckt  er,  dass  eine  verborgene  Scabies 
öder  Syphilis ,  oder  eine  Obstruction  der  Unterleibseingeweide  zum  Grunde 
liegt.  Er  wendet  nun  Sulphur,  Mercur,  Resolventia  an,  und  die  Heilung 
gelingt.  Die  ganze,  für  die  Praxis  so  wichtige  Eintheilung  der  Nerven- 
krankheiten in  Morlms  cum  et  sine  mnteria,  beruhet  darauf."  10)  ,,Ein 
Haujitfehler  der  Homöopathie  ist  das  gänzliche  Ausschliessen  und  Nichtach- 
ten  der  Autonomie  und  Autokratie  der  Natur,  die  allen  Helloperationen  zum 
Grunde  liegt,  sie  unterstützt,  leitet,  modificirt,  ja  oft  ganz  allein  bewirkt. 
Diese  Heilkraft  der  Natur,  diese  Selbsthülfe,  die  sich  oft  so  herrlich  bestä- 
tigt, das  ganze  grosse  Werk,  was  wir  unter  dem  Worte  Krisis ,  innerer 
Heilungsprocess,  begreifen,  und  für  das  jeder  Arzt  den  tiefsten  Respcct  ha- 
ben muss ,  fehlt  in  der  Homöopathie  gänzlich ,  und  dies  halten  wir  für  eine 
ebenso  unbegreifliche !  al;;  verderbliche  Lücke.  Sind  nicht  selbst  viele  .sogC;- 
nannte  Krankheiten  oft  gerade  die  heilsamsten  kritischen  Bestrebungen  der 
Natur  zur  radicalen  Heilung?  Man  denke  nur  an  die  Wpchselfieber." 
11)  „Die  Homöopathie  übt  eine  solche  nachtheiiige  und  beschränkende  Herr- 
schaft über  die  Geister  aus,  die  jedes  einseitige  System  haben  muss,  und  die 
wii"  während  der  Herrschaft  des  ßrown'schen   Systems  genug   zu  beklagen 


