322 North Craig St,
?*n"iSBURGH, ^ PA.
FTTTPBTTBQTT AOADEMY OF MEDlOT^
-^^ 822 Korth Oraig St.,
*^ PITTSBTJEGH, ^X
Gncylclopädie
der
gesammten medicinischen und
chirurgischen Praxis,
mit Einscliluss '
der GeburtsMlfe^ der Augenheilkunde
und der Operativchirurgie.
Im Verein mit mehreren praktisichen Ärzten
lind Wundärzten
bearbeitet und herausgegeben
Doctor der Philosophie, Medicin und Chirurgie, akademischem Lehrer, praktischem
Arzte, Wundärzte und Geburtshelfer zu Rostock, mehrerer gelehrten Gesellschaften
des In- und Auslandes ordentlichem, correspondirendem und Ehrenmitgliede.
Zweite i stark vermehrte und verbesserte Auflage»
Erster Band.
A — Humectantia.
Leipzig:
F. A. B r 0 c k h a u s.
18 3 6.
13^1 S13i
der
gesammten medicinischen und chirurgischen
Praxis, mit Einschluss der Geburtshülfe, der
Augenheilkunde und der Operativchirurgie.
Erster Band*
^3'\G
9n
Vorrede zur zweiten Auflage.
JJLfie erste Auflage der „ Encyklojnidie der mediciriischen und
chirurgischen Praxis", welche im Jahre 1834 erscliien, hat bei dem
medicinischen und chirurgischen Publicum eine so günstige Aufnahme
sow'ol im Vaterlande als im Auslande gefunden , dass binnen 18 Mo-
naten die sänuntlichen Exemplare der bedeutend starken Edition ver-
griffen sind und die Bearbeitung einer zweiten Auflage, nöthig ward.
Auch ist in Amsterdam eine Übersetzung derselben in holländischer
Sprache eischienen. Dieselbe führt den Titel: Encyclopedisch wor*-
denboek der practische Genees-heel-en verloskunde. Naar de beste
bronnen en eigene ondervinding, in verband met onderscheidene pra-
ctische genees-en heelkundigen , bewerkt en uitgegeven, Naar het
Hoogduitsch. Amsterdam, Sulpke; 1836. (S. Blätter für literarische
ünterlialtung. März, 18305 Nr. 82).
Dass dem Herausgeber dieser Umstand ebenso angenehm seyn
musste , als für ihn die zahlreichen günstigen Recensionen des Werks
i den kritischen Blättern höchst seh m eich elkaft sind, liegt am Tage.
Der geehrte Receusent in der Allgem. medic. Zeitung ; Altenb. , 1833,
Nr. 72, 79 und 96; und 1834, Nr. 70, empfiehlt das Buch nicht
aliein Jüngern, sondern auch altern Praktikern aufs angelegentlichste,
und sagt unter andern: „Der Verf. stellt aus den besten Quellen die
Sachen gut und bündig zusammen, und es fehlt den einzelnen Ab-
handlungen auch die Kritik nicht. Auch finden wir überall, dass er
■^»idne individuellen Ansichten und Erfahrungen eingewebt hat. Man
kann mit Recht sagen, dass dieses Werk viel Eigenthümliclies ent-
hält. Obschon es mehr iürs Leben, .ils für die Schule bearbeitet
ist und die Tendenz des rein Praktischen unverrückt festhält, so ist
doch eine gesunde , verständige Theorie , wie sie für den praktischen
Arzt brauchbar ist, nicht vernachlässigt. Der Fleiss des Verfs., wo-
mit er das Wichtigste, Wissenswürdigste und das für den Praktiker
Nöthigste mit Ausscheidung alles für dessen nächsten Zweck Un-
nützen und Unnöthigen wohlgeordnet zusammengestellt hat, verdient
ij Vorrede zur zicciten Auflage.
Anerkennung und Bewunderung? ; denn die allermeisten Artikel hat
er selbst bearbeitet und zu denen seiner Mifarbeifer hat er sehr
schäizbare und er,ü;änzende Nachträge geliefert. Besonders dankens-
wcrlh sind die Abhandinngen desselben über die Imponderabiüen,
mit deren Beiiufzung zum Heilzwecke der Verf. sich lange Zeil mit
besonderer Vorliebe und günstigem Erfolge beschäftigt hat. Knrz !
Ref. hält diese Encyklopudie ausÜbces^eiigung fiir liöch^t brauchbar und
empfiehlt sie naniontlich allen seinen Jüngern Kunstgenossen angile
gentlichst. Bei aller Compendiosität und A^'ohlfeilhoit enthält sie einen
ausserordentlichen Reichfhum ärztlichen und chirurgischen Wissens."
Der gelelirte Choulant gesteht, dass diese Encyklopädie ihm
aus triftigen Gründen weit mehr zugesagt habe, als die deutsche
Bearbeitung des „Universallexikons der praktischen Medicin und Chir-
urgie von Andral, Begin etc., und die von Kaiisch besorgte
Übersetzung des englichen Werks: „EncyklopädiscJies Wörterbuch
der prakt. Medicin mit inbegiür der allgera. Pathologie, Therapie
und patiiol. Anatomie von Jam. Copland", welche jüngst erschie-
nen sind (vergl. Ergänz. -Bl. zur Allgcm. Lit.-Zeit., 1835, Nr. 48,
S. 379). EI)enso belobend sind die Kritiken des Werks in andern
literarischen ZeitscJjriften (s, Berliner raedic. Centralzeitung, 1833,
Nr. 34. I^uchner's Zeitschrift. Berlin, 18% etc.).- Nur die Ver-
fasser einer mangelhaften Kritik in Heck er' s Wissensch. Annalen
und einer höchst einseitigen Kritik in der Jenaer Lit.- Zeitung schei-
nen sich nicht recht lobend übei- meine Encyklopädie aussprechen zu
Avollen. Beide Receusionen rüjjien von jungen, mir persönlich be-
kannten unerfaJirenen Ärzten, die noch voll von der eitlen Schul-
weisheit, von Vorurtheilen und irrthümern sind, her, und der eine
von ihnen, der in Berlin wohnte, ist leider! schon gestorlicn. Ein
Mehreres darüber kommt im Artikel Medicus im zweiten Bande vor.
Je schmeicheiiiafter nun einerseits dem Heiausgeber diese so
-günstigen Beurtheiluugen des Werks sind (die ihn, wohl einsehend,
«lass auch er bei dem besten Willen und der grössten Anstrengung
nur etwas Uiivoilkommncs liefern konnte , fast beschämt gemacht ha-
ben), um so mehr hielt er es andererseits für die erste und vor-
nehmste Pflicht, bei Bearbeitung der gegenwärtigen zweiten Auflage
alle jene zur Verbesserung und Vervollständigung dieser EucykIo{lH-f
die dienenden AVinke und Fingerzeige seiner Recensenten nach Kj-äi-
ten zu benutzen. Ausserdem lag zwisclien der Absendung des gan-
zen Maunscripts der ersten Auflage und zwischeh der Beendigung
des Drucks beinahe ein Zeitraum von drei JiiJiren, so dass die al-
leineuestc Liteialur der Medicin und Cliiruigie und manche beachn
Vorrede zur :^weiteit, Auflage. ' m
tiitii^sworthe neue Enüleckuugen und Eifiihrungen in unserer Kunst
und Wissenschaft, die in diese Zeit lallen, zwar nicht raehr mit
anfgeiiorainen werden konnten, ab' r nichtsdestoweniger vom Her-
ausi^eber zum Behuf einer neuen Auflage benutzt worden sind.
Nur in einem Punkte hat der Herausgeber mit mehreren sei-
ner llecensenten niclit libereinstiramen können, nämlich im Betreu' der
zahlreichen, im Werke Torkoramenden complicirten Arzneiformeln,
welclie jene verringert und vereinfacht wünschen. Hier muss der
Herausgeber sich a) auf eigene Erfahrung- über die bedeutend grös-
sere Wirksamkeit solcher Compositionen vor den sogenannten Sim-
jdicihns und b) auf dasjenige stützen, was unser würdiger Sfaafsrath
Ilufeiand über die Vortheile der Zusamraenselzung' der Ajzneimittel
sagt (>i. dess. Journal für prakt. Heilkunde, 1834; St. 1), Hier l.eisst
es mit Recht: „Das Princip der freien Zusammensetzung* meh.rerer
Heilmittel ist eines der wiciitigsten und fruclitbiingendsten der Reil-
kunst, und das Recht dazu ein Recht, was sich der Heilkünsller
auf keine Weise rauben lassen darf. — Wir waren schon zweinial
in grosser Gefi^hr, es zu verlieren. Das eine Mal durch die Che-
mie, die uns unter ihre Meisterschaft zu ziehen suchte, und uns
schlechterdings keine Zusammensetzungen erlauben wollte, die sich
nicht mit den Gesetzen der chemisclieu Verwandtschaft vertrugen. —
Das andere Mal, als ein S)stem seine eiserne Ruthe auf nns legte,
das, nach einer selbsfgeschalFenen Einfheilung aller Mittel in zwei
entgegengesetzte Classen, es Unsinn nannte, zwei Mittel aus diesen
Classen zu verbinden, die sich nothweudigerweisc gegenseitig anni-
hiliren müssten. Beide Gefahren sind glücklich vorüber. Vernünf-
tige Chemiker geben jetzt selbst zu, dass sich die Herrschaft der
Chemie nicht in die Regionen des Lebens erstrecke, und dass ein
chemisch widersprechend erscJieineudes Gemisch dennoch im Leben-
den neue ungeahnet^ und eigenthüiulich heilsame Wirkungen her-
vorbringen könne^ Und was die Theorie der Keilkunst betiilTt, so
ist sie jetzt selbst so weit gediehen, der Erfahrung keine Geseize a
priori auldringen zu wollen. — Aber es droht jetzt zum dritten Mal
Gefahr, und zwar von Seiten der Homöopathie, welche geradezu
alle Zusammensetzungen von Heilmitteln verwirft, und sie als wider-
sinnig und schädlich ganz verbannt. — Es scheint nun also an der
Zeit zu seyn, diesen Gegenstand einer genauen Erörterung zu wei-
hen, und die Ärzte theils auf die unschätzbaren Vortheile
aufmerksam zu machen, welche aus der Zusammensetzung der Arz-
neimittel hervorgehen, theils auf die Gründe, die uns dazu besiiin-
men und bestimmen mussten. Sie sind folgende: Zuerst, dass \\'\x
IV Vorrede zur ztneilen Auflage.
dadurcli — ein Fall, der gar nicht selten vorkommt — in den Stand
gesetzt werden, mehreren Indicationen zugleich hei der Cur Genüge
zu thun. Welchem Arzte ist es unbekannt, dass ein Kranker an
mehreren Kranltheiten zugleich leiden kann, welche zugleich Hülfe
verlangen, oder wol gai- sich gegenseitig bedingen, wie z. B. die
Vcrbiiulung von gastrischen Anliaufungen mit Schwäche. Wie herr-
lich wirkt da die Verbindung von Rhabarber, Taraxacum, Salzen
mit China! Oder die Verbindung einer Nervenkrankheit mit einer
rheumatischen oder psorischen Djskrasie als ihrer ßasis ; hier ist die
Verbindung der nöthigen Nervenmittel mit den anti rheumatischen und
anlipsorischen (Schwefel, Antimoninm mit Valeriana und dergl.), so-
wie mit der ganzen antirheumatischen und anti psorischen Methode,
zur gründlichen Cur ganz unentbehrlich."
„Zweitens, die Erhöhung und bestimmte Determinalion der Kraft
eines Arzneimittels. Wir wenden ein Ptoborans (China, Quassia) an,
und es will nicht stärken, es spricht nicht an; wir verbinden ein
flüchtiges Reizmittel (Serpentaria, Wein, Alkohol) damit, und so-
gleich tritt die stärkende Kraft in vollem Glänze hervor. Aber nicht
blos von stärkenden Älitteln, sondern von allen, auch den specifi-
schen, gilt dieser Vortheil der Zusammensetzung; so z. B. die hen-
liche Verbindung des Mercurs mit dem Alkohol (Aether mercurialis) ;
sie giebt dem Mittel gleichsam Flügel. Oder bei der Wassersucht,
wenn die Diuretica und andere ausleerende Mittel nicht wirken wol-
len , verbinden wir W ein damit , und sogleich erhalten sie ihre Wirk-
samkeit. — Ebenso wichtig und heilbringend ist oft der Zusatz ei-
nes Älittels, um dem Hauptmittel eine bestimmte Richtung auf ein
Organ, auf ein System des Organismus, und auf einen bestimmten
Krankheitsprocess zu geben. Ich will hier nur an den Zusatz von
Vin. antimon. oder Tart. eraet. zu den antiphlogistischen Mixturen
bei Entzündungsfiebern, besonders Brastentzündungen , erinnern, wo-
durch dem Ganzen eine so heilbringende, den Haulkrampf lösende,
die Ausdünstung der Haut und Lungen, die Kiise befördernde Kraft
milgelheilt wird, so dass ich es in solchen Kiankheiten jederzeit in
meiner Praxis für eine Hauptregel gehalten habe, die Fiebermixluren
zu antimonialisiren. So verbinden wir, wenn die China allein das
Fieber nicht heben will, Opium damit, und sie erreicht dadurch so-
gleich ihren Zweck. Ja bei der Febr. intermitt. perniciosa, dem so-
genannten Todtenfieber, hängt die Rettung des Lebens lediglich
von diesem Zusatz des Opiums ab,"
„Drittens, Milderung, Verbesserung, Regulirung der Wirksam-
k«it der Arzneimittel. — Wie oft sind wir nicht genöthigt, bei
Vorrede zur zweiten Auflage. r
sehr erhßhter Reizbarkeit des Magens, des Darmcanals, oder des
Nervensystems überhaupt, unsern Mitteln ein besänftigendes, ein ge-
lindes Narcoticura, beizumischen, um sie wohlthäfig, ja nur erträg;-
lich zu machen! Ich kann versichern, dass ich in solchem Falle
einem Zusätze von Extr. Hjoscjam. oft den ganzen Success meiner
Cur verdankte. — Oder wir wollen Quecksilber geben, ohne den
Kranken in Gefahr des lüstigen Speichelflusses za setzen; ein Zu-
satz von Schwefel sichert ihn dafür; wir wollen verhüten, dass bei
dem Gebrauch des Antimoniuras die etwa im Magen anwesende Säuie
kein Brechen erregendes Antimonialsalz bilde, und sichern dafür
durch einen Zusatz von Magnesia,"
„Viertens, qualitativ chemische Zersetzung, Verbindung und Er-
zeugung ganz neuer Heilmittel, — Ich will nur an die so sciiät^-
bare Verbindung des Alkali, oder der Magnesia mit Acid. tart., oder
Sncc. cit. (das Pulvis aerophorus, die Potio Riverii) erinnern. Ent-
steht da nicht ein ganz neues, eigenthümlich wirkendes, Heilmittel,
und welcher Arzt möchte ohne dasselbe Arzt seyn? Desglcich'en
die nicht genug zu preisende Vereinigung des Sulplmr oder Anti-
monium mit Mercur (Aethiops miner., Pulvis Plummeri). Heilen wir
nicht dadurch unaUhlige Dyskrasien, gegen welche einer dieser Be-
standtheile allein vergebens angewendet ward? — Die Verbinduno-
des Gerbestoffs (Tannin) mit Metallsalzen erzeugt Zersetzung, aber
es entsteht dadurch ein neues Product, welches in vielen Füllen von
unschätzbarem Werthe ist, z. B. die Auflosung des Tart. emet. , des
Mercur. sublimat., des Bleizuckers in Decoct. chin. oder salic.
Ich will hier noch ein Beispiel geben, was mir selbst in frühern
Jahren meiner Praxis begegnete. Ich verband bei manchen Füllen
von acuten, besonders entzündlichen, Fiebern mit gastrischer Cora-
plication, das Nitrum mit Sal mirab. Glaub., um den Darmcanal»
mehr zu reinigen. Aber ich fand, dass nun, statt dass diese IVIi-
schung stürker laxiren sollte, vielmehr nur sehr massige, aber heil-
same, Ausleerungen entstanden, dagegen die Fieberbeweguiig sich
auffallend besserte, und allgemeine Krisen erfolgten , welche die Hei-
lung unter dem Fortgebrauch dieser Mischung vollkommen herbei-
führten. Ich gestehe, dass ich dieses lange nicht begreifen konnte,
bis ich hinterher entdeckte, dass sich durch obige MiscJiung ein
Natron nitricum oder Nitrum cnbicnm erzeugt, und ich also, ,ohne
es zu wissen, dieses gegeben hatte, welches ich alsdann, als eines
der tretfJichsten Mittel bei Fiebern, wo das Kali nitricum zu schwü-
ehend oder zu stark abführend wirkt, in meiner Praxis beibehalten
habe."
VI Vorrede zur xweiteu Auflage,
„Aber nicht blos chemisch, sondern anch dynjimisch, bilden
sich dnrch solche Ziisainmensetzungcn g'anz neue Heilkräfte, wie die
ausgezeichnet treffliche Wirkung" solcher, zum Theil widersinnig
scheinender, Mischungen bezeugt. AVir wollen nur an die Pilul.
hjdragog. Janin. und an das Decoct. Zitdnanni , sowie an die Pilul.
balsam. HoH'inann. , die Elixiria proprietatis und aperitiva der ehrwür-
digen alten Schule erinnern. Sind es nicht eben so viele neue Mit-
tel, von denen man nicht einen Beslandtiieil ändern kann, ohne der
Wirksamkeit Schaden zu (hun?"
„Fünftens endlich macht es ja oft die individuelle Constitution
des Kranken, oder eine besondere Idiosynkrasie, unumgänglich noth-
wendjg, melucre Hauptraittel mit eineju andern zu verbinden, was
hierauf berechnet ist."
„Und alle diese Vortheile eoUlen wir uns rauben lassen durch
eine zu weit getriebene, falsch verstandene, Simplicitäfslehie'? —
Nimmermehr! — Es kann Niemand mehr durchdrungen sejn von
der Achtung für wahre Simplicität in der Mcdicin, als ich; ja ich
gebe gern zu, dass , wenn es darauf ankommt, die ganze Kraft ei-
nes wichtigen Heilmittels ungestört zu erfahren und zu erhalten, es
Pflicht ist, dasselbe möglichst rein und ungemischt anzuwenden;
aber keineswegs schliesst dies in andern Fällen die Heilsajukeit, ja
Nothwendigkeit, der Verbindung mit andern Mitteln aus, und nie-
mand soll uns diese Freiheit der Kunstausübung beschränken, und
uns das unschätzbare Vorrecht rauben, selbst neue Schöpfungen zum
Heil der Menschheit hervorzubringen."
„Aber fürwahr, der ganze Angriif beruht, genau betrachtet, auf
Lrthum und Täuschung. Haben denn die Verlheidiger der neuen
Lehre, die heftigen Widersacher der zusammengesetzten Mittel, nicht
•daran gedacht, dass ihre sogenannten einfachen Mittel es gar nicht
sind'? — In der ganzen Natur giebt es nichts Einfaches, ausser
den Geist. — Alle Materie ist zusammengesetzt, und so auch jede
Arzneisubslanz. Rhabarber, China, Ipecacuanha, genug alle die
Mittel, die sie als einfach anwenden, sind ja schon Coniposila; die
Mineralwässer an der Spitze. — Und das, was die Natur selbst
Üuit, sollte der Arzt nicht nachahmen? — Ja, was noch mehr ist,
das einfachste Mittel wird, sobald es in den Magen kommt, ein Zu-
sammengesetztes , durch die Beimischung der Magensäfte und ihrer
chemischen Einwirkung, ja selbst durch das Vehikel des Wassers,
mit welchem es der Kranke nimmt. — Wir wollen jedoch hier-
durch keineswegs die Vertheidiger der ellenlangen Receple und über-
häuften Compositionen mancher Ärzte werden; denn die Hauptregel
Vorrede %ur zweiten Auflage. tu
bleibt immer: Keine Verbindung- von Mitteln, welche chemisch oder
,d7namisch die Grundwirkung- vernichtet, z. B. wenn man Säuren
anwenden will, kein Alkali zuzusetzen."
Wenn sich einer unserer ersten und erfahrensten Ärzte Europas
am Abende seines Lebens, welches er über ein halbes Jahrhundert
der Heilkunst widmete, so vortheilliaft über die Arzneicorapositionen
ausspricht; so gilt diese Autorität schon sehr viel. Auch ich bin
schon lange von der tiefen Wahrheit des hier Gesagten überzeugt
lind kann daher nichts an den milgctheilten Receptformeln ändern,
weiss auch recht gut, dass jeder ältere Praktiker mir darin nur bei-
stimmen wird, meine Jüngern Mitcollegen aber in späterer Zeit uifd
bei grösserm Reiehthum eigener praktischer Erfahrungen gleichfiüis
dieser Ansidit beitreten werden.
So erscheint denn diese zweite Auflage als eine durchaus ver-
mehrte und verbesserte, wovon bei einer Vevgleichung beider Auf-
lagen jede Seite den Beweis liefert. Denn es sind nicht allein sehr
viele, nur dürftig bearbeitete Artikel ausführlicher und gründlicher
behandelt, sondein auch mehrere hundert neue hinzugefiigt und viele
gänzlich umgearbeitet worden, als: Autocratia, Auscullatio, Ab-
scessus etc. Vorzugsweise sind es die chirurgischen, in der ersten
Auflage oft stiefmütterlich bedachten Artikel, die hier, selbst die ge-
naue Beschreibung aller grossen und kleinen Operationen (nach
Rust, V. Gräfe, Langenbeck, Zang, Textor, Blasius,
Dupuytren u. A. mehr) mit eingeschlossen, besser gewürdigt wor-
den sind, so dass das Werk jetzt auch dem operirenden Arzte und
Wundarzte, wie dieses mehrere meiner Herren Recensenten wünsch-
ten, genügen wird; daher denn auch der Titel den neuen Zusatz:
„mit Einschluss der Operativchirurgie" erhalten hat. Theils sehr
vermehrt und verbessert, theils neu hinzugekommen sind im ersten
Bande die Artikel: Ahnormitas, AbsxessuSj Auscultatio, Absci'ssto,
Ampuialto, Airesia, Coiicretio polypiformis , Callus^ Castratio,
Chirurgia, Cancer^ Cataplasma, CicalrisuUo^ Cheiloplastice^ Cir-
cumcisio, Co7nbusiio, CoUuiorium^ Cojidylomata^ Corpora aliena
inserta, Derivaiio, Decapitalio^ Electricitas, Empyema., Exslir-
patio, Frictio (Metliode endermique), Fungtis, Fistula, Fomentatio^
Fibulatio, Galvamsmus^ Gonorrlioea u. s. f. Auch die ophthal-
raologischen Artikel haben- bedeutende Zusätze erhalten. Man ver-
gleiche nur die Artikel: Amblyopia^ Amaurosis, Blennorrhoea
oculi^ Dacryops, Diae/a pro oculis etc. Als neue Artikel im zweiten
Bande nenne ich: Hydrops glotiidis^ — ovarii, Ichor, IcMhyosis,
Impetigo, Incontinentia seminis, Infusio et Transfusio, hisilio
/
/
vin Vorrede zur zweiten Auftage,
dentmm^ Intemperies, Kakophoria, Laparoscopia, Laparo-colo-
iomia, Laparotomiu, Ligatura, Lnthotomia^ Lithotritia, Lox-
arfhron, Lupus, 31ama a potu, Mania puerperarum, 3Iedicut,
Mefastam^ ßlo/luscum, Morbus cardiacus, — foetus, — infan-
tum. — placentae^ — sennm, Nephrotomia, Ojiania, OphthaJ-
mosropia, Paraholanologia ^ Percussio^ Perforation Psoriasis^
P/j/a/ismus, Punctio, Befinio, Revulsio^ Sectio cadaveriSj Sina-
pismus, Stap/iJ/lorrhaphia , Spicfwjidrotomia , Tarantismus , Tre-
paiiatio cranii, Tuberculosis. Sehr vennehrt und verbessert sind
im zweiten Bande die Artikel: Incontinentia nrinae, Induration In-
fiammatiOn Influenza^ Insolaiio, Intoxicatio, Inunciio, Ldthiasis^
Magnetismus animalis et mineralisn Malacosis. ßlelatiosiSn Morbus,
Oedema, Orthopaedia, Osteosarcoma, Ofalgia, Ozaena, Paraly-
sis, Partus, Pediluvium, Phthisis. Ruptur a uteri, — vaginae,
Sckerlicvo. Spasmus, Sjnizesis, Syphilis, Tetanus, Tinea capitis,
Ulcus, Variolae vaccinae und Venaesectio. Ausser einem neuen
Mitarbeiter, dem Herrn Chirurgus Neese hieselbst, hat besonders
mein verehrter College, der Herr Bataillons -Chirurgus Dr. Wie-
dow hieselbst, die Güte gehabt, mehrere schätzbare chirurgische
Artikel, als z. B. Decapitatio, Casiratio, EüCstirpatio , Fractura,
Ldlhotomia, lAthotritia etc. zu liefern. Die meisten übrigen neuen
Artikel, Zusätze und Verbesserungen der gegenwärtigen Auflage hat,
die Artikel Aneurysma, Cardialgia und Catalepsis, welche vom
Hrn. Dr. Schröder hieselbst herriUiren, ausgenommen, der Her-
ausgeber selbst bearbeitet. Die übrigen aus fremder Feder geflosse-
neu Artikel enthalten, wie in der ersten Auflage, auch hier die Na-
mensunlerschrift der geelirten Herren Mitarbeiter; daher eine beson-
dere Aufzählung derselben hier überflüssig ist.
Wenn unter solchen Umständen die gegenwärtige Auflage der
Encjklopädie um viele Druckbogen stärker, als die erste Auflage
erscheint, so liegt dies lediglich in der grossem Sorgfalt, womit
dieselbe, trotz der beibehaltenen Kürze und Bündigkeit der Schreib-
art, vom Herausgeber vermehrt und verbessert worden ist.
Rostock, am 25. April 1836.
Der Herausgeber.
j(ho Im;
E i n l e i t u n g.
Non eruditiSi sed erudiendis.
MJie praktische Heilknncle, die Chirurgie, Geburtshülfe und Ophthal-
mologie h.ihen seit den letzten Decennien durch so zahlreiche Ent-
deckungen, Verbesserungen und Berichtigungen in Betreff der Symr
ptoräatologie, Ätiologie, Diagnose und der Curmethode, sowie durch
die Bereicherungen mit wiiiksamen, theils neuen, theils der Verges-
senheit entrissenen Heilmitteln, auf so mannigfaltige Weise gewon-
nen, — die grossen Forfsphritte in den Naturwissenschaften haben
auf die Medicin und Cliirurgie so sichibar eingewirkt und so man-
ches Herrliche zu Tage gefördert (und werden dies fernerhin noch
weit mehr thun), dass ein Werk, welches die Tendenz hat, in ge-
drängter Kürze und dem gegenwärtigen Standpunkte der medicinisch-
chirurgischen Doctrinen geraäSiS,, alles Neue und durch die Erfah-
rung Geprüfte mit den feststehenden, unerschütte^jJjjOhen Wahrheiten
einer frühern Zeit zu vereinigen, nicht anders als wünschenswerth
genannt werden kann. Dass Scharfsinn, reife Beurtheilungsgabe,
. ]Bekanntscl»aft mit unserer filtern, und neuern Literatur und ein prak-
tischer Blick, Freiheit in\ Denken, Wollen, .Empfinden und Handfil»,
fern von AuAolritätsglaBben und Vorurtheilen, und die Gabe ,- sich
deiuUich, khi'r,; richtig und kurz auszudrückeu ,!) zur Abfassung einei-
solchen; umfassenden und mühevollen Arbeit gehören, dass nur un-
tOr diesen Bedingungen die Idee dazu realisirt werden könne, dieses,
habe ich immer mehr und mehr gefülilt, als.ich vor zwölf Jahren
H^nd ans WerJc legte, und nicht ohne Schüchternheit traß ich mit
demselben vor zwei Jahren hervor und legte es vor den Riehterstuhl
der. prüfenden Kritik, bittend um Nachsicht, wenn bei deitf einmal
vorgeschriebenen Plane und der Kürze, welche nothwendig bei der
Enge des Raums stets festgehalten werden . musste , nicht jeder Arti-
kel so ausführlich bearbeitet, i werden konnte, . als es unter andern
Umstilnden und Verhältnisgefl) und bei ejnem bändereichern Wprke
möglich gewesen wärie^.' ,^1 ..i).. ^i.. . i;! ,. !:>1..
Seit einer Reihe ton Jahreü sammelte ich Materialien zur Be-
arbeitung eines solchen Werks, benutzte nach Kräften öffentliche
VI Einleitung,
und PrlvatbibUothelcen , suchte daneben meine Kenntnisse am ICran-
kenbette und durch Reisen zu bedeutenden Städten und klinischen
Anstalten des In- und Auslandes nach Möglichkeit zu bereichern,
und bestrebte mich, auf echt praktischer Bahn zu wandeln. Aber
ich fühlte auch täglich mehr und mehr, dass selbst bei dem fleissig-
sten Studium unserer Literatur und bei einer nicht unbedeutenden
zwanzigjährigen Ausübung der Medicin, Chirurgie und Gebnrtshülfe,
dennoch die eigene Kraft allein zur Ausarbeitung eines solchen
Werkes nicht ausreichen würde J dfiher' ich mich denn entschloss,
dasselbe in Verbindung mit mehreren praktischen Ärzten und Wund-
ärzten meiner Bekanntschaft herauszugeben, und deshalb eine Auf-
forderung und Bitte an Letztere ergehen Hess, die, wie ich es'
wünschte, theilweise ein geneigtes Gehör fand.
Die nähere Tendenz dieses Werks, zu dessen Vollendung ich
bei meiner Praxis auch die der Erholung bestimmten Stunden ver-
wenden musste, ist die : vorzugsweise dem anfangenden jungen Prakti-
ker ein Handbuch zum Nachschlagen zu liefern , welches im echt
praktischen Sinne Alles dasjenige enthält, was uns am Kranken-
bette zu wissen Noth thut, und aus welchem wir uns bei der gros-
sen Masse des noth wendig Wissenswürdigen in jedem einzelnen Falle
Raths erholen können, ohne die Mühe zu haben, lange umherzu-
suchen in unsern mehr oder minder vollständigen medicinischen
Handbüchern, worin ausserdem nicht selten theils die einzelnen Ar-
tikel höchst zerstreut, theils zu weitläulig und mit zu vielem Hypo-
thetischen vermischt, theils ohne gehörige Würdigung der neuesten
Entdeckungen abgehandelt sind. Das Weik, worin indessen auch
der ältere Praktikb* manchen Artikel mit Yergnügea lesen und man-
che Nachweisungen finden wird, ist demnach kein streng wissen-
schaftliches 5 und daher ist auch die alphabetische Form gewählt,
auch in der Regel alles Dasjenige vermieden worden, was von rein
historischem Interesse ist. Alles streng Wissenschaftliche, Hypothe-
tische und Theoretische ist, insofern es nicht ganz einfach aus That-
sachen gefolgert werden kann, so selten als möglich berührt wor-
den, eben weil das Werk nur für den Praktiker bestimmt ist, nicht
aber für' den Stubengelehrten, oder um das todte Wissen oder die
Schül^elehrsamkeit zu fördein. Dies geschah theils aus Ökonomie
für den Raum, theils auch aus andern Gründen. Was nämlich aus
dem Begriff auf wissenschaftlichem Wege abgeleitet werden kann,
daraus kann unmittelbar nie etwas Besonderes oder Wirkliches wer-
den, und wenn die Theorie das Gemeinschaftliche aus den einzel-
nen Fällen, welche die Erfahrung darbietet, abzieht, so wird daraus
doch nie ein vollendetes wissenschaftliches System. Es ist für eine
solche Theorie ein Fehler, wenn sie über das, was die Erfahrung
darbietet, nach Einheit hinausstrebt. Die praktische Heilkunde hat
daher mehr Gutes der Empirie, als der Theorie zu verdanken, ob-
gleich letztere für erstere nothwendig ist; sie ist mehr Kunst, als
Wissenschaft; und daher ist die rationelle Empirie (nicht die rohe,
Einleitung. VII
irrationeUe der Homöopathen, welche hier ganz mit Stillschweigen
übergangen worden, es sey denn, dass man den Artikel Homöo-
pathie hieher rechnete) auch einzig und allein das Fundament die-
ses Werks.
Wir besitzen in unserer Literatur eine grosse Menge von Schrif-
ten, worin die einzelnen Doctrinen der Medicin mehr oder weniger
systematisch bearbeitet worden sind, wir besitzen zahlreiche Hand-
bücher der Pathologie und Therapie , der generellen wie der speciel-
len, nach diesem Zuschnitte, wenigstens führen sie das Wort Sy-
stem auf dem Titelblatte; aber an solchen Schriften, welche die
praktische Medicin und Wundarzneikunst naturgemäss empirisch dar-
stellen, haben wir noch ganz und gar keinen Überfluss; ja unser
Jahrhundert hat sich so sehr in eingebildetes Wissen und Gelehrt-
thun verloren, man hat sich so sehr bestrebt, streng systematisch
zu seyn, recht gründlich zu scheinen und den Weg der Induction
2U gehen, dass an echt praktischen Schriften in der neuern Zeit
gar kein Überfluss vorhanden ist. Schriften, wie G. A. Richter's
specielle Therapie , Berends' Vorlesungen, S. G. v. Vogel's und
Conrad! 's Handbücher u. a. m. kann natürlich dieser Tadel nicht
treffen. — Der Praktiker muss fertig seyn, ehe der Theo-
retiker auch nur die Feder ansetzen darf. Dies sollten wir
stets bedenken.
Viele unserer neuern Handbücher der generellen und speciellen
Heilkunde sind von Anfängern geschrieben, die keine hinreichende
Erfahrung '■■ am Krankenbette gereift hatte , die der medicinischen
Theorie eine falsche Grundlage unterlegten. Mit wahrer Freude las
ich in der Zeitschrift für Natur- und Heilkunde Bd. I. Heft 2.
S. 313 — 324, dass auch der scharfsinnige Choulant völlig mit
meinen Ansichten übereinstimmt, indem er solche Grundzüge für die
selbstständige Bearbeitung der Medicin aufstellt, welche als die ein-
zig wahren und nützlichen alle Beherzigung verdienen. Mit Recht
beklagt der gelehrte Verfasser die Vernachlässigung, welche bei
den Ärzten unserer Zeit die Kenntniss und Behandlung der Innern
Krankheiten im Vergleich zu dem Anbau der theoretischen Zweige
und .der Hülfs Wissenschaften, ingleichen mancher einzelner Fächer
der Medicin erfahren habe. Eine Unzahl neuer Mittel ist in Vor-
schlag gekommen, aber dies ist keine Bereicherung der Therapie,
sondern nur ein Zeichen, dass wir die alten nicht zu gebrauchen
wissen. Auch wird man das bunte Gewühl von Systemen, Erklä-
rungen und sogenannten merkwürdigen Füllen nicht für Anbau der
Pathologie halten.
Die praktische Heilkunde ist mit Materialien und sogenannten
Beobachtungen überhäuft worden. Schon Reil klagte seiner Zeit
darüber, dass man zu viel beobachtet und zu wenig gedacht habe,
und dieselben Klagen sprachen noch kürzlich und mit vollem Rechte
YllI ^Einleitung,
Hohnbaum und Jahn (Medic. Conversationsblatf , 1830. Nr. 4)
aus , und ihre daselbst bemerkten Desideria zur Vervollkommnung der
Medicin: eine bessere pathologische Anatomie,' eine Hi-
stologia pathologica, die uns noch gänzlich mangelt, eine, ge-
nauere Ätiologie und Diagnostik etc., verdienen die höchste
Beachtung aller denkenden Ärzte; sowie denn iäuch schon Allen
(Synopsis, universae medicinae practicae 1730. Pi'aefat.): vor hundert
Jahren -sagte, was auf unsere Zeit vollkommen passt: „Medicina,
omhium artium nobilissima, si ad ejusdem praecognita, institutiones
et theorijim spectemus, nuperis annis progressus et incrementa ad-
miranda «ccepit, agnoscendum est tarnen et veliem enter dolendutn^
quod'pr'axis, pars ejus longe utiHssima^ haud pari passu prO'
ces&erit'i^': Sehr wahr sagt Choulant: „Die Behandlung innerer
Krankheiten ist zu einem wenig beacihteten Anhange in der Bildung
junger.; Ärzte geworden, der, wie man glaubt, aus den andern Stu-
dien sich von selbst. finde, der eines besondern Studiums nicht be-
dürfe,, und weder Kunst in der Anwendung, (noch Wissenschaft in
seinen Riegeln habe; dither, die Klage ,, dass: die praktische Medicin
keine Sicherheit , keine haltbare theoretische Gründlage besitze.
Diese Unsicherheit ist aber die Folge einer Selbstüberschätzung un-
serer geistigen Kräfte, indem wir uns nicht nur anmassen, das Un-
erkennbare, die innern Vorgänge bei Krankheiten erkennen zu wol-
len, sondern sogar dieses ünerfoiscliliche zur Grundlage unserer
medicinischen Theorien machen. Die Alten gingen bescheidener zu
Werke. Sie fassten bei Beurtheilung der Krankheiten nur das Er-
kennbare in die Augen, beobachteten dies aber so vielseitig und so
unbefangen als möglich, und handelten dann hiernach bei unendlich
geringerm Wissen doch mit Glück als Ärzte. Sie bildeten mit . rich-
tigem Sinn vor Allem die Ätiologie und Semiotik aus , . und akellten
die Erklärung der Kränkheitsivorgänge in den Hintergrund. Dadurch
gewann die praktische Erkenntniss der Krankheiten und das ärzt-
liche Handeln eine Sicherheit, die dem Talente 'ilie freie Kunstüljung
und der Wissenschaft die fortschreitende Entwickelung gestatteten.
Wir haben in unserer Zeit leider! den entgegengesetzten Weg ein-
geschlagen: wir haben das Unsicherste der ganzen Wissenschaft,
unsere, vermeinte Kenntniss der nächsten Ursache (die, dmchaus
unerklärbar, von der Wissenschaft nur geahnt werden kann, nur
das Ziel ist, nach welchem sie strebt, nicht aber der Boden, von
dem sie ausgehen kann) als Grundlage gesetzt, und lassen Ätiologie
und Semiotik als Nebenzweige theoretisch daraus hervorwaclisen, sie
benutz(!nd und beschneidend, wie es jener pathogenischen Grundlage
gemäss erscheint. Wir erkennen die Krankheiten, wie sie
seyn könnten, nicht wie sie wirklich sind."
Nachdem nun Choulani sich über die wahre Grundlage der
medicinischen Theorie ausgesprochen, nennt er sehr treffend das
Bestreben, die Krankheiten maturhistorisch nach Gattungen und Arten
zu classiliciren oder den Innern Grund der Krankheiten auf anato-
J^.ln l e i t u n g, VUL
misch -physiologischem Wege erforschen zu wollen, die jswel ver-
derblichsten Feinde der praktisch -medicinischen Wissenschaft} und
s*g^: ;„J)ie Classification der Krankheiten nach Gattungeik und Arten
ist, die grösste. Verwirrung; sie trennt das Verwandteste und verßint
das, Fremdeste; ihr Namen werk führt zu geistloser Routine." '
, j „ Systematische Bearbeitungen der medicinischen Wissenschaft
werden zwar • durch lexikpgraphische Werke, wie das vorliegende^
nicht entbehrlich gemacht; aber der Hauptgewinn eines mediciniscHen
Realwörterbuchs besteht darin, dass jeder einzelne Gegenstand we-
niger einseitig (nachdem Systeme), sondern mehr in allen seinen
Beziehungen ins Auge ge|asst werden kann, wodurch die Erlicnntr
niss lebendiger wii,-^, die Anschauung mehr ins Specielle geht, die
T,endenz also meÜr als jede audere echt praktisch genannt zu wer-
den verdient, purcli das System wirH die Einheit beeinträchtigt, die
durc^ alphabetische Bearbeitungen, wenn sie liieine Lücken enthalteinj
wieder hergestellt wird. Die gelehrten Herausgeber des^ berliner
Encyklopädischen W'^J^'^erbuchs der medicinischen Wissenschaften
sagen in der Vof rede des > im J. 1828 erschienenen ersten Bandes:
„Das Nützliche guter encyklopädisdier Wörterbücher ist ^yon jeher
gefühlt worden; jiber nirgends ist ihr Bedürfniss so gross, als in
der Bledicin. Denn keine Wissenschaft greift so sehr in alle andern
ein und macht ihre Kenntnis« go notliwendig: , als diese, da ihr Ge-
geastiind der Mensch, der Inbegritf der ganzen Natur, und Alles,
was auf den Menschen wirkt und ihn afficirt, also in der That das
ganze Universum ist." Und der gelehrte Pierer sagt sehr wahr
in der Vorrede S. X zu Bd. I seines vortrefflichen Anatora. -physiol»
Refilwörterbuchs : „Unter allen Wissenschaften ist vielleicht keine
mehr geeignet^ ausser systematischem Zusammenhang, ihren Ele-
inenten nach, in einer Form, die, wie die alphabetische Fplgereihe,
die Füglichkcit! darbietet, sich über jeden Gegenstand eine urafas-
se^i^e Übersicht zu verschaffen, dargpsteUt zu, werden , als die Heil-
kunde.'' . ;;.,;; .,.■ ■,.:;.■.. 1 ■, .• ! -^ 'i; • • TS
" G^nz Recht hat auch der Ree. cles Rust'schen The(>ret.-praktl
Handbuchs der Chirurgie, mit EinSdhltiss der sypbilit. u. d. Augen-^
krankheiten in alphabef. Ordnung. Berlin, 1830, wenn er über die^^
'Söh Gegenstand in der Jen). Allgem. Li't.-Zeitung 1832, Febr. Nr.36j
S. SSj, Folgendes sagt: ,5 Da die medicinischen WissiehschafteriJ in
«h'serer Zeit, gleich den Staatsverhältnissen, in einer tlevolutibni
öder richtiger gesagt, in^iner Evolution begriffen sind, so musste
bei solcher Lage der Diiige die alte ^Einheit, die sich blos im Ruhe-
zustande behaupten kanii,' verloren gehen, um ein«r neuen kräftigen,
Welche das allwaltende uiid ordnende Princip sicherer auffindet, Platz
zu machen *). Unter solchen interimistischen Verhältnissen bedarf
es. im Reiche der Wissenschaften eines provisorischen Ersatzes für
■ ■ *) Wir wünschet dSös zwar, glauben aber nicht, dass unser Wunsch
in Eifüllung gehtw .:,;
Xil Einleitung,
wird. : Bie, Naturlehre soll die allgemeinste (wundläge der Medicin
sieyn; aber unsere grossten' Praktiker stvidiren sie nur •wenig, und
der Einäuss der Physik und ihrer grossen Fortschritte und Entdek-
kungln auf die praktische Heilkunde ist. daher bis jetzt nur gering
gewesen. Unsere echten Praktiker huldigen der rationellen Empirie,
s<> wie unsere Homöopathen dem rohen Empirismus; gute praktischft
Ärzte fragen sich selbst in jetziger Zeit, ob üiierhaupt Theorie unft
Wissenschaft für den ausübenden Arzt nöthig und nützlich sey oder
nicht?. Manche junge, unerfahrene Ärzte spielen entweder auf gut
horaöopathisph mit Oclilliontheilchen eines Grans Arznei, öder sie
greifen imit grossen Dosen stark wirkender. Mittel heroisch als Con-
trastimuli'sfen in den kranken Organismus ein, verspotten die Auto^
kratie der Natur, diesi« niqht kennen, appliqiren, nach Broussaia
allenthalben, Entzündung witternd.,, die nicht, da ist, fast bei jedem
Übel eine Unzahl Blutegel, und lassen gar häufig ihre Kranken
nicht an der Krankheit, sondern an dem vermeinten Hülfsmittel ster-
bdh. Betrachten wir zugleich die Medicin rnsei'er Tage, wie sie
die meisten' Handbücher darbieten i mit echt "praktischem Sinne etwas
genauer,, so geht auch daraus nur ein betrübiendes Resultat hervor.
Denn eine' allg-emeine Pathologie existirt - bis jetzt nur dem Namen
n^ch, unsere Diagnostik steht, wollen wii^ wiihr reden, trotz ihres
Nimbus, ihrer Subtilitäten und Kleinigkeitskrämerei, auf schwachen
Füssen (s. den Artikel pilagnoEstlca döctrina), und mit unserer
Prognostik sieht es auch nicht viel besser aus; in unserer Patholo-
gie und Therapife hen'scht Dunkelheit, in unserer Terminologie ba-
bylonische Sprachverwirrung; und bis jetzt sind alle Bemühungen,
ein nur hijilbweg haltbares raedicinisches System zu begründen, ver-
gebens gewesen; denn die medicinische Wissenschaft steht zum Le-
ben noch gar nicht in. ausreichendem Verhältnisse ; sie riecht noch
nach der Klosterluft des Mittelalters und den Schulen der ärztlichen
Priester, sie ist ein mattgeschliffener Spiegel, der nur einen sehr
^eirjh^en Theil des Lebens reflectirt, und unsere Gelehrten aus den
StudirStubQn, umgeben mit verjährtem Moder und Dunst, mit ter-
iföstetBU Institutionen , schleifen diesen Spiegel, indem sie an eigner
Unsterblichkeit hämmern, immer matter, bis dann ein genialer Kopf
auftritt-, der ihn völlig -zerbricht, indem er ein neues System schafft,
das bald das Schicksal seiner Vorgänger hat, weil es zwar seine
ästhetischen Schönheiten- besitzt, gleich jedem guten Romane, jeder
F*arce, jedem vollendeten Gedichte, aber dennoch nor als das Pro-
dact'der tkantasie und des Scharfsinns eines sicTi selbst Täuschen-^
den oder Andere täuschen Wollenden betrachtet werden darf, das die
Sirf'ahrung, worauf es nicht basirt ist, nicht als wahr und gut be-
s'tkligt." So gina: x. B., wie Heck er richtig bemerkt (berliner En-
cykiop,' ■d."med.''Wissensch. Bd". M. S. 283), seit den Jahren 1798
bis 1806\ wo das Brown'sche System in Deutschland leider! Ein-
gang gefunden, fast keine einzige unbefangene Beobachtung und
Nalurforschüng aus diesem Zeiträume hervor, und die Literatur des-
selben muss als unbrauchbar und verloren betrachtet werden. Auch
JS. i- n he i t u n g. XIII
Bind noch gegenwärtig die gesunden Ideen . der pralctischen Arunei-
mssenscliaft unter einer Masse von Formen 'so tief begraben, däsa
der Geist des Arztes sich nur mit Mühe hindurch arbeiten kann;
die Hauptsache: die Erkenntniss und Cur der Krankheiten, schwebt
nicht immer klar vor Augen, und Nebendinge sind oft zur Haupte
Sache erhoben worden: Wortklauberei , Pedantismus , weitläufige De-
finitionen von Dingen, die wir auch ohne Definition aus dem Leben
hinreichend kennen lernen.
Die Ideen von Gott, Natur, Leben, Geist, Seele etc. sind bis
jetzt uns ein Geheimniss geblieben und werden es ewig bleiben;
wie lächerlich also, auf solche Geheimnisse ein raedicinisches Sy-
stem zu bauen! Wer die Idee des Lebens lebendig erfasst hat, so-
wol die des gesunden, als die des kranken Lebens, wird nie den
Versuch machen, ^'e Wissenschaft des Lebens in die Fesseln eines
Systems zu zwangen; Mag auch dieses eitle Streben seinen Nutzen
haben, mag es den '!", "derstreit beleben, den Scharfsinn erwecken,
den Verstand ausbilden und das Einschläfern der Geister hindern;
genug, Deutschlands Heroen am Horizonte der Medicin sind mit mir
von der Wahrheit des obigen Satzes überzeugt, und die Zeit ist
gekommen, wo wir dieLnst, neue Systeme zu fabriciren, dem An s-^
länder überlassen. Denr " trotz der widerstrebenden Elemente und
des revolutionairen Geistes in unserer gegenwärtigen Medicin ver-
dient sie doch seit dem letzten Decennium eine wahrhaft kritische
genannt zu werden; es ist eine Zeit der Zersplitterung, Sonderung
und Vereinzelung eingetreten, mit mächtigem Streben, treu die Na-
tur zu beobachten, woraus, nach Damerow's richtigem Ausspruche,
nur Gutes für die nächste Zukunft hervorgehen kann (s. Damerow,
Die Elemente der nächsten Zukunft der Medicin. Berlin, 1829;
Heck er 's Lit. Aunal. 1831, Januar, S. 96) , indem wir auf solche
Weise Hippokrates, Sydenham, Frank, Vogel, Richter
und Andere zu Mustern nehmen,
Doch ist dies leider! noch nicht allenthalben der Fall; vielleicht
(numphirt man zu früh , und auch bei uns ist die Medicin noch nicht
mündig'. Wenn, wie Heck er mit Recht sagt;' für die medicinische
Praxis die ganze Periode des herrschend gewesenen Brownianismus
als unbrauchbar verloren gegangen ist, so hat diese Irrlehre freilich
bald ihren Untergang gefunden; dagegen haben andere Irrthümer ihr
Haupt erhoben und die letzten Jahre haben es in Deutschland hin-
länglich bewiesen, dass theils unsere jüngeren Ärzte blinde Nachbe-
ter von Broussais sind und allenthalben Entzündung sehen, theils
sie, und selbst ältere Praktiker, hundertjährige Erfahrungen urastos-
sen wollen, z. B. bei der Heilung der Syphilis und anderer Krank-
heiten, und dass man sich endlich in der neuesten Zeit die Mühe
giebt, den Erbfeind der medicinischen Praxis (nach Choulant),
eine sogenannte Naturgeschichte der Krankheiten, zu entdecken und
aufzustellen. So erhebt denn schon wieder der Geist des Schlim-
XrV Einleitung,
mem sein Haupt, nm die befangeDen Köpfe zu blenden und die Ein-
Beitigen irre zu führen!
Ich verachte nicht den Versuch , die Kranlcheiten naturgeschicht-
lich nach Classen zu ordnen ; aber ich erinnere nur daran , die Gren-
zen nicht zu ühersehen, in wie weit dieses uns möglich und über-
haupt für das Leben nützlich ist. Haben wir doch noch kein voll-
ständiges System der Arzneimittel; wie sollte uns dies bei den so
verwickelten, in Zeit und Raum wandelbaren Krankheiten möglich
seyn"? Was für grosse Nachtheile erzeugte das Studium der Noso-
logia methodica eines Sau vages bei schwachen Köpfen? Wieviel
lesen wir darin, wovon gute Praktiker nichts wissen wollen, schlechte
noch mehr verwirrt und Anfänger auf Irrwege geführt werden? —
Welch ein grosses Genie zeigte Linne bei Schöpfung seines Pllan-
zensystems; aber wie bescheiden trat er auf! Er wusste, dass
Sterbliche nichts Vollendetes schaffen können ; er war überzeugt,
dass noch nach Jahrhunderten sein System vervollkommnet werden
könne und müsse, was unsere Zeit auch hinlänglich bestätigt hat.
Ich weiss, welchen Reiz für Anfänger und Schüler die schein-
bar strengwissenschaftliche Bearbeitung der Heilkunde hat; aber ich
weiss auch recht gut, wie es nachher mit auf solche Weise gebi'de-
ten Ärzten in der ersten Zeit der Praxis aussieht, wieviel ihnen in
den Hospitälern zu lernen übrig bleibt, sollen sie nur einigem s'pen
mit Geschick ins praktische Leben treten, wieviel man davon^^ver-
gessen lernen muss , um ein guter Praktiker zu werden , wie hier
Dinge zu wissen Noth thun, von denen mancher gelehrte akade-ii-
sche Lehrer sich nichts träumt, weil die Schule und das Leben
zweierlei sind und beide mit einander nicht hinreichend harmoniren.
Soll z, B. der junge Arzt ein Recht haben, jeden Verhungerten an-
tiphlogistisch mit Blutegeln und Aderlass zu behandeln, weil bei sol-
chen die Section Magen und Dünndarm nach jetzigem Sprachg^rs»
brauch entzündet zeigt? Nein, wir wollen auf Hippokratische Weise
die Natur beobachten und uns weder vom Leben entfernen, noch
das, was uns die sinnliche Anscha ung und der gesunde Menschen-
verstand darbieten, unserm System zur Liebe und den Laien zum
Hohne, vernachlässigen. Der Jüngling, der das Mass seiner Kräfte
überschätzt, unternimmt die kühnsten Dinge, er wagt Alles, weil er
aus Mangel an Kenntniss und Umsicht die Gefahren nicht kennt,
die damit nothwendig verbunden sind. Dieser Muth, dieses Streben
erwecken als solche Achtung und Bewunderung; wir würden sie ihm
zollen, selbst wenn er es versuchte, mit einem Sprunge die Spitze
des Montblanc zu erreichen. Doch der erfahrene Mann, der ruhige
Zuschauer wird ein Lächeln nicht unterdrücken und denken: „Jun-
ger Thor, junger Brausekopf, die Zeit und der Erfolg werden Dich
eines Bessern belehren! Auch ich stand einst da, wo Du jetzt stehst,
und dachte ebenso; doch jetzt denke ich ruhiger und hüte mich vor
Einseitigkeit." Ebenso ladelnswerth ist es vom akademi. hen Leh-
Einleitung, XV
rer, wenn er dem Schüler, der für die medicinische Praxis gebildet
werden soll, in den Vorlesungen Alles recht gelehrt deduciren und
definiren will , wodurch die Studirzeit den nützlichem Dingen und
deren Erlernung geraubt wird. Definitionen von Gehen, Stehen,
Riechen, Schmecken, Fühlen, Hören, Sehen, Kranksejn, Wohl-
sejn etc. sind überflüssig, da der gesunde Menschenverstand solche
Dinge schon erkennt und unterscheidet; ebenso ists der Fall mit vie-
len Definitionen über einzelne Krankheiten.
Ohne den Werth der Medicin als Wissenschaft herabzusetzeo,
wird mir ein jeder Praktiker doch Recht geben, dass zwischen Theo-
rie und Praxis noch immer ein ebenso grosser Unterschied stattfin-
det, als zwischen Wissen und Können, dass eben deswegen der
grosse Theoretiker oft ein schlechter Praktiker und der gute Prakti-
ker oft kein grosser Theoretiker ist; dass der Letztere so häufig
das Scheimvissen für ein wahrhaftes Wissen hält , eben w eil ihm die
Überzeugung abgeht, dass wir eigentlich Alle nicht viel
wissen, dass viel unseres Wissens zu Nichts nützt, und
dass das Wissen des Nichtwissens, wie dies Schleier-
macher (Vorles. über Dialektik) richtig bemerkt, d. h. die klare
Überzeugung, dass wir dies und Jenes nicht wissen, ein höhe-
rer Grad des Wissens ist, als die blindgläubige Viel-
wisser ei eines ganzen Jahrhunderts. — Auch ist es eine
reine Thatsache, dass wir praktische Ärzte, besitzen wir nur echten
Kun-iisinn, am Krankenbette oft recht viel können, ohne gerade
viel Gelehrtes zu wissen, dass auch hier das Genie geboren wird,
m"„v man es nun praktischen Tact oder anders nennen; genug, die
Sä'cje ist nicht zu leugnen, und es ist hier nur unsere Pflicht, um
unser Geschäft zur wahren Kunst zu erheben, Rewusstsejn in die-
ses Können zu bringen oder, was dasselbe ist, das Wissen des
Könnens zu erlangen.
Und so passt auch auf uns Arzte, was Goethe sagt:
„Irrthum verläset uns nie, doch zieht ein höher Bedürfniss
Immer den. strebenden Geist leise zur Wahrheit hinan."
Jede systematische Theorie, also auch die medicinische eines
Brown, Broussais, Rasori, Himlj, Schönlein, Eisen-
mann u. A. m. , bezieht sich auf etwas Allgemeines, sie ist gleich
dem todten Buchstaben ; die Praxis dagegen geht aufs Besondere; sie
ist das wahre Leben, ein Complex von sich einander bald bestäti-
genden, bald widersprechenden, bald vereinigenden Theorien, die je-
ner systematischen Theorie, d. h. Theorie im weitern Sinne des
Wrots, weit überlegen sind, indem sie ihr als Gebieterin und Rich-
terin vorstehen müssen. Und wenn jener jugendliche Rec. in der
Jenaer Allg. Lit. -Zeitung , 1835, Nr. 222, wissenschaftliche Auf-
fassung der Medicin, vorzüglich durch vergleichende Anatomie und
Physiologi-^, und auf diesen beruhende Pathologie : Darstellung der
Üil E i fi'l e i t u n g.
Krankheiten nicht in ihren oberflächlichen Formen, sondern in ihrer
Gesammtheit als sich entwickelnde Processe imd eine daraus herg-e-
leitete Beh.indlung verlangt, — so ist dies recht schön, recht wün-
ßchenswerth, klingt auch recht lieblich. Aber am.Können ists ge-
len^en. Aus dem ganzen Satze geht nur Charlatanerie der Worte,
Überschätzung medicinischen Wissens und Selbstüberschriizung eige-
ner'Kraft hervor (s. den Artikel Medicus). Nur frisch Hand ans
Werk gelegt, mein gelehrter junger Mann! Ich rufe Ihnen hier ein:
Hie Rhodus, hie saltal entgegen, und gratulire im Voraus zum
Salto mortale! Nor der verkehrte , arrogante, sich plülosophisch nen-
nende ignorante Geist der Medicin kann glauben, dass die oberfläch-
lichen, sinnlich wahrnehmbaren Formen der Krankheiten nicht so
wichtig für den Praktiker sejen, als die unsichtbare Entwickelung
der innern Kranldieitsprocesse , worüber Mir oft so viel faseln un4
raisonniren, von welcher w'r aber in Wahrheit blutwenig wissen,
wie wir dies oben mit Choulant schon gesagt haben.
Unsere Zeit begnügt sich nicht mehr mit dem Allgemeinen, das
mehr ein Scheinwissen, als ein wahres Wissen begründet und Das,
■worauf es eigentlich ankommt: wahre Einsicht in den Gegen-
stand, in den Hintergrund stellt; sie fordert ein Eingehen in das
Specielle und Individuelle, kura, sie hat eine nützliche, praktische
Tendenz,
' ' Nur durch die Kunst gelangen wir zur Geschicklichkeit, ün-
Iiefangene und sogenannte natürliche Leute können aber über ■ die
Kunst oft besser urlheilen, als solche, die Kennerschaft besitzen
wollen und den Verstand allein in Anspruch nehmen, der sich mit
Worten und Kenntnissen blähet. Die Kunst ist ebenso vielseitig
und unerschöpflich, als das Leben, von welchem sie eine gewühlte
Darstellung ist. Das Leben ist in seiner organischen Tiefe unend-
lich, ebenso die Kunst in ihren Bemühungen, die Tiefe klar zu
machen, unergründlich, — der wahre Kunstkenner und Lebensken-
ner sind eins. Der wahre praktische Arzt muss Kunstkenner und
Lebenskenner sejn; ihn ekelt alles Fach- und Classenwerk an, das
man der Natur oft so unkünstlerisch aufdrückt; denn es giebt, wie
der grosse Alex, von Humboldt so scharfsinnig sagt, in der Na-
tur wie im Leben keine Genera und Species , nur Individuen ; der
echte Praktiker ist auch kein Freund jener Philosophie , die sich so
stolz Naturphilosophie nennt, aber beim rechten Lichte besehen, nur
eine neue Auflage der Lehre des Paracelsus ist, die sich ver-
misst, den letzten Grund der Wissenschaft zu ergründen, sich aber
in Träumereien , Allgemeinsätzen und Gemeinplätzen verliert, die am
Krankenbette nichts nützen, und uns zu echten Weisheitsnarren stem-
pelt, wie sie Erasmus in seinem „Laus stultitiae" schildert.
Der wahre Arzt kann weder am Brownianismus , noch an der Ho-
möopathie , noch an irgend einer andern Ausgeburt der Phantasie
Gefallen linden; er liebt allein dieHippokratisch-Galenisch« Medicin
und alle echten Schüler derselben; jene Medicin, deren Grundlage
Einleitung. XVU
ein Reichthum sinnlicher Kenntnisse aasmacht. Er wünscht sich
Schüler, die mit gesundem Menschenverstände, mit scharfen Sinnen,
richtigem Gcfühlsvermögen , guter Combiuationsgabe, lebhafter, aber
geregelter Phantasie und mit starkem Auffassungsvermögen ans
Krankenbette treten, und sich durch Hülfe dieser Eigenschaften zu
echten praktischen Ärzten bilden, die die Autokratie der Natur ken-
nen und unsere altern und neuern classischen Arzte: Hippokra-
tes, Galen, Celsus, Boerhaave, van Swieten, Syden-
ham, Frank, Richter, Stell, Vogel, Hufeiand, Heim,
Berends, Rust, Kopp, Stieglitz, Schmidtmann u. A., sich
zum Muster nehmen.
Jeder gute Praktiker wird mir beistimmen, wenn ich behaupte,
dass es sehr viele Fälle am Krankenbette giebt, wo wir rein empi-
risch verfahren und wogegen wir Mittel anwenden müssen, deren
Wirkungen wir, wollen wir aufrichtig sejn, noch sehr wenig ken-
nen. Dazu kommt, dass die Masse des empirischen Wissens schon
an sich sehr gioss ist und sich täglicli immer mehr häuft, so dass
es fast unmöglich wiid , sie in dem kurzen Erdenleben ganz zu um-
fassen, man müsste denn das ausgezeichnetste Genie seiner Zeit
sejn, wozu ons die Eigenliebe so gern überreden möchte, wüssten
wir nicht, dass es auch hier laut der Erfahrung heisst: „Nur we-
nige Auserwählte kommen in den Garten des Herrn." — Auch be-
darf es keines Beweises, um darzuthun, dass es keinen einzigen
bekannten Krankheitsfall giebt, für den nicht eine solche Curme-
thode sich fände, die füi' die gegenwärtige Zeit, den Aussprüchen
der besten Praktiker und den Erfahrungen am Krankenbette gemäss,
für die einzig beste und brauchbarste gehalten werden könnte.
Dies giebt der praktischen Heilkunde und daher auch dem vorliegen-
den Werke etwas Positives, welches als solches so lange bestehen
wird, bis eine spätere Zeit, die unserer Enkel, wie wir hoffen und
wünschen, etwas Besseres dafür substituirt. Bis, d<ihin wollen wir
uns an das Bestehende, Bewährte halten, und, ehe wir uns den yie-
len Neuerangen und dem Ungewissen , dem noch nicht genug durch
reife Erfahrung am Krankenbette Bestätigten hingeben, uns bemü-
hen, hierin duicli sorgfältiges praktisches Studium recht yiel zu lei-
sten, und dabei recht emsig' die so sehr vernachlässigte generelle
Pathologie und Therapie anbauen, die Krankheiten also generalisi-
ren, die Kranken aber individualisiren, damit die beste Anleitung
zum Handeln uns zu Theil werde. Hierzu kommt, dass sich in die
praktisch -medicinischen Disciplinen, besonders aber in die allgemeine
Pathologie und Therapie, eine grosse Menge Begriffe eingeschlichen
haben, denen gar keine reale Wahrheit zukommt, wie dieses C.
Vogel (Grundlehren der ärztl. Praxis in ihrem gesammten Umfange.
Jena, 1832) ganz richtig bemerkt. Diese täuschen leicht den An-
fänger, der sie für Wahrheit nimmt; und daher wäre eine g-anz
neue Bearbeitung dieser Doctrinen sehr wünschenswerth.
* ♦
XVllI E i n l € t l u n
o
Vorliegendes >York umfasst folgende Gegenetändc des ärztliilien
praktischen Wissens :
1) Eine ausführliche specielle Pathologie und Thera-
pie aller innern acuten und chronischen Krankhei-
ten, mit licsondercr Benuksichtiirung der Semiotik, Ätiologie,
Diagnostik, und der bei der Behandlung bewährtesten Heilmittel
und Arzneiformeln; hier und da durch kurze Andentungen und
Miltheilungen aus eigner Erfahrung unterstützt ;
2) eine ausführliche medicinischc Chirurgie, mit Ein-
schluss der gesammten Operativchirurgie;
3) eine kurze Geburtshülfe und Ophthalmologie, mit Be-
rücksichtigung der dabei am häufigsten vorkommenden Ope-
rationen ;
4) eine kurze allgemeine Pathologie und Therapie, im
gewöhnlichen Sinne des Worts;
5) die allgemeine Heilmitlellehre aus dem praktischen Gc-
sichtspunlcte ; endlich
6) eine kurze allgemeine und specielle Pathologie und
Therapie der Seelenstörungen.
Ausserdem ist auf eine ausführliche deutsche und lateini-
sche Terminologie zum leichtern Verstehen der altern und iH'uern
raedicinischen Autoren zum Behuf der Anfänger um so mehr Rück-
sicht genommen worden, da uns bis jetzt leider! eine gute medici-
nisch- chirurgische Synonymik fehlt. — Etymologische Erörterungen
der griechischen und lateinischen Namen, an welchen die Mediciu
und Chirurgie so grossen tberfluss hat, habe ich wegen IVIan^els
an Raum ausser Acht lassen müssen, da sie leicht in den Wörter-
büchern von Blancard (Lexicon novuin medicum graeco-lalinum.
Edit. Kühn. 1832) und Kraus (Krit.-elymolog. medicin. Lexikon.
2te Aufl. Götting. 1826 und Nachtrag lb32) nachgeschlagen wer-
den können.
Die Mitarbeiter des Werkes sind sämmtlich praktische Arzte
und Wundärzte, die ihr Beruf täglich ans Krankenbette führt. Die
Mehrzahl «1er Abhandlungen gehört dem Herausgeber an ; die s.'inimt-
lichen mit einem (*) bezeiciineten Artikel sind die der Heiren ]Mit-
arbeiter, denen ich hiermit für ihre tliätige Theiln;iliuie an meinem
Unternehmen den verbindliclisten Dank abstatte. Ein jeder von «len
rcsp. Mitarbeilein ausgearbeitete Artikel enthält die Namensunter-
schrift des Verfassers, und wo der Herausgeber, welcher der Kürze
des Styls wegen fast jede einzelne Abhandlung überaibeilen mussle,
noch etwas nachzulmiien für nölliig fanil , da ist dies bald in Paren-
Ihescn des Textes, bald in einer Nachschrift geschehen. Die selbst
gemachten Beoltarbfungen und Erfaliiungen bat jeder rcsp. Miiarbei-
E i n l € i t u n g. XIX
ter dadurch bezeichnet, dass sein Name oder dessen Anfangsbuch-
stabe (bei dem Herausgeber der Buchstabe M. oder der volle Name)
dem Satze in Parenthese jedesmal beigefügt worden ist. Ausserdem
ist der Kürze wegen bei bekannten Sachen keine zu weitläiiftige
Literatur, auch keine fremde oder eigene Autorität angeführt; nur
bei neuern und weniger bekannten Gegenständen, z. B. bei den Ar-
tilceln Cholera, Malacosis, Melanosis u. a. m, , sowie bei eigen-
thümlichen Ansichten und Curmethoden, ist der Name der Autoren
und auch die nöthige Literatur beigefügt worden. Die sämmtlichen
Quellen, woraus im Allgemeinen geschöpft worden, sind die neue-
sten und besten Handbücher über alle in diesem Werke vorkommen-
den Gegenstände , die neuesten und besten Monographien , die ältere
und neuere medicinisch- chirurgische Literatur, die der Journalistik
des In- und Auslandes, und endlich die eigene oft vieljähriga Er-
fahrung am Krankenbette.
Dass hie und da auch Theorien, Hypothesen und Vermuthun-
gen zur Aufliellung schwieriger pathologischer und therapeutischer
Vorgänge aufgestellt und benutzt worden sind, kann diesem Werke
wol nicht zum Vorwurfe gereichen, wenn wir anders die Tendenz
der Medicin überhaupt und die Aufgabe des praktischen Arztes, so-
wie den Umstand berücksichtigen, dass die Medicin als empirische
Wissenschaft, wenn Hypothesen and Theorien richtig benutzt werden,
dadurch nur der Vollendung näher gebracht wird. Möge es mir ge-
stattet seyn, hierüber noch Einiges in der Kürze anzuführen und
meine Ansichten über Empirie und Theorie, über Hypothesen und
Vermuthungen , insofern diese in der Medicin nicht entbehrt werden
können, hier etwas umständlicher auszusprechen, also den oben ver-
lassenen Faden wieder anzuknüpfen.
Es giebt in gewisser Beziehung allerdings eine medicinische
Wissenschaft. Ihr Gegenstand ist das Menschenleben in sei-
nem ganzen Umfange und Gehalte, in seinen Berührungen und Wech-
selwirkungen mit dem Leben ausser ihm, in seinem normalen und
abnormen Zustande. Nicht blos aus den historischen, mathemati-
schen und logischen, sondern aus allen Classen von Wahrheiten
schöpfen wir Erkenntnisse über das Menschenleben. Nicht ganz un-
bedeutend, wenn auch noch mehr oder weniger unvollkommen, sind
unsere naturhistorischen Kennt^psse über die äusserliche Erschei-
nung des Körperlebens, von dem Keime seines Daseyns an durch
seine ganze Entwickelung bis zum Ablauf seines Lebenscyklus ;
ebenso von der Entwickelung und den Äusserungen der psychischen
Seite des Lebens. „Wir kennen — sagt Grein er — die Bezie-
hungen des Menschenlebens zu dem Naturleben ausser ihm; wir
kennen den innern Bau des menschlichen Körpers als die Offeuba-
rungsweisen der Naturideen; Avir kennen die Äusserungen des psy-
cliischen Lebens, die Gesetze desselben in der besondern Richtung
des Geistes, die nothwendiiren Gesetze des Formellen in dem Seyn
**2
XX Einleitung.
der Dinge und lernen sie in Anwendang bringen, theils um die uns
schon erworbenen Kenntnisse zu prüfen und zu ordnen, theils um
immer noch neue aufzufinden." Wie viel und anic wenig au diesen
Kenntnissen aber wahr oder falsch sey, — das stellt noch dahin.
Die Medicin hat eine zweifache Tendenz: erstens als Theo-
rie, wo sie Gesundheit und Krankheit nach ihrer Möglichkeit und
WirklicJikeit construiren soll; zweitens als Kunst, als ärztliche
Function. J er Arzt bedarf daher einer theoretisch - wissenschaftli-
chen und einer künstlerischen Bildung. Die Medicin als Empirie
kennt ihre Objecto nur im Phänomen, als Theorie sucht sie den
Grund der Erscheinung auf. Volle Einsicht in das Object kann nur
aus der Ühereinstimmung beider geschöpft werden. Die Theorie
geht von der Idee der möglichst freien Äusserung der organischen
Selbstthätigkeit : der Gesundheit, aus, basirt auf Physiologie,
welche letztere frei und ohne Rücksicht auf das Interesse des Orga-
nismus die verschiedenen Verhältnisse seines Daseyns, die Verschie-
denheit im Gegensatze der organischen Thätigkeit gegen die äussern
Einflüsse etc. aufhellen soll. Sie zeigt in der Gesundheit die Mög-
lichkeit des Erkrankens , und so entspringt die Nosologie , wie wir
sie zeither genommen, aus der Gesundheitslehre. An die Idee der
Krankheit knüpft sich nach einer entgegengesetzten Piichtung die
Therapie. Sie verfährt synthetisch, indem sie von den beiden Ex-
tremen Gesundheit und Krankheit zum gemeinschaftlichen Mittel-
punkte dieser Linie führt. Die synthetisirte Krankheit ist Gesund-
heit, Die wissenschaftliche Tendenz der Medicin geht dahin, das
Zufällige der Empirie zum Bcwusstseyn und zur Noth wendigkeit zu
erheben. Empirie und Theorie, sind sie mit einander verbunden
und in ihrer Vollendung zum Bewusstseyn gekommen, lösen die Auf-
gabe des Arztes mit Sicherheit. Verschieden sind die Wege, die der
Arzt einschlagen kann , um zu seinem Zwecke zu gelangen ; doch
führt der eine Weg viel früher zum Ziele als der andere. Aber das
Subjective des Arztes trübt oft das Objective : die Krankheit. Er
erkennt sie nun nicht richtig und kann sie dann auch nicht richtig
heilen; ja, machte die Naturautokratie den Schaden nicht häufig
wieder gut, so sähe es oft schlimm aus. Nur eine genaue und
strenge Unterscheidung des Subjectiven und Objecüven beim Denken,
•Prüfen, Urtheilen und Handeln, eine strenge Erkenntniss seiner
gelbst, seines Gemüths, seiner Tempgramentsanlagen kann selbst den
sonst saclikundigen Arzt kaum vor Missgriffen bewahren, geschweige
den unlcundigen Heilkünstler. Der wahre Praktiker muss ^e^en
sich selbst und gegen Andere zweifeln, wenig glauben, wenig auf
Autoritäten bauen; er muss eigene und fremde falsclie Erfahrungen
muthraassen und in den meisten Fällen voraussetzen, dieser Voraus-
setzung gemäss bei jedem vorkommenden Krankheitsfalle Alles noch
einmal genau und mit Ruhe der Seele prüfen, mit Scharfsinn und
gehöliger Umsicht untersuchen, und sich so eine möglichst voll-
iiommue Einsicht der Krankheit verschaffen, also mit Bewusstsevn
Einleitung. XXI
handeln. So bildet sieh der Arzt zum wahren Heilkünsller , so blü-
het die Medicin als Kunst.
Der praktische Arzt hat eine doppelte Aufgabe zu benicksichtir
gen; die Erkenntniss und die Heilung der Krankheit. Die
Diagnose ist zur Erlangung der erstem zwar höchst nothwendig,
weil wir uns oline sie überall Verwechselungea , Vermenguiigen und
Täuschungen zu Schulden kommen lassen würden, worauf nothwen-
dig MissgrifFe in der Praxis folgen müssen ; aber auch sie muss eine
praktische Tendenz haben und den Gelehrtenmantel ablegen, den
man ihr heut zu Tage umgehangen hat, soll sie waluhaft nützlich
sejn und nicht in Kleinigkeitskrämerei ausarten.
Die Medicin wird weder als Wissenschaft noch als Kunst ge-
fördert, so lange die Arzte als Anhänger der sogenannten Naturphi-
losophie mehr vom Hjperphjsischen als vom Pliysischen angezogen
werden, sich in transscendentale Speculationen verlieren, von Welt-
seele, Weltmagnetismus efc. träumen und zu sehr ins Abslracte ge-
hen. Die Wissenschaft verliert dann ihr wahres Fundament, und
mit der Kunst am Krankenbette sieht es schlimm aus. Weit mehr
leistet hier der Arzt, weit heilbringender ist er, wenn er sich ledig-
lich darauf beschränkt, die Natur nach formaler Bedeutung
des Worts zu erforschen, d. h. den Inbegriff aller Kräfte und
Eigenschaften der organischen und anorganischen Welt, in Beziehung
und Wechselwirkung auf den lebenden gesunden Organismus, um
so bessere Einsicht ins kranke Leben zu erlangen. Für den prakti-
schen Arzt ist also nicht der heliocentrische , sondern der geocentri-
sche Standpunkt der brauchbarste. Obgleich dies jetzt mehr als vor
zehn und zwanzig Jahren von unsern Ärzten eingesehen wird, so
giebt es doch noch eine grosse Menge derselben, die sich von je-
nem falschen Standpunkte nicht ganz losmachen können, wie dieses
aus sonst guten Schriften, selbst in unserer neuesten Literatur, zu
ersehen ist; und ist auch der Gebrauch der Hypothesen und Theo-
rien zur Förderung der praktischen Heilkunde nothwendig, wie wir
gleich zeigen werden, so dürfen dennoch auch diese, soll die Wis-
senschaft in ihrer Reinheit bewahrt , richtig erkannt und geachtet
werden, soll sie nicht zur rohen Empirie herabsinken, nur vom geo-
centrischen Standpunkte ausgehen.
Sowie die Naturwissenschaften fortschreiten, erweitern sich un-
bewusst die Grenzen der praktischen Heilkunde; jene geben eine
Menge Thatsachen, die diese benutzt, die Wissenschaft erhält eine
bessere Form, und denkende Köpfe geben sich Mühe die Gesetze
aufzufinden, die, aus dem Besondern entnommen, zur allgemfinen
Regel dienen können. Das erapiiische Studium der Natur- und Heil-
kunde brachte daher zu allen Zeiten Gewinn; denn es steht in un-
mittelbarer Beziehung zu dem Menschen und zu seinen Krankheiten;
es giebt uns praktische Regeln und Winke , wodurch uns die Er-
XXII Einleitung.
kenntiiiss und Heilung einzelner Krankheiten besser gelingt. Dage-
gen sind alle Versuche, die Natur- und Heilkunde tou einem an-
dern als dem empirischen Standpunkte aus zu bearbeiten, zeither
missglückt und werden auch ferner missglüelcen.
Aber der Geist strebt nach Einheit im Mannigfaltigen, sie ist
für ihn ein ebenso nothwendiges ßedürfniss, vfie für den Körper
Speise und Trank, imd er sucht sich d;:her jene Einheit, waim sie
ihm die ErfaJirung nicht geben kann, durch Yernuithungen zu ver-
schaffen. Jede empirische Wissenschaft, also auch die Medicin, ist
aber noch sehr weit von jener Stufe entfernt, wo das Feld der Er-
fahrungen durchgängig cultivirt worden wäre und keine unangebau-
i^n Stellen mehr hätte. Mit Recht sagt Berndt: „Wenn eine em-
pirische Wissenschaft nie als vollendet gedacht werden kann, so ist
auch die Arzneiwissenschaft, wie alle anderen mit üir mehr oder
weniger zusammenhängenden empirischen Wissenschaften, noch sehr
vom denkbaren Grade der Vollendung entfernt," AVol nie wird die
Medicin jene Stufe der Vollkommenheit erreichen, wo alle Lücken
im empirischen Theile derselben als ausgefüllt betrachtet werden
könnten, weil die lebende Natur eine fortschreitende ist und der
Mensch, der einen Theil der Natur und das Heilungsobject aus-
macht, als Gattung betrachtet, nicht zu allen Zeiten derselbe bleibt,
im Laufe von Jahrhunderten in intellectueller, moralischer und phy-
sischer Hinsicht fortschreitet, und mit diesem Fortschreiten neue Be-
dürfnisse kennen lernt, eine neue Lebensweise führt und neuen,
sonst nicht gekannten Kranldieiten unterworfen ist, wovon uns die
Geschichte der Medicin so manche Beispiele giebt und auch die ge-
genwärtig herrschende asiatische Cholera zum neuen Belege dient.
Ein grosses Desiderium in der raedicinischen Literatur ist noch im-
mer das einer ausführliclien Sclirift über den Ursprung, den Verlauf
und die Veränderungen der Krankheiten , zumal der epidemischen,
contagiösen, zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Ländern,
nebst dem Einfluss, den politische Ereignisse, Fortschritte in der
Civilisation, in der Cultur des Bodens, in der Veränderung des Kli-
mas etc. darauf äussern, wozu Schnurrer's Seuchenlehre und
Finke's Medic. Geographie gute Beiträge liefern.
Da nun also die Medicin als Empirie nie vollendet erscheinen
wird, das Streben, Einheit im Mannigfaltigen zu finden, aber ein
Bedürfniss des Geistes ist , ohne welches kein Fortschreiten zum
Höhern, kein Ringen nach dem Vollkomranern gedacht werden kann:
so ists Jiusgemacht, dass es sowol in der Natur- als in der Heil-
kunde Gegenstände genug giebt, avo Wahrscheinlichkeit die Stelle
der Gewissheit vertreten muss. AVer Vermuthungen und Hypothe-
sen, mit Umsicht und echter Skepsis gebraucht, aus Erfahrungs-
wissenschaften verbannt, der versperrt die Bahn zu allen künftigen,
fernem Erfahrungen. Denn um zu beobachten, müssen wir wissen,
worauf wir unser Augenmerk zu richten haben. Aber woher können
E i n i e i l u n g. XXUI
wir dieses wissen, wenu wir nidit vorlier einen luöylidien, wahr-
scheinlichen Erfolg erwarten, d. h. wenn wir nicht Aorher eine Yer-
inuthung , eine Hj|iothese darüher aufstellen ? Der liefdeakende
TrCA^iranus sagt sehr wahr (Biologie, Bd. I. Cap. 5): „Die
Naturwissenschaften w iirden geistlose Namenregister sejn , wenn juan
sich bios auf das Sammeln von Thatsachen eingeschränkt hätte. Sie
wurden das, Avas sie sind, mir dadurch, dass man das Sichtbare an
das höhere Unsichtbare knüpfte, ihm dadurch Sinn und Deutung gab,
hnd so in das Mannigfaltige der Erscheinungen Einlieit brachte."
Ebenso ists mit der Medicin als integrirendem Theile der Naturwis-
senschaften der Fall. Möchten doch alle praktisdie Ärzte es recht
innig beheizigen, was schon vor dreissig Jahren der würdige Tre-
viranus in seiner Biologie über die Nothwendigkeit des Gebrauchs
der Hypothesen und Theorien für Natur- und Heilkunde, über Em-
pirie und Speculation, sowie über die Schranken der praktischen
Heilkunde so schön und treffend gesagt hat I Seine Untersuchungen
geben folgende Resultate : ^
1) Die Biologie oder Philosophie der lebenden Natur , d.i. Phy-
siologie im weitesten Sinne des Worts , nicht die Philosophie unserer
sogenannten Philosophen (die mit dem Absoluten beginnen), muss
die Grundlage der praktischen Heilkunde seyn.
2) Letztere muss in engere Grenzen eingeschlossen werden als
bisher geschah. Sie muss nicht bei den Sonnensystemen anfangen
und mit den Krankheiten der Menschen und den Heilmitteln endigen,
soll sie Nutzen bringen und nicht ein Labyrinth geträumter hyper-
physischer Speculationen werden.
3) Ohne Dogmatismus und Theorie ist keine medipinische Pra-
xis möglich, und es ist leere Prahlerei, das Gegentheil zu behaup-
ten. Blosse Empirie kann durchaus nicht als Richtschnur in der
Medicin dienen, und wenn der Missbrauch mit den Theorien vjnd
Hypothesen hier auch höchst nachtheilig gewesen ist, so hebt dieser
doch den rechten Gebrauch derselben nicht auf.
4) Alle bisherigen medicinischen Systeme sind zu einseitig bear-
beitet worden, weil ihre Schöpfer stets gewissen Lieblingsideen hul-
digten und alles durch gefärbte Gläser ansahen. Der einseitige Kopf
ist aber zum Wahrheitsforscher verdorben. Nur Vielseitigkeit ist das
Mittel, uns vor dieser Klippe zu bewahren. Diese Vielseitigkeit er-
langen wir nur dadurch, dass wir uns einen Überblick über das
ganze Feld des menschlichen Wissens zu erwerben, den Zusammen-
hang der einzelnen Theile desselben einzusehen und den gegenseiti-
gen Einfluss der letztern zu erforschen suchen, wie dieses Bacon,
Descartcs, Leibnitz, Newton und Kant thaten. Auf unsere
altern, neuern und neuesten Systeme der Medicin (Schönlein,
Eisenmann etc.) findet das, was Treviranus noch neuerlich in
seiner herrlichen Schrift: Die Erscheinungen und Gesetze des orga-
nischen Lebens (Bremen, 1831 5 Bd. L S. 24) in Bezug auf Natur-
XXIV Einleitung.
geschichte sagt, gleichfalls seine Anwendung. Hier heisst es: „Seit
die Nafnrgeschichte nicht mehr eine Sammlung unzusaramenhängen-
der Nachrichten und Sagen war, strebten aile Naturforscher nach
der Entdeckung einer Eintheilung, Avorin die Naturkörper nach ihrer
natürlichen Verwandtschaft geordnet , zugleich aber die Charaktere
der Abtheiiungen möglichst einfacli und Ton einem einzigen organi-
schen Systeme liergenoraraen wären. Dieses Suchen ist dem
nach dem Stein der Weisen gleichzusetzen, wenn eine
und dieselbe Eintheilung sowol dem, welchem sie nur IVIitlel sejn
soll, um blos die Namen gegebener Thiere und Pflanzen so leicht
wie möglich aufzufinden, als dem philosophischen Naturforsf*her, für
den sie einen höhern Zweck haben muss, genügen soll. Dem Er-
stem können blos äussere Merkmale dienen, für Letztern ist die
Eintheilung um so vollkomraner, jeraehr der ganze äussere und in-
nere Bau in ihr abgedruckt ist und je weniger yerschiedenarlig die
Theile sind, wovon die Charaktere hergenommen wurden." Möch-
ten dieses doch unsere modernen Sjstemmacher der Medicin wohl be-
herzigen I —
5) Die Lehre von der lebenden Natur muss mit der Pjiysik und
Chemie in den engsten Bund treten; denn jene wird durch diese und
diese werden durch jene vervollkommnet. Ist eine praktische Heil-
kunde möglich, die auch positiv nützen kann, so werden wir sie nur
auf diesem Wege erhalten.
6) Alle medicinische Erfahrung beruhet meist nur auf Wahr-
scheinlichkeit, selten auf Gewissheit, weil der grösste Theil dersel-
ben subjectiv, nicht objectiv ist, und es giebt Falle, wo gar keine
medicinische Erfahrung möglich ist (s. Treviranus' Biologie,
Bd. L Cap. 3).
Aus der Vernachlässigung der Biologie , der Physik und Che-
mie in Beziehung auf die Medicin sind unzählige Irrthümer für letz-
tere hervorgegangen. Gross sind zwar die Fortschritte , die diese
Doctrinen gegenwärtig gemacht haben, zahlreich sind die Entdeckun-
gen in iJinen, dienend zu ihrer Bereicherung und Vervollkommnung;
ja, sie vermehren sich von Tage zu Tage, es machen die Natui--
wissenschaften durch Hülfe der Thatsachen und auf dem Wege des
Experiments Riesenfortschritte; — aber die praktische Heilkunde
hinkt träge und ohnmäclitig hinter ihnen her. Das Meiste von den
neuen Wahrheiten, gehört noch der Schule, nicht dem Leben an, nur
wenig davon ist bisher ins Leben getreten. Wie sparsam sind noch
bis jetzt die Beziehungen jener Entdeckungen zur praktischen Heil-
kunde ausgefallen! — Wo ist das einigende Princip zwischen ihnen
und der letztern? Wo finden wir den Arzt, der die medicinische
Praxis nur zur Hälfte nach den sichern Resultaten, die uns die Na-
turwissenschaften gegeben haben ^ am Krankenbette ausübte? —
So lange die Medicin, die als blosse Theorie einem aus dem
Bette getretenen Strome, und als blosse Empirie dem verirrten und
Einleitung. XXV
sich nun dem Zufalle hingebenden Wanderer oder dem blind han-
delnden Quacksalber gleicht, noch nicht wieder zuivjclcgekelirt ist in
ihre natürlichen Grenzen, so lange diese empirische Wissenschaft
durch yernünftige Theorien nicht erleuchtet seyn will, oder umge-
kehrt, zu viel theoretisirend , den eitlen Versuch wagt, aus ihrer
natürlichen Grenze : dem Physischen, ins Hjperphjsische zu gelien ; —
so lange wird sie auch nicht Hand in Hand mit den Naturwissen-
schaften fortschreiten , und letztere werden , mag ihr Gebiet auch
noch so sehr durch grosse Entdeckungen erweitert worden sejn , für
die praktische Heilkunde nur wenig Früchte tragen. Freilich stellen
auch die zahlreichen Entdeckungen unserer Physiker und Chemiker
leider.', noch einzeln da, und unter den Erstem sah kürzlich selbst
ein Biot die grosse Schwierigkeit ein, sie alle aus einem obersten
Gesichtspunkte abzuleiten, dass er dadurch der Schöpfer einer wah-
ren Wissenschaft geworden wäre; daher er selbst von einem Ver-
suche der Art abzustehen sich genöthigt sah. Unsere heutige Phy-
sik hat sich in eine traurige Atomistik verloren, und Leben und
Geist ist aus ihr verbannt, und dies ist wol mit ein Grund, warum
unsere Medicin sich nicht so sehr mit ihr befreunden kann, als es
unter andern Umstünden möglich gewordeu wäre, besonders da letz-
tere noch immer den Eigendünkel besitzt zu glauben, dass niire Ba-
sis eine höhere als die Physik sey.
Mag immerhin in der neuesten Zeit die Chemie mit ihren stö-
chiometrischen Formeln unsere Kenntnisse über die Wirkungen der
Arzneistoffe ein bischen bereichert haben, mögen wir immerhin es
ihr nur verdanken, dass eine Toxikologie, wie wir sie jetzt durch
Orfila's, Magendie's, Buchner's und Marx's Verdienste
besitzen, entstehen konnte; so bleibt es doch ausgemacht, dass wir
Ärzte bis jetzt zu wenig von dem, was zeither Physiker und Che-
miker uüs dargeboten, für die praktische Heilkunde in Anspruch ge-
nommen haben, was ausser den angegebenen Gründen auch darin
seine Ursache finden mag, dass praktische Arzte meistens zu wenig
Physiker und Chemiker sind, um die nothwendige Technik beim
Experimentiren genau zu kenneu und sie am Krankenbette auf die
zweckmässigste Weise anzuwenden.
Die Lehren vom Lichte und von der Luft, von der Elektricität,
der Wärme, dem Magnetismus und dem Elektro -Magnetismus, wie
sehr sind sie nicht durch Humboldt, Scherer, de Luc, Gil-
bert, Oleen, Steffens, Biot, Ampere, Oersted, Faraday^f
Schweigger, Brandes, Pfaff u. A. gefördert Avorden, aber wie
sparsam ist bis jetzt ihre Nutzanwendung für die praktische Heil-
kunde gewesen] Alles, was uns zeither die Piiysiker Neues und
Grosses, mit einer dem Zeitgeschmack angemessenen Brühe voll ato-
mistischen Gewürzes und atomistisch- mathematischer Formeln auf-
getischt, dargeboten haben, muss, wird es geistig durch scharfsinnige
Köpfe so bearbeitet, dass wir mehr in sein Wesen eindringen und
XXYI Einleitung.
niclit die Form für dieses nehmen, für die Medicin von solcheia
Nufzen sejn, dass sein Einfluss auf die Gestaltung und Verbesse-
rung der letztern gegenwärtig nocli gar nicht zu berechnen ist.
Welchen Einfluss werden hier Oersted's und Faradaj's-
grosse EnIdeckuDgen des Elektro -Magnetismus und des Magneto -
Elektrismus haben"? Wozu können die Arzte Moricliini's Ent-
deckung, der zuerst durch das violette Licht des prismafisclien Far-
benspiegels, mit einem ßrennglase gesammelt, eine nicht magneti-
sche Nadel magnetisch machte, benutzen? Welclien Einfluss hat
das violette, welchen das rothe Licht in Krankheiten, besonders in
Krankheiten des Nervensystems? (Dass unter einer violett gefärb-
ten Glasgloclce alle Vegetation verkümmert, unter einer rothgefärbten
dagegen ausserordentlich florirt, dies hat Hr. Dr. Schmeisser in
Hamburg mir, gestützt auf seine Expeiimente, mündlicli versichert). —
Wenn Liclit und Wärme, diese beiden so nothwendigen Requisite
alles organischen Lebens, ihrem Wesen nach, wie Grotthuss so
scharfsinnig dargethan. Eins sind und unter dem hohem Einflüsse
der Elektricifät stehen, — wenn uns die Erscheinungen in der an-
organischen Natur überzeugen, dass die Elektricität die letzte Trieb-
feder chemischer Wirksamkeit sey, — wenn der Chemismus auclj
in der organischen Welt eine so grosse Rolle spielt, — wenn es
den Physiologen immer deutlicher wird , dass die Verrichfungen des
Nervensystems durch eine, der elektrischen höchst analoge Kraft
hervorgebracht werden (James Hood, Prochaska, Weinhold,
Burdach u. A.); — welchen Einfluss kann und wird demnach für
die Folge die Elektricität und der mit ihr identische Magnetismus
(s. im Werke diese Artikel) auf die praktische Heilkunde ausüben'? —
Je mehr die Lebensverriciitungen im kranken Oiganismus sich als
chemische darstellen, z. 3. die Gasentwickelungen und die Annähe-
rung zur Fäulniss im Blute bei putriden Fiebern, besonders aber
hei epidemischen, contagiosen Krankheiten; desto wichtiger und lieil-
bringender wird die frühe und zweckmässige Anwendung der Elektri-
cität und des Sonnenlichts seyn. Die Erfahrung bestätigt durch
manche zufällige Beobachtungen die Richtigkeit dieses Satzes. Zu
der Zeit, wo in den Tropen das gelbe Fieber herrscht, scheint alle
Luftelektricität verschwunden (Shecut in Hufeland's Journ. Bd.
LIX. St. 0. S. 141), und auch zur Zeit der herrschenden asiati-
schen Cholera bemerkte man Ähnliches, sowie denn auch an man-
chen Orten beide Seuchen plötzlich aufhören , oder w enigstens ge-
linder werden, sobald ein starkes Gewitter eingetreten ist. (Vergl,
Protokoll -Extracte der Rigaer Ärzte über die Cholera. Hamburg,
18 31. S. 130. J. V. Meyer, Nene Beohacht. über das Wesen d.
Cholera etc. Wien 1831. Strecker in d. AUgem. med. Zeitung.
Altenburg 1833. Nr. 9. S. 136).
Ist die Medicin erst wieder in ihre natürlichen Grenzen zurück-
gekehrt, dann wird auch der praktische Arzt, der Brotgelehrte solche
E i n l e i t u n g. ' XXYIl
Gegenstände nicLt als fremdartiges Studium ansehen, die N.iturwis-
senschaften oder die physischen Wissenschaften im engern Sinne: die
Physik, Chemie etc., werden mit der Arzneikunde in nähere Ver-
bindung treten und wir Alle werden auf der neuen Bahn wandeln,
die gegenwärtig schon durch einige unserer bessern Naturforscher
und Ärzte, welche die Krankheiten des Menschengeschlechts auf hi-
storischem und geographischem Wege bearbeiteten, eine Physiologie
als Erfahrungswissenschaft, eine physiologische Chemie, eine ver-
gleichende Pathologie etc. schufen (Schnurrer, Burdach, Hü-
nefeld, Magendie, Andral, Louis u. A.), eröffnet worden
ist. Nur auf solcliem Wege wird unsere Kunst und Wissenschaft
wahrhaft gefördert und die Schuld getilgt werden, welche, nach
Treviranus, unsere Physiologen noch immer (Wenige ausgenom-
men) belastet. Nur auf dem Wege des Experiinentirens, nicht durch
apriorische Sätze und Systemsucht, können Physiologie und Patho-
logie wahrhaft gedeihen; um aber mit Nutzen experimentiren zu
können, müssen wir Hypothesen und Yerniuthungen aufstellen, —
eine Wahrheit, zu deren Einsicht wir endlich gelangt sind, nach-
dem sie uns früherhin trotz der Bemühungen und Verdienste eines
Bacon, Haller u. A. nicht einleuchten wollte.
Es bedarf demnach die Mediciri, soll sie nicht alle wissenschaft-
liche Tendenz verlieren und in rolie Empirie ausarten, der Theo-
rien, Hypothesen und Yerrauthungen; denn diese sind die Brücken,
die uns das Gebiet der Wissenschaft erweitern helfen, und Ärzte,
die dieses nicht einsehen, täuschen sich selbst, indem sie sich Ver-
wechselungen der Begriffe zu Schulden kommen lassen oder gar
über Theorie und Empirie, über Wissenschaft und Kunst, über
Speculation und Erfahrung zu keinen klaren Begriffen gelangt sind.
Soll die Medicin iilso wahrhaft gefördert werden, soll sie, wie lei-
der! dies die Homöopathie heutiges Tages genug zeigt, keine Rück-
schritte machen, so müssen die Gre^izen der Medicin als Wissen-
schaft enger gesteckt, die Grenzen derselben als Kunst und im
empirischen Theile aber durch Hülfe guter Theorien, aus der Er-
fahrung und den Naturwissenschaften geschöpft, erweitert werden.
So nähert sich der Theoretiker dem Praktiker, und dieser wieder
jenem, der Eine hilft dem Andern, und beide fördern, indem sie
sich freundlich die Hand bieten, das grosse Gebiet der medicinischen
Wissenschaften. — Nach dieser Episode kehre ich zu vorliegendem
Werke wiederum zurück, um noch dieses und jenes darüber anzu-
deuten.
Es bedarf freilich nicht immer der neuen Beobachtungen und
Entdeckungen, um die medicinischen Wissenschaften zu fördern;
auch schon durch gehörige Würdigung des früher Bekannten, viel-
leicht in Vergessenheit Gerathenen, durch zweckmässige Zusammen-
stellung desselben und des Bewährten, durch Beleuchtung der Irr-
Ihümer und der falschen Maximen bei Bearbeitung medicinischer
Schriften, durch strenge Kritik der nothwendigen Hypothesen und
XXVm E i n l e i t u n g.
Tlieorien, der modernen, oft auf Einseitigkeit nnd Autoritiitsglauben
gestützten pathologischen Ansicliten und therapeutischen Handlimgs-
maxiraen, wird dieses umfassende Feld, das nicht allein im theore-
tischen, das ja auch im empirischen Theile so viele Lücken darbie-
tet und nie vollendet dastehen wird, auf eine fruchtbringende Weise
cultivirt. Indessen schmeichle ich mir, in dieser Encyklopädie nicht
allein zu dem eben genannten Zwecke nach Kräften beigetragen zu
haben, sondern ich habe daneben auch auf manches Nene und Un-
beaclitete in diesem Gebiete und auf manches Wirksame in der or-
ganischen und unorganischen Natur aufmerksam gemacht, und, wenn
auch oft nur angedeutet, manche eigenthümliche Ansicht und Cur-
methode, hervorgegangen aas eigner Erfahrung, mitgetheilt. In die-
ser Hinsicht will ich nur auf die Artikel Catalepsis, JEpilepsia,
Pebris, Fehris puerperalis, Fermentation Galvanismus, Gastro-
malacia, Homoeopathia , Hydrophobia^ Hysteria^ Inflammatio,
Magnetismus, Spasmus und auf mehrere ähnliche aufmerksam
machen.
Dem möglichen Vorwurfe, dass wir gegenwärtig encyklopädi-
sche Wörterbüc]ier der Medicin genug besitzen und dass diese Schrift
daher eine überflüssige sey, setze ich folgende Gründe entgegen:
1) Werke dieser Art besilzen wir allerdings mehrere; aber sie sind
fast alle so grossartig angelegt und sie umfassen das Ganze der
Naturwissenschaften dergestalt, dass sie, sind sie dereinst vollendet,
40 und mehrere Bände füllen werden. Dies ist z. B. mit der Pie-
rer'schcn medicin. Realencyklopädie der Fall, deren Vollendung wir
vielleicht noch nicht in dreissig Jahren erleben, da der erste Cyklus
(Anatomie und Physiologie) kaum im Verlaufe von 19 Jahren been-
digt worden, und das, was den Praktiker zunächst interessirt; Pa-
thologie, Therapeutik, Diätetik, Pharmaceutik, Klinik, Chirurgie, Ge-
burtshülfe etc. noch nicht bearbeitet und im Druck erschienen ist. —
2) Auch die seit dem Jahre 1828 begc neue berliner Medic. - chirur-
gische Encyklopädie, betitelt: Encyklopädisches Wörterbuch der me-
dicin. Wissenschaften, herausgegeben von Busch, v. Gräfe, Hu-
feland, Link, Müller, hat in den bis jetzt erschienenen 12 Bän-
den, die mehrere hundert Druckbogen in Lexikonformat umfassen
und jetzt schon über 30 Thaler kosten, noch nicht den Buchstaben
G. beendigt, so dass wir auch ihre Vollendung erst nach vielen
Jahren erwarten können. — 3) Der Plan zu beiden übrigens höchst
schätzbaren Werken ist zu grossarlig angelegt. Die Idee dazu ist
allerdings leicht gefasstj aber wieviel Zeit und IMühe die Realisirung
derselben eifordert, wie sehr bei dem besten Streben die Ausführung
hinter der Idee zurückbleibt; — dieses sieht man erst bei der Be-
arbeitung und Beendigung eines solchen Werks ein. Auch ists ein
vergebliches Bemühen, ganze Bibliotheken durch solche Scliriften
ent])ehrlich oder überflüssig machen zu wollen. Dies kann und
darf nie der Fall werden, oder die Wissensdiaft muss nothwendig
leiden. Der Nutzen solcher Schriften ist ein anderer. Sie sollen
Einleitung. XXIX
a) deutHch, klar und doch dabei kurz abg^efasst seyn, damit sie
ohne vielen Wortkram, ohne Weitschweifigkeit die ^)uintessenz des
bearbeiteten Gegenstandes enthalten: dazu gehört Batürlich Kürze im
Ausdruck^ leider! nicht das Eigenthura eines jeden Autors; b) sie
sollen dem Leser mehr zum Nachschlagen als zum Studium dienen,
und ihm durch leichtes Auffinden der Gegenstände Zeit und Mühe
ßparen; c) sie sollen Vieles nur andeuten und dadurch das Studium
neuer Gegenstände rege machen; d) sie sollen uns mit allen neuen,
wichtigen Entdeckungen im Gebiete der abzuhandelnden Gegenstände
und mit der neuesten Literatur derselben bekannt machen; endlich
e) sollen sie auch dazu dienen, die Wissenschaft mehr fürs Leben
als für die Schule zu bearbeiten, und also mehr für das Nützliche,
Brauchbare, Praktische, als für die blosse Gelehrsamkeit leisten.
Diese Punkte sind bei Bearbeitung vorliegender Encjklopädie
besonders berücksichtigt worden. Da nun die neuesten medicinisch-
chirurgischen Encjklopädien erst ia ihrem Entstehen begriffen sind
und wegen des umfassenden Plans noch viele Jahre zu ihrer Been-
digung gebrauchen, die neueste Zeit aber für die praktische Heil-
kunde und Chirurgie viel Neues und Gutes zu Tage gefördert hat,
was in altern medicinisch- chirurgischen Schriften und solchen En-
cjklopädien nicht enthalten sejn kann , — so gehört eine compen-
diöse Schrift der Art, berechnet auf nur zwei Bände, die obendrein
blos die specielle Tendenz des rein Praktischen hat, noch immer
zu den Bedürfnissen der Gegenwart, zu denjenigen Schriften, nach
welchen sich der Herausgeber und mit ihm gewiss eine grosse Menge
praktischer Ärzte und Wundärzte zeither vergebens umgesehen haben.
Ausserdem gewinnt die Wissenschaft durch jede neue Bearbeitung,
so auch die Medicin; indem die Eigenthümlichkeit der Form, der
Darstellung, das Hervorheben wichtiger Gegenstände, verbunden mit
echter Kritik, also die Subjectivität des Autors bei der Darstellung
des vorherrschenden Objectiven, den Gegenständen einen vielleicht
neuen Reiz giebt und das Studium von solchen Dingen anregt, die
mit Unrecht im Strome der Zeit oft der Vergessenheit übergeben
worden sind.
Vielleicht glauben manche Leser, dass die nach dem Dic^tion-
naire de Mödecine vom Dr. Meissner bearbeitete tJberset;Eung,
welche in der Fest'schen Buchhandlung zu Leipzig (a Bd. 2 Thlr.
12 Gr.) erschienen ist, mit vorstehendem Werke eine und die-
selbe Tendenz hätte. Dies ist aber durchaus nicht der Fall ; denn
auch sie hat mehr die Theorie als die Praxis, mehr die Hülfswis-
senschaften der Medicin als die praktische Heilkunde im Auge
behandelt daher Anatomie, Physiologie, Chemie, Pharmacie, Bota->
nik etc. oft sehr weitläufig, und berücksichtigt dagegen weniger
das für den Praktiker so nothwendige Specielle der Pathologie und
Therapie, sowie die praktischen Cautelen am Kranlcenbette.
Dagegen sind die chirurgischen Artikel weit ausführliclier als
die medicinischen behandelt, eben weil die Franzosen bekanntlich
XXX Einleitung.
bessere AVundiirzte, als Ärzte sind. Aitsserdera ist und bleibt es
das Werk einer fremden Nation, der A\ir Deutsche in Betreff der
jnnern Heilkunde, wegen uusers eisernen Fleisses, unserer ruhigem
und bessern Beobachtungsgabe, hervorgegangen aus einem weniger
sanguinischen Temperamente und weniger krankhaft überspannter
Reizbarkeit, unserer grössern Umsicht und strengern Kritik, stets
den Rang streitig machen können, — einer Nation, die einseilig
genug ist, den innern Grund der Krankheiten auf anatomisch -phy-
siologischem und pathologisch- anatomischem Wege einsehen zu wol-
len. Endlich fehlen in dieser durch Meissner auf unsern Boden
Terpflanzten Encjklopädie manche Artikel der praktischen Heilkunde
gänzlich. Die ganze Tendenz dieses französisclien Werks geht mehr
dahin, die Gelehrsamkeit und das Wissen, als die Praxis und
das Können zu befördern, und ausserdem ist die deutsche Über-
setzung doch ziemlich theuer, da die 10 Bände zusammen 25 Tha-
ler kosten.
Vergleichen wir alle bis jetzt erschienenen neuern Encyklopä
dien der Medicin und Chirurgie mit einander, so Averden wir finden,
dass sie alle den Fehler an sich tragen, dass darin bei der Cur
der Krankheiten (ein abermaliger Beweis ihrer mangelhaften prakti-
schen Tendenz) auf gute und bewährte Receptformeln und Äiznei-
compositionen fcist gar nicht gesehen worden ist. Der junge, uner-
fahrne Arzt hält dies zwar für Nebensache; er glaubt selbst genug
componiren zu können. Der wahre Praktiker dagegen weiss, wie-
viel gerade auf bewährte Arzneicompositionen, die oft erst durch
eine vieljährige Praxis und durch lange Erfahrung gewonnen werden,
ankommt, will er anders mit Glück am Krankenbette handeln. Er
sieht es ein, dass eigenfhümliche Mischungen von Arzneikörpern oft
ganz besonders wirksam sind, wenn wir uns das Nähere darüber
auch nicht immer erklären können. Er achtet diesen Gegenstand
sehr hoch und bemitleidet den jungen Arzt, der diese oder jene Re-
ceptioimel tadelt, weil sie nicht immer schulgerecht nach den stren-
gen Regeln der sogenannten Receptirkunst, wie sie nach chemischen
Grundsätzen ein Trommsdorff u. A. bearbeitet haben, abgefasst
Avorden; — er weiss, dass sich die Arzneien oft zersetzen müssen,
sollen sie für specielle Fälle wirksam werden, und dass das, was
sich im Magen nicht zersetzt, oft auch unwirksam bleibt oder als
unverdauet, als nicht in succum et sanguinem vertirt, vom Digestions-
apparat wieder ausgestossen wird, und diesen obendrein schwächt;
ja, der erfahrne Praktiker will oft selbst eine Zersetzung der Arz-
neien im Medicinglase, wodurch dann ein neues Product entstellt,
welches er als besonders wirksam kennt, das in der Apotheke aber
für sich nicht zu finden ist. Je complicirter z. B. unsere Formeln
der Roborantia sind, desto schneller, sicherer und kräftiger wirken
sie bei der Reconvalescenz oder bei rein adjnamischcn Krankheiten,
und desto v»ohlfeiler wird die Cur, indem nach meinen zahlreichen
Erfahrungen ein solches Compositum, acht Tage gebraucht, hier oft
Einleitung. XXXI
mehr thut, als der vierwöelientlielie Gebrauch jedes einfachen stär-
kenden IVIittels, einzeln und nach einander gereicht. Es verhält sich
hier gerade so, wie mit der Ptumford'schen Suppe für Arme. Je
coraplifirter sie ist, je mannigfaltiger die Ingredienzien: Erbsen,
Fleisch, Speck, Kartoffeln, Rüben, Mehl etc. sind, die hier zusam-
men gekocht werden, desto mehr Nährkraft giebt sie, weil dann in
ihr mehr Theile enthalten sind, die alle, indem ein Theil den an-
dern unterstützt, in stärkere Beziehung zum Organismus treten. Man
weiss aus Erfahrung, dass eine solche complicirte Suppe gerade
noch einmal so viele Personen vollkommen sättigt, als gesättigt seyn
würden, wenn jeder Bestandtheil derselben einzeln gekocht und ge-
nossen worden wäre. In der Kunstausübung des Praktikers giebt
es viele Dinge, die wir nicht auf Akademien erlernen, die wir an-
dern Praktikern von den Händen al)sehen, ja mit den Augen stehlen
müssen, wollen wir eben so glücklich am Krankenbette sejn, als
sie; dahin gehört auch das richtige Gpmponiren der Arzneien. Alle
ältere und neuere berühmte Ärzte: Boerhaave, van Swieten,
Sydenham, Gaubius, Morton, Stahl, Richter, Stell,
Quarin, P. Frank, S. G. Vogel u. A. m. gaben daher in ihren
Schriften gute Reccptforraeln an ; warum sollten wir ihnen nicht auch
darin nachfolgen'? — Ich habe diesen Umstand in meiner Encj-
klopädie besonders berücksichtigt, in der festen Überzeugung, dass
das Werk dadurch für den Praktiker einen höliern Werth erlangen
wird. Denn in der Ausübung der Heilkun^t ist gerade die Mannig-
faltigkeit der Heilmittel und Curarten nothwendig, Iheils, um das
Heilverfahren den verschiedenen Graden, Modificationen und Com-
plicationen der Krankheit und den Innern und äussern Lebenszustän-
den des Kranken anzupassen, theils auch, um bei langwierigen
Krankheiten mit den Mitteln zu wechseln und so durch den Reiz
der Neuheit auf den Organismus (ein Pieiz, der eben so wirksam
aufs Somatische, als aufs Psychische ist) die Cur zu erleichtern
und zu beschleunigen, wie dies der unsterbliche Stell (Rat. med.
P. III. p. 432) schon richtig bemerkt.
Mein ernstlicher Vorsatz ist, weder Fleiss noch Mühe zu spa-
ren, um die Mängel und Unvollkommenheifen des vorliegenden Wer-
kes durch Beherzigung fremder und fortgesetzter eigener Erfahrung
am Krankenbette, und durch die Winke und Bemerkungen gründ-
licher und unbefimgener Recensenten nach Möglichkeit zu verbessern
(denn eine Schrift dieser Art ist nicht eines Menschen Werk.'),
und es ergeht daher an Letztere ganz besonders die Bitte: die Män-
gel desselben im Allgemeinen, wie in den einzelnen Artikeln, nebst
den Mitteln, ihnen abzuhelfen, genau anzuzeigen, überhaupt
die Schrift unparteiisch, umsichtig und gründlich, der Wichtigkeit
des Gegenstandes gemäss, zu prüfen — denn sie enthält viel Ei-
genthümliches und eröffnet eine Opposition gegen alles Einseitige der
neuem Schulen und gegen die Schwächen unserer Zeit — , und ein
i»nf Recht, W^ahrheit und Billi;>keit basirtes Urtheil darüber zu fäi-
XXXII E i n l e i t u n ":
O'
len, — damit die näclis(fol,ü;ende dritte Auflage derselben sie dem
Grade der Vollkommenheit näher führe, der bis jetzt bei dem besten
AVillen und der grüssfeu Anstrengung noch nicht erreicht weiden
konnte,
Sdiliesslich bemerke ich noch, dass die von mir abgehandel-
ten Gegenstände manche fremde Autorität in Parenthese enthalten,
die sich nicht auf literarische Arbeiten , sondern auf persönliche Be-
kanntschaft, auf mündliche oder schriftliche Mittheilang vieler ausge-
zeichneten Ärzte des In- und Auslandes stützt. Auch ist Manches
aus der neuern Zeit deshalb mit Stillschweigen übergangen worden,
weil es mir für die Praxis zu unwichtig schien, um wichtigern Ge-
genständen derselben dadurch den Platz zu rauben.
Möge dieses Werk zum Besten der leidenden Menschheit und
zur Ausbildung junger Arzte für die praktische Laufbalin, wie ich
es wünsche, auch fernerhin recht kräftig beitragen!
Rostock, im April 1836,
Der Heranseeber.
A.
i\l)articnlatio> Verrenkung, s. Luxatio.
Al>lactatio $ Apogalnclismus , das Entwöhnen von der Mut-
terbrust. Die Zeit, Avie lange der Säugling gestillt werden soll, lässt
sich nicht genau bestimmen. Schwächliche Kinder müssen länger als stark«
gestillt werden. Als Regel lässt sich annehmen , dass das Kind die Brust
entbehren kann, sobald es 8 bis 10 Zähne hat, also in dem Alter von 10
bis 12 Monaten. Ein sehr schwächliches Kind kann ohne Schaden bis zum
18ten, SOsten Monate gestillt werden , wenn anders die Muttermilch gesund
ist , die Brüste nicht welk und schlaff sind und keine neue Schwangerschaft
da ist. Auch halten viele Ärzte das Fortstillen fürs Kind nachtheilig, so-
bald die Mutter wieder menstruirt worden ist. Dies ist. aber nicht immer
der B'a'.l, und oft befindet sich der Säugling wohl dabei. Alsdann kann
^dreist fortgestillt werden, besonders wenn das Kind noch keine 8 Monate
alt ist. In Betreff des Entwöhnens lassen sich manche stillende Mütter
Fehler zu Schulden kommen , wofür nicht allein der Säugling, sondern auch
sie büssen müssen. Die Mutter muss, will sie ihr Kind entwöhnen, diesem
nicht auf einmal die Brust entziehen , sondern wenigstens , um das Entwöh-
nen einzuleiten, 8 Wochen dazu gebrauchen. Sie muss anfangs dem Säug-
linge bei Tage nur viermal , dann dreimal , dann zweimal , noch später nur
einmal , endlich bei Tage gar nicht , nur des Nachts die Brust reichen. In
der letzten Woche muss er auch des Nachts höchstens zweimal angelegt
werden. Er wird während dieser Zeit allmälig an andere Nahrung gewöhnt,
welche leicht verdaulich und einfach seyn muss, z. B. gestossener Zwieback,
Zucker und gekochtes Wasser, Wasser und Milch. Auf diese Weise ver-
geht die Milch in den Brüsten allmälig, es kostet dem Kinde kein so grosses
Opfer, der Brust entsagen zu müssen , und es werden viele Krankheiten der
weiblichen Brust : Entzündung , Milchknoten , Geschwüre, Verhärtungen etc.
verhütet (Jönj , Oslander, v. Froriep, v. Siehold). Eine Wöchnerin, wel-
che nicht stillen kann, vertreibt die Milch am besten dadurch, dass sie sich
einige Tage ins Bette legt, viel Fliederthee zum SchAvitzen trinkt, und die
Brüste mit weichen gewärmten Servietten fest zudeckt ; auch letztere , so-
bald sie von Schweiss triefen, mit trocknen vertauscht. Ist der Andrang
der Milch dennoch sehr gross , so giebt man nach S Tagen ein gelindes
Laxans aus Kalbfleischbrühe mit einigen [Theelöffeln voll Glaubersalz (J. F.
Osiander). S. Abscessus lacteus mammarum.
A1>lnentia , reinigende Mittel , s. Abstergentia.
AbnorinitaiS , Abnormität, Abweichung von der Regel
(Norma). Ist gleich bedeutend mit Anomalie (S. Anomalia). ,, Man hat
sich oft — sagt mit Recht Heclcer in Rusfs Handbuch d. Chirurgie, Bd. I.
S. 4f>. — die Krankheiten als Abnormitäten der Gesundheit vorgestellt, ohne
durch diese Vorstellung auf einen klaren und fruchtbringenden Begnff zu
kommen, indem die Krankheit als eine bestimmte Richtung des Lebenspro-
cesses ^ eben sowohl ihre Gesetzmässigkeit hat , wie die Gesundheit selbst,
und mithin alles in ihr von der Norm dieser Richtung Abweichende auf
gleiche Weise als Abnormität zu betrachten ist. " So gut wie man von
Anomalien im Verlaufe verschiedener Krankheiten redet , also von Abnorpü-
täten irgend einer Abnormität der Gesundheit, mit demselben Rechte kann
man auch von den Krankheiten der Krankheiten reden, wie denn auch kürz-
lich eine solche kleine Schrift zu Tage gefördert ist. (S. J. F. A. Guizetii,
lieber die Krankheiten der Krankheiten, und die Krankheitea der Krank-
Most Encyklopädie. 2te Aufl. I. 1
2 ABORTIYA
heitpn der Krankheiten ( ! ! ). Wüi-zburg 1832.) Der barbarische Titel mus»
nicht vom Lesen dieser scharfsinnig geschriebenen Schrift abhalten. Sie ent-
hält manche gute Ideen , entnommen der sog. Naturphilosophie , wie sie ein
Schclluii/ , Troxler , Himhj lehrten , und an Scliüulcin einen der neuesten
Jünger hat. Der Organismus bildet nach G. aus sich selbst auch seine Krank-
heilen , das Erkranken ist ein Lebensact des Organismus selbst; die Krank-
heit entsteht daher nur von innen nach aussen , der Körper selbst ist der
Grund der Krankheit. Nicht der Ansteckungsstoil einer Krankheit bringt
diese hervor , sondern der durch denselben auf irgend eine Art bedingte
Körper. Das kranke Leben hat auch seine Gesetzmässigkeit (Norm) , die
Krankheit ist nichts sich selbst Widersprechendes, Zerstörendes, wie Manche
behauptet haben ; sie hat Einheit in sich selbst ; daher ist sie etwas Orga-
nisches, — ein eigenthümlicher Lebensact des Organismus. — Aber auch
die Krankheit selbst kann krank werden. Die Krankheiten der Krank-
heiten umfassen Alles, was man gewöhnlich zu den Anomalien der Krank-
heiten rechnet. Dieses sind sie aber nur in einseitiger Beziehung , nämlich
in der auf die Gesetzmässigkeit der ursprünglichen Krankheiten, so wie diese
selbst Anomalien sind in Bezug auf die Gesundheit. So wenig aber die
Krankheilen für sich selbst Anomalien sind, eben so wenig sind es auch die
Ki"inkheiten der Krankheiten ; in beiden ist nichts Zufälliges , nichts Verwor-
renes , und diese haben eben so ihre bestimmten Gesetze , wie jene ; so
Z..B. die Kuhpocken, die anomale Gicht. Seite 14 heisst es: „Die Hei-
lung der wenigsten Krankheiten steht in der Macht des Arztes. Niemand
vsird sich rühmen, einen Typhus, einen Hautausschlag geheilt zu haben;
selbst die Gicht zu heilen erklären S>/denhnm und Boerhnitvc fTir ein thöri-
ges Unternehmen, — Zwei verschiedene Hauptaufgaben sind der Hauptin-
halt des ärztlichen Berufs; die erste ist: die Krankheiten, die andere: die
Krankheiten der Krankheiten zu heilen. INlit den letztern hat es der Arzt
meistens zu thun , jene liegen fast ganz und gar ausser seinem Bereiche. "
., Vielleicht kommt einst die Zeit — sagt ö. ferner S. 15 u. f. — , wo un-
sere Kunst so lioch gebildet ist, dass sie jene Forderung erträgt und er-
füllt , wo der Arzt so tief einzugreifen vernmg in die Lebensbedingungen
des Organismus, dass er, ohne diesen selbst aufzuopfern, die Verhältnisse
zu zerstören wagen darf, welche die Ausbildung der Krankheit bedingen,
wo er einen Typhus abdominalis heilt vielleicht durch Erzeugung eines äus-
sern Hautausschlags etc." — Der Arzt muss, wie ein Kindererzieher, viele
Krankheiten hegen und pflegen , und nur dann darf er gegen sie einschrei-
ten, wenn sie anomal werden. Er muss hier, was der ganzen Aufgabe des
ärztlichen Berufs zu widersprechen scheint, häufig die nicht vollständig aus-
gebildeten Krankheiten anspornen und zur regelmässigen Entwickelung zu
bringen suchen. Hier ist also der Arzt wirklicher Nosogoge. — Aus den
Gesetzen der Gesundheit lassen sich die Gesetze der Krankheiten nicht al-
lein erklären, weil das kranke Leben ein anderes als das gesunde ist; des-
halb können auch die Krankheiten der Krankheiten aus der Krankheit allein
nicht erklärt werden. — Die exspectative Behandlung der Krankheiten ist
meist eine prophylaktische gegen die Krankheiten der Krankheiten. Jede der
letztern ist schlimmer als die Krankheit selbst, und ihre Gefährlichkeit steht
im geraden Verhältnisse mit der Entfernung vom ursprünglichen Eiitwicke-
lungstypus derselben. G. versucht es, eine Einthcilung der Krankheiten der
Krankheiten aufzustellen nach dem Grade oder Masse (Mangel- und
Uebermassformen) , nach der Art, nach der Ordnung und Folge, und
zuletzt handelt er über die Krankheiten der Krisen, als Acrisia, Crisis exi-
gua , nimia, u. s. f.
Abortiva» AmhJntka. Sind solche Mittel, die den Abortu.s beför-
dern. Si<' \\ irkin «iirect oder indirect auf die Frucht oder auf den Uterus,
reizen letztem zn Contrjiciionen und geben so zum ,\l>ortus o<ler zur Früh-
(jteburt Aidass. Ihre Wirkung ist theils dynamisch, tluils mechanisch, iheils
temi^cht. Gelinde Aboriiva sind: all«- Mittel, die stark»- Blutcongestiun zum
«tcrus machen, oft wicderhuUv Aderlässe aui Fussc; die gelinden Eunuena-
ABORTUS 3
goga : Theo^ ron Chamillen , Melisse , Arnlca , ßchwarzep starker Kaffee.
Heftiger wirken alle Purganzen: Fol. sennae, Aloe, Jalape, Gumm. guttae,
Ol. croton., Rheum in grossen Dosen , besonders Tinct. rhei yinosa (w. Sie-
hold) ; ferner Borax , Crocus , Hb. rorisinarini , Phallus impudicus , Sabina,
Taxus, Castoreum, Seoale cornutum, Mercur. dulc, Merc. gummös. Plenck^
Merc. sublim, corros. (^Kluge), Ol. animale Dipp., Ol. chamom., junip., sa-
binae, das Extr. panchymagog. CroUii, die Pil. baisam. HofFmanni, das Elix.
Proprietät., die meisten gegen Bandwurm empfohlenen Mittel. — Zugleich
mechanisch und dynamisch wirken : starke Brech - und Niesemittel , elektri-
sche Schläge , Einschnürung des Unterleibes durch Corsetts , äusserliches
Reiben und Drücken des Uterus mit der Hand, Stösse, Schläge, Ti'itte,
ortliche Reizungen des Muttermundes durch grobes Touchiren, durch Press-
schwamm , spitzige Werkzeuge , durch den Eihautstich , durch unzeitige ge-
missbrauchte Erregung der künstlichen Frühgeburt; — Reizungen per anura
durch reizende Klystiere, Masturbationen etc. s. Abortus.
Abortus, Ahorsus, Abordo, Ambloma, Amhlosis, Omotocia (^Fnusse-
couche) , Fehlgeburt, unzeitig e Geburt, Missfall, Umschlag.
Erfolgt dia zu frühe Geburt vor der 16ten Schwangerschaftswoche, so heisst
sie im engern Sinne Abortus und geht gewöhnlich mit unverletzten Eihäuten
ab. Erfolgt sie zwischen der löten und 28sten Woche, so heisst sie nn-
zeitig (Partus immaturus s. Ectrosis); stellt sie sich erst zwischen der
28sten und S7sten Woche der Schwangerschaft ein, so nennt man sie eine
frühzeitige Gebuit (Partus praematurus). Bei letzterer kann der Fötus
fortleben , und es gehört zu den Fortschritten in der Geburtshülfe , dass
man sie künstlich in solchen Fällen anwendet , wo sonst wegen Enge des
Beckens keine lebenden Kinder zur gewöhnlichen vollen Zeit der Schwan-
gerschaft geboren werden können (s. Partus praematurus artifi Cia-
lis). Vorboten und Zeichen sind: Schwere, Mattigkeit, Kälte und Er-
starrung in den Gliedern, Frösteln, Schauer, Schwindel, Ohnmächten, Kopf-
weh, Schwere und Spannung im Leibe, in den Lenden, im Kreuze, Schlaf-
losigkeit, blasse Gesichtsfarbe, trübe Augen, blaue Ringe um dieselben, Man-
gel an Appetit, belegte Zunge, übler Geruch aus dem Munde, Drängen zum
Urinlassen, Wehen, tiefe Senkung des untern Abschnitts des Uterus und der
Portio vaginalis, Erweiterung des Muttermundes unter den Wehen, Abfluss
von Schleim, Blut, Kindswasser aus der Scheide, oft Metrorrhagia und Co-
lica abortlva, besonders bei Partus immaturus und praematurus. Dauer,
Ausgänge und Verlauf. Geht der Abortus wirklich vorsieh, so ei-folgt
er zuweilen schon binnen 2 bis 5 Stunden ; oft dauert er aber 2 bis 3 Tage,
seltener selbst Wochen lang. Li den ersten 3 Monaten geht das Ei meist
unverletzt ab , und der Abortus erfordert längei'e Zeit als der Partus imma-
turus. Hier verlängert aber das Nachgeburtsgeschäft nicht selten den Krank-
heitszustand. Zuweilen stirbt das Ei früh ab, ohne dass es sich entleert
oder sogleich abgeht. Hier, so wie in den Fällen, wo das Ei sich zu einer
Mole oder Hydatide verwandelt, hören die Symptome der dagewesenen
Schwangerschaft auf, die Frauen leiden an Übelkeit, Erbrechen, Erschlaf-
fung , haben des Nachts viele Hitze , die Brüste sinken ein , werden schlaff,
der Unterleib fühlt sich kalt an, es stellen sich häufige Frostschauer ein
(im Augenblick des Absterbens des Fötus ein Schüttelfrost), Olmmachten,
Gesichtsblässe, übelriechender Athem etc. Ursachen des Abortus und
der Frühgeburt im Allgemeinen. Von Seiten der Mutter sind ge-
legentliche und prädisponirende Ursachen : verweichlichte Lebensart , enge,
drückende Kleidung (Schnürbrüste) , nervöse Ccnstitution, Vollblütigkeit,
allgemeine Schwäche des Körpers , erste Schwangerschaft in sehr frühem
oder in spätem Alter, Conception kurz vor oder während der Menstruation,
Menstruation während der Schwangerschaft, anhaltender weisser Fluss , orga-
nische Fehler und fehlerhafte Lagen des Uterus, unvoUkomranes Conceptions-
vermögen, z. B. bei Frauen, die jedesmal abortiren, wenn sie nicht^ zu einer
bestimmten Zeit concipiren (El. v. Siebold); ferner manche epidemische
acute , asthenische Krankheiten , heftige Gemüthsbewegungen , Zorn, Ärger,
1*
4 ABORTUS
Kummer, Gram, die Macht der Gewohnheit, welche bewirkt, da.<s einmali-
ges Abortiren die Neij;iing zu mehrmaligem befördert, verschiedene treibi-iidü
Arzneien (s. Abort iva), woliin auch noch die kaiischen Mittel: fixe I^iift,
Sal. tart. depur. , der innerliche Gebrauch der Seife (besonders in ui:serer
Gegend unter Landdirnen oft gemissbrauchl) gehören; auch manche atmo-
spliärische KinHiisse sind wichtige ursächliche Momente zur Beförderung des
Abortus, besonders strenge \V interkälte, anhaltend nasskalte ^Vitti-iung,
grosse Sommerhitze, trockner Frühling etc. , desgl. manche Krankheiten,
z. B. Febr. intermittens, Inflammatio, Haemorrhoides, Varices uteri, manche
chron,sche Krankheiten, schlechte Diät: erhitzende Getränke, übermässiger
Coitus, Erkältung etc. Nach Chastniniit (Nouv. Bibliolh. Dcbr. 1826)
abortiren Frauen leicht, deren an Syphilis leidende Männer sich vor ihrer
Verheiraihung keiner gründlichen Cur unterzogen hatten. Von Seiten des
Fötus begünstigen den Abortus: zarte und junge Bildung des Eies, Miss-
bildungen des Fötus , z. B. Wasserkopf, .\kephalie , Absterben desselben,
wobei der Zusammenhang des Eies und der Gebärmutter aufgehoben wor-
den , zu schnelles Wachsthum des Fötus , verschiedene Krankheiten dessel-
ben (gut beschrieben von Ilitfclaiid^ , Abnoi'mitäten der Eihäute und des
Mutterkuchens, besonders wenn letzterer sich-an der tiefsten Stelle der Ei-
häute schon bei der ersten Bildung entN>ickelt , ^vo dann eben so, wie spä-
terhin bei Placenta praevia, Blutungen entstellen müssen, wovon Aboriu.s
odcj: Frühgeburt so häufig Folge sind (Carl IVeuzcl^ Folgen des
Abortus für die Mutter. Sie sind oft sehr bedeutend. Der nicht selten
heftige Blutfiuss schwächt die Constitution , es erfolgen Anomalien der Re-
geln, Metrorrhagla , Hysteria, IVIigräne, Fluor albus, örtliche Krankheiten
des Uterus, Carcinoma uteri, Febris lenta, Abzehrung, Phlhisis. Erfolgt
der Abortus schnell," ohne viele Schmerzen, ohne bedeutende und anhaltendo
Blutung, so ist die Prognose besser. Behandlung. 1) Bei Frauen, die
schon öfter abortirt haben, suche man bei den ersten Vorboten des Übels
Alles, was früher Abortus erregte, zu entfernen, und schon zu Anfange der
Schwangerschaft ist hier eine besondere Diät nothwendig: einfache, leicht-
verdauliche Speisen, ruhiges, einfaches Leben, Vermeidung aller heftigen
Körper- und Gemülhsbewegungen, der Erhitzung und Erkältung, einfache,
leichte, nicht drückende, pressende Kleidung; dabei Ruhe und horizontale
Lage der Schwangern, besonders in der Zeit, wo früher der Abortus er-
folgte, und zwar 6 bis 8 Wochen lang. Ist Plethora da, dann massige
Aderlässe, mehrere Monate hindurch wiederholt (^iiivcriiis). Ein kleiner
revulsorischer Aderlass ist das grösste Präservativ bei den ersten Vorboten
des Abortus ; selbst bei schwächlichen, hysterischen, nervösen Naturen ver-
säume man ihn nicht; man lasse hier nur 2 — 3 Unzen Blut am Arme, und
rathe Ruhe und horizontale l^age an ( i'V/. ) ; wiederhole auch den kleinen
Aderlass, wenn wieder Ahortivsymptome sich einstellen, alle vier Wochen.
Daneben ist hier eine nährende Diät nebst stärkenden Arzneien indicirt.
Man verordne Fol. aurantior., Extr. trifol. fibrini, Quassia. aromatische Bä-
der, Einreibungen in den Unterleib von Lin. volat. camph. mit Ol. hyoscyami
ana ^j., Laudani liquid. Sydenh. 5j' "• dergl. Bei wirklicher Plethora pas-
sen diese Mittel nicht , hier sind neben dem Aderlass und der Ruhe küh-
lende Mittel: Crem, tartar. , Nitrum etc. zu verordnen, desgleichen eine
-weniger nährende, mehr vegetabilische Diät. Ist Retroversio uteri Ursache,
desgl. Prolapsus uteri, so folgt leicht im zweiten, dritten Monate der Abor-
tus unter Vorboten von Ziehen im Kreuze, Drängen nach den Genitalien,
Urinvejhaltung. Hier verbessere man die abnorme Lage des l'riTHS durch'
horizontale Körperlage mit erhöhtem Kreuze, durch das mechanische Ver-
fahren (s. Retroversio uteri), gebrauciic beim Prolapsus einen zarttn
Scluvainm, aber kein Tcssarium (u. Sichold) , besonders auch da, wo das
Becken zu weit ist, sorge für tägliche Li-ibcsöffnung mittelst Klystiere.
2) Selbst bei den Zcichiii des nahe eintretenden Abortus kann dieser durcti
einen kleinen Aderlass, durch kühlende .Mittel, ruhige horizontale Lage, ist
hohe Sihuächo und Krampf da, durch die Mcthodus anlispasmodica. exci'ans.
^ABORTUS 5
bei Plethora durch einen Aderlass am Arme von 6 — 8 Unzen und die Me-
thodus antiphlogistica : Mandelemulsion mit Nitrum , z. B. Rr Emah. nmijgda-
htr. dulc. rec. cjcpr. §vjjj, Nitri depurati 5jjj, Tart. vitriohiil gß , Sijr.
sacchari 5]. M. S. Stündlich 1 — 2 EsslöflFel voll, verhütet werden. Bei
heftigen Blutflüssen dienen innerlich Elix. acid. Halleri, Tinct. cinnamoni.,
kalte Umschläge , Tampons mit Wasser und Essig mittels Charpie in die
Vagina bis an den Muttermund. 3) Geht der Abortus wirklich vor sich,
kann er nicht mehr verhütet werden ( Abfluss von Kindswasser und starke
Blutung deuten darauf hin), so ist die erste Indicatlon : Verminderung der
Gefahr desselben. Ist die Schwangere noch nicht über drei Monate schwan-
ger , so rathe man eine reclinirte Lage an , vermeide jedes Beförderungs-
mittel der Geburt, und überlasse auch die Heraustreibung der Placenta der
Natur. Anders verhält es sich aber bei der Frühgeburt und beim Partus
immaturus. Ist hier das Kindwasser schon abgeflossen , liegt der Kopf oder
Steiss oder die Placenta vor , ist ein gefährlicher Blutfluss eingetreten , so
gehe man längs des Kreuzbeins vorsichtig mit zwei Fingern bis an den Kopf
und Rücken des Fötus ein und leite denselben behutsam heraus. Ist keine
dringende Gefahr durch Blutung da , so überlasse man das Nachgeburtsge-
schäft der Natur, da die Placenta oft mehrere Tage ohne Nachtheil zu-
rückbleibt (u. Siehold"). Man mache hier vorerst Injectionen von Infus,
chamom. mit etwas Alkohol, bringe einen Schwamm, der in Haferschleim
getaucht ist , bis an den Muttermund , und die Reste der Eihäute oder Pla-
centa werden sich allmälig lösen. Späterhin mache man, um Fäulniss zu
verhüten , InjecSionen von Dect. quercus , chinae , Tinct. myrrhae. Oft ists
nöthig, die zerrissene Placenta, wenn die Blutung Gefahr droht, mit Oshin-
dcrs Nachgeburtszange zu holen. Ist dies nicht möglich, so gebe man alle
halbe Stunden 25 Tropfen Elix. acid. Halleri mit 40 Tropfen Tinct. cin-
nam. in Haferschleim ; steht dann die Blutung nicht bald , so versuche man
den mit Sand angefüllten Beutel, auf den Unterleib gelegt (^Kluffe^ , oder
im höchsten Nothfalle die Compression der Aorta descendens per vaginam
oder von aussen her mit zwei Fingern (d. SichoJd). — Die Dispositio ad
abortum ist oft schwer zu heben; besonders bei Fi'auen , die schon 10 — 12
mal, und zwar immer in einem und demselben Monate abortirt haben (Abor-
tus habitualis). Hier ist Zweierlei zu berücksichtigen: 1) entweder das
Uterinsystem ist hier höchst reizbar, die Productivität vorherrschend und
Plethora da , die Person irritabel , vollblütig. Alsdann passen besonders in
der Schwangerschaft: kühlende, vegetabilische Diät, Ruhe, öftere kleine
Aderlässe, Vermeidung des Weins, Kaifees, Thees; — oder 2) wir finden
eine eigenthümliche Schwäche des Uterinsystems , vermöge welcher die Er-
haltung des Fötus nur bis zu einem gewissen Zeiträume möglich ist Hier
passen Roborantia: Chinin, sulphur., die Eisentincturen , die Eisenbäder imd
das Trinken des Wassers von Pyrmont, Driburg, Schwalbach (^Hufcland^.
Selbst während der Schwangerschaft kann man vorsichtig Tinct. martialis
aetherea in kleinen Gaben reichen, um Abortus bei solchen Personen zu ver-
hüten , doch niuss man, sobald Congestionen nach Kopf und Uterus darauf
folgen , das Mittel aussetzen. Sehr wirksam sind hier auch die lauen Bäder
von aromatischen Kräutern , die Schwefelbäder von Elisen , Nenndorf, auch
die lauen Salzbäder, hinterher Eisenbäder (Liq. ferri muriat. oxydulati 3)^
auf ein Bad) und das Seebad als Nachcur (versteht sich, bei nicht Schwan-
gern). Sind partielle Congestionen nach dem Uterus und dadurch entstan-
dene Metrorrhagie die Ursache des Abortus, so dienen zur Verhütung solche
Mittel , die den Bluttrieb von innen mehr nach der Peripherie leiten , z. B.
Tinct. digitalis mit Tinct. hyoscyami und dann und wann einige Gran Kam-
pher. (Vergl. Bums und Sundelin in Horn's Archiv 1825; Jfuli , August.)
Meissner fand , was mehrere andere Aerzte auch beobachtet haben , dass
Frauen , welche ohne alle bemerkbare Veranlassung , in Folge von Atonie
der Geschlechtsorgane mehrmals hinter einander abortirten , ausgetragene
Kinder gebären, wenn mau ihnen kurze Zeit vor dem Termine, wo die
Feliigeburt gewöhrJlch eintritt, von folgender Mischung alle Abend 1 Eäs-
6 ABRASIO CALCULI DENTALIS — ABSCESSUS
löffel voll glebt: I^f Liq, anocbjn. martinl. Klnpr. oj- ■^7- cinnamom. vinos.
§vj; und mit dem Gebrauche dieses Mittels dergestalt furtfährt, dass maa
einen Monat nach dem Termine obiges Mittel nur alle 2 Abende einmal,
und in der letzten Zeit der Schwangerschaft nur wöchentlich zweimal neli-
men lässt. Ein sehr einfaches Verfahren zur Verhütung und Beseitigung
sogenannter habituell gewordener Fehlgeburten hat sich dem Dr. Streit oft
bewährt. Häufig ist der mechanische Druck und die Beschränkur.g des
B-aunis für den Uterus, entstanden durch Anhäufung des Darmkoths im Re-
ctum, die Ursache eines solchen Abortus, zumal bei reizbaren Frauen, die
Neigung zu Krämpfen und Obstructio alvi haben. Er lässt nämlich 4 Wo-
chen, 14 Tage vor und 14 Tage nach der gewöhnlichen Zeit, wo der
Abortus einzutreten pflegt , alle 2 Abende ein Klystier aus warmem (ge-
kochtem) Wasser mit 1 — 2 Esslöffel voll Lein - oder Baumöl setzen. Er-
folgt keine Öffnung, so wird es den Tag darauf wiederholt. Die Frau
luuss sich bei Application des Klystiers auf die rechte Seite legen, darf es
sich aber , um einen schädlichen Reiz zu verhüten , nicht selbst setzen.
(S. V. SicLohVs Journ. f. Geburtshülfe etc. Bd. XIV. St. 1. 1834. S. 92 ff.)
Alirasio calculi dcntalis, Entfernung des Weinsteins
an den Zähnen. Oft setzt sich sogenannter Weinstein an die Zähne
(Calculus dentalis), welcher dieselben theils verunreinigt, theils verunstaltet.
Man entfernt ihn am besten durch mechanische Mittel: Zahnsteininstrumente,
die der Zahnarzt zu handhaben versteht. Das Reiuigen der Zähne mit schar-
fen Säuren, damit sie recht weiss werden sollen , ist höchst schädlich. Man
entzieht dadurch dem Schmelz der Zähne das nothwendige Fett, wodurch
die Glasur wohl feiner, aber auch zerbrechlicher wird. Will man sich durch
einen Zahnarzt die Zähne reiuigen lassen , so wähle man dazu trocknes und
warmes Wetter, weil hinterher die Zähne gegen W itterungseintiüsse sehr
empfindlich sind und leicht somit Zahnschmerzen entstehen können {^Cnrnbcll'i).
AllSCessnS 9 Aposlema,' Apostasis, Eitergeschwulst, Eiter-
hohle, Abscess. Ist eine an den meisten Organen und Theilen des Kör-
pers stattfindende, bald grössere, bald kleinere begrenzte Geschwulst, die
ein flüssiges Contentum als pathologisches Secret (Eiter oder eiterartige
Flüssigkeit) enthält, welches Neigung hat, zum Excret zu werden. Der'
Eiter ist bald echt, bald unecht (Jauche), doch ist es trotz der verschiede-
nen Methoden, den Eiter zu prüfen, bis jetzt nicht gelungen, eine genaue
Grenzlinie zwischen Eiter und Jauche zu ziehen. Soviel ist indessen ausge-
macht, dass wahrer Eiter unter dem Mikroskop in Kugelform erscheint
(^Hunter, Hume, Griüthuisen, Pearson^, und dass er sich ohne vorherge-
gangene Entzündung nicht bilden kann. Der Elter ist Product eines krank-
haft abgeänderten Ernährungsprocesses der Faser oder eines krankhaften
Secretionsprocesses der secernirenden Flächen. Er hat eine verschiedene
Beschaffenheit nach Verschiedenheit der Körperconstitution , der eiternden
Theile, der Diät des Kranken etc. Hirneiter schmeckt salzig, brenzlich,
Nerveneiter säuerlich, Knocheneiter enthält Phosphor, Lebereiter
sieht rothbraun aus. Guter Eiter ist undurchsichtig , gelblichweiss , gleich-
artig gemischt, er zeigt, verdünnt mit Wasser, kleine Kügelchen, ist schwe-
rer als Wasser und , so lange er frisch ist , klebrig, süsslich von Geschmack
und Geruch (^Grasmojer). — Eintheilung der Abscess e. 1) Hin-
sichtlich des Zustandes der Vitalität giebt es «) entzündliche und &) kalte
Abscesse (Absc. acutus, inflammatorius und Absc. chronicus, frigidus) ; 2) in
Betreff der Tendenz zur Heilung Absc. suppurativus, ulcerativus (mit Jauche
und Neigung zum Ulcus) und Absc. gangraenosus , welcher leicht in Brand
übergeht, z. B. die Pestbeule, der Carbunkel ; 3) in Hinsicht der Entste-
hung und Ursachen nimmt man primäre, idiopathische, topische, von äussern
örtlichen Ursachen entstandene, und secundäre, deuteropathische (metastati-
sche, kritische, symptomatische) an, die von allgemeinen Krankheitsursachen
entstehen. Ausserdem theilt man sie nach dem Orte und der Verschieden-
heit der Organe in innere, verborgene, und äussere ein, in Zellhaut-, Fett-
ABSCESSÜS 7
haut-, Gehirn-, Lungen-, Leber-, Nieren-, Psoas-, Knochen-Abscesse etc.
(Rtc7i<er). Zeichen der beginnenden Eiterung. Die Eiitzündnngs-
zufälle: Hitze, Schmerz, Röthe des Theils , Fieber, die bei den meisten
Abscessen vorhergehen , lassen ohne Krisen durch Schweiss, Urin etc. nach ;
es entsteht öfteres Frösteln, im leidenden Theile Schwere, Kälte, stumpfer,
dumpfer Schmerz, klopfendes Gefühl; der Theil v^ird weicher, bleicher, oft
fühlt man an der erhabensten Stelle desselben schon Fluctuation des Eiters,
besonders da , wo die Entzündung am frühesten und stärksten stattfand, oft
wird nun die Geschwulst schon prall , die früher dagewesene Härte verliert
sich: der Abscess ist reif. Alle diese Zeichen varüren sehr nach Verschie-
denheit des leidenden Theils und der Natur des Absces«es. Bei phlegmonö-
sen Abscessen ist die Höhle desselben durch eine Haut begrenzt, welche
das Absonderungsorgan des Eiters und aus Zellstoff gebildet zu seyn scheint
(Hunier, Laenncc, Bresclici). Verlauf und Ausgänge. Sind verschie-
den. Bei gutartiger Eiterung hat schon wenige Tage nach Öffnung de«
Abscesses dieser die Tendenz zur Heilung, und es zeigt sich schon Granu-
lation desselben, Schwinden des Umkreises, Verminderung der Geschwulst.
Enthält der Abscess aber Jauche und ist er torpider Natur, so werden die
Ränder leicht callös, die obern Theile leicht zerstört, es bilden sich Fisteln,
wahre Geschwüre, die Monate lang Avähren können. Fehlt es ganz an Le-
bensthätigkeit im leidenden Theile, so stirbt das Zellgewebe ab, die Jauche
ist von fauliger Beschaffenheit, das Geschwür greift um sich, die Kräfte des
Kranken sinken und es ist ein brandiges Geschwür da, z. B. ein Carbunkel.
Ursachen. Örtliche Reize sind eine seltene Ursache der Abscesse, und
dann nur heilsame Bestrebungen , z. B. um eingedrungene fremde Körper :
Holzsplitter , Knochensplitter , durch die Eiterung zu lösen und zu entfernen.
Dagegen erregen alle Dyskrasien : Scrophulosis, Arthritis, Syphilis, Cachexia
herpetica, Rheumatismus, desgleichen idiopathische Entzündungen, allge-
meine heftige fieberhafte Krankheiten, durch Krisen und Metastasen häufig
Abscesse von verschiedener Natur. Prognose. Sie richtet sich nach den
Ursachen , dem Sitze , der Grösse und dem ; Vitalitätszustande des Abscesses
tind ergiebt sich daraus von selbst. Behandlung. Ist theils allgemein,
theils örtlich. Erstere erfordert bald Antiphlogistica , bald Derivantia,
Excitantia , Roborantia , bald Alterantia nach Beschaffenheit des Allgemein-
leidens. Indicationen bei der örtlichen Behandlung sind : Be-
förderung der Eiterung, sobald die Zertheilung der Entzündung nicht mehr
bezweckt werden kann , Öffnung des Abscesses und Entleerung des Fluidum,
und Heilung desselben. Folgende Punkte sind hier zu berücksichtigen.
1) Ein gewisser Grad von Fieber und !^ntzündung ist zur Beförderung der
Eiterung nothwendig ; daher passen die Antiphlogistica in der Regel nicht;
nur da , wo Fieber und Entzündung durch Übermass der Säftemasse, durch
gesteigerte Vitalität des leidenden Theils (bei jungen, vollblütigen, starken
Subjecten) zu heftig sind, wo in der Geschwulst deshalb viel Reiz, Con-
gestion , heftige Spannung und bedeutende Schmerzen stattfinden , lasse man
die Antiphlogistica fortgebrauchen. Man gebe z. B. eine Mandelemulsion mit
Nitrum innerlich (s. Abortus), setze im Nothfalle Blutegel an den lei-
denden Theil, wende äusserlich blos erweichende, nicht reizende Mittel:
Kataplasmen von Semmelkrumen, Hafergrütze etc. an, lasse eine dünne,
sparsame Fieberdiät halten, und vermeide die abführenden Mittel, wenn sie
auch kühlend wirken ; befördere dagegen die Leibesöffnung durch Clysmata
emoUientia. Sehr gut ists , wenn die Breiumschläge von Semmelkruraen,
Hafergrütze, Jjeinsamen, die in Milch und Wasser gekocht werden müssen,
auf Leinwand fingersdick gestrichen und so warm aufgelegt werden, als es
der Kranke ertragen kann. Kalt dürfen sie nicht werden, sonst schaden
sie ; deshalb legt man des Nachts dieselben auch nicht über , sondern ge-
braucht statt ihrer nach den Umständen milde oder mehr reizende Pflaster,
z. B. bei heftigen Schmerzen und bedeutender Entzündung Empl. melilot.,
bei geringen Schmerzen Empl. diachyl. gummosum. Ist der Abscess nach
den Regeln der Kunst (mittels der Lanzette, des Haarseils ,. des Troikars,
8 ABSCESSUS
des S-tzmittels nach Beschaffenheit der Natur des Abscesses), oder durch
die Natur geöffnet und hat die völlige oder theilweise Entleerung des Ei-
ters (Pyocenosis) stattgefunden, so verbindet man mit Unguent. digestivum,
auf Charpie gestrichen, und legt ein Einplast. diachyl. gummös, über.
2) Ist der Kranke schwach, mager, abgezehrt, kachektisch, ist kein inflam-
matorisches Fieber , sondern Febris lenta zugegen , ist wenig Sciimcrz , we-
nig Entzündung , aber viel Härte in dem Abscess und um denselben , so
gebe man innerlich reizende stärkende Mittel , z. B. I^ Cort. chbutc reij.,
Rad. gel nrhan. , Rad. cahnn. arom. ana 5^ , infunde et coq. c. aq. fontati.
5XVJ , ut rem. 3X, cohit. adde Tinct. aurant. , Thicf. vnlerianne anodi/n. ana
3jlv. M. S. Alle 1 — 2 Stunden einen Esslölfel voll (3f.) , daneben Fleisch-
brühen, etwas Wein. Äusserllch passen hier Emollientia, Irritantia : Um-
schläge von Flor, arnicae, Semmelkrumen, Honig, Seife, Sauerteig, Zwie-
beln, Gumm. ammon. in Essig aufgelöst, Empl. mercurial. , Empl. resolv.
Schmucken. Zuweilen geht hiernach die Entzündung zurück , der Abscess
mit torpider Entzündung zertheilt sich , und die Flüssigkeit darin wird re-
soi-birt. Dieser Ausgang bringt nur dann Gefahr , wenn der Abscess ein
kritischer oder metastatischer ist. Folgendes ist hier ,oft sehr wirksam :
Kf Saponis nujri 3Jjj , Atf. fervidae 533, chiiU. Icni calore 7nonien1um, tum ad~
misce Ccpctr. sub cinere assnt. gjjj, Farin. sem. sinnp. gly — 5JJ. Ebull. miissa
dcnuo Jeni calore per hreve temporis spalium saepius aijitamlo et ab üjne re-
tnoventur. {Ke.rmU.') Man überlässt hier die Öffnung des Abscesses wo mög-
lich der Natur, oder man bewirkt sie durch ein Causticum, z. B. Lap.
caust. oder infernaüs pulv. (^ Cläre, Zamj^, oder den Sublimat in Form ei-
ner Salbe (ü. Gräfc^ , mittels eines Empl. fenestrat. aufgelegt. 3) Abscesse
in drüssigen Theilen , entzündete Bubouen , Milchknoten in den Brüsten etc.
muss man nicht zu früh öffnen ; häufig die Öffnung der Natur überlassen.
4) Dagegen ei'fordern eine frühe Öffnung alle Abscesse nahe an Flechsen,
Knochen, Gelenkkapseln, am Halse, Auge, am After, am Mittelflelsclie etc.,
wo wichtige Thetle durch Senkung des Eiters leiden können. 5) Da die
atmosphärische Luft jede gute Eiterung stört, so verhüte man beim Öffnen
und Verbinden des Abscesses so viel als möglich das Eindringen derselben
in die Eiterhöhle , entferne daher auch nicht eher den alten Verband , als
bis der neue verfertigt worden ist und zum Auflegen bereit liegt. 6) Man
leere, besonders wenn noch viel Härte da ist, nicht zu viel Eiter auf ein-
mal aus; denn letzterer ist das beste Mittel zur Schmelzung der Härte.
7) Ist der Abscess wegen Reizbarkeit und Empfindlichkeit des Kranken
(bei zarten Frauenzimmern, bei Kindern) sehr schmerzhaft, so wende man
Kataplasmen von Herb, oicutae, hyoscyami, Capit. papaver. , mit Semmel-
krumen und in Milch gekocht, warm an, bestreiche die Fläche auch mit
erwärmtem Ol. hyoscyami infusum. 8) Ohne Wärme kann sich kein Eiter
bilden; man verhüte daher Alles, was Kälte im Abscess macht. 9) Ist die
Eiterung sehr stark , ohne dass Eitergänge da sind (ein Missverhältniss zwi-
schen der in einer gegebenen Zeit abgesonderten Quantität des Eiters und
der Grösse des Abscesses , desgleichen eine schlechte Qualität des Eiters
lassen diese vermuthen) , so verbinde man, besonders in heisser Jahreszeit,
täglich 2 — 3mal das Eitergeschwür mit trockner Charpie, die man ab und
zu wol auch mit Tinct. myrrhae befeuchtet, vermeide aber alle fettige Sal-
ben, 10) Ist die Eiterung hingegen zu schwach, das Geschwür leblos, blas.s,
gefühllos, so verbinde man mit reizenden Salben, z.B. I^ Unguent. dii/csfiuiy
Bah. Arcnei ana 5], Pulv. mcrc. praecip. rubr. ^j — 5lv- ^I- ^0 0*t wird
durch eintretende Menstruation, durch Diätfehler, durch Missbrauch geisti-
ger Getränke , zu nahrhafter Speisen etc. die Eiterung durch Erwecl.ung
einer neuen Entzündung gestört. Hier passen : Ruhe des leidenden Theils,
hohe Lage desselben , seltener Verband , sparsame Diät , und innerlich 3 — 4
mal täglich ein Theelöffel voll Cremor tartari. 12) Zeigt sich ein zu star-
ker Productionstrieb , Wucherung, sogenanntes wildes Fleisch (^Cnro
luxuriav.f') im Abscesse, d. h. ist die Granulation zu stark, das junge Fleisch
schwammig, blutend, so betupfe man es mit Lap. infernal, oder Lap. caustic.
ABSCESSUS 9
rtjrbinde mit trockner Charpie und lege den Verband etwas fest an. 13) So-
bald der Abscess rein ist , müssen die harzigen Salben : Unguent. digestiv.,
^" Ungt. basilic. , Bals. Arcaei etc. vermieden und nur mit Unguent. simpl.,
Ungt. cetac. , oder mit trockner Charpie verbunden wefden. Alsdann heilt
\ der Abscess bald, indem die Natur ihn durch Verlängerung der äussern
,s Haut schliesst. Letzteres wird besonders duixh Heftpflasterstreifen, womit
I man die Wundränder zusammenzieht , und durch leises Berühren der letztern
,. mit Lapis infern, befördert (JVeinhold, Lnvgenhcclc). Die Bildung hSsslicher,
verunstaltender Narben wird durch Einreibungen von Ol. amygdal. dulc. in
die vernarbten Stelleu verhütet. — Sommer (Ums/s Chirurgie, Bd. I. S. 54.)
giebt folgende Definition -der Eiterbeule, die, nach ihm, bei der anerkann-
ten Schwierigkeit des Gegenstandes , sich der Wahrheit noch am meisten
nähert. Er sagt: ,,Der Abscess ist eine, in dem organischen Gewebe be-
findliche Höhle, welche Eiter, oder eine dem Eiter mehr oder minder ver-
wandte, pathologische, zur Ausstossung bestimmte Flüssigkeit enthält, und
bis zu ihrer Wiederverwachsung absondert." Nach ihm ist jeder Abscess
im Wesentlichen ein für einige Zeit bestehendes Absonderungsorgan, in wel-
chem ein flüssiger thierischer, zum Rücktritt in das Blut nicht geeigneter
Bildungsstoif bereitet wird , den der Organismus einerseits , zumal wenn er
sich in'grösserer Quantität absondert, als fremden Körper behandelt und
auszustossen strebt. Ob dies letztere richtig sey, muss ich bezweifeln.
Denn wenn Sommer (a. a. O. S. 55.) ganz richtig bemerkt , dass sogenann-
ter guter Eiter (jms leiui/imm') nächst dem Blute die reinste Tendenz zur
Stott'bildung und Krystallisation zeige und sich in einem solchen, damit ver-
sehenen Abscesse die Heilkraft am reinsten und kräftigsten ausspreche; so
fragen wir ihn , ob ein solches , dem Blute analoges Fluidum wol als
fremder Körper betrachtet werden könne? Keinesweges ; so wenig das Blut
dem Organismus heterogen ist, so wenig ists der gute Eiter der Abscesse.
Dass aber dieser ganz und gar nicht zum Rücktritt ins Blut geeignet sey, —
dies ist ein anderer Satz , der noch in Frage steht. Denn 1) wissen wir,
dass es Fieber giebt, die treue Beobachter von der Resorption des Eiters
und dessen Übertritt ins Blut ableiten , da wir nicht annehmen dürfen, dass
der in den Venen und selbst in den Arterien vorgefundene Eiter, oder der
• bei metastatischem Abscess, stets auch an demjenigen Platze gebildet wor-
den sey , wo wir ihn angetrofi^en haben , und 2) lässt es sich , gestützt auf
die bessern Ansichten der Physiologie , nicht annehmen , dass In irgend ei-
nem Fluidum eine Tendenz zur Stoffbildung stattfinden könne, ohne dass
das Blut hier als Vermittler aufträte. — Bei denjenigen Abscessen, wel-
che ohne alle Spur vorhergegangener Entzündung , — was die seltenern
Fälle sind — auftreten , nimmt von Wallher (s. dess. u. v. Gräfc^s Journ. f.
Chirurgie etc. 1820. Bd. 1,, 1825. Bd. IX.) eine purulente Diathese an, bei
der der Eiter sich schon innerhalb der Blutgefässe bildet (vielleicht in Folge
einer sog. Phlebitis) ; und ist dies naturgemäss , so lässt sich auch umge-
., kehrt Resorption des Eiters in die Blutgefässe als etwas nicht Unerhörtes
denken; ja, ohne Blut ist gar keine Eiterbildung möglich. Sommer sagt
mit Recht : „Untersucht man Abscesse , besonders solche , die auf deutlicher
Entzündung beruhen , vor dem Eintritte der Eiterung anatomisch , so findet
man in der Mitte der durch sie gebildeten Geschwulst eine Quantität ausser
Circulatlon gesetzten , zwischen die Platten des Zellgewebes des ergriffenen
Organs ergossenen Blutes , worin sich nach einiger Zeit hie und da zer-
streute Eiterpunkte zeigen, deren Anzahl nun von Stunde zu Stunde grösser
■wird. Dies Factum, was sich auf die Untersuchungen von Bcdard, Pre~
vost, Dumas, Vncca, AlUm, Wilson - Philip , Lnennec , Gcndrin stützt, giebt
einerseits Aufschluss über das räumliche Verhältniss bei der Entstehung der
Abscesse , deren Höhle sich allermeistens blos durch Auseinanderdrängen der •
einzelnen Platten des Zellgewebes der Organe bildet, theils zeigt es die
sehr nahe Verwandtschaft des Blutes mit dem Eiter, und die Leichtigkeit
der Verwandlung von jenem in diesen. Diese letztere tritt noch besonders
deutlich hei^vor bei Abscessen in durchsichtigen Gebilden , z. B. unter dem
10 ^ ABSCESSUS
Nagel, in der vordem Augenkanimer, zwischen den Platten der Hornhaut etc.,
wo wir den Abscessraum erst mit Blut, dann mit Eiter angefüllt sehen.
Auch wird durch häufige Beobachtung erwiesen, dass in der Regel der er-
ste, aus acuten, ja aus \ielen chi-onischen Eitergeschwülsten hervorkom-
mende Eiter blutig ist, und bei sehr hohem Grade der Entzündung oft noch
blutig bleibt. Endlich giebt es nicht selten Abscesse, die schon seit gerau-
mer Zeit eiterten, nach einer neuen entzündlichen Aufregung aber statt des
Eiters reines Blut absondern." Die Abscesshöhle, Avorin sich der Eiter auf-
hält, ist mit wenigen Ausnahmen, sowohl beim acuten, als beim chronischen
Abscesse, mittels einer anfangs weichen, flockigen, sich leicht trennenden,
später härtern, festern, sackartigen Membran ausgekleidet, welche oft be-
deutend dick und derb wird (Eitersack , Eiterstock) , selbst bis zur fibrös-
knorpligen Beschaö'enheit , und sowohl ein secernirendes als resorbirendes
Organ darstellt, — eine Pseudomembran, worin so gut, wie im Zellge-
webe, unaufhörlich Abscheidung und Aufnahme seröser Flüssigkeiten Aor
sich geht. Nur im Abscessus gangraenosus und dem sogenannten Pseudo-
erysipelas, so wie in den Eiteransamralungen unter Flechsen und aponeuro-
tischen Scheiden fehlt diese Membran , welche theils durch die plastische
Kraft des Eiters selbst, theils durch die Reaction der nächsten Weichgc-
bilde auf den Eiter als pathologisches Fluidum, -r- wenn anders die Lebens-
kraft nicht zu schwach ist — gebildet wird. Diese innere Haut des Absces-
ses ist nicht mit den Säcken oder Bälgen der Tumores cystici, welche eher
als ihr Contentum, nicht gleichzeitig mit oder nach diesem , Avie der Eiter,
gebildet werden, zu verwechseln. „Ausser der im Abscess vorhandenen
Flüssigkeit und der sie umgebenden Haut finden wii- — sagt Sommer, ■ —
in seiner Höhle noch zahlreiche, quer durch oder an den Wänden hinlau-
fende Filamente: die Überbleibsel von Nerven, Gefässen und von Zellge-
webe, welche im Bereich des Abscesses lagen, und bei dem Auseinander-
drängen des organischen Gefüges weder ausweichen konnten, noch resorbirt
wurden. Diese Filamente sind meistentheils ohne alles Leben , bisweilen
jedoch führen sie noch Blut, und ergiessen dieses, wenn sie zerrissen wer-
den." Was die allgemeinen Ursachen der Abscesse betrifft . so ste-
hen die in der Constitution des Körpers beruhenden oder aus einzelnen Sy-
stemen und Organen hen ergehenden Veranlassungen oben an , als z. B. alle
Dyskrasien (Syphilis, Scrophulosis , Arthritis, Rheuma, Herpes), aufgeso-
gene Contagicn, eingebrachte Gifte, Exanthemata repulsa, Fauljauche etc.
(^Som7ncr^. Ausserdem ist der Abscess häufig Begleiter acuter Krankheiten,
und er tritt daher bei Fiebern und Entzündungen bald kritisch, bald meta-
statisch, bald als blosses Symptom auf, je nachdem die Natur entweder den
allgemeinen Krankheit sprocess auf ein Organ überträgt, z.B. die kritischen
Pestbeulen in der Pest , die kritische Parotitis bei Typhus , — oder durch
Bildung einer aussergewöhnlichen Absonderung das Gleichgewicht unter den
Functionen wieder herzustellen strebt; z. B. bei der INletastasis lactea, bei
Abscessus lacteus metastaticus. — Hinsichtlich der Cur der Abscesse
im Allgemeinen stellt Sommer folgende Indicationen : 1) zweckmässige Ein-
wirkung auf den Gang des der Eiterung zum Grunde liegenden entzünd-
lichen Processes und der Suppuration selbst ; 2") Entfernung des secernirten
Eiters; 3) Behandlung der entstandenen Secretionsfläche; 4) Beseitigung der
stattfindenden Complicationen. In Betreff der ersten Indication kann ent-
weder die schon beginnende Eiterung rückgängig gemacht, der Abscess zer-
theilt, oder sie kann befördert, der Abscess zur Reife gebracht werden.
„Die Zertheilung von Abscessen — sagt Sommer, — wird zwar nicht häu-
fig eingeleitet, ist aber doch in einzelnen Fällen nöthig, namentlich da, wo
wir ein Organ, z. B. das Auge, die Prostata etc. vor den zerstörenden
Wirkungen der Ausbildung des Abscesses schützen wollen , wo derselbe noch
nicht weit vorgeschritten ist , und sein äusserst langsames Heranreifen die
spätere Entstehung von bösartigen Geschwüren, Fisteln etc. besorgen lässt.
Ferner ist die theilweise Resorption von Abscessen, bei der Behandlung von
Congestionsabscessen, Lymphgeschwülsten, ein Heilungsvorgang, der in vie-
ABSCESSUS 11
len, ja den meisten Fällen eben so gute und oft weit sichrere Hülfe bringt,
als die Operation selbst , und deshalb fast immer zu bewii-lcen Yersucht wird.
Dagegen ist es nicht räthlich, die Zertheilung zu yersuchen, wenn der
Abscess gutartig ist, an keiner gefährlichen Stelle liegt, kein Organ be-
droht , schnell zur Reife kommt , als Krise oder Metastase auftritt , oder
auf materiellen Ursachen: eingedrungenen fremden Körpern, Fötalüberre-
sten etc. beruht." — Der scharfsinnige Rust sagt in s. Handbuche d. Chirur-
gie Bd. I. S. 73 u. f. , in einem Zusätze zu Sommers Abhandlung Ahsccssus,
über die Zertheilung dieses Leidens Folgendes; ,,Soll ein Abscess zer-
theilt werden, so muss Tor Allem der vorhandene Vitalitätszustand dessel-
ben genau berücksichtigt , und hiernach die Zertheilungsmethode besonders
bestimmt werden. Dieser Vitalitätszustand kann nun allerdings höchst ver-
schieden und selbst specifisch alienirt seyn , lässt sich aber dennoch auf zwei
Grundformen — auf ein Plus oder Minus — zurückführen, auf deren Be-
achtung es hauptsächlich bei der Behandlung dieser Krankheitsform über-
haupt ankommt, und wornach die anzuwendenden Mittel, aller Erfahrung
gemäss, ausgewählt werden müssen, wenn man nicht aufs Gerathewohl
hin curiren , mehr schaden als nützen , oder nicht gerade das Gegentheil
von dem erzielen will , was man eigentlich beabsichtigte. " Er empfiehlt
nun bei hohem Grade von Vitalität (hohe oder dunkle Röthe, heftiger
stechender, klopfender Schmerz, starke Spannung, Hitze des Theils , alle
Symptome der allgemeinen entzündlichen Aufregung, des inflammatorischen
Fiebers etc.) behufs der Zertheilung den ganzen antiphlogistischen Apparat,
Blutausleerungen, selbst wiederholt, antiphlogistische, nicht drastische Pur-
ganzen: Manna, Mittelsalze, besonders aber Kalomel, p. d. zu 6 — 10 Gra-
nen, Mercurialeinreibungen von 5lv — 3j in die Umgebung des Abscesses, —
Fomentationen von kaltem Wasser in allen Fällen , wo die Anwendung der
Kälte nicht geradezu nachtheilig auf die übrigen Theilsysteme des Orga-
nismus oder auf die eigenthümliche Natur des Abscesses einwirken, und eher
chronische Verhärtung als Zertheilung zu bewirken pflegt, und wo sodann
lauwarme Umschläge mit Bleiwasser, besonders Infus, flor. chamomill. fö/,
Acet. saturni jj, Tinct. opii SÜJ ■, — hei strenger Ruhe des ganzen Körpers
und besonders des leidenden Theils, einer kühlen Umgebung, und sehr ma-
gern, hauptsächlich vegetabilischen Diät, die gewünschte Wirkung herbei-
zuführen pflegen. Alle direct reizenden Mittel: die sog. zertheilenden Pfla-
ster und Linimente, alle blos erweichenden und erschlaffenden Umschläge
und Linimente verwirft er, „weil sie eher den Übergang der Entzündungs-
geschwulst in brandige Zerstörung und Eiterung begünstigen, als
Zertheilung bewirken können." — „Ist dagegen — heisst es ferner ■ — • der
Verlauf der Eazündungsbeule ein mehr chronischer, der Vitalitätszustarad.
derselben ein zu geringer, der Abscess daher statt lebhaft geröthet mehr
blass oder blauroth, mehr teigig als gespannt anzufühlen, wenig oder gar
nicht schmerzhaft etc. , so muss die Thätigkeit der Gefässe erhöht werden,
um Resorption und durch dieselbe Zertheilung der Geschwulst herbeizufüh-
ren." Hier passen warme aromatische Fomentationen, Linim. volat. mit
und ohne Zusatz von Kampher und Opium, Opodeldoc, eine Mischung des
Unguent. nervini und Unguent. mercurial. einer., die lodinsalbe (5tK^ — 3j
Kali hydroiod. auf eine Unze Fett oder Unguent. digitalis), besonders
aber die oft wunderbar zertheilende Kräfte besitzenden , in neuerer Zeit mit
Unrecht durch die üblichem Salben und Linimente verdrängten, klebenden,
gelinde reizenden Pflaster: Empl. de galb. crocat., Empl. ex gummi ammo-
• niaco , Empl. mercuriale einer. , wo man auf die Unze Pflaster dann noch
■^j — 5f5 Kampher und Opium zusetzt. Das mächtigste Zertheilungsmittel,
jedoch auch nur in diesen Fällen, ist aber ein anfänglich gelinder, anhal-
tender und allmälig gesteigerter Druck auf die Entzündungsbeule selbst,
applicirt durch passende Binden, gefederte Pelotten, durch Aufbinden von
Blei- und Steinplatten, durch methodische , kreis - oder sternförmige Anwen-
dung von Heftpflasterstreifen. Dagegen passen auch hier alle rothmachen-
den, stark reizenden, so wie alle erschlaffenden und erweichenden Mittel
12 ABSCESSÜS
nicht, denn sie bewirken eher Zersetzung und Verschwärung des so
gearteten Abscesses, als Zertheilung. — Auch bei Abscesseu, die in Ei-
terung gesetzt werden sollen, sind die Mittelnach dem jedesmaligen vor-
handenen Vitalitälszustande auszuwählen; denn es giebt, wie Rttst richtig
sagt , so wenig positiv eitermachende oder auch nur die Eiterung befür-
dernde Mittel, als es solche zertheilende Mittel giebt, und nur eine zweck-
mässige Leitung der vorhandenen Lebensthätigkeit ist es allein , w eiche di$
beabsichtigte Wirkung herbeiführen kann. Daher bei gesteigertem Yitali-
tätsgrade antiphlogistisches Verfahren, doch nicht übertrieben; in der Regel
keine allgemeine Aderlässe, keine stark poi-girenden Mittel, — weil, soll
Eiterung eintreten , ein ziemlich hoher Grad von Entzündung notiiwendig
ist, — sondern kleine Dosen Mittelsalze, besonders Nitrum und Acld. tar-
taric. , einhüllende, kühlende, säuerliche Getränke, vegetabilische leichte
Nahrung , bei vorwaltendem Nervenerethismus gleichzeitig mit Hvoscyamus,
Aqua laurocerasi, selbst Opium in kleinen Dosen, hier angezeigt sind. Auch
die topischen Mittel dürfen nur Mässigung der zu heftigen Spannung und
Entzündung, keinesweges , soll Eiterung eintreten, Aufhebung derselben be-
absichtigen. Feuchte Wärme, Kataplasmen von Hafergrütze, Leinsamen-
mehl , von Weissbrot mit Wasser und IMilch gekocht , sind hier hinreichend,
und den theuren Spec. emollient. vorzuziehen. Nur bei zu hohem Grade
von Entzündung, bei krampfhafter Verschliessung der Gefässe, bei hohem
Grade von Spannung und Schmerz, wo Übergang in Brand zu besorgen
steht, sind reichliche örtliche Blutsausleerungen angezeigt. Um die Wärme
länger anzuhalten, ist es besser, die warmen Umschläge nicht unmittelbar,
sondern zwischen zwei einfache Linnen geschlagen in Anwendung zu setzen.
Zusätze von Herb, hyoscyami, meliloti , cicutae, Crocus u. dgl. hält Rust
für nutzlos , was indessen wol zu viel gesagt ist. .Die Kataplasmen müssen
recht gross seyn, so dass sie auch die gesammte Umgegend der Eiterbeule
bedecken ; auch ists gut , bei jedem Wechsel Wachstalfet oder dünne Wachs-
leinwand von aussen darüber zu legen , unter der sie viele Stunden länger
warm erhalten werden, als wenn man dies zu thun unterlässt. „Ausser den
Breiumschlägen • — sagt ferner mit Recht Rust — sind andere örtliclie Mit-
tel ganz überflüssig; denn keine der diesfalls gerühmten emollirenden Sal-
ben und Pflaster besitzt gleich jenen Breiumschlägen die ausgezeichneten
Kräfte: Stockungen der Säfte und krampfhafte Yerschliessungen der Ge-
fässe aufzulösen, schmerzhafte Spannungen zu mindern, und die Kochung
des Eiters zu fördern. Sie können daher auch durch kein anderes Mittel
ersetzt werden. Reiz- und Zugmittel hingegen, wodurch der Uner-
fahrene so oft den Gang der Eiterung, ohne gehörige Rücksicht des "Sitali-
tätsverhältni.sses des Abscesses, zu fördern wähnt, sind hier durchaus ver-
werflich und eher geeignet, brandige Zerstörung oder eine zu früh-
zeitige Eiterung des Abscesses, was nie ungestraft geschehen kann,
als Schmelzung und Beförderung der Eiterung zu bewirken. " Ist aber bei
einem zu vereiternden Abscess der zur Bereitung des Eiters noth\> endige
Entzündungsgrad nicht zugegen, ist er unschmerzhaft, torpid; so pas.sen
die reizenden, rothmachenden, sog. Zugmittel als Suppurantia einzig und
allein , z. B. das Empl. diachyl. gunnnos., die Kerndr.schen Kataplasmen, —
ersteres am besten zur Nachtzeit, letzteres bei Tage. Hier passt auch,
sollten nicht besondere Krankheitszustände und Dyskrasien es verbieten,
eine mehr nährende, kräftige Diät, der massige Genuss des Weins etc.
Ist der Abscess reif, so muss der Eiter entleert, also der Abscess durch
die Kräfte der Natur oder durch Kunsthülfe geöffnet werden. Ob der eine
oder der andere Weg einzuschlagen sey, i.st für den Erfolg keinesweges
gleichgültig. Rust sagt darüber dieses: „Kleine, nahe unter der Haut lie-
gende Abscesse, alle DrüseuAereiterungen oder Abscesse in drüsenreichen
Organen, gleichviel, ob sie dyskrasisciun- Natur sind oder nicht, sowie alle
Abscesse, denen es an Energie der Leben.sthätigkeit mangelt, die daher wenig
schmerzhaft , nicht lebhaft entzündet sind , und in denen die Eiterung und
mit derselben die Schmelzung der den Abscess umgebenden Härte nur träge
ABSCESSUS 13
vorwärts schreitet , sollen in der Regel zu ihrer Eröffnung nicht allein der
Natur überlassen werden , sondern man thut sogar wohl , auch ihre zu früh-
zeitige Selbstöffnung durch Yermeidung der Anwendung zu starker Zugmit-'
tel nach Möglichkeit zu verhindern , so lange durch die fortgesetzte Eiter-
bildung nicht alle Härte im Umfange des Abscesses geschmolzen erscheint.
Dagegen verdient die Eröffnung des Abscesses durch die Kunst den Vorzug,
oder sie muss vielmehr, wenn nicht nachtheilige Folgen aus ihrer Unter-
lassung hervorgehen sollen, vollzogen werden, wenn der Abscess vollkom-
men reif, d. h. wenn alle Härte geschmolzen und derselbe gleichförmig flu-
ctuirend anzufühlen ist, sich aber dennoch nicht von selbst eröffnen will; —
wenn ferner derselbe tief unter der Haut oder unter einer sehnigen Ausbrei-
tung liegt , die vom Eiter nicht leicht durchbrochen werden kann , — wenn
nahe gelegene wichtige Theile in Gefahr kommen, vom Eiter angegriffen
zu. werden, eine Absterbung der Sehnen, Knochenfrass u. dergl. zu besor-
gen steht, und wenn endlich Gefahr vorhanden ist, dass der zu lange ver-
haltene Eiter sich nach innen in eine Höhle ergiessen , durch seinen Druck
auf edle Organe oder dvu'ch seine Versenkung in entferntere Theile nach-
theilige und selbst lebensgefährliche Folgen veranlassen könnte. " — „ Ist
nun in dem einen oder andern der angegebenen Fälle die künstliche Eröff-
nung indicirt , so muss sie besonders dann , wenn Gefahr beim Verzuge und
zu besorgen ist, dass der verhaltene Eiter theils durch seinen Druck auf
die Nachbargebilde, theils durch seine Ergiessung nach innen, lebensge-
fährliche Zufälle veranlassen könnte, sogleich unternommen werden, sobald
man von der Gegenwart desselben überzeugt ist ; in allen übrigen Fällen
ist es jedoch rathsam und erspriessllch, die völlige Reife des Abscesses ab-
zuwarten , ehe man ihn öffnet. " „ Es ist ein bekannter Erfahrungssatz,
dass Abscesse, deren Eröffnung der Natur überlassen wurde, in der Mehr-
zahl der Fälle schneller heilen, als Abscesse, die durch die Kunst geöffnet
worden sind. Betrachten wir die Vorgänge , welche die Natut bei der
Selbsteröffnung der Abscesse herbeiführt , etwas genauer , so wird uns der
Grund dieser Erscheinung nicht allein erklärbar, sondern auch die Maximen
werden uns einleuchtend, nach denen wir bei der künstlichen Eröffnung der
Abscesse verfahren müssen , um einen gleichen Erfolg herbeizuführen. —
Ehe die Natur, sich selbst überlassen, die Eröffnung eines Abscesses be-
wirkt, steigt die Entzündung der Hautdecken aufs Höchste, Spannung und
Schmerz werden unerträglich , 't>is sich an einer , gewöhnlich der erhabensten,
seltener an der abhängigsten Stelle , die nun vollständig fluctuirende Eiter-
beule zuspitzt, gelblich wird und aufbricht. Sobald der Eiter ausgeflossen,
sinkt die Geschwulst zusammen, wird allmälig platter, und die kiu"z vorher
noch höchst entzündeten Hautdecken vereinigen sich leicht mit dem Herda
des Abscesses, ohne ein Hohlgeschwür zu bilden, worauf dann die Heilung
und Vernarbung der durchbrochenen Hautstelle zu erfolgen pflegt. Ganz
anders ist aber der Fall und der Verlauf des Übels bei der gewöhnlichen
Methode, Abscesse zu eröffnen. Der Wundarzt wartet nicht den höchsten
Grad der Entzündung der Hautdecken, die Zuspitzung der Geschwulst, oft
nicht einmal die vollkommne Schmelzung aller entzündlichen Härte ab , son-
dern eröffnet den Abscess, sobald er an der einen oder andern Stelle Flu-
ctuation entdeckt, und glaubt wol gar noch dem Kranken einen] wesent-
lichen Dienst zu leisten, wenn er ihn dadurch des spannenden und klopfen-
den Entzündungsschmerzes, der in der Regel jedem Selbstaufbruche des
Abscesses vorangeht, zu überheben sucht. Allein durch die zu frühe Ent-
leerung des Elters und die plötzliche Aufhebung aller Spannung erlischt die
noch nicht aufs Höchste gesteigert gewesene Entzündung und Eiterung fast
gänzlich ; die Schmelzung der noch vorhandenen Härte kann ohne Erregung
einer erneuerten Entzündung und Eiterung nicht vor sich gehen, die der
erhöhten Vitalität beraubten Hautdecken können sich mit dem Grunde oder
Herde des Abscesses nicht vereinigen, und so bildet sich ein Hohlgeschwür
aus, das erst nach Aufhebung seiner Form und immer nur sehr langsam,
oft erst nach Monate langem Bemühen zur Heilung gelangen kann. " Rust
14 ABSCESSU3
hält es daher für eine sehr wichtige Regel , keinen Abscess ohne Noth ror
seiner vollendetsten Reife und ehe die Natur die zur Wiedervereinigung des
getrennten Zusammenhanges erforderlichen Bedingnisse selbst herbeigeführt
hat, zu eröffnen. Bei den sogenannten kalten, schmerzlosen Abscessen, bei
der Lymphgeschwulst, bei dem metastatischen Congestionsabscesse etc. folgt
nach ihrer unmittelbaren Eröffnung aus diesem Grunde Yerschlimmerung, —
es bildet sich ein Hohlgeschwür, der dünne zersetzte Eiter erschöpft den
Kranken, es tritt in der Regel Febris hectica hinzu, und nicht selten ist
der Tod aus Entkräftung das Ende eines solchen Leidens. Sucht man da-
gegen den hier gänzlich oder grösstentheils fehlenden, aber zur Heilung
des Abscesses, zur Verhütung der Bildung eines Ulcus sinuosum so höchst
nothw endigen Entzündungszustand in den Hautdecken hervorzurufen, be-
folgt man die Regel, durch Anwendung der Caustica, z. B. durch Lap.
caust. , Lap. infernalis (bei grossen Abscessen an mehreren Stellen, y, Zoll
von einander damit geätzt), der Brenncj linder , selbst des Glüheisens, —
bevor die Öffnung eines solchen Abscesses erfolgt ; — so ist der Erfolg
weit glänzender (s. Abscess us lymphaticus). Bei allen mehr acu-
ten Abscessen, die man früher wol oft aus keinem andern Grunde, als
Aveil der Kranke das Messer scheut, mit einem Causticum geöffnet und
dadurch unnöthige Schmerzen ei'regt hat, zieht Rust mit Recht den Schnitt
mittels der Lanzette dem Causticum oder der Anwendung des Haarseils
vor; nur muss gehörige Reife des Abscesses zugegen seyn. Der Schnitt
muss gehörig gross gemacht werden, nicht, wie dies Manche thun, in
einem blossen Einstiche bestehen. Das Eindringen von Luft in die Eiter-
höhle braucht man nicht zu fürchten , denn dieselbe verdirbt oder zer-
setzt den Eiter nicht, wie man wol früher geglaubt hat. Findet eine
solche Zersetzung statt , so beruhet sie auf ganz andern pathologischen
und chemischen Processen und hat ganz andere Ursachen (schlechte Säfte
in Folge verschiedener Dyskrasien, unzweckmässiger Verband und solche
topische pharmaceutische Mittel etc. ). Nur bei einem massigen Grade
Von Vitalität des Abscesses ist die Absonderung eines guten Eiters in er-
forderlicher Menge und die davon abhängende Bildung neuer Fleischwärz-
chen (Granulationen) möglich, welche vom Boden der Secretionsfläche em-
porschiessen , gehörig roth, massig fest, empfindlich und nicht zu leicht
blutend sind, die vorhandene Höhle allmälig ausfüllen und so die Vernar-
bung herbeiführen. Hier ist das wichtigste Geschäft des Wundarztes die-
ses , dass er Alles, was diesen Naturprocess stört, abzuwen-
den sucht. Der Kranke muss daher, nach Rust, bei seiner gewohnten
Lebensweise und Nahrung bleiben und nur stark gezalzene, geräucherte,
gepökelte Speisen und spirituöse Getränke vermeiden, sowie den Aufent-
halt in einer schlechten Atmosphäre , welche laut der Erfalnrung einen
höchst nachtheiligen Einfluss auf eiternde Secretionsflächen äussern. „Nichts
ist schädlicher und den normalen Gang der Eiterung störender, als ein zu
häufig gewechselter , drückender und undurchdringlicher Verband , ein zu
sorgfältiges Reinigen der Secretionsflächen, und die Anwendung von soge-
nannten Heilsalben. Es ist vollkommen hinreichend und der Absicht ent-
sprechend , wenn die so geartete eiternde Fläche täglich durch laues Was-
ser , mittels eines übergehaltenen damit getränkten Schwammes , ohne mit
demselben die Wundfläche selbst zu berüluen. gelinde abgespült und so
von ihrem überfliessenden Eiter gereinigt, dann mit einem einfachen leine-
nen Läppchen oder mit einem Plumaceau leicht bedeckt, und dieses durch
eine einfache Binde oder mittels ein paar Streifchen Heftpflasters befestigt
•wird. Wer sich vom Salbenverbande unter keinerlei Umständen zu trennen
vermag, der bestreiche das Leinwandläppchen oder Plumaceau mit etwas
Rosenpomade oder einer frisch bereiteten Salbe aus Wachs, Öl und Eidot-
ter." Vermindert sich nun der Umfang der Secretionsfläche, sinken die
anfangs erhabenen und angeschwollenen Hautränder und will der Abscess
durcli die Vernarbung heilen, so kann man letztere dadurch beschleunigen,
dass man durch Heftpflasterstreifen die Wundränder an einander zieht, da-
ABSCESSU9 15
durch die Haut verlängert und zuletzt austrocknende Mittel; Aq. Goulardi,
eine schwache Solution von Höllenstein anwendet. Geht die Eiterung nicht
gehörig von Statten, wird zu wenig Eiter abgesondert, so ist die Ursache
davon bald ein zu hoher, bald ein zu geringer Yitalitätszustand des lei-
denden Theils. Im ersten Falle, wo die Secretionsfläche dunkel- oder
braunroth aussieht, oft spiegelglatt, schmerzhaft und hart anzufühlen ist,
weil der Abscess meist zu früh geöffnet worden, wende man warme Um-
schläge von Hafergrütze und Leinsamenmehl an; dabei erhöhte Lage
des Theils, Vermeidung jeder Reizung durch drückenden Verband, Bewe-
gung des Gliedes, durch reizende Salben und Pflaster, die in den Händen
der gemeinen Chirurgen stets so viel Unheil angerichtet haben, und man
continuire mit diesen Mitteln so lange, bis Härte, Schmerz und dunkle
Farbe verschwunden und gute Eiterung eingetreten ist. — Sondert aber
der Abscess zu wenig Eiter ab, weil Schwäche oder Torpidität, zu geringe
Vitalität zum Grunde liegt , wo er bleich und schlaff aussieht , weil die Ei-
terung entweder schon zu lange dauerte, das antiphlogistische Verfahren
überti-ieben ward, oder schwächende Einflüsse, Erschöpfung durch Aus-
schweifungen , Onanie , Coitus , Mangel an guter Nahrung etc. stattfan-
den , — so sind zum Verbinden die reizenden Salben an ihrer Stelle ; z. B-
I^ IJnguent. hasUici 5J, Tinct. myrrhae 5jjj- M. {Rnst.^ Oder auch R/ Merc,
praec. mbr. 5j — ö]]-, Unguent. halisic. 5J. M. Dabei ist der leidende Theil
etwas abhängig zu lagern, odei- man vermehrt den Zufluss der Säfte nach
demselben durch Anwendung von aromatischen Bähungen , Sinapismen , Fri-
ctionen. „Wird dagegen — sagt ferner Rust a. a. O. Th. I. S. 87 — des»
Eiters zu viel abgesondert, so ist der Fall wieder zweifach. Entweder
ist der Eiter zugleich von guter Beschaffenheit, und in diesem Falle füllt
sich die Secretionsfläche schnell mit gesundem Fleische aus, allein die Re-
production geht über die Grenze der Norm hinaus , erhebt sich über die
Hautränder, und die Vernarbung der Wunde oder sonstigen Eiterfläche
kann nicht zu Stande kommen; — oder der Eiter ist zugleich von schlech-
ter, jauchiger Beschaffenheit. Hier ist die Reproduction entweder ganz
verloschen, oder von eben so anomaler Beschaffenheit, wie der Eiter selbst.
Es erzeugt sich sogenanntes wildes Fleisch — bleiche, schlaffe, leicht blu-
tende Granulationen , — wobei die ganze Secretionsfläche ein schlaffes miss-
farbiges Ansehen gewinnt. Ln ersten Falle liegt der zu häufigen Eiter-
absonderung offenbar eine über die Norm gesteigerte Reproductionsthätig-
keit zum Grunde. Häufig hat ein zu warmer und complicirter Verband , die
Behandlung der übrigens normalen Secretionsfläche mit reizenden Salben,
und eine zu nährende und gewürzhafte Kost Schuld an diesem Fehler, und
lässt sich auch nur durch Vermeidung dieser Dinge am sichersten verhüten.
Ist er aber einmal vorhanden , so sucht man durch, Anordnung einer magern
und vegetabilischen Diät, durch wiederholte Darmentleerungen, besonders
Mercurlalpurganzen , sowie durch Hülfe eines trocknen, etwas festen Ver-
bandes, durch die erhabene Lage des leidenden Theils und die Einwicke-
lung desselben , um den Zufluss der Säfte zur secernirenden Fläche zu min-
dern, oder durch Anwendung des Bleiwassers oder der Kälte der fortschrei-
tenden Eiterung und Reproduction Grenzen zu setzen. Unstreitig ist die
Anwendung der Kälte das kräftigste Mittel, um bei einer zu hoch gestei-
gerten vegetativen Thätigkeit eine Rückbildung zu bewirken, nur ist sie
nicht allenthalben mit Sicherheit, ohne schädliche Nebenwirkungen zu ver-
anlassen, in diesen Fällen anwendbar." — Wenn hier Rust zwar die Kälte
andern Mitteln vorzieht, so ist dennoch der Mercur wol das grösste an-
tiproductive Mittel , wie dieses zahlreiche Versuche bestätigen. Einreibun-
gen des Kalomelpulvers mit Speichel in die ganze Peripherie der eiternden
Fläche leisten hier nach meinen Erfahrungen viel. (M.) „Im zweiten
Falle — fährt der letztgenannte Autor fort — liegt der zu häufigen und
zugleich qualitativ abnormen Eiterabsonderung allgemeine und örtliche zu
tief gesunkene Lebensthätigkelt und Schwäche zum Grunde. In wiefern
dieselbe nicht zugleich auf einem allgemeinen dyskra.sischen Verhältnisse
16 ABSCESSUS
oder in einem besondern örtlichen Fehler der Geschwürsform beruhet , Avelche
Fälle besonders berücksichtigt werden müssen (s. Ulcus), beruhet die
Behandlung auf einem die Kräfte erhebenden und die Absonderung beschrän-
kenden und rerbessernden Verfahren. Neben einer mehr trocknen als ilüs-
sigen , zugleich aber gelind erregenden Nahrung, wird auch der Gebrauch
der China , des isländischen Mooses , des aromatischen Calmus und anderer
bitterer, zugleich gewürzhafter Mittel die örtliche Behandlung der Secre-
tionsfläche unterstützen müssen. In letzterer Hinsicht sucht man die zu
häutige Absonderung des dünnflüssigen Eitei's zu beschränken , dessen Qua-
lität chemisch umzuändern , und zugleich erregend und umstimmend auf die
erschlaffte Faser einzuwirken. Diesen Indicationen entsprechen eine anfäng-
lich mehr trockne als feuchte Behandlung der Geschwürsfläche , Einstreu-
pulver Yon aromatischen , gelind adstringirenden und solchen Substanzen,
die aller Erfahrung zufolge eben so chemisch verbessernd auf die Abson-
derung, als vital umstimmend auf die Secretionslläche selbst wirken. Zu
den wohlfeilsten und zugleich vorzüglichsten dieser .^st gehören fein gepul-
verte Chamillenblüten inid Kohle, mit und ohne Zusatz von Mjrrhe und
Kampher , und bei hoher Entartung das Bestreuen der SecretionsBäche mit
rothem Präcipität. Ausserdem ist die Anwendung mittels getränkter Lein-
wandläppchen von A(jua phagedaenica, oder ^: Cnlcar. oxymurini. 5j — 511,
Äq. desiillatae fij. col., oder ly Lap'uL infcrnalis 5f)i, Aq. chnmomiU. 3VJ,
Tinct. opii 5j|v- M. , oder des ausgepressten Safts von Plantago angustifol.
und des Vini camphorati (Camphorae gm. arab. ti'it. 5jjj , ^ ini boni fij.
besonders dann empfehlungswerth , wenn die Absonderung sich bereits ver-
mindert, die Geschwürsfläche aber noch ein abnormes und erschlafftes An-
sehen hat, wo sodann durch die Verbandmittel, die im benannten Falle al-
len Salbenformen vorzuziehen sind und denen ich aus Erfahrung vor vielen
ähnlichen eine ausgezeichnete Wirkung beilege, dieselbe bald zur Normali-
tät, und somit zur Heilung geführt zu werden pflegt." Ich habe hier bei
diesem Gegenstande die Ansichten und Curmethoden von Ritst um so mehr
ausführlich mitgetheilt, da bekanntlich die Verdienste desselben in Hinsicht
der Helkologie es waren , die ihm von Wien aus in Berlin mit Recht den
ersten Ruf begründeten. Jetzt nur noch Einiges über die Abscesse im Spe-
ciellen ; die meisten derselben an einzelnen Organen sind zwar nur Aus-
gänge der vorhergegangenen Entzündung , und daher ist ihrer zum Theil
schon beim Artikel Inflammatio gedacht worden; dennoch verdienen die
Vereiterungen an einzelnen Organen und die Abscesse von eigenthümlicher,
.specifischer Natur , obgleich fast alle Folgezustände von Entzündungen oder
innern Leiden der Säfte sind, ihrer Wichtigkeit wegen hier eine besondere
Betrachtung.
Ahscessiis aldominalis , der Bauchabscess, auch Coeliopyosis ge-
nannt, ist seiner Lage nach -entweder ein äusserer oder innerer. Die
Cocli'ipi/osis externa seu Myocoelitis suppuratoria zeigt sich an den" Bauch-
decken in Folge von Verwundungen, entzündlichen Reizen, fremden einge-
drungenen Körpern , von zu starken Geburtsanstrengungen. Die hier ge-
bildete umschriebene schwappende Geschwulst lässt sich nicht nach innen
zurückdrücken , sie verhält sich , wie jeder Abscess , und w ird auch so be-
handelt. (S, Journal de Medecine, T. 43. p. 64. Arnemann^s Magazin,
Bd. 1. S. 175. Kilc in Medical Communications II. No. 6.). Die Coelio-
jiyosis interna ist dagegen viel bedeutender , häufig Folge von Perito-
nitis, Hepatitis, Nephritis, Splenitis ^ von Verwundungen, Fotalüberresten
etc. (S. Lieutaud Hist. anat. med. L. II. Obs. 150. Richters Chir. Bibl.
Bd. IX. S. 359. FranTc, de cur. hominum morbis L. II. p. 206.) — Die
Diagnose ist schwierig. Die vorhergegangenen Entzündungssymptome,
die ohne kritische Ausleerungen verschwanden , die Zeichen der eintretenden
Eiterung, das sog. Eiterungsfieber, der stumpfe, drückende, klopfende
Schmerz an irgend einer bestimmten Stelle des Unterleibes, das allmälig
eintretende hektische B^ieber, die Abmagerung, Entkräftung, die Nacht-
ßchweisse etc. , — diese Zeichen lassen einen solchen Abscess verrauthen.
ABSCESSUS 17
Sicherer Avird die Diagnose, wenn der Abscess oberßäclilich liegt und «ich
als flnctulrende Geschwulst äusserliqh zu erkennen giebt. Zuweilen ist der
Elter in einer sackförmigen . Hüüe eingeschlossen , die oft lange Zeit aljt
Vomica abdominalis clausa fortbestehen kann. Öffnet sich die Eiterge-
schwulst nach aussen , durch den Darmkanal , die Blase , den Uterus , oder
indem er sich in die Leistengegend senkte so kann noch das Leben gerettet
werden und selbst Gesundheit folgen, tritt der Eiter aber in die Bauch-
höhle, so ist das Übel meist tödtlich. Die Cur ist eine mehr passive, al»
active, — nur wenn die Geschwulst äusserlich sichtbar und gehöng fluctui-
rend ist, kann man sie öffnen und den Eiter entleeren.
Abscessus adevosus. Die Drüseneiterung findet, wie die acute
Adentis, häufiger in den conglomerirten , als in den conglobirten Drüsen
»x'att ; sie zeigt sich überhaupt nicht häufig ; man findet hier mehrere isolirte
Eiterherde , die wässerigen Eiter enthalten und zwischen welchen die Drü-
senmasse fest und gesund erscheint. Symptome des Drüsenabscesses
sind: langsamer, träger Verlauf, kalte, farblose, langsam sich vergrössernde
Geschwulst, anfangs wenig Schmerz, wenig Tendenz zur Öffnung, wie zur
baldigen Heilung. Der Eiter ist wässerig, missfarbig, vermischt mit Faden,
Flocken , käsigen Klümpchen ; zuweilen verschwindet die Eiterung plötzlich
und erscheint in andern Gebilden. Gewöhnlich gebraucht ein solcher Ab-
scess bis zur Reife und Heilung eben so viele Wochen als ein anderer Ab-
scess Tage, z. B. der Bubo , die Scrophelgeschwulst, doch verläuft die Par-
otitis , wenn sie in Eiterung geht , sowie die Drüsengeschwulst bei Scar-
latina und Typhus, rascher. Ursachen sind: vorzüglich Scrophulosis,
Syphilis, Variola, Scarlatina, Rheuma, Arthritis, Herpes; Gelegenheit ge-
ben bei dyskrasischen Personen oft Stoss, Schlag, Quetschung. • — Cur.
Neben richtiger Behandlung des bald acuten , bald chronischen Allgemein-
leidens müssen wir bei der örtlichen Behandlung dahin sehen, dass , wenn
er kalter Natur ist , die Öffnung der Natur überlassen bleibt , weil die
künstliche Öffnung leicht hässliche Geschwüre giebt, die callöse Ränder be-
kommen, schwer heilen und meist Induration hinterlassen. Die Eiterung
wird durch meist reizende Mittel befördert und die Öffnung allenfalls durch
ein Causticum bezweckt. Die mehr acuten, schmerzhaften Drüsenabscesse,
z.B. nach Mastitis, Parotitis , Scarlatina , kann man dagegen ^ wenn hinrei-
chende Fluctuation da ist , durch einen oberflächlichen Einstich öffnen , und
so dem Kranken Erleichterung v'erschaffen. In diesen Fällen heilt der
Abscess oft in wenigen Tagen nach der Öffnung , wenn sonst der Eiter
nicht jauchig und stinkend ist ; aber etwas Verhärtung bleibt zurück, die
durch Einreibung von Unguent. mercuriale allmälig verschwindet. (Mosf.)
Ahscessus nni , ProcIaJtjln (iposlemntica , Gesässabscess, Abscess
am After. Ist eine Abscessforin , welche häufig verkannt und zu allge-
mein mit dem Namen Fistula ani belegt worden ist. Häufig ists nur ein
in Entzündung und Eiterung übergehender Hämorrhoidalknoten, der sich
dann oft periodisch als ein am After liegendes schmerzhaftes Knöllchen
zeigt , oberflächlich liegt und in Eiterung übergeht , aber auch bald heilt.
Zuweilen sind mehrere solche Abscesse zu gleicher Zeit da , die ohne Kunst-
hülfe durch blosse Reinlichkeit und Vermeidung von Reiz heilen, „Weit
wichtiger — sagt Sommer (ßiwt's Chirurgie,, Bd. I., S. 94) — jst der phleg-
monöse Gesässabscess. Dieser tritt unter heftigen örtlichen , meistens auch
allgemeinen Entzündungssyniptouien, beträchtlicher,, klopfender, harter, durch
den Mastdarm fühlbarer Geschwulst der Affergegend, nicht selten, dpx gan-,
zen Hinterbacke, grosser Spannung, ungeheuren Schmerzen auf, isit yon
l^ieber, Strangurie, Dy,surie,- Stuhlzwang, bei Weibern llerabtreten der
Gebärmutter , Stuhlverstopfung oder Durchfall , heftigem Ansch.veUen vor-
hjindener Goldaderknoten begleitet , und geht in der Regel nach 2, S^6
Tagen, unter einiger Milderung der Zufälle und den die Eiterung beglei-
tenden Erscheinungen, ,in Suppuration über. In manchen Fällen geschieht
dies jedoch nicht; die Ausbildung bleibt unvollendet, und bei Abnahme der
angegebenen Zeichen entsteht eine weit verbreitete , rothlaufartige Härte,
Most EncyklopäUie. 2te Aufl. I. 2
18 ABSCESSUS
die erst nach längerer Zeit , auch wol nur unvollkommen verschwindet,
und in diesem Falle zur Wiederkehr der entzündlichen Symptome Anlass
giebt , oder auch schnell in eine oberflächliche , weithin verbreitete Abster-
bung des benachbarten Zellgewebes übergeht." Ausserdem ist es , nach
Sommer, bei kachektischen , geschwächten Personen zuweilen der Fall, dass
die Geschwulst nach vorhergegangenen bedeutenden EntzündungszuföUen
plötzlich zusammenfällt, gefühllos wird, eine dimkel purpurrothe Farbe an-
nimmt und in kurzer Zeit brandig wird, indem die Kräfte sinken, der Puls
klein , kaum fühlbar wird , Delirien und Zeichen der Paralyse auftreten.
Die Öffnung des Abscesses erfolgt entweder nach aussen, oder in den Mast-
darm, oder gleichzeitig an beiden Stellen. Meist sind mehrere Öffnungen,
gleichzeitig am After , in der Darmgegend , im Rectum da. Die Durchboh-
rung der einen Wand des Mastdarms, welche häufig und durch allmäliga
Auflösung der Darmhäute erfolgt, tritt noch häufiger in dem Falle ein, wo
die Ursache der vorhergegangenen Rectitis im Recto selbst lag , und ein
eingedrungenes Knochenstückchen , eine Fischgräte , eine zu Ansammluiigen
von Faeces Anlass gebende Schrunde zwischen dessen Falten war. Der
Eiter fliesst nach der erfolgten Öffnung des Abscesses ohne oder mit dem
Stuhlgange durch den After ab , wobei grosse Erleichterung der ZuföUe
wahrgenommen wird , und , wenn das Übel nicht Reflex eines Allgemein-
leidens ist, die Heilung bald erfolgt. Ist aber letzteres der Fall, so bilden
sich fistulöse Geschwüre , deren Grund oben , deren Lumen neben der Af-
termündung oder im Mastdarm selbst liegt , und in deren Höhlung manch-
mal ein von allem Zellgewebe ringsum entbtösstes Stück des Mastdarms be-
findlich ist. Dies ist dann die in Folge eines Abscesses entstandene Mast-
darmfistel (s. Fistula ani). Auch kann sich im Recto eben so, wie in der
Inguinalgegend , ein Congestionsabscess ereignen. Ursachen sind: theila
örtliche, theils allgemeine, die zunächst eine Entzündung des Zellgewebes,
des Fetts und der Muskeln , welche das Rectum und dessen Mündung uni-
geben , erregen. Anlage dazu geben die spätem Lebensjahre , träge Blut-
circulation und erhöhte Venosität , entstanden durch Vita sedentarla, Ob-
structio ahi habitualis, wo das Übel oft als wohlthätige Krise der krank-
haft erhöhten Venosität erscheint. Gelegentliche Ursachen sind , zumal bei'
solcher Anlage, Druck, Stoss, Knochensplitter, Fischgräten, die oft durch
den Mund in den Mastdarm gelangt und vor dem Schliessmuskel stecken
geblieben sind (s, Döring's und Snlomon's Journal für die neueste lloUänd.
Literatur, Bd. I. S. 315), ungeschickt oder zu heiss angewandte Klystiere,
sehr entzündete Hämorrhoidalknoten, Ausschweifungen in Baccho et Venere,
Missbrauch des Mercurs , verschiedene Metastasen , Gicht , Rheuma , Syphi*
lis , Herpes etc. Cur. Da fast immer Eiterung folgt, weil keine Neigung
zur Zertheilung da ist, so befördern wir bald durch antiphlogistische, bald
durch gelind reizende Mittel , je nach dem vorhandenen Vitalitätszustande,
die Suppuration (s. oben Abscessus), und öffnen , um Fisteln vorzubeu-
gen , sehr früh ; denn warten wir bis zur Selbstöffnung des Afterabscesses,
so geht es fast nie ohne Fistula ani ab. Man muss dazu die Lanzette,
nicht das unsicher wirkende Causticum , nehmen , und stets , um den freien
Eiterabiiuss zu begünstigen und jede Versenkung desselben zu verhüten,
einen grossen Einschnitt machen. Sollte eine Spalte im Mastdarm und da-
durch erfolgtes Austreten von Faeces Ursache des Abscesses seyn , so muss,
nach Rust und Sommer , der Einschnitt gleich mit auf das Rectum ausge-
dehnt werden, wozu man sich des Pott'schen Bistouris und des in den
Mastdarm eingebrachten hölzernen Gorgerets bedient (s. Fistula ani);
dabei Sorge für Leibesöffnung , einfacher Verband mittelst Charpie und
T-Binde. Wird die Eiterung schlecht, so wenden wir die dagegen bekannten
örtlichen und allgemeinen Mittel an (s. Abscessus und Fistula ani).
Ist das Rectum ringsum vom Zellgewebe entblösst und liegt es mitten in
der Höhle des Abscesses , so muss man , auch Avenn es nicht durchbohrt ist,
die Vereinigung desselben durch einen grossen, dreisten Schnitt, mittelst
eines gekrümmten, schmalen , sondenartig zugespitzten Messers , zu bewirken
ABSCESSUS 19
suchen. Stellt steh im Abscesse der Brand ein, ßo mache man einen tiefen
dreisten Einschnitt, und wende hinterher warme, geistige antiseptische Fo-
mente , auch innerlich Arnica, China, bei sehr gesunkener Lebenskraft selbst
Kampher, Moschus an,
Ahscessus aniri Highmori, A. sinus maxillnrts. Ist Folge von der
Entzündung der Mucosa der Oberkieferhöhle , die fast immer in Eiterung
übergeht. Das Übel ist nicht mit den Eiterergiessungen aus den benach-
barten Theilen in die gesunde Highmoi'shöhle zu verwechseln. Ursachen
der Inflammatio mucosae dieser Höhle sind : scharfe Luft , metastatischa,
dyskrasischc Schärfen, Schlag, Stoss , Quetschung der Wangengegend,
Zahnkrankheiten, besonders der obern Augenzähae, heftige Katarrhe. Letz-
tere erregen aber mehr Auflockerung und Schleimsecretion , die metasta-
tische und dyskrasischc Entzündung dagegen häufiger Ulceration uqd ca-
riöse Zerstörung der Knochen. Der Verlauf dieser Entzündung ist bald
acut, z.B. wenn mechanische, traumatische Ursachen, Zahni'eiz etc., statt-
fanden, — bald mehr chronisch. Im ersten Falle ist das erste Symptom
ein klopfender Schmerz, welcher sich durch die ganze Kieferhöhle und mehr
in die Tiefe, als nach aussen hin erstreckt, ein angebrachter Druck auf
die Gegend, selbst wenn noch keine Geschwulst sichtbar ist, erregt
Schmerz im Auge und Ohr der leidenden Seite; — häufig leidet auch die
innere Nase ; — daher oft Verwechselung des Übels mit heftigem Katarrh,
mit rheumatischem Zahnschmerz vorkommt, und so zum grossen Schaden
des Kranken die passendste Zeit zur Zertheilung dieser Entzündung durch
Antiphlogistica , Derivantia, durch kühlende Laxanzen , durch Application
von Blutegeln etc. versäumt wird. Sind Krankheiten der Zähne oder des
Alveolarrandes Schuld , so geht die Entzündung oft sehr schleichend vor
sich. „Der Kranke empfindet dann — sagt Dieffeiihach (^Rusfs Chirurgie,
Bd. I. S. 100) — fast nichts als einen dumpfen Druck, eine Spannung tief
in der Wange, ein Gefühl von Schwere in derselben und eine Art von
Stockschnupfen. Sobald Eiterung eintreten will, wird der eigentliche
Schmerz etwas undeutlicher, aber meist klopfend, und ein anhaltendes Ge-
fühl von Taubheit in der Kinnbackenhöhle belästigt den Kranken. Ge-
wöhnlich schreitet nun die Bildung des Eiters rasch vorwärts, und erst,
wenn die Ansammlung desselben auf die Wände der Kinnbackenhöhle zu
wirken beginnt , gelangt man zur genügenden Überzeugung. — — "
„Meistens sucht sich der Eiter gegen den Processus alveolaris hin einen
Ausweg zu verschaffen , und er erregt dann hier durch seine Einwirkung
auf die Zahnnerven einen heftigen, anhaltenden Schmerz. Man muss daher
bei zweifelhafter Diagnose die Zähne untersuchen und auf den klopfenden
Schmerz oberhalb derselben, auf das Gefühl von Taubheit und Schwere
im Antrum Rücksicht nehmen. Zuweilen wird durch Schnauben eiterartige
Flüssigkeit aus der Nase geworfen , oder es fliesst der Eiter von selbst
aus , Avenn der Kranke sich auf die entgegengesetzte Seite legt. Meistens
jedoch ist durch die vorhergegangene Entzündung der Eingang der Ober-
kieferhöhle in der Nase mehr oder weniger verschlossen, und der Eiteraus-
fluss ist entweder gar nicht da , oder zu gering. Die Verhaltung des Ei-
ters bewirkt eine immer mehr zunehmende Veränderung der knochigen
Wände des Antrum, dieselben dehnen sich immer mehr aus und werden
dünner, die Kinnbackenhöhle sch\villt in ihrem ganzen Umfange stärker an,
und erhebt sich an der Stelle, wo der Eiter sich am meisten hinsenkt,
höckerartig." Nach Dieffcnbnch zeigt sich diese am häufigsten unter dem
Jochbeine oberhalb des zweiten und dritten Backenzahns. Zuweilen schwillt
das Antrum auch nach der Nase zu an, die eine Seite derselben ist dann
so verengert, dass das Athmen beschwerlich wird und man an einen Nasen-
polypen denken könnte. Oder die Geschwulst geht nach der Orbita, drängt
den Augapfel aus seiner Höhle , dessen Bewegung gehindert Avird , so dass
Störung des Gesichtssinns und Schielen erfolgt. Oder es Avird auch der
harte Gaumen , indem die Geschwulst nach unten drängt , hinabgetrieben
und so die Mundhöhle verengert* Der Knochen ist an der Stelle der Auf^
2*
20 ABSCESSU9
treibung, sie mag stattfinden, wo sie wolle, stets verdünnt und aufge-
lockert , so dass , wenn man auf die Geschwulst drückt , die Wand nach-
giebt und nur ein Übel der Weichtheile da zu seyn scheint. Hierdurch
uiuerscheidet sich die Krankheit von der Exostose des Wangenknochens. ■ — -
Beim Fingerdruck fühlt man Fluctuation , und der Kranke empfindet an der
entgegengesetzten Stelle wegen des Zurückweichens der Eitermasse als-
dann Schmerz. An der hervorragenden Stelle wird später die Knochenwand
diuch Caries zerstört, der Eiter erhält somit Abfluss, es bilden sich Fistel-
öfliiungen , die ins Antrum gehen, wie die Sonde anzeigt. Auch dicht
oberhalb und zwischen den Alveolen entstehen cariö^e Öffnungen , die Zalm-
wurzeln werden cariös , es treten heftige Zahnschmerzen auf und einzelne
Zähne gehen verloren. Die Prognose ist nicht die beste. Der langsame
Verlauf des Übels, die vielen Schmerzen wirken oft auf die ganze Consti-
tution nachtheilig; das Antlitz wird oft hässlich entstellt, und es giebt sel-
tene Fälle, sagt Dicffcnhnch, in denen zur Entzündung und Eiterbildung
d.es Antrum ein nervöser Zustand und eine consecutive Reizung des Ge-
hirns, zumal wenn Schlag, Stoss, Quetschung Veranlassung waren, sich
hinzugesellte und das Übel lethal wurde. Alsdann pflegt sich eine pseudo-
erysipelatöse Entzündung der ganzen kranken Gesichtshälfte und ein gerin-
ger, fast unmerklicher nei-vöser Zustand auszubilden, welcher ein böses
prognostisches Zeichen ist. — Ist das Übel aber rein örtlich geblieben , der
Kranke nicht djskrasisch, bei guten Kräften, ist die Knochenauftrcibung
nicht bedeutend, hat sich der Eiter nach den Alveolen gesenkt, so ist die
Prognose günstiger , als wenn die Auftreibung nach der Nase oder dem
Auge geht , wo dann durch Caries und Febris hectica leicht der Tod er-
folgt. Cur. Da man auf den natürlichen Abfluss des Eiters durch den
Nasengang nicht rechnen kann, so muss man, wenn die Eiterbildung im
Antro durch antipUogistisches Verfahren nicht mehr verhütet werden kann,
die Kieferhöhle von aussen, oder indem man einen Zahn wegnimmt, anboh-
ren , und so dem Eiter freien Ausfluss verschaffen , bevor Zerstörung durch
Caries eintritt. Die innere Behandlung richtet sich nach den Umständen,
nach der Constitution des Kraiiken, nach dem Allgemeinbefinden, den Com-
plicationen etc.
Abscessus nposiematicus , Apostemn, Vomica. So heisst jeder reife Ab-
scess, wo unter Nachlass der entzündlichen Symptome und Eintritt des Ei-
terungsfiebers , die Geschwulst gelblich glänzend aussieht , grösser und
weicher wird, sich zuspitzt, deutlich fluctuirt und wirklichen Eiter enthält,
der sich nicht nach innen wegdrücken lässt , beim Aufbruch in verhältniss-
•Inässiger Menge hervorquillt und keinen Eiterstock in seiner Mitte hat.
(Sommer).
Abscessus aurium , Ohrenabscess. Wir unterscheiden hier, nach
Beck, 1) den Abscess der Ohrmuschel, welcher meist an der hintern
Fläche desselben vorkommt, wenig bedeutend ist und nach Anwendung der
Emollientia und' nothwendiger frühzeitiger Öffnung bald heilt; — 2) Ab-
scess des äussern Gehörganges. Hier bildet sich der Eiter im Par-
enchym des Meatus externus, gewöhnlich an der Stelle, wo der knö-
cherne Theil desselben mit dem knorpligen sich verbindet. Er bildet
entweder eine in den Gehörgang selbst eintretende und diesen dadurch ver-
schliessende Geschwulst , oder der Eiter dringt durch die Verbindung des
knorpligen und knöchernen Gehörganges und bildet hinter dem Ohre in
der Gegend des Processus mastoideus eine Geschwulst , welche fluctuirt,
nachdem Entzüudungszufälle vorhergegangen sind (s. Inflamraatio au-
ris). Auch hier muss der Abscess frühzeitig geöffnet wejden, damit keine
Fisteln, Verderbniss des knorpligen Gehörgangs, Caries, Durchlöcherung
des Paukcnfells , Erguss des Eiters in die Tronmielhöhle etc. erfolgen,
3) Abscess der Paukenhöhle und des innern Ohres. Ist nicht
selten Ausgang der Otitis (s. Inflammatio auris). Zuweilen mündea
in der Nähe des Ohres sich bildende Abscesse in das innere oder äussera
Ohr, wo dann der Eiter Entzündung, Blennorrhoe, Ulceration erregen
ABSCESSUS 21
kann. Solche sind a) Ab Seesens parotidis. Erkannt wird das Übel,
wenn bei stattgefundener Parotitis diese sich nicht zertheilt , dabei Eiter aus
dem Ohre liiesst, und dieser Ausfluss, indem man auf die"geschwollene Par-
otis drückt, stärker wird. Man suche hier durch Einspritzungt;n von In-
fus, herb, salviae, durch richtige Behandlung des Abscesses der Parotis da»
Übel zu heilen, b) Der C ereb ralabscess. Geschwüre im Gehirne ver-
echaffen sich oft einen Ausgang durch das Gehörorgan (s. Bonet , Sepulch.
L. I. Sect. 19. Obs. 1. — Martin in Journal de Medecine. T. 42. p. 448).
Die vorhergehenden Zufalle sind verschieden, je nachdem das Hirnleiden
mehr acuter oder chronischer Natur ist (s. Inflammatio cerebri). Im
Allgemeinen ist eine solche primitive Cerebralotorrhöe ein gutes Zeichen,
indem mit dem Abfluss des Eiters alle die schlimmen Zufälle: Sopor, Stu-
por, Convulsionen , Blindheit etc. oft' rasch nachlassen oder ganz schwin-
den; am öftersten ist dies aber nach acuter, weit seltener nach chronischer
Encephalopyosis der Fall , die in der Regel tödtlich abläuft. Letztere be-
ginnt oft zuerst mit Schmerz im Ohre, so dass man einige Zeit hier ein
Leiden dieses Organs vermuthen sollte. Zuweilen fliesst der Eiter aus dem
Ohre , aber die Entleerung hebt den Schmerz nicht , der Kranke wird
Bchläfrig, verfällt in Irrereden und Schlafsucht. In andern Fällen findet
kein Ausfluss statt, der Kranke wird unruhig, vergesslich, fallt in Schlaf-
sucht , bessert sich heute scheinbar , wird morgen wieder schlimmer , fällt
später in mehrere Tage anhaltenden Sopor, Stupor und stirbt (^Ahercrom-
hie über die Krankheiten des Gehirns. Deutsch von Blois. Bonn, 1821.
S. 56). Drei solcher Fälle von chronischer Encephalitis und Encephalo-
pyosis beobachtete ich noch kürzlich, und zwar 1) bei einem 9jährigen
Knaben. Hier trat das Übel mit epileptischen Zufällen auf, welche 14
Tage fast täglich 2 — 3 Mal sich einstellten. Nach dieser Zeit bekam der
Kranke, der alle paar Tage auch ein- oder zweimal freiwilliges Erbrechen
erlitten, einen heftigen, fixen, mehrere Tage ti'otz der kräftigsten Mittel
anhaltenden Kopfschmerz an der rechten Seite , der dann plötzlich nach-
liess , worauf weite unbewegliche Pupille, Sopor und Stupor folgten, des-
gleichen Lähmung der linken Körperhälfte. Unter dem rechten obern Au-
genlide , sowie aus dem rechten Ohre flössen in dieser Zeit ein paar Tliee-
löffel voll Eiter aus. Dieser Ausfluss verbesserte aber den Krankheitszu-
etand keinesweges, denn einen Tag später trat der Tod ein. 2) In dem
zweiten Falle zeigte sich bei der Hirnaffection auch eigentlich kein Fieber;
der Puls ging nur sehr unregelmässig. Zuweilen besserte sich das Kind —
CS war ein Mädchen von 7 Jahren — auf 24 Stunden scheinbar so sehr,
dass es beinahe hergestellt schien, aber am andern Tage war alles wieder
schlimmer. Der Tod folgte soporös am 21. Tage. Erbrechen und Leibes-
verstopfung fand oft in mehreren Tagen nicht statt. Die Eltern dieses
Kindes hatten binnen 20 Wochen 3 ihrer Kinder — die andern beiden wa-
ren von andern Ärzten behandelt worden — an dieser schrecklichen Krank-
heit verloren. Unstreitig war hier Dispositio hereditaria. Als eine auffal-
lende Beobachtung theilte mir die Mutter dieser Kinder den Umstand mit,
dass sie sämmtlich in gesunden Tagen oft plötzlich des Nachts erwacht wä-
ren und ein durchdringendes Angstgeschrei ausgestossen, wobei sie oft meh-
rere Minuten am ganzen Körper gezittert und wie rasend sich gehabt hät-
ten. Bekanntlich ist dies ein auf Hirnleiden sicher deutendes Leiden. -
Der dritte Fall war dem ersten ähnlich. — „Bei der primitiven Cerebralotor-
rhöe — sagt Becl: — beschränkt sich die Behandlung darauf, dass man
den Ausfluss ungestört fortbestehen lässt, dieser nicht durch den gerinnen-
den Eiter gehemmt werde, weshalb grosse Reinlichkeit zu empfehlen ist.
Der Andrang zum Kopfe werde durch Vermeidung der Congestion veran-
lassenden Schädlichkeiten und durch Anwendung eines ableitenden Verfah-
rens verhütet." • — c) Abscesse wegen erweichter und eiternder Tuberkeln
können bei scrophulösen Subjecten in der Nähe des Kiefergelenks, auf dem
Processus mastoideus, auf dem Felsenbeine vorkommen, und die Ausleerung
des Eiters kann «owol nach aussen, als durch den äussern Gehörgang er-
22 ABSCESSU3
folgen. Liegt der Abscess auf dem Zitzenfortsatze , so kann der Eiter sich
nach aussen oder in den Zitzenfortsatz einen Weg bilden. Häufig leiden
hier die Hirnhautpartien mit, zuweilen selbst auch das Gehirn (JScc/c).
Den Zufällen der Taubheit und den heftigsten mit Ohrenbrausen verbunde-
nen Ohrenschmerzen folgt dann heftiger Kopfschmerz , welcher in einem
Falle nach 4 Tagen in tödtliche Apoplexie überging (Beck.) Liegt der
Abscess auf dem Zitzenfortsatze, so öffne man ihn bald; steht die Fistel
mit den Zellen desselben in Verbindung, so mnss die angegriffene Knochen-
partie entblösst und die Exfoliation des Erkrankten befördert werden,
wozu die Anwendung des Glüheisens oft erforderlich ist. Zuweilen folgt
Caries, oder diese ist das Primitive und die über der Knochenpartie lie-
genden Weichtheile werden secundär ergriffen , was bei allgemeiner Scro-
phulosis und Syphilis zuweilen vorkommt. Der Sitz einer solchen Caries ist
entweder der äussere knorplige oder knöcherne Theil des Gehörganges, oder
die Trommelhöhle, oder sie findet auch im Labyrinthe oder Zitzenfortsatze
statt, oder in mehreren dieser Theile zu gleicher Zeit, und verbreitet sich
von da über andere Theile der Pars petrosa des Schläfenbeins. Der Ohren-
fluss ist dann blutig, jauchig, übelriechend und färbt die silberne Sonde
bronzefarbig, doch kann diese Farbe auch durch stockenden Eiter ohne
gleichzeitige Caries erfolgen. Das Wahrnehmen der cariösen Stelle durch
die Sonde oder durchs Gesicht , oder die die cariöse Stelle bedeckenden
schwammigen, leicht blutenden, oft polypenartigen Auswüchse dienen zur
Diagnose. Ist der Sitz die Trommelhöhle , so wird das Trommelfell oft
durchfressen und die Gehörknöchelchen fliessen successive einzeln mit der
stinkenden Jauche aus dem Ohre. Zuweilen geht der Eiter auch durch die
Eustachische Röhre, macht Ohrenschmerz, üblen Geschmack im Munde,
stinkenden Athem, Übelkeit etc. Sitzt die Caries im Labyrinthe, so kann
die Jauche das Innere des Schädels erreichen und Krämpfe und Lähmung
der Gesichtsmuskeln zur Folge haben. Cur der Caries. Man berück-
sichtige das häufig stattfindende Allgemeinleiden, gebe daher Antivenerea,
Antiscrophulosa etc., achte darauf, dass der Ausfluss der Jauche nicht ge-
hemmt werde , befördere ihn durch milde Injectionen , öffne , wenn die An-
sammlung in der Paukenhöhle oder im Zitzenfortsatze stattfindet und heftige
Schmerzen, Hirnaffectionen erregt, den genannten B'ortsatz oder die Pau-
kenhöhle, verbinde den cariösen entblössten Theil des Processus mastoideus
mit Mercurialsolutionen , wende das Cauterium actuale oder potentiale an
(^Severin, Chopart, Dcsault , Richerand) etc. „Wenn eine consecutive Cere-
bralotorrhöe — sagt Beck — stattfindet , so kann die Trepanation des
Schläfenbeins eine schwache Möglichkeit der Genesung gewähren , wenn
nicht bedeutende Störungen des Geliirns oder der Hirnhäute bestehen ; ge-
wöhnlich hat man in solchen Fällen auf ein ableitendes Verfahren sich zu
beschränken."
Ahscessus axillaris. Der Achselhohlenabscess hat entweder sei-
nen Sitz in der Haut, im Zellgewebe dieser Theile, wo ihn oft allein ört-
liche Reize: Druck enger Kleidungsstücke etc. erregen; — oder es ist ein
Drüsen-, Gelenk-, Congestionsabscess. Im letztern Falle kann der Eiter-
herd am Kopfe, Halse, an den Schädel-, Gesichtsknochen, den Halswir-
beln seyn. Jeder bedeutend grosse Drüsen - oder Gelenkabscess muss uns
aufmerksam machen, ob auch ein Allgemeinleiden, zumal Syphilis, Arthri-
tis , Scrophulosis , Rheuma , zum Grunde liegt , oder ob das Übel kritisch,
metastatisch Ist, z. B. bei Typhus, Scarlatina etc. Die Cur ist die allge-
meine der Abscesse , mit Berücksichtigung der Localität und der etwa ob-
waltenden Innern Ursachen , des Umstandes , ob das Übel mehr acut oder
chronisch , kalt ist. In der Regel muss man den Abscess , um Senkung des
Eiters zwischen die Brustmuskeln und Fisteln zu verhüten, früh öffnen.
Ich kenne einen Fall , wo der Eiter aus der Achselhöhle in die Brust drang
und ausgehusteit wurde, — später floss er nur aus dem Abscesse nach
»ussen, und der Kranke wurde völlig hergestellt {Most).
Alscessu^ lursalis, Schlei mbeutelabscess. Ist Folgezustand von
Ä^^CßSSUS 23
Hjdx'ops biirsae mucosae (s. d. Art.) , wenn diese zufällig oder indem
man dadurch Hellung bewirken will, in Entzündung und Eiterung über-
geht. Ist das Übel am Knie, so verbreitet sich die Geschwulst oft über
das ganze Gelenk, oder über einen grossen Theil desselben, der Schmerz
ist meist gering, die Haut auch nur wenig geröthet, der Verlauf fast im-
mer chronisch, — der Eiter lässt sich im Abscesse hin und her drücken;
er ist meist dünn, oder gallertartig, zuweilen enthält er hirsekorngrosse
Knörpelchen; nicht selten erfolgen bedeutende Infiltrationen des Eiters un-
ter der Haut hin, die die Heilung erschweren. Behandlung. Man öffne,
wenn der Abscess nicht acut ist, mittelst eines Causticums, verbinde dann
mit Digestivsalbe und Präcipitat, und später mit trockner Charpie, bis zur
Heilung, die auch durch eine schwache Solution von Lap. infernalis be-
günstigt wird.
Abscessus capitis, Kopfabscess. Ist entweder ein äusserllcher oder
ein unter dem Hirnschädel befindlicher. Ersterer (C ephalopy osis ex-
terna) tritt unter den gewöhnlichen Symptomen äusserlich am Kopfe auf,
ist nicht gefährlich, ein Druck auf den Abscess erregt keine Hirnzufälle, wenn
gleich derselbe unter der Galea aporeurotica befindlich ist; seine Ränder
fühlen sich hart und hervorragend an , sind daher nicht mit Exostosen , mit
Caries der Kopfknochen und Durchbruch derselben zu verwechseln ; anch
darf dieser Abscess nicht mit Caput succedaneum, mit Fungus durae matris
et cerebri , mit Cephalaematoma und Cephalopyosis interna verwechselt w er-
den. Cur. In der Regel frühe künstliche Eröffnung des Abscesses; die
übrige Behandlung ist die gewöhnliche (s. Abscessus). — Der innere
Kopfabscess (Cephalopyosis interna, Abscessus cerebri seu encej)hali,
Apoplexia purulenta , Phrenitis seu Encephalitis suppv/ratoria) ist dagegen
weit bedenklicher (s. Avicenna, Canon. L. 3. Fen 1. Tract. 3. cap. 1.
Hippocratcs , ntQt vovawv II. N. Sammlungen med. Wahrnehmungen. Bd. 8.
S. 373). Symptome. Sind im Allgemeinen, besonders wenn keine acute
Encephalitis, sondern mehr solche Zeichen, welche die chronische Hirnent-
zündung anzeigen , vorhergegangen sind , etwas trügerisch (s. I n f 1 a m m a-
tio cerebri et meningum), und die Section der Leiche glebt häufig
erst volle Gewissheit. Hat sich bei der hitzigen Hirnentzündung das Übel
zwischen dem 9. und 21. Tage ohne die bekannten Krisen gemindert, zei-
gen sich öfteres Frösteln, Gefühl von Kälte an einer bestimmten Stelle des
Kopfs , dem Sitze des Eiters , die Zeichen von Druck oder Reiz aufs Ge-
hirn, oft von beiden zugleich, als: Sopor, Convulsionen, Lähmungen, Er-
brechen (s. Commotio cerebri), gingen mechanische Verletzungen des
Kopfs kürzere oder längere Zeit vorher , welche vielleicht Eiterung auf der
Innern Fläche der Schädelknochen zur Folge hatten; so steht die Diagnose
noch ziemlich fest. Ist der Verlauf aber mehr chronisch, so ist sie weit
schwankender und manchen Täuschungen unterworfen. Hier können Ma-
gen - und Darmleiden , Gesichtsrose , Icterus , Steifheit des Kiefers , Schmer-
zen beim Drehen des Kopfs, Taubheit, wüthende Kopfschmerzen , die selbst
Intermissionen machen, Raserei, Verstandesschwäche, Blödsinn, Epilepsie
etc. begleitende Symptome seyn. Unter Fortbestehen oder Zunahme dieser
Leiden stirbt dann der Kranke soporös, während Lähmungen und Convul-
sionen eintreten , wenn nicht durch Kunst - oder Naturhülfe der Eiter einen
Ausweg durch die Nase, die Ohren, durch äussern Kopfabscess, besonders
bei Kindern, wo zuweilen die einzelnen Suturen der Ossa cranii auseinan-
der treiben, findet. Die Section zeigt dann den Eiter entweder in einer
gewissen Partie der Hirnmasse tropfenweise vertheilt und eine bedeutende
Anzahl kleiner Zellen bildend, oder er ist in grössern Höhlen vorhanden,
in deren Umgebung bei acutem Verlaufe die Hirnsubstanz geröthet ist , bei
chronischem Verlaufe sich aber Pseudomembranen zeigen, worin der Eiter
eingeschlossen ist. In seltenen Fällen wird dieser resorbirt, es bleibt an
eirter solchen Stelle eine Narbe zurück, und das Leben kann erhalten wer-
den. Solcher Eiter ist bräunlichgelb, käsig, mit weissen Klümpchen ver-
mischt, schmeckt salzig, fast brennend. — Die Prognose ist sehr
Z4 ABSCETSStJS
schlimm, Ton 10 Kranken sterben meist 6, und die am Leben gebliebenen
leiden , wenige ausgenommen , ausserdem noch an den traurigsten Nach-
krankheiten, als Blödsinn, Lähmungen, Epilepsie, Narrheit, — weil, wenn
die Diagnose auch fest steht, es sehr schwierig, oft unmöglich ist, die nö-
thige Kunsthülfe an den rechten Ort gelangen zu lassen (^Sommer). Ur-
eachen. Sind dieselben der Hirnentzündung (s. Inflammatio cerebri).
Cur. Man suche das Übel durch frühe [Anwendung solcher Antiphlogistica,
welche zur Zertheilung der Encephalitis am geeignetsten sind , zu verhüten.
Dies gelingt in vielen Fällen, doch giebt es nach meinen Beobachtungen in
einzelnen Familien eine besondere Anlage, wo jedesmal Eiterung folgt,
selbst wenn die früheste und zweckmässigste Kunsthülfe stattfindet. Diese
Anlage drückt sich durch folgende äussere Merkmale aus : Die Kinder ha-
ben, ähnlich ihrem Vater, eine kurze Stirn, tiefliegende Augen, welche
vor dem Oberaugenlide , zumal am äussern Augenwinkel , bedeutend bedeckt
werden, also, nach Gnll, Spurzheim , Combe etc. einen stark entwickelten
Gedächtnisssinn , — die Physiognomie hat etwas B^insteres , indem die Men-
schen ein sogenanntes dunkles Schauer mit Runzeln in der Mitte der
Stirn und finsterm , verdriesslichem Blick periodisch (beim Nachdenken , Le-
sen , bei Geistesanstrengungen) zeigen (^Mosl). Ist der schlimme Ausgang
in Encephalitis suppuratoria schon da, so versuchen wir innerlich noch wol
Kalomel , äusserlich Derivantia , kalte Kopfumschläge , Breiumschläge an die
Ohren, die Nase, um den Eiter zu locken, selbst Niesemittel, doch ist
meist Alles fruchtlos; die Convulsionen und Lähmungen einzelner Glieder,
oft der einen ganzen Körperhälfte , treten ein , und der Tod bleibt nicht
aus. Auch Hörn beobachtete stets bei der Encephalitis infantum , sobald
an der einen Körperhälfte Lähmung , an der andern Convulsionen eingetre-
ten waren, einen tödtlichen Ausgang des Übels. — Höchst wichtig ists da-
her, recht früh die noch beginnende Encephalitis zu erkennen, bevor es zu
spät ist , sie zu zertheilen. Ich habe Fälle beobachtet , wo ausser fortwäh-
rendem Erbrechen, schnellem Pulse und Neigung zum Schlafe in den ersten
4 Tagen der Krankheit kein anderes Symptom der Hirnentzündung statt-
fand. Merkwürdig ist es , dass hier die Obstructio alvi , eben so , wie bei
chronischem Hydrocephalus , selbst bei dreijährigen Kindern grosse Dosen
Kalomel , selbst mit Jalape , erfordert , und dennoch der Darmkanal träge
bleibt. Um den Eiter aus dem Gehirn zu entfernen, räth man Trepana-
tion an. Es ist aber schlimm, dass wir selten genau wissen, wo wir tre-
paniren sollen ; denn selbst das Zeichen des automatischen Greifens des
Kranken nach einer bestimmten Stelle des Kopfs lehrt nichts, da häufig,
wenn der Eiter an einer Stelle des Gehirns sich bildet, die Reaction in der
entsprechenden Partie der andern Seite sich äussert (Dieffcnhach.) Ist
das Übel Folge von traumatischen Kopfverletzungen und der Hirnschädel
verletzt , so giebt die verletzte Stelle , die oft noch trepanirt werden muss,
eine günstigere Prognose , indem wir dadurch dem Eiter Ausfiuss verschaf-
fen können. Sind schon Lähmungen eingetreten , so ist die Trepanation
ohnehin unnütz und verkürzt das Leben. Folgenden merkwürdigen Fall
von chronischem Verlauf der Hirneiterung erzählt Dicffenhach in Rust^s Chi-
rurgie , Bd. I. S. 133, Anmerkung: Ein Mann stürzt beim Reiten vom
Pferde, beschädigt sich, dem Anscheine naffc'h, unbedeutend den Kopf, bleibt
aber besinnungslos liegen. Er wird durch die gewöhnliche Behandlung wie-
der hergestellt, behält aber ein von Zeit zu Zeit sich einfindendes halbsei-
tiges Kopfweh zurück , gegen welches alle erdenkliche Curmethoden Jahre
lang fruchtlos versucht wurden , und das ihn endlich zwang — da die An-
fälle äusserst heftig waren und , wie es schien , durch angestrengte Kopfar-
beiten häufiger hervorgerufen wurden, — seinen Dienst (er war Justiz-
beamter) aufzugeben. Nach Verlauf von vollen dreizehn Jahren will des
Zufall , dass er abermals einem lebensgefährlichen Sturze vom Pferde aus-
gesetzt wird. Er bleibt als todt liegen, erholt sich aber nach kurzer Zeit
von selbst, und bemerkt nun erst, dass ihm aus dem linken Ohre Blut und
klarer Eiter ausfliesst. Der Eiterausfluss dauerte mehrere Tage fort, be-
« »c«.
ABSCKSSUS 25
trug mehrere Unzen, and der Ki'ahke befand sich von dem Augenblick an
nicht aliein von seinem Kopfschmerze gänzlich befreit, sondern auch voll-
ständig gesund, w^as er auch noch viele Jahre blieb."
Abscessns capitis sanguinens neonatorum. Ist Eiterbildung bei Kopfblut-
geschwulst der Neugebornen, die ihren Sitz zwischen den Schädelbedeckun-
gen und dem Pericranium hat (s. Ecchymoma capitis neonatorum).
Hat man die Zertheilung durch aromatische Fomentationen , durch Decoct.
quercus mit Alaun etc. fruchtlos 8 Tage lang versucht, zeigt sich noch im-
mer starke Spannung der Hautdecken, eine glänzende, marmorirte Ober-
fläche , so öffne man dieselbe durch einen höchstens V^ Zoll grossen Ein-
stich, drücke das Blut aus und verbinde mit trockner Charpie, bevor die-
selbe blutige Jauche enthält und der Knochen cariös oder nekrotisch wird.
Dieffenhach räth, die Charpie mit 4 — 6 Theilen Unguent. rosat. und einem
TheJl Unguent. daphn. mezerei zu bestreichen , und später die Wundränder
mit Heftpflasterstrelfen zusammenzuziehen. Von Caput succedaneum unter-
scheidet sich die Kopfblutgeschwulst dadurch, dass letztere nur anfangs
weich, später prall und elastisch ist, dass man meist einen scharfen be-
grenzten Rand in ihrem Umkreise fühlt , als fehlte ein Stück an der Schä-
deldecke, und man beim Druck mit der Hand ein eigenes Schwirren in der
Geschwulst fühlt, dass sie am häufigsten an den Scheitelbeinen und fast
immer nur nach leichten Geburten vorkommt, dass sie die Kinder als eine
kleine, bohnengrosse Erhabenheit, die später erst grösser wird, selbst bis
zur Grösse einer Faust, mit auf die Welt bringen, die anfangs ganz fai'b-
los ist, und dass sie selbst nach Steissgeburten beobachtet worden ist.
Dagegen bildet sich die Kopfgeschwulst (Caput succedaneum, Tumor
sanguineus aquosus) nur unter der Geburt .und wenn der Kopf lange ein-
gekeilt war. Sie ist teigig anzufühlen, von dunkelrother , blauer Farbe,
hintei'lässt beim Fingerdruck Gruben , die bald verschwinden , und sie zeigt
sich an allen Stellen des Kopfs, und zwar an derjenigen, welche vor dem
Orificium uteri lag, daher bei Gesichtsgeburten selbst an der Wange, in
der Nähe des Mundes etc.
Ahscessus cerehri, s. Abscessus capitis.
Abscessus colli, Eiter ges chwulst am Halse. Sie hat entweder
ihren Sitz in den häutigen , musculösen , drüsigen Theilen des Halses , oder
es ist ein Congestionsabscess, sein Sitz die Kopfdecken, die Tonsillen,
Luftröhre, der Schlund. Behandlung.' Ist die gewöhnliche, doch muss
man früh durch Kunsthülfe dem Eiter Ausfluss verschaffen , weil er sich
sonst leicht versenkt, Fisteln erregt; auch kann Dyspnoe, Orthopnoe, selbst
schneller Tod folgen , wenn ein in der Gegend des Kehlkopfs und der Luft-
röhre sich befindender Abscess plötzlich berstet und sich der Eiter nach in-
nen ergiesst. Daher ist nöthig, ihn schnell in Eiterung zu setzen und bald
zu öffnen. Bei der Schliessung der seitlichen Halsabscesse achte man dar-
auf, dass durch die Narbe die Haut nicht verkürzt werde und so Obstipi-
tas cutanea folge. S. Caput obstipum (vgl. Bums in Haller's Bibl. Chi-
rurg. II. p. 6S0. Mem. de l'Acad. de Chirurgie I. p. 468).
Ahscessus coiigestivus , s. Abscessus Symptom aticus.
Ahscessus corneae, s. Abscessus oculorum.
Ahscessus encephali, s. Abscessus capitis.
Ahscessus faciei, Gesichtsabscess. Ist am häufigsten Folge von
Gesichtsrosen, Wunden, Insectenstichen , von Knochenleiden bei allgemeiner
Syphilis , Scrophulosis , oft liegt auch Rheuma , Arthritis , abnorme Men-
struation, Schärfe der Säfte zum Grunde. Symptome. Sind die bekann-
ten jeder Eiterbeule. Cur. Man öffne, um schlechte Nariaen zu verhüten,
den Abscess mittelst der Lanzette, bevor er von selbst berstet, und ver-
binde hinterher und am Ende der Heilung nicht mit Zink - oder Bleimitteln,
sondern mit einer milden Salbe.
Ahscessus faucium , der Räch enabscess. Ist in der Mehrzahl der
Fälle Folge von Angina faucium, wobei der Kranke oft gar nicht schlucken,
Hur mit Angst athmen und oft selbst den Mund nicht öffnen, ja an Er-
2f ABSCESSUS
sdckung sterben kann. Der Abjsce^s zeifi;t sich meist am 4. , 5. Tage der
Eiitzüiidun};, und tlie {jefahrvoilen Zufalle daiu-rn, »eiin keine Kunt>thülfe
uder der Tod eintritt, 24 — 48 bis H Stunden, in welclior Zeit der Ab-
jicess berstet, eine presse Menge höchst stinkenden Eiterü entleert, und dünn
presse Erleichterung und baldige Genesung eintritt. Cur. Man entferne
durch gelindere oder stärkere Antiphlogisticti je nach den Lin>tänden die
noch Yurhandeneii Entzündungsreste, und beltirdere die Eiterung dui;ch en-
»eichende Mund- und GurgeUvasser, durch erweichende Breiumschläge um
den Hals, \>uhin auch der fcjchwalbcnnestdreck , mit Milch gekocht, gehört,
niache Jnjeclionen von Gurgelkräutern und suche Erbrechen zu erregen.
ülFnet sich der Abscess dadurch nicht, und ist die Erstiikungsgefahr gross,
so ölTne man ihn mittels des Pharjngotoins oder mittels eines bis an die
8i)itze umuickelten geraden Scalpells. Lauwarme Mundwasser befördern die
Entleerung des Eiters, und weiter ist auch zur Heilimg nichts nölhig. Di«
stark adstringirenden GurgeUvasser sind oft schädlich, indem sie Induration
begünstigen. Bei grosser Erstickungsgefahr und wenn man an den Abscesü
nicht kununen kann, hat man die Tracheotomie oder Einsprituungen einer
Solut. tart. eniet., um Erbrechen zu erregen, vorgeschlagen. {Rusf). Doch
miv>s man sich von der schon gebildeten Eiterbeule überzeugt haben und
keine heftigen Entzündungszufälle, welche oft ein paar Dutzend Blutegel
und derivirende Mittel erfordern, damit verwechseln.
Ahscessiis ffnnijraenosns , s. Anthrax. Rust tadelt mit Reciit, da£S
man diese Benennung gleichbedeutend mit Anthrax und Carbunkel genom-
men , indem auch Frostbeulen , Bubonen , erysipelatöse Entzündungen . und
bei Dyskrasien, sowie bei schlechter Hospitalluft jede Wunde, jeder Ab-
scess brandig werden kann (s. Gangraena n o so co mi aus).
Abscessus ij'tngivne. Ist meist die Folge von Parulis , welche oft binnen
48 Stunden in Eiterung übergeht, sich schnell öffnet, grosse Erleichterung
gewährt und dann bald heilt. Veranlassung geben: Syphilis, Scorbut, Mer-
curmissbrauch , hohle Zäinie, künstliche Zähne. Cur. Zuerst erweichende
Mundwässer, z. B. Decoct. capit. papav. oder Infus. Rhoeados mit Mel
rosar. , Feigen in Milch gekocht ; dann öffne man , zumal bei grossen Ab-
scessen, früh, gebrauche zur Reinigung des Abscesses anfangs noch die ge-
nannten Mundwasser, später Aq. calcis mit Mel rosar., Decoct. quercus mit
Tinct. myrrhae , katechu, kino.
Ahscessus hej)atis, s. Inflammatio hepatis.
Ahsccsstis itK/uiunlis , Leistenabscess. Er sitzt entweder in den
häutigen, musculösen , zellgewebigen oder drüsigen Theilen der Leistenge-
gend , oder es ist ein Congestionsabscess ; — er darf nicht mit Hernia in-
carcerata et non incarcerata verwechselt werden. Behandlung. Ist die
bekannte der Abscesse (s. Syphilis und Bube) mit Berücksichtigung der
Ursachen und der Natur des Übels.
Abscessus internus. Ist ein ungünstiger Ausgang der Hepatitis, Perito-
nitis, Nephritis, Enteritis u. a. innerer Organe. Die Diagnose ist schwie-
rig. Die allgemeinen Merkmale innerer Eitenmgen müssen hier leiten. Sie
sind : Verminderung der Entzündungszufälle ohne deutliche Krisen und ohne
Yollkommene Schmerzlosigkeit und Leichtigkeit im leidenden Theile, der
seiner Function nicht völlig wieder vorstehen kann, mehrmals eintretender,
bald gelinderer, bald stärkerer P'rost , worauf Schweiss und Mattigkeit fol-
gen , welche Zufälle in Febris hectica übergehen . Gefühl von Driu k , Kälte
und Schwere im kranken Organe, Brennen in den Handflächen und Fu.ss-
sohlen, fliegende Hitze im Gesichte nach Körper- und Geistesnnstrengnngen,
nach reichlicher Mahlzeit, Nachtschweisse , Abmagerung, ('olli(|nationen.
Diagnose und Cur. S. Febris hectica, Phthisis, Inflammatio
int es t inoru m, hepatis, renum, musc. psoas, peritonaei etc.
Abscessus ischinJicM, A. coTnrius, Coxnirfin jturulcnta, A. ischimlicus in-
tornus. Ist das dritte Stadium des Hüftgelcnkwinddorns. S. .\rthrocace.
Abscessus litbwrum , Lip pen abs ccss. Ist eine entzündliche Affection
ABSCESSUS 27
in einer oder beiden Lippen, mit Geschwulst, Rothe, heftigen Schmerzen,
gelbst Fieber, worauf sich nach einigen Tagen ein Abscecs bildet, der ber-
stet und bald heilt. Ursachen sind dieselben des Gesichtsabscesses (s.
Abscessus faciei). Cur. Man wende lauwarme Umschläge von Ha-
fergrütze in Milch gekocht an und öf&ie dann den Abscess mittels der
Lanzette.
Ahscessus lacteus mammarum , Milchabscess der weiblichen
Brüste. Nicht jede Entzündung der weiblichen Brust geht in Eiterung
über, nur eine solche, die einen hohen Grad erreicht hat. Ursachen.
Anhäufung und vcrhmderte Ausleerung der Milch bei nicht selbst stillenden
Wöchnerinnen, bei solchen Frauen, welche plötzlich und auf einmal ihr
Kind entwöhnen (s. Ablactatio); ferner wunde Brustwarzen, die durch-
gesogen sind. Cur. 1) Prophylaktisch dienen bei starker Milchanhäufung:
Aussaugen durch Kinder , Frauen , Milchpumpen. Zur Vertreibung der
Milch beim Entwöhnen setze man 2 — 3 trockne Schröpfköpfe in die Ellbo-
genbiegung eines jeden Arms , lasse sie eine Viertelstunde ziehen und wie-
derhole dies dreimal täglich. Über die Brüste lege man ein Pflaster von
gleichen Theilen Empl. diachyl. compos. mid Sapo venet. , auf Leder gestri-
chen, und lasse es 9 Tage liegen. Auch folgendes Gerat, dünn auf Lein-
wand gestrichen, ist sehr wirksam: I^ Sevi cei-vini, Cerae nlhae, Spcrmat.
Ceti ana gß:, Ol. amygdal. duJc. 5J1I. M. f. Gerat. (^Most.) Es passt beson-
ders da , Avo die Mutter gleich nach der Niederkunft eine Amme fürs Kind
annehmen muss imd die Milch vertrieben haben will. Sie muss beim Ge-
brauch desselben die Brüste aufwärts binden , eine wenig nährende Diät
beobachten imd für tägliche LeibesöfTnung durch eröffnende Klystiere sor-
gen. Ists aber der Fall, dass sie im 9ten, 12ten Monate nach der Nieder-
kunft das Kind entwöhnen will, und vertreibt das langsame Entwöhnen
(Ablactatio) nicht schon von selbst die Milch , so passt das oben genannte
Pflaster, eine kühlende Diät und, ist die Mutter sonst gesund, ein gelindes
Laxans , z. B. I^/ Infus. Jaxnt. Vienn. , Aquae chamomill. , Aq. foenicuU ana
5Jj , Syr. mannac 5J , Sal. Gtauhcri 5vj. M. S. Alle 10 Minuten 1 Esslöf-
fel voll bis zur Wirkung. (M.) 2) Wundwerden der Brustwarzen verhütet
man durch tägliches Waschen mit Branntwein und Wasser zu gleichen Thei-
len , und durchs Bedecken mit einem Brustwarzenhütchen , 6 Wochen lang
bis zur Niederkunft gebraucht, durchs Abwaschen mit kaltem Wasser nach
jedesmaligem Stillen des Kindes. Ist das Übel da, so heilt die Warze nur
dann, wenn das Kind nicht unmittelbar aus derselben trinkt. Man lässt es
daher durch ein mit einer gegerbten Kuhzitze versehenes oder, noch bes-
ser, aus einem von Gummi elasticum verfertigten Brustwarzenhütchen trin-
ken. Letztere werden in Paris unter dem Namen Mamillieres bei Mr. de
la Motte, Rue J. J. Rousseau, gut verfertigt und das Stück zu 1 Fr. ver-
kauft. Ausserdem bestreicht man die wunden Warzen dreimal täglich mit
folgendem Mittel : 1^ Bals. pcruvian. 5j , tere c. vitell. ovi N. j. , ndde
Aquae vulnernr. Tfted. seu Spirit. serpylli 5JJJ. (^Jahni) Oder man gebraucht
dieses: Vy Buiyr. de Cncao gjj^, Bah. peruv. , Tinct. thehnic. ana 3J1>. M. S.
Nach jedesmaligem Stillen mit Gharpie aufzulegen. (Dr. Mappes.^ Sind die
Wunden tief eiternd, so versuche man erst: I^ Lap. itifernal. gr. jj. solv.
in Aq. cerns. nigr. 5^'j ? Tinct. thehnicae 5l^ , ipit Gharpie aufzulegen ; oder
ätze dieselben (Sie^'oW). In leichtern Fällen passt folgendes Liniment:
^' Borne, venet. 5j > VileU. ovi, Alhum. ovi ana Sjj? Ol. amygd. dulc. reo.
eorpr. 5J , Bals. peruv. nigr. SJÜ- (Harless.') Auch das Betupfen der Warzen
mit Folgendem ist empfohlen : R Extr. opii aquos. gr. j , solve in Aq. cnl-
car. ust. nuper parat., Ol. amygdal. dulc. rec. expr. ana 3jjj- (Sihergundi.')
Nässen die Warzen sehr, dann passt Rr Sem. lycopodii, Flor, zinci pulv.
ana 5j , Unguent. pomad. S^i- M. f. Ungt. {Pitschaft.^ Höchst wirksam ist
das Betupfen der wunden Warzen mit einer Sublimatsolution (2 — 3 Gran
in 5J Aq. rosar.') ; doch hüte man sich, dass der Säugling nichts davon be-
kommt (^Wedelnnd , Feist.') 3) Ist die Vorbauungscur zur Verhütung des
Milchabscesses versäumt, ist die Brustdrüse schon sehr hart, entzündet und
2S ABSCESSUS
schmerzhaft, stellt sich Fieber ein, so verordne man Mandelemulsion mit
Nitr. und Tart. vitriolat. (s. Abortus), eine kühlende Diät, Gerstenwas
»er zum Getränk und Abends ein eröffnendes Klystier. Man behandle die
JEntzündung der weiblichen Brust (Mastitis) wie jede andere Entzündung,
setze einige Blutegel an die Brust, vermelde alles Reizende, Erhitzende,
dulde weder Milchpumpen, noch Aussaugen, lasse den Säugling auch nicht
an die gesunde Brust legen, gebe bei der gewöhnlich hartnäckigen Leibes-
verstopfung Infus, sennae compos. , alle 2 .Stunden 2 Esslöffel voll , oder,
wenn die Mutter nicht mehr stillt , Merc. dulcis , und verordne darauf ge
linde, nicht reizende warme Kataplasmen von Spec. emoUient. mit Semmel
krumen und Milch gekocht, bei heftigen Schmerzen mit Herb, cicutae,
hyoscyami versetzt , bei weniger Schmerzen von Hafergrütze und gequetsch-
tem Sem. lini. Sehr wirksam , erweichend und schmerzlindernd ist ein Zu-
satz von Pulv. opii ^j. und Sal. tartari 5jli zu jedem Umschlage (M.).
Dabei vermeide man alles Kalte und Nasskalte und lege des Nachts , wenn
die Zertheilung nicht erfolgte und die Eiterbildung schon beginnt , Empl.
diachyl. gumm. und Empl. melilot. ana über die kranke Brust. Die em-
pfohlenen warmen Bähungen passen des Nachts nicht, sie erkälten die Brust
und hinterlassen schlimme Drüsenverhärtungen (3f.). ftlan öffne alsdann den
Abscess ja nicht zu früh, überlasse, wo möglich, die Öffnung der Natur,
ausgenommen da, wo bei heftigem, klopfendem Schmerzgefühl der Abscess
sehr tief, auf dem Brustmuskel seinen Sitz hat; setze auch nach der Öff-
nung des Geschwürs, das nun mit Digestivsalbe A'erbunden wird, die er-
weichenden Umschläge noch einige Tage lang fort, behandle den Abscess
nach den allgemeinen Kunstregeln (s. Abscessus), gebrauche höchstens
2— -3 Tage die spitzigen Wieken, verbinde nachher mit Plumaceaux, wor-
auf Ungt. digestiv, gestrichen , lasse den Abscess , Avenn die Eiterung sehr
gering ist , dreist zuheilen , drücke beim Verbinden nicht daran , und lege
zur Zertheilung der nachgebliebenen Härte noch längere Zeit folgendes Pfla-
ster, auf weiches Leder gestrichen, über die ganze Brust: fy Empl. diachifl.
gunvnos. gj , Empl. cicutne , Empl. hijoscyrnni , Empl. mcrc. ana 5jj- M.
(^Most sen. ). Ein neues Mittel wider die Beschwerden der Milchsecretion,
gegen Geschwulst und Schmerz in den Brüsten , also bei den ersten Zei-
chen der Mastitis, ist folgendes, welches auch ich sehr wirksam gefunden
habe: fy Aq. Inurncerasi 5Jj, E.T(r. helladomiae ^)v, Lkiuor. anodi/n. jj. M. S.
Wohl umgeschüttelt 2mal täglich in die Achselhöhle und in die ganze Brust
einzureiben. Dies Mittel wirkt auf das mit dem Drüsensystem so eng ver-
bundene Nervensystem, da letzteres als der Grund aller Secretionen ange-
sehen werden muss. Nach Beobachtungen von Rnmfuc im Hotel -Dien zu
Paris heilte dies Mittel den Abscess schon in 3 — 4 Tagen. (Vergl. Froriep's
Notiz. Nr. 512.).
Abscessus lucteiis vieiastniicus, s. Metastasis lactca, der raetasta-
tische Milch abscess, auch Decubitus lactis genannt. Ist eine Ab-
lagerung eines milchähnlichen Fluidums ins Zellgewebe, die als eine dem
Abscess ähnliche, lluctuirende Geschwulst in Folge unterdrückter Milchsecre-
tion, also als Metastase erscheint. Im Ganzen kommt dieser Abscess selten
vor, und dann nur auf plötzliche Erkältung der Brüste, starke Gemüthsbe-
wegungen. Ich sah ihn einst am Schenkel bei einem Mädchen, das durch
Umschläge von kaltem Wasser auf die von Milch strotzenden Brüste sich
die Milch schnell vertrieben hatte. Er kommt am Schenkel , in der Len-
dengegend, am Rücken, seltener am Halse und in der Achselgrube vor.
Zuweilen geht die Metastase nach dem Gehirn oder nach den Lungen, oder
nach dem Bauchfell, wo dann Raserei, Pneumonie, Zeichen von Peritonitis
und oft schon am 5ten Tage der Tod folgen. Symptome sind: zuerst
starker Fieberfrost, dabei ziehende, reissende, knebelnde Schmerzen in den
Gliedern, Übelkeit, schon am 2ten , 3ten Tage schnelle Bildung und Zu-
nahme der Geschwulst, so dass sie oft mehrere Quart Flüssigkeit enthält.
Der Abscess erregt wenig Schmerz , kommt auch langsam zur Reife ; er ver-
schwindet zuweilen plötzlich und dann folgen die genannten schlimmen Zu-
ABSCESSUS 29
falle der Affection innerer edler Organe. Cur. Wiederherstellung der Milch-
secretion durch warme Bähungen und Dämpfe von Flor, chamomillae und
sambuci, trockne Schröpfköpfe, Senfteige auf die Brüste, durchs Anlegen
des Säuglings, der Saugpumpen. Auf die Geschwulst lege man ja keine
kalte , zurücktreibende Mittel ; am besten sind warme Umschläge von Sem-
melkrumen mit Milch, bei Reizlosigkeit mit etwas Senfpulver. Die inner«
Behandlung richtet sich nach der Constitution und dem Allgemeinleiden des
Kranken. Man hüte sich vor zu heftigem activen Verfahren und wende nur
bei Vollsaftigen Antiphlogistica an. In der Regel passen kühlende Diapho-
retica: Spirit. Mindereri mit Salmiak, Aq. flor. sambuci und Tart. emet. in
refr. dosi. Bei schwächlichen, sensiblen Frauen Infus, valerianae, cal. aro-
mat. , flor. sambuci. Stellt sich ein weisser Bodensatz im Urin ein , so ist
dies kein übles Zeichen ; will die Milchsecretion nicht wieder zum Vorschein
kommen, so gebe man, gind fruchtlos einige Tage verflossen und hat di»
Diaphoresis die allgemeinen Zufälle nicht gemindert, ein Infus, laxativ. mit
Tinct. rhei und Purgirsalz.
Abscessiis laryngis, Kehlkopfabscess. Ist bei Phthisischen nicht
selten der traurige Ausgang einer chronischen Laryngitis ; in andern Fällen
war die Entzündung des Larynx mehr acut , wobei das Fieber und die Er-
stickungsangst oft recht bedeutend sind, und sich dann am 5ten, 6ten Tage
der Krankheit der Eiter bildet , indem zahlreiche kleine Eitersäcke von der
Grösse einer Erbse bis zu der einer Haselnuss sich unter der innern Haut
des Kehlkopfs aufhalten, welche, wenn sie nicht bersten, das Lumen des-
selben so verengern, dass der Kranke den Erstickungstod stirbt. So er-
stickten vor einigen hundert Jahren in Spanien und Italien viele tausend
Knaben an einer solchen in Verschwärung und Brand übergehenden Bräune
(s. Angina gangraenosa). Zuweilen ist die anfangs stark geröthete
Schleimhaut des Kehlkopfs fast überall mit zähem eiterartigen Secret über-
zogen , die Mucosa ist aufgelockert , verdickt , und wenn der Eiter auch
durch den Mund unter Husten ausgeleert wird und der Kranke sich sehr
erleichtert fühlt, so bleibt die Prognose doch häufig ungünstig, indem sich
später Phthisis laryngea ausbildet. Zuweilen sind nur 2, 3 und mehrere
grössere Abscesse da, wo sich dann mitunter der eine Abscess öff'net, wäh-
rend der andere noch geschlossen ist, manchmal auch Infiltrationen nach den
Nachbartheilen entstehen, die oft grosse Zerstörungen anrichten. (S. Horri's
Archiv 1811. Jan. S. 142. Morgagni de sedib. et causis morborum. Ep. XV,
art. 13. Flormann in Samml. auserlesner Abhdl. für pr. Ärzte Bd. 14. S. 467.)
Cur. Man verhüte durch kräftige antiphlogistische und derivirende Mittel
den schlimmen Ausgang der Laryngitis in Eiterung. Ist diese nicht mehr
zu verhüten , so legen wir Vesicatorien auf die Brust , Breiumschläge um
den Hals, lassen warme Dämpfe einathmen , geben ein Vomitiv, auch Pur-
ganzen aus Kalomel. Ist die Gefahr der Erstickung sehr gross und schon
das Schlucken unmöglich, so bleibt nur noch die Injection einer Auflösung
von Tart. emet. oder Zinc. sulphuric. in die Armvene zur Erregung des
Erbrechens und die Tracheotomie als Palliativ zu versuchen übrig. (S. Rusfs
Magazin. Bd. 7. p. 128.)
Ahscessus lienis, Mi Izabscess. Er kommt nur selten vor, weil die
entzündete Milz häufiger in Induration oder in Auflockerung übergeht. Ist
er gross , so kann er beim Bersten oft plötzlichen Tod erregen , indem der
Eiter und der bräunlich graue, mit schwarzem Blute vermischte Brei, worin
die Milz dann theilweise metamorphosirt wird , in die Bauchhöhle tritt.
Glücklicher ist der Ausgang, Svenn der Abscess sich in den Darrakanal öfl^net.
Symptome. Zuerst treten die Zeichen der acuten oder chi-onischen Sple-
nitis auf, dann die jeder innern Eiterung (s. Ahscessus internus):,,
wobei die Entzündungssymptome theilweise noch stattfinden. Cur; s. Ini
flammatio splenis.
Alscessus lumhalis, s. Inflamm atio mu sc. Psoas.
Ahscessus lymphaiicus , Tumor lympJiaticus , Lymphgeschwulst,
kalte Geschwulst, Lymphabscess. Ist eine Austretiuig der Ly»nph«
30
ABSCESSUS
aus lymphatischen Gelassen, ohne dass Entzündung vorhergegangen o3er
zugegen ist. Symptome. Es zeigt sich eine kleine, elastische, iluctuirende
Geschwulst, am häufigsten am Schenkel, auf der Schulter, am Halse, ara
Nacken, auf der Brust, welche ohne Röthe und fast schmerzlos ist, und sich
binnen wenigen Wochen, Monaten dergestalt vergrössert, dass sie oft meh-
rere Maass Flüssigkeit, die anfangs klar, nachher trübe, gelblich, röthlich,
stinkend ist, enthält. Zuletzt bricht der Abscess von selbst auf, entleert
viel Flüssigkeit, die sich täglich in Menge einstellt; die Kräfte des Kranken
sinken , er magert ab , bekommt hektisches Fieber und stirbt an Schwäche
und Abzehrung. Ursachen. 1) Am häufigsten schlechte Beschaffenheit der
Säfte, Dyskrasie durch Lues, Scrophulosis , Gicht, — ein Allgemeinloiden
des Lymphsystems, avo also der Tumor lymphaticus als Symptom des Allge-
meinleidens auftritt (^Kluge). Eintheilung. Man kann annehmen 1) die
wahre Lymphgeschwulst, diese ist «) eine idiopathische, von äussern Um-
ständen entstanden, und kann sowohl acut, als chronisch seyn ; 1i) eine
symptomatische , aus innern Ursachen als Folge allgemeiner Krankheit des
Lyraphsystems entstanden; 2) die falsche Lymphgeschwulst, der lymphati-
sche Abscess nach Walthcr. Letzterer nimmt jedesmal wahren Eiter im
Abscesse an, eine einseitige Ansicht, die nur für die spätem, nicht für die i
frühern Stadien des Übels passt, da zu Anfange wahre Lymphe , später erst
Eiter im Tumor gefunden wird. Diagnose. Ist leicht, man berücksichtige
den ganzen Verlauf und die Entstehung des Übels, und man wird es leicht
vom Absc. des Psoas, Fungus articuli, Tumor cysticus etc. unterscheiden.
Cur. Indicationen sind: 1) Man gebe den krankhaften, atonischen Lymph-
gefassen ihre verlorne Reizbarkeit wieder, 2) man befördere ihre Contracti-
lität und erhöhe 3) die Resorption. Man versuche zu Anfange der Krank-
heit stets die Zerthellung. Man setze Blutegel im Umfange der Geschwulst,
mache kalte Umschläge von Eis, Wasser, Schmucker's Fomentation , Kam-
pherspiritus, wende einen gleichmässigen Druck durch einen zweckmässigen
Verband an, lege 2 — 3 Fontanellen in die Nähe des Tumor, und gebe in-
nerlich bei offenbarem Allgemeinleiden und noch kräftiger Constitution alle
3 — 4 Tage ein Purgans aus 5 — 8 Gran Merc. dulcis und -)j bis 5lv Rad.
jalapae. Ist das Übel rein mechanisch entstanden, der Kranke selbst bei
guter Säftebeschaffenheit, so gelingt die Heilung auf die angegebene Weise,
besonders durch zweckmässige Compression, ohne alle innere Mittel. Gelingt
bei der symptomatischen wahren Lymphgescbwulst dnrch solche Mittel die
Zertheilung nicht , so gebe man die Hoffnung dazu nicht gleich auf. Man
versuche Vesicatorien , lege sie 14 Tage lang auf den Tumor (^Langcnhccli)^
oder man ätze denselben mehrere Wochen lang mit Lap. infernalis \Venntj),
oder, was noch wirksamer ist, man verbinde zweimal täglich die ganze
Oberfläche des Tumor mit Liquor hydrargyri nitrici (Mosi') , setze diese Cur
lange fort, doch so, dass die Oberfläche des Tumor nicht ganz durchgeätzt
wird, und man wird mit Verwunderung wahrnehmen, dass die Geschwulst
von Tage zu Tage kleiner wird und Resorptio fluidi und Zusammenfallen des
Cavum erfolgt. Sollte dies aber nicht der Fall seyn, so befördere man eine
kräftige Entzündung und Eiterung, und ölTne den Abscess, doch so, das»
er sich nicht plötzlich entleert; sonst füllt er sich bald wieder, die Kräfte
des Kranken sinken schneller wegen grösseren Säfteverlustes, und der Tod
wird dadurch befördert. Die Hauptindicationen sind hier n) Unterstützung
der Lebenskräfte durch gute animalische Kost, Fleischsuppen, Wein, durch
Decoct. chinae, ratanhiae, gei urbani. Infus, cal. aromat. (s. unter Absces-
Bus die Formeln.) V) Berücksichtigung der Dyskrasie durch innere Mittel, da-
her nach den Umständen Antiscrophulosa, Antivenerea, Antarthritica, nament-
lich Terra ponderos. salita, Digitalis, Rlercurialia, Antimonialia, in Verbin-
dung mit den stärkenden Rütteln , mit aromatischen Bädern, r) Erregung
eines kräftigen Entzündungsprocesses im Abscesse, wodurch plastische Ex-
gudation , Annäherung der obern und untern Fläche , kräftige Resorption und
Schliessung bezweckt werden soll. Man legt in dieser Absicht 2 — 6 Empla-
itra fenestrata, je nachdem die Geschwulst gross oder klein ist, mit Lap.
ABSCESSUS 31
Infernal, oder Lap. caust. auf dieselbe , verbindet am andern Tage die ge-
bildete Borke mit Unguent. digest. 3J, worein 5|* fother Präcipitat gemischt
worden, und unterhält so die Hautgeschwüre, durch welche sich nur allmä-
iig etwas Lymphe entleert; man fährt so fort, bis die Geschwulst durch
Resorption verschwunden ist. Man vergesse nicht, noch obendrein 1 — 2
grosse Fontanellen in die Nähe des Tumor zu legen und mit der letztge-
nannten Salbe zu unterhalten. Einige rathen bei noch guten Kräften des
Kranken die Geschwulst durch den Schnitt zu öffnen , die Flüssigkeit auf
3 Mal binnen 24 Stunden zu entleeren , das Gavum mit kochendem Wasser
auszuspritzen (iJjist), und aromatische, spirituöse Umschläge anzuwenden.
Man kann zweckmässiger statt des siedenden Wassers 2 — 3mal lauwarm
folgende Mittel , abwechselnd gebraucht, einspritzen: ^' Merc. suhlimat. cor^
ros. gr. X — XV, Aquae destillatae ^^'i , und I^r Lapid. infernal. 3j — 3flj
Aquae rosnrum, Aq. opii destill. ana 5JJ1y. (M.) Andere loben die Ligatur.
Sie wird durch die ganze Geschwulst gezogen, wobei die Lymphe nur lang-
sam abfliesst. Sie muss durch allmäliges Anziehen zuletzt den ganzen Tumor
durchschneiden, dann entsteht vom Grunde desselben aus ein guter Granu-
lationsprocess (Langenhecli). Man verbindet die Geschwulst mittels der Li-
gatur täglich 1 — 2mal zweckmässig mit folgender Salbe: I^ Unguent. dige~
stivi 5Jj , Pulv. merc. prnecip. rubr. 5jV> Pulo. Inpid. infern. 9j . Pulv. cnn-
iharid. Sj- M. f. Unguent. (Most sen. ). Auch hat man wol das ganze Ca-
vum geöffnet und auf einmal entleert, dann dasselbe mit Charpie, die mit
ähnlichen reizenden Salben bestrichen worden, ausgestopft (^Langenheclt');
doch ist dies nach neuern Erfahrungen nicht nachzuahmen ; sondern die theil-
weise Zertheilung durch Resorption mit unbedeutendem Lymphverlust durch
die kleinen Offnungen des Cavum vorzuziehen. Dabei versäume man nie,
durch einen zweckmässigen Expulsiwerband (^Theden's Einwickelung) ein«
gelinde andauernde Compression anzuwenden, die zur schnellern Heilung so-
wol bei dem eiternden Abscess, als auch zur schnellern Zertheilung des Tu-
mor beiträgt. Wird die Eiterung bei ersterm gut, so darf man die Charpie
oder Ligatur nicht mehr mit den reizenden Salben verbinden ; auch muss die
Ligatur dann herausgenommen und ein etwas festerer Verband angelegt wer-
den. — Nach diesen Cautelen sieht man ein, dass das operative Verfahren
hier im Anfange rein mechanisch (Compression) , oder rein chemisch , oder
gemischt (chemisch und mechanisch) seyn muss (Kluge^. Darauf stützen sich
die verschiedenen operativen Verfahrungsarten nach Volpi, Rust , Langerir-
bccTc, Jacobi, Znng , Beinl , Nasse und Kluge, welche Dr. Zemhsch (^Rusfs
Magaz. 1828. Bd. XXVII. Hft. 1.) gesammelt hat. DerRecensent der Langen-
&cc/c'schen „Nosol. u. Therapie d. chir. Krankheiten" in der Jenaischen Lit.
Zeitg. Ergänzungsbl. 1827. Nr. 82 — 84 tadelt beim Lymphabscess das Ope-
riren und Haarseilziehen, und versichert , dass er seit dem Jahre 1812 alle
solche sog. kalte Abscesse , selbst wenn sie kannenweise Flüssigkeit enthiel-
ten, nur ein- bis zweimal mit Liquor hydrargyr. nitric. behandelt und sia
so alle ohne Ausnahme in kurzer Zeit geheilt habe.
Ahscesstis malae, W angen ab s ces s, s. Abscessus faciei.
Abscessus niammnrum^ s. Abscessus lacteus mammarum imd In-
flam matio glandularunl.
Abscessus metastaficus. Ist ein nach cessirenden, gesunden oder krank-
haften Absonderungen einzelner Organe oder ganzer Systeme erscheinender
Abscess (Sommer). Er entsteht bald schnell, bald langsam, folgt auf zahl-
reich^ acute und chronischej innere und äussere Krankheiten, und zeigt sich
dann in verschiedenen Organen , zumal i« solchen, die mit dem früher ange-
griffenen Theile in Mitleidenschaft stehen oder mit ihm durch die eigen-
thümliche Organisation , Structur , Function verwandt sind. So sind z. B,
die Furunkel oft metastatische Abscesse in Folge unterdrückter oder retar-
dirter Menses, solcher Hämorrhoiden; der metastatische Milchabscess folgt
auf zu schnelle Vertreibung der Milch in den Brüsten u. s. f. Symptome.
Häufig. tritt der raetaStatische Abscess mit mehr oder weniger stürmischen
Symptomen, gerade wie die der Kxise in acuten Krankheiten, mit Fieber,
32 ABSCESSUg
Delirien, Convulsionen , heftigen Schmerzen In irgend einem Organe, afff,
welche aber, so wie sich der Abscßss. zeigt, meist von selbst verschwinden
und kein actives Verfahren von Seiten des Arztes erheischen. Der Abscess ist
gelten stark entzündet, meist ist die Geschwulst Jtalt, weich und fluctuirend.
Behandlung, Man massige die allgemeinen. Zufälle durch gelinde küh-
lende und diaphoretische Mittel,, yprmeide Erkältung .de^ leidenden Theil»
und suche den Abscess nach allgemeinen Regeln , durch ;Emollientia und Ir-
ritantia stets, in Eiterung zu bringen, überlasse auch, wenn keine Gefahr
vorhanden ist, die Öffnung desselben der Natur. Jeder Versuch, solche
Abscesse zu zertheilen, ist der Natur des Übels nach ^yidersinnig.
AbsceSsus musciilorum tJwrncis. Er erfordert neben der bekannten Be-
handlung besondere Aufmerksamkeit, dass keine Versenkung des Eiters statt-
findet, dass er nicht nach innen in einen oder den andern Sack der Pleura
dringt, dass man das Empyem niqht mit ihm verv\echselt, u. s. f. Sitzt er
luiter dem Schulterblatte, so muss man, um den Eiter Abfluss zu verschaf-
fen , in einzelnen Fällen dasselbe selbst trepaniren (MarechnT).
Abscessus nnrium. Er kann sowol äusserlich an der Nase, als inwen-
dig vorkommen. Im letztern Falle geht entweder Entzündung der Nasen-
Bchleimhaut vorher , oder es ist auch ein Congestionsabscess , wo der Eiter-
herd in den Stirnhöhlen, selbst im Gehirn liegt. Ursachen sind: Syphilis,
Scrophulosis , heftiger Nasenkatarrh, mechanische und chemische Reize,
fremde, in der Nase stecken gebliebene Körper, Erbsen, Bohnen, kleine
Steine , zumal bei kleinen Kindern , die man daher mit solchen Dingen niciit
spielen lassen muss; — ferner Insectenstiche, eingekrochene Insecten, sol-
che Larven; auch können durch ihren Stich Insecten das Milzbrandconta-
gium auf deu lebenden Körper übertragen. Die Zufälle sind oft gelinde,
oft aber auch heftig, so dass Fieber, Hirna^ectjionen auftreten. Die Be-
handlung richtet sich nach Beschaffenheit des Allgemeinleidens vmd des
örtlichen Übels. Bei Gehirnzufällen versäume man nicht, diese durch Ader-
lassen, Blutegel und kühlende Purganzen zu massigen; topisch wende man
nicht reizende, erweichende Umschläge an, und vermeide alle reizende Mit-
tel, weil sonst leicht üble Geschwüre zurückbleiben. Die blutigei\ Ge-:
schwülste des Septums sind Ecchyraosen und stets Folge mechanischer Ver^^
letzungen; sie sind dunkelroth, glatt und glänzend; dabei Vollheit und Ver-
stopftheit der Nase , ohne wahrnehmbare Contusion der Hautbedeckungen.
Kalte Umschläge, und wenn nicht bald Zerthellung folgt, das Öffnen der
Geschwulst mit einer Lanzette ist hier das Beste. Zuweilen bildet sich eia
Abscessus septi , welcher entweder acut oder chronisch ist. Zuweilen ist
dieser Folge von Scropheln , Blattern, Masern, Scharlach etc. Oft ist dann
die ganze Membrana pituitarla geschwollen, so wie der das Septum be-
deckende Theil. Der Schmerz verbreitet sich bis zur Stirnhöhle und zu
den Thränenkanälen , daher Thränenfluss entsteht. Man muss bei den Ver-
letzungen der Nase von Anfang an alles Mögliche thun , um Eiterbildung
zu verhüten, und ist Eiter da, diesen sobald als möglich durch eine .Tnci.-,
ßion zu entleeren suchen. Im entzündlichen Stadium sind Blei - und Zink-
mittcl, bei chronischem Verlauf die schwarzen und gelben Mercurialfomen-
tationen, so wie verdünntes U:iguent_. citrin. und Unguetit. zinci nützlich..
Bei den idiopathischen, aus imiern, Ui'sachen entstehenden Nasenabscessen
ist das entzündliche Stadium oft gering und der Schmerz, die Spannung un-.
bedeutend, die Farbe nicht so dunkelroth. Hier dient äusserlich nach ge~-
ßchehener Öffnung oft Solutio argenti nitrici. (S. Fleimnin^ in Dubl. Journ,
of med, and chir. Science Vol. IV. Nr. 10. Septbr. 1833.), Dass man.
gegen die sonstigen Ursachen , gegen Syphilis , Scrophulosis etc. auf be-
kannte Weise darneben zu wirken habe, versteht sich von selbst. (S. De-.
champ , Journ, general de Medecine. T, XIX. p. 201. vo7i Griifes und v. ,
Waltlm-'s Journ. f. Chirurg, etc. Bd, XX. Hft. 4. S. 622.).
Abscessus nudcntus, s. Furunculus.
Abscessus oculorum, der Abscess an den Augen. Ist jede Eiter-
ansaramlung', welche sich in einer neu gebildeten Höhle im Auge oder in
ABSCESSUS . 33
dessen Umgebungen erzeugt, und zwar in Folge von Entzündung, die wo-
gen mangelnder oder veikehrter Kunsthülfe oder aus andern in der specifi-
schen Natur der Entzündung liegenden Ursachen nicht zertheilt worden.
Die Symptome dieser Abscesse ■ sind die jeder Eiterung, also statt der
stechenden, reissenden, oscillirenden Schmerzen wird der Schmerz drückend,
pressend , klopfend , dabei Gefühl von Kälte imd Schwere im leidenden
Theile, Weicherwerden und Fluctuation der früher harten, gespannten Ge-
schwulst etc. Ausserdem schwillt nicht selten die leidende Seite des Ge-
sichts erysipelatös und ödematös an, wozu sich Kopfweh, Fieber, Hirn-
affectionen, Obstructio alvi gesellen. Jüngicen unterscheidet nach dem Sitze
hier folgende Abscesse: 1) solche in der Umgegend der Augen und an den
Augenlidern (Anchylops, Dacryocystitis , Canthitis , Blepharophthalmitis,
Hordeolum); 2) solche, die in der Augenhöhle zwischen den Orbitalwänden
und dem Bulbus sitzen (Periorbitis, Dacryoadenitis) ; 3) solche, die am Bul-
bus oculi stattfinden und zwar in Folge von Conjunctivitis, Corneitis, Iritis. —
Ihrer Natur und den Ursachen nach sind sie entweder echte entzünd-
liche, oder falsche kalte Abscesse. Zu letztern gehören die metasta-
tisohen, kritischen und Congestionsabscesse. Der sog. Onyx, wo sich der
Eiter aus einem Ulcus corneae zwischen die Lamellen der Hornhaut nach
unten begiebt, ist z. B. ein solcher Congestionsabscess. Die dyskrasischen
und traumatischen Augenentzündungen gehen am leichtesten in Eiterung über.
Die Cur ist im Allgemeinen dieselbe , wie die der Abscesse überhaupt.
Fremde Körper sind zu entfernen , Augenwunden wo möglich ohne Eiterung
zu heilen, die vorhandenen Dykrasien zu berücksichtigen, die Entzündung
zu massigen etc. Topisch dienen bei Abscessen in der Umgegend des Auges
und an den Augenlidern warme Breiumschläge von Semmelkrumen , in Milch
gekocht und etwas Safran zugesetzt, auch von Farina sem. lini, bei starken
Schmerzen mit Zusatz von Herba hyoscyami, cicutae; bei Abscessen am
Augapfel Infusionen von Capit. papav. , flor. malvae , mit Compressen warm
übelgeschlagen, übexhaupt so warm, als der Kranke es ertragen kann*
Ist der Abscess in der Nähe des Auges schmerzlos, kalt, so legt man Em-
plastr. de galb. crocat. , Empl. diachyl composit. auf. Bei den Abscessen
am Augapfel suche man, damit die Eiterung keine Zerstörung anrichtet,
durch Einreiben der grauen Mercurialsalbe in die Umgegend des Auges di«
Resorption zu begünstigen, gebe auch innerlich ein paar grosse Dosen Ka-
lomel, oder auch, was nach Schmalz sehr wirksam ist: ^ Rad. senegae,
Magnes. carJjon. ana ^jj, Kali tarlaric. §j. M. f pulv. S. Smal täglich einen
Theelöffel voll. — Die Öffnung des Abscesses an der Cornea muss man stets
der Natur überlassen, weil das Geschwür alsdann bes^ei- heilt. Abscesse an
der Conjimctiva scleroticae kann man dagegen dr«ist öffnen. Ein Mehrere»
über diesen Gegenstand ist unter den Artikeln Aegilops, Blepharo-
phthalmitis, Dacryocystitis, Prolapsus sacci lacrymalis,
Hordeolum und In flamm atio oculi nachzuTesen.
Ahscessm ovarii. Dieser Abscess kann in einem oder in beiden Eier-
stöcken in Folge acuter oder chronischer Oophoritis (s. Inflammatio
ovarii), oder durch Graviditas extrauterina vorkommen; auch bei Unver-
heiratheten, welche Onanie treiben, hat man ihn beobachtet. Symptome.
Durch die Bauchdecken und durch die Untersuchung per vaginam fühlt man
an der einen oder andern Seite des Körpers eine leicht bewegliche, scharf
begrenzte, sehr empfindliche, schmerzhafte, derbe, doch nicht' steinharte,
später klopfende , weiche und fluctuirende Gesichwulst in der Inguinalgegend^
die sich selbst bis zum Nabel erstreckt und dann von Schwangerschaft oft
schwer zu unterscheiden ist. Dabei Gefühl von Druck und Schwere im Be-;
cken, Mangel an Appetit, Febris lenta, Abmagerung. Die Menses stocken!,
die Ausleerung des Stuhls und Harns macht -viel dmckenden Schmerz, die
Kranken leiden an verschiedenen dyspeptischen BeschweMen , an Erbrechen^
die Brüste fallen ein, es zeigt sich Leukorrhoe, Eljtroncus, Asthma, pferio-
disch stellt sich ein wehenartiger Schmerz ein, später Icterus, Hydrops.
Bricht der reife Abscess auf, so entleert er durch das Rectum, durch die
Mo 8t Encyklopädie. 2te Aufl. I. 3
34 ABSCESSUS
Vagina oder in der Leistcnfregend oder am Abdomen eine Menge stuiken-
den, oft mit Haaren, Zähnen, Fötalüberresten etc. vermischten Eiters.
Die Prognose ist schlimm. Die Cur ist bei solchem Ausgange der Ent-
zündimg meist auch nur eine palliative. (^FrniiJ: , Acta Instil. clin. Vilnens.
Ann. I. p. 120.). S. Inflammatio ovarii.
Alscessus pftrofidis. Der Ohrspeicheldrüsenabscess ist häufig
ein metastatisches oder kritisches Übel, das man daher in Eiterung bringen
muss, z B. bei Typhus, Scarlatina, nach unterdrückten Kopfschweissen, bei
Nervenfiebern. Ist der Schmerz unbedeutend und die Geschwulst mehr kal-
ter Natur , so dienen warme Umschläge von Senfmelü , Zwiebeln, Sauerteig ;
nlsdann öffnen wir, wenn Fluctuation da ist, mittels eines Causticums den
Abscess, und verbinden mit gelind reizenden Salben. Versenkungen des
Eiters können, wenn man die Öffnung der Natur überlässt, am Rande des
Sternocleidomastoideus abwärts stattfinden und am untern Theile des Halses
eine fluctuirende Geschwulst bilden, während die Drüsengeschwulst ober-
halb schnell kleiner wird. Hier muss man schnell auf den Congestionsabscess
ein Causticum legen, wodurch Entzündung und Entleerung des Eiters be-
wirkt, die weitere Senkung verhütet und unter Anwendung eines massig
comprimirenden Verbandes die Schliessung des Ganges und des Apostems
bewirkt wird. Vergl. auch Inflammatio parotidis. (S. Spauijenherg
in Hont's Archiv 1812. März. S. 247. Autenrieth, Diss. de natura paroti-
dum malignarum in morbis acutis. Tübingen 1809. Salzb. med. chir. Zei-
tung 1811. I. p. S81. SeJillot, Journ. de M^decine 1812. Janiner. p. 108).
Ahscessus pectoris internus, innerer Brust ab scess, Eiteran-
sammlung innerhalb der Brusthöhle. Es können sich an allen
Stellen der Brusthöhle Abscesse bilden. Boijer unterscheidet folgende For-
men nach Verschiedenheit ilires Sitzes: 1) Eiterbildung im Zwischen-
zellgewebe zwischen dem Brustfell und den Wänden der
Brusthöhle. Ist Folge der Entzündung der Intercostalmuskeln durch
Schlag, Stoss, Quetschung, Verwundung, oder Folge von Pleuritis. Der/
Kranke fühlt Schmerz in der leidenden Seite der Brust, der bei Körperbe-
wegungen und bei der Inspiration zunimmt ; daher letztere kurz ist und
Zwerclifell und Bauchmuskeln zu Hülfe genommen werden. Bei Pleuritis
ist mehr Fieber imd trockner Husten ; der Schmerz ist begrenzt , die Per-
cussion mittels des Fingers an der leidenden Seite giebt einen dumpfern Ton
als an der gesunden; die Auscultation leistet hier weniger. Ein Finger-
druck, tief in die Intercostalräume applicirt, vermehrt den Schmerz bedeu-
tend. Bei chronischer Entzündung aus dy.skrasischen Ursachen ist die Dia-
gnose schwieriger. Späterhin bildet sich unter den bekannten Zeichen inne-
rer Eiterbildung (s. Abscessus internus) bald früher, bald später, je
nachdem die Entzündung acut oder subacnt, oder chronisch war, binnen 5,
10, 20 — 30 Tagen, äusserlich an der kranken Seite der Brust zwischen 2
Rippen unter Dyspnoe eine teigige, weiche, fluctuirende Geschwulst, wel-
che sich zuspitzt, an einer kleinen Stelle öffnet und Eiter in Menge giebt;
alsdann verschwinden oft alle Beschwerden beim Athmen. Die Pleura selbst
vereitert dabei höchst selten ; dies ist nur bei Personen mit schlechten Säf-
ten und ungesunder Natur und bei gleichzeitigem Lungenleiden möglich;
alsdann ergiesst sich der Eiter in einen Sack der Pleura und bildet die so-
genannte Eiterbrust (s. Empyema und Phthisis pulmonalis ex u Ice-
rat a), oder, was häufiger ist, er bildet nach aussen, am Zwerchfell, am
schwertförmigen Knorpel des Brustbeins, zwischen Pleura und Intercostal-
muskeln einen Congestionsabscess. Sitzt der Abscess in der Gegt»nd des Her-
zens, so pulsirt er; und der Unkundige meint, es sey eine Pulsadergeschwnlst.
Fühlt aber der Kranke beim Druck Schmerz, und verkleinert sich die Ge-
schwulst dadurch nicht , so kann man mit Wahrscheinlichkeit darauf rech-
nen , dass es kein Aneurysma ist. Das spätere Spitzwerden und Sichöffuen
der Geschwulst mit EiterausHuss macht die Diagnose gewiss. Sehr leicht
bildet sich bei solchen Abscessen eine Fistel mit jauchiger Absonderung,
häufig auch Caries sterni et costanim. Das Übel ist, wenn auch nicht le-
ABSCESSUS 35
bensgeföhrlich , doch fast immer sehr langwierig, besonders wenn der EÜfer
in Folge chronischer Entzündung übelriechend nnd ichorös ist. Cur. Bei
deutlicher Fluctuation und noch bestehender Härte schlage man Cataplasmata
emoUIentia über die Geschwulst, und mache, wenn hinreichende Maturation
eingetreten ist,» mittels der Lanzette einen grossen Einschnitt und in gehö-
riger Entfernung vom untern Kande der obern Rippe, damit die Art. inter-
costalis nicht verletzt werde. Man giebt ihm gern eine trichterförmige Ge-
stalt, so dass die äussere Öffnung am weitesten ist. Ist der Abscess kalt,
ohne Entzündung und chronisch, so öffne man durchs Causticum, durch
Lap. infernalis oder Lap. caiistic. mittels eines Empl. fenestratum. Der
Kranke muss auf der leidenden Seite liegen , damit der Eiter gut abfliessen
kann. Bei Fistelgängen muss man oft eine Gegenöffnung machen. 2) E i -
teransammlung im Mediastinum. Sie findet am häufigsten im vor-
dem Mittelfell in Folge von Inüammatio telae cellulosae zwischen beiden
Blättern des Mediastinums statt , veranlasst durch Dyskrasien , Metastasen
und traumatische Schädlichkeiten. Der Verlauf ist bald acut, bald chro-
nisch, die Diagnose schwierig. Die Zufälle sind anfangs fast dieselben der
Pleuritis und Pleuropneumonie : Dyspnoe , Fieber , Durst, tiefer , klopfender,
dumpfer Schmerz unter dem Sternum, selbst bis in den Rücken, trockner
Husten etc. Später zeigt sich dicht über dem Manubrium sterni oder zu den
Seiten des Brustbeins, oder an seiner Spitze, eine Geschwulst, oder das
schwammige Brustbein wird an einer Stelle in die Höhe getrieben, aufge-
lockert, cariös, und hier entleert sich der Eiter. Durchs Sondiren entdeckt
man dann den Eiterherd hinter dem Brustbeine im Mediastinum. Die
Prognose ist hier schlimm; der Knochenfrass des Brustbeins theilt sich
leicht den Rippenknorpeln mit, der Eiter fliesst nicht immer nach aussen,
macht durch den Druck auf Pleura und Pericardium Angst, Herzklopfen,
Dyspnoe, Congestionen nach dem Kopfe. Cur. Vor allem sorge man da-
für, dass der Eiter frei ausfliessen kann, trepanire, wenn das Sternum sich
erhoben, dieses (s. Caries sterni) — wenn anders die schwierige Diagnose
fest steht — , erweitere die von der Natur gebildeten Öffnungen, mache
milde Einspritzungen von warmen Chamillenthee , Infus, herbae salviae, bei
übelriechendem Ausfluss mit Zusatz von Tinct. myrrhae, und sorge für
zweckmässige Lage auf dem Bauche. S) Geschlossene Eiteransamm-
lung im Lungenparenchym (Vomica, Absc. pulmonum). S. Phthisis
pulmonalis. 4) Geschlossene Eiteransammlung in den Adhä-
sionen zwischen Lungen und Pleura. Sie sind selten und dann nur
Folge einer heftigen, schlecht behandelten Pleuropneumonie. S. Inflam-
matio pulmonum et pleurae. 5) Fr eie Eit er ansammlung in-
nerhalb der Brusthöhle (Empyema, Pyothorax, Hydrops
pectoris purulentus), Eiterbrust, hitzige Brustwassersucht.
Hier hat man verschiedene Zustände nicht gehörig unterschieden ; daher
trennt man d) Empyema per exsudationem; ist ähnlich der Peritoni-
tis exsudativa, indem in Folge von Pleuropneumonie eine purulente Flüssig-
keit innexhalb der Pleiura exsudirt. Dies ist der wahre Hydrops pecto-
ris purulentus, wobei nach den vorangegangenen Zeichen der Entzün-
dung Dyspnoe, dumpfer Wiederhall der Percussion, Angst, periodische Or-
thopnoe bei jeder Körperbewegung, Husten, Frösteln, Lage auf der Seite,
welche leidet, bei Erguss in beide Pleurasäcke nur allein die Lage auf dem
Rücken mit erhöhtem Kopfe und Oberleibe, grössere Ausdehnung der lei-
denden Seite, selbst von 1 — 2 Zoll, als die der gesunden, Abwesenheit
des Laennec'schen Respirationgeräusches an der leidenden Brust hälfte, auch
wohl Aegophonie etc. bemerkt werden. 6) Empyema per infiltratio-
nem. Es soll durch Aufbruch einer Vomica und Entleerung des Eiters in
die Brusthöhle entstehen, wo denn der Reiz des letztern bald eine sympto-
matische Pleuropneumonie zur Folge habe ; diese secundäre Krankheit findet
dann ebenfalls ihren Ausgang in purulenter Exsudation, wie Lnennec u. A.
meinen. Dieff'enlach (Rust''s Handb. d. Chirurgie, Bd. I. S. 188. Anmerk.)
ist aber der Meinung, das« jeder Eitererguss aus einem Lungen geschwür in
3*
36 ABSCESSU3
den Sack der Pleura unmöglich sey, weil die innere Fläche des Thorax
sich keinen Augenblick von der Oberfläche der Lungen entferne, ausgenom-
men da, wo Luft oder eiterartige Flüssigkeit auf den einander zugekehrtea
Flächen des Brustfells gebildet werde. Wenn eine Vomica die Oberflächa
der Lunge durchbreche , so verwachsen beide seröse Oberflächen > orher mit
einander. Die Prognose des Empyems ist schlimm; denn häufig folgt der
Tod durch Phthisis pulmonalis; in einzelnen Fällen rettete die Operation;
doch war Laenncc darin nicht glücklich, glücklicher waren Lnnijcnhcck,
Himly, Dzondi und Diefj'euhnch. {Frank Acta Instit, cUn. Viln. IIL p. 23 —
StollRsiU med. I. p. 158. — Oslhoff m v. Siehohrs Chiron. Bd. II. p. 517.)
S. Phthisis pulmonalis-
Abscessus pemiaci. Der Mittelfleischabscess ist entweder ein rein
ortliches Übel, oder der Eiterherd befindet sich in der Blase, der Prostata,
im Mastdarm, in den Ovarien. Er ist nicht mit Absc. ischiadicus und Her-
nia perinaei zu verwechseln (s. diese Artikel). Nach den verschiedenen Ur-
sachen ist die Heilung bald leichter, bald schwerer. Schnelle Maturation
luid frühes Öffnen des Abscesses sind nothwendig, weil sonst leicht Harn-
fisteln folgen. Ist dies schon der Fall, so muss man in die Harnröhre ei-?
nen biegsamen Katheter einlegen. S. Fistula urinaria.
Abscessus pcritonaei. Der Bauch fellabscess sitzt entweder zwischen
den Lamellen und Fortsätzen der Bauchhaut, oder zwischen ihr und den
Bauchmuskeln , Lendenmuskeln etc. , entstanden in Folge von acuter, sub-
acuter oder chronischer Ptritonitis (s. d. Art.).
Abscessus pestUeniiaUs. Dieser bösartige Abscess, der vorzüglich in der
Leistengegend, unter den Achseln etc. vorkommt, ist nur ein Symptom der
Pest, die bei uns Gott Lob seit vielen Jahren schon ausgerottet ist. Be-
handlung. Wie bei Carbunculus. (S. Anthrax.)
Abscessits pharyngis. Im Schlundkopfe kommen selten Abscesse vor,
und nur in Folge von Laryngitis. Dyspnoe, Dysphagie, convulsivischer
Husten bei jedem Genuss von Speisen und Getränken , — diese und die
Anamnese dienen zur Erkenntniss des Übels. Cur. Ist die des Absc. fau-
cium (s. d. Alt.). *
Abscessm phlegmonodes . die Entzündungsbcule, So heisst jeder
noch nicht reife, also no<:h mit Härte und Entzündung verbundene, dem-
nach noch in der Bildung begriffene Abscess, im Gegensaitze. d«p: Absc.
aposteiüaticus. . • ■ ■: << , .
Abscessus prostatae. Nur selten, und dann nur b^i recht heftiger Ent-
zündung geht die Vorsteherdrüse in Eiterung über (s. Inflammatio pro-
statae), wo dann nicht der Körper, nur die Seitenlappeu dieses Or-
gans in Suppuration übergehen {Desault}. Symptome: ausser denen der
Prostatitis , als heftige Schmerzen , Strangurie , Cystospasmus , Ischurie,
Schleimabgang durch den Urin, Jucken an der Eichel, Unruhe, Angst,
Fieber, Obstructio alvi, welche vorhergehen etc., fühlt man bei der Unter-
snichung durchs Rectum die Prostata hart, von der Grösse eines Hühner-
eies bis zu der eines Gänseeies angeschwollen, sehr heiss , sehr schmerz-
haft, später an einer oder beiden Seiten fluctuirend; die Blutadern am Mast-
darm sind aufgetrieben, Stuhl- und Urinabgang erregen heftigen Schmerz,
der Kranke hat solche Unruhe, dass er keine Minute auf einer Steile zu
stehen oder zu liegen vermag (^Rust). — Selten öffnet sich der Abscess
nach aussen, selten erlaubt die Lage desselben eine künstliche frühzeitige
Öffnung, so nothwendig dies auch wäre, — die tiefliegenden Abscesse öff-
nen sich fast immer in die Blase, oder in den After, oder in die Harnröhre,
erregen dann fast inmier fistulöse Geschwüre, Harafisteln, Infiltrationen,
Versenkungen des Eiters nach dem Scrotum , nach den Schenkeln , in die
Beckenhöhle, Febris hectica, Schwindsucht, selbst Brand, Febris putrida, —
worauf im letztern Falle der Tod zu folgen pflegt. Der günstigste Ausgang
bleibt der, wenn der Abscess oberflächlich liegt und sich entweder ins Mit-
telfleisch oder in die Harnröhre, wo der Eiter mit dem Urin fortgespölt
wild, öffnet, Dennoch bleiben auch lüer nicht selten Stricturen der Harn-
ABSCESSUS 37
röhre, Disposition zu Cystitis und neuer Prostatitis, grosse Relzbarteit der
Harnorgane, Dysurie nach der geringsten Erkältung, Blennorrh»ea vesicae
urinariae zurück. Sind zugleich die Ductus ejaculatorii durch Eiterung zer-
stört, so leitet der Mensch hinterher oft auch an PoUutio diurna. Be-
handlung. Man suche die noch stattfindenden entzündlichen Zufälle durch
Antiphlogistica und knappe, kühlende Diät zu beseitigen, und dann die bal-
dige Entleerung des Eiters durch erweichende, nicht reizende Klystiere Ton
Oel und Haferschleim, durch Sitzbäder, Breiumschläge ins Perinaeum, durch
Mercurialfrictionen dahin etc. zu begünstigen. Wird dadurch die Ischurie
nicht bald gehoben , so muss , so schwierig dies auch seyn mag , nach Som-
vier, der Katheter angewandt werden, wodurch einerseits die Nothwendig-
keit des Blasenstichs umgangen, andererseits häufig selbst der Abscess ge-
öffnet wird, und der Eiter dann mit dem Harne abtiiesst. Der Katheter
muss während der ganzen Cur in der Blase, so lange als Eiter mit dem
Urin abgeht, liegen bleiben, um Infiltrationen des Harns in die Höhle des
Abscesses zu verhüten. Am zweckmässigsten sind deshalb elastische Kathe-
ter, die man vor dem Einbringen, weil immer etwas Krampf in der Harn-
röhre stattfindet, mit etwas Extr. belladonnae, mit Ol. hyoscyami zusam-
mengerieben, bestreicht (^Most}. Innerlich passen Emuls. sem. papaver mit
Sal anglic. , um auf den Stuhlgang zu wirken. Fluctuirt der Abscess deut-
lich nach dem Mastdarme hin, so kann man ihn durch einen die Mastdarm-
wand trennenden Einschnitt öffnen, doch ist dieser Fall selten. (Vergl.
Rusfs Magazin. Bd. II. S. 199. Söminerring, Über tödtliche Krankheiten der
Harnblase und Harnröhre alter Männer. Frankfurt 1822. Home, Praktische
Beobachtungen über die Vorsteherdrüse. Aus d. Engl. v. W. Sprengel.
Halle 1817. Clwpart , Trait^ des maladies des voies urinaires. Paris. 1821.
Schmid, W., Über die Krankheiten d. Harnblase, Vorsteherdrüse etc. Wien
1806. Johnson, Practical observations on urinarj gravel and stone - disease
of the prostate gland etc. London 1806. Fragile , de curand. hom. mor-
bis. L. VI. I. p. 520.).
Abscessns psoadicus, der Psoasabscess, Lendenabscess. Ist ent-
weder ein Congestionsabscess in Folge einer Caries der Rückenwirbelbeine,
oder er folgt auf acute oder chronische Psoitis. (S. Inflammatio musculi
Psoas), Symptome. Unter den Zeichen innerer Eiterung und nach vor-
hergegangener Psoitis acuta oder chronica zeigt sich entweder in der Len-
dengegend , oder am Rücken , After , Mittelfleische , im Hodensacke , am
häufigsten aber an der Innern Seite des Schenkels, eine bald flu-
ctuirende, bald pralle, gleich einem Tumor cysticus anzufühlende, und be-
sonders dann, wenn die Geschwulst an der Innern Seite des Schenkels er-
scheint , von einer Balggeschwulst gar nicht sinnlich unterscheidbare Eiter-
geschwulst, welche früher oder später aufbricht, und sich nun auch wieder
wie ein Bauch- od«r Congestionsabscess verhält. Die Ursachen sind die-
selben der Psoitis und der Caries vertebrarum: mechanische Gewaltthätig-
keiten , anhaltendes Reiten , heftiger Sprung , Tragen schwerer Lasten,
Myelitis im Wochenbette , Milchmetastasen , die Operation der Synchondro-
tomie , das von selbst in der letzen Zeit der Schwangerschaft und während
der Geburt erfolgte Auseinanderweichen und die darauf folgende Eiterung
der Beckensymphysen (s. Malacosis cartilaginum); — ferner Gicht,
Rheuma, Syphilis, Scropheln etc. Die Prognose ist im Ganzen schlimm.
Die Cur ist die der Psoitis und des Congestionsabscesses. {Horns Archiv.
1809. Mai. S. 103 , Septbr. S. S07. Journ. de M^decine contin. T. XVII.
p. 268.)
Absccssus pulmonum, s. Abscessus pectoris internus, Inflam-
matio pulmonum und Phthisis pulmonalis exulcerata.
Ahscessus rcmim , s. Inflammatio renum. jWenn nach Nephritis
acuta oder chronica unter den Zeichen innerer Eiterung (s. Abscessus
internus), unter fortdauernden Harnbeschwerden, beständigem Klopfen
in der leidenden Stelle , unter stumpfen , tauben Schmerzen und lange fort-
währendem, nicht dirch Krisen sich entscheidendem, plötzlich gelinder wer-
aS ABSCESSUS
dendera Fieber eine nach aussen In der Nierengegend sicli bildende, weiche,
fluctuirende Geschwulst zeigt ; so ists gewiss , dass es ein Nierenabscess ist.
Ging chronische Nephritis vorher, so bildet er sich langsam, es gehen Wo-
chen , Monate darauf hin; er nimmt aber immer melir an Grösse zu, selbst
bis zu 14 S (Porto?)» J^ sogar 63 'S Gewicht und 4^4 Fuss Umfang.
Hier ist die Niere dann in eine Art häutiger Tasche verwandelt , welche
graue , gleichförmige und feste Wände hat. Oft findet man statt der Niere
nur einen blasigen , gefässreichen Körper , in welchem der Urin gleichsam
durch blosse Absieperung bereitet wird, und wo man von den Harnleitern
aus sogar Luft bis in die Nierenarterien blasen kann (^Sommer). Zuweilen
ist der Sitz des Abscesses die Nierenkapsel oder das diese umgebende fettige
Zellgewebe, wo dann die Niere unverletzt in einem grossen Eitersacke liegt.
Sind in der Niere mehrere kleine Abscesse, so enthält sie in ihrer Höhlung
oft auch kleinere oder grössere Steine, die sich bei der Stockung des Urins
im Abscesse leicht erzeugen und, nach der Erfahrung, demnach häufiger
Folge als Ursache der Nierenvereiterung sind. — Bei jedem Nierenabscess
leidet das Allgemeinbefinden, wegen der Schmerzen, des Säfteverlustes und
des fortwährenden zur Febris hectica übergehenden Fiebers. Der günstigste
Ausgang ist der, wo sich der Abscess nach aussen öffnet und so der Eiter,
mit welchen meist auch Nierensteine zu Tage kommen, Ausfluss erhält.
Leert sich der Eiter durch einen andern Weg aus, z. B. durch die Gedärme,
durchs Zwerchfell nach den Lungen, so ist dies nicht so erwünscht. Zu-
weilen bildet er Congestionsabscesse , indem er sich nach der Inguinalge-
gend, nach dem Hodensack, durch die Lenden -, Bauch - und Schenkelmus-
keln bis nach der Wade hin senkt, doch ist dies selten, und der häufigste
Ausgang, den nach aussen abgerechnet, ist der, dass der Eiter duich die
Harnleiter in die Blase geht, wo dann heftige Schmerzen, Ohnmächten,
Krämpfe , plötzliche Ischurie sich einstellen , die , wie die Nierenaffection,
schnell , sobald der mit Eiter vermischte Harn wieder in Fluss kommt, ver-
schwinden. Die Prognose ist, selbst bei anscheinend guten Verhältnissen,
ungünstig zu stellen, indem der Kranke entweder, was oft geschieht, plötz-
lich stirbt, oder langwierigen Nierenfisteln, Nieren - und Blasensteinen , dem
Eiterverluste, hektischem Fieber, wozu sich Hydrops gesellt, endlich unter-
liegt (Sojunicr) , d. h. an Phthisis renalis und deren Folgen stirbt. S. d. Art.
(S. Bonnet Sepulchr. anat. L. HL Sect. 2L obs. 8, obs. 23. Morgagni
Ep. XL. art. 12. 18. 42. art. 13. 20. 28. Zeviani in WeigcVs med. chir.
Bibl. II. St. 2. p. 215. Ruijsch Obs. anat. chir. n. 13. Dcschnmps in Journ.
gen. de Medec. T. XXVI. p. 276.). Cur. In acuten Fällen ist die Behand-
lung wie bei Nephritis, in chronischen wie bei Phthisis renalis hinsichtlich
der Innern Cur , wo wir stärkende , nährende Mittel , nach den Umständen
Kalkwasser, Selterwasser mit Milch, Salep, Arrowroot, China, isländisches
Moos etc. verordnen (s. Rust's Magazin, Bd. XXIV. S. 439.), Ruhe des
Kranken, zweckmässige Lage auf der leidenden (meist der linken) Seite,
Kataplasmen von erweichenden Mitteln , Schröpfköpfe in die leidende Ge-
gend, bei kaltem, chronischen, nicht mehr mit Entzündungszufällen verbun-
denen Abscess Vesicatorien dahin , um den Abscess nach aussen zu leiten, • —
eine halb aufrecht sitzende Stellung und sanfte Erschütterungen des Körpers
durch Husten , Niesen etc. , um den Eiter nach den Harnleitern und der
Harnblase zu führen, — diese Mittel hat man empfohlen. Bildet der Eiter
äusserlich eine fluctuirende Geschwulst , so öffne man früh , und sorge be-
sonders dafür , dass die im Abscesse festsitzenden Steine entfernt werden.
Hat sich ein Congestionsabscess in der Leistengegend, am Schenkel , an der
Wade gebildet; so behandle man diesen nach den Kunstregeln. S. Absces-
sus congestivus.
Ahscessus sncci lacrymalis, s. Dacryocystitis und Fistula la-
crymalis.
Ahscessus sangmneus , Blutabscess. Bedeutende Contusionen , z. B.
am Kopfe der Neugebornen durch schwere Geburt , Blutaderknoten gehen
zuweilen in Eiterung über; der Eiter ist hier schwärzlich, blutig. Cur.
ABSCESSUS 39
Die allgemeine der Abscesse. Man verbindet iiiit Decoct. chinae^ quercus,
macht spirituöse Umschläge , welche Mittel dem Übel auch vorbeugen , und
vermeidet alle fettige Salben und Pflaster. Ist die Blutgeschwulst bei Neu-
gebornen sehr gross , schon über 8 Tage alt und sind die gewöhnlichen Mit-
tel gegen Quetschung (aromatische UmscWSge mit Wein, Wein und Essig etc.)
fruchtlos angewandt worden, so säume man nicht, dieselbe zu öffnen und
den Blutklumpen auszudräcken, sonst entsteht, wartet man hier die Eitei-ung
ab, leicht Caries der Kopfknochen (s. Contusio und Cephalophyma).
Abscessus santiuineus capitis neonatorum, s. Abscessus sanguineus.
Ahscessus scroti. Der Hoden sackabsccss ist entweder ein auf Ent-
zündung des Scrotums (die häufig erysipelatöser Natur ist) folgendes Übel,
wo der Abscess oft die Natur eines Furunkels hat ; oder es ist ein Con-
gestionsabscess , und der Eiterherd die Prostata , die Niere , der Psoasmus-
kel , das Hüftgelenk etc. ; oder Harninfilti'ationen im Scrotum erregen durch
ihren Reiz erysipelatöser Entzündung und Exulceration mit brandiger Zer-
störung, oft des ganzen Scrotums, so dass es abfällt und der Hoden ent-
blösst daliegt. Aber trotz der furchtbaren Aussenselte , die eine solche ulce-
rative Zerstörung darbietet — sagt Rust , — hat sie dennoch in der Regel
wenig zu bedeuten ; denn die Natur ersetzt oft In sehr kurzer Zeit und bei
der einfachsten Behandlung mittels lauer Fomente alles Verlorengegangene
durch Bildung eines neuen Überzuges oder Pseudoscrotums. Cur der Ho-
densacksabscesse. Ist die gewöhnliche der Abscesse, des Furunkels,
des Congestlonsabscesses etc. , nach den bekannten Regeln. (S. auch I n -
flammatio scroti.)
Alscessus Sintis frontalis. Ist selten, weil die, die Stirnhöhlen aus-
kleidende Schleimhaut nach Entzündung eher zur Auflockerung, Verdickung
und Polypenbildung , als zur Eiterung neigt. Am häufigsten folgt der Ab-
ecess noch auf mechanische , traumatische Verletzungen : Stoss , Schlag ,
Quetschung, Verwundung und daher rühiende Entzündung (s. Inflamma-
tio sinuum frontalium), wenn die Zertheilung nicht bewirkt wird.
Der Schmerz ist alsdann fix , klopfend , bohrend , dabei Druck , Schwere in
■ der leidenden Stirnhöhle, Stockschnupfen an der correspondirenden Nasen-
hälfte , Anschwellen des obern Augenlides luid der leidenden Hälfte der
Stirn, zuweilen Ausfluss eines elgenthümllch stinkenden, höchst widerlich rie-
chenden Elters. Später dehnen sich die Stirnhöhlenwände aus, häufiger die
hintere als die vordere Wand, weil sie dünner ist und weniger Widerstand
leistet (Boyer). Sie wölbt sich , drückt aufs Gehirn , worauf Stumpfheit
der Sinne, Schwindel, Amaurose, gestörte Denkkraft folgen. Zuweilen bil-
det sich aber auch die Eiterung langsam, und die Zufälle sind dann, indem
sich das Gehirn allmällg an den Druck gewöhnt, nur gering (DieffcnhacK).
Der glücklichste Ausgang ist der, dass sich der Eiter früh genug in die
Nase entleert, worauf selbst die Ausdehnung der knochigen Wände sich
allmällg giebt, was Dieff'enhach mehrere Male beobachtete; mit glücklichem
Erfolge entleerte sich dann wol eine Unze dünnen, gelblichen Eiters. Häu-
fig ist aber der Nasengang (bekanntlich der mittlere) , der mit der Stlrur
höhle zusammenhängt, wegen seiner Länge und Enge zu eng, um dem Ei-
ter gehörigen Abfluss zu verschaffen. Daher Ist der schlimmere Ausgang in
Verdünnung und Ausdehnung der Knochenwände weit häufiger, und leidet
vorzüglich die hintere Wand, so bricht diese zuletzt, der Eiter dringt in
die Schädelhöhle und erregt Lähmungen, Convulslonen , schleichende Ence-
phalitis erysipelatodes und Tod. Cur. Man muss vor allem dem Eiter
einen freien Abfluss verschaffen, bevor schon Knochenauftrelbung, beson-
ders nach hinten zu , oder gar Eltererguss in das Gehirn erfolgt ist. In
dieser Absicht bohren wir mittels der Trephlne oder eines Trepans die
Stirnhöhle früh genug an, bevor Amaurose und die übiügen secundären
Hirnleiden sich zeigen. Ist der Elter dadurch entleert, so sorge man für
freien Abfluss desselben durch Einlegen von spitzen Wieken, und achte auf
den Zustand der Schleimhaut und der Knochenwände. Zuweilen werden
noch erschlaffende, häufiger reizende, austrocknende Uinscliläge, besonders
40 ABSCESSÜS
aber solche Einspritzungen erforderlich; z. B. R; Infus, flor. chamomill. ^vj,
Land, liquid. Syd. 5j- M. Oder auch, wenn der Elter sehr stinkend ist:
i^ Aquae Icreosotae, — chamomiUae ana jjj. M (Most), desgleichen fol-^
gendes : I^r Aqnnc calcar. tisinc 3IV. Tinct. iivjrrhac 5IV. M. Sind schon Sin-
nesstumpfheit, Lähmungen und andere Hirnaffectionen eingetreten, so folgt
in der Regel der Tod. (S. auch Beer's Lehre von den Augenkrankheiten.
Wien, 1817. Bd. IL p. 566. Lnn.jcnhccVs Bibliothek, 1806. Bd. 1. Dcs-
chnmps le jeune, Traite des maiadies des fosses nasales et de leurs sinus.
Paris. An. XL Richier, Med. u. Chirurg. Bemerkungen. L).
Ähscessus sinus maanllaris, s. Abscessus antri Highmori.
Ahscessus spurius, Pscttdoahscessus , Tumor puriforviis. Ist die Folge
oder das Product exsudativer und lymphatischer Entzündung, eine ohne
die Zeichen der Abscessbildung entstehende Geschwulst , die ein schmieri-
ges , gelatinöses , wildes , geruch - und geschmackloses, eiweiss^itoffiges Flui-
dum (keinen Eiter) enthält, kein Eiterungsfieber, keine Zerstörung organi-
scher Gebilde herv-orbringt , und entweder so verschwindet , oder Indura-
tion, Afterorganisation hinterlässt.
Ahscessus symptomaticits , Atsccssus pet congesiionem , Dcp&t bei den
Franzosen, der Congestionsabscess. So werden alle jene Abscesse
genannt , welche als Symptom irgend einfer andern Kranklieit , die das
Grundübel ist, auftreten. Dahin gehören als dyskrasischen Abscesse, her-
rührend von Syphilis, Scrophulosis , Arthritis, Scorbut etc., alle aus Hä-
morrhoidal - und Menstnialataxien entstandene Abscesse (Furunkeln), die
Congestionsabscesse in Folge von Caries vertebrarum, von Psoitis, Ne-
phritis , die kritischen und metastatischen Abscesse etc. , deren Behand-
lung stets mit Berücksichtigung des Grundübels und der Natur des topi-
schen Leidens eingeleitet werden muss. Der Congestionsabscess tritt meist
sehr langsam, ohne alle Entzündung, wie ein Absc lymphaticus auf, dage-
gen der raetastatische Abscess sich schnell und unter entzündlichen Zufallen
ausbildet. Der Sitz dieser Eiterdepots, Avie die Franzosen den Congestions-
abscess richtig nennen, ist zwischen dem Zellgewebe, zwischen den Mus-
keln ; vorzüglich kommen sie in der Lenden - und Leistengegend (Absc.
iumbalis , psoadicus) , am Becken , an den Glutäen , am Scrotum , an den
Schenkeln, am Halse, an der Wade vor. Symptome sind: oft wenig
Schmerz , Taubheit im leidenden Gliede , Prickeln , Stechen , gesteigerte
Empfindlichkeit an einigen Stellen des Rückgrats, auffallendes Hervorstehen
einiger Stachelfortsätze der W^irbelbeine; oder es sind die Zeichen einer in
Eiterung übergegangenen Hepatitis, Nephritis, Peritonitis vorhergegangen.
Cur. Wir berücksichtigen das Grundübel, brennen mit einem Glüheisen
einige Zoll lang zu beiden Seiten die verdächtige Stelle des Rückgrats,
welches Mittel allen andern vorzuziehen ist (Riist) , behandeln die Psoitis,
Hepatitis , Nephritis etc. , geben bei hektischem Fieber China , gute Nu-
trientia u s. f. Örtlich behandeln wir den Eiterdepot dergestalt, indem
wir den Abscess von oben bis unten durch einen grossen Schnitt spalten
(sobald wir Caries vermuthen) , sonst kann man ihn durch die Punction
oder durch ein Causticum öffhen; besser bleibt aber der Schnitt und die
dadurch erregte Entzündung.
Alscesstts tesliculorum , HodenabscesS. Ist zuweilen der Ausgang
acuter oder chronischer Entzündung des Parenchyms oder der Hüllen des
Hodens oder Nebenhodens, wobei sich diese nicht zertheilt, sondern unter
wiederholten Frostanlallen , äusserst h'eftigen klopfenden Schmerzen und
allmälig deutlicher werdender Fluctuation einen Abscess bildet. Der Eiter
hat einen .salzigen Geschmack, riecht eigenthümlich stinkend, sielit grünlich
aus und zieht Fäden. Das Übel ist selten , doch in sparsamen Fällen von
Bnillie , Sömmerrivg und Lnrrcy beobachtet worden. Wichtig ist der Um-
stand, dass die Heilung des Abscesses oft nur unvollkommen stattfindet, so
dass eine Samenfistel (Fistula seminalis) zurückbleibt, die den Kranken in
Hektik stürzen und den Tod (durch den fortwährenden starken Sanienver-
lüÄt) herbeiführen kann, wenn die Heilung nicht gelingt und dann die Ca-
ABSCESSÜS 41
stration nicht bald vorgenommen wird. (^Acrel , Chirurg. Vorfiille. I. S. 46S.
— Petit, Traite des malad, chirurg. II. p. 513. — v. Siehohrs Samml. Chi-
rurg. Beobacht, IJI. S. 387). Cur. Wegen der Schwierigkeit, sich von
der Gegenwart des Eiters in Folge von Orchitis zu überzeugen, da am
Hoden nicht jede Fluctuation auf Eiter deutet, übereile man sich mit
der Eröffnung solcher Hodenabscesse nicht , und man fahre mit den zerthei-
lenden aromatischen Fomenten und Umschlägen, mit den Mercurialfrictio-
nen etc. so lange fort, bis man von der Gegenwart des Eiters völlig über-
zeugt und der Aufbruch des Abscesses nahe ist. Dann öffne man am Hoden
selbst (nicht am Nebenhoden , wo man die Samenkanälchen verletzen kann),
die Elt erbeule durch einen nur oberflächlichen Lanzetten stich. Hat die Eite-
rung das Hodengewebe selbst schon ergriffen , wobei der Eiter den specifi-
schen ammoniakalischen Samengeruch hat und mit langen Aveisslichen Fäden
gemischt erscheint , so darf man die erweichenden Umschläge nicht mehr
fortsetzen , sondern muss dagegen Überschläge von Aq. Goulardi machen
(^Rust). Alle Salben müssen vermieden und der Abscess trocken verbunden
werden. Zur Unterstützung der Kräfte dienen China, Mineralsäuren, Quas-
sia , gute animalische Kost , und , um die Samenabsonderung zu verringern,
auch einzelne Dosen Kampher. Bleibt eine Fistula seminalis zurück , so ver-
suche man sie durch das Betupfen mit Höllenstein , dui'chs Glüheisen , zu
heilen; gelingt es nicht, so muss der leidende Testikel ausgeschält werden.
(Vergl. Castratio).
Acscessus ionsillanim, s. Angina suppuratoria und Angina ton-
sillaris.
Ahscessus irachealis. Er ist der seltene Ausgang derjenigen Art Tra-
cheitis , welche man Tracheiiis sicca , musculnris , frofunda nennt , welche
mehr bei Erwachsenen vorkommt , dagegen die Tracheitis infantills (^Croup)
nur den Ausgang in Exsudation nimmt. Die Zufälle sind denen der Angina
merabranacea sehr ähnlich, die Erstick ingsnoth oft gross; dabei convulsivl-
sche Respiration , Fieber , trockner Husten , Krämpfe etc. Der Abscess
bricht im günstigsten Falle unter heftigem Husten auf, und der Eiter wird
durch den Mund entleert. Zuweilen erstickt der Kranke vor Aufbruch des
Abscesses. Das schlimme Übel ist selten , kommt meist nur bei Erwachse-
nen mit Habitus phthisicus vor, und hinterlässt dann fast immer Phthisis
trachealis. Behandlung. Ist anfangs die antiphlogistische, derivirende,
später bei den Zeichen der Eiterbildung die des Kehlkopfabscesses (s. Absc.
laryngis). Viele von den Autoren angeführte Fälle von Croup bei Er-
wachsenen gehören hieher, indem man eine Tracheitis muscularis mit Angina
merabranacea verwechselte (s. Horn's Archiv 1811. Jan. S. 142).
Ahscessus tr actus intestinalis. Darmabscesse kommen nur selten in
Folge von Enteritis vor, die häufiger in Brand übergeht (s. Inflamma-
tio intestinorum). Waren ehi gedrungene fremde Körper Veranlassung
der Entzündung, oder haben sich Spulwürmer an einer Stelle des Darmka-
nals angehäuft und festgesetzt, so kann die Eiterbildung, nach Rust (s.
dess. Magaz. Bd. 27. S. 389), noch am ersten stattfinden. Symptome
des Darmabscesses sind: Nachlass der Entzündungszufälle ohne die be-
kannten Krisen , fortwährendes Erbrechen, Obstructio alvi, dumpfer Schmerz
und Auftreibung des Unterleibes , kleine Frostanfalle , Ohnmächten , Angst,
Schluchzen , Mattigkeit , Febris remittens , Abendexacerbationen , später Fe-
bris hectica. Nach 14 — SOlägigem Verlauf solcher Zeichen innerer Eiter-
bildung geht mit dem Stuhlgange, zuweilen auch mit dem Urin, Eiter ab,
und die purulente Diarrhöe ist oft anhaltend. Cur. Vermeidung alles Rei-
zenden, innerlich nur Emulsionen, Milchdiät, schleimige Suppen, Selter-
wasser, Kalkwasser mit lauwarmer Milch , Liehen islandicus etc. (s. Phthi-
sis intestinalis). Zuweilen bricht der Abscess nach aussen auf und es
folgen dann Darm- und Kothfisteln (s. Fistula stercorea).
Ahscessus uretKrac, Harnröhrenabs c es s. Er ist einer der Aus-
gänge der Entzündungsgeschwulst der Harmöhre (ä. Inflammatio Ure-
thra e), wo dann, wenn sie acut ist, grosse Empfindlichkeit im Rlittelflei-
42 ABSCESSUS
sehe, Hitze, Geschwulst, Strangurie, blutiger, eiteriger Ausfluss aus der
Harnröhre, Vergrösserung der Geschwulst während des Hamens, Verminde-
rung, selbst Verschwinden derselben gleich nach angewandtem Druck, wo-
bei Urin und Eiter ausfiiesst , — im spätem Verlaufe und bei mehr chro-
nischem Leiden eine harte, callöse, vom Damm oder Scrotum ausgehende,
bis nach der Urethra sich erstreckende, durch Urininfiltrationen entstandene
Geschwulst, als diagnostische Zeichen auftreten. Ursachen sind: häufig
Stricturen , wodurch der Urin zurückgehalten wird und sich dann der Ab-
scess über der Strictur bildet (s. Strictura Urethra e)", rohes Kathete-
risiren , unvorsichtige Anwendung des Causticums bei Stricturen (ich habe
diese letztecn durch fortgesetzte Anwendung gewöhnlicher, allmälig dicker
ausgewählter Bougies fast immer entfernt und bin von der Application des
Causticums ganz zurückgekommen; Most), — Abscesse der Prostata. Cur.
Ist die der Urinabscesse und der unvoUkommnen Innern Harnfistel (s. Ab-
scessus urinosus und Fistula urinaria).
Ahscessus m'inosus , Urinabscess, Harngeschwulst. Ist ein Ab-
scess , der diu^ch Extravasation des Harns aus einem mechanisch oder dyna-
misch verletzten Harnbehälter entstanden ist. Ursachen sind : Harnsteine,
Stricturen, welche den Urin zurückhalten, VerwTindung, Quetschung des
Mittelfleisches mit Zerreissung der Harnblase, der Urethra, Durchstossung
der Pars membranacea bei ungeschickter Anwendung des Katheters , der
Bougies , heftige Erschütterung bei voller Blase , Abscesse in der Nähe der
Harnbehälter. Symptome. Sind nach Verschiedenheit der verletzten
Theile und ihrer Lage, und je nachdem der Harnabgang noch frei oder gehin-
dert ist , verschieden. Ist das Nierenbecken oder der obere Theil des
Harnleiters durchbrochen, so tritt der Urin gewöhnlich in die Regio lura-
balis und iliaca in das Zellgewebe zwischen dem Damm und der Nach-
barschaft desselben. Ist der untere Theil eines Ureters oder die Harnblase
in der Gegend ihrer Suius verletzt , so dringt der Urin meist immer in die
Beckenhöhle ; — ist in Folge hartnäckiger Ischurie und bei höchst ausge-
dehnter Blase durch vernachlässigte Hülfe (Blasenstich) die Harnblase aii
den vordem Wandungen, am Fundus, geplatzt (hier die gewöhnliche
Stelle) , so Avird der Urin in die Schamgegend ergossen , steigt dann
mitunter selbst zwischen dem Bauchfell und den Bauchnuiskeln in die Höhe,
oder er tritt — der häufigere Fall — durch den Bauchring in die Inguinal-
gegend , bei Männern ins Scrotum , bei Frauen längs der breiten Mutter-
bänder in die Schamlefze. Ist endlich die Trennung in der Harnröhre er-
folgt, so senkt sich der Harn nach dem Damm und Scrotum. Übrigens mo-
dificiren zufällige Umstände , die Lage des Kranken etc. , oft diese Directio-
nen. Zuweilen verbreitet sich der extravasirte Harn über einen grossen
Theil des Körpers , .selbst bis unter die Haut des Abdomen oberhalb der
Hypochondrien, an den Seiten der Brust, nach ujiten bis in den Penis, zu
den Schenkeln, den Nates etc. Unbedeutender ist diese Erscheinung, wenn
der Urin wieder auf natürlichem Wege ausfiiesst und sich nui* in einen be-
sondern Sack ergossen hat. Die Diagnose ist am schwierigsten , wenn
sich die Urinextravasation auf die Regio lumbalis , iliaca und das innere
Becken beschränkt , und sich nicht äusserlich offenbart. ,,!Man kann sie
muthmassen, — sagt Ecli in RusVs Chirurgie, Bd. L S. 212 ff. — wenn
z. B. nach einer Ischuria ureterica oder vesicalis der Patient mit einemmale,
ohne dass der Urin auf dem natürlichen Wege abgeflossen ist , eine grosse
Erleichterung spürt, in demselben JNIomente aber auch eine Art von Prickeln
in der Lenden- oder Beckenge^end fühlt, und auf die Erleichterung sehr
bald noch üblere Symptome als die früher bestandenen, namentlich nervöser
Art: Schluchzen, Erbrechen, hitziges Fieber etc. folgen. Der Tod ist hier
der gewöhnliche Ausgang." Weniger gefährlich für den Augenblick und
sicherer in der Erkenntniss ist das äusserlich sichtbare Übel , wo der Harn-
abscess (richtiger die Harn enthaltende Geschwulst , Most) nach vorherge-
gangoner Ischurie und unter plötzlichem Nachlass der Beschwerden, am
Mitteltteische , Hodensack, an der Lende, zwischen der Wurzel des Penis
ABSCESSUS 43
und der Schambeinvereiingung , als eine schwappende , beim Druck etwas
knisternde , gespannte , ödematös glänzende Geschwulst erscheint , die in
wenigen IVIinuten zusehends grösser wird und sich dann bald unter dem Zell-
gewebe weiter und weiter ausbreitet. Wird nun schnell dem Harn durch
einen Einstich Abfluss Terschafft (leider! kommt man in der Regel nicht
früh und schnell genug in der Privatpraxis zu solchen Kranken) , so ver-
breitet sich die Geschwulst nicht weiter, und es wird den schlimmen Fol-
gen (pseudoerysipelatöse Entzündung und brandige Zerstörung grosser Flä-
chen des Zellgewebes) vorgebeugt. — In andern Fällen erfolgt die Extra-
vasation nicht so plötzlich und nicht in so grossen Massen ; der Verlauf ist
hier mehr chronisch, die Zufälle sind ganz anders, indem z. B. der Harn
nur tropfenweise und periodisch , zumal beim Drängen und Harnlassen , ins
Zellgewebe infiltrirt. Hier ist die Geschwulst nicht fluctuirend, nicht ent-
zündet, sondern hart, wie Knochen, von Gestalt rundlich, strickförmig , sie
lässt sich nicht frei umgreifen , erstreckt sich stets bis zur Stelle , wo die
Harnröhre oder Harnblase geplatzt ist , sitzt meist am Damm , in der Ge-
gend des Hodensacks, und könnte mit Exostose, mit scirrhösei!- Drüsenver-
härtung leicht verwechselt werden, wenn der Umstand, dass sie variabel
ist, d. h. an einem Tage grösser, härter, strickartiger, zu anderer Zeit
kleiner erscheint , nicht einiges Licht gäbe. Die hier constante Härte ist
Px'oduct einer sog. schleichenden durch den Reiz des Harns im Zellgewebe
hervorgerufenen Entzündung und Induration , und die Metamorphose we-
sentlich wol eins mit der Induratio telae cellulosae neonatorum (M.) In
diesem Zustande kann die Harngeschwulst oft viele Monate verharren , ehe
sie aufbricht und zur Harnfistel wird. Behandlung. Bei innern Harn-
extravasationen vermag die Kunst nichts , — der Mensch stirbt ! Äussere
Harngeschwülste , z. B. in der Lendengegend , öffnen wir und suchen den
Harnfluss auf dem normalen Wege durch Entfernung der Ursachen , der
Strictur, des etwa eingeklemmten Steins etc., wieder herzustellen. Oft
sitzt ein Stein im Grunde der Geschwulst , den wir mit der Zange entfer-
nen. Wo es irgend angeht, müssen wir einen elastischen Katheter in die
Blase bringen und ihn , um den Harnfluss zu regeln , fortwährend liegen
lassen. Bei kleinen Harngeschwülsten ist dies oft allein hinreichend, und
die Öffnung derselben nicht einmal immer nöthig. Hat sich der Harn weit
im Zellgewebe verbreitet, so müssen oft mehrere Einschnitte mit dem Bi-
stouri an verschiedenen Stellen gemacht werden , die tief genug sind , damit
der Harn ausfliessen kann, was durch Drücken und Streichen noch beför-
dert wird. Selten gelingt es, die einmal mit dem Urin in Berührung ge-
tretenen Theile vor der Zerstörung zu retten, wogegen innerlich Roborantia
und äusserlich Antiseptica zu versuchen sind. Ist der Zellstoff sehr verhär-
tet, z. B. bei der langsam entstandenen steinharten Harngeschwulst; so
dienen nach gemachter Öffnung erweichende Kataplasmen und Pflaster,
auch Unguent. mercuriale , Ol. terebinth. , Linim. volatile zum Einreiben (s.
Bell, Abhandl. über die Krankh. d. Urethra, der Harnblase, der Prostata
und des Mastdarms. 1820. A. d. Engl, übers, in der chirurg. Handbibliothek,
Bd. IL Weimar 1821. S. 224 u. f.).
Ahscesstis uteri. Der Gebärmutterabscess ist höchst selten, weil
bei Metritis weit häufiger Zertheilung oder Induration , oder der Brand folgt
(s. Inflammatio uteri). Zeichen sind: Nach voraufgegangenen
Symptomen der Metritis Nachlass der Beschwerden ohne die bekannten Kri-
sen , dagegen dumpfer klopfender , drückender, mit Kältegefühl und Schwere
verbundener Schmerz im ganzen Becken, wiederholtes Frösteln, remittiren-
des Fieber mit Abendexacerbationen etc. Die Exploratio externa und in-
terna findet zuletzt eine deutlich fluctuirende Geschwulst, die, wenn sie reif
ist , im günstigen Falle sich in das Cavum uteri öffnet , und dann mit
grosser augenblicklicher Erleichterung der Eiter aus der Scheide und J)eim
Urinlassen abfliesst. Schlimmer ists, wenn der Abscess sich durch die
Blase, den Mastdarm, oder höher in den Darmkanal, in der Leistengegend,
oder an den äussern Bauchdecken öffnet; am schlimmsten, wenn er sich in
44 ABSCESSUS
die ßanchhohle ergiesst , wo schneller Tod die Folge ist. Die Behand-
lung ist nach diesen Umständen, nach dem acuten oder chronischen Verlaufe
der Metritis und nach Beschaffenheit des Fiebercharaklers verschieden. In
einigen Fällen folgt auf die ÖfTnung der Geschwulst baldige Heilung durch
die Naturkraft, wir sorgen nur für Reinigung der GeschAÜrstliiche durch
sanfte laue Injectionen von Inf. flor. chamomillae in den Uterus, oder durch
einfachen Verband beim äussern Abscesse. Zuweilen dauert die Entzündung
des Uterus lange Zeit fort und erfordert eine reizlose Diät und solche
Mittel; die Eiterung beschränkt sich nur auf eine kleine Stelle; der erste
Abscess schliesst sich, es bilden sich aber neue an andern Stellen, der Ei-
ter wird übelriechend, jauchig, und so entwickelt sich unter Hektik und
Mattigkeit, unter grosser Schwäche die sog. Phthisis uterina; es fol-
gen CoUiquationen und Tod. Selbst bei günstigem Ausgange sitid Verhär-
tungen, Verwachsungen einzelner Stellen des Uterus, hysterische Beschwer-
den häufig die Folge von Gebärniutterabscessen (Äonimer).
Ahscessus vnrfivae. Der Scheidenabscess ist nicht selten Ausgang
derColpitis, des Elytroncus cruentus, inflammatorius, oedematosus, pituito-
sus (s. diese Art.); — zuweilen ist Complication mit Syphilis da, wo dann
schmerzhafte, fressende, bösartige Geschwüre entstehen. Cur. Ist die be-
kannte der Abscesse nach den bekannten Regeln und der Natur des Ab-
scesses (s. Brüchnann in Horii's Archiv. 1810. Jul. S. 260).
Ahscessus ventriculi , Magenabscess. Hier bildet sich zwischen den
Magenhäuten in Folge von Gastritis unter den allgemeinen Zeichen innerer
Eiterung (s. Ahscessus internus) eine äusserlich oft deutlich zu fühlende
fluctuirende Geschwulst, welche sich nach einiger Zeit entweder nach oben
oder unten öffnet und so den Eiter unter sehr schlimmen Zufällen (Erbre-
chen, Blutsturz, Ohnmächten, Schluchzen, Convulsionen) durch den Mund
oder After entleert ; — oder der Abscess öifnet sich äusserlich in der Ma-
gengegend, oder er ergiesst sich in die Brusthöhle, wohin er sich einen
Weg bahnte , oder endlich in die Unterleibshöhle , wo unter den Zeichen
von Ascites purulentus schneller Tod folgt (s. Ahscessus pectoris in-
ternus N. 5. a, und Hydrops pectoris). Beim Aufbruch nach aussen
bleiben häufig Magenfisteln zurück (s. Fistula ventriculi), wol auch
Caries costarum, der Eiter senkt sich nach unten, — die Kranken erbre-
chen nach jedem Genuss, der Eiter wird bald jauchig, stinkend, scharf,
so dass er bei der Entleerung nach oben im Halse wie Feuer brennt ; da-
bei öftere Koliken, Pyrosis, Febris hectica, wodurch sich dann die Phthi-
sis ventriculi zu erkennen giebt und der Kranke seine traurige Existenz
oft noch Monate lang hinschleppt. Der Ausgang des Magenabscesses in
völlige Genesung ist selten , weil seine Function und jeder Genuss von
Speise oder Trank die Heilung stört. Cur. Man suche den Ausbruch des
Abscesses nach aussen durch trockne Schröpfköpfe , warme Umschläge,
durch die Bauchlage zu befördern , vermeide alles Reizende , gebe innerlich
Emuls. amygdal. dulc. mit etwas Opium , ausserdem viel Eidotter , viel
Milch, Selterwasser, und sonst gar keine andere Nahrung, und behandle
den Abscess und die zurückbleibende B^istel nach bekannten Regeln.
Ahscessus vesicae felleac, Gallenblasen abscess Sein Auftreten in
Folge von Entzündung, zumal der Innern Schleimhaut der Gallenblase, in
Folge profunder Hepatitis als der einzigen Vorläufer (s. Inflammatio ve-
sicae felleae) ist im Allgemeinen selten, und die Diagnose oft schwierig.
Kirl-lnnd, Söimnerrivi/ , Strnuh und Gemhin führen Fälle an, wo sich bei
verschlossenen Gallengängen eine Menge Galle und Eiter in Folge von Cy-
stitis fellea acuta et chronica, eingeschlossen in kleinen Abscessen der Blase,
bei der Section vorfand. Symptome. Sind fast so, wie bei Ahscessus
hepatis ; doch ist der Verlauf langsamer , die Geschwulst genau umschrie-
ben , im Umfange nicht hart ; sie sitzt isolirt unter den falschen Rippen,
verändert sich nicht und zeigt deutliche Schwappung; ausserdem icterische
Zufalle, gestörte GfiUeiiexcretion , thonartige, weissliche Sedes etc. Häufig
litten die Menschen früher auch an Gallensteinkolik. Cur. Ist dieselbe
ABSCISSIO TONSILLARUM 45
des Leberabscesses (s. Inflammatio hepatis). Bei deutlicher Fluctua-
tion öffne man vorsichtig die Geschwulst und suche die etwa darin befind-
lichen Gallensteine zu entfernen. Erweiterungen der Öffnung sind am si-
chersten mit Quellmeissel zu machen, nicht mit dem Messer, weil sonst
leicht Adhäsionen getrennt werden können und durch den Erguss Yon Galle
in die Bauchhöhle plötzlicher Tod folgt (s. auch Fistula biliosa).
Ahscessus vesicne urinariae. Bei bedeutender acuter, sowie bei chroni-
scher Cystitis dyskraslscher Personen kann die Harnblase theiiweise in Ei-
terung übergehen, und sich in oder an ihr ein Abscess bilden, der in ver-
schiedenen Richtungen aufbricht 5 entweder ins Cavum abdominis, worauf
schneller Tod folgt, oder ins Colon, nachdem sich vorher durch adhäsive
Entzündung zwisclien ihm und der Blase eine Verwachsung gebildet hat
und der gallige Eiter mit dem Stuhlgange abgeht; — oder der Eiter zeigt
sieh als Congestiönsabscess am Schenkel, Scrotum, in den Leisten, an den
Natibus, am Unterleibe, über den Schoossbeinen gegen den Nabel hin;
oder die Blase erregt Adhäsionen mit der Vagina, wo dann der Eiter per
vaginam abgeht. In allen diesen Fällen kann das Leben noch erhalten
werden, obgleich die Prognose im Allgemeinen sciüimm ist, zumal bei theii-
weise oder gänzlich gesperrter Harnröhre , bei grossem Substanzverlust der
Blase , bei Communication der Blase mit dem Darm , woran man nicht mit
uiisern Mitteln kommen kann, bei Schwäche des Krankert, w^i| i/«mplica-
tionen mit Caries der Beckeuknochen , Krankheiten der Prostata , der Ova-
rien, des Uterus etc. da sind. Cur. Sorge für häufige und vollkommne
Hai'nausleerung durch Katheter, bei Stricturen durch feine hohle Bougies.
Zeigt sich am Damm, am Scrotum der Harnabscess, so schneiden wir ihn
auf, öffnen jeden Nebengang, sorgen für guten Eiterabfluss , machen bei
Callositäten warme Breiumschläge, entfernen steiuaxtige Concremente und
machen aus dem Abscess eine einfache Blaseafistel , die wir dann zu heilen
suchen (s. Fistula urinaria); daneben Sorge für grosse Reinlichkeit,
gegen den Reiz lauwarme Halbbäder, reizmildenide Überschläge. Fehlt die
Leibesöifnung , so dienen nur gelind eröffnende Mittel: Manna, Ol. ricini;
Klystiere sind nur mit der grössten Vorsicht zu appliciren. Sehr gut sind
auch laue Injectionen von Olivenöl , Gerstendecoct in die Blase, InnerlicU
passen Rad. columbo, Folia uvae ursi , Kalkwasser mit Milch, Seiter- oder
Spaawasser, bei vielen Schmerzen Einuls. sem. papav. albi mit Extr. opii,
hyoscyanji. Aqua laurocerasi etc., doch wirkt das Opium am besten ano-
dyn; darneben milde Kost, viel Milch, Eidotter, schwache Fleischbrühen
(s. Th. V. SÖmmerring i Tödtliche Krankheiten der Hainblase etc. 2. Aufl.
Frankf. 1822, und RoJj. Binghani's Preissch. über Krankheiteu und Ver-
letzungen der Blase. A. d. Engl. \oi\ Dohlhojf, Magdeb. 1823. S. 194 u. f.)
Abscessus vulvae. Der Schaml efzenabsces s ist bald ein gewöhnli-
cher Abscess an d>er Schamlefze, oder ein Congestiönsabscess, wornach die
Behandlung verschieden ist , übrigens aber von der allgemeinen der Eiterge-
schwülste nicht abweicht (s» Abscessus).
Aliscissio tonsillarum , Abkürzung der Mani^ili. ; JDies»
Operation wird bei chronischer Aufwulstung der Mandeln in Folge öfters
überstandener , habituell gewordener Angina tonsillaris, wenn sie das Spre-
chen und Schlucken beeinträchtigen, mit Nutzen verrichtet. Eün Mundspa-
tel, die Wasserfuhr'sche oder Leber'sche Zange mit stumpfem Haken, ein
Pott'sches BIstoui-i , das geknöpft und bis auf das vordere Drittel umwickelt
ist, das Leber'sche Scalpell, die sumpfspitze, auf dem Blatte gebogen«
Scheere von Völker, kaltes Wasser, Essig sind dabei nothwendig. Man
fixirt die Mandel mit dem Haken oder der Zange, während ein Kork zwi-
schen den Zähnen des Kranken sitzt und der eine Gehülfe mit dem Mund-
spatel die Zunge wegdrückt, der andere aber mit beiden Händen den Kopf
fixirt. Man kann nun mit der Scheere oft mit einem nicht zu tief geführ-
ten Schnitt die ganze Mandel wegschneiden, hat sie aber eine breite Basis,
so verdient das Messer, womit man mehrere Schnitte (von unten nach obea
46 ABSORBENTIA ~ ABSTERGENTU
und umgekehrt) macht, den Vorrang. Treffen diese Schnitte nicht genau
in der Mitte zusammen , so schneidet man den Rest mit der Scheere weg.
Die Blutung ist gewöhnlich gering, man entfernt, ist sie etwas stark, schnell
die Instrumente aus dem Munde , der Kranke muss sich vorwärts beugen,
und mit kaltem Wasser, Aqua Thedenii , den Mund ausspülen. Hilft dies
nicht, so versuchen vnr die Compression mittels einer mit Charpie umwickel-
ten Sonde , im Nothfall selbst mit dem Glüheisen. Auf die Nachblutung
und das Verschlucken des Bluts muss man besonders achten; sie;kann heim-
lich und oft der Blutverlust bedeutend seyn, auch das Blut die Digestions-
organe belästigen. Zur Heilung der Wundttäche dienen anfangs Infus, flor.
chamomillae, später Aq. calcis mit Mel rosar. , Decoct. quercus etc.
Ahscissio uvulae. Die Abkürzung des Zapfens mittels der Coo-
per'schen Scheere oder dem geknöpften Pott'schen Bistouri, indem man vor-
her einen Kork zwischen die hintersten Backzähne des Kranken gesteckt
und mit einer Hakenpincette die Uvula hervorgezogen hat, ist eine leichte
Operation , die man bei bedeutender Verlängerung , Aufwulstung , scirrhöser
Entartiuig dieses Theils vornehmen kann , wenn pharmaceutische Mittel
nichts fruchteten und der Zapfen so gross und lang ist, dass er undeut-
liches Sprechen , öfteres Würgen , Erbrechen, Erstickungsgefahr etc. erregt.
Absorbentia (medicaminn^. Sind solche Mittel, die die Säure in
den ersten Wegen einsaugen und neutralisiren, und so auch bei Krankheiten,
wo Säure in den zweiten Wegen obwaltet (Rhachitis , Gicht , Calculus),
wohlthätig wirken. Es gehören hierher Magnesia , Lapides cancror. , Con-
chae praeparatae, Creta , Bolus , Terra sigillata , Kali , Natrum und Ammo-
nium und deren Präparate : Seife , Hepar sulphuris. Die meisten dieser
Mittel bilden, indem sie sich mit der Magensäure verbinden, schwerauf-
lösliche Salze (Kalkerde bildet Gyps) , wodurch die Verdauung geschwächt
wird. Daher ist die Magnesia, indem sie etwas Purgiren erregt , jetzt am
gebräuchlichsten. Noch besser ist das Kali carbonicum, z. B. als Liq. kali
carbonici, welches bei zarten Subjecten, bei Kindern wegen seiner Milde
den Vorzug verdient. Bei Säuglingen wirkt es mit Aq. foenic. und Syr.
rhei sehr gut gegen Krämpfe, Magensäure, grüne Stühle: z. B. I^ Liq. Tcnli
carhon. 3li> Aquae foeniculi 5J)v, Sijr. rhei, — mannnc ana 5f?^. M. S.
S — 4raal täglich 1 Theelöffel voll (M.). Ist Säure, Magenschwäche, Sod-
brennen bei nervösen , krampfhaften Pei'sonen zugegen , so wirken die kali-
ßchen Mittel auch ganz vortrefflich gegen die Krämpfe und die schlechte
Verdauung, wenn man sie mit aromatischen und bittern , stärkenden Mitteln
verbindet, indem sie so, ähnlich dem obsoleten Pulv. Marchionum, die Sen-
sibilität der Magen - und Darmnerven herabstimmen , z. B. folgende oft er-
probte Mischung : I^ SdJ. titrt. depur. 5j ■> Eu'lr. rutae 3jjj , Ejclr. card. Ite-
ned. öi\}i Aquiie menth. er. ^vj, Aq. chamomill. §jj , Tinct. nurantior. scu
Elix. visceral. HofJ'm.^^, Liquor, anodijn. 5j- M. S. Täglich 3 — 4 mal
wohl umgeschüttelt 1 Esslöffel voll zu nehmen, (itf.).
Absterg^Cnti») Dctergentia, Rhypticn, Traumatica, Ahluenlia. Sind
diejenigen äussern Heilmittel , wodurch Wunden von sogenannten Unreinig-
keiten, von fremden Körpern gereinigt und bösartige Wunden und Geschwüre
in gutartige verwandelt werden. In altern Zeiten gebrauchte man verschie-
dene Pflaster und Salben , bestehend aus aromatischen , balsamischen , zum
Theil kaustischen Ingredientien (Grünspan , Vitriol , Kampher , Spirituosa),
denen man diese Wirkung zuschrieb. Die neuere Chirurgie lehrt, dass sie
nutzlos und sogar schädlich sind, dass laues Wasser und eine höchst einfache
Salbe neben einem zweckmässigen Verbände das beste Reinigungsmittel der
Wunden sind. Sind letztere in schlechter Eiterung oder wollen sie brandig
werden (Hospitalbrand etc.) , so sind alle diejenigen Mittel die besten Ab-
stergentia , welche nach den Regeln der Kunst als Heilmittel hier indicirt
sind. Einige Schriftsteller gebrauchen die Benennung Abstergentia auch für
diejenigen Innern Mittel , welche die ersten Wege reinigen (Fourcroy').
. ABÜLIA — ACINESUTROPHIA 47
AbuliAf Ist eine bestimmte Art von Wahnsinn , mit Mangel an Über-
legung {Lewpoldl). S. Mania, Melancholia.
Acampsia, falsche Lähmung, s. Paralysis.
AcataposiSj das Unvermögen zu trinken oder überhaupt
zu schlucken, z B. bei Angina.
Acesia, die Heilung, s. Medela.
Acesma, ein Heilmittel.
Acestor, der Retter, der glücklich heilende Arzt, s. Medicus.
Achariston (niedkamcn'). Ist bei Galen ein gewisses Gegengift,
bei spätem Ärzten jede angeblich schnell heilende Arzneiverbindung.
Actiilleum, s. Cancer cutis.
Achlyis, nebelartiger Hornhautfleck, Hornhautblaiter , s. Macula
corneae.
Aclior, Favus, Kopfausschlag mit kleinen Geschwüren, s. Tinea
capitis. , cii-'^.C'^
Actaroinasia , Farbenlosigkeit , kachektisches Ansehn ,.'8r Ca -^
c h e X i a.
Achroinatopsia. Ist das Unvermögen, Farben zu unterscheiden,
eine Art Idiosynkrasie, die bei manchen Personen vorkommt, wo die Em-
pfindlichkeit des Gesichtssinnes für Farben mangelhaft ist , wo theils ein-
zelne Farben : die rothe (Anerythroblepsie), die blaue (Akyanoblepsie) , theils
die Farben des Bunten nicht unterschieden werden können. Die Heilung ist
hier wohl sehr schwer.
Acida {medicamina') , Säuren. Die einfachen Säuren (Acid. nitric.^
— sulphuric. , — muriatic. , — aceticum, — carbonicum, — oxymuriat., —
phosphoricum , — succiniouni etc.) sind soavoI innerlich als äusserlich höchst
wichtige, unentbehrliche Heilmittel . sowol bei acuten als chronischen Krank-
heiten. Innerlich passen sie zwar nicht bei hitzigen, sthenischen Fiebern
mit Localentzündungen , desto mehr aber in den verschiedenen Formen des
Typhus , bei höchster Schwäche , wo der Todeskrampf im Typhus schon
einzutreten droht (^ReicJi) , bei fauliger und gallig - fauliger Diathesis , bei
galligen Faulfiebern, Colliquation der Säfte, bei schleichenden Nervenfie-
bern , bei fieberlosen Blutwallungen in der Decrepitätsperiode der F'rauen
(Elix. acid. Halleri) , bei Blutungen asthenischer Art , bei Schwäche der
Muskelkraft, colliquativen Schweissen', Pollutionen, bei Scrophulosis, Sy-
philis inveterata etc. Das Nähere lehrt die Materla mcdica und Therapie.
Doch kann ich nicht umhin , hier auf die herrlichen Wirkungen der über-
salzsauren Räucherungen zur Zersetzung von Contagien , der Aqua oxymu-
riatica bei Scharlachbräune, Febris mesenterica, Scrophulosis, Scorbüt, bei
Storaacace, bei Gastromailacia infantum (§f^ in gjjj Decoct. rad. althaeae,
stündlich % Essl. voll), des Acidi nitrici diluti, dreimal täglich zu lO — 15
Tropfen in Haferschleim gegen chronische Leberfehler, des Acidi sulphurici
diluti gegen asthenische Blutungen des Uterus, bei Scorbut, der Salzsäuren
Bäder gegen Arthritis (^Kopp") , gegen Scropheln , Herpes etc. , des Acidi
pyrolignosi diluti innerlich gegen Gastromalacie , äusserlich bei faulen Ge-
sjchwüren, bei gangränösen Theilen, bei asthenischen Blutungen, Stomacacö
etc. (^Schneider) zu erwähnen.
Acidulae» Sauerbrunnen, Säuerlinge, säuerliche Mine-
ralwasser. Dahin gehören das Seiter-, Fachinger-, Biliiier-, Pyrmoiv-
ter-, Schwalheimer - und andere Wasser. Sie enthalten alle Kohlensäure,
vermehren die Harnabsonderung , stärken die Verdauung , verbessern die
ki-ankhafte, exaltirte Thätigkeit der Leber, wirken gegen Erbrechen, etc.
Acinesia. Ist Unbeweglichkeit des ganzen Körpers oder
einzelner T heile, wie z. B. bei Lähmungen, bei Ohnmächten etc.
Acinesiatrophia« Ist, nach Hutin, Darrsucht aus vernach-
48 ACMAE — ACOLOGIA
läsBsigter Bewegung, die bei sitzenden Ständen: Schneidern, N^hte-
rinnen , besonders aber bei Kindern in Hamburg und andern volkreichen
Städten mit engen Strassen und hohen Häusern häufig vorl^onaut luid wobei
der Mangel an hinreichendem Sonnenlichte und frischer reiner Lufc mit ia
Anschlag gel)racht werden muss. S. Atrophia infantum, Scrophu-
iosis, Rhachitis.
Acmae» Warzen, unrichtige Benennung statt Acne.
AciuCj Status, Fastigium morhi. Ist die Höhe, der Gipfel, die
höchste Blüte einer Krankheit; in Fiebern der Mittelpunkt, wo
die Krankheit den höchsten Grad erreicht hat , worauf bald die Entschei-
dung , entweder zum Tode oder zur Krise und Besserung folgt Qlufelanit),
Im Stadio incrementi einer Krankheit muss der Arzt durch Kunst dahin zie-
len , dass die Natur die Krankheit besiegt, dagegen muss er in der Acme
mehr den Zuschauer machen , wenigstens nichts thun , was die bevorstehende
Krise stören und dadurch das Übel verschliumiern oder gar den Tod her-
beiführen könnte (Af. Caille).
A.cne5 eine Hautfinne, Kupferfinne Im Gesicht (TFi??«?«) i s. Gutta
rosacea. Alihert und Biett rechnen dieses chronische, besonders in der
Pubertät vorkommende Hautübel fälschlich zu den pustulösen Affectionen.
Blasius (s. RusVs Chirurgie, Bd. I. S. 277) statuirt 3 Arten von Acne.
1) Acne simplex, 2) Acne indurata, S) Acne rosacea. Die er-
sten beiden Arten haben Vieles gemein und lassen sich nicht scharf tren-
nen. Vollblütige Mädchen, Onanisten leiden besonders daran. Starke Er-
hitzungen , Weingenuss , rascher Tempeiaturwechsel , Digestionsbeschwer-
den etc. gehen dem Ausbruch dieser kleinen , theilweise in Eiterung über-
gehenden Tuberkeln oft vorher. Sie kommen am häufigsten im Gerichte,
auf der Brust , am Halse , im Nacken vor , und entstellen oft die jugend-
liche äussere Schönheit. Die Acne simplex besteht in kleinen, einzeln ste-
henden, schmerzlosen Knötchen , welche roth, glänzend, hart, beim Druck
empfindlich sind, nach einigen Tagen eine gelbliche, wässerige, blutige
Flüssiglceit enthalten und unter dünnen gelblichen Schorfen, die nach drei
Wochen abfallen , vertrocknen. Bei Acne indurata ist der Verlauf chroni-
scher, die Tuberkeln sind grösser, härter, oft kegelförmig, empfindlich,
rosenroth, purpurroth und gehen erst nach vielen Wochen in Suppuration
über; auch kommen die neu^n Eruptionen nicht so häufig, als bei der A.
simplex. Cur. .Äusserlich schleimige Dinge : Emuls. amygdalar. amarar. ,
so lange sie sehr reizbar sind ; später spirituöse Waschwasser : Spirit. ser-
pylli mit Aq. rosarum , bei mangelnder Reizung Ify Liq. Inli carhon. 5j>
Aq. destillut. y], oder Sublimat (gr. vj auf gvj Aq. destill.), Solut. borac.
mit Tinct. benzoes ; bei Acne indurata besonders die stärkern Reizmittel :
Acet. aromat. , Liq. ammon. acet. mit Emuls. amygdal. amararum. Bietf
lobt hier zum Einreiben folgendes: I^- Hijilrnrgijr. ammon. nmriat. $j — 5j»
Vmjmiit. rosnt. 5J. M. Noch wirksamer ist nach ihm eine Salbe aus 12 — 24t
Gran Schwefeliodine auf 1 Unze Fett. Dabei reizlose, vegetabilische Diät,
zumal bei Vollblütigen, wo auch Blutentziehungen nützlich süid. Häufige
drastische Purganzen sind schädlich, nützlicher der innere Gebrauch voa
Schwefel, Antimonium etc. Abbildungen der verschiedenen Acnearten findet
man in Froriciis chirurg, Kupfertafeln. Tab. CL — CLL
Acne rosacea y s. Gutta rosacea.
Acne punctata, s. Comedones.
Acoenietrum, Gehörmesser. Ist ein Instrument, das nach
Graden schv>ächern oder stärkern Schall von sich giebt, zur Bestimmung
des Grades der Taubheit.
Acolog^iaj die Heilmittellehre. Man versteht besonders die
rhirurwische Heilmittellehre, die Lehre von den schneidenden und andern
chirurgischen Instrumenten und deren Anwendung darunter. Doch Avird da.s
Wort als solches, das die Instrumenten- und Bandagenlehre bezeichnet,
wegen seiner unbestimmten Grenze von Neuern mit Recht getadelt.
ACOR — ACUPUNCTUR4 49
Acor, 8. Ructus acidus.
Acosinia, Farblosigkeit, Veränderung der Farbe, ein Zustand bei
Kachexien und Dyskrasien , z. B. Icterus, Chlorosis , Cyanosis {Itufelandi).
Acrasia, üble Mischung der Säfte, s. Dyscrasia.
Acratia, Kraftlosigkeit, Ohnmacht, Schwäche und Unvermögen sich
zu bewegen, die theils örtlich, theils allgemein sejn kann {Vicq d'Jzyr).
(S, Adynamia).
Acria {medicamina) , scharfe Mittel. Hierher gehören nach neue-
rer Eintheilung in der Heilmittellehre alle Mittel, die ein scharfes Princip
enthalten und mehr oder weniger reizend wirken, z. B. Cochlearia, Jacea,
Chelidonium, Pulsatilla, Rhus toxicodendron und radicans, Senna, Gratiola,
Helleborus, Ipecacuanha, Senega, Jalapa, Squilla, Arnica, Rheum, Aloe,
Agaricus, Gutti , Guajacum , Cantharides , Mezereum. Sie erregen in
grossen Dosen Brechen und Purgiren. Vergiftung durch sie wird mit ein-
hüllenden Mitteln behandelt, sobald Erbrechen genug von selbst erfolgt.
Acridopbagia. So heisst ein herpetisches Übel in Äthiopien mit
tiefen Hautgeschwüreu , worin sich geflügelte Insecten (daher der Name)
bilden. (S. Rusfs Chirurgie, Bd. I. S. 284).
Acrocbordon. Ist eine an den Augenlidern vorkommende, mit
einem Stiele versehene Warze , s. H y d a t i s.
Acroinpbalon 9 anfangender Nabelbruch, s. Hernia umbili-
calis.
Acroteriasis. Ist Abnahme, Amputation äusserer Gliedmassen.
Acupunctura, die Acupunctur, der Nadelstich. Ist ein ein-
faches , neuerlich sehr empfohlenes operatives Verfahren , von den Chinesen
und Japanesen entlehnt, das mit Nutzen gegen locale rheumatische und
gichtische Schmerzen, bei Cephalalgien, Gesichtschmerz, gegen Neuralgien,
Trismus, Anasarka, Epilepsie, Lumbago, Magenkrampf, Augenübel etc.
(Cloquet , Bnlly , Blümlein, Pelletan, Demours, Finch, Michaelis, Peyron,
Bellini, Most') angewandt wird. Die Nadeln bestehen aus Gold, Silber,
Piatina, Stahl, Kupfer, sind sehr dünn und 2 — 4 Zoll lang. Will man
sie in den schmerzhaften Theil stechen, so bildet man mit zwei Fingern
eine Hautfalte, sticht die Nadel mit oder ohne Nadelhalter, je nachdem
man geübt ist , ein und schiebt sie dann , drehend und drückend , tiefer ein,
was sehr leicht geht. Der Schmerz dabei ist höchst unbedeutend. Man
lässt die Nadeln (in der Regel bringt man 2 bis 8 oder mehrere zu gleicher
Zeit em) 15 Minuten, ja stunderdang stecken, bis alle Schmerzen vorüber
sind. Sind die Nadeln sehr fein , wie z. ß. die von Sandnliere und Cloquet
angegebenen, so kann man sie ohne Schaden selbst in Arterien, Venen,
Nerven , in die Eingeweide einstechen. Viele Versuche an Hunden haben
bewiesen, dass selbst dass Einstechen der Nadeln ins Gehirn, in die Lungen,
ins Herz, in den Magen, in die Leber weder nachtheilig, noch schmerzhaft
Mv&r (^Cloquet , Haime, Bretonneau, Felpenu, Meyrnnz). Doch wird der vor-
sichtige Arzt sie hier nicht ohne die grösste Noth anwenden, so wie denn
auch die Acupunctur des Herzens von der Acad. royale de M6d, nur als
letztes verzweifeltes Mittel beim Scheintode mit völliger Unbeweglichkeit
des Herzens vorgeschlagen worden ist (s. Archiv, gen^r. de Med. Mai 1827).
Die Wirkung der Acupunctur beruhet theils auf Oxydation (die blankpo-
lirtesten Nadeln werden bald oxydirt, was beim Herausziehen zu sehen ist),
theils auf feinen elektrischen Verhältnissen und Leitung der Elektricität aus
dem leidenden Theile. Man wählt daher auch gern Nadeln von Metallen,
die eine elektrische Spannung erregen, z.B. goldene und silberue, kupferne
und goldene, und verbindet je zwei solcher Nadeln, wenn isie eingebracht
worden sind, mit einem feinem Metalldrahte. Auch mit Gatvanismus und Elek-
tricität (Electropunctura) hat man sie, um die Wirkungen zu verstär-
ken , in Verbindung gebracht (Magendie'). So z. B. bringt man bei^Asphyxien
durch Blitz, durch Ertrinken, einige Nadeln in die Herzgrube ein, und
Most Encyklopädie. 2te Aaü. I. ^ 4
50 - ACÜRGIA — ADENONCUS
Terbindet diese mit einer kleinen Voltasäule etc. (S. ChwrcMll "über Acn-
punctur, übers, v. Friedreich. Bamberg, 1824). Die Elektropunctur er-
regt an den angewandten Hautstellen Sugillationen , zuweilen kleine emphy-
seraatische Auftreibungen, die -von selbst ohne Nachtheil nach einiger Zeit
vergehen. (M.)
Acurg^ia» Acidurgia, unrichtige Benennung für Acologta.
AcustiCA (remedia), Mittel gegen schwaches oder mangelndes Ge-
hör, s. Cophosis.
Acntas inorlluS} Morhts praeceps, celer, hitzige Krankheit,
hitziges Fieber; eine Krankheit mit vermehrter Hitze , die sich in we-
nigen Tagen, höchstens 2 — 3 Wochen, entscheidet. Endet sie vor dem
siebenten Tage, so heisst sie Morbus acutissimus; entscheidet sie sich
am siebenten Tage: M. peracutus; dauert sie bis zum 21sten Tage, M.
acutus. Das Wesentliche solcher Krankheiten besteht in einer eigenthüm-
lich erhöhten Lebensthätigkeit im Blute und Blutsysteme, begleitet von ver-
mehrter Wärmeerzeugung, ist also ein erhöhter und beschleunigten Lebens-
nnd Combustionsprocess , worauf entweder Tod , o3er völlige Gesundheit
oder Ausgang in eine chronische Krankheit folgt. Die Heilkraft der Natur
ist in hitzigen Krankheiten weit thätiger als in chronischen ; daher sind hier
auch die Stadien und Krisen deutlicher und es bedarf hier mehr einer guten
Diät als vieler Arzneien, die häufig (besonders die reizenden, erhitzen-
den) schaden.
Acyesis» Unvermögen zu empfangen, s. Sterilita s.
Adecll oder Aniadics ist bei Theoph. Pnracelsus der geistige Mensch.
Ad.eliparia'» Ohesitas morhosa, Fettsucht, s. Adiposis. ,,;j
Adenalgia y Drüsenschmerz, schmerzhafte, entzündete Drüseng«^^
schwulst, s. Adenitis.
Adenectopia» Ist Verschiebung einer Drüse aus ihrer
normalen Lage, z. B. der Parotis durch Steatom am Halse etc.
AdenempIll'a'Xls 9 eine wirkliche oder vermeintliche Drüsenver-
stopfung. Häufig ist das, was die Alten so nannten, im leidenden Theile
Wucherung, PseudoOrganisation, also mehr das Gegentheil von Versto-
pfung, wie dies die anatomisch - pathologischen Untersuchungen beweisen.
Adenitis 9 Drüsenentzündung. Die Glandulae congloraeratae
entzünden sich leichter als die conglobatae, weil sie mehr Blutgefässe ent-
halten ; die Entzündung kann hier einen so hohen Grad erreichen , dass sie
in Eiterung und Brand übergeht. Beschränkt sie sich blos aufs drüsige
Gewebe, so nimmt sie einen chronischen Charakter an. Die Lymphgefassö
werden im leidenden Organe nun grösser, stärker, zahlreicher, die Blutge-
fässe werden sparsamer und zuletzt beinahe verdrängt, was der Grund von
jener merkwürdigen Degeneration: der Tuberkel- und Knoteiibildung ist
(^Netimnnn'). Die Drüse wird nun härter , schwillt an , ihre Farbe wird
weisslichgrau , blaugrau, ihre Consistenz käseartig. Zuweilen ist die Dege-
neration selbst knorpel - und knochenartig. Bei der acuten Drüsenentzün-
dujig , z. B. bei Parotitis , Pancreatitis , Nephritis etc. , erfordert die Be-
handlung mehr ein antiphlogistischen Verfahren ; s. diese Artikel und I n -
flammatio glandularum.
Adenocbirapsolog^ia. Ist die Lehre von den Scropheln
oder vom Kröpfe (^Kraus). Ptoucquet nennt sie weniger richtig Adeno-
choiradologie.
Adenomenlng^ea (fc&rjs). So nennt Pinel das Schleim fi eher,
weil dabei die Schleimbälge der Innern Magen- und Darmhaut leiden sollen.
S. Febris pituitosa.
AdeifiOnCas* Ist eine harte Drüsengeschwulst, im Gegen-
sätze der Vielehen Drüsengeschwulst (Adenophynia) , s. Panu».
ADENOPHTHALMIA — ALIPOSIS 51
Adenoplltlialinia t Augendrüsenentzündung , s. Blepharoph-
th almia.
Adenosis. Ist 1) nach Alibert, jede Drüsenkrankheit, 2) nach An-
dern die Scrophelkrankheit. S. Sero phulosis.
Adepbag^ia infantum. Gefräs sigkeit der Kinder. Ist ein
Symptom von schlechter Digestion und Nutrition, z. B. bei Scrophela,
Rhachitis, Wurmkrankheit. Die Cur erfordert die richtige Behandlung des
Grundübels. Nicht selten haben Kinder den Instinct, Kreide und Kalk za
verschlingen. Dies zeigt an, dass ein Übermass Yon Säure da. ist, woge-
gen säuretilgende Mittel nützlich sind; s. Absorb entia.
Adessi. So nennt Theophrastus die Grundmateric der Nahrungsstoffe,
Adliaesio linj^iiae» s. Ancyloglossum.
Adhacsio visceruin, Anchßomerisma , Verwachsung der Ein^
geweide, z. B. der Lungen mit der Pleura etc. Ist in der Regel Folge
von Entzündungen dieser Theile. Die Symptome sind hier abnorme Re-
spiration, Gefühl von Druck an irgend einer Stelle der Brust bei jeder tie-
fen Inspiration, Dyspnoe etc. Cur. Eine richtige Behandlung der Pneu-
monie, Pleuropneumonie verhütet sie oft, besonders Wenn man am Ende 3er
Entzündung , am 8ten , 9ten Tage der Krankheit nach vorhergegangenen
Venaesectionen und andern Antiphlogisticis Abends und Morgens gr.j. Merc.
dulc. mit gr.f^. Sulph. aurat giebt, welches Mittel die Bildung plastischer
Exsudationen , die Ursache der Adhäsion , am besten beschränkt. Ist das
Übel schon alt, so gebrauche man dennoch dasselbe Mittel 14 Tage lang,
imd trage l'/, Jahr lang auf der Brust eine grosse Fontanelle.
Adiaplioresist , die Adiaphorese, d. i. mangelnde Haut-
ausdünstung, wie z. B. an Stellen, wo früher Blasenpflaster gelegen
haben , daher hier wegen zurückgehaltenen Kohlenstoffs auch die Hautfarbe
dunkler ist , — ferner im Stad. efflorescentiae variolarum , morbillorum,
scarlatinae etc., bei Rheuma, Hautverbrennungen. Die physiologischen An-
sichten über die Diaphorese sind noch eben so mangelhaft als die Ansichten
der Ärzte über Erkältung , unterdrückte Hautausdünstung und daher entste-
hende Krankheiten. Man muss Evaporatio ui!d Transsudatio stren-
ger unterscheiden. Erstere ist ein rein physischer Vorgang, der nicht al-
lein in lebenden, sondern auch in todten Körpern stattfindet; letztere ist
die Wirkung der lebendigen Thätigkeit des Organismus, Sie kann eben
so, wie der Krampf, aus zwei entgegengesetzten Ursachen (aus Repletio
und Inanltio nach Hippohrntes') unterdrückt seyn, und sie erfordert daher
bald schwächende , bald reizende , belebende Mittel. Alles , was die Evapo-
ration vermindert, z. B. schnell angewandte Kälte, vermehrt die Transsu-
dation, und umgekehrt. Hätten wir dieses Gesetz damals mehr berücksich-
tigt, als bei uns die asiatische Cholera heiTSchte, wir würden das Nutzlose,
ja Schädliche der Dampfapparate und deren Anwendung bei Cholerakranken
eingesehen haben , ehe die Erfahrung uns dasselbe lehrte (vergi, auch Ed-
wards in Froriep's Notiz. Bd. VII. S. 276. — Locher- Baiher in HecJcer^s
Lit. Annalen , 1827. Septbr. — und die Artikel Diaphoretica und Re-
frigeratio).
Adiposis» Adeliparia, Ohesitas morhosa, Plethora ohesn, Polysnrcia^
Phjsconia adiposa, Pohjpionia , Fettsucht, Fettheit, krankhafte
Fettleibigkeit. Ist die Neigung des Körpers zu übermässiger krank-
hafter Fettbildung wegen eines tiefen Leidens der Vegetation und Produ-
ction, die hier das normale Mass überschreiten. Ist sie blos örtlich, z. B.
in den Eingeweiden, der Leber, so heisst sie Physconia adiposa ; ist sie
allgemein , so ists oft schwer zu bestimmen und die Grenze anzugeben , wo
der sogenannte Embonpoint, di6 Wohlbeleibtheit, krankhaft zu werden be-
ginnt, oder sich noch in den Grenzen der Gesundheit hält, so wie über-
haupt die Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit schwer zu ziehen ist.
Es hat Personen gegeben, die sich wegen ihrer Fettleibigkeit, ilurer Dicke
4*
52 .ADIPOSIS
und ihres bedeutenclcn Gewichts für Geld sehen Hessen, welche ein Kör-
pergewicht von 200, SOO, 450, 609, 619, ja von 800 Pfd. hatten. —
Symptome. Verunstaltete, aufgedunsene Körperform, Ausdrucklosigkeit
des Gesichts , starkes Unterkinn , kurzer Hals , keine Spur von Muskelbe-
grenzung an den Gliedmassen , herabhängender Unterleib , herabhängende
Brüste , kleine , hervorquellende , im Fett liegende Augen etc. Dies ist der
allgemeine Habitus der Fettsüchtigen, den auch der Laie kennt. Der Kranke
liebt die Ruhe, Bequemlichkeit, Unthätigkeit, scheuet jede Körperanstrea-
gung , und es fehlt ihm auch die Muskelkraft dazu. Sein Temperament ist
phlegmatisch, sein Ansehn in der Regel bleich, leukophlegmatisch. Hier ist
die Fettsucht fast mit der Wassersucht identisch, mit dem Unterschiede,
dass statt Wasser halbflüssiges Fett abgesondert wird. Die Folgen der
Adiposis im höhern Grade sind sehr bedeutend: Störungen in der Blutcircu-
lation, besonders des Herz - und Pulsschlages bei Obesitas pectoralis; da-
her kleiner, träger Puls , Congestionen zum Kopfe und Unterleibe ; Schwii\-
del, Ohnmächten, Zittern, Betäubung, Sopor, Apoplexie ; ferner Verdauungs-
beschwerden , Heisshunger , Vielfrässigkeit , Erbrechen nach dem Essen,
Leibesverstopfung , verminderte Diuresis und Diaphoresis , häufiger aber ein
zu weicher Stuhlgang; krankhaftes Hautsystera: ein nach Fett unangenehm
riechender Schvveiss , der oft die in Falten geschlagene Haut excoriirt und
scharf ist; öfters Furunkeln, Mitesser, chronische Exantheme; Respirations-
besch werden: Dyspnoe, Asthma, Zufälle von Brustbräune; bei Männern Im-
potenz, bei Frauen sparsame Menstruation und Sterilität. Ursachen.
Die wahre Ursache des Übels kennt man noch nicht. Gelegentliche und
prädisponirende Ursachen sind: phlegmatisches Temperament, starker Appe-
tit, übermässiger Genuss animalischer Kost und ^'ieler geistigen Getränke,
zu viel Ruhe, Schlaf, zu wenig Bewegung des Körpers, geistige Unthätig-
keit, Aufenthalt in animalisirter Luft, z. B. in Fleischscharren, Schlacht-
häusern etc. , ohnstreitig ein Umstand , der zum öfteren Fettwerden der
Schlächter mit beiträgt. In einzelnen Fällen sind diese Ursachen nicht vor-
handen , und dennoch zeigt sich die krankhafte Fettleibigkeit , z. B. bei Kin-
dern , bei thätigen Frauen in den vierziger Jahren. Da vorzüglich Schläch-
ter, Wursthändler, auch Anatomen fett werden, so ists nicht unwahrschein-
lich, dass die nächste Ursache des Übels ein Übergewischt des hydrogeni-
sirenden Processes, entstanden durch Übermass animalischer Kost und durch
animalische Dünste, ist (v. Gräfe). Dies beweiset zum Theil auch die Se-
ction solcher Personen ; denn die Leber ist hier sehr gross inid in der Regel
krankhaft, die Lungen sind dagegen klein und zusammengefallen, desglei-
chen das Herz. Eine häufige Folge der Fettsucht ist die Wassersucht,
woran die meisten Kranken , wenn sie schon im Alter vorgerückt sind, ster-
ben, und zwar unter den Zufällen von Erstickung oder später von Abzeh-
rung. Prognose. Ist im Allgemeinen imgünstig, doch kann durch zweck-
mässige Diät und kräftige Arzneien, anhaltend gebraucht, bei nicht zu hohem
Grade des Übels noch viel ausgerichtet werden. Cur. Sie besteht darin,
1) die gefahrlichen Erstickungszufälle zu beseitigen. Dies geschieht durch
grosse Aderlässe von jx bis Sj Blut, aber nicht zu oft wiederholt; diese
machen nicht fetter, wol aber die kleinen Aderlässe. 2) Um radical zu hei-
len, müssen wir die zu starke Vegetation beschränken, die Assimilation
schwächen, die zu starke Blutbereitung hindern und die Resorption durch
Beförderung aller Excretionen vermehren. Selxr wirksam sind anhaltend ge-
brauchte Purganzen (Kröcher, Khnj, Lang, v. Gräfe), besonders solche, die
höchst feindlich aufs vegetative Leben wirken , z. B. der Mercur. So gab
V. Gräfe seinem Kranken täglich 12 — 20 Gran Merc. dulo. , worauf 16 bis
SO Stuhlgänge folgten. Als das Kalomel nicht mehr hinreichend ausleeren
AvoUte , wurde Gutti , Jalape und Aloe gereicht. Au«;h diese Mittel wirkten
späterhin nicht hinreichend, deshalb wurde Folgendes verordnet: ly» Sah
Glfiuberi^}], Alocs sitccotr. gr. xjj, Extr. hyoscyami gr. jj, Aqune foejiiciili 'ü'].
Dieser Laxirtrank, des Tags gegeben, veranlasste binnen 24 Stunden 20 — SO,
ja .sogar einigemal 60 copiöse wässrige, einen süsslichen Fettgeruch darbie-
ADIPSIA 53
tcnde Sedes. Es erfolgten Appetitlosigkeit, Widerwille gegen animalische
Kost , und in der dritten Woche verliess der Kranke schon das Bett. Nun
wurden folgende Pillen verordnet: I^ Sapon. medic, Heshi. jalap. aua gp,
Gumm. guttae gr. xjj. M. f. pil. pond. gr. j. , wovon dreimal täglich 8 Stück
genommen ^vurden, und der Patient jedesmal eine Tasse Pülnaer Bitterwas-
ser nachtrank. In 4 Wochen hatte er 50 Pfd. Fett verloren. Des vielen
Laxirens war derselbe überdrüssig, auch schien es jetzt nicht mehr viel zu
wirken. Daher verordnete v. Gräfe nun die Tinct. iodinae (I^ lodinae gr. j,
Spirit. vin. rectificntiss. 3j.), 4mal täglich 20 Tropfen in einer Tasse Zucker-
wasser, und alle 5 Tage ein gelindes Abiuhrmittel. Nach Verlauf von 4 Mo-
naten hatte der Patient 100 Pfd. an Gewicht verloren^ er verrichtete nun
wieder seine Geschäfte , gehrauchte aber noch 2 Monate die lodine und die
intercurrenten Laxanzen fort, und wurde in dieser Zeit wiederum 40 Pfd.
leichter. Nun wurde nicht ferner medicinirt, doch verminderte sich das
Körpergewicht des Kranken noch um 18 Pfd. , so dass derselbe, der Kröcher
heisst und noch in Berlin als Schlächtermeister lebt, jetzt nur noch 209 Pfd.
wiegt, vor der Cur dagegen 363 Pfd. schwer war. (S. v, Gräfe u. v. Wal-
ther's Journal f. Chirurgie u. Augenheilkunde Bd. IX. Hft. 3. S. 367.). Von
grosser Wichtigkeit ist bei der Adiposis eine gute Diät. Vermeidung von
Fleischspeisen, säuerliche, vegetabilische Kost, zum Frühstück Thee , zum
Wittag- und Abendessen Frucht - und Semmelsuppen, viel Limonade zum
Getränk, auch Essig und Wasser unterstützen die Cur ganz bedeutend, be-
sonders in solchen Fällen, wie der von Gräfe'sche ist. — Wer Anlage zur
Fettleibigkeit hat, muss täglich durch Gehen, Reiten sich stark bewegen,
wenig essen , viel wachen und nicht zur Ader lassen ( HippoTcrates , Cehus,
Aurelinn')^ er muss sich besonders viel im Sonnenschein bewegen und den
Schweiss dadurch befördern (^ctiws) , den Körper täglich anhaltend mit Fla-
nell reiben (^Galeri) und Thee von Rad. gramin. und liquLrit. kalt trinken;
auch die kalten Seebäder sind als Präservativ zu empfehlen (M.). Ausser
dieser von Hen'n v. Gräfe beschriebenen und glücklich geheilten Adiposis
giebt es noch eine andere Art krankhafter Fettleibigkeit, welche nicht vom
Übermass animalischer Kost, sondern von ganz andern Ursachen entsteht.
So sehen wir oft nach schwächenden Einflüssen, nach öfters wiederholten
Venaesectionen , nach übermässigem Coitus, nach Mercurialmitteln, anhaltend
gebraucht, nach Scorbut, Chlorosis, nach Typhusfiebern bei der Reconva-
lescenz Fettleibigkeit entstehen. Hier ist offenbar Schwäche vorhanden.
Hier würden häufige Purgirmittel , Mercur und lodine den grössten Schaden
bringen und die Wassersucht erregen. In mehreren B^ällen der Art fand ich
blondes Haar, schlaffe Faser, phlegmatisches Temperament. Herrliche Dien-
ste leisteten bittere Extracte, China, Eisen, Stahlbäder, tägliches Reiben
des Körpers, viel Bewegung in freier Luft, der anhaltende Gebrauch säuer-
licher Mittel , besonders des Elix. vitrioli Mynsichti ; daneben wenig Suppen,
wenig Vegetabilien , mehr gebratenes Fleisch, pikante Dinge: Meerrettig,
Senf, Zwiebeln, geräuchertes und gepökeltes Fleisch , täglich 1 bis 2 Gläser
guter Rothwein, auch Portwein und der gl. Ich schlage vor, dieses Übel
zum Unterschiede der Adiposis Graefii, die wol nur vom Übermass animali-
scher Kost entsteht, Adiposis aquosa s. hydropica zu nennen, um damit
theils den Schwächezustand der Kranken , theils den Ausgang in Wasser-
sucht anzudeuten. Zu tadeln ist es, dass Herr Dr. A. L. Richter in Berlin
dieser Art Fettsucht in seiner Abhandlung (in dem Encyklop. Wörterbuch
d. medic. Wissenschaften von v. Gräfe, Hufeland etc. Bd. I. Berlin, 1828.
S. 433. u. f) gar nicht gedacht hat.
Adipsia, Aposia, Durstlosigkeit. Ist in hitzigen Fiebern, im
Typhus, ein gefährliches Symptom, besonders zu Anfange derselben. In
der Akme ists dagegen, wenn zugleich die brennende Hitze abnimmt, der
schnelle Puls langsamer wird , und die Delirien sich vermindern , ein gutes
Zeichen. Oft ist in bösen Fiebern der Durst da, aber der Kranke liegt so
sehr in Betäubung, dass er sein Verlangen nach Getränk nicht zu erkennen
geben kann. Hysterische und hypochondrische Personen trinken oft wochen-
54 ADJUVANTIA — ADYNAMIA
lang sehr wenig und haben keinen Durst ; auch zeigt bei chronischen Übeb»
die Adipsie atrabilarische Constitution und venöse Blutanhäufungen im Uiiter-
leibe, im PfortadersYstem, in der Leber, Milz und den Hämorrhoidaigefässen an.
A.d]uvaiitia (tnedicaminn), Unterstützungsmittel. Sind solche
Arzneimittel, wodurch das Hauptmittel (Basis) nach den Regeln der Receptir-
kunst unterstützt oder sicherer gemacht werden soll. Ist die Basis gut ge-
wählt, so ist^ das Adjuvans oft zu entbehren. Oft ists aber für den ächtea
Praktiker unentbehrlich, weil er in der Apotheke kein einzelnes Mittel findet,
welches für den individuellen Krankheitsfall vollkommen passt. Hier soll die
Basis und das Adjuviyis nur als Ein Mittel angesehen werden ; z. B. Decoct.
chinae mit Infus, rad. valcrianae, calam. arom und Liquor, anodyn. nur als.
ein Roborans , welches gerade für den Grad der Schwäche , woran der
Kranke N. N. leidet , völlig passt , da die China allein hier zu schwer ver-
daulich, grob und fix, dagegen die Valeriana, der Kalmus und Liquor allein
zu flüchtig und excitirend wirken würden. So schafft sich der wahre Prakti-
ker durch sorgfältige Mischung und Zusatz der Adjuvantia ein nicht stopfen-
des Opium, eine nicht reizend purgirende Aloe, ein nicht purgirendes Kalo-
mel, ein nicht die Verdauung schwächendes Eisen u. s. f.
Adstring^entia » zusammenziehende Mittel. Sie vermehren
die Cohäsion der Faser, daher den Tonus, und wirken somit unmittelbar
stärkend, indem sie die Erschlaffung heben, die übermässige Keceptivität
und Sensibilität herabstimmen und die durch Schwäche und Erschlaffung
vermehrten Se- und Excretionen vermindern. Hierher gehören Cort. chinae,
quercus, hippocastan. , Salicis, Herb, salviae, Cort. adstringens Brasiliensis,
Spiraea tomentosa , Cort. et folia betulae , Verbena officinalis, Folia hederae,
vitis viniferae, 'Rad. tormentillae, ratanhiae, Gummi katechu, kino, Alumen,
Acid. sulphuric. , Vitriol, martis, cupri, zinci. Eisen, Blei und die Kälte.
Die Zahl der äusserlich anzuwendenden Adstringentia ist mit Einschluss der
oben genannten noch grösser. Besonders adstrmgirend wirken äusserlich das
kalte Wasser, Aq. Goulardi, Vitiüol. album, coerul. , Lap. divinus, Alaun,
Tinct. katechu , Pulv. gall. quercinar. , Cort. quercus etc. in Form von
Waschwassern, Umschlägen, Gurgelwassern, Einspritzungen (gegen chroni-
sche Blennorrhöen, Prolapsus, Nabelbrüche, chronische Ophthalmien, bei
stark eiternden Wunden und Geschwüren mit Caro luxurians und Neigung
zur Fäulniss). Contiaindicirt sind die Adstringentia bei äusserlichen heftigen
Entzündungen , bei kritischen Ausscheidungen , kritischen chronischen Aus-
schlägen, indem sie hier leicht Rletastasen nach Innern edlern Theilcn erre-
gen ; besonders ist dies bei der Anwendung des Bleies zu befürchten.
Adynamia', Asthcnia, Dehilitis corporis, Schwäche. Ein höchst
relativer, nur zu häufig im gemeuien Leben, wie in der Heilkunst gemiss-
brauchter Begriff. Selten wird der Praktiker das Lager eines Kranken ver-
lassen , ohne das dritte Wort im Munde der Laien: „Ach! wie schwach ist
das Kind oder die Frau, der Mann" etc. gehört zu haben, und Wehe ihm
und dem Kranken, wenn er s4ch dann gleich verleiten lässt, Excitantia und
Roborantia : Kampher, Opium, Serpentaria, China etc. zu verschreiben. —
Zu allen acuten und chronischen Krankheiten kann Schwäche hinzukommen,
die theils mit erhöhter, theils verminderter Reizempfanglichkeit verbunden
«eyn kann , und die Adynamie behauptete von jeher in der praktischen \le-
dicin unter den Benennungen Malignität , bösartiger, pestilenzialischer Cha-
rakter, Fäulniss, Faulfieber, bei Brown Asthenie, bei Rcil u. A. Lähmung,
bei Neueren Passivität, Venosität etc. eine Hauptstelle. Bei näherer Be-
trachtung dieses Gegenstandes ist für den Praktiker höchst wichtig der Un-
terschied zwischen wahrer luid scheinbarer oder falscher Schwäche (Debilitan
Tcra et spuria). Die wahre Schwäche entsteht entweder durch Erschöpfung
der Lebenskraft, durch Überreizung (indirecte Asthenie nach Brottfii'), oder
durch mangelnde Nahrung u. Erregung der Kraft (Asthenia directa Broivnii).
Wir theilea sie am besten in die irritable, erethistische , und in die torpide
•in. Zeichen der wahren Schwäche: Wirklicher Mangel an lebendi-
AEDOEAGRA — AEDOEOPSIA 55
ger Kraft und Kraftänsserung, daher Unvermögen zu gehen , zu stehen oder
aufrecht zu sitzen, Ohnmächten, Gesichtsblässe bei aufrechter Stellung, Zit-^
tern der Glieder, unveränderte Lage im Bette, Schlaffheit und Mattiglceit
in den Gliedern , äusserst kleiner geschwinder , kaum fühlbarer , unter dei*
Hand leicht wegzudrückender Puls, schnelle, ungleiche, ängstliche Respira-
tion, zusammengezogene, kleine Pupillen^ grosse Gleichgültigkeit des Kranken.
Wenn bei einem Fieberkranken diese Symptome zugegen und anhaltend,
nicht vorübergehend , wie bei Hysterismus und andern Neurosen, sind , ist an
wahrer Schwäche nicht zu zweifeln. Zeichen der falschen Schwäche.
Robuste Constitution, mittleres Alter, Fieber mit Frostanfallen und geschwin-
dem, aber nicht leicht wegzudrückendem Pulse, Zerschlagenheit und Mattig-
keit in den Gliedern , die aber mit einem Gefühl von Steifheit verbunden ist..
Der Kranke leidet nicht an anhaltenden Schweissen oder Durchfällen, er
phantasirt vielleicht viel, kann sich aber allein aufrichten, wird nicht ohn-
mächtig dabei, ist höchst unruhig, leidet vielleicht an innern örtlichen Ent-
zündungen , hat grosse Angst , des Abends nimmt das Fieber zu u. s. w.
Hier ist scheinbare Schwäche aus Unterdrückung der Kraftäusserungen (De-
bilitas spuria, ab oppressione virium orta). Ein solcher Kranker ist eben
«0 wenig schwach zu nennen, als der kraftAolle Mann, der, weil man ihn
gefesselt hat, sich nicht bewegen kann. Hier hebt ein Aderlass oft die
Bcheinbare Schwäche. Hierher gehören die Debilitas plethorica, gastrica,
metastatica der Alten, wo der Kranke wegen Überfüllung der Blutgefässe,
Überladung des Wagens, gastrischer Anhäufungen, wegen gebundener Kraft,
entstanden durch mechanischen Druck, Unterbindiing, durch Lähmungen ein-
zelner Theiie: des Gehirn», durch Exsudatiorven , Extravasate, Metastase»
etc. scheinbar schwach ist, durch Entfernung- der Ursache aber ohne da»
geringste Stärkungsmittel wie neu belebt erscheint. Auch die Debilitas Kd
sensum , entstanden durch Nervenverstimmung, die Gefühl von Schwäfche
hervorbringt, ist eine falsche Schwäche, die wir fast bei jedem Fieber- be-
merken. Wahre erethistische Schwäche finden wir bei der Febris nervosa
versatilis , auch Typhus cum erethismo genannt , wahre torpide Schwäche
bei de;* Febris nervosa stupida s. Typhus cum torpore; s. diese Artikel. Da
die wahre Schwäche bei den meisten Fieberkranken J die nicht an Hunges
und Kummer gelitten haben, in unsern Gegenden von Norddeutschland, sel-
tene Fälle und seltene Zeiten, wo ungewöhnlich bösartige Epidemien herr-
schen , ausgenommen , nicht stattfindet , wenigstens nicht in den ersten neun
Tagen der Krankheit , da sie aber am häufigsten aus Erschöpfung der Kraft,
durch Überreizung erfolgt , so hüte sich der Arzt . vor der frühen Anwen-
dung reizender, erhitzender, vermeintlich stärkender Arzneien, um durch
seine Kunst oder richtiger Unkunst solche Febi'es nervosae versatües aut
i^tupidae nicht hervorzubringen.
Aedoeag^ra, Schmerz der Genitalien, s.Pudendagra.
Acdoeoblennorrhoea, Schleimfluss aus ^en Genitalien, s, -Leu-
^^rrhoea, Gonorrhoea.
-,; Aedoeoitis , Entzündung der äussern Geschlechtstheile, s. Inflam-
matio vaginae, urethrae, Gonorrhoea, Ijifl^W.iA.atio l^l^iorum
vulvae, scroti, Balanitis. .^ ! ( ., . -jv rv.i'f ■
Aedoctopflia, Aedoeo^sis, das Sehen, die B.esioKtigungide'r
Scham. Ist bei den verschiedenen Krankheiten der männlichen, besonders
aber der weiblichen Geschlechtstheile sehr wichtig. Wir unterscheiden}
1) Aedoeopsis uterina et vaginalis. Um die tiefer gelegenen Par-
tien der Mutterscbeide , die Portio vaginalis uteri zu beschauen , bedienen
wir uns des von Recamier erdachten, von Dwpuijfren wesentlich verbesserten
Speculum vaginae et uteri, das allgemeiner verbreitet zu werden ver-
dient, da wir mit ihm, wenn es in die Vagina gebracht worden ist und
Y»ir vor seine äussere Öffnung eine angezündete Kerze halten oder das Ta-
geslicht hinein fallen lassen, die Scheidenportion der Gebärmutter und die
Wandungen der Vagina deutlich sehen können. Man hat selche Specula von
56 AEDOEOPSOPHIA — AEGILOPS
▼erschiedener Grösse, je nach der Enge oder Weite der Vagina; ihre Ap-
plication ist ganz schmerzlos, indem das äusserlich mit reinem Öl bestrichene
erwärmte Instrument, nachdem man vorher sich durchs Zufühlen mit dem
Finger vom Stande der Vaginalportion überzeugt hat, rotirend und in der
Richtung der Scheide in letztere eingebracht wird. Drehet man den einge-
brachten Spiegel langsam um seine Achse, so kann man durch die ange-
brachte Längenspalte des Cylinders nach und nach jeden Theil der Vagina,
durch die hintere Öffnung aber die Vaginalportion beschauen. Um die Dia-
gnose bei Geschwüren aller Art, besonders bei syphilitischen, bei Fistelgän-
gen in der Vagina und am Mutterhalse, bei Blasenscheiden- und Mastdarra-
scheidenfisteln etc. zu sichern , ist ein solches Speculum höchst nothwendlg.
Jeder Arzt oder Wundarzt, der die Besichtigung der Freudenmädchen sich
zur Pflicht gemacht, muss diesen Spiegel anwenden; denn häutig ist ea vor-
gekommen, dass solche Dirnen an den äussern Genitalien und so weit man
bei auseinandergehaltenen Schamlefzen in die Mutterscheide sehen kann, ganz
gesund aussehen, und dennoch haben sie venerische Geschwüre oft schoii
Wochen lang in der Tiefe , die nur das Speculum allein entdeckt , wie die-
ses Dr. Ricohl in Paris bei seinen zahlreichen Untersuchungen häufig ge-
funden hat. (Vgl. d. Art. Exploratio obste tricia). Auf solche Weise
erklärt es sich auch , wie von solchen Freudenmädchen häufig Männer ange-
steckt werden, denen der untersuchende Wundarzt, wenn er sich des Spie-
gels nicht bedient, das Zeugniss der Gesundheit gegeben, wie denn vor
zwei Jahren in Dobberan zwei Fälle der Art, nach des Leibarztes Sachse
Meinung, wahrscheinlich vorgekommen sind. (S. Cnsper^s Wochenschrift f.
die ges. Heilkunde. 1833. Nr. 16. S. 297. RhsVs Magaz. Bd. VIL S. Ii8.
Ammon's Parallele d. französ. und deutschen Chirurgie. 1823. S. 258.). —
2) Aedoeopsis vesicalis, Autopsia vesicae urinariae, die An-
schauung des Innern der Harnblase. Zu diesem Zwecke hat Scya-
las einen ßleisenspiegel erfunden, ein Speculum urethro - cysticura , welches
auch sehr instructiv eingerichtet ist und seinem Zwecke bei richtiger An-
wendung ziemlich entspricht.
Aedoeopsophia, Mutterwindsucht, Auftreibung der Ge-
bärmutter durch Luft, welche oft mit hörbarem Geräusche abgeht.
Zuweilen ereignet sich dieses Symptom bei Hysterischen nach heftigen An-
fällen des Übels, verschwndet alsdann meist von selbst (M.). Einige ver-
stehen unter dem Worte den Abgang von Luft sowol aus dem Uterus durch
die Vagina, als aus der Blase durch die Harnröhre. (Vergl. Tympanitis
uteri und Ficq d'Azyr in Encyclop. m^thodique T. XXXVII. p. 229.).
Dass zuweilen bei hysterischen Frauen Betrügerieien stattfinden, und die äb-
gehende Luft durch einen Katheter eingeblasen wurde, hat noch neulich die
famös gewordene kopenhagener Kranke bewiesen, welche lange Zeit ihre
Ärzte hinterging.
Aeg^opS, Augen wink elg es chw Gr. Ist ein Geschwür im inne-
ren Augenwinkel in der Gegend des Thränensacks, das in der Carunkel, in
der halbmondförmigen Falte seinen Sitz hat, zuweilen aber auch den Thrä-
nensack mit angreift , nur oberflächlich eitert und Folge einer Augenwinkel-
geschwulst (Anchilops) ist. Es giebt eine Anchilops inflammatoria , cystica,
scirrhosa, cariosa, je nachdem das Übel blos in Entzündung, oder in einer
Verhärtung, oder in Caries, oder in einer Balggeschwulst besteht. Ein sol-
ches Geschwür imterscheidet sich von der ächten Thränensackfistel dadurch,
dass die thränenabführende Partie primär nicht krankhaft ergriffen ist , der
Abscess liegt unmittelbar unter der Haut, ist hart, die Geschwulst des
Thränensacks dagegen elastisch; auch ist bei Anchilops der Thränenausfluss
durch die Nase nicht gehemmt, es müsste denn durch Affection des Thrä-
nensacks die unächte Thränenfistel (nach Acer) entstanden seyn. Symptome,
Bei Anchilops simplex drückendes, spannendes Gefühl in der Gegend des in-
nern Augenwinkels, geringe Geschwulst daselbst, die bald härter, schmerz-
hafter und roth wird, geringe Anschwellung der Thränencarunkel . Röthe
AEGIS — AEROPHTHORA 57
des innem Augenwinkels und der Augenlidränder. Geht das Übel in Aegi-
lops, in Eiterung über, so entstehen lebhaftere Schmerzen, die Geschwulst
spitzt sich zu, bekommt eine weisse Erhöhung und fluctuirt. Ursachen*,
plötzliche Einwirkung kalter Luft, starkes Weinen (Beer), gastrische Reize,
Scropheln. Cur. Zu Anfange setzt man einen Blutegel an den untern Rand
der Geschwulst, und macht Fomentationen von Aq. Goulardi mit etwas
Tinct. opii. Ist die Entzündung von erysipelatösem Charakter, so vermei-
det man die Nässe und wendet Spec. resolvent., aromaticae in Kräutersäck-
chen an. Zeigen sich die geringsten Spuren der Eiterung, so lasse man
erweichende Breiumschläge auflegen , und öffne mit einer Lanzette bei den
ersten Zeichen von Fluctuation. Man steche aber nicht zu tief ein , sonst
verletzt man die vordere Wand des Thränensacks. Man verbinde den Ab-
gcess mit gar keinen Salben oder Pflastern, sondern lasse nur einigemal täg-
lich das Auge mit lauem Wasser reinigen, lasse auch noch die Cataplasmata
emoUientia, mit etwas Tinct. opii versetzt, fortsetzen, bis alle Härte ver-
schwunden ist. Bei Scrophulosis lege man Compressen mit Aq. rosarj und
Tinct. opii über, und gebe innerlich Ahtiscrophulosa. Ist schon Caries da,
so verbinde man mit Tinct. myrrhae, Tinct. aloes. Bei Anchilops cystica
reibe man Unguent. mercuriale ein ; hilft dies nichts , so schäle man es mit
dem Messer aus- Leicht erzeugen sich solche Abscesee von Neuem , beson-
ders wenn Syphilis, Gicht aum Grunde liegt. Hier sind innere, gegen das
Grundübel gerichtete Mittel : Mercurialia , Antimonialia, Decoct. rad. sarsa-
parill. , Spec. lignor. etc. anzuwenden. Die Erkenntniss der Anchilops com-
plicata ist oft schwer; s. Fistula sacci lacrymalis spuciai)'
Aegis, Aigis, Hornhautfleck, s. Macula corneae. ' '•/'■''
Aeg^ophonia s die Aegophonie. Ist ein besonderer mecTcernd«^"
Ton, Laennec's meckernde Pectoriloquie^, die man bei Anwendung ' des , Ste-^
thoskops in verschiedenen Brnstübeln , wahrnimmt. Sie deutet auf massige
seröse Ergiessung zwischen den Blättern der Pleura , und ist iii Pleuritis
gerade kein schlimmes Zeichen (haenncc, Scudnmore).
AegritudOj Unpässlichkeit , s. Morbus.
Acrophobia, Luftscheu, s. Hydrophobia. ...Sa .:; i.l -?//:, ,
Aeropbthora , Luftverderbniss, unreine Luft,, werdior-r.
bene Luft. Ist eine solche Atmosphäre, die durch Änderung der :Mi-*
fichungsverhältnisse ihrer eigenthümlichen Bestandtheile (21 Theile Sauer-
stofl'gas , 78 Theile Stickgas und 1 Theil Kohlensäure ) oder durch Beimi-
schungen anderer Gasarten dahin verändert wird , dass sie zum Unterhalte
des organischen Lebens nicht ferner tauglich ist. Es kann zwar durch Ab-
normitäten im Normalverhältnisse imponderabler Stoffe : der Elektrioitäü^ ■ des
Erdmagnetismus, der Wärme und Kälte, der Trodkenheit und Feuchtigkeit,
die Atmosphäre auf das organische Leben schädlich wirken; doch ist dieä-
keine Luftverderbniss zu nennen. Erdbeben, vulkanische Eruptionen, Sumpf-
ausdünstungen , kosmische Einflüsse durch den Stand der Sonne luid des
Mondes, Überreste der Mondatmosphäre zur Zeit, wo die Erde. im Welten-
raume gerade die Stelle durchläuft , auf welcher noch wenige Stunden .vor-
her der Mond sich befand {lAclüenherg) , Exhalationen verschiedener irrespi-
rabler Gasarten aus dem Innern der Erde, zumal bei Erdbeben ganzer iLäh-
der, die Nähe von grossen Kometen, — alle diese Dinge können die
Atmosphäre auf küi'zere oder längere Zeit und über grössere oder kleinere.
Länderflächen dergestalt umändern , dass eine ungewöhnliche Witterung ein-
tritt, dass dynamische und chemische Abnormitäten der Luft stattfinden, die
der Gesundheit nächtheilig sind und somit selbst grosse Weltseucheri', her-;
vorrufen, wie in unserer Zeit dies die asiatische Cholera, die bestiäiunt mi(i
einer schädlichen Atmosphäre in ursächlichem Zusammenhange steht , [gezeifb
hat. Es ist Thatsache, dass allen grossen verheerenden Epidemien äUereh
und neuerer Zeit, selbst dem ersten Aüsbtuche der Cholera in Indien (1817),.
grosse Erdbeben, vulkanische Erscheinungen, Überschwemniungeii , bedeu-
tende und zahlreiche Meteore vorhergingen und 'damit im ZusammeohaHge
S8 AEROPHTHORA
stehen. Sie alle deuten auf Luftverderbnisse , indem h!er auf dem Erdbali
im Grossen durch die Erdbeben das geschieht , was wir im Kleinen beim
Umbrechen des mit vielem Humus, mit verwesten organischen Stoffen ge-
ficbwäjigerten, in Niederungen der Flüsse gelegenen Erdbodens wahrnehmen,
d. i. schädliche Luftausdünstungen. Je grösser und älter die Städte
Bind, desto mehr und desto bedeutender sind diese Lager von organischem
Schutt , so dass man mit Recht sagen kann , sie sind auf den Gräbern der
Vorzeit gebauet. Daher dann hier die grössere Luftverderbniss , die Ent-
^ckelung von Miasmen , die selbst Contagien bilden können , — daher das
sonst so Räthselhafte in der Verbreitung der Cholera , daher die Menge der
Meteore, die gleichsam als grosse Irrlichter, als in Entzündung übergegan-
gene schädliche Gasarten, womit die Luft überhäuft ist, zu betrachten sind.
Sehr nachtheilig wirkt die Luft in eingeschlossenen Räumen, in Cloaken,
in manchen Bergwerken , in verschlossenen Brunnen , in feuchten Wohnun-
gen und besonders in dumpfigen, der Luft und dem Lichte nicht zugäng-
lichen Gefängnissen, wo sie mit Kohlenstoff, Stickstoff, gekohltem Schwe-
felwasserstoffgas etc. überladen wird, und es ist ein wichtiger, leider! in
Deutschland noch zu wenig von der Gesundheitspolizei beachteter Gegen-
stand, darauf zu achten, dass sowol beim Bauen der Häuser auf gesunde
Wohnungen gesehen und diese nicht zu früh, ehe sie trocken geworden,
verklebt und bezogen wird , als auch dass die Gefängnisse , die hie und da
noch wahre .Mordlöcher der Gesundheit sind, zweckmässiger eingerichtet
■werden, damit sie der Gesundheit der Gefangenen nicht schaden. — Um
die Stickluft aus auszubessernden tiefen Brunnen zu entfernen , reicht das
Anzünden von Holz, Scbiesspulver etc. selten hin. Das Beste ist, dass man
auf einmal 160 bis 200 Quart kochendes Wasser hineingiesst. Dies hat die
Wirkung, dass sich sofort undurchsichtige Dämpfe entwickeln, die oft Y4
Stunde emporsteigen, wodurch die Stickluft gänzlich aus dem Brunnen ent-
fernt wird, was man daran erkennen kann, dass ein hinuntergesenktes Licht
darin brennen bleibt. Alsdann können die Arbeiter ohne Lebensgefahr hin-
einsteigen und an die Arbeit gehen. — Die Gasarten, die sich beim Aus-
räumen des Mistgruben , vorzüglich während des Wegschaffens der Jauche
entwickeln , schaden nicht blos den Arbeitern , sondern auch den Bewohnern
des Hauses, die Kopfschmerz, Unruhe, Schlaflosigkeit,^ Übelkeit davoii em-
pfinden. Man sichert sich am besten vor dem Eindringen solcher Gase in
die Zimmer dadurch, dass man die Öffnungen mit Tüchern verhängt, wel-
che mit Chlorkalkauflösung befeuchtet worden sind. Bekanntlich ist jede
eingeschlossene Luft in Gemächern, wo viele Menschen athmen und viele
Lichter brennen, die das Oxygen schneller verzehren, wie in überfüllten
Schauspielhäusern, Teinzsälen, in schlecht eingerichteten Spitälern, auf über-
füllten Schiffen ( z. B. auf den Sklavenhändlerschiffen ) , sehr schädlich , in-
dem bösartige contagiöse Krankheiten: Lazareth-, Kerker-, Schiffsfieber,
Fleck - und Faulfieber daraus entstehen können. Eine mit verdorbenen ani-
malischen Stoffen zu sehr geschwängerte Luft in Krankenhäusern ist häufig
die Ursache , dass die einfachsten Wunden und Geschwüre stets brandig
werden (s. Gangraena nosocomialis) und die luftreinigenden Räuche-
rungen von Guyton ~ Morycrtu u. A. haben Tausenden Leben und Gesund-
heit gerettet. (S. Fumigatio). Zur Desinfection jeder durch faulige, in
Verwesung übergegangene animalische Stoffe ■ verdorbenen Luft , z. B. bei
Sectionen schon sehr in Verwesung begriffener Leichen, ist die Chlorkalk-
auflösung allen andern Mitteln vorzuziehen , zumal wenn man zu letzterer
noch etwas Schwefelsäure zusetzt. — • Wenn die sitzenden Stände, Gelehrte,
Schneider, Schuster, Nähterinnen, besonders wenn sie sich in engen niedri-
gen und wenig gelüfteten Zimmern aufhalten, blass und hager aussehen,
so ist die schlechte Zimmerluft die Hauptveranlassung dazu, öfteres Lüften
der Zimmer, Wohnungen, welche die Sonne bescheinen kann und nach Sü-
den liegen , fteissige Bewegung im Freien und vieles Wassertrinken sind die-
jenigen Mittel, die, anhaltend gebraucht, solchen Leuten weit nützlicher
•ind, aU alle Arzneien^. Auf die Srhiafzimmer und die Salubrität der darin
AEROPHTHORA |i^
enthaltenen Luft sehen die vremigsten Menschen, obgleich sie ftbep/Y« ihre«
ganzen Lebens darin athmen und sich aufhalten. Das Schlafen in enget^
dumpfigen Alkoven ist, wie Dzondi ,gan? recht bemerkt, höchst ungesund;
ich habe manchen Asthmatischen, Gichtischen, Dyskrasischen nicht eher hei-
len können, als bis er das enge, dunkle, dumpfige, parterre befindliche
Schlafzimmer mit einem luftigen, geräumigen, hellen, an der Sonnenseite be-
findlichen Saale, der nun zum Schlafeimmer dienen musste, eine Zeit lang
vertauscht hatte. Hier in Rostock giebt es viele ungesunde Wohnungen,
besonders in der Nähe des Strandes; auch viele neue Wohnungen sind höchst
feucht und ungesund, weil sie von Baumeistern auf Speculation gebauet,
schnell vollendet , verkauft und von den Eigenthümern bezogen vvorden, be-
vor sie gehörig ausgetrocknet waren , und es gereicht unserer Polizei zum
grossen Vorwurfe, dass sie darauf gar nicht achtet. In einer solchen feuch-
ten Wohnung lebte ein Mann mit Familie, wo jedes Mitglied derselben jähr*'
lieh wenigstens einmal erkränkte, so dass ich vollauf zu thnn und voö die-
ser Familie jährlich ein nicht geringes Honorar zu erwarten hatte. Ich sagta
vor 6 Jahren dem Manne, dass allein die feuchte Wohnung Schuld an de»
jährlichen Krankheiten, woran er selbst und seine Familie litt, sey, rietb
ihm, eine gesunde trockne Wohnung zu kaufen; — er that es, und seit der
Zeit sind die Leute so gesund geblieben, dass ich mich in 5 Jahren auch
nicht eines einzigen Krankheitsi^llcs in dieser Familie zu erinnern weiss.
Stark riechende Pflanzen, besonders die Blüten von weissen Lilien, Hya-n
cinthen, von Philadelphus coronarius, Citrus medica und Aurantium, '^on
Ligusticum levisticum , Lonicera caprifolium etc. erregen , indem sie Wasser-
stolfgas im Schatten , in verschlossenen Zimmern ausdünsten , dadurch bei
empfindlichen Personen oft Ohnmächten , Kopfschmerz, Schwind^» Übelkeit,
Krämpfe, Scheintod, selbst Tod, wogegen die frühe Anwendung' reiner fein
scher Luft und belebender Mittel die beste Hülfe leistet. Der Dampf Toa
glühenden Holzkohlen verunreinigt die Luft mit KohlenstofFoxydgas , wplches»
Kopfweh, Schwindel, Angst, Betäubung, blaue Gesichtsfarbe, Schl^gfluss»
Lähmungen, Delirien, Scheintod und wirklichen Tod schon binnen sehr, kur-
zer Zeit erregen kann, wenn d^r Mensch nicht bald an die frische Luft gen
bracht und mit Essig etc. gewaschen wird. (S. Asphyxie durch Kohlen-
stoffgas).— Die sog. schlagcndenWetter, Schwaden, bösea
Wetter in den Bergwerken bestehen auS: einem Gemisch von Kohlei^^äure
und Kohlenwasserstoffgas, welches, wenn ein Licht in die Nähe kommt,
detoijirt und den Bergleuten ausser Erstickungsanfälkn noch mechs^lliiscKQ
Verletzungen zu Wege bringt. Am besten schützen sich die Bergleute da-
gegen durch die Davy'sche Sicherheitslampe. Die thSnernen Öfen sind, sjUx
mal in engen und niedrigen Stuben, deshalb schädlich, weil sie, n^h.^tiTn-
loldi, den Sauerstoff anziehen und dagegen mephitische Gasarjteii g^wsdüi^.
sten , weshalb in manchen Gegenden der arme Landmann , bei xjhs- d^.r ,Ka-
thenmann, oft Nachtheil an der Gesundheit nimmt, zumal die kleben Kin-
der und solche, die sich die meiste Zeit in dergleichen Stuben^ aufhalten
müssen. — Auch verschiedene Handwerker leiden durch Verurvreihigung
imd giftige Beschaffenheit der Luft durch Stoffe , ■ die sie zur Betreibung ih-
res Geschäfts nicht entbehren können. So leiden die Goldarbei,ter .oft dufch.
Quecksilberdünste, besonders die Vergolder, die Klempner durpli , K^OJilen-
dunst, der Kürschner durch- T hierhaare; besonders nachtheilig ist; die Luft
in Gypsmühlen u. s. w. (S. Hufeland in dess. Journal 1810. Novbr. Portal^
Über die Wirkungen der mephitischen Dünste, und vorzüglich des Kohlen-
dampfs auf den menscW. Körper. Frankfurt u. Leipzig 1778.). Dureh Koh-
lenstoffoxydgas, das sich bekanntlich durch den Gebrauch der Kohlenbecken
und FeuerkUcen im Zimmer entwickelt, oder auch dadurch, daa«.bM ÖÖsern
Holzöfen das sogenannte Schoss oder Schloss , bevor die glühenden Kohlen
ausgebrannt sind, zu früh zugemacht wird, welches nachlässige VeditLiureii
noch kürzlich einigen Menschen hieselbst datf Leben gekostet^ babeo uniäii-
iige Menschen ihren Tod gefunden^
ad AEROT^HORAX — AGEUSIS
Aei^othoi'ax j Luft-brust. So nennt Kraus den Pneumothorax Und
zieht diesen Namen letzterm vor; S. Asthma aSreUm a physothorace.
Aestates, Hitzblattern, ß. Hydroa. , •, ',, .