HOMOEOPATHIA  1045 

Ursache  hatten.  Sie  erzeugt  Verblendung,  Beschränktheit  und  Befangen- 
heit, auch  bei  den  Bessern,  die  sich  ihr  ganz  ergeben.  Sie  übersehen  die 
wichtigsten  Umstände,  die  dringendsten  Aufforderungen  der  Natur  zur  Hülfe, 
die  deutlichsten  Indicationen,  weil  sie  nicht  in  das  einmal  von  ihnen  selbst 
geformte  Krankheitsbild  passen.  Auch  dieses  hat  mir  die  bisherige  Erfah- 
rung schon  hinlänglich  bewiesen.  Mit  Erstaunen  und  herzlichem  Bedauern 
habe  ich  gesehen ,  dass  auch  die  Besten ,  völlig  blind  gegen  jene  deutlichen 
Aufforderungen  und  gegen  ihre  bessern  Einsichten,  sich  dennoch  ängstlich 
an  die  vorgeschriebene  Denkform  und  an  das  dictatorische  Wort  des  Mei- 
sters hielten  und  darnach  handelten.  Es  ist  bekannt,  dass  die  Homöopathie 
es  vorzüglich  zum  Gesetz  macht,  die  Nachwirkung  der  Mittel  nicht  zu  stö- 
ren. Nun  dauert  diese  aber  nach  der  Angabe  des  Stifters  oft  8,  14,  ja  40, 
50  Tage,  und  ich  habe  schon  gesehen,  dass  man  in  dieser  ganzen  langen 
Zeit,  selbst  bei  den  wichtigsten  Erscheinungen  und  Veränderungen,  gar  nichts 
zu  thun  wagte,  blos  aus  blindem  Respect  vor  jenem  doch  nur  problemati- 
schen Gesetze.  Vor  nichts  sollte  sich  doch  der  Mensch  mehr  hüten,  als  vor 
Geistesgefangenschaft."  Der  Hauptfehler  der  Homöopathie  ist,  dass  sie  ihr 
Princip  zu  dem  allein  gültigen  der  Heilkunst  und  jeder  gründlichen,  sichern 
Heilung  machen  will,  sich  aber  dadurch  —  durch  blosses  Auffassen  des  Ein- 
zelnen und  Mannigfaltigen ,  sowol  in  Bezug  auf  die  Wirkung  der  Arzneien, 
als  auf  die  Krankheitserscheinungen  —  in  ein  unabsehbares  Labyrinth  ver-* 
loren  hat,  wie  dieses  ganz  richtig  der  Recensent  in  Piercr's  Allgemeinen 
medicinischen  Annalen,  1828.  Aug.  bemerkt.  Die  frühere  Homöopathie,  wel- 
che keine  Krankheitsursachen  und  folglich  keine  dem  Wesen  dieser  Ursachen 
zeitlich  und  räumlich  entsprechende  Erscheinung  anerkennt,  der  alles  Sym- 
ptom und  Symptoniengruppe  war,  hat  durch  die  spätere  Annahme  tinhne- 
manii's,  nach  welcher  ein  inneres,  höchst  problematisches  Grund wesen  der 
chronischen  Krankheiten  (Psora,  Syphilis,  Sycosis)  statuirt  wird,  erst  einen 
wirklichen,  wenn  auch  sehr  flachen  und. unhaltbaren  Boden  bekommen.  So- 
wie nun  die  alte  Homöopathie  hierdurch  in  ihrer  Grundansicht  verändert 
worden  ist,  so  muss  dies  natürlich  auch  in  Bezug  auf  die  Heilung  oder 
vielmehr  auf  die  Arneiwirkungen  geschehen.  Doch  will  Hahnemann  dieses 
vermeiden,  und  die  alte  Homöopathie  mit  der^neuen  verbinden,  indem  er 
die  Mittel  trotz  jener  Annahme  doch  immer  noch  nach  der  Ähnlichkeit  ihrer 
Wirkung  mit  den  Ki'ankheitserscheinungen  anwenden  lässt,  was  ein  blosser 
Nothbehelf  genannt  werden  muss  (s.  Picrers  Allg.  med.  Annalen,  1828.  Aug.). 
12)  „Aber  am  traurigsten,  sagt  Hufcland  weiter,  ja  wahrhaft  furchtbar, 
kann  diese  Einseitigkeit  der  Ansicht  und  Beschränktheit  des  Geistes  hervor- 
treten, wenn  von  lebensgefährlichen  Momenten,  von  schnell  verlaufenden  und 
schnell  tödtlichen  Krankheiten  die  Rede  ist,  und  überhaupt,  wo  es  «ich  um 
Rettung  des  Lebens  handelt.  Hier  wünschte  ich  meine  Stimme  recht 
laut  und  zur  Donnerstimme  erheben  zu  können!  Was  bei  langwierigen, 
nicht  lebensgefährlichen  Fällen  ein  erlaubtes,  gleichgültiges,  leicht  nachzu- 
S€ihendes  Verfahren  und  Temporisiren  seyn  kann ,  das  wird  in  solchen  Fällen 
ein  Verbrechen.  Wer  da,  wo  das  lieben  auf  dem  Spiele  steht,  aus  Vor- 
liebe für  eine  Methode  die  von  der  tausendjährigen  Erfahrung  als  das  beste 
Rettungsmittel  anerkannte  Hülfe  versäumt,  wer  z.  B.  da,  wo  der  Mensch 
in  seinem  eigenen  Blute  zu  ersticken  in  Gefahr  ist,  wer  bei  pneumonischen, 
apoplektischen,  encephalitischen  Affectionen ,  überhaupt  bei  Entzündungen 
edler  Organe,  die  Blntentziehung  verriachlässigt,  worauf  der  Tod  oder  eine 
langwierige  ebenso  unheilbare  Krankheit  folgt,  der  hat  eine  schwere  Blut- 
schuld aufsein  Gewissen  geladen,  die,  wenn  er  sie  auch  nicht  gleich  em- 
pfindet, doch  einst,  wenn  der  Rausch  der  Befangenheit  verschwunden  ist, 
furchtbar  auf  ihm  lasten  wird ,  der  fällt  der  Gerechtigkeit  zur  Bestrafung 
und,  wenn  auch  nicht  d«m  irdischen,  doch  dem  höhern  Richter  anheira; 
denn  er  ist  ein  Mörder  durch  Unterlassung,  so  gut  wie  derjenige,  der  seinen 
Nächsten,  der  zu  ertrinke^i  in,  Gefahr  ist,  nicht  aus  dem  Wasser  zieht."  — 
So  weit  Hufeland.  Möchten  seine  Warnungen  tief  ins  Gemüth  eines  jeden 
Arztes  eindringen !  besonders  ins  Gemüth  der  jungen  Ärzte ;  denn  der  ältere 
Praktiker  huldigt  den  Systemen  nicht  mehr  blindüngs,  er  benutzt  das  Gute 