_ ,, , •'; ' ' j' .i.'jilMlU/, ,<><
ACMOloifia» Aetiologie, die Lehre vop den- Ursachen der
Krankheiten, d. i. die Untersuchung, \vie diese Ursachen wirken, und
wie hieraus der kranke Zustand hervorgeht; ein höchst -wichtiger Gegen-
stand für rationelle Heilkunst ; nur der rohp Empiriker verachtet oder ver-
nachlässigt diese Lehre, ohne welche keine Einsicht in das Wesen der Krank-
heiten möglich ist, und keine rationelle Cur gedacht worden kann; s. Mor-
bus. Einen recht lehrreichen und schönen Aufsatz über die Ätiologie der
Krankheit im Allgemeinen hat uns jüngst Ph. v. Wnlthcr (s. v. Gräle' s und
t;. Wnlther's Journal für Chirurgie. Bd. XXI. Hft.' 1. l834.) geliefert, der
aUe Beachtung verdient. ,, ,, ,^ - , , ;
• 'Affectio, AffectioB. ' Dieses Wort drückt -weiter nichts aus, als
dass ein einzelnes Organ, oder auch der ganze Organismus, in eine Abwei-
chung vom Normalzustande verfallen ist, ohne aber übe«* die Natur und den
Charakter dieser Abweichung etwas zu bestimmen. Eine solche Bezeichnung
hai den negativen Vortheil , uns im Anfangej'so lange die Sache noch nicht
entschieden ist , vor einem andern bestimmten , ■\ielleicht falschen Namen zu
verwahren , und uns so vor irrigen Voraussetzungen und unrichtigen Hand-
lungsweisen zu schützen. Aber selbst positiv praktisch ist sie wichtig, inso-
fern nicht selten AfFectionen mit einfachem nnbestimmbarem Charakter vor-
kommen, bei welchen wir die Heilmittel ganz empirisch anwenden müssen.
(^ilufelanä').
A.gala,etia,f Defectus Inctis, OUgognlia, Mangel an Muttermilch.
Oft fehlt es der Mutter nach der Niederkunft nicht an Milch , sie vermin-
dert sich nur allmälig, weil das Stillungsgeschäft Hindernisse macht, z. B.
wegen wunder Brustwarzen; s. Abscessus lacteus. Wo wirklicher
Milthmangel stattfindet, d^v sind die Brüste welk, schlaff, das Kind fasst
.die Warze, lässt sie aber bald los und schreit. Ursachen. Erkältung der
Brüste, der Arme (kurze, Ärmel in der Kleidung geben dazu oft Veranlas-
sung), der Füsse , Mangelan guter Nahrung, Erhitzungen dos Kf'rpers
durch heftige Bewegungen : Tanzen , durch geistige Getränke , durch über-
mässigen Coitus; deprimirende Leidenschaften, z. ß. Sorge, Gram; Kümmer.
Cur. Wärmerhalten der Brüste , der Arme und Füsse , Älässigkeit In allen
Dingen (besonders bei sangujnis'chen Frauen zu beobachten) , tägliche mas-
sige Bewegung in freier Luft (am nothwendigsten Stillenden mit deprimiren-
den Leidenschaften und melancholischem Temperamente), gute Nahrung, be-
sonders Milch- und Biersuppen, rtiit Eigelb abgerührt, weichgekochte Eier,
Chocolade ohne Gewürz. Zugleich trinke die Stillende täglich 5 bis 6 Tas-
sen von folgendem Thee: I^ iScm. foenicuU §j , Herh. cacrcfoUi, — menth.
crisp.f Rad. liquiritiae aüa. ^jjj'. M. c. c. S. Thee auf 8 Tage. Auch das
Pulv. galactop. Rosenstein., wovon dreimal täglich ein Theelöffel voll mit
Wasser genommen wird, desgleichen folgendes Pulver befördern sehr die
Milch, i^ Matjnes. «Z&ctc öjjjs Vort. aurantlor., Sem. focniculi , Sacch. alhi
ana 3j- M. f. pulv. S. Viermal täglich einen Theelöffel voll (^Hufclnnd').
Manche Stillende versehen es damit, dass sie ihren Säugling zu selten (sel-
tener als alle 2 bis 3 Stunden) anlegen, und beim Stillen nicht die gehörige,
hier so nöthige Gemüthsruhe beobachten.
A^^nensis, Agcnesia. Ist, nach Bcffin , Unfruchtbarkeit bei Frauen
und männliches Unvermögen. S. Impotentia virilis.
Ag^eufliSy AgeitsHa, verminderte Empfindlichkeit des Ge-
schmacksinns, Geschmacklosigkeit. Ist nur Symptom anderer
Krankheiten, z.B. der Blennorrhoe der Mundhöhle, der Zunge, bei Status
pitnitosus des Magens, der Gedärme, bei stark belegter Zunge, bei Paralyse
nach Schlagflüssen. Cur. Die der Grundkrankheit, daher bei Blennorrhöen
und Katarrhen Diaphoretica, Resolventia, bei Status pituitosus Neutralsalze,
AGGLUTINANTIA — ARIURGU 61
Rheum, Salmiak mit Tart. emet., bei Paralyse äusserlich Einreibungen Ton
ätheriischen Ölen , flüchtigen : Salben hinter den Process. mastoid. , in . den
Nacken, in die Zunge, reizende Gurgelvyässer vpjn Senf, Pfeffer, Senega,
Tabaksdecoct mit Tinct. piper., Tinct. squillae, die der Kranke längere Zeit
im Munde hält. Auch giebt man einigemal täglich 2 bis 4 Tropfen Ol. cin-
nam., juniperi, sassafr. aether. mit Zucker, und lässt dies auf. der Zunge
schmelzen, legt ein Yesicator unter das Kinn, wendet yorsichtig die Elektri-
cität, den Galvanismus an, giebt innerlich Arnica, Nux vomica, Rad. pyre-
thri, Phosphor etc.
Agglutinantia-j Conglutinantia (^medkamina^ ., verklebende,
verleimende Mittel. Sind äusserlich anzuwendende Mittel in Pulver-
form , welche in und auf Wutende Wunden , Geschwüre , Hautexcoriationen
gebracht werden, damit sie sich mit den ausfliessenden Feuchtigkeiten ver-
binden , einen klebrigen Überzug bilden und so zu starke Ausflüsse von Säf-
ten verhindern , gegen die Einwirkung der Luft und andere Reize schützen,
ohne chemisch oder dynamisch nachtheilig zu wirken, und selbst Schmerzen
lindern, z. B. Gummi arabicum, Amylum, Bolus alba et rubra. Kreide beim
Wundseyn der Kinder (s. Intertrigo); Pulv. styptic. bei Blutungen u. s. f.
Ag^rippae partas, ngrippinus pnrltis. Ist diejenige Geburt, wo-
bei das Kind mit den Füssen zuerst geboren wird; s. Partus.
Ag^rypnia, Amjpnia, Ai^pnin (^Aretaetts"), Typhomaiiia, Pcrvigilitim,
Mangel des Schlafs, Schlaflosigkeit.. Ist ein Symptom der mei-
sten fieberhaften Krankheiten , desgleichen des Alters. Bei Gesunden ent-
steht die Schlaflosigkeit oft durch Gemüthsunruhe, 'unfgewohnte Läge, Le-
bensart etc. Es ist höchst falsch, wenn der Arzt sich verleiten lässt, zu
Anfange fieberhafter Krankheiten Opium etc. gegen Schlaflosigkeit zu ver-
ordnen , da solche Mittel in den meisten Fällen nachtheilig sindk und nicht
selten das Fieber vermehren. Die Agrypnia senilis ist die Folg« der ein-
tretenden Altersschwäche. Hier hilft oft ein Glas süsser starker Wein, vor
dem Schlafengehen genommen (Hufehmd). Sensible, reizbare, schwächliche
Personen leiden oft an Schlaflosigkeit; hier passt vor allem active Be-
wegung in freier Luft, Waschen des Kopfs mit kaltem Wasser und anhal-
des Reiben der Füsse durch die weiche Hand eines Andern , besonders kurz
vor dem Schlafengehen; auch das indische Schampaen, das Richten der
Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand, das Lesen langv^eiliger Geschich-
ten , eine eintönige , sanfte Musik , Abkürzung des Schlafs durch frühes Auf-
stehen sind empfohlen worden. Bei Wöchnerinnen befördert das Aufhängen
einiger Sträusse von Schafgarbe (Achillea millefol.) im Schlafzimmer, bei
denen , die an atonischer Gicht leiden , Thee oder starker Kaffee, des Abends
spät getrunken (Conradi), bei hysterischen Weibern ein Klystier von Cha-
millenthee und das Wiegen in einer grossen Wiege , bei Hämorrhoidarien ein
russisches Gericht: rohes Sauerkraut mit Öl, und das Schlafen auf Pferdö-
haarmatratzen den Schlaf,
Ag^rypnocoma, s. Coma vigil.
Aipatbia» ein andauerndes Leiden, anhaltendes Kränkeln, eine un-
heilbare Krankheit.
Akiur^ia, Acidurgia, Acurgia, Cursus operationum cliirv/rgicarvm,
die Operationslehre, die Lehre oder Wissenschaft von den
blutigen chirurgischen Operationen. Die Chirurgie kann zwar
eben so wenig wie die Arzneikunst der dynamischen Heilmittel entbehren,
aber sie benutzt noch vorzugsweise auch die mechanischen, die Binden, Ma-
schinen und Instrumente (Desmologie, Mechanol ogie, Akologie).
An die Akologie lehnt sich die Akiurgie an, und ist demnach dieselbe ein
Zweig der chirurgischen Heilmittellehre , betrachtend die chirurgischen Instru-
mente, ohne sich um ihre Beziehung zum Operateur und Kranken zu be-
kümmern, nur als Gegenstand technisch - wissenschaftlicher Beschäftigung.
Die specielle Akiurgie handelt die einzelnen chirurgischen Operationen ab.
(12
AKOLOGU — ALLOTRIODONTIA
ob sie Ihdicirt itnd oder nicht. Schreger unterscheidet 6 Classen derselben:
1) Operationen «ur Vermittelung organischer Cohäsion ; 2) die zur Beseiti-
gung abnormer Cohäsion; 3) zur Wiederherstellung der Normallage ver-
rückter Gebilde; 4) zur Entfernung zweckwidriger Stoffe und Gebilde aus
ihrem ' brganischeh Zusammenhange , oder ganz aus der Sphäre des Orga-
nbmus ; 5) zur Aneignung fremder Stoffe ; und 6) zur Beseitigung krank-
hafter Affectionen. Eine nähere Kenntniss von den erforderlichen Eigen-
«chaften eines guten Operateurs (scharfe Sinne, zumal feines Gefühl in den
Händen, Körpergewandheit, technisches Erfindungstalent, echte Kunstfer-
tigkeit , Reinheit des Gemüths , echte Humanität , Muth und Entschlossen-
heit ohne Tollkühnheit, schneller Überblick, Geistesgegenwart, Ruhe und
Besonnenheit ohne quälende Langsamkeit, genaue anatomische Kenntniss,
Bekanntschaft mit der Mathematik, Mechanik, Physik, Fertigkeit im Zeich-
nen ) , die generelle Exposition der Operation selbst , ihrem Begriffe und
Zwecke nach, so wie in Hinsicht ihrer primären und secundären, ihrer me-
chanischen und dynamischen Wirkung, ihrer Indication und Contraindication,
der Vorbereitung, des richtigen Zeitpunktes; die Bestimmung und Wahl der
Operationsmethode, der Instrumente, des Locals U.S. f.; — alle diese Dinge
«ind Gegenstände der generellen Akiurgie,
Akolog^i», s. Acologia.
A]£yano1>Iepsia« Unvermögen, die blaue Farbe zu unterscheiden^
a. Achro matopsia.
Alalia, Sprachlosigkeit, Verlust der Sprache, grosse Heiserkeit.
Alantotoxicon« das Wurstgift, das in verdorbenen Blut- und
Leberwürsten sich entwickelt, durch deren Genuss oft schneller Tod er-
folgt. S. Intoxicatio.
Alltinos, Kakerlake, s. Leucaethiopia.
Alboras. So nennt Theophrast eine Art Aussatz.
A.11>ug^o oculi» weisser Hornhautfleck, s. Macula corneae.
Alcbaest* Ist bei Theoph. ParnceJsus ein Quecksilberpräparat.
Alcola* So nennt Paracelsus den Harngries; arabische Ärzte verste-
hen darunter sehr schmerzhafte Mundgeschwüre, Aphthen {Kraus').
AlexiplkB.rmtlca, (medicamina), Alexiteria, giftabhaltende, gift-
tilgende Mittel. Die altern Ärzte verstanden darunter alle stark erhitzenden,
reizenden Mittel , als Kampher, Ammonium, Opium , Moschus, Olea aetherea
etc. und gaben diese nicht allein bei Vergiftungen, jwo sie oft nützlich sind,
sondern auch bei hitzigen Fiebern in der Absicht, das supponirte Krank-
heitsgift auszutreiben und durch Schweiss zu entfernen. So richteten sie
viel Unheil an , da bekanntlich die wenigsten Fieber mit wahrer Schwäche
verbunden sind (a. Adynamia), was vorzüglich im Stadio primo der Fall
ist, dagegen gar häufig Localentzündungen zur Ursache haben, die den gan-
zen antiphlogistischen Apparat und die kühlendste Behandlung erfordern.
AlienatiOy Abnormität, Abweichung vom normalen, naturgemässen
Zustande, sowol in Hinsicht der Qualität als Quantität.
Alicnnlio mentis ist Delirium.
Allocbezia» AHotriochezin. Ist Abgang fremdartiger Stoffe
durch den After, auch des Kothes durch eine abnorme Öffnung.
AUopathia, ein durch fremde Einwirkung entstandenes
Leiden, Übertragung eines Leidens auf andere Organe. Neuerdings be-
zeichnet man damit das Gegentheil der Homöopathie, also jede rationelle
Curmethode im Gegensatze der rohen Hahnemann'schen Empirie. S. Ho-
moeopathia. Seit ein paar Jahren schreiben Hahnemann und seine An-
hänger nicht mehr Allopathie, sondern Alloeopathie.
Allotriodontiay das Einsetzen eines fremden Zahns, be-
kanntlich ein einträgliches Geschäft unserer Zahnärzte , die ofk eine grössere
Einnahme haben, als der geschickteste Arzt>
ALLOTRIÜRIA — ALOPECU ^
' Allotriaria, Abgang fremder Stoffe mit deiti &«rii«^ %. Bk
des Grieses , Schleiras , Blutes , Eiters. . .
Allucmationc« , s. Hallucinaiiones.
Alopecia» Area, die Fuchsräude, das Ausfallen der Haare.
Entsteht nach heftigen fieberhaften Krankheiten, nach Typhus, schwereA
Wochenbetten, Febris puerperarum , Bieikolik, nach Kopfwunden, Kopf-
grind, Läusesucht, nach heftigen Kopfschweissen , z. B. im Stadio colliqaa-
tivo der Schwindsuchten , nach dem Missbrauche des Mercurs , nach Flech-
ten, Ausschweifungen in Baccho , Venere, Minerva et ApoUinCj durch Sy-
philis. Doch ist letztere selten Ursache urtd man findet unter 1500 — 2000
Syphilitischen kaum eine Alopecia syphilitica (L. V. Lagneau). Gewöhnlieh
zeigt sich das Übel . am Kopfe , zuerä't am Scheitel und am "Vorderkopfe
(Kahlheit, Calvities); seltener am Barte und an andern behaarten Thei-
len. Die Alten gaben dem Übel verschiedene Namen: MadesiSy wenn dai
Ausfallen der Haare vorübergehend ist, Ophiasis, wenn es in Form von
Schlangenwindung nur theil weise am Kopfe bemerkbar ist, Phalaerosis, Phit-
lacrosis , Phalacra , Phalacroma, wenn es blos am Vorderkopfe, wie z. B.
die Kahlheit der Greise (Calvities senum) , stattfindet. Letzteres ist eigent-
lich keine Krankheit, sondern ein ähnlicher Naturhergang, wie das Härter-
werden der Knochen , das schwächere Wachsthum der Nägel etc. Dagegen
ist die Alopecia juvenum stets Krankheit. Hier spalten sich entweder die
Baare (Dichophyia) , oder sie werden vor dem Ausfallen erst grau und tro-
cken, oder sie fallen ohne difese Vorgänge mit oder ohne Wurzeln ans. Cur»
Entstand das Übel nach heftigen Krankheiten, so gebe man gute Nutrientia,
Roborantia , alsdann wird der Haarwuchs bald stärker , sowie die Körper-
schwäche gehoben ist. Bei chronischem Übel und sonst gesunden Personen
suche mau die Ursachen desselben zu entfernen und den Haarwuchs zu be-
fördern 1) durch regelmässige Lebensweise, stärkende Nahrung und tägliche
Bewegung in freier Luft ; 2) durch den anhaltenden Gebrauch folgender
Tropfen: I^ Elix. vitrioli Mynsichti §j, Tinci, chinae compos. gjj. M. , wo-
von 2 — Smal täglich 30 — 40 Tropfen mit etwas Wein genommen werden
(M.) ; 3) äusserlich dient öfteres Abschneiden des noch vorhandenen Haars»
Warmhalten des Kopfs, das Tragen einer Pelzmütze im Winter und dei
Nachts , öfteres Einreiben des Kopfs mit guter Pomade , mit dem Mark aus
Pferdeknochen, mit Bärenfett, tägliches Waschen des Kopfs mit Folgendem«
f^ Rad, hardanae ^jj , coq, c. aq. fonfan. ^xvj , ttt rem. 3v3jj , col. expr,
I adde Spirit. vini gattici grv. M» S. Zum Waschen (3f .). Sehr empfohlen
wird das tägliche Reiben des Kopfs mit Zwiebelsaft , mit Baumöl , das übef
zerstossenen Wacholderbeeren gestanden, mit einem Decoct der Pinguicula
vulgaris, der Rad. rhodiol. ros. {^Grunner^ , das Bepudern des Kopfs als
Präservativ (JReuss'), bei Kindern und nach heftigen Fiebern das Waschen
des Kopfs mit kaltem Wasser, und bei völliger Kahlheit des Kopfs das öf-*
tere Belegen der kahlen Stellen mit Vesicatorien (^Altenhoff'er'). Sehr wirk-
sam ist Folgendes, womit dreimal täglich der kahle Kopf gewaschen wird«
I^' Vitrioli ctipfi 3jj , Spirit. vini gallici gvjjj , infunde per aliquot dies et
filtra. (^ Rademacher'). Blasius unterscheidet Alopecia und Calvities.
Letztere folgt, nach ihm, auf Mangel an ernährenden Feuchtigkeiten der
Haare; erstere dagegen wird durch einen scharfen Stoff, durch dyskrasi-
sches Allgemeinleiden bewirkt, daher sie auch mit krankhafter Veränderung
der betreffenden Hautstelle verbunden ist. Auch bezeichnet das Wort
Alopecie bald noch einen geringern Grad des Aussatzes: Alopecia seu Area
Sycosis am Kinn und zwischen dem Kopfhaar, Area Metitagra, bald eine
Form des vollständigen Aussatzes, nämlich die Lepra rubra, weil dabei die
Haare ausfallen. Gegen das frühe Ausfallen der Haare und daher entste^
hende Calvities empfiehlt v. Gräfe: ^/ Extr. chinae frig. parat. 3j> Axungio
porci ^ , Ol. amygdalar. amarar. gutt. quinqiiaginta. M. S. Abends den kah-
len Kopf damit einzureiben. Trommsdorf räth folgende Pomade an , weldi»
Blasim sehr wirksam nennt? fy Macis, Canjophyllor. anagj^, Cardamom. §j»
6|| ALPHITIDON — ALYINAE CONCRETIONES
Fol. IfUiH rcoent. 31! , conc. cont. adnwsce MeduU. ossium Sj, diijere in htgena
vitr. clausa p. hör. vj, adhuc cdlide colent. Colat. expr. D. S, Zum Einrei-
ben. Benuchamps (s, Dublin Journal und Behrendts Repertor. d. ausländ,
med. chir. Journalistik, 1834. Mai. S. 78 u. f.) lobt gegeti das kranke Aus-
fallen der Haare in Folge acuter Krankheiten , einer Mercurialcur , nervöser
Leiden etc., so vne gegen den sog. Porrigo decalvaps (Schilver oder sog.
Schinn auf dem Kopfe), nach zahlreichen eigenen und fremden Erfahrun-
gen , wenn die Kopfhaut nicht roth , entzündet ist , sonst nach vorheriger
Anwendung von Blutegeln, eine Solutio tartari emetici, 5 Gran in 3J, Aqua
destillata , Smal täglich auf die kahlen Stellen einzureiben. Leidet das ge-
sammte Kopfhaar, so wird der ganze Kopf vorher kahl abgeschoren. Eine
concentrirtere Solution passt nichts weil sie Pusteln erregt. Das Haupt
bedeckt sich allmälig mit schönem gleichfarbigem Haar.
Alopecia unguium, das Abfallen der Nägel, s. Onychexallaxis.
Alpbitidon. Ist ein Knochenbruch mit Zermalmung, also
gleichbedeutend mit Fractura comminuta sive multiplex. S. Fractura.
AlphuSlj Vitiligo alha, Mehlfleck, weisser Aussatz, weisse Räude;
s. Lepra maculosa alba. Hippocratcs bezeichnet mit dem Worte ä/.qoi
einen ganz flachen, kaum über der Haut erhabenen Fleck, dessen Farbe
sehr verschieden , weiss , gelblich , braun , schwärzlich oder bläulich ist ; da-
her er AlpTius albus und hru/nneus (^dlcpog levxri und ifaxog^ unterschied.
Bei spätem Autoren ist es gleichbedeutend mit Morphaea alba, und bedeu-
tet milchweisse , trübe , empfindungslose , etwas vertiefte , isolirt stehende
Flecke ohne Hautdesorganisation, die vorzüglich im Gesichte, an der Stirn,
den Genitalien und Extremitäten vorkommen. Ist die Haut schon desorga-
nisirt, sieht der Fleck schneeweiss und glänzend aus, so heisst er Leuce,
Nicht immer folgt jedoch auf den Alphus der Aussatz (Zf?«stws).
Althesteria (niedicamina} , äussere, wunden heilende Mittel.
Die vorzüglichsten sind Reinlichkeit, Entfernung alles Fremdartigen, Abhal-
tung der atmosphärischen Luft durch gute Bedeckung: Pflaster, Bandagen
etc. S. Vulnus.
Alvi adstrictio» Leibesverstopfung; s. Obstructioalvi.
Alviduca (inedicamina') , veraltete Benennung für Laxantia.
Alvi fluXUS, Durchfall, s. Diarrhoe a.
Alvinae Concretiones , die sogenannten Darmsteine. Sind
Anhäufungen und Verhärtungen von Darmkoth, welche in Gestalt von Bal-
len im Dickdarm, Coecum, im Rectum, in alten Brüchen zuweilen vorkom-
men und, hartnäckige Verstopfung machen. Oft ist letztere aber mehr die
Ursache derselben, besonders bei Hypochondristen und Hysterischen. Zu-
weilen findet man in der Mitte dieser unpassend genannten Darmsteine, wo-
mit man die wiiklichen Steinconcretionen im Processus vermiformis nicht ver-
wechseln darf (s. Lithiasis), einen Gallenstein, einen Kirsch- oder Pflau-
menkern. Oft sind diese Kothverhärtungen 4 — 6 Zoll lang, oft rund, oder
abgeplattet, stets aber steinhart und dabei leicht. Grosse Trägheit des
Darmkanals ist da , wo keine mechanische Hindernisse obwalten , die vor-
züglichste Veranlassung dazu, zumal bei Hypochondristen und Vita seden-
taria, bei Opiophagen, nach dem Missbrauche drastischer Purganzen. Sie
erregen Ekel , Leibweh , Auftreibung des Unterleibs , Flatulenz , Gefühl
von Schwere, selbst Harnverhaltung, Convulsionen , Kotherbrechen, wenn
die oft mehrwöchentliche Obstructio ahi nicht gehoben wird ; dabei Abma-
gerung, Facies abdominalis. Zuweilen ist das Übel recht clironisch, mit-
unter auch acut, wo denn Peritonitis, Brand und Tod oft rasch folgen.
Die Diagnose ist häufig schwierig. Dieffeiibach sagt mit Recht: „Manch-
mal, wenn des Concrement an einer Stelle des Colons festsitzt, die Ausdeh-
nung äusserlich fühlbar ist und der Kranke abmagert, keinen Appetit hat
und an häufigen Vomituritionen und Kolikschmerzen leidet, möchte man
sich versucht fühlen , das Übel für einen Scirrhus oder eine andfere Verhär-
ALYSSUM — AMARA 65
tung im Unterleibe zu halten. In andern Fällen , wenn die Krankheit sich
ihrem Ende nähert, Kotherbrechen eingetreten und der Verlauf schneller
ist, ist die Verwechselung mit dem Vohulus und Verwachsungen der
Därme ausserordentlich leicht. Nur wenn die Ballen dicht oberhalb des
Vfters sitzen, so dass man sie mit dem Finger oder der Sonde erreichen
sann, ist die Diagnose leichter. Aber auch hier wird die zur Erkenntniss
rtöthige Untersuchung oft durch die gewöhnlich stark hervorgetretenen Hä-
morrhoidalgeschwülste (auch durch Stricturen des Rectums, M. ) sehr er-
schwert und getrübt." (S. Rust's Handb. der Chirurgie, Bd. I. S. 461.).
Dur. Sitzt die Kothverhärtung im Mastdarm, wo sie oft bedeutend gross
st; so muss sie, bevor sie auf mechanische Weise entfernt wird, wegen ih-
•er Härte oft erst mittels einer Zange zerbrochen werden (^Dieff'enbach')^
luch werden sie durch Klystiere von Milch und Ol. ricini, von Haferschleim,
ifters angewandt, erweicht und so ihr Abgang durch den After erleichtert,
innerlich gebe man Ol. ricini, auch wol Ol. crotonis nach applicirten Kly-
itieren. Hat sich der Köth in veralteten Brüchen verhärtet, so sind kalte
Jmschläge anzuwenden. Sind die Kothverhärtungen entfernt, so muss die
■Nachbehandlung darin bestehen, 1) wenn noch Schmerzen da sind, diese
lurch ölige, schleimige Getränke, durch schmerzstillende Klystiere zu min-
lern, 2) etwanigen Entzündungszufällen durch Antiphlogistica zu begegnen,
J) die Wiedererzeugung der Kothverhärtungen zu verhüten. Man dulde nicht,
lass beim Genuss von Kirschen, Pflaumen die Kerne, was besonders Kinder
rem thun, mit verschluckt werden. Man belebe bei Erwachsenen den zu
ragen Darmkanal durch gelind eröffnende Mittel, durch reizende Klystiere,
md achte besonders bei Hypochondristen und Hysterischen darauf, dass sie
äglich Leibesöffnung haben und dulde keine mehrtägige Leiberverstopfung.
im besten passen hier antispasmodische Mittel, mit Rheum, Senna verbun-
len ; z. B. für hysterische Damen : I^ Rad. nngelicae, — calam. ttrom. , —
mlerianae, Herh. melissae ana Sjf^j Fol. sennne, Sem. foenic. ana 5j. M. c. c.
iisp. dos. X. S. Alle 1 — 2 Tage eine Portion zum Thee, lauwarm oder
calt getrunken. Für Hypochondristen dient Rheum, Aloe, Tart. tartarisat.
md der tägliche Genuss von 10 — 12 Flaschen kalten Quellwassers neben
ünreichender Körperbewegung (s. Hypochondria, Hysteria). Auch
cägliche Klystiere von kaltem oder lauem Wasser, so dass jedesmal 2 — 4 S
•Flüssigkeit, oft noch mehr, eingespritzt wird, sind anzurathen. Vergl.
W. Jäger: Über die Darmsteine der Menschen und Thiere. Berlin. 1834,
welche Schrift das Wissenswürdigste und auch eine ausführliche Literatur
iber diesen Gegenstand enthält.
Alyssiun. Ist bei den Alten ein Mittel gegen das Schluchzen; s.
Singultus. Bei einigen Neuern gleichbedeutend mit Antilyssum. PK-
nius versteht unter Alyssum den vermeinten Toll wurm unter der Zunge der
naännlichen Hunde , den noch heut zu Tage als Präservativ vor der Hunds-
wuth manche Jäger ihren Hunden wegschneiden, indem sie ihnen eine kleine
Drüse unter der Zunge entfernen. Durch die Marochetti'schen Wuthbläs-
chen unter der Zunge bei von tollen Hunden gebissenen Personen hat die-
ser sogenannte TollwTirm wieder einige Aufmerksamkeit erregt , um die Sa-
che näher zu untersuchen. S. Hydrophob! a.
Amara, bittere Mittel. Die bittern Mittel aus dem Pflanzen-
reiche enthalten einen Bitterstoff (L'amer) und einen bittern Extractivstoff
(Principe amer). Sie wirken stärkend , lange andauernd , besonders auf die
Organe der Vegetation , der Digestion , auf alle Se - und Excretionen, vor-
züglich auf die Schleimhäute, deren Absonderung sie vermindern, aufs Mus-
kel - und Gefässsystem. Wir verordnen sie gegen Schwäche des Darmka-
nals, gegen Verschleimung und Säure des Magens, gegen Krankheiten der
Leber, des Pankreas, gegen Würmer, gegen Wechselfieber, Gicht, Kachexien,
doch müssen die ersten Wege vorher gereinigt werden. Wir unterscheiden
rein bittere Mittel (Ämara) und solche, die bitter - ätherisch sind (Amaro-
aetherea). Wollen wir diese Mittel bei chronischen Übeln der Verdauung-
Most Eucyklopädie. 2te Aufl. I. 5
66 AMASESIS — AMAUROSIS
anwenden (in acuten Kranlcheiten, besonders in Fiebern mit Localentzfindun-
gen, passen sie nicht), so jnüssen wir sie für den Grad der Verdauungskraft
auswählen, bei hohem Grade von Schwäche mit den leichtverdaulichem und
bitter - ätherischen anfangen und erst später zu den rein bittern übergehen.
Wir verordnen z. B. erst Extr. rutae, aurantior. , taraxaci, fumar. , cardui
benedicti, trifolii mit aromatischem Wasser, Infus, rad. cal. aromat., dann
Extr. gentianae , Fei. taur. inspiss. , Decoct. caryophj Hat. , angusturae , co-
lurabo, Decoct, chinae mit Tinct. chinae, Extr. absinthii, Fei. taur., noch
später erst Quassia, die dann den Übergang zu andern Mitteln, z. B. zu
den ätherischen Eisentincturen macht. Erst passt Tinct. nervina Bestuchef.,
-dann Tinct. martis cydoniata, dann Tinct. ferri muriat., dann erst Limatura
martis. Wenn der Arzt bei der Auswahl dieser und anderer Arzneien stets
den Magen des Kranken und dessen Verdauungskraft berücksichtigt und den
Unterschied der stärkenden Arzneien in Betreff ihrer Leicht - oder Schwer-
verdaulichkeit (die ätherisch - flüchtigen Roborantia sind leichtverdaulicher,
aber auch wenig andauernd wirkend, die Amara dagegen schwerverdaulicher,
aber auch am meisten andauernd wirkend) genau kennt, so wird es in sei-
ner Praxis selten vorkommen, dass seine Kranken die verordnete Arznei,
wie man wol zu sagen pflegt, nicht vertragen können. Unter dem Namen
Spec. ammae usitatae besteht seit vielen Jahren auf unserer Hirschapotheke
in Rostock folgende Mischung, welche die Einwohner hiesiger Gegend häufig
als ein wirksames Hausmittel gegen chronische Digestionsfehler, Obstructio
alvi, Status pituitosus, Rheuma, Gicht, Hämorrhoidaldiathese etc. gebrau-
chen: I^ Camphorne, Myrrhae ana 3J5 AJoes 3JJJ5 Rad. rhei 3f> — zedoar.
3jj — gentian. 3vj, Croci orientnl. gr. vjjj. M. f. pulv. grossiusc. Eine
solche Portion wird mit 1 Pott (2 ß) Branntwein einige Tage digerirt, und
davon alle 2 — 3 Abende vor dem Schlafengehen ein Schnapsglas voll da-
von getrunken. Ich habe dieses Mittel bei Männern zwischen 30 und 50
Jahren und mit vorherrschender Venosität und deren Folgen: Blennorrhoe,
Gicht , Goldadern, welche Übel hier in Folge de* Klimas und der kräftigen
Lebensweise im Essen und Trinken so überaus häufig sind, recht wirksam
gefunden.
Amasesis 9 das Unvermögen zu kauen , z. B. beim Trismus , bei
Angina parotidea, Glossitis , Luxatio max. inferior, etc.
Amatoria febris, s. Icterus albus.
Amaurosis» Guttn serenn, der schwarze St aar. Dieses Übel
besteht bei völliger Ausbildung in einer Lähmung der Netzhaut, nicht selten
auch des Sehnerven , wodurch Blindheit bei völliger Klarheit der durchsich-
tigen Theile des Auges und bei schwacher oder mangelnder Beweglichkeit
der in den meisten Fällen erweiterten Pupille durch Lichtreiz entsteht. Ge-
wohnlich fängt diese schlimme Krankheit, wobei äusserlich nichts Krank-
haftes am Auge zu sehen ist, ganz allmälig an, das Sehvermögen ist nur
vermindert, die Function der Netzhaut und des Augennerven gestört, letz-
tere aber noch nicht gelähmt, die Menschen sehen wie durch einen Nebel
(Amblyopia amaurotica), wobei häufiger, als man wol geglaubt hat, ein
Erethismus des Sehorgans stattfindet; manche sehen Blitze, Funken, Flam-
men, schwarze Punkte vor den Augen, Dieser Zustand kann viele Monate
lang währen, ehe er in den ausgebildeten schwarzen Staar übergeht; doch
entsteht letzterer auch plötzlich, obgleich dies selten der Fall ist, z. B. als
Folge einer Ophthalmitis interna. — Diagnose und Behandlung. Man
hat nach den Ursachen die Amaurosen in zwei Arten eingetheilt : in Amauro-
sen aus irritabler und in solche aus sensibler Schwäche (tfj'ni?»/).
Symptome der A. mit irritabler Schwäche. Wir finden hier hell-
farbige, blaue Augen , blondes Haar , jüngeres Alter , schwächende Einflüsse
durch Onanie, Branntweintrinken, Liederlichkeit; zu Anfange lichtscheues
Auge, Bessersehen in der Dämmerung, gleich nach der Mahlzeit, nach dem
Genüsse des Weins , nach starker Körperbewegung , Schlechtersehen bei
hellerm Lichte. So vsie hier das Gesicht abnimmt, erscheinen alle Farben
AMAUROSIS 67
heller, die hellgelbe und graue Farbe ist dem Kranken weiss; er sieht •wie
durch einen blendenden Nebel , sieht Funken sprühen , Lichter , Sterne und
Feuerräder im Finstern, die Objecte bei Tage haben keine festen Grenzen,
sie scheinen zu schwanken , zu hüpfen ; die Pupille ist meist klein , zusam-
mengezogen, zuweilen sehr beweglich, so wie das ganze Äuge. Cur. Bei
dieser Art von schwarzem Staar räth Himhj (Vorlesungen über Ophthalmo-
logie, 1816. Mscr.) Einreibungen in die Augengegend von Unguent. nervi-
num und Folgendes zum Waschen der Stirn und Augengegend : I^ Ol. caryo-
phyllor. , — anthos , — hergamott. , — succini , Bnls. peruv. nigr. ana ^ijr.
mixtis adde Alcoh. vini ^], Spirit, serpylli §iv, — sal. dulc. 5vj. M. (Jlimhj).
Zugleich soll man innerlich alle zwei Abende 3 — 6 Gran Herb, belladonnae
und täglich 2 — Smal 2 — 6 Gran Kampher p. d. in Pulverform geben.
Symptome der A. aus sensibler Schwäche. Dunkles Haar, schwarze
Augen , höheres Alter , Vollblütigkeit bei sitzender Lebensart , entstanden
durch den täglichen Genuss starkgehopfter Biere , bitterer Mittel ; die Kran-
ken sehen am besten im hellen Lichte, des Morgens, ehe sie gefrühstückt
oder sich bewegt haben, sie sehen schlechter nach der Mahlzeit, in der
Dämmerung, nach starker Körperbewegung; alle Farben erscheinen ihnen
dunkler , glänzende Körper weiss , weisse grau etc. ; auch sehen sie alle
Objecte kleiner, und es scheint ihnen ein schwarzer Flor vor den Augen zu
hängen, der späterhin mit der Zunahme des Übels zu einem dunklen Tuche
wird. Manche Körper werden nur halb, manche von der Seite gesehen;
die Pupille ist sehr erweitert, das Auge trocken, es fühlt sich hart imd ge-
spannt an; auch leiden die Kranken oft an Leibesverstopfung (Himhj). Cur.
Bei Vollblütigkeit zu Anfange Blutegel um die Augen, darauf ein Haarseil
in den Nacken, Einreibungen der Autenrieth'schen Pustelsalbe in die Schlä-
fen; dabei eine knappe Diät, öftere Purganzen, z. B. aller acht Tage ein
Infus, laxat. Vienn. 31V. mit Tinct. rhei aquos. und Sal. Glauberi ana Syj-
Ist die Vollblütigkeit gehoben , dann gebe man Lac ammoniacale , dreimal
täglich 5, 10 — 15 Tropfen in Wasser; auch folgende Mischung: 1^ Ol. rtni-
mal. Dippel. 5j , Naphth. vitrioU qu. sat. ad perfect. solut. S. Dreimal täg-
lich 5 , 10 — 25 Tropfen. Auch folgende Mixtur ist hier sehr wirksam :
I^ Flor, arnicae 3jj — 5jjj» infmid. c. aq. ferv. q. s. ut remnn. ^vjjj, col.
expr. adde Sal. volat. c. c. ^jj , Mucil. gumm. arab. gjf^. M. S. Viermal
täglich einen Esslöffel voll. Ein Infus, flor. arnicae (5j auf ^vjjj) mit ei-
nem Zusätze von 1 Gran Tart. emetic. in steigender Dose bis zu 3 Granen
gereicht, so dass öfter Erbrechen erfolgte, beseitigte in 18 Tagen eine
merkwürdige, mehr als 20jährige Amaurose (Hecher's Lit. Annalen 1827.
März. S. 351.). Zugleich lasse man öfters an Spirit. sal. ammon. caust.
riechen und folgende Schnupfpulver abwechselnd gebrauchen: I^ Turpeth.
tnineral. ^jl, Sacch. alhi, Rad. liquirit. ana ofl- M. f. pulv. S. Schnupf-
tabak (Ware). Ferner: ^' Radicis hcllebori nigri, Cortic. peruviani ana gr. v,
Sacchari cand., Resin. gunjaci, Camphorae ana ^jj, Merc. dulcis gr, x, Ol.
cajeputi gtt. v. M. f. pulv. S. Schnupftabak (Kieler). Dieser Schnupftabak
soll in 20 Tagen verbraucht werden. Ausserdem leistet der 14tägige Ge-
brauch der Autenrieth'schen Pustelsalbe, in die Gegend beider Speicheldrü-
sen so lange eingerieben, bis starke Geschwulst entsteht, in hartnäckigen
Fällen der Art oft gute Dienste (M.). Was die Prognose der Amaurose
im Allgemeinen betrifft, so ist sie um so günstiger, je jünger das Übel ist
und je leichter die Ursache desselben gehoben werden kann. Oft ist die
Krankheit unheilbar, weil ein organischer Fehler im Gehirn obwaltet, der
die Hauptursache des Staars ist und den die Section erst entdeckt. — Ob-
gleich die genaue Bestimmung der beiden oben angegebnen Arten der Amau-
rose (nach Himhj) nicht ganz ohne praktischen Werth ist, indem sie uns
den Standpunkt und das Verhältniss des Grades der Irritabilität und Sen-
sibilität des Kranken deutlicher bezeichnet, so finden wir dennoch in der
Praxis die Fälle höchst selten rein und unvermischt; auch haben wir es weit
öfter mit der Amblyopie als mit dem ausgebildeten Übel zu thun, und es
ist daher erforderlich, dass wir die Ursachen des Übels und die speciellern
5*
68 AMAUROSIS
Fälle genauer berücksichtigen. — Sehr wichtig ist für die Praxis die Ein-
theilnng in primäre und secundäre Amaurosen. Bei erstem liegt die
Ursache im Sehorgane selbst, und zwar in den sensiblen Gebilden desselben,
bei letztern in entfernten Theilen, welche erkrankt sind und consensuell aufs
Gesicht einwirken, z. B. in Fehlern des Unterleibs, der Nervengeflechte, in
metastatischen Ursachen (Benedict}. Eine andere, höchst wichtige Einthei-
lung für die Praxis, welche die Himly'sche an Werth bedeutend übertriift,
ist die, welche auf dem Grundcharakter der Amaurose (der noch tiefer als
in Sthenie und Asthenie gesucht werden muss) beruhet. Hiernach nimmt
Benedici (Encyklop. Wörterbuch d. raedic. "Wissenschaften Bd. 2. Berl. 1828,
S. 131.) drei Arten: die erethistische , die Congestionsamaurose und die mit
dem Charakter der Lähmung an. Die beiden ersten Arten gehen häufig in
die letztere über, und dann ist das Übel fast immer unheilbar.
A. Die erethistische Amaurose. Sie tritt theils primär, theils
secundär auf (Folge von Krämpfen aller Art, Wurmreiz). Symptome.
Zu Anfange vermehrte Empfindlichkeit des Auges, Deutlichersehen in der
Dämmerung, Gefühl von Vollheit und Spannung im Auge, Nyktalopie, grel-
les Licht erregt Schmerzen, Thränenfluss, die braune Farbe sieht der Krank©
röthlich , gelblich , die weisse glänzend ; späterhin Chrupsia , wo die Ränder
der Objecte Regenbogenfarben für den Kranken haben. Kleine, sehr leb-
hafte, oscillirende , späterhin ungleich werdende Pupille, die Ecken und
Winkel bekommt und ganz unbeweglich wird. Das Übel macht oft Remis-
sionen ; bei Zunahme desselben zeigen sich feurige Erscheinungen , zuweilen
Röthe der Augenlider; es erscheinen nun bald einzelne schwarze Punkte vor
den Augen , die immer grösser werden , sowie das Übel in Lähmung über-
geht. Ursachen. Habitus phthisicus, scrophulosus, Hysterismus, deprirei-
rende Leidenschaften , vieles Weinen, Onanie, übermässiger Coitus, Anstren-
gung der Augen durchs Lesen kleiner Schrift auf sehr weissem Papiere (da-
her ist der moderne compresse Druck und das weisse Papier für die Augen
nachtheilig) , das unnöthige Tragen convex geschliffener Brillen ; die grösste
Anlage zu dieser Form des Staars haben Personen mit blondem Haar und
hellen blauen Augen. Cur. Eine gute Diät und Lebensweise, welche den
Ursachen des Übels entgegengesetzt ist, macht die Hauptsache aus. Dahin
gehört Aufenthalt in reiner Land- und Bergluft, wo sich das Auge durchs
frische Grün der Umgebungen erquickt, Veränderung des Standes und Ge-
werbes , wenn diese den Augen schädlich sind, desgleichen Wechsel des Kli-
mas. „ Die Anwendung örtlicher Mittel — sagt Benedict — so sehr diesel-
ben auch empfohlen worden sind, ist bei der erethistischen Amaurose wol in
den meisten Fällen für unnütz zu erklären. Alle Narcotica, so sehr sie dem
Anscheine nach bei dieser Form wohlthätig wirken sollten , bringen in der-
selben einen nachtheiligen Erfolg hervor. Sie mindern zwar scheinbar die
Sensibilität, allein auf eine so heftig eingreifende Weise, dass fast jederzeit
die Paralyse an der Stelle des Erethismus bei dem Gebrauche dieser Mittel
sich einstellt und der Kranke dadurch in eine noch viel hoffnungslosere Lage
versetzt wird. Ref. glaubt davon kein einziges örtliches Mittel aus dieser
Classe , von dem vegetabilischen Schleime an bis zu dem Kirschlorbeerw asser
und dem Belladonnaextract, ausnehmen zu dürfen. Sie haben sämmtlich eine
verdächtige Wirkung, und es ist besser sich derselben gän/lich zu enthalten."
Diesen Ausspruch muss ich, nachdem ich seit 13 Jahren viele solche Amau-
rosen behandelt habe, völlig unterschreiben, und auch mein Lehrer Uimly
wird seine frühem, hiermit widersprechenden Ansichten (s. oben Amausose
mit irritabler Schwäche) längst berichtigt haben. Überhaupt lehrt die Praxis,
dass man sich im Ganzen bei der Auswahl der Mittel gegen Amaurose sehr
zu hüten habe, dass sie nicht überreizen und die Congestion vermehren.
Dahin rechne ich das Riechen an Salmiakgeist, die oben angegebenen reizen-
den Schnupfpulver, die reizenden Augenwasser ; sie alle verschlimmern, weim
es keine paralytische Amaurose ist, das Übel. Umschläge von kaltem Was-
ser, schwachem Bleiwasser aufs Auge, täglich emigenial wiederholt, zugleich
abwechselnd Senfteige in den Nacken, aiS" den Oberarm, Einreibungen von
AMAUROSIS 69
Tart. emet. In Salbenform ins Genick, sind die einzigen zweckmässigen ort-
lichen Mittel gegen erethistische Amaurose (Benedict'). Innerlich passen Anti-
hysterica, Antepileptica , Antispasmodica , Antiverminosa , Antihydrocepha-
lica etc. gegen das Grundübel. Die primär erethistische Amaurose erfordert
eine gelind antiphlogistische Behandlung ; kleine Dosen von Abführungsmit-
teln, Emulsionen mit kleinen Dosen Aq. laurocerasi, Aq. amygd. amarar. ;
wo Sch\Yäche durch Ausschweifungen stattfindet: Infus, rad. valer. , Infus,
fol. aurantior. , kräftige Diät, China, später Elsen.
B. Die Congestionsamaurose. Die nächste Ursache derselben,
ist heftige Blutcongestion nach den Gefässen der Retina und des Nervus
opticus. Primär entsteht sie durch unterdrückte Blutflüsse, diurch Missbrauch
reizender Speisen, Getränke und Arzneien, durch Störungen in der Circula-
tion mittels enger Kleider, der Corsetts , — secundär, consensuell oder sym-
pathisch folgt sie auf Rheumatismen, Fehler der Digestionsorgane, unter-
drückte Hautausschläge, durch Congestlon und Entzündungen des Gehirns
und seiner Häute, durch unterdrückten Schnupfen, Gicht, Febris intermittens
larvata ; Menschen mit Habitus apoplecticus (s. d. Artikel) , von athletischem
Körperbau, mit brauner Iris, die eine reizende Diät und sitzende Lebensart
führen, oft an Leibesverstopfung leiden, sind am meisten zu dieser Form
von Amaurose disponirt. Symptome. Der Kranke sieht schwarze Punlcte
oder Striche von verschiedenartiger Gestalt, die an Zahl zunehmen; dabei
ist ein dunkler Flor vor den Augen, drückender Schmerz in der Sürnge-
gend, trockne Nase, Gefühl von Spanniuig darin, alle Farben erscheinen
dunkler; Alles, was Congestlon macht: heftige Bewegungen des Körper«
nnd Gemüths , reizende Nahrung, vermehren die Zufalle ; Schlechtersehen ia
der Dämmerung als bei Tage, kurz das GegentheU der vorigen Art oder
dasselbe Übel, was Himly Amaiirose aus sensibler Schwäche nennt (s. oben).
In einigen Fällen bildet sich das voUkommne Übel hier allmällg, in andern
fast plötzlich aus (s. unten Amaurose durch örtliche . Blutcongestion ). Be-
handlung im Allgemeinen. Man suche die Congestlon durch Aderlässe,
Blutegel , kühlende Laxanzen, durch eine knappe Diät , durch reizende Fuss-
bäder, kalte Umschläge auf den Kopf zu heben, und verordne, vs'enn der
Blutandrang und die Schmerzen weg sind, den Tart. emeticus als Ekelcur,
oder auch als Vomitiv ; sehr zweckmässig verbindet man auch den Tart.
emeticus mit kleinen Dosen auflösender Mittelsalze (^Benedict), Alle äussern
Mittel: spirituöse Einreibungen, Augenwässer, Elektricität , innerlich Arnica
und andere reizende Dinge passen, nach Benedict, hier nicht.
C. Amaurose, durch Lähmung bedingt. Primär kann dieser
Staar sich sehr langsam ausbilden, indem das Gesicht abnimmt ohne die
Symptome der Congestlon und des Erethismus. Hier Ist das Übel entweder
Localübel des Auges: Gesunkenseyn des Lebens im Sehorgan, oder Symptom
allgemeiner Abnahme der Lebenskräfte, z. B. durch grossen Säfteverlust,
durch Marasmus, nach Typhusfiebern, nach Apoplexien. Der Sitz ist blos
im Sehorgane, wenn das Übel durch unvorsichtige Anwendung der Bella-
donna , durch übermässige heftige Anstrengung der Augen , durch heftigen
Lichtreiz etc. entstand. Symptome. Sind im Ganzen denen der Conge-
stionsamaurose , mit Ausnahme der Zeichen vermehrter Congestlon , ähnlich.
Die Pupille ist fast Immer erweitert und wenig beweglich , starkes Licht
verbessert auf Augenblicke die geschwächte Sehkraft. Cur. Man entferne
die Ursachen, verordne eine dem Krankheitszustande angemessene Diät, ver-
ordne innerlich Kampher, Valeriana , Serpcntaria , und, entstand das Übel
nach Apoplexie , besonders Arnica. Örtliche Augenmittel passen auch hier
selten (Benedict) , dagegen sind Haarselle in den Nacken , reizende , pustel-
erregende Salben hinter die Ohren, auf den Processus maraillaris, sehr nütz-
lich. In mehreren Fällen wirkte das Strychnin, äusserlich täglich % — 4
Gran in jede, durch Vesicatorien entblösste Schläfengegend angewandt und
Wochen lang fortgesetzt, ganz vortrefflich und hellte Amaurosen, die schon
viele Jahre alt waren. Entstehen Kopfweh, Frost, Schwindel und Übelkeit,
so wird das Mittel einige Tage ausgesetzt und, sind die Zufälle bedenklich,
70 AMAUROSIS
innerlich Kampher und äusserlich auf die entblösste Hautstelle eine kleine
Gabe Morphium verordnet (s. Th. Short in Edinb. med. and surgical Joiur-
nal. Octbr. 1831. — Grüfe's u. WaHher's Journ. f. Chirurgie u. Ophthal-
mologie 1831. Bd. XV. Hft. 2. S. 334.). Nach diesen allgemeinen Grund-
sätzen wird der ächte Praktiker seine Heilmethoden für die epeciellen Fälle
gehörig modificiren ; doch mögen folgende nähere Erörterungen hier noch
einen Platz finden
Amaurosis nach äussern Verwundungen der Augenbrauen-
gegend. Amblyopie und später völlige Blindheit sind nicht selten Folge
unbedeutender Schnitt- oder Stichwunden der Augenbrauengegend. Cur.
Man wende örtlich reizende, spirituöse Einreibungen an (s. oben die Himly-
sche Formel bei A. aus irritabler Schwäche). Ist das Übel hartnäckig, so
versuche man das mehrfache Zerschneiden des Nervus supraorbitalis rings
um die Narbe herum, und äusserlich das Strychnin.
Amaurosis durch örtliche Blutco ngestion. Entsteht oft plötz-
lich durch schwere Geburtsarbeit, anhaltendes Bücken, Tragen schwerer
Lasten, besonders bei erhitztem Körper und in heisser Luft, wodurch der
Mensch binnen wenigen Minuten blind wird. C u r. Blutegel an die Augen-
gegend, bei Vollblütigen Aderlass, kalte Umschläge auf Kopf und Gesicht,
innerlich Sal Glauberi zum Purgiren; ein Vesicatorium in den Nacken, spä-
terhin 5 wenn alle Congestion vorüber ist , ein Infus, arnicae.
Amaurosis durch unterdrückte Blutungen, durch unzeitig ge-
stopftes Nasenbluten, unterdrückte Menses und Hämorrhoiden. Cur, Ört-
liche und allgemeine Blutausleerungen, knappe Diät, kühlende Purgsuizen,
Vesicatorien auf die Arme, Senfpflaster an die Waden.
Amaurosis durch heftige Quetschung des Auges. Cur. Zu
Anfange Blutegel, Aderlässe, dann kalte Umschläge von Wasser, von Essig
und Wasser aufs Auge, innerlich Purgirsalze, antiphlogistische Diät; später-
hin innerlich Infus, flor. arnicae , und äusserlich Unguent. nervin. , auch spi-
rituöse Wässer: Eau de Cologne etc. in die Augengegend.
Amaurosis durch heftige Anstrengung des Auges, durch Blitz-
strahl , anhaltendes Sehen auf kleine , glänzende Gegenstände , bei Uhrma-
chern , Miniaturmalern etc. Cur. Aufenthalt im Dunkeln , völlige Ruhe des
Auges, später das Ti'agen grüner Brillen, Landluft, Spazieren auf grünen
Wiesen , Wohnen in grüngemalten Zimmern.
Amaurosis durch Onanie, Ausschweifungen in Venere. Cur.
Vermeidung des schwächenden Samenverlustes, gute, nicht reizende Nutrien-
tia , viel frische, ungekochte , noch warme Milch als Getränk ; innerlich zu-
erst Arnica, Valeriana, dann China, Eisenmittel (s. Amara); äusserlich
Unguent. nervinum.
Amaurosis durch Venerie. Entsteht oft bei Lues larvata, oft viele
Jahre nach der Ansteckung des venerischen Gifts. Symptome. Druck
und Schmerz in der Orbita, rheumatische Gliederschmerzen, Knochenschmer-
zen des Nachts, die Kranken schielen häufig; man bemerkt auf der Brust,
am Nacken, am Halse, in der Leistengegend die bekannten venerischen
Hautflecke (Liehen syphiliticus Willan^ , mitunter auch das ciikelrunde,
linsengrosse , röthliche venerische Exanthem. Cur. Innerlich Sublimat (gr.
j. in 5vjjj Aq. destill, mit gjiy Mucil. gumm. arab.) dreimal täglich 1 Essl.
voll , oder die Dzondi' sehen Pillen , vier Wochen lang gebraucht. Hilft dies
nicht, dann die Louvrier-Rust'sche Schmier- und Hungercur (s. Syphilis).
Amaurosis nach unterdrückten Kop fsch weissen. Cur. Täg-
liches Reiben und Bürsten des Kopfs , deis Tragen einer Kappe von Wachs-
tafFet, um den Kopf in Schweiss zu bringen. Hilft dies nicht, so reibe
man die Brechweinsteinsalbe in den abgeschornen Kopf, oder folgende Mi-
schung: Rr Tinct. cantharid. §ft , Spirit. sal. amTnon. caust. 53, Spirit. ser-
pfßli gjj. M. Auch folgende Salbe, welche vor der Autenrieth'schen Brech-
weinsteinsalbe Vorzüge hat und wovon, um Ausschlag zu erregen, täglich
dreimal einer Bohne gross eingerieben wird , ist sehr wirksam : 1^ Mercur.
jwaecip, alh. 5j» Ungueitt. digital, purptir. 5J. M. exactiss. {Kopp). Det
AMAUROSIS 71
eingeriebene Theil wird darauf mit feinem Wachstaffet bedeckt. Ausserdem
lege man dem Kranken noch ein Vesicatof in den Nacken , erhalte die»
4 Wochen in Eiterung und gebe innerlich kleine Dosen Antimonialmittel. mit
Guajak , z. B. (für einen Erwachsenen) F^ Aethiop. antimonial. gr. v, Gumm.
guajnci gr. vjjj, Magnes. carbonic, Elaeos. citri ana gr. vj. M. f. p. dißp
dos. x\j. S. Dreimal täglich ein Pulver mit Wasser zu nehmen (M.)
Amaurosis durch unterdrückten Schnupfen. Trockenheit in
'der Nase , Gefühl von Spannung und Druck darin sind Zeichen der Gefäss-
oder Congestionsamaurose und beweisen nur dann die Gegenwart dieser
Amaurose, wenn wirklich nach schnell unterdrücktem, heftigem Katarrh un-
mittelbar das Übel entstand und die Kranken vorh«r häufig an Katarrh und
Katarrhal fiebern litten, die nun gänzlich aufgehört haben sich wie sonst
einzustellen. Cur. Warme Dampfbäder von Fliederthee, laue Milch zum
Einschnupfen in <iie Nase, täglich und anhaltend gebraucht, warme Fuss-
bäder, ableitende Hautreize, die innere Anwendung des Brechweinsteins Alt
Salmiak (Tart. emet. gr. jj, Säl. ammon. dep. , Succ. liquir. dep. ana 3jjj»
Aq. flor. sarab. gvj. Dreimal täglich 1 Essl. voll). Erst späterhin, wenn
alle Congestion weg ist , passen reizende Schnupftabake , z. B. die oben bei
Amaurose aus irritabler Schwäche angegebenen Formeln.
Amaurosis gastrica. Diese Form kommt häufig als secundäre Conge-
stionsamaurose vor , ihr Charakter ist oit rein chronisch. Cur. Zuweilen
ein Vomitiv aus B rech Weinstein , ausserdem auflösende Vlittelsalze mit Extir.
taraxaci , graminis , strenge , sparsame Diät , viel Bewegung in freier Luft,
tägliche Sorge für Leibesöffnuüg 4urch gelinde Purg^rsalze, reizende Fuss-
-bäder, ein Haai-seil in den Nacken. Übrigens die Behandlung der Amau-
rosis ex abdomine , wozu diese Form gehört (s. diesen Artikel).
Amaurosis arthritica. Der gichtische schwarze Staar ist leidOT sehr
häufig und meist schwer zu heilen; er entsteht sehr langsam, gebraucht zu
seiner vollen Ausbildung selbst Jahre, und das Gesicht wird hier nur all<-
mälig schwächer. Ein charakteristisches Zeichen ist eine eckig aussehende
Pupille. Zuweilen geht Oplithalmia arthritica vorher, oft aber auch nicht;
es entsteht im ersten Falle nicht selten grosse Varicosität des Auges, Glau-
coma , Vergrösserung des Bulbus , hinterher Atrophia bulbi ; dabei heftige
Schmerzen, Kopfweh, Schwindel, auch bald Affection des andern Auges,
Cur. Zu Anfange, wenn heftige Augenentzündung da ist., Blutegel an die
Schläfen und antiphlogistische Purgirmittel , späterhin bei anfangendem
Gichtstaar kleine Dosen Antimonialmittel nüt Guajak, Lac ammoniacale,
ein Vesicator in den Nacken , alle 3 bis 5 Tage eine Laxanz aus Jalape
und Merc. dulcis. Auch die Dzondi'schen Sublimatpillen, 29 Tage lang
nach DzondCs VIethode gebraucht, leisteten in einem Falle gute Dienste
(Af.) , desgleichen Folgendes : 11- Flor, sulphuris ^fj. , Ocul. cancror. , Resirt.
guajaci ana 5jj. Magnes. carhon. 3j> Antimon, crudi, Liquirit. coctae ana
5jij. M. f. p. dent. in scatula S. Viermal täglich einen Theelöffel voll mit
Wasser. (M.)
Amaurosis ex ahdomine. Band- und Spulwürmer erregen selten Blind-
heit , häufiger Hämorrhoidal - und Menstrualcongestion , chronische Fehler
<les Magens, der Leber, der Milz, bei Hypochondristen , Melancholischen
etc. mit atrabilarischer Constitution. Cur. Man behandle das Grundübel:
treibe die Intestinalwürmer ab , gebe bei Hämorrhoiden innerlich Flor, sul-
phuris , Visceralmittel , Viscexalklystiere , folgende PUlen : I^ Gumm, asaa
foetid., Fell, tauri inspissati, Saponis venet. ana 3jj- Mercwr. du?c. 3^? Pulv.
rhei. q. s. fiat mass. pil. p. gr. ij. consp. lycop. S. Dreimal täglich 8 — 10
Stück. Den wahren Hypochondristen gebe man Helleborus , Gratiola , ver--
ordne die Ekelcur (kleine Dosen Tart. .emet.), die Hungercur. Höchst
wirksam ist bei Amaurose aus Menstrual- und Hämorrhoidalcongestion das
natürliche und künstliche Karlsbader Wasser (Af.). In einem Falle leistete
das tägliche Trinken von 1 — 3 Mass kaltem Flusswasser, 3 Monate lang
fortgesetzt, Heilung (3f.). Örtliche Mittel helfen hier wenig.
Amaurosis hystericn. Ensteht zuweilen nach einem heftigen Anfalle der
72 AMAUROSIS
Hysterie tind verschwindet dann meist binnen wenigen Stunden von selbst.
Cur. Frische Luft, innerlich Antispasmodica, z.B. Tinct. castorei 3j» Liq.
c. c. succin. , Liq. anodyn. ana 3jj- Alle IV2 St. 10 — 20 Tropfen.
Amaurosis recoTwalcscentium. Entsteht aus allgemeiner Schwäche des
Korpers. Man gebe gute Nahrungsmittel, verordne innerlich China; dann
verschwindet sie allmälig von selbst.
Ammirosis nach schnell geheilten Kopfausschlägen. Hier
wende man Einreibungen von Ungt. tart. emetici, oder die Kopp'sche Salbe
auf den abgeschornen Kopf an, gebe innerlich Aethiops antimonialis , Flor,
sulphuris u. dergl.
Amaurosis nach unterdruckten Fuss schwel ssen. Man lasse
hier dreimal täglich die Füsse in trocknen , warmen Sand setzen , reibe und
bürste die Schenkel, lege Senfpflaster an die Waden, gebe innerlich Dia-
phoretica und lasse späterhin Strümpfe von Wachstaffet tragen.
Amaurosis rheumatica. Ist meist gut zu heilen , besonders zu Anfange
des Übels. Gefühl von Steifheit. in den Augenlidern, zugleich oft Ptosis
palpebrar. super. , kleine Pupille , schweres Gehör an der leidenden Seite,
Taubheit in der Wange , die rheumatische Constitution , vorhergegangene
Erkältung etc. machen die Erkenntniss und Diagnose des Übels leicht. Cur.
Ein Vesicatorium in den Nacken , innerlich ]^ Spirit. Mindereri gjj , Aq. flor.
»amhuci 51V, Vini nntim. Huxh. 5|^? S. Stündlich 1 Esslöffel voll. Später
f^ Camphorae gr. jj — jjj, Nitri depur. gr. vjjj. Sacchari ^j. S. Dreimal täglich
ein solches Pulver zu nehmen. Zuletzt verordne man 2 — 3 Wochen lang. Pulv.
herb. Belladonnae gr. jj — vj. S. Alle 1 — 2 Abende ein solches Pulver.
Jüngken theilt die Amaurosen in idiopathische', sympathi-
sche, specifisch>e und symptomatische (s. Rusfs Handbuch
d. Chirurgie, Bd. I. S. 469 u. f.). Nach ihm sind idiopathische Amblyo-
pien und Amaurosen : 1) Amhlyopia und Amaurosis irnumaiica. Sie entsteht
durch mechanische Verletzungen, Stoss, Schlag, Druck in der Umgegend
des Auges oder am Augapfel und ist eine wahre Paralysis traumatica reti-
nae, eine Commotio bulbi. Symptome sind: Dunkelheit vor dem Auge,
Funkensehen, unbewegliche Iris, erweiterte, meist nach einer Seite verzo-
gene Pupille , Blutextravasat im Auge , heftiger Schmerz. Das Gesicht
kehrt allmälig zurück, doch leidet der. Mensch hinterher häufig an Visus
dimidiatus. Cur. Anfangs streng antiphlogistisch , selbst Venaesectio, kalte
Umschläge, Blutegel in der Nähe des Auges, kühlende Abführungen, Kalo-
mel in grossen Dosen. Nach einigen Tagen Unguent. mercuriale in die
Augengegend, später aromatische Ki'äuterinfusionen zu Umschlägen, Wa-
schung der Augengegend mit Spirituosis , innerlich Arnica. 2) Amhlyopia
seu Amaurosis inftammatoria. Ist eine Inflammatio retinae, die oft rasch,
binnen 48 Stunden, blind macht, oft auch langsamer verläuft. Ursachen
sind: plethorische Constitution, reizende Lebensweise, jugendliches Alter,
heftige Anstrengung der 1 Augen. Symptome: Gefühl von Vollseyn des
Bulbus, als hätte er keinen Raum in der Orbita, Verminderung des Seh-
vermögens , Photopsie , Photophobie , betäubender Kopfschmerz , Anschwel-
lung des Bulbus, später unbewegliche Iris, erweiterte Pupille, geröthete
Conjunctiva scleroticae. Cur. Ist die der Amaurosis traumatica. 3) Am-
blyopia seu Amaurosis ex abusu oculorum. Sie erscheint am reinsten bei
Kindern und jungen Leuten in Folge zu starker Anstrengung der Augen;
bei bejahrten Leuten ist sie meist mit Abdominalbeschwerden verbunden.
Gelegenheit geben : anhaltende Anstrengung der Augen bei zu hellem , blen-
dendem, oder zu schwachem Lichte, Beschäftigung mit feinen, glänzenden
Gegenständen, bei Uhrmachern, Goldarbeitern. Symptome: grosse Em-
pfindlichkeit der Augen, kleine, sehr bewegliche Pupille, die später unbe-
weglich und starr wird. Nach Anstrengungen wird das Auge roth und
thräncnd, dabei Photopsie, selbst bei geschlossenen Augen, eine Erschei-
nung, wie ein Goldregen vor den Augen, allmäligcs Verschwinden des Seh-
vermögens. Cur. Schonung der Augen, Aufenthalt im Freien, Reisen,
der Anblick grüner Wiesen , Fussreisen in Gebirge : örtlich kalte Umschläge,
>^.
AMAUROSIS ♦ 73
kalte Douche, taglich 2 — Smal, eine halbe Stunde lang applicirt, Einrei-
bungen von Opium mit Speichel um die Augen. Reizende, spirituöse, aro-
matische Mittel verschlimmern leicht den Zustand bis zur völligen Blindheit.
4) Amhlyopia seu Amaurosis ex anopsia. Sie entsteht aus mangelnder Übung
der Sehkraft , indem der Kranke , mit oder ohne Willen , nur mit einem
Auge sieht und das andere ruhen lässt. Er öffnet beide Augen gleichmässig,
richtet aber nur das eine auf den zu beschauenden Gegenstand, während
er das andere ruhen und den zufälligen Bewegungen der Augenmuskeln über-
lässt, durch welche es aus der Richtung der Sehaxe, am häufigsten nach
dem innern Augenwinkel, nach einer andern Seite schielt. Manche Kranke
kennen ihr Übel nicht einmal, bis sie zufällig die Sehkraft jedes einzelnen
Auges versuchen , wo sie dann mit Schrecken den blöden Gesichtszustand
des einen Auges wahrnehmen. Bei allen Schielenden finden wir das Übel
auf dem am meisten schielenden Auge ; zuweilen ist dessen Hornhaut auch
trübe, und das Auge thränt, wenn es gewaltsam angestrengt wird. Cur.
Sind keine organische Hindernisse zugegen, als Maculae corneae etc., so
dient tägliche Übung des Auges , indem das gesunde Auge verhängt und
dadurch das kranke zur Übung gezwungen wird. Sind Trübungen der
Hornhaut da, so müssen diese zuvor beseitigt werden (s. Maculae« or-
neae). — Zu den sympathischen und specifiken Amblyopien und Amaurosen
rechnet Jüngken: 1) Amblyopia oder Amaurosis congestiva seu sanguinea,
wozu die A. menstrualis und hncmorrhoidalis gehören. 2) Amblgopia oder
Amaurosis nervosa, wohin er die J. ex onania, die A. hjpochondriaca, hy~
sterica, spasmodica und die A. puerperalis rechnet (s. oben Amaurose mit
irritabler Schwäche). Bei Hysterischen empfiehlt hier Jünglcen besonders
Asant und andere Antispasmodica , äussei'lich aromatische und ätherische
Miftel , bei Onanisten Valeriana , China , Eisen , kalte Douche aufs Kreuzj
bei der A. puerperalis Einreibungen von Opium, Hyoscyamus, Cicuta, in-
nerlich Valeriana, China, bittere Extracte, keine reizende, erhitzende Au-
genmittel , blos Schonung und Beschattung der Augen , massige Beschattung
des Zimmers. 3) Amhhjopia oder Amawosis abdominalis et verminosa, wo-
bei Status gastricus , Dyspepsie , Obstructio alvi , Kopfschmerzen , Nebelse-
hen, grösseres Lichtbedürfniss, träge Iris , erweiterte Pupille , eine Ab- und
Zunahme der Sehkraft zu gewissen Zeiten etc. stattfinden. > 4) Amhtyopin
oder Amaurosis rheumatica. Hier lobt Jüngken Pulv. ipecac. compos. Spirit.
Mindereri, Salmiak mit Tart. emet. in refr. dosi; auch wiederholt ange-
wendete Emetica. Letztere quälen indessen, alle paar Tage angiewandt,
den Kranken sehr viel , iind deshalb gebe ich sie , da wir ja auch mit an-
dern Mitteln auskommen können , nicht , dagegen sind sie zu Berlin in
Jüngken^s ophthalmologischer Klinik, wie ich mich im Jahre 1829 überzeugt
habe, recht an der Tagesordnung. 5) Amhhjopia oder Amaurosis nrtbritica.
6) A. oder Amau/rosis syphilitica. 7) A. oder Amaurosis scrophulosa.- 8) A,
oder Amaurosis metastatica , die nach unterdrückten Fussschweissen , Ge-
«ch\vüren , Ausschlägen , fiiessenden Ohren , Balggeschwülsten , Weichselzopf
und ähnlichen Krankheitsformen entsteht, die nach ihrem Verschwinden
durch trübes Sehvermögen, Druck und Schwere im Auge, Andrang des
Bluts zum Kopfe, zuweilen durch Visus dimidiatus sich zu erkeimen giebt. —
Zu den symptomatischen Amblyopien und Amaurosen rechnet Ji'mgken :
1) Amhl. oder Amaur. apoplectica, als Symptom der Apoplexie, verbunden
mit Blepharoptosen und Strabismus, wobei die Pupille eng, die Iris starr
und das Sehvermögen oft schnell verschwunden ist. Ist kein Blutandrang
da, so soll man hier, nach ihm, hinter dem Ohre, zwischen dem Unterkie-
ferwinkel und dem Proc. mastoideus eine Moxa setzen oder ein Causticum
legen , und die Stelle später in starker Eiterung erhalten ; auch kann man
die Elektropunctur anwenden, wobei die Nadeln durch die Augenlider, um
den Augapfel herum, bis tief in die Orbita gestochen werden können,; auch
Moxen an Stirn und Schläfe , reizende Einreibungen. 2) Amhl. oder Amaur.
hydrocejihalica. Sie wird nur durch Entfernung des Grundübels gehoben
(s. Hydrops cerebri). 3) Ambl. oder Amaur. tahidormn. Ist eine
7# AMBLOTICA — AMENIA
Amaur. nervosa durch Tabes dorsalis, wogegen örtliche Mittel wenig leisten,
nur die Tabes gehoben A\erden muss. 4) Amhl. oder Amaurosis intermit-
tens. IiSt eine periodisch eintretende Blindheit als Febris intermittens lar-
vata, und weicht der China und dem Chinin. 5) Amhl. oder Amaurosis
gravidarum. Bei einzelnen Schwangern dauert das Übel nur bis zur Hälfte,
bei andern bis nach der Entbindung. . Meist ist Turgescenz der Säfte zum
Kopfe da, wogegen dann gelinde kühlende Abführungen und, wenn Nei-
gung zu Obstructio alvi da ist, Klystiere nützlich sind, dabei Vermeidung
aller reizende Dinge , des grellen Lichts , der hellen Zimmer , der Spirituosa.
6) Amhl. oder Amaur. als Symptom organischer Fehler des Aug-
apfels; 7) als Symptom organischer Fehler in der Umgegend
des Auges: Exostosen in der Orbita, Ozäna der Ätirn- und Oberkie-
ferhöhlen, Afterorganisationen etc. Noch gehören hieher 8) die von Jimg-
Tcen nicht angeführte Amhlyopin et Amaurosis ex colica satur7iina, welche
nach der Cur der Bleikolik durch Opium, Alaun, Purganzen etc. von selbst
»vergeht (s. Divplaij im Archires gen. de Medecine. Mai 1834. p. 1 — 32);
9) die Amblijopie bei Personen mit Leber- und Milz fehlem, oft gleich-
zeitig mit Schwerhörigkeit des einen Ohrs , wobei Resolventia und Karlsbad
periodische Besserung gewähren. 10) Die Amaurose als Folge von
Prosopalgie, worüber noch kürzlich Herziq einen interessanten Fall mit-
theilte (s. V. Amvioii's Zeitschrift f. Ophthalmologie, 1835. Bd. IV. S. 309),
und 11) Amaurosis mercurialis, als Folge allgemeiner Mercurialkrankheit,
•oder auch als Metaschematismus statt der Salivation, wenn diese unterdrückt
oder unvollkommen entwickelt ist, worüber Haffner (v. Ammo^i^s Zeitsch. f.
Ophthalm. 1835. Bd. IV. S. 317 ff.) weitläufig handelt. Symptome und
Verlauf, nach Haffner. Unter Fieberschauern und Kopfweh erscheint am
obern Rande der Hornhaut eines Auges (gewöhnlich des linken) ein Convo-
lut aufgetriebener Blutgefässe, zwischen welchen und umher sich eine graue
Trübung, wie beim Pannus, verbreitet. Binnen 2 — 3 Tagen ist die ganze
Cornea undurchsichtig geworden, gleich mattgeschüffenem Glase, am stärk-
sten in der Mitte vor der Pupille; der äussere Ring der Iris sieht grün
aus ; dabei Lichtscheu , Thränenfluss , bedeutend vermindertes Sehvermögen,
oft schon Tage lang vorher kleiner, harter, schneller Puls, Kälte der
Glieder und andere Vorboten der Salivation. In kurzer Zeit scheint das
Auge zerstört ; dennoch heilt die Natur oft das Übel , so dass bei wieder?-
erlangter Körperkraft das Auge gesund und wieder klar wird. Durcb
Kunsthülfe erfolgt die Heilung binnen 3 Wochen. Cur. Strenge Entfer-
nung alles Quecksilbers, innerlich keine antiphlogistische, auflösende, aus-
leerende Mittel. Sie schaden nur. In jedem Stadium gab Haffner stets
allein mit Nutzen das Ferrum sulphuricum, p. d. 3 — 5 Gran, 3 bis 4 mal
täglich innerlich. Äussere Mittel : Tinct. opii etc. leisteten wenig. Endlich
theilt Jüngken die Amaurosen noch in Amaurosis sensihilis , irritahilis und
iorpidn, gesteht aber, dass diese Eintheilung, wie wir schon bemerkt ha-
ben, nur von untergeordnetem Werthe sey. Allerdings ist sie dies, obgleich
sie dem Systematiker mehr als dem Praktiker zusagt, wovon der Grund
nicht schwer aufeufinden ist.
Amblotica, fruchtabtreibende Mittel, s. Abortiva.
Amblyaphia, Stumpfheit des Gefühls. Ist Symptom vieler
Nervenübel, der Febris nervosa stupida etc.
Amblyopie aina<arotica< » anfangender schwarzer Staar, s.
Amauro sis.
Amhlyopia crepuscularis, s. Visus diurnus et nocturnu».
Amhhjopia dissitorum, s. Myopia.
Amhlyopin proximorum, s. Presbyop! a.
Ajnbustio t Verbrennung , s. Combustio.
Amenia. So nennt Begin ein Frauenzimmer mit mangelndenk Mo-
natsQ\>ssc. S. Menstruatio retenta, suppressa.
AMENORRHOEA EMANSIONIS — AMPHOTERODIPLOPIA 75
Amenorrhoea emansionis $ s. Menstruatio r«'tenta.
Amenorrboea sappressioms, s. Menstruatio suppressa.
Ainentias Anoea , Dementia , Fntuiias , Imhecillitas , Blödsinn.
Der angeborne Blödsinn ist fast immer unheilbar. Ist er als Folge von in-
nern oder äusserlichen Verletzungen des Gehirns, als Folge der Epilepsie,
Apoplexie etc. entstanden , so behandle man das Grundübel und suche die
Ursachen zu entfernen. Die Symptome des Blödsinns sind im Allgemeinen
die , welche sich durch allgemeine Schwäche des Verstandes , Verkehrtheit
der Vorstellungen und Handlungen und durch den eigenthümlichen Habitus
dieser Unglücklichen (allgemeine Trägheit der willkürlichen Muskelbewe-
gungen, schlotternder, träger Gang, mattes, unstätes Auge, bleiches, ge-
dunsenes Gesicht etc.) zu erkennen geben. Es giebt verschiedene Grade
des Blödsinns. Der erste und schwächste Grad ist die Verstandesschwäche
(Hebetudo animi), der zweite die Albernheit (Fatuitas) , der dritte die
Dummheit (Stupiditas) , der vierte die Einfalt (Imbecillitas) , der fünfte die
Stumpfheit (Vecordia) und der sechste und höchste Grad ist der Cretinis-
mus (s. Haindorf, Pathologie und Therapie der Geistes - und Gemüthskrank-
heiten). Ursachen sind : erbliche Anlage , organische Fehler des Schä-
dels und des Gehirns , Gehirnerschütterungen , Eiterungen und Exsudatio-
nen , Hydatiden , Verhärtungen und Scirrhositäten des Gehirns , chi'onische
Entzündung desselben als Folge von Metastasen ; unterdrückten Blutflüssen,
Exanthemen, Fussschweissen , Erysipelas retropulsum, psychische Schädlich-
keiten : mangelnde Geistesausbildung durch fehlerhafte Erziehung, hohes
Alter , eine warme , feuchte , schwüle , drückende Atmosphäre , die Luft in
tiefen Thälern, übermässige Geistesanstrengung, deprimirende Leidenschaf-
ten , Ausschweifungen in Baccho et Venere , narkotische Gifte etc. Cur.
Je leichter die Ursachen zu heben sind , und je jünger das Subject ist,
desto eher kann man noch Heilung erwarten. Frische, reine Bergluft, täg-
liche Bewegung im Freien, stärkende Bäder, spirituöse Einreibungen des
Kopfs, des Rückens, bei Reizlosigkeit innerlich Kampher, Serpentaria, Va-
nille, Gewürze, scharfe Vegetabilien : Kubeben, schwarzer Pfeffer, Senf,
gute, kräftige Weine, Vesicatorien auf den abgeschornen Kopf, Haarseile'
und Fontanellen in den Nacken , starke Niesmittel , das Einathmen von sal-
petersaurem Gas (^Haindorf}, sind in einzelnen Fällen nützlich gewesen.
Auch die Kälte, entweder blos auf den Kopf oder auf den ganzen Körper
angewandt, z. B. plötzliches Untertauchen in kaltes Wasser, hat man mit
Nutzen versucht.
Ajnetbysta. Sind Mittel wider den Rausch, s. Asphyxie durch
Berauschung.
Ammochosia 5 das Sandbad. S. Arenatio und Balneum
terrestre.
Anmesia, Delilitas memoriae, Gedächtnissschwäche. Ist T?ei alten
Leuten unheilbar. Bei Jüngern Subjecten ist sie oft Folge von Verstandes-
schwäche, Mangel an Aufmerksamkeit. Cur. Tägliche Übung des Ge-
dächtnisses, reizende Nahrung, besonders viel Senf^ Meerrettig, Ingwer,
viel Bewegung im Freien.
Amphamphoterodiopsia. Ist Doppelsehen auf beiden Augen
zugleich und mit jedem einzelnen Auge besonders. S. D i p 1 o p i a.
Amphiblestroditis. Ist nach Galen und A. Entzündung der Mem-
brana chorioidea des Auges (s. Iritis). Einige Neuere verstehen unter der
Benennung Netzhautentzündung, Andere Entzündung der Membr. hya-
loidea (s. Kraus Nachtr. zu dem kritisch -etymol. med. Lexikon. 1832. S. 17).
Ampbiblestroiditis , s. Amphiblest^oditis.
Amphimer jna , s. Febris quotidiana.
Amphodiplopia. Ist Doppelsehen mit beiden Augen zugleich.
S. D ip 1 o p ia.
Amplioterodiplopl»» Ist Doppelsehen auf jedem Auge besondere.
76 AMPUTATIO
Ampntatio (nrtuum'), die GHederabs etzung, Glied erablö-
s u n g. Ist diejenige chirurgische Operation , vermittelst welcher ganze
Glieder oder Theile des Körpers , sammt ihren knöchernen Grundlagen , ent-
fernt werden. Amputation sensu strictiori ist : Trennung der Knochen ia
ihrer Continuität, im weitern Sinn begreift man auch darunter die Glie-
derauslösung (^Exarticulaüo , Amputntio ex articulo , Enucleatio , Excisio,
Exstirpatio nrtuuni). Man amputirt, um solche kranke Gliedmassen zu ent-
fernen, welche nach dem gegenwärtigen Standpunkte der Heilkunde und
nach den innern und äussern Verhältnissen des kranken Individuums als un-
heilbar betrachtet werden müssen, und die dabei das Leben des Kranken
gefährden , oder ihm doch fortwährend den Genuss des Lebens verkümmern.
Rust (s. dess. Handbuch d. Chirurgie, Bd. I. 538 u. f) findet daher bei
folgenden Zuständen die Amputation indicirt: 1) Wenn ein Glied durch
äussere Gewalt: Kanonenkugeln, Maschinen etc. theil weise weggerissen
■wurde, wo die gequetschte Wunde, die Form der Verletzung, der Hautde-
fect , die Prominenz des Knochens etc. , die Verwandlung in eine reine
Schnittwunde , soll sie heilen und nicht in Gangrän übergehen, nothwendig
erfordert. 2) Wenn durch äussere Gewalt der Knochen eines Gliedes zer-
splittert und die Weichgebilde gleichzeitig, wenn auch nur theilweise,
zerrissen , zermalmt oder hinweggenommen sind , so muss , iim einer tödtli-
chen Verjauchung vorzubeugen , amputirt werden. S) Wenn auch bei un-
verletztem Knochen die Weichgebilde eines Gliedes , zumal die grössern Ge-
fasse und Nervenstämme , weggerissen oder zerquetscht sind, so muss gleich-
falls, um Brand luid Tod zu verhüten, amputirt werden. 4) Desgleichen,
wenn ein Glied von einer Kanonenkugel in schiefer Richtung oder von einem
Luftstreifschusse dergestalt verletzt wrd, dass, bei anscheinend gesunden
Weichgebilden, dennoch die Gefässe geborsten oder die Knochen zerschmet-
tert worden sind, wo die Heftigkeit der Erschütterung und die zermalmten
Theile Paralyse imd Brand erregen. 5) Wenn ein Gelenk, besonders eini
charnierförmiges (Knie - oder Ellbogengelenk) bedeutend verletzt wird durch
Quetschung , Zerreissung der Gelenkbänder , Verrenkung , Fissuren oder
Zermalmung der Gelenkenden, Einkeilen stumpfer Körper mit Ausfluss der
Synovialfeüchtigkeit oder heftiger Blutergiessung im Gelenke, so amputirt
man, um den fürchterlichen Folgen durch Entzündung, Trismus, Tetanus,
Caries , Brand vorzubeugen. 6) Wenn durch äussere Verletzung oder durch
Krankheit Vereiterung, Brand oder Erweiterung der Arterien und Venen
eines Gliedes eine Blutung herbeigeführt wird , die wegen der Unzugäng-
lichkeit oder besondern Beschaffenheit der blutenden Gefässe , durch die be-
Icannten Blutstillungsmittel , die Unterbindung mit eingerechnet , gar nicht
oder nur auf kurze Zeit gehoben werden kann , so ist die Amputation das
einzige Mittel , das Leben zu retten. 7) Wenn geschwürige Metamorphosen
der WeichgebUde, oder geschwulstartige Afterorganisationen den grössten
Theil eines Gliedes einnehmen (Pseudoerysipelas , Balg- und Schwannnge-
wächse, Elephanthiasis, Aneurysma mit Entartung nahe liegender Gebilde),
dessen normale Function aufheben , durch Schmerz , Säfteentziehung vaiA
Säfteverlust, Einsaugung und ähnliche Rückwirkungen auf den Gesammtor-
ganismus dem Leben gefährlich werden, so ist nur die Amputation im Stande,
dem langsamen Dahinwelken und dem bereits vorhandenen Zehrfieber Ein-
halt zu thun und so das Leben zu erhalten. Dasselbe gilt 8) wenn der-
gleichen krankhafte Metamorphosen die Knochen eines Gliedes dergestalt
ergriffen haben , dass eine isolirte Exstirpation nicht mehr stattfindet, sie
mögen nun in Veränderung der Knochensubstanz in eine fleischige , speckige
oder ähnliche Masse, in Knochenwucherung oder Auflösung des Knochens
bestehen (Spina ventosa, Caries, Malacosis ossium); — sowie 9) bei un-
heilbar gewordenen Gelenkleiden (Tumor albus, Ajrthrocace, Arthropyosis
neglecta etc.). „ Ich will nicht leugnen — sagt Rust — dass es unter den
angeführten Krankheitsfällen, die meines Erachtens die Amputation unbe-
dingt erheischen , viele giebt , welche hier und da ohne Amputation geheilt
worden sind ; allein dergleichen seltene Fälle , in welchen eine Menge gün-
AMPUTATIO 77
stiger Verhältnisse zufällig zusammentreten, können nicht als Norm dienen.
Wir müssen bedenken , dass, während die Wenigen , welche so erhalten wur-
den, zwar oft viele Jahre lang lebend umherwandeln und so den Gegnern
der Amputation als sprechende Beweise für ihre Behauptungen dienen kön-
nen, andererseits Tausende, die als Opfer der unterlassenen Operation star-
ben , unerwähnt und vergessen in der Erde modern. Nur die Mehrzahl der
Fälle kann als Richtschnur für unser Handeln dienen, und ich wenigstens
mag nicht 99 unamputirt sterben lassen, um an dem Hundertsten ein Bei-
spiel zu erleben, dass man auch ohne Amputation einen Krüppel am Leben
erhalten kann." Auch bei an sich heilbaren Verletzungen muss, nach Rttstf
unter Umständen die Amputation vorgenommen werden, wenn 10) in der
Individualität des Kranken oder in den äussern Verhältnissen desselben ein
Mangel der zur Heilung nöthigen Bedingungen begründet ist. So kann
z. B. jeder sehr complicirte Beinbruch , jede eindringende Gelenkswunde etc.
im Kriege , auf Rückzügen , beim Mangel an erforderlichen Heilapparaten,
an erforderlicher Pflege und Ruhe, an auserlesenen Transportmitteln, die
Amputation erheischen und dem Kranken unter solchen Verhältnissen oft al-
lein das Leben retten , obgleich er , wären letztere günstiger gewesen , auch
ohne Amputation hätte geheilt werden können. 11) Wenn eine äussere
Verletzung oder krankhafte Metamorphose zwar dem Leben nicht gefährlich
und selbst heilbar ist , aber unter solchen Umständen nur geheilt werden
kann , welche dem Gliede eine geringere Brauchbarkeit geben , als die eines
künstlichen Gliedes , und wenn endlich 12) ein Glied so verbildet und ver-
krüppelt ist , dass es dem Kranken hinderlich wird , imd weniger als ein
künstliches Glied leistet, z. B. bei Ankylose der Gelenke mit unbequemer
Stellung der Glieder , bei Articulus praeternaturalis der untern Extremität,
sobald die Heilung desselben misslungen, bei überflüssigen Fingern etc,
„Der Brand kann als solcher nach dem heutigen Standpunkte der Heil-
wissenschaft nie die Amputation erheischen , denn wenn er erst be-
ginnt — sagt Riist — so ist es unverantwortlich , zu operiren , weil die
Erfahrung gelehrt hat, dass die Natur, von einem zweckmässigen Heilver-
fahren unterstützt , oft Wunder in der Restitution von Theilen thut , die
anscheinend ganz abgestorben sind, die aber in der Tiefe noch ein reges
Gefässleben verbergen. Ist aber der Brand vollkommen ausgebildet, so
können nur zwei Fälle stattfinden: entweder der Brand ist noch im B'ort-
schreiten begriffen , oder er hat sich schon begrenzt. Im erstem Falle ver-
mag die Operation die Disposition zum Brande nicht zu heben, sondern sie
vermehrt sie noch durch die nachtheiligen physischen und psychischen Ein-
flüsse, die sie in ihrem Gefolge führt. Es ist daher mit Gewissheit zu er-
warten, dass der Brand in der Amputations wunde aufs Neue und nur den
Centralorganen näher wieder erscheine. Im zweiten Falle ist die Operation
unnöthig, weil die Natur allein auf einem viel mildern Wege die Trennung
des Todten vom Lebendigen bewirkt. Auch die Rückwirkung des Brandes
auf den Gesammtorganismus , die Gefahr, die aus der Resorption der Brand-
jauche ins Blut etc. entstehen könnte, giebt, wie Einige glauben, keine
Indication zur Amputation; denn so lange der Brand nicht steht, so lange
sich keine Demarcationslinie erzeugt, keine bestimmte Abgrenzung zwischen
dem Todten und Lebenden gesetzt ist , so lange ist , wie aus dem Gesagten
erhellet, an eine Amputation nicht zu denken, oder man müsste nur im
Brandigen selbst amputiren wollen , um die Masse des Letztern und somit
die Gefahr der Rückwirkung desselben auf den Organismus zu mindern,
was aber wieder mit einer solchen Menge von Inconvenienzen verbunden
ist, dass der dadurch etwa zu erreichende Vortheil für den Kranken durch
die nachtheiligen Eingriff"e , die dadurch herbeigeführt werden , zehnmal auf-
gehoben wird. Ist aber der Brand bereits begrenzt, so ist laut aller Er-
fahrung von der Resorption der Brandjauche nichts mehr zu besorgen, auch
bei der ganz entgegengesetzten Reaction der Gefässe und bei der vorherr-
schenden Tendenz des Organismus , das Todte vom Lebenden ■ abzustossen,
nicht füglich möglich." Über die Zeit der Amputation, d-L bei der durch
78 AMPUTATIO
mechanische Verletzung indicirten, sind die Meinungen verschieden, und
doch ist die Bestimmung des rechten Zeitpunkts für den Erfolg der Ope-
ration sehr wichtig. Man muss ^\■eder zu früh, noch zu spät amputiren ;
am besten ists, die Operation zu einer Zeit zu unternehmen, wo im Ge-
sammtorganismus kein bedeutendes Leiden vorhanden ist, welches durch die
Complication mit der Operation und ihrer Reaction auf eine das Leben ge-
fährdende Höhe gesteigert werden könnte. Daher muss man entweder noch
vor dem Eintritt des jede grosse Verletzung begleitenden Gefässfiebers oder
nach gänzlicher Beendigung desselben amputiren. Leider! geschieht dies
nicht immer, zumal im Kriege, und daher sterben so viele Amputirte. —
„Wie lange eine' Verletzung sich selbst überlassen bleiben kann — sagt
Rust — ehe sie aufhört, ein rein örtliches Übel zu sejTi, lässt sich im All-
gemeinen nicht bestimmen, da dies von der Beschaffenheit der Verletzung
und des verletzten Individuums abhängt. Je grösser der Umfang der Ver-
letzung ist, je mehr sie edle und sensible Theile ergriffen hat und je irri-
tabler das verletzte Subject ist, um so schneller wird auch die Einwirkung
auf den GesammtorganLsmus erfolgen. So viel ist indessen gewiss, dass
nach Verlauf der ei'sten 24 Stunden nach erlittener Verletzung der gün-
stigste Zeitpunkt zur Amputation bereits verstrichen ist, und dass man sich
einen um so günstigem Erfolg versprechen kann, je früher die Operation
innerhalb dieser 24 Stunden verrichtet Avird. Hier setzt man den Kranken
keiner andern Gefahr aus als der der Amputation selbst, welche in der Re-
gel geringer ist als die, welche von der sich selbst überlassenen Verletzung
entstehen könnte. Hier hat der Kranke mit keinem zwiefachen Gefässfieber,
mit keiner gewaltsam gestörten Krise zu kämpfen, und der Erfolg wird
meistens glücklich seyn. Ist aber dieser günstige Zeitpunkt verstrichen,
ist bereits das Gefäss- und Nervensystem in Aufruhr^ die verletzte Stelle
äusserst schmerzhaft , entzündet , geschwollen , so darf meiner Überzeugung
nach die Amputation nicht mehr, wenigstens nicht eher unternommen wer-
den, als bis diese allgemeinen und örtlichen Zufälle beseitigt sind und der
ganze Organismus in eine zu erneuten blutigen Eingriffen günstigere Stim-
mung vei'setzt ist. Stirbt der Kranke in der Zwischenzeit, so kann man
sich mit der Überzeugung trösten, dass er auch mit der Amputation, und
dann wahrscheinlich noch früher, gestorben wäre. Übersteht er aber die-
sen Kampf der Natur, so kann später die Operation, meiner Erfahrung ge-
mäss, unter einer noch weit günstigem Prognose, als wenn sie auch
noch so früh verrichtet worden wäre, unternommen werden. — Wann die-
ser Zeitpunkt der später vorzunehmenden Operation eintrete, darüber las-
sen sich keine bestimmten Vorschriften geben; oft ist nach 15 Tagen der
günstigste Zeitpunkt schon verstrichen , und öfter noch am 25sten bis SOsten
Tage nicht eingetreten. Alles hängt hier von der Beschaffenheit der Ver-
letzung, des verletzten Individuums und der begleitenden Umstände ab,'*
Über den Ort, wo amputirt werden soll, ist nach demselben Autor der
beste Grundsatz dieser: Man soll an jeder Stelle des Gliedes, gleichviel,
ob sie in oder ausser dem Gelenke , höher oder tiefer in der Continuität
des Knochens liegt, amputiren, wenn sie als die geeignetste für den Heil-
zweck und für die Bequemlichkeit de^ Kranken beim nachherigen Gebrauche
des Stumpfes erscheint. Die Erfordernisse, um zweckmässig, möglichst
vollständig und schonend für den Kranken zu amputiren, sind: 1) dass der
Wundjirzt eiiien guten und zweckmässigen Amputationsapparat besitze,
2) durch unterrichtete Gehülfen unterstützt, 3) der Kranke selbst aber auf
eine kunstgeraässe Weise vorbereitet und darm 4) nach einer solchen Me-
thode operirt werde , die seinem Krankheitszustande angemessen ist. Zum
Amputationsapparate rechnet man a) den Apparatus instrumen-
torum. Dazu gehören: 2 Tourniipiets (das beste ist das Petit- Mo-
rell'sche, welches die Vortheile der Schraube und der gleichmässigen Um-
schnürung des Gliedes vereinigt), ein Bändchen oder Riemen, um die
laxen Welchtheile oberhalb des Schnitts zu fixiren, nach Zenker, fer-
ner: mehrere Amputationsmesser von verschiedener Grösse, ehischneidig
AMPUTATIO 19
zum Cirkelschnitt , zweischneidig zur Lappenamputation. Sie müssen ge-
rade, nicht, wie ehemals, sichelförmig seyn. Das kleinste (vorn zweischnei-
dige) Amputationsmesser ist da& von Langenbeeh, das grösste (lOy, Zoll
haltend) von Znng; — ein gei-ades oder bauchiges Bistouri zum Abtren-
nen der Haut, — ein Zwischenknochenmesser, — ein Beinhautmes-
ser, — Retractoren, d. i. eine kleine Compresse, welche einmal, oder
für die zweiröhrigen Glieder, zweimal gespalten ist. Der mittlere Kopf
wird dann mittels des Fingers, einer Pincette, zwischen die Knochen ge-
führt. Simmons gebrauchte als Retractor ein seidenes Netz; — mehrere
Amputationssägen, z. B. die von Brihminghausen , Rust, Guthrie, Rud-
toirffer. Zur Entfernung von Splittern dient Knauer^s Phalangensäge, Sa-
vigtiVs Knochenzange , Simmons' Feile» Endlich gehören zum Instrumen-
tenapparate noch : Unterbindungsgeräthe : Pincetten mit einem Schieber,
z. B. die von Schmuclcer, Brünninghausen , Gräfe; Arterienhaken, Ligatur-
faden, für einzelne Fälle Heftnadeln, Pulv. stypticus. — b) Der Verb an d*-
a p p a r a t. Hieher gehören : warmes und kaltes Wasser , Waschschwämme;
Charpie, Plumaceaux, gut klebende, auf Band gestrichene oder bandförmig
geschnittene Heftpflaster , Compressen , Longuetten , ein Malteserkreuz,
Binden j Stecknadeln. — c) Lab e mittel : kaltes Wasser, Essig, Naphtha,
Wein, Zucker sind hierzu hinreichend. Gut unterrichtete Gehülfen sind
das wichtigste Erforderniss bei einer Amputation. Man hat deren zum we-
nigsten drei nöthig (eigentlich fünf), und zwar einen zur Fixirung des
Gliedes oberhalb der Amputationsstelle, einen, der es unterhalb derselben
festhält. Ein dritter sorgt für den Kranken , und unterstützt den Operateur
bei vorkommenden H^dleistungen , Blutungen u. dergl. ; der vierte sorgt
für die richtige Handhabung des Tournicjuets , und der fünfte reicht die In-
strumente und Verbandstücke in der Ordnung dar, wie sie der Reihefolga
nach gebraucht werden, und wie man sie, doch Instrumente und Verband-
stücke getrennt , schon vorher ordnungsmässig zurecht legt. Das Opera-
tionszimmer muss im Winter massig ersYärmt seyn (16 — IS^R^aum.) und
eine gute Beleuchtung haben. Zur Vorbereitung des Kranken gehört,
dass man sein Vertrauen belebe und ihm Math mache, sein Gemüth aber
so ruhig als möglich stimme, dass man ihn zweckmässig lagere und durch
vorsichtige Anwendung des Tourniquets gegen Schmerz und Blutung nach
Möglichkeit sichere. Dem Kranken vor der Operation, wie manche Wund-
ärzte thun, Opium zu geben, tadelt Rust; denn kleine Dosen helfen nichts
und grosse schaden, weil sie Gefasserethismus machen und zu gefahrlichen
Nachblutungen Anlass geben. Das Moor'sche Nervencompressorium ziur Lin-
derung des Schmerzes hat wenig Beifall gefunden. — Was die Lagerung
des Kranken betrifft, so kann derselbe bei Amputationen an den obern Ex-
tremitäten auf einem Stuhle oder, wenn es ein Kind ist, auf dem Schoosse
eines Erwachsenen sitzen. Bei Amputationen an den untern Gliedern ist die
Lage auf einem Bette oder auf einem festen, hinreichend hohen Tische nö-
thig , welche mit einer Matratze und einigen Kissen versehen und mit einem
Stück Wachstuch bedeckt ist. Den gesunden Fuss stützt der Kranke auf
einen Stuhl. Ein mit einem Tuche bedecktes Gefäss , z. B. eine Mulde , ist
bereit zu halten, um das abgenommene Glied den Augen des Kranken zu
entziehen. Die Anlegung des Tourniquets muss, wo irgend Raum ist, so
geschehen, dass man sich zweier Tourniquets bedient, von denen das
eine (am besten das Schraubentourniquet nach Petit) mehr nach oben zur
Comprimirung des Hauptstammes der Arterie , xmd das andere mehr naclv
unten und zwar so nahe als möglich über der Amputationsstelle angelegt
und fest zusammengezogen wird; durch letzteres werden — wird es gleich-
massig zusammengeschnürt — die so empfindlichen Hautnerven betäubt und
so die Schmerzen der Operation sehr gemindert. Allgemeine Regeln zur
Ausführung der Amputation sind folgende: 1) man achte darauf, dass alles.
Erkrankte entfernt werde, dass die Operationslinie nicht bloss äusscrlich in
das Gesunde falle, sondern auch innerlich über die gequetschten, erschüt-
terten, entarteten, weichen und festen Theile hinausreiche; bei bedeutenden
r**», '
80 AMPUTATIO
mechanischen Verletzungen eines Knochens, eines ganzen Gliedes mnss da-
her oft in oder über dem nächsten Gelenke amputirt werden. 2) Man sorge
dafür, dass fler Rumpf hinreichend mit weichen Theilen zur Verwachsung
bedeckt werde ; dies ist auch der Grund , warum viele Wundärzte die Ex-
articulation des Ellbogen - , Knie - und Fussgelenks verwerfen , und die
Amputation über den genannten Stellen vorziehen. 3) Man muss von dem
Gliede so viel erhalten als möglich ist, um dem Überrest Brauchbarkeit zu
geben , wenigstens zur Befestigung und zum Gebrauch eines künstlichen
Gliedes; deshalb exarticulirt man lieber die Ossa metacarpi und raetatarsi,
wo es irgend möglich ist, als dass man den Vorderarm und Unterschenkel
amputirt, wodurch ein künstliches Glied völlig entbehrlich gemacht wird.
Um einen künstlichen Fuss besser befestigen zu können und dem Amputir-
ten den Gebrauch des Kniegelenks zu erhalten, amputirt Rust den Unter-
schenkel gern dicht über dem Fussgelenke , oder doch unterhalb der Wade ;
nur dann , Avenn der Kranke so arm ist , dass er statt eines künstlichen
Fusses einer Stelze sich bedienen muss , amputirt er dicht unterm Kniege-
lenk. 4) Man beschleunige so viel als möglich den ganzen Operationsact
und die damit verbundene Schmerzenszeit. Einstudirte Kaltblütigkeit und
Langsamkeit, absichtliche Verlängerung des Actes von Seiten des Operateurs,
vielleicht gar anatomische Demonstrirung der durchschnittenen Theile, ist bar-
barisch, empörend und unmenschlich, und manche nervenschwache, reizbare
Ki'anke müssen dies mit dem Leben büssen. Die Operation muss durch -^le-
nige, aber regelrechte und schnell hintereinander folgende und mehr mit
Zug als Druck vollführte Schnitte geschehen, und die Instrumente müssen
scharf und vorher mit lauwarmem Öl eingeölt seyn. Sind die zu durch-
schneidenden Theile lax, schlaff, so muss ein Gehülfe sie anspannen und'fixi-
ren. Wo die Hände des G^hülfen zu diesem Zwecke nicht ausreichen, lege
man unmittelbar oberhalb der Amputationsstelle ein Band um, und halte das
Glied in einer Stellung zwischen Flexion und Extension. Auch hüte man
sich nach verrichteter Operation Nerven mit zu unterbinden , die die grossen
Gefässe begleiten. Auf solche Weise ist alles geschehen , um die unvermeid-
lichen Schmerzen möglichst zu mindern. 5) Man sehe darauf, dass eine
schnelle und besonders vollständige Blutstillung erfolgt. Die traurigen
Folgen eines starken Blutverlustes, zumal bei schwächlichen Kranken, sind
bekannt. Der Operirte sehnt sich nach beendigter Operation nach Ruhe,
xind die zwar geringen aber oft wiederholten Schmerzen bei der Arterien-
imterbindung sind für den Kranken höchst quälend ; eben so das Abnehmen
des ersten Verbandes vor den ersten 48 Stunden, was bei Nachblutungen
so oft nöthig ist, die auch auf das Gemüth des Kranken höchst nachtheilig
wirken. In den meisten Fällen lassen sich solche Vorfälle durch Umsicht
und Aufmerksamkeit, durch richtige Auswahl und Anwendung der besten
Vorkehrungsmittel zur Blutstillung vor, Avährend und nach der Operation
vermeiden. Dies geschieht: a) durch die Wahl der Amputations-
stelle. Kleine Gefässe in der Nähe solcher Stellen, welche der Sitz jahre-
langer organischer Leiden gewesen, sind, wie die Erfahrung lehrt, meist
erweitert und sonst krankhaft beschaffen; daher sie sich wenig verengern
und zurückziehen und ungewöhnlich stark bluten ; auch sind solche entartete
Gefässe in der nächsten Umgegend schon vernarbter Flächen oft in grosser
Menge vorhanden, und das hier wie aus einem Schwämme hervorquellende
Blut ist oft sehr schwer zu stillen. Der erfahrne Operateur vermeidet da-
her solche Stellen und amputirt an einer höhern Stelle des Gliedes. —
b) Durch Anwendung des Tourniquets und anderer Compres-
sorien. Das Tourniquet muss sorgfältig angelegt werden, so dass die
Pelotte die Hauptarterie des Gliedes sicher und so fest comprimirt, dass
man unterhalb kein Pulsiren mehr fühlt, oberhalb der Pelotte aber der
Kranke selbst ein vermehrtes Klopfen wahrnimmt. Fehlt dieses Zeichen der
gelungenen Compression , so muss wenigstens unausbleiblich geminderte Em-
pfindung des Gliedes eintreten, ehe man zur Operation schreiten kann.
Wo es nicht angeht, ein zweites Tourniquet anzulegen (doch dieses ohne
. ÄMPUTATIÖ 81
Pelotte), z. B. hoch am Oberschenkel, da i>e(ll«ie man sich gleichzeltiig
noch eines Cömpressoriums , z-J'Bi der Ehrlith'schen Krücke öder des Dau-
mens eines geschickten Gehülfen. -Bei der 'Amputation variköser Glieder und
b i recht blutarmen Subjecten ist' Brürminghn'Usen's Rath: das ganze zu ara-
putirende Glied mit einer B-lanellbinde bis nahe an die Operationsstelle hin;^
auf einzuwickeln, sehr gut; es wird dadurch viel venöses Blut gespart, was
sonst ausfliesst. — c) Durch Vermeidung des zu frühen Durch-
schneidens der grössern Blutgefässe. Bei Exarticulationen und
Amputationen grösserer Gliedmassen nahe am Gelenk, wo das Tourrtiquet
gar nicht oder nicht mit Sicherheit angelegt werden kann, wähle man da-
her eine Operationsmethode, bei der es möglich wird, den Hauptstamm der
Arterie erst im letzten Acte der Operation zu durchschneiden , oder ihn auch
wol noch vor dessen Durchschneidung unterbinden zu können, d) Durch
schnelle und vollständige Unterbindung der Blutgefässe
und Anwendung anderer zweckmässiger Blutstillungsmit-
tel nach verrichteter Amputation. Die Ligatur ist das einzige sichere
Blutstillungsmittel und sicherer als die Uro schlingung der Gie'fässe
und die Torsion, w-elche letztere bis jetzt noch viele Gegner gefimden
haben. Alles was als Tadel gegen die Unterbindung der Blutgefässe auf-
gestellt wurde, ist der ungeschickten und zweckwidrigen Verrichtung, also
dem' Operateur und nicht dem Mittel zuzuschreiben. Die wenigen Fälle
ausgenommen, wo eine starke Blutung aus einer Knochenarterie ,' aus der
Markhöhle des Knochens, die Tampon ade, das Eindrehen einer Oharpie-
■wieke oder eines Wachskügelchens, oder die Anwendung agglutinirend^r Mittel
nöthig macht, beschränkt man sich daher auf die Unterbindung und das kalte
Wasser. ,,Die Hauptgefösse — > sagt Rust — bntetbindet man bei geschlöä-
seuem Tourniquet ; um die übrigen zu finden lüftet man dasselbe vorsichtig,
dreht es aber sogleich wieder zuy sobald man eine blutende Stelle fesi; ins
Auge gefasst hat, um sie ebenfalls unterbinden zu könneii. Sind alle Blut-
gefässe unterbunden, so muss das Tourniquet gänzlich gelöst werden, theitä
um sich zu überzeugen, ob noch einzelne Arterien spritzen, theils ximi die
parenchymatöse und venöse Blutung aus dem Gliederstumpfe , die durdh jede
fest anliegende Binde oberhalb der Verwundung in der Regel vermehrt wird,
ebenfalls zu heben, theils endlich auch um deh Kranken von dem lästigen
Drucke befreien, den das zusammengezogene Tourniquet ausübt'; auch' ■Vvirkt
nichts schädlicher, nichts nachtheiliger auf den Kranken' ein, als eine an
anhaltende Compression des Gliedes. Ärzte, welche nicfet sorgfältig genug
bei' der Unterbindung Wütender Gefässe verfahren,' iDd^r der blutisfillenden
Kraft des -Wassers zu viel vertrauen*, und sich dann durch'«in längere« Ein-
wirken des Tourniquets vor Nachblutungen zu sichern suchen y 'bereiten' da-
durch iliren Amputirten eine Höllemnarter , die kein Kranker zu' fertipagen
im Stande ist, ziehen ihnen nachfolgende brandige Zerstörungen -Und^Auo-
roalien aller Art zu und opfern < sie wol auch ' leichtsinnig dem Tode.^ Ob
der Schfehkel nahe am Gelenke amputirt 'öder ' zusammengeschnürt vvird^
kommt hinsichtlich der Gefahr auf den Ausgiang' der Ojjeration so' tiiefnlich
auf Eins heraus. Die im Circulätiohssystem »veranlaisstfe Störung , die Rück-
wirkung der gehemmten Blutwelle auf das He'i*z' und die'LuUgenorgatte^ der
heftige Aufruhr ,' der dadurch ii»' allen Systemen nothwendig herb^geführt
werden muss, sind momentan ganz dieselben ; gl'ächviel'^b die Arterie blos
i| zusammengedrückt , oder durchschnitten und «BWei'bunden-ist. Im GegeU'»:
ij theil ist im erstem Falle wegen gleichzeitiger Zusammettschnürung alle*
ll Nervenstämme der Schmerz viel grösser' als bei der blossen Trennung der»
ll selben, und daher auch die Reacfcion auf das-ganze Nerven-- und Gefäss-
i System viel "bedeutender."' Über die Zeit der Ojieration hinaus darf da»
i Tourniquet nie einwirken ; man lässt es nur aus Vorsicht vor möglichen
Nachblutungen ganz lose liegen, um es' dann sogleich anziehen zu können.
Man überzeugt sich daher vollständig von der wirk'liöhen Stillung des BlutSj
ehe man den Kranken der Ruhe überlässt. Oft steht- die Blutung hur mo-
! mentan, wejl der Kranke 'etsclwpft und ohnmächtig IäC.' Man gönne ihm
I Most Eucyklopüdie. 2te Aufl. I. ß
82 AMPUTATIO
bei vollständig gelockertem Torniquet einige Erholung, reiche ihm ein La-
bemittel und bähe die Wujidfläche mit lauem, nicht kaltem Was.ser; zeigen
sich dann keine spritzenden Gefasse weiter , die sonst sogleicli hervorgezo-
gen und unterbunden werden müssen, so kann man vor jeder Nachblutung
sicher seyn. Kleine parenchymatöse Blutungen stillt man sodann duroli wie-
derholte Anwendung von Eiswasser, welches man aus einem Schwamm über
die Wundfläche fliessen lässt. Das kalte Wasser macht andere Blutstil-
lungsmittel, die ohnehin, durch ihren Reiz leicht schaden: Thedeiis Schuss-
wasser, Solutio aluminis, Branntwem etc., völlig entbehrlich. Wo Aggluti-
nantia nöthig sind, z.B. bei Blutungen aus Knochen, da ist das gepulverte
Kolophonium mit Weingeist allen übrigen Klebemitteln vorzuziehen (^Kluge).
Aniputationsmethodeu und deren therapeutische Würdigung»
Was die Methode betrifft, nach welcher amputirt werden soll, so ist dahin
zu sehen , durch eii\e angemessene Wunde die ;schnelle und vollständige Hei-
lung und eine hiivreichende Bedeckung für den entblössten Knochen zu er-
zielen. So entstaitden zahlreiche Methoden, welche indessen unter folgende
drei Hauptmethodeii zusammer>gefasst . werden können : 1) Der Cirkel-
schnitt, wovon es 2 Arten giebt j a) der einfache Cir kelschn itt,
der schön länger ^s 1500 Jahre bekannt ist und wo m einer Kreislinie
sämmtliiqhe Weichgebilde bis auf den Knochen durchschnitten \%erdea , die
man dann stark ztuückzieht und daiauf den Knochen dicht an d«n zorüfok^
gezogenen Muskeln, dwrphsägt; ■ — ein Verfahren, das indessen für letztera
keine hinreichende Bedeckung gewälirt, dfth^r zii. Anfange des 18. Jalirhun-
derts b) der zweizeitige oder doppelte Cirkelschnitt (^Ampulniion
enden-vlemps) , den zuerst, Cheselden und Pclif ausübten, so.syik Sdhafier^
Mursmna, BrünimijfiAusen , Roux und die; ineisten französischen WuitdärztCj
erfunden wurde. Hier durchschneidet ma^> zuerst die. zurückgezogene Haut
allein (nach Petit ßtvva 1 ZpU wnter der Durchsägungsstelle des Knochens),
lässt sie dann stark zurückziehen, oder wenn dies nicht angeht, so präpa-
rh't ' man sie von den unterliegenden Theilen los und schlägt sie , zurück,
durchschneidet dann dicht am Rande demselben die Muskeln, :zieht auch
dlesfe möglichst stark zurück, wobei man sie auch wol etwas vom. : Ktioch^sn
It^streiTint , und durchsägt dann letzteren so hoch als möglich. Diese etwa$
bessere Methode hat, zumal bei den Qliedern mit 2 Knochen , doch den
Njachthieil, dass die Dnf«h*chneidung und Zurückziehung der Müsculatur
flicht immer vollständig und , ohne grosse .Mühe bewirkt werden kann; wes-
halb das den Stua^pt. b^ed^ckende Polster oft mehr Haut- alä3Iuskelsub-
:*ta'az löftthält. Indessien ist nach Rnst''s und anderer neuer Wundiürzte An-
sichten, es. gar oictkt SO nöthig, viel Muskelsubstanz zu sparen, da diesö
sp^fterhin dach grösstentheils resorbirt wird. In d^r Mehrzahl de*-- Fälle ist
^idaJae« hinreichend; nur von der Haut öo;vieJ als nöthig ist zu efhalten.
AJ^fff^inntf, Kluge, v. Gräfe, Zang u. A. ..machen den Cirkelschnitt in einea»
Zl^e;. nachdem nämlich von dem Gehülfen djß. Haut über der zu ainputireu-
^^n. Stelle stark angespannt . und rcstrahir^ worden, lässt sich, dier Operateut
bei deft» Kranken auf,)eiu Knie, nieder, ergpeift das M^SSer und setzt es, dia
Spitze nach unten gol^ehrt, mit .seinem Heftende aUf der ihm zugekehrteiik
k-rftnken Seite des ' Gliedes auf die Haut;, zieht es nun im gleichen Kreise
herum "und erhebt sich mit d,Wi Kiiie, um von unten in den alten Schnitt
zu kommen. Auf, diese Weise wird der Schnitt durch die Muskeltheile voll-
zogen, und zwar, wie die meisten Wundärzte thun, mit einem und dexnsei-
ben Amputationsmesser. Da es schwieiüg ist , diese Schnitte mit einem
Zuge zu vollführen, so haft man verschiedene Handgriffe zu diesem Zwecke
angegeben, mid so hält z. B, ■». Gräfe das Messör, wenn er mit demselben
aj).-dle untere Seite des Gliedes gekommen wt, mit den Fingern der linken
Hand, an der Spitze fest, und dreht dann die : Hand so um den Griff, dass
der Daumen , welcher; aMf der Schneideseite des Heftes lag , jetzt auf die
Rückseite desselben zu liegen kommt. Mursinnn setzt das Messer mit der
Spitze an der änss^ru ;Seite des Gliedes an, führt es schneidend abwärts
fei«, das Hefteade da' zu liegen kommt, wp sich vorher die Spitze befand.
AJWPUTATIO 83
•und Vollf5hrt nun den Schnitt, indem er das Messer in entgegengesetzter
Richtung ums Glied bewegt. Ähnlich operirt auch Zang. Nach RusVa
Meinung ist es unnütz, sich mit Einem Schnitte zu quälen, wienn man auf
eine leichtere Weise und in kürzerer Zeit mit 2 Schnitten denselben Zweck
erreichen kann , ganz abgesehen davon , dass man mit einem Schnitt schwer-
lich immer die Haut in gleichmässiger Tiefe zu durchschneiden im Stande
ist, und es auch einige Übung voraussetzt, wieder in den Anfang des
Sdiuitts zu kommen; er verrichtet daher den Cirkelschnitt mit 2 Messerzü-
gen, ; die beide von innen nach aussen geführt werden und in ihren End-
punkten so zusammentreffen, dass ein regelmässiger Kreisschnitt gebildet
wird, wobei der Wundarzt noch den Vortheil hat, stehend operiren zu
können. Das Messer wird mit seinem Heftende zuerst an der dem Opera-
teur'entgegengesetzten Seite des Gliedes angesetzt und so die untere Haut-
hälfte des letztern durch einen bis zur Spitze geführten Zug getrennt, urtd
auf ähnliche Weise die Durchschneidung der obern Hälfte vollzogen. Hier
kann der Schnitt mehr durch Zug als durch Druck gemacht werden, han-
genbeclc operirt jetzt auf ähnliche Weise, trennt aber die obere itälfte der
Wpichgebilde 2;uerst. Der Müskelschnitt wird am Rande der von dem Ge-
hülfen stark zurückgezrogenen Haut ganz eben so wie der Hautschnitt, nur
mit kräftigern Zügen vollführt, um alle Weichgebilde bis auf den Knochen
zu trennen. Gewöhnlich muss man die Haut mit dem Messer zur besserh
Zurückziehung derselben zu lösen ; man braucht hier aber nicht mit dem
Messer zu wechseln, da lUeist einige senjcrechte ah dem freien Hautrande
geführte und bis zur sehnigen Muskeldecke eindringende Einschnitte, die
man mit dem Amputationsmftsser machen kann, zur vöHigert Trennung hin-
reichen. Höchst selten ist es uöthig, die ' losgetrennte Haut völlig ' ufdz\/-
Btülpen. Die Länge des zu trennenden Haut«tückfe hiuss ein Sechstheil dx*s
Umfangs oder ein Drittheil des Durchmessers des Gliedes betragen. Die
Modificationen dieser Methode , welche Louis , Valentin , Portal , 'Goöch und
B, Bell empfehlen, sind grösstentheils Unwesentlich, umständlich und aucl»
zum Theil imrichtigr 2) Der Lappenschnitt (:4m/)Mfrt<ton h 'lajnhean).
Er wurde besonders für den Unterschenkel in Anwendung gebracht, und
ist schon älter, als die Amputation eri deilx tempisi Wir unterscheid eriä) den
einfachen Lappens<ihnitt. Man sticht ein hinreichend langes' zwei-
Köhneidiges Messer »iV der Stelle, wo das Glied' a'bgeteetzt worden soll, durch
Haut und Muskeln ein-, führt ies dicht an den Knochen, avo der Lappen ge-
bildet werden soll, jqwei^ ■ • duifch das Glied und zieht es, sobald liiaA den
Ausstich gewonnen bat j in schräger Richtuhg nadh unten und zugleiipll häfch
aussen; Den so gebildöteh Lappen lässt Inän aufhebeh , und durchschneidet
an der Basis desselben auf döf entgegengesetzten Seite die Hailt', 'so wite die
übrig'ert' Weichgebilde rtitt 6inem halbkreisförmigen Schnitte bis riuf dife Knp^
chen /' hierauf wei^äert-'die 2Uischen den Knochen befindlichen ThCTJe gfe-
(iremit ,• und nach fetfolgtter^ürückziehün'g' säirlittUifcher Weichgebilde die
Knochen so nahe als- möglich an' der^ F'le'is^hmasse hbgesägt: Die Lange des
fcü' bildenden Lap^öhf^soll in'lSei'^R^gel eirt bi-itthöil dfes. Umfärigs des Glie-
des' betragen ; ■ doch 'tiitdeit' V^ele' Ausriahmert rtat*: ' Die 'V6i-fahruhgsärte'n von
'L6tiis' *inä Treö&inrt>,;-G((i'i^jeoty Älmisön -n/ k. dind Mödificationöh' dös
einfachen Lappens*Miits.'b)''D'er' dopptel't'fe ir'äp.De'n^chUitt (^Ampö^
1rtiiofit''it'deu3i; läntht^äit^}/' Yßt'üngei'Aht' ibO'JdhV^ wtii'de der uT'Sfitüngli<i^
Cöf dein ■ itlHtei-scher(Wfel"bfere'dWi'eie' Lappensehnitt auch auf ■ dön Oberschenkel
anj^etvdftdöt ■ u«vd di^W iftodifidl^tj dass'dtfrch Bildung zWeier Lappen aus
dttt' Wielichf^eilert dfein^iKnochdistumpfe ein 'irollko'nTmen genügendes' Polstet
Von 'Haut Tind- Fleisch- gegfebfeii'\terdeir koWrrte. Matt' inachte dieser Methode
d€!rt'\^örU'«rf, dass^'S^e'^rte gfSssere Wöitdfläche bilde und daäs in Folgie
d6t< Schiefen Durchsch»4eidüng zä'hlreichtei' Blutgefässe letztere sich nicht ge-
hörig ^uS&mmenziehen können, auch der Schmerz stärker ' und' die Blütürtg
bedeutender sey, dennckih • üben dieselbe yifele FranzoSön, unter den Deut-
schen auch Löffler,' Ltmpenheck, Klein, Bech und Textor, für geeignete
Fälle. Volpi erklärt -sith^ gänzlich gegfen- d4eselbe, und nach S. Coopcf hä-
6*
84 AMPUTATIO
bell allö englischen Wundärzte sie jetzt verlassen , nachdem sie noch vor
wenigen Decennien derselben den Vorzug gaben. Sie hat nach RuM grosse
Vortheile , indem sie eine gute Fleischdecke für den Knochen bildet , leicht
auszuführen ist und vorzüglich di« schnelle Vereinigung der Wunde begün-
stigt, auch die ilir aufgebürdeten Nachtheile durch die schiefe Durchschnei-
dung der Blutgefässe etc. nach der Erfahrung nicht stattfinden. Man ver-
richtet sie auf folgende Weise» Man sticht ein gehörig grosses zweisclmei-
diges Messer an der abzusägenden Stelle des Knochens ein , doch nicht auf
der Mitte des Knochens, sondern auf der des Gliedes, weil sonst der innere
Lappen bei weitem zu gross wird , führt dann die Spitze desselben um dea
Knochen , falls man wirklich auf denselben trifft , und ajif der hintern Seitei
gerade dem Einstichspunkte gegenüber, wieder heraus und bildet nun durch
sägeförmiges Ab - und Ausvvärtsführen des Messers den iimern Lappen zuerst.
Auf ganz ähnliche Weise wird auch der äussere Lappen gebildet, indem
man das Messer auf der alten Stelle einsticht, die Spitze desselben (nun
aber ganz bestimmt) um den Knochen herumführt, dann gerade nach ab-
oder rückwärts stösst , und sobald man den Ausstichspunkt erreicht hat , das-
selbe nach ab- und auswärts führt und einen gleich langen zweiten Lappen
bildet, wobei es vortheilhaft ist, die Vollführung des Schnitts mit der lin-
ken Hand zu machen. Um die Lappen von erforderlicher und gleichittässi-
ger Länge zu bilden, kann sich der Ungeübtere die Stelle, wo deren Spitae
hinfallen soll, durch einen umgelegten Heftpflaster^treifen bezeichnen. Sind
die Lappen gebildet, so werden sie zurückgeschlagen, die an der Basis der-
selben zurückgebliebenen Muskelbrücken und das Periosteum getrennt und
der Knochen so hoch als möglich abgesägt. Die gleichmässige Länge , der
Lappen muss nach Massgabe des Gliedes wenigstens 3 — 4 Zoll betragen.
Da man bei der zuerst bewirkten Bildung des Innern Lappens die Arteria
gleich durchschneidet, so muss sie ein Gehülfe gut comprimiren; auch kana
man sie im Nothfall vor der Bildung des äussern Lappens unterbinden.
Chclius bildet den äussern Lappen zuei-st , und zwar durch Fühnuig des
Messers von aussen nach innen und oben, so wie Poit, Langcnli.ecTi u.. A-,
dann den innern durch Einstechen des Messers in den obern Wundwinkel,
und durch Herab - und Durchführung desselben von' innen nach: aussen,
jZum Behuf der Exarticulation wurde der doppelte Lappenschnitt verschieden
modificirt. 3) Der Trichter-, Hohl-, Kegel-Schnitt. Er >yurde im
J.. 1779 von Alnnson zuerst in Anregung gebracht. Nftbhdem die Hau- yor^
her cirkelförmig durchschnitten, abgelöst und zurückgelegt worden, "swd»
indem man das Messer schief nach oben und einwärts richtet , um den Kno^
chen eine trichterförmige Wunde gebildet, deren Spitze dalün fällt, wo d*K
Knochen durchsägt werden soll. Diese Me(;hode ist sehr schwierig ^uszu-^
.fiihreiv,, ^^-fordert mehrere Muskelschnitte, mehrerei Messei- und hat gar
iiicht.die grossen Vortheile der Lappenamputation. Miß französisclven: Wund-
.ärzte,.wfi,d unter den deutschen vorzüglich j>fwm»jHrt }^n^ Ricläer, verwarfei»
sie gänzlich, doch nahm sie Loder sehr in.^Schutz. Z/^i; suchte der Abj»
4)\ita,tions\yunde dadurch eine trichterförmige Gestalt ?u,, geben, dass er uaph
.durc^schnittner , hinreichend abgelöster und, omgeMülpt,^r Haut, ungefähr
ja Linien vor derselben, das grosse Amputat.i<?nsraesser, iu einep mit d^
.^chneide von unten nach oben, schief stehpnden B^i^htung ansetzt und,
.sämmtliche Muskeln bis auf den^nochen tjjei>n^d ,, krqi^fpriuig hernnizieht,
Hierauf werden die durchschnitl;enen Muskeltheile von, dpm Gehülfon .gefaisöt
und möglichst zurückgezogen, wodurch sich ein yoi-.idw Häxiden; de<> >G)er
hülfen hervorstehender Fleischkegel bildet , dessen B^^if mittels .feiue*- wie^r
derholten, ganz einfachen Kreischiiittes getrennt, wird,, worauf euie abermar
lige Zurückziehung der getrennten Muskelmasse u^d ^ine wiederholte Trenfr
liung derselben stattfinden soll, um hierauf nacli gleichzeitig kreisförmig
durchschnittenem Periosteum den Knochen weit höher absetzen ?su können,
als dies ohne die vorherigen wiederholten Kreisschnitte möglich gewesen
wäre. Dieses ist die beste Methode des Trichter- , Hohl-, Kegel - Schnitts,
w^lc)ie auch Rust ausschliesslich und vorzüglich bei Amputation des Ober-
AMPUTATIO 85
schenk eis in solchen Fällen übt, •wo die Lappenamputatlon liicht stattfinden
kann ; nur hält er es für ganz überflüssig und beschwerend , den ersten
IMuskelschnitt mit schräg angesetztem Messer zu -vollführen. Er zieht es
vor, dasselbe unmittelbar an dem Rande der getrennten und zurückgezoge-
nen Haut anzusetzen , und mit ganz geraden bis auf den Knochen dringen-
den Messerzügen die Musculatur zu durchschneiden, solche dann stark zu-
rückziehen zu lassen und durch so oft wiederholte Cirkelschnitte die noch
am Knochen haftenden sehr flachen Muskelpartien zu trennen, bis der Kno-
chen hoch genug entblösst ist und abgesägt werden kann. Dieses Manoeuvre -
ist leicht zu voUfüiiren, denn die Muskelfasern hängen nur schwach mit deitt
Knochen zusammen und lassen sich leicht durch einfache, schnell hinter ein-
ander geführte Cirkelschnitte und ein fortwährendes Zurückziehen von dem
Knochen lösen, wodurch die Wunde eine vollständige Trichterforra erhält.
Gräfe vollführt den Trichterschnitt mit einem beilförmigen Messer , seinem
sogenannten Blattmesser; da letzteres aber mehr drückend und reissend als
schneidend wirkt, auch das ganze Verfahren nicht sehr einfach ist, so hält
Rust diese Methode für entbehrlich. Zur Beantwortung der Frage, welche
von den verschiedenen Hauptmethoden die beste sey, würde die Antwort
dahin zu stellen seyn , dass keine derselben weder ganz verworfen , noch
ausschliesslich vorgezogen werden könne , sondern jede in besonderer Bezie-
hung zu dem Subjecte , dem Orte , dem Localleiden und selbst zu den
Aussenverhältnissen ihre Vorzüge vor den übrigen hat. 1) Celsus^ einfa-
cher Cirkelschnitt passt besonders bei magern und entkräfteten, da-
her leicht verwundbaren Subjecten mit schlechter, sehr dehnbarer Haut und
Musculatur, am Oberarm und bei mehreren Amputationen kleiner Glied-
massen. 2) Chcselderi's und Petifs doppelter Cirkelschnitt ist vor-
zuziehen bei rigiden , nicht zu muskulösen , aber leicht verwundbaren Sub-
jecten an den beiden untern Drittheilen des Oberarms, am Oberschenkel,
nahe überm Knie, am Unterschenkel über und unter der Wade, am Vor-
derarm knapp überm Handgelenk , sowie in allen den Fällen , wo die Ara-
putations wunde durch Eiterung geheilt werden soll. 3) Der einfache
Lappenschnitt ist vorzuziehen an fleischigen Theilen des Vorderarms
und am Unterschenkel in der Gegend der Wade , an welchen Theilen die
Haut und Weichgebilde wegen der festen Verwachsung mit den doppelten
Knochen und den Ligamentis interosseis nicht stark genug zurückgezogen
werden können und dennoch ein Fleischpolster für das spätere künstliche
Glied nothwendig ist. Auch passt er am Oberarm und Oberschenkel in
Fällen , wo die Haut an der einen oder anderen Seite hoch hinauf destruirt
ist und sonach bald ein vorderer, bald ein hinterer oder auch ein seitlicher
Lappen zur Bedeckung der Amputationswunde noch gewonnen werden kann,
wälu:end, um den Cirkelschnitt zu verrichten, viel höher amputirt werden
muss. Lowdham verrichtete den einfachen Lappenschnitt zuerst in der Mitte
des 17. Jahrhunderts. 4) Der doppelte Lappenschnitt nach Ver-
male passt bei nicht zu vulnerabeln und entkräfteten Subjecten und da, wo
durch schnelle Vereinigung geheilt werden soll , zumal am obern Drittheil
des Oberschenkels und Oberarms ; ferner allenthalben da , wo wegen zahl-
reicher Gefässausdehnung der Nachblutung am sichersten durch die Tam-
ponade mit dem gegenüberstehenden Lappen vorgebeugt werden kann, wo
es an eingeübten Gehülfeu fehlt , wo man mit einem und demselben Messer,
z. B. auf dem Schlachtfelde, viele Operationen hinter einander zu machen
hat. Auch ist zur Bedeckung der Amputationswunde, nach Exarticulatio-
uen , bald der einfache , bald der doppelte Lappenschnitt ganz unentbehrlich.
6) Bei derben , muskulösen , leicht verwundbaren Subjecten , am Oberarm
und Oberschenkel, wo schnelle Vereinigung der Wundfläche bewirkt und
ein gutes Fleischpolster gebildet werden soll, passt endlich noch der
Trichterschnitt. — Sind nun auf eine oder die andere Weise die Weich-
gebilde durchschnitten, so zieht man sie mittels eines Retractors zurücky
und zwar bei einfachen Knochen nimmt man dazu eine einfach, bei doppel-
ten eine zweifach gespaltene Compresse, welche dei* Gehülfe unter dem
86 AMPUTATIO
Gllede anlegt, bei doppelten Knoctieu den mittlem Kopf derselben nilttel.4
des Fingers oder einer Pincette zwischen beide durchsteckt, die Köpfe auf
dem obern Theile des Stumpfes kreuzt, und so alle Weichtheile mit dersel-
ben bedeckt und zurückzieht. Bei geschehener Lappenbildung dagegen wer-
den die Lappen selbst zurückgeschlagen und mit den Händen retrahirt.
Nun geschieht die Trennung des Periosteums vom Knochen, und zwar nicht
durch das zeitraubende , schmerzhafte und gänzlich nutzlose Abschaben der
altern Wundärzte, sondern durch einen Kreisschnitt um den Knochen an
derjenigen Stelle , wo derselbe abgesägt >terden soll. Letzteres geschieht
unmittelbar nachher; der Operateur setzt nämlich den Nagel des linken
Daumens in die Rinne der getrennten Knochenhaut, ergreift die ihm darge-
botene und beölte Säge, setzt sie mit ihrem Heftende perpendiculär auf den
Knochen , macht den ersten Zug gegen sich und zwar gegen seine rechte
Seite hin und wirkt dann ferner damit, und zwar anfänglich mit langsamen
und kurzen Zügen, bis sich eine Rinne, in der die Säge sicher gleitet, ge-
bildet hat, dann mit grossen und geschwinden, und am Ende wieder mit
kurzen und langsamen Zügen bis zur völligen Trennung. Den zu trennen-
den Theil des Knochens fasst der Gehülfe dicht unterhalb der Trennungs-f
stelle und handhabt ihn so, dass er anfangs das Glied etwas abwärts sin-
ken lässt, damit die Rinne sich öffne und die Säge nicht geklemmt werde,
sobald letztere aber ein Drittel des Knochens durchschnitten hat, denselben
ganz gerade , und gegen das Ende der Sägenzüge etwas gehoben hält , da-
mit jede Splitterung und gewaltsame Knochenzerbrechung sicher vermieden
werde. Nach Durchsägung des Gliedes untersucht man, ob Knochenspitzen
zurückgeblieben sind , die man alsdann mit der Knochenzange oder mit der
Knauer'schen Säge entfernt. Den scharfen Knochenrand mit der Feile ab-
zustumpfen, wie Einige anrathen, ist überflüssig. Nun unterbindet man
nach den bekannten Regeln die Gefässe, legt einen entsprechenden Verband
an und bringt den Kranken unter Aufsicht eines verständigen Gehülfen zur
Ruhe (s. auch Ligatura arteriarum).
Was die Nachbehandlung betrifft, so mussjüe eine solche seyn , Aiet
nicht blos auf die gegenwärtige Verletzung allein, sondern auch auf das früher
bestandene Leiden gerichtet ist, welches die Amputation erforderte und w eiche»
in seinen Folgen für den Organismus noch längere Zeit fortbesteht, w enn gleich
das Substrat desselben plötzlich entfernt wurde. Von jeher suchte man durch
schnelle Vereinigung die Heilung der Wunde zu bewirken, und diesem Bestre-
ben haben auch zum Theil die mannigfaltigen Operationsmethoden ihr Daseyn
zu verdanken. Nächst einer sorgfältigen Reinigung der Wunde von» Blut-
coagulum und Entfernung der etwa zum Tamponiren gebrauchten Charpie
sah man vorzüglich auf die Ligaturfäden, welche als fremde Körper dio
Vereinigung hindern und doch nicht entbehrt werden können. Delpech,
Latvrencc und Heimen schneiden zwar die Fäden dicht am Knoten ab , doch
wirkt letzterer oft noch als fremder Körper, und die Wunde kann noch in
der 5ten, ja 8ten Woche aufbrechen, so dass fistulöse Gänge entstehen
(^Schregcr , Rust). Auch Darmsaiten wirken ebenso fremdartig, wie Liga-
turfäden von Pflanzenstoff. Eine nützliche Vorsicht ist es , das eine Faden-
ende wenige Linien unter dem Knoten abzuschneiden , oder beide zusannnen
au drehen, damit nicht eine zwischen 2 zusammengehörende Fadenenden er-
folgende Verwachsung die Aussonderung derselben verhindere. Kluge hat
für den letztern Fall ein eigenes Verfahren angegeben ; er knüpft nämlich
die heraushängenden Enden zusammen , steckt ein Stück Pressschwamm in
die so gebildete Schlinge, legt ein Kataplasma darüber, um den Schwamm
anzuschwellen , und hebt so nach und nach die Ligatui" heraus (s. Rus(.s
Magazin, Bd. XXIV. S. S). — Auch an der Lagerung der Ligatur hat man
viel gekünstelt; am besten ists: man legt sie an den untersten Wundwinkel,
gleichviel ob er der näciiste oder der entfernteste ist. Eine wichtige Be-
dingung fürs Gelingen einer scluif^üen Vereinigung ist die nicht sehr leichte
AUeinanderlegung gleichartiger Theile: Muskel zu Muskel, Sehne zu Sehne
etc., deshcdb allein geben viele Operateure der Amputation vor der Exar-
AMPUTATIO 87
tictilation den Vorzug, und In gleicher Absicht bilden WaUfier und Bi'ün-
mnghaitsen durch Ablösen der Beinhaut vor dem Durchsägen des Knocheas
eine IV2 — ^I^TioW lange Kappe, damit dieser Zwischenkörper, welcher dem
Muskel sowol als dem Knochen homogen ist, eine leichtere Verwachsung
beider heterogenen Gebilde vermittle. Ob die Richtung, in welcher die
Weichgebilde vereinigt werden , eine horizontale oder diagonale oder verti-
cale seyn müsse, darüber lässt sich im Allgemeinen nichts bestimmen. Auch
hat man durch Heftpflaster, Longuetten, Binden, Kappen, selbst durch die
blutige Nath etc. die schnelle Vereinigung zu bewirken versucht. Rusl
(Handbuch der Chirurgie, Bd. I. S. 582) sagt darüber: „eine langjährige
Erfahrung hat mich gelehrt, dass alle diese Bemühungen, die Wunde ge-
nau zu vereinigen, dieses Trachten nach dem eitlen Ruhme, seine Ampu-
tirten so schnell als möglich geheilt zu entlassen , theils das Verderben ei-
ner grossen Zahl von Amputirten nach sich ziehen , theils zu Nichts füh-
rende Künsteleien sind. Durch ein solches Verfahren wird die freie Ausbil-
dung der durch die Operation selbst gesetzten Entzündungsgeschwulst und
nicht selten auch ein dem Organismus zur Gewohnheit gewordenes Vicärlei-'
den plötzlich unterdrückt ; die Folge davon ist nur zu häufig die Hervör-
rufung einer so heftigen Reaction des ganzen Gefäss - und Nervensystems,
dass sich der verwundete und oft noch ausserdem kranke Organismus un-
möglich dagegen behaupten kann. Diese Reaction erscheint in der Mehr-
zahl der Fälle unter der Form eines perniciösen Wechselfiebers , gegen
welches. weder Aderlass noch Opium, weder China noch Arsenik helfen und
welches den Kranken , welchen man schon ausser Gefahr glaubte , im Sten,
höchstens 4ten Anfall unfehlbar tödtet. In andern Fällen sind Metastasen
nach edlen Organen oder tiefe Vereiterungen mit Knochenleiden und Zehr-
fieber die Folgen solcher Suppressionen , deren Gefahr, so oft sie auch von
den Dächern gepredigt worden ist, noch immer zu wenig Beachtung findet.
Nur manchmal gelang es mir, Amputirte von einem durch zu schnelle Ver-
narbung hervorgerufenen Vicärleiden noch durch Einbrennung des Amputa-
tionsstumpfes mittels des Glüheisens zu retten." Nach Rust darf und soll
man nur da die schnelle Vereinigung unternehmen , wo man bei einer reinen
mechanischen Verletzung früh, d. h. vor Eintritt der allgemeinen Reaction,
amputiren konnte; hieher gehören auch die seltenen Fälle, wo die Opera-
tion nicht durch Krankheit, sondern nur durch ihre Folgen, Verkrüppehui^
gen und dergl. indicirt wird. In den bei weitem häufigeren Fällen aber,
wo bereits längere Zeit hindurch Eiter und Jauche abgesondert wurde, wo
das örtliche Leiden durch Gicht , Scropheln , Rhachitis u. a. Dyskrasien be-
dingt wird, da, wo die Verletzung und das Subject von der Art sind, dass
man Nervenzufälle befürchten muss, bei grosser Blutfülle, Neigung zu ge-
fährlichen Congestionen , und überhaupt da, wo man .spät amputirt, ist die
Heilung auf dem langsamen Wege der Eiterung angezeigt , und selbst dabei
ist es noch rathsam, die Wunde nicht vernarben zu lassen, ohne einVicäi'-
leiden durch künstliche Geschwüre in der Nähe des Stumpfes hervorzuru-
fen. — Auch da, wo Rmi durch schnelle Vereinigung heilt, tadelt er das
zu sorgfältige Vereinigen der Wunde gleich nach der Amputation auf allen
Punkten durch Heftpflasterstreifen , allerlei Verbände , oder wol gar durch
blutige Hefte etc. Er hält es für unnütz, weil es wegen der Ligaturfäden
doch nicht vollständig gelingt, und als schädlich, weil es den freien Abttuss
des Wundsecrets hindert. Er nähert die Wundränder nur ganz lose durch
Heftpflasterstreifen an einander, die, sobald eine Spannung eintritt, durch-
schnitten werden. Erst wenn die entzündliche Anschwellung der Wundrän-
der vorüber ist , ist es Zeit die genaue Berührung der Wundflächen zu be-
wirken und durch zweckmässig angelegte Heftpflasterstreifen zu erhalten.
Auf diese Weise ist die Vernarbung des Stumpfes mit weniger schmerzhaf-
ten und gefahrlichen Zufällen verbunden und wird dennoch eben so schnell
erzielt , als auf die andere Vei-fahrungs weise. In den Fällen , wo für den
Organismus eine längere Eiterung nützlich ist, muss man sogar die frühe
Vereinigung der Hautlappen durch Einlegen von Charpie zu verhindern
88 AMPUTATIO
trachten, so dass öe Vernarbung des Stumpfiä auf dem langsamem Wege
der Granulation erfolgt Sobald die Wunde anfängt trocken zu werden,
ist es hohe Zeit , zu jeder Seite des Stumpfes eine Fontanelle zu setzen
und erst dann, wenn diese in voller Eiterung sich befinden, darf man es
wagen , diu-ch mehr austrocknende Mittel die Vernarbung der Amputations-
wunde zu bewerkstelligen. Die specielle Behandlung der Wunde wird nach
allgemeinen Grundsätzen geleitet. Für die Mehrzahl der Fälle passen in
den ersten Tagen kalte Überschläge, fängt die Wunde an zu eitern, dann
laue erweichende Fomente, später Salben und sonstige Verbände. Alle me-
chanische und chemische Eingriffe auf den etwa necrotischen oder promini-
renden Knochen , z. B. Betupfen mit Liq. Beilostii , Ol. terebinth. etc. , sind
durchaus verwerflich, man überlässt die Absonderung desselben am besten
allein den Naturkräften. Die allgemeine Behandlung der Kranken richtet
sich nach den Umständen und Symptomen , nach der Constitution etc. Bei
robusten Kranken erfordert das Entzündungsfieber streng antiphlogistische
Behandlung : Aderlässe , Nitrum , und bei bedeutendem Nervenerethismus
mit beruhigenden Mitteln verbunden, z. B. mit Hyoscyamus, Aqua lauroc,
doch übertreibe man auch das Schwächen nicht (s. Febris vulneraria).
Die gallige und gastrische Complication ist hier wegen der bedeutenden
psychischen Eindrücke sehr häufig , hier dienen gelind eröflTnende und säuer-
liche IVIittel, Creraor tart. , Acidum tartar. , Tamarinden, Manna etc. ; selte-
ner als man gewöhnlich glaubt , ist im spätem Verlauf der Behandlung eine
stärkende Nachcur durch China , Manna etc. nötliig. Die besten Schriften
über Amputation im Allgemeinen und Besondem sind folgende : Walther,
Ph. F. V. , Abhandlungen aus dem gesammt. Gebiet d. Medic. , besonders der
Chir. Bd. I. Landsh. 1810. — v. Gräfe, Normen für d. Ablösung gross.
Gliedmassen, Berl. 1812. — Kern, Über d. Handlungsweise bei Absetzung d.
Glieder. Wien, 18 14. — Brünninghausen , Erfahrg. u. Bemerkung, über d.
Ajnputation. Würzburg, 1818. — Beck, Über d. Vorzüge d. Lappenbildung
bei d. Amputation in d. Continuität d. Gliedmassen. Freiburg, 1819. —
Riist , Über d. Amputation gross. Gliedmassen , in dess. Magazin , Bd. VII.
Hft. 2. St. 307, 1820, — Zang , Darstellung blutiger heilkünstlerischer
Operationen, Bd. IV. — Schrcger, Grundriss der chir. Operat. Th. II.
Nürnberg, 1824. — Blasius , Handbuch der Akiurgie, Th. III. 1823. —
E. L. GrossJicim, Lehrbuch d. operativen Chiruigie , 3 Thle. Berlin, 1835. —
C. Textor's Grundzüge zur Lehre der chirurgischen Operationen etc. Würz-
burg, 1835. — hisfrmic de St. Martin, Nouvelle methode operat. pour l'ara-
putation part. du pied dans son articulation tarso - metatarsienne. Paris,
1815. — Maingault, Medecine operatoire etc. Paris, 1822. — H. Scoutetten,
La methode ovalaire, ou nouvelle methode poiu' amputer dans les articulations.
Paris, 1827. — Wir betrachten jetzt die einzelnen Amputationen insbesondere.
Amputatio antibracliii. Die Werkzeuge und Verbandstücke dazu , welche
wir vor der Operation bereit halten müssen, sind: 1) ein Tourniquet, nebst
Longuette und graduirter Corapresse , 2) ein nicht zu grosses gerades Am-
putationsmesser, 3) ein gewölbtes Bistouri oder Scalpell , 4) ein zweischnei-
diges Messer zur Lappenbildung, 5) ein zweischneiges , sehr schmales Zm-
ßchenknochenmesser , 6) eine zweifach gespaltene Compresse mit scluualen
Köpfen, 7) eine Säge, 8) eine Knochenzange, 9) Arterienpincetten und
Haken, Unterbindungsnadeln, mehrere Ligaturfaden, 10) eine gewöhnliche
Schere, 11) mehrere Waschschwämme, warmes und kaltes Wasser, gepul-
vertes Kolophonium und Weingeist , Baumöl , ein Gefass zum Aufnehmen des
Bluts und^des abgenommenen Gliedes , ein Handtuch luid 12) als Verband-
stücke mehrere Klebpflasterstreifen, y, Zoll breit und 18 Zoll lang, meh-
rere gespaltne lund ungespaltne Longuetten und Rollbinden , Plumaceaux,
einige Stecknadeln, ein Häckerlingskissen und ein Stück Wachsleinwand.
Auch darf es nicht an Labemitteln für den Kranken fehlen. Der Operateui*
legt in der Mitte des Oberarms zuerst die Longuette'_und graduirte Com-
presse so an , dass sie unmittelbar auf den Stamm der Art. brachialis und
unter die Pelotte des anzulegenden Tourniqvets zu liegen kommt, und
AMPUTATIO 89
schraubt letzteres so fest zu, dass aller Ein- und Rückfluss des Blutes si-
cher gehemmt ist, worauf die weitere Handhabung des Tourniquets einem
Gehülfen übergeben vnvd. Der Kranke wird, wenn er noch kräftig ist, auf
einen Stuhl gesetzt, sonst so auf ein Bette dicht am Rande desselben gela-
gertv dass Operateur und Gehülfen freien Zugang haben. Der Oberarm
muss in einer fast zum Rechtwinkel erhobenen Stellung und der Vorderarm
in sanfter Beugung, die Hand dagegen wo möglich ausgestreckt und in a^oII-
kommner Pronation erhalten werden. Gehülfen sind 4 erforderlich , der
Bürste steht beinahe hinter dem Kranken und hält und leitet das Tourniquet ;
der Zweite steht vor dem Ersten, fixirt das Glied am Ellenbogen und be-.
sorgt die Retraction der über der Operationsstelle befindlichen Weichgebilde;
der Dritte steht nach innen und fixirt das Handgelenk, hilft auch später
bei der Unterbindung, und der Vierte reicht dem Operateur die Instru-
mente und Verbandstücke in der Ordnung , in der sie nach einander ge-
braucht werden. Der Operateur stellt sich am besten an die äussere Seite
des Gliedes und so , dass die Säge beide Knochen zugleich treffen und ab-
wärts geführt werden kann. Die besten Operationsmethoden sind : a) der
doppelte Cirkelschnitt. Etwa 2 Zoll unter der Stelle, wo der Kno-
chen abgesägt werden soll, wird der Hauptschnitt in 2 Zügen so vollführt,
dass der Operateur mit unter dem Arme hingeführter Hand das Messer an
seinem Schneidende ansetzt und indem er solches bis auf die Spitze hinaus-
laufen lässt , die untere Hauthälfte bis auf die Sehnenhaut trennt ; hierauf
setzt er das Messer in gerade umgekehrter Richtung oberhalb des Arms, und
dessen Spitze nach unten gekehrt haltend, abermals an seinem Schneidende
in den Innern Wundwinkel an, und trennt so in einem halbbogenförmigeii
Schnitt, der sich genau am äussern Wundwinkel endigt, die obere Hälfte
der Haiitdecke. Der Gehülfe zieht nun die durchschnittne Haut stark zu-
rück und der Operateur trennt und löst dieselbe da , wo sie sich noch
spannt und mit der Sehnenhaut in Verbindung steht, durch kurze senkrechte
Einschnitte ; geht dies wegen zu starker Adhärenz nicht an , so fasst er den
Hautwundrand selbst mit dem Daumen und Zeigenfinger , hebt ihn etwas
empor und trennt ihn mit der Spitze des Amputationsmessei'S (der Ungeübte
nehme ein gewölbtes Scalpell oder Bistouri) in einigen Messerzügen sammt
allem Zell- und Fettgewebe rein von der Sehnenhaut rings um auf 1 — IV2
Zoll ab. Am Rande der nun getrennten und zurückgezogenen Haut wird
nun das Amputationsmesser eben so wie beim Hautschnitt angesetzt und in
2 halbkreisförmigen, nur kräftigern Zügen der Muskelschnitt vollzogen, so
dass alles Fleisch bis auf den Knochen getrennt wird. Jetzt wird das Li-
gamentum interosseum getrennt , der Operateur bringt den Arm wieder un-
ter das Glied, sticht das schmale Zwischenknochenmesser an der Schnitt-
fläche der getrennten Muskeln an der innern hintern Seite zwischen beiden
Knochen ein und nach aussen durch , trennt das Zwischenknochenband und
umkreiset beide Knochen zur Hälfte, indem er alle sie umgebenden Weich-
gebilde sammt dem Knocheuhäutchen trennt, dann bringt er das Messer an
derselben Stelle von aussen nach innen zwischen beide Knochen, um das-
selbe zu verrichten. Jetzt wird die doppelt gespaUne Compresse , deren
mittler Kopf zwischen beide Knochen geschoben wird, so angelegt, dass
alle 4 Enden gehörig ausgebreitet und sich oberhalb kreuzend von dem Ge-
hülfen gefasst und mittels derselben nicht allein alle getrennten Weichge-»
bilde gehörig bedeckt und zurückgezogen, sondern auch in solcher Lage er-
halten werden können. Alle Weichtheile um beide Knochen müssen an der
Stelle, wo abgesägt wird, vollständig getrennt werden, die Stelle selbst
darf nicht von der Compresse bedeckt seyn, und die Säge muss beide KnocheJi
zugleich durchsägen, daher man, wenn hoch amputirt wird, die Säge zuerst
an die Ulna, und wenn in der Mitte oder nahe am Handgelenk amputirt wird,
an den Radius zuerst setzen muss. Zur Unterbindung der Art. radialis, uinaris
und interossea reichen 4 Ligaturen aus. Zur sichern Schonung der Nerven führe
man den einen Arm der Unterbindungspincette in die grössern Arterienstäm-
me , um sie , ehe man sie unterbindet , vom Nerven abzuziehen. Die Blu-
flO AMPUTATIO
tung der kleinen Geßsse wird durch kaltes Wasser gestillt, die Wunde
von allem Blutcoagiilum gereinigt und, nach Umständen alsdann, je nach-
dem Vereinigung oder Eiterung stattfinden soll , kunstmässig verbunden.
})) Der Lappen schnitt. .\m obern muskulösen Theile des Vorderarm»
bildet man gern nur einen Lappen. Der Operateur sticht das zweischnei-
dige Lappenmesser an der zu amputirenden Stelle des von einem Gehülfen
nmfassten ausgestreckten , in halber Pro - und Supination sich befindenden
Arms ein, und zwar von der Radialseite aus dicht vor beiden Knochen,
Sticht es durch und bildet einen S'/j Zoll langen Lappen aus der Volarfläche
des Gliedes. Nachdem der Lappen zurückgeschlagen, wird, etwa V^ Zoll
unterhalb der Wundvvinkel, ein halber Kreiscirkelschnitt auf der Rückseite
des Gliedes zur Trennung der Haut vollführt, und diese bis zur Basis des
Lappens zurückpräparirt. Nun werden mit dem Z wisch enknochenmesser
beide Knochen von allem Fleische und der Beinhaut getrennt, die gespal-
tene Compresse angelegt und die Knochen abgesägt. — Der Schnitt mit
zwei Lappen wird eben so gemacht, doch wird statt des halben Cirkel-
schnitts auf dem Armrücken der Lappenschnitt wiederholt, c) Amputa-
tion im Gelenke. Rust zieht die Amputation am Oberarme vor. Bras-
dor macht einen Queerschnitt über dem Olecranon durch Haut und Sehnen^
dringt dann von hinten aus ins Gelenk, und bildet nach der Exarticulation
den Lappen aus den Muskeln an der Volarfläche des Vorderarms.
Ampulntio hrnchii, die Absetzung des Oberarms. Die Vorrich-
tung der Werkzeuge und Verbandstücke ist wie bei Amputatio antibrachii.
Eines Zwischenknochenmessers und der doppelt gespaltenen Compresse zur
Zurückziehung des Fleisches, wozu eine einfach gespaltene genügt, bedarf
es hier nicht. Das Tourniquet muss so hoch als möglich angelegt werden ;
bei der Exarticulation muss die Art. subclavia gegen die erste Rippe com-
primirt werden, und zwar bei gesenktem Arme über der Clavicula, am hin-
tern äussern Rande des Muse, sternocleidomastoideus, bei rechtwinklig erho-
benem Arme aber unter dem Schlüsselbeine , zwischen dessen Schulterende,
dem Processus coracoideus und dem Muse, pectoralis minor, indem ein Ge-
hülfe den Daumen oder EhrlicVs Krücke fest aufsetzt. Auch hat man zu die-
sem Zweck Compressorien von Ilesselbnch, Brünmnghaiisen , Bald und MoTi-
renheim. Aber keins dieser Verfahren hält Ritst für sicher. Ihm ist ein
kräftiger Druck mittels eines tief in die Achselhöhle geschobenen dicken
Ballens das wirksamste Compressionsmittel ; auch kann bei der Exarticula-
tion ein Gehülfe die Art. axillaris noch vor dem Durchschneiden oder gleich
hinterher mit einem Lappen comprimiren. Nur bei Mangel an Gehülfen ist
es rathsam, noch vor der Operation die Arterie zu unterbinden. Der Kranke
muss so auf dem Stuhle sitzen oder am Rande eines Bettes liegen , dass die
Schulter etwas hervorragt, — der Oberarm wird bei halb flectirtem Vorder-
arme so hoch aufgehoben , dass er mit dem Körper fast einen rechten Win-
kel macht ; die Gehülfen werden gerade so , wie bei Amputatio antibrachii
angestellt, und der Operateur nimmt eine solche Stellung, dass er bei Am-
putation des rechten Arms an der äussern , bei der des linken Arms an der
innern Seite desselben sich befindet, um Messer imd Säge n«t der rechten
Hand führen zu können ; auch kann er so durch Anlegung des linken Dau-
raennagels am besten das Fleisch vor dem Eingriife der Säge schützen und
ietztere gehörig leiten. — Wir nnterscheiden: I, die Amputation in
der Continuität des Knochens. Sie kann durch den einfachen und
doppelten Cirkelschnitt, durch den Lappen - und den Trichterschnitt gemacht
werden. Der erste ist indicirt bei sehr magern , mit laxer Haut versehenen
Personen und wenn die Amputationsstelle am untern Theile des Gliedes ist,
der zweite passt am untern und mittlem Theile bei weniger mogern Perso-
nen, der Hohl- und Lappenschnitt am obern Drittheile des Gliedes, und
der Lappenschnitt besonders noch da, wo der Arm nicht hinreichend vom
Stamme abgeführt werden kann , die Amputationsstelle sehr hoch und Man-
gel an Gehülfen, um gegen Blutung sicher zu seyn , da ist. Der einfache
Cirkelschnitt ist eine leichte Operation. Nach gehöriger Anlegung des
AMPUTATIO 91
Touriiiquets und starker Zurückziehung der Haut durch den Gehulfen durch-
fithneidet man mit zwei halbkreisförmigen Schnitten (einem untern und obern)
alle WeichgebUde bis auf den Knochen, lässt die durchschnittenen Weich-'
theile noch einmal zurückziehen und umkreiset den dadurch sich bildenden
kleinen Fleischkegel noch einmal mit dem Messer, ußd trennt zugleich das
Periosteum an der Stelle, wo der Knochen abgesägt werden soll, legt die
gespaltene Compresse an und sägt den Knochen ab. Der zweizeitigö
oder doppelte Cirkel- und Kreis kegelschnitt. Hier macht man'
den Hautschnitt um ein Sechstheil des Umfanges oder um einen halben Durch-
messer des Gliedes tiefer, als die Durchsägung des Knochens geschehen soll,
wie bei der Absetzung des Vorderarms, und die beiden halbkreisförmige»
Schnitte werden nur bis auf die Sehnenscheide vollführt; auch die Haut
wird nur auf eijier Strecke "von höchstens 1 Zoll bei fortgesetzter Retraction
gelöst. Beim Muskelschnitt, mit senkrecht aufgesetztem Amputationsmesser
am Rande der zurückgezogenen oder umgestülpten Haut, durchschneidet man
alles Fleisch bis auf den Knochen mit einem Male ; es werde das Muskel-
fleisch nun stark zurückgezogen , der dadurch sich bildende Fleischkcgel an
der Basis noch einmal mit dem Messer umkreist, das Periosteum gelöst, die
gespaltene Compresse angelegt und der Knochen nach oben angegebenen
Regeln abgesägt. Der einfache Lappenschnitt ist am Oberarme nur
bei einseitiger Zerstörung der Weichtheile angezeigt. Es wird hier an der
Stelle , wo der Knochen durchsägt werden soll , ein zweischneidiges Messer,
nachdem der Gehülfe die Haut angezogen, gerade auf dem Knochen einge-
stochen, mit der Spitze des Messers derselbe nach der Seite hin, wo der
Lappen gebildet werden soll , umgangen , und dem Einstichspunkte gegen-
über dasselbe von hinten wieder ausgestochen. Man zieht nun das Messerj
dessen Fläche bei auf- und abwärtsstehenden Schneiden stets den Knufchen
berührt, ly^ bis 2 Zoll sägeförmig nach abwärts, indem man dann schief
nach ab- und auswärts schneidet, und bildet so einen Lappen, der gross
genug ist, die Wundfläche zu bedecken. Seine Länge muss wenigstens zwei
Drittheile vom Durchmesser des Gliedes betragen. Der Gehülfe schlägt den
Lappen in die Höhe, der Operateur trennt an der entgegengesetzten Seite
die Haut durch einen von den Wundwinkeln ausgehenden halbkreisförmigen
Schnitt, löst sie los, und bildet so einen kleinen, an seinem längsten Durch-
messer etwa V2 Zoll betragenden Hautlappen, schneidet dann sämmtliche,
der Basis des Muskellappens gegenüberliegende Weichgebilde bis auf den
Knochen mit einem Kreisschnitte durch, und sägt den Knochen ab Die
Amputation mit zwei Lapppen verdient, wo sie ausfühi'bar ist, vor der
mit einem Lappen stets den Vorzug. Man bildet hier stets , wenn es mög-
lich ist, einen äussern und Innern (nicht vordem und hintern) Lappen. Um
sich den Ausschnittspunkt zu bezeichnen und beide Lappen gleich lang zu
bilden, legt man 2 — ^'/n Zoll unterhalb der Stelle, wo der Knochen abge-
sägt werden soll , einen Klebpflasterstreifen rings um das Glied. Man setzt
das zweischneidige Messer , die eine Schneide nach oben , die andere nach
unten' gekehrt, auf den Mittelpunkt der vordem Fläche des Ai'ms , da, wo
der Knochen abgesägt werden soll, sticht mit demselben in die Tiefe, und
gcräth gewöhnlich mit der Spitze auf den Knochen; diesen umkreist man,
sich genau an denselben haltend, nach der äussern oder innern Seite, je
nachdem der eine oder andere W«g, den Knochen zu umgehen, der kürzere
ist und melir oder weniger Muskelfleisch auf der einen oder andei'n Seite ist,
sticht sodann dem Eingangspunkte gegenüber das Messer hinten durch, und
bildet durch Ab - und Auswärtsziehen des Messers den einen Lappen. Dann
setzt man das Messer wieder in den Einstichspunkt, umgeht den Knochen
•von der andern Seite, sticht das Messer nach hinten aus und bildet den
zweiten , gleich grossen Luppen. Beide Lappen werden zurückgeschlagen,
und durch einen Kreisschnitt an der Basis der Lappen alle am Knochen noch
stehenden Weichtheile und die Knochenhaut getrennt , die gespaltene Com-
presse angelegt und der Knochen, zumal wenn er hoch abgesetzt werden
soll, mit einer Bogensäge mit schmalem Sägeblatte, deren Bogen den emen
m
AMPUTATIO
Lappen aufnehmen kann, abgesägt. Entsteht bei der Bildung des hinern
Lappens eine Blutung aus der A. brachialis, so ergreift ein Gehülfe schnell
den Lappen an seiner Basis, comprimirt das Gefäss, und der Operateur
schreitet ohne Aufschub zur Unterbindung desselben.' — II. Die Amputa-
tion im Gelenke (^Exartiadatio , Amputnlio humeri'). Sie wird meist
durch doppelte, seltener durch einfache Lappenbildung, von v. Grüfc allein
durch den Trichterschnitt verrichtet. Für die verschiedenen Fälle, wo diese
Operation indicirt ist, giebt es verschiedene Methoden, die der Wundarzt
kennen muss. Le Dran sen. nnd Morand, welche die Amputatio hnmeri zu-
erst ausübten , führten in der Achsel eine Ligatur mit einer grossen Heft-
nadel dicht am Knochen vorbei, umfassten mit derselben Haut, Muskeln,
Nerven und Gefasse, um sich gegen Vex'blutung zu sichern, durchschnitten
dann den M. deltoideus quer bis aufs Gelenk, öffneten das Kapselband,
richteten dann den Gelenkkopf in die Höhe und zugleich nach aussen , gin-
gen mit deju Messer hinter denselben schneidend bis imter die angelegte
Ligatur am Knochen hinab, und trennten dann die innern Weichtheile, in-
dem sie einen stumpfen dreieckigen Lappen bildeten, welcher die Gefasse
enthielt. Diese wurden unterbunden, und dann die frühere Ligatur getrennt.
Langenhech lässt die Art. axillax-is oberhalb der Clavicula mit dem Daumen
des Gehülfen comprimiren , legt keine Ligatur in der Achsel an , bildet den
innern Lappen nicht zu kurz , weil sich sonst die Arterie leicht zurückzieht,
und schneidet diese zuletzt durch. Er operirt bei am Thorax herunterhän-
gendem Arme , Aveil sonst die Clavicula zu hoch hinaufgeschoben wird , um
die A. axillaris gut comprimiren zu können. Er macht zuerst unter dem
Acromion scapulae auf der sichtbaren runden Erhöhung des Caput ossis hu-
meri am innern Rande des Deltoideus einen Longitudinalschnitt, 4 Zoll lang,
ohne die Art. bx'achialis zu verletzen , von oben nach unten , dann einen
gleichen Schnitt am äussern Rande des Deltoideus, so dass beide 4 Zoll von
eüiander entfernt sind. Beide Schnitte werden durch einen Querschnitt ver-
einigt und so der Lappen vom Knochen abpräparirt, so dass das Kapselband
bloss liegt. Die blutenden Gefasse (Art. circumflexa humeri externa mid in-
terna) werden jetzt erst unterbunden und so lange die Art. axillaris nicht
comprimirt. Den Lappen hält ein Gehülfe in die Hohe , der Ellbogen des
Kranken Avird fest am Thorax nach vorn hingebogen , so dass nach Durch-
schneidung des Kapselbandes das Caput ossis humeri aus der Gelenkhöhle
tritt. Zwischen letzteres und das Acromion führt man das Messer, während
der Ellenbogen immer mehr nach hinten rückt, so dass der hervorgetretene
Gelenkkopf mit der linken Hand des Operateurs gefasst werden kann. Man
führt nun die Schneide des Messers hart an der innern Seite des Knochens,
ohne die A. axillaris zu verletzen und bildet so den zweiten Lappen, indem
der Kopf des Knochens immer stärker angezogen wird. Ehe man den in-
nern Lappen durchschneidet, fasst ihn ein Gehülfe, um die Arterie zu com-
pi'imiren, während die Axillaris oberhalb der Clavicula gegen die erste Rippe
besonders gut comprimirt werden muss. Nach der Durchschneidung des
Hauptgefässes , selbst oft schon vorher, unterbindet man es. Auch die Art.
thoracica und der Plexus brachialis müssen unterbunden werden. Lisfrancs
Verfahren, dessen sich auch litist bedient, weil es sehr schnell geübt wer-
den kann und gegen Blutung am meisten sichert , ist Folgendes : Er um-
fasst mit der linken Hand das Schulterende des Oberanns und entfernt es
3 — 4 Zoll vom Stamme; mit fler rechten Hand sticht er ein 8 Zoll langes
und 8 Linien breites, zweischneidiges Messer dergestalt in schiefer Richtung
zwischen dem Gelenkkopfe und dem Acromion durch die Gelenkkapsel, dass
die vordere Wundmünduug siel» oberhalb der Spitze des Processus coracoi-
deus, die hintere am hinteru Rande des Deltoideus in der Höhe des Halses
des Oberarmknochens befindet. (An der rechten Schulter wird das Messer
vorn eingestochen und abwärts gerichtet, an der linken wird es von hinten
nach vorn und oben geführt; in beiden Fällen aber muss die Fläche der
Messerklinge mit der dos Acromion parallel , d. h. horizontal liegen). Dann
führt er das Messer dicht an der äussern Seite des Oberarmknochens nach
, AMPUTATIO 93
unten bis zur Insertion des Deltoideus, und bildet so, indem er es nun noch
nach aussen wendet, einen ohngefähr 3 Zoll langen keilförmigen Lappen.
Nachdem dieser durch einen Gehülfen aufgehoben worden, dringt der Ope-
rateur mit dem mittlem Theile des Messers, indem er zugleich den Arm et-
was tiefer fasst, in das bereits geöffnete Gelenk, umgeht djn etwas von der
Gelonkhöhle entfernten Kopf des Os humeri , führt das Messer an der Innern
hintern Seite des Knochens abwärts und bildet so einen zweiten keilförmigen
Lappen, der nicht eher durchschnitten wird, als bis ein Gehülfe die darin
enthaltenen Gefässe comprimirt hat. „Ich itiache -r sagt Rust in seinem
Handbuche d. Chirurgie, Bd. I. S. 603. — einen bis auf den Knochen drm-
genden Längenschnitt vom Acromion bis zur Insertion des I>eltoideus. Dieser
Schnitt setzt mich in den Stand , den Knochen genau zu untersuchen und
falls derselbe unter dem Kopfe noch gesund ist, statt der Exarticulation
des Gliedes allenfalls nur die Decapitation zU verrichten und das Glied, zum
Theil noch zu erhalten. Ist aber die Entfernung des Arms nöthig, so führe
ich von dem Längenschnitte aus in der Höhe des Gelenkkopfs zwei schräge
von vorn mid oben nach ab -und rückwärts laufende: Schnitte, deren einer
sich in die Achselhöhle, der andere nach aussen gegen die Schulter endigt.
Die dadurch gebildeten beiden dreieckigen Lappen werden losgelöst und nach
aussen und innen zui-ückgeschlagen. Nun wn-d ein zweischneidiges Messer
flach zwischen das Acromion und den Gelenkkopf, indem man zugleich den
Arm etwas aufhebt, eingestochen und so Von innen nach aussen nicht allein
die Gelenkkapsel geöffnet , sondern auch die Sehne' des Biceps getrennt,
worauf, an der Innern Seite des Kopfes mit dem Messer herabgehend, man
einen hintern und untern dreieckigen Lappen zu bilden sucht , der beim
Verbände gegen die beiden obern angelegt wird. '*^ ■ Unter der Benennung
Ovalärmethode (Methode ovnlairc) hat Scoutelten ein Verfahren zur Ex-
articulation nicht allein des Oberarms, sondern selbst der meisten'' Gelenke
angegeben, das mit der Methode von Guthrie, der keine Längenschnitta
macht, fast übereinkommt, zwischen Cirkel - und Lappenschnitt in der Mitte
steht und schon lange von Lnntjenleclc zur Absetzung und Exarticulation der
Mittelhandknochen angewendet worden ist. Scoutetten bildet nämlich eine
ei- oder birnförmige Wunde durch zwei Schrägschnitte, die über dem Ge^
lenke und an der Vorderseite des Gliedes in einen spitzen Winkel convergi-
ren , und unter dem Gelenke an der Rückseite des Gliedes sich in einer
Kreislinie vereinigen. Der erste Schnitt wird von oben und vorn nach im-
ten luid hinten geführt; der zweite fängt von seinem Endpunkte an, und
wird in entgegengesetzter Richtung zum Anfangspunkte geführt. Nach der
Abtrennung und Entwicklung des Knochens bildet die vereinigte Wundspalte
-eine senkrechte Linie. Bei der Ausschneidung des Oberarms vereinigt eie
erst dann seine beiden Schrägschnitte, wenn der Gelenkkopf exarticulirt und
die Gefässe cömprimirt worden sind. Gräfe vollführt die Exarticulation mit-;
■tels des Trichterschnittes auf die bekannte Weise bei horizontal gehaltenem
Arme, 3 Querfinger unter dem Acromion y >so' dass der Hohlschnitt bis zum
Gelenke reicht. Da die Armarterie hier sehr früh durchschnitten, wird, so
ist , dißs , Verfahren nicht zu empfehlen; denn man kann vor Beendigung der
Operation der gefährlichen Blutung nicht vollständig Herr werden. Nach
volleiideter' Exarticulation, gleichviel bei welcher Operationsmetbode, haben
einige ; Wundärzte es für nöthig gehalten, die Gelenkfläche und den vorra-
genden Thell des Acromion;der Art zu behandeln^ dass der Processus cora-
iCoideus weggesägt und die Gelenkknorpel mit dem Messer abgetragen ^v'er-
.den, doch ist dieses nur dann nöthig >, wenn diese .'rheile wirklich krankhaft
.ergriffen angetroffen werden. Um die Blutung zu stillen, unterbindet man
mach der Amputation, ehe man das Tourniquet löst i. die Art. brachialis iin<J
4ie Art. profunda humeri , nicht selten auch die Art. radialis dicht an der
Art. brachialis; nach der Exarticulation die Art, axillaris und die Art. cir-
cumflexa humeri , desgleichen die kleinern , nach Öffnung des Tourniqußts
spritzenden Arterien. Die Ligaturfäden Werden am untern Wundwinkel lo-
cker gelagert und mit Heftpflaster befestigt. Die Wundränder erhält mau
AMPUTATIO •
am ziveckmässigsten nur durch Heftpflaster vei'eimgt oder genähert, iadem
man zuerst ejft etwas breites Circulärpflaster um den Gliederstumpf dicht
übet den abgesetzten Knochen, doch ohne dessen scharfe Kante zu berühren
und jart die Weichgebild^,, anzudrücken, anlegt und dann einige sclunälere
ileftpflasterstreifen über die Wundspalte führt. Die Cirkelbinde rauss,. da-
nüt .^e nicht abgleitet, in eine Spica humeri übergehen. In den ersten Ta-
gen nach der Operation wendet man kalte Umschläge an, giebt dem Kran-
Jcea eine erhöhtö Rückenlage und schiebt ein Polster unter die Achsel.
ij : . Amputaiio carpi (mffnws), Amputation der Hand oder Hand--
-wuTzel. Diese Operation verrichtet mau in der Contiguität (^ExnrticulaÜo
tnantis^ a) durch den Cirkelschnitt nach der Methode von Fahriciua
'Hildanas. Man zieht die Haut stark hinauf und tremit die Weichgebildo
<lürch einen Cirkelschnitt, die Gelenkflächen und Gelenkverbindung aber,
indem man. die Hand beugt. Um. mehr Haut zu sparen, trennen Bvasdor
uiül Sahntier die zurückgezogene Haut 1 Zoll unter dem Gelenke, ziehen
sie dann, von Neußoi zurück, und trennen darauf die Sehnen und Bänder bei
ai»ducirter Hand vom iGrifl'elfortsatze der Speiche bis zu dem der Ulna.
b) Durch den Lappens chni.tt amputirt mit einem Lappen Lnngenheek
Und Maingimlt aus der Yolarfläche folgendermassen : der Arm wvcA. Tom
Körper etwas entfernt und die Hand in Pronation gebracht. Ein an der
äussern Seite des Gliedes . betuidliclier Gehüife zieht oberhalb des Gelenks
die Haut zurück. : Der Operateur ^ergreift mit der linken Hand den erkrank-
ten Thejl , so dass d^er. Daumen auf die Dorsalfläche desselben zu liegen
kommt, und zieht die Hand an; er führt nun mit einem kleinen schmalen
Amputatiousmesser: voH dem finde des Griffelfortsatzes eines Vorderarmkno-
phens bis zu dem des andern einen Querschnitt über das Gelenk und trennt
SD'Haut- w>nd Muskelsehnen« Die Hand (rechte) wird nun gebeugt und ad-
ducirt , ' das dadurch gespannte Ligamentum cubitale des . Handgelenks dicht
am' Ende des GrifFelfortöatzeS der Ulna, wobei man die Schneide des Mes^
sersnach oben und innen gerichtet halten muss, und ebenso das gespannüe
Ka>pselligaraent an seiner Dorsalseite durchschnitten , hierauf die Hand ab-
ducirt, und das dadurch ajjgespannte Ligamentum radiale artic. manus eben^
falls getrennt. Ist auf diese Weise das Gelenk geöffnet , so beugt man- die
Hand so stark, dass die. Gelenkfläche des Cacpus .'hervortritt, föhrt das
Messer in. das Gelenk hinter die Volarseite der arfeioolirenden Elüche des
Garpiosiv : und bildet mm, durch sägeförmige Schnitte(^ indem man das Messer
mit der Fläche dicht an die Volarfläche des Carpus hält, aus den idieiHand^
w4rael' bede^ckenden Weichgebild<2n einen halbiuöndförmigen zur Bedeckung
dar Gelenkfläche hinreichend grossen Lappen, ftlan muss Idabei das Os pisi»-
forraß! durch eine geringe Wendung des Messers umgehen;, die: etwa hervor'-
rageuden .SehnenendeÄ \ye"rden, mit: der Scheere abgeschuitten. -^. iDie Am-
iMitatioitt ahS'der Dorisalfläche. der Hand nach Rieherand' xmA Zang '\6i d5e.se':
die stark, zuxückgeziogene- Haut >wirdi an dem Donsaiseite halbnäondförmig
durchschnitten, das Messer am -rechten: Arm et>VJasunter dem Pröcistyiiforr-
BÜs .lilnae, am linken unter dem-.<les Radius mit /der Spitze eingesetzt und
zunächst längsJ der Seite : der Hand;wurzel gerade abwärts fort.geföhrt; man
vrandet es dann in einem Bogen füber die Gelenkendeii des Metacarpußy uRd
nun in derselben Richtung wie anfangs ziun Gxiffelförtsatz der entgegertge^
setzten Seite zurück. Der so gebildete Hautlappen' wird sammt aHem'.4ar^
unter gelegenen Zellgewebe (mit Zurücklässungider SeÄnen) getrennt und
aufwärts geschlagen, die Gelenkverbindung dicht !am Vorderarmknochen
äarohschfcitten , worauf dann dieiWeichgebilde an der Volarseite duvch ei^
rien- Schnitt senkrecht getrennt werden.' Waltlicr's- Methode mit zw« i L a p-
teen zü-:*mputiren ist diese: die Hand wird zuerst in Pronation ge'bradht?B«d
von einem Randb des Haudwurzelgelenks bis zum andern ein halbmoridför-
mi^er Schnitt, dessen Convex'ität nach unten, gerichtet ist, übet den Hand-
rüdken durch Haut und Zellgewebe geführt.:- Der Hautlappen wird nun ■Von
der aponeurotischen Ausbreitung bis zum Gelenk losgetrennt. Dann bitdet
man einen ähnlichen Lappen an der Volai-fläche bei in- Supination gebrachter
AMPUTATIO , 95
Hand, indem man das Messer ia die Winkel des ersten Schnitts einsetzt.
Sehnen und Gelenkbänder werden in der Mittellage zwischen Pronation und
Süpination vom Radius aus bis zur Ulna, . mit «chief nach oben gerichteter
Messersoheide , der Geienkfläche entsprechend, durciischnitten, Musfs Me-
thode ist folgende: von ,dcri Enden der Griffelfortsätze des; Radius und der
Ulna werilen bei etwas zurückgezogener Haut am Ulnar- und Ratlialrande
der Handwurzel zwei ■74 — -l.Zoli langp Hautschnitte gerade nach abwärts
geführt, und beide an der I>orsalflücbe dicr Hand durch einen. Haut und
Zellgewebe .trennenden Quei*schnitt veibundeu. Der eine Längenschnitt wird
zuerst mit der ILiken Hand verrichtet, dann da!s Messer in dae rechte ge-
nommen, womit die Operation bis zu Ende vollzogen wird; Der viereckige
Lappen wird bis zum Gelonke aufwärts getrennt, zm'ückgeschlagen , das
Gelenk geti-ennt uhdi.dkiin-derVolarlap'pen^so gross, als erforderlich ist, ger
bildet. Nax;h den Individueilen Umstäudea wählt der Operateur ehie dieser
4 Methoden der Exarticulatio manus. Nach der . Operation unterbindet man
Art. radialis, cubitalis mid- interossea, befestigt drie Untecbindungstaden in
den Wandw iukeln locker durch Heftpflaster , veoeinigt sorgfältig die Lappen
durcli Pflasterstreifen^ und. legt darüber eui , paar 'Longuetteia. mit einer vom
Vorderarm abwärts geführten Rollbinde, l -- . ..; : '
Amputatlo cruris, Absetzung des Unterschenkels. Die Vor-
richtung der Insti^umehte und Verbandstü«ke: ist , ■die wie bei Annputatio aati"
Ibrachii, wozu noch eui zweites Tdurniqüet\gehßrt, welches man zur Sicher-
ibeit wie; bei Amp^utatio femoris anlegt,, während, das gewöhnliche . 3 ; Quer-
fiuger tiber. dem Knie einwärts dai, Wto idie..Art«**ie deni TrftejKS -diuchbohrt,
angelegt wird. So macht e4 auch v, Giriifet,' A&c: ^as zweite. Tourniquet 6
Zoll über der Durchsägungsstelle anlegt.' Der Kranke wird; auf- einen mit
einer Matratze bedfeckten! Tisch gelegt 1, so. dass die Schenkel .überhängen,
das k^ranke Glied wird im Hüft- und Kniegelenk massig gebogen.,; der zu
amputirende Schenkel aber in horizontaleji Richtung gelialteo und der ge^
iunde Fuss auf einen Stuhl ge,stützt. Zar Hülfe diened 4 Gehülfen, v«(ovoo
ier Eirste gegen die Hüfte der kranken Seite jgestellt wird, um. das Touh-
aiquet handzuhäbeni; . der Zweite an idaci äuÄsera .Seite 'des .zai^^mputirentlen
GUedes); er stellt sich vor den Ersten ,;umfa$st deii Schenkel oberhalb der
Ariiputationsstelle , spannt und zieht die Hau-t u»d die dlirchschnittenen Mi^it-
kdn gleichmäs:sig und ^tark zurück, ttnd< handelt sodann init;.'4eic gespalten
neu Compresse; der Dritte muss an der Innern Seite des Gliedes oder, vor
demselben stehen und es uitterhalb der Araputationsstelle uulfassen, und der
VieHe. reicht die la^truiuiente her. Der 0{J6rateur steiit sich.' am besten aa
dJie rechte Seite des. Gliedes, am rechten. Schenkel an der äussern, am lin-
ken an der innern Seite; bei der Lappeaampatatioa stets aaider Innern Seite.
©iß vorhandenen Haano* an der Amputäüo^isstelLe. werden vorher abgeschoren.
Bei der; Operation in der Continuität)djefc Knochens^' betrachten wir
iuerst.den Cirkelscihnitt; er findet;^tattj wenn. man über und unter der
Wade amputireni und durch! Eiterung heilen rausi; dagegen nian -den. Lap'-
penschnitt vorzieht, wenn man in der ; Gegend' der Wade ampdtirt und
durch schnelle Vereinigung, heilen darf. Der Cirkelg chm übt;; wird wie
tei Ampntatio. äatibrachii und brachii .vollführt , nur ist, die LösiMig der Haut
hiier »ohwiöiigec v . *nd raüss~ besonders ; vori'ie an der Tibia - mit möglicbs.ter
Ef.spacung des • Jäellstoffes. Abpräparirt' 'und; i «lanai üZorückgeBchiag^n iwer^len.
(V.raputirt man gleich unter der Wade,' so; ist die 'Zurückschiebung der Haut,
wegen schnellen Dickerwerdens des Gliedes, noch vifel söhwierige^.^ • Hier
Icaan man nach gemachtwi Clrkelhautschrntte- die Haut, durch '2 auf densel-
ben senkrecht einfalhinde Langenschnittft spalten und so durch Ab präp^rireh
die Hautlappen, den äussern und innern, bildeiiv' Die so aipräjiarirt^ und
ersparte Haut muss wenigstens den. diitben: Theil des Durchmessers des Gli^
des an der Stelle, wo die Knochen getrennt'. werden sollen, betrafen. 'Döi-
Muskelsclmitt wird eben so wie beim Vorderarm verübt u«d-dann das ZvvJ*
schenknochenmesscr ' und die doppelt ge.spaltene Compresse in Anwendung
gebracht. Der Lappenschnitt wird am h&skeit folgendermaasen verrieh^
98 AMPUTATIO
tet : der an der Snnern Seite des Gliedes stehende Operateur er^eift nnt
seiner linken Hand, dicht unter der Stelle, wo die Knochen getrennt wer-
den sollen, das Glied so, dass der Zeigefinger «einer linken Hand auf das
Wadenbein da, wo das. .Messer ausgestochen wejtdeh soll, und die übrigen
Finger auf die iimere und hintere Fläche der Wade zu liegen kuniinen , mit
denen er zugleich die Wade , wenn es erforderlich ist , nach aussen ziehen
kann. Nun sticht er an der Stelle , . avo die Knochen abgesägt werden sol"
len, das zweischneidige Lappeniucsser flach am innern vordem Rande des
Schienbeins durch Haut und Muskeln , in schiefer Richtung von innen nach
aussen und hinten ein, und gegen das Wadenbein so hin, dass es, an des-
sen liinterer Fläche vorbeistreifend, wieder ausgestochen wird. Das Messer
vnrd nun sägeföi-inig nach unten und sodann nach aussen- geführt , und so
ein Lappen gebildet, dessen Länge 2 Dritthelle des DuEchmessers des Glie-
des an der Stelle, wo die Knochen abgesägt werden sollen, betragen muss.
Nun nimmt der Operateur, der sich an die äussere Seite. des Gliedes stellt,
ein gewölbtes, Scalpell und trennt die Haut auf der entgegengesetzten Seite
entweder durch einen halbmondförmigen, v6n einem W^undwhikel zum andern
hinlaufenden, oder durch leinen geraden halbkreisförmigen, einen halben Zoll
unterhalb der Basis des Lappens geführten, Schnitt, und löset die dadurch
in Ersparung kommende allgemeine Decke bis zur Basis des Lappens los,
worauf dann mit dem Zwischenknbchenmesser alle noch haftende Weichtheile
bis auf die Knochen sammt den Zwischenknoohehbändern und dem Knochen-
häutchen gelöst Werden müssen. . • Bei der Trennung der Knochen muss det
Operateur da^ Glied mit der linken Hand so umfassen, d*ss der Daumen
aufs Schienbein , der Zeigefinger, z^vischen beide Knochen , der Mittelfing^er
hinter das Wadenbein zu liegen kommen , und muss zumal das Wadenbeia
mit letztgenaiuiten Fingern so halten, das^ der obere Gelenktheil desselben
durch das Sägen nicht erschüttert wird Uiuit sägt die Fibula y. Zoll höher
als die Tibia ab; selbst vor Durchsägung der letztern, oder nachträglich
am besten mit der Knauer'schen Bogensäge, wo man die bereits abgesägte
BMbula, um. sie noch höher absägen zu können, zur bessern Fixirung mit ei-
ner Zange £asst. Die Exarticulatiun im Knie^gelenk ist eine sehr
ßeltene Operatioii. Sie kann nur da. stattfinden , wo die Erhaltung des Le-
bens von der schnellen Absetzung des- Unterschenkels abJiängt ; und wird
meist durch die Amputation' über dem Knie entbehrlich gemacht. Nach der
Amputation unterbindet man ; die Art. tibialis antica, postica und perohaea,
zuweilen . auch die Art. nutrit. tibiae und, wo möglich, lisolirt. Der Verband
ist wie beim .ViOrderarm. Die Cirkelbinde muss hier über djis Knie geführt
und der .Stumpf etwas abhingig , auf ein Polster hoch^ gelagert Tuid mit ei-
nem Reifbogen überstellt werden. ' •,■, ; >
Amjmtatio iliffilorum manus et pedis , die Abna'hfneder Finger und
Zehen.^ Die. Operation in der Continuität findet weit seltener stivtt, als
diiB in den Gelenken. Am besten geschieht sie in. .den Mittelfussgelenkon,
wenn' Zehen amputirt werden sollen/ Sie ist eben so leicht und gefahrlos
als die Amputation der Füiger der Hand. Man gebcautlit dazu ein gerades
schmales und eih convexes Scalpell etc. Die Aidegung eines Tournitpu-u
ist meist nicht nöthig. Die Exar.ticulation s am rat lieh er 4 Fingor
oder Zehen aus den ; Mittelhand - oder Mi tteif uss - G elenk en
geschieht nach Ligfranc auf. folgende Weise: die Hand wird in Pronation
gebraclit und Von d^m Gehülfen unterstützt. Der Operateur legt den 1).
men der linkejj.Hand auf die Radialflüclie des Mittelhandfingergelenks >
Zeigefingers (wenn an der linken Hand operirt wird) und seinen Zeige fin^tr
auf die IJllUirfläche des Mittelhauidfingergelenks des Goldfingers. Nun macht
er mit de^ .rechten Hand mittels des .oonvcxen ScedpelLs einen bogenformijft'n
nac4x den Fhigern hin convexen ScJxriitt , von. der RadiaLsoite des zweiten
RJittelhaiidknochens aus bis au die Llnarseite des fünften Mittclhandknocheiis ;
hierauf \)iud ein kleiner Dorsallappen gebildet. Der Operateur ergreift mm
die Finger und beugt sie in den zu trennenden Gelenken, durchschneidet
die Sehnen des Streckmuskels und die einzelnen Gelenke, \vährcnd ein Ge-
AMPUTATIO 97
hülfe die Haut an der Volarseite zurückzieht; hierauf nimmt der Operateur
ein schmales Amputationsmesser, dringt damit in sämmtliche schon getrennte
Gelenke, macht einige kleine Messerzüge bis zur Volarfläche der Phalangen,
hält die Fläche des Messers dicht an den Knochen und bildet einen Lappen
aus den Weichgebilden am vordem Theile der Volarfläche der Mittelhand.
Operirt man an der rechten Hand, so befolgt man die eben angegebenen
Regeln in entgegengesetzter Richtung. Am Fusse wird die Operation eben
so wie an der Hand geübt; doch muss man hier, um den Stumpf besser
bedecken zu können, den Gelenkkopf des Mittelfussknochens der grossen
Zehe durch die Säge verkürzen, was bei jugendlichen Subjecten durchs
Knorpelmesser geschieht. — Die Exarticulation der Phalangen der
Finger und Zehen in ihren Gelenkverbindungen unter sich
geschieht a) durch den Cirkelschnitt, b) durch den Lappenschnitt,
nach der Methode von Lader, Langenheck, Lisfrnnc, Walther etc. Rxist
operirt so: er macht 2 vom Gelenke ausgehende seitliche Schnitte, vereinigt
beide auf der Dorsalfläche mit einem halbkreisförmigen Querschnitte und bil-
det durch Abtrennen und Zurückziehen der Haut einen vordem kurzen Lap-
pen, trennt hierauf in der Flexion das Gelenk, und bildet erst nachher ei-
nen hintern etwas grössern Volarlappen. Ist nun die Amputation geschehen
und die Blutung gestillt, so vereinigt man die Wunde durch Heftpflaster-
streifen.
Amputaiio epiphjsium, s. Decapitatio ossium.
Amptiiatio femoris, Absetzung des Oberschenkels. Die Werk-
zeuge und Verbandstücke sind wie bei Amputatio antibrachii, doch müssen
die Messer von grösserer Art, und die gespaltene Compresse nur einfach
gespalten, aber stark und etwa 12 Zoll breit seyn. Nur dann, wenn man
am untern Drittel des Schenkels amputirt, kann man vom Tourniquet Ge-
brauch machen , die Pelotte des letztern kommt auf die Art. cruralis zu lie-
gen, da wo diese aus dem Schenkelringe tritt; nachdem eine graduirte Com-
presse der Länge nach auf dieselbe gelegt worden ist. Der Kranke wird
horizontal mit etwas erhöhter Rückenlage am Rande eines Bettes oder Ti-
sches so gelagert , dass die Schenkel bis an die Hinterbacken überhängen,
das kranke Glied im Hüft- und Kniegelenk sanft gebogen ist, der gesunde
Schenkel aber auf einen Stuhl gestützt oder von einem überzähligen Ge-
hülfen gehalten wird. Bei der Exarticulation machen einige Methoden eine
Bauch- oder Seitenlage nothwendig. Die 5 Gehülfen werden folgender-
massen angestellt: der Erste steht an der Hüftseite, handhabt das Tourni-
quet oder verübt die Compression des Hauptstammes, Mit dem Daumen die
Arterie da, wo sie unter dem Poupart'schen Bande fortgeht, zu comprimiren,
dies ist für den Gehülfen sehr lästig, daher hierzu Ehrlich's Compressoriuiü
vorzuziehen ist. Aufs Tourniquet allein kann man sich hier nicht verlassen.
Der Zweite , an der äussern Seite stehend , umfasst den Oberschenkel ober-
halb der Amputationsstelle und besorgt die Zurückziehung der Haut und der
durchschnittenen Muskeln mittels der gespaltenen Compresse. Der Dritte,
an der Innern Seite des Gliedes oder vor dem Knie stehend, umfasst das
Glied kurz unterhalb der Amputationsstelle, so dass es cylindrisch geformt
wird und die Haut keine Falten bildet; der Vierte hält den Unterschenkel
und der Fünfte reicht die Instrumente und Verbandstücke zu. Der Opera-
teur steht am bequemsten an der rechten Seite des abzunehmenden Gliedes,
beim linken Schenkel also an der innern Seite, um im Nothfall mit der lin-
ken Hand die Gefasse selbst comprimiren zu können. Bei der Exarticula-
tion ist die Stellung an der äussern Seite des Schenkels in den meisten Fäl-
len die beste. Bei der Operation in der Continuität des Kno-
chens bedient man sich a) des zweizeitigen Cirkel- und Trich-
terschnitts. Er wird im Allgemeinen wie am Oberarm vollführt (s. Am-
putatio brachii). b) Des Lappenschnitts. Sowol der einfache als
doppelte werden eben so, nui* mit einem grössern Lappenmesser, wie beim
Oberarm verrichtet. Die Lappen müssen behiahe 4 Zoll messen. Die wegen
Verletzung so vieler Blutgefässe missliche Ampu^tation im Hüftgelenke
Most Encjklopädie. 2te Aufl. I. J
98 AMPÜTATIP
ist nur da hidiclrt, wo »ie als einziges übriges Mittel zur Lebenserhai«
tung noch dienen kann. Die verschiedenen Methoden sie zu verrichten , die
»ich nach der Locaiität der Verletzung eignen, sind a) der Cirkelschnitt.
Ravnton spaltet den Schenkel an seiner äussern Seite durch einen, vom Tro-
chanter bis zur Mitte des Gliedes geführten senkrechten Schnitt , löst deli
Knochen aus den Muskeln und dem Gelenke, und durchschneidet dann die
Weichtheile des Schenkels in der Mitte des letztern mit einem Kreisschnitte.
Scouteiten schlägt auch hier seine Ovalärmethode vor. Er macht 2 schräge
Schnitte, von denen der eine dicht über dem grossen Trochanter anfängt
und mit der Plica inguinalis parallel 4 Quertinger unter derselben nach in-
nen und hinten geführt wird; der zweite fängt am Endpunkte des ersten an,
und wird an der äussern Seite bis zum Trochanter aufwärts geführt. Nach
der Auslösung des Knochens werden die Wundränder in eine senkrechte Linie
vereinigt, b) Der einfache Lappenschnitt. Wähler unterbindet zu-
erst die durch einen Einschnitt entblö.-s en Schenkelgefässe nahe am Leisten-
bande. Dann wird, während der Kranke auf dem Bauche liegt, 2 Quer-
finger unter dem Tuber ischii an der Hinterseite des Schenkels die Muscu-
latur quer durchschnitten und in Form eines Lappens in die Höhe geschla-
gen, die am Trochanter befestigten Muskeln werden bis zum Gelenk abge-
trennt und nach der Exarticulation die Muskeln der äussern und vordera
Fläche des Schenkels getrennt. Der hintere Lappen wird zur Deckung der
Wunde nach vorn und oben gebracht. Kern liess den Oberschenkel im
Rechtwinkel flectiren, führte dann zwei Hautschnitte vom grossen Trochan-
ter nach hinten und vorn schräg abwärts , bis zur Entfernung von etwa 2
Zoll von der A. cruralis , trennte in der Richtung des hintern Schnittes die
Muskeln bis auf den Knochen, lösste diesen aus dem Gelenk und von den
vordem Muskeln , und durchschnitt den Innern Lappen , nachdem er ihn
samrot der darin liegenden Arterie zusammengedrückt hatte, 4 Zoll unter
den Leistenbande. c) Der doppelte Lappenschnitt. Larrey, der
schon im J. 1816 die Excisio ossis femoris Sraal gemacht hatte, legt zuerst
die A. cruralis durch einen Schnitt in der Weiche blos, und unterbindet
diese mit der Vene. Er führt nun ein gerades Messer von der Wunde aus
durch den Schenkel, zwischen der Basis des Schenkelhalses und den Flech-
sen am kleinen Trochanter nach hinten gestochen, und bildet nun, mittels
Durchschneidung aller Muskeln der innern Fläche des Schenkels einen —
jedoch nicht zu grossen — innern Lappen , der von einem Gehülfen gegen
die Schamtheile gehalten wird. Die blutenden Gefasse, als Art. obturatoria.
Äste der Profunda etc., werden sogleich unterbunden. Indem das Gelenk
hiedurch nach innen entblösst wird , bringt man den Schenkel in starke Ab-
duction, trennt mit einem Bistouri den innern Theil des Kapselbandes, und
dringt mit dem Messer in die Gelenkhöhle, trennt das Ligamentum teres,
luxirt den Schenkelkopf und bildet nun durch Herabiuhren des Messers nach
unten und aussen den äussern Lappen. Nach geschehener Blutstillung und
Unterbind\mg selbst der kleinsten Arterien heftet Larrey die Wunde mit nur
durch die allgemeinen Decken gehenden Nadelstichen und Fäden. Die vor-
züglich zweckmässige Methode, nach -welcher Lnnyeulecl: operirt (s. dess.
Bibliothek, Bd. I.), ist folgende. Er bildet zuerst einen äussern Lappen
(wenigstens in früherer Zeit) — jetzt macht er einen Querschnitt von der
vordem Bräche des Schenkels aus an der äussern herum bis gegen den Sitz-
knorren hin, der die Weichtheile bis zum Schenkelhalse spaltet, hierauf
exarticulirt er das Caput ossis humeri, indem ein Gehülfe den zu entfernen-
den Schenkel immer stärker und stärker über den gesunden Schenkel zieht,
durchschneidet das Lig. capsulare und dann das Lig. teres, unterbindet jetzt
schon alle blutenden Gefasse, und bildet darauf den iiuiern Lappen durch
eine Kreisumschneidung der innern Schenkelfläche ; nur bei gänzlicher Weg-
nahme des Schenkels, am Ende der Operation, wenn schon alle andern Ge-
lasse unterbunden sind , durchschneidet er beim letzten , den innern Lappen
bildenden Schnitt, während der Gebülfe mit Ehrliches Krücke gut die Stelle
UV der Mitte zwischen Spina anterior superior cristae ossis ilei und Sjmphj-
ÄMPÜTATIO 99
0I9 o*s. pubSs, und so die Cruralis gegen das Schambenn pomprimirt, di«
Cruralis. Der Verband ist, wie bei Excisio humeri. Nach Lisfrimc unter-
bindet man zuerst die A. cruralis dicht untrer dem Poupart'schen Bande, als-
dann wird ein zweischneidiges Messer in der Gegend der Pfanne einge-
Ätossen; ist man auf den Gelenkkopf gekommen, so führt man es, alle dar-
über liegenden weichen Theile durchschneidend, in der Richtung des Collum
femoris bis zur Basis des grossen Trochanter, stösst es hier durch sämmt-
Jiche Muskeln nach hinten durch , und bildet den äussern Lappen. Diesen
Schnitt setzt man gegen das Gelenk fort, indem man oberhalb des Collum
femoris zur Pfanne zurückkehrt, das Kapselband eröffnet, den Gelenkkopf
hervorzieht, sein Ligamentum tei-es durchschneidet, über ihn hinweggeht,
«nd aus den Adductoren des Schenkels den innern Lappen bildet, dessen
Grösse man möglichst genau der Gestalt des äussern entsprechend zu ma-
chen sucht, d) Der Trichterschnitt. Diesen hat nur d. Gräfe in Vor-
schlag gebracht , er ist aber ganz entbehrlich. Der Verband muss bei der
Excisio femoris ganz einfach seyn. Die Wundflächen werden einfach an ein-
ander gelegt und mit Heftpflasterstreifen befestigt, worüber eine Cirkel binde,
die in eine Spica coxae übergeht, gelegt wird. Auch kann hier dann die
Fascia pro excisione femoris ihre Anwendung finden. Die Anwendung der
blutigen Nath zur Vereinigung der Wundränder ist überflüssig. Der Kranke
IDUSS in der Rückenlage ruhen, und bei Amputatio femoris in der Continuität
des Knochens der halb flectirte Stumpf mit einem Polster unterstützt und
darüber ein Reifbogen gesetzt werden.
Amputatio humeri, s. Amputatiobrachii. •
Amputatio mammae, Exstirpatio mammae, Absetzung der Brust.
Ist diejenige Operation, vermöge welcher man entweder die ganze weibliche
Brust, oder doch wenigstens einen krankhaften TheU derselben vom Thorax
entfernt. — In dicationen geben: Scirrhus und Karcinom der Brustdrüse;
ferner jede anderweitige Entartung derselben, die einen kachektischen Zu-
stand und hektisches Fieber herbeiführt und durch andere Mittel sich nicht
heben lässt, z. B. ausgedehnte Fistelgänge in und unter der Drüse. —
Contrain dicationen sind: Entartungen der Brustdrüse, die ihren Grund
in einer allgemeinen krebshaften Kachexie haben, oder wenn andere mit der
Brust durch Consensus in Verbindung stehende Organe mit krank sind, so
der Uterus ; wenn man nicht im Stande ist , alles Krankhafte zu exstirpiren,
z. B. wenn Pleura und Rippen schon mit ergriffen sind ; endlich hohes Alter
und grosse Schwäche, Aufschieben muss man die Operation beim Eintritt
©der während der Menses, bei Gegenwart anderer, aber vorübergehender
Krankheiten und bei der Schwangerschaft. Bei dieser letztern kann jedoch
in den ersten Monaten , wenn die Gefahr gross ist , die Operation noch vor-
genommen werden. — Methoden hat man 3 : die Wegnahme der Brust
mit ihrer Hautbedeckung (^Amputatio ninrnnirtc); die Wegnahme der ganzen
Drüse mit Zurücklassung der Haut (^Etrstirpatio glanduJae mammae totalis'),
und die Wegnahme eines Theils derselben (^Exstirpatio glandulae tnammae
fiartialisy ■ — Die Instrumente, die man zu dieser Operation bedarf,
sind folgende: ein gerades und ein convexes Scalpell, eine Pincette, ein
spitzer Haken, 2 stumpfe Haken, eine Hohlsonde, eine Hohlscheere, Blut-
stillungsmittel, Schwämme, kaltes und warmes Wasser, Restaurationsmittel
und Verbandstücke. Zu diesen letzteren sind erforderlich: Heftnadeln und
Fäden, Charpie , Heftpflasterstreifen von 1 Fuss Länge, eine grosse vier-
eckige Compresse, die viereckige Brustbinde und ein Tuch zur Mitella. —
Gehülfen sind 4 erforderlich. Der Eine steht hinter der auf einem Stuhle
reclinirt sitzenden, oder auf einem Tische mit erhöhtem Kopfe liegenden
Kranken und fixirt den obern Theil des Körpers, ein Anderer hält den Arm
der leidenden Seite in einer solchen Richtung vom Körper ab, dass jener
mit diesem einen Rechtwinkel bildet, um den Musculus pectoralis major
anzuspannen; die beiden andern assistiren dem Operateur und stehen diesem
gegenüber, der an der rechten Seite der Kranken steht oder sitzt. — Wir
betrachten hier: 1) Amputatio mammae, die Wegnahme der Brust-
7*
100 AMPÜTATIP
drüse mit ihrer Hautbedecknng, Sie ist dann indicirt, wenn die
Haut ganz oder doch theilweis vom Krebs so mit ergriffen ist , dass der
Hautrest die Wunde nicht mehr gänzlich zu decken im Stande ist , also
doch Eiterung entstehen würde. Die Operation selbst besteht in 3 Acten-
Erster Act: Hautschnitt. Ein Gehülfe setzt nahe über der Stelle, wo
der Operateur den ersten Schnitt beginnen will, einen Finger fest auf die
Haut, damit diese dem Messerzuge nicht folge; zugleich breitet er seine
andere Hand zur linken Seite der Brust aus, um die Haut anzuspannen,
während der Operateur selbst seine linke Hand flacK auf die Brust legt,
um damit ebenfalls die Haut anzuspannen. Nun durchsticht der Operateur
mit dem convexen Scalpell am obern Umfange der Brust Haut und Zellge-
webe und führt so das Messer in einem halbkreisförmigen Schnitte von oben
nach unten durch die ganze linke Hälfte der Brust bis zur Basis derselben.
Jetzt wechseln Operateur und Gehülfe die Hände , und zwar so , dass der
Operateur seine linke Hand zur rechten Seite der Brust, der Gehülfe aber
die seine auf diese selbst legt, um auch hier die Haut anzuspannen. Der
Operateur durchschneidet Haut und Zellgewebe hier auf dieselbe Weise,
aber von unten nach . oben. Beide Schnitte müssen nun so geführt seyn,
dass ihre Endpunkte sich vereinigen, und wenn die Haut noch über die
Brust hinaus krankhaft ist, auch diesen Theil zugleich mit einschliessen.
Zweiter Act: Lostrennung der Drüse. Der Operateur fasst die
Drüse an ihrem untern Theile mit der linken Hand, oder mit dem spitzen
Haken, zieht dieselbe damit vom Brustmuskel ab und trennt sie von unten
nach oben nebst der Hautdecke und sämmtlichera Zellstoff mit flach geführ-
ten langen Messerzügen von demselben ab. Diese Lostrennung muss nun
deshalb von unten nach oben geschehen, damit die nächsten Messei'züge
nicht vom herabfliessenden Blute bedeckt werden. Zugleich muss der Ope-
rateur die Lostrennung der Drüse mit Vorsicht unternehmen , um nicht die
Insertionspunkte des Pectoralis major mit zu trennen. Nur dann, wenn man
auf eine krankhafte Stelle dieses Muskels stösst, muss diese mit entfernt
werden und man muss das Krankhafte selbst bis zur Pleura verfolgen, wenn
es sich bis dahin erstreckt. Ist eine Rippe mit ergriffen, so schabt man
diese Stelle ab oder brennt sie. Ist die ganze Drüse entfernt , so muss der
■Operateur die Wunde sorgfältig untersuchen, ob auch noch hier imd da
krankhafte Stellen zurückgeblieben sind; findet er solche, so muss er sie
mit dem spitzen Haken fassen xmd mit dem Messer oder der Hohlscheero
entfernen. Ein Gehülfe tröpfelt mittels eines Schwammes fortwährend kal-
tes Wasser auf die Wunde , um dadurch die Blutung in etwas zu stillen,
kleinere Arterien compiimirt ein anderer Gehülfe mit den Fingern, um sie
nachher zu unterbinden und grössere müssen auf der Stelle unterbunden wer-
den. Während der Operation entstehen nicht selten Zuckungen und Ohn-
macht, und diese Zustände erfordern die bekannten Mittel. Dritter Act:
Oft sind auch die Achseldrüsen mit ergriffen und diese müssen dann
ebenfalls entfernt werden. Der Operateur verlängert nun den Schnitt , so
weit wie die krankhaft ergriffenen Drüsen sich erstrecken , und schält sie
mit der grössten Sorgfalt aus, um nicht grosse Arterien (Art. axillaris etc.)
zu verletzen. Wenn im übrigen Umfange der Brust sich noch entartete
Drüsen vorfinden , so müssen dieselben ebenfalls blossgelegt und ausgeschnit-
ten werden, und dies muss so lange geschehen, bis man auf einen gänzlich
gesunden Grund trifft. Zeller, Kern und Bernstein wollen keine Unterbin-
dung der spritzenden Gefasse, indem sie die Blutung durch Überlegen eines
feinen Leinwandläppchens und darüber in kaltes Wasser getauchte Schwämme
zu stillen suchen. Dies Verfahren ist jedoch unsicher , welches der Letztere
auch selbst eingesteht. — 2) Exstiiyatio glandulae manvnae partinlis, die
Wegnahme eines Theils der Brustdrüse mit Zurücklassung
der Haut. Diese Operation ist indicirt bei theilvveiser Entartung der Brust-
drüse mit gesunder Haut und wird folgendcrmassen verrichtet: Der Opera-
teur spannt die Haut über der entarteten Stelle und spaltet diese der Länge
nach, lässt dann durch Gehülfen mittels der stumpfen Haken die Wunde
AMPUTATIO 101
aoäeinancler halten, trennt die Haut zu beiden Seiten Ton der entarte-
ten Stelle los und schält nun das Entartete, indem er es mit dem spitzen
Haken hält, aus. Das Messer muss aber überall im Gesunden geführt wer-
den, damit nichts Krankhaftes zurückbleibt. Manche wollen das Ausschälen
mit stumpfen Instrumenten gemacht wissen, dieser Rath ist aber nicht zu
befolgen, indem dadurch immer eine nachtheilige Quetschung entsteht. Nach
der Ausschälung muss die Wunde sorgfältig untersucht , und wenn sich noch
etwas Krankhaftes vorfindet, dasselbe entfernt werden. — S) Exstirpatio
glnndulae mammae totalis, die Wegnahme der ganzen Brustdrüse
mit Zurücklassung der Haut, ist indicirt: wenn die ganze Drüse ent-
artet , dabei die Haut aber ganz oder doch soweit gesund ist , dass der Rest
derselben die Wunde noch bedecken kann. Sie besteht in 3 Acten. Erster
Act: Trennung der Haut. Man spannt und trennt die Haut auf die-
selbe Weise und durch ähnliche Schnitte wie bei der Amputatio mammae.
Ist dies geschehen, so fasst man erst den Hautrand der einen Seite, dann
den der andern mit der Pincette und trennt nun die Haut mit möglichst
langen Messerzügen von der Drüse los. Hierbei muss an der Haut so viel
Zellstoff wie möglich, aber ja nichts Krankhaftes zurückgelassen werden.
Hat man die Haut so weit gelöst, dass man sie mit den Fingern halten
kann, so lege man die Pincette weg und stülpe die Haut etwas um, damit
man dieselbe bis zur Peripherie der Drüse überall vollständig lösen kaiin.
Sind einzelne krankhafte Hautstellen zugegen, so müssen diese ausgeschnit-
ten werden. Eben so angegriffene Achseldrüsen. Zweiter Act. Die
Ausschälung der Drüse wird ganz so verrichtet, wie bei der Amputa-
tion, nur mit dem Unterschiede, dass ein Gehülfe die Haut nach der Peri-
pherie hin zurück halten muss. Ist die Drüse ausgeschält, so untersuche
der Operateur die Oberfläche derselben sehr genau, ob sich auch durch-
schnittene ligamentöse Streifen auf ihr befinden; ist dies der Fall, so muss
er deren Fortsetzung aus den Hautstellen oder diese ganz entfernen. Drit-
ter Act. Wird ganz so verrichtet, wie bei der Amputatio mammae. Ver-
band und Nachbehandlung. Das Erste, worauf der Operateur sein
Hauptaugenmerk zu richten hat, ist die Blutstillung der blutenden Gefässe,
dann reinigt er die Wunde und deren Umgegend vom Blute, führt die Li-
gaturfäden auf dem kürzesten Wege aus der Wunde, befestigt sie hier, ohne
sie zu zerren, und legt dann den Arm an die Seite des Körpers. Nun be-
deckt er die Wunde, wenn nämlich amputirt ist, mit Charpie, die mit
lauem Wasser befeuchtet ist, legt hierüber eine Compresse, befestigt das
Ganze mit der viereckigen Brustbinde und lässt den Arm in eine Mitella
legen. Ist aber exstirpirt, so vereinigt er die ersparte Haut mit Heft-
fiflasterstreifen und, wo die Haut nicht ausreicht, durch einige blutige Hefte,
egt hierüber trockne Charpie und verfahrt im Übrigen eben so, wie nach
der Amputation. Ist der Verband besorgt, so gebe er der Operirten eine
bequeme Lage im Bette, gebiete strenge Ruhe, und ist die Kranke sehr an-
gegriffen, so verordne er ein Opiat. Die erste Zeit muss ein nicht ganz
Unkundiger bei der Kranken wachen und namentlich auf die nicht seltene
Nachblutung achten; tritt eine solche ein, so fliesst das Blut nach dem
Rücken und wird häufig übersehen; hier müssen dami sogleich anhaltend
kalte Umschläge angewandt werden. Hilft dies nicht, so nehme er den Ver-
band ab und unterbinde die blutenden Gefässe. Tritt Entzündung des
Musulus pectoralis, der Pleura oder der Lungen ein, so muss der Verband
gelöst und antiphlogistisch verfahren werden. Will man bei ersparter Haut
per primam intentionem heilen, so nehme man die Heftpflasterstreifen nicht
eher ab , bis sie sich von selbst lösen ; geschieht dies , so ziehe man die
Wundränder durch frische Heftpflasterstreifen fester zusammen und lege den
Verband aufs Neue wieder an. Beabsichtigt man aber die Heilung per se-
cundam intentionein, dann verbinde man bis zur Heilung mit lauem Wasser.
Ferner muss man auch noch Erkältung, Digestionsfehler und Gemüthsaffecte
zu verhüten suchen; denn hierdurch entsteht nicht selten eine schlechte Eite-
rung und selbst Trismus {Blnsias). Während der Menses entsteht oft ent-
102 4MPUTATI0
fTeder ein Stillstand h\ der Heilung, oder die Eiterung wird während der-
selben schlecht; dies ist aber keine Ursache, um von dem einfachen Ver-
Ibande abzugehen. In 6 bis 8 Wochen, bei kräftiger, leicht verdaulicher
-Nahrung ist die Wunde geheilt. — Eitersenkungen erfordern blutige
Erweiterungen. Neue krebshafte Aus Wucherungen suche man durch
das Messer, oder durch 'Atzmittel , oder durch das glühende Eisen, oder,
nach Chelius, durch das Hellmund'sche Mittel zu bekämpfen. Ist die Wunde
auch schon gänzlich vernarbt, so muss sie doch noch sehr sorgfältig gegen
Äussere Einflüsse durch das Tragen von Hasen - oder Kaninchenfellen ge-
schützt werden; die Kranke muss dabei stets ein geregeltes Leben führen.
Auch ist es gut, in der Nähe der Brust (an den Armen) Jahre lang Fon-
tanellen zu tragen. G. Neese.
Amputatio mantts, s, Amputatio carpi.
Amputatio metacarpi et metniarsi, Absetzung der Mittelhand
tind desMittelfusses. Hier ist eben so, wie bei der Amputation der
Finger , die Ablösung aus den Gelenken vorzuziehen ; doch verdient die Am-
putation in der Continuität der Mittelfussknochen der grossen und kleinen
Zehe vor der Exarticulation dieser Knochen den Vorzug; denn durch letz-
tere verliert beim Mittelfussknochen der grossen Zehe der Operirte den Bal-
len, der so wesentlich beim Gehen und Stehen zur Stütze dient; nur da»,
wo das Glied in seiner ganzen Ausdehnung schadhaft ist, verdient die Ex-
articulation vor der mit geringerer Verletzung verbundenen Amputation den
Vorzug. Die Amputation sämmtlicher Mittelhand - und Mittelfussknochen in
ihrer Continuität ist viel schmerzhafter und schwieriger, als die Exarticula-
tion dieser Glieder. Zang und Langenheck geben aber der Amputation de»
dritten und vierten Mittelhand - und Mittelfussknochens in der Continuität
den Vorzug , weil bei der Excision dieser Knochen zu viele Bänder verletzt
werden, die kleinen Ossa carpi und tarsi zu sehr leiden und sehr leichfc
Entzündung und Caries dieser Knochen darauf entsteht. Die Erfahrungen
RusVs, WnltJier's , Hey's u. a. Ärzte sprechen indess dagegen, so dass auch
hier die Exarticulation den Vorzug verdient , zumal wenn die Kranken nicht
«ehr vulnerabel oder dyskrasisch shid. Die Instrumente und der Verband-
apparat bestehen aus einem Tourniquet , einem schmalen bauchigen und spi-
tzigen Scalpell, einem kleinen Amputationsmesser, einer kleinen Bogensäge,
einer 6 Zoll langen, l'/o Zoll breiten, nicht dicken hölzernen Schiene oder
ahnlich geformten Bleiplatte , aus Pincetten und Unterbindungshaken , au9
einer einfach gespaltenen Compresse, aus Plumaceaux, Rollbinden etc. Der
eine Gehülfe besorgt das Tourniquet, ein Zweiter stellt sich an die äussere
oder innere Seite des Gliedes und fixirt den Tarsus oder Carpus, ein Drit-
ter reicht die Instrumente zu. Bei der Amputation an der Hand sitzt der
Kränke auf einem Stuhl oder im Bett, man entfernt das Glied vom Körper;
bei der am Fusse wird der Kranke auf einen Tisch am besten so gelegt,
dass das kranke Glied bis an die Wände über den Rand desselben hervor-
steht. Das Tourniquet wird am Arm auf die Mitte der Art. brachialis, beim
Fusse nahe oberhalb des Kniees angelegt. Bei der Amputation des Mittel-
handknochens, des Mittel- und Ringfingers, des zweiten und dritten Mittel-
fussknochens macht Lani;enheclc einen Hautschnitt in Gestalt eines Lateini-
schen \, in welchem die kranke Haut begriffen ist, trennt dann die wei*
eben Theile vom Knochen so , dass dieser ganz entblösst im Fleischpolster
liegt, nimmt dann eine Messersäge und sägt denselben damit ab. Die Blu-
tung ist unbedeutend; die Hautränder werden mit Heftpflaster zusammenge-
zogen. Eben so verrichtet man die Amputation der Mittelfussknochen in der
Contintiität. Dieselbe Operation verrichtet Zang folgendermassen , z. B. am
Mittelhandknochen des rechten Mittelfingers: ein Gehülfe fasst die Hand
oberhalb der Operationsstelle und zieht, zumal an der Rückenfläche, die
Haut stark zurück, ein Zweiter, an der äussern Seite des Gliedes stehend,
ergreift mit beiden Händen die benachbarten Finger und entfernt sie vom
kranken Finger. Der Operateur, der das ganze Glied selbst mit der rech-
ten Hand hält, macht zuerst mit der linken an der Ulnarseite des Mittel-
AMPUTATIO 103
handknochens ebiei> Längenschnitt durch die Dicke der Hand bis zur Kh^
sägungsstelle des Knochens, einen zweiten an der Radialseite desselben mit
der rechten Hand. Beide Schnitte werden so geführt, dass sie an der Vo-
larfläche auch ^ förmig in einander laufen, der innere jedoch an der Dorsal-
«eite um 3 bis 4 Linien (an der linken Hand der äussere) kürzer ist als der
entgegengesetzte. Hierauf werden beide Schnitte am Rücken der Hand in
ihren Elndpunkten durch einen schiefen Schnitt vereinigt. Ist dies gesche-
hen , so wird die Haut von Neuem zurückgezogen , man zieht die benach-
barten Mittelhandknochen vom kranken Knochen noch stärker ab und trennt
die Weichtheile und Sehnen in der Richtung des schiefen Dorsalschnitte»
durch einige halbcirkelförmig um den Knochen geführte Schnitte. Nun zieht
man die Weichtheile durch eine gespaltene Compresse zurück, führt die le-
derne oder hölzerne Schiene in den Winkel des länger geführten Längen-
Schnittes, und sägt gegen diese in der schiefen Richtung des Hautschnitte»
den Mittelhandknochen durch, wobei die übrigen Mittelhandtheile zwischen
das Blatt und den Bogen der Säge zu stehen kommen. Der an der Dorsal-
iläche gebildete kleine Hautlappen wird zur Bedeckung des Knochenstumpfs
benutzt , und die getrennten Theile durch quer über die Hand gelegte Heft-
pflasterstreifen möglichst vereinigt. Nachher schlägt man mehrere Tage lang
kaltes Wasser über, um starke Entzündung und Eitersenkung in die Seh-
nenscheiden zu verhüten. Auf ähnliche Weise wird die Operation auch am
Fusse vollführt. Bei der Amputation der Mittelfussknochen der
grossen und kleinen Zehe in der Continuität verrichtet Zanff
diese Operation mit Lappenbildung an der Sohlenfläche; Lisfrnnc mit Lap-
peiibildung an der innern Seite. Andere bilden den Lappen an der Rücken-
fläche. Die Exarticulation der 4 Mittelhandknochen mit Er-
haltung des Daumens macht MaingauU auf folgende Weise: die Hand
wird in Supination gebracht und durch einen Gehülfen an der Handwurzel
gehalten; dann sticht er ein kleines zweischneidiges Amputationsmesser von
der Ulnarseite an der Gelenkverbindung des fünften Mittelhandknochens ein,
führt es zwischen der Volarfläche der übrigen Mittelhandknochen und den
diese bedeckenden Weichtheilen fort, und sticht es an der Gelenkverbin-
dung des zweiten Mittelhandknochens bei abducirtem Daumen wieder au».
Durch sägeförmiges Abwärtsziehen des Messers wird nun ein halbmondför-
miger und hinreichend grosser Lappen aus den Weichtheilen des Handteller»
gebildet. Hierauf wird die Hand in Pronation gebracht, die Haut zurück-
gezogen, das Messer am Rücken derselben einen Zoll breit vor dem Hand-
_ gelenk angesetzt und ein schwach gebogener mit der Convexität nach unten
gerichteter Schnitt über die Gelenkverbindungen der Mittelhand mit der Hand-
wurzel gefiihrt , welcher alle hier gelegenen Weichtheile trennt und sich mit
den Winkeln des ersten Lappenschnittes zu beiden Seiten vereinigt. Jetzt
wird die Hand wieder supinirt, der Volarlappen zurückgeschlagen und die
Gelenke von dieser Seite aus getrennt. Die blutenden Arterien werden un-
terbunden und der genau angelegte Lappen mit Heftpflaster und Binden be-
festigt. Die Exarticulation sämmtlicher Mittelfussknochen
verrichtet Lisfrnnc folgendermassen : ein Gehülfe unterstützt den Fus», in-
dem er die Daumen beider Hände auf den Fussrücken vor das Fussgelenk,
die übrigen Finger an die Plantarfläche des Hackens legt. Der Operateur
ergreift mit der linken Hand das zu amputirende Glied, legt Daumen und
Zeigefinger auf dessen Dorsalfläche , die übrigen an die Fusssohle , und sucht
nun mit dem Zeigefinger der rechten Hand nach der Tuberosität des fünf-
ten Mittelfussknochens. Auf diese legt er am rechten Fusse den Zeigefinger,
am linken den Daumen. Eben so geht er an der innern Seite des ersten
Mittelfussknochens aufwärts, um dessen Gelenkverbindung mit dem Os cunei-
forme primum aufzufinden, und bezeichnet die Lage derselben durch den
zweiten auf dem Fussrücken liegenden Finger seiner linken Hand, indem
er ihn auf die Hervorragung des ei'sten Mittelfussknochens legt. Sind diese
Stellen bezeichnet, so macht man auf dem Rücken des Fusses einen halb-
»Hondförmigen, nach den Zehen hin convexen Schnitt, ungefähr '/, Zoll vor
104 AMPUTATIO
dem an der äussern Sehe des Fusses bezeichneten Punkte, der sich vor
dem die Articulation des ersten Mittelfussknochens bezeichnenden Finger en-
digt. Der Gehülfe zieht nun die Haut am Fussrücken zumck, der Opera-
teur drückt den Fuss abwärts und trennt zuerst die Gelenkverbindung des
Os cuboideum mit dem fünften Mittelfussknochcn. Hierauf giebt man dem
Messer die Richtung einer Linie, welche, von der äussern Seite dieser Ar-
ticulation ausgehend, das vordere Ende des ersten Mittelfussknochens treffen
würde. Die 3 folgenden Gelenke werden mit einer weniger schiefen Rich-
tung des Messers durchschnitten und dabei der Fuss nach innen gebogen,
die Gelenkverbindung des ersten Mittelfussknochens dagegen bei abducirtera
Fusse vom innern Rande des Fusses aus geöffnet, wobei man von unten
nach oben, von hinten nach vorwärts, und in der Richtung einer Linie sc-iinei-
det, welche, vom innern Rande dieses Gelenkes a\isgehend, den mittlem
Theil des fünften Mittelfussknochens treffen würde. Hierauf senkt man die
Spitze des Mes.sers mit nach den Zehen hin gerichtetem Rücken desselben,
zwischen den Vorsprung des Os cuneiforme primum und des Os metatarsi
secimdum, und treruit, die Spitze des Messers aufwärts drückend, die hier
noch vorhandene Verbindung. Nachdem nun der Fuss mit Kraft abwärts
gedrückt worden , werden mit der Spitze des Messers die ligamentösen Ver-
bindungen der Mittel fussknochen an ihren Plantarflächen getrennt, darauf
das Messer mit voller Schneide zwischen die Mittelfussknochcn und die die
Sohle bildenden Weichtheile geschoben und durch sägeförmige Züge, wobei
die Fläche des Messers die Knochen mcht verlassen darf, ein Lappen ge-
bildet, der an der innern Seite 2 Zoll, an der äussern V/2 Zoll lang ist.
Die Exarticulation des Mittelhandknochens des Daumens
verrichtet Langenheck am linken Gliede so, dass er den Daumen der zwi-
schen Pro - und Supination befindlichen Hand des Kranken mit seiner linken
Hand am Mittelhandfingergelenke ergreift, ihn abwärts beugt, dann mit dem
Zeigefinger der rechten Hand an der Dorsalfläche des auszulösenden Kno-
chens aufwärts geht, bis er eine kleine Hervorragung fühlt, hinter welcher
eine kleine Vertiefung (die Stelle des Gelenks) sich befindet, diese markirt
er mit dem rechten Zeigefinger und fixirt das Glied selbst mit dem Ring-
und Goldfinger derselben Hand. Alsdann vollführt er , zuerst mit der lin-
ken Hand die Spitze des Messers ansetzend, einen schief von der Articula-
tionsstelle über die Radialseite bis in die Hautfurche, welche die vordere
Fläche des Ballens des Daumens von der gleichnamigen seiner ersten Pha-
lanx scheidet, verlaufenden Schnitt, der bis über die Mitte der genannten
Fläche reicht. Dann fasst man den Daumen mit der linken, das Messer mit
der rechten Hand, abducirt ersteren, setzt das Messer in den ersten Ein-
stichspunkt wieder ein und vollführt an der Ulnarseite des Gliedes einen
ähnlichen zweiten Schnitt, welcher durch die Mitte der Commissur des Dau-
mens und Zeigefingers geht und sich mit dem erstem an der Volarfläche in
der genannten Furche vereinigt. Nachdem diese ovale Incision der Haut
gemacht worden, zieht der Gehülfe die letztere von allen Seiten zurück,
und der Operateur trennt die Muskeln vom Knochen, was an beiden Seiten
in der ganzen Länge des Os metacarpi an der Volarfläche nur bis zur Mitte
geschehen muss. Hierauf wird das Glied von Neuem gebeugt, die Streck-
sehnen am Gelenk durchschnitten, letzteres mit der Spitze des Messers ge-
öffnet, vollständig getrennt und der Gelenkkopf luxirt, indem man den Zei-
gefinger vmter das Os metacarpi bringt und mit dem Daumen auf sein un-
teres Ende drückt. Jetzt ist nun noch übrig, die an der Volarfläche hän-
genden Muskelfasern vollends zu trennen. Nach der Unterbindung der Ar-
terien wird die ovale Wunde durch Heftpflasterstreifen zu einer Längen-
spalte vereinigt. Am rechten Gliede macht man mit der linken Hand den
ersten Schnitt an der Ulnarseite des Knochens. Da, wo die Weichgebilde
sich zur Lappenbildung nicht eignen, passt Bcdard's Methode: man bringt
den Daumen in Abduction , trennt dann die Weichtheile zwischen den Mit-
telhandknochen des Daumens und Zeigefingers zuerst durch einen halbmond-
förmigen Schnitt an der Dorsalseite, welcher vom Gelenk aus beginnt, dann
AMPÜTATIO ' 105
durch einen ähnlichen Schnitt an der Volarseite, welcher zu beiden Seiten
in den erstem übergeht. Nun wird das Gelenk von der Dorsalseite geöff-
net, getrennt, der Knochen durch Beugung luxirt und aus den Muskeln
geschält. So werden keine Lappen, sondern eine elliptische Wundfläche ge-
bildet, die sich indess zu einer Längenspalte vereinigen lässt. Die Exar-
ticulation des Mittelhandknochens des Zeigefingers verrichtet
Walther eben so, wie die des Mittelhandknochens des Daumens; da aber
die Exarticulation hier viel schwieriger ist, so stosst Scoutctten die Spitze
des Messers an der Radialseite des Gelenks in einer Richtung ein, als wolle
man nach dem Proc. styloideus der Ulna hin schneiden. Hierauf öffnet er
von der Dorsalseite durch einen Querschnitt das Gelenk, stösst dann die
Spitze des Messers zwischen die Gelenkköpfe des 2ten und Sten Os meta-
carpi, und hebt das Instrument im rechten Winkel zur Trennung der hier
die Knochen verbindenden Bänder in die Höhe. Die Exarticulation
des Mittelhandknochens des Mittel- oder Ringfingers, welche
viel schwieriger als die des Zeige - und Kleinfingers ist , wird nach Rust auf
folgende Weise verrichtet: Man macht auf beiden Seiten des Knochens einen
Längenschnitt durch die ganze Dicke der Hand bis zum Gelenk , wobei ein
Gehülfe die benachbarten Finger abducirt und die Haut anspannen musa.
Das Messer selbst muss mit seiner Fläche stets dicht an der Fläche des zu
exstirpirenden Knochens geführt werden. Beide Längenchnitte werden , so-
wol an der Dorsal - als Volarfläche, einige Linien vor der Gelenkverbin-
dung durch einen ^förmigen Schnitt vereinigt, die Finger sodann seitwärts
«0 stark angezogen, dass man zur Trennung des Gelenks selbst Raum ge-
winnt. Ist letzteres geschehen, so begünstigt man die Exarticulation durch
kräftiges Ab - und Seitwärtsdrücken des zu exarticulirenden Knochens. Die
Blutimg stillt man durch kaltes Wasser, im Nothfall durch die Unterbin-
dung, und die getrennte Mittelhand wird durch quer rings um die Hand
gelegte Heftpflasterstreifen vereinigt. In den ersten Tagen sind kalte Um-
Bchläge, öftere Anwendung von Blutegeln, strenge Ruhe und später Ein-
reibung von Mercurialsalbe nothwendig, um die Entzündung und Eiterung
in den Sehnenscheiden am sichersten zu verhüten.
Amputatio pedis , Abnahme des Fusses. Die Ablösung des ganzen
Kusses im Gelenke , von Brasdor empfohlen , ist eine durchaus zu verwer-
fende Operation; denn sie ist nicht allein sehr schwierig, sondern leistet
dem Kranken auch keinen Nutzen , da die zu beiden Seiten der Gelenk-
fläche hervortretenden Knöchel durch den Druck auf die Narbe jeden Ge-
brauch des Gliedes unmöglich machen. Ist es nothwendig, den ganzen Fuss
zu entfernen, so ist er stets am Unterschenkel zu amputiren (s. Amputa-
tio cruris). Nur einzelne Theile am Fusse können mit Erfolg und Nu-
tzen amputirt werden (s. Amputatio metatarsi, tarsi, und Amput.
digitorum).
Amputatio pcnis , die kunstgemässe Abnahme des männlichen
Gliedes durchs Messer oder durch die Ligatur. Sie ist eine
wichtige chirurgische Operation, um einen krankhafüi entarteten Theil der
Ruthe vom Körper zu entfernen (z. B. Krebs). Nimmt der Cancer penis
nur die Vorhaut ein , so bedarf es nur der Operation der Phimose. Hat die
Krankheit aber sich schon über die Eichel und weiterhin verbreitet, so ist
die Ablösung des Gliedes das einzige Rettungsmittel , und sie hat sich hier
im Ganzen viel heilsamer gezeigt, als die Ausrottmig des Krebses an andern
Theilen. Contraindicirt ist die Operation: wenn sich schon an der Haut
der Schamgegend und Inguinaldrüsen scirrhöse Verhärtungen zeigen, ein
grosser Theil des Gliedes zerstört , allgemeine Dyskrasie und Zehrfieber zu-
gegen ist und schon secundäre Scirrhen sich gebildet haben. Syphilitische
und scrophulöse Geschwüre des Penis, die ein karcinomatöses Äussere ange-
nommen, muss man, nach Zanff, nicht operiren, sondern durch zweckmässige
innere und äussere Mittel beseitigen. Bei Aneurysma, Vulnus und Gangraena
penis hat man, sobald die vorhandene Blutung durch andere Mittel nicht
gesjillt werden kann, auch- die Operation vorgenommen; im erstem Falle
106 ÄMPÜTATIO
icann man znweilea abe» noch die Art. dorsalia penfs allein nntcrbhiden.
Bei Quervvunden ist die Amputation gleichfalls selten nöthig, da man die
halb durchschnittenen Arterien völlig trennen und unterbinden kann. Beim
Brande des männlichen Gliedes können in der Regel die gefährlichen Blutun-
gen durch das Glüheisen dauernd und sichernd gestillt werden. Beide Me-
thoden, sowol die mit dem Messer als die mittels der Ligatur, haben ihre
VortheUe und Nachtheile, Die Ligatur ist nur im ersten Moment sehr
Bchmerzhaft, sichert vollständig gegen Blutung, ist daher bei alten, schwa-
chen, blutarmen Personen nützlich; sie lässt nur eine kleine eiternde Wunde
zurück, die bald heilt, hat aber den Nachtheil, dass sie durch Brand die
Ablösung bewirkt, der sich zuweilen weiter verbreitet, als er soll; auch ist
der üble Geruch , sowol für den Kranken als für die Umgebung , unange-
nehm. Die Amputation dagegen giebt eine reine Wunde, die aber wegen
des immer benetzenden Urins schwer heilt; auch stellen sich, selbst nach
Tollständiger Unterbindung der Gefässstämme , dabei leicht parenchymatöse,
oft schwer zu stillende Nachblutungen ein, die in mehreren Fällen den Tod
herbeiführten. Doch hat sie den Vortheil, dass sie weniger schmerzhaft ist
und das kranke Glied rasch entfernt. Auch ist die Blutstillung oft schwie-
rig, wenn das Glied in der Nähe des Schoossbogens amputirt wird, wo
sich der Stumpf oft stark zurückzieht, weshalb hier nach den Methoden von
ßust und Schretjer operirt werden muss. Bei beiden Arten zu operiren bleibt
es Hauptregel : alles Entartete wegzunehmen , doch schone man auch wie-
der so viel als möglich vom Gliede , um die Urinexcretion nicht zu sehr zu
behindern und vielleicht selbst die Fähigkeit zum Beischlaf noch zu erhalten.
Nach Rust hat die Amputation im Allgemeinen einen weit glücklichern Er-
folg gehabt, als die Unterbmdung, welche plötzlich alle Excretionen unter-
drückt und daher leicht ein ähnliches Vicärleiden in den Leistendrüsen her-
vorruft. — I. Ablösung des Penis durch die Unterbindung. Sie
■wird nach v. Gräfe folgendermassen gemacht: Man bringt einen silbernen
Katheter in die Blase, legt eine hinreichend starke seidene Schnur über
dem erkrankten Theil im Gesunden an , zieht diese durch das verbesserte
Gräfe'sche Ligaturwerkzeug , und befestigt sie so daran , dass die Schlinge
das Glied schon vor der Zusammenschnürung eng umschliesst. Hierauf
schraubt der Operateur das Instrument so stark zu, dass der unter der
Ligatur gelegene Theil jede Empfindung verliert; alsdann wird das Unter-
bindungswerkzeug mit Heftpflastern befestigt und der krebshafte Theil mit
trockner Charpie und Compressen bedeckt. Klagt später der Kranke über
erneuerte Schmerzen, so wird die Ligatur wieder fest angezogen. Schon
am 4ten, 5ten Tage ist der unterbundene abgestorbene Theil bereits durch
Eiterung abgestossen. Strenge Ruhe im Bette, antiphlogistische Behandlung
und, zur Bekämpfung des üblen Geruchs, Umschläge von Acidum pyroligno-
snm, oder Entfernung eines Theils des Abgestorbenen mittels der Scheere
schon am 2ten Tage , sind hier zu berücksichtigen. Die zurückbleibende
Eiterfläche ist klein und heilt bei einfacher Behandlung meist in 14 Tagen.
Die Öffnung des Katheters muss mit einem Pfropfen verschlossen werden.
Auch kann man statt des Katheters, sollte er Reiz in der Blase erregen,
eine kurze starke silberne, mit 2 Ringen am dicken Ende versehene Röhre
einlegen und diese dann nach Riccio^s Weise befestigen, wo dann aber das
Entfernen des Brandigen mit der Scheere unterbleiben muss. U. Ablösung
des Penis durch das Messer. Instrumente dazu sind: ein kleines Am-
putationsmesser, ein gerades und gewölbtes Bistouri, Ligaturen, Pincetten
und Haken, eine passende silberne Röhre mit 2 Ringen (nach BeW), oder
dn Stück eines elastischen Katheters, dessen eines Ende konisch zuläuft.
Waschschwämme, kaltes Wasser; Pulvis stypticus etc. Zum Verbände die-
nen Charpie , Heftpflasterstreifen , eine malteserkreuzförmige , in der Mitte
durchlöcherte Compresse, eine schmale Rollbinde und die T-Binde. Noth-
Tvendig sind 3 Gehülfen: der Eine hält das Glied fest, der Andere reicht
die Instrumente hin und hilft bei der Unterbindung der Gerässe, und der
Dritte «orgt für i&A ruhige Verhalten dea Kranken. Letzterer legt sich an
8!ö Knke Seite des Bettes oder Operationstischeg hoinfeontal hin und entfernt
die Schenkel von einander. Blase und Mastdarm werden vor der Operatioa
entleert und die Haare am Schambogen abgeschoren. Ein Tourniquet vor
der Operation anzulegen, ist überflüssig, da man in allen Fällen, wo maa
in einiger Entfernung vom Schambogen amputirt, dui'ch einen Gehülfen den
Penis comprimiren lassen kann ; in den Fällen aber , wo man das Glied ait
flein^r Wurzel ablöst, ein Druck mittels einer Rollbinde oder Pelotte gegea
den Schambogen völlig hinreicht. Bei der Operation unterscheiden wir, nach
der Localität: 1) Abnahme des Penis am vordem und mittlem
Theil. Der Operateur stellt sich an die linke Seite des Kranken, ergreift
mit der linken Hand den vorher mit Leinwand umwickelten kranken Theil
des Gliedes, während der Gehülfe mit Daumen und Zeigefinger den Penis
hinter der erkrankten Stelle fixirt und bis nach der Unterbindung der Ge-
fässe, deren 6 sind, comprimirt. Hierauf zieht der Operateur das Glied
etwas an und trennt dasselbe durch einen einzigen Messerzug von oben nacti
unten ab , worauf dann die Gefasse unterbunden werden. Ist die Blutung
aus den schwammigen Körpern durch kaltes Wasser, im Nothfall durch
Styptica, gestillt, so legt man die silberne Röhre oder das Stück eines ela-
stischen Katheters in die Schnittöffnung der Harnröhre , ordnet die Ligatur-
faden gehörig an und vereinigt die Wundränder durch Heftpflaster von einer
Seite zur andern. Auf die Wundspalte legt man ein Phimaceau, dünn mit
Gerat bestrichen, darüber die malteserkreuzförmige Compresse, und befe-
stigt diese mit der schnialen Rollbinde. Das eingelegte Röhrchen wird durch
ein schmales, durch seine Ringe gezogenes Bändchen mittels eines Heftpfla-
sterstreifens am Gliede selbst befestigt. Kann die Blutung auf gewöhnliche
Weise nicht gestillt werden, so muss man das Glüheisen anwenden. Ziehen
sich die Gefasse gleich nach der Durchschneidving so stark zurück, dass sie
nicht unterbunden werden können, so legt man zur Verhütung einer Nach-
blutung einen comprimirenden Verband an und macht Umschläge von kaltem
Wasser. 2) Amputation des Penis in der Nähe des Schoossbo-
gens. Hier ist die Operation schwieriger, als an irgend einer andern Stelle,
weil man hier die blutenden Gefasse nicht so leicht unterbinden kann und
die Corpora cavernosa nach der Durchschneidung sich gleich stark zurück-
ziehen , dagegen die Haut des Penis stark hervortritt , wodurch eben so
sehr als durch das im Zellgewebe sich ansammelnde und coagulirende Blut
es schwer wird , die Mündung der Harnröhre zur Einführung des Röhrchens
und die blutenden Gefasse aufzufinden. Um diese Schwierigkeiten zu besei-
tigen empfiehlt Rust folgende Operationsmethode: Der Kranke muss vor dem
Fussende eines Bettes oder nicht zu hohen Tisches stehen und die Schenkel
ausspreizen. Ein zur Seite des Kranken knieender Gehülfe zieht von hinten
her, zwischen die Schenkel des Kranken mit seiner Hand den Hodensack
zurück und sucht den Penis , wenn er nicht dicht an seiner Wurzel abge-
schnitten werden soll , mit Daumen und Zeigefinger zu fassen und so stark
als möglich zusammen und an den Schambogen anzudrücken. Der vor dem
Kranken stehende Operateur ergreift das Glied nun mit der linken Hand
und zieht die Haut desselben so stark als möglich nach sich an , setzt das
Amputationsmesser nahe an seinem Hefte unterhalb des Gliedes, die Schneide
nach aufwärts gerichtet an der Stelle an, wo das Glied abgesetzt werden
muss, und schneidet dasselbe durch einen einzigen, aber kräftigen, von un-
ten nach oben geführten Messerzug ab. In dem Augenblicke, wo dies ge^
schehen , muss der Kranke , seine Füsse am Boden fixirt haltend , mit dem
Obertheil des Körpers in eine mehr liegende Stellung gebracht werden, tO
dass der Schambogen der höchste Punkt wird, worauf dann der sich so-
gleich stark zurückziehende Stumpf des Gliedes durch die Hautwunde, die
zugleich von dem Gehülfen sammt dem Scrotum zurückgezogen erhalten
wird, wieder hervortritt und die spritzenden Blutgefässe mit Leichtigkeit
unterbunden werden können. Hierauf wird sogleich eine Röhre in die Harn-»
röhre eingeführt und der oben angegebene Verband angelegt, and dieser
durch die T-Binde unterstützt, woran auch da« Röhrchen durch tiA Paar
108 AMPÜTATIO
Bändchen befestigt wtri Auf diese Rust'sche Manier operiren auch mehrere
fianzösische Chirurgen ; da sie aber die Auffindung der Harnröhre nach Ab-
schneidung des Penis fürchten , so legen sie noch vorher einen elastischen
Katheter ein und schneiden dann den Penis sammt dem Katheter durch, des-
sen eines Ende sie dann mit der Pincette etwas hervorziehen und befestigen.
So führt auch Ruggieri in Italien vorher einen silbernen Katheter, der an
dem Ende, welches in die Blase kommt, von Gummi elasticum ist, ein
und schneidet den gegen den metallenen Theil des Instruments von dem
Gehülfen fest angedrückten Penis kreisförmig um den Katheter ab. Schre-
ger^s und Lmigenheck' s Methoden sind folgende: Nach Ersterm drückt ein
Gehülfe vom Damme aus den Bulbus urethrae vorwärts gegen den »Schooss-
beinwinkel. Der Operateur durchschneidet am Rücken des Gliedes die Haut
quer, und unterbindet dann die hiedurch zerschnittenen Arteriae dorsales,
dann trennt man in derselben Richtung die Corpora cavernosa und unter-
bindet deren Arterien, dann wird auf dieselbe Weise die Harnröhre zur
Hälfte getrennt und nach Unterbindung der Pulsadern das Übrige vollends
durchschnitten. So wird zwar das Zurückziehen der schwammigen Körper,
so wie eine bedeutende Blutung verhindert, jedoch die schmerzhafte Opera-
tion verlängert. Besser wäre es , nach Unterbindung der Arterien der Harn-
röhre sogleich einen Katheter einzufuhren , dessen Einführung später Schwie-
rigkeiten macht , da die Blutung das Einführen desselben sehr erschwert.
Langenheck durchschneidet die Corpora cavernosa durch den Rücken des
Penis so tief, dass der weisse Rand und das Septum sichtbar werden, zieht
dann durch diese eine Schlinge, und dadurch nach vollendetem Schnitt den
Stumpf aus der Hautwunde hervor und unterbindet die Gelasse. Nach der
Erfahrung geht, selbst bei der sorgfältigsten Vereinigung, nie durch eine
primäre Verwachsung der Haut mit den schwammigen Körpern , sondern nur
durch Eiterung die Heilung vor sich. Daher muss der erste Verband bis
zum Eintritt der letztern liegen bleiben, der Kranke sich so lange in hori-
zontaler Lage verhalten und , um Nachblutungen zu verhüten , streng anti-
phlogistisch behandelt werden. Dienlich sind: kühlende, schleimige Getränke,
um die Schärfe des Urins zu mildern, der fast immer neben dem Katheter
vordringt und die Wunde benetzt. Katheter oder Kanäle müssen bis zur
vollkommnen Vernarbung liegen bleiben. Die anfangs stets übelartig rie-
chende Eiterung wird ihrem Charakter gemäss behandelt. Bei alten Perso-
nen muss man bald zur reizenden und stärkenden Methode übergehen. Sind
alle Gefässe richtig unterbunden, so stillt man die Nachblutungen durch
Druck und Tamponade. Verengert sich die Harnröhre nach Entfernung der
Kanäle zu sehr, so bringt man später Bougies ein. Ist der Stumpf sehr
kurz, so bedient sich der Kranke einer blechernen Röhre, um das Harnen
ohne Benetzung der Kleider vollführen zu können. Dem Trübsinn , welcher
sich immer , selbst bei nicht mehr Zeugungsfähigen , nach dieser Operation
einfindet, begegnet man durch angemessene psychische Mittel.
Ampuialio tarsi (pedis}, Absetzung der Fusswurzel (des Fusses).
Die Gelenkverbindung zwischen Astragalus und Calcaneus und zwischen Ös
na^äculare und cuboideum ist die geeignetste Stelle zur Auslösung des Fusses.
Sie kann sicher und schnell ausgeführt werden, und gewährt den grossen
Vortheil, dass sie dem Kranken den zur Fortbewegung wcsentlichsteu Theil
des Fusses, das ganze Fersenstück, in einer vollkommen beweglichen
Verbindung mit dem Unterschenkel erhält und somit Krücke, Stelzfuss und
künstliches Glied, ja mit der Zeit selbst die Hülfe des Stocks beim Gehen
entbehrlich macht. Bei allen Zerschmetterungen oder cariösen Zerstörungen,
welche die Fusswurzelknochen der hintern Reihe noch nicht ergriffen haben,
selbst bei cariöser Zerstörung der Ossa metatarsi, verdient diese Exarticu-
lation den Vorzug vor jeder andern Ablösung des Fusses. Vor der Opera-
tion muss sich der Operateur von dem Lageverhältniss der einzelnen Theile
des Fusses, zumal in Bezug auf die zu trennende Gelenkverbindung, beson-
ders bei Klumpfüssen, genau orientiren. Wichtig ist der genaue Hinblick
auf den Vorsprung, der am Innern Rande de« Fusses etwas tiefer als der
AMPUTATID 109
innere Knöchel und meist eineii kleinen Fingfe^ breit vor demselben das
Tuber ossis navicularis bildet; onndttelbar hinter diesem Vorsprunge be-
ginnt der innerste Theil der zu lösenden Gelenkverbindung. Am äussero
Kande des Fusses fasst man einen andern Voxsprung, nämlich das mehr
vorwärts gelegenene Tuberculum am hintern Ende des Os metatarsi digiti
quinti ins Auge ; zwischen ihm und dem äussern Ende jener Gelenkverbin-
dung ist hier nun zwar noch das Os cuboideum befindlich; allein das ge-
nannte Tuberculum springt nach der Planta zu so bedeutend nach hinten
zurück, dass seine Gelenkverbindung selbst nur. einen kleinen Finger breit
dahinter befindlich ist. Eine Linie also , welche am Innern Fussrande, dicht
hinter dem fühlbaren Tuber ossis navicularis beginnt, über den Fussrücken
nach aussen und ein wenig vorwärts läuft, und einen kleinen Finger breit
hinter dem Tuberculum ossis metatarsi quinti am äussern Fussrande endet,
deutet an jedem Fusse die Richtung des Gelenkes an, in welchem die Aus-
lösung gemacht werden soll. Die besten Methoden zu operiren siiid die nach
Walther und Rust; wobei man auf Folgendes achtet: 1) ein an der Spitze
stechendes scharfes Bistouri wird , während die eine Hand den Vorderfuss
hält (am linken Fuss zuerst am Innern, am rechten zuerst am äussern Fuss-
rande) , einige Linien hinter und unter der eben bezeichneten zu trennenden
Gelenkverbindung eingestochen, und mit dem vorwärts gewandten Messer
nunmehr der seitliche Längenschnitt bis zur Gegend der vordem Gelenk-
köpfe des Metatarsus geführt. Nach gewechselten Händen wird der näm-
liche Schnitt auch auf der andern Seite mit der rechten vollzogen, so wi«
der erste Schnitt mit der linken geschah. Beide Schnitte laufen längs den
Rändern des Fusses, mithin nicht leicht über % Zoll von der Sohle entfernt,
ja der äussere besonders vorwärts, tiefer noch als der innere Schnitt. 2) Mit
dem nämlichen Messer wird nun der Dorsalquerschnitt, und zwar, je
nachdem es der Zustand der Weichthelle gestattet, 3 — 4 Querfinger weit
vor dem Ende der Tibia dergestalt verrichtet, dass mit einem Zuge Haut,
Muskel und Sehnen bis auf den Knochen durchschnitten werden. Hieraul
bildet man einen Dorsallappen mit sorgfaltiger Benutzung sämmtlicher Weich -
gebilde , indem man einen Querschnitt über die MIttelfussknochen macht, den
beide Längenschnitte vereinigt, welchen viereckigen Lappen man bis in die
Gegend des zu trennenden Gelenks ablöst und In die Höhe klappt. Dieser
wird von einem Gehüifen zurückgehalten und nun drückt der Operateur
mit seiner linken Hand die Zehen abwärts, um die Ligamente der Fuss-
wurzelknochen zu spannen, und trennt noch mit dem nämlichen Messer,
indem er damit vom Innern Fussrande. anhebt und nach dem äussern fort-
geht, das Gelenk selbst. 3) Nun ergreift der Operateur das zweischneidige
Amputationsmesser , dringt mit der ganzen Schneide desselben in die Gelenk-
höhlen bis zur untern Seite derselben ein, während er den vordem Theil
des Fusses anhaltend und immer mehr herabdrückt , geht hierauf mit dem
Messer , ohne jemals die Knochen zu verlassen , damit möglichst alles Fleisch
mit gefasst werde, an der Plantarfläche des Fusses herab und endet den
Schnitt, die Messerschneide nach unten wendend, 5 Querfinger breit vor
der Gegend der beiden Knöchel. So werden ein oberer kleiner und ein un-
terer grösserer Lappen zur Bedeckung der Knochen gebildet. Letzterer
muss bis in die Gegend des Ballens der grossen Zehe reichen. Das über
dem Knie angelegte Tourniquet wird nun ein wenig gelüftet und die spri-
tzenden Gefässe unterbunden. Die beiden Lappen werden aneinander gelegt
und durch lange Heftpflaster, von der Wade, Ferse und Sohle her über
dem Rücken des Fusses und eben so von der einen Seite des Stumpfs zur
andern befestigt (nicht aber durch blutige Hefte nach Guthrie'), das Glied
flectirt und die Wade mit einer Binde umwickelt, nachdem mit Charpie und
4 theils gespaltenen , theils ungespaltenen Compressen der Stumpf von allen
Seiten bedeckt worden ist. Lnngenbeck hält den obern Lappen für zweck-
widrig, wie auch Klein, schneidet daher den Fussrücken 1 Querfinger breit
Yon der Tibia quer ein und bildet ohne alle seitliche Schnitte nur einen
Plantarlappen, den er vor der Durchschneidung gegen den Stumpf beugt
110 AMÜLETÜM — ANADROMB
und an demselben abschneidet, damit er die gehörige Länge habe und Ifl
der Form dem Schnitt am Fussrücken entspreche, welche Methode noch einr-
facher und leichter als die oben allgegebene auszuführen ist. — Von de«
höchsten Wichtigkeit ist es, um die leicht folgende Eiterung zu verhüten,
die ersten 3 bis 4 Tage lang die Kälte, am besten mit Eisblasen, rund um
auf den Stumpf einwirken zu lassen, auch den Verband nicht vor dem secha-
ten Tage zu lüften, und die Compression durch Heftpflaster und Binden,
.selbst wenn die Wundränder schon äusserlich vereinigt sind , nicht gleich
wegzulassen. Eine geringe Eiterung bildet sich dennoch jedesmal schoo
wegen der Unterbindungsfäden, weshalb der B'uss seitlich gelagert auf ein
Pferdehaarpolster gelegt und nöthigenfalls reinigende Einspritzungen ange^
wandt werden müssen. Eine schnelle Heilung ist hier gerade nicht wüni»
ßchenswerth. Zu früh muss der Kranke auch nach scheinbar vollendetor
Heilung den Fuss nicht bewegen. Ein gewöhnlicher, vorn mit Rosshaarea
ausgestopfter vStiefel mit ebener und fester Sohle und weichem Oberleder
dient nachher zur Unterstützung und ist allen künstlichen Mechanismen vor-
zuziehen, da er den Gebrauch des Gliedes sichert und die Verstümmlung
bedeckt. Eck lässt die Rosshaare darin zu Abhaltung der Nässe mit ein«K
Blase umhüllen, was sehr zweckmässig ist,
Amuletnm, das Amulet, ein Anhängsel als vermeintlicher Schuta
^egen Krankheiten und sonstige Unglücksfälle. Die Amulete sind nicht al-
lein im ganzen Orient im Gebrauch, sondern werden auch noch häufig bei
uns , und nicht allein immer in den niedern Ständen , in Anwendung ge- [j
i)racht. Ihr Nutzen, indem sie auf psychische Weise ableitend wirken und '!
durch Glauben und Vertrauen das Nervensystem heben und gegen Aiv- |^
Bteckungsstoffe unempfindlicher machen , ist über allem Zw eifel erhaben.
Poch heisst es hier mit Recht, wenigstens bei solchen Amuleten, die ganz
indifferente Stoffe enthalten : der Glaube macht selig ! Doch kann dieser
{*a, nach der Schrift, selbst Berge versetzen. Die aus Arzneistoffen best&-
lenden Anhängsel sind indessen oft recht wirksam , da sie meist alle aui
der Herzgrube getragen werden und diese Gegend wegen der zahlreichen 1,
dort befindlichen nervenreichen Theile höchst empfanglich für die Einwir-
kung äusserlicher Arzneien ist, z. B. ein Beutel mit Flor, sulphuris 5j und jj
Moschus gr. V gefüllt, als Präsei-vativ vor dem Keuchhusten (Miihrheck in
Rrnfs Magazin, Bd. XXIX. Heft 1). Im Decbr. 1829 bis Ende Febr. \
18S0 bekam ich einen 14jährigen Knaben mit Chorea St. Viti und Epilepsie
in die Cur, Vorhergegangen waren : heftige Erkältung im kalten Wasser
xmd starker Rausch ; in der Familie war erbliche Disposition zu Epilepsie.
Ausser den gewöhnlichen Mitteln Hess ich folgenden Bolus, in rothe Seide
genäht, mittels eines seidenen Bändchens um den Hals auf der Herzgrube
tragen: ^ Gumm. asae foctid. gr. xv, Ferri jmlvemH gr. x, Sem. stranu
concis. gr. v, Exir. hyoscyami ^\i. M. f. bol. S. Zum äusserlichen Gebraurli.
Hiernach zeigte sich eine so merkwürdige Anziehung zu allem Eisen, d
die Glieder des Knaben stets nach dem Orte, wo es sich befand, hingezi
fen wurden, und es ihm ein widriges Gefühl erregte. Nach Entfernung
es Amulets verschwand sogleich dieses Symptom von selbst.
Amyg'dalitis ,s. Anginatonsillaris.
AnJiliasis. Ist Zunahme einer Krankheit bis zur Acrae.
/knaliexis » das Aufhusten , Heraufbringen von Schleim durch HusteiL
AnalirocbismuSj das Abbinden, z. B. eines stielförmigen Ge-
wächses durch die Schlinge etc.
Anabrosist, Erosio. Ist Zerstörung eines Theils des Körpers diuxb
Jauche, Ätzmittel etc.
üjnacatbartica. Sind Mittel, welche eine Reinigung oder Auslee-
rung des Körpers nach oben durch Erbrechen, seltener durch Salivation,
Expectoration etc. bewirken.
AA^djTOm^s Anndqiis. Ist Aufsteigen der Säfte oder Krankheits-
ANAEMU — ANAPHLASMÜS 111
materiea ron ontea nach oben, Congestioa des BhiU nach dea obem
Theilen etc.
Anaemfia, Annemosis, Oligatmia, Blutlecrheit, BlutmangeL
Ist ein Symptom nach starken Blutflüssen, in der Bleichsucht. In neuerer
Zeit hat man damit einen Krankheitszustand bezeichnet, der sich durch
eine äusserst verminderte Quantität des Bluts und daraus erfolgende allgo-
jueine Störung der Reproduction auszeichnet, und woran, ohne die Ursacho
bestimmt zu kennen, im Jahre 1799 viele Arbeiter eines Steinkohlft-.iberg-
werks in der Gegend von Valenciennes litten ; s. Dict. des scienc. mdd.
Par. 1812. Tom. II. p. 81. Eisenmittel konnten hier allein nur retten.
Anaesthesia , Unempfindlichkeit, sowol irritable als paraly-
tische 'torpidität. Greiner (s. dess. Arzt im Menschen etc.) theilt alle Neb-
ropathien in Neuralgien, Anästhesien, Dysneurien und Paraphrosynea.
Analepsia, s. Epilepsia.
Analeptica. Sind reizende, «lifegende, erquickende, belebende
Arzneimittel; s. Excitantia, Nervina.
AnsklgCfiia, t Schmerzlosigkeit bei vorhandenem Grunde
des Schmerzes. Dieser häufig vorkommende Zustand beruhet entweder
auf Mangel an Empfindung, Lähmung der Nerven, z. B. bei Paresis und
Paralysis, oder der Theil ist völlig abgestorben (Gangrän), oder gross«
Nervenstämme sind verletzt, werden durch Druck von Geschwülsten, durch
starken Blutandrang , der im Begriff steht , Lähmung zu bewirken oder dies«
schon bewirkt hat etc. , in ihrer Function gestört. Stets werden fiur die-
jenigen Theile empfindungslos, die von dem gedrückten oder anderweitig in
geiner Function behinderten Nerven Äste erhalten. Die aus reiner Lähmung
oder Vernichtung der Nervenfimction erfolgende Schmerzlosigkeit ist unter
allen Verhältnissen ein bedenklicher Zustand, dagegen ist die blosse Hinde-
rung der Nerventhätigkeit , als ein gebundener Zustand derselben, leicht zu
heben , wenn das zum Grunde liegende Hinderniss (die Geschwulst , das
Aneurysma etc.) entfernt werden kann (Hecker). , "
Analosis. Ist nach JBe^in Abzehrung, Schwindsucht S.Phthisis
wnd Tabes.
Anamnesifil y die Rückerinnerung, Anamnese. Die Anamne-
stik als Resultat der Anamnese ist die Lehre von den früheren Umständen
eines Kranken , insofern solche für die Beurtheilung des gegenwärtigen Zu-
stande» von Wichtigkeit sind. Die anamnestischen Zeichen sind für Dia-
gnose, Prognose und Heilverfahren von so hoher Wichtigkeit , dass kein ra-
tioneller Arzt sie je , wo sie zur Aufhellung des individnelleu Falles dienen
können, übersehen wird.
Anapetia« Ist bei Galen dasselbe, was Angiectasis.
Anapliia, verminderte Empfindlichkeit des Hautorgana.
Sie ist ein Symptom bei verschiedenen Krankheiten, und entweder Folge
eines lähmungsartigen Zustandes, woran die peripherischen Nervenendigungen
Iheilnehmen , z. B. bei Scheintod , Apoplexie , Paralyse , wo selbst heftige
äussere Reizmittel : Vesicatorien , Senfpflaster , keine Empfindung erregen ;
oder sie entsteht auf antagonistische Weise bei Exaltation des Gehirns, wo-
durch die Reizbarkeit des Hautorgans herabgesetzt wird, wie dies bei M^-
nie , Melancholie, bei Hypochondrie, bei hysterischen Anfallen zuweilen des
Fall ist. Cur. Sie ergiebt sich von selbst aus den angeführten Ursachen.
Senfbäder, Reiben und Bürsten der Haut, Senfteige, Vesicatorien, Einrei-
bungen von aromatischen, Spirituosen Dingen (s. die Formel bei Amaurosis),
sind hier passend. Nach Kühn und Kraus hat Hippokrates mit dem Worte
A n a p h e seu A n a p h i a gerade das Gegenthell der Neuem , also denjeni»
gen Zustand verstanden, der keine Berühi'ung zulässt, oder in >velchem
durchs Gefühl des Untersuchenden nichts erkannt wird. ge-
AnapUasmiui. Ist gleichbedeutend nütSelbstheJEleckung, Mas «de,
bation; s. Onania. losen
112 AJJAPHRODISU — ANCYLOBLEPHARUM
t' <> ' .Ainaplurodisia» Agenesia (^ Vogel"), Atecnia { lAnnc) , FenenWe-!
fectus , Reizlosigkeit der Geschlechtstheile bei beiden Ge-
schlechtern. Man begreift hierunter sowol das männliche Unvermögen,
als die Unfruchtbarkeit, S. Impotentia vi rill s.
Anaplirodisiaca , s. Aphrodisiaca.
jLnaplasiSy Conformatio, Coaptatio, die Einrichtung, künst-
liche Aneinanderfügung zerbrochener Knochen, die der Wund-
arzt, wenn Extension und Contraextension hinreichend gewirkt haben, nüt
seinen Händen verrichtet'. S. Fractura.
Anapier otica , ausfüllende Mittel, z. B. in grosse Wunden,
oder bei Blutvez-lust die Transfusion des Bluts.
Anapnoica» Mittel, die das Athraen oder die Expectoration beför-
dern. Auch gelinde Diaphoretica nennen die Alten so.
Anaptysis» das Ausspeien, Aufhusten, die Expectoration. Mittel
zur Beförderung desselben, s. Expectorantia.
Anairrlioea » Annrrhopin, das Aufsteigen der Säfte, besonders des
Bluts nach den obern Theilen, die Congestion zum Kopfe.
Anasarca, Haut Wassersucht , s. Hydrops cutaneuB.
Anaseisis» die Erschütterung, s. Commotio.
Anaspadiaeus, s. Hypospadiaeus.
Anastaltica (remedia^. So nennt man stark zusammenziehende Mit-
tel, z. B. die Holzsäure, Decoct. quercus mit Alaun, Tinct. gallar. tmxic.
etc. S. Adstringentia.
AnastasiSj das Aufstehen vom Krankenbette , die Genesung Re-
convalescenz.
Anastroplie« die Umkehrung, z. B. des Uterus, der Harnblase, s.
Inver sio.
Anatasi.«!» Earlensio, die Ausdehnung, d. i. derjenige Kunstact,
diu-ch welchen man bei dislocirten Knochenbrüchen die Knochenstücke, ura
sie einzurichten, von einander zu entfernen sucht. S. Fractura.
Anatbymia&lis» das Aufstossen, z.B. die Vapeurs bei Hysterischen,
s. Hysteria.
AnatrepsiS, die Wiederernährung, ein erneuertes Ernähren, z. B.
nach einer erschöpfenden Krankheit, die Erhohing nach einer Erschöpfung.
Anatripsis* Bedeutet 1) das Einreiben, z. B. eines Liniments;
2) das Abreiben von Auswüchsen, z. B. der Hornhautflecke durch rauhe
mechanische Mittel , durch Pulver von Bimstein , Os sepiae ; o ) Kratzen,
Jucken der Haut; daher auch die Krätze; 4) das Zermalmen steiniger Con-
cremerite in der Harnblase. Doch ist für letzteres das Wort Lithontritie ge-
bräuchlicher. — Vgl. Frictio.
Anaudia, Sprachlosigkeit, ein hoher Grad von Heiserkeit. Bei ho-
hen Graden von Angina, Glossitis etc. kann der Kranke nicht sprechen,
desgleichen nach heftigen Apoplexien , wo die Sprache wegen Paralyse der
Nerven dieser Organe mangelt. Die Cur ist darnach verschieden. Bei chro-
nischer Sprachlosigkeit aus paralytischen Ursachen half, obgleich das Übel
schon sechs Jahr alt war, die vorsichtige sechswöchentliche Anordnung des
Galvanismus an Kehlkopf und Zunge (M.). S. Aphonia.
Ancbilops, Augenwinkelgeschwulst, s. Aegilops.
Ancteriasmus , s. Fibulati o.
Ancylolllepliaruin , Pnipehrarum coalittis , Verwachsung der
Augenlider unter sich. Ists Verwachsung mit dem Augapfel, so heisst
ru. Symblepharum. Man unterscheidet Ancyloblepharum verum und spurium.
Exzteres ist Verklebung der Augenlider durch Schleim aus den Meibom-
n Drüsen, durch Eiter, bei den Pocken, bei Herpes faciei, Crusta
ANCYLOGLÜSSUM — ANCYLOSIS 113
lacte». Hier welche man die Augienlider durch laue Milch etc. auf, sonst
stockt die Thränenfeuchtigkeit. Bei der wahre« Verwachsung der Augen-
lider unter sich (A. verum) ist das Übel (entweder angeboren (adnatuin) oder
durch Entzündung entstanden (ac(juisitum). Ur'sachen des letztern sind:
vorzüglich die Menschenblattern, Verbrennung des Gesichts mit kochendem
Wasser, ungelöschtem Kalk, ferner die Gesichtsrose. Cur. Man verhüte
bei vorkommenden Fällen das Übel durch öfteres Offnen und Scliliessen der
Augenlider, durch Anwendung von ZHuk^albe unter die entzündeten Augen-
lider, durch leichtes, schwaches, schnelles .Bestreichen mit Lapis infernalis.
Ist die V^ervvachsung schon da, so muss man mit einer feinen gebogenen
Uohlsonde, die man unter das Augenlid bringt, oder durch ein kleines Si-
chelmesser die Trennung bewirken und, um neue Verwachsung zu verhüten,
mit Zinksalbe verbinden, auch den Kranken die ersten Nächte hindurch oft
wecken , damit er die Augen nicht mehrere Stunden lang geschlossen hält.
Auch das Symblepharum erfordert eine ähnliche Behandlung, ist aber oft
schwer zu heben, weil es schwierig ist die neue Verv%achsung zu: verhüten.
Um letzteren Zweck zu erreichen, hat man angerathen, kleine Schälchen
von Zinn oder Blei unter das Augenlid zu schieben (^Uimly).
Ancylog^lossum , Adhacsio lini;uae , angewachsene Zunge.
Hier erstreckt sich das Zungenbändchen zu weit nach vorn unter die Zunge,
so dass das Kind nicht saugen, die Zunge nicht unter die Unterlippe brin-
gen und nicht gehörig reden kann. Cur. Ohne chirurgische Hülfe durch
die Operation ist dieser angeborne Fehler nicht zu heben. Man schnieidet
einen Theil des Zungenbandes von vorn nach hinten mit einer stumpfen ge-
krümmten Scheere durch, nachdem man das Kind, auf den Rücken gelegt
und ihm die Nase zugehalten hat, worauf es von selbst den Mund öffnet.
Ehe man den Schnitt macht, schiebt man vorher einen Mundspatel derge-'
stalt unter die Zungenspitze, dass das durchzuschneidende Zungenbändchen
in die Spalte des Spatels zu liegen kommt. Die Blutung ist meist unbedeu~
tend, daher es keiner fernem Mittel bedarf. Es giebt ausser dem angebor-
nen Ancyloglossum , das meist hart und verdickt ist , auch noch ein Anaß,
acquisitum, als Folge von Geschwüren und schlechter Vernarbung der Znn-
genwunden, dessen schon Aelius (VIU. 38) gedenkt. Hier sucht man die
schlechten Narben mit dem Messer oder der Scheere zu trennen und dann
anfs Neue besser zu heilen. Oft glauben stillende Mütter, wenn der Säug-
ling nicht ordentlich saugen will, dass die Zunge angewachsen sey. Eine
genaue Untersuchung zeigt dann die Zunge lang genug, aber die Mutter
ist, zumal wenn sie zum erstenmal stillt, ungeschickt bei der Anlegung des
Kindes an die Brust, so dass die Warze den Mund nicht gehörig verschliesst
oder die Nasenlöcher des Säuglings sich in die Brust drücken und das Kiiul
aus Mangel an Luft den Mund öffnen und die Warze fahren lassea XOBSs,
Ajicylomerisma , s. Adhaesio viscerum. <i\ •utun
Ancylosis, Gelenksteifigkeit. Bei der wahren Ankylose (Ä. 'V4 ra}
sind die Knochen an den Gelenken mit einander verwachsen, ffier ist das
Übel meist unheilbar. Dagegen lässt sich die A. spuria , wo die Beweglich-
keit des Gelenks nur vermindert ist, oft noch heilen. Ursachen sind:
Fracturen nahe am Gelenke, Luxationen, Caries, Hydrops articuli, Aneu-
rysmata, Rhachitis, starke Contusionen , Gicht, Lähmung, Gliedschwarara,
Gewächse und Eiterung im Gelenke. Cur. Ist nach den Ursachen ver-
schieden. Sind letztere gehoben (Fracturen und Luxationen eingerichtet,
Caries geheilt, Pulsadergeschwülste durch Compression, durch Unterbindung
der Arterie entfernt etc.); so gebrauche man bei der zurückbleibenden Ge-
lenksteifigkeit örtliche erweichende Mittel : warme Wasserdämpfe , warme
Bäder , Kinreibungen von Ungt. mercuriale , Ungt. althaeae , Linim. volat.
terebinthinat. , Gänsefett, Rindsmark, Schweinefett; man lässt das Glied
oft in die Eingeweide von frischgeschlachtetem Vieh halten, wendet allge-
meine Bäder und die Douche aufs Gelenk an, desgleichen tägliche gelinde,
ailmälig verstärkte Bevsegungen des Gliedes. Bei unheilbaren Aiikyloseu
Munt Euc^klopädie. 2te Aufl. i. g
114 ANDROMANIA — ANEURYSMA
hat man vorgeschlagen, ein künstliches Gelenk zu machen, und hat dies
mit dem besten Erfolge verrichtet. (^Barton in Gerson und Julius Magazin
der ausländ. Literatur 1827. Juli und August). Auch verschiedenemal wieder-
holte Einschiutte in allen Richtungen im Umfange des Gelenkes sind mit
Nutzen angewandt worden;; • (Gidhella in Gerson und Julius Vlagaz. März.
1827). Die Gelenks teifigkeit, auch Jnc%?osi«, Ancyle , Orthoaßlosis
genannt, ist nur in den Fällen als selbstständige Krankheit zu betrachten,
wo die articiüirten Knochenüächen in ihrer ganzen Ausdehnung verwachsen
und die Knochen also zu einem einzigen verschmolzen sind, so dass ihre
Grenzen durchs Gefühl nicht unterschieden werden können. Am häufigsten
kommt das Übel am Ellbogen - und Kniegelenke vor ; zuweilen finden sich,
an einem Individuum gleichzeitig mehrere Ankylosen, wo dann in der Regel
Scrophulosis , Rhachitis oder Gicht zum Grunde liegen. Zu den seltenen
Ankylosen gehört die Verknöcherung der Rippen mit dem Brustbein, des
Zungenbeins mit dem Kehlkopfe, die Ankylose der Unterkinnlade. Merk-
würdige Skelete, woran diese oder auch, allgemeine Ankylosen vorkommen,
findet man im anatomischen Museum zu Berlin , in dem der Ecole de M6~
decine und in andern ähnlichen Museen und Cabineten. — Wo die Anky-
lose als ein günstiger Ausgang einer vorgeschrittenen Gelenkkrankheit, z.B.
der Arthrocace, zu betrachten ist, muss die Bildung derselben durch ruhige
Lage des Gliedes befördert und das Glied wo möglich in eine solche Stel-
lung gebracht werden, dass dasselbe später dem Kranken Dienste leisten
kami. Man bemühe sich daher, das Ellbogengelenk und die Fiiigergelenke
in gebogenef, das Hüftgelenk und Knie in ausgestreckter, das Schnlterge-
lenk in abducirter Lage des Gliedes ankyloslren zu lassen. Man lässt mit
dem Gelenke zu diesem Zwecke, sobald es der Zustand erlaubt, neben der
Behandlung des primären Leidens an und für sich (der Fractur, Luxation,
Gelenkentzündung), kleine Be\\eg\ingen vornehmen, diese jedoch, sobald
sich Schmerz einfindet, einstellen. Diese Bewegungen, bei denen man an-
fangs ein knarrendes Geräusch im Gelenke hört , müssen sehr behutsam vor-
genommen und allmälig verstärkt werden. Bei Fracturen und Luxationen
stellt man sie vor der jedesmaligen Ei'neuerung des Verbandes ein. Bei
Ankyl. spuria und incompleta sind diese Bewegungen ein kräftiges Unter-
stützungsmittel der Cur (s. Botjer, Sur les maladies des os. Tom. II. Peiity
Traite des maladies des os. T. IL Hufelnnd's Journ. Bd. IV. S. 61. Por-
tal, Cours d' Anatomie medicale. T. I. p. 14. Salzb. med. chli-. Zeitung^
1802. T. III. p. 219. Journal de Medecine, T. LXVIIL p. 131).
Andromania» die Manntollheit , s. Nymphoman! a.
AnegerticCs Ars vitam hominum as^ihydicorum rcsuscitandi , die Kunst
Scheintodte wieder zu beleben , s. A s p h y x i a.
Anepitbymia , Mangel an Begierde und Abscheu. Ist Symptom
mancher schweren nervösen Fieber, desgleichen Symptom des Blödsinns,
des Cretinismus u. s. f.
Aneretbisia 9 Reizlosigkeit, Mangel an Reizbarkeit. Ist
Symptom vieler Krankheiten: der chronischen Blennorrhoe, der Febr. ner-
vosa stupida , des Faulfiebers , der Febr. lenta paralytica etc. , wogegen
Excitantia und Roborantia gut sind. Einige verstehen unter dem Worte
auch eine neue , wiederholte Aufreizung.
* Aneurysma,, Dilatntio arteriarum, Ectasia, Pulsadergeschwulst.
Ist eine, an einer Arterie selbst oder in deren nächster Umgebung vorkom-
mende, mehr oder weniger fluctuirende Geschwulst von verschiedener Grösse,
Ausbreitmig und Form, welche in ihrer Höhlung Blut enthält, in den mei-
sten Fällen, wenigstens zu Anfange, pulsirt, und bei angewandtem Drucke
entweder verschwindet oder doch ihren Umfang verringert, nach Entfernung
desselben aber ihre vorige Beschaffenheit wieder erhält. Im Allgemeineii
besteht das Aneurysma in einer widernatürlichen Erweiterung derjenigen
Grenze, in welche das arterielle Blut im normalen Zustande durch die Ar-
terienhäute eingeschlossen wird. Je nachdem diese erweiterte Grenze aar
ANEURYSMA 115
von der Ausdehnung einer oder aller ArterieiUtäuta selbst herrührt, oder gar
nicht von letztern gebildet wird, je nachdem die Geschwulst an äussern
oder innern Theilen vorkommt, und nach ihrer sonstigen Beschaffenheit,
wird sie in verschiedene Arten und Untersirten getheilt (s. unten). Ursa-
chen. Sind theils innere, theils äussere. Zu erstem gehören rheumatische,
gichtische, scrophulöse, syphilitische Dyskrasien, Mercurialkachexie ; die
durch Einathmen verdorbener, mit faulen Dünsten angehäufter Luft veran-
lasste, schlechte Beschaffenheit der Säftemasse, wie sie sich bei Kloakenar-
beitern, Aiiatomiewärtern und A. durch ein bleiches Aussehen schon äusser-
iich zu erkennen giebt, prädisponirt zum Aneurysma. In einigen Ländern,
wie z. B. in Italien, scheint die Krankheit verhältnissmässig häufiger vor-
zukommen. Frauen leiden seltner als Männer an ihr, was zum Theil von
der Beschäftigung der letztem abhängig seyn mag. Das Verhältniss ist nach
Hodgson wie 9 zu 1. So findet sich das Aneurysma am öftersten bei Rei-
tern, Postknechten, Seiltänzern, Ferner ist das hohe Alter, wegen der
häufigen Verknöcherung mancher Arterien, der Krankheit mehr ausgesetzt,
als das mittlere und jugendliche. Ferner sind Ursachen: übermässiger Ge-
nuss spirituöser oder auch erschlaffender Getränke, allgemeine Atonie des
ganzen Körpers und besonders des Gefässsystems , Bleichsucht, Ausschwei-
fungen, Onanie, heftige, besonders deprimirende Leidenschaften, Säftever-
lust, Anschwellungen und Verhärtungen der Eingeweide, starke Anstren-
gungen beim Blasen der Blasinstrumente ; beim Erbrechen , beim Husten etc.
Äussere Ursachen sind: alle schneidende, stechende, zerreissende Verletzun-
gen der Arterienhäute, durch von Aussen eindringende Körper oder durch
Knochensplitter, durch Erschütterungen des gsmaen Körpers beim Springen,
durch übermässige Kraftanstrengung, z. B. beim Verarbeiten der Geburts-
wehen, und durch Hemmung der Circulation des Bluts, durch Druck, Schnür-
brüste etc. Übermässiger Druck des Bluts auf die Gefässwandungen über-
haupt ist die erste Veranlassung zum Aneurysma (s. Hope's Herzkrankheiten,
übers, v. Becker), und zwar, weil entweder der Druck absolut zu gross ist,
oder weil die Gefässhäute eine krankhafte Nachgiebigkeit zeigen. Ein sol-
cher Druck hat eine gesteigerte Ernährung der Gefässwandungen zur Folge,
um vermittelst gesteigerter Gefassthätigkeit jener zu widerstehen. Man fin-
det daher nach Hope die Wandungen der aneurysmatischen Aorta z. B. sel-
ten verdünnt, sondern zuweilen sogar verdickt, die fibröse mittlere Haut
stark entwckelt und Ablagerungen von Knochen - , Knorpel - oder Kalksub-
stanz zwischen den Schichten derselben. Die äussere Zeilhaut erscheint
alsdann verdickt und an der innern Fläche derselben bildet sich eine der
fibrösen Haut analoge Schicht, wenn letztere durchbrochen ist. Die innere
Haut kommt nach Hope gar nicht in der aneurysmatischen Anschwellung
vor, und es finde kein Hervortreiben derselben statt, wenn die mittlere
Haut verletzt werde, wie man solches durch Versuche erweisen könne, son-
dern eine glatte, der innern Arterienhaut ähnliche Wandung bilde sich selbst
in dem von den aneurysmatischen Sack eingeschlossenen Gerinnsel, wenn
das Blut durch dasselbe einen Weg sich bahne. Ausgänge des Übels.
Sind verschieden. 1) Es berstet die Geschwulst, nachdem sie den möglich-
sten Grad der Ausdehnung erreicht hat, entweder von selbst oder bei Ge-
legenheit einer äussern Erschütterung, und es entsteht eine gefahrdrohende
Blutung. Gewöhnlich hat vorher der Brand die Geschwulst ergriffen.
2) Die Geschwulst entzündet sich, sowie selbst die Arterien, bedeutend,
worauf Obliteration derselben folgen kann. In diesem Falle entsteht beim
Bersten des Sacks keine Blutung. 3) Das Aneurysma coraprimirt die Arte-
rie, und diese obliterirt nach und nach. 4) Das Blut coagulirt im aneurys-
matischen Sacke und verschliesst die Arterie nach und nach bis zum näch-
sten CoUateralaste. 5) Das Blut coagulirt im Sacke und wird allmälig in
eine fleischartige Masse verwandelt, welche endlich mit dem aneurysmati-
schen Sacke selbst absorbirt wird, wobei das Lumen der Arterie erhalten
wird (Chelius'). Die Prognose ergiebt sich aus dem Vorhergehenden. Sie
ist schlimmer bei alten kaehektisdien Leuten und wo sich das Aneurysma
8*
116 ANEURYSMA
aus inuern Ursachen entwickelt, schlimmer bei solchen Aneurysmen, zu de-
nen die chirurgische Kunsthülfe schwer oder gar nicht hinzutreten kann etc.
Cur. Man hat zwar die Behandlung des Aneurysma zeither vorzüglich nur
aus dem chirurgischen Gesichtspunkte betrachtet, dennoch ist die medicini-
sche Behandlung nicht immer ohne glänzenden Erfolg geblieben, die daher
in den meisten Fällen zweckmässig mit der chirurgischen verbunden werden
nmss und in einigen fast nur allein anwendbar ist , besonders da , wo die
sogenannte aneurysmatlsche Constitution (eine Benennung für einen dem
Wesen nach noch dunklen pathologischen . Zustand ) stattfindet,, wo das
Aneurysma aus iunern Ursachen, besonders aus den oben genannten DyS"
krasien entsteht, die eine gleichsam entzündliche, nlceratöse, aufgelockerte
Beschatfenheit der Arterienhäute erregen , die dann wieder zu krankhafter
Ausdehnung und Zerreissbarkeit der letztern prädisponirt.' Die Palliativcur,
welche oft zur radicalen wird, indem sie die Bedingungen zu einem glück-
lichen Ausgange des Übels und die Autokratie der heilenden Natur begün-
stigt, besteht in der Anwendung kühlender, den Kreislauf des Bluts beru-
higender und die Blutmasse vermindernder IVIittel ; daher in einer streng an-
tiphlogistischen Diät, strenger Ruhe, erhabener Lage des leidenden Theil»
und in der Anwendung äusserlicher zusammenziehender und ableitender Mit-
tel. Eine höchst knappe Diät , strenge Vermeidung aller erhitzenden , zä-
hen und blähenden Speisen, wobei die Manschen ■ stets nur kleine Mahlzei-
ten halten und sich so zu sagen nur halb satt essen dürfen, ist höchst noth-
wendig. Obst und Milchspeisen bekommen meist am: besten. Bei vorhande-
ner specifischer Krankheitsursache werden die dieser entsprechenden Heil-
mittel mit besonderer Berücksichtigung des Hauptleidens angewandt. Daa
Heilverfahren auf operativem Wege, lehrt die Chirurgie. Es ist seit weni^
gen Jahren sehr vervollkommnet worden; man hat mit Glück schon dio
linke gemeinschaftliche Ko\)iäch\agader (Magendie , J. Wardrop, Coojyer^f
desgleichen die Arteria iliaca communis (Mo/l) wegen Aneurysmen unterbnn-H
den, nicht zu gedenken der zahlreichen Fälle, wo dies mit gutem. Erfalga
bei der Carotis, Cruralis, Poplitea etc. geschah. / ' i
Aneurysma aortae , s. Aneurysma internum.
Aneurysma cotisecutivuin, die nachfolgende Pulsadergeschwulst.
Ist eine solche, welche aus einer vorhergegangenen ächten Pulsaderge-
schwulst entstanden ist (s. A. verum). Dieser Übergang bildet gewöhn-
lich eine besondere Gattung oder Unterart der falschen Pulsadergeschvvulst
(s. A. spurium circumscrip tum). ./. .
Aneurysma cordis, s. Aneurysma internum. ;
Aneurysma extemuni, die äussere Pulsadergeschwulst. Die
mehr an der äussern Oberfläche des Körpers vorkommenden Aneurysmen
sind entweder ächte, oder falscl(e (s. A. verum, luid spurium). Sie sind
nicht so häufig als die Innern Pulsadergeschwülste , und finden am häufig-
sten ander Arteria carotis, poplitea, inguLnalis, intercostalis und humcralis,
nach äussern Verletzungen am häufigsten an der Art. brachialis (bei un-
glücklichem Aderlasse) statt. Symptome. Gewöhnlich zu Anfange kein
Schmerz in der farblosen Geschwulst, die sich aber bald bedeutend im Um-
fange vergrössert, schmerzhaft wird und sich mit varikösen Gefässen be-
deckt. Die leidende Extremität leidet durch Druck und gestörte Ernäli-
rung, wird welk, verliert ihre Wärme und Muskelkraft, scliwillt ödematös
an, der Kranke fühlt ein Kriebeln in dem Gliede, welches sidi auch äusser-
lich durch die aufgelegte Hand als eine schwirrende Bewegung wahrnehmen
lässt, und diurch da,s Stethoskop als hörbares Geräusch zu erkennen giebt;
der Pulsschlag unterhalb der Geschwulst ist klein, schwach, oft gar nicht
EU fühlen, und das Glied stirbt am Ende wol gai»z ab. Selbst dio angren-
zenden Knochen können durcU den anhaltei\den Druck und wegen mangeln-
der Ernährung in cariö^je Zerstörung übergehen. Mit der Zeit erlischt das
fühlbare Klopfen in der Geschwulst. Prognose und Cur. Sie ist hier
günstiger als bei A. interlmm, da hier die chirurgische Hülfe (Unterbindung
der Aiierie) angewendet werden kann. Doch ehe, man zu dieser, allerdings
, ANEURYSMA 117
bed«iifenden Operatioh «clireitet , versuche man kalte Umschläge' von ge-
stossenem ■ Eise , von Schnee, adstringirende Fomentationen von Decoct.
qüercus , cliinae , ratanhiae, tormentillae, worin Alaun, Vitr. alb. , Vitr.
cupri etc.' aufgelöst worden ist. Dabei berücksichtige man die etwanige in-
nere specüische Krankheitsursache und wende dagegen zweckdienliche Mit-
tel an. Auf solche Weise in Verbindung mit der Compression hellte noch
küEzlich Dr. Wolf ein Aneurysma der Kniekehle ohne 0{)^eration (s. Abhandl.
a. d. Gebiete der Heilkunde v. e. Gesellschaft prakt. Ärzte zu Petersburg
1825. 3tc Samml. S. 169). Breschet machte auf das Vorkommen der Aneu-
rysmen an. den in den Knochen liegenden Arterien in seiner gehaltreichen
Schrift: Observation sur une tumeur aneurysmale accompagnee d'une cir-
constnnoe insolite, par M. Lalk'mand , Prof. etc. ; suivie d'observations et
de retiexions sur des tumeurs sanguines d'un caractere eqnivoque, qui pa-
roissent etre des aneurysmes des arteres des os. Par. 1827, 4., aufmerksam.
+-^ Vel'peau (Nouveaux Clemens de medecine op^ratoire. Par. 1832) ward,
indem er in die Schenkelarterie eines Hundes eine Nadel einstach ^ über-
zeugt , dass ein Gefäss , von der Dicke einer Schreibfeder , durch die auf
diese Art erregte Entzündung in den Arterienwandungen, diese zur Oblite-
ration bringe, und schlägt zur Verschliessung grösserer Arterien die Ein-
bringung von 2 — 6 Puncturnadeln , in einer Entfernung von 5 — 6 Linien
von einander, vor. Ich habe bei Thieren eine Nadel in grössere Arterien
eingebracht und sie mit, dem Sauerstoffpol der galvanischen Säule Verbun-
den, worauf ich fast augenblickliches Gerinnen des Bluts in den Gelassen
beobachtete (s, meiiien Aufs. : der Galv^nism. in Bezieh, auf s. chemisch.,
pharjmac, u, Übertrag.'- Wirk, im Organism. iä HüfelaniVs Journ. der prakt.
Hellk. 1834, 8. St)., Es, lässt sich erwarten, dasfe diese Art def Elektco-
puiictur zur Operation d,es Aneurysma von Nutzen seyn werde , wofür selbst
schon die analoge Dävel'Äche . Behandlung der Varices, durch Obliteratio«»
der Venen < sowie die Fricke'sche der Varicocele zu sprechen scheint, jedoch
sind , so viel mir bekannt , bis jetzt noch kleine ähnliche Heilversuche bei
Aneurysmen angestellt worden.: Schlimme Folgen sind bei dieser Obliterä-
tionsmethode wol kaum zu erwarten. Davel fand nach derselben die Venen,
ober - und unterhalb der operirf en Stelle , zu einem runden ligamentösen
Sträng, bis zur nächsten Anastomose , verwachsen, diese etwas erweitert^
und die übrigen Theile dier Vene , sowie das sie umgebende Zellgewebe,
im völlig normalen Zustande Das gleich nach der Operation gerinnende
Blut wird absorbirt und tnan findet nach 8^ — 14 Tagen keine Spur dessel-
ben , sowie von Entzüadurig liiehr. Üble Zufälle finden bei Thieren nicht
statt, sondern Esslust und Munterkeit kehren bald zurück. Lisfrunc (Des
diverses meth. et des differ. procedes pour l'obliterat. des arteres etc. und
dessen:' Behandlung d«r Aneur. durch die 3 Hauptmeth. z. Schliess. der Gef.
Par. 1834) berührt die Elektropunctur nur flüchtig und befürchtet Nach-
theile, von der Anwönduag-des Haarseils, der Acupunctur , dem Refoule^
ment und dem jnechitni&chen Pfropfe ohne Ligatur. Die mittel - und unmit-
telbare Compression, sowie die Ligatur, erklärt er für unbequem und nicht
gefahrlos , von der Tor<svon und, der Machure mit Ligatur verspricht er sich
abfer grossen Vortheil. . J» Fäll der Nichtanwendbarkeit dieser Methoden
vyegen Verknöcherung ,ötcw gifebt eri-deri Conlpre.'Jsion nach Main (ßo , oder
dem Wachspfropf und d^ Ligatur nach Rvux und. DupwßreH den Vorzug.
S. Cöoper machte in Med- chir, Traiisact. darauf aufmerksam , dass das
Auf höxen der Pulsation beim. Aneurysma arteriae popliteae sowol von einer
Annäherung 2ur Heilung, als auch von Zeireissuhg. herrühren köniie. Er
hebt hierbei die Vojftheilev welche die Auseultation gewährt, hervor, und
räth die Unterbindung zu unterlassen, wenn man sieh auf diese Weise .von
4em Fehlen des Geräusches , wölches der Blutdilrchgang verursacht , über-
zeugt hat. Die Ruptur erkeimt man ausserdem 'an- der Beschleunigung des
Pulses bei aufgehobenem Klopfen ün Aneurysma, uiid an der röthlichen,
achmuzigen Farbe eiliiger Stellen der Oberfläche des Gliedes. — Noch
verdient hier die kürzlich von Eslrami)^ in Dublin einpfohlene, «oh« zweck-
118 ANEURYSMA
massige Aneurysman&del (s. Froriep's Not. aus dem Geb. der Nattir- und
Heilk. Bd. XXXIV. No. 9), sowie das durch v. Gräfe in dessen Journ.
Bd. XVII. S. 205 angegebene Compressorium , angeführt zu werden. — Die
Compression der Aneurysmen ist nur anwendbar, wo letztere keinen zo
grossen Umfang haben, wo die Gefahr der Berstung nicht durch sie ver-
mehrt wird , und wo keine Verknöcherung und Dyskrasie dem Übel zum
Gi'unde liegt. Eine gute, hierher gehörende Monographie ist: G. L. Die-
terich: das Aufsuchen der Schlagadern behufs der Unterbindung von Aneu-
rysmen, nebst Geschichte der Unterbindungen. Nürnberg, 1831.
Aneurysma intcrnum, die innere Pulsadergeschwulst. Sie ent-
steht am häufigsten an der Aorta, besondere an der Curvatiur derselben, und
am Herzen, und sie kann sowol ein A. verum, als spurium seyn. So lange
ein solches Aneurysma klein ist, fühlt der Kranke nur geringe Beschwer-
den ; diese nehmen aber mit der Vergrösserung desselben immer mehr zu
und die B'unction des Organs, worin es seinen Sitz hat, wird bedeutend
gestört. Symptome. Erschwertes, langsaiues Athemholen, Angst, die
späterhin eine ausserordentliche Höhe erreicht, periodisch wiederkehrendes
Herzklopfen, in der Folge starkes Pulsiren der Karotiden, Schmerzen in
der Herzgegend, Husten ohne allen Auswurf oder mit schleimiger, glasarti-
ger Expectoration , Ohnmächten, Gefühl von Zusammenziehung des Schlun-
des, Dysphagie, Krämpfe, Zuckungen, schneller, kleiner, intermittirender,
zuckender, wellenförmiger Puls; die auf die Brust oder auf die linke Seite
des Rückens gelegte Hand nimmt eine zitternde, wellenförmige Pulsatioa
wahr. Puls- und Herzschlag sind, der Kraft, Stärke und Schnelligkeit
nach, höchst unregelmässig, letzterer bald mehr in der rechten, bald mehr
in der linken Seite, bald mehr in der Magengegend, oder in beiden Gegen-
den zugleich sowol fühlbar als sichtbar; Habitus apoplecticus , phthisicus,
nicht selten ein rothes , oft aufgetriebenes Gesicht ; bei horizontaler Lage
befindet sich der Kranke am erträglichsten, zuweilen ist jedoch die Lage
auf der rechten Seite unmöglich; alle Zufälle vermehren sich nach der
Mahlzeit, nach Bewegungen des Körpers und nach Gemüthsbewegungen
ausserordentlich. Bei Zunahme des Übels erhalten die Fingerspitzen dea
Kranken nicht selten eine eigene Form ; sie werden dick und kolbenförmig
(S.) ; es stellen sich ein : Blässe des Gesichts , bläuliche Farbe demselben,
Aufgedunsenheit, Leukophlegmätie , ödematöse Geschwulst der Füsse und
mancherlei Anomalien der Verdauung. Selbst einzelne Glieder werden
brandig , oder taub und lahm , und die mit der Gefechwulst in Verbindung
stehenden festen Theile , Rippen , Knorpel , Wirbel' , werden zerstört. Zu-
weilen entsteht im Verlaufe des Übels äusserlich eine »klopfende Geschwulst,
welche das Übel deutlicher zu erkennen giebt. Beim A. aortae bemerkt
man besonders ein Klopfen, das sich hoch hinauf', bis unter die Clavic\da
erstreckt ; der Puls des Kranken ist häufig an beiden Handwurzeln ungleich,
die Rückenlage bekommt nicht gut, es stellen sich Schmerzen im Schultcr-
blatte, desgleichen plötzliches, periodisches Blutspeien ein , welches aber
bald wieder vorüberzugehen pflegt ; nicht selten glaubt der Kranke eine
Bewegung in der Brust zu empfinden, als wenn Wasser mit Geräusch au$-
gegossen wird. Diagnose. Sie ist sehr schwierig, docb kann der Geübte
durch die Anwendung des Laennec'schen Stethoskops in Verbindung mit
andern Zeichen unterscheiden , ob das Übel ein Aneurysma cordis activum
«der passivum (^Corvisnrt'), oder ein A. aortae ist. Die Schriften und Beob-
achtungen über Herzkrankheiten von Krcysuj ^ Portal, Testa, Laenncc, Ber-
tin und Corsivnrt haben h?er viel Licht verbreitet. Von Hydrops pectoris
sind die Zufalle des A. internum oft schwer zu unterscheiden, besonders da
sich häufig die Brustwassersucht in der Folge zu ihnen hinzugesellt; Zur
Unterscheidung dient die Angst, welche Brustwassersüchtige bei horizonta*
1er Körperlage befallt, und die ängstliche, kurze, fast unmögliche Inspira-
tion ; dagegen ist bei A. internum die tiefe Inspiration nicht sehr gehindert,
obgleich sie keine Erleichterung bringt, und die Rückenlage wird ohne
plötzliches Eintreten jener fürchterlichen Angst ertragen, erleichtert sogar
ANEURYSMA 119
auf Augenblicke. Von Lungenkrankheiten, die nicht selten mit Herzkrank-
heiten verbunden sind, unterscheidet sich das Aneurysma nur unvollkommen
dadurch, dass bei ersteren mehr die sitzende Lage Erleichterung bringt und
dass ein kurzer, röchelnder Athem mit ihnen verbunden zu seyn^ pflegt;
wichtiger ist die gehörige Beachtung des verschiedenen Verlaufs beider
Übel; zuweilen ist das Aneurysma auch Folge von Lungenübeln. Zur Un-
terscheidung des Aneurysma von der Phthisis hat man (s. Berl. Encyclop^j
Wörterb. Bd. II. Art. Aneurysma) auch angegeben, dass der Auswurf bei
jenem diinnschaumig, ziegelroth oder blutstreifig sey, wohingegen der der
Lungensüchtigen sich klumpig zeige , dass Brustaneurysnien mit Deglutitions-
beschwerden verbunden seyen. Jeder praktische Arzt aber weiss , dass letz-
tere sehr oft die Phthisis begleiten , dass ziegelrother und blutstreifiger Aus-
wurf ebenfalls bei dieser, und zwar häufiger als beim Aneurysma ,. vor-
kommt, und dass er auch bei ihnen nicht selten dünnschaumig ist. — Ein
merkwürdiger Fall , wo Fehler der Leber und Milz die täuschenden Symptome
eines Aneurysma aortae darstellten , findet sich aufgezeichnet in Froriep's
Not. aus dem Geb. der Natur- u. Heilk. Bd. XXXIII. No. 19. Ein ande-
rer, wo ein Aneurysma den Verdacht von vorhandener Schwangerschaft er-
regte, in Casper^s Wochenschr. f. d. gesammte Heilk. Bd. XIII. S. 10. Cur.
Radicale Hülfe vermag der Arzt hier nicht zu geben, wenn sie die Natur,
was aber auch nur höchst selten der Fall ist , nicht schafft , und operireu
wie beim A. externum können \vir attch nicht. Die Prognose ist daher sehr
schlimm. Ausserdem entstehen beim A. cordis und aortae in Folge des
Drucks leicht cariöse Zerstörung der Wirbelbeine, Anhäufungen von Was-
ser in der Brusthöhle, und der Kranke stirbt an Erstickungszufallen, apo-
plektisch, oder an gänzlicher Entkräftung, oder auch während einer meh-
rere Stunden dauernden Ohrtmacht und Asphyxie. Die Hauptmittel, die
noch das Meiste beim A. intemum geleistet haben , sind : Digitalis und
Aderlässe. Die Digitalis hat in mehreren Fällen selbst radicale Hei-
lung bewirkt; am besten wird sie in grossen, seltenen Gaben, nach vorher-
gegangenem Aderlasse angewandt (^Berends). Man lässt z. B. 2 — 3 Gran
Herb, digital, mit Zucker auf einmal nehmen. Eine solche Gabe verschafft
oft auf mehrere Tage, ja sogar Wochen lang Erleichterung; daher sie auch
nur selten wiederholt zu werden braucht. Dabei bat sich der gleichzeitige
Gebrauch der Alaunmolken oft wirksam bewiesen (Ridiler). Der Aderlass
und die übrigen antiphlogistischen Mittel dürfen nur mit Vorsicht angewandt
werden , besonders da , wo eine allgemeine Schwäche und Atonie die Ur-
sache des Aneurysma ist, oder wenn sie bereits als Folge eintrat. Wo die
Venaesection indicirt ist, wiederholt man sie in Zwischenräumen von 4 — 6
Wochen, uftd lässt jedesmal nur wenig Blut, etwa 3 — 4 Unzen, weg. Der
Puls kann hierbei nicht zur Richtschnur dienen, wol aber die Constitution,
das Alter, Geschlecht etc. des Kranken. Bei heftigen periodischen Anfällen
von Angst, Dyspnoe setze man 8 — 10 Blutegel auf die Brust, und verordne
warme Hand - und Fussbäder. Fast immer ist eine erhöhte Nervenempfind-
lichkeit vorherrschend, die die Anwendung der sogenannten Nervina er-
heischt, doch solcher, die nicht erhitzen, z. B. Flor, chamomillae, Rad.
valeriauae, Flor, zinci, Extr. hyoscyami, Moschus. Nur bei gefahrdrohen-
den Ohnmächten und Asphyxie darf man Naphthen etc. anwenden. Bei hef-
tigem Herzklopfen schafft zuweilen eine Handvoll eiskalten Wassers, in der
Herzgegend gegen die Brust gebracht, schnelle Linderung. Ist das Aneu-
rysma B'olge allgemeiner Atonie und durch schwächende Einflüsse entstan-
den, so passen stärkende Mittel: Milchdiät, eisenhaltige Mineralwasser, be-
sonders Driburger Brunnen (s. Hufeland's Journ. Bd. XXIII. St. S), ferner
Ammonium rauriat. martiat. , bittere Mittel: ^! Ammon. murint. martidt.
^j — 3llr» ExW. Card, hened, 3jjj » ^qfM«e for. auraniior. gvj. M. S. Zwei-
stündlich 1 Esslöffel voll. Die Anwendung der fixem und besonders der
erhitzenden Roborantia erfordert Vorsicht, da sie leicht die Thätigkeit des
Herzens zu sehr vermehren und Leibesverstopfung machen. Die Mineral -
säuren sind auch mit Nutzen angewandt worden (ßiclUer). Ist Syphilis die
120 ANEURTSiVIA
Ursache des Übel« , so sind zwar Mercurlalia anzuwenden , z. B. Merc. Julc.
gr. j, Herb, digital, gr. jj. S'. Alle Abende ein solches Pulver; jedoch müs-
sen die Quecksilbermittel hier mit Vorsicht angewandt werden, indem sie
selbst Aneurysma erzeugen können (Kre\isig). Bei Arthritis incongrua pas-
sen Antimonialia, Aconitum, und hier, wie in' ähnlichen Fällen , sind äussere
ableitende Mittel , Zugpflaster etc. , anzuwenden , z. B. F^. Emplast. vesicat.
perpet., Empl. litJiargyr. compos, ana 5J. Liquef. f. e:mpl. S. Auf Leder ge-
strichen auf die Brust zu legen. Ferner Blasenpfla^ter , Fontanelle, Haar-
seile , Seidelbast , Moxa etc. Um die' Kraft und die Schnelligkeit des Herz-
und Pulsschlages zu vermindern , hat man in neuestöi' Zeit die Darreichung
grosser Gaben von Tart. emetic. empföhlet! , .aber, so viel ich weiss, bis
jetzt nicht in Anwendung gebracht, was auchj in manchen Fällen wenig-
stens,.kaum räthllch seyn dürfte. Die Diät ist sehr wichtig. Der Kranke
darf nur wenig gemessen ; die Nahhingsmittcl' müssen leicbt verdaulich,
nicht reizend , nicht erhitzend seyn, unid dürfen nur in solchen Portionen
genossen werden, als zur Frist ung des Lebens nöthwendig ist (Mor'gngni).
Passive Bewegungen (sanftes Fahren) in' freier Luft , möglichst heitere Stim-
mung des Gemüths, Vermeiduhg aller Aufre^un|r desselben sind von grossem
Vortheile. DaJjei sorge maü für tägliche! Leibesöffnung durch Klystiere,
durch kühlende Abführungen > besonders Tamarinden, und dulde durchaus
keine Stuhlverhaltung. 1
li Aneurifsnia mixtum , ^\e. gemischtb oder iz us ammengesetzt e
Pa Isadergeschwulst. Man versteht darunter .die widernatürliche Er-
weiterung der inixern Art erierihaut ,' entstanden duFch eine Spaltung de^
äussern Häute in Fx)lgeiiiechanischer Verletzung '(Schnitt, Stich), wodurch
sie gedrungen und vom ajndrihgenden Blute säckforaüg ausged^-hnt ist. Oder
man .begreift darunter auch deij tim^ekehrtesn B^aü, r>vo nämlich eine Erwei-
terung sämmtlicher-Arterienhäate an :irgend einer. Stelle stattgefunden hat,
die äussere Haut- aber geborgten und die innere ini: ausgedehnten Zustande
zurückgeblieben ist. ' Beide Fälle existiren aber nach neuern Untersuchun-
gen "nicht {Chelius). Ferner belegt man mit diesem Namen eine durclis
Bersten eines A.-: verum ehtstanderie Pulsader'geschwulst , wobei jdas Blut
sich ins- Zellgewebe ergiesst.'.' Dies ist aber kein A. . mixtum , sondern ein
Au spurium diffusum (s.idieiseh -Artikel), . ' ,. .
->i;I JncKrysnirt .f?«^ mtni/oniesm, s. TePa'ngiectabia. ' "il> 'liitiiil-il)
'■ ' Aneurysmn pritiiiüvum , die utsprünglichePiilsader ges c hwu Ist;
Ist eine solche falsche oder wahi'e Pulsadergeschwulst, die nicht aus einer
andern verhergegangehen ihren Uirspiriuig nimmt (s. -Aneurysjoda verara
und A. spurium diffusum). ' ■ ' ' . "'i i;<i!!,"i- >'(!••/
Aneurysma spongiosum, 6. Telängiectasia.' 1 ■'■ I' n . .-i.' <•>•'''
Aneurysma spontnneum , s. ■ A. v e r n m. ' ■"■' >■ > ■
Anetirysma spurium , d i e' f a 1 s c h e P u 1 s a d'e rg e s c h w u I s t. Ist eine
solche, an tiefera öder- oberflächlich liegenden Arterien vorkömmende Ge^
schwulst von oben erwähnter charakteristischer Beschaffenheit {s. Aneu-
rysma), die sich von dem wahren Aneui-ysma dadurch unterscheidet, dass
die Höhlung, welche sie bildet, nicht der erweiterte Durchmesser der Ar-
terie selbst istj sondern dass das Blut, welches sie enthält, mit dem Arte-
rienblute nur durch die dui^chlöcherten Arterienhäute in .Verbindung steht,
dass die den Sack der Geschwfulst bildende äussere Umgrenzung des Bluts
entweder gar' keine Arterienhaut ist, oder hur von der äussern Zellhaut der
Arterie allein gebildet wird. Die falsche Pulsadergeschwulst, welche sich
au<i;h dadurch von der wahren unterscheidet, dass sich nur in ihr geronne-
nes Blut bildet,' zeffällt aus der angegebenen Verschiedenheit in die beiden
hier folgenden Unterarten. Neuern Untersuchungen zufolge soll das Aneu-
rysma spurium in. der hier angegebenen! Bedeutuhg nicht vorkonlmeri ,' son-
dern der Sack soll von denselben Häuten der Arterie wie beibi Aneurysma
verum gebildet seyn, oder das Blut, nachdem eämmtliche Arterienhäute ge-
borsten sind, ini ZeUgewebe ergossen werden. Es scheinen diese Unter-
suclmngcn, obgleich sie jnait grossem Eifer betrieben worden sind, noch
ANEimYSMA 121
nicht za einem slcheni ResuKat geführt za "hab'dn (s. Aneurysma, nntef
Lrsachen), weshalb die bisher gewöhnlidhe Einlheilung des Aneur. spur,
hier beibehalten worden ist. ''■■■' ;;
Aneurysma spurium cirtumscriptuni yj consecutivum , die unächte umU
»chriebene oder nachfolgende P-ü Isadergeschwulst. Hier wird
d«i* aneurysmatische -Sack von der äussern!. Zellhaut der Arterie gebildet,
lund das Übel ist ^tets Folge eines A. ' vei-um , dessen innere Häute gebor-
sten sind, was auch bei. dem A. spurium' diffusum der Fall ist, nur die
Zellhaut der Arterie ist nicht geborsten. Kennzeichen und Diagnose.
Schwächere Pulsation, wie bei A. verum, die auch früher bei Vergrösse-
rung der Geschwulst gänzlich aufhört , wo das angesammelte Blut stockt^
coagulirt und sich daher das Aneurysma härter als das wahre anfühlt, auch
bei angebrachtem Druck langsamer verkleinert j bei- Aufhören desselben lang-,
samer vergrössert, wie bei A. verum. Oft ist hi'er das Ab- und . Zutliessen
des Bluts mit deutlichem Geräusch verbunden. Je grösser das A. spurium
circumscriptum ist, desto mehr verdickt sich dessen umgebende Haut-, das
Gegentheil findet statt beim A. verum cii'cjumscriptum. Letzteres verklei-
nert sich selbst nach dem Tode, dagegen erster^ auch in' der Leiche die
äussere Form behält. Ursachen und. BehaUd lung. Wie bei A. verum,
wovon es Folge ist. Cusnci! mächte in .'dem Dublin Jburn. of medic. an<j
ehem. Sc. No. 2, May 1832 einige Bemerkungen über das Aneurysma spur,
bekannt. Ein solches war in Folge eines Aderlasses am Arm entstanden,
und wurde durch massig aatiphlogistisches Verfahren, Bedeckung der Ge-
schwulst mit Compressen , nasser Charpie und Einwickelung von den Fin-r
gerspitzen bis zur Armbeuge, mittels CirkeUoucen,. die auf der Geschwulst
»ehr Wcker auflagen, nach 30 Tagen, ohne Obliteration der Art; brathia-r
lis, geheilt. Aus diesem und mehreren- adderen Fällen zieht C dän ScMuss,
dass die Obliteration bei der Heilunig des: Aneurysma seltener riothi^ sey,
als man gewöhnlich glaube ,: dass ferner der auf ein Aneurysma spurium. ;eir-
cumscript. angewandte Druck nicht zu «chacf sdyn dürfe,, weil son^t das
Aneurysma I cii-cilmdcriptum in' ein diffusum' verwandelt werde,' dass endlich
der Druck vorzüglich da seiae Anwendung .finden müsse, wo sowol .der
anenrysmatische SaJck >als:(aiufih .'desseri Umgebung noch frei von EntKÜa-^
düng seyen. ' ' •••' -•? -'■■.\r-: ,•■'•. ■ ■.■■!>.' •. •■•; ■, ,<(
i • ' 'Aneurysma spuritmt diffusum s. prim-kivüni', <lie falsche a u s g e'b r e i -
t^ete oder ursprüngliche Puls adergeschwulst'. Hier Ist das Bliit
unmittelbar im Zellgewebe ^ . nicht in einer der Artedenhäute enthalten ^ da
es Folge einer Durchlöcherung: sämmtlichen die AHerie bildenden Häutie ist.
Zeichen, Die Geschwulst ist üngleichmässig länglich , erstreckt i sieht mehr
oder weniger oberhalb und unterhalb der Arterienöffnung , ist . bei bedeubeh-
dein Umfange höchst schmerzhaft und die sie bedeckende Haut 'sieht ;r6th^
blau, zuletzt selbst' schwärzlich ausl . Vera nlas. jungen. , Dife häufigste
ist ein fehlerhafter Aderlass, wo statt der Vene die! Arterie getroffen iwisd;
Das Blut spritzt bei solcher unglücklichen Venaesection in einem Uäge^iCihn-r
lieh starken, ungleichmässigen , unterbrochenen Strome und ^ieht „helLröth
aus, weil es Arterienblut ist; die Blutung wird weniger heftig Und !gleich-
mässig nach angewandtem Druck oberhalb der Aderwunde. B e handeln ng.
Ist hier chirurgisch.^ Man lässt eine bedeutende Menge Blut fliessen, bi«
Ohnmacht 'erfolgt , legt Compression an,; wickelt das ganze Glied ein etc. ,
Aneurysma vnricosum s. venosum, Phleharteriodiahjsis , die P.uls-Blut-
ader^eschwulst. Ist eine in der Nähe einet Arterie und Vene vorkom-
kommende, fluctuirende, elgenthümlicb schwappende, gering pulsirende Ge-
schwulst von bläulicher Farbe, welche sich beim Druck auf dieselbe . ver-
kleinert und unter zischendem Geräusch gänzlich verschwindet, bei Com-
pression der Vene unterhalb ihres äüs.sern Umfänges an Grösse zunimmt,
un^ .bei Compres.siön der Arterie oberhalb ihres Umfänges ihre Pulsation
verliert. Der oberhalb der GeschwTÜst liegende Theil der Arteiie. ist aus-
gedehnt, der unterhalb derselben liegende dagegen im Durchmesser vecklei-
niert, Ursachen. Sind immer Verwundungen, welche die Arterie und
122 ANEimTSMA
Vene zugleich treffen , z. B, ein Aderlass am Arme , wo die Vena median:
zugleich mit der obern Wand der Arteria brachialis durchgeschlagen ist
Bleiben hier die Öffnungen der Vene und Arterie in unrerrückter Lage , s<
fliesst das Blut unmittelbar aus der Arterie in die Vene über und es ent
steht ein aneurysroatischer Varix (s. Varix aneurysma ticns). Wir(
aber die Öffnung der Ai'teric oder Vene verschoben, so häuft sich das Blu;
in der die Arterie und Vene verbindenden Zellliaut und bildet das Aneu-
rysma varicosum. Cur. Ist rein chirurgisch (s. die Handbücher der Chi-
rurgie).
Aneurysma verum, s. primitivum, s. spontaneum, die wahre Ursprung
liehe Pulsadergeschwulst. Sie kommt sowol äusserüch, als inner-
lich vor (A. externum et internum), hat die oben (s. Aneurysma) ange-
gebenen Merkmale, besteht also in einer abnormen, sowol theUweisen, ah
völligen Erweiterung der Arterienhäute an einer oder der andern Stelle ei-
ner Pulsader, Die Geschwulst enthält niemals coagulirtes Blut in ihrei
Höhle, kann also als solche, wenn sie nicht in ein A. spurium übergeht,
nie die oben unter Aneurysma (No. 8, 4, 5) angegebenen Ausgänge neh-
men. Der Sack des wahren Aneurysma wird bei zimehmendem Übel till-
mälig dünner luid seine Gestalt ^^'ird, we schon gesagt worden (s. A. spu-
rium circumscriptum), nach dem Tode verändert. Ursachen und
Behandlung. Wie bei Aneurysma im Allgemeinen; ist verschieden, je
nachdem es ein A. externnm oder internum ist.
Aneurysma verum circumscriptum, die wahre umschriebene Puls
adergeschwulst. Ist eine Unterart des wahren Aneurysma, die sich
dadurch charakterisirt , dass sie nur eine kleine Strecke in dem Verlauf ei-
ner Arterie einnimmt. Der ganze Unterschied hat wenig praktischen Werth,
da die Behandlung ganz wie bei A. verum ist. Joh. Schröder.
Nachschrift des Herausgebers. Über die medicinisch- chirur-
gische Behandlung der Pulsadergeschwülste, insbesondö-e des Aneurysma
cordis, hat Larrey seine Erfahnuigen bekannt gemacht, welche von hohem
Interesse sind (s. v. Gräfe's und v. Walther^s Journ. f. Chirurgie, 183 1.
Bd. XV. Heft 3. S. 449), Larrey unterscheidet mit Corvisart ein Aneii-
rysma cordis aictivum et passivum. Die Diagnose ergiebt hier Folgendes ;
Das active Aneurysma des Herzens ist weit seltener als das passive , und
entwickelt sich vorzugsweise bei Menschen von nervös- sanguinischer. Con-
stitution. Es charakterisirt sich durch eine gewisse Störung in den Fun-
ctionen des Athmens und der Stimme, welche bei längerer Dautr des Übels von
einem starken Husten und Auswerfen einer schleimigen, mit Luftblasen, häufig
auch mit Blut vermischten Materie verbunden ist ; ferner durch einen dum-
pfen und drückenden Schmerz in der Herzgrube , durch die Ohnmächten
und Erstickungszufälle , Welche plötzlich eintreten , sowie der Kranke sich
auf die linke Seite legt. Die untern falschen Rippen dieser Seite verlieren
ihre Beweglichkeit und bilden später nach aussen einen Vorsprung. Der
Kranke fühlt starkes, schmerzhaftes und tiefes Herzklopfen, welches sich
bei starken Bewegungen bedeutend vermehrt. Der Puls ist vibrirend, schnel-
lend, häufig an einer Seite mehr comprimirt als an der andern; die Wan-
gen, Ohren und Lippen sind blauroth, überhaupt tritt die Venosität sehr
hervor, der Kranke ist unruhig uüd sehr zum Zorne geneigt; der Tod folgt
durch Wassersucht oder Apoplexie; die Section zeigt verdickte Wandungen
des Herzens. Beim passiven Herzaneorysma sind letztere verdünnt und die
Fasern sind erschlafft ; ihr Mangel an Contractilität hat bedeutende Erwei-
terung des Herzens zur Folge, so dass die linke Lvuige nach oben gedrängt
und durch den Druck selbst Caries der Rippen hervorgebracht wird. Da
die rechte Herzhöhle sich am meisten erweitert, so nimmt man die Herz-
schläge hier in den Zwischenräumen der Rippen selbst durchs Gefühl wahr;
auch fühlt man sie in der Gegend des linken Schulterblatts. Die Tempe-
ratur der ganzen Herzgegend beträgt hier oft 32^ R. und mehr; der Puls
ist schnell, irregulär, klein, gegen Abend zeigt sich ein Fieberparoxysmus
mit intermittirendem Charakter ; der Tod erfolgt diurch Zerreissung des wei-
ANEURYSMA 123
hen Herzend und daher rührende innere Verblutung, durch Blutergiessung
i die Bronchien, in die Speiseröhre, oder durch aligemeine Wassersucht,
ehandlung. Da Syphilis, Rhachitis, Scropheln, Rheuma oder Herpea
ie vorzüglichsten innern Ursachen des Übels sind, so verordnet Larrey
egen diese Dyskrasie folgenden Liquor : I^ Merc. sublim, corros. , Snl. am-
lon. dep. ana gr. v, solve in lAq. anodyn. m. Hoffm. q. s. ndde Opii puri
Jr. V, in Aq. dest. q. s. solut. et admisc. Aq. destillatac S j. M. S. Zwei
is Smal täglich 1 — 2 Theelöifel voll in Milch. Um die Turgescenz des
tluts zu vermindern, werden an die Rücken- und Lendengegend öfters blu-
ige Schröpfköpfe gesetzt. Dann wendet er äusserlich Eisumschläge an,
ur nicht bei gleichzeitiger Complication mit Lungenschwindsucht , um das
lerz zu verkleinern ; später wird längs des Verlaufs der Intercostalnerven
linter das linke Hypochondrium die Moxa applicirt, und die Brandstelle,
im die Eiterung zu verhüten, mit Liq. ammon. oder Aq. Coloniae betupft.
)ie Moxaanwendnng wird binnen 1 bis IV2 Jahren 18 — 20mal wiederholt,
iabei eine milde, nährende, reizlose Diät beobachtet, und der Andrang des
Jlutes zum Herzen durch öftere Application der Blutegel verhütet. Larrey
ühmt die Digitalis nicht , er führt mehrere Fälle an , wo seine Methode den
glänzendsten Erfolg hatte. (S. Amelung in v. Gräfe'» «. v. Waltlter's Journ.
Chirurgie, Bd. XV. Heft 3). In England kommen Pulsadergeschwülste,
vas man dem Klima und der Lebensart zuschreibt, häufiger als in Frank-
eich vor; auch leiden die innern Pulsadern wegen ihres mehr gekrümmten
I i^erlaufs und ihrer verhältnissmässig dünnern Wandungen öfter daran,
ils die äussern. Vorzüglich findet man sie am Arcus aortae. Am meisten
lisponirt dazu das Alter zwischen 40 und 50 Jahren. Der Missbrauch der
Spirituosa, sowie die genannten Dyskrasien, begünstigen- dann häufig die
iog. Diaihcsis nneurysmaiica , wo dann oft gleichzeitig mehrere Pulsaderge-^
schwülste bei einem solchen Individuum vorkommen. So beobachtete Ai
Cooper bei einem Menschen 7, Michaelis 9, Pelletan 65 Schlagadergeschwülse,
and Mantani führt einen Fall an, wo er unzählige Aneurysmen durch den
ganzen Körper zerstreuet vorfand. Atonie der Gelasswandungen , häufig
selbst in Folge von Arteriitis, und ulceröse Ausartungen, kalkartige Meta-*
morphosen der Tunica intima, die sich als Incrustation darstellen und wie
Eierschalen unter den Fingern zerbrechen , sind als ursächliche Momente oder
als Coeifecte des Übels oft vorgefunden worden, desgleichen Verdickung und
Malacosis der Schlagadern. Zu letzterer mag der Missbrauch des Mercurs
bei syphilitischen und andern Kranken und der übermässige Genuss der
Spirituosa besonders noch Anlass geben. In allen solchen Fällen, wo keine
Diathesis aneurysmatica stattfindet, kann die Operation, lässt sich anders
das Gefass unterbinden, mit Glück ausgeführt werden und einen glänzenden
Erfolg haben. So unterband mit Glück Magendie die linke gemeinschaft-
liche Kopfschlagader, eben so, wie eben erwähnt, Wardrop und Cooper ^
indessen heilte doch Dr. Salter ein Aneurysma an der Armschlagader durch
Druck ohne Obliteration des Gefasses (s. GersoWs u. Julius^ Magaz. d. ausl.
Lit. d. ges. Heilkunde 1828. Juli u. August, S. 93, 105 u. 114). Obgleich
der Ausgang der Aneurysmen, besonders der innern, oft tödtlich abläuft,
indem der Sack platzt und der Mensch tödtlich verblutet , so gelang es doch
in mehreren Fällen der Natürheilkraft , sie zu heilen, und zwar unter fbi-^
genden Umständen : 1) diu-ch Ablagerung von coaguHrter Lymphe , wodurch
sowol der aneurysmatische Sack, als auch das ganze Lumen des Gefiisse»
bis zum nächsten CollateralaSt, oberhalb nnd unterhalb, verschlossen wird
(^rr/, Petit, DesauU, Gkattmii, Baillie und A.), wodurch die Geschwulst
allmälig aufhörte Zu pulsiren , fester wird und sich nach und nach verklei-i-
nert, so dass nur öine kleine sarcomatöse Geschwulst übrig bleibt. 2) Es
"wird der aneurysmatische Sack durch Lymphcoagulum verschlossen-, da»
Lumen des Gefasses bleibt aber offen (^Scarpa, Petit, Jones, Hodtjson).
3) Die Sehlagadergeschwulst heilt durch Druck , indem die bedeutend grosse
Geschwulst sich gegen den zu - oder ableitenden Arterienstamm anlegt,
seine Wandungen m gegenseitiger Berührung erhält, in ihm eine adhäsiv«
124 ANEURYSMA
Entzündung und hiefdarch endlldi eine Verwachäung hefrorbringt (A. Coo-
per, nod[ison)i 4) Die aneurysmatische Gescliwulst wrd durch Brand
vertilgt, indem die Ausdehnung der in Entzündung gerathenen Geschwulst
den höchsten Grad erreicht hait, und sich nun ein brandiges, fauliges Ge-
schwür bildet. Reichen die Kräfte des Kranken hin, »o stoäsen sich di«
brandigen Partien los, die Geschwulst berstet, entleert das gesamnxelte
Blut", erzeugt gute Granulatio.n' und Schliessung der. kranken Stelle. .Doch
ist dies nicht immer der Fall. Vor 3 Jahren bekam, ich einen Wagenmein^:
ster mit Aneurysma popliteäe, das schon geplatzt war und höchst cadaverös
roch, in die Cur. Er hatte dasselbe durch: eilten Sturz vom PoStwageji
ein halbes Jahr früher erhalten, war jetzt kacbektisch, sehr abgezehrt, liti
an hektischem Fieber und Colliquationen ; -rr- bedeutwde Blutungen , dift
sich periodisch eingestellt, hatten den Kranken sehr geschwächt und aOI
eine Operation (Amputation), war wegen der grossen Schwäche des Krai^r
ken, der .sich Jahre lang schon durch Spirituosa ruinirt und öfter am De- 1
lirium tremens , selbst in der letzten Zeit noch gelitten hatte , nicht zu denr.
ken. Es blieb daher nur. ein palliatives Verfahren übrig. Der Kranke ef;-,
hielt innerlich China , Opium Mnd dergU , und äusserlich wurden Ol. tere-<
binth. , Myrrha , Pulv. cort. quercus etc. angewandt. Tfolz dem schritt
der Brand vorwärts und dieser hatte alle Geienktheile und. selbst die Kno-
chen zuletzt der Art zerstört, dass das Bein des Kranken, der zuletzt un^
ter grosser Schwäche und Sopor den Geist aufgab, beinahe völlig getrennt
vom Oberschenkel war und nur durch ein paar Bänder noch zusammenhing;
Mein verehrter College, Herr Oberarzt Dr. Dethnrdifig jwi. , der den Kraji-
ken in der letzten Zeit mit behandelte, wair mit mir über die grosse- Zett\
Störung des ganzen Gelenks höchst erstaunt. — Was die. medicinische Be-
handlung der Innern Pulsadergeschwülste betrifft, so dienen die oft empfon,-
lenen wiederholten kleinen Aderlässe nicht allein dazu, um die Blutmaisse zu
vermindern, sondern auch dazu, dass die Blutcirculation langsamer un4
schwächet wird, wodurch eine grössere Neigung zui' Absetzung von FasePr
fitoff hervorgebracht werden muss. Grosse Aderlässe, sind, wie schon Aforr
ffngni bemerkt, stets geföhrlich , indem sie Ohnmacht, .plötzliche BJut$tagna-^
tioneu und dadurch tödtliche Zerreissung der. Geschwulst ?ur FQlg«,habqn
können. Eine nur aus PHanzetikost bestehende, knappe Diät und möglichste
Geistes- und Körperruhe Vermögen auch hier sehr viel , und der Arzt muss
daher recht streng auf deren Befolgung halten. FäIsaUn''s Verfahren be-
stand darin, dass nach vorausgeschicktem Aderlasse dem Kranken täglich
etwas mehr Speise entzpgen wurde, bis derselbe zuletzt nur Morgens '/j
und Abends kaum '/4 ß! eines Breies neben einer ebenfalls genau zugemesse-
nen Quantität Wassers erhielt, welches in einzelnen Fällen mit etvyas fein
gepulvertem Beinbruchstein (Lapis osteocolla) vermischt war. Hatte die
bald eintretende Schwäche endlich den Grad erreicht , dass der Patient
kaum noch das Vermögen besass, die Hand vom Bette zu erheben, so wur-
den durch allmälige Verstärkung der Quantität, def Nahrungsmittel die
Kräfte wied^er bis zu dem. Masse erhoben, dass nöthigen Falls eine Wieder-
holung der Cur vorgenommen werden konnte. Bei bejahrten, schwächlichen,
kachektischen Subjecten passt dieses Verfahren nicht ; denn sie werden leight
ein Opfer dieser Entziehuogscur. Dass es höchst falsch sey, bei allgemei-
ner aneurysmatischer Diathese die Operation ' mittels der. Ligatur vorzuneh-
men,! ist eine Thatsache, die sich hier noch neuerlich durch ein Beispiel be-
stätigte, wo ein Kranker , der am Aneur. subclaviae litt,, unter dem Messer
des Operateurs, äes Prof, Quitlenhaum, starb, indem die aneurysmatische
Geschwulst platzte und der Kranke an Verblutung starb. Über die Art
und Weise der Operation vergleiche den Artikel Ligatura. {Morgagni
Epist. XVII. No. 30. Hodgson, Treatise on the diseases of the arteries and
veins etc. , deutsch von Koherwein. Hannov. , 1817. Samml. einiger Abhandl.
von Scarpa , Vacca Berlinghia'i u. UlccUi über die Pulsadergeschwülste. A.
d. Ital. mit Zusätzen von Seiler. Zürich, 1822. Jtfn«noir, Mem. physiologique»
et pratii|ues sur Taneurysma et la ligature des arteres. Genev. 1810).
ANGIECTASIS 125
Ang^iectasif?, Angiektasie, Gefässaußdehnung, Gefäss-
erweiterung. Dieser krankhafte Zustand kann sowol an Arterien, als
an Venen und lymphatischen Gelassen , sowol 'an Hauptstämmen , als an
Ästen und Endzweigen stattfinden. Die Ausdehnung der Gefässe beim
Wachsthum des Körpers oder einzelner Organe , z. B. des Uterus , der
Brüste in der Pubertät und Schwangerschaft, gehört nicht hierher, da sie
der Gesundheit angehört. Symptome. Ist die Angiektasie an der Ober-
fläche des Körpers befindlich, so ist sie leicht zu erkennen. Bei arterieller
Form erscheint die Haut hellroth, bei yenöser violett oder dunkelblau, bei
der lymphatischen Form' weiss oder durchsichtig. Tieferliegende Angiekta-
ßien erkennt man an d«r Veränderung des, ümfangs der Geschwulst auf an-
gewandten Druck. Die arterielle Angiektasie vergrössert sich nach einem
Drucke, den man unterhalb derselben anbringt, die venöse und lymphatische
nach einem oberhalb a)igebrachten Drucke , d. h, zwischen der Geschwulst
und dem Herzen. Un regelmässiger Pulsschlag, Gefühl von Druck und Span-*-
nung in der Brust - oder Bauchhöhle, das sich bei Bewegung des Körpers
vermehrt , bei Ruhe vermindert , lässt innere Angiektasien vermuthen. Aneu-
rysmatische und varicöse Ausdehnungen der Gefässe der Netzhaut erregen
Staar, die der Vasa thyreoidea Stimmlosigkeit , die der Vasa renalia Ischu-
rie, die der Hirngefässe Kopfschmerz, Schwindel, Geisteskrankheiten und
Apoplexie. Will man indessen von diesen Zufällen auf innere Angiektasien
schliessen, so müssen auch die übrigen K'rankheitserscheinungen als unmit-
telbare Phänomene verletzter Gefässe erkannt worden seyn (y. Gräfe). Ur-
sachen. Sind theils allgemeine, theils örtliche. Alles, was Aneurysmen
macht, kann auch Angiektasien erregen; z.B. Scrophulosis , Venerie, Chlo-
rosis, Arthritis, wodurch die Gefässe erschlafft und geschwächt werden.
Auch Scorbut, Mercurialkrankheit , der Missbrauch der geistigen Getränks
und der Narcotica, Mangel an Licht, an gesunder Luft, z» B. in Schach^
ten, in Gelanguissen etc., gehört hierher. Oft ist erbliche Anlage da, z. Bj
bei Hämorrhoiden des Mastdarms ^ der Blase , welche allerdings anch zu den
Angiektasien gehören. Gelegentliche Ursachen sind: Reizung und Congestion
an irgend einem Theile; so sehen wir in der Peripherie des Krebses ausge-
dehnte Gefässe, desgleichen durch zu häufigen Coitus variköse Ausdehnun-
gen an den Genitalien; ferner öfter wiederkehrende Aufregungen im Blut-
systeme durch Gemüthsbewegungen : Zorn, Schreck, Furcht; mechanische
Anstrengungen des Körpers : heftiges Schreien , Singen , Heben schwere^
Lasten, schwere Gebürtsarbeit , heftiges und anhaltendes Erbrechen; me-
chanische Hindernisse des Kreislaufs: Verwachsungen der Gefässe nach Un-
terbindungen, Anschwellungen, Verknorpelungen, Verknöcherungen und dar-
aus entstehende Verengerungen der Valveln ; Druck durch fremde Körper,
Steine, Gewächse auf die Gefässe. Verlauf Manche Gefässausdehnungen
nehmen langsam, manche schnell zu, manche nehmen periodisch ab und zu
und präserviren vor grössern Übeln , z. B. die Hämorrhoiden. Bei bedeu-
tender Zunahme platzen auch manche Angiektasien. Prognose. Im Gan-
zen bei venösen luid lymphatischen Ausdehnungen günstiger als bei aneu-
rysmatischen. Manche Formen sind gar nicht gefährlich , z. B. viele Mut-
termäler. Sehr beschwerlich sind die Erweiterungen der Venen des Samen-
ßtrangs , der untern Extremitäten. Manche Telangiektasien sind gefährlich,
z. B. der Fungus haematodes. Cur im Allgemeinen. Beseitigung der
entfernten Ursachen, der Schwäche und Erschlaffung der Gefässe, Entfer-
nung der Gelegenheitsursachen, z. B. bei allgemeiner Plethora; durch Adesr-
lässe, Laxanzen, knappe Diät, bei Aneurysma internum durch Hungercur
(^Valsalvd), Digitalis (s. Aneurysma), sind die Hauptindicationen. Das
Speciellere wird anderswo betrachtet werden (s. die Artikel: Haemor-
rhoides, Varicocele, Haematocele, Varices, Naevi materni,
Telangiectasis, Abscessus seu Tumor lymphaticus ex causa
externa). Die topische Behandlung oberflächlich liegender Angiektasien
besteht darin, dass man 1) Adstringentia zur Stärkung der erschlafften Ge-
fässe anwendet: Umschläge von Eis, Sclmee, Fomentatio Schmücken, von
126 ANGINA
Alaunauflosung, Decoct. quercus (z. B. bei Varfcocele), 2) man wendet Com
pression an, besonders da, wo das Übel über einem Knochen liegt, oder
Binwickelung , z. B. bei Blutaderknoten an den Schenkeln. Oft hilft aber
weder Adstringens noch Compression und es bleibt nichts weiter übrig, als
S) die Gefässausdehnung ausser alle Verbindung mit dem Kreislaufe zu setzen.
Dies geschieht entweder durch Unterbindung des Gefässstammes , z. B, bei
Aneurysma, oder durch Exstii-pation der ganzen Geschwulst aus dem ge-
sunden, nicht mit krankhaft erweiterten Gefässen versehenen Fleische, z. B
l>ei Telangiectasis, Fungus haematodes (s. d. Artikel).
Ang'ina« Cynnnche, Isthmitis, Bräune, Halsgeschwulst, Hals-
entzündung. Ist Entzündung des gemeinschaftlicheil Vorhofes der Schling-
und Athmuugswerkzeuge (Isthmitis) oder dieser selbst , vom Hintermunde bi»
aum Magen, und vom Kehlkopfe bis zur Lunge, wodurch das Schlucken und
Athmen, von geringer Hinderung bis zur Unmöglichkeit, beeinträchtigt wird
(^Sachse). Diese Definition schliesst zwar manche Krankheitsform aus, wel-
che deu Namen Angina hat, z. B. die Angina parotidea, pectoris, spasmo-
dica; dennoch halte ich es für nothwendig, in einem medicinisch - chirurgi-
üchen Wörterbuche ihrer wenigstens unter der Rubrik Angina zu gedenken,
wenn auch auf richtigere Namen verwiesen wird, damit der Anfanger und
Unkundige nicht vei'gebens sucht, ein Umstand, der von Hrn. Geheimenrath
JSachse in seiner übrigens vortrefflichen Abhandlung der Angina (Berliner
med. - Chirurg. Encyclopädie Bd. II. S. 457 ff.) , woraus ich auch hier eini-
ges Pi aktische entlehne, übersehen worden ist. Zeichen. Das allgemein-
ste und charakteristische Symptom der Bräune ist Entzündung, also Hitze,
GeschwTilst, Röthe, Schmerz an den Theilen, welche den Rachen bilden;
andere Symptome gehen hervor aus der Störung in der Function des lei-
denden Organs , aus dem Nervenreize und der Beschaffenheit des Fieber«.
Eintheilung, Man theilt die Bräunen 1) nach Verschiedenheit des lei-
denden Organs in A. palatina, tonsillaris, pharyngea, uvularis, laryngea etc. ;
2) nach Verschiedenheit der Ursachen in A. arthritica, rheumatica, catar-r
rhalis , venerea , mercurialis , exanthematica , scarlatinosa , morbillosa eta ;
3) nach der verschiedenen Beschaffenheit des Fiebers (eine für die Praxis
eehr wichtige Eintheilung) in A. inflammatoria , exquisita , A. catarrhalis^
biliosa , putrida, intermittens, acuta, chronica. Ausgänge. Die Entzün-
dung zertheilt sich entweder, oder sie geht (bei Vernachlässigung und Cora-
plicationen) in Eiterung, Brand, Verhärtung , nach verschiedener Beschaf-
fenheit des leidenden Organs über (s. die einzelnen Artikel Angina ton-
sillaris, gangraenosa etc.), oder sie befällt die benachbarten Theile,
z. B. die Parotis, den äussern Hals, selbst die Lungen. Prognose. Ist
sehr verschieden. Es giebt Bräunen, welche fast ohne Arznei, allein durch
gute Diät gehoben werden können, z. B. die gewöhnliche Angina catarrha-
lis; andere, die in den meisten Fällen tödtlich sind, besonders bei Vernach-
lässigung und später Hülfe der Kunst , z. B. jede heftige entzündliche Bräune
in der Luftröhre, die brandige Scharlachbräune. Der Tod erfolgt hier ent-
weder durch Eiterung, Ausschwitzung, Brand, Erstickung, oder durch Er-
schöpfung : Ohnmächten , Zuckungen , Nervenzufalle aller Art. Manche
Kranke sterben apoplektisch , manche erst an Nachkrankheiten. Die A. pha-
ryngea ist gefährlicher als die tonsillaris, die A. trachealis gefahrlicher als
die pharjngea; geht eine Angina in Eiterung über, so ist die Zertheilung
bei der Wiederkehr schwierig ; Compücationen der Angina mit Pneumonie
sind sehr schlimm; bei scrophulöser Anlage bleiben leicht Drüsenverhärtun-
gen zurück. Behandlung im Allgemeinen. 1) Da bei uns die acht
entzündlichen Bräunen am häufigsten vorkommen, besonders bei jungen, voll-
saftigen Subjecten und im Frühling und Herbst, so muss der Arzt in der
Kegel (wenn das Übel noch neu, nicht vernachlässigt ist) antiphlogistisch
verfahren, und zwar um so mehi-, je heftiger die Geschwulst, das Fieber
und dessen inflammatorischer Charakter, je deutlicher die Entzündung eine
Inflammatio exsudativa ist , je heftiger die Respirationsbeschw erden , Angst,
Blutcungestioiien , Hindernisse im Schlingen, undeutliche, dumpfe oder ganz-
MGINA 127
üch mangelnde Sprache, rothcs aufgetriebenes Gesicht, rothe hervorgetrie-
bene Augen etc. zugegen sind. 2) Durch: die Zeichen des gewöhnlich schnel-
len, härtlichen, zusamraengpzogenen , .oft krampfhaften Pulses lasse der Arzt
sich nicht irre machen ; die Beschwerden in der Respiration machen ihn hier
so sciincll , er hebt sich , wird voller und langsamer nach dem Aderlass, eben
so wie bei Pneumonie. Die Berücksichtigung aller übrigen Sj-raptome, de*
Stadiums der Krankheit, der Constitution des Kränken muss entscheiden.
3) Das erste und grösste Anüphlogisticum sind hier Blutausleerungen, sowol
örtliche (Blutegel an den Hals, Scarificationen- des Nackens; Äopj)), aU
allgemeine. Erst diese machen nicht selten das Schlucken möglich, z. B.
bei heftiger Angina scarlatinosa ; alsdann verordne man Nitrum, Tart. \'itrio-
latus, besonders aber Purgirsalze, welche durch Beförderung der Leibes-
öiTnung die Congestion vom Kopfe ableiten, z. B. Sal Glauberi, Sal anglic.
mit. Aq. flor. sambuci, mit Decoct. fruct. tamarindor. , Oxym. siropl. etc.
4) Man sorge, noch ehe diese IVIittel eingenommen werden und wirken kön^-
nen, dafür, dass der Leib durch eröffnende Klystiere offen erhalten werde.
5) Man vermindere die Congestion des Bluts zum Kopfe auch durch rei-
zende Fussbäder , wende auch andere äussere Reizmittel an , um abzuleiten,
z. B. Senfteige an die Waden, an die Oberarme; doch hüte man sich vor
der frühen Anwendung der Vesicatorien , die als örtliche Reize, besonders
wenn sie um den Hals gelegt werden, den allgemeinen Fieberreiz vermeh-
ren. Erst nach vorhergegangenen hinreichenden Blutausleerungen schaffen
sie Nutzen. 6) Massige Zimmertemperatur, ein gelindes diaphoretisches und
kühlendes Verhalten , strenge. Vermeidung aller Erhitzungen des Körpers,
eine knappe, düime, wässrige Diät, Vermeidung jedes Temperaturwechsels
sind hier noch nothwendig zu berücksichtigende Dinge. 7) Bei den Blutaus-
leerungen durch Aderlässe vergesse man nie, eine grosse Aderöffhung zu ma-
chen , und daher ist die Vfinaesection am Arme der am Fusse vorzuziehen.
Doch leistet letztere bei heftigen Congestionen zum Kopfe und bei kalten
Füssen auch sehr gute Dienste. Ist die hintere Partie des Mundes fast ganz
verscliwoUen, z. B. bei heftiger Angina uvulari's und tonsillaris, so scarift-
cire man die Mand«ln, auch die geschwollene Zunge, den Zapfen mit einer
rayrtenförmigen Lanzette. Es giebt Fälle , wo nur dadurch der Erstickung
vorgebeugt worden ist. Auch blutige Schröpfköpfe im Nacken , Blutegel
auf die Brust sind in einzelnen Fällen sehr nützlich. 8) Bei Verordnung der
innern Antiphlogistca berücksichtige man ja den Grad der Entzündung und
des Fiebers. Ist letzteres heftig und erstere bedeutend, die Constitution
des Kranken robust, vollsaftig, die Luft rein und trocken bei Ostwinden,
so verordne man ja Nitrum mit Tart. vitriolatus ; z. B. I^ Nitri depurati 3jjj»
Tart. vitriolat. 3v, Decoct. rad. althaeae £j, Tart. emetiei gr. j, Syr. man-
nae 5J. M. S. , wovon man stündlich einen Esslöffel voll giebt , und ver-
tändle die Zeit nicht mit Pot. Riverii , Spirit. Minderer! u. dergl. ; nur bei
gelinden Graden der Angina, z.B. bei der catarrhalis, passen letztere Mittel.
Auch folgende Mixtur hat mir bei heftigen Zufällen von Entzündung und
Congestion herrliche Dienste geleistet: ^! Aquae ilw-, santhuci ^x, Nitri de-
purati 5jj 1 Sal. Glauhcri 3JIV , Oxym. shnpl. jjj , Mucil. yumm. arah. 3J,
Tart. emetiei gr. j. M. S. Stündlich 1 — 2 Esslöffel voll. Um die Salze in
diesen IVIixturen für die entzündeten Theile beim Einnehmen reizlos zu ma-
chen (manche Ärzte haben eine grosse Furcht, sie hier zu verordnen, die
aber ungegründet ist) , lasse ich den Kranken A^or dem jedesmaligen Einneh-
men etwas Haferschleim trinken. Ausserdem ist ja in vielen Fällen die Hals-
entzündung nnr Symptom einer allgemeinen heftigen fieberhaften Krankheit,
Hier würde es um so tadelnswerther seyn, das Allgemeinleiden weniger als
das örtliche Leiden zu berücksiclitigen und sich vor dem Verordnen der küh-
lenden Salze zu scheuen, die ein Störk, Reil, Stall so dringend empfehlen.
9) Ist das Übel schon sehr fortgeschritten, sind die frühen Biutausleerungen
versäumt, kann der Mensch nur wenig schlucken und fürchtet man durch
die kräftige Anwendung der Blutentziehungen (welche, früh angewandt, oft
schon in zwei Stunden das sonst unmögliche Schlingen möglich uiul fast
128 ANGINA
schmerzlos niachen) za. sehr zu schwächen, so dient . als Antiphlogisticum und
Purgansi' der Mercur. dulcis, am besten in folgender , Mischung : l^i.'Merc.
duU. gt. jj, Liquirit. coctae 9j. M.i. pulv. dispens. dos. vjjj. S. Täglich
S-T-4mal^i bei dringender GtJefahr alle iwei Sturiden^ ein Pulver mit Wasser.
Helleboru», 'Jalapa, Senna und andere reizende Mittel zuzusetzen , halteich
für unnöthig, Avenn nicht schädlich, wenigstens passea sie bei reiner Angina
intiainmatoria nicht, obgleich die Engländer und auch Albers sie bei Angina
scai'latin. mit Nutzen gegeben haben (s. Most, Geschichte d. Scharlachtie-
bers Th. II. :S. 298 u. f.) , besonders um der Hirnentzündung vorzubeugen.
Die. abführenden Ahtiphlogistica giebt man so lange, bis merkliche Besse-
rung oder die Zeichen der Eiterung eingetreten sind. Alsdann passen sid
nicht mehr'^ und man muss sich nun zur Verhütung von Leibesverstopfung
auf Klystiere beschränken. 10) Brechmittel sind bei heftiger entzündlicher
Angina schädlich, sie vermehren die örtliche Entzündung, das Fiebet uad
die .Congestion. Obgleich es wol einige Formen der Angina giebt, wo. sie
passen, so werden sie doch nie die Blutegel, das Aderlassen, das. oft so
heilsame Scarificiren im: JSacken, im Munde, an den Mandeln, und den
MeriE. dulc., sowie die Purgirsalze entbehrlich machen können. 11) Mit den
äusserlichen Mitteln gegen Angina hat man oft viel Unfug getrieben. Die
iiasswarmen Umschläge um den Hals schaden mehr als sie nützen, indeoi sie
leicht den Hals erkälten; die von den Alten so sehr gerühmten Pflaster
(Empl. melilot., diachyl.simpl.) dienen mehr bei der Angina incipiens, als
bei dem völlig au-sgebUdeten Halsübel; bemerkt man äusserlich die Zeichen
eines Abscesses , so dienen am besten Spec. emoliientes , Semen lini mib
Semmelkrumen und' Milch gekocht (bei heftigen Schmerzen etwas Opium z»--
gesetzt). In manchen Fällen bei anfangender Bräune , bei Angina membrai-
nacea nach vorhergegangenen Blutentziehungen, passt Folgendes zum E^-A
reiben: 1^ Ol. hyoscyami gj, ZJnguent. mercurial. 3j|l? Spirit. sal. ammoa.
caust. 31^. M. S. Alle, 2 Stunden 1 Theelöffel ■ voll über den ganzen Hals
einzureiben. 12) Über die Vesicatorien habe, ich schon oben geredet; bei
hohem Grade der Entzündung passen. sie nicht, desgleichen nicht, wo keine
Blutausleerungen vorangegangen sind.. Nach diesen sind sie aber höchst
nützlich; desgleichen bei Angina incipiens , um einen hohen Grad von Ent-
zündung zu verhüten. Hier kann ich sie ('/, Hand gross und in den Nacken
gelegt) nicht genug empfelüen. Auch kann man sie in Form eines Bandes
um den ganzen Hals legen, wenn einige Stunden nach den Blutausleerungen
die frühere Heftigkeit des Übels wieder eintritt. IS) Gui-gelwasser , bal4
erweichender , bald zusammenziehender Art ,. hat man von jeher empfohlen.
Sie passen aber bei hohem Grade der Entzündung gar nicht, verschiimraera
das Übel, reizen den Hals, auch kann sich, der Kranke vor Schmerzen dann
nicht gurgeln. Besser sind Dämpfe von Fliederthee. und Essig, die man
mittels eines Trichters vorsichtig einathmet, oder, man hält öfters ein Gur-
gelwasser, von Spec. ad gargarism. mit Oxymel simpl. bereitet, im Munde,
ohne sich zu gurgeln. Höchst wirksam sind zur Entfernung des Schleims
in der Bräune Einspritzungen von dem eben genannten Gurgelwasser , so
warm als es ertragen werden kann, angewandt. Aber auch sie passen im
recht entzündlichen Stadio nicht immer; das Gefühl des Kranken muss hier
entscheiden; machen sie heftigen Schmerz, so muss man davon abstehen.
Man schafft unendlich viel Schleim damit weg, selbst das Würgen und Er-
brechen, das dabei zuweilen eintritt, ist heilsam. Ist der Mund durch Tris-
mus verschlossen , so kann man bei vorwärts gebeugtem Kopfe des Kranken
durch die Nase die Einspritzungen machen. Am Ende der Angina, wenn
die Entzündung meist ganz vorbei ist, kann man reizende Dinge, Decoct.
herbae sabinae, Infus, spec. ad gargarism. mit Tinct. pimpinellae, Korn-
brauntwein, Oxymel etc. einspritzen, nur passen diese Mittel nicht zu An-
fange des Übels und bei heftiger Entzündung. Hier passt anl besten De-
coct. hordei mit Oxymel simpl. 14) Was endlich die Diät betrifft, so thut
es nichts, wenn der Kranke in den ersten Tagen, wenig geniesst; Hafer-
schleim, Graupendecoct , Malztrank, Molken, Pflauraenbrühen sind hinrei-
ANGINA 129
chend; ist das Schlingen aber gar zu beschwerlich, so müssen ernährende
Klystiere gegeben werden. Über die Erkeontniss und Behandlung der spe-
ciellen Fälle von Angina, nach Verschiedenheit des leidenden Organs, dos
Verlaufs, des Fiebercharakters, u, s. w. werden die folgenden Artikel dei»
Praktiker Auskunft geben.
Angina aphthosa, Schwämmchen, s. Aphthae.
Angina aquosa, s. Angina catarrhalis.
Angina nrihritica, gichtische Bräune. Entsteht zuweilen als Glchtme-
tastase, nach zurückgetriebenem Podagra, ist oft ohne alle Geschwulst j da-
bei Stiche, Schmerzen, Trockenheit im Halse, Abendfieber. Cur. Anti-
phlogistica, äussere Hautreize,, JFussbäder, auch später Diaphoretica. •Per-
sonen mit Aithritis anomala leiden oft an Angina arthritica chronica, wobei
das eigenthümliche Gefühl ist, als stecke ein Ring iin , IJalsc. , Hier leisten
Flor, benzoes, dreimal tägUch 1— ^3 Gran, mit K^i^. jpiner^
Dienste (iW.). ,,.,.: . •• ' - •■■,:.( , ■,!,..
Angina biliosa. Gesellt sich leicht zur Febris liepatica Richten, erfor-
dert ein Vomitiv und die Behandlung des Fiebers , der gefährlichen Zufalle.
Auch hier versäume man zu Anfa,nge den antiphlogistischen Apparat in Ver-
bindung mit gelinden Abführungen von Tamarinden, JVlanna u. s. w. nicht.
(S. Febris biliosa hepatica Richteri). ,
Angina catarrhalis, lymphaiica, pituitosa , oedemqiosa , spuria, fiotha,
aquosa, serosa, mucosa, Bronchus, die katarrhalische Bräune. Sie
kommt sehr häufig, theils epid^fiiisch, theils sporadisch . vor. Symptome.
Die des Katarrhs und Katarrl^älfiebers (s. Blennorrhoea und Febris
catarrhalis). Ausserdem stechende Schmerzen im Halse, sehr häufig
Angina tonsillaris und uvularis, wo Mandeln und Z^pfpfiep bei der Unter-
suchung geschwollen erscheinen , bedeutender Schmerz beim Schlingein; die;
Geschwulst sieht bleich aus mit gerötheten Blutgefässen , die Schleimabson-
derung ist bedeutend, dabei oft kleine Bläsch.en, , oberj^ächliche Eliterung, .im,
hintern Theile des Mundes j, übler Geruch aus demselben, vermehrte Spei-
chelabsonderung eines langen, zähen Speichels. Zuweilen ist Husten, ge-
VFÖhnlich aber nur Hüsteln und Räuspern dabei, auch nicht immer Heiser-
keit. Im hohen Grade schwillt der Hals ganz zu, so dass ohne baldige
Hülfe die Kranken ersticken müggen ; nicht selten gehen die Mandeln ii> Ei-
terung über (s. Angina suppurativa). Ursachen. Heftige , Erkältun-
gen, bei feuchter FrüUings- und Herbstwitterung. ,Cu^\ Höchst falsch ists,
der A. catarrhalis einen typhösen, asthenischen Charakter beizulegen. Es
ist hier zwar nicht immer ein heftig entzündliches Fieber, aber doch auch
keine Schwäche. Daher gebe man hier kühlende Diaphoretica. In gelinden;
Graden reicht Warmhalten des Halses mittels Flanells, eines Strumpfes, und
innerlich Fliederthee zum Schwitzen hin; dabei gleichraässige Zimmertempe-
ratur (15 — 14" R. ), Vermeidung geistiger Getränke und der Erkältung.
Bei stärkern Graden der Angina geben wir Spirit. Minderen, Salmiak,
kleine Posen Tart. emetic. , auch wohl ein Vonjitiv , und den Tag darauf
eine Dosis Pilul. purgant, !ph. Hannov. (Sachse), ^ehr wirksam ist Folgen-
des: JfJjS«?. ammort. dep., Smcc. liquirit. dep. anaSjjj, Aq- fior. samhuci ^v]],.
Tart, etnetici gr. j, Rob samhuci gjß. M. S, Stündlich einen EsslöÖTel voll.,
Späterhin dient folgendes Pulver: B^ Sacchnri lactis jj)^, Magnes. carhon.,
Ocul. cancror. ana 3}[^> Rad. Uqiiirit, Sem. fQeniciiJi aua ojjj "Sm^?^' "'**■"'*
gr. X., IVi. f. pulv. S. Viermal täglich 1 Theelöffel voll mit Thee.von Spec.
pector, Ph. Boruss. Nicht selten bleiben ödematöse Anschwellung der Man-
djcln oder habituelle Anlage zur Bräune nach der Angina catarrhalis zurück
($, Angina habitualis). Ausser den genannten Mitteln helfen die Cur,
unterstützen : Gurgelwasser von Spec. ad gargarism. mit Öxyrael und Brannt-
wein, auch Einspritzungen davon, hinterher jedesmal 20 — 26 Tropfen Tinct.
pirapinellae auf Zucker; späterhin Decoct. quercus, Alaun n. s. \v.
Angina epiglottidiea , Epiglottitis, Entzündung des Kehldeckels.
Sie steht zwischen Ang; pharyngea und laryngea in der Mitte, weil dejr
Kehldeckel sowol zum' Athmen, als zum Schlucken dient; daher sind hiei :
Most Encyklopädie. 2te Aufl. 1. 9
130 ANGINA
auch beide Functionen erschwert. Diese Bräune ist gelten rein da , gewöhiv
lich bei heftiger entzündlicher Bräune, wo alle Theile der Mund-, Rachen-
und Schlundhöhle entzündet sind, zu gleicher Zeit zugegen. Zeichen.
Verhindertes Reden, Athmen, Schlingen; die geschwollene Epiglottis er-
blickt man als einen Wulst oder in Form einer Eichel an der Zungenwurzel.
Cur. Die allgemeine der Angina.
Angina exanthemalka. Am häufigsten kommt sie vor als Angina scarla-
firtosa, die in der Regel mit dem Fieber zu- und abnimmt. Bei robusten
Kränken ist sie oft recht heftig , das Schlucken ist oft schon am zweiten,
dritten Tage der Krankheit gänzlich gehindert, die Entzündung bedeutend;
dabei ist viel Trockenheit im Munde , und die ganze hintere Partie dessel-
ben ist geschwollen, verschwollen, mit kleinen rothen Flecken besetzt. Cur,
Zur Vorbauung bei den ersten Vorboten des Scharlachfiebers ein Vomitiv
aus Ipecacuanha (^Gmndmann ^ Lentin, Stieglitz^. Ist das Übel schon aus-
gebildet, dann ein Aderlass am Arme, Blutegel um den Hals, innerlich
Merc. dulc. , Abends und Morgens 1 — 2 Gran, und stündlich die oben (s.
Angina) angegebene Mixtur aus Nitrum , Sal Glauberi etc. Gurgelwas-
ser, Einspritzungen passen zu Anfange nicht, wol aber warme Däm-
pfe, äusserlich trockne Wärme mittels Flanells. Diese Behandlung habe
ich in mehreru hundert Fällen als die zweckmässigste gefunden. Späterhin
liess ich mit Acid. muriat. oxygenat, und Aq. menth. crisp. ana gurgeln,
wodurch die Entfernung des Schleims und die Desquamation im Halse sehr
befördert wird. Die Behandlung der bösartigen Scharlachbräune, die Gott
Lob! nur in seltenen Epidemien beobachtet worden ist, erfordert einen be-
sonderen Artikel (s. AnginagangraenoSa).
Angina gangraenosa, maligna, puirida, die bösartige, brandige
Bräune; auch A. ulcerosa, Morbus slrangulatorius , suffhcatorius, Gulae,
M. puerorum epidemicus, P<;sHlens faucium afl'ectio, Cynanche maligna, Ga-
rotlillo genannt. Ist eine ansteckende, schnell in Eiterung und Brand über-
gehende, rasch sich auf die benachbarten Theile des Halses verbreitende
Entzündung, welche thcils einzelne Personen- von schlechter Constitution
sporadisch befällt, theils ohne Ausschlag e|>idemiseh erscheint, theils und
wol am häufigsten zu Scharlachfiebern, Frie'sel und Schwämmcheh hinzu-
tritt (Sachse). Sie war laut der Geschichte oft die Begleiterin bösartiger
Katarrhalfieber (lufluenzepidemien) , bösartiger Scharlach- und Frieselfiebet
mit galligem, nervösem und putridem Charakter, die Gott Lob! jetiit mehr
historisch den Arzt interessiren , und in unsern Zeiten höchst selten Vorkom-
men. Symptome. Nicht selten geht ein Stadium catarrhale vorher, wo-
bei der aus Mund und Nase füessende Schleim so scharf ist , dass er die
Haut wund macht. Auch Heiserkeit, geliiwies Fieber, abwechselnd Frost
und Hitze sind zuweilen Vorboten ; nicht selten ein infiamraatorisches Fieber
mit Anschwellungen der Parotis, das aber bei übermässiger reizender, so-
wie bei zu starker antiphlogistischer Behandlung leicht in ein wahres Faul-
fieber übergeht. Zuweilen ist das Faulfieber ein wahres Gallenfieber mit
Ekel , Erbrechen , belegter Zunge , üblem Geiuch aus dem Munde. Am öf-
tersten ist das Fieber asthenisch, der Puls schnell, klein, leicht Wegzug
drücken J die Kranken sehen blass aus, leiden an Schwindel, Ohnmächten,
wahrer Schwäche (s. Adynamia), Kopfschmerz, Delirien, Schlaflosigkeit,
zuweilen Sopor. Die Krankheit ergreift gewöhnlich die Mandeln, den gan-
zen Rachen, der glänzend roth, später dunkelroth aussieht, dabei bedeu-
tende heisse Geschwulst. Es bilden sich bald (binnen 24 Stunden bis S Ta-
gen) hier aschgraue , speckige Flecken mit rothen, blauen Rändern , ähnlich
den Schwämmchen, oft Blasen, die bald Schwarze, graue Krusten bekom-
men ; sie ergreifen die Zunge, das Zahnfleisch , die Lippen, die Nasenhölile,
den Gaumen , das Zäpfchen , die Luftröhre , und gehen schnell in Versch wä-
rung und Brand über, wodurch die Theile oft scheuslich zerstört werden.
Krämpfe, Erstickungszufälle, Singultus , Erbrechen, Durchfressungen des
Halses, aashafter Geruch, der oft schon im Stadio inflamraationis wahrnehm-
bar ist, sind die gewöhnlichen Begleiter. Auch der ausgeworfene Schleiin
ANGmA. 131
riecht cadaverSs. Heisere Stimme, beschwerliches Athmen, Husten, Räus-
pern, mehr ein brennendes Gefühl, als Schmerz im Halse, der beim einge-
tretenen Brande fast ganz aufhört, und wenig Beschwerden des Schlingend
sind charakteristische Zeichen. Zuweilen zeigt sich äusserlich eine wässe-
rige Geschwulst, die rund umher den Hals einnimmt und bis an die Brust
reicht , auch Geschsvulst der Ohr - und Subraaxillardrüsen. Je mehr der
Charakter des Fiebers typhös ist, desto schneller zeigen sich CoUiquation
der Säfte: Blutungen aus Nase, Mund, Ohren, After, klebrige, stinkende
Schweisse, Petechien, Blasenkrankheit, Diarrhöe, Schwämmchen im ganzen
Darmcanale. Ausgänge. 1) Genesung erfolgt, wenn die Zufalle nach-
lassen , der Brand nicht weiter um sich greift , der Harn trübe wird und
einen dicken, schwarzen, stinkenden Bodensatz bekommt, wenn gelinder
Speichelfluss und äussere Halsgeschwulst bei Verminderung der Innern ent-
steht. In seltenern Fällen zeigt sich ein Abscess der Mandeln , der Er-
stickung droht, sich plötzlich beim Husten öffnet, worauf Nachlassen der
Zufälle eintritt. Auch Abscesse der Zunge ereignen sich wol. 2) Der Tod
erfolgt oft schon am ersten Tage durch Erstickung, gewöhnlich am Sten,
5ten, 7ten Tage durch Brand des Halses, der Lunge, Entkräftung, durch
die Complication mit Croup und Bildung von Pseudomembranen. Ursachen.
Faulige Säftebeschaffenheit durch schlechte Nahrung, Missbrauch der Spiri-
tuosa, ungesunde, feuchte Wohnungen, eigenthümliche atmosphärische Ein-
flüsse, welche auf die Vegetation und Productiou, auf Nntrition und Assi-
milation, so wie aufs Nervensystem nachtheilig wirken und den Charakter
aller fieberhaften Krankheiten dergestalt umändern können, dass die Diathe-
sis inflaromatoria verschwindet und schnell der typhöse , gallig - nervöse und
putride Charakter auftritt, wozu die entstandene Verstimmung und Nieder-
drückung des Nervensystems und schlechte Blutbereitung das ihrige beiti-a-
gen» Weibliches Geschlecht, jugendliches Alter mit schwächlicher Consti-
tution disponiren am meisten zu dieser Brätifte. Behandlung. Mit dem
Aderlassen, welches "hier mehre ältere Ärzte anwandten, sey man ja vor-
sichtig , selbst zu Anfange der Krankheit ; wo indessen der inflammatorische
Fiebercharakter deutlich wahrzunehmen ist, setze man Blutegel an dert Hals,
scarificire den Nacken, die geschwollenen Mandeln, lasse den Mund darauf
mit Aqua oxymuriatica und Infus, salviae ana fleissig ausspülen. Innerlich
verordne man den Merc. dulcis. p. d. zu 2 ■•—4 Gran, in Verbindung mit
gr. fj — gr. j Opium, 2 — 3mal täglich, verbinde ihn, sobald die ersten
Spuren von Brand sich zeigen, mit 3 — 4 Gran Kampher p. d., gebe ein
Infus, serpentariae mit Spirit. Minderen und Kampher, versäume auch nicht,
ein Brechmittel aus Ipecacuanha zu geben, besonders zu Anfange des Übels,
verordne bald Decoct. chinae mit Infus, serpentar. und angelicae, gebe täg-
lich bei Schwäche etwas Roth wein u. dergl. Auch der kleine rothe oder
Cajennepfeffer innerlich gegeben , hat sich als belebendes Mittel sehr wirk-
sam in der brandigen Bräune bewiesen , z. B. folgende Formel : ^f Piperis
Cajennensis pulv. 5J — 5JIV, Snlis culintvr. pulv. gß , infunde c. aq. fei'v. Sj,
post refrigerat. cola addeque Aceti vini opt. ^vj. M. S. Halbstündlich einen
Es»löffel v^U (^Stephen). Sehr zu loben ist hier auch Decoct. chinae mit
Acid. sulphuricum dilutum und Tinct. opii. Was ■die äusseriichen Mittel be-
trifft, so rathen Einige Vesicatorien um den Hals an. Andere nicht. Bei
hohem Grade der CoUiquation helfen sie sicher nichts, wol aber zu Anfange
des Übels. Einreibungen von Linim. volat. camphorat. mit Terpenthin in den
Hals sind gleichfalls nützlich, desgleichen zum Pinseln des Halses : I^ Spirit.
sdlis acid. gutt. xxx, Mel. rosar. Jiv. VI. {Fordyte). Und zum Einspritzen
folgendes Mittel : "fy Alum. crudi 3J^, solve in Aqune fontan. Sj. M. S. Lau-
warm einzuspritzen (Dßjwm). Dies reinigt die Geschwüre ganz besonders;
zur .Heilung wendet man dann verdünnte Tinct. myrrhae an. Diät. Fri-
sche, reine, aber nicht kalte Luft (die Zimmertemperatur muss nie über
14f> R. seyn) ; reichliche stärkende Nahrung : Milch , Bouillon von Hühnern,
Tauben, stete Reinlichkeit des Mundes, des Rachens, sowie des Zimmers,
der Leib- nnd Bettwäsche, zum Getränk Limonade, etwas Wein, Zucker-
9*
132 AKGINA
wasser, angenehm säuerlich gemacht mit Acid. sulphuric. oder Elix. äcid.
Halleri, Weinmolken u. dergl, mehr, sind zu empfehlen.
Anginn gnnyrnenosa gastrica. Hier ist eine wahre Febris 'gaati'ica neben
der Bräune beobachtet worden. Hier dienen besonders Vomitive, xm An-
fange der Krankheit gereicht, welche nicht selten die böse üräune imKeijn«
ersticken und alle gefährliche Zufälle verhüten. Grosse Angst, Ek.«l, VVür-?
gen, belegte Zunge sind hier Indicationen dazu. Späterhin passen die ubdl
angegebenen Mittel , welche der scharfeinijige Arzt nach deni Grade d«Sr
Krankheit, nach ihrem Fiebercharakter und der Constitution' ides.Krandken
aosvyählen wird, • / i;,.:: .
Angina hahitunlis, periodica. So wie es Menschen giebt,' die öfter und
nicht selten zu bestimmten Zeiten an Pneumonie, an Panaritium leiden, so
kehrt auch die Bräune leicht wieder. Besondere Neigung zu Recidivcn hat
die Angina membranacea und die Angina tonsillaris mit dem Charakter der
A. catarrhalis. Ich habe Fälle beobachtet, wo der Kranke, alle BVühjakra
oder Herbste die Mandelbräune bekam, die dann fast jedesmal trotz, döi'
frühzeitigen Hülfe in Eiterung überging. Präservativmittel. Manisoil
warme Dämpfe von 2 bis 3 Theilen Fliederbhimenthee lüit .1 TheilWein-
geist einathmen lassen; auch frühzeitig eine Dosis Men:. dülc. geben (^Richter').
Ich habe bei einem 20jährigen. Mädchen, das schon siebenmal aii peschnüri-
ger Mandelbräune gelitten hatte, Folgendes verordnet, wodurch das Übel
dreimal unterdrückt ward und darauf keine Miene machte wieder ru kom-
men. Ich gab ihr bei den ersten Vorboten des alle Frühlinge und Herbsta
wiederkehrenden Übels innerlich: ]^ Extr. dnturae strnm. gr. j>, Vastwei,
Mercur. dulc, Sulph. aurati ana gr. j, Liquir. cocine 5j- M. f. pulv. dispens.
dos. jjj. S. Alle Abend ein Pulver, und ausserdem viel Eliederthee zum
Schwitzen. Des Tages über musste sie. einige kleine Stückchen Kaulpber
kauen, im Munde zerfliessen lassen und langsam verschlucket!. ^ Ausserdem
musste sie Monate lang eine Flanellbinde., mit. Linlm. volat. terebinthv be-
strichen, um den Hals tragen. Fontanellen am Arme, jahrelang, getragen,
Terhüten oft die habituelle Bräune {Bnglivi., St^chsey. Auch dienen zur Ver-
hütung abhärtende, ableitende und stäikende Mittel: öfteres Ausspülen des
Mundes und Rachens mit kaltem Wasser, äussejfUch Waschen des Halses,
der Brust mit kaltem Wasser, öfteres Gurgeln' OMtDecoct,,. yuercus. ^-v-j,
worin 3jj Alaun aufgelöst sind. ..."
Anginn haeinorrhoidnJis , s. Angina me.nstruali»«.! ' (/ j .■ i; — ' .
Angina herpetica, s. Aphthae und Herpes. . i> i/iil im/ ii'.:,- ,
Anginn hyoidea. Ist Verschiebung oder Verrenkung «tes tZungÄiibein»,
wobei sich zwischen dem Kehlkopfe ujid dem M. sternocleidomäsioLdete an
der einen oder andern Seite eine bei der Berühriuig schmerzhafUe Geschwulst,
auch Unförmlichkeit des Pomum Adami zeigt (s. Luxatio os.äis Ir^AL'dei).
Auch wird das Übel Dijsphiujia Vulsalvianin genannt. i
Angina inflamviaioria simpIcx, die einfache entzündliche Bräune.. Ist
schon oben beschrieben ; s. Angina. Ist sie. gelinde, danj\ die^ Behandlung
vrie bei A. catarrhalis. . . / .
Angina iniermiilens , Bräune mit aussetzendem F.^bercharakter./ JVI»n hat
sie in seltenen Fällen be^ typhöser Scharlachbräune (^Htish'), so NVie b^im
Croup (Angina membranacea intermittens) beobachtet (^Bock, Salomon ^ He-
cker d. ä.y Portal, Autetirieth , Sachse"). Cur. Hier gebe man nach über-
standenem Anfalle von Bräune die China, um einen zweiten, dritten Anfall
zu verhüten (fiusÄ,, Stichel). Im Ganzen sind solche Fälle wol sehr selten
und dann nur in den Zeiten, wo Wecliselfieber epidemisch herrschten, vor-
.gekommen.
Angina laryngea, s. Angina membranacea.
Angina laryngea oedeinnlosn , s. Hydro ps glo tti d is.
.^ijina linguaria. So hat man wol die Entzündung der Zung«
genannt (s. Inflammatio linguae).
Angina membranacea, poli/pusa, trnchealis, humidn, suffocalivii, Suff'ucn-
tio utiidiiiit, Laryngitis et Truiheitis iufantilis, I'aidumhoite , der Croup, di«
ANGINA 133
häutige Bräune, En'tzündung des Luftröhrenkopfes. Wir un-
terscheiden zwei Arten der entzündlichen Bräune in den Luftwegen: n) die
Entzündung der Luftwege ohne Ausschwitzung (Tracheitis sicca, musculari»,>
profunda, s. Abscessus trachealis); 1} Entzündung der Luftwege mit
Ausschwitzung, d. i. das Wesentliche des Croups (^Snchse). (Vergl. unten d.
Art. Diphtheritis). Hier ist nur vom Croup die Rede. Symptome.
Sie sind nicht allein Ärzten, sondern auch den gebildeten Laien so bekannt,'
dass hier dieselben nur mit wenigen Zügen gezeichnet zu werden brauchen.
Sachse schildert die Symptome und den Verlauf des Übels so vortrefflich,
dass ich mich ganz seiner Worte bediene : „ Der Croup bricht entweder'
plötzlich mit fremdartig klingendem Krampfhusten aus oder, was häufiger
geschieht, es gehen einige Tage Katarrhalzufälle und Fieberchen vorher^
deren Übergang in den Croup jener Husten , plötzlich eintretende oder ver-
stärkte Heiserkeit, und ein hinzukommender, pfeifender Athem bezeichnen.
Da aber die Kinder wieder zum Spielen und Essen Neigung haben und je-
nes verdächtige Pfeifen beim Athem wieder verschwunden ist, oder nur beim
Husten, Schreien, Sprechen, Lachen bemerkt wird, so übersieht es der ün-^
kundige so gut , als das eigenthümliche Bellen des meistens trocknen Hustens,
bis dieser noch bellender in den Nachmittags - oder Ruhestunden zurückkehrt
und von leichten Schmerzen oder vielmehr Zusammenpressungen in der Luft-
röhre, und von noch vernehmbarem Pfeifen beim Einathmen begleitet wird.
Dies geschieht mit so sichtbarer Beschwerde, dass die Kinder im Bette auf-
fahren, oder ihre Spiele verlassen. Ihr Gesicht wird daBei roth , die Kopf-
und Halsadern schwellen, und der Puls schlägt gewöhnlich hart und schnell.
Aber nach % bis % Stunden spielen oder schlafen die Kinder schon wieder,
und man könnte sie für ganz gesund halten , wenn der Puls nicht seine Fre-
quenz behielte , die Luftröhre beim Überhinstreichen nicht leicht schmerzte,
der Husten etwas rauh und das Athmen etwas schwerer bliebe. So wie
hier die Remissionen, so können noch mehr wahre Interraissionen täuschen.
Aber bald kehren die Erstickungsanfälle häufiger und heftiger zurück. Je
länger der Schlaf dauert, desto lauter und schneller wird die Respiration,
bis ein neuer Anfall kommt; dieser wird immer ängstlicher, wächst von
Stunde zu Stunde, der Husten wird immer bellender, bringt anfangs nur
wässrige, schaumige Massen auf, welche zuweilen mit Blutstreifen gefärbt
sind, in welchen Fällen dauin die Kranken sich gleich nachher über heftige
Schmerzen in der Luftröhre beklagen ; oder es werden gar röhrenförmig»
Canäle, bald mit, bald ohne Erleichterung ausgeworfen. — Die Inspiration
wird nun immer lauter, pfeifender, schwerer, der Kopf wird dabei nach
hinten gebogen, die Luftröhre hervorgedrängt, sie schmerzt beim Überhin-
streichen oder auch wol ausserdem, beim Husten, wird etwas geschwollen
und ganz bestimmt als Sitz des erschwerten Atheras genannt. Zuweilen stel-
len sich im Gesicht und an andern Orten Convulsionen ein. Nun wird auch
das Fieber immer stärker, Augen, Gesicht und Hände glühen, und obgleich
die Zunge feucht bleibt, ist doch der Durst kaum zu löschen. Das Getränk
wird so schnell hinabgestürzt, dass es zuweilen durch die Nase wieder zu-
rückkehrt. Der Puls bekommt eine kaum zählbare Schnelligkeit , verliert
später seine Härte, und wird zuletzt sehr schwach, ja intermittirend. Die
Angst wird nun unbeschreiblich; keine Lage ist dem Kranken recht, sie
entspringen dem Bette, reissen Kehle und Zunge hervor, zerraufen die trie-
fenden Haare und ihre, so wie der Wärterinnen Kleider, die sie, um Luft
fleheud , umklammern; sie stemmen Hände und Füsse an, um nur einen tie-
fen Athemzug zu gewinnen. So sieht man sie dann erbleicht, blau, gedun-
sen und erschöpft auf ihr Lager niedersinken und scheinbar entschlummern,
aber sie rollen ihre halboffenen Augen so nach oben , dass man nur die Al-
buginea sieht und zuweilen wie roth ausgespritzt erblickt. Kaum fängt man
an Hoffnung zu schöpfen, so schrecken die Kranken plötzlich wieder auf;
man fühlt das Zittern ihres Herzens, das Beben der Karotiden am aufge-
triebenen Halse; sieht, wie das Zwerchfell, während die Brust zu ruhen
«cheint, krampfhaft arbeitet, wie die Rippenknorpel, ja selbst das Bi-ustböi«
134 ANGINA
heftig znriictgezogen werden, wie die Schultern sich bei jedem Athemzuge
hoch heben, so dass über den Schlüsselbeinen tiefe Gruben entstehen, väe
die Bauchmuskeln bis an den Rücken, der Kehlkopf bis ans Kinn hinaufge-
zogen werden, wie die Nasenlöcher sich weit öffnen, wie die Augen einsin-
ken und erlöschen, mit blauen Rändern umgeben werden. Man hört nur
Doch bei höchst verstärkter Schnelligkeit des Athmens ein heiseres, kräch-
zendes, herausgestossenes Gewimmer nach Luft und Getränken. Schon im
Vorzimmer hört man jetzt ein wahres Gesäge des Athems, der nun eben so
laut beim Exspiriren als beim Inspiriren wird, auch wol seinen Ton verän-
dert und zuletzt rasselnd und röchelnd wird. Der Husten schweigt jetzt
gänzlich ; jede Arznei ergreifen und verschlingen die Unglücklichen mit vol-
lem Verstände, ja Erwachsene würgen Zucker, Brotrinden etc. hinab, ura
das Hinderniss des Athmens dadurch zu entfernen, und gestattet es ihnen
ihi-e unverständlich leise oder erloschene .Stimme nicht mehr, so flehen sie
noch durch Zeichen um Rettung. Mit Nägeln und Zähnen zerfleischen sie
sich, greifen tief zunj Munde hinein, stürzen sich, nach Luft schreiend, mit
dem Kopfe so lang gegen die Wand, bis sie todt zur Erde sinken (J/6crs),
oder sie schaudern oft zusammen und sterben in Krämpfen; oder sie werden
so ruhig, als habe die Krankheit ganz aufgehört, und sterben, blau, ge-
dunsen , mit kalten Schweissen bedeckt , wie wenn ein Licht verlöscht. *'
Prognose. Da der Croup schon am ersten , gewöhnlich aber am zweiten,
dritten Tage durch Krampf, Apoplexie, oder Erstickung, Erschöpfung töd-
tet (die seltenen Fälle ausgenommen, wo Verhärtung, chronische Heiserkeit
erfolgen) , so kommt Alles auf eine frühe, zweckmässige Kunsthülfe an. Da-
durch allein wird das zweite und dritte schreckliche Stadium der Krankheit
und die Lebensgefahr verhütet; auch ist man dann sicher, dass keine be-
schwerlichen Nachkrankheiten erfolgen. Ursachen des Croups. Die
nächste Ursache ist Entzündung mit Neigung zur Ausschwitzung in den
Luftwegen. Prädisponirende und gelegentliche Ursachen geben jugendliches
Alter und besondere atmosphärische Einflüsse. Das Übel kommt epidemisch,
endemisch und sporadisch vor, besonders im Frühling und Herbst, bei hel-
lem Himmel , trocknen Ost -, Nord - und Nordostwinden , am häufigsten an
den Küsten der Nord - und Ostsee, auf hohen Gebirgen, z. B. am Harz,
in der Schweiz; Kinder zwischen dem 2ten und ISten Lebensjahre, häufiger
robuste und vollsaftige als magere , häufiger Knaben als Mädchen , haben
die meiste Anlage dazu , desgleichen solche, die das Übel schon einmal über-
standen haben (s. A. habitualis). Ansteckend ist die Krankheit nicht.
Starke Erhitzung und Erkältung des Körpers und eine daraus entstandene
unterdrückte Transspiration geben die häufigste Gelegenheitsursache;
besonders schädlich ists , wenn Kinder unter andern , das Übel begünstigen-
den Umständen hinsichtlich des genannten Alters, der Constitution, des Kli-
mas, der Gegend, Witterung und Jahreszeit, durch Spiele, Laufen, Schreien.
Springen in der Abendluft sich erhitzen und darauf erkälten {Löhcl, SacJise).
Schneller Wechsel der Witterung, besonders in feuchten, sumpfigen Gegen-
den ist auch Gelegenheitsursache. Diagnose. 1) Von Febris catarrhalis
unterscheidet sich der Croup «chon anfangs durch die Heftigkeit des
Fiebers, besonders des Abends durch die brennende Hitze der Hände,
durch die schnelle, beschwerliche Respiration, durch den starken Durst,
durch die Neigung zum Plattliegen und durch den bald eintretenden eigen-
thümlichen Ton beim Husten und Schreien, später auch beim Inspiriren.
2) Asthma Millari und Croup könnte man verwechseln. Ersteres kommt
aber periodisch vor, besonders in der Nacht zwischen 1 und 3 Uhr, wo,
nach meinen Erfahrungen, die meisten Nervenübel, auch Gichtanfälle ex-
acerbiren ; es ist seiner Natur nach ein Krampfanfall , der Ton bei dem An-
fall ist nicht pfeifend, sondern ein dumpfer Basston, ähnlich dem Heulen
eines Hundes- Die Kinder können dabei nicht platt liegen Vvie beim Croup,
sie richten sich auf, beugen sich vorwärts, die Giesichtsfarbe wird roth, blau,
bald darauf blass, das Schlingen ist beschwerlich, da beim Croup anfangs
dasselbe frei und die Respiration nur beschwert ist; das Übel befällt am
ANGINA 135
häufigsten schwache, reizbare, zu Kräojpfen geneigte Kinder, und zwar als
ein Krampfanfall, der etwas J'eriodisches , gleich andern Krämpfen hat; da-
her in einigen Stunden vorübergeht, gewöhnlich aber nach 12, 18 bis 24
Stunden repetirt. Auch fehlt beim Asthma Millari der Husten , die Expecto-
ration lymphatisch- plastischer Concreraente, ja jede Expectoration ; es ist
weder Fieber, noch Schmerz und Geschwulst am Larynx da; dazu koiijmt,
dass der Croup höchst selten, sobald er völlig ausgebildet ist, intermittirt,
was beim Asthma Millari der Fall ist ; auch der wasserhelle Harn bei Asthina
Millari, der Fieberharn bei Croup sind (s. Asthma Millari) sichere
diagnostische Zeichen. Vorzüglich unterscheidet sich der Croup von diesem
Übel dadurch, dass er nicht so plötzlich und heftig, ohne alle Vorboten,
eintritt und nicht so schnell nachlässt, als Asthma IVlillari. Das Wesen des
Croups ist nichts Krampfhaftes, sondern seiner Natur nach eine Inflammatio
laryngis et tracheae, die sich oft selbst bis in die Lungenzellen erstreckt
und woran die Blutgefässe grossen Antheil nehmen ; die Convulsionen , wel-
che im spätem Zeiträume zum Croup kommen, sind nur Folge der gehin-
derten Respii'ation und der Blutcongestion zum Gehirn. Cur. Das Wich-
tigste ist die Präservativcur. Verhütungsmittel sind: Belehrung des
Volks über Zeichen und Vermeidung der Gelegenheitsursachen der Krank-
heit, vorsichtige Gewöhnung der Säuglinge an die erste freie Luft, Ver-
kleidung des Haarschneidens bei rauher Witterung, tägliches Waschen des
Halses mit kaltem Wasser, jedesmal wenn das Gesicht damit gewaschen
wird , Mässigung der wilden Knabenspiele in der frühen Morgen - und in
der Abendluft, bei Ost- und Nordwinden, bei schnell veränderlichem Wet-
ter, nicht zu forcirte Abhärtungen, Vermeidung nasser Füsse, dünner Schuhe,
feuchter Wohnungen, frisch geweisster Zimmer. Behandlung bei ein-
getretener Krankheit. Antiphlogistische Mittel, früh angewandt, sind
die emzigen, aber auch sichern Rettungsmittel, Sie müssen nach dem Grade
und der Heftigkeit des Übels, nacli Beschaffenheit der Constitution u. s. w.
bald im stärkern, bald im schwachem Grade angewandt werden (s. unten
die praktischen Cautelen). Im Allgemeinen sind folgende Curindicationen zu
berücksichtigen : 1) verhüte die Erzeugung der krankhaften Membranen im
Larynx und in der Trachea; 2) löse die schon gebildete Haut auf und ent-
ferne sie; 3) beuge den Krampfzufällen vor. Zur Erreichung dieser Indi-
cationen dienen folgende Mittel: a) Blutausleerungen. Diese mindern
am besten die Inflammatio exsudativa, so dass keine coagulable Lymphe
ausgehaucht und also auch keine membranöse Masse gebildet werden kann.
Robusten, vollsaftigen Knaben von 7 bis 13 Jahren lässt man am Arme zur
Ader, Jüngern Kindern setzen wir 6 — 12 Blutegel an den Hals, noch Jün-
gern (von 2 — 4 Jahren) an die Brust, an die Füsse. Wenn Gesichtsblässe
und Anwandlung von Ohnmacht erfolgt, so ist dies ein Zeichen, dass wir
hinreichend Blut gelassen haben. Oft bluten die Blutegelstellen dann noch
nach ; wir stillen das Blut in solchen Fällen am schnellsten durch folgendes
styptische Pulver: I^ Gumtn. qrnhic, Gmnm. ¥mo ana. Auch steht die Blu-
tung sogleich j ^^enn man die Stelle schnell abtrocknet und mit Lapis infer-
nalis ebi wenig betupft (^^ust , Wedemeyer). Bei den Complicationen des
Croups mit Pneumonie, mit Scharlachfieber sind die Blutausleerungen dop-
pelt nöthig. b) M er curia lia. Sie sind nach den Blutausleenmgen die
wirksamsten Mittel zur Verhütung der Erzeugung membranöser Massen in
den Luftwegen. Am besten passt hier der Merc. dulc. , ganz rein mit Zu-
cker oder Liquir. cocta in schnell folgender und steigender Dosis gegeben,
und zwar alle 2 — 3 Stunden 1, 2 bis 3 Gran , so dass em gelinder Durch-
fall entsteht (^Richter). Ihn zu Anfange des Übels mit Moschus, mit JS^tr.
hyoscyami etc. zu verordnen, passt nicht. Länger als 24 — 36 Stunden dgn
Merc. dulc. in solcher Dosis zu geben ist unnöthig, da sich alsdann das
Übel schon meist gegeben hat, vorausgesetzt , dass man vor dem Darreichen
des Mercurs die Blutausleerungen nicht versäumt hat. c) Vomitoria. Sie
befördern die Expectoration und entfernen die Aftermembranen in den Luft-
wegen, d) Expectorantia. Das Elix. pec.tor. R. D. , alle 2 Stunden
136 ANGINA
zu 10 bis 15 Tropfen, auch wol mit Syr. senegae, Guinm. ammoniiic. rer-
Betzt, befördert sehr die E\pectoration (Ijcntin, Sachse); desgleichen Niese-
iidttel , Dämpfe von warmem Wasser, Weinessig, Fliederthee (iJicft/er).
Doch wende man die genannten Expectorantia ja nicht an , wenn die Ent-
zündungszufälle noch heftig sind; hier schaden sie nur. Einige prakti-
sche Cautelen für specielle Fälle. 1) Der Croup ist immer eine
entzündliche Krankheit, die nach Beschaifenheit der Constitution des Kran-
ken, des Alters etc. bald gelinder, bald heftiger auftritt und deshalb auch
bald nur gelinder, bald stärkerer Antiphlogistica bedarf. Doch vergesse man
nie, dass beim ausgebrochenen Croup das Localleiden gar nicht Schritt mit
dem allgemeinen hält, und dass wir uns sehr irren würden, wenn ^vir das
Fieber allein zum Massstabe unsers Handblns nehmen wollten (^Snchse). Ist
daher 2) die Luftconstitution entzündlich , was aber seit dem Jahre 1827
bei uns nicht mehr der Fall ist, befällt das Übel starke, schon im Alter
■vorgerückte Kinder, und zwar plötzlich, ist der Puls schnell und hart, oder
unterdrückt, scheinbar schwach, der Athem heiss und sehr schnell, das Ge-
sicht roth und gedunsen, ist der Hals heiser, schmerzt die Luftröhre, ist
der Husten häutig, heftig, trocken, klingend, das Einathmen schwer und
pfeifend , das Fieber anhaltend , mit grosser Unruhe oder Betäubung ver-
bunden, verschlimmert sich das Übel stündlich mit nur geringen Nachlässen,
erkalten die Extremitäten , während das Gesicht schwitzt, so hat man einen
hohen Grad des entzündlichen (sthenischen) Croups vor sich. Hier sich mit
einigen Blutegeln zu begnügen, würde sündlich seyn. Hier ist ein Aderiass
am Arme von 5 — 10 Unzen (man lässt das Blut so lange fliessen , bis das
Gesicht, die Lippen bleich werden), noch besser die Durchschneidung der
Art. temporalis (^Alhers) indicirt ; doch leistet eine hinreichende Venaesection
am Arme wol dasselbe, und verhütet die nach der Arteriotomie nicht selten
erfolgenden Aneurysmen, wovon noch kürzlich Dr. Jiushe in Irland (Froriep's
Notizen 1829. Nr. 498.) traurige Fälle mittheill; nur vollkommenes Durch-
schneiden der Art. temporalis kann dies verhüten. Darauf giebt man inner-
lich: ]^T Nitri depurnii 5j(^, Tart. vitriolat. Sjjj, ^</- for. samhuci 5v, Mucil.
gm. arah, gjj. M. S. Halbstündlich Y2 — 1 Esslöffel voll; zugleich legt man
ein grosses Vesicator auf den Rand des Brustknochens (S«c/isc). Ist die
Krankheit dadurch binnen 10 bis 12 Stunden nicht gehoben, verschlimmern
sich die Zufälle aufs Neue, so setzt man jetzt 6 — 12 Blutegel an den Hals,
in den Nacken, an den Vorderhals oder an eine nicht vom Vesicator be-
deckte Stelle der Brust, verordnet darauf ein kräftiges Vomitiv (da der Ma-
gen hier wegen des Drucks des Blutes aufs Gehirn wenig empfindlich ist),
in flüssiger, nicht in Pulverform, z. B. I^ Tnrt. emetici gr. v, Aquae destil-
latne 5ijj, Syr. sacchari §fv. VI. S. Alle 5 Minuten 1 Esslöffel voll bis zum
Erbrechen; und wirkt dies nicht bald, so giebt man 2 — 3 Gran Viti-iol.
alb., in lauem Wasser aufgelöst (selbst 3 — 6jährigen Kindern. Jurine, Uo-
Srtcfc), verordnet darauf den Merc. dulc. , stündlich zu 2 — 3 Granen mit
etwas Magnes. carbonica und Liquir. cocta , auch wol mit gr. ß. Sulph.
aurat., legt ein zweites Vesicator auf eine andere Stelle der Brust (auf den
Kehlkopf darf man kein Zugpflaster legen) , reibt alle Stunden 1 Theelöff"el
voll Unguent. mercurial. und Linim. volat. ana in den HeJs und erwartet
nun den Erfolg. Erneuern sich die Zufälle nach einigen Stunden wieder
mit Heftigkeit , so scheue man sich nicht , zum zweiten , drittenmal Blut-
egel anzusetzen , fahre mit dem Merc. dulc. fort, und gebe ausserdem öfters
(halbstündlich) 10 bis 15 Tropfen Elix. pectorale R. D. in einem Esslöffel
voll folgender Mischung: I^- Aq. foenicuH 5V, Syr. senegae ^j. M. Wenn
Krüger - Hansen in seiner kürzlich erschienenen Brochure: „Normen für die
Behandlung des Croups", Rostock und Güstrow 1832, gegen Blutegel, Ka-
lomel und Brechmittel eifert, die an Croup Leidenden mehr passiv behan-
delt wissen will und versichert, mehrere Kranke der Art durch einfachen
Lecksaft geheilt zu haben, so muss ich ihn um so mehr für einen schlech-
ten Diagnostiker halten, da er selbst gesteht, der ganze Croup sey nur ein
Katarrh und die sich bildenden Concremeate beständen aus vertrocknetem
ANGINA 137
Schleim, wie man ihn oft in der Nase finde (!!). Wenn Öerr K. noch
keine Concremente der Art, organisirt and mit Blutgefässen durchwebt, ge-^
sehen hat , so mag er wol nie ein Kind der Art nach dem Tode secirt ha-
ben, auch unsere Literatur nicht kennen (s. Ploucquet Lit. med. digesta;
Art. Angina membranacea). S) Beginnt die Krankheit nicht so stürmisch,
entwickelt sie sich aus Katarrhen; ist aber der Körper nicht schwach, nicht
abgezehrt, dann setze man sogleich Blutegel, verordne gleich darauf deri
Merc. dulc. zu 1 — 2 Gran, alle zwei Stunden, und bei Zeichen der Lösung
gleich ein Brechmittel. Auch kommt man hier oft aus , wenn man nur drei-
mal täglich 2 Gran Mercur und ausserdem folgende Mischung giebt : I^ SaL
ammon. dep-, Succ. liquir- dep. ana 5jj, Aq. flor. sambuci giv, Sifr. senegne
^fi^, Tnrt. emet. gr. jj. M. S. Stündlich % bis 1 Esslöffel voll. Ist das
Übel rein katarrhalischer Natur, ist es durch Erkältung , besonders durch
kalte, feuchte Witterung entstanden, so kann man gleich zu Anfange als
Präservativ vor der wirklichen Ausbildung des entzündlich - katarrhalischen
Croups ein allgemeines Dampfbad zur Beförderung einer allgemeinen
starken Transspiration anwenden. Dies verhütet die Ausbildung der mem-
branösen Concremente und löst die schon stattfindenden. Dieses Bad muss
2 — 3 Stunden lang fortgesetzt und nöthigen Falls wiederholt werden (^Brehme
in den Allgem. medicinischen Annalen 1828. Hft. 5.). Doch vergesse man
zugleich nicht, die übrigen indicirten Mittel nach den individuellen Umstän-
den zu verordnen. 4) Sind die inflammatorischen Zufälle nur schwach , ist
die Krankheit mehr remittlrend , ist keine starke Congestion zum Kojvfe da,
das Kind schlaff und welk, von lymphatischer Natur mit scrophulöser An-
lage, so reichen 3 bis 5 Blutegel an den Hals gesetzt, dann alle 5 Stun-'
den 1 Gran Merc. dulc. mit gr. f\. Sulphur. aurat., ein Brechmittel mit Syr.
senegae und ein Vesicator hin. 5) Befällt der Croup auch wahrhaft schwa-
che Kinder sehr stürmisch, so versäume man die Application einiger Blut-
egel dennoch ja nicht; sollten plötzlich die Kräfte darnach sinken, so passt
hier vortrefflich der Merc. dulc. mit Moschus ana gr. j^ — jj, alle 2 Stunden
(Wiffand, Alhers , Most). Oder man giebt: Merc. dulc. gr. j, Sulph. aurati
gr. fj , dreimal täglich ein Pulver, und den Moschus in Syr. senegae (gr.
vj — vjij in 2J), stündlich einen Theelöffel voll. 6) Complicationen des Croups
ntit Scharlach, Masern, Pneumonie erfordern doppelt streng den antiphlogi-
stischen Apparat , besonders die Blutausleerungen und den Merc. dulcis.
7) Höchst wichtig ist die Regel, weder Senega, noch Squilla, weder Elix.
pector. R. D. , noch Moschus und Sulph. aurat. zu verordnen , bevor nicht
die Heftigkeit der Zufälle durch Blutentziehungen und Merc. dulc. (ohne
andern Zusatz als Liquirit. cocta) gehoben worden sind. Die Senega passt
nur im spätem Zeiträume, wenn die Expectoration sehr schwer und röchelnd
wird und man schon viel Merc. dulc. gegeben hat (^Richter). Hier ist fol-
gende Formel zu empfehlen: Rr Rad. pohjg. senegqe 5 j j » Rad. althaeac 5t^,
cor/, c. aq. fontnn. 5x, iii rem. 5v, col. adde Syr. senegae ^j. M. S. Halb-
stündlich Yo — 1 Esslöffel voll. Opium, Castoreum, Moschus, Extr. hyoscyami,
Kampher etc. passen nie im entzündlichen Stadio oder bei achtem, d. h. ent-
zündlichem Croup; auch nicht die Asa foetida , die Schwefelleber, die man,
■wie den Phosphor, sogar als Specificum empfohlen hat (!), wofür überhaupt
weder Theorie, noch Erfahrung hinlänglich sprechen. Die Krämpfe werden
am besten verhütet durch frühe Blutausleerungen , Mercurialia und leichte
Expectorantia (Vomitive, kleine Dosen Tart. emet.); alle erhitzende, an-
tispasmodische Mittel sind zu Anfange der Krankheit schädlich (Ferriar).
8) Im adynamischen Stadio des Croups, wo der Kranke schon rettungslos
verloren zu seyn schien, hat man noch durch kalte Begiessungen des Kopfs,
des ganzen Rückens, Körpers, Nutzen gesehen (^Härder, Aberlc). Sie kön-
nen hier dreist angewandt werden, da hier doch wenig mehr zu verlieren
ist; wenigstens erleichtern sie oft auf V^ bis l'/; Stunden die schrecklichen
Zufälle , indem sie Ruhe und gleichmässige Wärme geben. Ich konnte zwei
Kinder, bei denen frühe Hülfe versäumt war, nicht mehr dadurch vom Tode
retten; doch erleichterten sie den jämmerlichen Zustand der Unglücklichen
138 ANGELA
«ngemeiii, Anch Dr. Bntunhnch vermochte nicht, durch die kalten Sturz-
bäder ein Kind im letzten Stadium des Croups zu retten (s. Himl's Magaz.
18:26. Hft 2. S. 34-1.). — P. Bland (Neue Untersuchungen über den Croup.
A. d. Franz. von Clemens. Frankf. a. M. 1826.) unterscheidet eine Laryngo-
tracheitis niucosa, purulenta, membranacea etc. Diese Unterschiede sind
ohne Werth für die Praxis und nur die Ausgeburt der heutigen Kleinig-^
keitskrämerei in der Diagnostik; denn die heutige L. mucosa kann morgen
schon eine L. membranacea seyn, und der fein beobachtende Praktiker merkt
die» ohne besondere Norm (s. Med. chir. Zeitung. Aug. iS27. Nr. 63 S. 259.).
9) Bekannt ist das Lob, das man dem Cuprum sulphuricum, als spe-
cifik gegen den Croup, alle 1 — 2 Stunden zu '/■, — 4 Gran gereicht, ertheilt
hat. Nachdem es zuerst Hoß'mnnn in Ruf gebracht (s. HufelaniVs Journ.
1821. Stück 2), wird es auch von -v-ielen andern Ärzten gelobt. Mir geht
es gerade wie Dr. Momhert. Dieser war so glücklich, von 21 Kranken 20
durch Mercur tmd Blutegel zu retten ; daher er keinen Beruf fühlt , andere
Mittel gegen den Croup zu versuchen. Ausserdem werden beim Kupferge-
brauch die Blutegel in vielen Fällen wol erst vorangehen mü.ssen, zumal bei
robusten Kindern. Bei schwächlichen, lymphatischen, scropliuiösen Subje-
cten, bei feuchter, katarrhalischer Luftconstitution ohne Diathesis intlamma-
toriii, kann man den Kupfervitriol wol gleich anfangs in Dosen geben, dass
Krbrechen erfolgt. Hier ists aber noch fraglich, ji) das Kupfer anders als
jedes andere Emeticum, die Hajewisch mit Recht so sehr lobt, v^irktV (s.
Fielitz in HufelnmVs Journ. 1831. Stück 2.). Auch in Mehlhausen's P'ällen
(^Rusfs Magaz. 1830. Hft. 2. S. 386.) waren ausser dem Kupfer Blutegel
und tüchtige Vesicatorien nöthig (s. auch Körting in HufelnmVs Journ. 1834.
St. 7. und Zimmermann Ebendas. 1835. St. 8.). Nicht selten lässt sich ein
beginnender Croup allein durch Diaphoretica interna und durch Umschläge
von warmem Wasser um Hals luid Brust heilen, wo der heisse Wasserdampf
mitwirkt (s. Wanner: du Croup et de son traitenient par la vapeur d'eau.
Paris 1834.). Die Kranken müssen mehrere Tage in den Dünsten von war-
mem Wasser oder Decoct, malvae, Flor, sambuci, verweilen und schwitzen.
Wanncr hat in vielen Fällen einen ausgezeichnet glücklichen Erfolg von
«lieser Cur gesehen. — In der neuesten Zeit sind mehrere glückliche Fälle
bekannt geworden, wo die Traehe o t omie in der Höhe des Croups noch
das Leben rettete, nachdem schon der Husten aufgehört hatte, die Stimme
erloschen und Gliederkälta eingetreten war. In einem Falle wurden 15 Tro-
pfeh Solut. alumin. saturata durch die in die Wunde eingelegte bleierne
Röhre in die Luftröhre getröpfelt; später nahm man dazu Lap. infernal 5fi,
Aq. destill. 5iii wovon täglich 5 — 6mal etwas eingetröpfelt wurde, welches
Husten erregte und die Luftröhre frei machte. Diese Mittel erregen weder
Entzündung, noch Excoriation (s. Allgem. Journ. für medic. u. chir. Kennt-
nisse, von Armaiul, Trousseau etc. Paris 1834. Hft. 1. S. 41 fl'.). Auch Prof.
Gerdy machte die Operation bei einem ähnlichen Croupkranken neuerlich mit
Glück (s. A. T. Chresiien in Revue med. frone, et «Strang. 1831. Octbr ).
Das Röhrchen lag 8 Tage lang in der Wunde und die Luftröhre wurde gleich-
falls mit Solut. argent. nitric. geätzt.
Aiujinn mcnstrunlis und hnemorrhoidniis. So hat man wol die Beobach-
tung genannt , wo eine Frau, die im Stadio der Decrepitität an Hämorrhoi-
dal- und Menstrualbeschwerden litt, eine Bräune bekam, wobei die Schmer-
zen bald ün Kreuze und Ano, bald nur im Halse waren imd abwechselten
{Sachse^.
Auijinn mcrcnrialUi. Symptome. Bleiche Röthc, Brennen im Munde,
.übler, metallischer Ger\ich, kleine, den Chankern ähnliche Geschwürchen
am Velo palatino pendulo , an den Mandeln, die einen Speckl)oden haben,
aschgrau, wie gekauetes Löschpapier aussehen, die wenig liiben haben, ge-
fühllos sind , mehr in die Tiefe als Breite fressen , und w ovon oft ganze
Massen au>geworfen werden. Ursachen. Rascher QvH'cksilbergebrauch ;
besonder» unvorsichtiges Einreiben der Mercurialsalbe, nach Erkältung un-
terdrückte Salivation. Mcnstruirtc Frauenzinuucr und scorbutiache Personen
ANGINA 139
saliviren oft schon nach wenigen Granen Merc. dulc, was bei Kindern höchst
selten der Fall ist. Cur. Sind heftige Entzündungszufälle, verschwollener
Hals u. s. w. da, dann Blutegel, Aderlässe, kühlende Purganzen (Len^in);
dies ist aber selten der Fall. Gewöhnlich passt ein Infus, sennae mit Sal.
Polychr., noch besser Lac sulphuris mit Magnes. calcinata, oder Folgendes:
^r Hepat. sulphur. calcar. 3}])', ^^- fior. sambuci, Syr. althneae, Muc. giimm.
arnb. ana gjj^. M. S. Alle Stunden 1 Esslöffel voll (M.). Daneben giebt
man Abends und Morgens : I^ CampJwrae gr. jj , Sulph. aurati , Opii pur.
ana gr. f^. ; lässt mit Decpct. quercus 3VJJJ , Alum. crudi 5jj gurgeln , und
den Kranken warm halten. Ein selu- heilsames Gurgelwasser zur Heilung
dieser Geschwüre ist: ly Cupri sulphurici gr. xv, soloe in Aquae destiUat.
5vj. M. S. Zum Gurgeln 2 — Smal täglich (^Krauel, Most); zugleich wird
zum Pinseln Folgendes gebraucht: I^ Eoetr. cicutae, Tinct. Inno, Tinct. Tta-
techu ana 5jj » McJl. rosaruni 3JJ. M. (M.). Innerlich passt am Ende De-
coct. chinae ; s. Morbus mercurialis.
An(/ina mercurialis chronica, Angina faucium mercurialis. Man muss diese
chronische Bräune wol von secundären syphilitischen Geschwüren unterschei-
den; desgleichen von der oben genannten acutem Ang. mercurialis. Sym-
Stome. Ziehen und Spannen im Gaumen und, Oesophagus, das oft mehrere
lonate nach überstandenen syphilitischen Localleiden sich einfindet; Be-
schwerden beim Schlucken, Heiserkeit der Stimme, besonders Morgens und
Abends, Gefühl von Ermüdung beim Sprechen , das nicht selten in Schmerz
ausartet , der sich bis in die Nasenhöhle , den Hinterkopf und längs der
Eustachi'schen Röhre bis ins Ohr erstreckt. Schlund, Uvula, Gaumensegel
und Mündung der Tuba Eustachii sind dunkelroth, ins Bläuliche spielend,
und, mit Ausnahme der einen oder andern Tonsille, nie geschwollen. Auf
dieser zeigen sich zuweilen, nach Erkältung , hitzigen Geträiiken etc. kleine
Geschwüre, die den venerischen ähnlich sind, doch nicht um sich greifen,
auch nicht hellroth aussehn. Sie verändern oft ihren Platz , was die syphi-
litischen Geschwüre nie thun. Cur. Warmhalten des Halses, Flanell; in-
nerlich Rad. sassaparill. , Guajak , besonders aber Acid. nitricum dilutum,
dreimal täglich 10 — 15 Tropfen in einem Glase Haferschleim (^Oppert).
Angina pnlntina, Hijperoitis, Entzündung des hängenden Gau-
mens. Ist gewöhnlich katarrhalischer, seltener rheumatischer, noch selte-
ner brandiger Natur. Ist sie heftig , so wird das Niederschlucken durch die
Geschwulst des Velum pendulum oft unmöglich. Cur. Die allgemeine der
Angina mit Berücksichtigung der Zufälle.
Angina parahjtica, 6. Atonia oesophagi und Dysphagia para-
lytica.
Angina pnrotidea , s. Inflammatio parotidis.
Angina pectoris , Brustbräune, auch Asthma convuJsivum , Arthritis
dioffiliragmatica , Syncope anginosa , Asthma dolorificum , Stcrnalgia , Stenocar-
dia genannt Symptome sind: periodische Anfälle eines peinigenden Zu-
sammenziehens quer über die Brust , mit täuschendem Gefühl von Mangel an
Athem, die schnell kommen und verschwinden, kein unangenehmes Gefühl
hinterlassen, nur erst bei öfterer Wiederkehr Besorgniss erregen. Gele-
gentliche Ursachen. Heftige Bewegungen des Körpers, besonders Berg-
und Treppensteigen, wobei es dem Kranken ist, als wenn ein Strick die
Brust zusammenzieht; er bleibt nun erschrocken stehen, und nach 2 — 3 Mi-
nuten ist Alles vorbei. So wie das Übel aber zunimmt, erregt schon mas-
sige Bewegung, selbst die Mittagsmahlzeit den Anfall, wobei kein Husten,
aber Rauhigkeit im Halse, Schwindel, Krampf in der Kehle und Ameisen-
kriechen in den Armen bis zu den Fingerspitzen bemerkt wird. Später er-
regen schon kleine Gemüthsbewegungen ohne Berg- und Treppensteigen den
Anfall, der nun öfter wiederkehrt; zuletzt tödtet die Krankheit plötzlich,
der Kranke sinkt ohne asthmatische Beschwerde dahin und — ist todt.
So starb der berühmte John Huntcr. Cur. Da das Wesentliche des Übels
ohnstreitig eine krankhafte Aifection der Brustnerven ist (Jurine) , entstan-
den durch Arthritis incongrua (Eisner, Lentüi), oder durch Verknöoherungen
140 ANGINA
in den grossen Gefassen des Herzens , in deren Vaiveln , In den Kranzadern
des Herzens , oder auch durch Verdünnung der Wände des Herzens (^Letson,
Fothcrgill ,' Parry , Vf 'ichmann ^ Kretjs'uj); so ist die Prognose sehr ungünstig
und die Heilung nur in seltenen Fällen geglückt. Vesicatoria perpetua, Fon-
tanellen auf die Brust (^Fothergilf) , innerlich Antarthritica , auch Vitium sti-
biat., Aq. calcis, Zincum sulphuric. gr. j, Opü puriss. gr. '/j, Abends und
Morgens ein Pulver (^PerJäng^ , selbst der innerliche Gebrauch des Arsenik«
{Alexander'), leisteten in einzelnen Fällen Hülfe. In England ist das Übel
häufiger als bei uns ; vor dem 40sten Jahre wird selten Jemand davon be-
fallen ; auch bekommen es öfter fette , als magere Menschen. Eine zweck-
mässige Diät, massige Bewegung, Vermeidung alles dessen, was Seele und
Körper bewegt, Flanellkleidtuig, öftere Fussbäder, bei den Anfallen kleine
Aderlässe , gegen Leibesverstopfung gelind ei-öffnende Mittel , bei Arthritis
anomala Guajak , Antimonialia , Asa foetida, Digitalis, Sulphur auratuui,
Extr. lactucae viros., die Tinct. arsenical. Fowleri, täglich zweimal 10 Tro-
pfen, sparsame Diät, kleine \%iederholte Abführungen; dies sind die MitteJ,
welche empirisch noch am meisten leisteten {Jiichicr'). S. auch Kleineres
Repertorium Jahrg. I. Hfr. 9. S. 112, Jahrg. II, Hft. 4. S. S'S, Heherden
fand die Anwendung des Aderlasses im Anfalle fast immer schädlich , dage-
gen halfen oft 50 Tropfen von Folgendem: ^' Tinct. opü, Vini slihint. ana
3jj, und zugleich ein grosses Vesicatorium auf die Brust und in den Nacken,
In einem Falle verhütete der anhaltende Gebrauch der Flor, zinci die An-
fälle (iH.).
Angina pharyngea, Entzündung des Schlundes, s. Inflammatio oe-
aophagi.
Angina phtliisicorum , Bräune der Schwindsüchtigen. Entsteht
häufig . im Stadio colliquativo der Schwindsucht durch Schwämmchen; s.
A p h t h a e.
Angina rheumatica. Symptome. Heftige Schmerzen beim Schlingen,
ohne dass man Geschwulst im Halse sieht; nur geringe Röthe, zuweilen
gestreift, ist zu sehen. Der Sitz des Schmerzes ist vorzüglich im Saume
des Veli palatini, das Sprechen ist verhindert, weil der hintere Theil der
Zunge leidet.. Gegen Abend Verschlimmerung, Anwesenheit von Ohren-
schmerz. Cur. Warme Milch im Munde öfters gehalten, kein Gurgeln,
weil dies den Schmerz vermehrt; Warmhalten, innerlich Spirit. Rlindereri
mit Aq. fior. sambuci und Vinum stibiat., darauf Abends und Morgens Merc.
dulc. gr. j. , Sulph. aurat. gr. jy. ; äusserlich Linim. volat. camphor. und
Unguent. mercuriale ana in den Hals einzureiben. Gewöhnlich ist die Zunge
bei dieser Bräune, die sich oft in die Länge zieht, feucht und rein, der
Puls klein und krampfhaft ; nicht selten sind zugleich rheumatische Schmer-
zen am Halse, Nacken, in der Schulter zugegen.
Angina srirrhosa. Entzündliche Bräiinen , besonders die Mandelbräuue,
zertheilen sich nicht immer völlig, gehen auch nicht in Eiterung über, son-
dern es bleibt Drüsenverhärtung zurück. Die Natur solcher Drüsengeschwül-
ste ist von zweierlei Art. 1) Es ergiesst sich im Innern und Äussern der
Mandeln ebenso plastische Lymphe, wie so oft bei der Pleuropneumonie zwi-
schen Lunge und Pleura. Die Folge davon ist: krankhafte Vergrö.sserung
der Mandeln, höckerige Form derselben, Härte, ohne dass hier etwas Krebs-
haftes stattfände. Gewöhnlich folgt diese Form von Ang. scirrhosa auf vor-
hergegangene heftige, rein entzündliche Bräunen. 2) Die Verhärtung ist
Folge seröser Ergie.ssungen ins Zellgewebe bei Angina serosa. Hier ist die
Geschwulst aus wirklicher Schwäche zurückgeblieben, und sie erscheint we-
niger hart, mehr wässerig, schwammig, nicht höckerig, sondern platt. Cur.
Bei Nr. 1. innerlich Resolventia: Extr. taraxaci, Cicuta, Seifen, Gumm.
ammoniac, Asa foetida, Mittelsalze, Mercurialia, innerlich und äusserlich,
Elektricität {Sachse'). Ist das Übel nicht so bedeutend , dass es am Schlu-
cken und Sprechen hindert , so überlasse man es der Natur , unterhalte al-
lenfalls 4 Wochen lang eine spanische Fliege im Nacken. Ists aber bedeu-
tend . droht es in Krebs überzugehen , so wende man mittel« eine« Röhr-
ANGINA 141
chens Ätzmittel an. Hilft das nicht, so musi^idie kranke Mandel exstirpirt
werden, wobei wegen Verletzung benachbarter Gefässe Vorsicht anzurathen
ist. Bei Nr, 2. dienen reifende, stärkende Gurgelwasser und Einspritzungen
von Infiis. sinap. nigr. mit Rothwein, Decoct. quercus mit Alaun, von Acet.
lithargyri, mit Wasser verdünnt. Nimmt die Ang. pharyngea und Oesopha-
gitis den Ausgang in Ang. scirrhosa, so Entstehen furchtbare Dysphagien,
wogegen wenig auszurichten ist. Elastische Röhren eingebracht, fristen
dann. oft noch das Leben (Richter). S. Dysphagia scirrhosa.
Aninnn spasmodica chronica. Nach acuten,; besonders biliösen, Bräunen
bleibt oft ein reiner Krampf zurück, der ohne sichtbare Röthe und Ge-
schwulst beschwerliches Sclüingen und Drücken im Halse erregt. Diese Zu-
fälle sind oft bedeutend, besonders bei hysterischen Personen, und hab6n
etwas IntermittirendeS. Cur. Eün starkes InfuSv vaJerianae (üicAtcr) und
andere Antispasmodica. S. Hysterja. , ;, ;., ; ; ■, . ; . ,
Anginn spuria. So . hat ; man wol , den Nodus hystericSis genannt ; j.
Hysteria. *'■ •,••'. -^^ ".; - ; . ;
Angina suppuratoria ^ ulcerosa, mucosn Stör/r, die eiterige. Bräun fe.