1046  HOMOEOPATHIA 

jedes  einzelnen  Systems,  ohne  sich  dem  einen  oder  andern  ganz  zu  ergeben. 
Ohne  Nutzen  ist  die  Homöopathie  keinesweges,  wir  müssen  sie  nur,  wie 
Hufclnnd  ganz  richtig  bemerkt,  als  eine  besondere,  der  rationellen  Medicin 
untergeordnete,  für  specieile  Fälle  anwendbare  Curmethode  und  nur  dafür 
allein  ansehen.  In  allen  chronischen  Übeln  ,  in  allen  chronisclien  sogenann- 
ten Nervenkrankheiten :  Hysterie,  Katalepsie,  Epilepsie,  Hypochondrie,  wenn 
keine  materiellen  Ursachen  aufzufinden  oder  diese  schon  entfernt  sind,  ver- 
dient sie  um  so  eher  Beachtung,  je  mehr  unsere  gewöhnlichen  Mittel  uns 
im  Stiche  gelassen  haben.  Wir  brauchen  dabei  ja  auch  nicht  immer  die 
winzig  kleinen  Dosen  zu  geben ;  wir  können  ja  bei  unsern  gewöhnlichen 
Dosen  bleiben  und  so  modificirt  homöopathisch  hellen.  Ausserdem  hat  die 
Hahnemann\sche  Lehre  manches  noch  wenig  beachtete  Gute.  «)  Wir  ver- 
danken ihr  manche  nähere  und  bessere  Bestimmungen  über  die  Wirkungen 
einzelner  wichtiger  Arzneikörper,  /y)  Sie  hat  unstreitig  das  Gute,  dem  Miss- 
brauche, heroische  Arzneien  in  grossen  Dosen  und  in  Menge  zu  verordnen, 
wohlthätig  "entgegenzuwirken.  Betrachtet  man  das  Leben  und  Treiben  vie- 
ler unserer  heutigen  Ärzte,  so  scheint  es  beinahe,  als  wenn  sie  von  Natur- 
autokratie {^ar  nichts  wüssten.  Wenigstens  dünken  sie  sich  Herren  der  kran- 
ken Natur,  glauben  stets  positiv  eingreifen  zu  müssen,  schreiben  ihren  Mit- 
teln, ist  ihi\en  eine  Cur  gelungen,  allein  die  Heilung  zu,  ist  sie  misslungen 
und  der  Tod  erfolgt,  so  glauben  sie  noch  dieses  oder  jenes  heroische  Mittel 
versäumt  zu  haben.  Dass  sie  aber  leider  nicht  selten  durch  das  Plus  ihrer 
Kunst  oder  Unkunst  den  Kranken  getödtet  haben ,  dass  dieser  nicht  an  der 
Krankheit,  sondern  an  der  Menge  der  Araneien  gestorben  ist,  daran  denken 
sie  wol  sehr  selten !  c)  Die  Homöopathie  mit  ihrer  strengen  Diät  und  mit 
dem  Nichts  ihrer  Arzneien  giebt  den  deutlich.sten  Beweis,  wie  gross,  wie 
herrlich ,  wie  göttlich  die  Vis  naturae  medicatrix  sey.  Ohne  diese  wäi'e  die 
Homöopathie  längst  zu  Grabe  getragen,  d)  Auch  beweist  die  Hahnemann'- 
8che  Lehre  aufs  bündigste ,  dass  die  sympathetischen  Mittel  von  Wirksam- 
keit und  bis  jetzt  von  den  Ärzten  zu  wenig  beachtet  worden  sind.  Ja,  ich 
bin  der  Meinung,  dass  die  auffallenden  Wirkungen,  die  man  von  dem  Ein- 
nehmen unendlich  kleiner  Arzneigaben  gesehen  hat,  nicht  der  Homöopathie, 
sondern  der  Sympathie,  dem  unerklärbaren  Zusammenhange,  worin  alle 
Erdkörper  mit  einander  stehen ,  zugeschrieben  werden  müssen  ,  wobei  der 
Glaube,  die  Einbildungskraft  des  Kranken,  das  auf  blinden  Glauben  ge- 
stützte, positiv  und  sicher  scheinende  Benehmen  des  homöopathischen  Arztes 
etc.  mit  in  Anschlag  gebracht  werden  müssen.  Man  mache  ein  Expcrimen- 
tum  crucis,  verspreche  z.  B.  einer  hysterischen  Frau  durch  Homöopathie 
sichere  Heilung;  setze  20  und  noch  mehrere  Gläser  auf  den  Tisch,  fülle  sie 
mit  destillirtem  Wasser,  unter  den  Augen  der  Kranken ,  tröpfle  und  schütte 
aus  einem  Glase  ins  andere,  mache  eine  wichtige  Miene  dabei,  gebe  aber 
aus  dem  letzten  Glase  keine  verdünnte  Arznei,  sondern  rein  destillirtes  Was- 
ser (der  Betrug,  in  das  letzte  Glas  von  der  verdünnten  Arznei  nichts  ge- 
tröpfelt zu  haben ,  ist  erlaubt) ,  und  man  wird  —  ich  habe  dergleichen  er- 
lebt —  Wunder  sehen !  Die  Krämpfe  sind  wie  weggeblasen  und  cessiren 
vielleicht  8,  ja  14:  Tage;  aber  sie  kommen  wieder  und  das  zweite  homöo- 
pathische Nichtsthun  hilft  nichts,  weil  der  psychische  Eindruck  und  so  die 
Sympathie  nun  schon  weit  geringer  ist.  Möchte  es  doch  den  in  Ostreich 
und  Russland  gegenwärtig  behufs  der  Homöopathie  ernannten  Commissionen, 
um  das  Wahre  oder  Falsche  der  Sache  streng  zu  prüfen,  gefallen,  ähnliche 
Experimente  als  Gegenproben  zu  machen !  Der  Mensch  hängt  in  jeder  Zeit 
von  Eindrücken  ab,  und  das  Psychische  hat,  wie  wir  täglich  im  gemeinen 
Leben  und  am  Krankenbette  sehen ,  einen  bedeutenden  Einfluss  aufs  Soma- 
tische. Ja  dieser  Einfluss  ist  so  gross,  dass  z.  B.  wollüstige  Gedanken  die 
Heilung  eines  Beinschadens  stören  und  plötzlicher  Ärger  gesunde  Muttermilch 
giftig  machen  kann  (s.  Cacogalactia  und  Fermcntatio).  Lesenswerth 
sind  Hoppes  Erfahrungen  über  die  Homöopathie  (s,  dess.  Denkwürdigkeiten 
aus  der  ärztl.  Praxis.  Bd.  IL).  Er  sagt  hier,  dass  die  Behandlung  mit  ho- 
möopathischen (und  antipsorischen)  Mitteln  nach  seiner  Erfahrung  im  Gan- 
zen mehr  Nieten  ergebe,  als  eine  vorsichtigere  —  bedeutendere  Arznei- 