Am häufigsten gehen bei vernachlässigter Hülfe und Diätfehlerjx die Mandeln
in Bitej."ung .über. , Oft sieht mau bei .dor Angina ! tonsillaris .schon in den
ersten Tagen dieselben mit' plastischer Lymphe, mit verdicktem Schleime
bedeckt, der oft nur ihre Gruben ausfüllt,, während die Oberfläche roth
aussieht, oft, aber auch letztere ganz übörzieht. Dies muss. man nicht für
Eiterung halten. Es ist die sogenannte Ang. suppuratoria spuria. Sym-
ptome der A. suppuratoria vera. Es erscheinen kleine, .gelbliche
Pusteln, wie Krätzpusteln , welche bedeutend brennen, bald, platzen, aber
oberflächlich bleiben, nicht in die Tiefe fressen, weisslich ausSehn, nicht
grau, pappartig sind, sondern einen weissen Überzug ohn^ Borken bekom-
men. Trennt sich die weisse Decke, so erblickt man eine hochrothe, sehr
empfindliche Fläche darunter. Der Kranke hat keinen üblen Geschmack,
keinen stinkenden Atheni- Dies ist eipe gutartige, oberflächliche Eiterung,
die keine Neigung hat., in Brand überzugehen. Alsdann sind andere Zei-
chen da (s. Angina gangraenosa). Zuweilen bildet sich ein grx)sser
Abscess der Mandeln, der Erstickungsgefahr drohet, sich aber gewöhnlich
bald öffnet, wo dann plötzlich mit dem Ausbrechen von vielem Eiter die
Zufalle der Angst, der gehinderten Respiration aufhören. Cur. Man lassd
erweichende Dämpfe einathmen und lege erweichende Umschläge um den
Hals, z. B. von Spec. emoll. mit Semen lini und B\ittef oder Öl. Man
mache Einspritzungen von Flieder, in Milch gekecht. Einige rathen, man
soll früh den Abscess mit dem Pharyngotom oder der Lanzette öffnen, wenn
er auch noch nicht reif ist (Richter ^ JDreyssig,- Reeollin)^ dies erleichtert al-
lerdings, hebt auch die oft; gefahrdrohende Erstickung (und es muss im
letztern Falle nicht damit gesäumt werden), aber die Folgen davon sind
häufig neue Entzündung und Begünstigung der Ang. scirrhosa (Sachse).
Oft währt es lange, ehe der Abscess in Eiterong übergeht, die Entzündung
ist mehr lymphatischer Natur , der Schitierz ist unbedeutend ; hier kann man
mit Infus.- sinap. nigr. gurgeln lassen (Reil). Zeigt sich eine äusserliche
Geschwulst, so setze man sie bald in Eiterung und öffne den Abscess ^ der
oft tief lie^t, verletze aber die dort liegenden wichtigen Nerven und Blut-
gefässe (Nerv, recurrens, Art. carotid. , Venae jugular. etc.) nicht. Sind
die Geschwüre scorbutisch , dann innerlich Decoct. chinae mit Elix. äcid.
Halleri, zum Pinseln Bals. peruv. mit Melrosar., und zum Gurgeln Decoct.
quercus mit Spirit. salis acidus. -
Angina thyreoidea, Thjreoadenitis s. Cynanche thyreoidea, die Entzün-
dung der Schilddrüse. Sie ist häufig übersehen worden, doch sah sie
V. Weither dreimal acut verlaufen. Bei der Entstehung des Kropfs ist häufig
eine chronische Thyreoadenitis zugegen. Die acute Form hat folgende
Symptome: heftiges Fieber, Frost, Hitze, Eingenommenheit des Kopfs,
Ohrensausen. Dabei schwillt xmter tiefsitzenden klopfenden, heftigen Schmer-
zen die Drüse schnell, oft in einer Nacht, zu bedeutender Grösse an, Di«
142 ANGINA
Gesell willst ist massig hart , klopfend , heiss , aber nur selten über die ganz«
Drüse, meist nur über ihren Körper oder einen der Lappen verbreitet; da-
bei oft heftige Dyspnoe, verhinderte Respiration (bei Entzündung des Cor-
pus), und, wenn der linke Lappen leidet, Beschwerden im Schlingen. Der
Verlauf ist schnell; wird gute Hülfe versäumt, so geht die Drüse leicht io
Eiterung über ; dann bricht der Abscess meist in der Luftröhre oder in dein
Kehlkopfe auf und kann Erstickungszufälle erregen Seltener ergiesst sich
der Eiter in die Speiseröhre oder nach aussen. Die entfernten Ursachen
sind noch dunkel ; durch Erkältung und nach heftigem Drosseln sah sie v.
WuJther einst entstehen. Die Prognose ist bei frühzeitiger Hülfe nicht
ungünstig. Cur. Man behandle das Übel antiphlogistisch, bei Robusten
dienen Aderlass, Blutegel an die Seiten des Halses, innerlich Kaloniel,
knappe, magere Diät. Bildet sich ein Abscess, fühlt man in der Tiefa
Schwappung, so öffne man früh, um den Eitererguss in die Luft- oder
Speiseröhre und die Erstickungsgefahr zu verhüten. Gegen die zurückblei-
bende chronische Anschwellung der Drüse Einreibungen und Pflaster: Li-
nim. volat. camphorat. mit Unguent. mercuriale , Unguent. kali hydriodin.,
Empl. cicutae, mercuriale (JLangenheck , Bibl. für Chirurgie, Bd. IV. Tfei-
lenius, Med. chir. Bemerkungen, Th. I. J. P. Frank, Interpret, clin. P. I.)
Angina tonsillaris , Tonsillitis , Antiaditis, Antiades, Antiadoncus inflanv-
matorius, Parisfhmitis , Entzündung der Mandeln. Symptome Sind
verhindertes Schlucken, Ohrenschmerz, Geschwulst der Mandeln, die inwen-
dig zu sehen und äussei'lich zu fühlen sind. Cur. Die allgemeine der An-
gina inflaramatoria , catarrhalis; am häufigsten ist ihre Natur von letzterer
Art (s. Ang. catarrhalis). Sie geht sehr leicht in superficielle Eiterung
über (s. Ang. suppuratoria), zuweilen auch in Verhärtung (s. Ang.
scirrhösa). Die linke Mandel wird eben so, wie die linke Lunge, hSu-
figer entzündet, a\ä die rechte (Kojjp, MeJilis de morb. hominis dextri et
sinistri).
Angina irnchcdlis, s. Angina membranacea.
Angina traclienlis chronica. Während der Phthisis trachealis zeigen sich
im Umfange des Geschwürs oft so entzündliche Anfälle, dass die.Krankea
genau den Platz bezeichnen können , wo sie die empfindlichsten Schmerzen
erleiden (^Sachse). Cur. Einige Blutegel an den Hals, innerlich Pot. Ri-
verii 53J, Aq. foeniculi 3VJ, Sal. ammon., Succ. liquir. dep. ana 3jj^ Syt.
mannae 5J. M. S. Stündlich einen EsslöfTel voll (3f.).
. Angiria ulcerosa , s. Angina suppurat o'ria, desgleichen Angina
gangraenosa.
Angina , uvularis , Uvulitis , Cionitis, ÄfrtpftvZift*, Entzündung des
Zapfens, niedergeschossener Hück. Dieses Übel ist in der Regel
katarrhalischen Ursprungs ; es kommt entweder allein oder in Verbindung
mit Ang. tonsillaris vor. Letzteres ist der häufigste Fall. Symptome.
Sind bekannt.. Man sieht deutlich das geschwollene, oft verlängerte Zäpf-
chen, das zuweilen sogar auf den untern Theilen wie festgeklebt ist. Höchst
quälend ist dabei ein widerlicher Kitzel im Halse und das Gefühl, als habe
man darin einen fremden Körper sitzen , der durch Räuspern entfernt wer-
den müsse. Cur. Die gewöhnliche der Ang. catarrhalis. Oft bleibt nach
dem ersten Stadium der Krankheit eine Schwäche und Erschlaffung des
Zäpfchens mit Verlängerung zuriLck (Prolapsus uvulae). Hier dienen Decoct.
quercuS mit Alaun zum Gurgeln , auch Acid. sulphuric. in Salbeiaufgus*«
Doch wende man solche Mittel, um chronische Verhärtung zn verhüten,
nicht zu früh an.
Angina Valsalviana, s. Angina hyoidea.
Angina varicosa. Sie entwickelt sich oft aus der Ang. habitualis ; man
sieht rothe aufgetriebene Adern auf den geschwollenen Mandeln; häufig lei-
den die Kranken auch an andern ähnlichen Übeln, z. B. an Blutaderknoten
der Schenkel. Cur. Adstringentia: Essig und Wasser, Decoct. quercud
Sj mit Acid. sulphur. dilut. 5j • zum Guigeln , öfterer langsamer Genuss
ANGIOPATHIA — ANGLICUS SUDOE 143
des Ei«c8, öfters Gurgeln mit recht kaltem Wasser. Zuweilen zeigen »ich
Blutungen. Man stillt sie durch Alaun und giebt innerlich ein Laxans.
Anginn vcneren. Symptome. Meist gehen venerische Localgeschwür«
voraus , alsdann vierden die Mandeln , der Zapfen , Schlund , Gaumen , mei-
stens nur einzeln, ergrilfen. Diese Theile werden dunicelroth, schwellen
oft an, und das Schlingen macht Brennen. Es zeigen sich nun kleine Pü-
etelchen oder flache Erosionen, woraus sich bald die kleinen, runden, weiss-
grauen, von schmalen, rothen, hartanzufühlcnden Rändern umgebenen Ge-
schwüre bilden. Das Charakteristische dieser venerischen Geschwüre ist,
dass sie wenig Schmerz erregen, tief eindringen, dass ein eigenthümlicher
Geruch aus dem Munde sich einstellt, däss sie zur Nase, zum Gaumen,
zum Pharynx gehen, dann dünnen, übfelrifechenden Nasenfluss erregen, oft
die Knochen zerfressen etc. Cur. Die der Syphilis (s. d. Artikel). Untei*
allen Mercurialpräparaten Idstet hier der Sublimat (besonders als Dzondi'-
sche Cui-) nach A7h<;c'ä Beobachtungen in der Berliner Charite und nach
vielen eigenen Erfahrungen ahi meisten (s. Syphilis).
AiKjiun vt^-tebralis, Angina Hippocratis. So nannte man früher unpas-
send die Si)ondylarthrocace. S. Arthrocace.
Ann^iopathia. So nennt man jede Krankheit, jedes Leiden de»
Gefiisssystcms , z. B. Aneurysmen, Varices, Angiektasien etc.
Angfiorrliag^ia, Gefässzerreissyng. Das Wort igt richtiger ala
das gewöhnliche Haemorrhagia, s. Haettlot-rhagia,
Ang^iostcg^notica {reinedUi) , Mittel , welche die Gefasse zusammen-
ziehen und dadurch Blutungen stillen, z. B. kaltes Wasser, Mineralsäuren,
Adstringentia.
An((iost08is, Gefässverknöcherung. Findet im Alter als Zei-
chen de^ iMara.siuua und als Folge desselben statt.
Ani^licus sudor» das englische Schweissfieber. Dies«
Krankheil herrschte epidemisch zuerst in England im J. 1485 , desgl. 1506,
1516 — 18, kam 15ä8 und 1529 auch nach dem Continente, besonders nach
Beutschland. Sie fmg mit heftiger Hitze, schnellem Pulse, schwerem Ath-
men, Betäubung und heftig stinkendem Seh weisse an und tödtete oft schon
binnen drei Stunden, aber schon nach 24 Stunden war der Kranke ausseid
Gi'fahr. Wer sich im geringsten erkältete, nicht bis an den Hals in Bet-
ten lag, war ein Kind des Todes (^Neumami^. Der gelehrte, um die Ge-
.»(liichte der Medicin so hoch verdiente Professor Hecker hat über diese
Krankheit (den englischen Schweiss) in seinen „Wissenschaftlichen Annalen
der gerammten Heilkunde," Januar 1833, S^ 10 u. f. ausführlich berichtet.
Zuerst zeigte sich die SeUche am Ende des Jahre:» 1485 unter Heinrich'«
Grafen von Richniond Truppen , und verbreitete sich binnen wenigen Wo-
chen von Wales bis London. Es war ein überaus hitziges Fieber, das
»ach kurzem Froste die Kräfte wie mit einem Schlage vernichtete, begleitet
viiii heftigem Magendrücken, Kopfweh, grosser An^st, Dyspnoe, Übelkeit,
l'Ii lirechen, Sopor und stinkenden Schweissen. Jede Abkühlung der tjuälen-
drii Hitze brachte den Tod, und kaum der hundertste Kranke wurde ge-
iciu't. Die höhern Stände, der Adel, kräftige Männer wurden am häufig-
:>!■ ii ergriffen. Das einmalige Überstehen der Krankheit gab keine Sicher-
lii ii ; denn es folgten oft Recidive. Das beste Verfahren dagegen war;
»ich ruhig im Bette w ohl eingehüllt aufzuhalten , sich massig warm zu hal-
ten , keine Nahrung, nur mildes Getränk zu sich zu nehmen und den Schweisg
abzuwarten; dabei alle gewaltsame Arzneimittel zu vermeiden. Die Krank-
heit , die man von Englands starken Nebeln und der Unmässigkeit im Es-
sen und Trinken nicht mit Unrecht ableitet, hielt man nicht für ansteckend ;
auch überschritt sie Englands Grenzen nicht ; denn sie kam weder nach
Schottland und Irland, noch nach Frankreich; doch war eine spätei*e Epi-
demie, wenn wir einer historischen Nachricht aus einer altern Chronik
trauen können , im Jahre 1530 in Rostock , wo daran viele Professoren und
144 ANGUSTATIO -^ ANIMl DEFECTUS
andere Leute , starben. In einer alten Chronik von Wismar, gedruckt,!«
J. 1743,. lesQrt A>ir Folgendes: „Im J. 1592 ist hier eine neue unbekannt«
Krankheit ausgebrochen, welche, obgleich gie an einem Orte kaum 12 Stun-
den ge\väjir|t.,, doch viele tausend Menschen hingeraft't hat. Man nannte si«
den englisch en Schweiss, weil sie zuerst in Hamburg auf einem eng-
lischen Schifie bemerkt worden. Die Leute fingen an zu schwitzen, hat-
ten Herzensl)angigkeit, schliefen bald darauf ein und wachten nimmer wie-
der auf. Es währte nicht drei Tage, nachdem sie in Haipburg sich gezeigt,
so war sie schon in Lübeck, und lief eilends durcli Mecklenburg, Pommeri^,
Liefland u. s. w." ' , b
Ang[UStatio. Ist regelwidrige Verengerung oder gänzli-
ches Verschwinden des Lumens eines Ca n als, Gefösses, Ausfül]- ,
rungsganees. Man unterscheidet davon 6 Arten : 1) Emphraxis s. Ohstructio,,
d. i. gestörte DurcTigängigkeit eines Canals durch eine darin haftende Masse,
z, B. durch einen. Blutpfropf, in einem Blutgefässe, durch einen Gallenstein
im Ductus cystic'us etq., , 2) Cktritr actio . d. i. Verminderung des normalen
Durchmessers eines Canäls durch absolute Verstärkung der Contractivkraß
seiner Wände. So mag Icterus spasticus nach Erkältung, nach heftigem
Zorn durch Contraction der Gallengänge entstehen. S) Stenochoria (^Obsti-
pntio, AntpiisHoi , Angusttit^ im engern Sinne). Ist Verkleinerung des l^ümen»
eines Canals durch Verdickung seiner Wandungen, wozu entzündliche An^
Schwellung der H^ute , Hypertrophie und PseudoOrganisationen Anlass ge-
ben. 4) Cort7i/«s, Concretio, Con/esccn?in) , aufgehobene Durchgängigkeit
eines Canals durch Verwachsung seiner Wände. Der Ausdruck Symphysiis
ist hier synionym , wird aber meist nur zur Bezeichnung der unbeweglichen
Verbindung der Knochen gewählt. ' 5y CoUapsus, Zusammenfallen der Wan-
dungen eines Canals in Folge aufgehobener Expansivkraft und der Entree-
run'g seines Inhalts, z.B. wenn der zuführende Stamm von Gefassen unter-
bunden wrd , deren Wände durch eine übermässige Ausdehnung gewisser-
massen paralytisch sind und nur nach Abhaltung des Blutstroms zusaiiinicn
fallen. 6) Thiipsis (^Compressio^ , d. i. theilweise oder gänzliche Unterbre-
chung des freien Durchganges durch einen Canäl wegen Gompression seiner
Wände , z. B durch Anschwellung der umliegenden Gebilde , durch Ge-
schwülste , welche sich in der Nähe befinden etc, (Si. Rusfs Handbuch, der.
Chirurgie, Bd. IL S. 131 u. f.). : <i:. .r ;i,i
Angustntio seit Stenochoria puncii lacrymalis, Verengerung de'js
Thränenpun kte. Sie entsteht oft durch Geschwüre in der Nähe de«
innern Augenwinkels, nach Menschenpocken, zumal bei schlechter Behand-
lung, hach Verbrennungen in dieser Gegend. Die Thränenwärzchen sind
meist abgeflacht und eingezogen, saugen die Tbränen nicht auf, und diese
laufen über die Wange; dabei trockne Nase. Das Übel ist, wenn es be-
deutend ist, schwer zu heilen. Die dagegen empfohlene Einbringung von
Borsten, Sonden schadet mehr, als sie nützt, .und die Kunst vermag wenig,
diese Verengerung zu heilen (s. J. A. Schmidt, Über die Krankheiten dei.
Thränenorgans , S. 208).
Ang^ustia , s. Angustatio.
AnhelatlOf Respiratio diffitilis, parva, schweres Athmen. Ent-
steht bei Gesunden durch zu heftige Bewegungen des Körpers und der
Seele: durch Laufen, Springen, heftigen Zorn. Ausserdem ists ein gewöhn-
liches Symptom in Fiebern, in der Wassersucht, bei Pleuresie, Kardialgie,'
Asthma etc.; s. Dyspnoe a.
Ani fifitula, Mastdarmfistef-, •^•;'Fis^t«Ja.
Aai procidentia » Mastdarmvorfall , s. P r ola p s u s in ^ s t i,H i^
rect).
Aniadus oder Adech, Ist nach TJieophrastus dei- geistige -Mensch.!
Ammi defectus, Lipothymia, Aniiiii dcUquium, Ohnmacht, worin
es verschiedene Grade bis zum Scheintode giebt , s. Asphyxia und,
Syacope.
ANODIMA — ANOREXIA 145
Anodynia, Wehenmangel, Abwesenheit der Geburtswehen; ».Do-
lores ad partum.
Anodyna (remedia), Sedantia, schmerzstillende Mittel. Hier-
her gehören die Antispasraodica und Narcotica, besonders Opium, Hyoscya-
mus und Stramonium (s. Antispasraodica, Narcotica); also solche
Mittel , welche die erhöhte Empfindlichkeit herunterstimmen und durch Ab-
stumpfung der Nerven Schmerzlosigkeit (Anodynia) erregen. Bei chroni-
schen, oft unheilbaren Krankheiten, z. B. beim Krebs, sind sie, besonders
das Opium, eine grosse Wohlthat für den Unglücklichen. Bei fieberhaften
Krankheiten berücksichtige man bei Verordnung solcher Mittel stets den
Fiebercharakter; ist diesem das Mittel nicht gemäss, so lasse man sich ja
nicht durch die Klagen des Kranken bewegen, ein Anodynum zu verordnen,
das für den Augenblick zwar erleichtert, aber fürs Ganze höchst schädlich
ist. Der wahre Arzt muss über Nebendinge nicht die Hauptsache verges-
sen, also stets bedenken, dass Opium und ähnliche Dinge bei synochischen,
inflammatorischen Fiebern, bei heftigen innerlichen Entzündungen und Blut-
congestionen höchst schädlich sind und leicht indirecte Asthenie erregen.
AnoeOif Blödsinn, s. Amentia.
Anomalia, A b n 0 r m i t ä t , Anomalie, Ungleichmässigkeit,
Regelwidrigkeit, Ist jede gesetzwidrige Thätigkeit eines Organs (Äu/ciand).
j^noplircsia g Anosphmsia , Geruchlosigkeit , s. Anosmia.
Anopbthalmia, richtiger wohl Anophthalmos, gänzlicher
Mangel der Augen. Ein solcher Fall ist als vitium primae formationis bei
einem 4 wöchentlichen Knaben, dessen übrige Theile vollkommen ausgebildet
waren, von Gescheidt in v. Ammon's Zeitschrift für Ophthalmologie, 1835,
Bd. IV. S. 436 ff. mitgetheilt worden.
Anopsia» der Mangel des Gesichts, Blindheit, entstanden
durch Krankheit des Auges , oder angeboren.
AnorcliuSj ein Mensch männlichen Geschlechts ohne Hoden. Oft
liegen die Hoden nur noch im Leibe und sind noch nicht in den Hodensack
gestiegen (Cryptorchis) , was nicht mit Anorchus verwechselt werden darf,
Anorexia 9 Appetitlosigkeit. Ist ein Symptom aller acuten und
sehr vieler chronischen Krankheiten, besonders organischer Fehler des Ma-
gens, der Leber, Milz, des Pankreas, ferner der Verdauungsschwäche, des
Magenkrampfs, der Magensäure. Oft ists Folge von Überladung des Ma-
gens , vom Genuss roher Speisen , von zu starker Kopfanstrengung , Mangel
an Bewegung , von vielem Wein - und Biertrinken etc. Prognose. In
Fiebern hat dies Symptom nichts zu bedeuten, ist im Gegentheil eine gute
Einrichtung der Natur; schlimmer ists bei Reconvalescenten. Hat sich hier
der Appetit noch nicht eingestellt oder ist er wieder verschwunden, so ist
ein Rückfall oder Übergang in andere Krankheit zu vermuthen. Cur. Sic
richtet sich nach den Ursachen ; diese hebe man , so wird der Appetit von
selbst kommen. Man behandle also das Fieber nach seinem Charakter , ent-
ferne bei Sordes, bei belegter Zunge, bitterm Geschmack etc. nach Unver-
daulichkeit durch Vomitive , Laxative die fremden Stoffe , verordne bei chro-
nischer Schwäche der Digestion als Folge nervöser Affectionen der Ver-
dauungsorgane gelinde Salze : Sal ammoniac. mit Pot. Riverii und Aq. menth.
crisp. , Kali carbon. mit aromatischem Wasser, Mineralsäuren, Rad. rhei,
gelinde bittere Mittel, z. B. folgende Formel: I^ Sal tnrtmri depur. 3j>
Extr. rutae , Extr. Irifol. fihr. ana 3jjj > Aq. menth. crisp. jvjj , Tinct. rhei
nquos. 5jjj. M. S. Dreimal täglich einen Esslöffel voll ; daneben eine gute,
leichtverdauliche Diät, viel Bewegung. Späterhin gebe man Elix. vitrioli
Mynsichti mit etwas Wein , Extr. gentianae , absinthii , cascarillae. Man
hüte sich aber, solche bittere Mittel gleich anfangs zu geben; nur erst nach
vorhergegangenem Gebrauche von Salmiak, Pot. Riverii, Pulv. aerophor.
u. dergl. passen sie. Ist das Übel anhaltend, so benihige man sich ja nicht
bei Verordnung dieser Mittel, sondern forsche dem tiefern Grundübel (im
Magen, Pankreas, in der Leber, Milz etc.) nach.
Most Eacyklopädie. 2te Aufl. I. 10
146 ANOSMIA — ANTAGONISMUS
AnOSmiA, Anophresla, Anosphrasia , Geruch losigkeit, Maagol
an Geruch. Ist Abnormität in den Functionen des Geruchsorgans mit
verminderter Empfindlichiceit desselben, und meistens etwas Symptomati-
sches. Ursachen. Organische Fehler des Nervus olfactorius durch Ver-
letzungen, Wunden, Caries, Ulceration der Schneider'schen Haut, Scirrhus,
Krebs, Nasenpolyp ; ferner Folge von Trockenheit und unterdrückter Schleim-
absonderung , z. B. beim Katarrh , Symptom von Lähmung der Geruchsner-
ven bei Apoplexie , Hysterie. Cur. Die Behandlung des Grundübels ; zu-
weilen hilft ein reizender Schnupftabak (s. Amaurosis), auch vorsichtige
Anwendung der Elektricität , des Galvanismus , besonders wenn das Übel
Folge der Apoplexie ist (M.).
Antacida, säure widrige, säuretilgende Mittel; hierher
gehören alle diejenigen Mittel, welche die Säure in den ersten Wegen ein-
saugen und neutralisiren (s. Abs or b entia).
Antagonismus , Wechselkampf. Ist das Bestreben der orga-
nischen Thätigkeiten, sich gegenseitig im Gleichgewichte zu erhalten (^Kraus),
ein Naturgesetz , das in pathologischer und therapeutischer Hinsicht für den
Arzt sehr wichtig ist. In Krankheiten ruft der Antagonismus bei Unter-
drückung der Thätigkeit eines Organs eine andere hervor, oder die erhöhte"
Thätigkeit eines Organs vermindert die Thätigkeit eines andern. Beide,
der Consensus und Antagonismus, lassen sich unter den Hauptbegriff: Sym-
pathie der Theile und Thätigkeiten des Organismus bringen (^llufcland').
Wir beobachten emen Antagonismus zwischen Geist und Leib (übermässige
Leibesanstrengung vermindert die geistige Thätigkeit , und umgekehrt) , zwi-
schen Kopf und Magen, zwischen Darmcanal und Haut, Nerv und Muskel,
zwischen Genitalien und Gehirn; besonders wichtig ist der Antagonismus
zwschen den Secretionen ; so z. B. übernimmt die Nieren-, Darm- und
Lungenabsonderung die unterdrückte Function der Hautabsonderung. Die
rheumatischen Krankheiten sind antagonistische Thätigkeiten als Folge un-
terdrückter Hautfunction ; auch manche Arten der Phthisis , Diarrhöe , Dys-
enterien, Diabetes, Fluor albus gehören hierher, desgleichen die ganze
Lehre von den Metastasen. Ein grosser Theil unserer wirksamsten Curme-
thoden beruhet auf diesem Naturgesetze. Wir erregen nämlich eine neue
Thätigkeit, Reizung, Secretion, um eine vorhandene krankhafte aufzuheben.
Darauf beruhet die Anwendung äusserlicher Reizmittel , der Senfpflaster,
Vesicatorien , Fontanellen, Haarseile etc. Der Antagonismus /wischen Nerv
und Muskel ist bei Nervenkrankheiten nicht zu übersehen. Viele Nerven-
übel haben ihren Grund in der unterdrückten Muskelthätigkeit (Mangel an
Übung , körperlicher Bewegung) und dadurch erzeugtem Übergewicht der
Nerventhätigkeit. Oft ist hier zur ganzen Cur nichts weiter als active Be-
wegung nothwendig. Bei jeder Metastase, die wir als pathologischen Anta-
gonismus bezeichnen könnten , muss die Hauptindication auf die primitive
Krankheit gerichtet seyn, von welcher sie herrührt, und die Localbehand-
lung nie durch blosse Localmittel, sondern im Sinne des metastatischen Cha.-
rakters , durch Erzeugung neuer unschädlicher Metastasen und künstlicher
Ausscheidung des Krankheitsstoffes (Ableitung , Gegenreiz , künstliche Ge-
schwüre) bewirkt werden. Durch Nichtbeachtung dieses Gesetzes wurden
und werden noch alle Tage grosse, unübersehbai'e Übel erzeugt. Selbst in
der operativen Chirurgie wird dieses Gesetz anerkannt , da die Erfahrung
lehrt, dass das Wegschneiden solcher raetastatisch entstandenen Pseudoor-
ganisationen gar oft die Erzeugung weit gefährlicherer innerer Krankheiten
und PseudoOrganisationen hervorruft (^Hufeland}. Der würdige Staatsrath
Hufeland giebt seit langer Zeit als Einleitung zu seinen Vorlesungen über
die chronischen Krankheiten einen kurzen Inbegriff der ganzen Praxis in
wenigen Grundindicationen , wobei er den Artikel : Antagonismus , Metasta-
sis , besonders hervorhebt. Die ganze specielle Therapie mit allen ihren
vielfältigen Modificationen löst sich am Ende in wenige Grundindicationen
auf. Die Therapie der acuten Fieber in die eiafachen Grundbegriffe: Irri-
ANTALGICA — AXTEMETICA 147
tation, Infiaramation , Nervöse, Gastrose, Adynamie, die Therapie der chro-
nischen Krankheiten in die Grundbegriffe und Heilungsobjecte : Congestion,
Inflamraation, Nervöse, Adynamie, Gastrose, Obstruction, Metastase, Dys-
krasie , Plethora , Atrophie , Desorganisation , mit der gehörigen Berücksich-
tigung der sehr häufig vorkommenden Complicationen und Übergänge des einen
Grundcharakters in den andern (s. diese Art. u. HufelamVs Journ. 1829. Jan.).
ÜLntaln^ica (remediit), schmerzstillende Mittel, s. Anodyna.
Antaphroditica {remedüi) , Antaphrodisinca , Anleroticn , Mittel,
Tvelche den zu starken Geschlechtstrieb vermindern, wodurch
sonst oft Geisteskrankheiten : Nymphomanie , Satyriasis , entstehen. Die
wirksamsten Mittel der Art sind: Fasten, Beten und Arbeiten {Hufeland').
Unter den Arzneimitteln ist hier der Kampher, innerlich und zugleich äusser-
lich in der Nachbarschaft der Genitalien getragen , ein Specificum ; doch
darf er nicht zu anhaltend gebraucht werden, sonst kann selbst wirkliche
Impotenz entstehen ( Hufclnnd). Auch das Stramonium gehört hierher ; so
bewirkt die Tinct. sem. stramon. , dreimal täglich zu 6 — 15 Tropfen , Ver-
minderung des zu starken Geschlechstriebes hysterischer Weiber mit Anlage
zu Nymphomanie; und ist selbst in letzterer Krankheit sehr wirksam {We-
dekind'). Ein Mehreres siehe bei Nymphoraania und Satyriasis.
Antarthritica , Mittel gegen die Gicht, s. Arthritis.
Antasthmatica , Mittel gegen Engbrüstigkeit. Hier pas-
sen verschiedene expectorirende und krampfstillende Mittel. Besonders wirk-
sam zeigt sich beim Asthma chronicum pituitosum das Rauchen des Tabaks
mit Herb, stramonii, zu gleichen Theilen vermischt, wovon täglich 3, 6 und
mehrere Pfeifen verbraucht werden {Cunningham , Meyer, M.); s. Asthma.
Antemetica, Erbrechen stillende Mittel. Sie wiiken ent-
weder dadurch , das sie den im Magen befindlichen materiellen Brechreiz
einhüllen und verdünnen (z. B. bei manchen scharfen Giften das häufige
Trinken von Milch), oder indem sie die erhöhte Magensensibilität herab-
stimraen und besänftigen. Specifisch wrirkt : I^ Pot. Riverii cum succo citri
pnrat., Aq. chnmomill. ana 3Jjj. Alle 72 — 1 Stunde 1 EsslöfTel voll; auch
das bekannte Brausepulver, zugleich äusserlich warme Umschläge von aro-
matischen Kräutern in Wein. Dass man ausserdem die verschiedenen Ursa-
chen des Erbrechens erforschen und heben müsse (eingeklemmter Bruch,
Krampf, Vergiftung), versteht sich von selbst, desgleichen dass manches
Erbrechen wohlthätig wirkt und also nicht gestopft werden darf. Erbricht
ein Mensch nach einem zu starken Vomitiv aus Tart. emet. und Ipecacuanha
zu heftig, so lasse man lauen Haferschleim trinken und gebe 10 — 15 Tro-
pfen Opium mit eben so viel Naphtha. Gegen das furchtbare Erbrechen bei
Enteritis und Hernia incarcerata wird viel kaltes Wasser, häufig getrunken
und Umschläge davon auf den Leib gemacht , als sehr wirksam empfohlen
(Brandis). Im chronischen Erbrechen dienen warme Bäder, worin man
mehrere Stunden lang verweilt; in der Brechruhr ^ird lauwarme Hühner-
bouillon sehr empfohlen (Sydenliam). Die Übelkeit der Trinker am Morgen
nach überstandenem Rausche wird gehoben durch das E^sen von Sardellen,
Häringen, gesalzenem und gepökeltem Fleische {Cu^len, Trotter'), noch
schneller hilft 1 Esslöffel voll Kochsalz in einem Glase Wasser aufgelöst.
Gegen das Erbrechen von Gichtmetastase dient , wenn Entzündung und Fie-
ber gering sind, eine Tasse recht starker, schwarzer Kaffee mit Citronen-
saft, gegen das anhaltende Erbrechen der Schwangern wirkt specifisch Tinct.
vanillae, wovon 25 — 40 Tropfen auf einen in Rothwein gelegten Zwieback
getröpfelt und mit Vermeidung jedes Getränks verzehrt werden. Gegen die
orientalische Brechruhr (Cholera morbus) geben die Engländer bei den er-
sten Vorboten viel Rheinwein und guten Rum, selbst als Präservativ; be-
sonders aber eine Mischung aus Rum, Opium und Ol. menth. piperit. Ein
chronisches Erbrechen, das allen Mitteln trotzte, wurde durch den anhal-
tenden alleinigen Genuss von frischer, noch warmer Kuhmilch gehoben {Hörn).
Siehe auch Emetica.
10*
148 ANTEPILEPTICA — ANTHRAX
Antepileptica * Mittel gegen die Epilepsie. Da «las Wesen
dieser Krankheit noch wenig erkannt worden ist , so giebt es eine Meng«
solcher Mittel, die specifisch wirken sollen und theils bekannt sind, theils
geheim gehalten werden. Da ich seit 12 Jahren Gelegenheit gehabt habe,
mehrere hundert Epileptische zu behandeln, so werde ich im Artikel Epi-
lepsie ausführlich darüber reden und nicht allein die Fälle genau bestim-
laen, wo dieses oder jenes Mittel indicirt oder contraindicirt ist, sondern
«uch diejenigen Formeln und Mischungen angeben , die sich mir am meisten
bewährt haben, S. Epilepsia.
Anteversio uteri« s. Hysterolosis.
Antbelininthica , wurm widrige Mittel. Ihre Zahl ist sehr
gross, sie wirken theils abführend, theils auf irgend eine Weise dem Leben
der Würmer zuwider (s. Morbus verminosus). Die gebräuchlichsten
und am wenigsten heftig wirkenden Wurmmittel sind Sem. cynae , Rad. va-
lerianae , Ol. rlclni , gelbe Wurzeln (Carotten) , Honig , viel kaltes Wasser,
Salzwasser, viel Bewegung im Freien (Fra/JÄ), Eichelkaffee {Pitschaft'),
Zwiebeln, Knoblauch, bittere Mittel: Absinthium, Ruta etc.
AjutbraciA l'ubula. So nennt Mnson GooJ die Erdbeerpocke,
Frnmboesia. S. diese unter Syphilis spuria.
Antbrax» Carho, Carhunculus, Anthracosis, Anthrocosia, Anthrocoma,
Codisella , Ruhinuis verus , Granatrislum , Prima , Persicus ignis , Carbun-
kel, Pestbeule. Ist eine Entzündung der Haut und des darunter lie-
genden Zellgewebes (der erysipelatösen Entzündung oft ähnlich, '»f.), mit
bedeutender Geschwulst und grosser Neigung ihi'em ganzen Umfange nach
in Brand überzugehen, ein bösartiger Blutschwär (Furunculus malignus),
der seiner Natur nach weder in Zertheilung noch Eiterung, sondern in Ver-
jauchung oder Brand übergeht und deshalb leicht tödtllch wird. Symptome.
Der Carbunkel ist grösser als der gewöhnliche Furunkel , wird oft selbst so
gross wie ein Teller, in seinem Umfange erzeugen sich rund umher kleine
Blutschwäre, die bald in Brand übergehen, das Fieber ist meist nur kurze
Zeit und stets nur im Anfange entzündlich, wird bald faulig, nervös, der
Schmerz fehlt nie; er ist in der Regel stechend, brennend wie eine Kohle
(daher der Name); früher oder später entstehen in der Geschwulst kleine
Öffnungen , aus welchen eine gelbe Jauche fliesst , die Alles, oft bis auf den
Knochen, zerstört. Nicht selten ist wenige Tage nach dem Erscheinen des
Übels der Brand schon in der Tiefe, hat bedeutende Zerstörungen gemacht,
ohne dass ein Verderbniss auf der Oberfläche zu sehen ist, eine Art des
I'seudoerysipelas (ßiist). Der Sitz des Übels ist gewöhnlich zwischen den
Schulterblättern und auf dem Rücken. Ursachen. Das Wesentliche des
Übels ist brandige Verderbniss , deren Folge Zerstörung der unterliegenden
Theile ist. Nicht selten ist es ein Symptom der Pest (ein Symptom des
Milzbrandes der Thiere , übergetragen bei Unvorsichtigkeit oder durch Flie-
genstiche auf Menschen* oder durch den Genuss des Fleisches von solchen
kranken Thieren, Carbunculus malignus, Milzbrandblatter. S. medic. Jahr-
bücher des Österreich. Staates, N. Folge, Bd. III. St. 3. Wien 1827. Hu-
felnnd's Journ. Bd. LXV. St. 4. Rust's Magaz. Bd XXV. Hft. l. Carus
Zeitschrift f. Natur- und Hellkunde, Bd. V. Hft. 1. Dzondi in Allg. Lit.
Zeitung 1827. März. No. 56), auch Symptom anderer contagiöser Krank-
heiten; sporadisch leiden am häufigsten daran Personen mit gichtischer Dys-
kiasie, besonders zwischen den Jahren 40 — 60; oft ists F'olge von Lues,
von Entartung des Zellstoffs der Hautdrüsen. Prognose. Ist schlecht,
besonders wenn das Übel bei der Pest entsteht, oder wenn es sich zu an-
dern coiitagiösen Krankheiten gesellt. Weniger schlimm ist sie , wenn der
Carbunkel blos eine örtliche Verderbniss ist, jedoch kann die darauf fol-
gende Febri» hectica durch Entkräftung oft tödten. Cur. Ist theils allge-
liiein, theils örtlich. Zu Anfange scheint das Fieber oft rein entzündlich zu
Keyn. Hier übertreibe man ja nicht die antiphlogistische Methode; Aderlässe
ei'fordtiii grtssc Vojbicht : um besten ists, ii:a:i giebt zuerst ciü jUakes Vu-
ANTHRAX 149
mitiv, daun gelinde Diaphoretica , z. B. Inftis. valerianae, Splrlt. Ärinderen
und Vin. stibiat. , und bald Mineialsäureu (Elix. acid. Halleri 3iv — 5jj täg-
lich Im Wasser als Getränk), China, Kampher, Serpentaria, z. B. I^ Cort.
cinnae reif. f,j, coq. c. s. q. Aq. fontan. per % Jioram, mth fin. coctionis adJa
llad. ser\icntar. vinj. 3jjj, Stent in vas. clmis. p. % hör. Colat. admisce EJU:
vitrioli Mynsichti 3jj , Syr. cort. nurnntior. 5J. M. S. Stündlich 1 Esslöffel
voll. Man bedecke äusserlich den Carbunkel reit Kataplasmen aus Leinsa-
men, Chamillen, China, Spirit. camphoratus , Acid. pyrolignos, und dergl.
Sie nützen jedoch in der Regel nicht sehr viel ; Alles hängt davon ab , die
tiefliegende Jauche schnell zu entfernen und die CoUiquation der Säfte zu
beschränken. Kann man Entzündung und Eiterung hervorrufen, so ist der
Kranke gerettet. Man öffne daher bald die Geschwulst mit einem Kreuz-
gchnitte und streue Folgendes ein : I^ Cort. chinae snhtiliss. pulv. , Flor, cha-
momill. ana ^j , Camphvrae 3jj » Puh. carhon. lign. til. 3jjv- M. S. Zum Ein-
streuen. Darüber lege man Läppchen , mit Ol. terebinth. angefeuchtet.
Helfen alle diese Mittel nicht, so bleibt noch das glühende Eisen übrig;
es muss stets sehr stark glühend angewandt werden , damit schnell die
brandigen Partien verkohlen. Auch hat man zu diesem Zweck Kali caustic,
in grossen Dosen eingestreut. Diese Mittel rufen die gesunkene Thätigkeit
am schnellsiten hervor. Darauf verbinde man mit reizenden Salben: Unguent.>
digestiv., Bals. Arcaei ana 3J , Ol. terebinth. 3jjj (s. Abscessus), und
vergesse nicht , während der ganzen Cur durch gute Nutrientia , China»
Wein etc. die Kräfte su unterstützen. (^A. A. 0. JValdow.') !
Nachschrift des Herausgebers. Die Pestbeule als Symptom der
Pest unterscheidet sich von dem gewöhnlichen Carbunkel dadurch, dass sie.
gern lockeres Zellgew ebe zu ihrem Sitze w ählt , z. B. die Achsel - und Lei^
stengegend, der gewöhnliche, häufig arthritische Anthrax dagegen festeal.
Zellgewebe, daher den Rücken, die Schenkel etc. sucht. Ausserdem unter-
scheidet man: Carhunculus gallicus , polonicus und scptenlrionalis , welche iif»
südlichen Frankreich, in Polen, Schweden und Russland häufig vorkommen
und wo das Übel, besonders in Polen, oft epidemisch herrschen soll. Diese
drei Arten sind dem Wesen, wie den Zufällen nach wol Eins mit der
schwarzen Blatter , Milzbrandblatter (Carbunculus malignus) , die im letzten
Decennio hier und da auch in Deutschland beobachtet worden und durch
am Milzbrande crepirtes Vieh, durch deren Berührung oder durch Insecten,
die dasselbe berührt hatten und bald darauf den Menschen stachen, über-
tragen wurde. Symptome. Zuerst zeigt sich unter heftigem Brennen
und Jucken ein bläuliches, schwärzliches Pünktchen am leidenden Theile
(Hand , Arm , Brust , Gesicht etc.) , das schnell die Grösse einer Linse oder
Erbse erreicht und eine bläuliche , schwarze Blatter bildet. Dabei bedeu-
tende erysipelatöse , ödematöse Geschwulst des Gliedes , Fieber , Delirien,
grosse Mattigkeit, Schwächegefühl, Ohnmächten, erschwertes Athmen, grosse,
Angst, Lethargie, schneller Übergang des Gliedes in Brand und oft schon
der Tod binnen 24 bis 48 Stunden (M). Cur. Man beize die Pustel so-,
gleich mit Lap. causticus (Dzondi), mache Umschläge von Aqua oxymuria-
tica, von Solutio calcar. oxymuriatic. , schlage Decoct. quercus etc. über.
Innerlich gebe man gleich anfangs ein Vomitiv, darauf Salmiak mit Infus,
valerianae, bei schlimmen Zufällen und in höhern Graden Sal. volatile, Spi-
rit. sal. ammon. caust. , Kampher, Opium, Moschus, um starke Tran.'^&pira-
tion zu bewirken; auch Arnica, Mineralsäuren und China sind besonders em-
pfohlen (Dr. HurMmd u. A.). Viel Ähnlichkeit mit dem Carbunculus ma-
lignus haben die Zufälle, welche Chirurgen und Anatomen bei Sectionen
von Personen , die an bösartigen Krankheiten gestorben .sind , dann leicht
bekommen, wenn sie sich zufällig mit dem Sectionsmesser verletzen. Dio
Cur ist auch hier ganz die eben bei Carbunculus malignus angegebene.
Über den Milzbrandcarbunkel (Vesicula gangraenescens , Pustula maligna)
theilt Dr. Nicolai in Lübben Fälle mit, welche die Contagiosität des Übels,
die Übertragung auf Menschen ausser allen Zweifel setzen. Es starb in
einem Lohgerberhause Euer«t der Vater, nach vollen drei Monaten die
150 ANTHYDROPICA — ANTICAUSOTICA
Tochter, bald darauf erkrankte der Bruder und nur dieser wurde gerettet.
Dr. Thaer fügt den Mittheilungen des Dr. Nicolai (s. Casper's Wochenschr.
f. d. ges. Heilkunde, Berl. 1833, No. 14) seine Beobachtungen in einer
Nachschrift mit. Er hatte 12 mal Gelegenheit, die Übertragung des Gifts
auf Menschen zu sehen, und zwar in 3 Modificationen. Diese sind 1) der
sogenannte Milzbrandcarbunkel, entstanden bei Leuten, die weder
mit krankem Vieh, noch Fellen in Berührung gekommen, noch solches
Fleisch gegessen hatten. Hier ist das Glüheisen oder das Ätzen der Pustel
mit concentrirter Schwefelsäure das beste, das so schnell und früh als mög-
lich geschehen muss. 2) Häufige Eruption von Brandblasen am Arm bei
Hirten , die in den Mastdarm der erkrankten Thiere , um sie von vertrock-
netem Miste zu befreien, gegriffen hatten. Hier genügte das Offnen der
Brandblasen, das Scarificiren des braunen Grundes, Umschläge von Decoct.
chinae, Chlorkalksolution , innerlich erst ein Vomitiv, und dann Decoct.
chinae mit Acid. sulphuric. 3) Eine Krankheit , deren wesentliche Symptome
fast nicht zu schildern sind. Anfangs eine schwappende, unschmerzhafte,
nicht umschriebene oder geröthete Geschwulst, nebst Anschwellung der nahe
gelegenen lymphatischen Drüsen, Übelkeit, Mattigkeit, Angst, Erbrechen,
Obstructio alvi, ohne Fieber. Nach einigen Tagen verschwand die Ge-
schwulst, es trat Allgemeinleiden , aber kein bedeutendes Fieber ein; die
Leute gingen umher, der Urin war sparsam, aber die geistigen Kräfte nicht
getrübt. Heftige Drastica wirkten wenig auf den Darmcanal , es zeigte sich
Fluctuation im Leibe , und der Tod trat , bei einem Kranken am -Iten , bei
einem andern am 15ten Tage , bei voller Besinnung ein. Die Section zeigte
das Ileum etwas entzündet , das Mesenterium an jenen Stellen schw arzbraun.
Der Unterleib enthielt 3 Quart gelbes Fluidum (s. auch Meier in Hufeland^g
Journ. Bd. LIV. St. 3).
Antbydropica (remedia)^ Mittel gegen Wassersucht, s. Hydropa
und Diuretica.
Anthypnotica , Mittel gegen den Schlaf, besonders gegen
den krankhaften ; z. B. kalte Kopfumschläge , Sturzbäder etc.
Anthypocbondrlaca , Mittel gegen Hypochondrie, z. B.
tägliche Bewegung im Freien, das Solamen hypochondriacum Klcinii etc.;
8. Hy po cho n dr ia.
AJitiaditiS} Entzündung des Zapfens, s. Angina tonsillaris.
Antiadoncus , die Mandelgeschwulst, s. Angina tonsillaris, x
Anticaucrosa» s. Anticarcinomatosa.
Auticarcinomatosa, Mittel gegen Krebsgesohwüre. Je
unheilbarer ein Übel ist , desto grösser ist in der Regel die Zahl der dage-
gen empfohlenen Mittel geworden. So ists der Fall mit der Hydrophobie,
der Epilepsie und auch mit dem Krebse. Gegen den Scirrhus hat man
vorzüglich Cicuta , Belladonna , Digitalis , Aqua laurocerasi und Mercurialien
empfohlen; gegen den ausgebrochenen Krebs äusserlich Empl. nigr. suiphur.
Bechholzii , das Belladonnapflaster, Guy's Mittel , das Cosme'sche Mittel , das
Hellmund'sche Mittel, das Mittel von Rousselot, den Sublimat in Pflastern,
künstliche Wärme , Theer , Kali hydriodinic. in Salben , den Holzessig , Calx
oxymuriat. etc. (s. Cancer).
Anticariosa, Mittel gegen den Knochenfrass. Die hierher
gehörigen innern Mittel richten sich nach dem Grundübel , je nachdem Lues,
Scrophulosis , Gicht etc. die Ursache ist. Äusserliche Mittel sind : Decocte
von Cort. quere. , — peruv. , von Rad. calami , Herb, sabinae , Cort. nuc.
jugland. In Caries mit schwammigen Auswüchsen passen Tinct. myrrhae,
Liquor, exfoliat. Bellostii, Aq. phagedaenica, verdünnte Mineralsäuren , Acid.
pyrolignos. , Tinct. aloes , Solut. lapid. iufernalis etc. (s. Caries).
Antlcatarrlialia , Mittel gegen Katarrh , s. Blennorrhoea nasi.
Aiiticaiuiotica, Mittel gegen das Brennfieber, z. B. Crem,
tartari , Nitrum etc.
ANTICAUSTKA — ANTIPATHIA 151
ümitCAlMtlca, Mittel gegen ätzen <le, auf den Organismus ein-
wirlcende Schädlichkeiten, z. ß. Öle, Schleime, gegen Kali caust.,
Säuren etc.
Anticolica, Mittel gegen Kolik, s. Coli ca.
Anticrisis, die Gegenkrise. Ist eine der Krisis nicht entspre-
chende, entgegengesetzte Erscheinung.
Antidinica, Mittel gegen den Schwindel, s. Vertigo.
Antidoton, ein Gegengift, Antidot, s. Intoxicatio.
Antifebrilia, richtiger Antipyretica , ftlittel gegen Fieber, s. An-
t i p y r e t i c a.
Antibysterica • Anihjsterica , Mittel gegen Hysterie. Die
palliativen Mittel im Anfalle sind die Antispasmodica (s. d. Art.), die Ra-
dicalmittel sind theils diätetische, theils pharmaceutische. Unter letztern
vorzüglich Flor, zinci, Cuprum ammoniacale, Lapis infernalis innerlich, des-
gleichen in manchen Fällen die Belladonna; s. Hysteria. Es giebt aber
auch Formen der Hysterie , wo solche Mittel erst dann passen , wenn dia
vorhandene Vollblütigkeit und die Congestionen gehoben worden sind.
Antilepsis* Ist die Anwendung der Heilmittel auf einen dem lei-
denden entgegengesetzten Theil ( Hippolraies ) , also etwa dasselbe , wa«
durch Methodus derivativa und revulsoria bewirkt "svird (Krfljw).
Antiloemica, Mittel gegen die Pest, s. Pestis.
AntilySfiluin f Mittel gegen die Hundswuth. Auch hier sind
viele Specifica bekannt geworden , welche präserviren sollen ; z. B. gleich
nach dem Bisse innerlich Belladonna, schweisstreibende Mittel etc.; s. Hy-
dro p h o b i a.
AntiparalytiCa, Mittel gegen die verschiedenen Lähmungen, «.
Paralysis, Amaurosis, Cophosis paralytica, Aphonia etc.
Antipathia» Widerwille, Antipathie. Ist eine Abneigung ge-
gen gewisse Dinge, z.B. gegen Arzneien, was wir, weniger richtig, Idio-
synkrasie nennen. Oft ist eine solche Antipathie erblich; oft anerzogen,
in den meisten Fällen aber in einem reizbaren Nervensysteme begründet ;
daher wir auch bei Hysterischen und Hypochondristen die meisten Antipa-
thien (Idiosynkrasien) finden. Haben Kranke gegen gewisse Arzneien einen
unüberwindlichen Widerwillen , so setze man sie ohne die grösste Noth nicht
fort. So vertragen z. B. Personen , die gegen Zwiebeln und Knoblauch
Widerwillen haben , selten die Asa foetida. Manchen Frauenzimmern be-
kommt der Kampher, die Aqua flor. til. schlecht; sie bekommen Würgen,
Erbrechen und Krämpfe darnach ; Personen , die nach dem Genüsse von
Krebsen, Austern, Koliken, Fieber und Nesselausschlag bekommen, vertra-
gen selten Oculi cancrorum, desgleichen Spirit. salis ammon. caust. und ani-
ßatus., Manche Menschen haben Idiosynkrasie gegen Wildpret, Honig etc.
In Betreff der Verordnung der Arzneien muss der Arzt dahin sehen, das»
die Arznei den Kranken nicht unangenehm afficirt und dadurch Widerwillen
erregt. Bei organischen Fehlern des Magens , bei Vomitus cruentus , Me-
laena ist es besonders nöthig, keinen unangenehmen, ekelerregenden Ge-
schmack der Arzneien zu erregen , weil dadurch so leicht das so quälende
und oft nachtheilige Erbrechen befördert wird. Der einfache (rein saure,
süsse , bittere , salzige) Geschmack ist in der Regel angenehmer als der ge-
mischte ; daher passt nicht immer der Zusatz von süssen Dingen : Zucker,
Syrup etc. zu den Arzneien; er passt nur bei stark säuerlich schmeckenden,
salzigen Dingen, nicht bei rein bittern Arzneien. Letztere werden dadurch
nur unangenehmer, dagegen durch Zimmt angenehmer; z, B. giebt man
Extr. absinthii, quassiae mit Aq. cinnam. s, v. Mittel, welche einen faden,
matten, schleimigen Geschmack haben, werden angenehmer durch Beimi-
schung fein aromatischer Dinge ; so z. B. setzt man zum Infus, radic. ipecac.
den Syrup. flor. aurantii (^Sundelin). Auch die Form der Arznei hat Wer
152 ANTIPEDICULOSA — ANTIPUTREDINOSA
EInfluss. So werden widerlich schmeckende Arzneien; z. B.,Pel taur. insp.,
Asa foetid. am besten in Pillenform, nicht in Latwergen- oder Pulverform
gegeben.
Antipediculosa, richtiger Antiphthiriaca, Mittel gegen
Läuse, überhaupt Ungeziefer. Gegen Kopfläuse wird oft das sogenannte
Läusepulver von Nichtärzten aus den Apotheken geholt und auf den Kopf
gestreut. Es besteht aus solchen Dingen , die theils das Ungeziefer tödten,
theils es vertreiben und krank machen. Das Wirksamste gegen Kopf-,
Leib- und Filzläuse ist das Unguent. mercuriale, doch muss es vorsichtig
und nur in kleinen Portionen auf einmal angewandt werden, damit keine
Salivation entsteht. Ist zugleich Kopf- oder Hautausschlag da, so ver-
meide man alle Antiphthiriaca gänzlich , um nicht gefährliche Metastasen
nach den Gesichts-, Gehörorganen etc. durch Unterdrückung derselben zu
befördern; s. Phthiriasis.
Antiphlog^istica, entzündungswidrige, antiphlogistische
Mittel zum Behuf des entzündungswidrigen Heilverfahrens (Antiphlogosis).
Das stärkste Antiphlogisticum ist der Aderlass, dann Blutegel, dann Nitrum
mit Tart. vitriolatus , dann Salmiak , Potio Riverii , kühlende Laxirsalze,
Merc. dulcis etc.; s. Inflammatio und Febris inf lammator ia.
Antiplltliisica, Mittel gegen Schwindsucht. Gegen die
wahre Phthisis, die sich aus den Tuberkeln bildet, ohne dass merkliche
Entzündung vorhergeht, giebt es wohl gar kein Mittel, man müsste denn
die strengste Diät und eine kühlende Behandlung , die den Übergang der
Tuberkeln in Erweichung verhütet, dahin rechnen. Dagegen sind gegen
Phthisis pituitosa manche sehr wirksame Mittel bekannt, z.B. I^ Sem. phel-
Inndr. aquat. gr. vjjj , Herh. digital, purpur. gr. ^ — gr. j , Nitri depurnti
gr. X, Eineos. citri, Liquir. coctae ana gr. xjj. M. f. pulv. dispens. dos. tal.
xjj. S. Morgens und Abends ein Pulver zu nehmen. Auch das Pulv. pecto-
ral. Kurella Ph. Boruss. ist hier sehr wirksam. Das grösste Schutzmittel
gegen Schwindsucht ist : viel Bewegung in freier Luft, Reiten, Fahren, Acker-
bau (Rtish, Sydeiihnm, Pringle'), Landluft und Milchdiät (^Aretaeiis , Hippo-
Jrrates). Was die empfohlenen Heilmittel betrifft, darüber s. Phthisis
pulmonalis vera, tuberculosa, exulcerata.
Antipodai^ica, Mittel gegen Podagra, s. Arthritis.
AntipracticitS , der Praxis widersprechend. Dies Wort be-
zeichnet sehr gut einseitige Theoretiker oder Praktiker, welche glauben,
dass Theorie und Praxis jede für sich bestehen könnten, welche nicht be-
greifen , dass die wahre Theorie zugleich mit der Praxis , und umgekehrt,
die einzig wahre Praxis zugleich mit der Theorie gegeben ist (^Krnus).
Antipsorica» unrichtiger Antiscabiosa, Mittel gegen die Krätze,
s, Scabies.
Antiputredinosa, richtiger Antiseptica, fäulnisswidrigc
Mittel. Wir unterscheiden Antiseptica physica und A. physiologica (Gwer-
scnf). Letztere interessiren allein den Praktiker; daher erstere hier über-
gangen werden. Das grösste dieser Mittel ist die Lebenskraft; ist sie ge-
sunken, so tritt leicht Fäulniss ein, theils partielle (Brand), theils allge-
meine (Tod). Alles, was daher die gesimkene Lebenkraft (in typhösen,
paralytischen, putriden Fiebern) hebt, wirkt fäulnisswidrig. Dahin gehören
vor Allem gesunde, reine, kühle Luft, gesundes, reines frisches Wasser,
Körperbewegung, gute, thierische, der Verdauungskraft angemessene Nah-
rung, gutes Bier, täglich einige Gläser guten Weins, Mineralsäuren, Ser-
pentaria, Angelica mit Kampher, China in Decoct- und Pulverform, die
Amara (s. d. Art.) mit aromatischem Wasser und Wein. Zu den äusserli-
chen antLseptischen Mitteln , die der Fäulniss Einhalt thun und die Lebens-
kraft im leidenden Theile und in dessen Peripherie erwecken , rechnen wir
folgende : milde , aromatische Pflanzen : Flor, chamomillae , Herba scordii,
rutae, absinthü, Flor, arnicae, Rad. serpentariae, valerianae, Spec. aroma-
ANTIPTRETICA — ANTISPASMODICA 153
ticae, in Foi*m von Infusionen mit Zusatz von Wein (gegen starke Quet-
echungen mit Entzündung, gegen gelinde B"'äulniss in Geschwüren, als Streu-
pulver mit Pulv. carbon. vermischt, wenn viele Jauche im Geschwür ist),
ferner bei stärkerer Fäulniss Decoct. quercus , Salicis , hippocast. , cort. pe-
ruv. , Alaun, Borax, Acid. oxymuriat. , Acid. sulphuric. djlut. , Acid. acetic,
phosphoricum (bei veralteten Quetschungen, feuchtem Brande, Caries der
Knochen), Kampher, Myrrhe, Aloe, Unguent. de styrace, Oleum terebin-
thinae bei noch höhern Graden der Fäulniss ; und endlich bei den höchsten
Graden von Brand Acid. pyrolignosum , Solut. calcis oxymuriat. (2 Unzen
in 4 Mass Wasser gelöst) und das Glüheisen, z. B. beim Hospitalbrande,
beim Carbunkel etc. Da viele physische Antiputredinosa zugleich auch phy-
siologische und pathologische sind, z. B. die vegetabilischen und minerali-
schen Säuren , der Terpenthin , das Kochsalz , der Holzessig , das Kreosot
etc. , so deutet schon dieser Umstand darauf hin , dass die Gesetze der or-
ganischen Natur nicht immer so bedeutend von denen der anorganischen
Natur differiren, als manche Physiologen und Pathologen glauben, sondern
dass selbst mehrere der erstem von den Gesetzen der letzteren abgeleitet
werden können (s. Grewe, Diss. de putredine et antisepticis. Duisb. 1782).
Antipyretica , Antifehrilia , Mittel gegen das Fieber, beson-
ders gegen das Wechsellieber; dahin gehören vorzüglich China, Chininum
sulphuric, Chinin. muriat._, bittere Mittel (s. Amara), Gewürze: Pfeffer,
das Binden der Glieder kurz vor dem Anfalle, das Einnehmen von Spinn-
weben auf Butterbrot (Frtwst), der Genuss von bittern Mandeln, von Po-
meranzen , Citronensaft mit starkem schwarzen Kaffee , kurz vor dem An-
falle genommen etc. (s. Febris intermittens). Die Antifehrilia im wei-
tern Sinne sind bald Antiphlogistica (in den allgemeinsten Fällen), bald Ner-
vina, Excitantia, Roborantia, Adstringentia, nach Verschiedenheit des Fie-
bereharakters.
Antiscabiosa» Mittel gegen die Krätze, s. Antipsorica.
Antiscirrbosa , Mittel gegen den Scirrhus , s. Anticarcino-
m a t o s a.
Antiscorbutica, Mitte gegen den Scorbut. Zur Verhütung
dienen: reine gesunde Luft, vegetabilische, säuerliche Nahrung, viel Bewe-
gung, froher Muth, der tägliche Genuss von 1 bis 2 rohen Kartoffeln. Zur
Cur Acid. muriat. dilut. , sulph. dilut., Acetum vini, Decoct. chinae mit
Elix. acid. Halleri, der tägliche Genuss des Rothweins etc.; s. Scorbutus.
Antiscropblllosa, Mittel gegen Scropheln. Die vorzüg-
lichsten sind: Terra ponderosa salita, Antimonialia mit Absorbentien , Mer-
curialia. Herb, cicutae, Belladonnae , die Salzbäder, die Jodine; s. Scro-
phulosis.
Antiseptica , s. Antiputredinosa.
Antisiala , Mittel gegen den Speichelfluss , s. Morbus mer-
c uri a 1 i s.
Antispasis» die Gegenreizung, das Hinziehen der Kräfte nach
einer andern Stelle; auch das Ableiten der Säfte oder der Krankheitsstoffe
nach einer andern Stelle wird darunter verstanden, also theils und bald
Revulsio, Contrastimulatio , theils Derivatio. Die hierzu anwendbaren Mit-
tel s. Antispastica.
Antispasmodica, krampfstillende Mittel. Das beste An-
\ tispasmodicum ist die Hebung der Ursache des Krampfs. Da nun diese bald
Vili Vollblütigkeit, Congestion, Diathesis inflammatoria, bald in Schwäche des
Witablen Systems mit erhöhter Nervenreizbarkeit gesucht werden muss, 30
nassen bald Antiphlogistica, bald sogenannte Nervina, Excitantia, Roboran-
t^'a, also die sogenannten Antepileptica, Antihysterica. Es gehören also hier-
Her eine grosse Menge in ihren Wirkungen sehr verschiedener Arzneikörper,
die nach der Congestion und der Ursache des Krampfs ausgewählt werden
müssen, z. B. Aderlassen, Blutegel, Nitrum, Sal Glauberi, Pot. Riverii.
154 ANTISPASTICA — ANXIETAS
Infus, cliamomill. , valerianae, fol. aurantior. , Liquor anodyn. , c. c succin.,
Spir. ^sal. ammoniaoi anisatus, Castoreum, Moschus, Flor, ziiici, Extr. hy-
oscyami, Opium, Datura stramon., Nnx vomica, Magister, bismuthi, Cuprum
ammoniacale , Rad. artemisiae vulgaris etc.; s. Spasmus und Asthma
spasmo dl cum. Im engern Sinne verstehen wir unter der Benennung Au-
tispasmodica eine gewisse Classe von excitirenden und ditfusiblen Ai-zneimit-
teln, die man bei klonischen und ihtermittirenden Krämpfen der Muskeln
des organischen Lebens, seltener bei intermittirenden Krämpfen der Muskeltt
des animalischen Lebens anwendet. Guersent unterscheidet hier Antispasmo-
dica gummi - resinosa (Asa foetida etc.), camphorata (z. B. Herba salviae,
menthae, melissae, Kampher) , aromatica (Fol. aurant. etc.) , aetherea (z. B.
Naphtha) und azotica (z. B. Moschus, Castoreum). Die Indicationen zur
Anwendung dieser verschiedenen Arten werden anderswo angegeben. S.
Spas mu s.
Antii^pastica, Mittel, welche einen Gegenreiz, eine Ab-
leitung (Antispasis) machen; z. B. Senfteig, Vesicatorien , Fontanellen,
Haarseile, Seidelbast, Kopp's und Autenrieth's Pustelsalben, u. a. m.
Antisypllilitica , Antwe7icrea, Mittel gegen die Lustseuche. Da»
vorzüglichste ist bekanntlich der Mercur; s. Syphilis.
Antivenerea, s. Antisyphilitica.
Antodontalg^ica, Mittel gegen Zahnschmerzen. Sie sind
theils ableitende, theils betäubende, theils den Zahnnerven zerstörende Mit-
tel, die nach den Ursachen des Zahnschmerzes ausgewählt werden müssen
(s. Odontalgia). Folgendes Mittel, mit Baumwolle davon an das Zahn-
fleisch oder in den hohlen Zahn gebracht , hilft in den meisten Fällen :
l^ Laud. liquid. Sydenh. 5]^, Tinct. guajaci volat., Tinct. cnntharidum ana
9j. M. (^Most sen.). Bei rheumatischem Zahnschmerz leistet folgendes Mittel,
welches mit Milch gekocht wird und wovon man öfters lauwarm etwas in
den Mund nimmt, hen-liche Dienste: ^r Sein, pnpav. alb. 3jjj Sem. hyoscyami
5j j HerJ). cicutae 3ly. M. (Fischer in Lüneburg).
Antroversio uteri, s. Retroversio uteri.
Anuresis, Anuria, mangelnde Harnsecretion , s. Retentio urinae.
Anus artificialis, der künstlich ., After. Ist diejenige Opera-
tion, wo man durch Kunst in der rechten oder linken Bauchseite eine Öff-
nung macht, um bei fehlendem oder ki-ankhaft verschlossenem After den
Darmexcrementen einen Ausweg zu verschaffen. Das Übel ist häufig ange-
boren, wo entweder das Rectum gänzlich oder theilweise mangelt oder sich
in die Harnblase, oder in den häutigen Theil der Urethra einmündet (Atre-
sia ani vesicularis und urethralis). Bei Erwachsenen kommt die
Atresie auch zuweilen vor, zumal wegen Stricturen des Rectums, die nicht
zu beseitigen sind , wegen Verdickung der Wandungen de$ Mastdarms, oder
verursacht durch polypöse, steatomatöse, fungöse, varicöse , tuberculöse,
scirrhöse, carcinomatöse Geschwülste, die im Rectum oder in dessen Nähe
ihren Sitz haben, den Darm comprimiren und den Durchgang der Excre-
mente verhindern. Cur. Ist nach den Ursachen verscliieden. Ists ein Vi-
tium congenitum oder lassen sich bei der Atresia acquisita die Ursachen
nicht beseitigen, z. B. durch- den Gebrauch der Kerzen, Bougies , durch
Exstirpation der Geschwülste etc. ; so bleibt nur die Operation (Colotomia,
Laparo - Colotomia) übrig, die indessen nicht immer günstig abläuft. Man
hat bald in der Regio iliaca sinistra, bald in der Regio iliaca dextra, bald
in der Regio lumbaris sinistra operirt; doch ist in den meisten Fällen er-
stere vorzuziehen. Über die Operation selbst siehe den Artikel Laparo-
colo tomia.
Anus praeternaturalis, s. Fistula stercorea.
Anxietas, AnxieUido, Abjsmn, Dysjjhorin, Angst, Beängstigung.
I.st eigentlich der höch.ste Grad des Schmerzes , ein höchst quälender Zu-
stand de« Körpers und der Seele , dessen Ursache bald rein psychisch , bald
ANXIS — ÄPHONIA 155
somatisch, bald gemischt ist. Wir unterscheiden daher verschiedene Arten
von Angst : 1) Seelenangst (Anxietas psychica, moralis) , ein Gemüthsleiden,
nicht selten aus Immoralität oder unrichtigen Vorstellungen hervorgegangen;
2) nervöse Angst (Anxietas spasmodica) , bei Hysterie , Hypochondrie , Me-
lancholie periodisch (oft durch Wetterveränderung hervorgegangen) eintre-
tend; 3) Herzangst (Anxietas praecordialis, abdominalis, Alysma), verbunden
mit einem Zusammeuziehen in der Herzgrube und dem Unterleibe; 4) Brust-
angst (Anxietas pneumonica), ein Symptom der meisten Krankheiten der
Respiration : der Pneumonie, Pleuresie, des Asthma pituitosum, des Catarrhus
sulfocativus , der Dys - und Orthopnoe , der Angina pectoris ; 5) Herzens-
angst (Anxietas cardiaca) , ein periodisch eintretendes , constantes Symptom
der Herzkrankheiten, des Aneurysma aortae, mit Ohnmächten begleitet;
endlich 6) die Todesangst ( Anxietas agonistica ) , welche die meisten tödt-
lichen Krankheiten im letzten Stadio begleitet. Allgemeine Hülfsmittel sind:
frische Luft, kaltes Wasser, an den leidenden Theil oder in die Nähe des-
selben gebracht, Lüften der Kleidung, Zuspruch von Trost, Hoffnung; ge-
gen A. spasmodica äussere Hautreize , Diaphoretica , Anodyna ; gegen A.
pneumonica passt häufig ein Aderlass, desgleichen gegen A. cardiaca.
Anxi.«!, die Einklemmung, Einschnürung; daher Anxis recti,
die Einschnürung des prolabirten Mastdarms. Im weitern Sinne ist Anxia
synonym mit Angst, Brustbeklemmung.
Aocblesia. Ist Empfindungslosigkeit; s. Stupor.
Aorteurysma 9 krankhafte Erweiterung der Aorta, s. Aneurysma
internu m.
Apa^ma. Ist Dislocation, z. B. einer Fractur.
Apanthisuius » Olliteratio , die Verwachsung, wodurch ein da-
gewesener Theil ganz verschwindet oder unkenntlich wird, z. B. im reifen
Fötus die Verwachsung des Ductus arteriosus Botalli , der Vena umbilicalis,
der Arteriae umbilicales, welche zu Ligamenten werden.
Apanthropia , Trübsinn mit Menschenscheu. Ist eine oft
schwer zu heilende Seelenstörung, mit Anlage zum Selbstmorde, hervorge-
gangen durch deprimirende Leidenschaften, Einsamkeit, Fehler der Erzie-
hung, organische Unterleibsfehler.
Apatbia» Gefühllosigkeit, Unerapfindlichkeit, Gleich-
gültigkeit. Ist in nervösen und putriden Fiebern ein schlimmes Symptom.
Apepsia , schwache Verdauung ,s. Dyspepsia.
Aperientia, eröffnende Mittel. Sind nach altem Sprachge-
brauche solche, die theils die Hautporen eröffnen (Diaphoretica, Sudorifera),
theils den Unterleib frei machen und gelindes Laxiren erregen, z.B. Crem,
tartari, Manna, Tamarinden, verschiedene Tisanen von sogenannten blut-
reinigenden Wurzeln: Bardana, Gramen etc.; s. Resolventia.
Apbag^ia, das Unvermögen zu schlucken, zu essen. Ist ein
gewöhnliches Symptom der heftigen, ausgebildeten Bräune (Angina exquisita)
und verschiedener Verletzungen der Luft- und Speiseröhre, odei; durch fremde
Körper in ihnen entstanden.
Apbonia, Ariaphthia, Anaudia, Loqueln nholita, Sprachlosig-
keit, Stummheit. Ist häufig Folge von Hirnerschütterung, Epilepsie,
Katalepsie, Hysterie, und besteht meist in einer Paralyse der Sprachorgane.
Die angeborne Taubstummheit gehört nicht hierher, eben so wenig die
Aphonie als Folge von Verwundungen des Halses. Ferner ist die Aphonie
Folge von Apoplexie oder auch heftiger Eklampsie der Kinder mit zurück-
bleibender Lähmung der Zunge und anderer Organe. Cur. Wo die Ur-
sache Paralyse ist, da wenden wir reizende, belebende Mittel an, und zwar
ganz dieselben , wie bei Geschmacklosigkeit als Folge von Lähmung (s. oben
Ageusis). Man hat auch Tmct. capsici, in die Zunge gerieben, empfoh-
len. M. A. Trousseau (Archiv, g^nerales de raedec. T. XXVII. Decbr. 1831.
156 APHORU — APHTHAE
p. 547.) legte mit Erfolg ein Vesicatoriura äusserlich auf den Pharynx und
cauterisirte liinterher denselben mit Lapis infernalis. Höchst wirksam ist
hier die vorsichtige Anwendung des Galvanismus, wodurch ich einst ein Mäd-
chen, das mehrere Jahre stumm war, vollkommen heilte. (6r. F. Most, Über
die Heilkräfte des Galvanismus etc. Lüneburg 1828. S. 20.).
Aphonia Hippocratis , Schlafsucht, s. Carus spontaneus.
Aphoria, Unfruchtbarkeit, s. Impotentia und Sterilitas.
Aphrodisiaca, Annphrodlsiaca, Mittel, die zum Beischlaf
i-eiz en. Nichts schwächt den Geschlechtstrieb mehr als zu häufiger Bei-
schlaf. Dies ist eine weise Einrichtung der Natur, um das Leben zu scho-
nen. Der Wollüstling ist damit aber nicht zufrieden; er wünscht sich Mit-
tel, die ihn zum Beischlaf reizen sollen. Dergleichen giebt es allerdings.
"Wir rechnen hierher alle gelindern und stärkern Diuretica : Sellerie , Peter-
silie, Spargel, feine Gewürze, besonders Tinct. vanillae, Tinct. cinnamomi,
auch Tinct. chinae composita, die Gewürzchocolade; reizende Einreibungen
in die Kreuzgegend von Ol. terebinthinae , Tinct. cantharidum und Spirlt.
sal. ammon. caust. , kleine elektrische Schläge durchs Becken ; selbst der
innerliche Gebrauch der Tinct. cantharidum. Aber alle diese Mittel haben
den Nachtheil, 1) dass sie so leicht durch Überreizung schwächen und da-
durch früher als sonst Impotenz hervorrufen, 2) dass sie nüttelbar das Le-
ben verkürzen. Der vernünftige Mensch wird sich ihrer daher nicht bedie-
nen. Massiges , einfaches tugendhaftes, thätiges Leben , frohes Gemüth, frei
von Gewissensbissen , viele Bewegung in freier Luft, Vermeidung vieler gei-
stiger Getränke , diese Dinge erhalten gesund und es bedarf unter solchen
Umständen keiner Aphrodisiaca. Gegen die Lnpotenz und den Mangel an
Geschlechtskraft sind noch am wenigsten schädlich manche Nahrungsmittel,
die hier zu empfehlen sind, als der häufige Genuss von Zwiebeln, Rettige,
Senf, Kastanien, Ingwer, Chocolade, Austern, Rochen und anderer See-
fische , des Johannislauchs , guter , alter Wein , die Aalsuppe und Schildkrö-
tensuppe der Engländer und Hamburger. Ist allgemeine Körperschwäche
der Grund, so gebe man innerlich Tinct. chinae mit Wein, Eisenmittel, und
rathe eine Zeit lang Enthaltsamkeit an.
Apbrodisius morbusr. Ist die ungewöhnliche Benennung für
Syphilis.
Apbronesis, Unverstand, Thorheit, Wahnsinn, s. Delirium.
Aphrosyne* Ist dasselbe, was Aphronesis.
Apbthae , Anginn aphthosa , Mundschwämmchen, Aphthen,
Fasch, Mehlhund, Soor, Mundsöhre, Kahm, das Weissmäul-
chen. Zuerst zeigen sich die Schwämmchen gewöhnlich auf der Zunge,
an der innern Seite der Lippen und Wangen , in einigen Fällen , z. B. im
Stadio coUiquativo der Phthisis, gehen sie auch in den Schlund und verbrei-
ten sich über den ganzen Darmcanal bis zum .\fter. Sie erscheinen als kleine,
weissgelbliche Pusteln, die bald früher, bald später platzen und kleine, ro-
the , runde Geschwürchen von der Grösse einer Linse bilden , w eiche hefti-
ges Brennen, das durch den Genuss von Speisen vermehrt wird, verursachen.
Nicht selten fliessen die weissen Flecken ohne Pustelbildung zusammen , es
bilden sich breite, milchweisse Flecken, durch die man auf der Zunge die
Zungenwärzchen roth durchschimmern sieht. Das Übel währt ohne Hülfe
wochenlang. In seltenen Fällen sind die Flecken bleifarben , schw arz , ver-
breiten einen üblen Geruch, entzünden Schlund und Luftröhre (asthenische,
brandige Schwämmchen), und können den Tod herbeiführen. Cur. Ent-
stehen Schwämmchen bei sonst gesunden Kindern, so gebe man innerlich
etwas Tinct. rhei mit Aq. foeniculi und Syr. mannae, und lasse den Mund
mit Borax 3|v, Meli, rosar. 3Jli pinseln. Zuweilen erscheinen die Aphthen
als Symptom gastrischer Fieber, die oft nur sehr leicht sind und unrichtig
den Namen Angina herpetica erhalten haben. Hier dienen äusserlich zum
Pinäelu der genannte Saft aus Borax und Kosenhonig, innerlich Salmiak,
APHTHAB 157
Tamarinden, kleine Dosen Tart. emetic. ; auch ist folgender Pinselsaft zo
empfehlen: I^» Aquae calcar. ustae, Syrup. simplic. ana ^f^. M. {WeniW).
Heften asthenische Aphthen, bei Phthisischen etc. passt Folgendes: ^.r Bo-
rrtfis 5jj, Aquae Sdlviae ^j], Tinct myrrhae 5jj, Meli. deptirati^].M. (^Wendt).
Hilft dies nicht, und werden die Aphthen langwierig, so dient Folgendes:
IV Vitriol, all. crystaU. ^js , Aq. rosnrum gjjj , Syru/p. 7noror. 5Jiv. \I. S.
Zum Pinseln {Bercmls). Gegen aschgraue, brandige Aphthen (bei typhösen,,
putriden Fiebern) passt folgender Pinselsaft : IV Extr. chinae fritj. parat. 5]],
Aq. rutae gjj, Spirit. sah dulc. 5jj, Meli, rosati jj. M. (^Wendt). Bei Säug-
lingen werden die Aphthen am besten durch tägliches Auswaschen des Mun-
des mit kaltem Wasser, durch einen TheelöfFel voll kaltes Wasser, das man
täglich ein- bis zweimal den Säugling \'erschlucken lässt, gehoben. Bei den
so beschwerlichen Schsvämmchen der Schwindsüchtigen im Stadio coUiqua^
tionis dienen ausser dem angeführten Pinselsafte innerlich: I^ Sacchnri sa-
turni gr. jj, Opü purissimi gr. iv, Liquirit, coctae ^iv. M. f. pulv. divide
in vjjj p. aequal. S. Abends und Morgens ein Pulver. Besonders indicirt
ist dies Mittel bei den colliquativen Diarrhöen. In hohen Graden des Faid-
fiebers entstehen oft sehr schlimme Aphthen, welche eine besondere Behand-
lung erfordern (s. Febris putrida). Früher hielt man die Aphthen für
kleine Geschwürchen, Exulceration ; sie sind aber richtiger als ein eigen-
thümliches Exanthem der Schleimhäute zu betrachten, das zu den \esiculi8
gehört ( JT'illaii). Kommt das Übel , was der häufigste Fall ist, bei Kindero
vor (^j^phthac neonatorum seu lactantiwn, Lactucimina , Lactumina^ ; so er-
scheint es am häufigsten im ersten Lebensjahre , selbst zuweilen gleich nach
der Geburt. Die vorzüglichsten Ursachen sind: gastrische Beschwerden
des Kindes, schlechte Ammenmilch, Dyskrasien der Stillenden, erhitzende
Diät, Gemüthsbewegungen derselben, Missbrauch der sogenannten Lutsch-
beutel, unreine Luft, vernachlässigtes Waschen und Baden, zu grosse Wärme,
feuchte , moderige Stubenluft, In feuchten Zimmern , wo an den Wänden
Schimmel und Schwamm bemerkt werden, leiden die Säuglinge fast immer
an Aphthen ; häufig finden sie sich auch bei aufgefütterten Kindern. Nicht
immer ist das Übel ein örtliches, häufig leidet der Gesammtorganismus da-
bei, oder ist schon vor dem Ausbruche des Übels krank. Daher sind Vor-
boten oft da, als: Unruhe, Schlaflosigkeit, Schwerathraen , Heiserkeit der
Kinder, übler Mundgeruch, Leibesverstopfung, saures Erbrechen, periodi-
sches Schluchzen. Alsdann wird das Säugen beschwerlich, die Zunge schwillt
etwas an, wird trocken, in der Mitte pergamentartig, ihre Warzen verlän-
gern sich, so dass sie über die Oberfläche hervorragen, und Mund und Hai»
sind geröthet und empfindlich. Nun erscheinen die Schwämmchen zuerst an
den Rändern der Zunge , an der Innern Fläche der Mundwinkel und Lippen,
und zwar zuerst als rothe Flecke, die ein weisses, trübes Bläschen haben,
das sich bald in einen ^Yeisslichen Schorf, der geronnenen Milch gleichend,
verwandelt, nach kurzer Zeit sich ablöst und eine glatte, rothe Oberfläche
zurücklässt. Hierauf bilden sich wieder neue Bläschen, und so wiederholt
sich der Verlauf wol 6 — 8mal. Das Übel dehnt sich nun auf die ganze in-
nere Mund - und Rachenfläche aus , so dass sie mit einer weisslichen Borke
bedeckt erscheint und das Saugen dem Kinde immer mehr erschwert wird.
Manche Aphthen werden bläulich, schwärzlich, manche verschwären unter
den Borken , und greifen dann mehr nach Breite und Tiefe um sich ; die
Theile schmerzen sehr , luid nicht blos das Saugen, auch das Schlucken wird
sehr erschwert; dabei speicheln die Kinder viel, und der Speichel ist oft
selbst blutig. Die Aphthen verbreiten sich darm oft durch den ganzen Tra-
ctus intestinalis, wie Sectionen gezeigt haben (s. Camerarius Thes. med.
pract. Tub. 1693. Ridlin Lin. Med. 1700. p. 249.), selbst am After, an
den Genitalien sind sie mitunter sichtbar. Dann gesellen sich Erbrechen,
Diarrhöen, Tenesmus, selbst Fieber und Abmagerung, und Krämpfe hinzu,
die mitunter tödtlich werden. Je länger das Übel dauert, desto schlimmer
ists. Ich habe Kinder behandelt, die Monate lang an Schwämmchen gelit-
ten hatten. Ist da» Übel erst einige Tage alt, so lässt es sich ineist bei
158 APHTHAE
guter Behandlung binnen 8 Tagen Ireilen. — Bei der Cur der Aphthen der
Säuglinge beseitige man, nach Blnsius , zuerst die Ursachen , und darauf be-
ruhet auch die Prophylaxis des Übels. Ausser sorgfältiger Reinlichkeit und
Vermeidung von Allem, was die Hautthätigkeit stört, ist vorzüglich auf den
Zustand des Magens Rücksicht zu nehmen, und in dieser Hinsicht verdient
die Nahrung des Kindes besonders beachtet zu werden. Ist dasselbe an der
Brust, so regulire man Diät und Lebensweise der Säugenden; wo dies nicht
geht, da schaffe man eine andere Amme an oder entwöhne das Kind, wenn
es schon 6 Monate und älter ist. Oft trinkt das Kind zwar gute Milch,
aber in zu grosser Quantität, so dass der Magen belästigt wird. Der Mund
des Kindes muss sehr reinlich gehalten und täglich öfter mit kaltem Was-
ser ausgespült werden. Blasius räth bei Säure in den ersten Wegen zuerst
ein Brechmittel aus Vinum stibiat. zu reicherf. Dies ist theils überflüssig,
theils schädlich, indem es die Digestionsorgane zu sehr reizt, und wir durch
Liq. kali carbon., durch Ocul. cancror. und Magnesia mit Rheum die Säure
bald tilgen und den Darmcanal besänftigen können. Ist das Übel alt, der
Darmcanal voll Aphthen , sind Diarrhöen da , so gebe man Salep , Columbo
mit Natr. nitric. , aber keine Piu-girmittel. Unter den äusserlichen Mitteln
fand ich Aq. calcis mit Syrup zu gleichen Theilen , zum Pinseln weit wirk-
samer, als den Borax. Ist der Reiz sehr gross, der Mund selir schmerz-
haft, zumal in der Zeit, wo die Krusten abfallen, so dienen nur Mucilagi-
nosa, z. B. Milchrahm, Eigelb und Syr. papav. zum Pinseln (van Swieieti).
Sind die Aphthen hartnäckig, livide, dunkelblau, so lasse man mit Folgen-
dem pinseln : f^ Sjrup. mororum 3JJ , Acid. sulphur. diluü gtt. xxx bis lx ;
oder ^t Zinci siilphurici gr. jj , Syr. mororum gjj , darneben zum Ausspülen
des Mundes Decoct. quercus , chinae , cascarillae. Die Schwämmchen der
Erwachsenen (Aphthae ndultoruni} sind stets etwas Symptomatisches, und
häufig der Begleiter gastrischer, galliger und katarrhalischer Fieber, znmal
im Herbste. Auch bei Febris putrida »uid bei allen Leiden mit CoUiquatio-
nen , am Ende der Atrophie , der Scrophelkrankheit , der Lungenschwind-
sucht , der Phthisis hepatica, renalis, bei Ruhren, Wassersuchten , Chlorose,
Scorbut, stellen sie sich ein. Dürr beobachtete metastatische Aphthen, ent-
standen durch Unterdrückung eines Schleimtlusses (s. Hufelnnd's Journ. Bd.
IX. St. 3. S. 177.). Nicht selten verwechseln die Laien die Aphthen mit
Miliaria, zumal am After, da beide Übel Ähnlichkeit haben, wie schon de
Haen (Opusc. inedit. P. I. 1. Nr. 21.) bemerkt. Auch hier ist die Behand-
lung des Grundübels die Hauptsache. Da dieses oft aber unheilbar ist, so
müssen wir eine symptomatische, palliative Cur in Anwendung bringen; da-
her schleimige, beruhigende, adstringirende Phiselsäfte und Gurgelwasser:
Solut. aluminis , Tinct. katechu mit 6 Theilen Wasser vermischt , bei fauli-
ger Beschaffenheit Aqua oxymuriatica, Decoct. chinae und Acid. sulphuri-
cum etc. anwenden. Rlitunter hat man auch die Aphthen epidemisch, selbst
contagiös mit Fieber (Febi'is aphthosa) beobachtet (s. van Swieien Comment.
in Boerh. Aphor. T. III. p. 197. Lentiii's Beiträge etc. p. 246. Colomhier
in Hist. de la Societe R. de M6decine a. 1779. p. 186.). Diese Febris
aphthosa ist häufig die Folge erhöhter Venosität oder venöser Dyskrasie des
Blutes (Behrens^. Willan und Baieman beschreiben noch eine dritte Spe-
cies , die Aphtha anginosa, welche bei Frauenzimmern und Kindern nach
leichtem Fieber und Angina catarrhalis im Munde, an den Seiten der Zunge
erscheint. Das Übel dauert oft 3 Wochen und länger, und scheint in rheu-
matischen Ursachen, schlechter Kost und eingeathmeten schädlichen Dingen
seine Veranlassung zu finden ; daher es bei Personen vorkommt , die viel mit
Kranken umgehen, die an confluirenden Blattern, an bösartigen Fiebern, an
Scarlatina leiden. Gefährlich ist das Übel nicht; nur eine geregelte Diät
und bei Trägheit des Darmcanals gelinde Laxirmittel sind nützlich; dage-
gen Blutegel und Vesicatorion mehr schädlich als nützlich schienen (s. Bla-
sius in Itust^s Handb. d. Chirurgie, Bd. II. S. 187. Arnemann Comment. de
aphthis. Gotting. 1787. StarJ;c, Abhandl. v. d. Schwämmchen. Jena, 1748.
Leniin in den Abhandl. für prakt, Ärzte. Bd. XV. Stück 3. S. 435. Aetius
APNOEA — APOLEPSIS 159
Tetrabibl. I. Sermo 4. cap. 15. Caspari Diss. de aphthSs. Gotting. 1797.
Woost Diss. de aphtliis infantum. Viteb. 1790. Sloll Aphorism. p. 273.).
, Aphthae anijinosnc, s. Aphthae,
Aphthne indicae. Diese Art Aphthen kommen vorzüglich auf Barbadoes
und andern westindischen Inseln vor, aber auch sonst in warmen Ländern,
selbst in England. Nur alte Personen, nie Kinder, werden davon ergriffen.
Sie sind ohne Fieber und können mit kurzen Intervallen Jahre lang dauern,
bei Vernachlässigung auch wol früher tödten Die Ursachen sind unbe-
kannt. Symptome: Zuerst brennendes Gefühl in der Magengegend , wor-
auf sich zählreiche Bläschen, einen Stecknadelknopf gross, im Munde ver-
breitet, eine scharfe, durchsichtige Lymphe enthaltend, zeigen. Die Haut
über ihiien löst sich ab und lässt eine rothe , nie geschwürige Schärfe zu-
rück, so dass dadurch die Zunge wie ein Stück rohes Fleisch aussieht. Zu-
weilen verschwinden sie im Munde und gehen in den Magen und Darmcanal,
erscheinen auch wol an den Genitalien, erregen Erbrechen, Durchfalle.
Dann gesellt sich grosse Schwäche, Trockenheit der Haut, kleiner, matter
Puls, Zehrfieber, Abzehrung hinzu, und so folgt dann der Tod (^Blasius).
Aphthne leprosae. Bei Lepra occidentalis , Elephantiasis , bei Radesyge,
Morbus dithmarsicus , bei der krimmischen Krankheit etc. leiden die gastro-
pulmonalen Schleimhäute mit ; sie werden von Tuberkeln befallen , welch«
in Geschwüre übergehen , die mit syphilitischen Geschwüren Ähnlichkeit ha-
ben, aber weniger Schmerzen erregen. Diesen Zustand hat man Aphtha«
leprosae genannt. S. Lepra und Syphilis spuria.
Aphthae mercnrialcs. Sie entstehen oft beim Speichelfluss, durch Mer-
cur hervorgebracht. S. Febris salivalis und Syphilis spuria Nr, 8.
Apltthnc neonatorum, s. Aphthae.
Aphthae sijphiliticae, s. Syphilis, Ulcus syphiliticum.
Apnoea>9 Athemlosigkeit, Erstickung. Ist ein gewöhnliches
Symptom der Asphyxie, besonders dui'ch Ertrinken, Ei'hängen, Ersticken;
gewöhnlich geht Schwerathmen (Dyspnoea) vorher. Behandlung. Sie
richtet sich nach den Ursachen der Erstickung. Fremde, verschluckte Kör-
per in den Luftwegen oder in der Speiseröhre müssen entfernt werden; ist
dies nicht gleich möglich und die Erstickungsgefahr gross, so muss mit der
Tracheotomie nicht gesäumt werden. Auch hat bei acuter und chronischer
Laryngitis diese Operation schon das Leben gerettet ( Cooper in Froriep's
Notizen, 1829. Nr. 497.). Die Symptome der Apnoe: grosse Angst,
höchst beschwerliche Respiration, blaurothes Gesicht, sehr schneller, krampf-
, hafter Puls etc. kennt jeder Arzt.
Apocatbarsis , die völlige Reinigung, besonders des Darm-
canals durch Vomitive und Laxative.
Apocenosis, die übermässige Entleerung der Gefässe, z. B.
durch Blutverlust.
Apocrisia, Apocrisis. Ist Entfernung überflüssiger und
krankhafter Stoffe durch kritische Ausleerungen.
Apocrustica, zurücktreibende Mittel, wodurch Zurücktrei-
bung (Apocrusis) irgend eines kritischen Ausschlags etc. erfolgt. Einige
verstehen darunter auch abwehrende Mittel.
Apocyesis, die Geburt, das Gebären, s. Partus.
Apog^alactisinus, s. Ablactatio.
Apolepismus, Abschuppung, s. Desquamatio cutis.
Apolepsis, das Ausbleiben des Athmens, der Sprache, des
Pulses, daher Symptom des Scheintodes (s. Asphyxia). Auch verstehen
die neuern Ärzte darunter einen Mittelzustand zwischen Lähmung und Schl2ig-
fluss, wobei Bewusstseyn und Blutumlauf, Respiration, Sprache und Bewe-
gung cessiren {Kraus), also einen Zustand, der, wenn er periodisch ein-
tritt, mit Katalepsie Ähnlichkeit hat.
160 APOPHLEGMATISMUS — APOPLEXIA
Apophleg^matismus , die Entfernung des Schleims aus dem Kör-
per durch schleimausleerende Älittel , z. B. beim Status pituitosus , s. B 1 e n -
norrhoea ventriculi et int est inor u m.
* Apoplexia, Apilepsis, Apoplexia pnrnlysis, Gutta, Morlus attoni-
tus, Resoluüo nenortim, Sidcratio , Schlag, Schlag fluss, plötzliche
Gehirn lähmung. Der Schlagfluss beruhet auf schnell eintretenden Hem-
mungen und Suspensionen der receptiven , wie der reactiven Sensibilitäts-
äusserungen im grossen und kleinen Gehirn und in den Nervenursprüngen ;
und zwar entweder in dem Gesammtumfange des Gehirns oder doch in den
innern und für die Lebenskraft wesentlichen Centralpartien desselben, oder
nur in einer oder der andern Hemisphäre oder in einzelnen Partien dersel-
ben, vei'bunden mit unmittelbar auf solche centrale Sensibilitätsniederlage
folgender Paralyse der Blutgefässe des Gehirns oder einzelner Theile des-
selben, sowie der von den gelähmten Nerven im Betreff ihrer Function ab-
hängigen Muskeln. Die Apoplexie gehört also in die Kategorie der Lähmun-
gen und giebt sich durch Suspension des Bewusstseyns, der Empfindung und
Bewegung bei fortdauernder Respiration und Blutcirculation zu erkennen.
Zum klinischen Zwecke unterscheidet man Apoplexia sanguinea, serosa, ve-
nosa und asthenica seu adynamica.
I. Apoplexia sanguinea, vera, Blutschlag fluss. Es findet hier Blut-
ergiessung in den Gehirnventrikeln als bedingendes Moment der cerebralen
Sensibilitätsniedei'lage etc., eine Überwältigung des Gehirns durchs Blut statt.
Symptome: rothes , aufgedunsenes , bläuliches Gesicht , Aufschwellen der
Kopfgefässe, hervorgetriebene Augen, harter, voller, meist langsamer Puls,
tiefe, schnarchende Respiration mit Schaum vor dem Munde, Hitze am Kopfe,
an der Brust ; diese Zufälle, verbunden mit Mangel an Empfindung, Bewusst-
seyn und Bew egung , treten plötzlich ein , daher der Name. Ursachen.
Am meisten disponirt zum Schlagfluss sind Menschen mit Habitus apoplecti-
cus. Dieser ist kenntlich durch einen kurzen, dicken Hals, breite Schultern,
untersetzten Körperbau, aufgetriebenes, rothes Gesicht, häufig rothe Augen,
Neigung zu periodischem Schwindel , solchem Nasenbluten , Flimmern vor
den Augen beim Bücken, Anschwellung der Halsvenen, Neigung zu Fett-
leibigkeit, unruhige Träume, grosse Nervenreizbarkeit, dabei aber durch
Atonie des Körpers , durch ein stark entwickeltes Knochengebäude , durch
einen grossen Kopf, durch starken Appetit, Neigung zu geistigen Getränken,
durch Trägheit, oft aber auch durch vielen Geist. Gelegentliche Ursachen
sind : organische Fehler des Gehirns , besonders chronische Entzündung der
Hirngefässe (Botdllaud) , Fehler des Herzens und der grossen Gefässe , Ab-
normitäten der Unterleibseingeweide, Krümmungen der Wirbelsäule, Man-
gel des siebenten Halbwirbels (nicht selten bei Habitus apoplecticus), Asthma,
Brustwassersucht , zu heftige Geistes - und Körperanstrengungen, Ausschwei-
fungen in Baccho et Venere, Mangel an reiner Luft, schneller Temperatur-
wechsel , nasskalte , veränderliche Luft neben besondern , noch nicht genug
erkannten Einflüssen der Luftelektricität (daher die häufigsten Schlagflüsse
in der Aquinoctialzeit , in den Monaten Januar, Februar, Juli, August und
September; ihr häufiges Vorkoimnen in Neapel, Holland, Seeland); die
grösste Disposition giebt das männliche Geschlecht, besonders zwischen dem
40sten und öOsten Lebensjahre , nicht selten aber auch das höhere Alter bei
luxuriöser Lebensart und Mangel an Bewegung des Körpers , an Geistesbe-
Bchäftigung. Ferner begünstigen den Schlagfluss: Vollblütigkeit des Kör-
pers, Erstickung im Wasser (s. Asphyxia), Erdrosseln, Einwirkung ho-
her Kältegrade, entzündliche, gastrische, gallige Fieber bei vollblütigen
Subjecten , plötzlich unterdrückte Hämorrhoiden, Katamenien, Lochien, Un-
terlassung gewohnter Blntentziehungen , überhaupt Alles , w as Congestionen
nach dem Gehirn und Extravasirung von Blut in dasselbe zu bewirken im
Stande ist ; daher Missbrauch narkotischer , bitterer Mittel , stark gehopfter 1
Biere, Neigung zu anhaltender Leibes Verstopfung etc. Vorboten, die Ta-
ge , Monate , selbst Jahre lang vorhergehen können , sind : Schwindel , Mü-
digkeit, Einschlafen der Glieder, Kopfweh, besonders am Hinterhaupte,,
APOPLEXIA 161
Stottern, plötzliches Erbrechen, Gedächtnissschwäche, unruhiger Schlaf,
grosse Schläfrigkeit, Reissen- und Ameisenkriechen in den Gliedern, mannig-
faltige spastische, hypochondrische, hysterische Affectionen, wankender Gang,
Klingen und Sausen vor den Ohren, Gliederzittern, Incubus, Amblyopie,
Dysphagie, Trismus, kleine Zuckungen einzelner Gesichtsmuskeln, Druck
in der Nasenwurzel etc. Kurz vor dem Anfalle verstärken sich diese Vor-
boten. Es entstehen drückende Kopfschmerzen, Kriebeln in der Stirn, zie-
hender Schmerz im Nacken, Angst, Steifheit in der Zunge, stammelnde Spra-
che , Speichelfluss , und unter gewaltigen Verdrehungen des Kopfs , Zucken
der Gesichtsmuskeln und convulsivischen Bewegungen der Arme nach dem
Kopfe, der Zunge, dem Herzen und dem Unterleibe tritt der apoplektische
Anfall (insultus apoplecticus) ein. Diese Art Schlagfluss tödtet immer erst
nach mehreren Stunden , hinterlässt aber oft Lähmungen , besonders an der
einen (meist linken) Körperhälfte, Glossoplegie, Gesichtslähmung, Dysphagia
paralytica, Ptosis palpebrarum, eben so gut aber auch Gedächtnissschwäche,
Stumpfsinn; Blödsinn, Albernheit, eine Art Weichmüthigkeit , Verlust der
Sprache, Epilepsie, Wassersucht etc. Es kann aber auch völlige -Genesung
durch kritische Schweisse, Bluttiüsse, Diarrhöen, kritischen Urin erfolgen,
oft wird der Tod erst durch ein Recidiv herbeigeführt; das Extravasat kann
endlich auch resorbirt werden, indem sich um dasselbe eine zarte aushau-
chende und einsaugende Membran, die der serösen analog ist, bildet, durch
ausgehauchtes Serum das Extravasat zuerst erweicht und dann resorbirt.
Dieses Blutextravasat bei Apopl. sanguinea erfolgt durch Exhalation des
Bluts aus den Capillarge fassen , nicht selten aber auch durch Zerreissung
von Arterien oder Venen im Gehirn.
■ ■■ , I
II. Apojilexia serosa, seröser Schlagfluss, Gehirnlähmung als Folge
von Exsudation seröser und lymphatischer Feuchtigkeiten in die Cavitäten
des Gehirns und der Medulla oblongata. Es kommt diese Species von Ap9.-
plexie als Ausgang der Encephalitis, beim innern Wasserkopfe, 'als Folge
von rheumatischen, arthritischen, exanthematischen und erysipelatösen Meta-
stasen, bei sehr geschwächten kachektischen Subjecten, besonders auch im
höhern Alter vor. Symptome. Vorboten sind: Sopor und heftjger Kopf-
schmerz; beim Anfalle fehlen die Zeichen der Blutcongestion zum Kopfe;
blasses Gesicht, verminderte Haut- und Nerventhätigkeit , schwacher Puls,
leise, freie, nicht röchelnde Respiration, Mangel an Empfindung, Bewegung.
III. Apoplexia venosa, venöser Schlagfluss. Die Gehirnläluwung
(Suspension des Bewusstseyns, der Empfindung und willkürlichen Bewegung)
ist hier Folge einer venösen Dyskrasie, einer anomalen Mischung des Venen-,
aber auch wol des arteriellen Blutes wegen nicht hinreichender , Erregung
und Belebung des Gehirns und der Nervenursprünge. Es finden hier oft
blutige Extravasate, öfter aber nur Überfüllung des Centralgefässsystems mit
einem dunklen Blute statt. Ursachen sind: das EInathmen irrespiraMer
Gasarten, Hindernisse d^s Bluts im Unterleibe, Melaena, Hypochondrie, be-
sonders zugleich bei Habitus apoplecticus, bei atrabilarjscher Constitution.
Eine Abart der venösen Apoplexie ist die pituitöse, Apoplexia pituitosa, als
Folge der pituitösen Dyskrasie zu betrachten. Das Blut ist hier arm an er-
regendem Einflüsse aufs Nervensystem, und dieses muss daher in einen tor-
piden Zustand verfallen. Es kommt diese Form des Schlagflusses], die man
auch Apoplexia torpida nennen kann, nur im, hohem Alter, bei phlegmati-
schen Constitutionen vor. Symptome sind: bleiches Gesicht, «Mangel an
Bewusstseyn, Bewegung und Empfindung, leukophlegmatisches Ansehn, da-
her aufgedunsene teigige Haut, ))esonders im Gesichte, die Respiration ist
röchelnd, und in den meisten Fällen tritt Stickfluss (Apoplexia pulmonum»)
hinzu.
IV. Apoplexia nsthenica, ndynnmica, asthenischer, adynamischer
Schlagfluss. Hier kann man zwei Arten unterscheiden. A) Apopleonn
ttsthenica sensu strictiori, asthenischer Schlagfluss im engern Sinne.
Idiopathische, vom Gehirn ausgehende Hemmung der Sensibilitätsäusserungen
Most Enejklopädie. 2te Aufl. I. H
162 APOPLEXIA
desselben, Erschöpfung der Vitalität des Gehirns, entweder partielle oder
allgemeine , Hemmung des Bewiisstseyns , der Empfindung un4 willkürlichen
Bewegung charakterisiren diese Form. Sie hat selten Vorboten, es sey denn,
dass man die ihr vorhergehenden Leiden, ihre gelegentlichen Ursachen
hierher rechnete. Diese sind : heftige, anhaltende Schmerzen, wie z. B. beim
Durchgange von Harn- oder Gallensteinen durch die Ureteren und den Du-
ctus choledochus, bei schweren Geburten, b^ langdauernden Neuralgien,
heftigen Ki-ämpfen und Convulsionen (NB. ex inanitione ortis M.). Diese
Apoplexie ist auch das Finale bedeutender chronischer, die Kräfte erschöpfen-
der Krankheiten , die Folge verekelter Naturkrisen wegen Kraftmangels, was
zuweilen bei acuten Fiebern , beim Tj'phus , bei Entsfvickelung der Gelenk-
gicht der Fall ist; nervöse Fieber enden im Stadio acraes, wie in dem der
Reconvalescenz {HufeJand, Tott) oft mit dieser asthenischen Apoplexie. Die
Zeichen von Blutandrang nach dem Kopfe fehlen hier, das Gesicht ist bleiclv,
verfallen, der Aderschlag schwindet alhnällig, der Athem dauert ruhig und
leise fort, die Hauttempei'atur ist vermindert, Gesidht und Extremitäten sind
-kalt, das Übel ist meist unheilbar, und es ikann blitzesschnell tödten; He-
miplegie oder partielle Lähmungen felüen, folgen hier auch niemals, ^^ie bei
Apoplexia sanguineä,- und der ganze Zustaad hat oft das Anselin einer tißr
fen Ohnmacht (s. Asphyxia). ß) Apoplexia nervosa seu spasmodicn, ner-
vöser, ktarapfhafter Schlagfluss. Ist ein krampfhafter, der Asphyxie
ähnlicher Zustand, als Folge der voiher schon im hohen Grade gesteigerten
Empfindlichkeit des Gehirns und Nervensystems^ wobei die Recepti-tität leicht
^erschöpf bar ist und daher unterliegt. Hypochondristen , Hysterische, Kata-
leptische haben die meiste Anlage zu dieset Krankheitsform, die daher auch
häufig mit Ekstase. zusammentrifft (^Sundelhi, Tott}. Starke Gemüthsbewe-
gungeh, lieftige Sintreseindrütke , heftige, selbst angenehme Gerüche sind
oft Gelegehheitsursache». Symptome sind: ohnmachtartiges, asphyktisches
"Änsehn|, trockne,, verschlossene Haut, wassei-heller Ürip , spastische, convul-
'^vische 'Bewegungen der Glieder, nervöse Constitution mit obwaltender In-
"temperatur des ganzen Nervensystems. Eine für die Praxis wichtige Ein-
'thefilung des Schlagttnsses ist die in Apoplexia idiopatMca, welche vom Ger-
liim ausgeht, und in Apoplexia sywpnthicu, %\Qhei heftig \nrken<\e gröberb
^Reize atif entferntere Nervenpartien (Rüclcemriark, Gangliensystem) die Ge-
Ifirnfunction sympathisch suspendiren, z. B. gastrische Reize durch Überla-
dung des Magens, durch Würmer (Apoplexia stomachica); auch schnelle,
beschleonigte Entbindungen erregen oft diese Form. Abarten dieser Species
;sind die Apoplexia aus iftirückgetretener anomaler "Gicht, ans rheumatische^
Dyskrasie^ die bald mehr eine entzündlidiie , bald mehr eine astbeniscite Na-
turzeigen; ferner die Apoplexia ehrioTutH,ietni(len1a, Säuferschlag, die
meistens wol zur Classe des Blutschlagflufss^s gehört; femer die Apoplexia
toxicn et mejihiticn als Folge der Einwirkung narkotischer Gifte oder öiephi-
t&cher Gasarten; die Apoplexia durch Blitzstrahl, Öie mtsist "astheni-
-scher Natur ist; die Apoplexia congelatoruvi , die m die Kategorie ^es Bhrt-
schlagflusses gehört (s. Asphyxia durch Frost). Noch sind hier zu er-
wähnen: Apoplexia epilepticorum , sie ist bald eitie Apopl. sanguinea, ba4d
asthenica; Apoplexia ekhatiMormn , Schlag durch Erschöpfting; sie ge-
hört zur A. asthenica sensu strictiori; Apoplexia pathematica, erregt am häu-
:&gsten Herz - und Lnngenlähmung, seltener Cerebralschlag (s. Asphyxia);
Apopleäna iraumnticH als Folge von Hirnverwundung, Knochensplittern im
•Gehirn etc.^ gehört in den meisten Fällen zur Classe der A. sanguinea, sel-
tener der A. serosa; eine Abart davon ist d*e Apoplema thUpticn^ die ^urch
eingedrückte Knochenstücke, Exostosen, Geschwülste, Abscesse im Gehirn,
'durch Druck aufe Gehirn und die Medulla oblbng«ta entsteht.
Apoplexia mctnstatica , als Folge unterdrückter Schweisse, Ausschläge,
habitueller Helkosen, gehemmter Urinabsortderung , endet entweder durch
vicariirende Diurese, Diarrhöen, Katarrh, oder sie bleibt als solche beste-r
hen und ist entweder mit enlaüudlichen , congestiveii Zu£llleu verbujiden,
oder sie trägt den Charakter der A. asthenica an sich.
APOPLEXIA 163
Apoplexia myeJUien seu medujlaris, Küqkenniarksschlag; geht vom
Ruckenmarke und der M^diilla oblongata aus, erzeugt leicht Lähmungen de»
Rumpfes, bedarf aber noch genauerer Untersuchungen. So wie die Apoplexia
cerebralis als Blut - oder Nervenschlagfluss auftreten kann, eben so können
auf dieselbe Weise Schlagflüsse entstehen , wenn die jene beiden Formen be^
dingenden Ursachen die dejn Herzen zugehörige Partie des Rückenmarks und
seine Nerven betreffen, und dadurch seine Vitalität auflieben und vernichten.
Fälle der Art haben du Hamel, Gautier de Clnubry u. A. mitgetheilt {Har-
less Jahrbücher der deutsch. Medicin. Bd. H. Hft. 2. S. 250 u. 263. Dess.
neues Journ. d. ausl. med. Lit, Bd. IX. St. 2. S. 181. Cael. Aiirelian de
tard. passionib. Libr. II. c. 1. p. 348.). Viele hieher gehörige Fälle findet
man unter der Rubrik Asphyxie und Syncope in altern Schriften aufgeführt
(s. auch C, Hohnhnum über den Lungenschlagfluss etc. 1817. S. 25 — 56.).
Apoplexin periodica. Sie ist ein larvittes Wechselfieber oder der Be-
gleiter der Febris intermittens perniciosa, coinatosa, apoplecüca (TortL
Werlhof).
Apoplexia pulmonum, der Lungenschlagflusg. Über diese Krank-
heit hat C. HoJmhaum (Über den Lungenschlagfluss, nebst Einleitung über
Schlagflüsse überhaupt, Briangen 1817.) eine lesenswerthe Monographie ge-
schrieben. In der Vorrrede bemerkt er ganz richtig, dass nicht blos das
Gehirn, sondern alle mit Nerven begabte Organe von dem Leiden, welches
man Schlagfluss oder Lähmung nennt, ergriffen werden können, und dass
es daher eben so gut einen primären Tod des Herzens und der Lungen, ala
des Gehirns gebe. Er nimmt nicht, wie Lancisius (de subitan. mortibus Lib. I.
c. 12.) drei, sondern vier Arten schneller Todesfälle an, nämlich: Apoplexie
(Tod des Gehirns), Asphyxia (Tod des Herzens), Suffbcatio (Tod der Lun-
gen), und Apoplexia hypogastrica s. aldomvunlis, <l, i. Tod durch Verletzung
edler Organe , zumal der Nervengeflechte des Unte^-leibes , der , eben sowoi
durch äussere Gewaltthätigkeiten , z. B. auf heftige Schläge, Stosse in der
Magengegend, als auf innere, die Functionen jener Organe destruirende Ein-
flüsse , wie z. B. der Schlagfluss auf zu grosse Überfüllung des Magens etc.
erfolgen kann. Mit Unrecht hat man dies^: Todesfälle zu den consensuellen
gezählt. — Symptome und Diagnose des Lungenschlagflusses.
Die Krankheit befällt, nach Hohnlaim, meist Leute, in den besten. Jahren,
von wohlgenährter, fetter Leibesbes<5haffenheit.' Zuweilen ist sde ohne, zu-
weilen mit Vorboten. Letztere sind : kalt^ Hände und Füsse , Hetzklopfen,
Schwindel, Gesichtsverdunkelung, Gefühl von Sphwere und Beklemmung
auf der Brust. Der Anfall selbst tritt plgt;?lich ein ; der Mensch ist seines
Sinne nicht mehr mächtig; ^r fällt bewu^stlp^ zu Boden oder sucht, wenn
er noch so viel Besinnungskraft übrig behält, irgend einen Gegenstand aa
erreichen , auf welchen er ?ich stützen HaP^"-. Dabei grosse Dyspnoe , Or-i
thopnöe mit rauschenden», röchelndem Athemholen. Zuweilen fehlt dieser
Ton und das Athemhoien hö*t nach weinJgQn Zügen völlig auf.' Mitunter
ist Schaiuu vor dem Munde, das Gpsicht bald rftth;, bald nicht roth. Die
Augenlider sind geschlossen. od«r halb geöffnet, mit nach oben gekehrtem,
starrem Blick. Der Puls ist klein, sehr schwach, kaum fühlbai/,.:das Ath-
men wird immer beschwerlicher, bis es endlich ganz aufhört; der Tod folgt
unter Marmorkälte der Glieder und Nachlassen der SphinktereH. . Die Se-^
ction zeigt nur in der Brusthöhle etwas Abnorraies. Die LungBft; strotzen
nämlich ;vQn theils flüssigem, theilp geronnfinem dunklen Blute.: Dasselbe
Blut findpt man ijn rechten Ventrikel des Helens,, dagegen der linke meist
leer ist. Erholt sich der Kranke wiedeprj hebt sich der Puls^ werden die
Glieder wärmer ynd das Athnien freier, so bleibt doch noch da» Gefühl
grosser Schwäche zurück. Zuweilen reden die Kranken auf kurze Zeit irre,
oder es folgt Fieber auf den Anfall, oder sie husten hellrothes ,- schaumiges
Blut aus. Ursachen. Das Übel ist ein morbus sui generis, seine nächste
Ursache plötzliche Lähmung der Lungennerven , des par vagum, intercostale,
des Plexus pulraonalis, verursacht durch starke Gemüthsbewegungeni Schreck,
Arger etc. Dadurch und durch den schnellen Verlauf ( oft erfolgt, der Tod
11*
16-1 Apoplexia
binnen '/4 bis 1 Stunde), so wie durch die' meist fehlende oder doch unbe-
deutende Schleimabsonderung, die bei Asthma, Bronchitis und Catarrhus
sufFocati-vxis stets bedeutend ist, unterscheidet sich der Lungenschlag von
letztern Übeln. Die Prognose ist eben so schlimm, wie beim Cerebral-
schlagfluss. Die Behandlung richtet sich nach den Umständen. Wohl-
beleibte, plethorische Menschen mit Habitus apoplecticus können die Krank-
heit durch strenge knappe Diät, durch Venneidung von zu nährenden Spei-
sen und erhitzenden Getränken ; viel Gemüse , Obst , wenig Fleischspeisen,
viel Wasserti'inken, keine Abendmahlzeiten, mitunter ein kleiner Aderlass etc.
oft lange verhüten Im Anfalle, versucht man nach Umständen Aderlässe,
reizende Fussbäder, Klystiere null andere Derivantia, auch Nervina; doch
fruchten sie meist wehig. Vel-hötung und Heilung der abnormen Fettbil-
dung bleibt das beste präservirende Mittel (s. Adiposis morbosa).
Prognose des Schlagflusses im Allgemeinen. Günstige
Zeichen bei jedem apoplektlschen Anfalle sind: Annäherung des Gesichts
zu seiner natürlichen Gestalt und Farbe, leichtere, freiere, weniger röchelnde
Respiration , Speichelfluss , Euphorie der genommenen Arzneien , der Ader-
lässe nach 24 Stunden, Niesen, Nasenschleimiluss, Vermögen zu schlingen,
hüpfende, ox-dnungslo»e Beweg'ung einzelner Thcile, Gefühl von Schmerz
beim Kneipen des Leibes (leichter, freier, weicherer oder bei Apopl. asthe-
nica gehobener, stärkerer Pulsschlag M.), Eintritt fliessender Hämorrhoiden,
der Katamenien , Nasenbluten , rother Harn mit Bodensatz , partielle Läh-
mungen (gleichsam als Derivantia), baldige Wiederkehr des Bewusstseyns.'
Bedenkliche Zeichen sind: Zähneknirschen, Schaum vor dem Munde,
kalte Schw^eisse, röchelnder, tiefer Athem, harter, starker, langsamer Puls,
tiefer Sopor, gänzlicher Mangel an Empfindung und Bevvusstseyn, convul-
sivische Bewegungen nach dem Erwachen, Nichtabgang der beigebrachten
Klystiere, kalter Athem, Nachlässen der Sphinkteren , frühere Anfälle von
Schlagfiuss oder Epilepsie, allgemeiner Starrkrampf, thränende Augen, un-
bewegliche Pupille, Facies hippocratica. Die Apoplexie durch Blutverlust,
zu schnelle Ableitung' des Bluts vom Gehirn ist immer tödtlich, wird nur
durch horizontale Lage des Kranken , durch Infusion des Bluts etc. -vierhütet
(s. Asphyxia). Stellen sich' bei Apopl. sanguinea und serosa Remissionen
des sich dazu gesellenden Fiebers ein , so ist die Hoffnung der Genesung
da , dagegen trüben kurze Nachlässe und heftige Exacerbationen die Pro-
gnose und verkünden den Tod raieistens innerhalb neun Tagen ; bleibt die-
ses von der Natur ausgehende, heilsame active Fieber ganz aus, so wird
die Krankheit schnell tödtlich. Diagnose des Schlagflusses. Ist leicht.
Von der Ohnmacht unterscheidet sich das Übel durch den hörbaren, röcheln-
den Ton der Respiration, der bei Synkope und Asphyxia gar nicht zu hören
ist, eben dadurch auch von der Starrsucht, wobei noch die wächserne Bieg-
samkeit der Glieder hinzukommt; von der Epilepsie unterscheidet sich die
Apoplexie durch die gewöhnlich kurze Dauer des Anfalls, durch die klonischen
und tonischen Krämpfe und durch die Anamnese, indem in der Regel schon
mehrere epileptische Anfalle vorhergegangen sind. Cur der Apoplexie,
a) Prophylaktische Cur. Sie ist höchst wichtig bei Anlage zum Schlag-
flusse oder bei den Vorboten desselben (s. oben). Vermeidung aller streng
reizenden, flatulenten, stopfenden und aromatischen Dinge; man verbiete
grosse Mahlzeiten, lasse des Tages öfter und jedesmal kleine Portionen ge-
messen , und zwar mehr Pflanzenkost als Fleischspeisen ; hitzige geistige Ge-
tränke und starke Abendmahlzeiten dienen nicht, dagegen lasse man viel
W^asser trinken, berücksichtige jedoch die Gewohnheit des Kranken, sowie
das Bekommen oder Nichtbekommen der Getränke; man meide Gemüthsbe-
wegungen, sey ruhig und gefasst in Leiden, in Freuden nicht zu exaltirt,
übe den Coitus massig aus, vermeide alle zu starke Sinnenreize, bewege den
Körper massig, schlafe nicht zu lange, gehe nur allmälig von einer vita
exercitata zur sedentaria über; bei heisser Witterung sey die Zimmertempe-
ratur kühl, man geniesse Säuren: Limonade, säuerliches Obst, wenig Fleisch,
bei naöskalter Witterung nützt warme Temperatur und warme Bekleidung
APOPLEXIA 165
(Flanellhemd); alle enge Kleidungsstücke sind nachtheilig; Bestrebungen zu
Krisen der Gicht, Hämorrhoiden müssen unterstützt, Flechten nicht unter-
drückt, sondern vorsichtig (duixh innere Mittel) geheilt werden; alle Se-
und Excretionen sind offen im erhalten (besonders wichtig ist die Soirge für
tägliche hinreichende, massig, jconsistente , nicht harte LeibesöfFnung, bald
durch Klystiere, bald durch Infus, sennae, Sal Glauberi etc. 3f.) ; der Kopf
nmss während des Schlafs Jioqh liegen (s^hr gut i.sts, auf Matrazzen zU
schlafen und sich eines Pferdehaarpolsters zum Kopfkissen zu bedienen, Jf.);
gewohnte Aderlässe sind njdht aufzugeben, zugeheilte Fontanellen müssen
wieder in Fluss gebracht, schnell geheilte Exantheme, Fussgeschwüre durch
Vesicatorien , Haarseile und Fontanellen ersetzt, dabei innerlich Spiessglanz
und äusserlich warme Bäder verordnet werden. Bei Anwandlungen von
Schwindel, Kopfweh, Congestionen , besonders in der Aequinoctialzeit , bei
unterdrücktem Nasenbluten , /Hämorrhoiden nützen kleine Aderlässe,, kalte
Kopfumschläge, Blutegel hinter die Ohren, ad anum, Ruhe mit erhöhter
Kopflage (ohne diese Vorboten passen die Blutausleerungen nicht, sondern
sie schaden für die Folge). Bei Neigung zum Schlagfluss im Greisenalter
nützt besonders ein Haarseil oder Empl. vesicat. perpet. im Nacken ; bei
Neigung zu Leibesverstopfung , oft auch bei Kopfcongestionen , wenn Ader-
lässe (z. B. bei nervösen Subjecten) nicht passen oder schon zu oft gemacht
worden sind, leiten Laxantia oft trefflich ab; auch lobt man für solche Fälle
Klystiere aus Infus, herb, gratiolae oder aus Decoct. herb, nicotian. ^v],
(aus Herb, nicot. ^(v, coq. c. Aq. fontan, S^j ut rem. col. ^vj, admisc. Tart.
emet. gr. j — jj). Die Mineralsäuren passen vorzüglich bei Erethismus im
Gefässsystem, nach heftigen körpeilichen Bewegungen, bei vollblütigen Per-
sonen mit reizbarem Nervensysteme; bei Neigung zu Apoplexie mit Abdomi-
nalreizen müssen Resolventia, Anthelminthica, bei organischen Herzleiden
(sonst aber nie!) Digitalis purpurea gereicht werden. Mit dem reizenden
Regimen, wozu vielleicht der etwaige nervöjse Habitus verleiten dürfte, sey
man stets vorsichtig, doch auch nicht unter allen Umständen strenger Aii^
tiphlogistiker. b) Behandlung bei ausgebrochenem apoplekti-
.schen Anfalle, n) Wir müssen hier die verschieden«n , oben angegebe-
nen gelegentlichen Ursachen nach den bereits unter Prophylaxis erwähnten
Regeln berücksichtigen und nach den allgemeinen Regeln der Therapie und
Chirurgie behandeln ; oft ist dies indessen erst nach gehobenem Anfalle mög-
lich ; &) die Behandlung des Anfalls, seiner Natur nach , bleibt immer die
Hauptsache. 1) Cur der Apoplexia sanguinea. Das erste und grösste
Mittel sind Blutausleerungen: Aderlass am Halse, Blutegel an die Innern
Augenwinkel , an den Hals , Schröpfen des Hinterhaupts ; Fomentationen
von kaltem Wasser, späterhin in den ersten Stunden von Foment. frigida
Schmücken um den Kopf, Klystiere aus Essig und Wasser, ana gjjj , mit
jß Salz geschärft, von Nitrun), in Wasser und Essig aufgelöst, späterhin
Molkenklystiere ; innerlich Pflanzensäuren: Essig, Acid. tartaricum, Himbeem
syrup mit Wasser, Nitrum mjt Crem, tartari und Oxymel; besonders wirk-
sam ist folgende Composition : I^ Fruct. tamarindor. ■^]}, coq. c. aq. fontan.
q. s. ut rem. 5vjjj, col. adde Niiri depurnti 5jj, Sal. Glauberi 5J, Tart. emeiic.
gr. jfs. M. S. Halbstündlich 1 Esslöffel voll (itf.)- Das Sal Glauberi und
die kleinen Dosen Tart. emet., um durch Reizung des Darmcanals die Con-
gestion vom Kopfe abzuleiten; dabei streng antiphlogistische Diät, kühles
Schlaflager, erhöhte Kopflage, Entfernung alles Lichtreizes, alles Geräur
sches, reine Ziramerluft, kühlende Getränke: Cremor tartari mit Zucker-
wasser, Limonade, Citronensaft , Essig, bis Vei-minderung der Zufälle, ruhi-
ges Athemholen und hinreichende Leibesöffnung erfolgt. Aber man über-
treibe auch nicht den antiphlogistischen Apparat, theils um das im günsti-
gen Falle eintretende kritische Fieber nicht zu stören, theijs um nicht die
entgegengesetzte Form des Schlagtlusses (die Apopl asthenica sensu strictiori)
herbeizuführen. Besonders vorsichtig sey man hier bei sensiblen Naturen.
(Hier möchte diese Vorsicht auch wol nur nöthig seyn, bei den,voJJtsaftigeu
Naturen mit Habitus apoplect. kann man dagegen dreist mejjreve Tage bfi
166 APOPLEXIA
der streng antiphlogistischen und purgirenden Methode bleiben, ja es sind
selbst wiederholte Aderlässe nicht selten nothwendig , wie ich dies sogar bei
einem vollsaftigen Greise von 73 Jahren zu beobachten Gelegenheit hatte. Af.).
Nach hinreichenden Blutentziehungen nützt neben gleichzeitiger Anwendung
der oben genannten Klystiere, der kühlen Getränke und kalten Kopfum-
schläge , bei Zeichen von Extravasat im Kopfe , Infus, flor. arnicae mit
Nitrum; auch kann und muss man, falls die Zeichen des congestiven Zu-
standes verschwunden sind imd dennoch der Kranke bewusstlos etc. daliegt,
gelinde Incitantia, z. B. Infus, rad. valerianae mit Liq. anodyn, , Liq. c. c.
succ , Moschus etc. versuchen , doch muss man beim Übergänge von der
schwächenden zur reizenden Methode viel Vorsicht beobachten (d. h. nach
den ersten Gaben solcher Mittel eine Zeit von mehrern Stunden abwarten
und den Kranken, ehe man mit diesen Arzneien fortfährt, beobachten, wie
er sich befindet. M.). Ein etwa eintretendes kritisches Fieber erheischt ein
massig erregendes Verfahren, wenigstens den Nichtgebrauch antiphlogisti-
scher Mittel, um dem Körper nicht die zur Krise so nothwendige Kraft zu
rauben. Riechmittel und Elektricität erfordern, selbst im spätem Stadium
des Blutschlagflusses angewandt, die grösste Vorsicht. Nach beendigtem
apoplektischen Anfalle sey man darauf bedacht , die etwa stattfindenden ur-
sächlichen Momente, insofern sie in unserer Macht stehen, zu entfernen,
lasse den Kranken eine reizlose Diät führen, sich massig bewegen, über-
haupt Alles beobachten, was oben bei der prophylaktischen Cur für die mit
dem Habitus apoplecticus Begabten empfohlen wurde, lasse allenfalls zur
rechten Zeit (bei Vorboten eines neuen Recidivs , besonders im Frühling und
Herbst) zur Ader, sorge für tägliche liinreichende Leibesöffnung, beschränke
die sich erneuernde VoUsaftigkeit durch den Gebrauch des Saidschützer oder
Püllnaer Bitterwassers, erhalte zeitlebens ein Fontanell im Nacken, am Arme
der nichtgelähraten Seite, versuche auch allenfalls mit der Zeit, wenn der
Erethismus im Gefasssystem es nicht verbietet, vorsichtig anfangs laue, dann
kühle und allmälig kältere Bäder, innerlich Adstringentia, China u. dergl.,
und zuletzt Eisen, um Recidive zu verhüten. Auch hat man zur Aufhebung
des apoplektischen Anfalls die kreisförmige Umschnürung der Gliedmassen
empfohlen (^Bonogery in v. Grüfe's und v. Waliher^s Journ, f. Chirurg, etc.
Bd. XI. Hft. 2. S. 322.). 2) Cur der Apoplexia serosa. Ist die Er-
giessung von Serum schon vollständig erfolgt, so ist der Tod unvermeid-
lich; man kann daher die Exsudation bei Encephalitis mu* zu verhüten su-
chen, muss den Wasserkopf als solchen behandeln (s. Hydrocephalus),
bei Ausschlagsmetasta.sen warm baden lassen , Antimonialia , Kampher , Mo-
schus mit Sulph. aurat. geben, Vesicatorieh auf den Kopf und auf die vor-
her vom Exanthem ergriffene Stelle legen, auf dieselbe Art das Einreiben
der Brechweinsteinsalbe benutzen; auch sind Brechmittel sehr nützlich (To/^)?
bei Versetzungen des Rheumatismus Bürsten und Reiben des afficirt gewese-
nen Theils, bei Gichtmetastasen diese behandeln (s. Arthritis retro-
grada); aber leider! nur selten erreicht bei dieser Art von Schlagfluss der
Arzt seinen Zweck. 3) Cur der Apoplexia vehosa. Bei den Zeichen
venöser Congestion nach dem Gehirn dienen Aderlässe, Blutegel, Schröpfen,
ableitende, reizende Klystiere, u. s. f. (s. Apopl. sanguinea), bei Zeichen
von venösem Extravasate Infus, arnicae mit Nitrum, bei irrespirablen Gas-
arten: Kohlenstoffgas , Schwefelwasserstoffgas, die geeigneten Gegenmittel
(s. Asphyxia), bei Melaena, materieller Melancholie, Hypochondrie, Ab-
dominalplethora als Ursache nützen Aderlässe am Fusse, Blutegel ad anum,
Laxantia frigida: Kali tnrtaricum, Saidschützer-, Püllnaer-, Carlsbader -
(künstliches und natürliches), Mariakreuzbrunnen - Wasser , die Kämpf sehen,
von Berends vereinfachten Visceralklystiere , die Aqua laurocerasi. Nach
beendigtem Anfalle ist die resolvirende Methode durch die zuletzt genannten
Mittel in Anwendung zu bringen, um die venöse Dyskrasie zu beseitigen.
4) Cur der Apoplexia pituitosa. Der pituitöse Schlagfluss erfordert
Kolche Mittel, 'welche die pituitöse Dyskrasie durch Eröffnung der verschie-
deneu. Emunctorien zu heben ito Stande sind ; Brechweinstein zum Erbrechen,
APOPLEXIA 167
Antimonialia , Kalom«!, Magnesia ßulphurica mit Brechweinstein in refiracta
dosi zum Purgiren ; auch ein concentrirtes Infus, flor. arnicae mit Oxrymel
squillit. ; bei röchehider Respiration , um Auswurf zu erregen , besonders
Sulph. auratuni, Flor, benzoes; äusserlich Vesicantia in den Naciten und an
die Waden, reizende Klystiere; bei drohender Lungenlähmung Amraon. car-
Iwnic. pyro-oleos. , Pimpinelle, Flor, benzoes mit Kampher, Vesicatoria auf
die ganze Brust. 5) Cur der Apoplexia asthenica sensu strictiori.
Waltet hier, wie dieses öfters zu Anfange der Fall ist, noch ein erethisti-
scher Zustand im Gefässsysteme ob, so sey man mitHbn Reizmitteln ja be-
hutsam, verordne Crem, tartari, Pot. Riverii, Limonade etc.; fehlt dieser
oder ist er verschwunden, so ist der gesammte incitirende Heilapparat an-
zuwenden: Valeriana, Wein, Aether, Moschus, Arnica mit vcrsüssten Säu-
ren, Ol. animal. aether., Liq. ammon. succinici , carbon. , pyroleosi, Brech-
mittel aus Ipecacuanha, selbst aus Zinkvitriol, Kampher, Serpentaria, An-
gelica, Sal volat. c. c. , äusserlich Senfteige, Vesicatorien , bis zum Blasen-
ziehen und öfters erneuert, in den Nacken, auf die Herzgrube, an die Füsse,
trocknes Schröpfen derselben Stellen , Frottiren der Gliedmassen , warme
aromatische oder Senfbäder, starke Riech- und Niesemittel, spirituöse Wa-
schungen des Kopfes, des Rückens, der Magengegend, warme aromatische,
mit Wein bereitete Fomentationen um den Kopf, endlich erregende Klystiere ;
Aufenthalt in einem luftigen, geräumigen, aber erwärmten Zimmer; zum Ge-
tränk Weinmolken. Bei der Wahl dieser, besonders der innern Mittel , sehe
man zugleich auf die den Anfall erregende Ursache, gebe z. B. , wenn hef-
tige Schmerzen Schuld sind , Opium , selbst in grossei'n Dosen , in Verbin-
dung mit obigen Reizmitteln, so auch bei Gemüthsleiden als Ursache mit
Wein , beim Durchgange von Gallen - und Nierensteinen mit Oelemulsionen,
warmen Bädern, beruhigenden Umschlägen auf die lieber-, Nieren-, Blasen-
gegend , dem Laufe der Ureteren entlang , gebe , wenn der apoplektische
Anfall Folge gestörter Krisen, wie beim Bildenwolten eines Gichtanfalls ist,
den hier specifiseh wirkenden Moschus , wende daneben die äussern Reiz-
mittel an, u. s. f. 6) Cur der Apoplexia nervosa, spasmodica.
Diese Form macht die Anwendung von Opium in kleinen Dosen, von Mo-
schus, Aether, Wein, Castoreum, Liq. c. c. succ. , Acjua foetida antlhyste-
rica , Infus, valer. , chamomillae , menth. pip. nothwendig. Laue Bäder mit
Zusatz von Flor, chamom. , rad. valerianae, Klystiere von Infus, valerianae
mit Asa foetida sind daneben anzuwenden. Kampher und Sal volatile erfor-
dern Vorsicht. Man entferne starke Gerüche, heftige Sinneseindrücke , halte
den Kranken warm , und benutze allenfalls auch Vesicatoria und Sinapismen,
in die Nähe des Kopfs applicirt; doch reizen sie gewöhnlich den schon we-
gen zu hoher Sensibilität erschöpften Kranken zu sehr , und finden daher in
dieser Art von Apoplexie selten ihre Anwendung. 7) Cur der Apoplexia
Sympathie a. Ist verschieden nach Verschiedenheit der Ursachen, daher
bald Emetica, bald Anthelminthica , Resolventia, wie schon oben bei der
prophylaktischen Cur angegeben worden, nothwendig sind. Die Apopl. me-
tastatica als Folge der Gicht, der rheumatischen Dyskrasie, erfordert die
unter Arthritis retrograda angegebene Hülfe. Hier dienen bei entzündlichem
Charakter als Folge einer Erkältung, eines Diätfehlers, einer Gemüthsbe-
wegung, während des Gichtanfalls Blutegel, seltener Aderlässe, nach Um-
ständen auch ein Brechmittel aus Ipecacuanha, Vesicatorien , innerlich Sulph.
aurat. in steigenden Dosen, auch Arnica; Einreibungen von Tinct. cantha-
ridum in die früher von Gicht angegriffen gewesenen Theile; bei mehr asthe^
nischer oder spastischer Natur des Übels , z. B. bei unterbrochenem Gicht-
paroxysmus aus Kraftmangei , Moschus , Liq. c. c. succ, warme Bäder , um
die verschwundene locale Gichtentzündung wieder hervorzurufen. Dieselbe
Cur erheischt die Apopl. e dyscrasia rheumatica. Die Apopl. ebriorum er-
fordert meistentheils die Cur des Blutschlagttusses , die Apopl. durch Gifte,
mephitisches Gas, Blitzstrahl, Frost etc. erfordert die specielle Behandlung
(s. Asphyxia). Bei der Apopl. epilepticorum ist bald die antiphlogisti-
sche, bald die incitirende Heilmethode nothwendig, die Apopl. traumatica
168 APOPLEXIA
und thliptica erfordert chirurgische Hülfe, die Apopl. pathematica und ex-
haustorum reizende, belebende Mittel (s. Asphyxia und Ohnmacht aus
Leidenschaften, aus Erschöpfung, Mangel an Nahrung); die Apopl. perio-
dica in den freien Zwischenräumen grosse Dosen China mit Opium, um ei-
nen zweiten Fieberanfall zu verhüten. Bei dem Schlagflusse als Folge un-
terdrückter Schweisse, Exantheme, Geschwüre etc. unterstütze man die von
der Natur eingeleiteten Krisen durch Schweiss , Urinsecretion , Diarrhöe,
wende, wenn sich solche Krisen noch nicht zeigen, laue Bäder, überhaupt
die Behandlung wie bei Gichtmetastase, an. Die Apopl. myelitica muss nach
ihrem vorwaltenden, durch Congestion oder idiopathisches Ergriffenscyn der
Function der MeduUa spinalis und oblongata bedingten Charakter bald an-
tiphlogistisch, bald (wol in den meisten Fällen; Toit^ reizend behandelt
werden Die Apoplexie als Folge schneller Ableitung des Bluts vom Ge-
hirne ist stets unheilbar und tödtlich. C. A. Tott.
Nachschrift des Herausgebers. Die Apoplexie ist eine so wich-
tige Krankheit für den praktischen Arzt, dass ich folgende Bemerkungen,
welche ich der vorstehenden Abhandlung meines verehrten Collegen, des
Hrn. Dr. l'oit in Ribnitz, anschliesse, hier nicht für überflüssig halte. 1) In
Betreff der Eintheilung des Schlagflusses haben bekanntlich verschiedene
Schriftsteller (^Slark , von Uoven, Conshruch, Heclcer, Sprengel) verschiedene
Arten angenommen, die wol schulgerecht seyn mögen, den Anfanger aber
leicht von der Hauptsache ableiten, ihn confundiren und vielleicht gar zu
Unterlassung nöthiger, indicirter Mittel oder zur Anwendung verkehrter
Heilmethoden verleiten. Die Mikrologie unserer heutigen Diagnostiker, wie
früherhin die Nosologia methodica eines Sauvnges, kann keinen unmittelba-
ren Nutzen für die Praxis bringen , sie vermehrt die Verwirrung und lässt
uns die Hauptsache darüber nicht selten vergessen. Nicht die lebende Na-
tur trennt , nur der menschliche Verstand zum Behuf der Wissenschaft , jene
ist einfach, diese höchst complicirt. 2) In Hinsicht des Schlagflusses unter-
scheide ich zweierlei Zustände: a) die eigentliche Apoplexie (Schlag-
fluss im engern Sinne). Hier ist der Mensch anscheinend gesund , isst und
trinkt gut, verrichtet, wenn er auch mitunter an den Vorboten (Schwindel,
Leibesverstopfungen etc.) leidet, seine Geschäfte; er sieht roth im Gesichte
aus , ist weder schwach , noch mager , hat den Habitus apoplecticus ; auf
einmal bekommt er plötzlich bei veränderlichem Wetter , nach Gemüthsbe-
wegungen , starken Mahlzeiten , geistigen Getränken etc. den apoplektischen
Anfall, wobei das Bewusstseyn anfangs völlig mangelt, nicht aber immer
die Empfindung, und wobei Respiration und Blutcirculation träge, langsam,
beschwerlich sind, daher der langsame, aber volle, starke Puls, die lang-
same, tiefe, röchelnde, durch tiefes Seufzen unterbrochene Respiration etc.
Dieser Insultus apoplecticus erfordert ganz die Behandlung der sogenannten
Apopl. sanguinea : Aderlässe , kühlende Purganzen etc. Er ist ein lebensge-
fährliches Symptom , muss also für den ersten Augenblick symptomatisch be-
handelt w erden , gleichviel aus welcher Ursache das Übel entstanden ist ;
es sey Apopl. serosa oder sanguinea, idiopathica oder sympathica und con-
sensualis , gleichviel , die nächste Ursache liegt im Kopfe , es muss hier
durch Antiphlogistica , kühlende Purganzen, reizende Klystiere und äusser-
liche Irritantia abgeleitet werden. Von 100 sogenannten Apoplexien sind
wenigstens 90 Fälle dieser Art. Selbst Greisen muss hier zur Ader gelas-
sen werden; die Contraindicationen bei reinem Nervenschlage (leichenblasses
Gesicht, höchst kleiner oder gar mangelnder Puls) kennt jeder Arzt. Bei
letzterer Form mag man thun oder lassen, was man will, der Mensch bleibt
doch todt. Der Nervenschlag im höchsten Grade ist also der beginnende
Tod und findet keinen Platz in Handbüchern der praktischen Heilkunde.
b) Der anfangende Tod als Folge anderer Krankheiten, der Schein-
tod (Schlagttuss im weitern Sinne). In dieser Hinsicht stirbt jeder Mensch
am Schlage, da der Tod entweder vom Gehirn, oder vom Herzen oder von
den Lungen (Gehirn-, Herz-, Lungenschlag) ausgeht. Dieser Zustand, der
nur daa Ende Jinderer gefährlicher Krankheiten, der Asphyxie, der Ad) na-
APOPLEXIA 169
niie, der Vergiftungpn, der Verblutungen etc. ist , sollte gar nicht Apoplexie
genannt werden. 3) Die Apoplexia asthenica sensu strictiori sollte man des-
wegen auch nicht zu einer besondern Krankheit erheben, sie ist auch der
leichtern Asphyxie ähnlicher als der Apoplexie. ,4) Die Apoplexia nervosa
spasraodica passt auch besser in den Artikel Hysterie, denn sie ist weiter
nichts als ein hoher Grad des hysterischen Anfalls. 5) Die Apoplexia venosa
gehört unter die Rubrik Asphyxie, wir sehen ihre reinste Form bei der Er-
stickung durch Kohlendampf im niedern Grade. 6) Wichtig für die Prognose
bleibt immer die alte Eintheilung in unvollständigen und vollständi-
gen Schlagttuss (Parapoplexia und Apoplexia exquisita) , denn bei ersterer,
wo noch schwaches Bewusstseyn und Bewegungsvermögen geblieben ist , ist
noch Hoffnung zur Genesung da. Der berühmte französische Arzt Rochoux
hat sich durch genauere Erforschung des Schlagflusses und durch die nähere
Bestimmung der Curmethode desselben sehr verdient gemacht. (Vergl. , Di-
ctionnaire de M^decine. Artikel Apoplexie, deutsch übersetzt von Meiss-
ner, Bd. I. S. 428.). Er nennt die Krankheit geradezu Hirnblutung
und machte schon im Jahre 1814 bekannt, dass die Hämorrhagie des
Gehirns constant von den nämlichen Symptomen, die die
Apoplexie bezeichnen, begleitet werde. Diese Ansicht haben
später Lallemnnd^s, Rostan's und Pareiifs Untersuchungen und Beobachtun-
gen als wahr bestätiget und somit ist RocJwux^s Ausspruch: ,,Die Apoplexie
ist eine durch Ruptur entstandene Hämorrhagie des Gehirns mit mehr oder
weniger beträchtlicher Veränderung seiner Substanz " gerechtfertigt. Am
häufigsten ist der Sitz dieser Blutung im grossen Gehirn, seltener im klei-
nen, oder in der Pons Varolii oder im Rückenmarke. Nach Rochoux dispo-
nirt das sanguinische Temperament am meisten zum Schlagfluss , sowol das
sanguinisch - biliöse , als das lymphatisch - sanguinische , und folgende Über-
sicht von 63 Kranken der Art zeigt , dass die meisten Schlagflüsse in dem
Alter von 60 bis 70 Jahren vorkommen. Apoplektiker von 20 bis SO Jah-
ren 2, von SO bis 40 Jahren 8, von 40 bis 50 Jahren 7, von 50 bis 60
Jahren 10, von 60 bis 70 Jahren 23, von 70 bis 80 Jahren 12, von 80 bis
90 Jahren 1. Die neuere Ansicht, dass Hypertrophie des Herzens zur Apo-
plexie disponire , bestätigen Rochoux^s gemachte Sectionen nicht ; denn unter
42 Apoplektischen fanden sich nur 3 mit Aneurysma cordis. Was die Jah-
reszeit als prädisponlrende und bewirkende Ursache betrifft, so scheint nach
Rochoux der iSinttuss derselben nicht sehr gross ; doch kamen die meisten
seiner Fälle im Herbste vor. Seine Behandlung ist folgende: „Erste An-
zeige. Die allgemeinen Blutentziehungen, sagt er, sind unstreitig das
wirksamste Mittel gegen die Blutung des Gehirns. Man bestimmt die Quan-
tität nach der Heftigkeit der Symptome und den Kräften des Kranken.
Aretaeits hat schon bemerkt, dass zu reichliche Aderlässe wahrhaft schädlich
wirkten. Ich habe mehrmals Gelegenheit gehabt, mich von der Wahrheit
dieser Beobachtung zu überzeugen. Mehr als 2 — 3 Aderlässe, jeder zu 2 — 3
Paletten, sind selten nöthig. Man wählt beim Aderlass am Arm nach Aretaeus
die gesunde Seite , vielleicht ist die Öffnung der Vena jugularis noch zweck-
mässiger. Unter allen Umständen muss der Kopf und der Stamm des Kran-
ken sehr hoch liegen, weil diese Lage am besten geeignet ist , den Kopf frei
zu machen. Man vernachlässigt vielleicht heut zu Tage dieses anscheinend
geringfügige Mittel zu sehr, indem man annimmt, dass die physischen Ge-
setze auf den Umlauf des Blutes wenig Einfluss haben. Zweite Anzeige.
Das Blut von den ersten Aderlässen zeigt bei den Apoplektikern nichts Merk-
würdiges ; allein das von den zweiten zeigt ziemlich constant die sogenannte
pleuritische Entzündungshaut. Dieser Umstand lehrt uns , dass man zu glei-
cher Zeit gegen die Blutung und die Phlegmasie, wovon der zerrissene Theil
des Gehirns ergriffen worden ist , zu kämpfen hat. Die vorzüglichsten Mit-
tel dagegen sind Blutegel, blutige Schröpfköpfe an den Kopf, kalte Um-
schläge um denselben, abführende Klystiere, verdünnende Tränke und Ruhe.
Aretaeus sah grossen Nutzen von blutigen, ans Hinterhaupt applicirten Schröpf-
köpfen. Neuerlich hat Prof. Fadere ihre Wirkung für unbedeutend gehalten.
170 APOPLEXIA
Dies kann wol der Fall seyn, wenn man ihr durch die tonische und stimu^
lirende Behandlung entgegenwirkt ; stimmt aber Alles mit dieser (kühlenden)
Behandlungsweise überein, so wird auch ihre Wirksamkeit nicht ausbleiben.
Hat man nun mittels der Blutegel und Schröpfköpfe, die man zweckmässig
wiederholt ansetzt, den Kopf frei gemacht, so sucht man einen neuen Blut-
andrang nach demselben dadurch zu verhindern , dass man ihn beständig mit
in kaltes Wasser getauchten Compressen, oder selbst mit Eis bedeckt, des-
sen herrliche Wirkungen bei der der Apoplexie ähfllkhen Gehirnaffectionr
Vom Prof. Lallemnnd und einigen andern guten Beobachtern so schön dar-
gethan worden sind. Wähi-end dieser Zeit muss der Kranke reichlich ver-
dünnende Getränke: Tisanen von Gerste, von Rad. grarainis zu sich nehmen;
dabei täglich abführende Klystiere und eine Zeit lang eine knappe Diät, v-vie
in acuten Krankheiten. Die Dauer einer solchen Behandlung lässt sich schwer
mit Genauigkeit bestimmen. Der Arzt hat sie nach der eintretenden Besse-
rung des Kranken, der sich vollkommen ruhig verhalten muss, zu ermessen.
Dieser letztere Punkt ist von der grössten Wichtigkeit, und man muss Alles
sorgfältig vermeiden, was die Ruhe beeinträchtigen kann. Man muss des-
halb von der Behandlung alle Reizmittel ausschliessen, ohne ihre derivativen
Eigenschaften, die sie in gewissen Fällen haben können, zu berücksichtigen,
weshalb man weder Sinapismen noch Vesicatorien anwenden darf. Die Pur-
glrraittel bewirken, wenn sie nur etwas kräftig sind, eine aligemeine Auf-
regung (die kühlenden doch wol nicht? 3f.) , die ihre guten Wirkungen in
anderer Hinsicht überwiegen. Deshalb scheint es uns Aveit sicherer, abfüh-
rende Klystiere, um den Unterleib frei zu halten, anzuwenden, oder höch-
stens zu den ganz schwachen Abführungsmitteln seine Zuflucht zu nehmen,
im Fall die Klystiere sich nicht hinlänglich wii-ksam zeigen. Hiernach fällt
es von selbst in die Augen, dass die Brechmittel auf das strengste zu ver-
werfen sind. Wie möchte man auch einen Menschen, dessen Gehirn zer-
rissen ist, der Anstrengung des Erbrechens aussetzen? Dritte Anzeige.
Wir besitzen keinesweges wirksame und zahlreiche Mittel, die Resorption
des Blutes zu befördern. Die Natur verrichtet , wenn man sie nicht stört,
dieses Geschäft mehr oder weniger schnell. Vielleicht dürfte es zweckmässi-
ger seyn, ihre heilsame Kraft frei walten zu lasseü, anstatt die Kranken
mit Vesicatorien, Sinapismen, Moxa, Haarseilen und andern revulsorischen
Mitteln, die manche Äizte mit einem wahrhaft bewundrungswürdigen Ver-
trauen anwenden, zu bedecken. Freilich sieht man auch nur'^teu oft bei ei-
ner solchen Behandlung nach 10 oder 14 Tagen die Kranken an einer zwei-
ten Hämorrhagie, die unvermerkt stattfindet, sterben, wovon man sich bei
der Section durch die verschiedene Farbe und Consistenz des frisch ergosse-
nen Blutes überzeugt. Sie wären vielleicht dem Tode entgangen , wenn
man sie ruhig gelassen hätte ; wenigstens ist es gewiss , dass Alles zur Her-
beiführung dieser Katastrophe beigetragen hat." So weit Rochoux. Er
warnt mit Recht vor der frühen Anwendung der Reizmittel bei Apoplekti-
schen und gegen die nachgebliebene Lähnuing, und sagt, dass dadurch, be-
sonders durch die Nux vomica , durch Application der Elektricität , eine
zweite Hirnblutung, d. h. ein Recidiv des Schlagflusses, befördert werde.
Was die vorbauende Behandlung anbetrifft, so hält er nicht viel von den
sogenannten präservirenden Antapoplecticis , die in frühern Zeiten viel ge-
braucht wurden, z. B. Senf, Salbei, Rettige, Verbascum, Spiritus antapo-
plecticus , sondern mehr auf ein gutes diätetisches Verhalten , wobei er han-
cisVs so schöne als wahre Worte anführt : „ Ich kann es nicht oft genug
wiederholen, man sucht vergebens in den Medicamenten Präservative, wenn
man die Regeln einer guten Hygieine vernachlässigt. Alle andere Hülfs-
mittel der Medicin sind trügerisch; ein einziges ist zu jeder Zeit und unter
allen Umständen wirksam. Man findet es in einem wohlgeordneten Regime
und in einer glücklichen Seelenruhe, die weder durch Glücks-, noch durch
Unglücksfälle gestört wird." Übrigens lässt es sich nicht leugnen, dass die
sogenannten Brunnen-, Molken-, Kräuter- und Frühlingscuren bei Habitus
apoplecticus häufig als vorbauende Mittel und bei den Vorboten des Schlag-
APOPLEXIA 171
flusses selbst ein Aderlass als das einzige Mittel, den nahen Anfall zu ver-
hüten oder doch zu schwächen, angesehen werden müssen, für welche Mit-
tel Theorie und Erfahrung sprechen. — Ein erst seit wenig Jahren be-
kannter gewordenes Übel ist die Apoplexia infantum venosa, der
Tenöse Schlagfluss der Kinder, worüber ich dasjenige, was Herr
Dr. Tott mir nachträglich eingesandt, der Wichtigkeit wegen mittheile.
Symptome dieses Übels sind: Zuerst täglich 6 — lOmaliges, ungemein
leichtes Erbrechen, besonders in aufrechter Stellung des Kindes, oder
vielmehr ein Herausschwappen des Mageninhaltes oder einer geruchlosen,
wässerigen Feuchtigkeit; eben so oft täglich Stuhlgänge ohne Leib-
schmerz , von Geruch und Farbe wie die bei Blennorrhoe ; dabei ein mit der
Dauer und Intensität der Krankheit nicht im Verhältniss stehender Ausdruck
von Hinfälligkeit und tiefem Ergriffenseyn ; gleich anfangs bleiches Gesicht,
Schwinden des Lebensturgors , gesunkene Temperatur des Körpers, kühle,
welke Haut, kleiner weicher, etwas beschleunigter j jedoch regelmässiger
Puls , höchst abgespannte , äusdrucklose Gesichtszug^ , gläserne Augen mit
lividen Rändern, erweiterte und träge Pupille, an der Nasenoffnung eine
russige Schwärze, nicht übermässig heisser Kopf, nicht erhöhte Thätigkeit
der Karotiden , wenig gestörte Besinnlichkeit , wiewol scheinbarer Traumzu-
stand; keine Äusserung von Schmerz. Richtet man das Kind auf, so lehnt
es den Kopf an und lässt die Glieder schlaff herabhängen, es befindet sich
überhaupt in einem apathischen Zustande, der nur auf Augenblicke durch
eine transitorische Unruhe und durch Äusserung von Verdriesslichkeit und
Eigensinn unterbrochen wird. Dabei massiger Durst, weicher, weder heisser,
noch schmerzhafter, noch aufgetriebener Unterleib, ungestörte Harnauslee-
rung, normales Athmen , unruhiger, mitunter durch Krämpfe unterbrochener
Schlaf, nie Sopor, Lähmung oder ein anderes Symptom hydrocephalilSchen
Leidens. Gegen das Ende der Krankheit bemerkt man: wachsfarbnes Ge-
sicht , trockne Lippen , kalte , röthlich gefleckte Gliedmassen, wie nach Ein-
wirkung von Frost , kaum fühlbaren Puls , und der Tod folgt ohne stürmi-
sche Erscheinungen , manchmal durch Wasserschlag. Die Krankheit ist nur
selten mit einem Stadio prodromorum verbunden, wo dann Erbrechen und
Diarrhöe Hauptsymptome sind; häufiger ergreift sie llie Kinder plötzlich,
und ihre Dauer beträgt nur 3 — 4 Tage. Die Section zeigt: nicht abge-
magerte Leiche, gewöhnliche Todtenfliecke , auffallende Fülle von venösem
Blute in allen Körpertheilen , in den grossen Gefässen , besonders aber im
Gehirn, das nach Entfernung der Schädeldecke unter ihr wie ein Schwamm
hervorquillt und nicht wieder unter sie zurückzubringen ist; ausi^erdem -^bläu-
lich gefärbte Schädelknochen, keine Spur von activer Entzündung, zuwei-
len wie mit Wasser getränkte 6ehirnsubstanz, in den Gehirnhöhlen mehr
Wasser als gewöhnlich < die Milz sehr mussig, blutreich, Leber und Ge-
därme gesund, letztere nur zuweilen mit Ecchymosen besetzt {Kruchciitjerg).
Diagnose. Zu unterscheiden ist das Übel von Zahnruhr, Gastroma-
lacie und Hydrocephalus. Bei der erstei-n dauert der Durchfall Wo-
chen lang und greift nicht sehr an, das Erbrechen ist nie ein so constantes
Symptom wie bei Apopl. venosa infantum; ausserdem sind die Kinder, bei
der Zahnruhr verdriesslich , reizbar, eigensinnig, sie fiebern, Mundhöhle und
Zahnfleisch sehen roth und geschwollen aus , und wenn in seltenen Fällen
der Tod folgt , so erscheint er unter den Symptomen einer Abdoinlnalent-
zündung oder eines secundären Hydrocephalus. Bei Gastfomalacie ist das
Erbrechen, "wie der Durchfall oft sehr stürmisch, der Durst heftig, das Atis-
geleerte sauer von Geruch und Farbe, und der Puls ist anfangs oft schnell
und fieberhaft (s. d. Artikel). Der Hydrocephalus unterscheidet sich vdn
diesem Kinderschlagflusse .durch das active inflammatorische Stadium des
Hirnleidens , durch die Lichtscheu , die verengerte Pupille , den unruhigen
Ächlaf , das Aufschreien in demselben , durch spasmodische Zufälle , Leibes-
verstopfang, verminderte Diuresis, gesteigerte Thätigkeit der Karotiden,
Lähmungen , Sopor , durch Fieber mit starken Kopfschweissen etc. Ur-
sachen. 1) Prädisposition geben die ersten zwei Lebensjahre, lebhaftes
172 APOPNEUSIS — APPETITUS MORBOSÜS
Temperament, Vollsaftigkeit. 2) Entfernte Ursachen sind: die Dentition,
langes und ungewohntes Auflialten in der Mittagssonne, der kühlen Abend-
luft, unterdrückte Transspiration. 3) Die nächste Ursache ist, nach Hnch-
mann, eine zu venöse Beschaffenheit des Blutes und eine zu grosse Exten-
sion der Blutmasse, also krankhaft erhöhte Venosität, eine zu venöse Mi-
schung des Venen-, und später auch des Arterienblutes, eine zu grosse
Expansion des erstem, eine Plethora venosa ad volumen, was die Section
beweist (Tolt). Prognose. Ist sehr ungünstig; dauerte das Übel schon
länger als 24 Stunden, so folgte stets der Tod {Hnchmnnn, Kmchenhcrg.
S. Kruckenherg' s Jahrbücher d. ambulator. Klinik, Bd. II. S. 130, u. Mach-
mann \n Heckcr^s Lit. Annalen, 6. Jahrg. Mai), und jedes Mittel blieb frucht-
los. Wiederkehr des Lebensturgors , der Wärme und Farbe, allgemeiner
starker Schweiss unter Nachlassen der Apathie , stärkerer Pulsschlag , Nach-
lassen des Erbrechens und der Diarrhöe lassen Genesung hoffen ; täuschend
ist eine vorübergehende Äusserung sensorieller Thätigkeiten ohne die ge-
nannten Erscheinungen. Cur. Blutegel an den Kopf zu 8 — 12 Stück,
kalte Kopfumschläge von Wasser , Eis , Unterstützung der Natur in ihren
Bestrebungen um Lebenserhaltung durch Unterhaltung der Stuhlgänge mit
gleichzeitiger Erweckung der Lebensthätigkeit durch angewandte Reizmittel:
warme Foroentationen und Bäder mit Salz , Pfeffer versetzt , Einhüllen in
erwärmten Flanell , kalte Sturzbäder , Einreibungen des ganzen Körpers mit
Spirit. sal. ammon. caust. und Mercurialsalbe; innerlich nach den Blutegeln
kleine Dosen Kalomel mit Moschus, Ammonium, selbst Arnica, welche sehr
•wirksam ist (^Tott^. Auch das Acidum muriat. oxygenat. und später die
Tinct. nervina Bestucheffü , desgleichen aromatische und demnächst Stahl-
bäder möchten hier wol an ihrer Stelle seyn (Mo*/).
ApopncusiSj Apopnoen , das Ausathmen, Aushauchen, die
Exspiration Ist diese lang und tief, dagegen die Inspiration sehr kurz, so
ist dies bei Neurosen ein Zeichen von Affection der VleduUa oblongata.
A-POpnixis, die Erstickung, s, Suffocatio und Asphyxia durch
Ertrinken, Erdrosseln etc.
Apopsycbia< $ eine tiefe , anhaltende Ohnmacht , die zuweilen in
Scheintod übergeht; s. Asphyxia.
Aposia, Mangel an Durst, s. Adipsia.
Apositia , Fastidium , Widerwille , Ekel vor Speisen ; s. A n t i -
p a t h i a.
Apostema, richtiger Apostasis, s. Abscessus.
Apotbanasia» das völlige Absterben, der voUkommne, un-
zweifelhafte Tod. Nur ein sicheres Zeichen giebt es, den wirklichen Tod
vom Scheintode zu unterscheiden, nämlich die wirklich eingetretene, durch
Geruch und Gesicht wahrnehmbare Fäulniss ; vielleicht ist auch die Leichen-
starre ein ziemlich sicheres Zeichen, doch muss man sie wol von der teta-
nischen Starre unterscheiden. Auch fehlt sie häufig, z. B. bei Vergifteten
durch verschiedene Gifte (s. Archiv, gen^r. de Med. Mai 1827). Dass wir
trotz der vielen schauderhaften Beispiele von Lebendigbegrabenw erden selbst
noch in unsern Zeiten so selten Leichenhäuser finden, ist wahrlich sehr zu
beklagen.
Appetitns morboSlU, caninus, Farnes lupina, BuUmos, Lycoreana,
Phagaena, krankhafter Appetit, Heisshunger,- Gefräs sigkeit.
Ist ein Symptom mancher Nervenübel: der Hysterie, Hypochondrie, auch
verschiedener Verdauungsbeschwerden ; ein constantes Symptom bei Diabe-
tes; oft aber auch ein Fehler der Erziehung, z. B. bei den Vielfressern,
Steinfressern, AUotriophagen , die später an krankhafter Magenerweiterung
leiden. Bei Kindern und hysterischen Frauen ist es oft mit Gelüste (Pica)
nach ungeniessbaren Dingen: nach Kreide, Leder, Kalk etc. verbunden.
Heftiges, hastiges Greifen nach Speise, mehr noch nach Getränk zeigt in
Fiebern Heftigkeit der Krankheit an. Cur. Sie richtet sich nach den Ur-
U'
APPLICATIO CUCURBITULARÜM ET HffiUDINUM 173
Sachen. Bei Magensäure geben wir Absorbeiitia , leichte animalische' Kost,
bitterie Extracte (s. Amara), bei Nervenübeln Ahtihysterica etc.
Applicatio cucurbitularumi et htrudinuin , die AnwenT
düng der Schröpfköpfe und der Blutegel. In Betreff der ersterii
unterscheidet man blutiges und nichtblutiges (trocknes) Schröpfen
(Applicatio cucurbitularum cum et sine incisione) ; letzteres wirkt wie ein
Rubefaciens, und ist bei Hernia incarcerata, bei Colica flatulenta, bei Zahn-
schmerz, um zu deriviren, und in vielen andern Fällen nützlich. Das
Schröpfen kann häufig die Blutegel ersetzen, ja in manchen Fällen ist es
letztern vorzuziehen, um Blut aus den kleinen Gefässen zu entleeren, wo-
hin ein Aderlass nicht so direct und schnell reichen kann , z. B. bei heftigeü
Augenentzündungen des Schröpfen im "Nacken, eben so bei apoplektischen
Zufällen , bei Angina etc. , ferner bei Congestionen nach innern Organen,
zumal bei solchen, die mit zu geringer Hautthätigkeit verbunden sind; bei
rheumatischen und gichtischen Localleiden , bei Lambago, Ischias nervosa,
Prosopalgie, bei Gelenkentzündungen ist das blutige Schröpfen in der Nach-
barschaft der leidenden Theile fast immer nützlich. Man applicirt nach Um-
ständen 4 bis 16 Köpfe, die man durch ein brennendes, darunter gehaltenes
Licht erst luftleer macht, alsdann sie auf die befeuchtete Haut applicirt,
und bald darauf die roth gewordene geschwollene Hautstelle mit dem aus
1;^ und mehreren schneidenden Lanzetten bestehenden, durch einen Mecha-
nismus aufgezogenen Schröpfschnepper, durchs Abdrücken der Feder dessel-
ben, verwundet, worauf man den Schröpfkopf so oft wieder aufsetzt, bis
er kein Blut mehr hferauszieht. Hinterher reibt man auf die Stellen etwas
Hirschtalg ein. Die altern Ärzte hielten mit Recht viel aufs Schröpfen, das
unsere modernen Ärzte ^ welche jene nicht studiren, oft ohne Grund unter-
lassen, und dagegen Blutegel appliciren. — Die Anwendung der letztern kann-*
ten schon die griechischen Ärzte ; aber sie Wandten sie mit Recht weit spar-
samer an als unsere modernen französischen und deutsch - französischen Blut-
sauger jetziger Zeit. Ich leugne nicht, dass sie in vielen Fällen nützlich
sind, aber der Schaden, der dadurch, zumal bei VVöchnerinnen , oft durch
Entblössung des Theils , durch Erkältung , durch Aufregung des Nervensy-
stems, indem mancher matte Kranke stundenlang mit der Abwartung der
Nachblutung sich anzustrengen hat , erregt wird ; den bringen Wenige in
Anschlag. Es giebt mehrere Arten von Blutegeln; aber nur die echte Art
(JUnido nicdicinalis) kann man gebrauchen. Ein solcher Blutegel , deren
man jetzt eine grosse Menge künstlich zieht (selbst hier mein Freund, der
Dr. Witte) , hat einen platten und schleimigen Körper , einen dünnen Kopf
und dickern Schwanz als die andern Arten , und auf jeder Seite des Rücken»
3 gelbliche Streifen. Der mittlere ist schwarz punktirt und von dem drit-
ten meist noch durch einen vierten schwarzen Strich getrennt. Der Bauch
ist stahlblau und mit gelben Flecken marmorirt. Das zum Ansaugen die-
nende Gebiss ist sternförmig. Das Sammeln der echten Blutegel, die sich
im reinen Wasser mit Sand- und Moorgrund aufhalten, geschieht am besten
an'; heitern Sommertagen.' Die unechten Blutegel aus stehenden Sümpfen
erregen Entzündung und heftige Schmerzen. Wenn sich die Blutegel hau-:
ten, so saugen sie sehr schwer an. Man kann sie Jalire lang ohne alle
Nahrung, nur durch öfteres Darreichen von fi-ischem Wasser, aufbewahren.
Das Ansetzen der Blutegel macht oft viele Mühe. Um es zu erleichtern und
sie dazu aufzumuntern, lässt man die Thierchen unter einer Glasglocke auf
einem trocknen Tuche einige Minuten umherkriechen ; dann nimmt man einen
derselben, fasst ihn mit einem Leinwandläppchen oder steckt ihn in einea
Kartencylinder , so dass das Kopfende hervorragt, und hält nun dies End«
so lange an die gewählte Stelle , aber ohne den Blutegel zu drücken , bis
er sich fest gesogen hat. Wollen die Thiere nicht gern anbeissen, so setzt
man mehrere derselben in ein Glas, bestreicht die Stelle mit ein wenig
Milch , Blut oder Zuckerwasser , und stülpt sie dann mit dem Glase auf
diese Stelle, wo man sie, bis einige gesogen haben, festhält. Die Vorrich-
tungen zm- Application der Blutegel von Cavel , Bach , Löffler , Delaroch»
17* APSYCHIA — ARDOR STOMACHI
nnd Br^er kann man entl)ehren. Soll der Blutegel, der nicht mehr saugt
(wo sein Hals nicht mehr undulirt), und doch nicht Ibslässt (weil er noch
beisst), entfernt; werd^ji:» sq bestreuet man th« mit etwas Salz, welches
dem Thiere Erbrechen macht, weshalb man sie auch, will man sie öfter$
brauchen, pich so ihr gesogenes Blut entleeren lässt. Losreissen darf man
iden Blutegel ja nicht , sonst folgt Entzündung und Exulceration der Biss-
wnnde. — Das Nachbluten befördert man durch Bähungen von lauem Was-
set und dujfch Überlegen warmer leinener Tücher. Oft ist die Nachblutung
BH bedeutend. Kann man hier das Blut durch Feuerschwaram nicht stillen,
so ätze man die Stelle ein wenig mit Höllenstein, tamponire sie, oder ziehe
durch Nadel und Faden die kleine Wunde zusammen. < — Die Indicationen
zur Anwendung der Blutegel sind nach der heutigen Schule sehr mannigfal-
tig. Man will sije in allen Fällen benutzen, wo ein Aderlass nöthig ist,
den sie, da ohnehin ihre Application oft recht quälend für den Kranken ist,
doch nie ersetzen können. Bei localen , nicht bedeutenden Entzündungen,
zumal am Kopfe, sind sie oft recht schnell wirksam, da man sie dem lei-
denden Theile sehr nahe bringen kann. Bei activen und selbst bei passi-
ven ( ? ! ) Congestionen , Irritationen und Inflammationen , gleichviel durch
welche Ursache sie entstanden sind, werden sie heutiges Tages angewandt,
obgleich sie nur bei erstem nützlich sind. Modethorheiten gab es zu allen
Zeiten, imd also auch noch jetzt. Nützlich sind sie caeteris paribus bei xm-
terdrückten Regeln , solchen Goldadern , bei zufälligen Entzündungen der
Gfeschwüre, des Krebses, bei acuter Gicht und Rheuma; doch in allen die-
sen Fällen keine zu grosse Zahl, um nicht die Lebenskraft zu sehr herun-t
tcrzubringen. Bei Kindern ersetzen sie den Aderlass in vielen Fällen. Sie
wirken dadilrch 1) dass sie das Blut, besondecs aus den Haargefössen , wo
es oft stockt , entleeren , dass sie 2) durch ihren Biss die Haut reizen , und
S) dass sie psychisch aufs Gemüth des Kranken dadurch wirken, indem sie
die Aufmerksamkeit von der Krankheit auf sich und auf die Operation ieJT-
tea^ Dass sie auch das Blut nach dem leidenden Organe wiederum hin-
iocken , ist leider ! richtig , zumal wenn ihre Zahl zu gering ist. Gewöhn-
lich entfernt ein grosser Blutegel , iiiclusive der Nachblutung , 2 Unzen
Blut. Bei zarten Kindern setzt man daher, z. B. beim Croup, selten mehr
als 4 bis 6, bei Erwachsenen höchstens 12 bis 16 an. Dass die Franzosen
oft 50 und mehr biiuieu S.^ Stunden an einem Kranken appliciren, ist un-
verantwortlich (s. auch Inflaramatio im Allgemeinen).
ApiBy<}lM»s Ohnmacht, s. Asphyxia.
"' Apyrexia, fieberloser Zustand. Ist die freie Zeit, wo bei Fte'-
fc'rjs intermittens das Fieber ganz nachgelassen hat. ' '
A^ua toffana^ s. Intoxicatio.
Araeluioid.iti/§r, weniger richtig Arachnitis, Jnflammado aruch-
midenR, Entzündung der Spinngewebenhaut des Gehirns; s. Inflarama-
tio cerebri.
Arcliaeus. So nannten Bapt. v. ITelinonl , Theophrastus u. A. den
ursprünglichen allgemeinen Grund des Lebens.
5>i i . . .
,, Archecptoina » der Mastdarmvorfall, s. Prolapsus ex ano.
Arcbocele» H^drocele , . MmtAatnibrmh , s. Hernia inte^tini
recti.
AreliosyriniC , Mastdarmftstel, s. Fistula ani. Auch wird eine
Klvsiiorspritze so genannt.
j^CUfil seniliSj s. Gerontoxon,"
Arcus vener eus. Ist gleichbedeut^»^d , mit ipUorda venerea;
s. Go norr ho ea. '. v ■ '■■.
Ardor stomaehi, vcntricuU, Pyrosis^ Soda, Brennen im Ma-
gen, Sodbrennen. Ist ein Symptom von Verdauungsschwäche und ver-
schiedenen Fehlern der Digestionsorgane, und gewöhnlich mit saurem Auf-
AREA — ARENATIO 175
stossen (Ructus acidiis, Oxyrygmia) vesrbuaden. Cor, Palliative Hülfe
verschaffen für den Augenblick ein Theelöffel voll Magnesia, einige bittere
Mandeln, einige Tropfen Spirit. salis ammon. caust. in einem Glase Wasser,
das Kauen eines Stückchens Ingwer und anderer Gewürze, ein kleines Glas
Pfeffermünzliqueur u. dergl. Die Hauptsache bleibt aber die Radicalcur, wo-
durch die Wiederkehr des Zufalls verhütet wird, also eine höchst geregelte
Diät, vorzüglich leichtverdauliche animalische Speisen, massiger Genuss des
Rothweins , viel Bewegung im Freien , innerlich anhaltend gebraucht Gumm.
asae foetid. , Seife und Fei tauii in Pillenform , auch Folgendes : JE^' Saponis
niedicnti , Natri carhonici «tcct ana 5.ij , M. flaut cum extrnct. trifolii q, s.
pil. poiid. gr. jj, consp. pulv. rad. Uquirit. S. Dreimal täglich 3 — 10 Stück
zu nehmen {Berends). Dabei achte maa auf Äpirrhositäten des Magens,
Krankheiten der Milz, Leber etc., wähle dagegen die zweckmässigsten Mit-
•tel, und vergesse nie, für tägliche Leibe^äöffoung dur<sh Klystiere, Infus,
rad. rhei, sennae, Tüict. rhei aquos. zu sorge« (die kühlenden Purganzen
aus Sal Gla«beri passen hier selten), damit» Jceine nachtheilige Leibesversto-
pfung eintritt. Auch folgeitdes Mittel is<t .gegen ;Sodbrennen, fast specilisch
au nennen: 1^ Ea>tr. rtUne, ■ — gentiamte^ -. — co/rdui bemd. ana Sjj, lÄqttor.
halt carhon. 5j » Aquiie diamomill. , metUh. er. ana §jjj , Tinct. rhei aquo&.
3ß , Titlet, einmtm. öji, Aquae Imirocerotsi 5i- M. S. Vierxaal täglich einen
Esslöffel voll (M.).
Area, s. Alopecia.
Ajrena, S>and, Gries. Ist, ^venn er mit dem Urin cdbgeht, häufig
em Symptom der Harnsteine, oft aber auch ohne diese da; pder gefat der
Harnsteinbildung vorher. Der Nierengries (Acena nephritica, renalis) bildet
kleine, steinige Concrementc im Nierenbecken, die daselbst entweder blei-
ben und sich zu einem Nierensteine bilden, oder in die Blase gehen, wo sie
entweder bald mit dem Urin und nicht ohne Schmerzen abgehien, .oder ver-
weilen und den Kern zu einem oder mehreren Blasensteinen abgehen. Cur.
•Die allgemeine der Steinkrankheit. Palliativ verordnen wir Erauls. amygdal.
dulc. expr. oder Emuls. sem. papav. albi mit etwas Extr. hyoscyauni , Aq.
laurocerasi u. dergl.; s. Liithiasis. ' .. -
Arenatio, das Belegen mit Sand, das sogenannte Sandbad
(^Psammismus , Gammismusy Der Nutzen des erhitzten Sandes zu trocknen
"Fomentationen , entweder unmittelbar oder in Tüchern, Beuteln auf den
Theil gebracht, ist bekannt. Man hat bei Oedema pedum (^Celsus}, bei
Asthma humidum (^Herodot) , bei Rheuma und Gicht, bei Koliken,
Lähmungen etc. das Mittel, bei dem die anhaltende Erwärmung des
Theils wol die HauptWirkung macht, mit Recht empfohlen; denn es be-
wirkt stärkere Erregung der Hautnerven und Capillargefässe , vermehrte
Röthe, Hautausdünstung. Bei plötzlich mit grossen Schmerzen auftretenden
Rheumatismen hat mir der erwärmte Sand besonders herrliche Dienste ge-
leistet (s. Rheumatismus partium ijiternarura No. 2); auch bei zu-
tückgetretenen Fussschweissen passt er zu sogejiannten trocknen Fussbädern.
Seht nützlich ist der angefeuchtete Sand, der Sandsack, zur An-
wendung eines gleichmässig wirkenden mechanischen Drucks, z. B. auf den
Unter'leib gelegt, um gefährliche Metrorrhagien, nach der Entbindung und
Lösung der Placenta entstanden, zu stillen, indem ein solcher Druck den
Uterus zur Contraction reizt, ihre Gefässe comprimirt und die Blutung be-
seitigt wii-d. Es bemerkt zwar v. Siehold (s. dessen Frauenzimmerkrankhei-
ten, .1826. Bd. IT. S. 102), dass dadurch oft eine Inver&io uteri incorapleta
hervorgerufen werde; doch sah ich bei Anwendung des Sandsackes, worein
wenigstens 10 bis 12 2 Sand kamen , diese nie erfolgen , wenn die Blutende
nur recht platt liegt. Auch bei Fracturen des Unterschenkels bedient man
sich des feuchten Sandes mit Nutzen, zumal in den ersten 8 — 14 Tagen
nach der ^'erletzung bis zur Anlegung des Verbandes. Man verfährt dabei
folgendermassen : der gebrochene Unterschenkel wird mit Wachstuch umge-
ben, gehörig exteudirt, und in dieser Richtung bei fortwährender Extension
176 ARGEMA — ARTERIECTASIS
lii ' Wen ' leei'en , echmalen, der Länge des Gliedes entsprechenden Kasten
niedergelegt, dann feiner, trockner Sand von den Seiten hineingeschüttet,
und dieser darauf so lange mit Wasser begossen, bis der Sand den grüss-
ten Theil der untern Extremität als eine feste Mauer umgiebt. Durch das
seitliche Zurückschlagen der Wachsleinwand erscheint die obere Fläche des
Gliedes frei. Der Sand wird durchs Begiessen mit kaltem Wasser stets
feucht erhalten und dient zugleich als kaltes Foment. Hust wendet dies
Yerfaluen gewöhnlich an, welches besonders durch Förster vervollkommnet
•\Vurde. Auth Dieß'enbnch bedient sich desselben bei allen Brüchen des Un-
terschenkels mit grossem Erfolge (s. Husis Handb. d Chirurgie, Bd. II.
S. 247). -^ Zur Unterstützung gebrochener Glieder, zumal des Schenkel-
beinhalsbruches bei Subjecten, wo keine radicale Heilung mehr zu erwarten
ist , auch bei jungen Leuten , wo ein complicirter Apparat nicht gut ans
Hüftgelenk angebracht werden kann, eben so bei falscher Ankylose, die-
nen die Sandsäcke, um anhaltend zu unterstützen und darneben durch einen
RoHapparat zu extendiren. Bei Ancylosis spuria werden zwei gleich
schwere Sandsäcke, deren Gewicht der Indi^•idualität des Falls angepasst
■werden muss, durch einen Gurt mit einander verbunden, und dergestalt ap-
plicirt , dass die Mitte des letztern auf den höchsten Punkt des möglichst
ausgedehnten Gliedes zu liegen kommt. Der Gebrauch dieses Mittels muss
täglich wiederholt werden, anfangs jedesmal 10 — 15 Minuten, später einige
Stunden lang.
Argeina » Argemon , Hornhautgeschwür , s. Ulcus corneae.
Aridulaij das Vertrocknen, Schwinden einzelner Theile
des Körpers, ein Ausdruck, der für partielle Atrophie von EttmüUer,
Sauvages, Linne und Sagar gebraucht worden. (S. Atrophia).
-•, j Arnaldiar* So nennt man eine langwierige bösartige Krankheit,
welche früher in England herrschte und wobei die Haare ausfielen. Man
hielt sie für eine B'orm der Syphilis (s. RusCs Handb. d. Chirurgie, Bd. IL
S. 257). , .
Aromatica» aromatische, ge würz hafte Mittel. Dahin ge-
hören die verschiedenen in der Küche und Apotheke bekannten Gewürze :
Cort. cinnamomi, Rad. enulae , Sem. anisi, foeniculi, Herb, hyssopi , majo-
ran., raphan. rustic, raenth. , melissae, mari veri, Rad. valerianae, serpeii-
tariae,, angelicae, Flor, chamomill.. Herb, rutae, Cort. Winteran. , chinae,
Radi zingib., cal. aromat. , gei urbani, Piper nigr. , long., hispanic. , Cam-
phpra, Vanilla etc. Ihre Wirkung ist theils expectorirend , thells flüchtig
reizend, belebend, stärkend; daher passen sie besonders bei manchen Kräm-
pfen, bei torpider Schwäche, bei atonischen Blutungen, bei Faulfiebern
etc. ; die Auswahl bleibt dem Scharfsinn des Arztes überlassen. So z. B.
dienen die mildern aromatischen Pflanzen: Mentha crisp. , piper. , Flor, cha-
raomillae , Sem. EUiisi , foeniculi bei Kardialgien hysterischer Personen , bei
Colica flatulenta; die Enula, der Fenchel, Anis als.Expectorans , besonders
bei chronischem Asthma , bei Blennorrhöen der Lungen , des Magens alter
Leute; Cort* Winteran., chinae, Rad. zingib., calam. arom. , gei urbani
bei Schwächefiebern, in der Reconvalescenz nach heftigen Fiebern, bei
Faulfiebern (hier besonders auch die Serpentaria und der Kampher); Ing-
wer, Pfeffer etc., besonders bei torpider Schwäche, bei Magen beschwerdea
der alten Säufer, wo auch die Rad. imperatoriae gute Dienste thut , beson-
ders wenn sie des Morgens an Übelkeiten und Schleimwürgen leiden. Hier
hat mir folgende Tinctur, welche unter der Benennung Tinct. ebriorum
Mostii hier bekannt ist, gute Dienste geleistet: Y^ Rad, imperatoriae 5], —
giilarignc , — zingihcris ana ^ü , Rad. gentianae rühr., Cardamomi , Sem.
corinudri ana 3jjj » Spirit. vini rectificat. ^jß , diger. per 24 hör. colat. adde
Extr. scnegac 3jjj » — opii aquos. 5j. M. , wovon dreimal täglich 40 — 60
Tropfen mit etwas Portwein genommen werden.
ArteriectasiS , s. Angiectasis.
ARTERUTIS — ARTHRITIS 177
.Arteriitis» Schlagaderentzündung, s. Inflammatio arteriaruni.
Arteriomalacia, s. Malacosis arteriarum.
Arteriorrliexis, Schlagaderzerreissung.
Arteriotblipsis, das Drücken oder Reiben einer Arterie , z.B. durch
äussern Druck , durch Geschwülste etc.
Arteriotomia, Schlagaderöffnung. Ist diejenige chirurgische
Operation , wo eine unter einem Knochen liegende und daher leicht zu com-
prirairende Arterie, am häufigsten die Art. temporalis, um schnell die Blut-
masse zu vermindern , durchschnitten wird , was bei Encephalitis , Angina
membranacea etc. oft mit Nutzen geschehen ist (^Albers}. Ausser der Arte-
ria temporalis und deren Ästen hat man in geeigneten Fällen auch wol die
Arteria radialis und die Art. digitales volares geöffnet. Indicirt ist diese
Operation, wo man eine -s c hn eile und starke Blutentziehung bewirken
oder rasch Olmmacht herbeiführen will, z.B. bei schwerer Pneumonie und
Diaphragmitis, bei Hirnentzündung, zumal nach Kopherletzungen , bei Apo-
plexia sanguinea, bei Mania furibunda, bei Erhängten, Erstickten, bei be-
deutender arterieller Ophthalmie etc. Da in allen Fällen , wo die Opera-
tion indicirt ist, die Arterie stark ausgedehnt erscheint, so ist das Manoeuvre
gar nicht schwer. Man schneidet die Pulsader wol mit einem Bistouri an
und comprimirt sie oberhalb der Öffnung. Besser ists, sie mit einer Lan-
zette zu öffnen und den Stich scliief longitudinell zu machen und so die
Öffnung zu erweitern. Will die Blutung nachher sich nicht stillen lassen,
so wendet man das Butter'sche Compressorium an. Reicht dies nicht aus,
so muss die Arterie durchschnitten und unterbunden werden. Nie wii'd die
Artcriotomie durch Venaesection oder durch Blutegel , wie Manche meinen,
entbehrlich gemacht.
Arthritis, Artestis, Articulortmi dolores, Morbus articularis, Gicht,
Glieder sucht , Gliederweh, Zipperlein, Diese Krankheit ist die
Folge der nach Aufhebung der sogenannten venösen Dyskrasie (qualitativ
erhöhten Venosität, krankhaften Präponderanz des Venensystems) streben-
den Naturkraft , die hier durch Hervorrufung einer Gelenkentzündung (da-
her auch die Benennung Arthritis die richtigste ist) von specifischem Cha-
rakter als kritisch auftritt (^Pucheli). Andere nehmen eine Gichtmaterie an,
bestehend aus Phosphorsäure oder Harnsäure, oder aus beiden zugleich,
vielleicht mit beigemischtem Stickstoff, die sich aus dem Gefässsysteme durch
die Capillargefässe entladet und ins Zellgewebe und die serösen Häute der
Gelenke geht. (Beide Theorien, wovon die erstere mehr die dynamische,
letztere mehr die materielle Seite der Krankheit anffasst, lassen sich viel-
leicht vereinigen und als primäre und secundäre Zustände der Gicht unter-
scheiden. Mosi). Öfters bilden sich statt dieser voUkommnen Krise ander-
weitige Krankheitsformen aus , die man mit dem Namen der anomalen Gicht
belegt, die aber zweckmässiger nach ihrer Form, z. B, Asthma mit dem
Zusätze: als Folge vereitelter Gelenkgicht, zu benennen seyn
dürften. Gicht müsste eigentlich nur derjenige Zustand genannt werden,
wo es zu einer voUkommnen Krise für die venöse Dyskrasie (für die Aus-
scheidung der sogenannten Gichtmaterie itf.) unter der Form einer wirkli-
chen gichtischen Gelenkentzündung (Gelenkgicht) gekommen ist. Wir beob-
achten hier folgende Arten : Arthritis exquisitn , Gelenkgicht. Sie ist entwe-
der acut (Arthritis acuta , Febris arthritica) , oder chronisch , und erstere
entweder allgemein oder örtlich.
Arthritis acuta universalis , allgemeine acute Gelenkgicht. Sie
zeigt sich in der Form einer allgemeinen Gelenkentzündung, als Folge des
Naturbestrebens, die venöse Dyskrasie zu heben oder die Gichtmaterie von
innen nach aussen zu stossen. Der Grund zu dieser Krise liegt unstreitig
in unbekannten Bestrebungen der Natur, die fehlerhafte, anomale Blutmi-
schung (Folge von diätetischen Fehlern) gerade durch Gelenkentzündung zu
beseitigen ; vielleicht trägt auch krankhaft gesteigerte Empfindlichkeit und
Schwäche der Gelenke dazu bei, dass letztere vor Allem afficirt werden,
Most Eucyklopädie. 2te Aufl. I. 12
178 ARTHRITIS
dass nicht ein atrabilarisches oder inflainmatorisch - biliöses Fieber, welche
ebenfalls für die erhöhte Venosität kritisch werden können, entsteht. Das
Fieber, welches die Gelenkgicht begleitet, ist Coiiflict der Naturkrise und
beruhet auf einem Orgasmus oder Erethismus im gesammten Gefasssystem,
modificirt durch die Individualität, daher bald mit sthenischem, bald mit
asthenischem (doch wol nicht bei der Athritis acuta? 3f.) Charakter auf-
tretend , doch häufiger den Charakter einer Synocha lyraphatico - sanguinea
von verschiedenem Grade, in böherm Grade den einer Febr. inflammatoria
erysipelatodes an sich tragend. Symptome und Verlauf. Nachdem
kürzere oder längere Zeit die , auch den Hämori'hoiden , der Lithiasis , der
Hypochondrie etc. eigenthümlichen , von Reil trefflich geschilderten Vorboten
(Stadium praeparans) vorhergegangen sind, namentlich: gestörte Verdauung,
abnorme Function der Schleimhäute , gestörtes Gemeingefühl , krankhaft
veränderte Nerventhätigkeit , besonders im Systema gangliorum, örtliche
Zufälle an den vorzüglich zu ergreifenden Partien : Zucken , Jucken , Ge-
fühl von Wärme, von herumziehender Kälte, Varices, Taubheit, Schwere,
spastische Constrictionen , Muskelschmei-zen mit oft darauf folgenden Sugil-
lationen (besonders bei Blondinen und ohne äusserliche Verletzung entste-
hend , Af .) , Ameisenkriechen , flüchtige Stiche in den Gliedern etc. , tritt
das zweite Stad. , das der Gelenkentzündung, ein. Es stellen sich Schmer-
zen, besonders des Nachts, im Gelenke ein, dasselbe schwillt varikös an,
dabei Schauder, Fieber mit allgemein verbreiteter Hitze, sparsamer, dun-
kelgefärbter, mit phosphorsaurer Kalkerde überladener Harn und allgemein
verminderter Ab- und Aussonderungsprocess in den übrigen Organen. Das
Fieber und der Gelenkschmerz währen gewöhnlich 24 Stunden , alsdann
folgt vermehrte Diuresis und Diaphoresis. Statt der aufgetriebenen Venen
der ergriffenen Gelenke bildet sich nun GeschwTilst und Entzündung dersel-
ben ( Syndesmitis , Myositis, Neuritis, selbst Osteitis), und das Gelenk
schmerzt bei der Berührung. Hiermit ist die Sache aber noch nicht abge-
macht. Das Fieber und die Schmerzen, auch wenn die Gelenke nicht be-
rührt werden und der Körper in Ruhe erhalten wird , exacerbiren des
Abends noch 3 — 4 Tage, doch in geringerem Grade, und lassen mit Ta-
gesanbruch nach. Bei den ersten Anfallen, welche die allgemeine acute
Gelenkgicht macht, so wie bei kräftigen Naturen ist hiermit der Gichtpar-
oxysmus beendigt, und es tritt das dritte Stadium (Stadium criticiun) lui-
ter örtlichen oder allgemeinen Schweissen, trübem Harn mit röthlichem,
harnsauren Gries enthaltendem Bodensatze, unter Jucken der Gelenke und
feiner Desquamation der Haut (yne nach Ei-ysipelas) ein, worauf der Kranke
sich so wohl befindet , wie es selbst vor dem Anfalle nicht der Fall war.
Die Paroxysnien kommen aber wieder; anfänglich nur alle 2 — 3 Jahre, spä-
terhin jälulich einmal, dann in jedem Herbste und Frühling, endlich noch
öfter, ja sie werden zuletzt fast habituell. Je öfter das Übel recidivirt,
desto heftiger tritt es auf, desto länger währt der jedesmalige Paroxysmus,
so dass jeder einzelne Anfall sich zuletzt vor 14 Tagen nicht entscheidet;
desto mehr nimmt auch der Gelenkschmerz und die Geschwulst an Inten-
sität zu und es bleiben Entartungen: Gichtknoten (Tophi arthrit. , Gum-
roata), die aus phosphorsaurem Kalke bestehen und die Beweglichkeit des
Gelenks mehr oder weniger vermindern, nicht selten auch zui* chronischen
Gelenkgicht Veranlassung geben, zurück, Ursachen. 1) Prädisponi-
rende sind: die erbliche Anlage zur Gicht (Dispositio arthritica haeredi-
taria) , welche auf ererbter Empfindlichkeit des Nervensystems in Verbin-
dung mit ebenfalls häreditär begründeter, sich im mittlem Lebensalter (vom
34sten bis 45sten Lebensjahre , selten früher ! ) aus der Anlage entwickeliider
erhöhter Venosität im Pfortadersysterae beruhet. Grösser ist die Anlage bei
robusten Constitutionen und beim männlichen Geschlecht , als bei schwachen
Naturen und beim weiblichen Geschlecht; sie spricht sich auch durch einen
eignen Habitus (Habitus arthriticus) aus, der sich durch einen runden Kopf,
dicke Knochen, spröde Haut, atonische, schwammige Constitution, eigen-
thümliche Physiognomie, sanguinisch - cholerisches Temperament etc. zu er-
ARTHRITIS 179
kennen giebt. Am häufigsten finden wir die Gicht in den gemässigtem Zo-
nen Europas , an den VIeeresküsten , in sumpfigen , niedrigen Gegenden :
in Holland, England, in Norddeutschland. 2) Gelegenheitsursachen.
Sie erzeugen die Gicht um so schneller, je mehr sie mit den genannten
prädisponirenden Ursachen zusammentreffen, doch können sie auch in ge-
sund gebornen Körpern die Anlage zur Gicht allein begründen und sind
dann als prädisponirende und occasionelle Momente zugleich zu betrachten.
Hierher gehören der Missbrauch spirituöser Getränke, besonders des Rhein-
weins, des Ciders, der Weine der Insel Kreta, Missbrauch des Essigs, der
Mineralsäuren , des Thees und Kaffees , des Fleisches gemästeter Thiere,
des fetten Fleisches, der Gewürze, des Öls, der gesalzenen und geräucher-
ten Fleischspeisen , des Käses, schwerer Schleim- und Mehlspeisen , Excesse
in Venere, Onanie, sitzende Lebensart , zu starke Geistesanstrengungen, zu-
mal zur Nachtzeit, Kummer, Sorgen, Ärger, Schreck und schwächende
Leidenschaften aller Art, anhaltende Unterdrückung der Hautausdünstung
durch Wohnen in feuchten, kalten Gegenden, Wohn- und Schlafzimmern,
durch zu leichte Bekleidung, kalte Bäder, zurücktreibende Mittel bei Haut-
ausschlägen, Amenorrhoe, Menostasie, Haemorrhoides suppressae, Unterlas-
sung gewohnter Aderlässe , anhaltende Leibesverstopfung , gehinderte Sa-
menausleerung (? itf.). Cur. 1) Während des Anfalls. Man berück-
sichtige das Fieber und behandle es seiner Natur nach. Bei hohen Graden
von Entzündung dienen Aderlässe, jedoch mit Vorsicht und höchstens zu
8 Unzen und in den ersten Anfällen, kaum je zu wiederholen, ausser bei
einer zu befürchtenden Encephalitis, stets am Fusse; dabei eine antiphlo-
gistische Diät (in niedern Graden der Synocha diese allein), erschlaffende,
mucilaginöse Ptisanen, Potio Riverii, Emuls. amygdal. mit Nitrum, Abends
und Morgens gr. fi — j. Merc. dulc. , bei träger Darmöffnung keine Laxan-
zen , sondern eröffnende Klystiere , bei gastrischem Charakter des Fiebers
ein Brechmittel , Infus. Laxat. Vienn. , jedoch letzteres nur zu Anfange des
Anfalls , später gereicht erzeugt es oft Metastasen auf den Darmcanal ; bei
Neigung des Fiebers zur Febr. nervosa (was in den ersten acht Tagen wol
selten der Fall ist, 3f.) Serpentaria, China, Sulph. aurat. , Spirit. Minde-
ren, Arnica; bei Status pituitosus Salmiak mit Tart. emet. in refracta dosi
etc., Laxanzen, auch Kalomel mit Vorsicht; dabei Ruhe des Körpers und
der Seele und ein passendes, in den meisten Fällen kühlendes, reizloses
Regimen. 2) Örtliche Behandlung. Die afficirten Theile, das lei-
dende Gelenk, werden in Baumwolle, Flanell, Kaninchen-, Katzenfell, in
Schütz'schen Wachstaffet, in Wachspflaster, Schafwolle, in aromatische
Kräuterkissen mit Kampher (doch nicht gleich anfangs und nur dann, wenn
der Kranke ihn verträgt , M .) gewickelt ; auch passen Einreibungen mit er-
wärmtem Ol. hyoscyami oder Unguent. hyoscyami ; dagegen sind kalte und
nasse Umschläge höchst gefährlich ; auch Blutegel und Schröpfen sind nur
bei hohen Graden örtlicher Entzündung, mehr bei jungen Leuten und nur
in den ersten Anfällen anzuwenden ; äussere reizende spirituöse Mittel , Ru-
befacientia und Vesicatorien sind zu meiden ; die gegen den Schmerz em-
pfohlenen wai-men, nassen Umschläge aus Seifenwasser mit Extract. opü,
von 1 Theil Opium und 6 Theilen Spirit. Minderen mit Flanell überge-
schlagen, und andere ähnliche Duige können gefährliche Metastasen en-egen
und sind daher nicht anzurathen , es müsste denn ein wahrer atonischer
Charakter im entzündeten Theile stattfinden; dann ist aber auch wenig
Schmerz da. Das Beste bleibt bei der örtlichen Gichtentzündung immer
Geduld luid Flanell (M.), damit die Krise nicht gestört werde. Bei sen-
siblen, zarten Constitutionen kann man zur Linderung der Schmerzen, der
sclilaflosen Nächte etc. wol mit Vorsicht das Pulv. Doweri, das Extr. hyos-
cyami versuchen, und damit nur dann fortfahren, wenn es dem Kranken
gut bekommt. Nach den Anfallen nützen leichte Diaphoretica , warme Bä-
der, Species lignorum; bei erfolgenden Durchfällen und Schweissen China,
Amara, Eisen, besonders Pyrmonter Brunnen, eine nährende, nicht erhitzende
Diät; bei Zeichen von gastrischen Beschwerden, vorsichtig Darmausleerun-
12»
180 ARTHRITIS
gen erregende Mittel , die jedoch nicht zu oft zu wiederholen , sondern bald
mit Quassia, Kalmus^ Caryophyllata zu vertauschen sind. 3) Behand-
lung zwischen den einzelnen Gich tan fällen. Es nützen hier eine
ausschliesslich vegetabilische Diiit , die Erdbeeren - , Weintraubencur , be-
sonders bei atrabilarischen, mit guter Digestion versehenen Subjecten ; die
Milchcur, wenn sie der Magen verträgt, daneben tägliche fleissige Bewe-
gung iflj Freien. Wein muss , wenn der Kranke daran gewöhnt ist , massig
genossen werden , und zwar nur Rothwein ; Plethorische und Hämorrhoida-
rien müssen viel Icaltes Wasser trinken , für alte Arthritische passt ein gut-
gegührenes Bier, mehr feste als flüssige Nahrung , Trinken nicht ohne Durst,
und auch bei diesem nur sparsam; junge, saure Weine, junges Bier, Essig,
Gewürze, Salz, Fett, sind möglichst zu vermeiden. Man sehe indessen
auch auf die Gewohnheit des Gichtischen und bringe ihn nicht zu schnell
von derselben in der Wahl der Speisen und Getränke ab. Im Allgemeinen
empfiehlt sich eine mehr gemischte (thierisch - vegetabilische) Kost , w enig
Fleisch, öfteres Essen und jedesmal wenig, keine gekünstelten Gerichte.
Sehr heilsam sind trockne Frictionen der Glieder und Gelenke mit Flanell,
noch besser mit der in England üblichen Fleischbürste (Morgens und Abends
Y4 Stunde lang) , fleissige Bewegung der ergriffen gewesenen Theile , da*
Tragen von wollenen, mit Wachstatfet gefütterten Socken, die jedesmal,
so wie sie feucht geworden , mit andern zu verwechseln sind ; sie passen
aber nur für alte Gichtkranke ; junge Leute müssen die Theile mehr kühl
halten, doch vor Nässe schützen. Warme Bekleidung (Gesundheitsfianell-
hemde), zumal in rauher Jahreszeit und solchem Klima, angemessene Be-
wegung zu Fusse, Fahren, Reiten, zumal Vormittags, Fechten, Kegeln,
Jagd , nur nicht mit vollem Magen , Aufheiterung des Geistes , ein nicht zu
langer Schlaf, Massigkeit im Coitus , in Geistesarbeiten, Reisen in warme
Gegenden, der Gebrauch der warmen Bäder (Aachen, Karlsbad, Wiesba-
den, Warmbrunn, Eilsen, Nenndorf), der warmen See- und Soolbäder,
wodurch die Se- und Excretionsprocesse befördert werden, alle diese Dinge
sind Gichtkranken wohlthätig. Von Arzneimitteln sind hier zu empfehlen:
Antimonialia, Schwefelmittel, Dulcamara, Guajacum, Ammonium, Camphora,
Spec. lignorum , diuretische Mittel: Vinum Colchicum, Tinct. colchici, Ol.
jecor. aselli, Decoct. Zitt'manai, ausgewählt für die speciellern Fälle, be-
sonders bei atonischer Gicht und nach den Regeln der Therapie; alle diese
Mittel passen aber nicht bei hoher Reizbarkeit und Erethismus im Gefass-
sjsteme. Auch Mittel, die die Digestion und Assimilation bethätigen, sind
zu verordnen, doch erst nach vorher geminderter Reizbarkeit, nach Ausfüh-
rung etwa vorhandener Infarcten. Hier passen dann Resolventia, vorsichtig
interponirte Laxanzen, Antispasmodica , Gewürze mit und ohne bittere Mit-
tel; endlich stärke man die festen Theile durch China, Amara, Eisen, doch
erst nach beseitigter erhöhter Reizbarkeit des Gefass - und Nervensysteme
und nach Entfernung materieller Reize, z. B. der Infarcten, Alsdann pas-
sen zuletzt kalte Seebäder, Marienbad, Pyrmont.
Arthritis acuta partialis, die örtliche acute Gelenkgicht. Es
leiden hier an gichtischer Alfection nur einzelne Gelenke: a) das Rückgrat
(RUachiagra) , b) die Schulter (Omagra) , c) das Ellbogengelenk (Pechiagra),
d) der Vorderarm oder die Hand (Chiragra), e) die Hüften (Ischiagra,
Lumbago), f) das Knie (Gonagra), g) die Füsse (Podagra). Alle diese
Formen acuter Gicht sind mit stärkerm oder gelinderm Fieber verbunden
und liabon Vorläufer, Ursaciien und Cur mit einander gemein. Da das Pod-
agra jedoch die häufigste Form dieser örtlichen acuten Giclitformen dar-
stellt, so will ich hiervon noch kürzlich besonders reden. Das Podagra,
nur Eigenthum des reifern Alters , entsteht wie die Arthritis acuta universa-
lis (s. oben); doch mit der besondern Tendenz, nur die Fussgelenke patho-
logisch zu afficiren. Das Übel beginnt an den Gelenken der grossen Zehe,
zeigt sich besonders z\>ischen dem ersten Gelenke \u\i\ dem obern Os me-
t;Uarsi, jedoch auch oft am Tarsus sell)st, wo sich Geschwulst, Röthe und
Schmelz einstellen, und, zumal im Anfange, Ficbcrbewugungen nicht aus-
'\ ARTHRITIS 181
bleiben , ganz ähnlich der Arthr. acuta universalis. Cur. Bei leichtent-
zündlichem Zustande und massigem Fieber reichen ruhiges Verhalten, hori-
zontale Lage des Schenkels, Warmhalten des Fusses, Einwickeln mit Fla-
nell, Vermeidung alles Reizenden und der Erkältung, Sorge für gelinde
Diaphoresis , und eine antiphlogistische Diät hin ; im höhern Grade sind Ader-
lässe, Schröpfen, Blutegel an das leidende Fussgelenk, innerlich Nitrum,
Magnes. carbonica als Scudamore'sche Mixtur (l^ Magnes. carbon. 5j^,
Aquac menth. crisp. 31V, Acet. colchici, Syr. aurant. ana g^j , alle drei
Stunden 1 Esslöffel voll) , bei Neigung zu Diarrhöen Salmiak mit Succ. li-
quiritiae , massiges , erweichendes Getränk , in den folgenden Tagen Nitrum
mit Kampher nothwendig. Bei Schwäche und altern Podagristen nützen
aromatischer Thee, Spirit. Minderen, Antimonialien , reizende Diät, Wasser
mit süssem Weine zum Getränk, bei noch grösserer Schwäche Kampher,
Serpentaria, Valeriana , Phosphor , Opium (jedoch mit Vorsicht!), mit
Aroma und ätherischen Ölen, Sal volatile, Moschus, nährende, reizende
Kost, Einhüllen des Fussgelenks in Wachstaffet, in reizende warme Um-
schläge , wenn wenig Schmerz und Entzündung da ist. Die Engländer rüh-
men beim podagrischen Anfalle Vinum Colchicum ; wovon der Verfasser aber
keinen Nutzen sah. Cur des Podagras nach dem Anfalle. Ist ganz
dieselbe, wie nach Anfällen der Arthr. acuta universalis (s. oben).
Arthritis chronica , die chronische, desorganisirende, zerstö-
rende Gelenkgicht. Ist eine chronische (passive) Entzündung oder
Paraphlogose entweder eines einzelnen oder, häufiger, mehrerer Gelenke
und deren Nachbarschaft (Arthr. chronica universalis, A. topica chronica,
i. e. Podagra, Chiragra etc.^ , von exsudativem Charakter, also mit Nei-
gung zur Entartung der Gelenke, Verdickung der Gelenkschmiere, zur Bil-
dung der sogenannten aus Harnsäure, animalischer Gallerte, Natrum und
phosphorsaurem Kalk bestehenden Gichtknoten (Tophi , Tubercula arthritica),
und selbst zur Entartung der Knochen (s. Arthrocace). Bald ist dies
Übel ohne alles Fieber , bald mit Febr. continua remittens , mit hervorste-
chender Nerven- und Verdauungsschwäche, mit Neigung zur lenta hectica
verbunden; es verläuft chronisch, währt Jahre lang, oft das ganze Leben
hindurch, intermittirt oder remittirt (Arthr. habitualis); die Anfälle erschei-
nen unregelmässig, weniger heftig als bei Arthr. acuta, die häufig zur chro-
nischen wird; die Gelenke werden schwach, steif, aufgetrieben, zuletzt un-
beweglich; hierzu gesellen sich dyspeptische Beschwerden, Hämorrhoiden,
schleimiger, röthlicher, ammoniakalisch riechender Harn mit Sedimentum
vasaceum , Nieren - und Blasenleiden , Griesabgang , welche Zufälle häufig
mit den arthritischen Paroxysmen alterniren (überhaupt scheint die Lithiasis
zwischen dem Hämorrhoidal- und Gichtübel in der Mitte zu stehn und eine
nicht erwünschte Krise für beide Übel auszumachen M.) , starke , ammonia-
kalisch riechende Schweisse , die oft coUiquativ werden, Neigung zu Zorn
und Ärger, Zufälle krankhaft alienirter Nerventhätigkeit , sowie abnorme
Se - und Excretionen ; fast immer werden die Knochen der leidenden Ge-
lenke, aber auch die Röhren- und breiten Knochen ergriffen, sie werden
locker , porös , aufgetrieben , nodös , es bildet sich Ankylose unter ihnen,
die Knorpelscheiben verknöchern sich oder schwinden, und mancherlei Ent-
stellungen der Gelenke sind die traurige Folge. Die chronische Gicht ent--
steht bei unvollkommen organisirten (asthenischen) Subjecten und wenn das
Unterleibsvenensystem mit seinen Organen zu sehr überwiegt, zu reizbar ist,
so dass der Naturkraft die Beseitigung der venösen Dyskrasie nur unvoll-
kommen gelingt, daher der Zustand zwischen Arthr. retenta und imperfecta
in der Mitte steht. Es fehlt hier am Reactionsfieber der acuten Gicht , an
Kraft zur Hervorrufung tüchtiger Krisen durch Schweiss und Urin wegen
allgemeiner Schwäche des Körpers, hervorgebracht theils durch zu knappe
Diät, theils durch Geistes- und Körperanstrengungen, durch eine übertrie-
bene antiphlogistische Behandlung der acuten Gicht etc. Cur. Bei noch
einigermassen zu unterscheidenden einzelnen Gichtanfällen dienen Infus, rad.
serpentar., valerianac, Extr. aconiti, Camphora, Spirit. Minderen, z. ß.
182 ARTHRITIS
I^ Rad. vaterimae 3vj , — serpcntnrinc 3jjj > inftmil. c. aq. ferv. q. s. ui
rem. 3vjjj , col. adde Spirit. Mmdereri 5])^ , Extr. aconiti ^^ , Syr. nuran-
tior. 5J, Spir. sah diilc. 3j. M. S. Zweistündlich 1 Esslöffel ^■v\\ (M.);
dabei etwas reizende Kost, guter alter Wein, Warmhalten der Theile, wie
bei der acuten Gicht angegeben; auch kann man hier weit dreister als bei
letzterer reizende Einreibungen in die leidenden Theile anwenden , z. B. :
I^ Petrolei, Ol. olivar. ana gj, Camphorae 3j » Lnudnn. Uqiiid. Syd. 3j(>»
Spirit. saJ. ammon. catist. 5vj , Vnguent: mercurial. 3jj« M. S. Täglich drei-
bis viermal 1 Theelöffel voll einzureiben (3f.). Diese Salbe bewirkt oft
Zertheilung der Tophi, Erweichung derselben; bei Osteitis passt zum Ein-
reiben das Unguent. mercurial. einer. , auch das Unguent. mercur. alb. in
starken Dosen; darüber Empl. mercuriale und Wachstaffet. Auch dient hier
folgende Composition: I^ Ol. terehinih. ^j , Spir. camphorat., Spir. sah am-
mon. camt. ana 5IV. M. S. Zum Einreiben. Auch Einreibungen von Phos-
phor (Phosphor, gr. v. solve in Ol. amygdal. dulc. 5J ) , von Ung\ient. di-
gital, purp. 5J , Merc. praecip. alb. 5j — ^iv, bis Ausschlag entsteht; fer-
ner das Unguent. hyoscyami mit Kali hydriodicum, Extr. belladonnae, Wa-
schen mit ätherisch - Spirituosen Dingen (s. die Formel bei Amaurosis nach
Bimhj) sind bei Gichtknoten sehr wirksam ; desgleishen Waschungen von
Acid. nitric. pur. , Acid. muriat. pur. ana 31I , Aq. destillat. jxvj ; Räuche-
ningen von 3 — 6 Drachmen Sulphur. depurat. während einer halben Stunde
angewandt im Gales'schen Apparate , wie man ihn zu Dobberan und an an-
dern Orten findet ; bei grosser Empfindlichkeit des Gelenks lege man Empl.
theriacae , opia't. , hyoscyami , oder auch folgende Composition auf : I^» Succi
recent. hyoscyami, papav. alb., — — phellandr. aqunt. ana gjj , in-
spiss. leni igne ad extr. consistentiani , adde Cer. liquefact. 3IV, Ol. lavan-
dulae 5J^. M. Bei Atonie lege man auf die Gichtknoten Empl. foetid. , me-
lilot. , c galbano crocat. , ammoniac. , hydrargyr. saponat. ; empl. cantharid.
(in die Nähe des leidenden Theils , bei grossem Torpor auf denselben). Bei
Empfindlichkeit dienen Fomentationen aus Schierling , Seife etc. , z. B.
^ Herh. cicutae, — hyoscyami ana 31V, coq. q. aq. ferv. q. s. ad colat. ??j,
adde Sapon. all. 5JJ. M. solvendo. S. Mit Flanell umzuschlagen. Auch
künstliche Geschwüre in die Nähe des leidenden Theils, allgemeine Schwe-
felbäder, besonders aber die mehrwöchentliche Anwendung der Elektricität
und des Galvanismus (3f.) , Schwefelschlammbäder, Aachen, Karlsbad, Ems,
Freienwalde , Töplitz , Warmbrunn , warme Soolbäder , zur Nachcur beson-
ders Pyrmont und kalte Seebäder, aber auch Bäder aus warmem Wasser
zu 23 — 28 "R. mit gjjj — v Pulv. gross, herb, chrysanthi, jjj — jjj Herb,
cicutae und hyoscyami, giv Herb, sabinae, sowie mit ßjfj — jjj Acid. muriat.
versetzt, worin V45 V2 — V* Stunden verweilt wird; in hartnäckigen Fällen
passen selbst Bäder aus warmem Wasser, worein folgende Mittel gegossen
werden, und worin 20 — 30 Minuten gebadet wird: fy Sal ammoniaci 3JJ,
Merc. sublim, corros. 3f>5 Spirit. sabinae gvj, Aqunc sabinae §xvj. M. {Kop^ii).
Ein solches Bad darf nur drei- bis viermal wiederholt werden, und zwar
nimmt man alle 2 — 3 Tage nur eins. Auch lobt man sehr Fussbäder, mit
Salpetersäure versetzt, Dampfbäder, Douche, Regenschauerbäder, kalte
Übergiessungen nach Schmidfs und Barries' Anleitung, bei Ankylose vor-
züglich das ameisensaure Dampfbad , das muriatische Dampfbad , z. B. zu
Ischl; endlich Räucherungen mit Bernstein, Mastix, Olibanum. Innerlich
nützen in grossen Gaben und anhaltend gebraucht: Gumm. asae foetid.,
Guajacum , Antimonialia , Schwefelmittel , Dulcamara , Cicuta , Aconitum,
Belladonna, Sabina , Ol. jecoris aselli, Ol. terebinth. ; in schlimmen Fällen
selbst der Sublimat und die Hunger- und Schmiercur nach Riist. Der an-
haltende Gebrauch der Spec. antarthrit. Seilen (bestehend aus Turion.
pini., Bacc. juniperi, Lign. guajac. und Rad. liquirit. ana) bei gichtischer
Lähmung mit Arnica, bei vorwaltender Magensäure innerlich Aq. calcis,
Tinct. colocynthid. , bei Abdominaltorpor und 1 ähmungen ; Eau medicale
d'Husson , das Portland'sche und Carmer'sche Mittel , alle diese in den ver-
schiedenen Handbüchern der Therapie näher bezeichneten Mittel gegen diese
ARTHRITIS 183
Gicht hat der Arzt nach Verschiedenheit der Umstände auszuwählen, wobei
er zugleich darauf zu sehen hat, 1) dass sich die venöse Dyskrasie aus-
gleiche und die Gichtstoffe durch die bekannten Krisen entfernt werden,
2) dass alle Se- und Excretionsorgane in Thätigkeit erhalten, 3) die vor-
itandenen Schmerzen gemässigt, 4) die erhöhte Empfindlichkeit gehoben und
5) die vorhandene Schwäche der Digestionsorgane verbessert; endlich 6) dass
die Complicationen des Übels mit Hämorrhoiden, Lithiasis gehörig gewür-
digt werden. Hier passen vorzüglich innerlich und äusserlich Schwefel,
Magnesia, Cremor tartari, die schon genannten IVIineralwasser etc. ; s. Hae-
morrhoides und Lithiasis.
Arthritis tvnomala, in-egularis, anomale, unregelmässige Gicht.
Hierher rechnen wir verschiedene Zustände; a) Arthritis relenta, b) Arthr.
iviperfede evoluta, c) Arthr. atonica, d) Arthr. vatja, e) Arthr. retrograda,
f) Arthr. rheumaiica, wovon der Reihe nach hier gehandelt werden soll.
Arthritis retentn, larvata, occulta, snppressa, incongriia, Arthr. visce-
rum, die verhaltene, unterdrückte Gicht, Barthez's Eingewei-
degicht. Ist die Folge der von der Natur eingeleiteten, aber verhinderten
Aufhebung der venösen Dyskrasie durch Entzündung der Gelenke, einer-
seits bedingt durch Mangel an austreibender Kraft im erkrankten Körper,
anderseits durch überwiegend krankhaft erhöhte Reizbarkeit der afficirten
Organe. Statt der Gelenkgicht erscheinen hier Neurosen aller Art : Hypo-
chondrie, Hysterie, Asthma, Lungensucht, Schlagttuss, Manie, Affectionen
des Heizens und der Gefasse; Brustbräune, manche Arten von Schwindel,
scheinbare organische Herzkrankheiten, Abdominalpulsationen , Carditis chro-
nica, Hämorrhoiden, Augenentzündungen, Dysphagie, Glaucom, Cataracta,
Amaurose, Blennorrhöen des Darmcanals, der Lungen, der Scheide, der
Urethra, Catarrhus suffocatiyüs , chronische Exantheme (Krätze, Flechten,
Friesel , Blutschwäre) , gichtischer Kopfschmerz (^Ccphalagrn) , Blutungen
aus Nase, Mund, Lungen, Urin Werkzeugen , Geschlechtstheilen , After; Hel-
kosen, zumal in der Nähe der Gelenke, mit breitem, phagedänischem Grunde,
harten, callösen Rändern (s. Ulcus arthriticum); Wechselfieber, Ma-
genkrampf , Erbrechen , Soda , Pyrosis , Kolik , Heisshunger , Diarrhöen,
Dysurie , Harnverhaltung , Nephralgie , Harngries - und Steinabgang , Car-
bunkel , Stricturen , Excrescenzen der Urethra , Metritis chronica mit dar-
auf folgender Induration , ein der Peripneuraonia netha ähnliches , häufig mit
Apoplexia pulmonum endendes Brustleiden , zumal bei alten Gichtkranken ;
Hydrothorax, Hydrocele, Drüsenanschwellungen und Verhärtungen der Ho-
den, der Nebenhoden, des Samenstranges, Rhachitis und Scropheln. Die
arthritische Natur dieser Übel wird erkannt aus der Abstammung von gich-
tischen Eltern, aus dem Habitus arthriticus, aus endemischer, klimatischer
Anlage zur Gicht , aus einer vorher geführten schwelgerischen Lebensart,
Kxcessen in Baccho et Venere, aus der Natiu" der leidenden Theile selbst
(es leiden vorzüglich die häutigen, faserigen Gebilde; die Beschwerden er-
scheinen paroxysmenweise und regen sich durch klimatische Einflüsse : Nässe,
Kälte , aber auch durch fehlerhafte Diät im Essen und Trinken , durch Ge-
müthsbewegungen, Geistesanstrengung ; es zeigen sich periodische Schmer-
zen und ein erdiger, trüber Harn mit kalkartigem, rothsandigem, harnsau-
rem Bodensatze etc.) ; aus dem besondern Zeichen der Strangurie , wobei
der genannte Harn abgeht, worin weisse, halbdurchsichtige Fäden schwim-
men, aus der Indicatio ex juvantibus et nocentibus, indem nur antarthriti-
sche Mittel heilsam sind etc. Cur. Innerlich China, Valeriana, Serpen-
taria, Kampher, Spirit. Mindereri, Kalmus, Ol. animale Dippelii, Ol. caje-
puti , Extr. aconiti in Naphtha oder Liquor gelöst , Dulcamara , Decoct.
Zittmanni, Arnica, sibirische Schneerose, Flammula Jovis , Hex aquifol.,
Asa foetida , Opium in kleinen Do«en ; äusserlich Rubefacientia , Vesicantia,
Autenrieth's Salbe in die Nähe der leidenden Theile, Einreibungen von Li-
nim. volat. camphorat. 3J und Tinct. cantharid ^)\, Soolbäder, Elektricität,
Galvanismus. Alle diese Mittel passen bei Mangel an austreibender Kraft
im erkrankten Individuum. Dagegen dienen bei Gallenanbäufungen, gastri-
184 ARTHRITIS
sehen Zeichen und Schleimanhäufungen in der Luftröhre Brechmittel, Infus,
sennae mit Sal amar. und Liq. anodyn. , Guajaksolution ; bei venöser Tur-
gescenz und Plethora Aderlass {Tott) ; bei spastischem Zustande und Stockun-
gen Pulv. Plummeri, Doweri, Extr. aconiti, Flor, sulphuris, Aethiops an-
timonial. , Asa foetida , Karlsbad , Spirit. Minderen mit Extr. hyoscyami.
Aqua laurocerasi, Schwefelbäder mit aromatischen Kräutern versetzt, Ein-
reibungen in die Nähe der leidenden Theile von Unguent. mercurial. einer,
und Linim. volatile. Überhaupt richte man sein Augenmerk auf Vermehrung
der Diuresis und Diaphoresis , wodurch die Gichtstoffe am besten ausgeschie-
den werden.
ArthritÜ! impai'ecte evoJutn , die unvollkommen entwickelte
Gicht. Hier bilden sich unregelmässig verlaufende, in der Regel nicht
sehr heftige Gelenkgichtanfälle, welche häufig mit verschiedenen andern,
oben genannten Krankheitsformen (s. Arthritis retenta) in Verbindung
vorkommen , diese oft mindern , ja mit ihnen oft ganz alterniren , was be-
sonders mit den Hämorrhoiden und den Steinbeschwerden der Fall ist. So
beobachtete Verfasser dieser Abhandlung auch einen Fall, wo bei unvoU-
kommner Gelenkgicht gleichzeitiges Cephalagra stattfand. Die Arthr. im-
perfecte evoluta entsteht auf dieselbe Art, wie die Arthr. retenta, nur mit
dem Unterschiede, dass die venöse Dyskrasie zum Theil schon durch eine
(freilich nicht hinreichende, also unvollkommne) Affection der Gelenke ge-
hoben ist. Cur. Bei Mangel an hinlänglicher Naturkraft des Kranken die-
nen alle die innern und äussern Incitantia und Roborantia, die oben (s.
Arthr. retenta) angegeben worden sind, welche entweder die Gicht in
den Gelenken vollkommen entwickeln oder durch andere Krisen (Schweiss,
Ur'n) aufheben. Sind Stockungen hauptsächlich Schuld an dieser Krank-
heitsform, so passen vorzüglich Akonit, Guajak, Dulcamara, Schwefel, An-
timonium , Karlsbad ; wodurch zugleich die erhöhte Reizbarkeit in den lei-
denden Theilen abgestumpft wird, zumal, wenn man mit den genannten
Mitteln Antispasmodica verbindet.
Arthritis diaphraymatica , Brustbräune, s. Angina pectoris.
Arthritis atonicn, atonische Gicht. Statt früher vorhanden gewe-
sener Anfälle von Gelenkgicht (weshalb die Diagnose hier leichter als bei
Arthr. retenta ist) bilden sich hier unter zunehmender Körperschwäche und
anfänglicher Arthr. vaga von einem Gelenke zum andern die verschiedenen,
oben bei Arthr. retenta aufgezählten Krankheitsformen , selbst Entzündungen
innerer Organe (s. Arthr. retrograda) , und es findet zwischen ihnen und
der Gelenkgicht wol auch ein Wechsel statt. Ursachen. Schwache Or-
ganisation mit erhöhter Empfindlichkeit (Dispositio ad arthritidem atonicam),
das weibliche Geschlecht leidet häufiger als das männliche daran , alte
Gichtkranke und Personen höhern Alters mehr als junge Personen und junge
Gichtkranke ; die besondere Form der atonischen Gicht hängt ab von der
Präponderanz des afficirten Organs in Betreff seiner Empfindlichkeit, welche
oft an ein gewisses Lebensalter gebunden ist. So z. B. treten Asthma,
Phthisis arthritica oft in dem mittlem, Blasenleiden häufig im höhern Alter
auf. Bei Trunksüchtigen geht die Gicht leicht in Asthma über, bei Ona-
nisten , alten und jungen Wollüstlingen , beim Missbrauche von Diureticis,
bei früher syphilitisch Gewesenen, nach Entzündungen der Prostata etc. in
Blasenleiden; bei Schwäche und Reizbarkeit der Lungen, der Luftröhre in
Luftröhren- und Lungenkrankheiten, gleichviel ob diese Schwäche erblich
oder in gewissem Lebensalter durch schädliche Einflüsse: Trunk, Onanie
erworben ist ; bei Schwangerschaft und bevorstehenden Katamenien entste-
hen leicht Metrorrhagien, bei Subjecten mit kurzem Halse Angina arthritica
{^Musijrftve} , bei Habitus apoplecticuo Apoplexie. Bei gastrischem Zustande
als Folge angewandter erhitzender Purganzen , bitterer Mittel im Übermass
gebraucht, ergreift die Gicht leicht den Magen, ganz besonders aber dann,
wenn der Mensch von einer reizenden Diät schnell zu einer reizlosen über-
geht. Starke Säfteausleerungen , niederdrückende Leidenschaften , Versto-
|ifungcn der Gelenkgefässsc , wie im höhern Alter, wodurch die Gichtma^
ARTHRITIS 185
terie gleichsam gezwungen wird, nach andern Theilen zu dringen, starke
anhaltende Bewegung der Gelenke, Missbrauch der Fusswärraflaschen , der
Feuerkicken, früher bestandene Arthritis retenta machen nicht minder zur
atonischen Gicht geneigt. Cur. 1) Bei Atonie des Unterleibes und Stockun-
gen dienen Resolventia, Evacuantia, in Verbindung mit Antispasraodicis bei
erhöhter EmpfindlicWceit ; doch passen letztere Mittel allein nie; dann Amara,
China, Kalmus, Geum urbanum, Eisen. 2) Sind keine Stockungen da, dann
gleich Amara, Roborantia, neben- nahrhafter thierischer Kost, gutem, alten
Wein etc. 3) Bei Status pituitosus, der häufig rorkommt, Antimoniura,
Schwefelkali , Guajak mit interponirten aromatischen Mitteln : Kalmus ,
China , Schwefelbäder , und die Wasser von Nenndorf, Elisen getrunken,
später Driburger und Pyrmonter Brunnen. 4) Bei 'erhöhter Nervenreizbar-
keit passen aromatische und bittere Mittel: China, Kalmus, Quassia in Ver-.
bindung mit Extr. aconiti, cicutae, Aq. laurocerasi, Opium; letztere Mittel
besonders bei Schwäche und hoher Empfindlichkeit des leidenden Theils,
Künstliche Geschwüre in die Nähe desselben sind oft zu empfehlen. Aus-
serdem sind etwaige Infarcten zu lösen , Congestionen durch Blutegel , Fusg-
bäder etc. zu beseitigen , das örtliche Leiden nach seinen verschiedenen Zu-
ständen von Reizbarkeit oder Reizlosigkeit nach den Kunstregeln zu behan-
deln , z. B. bei gereiztem Zustande Cataplasmata emoUientia , bei Reizlosig-
keit Vesicantia, Rubefacientia , Elektricität, selbst Moxa, Schröpfköpfe etc.
Doch übertreibe man hier nicht, es lässt sich die Gelenkgicht doch nicht
immer dadurch hervorrufen und man schadet oft mehr als man nützt.
Arthritis vaga, errntica, die wandernde, herumziehende Gicht.
Die Gichtmaterie befeindet hier noch weniger die Gelenke und Knochen,
als bei der unvoUkommnen Gicht; sie befallt hier die weichen Theile, be-
sonders die Zellhäute, die Pleura, das Peritonaeum und seine Fortsetzungen,
die Überzüge der Eingeweide mit irritabler Structur, ja selbst die Nerven
und dei'en Scheiden, kurz, fast jedes Organ wird von ihr ergriffen. Sym-
ptome. Wie bei Arthr. atonica; der Wechsel zwischen den dort genann-
ten Krankheitsformen und den in der Regel unvollkommen erscheinenden
Gelenkgichtanfällen neben den Symptomen der Axthritis retenta machen die
Erkenntniss und Diagnose des Übels, das häufig in Arthr, atonica oder re-
trograda übergeht , leicht. Cur. Wie bei Arthritis retenta und imperfecta.
Es passen hier demnach alle diejenigen Mittel , die entweder die Gicht voll-
kommen in den Gelenken entwickeln oder die Gichtmaterie kritisch durch
die Haut und die Nieten entfernen.
Arthritis retrograUa, retropuJsa, Metastasis arthritica, zurückgetre-
tene Gicht, Gichtmetastase. Entsteht bei Gichtischen, wenn auf
plötzlich unterdrückte Gelenkgicht Affectionen innerer Organe, gewöhnlich
Entzündungen von erysipelatöser Natur , seltener Neuralgien , Krämpfe,
spastisches Asthma, Paralysen, Bluttiüsse, Wassersuchten, Icterus, Cata-
racta, Amaurosis, Glaucoma etc. erfolgen. Gelegenheitsursachen
sind: heftige Gemüthsbewegungen, schneller Temperaturwechsel, der Miss-
brauch örtlicher zu heisser oder zu nasser Mittel, der reizenden Fussbäder,
der Innern Reizmittel, der Narcotica, besonders des Opiums, die, indem sie
den öi-tlichen Reiz vermindern, die Krise im Gelenke stören; zu starke
Aderlässe, Laxanzen, besonders bei der Arm- und Fussgicht. Symptome.
Das Übel ist leicht zu erkennen aus den verschiedenen Symptomen der In-
nern Gichtaifectionen , aus der Abwesenheit der früher dagewesenen Gelenk-
gicht, aus dem geringern Fieber (doch kann dieses oft recht heftig seyn,
besonders wenn die Gicht in den Magen oder ins Gehirn tritt , wo wir ohne
Aderlässe und Derivantia antiphlogistica oft nicht retten können ; M.) , aus
dem rothgriesigen Harne, aus dem langsamem Verlaufe, so dass Eiterung
und andere Ausgänge nicht eintreten. Auch die Arthr. vaga neigt sehr zur
metastatischen Form. Cur. Bei Entzündungen Aderlässe, Schröpfen der lei-
denden Theile, Blutegel an dieselben; doch geht der Z«traum für diese
Mittel oft schnell vorüber; gleich hierauf dienen trotz aller theoretischer
Raisonnements erfahrungsgemäss die flüchtigsten Incitantia : m leichtern
186 ARTHRITIS
Fällen Infus, valerianae, chamomiltae, menth., melbs. mit Spirit. IVündereri;
in bedeutendem Sal c. c. , Oiea aetherea , Tinct. guajaci volatilis , Enietica
(bei vorhandenen und fehlenden Zeichen von Gastricismus , nur nicht bei
Neigung zu Congestionen oder bei gereiztem Zustande im Unterleibe), be-
dingungsweise Opium , ferner Moschus mit Goldschwefel , und bei periculuni
vitae Phosphor in Schwefeläther, vor Allem aber Kampher. Dabei muss
der Kranke warm baden; auch ists höchst nothwendig, auf die früher er-
griffen gewesenen Gelenke Blasenpflaster oder Seiifteige zu legen , trockne
Schröpfköpfe anzusetzen, reizende Fussbäder, auch das Tragen der Hera-
den und Strümpfe eines Gichtischen zu verordnen, um die Gelenkentzün-
dung wieder hervorzurufen. (Dieses gelingt aber nur selten, die Haupt-
sache bleibt, dass der Arzt die gefahrlichen Zufalle der Encephalitis, Ga-
stritis, Pneumonie etc. ex causa arthritidis retrogressae richtig behandelt
und, in den meisten Fällen, streng antiphlogistisch verfährt, auch nicht zu
früh zur reizenden Methode übergeht, wenn diese auch in den leichtern
Fällen und in der gefahrlosem chi'onischen Form der sogenannten Gicht-
Btetastase indicirt seyn mag. M.).
Arthritis rheumatica. Ist eine Complication der Gicht mit Rheumatis-
mus, die bald mehr die acute, bald mehr die chronische Form annimmt
(Rheumatismus arthriticus acutus, Rheumatalgia arlhritica chronica et ato-
nica). Diese Form kommt besonders bei Personen vor, welche sich in der
Gichtanlage befinden, asthenisch, reizbar sind, an Gliederschwäche und un-
vollkommner oder irrender Gicht leiden, während sie den allgemeinen Ursa-
chen des Rheumatismus (Erkältung) vielfach ausgesetzt bieiben und schon
früher an solchem gelitten haben. Bald prädominirt hier die Gicht (Arthri-
tis rheumatica), bald der Rheumatismus (Rheumatalgia arthritica). Sym-
ptome sind: reissende, stechende, ziehende, drückende, bald mit, bald
ohne Fieber erscheinende Schmerzen, gestörte Verdauung, trüber, dicker
Harn mit rothem Bodensatz, überhaupt die Zeichen der Arthritis retcnta.
Dies Übel erzeugt leicht Entartung der Muskeln und Häute mit Absatz von
erdig- saurer Base, Verknöcherungen des Herzens und der grossen Gefässe,
Krankheiten des Uterus, Angina pectoris und manche krampfhafte Übel.
Aus der Diagnose der Gicht und des Rheumatismus, die hier man-
gelt, ist das Übel noch leichter zu erkennen. Diese ist folgende: 1) Der
Gicht Hegt immer eine anomale Mischung (gleichviel , ob wir sie Gichtraa-
terie oder venöse Dykrasie nennen) zum Grunde, der Rheumatismus (der
einfache, nicht mit Gicht gepaarte) entsteht durch ein feineres Princip, Ai«l-
leicht durch ein abnorm vertheiltes , entzweites , entwickeltes Bio - electri-
cum (d. h. durch Disharmonie in der thierischen Elektricität , die sich nicht
gleichmässig vertheilen kann, sondern sich ungleich entladet, daher die
plötzlich erschütternden, zuckenden Schmerzen ; M.). 2) Die Gicht >vurzelt
im venösen und reproductiven Systeme , ist aber mit Dyspepsie verbunden ;
beim reinen Rheumatismus ist dies nicht der Fall, er hat seinen Sitz ur-
sprünglich in den Muskeln, deren Scheiden, den Aponeiirosen und den ge-
mischten fibrösen Häuten. 3) Die Gicht greift bei längerer Dauer zerstö-
rend ins Knochensystem (Arthrocace) , der Rheumatismus entartet nur die
Muskelsubstanz und die Arterien. 4) Bei der Gicht findet sich im Harne
zur Zeit der (regelmässigen, wie unregelmässigen) Anfälle theils freie Harn-
säure, theils kleesaurer Kalk, was beim Urin Rheumatischer nicht der Fall
ist. 5) Die Gicht ist fähig , sich durch Erblichkeit von den Altern auf die
Kinder oder Enkel , oft mit Übergehung einer Generation , fortzupflanzen,
der Rheumatismus nicht. 6) Die Gicht kann ansteckend werden (durch
Zusammenschlafen mit Gichtischen , durch gemeinschaftliche Kleidung , Wä-
sche etc. mittels dos Gichtschweisses, in welchem Falle das Übel primitiv
unter Symptomen des Rheumatismus auftritt) ; der Rheumatismus steckt nie
an. (Die Gicht ist in der Mehrzahl der Fälle ein chronisches , der Rheu-
matismus ein acutes Übel; letzterer ergreift auch Kinder, erstere nur Er-
wachsene; A/.). 7) Die Gicht macht ihre Anfälle periodisch, der Rheuma-
tismus erscheint zu unbestimmten Zeiten und seine Paroxysmcn hängen mehr
ARTHRITIS 187
von atmosphärisch -klimatischen Einflüssen ab. (Letzteres ist auch wol eben
80 oft bei der Gicht der Fall ; ilf.)- Ausser dieser Coraplication , die in
Betreff der Cur bald mehr Antarthritica , bald mehr Antirheumatica erfor-
dert, complicirt sich die Gicht auch noch mit Syphilis (Arthr. syphilitica),
worauf leicht Ankylosen , Arthrocace folgen ; mit Lungenphthisis , besonders
mit Phthisis trachealis, tuberculosa, mit Scropheln, wo sie oft Arthritis re-
tenta bleibt ; mit Wechselfiebern , die dadurch oft recht hartnäckig werden ;
mit Leber - und Milzphyskonie , deren Ursache sie oft auch ist , mit Scorbut
als Arthr. vaga, mit chronischen Exanthemen, sowie auch Erysipelas oft
unvollständig für die Gelenkgicht vicariirt , mit Hämorrhoiden , Lithiasis,
Hypochondrie, Kardialgie, Prosopalgie, Cephalalgie , Hemikranie etc. (doch
sind viele dieser Formen wol nichts weiter als Symptome der Arthritis re-
tenta, larvata, Folgen der frühern regelmässigen acuten, jetzt anomal ge-
wordenen Gicht, die durch schädliche Einflüsse schwächender Art sich nur
unvollständig entscheiden kann; 3f.). Nach Burdach {HufelaruVs Journ.
1830 Septbr.) steht die Arthritis rheumatica als Krankheit in der Mitte
zwischen der wahren constitutionellen Gicht und dem Rheumatismus , die
beide Extreme mit einander verknüpft, und bald mit acutem, entzündlichem,
bald mit atonischem , chronischem Charakter vorkommt. Dieses Übel er-
greift den Körper oft recht tief und lange, befällt am häufigsten die grös-
sern Gelenke und verräth sich durch periodisches Zahn-, Kopf- und Glie-
derweh. Im trocknen Winter, bei vorherrschender entzündlicher Diathese,
oft schon im November entsteht alsdann im Verlauf von 6 — 20 Tagen ein
wachsender Schmerz an irgend einem Gelenke, häufig an dem Knöchel ; da-
bei Geschwulst, Unbeweglichkeit , anfangs synochischer Zustand mit darauf
folgenden copiösen , symptomatischen Schweissen ; sowie die Kräfte des
Kranken durch schwächende Diät und Antiphlogistica etwas abnehmen , ver-
schwindet auch die Krankheit selbst, doch nicht völlig, sondern sie bleibt
oft in dem einen oder andern Gelenke, oft im Hüftgelenke, in der Articu-
lation der Lendenwirbel , seltener im Schultergelenke , längere oder kürzere
Zeit , hinterlässt einige Steifigkeit , Ankylose , überhaupt dauert das Übel,
sich selbst überlassen, oft 2 — 3 Monate. Meist kehrt es nach einigen Jah-
ren, aber nicht leicht ohne äussere Veranlassung, zurück, doch nicht, wie
die echte Gicht, aus innerer Periodicität. Zuweilen Avüthet es dann hefti-
ger, als das ei-ste Mal. Ursachen ^nd nach Jiurdachx Erkältung, erb-
liche Anlage, eine gewisse active Lebensfülle, Ansteckung. Cur Nach
vorhergegangenen Blutausleerungen passen schon im schmerzhaften Zeiträume
und nachdem der synochische Zustand gemindert worden, der Sublimat, alle
2 — 4 Stunden Vi, — Vis Gran, drei Tage lang gebraucht; z. B. I^ Mn-c.
stihliin. corros. gr. jj , Aq. destill. simpL 3Jj^ , Vini scm. colchic. f;]),. M. S.
Alle 2 — 3 Stunden 40 — 50 Tropfen. Bei grosser Reizbarkeit der Digestions-
organe setzt man etwas Laudanum zu. Weicht das Übel nach Verbrauch
t'on 2 Gran Sublimat nicht, so dienen Antimonialia , Schwefel, Schwefelbä-
der; überhaupt wenn sich nach den ersten Gaben obiger Tropfen der
Schmerz nicht schon vermindert, so passt der Sublimat nicht, der, wo er
indicirt ist, schnelle Heilung bewirkt. C. A. Tritl.
Nachschrift des Herausgebers. Gegen Arthritis rheumatica lobt
man neuerlich sehr den äusserlichen Gebrauch des Sapo camphoratus. Ge-
gen die chronische Gicht , welche Paroxysmen bildet , hält Dr. Thncr (s.
Cnsper^s Wochenschrift f. d. ges. Heilkunde, 1833, No. 1) für höchst spe-
cifisch das Braunkohlenöl mit Antimonium , z. B. I^ OL empyreumnt. ex Uijno
fossili, Antim. sitlphtt/rati nigr. ana 5J. Olihaiii Sji- Pulv. stipit. dulcnm. ovj.
M. f. pil. gr. jj. consperg. pulv. liquir. S. Dreimal täglich 6 — 10 Stück.
Dabei Vermeidung von Säure, von Käse und Pökelfleisch. Das Mittel er-
hitzt nicht; die reizbarsten Kranken können es vertragen. Es befördert
mehr den Appetit, als die kritischen Ausleerungen durch Seh weiss, Urin etc.
Man lässt es ^/^ — V2 Jahr gebrauchen. Selbst gichtische Lähmung, kalk-
artige Ablagerungen bessern sich darnach. — Bei der chronischen vagen
Und fixen Gicht mit Rheuma complicirt ziehe ich Tinct. colchic. autumnal.,
188 ARTHROCACE
3 mal täglich zu 20 — 30 Tropfen allen andern Mitteln vor. Dagegen habe
ich die Cur mit heissem Wasser nach Cadet de Veaux wegen ihrer Nach-
theile nie versuchen mögen. Noch kürzlich erfolgte dadurch nach Bertistein
in einem Falle der Tod binnen 13 Stiuiden (s. Cnsper^s Wochenschrift 1833.
S. 294.). Kaltes Brunnenwasser, in grosser Menge getrunken, hat bei ein-
gewurzelter Gicht nie diese Nachtheile, häufig aber wirkt die Wassercur
nach Oeriel hier sehr vohlihätig.
ArtlUTOCace 9 Spinn ventosa, Winddorn, mit seinen Unterarten:
Coxarthrocace (unrichtiger Coxalgia, Hüftweh, freiwilliges Hinken), Omar-
tJirocace (unrichtiger Omalgia) , Gbnnrthrocnce, Spondylnrlhrocace. Man ver-
steht unter diesem Übel ein cariöses Ergiiffenseyn der Gelenkköpfe der Kno-
chen, welchem Entzündung vorhergegangen ist. Ursachen. Sind vorzüg-
lich gichtische, scrophulöse, rheumatische und syphilitische Dyskrasien, mias-
matische und metastatische Ablagerungen, Mischungsveränderungen nach Po-
cken, Masern, Scharlach, schlecht behandelter Krätze, zurückgetretenen
chronischen Hautausschlägen, Flechten, unvorsichtig und zu schnell geheilte
alte, zur Gewohnheit gewordene Geschwüre; äusserlich angebrachte Gewalt-
thätigkeiten. Symptome und Verlauf. Höchst wichtig ist es für die
Praxis, hier vier Perioden des Übels, die immer, selbst bei Verschiedenheit
des Sitzes und der Causa morbi , dieselben Erscheinungen darbieten , zu un-
terscheiden. Erste Periode ; Stadium prodromorum , dolorificum , infiamma-
torium. Sie charakterisirt sich durch blosse schmerzhafte Aflfectionen, manch-
mal auch nur durch ein blosses Gefühl von Schwäche ohne irgend eine be-
merkbare Formverletzung des leidenden Gelenks. In diesem Zeiträume ist
das Übel noch rein dynamisch, lediglich begründet in einer Entzündung der
gefässreichen Markhaut des Gelenkkopfes. Zweite Periode; Stadium sub-
luxationis, prolongationis ariiculi. Die centrale Caries des Gelenkkopfes ent-
wickelt sich, das Übel wird organisch und macht sich schon für die mecha-
nische Seite als angehende Formverletzung durch Auftreibung und begin-
nende Ausweichung des Gelenkkopfes und davon abhängige Verlängerung
des leidenden Gliedes bemerkbar. Die Caries nimmt nun immer mehr zu,
entartet den Gelenkkopf, und nun geht das Übel oft plötzlich in die dritte
Periode , in das Stadium luxationis seu exarticulationis , über. Es erscheint
nun äas mechanische Verhältniss des Übels vollständig ausgeprägt , der den
Muskeln gleichsam spielend hingegebene Gelenkkopf wird, wie das ganze
leidende Glied, nach mannigfaltigen Richtungen verzogen und die überhand-
nehmende Caries fängt an, die Weichgebilde des Gelenks mit in die Ver-
derbniss zu ziehen und gänzlich zu entarten, so dass zuletzt bösartige, pro-
fuse Eiterung entsteht, die nach aussen durchbricht. Hiermit beginnt die
vierte Periode , Stadium ulccrosum , unter Begleitung von CoUi(}uationen und
Zehrfieber, das meistens schnell verläuft und in den meisten Fällen mit dem
Tode endet. Hat das Übel seinen Sitz im Hüftgelenke (Coxarthrocace,
Coxalgia), so kündigt es sich in der ersten Periode, die man Coxitis, Ent-
zündung des Hüftgelenks nennen kann , durch einen eignen Schmerz in der
Gelenkgegend, durch ungewöhnliche, vorzüglich des Morgens nach dem Auf-
stehen aus dem Bette wahrnehmbare Steifigkeit desselben, und durch das
Gefühl von Entkräftung und Ermüdung an. Untersucht man nun das Ge-
lenk , so findet man durchaus nichts Abnormes ; doch bringt eine etwas un-
sanfte Betastung des obern und vordem Theils des Schenkelcanals ein un-
angenehmes Schmerzgefühl hervor. Nicht lange pflegt jedoch dieser Zustand
zu dauern, oft ist es schon nach wenigen Tagen vorüber und kehrt nicht
mehr zurück. Arzt und Kranke werden dadurch oft veranlasst , das Übel
für rheumatisch zu halten, und die zurückgebliebene Steifigkeit des Gliedes,
welche bei der Bewegung des Tages über wenig bemerkbar ist, für einen
rheumatischen Rest, der sich allmälig von selbst verlieren würde, zu halten.
Dies ist aber leider ! nicht der Fall ; das Gefühl von Schwäche, welches den
Kranken öfters nöthigt auszuruhen, geht in ein grösseres von Lähmung über,
der Gang des Kranken wird ein unsicherer, er geräth öfters in Gefahr zu
stolpern, und er musa den kranken Schenkel etwas nachschleppen. End-
ARTHROCACE 189
lieh fängt er an, indem er den Fuss des leidenden Schenkels mehr einwärts
getzt, wirklich zu hinken. Das Übel geht in längerer oder kürzerer Zeit,
oft erst in mehreren Monaten , ins zweite Stadium über , welches durch be-
merkbare Veränderung in der Form sichtbar ist. Der kranke Schenkel wird
nun länger als der gesunde, der Trochanter major ist mehr ab - oder aus-
wärts gestellt als im normalen Zustande , der Hinterbacken der kranken
Seite wird flacher, die Falte desselben wird tief, das ganze kranke Glied,
vorzüglich aber der Oberschenkel, magert ab und wird schlaff. Von dieser
wesentlichen Formveränderung kann man sich bald durchs Gesicht und Ge-
fühl unterrichten. Vlan lässt den Kranken sich entkleiden, auf die Erde
legen, und man wird die grössere Länge des leidenden Gliedes wahrnehmen,
indem bei ausgestreckter Körperlage Knie nicht an Knie , Knöchel nicht an
Knöchel zu liegen kommt; auch das Mass, vom Darmstachel bis nach der
Kniescheibe gemessen, beweist dasselbe. Es giebt Fälle, wo das Stadium
der Verlängerung zum Theil oder gänzlich fehlt, was für die Diagnose sehr
wichtig ist. Hier ist nämlich die Arthrocace des Gelenkkopfs gleich anfäng-
lich mit Caries der Beckenknochen complicirt. Die übrigen Zufälle sind die
schon im ersten Stadium des Übels beschriebenen ; doch ist der Schmerz
nicht selten geringer, als er gleich im Anfange war, die Bewegung des
Schenkels ist nach allen Richtungen ziemlich frei, macht wenig Schmerz,
nur die Einwärtsdrehung, falls der Fuss nach aussen steht, macht vielen
Schmerz. Nicht lange jedoch dauert dieser noch erträgliche Zustand. Wäh-
rend des Fortschreitens des Übels erreicht die Verlängerung des Schenkels
und mit ihr die Spannung der Muskeln und Nerven einen neuen Grad. Es
entsteht dadurch ein neues Symptom : ein äusserst heftiger Knieschmerz , der
durch jede Bewegung , vorzüglich durchs Ausstrecken des leidenden Gliedes
erschwert wird und des Nachts Schlaf und Ruhe raubt. Er wird zuletzt
80 heftig, dass der Kranke schon bei der leisesten Berührung des Knies laut
aufschreit, dagegen hört der Schmerz im Hüftgelenke ganz auf und ist wie
weggezaubert. Dieser gegen das Ende des zweiten Stadiums der Arthro-
cace eintretende Umstand hat nicht selten Gelegenheit gegeben, den Sitz
des Übels im Knie und nicht im Hüftgelenke, das man jetzt ziemlich un-
sanft, ohne Schmerz zu erregen, drücken kann, zu suchen, das Knie für
den primär leidenden Theil anzusehen, besonders da es auch etwas anschwillt,
und selbiges als solchen zu behandeln. Sowie der andauernde Schmerz das
Gesammtgefühl ergreift, so sehen wir auch im fernem Verlaufe der Krank-
heitsperiode , dass sich Zufälle einfinden , welche über das wahre Leiden kei-
nen Zweifel lassen. Die Leistendrüsen schwellen an, das Abmagern des gan-
zen Gliedes wird auffallender; der Kranke kann sich ohne Hülfe der Krü-
cken nur sehr mühsam, und ohne Schmerzen zu erregen gar nicht mehr be-
wegen. Die oft noch scheinbar eintretende Besserung kann nicht täuschen,
die Schmerzzufälle kehteii zurück , die schlaflosen Nächte , die verminderte
Esslust und schlechte Verdauung , sowie die am Ende der Krankheit schon
beginnende organische Zerstörung und die eintretende Ergiessung des Eiters
ins Gelenk erzeugen unter Begleitung aller bekannten Zufälle ein hektisches
Fieber mit allgemeiner Schwäche und Abmagerung des Körpers. Wie lange
dieser Zustand dauern kann , ehe er ins dritte Stadium übergeht , lässt sich
niclit bestimmen ; ist aber letzteres eingetreten , so ist jede Hoffnung , den
Kranken je von seinem hinkenden Gange zu befreien, verloren. Wird die
nöthige Hülfe versäumt, so verkürzt sich das Glied nun entweder allmälig
oder plötzlich, so dass man es mehrere Zoll kürzer als das gesunde findet.
Diese Verkürzung des Schenkels (ein sicheres Zeichen des Eintritts des drit-
ten Stadiums) ist entweder die Folge einer wirklich stattgefundenen Aus-
renkung des Schenkelkopfs nach hinten und oben (unrichtig Luxatio spon-
tanea genannt) , und dann findet man den früher flachen Hinterbacken hoch
aufgetrieben, kugelrund und hart; oder es ist bereits (der seltenere Fall)
eine cariöse Zerstörung eines beträchtlichen Theils des Schenkelkopfs ohne
Ergriffenseyn des Acetabuli eingetreten, welches eine Verkürzung des Schen-
kels ohne Verrenkung zulässt. In höchst seltenen Fällen erleidet die eben
190 AKTHROCACE
erwähnte Regel eine Ausnahme, so dass mit der vollkommnen Ausweichung
des Gelenkkopfs keine Verkürzung , sondern gegentheils eine grössere Ver-
längerung, als in der zweiten Periode zugegen war, erfolgt, wenn nämlich
der eben ausgetretene Scheukelkopf durch eine zufällige, momentan vorwal-
tende Contraction der Muskeln nach vorn, innen und abwärts gegen das
eirunde Loch hingezogen wird und dorthin ausgleitet. Diese Anomalie dea
verlängerten Fusses bei ausgerenktem Schenkel giebt sich vor der zweiten
Periode durch das Extrem aller in dieser vorkommenden Symptome zu er-
kennen; der Hinterbacken ist noch viel platter, so dass nicht leicht Irrung
möglich ist. Erfolgt in der dritten Periode die Ausweichung nach hinten
und oben , so beobachtet man jetzt nicht selten die auffallendsten Remissio-
nen aller peinlichen Zufälle; der Kranke freuet sich darüber, ohne zu wis-
sen, dass er dem Grabe bedeutend näher gerückt ist oder doch zeitlebens
auf eine vollkommne Heilung verzichten muss. Er kann bei aufrechter Stel-
lung den abgemagerten Fuss nicht mehr auf die Erde setzen, berührt blos
mit den Zehen den Fussboden (ein Hauptsymptom), ist gezwungen, den
Körper theils vorwärts, theils auf die entgegengesetzte Seite zu bringen,
um das Gewicht desselben vom kranken Schenkel zu entfernen; der ange-
schwollene Hinterbacken drängt sich immer mehr hersor oder wird bedeu-
tend breiter ; der auf der äussern Fläche des Hüftbeins ruhende Schenkel-
kopf bewirkt endlich auch an diesem Knochen eine merkbare Verschiebung,
ßo dass die leidende Hüfte deutlich höher, als die der gesunden Seite zu
stehen kommt. Um die möglichste Erschlaffung der Muskeln zu erzielen,
zieht der Kranke den Oberschenkel beständig an den Unterleib und beugt
den Unterschenkel im Knie , welche Stellung derselbe des Nachts und im
Schlafe durch Umfassung des Schenkels mit beiden Händen zu behaupten
sucht, da jeder Versuch, das Glied auszustrecken, sehr schmerzhaft ist;
das Gehen ist ohne Hülfe zweier Krücken unmöglich; der Hinterbacken
ßchmllt immer mehr an, es erzeugt sich häufig eine den ganzen Oberschen-
kel ergreifende gespannte und glänzende Geschwulst mit deutlicher Fluctua-
tion. Noch immer ist der Schmerz vorzugsweise im Knie vorhanden , die
Berührung des Gliedes ist höchst schmerzhaft , der Hüftschmerz gering , bis
sich endlich an einzelnen Stellen blaurothe Flecke zeigen , an denen die
Geschwulst früher oder später berstet und nun die vierte Periode der Krank-
heit ihren Anfang nimmt. Zeichen derselben sind häufiger Ausfluss eines
äusserlich lymphatischen, später mehr dicklichen Eiters, grosse Erschlaffung
des Gliedes, Verminderung der Schmerzen, Veränderung des gutartigen Ei-
ters in Jauche, schnelle Zunahme des Zehrfiebers durch den grossen Säfte-
verlust, colliquative Schweisse, Durchfälle', Entkräftung und Tod, Zuwei-
len werden durch die Naturkräfte auch noch jetzt einzelne Leidehde vom
Tode gerettet, indem die abgestorbenen Knochen und sonstigen Gebilde
theils aufgesogen, theils durch die Eiterung entleert werden. Es vermin-
dert sich nun die Eiterung, es schliesst sich erne Öffnung nach der andern,
die Zufälle des Zehrfiebers verlieren sich, der Knieschmerz wird wieder
heftiger, es zeigen sich im Gelenke Verbildungen , und ein hinkender Gang
ibleibt als Folge einer veralteten Ankylose des Schenkels zeitlebens zurück,
l-icichenöffnungen zeigen im Stadio I.: gesunde Gelenkbänder und Umgebun-
gen des Gelenks, angeschwollenen, hier und da cariös ergriffenen Gelenk-
kopf, Entartung der Markhöhle desselben; im Stadio II. ist der Gelenkkopf
mehr entartet, stärker aufgesciiwollen; er steht in der Regel auf dem Rande
der Pfanne; zugleich findet man Verbildung des Gelenks: Entartung der
F'ettdrüsen , des Gliedwassers , der Gelenkknorpel , cariöse Zerstörung des
5>chenkelkopfs von innen nach aussen; im Stadio III. höhere Grade der Ge-
lenkzerstörung, als man den äussern Zufallen nach hätte vermuthen sollen,
uind zwar so , dass man sich nicht selten verwundert, wie die Integrität sol-
cher Theile noch so lange fortdauert; im Stadio IV., wenn der Tod nicht
Jrüher erfolgte, ankylotische Verwachsung oder Bildung eines neuen Gelenks.
Hat die Krankheit ihren Sitz im Schultergelenke (Omarthrocace, Omal-
.gia), so beschränkt sich der örtliche Schmerz in der ersten Periode nicht
ARTHROCACE 191
blos auf den Gelenkkopf; oft äussert er sich auch durch heftige flüchtige
Stiche, die in der Nähe der Achselhöhle von der vordem untern Seite des
Schultergelenks ausgehen. An der innern Seite steigen sie bis zum Ellbo-
gen herab, die vorzüglich des Abends und während der Nacht heftiger wer-
den, dabei Gefühl von Ermüdung im ganzen leidenden Arme, vorzüglich im
Oberarme, welches bei anhaltender, auch noch so geringer Bewegung sich
bedeutend vermehrt und zum Ausruhen nöthigt. An der leidenden Schulter
ist weder Röthe, noch Geschwulst, noch Deformität zu sehen, doch bringt
ein starker Druck , auf den Gelenkkopf angebracht , vorn an der Achselhöhle
jenes bis zum Ellbogen sich erstreckende Schmerzgefühl her^'or. In diesem
Zustande bringt der Kranke mehrere Wochen und Monate hin , das unange-
nehme Gefühl im Gliede nimmt zu, gränzt an Lähmung, und die Schmerzen
in der Schulter und im Ellbogen sind so heftig und anhaltend, dass der
Kranke nicht einmal den Druck der Kleidungsstücke ertragen kann. Unter-
sucht man die Schulter, so findet man den Gelenkkopf schon hervorstre-
bend, nach aussen hervorragend, das Olecranon steht etwas vom Körper ab
und ist im Ellbogengelenk etwas gebogen, und das Glied ist schwächer und
magerer, als das gesunde; die Schulterhöhe steht im Vergleich mit der ge-
sunden nur einige Linien tiefer und hat die abgerundete Gestalt verloren,
dagegen erscheint der Querdurchmesser etwas grösser; die hintere und vor-
dere Achselhöhle steht tiefer als am gesunden Arme, und zwischen ihm ist
die Achselhöhle durch den offenbar aufgetriebenen Kopf des Os humeri und
durch die leichte Geschwulst voller und Aveniger vertieft. Der Kranke kann
den leidenden Arm nicht strecken und viel weniger im Kreise herumdrehen.
Betrachtet man den Kranken von hinten, so sieht man deutlich, dass der
Ellbogenhöcker tiefer als der an der gesunden Seite steht. Diese Zeichen,
welche den Eintritt der zweiten Periode andeuten , nehmen in ihrem Ver-
laufe immer zu, und der Zustand der Subluxation geht, sich selbst über-
lassen, in wirkliche Ausrenkung über; das Gelenk schwillt immer mehr an,
der Schmerz daselbst, und vorzüglich im Ellbogen, vermehrt sich täglich,
die Grätenenden des Schulterblatts dringen immer mehr vor, und statt des
Gelenkkopfes findet man einen leeren Raum , der Schulterstumpf verliert
seine Form gänzlich, die Achselhöhle füllt sich mit dem herabgesunkenen
Gelenkkopfe, die Bewegung des Gliedes, das nun länger als das gesunde
ist, ist fast unmöglich. Durch die Thätigkeit des Musculus pectoralis, La-
tissimus dorsi etc. wird der Kopf des Oberarms vom untern , vordem Rande
des Schulterblatts weggezogen und allmälig zwischen Schulterblatt und Rip-
pen, und von dort aus unter das Schlüsselbein gezogen. Hierdurch erhält
der bereits verlängert gewesene Arm auf längere Zeit zwar sein normales
Längenmass wieder, er wird aber bald länger als der gesunde, sobald der
Kopf unter der Clavicula steht ; auch nähert sich das Schultergelenk seiner
ursprünglich gewölbten Form, das Grätenende und Schulterblatt findet man
weniger hervorragend, die Gelenkgrube leer, und tiefer eine runde, harte
Geschwulst, die von dem dahin gegangenen Kopfe herrührt, der Ellbogen
steht herab, die Bewegung des Arms ist unmöglich, besonders die Kreisbe-
wegung. Sehr leicht verkennt hier der Arzt die wahre Natur des Übels,
das nun ins dritte Stadium übergeht. Die anhaltende Spannung des ergriffe-
nen Gelenktheils geht endlich in zerstörende Eiterung über, die Weichge-
bilde , welche von aussen die Schulter umgeben , schwellen bedeutend an,
verändern ihre bisher beibehaltene natürliche Farbe, und entzünden sich.
Der ergossene Eiter drängt sich immer mehr hervor, bricht an einigen oder
mehrern Stellen durch, senkt sich zwischen die Muskeln des Oberarms und
der Brust, veranlasst Fistelgänge, Caries, und macht auch durch Ergiessung
in die Brusthöhle oft einen schnellen Tod. Nur selten findet Resorption
des Eiters , Bildung eines künstlichen Gelenks oder ankyiotische Verwach-
sung, wodurch die Integrität des Gliedes, und das Leben erhalten wird, in
dieser Höhe des Übels statt. '
Hat die Krankheit das Kniegelenk ergriffen (Gonarthrocaee), so zeigt
sich zuerst heftiger Schmerz im Knie, verhinderte Bewegung des Gelenks,
192 ARTHROCACE
besonders beim Ausstrecken des Schenkels, daher fast immer gebogene Lage
des Gliedes. Der Schmerz ist heftig, bald tiefsitzend, bald über das ganze
Glied sich ausbreitend, bald auf eine bestimmte Stelle im Gliede beschränkt,
er vermehrt sich unter kleinen Fieberbewegungen des Abends, wird durch
jede äussere Berührung, durch warme Bedeckung, vorzüglich aber durch
jede Bewegung des Schenkels vermehrt; das Gelenk bleibt dabei in dieser
Periode der äussern Form nach im vollkommen normalen Zustande , und es
zeigt sich weder Röthe , noch Geschwulst , was sich durch Verglelchung
mit dem gesunden Knie deutlich kund giebt. Wird die Krankheit in #eser
Periode verkannt und verkehrt behandelt, so geht sie in die zweite über.
Unter allmäliger Vermindei-ung des örtlichen Schmerzes entsteht nun An-
schwellung des leidenden Gelenks , die oifenbar von einer Auflockerung der
Gelenkköpfe herrührt. Der Schenkel wird unterhalb des geschwollenen Knie-
gelenks schlaffer und zehrt allmälig ab , der Kranke kann den Schenkel ohne
Unterstützung nicht heben ; da die beständige Lage des Gliedes die Muskelu
und die Sehnen an ihrer anhaltenden Zurückziehung hindert, so werden die
Gebilde steif. Sind jetzt dem Fortschreiten dieser Periode keine Schranken
gesetzt, so geht sie ins dritte Stadium über. Nun werden auch die Weich-
gebilde des Knies ergriffen, die Geschwulst nimmt stärker zu und bekommt
durch die Erweiterung der unter der Haut liegenden Venen ein varicöses
Ansehn. Nicht selten ist sie so gespannt und elastisch, dass man selbst die
im Innern ergossene Lymphe fluctuirend fühlt ; es entsteht auch oft eine
Verschiebung der Gelenkknorpel durch die fortschreitende und andauernde
Anschwellung; das Zellgewebe wird endlich an mehreren Stellen weich, es
entstehen Abscesse , die sich von selbst öffnen , verschiedenartigen Eiter ohne
bedeutende Abnahme der Geschwulst entleeren, von selbst wieder heilen,
an andern Stellen wieder aufbrechen, oft in unversiegbare Fisteln ausarten,
die eine wässrige, stinkende Jauche entleeren; die Zerstörung des Gliedes
schreitet fort, der Kranke leidet durch den fortdauernden Schmerz, durch
Säfteverlust, es entsteht Zehrfieber mit colliquativen Zufallen und Tod;
nicht selten kommt auch der Brand hinzu und stört die Gelenkverbindung
dergestalt , dass ohne Zuthun der Kunst der Oberschenkel sich vom Unter-
schenkel trennt und also letzterer abfällt. Nicht selten überwhidet die im-
mer rege Naturkraft auch noch im vierten Stadium die gewaltsam auf sie
einwirkenden Stürme; Eiter und Knochenstücke werden theils resorbirt, theils
durch die von selbst entstandenen oder künstlich gemachten Öffnungen ent-
leert, neue Bildung ersetzt den Verlust der Gelenkbänder, der Knochenmasse,
und so wird das Leben und das Glied erhalten, so dass, wenn letzteres
auch verbildet ist, dasselbe doch mehr oder weniger brauchbar bleibt.
Ist das Ellbogengelenk (Olecranarthrocace) und das Fuss - und Hand-
gelenk (Podarthrocace und Chirarthrocace) ergriffen, so weichen die Er-
scheinungen im Wesentlichen nicht von der Gonarthrocace ab; nur treten
sie minder heftig und nicht so zerstörend auf. Ganz anders ists aber, wenn
die einwirkenden Ursachen die Wirbelsäule ergriffen haben. Dieses schlimme
Übel: Spondylarthrocace, Spondylocace genannt, bietet nach Verschieden-
heit des Sitzes in den verschiedenen Stadien der Krankheit verschiedene Er-
scheinungen dar. Leidet der obere Rücken, sind die Hals - oder Lenden-
wirbel ergriffen , so zeigen sich die von Pott beschriebenen Zufalle ; auch
ist die Pott'sche Lähmung nichts Anderes als eine spontane Verschiebung
der Wirbelbeine von innen nach aussen. Auch hier ist, wie bei den übrigen
Arten spontaner Verrenkungen, im Stadio I. des Übels keine Verrenkung in
der organischen Partie bemerkbar, obgleich der Kranke nicht selten über
einen fixen Schmerz an der leidenden Seite klagt. Erst im Stadio II. be-
merkt man eine Hervorragung des einen oder des andern Wirbelbeins, und
das schon im Stad. I. vorhandene Gefühl von Ermüdung und Kraftlosigkeit
der untern Gliedraassen geht nun in wirkliche Lähmung über (s, Paralysis).
Im Stadio III. erfolgt wirkliche Verrenkung und cariöse Zerstörung der
Wirbelknochen, die sich im Stadio IV. durch Entstehung bedeutend grosser
lymphatischer Geschwülste auf der kranken Stelle, durch Ergiessung von
ARTHROCACB 193
Eiter und Jauche, und nicht selten durch Berstung der Geschwulst beson-
ders zu erkennen geben. Nicht immer ist im Stad. I. und II. Lähmung
vorhanden ; denn letztere erfolgt an den untern Extremitäten meist nur auf
Verrenkung der Wirbel; es giebt auch bedeutende spontane Verschiebung
ohne Lähmung. Hat das Übel im Rücken seinen Sitz, so entstehen Brust-
lähmungen, und das bedeutend hektische Fieber malt eine Lungenlähmung
(Paralysis pulmonum) auf das Täuschendste nach, und ehe man noch die
Deformität des Übels von aussen gewahr wird, stirbt der Ki-anke oft plötz-
lich durch Erglessung von Eiter in die Brusthöhle. Sind hingegen, was
häufig der Fall ist , die Lendenwirbel ergriffen , so erscheint die Krankheit
in ihrem fernem Verlaufe ganz in der Form einer Psoitis, sowie auch der
Psoasabscess meist Folge einer Arthrocace und einer spontanen Verrenkung
der Lendenwirbel seyn soll (/twsf). Häufiger als an den Hals -, Rücken-
und Lendenwirbeln nimmt man eine spontane Verrenkung des Kopfs vom
Atlas oder des letztern vom Epistrophaeus w:ahr. Im Stadio I. dieses Übels
entstehen Halsschmerzen, vorzüglich des Nachts, bei eingetretener feuchter
Witterung; das Schlingen grosser Bissen macht Beschwerde, obgleich man
bei Untersuchung des Mundes imd Rachens keine Spur von Verletzung fin-
det. Es stellt sich Schmerz ein, der bald die eine Seite des Kopfs ein-
nimmt , bald sich bis zur Schulter erstreckt , häufig beginnt er in der Ge-
gend des Larynx, verbreitet sich bis in den Nacken, selbst bis zum Schul-
terblatte der scheinbar leidenden Seite. Ein Druck mit dem Finger zwi-
schen Atlas und Epistrophaeus verräth gleich den wahren Sitz des Übels.
Alle Zufälle nehmen jetzt zu, es entsteht Steifigkeit des Halses, und nun
kündigt das Sinken des Kopfs gegen die eine Schulter hin , mit etwas ab-
wärts geneigtem Gesichte (in welcher Lage der Kranke den Kopf unver-
rückt erhalten muss) , das bereits eingetretene zweite Stadium des Übels an.
Meist senkt, sich der Kopf nach der Seite hin , die früherhin keine schmerz-
haften AfFectionen zeigte, am häufigsten nach der rechten Schulter, weil
sich in den meisten B]ällen das Übel zwischen der Articulation der linken
Seite zeigt. Ist das Übel an beiden Seiteu , also doppelt, so senkt sich der
Kopf gerade auf die Brust. Wochen , selbst Monate verlaufen unter diesen
Erscheinungen ; erst dann erreicht die Krankheit die dritte Periode. Das
erste Zeichen derselben ist scheinbare Besserung ; die Stellung des Kopfs
wird normal, die Bewegung desselben frei; aber das Scheinglück dauert
nicht lange. Die Beschwerden beim Einathmen und Essen kehren wieder
zurück, der bohrende Schmerz in der Nackengegend wird anhaltender, er-
streckt sich nicht selten bis in die Stirnhöhlen; der Kopf sitzt gerade und
unbeweglich , wie mit einem eisernen Reife umschlossen , senkt sich aber
bald gegen die linke Schulter, oder bei doppelseitigem Leiden gerade rück-
wärts , und nimmt gerade die entgegengesetzte Seite ein , wohin er sich in
der zweiten Periode neigte. Nun ist an keine Remissionen zu denken, der
Schmerz des Hinterhaupts und Nackens wechselt noch öfters mit Heiserkeit,,
mit verhindertem Schlingen etc. ab; auf der gesunden Seite kann der Kranke
gar nicht , auf der kranken nur mit der grössten Beschwerde liegen ; die
Rückenlage ist noch die beste, aber jede Bewegung ist mit unsäglichen
Schmerzen verbunden. Will sich der Kranke aus der liegenden in eine
sitzende Stellung bringen , so setzt er langsam eine oder beide Hände an
das Hinterhaupt, und hebt den Kopf mit der Brust gleichzeitig in die Höhe
(ein sicheres pathognomonisches Zeichen). Ein eigner Ausdruck, der schwer
zu beschreiben, aber gleichfalls constant ist, spricht sich zugleich im Ge-
sichte, in der ganzen Physiognomie aus. Im fernem Verlaufe des Übels
stellen sich noch ein: Ohrensausen, Gesichtsschmerz, partielle Lähmung,
besonders der obern Gliedmassen , gänzlicher Verlust der Sinne , Eiteraus-
fluss , colliquative Schweisse und alle Zufalle des hektischen Fiebers ; zu-
letzt bemerkt der Kranke bei jeder Bewegung ein Knarren und Reiben des
(fbern Halswirbels, besonders bei Bewegung des Kopfs. So währt das Übel
Monate lang, der Kranke stirbt an Tabes, oder er bricht bei einiger Be-
wegung im eigentlichen Sinne des Worts das Genick. Die Section aeigt
Most Eacyklopädie. 'He Aufl. I. 13
194 ABTHROCACE
Ergiessung von Eiter und Jauche zwischen den Halswirbehi , Excoriation
des Schlundes, Zerstörung der Knorpel und der Beinhaut in der Nähe des
Epistrophaeus , Zerstörung der Condyli der einen Seite durch Caries; nach
dem plötzlichen Tode Bruch des cariösen Zahnfortsatzes, Eitererguss in die
Brusthöhle, krankhafte Affection und Zerstörung des Gehirns und seiner
Häute. In seltenen Fällen überwindet auch hier die Natui'kraft das Übel
und der Mensch rettet mit ankylotischer Verwachsung das Leben. Be-
handlung der verschiedenen Arten von Arthrocace. Indicatio-
nen sind: 1) Entfernung der veranlassenden Ursachen, oder, wo diese nicht
möglich ist, Verminderung ihrer schädlichen Einwirkungen auf das kranke
Glied ; 2) Beseitigung der Anomalie des kranken Gelenks ; 3) Leitung und
Unterstützung der Lebenskräfte des Kranken. In Betreff des zweiten Punk-
tes müssen wir vorzüglich früh die Entzündung und Anschwellung der Ge-
lenktheile zu zertheilen , die schon begonnene Abweichung des Gelenkkopfs
durch Erweckung einer starken Muskelthätigkeit zurückzuführen , und die
im Gelenke ergossene Flüssigkeit durch Resorption oder Entleerung nach
aussen zu entfernen suchen. Die Mittel zur Erreichung dieser Zwecke sind
entweder allgemeine oder örtliche. Da das Wesen des Übels auf Entzün-
dung beruhet , so müssen im Stadio L antiphlogistische Mittel : örtliche Blut-
entziehungen, kühlende Mittelsalze, vorzüglich auch Merc. dulc. etc. ange-
wandt werden, um die in den folgenden Stadien eintretende Eiterung und
die Caries zu verhüten. Nach Entfernung des allgemeinen entzündlichen
Zustandes ist das Opium in den verschiedenen Perioden des Übels , beson-
ders bei schwächlichen, höchst reizbaren Subjecten, bei heftigem Schmerz-
gefühle, bei schlaflosen Nächten, eingetretenen schwächenden Diarrhöen, ein
unentbehrliches , herrliches Nebenraittel. Ist die Krankheit Wirkung einer
allgemeinen , theils vorhergegangenen, theils noch fortwirkenden Ursache, so
richtet sich die fernere Cur nach der Natur des zum Grunde liegenden All-
gemeinleidens. Sind Gicht , Rhachitis , Erkältung , unvorsichtig behandelte
Hautöbel Ursache, so passen Diaphoretica , unter diesen besonders die An-
timonialpräparate , Schwefel, Kampher, Guajakharz, Decoct. rad. bardanae,
Spec. lignorum; ist Syphilis oder Scrophulosis Schuld, dann gebe man an-
haltend Mercurialia, Antimonialia , Terra ponderosa salita in Verbindung mit
Aq. laurocerasi, Digitalis, Cicuta. Sehr wirksam sind zugleich laue Bäder
in jeder Periode des Übels , um die reproductive Thätigkeit der Haut zu
vermehren und die Zerstörung des Gelenks zu verhindern. Das Extract.
pampinorura, täglich zu 2 — 3 Unzen, in Wasser gelöst, ist gleichfalls sehr
empfohlen worden , desgleichen die Theercur. Im letzten Staditim passen
wegen der grossen Lebenserschöpfung: China, Wein, gute Nutrientia, an-
haltend gebraucht, desgleichen diejenigen Mittel, welche bei hektischem
Fieber angegeben werden (s. Febris hectica). Die örtliche Behandlung
bleibt indessen immer die Hauptsache, da ohne sie an keine radicale Hei-
lung zu denken ist. Im Stadio I. lasse man bei Vollblütigkeit zur Ader, und
setze darauf Blutegel rund um das leidende Gelenk, schlage dann kalte Um-
schläge oder sonstige zertheilende Fomentationen : Foment. frigida Schmücken,
jedesmal frisch bereitet. Aqua Goulardi etc. über, und lasse, nachdem man
diese Mittel einige Tage gebraucht hat , Unguent. mercuriale in das ganze
Gelenk , selbst in dessen nächste Umgebung recht kräftig und dreist einrei-
ben, und zugleich oder abwechselnd allgemeine Bäder gebrauchen. Beide,
die Bäder und die Mercurialsalbe , sind Hauptmittel. Diese Behandlung be-
schränkt sich indessen nicht blos auf die erste Periode; sie ist in jeder Pe-
riode, sobald sich aufs neue Schmeraen und Spannung im Gelenke (Zeichen
neuer Entzündung) einfinden, höchst nöthig. Erst dann, wenn durch diese
Mittel der Schmerz und die entzündliche Spannung gehoben _ worden sind,
darf man zu den mehr reizenden Mitteln : zu dem Linini. volat. camphorat.,
Opodeldüc, Aramoniakptlaster mit Acet. squillit,, zu Vesicatorien, Sinapismen,
übergehen. Hier wirkt oft auch sehr vortheilhaft eine Pasta aus Kolopho-
nium, Mark und Weingeist. In den höhern Graden sind höchst wichtige
Mittel: die Moxa und das Glüheisen, wodurch am leidenden Theile Fonta-
ARTHROCACOLOGIA— ARTICULUS PRAETERNATURAL. 195
nellen gebildet werden , zur Unterhaltung einer tüchtigen, anhaltenden Eite-
rung. Diese letzten Mittel haben in den meisten Fällen, zu rechter Zeit
angewandt, noch den besten Erfolg gehabt Die Eiterung unterhält man
durch reizende Digestivsalben : Unguent. digest. mit Merc. praec. rub. , mit
Pulv. cantharidum etc. Dr. Fritz in Prag macht seine schmerzlose, und
dennoch sichere Heilart der Coxalgie bekannt, wodurch er, wie er ver-
sichert, seit 1819 über dreissig, im zweiten Grade bedeutend vorgerückte
coxalgische Kranke binnen zwei, höchstens drei Monaten vollkommen imd
dauerhaft ohne schmerzhafte Mittel (Cauterium, Moxa, Fontanelle) hellte.
Sie besteht darin, dass er Kindern jeden Abend 3 — 5 Gran Louvrier'sche
Mercurialsalbe in den kranken Schenkel einreiben, den folgenden Tag noch
vor dem Frühstück ein lauwarmes Bad nehmen , darauf im erwärmten Bette
strenge Ruhe halten, Nachmittags warme Mehlkleien aufs kranke Gelenk
legen und erhitzende Speisen und Getränke meiden lässt. Bei Erwachsenen
wendet er die volle Louvrier'sche Schmiercur an. Vergl. medic. Chirurg.
Zeitung 1828. Nr. 37. {Most}. Der Regierungsarzt Dr. Ebel in Neisse (a.
Medic. Zeitung des Vereins f. Heilkunde in Preussen. 1833, Nr. 10.) heilte
innerhalb 6 Wochen einen Kranken, der an Gonarthrocace und 3, welche
an Coxarthrocace litten und sich im zweiten Stadium des Leidens befanden,
gründlich durch Sublimatbäder und Schwitzen, nachdem vorher durch ört-
liche und allgemeine Blutentziehungen der obwaltende Entzündungsprocess
gehoben war. Die Kranken mussten täglich % Stunden in einem warmen
Bade von 27 — SS» R. sitzen, worin '/j Unze Sublimat, später alle 3 Tage
3|l — 3j mehr, bis zu 1 Unze als Maximum, aufgelöst worden. Es folgte
starker Schweiss, der hinterher noch durchs BinhüUen in wollene Decken
begünstigt ward. Ein Kranker bedurfte 16 Unzen und 2 Drachmen , ein
anderer 18 Unzen 2 Drachmen, ein dritter 11 Unzen und Y, Drachme Subli-
mat bis zur vollendeten Heilung. A. A, 0. Waldow.
Artbrocacolog^ia. Ist, nach Rust, die Lehre von der Gelcnkaus-
renkung. Richtiger wäre Exarthromatologia, und für dicLehre der
Gelenkkrankheiten der Name Kakarthrologia.
Arthrocarcinom», Gelenkkrebs, s. Arthrocace u. Carcinoma.
Arthrochondritis , Entzündung der Gclenkknorpel, s.
Inflammatio ossium.
Arthrodynia, Gicht, s. Arthritis.
Arthromening^itisi, Entzündung der Syno vialmembran,
6. Inflammatio ossium, Fungus articulorum.
ArtturoncuSs Gelenkgeschwulst. Ist Symptom verschiedener
Oelenkkrankheiten.
Artbi'opbyma adenocbondrium. So nennen Einige den Tu-
mor albus der Gelenke. S. Fungus articulorum.
Arthroptayma bursale, s. Hydrops bursarum,
Arthr opy osis , Gelenkvereiterung , s. Arthrocace.
Arthr ospong^us , Gliedschwamm, s. Fungus articuli.
Artictilus artificialis, künstliches Gelenk. Hat Dr. Bnrton
mit günstigem Erfolge bei vollkommner Gelenksteifigkeit in mehreren Fällen
durch operatives Verfahren gebildet (s. Ankylosis).
Articulus praetcrnatiirali.«) , Pseudnrthrosis , widernatür-
liches Gelenk. Dieses Übel folgt nicht selten auf schlecht geheite Kno-
chenbrüche der obern und untern Gliedmassen, woran sowol ein schlechter
Verband, als auch Fehler von Seiten des Kranken: Nichtbeobachtiiug der
gehörigen Ruhe des leidenden Gliedes, zu frühes Ablegen des Verbandes,
Mangel an Schonung des Gliedes, Diätfehler, besonders Missbrauch geistiger
Getränke, wodurch die Callusbildung gehindert wird, Schuld sii'd. Die
Folgen sind, dass sich die Knochenenden nicht vereinigen, das Glied bei
der Untersuchung we ein frischer Bruch crepitirt und in seiücr Fu-ict^.on
13*
196 ASAPHIA — ASPHYXIA
dergestalt gestört wird, dass der Kranke, wenn der Arm es ist, mit dem-
selben nichts aufheben und, wenn.es der Schenkel ist, ohne Krücken nicht
gehen kann. Ohne Kunsthülfe bleibt das Übel zeitlebens. Behandlung.
1) Bei frischem Übel , das noch nicht über ein Jahr alt ist , versuche man
anhaltende Ruhe des Theils, 4 — 8 Wochen lang fortgesetzt, lege den ge-
vröhnlichen Bruchverband lose an und reibe Linim. vol. camph. mit Tinct.
canthai-idum ana in die leidende Stelle. 2) Hilft dies nichts oder ist das
Übel veraltet , so muss man operiren. Man macht einen 3 — 5 Zoll langen
Longitudinalschnitt auf der Bruchstelle bis auf den Knochen, entblösst den-
selben, entfernt den häufig um das widernatürliche Gelenk gebildeten Cal-
lus oder die Knorpelmasse mit einem Knorpelmesser oder Meissel und Ham-
mer , so dass man mit dem Messer zwischen die Gelenkstelle kommen kann,
tröpfelt einige Tropfen Butyr. antimonii hinein, stopft die ganze Wunde iidt
trockner Charpie aus, legt einen leichten, nicht zu fest anschliessenden Ver-
band an, lässt diesen 3 — 4 Tage ruhig liegen, verbindet dann mit Unguent.
digest. , so dass die Wunde in Eiterung geräth, unterhält diese bei völli-
ger Ruhe des Gliedes 4 — 6 Wochen, verbindet dann trocken und lässt die
Wunde sich schliessen. Alsdann werden vorsichtige Bewegungen mit dem
Gliede angestellt. Auf diese Weise hat der Herausgeber dieses Werkes
zwei Fälle der Art (einen Artic. praeternaturalis ossis humeri, zwei Jahre
alt, und einen am Unterschenkel, 1% Jahr alt) gründlich geheilt. Ein Meh-
reres über diesen Gegenstand findet man von Dr. Oppenheim in RiisVs Ma-
gaz. 1828. Bd. XXVII. Hft. 2. S. 203. aufgezeichnet.
Asaphia, undeutliche, unverständliche Aussprache. Ist
meistens, wenn kein sichtbarer Fehler der Sprachorgane da ist, ein psychi-
scher Fehler oder Folge von Apoplexie, also ein lähmungsartiger Zustand
(s. Paralysis linguae und Balbuties). Die Cur ist demnach nach
Verschiedenheit der Ursachen verschieden.
AscarideSj Spring würm er, Askariden. Sie halten sich vor-
züglich im Mastdärme auf und erregen , wenn sie in Menge vorhanden sind,
im After oft so heftiges anhaltendes Jucken, dass zarte Subjecte, Kinder
und sensible Frauenzimmer , durch den heftigen Nervenreiz selbst Krämpfe
und Ohnmächten bekommen können. Reizende, kalte Klystiere von kaltem
Wasser, Kalkwasser, Schwefelwasser, von Werrauth, Valeriana, Cort.
aurantior. , von Salzwasser, von Milch mit Aloe, von Essig und kaltem
Wasser (Hipfokrates , Home, von Swieten, Bremser, Schäffer) sind am wirk-
samsten zur End'ernung der Würmer (s. Helminthiasis).
A.fiicitCS, Bauchwassersucht, s. Hydrops ascites.
Ascites bepatocysticus , s. Hydrops vesicae felleae.
Asitia, das Fasten wegen Mangels an Nahrung. Geisteskranke,
besonders Melancholische, wählen oft den Hungertod, desgleichen Verbre-
cher; letztere, um sich der Schande, öffentlich bestraft zu werden, zu ent-
ziehen. Zureden hilft hier oft wenig. Ein besseres Mittel ist dieses: Man
lässt im Zimmer solcher Menschen einen Tisch decken, woran sich ein paar
Menschen setzen , die einen Speckpfannkuchen oder Bratwurst verzehren,
ohne sich um den Kranken dem Anscheine nach zu bekümmern oder ihn zum
Essen zu nöthigen. Alsdann erwacht oft ein so unwiderstehlicher Appetit
bei letzterm, dass er sich von den Gerichten etwas zu essen ausbittet und
den gefassten Vorsatz fahren lässt (^Blumenhach). Das Wort Asitia hat
noch eine zweite Bedeutung, nämlich die: Mangel ein Esslust wegen Ver-
dauungsschwäche und anderer Krankheiten ; s. Anorexia.
Asphyxia, Scheintod, tiefe, anhaltende Ohnmacht, wort-
lich Pulslosigkeit. Die Zufälle der Ohnmacht sind Ärzten und Laien
bekannt; sie sind denen der Apoplexie ähnlich; sind also Mangel an Be-
wusstseyn, Empfindung und willkürlicher Muskelbewegung. Ausserdem fin-
det noch Unterdrückung der Respiration und des Blutumlaufs statt, wodurch
sich die Ohnmacht vom SchlagHusso unterscheidet ; auch ist in den meisten
ASPHTXIÄ 197
Fällen die Gesichtsfarbe blass. Nach den vei-schiedenen Graden der Stärk
und Dauer der Ohnmacht unterscheiden wir 1) Lipothymin , deliquium nnimi,
d. i. eine massige Ohnmacht von kurzer Dauer mit Schwindel, Betäubimg,
Dunkelwerden A'or den Augen , Ohrensausen , wobei das Athmen , der Puls
und das Bewusstseyn nicht völlig unterdrückt sind; 2}Syncope, ein höherer
Grad der Lipothymia. Der Puls ist sehr klein , unterdrückt , das Athem-
holen sehr schwach , das Bewusstseyn verschwunden , Gesicht und Extremi-
täten kalt, bleich, und mit kalten klebrigen Seh weissen bedeckt; zuweilen
ist ein Mittelzustand zwischen Apoplexie und Synkope da (Apolepsis);
S) Asphyxia, Scheintod (Apsychia) , der höchste Grad der Ohnmacht; ein
Zustand, in seinem Äussern dem wahren Tode ganz ähnlich, wo das Leben
nicht erloschen , nur auf die niedere Stufe der Vegetation reducirt ist. Die
gewöhnlichen Zeichen des Todes sind da , aber das sicherste (die beginnende
Verwesung) fehlt (s. Apothanasia). Die Dauer solcher leichten oder
schwerern Ohnmächten ist bald nur von einigen Minuten, bald von mehre-
ren Tagen. Das Wesentliche derselben ist: plötzliche Verminderung oder
Erschöpfung der Reizbarkeit des Gesammtorganismus, die bei der Apoplexia
nur partiell , im Gehirn und in den grössern Nervenstämmen stattfindet.
Ursachen. Hysterische und Hypochondristen, ferner alle schwache, ner-
venreizbare Personen, die starken Blut-, Milch-, Samenverlust erlitten ha-
ben , die an organischen Fehlern des Gehirns , der grossen Blutgefässe , an
Blutcongestionen , an Karditis , Aneurysmen , an Syncope anglnosa , an Ka-
talepsis leiden , haben grosse Disposition zu Ohnmächten. Gelegentliche Ur-
sachen sind theils allgemeine , theils örtliche. Zu erstem gehören Erschö-
pfung durch übermässige Ausleerungen von Blut, Samen, Durchfälle, anhal-
tendes Hungern, schwere Geburten, heftiges Tanzen, grosse Schmerzen,
Nachtwachen , heftige Leidenschaften und Affecten (Zorn , Schreck) , unter-
drückte Blutungen, Luftentziehung, Einwirkung irrespirabler Gasarten, nar-
kotischer Mittel in grossen Dosen , grosser Kälte , Blitzstrahl etc. Zu letz-
tern rechnen wir die verschiedenen organischen Fehler im Gehirn, im Her-
zen und in den grossen Gefässen , Alles, was die Blutcirculation durch Druck,
Pressung stört (Geschwülste, Verwachsungen, enge Kleidung) , was die Re-
spiration unterdrückt: heftige Anfälle von Asthma, Strangulation, Ertrinken
im Wasser -etc. Prognose. Ist verschieden. Ohnmächten aus transitori-.
sehen Ursachen: Schreck, Hysterie etc. bedeuten wenig, gefährlicher sind
die, denen organische Fehler des Gehirns, des Hei'zens zum Grunde liegen;
«ie kehren häufig wieder , und dieser Umstand lässt jene Fehler vermuthen.
Behandlung. Ist nach den Ursachen sehr verschieden, daher es, ehiige
allgemeine praktische Cautelen ausgenommen (s. Asphyxia livida et pal-
lida), keine allgemeingültige Behandlungsart für alle Fälle giebt. Wir
müssen uns daher auf die hier folgenden speciellen Fälle und Arten beziehen,
und folgende Punkte berücksichtigen: 1) Viele Ohnmächten sind heilsame
Bestrebungen der Natur, um heftige Schmerzen, den heftigen Tumult im
Blut - und Nervensysteme zu beschwichtigen und die innern Disharmonien
zu heben. Dies vergessen die meisten Ärzte. Hierher gehören die Ohn-
mächten der Verbluteten , der Hysterischen , der Geisteskranken (^Scfmeiilet'
Advers. T. II.) , die Ohnmächten nach heftigen Gemüthsbewegungen. Hier
dürfen wir nicht gleich Reizmittel anwenden; sie passen erst nach Verlauf
einiger Zeit , wenn der Kranke sich nicht von selbst erholt hat. Man sorge
nur für frische Luft, Entfernung jeder engen Kleidung und für Ruhe. Sind
15 Minuten, ohne dass der Mensch erwacht i, verflossen,' so kann man Liquor
anodyn., Naphtha aceti! geben, ah Salmiakgeist riechen," mit Essig Gesicht
und Hände waschen lassen etc. 2) Ohnmächten durch heftige Schmerzen.
Hier passen Tinct. opii mit Liq. c. c. succ. und Liquor anodyn. ana p. d.
25 — SO Tropfen, Naphtha, Moschus, etwas Wein und andere belebende
und beruhigende Mitte). 3) Ohnmacht durch Aderlass. Wird verhütet, wenn
der Mensch, während das Blut fliesst, platt liegt. Ist sie da, dann Ruhe
und horizontale Lage des Körpers. Hält sie an, dann Essig, Spirit. sah
ainmon. caust. etc. 4) Ohnmacht durch «tarke Gerüche. Hier passen reine.
198 ASPHYXU
kühle Luft, Besprengen des Gesichts mit Wasser, mit Essig, Essigiimschlägc
um die Stirn. 5) Ohnmacht durch organische Fehler des Gehirns und des
Herzens etc. Hier passen kein Liquor, keine Naphtha , sondern kleine wie-
derholte Blutausleerungen, kühlende Mittel, antiphlogistische Diät, Derivan-
tia (s. Aneurysma). 6) Ohnmacht der Verhungerten. Man gebe hier
zuerst ja keine festen Speisen , keine starken Suppen , sondern Haferschleim,
Mandelemulsion, schwache Kalbfleischbrühe mit Eidotter, anfangs in kleinen
Portionen und in kurzen Zwischenräumen gereicht, später etwas Wein und
weichgekochte Eier, festere Nahrung, etwas Weissbrot etc. 7) Ohnmacht
durch unterdrückte Blutungen. Cur. Wie bei Ohnmacht durch organische
Fehler; s. Nr. 5. — Höchst wichtig ist die Cur der höhern Grade von
Ohnmacht, der Asphyxie, besonders wenn sie von plötzlich einwirkenden
Ursachen abhängt (Behandlung Verunglückter). Die aligemeine Behandlung
der Verunglückten ist so bekannt, dass ich sie füglich übergehen könnte.
Licht , Luft und Wärme sind die ersten und grössten Heilmittel bei allen
Asph} ktischen der Art. Hier die speciellere Behandlung.
Asphyxie der Neugeborenen. Bei schweren, zumal Fussgeburten
kommt das Kind oft scheintodt zur Welt. Ist das Gesicht roth, dunkelblau,
sind alle Zeichen der Blutcongestion da, so lässt man 1 — 2 Esslöffel voll Blut
aus der Nabelschnur, reinigt den Mund vom Schleime, reizt den Schlund
zum Erbrechen, bläst gelinde Luft ein, besprengt das Gesicht mit kaltem
Wasser, legt das Kind in ein laues Bad, wendet ein kaltes Tropfbad auf
die Herzgrube an. Ist das Kind aber wahrhaft ohnmächtig, ganz bla»s, so
schneidet man die Nabelschnur nicht gleich durch, sondern legt das Kind
mit der Nabelschnur und Placenta in ein warmes Bad von aromatischen
Kräutern, mit Zusatz von Wein, Branntwein, frottirt es mit warmen Tü-
chern, bläst Luft ein, hält Naphtha, Salmiakgeist etc. unter die Nase,
giebt reizende Klystiere, macht kalte Anspritzungen auf die Herzgrube etc.
NB. Man geht hier, wie in den meisten Fällen des Scheintodes, von den
gelindern Reizmitteln zu den starkem über; wendet man letztere zu früh
an, so schaden sie sehr. Als letztes Mittel kaim man die Elektricität imd
den Galvanismus versuchen.
Asphijane bei Berauschten. Findet am häufigsten bei Kindern, die
zufallig über Wein oder Branntwein kommen, statt. Cur. Warmes Wasser
und Butter oder ein Vomitiv aus Ipecacuaiiha zum Erbrechen , Waschen mit
Essig, Essig und Wasser zum Getränk; bei Congestionen zum Kopfe Blut-
egel an den Hals. Kaltes Wasser, womit der Kopf bei nacktem Körper
begossen wird, was die Russen häufig thun , erweckt am schnell.sten aus
tiefem Rausche {Trotter), zugleich lässt man ein Glas starkes Salzwasser
trinken ( Firei/) ; auch heben 6 — 10 Tropfen Liq. ammon. caust. , in ein Gla.s
Wasser gemischt , schnell den Rausch ; um denselben zu verhüten , räth Ga-
len an , vor dem Trinken des Weins sieben bittere Mandeln zu essen. Ge-
gen die Trinksucht und zur Verhütung des traurigen Säuferwahnsinns sind
bittere Extracte mit Acid. sulphur. dilut. ein gutes Präservativ (^Brülil - Cra~
mer) ; s. Deliriumtremens.
Asphifxic durch Genuss von Giften. Findet vorzüglich bei nar-
kotischen Giften statt. Cur. Scharfe Vomitive oder, noch besser, frühe
Entfernung des Gifts aus dem Magen durch die Magenpumpe von Weiss in
London , durch die Apparate von Juke und Rced (s. Hcide's Zeitschrift für
Staat.-sarzneikunde, 1827. Hft. 4. S. 423 — 70,), frische Luft, Reiben de»
Körpers, Waschen mit Essig, mit Naphtha aceti , Essigklystiere, später
Essig zum Getränk; und die specielle Behandlung für die einzelnen Fälle;
bei heftigen Congestionen zum Kopfe und Zufällen der Apoplexie dürfen
auch die Blutausleerungen nicht versäumt werden; s. Intoxicatio.
Aspfnjxie durch Schwefelwasserstoffgas. Erfolgt am häufigsten
durch die Luft aus Abtritten, Kloaken. Zufälle. Gleich nach dem Ein-
athmen geben die Unglücklichen ein brüllendes Geschrei von sich, die Haut
ist kalt; dabei bläulichrothes Gesicht, Übelkeit, Neigung zum Erbrechen,
weite Pupille , Krämpfe . Emprosthotonus . Verlust de« Bewusstse vns , des
ASPHYXIA 199
Athemholens. Diese Art Scheintod kann yiele Stunden anhalten, und den-
noch ist Wiederbelebung möglich ; dagegen tödtet kohlensaures Gas weit
schneller, doch gelang auch hier die Wiederbelebung noch nach drei Stun-
den (^Bourgeois). Cur. Frische Luft, Waschen mit Essig, mit oxygenirter
Salzsäure, besonders unter der Nase, ein Brechmittel aus Tart. emetic,
Essigklystiere.
Asphyxie durch kohlensaures Gas, durch Kohlendampf in ver-
schlossenen Zimmern , besonders des Nachts während des Schlafs , durch z«
frühes Verschliessen des sogenannten Schosses bei Zugöfen, durch Verbren-
nung glühender Asche, durch Sumpfluft, durch die Luft in lange verschlos-
sen gewesenen Kellern , Gewölben , Gefängnissen , Brunnen , durch gährende
B'lüssigkeiten , z. B. in Bierkellern, durch Traubenbottiche, durch Kalköfen
etc. Zufälle. Angst, Steifheit in der Kinnlade, in den Waden, Schwin-
del, Vei'dunkelung vor den Augen, Zuckungen, aufgetriebenes blauroth«5
Gesicht , dick hervorgetriebene Zunge , schwarze Lippen und Nase , blaue
Flecken am Körper, Bewusstlosigkeit. Cur. Frische Luft; man rettet den
Unglücklichen mit Vorsicht für den Rettenden (der einen Schwamm mit
Essig vor dem Munde haben und selbst durch einen Strick mit andern
Menschen in Verbindung bleiben muss) aus der verdorbenen Luft, wäscht
den ganz entkleideten Körper mit Essig , macht Essigumschläge , bläst fri-
sche Luft ein, giebt Essigklystiere, nachher von Kochsalz und Bittersalz,
(solche reizende Klystiere sind höchst wichtig; Kennuldin) , reibt und bür-
gtet die Glieder, vermeidet aber warme Betten, warme Zimmerlaft und
Tabakski ystiere, da die narkotischen Wirkungen des Tabaks hier höchst
nachtheilig sind {OrfiJa, Brodie). Häufig ist hier ein Aderlass nothwendig.
In die steifen Kinnladen reibe man Salmiakgeist.
Asphyxie durch Luftentziehung. Findet statt bei Erhängten, Er-
würgten, beim Ersticken durch Betten, Verschütten mit Sand, beim Auf-
fliegen von Pulverminen etc. Der Tod erfolgt hier durch Mangel an Sauer-
stoff und an Oxygen^tion der Säfte. Behandlung. Man entferne die Ur-
sachen und behandle den Unglücklichen, wie bei Asplvyxie durch Schwefel-
wasserstoffgas angegeben wordeu ist. In den meisten Fällen passt em Ader-
lass am Halse oder am Arme.
Asphyxie durchs Ertrinken. Auch hier ist die aufhörende Oxyda-
tion des Körpers wegen Luftmangels die vorzüglichst« Ursache des Schein-
todes oder des wirklichen Todes; Manche sterben auch durch Schreck, oder
apoplektisch. Cur. Die Rettung beruhet hier wieder auf HerbeischafFung
von Sauerstoff (Lufteinblasen, Waschen mit Essig etc.) und auf Er-
wärmung (Reiben und Bürsten des Körpers mit warmem Flanell, mit
Bürsten, warmes Bad). NB. Mit dem Aderlassen sey mau vorsichtig; in
100 Fällen passt es nicht fünf Mal. Übrigens die Behandlung wie bei
Asphyxie der Neugeborenen.
Asphyxie durchs Erfrieren. Die Symptome und Wirkungen
der Kälte auf den Körper sind : zuerst Schmerzen , Kältegefühl, darauf bren-
nende Hitze, dann Schmerzlosigkeit , grosse Gleichgültigkeit, unwidersteh-
liche Neigung zum Schlafen, weiterhin Aufhören der Respiration und Blut-
circulation , Erstarrung und Steifheit des Körpers. Der Tod erfolgt hier
l) durch Reizentziehung, 2j durch Blutandrang nach innen, 3) zuletzt auch
durch Starrheit und aufhörende Verschiebbarkeit der Theile , wodurch da«
Athemholen früh gehemmt wird. Prognose. Ist oft günstig; man hat
Beispiele, dass bei richtiger Behandlung Erfrorne noch am fünften Tag«
wieder ins Leben gerufen worden sind. Behandlung. 1) Man transpor-
tire und entkleide den Verunglückten vorsichtig, damit am Körper nichts
zerbrochen wird. 2) Man bringe ihn in eine Temperatur, die nicht viel
höher ist, als die des gefrornen Körpers, sonst entstehen Brandblasen oder
wirklicher Tod. Man lege den Körper in Schnee oder in eiskaltes Wasser,
worein man von Zeit zu Zeit noch Eisstücke wirft. Dies muss selbst Tage
lang fortgesetzt werden. Zeigen sich Spuren des Lebens: Biegsamkeit,
Weichheit, Wärme der Glieder, Röthe etc., so bringe man den Kranken tn
200 ASPHYXIA
ein kaltes Bette, in ein kaltes Schlafzimmer, blase Luft ein, nachdem man
den Kehldeckel des Kranken mittels dessen Zunge aufgezogen hat , reibe
den Körper noch mit Schnee, mit kalten Tüchern, gebe Niesemittel, kitzle
den .Schlund, bürste die Fusssohlen, gebe alsdann, sobald der Kranke
schlucken kann, kaltes Getränk zu trinken , aber nichts Warmes, nichts
Reizendes , sonst entstehen Brandblasen im Munde und Schlünde. Dennoch
entstehen auch ohne angewandte Reizmittel oft heftiges Herzklopfen und
Engbrüstigkeit nach zurückgekehrtem Leben, welche häufig selbst einen
Aderlass erfordern, Reisende schützen sich im Winter am sichersten vor
dem Erfrieren durch Vermeidung von Überladung mit Speisen, Vermeidung
aller geistigen Getränke. Starker Kaffee und warmes Bier sind nützlich,
beim fahren abwechselndes Gehen und Fahren, bei Müdigkeit das Kauen
eines kleinen Stücks Kampher, welcher belebend wirkt und wieder munter
macht. Über die Behandlung einzelner erfrorner Theile s. Perniones.-
Asphyxie durch Blitzstrahl. Erfolgt aus Überreizung, durch hef-
tige, plötzliche Erschütterung im Nervensysteme. Zufälle. Betäubung,
plötzliches Aufhören aller Lebensverrichtungen; nicht selten findet man am
Körper kleine, rothe Streifen, Brandblasen. Behandlung. Man bringt
den Verunglückten schnell an die freie Luft, entkleidet ihn, reibt ihn tüch-
tig mit wollenen Tüchern, noch besser mit Katzen- oder Fuchsfellen, be-
spiützt ihn mit kaltem Wasser, Essig, mit Naphtha. Während dessen lässt
man das Erdbad bereiten, legt den nackten Körper in die frisch gegrabene
Grube und bedeckt ihn handhoch ndt Erde , doch so , dass das Gesicht frei
bleibt. Im Erdbade bleibt der Mensch 1 — 3 Stunden liegen, während man
ihm das Gesicht öfters mit Essig, Naphtha reibt, Salmiakgeist unter die
Nase, an die Lippen bringt etc. Zeigen sich Lebensäusserungen, so flösse
man warmen Wein ein, gebe Fleischbrühe mit Eidotter, von Arzneien Li-
quor, anodyn. , Liq. c. o. succin., auch Moschus. Klagt der Kranke über
örtliche Schmerzen, so mache man Umschläge von aromatischen Kräutei-n
und Wein , Einreibungen von Spirit. camphorat., Linim. volat. in die leiden-
den Theile. Gegen die nachbleibende Lähmung dienen reizende Einreibun-
gen, Senfpflaster, besonders aber der Galvanismus, durch die obern und
untern Glieder angebracht (indem der Zinkpol mit den Füssen des Kranken
verbunden und mittels eines in den Händen gehaltenen Metallstabes der Ku-
pferpol berührt wird); auch das elektrische Bad, wobei kleine Funken aus
den gelähmten Gliedern gezogen werden (täglich '/o Stunde lang, 3 — 6 Wo-
chen lang fortgesetzt) ist hier sehr zu empfehlen (M.). Sind 3 — 4 Stunden
fruchtlos verflossen, so ists Zeit, den Galvanismus oder das elektrisclie Bad
auf oben angegebene Weise zur Wiederbelebung anzuwenden. Man gehe
hier aber bald zu kleinen elektrischen Schlägen , zuerst auf die Finger und
Arme, dann auf die Schultern uiid Füsse, zuletzt auf die Herzgrube, über.
Desjardins beschreibt einen Fall, wo durch Blitzstrahl ein Mann völlig stumm
ward.' Nach 13 Tagen war Mund, Rachen, Zäpfchen etc. noch geschwol-
len und entzündet. Man setzte wiederholt Blutegel an, wodurch sich die
Entzündung und auch die Stimmlosigkeit verlor. Wollen alle Mittel bei
Scheintod durch Blitz keine Wiederbelebung bewirken, so versuche man zu-
letzt die Elektropunctur; s. Acupunctura.
Asphyxie durch ' Verbl utung. Ist die Verblutung nicht stark , so
hilft schon Ruhe, horizontale Lage des ganzen Körpers , Einreibungen von
reizenden Spirituosen Dingen: Naphtha, Eau de Cologne, Wein. Hierauf
erholt sich der Mensch bald aus seiner Ohnmacht. Man gebe hinterher gute
Fleischbrühen mit Eidotter, überhaupt sehr leichtverdauliche animalische
Kost, da die Folgen des Blutverlustes wegen mangelnder Nutritiun leicht
Febris hectica erregen , was vorzüglich nach bedeutenden Blutungen zu be-
rücksichtigen ist. Ein höchst wichtiges , lebensrettendes Mittel bei grossem
Blutverluste ist die Transfusion des Bluts. Man öffnet nämlich eine Arm-
vene, legt eine kleine Spritze in warmes Wasser von 30" R. , und spritzt
vorsichtig und langsam alle zehn Minuten ^ Unzen frischgelassenes Men-
schenblut ein. Es wird sich leicht ein gesunder starker Mensch linden, der
ASPHTXIA 201
zur Liiebensrettung des Verunglückten einige Unzen Blut hergiebt. Nur im
Nothfalle nehme man Thierblut, da dieses oft nachtheilig auf den mensch-
lichen Organismus wirkt. Man mache es sich aber bei dieser Operation zur
Regel, nicht zu viel und nicht zu rasch Blut einzuspritzen, weil sonst leicht
heftige Angst und Convulsionen folgen. Dr. Wnlhr (Lond. med. and phys.
Journ. Aug. 1826.) rettete dadurch eine SSjährige Frau, die wegen heftiger
Metrorrhagie während der Entbindung in die höchste Erschöpfung gesunken
war. Er spritzte zu fünf verschiedenen Malen und in Zwischenräumen von
5 zu 5 Minuten, jedesmal 12 — 15 Drachmen Blut von gesunden Männern
in die Adern, worauf die Person sich nach und nach vollkommen erholte
(s. Haemorrhagia uteri).
Asphyxie durch heftige Affecten und Leidenschaften. Bei
excitirenden Leidenschaften wende man früh Reizmittel an: Reiben der Haut,
frische Luft, spirituöse Waschwasser, Naphtha, Wein; bei deprimirenden
passen sie nicht gleich anfangs, z. B. bei Asphyxie aus Furcht, Schrecken.
Hier lege man den Kranken horizontal, gebe ihm Ruhe und frische Luft,
und wende Reizmittel erst später an, wenn sich binnen ^1^, — y. Stunde der
Mensch nicht von selbst erholt hat. Bei dunkelrothem Gesichte und apo-
plektischen Zufällen vergesse man das Aderlassen nicht.
Asphyxie durch Sturz. Hier sind entweder Kopfverletzungen: Zer-
schmetterung des Schädels mit Knochensplittern etc. da, oder Verletzung
einzelner wichtiger Eingeweide in der Brust - oder Bauchhöhle, oder die
Asphyxie ist alleinige folge der Commotion des Gehirns und des Nerven-
systems (s. Commotio cerebri).
Asphyxie durch Luxation der Halswirbel, s. Luxatio verl-
tebraru m colli.
Asphyxie durch mechanische Hindernisse im Schlünde und
in den Athem Werkzeugen. Fremde Körper, die in den Schlund oder
in die Luftröhre gekommen sind, erregen nicht selten Erstickung. Be-
handlung. Sind spitzige Dinge: Nadeln, Nägel etc. verschluckt, so gebe
man , wenn sie von Stahl oder Eisen sind , Säuren , wenn es kupferne oder
messingene sind , ölige Dinge mit Sal Glauberi , Infus, sennae zum Laxiren.
Bei verschlucktem Glase, bei einer Menge Nadeln giebt man vorerst viel
Milch, Öl, und lässt später Mehlbrei essen. Steckt der fremde Körper noch
im Schlünde, so suche man ihn durch Zangen, Schlingen, durch einen dop-
pelten und krumm gebogenen Draht, mit Öl bestrichen, durch ein Fisch-
beinstäbchen, woran ein kleiner Schwamm befestigt worden etc., zu entfer-
nen, oder, wenn er tief im Schlünde steckt, in den Magen zu stossen. Oft
geht der fremde Körper durch Schütteln, Rütteln, Lachen, Niesen los. Oft
erreicht man seinen Zweck, indem man ein kleines Stück Fleisch, das an
einen Faden gebunden ist, verschlucken lässt, und schnell wieder heraus-
zieht (^Buchari). Hilft dies nicht und ist die Erstickungsgefahr sehr. gross,
so lasse man zur Ader, öffne eine Armvene, spritze ein Vomitiv von 4 Gran
Tart. emetic. , aufgelöst in 1 Unze Aq. destill. , erwärmt in die Aderöffuung
nach oben, oder mache die Tracheotomie, worüber die operative Chirurgie
das Nähere lehrt. Oft bleibt letzteres das einzige Rettungsmittel , wenn
nämlich der fremde Körper in der Luftröhre steckt ; dagegen ist die Ein-
spritzung des Vomitivs da besonders indicirt , wenn die Luftröhre Bur durch
den die Speiseröhre ausdehnenden fremden Körper verchlossen ist. S. Cor-
pora allen a inserta, Nr. 5, 6, 8.
Asphyxin lividn und' pallidn, Scheintod mit dunkelrothem, bläu-
lichem und mit blassem Gesichte. Diese ältere symptomatische Ein-
theilung der Asphyxie behält immer ihren praktischen Werth. Sie erinnert
uns an die Indication und Contraindication zum Aderlassen. Bei Scheintod-
ten mit dunkelrothem Gesichte , mit apoplektischen Zufällen , wie z. B. bei
Erhängten , bei im Kohlendampf Erstickten etc., ist die Venaesection höchst
nothwendig ; bei Ertrunkenen , vom Blitze Getroffenen , bei Verbluteten etc<
würde sie, höchst seltene Fälle ausgenommen, den Tod befördern. — Hier
noch einige praktische Cautelen bei Behandlung Scheintodter im All-
202 ASPHTXIA
gemeinen. 1) Ein rein ausgeblasener Blasebalg, einige wollene Decken uiid
wollene Tücher, eine Klystierspritze , warmes und kaltes Wasser, etwa»
Wein, Branntwein und Essig, etwas Salmiakgeist, Liquor, anodyn., Flor,
chamom. und sambuci, Herb, menth. pip., mehrere scharfe und weiche Bür-
sten und eine Badewanne sind die noth wendigsten Dinge, welche schnell her-
beigeschafft werden müssen. 2) Höchst wichtig ist das Luft ein blasen,
und gerade dies wird so oft unrecht gemacht. Das Röhrchen des Blase-
balgs muss mit einem weichen , nassen Läppchen umwickelt und in das eine
Nasenloch (nicht in den Mund) gesteckt werden, während ein Gehülfe das
andere Nasenloch und den Mund zuhält und den Kehlkopf etwas zurück,
d. h. nach innen drückt , damit die Luft nicht durch den Schlund in den
Magen dringt. Hebt sich nun die Brust beim Einblasen nicht, so zeigt dies
an, dass Schleim, Schlamm oder sonst ein Hindcrniss im Hintermunde ist,
oder dass der Kehldeckel die Stimmritze zu fest verschliesst. Man stecke
dann einen an ein Fischbeinstäbchen befestigten kleinen Schwamm in den
Mund und entferne so den Schlamm etc. , ziehe auch , um den Kehldeckel
zu heben , die Zunge hervor. Hilft dies noch nichts , so bringt man ein
elastisches an den Blasebalg angebrachtes Röhrchen durch die Stinuuritze in
die Luftröhre. Ist kein Hinderniss beim Lufteinblasen da, so muss man je-
desmal nach demselben einen gelinden Druck auf den Unterleib des Schein-
todten , von unten nach oben schiebend , anbringen , damit die eingeblasene
Luft bei offnem Munde wieder herausfährt, so dass also die natürliche Re-
spiration hier ganz nachgeahmt wird. Man beobachte bei diesem Geschäfte
daher auch den gehörigen Rhythmus , und mache von Zeit zu Zeit eine
kleine Pause (von 5 — 10 Minuten), um zu sehen, ob keine Lebenszeichen
sich einstellen und um während der Zeit andere Reizmittel anzuwenden.
Auch blase man ja nicht mit starker Gewalt die Luft ein , sonst können
Zerreissungen der Lungenbläschen erfolgen. 3) Eben so wichtig ist das
Reiben und Bürsten des Körpers zur Entwickelung der Wärme, mit
warmen Flanelltüchern, mit bald trocknen, bald nasswarmen Tüchern, mit
Bürsten, mit Thierfellen. Das Reiben geschieht aufwärts von den Gliedern
nach dem Stamme zu; auch der Rücken, die Brust, besonders die Herz-
grube dürfen nicht vergessen werden. Hierzu sind vier Personen nothwen-
dig, wovon eine jede ein Glied handhabt, und die, sobald sie müde sind,
durch vier andere abgelöst werden müssen. Die Wahrscheinlichkeit der
Wiederbelebung ist um so grösser, je mehr sich während des Reibens Röthe
des Körpers, Weichheit der Haut und M\iskelspannung zeigt. Man setzt
dann zur Abwechslung den Scheintodten in ein laues Bad, giesst ihm 2 — S
Eimer kaltes Wasser über den Kopf, nimmt ihn wieder heraus , trocknet
ihn mit warmen Tüchern ab, lässt ihn an Salmiakgeist riechen und setzt
das Reiben vmd Bürsten fort. 4) Von grosso Wichtigkeit ist die gehörige
Zeit und Reihefolge bei Anwendung der Hülfsmittel. Lufteinblasen, Reiben,
und bei blauem Gesichte Aderlassen sind die ersten Mittel. Ist damit frucht-
los eine Stunde verflossen, so tritt der Zeitpunkt ein, wo Klystiere, Ein-
spritzungen in den Magen , Riech - und Niesemittel , Tropfbad , laues Bad,
kalte Begiessungen und Umschläge auf den Kopf, Bürsten der Fusssohlen,
Kitzeln des Schlundes mit einer Feder etc., nützlich sind. Nach l'/o — 2
Stunden fruchtlos angewandten Versuchen wendet man Folgendes, eins nach
dem andern an: Peitschen des ganzen Körpers mit Brennesseln, Nadelstiche,
angebracht unter die Nägel der Hände und Füsse, heisses Siegellack, auf
einige Stellen der Haut getröpfelt, Schröpfköpfe auf die Brust und den Un-
terleib, Tropfbad von kochendem Wasser auf die Brust, elektrische Schläge
durch die Glieder und die Herzgegend, Acu- und Elektropunctur des Her-
zens, oder doch der Herzgrube, der Pleura, Brennen der Fusssohlen mit
dem Glüheisen, warmes Aschen- oder Sandbad. 5) Viele Scheintodte wä-
ren gerettet worden , hätte man die starken Reizmittel nur erst nach An-
wendung gelinder Reize: der Wärme, des Reibens etc. angewandt. Man
denke an die Lebendigbegrabenen , die in der Erde auch ohne Reizmittel
oft noch so spät erwachten, wovon schauderhafte Beispiele genug vorhanden
ASTASIA — ASTHMA 203
sind , und man vnrd. diesen Ausspruch billigen, b) Der Galvanismus ist
ein höchst wichtiges , leider ! noch immer zu wenig gebrauchtes Mittel bei
Scheintodten , da er ein specifisches Reizmittel für die Nerven und Blutge-
fässe ist. Besonders zu empfehlen ist er bei Ertrunkenen und vom Blitz
Getroffenen (^AcJcertnaim, Wiedemann, Most'). Man bauet eine Voltasäule
von 50 — 60 Doppelplatten auf, setzt den Conductor des Zinkpols in die
Gegend der zweiten Rippe, den des Kupferpols in die Gegend der sechsten
Rippe der linken Seite, und lässt so einzelne galvanische Schläge durch.
Noch wirksamer ists, um vorzüglich auf den Nervus sympathicus magnus
zu wirken, wenn man den Zinkpolconductor in den After bringt, und dann
vorsichtig , ohne andere Theile im Munde zu berühren , mit dem Kupferpol-
conductor in kleinen 2iivischenräumen von % Minute die innere Wand des
Schlundkopfs berührt. 7) Ein wirksames, in Ermangelung einer Voltasäule
anzuwendendes Mittel ist noch die Acupunctur (ChwrcMlV) , s. Acupunctura.
Noch wirksamer ist die Elektropunctur. Um diese in der Geschwin-
digkeit ohne Voltasäule zu bewerkstelligen, kann ich Folgendes aus eigener
Erfahrung (mit Erfolg bei einem ins Wasser gefallenen Kinde, nach l'/z
Stunden vergeblich angewandten andern Mitteln, gebraucht) empfehlen:
man sticht eine feine Acupuncturnadel in die Gegend des Herzens zwischen
den Rippen Y2 Zoll tief ein, befestigt daran einen silbernen feinen Draht,
woran sich ein silberner Löffel befindet, den man in ein Glas mit Salzwas-
ser bringt ; eine zweite Nadel sticht man in die Herzgrube , befestigt daran
einen andern feinen Draht , woran sich ein Stück Zink befindet , welches
man in ein Glas, worin warmes Wasser und Asche befindlich ist, legt.
Beide Gläser stellt man nun nahe an einander, und schliesst abwechselnd
die galvanische Kette durchweinen feinen, polirten trocknen Draht, den man
mit einem seidenen Tuche anfasst. (Es erfolgten im erwähnten Falle leise
Erschütterungen, Röthe der Lippen, und nach 20 Minuten Seufzen, schwa-
che Respiration und Wiederbelebung). Auch das von Leroy d'EiioUes vor-
geschlagene Verfahren , zwischen die siebente und achte Rippe Acupunctur-
nadeln einzustechen, die, wenn sie nur y, Zoll tief kommen, die Fasern
des Zwerchfells berühren , und dann mittels einer kleinen Voltasäule diese
und den Schlund zu galvanisiren , verdient alle Aufmerksamkeit, indem die
Respiration dr.durch kräftig befördert -wird.
Astasia, Blesirisiims , grosse Unruhe, Umherwerfen des
Kranken. Ist ein Symptom mancher gefährlichen fieberhaften Krankhei-
ten , bei welchen häufig die Opiate contraindicirt sind und ihre Anwendung
daher grosse Umsicht des Arztes erfordert. S. Anodyna.
Asthenia, Schwäche, Asthenie, s. Adynamia.
* Asthma, Engbrüstigkeit, Asthma, Dampf, Dumpf. Ist
erschwertes, mühsames, kurzes, beengtes Athmen, beruhend auf einer Stö-
rung der Harmonie der, der Norm nach typisch oder rythmisch erfolgenden
In- und Exspirationsacte, also Anomalie der Respiration, Abnormität im
Athemholen. Wir unterscheiden 1) Asthma idiopathicum, das seinen
Sitz und seine Quelle in der Brust hat, wie z. B. das Asthma spasticum
adultorum und infantum, das Asthma nocturnum, aereum, pulverulentum,
metallicum; 2) Asthma sympathicum, wo die Quelle des Übels in an-
dern Theilen, im Unterleibe, im ganzen Körper, in Gicht, Hämorrhoiden
etc. begründet ist , z. B. Asthma abdominale , siccum , plethoricum , arthri-
ticum etc. Zuerst folgen hier die verschiedenen Arten und Unterarten des
idiopathischen, dann die des sympathischen Asthma.
Asthma spasiicttm udultorum , seniorum, convulsivum , spasticum intermit-
tens, Dijspnoea et Orthnpnoen convulsiva, Caducum pulmonum, convulsi-
visches Asthma, Brustkrampf, krampfhafte Engbrüstigkeit Erwach-
sener. Ist eine reine Brustneurose, bedingt durch krampfhafte Reizung,
Reaction der Brustnerven , insbesondere des zu den Lungen und der Tra-
chea gehenden Nerv, vagus in seinen mannigfaltigen Verzweigungen und
Geflechten (Ramus recurrens , Plexus pulmonales) , vielleicht auch des Brust-
2m ASTHMA
theils des Gangliensystema (To«)- (Es ist noch gar nicht ausgemacht, ob
das Übel ein idiopathisches, selbständiges, oder nur Symptom eines tiefer
liegenden Leidens ist. Wurde doch früherhin die Angina pectoris mit dem
Brustkrampfe verwechselt und letztere beruhet doch wol meist auf Herzfeh-
lern! M.). Symptome. Entweder keine Vorboten, oder vorhergehende
Kopf - und Nackenschraerzen , Übelkeiten , Flatulenz , Pulsiren der Karoti-
den, wässeriger Harn , unruhiger Schlaf, üble Laune, Niedergeschlagenheit^
Verdriesslichkeit , eine eigne Geistesstumpfheit. Der erste Anfall erscheint
gewöhnlich zur Nachtzeit, der Kranke erwacht mit Gefühl von Zusammen-
schnüren, Beklemmung der Brust, holt mühevoll und keuchend Athem,
schnappt bei hohen Graden des Übels ängstlich nach Luft (Orthopnoea),
empfindet grosse Angst , sucht durch Aufrechtsitzen und Schnappen nach
frischer Luft, durch Öffnen der Fenster und Thüren, durch Körperbewe-
gung etc. sich Erleichterung zu verschaffen ; der Pnls ist klein , zusammen-
gezogen, iutermittirend (in den meisten Fällen auch schnell; M.), der Herz-
schlag stark, regellos, das Reden erschwert, oft unmöglich, das Antlitz
bald roth, bläulich (bläuliche Lippen, geschwollene Adern), bald bleich,
eingefallen; der Husten ist bald da, bald fehlt er. Späterhin erkalten die
Gliedmassen , es erfolgen Ohnmächten , der höchste Grad von Orthopnoe ;
oft Erbrechen grasgrüner Galle; der Anfall endet entweder mit einem gelb-
lichen, grünlichen, bisweilen sauren oder mit Blut vermischten, schleimigen
Auswurfe, oder mit Nasenbluten und Blutauswurf durch Husten innerhalb
V4» Vn einer bis mehreren Stunden; dabei weicherer, regelmässiger Puls,
gekochter Harn, feuchte Haut, freiere Respiration, Nachlassen aller Zu-
fölle und Versinken in ruhigen Schlaf; doch bleibt bei den meisten Kranken
auch ausser den Anfällen eine anhaltende massige Dyspnoe zurück, so wie
die Anlage zu Recidiveu, die verschiedene Ursachen hervorrufen können.
Je kürzer der erste Anfall v,&r, desto früher erscheint der zweite; auch
pflegen die folgenden Anfälle heftiger als der erste zu seyn. Das Übel töd-
tet entweder im Anfange durch Lungenapoplexie, Stickfluss (siehe unten)
oder durch Lungenlähmung; auch geht es oft in das Schleimasthma, in Lun-
genphthisis , Hydrothorax und allgemeine Wassersucht über. Von der Brust-
wassersucht unterscheidet sich dieses Asthma durch die Periodicität der An-
ßUe, durch das ihm fehlende eigenthümliche Gefühl von Druck auf die
Limgen, durch die charakteristische, zusammenschnürende Empfindung in
der Brust, durch den Mangel an ziehenden Schmerzen in den Schulterblät-
tern, im Nacken, in den Armen, durch das fehlende Odem des Gesichts,
der Gliedmassen , des Scrotum , der Schamlefzen. Die Diagnose zwischen
diesem Übel und dem feuchten Asthma folgt weiter unten , s. Asthma h u -
midum. Von Peripneumonia notha und Phthisis pulmonalis pituitosa unter-
scheidet es sich durch seine Periodicität, eben hierdurch auch vom Asthma
als Folge organischer Brusteingeweidefehler (jedoch intermittirt auch dieses
oft), vom Asthma hystericum und hypochondriacum durch die fehlenden
Zeichen des Grundübels, von der Angina pectoris durch Mangel an der
diese charakterisirenden Empfindung in der Brust, die man wol eigentlich
nicht Asthma nennen kann , sowie durch den eigenthümlichen Armschmerz,
der ein pathognomonisches Zeichen der Brustbräune ist, von den Anfällen der
organischen Herzkrankheiten , die man ebenfalls falschlich als Asthma be-
zeichnet, durch die diesen wesentlichen Pulsunregelmässigkeiten und andere
Zufälle (s. Aneurysma internum). Gelegentliche Ursachen sind:
zu grosse Hitze, zu warme Stubenluft, besonders bei schnellem Wechsel der
Temperatur, schnelle Veränderungen der Atmosphäre, schnelles Sinken des
Barometerstandes (daher sich die Krankheit oft nach dem Jahreswechsel
richtet), feuchte, naskalte Witterung, heftiges Laufen, Tanzen, Springen;
Leidenschaften, Missbrauch geistiger Getränke, Excesse in Venere, Onanie,
Diätfehler, unreine, durch Rauch, Staub, metallische Dämpfe etc. verdor-
bene Luft, Verwundungen des Zwerchfells ; Gicht, Hämorrhoiden, Hysterie,
Epilepsie, Hypochondrie, zu schnell geheilte Ausschläge und Geschwüre der
Haut, öfters überstandene katarrhalische und entzündliche Atfectionen der
ASTHMA 205
Brust (daher oft bei alten Leuten , wo die Lungenschleimhaut erkrankt ist
und diese dann leicht die sensible Seite der Brust in Mitleidenschaft zieht),
plötzliche Erkältung bei blennorrhoischen und plethorischen Personen, Ge-
müthsbewegungen , Magenüberladung und dadurch schnell unterdrückte Hä-
morrhoiden, Gichtanfälle etc. (Die grösste Anlage zu diesem Asthma ge-
ben eine reizbare zu Krämpfen geneigte Constitution , eine local gesteigerte
Reizbarkeit der Bronchien und Lungen, organische Fehler der Respirations-
werkzeuge: Tuberkel, Adhäsionen zwischen Lunge und Pleura, Verknöche-
rungen der Gefässe , das mittlere Lebensalter und das männliche Geschlecht
M.). Cur. 1) Während des Anfalls. Höchst noth wendig sind hier
in der Regel ßlutausleerungen, zumal bei Zeichen von Congestioa
(der Puls giebt hier, wo die Respiration so sehr gehindert ist, kein Zei-
chen ab , wol aber die Constitution und Gesichtsfarbe) , selbst bei scheinbar
gehwachem Pulsschlage ; nur bei bleichem , eingefallenem Gesichte und gros-
ser Schwäche passen sie nicht. Nach den Blutausleerungen oder, wo diese
contraindicirt sind, sogleich, dienen Antispasmodica, selbst Narcotica (doch
diese mit Vorsicht, weil sie leicht venöse Congestion nach der Brust erre-
gen, oder auch die gehinderte Oxydation des Körpers durch ihren Gehalt
an Kohlenstoff noch mehr beeinträchtigen, M.), z.B. Flor, zinci zu Y2 — 2 —
5 — 8 Granen, auch in folgender Mischung: f^ Extr. millefolii 3jß » Mass.
pilul. Ruft 3j 5 Asae foetid. 5f^ 5 Flor, zinci gr. xv. M. f. pil. gr. jj , wovon
dreimal täglich 5 — 8 Stück genommen werden; ferner Asant mit gleichen
Theilen Rad. valerianae und etwas Opium, oder auch folgende Mischung:
I^ Gumm. asae foeiid. 3Jll) solve in Aq. foenic. §v, admisc. Spirit. Minde-
ren 3J , Spirit. $alis ammon. anisat. 5jj » Syr. altkaeae §j. M. S. 2 — Sstünd-
lich 1 Esslöffel voll ; bei Hysterischen verordne man Tinct. castorei mit
Aq. foetida antihysterica , thee-, selbst esslöffelweise gereicht, und Thee
von Rad. valerian., Flor, chamomill. , Herb, menth. etc. nachgetrunken.
Auch folgende Tropfen sind hier sehr wirksam: I^ Tinct. castor. sibir., lAq.
ammon. cnrb. pyro-oleosi, Liq. anodyni ana Sjj- M. S. Halbstündlich 25 —
SO Tropfen; auch Moschus, Liq. c. c. succin. , das Acid. hydrocyan. vege-
tab. Schraderi eben so oft zu 5 — 7 Tropfen (Tott)., Aqua laurocerasi, Zin-
cura zuoticum , die Tinct. aconiti mit Vinum stibiat. , das Rauchen von
Herb, daturae strara. mit Tabak zu gleichen Theilen aus einer irdenen
Pfeife (s. eben Antasthmatica), Einathmen warmer Dämpfe von Infus,
herbae hyoscyami , Flor, sambuci , chamomill. , warme Umschläge auf die
Brust von Decoct. herb, hyoscyami , cicutae , digitalis , belladonnae , warme
Halbbäder, ganze Bäder von aromatischen Kräutern, Fussbäder mit Asche,
Senf, laue Bähungen der Hände, Handbäder, Einreibungen flüchtiger Sa-
chen in die Brust, Senfpflaster, besonders aber Vesicatorien auf dieselbe,
Klystiere von Infus, valerianae, chamomill. mit Asa foetida, Opium, Reiben
der untern Gliedmassen, Bürsten der Fusssohlen, eine Tasse recht starker,
schwarzer Kaffee etc. Gegen das Ende des Anfalls dienen Expectorantia ;
Senega, Squilla , Sulph. aurat. , Kerm. mineral. , z. B. I^ Oxym. squillit.
§jj , Elix. pector. R. D. gß , Sulph. awrnt. gr. xjj. M. S. Stark umgeschüt-
telt alle V2 — l'A Stunden 1 Theelöffel voll (M.). Bei Gefahr des Stick-
flusses besonders dieses: I^ Gumm. ammoniaci 5jj, c. q. s. vitell. ovi suhact.
Aqune foeniculi 5V, Spirit. snl. ammon. anisnt. 5jj ? Vi7ii stihiati 5jj? Syr.
aühaeae gj|i. M. S. Esslöffelweise. Dabei ein Vesicatorium auf die ganze
Brust , auch innerlich Kampher mit Asant , Sal. volatile , Mosch\is ; in leich-
tern Fällen ist auch die Ipecacuanha in kleinen Dosen, auch die Tinct-
ipecacuanhae sehr nützlich; desgleichen das Extr. nuc. vomic. spirituos. , alle
3 Stunden zu V^ Gran ; auch hat man innerlich Lap. infernalis empfohlen
{Wolf), desgleichen Tinct. semin. stramonii, auch folgenden krampfstillen-
den Thee : Rr Sem. phellandr. aquat. 5iij ? Herb, menth. crisp. , Flor, chamo-
mill. ana ^\^ , Fol. aurantior. 3vj. C. C. M. , wovon 2 Esslöffel voll mit 4
Tassen Wasser infundirt werden. Unter den äusserlichen Mitteln verdient
noch die kreisförmige Umschnürung der Glieder {Bouryery) empfohlen zu
werden. (Es verschafft dies Mittel zwar augenblickliche Erleichterung,
206 ASTHMA
doch kehiren die Zufalle, so wie man die Binden von den Gliedern loset,
nach meiner Erfahrung heftiger zxirück. Allgemeiner zu empfehlen ist das
PalliatiTmittel des Dr. Chinrenti, der während der asthmatischen Anfälle
mittels eines Blasebalgs atmosphärische Luft einbläst, wodurch nach seiner
Versicherung die Anfälle abgekürzt werden und selbst radicale Heilung er-
folgen soll , wenn anders keine organischen Fehler zum Grunde liegen. M.).
2) Behandlung nach dem Anfall e, um das Übel für immer zu heben.
Warme Bekleidung , Flanellhemde , trockne , warme Luft , Veränderung des
Klimas , Vermeidung spirituöser Getränke , heftiger Gemüths - und Körper-
bewegungen, der Ausschweifungen im Coitus, anhaltender Gebrauch der
Spec. lignorum , des Wassers von Ems , Selters , Fachingen , Schlangenbad,
Fontanellen im Nacken , auf die Brust , das Empl. perpet. Janini auf letz-
tere, sind hier wichtige Heilmittel. Dabei berücksichtige der Arzt Gicht,
besonders Arthritis retenta, atonica, retrograda, Hämorrhoidalanomalien,
zurückgetretene Ausschläge, besonders Krätze, die leicht ein couTulsivi-
Bches Asthma hysterischer Art erregt, schnell geheilte habituell gewordene
Geschwüre, Onanie und andere gelegentliche Ursachen des Übels, und
richte danach die Behandlung ein (s. Arthritis anomala, retropulsa,
Haemorrhoides suppressae); hier passen bald Blutegel ad anum,
Schwefelbäder, Karlsbad, Ems, Fontanelle, Brechweinsteinsalbe, selbst
Moxa, Cauterium actuale. Empirisch leisten Antispasmodica , besonders Va-
leriana, Asa foetida, Aqua laurocerasi, Extr. lactucae virosae, z.B. I^ Extr.
lactucae viros. gr. xvj, solve in Aq. cinnamomi 3JÜ- M. S. Abends und Mor-
gens 20 — 30 Tropfen; Flor, zinci, später Amara, China, eisenhaltige Was-
ser, besonders Driburg und Pyrmont, Soolbäder, Schwefelbäder (letztere
besonders bei Verdacht auf Gicht, Hämorrhoiden, psorische Metastasen),
äusserlich Einreibungen in die Brust von Bals. vitae Hoffmanni , Waschen
derselben mit warmem Wein, warmem Branntwein gute Dienste. (Das
Rauchen des Tabaks mit Herb. Stramonii (HegewiscJi) , desgleichen der Gal-
vanismus als Mansford'scher Apparat auf Herzgrube und Rücken, anhaltend
gebraucht (^Wilson Philipp), haben oft radical geheilt. M.). Die Diät muss
dabei rein nährend , einfach , reizlos seyn. Der Wein passt erst da , wo die
China und das Eisen in seinen verschiedenen Formen (Tinct. nervina Be-
»tuchefF. , Tinct. ferri muriatici, Pyrmonter Wasser, Limatura martis) indi-
cirt sind, also nachdem durch Asa foetida, Flor, zinci, Magist. bismuthi
etc. die erhöhte Reizbarkeit des Nervensystems, besonders in der Brust,
herabgestimmt worden ist. Hoßbnuer (s. dess. Prakt. Untersuchungen über
krampfhaftes Athemholen. A. d. Engl, des R. Brees. Leipz. 1800) räth ge-
gen dieses Übel Absorbentia, und Dr. Vrban sah nach vergeblichem Ge-
brauche vieler anderer Mittel radicale Hülfe von folgendem Pulver : I^ Sulph.
mirati gr. iv, Extr. hyoscyami gr. xjj , Lapid. cancror. ppt. 5IV, Sacch. alhi
3jj. M. S. Zweistündlich einen Esslöffel voll , wo die gute Wirkung des
Goldschwefels und Bilsenkrauts ohnstreitig mit in Anschlag gebracht wer-
den muss.
Asthma spasticum ijifnnfum, Cynanche trnchealis spasmodica, Asthma
acutum Millari, Millar's hitziges Krampfasthma. Dies Übel beru-
het auf einem Krämpfe in der Trachea und ihren Verästelungen , in Krampf
der Stimmritze, auch secundär der Lungen, befällt nur Kinder und äussert
sich in zwei verschiedenen Formen, nämlich a) in der gewöhnlichen und
häufigsten hier beschriebenen Form, nach Miliar und Wichmmin, b) in der
goltenen Form nur bei Säuglingen (s. Asthma spasticum lactentium
Wigandi). Vorboten des Millar'schen Asthmas sind: Schreckhaftig-
keit , Zusammenfahren im Schlafe , ein eignes Herabhängen der obern Au-
genlider (ein Ansehen wie bei Berauschten), heisere, schwache Stimme,
ängstliche, kurze, unterbrochene Respiration, Aufholen und Anhalten von
Luft, gleichsam als wenn das Kind ein Hinderniss aus dem Halse fortzu-
schaffen sich bestrebt, katarrhalische Beschwerden; diese Symptome gehen
höchstens 24 Stunden dem Anfalle vorher, oft fehlen dieselben aber gröss-
teatheils ganz. Nun tritt der Anfall plötzlich, meistens zwischen 11 und
ASTHMA 207
S Uhr in der Nacht (höchst selten zum ersten Mal bei Tage) ein ; da» Kind
erwacht plötzlich mit . heftigem , ängstlichem, dumpfem Geschrei, fährt in
die Höhe, athmet mühevoll, schnell, klein, mit einem dumpfen, hohl tönen-
den , schon auf einige Schritte zu vernehraeriden Geräusche , das Gesicht ist
meist roth, aufgetrieben, bläulich, seltener blassgelb, die Kopfgefässe tur-
gesciren; dabei fehlt der Husten, auch der Schmerz im Halse (nur über
Zusammenschnürung der Brust klagt das Kind, wenn es beim Nachlassen
des Paroxysmus wieder sprechen kann); der Athem wird nun immer be-
schwerlicher, und wenn richtige ärztliche Hülfe mangelt oder (was meist
der Fall ist) der Anfall nicht von selbst unter Niesen, Räuspern, Ructus,
Schweiss , Diarrhöe nachlässt , so entsteht Orthopnoe und das Kind stirbt an
Lungenlähmung (Catarrhus suffocativus). Im günstigem Falle lässt der
Anfall unter den genannten Symptomen binnen %, V2 — 2 Stunden nach und
alle Zufälle vermindern sich dergestalt, dass der Laie das Kind oft für ge-
nesen hält. Der Sachkundige, der genauer beobachtet, findet aber, dass
krampfhafter Pul«, sparsamer, wasserheller Urin, Übelkeit, Flatulenz, Dys-
urie , Anorexie , wenn auch im gelinden Grade , nachbleiben. Nach 12 — -
24 Stunden kommt nun ein zweiter, noch heftigerer Anfall, mit heftigen
Convulsionen , Bewusstlosigkeit , kalten Schweissen, Verzerrung der Ge-
sichtsmuskeln, Erstickungsgefahr. Auch dieser Anfall geht oft noch vor-
über ; es stellen sich aber nun die Paroxysmen häufiger und auch bei Tage
ein , und das Kind stirbt gewöhnlich convulsivisch am fünften , sechsten
Tage. Ursachen. Kinder zwischen dem zweiten und eilften Lebensjahre
haben die grösste Anlage zu diesem Krampfasthma, besonders schwache,
sensible , wo um so mehr die Sensibilität vorwaltet , da schon an sich das
kindliche Alter sich hierdurch charakterisirt , desgleichen durch erhöhte Thä-
tigkeit der in ihrer Ausbildung noch begriffenen Stimme und der Respira-
tionsorgane ; woraus sich die grosse Disposition zu Angina membranacea und
Asthma Millari erklärt. Gelegentliche Ursachen sind : schlechtnährende
Kost, daher das öftere Vorkommen des Übels in der armem Volksclasse,
plötzlicher Temperaturwechsel, nasskalte Witterung, nasser Herbst und
Winter, besonders wenn auf anhaltende Süd- und Westwinde trockne Luft
und Ostwind folgt , unbekannte endemische LuftbeschafFenheit. Zuweileo
folgt das Übel auf Croup und Masern. Diagnose. Höchst wich-
tig ist für die Cur die Unterscheidung dieses Übels vom Croup , die schon
oben angegeben worden (s. Angina membranacea). Vom Schleim-
asthma der Kinder unterscheidet sich das Millar'sche Asthma durch den
Mangel an Schleim in der Luftröhre und dem Munde, durch die fehlenden
Sputa , den mangelnden Husten , durch den eignen dumpfen , rauhen Ton
des Athems und der Stimme; vom Keuchhusten durch das fehlende Sta-
dium febrile et catarrhale, das oft 14 Tage währt, ehe das rein spastische
Stadium beginnt; auch ist der Ton beim Keuchhusten, besonders die tiefe,
dem Eselsgeschrei ähnliche Inspiration so charakteristisch, dass man beide
Übel nicht leicht verwechseln wird. Das Wesen des Millar'schen Asthma
ist ein heftiger Krampf; dafür sprechen die Symptome, die ganze Natur
des Übels und der gute Erfolg der Antispasmodica Wenn Puchelt das
Übel für eine unter unbekannten Umständen modificirte Carditis polyposa
hält (wofür, nach ihm, die beiden Krankheiten gleichen Symptome, das
Bild des Anfalls und der oft plötzliche Tod sprechen sollen), so lassen wir
diese Ansicht bis auf nähere Untersuchung dahingestellt seyn. Cur. Das
Hauptmittel ist Moschus, alle Stunden zu 2 — 6 Gran, daneben Infus, va»
lerianae concentrat. gvj, Spirit. sal. ammon. anis. 5j» Extr. opii gr. jj---iv.
Halbstündlich 1 Esslöffel voll (bei zwei - bis vierjährigen Kindern ohne
Opium); ferner warme, aromatische Kräuterbäder , Klystiere von Asa foetida
mit Infus, valerianae. Ausserdem hat Inan eine grosse Menge Mittel ange-
priesen: Extr. hyoscyami, Ol. cajeputi, Moschus artificialis, Liq. c. c. succ,
Thict. castorei etc. , welche alle krampfstillend wirken , dem Moschus aber
immer nachstehen. Wir geben diesen am besten mit Syr. flor. aurantior.
(gr. X in 53 Aq.) und davon alle V2 Stunden 1 Theelöffel voll. Miliar gab
208 ASTHMA
Folgendes : ^l Gtimm. asae foetid. 5jj ) solve termdo c. vitell. ov. in Spirit.
Minderen, Aq. hyssopi ana 3J, halbstündlich 1 Esslöffel voll; doch nehmen
Kinder dies Mittel wegen des hässlichen Geschmacks höchst ungern. In der
Regel giebt sich der Anfall nach Moschus, den man auch auf folgende
Weise geben kann : I^ Mosclii opiimi gr. jjj , Lic. c. c. succin. ^j , Aq. foe~
niculi 51^, Syr. althneae 3J. M. S. Alle 2 Stunden 1 Theelöffel voll. (Tor-
tuaV). Oder: I^ Infus, vnlei^ianae concentr. §iv, Moschi genuini gr. vjjj,
Liq. ammori. pyro-oleos. 5jj ? Tinct, ambrae 5jj ? Syr. fior. auriint. 3fik. M. S.
Halbstündlich 2 Esslöffel voll (^Wendt^; desgleichen nach Valeriana- und
Asafoetidaklystieren bald, besonders wenn man zugleich durch warmen Thee
von Rad. valerianae. Herb, menth. , melissae , Flor, chamomill. , die Dia-
phoresis befördert , und nur in seltenen Fällen hält er an und es folgen
Zufälle der Erstickung und verminderte Nerventhätigkeit. Hier passt reiner
Moschus, alle Yz Stunden 4 — 6 Gran, daneben Folgendes: ^.' Flor, henzoes
gr. vjjj, Spirit. sah ammon. anis. 5jVj Viiti slibiati 5JJ5 Syr. senegae, Oxym.
squilUt. , Syr. althneae ana 5jjj- M. S. Stündlich 1 Theelöffel voll (^Anten-
rietli). Daneben warme aromatische Bäder, Sinapismen , Vesicatoria auf die
Brust. Doch sind diese Mittel höchst selten nöthig, der Moschus hebt den
Anfall bald, und es kommt nun Alles darauf an, durch zweckmässige Arz-
neien, in der freien Zeit gereicht, den zweiten und die folgenden Anfalle
zu verhüten. Hier beobachte man 1) eine gute Diät; dass Kind muss warm
gehalten werden, muss Zimmer und Bett hüten, Kalbfleischbouillon, Hafer-
schleim und ähnliche schleimige Getränke geniessen. Fleisch und Wein mei-
den und in fröhlicher Stimmung erhalten werden; 2) dienen innerlich voi'-
züglich folgende Mittel a) Abends und Morgens gr. Y4 — Y2 Herb, belladon-
nae mit Ya Gran Extr. nuc. voraicae und 3j Zucker; b) dreimal täglich ein
Klystier aus 5ß Asa foetida mit Eigelb abgerieben und in jjj Aq. valeria-
nae, chamomill. gelöst; c) als Hauptmittel aber Folgendes: ^ Cort. chinae
reg. 5vj » coq. c. aq. fontan. Sj , .luh. fin. cod. adde Rad. valerianae 5J , col.
ferv. e'xpr. gvjj adde Chinini sulpJmrici gr. vj , Syr. fior. anrantior. 5J, Tinct.
castorei ^jj. M. S. Stündlich 1 Esslöffel voll. (Mosf)- 3) Erfolgt dennoch
nach 18 — 24 Stunden ein zweiter Anfall, so gebe man während desselben
•wieder Moschus, nachher wieder das Chinadecoct und die Belladonnapulver,
verordne auch die genannten Klystiere und lasse das Kind Y4 — % Stunde
lang im aromatischen Bade verweilen. Sollte dieser Anfall stärker als der
erste seyn, so gebe man, wenn er vorüber ist und gegen Abend einige
Vorboten sich einstellen , ein Vomitiv aus Ipecacuanha , und lege ein Vesi-
cator auf die Brust. Durch dieses Verfahien hat der Herausgeber dieses
Werks in mehreren Fällen das Übel bald und sicher gehoben ; es ist nie
der' dritte Anfall erfolgt, auch ihm kein Kind am Asthma Millari je
gestorben.
Asthma spasticum lactentium Wigandi, Wigand''s Krampfasthma der
Säuglinge. Es befällt nur schwächliche Kinder mit schlecht organisirter
Brust, und zwar nur in den ersten 4 — 6 Wochen des Lebens. Symptome-
Kurz vorher gehen meist einige Vorboten , wie bei A. Millari , dann wird
die Stimme heiser, schwach, der Athem ängstlicher, kürzer, unterbrochen;
es tritt kurzer trockner Husten und das erwähnte Anhalten und Heraufho-
len der Luft, welches anfangs schwach, leise und häufig, später seltener
und heftiger erfolgt, ein. Der erste Anfall kommt in der Nacht; das Ge-
sicht wird dabei blauroth , aufgetrieben, die Lippen sind blau, der Kopf
schwillt stark an, die Augen quellen hervor, die Spitze des Brustbeins wird
einwärts gezogen, oft fast bis ans Rückgrat, der Athem setzt 1 — -2 Minu-
ten lang aus , scheint dann in einem leisen , zitternden Zuge sich wieder
einstellen zu wollen, verschwindet aber gleich wieder, bis er sich nach
4 — 5mal wiederholtem Wechseln reguürt und so die Gefahr schwindet.
Nur ein ängstliches, unsicheres und unregelmässiges Athmen, heftige Schweisse
vam Kopfe und an der Brust und kleiner, geschwinder, gespannter Puls
bleiben zurück. Nach einiger Zeit , während das Kind meistens soporös
danieder liegt, kommt der Anfall wieder, ist aber heftiger und anhaltender,
ASTHMA 209
■worauf gewöhnlich, wenn, das Kmd sehr schwach ist, der Tod folgt. Die
anfangs nicht über eine Stunde währenden Remissionert werden immer kür-
zer, je öfter die Anfälle wiederkehren, und diese gehen zuletzt in einander
über; die Athemzüge intermittiren immer länger, und die tiefen erfolgen
zuletzt nur alle 5 — 6 Minuten , am Ende bleiben sie ganz aus. Das vorher
blaue Gesicht wird bleich und, besonders der Mund, verzerrt, der Brust-
kasten fällt zusammen (Collapsus pulmonum), die untere Maxille sinkt herab,
und so sterben selbst halbjährige Kinder meist im dritten bis fünften An-
falle. Dieses Krampfasthma unterscheidet sich vom A. Millari dadurch, dass
es nur meist schwächliche Kinder, und zwar nur in den ersten Lebensmo-
naten befällt, dass der eigenthümliche Ton der Stimme wie bei A. Millari
fehlt. Und dass die Nachlässe nicht Tage, nur Stunden währen. Gele-
gentliche Ursachen und Behandlnng, Wie bei A. Millari. Man
gebe besonders Moschus, Valeriana, Klysticre von Asa foetida und aroma-
tische Bäder , vermeide hier aber das der Kindernatur so heterogene Opium
und die stark ammoniakalischen Mittel.
Asthma Millari, s. Asthma spasticum infantum.
Asthma hifpochondriacum et hystericum, das Asthma der Hypochondristen
und Hysterischen. Symptome. Kurze, ängstliche, schwache, auf einige
Zeit gänzlich stockende Respiration, Schein von Betäubung und Asphyxie,
kleiner, schwacher, kaum fühlbarer Puls, öfters Convulsionen des Thorax
und Larynx; der Paroxysmus endet mit heftigem Stossen und Zucken (con-
vulsivisch - elektrischen Entladungen, M.) durch den ganzen Körper, oft
unter allgemeinen Convulsionen und dem Gefühl eines Kugeins im Unter-
leibe. Eine traurige Gemüthsstimmung und kleiner , spastischer Pnls blei-
ben oft bis zum nächsten Anfalle zurück. PrognO;Se. Ist gut; das Übel
ist trotz seiner Heftigkeit nicht gefährlich, befällt nur zuweilen die Hyste-
rischen und Hypochondristen , und geht schnell vorüber. Es beruht mehr
auf einem Krämpfe im Unterleibe (vielleicht auf einer eigenthümlichen , sich
auf den Nervus vagus fortpflanzenden Affection des Sonnengeflechtes) als
auf Brustkrampf, wofür das Kugeln und Kollern im Leibe und der Abgang
von vielen Blähungen mit Erleichterung sprechen. Cur. Sind Blähungen
durch flatulente Speisen Ursache, so nützen Carminativa: Ol. menthae,
carvi, foeniculi, cajeputi, Tinct. castorei und Liq. anodyn. , Ol. animaie
Dippelii, Klystiere von Infus, valerianae mit Asa foetida; ausser dem An-
falle Thee von Valeriana Und folgende Mischung: I^ Acidi hydrocyanici gtt.
XV, Mucil. ffumm. mimos., Syr. althaeae ana ^(^. M. S.- Morgens und Abends
1 — 2 Theelöffel voll. Bei Gallenergiessung nach Ärger dienen fixe Luft,
Pot. Riverii mit Aq. chamom. und Salmiak; auch folgendes Pulver : Rr Tart.
depwrat. 3f>j Magnes. carhon., Cort. cimiamomi ana gr. xv ; bei genossener
.Säure als Ursache Asa foetida mft Seife und Pulv. cort. aurantior. ; bei Er-
kältung dienen warme Aschenfussbäder etc.
Asthma fwcturnum, Incuhus, Pnigalion, EphialteSy Epilepsia nocturna
(Holler, Bauhinus) , Epilepsia parva (^Galeii), Succuhus (Mercator), Alp-
drücken, Trute, Alp. Befällt nur während der Nacht, im Schlafe.
Gewöhnlich träumen die Kranken schwer, wachen auf und fühlen sich in der
Brust so beengt, als wenn eine grosse Last (dem Gefühle nach ein Mensch,
Hund, Ungeheuer) auf ihnen läge und das Athmen hinderte. Weiber glau-
ben oft, ein Mann wohne ihnen bei, und sie sind in Angst und wollüstig
zugleich ; dabei sind die Arme gelähmt , und die Stimme ist , so lange der
Anfall währt, ganz unterdrückt. Die Kranken haben den Trieb sich helfen
zu wollen , sie wissen , dass ihnen durch Veränderung ihrer Lage geholfen
ist, sind aber unvermögend, sich zu bewegen oder um Hülfe zu rufen; oft
stöhnen sie laut und verfallen in Angstschweiss. Der Paroxysmus dauert
nur einige Minuten, der Kranke fühlt sich hinterher etwas matt und schläft
bald wieder ein. Ursachen. Die nächste ist: Krampf der Respiratioris-
organe , der sich mit Hindei'niss im Blutumlaufe, in der Bewegung des
Zwerchfells und Herzens, sowie auch mit vorübergehendem Unvermögen auf
die Organe der willkürlichen Bewegung einzuwirken, verbindet,, und der
Most Encyklopädie. 2te Aufl. I. 14 ,
2 0 ASTHm
auf verschiedene Welse herbeigeführt werdeiv kann, und zwnr 11 durch
Blutandrang, daher bei jungen Mädchen /ur Zeit der beginnenden Men-
struation, bei unterdrückten Blutungen: Niasenbluten , Häinonlioiden . Men-
struation, besonders bei Regurgitation des Hämorrhoidalbluts üach der
Brust, sowol bei Bildung; als bei Unterdrückung derselben; liier ist das
Übel also ein sogenannter Blutkrampf. 2) H;iufig ist das Alpdrücken nr-
»prünglich eine nervöse Affection, und zwar durch erhöhte Empfind-
lichkeit der Brustnerven , die oft auch Folge eines Leidens der AMominal-
nerv'en , besonders dejä' Plexus coeliacus, ist. Dieser nervöse Brustkrampf
ereignet sich a) bei jungen zarten , in der Pubertät begriffenen iMäd( hen ;
b) bei jungen sensiblen Kindern , wo er nicht selten der Vorbote des Ve.it«-
stanzes, des Nachtwandelas , der Epilepsie, der Katalepsie ist; c) bei Hy-
pochondristen und Hysterischen nach Genuithsbewegungen ; d) bei Onani •
sten , Freunden der Paphos, als Folge zu starker Geistesarbeiten, des Miss-
brauchs spirituöser Getränke, heftiger Geniüthsbewegungen ; e) durch con-
sensuelle Reizung, durch Würmer, Indigestion, Flatulenz; f) zuweilen sind
organische Fehler des Herzens, der Lungen, der Leber Schuld Nicht sel-
ten geht der Incubus in convulsivisches Asthma über. Cur. Sie richtet
sich nach den Ursachen ; oft nützen schon diätetische Mittel. Vermeidung
schwerer, blähender Speisen, spirituöser Getränke, der Abendmahlzeiten,
der zu warmen Bedeckung und heissen Stuben, der Rückenlage im Bette,
Vermeidung des Legens der Hände über den Kopf während de.-» Schlafs sind
nothwendige Dinge. Junge, plethorische Subjecte müssen eine dünne Diät
halten , sich viel im Freien bewegen ; bei unterdrückten Blutungen dienen
Aderlässe, Blutegel, bei Würmern Anthelminlhica , bei Magensäure Kali
carbonicum mit Gewürzen und Ajuaris ; bei idiopathischer Nervenafl'ection
Antispasmodica, besonders Asa foetida , Valeriana, Castoreum, Fol. auran-
tior. , Egerwassec, kaltes Waschen und Baden des Kopf«. Überhaupt
inuss der Arzt die ursächlichen Momente berücksichtigen , die Menses,
die Hämorrhoiden reguliren , bei Onanie Elix. vitrioli Mynsichti geben etc.
Moritz Strahl (Der Alp, sein Wesen und seine Heilung. Berlin 1833) leitet
das Übel von krampfiiafter Luftentwickelung (^PiteitmatnsU: nhtionni.i^ im
Körper ab. Seine lesenswerthe , 254 Octavseitea starke Schrift ist die ein-
zige ausführliche IMonographie über diesen Gegenstand , die unsere neuere
Literatur aufzuweisen hat. Nach ihm ist bei inveterirtem Übel die E\<;re-
tio alvi in der Regel sehr träge und die Formbildung der Faeces abnorm,
dabei Verdauungsbeschs\erdön, Flatulenz. Das Wesen des Übels, woran er
selbst gelitten, ist ihm eine iutlatio veiUriculi mit gleichzeitig bestehender
Ausdehnung des Oesophagus; die nächste Ursadie i>t Krampf. Er legt auf
die Luftentwickelimg im Darmcanal , die dann .sell>st ins Blut gehe, als
veranlassende Ursache des Anfalls viel Gewicht. Ob sich aber beim Alp,
wie er meint, der Oesophagus wirklich so sehr ausdehne, dass er durch den
J>ruck auf die Luftröhre diese mechanisch verengere und so das Gefühl ^ou
Erstickung errege, ist noch nicht ausgemacht. Auch reiner Krampf ohne
mechanischen Druck kann dio Luftröhre verengern, was der Nodus hysle-
ricus beweist; und ob die Pneumatosis abnormis im Darmkanal nicht eben
so gut Folge als Ursache des Krampfs sey , ist noch zu untersuchen, und
ersteres um so wahrscheinlicher, da wir ohne aüenirton Nerveneinfluss des
Gangliensystems uns die Entstehung einer solchen übermässigen 1'iicumatosls
intestinalis nicht denken können. — Strnttl ninunt eine Absorption der Luft,
wenn ihre Ausscheidung auf natürliche Weise durch den Darmcanal und
durch unmerkliche Ausdünstung nicht erfolgt, von den Gefässen an, wo-
durch der Blutumlauf gehemmt werde und sagt (S. 81). das er selbst die
Luft im Kopfe bei seinen Alpanlallen gefühlt habe. (Y) — Nach ihm ist
der Alp seltener bei Frauen, als bei Mannern, und die Leibesverstopfung
ein constantes Symptom. Er unterscheidet (S. 89) die Krankheit vom
Asthnut und statuirt eiiien Incubus a <au3a transitoria und L Jnveteratus.
Für e.r«tern schlägt er (S. 91) den Namen Ivftatiu vnttricii/i ocsaphaffen , für
letztern die Beneanuug Iiiflntin ventriciili tiovlitrnn vor. — Bei der Cur be-
ASTHMA 211
rücksichtigt er drei Indicationen : 1) Die erliohte Sensibilität des Ganglieu-
systems herabzustimmeu ; 2) die Erzeugung der Blähungen zu vermeiden •
S) die Haut zu ihrer normalen Thätigkeit anzuregen. — Während des An-
falls leistete ihm Opium in kleinen Dosen nichts, in grössern Dosen wagte
er es nicht zu verordnen; auch Ol. menthae, anisi, cajeputi, chamoniillae,
Castoreum desgleichen; — Aq. laurocerasi wirkte zweideutig, dagegen lobt
er als specifisch wohlthätig eine Tasse schwachen Chamillenthee, rechi,
heiss getrunken, worauf Poltern im Leibe, Ructus, Flatus und leichte Re-
spiration sich einstellten, und zwar constant; so dass Strahl jeden Abend
solchen lecht schwachen Chamillenthee als Präservativ trank und dai'n eine
ruhige Nacht hatte. — Waller gebrauchte mit Nutzen Kohlensäure; gut
ist auch die trockne Friction des Unterleibes mit der blossen Hand, selbst
eine Stunde lang fortgesetzt Hilft dieses nicht, so muss man aufsl^ehen
und sich nie , bevor man recht müde ist , zu Bette legen ; auch nie mit lee-
rem Magen schlafen gehen oder enge Kleidungsstücke dulden. Ein leerer
Magen befördert nach Whytt, Waller und Strahl die nächtlichen Anfälle.
Warme Fussbäder, Rubefacientia , äns.scrliche Einreibungen leisten, nach
Strahl, weder beim Alp, noch bei Hypochondrie etwas. Reine, helle, trockne
Luft, einfache leichte Speisen, nur bis zu leichter Sättigung genossen, tägliche
Bewegung sind nützlich. Alles Fette, Käse, Backwerk, frisches Brot, die
meisten Ge^vüi'ze, sowie jede complicirte Speise sind zu vermeiden. Rother
Wein , Thee und Kaffee können , massig gen^ossen , nicht schaden. Das
Wassertrinken tadelt er aber mit Unrecht; er meint, dass es bei Neigung
zur Flatulenz nicht passe und glaubt sogar (S. 9*) , dass es s;ch im Körp.er
in Sauer- und Wasserstoff zersetze (?). Wahrscheinlich hat ei- sich durch
die Aufregung und Incommoditäten , die das Wassertrinken in den ersten
Tagen bei Ungewohnheit erregen, gleich so vielen andei'n ängstlichen Per-
sonen abschrecken lassen und das Trinken nicht fortgesetzt. — Gegen die
Obstructio alvi giebt er folgende Pillen : ^r Extr. rhei cotnpos. , Sapon. me-
tlicat. ana 5jl^ » Extr. hyosvyami 5ft- M. f. pil. pond. gr. jj consp. Lijcop. S.
Abends 7 Uhr 5 Stück zu nehmen Vergl. auch den Art. ßorborygmi.
Asthma aereum, emphysematicum , Asthma durch Luftextra^asat in der
Brust, die bald in das Parenchym der Lungen, bald in die Brusthöhle aus-
tritt. Wir betrachten daher zuerst Asthma aereum ab eniphysemate pulmo-
num. Hier ist die Luft in das Lungenparenchym getreten, als F^olge einer
Ruptur irgend eines kleinen Bronchialastes oder dessen Luftbiäschen. Ur-
sachen, Heftiges Erbrechen , starkes Niesen , Autheben schwerer Lasten,
Anstrengung der Lungen durch Blasinstrumente: Waldhorn, Trompete, Po-
saune, Fagot, durch starken Husten, Keuchhusten, durch heftige Anfälle
von Krampfasthma , durch Laufen gegen den? Wind. Symptome. Es ent-
steht plötzlich ohne Fieber eine anhaltende, schnell an Intensität zuneh-
mende, bald bis zur Erstickung steigende Engbrüstigkeit; später zeigt sich
über einem oder über beiden Schlüsselbeinen eine knisternde Windgeschwulst,
welche das Daseyn des schwer zu erkennenden, leicht mit Pneumonie zu
verwechselnden Übels leider! oft nur zu spät erkennen lässt. Häufig glaubt
der Arzt auch ein Asthma spasticum vor sich zu haben. C u r. Der Kranke
muss so wenig als möglich tief in- und exspiriren, horizontal und ruhig lie-
gen, nicht sprechen, Alles, was zum Niesen und Husten reizt, vermeiden,
bei Reiz dazu Antispasmodica , besondei's Blausäure, Opium nehmen, wo-
durch sich die Ruptur vielleicht wieder schliesst ; dabei dient eine kühle
Diät ; bei grosser Beklemmung und schmerzhafter Empfindung versäume man
ja das Aderlassen nicht, sonst erfolgt leicht Pneumonie. Man vermeide alle
Säui'en, weil sie zum Husten reizen. Die Zenheilung , Zersetzung und Re-
sorption der extravasirten Luft erfolgt hierbei von selbst ; vielleicht wird
dieselbe durch kleine Dosen von Antimonial- und Mercurialmitteln , welche
die Action der Lyuiphgeßisse steigern, befördert. Laenncc giebt als Em-
physema pulmonum und dieses als Ursache des Asthma einen Zustand an,
>\ elcher auf widernatürlicher Erweiterung der Lungejduftzellen beruhe und
den Aui^itritt der Luft ins Luiigengev^ebe nur secundär veranlasse, der da-
14*
212 ASTHMA
her bei bestehendem Lungenemphysem auch fehlen kann. Die Respiration
60II hierbei habituell ersch\\"ert, jedoch aufallsweise intensiv noch ers<l:hvver-
ter seyn als zu andern Zeiten. Das Fieber soll fehlen, der Puls regel-
mässig, die Hautfarbe und das Ansehen des Körpers natürlich, im höhern
Grade der Krankheit erstere aber glanzlos ^ erdig von Ansehen, hier und
da ins Violette spielend erscheinen. Die Lippen sind , nach Lnennec , dick,
geschwollen, violett gefärbt, dabei ist habitueller, seltener, sch\N acher,
trockner oder feuchter Husten ; leidet nur die eine Seite , so ist diese volu-
minöser als die andere (also gerade das Gegentheil , wie bei Phthisis pulm.
exulcerata , wo die am meisten leidende Seite der Brust platt und eingefal-
len ist, A/.); leiden beide, so soll der Thorax fast cylindrisch gestaltet er-
scheinen. Das Stethoskop zeigt die Abwesenheit der Respiration im gröss-
ten Theile der Brust, und wo sie noch stattfindet, nur schwach, wenn
gleich sie bei der Percussion (bei Anwendung des Piorry'schen Plessimeters)
sonor ist ; dabei soll man ein seltenes , leichtes , pfeifendes Rasseln verneh-
men , und hierdurch das Lungenemphysem von allen andern organischen
Brustleiden, den Lungenkatarrh und das Austreten von Luft in die Pleura
ausgenommen, unterstützen können. Die Cur hält Lnennec für unmöglich.
Asthma aereum n phjsothornce , pneumüthornce. Man könnte diese Art
von Asthma auch Ti/mpanitis thoracica nennen. Die Luft ist hier aus den
Lungen in die Brusthöhle extravasirt, wozu Stich-, Hieb- und Schusswun-
den der Lungen , heftige Brustcontusionen , die nach innen hineinragenden
Enden gebrochener Rippen , die Lungen und Pleura verletzten , Veranlas-
sung geben. Dass , wie A. Dimcan noch neuerlich behauptet hat , auch ein
nach aussen sich öffnendes Lungengeschwür (Empyema) das Übel anregen
könne, ist gegen die Erfahrung, weil hier Entzündung und Verwachsung
mit der Pleura, sodass sich eine Brustfistel bildet, vorhergegangen ist (To//).
Symptome. Schmerzhafte, suffocatorische Brustbeklemmimg, Orthopnoe,
Gefühl , als würden die Lungen beim Ausathmen nach oben getrieben , als
schwämmen sie im Wasser; dabei schwacher, langsamer Puls; der Kranke
kann nur auf der gesunden Seite liegen; Abvvoaenheit des Respirationsgeräu-
sches in der kranken Seite der Brust bei Application des Stethoskops , man
hört durch dasselbe einen mit dem In- und Exspiriren correspondirenden
rinnenden Ton (^Duncan} , emphysematisches Anschwellen der äussern Brust,
ja des grössten Theils des ganzen Körpers (Emphysema cellulare). Die(5e
Symptome sichern die Diagnose vollkommen; der Verlauf des Übels ist
acut, und wenn Fractura costarum Schuld ist, erfolgt Erstickungstod oft
schon binnen wenigen Stunden. Cur. Richtet sich nach den Ursachen
und nach den Grundsätzen der Chirurgie. (Als ein wichtiges Mittel bei
Emphysema cellulare versäume man nie, Einschnitte in die Haut zu machen,
um die extravasirle Luft herauszulassen, dies ist ein grosses Palliativ; M.).
Asthnin puhcrulentum , (/i//wcuhi , monlannm , S t a u b as t h m a. Entsteht
bei Müllern, Bäckern, Steinmetzen, Friseurs, bei Bergleuten, Maurern,
Gyps- und Kalkarbeitern, in sandigen Gegenden, daher in Arabien ende-
misch, durch Ablagerung des in der Luft schwebenden und eingeathmeten
Staubes in den Bronchien in der Gestalt kleiner, die letztern verstopfender
Klümpchen. Es entsteht bei solchen Leuten , die sich fast beständig is
solcher Luft aufhalten müssen, allmälig habituelle Engbrüstigkeit, die sich
durch Bewegungen vermehrt, mit Husten und später mit Auswurf von
Schleim, von jenen Klümpchen, ja selbst von kleinen Steinchen verbunden
und oft sehr langwierig ist. ßlutspeien, Peripneumonie, Phthisis, Stickfluss
.sind nicht selten die Folgen davon. Cur. Prophylaktisch schützt das Tra-
gen eines nassen Flors vor Nase und Mund, öfteres Ausspülen des Mundes,
öftere Niesemittel, was Allen, die im Staube arbeiten müssen, anzurathen
ist. .Ist das Übel schon da, so verordne man zur Beförderung der Expecto-
ration 3 — 4 Stunden langes Einathmen warmer Däni|)fe von Rad. althaeae,
lifiuirit. , gramin. mit kochendem Wasser, darauf, wenn nicht schon quälen-
der Husten, wie beim Asthma der Kalkbrenner, Maurer, Bergleute, Gyps-
arbetter etc., da ist, Essigdämpfe (5J Essig in 31V kochendem Wasser);
ASTHMA 213
noch wirksamer sind Brech - and Niesemittel , auch andere Expectorantia,
z B. Sulph. aurat. , Elix. pector. Ph. D. und Oxym. squillit. efc. , nach
den Wasserdämpfen. Niemals versäume man bei Anfallen von Erstickung,
Pneumonie , Pleuritis occulta , wenn das Athmen ängstlich , das Gesicht
bläulich ist, gleich anfangs einen Aderlass. Viele ölige, schleimige Getränke,
Entfernung aus der Staubatmosphäre, und zum Schluss, um die Lungen zu-
stärken, Liehen islandic. und Pyrmonter Brunnen, viele sanfte Bewegung in
reiner Luft, besonders im Sonnenscheine, unterstützen die Cur dieses mehr
beschwerlichen , als gefährlichen Übels.
Asthma rneialUcuin , Bergsucht. Entsteht bei Arbeitern in Bergwer-
ken und Schmelzhütten durch Einathmen der Dämpfe von Blei, Quecksil-
ber, Spiessglanz, Arsenik etc. Symptome. Allmälig zunehmende Be-
schwerden der Respiration, trockner, stockender Husten, später Herzklo-
pfen , Angst , Erstickungsanfälle , intermittirender Puls , daneben die eigent-
lichen Zufälle der Blei-, Quecksilber-, Arsenikvergiftung, die oft nur all-
mälig unter allgemeiner Abmagerung, Dyspepsie, dürrer, trockner Haut,
Erdfarbe des Gesichts , Hautausschlägen , Leibesverstopfung , Paralysen,
Alopecie etc. auftreten. Der Tod erfolgt meist durch Stickfluss oder Lun-
geneiterung. Cur. Öfteres Einathmen erweichender Dämpfe, innerlich De-
coct. althaeae, liquirit. , viel Honig, Zuckerwasser, Schlangenbader Brun-
nen, Emulsionen aus Gumm arabicum, Mandel-, Lein-, Mohnöl, bei Lei-
besverstopfung Ol. Ricini, bei Hustenreiz mit Opium, Extr. hyoscyami; bei
entzündlichen Brustanfällen kleine Aderlässe ; auch nützt der Genuss vieler
Eier, der Milch, des Honigs, bei Schwäche Liehen islandic; die Haupt-
sache bleibt die Behandlung der Vergiftung durch die specifischen Gegen-
mittel; s. Colica saturnina und Intoxicatio.
Asthma e causn sjiecificn. Wird erregt durch Geschwüre, Tuberkel in
den Lungen (^Horji's Archiv, 1823, Mai und Juni, S. 446), durch Phthisis
pituitosa , Lues larvata , durch ^ enerische Exostosen der Rippen und da-
durch verursachten Druck auf die Lungen , durch Metastasen von chroni-
schen Ausschlägen und Geschwüren , durch vertrocknete Fontanelle , durch
Missbildungen des Thorax, Scropheln, durch Febris intermittens larvata, Ad-
häsionen zwischen Pleura und Rippen , Verengerung der Bronchien , Brust-
wassersucht, Catarrhus pulmonum, durch Pneumonie, Melanosen, steinige,
kreideartige , knochige Productionen in der Lunge , Zwerchfellseingeweide-
brüche etc. Cur. Da hier das Asthma nur Symptom des Grundübels ist,
so beruhet Alles darauf, letzteres zu heben: alsdann verschwindet das
Asthma von selbst. Leider! sind aber manche Fehler der Art (und daher
auch das Asthma) unheilbar. Man suche, wo möglich, die specifische Ur-
sache zu heben, vergesse aber dabei nie, reizmildernde, antispasmodische
und expectoi'irende Mittel, z.B. Opium, Extr. hyoscyami, lactucae virosae.
Aqua laurocerasi, Emuls. amygdalarum etc. zu verordnen, da sie dem Kran-
ken Ruhe und Erleichterung verschaffen.
Asthma urinosnm. Ist die Folge verminderter Harnabsonderung bei al-
ten Leuten» Es zeigt sich zuerst Ödem der Füsse , welches sich aber wie-
der verliert, und nun treten asthmatische Zufälle ein. So alterniren die
geschwollenen Füsse und das Asthma oft längere Zeit. Die Kranken lassen
wenig Harn, leiden an Hautjucken, herpetischen Ausschlägen; dies A.sthma
ist feucht, geht oft in Hydrothorax über. Cur. Hier passen Expectoran-
tia mit Diureticis, z. B. Gummi ammoninc, Fitell. ov. trit. 5j.i- -^7- f^tro-
selin. , — jmnperi ana 3Jjj , Oxym. squiUit. gjj. M. S. Alle zwei Stunden
einen Esslöffel voll. Auch Pulver aus Nitr. mit Pulv. millepedum und bac-
cae juniperi ist sehr wirksam, desgleichen Ol. terebinth. mit Succ. juniperi
inspissat. und Tinct opii (jf'o/<); Fussbäder mit Asche, Senf, Sinapismen,
Vesicatorien an die Beine. (Sollten diese nicht leicht erysipeiatöse Entzün-
dung und brandige Geschwüre in diesen Fällen erregen ? M.).
Asthma a dilatntione prneternaturali Ironchinrmn. Asthma als Folge ei -
ner Erweiterung einzelner oder auch aller Bronchialäste , herbeigeführt
durch chronische Katarrhe, Keuchhusten. Symptome. Asthma, habituel-
214 ASTHMA
ler Husten, copioser, gelbbräunlicher, elterformiger Auswurf, Pectorilociuie
bei Application des Stethoskops im ganzen, der afficirten Partie entspre-
chenden Umfange der Brust, wodurch sich das Übel von Exulceratio pul-
monum unterscheidet (^Laennec/). Cur. Gelingt wegen der .<ch\^ierigen
Diagnose des Übels selten, ist auch wol häufig ohne Erfolg. Ist das Übel
nur Folge der Erweiterung einzelner Bronchialäste, so sind alle be.-cliriebe-
nen Symptome gelinder und die Menschen können dabei oft ein hohes Alter
erreichen.
Asthma piluilosum, humidmn , feuchtes Asthma, Schleimasthma.
Dieses Asthma erscheint periodisch, gewöhnlich des Nachts; die Brust \\ird
mit einem Mal sehr beklemmt, so dass der Kranke mit Anstrengung ath-
men muss; er röchelt, wird heiser, der Puls ist klein, ungleicli, intermitti-
rend , Hände und Füsse werden kalt, das Gesicht roth, blau, die Augen
werden hervorgetrieben ; der Husten ist anfangs trocken und erleichtert w e-
nig, wird aber gegen Ende des Anfalls, dessen Dauer 1 — 2 Stunden, In
seltenen Fällen 24 Stunden und mehr beträgt, feucht; es erfolgt ein copiö-
ser Auswurf eines zähen , oft mit Blut vermischten Schleimes , wodurch die
Brust wieder freier wird. Nach und nach vermindert sich die Schleimaus-
leeruiig, mit der sich zuweilen auch Würgen und Erbrechen verbindet, und
der Kranke ist bis zum nächsten Anfalle anscheinend gesund. Das tH^el be-
fällt vorzüglich gern alte Leute, bei denen die Function der Schleimhäute
präponderirt, und der Schleim wol qualitativ abgeändert, vielleicht scharf
wird , und dadurch die in der Lumgensciileimhaut verbreiteten zarten Ner-
venäste des Vagus etc. reizt; der Tod erfolgt häufig bei inveterirtem LTbel
durch Phthisis pituitosa, allgemeine Wassersucht, Stickfluss. Je länger ein
heftiger Anfall dauerte , desto länger bleibt ein neuer aus ; im Winter kehrt
das Übel häufiger wieder als im Sommer ; Veranlassungen dazu sind : Gal-
lenreiz, allgemeine Blennorrhoe des Magens, der Gedärme, Haemorrhoide.*
mucosae, Fluor albus, Arthi'itis, Scrophulosis , unterdräckte Diaphoresis,
übermässiger Genuss von Kartoffeln, Mehlspeisen, Kaffee, Überladung mit
Speisen, Missbrauch geistiger Getränke,, unterdrückte Fussschweisse, schnell
geheilte alte Geschwüre, schlechte, feuchte Luft, giftige Stoffe in der Atmo-
sphäre, z. B. bei Metallarbeitern, Bergleuten, öfters überstandene Brustka-
tarrhe, nasse Frühlings- und Herbstluft. Cur. Palliativ bei den Vorbo-
ten, zur Verhütung des Anfalls, sowie bei Gallenreiz, Schleim und Crudi-
täten , die sich durch Druck, Beängstigung in den Präcordien , durch Ekel
und Widerwillen gegen Speisen zu erkennen geben , passt ein Vomitiv aus
Ipecacnanha ^j mit Sulp, aurat. gr. jjj , dasselbe schwächt und kürzt den
Anfall ab , und ist insofern auch ohne Zeichen von Sordes als erschüttern-
des, antispasmodlsches und expectorii-endes Mittel nützlich; ist der Kranke
sehr schwach, so kann man die Ipecacnanha in kleinen Dosen, alle halbe
Stunden '/j Gran, geben. Ist Erkältung Schuld, so nützen innerlich Kam-
pher, ein Vesicator zwischen die Scludtern; auf die Brust und in die Ma-
gengegend blutige Schröpfköpfe, Klystiere von Ipecac. (jjjj mit 6 Unzen
Wasser infundirt). Als allgemeines Palliativ rühmt man das Einathmen von
Naphtha vitrioli, auf ein warmes Eisen getröpfelt, einige Tassen starken
schwarzen Kaffee, einen Julep aus Kampher mit Opium. Man vergesse aber
bei blaurothem Gesicht und soporösen Zufallen den Aderlass nicht ; dieser
muss stets vorhergehen, ehe man hier die wrksamen Mittel: Kampher,
Opium etc. giebt. Die Hauptsache bleibt die Radicalcur. Man berück-
sichtige und entferne, wo möglich, die occasionellen Momente, gebe nächst-
dem Resolventia und Expectorantia , vorzüglich Gummata ferulacea , z. B.
Folgendes: ^ Gumm. ammovinci'^^y , Vüell. oviN. ]^ Aquae foeniciiU , Ojryni.
squillit. ana ^jjfv. M. S Alle drei Stunden % Esslöffel voll. Oder diese
Mischung : I^ Gumm. nmmon. , Snpon. hispan. , Extr. mnmibii , — nvjrrh.
nquos. , — nioes fiqtios , — vnlerinnac ana 3j , Tart. emctici in nq. dcstill.
q. Ä. sohiü gr. vjjj. M. exact. fiant pil. gr. jjj. consp. lycop. S. Dreimal
täglich 8 — 12 Stück. Auch das Extr. helenii, in Vin. stibiat. gelöst, ist •
recht wirksam. Bei starken Biertrinkern und schleimigen Constitutionen
ASTHMA 215
pasfsen besonders PUlen aus Asa foetida, Flur, ziiici und Extractum inille-
fülü, wie beim Asthma spasticum ' adultorum. Auch ibt folgende Mischung,
besonders bei scrophulöseu Weibern, gut. ^r Gumm:: oattßni 5jj, nolve in
A6eti squiUit. jjj, Spirit. Mindureiri '^ü , Spir. nUri dulc, 'S]-, Syr. aUhuenc 31^,
ThöelöITel weise. Desgleichen J[^£«fr. nnycUc.., — heleiiü ana 3tv, Crbci -^j, -
Auhe in Tinct. galhani^}^ M. S. Viermal täglich 40 — 50 Tropfen. Da der
Krajike. periodisch auch ausser den Anfällen , besonders des Morgens beim
Erreichen, vielen Schleim auswirft, so. kann lUijn ihm oftj einen guten Tag
bereiten, wenn man Abends spät und Morgejis fruh.'/z Esslöffel voll YO»
folgeaidem Brustsaft neluuen und. warmen. Thee von Spec. lignor. nachtrin-
ken lässt: I^ Sulph, aur.ali gr. vjjj:, Gumm. tnimos. 5jj * ierenil. ndsce cum
Aq. meliss., Oxym. sqtällit. ana ^\l, Syr. Uijuirit. 5J. M Während des Ta-
ges gebe man anfanglich auflöseride, dann .zusammenijiehtinde , stärkende
Mittel, wenn sie die Engbrüstigkeit nicht vermehren, z. ßt ly GfHJiMii. um- \
momaci, Stil, niiimon. depifm. ainä 3j» SuJph; aurtiii gr.ty, yieremlo misce cum
Gwmni mimos., Sticci liquir. äna 5j » Aquae foenicult y.']}}, Syr. papav. rh.
3J, Ejctr. hjoscynmi gr,. ivj M. S. Stündlich, einen Esslöffel voll. Verträgt
dfer Kranke dieses Mittel, so kann man aämälig zu Senega, Polyg. amar. ,
Rad. cälam. , Pimplnell. , i Rad. galangae, zu Liehen islaiidic. , China und
Quassia übergijhen; dann nützt, auch Eisensalmia'k mit Extr. myrrhae, Stahlr
wein: mit. Quassia, z. B. l^ Pidv. lujni ijunssine gross. <pulvy Ferri jruri ixiiA
5J.,. iufuvde Villi rhcnimi boui ftjj., diyer. per )]] dies snepius ayilatido. S^
Täglich dreimal 2 Esslöffel voll; auch Ferrum sulphuric. in anfiänglich klei-
nen Dosen ;. daneben >SdiGr-, iNeiuidorfer- , Driburger- y Pyrmont erwasser.
Man ^mpüehlt auch da»:Einathmen des Sauerstöffgasesi,' den Kam^her mit
Pulvis stomachicus BirkmannJ oder Sijuilla, eine Mischung aus Castdreiuro,
Baldrian und Squilla (X«?)ito) , enfllich Oxym. colchici, besonders bei Arthri-'
tischen. Bei alten Leuten ist nur palliative Hülfe möglich.
, Asthma ex dehiVitntt- pubnonumt Soll :iiuf blosser Schwäche tind i Et'- '
scbla^ffwtg decLungciiIlyeruhieu^ existirfc aljer-wol nicht rein, souderi» tuehi-
compllcirt mit andern Arten des AstÜnui ; oder die. Schwälclie der' Lungen. .Jst
Folge allgemeiner Köcperschwäclie ,■ niach,. übepstslndeneii B^TUStübel« ' .etc.
Hier passt gute animalische Kcst, China. : Auch hei: chronischeih AstÜinW'
pituitosum ist Lungehschwäche augegen,. wogegen^ die:dojrt sciion angj^^'j^linj-
nen Jloboraritia, Expedtoräntia passen. ; /. '. 'i--' '"' ' 'i n,, . - :
.Die nun folgenden Arted des Asthma recluiet Ätali ^alle Zu dem Anthma.
sympathicum. (Doch, hit diese: Eintlieilung auch ihre Mtingel; so z. B.- kanij
man melirere Arten deA Afetlmia -nocturnum, des A. urinösum. kypochondria^
cum, hyjitericum eher, uiiter das sympathische als unterüdäs'ididpathis^hiB
Asthma, wie Hr. D. ToU gethan hat, rechnen. Most), .io .'■ : /: ^; ;. i
, Asthma uhdominale.. Hämoi-jrhoidalcohgestioiien.j.. Menstrual - und Lo-
chialstörungen , gallig 4 blutige' liifai-cted, Würmeir, Phjislconien, Milz- und
teberverhärtungen j sHydrops: ascites, Rheumatismus jii^jjhragmatis , Vtfi'-.
schluckter Olqualm, Unterleibskrämpfe etc. erzeugen Asthma mit trocknem,''
fiieSein Husten, oft nur i kurzem' Anstossen, welches dürch^ starke Körp^rbe-
v»egung niiiht vermehrt., oft Vermindert wrdv bedeutend i«e'- und inte'iimit.'-'i
tirt, wobei . heftige Kopfistihmeraen ^ Schwindel , i starkes Klopfen der KBrüti-
den, Angst in den Prädordien», Dyspepsie, unregeEmässige Kothausleerimg,
Verstopfung, Druck im Leibe, spannendes Gefühl längs dem Zw ejfchfeUe,
unregelmässiger intenrnttirendec Puls stattfinden. Das : gekrümmte Sitzen'
beim Schreiben, der, :G.fenusä, bläliehdferi Speise!« und jLeJbesverstopfang ver- •
mehren, freie Dai-mausleerungen, Bewegung- im Fi-eien durch Gehen erleich-
tern dagen die Besr-hwerdien. Cur. Sie richtet sichi nach den zum Grunde,
liegenden Abdorainalübeln. ' Bei Magenschwäche und dadurch consensuell er^
aeugtem Asthma passen Antispasmodica , die Behandlung der Kardialgie, erst
späterhin Amara ; beim Asthma von verschlucktem Öldampfe , woran die
Tuchmacher, Wollespinner oft leiden {Asthma fiillommi) , leisten Brechmittel
aus Sulph. aur. gr. jj, Rad. squillae, Sacchari a'na gr. xj j , schnelle Hülfe;
dann eine Laxanz aus Infus, sennae uiid Sai Glauben, näciistdem drei bi»
216 ASTHMA
vier Tage lang Kali carbonic. mit Acet. squillit. saturirt, und hinterher al-
lenfalls noch einmal das oben genannte Brechmittel; am Schlüsse, wenn,
keine schadhaften Stoffe mehr ausgeworfen werden, magenstärkende Mittel.
(Zeller beschreibt [s. Kleineres Repertor. 1827. Hft, 3. S. 73.] ein endemi-
sches Asthma der Rhönbewohner, woran dort fast jede Familie leidet. Die
vorzüglichste Ursaclie sucht er in dem nebligen, feuchten Klima und der
Beschäftigung mit der BaumwoUenfabrication, so wie in den Nahrungsmitteln.
Er lobt besonders Folgendes: lyr Herib. salviae §fy, — rorismar. 5jjj) — »"«-
joran. 5jj Coq. leniss. in vns. iect. c. Aq. fontcin. §vjjj. Col. nildc Extr.
marruh. 5jjl>, — inraxaci 5jjj, Meli, despiim. 53. M. S. Stündlich einen Ess-
löffel voll. Zugleich lässt er Thee von öriganum vulgare und Vaccin. vitis
idaea trinken. M.).
Asthma siccum s. ohesorum, entsteht bei Leuten, die zur Fetterzeugung
neigen; s. Adiposis. , , '
Asthma plcthoricum. Folgt auf Unterdrückung der Hämorrhoiden, der
Lochien, der Menses. Symptome. Starke Congestion zum Kopfe, nach
der Brust, Odem der Hände und Füsse, • bei Hämorrhoidalasthma starker
Schleimauswurf, Entzündungen innerer Organe und, Jspäter nicht selten Tod
durch Schlagfluss, Stickfluss. Cur. Aderlässe ,: kühlende , säuerliche Ge-
tränke, Derivantia und örtliche Attrahentia, um die unterdrückten Blutflüsse
wiederherzustellen. Befällt das Übel alte, an Blutehtziehungen -gewöhnte
Leute , Amputirte , Frauen im Greisenalter , wo es chronischer Art verläuft,
obgleich ebenfalls voller, starker Puls, Congestionen nach Kopf und Brust,
Ödem der Glieder da sind , so muss zwar anfangs auch zur Ador gelassen
vserden, doch muss man dahin trachten, dass die. Venaesection für die Folge
durch Enthältung von. allen Gewürzen, hitzigen Getränken, dem Salze, durch
fleissige körperliche Bewegung , kurzen Schlaf, ; bei Congestionen durch in-
terponirte gelinde Laixahzen" kühlender Ar,t, durch laue und nach-und nach
kältere Bäder entbehrlich gemacht werde, um die Plethora durch unnöthige
Schwächung des Gefässsysteras mitteis der vielen Aderlässe nicht zu Iver-
mehren, sondern ridical zii heilen. :S. Cohg.estiö. ' ,(; mo
Asthma arthriiicumJ^ Das gichtische Asthma muss wohl von Angina peqfo-'
ris durch den dieser eigenthümlichen Verlauf unterschieden werden. Es kann'
als Asthma spasticum und pituitosum auftreten und ist Folge der verhalte-,
nen, atonischen oder retrograden Gicht, indem die Gichtmaterie die Liin-
genhäute und Nerven befeindet undi ■sie entweder Äu rein spastisdien oder
spastisch - pituitösen Affectionen reizt. Cur^Die Radicalcur ist die der Ar-
thritis retenta, atorüca und retrograda (s. diese. Attiköl). Palliative Hülfe^
während des Anfalls . geben , die oben bei Asthma convulsivurn Tind hu'midum
angegebenen Mittel. 4 ',. . ! ,
Asthma rAe«m«ftcwm. - Entsteht ebenso , wie das Asthma arthriticum,
metastaticum , e scabie.repulsa etc. Cur. Richtet sich nach dem vorwalten-
den Charakter de^ Übels im Anfalle, ausser demselben muss sie gegen die
Aufhebung der Metastase gerichtet seyn. > ' . " .
Asthma e dyscrnsia venosa , Asthma' von eirhöhter Venosität.
Kommt vor bei Leuten, Vvelche viel sitzen und bei denen isich'diei Hämor-
rhoiden bilden wollen; überhaupt da, wo eine Präponderanz des Veu«i-
sjstems vorauszusetzen ist: bei Hypochondristen, Hysterischen , Scorbuti-
schen, bei Fettleibigen, im Stadium praeparans. )der Gicht, weshalb auch
das Asthma ab arthritide retenta hierher gehörft, lEs ist die Folge entwe-
der einer vorübergeheiidbn , aber wiederkehrenden Anhäufung von Bhit im
Centrum der Venen (der Vena. cava_snpeifiar, inferior, der Arteria pulmo-
nalis , ja im Herzen selbst (?M.)) ; oder eiher 'übermässig veiiösen Mi-
schung des Bluts, 'Welches nicht' im Stande ist,! die nervigen und itri-
tablea Gebilde der Respirati<l«isorgane so kräftig Anzuregen, wi^ es zum
normalen typischen Voftstattehgehen der In - und Ex^pirationsactc erforder-
lich ist. Die Kranken eJBpfinden das Bedüi-fniss, mehr Luft einzuathmen
als geboten wird ((JtndtJ)'« Lufthunger); sie athraen daher auch unwillkürlich
tief, seufzend (aber ohne psychische Nebenempfindung) , und sie fühlen nach
ASTHMA 217
solchen Athemzügen , wie der Durstende nach genommenem Getränke , Er-
quickung. Oft fühlen sie dabei auch das Bedürfniss, sich recht lebhaft zu
bewegen, und dies erleichtert (allerdings , wenn es von Mangel an gehöri-
ger Oxydation des Bluts, von Überfluss an Kohlenstoff und daher entstan-
dener schwacher Irritabilität der Respirationsorgane herrührt. M.). Es zeigt
sich entweder trockner Husten, ein - bis zweimal täglich, der in der Wärme
nnd im Zimmer häufiger als in freier Luft und in der Kälte, zuweilen feucht
ist, und als Symptom der Phthisis pituitosa erscheint; dabei Gefühl von
Vollbeit auf der Brust, das durch jenen Husten weggeschafft wird, drücken-
der Schmerz und Engbrüstigkeit, starke Schweisse auf der Brust; nicht
selten stellen sich auch alle übrigen aus erhöhter Venosität entspringenden
Krankheiten ein. Der Verfasser dieser Abhandlung (Dr. Tott} litt längere
Zeit an diesem Übel. Er beobachtete, ausser den genannten Symptomen»
an sich: den rheumatischen ähnliche Schmerzen in den Gliedern und fast in
allen, selbst den Innern Theilen des Körpers, ScHleimabgang per annm,
Kitzelhusten, der selten eintrat, beständige Rauhigkeit im Halse mit Nei-
gung zum Räuspern , Abgang von harhsaurem , oft ins Rosenrothe spielen-
dem Griese mit dem Urine, hur seltenen- und schwachen Abgang von Blut
durch den After, Congestionen zum Kopfe, ein dem Alpdrücken ähnliches
Gefühl, Ängstlichkeit, Abgeschlagenheit der Glieder, flüchtige Stiche in
denselbjen, Sensus formicationis, oft Unruhe vor dem Einschlafen*).
Lnennec und Troschel (15. «• Griife's und u. Wallher^s Journ. f. Chirur-J
giQ ü, Augenheilkunde, 18:^8. Bd. II. Hft. 4,) beschreiben ein Übel, wfelches
sie mit dem Napien L^ngfepappplexie (^;)0;)/ed7trt p!</monMjri) belegen, un^d
welches auch in .die, Kategorie des- Asthma : g'ehört. Symptome desselbpn
sind: heftige Brustbeklemmung, ausserordentlich kurzer , häufiger Athem,
bleiches Gesicht , J\Iangel £^n Spraqhe ,! Hxi^ten mit Reizung im Larynx , öf-
ters mit ziemlich sfarkeu , selbst Stechenden Schiperzen in der Brust , mit
Blutaiisvvurf (oft fehlt letztejrer ijnd der Kränke . stirbt dennoch schnell),
das, ausgeworfene' Blut ist nicht selten mit Schleim , mit Speichel gemischt
und entweder flüssig oder Schäbinig; der Tod erfolgt sehr häufig (die Lei-
chen sin^ oft A 6n ' der Stirn bis über die Brust schwarz gefärbt, es finden
sich Sputen des auä Mund und Nase geflossenen Bluts). Der Puls der Kran-
ken ist flreqüent, ziemlich gross, oft weich; und schwach, nach einigen Ta-
get! eigenthümlich vibrirend, die Hämoptoe ist sehr copiös . und kehrt in
Zwischenräumen als constantes Symptom der Krankheit mit Husten, Brust-
beklemmung , Angst , hoher Rothe oder Blasse des Gesichts und Kaltwerden
der Extrenütäten wieder. , Wenn das B^\itspeien excessiv ist , so tritt es oft
mit wenig starkem Husten, der von eirtem Aufsteigen des DIaphragina wie
bejni Erbrechen begleitet ist, ein. Die PerCussion giebt njchts über das
DaSey'n der Krankheit zu erkennen, da*' stets' in den Rücken öder- an die
untern Theile der Brüst Zu setzende Stethoskop zeigt Abweseriheit der Re-
spil'ation in einem nicht grossen Theile der Lunge , sowie ein schleimiges
Rasseln mit grossen Blasen, welche durth zu starke Ausdehnung öftplaitz^n
und dann ein unZweidentiges Geräusch hervorbringen. Wenn eine Lungen-
•) Da der geehrte Verfasser hier über die Cur des Asthma aus erhöhter Ve-
nosität, wuraii derselbe leider! seit Jalft«!! selbst leidet, nichts sagt, so füge ich
Folgendes hinzu: Hr. Dr. ToU ist ungefähr 38 Jahre alt, you muskulüsem Körperbau,
von Coustitutiou venös pnd spas'tisich, und seilt elf rgnischesi' Asthma, welches selbst ein
pa^riflal, heftige,, dem Stifkiluss ä.lMfliche Anfälle mächte, beruhet ohne Zweifel auf
Artbrit^ anomala, die bald mehr ^ur Lithiasis, bald mehr zur Hämorrhoidalbildung
neigt.' Für mehrere hindert Mark Arzneien aller Art hat sich Hr. Dr. T. verordnet;
alle fruchteten wenig; da$ Meiste hat bis jetzt noch eine strenge Diät: Enthaltung
aller geistigen . Getränke , des Kaffees, der Genuss einfacher animalischer Kost und
tägUche Bewegung im Freien, sowie das Seebad, gethan.
;: .; Der Herausgeber.
218 ASTHMA
Mutanscliwellung zugegen ist, bei einfacher Biortclualliämoptoe, so soll man
die Respiration im ganzen Umfange der Brust gut, aber auch das eben an-
geführte Rassehi , doch mit weniger Andeutmig von Blasen hören. Es soll
der L'.mgenapoplexie eine partialle, Verhärtung als Folge eines Blutextrava-
sats, ähnlich der Blutaushauchung im Gehirne bei Apoplexie, wobei das Blut
gerinnt, z!um Grunde liegen Oft soll im gelindern Grade auch nur eine
entfache Bionchialexsudation stattfinden. Cur. Aderlässe, nach Umständen
wiedt-rhüli , Vesicatorien, Siuapismen auf die Brust, Ruhe, Vermeidung alles
Rrhitzeiiden u. s. f. CA. ToU.
Nachschrift des Herausgebers. Folgende Arten des Asthma
verdienen hier noch erwähnt zu werden: Asthma thymicum Koppä, Spasmm
</lultidis Clarlc^ Asthma inlermiltens mfanium (^Cnspari) , Asthma denlieuthtm
(^Payenstechcr) , Asthma perlodicum acutum. Diese .Kinderkrankheit , worauf
vor wenigen Jahren Kopp (s. dessen Denkwürdigkeiten ia der ärztlichen
Praxis. Frankfurt 1830. I3d. I. Nr. 1 ) vorzüglich aufmerksam gemacht hat,
wii'd als Folge einer zu grossen Glandula Thymu,s angesehen. Die wesent-
licksten Symptome des Übels .sind, nach Kopp und Caspari (s. Heidel-
berger klinische Annalen 1831. Bd. VIJ. Hft. 2. S. 233 u. fenler), folgende:
periodische Unterbrechung des Athendiolens , ein feiner Schrei dabei, Eng-
brüstigkeit gleich nach dem Erwachen, nach und beim Trinken , Hervor-
tre:en der Zunge zwischen die Lippen, häufig Tod durch Erstickung. Die
Ki'ankl\eit macht oft täglich \\e\& Anfälle von Erstickung , befällt am mei-
sten Kinder im ersten Lebensjahre , von 6 bis 15 IMonaten , oder in der
Periode des Durchbruchs der Schnei4ezähne , und tödtet meist plötzlich das
Kind auf den ,Aimen der Wiirterin. Cnspari, der dieses Asthma binnen 18
Jahren wol SÖraal sah uiid darüber schon im J. 1828 der Cheuuiitzer ärztl.
Gesellschaft Mittheilungen majchte, unterscheidet eine doppelte Form: die
krampfhafte und die katarrhalische, und 2 Stadien. Im ersten ist
das Krampfleiden lediglich auf die Bronchien beschränkt, im zweiten wir^
das Rückenmark und Gehirn in IVfitleidenschaft gezogeii. Hat das erste
Stadium den rein spastischen Charakter , so ist das Kind ausser den An-
fällen völlig wohl, nur kurz vor letztern bemerkt man Unruhe, Angst^
Schreien, Flatulenz. Hat es dagegen den kajtarrhalischen Charakter, so
geht ihm ein dem Anschein nach leichter Husteji, besonders während des
Kiaschlafens, voraus. Nach 8 — 14 Tagen kommen zuerst im Schlafe leichte
"Krstickungsanfälle , denen eine mit einem jauchzenden Ton verbundene In-
spiration folgt. Die darauf folgende Exspiration ist gewöluilich von einem
krähenden Tone begleitet, als weijn die Luft gewaltsam, aber mit Unter-
brechung herausgepresst würde. Das Übel schleicht langsam heran und
kann mehrere Monate dauern. Ich sah es in einem Fall über 12 Woclien
währen , ehe der Erstickungstod folgte. Anfangs zeigt sich oft nur alle
4 — -S Tage ein Anfall, und die Eltern achten daher ^^enig darauf. Später
kommen sie häutiger, selbst täglich mehreremal. Das Gesicht erscheint da-
bei roth, blau, die Glieder werden ausgestreckt, die Daumen eingeschlagen,
die Zunge sieht blau ans, und wird etwas steif, späterhin treten mit dem
öfiern Auftreten der Anfälle Gliederkrämpfe, Ohnmächten, zuweilen ein un-
regelmässiges Fieber mit starker Gesichtsröthe, grosser Hitze und schnellem
Pulse und heftigen Schweisijen hinzu , und der Tod erscheint in einem sol-
chen Anfalle oft plötzlich und ohne Röcheln und Zuckungen. Caspnri sah
dies Übel nach 5 Monaten noch tödtlich verlaufen; von 15 Kranken, die er
behandelte, genasen nur 9, und auch diese beliielten noch lange Zeit eine
{jrosse Neigung zu Katarrhen und Empfindlichkeit gegen Temperaturw^chsel.
Ursachen. Prädisposition haben Kinder mit rhachitischer und sorophulö-
ser Anlage, und namentlich solche von phthisischer Abstammung (^Kopp,
(^aspari). Die nächste Ursache ist nach Kopp krankhafte Vergrösserung
der Thymus, wie dieses zahlreiche Sectionen bewiesen haben, doch meint
Casjinri., dass die Vergrösserung der Thymus nur die blosse Folge des Lei-
dens der Respirationsorgane sey , und nimmt sogar das epidemische Vorkom-
men dieses Asthmas an , daher er sagt , dass das Leiden zwischen Croup
ASTHMA 219
und Asthma Mlllan m der Mitte stehe. Auch sind Fälle vorgekommen, wo
das Kopp'sche Asthma tödtlich verlief und die Section auch nicht die ge-
ringste Abnormität der Thymus zeigte (s. Paijenstc^-licr in d. Heldelb. klin.
Annal. Bd. VII. Hft. 4. S 608 — 617.), also ein Asthma thymicum non-thy-
micum stattfand. Daher hält Pnyensfecher nicht dafür, dass der innerste
Grund dieses Asthmas auf* Vergrösserung der Thymus beruhe, sondern mehr
als ein Grund der vielgestalteten Evolutionsstörung des ersten Lebensalters
zu betrachten .sey. Auch Wunderlich (s. Mediciu. Correspondenzblatt des
Würtemberg. ärztl. Vereins. 18S2. Nr. VII.), der das tJbel 6 Tage' nach
der Geburt sah, hält es nicht für eine Desorganisation der Thymus, Son-
dern für eine Art Bildungshemmung, ein Stehenbleiben ajjif einer Stufe des
Fötuslebens , weil er bei solchen Kindern auch die Kopfknochen unvollkom-
men ausgebildet fand. Mit solchen generellehi Erklärungsarten ist indessen
dem Praktiker wenig gedient; da nun iii den allermeisten Fällen sich eine
vergrösserte Thymus neben der dunkelröthen Blutunterlaufung der- Brust
vorfand, so dass das Organ , welches bei Neiigeborrten meist mir 120^140
Gran wiegt, ein Gewicht von 300 — 400 Gran zeigte; so verdient der grosse
Antheil, den die Thymus an der Krankheit hat , und worauf Kopp zuerst
hingewiesen , die aufmerksamste Beachtung. Das Übel , welches vor Kopp
schon A^orth \s. v. F}^ricp''s Notiz. Bd. TX. Nr. 8 S. 121.) beschrieben und
John Cfnrle (Comment. on diseases of Children. Ch. IV ) gekannt hat, auch
dem Volke in der Gegend von Elberfeld unter dem Namen Juch-Krampf
bekannt ist, befällt weit mehr Knaben als Mädchen. Ich sah es nur drei-j
mal , und zwar bei Knaben ; ■ Pagenstecher zählt unter 18 Fällen 14 mann-'
liehen Geschlechts. V<mi -diesen Kindern litten an dem Asthma : von der Ge-
burt an ä, mit der dritten Woche 1, nach 3 Monaten 5, naCh 6 Monaten 5,
mit 9,' 11 und 12 Monaten jedesmal-!, iriit 17- Monaten 1, und 1 ihit
3-' Ja drei*'. Im Paroxysmus starben 11, ' an den Naclikrankheiteh 2, gehellt
wurden nur 5. Von meinen drei Kranken von reSp«- '/■* » V2 und 74 Jahren
starben 2. In 11 Fällen gingen hei PnyenstccJier angeborne Organisaitions-'
schwäche, Diarrhoe, Erbrechen, Keuchhusten, Scropheln, Rhachitb etc.
v^ran. In ein paar Fällen machte die Krankheit Intermissionen von 1 — 4
Monaten. Die Section zeigte die Thymus nicht blos vergröits'ert , sondern
ia einzelnen Fällen auch knorpelartig, die Art. innorainata von ih.r wie durch
einen Knorpelriug eingeschlossen (^ Ulrich^, dieselbe mit dem Sternlim fest
vferwachsen (ßrifc/:), düs Foramen ovale zuweilen offen, • — ausserdem war
das Gehirn mit venösem Blute häufig überfüllt. A. Coopcr bemerkt ii.\ seiner
Schrift: The anatomy of the Thyme Gland. London 1832, mit Kifpfern,
dass das Kopp'sche Asthma Vvol nicht durch den Druck der tergrösserten
Thymus entstehe, sondern dass bei letzterer, wo sie vergrössert erscheine,
oft zugleich Herz - und Lungenfehler zugegen seyen , und dass er die Thy-
mus nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen häufig sehr ver-
grössert gefunden habe , ohne dass irgend ein Zeichen von Asthma 4'orhan-
den war. Behandlung. Bei der katarrhalischen Form anfangs ' Blutegel
an die Brust, innerlich Kalomel, 3 — 4 Tage lang täglich zu 4 Graheti
(Caspari) , dann macht man mit dem Kalomel eine Pause und wendet Hkut^
reize: Vesicatorien auf die Brust, Pustclsalbe an den Kopf, hinter die Oh-
ren an. Später, beim Nachlass der Zufälle, kleine Dosen Kalomel mit Gold'-
schwefel. Bei bevorstehenden Krampfanfällen im zweiten Stadium gab Cas-
pari Moschus zu 4 Gran täglich, Klystiere von Asant; doch ist nach ihm
diese Form eben so schwer wie die Epilepsia inveterata zu heilen. —
PHischaft schlägt hier ein Eiterband unter dem Kehlkopfe und innerlich
kleine Gaben Zinnober und noch kleinere von Carbo animalis vor. Nach
Poijenstecher ist die erste und wichtigste Indication: Regulirung der Lebens-
functionen im Allgemeinen ; bei gleichzeitigen Diarrhöen kein Opium , keine
Excitantia , Adstringentia. Am besten sind kleine Gaben Tinct. rhei aquos.
mit Aq. cinnam. s. v. , dann Absorbentia: Ocul. cancror. , Liq. kali carbon.,
später Eichelkaffee, China. Ist der Organismus noch stark, so ist nach
North^s Beispiele eine Übertragung des Leidens auf den Darmcanal durch
220 ASTHMA
Kalomel zu versuchen. Als specifisch gegen die Krampfanfalle rühmt P.
Zincum hydrocyanic. , Smal täglich '/, — 1 Gran, und 4 — 6 Tage fortge-
setzt, was mdessen bei zarten Kindern wol andere schlimme Zufälle macht
und mehr Vorsicht ei;t>eischt. Wunderlich gab in seinem Falle bei dem 6
Tage alten Kinde, das sich häutig, zumal beim Trinken der Brust, würgte
und erbrach, Smal täglich ein Pulver aus Kalomel, Sulph. aurat. und Herb,
digital, ana gr. % , und liess zweimal täglich warm baden , worauf das Kind
genas. Eine früher rhachitische Frau gebar mehrere gesunde Töchter,
endlich auch einen Sohn ; dieser war aber schwächlich und die ersten An-
fälle des Asthma thymicum zeigten sich nach der 6ten Woche beim Stillen,
so dass er oft die Brust fahren liess \ind sich würgte und blau ward, später
nach der lOten Woche stellten sich auch solche Krampfanfälle mit dem ei-
genthümlichen Tone jedesmal beim Erwachen ein und dauerten wol 1 — 3
Miuuten. Jetzt wurde ich zu Rathe gezogen. Ich gab innerlich Liq. kali
carbon. ^j mit Aq. foenic und Tinct. rhei aquos. , liess etwas Unguent. mer-
curial. und althaeae in den Kehlkopf reiben, das Kind täglich einmal mit
aromat. Kräutern baden, A\'X)rauf es sich sehr besserte, so dass die Mutter
mich nicht mehr in Rath nahm, bis erst 3 Monate später die Anfällö mit
erneuerter Fleftigkeit aiiftraten, indessen wiederum nach der innerlichen Arz-
nei und nach dem Gebrauche einer Salbe aus Unguent. simpl. 5|y und KaU
hydriod. gr. iv. verschwanden. Einen Monat später kamen die Anfcille zum
drittenmal. Jetzt gebrauchte die Frau einen anderi;! Arzt, unter dessen Be-
handlung das Kind starb. Später gebar dieselbe Frau einen zweiten Kna-
ben, der an demselben Übel bald nach der Geburt Htt. Sie gebrauchte
jetzt anhaltender meine Verordnungen aus Rheum, Liq. kali carbon. und
lodsalbe, und der Knabe ist am Leben geblieben, litt aber später noch
längere Zeit an Rhachitis, ^- Der Engländer J. Clarle macht in der Lon-
don medical Gazette Febr. 1833, noch besonders auf eine eigenthümliche Form
von Kinderkrämpfen aufmerksam, die in einem krähenden Einathmen (crowing
Inspiration) besteht und die er Spasmus ylotüdis nennt. Dieses Übel scheint
nach der Beschreibung eins mit dem Asthma thymicum Koppii zu seyn. Die
Stimmritze wird dabei periodisch und plötzlich zusammengezogen, so dass das
Athmen gehindert, beschwerlich, wol ganz unterbrochen wird; nach heftigen
Anstrengungen athmet das Kind darauf wieder und inspirirt mit gellendem,
pfeifendem Ton, gleich dem Krähen eines Hahns. Clarhe glaubt, dass daran
Reizung und Druck des Gehirns Schuld sey. North, dessen Erfahrungen
Cupuron , Undcrwood u. A. bestätigen (s. Marsh in Behrendts Med. chirurg.
Journalistik des Auslandes Bd. V. 1851. u. Aprilstück 18S4. S. 401.), hält
dafür , dass die Ursache mehr in einem krankhaften Zustande der absorbi-
renden Drüsen im Thorax liege , worauf Merrimnn zuerst aufmerksam ge-
macht habe. Li zwei Fällen, wo die Kinder an dem Übel starben, fand
man nicht die geringste Spur von Hirnleiden , nur einen Haufen kleiner Drü-
senanschwellungen am Halse, die auf das Par vagum drückten, so wie auf
die Nervi recurrentes. Dr. H. Ley theilt diese Bemerkungen und seine Er-
fahrungen darüber mit (s. BehretuVs Med, chir. Journalistik des Auslandes
April 1834.). Das keuchende Athmen kommt bei den Kindern des Tages
periodisch, währt stundenlang, ist ohne Husten und Dyspnoe. Blutegel,
Blasenpflaster, Mercurialien , Expectorantia, Purganzen halfen nichts. In
den Anfällen, wo der Athem wegblieb, war das Kind mehr bleich als roth,
die Muskeln waren etwas starr, die Glieder ausgedehnt, die Hände einge-
kniffen. Die Section zeigte die krankhafte Beschaffenheit der Bronchialdrü-
sen, besonders in den Lungenwurzeln und um den Aortabogen. Nach Letj
unterscheidet sich die Krankheit vom Keuchhusten durch folgende Punkte :
1) das Kind hat kein Vorgefühl vom Husten - und Krampfanfall. 2) Letz-
terer beginnt oft mit vollständiger Unterbrechung des Athmens und während
de.sselben bemerkt man deutlich ein Kämpfen, um den Athem' wieder zu er-
langen , was beim Keuchhusten selten der Fall ist. 3) Der Husten ist sel-
ten mit Aufstossen oder Neigung zum Erbrechen am Ende des Anfalls be-
gleitet. 4) Der Husten kam bei seinen Kranken nie bei Tage, wenn das
ASYNODIA — ATONI A 221
Kind mit ^ndern spielte, sondern stets mir im Schlummer, wenn es einige
Stunden ruhig geschlafen hätte. 5) Dies Kinder sind nicht in den Verhält-
nissen, um den Keuchhusten zu bekommen, Die von Ley angewandten Mit-
tel bestanden in leichten eröffnenden Alterantien : Aq. rosarum mit Mineral-
säure und Tinctura humnli lOpuli , also eine mildtonische , nicht reizende,
sedative Behandlung; dabei eine kräftige, nicht reizende Diät. Als Ursache
der Krankheit klagt L. Aufenthalt in feuchter Luft an.
Astlima fullonum, Walkerasthma; s.Asthma abdominale.
Asthma gravidarum; s. Gravidits^s.
Asthma gypseum; s. Asthma pulveirulehtum.
Asthma siomachicum ', s.' Asthma abdominale.
Asynodia, Atechnia, Mangel des normalen Beischlafs, Un-
vermögen zum Beischlaf. Hat verschiedene Ursachen: organische Feh-
ler der Geschlechtstheile , Verwachsung der Vagina , Verunstaltung des Pe-
nis u. s. f. , die mitunter chirurgische Hülfe erfordern, oft aber auch unheil-
bar sind; s. Im p o t entia.
Ataxia, Unordnung, Unregelmässigkeit, daher die Störung
in den Functionen, z. B. der monatlichen Reinigung (Ataxia mensium). Frü-
her war das Wort mit Acosmia synonym, das indessen Einige für Achro-
masia setzten.
Atbalasmus , Unvermögen zu säugen , besonders wegen Mangels
oder Missbildung der Brustwarzen; s. Abscessus lacteus mammarum.
Atheroma, Breigeschwulst; s. Tumor cysticus.
Atltymia, Pauphobia, Muthlosigkeit, Schwer rauth mit Muth-
losigkeit. Ist in hitzigen, contagiösen Krankheiten ein böses Symptom und
deutet den Tod an , dagegen ist noch immer Hoffnung zur Genesung da,
so lange der Kranke Muth hat. Wie nachtheilig bei Pest, gelbem Fieber,
beim Typhus Muthlosigkeit und Furcht ist , wodurch die Receptivität des
Kranken und somit die Ansteckungsfähigkeit erhöht und befördert wird , ist
bekannt.
Atocia» Unfruchtbarkeit; s. Sterilita s.
Atonia, Infirmitas et Remissio virium, Languor, Laxitas, Schwäche,
Schlaffheit. Ist Mangel an Kraft, Spannkraft, also Schlaffheit, die bald
nur örtlich, bald allgemein ist. Letztere finden wir bei geschwächten phleg-
matisch - lymphatischen Naturen. Gegen die örtliche Atonie mancher Theile
sind cheils aligemeine Roborantia, Adstringentia: bittere Mittel, China etc.
nothwendig, theils topische ähnliche Mittel, z. B. Decoct. quercus, chinae
und andere Adstringentia tonica. Einige nehmen Atonie und Schwäche über-
haupt für gleichbedeutend, was indessen verwerflich ist, da wir unter Atonie
nur eine einseitige, genau bezeichnete und alle übrigen Richtungen aus-
schliessende Schwäche, nämlich die organische im Gegensatz der dyna-
mischen (^Adynamie^ verstehen. — „Als einfacher krankhafter Zustand —
sagt Hcckcr in Rusfs Handb. d. Chirurgie. Bd. II. S 424. — oder Krank-
heitselement, ist die Atonie von der höchsten Wichtigkeit; sie kommt bei
der grossen Menge irritabler und contractiler Theile , entweder als blos ört-
licher, oder mehr verbreiteter Zustand in den meisten Krankheitsformen in
Betracht , und die Folgen , die sie im Gesammtleben des Organismus , wie
in den einzelnen Functionen hervorbringt, sind unendlicher Combinationen
fähig. Deshalb gründete schon im Alterthume ein scharfsinniger Systemati-
ker auf den Begriff von Erschlaffung, d. h. Atonie, und Zusammenziehung
ein vielumfassendes Lehrgebäude der Heilkunde (^Themison') , und in der
neuern Zeit hat vorzüglich CuUcn bei Erörterung höherer ätiologischer Ver-
hältnisse die Atonie einzelner Theile, besonders der Gefässenden , hervorge-
hoben." In Ruses Handb, d. Chirurgie Bd. II. S. 425— 449 ist der Atonie
verschiedener einzelnen Theile gedacht worden, aus der wir hier das Wichr
tigste in der Kürze entnehmen.