HORDEOLUM  1047 

krankheiten  verhütende  —  allopathische.  Was  indessen  Kopp  an  der  Ho- 
möopathie lobt,  und  warum  er  dies  thut,  ist  in  emer  neuern  Schrift  von 
«Simo«  jun.  der  Art  beleuchtet  worden,  dass  es  auf  Selbsttäuschung  und  fal- 
schen Schlüssen  beruhe.  Recht  scharfsinnig  ist  die  im  J.  1835  von  Stieglitz 
erschienene  Schrift  über  Homöopathie  geschrieben ,  die  kein  Arzt  ungelesen 
lassen  sollte.  Schliesslich  bemerke  ich,  dass  vor  einigen  Jahren  es  den  An- 
schein hatte,  als  würde  die  Homöopathie  auch  hier  in  Mecklenburg  unter 
einzelnen  Ärzten  Beifall  finden,  doch  sind  diese  bald  wieder  auf  die  Bahn 
der  Allöopathie  gelangt,  und  kein  einziger  Arzt  Mecklenburg  -  Schwerins  ist 
ein  Homöopath;  nur  hie  und  da  findet  sich  wol  ein  hypochondrischer  Phi- 
lolog  oder  sonstiger  Stubensitzer,  der  vom  Auslande  her  sich  homöopathi- 
sches Nichts  in  Streukügelchen  gegen  seine  vollwichtigen  Friedrichsd'or  kom- 
men lässt.  Ein  solcher  war  es  auch,  der  vor  wenigen  Jahren  in  einem  un- 
serer Blätter  als  eifriger  Verfechter  der  Homöopathie  auftrat,  den  ich  aber 
gehörig  zurecht  gewiesen  habe  (s.  Schweriner  freimüth.  Abendblatt.  183S. 
Nr.  743,  746  und  750  u.  751). 

Hordeolum 9  Hordeum,  CritJi€y  das  Gerstenkorn,  und  «ler  höhere 
Grad  des  Übels:  Chnlnzion,  Chalas-ia  ,  Vhnlazeosis,  Grnndo ,  Porosis,  To~ 
plnis ,  Lylhynsis,  das  Hagelkorn,  die  Hagelgeschwulst.  Ist  eine  be- 
schränkte Entzündung  am  Augenlide,  welche  Ähnlichkeit  mit  einem  kleinen 
Furunkel  hat  und  leicht  in  Eiterung  und  Verhärtung  übergeht.  Der  Sitz 
des  Gerstenkorns  soll  eine  Meibom'sche  Drüse  seyn ;  doch  ist  dies  wol  nicht 
immer  öt  Fall;  denn  oft  sitzt  es  dazu  zu  weit  nach  Vorn  und  Atissen,  und 
es  ist  daher  ursprünglich  das  Zellgewebe  der  leidende  Theil  und  wahrschein- 
lich der  Sitz  in  den  Folliculis  sebaceis.  Symptome.  Unter  Spacmung  und 
heftigem  Jucken  bildet  sich  oft  in  einer  Nacht  an  einem  Augenlidrande  jene 
kleine ,  entzündete ,  auf  den  Raum  einer  Linse ,  Erbse  beschränkte  Beule, 
welche  schnell  an  Grösse  zunimmt,  die  Bewegung  des  Augenlides  hindert 
und  dunkelroth,  hart  und  empfindlich  ist.  Am  zweiten,  dritten  Tage  wird 
die  Geschwulst  mehr  rund  und  bohnenförmig ,  glänzend,  erhebt  sich  gleich- 
massig,  zeigt  später  an  der  Spitze  einen  gelblichen  Punkt  (daher  d'er  Name 
Gerstenkorn),  der  sich  öffnet,  Eiter  entleert,  worauf  der  kleine  Abscess 
bedeutend  zusamraenfiillt ;  dabei  verkleben  des  Nachts  die  Augenlider  ge- 
wöhnlich ein  wenig.  Der  kleine  Abscess  heilt  meist  schnell;  doch  l)leibt  in 
den  meisten  Fällen  etwas  Härte  und  Neigung  zu  Recidiven  zurück.  Diese 
erfolgen  leicht  nach  Erhitzung ,  Erkältung  und  nach  mechanischer  fileizung. 
Mit  jedem  Recidive  vergrössert  sich  die  Geschwulst,  und  wenn  sie  da«  erste- 
mal nicht  gehörig  rein  ausgeeitert  hat,  so  thut  sie  dies  auch  das  zweite  und 
die  folgenden  Male  nicht;  sie  bleibt  dann  härter,  dicker  (^Hordeolum  sctrrÄo- 
sum,  richtiger  Jford.  indurntuni)  und  selbst  so  gross  als  eine  Erbse  {Cha- 
lazion').  Ursachen.  1)  Zuweilen  topische  Reize  durch  Kratzen,  durch 
gewaltsames  Abreissen  der  trocknen  Borken  bei  Blepharophthalraien,  wenn 
des  Morgens  die  Augen  zugeklebt  sind.  2)  Häufig  giebt  Erkältung  Veran- 
lassung, wenn  wir  bei  erhitztem  Körper  und  schwitzendem  Antlitze  die  Au- 
gen mit  kaltem  "Wasser  waschen,  oder  uns  bei  Nachtschwärmerei,  Tanzen 
und  Weintrinken  ohne  vorherige  Abkühlung  des  Körpers  der  Nachtluft,  der 
Zugluft  aussetzen.  3)  Ausschweifungen  in  Baccho  und  Venere,  welche  Con- 
gestion  zum  Kopfe,  Ausschläge  im  Gesichte  und  somit  auch  Hordeolum  er- 
regen. 4)  In  vielen  Fällen  ist  Scrophulosis ,  Arthritis,  Syphilis  inveterata 
Schuld.  Cur.  Sehr  schwer  ist  das  Hordeolum  zu  zertheilen;  dies  hat  es 
mit  dem  Furunkel  gemein;  der  beste  {Ausgang  ist,  wenn  es  herauseitert. 
Anfangs  kann  man  die  Zertheilung  versuchen  und  Spirit.  Mindereri  5J,  Aq. 
rosar.  ^j,  lauwarm  überschlagen  (Äeer),  oder  Umschläge  von  Eis,  von 
Oxykrat  machen.  In  der  Regel  wird  man  aber  zu  spät  gerufen.  Dann 
passen,  um  die  Eiterung  zu  befördern,  Semmelkrumen  und  Milch,  mit  et- 
was Pulv.  foen.  graec.  vermischt  (3fo«0>  welche  Umschläge  man  auch  nach 
freiwilligem  Offnen  des  Absccsses,  um  ein  Hordeolum  induratum  zu  verhüten, 
fortsetzt.  Bleibt  dennoch  Härte  zurück,  so  lasse  man  von  folgender  Salbe, 
dreimal  täglich  eine  Erbse  gross,  mit  der  Spitze  des  Fingers  einreiben: 
fy  Unguent.  hydraxt^yr.  dn.  fort.  5j j    CttmpkmcM:  trU. ,    Eoftr.  ckuiae  ana  gr. 