222 ATONIA
, Atonin ani et intestim recti. Die Erschlaffung des Afters und Mastdarms
kann die Function dieser Theile mehr oder weniger stören und zwar in je-
dem Lebensalter, besonders aber im Greisenalter, wo ohnehin die Schiväche
vorwaltet, vorkommen. Dann bildet sich das Ubsl langsam aus und geht
zuletzt in yollkommne Lähmung der Theile über. IVIitunter folgt die Atome
sogleich oder späterhin auf Commotionen der Lendenwirbel , des Kreuzbeins,
des Rückenmarks durch Stoss, Sturz, Fall, wo entweder schnell Paraljse
oder später sich ein Extravasat im Rückenmarkscanal bildet. Als Complica-
tion können noch Goldaderknoten, Prolapsus ani, Kondylome, Abscesse und
Fisteln vorkommen. Der Sitz dei; Atonie des Rectums und Afters ist ent-
>veder der Schleimhautüberzug, oder der Sphinkter und die Muskelhaut des
Darms , so dass ein Prolapsus ani erfolgt. Der Kranke verliert das Vermö-
gen, bei stärkerem Drange die Excremente an sich zu halten, nur erst bei
höhern Graden des Übels. Ist der Schliessmuskel aber bei Atonie des Darms
gesund, so fehlt die Schiebkraft mehr oder minder im Darm, und die Ex-
cremente häufen sich in grossen, harten, lehmartigen Kugeln und Ballen an,
welche durch Kunst entfernt werden müssen (s. Alvinae concretiones).
Cur. Innerlich stärkende und reizend abführende Mittel: Cascarille, Co-
lumbo, China, mit Zusatz von Rheura, Aloe; äusserlich Klystlere von kal-
tem Wasser, entweder allein, oder von 1 ß Wasser, worin 2 — 3 Quent-
chen Alaun aufgelöst worden; von einem schwachen Decoct. ijuercus, Sali-
cis, — Einreibungen von Unguent. nervin., Unguent. macid. in die Kreuz-
und Darmgegend.
AUmia canrtUcuJorum lacrymalium. Schwäche der Thränenröhrchen
hemmt oft die Foitleitung der Thränen nach der Nase, die dann über die
Wange fliessen. Daher ist die Nase auf der leidenden Seite trockner als
auf der gesunden. Die Thränenpunkte sind eingezogen , eingeschrumpft,
die Ölfnung darin aber erweitert ; der innere Augenwinkel ist erschlafft,
durch den Reiz der Tlu'äuen aber geröthet, daher des Nachts das Auge
zuklebt. Bejahrte Personen und die, welche an chronischen Augenblen-
norrhöen litten, sind dem Übel leicht unterworfen. Cur. Adstringirende
Mittel, selbst kaltes Wasser, die Augendouche, wenn das Auge die Kälte
vertragen kann, Solut. lap. divini , zinci sulphurici zum Eintröpfeln. Bei
alten Leuten nützt Waschen der Augenlider mit Spirit. vini Galilei , Spir.
serpilli, — vini camphorat. , Aq. Coloniensis. Ist die Atonie paralytischer
Natur, dann innerlich Arnica, Valeriana, äusserlich Einreibungen von Bals.
vitae internus, Ol. cajeputi; Elektricität , Elektropunctur, ein Causticum
zwischen Processus mastoideus und den Winkel des Unterkiefers , das einige
Zeit in Eiterung erhalten wird (Jüni/Acn).
Alunia glandulae laiTymalis, Schwäche der Thränendrüse. Hier
sondert die Thränendrüse zu viel Feuchtigkeit ab in Folge von Entzündung,
Quetschung , Wundjen in diesem Organe oder dessen Nachbarschaft , ohne
dass eine Ursache am Auge, ein consensueller Reiz, wie z. B. durch Oph-
thalmia exanthematica, aufzufinden ist. Ist das Übel schon chronisch und
bei alten Leuten vorkommend, so ist die Heilung schwierig. Hier leisten
Ol. cajeputi, — menth. , Mixtura oleoso -balsamica , in das obere Augenlid,
in Stirn und Schläfe eingerieben, und das Auge mit einem camphorirten
Läppchen verhängt, noch das Meiste; auch eine schwache Solut. vitriuli
albi in Ai]. menth. pip — Bei frischem Übel und jungen Subjecten wendet
nmn die Augendouche, täglich mehreremal, '/^^ Stunde lang an; man bedient
sich dazu des kalten Brunnenwassers, noch besser des Pyrraonter, oder mit
reiner Kohlensäure geschwängerten Wassers {.Jüngheii).
AUmia intcsiini revti, s, Atonia ani.
Afonia Utjumcntorum. Erschlaffung der Gelenkbänder fniden w'it oft,
verbunden mit Muskelschwäche, bei laxen, schwächlichen, phlegmatischen
Subjecten , bei zarten Frauen und Kindern , nach langwierigen Krankheiten,
nach schwächenden Profluvien, nach Quetschung, Verrenkung, Subluxation.
Erschlaffte Gelenkbänder geben, zumal bei blondem Teuit, oft Neigung zu
Luxationen, zu Prolapsus uteri. Die Cur ist theils die allgemeine, theils
ATÖMÄ 223
eine ordicUe. Alle», was die Muskelkraft höbt: tägliche Bewegung , Baden,
das tägliche eintnalige Waschen des ganzen Körpers mittels eines grossen
Schwamms und kalten , frischen Quellwassers, kräftige Nahrung sind hier
nCitzlich. Örtlich dienen sljärkende, adstriogirende , l)elebende, spiiituöse
Mittel. ; -., • ,• ' ^ '■'
Atonin oesoplimji. Das tJbel kann entweder den ganzen' Oesophagus,
oder nur einen Theil desselben befallen, zoweilen nur die Schleimhaut des-
selben (s. Prolapsus oesophagi). Am häufigsten leidet der ganze
Oesophagus in Folge verminderten Einüusises der Schlundnerven. Die Haupt-
zeichen sind: Dysphagie bis zum völlig verhinderten Schlingen (s. Dyspha-
gia), was häufig kujz vor dem Tode in bösartigen Fiebern vorkommt und
ßoerhnave Angina paralytica nennt, \>o ein hörbares Geräusch in der
Brust beim Schlucken des Getränks (Deglutitio sonora) in Folge des ge-
hemmten Nerveneinflusses und der *Störung der Gehirnfunction (Delirien
stattfindet. Die fieberlose Atonie der Speiseröhre entsteht entweder
plötzlich , z. B. nach Apoplexia cerebri et meduUae spinalis , oder allmälig,
wovon vanSwieten (Comm. in Boerh. Aph. T. II. p. 702), Willis (Pharmac.
rat P. I. Sect. II. cap. 1.), Tulpius (Observ. med. Lib. I. p. 79.), Hei-
ster n. A. Beispiele anführen. Auch hier ist das Hauptsymptom beschwer-
liches Schlucken; feste Speisen werden leichter als Getränk verschluckt,
dagegen es bei organischen Fehlern des Oesophagus der umgekehrte Fall
ist; zuletzt findet völlige Ap hagle sich ein, wo dann die Speisen unter
Würgen und Erbrechen zurückgeworfen werden, und fernere Versuche zu
«chlingen Angst, Dyspnoe erregen. — Gelegenheits Ursachen sind:
ahhaltender Missbrauch geistiger Getränke, das tägliche Trinken heisser
Getränke, der G^nuss sehr kalter Flüssigkeiten, des Gefrornen bei erhitz-
tem KSrper , deprimirende Gemüthsaffecte , zumal Trauer, Überladung des
Magens, Mangel; an Körperbewegung, Vergiftung durch Blei, Stechapfel,
giftige Pilze, langwierige Zehrfieber, plötzliche Unterdrückung der Trans-
spiration , der Menses, starker Blutverlust. Schlaffe, schwächliche, zarte,
sensible: Subjecte ink spastischer Constitution, hysterische, desgleichen junge
und alte Greise , deren Nervenkraft entweder vor der Zeit durch Ausschwei-
fungen aller Art oder, dem Naturgange gemäss, durchs Alter abgestumpft
worden, sind am meisten zu dieser Atonie und Paralyse disponirt. Ist die letz-
tere schon eingetreten und der Kranke bei Jahren, so tödtet das Übel meist
immer. Selbst jüngere Subjecte können durch den Mangel hinreichender Er-
nährung den Tod daran finden. Die Atonie der Speiseröhre in Folge bös-
artig©«* Fieber dientet stets auf hohe Lebensgefahr. Entstand sie durch Diät-
fehler, durch deprimirende \ffecte, so ist sie nicht immer unheilbar. Schlim-
mer si*'ht es aus , weiin sie die Folge von Apoplexia cerebralis und spinalis
ist und gleichzeitig andere Paralysen stattfinden. IVutzer (in Rusfs Handb.
der Chirurgie Bd. II. S. 436 ) sagt: ,,Wenn das Übel nicht überwunden
werden kann, so dauert es nach der Verschiedenheit seines Grades Tage,
Wochen' oder Monate lang, zieht aber in letzterm Falle aus Mangel an Kr-
tiährujig innner Abmagerung im hohen Grade nach sich. Die 50jährige Kranke
des Tulfiim, bei welcher das Übel übrigens mit Schwindel, Erbrechen und
Spasmus cynicus eintrat, starb am 7ten Tage. Hamnzzini erhielt eine 25jäh-
rige Nonne, die hernach noch völlig wieder hergestellt wurde, 66 Tage lang
allein durch nährende Klystiere. Der Kranke von Willis lebte berei(s 16
Jahre, indem er die in den Schlund gebrachten Speisen mittels eines Schwam-
mes-, der ad einen Fischbeinstab befestigt war, hinabstiess, und auf ähnliche
Weise wurde ia dem Falle von Basier und Slnlpnrt ein SOjähriges Mädchen
H Monate lang erhalten und dann geheilt." Cur. Wir haben hier zu be-
rü'cksichtigen : die Ursachen, um diese wo möglich zu heben, ferner, den
weitern Fortgang der Krankheit zu heunnen und die Kräfte zu unterstützen,
endlich die Bes.chwerden des Übels nach Möglichkeit zu erleichtern, die Er-
nährung zu unterhalten und so den Hungertod abzuwenden (vindicatio cnnsa-
hs, I. morhi, l. ^i/mplomaiica et vitnlis). Um der Indicatio morbl zu genü-
gen und der Jichwäche des leidenden Organs zu begegnen, dieiien Aruica,
224 ATONIA
Wein, China, Eisen, Chinin, Zlmmt, Valeriana innerlich. Man kann Tinct.
chinae, cinnamomi, Tinct. martis, Brot mit altem Wein benetzt, durch eine
elastische Röhre in den Magen befördern. Auch Gurgelwasser mit Wein,
Rum , Branntwein sind nützlich. Ausserlich passen Einreibungen in die
Nacken- und Halsgegend von Unguent. nervin., Spirit. serpilli, das Glüh-
eisen im Nacken, stärkende Kräuter- und Stahlbäder. Bei dieser atonischen
Dysphagie passen die Einspritzungen in den Magen weit besser, als bei der
organischen. Die eingebrachte Röhre muss von Gummi elasticum seyn, we-
nigstens V4 Zoll im Durchmesser haben und bis zum Magenmunde reichen,
weil sonst die Flüssigkeit vielleicht im Oesophagus stecken bleibt und später
wieder ausgebrochen wird. Kräftige Fleischbrühen mit Eigelb, Wein mit
Salep dienen am besten zum Einspritzen Auch nährende Klystiere , Bäder
von Milch , nährende Flüssigkeiten , eine Zeitlang im Münde gehalten , un-
terstützen die gesunkenen Kräfte (s. wtn Swieten Comra. in Boerh. Aphor.
T. II. p. 107. Bleuland in d. Samml. auserles. Abhandl. für prakt. Ärzte.
Bd. IX. S. 676. v(m Gcuns Ebenda». Bd. IV. S. J71. Nahiiys Ebendas.
Bd. IV. S. 3. Burserius de Knnilfeld Inst. med. pract. Vol. IV. pag. 296
u. 303. Boyer Traite des maladies chirurgicales. Tom. VII. p. 158.).
Atonia ^nlpehrnrum, Blejihnroatonia , weniger richtig, wie Jünghcn wll,
Atoniaionhlephnron (weil dies reines Griechisch mit lateinischen Lettern ist),
die Schwäche oder Erschlaffung der Augenlider. Hier kann der
Kranke die sonst gesunden Augenlider wol öffnen , aber er ist nicht im Stan-
de, sie lange offen zu erhalten; auch thränt (Jas Auge, wenn es angestrengt
oder hellem Lichte exponirt wird und schliesst sich von selbst. Dieses Übel
ist oft Folge von Augenentzündungen , besonders wenn bei letztern anhal-
tend warme Umschläge angewandt worden sind. Häufig ist diese Atonie
mit einer geringen Geschwulst am Tarsalrande des oberri Augenlides , mit
massiger Röthung desselben, bei reizbaren Subjecten zuweilen auch mit
oderaatöser Anschwellung der Tarsalränder der Augenlider verbunden. Das
Übel darf nicht mit Blepharoptosis oder mit Blepharoplegie verwechselt wer-
den. Cur. Mit der Zeit vergeht das Übel von selbst, so wie sich das
Auge allmälig an den Reiz des Lichts gewöhnt. Verhütet wird es, %>enn
bei Augenentzündungen der anhaltende Gebrauch warmer Umschläge und
der zu lange Aufenthalt in dunkeln Zimmern vermieden wird. Die kalte
Augendouche, eine schwache Solut. vitrioH albi in Aq. rosaruni, des Nachts
ein camphorirtes Läppchen über das Auge, .sind nützlich. Es giebt auch
eine Atonia palpebrarum senilis, die als VVirkung des höhern Alters selbst in
Blepharoptosis übergeht. Sie entsteht -allmälig, die Augenlidhaut ist schlaff,
faltig und von gelbem, lederartigem Ansehn, dabei die Secretion der Augen-
liddrüsen vermehrt und die Schwäche so gross, dass der Kranke die Augen-
lider nur kurze Zeit offen erhalten kann. Cur. Ist schwierig, oft unmög-
lich , da sie mit allgemeinem Marasmus zusammenhängt. Man versuche äus-
serlich spirituöse, aromatische, ätherische Mittel: Franzbranntwein, Cölni-
sches Wasser, Lavendclspiritus, Balsam, vitae Hoffmanni, Naphtha zum Wa-
schen und Einreiben der Augenlider, der Stirn, der Schläfe, desgleichen
den Dunst von Salmiakgeist, indem man schnell einige Tropfen zwischen
den Händen zerreibt und die offenen Hände dann in die Nähe der Augen
bringt (./ihit/Äen).
Atonin sacci Inirymnlis, Hemia sncci lacrymnlis Beer, Dacryoajsioniomtt,
Erschlaffung des Th ränensack s; s. D a er y ocy sti tis und Pro-
lapsus seu Hernia sacci lacrymalis. Wenn das Übel noch frisch
und scrophulöser Natur ist , so räth Jüngl-cn besonders die kalte Augen-
doiiche, sowol von gewöhnlichem als kohlensaurem Wasser, von adstringi-
renden Decocten an, bei chronischer Atonie spirituöse, ätherische und aro-
matische Mittel; helfen diese nicht, so touchirt man die Haut über dem
Thränensacke mit Lap. infernalis , um durch Erregung einer Entzündung
die Vitalität in den Wandungen des Thränensacks und dadurch den Tonus
zu steigern ; der Schorf wird nachher der Natur überlassen. Auch das Fer-
rum candens, das hier noch wirksamer als das Causticum bt, kann man
ATONIATONBLEa»HARON — ATRESIA 225
anwenden. Erschlaffende Salben passen hinterher nicht. Ist mit der Hei-
lung der Brandstelle das Übel nicht verschwunden; so kann man noch den
Schnitt versuchen, indem man mit einer feinen Lanzette eine Incision in den
Thränensack macht , ihn von dem darin enthaltenen Contentum reinigt , ein
kleines Bourdonnet einlegt und ein Stückchen englisches Pflaster überlegt.
Hat sich nun die Wunde entzündet und fängt sie an zu eitern , so legt man
keine Charpie mehr hinein, entfernt die darin enthaltene, und lässt die Wunde
zuheilen. Hinterher wende man noch einige Zeit die Augendouche mit kal-
i tem Wasser an.
Atonia vesicae urinariae, Erschlaffung der Harnblase (s. Re-
tentio urinae). Bei Gries, Schwäche, Atonie der Blase und als Diure-
ticum lobt Rodewald (Berliner med. Zeitung 1833. Nr. 16.): I^r Amygddl.
dulc. 5iv, Gtimm. mimos. s. q. fiat Emuls. cum decoct. Herb, lycopod. ex ^ß,
parat, gvjjj, adde Elect. e senna 3J , alle V2 — 1 Stunde 1 Esslöffel voll, als
sehr wirksam ; darneben das warme Decoct. Lycop. (^jjj mit IjMass Wasser
gekocht) , tassen weise genommen.
Atonia ventricuU , Magenschwäche ; s. Dyspepsia.
Atonia uteri, Schlaffheit, Trägheit der Gebärmutter. Ist nach
der Geburt [häufig Uisache von mangelnder Contraction und daher entstehen-
dem Blutsturze; s. Haemorrhagia uteri, Uteromalacia.
Atoniatonblepbaroil 9 s. Atonia palpebrarum.
AtrabiliiS, Constitutio atrahilaris; s. Haemorrhagia ventriculi.
Atresia, der Mangel einer normalen Öffnung am Körper
durch Verwachsung, Missbildung. Oft ist die Atresie angeboren,
z. B. Atresia ani, vaginae; in dieser Hinsicht sey es die erste Pflicht der
Hebamme und des Geburtshelfers , gleich nach der Geburt eines Kindes za
untersuchen, ob die normalen Öffnungen auch da sind. Das Übel ist bald
complet , bald incomplet, es erfordert meist chirurgische Hülfe. Die Atresia
vaginae incompleta wird oft erst zur Zeit der Pubertät entdeckt , wenn die
Menses nicht fliessen wollen und sich das Blut im Uterus anhäuft. Hier
wird durch die Operation (man macht die Öffnung sehr leicht mit dem
Fleurant'schen Troikar, den man vom Grunde der Vertiefung aus in der
Richtung der Beckenaxe einsticht. Vergl. Basedow in v. SiehohVs Journ. f.
Geburtshülfe etc. Bd. VII. St. 2.) oft eine grosse Menge schwai-zen Blutes
entfernt und alle Beschwerden der Menstruatio retenta sind mit einem Mal
gehoben. Eine ähnliche theilweise Atresie der Scheide folgt zuweilen auf
schwere Wochenbetten, die dann den Beischlaf oder die nächste Entbindung
hindert, woran also der Geburtshelfer zu denken und das Übel vor der Ge-
burt oft erst durch eine Operation zu heben hat. (Vergl. auch den Artikel
Strictura.), Unter dem Namen Atresie bezeichnete man nur allein die
Atresia ani und vaginae, später wurde sie aiich für die Verschliessung der
übrigen i.usführungsgänge gebraucht , ja die Stricturen nannten einige Au-
toren selbst Atresia spuria , und Andere zählten die widernatürlichen Ver-
wachsungen der Finger und Zehen irxigerweise dazu. Wir unterscheiden
1) Atresia congenita als Vitium primae formationis oder als ein Stehenbleiben
auf einer niedrigen Stufe der Organisation während der Evolutionsperiode
des Foetus, 2) Atresia acquisita, welche durch vorhergegangene Entzündung,
Eiterung, Verbrennung etc. im Leben , bei unzweckmässiger Behandlung etc.
erregt ist. Ferner statuirt man 3) A. pnrtialis und universalis , 4) A. cotn-
pleta und incompleta, 5) A. longa, hrevis, stiperficialis , ^rofimda , membra-
nacea, filamentosa, parenchjmatosa etc. Die wichtigsten Atresien wollen wir
hier für klinische Zwecke besonders anführen :
Atresia ani, Anus imperforatus, Imperf oratio ani, die natürliche Ver-
wachsung des Afters, des untern Endes des Rectums , welche stets ein
Fehler der ersten Bildung ist. Die Erkenntniss ist leicht ; sollte die Mutter
oder Hebamme versäumt haben nachzusehen , ob der After beim Neugebor-
nen verschlossen oder offen ist, so zeigt ein paar Tage nach der Geburt
das Kind Unruhe , Gesichtsröthe , Würgen , Erbrechen , aufgetriebenen Un-
Mo8t Eucyklopädie. 2te Aafl. I. j[5
226 ATRESIA
terleib etc. Wird nun die Hülfe versäumt, so entsteht Enteritis, Brand,
und es folgt der Tod meist in den ersten 14 Tagen. In seltnem Fällen
entleerten sich die B'aeces durch den Mund, und die Kinder lebten Monate,
selbst Jahre lang, wovon De la Mnre, Baux und Bartholin Fälle anführen.
Cur. Sie gelingt bald leicht, bald nicht leicht, je nach Verschiedenheit
der verwachsenen Stelle. Darnach statuirt Boyer acht Varietäten. 1) Ver-
fehl iessung am untern und äussern Ende des Mastdarms durch
eine Haut; dies ist der häufigste und leichteste Fall. Die Stelle des Af-
ters zeigt hier die durch das Meconiura sackförmig hervorgetriebene Haut
an, die daher auch von dunkler Farbe ist. Hier sticht man mit dem Bi-
stouri ein , erweitert die Wunde mit Hülfe der Hohlsonde kreuzweise , und
entfernt die gebildeten Hautlappen mit der Scheere. Eines weitern Ver-
bandes bedarf es hier nicht; denn der Abgang der Faeces verhindert das
Verwachsen der Wundränder. 2) Die innere Verschliessung bei
bestehender äussern Öffnung. Hier fliessen applicirte Klystiere
schnell zurück; die Untersuchung mittels des Fingers oder der Sonde, wo
man dadurch eine Scheidewand entdeckt, welche beim Schreien des Kindes
dem Andränge des auf ihr ruhenden Meconiums nachgiebt, — der Mangel
der Leibesötfnung und die übrigen Symptome: Schreien, Erbrechen, Auf-
treibung des Leibes etc. geben hier Auskunft. Zuweilen ist dies Häutchen
so dünn , dass es schon durch den Fingerdruck , wie die Eihäute während
einer Wehe, zerreisst. Ist dies nicht der Fall, so durchbohrt man es mit
einem Pharyngotom oder, noch besser, mit einem schmalen Bistouri, dessen
Schneide nach dem Steissbeine zugekehrt ist (damit die Blase nicht verletzt
wird), auf einer unten offenen Hohlsonde, und bringt später, damit die
Wundränder nicht zusammenwachsen, Charpiewieken ein, wenn sie anders
nicht zu starken Tenesmus veranlassen; sonst legt man nichts Fremdartiges
in die Wunde, sondern fühlt täglich mit dem beölten Finger in den Mast-
darm, um sie offen zu erhalten. Wird die Operation nicht bald nach der
Geburt verrichtet, so stellt sich meist eine partielle Entzündung des Darms,
auch starke Ausdehnung desselben durch die Faeces ein, und man kann dann
leicht statt der Scheidewand den Darm selbst durchstechen , der sich nun
nach Entleerung des Kindspechs zurückzieht, und so eine tödtliche Ergies-
snng der Darmcontenta ins Becken folgt. Fühlt man während der Unter-
suchung mittels des Fingers oder der Sonde, und während das Kind schreiet
und drängt, kein Meconium in einer Haut eingeschlossen, so ist diese Ope-
ration sehr gewagt, und man muss, um das Kind zu retten, einen künst-
lichen After bilden; s. Anus artificialis. 3) Verschliessung ohne
irgend eine Spur einer Öffnung, indem der After durch die äussere
Haut geschlossen ist. Auch hier gelingt die Operation nicht immer, da man
nicht weiss, wie lang die Atresie ist; dennoch niuss sie, um das Leben des
Kindes zu retten, versucht werden. Man führt hier Aorher einen Katheter
in die Blase, um sie zu entleeren und sich von ihrer Lage während der Ope-
ration zu unterrichten , damit sie nicht verletzt werde. Man muss das Bi-
stouri nicht zu nahe am Sitzbeine einsenken , weil der Knochen noch weich
ist und das mit Meconium angefüllte Rectum den After vom Sitzbeine ent-
fernt. Cnllisen will 2 Zoll tief einschneiden, doch sey man höchst vorsich-
tig, und überzeuge sich von Zeit zu Zeit durch den in die Wunde gebrach-
ten Finger, ehe sie so tief geworden, von der Lage des Mastdarms. Den
Eingriff der Operation überwinden ausserdem zarte Kinder nicht immer.
4) Verschliessung des Afters mit der Öffnung des Mastdarms
in die Scheide. Diese Atresie ist mehr beschwerlich, als lebensgefährlich.
Manche Personen erreichten, wie Jiissicu, Benivcnius, vnn Swieten, Howship
u. A. berichten , dabei ein hohes Alter. Boyer will , dass man jeden Ver-
such , die Darmentleerung auf anderm Wege herzustellen , unterlassen soll.
Cnllisen und MassoHn wollen dagegen, wenn die Einmündung am untern
Ende der Vagina ist, eine Hohlsonde durch die Vagina in den After führen
und gegen diese dann das Bistouri richten; doch kann leicht dadurch Läh-
mung des Sphinkters und Excretio alvinae involuutaria erfolgen. Vicq d'Azyr
ATRESIA 227
schlug ein anderes Verfahren vor, das neuerlich Martin (s. Archiv, g^n^rales
de Medecine. Avril 1827. p. 608.) und Dieffenlnch (s. Hecker'' s Lit. Annalen
1826. Bd. IV. S. 31.) hervorgehoben und letzterer bei einem dreimonatlichen
Mädchen, bei welchem sich das Rectum in die hintere Wand der Scheide
öffnete, mit glücklichem Erfolge angewandt hat. Zuerst wurde eine stark
nach innen gebogene Hohlsonde durch die Scheide in die MastdarmöfFnung
gebracht, dicht hinter der kahnförmigen Grube ausserhalb der Scheide ein
spitziges Bistouri bis in die Rinne der Sonde eingestossen , und von hier aus
der ganze Damm, ohne jedoch mit der Spitze des Messers das Rectum zu-
gleich weiter mit aufzuschneiden, mit einem Zuge bis nahe an das Steiss-
bein getrennt. Nach Stillung der Blutung wurde durch Spaltung des Zell-
gewebes der Mastdarm blossgelegt, der Rand desselben von seiner Öffnung
getrennt, seine Wandung in der Richtung der äussern Haut- und Muskel-
wunde einen Zoll lang eingeschnitten, und die so gebildeten Spaltenränder
des Darms an den Lefzen der Perinaealwunde befestigt. Als nach drei Wo-
chen die Heilung aller verletzten Theile geschehen war, schritt Dieffenlnch
zur Bildung eines neuen Dammes , wodurch die Gemeinschaft zwischen Vor-
hof und After vollkommen aufgelioben wurde. John Barton (Medical Re-
cords of Medecine and Surgery. Philadelphia 1824. Nr. 26.) stellte auf
ähnliche Weise bei einem sechswöchentlichen Kinde den natürlichen After
wieder her, und schritt, als sich dieser wieder schloss und das durchge-
bohrte Septum recto -vaginale keine Neigung zur Verheilung blicken Hess,
zu demselben Verfahren, nachdem das Kind 9 Monate alt geworden war.
Parish versuchte Barton^s Operationsmethode mit Glück bei einem funfzehn-
monatlichen Kinde. 5) Verschliessung des Afters mit der Öff-
nung des Mastdarms in die Blase; 6) Atresie des Afters mit
Verwachsung des Mastdarms; 7) Afteratresie bei fehlendem
Rectum; 8) Atresia ani in Begleitung von einem widernatür-
lichen After. In den Fällen Nr. 5, 6 u. 7 bleibt nur die Bildung eines
künstlichen Afters durch die Laparo - Colotomie übrig , da sich bei diesen
Atresien die Öffnung jeden Augenblick verstopfen und eine tödtliche Ob-
struction entstehen kann, auch der Mensch bei Anus artiücialis eine weni-
ger traurige und ekelerregende Existenz führt ; bei Nr, 8 bat die Natur uns
derselben Operation überhoben. >
Jtresin nuris, s. Atresia meatus auditorii externi.
Atresia cnnalis nasalis seit lacrymaUs. In den meisten Fällen ists nar
eine Verengerung, eine Stenochoria sarcomatosa , keine wirkliche Atresie des
Nasencanals; denn alle Schleimhäute haben nur wenig Neigung zur Ver-
wachsung , selbst bei heftigen Entzündungen nicht , was dagegen bei serösen
Häuten so leicht geschieht. Zeichen sind: Trockenheit der Nase an der
leidenden Seite, Atonie, Aufgetriebenheit des Thränensacks ; ein Druck auf
letztern treibt diese aus den Thränenpunkten, aber nicht durch die Nase,
selbst nicht, wenn man den Thränenpunkt mit zuhält; der Thränensack zeigt
Narben von frühern mechanischen od^r chemischen Verletzungen, welche
Läsionen, so wie Caries des Thränenbeins und Nasencanals, auch die vor-
.züglichsten Ursachen dieser Verschliessung sind. Cur. Eine wahre Atresie
des Nasencanals ist unheilbar; wo man sie geheilt haben will, war es nur
eine feste Stenochorie. Die Versuche von Woolhouse, Lamorier, St. Yves,
Hwiter, Richter (auch die von unserm Professor Quittenhnum) , durch Bil-
dung einer neuen Öffnung in dem Thränenbeine den Thränen einen Abfluss
nach der Nase zu verschaffen , blieben stets fruchtlos ; denn diese ÖfFnnngen
schliessen sich immer wieder. Es bleibt dem Kranken daher nur eine dop-
pelte Wahl übrig: entweder den Zustand so zu lassen, den Thränensack
öfters des Tages nach oben auszudrücken, um Irritation und Entzündung
desselben zu vermeiden, — oder den Thränensack, nach Namoni und Rust,
zu vernichten, so dass die Thränen gar nicht mehr dahin gelangen, sondern
über die Wange fliessen, Avodurch er wenigstens von den öftern Reizungen
des Thränensacks befreiet wird. Oft ist das Tliränenträufeln später auch
nur gering, oder es erscheint, indem, weniger Tliränenfluidum secernirt und
15*
228 ATREöIA
dieses im innern Augenwinkel resorbirt wird , in einzelnen Fällen selbst gar
nicht (Jüiiglien). Um den Thränensack zu vernichten, applicirt man Lapis
infernalis oder~das Glüheisen auf die Höhle desselben, nachdem die ganze
äussere Wand mittels Petifs spitzem Messer gespalten, die Höhle gereinigt
lind die Blutung gestillt worden ist. Der entstandene Brandschorf muss
lange im Thränensacke verweilen; man bestreicht ihn mit Öl und legt eng-
lisches Pflaster über. Ein zu hoher Grad der nachfolgenden Entzündung
wird durch kalte Umschläge gemässigt. Hat die Natur den Brandschorf
entfernt, so verbindet man, um gute Eiterung und Granulation zu beför-
dern, mit Unguent. basilicum mit einem Zusatz von Merc. praecip. ruber,
h'is die Höhle mit gesunden Granulationen gefüllt erscheint, worauf man die
Wunde vernarben lässt. Oft gelingt die Vernichtung nur theilweise, der
obere Theil bleibt offen, worin sich die Thränen ansammeln und eine flu-
ctuirende Geschwulst bilden. Dann öffne man diese und wiederhole das
Causticum und das ganze angegebene Verfahren.
Atresia ductuum excreioriorum glandulae lacrymaJis, s. Dacryops.
Airesia glandis penis, s. Atresia urethrae.
Atresia iridis, s. Synizesis pupillae.
Atresia mealus nuditorii extenii, Amis imperforatio , die Verschlies-
sung des äussern Gehörganges. Ist sie angeboren und an beiden
Gehörgängen, so bleibt der Mensch taubstumm, — in andern Fällen ists
Atresia acquisita, die Taubheit zu Folge hat. Entweder ist die Imperfora-
tion vollständig und es fehlt der knöcherne und knorpelige Theil des Ge-
-hörganges , wo denn, meist auch als Vitium congenitum die Ohrmuschel man-
gelt und das Übel unheilbar ist; oder der knöcherne und knorpelige Theil
ist da, aber zum Tbeil oder völlig undurchgängig durch eine häutige Schei-
dewand, durch ein dichtes, die Wandungen unter sich verbindendes Ge-
webe, so dass eine membranöse oder parenchymatöse Verschliessung besteht.
Ists eine Membran, so triift man sie bald mehr am Eingange, bald mehr in
der Tiefe derselben. Im letztern Falle ist die Diagnose schwieriger und sie
-verlangt eine genaue Untersuchung des durch Sonnenlicht oder künstliche Be-
feuchtung erhellten und in gerade Richtung gebrachten Gehörganges. Bringt
man die Sonde ein^ so fühlt der Kranke bei Berührung dieser Membran sehr
wenig, dagegen die Berührung des Trommelfells recht schmerzhaft ist. Zu-
v/eilen liegt blos eine eiweissartige, nicht organisirte, häutige Masse auf dem
Trommelfell. Auch ist bei Neugebornen das Trommelfell durch eine Schicht
verdichteten Schleims bedeckt, welche nach der Geburt durch den Luftdruck
vertrocknet und durch die Lufterschütterung in der Regel abfällt (//«r«/).
Wenn eine solche abgelagerte Masse sich organlsirt , so besteht sie fort,
und erst später zeigt sich bei -Kindern , wenn sie sprechen lernen sollten,
"die Harthörigkeit oder Taubheit, die man früher übersah. Die parenchyma-
töse Atresie ist auch entweder nur eine partielle oder totale; erstere ähnelt
der membranösen Verwachsung, indem nur eine Stelle des Lumens des Mea-
tus verwachsen ist. Ursachen sind: Inflammatio exanthematica , impetigi-
nosa , Abscesse , Verbrennungen , Ulceration des leidenden Theils , zumal
wenn sie vernachlässigt, und schlecht behandelt worden sind. Cur. Ist
die Membran anorganisch, durch eiweissstoffigen Niederschlag erzeugt, so
.kann sie durch einen zufällig oder absichtlich angeregten Ohrenflnss geho-
ben werden ; sonst rouss man die Operation (am besten im zweiten Lebens-
jahre bei Atresia congenita, damit das Kind sprechen lernt) unternehmen.
Liegt die Haut mehr äusserlich, so durchbohrt man sie mit einem glühend
geraachten Troikar, liegt sie mehr in der Tiefe, so wird sie mit Lapis in-
fernalis weggeätzt. Ist die Verwachsung nur auf einzelne Stellen beschränkt,
>o lässt sie sich oft mit dem Bistouri trennen. ' Bei der parenchymatösen,
mehr totalen Atresie ist die Operation schwierig und der Erfolg ungewiss.
Atresia narium. Die Verwachsung der Nasenlöcher kommt als
Vitium primae formationis selten vor, häutiger folgt sie auf Ulcerationen,
Menschenpocken, Verbrennungen, Verwundungen und deren vernachlässigte
oder verkehrte Behandlung. Cur. Ist die Atresie eine membranöse, so
ATRESIA 229
schnelJet man die Haut kreuzweise ein und die Lappen alsdann weg; ists
eine sarcomatöse, die oft den ganzen Nasencanal füllt, so ist die Operation
eben so schwierig, als der Erfolg ungewiss ist. Zur Feststellung der Dia-
gnose dient in diesem Falle das Verfahren , dass der Kranke die Luft mit
einiger Gewalt in die Choanen eintreibt, wodurch die nicht cohärenten Par-
tien der Nase aufgeblasen werden. Man sticht das Bistouri hier zwischen
dem äussern Nasenknorpel und dem Septum narium in gehöriger Richtung
ein, und dilatirt den Einstich bis zur entsprechenden Grösse auf einer Rinn-
sonde. Ist die Nase auch mit der Oberlippe verAvachsen, so muss nach vor-
hergegangener Trennung dieser Theile erst die Überhäutung abgewartet
werden, ehe man zur Bildung der Nasenlöcher übergehen darf. Das Ein-
legen der Röhren von Gummi elasticum , mit Öl bestrichen , und die Befe^
stigung durch zweckmässigen Verband (Accipiter, Funda nasalis, Discrimeii
nasi u. a. Bandagen), der täglich 1 — 2mal erneuert wird, grösste Rein-
lichkeit der Theile , Injectionen von schwacher Bleiauflösung und , nach der
Heilung, das mehrwöchentliche Einlegen von Pressschwamm, um der grossen
Neigung zur Verengerung der Öffnung zu begegnen, befördern sehr den
glücklichen Erfolg.
Atresia octili , s. Ancylobleph arum.
Atresia pupillae, s. Synizesis pupillae.
Atresia tuhne EustacMi, die Verwachsung der Eustachischen
Rohre. Sie ist entweder angeboren, oder sie erscheint in Folge von An-
gina scarlatinosa , catarrhalis, syphilitischen Geschwüren. Die angebomc
Atresie hat Taubstummheit zur Folge, indem der Mensch, wenn kenie Luft
vom Pharynx her in die Paukenhöhle gelangen kann , nicht zu hören ver-
mag. Zur Diagnose dient die Untersuchung mittels einer geeigneten Sonde
(Sttfssy) ; Hard legt den Kranken mit dem gesunden Ohre auf einen Tisch,
füllt den Meatus auditorius der kranken Seite mit VS^asser und lässt den
Kranken die Luft bei verschlossenem Munde und der Nase stark gegen die
Choanen drängen. Verändert sich dann das Niveau der Flüssigkeit nicht der
Art , dass es , wie bei Gesunden , überläuft , sondern unverändert bleibt , so
dient ihm dieses Zeichen zur sichern Erkenntniss dieser Atresie. Tritt nach
vorausgegangenen Halsgeschwüren Taubheit ein, so kann man auch schon
dadurch auf die Gegenwart des Leidens schliessen. Durch starkes Schlu-
cken, Kauen, Niesen, Erbrechen etc. entsteht häufig schon eine Harthörig-
keit, indem sich die Eustachische Röhre verstopft, mit Schleim verschliesst,
entzündet (s. Inflammatio auris). Oft nützt hier das Einpressen der
Luft in die Röhre bei geschlossenem Munde und den Nasenlöchern. Zu-
weilen nützen gegen das Übel auch reizende Gurgelwasser, Kaumittel, Nie-
sepulver. Bei der häutigen , filamentösfen und sehr locker parenchymatösen
Atresie führt man die dazu geeignete Sonde ein und bläst mittels einer fei-
nen Injectionsspritze Luft in die Eustachische Röhre oder katheterisirt sie
(s. Wesiruml in Rusfs Magazin. Bd. XXXV. Hft. 3. 1831. S. S87 — 553),'
welches Verfahren auch Delati hei Taubstummen versuchte. Bei einer festen
VerSchliessung hat man noch durch Anbohrung des Processus mastoideus
oder Durchbohrung des Trommelfells Hülfe gewährt. Zuweilen findet bei
angebornen Spaltungen des Gaumensegels Taubheit statt, die nach gelun-
gener Zusammenheilung dieses Theils verschwindet (Dieffenhncli).
Atresia urelhrae. Die Ver s chliessung der Harnröhre ist 1) ein
Vitium primae formationis , wo die Urethra entweder nur vorn, oder so weit
die Eichel beim männlichen Geschlecht reicht (Atresia glandis penis), oder
total verwachsen ist , oder endlich eine doppelte Imperforation , eine an der
vordem Öffnung, und eine andere tiefer im Canale, stattfindet. Wenn Neu-
geborne in den ersten Tagen keinen Urin lassen, man die Wäsche stets
trocken findet, das Praeputium durchbohrt ist und man oberhalb der Scham-
beine eine schmerzhafte Ausdehnung der Blase wahrnimmt, so muss man
an diese Atresie denken und die Harnröhre genau untersuchen , sonst folgt
bald der Tod durch Urinverhaltung, es sey denn, dass das Kind durch den
Nabel aus dem offen gebliebenen Urachus , wie dies zuweilen vorkommt,
230 ATRESIA
Harn Hesse. 2) In manchen Fällen ist die Atre^e durch Wunden , Ge-
schwüre etc. der Urethra entstanden. Cur. Verschliesst blos eine einfache
Membran die äussere Harnröhrenmündung, so sticht man mit der Lanzette
ein und überlässt das andere der Natur, indem der Urindurchgang die Wie-
dervereinigung verhütet (^Snhatier). Ist das Lumen der Urethra bis zur Ei-
chelkrone verschlossen , so sticht man am besten mit einem feinen Troikar
von der Stelle aus , wo die Harnröhrenmündung seyn sollte , in der Richtung
dahin ein, wo der Canal noch offen besteht, legt einen biegsamen Katheter
ein und sucht neben demselben die Vernarbung zu bewirken. Ist die Harn-
röhre gar nicht vom Urin angeschwollen, so ist sie wahrscheinlich völlig,
in der ganzen Länge verwachsen , wenn nicht eine zweite Membran sich in
ihr vorfindet. Bei einer totalen Imperforation bahnte Rublack ( Rusfs Ma-
gazin Bd. XVIII. Hft. 2. S. 290.) vom Halse der Eichel aus, wo die Mün-
dung der Harnröhre nur durch eine blinde Grube angedeutet wurde, mit
einer katheterförmig gebogenen stumpfspitzigen Sonde duixh den Blasenhals
bis in die Blase einen künstlichen Canal , durch welchen der Harn regel-
mässig abfioss. Ist die Harnröhrenmündung an einer ungewöhnlichen Stelle
oder nur verengt, so tritt die dagegen übliche Behandlung ein (s. Hy-
pospadia und Strictura urethrae).
Alresia uteri. Die Gebärmutter Verwachsung ist nur selten an-
geboren, häufiger ist sie die Folge mechanischer Verletzungen, schwerer
Geburten , rohen Accouchements. Sie ist entweder eine parenchymatöse oder
membranöse Atresie des Muttermundes. Wird dadurch die Menstruation zu-
rückgehalten, so senkt- sich der Muttermund tief ins Becken, ist leicht zu
erreichen, und da das verhaltene Blut den Uterus ausdehnt, so hat es den
Anschein einer Schwangerschaft. Hier kann man mit dem Lanzettentroikar
oder mit Osicmders Hysterotom unter Leitung des linken Fingers die ver-
schlossene Stelle öffnen, wo sich dann das dunkle Menstrualblut entleert
und durch eingebrachte Charpie, durch eine elastische Röhre, bestrichen
mit Gerat , dafür gesorgt wird , dass der Muttermund nicht wieder sich
schliesst. Zuweilen ist die Verwachsung hart, knorpelig, callös; hier hilft
der blosse Einstich nichts; man muss den Schnitt mit ,dem Knopfbistouri
wol 2 — 3 Zoll in die Substanz des Uterus fortführen (^Moscnti). Vergl. E.
V. SiehoU's Journ. f. Geburtshülfe etc. Bd. II. St. 3., Bd. IV. St. 2., Bd. VI.
St. 3. Rust's Magaz. 1824. Bd. XVII. Hft. 3. Horn\s Archiv 1816. Hft. 2.
Salzb. med. chir. Zeitung 1821. Bd. IL S. 398.
Atresia vaginae , Atresia vulvae, Colpatresia , Verwachsung der
weiblichen Geschlechtstheile. Sind mehrere Theile derselben ver-
wachsen , so nennt man es Gtjnntresia ; ist sie nur partiell , so nennt man
sie nach Verschiedenheit der Localität und des Theils Atresia labialis, nijm-
phaen, hi/nienaea, vaginalis. Auch hier ist das Übel häufig angeboren, eben
so oft auch wol anerworben , und bald complet , bald incomplet. Im letz-
tern Falle wird das Übel oft nicht sogleich nach der Geburt entdeckt , da
keine Harnverhaltung stattfindet , was bei der völligen Atresie der äussern
Schamlippen der Fall ist, wo sich Überfüllung der Blase, Hervortreibung
und Entzündung der äussern Geschlechtstheile, Fieber, Angst, Convulsio-
nen einzustellen pflegen (fttcÄ/er) Ursachen der Atresia acquisila sind:
Verbrennungen, Verwundungen, schwere Entbindungen, Geschwüre der Ge-
nitalien, auch die Infibulation in Indien, Persien, an der Goldküste Afrikas.
Letztere hat dem Dr. Fricle wahrscheinlich die erste Idee zur Verrichtung
jener Operation, die er Episioraphie nennt, gegeben (s. d. Artikel). Be-
handlung. 1) Bei Atresia Jahiorum pudendi exteruorttm compJeta muss die
Operation bald nach der Geburt vorgenommen werden. Man trennt die
Theile mittels Bistouri, Scheere und Hohlsonde, indem das Kind in der
Rückenlage sich befindet, und die Schenkel auseinandergespreizt werden.
2) Bei Atresia ni/mphaea , die nicht selten vorkommt , muss man wenigstens
im 4ten Leben.sjahre oder etwas später operiren, nicht bis zur Pubertät
warten, um die weibliche Schamhaftigkeit nicht zu beleidigen. 3) Bei Atre-
$iu hyiiienaen, die nur angeboren ifit, verschliesst ein fast knorpeliger, fe-
ATRICHIA — ATROPfflA 231
ster Ring mit oder ohne eine kleine Öffnung die "Vagina. Sie ^vi^d vor
dem Eintritt der Pubertät selten erkannt, wo sich die Molimina mensium
ohne folgenden Menstrualfluss zeigen , die Kranken über Rückenschmerz,
Spannen, Gefühl von Schwere in den Genitalien, über Schwindel, Kopf-
weh, Frösteln, Hitze klagen, welche Beschwerden alle 4 Wochen eintreten
und oft mit Nasenbluten *nden. Später schwillt der Uterus auf von dem
enthaltenen Blute, das auch das Häutchen sackförmig zwschen den äussern
Geschlechtstheilen hervortreibt, wozu sich Tenesmus, Wehendrang, Obstru-
ctio alvi, Dysurie, Gefühl von Narkose der untern Glieder, Chlorose ge-
sellen. Die Exploration entdeckt die Ursache aller dieser Leiden. Man ver-
richtet die Operation am besten so, dass man erst einen Kreuzschnitt macht
und dann das ganze Häutchen exstirpirt. Warme Einspritzungen befördern
den Ausfluss des angehäuften dicken, schwarzen Blutes, das oft mehrere
Pfund beträgt und sehr übel riecht (^Pellet an, Maison). Ist im Hymen noch
eine Öffnung vorhanden, die Atresie also incomplet, so geht die Menstrua-
tion dadurch oft regelmässig ab ; sie wird oft erst beim Beischlafe erkannt ;
ja, sie lässt sogar mitunter Empfängniss zu und erfordert dann oft noch
kurz vor dem Kreisen die Operation. 4) Die Atresia vaffinae memlranncen,
wo eine abnorme Haut den Eingang der Vagina verschliesst und bei mann-
baren Mädchen dieselben Zufälle als die Atresie des Hymens erregen kann,
ist auch fast immer nur als Fehler der ersten Bildung beobachtet worden.
Zuweilen ist die Haut sehr dick, oder sie sitzt mehr in der Tiefe der Scheide.
Man operirt auch hier mittels des Bistouris oder des Troikars. Ein selte-
ner Bildnngsfehler, den Breschet kürzlich beobachtete (s. Archives generales
de Medec. Aout p. 578.), ist das gänzliche Fehlen der Scheide; oft fehlt
dann zugleich der Uterus. Doch beobachtete Rust einst einen Fall, wo der
Uterus felüte, aber eine Pseudoscheide da war, durch welche der Coitus
Jahre lang verübt werden konnte. Vergl. Cassnn in Archiv, general. Janvier
1826. S. 85. Rossi Ebendas. 1827. Octbr. S. 266. ViUaume in Froriep's
Notiz. 1828. Bd. XX. Nr. 1. Lehman7i in Rust's Magaz. Bd. VIH. Hft. 1.
S. 179. Richter Wundarzneikunst. Bd. VI. S. 362. S. Cooper's Handbuch
der Chirurgie. Bd. III. S. 412.
Atricbia., Haarlosigkeit; s. Alopecia.
* Atrophia, Atrosia, Contahescentia , Macies, Tabes, Atrophie,
Abzehrung, Darrsucht. Ist die Folge gehemmter oder wenigstens be-
einträchtigter Ernährung eines Theils oder des ganzen Körpers, welche sich
durch Abnahme des Volumens, oft durch gänzliches Schwinden desselben,
insoweit es die Muskelsubstanz und das Fett gilt , zu erkennen giebt. Das
Übel ist daher entweder nur örtlich, oder allgemein. Für die Praxis sind
daher folgende Arten zu unterscheiden:
Atrophia localis, partinlis, topica, die örtliche, partielle Atrophie,
das Schwinden, der Verschwind eines Theils. Sie tritt als Symptom
der örtlichen Lähmungen , zumal der rheumatischen und kachektischen, oder
auch in Folge eines Drucks auf die zuführenden Blutgefässe, einer Verenge-
rung oder sonstigen Entartung derselben auf, und erscheint als Folge eines
gehemmten oder wenigstens bedeutend verminderten Zuflusses von Nährstoff
zu dem afficirten atrophischen Theile , und vielleicht auch , wie dieses v\td
besonders bei Atrophie der Glieder nach örtlicher Lähmung der Fall ist,
eine durch verminderte Reizempfänglichkeit und solches Wirkungsvermögen
bedingte Unfähigkeit den afficirten Theil zu bewegen , daher die Blut - und
Säftebewegung durch mangelnde Reibung der weichen Theile hier nicht ge-
hörig vollzogen werden kann. Auf solche Weise entsteht bei Kranken häufig
Atrophie (Abmagerung, Tabescenz) der untern Extremitäten, wenn sie lange
krank darnieder liegen, was Verfasser dieser Abhandlung während eines fünf-
monatlichen Krankenlagers wegen Asthma e dyscrasia venosa, bei voUkomm-
ner Integrität des Volumens der übrigen Partien seines Körpers, am genaue-
sten an sich selbst, sonst ^ber auch bei andern Kranken beobachtet hat.
(Da<s häutig Atrophie eines Gliedes lediglich die Folge von gelähmtem Zu-
232 ATROPfflA ^
Stande des Hauptnerven dieses Gliedes sey, da ohne den Nerveneinfluss
Vegetation und Production leidet, indem ein anhaltender Druck auf den
Hauptnerven schon ein Glied atrophisch macht, ist nicht zu übersehen.
Daraus erklärt sich auch die gute VVirkung der Elektricität und des Gal-
vanismus. Most), Abmagerung der untei-n Gliedmassen nach vernachlässig-
ten Luxationen und Fracturen , bei Coxarthrocace , Gonarthrocace ist keine
seltene Erscheinung (s. Arthrocace). Das Schwinden, Zusammenschrum-
pfen der weiblichen Brüste bei Weibern in jungen und mittlem Jahren
(Atrophia mammarum) bei fortbestehender Ernährung des übrigen Körpers
ist zuweilen Symptom eines Leidens im Sexualsjsteme (^Totf) , häufig ist es
die Folge der gegen Struma und Scrophulosis iunerlich und anhaltend ge-
brauchten lodine, wie dies viele Arzte beobachtet haben (^Coindci , Pcrrei),
(daher der äusserliche Gebrauch — Kali hydriodinic. 5l^j Axungiae 5JIV —
vorzuziehen ist. Af. ); oft besteht die Tabescenz der Brüste aber nur bei
allgemeiner Atrophie als eigenthümliche Erscheinung im Greisenalter des
Weibes (s. unten). Auch gehört zu den örtlichen Atrophien die des Auges
(Atrophia oculi, Phthisis ocularis) , wo bei bedeutenden Augenfehlern, nach
heftiger Phlegmone , die Augenfeuchtigkeiten vertrocknen , die Atrophie der
Hoden (Atrophia testiculi) als Folge kachektischer Krankheiten dieser Theile.
Cur. Bei der Atrophie nach Lähmungen nützen Eisenbäder, die Douche,
trockne Frictionen , Einreibungen mit Unguent. rorismar. composit. , Kam-
phersalbe , Ol. phosphorat. , Urtication , warme aromatische Bäder , Malzbä-
der, kühle See- und Soolbäder, Waschungen mit Spirit. serpilli, rcrisma-
rin. in Verbindung mit ätherischen Ölen (s. Him1y''s Formel, Art. Amauro-
sis). Innerlich dienen Martialia, nährende Kost, China. Sehr wirksam ist
die örtliche und allgemeine Anwendung der Elektricität, des Galvanismus
(^Most) , allmälig verstärkte Bewegungen des Gliedes, Schlamm- und Moor-
bäder zu Marienbad , Eilsen , Nenndorf. Lastet , ein Druck auf den den
Nährstoff zu dem afficirten Theile leitenden Gefässen, so entferne man die-
sen nach den Kunstregeln , zertheile oder operire Verhärtungen , Geschwül-
ste , Gewächse , entferne Exostosen etc. Oft liegt dies ausser den Grenzen
der Kunst, z. ß. bei Aneurysma internum , bei Gefässverengerungen ; eher
gelingt es bei der äusserlichen Pulsadergeschwulst durch die Ligatur (s.
Aneurysma externum). Entsteht die partielle Atrophie als Folge ge-
hemmter Bewegung eines Theils , so nützt neben nährender Kost das täg-
liche Spazierengehen in freier Luft (Tott^ ; die Atrophie der Brüste als Re-
flex von einem Leiden des mit ihnen im Consens stehenden Sexualsystems
weicht einer gegen das Leiden des letztern richtig geleiteten Cur ; besteht
das Übel als Symptom der allgemeinen Atrophie , so verschwindet es mit
Hebung der letztern ; ists Symptom des höhern Alters ( Marasmus senilis ),
so ists unheilbar ; entstand es durch lodine , so setze man das Mittel bei
den ersten Spuren desselben aus (und gebrauche als Gegenmittel häufiges
Trinken von Zuckerwasser, nachher Chinadecoct. M.). Atrophie der Augen,
der Hoden ist in den meisten Fällen unheilbar.
AtropMa universalis, allgemeine Atrophie. Sie offenbart sich als
Symptom mehrerer Kachexien und Dyskrasien , als der Phthisis pulmonalis,
hepatica , lienalis . pancreatica, renalis , der rheumatischen, arthritischen und
gichtischen Dyskrasie, der Nervenschwindsucht (Tabes nervosa), besonders
der Rückendarre (Tabes dorsalis), der Mercurialkachexie (s. diese Artikel) ;
ausserdem ist sie die Folge eines jeden für den Körper absolut zu starken
Säfte Verlustes , der meisten Nerven - und Venenaffectionen , sowol acuter als
chronischer Art , ganz besondei's aber auch der Scropheln , sowie der dem
kindlichen Alter eigenthümlichen Darrsucht (s. Atrophia infantum) und
der des höhern Alters (Marasmus senilis). Wie bei der örtlichen Atrophie,
so erscheint auch hier das Übel als Product eines gehemmten oder beein-
trächtigten Nutritionsprocesses , mit dem Unterschiede, dass hier nicht ein
ßinzehier Theil, sondern der Totalorganismus leidet. Cur. Die verschie-
denen , oben aufgeführten Ki'ankheitszustände müssen durch geeignete Heil-
methoden gehoben also die Grundübel, wovon die Atrophie nur ein Symptom
ATROPHIA • 233
ist, behandelt werden, dann verschwindet auch das Symptom, die Atrophie,
von selbst. Tritt das Übel als Folge des höhern Alters auf, so ists unheil-
bar und der Kranke nimmt es mit ins Grab; es verkündet den Marasmus
senilis. (Hier ists gar keine Krankheit, sondern etwas den Naturgesetzen
Gemässes, Avorein vsir uns finden müssen, so gut wie in den Tod, der mit
eintretendem Marasmus schon Miene macht uns allmälig näher zu rücken. M.).
Atrophia infantum, glandularis, iiifantilis, Macies infnnUim, PaedairopJna,
Darrsucht der Kinder. Sie beruhet auf fehlerhafter Action des lym-
phatischen und Drüsensystems im Unterleibe, wahrscheinlich bedingt durch
eine passive Phlogosis oder Subinflammation in diesen Gebilden, daher iden-
tisch mit Mesenteritis chronica (_Tott) ; sie ist das Bild einer anomalen Lymph-
und Blutbereitung, wovon die natürliche Folge eine beeinträchtigte Assimi-
lation und Nutrition des Kindeskörpers ist. Symptome. Aufgetriebener,
hart anzufühlender und gespannter Unterleib , in welchem man die erkrank-
ten Gekrösdrüsen wie Haselnüsse fühlen kann, und welcher allmälig an Härte
zunimmt; allgemeine Abmagerung, zumal der untern Extremitäten, oft mit
gleichzeitig bestehenden anderweitigen Symptomen der Scrophelkrankheit,
z. B. Anschwellung der Hals-, Axillar-, Inguinaldrüsen, Biepharophthalmie,
Blepharoblennorhöe , Ausschlägen am Kopfe und an andern Stellen der Haut,
fressenden Excoriationeu um den Mund, an den Lippen, hinter den Ohren,
oft ohne diese Zufälle. Atrophische Kinder sehen bleich und erdfarben aus,
sie haben tiefliegende, hohle, matte Augen, blaue Ringe um dieselben, spitze
Nase, schlaffe, blasse oder rauhe, pei-gamentartig straffe, grauliche, fest an
den Knochen anliegende Haut (^Tott); ihr Ansehn ist greisenähnlich, altklug,
sie sind muskelschwach, ihr Athem riecht sauer, stinkt wol ganz specifisch
(T.}, ihr Urin ist trübe, weisslich, molkig; sie leiden an Würmern, bald
an schleimigen Durchfällen, bald an Verstopfung; zuweilen sind die Excre-
mente thonartig gefärbt. Sie erbrechen öfters, trinken viel, husten manch-
mal, und haben gewöhnlich starken Appetit, besonders lieben sie rohe Kost:
Mehlspeise, Klösse, Pfannkuchen, Kartoffeln, grobes Brot; sie leiden an
mancherlei dyspeptischen Beschwerden, an Icterus mit Auftreibung der Le-
bergegend (T.), verlieren oft Schleim aus der Vagina, aus der Nase, so
dass ihnen der Nasenschleim oft über den Lippen hängt. Nimmt das Übel
zu, so wird der Bauch immer härter und voluminöser, die Gliedmassen, so-
wie die übrigen Thelle des Körpers magern immer mehr ab, es treten Zehr-
fieber, coUiquatlve Schweisse, Durchfälle, Aphthen im Munde und Darm-
canale, Lähmungen der Füsse, Bauch- und allgemeine Wassersucht, und
Tod als Folge einer völligen Untergrabung der Lebenskräfte ein. Das Übel
dauert Monate, selbst Jahre lang, ehe der Tod erfolgt. Nicht selten er-
holen sich indessen die Kinder, selbst beim Anschein der grössten Verzwei-
felung , vermöge ihrer überaus kräftigen Reproductions - und Naturkraft,
selbst bei gleichzeitig bestehender allgemeiner Scrophelkrankheit und wenn
schon Hydrops ascites und Phthisis pulmonalis eingetreten ist, wovon der
Verfasser ( T. ) ein merkwürdiges Beispiel an einem sechsjährigen Knaben
noch kürzlich erlebte, wo sich eine Vomica pulmonum nach aussen glück-
lich entleerte und die allgemeine Wassersucht auf den Gebrauch der Rad.
caincae schwand (der richtige Name dieser Wurzel ist, nach Langsdorf, Rad.
chiococca, M.). Ursachen. Prädisposition geben das erste bis fünfte Le-
bensjahr, Abstammung aus der ärmern, niedern Volksclasse, Scropheln, Blat-
tern , Scharlach , die Dentitionsperiode und die mit dieser im Complex ste-
henden chronischen Bauchflüsse , ferner die Syphilis . doch auch das spätere,
selbst männliche Alter, wenn es früher Scropheln überstanden hat (?3f. ).
Gelegentliche Ursachen sind : Verfutterung durch Brot , Kartoffeln , Mehl-
speisen , Fett und Salz (besonders im ersten Lebensjahre , wo ausser Milch,
Zucker und Zwieback keine andere Nahrung neben der Mutterbrust gereicht
werden sollte; M.), unreine, feuchte Luft, ungesunde Wohnungen, Unrein-
lichkeit des Körpers , der Kleidung und Wäsche , zumal w enn Habitus scro-
phulosus vorhanden ist, oder die Scropheln früher überstanden sind. Cur.
Die Diät ist von der grössten Wichtigkeit. Vermeidung alles Roggenbrots,
234 ATROPfflA
der Kartoffeln, Mehlspeisen, der Säuren, der blähenden Gemüse, der gei-
stigen Getränke und in der Regel auch der Milch; dagegen dient der täg-
liche Genuss des aus schwach gerösteten Eicheln bereiteten Kaffees, der
Fleischbrühen mit Möhrrüben, Körbel , Petersilie, leichtes Fleisch von Ge-
flügel, Hache von Kälberlungen, Leber und Herz, Weissbrot (jedoch wenig),
Gel^e von Hirschhorn, Kalbsfüssen, Sago, Salep, Arrow -Root, weichgesot-
tene Eier , zum Getränk für zarte Kinder Hufeland^s Eierwasser (1 fö Was-
ser, mit Eigelb und Zucker versetzt), für ältere Kinder gut gehopftes,
nicht zu starkes Bier, bei Fieberlosigkeit auch Selterser, Fachinger und
Schwalheimer Wasser, bei Neigung zu Durchfällen Brotabkochung mit Ei-
gelb , am Schlüsse der Cur guter alter Wein mit Eigelb und Zucker, thee-
löifelweise. Man lasse jedesmal wenig, und dafür öfters essen. Eine reine,
trockne Luft, viel Bewegung in derselben durch Fahren, Gehen, besonders
im Sonnenscheine, Reinlichkeit durch öfteres Waschen und Baden sind Haupt-
bedingungen zum Gedeihen atrophischer Kinder. Unter den pharmaceuti-
schen Mitteln nützen hier alle bei Scropheln gebräuchlichen Arzneien, insbe-
sondere die Verbindungen des Quecksilbers mit dem Schwefel und dem Spiess-
glanz, z. B. I^' Aethiop. antimonial. 5|1 — 5j, Lnpid. cancror. ppt. 5J5 Elaeos.
foeniculi 5jj- M. f. p. S. Dreimal täglich eine Messerspitze voll. Oder:
t^ Aethiop. antimonial. 5j, Extr. dulcnmar., Gumm. guajaci ana 5jj. M. f.
l, a. pilul. pond. gr. jj, wovon dreimal täglich 5 — 8 Stück genommen wer-
den (doch nehmen Kinder ungern Pillen; 3f.). Am besten ists, man giebt
Aethiops antimonial. in Pulverform zu gr. ß — gr. jjj (für zwei- bio fünf-
jährige Kinder, und zwar in Verbindung mit Cicuta, Digitalis, Dulcamara);
auch Borax, Calx muriat., Baryt werden empfohlen, desgleichen ist Folgen-
des sehr wii'ksam : ly Merc. dulcis gr, jy , Stilph. aurati gr. V4 , Mngnes. al-
hac gr. X, Herh. cicutae gr. jj — iv, Liquirit. coctac 5f^- M. f. pulv. disp.
dos. xjj (3f.), wovon Morgens und Abends ein Pulver genommen wird.
Auch gehe man bald zu stärkenden Mitteln: Rad. calam. arom. , gei urbani.
Gort, cinnam. , chinae etc. über oder gebe sie gleichzeitig mit obigen Pul-
vern; z. B. I^ Rad. calam- arom., — gei urhan., Cort. chinae reg. ana jfy,
Rad. rhei 5j , infunde et coque c. aq, fontan. q. s. ut rem. g^-jjj , col. adde
Tinct. cinnam.., — aurantior. ana 3jlV- M. S. Viermal täglich einen Esslöffel
voll. Auch der salzsaure Baryt wird als auflösendes Mittel sehr empfohlen
(^Hiifeland^, z. B. I^r Bargt, miiriat. 5l>^ , solve in Aq. destillat. gj. M. S.
Einmal täglich 10 — 40 Tropfen; desgleichen der Borax und der salzsaure
Kalk. 1^' Boracis 31v? Extr. dnJcamar. 5jj, — nuc. jugland. 3']\i ■> Aquae
inenth. er. gjjj, Syr. flor. aurant. 5J. M. S. Wovon dreimal täglich % Ess-
lölfel voll genommen wird. J^r Calcar. muriat. 5j , solve in Aquae foeniculi
§1v. M. S. Täglich zweimal erst 5, dann 10 und zuletzt (nach mehrwöchent-
lichera Gebrauche) 40 Tropfen in Haferschleim. Auch verbindet man dies
Mittel mit bittern gewürzhaften Mitteln, und zuletzt mit Eisenmitteln; z. B.
I^ Calcar. muriat. 5lV5 Extr. dulcam, — nuc. jugland. ana 5j, Aquae cinnam.
s.v. 3J, solve. S. Zweimal täglich 10 — 60 Tropfen. Sehr empfohlen wird
die lodine, die indessen nie zu anhaltend und stets mit Vorsicht gebraucht
werden muss, z. B. Tinct. iodii zu 5 — 10 Tropfen in Haferschleim oder
Salepsolution, auch alternirend mit Kalomel, Merc. solub. Hahnem. und
Goldschwefel , besonders bei träger Darmfunction mit Rheum. Bei Torpor
passt I^T Kali hydriodici gr. v, Extr. nuc. jugland., — rhei aquos. ana 5j,
Aquae foeniculi 5Jlv, Tinct. cort. aurant. 5J!S Sgr. aurant. 5i\. M. S. Drei-
mal täglich einen Theelöffel voll. Des berühmten Kinderarztes Gülis Cur-
methode ist folgende: ^.' Magnes. carhonic. giv, Giimm. gunjnci, Ferri pari
ana 5)^, Sacch. alhi 5jjj' M. f. pulv. S. Abends und Morgens eine Messer-
spitze voll; oder I^ Pulv. antihcctico-scrophulos. Kaempfn {Pulv. bacc. latiri,
— 7JMC. moschat , cornu cervi rasp. ana) ^\], Gumm. guajaci j Ferri puri ana
3t}r, Sacchari alhi 3jj- M. f. pulv. S. Dreimal täglich eine gute Messer-
spitze voll; bei entzündlicher Anlage bleibt der Guajak weg; dabei dreimal
in der Woche ein lauwarmes Bad von Heusamen und Kleien. Die Nahrung
besteht aus Suppe und Milch ; sind Exantheme vorhanden , so nimmt man
ATROPHIA 235
statt des Eisens 5j Aethiops antimonialis oder martialis und den Huflattich-
aufguss als Thee. Diese Curmethode ist sehr wirksam (Toit) (allerdings,
denn sie hat den Vorzug, dass sie das Übel bei der Wurzel ergreift und
den Körper niclft so angreift , als der anhaltende Gebrauch des Kalomels,
der lodine und des Baryts , womit oft viel Unfug getrieben wird. M.).
Sehr wirksam ist in chronischen Fällen der Kupfersalmiak als Köchlin'scher
oder Gölis'scher Liquor ; auch das salzsaure Gold , z. B. I^f Aim muriaiici
gr. IV, solve in Aqua e am])(jdal. amarnr. 3IV, Aqti. flor. liliae gjj^. M. S. Vier-
mal täglich 20 — 25 Tropfen. Ist fiebei'hafter Zustand da, so passt Sal-
miak mit Extr. tai'axaci, graminis, chelidonii und Tinct. rhei aquos. in
einem gelinden aromatischen Wasser; bei vorwaltender Säure passen Absor-
bentia mit bittern Mitteln (s. die beiden Formeln unter Absor bentia).
Auch folgende Formel passt bei üeberhaftera Zustande : I^ Kali acetici 5J ,
Aquac menth. crisp. 31V, Tinct. rhei aquos. 3vj, Sncchayi alhi ^i>. M. S.
Zweimal täglich 1 Esslöffel voll. In fieberlosen Zuständen und bei torpiden
Kindern passt I^? PuJv. ari gr. x, Fell, tauri insp. gr. j, Sapon. venet. gr. v,
Sacchari ^j. Zweimal täglich ein Pulver. Ferner hat man empfohlen das
Ol. jecor. aselli , die Spongia usta , den Egerbrunnen und die süssen Mol-
ken. Nachdem solche Resolventia eine Zeit lang gebraucht worden sind,
nützen Laxantia aus Jalape oder Rheum mit Kalomel ; bei Würmern dienen
Zusätze von Anthelminthicis. Erst wenn Drüsen und Lymphgefässe wieder
freier fungiren, was aus dem gebesserten Allgemeinbefinden, dem öf-
tern Abgange vieler Infarcten, dem Verschwinden des widernatürlich ausge-
dehnten Bauches erkannt wird , sind anfanglich Amara , darauf China und
zuletzt Eisen , auch Pyrmont , Spaa , Driburg , zur Affirmativcur an ihrer
Stelle. Bei hektischem Fieber dient neben nährender Kost China mit Kali
carbonicum oder Kali aceticum ; oft schwindet es unter dem Gebrauche der
Resolventia (T.) mit interponirten Laxanzen. Bei fieberloser Abzehrung
nützen auch Selterwasser und Malztrank. Durchfälle, Aphthen, Erbrechen
werden nach den Kunstregcln behandelt. Vor Allem vergesse man das Ba-
den nicht; warme Bäder von Seife, Chamillen und Kleien (T.) , von Koch-
salz, warme Sool - und Seebäder, auch Bäder mit Zusatz von 1% Unzen
Seife, 2 Unzen weissem Bolus und 4 Tropfen Ol. citri, oder Bäder von
Calcar. muriat. 3j , Liquor ferri muriat. 5jj ? Aquae destill, ^jj , zu jedem
Bade (ßundcUn, Tott) sind sehr nützlich; desgleichen Einreibungen mit Un-
guent. mercuriale, — kali hydriodici, mit HufelaniVs Scrophelsalbe , be-
stehend aus Unguent. althaeae ^f^, Fell, tauri recent , Sapon. medicati, Pe-
Irolei, Sal. cormi cei~vi ana Sjll, Camphorac 5j^- M. , womit der Unterleib
Abends und Morgens Y4 Stunde lang eingerieben wird, mit einer Salbe aus
Unguent. mercuriai. cinereum und Unguent. digitalis ana ^iv, sind sehr wirk-
sam. Auch ist folgendes Pflaster, welches, dick auf Leinwand gestrichen,
zweimal täglich auf den ganzen Unterleib gelegt wird , zu empfehlen :
1:^ Herh. digital, pitlv. gjjy , Aceti vini crudi jvj , coq. ad rem. 51V , cola ;
Colaturae evaporatae leiii igne ad extr. consist. adde Mercurii dulc. 5j 5 t/n~
guent. elemi 5J. M. S. Pflaster. Desgleichen folgende Salbe: 1^ Calcar.
muriat. 5jß ? Pulu. fol. digital. 5]]], Aceti concentr. 3j ? Adip. suill. loti gjß^.
M. S. Zum Einreiben. Was auflösende Salben vermögen, kann auch, frei-
lich auf langsamem Wege , durch Empl. cicutae , mercuriai. und sapona-
tum, auch Empl. de galb. crocat. , — foetid. und ammoniac. , mit Kampher
versetzt , erzielt werden. Wo bittere Mittel , China und Eisen angezeigt
sind , da passen auch warme Bäder mit Kalmus , Spec. aromat. Ph. Boruss.,
mit Cort. quere, pulver. , Stahlkugeln , natürliche Stahlbäder , bei grosser
Abzehrung besonders Malzbäder , dergleichen Einreibungen von Unguent.
nervinum, Mixtura oleoso - balsamica , Waschungen mit Wein, Franzbraiuit-
wein, Spirit. serpilli etc. C. A. Tott.
Nachschrift des Herausgebers. Die Cur der Atrophie der Kin-
der ist ganz die der Scropheln, weil zwischen beiden Krankheiten wol kein
wesentlicher Unterschied stattfindet. In praktischer Hinsicht können wir
hier drei Stadien des Übels annehmen : 1) das Stadium prodromorum. 15*
236 ATROPHIA
tritt häufig in der Periode des Entwöhnens der Kinder ein ; sie leiden meist
an Durchfällen, die Faeces sind abnorm gemischt, missfarbig, weisslich-grau,
thonähnlich, gehackt, und riechen sauer; oft wechselt Verstopfung und
Diarrhöe mit einander ab ; dabei sehen die Kinder blass aiis , magern ab,
zeigen noch viel Geist, werden aber leicht mürrisch, verdriesslich. Hier
vermag schon eine gute Diät (s. oben) , alle zwei Tage ein warmes Bad
von Sppc. aromat. , worin das Kind 10 — 15 Minuten verweilt, Reinlichkeit,
reine Luft, der Genuss von schwacher Kalbtteischbrühe sehr viel. Innerlich
verordne ich hier Folgendes: Rr Liquor, lali carhon. 5jj> , Aqnnc foenicuU
gv, Syr. rhei 5J, wovon dreimal täglich V2 Esslöffel genommen wird. Ist
diese Arznei verbraucht , so gebe ich 14 Tage lang Vinum stibiatum ganz rein,
dreimal täglich zu 5 — 10 Tropfen. Anderer Mittel bedurfte es selten.
2) Stadium atrophiae perfectae. Hier sind alle oben (s. Atrophia in-
fantum) beschriebenen Symptome zugegen. Der Bauch ist dick, aufge-
trieben, das Gesicht und die Glieder dagegen höchst mager; auch findet
man häufig Mitesser (Comedones) in der welken, schlaffen Haut, und der
säuerliche Geruch der abnormen Stuhlausleerungen fehlt selten. Hier pas-
sen vorzüglich Salzbäder, später Stahlbäder, daneben spirituöse Waschungen
des ganzen Körpers, innerlich gebe ich acht Tage lang, dreimal täglich
täglich V2 — 1 Essiöffel voll. Bessert sich danach der Zustand, wird der
Bauch dünner, kann man die aufgetriebenen Gekrösdrüsen nicht mehr füh-
len, so gehe ich zu Decoct. chinae , gei urbani, Infus, cal. arom. über, ver-
ordne darauf Tinct. nervina Bestucheff. , dreimal täglich zu 5 — 25 Tropfen
und lasse mit Stahlkugeln baden. Ist das Übel schon alt, sind die Kinder
über zwei Jahre alt , so gebe ich , nachdem 8 Tage lang die obigen Mer-
curialpulvcr gebraucht sind, folgende Tropfen: Rr Cujrri siilphurico - nmmo-
ninti 5ßr , solve in Aqune dcsiiUatac 5JJ. M. S. Dreimal täglich 5 — 25 Tro-
pfen in Wasser, nachdem kurz vorher ein Stück altes Weissbrot gegessen
worden. Dieses Mittel lasse ich 3 Wochen lang gebrauchen , alsdann acht
Tage lang die Tinct. nervina Bestuch. , dann wieder 14 Tage lang die Ku-
pfertropfen; alsdann beschliesse ich die Cur mit dem raehrwöchentlichen
Gebrauche der Tinct. ferri muriatici. Nach dieser Cujmethode bessern sich
die Kranken von Tage zu Tage, ihre ganze Natur ändert sich um, und sie
bekommen Appetit nach Speisen animalischer Art, die sie sonst mit Ekel
genossen. Selten bedurfte es in meiner Praxis anderer Mittel. Die lodine
habe ich stets nur äusserlich angewandt, und vom Innern Gebrauche des
Baryts sah ich keine Besserung. Dass bei atrophischen Kindern nicht blos
die mesenterischen Drüsen , die Leber und Milz , sondern auch Magen und
Darmcanal leiden, dass selbst ein Schwinden der letzt ern, grosse Verdün-
nung ihrer Haut stattfinde, haben Leichenöffnungen bewiesen (Scliönleiii).
3) Stadium colli(}uativum. Dass in diesem Stadium noch Hülfe möglich ist,
hat oben Hr. Dr. Tott schon durch ein Beispiel dargethan. Es erscheint
mit der Zunahme aller Symptome des zweiten Stadiums nun eine Febris lenta
gastrica oder pituitosa. Hier versteht es sich von selbst, dass wir anders
als im zweiten Stadium verfahren müssen; hier müssen die Zufälle der Col-
liquation durch Columbo, Cort. simarubae , Decoct. ratanhiae, Tinct. cinna-
momi , durch aromatische, mit Wein und Branntwein bereitete Fomentatio-
nen auf den Unterleib, durch Mineralsäuren etc. gehoben %> erden. Ausser
den schon oben er\% ahnten Arten der Atrophie füge ich der Vollständigkeit
•wegen noch folgende hinzu.
Atruphin nervosa , Tahcs nervosa , sicca , Phthisis nervosa, Nerven-
schwindsucht, Hektik. Dieses Übel ist weiter nichts als ein schlei-
chendes, hektisches Fieber (s. Febris lenta nervosa). In den meisten
Fällen ists der Charakter der Febris nervosa versatilis.
Atrophia cercbn infantum. Gehirn a t rophie der Kinder. Dieses
Übel iat häufig mit Cretinismus verwechselt worden. Symptome. Die
ATROPHU 237
Krankheit zeigt sich im zweiten, dritten Lebensjahre. Die Kinder, die
früher geistreich, lebhaft, munter \Yaren, werden allmälig träge, schläfrig,
stumpfsinnig , ihr Gang ist schwankend , Kopf und Bauch sind gross , das
Gesicht wird thierähnlich, die Brust ist klein, und zwischen den obern und
untern Extremitäten findet ein Missverhältniss statt. Der Tod erfolgt durch
Wasserbildung im Kopfe, durch Darmatrophie, durch tj^phöses Fieber. Dia
Section zeigt das Gehirn verschrumpft und zusammengefallen (^Schönlebi).
Cur. Kräftige Purganzeh aus Mercur dulc. , darauf innerlich KMpfersal-
miak, äusserlich Reizmittel, Brechweinsteinsalbe im Nacken, besonders aber
Einreibungen davon in den ganzen kahlgeschornen Kopf, selbst das Caute-
rium actuale auf den Kopf.
Airophia ccrehri senum. Gehirnatrophie der Greise. Sie hat
mit der Gehiniatrophie der Kinder viel Ähnlichkeit (Jahi) ; es folgt Stumpf-
sinn, Blindheit, Taubheit, halbseitige Lähmung; das Gesicht ist zusammen-
gefallen, die Nase spitz, die Augen sind starr, gläsern, die Extremitäten
kalt, es entstehen leise Zuckungen und Tod. Zuweilen ist das Übel mit
Hydrocephalus chronicus senilis verbunden , wo alsdann das Gesicht gelb-
bläulich wird, die Sphinktei-en nachlassen, der Kopf nach vorn sinkt und
der Kranke unter Convulsibnen (im Alter von '60, 70 Jahren) stirbt. Die
Section zeigt ein welkes, zusammengefallenss Gehirn, die Substanz compact,
die graue Masse vermindert, die weisse schmuziggelb , die Hirnnerven dick
und gross, die Gefässe oft verknöchert, und (bei Anwesenheit des Hydro-
cephalus) zwischen Arachnoidea und Pia mater, sowie in den Hirnhöhlen
Wasser (Schönlein, Monlin, Gölis). Das Übel ist wol immer unheilbar.
Airophia ghtndularum. Ist Atrophia infantum.
Airophifi Jorsi, Tabes dorsalis, cocca, postica, coxaria , iscMadica,
Rücken darre. Ist weiter nichts als eine Hektik, entstanden durch ein
bestimmtes ursächliches Moment : durch übermässige Samenausleerungen,
Folge der Onanie , des zu häufigen Beischlafs , sowol beim weiblichen , als
beim männlichen Geschlechtc; am häufigsten folgt sie auf das Laster der
Onanie bei jungen Mädchen und Knaben ; letztere leiden besonders noch
durch die schwächenden Pollutionen. Die Hauptsymptome sind : Gesichts-
blässe, Magerkeit, Kopfschmerz, Schwindel, Frösteln und knebelndes Ge-
fühl längs der Wirbelsäule, Verstimmung des Gemüths, Gedächtnissschwä-
che, gebückter Gang, Melancholie, Stupidität, Neigung zum Selbstmord,
partielle Paralysen, hektisches Fieber mit den Zeichen der Colliquation und
Tod. Cur. Entfernung der ursächlichen Momente , Sorge für gute , nicht
reizende Nahrung, stärkende Arzneien nach dem Grade der Verdauungskraft,
besonders China, Quassia, Elix. vitrioli Mynsichti mit Tinct. chinae; ist
Zehrfieber da, dann behandle man dieses, wie die Zufälle der Colliquation,
nach den bekannten Kunstregeln (s. Febris lenta nervosa; vergl. auch
Tabes). Die Abmagerung der Hoden (Aridula, Marcor testiu:ii)
kann in Folge von Ausschweifungen, Onanie, wo sie mit Rückendarre oft
zugleich vorkommt, ferner durch anhaltenden Druck: durch die ausgedehn-
ten Gefässe bei Cirsocele (B.ichter, Pott), durch schlecht angelegte Banda-
gen, in der Malerkolik, nach Jahre langer, früher genossener, jetzt völlig
sich enthaltender physischer Liebe {Monfalcon) , durch Missbrauch der lo-
dine, auch im hohen Alter durch allgemeinen Marasmus, selbst nach Ver-
letzungen des Hinterhauptbeins , wo- sich nach Gall, Spurzheim etc. das
Organ der Geschlechtsliebe befindet, und nach tiefen Nackenwunden (Lar-
rey) vorkommen. Sowol die Hoden als der Samenstrang schrumpfen allmä-
lig immer mehr zusammen, die Zeugung'skraft geht verloren und die Kran-
ken werden physisch und moralisch den Kastraten ähnlich (s. Castratio),
Nur bei beginnendem Übel ist noch durch reizende, stärkende Mittel: Rei-
ben des ganzen Körpers mit Flanell , durch Bäder , spirituöse Waschungen,
^urch ein dicht anschliessendes Suspensorium, durch vieles Wassertrinken,
-Enthaltung des Coitus und des Genusses der Spirituosa etc. Hülfe möglich.
Nach A. Cooper (Observ. on the structure and diseases of testis. London,
1830) ist das Schwinden des Hodens in der Pubertät oft Folge von Orchi-
238 ATTONITUS MORBUS — AUSCULTATIO
tis, doch sah sie C. nie bei der Orchitis metastatica , die zuweilen nach
Parotitis folgt.
Atrophia mammarum, oculi, lesticuJi, s. Atrophia partialis.
Atrophia unguium. Hier werden die Nägel weiss, glanzlos, trocken und
fallen stückweise ab. Das Übel ist eine krankhafte Affection der Matrix,
wodurch der Nagel ernährt wird. Es kommt besonders bei Lues venerea
inveterata mit Haut- und Knochenleiden vor. S. Syphilis.
Attoni-tus morlbus, s. Apoplexia.
AttratientiA (rnedicnminn) , heranziehende Mittel. Sind sol-
che, welche an den applicirten Ort einen vermehrten Zutiuss von Säften
xind dadurch eine Ableitung von einem andern Theile des Körpers bewirken.
Es gehören hieher Kataplasmen, Bäder, Dämpfe, Blutegel, Schröpf köpfe
etc., die ihre Anwendung gegen Metastasen auf innere Organe, zur Beför-
derung wohlthätiger, unterdrückter Profluvien : Menstruation, Hämorrhoidal-
tiuss, Milchabsonderung etc. finden. S. auch Derivatio.
Attritus» AttrUio, Diatrimmn, s. Ecdarsis «nd Excoriatic'
AudituiS difficiliSj gravis, imminutus, Schwerhörigkeit; s. Co-
p h 0 s i s.
Aura epileptica, s. Epilepsia.
Aiiri^O, Gelbsucht; s. Icterus,
Aurium dolor« s. Otalgia.
Aurium jüordes, Unrath in den Ohren Oft ist hier das Oh-
renschmalz verhärtet , wodurch Schwerhörigkeit entsteht. Man hebt das
Übel dadurch, dass man mit einer kleinen, eine Unze Flüssigkeit aufiieh-
menden Spritze laues Seifenwasser in die Ohren zu verschiedenen Malen
einspritzt, und dann vorsichtig mit der Spitze einer Hohlsonde die verhär-
teten Pfropfe herausholt. Nachher tröpfelt man erwärmtes Mandelöl in die
Ohren und lässt einige Tage, um Erkältung zu verhüten, Baurasvoile in den-
selben tragen.
AuscultatiOj die Auscultation, das Anhören, Erforschen
durchs Gehör. Ist ein neueres Verfahren , innere Krankheitszustände und
Veränderungen, besonders in der Brust- und Bauchhöhle, durchs Gehör
mittels des Höi'rohrs (Stethoskop), oder durchs Anlegen des Ohrs an die
äussern Theile, oder durch die schon von Auenhrugger empfohlene mittels
des Anklopfens mit der Hand an die Cavität oder mittels des später von
Piorry erfundenen Plessimeters erhaltene Percussion näher zu erfor-
schen. Als semiotisches und diagnostisches Mittel ist die Auscultation von der
grössten Wichtigkeit, und es ist gewiss Pflicht eines jeden guten Arztes,
sich mit ihr, mit den Regeln zur Anwendung des Stethoskops und Plessi-
meters, welche beide Instrumente noch nicht einmal 2 Thaler kosten, genau
bekannt zu machen. In Deutschland hat der Gegenstand bis jetzt ein sei-
ner Wichtigkeit nach zu geringes Interesse gefunden , woran meist die Leh-
rer einzelner klinischer Institute auf verschiedenen deutschen Akademien, di^e
selbst keine praktische Anleitung zur Application der zur Auscultation nö-
thigen Instrumente gehabt haben, Schuld sind. Und dennoch eignet sich
dieselbe gerade am meisten für die Hospitalpraxis , weil hier die Section,
die erst alle Gewissheit giebt, aber in der Civilpraxis leider! so oft ver-
weigert wird, stets unternommen werden kann. In Frankreich und Eng-
land dagegen ist sowol die mittelbare als unmittelbare Auscultation unter
den Ärzten weit mehr beliebt, luid zwar mit vollem Rechte. Jeder Arzt,
der anders ein gesundes Hörorgan und nur einigen Sinn für Musik besitzt
oder sein Gehör durch Musik dahin ausgebildet hat, feine Unterschiede in
den Tönen und der Instrumentirung , die Andern entgehen, wahrzunehmen,
wird den Gegenstand bei fortwährender Übiuig mit jedem Tage lieber ge-
winnen; denn die richtige Diagnose innerer Krankheiten bleibt auch selbst
dann noch von der grössten Wichtigkeit, wenn dieselben, wie es leider!
AÜSCULTATIO 239
bei Phthisis vera exulcerata, bei manchen Herzübeln der Fall ist, als un-
heilbar zu betrachten sind. Heyfelder nennt die Auscultation eine der wich-
tigsten Entdeckungen und fruchtbringendsten Bereicherungen, welche der
Medicin innerhalb der letzten Decennien zu Theil geworden sind (s. RusCs
Handb. d. Chirurgie, Bd. II, S. 557). Lnennec , der Erfinder derselben,
stellte im J. 1816 die ersten Versuche darüber an, und theilte im J. 1818
seine Beobachtungen in einem Memoire sur l'auscultation etc. der Akademie
der Wissenschaften mit. Er gebrauchte bei der Untersuchung der Respira-
tion und der Stimme das Stethoskop ohne Schliessstück , und geschlossen
bei der Untersuchung des Herzens und der grossen Gefässe. Bei gesunden
Lungen hört man durch dasselbe während der In- und Exspiration ein leich-
tes, hellklingendes Geräusch, welches Andral: Bruit d'expansion
pulmonaire nennt, und besonders bei Frauen und Kindern recht helltönend
und deutlich erscheint, sobald das Hörrohr auf die obern und seitlichen
Theile der Brust, in die Achselhöhle, zwischen Schlüsselbein und Muse
trapezius gesetzt wird. Je weniger dieses Geräusch wahrgenommen wird,
desto eher muss man auf krankhaft afficirte Lungen schliessen. Beim Lun-
genemphysem , bei Hepatisation der Lunge , bei Pneumonie und serösen
Ergiessungen zwischen Lunge und Pleura fehlt es entweder ganz, oder es
ist auffallend dergestalt verändert , als wenn ein Rohr von Erz geblasen
werde und dann die Stimme keine Resonanz besitzt, indem die Luft nicht
bis in die Lungenzellen gelangt (^Respiration Ironchique). Sind Flüssigkeiten
in den Bronchien , so bemerkt man ausser dem veränderten oder mangelnden
Bruit d'expansion pulmonaire noch ein Röcheln, wovon Lnennec verschie-
dene Modificationen annimmt , nämlich 1) Rdle niuqueux , Gnrgouillcment ; es
gleicht dem Athmen eines Sterbenden und kommt bei Katarrhen , erweich-
ten Tuberkeln und wenn Flüssigkeiten in der Trachea und den Bronchial-
ästen sind, vor; daher es auch Andral Rdle humide, Rnle hronchique nennt.
2) Rale crepitant Lnennec, Rnle sec Andral. Es gleicht dem Tone des de-
crepitirenden Kochsalzes, wenn es auf glühende Kohlen geworfen wird, ist
dem ersten Stadium der Lungenentzündung, der Haemoptysis und dem
Oedem der Lungen eigenthümlich , und besonders deutlich während der In-
spiration. Wird es bei Pneumonie so stark , dass man das natürliche Re-
spirationsgeräusch nicht mehr hört, so kann man annehmen, dass die Ent-
zündung weiter um sich gegriffen hat , das Gegentheil zeigt Abnahme der
Krankheit an. S) Rdle sonore, das schnarrende, girrende Röcheln-
Es zeigt enge Fisteln in den Lungen und erweiterte Bronchialäste an.
4) Rdle Sibilant, Sifflement. Das pfeifende Röcheln am Ende oder zu
Anfenge einer Inspiration bezeichnet die erste Periode katarrhalischer Affe-
ctlon der Bronchien. Eine vollkommen gesunde Stimme resonirt auffal-
lend unter dem Stethoskope, besonders bei magern Leuten und wenn mau
das Hörrohr in die Achselgrube, zwischen Sternum und Glavicula oder zwi-
schen Scapula und Wii'belsäule setzt. Menschen mit tiefer Stimme haben
eine stärkere und dumpfere Resonanz, bei Frauen ist sie heller, bei Kin-
dern hat sie oft den Klang wie Pectoriloquie. Die Stimme ist krank zu
nennen : a) wenn die Resonanz stärker , als im natürlichen Zustande und
auf Punkten bemerkbar ist, wo man sie gewöhnlich nicht wahrnimmt. Lnen-
nec nennt sie Bronchoplionie , wenn sie so stark ist, dass am Brüstende des
Stethoskops die articulirte Stimme gehört wird , was man bei theil wei-
ser Hepatisation der Lunge, bei Lungentuberkeln und bei Erguss von Flüs-
sigkeiten zwischen Lunge und Pleura wahrgenommen hat. — b) Wenn sie
durch den Canal des Stethoskops zum Ohre des Ai'ztes gelangt (Pectorilo-
quie nach Lnennec) , entweder bald mehr , bald w eniger deutlich vernehm.^
bar, welches Phänomen vor Allem bei tuberculösen Aushöhlungen der Lun-
gensubstanz wahrzunehmen ist , wenn man das Stethoskop auf solche Stel-
len und an die, welche mit der Spitze der Lungen correspondiren , in die
Achselhöhle, unter die Clavicula und den Trapezius, setzt. Auch bemerkt
man dasselbe bei einfachen. Fisteln in der Lungensubstanz, die mit fibrös -
knorpelartiger Haut ausgekleidet sind. Elnthalten die Höhlen viel Flüssig-
240 AÜSCULTATIO
keit und verstopfen sich die zu den Bronchien führenden Gänge, so wird
die Pectoriioquie weniger deutlich und kann unter Umständen selbst aufhö-
ren. Unvollständig ist die Pectoriioquie, wenn sie auf einer Partie der Brust
stärker, als auf der andern vernommen wird und sie das Stethoskop nicht
•von einem Ende zum andern zu durchdringen scheint ; zweifelhaft ist sie,
sobald die Stimme schmetternd und gehackt ist und am Brustende des Cy-
linders zu haften scheint. Bei noch nicht erweichten Tuberkeln fehlt sie,
■überhaupt giebt die Auscultation über rohe Tuberkeln wenig Auskunft, und
Andrnl nennt die von Laennec über das Vorhandenseyn derselben aufgestell-
ten Merkmale im höchsten Grade zweifelhaft. — c) Krankhaft ist ferner die
sogenannte meckernde, schmetternde, silberklingende Stimme,
die man durchs Stethoskop ohne eigentliche Pectoriioquie wahrnimmt und
•von Laennec Egojihonie , Aiijophonie, la pectoriioquie chevrotante genannt wor-
<len ist und die Gegenwart einer Flüssigkeit oder weichen Pseudomembran
•in den Säcken der Pleura anzeigt, daher vorzugsweise bei Pleuritis wahr-
genommen wird. Diese Aegophonie variirt oft ; denn bald gleicht sie dem
Meckern einer Ziege , bald der Stimme des Polichinells , bald ist sie wie
aus einer Trompete geschmettert , bald erstickt und mit einem Blasen be-
gleitet. — d) Entdeckt das Stethoskop, indem der Kranke redet, ein Ge-
räusch, als wenn eine Glas- oder Metallplatte durch einen harten Körper
berührt würde {Thüement metallique} , so zeigt dies mit Bestimmtheit an,
dass eine mit Tuberkelmasse und Luft angefüllte Aushöhlung nicht mit den
Bronchien in Communication steht. Ist diese Stimme nur in unbedeutendem
Grade zugegen, so nennt sie Laennec Resonnance metallique. Zuweilea
nimmt selbst das Athemholen einen Metallklang an , zumal bei einer Bron-
chialfistel. Das metallische Tönen neben dem Metallklange der Respiration
lässt auf eine fistulöse Communication zwischen den Bronchien und dem Ca-
vum pleurae schliessen. Finden wir Tintement metallique, Resonnance und
Respiration metallique gleichzeitig , so deutet dieses auf eine grosse Eiter-
höhle mit dünnen, aber festen und adhärirenden Wänden hin. „Bei der
Untersuchung des Herzschlages mit Hülfe des Stethoskops — sagt Ueyfel-
der in Rtist's Handb. d^ Chirurgie , Bd. II. S. 561 — berücksichtigt Laen-
nec vorzugSAveise dessen Impuls, Rhythmus, den Umfang, in dem er wahr-
genommen wird, und das Geräusch, welches die Contractionen der Ventri-
kel und der Vorkammern begleitet, und im ersten Falle dumpf und anhal-
tend , im letztern dagegen kurz und helltönend erscheint. Er schliesst auf
eine Erweiterung des Herzens oder auf ein Schwinden der Herzwände (Dt-
minution (Vepaisseur), wenn die Herzschläge in einem ungewöhnlich weiten
Umfange wahrgenommen werden , obwol man nicht in Abrede stellen darf,
dass eine Menge anderer vorübergehender Momente diese Erscheinung ver-
anlassen können. Das Gegentheil hiervon ist ein charakteristischen Zeichen
-von Hypertrophie, besonders wenn zu gleicher Zeit der Impuls des
Herzens eine ungewöhnliche Stärke hat, wenn die Contractionen der Ven-
trikel von einem sehr schwachen Geräusche begleitet sind , und wenn Ano-
malien im Rhythmus wahrgenommen werden. Je heller und tönender das
den Contractionen der Ventrikel eigenthümliche Geräusch ist , desto eher
darf man auf ein Schwinden der Herzsubstanz rechnen. — Bei reizbaren und
zu Hämorrhagien geneigten Individuen bemerkt man nicht selten unter dem
Stethoskope, neben der Contraction der Ventrikel und Vorkammern, ein
Blasen (Rruit de soufflet), in welchem Falle nicht selten ein Hinderniss
den Austritt des Blutes aus den Kammern und Vorkammern hemmt. Der
Ton einer Raspel soll eine Verengerung der Öffnungen des Herzens durch
Verknöcherungen , knorpelartige Verhärtungen anzeigen. Der Sitz des Übels
ist in den halbmondförmigen Klappen, wenn dieser Ton mit den
Contractionen der Ventrikel coincidirt, und im Orificium ventriculo-auricu-
lare, wenn es die Zusammenziehungen der Vorkammern begleitet." Zeither
hat man nur Thorax und Bauch, und bei Fracturen nur die Gliedmassen
behorcht. Kürzlich beschäftigte sich Dr. Fisher in Boston auch mit der
Auscultation des Kopfs (s. Archives gen^rales. Jan. 1834, und Behrendts
AUSCUJ.TATIO 241
Repertor. d. med. ch!r. Journalist, d. Auslandes, 1894, Juni, 8. 175), Er
fand bei Compression oder Congestion des Gehirns, dass man einen soge-
nannten Blasebalgton wahrnehme , den er „encephnlitic hruit de sufflct'''' nennt.
Fünf von 9 Kranken, wo er diesen Ton bemerkte, litten an acutem oder
chronischem Hydrocephalus ; nur einer hatte Symptome von Encephalitia
ohne Gehirnwassersucht, und zwar in Folge eines Falles auf den Kopf.
Es waren sämmtlich Kinder. Der Ton Avar besonders deutlich zu hören,
wenn man das Stethoskop an den vordem Theil der Pfeilnaht setzte. Bei
Gesunden, von denen Fisher sehr viel untersuchte, hört man diesen Ton
nicht, wol aber die Töne, welche die Stimme, das Schlingen, ja selbst der
Herzschlag erregt. Auch bei Kindern, die an schwieriger Dentition leiden,
will F. diesen Blasebalgton gehört haben, desgleichen bei zwei Kindern mit
Keuchhusten, doch nur während des Anfalls. Nach ihm entsteht dieser
Ton in den Arterienstämmen des Schädels , wenn sie vom Gehirn comprimirt
werden, welches stattfindet, wenn das Organ durch Flüssigkeit gedrückt
oder durch Entzündung in seinem Volumen vergrössert wird. — Der Ge-
genstand verdient genauer geprüft zu werden. Mit Recht macht Heijfelder
darauf aufmerksam, dass, so wichtig die Auscultation auch für die Diagnose
der Herzkrankheiten ist, der Arzt doch zu weit gehen und zu einem nicht
rationellen Verfahren verleitet werden könne , wenn er aus einem oder dem
andern mittels des Stethoskops wahrgenommenen Zeichen sogleich auf einen
organischen Herzfehler schliessen wollte, da psychische und somatische Ein-
flüsse ähnliche Zufälle , w enn auch nur auf kurze Zeit , hervorzurufen im
Stande sind, und man bei Sectlonen, laut der Erfahrung, oft organische
Fehler gefunden hat, von welchem man während des Lebens keine Spur
mit dem Stethoskope gefunden hatte. Die durch letzteres aufgefundenen
Anomalien sind also nur dann von Werth , wenn sie mit den übrigen Krank-
heitssymptomen im Einklänge stehen , und wenn die Zeit und die Dauer ih-
res Erscheinens dabei nicht unberücksichtigt gelassen wird. Der Arzt
muss daher erst dann, wenn er öfter und zu verschiedenen Zeiten durch
das Stethoskop dasselbe Resultat erhalten hat, jenen Zeichen Wichtigkeit
beilegen. Dass auch viele Übung und ein scharfes Gehör dazu erforderlich
sind, um genau zu unterscheiden, — dies versteht sich von selbst. Ein
Mehrere« über die durchs Stethoskop sich kund gebenden diagnostischen Zei-
chen findet man bei den einzelnen dazu geeigneten Krankheiten und anderswo
angegeben. S. die Artikel: Concretio polypiformis in cavitatibus
cordis, Phthisis pulmonalis vera, Exploratio obstetricia, Ste-
thoscopium etc. Lejumeau de Kergnradec's im J. 1822 gemachte wichtige
Entdeckung, durch Hülfe des Stethoskops sichere Zeichen der Schwangerschaft
Zugewinnen (s. Exploratio obstetricia), welche auch nach UUnmer^
d^ Ouirepont und Haus durch unmittelbare Auscultation gefunden werden, näm-
lich die Pulsationen des Fötusherzens und der Placenta, — diese
Entdeckung hat als wahr so viel bestätigt , dass diese genannten Zeichen d i e
einzigen zuverlässigen, nie fehlenden Kriterien der Schwan-
gerschaft und des Lebens eines Kindes im Mutterleibe sind»
welche nie eine andere Deutung erlauben, und vor Missgrif-
fen in der Behandlung vermeinter nicht schwangerer Frauen
schützen, so dass durch sie die äusserliche Untersuchung bedeutend ver-
vollkommnet und die innere beschränkt wird. — ■ Ferguson (s. Dublin, medi-
cal Transact. Vol. I. Part, I. 1830) ist überzeugt , dass die Pulsation des
Fötusherzens meist stets nach der SOsten Schwangerschaftswoche gehört
wird , und dass der Ton durch keinen andern nachgeahmt oder vermischt
werden kann. Mehr als 100 Schwangere hat F. mit dem Stethoskop un-
tersucht und nur ein einzigesmal misslang es ihm, den genannten Ton zu
entdecken , obgleich in mehreren Fällen die Schwangerschaft verheimlicht
ward. Auch ich habe mich in vielen Fällen von der Richtigkeit dieser
Thatsachen überzeugt (vergl. auch Behrendts Rep. d. med. chir. Journalist,
des Ausland, 1831, Juli, S. 52). Lisfranc hat die Anwendung des Stetho-
skops in Beziehung auf die Erkcnntniss der Fracturen, der BlaseÄSteine,
Most Encyklopädie. 2te Aufl. I. XO
242 AUTÜCRATU
Gallensteine, der Tympanitia , Gelenk- und Rückgrats Wassersucht und frem-
der Körper in den Gelenken versucht, doch auch hier hat sie niu" in Ver-
bindung mit den übrigen Krankheitszeichen vollen Werth. Von grossem
Nutzen ist sie besonders bei tiefliegenden Knochenbrüchen und da, %\o starke
Geschwulst und Schmerz zugegen sind, wo man söwol durchs Stethoskop,
als durch das unmittelbar angelegte Ohr schon bei geringer Ex - und Con-
traextension des Gliedes die Crepitation wahrnimmt. Letztere ist auf der
Bruchstelle am stärksten zu hören, und sie wird immer schwächer, ie mehr
man sich von ihr entfernt. Haben sich Flüssigkeiten um die Knochen-
fragmente ergossen, so vernimmt man ein Geräusch, wie beim Gehen in
^inem Wasser enthaltenden Schuh gehört wird. Ist die Fractur mit be-
deutender Verletzung der weichen Theile complicirt, so hört man neben
der Crepitation Töne, wie beim starken Ein- und Ausathmen. Vernimmt
man zugleich noch ein Knistern, so darf man auf einen Splitterbruch schües-
sen. In Bezug auf die Diagnose des Blasensteins ist die Auscultation
mittels des Stethoskops gleichfalls sehr wichtig, indem berühmte Wundärzte
(^Desnult, Roux u. A.) sich früher darin getäuscht und sogar den Stein-
schnitt gemacht haben, ohne einen Stein zu finden (s. Archives generales de
Medec. 1826, Aoüt. p. 551). Ist kein Stein in der Blase, so vernimmt
man, wenn man das Stethoskop auf den Schambogen oder aufs Os sacrum
setzt und mit dem in die Blase geführten Katheter Bev\egungen macht,
Töne wie bei einem in Thätigkeit gesetzten Druckwerke. Ist dagegen ein
Stein in der Blase , so bemerkt man ein Knarren oder ein Geräusch , wie
eine auf einem hartem Körper bewegte Feile hervorbringt. Nach Dupuytren
fehlt dieses Gei'äusch nie, und in Paris wird kein Steinschnitt mehr ge-
macht, wie Heyfelder versichert, ohne die Auscultation zuvor zu Rathe ge-
zogen zu haben. Vergl. Lisfranc, Memoire de nouvelles applications du Ste-
thoscope de Mr. Laennec. Paris, 1823. — Ulsnmer in den Rheinischen Jahr-
büchcri;! für Medicin u. Chinirgie von Zfrt»-/(?ss. Bd VII. St. 1. S. 50, 1823. —
Mnrtinet , Manuel de Clinique, ou des methodes d'exploration en medecine
etc. Paris , 1825 , p. 58. — Über neue Anwendungen des Stethoskops in
Beziehung auf die Chirurgie, von Lisfranc. Aus dem Franz. W^eim., 1824. —
CoUin, F., Des diverses methodes d'exploration de la poitriue et de leur
application au diagnostic des maladles. Paris , 1824. A. d. Franz. mit Zu-
sätzen von J. F. Bourel. Cöln, 1828. — E. Kennedy in tbe Dublin Hospi-
tal Reports and Communications in Medic. and Snrgery. Vol. V. p. 640.
Dublin, 1831, und in Behrendts Repertor. d. med chir. Journalist, des Aus-
landes, 1831. Septbr. S. 303. — Keryaradec Mem. sur rauscultation ap-
pliquee a l'etude de la grossesse etc. Paris, 1822. — Piorry , Die mittel-
bare Percussion und die dadurch erhaltenen Zeichen in den Krankheiten der
Brust und des Unterleibes. Aus dem Fran^, .vw F. A. Balliuy. Würz-
burg, 1828.
Äutocr Atia ) Autonomln, Aulocratorin (natura^), Physinirice (Ilufer
?rtjid) , Fhysiautocrnlia (AfosO, 'is nniume fornewritrix et mcdic((1ri!r , üiü
Selbstherrschaft, selbstständige H errs q haft (der N»tur), die
Naturautokratie, die organische Thätigkeit, insofern dieselbe
sich selbst Mittel und Zweck ist, die er haltend e, ijnd heilende K^aft
der Natur. Die Naturheilkraft ist für den Arzt ein so ungemein
wichtiger Gegenstand, dass die Nichtbeachtung derselben nicht allein zu
Trugschlüssen und falschen Erfahrungen in der Äledicin und Chirurgie führt,
sondern auch zu einem verkehrten , Unglück bringenden , der leidenden
Menschheit höchst verderblichen Heilverfahren. Die Naturautokratie ist iiud-
Ttleibt d^ erste und grö.sste Heilmittel. Natura sannt, mediciis curat
morhosl Sie ist es, die ühn(5 alle Kunsthülfe die schwersten Krankheiten
heilte und noch heilt. .\lle Secten von Ärzten, von Uippokrates bis auf
StnJd und später,, kamen darin überein, dass sie die Selbst» irksamkeit der
Natur annahmen. Diese Übereinstimmung und Anerkennung der Naturheil-
kraft bei den verschiedensten Secten und in den verschiedensten Zeiten ist
der triftigste Beweis für die VVahrlieit derselben , und nur in unserm Zeit-
AÜTOCRATIA 243
alter der Künstelei , des Hochmuths und der Verkehrtheit konnte sie von
manchen Ärzten in den Hintergrund gestellt werden, so dass diese der
Natur zu wenig oder gar nichts, der Ku^st aber zu viel oder Alles zu-
trauen. Wenn unsere altern Heilkünstler bescheiden genug waren einzuge-
stehen , dass die Natur das Hellen thue und sie nur die Natur in ihren
Heilbestrebungen durch zweckmässige Mittel zu unterstützen vermöchten,
so giebt es dagegen in unserm Zeitalter aufgeblasene Ärzte genug , zumal
von der jüngsten Zeit her, welche stets glauben, sie müssten activ verfah-
ren, denn nur ihre Kunst, nicht die Natur vermöge Krankheiten zu hei-
len, — jene Ärzte, die stets beschäftigt sind, und nur den Kirchhof füllen,
bis dann nach kurzer Zeit das Publicum einsieht, dass sie in ihrer Praxis, —
wollen wir es gelinde ausdrücken, — so häufig Unglück haben, und das
Vertrauen zu ihnen verliert. — Obgleich noch neuerlich G. F. Ch. Greiner
(Der Ai-zt im Mensctien oder die Heilkraft der Natui-, 1827, Bd. I.) und
Jahn (Die Naturheilkraft, 1830), desgleichen V. G. Strauss (Die Heilkraft
der Natur, ihre Erkenntniss im Allgemeinen und in Beziehung auf die Zoo-
chinirgie. Wien, 1829) über diesen Gegenstand vortrefflich geschrieben ha-
ben, so fand es dennoch unser hoch verehrter Veteran Hufelnnd vor drei
Jahren nöthig und sich berufen, der Naturheilkraft ihre alten Rechte zu
vindiciren (s. IlufelaniVs Journal , 1833 , St, 1). Er nennt die Lehre von
der Naturautokratie Physiatrik, das Wort im weitesten Sinne des Be-
griffs 'PvGig genommen (denn die erhaltende und heilende Kraft der Natur
äussert sich nicht blos im Somatischen, sondewi auch im Psychischen auf
die mannigfaltigste Weise; ich führe nur statt aller Beispiele hier das Eine
an , wie wohlthätig die gütige Natur durch das Gefühl von Betäubung und
Abgestumpftseyn für die Lebenserhaltung solcher Personen sorgt, die einen
unerwarteten und grossen Seelenschmerz durch den Tod theurer Personen
etc. erlitten). Alle Krankheitsheilungen werden durch die Natvu* bewirkt;
die Kunst ist nur ihr Gehülfe und heilt nur durch sie. Alles rationelle Hei-
len beruhet einzig auf richtiger Leitung und Unterstützung der Naturheil-
kraft ; auch ist es Thatsache , dass die Thätigkeit der letztern mit dem
Grade des Hervortretens der Krankheitserscheinungen im gleichen Verhält-
nisse steht. „So wie der äussern Erscheinung jeder Krankheit — sagt mit
Recht Hufelnnd — ein innerer krankhafter Zustand des organischen Lebens,
ein innerer Krankheitsprocess zum Grunde liegt und ihr Daseyn allein be-
dingt ; eben so liegt jeder äussern Heilung ein innerer Heilungsprocess — -
eine Thätigkeit des organischen Lebens zur Umänderung und Zurückführung
des abnormen Zustandes in den normalen — zum Grunde, und macht sie
ganz allein möglich. Dies gilt von allen Krankheiten ohne Ausnahme. In
den sichtbaren (sogenannten chirurgischen) Krankheiten zweifelt kein Mensch
daran. Jeder Chirurg giebt zu, dass er es nicht ist, der einen Beinbruch,
eine Wunde, ein Geschwür heilt, sondern dass es die Naturki-aft (Lebens-
kraft) ist , welche durch ihre bewundningswürdigen Operationen : der Exsu-
dation , Conglutination , Suppuration , Ausstossung des Verdorbenen und Re-
generation , dieses Geschäft eigentlich bewirkt , und dass er nur das dabei
thut, diese Operationen regelmässig und zweckmässig zu leiten und ihre
Hindernisse zu entfernen. — Aber ganz dasselbe gilt auch von den innerli-
chen, unsern Sinnen in ihren Innern Verhältnissen entzogenen Krankheiten, nur
mit dem Unterschiede, dass wir dabei diese IJeilungsoperationen , der Umände-
rung, der Ausscheidung des Verdorbenen, der Regeneration und Gleichgewichts-
wiederherstellung, nicht mit unsern Augen sehen können. Und dies ist nicht
etwa blos bei den acuten (mit mehr aufgeregtem Leben), sondern auch bei
den chronischen Krankheiten der Fall, nur weniger schnell, weniger entr
scheidend. Bei leichten Fällen sehen wir es täglich, dass die Wiederher-
stellung ohne alle Kunst erfolgt. Aber auch bei schweren, ja bei den
schwersten kann dies erfolgen. — Es giebt keine Krankheit, von dem hef-
tigsten Entzündungsfieber bis znr fauligen Pest, von den Suppressionen bis
zu den Prottuvien, von den dynamischen Krankheiten bis zu den Dyskra-
sien, die nicht schon durch die Natur allein gehellt worden wäre. Und
16*
244 AUTOCRATU
was thut die Kunst zur Heilung? — Wir lassen Ader bei Entzündungen,
entziehen die Kräfte und glauben dadurch geheilt zu haben. Aber wir ha-
ben nur die Hindernisse , das Übermass des Bluts und der Aufregung weg-
genommen und die Natur dadurch in den Stand gesetzt , das eigentlich«
innere Heilgeschäft zu vollbringen, was immer nur erst erfolgen muss, wenn
unsere Cur gelingen soll. — Wir unterstützen beim adynamischen, nervösen
Zustande die Kräfte und glauben dadurch die Heilung zu machen , aber
wir erhöhen dadurch nur die Heilkraft der Natur auf- den Punkt, dass sie
die innern Heiloperationen vollziehen kann, welche zur Wiederherstellung
nöthig sind. — Selbst die directe Cur der Krankheiten , durch sogenannte
Specifica, ist Werk der Natur, indem das Heilmittel nur als Anstoss
wirkt, die dadurch aber erregte Reaction und die Umänderung zum Bessern
selbst nur durch Hülfe der innerhalb wirkenden Naturkraft möglich ist. —
Auch bei Dyskrasien , selbst da , wo ein specifisches Gift im Organismus
aufgenommen ist, vermag die Heilkraft der Natur die Heilung zu bewirken.
Brauchen wir an die Tausende zu erinnern , die bei venerischen Krankhei-
ten ohne alle Mittel , ja jetzt absichtlich ohne den Gebrauch von Quecksil-
ber hergestellt wurden ? (Ob indessen radical ? Dies ist noch eine grosse
Frage, da das Syphilisgift, gerade wie das der Hundswuth, oft lange im
Körper schlummern und latent bleiben kann, bis zufallige begünstigende
Umstände wiederum die Krankheit hervorrufen. 3f.). Aber auch bei den am
tiefsten eingewurzelten venerischen Vergiftungen , was könnte der Mercur
leisten ohne Mitwirkung dieser innern Heilkraft , welche erst die Ausschei-
dung des Giftstoffs und des Gifthellmittels zugleich , die zur völligen Hei-
lung unentbehrliche Regeneration gesunder Säfte, Normalisirung specifisch
alterirter Secretionen und Reproduction der desorganisirten Organe bewirkt ?
Wie oft sehen wir, dass aller Gebrauch des Quecksilbers In den verschie-
densten Formen vergeblich ist , bis wir bei geschwächtem Körper durch den
Mitgebrauch kräftiger Nahrung und stärkender Mittel die Lebenskraft zu
dem Grade der Energie erhoben, der zur Bewirkung der innern Heilungs-
operation und selbst zur Wirkung des Mercurs nothwendig ist?" — ,5Am
allersichtbarsten zeigt sich diese innere Heilkraft in jenen wunderbaren,
durch sie allein , oft ganz unerwartet und höchst überraschend bewirkten
Umänderungen : Krisen, Metaschematismen, Metastasen, die oft mit einem Male
eine schwere , lange allen Kunstmitteln widerstehende Krankheit gänzlich
aufheben oder umändern. Der Kranke , den wir noch Abends dem Tode ge-
weiht glauben , bekommt in der Nacht einen reichlichen Schweiss , und wir
finden ihn früh ausser aller Gefahr. In einer schweren hitzigen Krankheit,
die wir vergebens mit unsern Mitteln bekämpfen , entsteht plötzlich ein Ab-
scess an einem äussern Theile, und die Krankheit ist gehoben. — Ja, was
der Heilkraft der Natur die Krone aufsetzt, ist ihr Sieg über die verschie-
densten , entgegengesetztesten , oft unvernünftigsten Heilmethoden. Sehen
wir nicht täglich, dass auf dem Lande, selbst ohne alle Hülfe oder bei der
unsinnigsten Behandlung Menschen gesund werden ? Und selbst bei der
künstlichsten Behandlung bin ich längst zu der Überzeugung gekommen,
dass von allen geheilten Kranken der grösste Theil zwar unter Beistand
des Arztes, aber der nur bei weitem kleinste Theil durch seinen Beistand
allein geneset." So spricht sich unser so hoch gefeierter Hufeland am
Abende seines so thatenreichcn Lebens und nachdem er über ein halbes
Jahrhundert dasselbe der Heilkunst gewidmet, über die Naturheilkraft aus.
Die Physiatrik ist ihm die auf Naturheilung gegründete Heilkunst, nicht die
Naturheilung selbst, — eine Lebensansicht der Natur und der Med'cin, die
■wir durch sorgsames Naturstudium und durch die Bekanntschaft aller niedi-
cinischen Classiker uns erwerben, und der er, wie jeder grosse Arzt, stet«
treu geblieben ist. In diesem Sinne, als echter Physiatriker, hat er stet»
beobachtet, gedacht, gehandelt, gelehrt, geschrieben. Eine solche Medi-
cin , die in Allem, was im Organismus geschieht, so wie in Allem, was sie
in ihm thut, das höhere Gesetz des Lebens und der Naturthätigkeit aner-
kennt und achtet, welche «ich nicht als das Agens, sondern nur als da*
AUTOCRATIÄ 245
Werkzeug dieser hmern Heilkraft betrachtet, welche Alles, vras im Orga-
nismus vorgeht, sowol Krankheit als ihre eigene Heilungsoperation und die
Wirkung der Arzneimittel, lebendig und als Lebensactionen auffasst, genug,
welche selbst im Leben lebt und, sowie sie Alles, was lebt, durch das
Leben zu einer höhern Sphäre des Daseyns erhoben erkennt, also auch sich
selbst und ihr Wirken in dieser Sphäre bewegt; — eine solche Medicin ist
das belebende Princip eines jeden echt praktischen Arztes; denn sie hält
ans fest auf dem Wege der Natur und der Erfahrung und erhebt uns über
die Täuschungen blendender Schulsysteme, — eine solche Medicin ist es,
die auch in vorliegender Encyklopädie der Herausgeber mehr und mehr zu
fördern sich bemühet hat. Schon sind über 40 Jahre verflossen , als der
grosse Hufelnnd in seiner „Pathogenie" so wahr als schön sagte: „Der
Hauptpunkt , auf dem Alles in der Medicin , sowol Theorie als Praxis , be-
ruhet, ist das Verhalten und die verschiedene Reaction der Lebenskraft in
Verbindung der verschiedenen Organisation , durch die sie wirkt , und der
ihr untergeordneten todten (chemischen und mechanischen) Naturkräfte.
Diese Reaction ist die Grundlage aller Krankheiten und
ihrer Modific ationen, aller Heilkraft und alles Heilbestre-
bens der Natur in Krankheiten, aller Wirkung der Arznei-
mittel, und so auch der ganzen praktischen Medicin, die ja
in nichts weiter besteht, als diese Reaction der Naturkraft
zu benutzen, zu unterstützen und zu leiten. Die nämlichen Kräfte
und Gesetze des belebten organischen Körpers, durch welche sich Krank-
heit bildet, sind es auch, durch welche sie aufgehoben, umgeformt, gemil-
dert, und das Gleichgewicht wieder hergestellt wird." Die Autokratie der
Natur ist demnach wesentlich gleich der Reaction der Lebenskraft. Je nä-
her wir aber die Gesetze derselben, sowol im gesunden als kranken Leben
kennen , desto richtiger sind unsere Begriffe von der Natur der Krankheiten
und der Wirkungsart der Heilmittel. Doch hier ist uns noch Vieles ver-
borgen ! Nicht immer gingen die Ärzte auf der wahren physiatrischen Bahn.
Alle grosse deutsche Arzte konnten weder dem Brown'schen Systeme, noch
der sogenannten Naturphilosophie anhangen. So Hufeland, v. Vogel, Hil-
denbrand, Siieglitz u. A. mehr. Ersterer sagt selbst (a. a. O. S. 21) , dass
die Brown'sche Periode (1798 — 1806) eine Zeit der Dürre und Unfrucht-
barkeit , des gänzlichen Mangels an reiner Naturforschung und Beobachtung
abgegeben habe , auf welche der Genius der wahren Medicin stets mit Leidr
wesen blicken wird, und dass er, so sehr er auch Schelling's Naturphiloso-
phie verehre , dennoch nie die Auswüchse dieser Schule : die Schwärmerei,
die Übertragung des Hypothetischen als Factisches ins Leben und Handeln,
die Spiele der Phantasie , wodurch am Ende die Physiologie und Pathologie
eine schöne Poesie wurde , habe unterschreiben können. Die Erfahrung und
die Kraft der Wahrheit haben stets über Irrthum, Hirngespinnste , Lug und
Trug am Ende den Sieg errungen , und unsere ersten Ärzte , namentlich
ffUfeland , Stieglitz , Kreysig , Hildenbrand etc. , trugen immer mehr dazu
bei, ihre Mitbrüder auf die rechte Bahn zu leiten, der Naturheilkraft ihre
alten Rechte zu vindiciren und die Heilkunde von den Truggebilden der
Schule auf den Weg des Lebens und das Studium der Natur zurückzufüh-
ren. In gegenwärtiger Zeit ist in der Medicin die Naturautokratie dahin
gelangt, dass sie immer mehr anerkannt und hochgeschätzt wird; „selbst
Hahnemann's Homöopathie — sagt Hufeland — hat, trotz aller scheinbaren
Nichtbeachtung der Naturheilkraft, in der That zur Unterstützung der Phy-
.siatrik beigetragen; denn beruhet nicht ihr ganzes Princip und Wirken auf
Anregung der Lebenskraft zur Umänderung des abnormen Zustandes in den
normalen durch Anwendung specifischer Mittel? Ist sie nicht auch oft
eine durch die Zeit und strenge Diät bewirkte Naturheilung?" Wir wer-
den uns unten näher darüber aussprechen, dass es noch ganz was Anderes
bei homöopathischen Curen ist, als die winzig kleine Dosis specifischer Arz-
neien, die zur Anregung kräftiger Naturautokratie beiträgt. — Der Cha-
rakter der gegenwärtigen Medicin in Deutschland ist Gottlob ein solcher,
246 AUTOCRATIA
der das aiif Naturautokratie basirte Ideal der wahren Heilkunst mehr und
mehr entwickelt und realisirt. Hier herrscht schon voUkommne Freiheit des
Geistes, kein Despotismus, keine Alleinherrschaft, weder eines Menschen,
noch eines Systems , im Reiche der Wissenschaften , keine Medicin a priori,
sondern nur eine auf Naturanschauung und Erfahrung gegründete ; — ein
reges Streben für Bearbeitung der Naturwissenschaften, Freiheit im Han-
deln, Vermehrung des Heilapparats durch neue wirksame Mittel und Metho-
den; vor Allem aber die Anerkennung des Lebens und seiner Gesetze, als
höchste Instanz, als Grundlage alles Denkens und Handelns, und die Er-
fahrung als einziger Richter tmd Regulator. — Nur für unsere Jüngern
Mitbrüder spricht Hufelnnd noch den Wunsch aus, sich in dem zu kühnen
Gebrauch heroischer Mittel und gewaltsamer Methoden , besonders der über-
mässigen Blutentziehungen, der Giftmittel, der Narcotica und metallischen
Gifte, zumal in der Kinderpraxis , zu massigen, und dem ersten Gesetze der
Physiatrik : Natura sannt , Mcdicus curat morhos , stets eingedenk zu blei-
ben, — eine Warnung, die bei Manchen noch Noth thut, besonders bei
solchen, die erst kürzlich Paris, London und Italien besucht haben. Damit
ist aber nicht gesagt, dass der N^ahre Arzt bei aller Verehi-ung der Natur-
autokratie nicht zuweilen und in geeigneten Fällen solche heroische Mittel
und Curmethoden in Anwendung ziehen dürfe. Der alte Gi'undsatz : Medi-
cus minister, non mafjister vaturae esto, erleidet häufig Einschränkungen.
Die Erfahrung aller Zeiten und eine nähere Kenntniss der Krankheiten und
der Art und Weise, Avie die Naturheilkraft im Speciellen sich äussert, wie
sie oft dux'ch ihre perversen Bestrebungen den Kranken zum Tode führt,
haben es bestätigt, dass der praktische Arzt häufig die Naturheilkraft lei-
ten und dahin dirigiren muss, dass die daraus entstehenden Folgen nicht
schlimmer, als die Krankheit selbst sind. Hier muss er sich oft der Natur
wahrhaft opponiren, und durch die Kunst, die ja die Natur idealisiren soll,
auf denjenigen Weg zu leiten, der zur günstigem Heilung erforderlich ist.
In dieser Hinsicht mögen hier folgende Andeutungen für klinische Zwecke
noch Platz finden: 1) Fast jedes Fieber (nur das selten vorkommende so-
genannte Substantive , idiopathische vielleicht nicht) ist nur die Reaction ge-
gen örtliches Leiden , nur ein Schatten von Krankheit und identisch mit
dem Heilstreben der Natur. Die Form dieses Fiebers ist theils durch die
Natur der vorliegenden Krankheit, theils durch die eigenthümliche Form
des Organismus , worin sie spielt , verschieden. Bei jeder Reaction kann
nun aber entweder die Krankheit die Schwebe halten, oder sie
kann excessiv werden, und endlich der Organismus kann im
Kampfe erliegen. Die Reaction oder, was einerlei ist, die Naturkraft
kann also entweder heilsam oder schädlich werden (s. F. Jahn , Ahnungen
einer allgem. Natui-geschichte der Krankheiten. Eisenach, 1828). Die Walir-
heit dieses Satzes kannten sehr gut schon HippoJcratcs , Hchnoni, SydenJimiiy
Boerhnave, Stahl u. A. mehr. Es folgt daraus viel Wichtiges, a) Sobald
die Naturheilkraft excessiv zu stark und schädlich wirkt , muss der Arzt
sich ihr opponiren und sie zu massigen suchen. So wie der Wundarzt das
zu stark wuchernde junge Fleisch in einer Wunde , einem Geschwüre mit
Lapis causticus berührt und so seinem zu starken W'achsthum Grenzen setzt,
so machen wir es mit jedem zu heftigen Fieber ; ^\{r geben geeignete Anti-
febrilia, ohne deshalb das gleichzeitige Localleiden aus dem Auge zu verlie-
ren. Denn nicht allein das Leiden, auch die Naturautokratie erfordert
Kraft, um ihren Bestrebungen zu entsprechen. Aber im zu heissen Kampfe
iliesst das meiste Blut , — ein kleiner Waffenstillstand dient zur Sammlung
neuer Streitkräfte, b) Da die Thätigkeit der Naturheilkraft um so stärker
ist, je bedeutender die Krankheit an sich und in Beziehung zur Organisa-
tion auftritt; so dient die richtige Schätzung der Stärke der Reaction zur
richtigem Schätzung und Bedeutung der Kränkelt selbst. Je schlinnner
z. B. ein Wundfieber ist , desto bedeutender war bestimmt sowol der vor-
hergegangene Eingriff der Verwundung in den Organismus , und umgekehrt,
als auch die Receptivität des letztern grösser und der Körper vulnerabler
AUTOCRATIA 247
als bei andern Individuen war. c) Hält die Reäction das Gleichgewicht mit
der Krankheit, so wird der echte Praktiker sich in vielen Fällen am besteh
stehen, wenn er sich mehr passiv, als activ erhält, z. B. bei allen acuten
Exanthemen, wenn das Fieber nur massig ist und keine beunruhigenden
Zufälle damit verknüpft sind. Blattern, Masern, Scharlach, Röthein, acute
Petechien etc. machen einmal ihren Verlauf, woran nichts zu ändern ist.
d) Viele örtliche Leiden werden nur deshalb oft chronisch , weil die Reäction
mehr örtlich, als allgemein, mehr fragmentarisch und unvollständig, als
complet und vollständig ist, indem sie nur in einem Systeme kämpfend auf-
tritt. Hier wird das Leiden häutig durch eine allgemeine Reäction am be-
sten geheilt, z. B. chronische Hautausschläge durch hinzugekommenes all-
gemeines Fieber , Infarcten durch Febris intermittens , Neurosen aller Art,
selbst Wechselfieber, durch kräftige Reäction, hervorgerufen mittels der
Elektricität , des Galvanismus, Magnetismus, der Bäder etc. 2) Fast jede
Krankheit entsteht aus dem durch äussere Veranlassung (äusseres Krank-
heitsmoment) gestörten Gleichgewichte des Vereins von Organeh , die den
Organismus bilden. Meist wird nur ein einzelnes Organ oder System in
seinen Actionen gestört. Da aber alle Organe auf einander einwirken und
das einzelne Organ schwächer ist, als die vereinte Gewalt aller übrigen,
so entsteht bei dem natürlichen Streben nach Gleichgewicht gleich in jeder
Krankheit ein Zwischenwirken aller nicht ergriffenen Organe. Dies ist der
nähere Vorgang jener Thätigkeit, die wir Reäction, Natur heilkraft
nennen. Man sieht diesen Vorgang deutlich bei der nach Verbrennung er-
folgenden Blasenbildung, bei demselben Vorgange nach dem Erfrieren ein-
zelner Körpertheile etc. Diese Naturheilkraft kann jedoch nur dann frei
und ungehindert wirken , wenn die Krankheitsursache wieder entfernt ist,
z. B. Heilung der Stichwunde ohne Eiterung, sobald keine fremde Körper
darin sind. — Obgleich nun aber jedes Organ nur für gewisse Eindrücke
empfänglich ist (das Gehör für Schall, das Auge für Lichtreiz etc.), so wer-
den doch alle Organe durch das Nervensystem zusammengehalten und alle
Functionen durch dasselbe vermittelt. Fast jeder Krankheitsprocess geht
anfangs ursprünglich nur im Nei'vensystem vor, welche Thätigkeit Chnussier
Vinncrvnlion nennt. Und da nun beim Morbus fiens das Missverhältniss zw-
schen dem einzelnen Organe und dem Gesammtorganismus noch weit gerin-
ger, als bei der ausgebildeten Krankheit ist, so bedarf es zu Anfange vie-
ler Krankheiten nur einer massigen allgemeinen Reäction, um der vollen Aus-
bildung derselben vofzubeugen. Wie manches anfangende Hals - und Brust-
leiden, solcher Rheumatismus etc. werden zu Anfange, wo es noch nicht
bis zur Entzündung gekommen ist, durch ein Glas Glühwein, durch war-
men Thee etc., welche Schweiss erregen, schnell bei Alt und Jung geho-
ben ! Bekanntlich unterscheidet sich das Nervensystem in cerebrales,
d. i. das der gegenseitigen Beziehung, und in ein ganglionäres, welches
der Nutrition vorsteht. Letzteres Avendet sich zu den Arterien und verliert
sich mit seinen feinsten Endigungen in die Windungen der feinsten Gefässe,
so dass die Nervensubstanz mit der Substanz der Arterie ganz eins wird.
Diese Nervenarterien dringen, nach Duges, m alle Gewebe, zumal in die
allgemeinen Hautbedeckungen, ein, vermitteln alle Secretionen und sind
der Sitz der Entzündung (s. A. Duges, Essai physiologico-pathologi-
(jue sur la nature de la fievre, de rinflammation etc. Paris, 1823; recens,
in Götting. gelehrten Anzeigen, 1827, St. 108). So geht denn die krank-
hafte Affection vom Nerven, als dem Regulator des Lebens, zum Blute,
dem Factor des Lebens , über , und unter Vermittelung der Naturautokratie
entsteht ein die Nervenverstimmung — war sie bedeutend — heilendes, ent-
gegengesetztes Leiden: die Entzündung. Auch sie ist, wie das Fieber,
in vielen Fällen nur ein Schatten von Krankheit, ein Reflex derselben, ein
Ding, ohne welches die Naturautokratie in zahlreichen Fällen (bei allen
äusserlichen und innerlichen Verwundungen) nicht wirksam seyn könnte.
Das örtliche Übel leitet das allgemeine ab und heilt es. Wie oft muss der
Arzt örtliche Übel , äussediche Entzündungen (durch Vesicantia, Rubefa-
248 AUTOCRATIA
clentia) erregen, um innere Krankheiten zu heilen! Aber mit dem Beginn
der Entzündung ist das Leiden ein mehr materielles geworden; früher war
es mehr ein dynamisches. So vereinigen sich in der Natur und im Leben
Solidar- und Humoralmedicin , und jede Trennung derselben in der Wissen-
schaft ist unnatürlich, nichtig, ungegründet. S) Schon zum Theil aus dem
oben Gesagten, noch mehr aus dem hier Folgenden, geht deutlich hervor,
dass nicht allein viele sogenannte Krankheiten weiter nichts als Krankheits-
symptome, sondern beide häufig nur Heilbestrebungen der Natur sind, z.B.
die meisten Fieber und Entzündungen. So erklärt es sich, wie eine sog.
Krankheit eine andere verhütet , eine dritte heilt (s. C. L, Klose : Über
Krankheiten als Mittel zur Verhütung und Heilung von Krankheiten. Bres-
lau, 1826), Alle kritischen Ausschläge, alle aus allgemeinen und innern
Ursachen entstandenen chronischen Exantheme , viele Geschwülste , Ge-
schwüre, selbst die Gicht u. a. mehr sind mehr Zeichen der Naturheilkraft,
als Krankheiten zu nennen. Schon Syderihnm und Hoerhnave halten es für
ein thöriges Unternehmen, die Gicht hellen zu wollen. Selbst die meist
halbseitige Lähmung nach Apoplexie und das darauf folgende Fieber sind
Heilbestrebungen der Natur, um wenigstens den Tod vorläufig abzuwenden.
Weil aber die Naturautokratie bald zu heftig, bald zu schwach und unvoll-
kommen auftritt , so sind die Resultate ihrer Heilbemühungen eben so w enig
immer glänzend, als die der Ärzte. Dazu kommt, dass die Natur bewusst-
los handelt , keinen Unterschied zwischen edlen und unedlen Organen kennt,
und bei ihrem Bestreben oft den Krankheitsstoff auf Gehirn , *Lungcn etc.
als Metaschematismus ablagert, was den Tod herbeiführt. Wie viele Mühe
haben wir Arzte nicht zuweilen , um bevorstehende perverse Krisen , Meta-
stasen , Metaschematismen , die die eigensinnige Natur nach Gehirn , Lungen,
Magen etc. ablagern will, auf unschädlichere Organe abzuleiten? Hier müs-
sen wir uns als Herren , nicht als Diener der Natur zeigen. Es giebt eben
so gut Anomalien bei der Naturautokratie , als bei Krankheiten ! Anomalien,
die eben so gut ihr Werk sind als die Missgeburten und Verkrüppelungen,
die vitia primae formationis im Thier- und Pflanzenreiche. — Excrescenzen,
Balggeschwülste, Steatome, Sarcome , Indurationen, Suppurationen etc. , die
zumal in edlen Organen so häufig den Tod herbeiführen , wie oft sind diese
Leiden weiter nichts als die Resultate eines mangelhaften und verkehrten
Heilbestrebens der Natur! Aus allem diesen geht deutlich hervor, wie viel
dem Heilkünstler oft noch zu thun übrig bleibt, um der Autokratie der Na-
tur — freilich nicht ohne ihr Zuthun — zu Hülfe zu kommen und sie auf den
rechten Weg zu leiten. So wie im Allgemeinen in der Natur nicht nur das
Gesetz zur Bildung , sondex'n auch z<n' Vernichtung des organischen Lebens
liegt, so auch in der Naturheilkraft, die jenem Gesetze untergeordnet ist.
Kann wol eine durch plötzliches Verschwinden des Tripperausflusses aus der
Harnröhre entstandene Ophthalmia gonorrhoica ohne Thätigkeit der Natur-
autokratie entstehen? Nimmermehr; aber hier ist die Natur doch wol kein
rationeller Heilkünstler gewesen. Wir wollen indessen die göttliche Vis na-
turae conservatrix et medicatrix hier keinesweges verachten, sondern führen
dergleichen nur an, um sie specieller kennen zu lernen und sie mit mehr
Vortheil zum Wohl der leidenden Menschheit zu benutzen. 4) Da die mei-
sten Krankheiten ursprünglich vom Nervensystem ausgehen, da der Einfluss
dieses Systems auf Digestion , Assimilation , Nutrition , auf alle Se - und
Excretionen, auf alle kritische Ausleerungen von der grössten Bedeutung
ist , so lässt es sich leicht denken , dass auch die Naturheilkraft ohne Ver-
mittlung dieses Systems nicht wirksam seyn könne. Dies sehen wir deut-
lich bei Paralysen , wo der Nerveneintiuss durch Lähmung des Hauptnerven
fehemmt ist, die daher auch Jahre lang bestehen und oft ganz unheilbar
leiben, weil die Natur hier nicht wirken kann. Andererseits vermag nichts
so bedeutend die schlummernde, zu schwa^ehe Naturheilkraft zu wecken, als
ein gehörig wirkender Stimulus aufs Nervensystem, zumal von der psychi-
schen Seite aus. So wie die Physik ohnlängst mit den neuern Fortschritten
in der Erkenntniss der Natur viele für elementavisch gehaltene Stoffe als
AUTOCRATIA 249
Elemente yerwirft (Luft, Wasser etc.), — so sind wir Arzte auch schon
längst überzeugt, dass die Krankheiten der Seele und des Leibes keine spe-
citisch verschiedene Classen mehr zulassen , sondern dass wir nur Gradun-
terschiede und Symptomengruppen bei beiden statuiren dürfen. Aber was
die Heilung zahlloser Krankheiten des Leibes durch psychische Einflüsse
rermiiLels des Nervensystems anbetrifft , so gehört sie unter dem gew öhnli-
chen Tross der Ärzte zu den piis desideriis , und doch ist sie von so grosser
"Wichtigkeit ! — Es giebt eine Willensheilkunde , d. i. eine Methode , durch
kräftige Anregung des freien Willens und anderer Geistesthätigkeiten (welche
bald durch Incitation, bald durch Derivation mittels des Nervensystems die
Naturheilkraft mächtig anregen) Krankheiten zu heilen, die höchst wirksam
ist. Siehe ein Mehreres darüber bei Derivatio. — Eine ungewöhnliche
Beschäftigung der Phantasie, die Richtung der Seele auf einen interessanten
und neuen Gegenstand , — diese Dinge sind als Derivantia psychica zu be-
trachten, und haben durch Umstimmung des Nervensystems schon Unglaub-
liches zur Heilung von Krankheiten bewirkt. Schon der grosse Herder
sagte, er wünsche, dass am Abende seines Lebens oder bei einer ihn er-
greifenden schlimmen Krankheit eine recht grossartige neue Idee seinen
Geist beschäftigen möge, und er sey überzeugt, dass dieses allein noch sein
Leben verlängern oder ihn von der Krankheit heilen werde. Und wahrlich!
dieser tiefe Naturkenner hatte Recht! So erklärt sich auch der Umstand,
wie das pharmaceutische Nichts der Homöopathen und das indifferenteste
sympathetisclfe Mittel oft so heilsam wei-den konnte. Aufregung des Ner-
vensystems und Erweckung der schlummernden oder nicht hinreichend thä-
tigen Naturheilkraft von der psychischen Seite waren es , die hier das Wirk-
same abgaben. Die Einwirkung des Arztes — sagt Greiner in der AUgem.
med. Zeitung; Altenburg, 1835, Januar — • auf den Kranken ist so mannig-
faltig , allgemein , partiell und specitiisch magnetisch , dass auf mannigfaltige
Weise durch diese Einwirkung das Reactionsvermögen der Lebensidee zur
Heilung bestimmt und unterstützt werden kann, auch oft, abgesehen von
diesen Einwirkungen , duich dieses Vermögen allein , durch die Lebensidee
zur bestimmten Hellkraft erhöhet, die Krankheit besiegt und die Heilung
herbeigeführt wird. — Bei den sympathetischen Mitteln haben wir aber
noch eine andere Seite zu betrachten , weshalb sie so wirksam sind , die
Natur kräftig zur Hellung von Übeln aufzufordern; dies ist die elektro-
magnetische Seite , worüber anderswo gehandelt worden ist (s. Galvanis-
mus). 5) Aber nicht blos von der psychischen Seite, auch durch kunst-
gemässe Anwendung jener grossen Kräfte, der Imponderabilien: Elektri-
cität, Galvan Ismus, Magnetismus (s. diese Art.), vermögen wir
höchst kräftig aufs Nervensystem einzuwirken, um der Naturheilkraft da-
durch einen ähnlich kräftigen Impuls zur Heilung solcher Krankheiten zu
geben, die nicht zu den acuten gehören und die ohne echt inflammatorische
Zufälle sind. Vielleicht giebt es neben den psychischen Mitteln kein so
wirksames Mittel, Heilungen durch Naturautokratie zu bewirken, als die
Elektricität, der Galvanismus und Magnetismus, zumal in solchen Fällen,
wo die Natuikraft zu unvollkommen und nicht allgemein genug thätig ist,
wo Secretionen stocken, wo die Digestion schlecht, Obstructio alvi habi-
tualis, Menstruatio retenta, suppressa, chronische Geschwülste und Läh-
mungen aller Art etc. stattfinden, worüber in den Artikeln Electricitas,
Galvanismus, Magnetismus mineralis specieller geredet woi'den
ist. — Endlich 6) ist die Naturautokratie nach vielfältigen Beobachtungen
nicht zu jeder Zeit gleich wirksam. Sie ist wirksamer des Nachts und im
Schlafe, als bei Tage und im Wachen, wirksamer bei heiterm als trübem
Himmel etc. Daher machen es sich gute praktische Arzte auch zur Regel,
schlafende Kranke nicht aufzuwecken, wenn es auch Zeit zum Arzneiein-
nehmen ist; denn es heisst mit Recht: „Der Schlaf, d. i. der natürliche,
ist eben so gut als Arznei," und mancher Kranke verschläft, wie schon Dr.
Bartolo im „Figaro" sagt, in der That seine Krankheit; — ferner lassen
wir de» Nachts , wenn keine grosse Gefahr ist , eben so an den kritischen
250 AUTOPSU
Tagen, allen Arzneigebrauch aussetzen. So wie viele Krankheiten ihr Ty-
pisches haben, so hat es auch die Naturautokratie. In welchen Krankhei-
ten letztere nun ihre Ebbe und Flut zeige ? Ob bald mehr bei Neumonde,
bald mehr bei Vollmonde oder dem ersten und letzten Viertel? — Welchen
Einfluss hier der Erdmagnetismus und die Tageszeiten haben, wo seine In-
tensität das Maximum und das Minimum erreicht? — Diese und viel'e an-
dere interessante Untersuchungen müssen noch angestellt werden , um unsere
herrliche Naturheilkraft auch in ihren feinern Nuancen näher kennen zu
lernen.
Autopsia, das Selbstsehen und die dadurch gewonnene Überzeu-
gung. Ist für den Heilkiinstler von der höchsten Wichtigkeit ; er lernt da-
durch in einer Stunde mehr, als in einem Tage durch das Lesen von Schrif-
ten , und das Erlernte bleibt im Gedächtniss. Daher sind die grossen kli-
nischen Anstalten in Berlin, Würzburg, Wien, Paris etc. von unendlichem
Nutzen zur Bildung junger Ai'zte. Die Alten bezeichneten mit dem Worte
Autopsie einen Zustand der Ekstase, in welchen sie eines vertraulichen Um-
ganges mit den Göttern zu geniessen glaubten ; in der Arzneikunde verste-
hen die Neuern, zumal die Franzosen, darunter die Leichenöffnung, doch
ist dafür der Name Necroscopia, Necropsia vorzuziehen. Rttst gebraucht
das Wort in einem ganz neuen Sinne und versteht darunter die Kunst,
die chirurgischen Krankheiten aus ihrer Form zu erkennen.
In diesem Sinne kann es aber auch der Arzt gebrauchen , denn so wie das
Äussere in der Natur stets dem Innern entspricht , so deutet auch der ganze
Habitus des Kranken, seine Haltung, seine Physiognomie etc. auf das ob-
waltende innere Leiden , und der geübte Arzt kann daraus häufig auch den
Sitz des Übels, ob letzteres im Kopfe, in der Brust oder im Unterleibe
stattfindet, erkennen. S. Habitus und Physiognomia pathologica.
Bieffenhnch nennt die Autopsie eine potenzirte Diagnt)stik, indem sie die
Kraiikheitsform geradezu aus bestimmten charakteristischen Merkmalen, wie
der Botaniker die Pflanze, erkennt und charakterisirt (s. Rust's Handb. d.
Chirurgie, Bd. IL S. 627). Sie ist aber weiter nichts als ein gutes Hülfs-
raittel derselben , denn das blosse Schauen , der Gebrauch des Gesichts -
und Tastsinns schafft noch keine Diagnostik der Krankheiten, dazu gehört,
dass man vergleicht , das Ähnliche verbindet , das Unähnliche trennt , die
Anamnese berücksichtigt, die Autopsie zu Hülfe nimmt, und so durch Nach-
denken zum Resultate kommt. Alle diese geistigen Thätigkeiten gehen
zwar in dem Geiste des geübten, mit praktischen Tacte versehenen Arztest
blitzschnell und oft ohne klares Bewusstseyn vor sich (denn das bewusste
menschliche Denken ist nicht die einzige denkende Thätigkeit des mensch-
lichen Organismus , vielmehr ist der ganze Organismus von einem lebendi-
gen Geiste beseelt , dessen Thätigkeit zwar keine in Worte gefasste Gedan-
ken, wohl aber gedachte und überlegte Handlungen erzeugt), aber deswe-
gen finden sie doch statt, und DiefJ'enhach hat Unrecht, wenn er (a. a. O,
Bd. II. S. 628) sagt : „ Die Diagnose erforscht durch Umwege , die Au-
topsie erkennt geradezu , sie ist stumm , da sie der Frage nicht bedarf "
Die Formen, welche z. B. die verschiedenen Geschwüre, die verschiedenen
Augenentzündungen, die verschiedenen acuten und chronischen Exantheme
darbieten, kann nicht blos der Arzt, sondern auch der Laie, der Kranken-
Avärter leicht durch die oft wiederholte Autopsie, wenn er sonst aufmerksaiil
ist und scharfe Smne hat, unterscheiden und erkennen lernen, ohne dass er
sich Rechenschaft davon ablegen kann. Soll die Arzneikunst aber eine
wahre Kunst seyn , so müssen wir — die Künstler — darnach trachten , je-
den Act unsers Denkens , Wollens und Empfindens zum Bewusstseyn zu
bringen; erst dann genügen wir den Anforderungen der Araneiwissenschaft
an uns. Ich schätze die Autopsie sehr hoch, aber eine potenzirte Diagno-
stik ist sie nicht; eben so wenig glaube ich, was Rust behauptet, dass jede
Krankheit mit der ihr zum Grunde liegenden Ursache ohne Ausnahme ledig-
lich durch Autopsie erkannt werden könne (s. Rusfs Handb. d. Chirurgie,
Bd. 11, S. 630). Ich mag keine Beispiele anführen, da sie jeder Praktiker
AUXESIS — BALBUTIES 251
sich selbst machen kann; oder sollen wir auch das Sehen mit dem inncrn
Sinn Autopsie nennen?
Auxesis» Aucpnenium tnorbt, die Zunahme einer Krankheit ; s. Morbus,
Aypnia, Schlaflosigkeit, s. Agrypnia.
Azotb. So neimt Theophrasius die geheime Medicin, d. i. bei ihm
Mercurius praecipitatus ruber.
Baccliia/» Gesichtspustel, s. Gutta rosacea.
Balanitis, Entzündung der Eichel. Ist am häufigsten Folge
von venerischer Ansteckung, ein bedeutendes Symptom der Phimosis und
Paraphimosis, des virulenten Trippers (s. Syphilis und Gonorrhoea).
Entstand sie durch mechanische Verletzung , durch Druck , Quetschung , so
passen Aqua Goulardi zu Umschlägen, kühlende Diät und, ist Fieber dabei,
innerlich Antiphlogistica , äusserlich Blutegel etc.
Balanobleimorrlioea, Bnlnnorrhoea , E i c h e 1 1 r i p p e r. Ist
Blennorrhoe , zu starke Absonderung von Schleim der kleinen Drüsen unter
der Vorhaut und an der Krone der Eichel, die selten syphilitischen Ursprungs,
mehr Symptom allgemeiner blennorrhoischer Constitution ist. Gelegent-
liche Ursachen sind: Unreinlichkeit der Geschlechtstheile , verabsäumtes
Waschen und Reinigen des Pe;iis , besonders im Sommer und bei langei',
schlaffer Vorhaut, starke Erkältung bei nasskaltem Wetter. Cur. Rein-
lichkeit, öfteres Waschen mit kaltem Wasser, Umschläge von Aqua Goulardi
mit Tinct. opii, von Aqua calcis, das tägliche Waschen des Gliedes in einer
Auflösung von Vitriol, coerul. 5j in 3VJ Wasser. Daneben bei bleiuiorrhoi-
scher Constitution innerlich Sal ammoniacum, kleine Dosen Tart. emetic,
Extr. graminis, taraxaci, Spec. lignorum etc. ; s. Blennorrhoea. . Zuwei-
len entsteht der Eicheltripper nach unreinem Beischlaf; mancher Ehemann
bekommt ihn von seiner an Fluor albus leidenden Frau ; zuweilen liegt auch
gichtische , hämorrhoidalische , herpetische Schärfe , Wurmreiz zum Grunde.
Ist das Übel schon alt , so ist die Heilung oft schwierig , besonders wenn
allgemeine Blennorrhoe, Gicht mid Hämorrhoiden zu dieser Krankheit bei-
tragen. Hier sind die gegen das Allgemeinleiden erforderlichen Interna und
eine strenge Diät : Vermeidung aller Spirituosa , der Gewürze , der fetten
und mehligen Speisen, des geräucherten und gepökelten Fleisches, dagegen
der tägliche reichliche Genuss von frischem Quellvvasser anzurathen. In ei-
nem Falle , der schon riiehrere Jahre alt war und \to die örtliche Anwendung
der Aqua Goulardi nichts fruchtete, leistete das Kreosotwasser, in einem an-
dern das tägliche Bestreuen der Eichel mit Pulv. cort. quercus gute Dienste.
Zeigen sich am Praeputium, was nutunter der Fall ist, rothe Flecke, Ex-
coriationen , so können daraus Geschwüre entstehen, die den Chankern ganz
ähnlich sehen. Hier betupfe man diese Flecke und Excoriationen leicht mit
Lapis infernalis und verbinde mit trockner Charpie. Auch kann man letz-
tere mit einer Solution des Höllensteins, mit Opiumtinctur versetzt, anfeuch-
ten, z. B. Lapid. infernalis 5|i 5 solve Aq. destillat. gvjjj et adde Tinct.
opii simpl. Sjj« (ß^luge). Rnst empfiehlt dagegen die sogenannte A([. phage-
daenica nigra, welche aus Kalomel 5|y, Aq. calcis ^jj — 51V besteht, wel-
cher Mischung man noch 5jj Opium purum zusetzen kann. Auch ein Decoct.
uvae ursi mit Opium, so wie das Plumbum tannicum, d. i. Decoct. cort.
quercus (ex §ij|v) Sj mit Extr. saturni hinreichend versetzt und den Nie-
derschlag, colirt , sind recht wirksame topische Mittel (M.).
BalbutieiS, Batlammus, BamLalio, Blaesitas, Banjglossin, Dyslalia,
Mogilalia, undeutliche Aussprache, schwere Zunge, Stammeln,
252 BALBUTTES
Stottern. Gegen diese Übel, die in den meisten Fällen Folge fehlerhaf-
ter moralischer Erziehung und durch Angewöhnung zur andern Natur, we-
nigstens bei Erwachsenen, geworden, höchst selten Folge eines organischen
Fehlers der Sprachorgane sind , wussten zeither die Ärzte wenig Hülfe , bis
ein Frauenzimmer, die Madame Leigh in New -York, vor sechs Jahren ih-
nen den Rang streitig machte , und eine gründliche Heilmethode des Übels,
die freilich noch hier und da als ein Geheimniss existirt, in Anwendung
brachte. Da ich kürzlich Gelegenheit hatte , diese Methode genau kennen
zu lernen, so bringe ich sie hiermit um so mehr zur öffentlichen Kunde, da
der Mangel einer richtigen Aussprache gewiss ein grosses Unglück für einen
jungen Menschen ist, und ihm bei Erlernung der Sprache, bei Ausbildung
des Geistes und fürs zeitliche Fortkommen viele Hindernisse in den Weg legt.
Viele Schriftsteller haben die Begriffe von Stammeln und Stottern nicht ge-
hörig getrennt, sondern oft verwechselt; beide unterscheiden sich aber genau.
Das Stammeln ist nämlich derjenige Sprachfehler, bei welchem einzelne
oder mehrere Laute gar nicht oder nicht richtig artikulirt werden können ;
das Stottern dagegen ist ein momentanes Unvermögen , ein Wort oder
eine Sylbe auszusprechen (s R. ScJiuHliess, das Stammeln u. Stottern. Über
die Natur, Ursachen und Heilung dieser Fehler der Sprache. Zürich, 1830.
/TecA-cr's Lit, Annalen, 1830. Septbr. S. 79.). Was die Cur dieser Übel nach
der Leigh'schen Methode anbelangt, die, obgleich gegenwärtig überschätzt,
doch die höchste Aufmerksamkeit der Arzte verdient, so sind folgende Punkte
bei der Cur vorzüglich zu berücksichtigen : 1) der Stammelnde muss durch
Zusprechen und Mutheinreden, durch richtige Ansicht von Stand und Rang,
die in Wahrheit nur scheinbar sind , indem wir vor Gott uns Alle gleichen
etc. , dahin gebracht werden , dass er beim Auftreten in Gesellschaften, beim
Anreden irgend einer Person alle Scheu, Blödigkeit und Verlegenheit ablegt.
2) Er darf nie reden, wenn er erhitzt und sein Blut in Wallung gerathen
ist. Er muss alsdann erst ein paar Minuten warten, und ehe er zu reden
beginnt, einige tiefe Athemzüge thun. 3) Er muss, bevor er redet, ruhig
und langsam den ganzen Redesatz durchdenken. 4) Er darf nie beim Ein-
athmen reden, muss dagegen, während er redet, langsam ausathmen. 5) Er
muss sich bemühen. Alles, was er spricht, mit dem Vordermunde, nicht mit
dem Hintcrm'unde zu reden, die Zunge dabei nur mit der Spitze, schwebend
zwischen Gaumen und Unterkinnlade und nahe an den Lippen, bewegen,
den Mund dabei wenig öffnen , und diese Methode anfangs mit leisem Reden,
nachher mit stärkerm beginnen. Ausserdem erfordert jeder individuelle Fall
seine besondere Behandlung, je nachdem der Mensch nur bei einigen oder
bei mehreren Buchstaben stottert. Man geht daher das ganze ABC mit dem
Stammelnden durch, zeigt ihm die bessere Aussprache derjenigen Buchstaben,
dann Sylben und Wörter, die er unrichtig spricht, und lässt ihn dies oft
wiederholen. Die Art und Weise, wie hierbei Zunge und Lippen gehalten
werden müssen , worüber die Leigh'sche Methode ausführliche Anweisung
giebt , ist kürzlich diese : die Gaumenbuchstaben A, H, E, I, G, K müssen
ohne bemerkbare Bewegung des Mundes durch den Lufthauch beim Ausath-
men ausgesprochen werden; desgleichen die Buchstaben U, Ü, O, Ö, bei
welchen aber der Mund etwas gerundet werden mu.ss. Bei den Buchstaben
D, T, L, N, Z, S und C, als Zungenlaute, muss die Zunge bald nach vorn,
bald nach oben, unten etc. fixirt werden, je nachdem es nöthig ist. Bei den
Buchstaben B, P, M müssen beide Lippen nur leicht berührt, und bei F,
V, W die untere Lippe nicht über die untere Reihe der Zähne erhoben
werden. Man nimmt mit dem Stotterer das ganze Alphabet durch und lässt
die fehlerhaft ausgesprochenen Buchstaben am meisten und täglich funfzig-
bis hundertmal üben. A, H, U und K sind die schlimmsten Buchstaben;
wer das K nicht aussprechen kann, im Alter schon vorgerückt ist und beim
Reden die Zunge aus dem Munde steckt, wer schwer begreift und ein
Dummkopf ist, der ist schwer zu heilen. Dies ist im Allgemeinen das ganze
Geheimniss der Leigh'schen Methode, das mir ein gewisser Hr. Bmismann,
«o« der Nähe von Bielefeld gebürtig, hier in Roi^tock , wo er viele Stara-
BALLISMÜS — BALNEUM 253
ihelnde oft schon in drei bis acht Tagen geheilt, mitgetheilt hat, und wo-
für sich der interessirte Kaufmann Charlier in Aachen, der es von Herrn
Malehouche (jetzt in Paris) lernte, 20 Louisd'or bezahlen lässt. Dass daa
Stammeln in einem eigenartigen fehlerhaften Einflüsse des Gehirns auf die
Sprachorgane besteht , leidet keinen Zweifel ; daraus erklärt sich auch der
gute Erfolg der Leigh'schen Methode. (Vergl. Horn's Archiv, Juli 1828 und
Froriep's Notizen 18:<;8. Nr. 452.).
Ballismus, Veitstanz; s. Chorea St. Viti.
Balneum, das Bad. Im ersten und eigentlichen Sinne des Worts
nennen wir Baden das absichtliche Eintauchen des entblössten Körpers oder
eines Theils desselben in Wasser; im weitern Sinne verstehen wir darunter
auch die äussere Anwendung von gasartigen , dampfartigen und andern Mit-
teln. Der grosse Nutzen des Badens in diätetischer Hinsicht fällt mit dem
des Waschens und der Reinlichkeit zusammen. In dieser Hinsicht, die uns
hier weniger als das Baden in therapeutischer Hinsicht interessirt, waren
die Bäder schon im grauen Alterthume bekannt und die Ärzte aller Zeiten
hielten sie für die ersten und grössten Mittel zur Erhaltung der Gesund-
heit und zur Abwehr vieler Krankheiten, und zwar mit vollem Rechte.
Aber auch als Heilmittel waren die Bäder den Alten schon bekannt, wie
wir davon schon in der heiligen Schrift lesen. Die Wirkungen des Badens
auf den menschlichen Körper sind nach Verschiedenheit der Temperatur des
Wassers, nach Verschiedenheit seiner Bestandtheile und nach andern Um-
ständen sehr mannigfaltig, eben so, wie die Eintheilung der Bäder, und ob-
gleich wir im engern Sinne unter Baden nur das Verweilen in tropfbaren
oder gasförmigen Flüssigkeiten (Wasserbäder, Dampfbäder) verstehen, so
nehmen wir im weitern Sinne doch auch Luft-, Laub-, Erd - und anderä
Bäder an; daher wir denn hier folgende Arten und Unterarten genauer be-
* rücksichtigen wollen. Wir betrachten hier vorzüglich die zusammengesetzten
oder medicinisch- pharmaceutischen Bäder, dagegen werden wir der andern
Bäder nur ganz kurz gedenken und uns auf die vorzüglichsten Brunnen-
und Badeschriften beziehen. Wir unterscheiden 1) kalte, 2) laue und
warme, 3) heisse, 4) Dampfbäder, 5) Mineralbäder^ 6) See-
bäder, 7) Luft- und Sonnenbäder, 8) Erdbäder, 9)pharma-
ceutische oder raedicinische Bäder, 10) elektrische Bäder.
Balneum frigidum, das kalte Bad. Nach Verschiedenheit der Anwen-
dung rechnen wir hierher das Spritzbad ( Aspersio ) , das Sturz - oder
Regenbad (^ Impluvhun') , das Tropfbad (^StilliciiUum seu Enibrocaiio') ^
und die Do u che (^Gulta, Doccin). Die Temperatur des kalten Bades darf
nicht über 8" R. seyn. Ein Bad von 9 — 17'^ R. nennen wir ein kühles,
eins von 17 — 24" ein laues; ein warmes Bad ist 24 — 28<» warm, und
alle Bäder über 28'^' R. Temperatur nennen wir heisse Bäder. Die unmittel-
bare Wirkung eines kalten Bades ist diese: 1) der ganze Körper erleidet
beim Eintritt in dasselbe eine Erschütterung, einen Schauder, besonders
wenn das Wasser den Unterleib und die Brust berührt. Dieser Eindruck
wirkt bedeutend aufs ganze Nervensystem, ähnlich der Einwirkung elektri-
scher Einflüsse. 2) Die Haut der vom kalten Badewasser berührten Theile
wird anfangs blauroth, nachher blass. 3) Das Volumen des Körpers nimmt
nach physischen Gesetzen ab; empfindliche Personen fühlen Taubheit und
schmerzhafte Zusammenziehung in der Haut und den Muskeln. 4) Der Puls
wird nach allen Beobachtungen langsamer und schwächer, und die Respira-
tion, welche gleich beim Eintritt in das Bad einen gewissen Stoss bekommt,
bleibt während des Badens immer etwas gehindert und unterdrückt. 5) Alle
diese Erscheinungen finden um so leichter und um so mehr statt, je kälter
die Badeflüssigkeit, je erregbarer das badende Individuum ist, und je länger
das Bad fortgesetzt wird; im niedern Grade bemerken wir sie auch beim
kühlen und lauen Bade. 6) Nach dem Bade, das in der Regel nur wenige
Minuten währen darf, verbreitet sich über den ganzen Körper das wohlthä-
tige Gefühl einer belebenden Wärme, alle Functionen gehen thätiger von
254 BALNEmi
statten, die Muskelfaser bekommt mehr Schnellkraft, der Puls wird schnel-
ler, voller, und die Ausdünstung wird vermehrt. Ein solches kaltes Bad
ist, wenn es nur wenige Minuten dauert, durchaus kein schwächendes, son-
dern durch die kräftige Reaction des Körpers ein belebendes Mittel, das wir
in allen solchen Krankheiten mit Nutzen anwenden können, wo eine schnelle
Erschütterung und ein plötzliches Einwirken auf mehrere Systeme des Or-
ganismus zugleich nöthig ist, um so neue Thätigkeit und vermehrte Energie
zu bewirken. Mit Ausnahme der kalten Seebäder wenden wir das allge-
meine kalte Bad selten, weit häufiger dagegen das topische an, letzteres
besonders als Sturzbad in bösartigen Fiebern, im Typhus, in hohen Gra-
den des Scharlaciis, im adynamischen Stadium des Croups, bei Congestion
zum Kopfe , bei Delirium tremens ; auch die kalten Waschungen , die kalten
Fomentationen gehören gevvissermassen hierher. Bei organischen Fehlern der
Eingeweide, bei chronischen Hautkrankheiten, bei innerlichen Entzündungen,
bei verschiedenen Nervenübeln erfordern die kalten Bäder grosse Vorsicht;
denn hier treten oft Ohnmächten, Krämpfe, Scheintod während des Badens
ein ; doch sind die topischen kalten Bäder hier oft an ihrer Stelle. (Vex'gl.
Curries und Frölich's Schriften über die Wirkungen des kalten Wassers, der
Sturzbäder etc. in Fiebern). Nach den Beobachtungen von Hahn, Sarcone,
ITriglit , Jachson, Reil, Mosmnnn, Lucas, Currie, Kolhani, Hetjewisch u. A.
passen die kalten Waschungen und Sturzbäder zu Anfange aller hitzigen
fieberhaften Krankheiten, besonders der exanthematischen ; bei Hydrophobie,
Wahnsinn, Blödsinn, am Ende der Scropheln, der Rhachitis, bei Hypochon-
drie, Hysterie. Das Spritz- oder Douchebad finden wir in den mei-
sten Bädern Deutschlands. Wir wenden es an gegen Lähmungen der Glie-
der, Gichtknoten, schwarzen Staar, Wahnsinn, gegen chronisches Kopfweh.
Das Tropf bad auf den Kopf nützt gleichfalls bei letzterm Übel; auf die
Herzgrube wenden wir es beim Scheintode an; s. Asphyxie der Neuge-
bornen. Bei leichtem Graden des Scheintodes, bei Ohnmächten passt dage-
gen das Spritzbad ins Gesicht , auf den Kopf.
Balneum tepidum , das laue und av a r m e Bad. Der erste Eindruck,
den ein solches Bad auf die OberHäche des Körpers macht, ist ein ange-
nehmes, behagliches Gefühl, welches sich bald dem ganzen Körper mittheilt.
Dieses Gefühl von Behaglichkeit ist in, individuellen Fällen auch der beste
Theriuometer zur Bestimmung des Wärmegrades. Im Allgemeinen rechnet
man 25" R., doch giebt es viele Menschen, die in einem solchen Bade noch
frieren und sich erst bei 27 — 28" R. behaglich fühlen. Der Umfang des
Körpers nimmt im warmen, sowie im heissen Bade zu, die Transspiration
wird vermehrt, und diese geht bei reizbaren Personen oder bei längerm
Aufenthalte im Bade aus der unmerklichen Ausdünstung in wirklichen Schweiss
über; dabei ist der Puls etwas beschleunigt. Alle warmen Bäder, sie mögen
aus reinem Wasser oder aus Wasser, mit andern Bestandtheilen vermischt,
bestehen, erhöhen wegen der Wärme die Lebensthätigkeit, heben durch
Einwirkung auf das Capillar - und Nervensystem der Haut Krämpfe, stellen
unterdrückte oder gehinderte Ti-ansspiration oder solche Hautausschläge
wieder her, desgleichen unt( rdrückte , gewohnte Blulflüsse aller Art; sie
nützen ferner bei Hypochondrie, Hysterie, bei Fiebern mit Irrereden, bei
allen Neurosen mit Erethismus, bei Scropheln, Rhachitis, bei chronischen
flechten^rtigen und frieselartigen Ausschlägen (^Armslront^^ , bei Ensipelas
neonatorum (Hufcland), bei Gicht und Rheumatismen, bei den Convulsionen
der Schwangern und der Kinder, bei Tetanus, Trismus, Chorea St. Viti,
bei Koliken, Kardialgien, bei Paralysen, bei Asphyxien aller Art etc. Fast
fluv'chgehends sind die pharmaceutischen Bäder zugleich warm, und die Wärme
ist eben sowol und vielleicht noch mehr bei ihrer Wirkung in Anschlag zu
bringen, als die Ingredienzien, welche einem solchen Bade zlugesetzt wer-
den; s. Balneum compositum seu medicinale. Letztere, sowie fast
durchgängig alle warmen Bäder, werden entweder als ganzes Bad ange-
wandt (Balneum integrum'), oder als Halb bad (^Scmicupium) , '^)der als
Fuss- oder Hand bad {Pediluvium et Manihiuium). Auch fast alle Mine-
BALNEUM 255
lalbäder, selbst in einzelnen Fällen die Seebäder, werden warm angewandt.
Die örtlichen warmen Bäder wirken im Allgemeinen beruhigend, reizmildernd,
derivirend, Congestion ableitend. Wir wenden sie bei verschiedenen äusser-
lichen Übeln: beim Panaritium, bei Abscessen, Geschwüren, verschiedenen
Ophthalmien etc. als warme Umschläge, als Fomentationen ; oder bei Anky-
losen der Gelenke, bei Verhärtungen, Lähmungen, beim Scheintode etc.
als Tropfbad auf die leidenden Theile , auf die Herzgrube an. Die lauen
Fuss- und Halb bä der passen vor und während des Ausbruchs fast aller
acuten Exantheme, um das Fieber zu massigen und um bei den Menschen-
pocken den zu starken Ausbruch im Gesichte zu verhüten. Auch bei Men-
struatio difficilis, retenta , suppressa, bei den Hämorrhoidalbeschwerden , bei
fieberhaftem Kopfschmerz und Irrereden , bei Bluthusten , bei Convulsionen
etc. thuii sie oft herrliche Dienste. In vielen Fällen erreichen wir unsern
Zweck noch eher, wenn wir auf die leidende Stelle, von welcher ab wir
deriviren wollen, Avährend der Anwendung dieser Bäder kalte Umschläge
machen, z. B. bei Raserei auf den Kopf, bei Blutspeien auf die Brust.
Auch setzen wir zu diesen warmen Fuss - und Halbbädern oft Senf, Meer-
rettig, Salz, Asche u. a. Ingredienzien; s. Balneum compositum. Die
warmen Arm- und Handb.äder lobt man bei krampfhaften Zufällen, in
Fiebern, bei Asthma, bei Dyspnoe und Orthopnoe, bei trockner Fieberhitze,
bei Haemorrhagia uteri; bei Kopfschmerzen und Augenentzündungen, mit
Senf geschärft. Auch die Klystiere gehören gewissermassen zu den ört-
lichen warmen Bädern (s. Clysma); besonders kann man die in Frank-
reich und Italien sehr gebräuchlichen Douches ascendantes hierher rechnen,
wo mittels eines an der Douche befindlichen Röhrchens eine grosse Quanti-
tät lauen (zuweilen auch kalten) Mineral- oder gewöhnlichen Wassers in
den Mastdarm gespritzt wird, wähi'end das schon eingespritzte schnell wie-
der abläuft (s. Encyclop. methodique. T. XXXIX. p. 570.).
Balneum caUdum, das heisse Bad. Bei der Anwendung der heissen,
d. h, solcher Bäder, die über 28'* R. Wärme haben, bemerken wir an dem
Körper folgende Erscheinungen: Die Oberfläche des Körpers %vird roth;
diese Röthe erstreckt sich selbst über die vom Wasser nicht unmittelbar
berührten Theile. Puls und Respiration werden schnell, es entsteht Schweiss,
der meist sehr stark ist ; dabei oft Angst, Beklemmung, starkes Klopfen der
Karotiden, Schwindel; manche Personen bekommen selbst apoplektische Zu-
fälle, besonders Verwachsene und Bucklige mit Habitus apoplecticus (s. Apo-
plexia). Selten wenden wir die heissen Bäder als allgemeine an, sondern
meistens nur als topische Bäder, wo sich dann ihre Wirkungen auf Roth-
werden der Haut, Anschwellen des Theils und auf vermehrte Ausdünstung
desselben beschränken (s. auch Causticum). In atonischer Gicht, in Läh-
mungen nach Schlagflüssen und bei Steifheit der Glieder haben sich die
heissen Bäder^ so heiss genopimen wie man sie ertragen kann, öfters nütz-
l.i<;j^ bewiesen.
., Bftkieum russhwn, va/})Qrnmim, das Dampfbad, das russische Bad-
Die D^impfbäder unterscheideivsich von den tropfbar flüssigen Wasserbädern
nur dadurch, dass das Wasser hier in Dunstgestalt, also mehr vertheilt an-
gewandt wird ; daher sie dem) unter übrigens gleichen Umständen in ihren
wesentlichen Eigenschaften atiit jenen übereinkommen. Sie haben aber den
grossen Vorzug, dass man sie in einem höhern Wärmegrade (von 30 bis zu
40, selbst 50'' R.) und anh9.1tender anwenden kann, weil ihre Hitze durch
die beständige Verdunstung des aus den Dämpfen auf der Oberfläche des
Körpers niedergeschlagenen Wassers gemildert und unschädlich gemacht wird.
Von dem leichtern Eindringen des Wasserdampfs in den Körper, wie Mar-
lard (Über die Natur u. d£u Gebrauch der Bäder S. 190.) will, kann man
ihre grössere Wirksamkeit wol nicht ableiten ; denn der Dampf kann nur
durch die lymphatischen Gefässe eindringen; diese nehmen aber aus dem
Dampfe nur das unwirksame Wasser, nicht die Wärme auf. Wahrschein-
lich ist hier der elektro - chemische imd magnetische Process, der durch den
Wechsel von Erhitzung, Verdunstung und Abkühlung auf der Oberfläche
256
BALNEUM
des Körpers angeregt ^^^rd, von grösserm Einflüsse, wobei auch das Eirv-
dringen des Wasserdampfes in die Lungen mittels der Respiration in An-
schlag zu bringen ist. Wir theilen die Dampfbäder in allgemeine und
örtliche. Das allgemeine oder russische Dampfbad, welches in besonders
dazu eingerichteten Badestuben genommen und durch Entwickelung des Dam-
pfes, indem man Wasser auf sehr heisse Ziegelsteine giesst, bereitet wird,
ist seit einigen Jahren in Deutschland recht Mode geworden , so dass fast
jede Stadt ein solches besitzt, selbst Rostock und Güstrow nicht ausgenom-
men (\ ergl. Snnchez: Die russischein Dampfbäder; aus d. Franz. v. C. Joch-
mus 1819. — FUttner^s Anweisung über den Nutzen warmer u. kalter Was-
serbäder, Dampfbäder etc. Berlin, 1822. — Pochhnmvio^ , Die russischen
Dampfbäder als Heilmittel, nebst einer Anweisung zu ihrem Gebrauch von
Schmidt. Berlin, 1824. — Hirsch, Vortheile der Dampf- und Schwitzbäder.
Berlin, 1816.); dagegen früher diese Bäder nur in Russland, Schweden,
Norwegen und in andern Theilen von Nordeuropa bekannt waren Man
lobt das Dampfbad besonders bei rheumatischen und gichtischen Beschwer-
den, bei acuten und chronischen Katarrhen, bei Contracturen, Coxalgie,
bei Syphilis , besonders bei der Lues inveterata , bei Mercurialkachexie. Die
örtlichen Dampfbäder, die entweder nur aus reinen Wasserdärapfen oder
aus kochendem Wasser, worein verschiedene Arzneistoffe: Spec. emollientes,
aromaticae, antispasmodicae etc. gethan worden, bestehen, wenden wir, in-
dem der Dampf durch verschiedene Vorrichtungen an den leidenden Theil
geleitet wird , bei sogenannten kalten Geschwülsten , Gelenkgeschwülsten,
verhärteten Drüsen, Milchknoten, bei verschiedenen Geschwüren im Halse,
im Munde , in der Nase , in den Ohren , in der Vlutterscheide , bei Otitis,
Ophthalmia catarrhalis, morbillosa, bei Amenorrhoen, Menostasie , unter-
drückten Lochien, bei Krarapfwehen und Rigidität der Genitalien in der
Niederkunft, bei schmerzhaften Hämorrhoiden, Asthma siccum, bei Dyspha-
gien , Ischurie , Strangurie etc. mit Nutzen an. Die Symond'sche , Mudge'-
sche, Dzondi'sche und andere Dampfmaschinen, in Ermangelung derselben
ein über das mit heissem Wasser angefüllte Gefäss angebrachter blecherner
Trichter, wodurch der Dampf an den leidenden Theil geleitet wird, sind
beim Gebrauch der örtlichen Dampfbäder als zweckmässig zu empfehlen.
Bei den Schwefelquellen zu Elisen und Nenndorf sind auch Gasbäder ein-
gerichtet, welche Schwindsüchtigen oft sehr heilsam sind. Es finden sich
dort Zimmer , worein das Schsvefelw asser durch kleine Fontainen geleitet
wird , die sich in einem kleinen Bassin befinden und durch ein angebrachtes
durchlöchertes Blech in vielen kleinen Strahlen springen. Dadurch wird die
Luft des Zimmers , worin die Kranken täglich mehi'ere Stunden verweilen
müssen, ganz mit Schwefelgas imprägnirt, das so durch die Respiration in
den Organismus dringt (s. Gebhard, Über d. Gas - u. Schlammbäder in Elisen),
Balneum miner nie, das mineralische Bad. Die zahlreichen, fast
über den ganzen Erdboden verbreiteten Mineralwässer (Aquae medicatae,
soteriae) werden nicht blos zum Trinken, sondern vielfältig auch zum Ba-
den gegen die meisten chronischen Krankheiten mit Nutzen gebraucht. Wir
betrachten hier vorzüglich die Mineralwässer Deutschlands und führen hier
zum Nachschlagen aus der grossen Menge von Brunnenschriften nur folgende
an: C. G. Kühn, System. Beschreib, d. Gesundbrunnen und Bäder Deutsch-
lands 1789. — H. M. Mnrcard, Über die Natur u. d. Gebrauch der Bädei*.
1793. — J. ZdcJccrt , Beschreib, aller Gesundbrunnen und Bäder Deutseh-
lands. 1782. — A. Hofmann, Taschenbuch f, Ärzte, Physiker u. Brunnen-
freunde etc. 3te Auflage. 1815. — K. A. Zwierlein, Allg. Brunnenschrift f.
Brunnengäste und Ärzte. 1793. — C. W. HnfeJand, Übersicht der vorzug-
lichsten Heihiuellen Deutschlands. Berlin, 1822. — Ammon^s Brunnendiätetik.
Dresden, 1825. — Deutschland besitzt über 300 bekannte Mineralbrunnen,
die wir nach der Temperatur in heisse und kalte Quellen eintheilen Zu
erstem gehören W^iesbaden, Aachen, Karlsbad, Töplitz, Warmbrunn, Ems
und einige andere. Li Hinsicht der vorhenschendcn wirksamen chemischen
Bestandtheile theilen wir alle Bäder in 3 Classen:
BALNEUM 257
1) Salinische oder salzige Bäder. Hiervon giebt es vier Gattuiv-
gen: «) Bitterwasser. Sie enthalten vorzüglich Bittersalz, schwefelsaure
Talk- und Kalkerde, und schwefelsaures Natrum, z. B. das Saidschützer,
Seidlitzer, Pülnaer Wasser, das Steinwasser und der Säuerling in Pyrmont.
&) Muriatische Wasser, worin der Hauptbestandtheil Kochsalz ist.
Hierher gehören alle Soolebrunnen Deutschlands : die Soolebäder zu Halle,
Rudolstadt , Pyrmont , Rodenberg , Schönebeck , Erfurt , Lüneburg , Sülz in
Mecklenburg, die verschiedenen Seebäder; s. Balneum marinum. c) Al-
kalisch-salinische Wasser. Dahin gehören die Quellen zu Ems, Jo-
hannisberg, Wildbad, Heppingen. (i) Salinisch-erdige Wasser, wel-
che viel Säure absorbirende Erden und Gyps aufgelöst enthalten.
2) Eisen- oder Stahl w asser. Hiervon giebt es eine grosse Menge
in Deutschland. Sie enthalten das Eisen zum Theil oder gänzlich durch
Kohlensäure, durch Laugensalze oder Neutralsalze, in einigen wenigen auch
durch Schwefelsäure aufgelöst. Wir theilen sie in fünf Gattungen : n) Al-
kalisch-salinische Stahlquellen. Dahin gehören Karlsbad, Brücke-
nau, Eger, Fachingen, Hofgeismar, Selters, Töplitz, Wildungen etc. b) Al-
kalisch-erdige: als Geilnau, Rheingau, der Schwalbacher Stahl- und
Weinbrunnen, Spaa, Godesberg, Anhalt - Schaumburg, c) Salinische
Stahlquellen; z.B. Augustusbad, Bibra, Blumistein , Driburg, Geismar,
der Meinberger Trinkbrunnen, der Pyrmonter Stahlbrunnen, Schwelm,
Schwalheim, Wiesbaden, Helmstedt, Lauchstädt, Stadthagen etc. d) Er-
dige Stahlquellen, als: Freudenthal, Lamscheid. c) Vitriolisirte
Stahlquellen, welche salzsauren und schwefelsauren Eisenvitriol enthal-
ten , z. B. Alexisbad.
3) Schwefelbrunnen. Sie enthalten vorzugsweise geschwefeltes Was-
serstoifgas (hepatisches Gas, Tromnisdorffs Hydrothionsäure). Wir unter-
scheiden hier n) Salinische Schwefelwasser, z. B. Elisen, Nenndorf, Ba-
den bei Wien, Langensalza, Limmer bei Hannover, Nordheim, Winzlar bei
Rehburg, Enghien in Frankreich. &) Alkalisch-salinische, alsAachen,
Burtscheid, Weilbach.
Über den Gebrauch dieser verschiedenen Mineralwasser, sowol über
den äussern als Innern , lässt sich im Allgemeinen nichts sagen. Wir ver-
weisen daher auf die oben angeführten Schriften und gedenken der einzelnen
Bäder bei der Cur der verschiedenen einzelnen dahin gehörigen Krankheiten.
Vieles bleibt bei der Auswahl der Bäder dem Scharfsinn des Arztes über-
lassen ; denn es giebt hier sehr feine Unterschiede , wodurch sich oft ein
Bad von dem andern , obgleich beide unter eine Classe und Gattung gehö-
ren, unterscheidet. Was die Diät beim Gebrauche der Brunnen und Bäder
betrifft, so thut der Hausarzt am besten, wenn er die Bestimmung dersel-
ben dem Brunnenarzt desjenigen Bades , wohin er seinen Kranken sendet,
überlässt. Seit einigen Jahren sind besonders durch den Dr. Struve die
künstlichen Mineralwässer in Deutschland , sowie im Auslande , sehr in Auf-
nahme gekommen. Man findet Trinkanstalten der Art in Dobberan, Berlin,
Dresden, Leipzig, Hamburg etc. Es lässt sich nicht leugnen, dass die
Aquae medicatae artificiales die natürlichen Mineralwässer häufig völlig er-
setzen (S. G. Vogel).
Balneum marinum, das Seebad. Die Seebäder der Ost- und Nord-
see: zu Dobberan, Traveniünde, Kiel, Danzig, Putbus, Kuxhaven, Norder-
ney , Wangerode , Warnemünde etc. sind seit 20 Jahren sehr in Ruf gekom-
men, besonders durch die vortrefflichen Schriften unsers verehrten Vetera-
nen, des Geh. Med. -Raths Vogel (s. dessen Schriften und Abhandlungen
über den Nutzen und Gebrauch der Seebäder. 1794. — Dess. Nachricht u,
Belehrung f. Badegäste in Dobberan. Rostock, 1798. — Dess. Annalen des
Seebades von Dobberan. Vergl. HufelaniVs Journal Bd. 3. S. 199. Bd. 6.
S. 2, u. f.). Der Hauptbestandtheil des Seewassers ist bekanntlich Koch-
salz. Nach einer genauen chemischen Untersuchung enthält 1 S Ostsee-
wasser : Kochsalz 87 Gran , salzsaure Bittererde 33 Gran , Selenit 4 Gran.
Die Wirkungen eines kalten Seebades sind denen eines jeden kalten Bades
Most Encyklopädie. 2te Aufl. L 17
258 BALNEUM
ähnlich, der Eindruck ist aber kräftiger, wirkt selbst auf psychische Weise
durch den grossartigen Anblick der See, durch den Wellenschlag, in der
Nordsee durch Ebbe und Fluth, die Wärme des Körpers kehrt in der See
schon nach ein paar Minuten zuiiick; häufig erfolgt nach dem Bade Bren-
nen, Jucken luid Röthe der Haut und ein angenehmes Wärmegefühl. Die
Regel ist: nicht bei erhitztem Körper und vpUem Magen in der See zu ba-
den, auch nicht länger als höchstens 4 — 6 Minuten darin zu verweilen.
Man muss gleich untertauchen oder die Wellen über sich gehen lassen, da-
mit Kopf und Füsse zugleich nass werden; auch sich in der See viel be-
wegen. Das Seebad dient nach Vogel bedingungsweise in mancherlei Übeln
von gichtischen und rheumatischen Ursachen, bei Neigung zu Katarrhen,
Durchfällen , Nervenschwäche , Hypochondrie, Hämorrhoiden , bei habitueller
Anlage zu Abortus , Metrorrhagie , besonders aber bei Scropheln, Drüsenge-
schwülsten, Flechten und andern chronischen Hautübeln. Schädlich sind die
Seebäder bei Vollblütigkeit , Habitus apoplecticus, bei organischen Fehlern
der Eingeweide und bei hohem Erethismus , wie z. B. bei manchen schwa-
chen, zarten Hysterischen. Hier müssen die warmen Seebäder oft erst vor-
hergehen und dennoch erfordern die kalten grosse Vorsicht. In Ermange-
lung der Seebäder dienen in allen hierher gehörigen Krankheiten die natür-
lichen oder künstlichen Salzbäder; doch können sie den psychisch wohlthä-
tigen Einfluss und die Seeluft bei dem Seebade nicht ersetzen. Allgemeine
Regeln für kalt Badende sind diese: 1) Man darf erst 4 Stunden nach der
Mahlzeit baden. Am besten ists, des Morgens nach dem Kaffee, um 7 oder
8 Uhr, in die See zu gehen und hinterher zu frühstücken. 2) Man bade
nicht nach starken Bewegungen durch Reiten, Laufen, Gehen, bei erhitz-
tem Körper, durch Spirituosa, Gemüthsbewegungen. 3) Man esse keine
schwerverdauliche Speisen, als Käse, Fett, Mehlspeisen, saure Milch.
4) Man geniesse viel die fi-eie Seeluft am Seeufer, mache öfter kleine
Spazierfahrten auf der See. 5) Man bade stets nackt; auch die Bade-
kappe taugt nichts. 6) Man bade 5 — 10 Minuten , wenn das Wasser über
IS'' R. warm ist, nie länger, als bis Frösteln entsteht. 7) Das Baden des
Abends kurz vor dem Schlafengehen taugt nichts. 8) Ist das Wasser unter
13^ R. warm, so darf man nur 1 — 2 Minuten baden. 9) Wer Anlage zu
Schlagfluss und anhaltenden Schwindel hat , darf nicht kalt , auch nicht
immer warm baden. 10) Nicht jedem Epileptischen dient das kalte Bad ;
manche werden besser, manche aber auch schlimmer darnach. 11) Bei allen
organischen B^ehlern in Lunge, Leber, Milz, Magen etc., auch beim Kröpfe
dient das kalte Bad nicht. — Eine gute Schrift ist: JV. Snss, die See-
badeanstalt bei Travemünde. Lübeck, 1828. — In Warnemünde und Dob-
beran ereignet es sich oft, dass die Badenden in den ersten Tagen ihres
Aufenthalts an Cholera nostras leiden, zumal wenn sie nicht alle Vorsicht
beim Baden gebrauchen. Dass die Nordseebäder vor den Ostseebädern ei-
nen Vorzug haben sollten, wie manche Ärzte behaupten, kann nicht bewie-
sen werden. Unter den Seebädern Norddeutschlands steht Dobberan be-
stimmt oben an , und die Einrichtungen sind dort so vollkommen , die Bade-
stellen so vortrefflich gewählt, dass nichts zu wünschen übrig bleibt. Eine
ganz neue Schrift über die Seebäder ist folgende : J. D. W. Sachse , Über
die Wirkungen und den Gebrauch der Bäder , besonders der Seebäder zu
Dobberan. Berlin, 1825. Sie enthält ausführliche und interessante histori-
sche und literarische Nachrichten und gute praktische Winke für Ärzte und
Laien über diesen Gegenstand, wie dies nicht anders von dem gelehrten
Verfasser zu erwarten war; indessen ist die Schreibart oft etwas weitläuftig,
zumal zu Anfange des Buchs.
Balneum aereutn et solare, das Luft- und Sonnenbad. Im weitem
Sinne des Worts gebrauchen alle Menschen dieses zur Erhaltung der Ge-
sundheit so nothwendige Bad , indem wir alle in der Luft leben , wie die
Fische im Wasser. Im engern Sinne verstehen wir unter Luftbad ein sol-
ches, wo der Mensch sich nackt in einem Pavillon oder Schilderhäuschen
aufliält, welches an allen Seiten geöffnet werden kann, so dass die Luft,
BALNEUM 259
mittmter auch das Sonnenlicht, frei auf den Korper einwirken. Durch das
Luftbad wird auch das Seebad sehr verstärkt; man bleibt nämlich beim
Baden nur 2 — 3 Minuten im Wasser, begiebt sich alsdann wieder in die
Badekutsche, und wiederholt dies einige Male bei jedesmaligem Baden. (In
Warnemünde, wo man frei am Ufer ohne Badekutsche badet und ein Plätz-
chen wählen kann, wo man, ohne gesehen zu werden, zu baden vermag,
läuft man abwechselnd am Ufer umher, wälzt sich im Sande, stürzt sich
dann wieder in die See, und wiederholt dies mehrere Male. M.). Das Son-
nenbad (^Insolatio} ist ein herrliches Mittel zur Erquickung schwacher und
alter Personen. Es besteht darin, dass sich der Mensch an einem von der
Sonne beschienenen und vor Winden geschützten Plätzchen aufhält und sich
und seine Kleidung von der Sonne bescheinen lässt. Die Insolation kannten
schon die altern Ärzte; sie ist ein grosses, herrliches Mittel bei allen Re-
convalescenteh , beim Asthma der Greise, bei verschiedenen Neuralgien, be-
sonders Dolor faciei, bei Chlorosis, bei allen aus deprimirenden Leiden-
schaften entstandenen Übeln (M.). Das Luft - und Sonnenbad hat in sei-
ner Wirkung mit dem elektrischen Bade viel Ähnlichkeit.
Balneum electricum. Das elektrische Bad besteht darin, dass man
einen Menschen aufs Isolatorium stellt, oder einen Stuhl, ein Bette, bestimmt
zu seinem Ausruhen, durch Glasfüsse isolirt, und ihn dann mit dem Con-
ductor einer thätigen Elektrisirmaschine durch einen Draht oder eine sil-
berne Tresse in Verbindung setzt. Schnellerer Puls , erhöhte angenehme
Wärme und Aufregung der Lebenskraft sind die Wirkungen dieses Bades.
Ein anderer Mensch kann aus dem Körper eines im elektrischen Bade sich
Befindenden leicht kleine Funken ziehen. Bei verschiedenen Neurosen : Epi-
lepsie, Katalepsis, Chorea, Paralysis, ist dieses Bad, einige Wochen lang täg-
lich Vj — 1 Stunde wiederholt, mit Nutzen angewandt worden (Kit/in, Most)^
Balneum oculare. Das Augenbad ist jedes Bespülen des Auges mit
irgend einer Flüssigkeit. Früher bediente man sich dazu kleiner Augen -
wännchen oder Becher, welche mit einem Fusse zum Stehen versehen
sind , und in welchen man die Flüssigkeit ans Auge brachte. Sie sind jetzt
aber, weil sie dem Auge mechanisch nachtheilig sind und eine zu schnelle
Erwärmung der darin enthaltenen Flüssigkeit hervorbringen, ausser Ge-
brauch gekommen. Wir wenden das Augenbad bei Entzündiingen , Quet-
schungen etc. an, um die Temperatur des Auges zu mindern, indem man
4 bis 6mal zusammengelegte Leinwandcompressen von 2 Zoll im Quadrate
mit kaltem oder Eiswasser anfeuchten, auf das Auge legen und, sowie die
Kälte entflohen ist, wieder erneuern lässt. Legt man die leinenen Com-
pressen auf Eis, so nehmen sie noch einen höhern Kältegrad an. Auch zur
Entfernung von Staub , Sand und andern feinen Körpern aus dem Auge be-
dient man sich des Augenbades, indem man das Auge über ein Gefäss mit
Wasser bringt und es tteissig ausspült. Will man das Auge von Schleim und
Schleimkrusten reinigen, so dient dazu am besten ein feiner, mit lauer Milch,
lauem Wasser angefeuchteter Waschschwamm. — Die Augendouche ist
eine Vorrichtung, durch welche ein feiner Wasserstrahl gegen das Auge ge-
spritzt wird, wozu die Maschinen von Beer und Himhj recht zweckmässig
sind.- Die des Letztern besteht aus einer grossen , einer Klystierspritze ähn-
lichen Spritze , deren Canäle an der Spitze mit einem Siebe versehen sind,
durch welches das Wasser in mehreren kleinen Strahlen durch Druck her-
vor und gegen das Auge gespritzt wird. Jmglcen bedient sich eines einfa-
chen, weit wohlfeilem Doucheapparats als der Beer'sche und Himly'sche ist,
damit ihn sich auch Ärmere verschaffen können Derselbe besteht aus einer
2^/2 bis 3 Fuss langen Glasröhre, von der Stärke einer gewöhnlichen Baro-
meterröhre , deren oberes Ende hakenförmig gekrümmt , 6 Zoll lang und
offen, deren unteres dagegen über 2 Zoll lang, ebenfalls hakenförmig ge-
krümmt und spitz ausgezogen seyn muss, so dass es eine enge Öffnung,
ungefähr von der Stärke einer Stecknadel, erhält. Das obere lange und
weite Ende dieser Röhre wird in ein mit Wasser gefülltes und etwas hoch
gestelltes Glas gesenkt und darauf die Luft aus dem untern spitzen Ende
17*
260 ' BALNEUM
au lange ausgesogen, bis das Wasser aus diesem hervorspritzt, worauf der
Kranke das geschlossene Auge über den feinen Wasserstrahl, bald entfern-
ter, bald näher der Öffnung der Röhre, je nachdem die Douche schwach
oder stark gegen das Auge spritzen soll , hält. Während des Gebrauchs
muss ein Gehülfe Glas und Röhre halten. Letztere kostet höchstens 12 Sgr.
Der Nutzen der Augendouche bei Augenentzündungen, besonders als Nach-
cur nach Beseitigung derselben , um die zurückbleibende Empfindlichkeit
und Reizbarkeit des Auges zu heben , bei congestiven Zuständen der Augen,
bei nervösen Aflfectionen, ist als belebendes und stärkendes Mittel sehr gross.
Man wendet sie 2 — Smal täglich, % — % Stunde an, trocknet das Auge
darauf sorgfältig ab und ruhet Y2 Stunde lang, ehe man wieder an seine
Geschäfte geht, so dass das Auge nicht angestrengt wird. Ist die Reizbar-
keit der Augen sehr gross , so kann man statt des Brunnenwassers kohlen-
saures Wasser, Seiter- oder Pyrmonterwasser nehmen, auch darf dann an-
fangs die Temperatur desselben nicht zu kalt seyn.
Balneum süllntitium , Irrig atio , Emhreymn, Instillatio, das Tropfbad.
Ist ein grosses Reizmittel, ein belebendes, stärkendes Mittel, das vortreff-
lich gegen Commotionen , Paralysen , nach Luxationen , bedeutenden Quet-
schungen wirkt, wenn keine Entzündungen und sarcomatöse Entartungen
zugegen sind und der leidende Theil wenig Empfindlichkeit besitzt. Ist aber
viel Schmerz da, so sind die Tropfbäder contraindicirt. Man nimmt ein
blechernes oder hölzernes, unten mit einem Hahn versehenes Gefäss , welches
mit der flüssigen Substanz: kaltes Wasser, Wein, Weinessig und Wasser,
Solutio aluminis etc. gefüllt und in einer Höhe von 10 — SO Fuss angebracht
ist , wo man den Hahn so stellt , dass nur einzelne Tropfen auf den darun-
ter gehaltenen leidenden Theil fallen, den man vorher mit Linim. volatk
camphorat. , mit Unguent. nervinum einreiben oder mit Spirit. vini campho-
ratus waschen lässt. Das Tropf bad kann täglich 2 — Smal, jedesmal )'^ — Y,
Stunde lang, angewandt werden. In einzelnen Fällen passt auch warmes
Wasser zum Tropfbade , selbst heissgemachter Sand (^Poutemi).
Balneum sanguineum, das Blutbad. Ist ein aus wai'mem Thier- oder
Menschenblute bestehendes Bad, dem man in frühern Zeiten grosse Heil-
kräfte zuschrieb. Nicht allein im Alterthum, auch im Mittelalter setzte man
in dem Blute unschuldiger Kinder oder Jungfrauen entschiedene Heilkräfte
gegen den morgenländischen Aussatz voraus, wodurch zu zahlreichen Greuel-
thaten Veranlassung gegeben wurde. Doch fand dieser Wahn im Mittel-
alter, wo sich der Aussatz so sehr verbreitete, vorläufig darin seine Be-
schränkung, dass nur das Blut solcher Kinder und Jungfrauen als wirksam
angenommen wurde , die sich aus eigenem freiwilligen Antriebe für einen
geliebten Kranken opferten. Das Baden im Menschenblute gehört also nur
der Geschichte an , dagegen das Baden im warmen Thierblute , das Bähen
gelähmter Glieder darin, unter dem Landvolke in Deutschland noch eben so
im Gebrauch ist, als das Bähen solcher Glieder in den Eingeweiden frisch
geschlachteter Thiere (^Balneum animnle^. Beide habe ich nicht ohne gute
Wii-kungen gesehen.
Balneum sudatorium, B. laconicum, das Schwitzbad, auch Balneum
russicum genannt. Vor einigen Jahren wandte man in Deutschland die rus-
sischen Schwitzbäder bei den verschiedenartigsten Übeln an, auch wo sie
nicht passten. Dieses hat dem Rufe dieser Bäder so sehr geschadet, dass
sie hie und da schon in Vergessenheit gerathen. Ck)ntraindicirt ist das rus-
sische Bad in vielen Krankheiten , namentlich bei allen rein entzündlichen
Zuständen, bei Kopfcongestionen, Blutwallungen, Blutflüssen, besonders bei
Haemoptysis, bei Habitus apoplecticus, bei Aneurysma internum, bei ho-
hem Grade von Schwäche, bei allen echten Dyskrasien und Kachexien, bei
krankhaft erhöhter Venosität (Atrabilis) und allen daher entstehenden Übeln:
Dyspepsie, Obstructio alvi, hepatis, lienis, Infarcten, bei atrabilarischen
Neuralgien, Lähmungen, Geschwüren, Augenleiden, bei Melaena, Häraor-
rhoidaldiathese, überhaupt bei Abnormitäten in der Blutbereitung, wo die
kritibclien Naturbestrebungen zur Ausgleichung niemals durch die Haut,
BALNEUM 261
sondern durch vermehrte Secretion der Galle und des Darmschleims , durch
Durchfall, Erbrechen erfolgen; das russische Dampfbad aber gerade ihnen
entgegenwirken würde, da es so sehr die Hautthätigkeit in Anspruch nimmt
(Sumdeliri). S. auch Balneum russicum.
Balneum terrestre, Geochosia, das Erdbad. Man hat dasselbe zu ver-
schiedenen Zeiten gegen Wassersucht , Wassergeschwülste , herumziehende
rheumatische Schmerzen , gegen Schwindsucht etc. empfohlen , und die Er-
fahrungen mehrerer praktischen Ärzte sprechen dafür. Auch in verschiede-
nen Neurosen: in Epilepsie, Chorea, Hysterie hat man vom Erdbade, alle
2 — 3 Tage wiederholt, Nutzen gesehen; desgleichen in Asphyxie durch
Blitz (s. diesen Artikel). Man wählt ein trocknes , von der Sonne beschie-
nenes, etwas sandiges, aber nicht steiniges Erdreich, macht darin eine
Grube, 5 Fuss tief und 2 Fuss im Durchmesser, worein man den nack-
ten Kranken bis an den Hals steckt, so dass die Arme bald frei, bald nicht
frei sind. Man schüttet nun wieder soviel Erde ins Loch, dass die Zwi-
schenräume zwischen dem Kranken und den Wänden der Grube ganz aus-
gefüllt werden , und lässt ihn so */. — 1 Stunde und länger im Erdbade
verweilen, ehe man ihn wieder ausgräbt. Gewöhnlich kommt derselbe in
Schweiss. Dieses Bad ist wirksam 1) wegen des mechanischen Drucks auf
den Körper ; 2) das Ungewöhnliche der Sitution wirkt auf psychische Weise
oft gut ; S) die Temperatur des Körpers nimmt zu , da die Ausdünstung in
der nächsten Umgebung bleibt , die dadurch selbst mehr und mehr erwärmt
wird. Soll ein Scheintodter ins Erdbad gebracht werden , so macht man
eine wagerechte Grube (s. Asphyxie durch Blitz). Auch das Sand-
bad gehört hierher. Es wird in der Regel nur bei Scheintodten bedin-
gungsweise, wenn alle andern Mittel fehlgeschlagen, angewandt. Man
macht den Sand heiss, füllt einen Trog theilweise damit an, legt den Schein-
todten hinein und deckt ihn handhoch mit heissem Sande zu. Sowol das
Erd-, als das Sandbad zählt man zu den trocknen Bädern (^Balneum siccuni).
Dahin gehören auch die Laub bä der. Man nimmt häufig dazu Birken-,
noch besser Erlenlaub , frisch gepflückt , steckt dieses in einen Sack und
den Kranken hinterdrein. Gewöhnlich folgt ein starker Schweiss, und daher
rühmt man das Mittel besonders in Gicht und Rheumatismus , sowie auch
das Ameisendunstbad. Zu den feuchten, nassen Erdbädern rechnen wir
noch die Schlammbäder, die mit grossem Nutzen gegen verschiedene
eingewurzelte Übel , gegen Arthritis, Mercurialkrankheit etc. gebraucht wer-
den. Wir finden sie besonders als Schwefelschlammbäder zu Nenndorf, Eli-
sen, Nordheim. Auch sind seit einigen Jahren bei verschiedenen Stahlbädern
Eisenocherschlammbäder eingerichtet, welche weit mehr als das gewöhnliche
Stahlbad wirken. Man legt zu Stadthagen den Eisenocherschlamm (Schlamm
mit Eisenoxydhydrat) selbst mit grossem Nutzen örtlich auf scrophulöse Drü-
sengeschwülste (^Most).
Balneum coinpositum, medicinale, das medicinische Bad. Es unter-
scheidet sich dadurch von andern Bädern , dass ihm irgend ein Arzneimittel
zugesetzt wird , und ist entweder ein allgemeines oder ein Localbad (Halb-
bad, Fussbad, Armbad). Die Dosis der Arzneimittel ist verschieden, je nach-
dem es ein örtliches oder allgemeines , ein Bad für Kinder oder Erwachsene
ist. Bald setzen wir flüssige Zusätze: Säuren, Spiritus, Essig; bald Salze:
Meersalz, Kochsalz , Salmiak, Alaun , Eisenvitriol , Sublimat ; bald verschie-
dene vegetabilische Substanzen , je nach den verschiedenen therapeutischen
Zwecken hinzu (s. Schreger^s Baineotechnik). Die gewöl;inliche Temperatur
derselben ist 25" R. ; doch giebt es Fälle , wo sie auch wärmer oder kühler
applicirt werden müssen. Zuweilen wenden wir sie auch in Dampfform an
(s. Balneum russicum). Wir betrachten hier folgende medicinische Bä-
der: 1) Ein erweichendes Bad besteht aus Kleien, Malz, Heusamen,
Spec. emollientes, in Wasser gekocht und dem Wasserbade zugesetzt. 2) Z>i
einem reizenden Bade nehmen wir 1 S schwarze Seife, 4 ß Salz, auch
wol Kali caustic, Senf, Lauge u. dergl. Das gegen heftige Krämpfe wirk-
same Laugenbad besteht aus 2 Theilen starker Aschenlauge und 1 TheH
262 BALNEUM
Wasser. Zu einem reizenden Senffussbade nehmen wir 6 — 12 Loth Senf
und eine Handvoll Salz. 3) Ein gewöhnliches krampfstillendes Bad
besteht aus Flor, chamomill., Rad. valerian. , Herb, millefolii, rorismarini
ana 3Jtv, welche mit kochendem Wasser infundirt und mit dem Badewasser
veimis<;ht werden. Sehr vNirksam ist , wenn zugleich im Bade Folgendes in
den Körper gerieben wird : 1^' Sapon. alhi 5Jj , Aq. destill, yj , Ol. spicne
5J^, — lnvav(hil(ie''ö]i — rtniJws öls« M. (Himli/). 4) Stärkende Bäder.
Die Arzneistolfe dazu sind theils aromatische, ätherische, adstringirende
Dinge: Spec. aromaticae, rcsolventes, Cort. quercus, Salicis, hippocast. etc.,
theils Eisenpräparate : Globuli martiales. Man geht hier von den flüchti-
gem Bestandtheilen allmälig, so wie die Kräfte des Kranken zunehmen, zu
den fixem über. Folgende Formeln sind zu empfehlen zu Bädern für Er-
wachsene: a) I^r Rad. cnl. aromat., Flor, chamomill. , — snmhuci ana 5Jß-.
M. S. Kräuter zu einem Bade, b) I^- Cort. qitercus, Cort. Salicis ana Sjj.
C. S. Mit 8 Mass Wasser bis zur Hälfte einkochen zu lassen und dem
Wasserbade zuzusetzen, c) R/ Glohtil. turt. martinl. 5Jjj — iv, disp. dos. vj.
S. Zu jedem Bade eine Portion, d) Rr Dccoct. cort. quere. , salic,
hippocast. ana Sjj, Vini ruLri ffjjj. M. S. Zu einem Bade. Auch von
Fleischbrühen und Wein kann man für recht schwache Kranke stärkende Bä-
der bereiten. Für Kinder räth Rush folgende stärkende Bäder an: }^f Spec.
aromat. fej, Herb, rutae, Rad. cal. arom. ana ft)>r. C. M. Divid. in vj. p.
aeq. S. Früh und Abends eine Portion zum Bade. Auch folgende Formel
ist sehr wirksam für Kinder: 1^ Herh. millefolii, — thtjm., — mclissae ana
3J — jfi'- M- ^- ^- disp. dos. vj. S. Ein solches Paket in einem verschlosse-
nen Gefässe mit 4 Mass Wasser zu kochen, und, wohl durchgeseihet, dem
Bade beizumischen 5) Künstliche Schwefelbäder, Sie werden aus Schwe-
fellebersolution bereitet und ihnen auch wol 1 — 2 ffi Essig zugesetzt, ^' Ue~
pnt. salphur. calcar. ^j — gjjy, det. in vitr. disp, dos. vj. S. Zu jedem Bade
eine Portion , in % Quart Wasser bis zur Auflösung gekocht , zu giessen,
und hinterher den Essig zuzuschütten. 6) Will man künstliche Saizbäder
bereiten , so löst man in jedem Bade 6 — 10 S' Koch - oder Seesalz auf.
7) Gegen Drüseaverhärtungen empfiehlt Schmidt folgendes Laugendunstbad:
^' Sal. ammon. , — iartari ana 5tv. M. S. In ein mit einer engen Röhre
zugerichtetes Gefass einzufüllen , heisses Wasser darauf zu giessen , und den
aufsteigenden Dampf auf die behaftete Stelle zu leiten. 8) Gegen Lcber-
kraukheiten, Plethora abdominalis und deren consecutive Krankheiten sind
äusserliche Bäder sehr zu empfehlen {Scott, Bernhard, Mosi} ; z. B. I^- Acidi
nitrici, — muriat. ana gjjv — 3Jj. M, det, in vitr. disp. dos. vj. S. Zu jedem
Bade ein Glas voll zu giessen. Nimmt man reines Flnsswassec zum Bade,
so kann ein solches Bad , da es längere Zeit kräftig bleibt , zwei - bis drei-
mal zum Gebrauche wieder erwärmt werden. Man lässt alle 48 Stunden
nur einmal baden. Bekommen die Kranken rothes Zahnfleisch und einen
Kupfergeschmack darnach , so nimmt man zu jedem Bade nur die Hälfte der
angegebenen Dosis, welche Gabe auch zu Bädern für Kinder hinreicht.