1048  HORROR  —  HUMECTANTIA 

xjj.  M.  exacliss.  (^IVcller').  Noch  wirksamer  ist,  auf  gleiche  Art  angewandt, 
folgende  Salbe:  I^r  Mcrciir.  soluh.  Halmcm.  gr.  AJ,  Axmig.  porci  3]-  M.  ex- 
actiss.  {HirnJi)).  Liegt  die  Geschwulst  mehr  nach  Aussen,  so  kann  man 
auch  Empl.  diachyl.  gummös,,  de  Galbano  crocat.  auflegen.  Ist  das  Ger- 
stenkorn sehr  entzündet  und  schmerzhaft,  so  vermeide .  man  diese  Pflaster 
und  lege  lauwarme  Kataplasmen  von  folgender  Mischung  auf:  1^7  Herb. 
hi/osci)(nni,  — cicutae,  Far.^scni:.  Uni  ana  5)>.  Cotj.  c.  suftic.  ([uant.  a(iuae 
ad  consist.  Ca(aj)l.  {v.  Gräfe).  Dabei  achte  man  auf  das  etwanige  Allge- 
meinlciden,  gebe  bei  venerischer  Dyskrasie  Spec.  lignor.,  Mercur,  bei  Scro- 
pheln  Cicuta,  Merc.  dulc.  und  Sulph.  aurat. ,  bei  Gicht  Guajak  und  Spec. 
lignor.  etc.  Hat  sich  schon  ein  Hordeolum  indurattjm  gebildet,  so  ist  eine 
tüchtige  Eiterung  zu  wünschen.  Diese  hält  aber  oft  schwer;  das  Ding  ent- 
zündet sich  zwar  oft,  aber  es  erfolgt  wegen  Mangels  an  Reiz  selten  ge- 
hörige Eiterung.  Hier  berühre  man  die  .Stelle  mit  einer  heissen  Nadel,  oder 
reize  sie  mit  Spirit.  sal.  ammon.  a(|uos.  Man  kann,  um  die  Härte  zu  heben, 
das  Gerstenkorn  auch,  nachdem  der  Eiter  ausgedrückt  worden,  mit  Spirit. 
nitri  fumans  oder  mit  Höllenstein  vorsichtig  berühren  (/fo/rfcj/)  und  Empl. 
diachyl.,  mit  Pulv.  cantharid.  vermischt,  auflegen.  Hat  sich  schon  ein  wirk- 
liches Chalazion  gebildet,  so  ists  am  besten,  die  ganze  harte  Geschwulst 
mit  dem  Messer  .auszuschälen,  sonst  vergrössert  sie  sich  immer  mehr,  und  es 
entsteht  ztiletzt  eii^e  Verwachsung  mit  dem  Tarsus.  In  seltenen  Flllen  ent- 
steht Exulceration,  die  Stelle  sondert  schlechte  Jauche  ab  und  das  Ganze 
bekommt  einen  bösartigen,  carcinomatösen  Charakter  (s.  Cancer  oculi). 
Ist  dies  noch  nicht  der  Fall,  fürchtet  sich  der  Kranke  vor  dem  Operiren, 
so  kann  man  eine  Zeit  lang  folgendes  Pflaster,  welches  mitunter  Zertheilung 
bewirkt ,  versuchen :  Kr  EmpL  cicutae  5j ,  ^-  heihtdonn.  ^j ,  —  cerussne  ^iv. 
Malax.  exactiss.  S.  Sehr  dünn  auf  feine  Leinwand  zu  streichen  (y.  Gräfe'). 
Bei  sehr  verhärteten  Gerstenkörnern,  wo  keine  ordentliche  Eiterung  zu  Stande 
kommt,  leistet  der  anhaltende  Gebrauch  einer  recht  starken  Quecksilbersalbe 
oft  noch  j>ute  Dienste  {Wallis,  Himhj',  Most),  wo  z.  B.  12  Gran  Merc.  solub. 
Hahnem.   auf  .^j  Fett  genommen  werden 

Horror ,  Horripilatio ,  der  Schauder,  der  Frostschauder.  Ist 
ein  gesvöhnliches  Symptom  im  Froststadium  der  Fieber  (s.  Febris).  Je 
heftiger  der  Frost  in  Fiebern  ist,  <iesto  mehr  haben  diese  im  Allgemeinen 
den  inflammatorischen  Charakter,  desto  eher  sind  bedeutende  Localentzün- 
dungen  zu  fürchten  und  strenge  Antiphlogistica  anzuwenden,  z.  ß.  bei  an- 
fangender Pneumonie.  Kommt  im  Verlaufe  der  Fieber,  am  9ten,  Uten  Tage, 
und  bei  Innern  Entzündungen,  z.  13.  bei  Enteritis,  Metritis,  ein  ungewöhn- 
licher und  heftiger  Frostanfall,  so  ist  innerer  Brand  zu  befürchten  (s.  Gan- 
graena  interna).  Zeigt  sich  ein  Fieberfrost  mit  darauffolgender  Hitze 
im  Verlaufe  eines  Krampfanfalls ,  z.  B.  bei  Hysterischen ,  bei  Ejtilepsie, 
Chorea  etc.,  so  ist  dies  ein  gutes  Zeichen  und  deutet  an ,  dass  der  Krampf- 
anfall abzieht.  Kommen  statt  der  epileptischen  Anfälle  zur  Zeit,  wo  diese 
periodisch  einzutreten  pflegen,  nur  Frostanfälle,  so  hat  man  HolTnung,  dass 
das  Übel  geheilt  werden  könne,  was  in  solchen  Fällen  durch  Chinin  mit 
Magnesia,  durch  Decoct.  chinae  mit  etwas  Sal  tartari  (s.  Febris  int«r- 
mittens)   am  besten  und  schnellsten  erlangt  wird  {Most). 

Huinectantia  {rcmcdia),  anfeuchtende  Mittel.  Sind  solche 
Mittel,  welche  den  Theil,  auf  welchen  man  sie  anwendet,  benetzen  und 
feucht  machen.  Dahin  gehören  kaltes  und  warmes  Wasser,  Milch,  die  ver- 
schiedenen feuchten  Überschläge,  die  Dccocte  von  schleimigen  Samen  und 
Pflanzen ,  die  ausgepre.s.sten  Öle ,  Mucil.  gumm.  arabici,  Sem.  cydonior.  etc. 
Auch  die  Dunst-  und  Qualmbäder  gehören  hierher  (s.  Balneum,  Cata- 
plasnia,  Fomentatio,  Frictio).  Alle  diese  Mittel  finden  vielfache  An- 
wendung Irei  Trockenheit  des  Mundes,  des  Halses,  der  Nase,  der  Augen, 
der  Vagina,  bei  Trockenheit  und  Steifigkeit  der  Gelenke,  bei  trockner,  sprö- 
der Haut,  bei  trocknen  Wtniden,  Geschwüren.  Sie  sind  äusserst  wohlthä- 
tige  und  in  vielen  Fällen  schmerziindernde,  selbst  krampfstillende  Mittel. 


^ 


\1  i-ifJ"*;-.   »'