9) Gegen chronische Gicht empfiehlt Kopp Bäder von Salmiak , Sabina,
selbst Sublimat (s. die bei Arthritis chronica angegebenen Formeln).
10) Um die Resorption lymphatischer Ausschwitzungen in Muskelscheiden,
Zellgewebe, Gelenkbändern etc. zu befördern, empfiehlt v. Gräfe folgende
Bäder: 1^ HerO. cirutae ^jj, Farin. sem. Uni jj. C M. f. spec. Dent. tal,
dos. \j, S. Zu jedem Bade eine Portion zu nehmen. 11) Unter den ört-
lichen Bädern sind besonders die Fussbäder aus verschiedenen Arzneistoff'en
bereitet worden. So hat man gegen Syphilis Fussbäder mit Sublimat, ge-
gen Fieber Fussbäder mit Essig etc. empfohlen, oder aus Decoct. quercus,
Salicis etc. beim Brand der Fusszehen. Allerdings können sie die Cur un-
terstützen, doch darf man sich nicht allein auf sie beschränken. 12) Sehr
wirksam gegen chronische Hautausschläge sowie gegen Mercurialkachexie ist
die hepatische Luft in Form eines Dampfbades {Motuitz} ; desgleichen Räu-
cherungen von Schwefeldampf in einer besonders dazu eingerichteten Räu-
chermaschine, wobei dahin zu sehen ist^ dass die Athemwerkzeuge durch
BAMBALIO — BERIBERIA 263
den Schwefeldampf niqj^t zu sehr leiden. Gegen Ankylosen hat man auch
örtliche thierische Bäder, das Baden in den Eingeweiden frisch geschlach-
teter Thiere mit Nutzen angewandt. Ein Mehrere« s unter Lotio, La-
vatio, Fomentatio, Cataplasma, Fricatio.
Bambalio, das Brei maul, ein Mensch, der undeutlich spricht, als
hätte er Brei im Munde; s. Balbuties.
Baryacoia, Auditus difficilis, Schwerhörigkeit, ein niederer
Grad von Taubheit; s, Cophosis.
Bary§^loiSSUS5 einer, der schwer, unvollkommen spricht; s. Bal-
buties.
Baryodyne« Bnryodynia, ein schwerer, tiefer, mit gleicher Heftig-
keit fortdauernder Schmerz; s. Dolor.
Baryphonia, schwere, harte Sprache; s. Balbuties.
Batraclios, der Frosch, die Froschgeschwulst unter der Zunge; s.
Ranula.
Battarismus, Stottern, s. Balbuties.
Becbica, Mittel gegen den Husten. Sie sind nach der Ur-
sache des Hustens verschieden: bei Pneumonien Adei-lässe, bei katarrhali-
schem Husten Diaphoretica , bei Hydropischen Diuretica, bei Mangel an
freier Expectoration Expectorantia, bei chronischem Lungenkatarrh mit vie-
lem Aussvurfe Liehen islandicus mit Polygala amara etc.; s. Expectoran-
tia und Tussis.
Bechortliopnoea. Ist Tussis convulsiva.
Beriberia, die Beriberi. Ist eine Art Lähmung, die vorzüglich
in Indien, auf der Insel Ceylon, den malabarischen Küsten und in der nörd-
lichen Abtheilung der Madraser Statthaltei'schaft herrscht, sich selten über
60 — 70 Meilen vom Meere ins Binnenland erstreckt, und meist alte, schwäch-
liche Leute befällt. Symptome. Grosse Schwäche, Engbrüstigkeit, Druck
unter dem Brustbeine, worauf Steifheit und fast gänzliche Lähmung der un-
tern Gliedraassen , später heftiges Erbrechen , Bauchmuskelkrämpfe und der
Tod unter Kälte des Körpers , grosser Schwäche und kleinem , schwachem,
aussetzendem Pulse folgt. Die vorzüglichsten Ursachen sind gestörte
Hautverrichtung, daher das Übel am häufigsten bei rauher Witterung, wo
die Passatwinde wechseln, auftritt; auch sitzende, ausschweifende Lebens-
weise begünstigt die Krankheit. Die Section zeigt Congestionen nach dem
Gehirn, der Brust und dem Unterleibe. Cur. Das Meiste leisteten reich-
liche Aderlässe, Kalomel (zu 15 — 20 Gran p. d.) und Quecksilberräuche-
rungen (s. W. Uamüton in Transact. of the medico-chirurgical Society of
Edinburgh. Vol. IL 1826.). Der Wundarzt P. W. Wrigld in Madras hielt
sich 5 Jahre an der malabarischen Küste auf und hatte reichliche Gelegen-
heit, die Beriberikrankheit zu beobachten. Er theilt uns seine Erfahrun-
gen in The Edinb. med. and surgic. Journal 1833, Apr. (Vergl. BehremVs
Med. chir. Journalist, des Auslandes 1834, Jnni S. 136. u f.) über das Übel
mit. Nach ihm ist die Beriberikrankheit meist ein primäres , sich vorzüg-
lich auf Ceylon und die malabarische Küste beschränkendes, gewissen Eigen-
thümlichkeiten des Klimas und der Localität zuzuschreibendes Leiden, das
weder von andern acuten, noch chronischen Krankheiten herrührt. Es schrei-
tet auf heimtückische Weise heran, ohne eine bestimmte Reihe von Vorbo-
ten zu haben, welche mehr als ein gewöhnliches Unwohlseyn verrathen.
Die Kindheit bis zur Entwickelung der Pubertät ist frei von der Krankheit;
das weibliche Geschlecht wird selten von ihr ergriffen. Wright unterschei-
det drei Formen oder Varietäten. 1) Die heftige oder entzündliche
Beriberi. Sie ist diejenige, welche robuste Menschen zum erstenmal be-
fallt, oder ohne dass eine andere Krankheit vorhergegangen. Sie hat eine
wassersüchtige Anschwellung zur Folge in der Form der acuten Wassersucht.
2) Die asthenische Beriberi, die einen durch vorgerückte Krankheit
erschöpften Menschen befällt oder als Rückfall der Beriberi sieh darstellt.
264 BERIBERIA
und wo die wassersüchtigen Symptome jenen gleichen, die secundär auf
langwierige Fieber und schwächende Einflüsse folgen. 3) Die örtlich ge-
wordene Beriberi, wo die Krankheit nur auf die untern Extremitäten
sich beschränkt, wo Ödem und Paralyse vorhanden ist, aber das Allgemein-
befinden sich nicht ergriffen zeigt. Diese Formen modificiren sich auf man-
nigfaltige Weise und gehen oft in einander über, so dass z. B. Kranke mit
B. localis oft schnell von Hjdrops cutaneus universalis ergriffen werden. In
der acuten oder entzündlichen B. sind Symptome: Zuerst Unthätig-
keit zu körperlichen Anstrengungen und theilweiser Verlust des Gebrauchs
der untern Gliedmassen , so dass der Kranke später gar nicht mehr gehen
kann ; dann zeigt sich Oedema pedum , das in die Höhe steigt und zu all-
gemeiner Wassersucht übergeht; dabei trockne, heisse Haut, sparsamer,
stark gefärbter Harn, Leibesverstopfung, reizbarer Magen, voller, schneller
Puls, Dyspnoe wegen Wassererguss in die Brusthöhle, zuweilen (bei seröser
Ergiessung ins Gehirn) Kopfweh, Unruhe, langsamer, voller Puls, Delirien,
wo der Verlauf der Krankheit schnell ist und recht kräftiges Eingreifen der
Kunst erfordert. In der asthenischen Form ist die Bauchwassersucht
vorherrschend. Symptome sind : allgemeine Erschlaffung, kleiner, schnel-
ler Puls, Obstructio alvi, Appetitmangel, Paralysis artuum , Oedema. In
der örtlichen B. klagt der Kranke über Taubheit, Starrheit, Schwere
der untern Gliedmassen ; er kann nicht gehen , die Füsse sind geschwollen,
die Hauttemperatur, der Appetit und Puls sind normal, der Urin sparsam.
Tritt die Krankheit gleich anfangs heftig auf, so tödtet sie gewöhnlich ;
minder gefährlich ist die allmälig auftretende Beriberi (^Hamilton). — Ur-
sachen. Sind wenig bekannt. Es ist unentschieden, ob Sumpfmiasma oder
schädliche Stoffe im Trinkwasser Schuld sind. Am meisten herrscht sie ge-
gen das Ende der Regenzeit , wenn des Nachts die Temperatur um viele
Grade niedriger, als bei Tage ist. Bei trocknem Wetter, wie zwischen
April und August, kommen nur wenige Fälle vor, die meisten zwischen Au-
gust und December. Der Bezirk, wo diese Krankheit endemisch ist, ist
feucht und voll von Wasserbehältern und Teichen, hat auch keine Bäche,
um das Regen wasser wegzuführen. Als Volksmittel wird ein Teig aus Ing-
wer, Gewüi'znelken , Muskatnuss etc., der Triak-Faruk heisst, dagegen
gebraucht. Das Wesentliche der Beriberi ist nach Wr. Störung des Blut-
systems und Wassersucht, nicht, wie Andere meinen, primäres Leiden des
Gehirns und Rückenmarks , welche erst secundär ergriffen werden in Folge
seröser Ergiessungen. Dies ist besonders bei der acuten Form der Fall,
die sich mit Dyspnoe, Delirien und Zeichen von Phrenitis einstellt, während
die mildere örtliche Form, die nur seröse Ergiessung und Blutanhäufung im
untern Theil des Rückenmarks macht , nur Paralyse der Schenkel bewirkt.
Die Sectionen beweisen j dass der Kranke bald durch Erstickung in Folge
des Drucks der serösen Flüssigkeiten in der Pleura auf die Lungen, bald
durch seröse Apoplexie stirbt. In den meisten Fällen findet man die Venen
im Gehirn nur mit Blut überfüllt ohne alle Extravasation, in andern sah man
zwischen den Meningen und an der Basis des Gehirns , so wie im Rücken-
mark, Wassererguss. — Diagnose. Das constanteste Symptom ist die
Schwerfälligkeit der untern Gliedraassen ; die Kranken klagen, dass die
Beine die Last des Körpers nicht mehr tragen wollten ; charakteristisch ist
auch die Schnelligkeit , womit bei der heftigem Form das Oedem allgemein
wird , ferner die dunkle und syrupartige Beschaffenheit des Bluts , fast wie
bei Cholera asiatica. Auch der bestimmte Bezirk, das Endemische dos Lei-
dens dient zur Diagnose. — Die Prognose ist im Allgemeinen ungünstig.
Die Genesung erfolgt nur langsam und Recidive sind nicht selten. Schlimme
Zeichen sind : allgemeine Wassersucht, grosse Angst, Herzklopfen, Dyspnoe,
Seufzen, Stöhnen, schwacher, unregelmässiger Puls, Coma, Delirien, stete
Übelkeit, hartnäckige Leibesverstopfung, trockne, schwarze Zunge. Zu-
weilen complicirt sich die Krankheit mit nachlassenden B'iebern. Günstiger
ist die Prognose , wenn das Oedem allmälig kommt und nur die Schenkel
ergreift, wenn die Haut feucht und massig warm ist und die übrigen Fun-
BEXIS — BLENNOMESIS 265
ctionen ziemlich regelmässig sind. — Behandlung. Sie wird — sagt
Wright — nach den verschiedenen Ansichten der Ärzte verschieden geleitet.
Diejenigen, welche sie für ein asthenisches Leiden halten, rathen zu Reiz-
mitteln und starken Diureticis , die , welche sie für ein entzündliches Leiden
ansehen , lassen Blut und schwächen. Die Wahrheit liegt auch hier in der
Mitte; denn beide Methoden passen für verschiedene Fälle. Bei robusten
Leuten und zu Anfang des mehr heftig auftretenden Übels lässt Wright zur
Ader, dann giebt er Kalomel 8 — 10 Gran mit 2 — 3 Gran Squilla p. d.,
2 — Smal täglich, welches Mittel er besonders lobt. Gegen bedeutende
Reizbarkeit des Magens dient ein Brausetrank mit Laudanum und Kampher,
was auch bei bedeutender Dyspnoe nützt. Die Gliedmassen müssen mit rei-
zenden Linimenten eingei'ieben und in Flanell gewickelt werden. Hat der
Kranke lange gelitten, ist er erschöpft oder durch Bauchwassersucht und
Recidive geschwächt, so dienen Wein, China, gute Nutrientia, und Unter-
leib und Glieder werden in Flanell gewickelt. Auch in diesem Falle unter-
lasse man nicht , interimistisch Kalomel und Squilla zu geben , und stellt
sich ein periodisches Fieber ein, so setze man Chinin hinzu. Wird der
Mund vom Mercur ergriffen , so ist das durchaus kein übles Ereigniss. In
der örtlichen Form kann man die oben erwähnte Mischung von Gewürzen
gebrauchen. In einigen Fällen hat auch die Nux vomica sich sehr wirk-
sam gezeigt.
Bexis, der Husten, s. Tussis.
Bezoardica, Mittel, Gifte aus dem Körper zu scheiden,
besonders thierische Gifte , Contagien. Sie wurden in älterer Zeit gegen
bösartige Fieber viel gebraucht und bestanden aus Bezoar und andern er-
hitzenden Dingen; s. Alexipharmaca.
Biceplialium , Zwei köpf. Man versteht darunter gewöhnlich eine
grosse Balggeschwulst am Kopfe , die demselben das Ansehn eines Doppel-
kopfs giebt, die oft fleischartig, fettartig ist (s. Tumor cysticus). We-
niger gebräuchlich ist der Name für eine Missgeburt mit zwei Köpfen.
Biomagnetismus, der thierische Magnetismus, s. Magne-
tismus animalis.
Blaesitais, Blaesa lingua, das Lispeln, Wispeln, Anstossen in
der Rede , wobei besonders die Buchstaben R, H und F nicht gehörig aus-
gesprochen werden können; s. Balbuties.
BlaesosiSj Blnesota, einseitige Schwächung, Lähmung und
daher entstehende Verbiegung , z. B. des Fusses , der Hand , der Zunge ;
8, P aralysis.
Blechropyra, ein schwaches, unbedeutendes Fieber, z. B. Hufe-
land's Ephemera; s. Febris.
Bleclurojiiphygiiiia, ein schwacher, weicher, matter Puls, z. B.
bei asthenischen Fiebern.
Blennadenitis, Schleimdrüsenentzündung, s. Adenitis und In-
flammatio glandularum.
Blennelyptria, der weibliche Tripper, weisse Fluss, s. Leu-
corrhoea.
Blennenteria, Darmblennorrhöe , s. Blennorrhoea intesti-
nalis.
Blennisthmia , Blennorrhoe des Rachens. Ist ein gewöhn-
liches Symptom bei katarrhalischer Bräune, bei Parotitis, bei Säufern (s.
Angina catarrhalis, Inflammatio parotidea). Cur. Sie erfor-
dert die Behandlung der Grundkrankheit, daneben Gurgel wasser von Spec.
ad gargarism. mit Oxymel, Branntwein etc. zum Gurgeln und Einspritzen.
Blennomeisis, Bletmemesis , Schleimerbrechen. Jlst Symptom
der Blennorrhoe des Magens bei Status pituitosus, Febris pituitosa, erfolgt
266 BLENNOPHTHALMIA — BLENNORRHOEA
des Morgens mit vielem Würgen bei alten Säufern , wogegen reizende Mit-
tel: Imperatoria, Senega, Ingwer etc. dienlich sind; s. Aroraatica.
Blennoplitbalmia , s. ßlennorrhoea oculi.
Blennoptysis , Schleimhusteu , Brustkatarrh, s. Blennorrhoea
pulnion um.
Blennopyra., Schleimfieber, s. Febris pituitosa.
Blennorrhas^ia , starker, bedeutender Schleim fluss; ei-
mge Neuere verstehen auch darunter den entzündlichen Tripper.
Bleiuiorrhlnia, Nasenschleirafluss, chronischer Schnupfen, s. Blen-
norrhoeanarium.
Bleimorrhoea, Seh lei m f In s s, Schlei mabgang, Blen-
norrhoe. Alle Krankheiten der Schleimhäute und Schleimdrüsen, wobei
eine abnorme übermässige Schleimabsonderung und ein meistentheils chroni-
scher Verlauf stattfindet, bezeichnen wir mit dem Namen Blennorrhö en.
Da nun die Schleimhä>ite zwei grosse Tractus bilden, wovon der eine dem
Systema uropoeticum und genitale, der andere dem System der Respira-
tions - und Digestionsorgane zugehört, so gehören alle mit abnorm vermehr-
ter Scbleimabsonderung verbundenen Krankheiten dieser Theile hierher, z. B.
der Catarrhus nasi, tracheae, pulmonum, die Phthisis pituitosa, der Blasen-
katarrh , der Tripper , Fluor albus , die Blennorrhoe des Magens , der Ge-
därme, die Schleimhämorrhoiden, die Psorophthalmie etc. , wovon unten ein-
zeln gehandelt, dagegen hier vorläufig das Allgemeine der Blennorrhöen be-
trachtet werden soll. Allgemeine Symptome. Das vorzüglichste Zei-
chen ist vermehrte, zu copiöse Schleimabsonderung; daher ist das Übel, wo
diese Secretion zu Tage kommt, leicht zu erkennen ; schwieriger ist die Er-
kenntniss , wenn sich der Schleim mit andern Feuchtigkeiten: Urin, Galle,
Magensaft etc. vermischt ; der Schleim ist nicht blos der Quantität, sondern
auch der Qualität nach abnorm, wenigstens als secundäres Symptom; er ist
wässrig, dünn, oder consistent, dick, gelatinös, zähe, bald hell, weisslich,
bald gelblich, grün, röthlich, blutig, bald geruch- und geschmacklos, bald
stinkend, sehwefelartig riechend^ salzig schmeckend, bald ist er milde, bald
so scharf, dass er die Haut wund macht. Diese Verschiedenheit wird be-
dingt durch die Localität, die Dauer und Form des Übels, durch die Con-
stitution , die Lebensweise etc. Die Verschiedenheit der Function der an
Blennorrhoe leidenden Organe bedingt noch andere sich »mterscheidende
Symptome: drückender Kopfschmerz bei Catarrhus nasi, Husten bei Catar-
rhus pulmonum, Magendrücken, Dyspepsie, Sordes, Pyrosis bei Status pitui-
tosus , Krämpfe , Ischurie , Strangurie bei Catarrhus vesicae urinariae etc.
Ursachen. Prädisposition geben: laxe, schlaffe Constitution mit dünnem,
wenig cohärentem Blute , das Kindes - und Greisenalter , das weibliche Ge-
schlecht, das phlegmatische Temperament. Irritable Subjecte , Männer im
Mittelalter leiden selten an allgemeinen Blennorrhöen, die durchgängig ei-
nem Sinken der Irritabilität, einem Mangel an Energie im leidenden Organe
und selbst einer verminderten Reizbarkeit ihr Dasein verdanken. Einen hef-
tig entzündlichen Charakter haben die Blennorrhöen nie; denn so lange z.B.
die Entzündung in der Nase, in der Harnröhre heftig ist , fliesst keiix Schleim,
sondern die Schleimhaut ist trocken, ihre Secretion wird erst, nachdem die
Heftigkeit der Entzündung vorüber ist, vermehrt. Gelegentliche Ursachen.
Alles, was die Iri-itabilität und Energie, die Spannkraft, den Ton der Theile
schwächt, entweder örtlich oder allgemein, befördert das Übel. Hierher
gehören: sitzende Lebensweise, Mangel an Bewegung in freier Luft, starker
Verlust von Blut, Samen, Lymphe (Abscessus lymphaticus), anhaltend feuch-
te, nasse, neblige Witterung, feuchte Winter, Aufenthalt in niedrigen,
dunklen, feuchten Wohnungen, in überfüllten Städten und Häusern, in Ge-
fängnissen , sumpfigen Gegenden ; deprimirende Leidenschaften : Kummer,
Gram; schlaffe, feuchte, neblige Luft erregt leicht chronische Katarrhe der
Lunge, Phtlxiäis pituitosa; Übermas« im Genuss von Speisen, Mangel an ge-
BLENNORRHOEA 267
sunder Nahrung, Übermass von mehligen, schleimigen, fettigen, öligen Spei-
sen, von Pökelfleisch, groben Fischen bei gleichzeitigem Mangel der Ge-
würze , des Weins , Branntweins und Biers , erregt Magenblennorrhöe ; der
Missbrauch der Kohlentöpfe (Feuerkiken) erregt Huor albus, desgleichen
öfters Metrorrhagia , Menstruatio nimia, sowie überhaupt blasse, schlaffe
Frauenzimmer mit blondem Teint fast jedesmal nach überstandenen Regeln
am weissen Flusse leiden. Verlauf, Ausgänge und Prognose. Alle
Blennorrhöen verlaufen langsam, sie gehen mehr per lysin als per crisin in
Genesung über. Nicht selten ist der Übergang in andere Krankheiten, in-
dem die erkrankten und erschlafften Schleimdrüsen und Schleimhäute all-
mälig verändert, verdickt, verhärtet (z. B. bei Angina scirrhosa tonsillaris)
etc. werden, oder Tabes und Wassersucht mit torpidem Charakter (s. Hy-
drops torpidus) erfolgt. Im Allgemeinen sind die Blennorrhöen nicht
gefährlich, aber durch ihren oft chronischen Charakter, so dass sie selbst
Jahre lang anhalten können, für den Arzt, wie für den Kranken sehr be-
schwerlich; wie z. ß. der inveterirte Fluor albus, der chronische Lungen-
katarrh , der Nachtripper. Ihr Verlauf ist alsdann meist periodisch, remitti-
rend, intermittirend, richtet sich nach Jahreszeit, Witterung, Lebensweise etc.
So erscheinen auch Blennorrhöen endemisch, epidemisch (Frühlingskatarrh,
Influenza) , in andern Fällen nur spox-adisch ; zuweilen sind sie einfach , zu-
weilen mit gelindem F'ieber, mit Angina pituitosa , Pneumonia notha, mit
Icterus, Hämorrhoiden, mit Fehlern der Leber, Milz, der Eierstöcke, des
Uterus etc. complicirt. Behandlung im Allgemeinen. Das Causal-
verhältniss der Schleimflüsse, die Constitution des Kianken, die Structur
und Beschaffenheit des leidenden Theils , die vex'schiedcne Stärke und Dauer
des Übels, die Complicationen desselben sind sowol bei der Prognose, als
bei der Heilung zu berücksichtigen. 1) Sehr wichtig ist die Diät. Stär-
kende, gut nährende, selbst durch Gewürze: Senf, Ingwer,. Pfeffer, Zinnnt,
reizend gemachte Nahrung, besonders Fleischspeisen , von den VegetabilieA
vorzüglich Kresse , Sauerampfer , Meerrettig , Zwiebeln , Löffelkraut ; auch
gutes , reines bitteres Bier , giiter rother VVein , massig genossen ; daneben
viel Bewegung in freier Luft, Körperarbeiten, Reinlichkeit, fröhliche Ge-;
müthsstimmung sind sehr zu empfehlen. Zu vermeiden sind: zu langes Schla-
fen , zu \Varme Bedeckungen des Körpers, vieles Sitzen, ungesunde Zimmer-
luft, alle fade, mehlige, schleimige Speisen, vieles Thee- und Kaffeetrinken.
2) Sind Fieber oder organische Fehler zugegen , so gebe man im ersten
Falle gelinde kühlende Diaphoretica, z. B. Spirit. Minderen mit Aqua fl.
sambuci und Vin. stibiat ; Pot. Riverii mit Salmiak und Fliederwasser ; im
letztern Falle gebe man, wenn Stockungen, Verhärtungen da sind, Resol-
ventia; z. B. Extr. chelidonii, taraxaci, Dulcamara, Antimonialia , Terra
ponderosa, Mercurialia (s. Atrophia infantum), und erst dann die toni-
schen Mittel. Bei den chronischen Blennorrhöen des Darmcanals, der Blase,
des Uterus ist dies besonders zu berücksichtigen, und die genannten Resol-
ventia sind hier gegen das Grundübel, wovon die Blennorrhoe oft nur Sym-
ptom ist, gerichtet. 3) Sind keine solchen Complicationen da, ist das Übel
noch nicht sehr alt, ists blos Folge von klimatischen Einflüssen, von laxer
Constitution , diätetischen Vergehen , sitzender Lebensart ; so entfernen wir
allenfalls den vorhandenen Schleim, z. B. bei Magenblennorrhöe durch ein
Vomitiv und reizendes Laxativ von Infus, sennae mit Tinct. rhei aquos., und
geben darauf anhaltend tonische , stärkende Mittel , um die Energie der zu
schwachen Irritabilität zu heben. Innerlich passen bittere Extracte : Extr.
rutae, gentianae, trifolii, quassiae, absinthii mit aromatischem Wasser, be-
sonders Aqua cinnamomi, dann Decocte von Geura urbanum, China, Sima-
ruba, Ratanhia, ferner innerlich Alaun, Eisenpräparate, Cuprum ammonia-
cale, Flor, zinci, daneben aromatische Bäder, Stahlbäder, Pyrmonter und
Driburger Brunnen. Örtliche Mittel sind Decoct. chinae, quercus , Alaun,
Zink, Kupfer, Blei in wässerigen Auflösungen, Sublimatsolution mit Tinct.
opii etc. 4) Durch antiphlogistische Mittel kann wol bei örtlichen Entzün-
dungen der Schleimhäute eine chronische Blennorrhoe verhütet, nie ab&c
268 BLENNORRHOEA
letztere geheilt werden. Antiphlogistica , sowie öfters genommene Purgir-
mittel und Alles, was schwächt, verschlimmert den Zustand, sobald das
Übel nicht ganz frisch mehr ist. 5) Da bei chronischen Blennorrhöen die
Sensibilität in der Regel deprimirt ist, so ists oft zweckmässig, diese durch
harzig- ätherische, scharfstoffige wnd alkalische Arzneien etwas zu heben,
und solche neben oder in Verbindung mit den tonischen Arzneien zu reichen,
z. B. Balsamus peruv. , Copaivae, Ol. terebinth. , Tereb. venet. , Rad. zin-
giberis, pimpinellae, Piper cubebar., Spec. lignornm, Cort. mezerei, Senega,
Fol. sennae, Aloe, Salmiak, mitunter auch Magnes. sulphurica, Mercuria-
lia, Lac ammoniacale, welche Mittel bei torpiden Constitutionen und bei
alten allgemeinen Blennorrhöen oft herrliche Dienste thun, besonders wenn
Hydrops torpidus hinzukommt, wo auch Arnica, Senega, Squilla, Jalape,
Koloquinten etc. passen. 6) Ist die Blennorrhoe gehoben, so bleibt noch
die Anlage zu Recidiven zurück. Um dieser zu begegnen , ists nothwendig,
dass der Kranke noch lange eine gute Diät hält, Erkältung vermeidet,
Sool- und Seebäder, erst warm, lau, dann kalt gebraucht, im Winter und
Frühjahr Flanellkleidung trägt, jährlich einmal ein Mineralwasser und zwar
Driburger oder Pyrraonter Brunnen trinkt, und sich fleissig im Freien
bewegt.
Blennorrhöen aurium, Ohrenfluss, s, Inflammatio auris.
Blennorrhöen Inlmii, s. Balanoblennorrhoea.
Blennorrhöen faucium, s. Angina.
Blennorrhöen genitnlkim, s. Leucorrhoea und Gonorrhoe a.
Blennorrhöen iniestini recti, Proclorrhoea llennorrhoicn , Schleim fluss
aus dem Mastdarm. Das Übel ist meist chronisch, oft liegt allgemei-
ner Status pituitosus zum Grunde , oft sind es Schleimhämorrhoiden (s.
Haemorrhoides), oft nur local im Mastdarm, verbunden mit Verdickung
der Wandungen , mit Verengerung des Rectums , oft auch im höhern Theile
des Darmcanals. Die Ursachen und Cur sind die der Schleimflüsse im
Allgemeinen. S. Blennorrhoe a.
Blennorrhöen nnrium, na^nlis, Conjzn nasnlis, Catarrhus chronicus na-
rium, Blennorrhoe der Nase, chronischer Schnupfen. Er ist
die Folge der frühern entzündlichen Stadien des Schnupfens (s. Febris
catarrhalis), wenn der Kranke bei blennorrhoischer Anlage sich nicht
gehörig schont. Die Symptome sind bekannt. Zuweilen ist Stockschnu-
pfen (Gravedo), meist aber nur gewöhnlicher Schnupfen (Coryza) zugegen.
Hat ein Katarrh über neun Tage angehalten, so gehört er schon hierher.
Die Schleimabsonderung aus der Nase dauert fort, ist bedeutend stark, der
Schleim oft dick, gallertartig, gelblich - grünlich , der Kranke hat verdor-
benen Geschmack, üblen Geruch , ist verdriesslich, fühlt sich träge und ab-
gespannt , wird muskelschwach ; die blennorrhoische Beschaffenheit der Na-
senschleimhaut pflanzt sich auf die Trachea, den Larynx, selbst bis in die
Bronchien fort, und das Übel kann viele Wochen, ja Monate währen; es
ist in der Regel anhaltend , intermittirt aber auch zuweilen. Am meisten
befällt das Übel alte Personen, schwammige, phlegmatische Constitutionen,
die früher dem acuten Katarrh oft unterworfen waren; erregt wird es durch
Alles, was letztern begünstigt. Cur. 1) Richtige, gclind kühlende und
diaphoretische Mittel beim acuten Katanh verhüten den chronischen. Hier
passen sie aber nicht , es müsste denn seyn , dass durch neue Erkältung,
Missbrauch geistiger Getränke etwas Entzündliches und Febrilisches aufs
Neue hinzugekommen wäre. 2) Lac ammoniacale mit Oxym. squilHt. , bit-
tere Extracte , besonders aber China, Liehen islandic. und Myrrhe, anhal-
tend gebraucht , sind Hauptmittel. 3) Ist aber noch etwas Febrilisches da,
das Übel noch nicht über zehn Tage alt, so gebe man innerlich Salmiak
mit Fliederwasser und kleinen Dosen Tart. emeticus. 3) Da in der Regel
auch Larynx und Trachea mit leiden (Catarrhus laryngeus , trachealis), des-
gleichen die Bronchien (Catarrhus bronchialis), so ist auch Husten, Heiser-
keit (Raucedo, Branchus), vermehrte oder stockende Expectoralion zugegen ;
ai«dann kann bei Vernachlässigung die Krankheit leicht in Phthisis pituitosa
BLENNORRHOEA 269
übergehen. Ist die Expectoratlon schaumig, copios, gläsern, zähe, ist we-
nig Schmerz in der Trachea vorhanden, röchelt der Kranke viel, so passen
reizende Expectorantia : Rad. senegae , Flor, arnicae , Squilla ; Ipecacuanha
in kleinen Dosen, Vinum stibiat. mit Extr. senegae. Stockt die Expecto-
ratlon oder erfolgt sie nur mit grosser Anstrengung, so passen Emulsionen,
wie folgende: I^r Gumm. ammoninci 3jjj » — nsne foet. 5jß , Vitell. ovor. q.
s. Aq. foeniculi 5VJJ. M. f. emuls. , wovon 3 — 4mal täglich 1 — 2 Esslöffel
voll genommen werden. Auch das Elix. pector. Ph. D. , der Linctus pecto-
ralis Werlhofii (aus Spirit. salis dulcis 5jj 5 Syr. papav. rh. "^jj) sind hier
nützlich, selbst Ol. terebinthiae und Kampher passen bei diesem Zustande
mit torpider Schwäche. 4) Zuweilen ist beim Catarrhus chronicus die Re-
ceptivität gesteigert, besonders beim Catarrhus laryngeus, bei Habitus phthi-
eicus und im Jüngern Alter. Die Kranken husten und räuspern häufig , sie
fühlen Kitzel im Halse, das Xlhel macht mitunter leichte acute Anfälle.
Hier hüte man sich ja vor den (Nr. 3) erwähnten reizenden Mitteln; dage-
gen passen innerlich als Expectorantia Hyoscyamus, Opium, Digitalis, Aq.
laurocerasi, schleimige Getränke, eiri Vesicator im Nacken, Thee von Spec.
pector. off. 5) Ist beim Nasenkatarrh aufs Neue Stockschnupfen , Schmerz
in der Nasenwurzel , in der Stirn eingetreten , so passen äusserlich aroma-
tische Dämpfe, Einreiben der Stirngegend mit Ol. nuc. moschat. expr., Bu-
tyr. majoran. , thymi etc. Ist das Übel chronisch, die Nasenschleimhaut in
einem erschlafften Zustande , wobei oft ein chronischer passiver Entzündungs-
zustand zugegen ist, so leistet der anhaltende Gebrauch der Flor, sulphuris,
täglich zu 5j|l, nebst kaiischen Schwefelbädern herrliche Dienste (Kopp).
6) Gegen den Husten bei Catarrhus nasi, laryngeus et trachealis dienen im
ersten Stadium, das der Blennorrhoe vorhergeht, schleimige und zuckerstoff-
haltige Mittel : Hafergrütze , Honig , Decoct. graminis , Spec. pectoral. , fol-
gendes Pulver: f^ Sacchari lactis ^Jllj Rad. Uquirit., Sem. foeniculi ana ^jT-,
Sulph. aurati gr. v. M. fiat pulv. S. Dreimal täglich 1 Theelöffel voll mit
Brustthee. Auch passt hier , sowie besonders bei Heiserkeit und Rauhigkeit
des Halses , voi'zugsweise , wenn zugleich Schwäche und mangelnde Ernäh-
rung stattfindet , folgendes Pulv. pectoral. demulcens : I^ Rad. maranta»
arundin. , Sacchari albi ana 5J. M. f. puLv. S. Alle 2 — 3 Stunden 1 Thee-
löffel voll mit Milch (^Schneider). Alle diese Mittel befeuchten die trockne,
entzündete Schleimhaut und massigen so den Husten. Zu tadeln ist indes-
sen das bei manchen Nichtärzten übliche Verfahren , bei Husten und Schnu-
pfen sehr viel Zucker, Honig zu geniessen , wodurch der Magen geschwächt
wird und somit leichter die Verdauung leidet. Ipt die Reizbarkeit erhöht,
so passen als Expectorantia die oben (Nr. 4) genannten Mittel ; ist sie sehr
vermindert, so sind Arnica, Senega, Squilla, Lac ammoniacale ganz an ih-
rer Stelle. Die China, das isländische Moos und die Myrrhe dienen beson-
ders zur Nachcur. I^ Gummi myrrhae gß i — arahici 3jj ■, Sacchari cand.
fjll. M. f. pulv. S. Dreimal täglich 1 Theelöffel voll auf der Zunge zcr-
iessen zu lassen , und hinterher eine Tasse Decoct. lieh, islandic. zu trin-
ken. Auch kann man die Myrrhe in Eigelbemulsionen, in Pillenform, mit
Gumm. ammoniacum , Rad. zingiberis etc. geben.
Blennorrhoea laryngis , Catarrhus laryngeus chronicus. Der chroni-
sche Luftröhrenkatarrh kann bei Leuten von 20 bis 40 Jahren durch
Vernachlässigung leicht in Phthisis laryngea übergehen. Symptome und
Behandlung. Wie bei Blennorrhoea narium.
Blennorrhoea tracheae. Auch die Trachea leidet in der Regel bei chro-
nischem Katarrh, desgleichen die Bronchien (Catarrhus trachealis et bron-
chialis) , wie die gewöhnlichen Symptome des chronischen Katarrhs : Heiser-
keit , Rauhigkeit im Halse , Druck auf der Brust , beschwerliches Athemho-
len, Husten mit oder ohne bedeutenden Auswurf etc. dieses kund geben.
Cur. Wie bei Catarrhus nasi oben angegeben worden; s. Blennor-
rhoea narium und Asthma humidum.
Blennorrhoea oculi, Blennoplithalmia , Schleim fluss der Augen, die
Augeublennorrhöc. Ist diejenige anomale Störung im Vegetationspro-
270 BLENNORRHOEA
ccsse des menschlichen Auges, wodurch die .Conjunctiva ihre Function als
seröse Membran ganz verliert und in ein Schleim secernirendes Organ , in
eine wahre Schleimmembran verwandelt wird. Sie erscheint daher vollkom-
men metamorphosirt, sowol in Bezug auf Structur als Function. — Das
charakteristische Symptom , das eigentliche Signum pathognomonicum der Au-
genblennorrhöen besteht in dem Erscheinen des Papillarkörpers in der nun
matt , undurchsichtig und röthlich gewordenen Conjunctiva und in der
Schleimabsonderung aus dieser Haut , wobei Lichtscheu , Schmerz und die
andern Zeichen einer Entzündung stattfinden. Die Ursachen der Augen-
blennorrhöeu sind ziemlich dieselben der Ophthalmien, wozu sie ja auch
häufig gezählt werden. Die meiste Prädisposition geben Dyskrasien und
Kachexien, Katarrhe, Gicht, vorzüglich aber Scropheln. Veranlassvmgen
sind: Erkältung, Miasmen, Contagien, heftige Localcongestionen , unter-
drückte Hautausschläge, Metastasen, Metaschematismen, heftige Ophthal-
mien mit specifischem Charakter. Eintheilung. 1) Nach Art ihrer
Entstehung giebt es primäre und secundäre Augenblennorrhoen.
Bei erstem geht, nach Jüngl-en, kein anderes Leiden, keine Entzündung
vorher; mit dem Beginn der ersten Lichtscheu und der Empfindlichkeit des
Auges nimmt schon die krankhafte Metamorphose , die Bildung des Papil-
larkörpers in der Conjunctiva, besonders zuerst in ihrer Falte, und die
Schleimabsonderung ihren Anfang. Hieher gehören die sogenannte Ophthal-
mia gonorrhoica, die Ophth. aegyptiaca und Ophth. neonatorum (s, diese
Art.). Zu den secundären Augenblennorrhoen gehören alle specifischen
Ophthalmien, die bei längerer Dauer sich in Blennorrhöen verwandeln, als
die Ophthalmia catarrhalis , scrophulosa, arthritica, morbillosa etc. (s. diese
Art.) — 2) Nach dem Charakter und dem Grade der Vitalität unter-
scheiden wr synochische, erethistische und torpide Augenblennor-
rhoen. Den synochösen Charakter bezeichnen : voUkommne Übereinstimmung
in den Erscheinungen und schneller Verlauf des Übels; — Röthe, Geschwulst,
Schmerz , Hitze , gestörte Function , vermehrte Secretion , Entwickelung des
Papillarkörpers schreiten gleichmässig vorwärts ; die Vitalität ist bedeutend
gesteigert, das Subject jung, kräftig. Sie lassen sich am leichtesten zer-
theilen, vernichten bei vernachlässigter oder verkehrter Behandlung das
Auge aber auch am schnellsten. Der erethistische Charakter zeichnet sich
aus durch grossen Schmerz und Lichtscheu bei geringer Geschwulst und
blasser Röthe. Das Secret ist mehr flüssig, aber sehr scharf und ätzend;
die Kranken sind meist kachektisch , geschwächt , der Verlauf ist langsamer,
die Neigung zu Exulcerationen grösser. Bei dem torpiden Charakter finden
wir geringen Schmerz im Verhältniss zu den übrigen Erscheinungen , dunkle,
selbst blaue Röthe, starke Geschwulst, üppige Wucherung des Papillarkör-
pers , profuse Secretion , höchst langsamen Verlauf und Hartnäckigkeit bei
der Heilung. — 3) Dem Verlaufe nach statuirt man acute und chro-
nische Blennorrhöen des Auges. — 4) Nach dem Grade ihrer Aus-
dehnung unterscheiden wir Blepharohlennorrhoea , bei welcher nur die
Conjunctiva palpebrarum leidet (vergl. Blennorrhoea palpebrarum),
und Ophthmohlennorrhoea , wo zugleich die Conjunctiva oculi mit ergrif-
fen worden ist. — 5) Nach dem Grade ihrer Entwickelung statuirt
man: a) Hijdorrlioea , b) Phlcgmatorrhoea, c) Pgorrhoea, als ersten, zwei-
ten und dritten Grad , je nachdem das Secret mehr wässerig , schleimig
oder eiterartig ist. — Ausgänge des Übels sind: Zertheilung, Exulce-
ration, Suppuration, Hypertrophie und Ektasie. Bei der Zertheilung schwin-
det der Papillarkörper und die Conjunctiva nimmt wieder die Structur und
Function einer serösen Membran an und erscheint auf ihrer Oberfläche glatt,
glänzend mit Gefässramification. Ist aber bereits das Epithelium der Binde-
haut verletzt, so reconstruirt sie sich nie vollkommen. Exculceration folgt
häufig auf Augenblennorrhoen. Die Geschwüre sind hier das Product des
scharfen, zerstörenden Secrets, bilden sich nicht, wie bei der Ophthalmie,
aus Phlyktänen. Daher sind sie von grösserem Umfange, greifen schnell in
die Tiefe, erscheinen am häufigsten auf der Cornea und hinterlassen dicke,
BLENKORRHOEA 271
entstellende, ßchwielige Narben, Adhäsionen zwischen Hornhaut und Iris,
Prolapsus iridis , Keratocele , Staphyloma corneae. Der Ausgang in Eite-
rung kommt seltener vor, als bei den Ophthalmien. Ist es der Fall, so
sitzt der Absc^ss im ganzen Augapfel und die Eiterbildung geht, nachdem
der Bulbus durch die Blennorrhoe ganz vernichtet ist, in der Höhle dessel-
ben vor sich. Diesen Zustand muss man nicht mit dem Grade der Blen-
norrhoe, wo das Secret eiterähnlich ist (Pyorrhoe), verwechseln. Hyper-
trophie, sowol des Zellgewebes als der Gefässe, ist als Ausgang nicht sel-
ten. Die der Cellulosa erscheint am häufigsten , zumal in der Conjunctiva,
sobald ihr Epithelium zerstört ist und der Papillarkörper unbegrenzt her-
vorwuchert. Die Folgen sind dicke Anschwellung, Hervordrängung und
Umwälzung der Augenlider , Adhäsionen zwischen Conjunctiva oculi et pal-
pebrarum, Ancyloblepharon , Synblepharon. Auch kann der Zellstoff der
Cornea an Hypertrophie leiden , so dass ein Staphyloma corneae pellucidum
folgt. Die Gefässhypertrophien bilden häufig in der Conjunctiva oculi den
Pannus, der, meist hartnäckig in der Heilung, bei Scrophulösen am häu-
figsten die Folge von Ophthalmia scrophulosa neglecta ist. Ektasien folgen
zuweilen auf solche Augenblennorrhöen , welche sich auch über die Conjun-
ctiva bulbi verbreitet hatten , und bilden die sogenannten Staphylomata cor-
poris cHiaris und St. scleroticae. Prognose. Sie erfordert grosse Vor-
sicht; denn die Augenblennorrhöen gehören wegen ihrer Folgen zu den
wichtigsten und gefahrvollsten Krankheiten des menschlichen Auges. Unbe-
dingt gut darf die Prognose selbst bei scheinbar günstigen Verhältnisseu
nicht gestellt werden. Wichtig sind die Dauer und der Grad der Krank-
heit. Inveterirte , chronische Blennorrhöen mit Phlegmatorrhöe , noch mehr
mit Pyorrhoe , geben im Durchschnitt eine schlimme Prognose , weil hier
häufig das Sehvermögen durch Exulceration, Verdunkelung der Hornhaut,
Staphylom etc. verloren geht. Obgleich die acuten Blennorrhöen das Auge
schnell vernichten können, so gelingt doch bei früher, zweckmässiger Be-
handlung die Zertheilung derselben am leichtesten. Dagegen ist bei chro-
nischem Übel die Gefahr für das Auge weit geringer, die Cur aber sehr
schwierig und langweilig. Die primären Augenblennorrhöen, die Jüngken
von den eigentlichen Ophthalmien als secundären Augenblennorrhöen wol zu
strenge unterscheidet, seine Behandlung aber dabei zu Anfange nichts desto
weniger streng antiphlogistisch ist, also keinen Unterschied in praktischer
Hinsicht darbietet (s. Rusfs Handb. d. Chirurgie, Bd. III, S. 49), erfor-
dern ein recht kräftiges eindringendes Verfahren und zertheilen sich dann
leicht. Cur im Allgemeinen. Sie wird, sagt Jüngken, nach ähnlichen
Grundsätzen, wie die der Augenentzündungen, eingeleitet. Zuerst beseitigt
man die ursächlichen Momente, sodann behandelt man die Augenblennorrhöe
nach ihren Erscheinungen , und richtet endlich das Heilverfahren gegen die
Ausgänge, welche die Blennorrhoe zu nehmen geneigt ist. (Über die Be-
seitigung der Ursachen vgl. den Art. Inflammatio oculi). Die Cur gegen
die Erscheinungen ist bei der Behandlung der Augenblennorrhöen von der
grössten Wichtigkeit; sie richtet sich theils nach dem Charakter, theils
nach dem Grade , in welchem das Übel erscheint. Bei synochösem Cha-
rakter streng antiphlogistisch, bei erethistischem antiphlogistisch und besänf-
tigend (durch Narcotica), bei torpidem Charakter umstimmend, Mischung
verändernd, vorzüglich durch Mercurialien. Ist das Übel noch frisch und
im ersten Grade, ists Hydorrhöe, der Zustand wie bei Ophthalmia ca-
tarrhalis, so kann man oft durch Blutentziehungen (bei Erwachsenen, kräf-
tiger Constitution Aderlass, Blutegel) und durch eiskalte Umschläge über
die Augen das Übel ersticken. Tritt es sehr heftig auf, so reibt man dar-
neben noch Unguent. mercuriale in Stirn und Schläfe. Innerlich nützen
Purganzen von Sal Glauberi, Sal anglic. , Infus, sennae compos. mit Manna,
Tamarinden. — Hautreize: Senfteige, Vesicatorien , reizende Fussbäder pas-
sen im ersten Grade des Übels nicht , es sey denn , dass die Ursachen von
der Art wären, dass sie die Anwendung dieser Mittel erforderten (Jmujkeii).
Im zweiten Grade, wo die Erscheinungen heftiger sind, noch stärkere
272 BLENNORRHOEA
antiphlogistische Behandlung, und wenn das Übel heftig ist und schnell ver-
läuft , zieht Jünglcen die Eröffnung der Art. tcmporalis der gewöhnlichen
Venaesection vor, doch wird letztere oft noch deshalb nöthig , weil die Ar-
terie meist nur wenig Blut entleert. Bei Erwachsenen setst Jüiußen ausser-
dem noch 20 — 30 Stück Blutegel um das Auge und wiederholt ihre Anwen-
dung, bis die Erscheinungen nachlassen. In Stirn und Schläfe wird täg-
lich einmal 1 Scrupel bis V2 Drachme Unguent. mercuriale , mit vielem Opium
vermischt, eingerieben. Innerlich giebt er Kalomel zu 1 — 2 Gran alle 1 — 2
Stunden, damit fährt er fort, bis Speichelfluss eintritt, dann vermindert er
die Dosis oder lässt sie ganz aussetzen und giebt kühlende Abführungen.
Des Abends, zur Zeit der Exacerbation, erhält der Kranke einige Gran
Pulv. ipecac. compositus. Bei heftigen Schmerzen werden neben den anti-
phlogistischen Mitteln, den Mercurialien auchNarcotica angewendet, vorzüglich
Aq. laurocerasi, Aq. amygdalar. amarar. concentrata, letztere zu 8 — 15 Tropfen
alle 2 — S, in sehr acuten Fällen selbst alle Stunden, weil dieses Mittel
ohne alle Nebenwirkung am sichersten und schnellsten das gereizte Nerven-
system besänftigt und specifik die profusen Secretionen der Schleimhäute be-
schränkt. Kalte Umschläge passen nicht mehr, schaden selbst, feuchte
Wärme ist besser ; lauwarmes Wasser , schleimige Decocte , ein schwa-
ches Infus, chamomillae, bei heftigen Schmerzen mit Zusatz von Infus,
hyoscyami, belladonnae, warm mit kleinen leinenen Compressen übergeschla-
gen, passen am besten. Alle aromatischen, austrocknenden, adstringirendea
Mittel, als Infus, spec. aromat. , salviae, Aq. Goulardi , Decoct. chinae etc.
sind höchst schädlich. Des Nachts werden die genannten Umschläge ausge-
setzt und das Auge blos mit einer leinenen Compresse verhängt. ■ — Da das
Secret scharf und ätzend ist und dadurch leicht dem Auge gefährlich wird,
60 sorge man recht fleissig dafür , dass es öfters aus dem Auge entfernt
und Alles verhütet werde, was dem Abflüsse aus demselben hinderlich seyn
könnte. Auch die Borken und Krusten der Augenwimpern müssen mittels
eines feinen Augenschwamms , der mit lauem Wasser angefeuchtet worden,
oft entfernt werden, damit die Augenspalte sich nie verklebt. Bei starker
Schleimsecretion muss man alle Viertelstunden das Auge reinigen, indem es
vorsichtig geöffnet und lauwarmes Wasser mittels des Schwamms aufgeträu-
felt wird. Äussere Arzneimittel verträgt das Auge, nach Jünglien, nicht;
sie vermehren die Zufälle. Da durch das angegebene Verfahren das Auge
nicht völlig gereinigt werden kann , indem in den Conjunctivafalten oft viel
Schleim sitzen bleibt , so muss man das fleissige Ausspritzen der Augen mit
lauem Wasser ja nicht vergessen, indem man die konische Spitze der Spritze
(man kann eine gewöhnliche Tripperspritze dazu nehmen) in den äussern
Augenwinkel schräg in der Richtung von unten nach oben und innen unter
den Rand des obern Augenlides setzt, und das Fluidum langsam unter das-
selbe spritzt, so dass mit der Flüssigkeit der Schleim aus dem Innern Au-
genwinkel hervorfliesst , worauf dann die Augen mit feinem Waschschwamra
und lauem Wasser sorgfältig gereinigt werden. Auch muss in schlimmen
Fällen dieses V2 bis Y4 stündig wiederholte Reinigen nicht nur bei Tage,
sondern auch des Nachts geschehen, sonst verdirbt letztere wieder, was
man am Tage gut machte. Die Geschwulst der Conjunctiva ist dem Ab-
fliessen des Schleims oft sehr hinderlich , zumal wenn sie sich wulstig um
den Rand der Cornea erhebt. Um dieses zu verhüten, muss man die Con-
junctiva scleroticae sogleich scarificiren , sobald sie anfängt sich um den
Rand der Hornhaut zu erheben. Man fasst nämlich mit Blömer^s Augenpin-
cette die Bindehaut, und schneidet sie mit der Cooper'schen Scheere rings
um den Rand der Cornea herum weg, und wiederholt diese Operation, so-
bald sich die Conjunctiva aufs Neue erhebt. Durch warmes Wasser wird
die Blutung unterhalten. Auch für den dritten Grad der Augenblen-
norrhöe räth Jümjlcen Aderlässe, Arteriotomie, Blutegel und innerlich grosse
Dosen Kalomel, auch Aqua laurocerasi an, und sagt: „Erst nachdem durch
diese Behandlung die Heftigkeit aller Erscheinungen gemässigt, und die
Empfindlichkeit des Auges in einem hohen Grade herabgestimmt ist, kann
BLENNORRHOE! 273
man zur örtlichen Anwendung anderer Heilmittel auf das Auge selbst über-
gehen. Man hüte sich aber ja, dies zu früh zu thun; denn es straft sich
auf der Stelle durch bedeutende Verschlimmerung aller Erscheinungen. Vor-
züglich kann ich nicht genug vor dem zu frühzeitigen Gebrauche der Opium-
tJnctur warnen, und muss dies um so mehr thun, da dies Mittel, zum
grossen Nachtheil -vieler Augenkranken, von berühmten Augenärzten bei
Augenblennorrhöen sehr empfohlen ist. Es hat die nachtheiligsten Zufälle
und nicht selten die Vernichtung des Auges selbst zur Folge, wird es zu
früh angewendet." Hier ist sich Jümjlcen nicht consequent; denn einmal
ßtatuirt er primäre Augenblennorrhöen ohne vorhergehende Entzündung, und
dann will er diese primären Blennorrhöen dennoch so streng antiphlogistisch
behandelt wissen, was bestimmt übertrieben ist und durch Hervorrufung
sog. Pseudophlogosen in Folge der ungeheuren Schwächungsmittel gerade
die zerstörenden Metamorphosen des Auges begünstigt. Gar zu häufig ver-
gessen es manche Ärzte noch, dass es homologe und heterologe After-
organisationen giebt, je nachdem sie das Resultat eines erhöhten, auf ent-
zündlicher Stimmung beruhenden, oder eines verminderten, aus allgemeiner
Schwäche, Herabstimmung und Verwelken des Theils hervorgehenden Zeu-
gungsprocesses sind. Vergl. den Art. Hydatides. Ich habe viele er-
blindete Augen bei Kindern gesehen , die in Folge einer zu anhaltend ange-
vrandten schwächenden Cur bei Ophthalmia neonatorum, also als heterologe
Afterorganisationen der Cornea angesehen und daher abgeleitet werdea
konnten. Ich habe viele Kinder mit dieser Augenentzündung behandelt,
aber nie blieben Verdunkelungen der Hornhaut zurück , obgleich ich nur
höchst selten Blutegel indicirt fand. Auch sollte man nie vergessen, dass,
wie schon Rcil dies bemerkte, jede Blennorrhoe ein Zustand ist, der mit
gleichzeitig hypersthenischem Charakter nie und nimmermehs nach bes-
sern anatomisch- und physiologisch - pathologischen Kenntnissen stattfinden
kann. Das entzündete Auge, der entzündete Rachen, die Nase und andere
ähnliche seröse und schleimige Häute sondern bei recht heftiger Entzündung
gar nichts ab , sie sind trocken , und sobald Blennorrhoe eintritt , ist die
Heftigkeit der Entzündung gebrochen. Woher soll die Kraft kommen, vermöge
welcher nach einmaligem Naturgesetze das Abnorme sich in integrum restituirt
und dui'ch Anregung der vis naturae medicatiix die Gesundheit erfolgt,
wenn sowol das leidende Organ, als der ganze Organismus durch tagelange
knappe Diät, durch Blutverluste, Purganzen, Kalomel etc. auf eine Vita
minima gesetzt worden ist? Sit modus in rebus! Es ist leider! Thatsache,
dass man in unsei-n Tagen den Begriff der Entzündung zu weit ausgedehnt
hat, und die Doppelnatur der letztern verkennend, nur stets die active
Form statuirt und die Kranken unsinniger Weise so lange schwächt, bis alle
Lebenskraft gewichen ist (s. auch Inflammatio im Allgemeinen).
Übrigens lobt Jimrjhcn bei Augenblennorrhöen im ersten Grade nach geho-
benen heftigen Zufällen leicht adstringirende Augenwässer, schwache Solut.
Lap. divini , Zinci sulphuric. in Aq. opü destillata , zum Eintröpfeln. Im
zweiten und driiten Grade des Übels unter denselben Bedingungen beson-
ders 1 Gran Sublimat in 7 — 9 Unzen Aq. destillata, zu Umschlägen, Ein-
träufelung , Einspritzung. Erst später wagt er es , einen geringen Zusatz
von Tinct. opii zu ftiachen. Später , wenn die Entwickelung des Papillar-
körpers bedeutend zurückgetreten , wendet er die genannten adstringirenden
Augehwässer an. Wird das Übel chronisch , vermindert sich die Reizbarkelt
des Auges, ist der Charakter mehr torpide, so dienen Solut. sublim, mit
Opium, mit Aq. laurocerasi , zum Eintröpfeln; Salben von rothem Präcipitat,
KusCs Augensalbe , innerlich Antimonialien , Mercurialien , darneben Derivan-
tia, Pustelsalbe hinter den Ohren, im Nacken, Haarseil, Fontanellen auf
den Armen. Haben sich Geschwüre auf der Hornhaut gebildet , so spritze
und reinige man das Auge fleissig mit lauem Wasser, damit der ätzende
Schleim weggeschafft werde, und betupfe in dringenden Fällen täglich ein
paar Mal den Geschwürsgrund mittels eines mit Tinct. opii angefeuchteten
feinen Miniaturpinsels; selbst leichtes Betupfen mit einer Sonde, woran sich
Most EncjMopädie. Ite Aufl. I. 18
274 BLENNORKHOEA
Lapis infernal!:) befindet, ist nützlich. (Man schmelzt etvTas Lap. infernaliSj
drehet die Spitze der Sonde darin umher und polirt sie , wenn sie erkältet
ist, etwas ab) Ist das Geschwür rein, so tröpfle man zur Erzielung einer
recht schönen Narbe, eine schwache Solulio lap. divini ein. Bildet sich
Hypertrophie, so scarificirt man die wuchernde Conjunctiva, schneidet mit
der Cooper'schen Scheere Stücke aus ihr heraus , betupft sie mit Tinct.
opii , selbst mit Lap. infernalis , und überlässt die Absonderung des Braud-
•chorfes der Natur.
Blennorrhoen ocuU ncfiyptiaca , s. Inflam matio oculi.
Blennorrlioen oculi gonorrhoica, s. I nflammat io oculi.
Blennorrhoen oculi neonatorum, s. Inflammatio oculi.
Blennorrhoen fntlnionum, I'hthisis puhnonnlis pituitosa, niucosn, cnlarrhn-
7«, Seh leimsc h w in<lsu ch t, schleimige Lungen sucht. Ist eino
starke Blennorrhoe in den Schleinnnembranen der Lungen, eine katarrhalische
AfTection in den feinsten Verzweigungen der Bronchien. Ihr Sitz ist nicht,
wie bei der eiterigen Lungenschwindsucht, in der Lungensubstanz, auch
nicht, wie bei der Phthisis pulmon. tuberculosa, in den Bronchiallymphdrü-
sen, sondern die Lunge ist hier nur als schleimabsonderndes Organ und
mehr dynamiscli als organisch ergriffen. Symptome. Die vorzüglichsten
»ind : chronischer, anhaltender Schleimauswurf aus den Lungen (Begma),
anhaltender Husten , aligemeine Entkräftung und Abmagerung des Körpers,
blasse Gesichtsfarbe (wenn gerade kein Hiisten da ist), laxe, blennorrhoische
Constitution, vorhergegangene langwierige Katarrhe. Gewöhnlich fangt das
Übel mit Febris catarrhalis oder pituitosa an, dabei dumpfes, drückendes
Gefühl in der Brust, Engbrüstigkeit oder Status pituitosus des Darmcanals.
Das Fieber verschwindet, aber ein copiöser , schaumiger, schleimiger, blas-
ser, ungefärbter, später gelblicher, grünlicher, grauer, süsslich , salzig
schmeckender Auswurf bleibt zurück. Er ist so copiös , dass in 2i Stunden
nicht selten 4 — 8 Obertassen voll ausgehustet werden. Der Husten ist an-
haltend, stets feucht, sein Ton rasselnd, der Kranke wird immer bleicher,
magerer, er fühlt sich frostig, reizlos, hat kalte Hände; später stellen sich
Febris lenta, pituitosa, remittens und intermittens , mit schnellem, krampf-
haften, meist aber weichem, leerem Pulse, mit öfterm Frösteln, Schläfrig-
keit, dumpfem Kopfschmerz, Trägheit des Geistes und Körpers, schleimig
belegter Zunge, fadem Geschmack , Ructus, Flatus, Auftreibung des Bauchs,
Schleimabgang oder Verstopfung, mit Catarrhus vesicae, Oedema pedum etc.
ein; es zeigen sich colliq\iative Schweisse \ind Diarrhöen, der Kranke stirbt
an Entkräftung , häufig an Wassersucht und hinzutretender Erstickung.
Diagnose. Das Übel ist besonders von Phthisis jiulmonalis exulcerata zu
unterscheiden. Hier ist der eben beschriebene Krankheitsverlauf: die Ab-
wesenheit des Habitus phthisicus , das Nichtvorhergehen von Pneumonien
und Bluthusten , die blennorrhoische Natur und das schon vorgerückte Alter
des Kranken in diagnostischer Hinsicht wichtiger als die verschiedenen, von
Dartcin, Home und (irnsmeijer angegebenen Eiterproben (s. oben Ab.>.ces-
üus), da auch bei der Schleimschwindsucht im Verlaufe des Übels die Sputa
an Farbe , Consistenz und Form sehr variiren. Auch ist der Verlauf dieso.^
Übels , das oft im Summer bei warmem trocknem Wetter ganz intermittirt,
im Herbst aber wiederkommt, weit langsamer, als der Verlauf der Phthisi»
pulmonales exulcerata. Ursachen. Sind alle die, welche den chronischen
Katarrh erregen: laxe, phlegmatische Constitution, höheres Alter, übermäs-
siger Genuss des Weissbiers, der geistigen Getränke; vorhergegangene Ka-
tarrhe und Pneumonia notha, feuchtes, warmem Klima, z. B. Holland, Su-
rinam, Südcarolinm, feuchte, nach Norden gelegene Wohnungen etc. Cur.
Man entferne die erregenden Ursachen, verbessere die Wohnung, veränder«
den Wohnort, wohne in Zimmern, die nach Süden gelegen sind, halte gute
Diät, vermeide eine zu warme Zimmertemperatur, jeden .schnellen Wechsel
der Witterung. Innerlich passen Extr. rutae, gentianae, Quassia, Columbo,
Uch. island , Polyg. amara , China, Decoct. rad. ratanhiae (iVeuwonn),
Myrrh«, bei grosier Torpiditiit der Lungen selbst Ferrum sulphuricum, «tif-
BLENNORRHOEA 275
gelöst in Wasser, mit Zusatz von Extr. myrrhae; auch Antimonialla-, Se-
nega, Arnica, Squilla, Stip. dulcani. , Sulph. aurat. , Tart. stibiat. in re-
fracta dosi, mit Salmiak und Kampher, z. B, }^t Sal. ammoniac. 5jj, Cam"
pliorae gr. vj, Flor, arnicae 3^, Sulphur. aurat. gr. v, Sncchari albi ^j,
M. f. pulv. S. Viermal täglich 1 Theelöffel voll (bei hoher Reizlosigkeit
des Pulmonalsystems). Oder: R/ Rncl. senegae, — arnicae ana 3ijj<i Aqtiae
fontan. s. q. tit rem. gix, col. adde Camphorae gtimm. arah. trit. gr. x, Fini
siihiali öj? Sijr. senegae 5J. M. S. Umgeschüttelt alle 2 — 3 Stunden 1 Ess-
löffel voll (Af.). In mittlem und leichtern Fällen hat mir folgendes Pulv.
pectoralis meines Vaters gute Dienste gethan: I^ Sncchari lacHs ^jj, Sah
amnwniaci, Spec. diatragacanth. , Rad. senegae, — Uquiritiae ana 5jj? Sulph,
aurati 5(^5 Elaeos. foenicuU Sjjß- M. f. pulv. S. Alle drei Stunden 1 Thee-
löffel voll mit Wasser. Ist die Atonie der Lungen sehr gross, stockt der
Auswurf, ist der Kranke sehr matt, sinkt der Puls, so passt ein Vesicator
auf die Brust und folgendes Pulver (was auch im letzten Stadium der Pe-
ripneumonie mit grosser Atonie der Lungen und mangelnder Expectoration
und bei torpider Schwäche nützlich ist) : ^r Flor, benzoes gr. iv , Campho-
rae gr. jj, Sncchari albi ^j. M. f.' pulv. disp. dos. vj. S Alle zwei Stun-
den 1 Pulver (Hoifmann in Münster). Nur in seltenen Fällen ist die Reiz-
barkeit der Lungen gesteigert; doch können der heftige Hu-sten, die schlaf-
losen Nächte und die Unruhe des Kranken zuweilen dazu beitragen. Hier
pa.ssen auf ein paar Tage Hyoscyamus, Opium; doch darf man solche Mit-
tel nicht anhaltend gebrauchen, weil sie die Reizbarkeit bald zu sehr her-
abstimmen und so den Krankheitszustand verschlimmern. Was die übrige
Cur und die Diät betrifft, so ist davon schon oben bei der Blennorrhoe
im Allgemeinen gehandelt worden (s. Blennorr hoea). Doch ist hier
noch Folgendes zu bemerken: 1) stockt der Auswurf, ist die Lunge mit
Schleim überfüllt, droht Erstickungsgefahr, so säume man nicht, ein Vomi-
tiv aus 5f> Ipecacuanha zu geben; 2) alsdann lege man ein grosses Vesica-
tor auf die Brust und gebe innerlich die obigen Pulver aus Benzoe und
Kampher; 3) hilft dies noch nicht, so verordne man Moschus mit Sal vola-
tile ; 4) entstand durch Diätfehler Diarrhöe, so ist diese oft an der man-
gelnden Expectoration Schuld. Hier passen Decoct. columbo, Diaphoretica,
kleine Dosen Ipecacuanha. Opium gebe man nie ohne Noth , weil dieses
nicht selten die Expectoration hindert; 5) man vergesse nicht, den durch
den copiösen Säfteverlust geschwächten Kranken durch gute animalische
Kost, Salep, Sago, Arrow -Root, durch etwas guten alten Wein, durch
Hordeum praeparatum mit etwas Zimmt, durch Schneckendecoct. etc. zu
stärken und den Säfteverlust wo möglich zu ersetzen. Hier passt als Nu-
triens und Expectorans bei hartnäckigem Husten nicht entzündlicher Art
imd bei colliquativen Schweissen folgendes Pulver: I^r Arrow- Root, Snc-
chari ana Svj , Ol. aether. salviae, — hyssopi ana gtt. iv. M. f. p. S.
Alle zwei Stunden 1 Theelöffel voll mit Milch oder Wasser (^Schneider}. Ist
das Übel gehoben , so lasse man , um Recidive zu verhüten , noch lange Zeit
Lac ammoniac. , Asa foetida , China , Liehen Island. , Myrrhe , aromatische
Räucherungen von Mastix , Bernstein , Weihrauch etc. gebrauchen. Künst-
liche Geschwüre: Fontanelle, Haarseil, Seidelbast, Fianellkleidiing sind
noch sehr wichtig und begründen die Radicalcur.
Rlennorrhoea oris, faucium,i s. Angina catarrhalis und Blennor-
rhoe a nasi.
Rlennorrhoea palpebrarum, Blepharophthalmia , Lippitudo, unrichtiger
Ophlhnlmin jmrulcnia, Psorophlhnlmia , Blennorrhoe der Augenlider.
Auch hier geht , wie bei der Gonorrhöe , ein Stadium inflammatorium vor-
her, ehe sich die Blennorrhoe , wobei der Schleim sich in den Meibora'schen
Drüsen absondert, einstellt. Die Symptome sind daher: Trockenheit,
Röthe , Schmerz der Augen , Brennen , Jucken , Geschwulst derselben , Em-
pfindlichkeit gegen Licht. Nach einigen Tagen sondert sich eine Menge
Schleim ab , der dick , eiterähnlich ist , sich in den innern Augenwinkeln an-
häuft {Lemosilas} , zum Theil verdickt und des Nachts die Augenlider yer-
18*
278 BLENNORRHOEA
•
klebt, so dass sie am Morgen oft erst aufgeweicht werden müssen. Der
Schleim ist meist weiss-lich, gelblich, seltener grünlich von Farbe, zuweilen
milde, zuweilen auch scharf, z. B. bei Ophthalmia gonorrhoica, so dass er
die Wangen wund macht. Alsdann entzündet sich leicht auch der Bulbus
oculi , und es stellen sich die Symptome der Taraxis , selbst der Chemosis
ein. Die oft sehr copiöse Schleimabsonderung erschlafft die Augenlider und
veranlasst nicht selten En- und Ectropium. Die Ophthalmitis neonatorum,
die Ophthalmia scropliulosa, gonorrhoica und syphilitica, die Ophth. yario-
losa und morbillosa gehören alle hierher, indem sie theils leicht durch tjber-
mass antiphlogistischer Behandlung in Augcnbiennori'höe übergehen , theils
ohne solche diesen Ausgang nehmen. Ursachen. Scropheln, chronische
Exantheme, Syphilis, unterdrückter Tripper, blennorrhoische Constitution,
übermässige Anstrengung der Augen durch Nachtwachen, Nähen, Sticken,
schlecht behandelte und vernachlässigte Ophthalmien , Ophthalmia variolosa,
die oft eine echte Blepharophlhalmie ist, feuchte, verdorbene Atmosphäre,
solche Stubenluft (besonders bei der in den ersten Tagen des Lebens auf-
tretenden Ophthalmia neonatorum). Prognose. Ist bei frischem und aus
örtlichen Ursachen entstandenem Übel gut , im Gegentheil oft schlecht ;
denn ist die Blennorrhoe alt, liegt ihr eine innere Ursache /um Grunde, so
folgen leicht Flecken der Hornhaut, Plyktänen, Pannus, Staphyloin. Die
Ophthalmia gonorrhoica und syphilitica, welche durch Suppression der Go-
norrhöe oder durch Ansteckung mitteis des Tripperschleims entsteht, ist ge-
fährlich, indem sie, wenn die rechte Hülfe mangelt, schnell das Auge zer-
stört ; auch die scrophulöse Form ist oft recht hartnäckig. Cur. 1) Man
beseitige die erregenden Ursachen, gebe bei Syphilis innerlich Mercur. dul-
cis, Mercur. Hahnemanni, Sublimat, bei Scrophulosis Antimonialia, Mcrcu-
riaUa, Cicuta etc., stelle bei unterdrücktem Tripper den Schleimfluss der
Harnröhre wieder her etc. (s. Ophthalmia scrophulosa, venerea,
gonorrhoica) 2) Höchst wichtig ist eine antiphlogistische Behandlung
im ersten Zeiträume der Entzündung, die aber nicht übertrieben werden
darf. Einige Blutegel an die Augen (bei heftigem Schmerz) , antiphlogisti-
sche Diät , Purganzen aus iNIercur. dulc. , zugleich .scharfe reizende Senffuss-
bäder, Yesicatorien in den Nacken, hinter die Ohren, Verdunkelung des
Zimmers, warme Bähungen der Augen von Malva, Althaea, Flor, sambuci
reichen für die ersten zwei, drei Tage der Krankheit hin. o) Ebenso wich-
tig sind die topischen Augenmittel. Zu Anfange passt , wenn noch viel
Empfindlichkeit da ist, ly Sncchari saturni gr. iv, Aquae rosarum 3Jiv»
Gumm. nrah. ^j» Tinct. opii vinosae 3|v. M. S. Augenwasser (//»«/'(/). Oder:
Fy Aquae veg. min, Goulardi jjj, Tinct. opii vinosae 3|1. M- Oder (bei
Ophthalm. gonorrh. et syphilitica) : I^ Mercur. sublim, corros. gr. j , Aquae
destillntae 31V, Tinct. opii vinos. 5jj- M. Alle diese Augenwasser werden
lauwarm mit Compressen über das Auge gelegt. Sind diese Mittel ver-
braucht, so geht man zu den Zink- und Quecksilbersalben über, z. B.
T^r Flor, zinci pulv. 5l> » Axumfiae porci 5jj. M- exactiss. 1^ Mercur. praecip.
rubr. pulü. gr. vj — vjjj , Vmjuent. simpl. 5jj- M. exact. (^Himli/), wovon
2 — Smal täglich eine Erbse gross angewandt wird. Daneben kann man
auch noch das Sublimataugenwasser gebrauchen lassen. Ist sehr wenig
Empfindlichkeit da und das Übel schon 14 Tage, 3 Wochen alt, so passt
der Zinkvitriol, z. B. f^ Vitrioli zinci gr. jj — iv, Aq. rosnr. 5J, als Au-
genwasser. Oder: }^ Vitrioli albi gr. vjjj — xjj , Axuntj. porci 5jj- M. exa-
ctiss. S. Augensalbe. Ist das Übel chronisch geworden , z. B. schon ein
Jahr alt, so leistet folgendes, von Vnrlcz und Guthrie (Lond. med. and
phys. Journ. Bd. LVT. p. 3S6) erprobtes Mittel oft noch am meisten : Rf Cal-
cis tnuriftt. gr, v — xv, solve in Aqunc destill. 31]. M. S. , zum Eintröpfeln,
3 — 4mal täglich. Das Mittel muss aber täglich frisch bereitet werden; ia
frischen Fällen , oder ohne durch andere Mittel die Heftigkeit der Entzün-
dung gehoben zu haben , passt es nicht. Sind die Augenlider höchst unem-
pfindlich und \vie verknorpelt, so passen Salben von rothem Präcipität mit
Opium und Kampher. 4) Bä jüri^chea und unbedeutenden Blepharophthal-
BLENNORRHOEA 277
niien reicht schon Decoct. chinae, Salicis, qiiercus als Augeintasser hin.
Tägliches öfteres Balien und Reinigen der Augenlider Vom Schleime mittels
lauer Milch ist in jedem Stadium des Übels nothwendig. 5) Bei chroni-
schen scrophulösen , impetiginösen Blepharophthalmien empfiehlt ./«A?« {Husl's
Magazin, Bd, XX VII I. H. 1) besonders B'olgendes: Rr Aiiri oxymurinL gr.
jj , solvc in Aijufte ilcstillatae 5VJ. M. , welches als Angenwasser mit Com-
pressen auf die Augen gelegt wird , und rühmt das Mittel ganz vorzüglich.
6) Bei Ophthalmia neonatonun ist sehr wirksam: H' Zinc. acefici gr. ij , Acf.
rosarnm gjj, Mucil. nximm. arah. öjjj, Tinct. opii 5lv M. {Siemter} ; und
späterhin die rothe Präcipitatsalbe.
BlemwrrJioen sncci Jacrymalis, s. Atonia sacci lacryraalis und
Dacry ocy sti tis.
Blennorrhoea veniriculi et intestinorum , Blennorrhoe des Magens
und des Darmcanals; auch Status pituitosus genannt. Hier lei-
den die Schleimhäute des Darmcanals und Magens auf dieselbe Weise, vne
bei Catarrhus chronicus und Phthisis pituitosa die der Respirationorgane.
Das Übel ist entweder auf einzelne Theile (Oesophagus, Magen, Dünn-
darm) beschränkt, oder es hat den ganzen Tractus ergriffen, wie bei Fe-
bris pituitosa und Status pituitosus inveteratus. Symptome. Überfüllung
des Digestionsapparats mit Schleim, Torpidität und Atonie des Magens und
der Gedärme und blennorrhoische Constitution (laxer, schlaffer Körper,
phlegmatisches Temperament etc.) sind die vorzüglichsten generellen Er-
scheinungen. Was die speciellen betrifft, so ist die Ma gen bleu norrhöe
durch folgende Zeichen zu erkennen : schleimig belegte , unreine Zunge,
vermehrte Schleimabsonderung im Munde und Rachen, im Oesophagus, fa-
der, schleimiger, seifenartiger Geschmack, Geschmacklosigkeit, Mangel an
Appetit, des Morgens, bei nüchternem Magen, Ekel, Schleim würgen. Räus-
pern, Schleimerbrechen, Trockenheit im Munde, die unangenehm, zähe,
kleislerartig ist ; aufgetriebene Magengegend mit dumpfem Schmerz dersel-
ben nach angewandtem Druck, Magenkrampf, der periodisch eintritt. Be-
sondere Zeichen der Blennorrhoea intestinorum sind: Gefühl von
Spannung, Unbehaglichkeit , Zusammenschnürung des Leibes, so dass jede
enge Kleidung Angstgefühl macht, Aufgetriebenheit des Unterleibes, Flatu-
lenz, zuweilen Krämpfe und dumpfe Kolikschmerzen im Leibe, meist träge
Stuhlausleerung, oft tagelange Verstopfung, die Faeces sind hart, mit
Schleim überzogen, oft geht der Schleim ganz rein in Klumpenform ab.
Stellen sich die periodischen Kolikschmerzen ein, so folgt gewöhnlich Diar-
rhöe, wodurch grosse Quantitäten dünnflüssigen, gläsernen, gallertartigen
Schleims mit Erleichterung für die nächsten Tage entfernt werden. Die
Blennorrhoe des Mastdarms (Haemorrhoides mucosae) ist nicht immer Be-
gleiterin der Hämorrhoiden, sondern öfters auch nur eine Varietät des Sta-
tus pituitosus, oder entstanden durch örtliche Reize: Askariden, reizende
Klystiere, Missbrauch der Lavements überhaupt, oft daher Folge der Kämpf -
sehen Cur, oder die Folge der Ruhr. Ist aber diese Blennorrhoe die Folge,
der Ausgang activer Hämorrhoiden, so wird dies aus dem Daseyn der Hä-
morrhoidalcongestion (s. Haemorrhoides) leicht erkannt. Der bei Status
pituitosus abgesonderte und entleerte Schleim ist an Quantität und Qualität
sehr verschieden. Seine Farbe ist zuweilen grün, grau, gelblich, bei gleich-
zeitigen Hämorrhoiden röthlich , blutig , in den meisten Fällen aber weiss-
lich, gallertartig, bald ist er geruchlos, bald (in alten Übeln) stinkend,
bald milde, bald scharf, ätzend; ist blos Magenblennorrhöe da, so ist er
häufig wässrig, dünnflüssig, hat das Übel vorzüglich in den dicken Gedär-
men seinen Sitz, so ist er zähe, gallertartig, wie Froschlaich. Verlauf
und Dan er des Übels. Bei Schleimhämorrhoiden dauert der Schleimfluss
nur wenige Tage , in Schleimfiebern oft mehrere Wochen ; sind organische
Fehler der Baucheingeweide da, so hält das Übel selbst Jahre lang an.
Die Genesung erfolgt in den meisten Fällen langsam, sowie die Schwäche
dea Darmcanals gehoben wird. Häufig folgen Nachkrankheiten, besonders de*»
Lymphsysteni«: Drü<i€nverhärtung , grosse Abmagerung, irritable Scliwächoj
278 BLEMORRHOEA
zuletzt Hydrops ascites und universalis. In seitnern Fällen zeigen sich
Übertragungen auf das Hautsystem. So heilte ich bei einer Frau eine chro-
nische Blennorrhoe der dicken Gedärme durch den anhaltenden Gebrauch
des Zincum muriat. (gr. jj in 53J Aq. destill., dreimal täglich 10 — 30 Tro-
pfen), abwechselnd mit Herba belladonnae, alle Abende gr. jj — v, worauf
ein allgemeiner frieselartiger Hautausschlag erfolgte, der acht Wochen an-
hielt, worauf das Übel, das schon zwei Jahre alt war, verschwand (M.).
Ursachen. Sind die der Blennori-höe im Allgemeinen (s. Blennorrhoe a).
Grossen Einfluss hat Jahreszeit und Witterung ; daher intermittirt die Krank-
heit oft in den warmen Sommertagen, bei trockner Ostluft, während sie bei
anhaltend feuchtem Herbst - und Frühlingswetter sich wieder einstellt.
Alles, was den Körper schwächt und erschlafft: der Missbrauch des Thees,
der jungen, sauren Weine, der häufige Genuss der Mehlspeisen, der Miss-
brauch der Purganzen, sitzende Lebensart, deprimirende Affecten , Aus-
schweifungen in Venere etc. verschlimmern das Übel. Cur. 1) Hebung
der erregenden Momente j 2) gute Diät, die schon oben angegeben worden
(s. Blennorr hoea), Verbesserung der ganzen Lebensweise, und 3) der
Gebrauch zweckmässig gewählter reizender, tonischer Mittel, wenn
die Grundursache: Scrophulosis, Syphilis, Physconia hepatis, lienis , Indu-
ratio ventriculi etc. gehoben ist, sind Hauptindicationen. Hier sind folgende
praktische Cautelen zu berücksichtigen: a) Sind venöse Stockungen im
Pfortadersysteme und in der Milz da, ferner Indurationen des Pankreas, der
Milz, Leber, so hüte man sich ja vor der Anwendung der tonischen Mittel,
sondern gebrauche erst Resolventia: auflösende Extracte, Mercurialia, An-
timonialia. Aqua laurocerasi (s. Hy pochon dria, Melaena). b) Sind
gastrische Unreinigkeiten vorhanden, so gebe man zuerst ein Vomitiv, und
ein paar Tage später ein Laxativ, c) Ist das Übel rein , ohne Complica-
tionen , sind durch Resolventia die etwaigen organischen Abdominalfehler
gehoben , so sind gegen die Blennorrhoe reizende , tonische Mittel die Haupt-
sache, welche den trägen Darmcanal aufregen und so gegeben werden müs-
sen , dass kein heftiges Purgiren , sondern täglich nur zwei bis drei breiar-
tige Sedes ei-folgen. In leichten Fällen geben wir Folia sennae , Rheum
mit Kali tartaric. , Sal Glauberi , Salmiak , in bedeutendem Terra ponde-
rosa salita, Tart. emetic, Merc. dulc. ; in schwerern Fällen, bei höhern
Graden des Torpors , Jalape, Aloe, selbst Gratiola, Helleborus. Alle diese
Mittel geben wir m kleinen Dosen, so dass heftiges Purgiren vermieden
wird, und verbinden sie zweckmässig mit bittern, stärkenden Mitteln. Zu-
weilen , nicht selten alle vier bis sechs Wochen , ist indessen ein ausfegen-
des Purgans bei offenbaren Anzeigen von Sordlbus nöthig. Hier vermeide
man Manna, Crem, tartari, Tamarinden, die überhaupt in Magen- und
Darmblennorrhöe nicht passen , sondern gebe Folgendes : I^» Infus, laxnt.
Vienn. §iv, Aq. chnmom., — foenicuU ana 3JJ , Snl. Glauben., Tinct. rhci
aqms. ana S^'j- S. Alle 15 Minuten 1 — 2 Esslöffel voll, bis Purgiren er-
folgt. Für den täglichen Gebrauch passen die sogenannten Digestivpulver,
Digestivpillen in Verbindung mit bittern Mitteln , wobei wr aber , um der
Digestionskraft nicht beschwei-lich zu fallen, mit den leichtern bittern Ex-
tracten erst den Anfang machen müssen. (S. Amara). Späterhin passen
erst Quassia , China , Lign. campechiense , Glandes tostae und ganz zuletzt
erst Eisen. Entstehen Beängstigung, Flatulenz und Verstopfung oder Diar-
rhöe nach den gereichten stärkenden Mitteln , so zeigt dies an , dass sie
noch zu grob und schwerverdaulich für den Magen sind, d) Zwei höchst
wichtige, fast specitische Mittel gegen Magen- und Darmblennorrhöe sind
Rheum und Aloe. Sie sind w ährend der ganzen Dauer der Krankheit , an-
fangs mit Salmiak, Sal Glauberi, Vin. stibiat. , dann mit den bittern Ex-
tracten, zuletzt, wenn gar kein Schleim mehr abgeht, mit aromatischen
Tincturen und bittern Elixiren verbunden , indicirt. Auch das Wechseln
der Arzneien ist hier sehr anzurathen, weil Magen und Gedärme sich gar
leicht an ein und dasselbe Mittel gewöhnen und die Wirkung dann nicht
unserer Erwartung entspricht. Meine Curraethode ist daher folgende : Zuerst
BLENNORRHOEA 279
ein Vomitiv (bei der Magenblennorrhöe) , ists melir in den Gedärmen, dann
das oben genannte Laxativ aus Infus, sennae, Sal Glauberi und Tinct. rhei
aquosa. Alsdann lasse ich acht Tage lang Folgendes gebrauchen : R- Snl.
ammoninci 5jjj » Succ. liquirit. dep. 5jj ? Aq. meliss. , — foeniculi ana ^jjj ,
Tinct. rhei nquos.. §|>^. M. S. 3 — 4mal täglich 1 Esslöffel voll. Darauf folgt
acht Tage lang dieses: I^ Snl, Glnulieri gj , Aquae foeniculi 5vjjj, Aloi's
succotr. gr. xjj , Thict. rhei aquos. 5)^. M. S. 3 — 4mal täglich 1 — 2 Ess-
löfFel voll, so dass täglich 2 — 3 weiche Sedes folgen. Alsdann wird diese
Formel acht Tage lang gebraucht : ]^r Mercur. duhis gr. x , Succ. catechu^
Bals. copaionc ana ö}i> , Extr. trifol. fihr. q. s. ut f. pH. N". lxxv. M. S.
Dreimal täglich 3 — 6 Stück. Diese Pillen sind besonders in clu'onischen
Fällen, auch bei chronischer Leukorrhoe (^Richnrd^ sehr wirksam. Darauf
nimmt der Kranke acht Tage lang Folgendes: I^^ Extr. tnraxaci 3fv, —
rutne 5jj 5 — rhei compos. Ph. Boruss. 3f> , Aloes succotr. gr. x , Aquae me-
liss. gx. M. S. Umgeschüttelt dreimal täglich 1 Esslöifel voll; und dane-
ben Abends und Morgens 30 Tropfen von folgender Tinctur: B^r Tinct. ctn-
namomi, Vini stihiati, Elix. peruv. R. Whytt ana gjy. M. Sind nun die
Zufälle der Blennorrhoe gehoben, so gebraucht der Kranke noch mehrere
Wochen lang folgende Mittel : J^r Pulv. aloes succotr. 5vj , Extr. yentinnae
gjj , — (hinne 3j , — trifol. ^ihr. q. s. M. f. pil. pond. gr. jjj. S. Abends
spät 2 und kurz vor der Mahlzeit des Vormittags 1 Pille zu nehmen Da-
neben nimmt er dreimal täglich 35 — 40 Tropfen von Folgendem mit gutem
Rothwein : I^f Tinct. rhei nquos. , — cinnnmomi , — chinne compos. ana 5].
M. Mit dieser Cunnethode bin ich in meiner Praxis Jahre lang glücklich
gewesen. Ist eine erhöhte Reizbarkeit der Abdominalorgane da, was nur
selten und meist nur periodisch bei den Kolikanfällen der Fall ist, so giebt
man Antispasmodica : Tinct. castorel. Infus, valcrianae, chamomillae, kleine
Gaben Opium, macht ätherische warme Umschläge um den Leib etc., ge-
braucht aber nicht anhaltend solche Mittel. Die Diät ist schon oben an-
gegeben worden. Der Genuss von Senf, schwarzen Pfefferkörnern, Wa-
cholderbeeren des Morgens nüchtern, unterstützt die Cur des Status pitui-
tosus sehr ; desgleichen reizende Einreibungen in den Unterleib von Linim.
volat. camph. mit Ol. terebinth. , Reiben mit Flanell , selbst Waschen mit
kaltem Wasser, mit aromatisch- ätherisch -Spirituosen Dingen.
Blennorrhoca intestini recti, Blennorrhoe des Mastdarms. Ist
schon bei Status pituitosus abgehandelt ; da dieselbe aber , wenn sie chro-
nisch geworden ist, häufig in Verdickung und Verhärtungen seiner Häute
ihren Grund hat, so untersuche man den Mastdarm genau, und findet
man solche mit Verengerung verbundene organische Fehler, sind keine Hä-
morrhoiden da, so wendet man örtlich erweichende Salben mit resolvirenden
Mitteln, z. B. Unguent. althaeae , Unguent. digital, mit Extr. cicutae, bel-
ladonnae, auf Charpie gestrichen , an, bringt auch Bougies aus Presschwamm
ein, die mit Unguent. mercuriale bestrichen sind; doch achte man darauf,
dass die Narcotica und Mercurialia nicht zu stark angewandt werden, da-
mit keine allgemeinen Vergiftungszufälle entstehen.
Blennorrhoen vcsicne urivnrine , Cntnrrhus vesicne ttrinariae , Blasen-
katarrh, Blennorrhoe der Harnwege. Das Übel, welches oft von
Ärzten übersehen wird, hat seinen Sitz in der Innern Oberfläche der Harn-
blase, der Harnleiter, die bekanntlich auch mit Schleimhäuten bekleidet
sind. Symptome. Da das Übel häufig der Ausgang von entzündlichem
Blasenkatarrh ist, so gehen die Zeichen des letztern oft vorher, als:
Schmerz, Brennen und Ziehen in der Blasen- und Lendengegend, im Peri-
naeum, Hitze in der Schamgegend, Strangurie, Dysurie, Ischurie, Kolik-
gchmerzen, Erbrechen, Tenesmus, Obstructio ahd (s. Inflammatio ve-
sicae urinariae). Die eigentlichen Symptome der Blennorrhoe, die zu-
weilen auch ohne jene Vorboten eintritt, sind: Abgang von trübem, schlei-
migem , zuweilen flockigem Harn ; der Schleim darin setzt sich an den Bo-
den des Gefässes , ist höchst zähe , sieht weisslich , grünlich , gelblich aus,
ist geruchlos (bei Kachektiüchen , Scorbutischen aber höchst stinkend), «eiue
280 . BLENNORRHOEA
Quantität oft sehr bedeutend , sein Abj^ang erregt heftige Schmerzen , Bla-
senkrampf etc. Ursachen sind: blennorrhoische Constitution, höheres
Alter, Missbrauch der Genitalien, organische Fehler: Verhärtungen der
Blase; Harnsteine, allgemeiner Status pituitosus, Arthritis atonica, Status
verminosus, vorhergegangene Cystitis, Missbrauch der Aphrodisiaca, Stimu-
lantia, Diuretica, Spirituosa, des ^Veissbiers , der Goslarschen Gose. Dia-
gnose. Obgleich bei mehreren Krankheiten dicklicher, trüber, schleimiger
Urin abgeht, z. B. bei Diabetes, Djspermatismus, Chylurie, Vereiterung
der Prostata, Gonorrhöe, Leukorrhoe, so ist die Diagnose doch nicht
schwer, wenn wir die Abwesenheit der jenen Krankheitsformen eigenthihn-
lichen Symptome (s. jene Artikel) gehörig berücksichtigen. Auch das
Langwierige des chronischen Blasenkatarrhs, die Anamnese, die vernnlas-
senden und gelegentlichen Ursachen des Übels, die Re - und Intcrmissionen
desselben und die grosse Menge des täglich abgehenden langen , zähen
Schleimes machen die Erkenntniss und Diagnose leicht. Cur. 1) Die ei-
gentlichen Specifica sind hier die schon zum Theil oben unter Blennorrhoea
ventriculi angegebenen Mittel, unter denen, besonders folgende am wirk-
samsten sind ; a) der Salmiak , z. B. I^' Snl. ammon. dcp. , Pulv. Uquiril.
ana 9ß — ^j- S. Alle drei Stunden ein solches I'ulver {Bültncr). In chro-
nischen Fällen hat mir dieses Mittel, das sich noch besser in Auflösung
nehmen lässt , wochenlang gebraucht , herrliche Dienste geleistet , z, B.
t^ Sal. aminoninci dep. S'V'j , Succ. Uqiärit. jiv, Aquac chnmomUh, — focni-
culi, — menth. crisp. ana gijj, Tnrt. emclici gr. j. M. S. Viermal täglich
1 — 2 Esslölfel voll. Ist noch etwas Febrilisches, Schmerz, Brennen etc.
zugegen, die Blennorrhoe acut, so passen Blutegel ad anum, laue Bäder,
gelinde Laxanzen, besonders bei gleichzeitiger Plethora abdominalis; in ge-
linden Bällen passt Folgendes: ly Pot. liiver. c. acet. vi7ii gjj , Aq. ßor.
snmhiici 51V , Snl. ammon. dep. , Succ. liqnirit. dep. ana 5jjj , Si/r. mmmne
gj. M. S. Zweistündlich einen Esslöffel voll. Ist kein Fieber, wenig
Schmerz, mehr Atonie da, so passt b) der Eichelkaffee; c) die Hedera ter-
restris, entweder der Succ. rec. expressus, oder das getrocknete Pulver,
pro dosi 5I> 1 oder in folgender Form : I^f Herh. Iicdcrae tcrrcstr. , — vero-
nicae ana ^W, infunde c. aq. ferv. q. s. ut rcman. 3^jij, col. e,rpr. ndde
Extr. miUcfohi giv, — lijn. campech. 5jlK Sal. ammoninci 5jj. M. S. Alle
zwei Stunden 1 Esslöffel voll; d) die Alaunmolken; e) Decoct. chinae. De-
coct. lign. campech. (31V auf gv Colatur), die Tinct. nijrrhae mit Tinct.
catechu ; f) die Folia uvae ursi, besonders mit Kalkwasser, z. B. Yy Fol.
uvac ursi 3J , Aq. fcrv. 'tij , coq. ut rem. 5vjjj , col. adde Aq. calcar. ustac
5jj, Sifr. emulsiv. gj. M. S. Alle 2 — 3 Stunden 1 Esslöifel voll. Auch
Pulv. rad. arbut. uvae ursi und herbae uvae ursi, dreimal täglich zu ^^ —
5|v ist sehr wirksam. Zuletzt dienen die Mineralwässer von Karlsbad, Ems,
später von Driburg und Pyrmont, Bei recht torpiden Subjrcten haben in-
nerlich Terpenthin, Kampher, Juniperus empirisch oft gute Dienste geleistet.
2) Da aber der Blasenkatarrh höchst selten ein idiopathisches Leiden, in
den meisten Fällen nur Symptom eines tiefer liegenden Übels ist , so muss
der rationelle Arzt auf die oben genannten Ursachen des IJuels sehen und
sich bestreben, diese zu beseitigen, also den allgemeinen Status pituitosus,
die Haemorrhüides mucosae, den Fluor albus, Arthritis anomala, Scirrhosi- .
las und Phthisis vesicalis etc. nach den Kunstregeln behandeln. S) Auch
die bei Status pituitosus empfohlenen äussern Mittel, auf die Blasengegend
angewandt, i>ind nicht zu vergessen; desgl. Injectionen in die Blase von
kaltem Wasser, Decoct, quercus. Aqua calcis. 4) Die. Diät ist, wie oben
angegeben (s. Blennorrhoea). Doch passen, wenn der Blasenkatarrh
Folge von Harnsteinen ist, keine Kresse, Zwiebeln, Spargel, Sellerie, Ret-
tige, sondern milde, schleimige Speisen und Getränke. — Die Blasen-
schleimhämorrhoiden sind wesentlich vom Biasenkatarrh nicht verschie-
den ; doch dient zur Diagnose das Vorhergehen der Mastdarmh^imorrhoiden
und das Periodische de» Auftreteae , während die Hämorrhoiden des Kectums
Schweigen.
BLENNOSIS — BLEPHARITIS IDIOPATHICA 281
Blermorrhoca ttrethrae, Tripper, s. Gonorrhoea.
BJennorrlioea vag'mae, weisser Fluss, s. Leucorrhoea.
Bleunorrhoea gJandis peiiis , Eicheltripper , s. Balanoblennor-
rh 0 e a.
Blenuosis, Schleimkranklieit , s. Blennorrhoea und Febris
pituitosa.
Blennotborax: acutus, Stickhusten, s, Tussis convulsira.
Bleiinotliorax clironicus, chronische Schleimanhäufungen in der
Brust, s Asthma humidum.
BlennotorrbOea , Schleimfluss aus den Ohren, s. Otorrhoea.
BlCJimirctiiria', Schleimfluss der Harnröhre, s. Gonorrhoea.
Blciuuuria, Schleimharnen, s. Blennorrhoea vesicae uri-
nariae.
Blepharelosis, Umkehrung einer oder beider Augenlider, s. Ectro-
pium und Entropium.
Blcpharidoplastices die Augenwimperbildung, s. Chirurgia
'c u r t o r u m.
Blcpliaritis idiopathica, die idiopathische Entzündung
der Augenlider. Sie folgt Yorzüglich^ auf mechanische Verletzungen;
ihr Sitz ist das Zellgewebe der Augenlider. Meist leidet nur ein Augenlid,
und häutiger das obere, als das untere. Sie ähnelt ihrer Natur und den
Erscheinungen nach sehr dem Pseudoei-ysipel, und Junißen möchte sie Pseu-
docrysipelas palpehrarum nennen. Symptome. Anfangs hochrothe, äus-
serst schmerzhafte, gespannte Geschwulst, die sich vom Tarsalrande des
Augenlides erhebt, nach dem Orbitalrande zu sich yerbreitet und bald das
ganze Augenlid einnimmt. Dabei stechende Schmerzen im Augenlide , ver-
hinderte Bewegung des Auges, bedeutend erhöhte Temperatur, Gefühl, aU
läge eine glühende Kohle im Auge. Die Ränder der Geschwulst werden
später blassroth, die letztere geht mehr zum Ödematösen über, das Auge
ist lichtscheu, trocken, periodisch fliessen einige heisse Thränen aus der
mit ergriffenen Thränendrüse. Später verbreitet sich die Entzündung auch
über die Conjunctiva Scieroticae, welche an der leidenden Seite stark ge-
röthet erscheint und durch die überfüllten Gefässe das Gefühl erregt, als
wäre Sand in das Auge gekommen. Binnen 3 bis 4 Tagen ist das ganze
Augenlid oft schon so sehr roth, gespannt und geschwollen, dass es einer
über dem Auge liegenden glänzenden Halbkugel gleicht. Diese Entzündung
geht, hat sie einen hohen Grad erreicht, leicht in Eiterung über. Die Ge-
schwulst und Röthe verbreitet sich selbst auf Stirn und Schläfe, das Au-
genlid wird so gross wie eine Wallnuss, selbst wie ein Hühnerei; dabei
pochende, klopfende Schmerzen, Gefühl von Kälte, Schwere in dem leiden-
den Thelle , Photopsie, profuse Secretionen aus der Thränendrüse und den
Meibom'schen Drüsen , dunklere Farbe der Geschwulst , die an einigen Stel-
len graublau ist , die dünnere Oberhaut erhebt sich an mehreren Stellen,
sie brechen auf und entleeren einen mit Zellgewebeflocken vermengten Ei-
ter in reichlicher Menge, worauf alle Erscheinungen und Beschwerden nach-
lassen. Das Übel verläuft schnell, binnen 9 Tagen ist meist entweder schon
die Zeilheilung oder Eiterung eingetreten. Bei reizbaren Personen ist zu-
gleich ein Gefässfteber mit Kopfweh, belegter Zunge und Appetitmangel
einige Tage zugegen. Verletzungen, Stoss , Schlag, Wunde, besonders
aber Insectensticlie begünstigen, zumal bei Leuten, die, so zu sagen, keine
gute Haut zu heilen haben (scharfe Säfte, luxuriöse" Lebensart, Dyskrasien,
Kachexien), diese Entzündung. Die Prognose ist, wenn das Übel
noch frisch ist, günstig; doch muss der Kranke nicht kachektlsch seyn.
Cur. Man entferne die etwa vorhandenen fremden Körper aus dem Augen-
lide, z. B. Bienen- oder Mückenstachel, setze Blutegel um das Auge und
schlage Bieiwasscr mit Compressen über, die auf Eis gelegen haben; inner-
282 BLEPHAROBLENNORRHOEA — BLEPIIAROPHTHALM.
lieh dienen kühlende Laxanzen. Sind die Zeichen der beginnenden Eite-
rung zugegen, so mache man wanne Umschläge von Milch und Semmel-
krumen, die zwischen 2 Conipressen aufgelegt werden, und überlasse die
Eröffnung des Abscesses der Natur. Nur bei Kachektischen öffne mau,
wenn Fluctuation sich zeigt, mittels der Lanzette, denn hier bilden sich
leicht Eitersenkungen. Vor einem Jahre behandelte ich einen alten Mann
mit diesem Übel, das erst am linken Augenlide, später, als der Absces.s
geschlossen war, auch am rechten erschien. Der Kranke hatte früher oft
an Gesichtsrose gelitten. Reizende Salben zum Verbinden des Abscesses
passen nicht.
Blepbarolllennorrlioe», Augenliderschleimfiuss , s. Blennor-
rhoe a ]) alp e br a rum.
Blepharoedcma, Augenl id er wass er ge schwulst. Ist oft
Symptom nach erysipelacösen, scarlatinösen Entzündungen des Kopfs, Sym-
ptom des Hydrops cellular. u. s. f.; s. Hydrops palpebrarum.
Blepharoncus« harte Augenlidergeschwulst, z.B. bei Ge-
sichtsrose etc.
Blepliaropbthaliiiia, Entzündung der Augenlider und des Auges,
s. Blennorrhoea palpebrarum.
BlepbarophttaaLmitis, echte, synochische Entzündung
des Augapfels und der Augenlider. Jede heftige Augenentzündung
(^Phlegmone oculi, Ophthalviitis , Chemosis), welche sich durch bedeutende
Schmerzen des Auges, Röthe, Geschwulst, Lichtscheu, Kopfschmerz, Fie-
ber, selbst durch Hirnaffectionen , tiefliegende Schmerzen in der Orbita,
durch Trockenheit des Auges etc. offenbart, muss streng antiphlogistisch
behandelt werden , um das Auge zu retlen und der Zerstörung desselben
durch Iritis, Verwachsung der Pupille, Staar , Zerstörung der Hornhaut
durch Staphylom etc. vorzubeugen. Man setze daher gleich mehrere Blut-
egel in die Augengegend, lasse bei Vollblütigkeit zur Ader, lege zugleich
ein grosses Vesicator in den Nacken, gebe innerlich Antiphlogistica, die
auf den Darmcanal wirken , z. B. Decoct. fruct. tamarindor. 5^'jjj , Nitri
depur. 5jjj» Sal Glauberi , Mucil. gumm. arab. ana ^j. S. Alle Stunden
1 — 2 Esslöffel voll; dabei knappe Diät. Folgende Cautelen sind hier noch
7,u berücksichtigen : 1) Heftige mechanische Verletzungen des Auges durch
Stoss , Druck , Quetschung erregen am häufigsten die reine synochische Au-
genentzündung (Phlegmone oculi). Hier passt ganz die eben erwähnte Be-
handlung und daneben äusserlich Umschläge von kaltem Wasser, Bleiwas-
ser. 2) Die Blepharophthalmie aus Dyskrasien (Scrophulosis, Syphilis, Ar-
thritis) hat zu Anfange , sowie auch zuweilen in der Folge (durch neu hin-
zukommende reizende Einflüsse) ein entzündliches Stadium, wogegen anti-
phlogistisch verfahren werden muss. Doch übertreibe man die Cura anti-
phlogistica hier ja nicht , sonst wird das Übel für die Folge desto hart-
näckiger. Selten sind hier Blutegel nöthig ; ein grosses Vesicator im Nacken,
innerlich einige Gran Merc. dulc. reichen neben kühlender Diät hin. Die
geringere Heftigkeit der entzündlichen Zufälle muss hier leiten. Auch pas-
sen hier die topischen Mittel: Blei, Zink, Sublimat etc. (s. Blennor-
rhoea palpebrarum). 3) Die rheumatische und katarrhalische Augentzün-
dung erfordert gleich zu Anfange, wenn die Zufälle nicht heftig sind, nin-
gelinde Antiphlogistica, besonders die kühlenden Diaphoretica. Hier passen
aber anfangs keine nassen Mittel , sondern Kräutersäckchen mit F'lor. sam-
buci, menthae crisp. , Flor, chamomillae, trocken und erwärmt angewandt
(s. Ophthalmia catarrhalis, Ophth. rheumatica unter Inflani-
luatio oculi). 4) Entstand die Augenentzündung durch plötzlich unter-
drückte Blutungen, so erfordert sie häufig eine eben so strenge antiphlogi-
stische Cur, als die Ophthalmie, welche durch mechanische Schädlichkeiten
erregt wird. Dasselbe ist der Fall bei Ophthalmia gonorrhoica. Hier gleich
8 — 10 Blutegel an die Augen, reizende Fussbäder, innerlich Emuls. amyg-
delar. dulc. mit Nitrum, Abends und Morgens Merc. dulc. gr. j, Opii pur.
BLEPHAROPHYSEMA — BLEPHAROPLASTICE 283
gr. fif, -und nach den Blutausleerungeh äusserlich lauwarm Sublimatwasser
mit Opium , z. B. R' Merc. sublim, corros. gr. j , Aqua opü destillat. , — ro-
sar. ana 5JJ. S. Mit Compressen über die Augen zu legen. Nur durch
solche wirksame Mittel, früh angewandt, ist das Auge zu retten.
Blepbaropbysema, Luftgeschwulst, Windgeschwulst
der Augenlider. Ist nur ein Symptom der allgemeinen Windsucht oder
der partiellen des Kopfs, nach Verwundungen der Galea aponeurotica etc.
S. Emphysema und Tympanitis.
Blepharoplastice» die Blepharoplastik, die künstliche
Augenlidbildung, analog der Rhinoplas tik. Sie kann eine allge-
meine oder theil weise seyn, je nachdem das ganze Lid oder nur ein Theil
desselben zu ersetzen ist. Zuerst machte diese Operation der neuesten Zeit
C. Ferd. v. Gräfe an einem untern, durch Brand zerstörten Augenlide, in-
dem er den fehlenden Theil durch Aufwärtsklappen des zunächst gelegenen
Hautstückes der Wange wieder herstellte (s. C. F. v. Gräfe , Rhinoplastik,
S. 15). Später übten und beschrieben diese Operation Dzondi (^Hiiifeland^s
Journ. 1818, Novbr. S 99), FricJce (Die Bildung neuer Augenlider; Ham-
burg, 1829), Jünglxcn (Lehre von den Augenoperationen; Berlin, 1829,
S. IX. und 267) und Knispel (s. Grosheini's Lehibuch d. operativen Chirur-
gie, Bd. I. S. 260). Indicirt ist dieselbe bei gänzlichem oder theilweisem
Verluste des einen oder des andern Augenlides durch Verwundung, Ver-
schwärung , Brand, und bei beträchtlichen, durch Substanzverlust auf der
äussern Fläche der Augenlider bedingten Ektropien. Nicht immer war der
Erfolg günstig. Jüntjhen misslang sie zweimal. Die Narbe wird mit einem
ScalpcU umschnitten und ausgerottet , und der Wunde überhaupt eine
solche Grösse gegeben , als nöthig ist , damit das Augenlid hinlänglich lang
werde und seine natürliche Lage bekomme. Dann wird , ists das untere
Augenlid , seitlich an der Wange , ists das obere , an der Stirn ein Haut-
stück umschnitten, welches genau die Gestalt der Wunde hat und noch
durch eine schmale Hautbrücke mit der übrigen Haut in Verbindung bleibt.
Nun präparirt man das Hautstück so ab , dass möglichst viel Zellgewebe
an ihm sitzen bleibt. Die Hautbrücke muss so lang werden , dass man das
getrennte Hautstück nach der Wunde umschlagen und in dieselbe einlegen
kann. Die Blutung wird sorgfältig durch kaltes Wasser gestillt, alles ge-
ronnene Blut entfernt und der Lappen (der bei Dz-ondi in einem Fall 1'/-.
Zoll Länge und 6 — 7 Zoll Breite hatte) durch Umdrehtmg der Hautbrücke
so an die Stelle der Narbe in die Wunde gelegt, dass sich die Ränder und
Wundflächen genau berühren. Die Befestigung geschieht durch einige Knopf-
nähte, Plumaceau und Heftpflaster. Die Ligaturen werden zur gehörigen
Zeit ausgezogen, und die Hautbrücke, wenn die Anheilung erfolgt ist, auf
einer Hohlsonde durchschnitten. Die Wunde, aus der das Hautstück ent-
nommen ist, wird möglichst fest zusammengezogen, um eine kleinere Narbe
zu erzielen. So operirt Jimgicen. — Etwas davon verschieden ist das Ope-
rationsverfahren von Friclce in Hamburg. Er schneidet die vorhandene
Narbe um und aus, und nimmt alle entartete Haut und solches Zellgewebe
weg. Eine ebene schmale Narbe braucht nur durchschnitten zu werden,
so dass der Schnitt parallel mit dem Tarsus (Augenlidrande) läuft und so
weit als möglich von ihm entfernt ist, damit Haut und Anheftung des Lap-
pens erspart werde. Man fängt ihn in der Mitte des Lides an und führt
ihn von da nach aussen und dann nach innen über das ganze Lid. Die
Haut lässt man nun auseinanderziehen, und trennt das Zellgewebe und den
Kreismuskel bis zur Conjunctiva, welche nicht verletzt werden darf. Hat
der Muskel nicht gelitten und kann er erhalten werden , so ist dies für dir,
Beweglichkeit des neuen Augenlides sehr wichtig. Für das obere Augenlid
bildet FricJce nur den Hautlappen aus demjenigen Theile der Stirnhaut, der
sich etwas nach aussen, 2 Linien oberhalb des Orbitalrandes, befindet; der
Genauigkeit wegen kann der Wundarzt eine Messung der auszufüllenden
Wunde vornehmen; auch muss der Lappen wegen der später eintretenden
284 BLEPHAROPLASTICE
Zusammenziehung 1 Linie länger und breiter seyn , als die Wund«. Die
Haut wird sorgfaltig und so bis zum Muskel auf beiden Seiten getrennt,
dass ein Schnitt in den andern fallt, und dann wird sie von dem Muskel
bis auf die nach unten liegende Gr\indfläche des zu bildenden Lappens ab-
gelöst. Sollte der Hautlappen noch nicht ohne Zerrung, Umschlagnng oder
Faltenbildung der Haut in das Augenlid eingepasst werden können . so muss
der äussere Hautschnitt noch etwas weiter nach aussen geführt werden.
Nachdem nun dieser Hautlappen gebildet ist, besteht noch eine Hautbrücko
zwischen dem innern Schnitte, der den Lappen bildet und dem äussern
Winkel der Wunde, die in das Augenlid gemacht ist. Diese Hautbrücke
niuss durchschnitten und ein so grosses Stück Haut weggenommen werden,
dass hierauf der Hautlappen ganz genau in den dadurch entstandenen Zm-
schenraum passt. — Für das untere Augenlid wird das Hautstück an der
äussern Seite des Augenlids in derselben Entfernung und Richtung , wie
beim obern, von der Wange genommen und der Lappen ganz auf dieselbe
Weise gebildet. Die Blutung wird durch Abtupfen und Bespritzen mit kal-
tem Wasser gestillt und der Lappen durch die Knopfnaht befestigt. Die
ersten Hefte werden am äussern Winkel angefangen und dann der obere
Rand zuerst, später der untere befestigt, damit die durch die Nadelstiche
entstehende Blutung leichter gestillt werden könne. Am obern Rande sind
stets 8 — 10, am untern 6 — 8 Hefte nöthig. Dann wird das Augenlid ge-
schlossen und locker mit Charpie und Heftpflaster bedeckt. Die äussere
Wunde wird mit in Öl getauchter Charpie belegt. Nacli 48 Stunden wer-
den, nachdem die Vereinigung stattgefunden hat, die Fladen entfernt und
durch schmale Heftpflaster ersetzt. Bei beträchdiclier Geschwulst dienen
Umschläge von Aq. Goulardi. Haben einzelne Stellen sich nicht vereinigt,
so werden sie mit einer reizenden Salbe (^Untjueut. n'ujrum, Friclc^ verl)un-
» den und in 10 — 18 Tagen wird die Heilung vollkommen geschehen seyn.
Eine neue, sehr vortheilhafte Methode der ßlepharoplastik ist die von IHef-
fenhnch (s. C<tS))cr''s Wochenschrift d. gcs. Heilk. 1835, Nr. 1, und v. Am-
mon's Zeitschrift für Ophthalmologie, 1833, Bd. IV. S. 428 u. 468), wo-
durch Augenlider gebildet werden, die den natürlichen weit äiinlicher sind,
als durch jede andere Methode. Diefl'enhiuh beginnt bei dem Wiederersatze
eines verloren gegangenen untern oder obern Augenlides, nachdem er die
bei solchen Palpebris gewöhnlich klappenförniig zurückbleibende oder sich
klappenförmig erzeugende Conjunctiva i)alpebralis mittels eines, nach der
Richtung des obern oder untern Orbitalrandes geführten Schnittes getrennt,
abgelöst und nach dem Bulbus zu aufgeklappt hat, damit, ein dreiecki-
ges Hautstück, dessen Basis jedesmal am Auge ruhet, während die Spitze
desselben die entgegengesetzte Richtung nimmt , mittels eines feinen Mes-
^ sers abzutragen. Durch diesen triangulären Ausschnitt der Haut wird der
Platz gewonnen, wo das neue Augenlid seine Stelle erhalten soll. Bei die-
sem Theile der Operation ist es Hauptaufgabe, so viel als möglich bei der
Abtragung der Haut, die hier in grosser Menge liegenden wichtigen Ner-
venverzweigungen zu schonen. Lst dieser Vorbereitungsact vollzogen , so
führt man bei der untern, wie bei der obern .Augenlidbildung einen hori-
zontalen Hautschnitt über den Proc. zygomaticus in der Richtung oberhalb
des Meatus auditorius externus , der da beginnt, wo der Canthus externus
palpebrarum seyn würde, wenn nicht dort jetzt in Folge der Hautabtra-
gung die äussere Seite der Basis der triangulären Hautwunde sich befände.
Dieser Horizontalabschnitt muss breiter seyn, als die grösste Ausbreitung
der Augenlidspalte, da gerade hier der Haupttheil abgetrennt werden muss,
der den Rand des zu bildenden Augenlides abgeben soll. Von dem äusser-
sten Punkte dieses Schnitts ist nun bei der untern Augenlidbildung abwärts,
bei der obern Augenlidbildung aufwärts, parallel mit der äussern Seite des
triangulären Hautschnitts ein Schnitt zu führen , dessen Ende in einer Linie
mit der Spitze des triangulären Hautverlustes steht. Hierdurch sind die
Grenzen des Hautlappens gebildet, welcher verpflanzt werden soll und da.«
«reue Augenlid bilden wird. Veruüttclst leichter und feiner Messerzüge i*t
BLEPHAKOPLEGIA — BLEPHAROSPASMUS 285
jetzt der zu verpHanzende Hauttheil nach seinem Zusammenhange mit den
allgemeinen Bedeckungen hier von der ganzen untern Fettlage zu trennen,
■wobei s«hr auf S<:honung der hier so zahlreich liegenden feinen Nervenver-
zweigungen zu sehen ist. Es befindet sich dieser Hautlappen bei der Bil-
dung des untern Augenlids nach unten und aussen, bei der Bildung des
obern Augenlids nach oben und aussen. Ist die Blutung gestillt, so reinigt
man die innere Fläche des zu verpflanzenden Hautlappens von allem Blut-
coagulum , und verrückt denselben so von aussen nach innen, dass man beim
untern Augenlide die innere Seite des überzuptlanzenden Lappens ganz her-
über an die Schnittfläche schiebt, sc dass derselbe den früher gemachten
Hautverlust gänzlich ersetzt. Am obern Augenlide geschieht dies in dersel-
ben Art. Der von aussen nach innen gerückte Hautlappen deckt das Auge
nun auf eine so natürliche Art, dass man das neugebildete Augenlid einem
wirklichen ganz ähnlich findet. Die Anheftung des herübergezogenen Haut-
lappens geschieht zuerst am Innern Augenwinkel mittels der Knopfnaht.
Hierauf wird die vorhandene und abgetrennte Conjunctiva mittels feiner
seidener Nähte an die Tarsalseite des neuen Augenlides angesäumt, und nun
befestigt man letzteres an der Innern Fläche durch Dieifenbach'sche Nadeln.
Der äussere Augenwinkel wird durch keine Naht befestigt, sondern man
legt den äussern Theil des hinübergeschobenen Lappens hier nur an. Der
zur Seite des untern oder obern Augenlides befindliche trianguläre Substanz«-
verlust wird mit Charpie und Heftptlasterstreifen bedeckt. Bildet sich im
Verlauf der Behandlung eiterige Absonderung, so hat diese beim untern Au-
genlide am VVundrande ihren Abfluss. Die Heftpflasterstreifen müssen so
angelegt werden, dass sie die neugebildete Augenliddecke naturgemäss am
Bulbus erhalten. Die Nachbehandlung ist die gewöhnliche. Durch kalt«
Umschläge muss die Vitalität des Lappens auf der Stufe erhalten werden,
welche eine baldige plastische Anklebung erwarten lässt. Bieffenhach hat
sowol in Paris , als auch in Dresden diese Operationsmethode mit Glück
verrichtet, und v. Amnion hat sich in ». Zeitschrift für Ophthalmol. 1835..
Bd. IV. Hft. 3. u. 4. durch Versinnlichung der Operation mittels guter Ab-
bildungen verdient gemacht,
Blep]iarople§^ia , JBlepharoptosis parahjticn , Augenliderläh-
mung. Das Augenlid hängt hier herunter (^Ptosis) wegen absoluter Schwä-
che des Muse, levator palpebrarum. Ursachen. Quetschungen des Auges,
Druck durch Balggeschwulst , vorhergegangener Blepharospasmus , Vitium
congenitum, Apoplexie bei Greisen, Chlorosis, allgemeine Laxität des Kör-
Eers, Cur, Man exstirpire die Balggeschwulst, lasse Einreibungen von
Fnguent. nervin, in die Augengegend machen , wende aromatische Kräuter,
mit Wein infundirt , an , in chronischen Fällen Douche des Auges , Elektri-
cität. Ist das Übel Symptom halbseitiger Lähmung, dann inneulich Antipa-
ralytica: Nux vomica, Phosphor, Arnica etc. und äusserlich Elektricität,
Acu- und Elektro punctur; auch folgende antiparalytische Pillen sind hier
sehr wirksam : I^ Gumm. nmmoniaci , — galbnni, Resin. guajnc. nntiv., Aloes
succotr. , Sapon. medicat. ana 5J3 , Ol. pyro - carhonici §|^, M. f. pil. pond.
gr. jj. S. Dreimal täglich 10 — 15 Stück (Lwcns). Auch Arnica, Kampher,
Ol. animale, Empl. caustic. auf den Processus mastoideus werden gelobt.
ISlepharoptosis , Herabsinken des Augenlides wegen Lälv-
mung (^Jitepharople(jin), oder Krampf (^Blepharospasmus^, s. diese Artikel und
Prolapsus palpebrae.
Blepharospasmus , Ptosis spastica , Augenliderkrampf-
Symptome. Anhaltende, unwillkürliche Zusammenziehung des Muse, orbi-
cularis, lästiger Druck auf den Augapfel, erweiterte Pupille, nicht selten
halbseitiges Kopfweh, völliges Verschliessen des Auges, wenigstens periodisch.
Das Übel ist oft recht langwierig, dauert Wochen, Monate. Ursachen-
Heftige Erkältung des Kopfs durchs Hutabnehmen; kaltes Waschen, Hyste-
rismus, Amblyopia amaurotica. Cur. Äusserlich Sublimat ( gr. j auf ^iv
Aq. rosar. mit Sjj Extr. opii aquos.), Elektricität, ein Erapl. fenestr. mit
286 BLESTRISMUS — BORBORYGMI
Lap. ca\ist. zwischen den Winkel» des Unterkiefers und dem Process. ma-"
stoid. der leidenden Seite, worauf der Brandschorf mit Digestivsalbe ver-
bunden und die Stelle lange in Eiterung erhalten wird. Bei Hysterismus
innerlich Antihysterica, bei Erkältung Kampher, in chronischen Fällen auch
alle Abende gr. jj — jjj Herb, belladonnae iHimhj).
BlestrismuiBi , s. Astasia.
BombuSj Ohrensausen, s. Enechema.
Borboryg^ini , Leib kollern, Knurren im Leibe. Ist ein ge-
wöhnliches Symptom bei dyspeptischen Beschwerden, Colica flatulenta etc.
Häufig gehen Borborygmi einer Diarrhöe vorher, selbst der Cholera orien-
talis. Bei hartnäckigen Durchfall und Tympanitis sind sie ein schlimmes
Zeichen (^HufeJanit). Eine zu starke Luftentwickelung im Darmcanal (^Pneu-
7nntosis intestinalis^ ist die nächste Ursache der Borborygmen , sowie der
Ructus und Flatus. Diese Darmpneumatose ist ein constantes Symptom in
der Cholera, das man aber eben so wenig seiner Wichtigkeit nach genug
gewürdigt hat als die Darmpneumatose überhaupt, so dass man nicht einmal
genug die Gasarten kennt, aus denen jene Luft, bald mehr bald weniger,
besteht. Dass ein abnormer Zustand der Luftentwickelung im Magen imd
den Gedärmen nur in die Pathologie gehöre, die Pneumatose an sich aber
nicht, so lange sie das Mass und die natui-gemässe Qualität nicht überschrei-
tet und verändert — denn die entwickelte Luft erzeugt keine Beschwerden,
sondern ihre verhinderte Ausscheidung — , dass selbst Luft zur Verdauung
nothwendig sey und den Motus perlstalticus begünstige, ist bekannt. Hier-
auf stützt sich ja auch die Thatsache, dass man durch Lufteinblasen in den
Mastdarm durch sogenannte Luftkl ystier e selbst die hartnäckigste Lei-
besverstopfung heben kann , wie dieses die Erfahrungen King^s und Charles
Fcudes gegen Ileus bestätigt haben (s. Behren(Vs Repertor. d. medic. chir.
Journalistik des Auslandes 1831. Decbr. S. S05). Auch bei Hernia incarce-
rata schlage ich dieses Mittel vor. — Je unmässiger der Mensch im Essen
und Trinken lebt und je schwächer seine Digestionskraft ist , je mehr der
Darmcanal an Trägheit, Torpor leidet und je spastischer die Körperconsti-
tution ist, desto mehr entwickelt sich Luft im Darmcanal, die quantitativ
und qualitativ von der gewöhnlichen Darmluft abweicht, die vorzugsweise
aus Azot und Hydrogen, auch aus Kohlensäure besteht. Chevreul und Ma-
gendie (Annal. de Chimie et de Physique. 1816) analysirten im J. 1814 u.
1815 cliemisch die Darmluft eines Verbrechers, der nach einem massigen
Genüsse von Brot, Käse und Wasser zwei Stunden vor der Untersuchung
hingerichtet worden war. Der Magen enthielt 11 Vol. Oxygen, 71,45 Azot,
3,55 Hydrogen, 14 Kohlensäure. In den dünnen Gedärmen waren 20,08 Azot,
65,53 Hydrogen, 24,39 Kohlensäure. In den dicken Därmen fanden sich:
51,03 Azot, 5,47 KohlenwasserstofFgas , 43,50 Kohlensäure und einige Spu-
ren von Schwefelwasserstoffgas. Bei einem zweiten Verbrecher unter glei-
chen Verhältnissen fand Magcndie im Magen kein Gas, und im Darmcanal
ein quantitativ ziemlich abweichendes Verhältniss. Bei einem dritten, der
vor seinem Tode Rindfleisch, Brot und Linsen gegessen, auch Rothwein
getrunken hatte, fand derselbe in den dünnen Gedärmen: 66,60 Vol. Azot,
8,40 Hydrogen, 25 Kohlensäure, im Blinddarm dagegen: 67,50 Azot, 7,59
Hydrogen, 12,50 Kohlensäure , und 12,50 gekohltes Wasserstoffgas ; und im
Mastdarm: 45,96 Azot, 11,18 Kohlenwasserstoffgas, 42,86 Kohlensäure; die
dicken Gedärme enthielten ziemlich viel Schwefelwasserstoffgas. Nach P. F.
dievillot (s. Behrendts Repertor. d. ausl. med. chir. Journalistik. 1833. Decbr.
S. 263) hat Jnrine die Gasarten bei Menschen zuerst analysirt. Seine Schrift
darüber wurde im J. 1789 von der medicinischen Gesellschaft gekrönt. Auch
er fand als den vorherrschendsten Bestandtheil die Kohlensäure. Obgleich
die mit den genos.senen Nahrungsmitteln eingeschluckte Luft Antheil an der
Luft im Darmcanal hat; so würde es doch höchst einseitig seyn, die nor-
male wie die abnorme Darmpneumatose nur allein davon abzuleiten. Nach
genauen Untersuchungen kann man zwei Arten der nach tmten abgehenden
BORBORYGMI 287
Blähungen unterscheiden. Die eine geht vom Magen aus rasch durch den
dünnen Theil der Gedärme hindurch zum Dickdarm, und durch diesen, wenn
weder KraHi[>f, noch Obstructio alvi den Weg versperren, aus dem Körper,
und zwar noch während der Vorbereitung des Speisebreies im Magen. Hier
ist der reichliche Genuss von blähenden Speisen Schuld; diese Blähungen
bestehen vorzüglich aus Kohlensäure und Stickgas, sind daher nicht beson-
ders stinkend. Die andere Art Blähungen erzeugt sich erst später im Dick-
darm unter gleichzeitiger Anhäufung der dahin geworfenen Excremente.
Hierbei ist die Leberfuuction von grossejn Einliuss. Sie stinken bedeutend,
bestehen aus gekohltem und geschwefelten Wasserstoffgas und brennen da-
her, wenn man ihnen ein Licht nahe bringt, mit bläulicher Flamme. Bei
sehr schwacher Verdauung, bei Gewohnheitstrinkern enthalten sie auch
Phosphorgas , welches in einzelnen Fällen wahrscheinlich den ersten Impuls
zur spontanen Verbrennung des menschlichen Körpers gegeben hat (s. John's
ehem. Tabellen des Thierreichs S. 35. Pierer^s Anatom, physiolog. Realwör-
terbuch Bd. I. S. 780). Bei heftiger Colica ilatulenta, entstanden durch
Erkältung, Ärger etc. , bemerken wir im Darmcanal der Kranken eine grosse
Quantität schnell entwickeltier Luft, selbst des Morgens, bei nüchternem
Magen , bei Menschen , die binnen 10 Stunden gar keine Speise oder Ge-
tränk zu sich genommen und an den vorhergegangenen Tagen höchst massig
gelebt und durchaus keine blähende Kost genossen haben. Hier entwickelt
sich das Gas bestimmt aus der Säfteraasse während jenes Processes, durch
dessen Hülfe die Secretionen im Darmcanal und die active Kothbereitung
von der Norm abweichen. Um aber das Pathologische, das in so vielen
Krankheiten mit Darmpneumatose zu wenig zeither beachtet worden ist,
wovon nur Strahl eine Ausnahme macht (vergl. Asthma nocturnum),
näher zu würdigen, mag hier das Physiologische, die Function des Darm-
canals bei Gesunden , ein wenig betrachtet werden. Der Magen und Oeso-
phagus bilden nach meiner Ansicht das Ingestionsorgan, der Blinddarm
dagegen, als sein Gegensatz, mit den dickern Därmen (Colon, Rectum)
consütuirt für diese Darmcanalfunction das Egestionsorgan; der dünnere,
sich durch seinen Bau und seine Eigenheiten eben so vom Magen als dem
gesammten Dickdarm auszeichnende Darmcanal aber liegt zwischen beiden
als ein intermediäres Gebilde, dessen obere Hälfte (Duodenum und Jejunum)
noch den überwiegenden Charakter der Ingestion, dessen untere hingegen
(lleum) schon überwiegenden Charakter der Egestion hat. Eine Grenze
'/.wischen beiden Hälften kann nicht unterschieden werden ; die Indifferenz
zwischen In- und Egestion liegt indessen in demjenigen Theile, der gleich
weit A'om Magen und Blinddarm entfernt ist. Dieser Punkt ist in pathologi-
scher Hinsicht wichtig, indem er bald mehr, bald weniger vorherrschende
Egestion und mit ihr stärkere Entwickelung von Gasarten zeigt, wobei
<lenn der alienirte Nerveneinfluss des Nervus vagus und sympathicus maxi-
mus, dienend zur Secretion, gleichviel, ob es Fluida oder Gasarten sind,
sowie die abnorme Function der Lymphgefässe und der Venen mit ihrer
Einsauginigskraft nicht zu übersehen, und endlich auch der sonstige physi-
sche Bintluss, den verschiedene Fluida unter gewissen Temperaturgraden
erleiden , mit in Anschlag zu bringen ist. Dieser Gegenstand, bedarf noch
zahlreicher und genauer Untersuchungen , und das Pathologische muss auch
hier, wie in so manchen andern Fällen, für das Physiologische noch vieles
aufklären. Berücksichtigen wir die Ursachen der Luftansammlungen im Zell-
gewebe (Emphysema, Sarcites flatuosus), welche häufig eben so wie die
Luftansammlungen in den Höhlen des Körpers nur etwas Symptomatisches
siiid , das sich im leichten Grade periodisch schon bei heftigen Anfallen der
Hysterie zeigt, wo denn die Gasentwickelung oft schnell entsteht und schnell
verschwindet, je nachdem der Krampf auftritt oder gehoben ist, und die
Säfteraasse die Luft ausscheidet oder die einsaugenden Gefässe sie wieder
resorbiren ; — • so werden wir finden , dass theils innere allgemeine , theils
äussere örtliche, bald mehr biochemische, bald mehr mechanische Ursachen
an solcher Pneumatose Schuld sind. So entsteht der Meteovismns in bös-
288 BOTHRIOCEPHÄLUS — BRANCHUS
artigen Fiebern durch den zu geringen NerTeneinfluss, durch allgemeine
Schwäche der Nervenkraft und durch daher erfolgten vorherrschenden Che-
mismus der Säfte: Neigung des Blutes zur Sepsis, CoUiquatJon. Es ist eino
Casentwickelung, welche jeder sich der faulen Gährung nähernde Process
zum Begleiter hat. Die wahre Trommelsucht ist häufig nur das Symptom
von Hydrops, Melas icterus mit gestörter Digestion und einem hohen Grade
von Adynamie, und das Emphysematische, welches wir bei localer Gangrän
so häufig wahrnehmen (auch nach der Electropunktur ) entsteht duich die-
selben örtlichen Ursachen, die, wenn sie allgemeiner wirken, in Faulfiebern
den Meteorismus erregen. Nehmen wir das Emphysema pectoris und den
Physocephalus, die zuweilen allein Folge mechanischer Verletzungen sind,
aus; so müssen wir einräumen, dass das Emphysema cellulare universalo
meist nur auf chemischen Wege in Folge bedeutender Säfteverderbniss ent-
steht. Der Zellstoff in der Mucosa des Darmcanals dient vorzüglich zur
Einsaugung von Flüssigkelten bei Menschen und Thieren (s. Tiedeinanris
Physiologie Bd. I. S. 226) ; er leidet bei allen spastischen Übeln , bei de-
nen Verminderung des Turgor Aitalis der Haut wahrgenommen wird, eben
so wie der Zellstoff unter der Haut , w eil hier der lebendige norm.ale Ner-
veneinfluss mangelte und der eigentliche Sitz des Krampfes ist das Zellge-
webe (s. Spasmus). Hieraus erklärt es sich, wie abnorme Gasentwicke-
lungen in allen Theilen des Körpers, ja selbst im Blute (s. Spitln, Die Lei-
chenöffnung etc. S. 255 — 279.), vorzüglich aber im Darmcanal entstehen
können (im Blute besonders nach Verblutungen , starken Aderlässen) , ohne
dass der Genuss von Nahrungsmitteln Schuld wäre. Im Darmcanal müssen
diese Gasentwickelungen um so bedeutender auftreten, je bedeutender der
vitale Hautturgor, im Antagonismus mit dem Turgor des Darmcanals, der
nun vicariirt, vermindert ist. Ist diese Pneumatose in den Gedärmen ein-
mal da , so können die Sauggefässe des Darmcanals sicher auch Gasarten
ins Blut führen, die dann um so feindseliger auf letzteres wirken, je gifti-
ger sie sind. Dieser Umstand ist bei Cholera orientalis, wo Borborygmi so
bedeutend stark und als erstes und constantes Symptom bemerkt werden,
bis jetzt noch nicht gehörig gewürdigt worden. Wichtig ist hier die Unter-
suchung der Frage: Auf welche Weise entwickeln sich in der morgenländi-
schen Brechruhr die Gasarten im Darmcanal ? woraus bestehen sie, und wie
kann man ihren nachtheiligen Wirkungen aufs Blut am besten vorbeugen?
Diesen Gegenstand habe ich bei dem Artikel Cholera orientalis weitläuftiger
erörtert; daher ich hier nur noch der guten Wirkungen des kaustischen
Ammoniums gedenke, das die aus Kohlensäure und Schwefelwasserstoff be-
stehenden schädlichen Gasarten des Darmcanals nicht allein chemisch zer-
setzt, sondern gleichzeitig noch dadurch so wohlthätig in der Cholera wkkt,
dass es das so sehr gesunkene Nervenleben kräftig bethätigt.
Botliriocephalusr, der Grubenkopf. Ist eine Art Bandwurm,
8. Helmint hiasis.
Botlirion» kleines Hornhautgesch\vür, s, Ulcus corneae.
Botryon, Traubenauge, s. Staphyloma,
Bracliypnoca» Kurzathmigkeit. Ist ein Symptom bei \'ielen
Krankheiten, bei den meisten hitzigen Fiebern, bei Pneumonia, Phthisis pul-
monalis, Asthma etc., und erfordert die Behandlung des Grundübels.
Bradyecoia, Schwerhören, s. Cophosis.
BradyuiasesiSj erschwertes Kauen. Ist ein Symptom bei Par-
otitis , Glossitis , Trismus im niedern Grade , bei Krankheiten der Gelenk-
köpfe der Maxilla inferior etc.
Bradypepsia, Concortio tarda, langsame, träge Verdauung.
Ist ein Zeichen des höhern Alters, der Hypochondrie etc.
Brady,<^tiria, beschwerlicher Harnabgang, s. Rctentio urinae.
BraiicliuuSj s. Raucedo.
BRONCHITIS 289
Bronchitis; Ani/ina IronchuiJis Stall, Anffinn pectoris Seile, (Pe-
ripneumonitt notim bei Huxham und Sifilenham) , Inflnmmatio hromhiorum,
Pleuritis hnmida, hronchiaUs, Entzündung der Luftröhren äste. Die-
ses Übel ist oft übersehen worden, bis Badham, Hasttny, P. Frank und
Albers vorzüglich darauf aufmerksam machten (s. Hosting, Abhandl. über
Eutz. d. Schleimhaut d. Lungen. A. d. Engl. v. v. d. Busch. Bremen 1822.
Lorinser, Lehre v. d. Lungenkrankheiten. Berlin. 1823. S. 361 — 429.). Es
ist eine acute Krankheit, ein wahres Nebenstück des Croups , und was man
unrichtig Bronchitis chronica genannt hat, ist wol nur Verwechselung mit
Phthisis laryngea und trachealis gewesen (ff jm?*/) , oder ein secundärer Zu-
stand in Folge der Bronchitis vera, acuta. Das Übel hat Ähiili<;hkeit mit
Catarrhus pulmonum , doch leiden hier theils die tiefern Theile der Lunge
nicht so sehr, theils ist diese Krankheitsform mehr entzündlicher Natur, da
hier die Broachialblutgefasse heftiger ergriffen sind. Aus diesem Grunde ists
auch unrichtig, wenn Lnennec das Übel Catarrhe pulmonaire nennt, ob-
gleich es sich nicht leugnen lässt, dass in der Praxis Fälle vorkommen, wo
ein heftiger Lungenkatarrh und eine massig starke Bronchitis kaum dem
Grade nach verschieden erscheinen , auch eine und dieselbe Behandlung er-
fordern (iMosf). Symptome der Bronchitis vera, acuta. Die Krank-
heit befällt sowol Kinder, als Erwachsene, complicirt sich zuweilen mit dem
Croup und Keuchhusten, Avoran vorzüglich heftige Erkältung Schuld ist, und
erfordert schnelle und kräftige Hülfe. Sie beginnt mit einem Gefühl von
Zusammenziehung, von Unbehaglichkeit in der Brust, die Respiration wird
ängstlich, unordentlich, geschieht mit grosser Anstrengung; zugleich, oder
bald darauf, entsteht Husten ohne Erleichterung, anfangs ohne Expectora-
tion, meist immer trocken , zuweilen feucht , ohne dass der Auswurf erleich-
tert ; der Athem hat einen eignen pfeifenden , krähenden Ton , der etwas
Scharfes, nichts Rasselndes, Schlotterndes zeigt und nur durch den Reiz
entsteht. Periodisch kommen des Tages einige besonders schwere Anfälle
von Dyspnoe, selbst Orthopnoe, wobei die Menschen nicht platt liegen kön-
nen , sondern sich , wie bei Croup und Hydrothorax , aufrichten müssen ;
dabei trockne Haut, harter Puls, sparsamer, dunkler Harn, belegte Zunge.
Wird das Übel nicht binnen den ersten sechs Tagen gehoben , so sinken
plötzlich Puls und Kräfte, es entsteht ein sehr copiöser Auswurf, kochendes
Geräusch auf der Brust, am Kopfe stellen sich partielle kalte Schweisse, an
den Gliedern Kälte, Zittern, allgemeine Convulsionen, Delirien und meist am
achten, neunten Tage Erstickungstod ein. Die Section zeigt das Lungen-
parenchym weder entzündet , noch auf andere Art pathologisch verändert,
aber die innere Fläche der Luftröhrenästc ist roth, entzündet und mit eiter-
ähnlicher Lymphe bedeckt. Ursachen. Sind dieselben des Croups und
der Pneumonie. Besonders gehören hierher schneller Temperaturwechsel,
heftige Nord- und Nordostwinde im Winter und Frühjahr, krankhafte Reiz-
barkeit des Respirationsorgans , das Einathmen scharfer Dämpfe , wie bei
Goldarbeitern , Hutmachern. Zuweilen geht die Angina laryngea und tra-
chealis, sowie die Pneumonie in Bronchitis über; auch gesellt sie sich mit-
unter zu Scharlach, Pocken, Masern, zu Keuchhusten. Endlich können auch
mechanische Schädlichkeiten : Verwundungen, Quetschungen, das Verschluk-
ken fremder Körper, die in die Luftröhre gelangen, sie veranlassen. Der
Verlauf des Übels ist meist rasch. Wird frühe und gute Hülfe versäumt,
so kann schon in den ersten acht Tagen der Tod folgen ; oft dauert die
ganze Krankheit 14 — 21 Tage. Gute Zeichen sind Nachlassen der Angst
und der Brustbeklemmung, freie, erleichternde Expectoration, runder, kug-
liger Auswurf, Nachlassen des Fiebers, allgemeiner Schweiss, dicker, trü-
ber Urin mit starkem Bodensatz. Schlimme Zeichen sind das Fehlen
dieser Krisen am achten oder neunten Tage der Krankheit, kalte, klebrige
Schweisse, kalte Glieder, graue oder bläuliche Gesichtsfarbe, höchst kleiner
Puls, der äusserst schnell, ungleichmässig , aussetzend ist, hoher Grad von
Dyspnoe, lähmungsartiger Zustand. Diagnose. Vom Lungenkatarrh unter-
scheidet sich das Übel durch die grössere Heftigkeit und den liaschern Ver-
Most Encyklopädie. 2te Aufl. l. 19
290 BRONCHOCELE — BUBONOCELE
lauf, von der Pleuritis dadurch, dass hier 1) kein stechender Seitenschraerz,
sondern ein allgemeines Schmerzgefühl in der Brust da ist ; 2) dass der
Kranke, ohne den Schmerz zu vermehren, auf beiden Seiten, aber nicht
platt auf dem Bücken, sondern nur vorwärts gebeugt, wie bei Brustvsasser-
ßucht, liegen kann; S) dass hier der AtUera und die Stimme pfeifend sind,
^as bei Pleuritis fehlt; 4) bei Bronchitis ist der Puls nicht so hart, als bei
Pleuritis, der Blick des Kranken ist indessen ängstlicher, aus Furcht vor
Erstickung (^Bndhmii). Cur. Man fange mit einer Venaesection an, und
behandle das Übel wie Pleuritis und Angina merabranacca; lege also nach
dem Aderlass ein grosses Vesicator auf die Brust , mache reizende Fussbä-
der, gebe Merc. dulcis, bei schon eingetretener Schwäche mit Sulph. aurat.,
Kampher, Moschus, Senega, Arnica etc.
Bronchitis asthenica. So hat man wol die Pneumonia pituitosa genann*.
Bronchitis caturrhaJis. Ist Catarrhus bronchlorum. Dass ein heftiger
Lungenkatarrh bei plethorischen Subjecten in die wahre Bronchitis überge-
hen könne, ist keinem Zweifel unterworfen.
Bronchitis chronica, s. Bronchitis.
Bronchitis epidemica. So hat man wol den Keuchhusten genannt, ».
Tussis convulsiva.
Bronchitis memlrnnacea. Diese Form , -wobei im günstigen Falle durch
die Expectoration eine Menge membranöser Massen , in Form von kleinen
und grössern Röhrchen, die verzweigt, in Gestalt eines Bäumchens zusam-
menhangen, von blasser Rosafarbe sind, und oft durchsichtig, wie Bläschen
erscheinen, ausgehustet werden, ist selten. Fälle der Art finden wir bei
Morijagni (De sedib. et caus. morbor. T. I. p. 425), Schmidtmnnn (Summa
observationum ex praxi medica triginta annorum) und Malcz (Magaz. für
Heilkunde und Naturwissenschaft in Polen von Dr. Leo. Warschau, 1828.
1, Jahrg. 3. Hft.). Seitenschmerzen, kurzer Athem, Dyspnoe und nach dem
zehnten Tage die beschriebene, nicht blutige Expectoration sind die Haupt-
symptome. Der Auswurf dauert oft mehrere Wochen. Cur. Zu Anfang«
streng antiphlogistisch, später Expectorantia: Merc. dulc. mit Sulph. aui'a-
tum, Senega, äusserlich Vesicatorien u. s. \v.
Bronchocele, veralteter Name für Kropf, s. Struma.
Brondiotomia, Eröffnung der Luftröhre, s. Laryngotomia.
Bronchus, Heiserkeit, katarrhalische Bräune, s. Angina catar-
r h a 1 i s.
Broussaiismus » die medicinlsche Lehre des Broussais, s. Medi-
cina.
BrOMnaianismus, die medicinische Lehre des J. Brown, s. Medi-
r ina.
Bryg^muS, Stridor dentinm, Zähneknirschen. Ist ein Symptom
mancher Krampfübel , der Epilepsie , der Apoplexie etc. Am Ende hitziger
Fieber ist es ein böses Zeichen. Wenn sonst ge.sunde Kinder im Schlafe
mit den Zähnen knirschen , so hat dies meist wenig zu bedeuten.
Bnbo« BiiJio inijuinaUs , Panochia, Buhonopmnis, Camhuca, eine Lei-
stendrüse, Bubo, Pauke, Scharabeule, Drüsengeschwulst.
Es giebt mehrere Arten Bubonen wie folgt:
Bubo nrthriticus, s. Arthritis.
Bulo metastnticus. Als Folge von acuten Exanthemen, Nerrenfiebern etc.
Bubo pestilentialis, s. Anthrax seu Carbanculus.
Bubo scorbuticus ,s. Scorbutus.
Bubo scrophulosii^ , s. Scrophulosis.
Bubo venereus idiopatidcus , primnrius und sytnpaihictts , consecutivm, s.
Syphilis.
Bubonoeele» Leistenbruch, unrichtiger jed« Geschwulst in der
Lci<iteiigegend., s. Hernia inguinalis.
BUBONULÜS - CACHEXU 291
BubonuliMf Lymphgeschwulst am Penis. Ist zuweilen begleitendes
Symptom des Trippers, s. Gonorrhoea.
Bucephalus, der Ochsenkopf, ein ochsenhorn förmiger Einge-
weidewurm; s. Helminthiasis.
JBucnemia. Ist Anschwellung eines oder des andern Unterschenkels.
Mit Unrecht nennen Einige auch so die Anschwellung des Oberschenkels
(^Kraus).
Bucnemia sparganoticn. So nennen Einige die weisse Kniegeschwulst
der Wöchnerinnen. S. Phlegmatia alba dolens puerperarum.
Bulimia, s. Bulimos.
Buliinos, Buliniia, Bttpina, Appetitus caninus, Heisshunger, s. Appe-
titus raorbosus.
Bupllthalinos ( Ochsenauge, Elephantenauge. Ist Hervor-
ragung und Vergrösserung des Augapfels durch Hydrops , durch Carcinom
in der Orbita, Verwundung etc., ß. Ophthalmoptosis, Hydatis glan-
dulae lacrymalis.
Bupina, s. Bulimos.
Bursa sulicutaniCa patellariSs s. Hygroma.
C.
CacaleXiteria« Mittel gegen schlechte, verdorbene
Säfte, gegen Ansteckungen etc. , also solche Mittel, die mehr chemisch
als dynamisch gegen die verschiedenen Kachexien und Dyskrasien gebraucht
werden und in welcher Hinsicht die neuere Chemie ganz besonders einen
wohlthätigen Einfluss auf die praktische Heilkunde gehabt hat. Ich erin-
nere hier nur an die herrlichen Wirk\ingen der Übersalzsauren Räucherungen
nach Guyton -Morue««, gegen typhöse und fauligte Fieber, an die grossen
Wirkungen des Chlorkalks und Chlornatrums gegen Gangränescenz, Hospi-
talbrand , an die Mineralsäuren gegen CoUiquationen, Scorbut, Chlorosis, an
den Schwefel gegen Mercurialkachexie , an die kaiischen Mittel gegen Säure
der ersten Wege u. s. w.
Cachexia, Cacheiis., Status cacJiectictis , übler Gesundheits-
zustand mit auffallend krankhaftem Ansehn, mit Mangel an
Farbe (^Achromasia'). Unter diesem Namen begreifen die altern Ärzte alle
diejenigen chronischen Krankheiten der Reproduction , welche mit schlechter
Digestion, Nutrition und Assimilation verbunden sind , und Missfarbung, Ent-
stellung des äussern Habitus zur Folge haben, deren Wesen auf abnormen
Mischungsverhältnissen, besonders der Säfte, beruhet; z. B. die Hyperoxysis
bei Scropheln, Rhachitis, bei Lithiasis und chronischen ßlennorrhöen , bei
Diabetes, die Hypercarbonisatio, das Übermass von Kohlenstoff bei Scorbut,
paralytischen Blutungen, venöser Dyskrasie, Hämorrhoidaldyskrasie , Icterus
hepaticus , Leberverhärtung , Gallensteinen ; auch die Chlorosis , die Mercu-
rialkrankheit , der Morbus maculosus , die Cyanosis , die chronischen Pete-
chien gehören unter die kachektischen Übel (s. Dyscrasia), sowie die Was-
sersüchten, Phthisen, Impetigines etc. Dass diese Krankheitseintheilung eben
so mangelhaft sey als die, wo die Dolores eine Krankheitsciasse abgeben,
ist bekannt. Übrigens rechnet Sauvages unter die Classe der Kachexien
sechs besondere Ordnungen. Bei Celsus ist Kachexie malus corporis hahittis.
Die Benennungen Cacochymie, Dyscrasie und Intemperies stehen
der Kachexie als erläuternde Synonyme zur Seite; denn die krankhaften
Veränderungen der organischen Materie in chronischen Übeln sind höchst
verschiedenartig und mithin eben so die ihnen zum Grunde liegenden Leiden
der Reproduction {Heclcer in Rusfs Handb. d. Chirurgie Bd. III. S, 842).
19»
292 CACHEXIA
„Es war daher nothwendig — sagt Hecker — dem weit Terbrelteten Be-
griffe der Kachexie engere Grenzen zu ziehen." Daher nannte man nur die-
jenigen chronischen Krankheiten kachektische, in denen die Zufalle von or-
ganischer V^erderbniss oder Eiitmischiuig der Säfte auffallender liervorlreten,
so dass sie die übrigen Symptome gewisserniassen beherrsciien. Hierin fand
aber viel Willkürlichkeit statt , so dass nach den jedesmaligen Theorien,
mit Vorbehalt des allgemeinen Begriffs von kachektischer Verderbuiss, und
indeU) man besonders den leukophlegmatischen Zustand im Sinne halte, bald
diese, bald jene chronischen Krankheiten zur Classe der Kachexien gerech-
net wurden. In den systematischen Handbüchern der IMedicin zählt man eine
grosse Menge Krankheiten , die kaum unter einen allgemeinen Gesichtspunkt
zu fassen sind, zur Classe der Kachexien, namentlich alle Abmagerun-
gen, Wasser suchten, Rhachitis, Syphilis, Scorbut, Elephan-
tiasis, Lepra, alle chronischen Hautausschläge, Gelbsucht,
Weichselzopf, Phthiriasis, Bleichsucht etc. Hccler statuirt als
besonders wichtig folgende Arten: 1) Cnchexin abdominalis, gnstrica.
Hier ist das Grundübel ein Leiden der Digestionsorgane, und zwar entwe-
der «) ein einfacher chronisch -gastrischer Zustand im Magen, wie in dem
übrigen Darmcanale, der auf fehlerhafter Absonderung der Darmschleimhaut,
Verschleimung, Pyrosis, krankhafter Gallenabsonderung, oder auf Schwäche
der Verdauung beruhet; oder 6) Trägheit der Abdominaicirculatioa , Phys-
konien, Anschoppungen, atrabilarischer Zustand, dessen Charakter in einem
Vorwalten des Venensystems ohne organische Verderbniss besteht ; oder c)
organische Fehler in irgend einem zur Verdauvuig gehörigen Organe. Hier
leidet die Nutrition, die Sanguification ; die Venosität herrscht vor; daher
Trägheit aller Functionen, schmuzig blasses, erdfahles Ansehn, schlechtes
Heilen der Wunden , späterer Eintritt der Eiterung , Neigung zu Ulceration
und Gangrän bei solchen Subjecten. Das einfache Wundtieber wird leicht
typhös. Die Geschwüre nehmen den kachektischen Charakter an, d. h. sie
werden kreisrund , ihr zelliger Grund färbt sich weisslichgrau , wird mehr
speckähnlich, die Ränder werden schlalf, zuweilen auch von einem rothen
Hofe umgeben , und sie heilen ohne Ausnahme schwerer. Die gastrische
Kachexie ist oft der Grund von Amblyopie, Amaurose, Mückensehen. Der
Wundarzt muss ohne grosse Noth keine Operation bei obwaltender gastri-
scher Kachexie unternehmen, sondern letztere vorher beseitigen, und zwar
durch Evacuantia, Resolventia: Kalomel, Kheum, Salmiak, später Roboran-
tia , Amara. Die gastrisch - atrabiläre Kachexie, beruhend auf Atrabilis, In-
farcten, tritt leicht zu inveterirter Hämorrhoidalkrankheit und bleibt sehr
oft nach häutig und oft überstandenen Wechsel fiebern zurück. Sie begün-
stigt Desorganisationen der Unterleibsorgane, passive Geschwülste, hetero-
loge Pseudoorganisationen: Scirrhen. Häufig folgen auch hartnäekige Fuss-
gesehvvüre mit varicösem Ansehn (s. Ulcus varicosum). 'Hier passt dio
auflösende, ausleerende und hinterher stärkende Methode (s. Infarctus).
2) ("nchexia m^tfiriticH. Bei der ausgebildeten und eingewurzelten Gicht
lassen sich die materiellen Veränderungen im Organismus, das Leiden der
Digestion, das Vorherrschen des phosphorsauren Kalks in den Säften, der
durch Seh weiss und Lfrin kritisch ausgeschieden wird oder sich in den Ge-
lenken als Gichtknoten anhäuft, nicht verkennen. Besonders leicht wird
die erbliehe Gicht, angeerbt von Seiten der Mutter, zur Kachexie. Sie
steht mit der erblichen Neigung zu tödtlichen Blutungen beider
unbedeutendsten Vei4etzung in olfenbarer ursächlicher Beziehung (A^rtssc,
Kicken} , und es hat sich daher vor allen Mitteln hier der (^eberthran heil-
,sam bewährt (s. //. ('fi. Itichcn, Neue Untersuchungen in Betreff der erb-
lichen Neigung zu tödtlichen Blutungen. F'rankf. a. M. 1829). Ein Mehrere«
über die gichtische Kachexie und jene Blutungen kommt unter den Artikeln
Arthritis, Haem o rriiagi a iiaereditaria und Ulcus arthriticura
vor. 3) ('nche.riit imorln. ,,Hier sind — sagt Hecker — die Kriterien ei-
ner bestimmten Kachexie nicht vorhanden , sondern nur ein malus corporis
liitbitus, <leu man im gewöhnlichen Leben wol mit dein Ausdrucke „Such-
CACOCHOLIA — CACOCHIMIA 293
tigkeit" zu bezeichnen pflegt." Man findet hier we4ler bestimmte Zei-
chen der gichtischen, scrophulOsen , noch einer andern Kachexie, aber den-
noch heilen Wunden und Gesclivvüre scliwer, und, wenn sie einen bedeu-
tenden Umfang haben, in der Regel nur nach dem längern Gebrauclie sol-
cher Mittel, wodurch eine Umstimmung des ganzen Körpers bewirkt wird.
Hier sind die Methodus alteraas und evacuans an ihrem Orte (//ec^cr).
4) Cacheaeia leprosa , durch Lepra alba, rubra, squamosa, tuberculosa, Ele-
phantiasis; Einige zählen auch die durch Pseudosyphilis entstandene Kachexie
(Cachexia syphiloidea) hieher. S. Lepra. 5) Cachexia mercuriaUs. S. Sy-
philis. 6) Cachexia rhachUica. S. Rhachitis. 7) Cachexia rhcumaticn.
In vielen Fällen ists wol nur eine Cachexia arthritica, oder die Folge einer
sog. Arthritis rheumatica, deren Producte Tumor albus rheumaticus , Lymph-
geschwülste und Augenentzündungen, zumal an der Sklerotika, seyn können;
denn der acute Rheumatismus ist mehr eine Krankheit im Dynamischen , als
im Materiellen des Organismus. 8) Cachexia scorhiitica. Was das Faulfieber
unter den acuten , das ist — sagt Hecler — der Scorbut unter den chroni-
8chen Krankheiten. S. Scorbutus, Ophthalmia scorbutica, Ulcus
scorbuticum. 9) Cachexia scrophulosa. Es ist einseitig, die Ursache
der Scrophelkrankheit allein im Lymphsystem zu suchen. Die Wurzel des
Übels liegt in einer fehlerhaften Verdauung und Blutbereitung , wobei die
Function der Lungen bei dem Einwirken unreiner Luft, die ein mächtiges
Moment bei der Entstehung der Krankheit ist , nicht ausser Acht gelassen
werden darf. Nach HecJcer ist das Leiden des Lymphsystems bei Scrophu-
losis mehr ein secundäres, wenn auch in seinem Bereiche die auffallendsten
Symptome: Drüsengeschwülste, tnberculöse Entartungen etc. hervortreten.
Ist diese Kachexie im hohen Grade zugegen, so treten die verschiedenen
ßcrophulösen Knochenleiden hervor: Paedarthrocace, Caries, Necrosis. Auch
HecTxcr versichert, was auch ich oft gefunden habe, dass Leute, die in der
Jugend stark an Scropheln gelitten haben, im Alter leicht von Scirrhus und
Krebs befallen werden. „Die wichtigsten Mittel gegen die hartnäckige Ca-
chexia scrophulosa sind — sagt Hecler — die gelinden Quecksilber - und
Spiessglanzmittcl, Baryta muriatica, Conium maculatum, bittere, zusammen-
ziehende Arzneien, zumal Eichelkaffee, und zwischendurch Abführungei\ und
Bäder. S. Sero p hui osis. 10) Cachexia syphililica , vcnerea. Ist die se-
cundäre allgemeine venerische Krankheit mit ihren Folgen. S. Syphilis.
11) Cachexia syphiloidea. So nennt man jede Kachexie, die in ihren Er-
scheinungen mit der syphilitischen Ähnlichkeit hat, wohin die Pseudosyphilis
gehört (s. Syphilis spuria). Auch die Mercurialkrankheit und die Sero-
phelsucht rechnet Hecher, obgleich er sie doch schon unter besonderer Ru-
brik aufgeführt hat, hieher (s. iJ?<s<'s Handb. d. Chirurgie Bd. lil. S 342
bis 354. Pet. Bofjoslowsloy ^ Diss. de Cachexia generatim. Berol. 18i26.
Eisner, Diss. de Cachexia in genere. Beröl. 1818).
Cacocilolia» üble Beschaffenheit der Galle, z. B. bei Icterus.
Cacocbroea» schlechte, krankhafte Hautfarbe, z. B. bei
Kachexien.
Cacocitylia, üble Beschaffenheit des Näh rungss af tes ,
wie z. B. bei Atrophie , Scropheln und bei vielen andern ^Krankheiten der
Digestionsorgane.
Cacochymia, Kakochymie, schlechte Beschaffenheit der
Säfte. Die Alten verstanden unter diesem Namen besonders eine schlechte
Beschaffenheit des Bluts, worin sie bekanntlich den Grund der meisten
Krankheiten (nach den altern Grundsätzen der Säftepathologie) suchten, ein
Übermass krankhafter Säfte darin ; daher sie eine Cacochymia ulcerosa , bi-
Hosa, melancholica (atrabilaris) , acida, salsa, pontica, serosa, scrophulosa,
scorbutica, venerea etc. annahmen. Dagegen begriffen sie unter Kachexie
mehr einen äussern krankhaften Körperhabitus , entstanden aus der Anlage
zu schlechten Säften: ein bleiches, gelbliches, erdfarbnes Gesicht, einen
leukophlcgmatiächen , ödeniatösen Körper; also das Gegenthcil von Eucxia,
29-1 CACOGALACTIA - CACONYCHIA
besonders eine Anlage zn Febris lenta, hectica, Tabes und Hydrops. So-
mit bezeichnet das Wort Kachexie mehr das Generelle und Äussere solcher
chronischen Krankheiten , das Wort Kakochymie das Specielle und Innere
derselben, d. i. die eigentliche Dyskrasie oder den fehlerhaften Zustand
der Säfte, ein höchst wichtiger Gegenstand für den praktischen Arzt, be-
sonders in Betreff chronischer Übel (s. Krcysig , Prakt. Krankheitslehrc Th.
I. u. II. 1818 — 1819).
Cacogalactia. Ist bekanntlich die üble Beschaffenheit der
Milch, in specie der Muttermilch, wodurch der Säugling, der sie geniesst,
krank wird. Die Milch ist entweder 1) an sich gut, aber im Verhältniss
zum Säugling schädlich, z, B. wenn sie zu fett fürs Kind ist, wenn eine
Amme, die vor mehreren Monaten niedergekommen, ein neugebornes Kind
Rtillt (eine häufige Gelegenheitsursache des Hydrocephalus ; Gölis^ , oder
wenn der entgegengesetzte Fall eintritt, wo sie für den Säugling zu dünn
und mager ist ; oder 2) sie ist nur periodisch schädlich gew ordeu durch zu-
fällige, schädliche Einflüsse, besonders durch Gemüthsbewegungen und Lei-
denschaften der Mutter. So ists bekanntlich sehr schädlich , wenn die Mut-
ter ihr Kind gleich nach dem Coitus, nach heftigen Gemüthsbewegungen etc.
anlegt; ja man hat Beispiele in Menge, dass die früher ganz gesunde Mut-
termilch darch heftigen Zorn , Ärger , Schreck plötzlich eine so schädliche
Beschaffenheit bekam, dass dadurch der gesunde Säugling, der sie trank,
augenblicklich in die heftigsten Convulsionen verfiel, die in wenigen Minu-
ten mit dem Tode endeten, oder Lähmungen verursachten (^UufetmuVs Jour-
nal Bd. LVI. St. 2. Uarlcss, N. Jahrbücher d. deutsch. Medic. u. Chirurgie
1827. II. Suppl.-Bd. S. 66). Dies ist, beiläufig gesagt, ein Beweis, wie
innig im lebenden Organismus das Dynamische mit dem Materiellen (beson-
ders das Nervensystem mit dem Drüsensystem) verbunden ist, so dass rein
immaterielle Schädlichkeiten momentan materielle erregen, wie wichtig es
daher für den Praktiker ist, nicht einseitig zu theoretisiren , sondern die
Solidarpathologie mit einer nicht übertriebenen Säftepathologie zu verbinden,
und zwar auf dieselbe Weise , wie der echte Naturphilosoph Kraft und Ma-
terie mit einander verbindet und sich nicht eins ohne das andere als real
denken kann. Dass die Muttermilch, sowie der Speichel des Menschen durch
rein immaterielle Einflüsse: Zorn, Ärger, Wuth etc. eine giftige Beschaffen-
heit annehmen können, dass selbst das Blut später daran Anthell nimmt,
darüber finden sich zahlreiche Beispiele. (Yergl. Gesenitts Med. -moral. Pa-
thematologie. 1786. S. 120. — Unzer, der Arzt. Bd. 111. S. 43. — Schcidc-
mantel, Die Leidenschaften als Heilmittel. 1787. S. 171, — PechÜn , Prax.
admir. L. I. obs. 16. — Ilaller, Eiern, physiol. T. V. p. 586. — Gnuhius,
De regimine mentis, quod raedicorum est. Sermo II. p. 4. — Vtin Swielcu,
Comm. in Boerh. Aphor. T. III. p. 536. — IfVicÄTini, philos. Arzt. T. II.
p. 195. — Fr. Hotl'mann, Opp. omn. T. I. p. 195). 3) Die Milch kann dem
Säuglinge fortwährend schädlich seyn, wenn die Mutter an Nervcnübeln :
Epilepsie, Katalepsie, Hysterie, an Krebs und an andern kachektischen
Übeln leidet. Cur. Bei Nr. 1 schaffe man die Amme ab und ersetze sie
durch eine bessere; bei Nf. 2 gebe man den Rath, dass nach heftigen Kör-
per - und GeraüthsbeVN'egungen die Mutter ihren Säugling nie gleich anlegt,
sondern erst eine volle Stunde, wo sie sich ruhig verhalten hat, damit war-
tet. Bei Nr. 3 ists am besten, statt der kränklichen Mutter dem Kiude eine
gesunde Amme zu geben. Die äussern sichtbaren Zeichen der Muttermilch
geben über deren Schädlichkeit oder NichtSchädlichkeit wenig Auskunft.
Man sehe bei der Wahl einer Amme daher weniger auf die Qualität der
Milch , als darauf, ob die Amme selbst physisch und moralisch gesund ist,
ob sie hinreichend Milch und gesunde Brustwarzen hat, volle Brüste besitzt,
nicht an Syphilis leidet, etc.
CaconychiA, schlechte Beschaffenheit der Nägel. Ist oft
Folge von Syphilis, Panaritium, Scrophulosis; Verletzungen der Finger-
spitzen, der Zehen, von mechanigchen Ursachen etc., ». Onychexaliaxis.
CACOPATHU — CALEFACIENTIA 295
'CACOpaibla, schvreres Seelenleiden, Kummer, grosse Trau-
rigkeit, Melancholie.
CACopboniai, üble Stimme, schlechte Aussprache, 8. Balbuti«».
Cacoptarasia* Ist dasselbe, was CacophoHia.
Cacoprag^ia, Cacopraxis, ist Störung einer oder mehrerer organi-
schen Functionen, besonders der Verdauung. Es bedeutet dieser Aui»druc!k.
wörtlich die schlecht vor sich gehende Verrichtung. Galen nannte
besonders so die schlechte' Function der Leber und des Magens. Die Cä-
copraxis des Arztes geht mit Dummheit und Unwissenheit Hand in Har.d.
„Sie steht mit der Zahl und der Zweckmässigkeit der ärztlichen Bildungs-
anstalten, so\'<ie mit der Strenge der Staatsprüfungen — sagt Hccl-er — im
umgekehrten Verhältnisse, — ■ Grände genug, warum wir hoffen dürfen, das«
sie von Jahr zu Jahr ahnehmea werde. "
Cacorhacbitis , Rückgratskrankheit, vorzüglich entstanden aus In-
nern Ursachen, s. Arthrocace, in specie S pondy larthrocace; ferner
Cypbosis, Scoliosis, Lordosis.
Caeositia, grosse Abneigung gegen Speise, s. Antipathia und
Anorexia. , ; . . ,
Cacosphyxia,' a'briörmer, entweder zu langsamer, oder zu »chnel-
ier Puls. . ',
Cacosplanchnia, schlechte Verdauung, s. Dyspepsia.
Cacotliyiuia. Bedeutet 1) Bosheit, 2) Wahnsinn mit versteck-
ter Bosheit, o) grosse Niedergeschlagenheit des Geistes.
Cacotrichia« Krankheit der Haare, s. Alopecia,
Caeotrophia, schlechte Ernährung. Ist die Ur^Ache 'vieler
Krankheiten, der Atrophie, Scraphe.ln , Rhachitis etc., wo entweder gut«
Nahrungsmittel fehlen, oder wo letztere wegen Schwäche der Digestion,
Krankheit des Saugadersy«tems, der mesenterischen Drüsen etc. nicht gei-
hörig verdauet werden können , der Körper also nicht gedeihen kann.' ' '
Caecitas nocturna, Nachtblindheit, s. Visus diumus.et hd-
G t u r n u s. . '
Calculu», Stein. Die Steinbildung im menschlichen Körper 'beru-
het auf Krankheiten mit materieller Grundlage, besonders auf Arthritis irre-
gularis, Ivenn die Gichtmaterie sich nicht gehörig durch Urin und Schweiss
ausscheidet, sich in Verschiedenen Theilen des Körpers anhäuft und hier
steinige Concremente bildet. Auch die Blennorrhoe kann die Ursache sol-
cher Bildungen seyn , wie wir dies bei dem sogenannten Zahnstein (Calcu'-
lus dentalis; s. Abrasiö calculi dentälis) wahrnehmen. Obgleich fast
in allen Theilen des Körpers Steine gefunden worden sind , z. B. im Ge-
hirne (Calculus cerebrinus) , im Uterus (C. uteri) , in den Lungen (C. pul-
monum), unter der Zunge (C. subungualis), in den Gedärmen, besonders im
Processus vermiformis (C. intestinalis) ; so sind doch die Nieren , die Urin-
und Gallenblase diejenigen Stellen, wo die Steinbildung (Lithiasis) am häu-
figsten stattfindet; s. ^ithiäs,is, Icterus calculosus, Keteatio
urinae. . ' ' ;, ;'':;^;';',; 'V '■"':':"''":
Calef acientia » erwärmende iVfittel. Alles, was bei Kältege-
fühl äusserlich und innerlich erwärmt: warmer Thee, warme Bedeckung,
Spirituosa etc. gehören hierher. Man hat den Begriff der erwärmende^,
erhitzenden Mittel in der Heilkunst sehr ausgedehnt. Man rechnet hierher
als Externa: Waschungen, Einreibungen, Linimente, Salben, Pflaster, Ein-
streuung, Injectionen etc. Calefacientia interna sind: Asant, Galbanun^,
Gummi ammoniacum, Guajak, Benzoe, Terpenthin luid Ol. terebinth. , Bals.
de Mecca, copalvae, Indiens, tolutan., Weihrauch, Mastix; ferner Kampher,
Phosphor, die empyreumatischert Öle: Steinöl, Braunsteinöl, Braunkohlenöl,
Theer etc. Indicirt sind sie im Allgemeinen bei wahrer Adynamie des
irritablen Systems, bei Mangel an Energie im Gefässsysteme, bei vcrmiiider-
296 CALENDARIUM — CALLUS
tem Lebcnsturgor und solchem Calor animalis, bei schwachem, leeren Pulse,
Blässe der Haut, bei verschiedenen Dyskrasien und Cachexien, asthenischen
Fiebern, Neurosen, Lähmungen, bei Menstruatio retenta, doch dürfen hier
keine andern Ursachen , nur jene Irritabilitätsschwäche , zum Grunde lie-
gen. Contraindicirt sind alle Calefacientia interna bei echten entzünd-
lichen Leiden, sthenischen Fiebern, Vollblütigkeit, grosser Irritabilität, bei
jungen kräftigen Personen, bei Neigung zu Apoplexie, zu activen Blut-
flüssen, endlich bei Habitus phthisicus, bei Lungentuberkeln, bei Scirrhen,
Markschwamm, wo alle erhitzende Arzneien und Getränke, alle reizende
Speisen , Gewürze etc. den Erweichungsprocess oder den Übergang in car-
cinomatöse Verderbniss anregen und beschleunigen (^Sunddhi).
Calendarium, der sogenannte Kalender im Knochen, s. Callus.
Calig^o, Fleck der Hornhaut, s. Macula corneae.
Callositas , s. Indu ratio.
Cnfhsitas palpebrnrum, Augenlidverhärtung, s. Scleriasis.
Callus, die Bein- oder Knochennarbe, der Callus. Istdie
ausgebildete Masse, durch welche gebrochene Knochen organisch mit einan-
der verbunden werden, aber kein unorganisches, todtes Excret, kein blosser
Leim , wie man früher annahm. Er ist Product des bildenden Lebens , und
daher auch selbst lebendig, doch weicht die Structur der neu gebildeten
Knochenmasse von der faserigen an der Oberfläche der Röhrenknochen da-
hin ab, dass sie mehr ein netzförmiges, dichtes Gewebe darstellt. Diese
Masse füllt anfangs die Markhöhle in einer bestimmten Ausdehnung aus, und
reicht an der inwendigen Fläche der Corticalsubstanz so weit hinauf, als
wohin sich auf der äussern Knochentläche die neue provisorische Masse er-
streckt. Die grosse Festigkeit an Bruchstellen erklärt sich daraus, dass der
Callus innig mit der Corticalsubstanz des Knochens zusammenhängt. Auch
ist der Callus eben so reichlich, wie der ursprünglich erzeugte Knochen,
mit Gelassen versehen. Diese nehmen , nach Larrey , ihren Ursprung von
den Gefässen des Markcanals. Bei einfachen Fracturen und da, wo die
Brechenden mit einander gehörig in Berührung gebracht worden sind , fin-
det keine Wucherung des Callus statt, wohl aber bei schiefen Brüchen,
Zers])littennig, Übereinanderschiebung der Bruchstücke, wenn die Callus-
bildung während der Eiterung vor sich ging, wo die neue Knochenmasse
unförmlich wird. Die cliemische Analyse hat gezeigt, dass die neu gebil-
dete Knochenmasse mehr phosphor - und kohlensauien Kalk und dagegen
weniger animalische Materie enthält, als der ursprünglich erzeugte Knochen
(^Gauthier de Clauhry). Nach Duhamel bewirkt das Periosteum die Callus-
bildung, und der Knochen regenerirt sich nicht selbst. Andere sind dage-
gen der .entgegengesetzten Meinung. Die Resultate genauer Untersuchun-
gen sind: 1) das extravasirte Blut zwischen und um die Bruchstücke, so-
wie die losgetrennte Knochenhaut wird resorbirt und vermittelt nicht, wie
Jlunlcry Macdonnid und Ilowship glauben, die Verwachsung. 2) Es bildet
sich Entzündung und Geschwulst der Knochenenden, der Knochenhaut und
der zunächst liegenden Weichgebilde aus. S) Es erfolgt Absonderung eines
Bildungsstolfes aus der losgetrennten Knochenhaut in Folge der Entzündung,
an die Aussenfläche des Knochens, in das Markgewebe und das zu einer
pleuraähnlichen Membran sich umgestaltende Zellge\vebe , in den Zwischen-
raum der Bruchftächen und zwischen die Wcichgebilde in einiger .Ausdehnung
diesseits und jenseits des Bruches, wodurch eine Verschmelzung dieser jOr-
gane und Verminderung der rothon Farbe der Mu.skelfascrn bewirkt wird.
4) Es erfolgt Rückbildung der den Bruchflächen zunächst angchörigen Kno-
chenpartikelchen und Splitter auf eine frühere Stufe der Bildung (Weich-
werden der Knochenenden) und Absorption der weichgewordenen Masse, wo-
durch die Unebenheiten an den Bruchenden entfernt werden ; ferner 5) Bil-
dung von Blutgefä.ssen in dem abgesonderten Bildungsstolfi; zwischen der
Knochenhaut und dem Knochen, sowie im INIarkcanale. 6) Bildung eines
netzförmigen Kaochengc.vebes an der ianern Fläche der Cortical - und Mark-
CALOR MORDAX — CAMBUCA 297
Substanz der Bruchstelle^ wodurch die Markrohre verschlossen wird, und
etwas später Bildung eines faserigen Knochengewebes an der äussern Fläche
der Rindensubstanz in der zwischen sie und das Periosteum abgesetzten, au8
dem Zustande der Lymphe in den der Gallerte und des Faserknorpels iiber-
gegangenen , mit dem Knochen innig zusammenhängenden Masse. Die Bil-
dung dieser beiden in ihrer Textur etwas abweichenden Gewebe (zeitige
Ossification nach Meding) stellt als Product den Cal provisoire des
Dupuijtren dar, der nur interimistische Vereinigung bewirkt, aber noch keine
hinreichende Festigkeit gewährt. 7) Diese Knochenmasse wird bis auf eine
Scheidewand wieder aufgesogen, daher vermindert sich die Geschwulst der
Weichtheile in der Gegend des Bruchs und die Muskeln bekommen wieder
ihre rothe Farbe. Während dieses Processes bemerkt man endlich 8) gleich-
zeitig einen Übergang der aus dem Zellgewebe der Weichgebilde zwischen
die Bruchttächen abgelagerten plastischen Ljmphe in den gallertartigen und
dann in den knorpligen Zustand nach Medhuj und Weher , oder in die fase-
rige Structur nach Bonn, Macdonald und Brescliet ; eine deutliche Entwicke-
lung von Blutgefässen in derselben, und später einen Ansatz von Ossifica-
tionspunkten , von der Peripherie nach dem Centrum hin, die sich allmälig
vergrössert und denen sich neue hinzubilden. Dieser Process (die spätere
Ossification nach Meding , der Cal definitif des Dupugtrcn') , der erst der
Bruchstelle die nöthige Festigkeit und den sichern Gebrauch des Gliedes zu-
lässt, soll nach Bres^et und Dupmßren erst nach 6 Monaten beendigt seyn. — >
Dieses sind die Erscheinungen, unter denen die Callusbildung und Heilung
des Bruches vor sich gehen. Bei componirten und mit Wunden, Blutung etc.
complicirten Brüchen erfolgt die Bildung der Knochennarbe erst bei Auftre-
ten der Eiterung. Hier erscheint der Bildungsstoif unter der Gestalt voa
Fleischwärzchen, und der Callus wird unförmlich (^. L. Richter). In die-
sen Fällen bleibt meist immer der sogenannte Kalender an der Bruchstelle
zurück, d. i. jene habituelle krankhafte Disposition des Gliedes, wodurch
bei bevorstehender Wetterveränderung dehnende, bohrende, oft unerträg-
liche Schmerzen an der leidenden Stelle entstehen, und die periodisch oft
das ganze Leben hindurch bei jedem bedeutenden Wetterwechsel wieder auf-
treten, so dass man daraus mehrere Tage vorher das Wetter prognosticiren
kann. Vor 34 Jahren brach ich mir den Oberschenkelknochen, der, ob-
gleich 14 Tage nach dem unglücklichen Falle derselbe zum zweitenmal ab-
brach , dennoch ziemlich gut geheilt wurde ; der Callus bildete sich etwas
unförmlich und noch jetzt empfinde ich bei Wetterwechsel jenen lästigen
Kalender, den weder Bäder, noch Einreibungen auf die Dauer zu entfernen
vermochten (^Most).
Callus cutis, Tglus, die Hautschwiele. Sie bildet sich besonders an
den Händen und Füssen. Veranlassung geben: Druck, schwere grobe Ar-
beiten, Barfussgehen. Es nützen dagegen erweichende Bäder, mit Weizen-
kleien, Seife versetzt, und Abschaben der erweichten Oberhaut mit dein
Messer.
Callus ulccris, s. Ulcus callosum.
Calor mordax, brennende, stechende Hitze. Ist ein Sym-
ptom des Typhus und des Faulfiebers, das sich der Hand des Gesunden,
nachdem er die des Kranken berührt hat, mittheilt, einige Augenblicke an-
hält und ein eigenes beissendes , stechendes , prickelndes Gefühl in der Hand
verursacht.
Calvities, kahler Kopf, s. Alopecia.
Cainarosis, Camarosa. Ist ein nach aussen gewölbter Knochen-
bruch der Hirnschale; s. Fractura cranii.
CaiuatoS; Ermattung, Erschöpfung. Ist oft Symptom man-
cher Fieber und anderer chronischen Übel; s. Adynamia.
Caiuliuca. So nennt Paracelsus einen cxulcerirten Leistenbubo vene-
rischen Ursprungs, auch jede schwärende, durch Venerie entstandene Beule
am Penis {(Jamhuca mcmhrata').
298 CANCER
Cancer, Cnrcinoma^ Carcinus, NoU me längere, Lujnis canci'oavs,
Ulcus cancrosum, cncoiithes, chironeum, telephium, Phagedncna (^SweiUnur),
Keloides (J/itt'r<), Krebs, verborgener luid offener Krebs, Krebs7
geschwür. So nennen wir diejenige Krankheit, weldie In Anschwellung
und Verhärtung irgend eines drüsigen Theils des thierischen Körpers besteht,
die anfänglich mehr oder weniger umgrenzt, dabei schmerzhaft ist, bei man-
gelhafter Hülfe oder sich selbst überlassen an Grösse zunimmt, und sich zu-
letzt in ein offenes, übelriechendes Gesch\vür verwandelt, welches eine be-
ständige Neigung hat, alle nahegelegenen Theile zu zerstören. Das Übel
besteht demnach in einer speciüschen Degeneration und Ulceration des be-
treffenden drüsigen Theils, entsteht meistentheils idiopathisch , als Folge ei-
nes schon monate - oder jahrelang voraufgegangenen Scirrhus. Zuweilen
geht aber letzterer schon nach einigen Wochen seiner Entstehung in den
Krebs über, wenn die erregenden Ursachen anhaltejid und heftig auf deij
Organismus einwirken, wie wir dieses weiter unten bei Betrachtung des
Scirrhus darthun werden, sowie denn überhaupt der Übergang von Scirrhus
in Krebs jedesmal eine oder die andere der do/t angegebenen Gelegenheits-
ursachen erfordert. Zuweilen ^ehen wir abev auch ohne vorhergegangenen
Scirrhus den Krebs entstehen (Cancer symptomaticus), besonders da, wt>
allgemeine Anlage zu Degeneration zugegen ist. Hier bildet sich das Übel
häufig aas andern, ansclieinend unbedeutenden Schäden. Übrigens bleibt
sich das Wesen und die Natur des Krebses immer gleich, er mag nun idio-
pathisch, primär, oder symptomatisch, secundär entstehen. Wir beobachten
ihn an allen Theilen des thierischen Organismus, wo drüsige Theile zuge-
gen sind, voizüglich an der Nase, den Lippen, der Zunge, an den weib7
liehen Brüsten, an der Gebärmutter et,c. Als primitives Leiden sehen wiy
demnach den Krebs nur in folgenden Gebilden entstehen : in der Haut , iia
Zellgewebe , in den Schleimhäuten und in allen Arten von Drüsen ; kejnes-
weges aber in den Knorpeln, Sehnen, Gelenkbändern, serösen Häuten, oder
in den . Muskeln , welche zur Bewegung von Gelenken bestimmt sind, ob-
gleich immerhin diese Gebilde durch einen vorhandenen offenen Krebs zer-
stört werden können. Als secundäres Leiden kajui der Krebs zu allen Arten
chronischer Geschwüre, zu Afterorganisationen, überhaupt zu allen Excre-
scenzen hinzukommen , wenn diese als Druck oder RjcIz auf nahegelegene
drüsige Theile wirken; auch kann eine zu reizende Behandlung solcher Übel
den Übergang in Krebs begünstigen. Ursachen fißs Krebses im All-
gemeinen. Sowol der primäre als gecundäre Krebs entsteht entweder aus
innern oder äussern Ursachen, oder aus beiden zugleich; oft wirken auck
mehrere derselben zusammen. Innere Ursachen sind ; bedeutende fieberhaft^
Krankheiten, Krankheiten des Lymphsystems, besgnders Dyskrasien: Gicht,
Syphilis, Scropheln , Unterdrückung gewohnter Ausleerungen, als unter-:
drückte Menstruation , solche Hämorrhoiden , unterdrückte Milchabsonderung,
überhaupt Suppression aller Blut- und Schleimtlüsse; auch das naturgeniässe
Verschwinden der Regeln in der Decrepitätsperiode gehört hierher; ferner
heftige Gemüthsbewegungen : Kummer, Gram, Sorge, Zorn, heftige Freude,
unordentliche und unzweckmässige Lebensweise, häufiger Genuss von sehr
gewürzhaften, salzigen, schwerverdaulichen Speisen, von starken hitzigen
Getränken. Auch der Gebrauch reizender Aizneien , zu starke Körperbe-
wegung , zu anhaltendes Sitzen mit gebogenem Körper , Erhitzung und Er-
kältung, zu häufiger Beischlaf, zu vieles Wachen, häufige Schwangerschaf-
ten und die damit verbundene Reizung, der Brüste, zurückgetretene Haut-
aussx;hläge, ungesunde Luft, nasskaltes Wetter, zu trockne Kälte oder
Wärme, ungesunde feuchte Wohnung, unvorsichtig und schnell geheilte
chronische Geschwüre, Hysterie, Hypochondrie etc. sollen den Krebs be-
günstigen. Zu den äussern Ursachen rechnet man: Druck auf den scirrhö-
sen Theil durch enge Kleidungsstücke, besonders durch die engen Corsets
der Frauenzimmer, Stoss, Schlag, also Quetschungen, welche zwar keine
intensive, aber doch eine anhaltende Reizung hervorbringen ; ferner Beissen,
Reiben, Kratzen, Kneipen der Haut , eine« drüsigen Theils , Wegnahme von
CANCER 299
Hautexcrescenzen , zu grosse Anstrengungen der Arme, Anwendung von rei-
zenden und zertheilenden Mitteln etc. (daher so häufig manches gutartige
Drüsenleiden gerade dadurch krebshaft wird, indem man es für Krebs hält!
und die reizenden giftigen Anticancrosa anwendet; wozu noch der nachthei-
lige Gemüthseindruck, den schon das Wort Krebs auf den Kranken hervor-
bringt, gerechnet werden muss. M.). Der Krebs ist eine Krankheit vort
specirtscher Natur, und sein Wesen ist uns bis jetzt noch völlig unbekannt.
Ein eigenthümliches Krebsgift, welches diese Krankheit ganz für sich erze«-»
gen sollte, giebt es nicht; wol aber können wir diejenige übelartige Materie,,
die sich in einer degenerirten Drüse erzeugt , als ein wahres Krebsgift be-t
trachten. Ebenso wenig kann eine Kakochymie den Krebs erzeugen, wol
aber kann dieselbe bei vorhandener Verhärtung drüsiger TliPil« und bei
Disposition zu Degenerationen als Gelegenheitsursache betrachtet werden.
Wir linden die Krankheit häufiger bei Weibern als bei Männern, am häuH
figsten, sowol beim männlichen als weiblichen Geschlechte, in- dem Alter,
wo die Zeugungsfähigkeit schwindet ; dagegen ist das kindliche Alter dem
Übel höchst selten unterworfen. Es lässt sich nicht leugnen , dass der Krebd
am häufigsten Personen zwischen den vierziger und sechziger Jahren befällt^
und dass bei Männern Hämorrhoidaldyskrasie, bei Weibern das Aufhören der
Regeln oder richtiger das eigenthüraliche Rückschreiten in der Lebensthätig-»
keit, der Tod füs Geschlechtsleben, das Annähern an die männliche Natur,
die Veränderung des ganzen weiblichen Charakters und das damit zusamt
menhängende Heftigerwerden gewisser Affecte: Zorn, Zanksucht, besonders
hervortretend bei ungebildeten Weibern , grössere Neigung zu geistigen Ge->
tränken etc. als diejenigen Dinge anzusehen sind , welche die Diathese^ ra
Krebs vorzugsweise begünstigen, wie dieses schon Theophr. Paracelsus schön
angedeutet hat (s. dess. Oper. Vol. II. Edit. Genev. 1662. Chirurg, magnaa
Pars III., Libr. VI. p. 93.). Dabei ist der Einfluss, den heftige Affectö
und Leidenschaften vom Nervensysteme aus aufs Blutsystem, besonders aber
aufs Drüsensystem äussern, nicht zu übersehen (s. Antagonismus, Caco-<
galactia, Consensus). Er trägt unstreitig viel zur Entstehung dei
primären Krebses bei, sowie ich denn überhaupt gefunden habe, dass alla
an Krebs Leideade ein sehr leidenschaftliches Temperament besassen ( M, ).
Die Diagnose des Krebses im Allgemeinen ist bei Auffassung der vorher-
gegangenen und gegenwärtigen Symptome bald leichter, bald schwerer, und
richtet sich , wie die Prognose , nach den Modificationen , wie sie die jedes-»
maligen individuellen Fälle nach Verschiedenheit des afficirten Theils dar-
bieten (s. unten die einzelnen Arten des Krebses nach Verschiedenheit des
leidenden Theils). Ohne uns auf die besondere Eintheilung des Krebses
von Alihert, v. Walther, Bierchen, Jänisch, Lerchen, Ahernethy, Leguux n. A.
einzulassen, theilen wir für klinische Zwecke denselben 1) in den verbor-
genen und 2) in den offenen Krebs ein.
Cancer occiUtus , Scirrhus malitjnus, verborgener Krebs, bö sarii-
ger Scirrhus. Hier geht der gutartige Scirrlius in den bösartigen über,-
und zwar unter folgenden, bald mehr, bald weniger mit einander vereinte«
und gleichzeitig sich darbietenden Symptomen. Die früher meist nur
kleine, sich lange gleichgebliebene, dabei ebene, gleichartige Verhärtung
nimmt plötzlich an Härte zu. Es stellen sich feugleich anfangs nur seltene
periodische, später häufigere und zuletzt festsitzende, schmerzhafte Stiche
im leidenden Theile ein, verbunden mit einem anhaltenden lästigen Brennen^
Jucken und andern bohrenden, klopfenden, fressenden, schneidenden Schmer-
zen. Die Geschwulst wird hierbei härter, festsitzend, uneben, höckerig und
eckig, sie verwächst mit der sie bedeckenden Haut und mit den nahegelege-
nen Muskeln; die Blutgefässe im Umfange derselben schwellen an, werden
knotig, mit Blut überfüllt und schwärzlich; späterhin verliert selbst die
Haut ihre natürliche Farbe, wird erst hellroth, später dunkelroth, blau,
bleifarbig, und zuletzt ganz schwarz. Die Wärme in der Geschwulst nimmt
zu, die Haut wird alsdann dünn, glänzend, sehr gespannt; sie drohet auf-
zubrechen, obgleich keine Fluctuation zu fühlen \&t. Selten ist dieser Zu«
300
CANCER
stand mit Fieber verbunden. Dtirchschneiden wir die soweit metamorpho-
sirte und zum Cancer occultus überj^e^fanfiene Geschwulst, so fuidou wir
hier ebenfalls, wie beim gcwölinlichen Scirrhus, eine speckige Masse von
ausserordentlicher Härte, doch mit dem Unterschiede, dass diese Masse in
ihrem Mittelpunkte härter ist , und die davon abgeschnittenen Schichten sind
hier ebenfalls noch halbdurchsichtig. Dieser Mittelpunkt ist aber nicht mehr
so eben, nicht mehr von knorpelartiger Consistenz, sondern rauh, hier und
da mit rothen Pünktchen und an mehrern Stellen sogar mit ziendich grossen
Zellen versehen , welche eine zähe, blutige, schwärzliche Flüssigkeit enthal-
ten. Betrachten wir den Rand dieser Zellen, so finden wir diesen blass-
roth und die innern Flächen schon mit einer spongiösen Substanz bedeckt,
Diagnose. Ist beim verborgenen Krebs häufig etwas schwierig, da man-
che Geschwülste anderer Art mitunter ähnliche Symptome, gleiche Beschaf-
fenheit und gleiche Ursachen zeigen können. Fassen wir jedoch auch hier
die anamnestischen und gegenwärtigen Symptome, die so eben angegeben
worden , zusammen , so kann uns die feste Bestimmung wol selten feiilen,
besonders wenn wir noch das constante Zeichen berücksichtigen , dass dies
Übel beim Gebrauche reizender, zertheilender Mittel stets an Bösartigkeit
zunimmt. Die Prognose ist verschieden, je nachdem das Übel mehr oder
weniger um sich gegritl'en hat. Hat es seinen Sitz nur noch in einer Drüse,
hat die Verhärtung die nahegelegenen Weichgebilde oder antlere drüsige
Theile noch nicht mit ergriü'en, ist die Geschwulst noch beweglich, ist sie
erst kürzlich und als Folge äusserer Ursachen entstanden, ist das Indivi-
duum noch jung, ist kein Fieberzustand »uid keine der besondern Dyskrasien
zugegen, so ist das Übel als ein örtliches zu betrachten und die Prognose
kann günstig gestellt werden. In entgegengesetzten Fällen ist sie zweifel-
haft, ja ungünstig; besonders auch da, wo die Geschwulst wegen der Lage
der Theile manchen Reizungen ausgesetzt ist, . wo die .Empfuidlichkeit der
naheliegenden Theile grö.sser ist, wo die äussern schädlichen Einflüsse kräf-
tiger und anhaltender einwirken können. Die Entwickelung des Krebse»»
bietet verschiedene Formen nach Verschiedenheit der Organisation des lei-
denden Theils dar. So z. B. erscheint er in drüsigen Theilen stets als eine
harte Geschwulst, an den Nerven in Form harter, fester Knoten, an den
Schleimhäuten in Form von Polypen etc., w ovon unten ein Mehreres Cur
des Cancer occultus. Ist entweder radical. z. B. bei rein örtlichem
Übel, oder nur palliativ, bei Allgemeinleiden, bei allgemeiner Anlage zu
Krebs, bei Dyskrasien eic. Wie lange das Übel als ein rein örtliches zu
betrachten sey, ist schon bei der Prognose angegeben. Im AUgenieinen
kann man es als solches ansehen und es ist noch Hoffnung zur radicalen
Heilung da, so lange der Aufbrucli der Geschwulst, der Übergang in Can-
cer apertus noch nicht nahe bevorsteht. Dass dieser noch enlfernL ist, er-
kennen wir daran, dass die Haut noch nicht sehr dünn und glänzend, noch
nicht dunkelroth, bleifarbig, schwärzlich gefärbt, auch noch nicht mit Aus-
wüchsen versehen ist. Radical heilen wir ihn a) durch die Zertheilung,
b) noch häufiger durch die Operation. Die Zertheilung geschieht durch in-
nere und äussere Mittel neben einer zweckmässigen Diät. Im Allgemeinen
gilt auch hier die Regel, die nächste Ursache aufzusuchen und zu entfernen.
Dies gelingt jedoch selten (besonders deswegen, weil wir die innern Ver-
änderungen in der Lebensmetamorphose, die durch Lebensweise, durch Lei-
denschaften, durch die Stufenjahre des Lebens hervorgebracht werden und
.welche nach der Erfahrung den Krebs begünstigen, nicht kennen, weil yvir
nur das Product, den Schaden, nicht die eigentliche Krankheit, die Ursache
des Krebses sehen können; M. ), und finden wir diese auch wirklich, .so
können wir meistentheils das Übel nur durch die Operation tilgen. (Aller-
dings bleibt die Operation, die Wegnahme de» Krebsknotens, noch immer
das vorzüglichste Rettung.smittel ; aber die Fälle, wo nach der Operation
diese Knoten in demselben Verhältnisse wieder erscheinen, wie die Köpfe
der lernäischcn Hyder, sind leider! auch nicht selten, un<l daher ist der
Name Noü me tangcre nicht mit Unrecht für Caucor apertus glcithbcdeu-
CANCER 301
tend geworden ; M.). Das diätetische Verhalten richtet sich jedesmal nach
dein individuellen Falle , und lässt sich daher im Allgemeinen nicht bestim-
men. Die mnern Mittel müssen, da wir kein Specificum gegen diese Krank-
heit kennen, jedesmal nach dem individuellen Falle und nach der vorherr-
schenden Ursache und der Constitution ausgewählt werden, z. ß. gegen
arthritische , syphilitische, psorische, Hämorrhoidaldyskrasie , Antarthritica,
Antivenerea, Antipsorica etc. Im Allgemeinen sind vorzugsweise alle kräf-
tig aufs Lymphsystem einwirkende Mittel empfolüen worden, um die Säfte
zu verbessern , die anomale Lebensmetamorphose normal zu machen und di«
etwa durch Resorption des Krebsgiftes hervorgebrachten Erscheinungen zu
beseitigen. Hierher rechnen wir eine grosse Menge Mittel : kühlende Pur-
ganzen, besonders aus Merc. dülcis; Gummata ferulacea, z. B. Gummi Am-
moniac. , Galban. , Opopon., Sagapenum etc. aufgelöst und eingedickt mit
Acet. si|uillit. , versetzt mit Antimonial - und Mercurialmitteln , mit bittern
Extracten von Gentiana , Trifol. , Tarax. , Centaur. , Absinth. , Millefol.,
Aurantior. etc. oder mit Seife, und in Pillenform gegeben; oder man ver-
schreibt die Antimonialia und Mercurialia in Pulverform und die Gummata
ferulacea mit bittern Extracten in Emulsion. 'Auch Narcotica: Opium, Bel-
ladonna , Aconit , Schierling ( Cicuta virosa und Con. maculat. ) , Digitalis,
Dulcamara, Nux vomica, Crocus sind empfohlen worden. Sehr wirksam sind
kleine Dosen Tart. emetic. , anhaltend gebraucht (M.) ; auch hat man Kali
tartaricum, Alkalien, lodine, Aq. laurocerasi, Tinct. arsenic. Fowleri, Holzr-
tränke, Tisanen aus Cort. et rad. mezerei, graminis, Bardanae, Sassaparill.,
Saponarlae, Chinae, Spec. lignorum, Decoct. Zittmanni, Pollini (s. Syphi-
lis) empfohlen. Wir können nicht Vorsicht genug bei der Wahl und An-
wendung dieser so eben angegebenen Innern Mittel anempfehlen, und wenn
das allgemeine Befinden des Kranken sich danach verschlimmert, wenn die
Verhärtung der Geschwulst sich vergrössert, so stelle man ja den Gebrauch
derselben ein. (Am unschädlichsten sind hier wol noch die kleinen Dosen
von Tart. emeticus, die bittern Extracte und die Holztränke. Ist das Übel
rein örtlich, so schaden alle Innern Mittel, und haben Dyskrasien die ganze
Constitution schon zerrüttet, so darf man, um die schwachen Digestionsor-
gane nicht ganz herunterzubringen , auch nur mit Vorsicht die stärkern Re-
solventia gebrauchen; M.). Fr. A, Weise (s. dessen Schrift: Über Zurück-
bildung der Scixrhen etc. Leipzig 1829.) hat die thierische Kohle als ein
ganz vorzügliches Mittel zur Zertheilung des Scirrhus anempfohlen. Er
rechnet fast mit Gewissheit darauf, dass sie die vorhandene Verhärtung
zertheile, mithin die normale Absonderung in den afficirten Theilen herstelle.
Er lässt Erwachsene Morgens und Abends Carbo animal. gr. |^, und allmä-
lig bis auf S Gran p. d. gestiegen, nehmen. Auch die Hungercur in Ver-
bindung mit dem innerlichen Gebrauche des Extr. aconiti oder cicutae mit
und ohne lodine ist als wirksam empfohlen worden. Diese Curmethode ver-
dient beim Cancer occnltus aus Innern allgemeinen Ursachen alle Berück-
sichtigung, da nichts in der Welt die Zurückbildung von Afterorganisatio-
nen im Lyraphsysteme mehr bezweckt als Hunger und lodine. In vielen
Fällen , wo beim Scirrhus das allgemeine Wohlbefinden nicht gestört ist,
wo keine Complicationen vorhanden , keine Dyskrasien zugegen sind , also
noch keine Resorption stattgefunden hat und das Übel aus äussern Ursachen
entstanden ist, können wir dagegen die innern Mittel gänzlich entbehren.
Äussere Mittel, die den innern analog seyn müssen, sind gleichfalls eine
grosse Menge empfohlen worden (s. Anticancrosa). Wir betrachten sie
hier der Reihe nach als Scirrhus zertheilende Mittel. 1) Dämpfe und Bähun-
gen von Essig, Schwefel, Zinnober, Solut. aquosa salis tartari, von Flor,
chamomill. , Sambuci , von resolvirenden narkotischen Kräutern. 2) Einrei-
bungen von Unguent. digitalis cum camphora, Unguent. mercurial., allein
oder mit Opodeldoc; Linim. volat. camphor. mit Opium, Unguent. iodinae,
kali hydriodin. etc. 3) Verschiedene Pflaster: Empl. ammoniac. , galbani,
cicutae, belladonnae, saponato - camphoratum , cerussae camphoratum, Bmpl.
diaphoret. Mynsichti , nigrura Bechholzii. 4) Kataplasraen von zertheilenden,
aod
CANCER
aromatischen Kräutern, z. B. Ton Spec. resolvent, extern. Ph. Boruss. com
herba, hyoscyaini et sem. papav. alb., von Herba cardui tomentosi, clemat.
erectae, phytolaccae decandr, , dentariae, conii, belladonnae , piilsatillae,
saponariae, Sem. phellandr. aquat., cataputiae major, etc. mit Aqua saturni
bereitet. 5) Umschläge von Fei taur. inspissat. cum sale ammon. depur. in
aqua destill, solut. , Extr. cicutae, aconiti , belladonnae cum camphora in
spirit. Mindereri solutum , von Gummi ammoniacum , opoponac. , sagapen. in
Acet. squillit. solut. , frisch gequetschte Kräuter narkotischer Pffanzen mit
Bleiwasser und Opium, mit Sapo venet. , medicat. , Rad. et Roob dauci,
Roob card. tomentosi etc. 6) Auch das Bedecken des erkrankten Theils
mit Kräuterkissen von Spec. resolvent, cum camphora, mit Flanell, der vor-
her mit Karapher berieben , mit Kaninchen - , Hunden - oder Katzenfellen,
mit Watten, Werg, Schwanenhäuten ist empfohlen worden. Desgleichen
7) Blutegel, Schröpfköpfe, äusserlich die fixe Luft durch Umschläge von
Stoffen , die in Gährung übergehen. 8) Die Anwendung der Elektricität
und des Galvanismus an die verhärtete Geschwulst. 9) Die Compression
mittels der Scheiben von geklopftem Agaricus , zwischen die Touren einer
comprimirenden Binde angebracht. Diese von Dr. Pcarson angewandte, vom
Prof. Recamier bekannt gemachte Methode bewies sich indessen in einigen
Fällen nachtheilig (s. Fronep's Notiz. Bd. XVIII. Nr. 19). 10) Der Dorf-
barbier Jenfzsch zu Kollochau, Schweidnitzer Kreis, will den Cancer occul-
tu« durch ein Ätzmittel, aus Butyr. antimouii, Lapis infernalis und Ol. vi-
trioli bestehend, auf folgende Weise geheilt haben. Er umkneipt das kranke
Gebilde so lange mit seinen Fingerspitzen, bis der Grund desselben lose ge-
worden ist, und bestreicht dann die wundgewordene Kreislinie mit dem ge-
dachten Mittel. Dieses wird so lange in kurzen Zwischenräumen wiederholt,
bis der Scirrhus ohne Blutung weggenommen werden kann (s. Hufelnnd's
Journal Bd. LXVI. Stück 3. S. 30 — 39). Die weitere Behandlung wird
unten angezeigt werden. (Dieses Mittel verdient alle Aufmerksamkeit. Af.)
11) Zuweilen erfolgte die Zertheilung des verborgenen Krebses ohne Kunst-
hülfe, z. B. durch die Schwangerschaft, durch das Selbststillen oder durch
Krankheiten, z. B. Febris intermittens. Alle hier erwähnten äussern Mittel
entsprechen aber nur selten ihrem Endzwecke; sie zertheilen höchst selten
den Krebsknoten, zerrütten aber bei anhaltendem Gebrauche die Constitu-
tion des Kranken , und beschleunigen den Übergang des Cancer occultus in
den offenen Krebs. Wir können daher nicht genug anrathen, die Exstirpa-
tion des erkrankten Theils ohne Zeitverlust vorzunehmen, also bei Zeiten
zu operiren. Hat der verborgene Krebs noch nicht zu sehr um sich gegrif-
fen, sind die nahegelegenen Drüsen und Weichgebilde, z. B. beim Brust-
krebs die Musculi intercostales , noch nicht verhärtet, ist die Geschwulst
noch beweglich, zeigen sich bei dem Patienten keine besondern Dyskrasien,
ist also das Übel noch als ein örtliches anzusehen , so kann man durch die
Operation radical heilen, welche letztere die neuern Handbücher der opera-
tiven Chirurgie, namentlich die von Richter, Bell, CnlUsen, Arnemnnn, Boyer,
Langenhecl; Girnull, Sahaiier (deutsch von Hille 1826), Roux, Znng, Averill,
hegin etc. , desgleichen einzelne Artikel in den Zeitschriften von v. Graft
tind V. Walther, Rust, Lnngenhech u. A. lehren. Gelingt die Zertheilung
nicht und wird die Operation unterlassen, so stellen sich auf der Verhärtung
bedeutende Unebenheiten, Erhabenheiten und Auswüchse ein , der Theil wird
gespannter, die Haut röther, bald dunkelroth, bleifarbig, schwärzlich, da-
bei dünn , glänzend , es zeigen sich hier und da Risse , welche meistens mit
Schorf bedeckt sind, die Schmerzen werden heftiger, kehren häufiger wie-
der, werden selbst anhaltend, und so geht dann der verborgene Krebs in»
Krebsgeschwür, wovon sogleich gehandelt werden soll, über. (Die Opera-
tion des Cancer occultus bleibt allerdings noch immer dasjenige Mittel, wel-
ches das schreckliche Übel am ersten heilt. Aber leider! auch dieses Mittel
ist ein ungewisses, selbst da, wo wir keine offenbare Dyskrasie wahrneh-
men. Einen ungünstigen Erfolg der Operation beobachtete ich fast immer
a) bei solchen Personen,, welche in der Kindheit an Scropheln gelitten;
CANCER 303
h) bei Personen mit Habitns piithisicus; c) bei bejahrten Männern, welch«
lange Zeit dem Trünke ergeben waren; d) bei allen Subjecten, welche An-
lage zur Bildung von Melanosen, Tuberkeln, Fungus meduUaris hatten, oder
bei denen sich solche Übel , ^w eiche mit dem wahren Krebse verwandt sind,
schon ausbildeten; e) bei allen Subjecten, welche schon lange an verschie-
denen dyspeptischen Beschwerden, an Diarrhöen, Obstructio alvi, öftern
Koliken , Kardialgien , an Icterus gelitten hatten. Most.}
Cancer apertus, manifeslus, exuherntus, nlcerosus, Carcinomn , offener
Krebs, Krebsgeschwür, Carcinom. Wir theilen das Krebsgeschwür
ebenfalls in ein primäres und secundäres. Ersteres ist unmittelbar Folge des
Cancer occultus, letzteres entwickelt sich aus andern , z. B. syphilitischen,
herpetischen , scrophulösen Geschwüren , aus verschiedenen Hautdkcrescen-
zen, aus Kondylomen, Warzen und Polypen in Folge einer zu reizenden
Behandlung oder in Folge verschiedener anderer, noch nicht genug erforsch-
ter Ursachen. Diesen secundaren Krebs sehen wir an allen Theilen des Kör-
pers entstehen, vorzüglich aber da, wo viele Lymphgefasse und Hautdräsen
vorhanden sind, Symptome des primären Krebsgeschwürs. Aus
dem verborgenen, nunmehr an einer oder der andern Stelle von der Ober-
haut entblössten Krebse fliesst eine dünne, braungelbe, späterhin ganz braune,
blutige, scharfe, fressende, jauchige Flüssigkeit von einem specifiken, star-
ken, cadaverösen Gerüche, welcher bei Zunahme des Übels durch seinen
Dunst selbst dem Auge empfindlich wird. Diese Jauche enthält nach chemi-
schen Untersuchungen viel Ammonium und hepatisches Gas. Sie schwärzt
die silbernen Instrumente und färbt den Veilchensaft grün, die Schwefel-
.•säure treibt Schwefelwasserstoffgas heraus und das Chlor zerstört den stin-
kenden Geruch der Jauche auf Augenblicke völlig (^Crmvford). Charakteri-
stisch ist bei diesem Übel, dass nach dem Aufbruche der Geschwulst kein
Eitererguss erfolgt, sie ihr Volumen nicht vermindert, auch nicht, wie an-
dere sich öffnende Geschwülste, an Härte verliert. Sie bleibt nicht nur
festsitzend, sondern vrird auch noch schmerzhafter; die Kranken empfinden
häufig ein sehr starkes , lästiges Brennen auf der ganzen Oberfläche des Ge-
schwürs, welches um so heftiger wird, je häufiger dieses der Luft exponirt
wird. Schnell bildet sich ein Geschwür mit ungleicher Oberfläche, die mit
kleinern oder grössern, sehr empfindlichen, hävifig schwammigen, theils gana
harten, theils ganz weichen Auswüchsen besetzt ist, und zugleich aufgewor-
fene, meist nach aussen, zuweilen auch nach innen gebogene, unebene und
höckerige Ränder hat; dabei schwellen die Blutgefässe im Umfange des Ge-
schwürs an und dasselbe hat mit einer Weintraube oder mit röthlich-blauem
Blumenkohl entfernte Ähnlichkeit. Im Verlaufe des Übels werden nun dio
nahegelegenen Drüsen , die lymphatischen Gefässe und Weichgebilde in einen
scirrhösen Zustand versetzt und durch den Übergang in Eiterung nach allen
Richtungen zerstört; aber auch die entfernter liegenden Drüsen und Weich-
febilde, z. B. bei Cancer mammarum die Achseldrüsen und Intercostalmus-
eln, ja sogar die Knorpel und Knochen können später ergriffen und zer-
stört werden. Bei diesem Grade der Krankheit entstehen häufig starke,
kaum zu stillende Blutungen; es erfolgt Abmagerung, hektisches Fieber, die
Haut bekommt eine gelblich -grüne Farbe, es stellen sich Engbrüstigkeit,
Herzklopfen, Angst, Unruhe, Schlaflosigkeit, Mangel des Geruchs, callös«
Erhabenheiten im Ohre, Ohnmächten, Convulsionen , coUiquative Seh weisse
und Durchfälle ein, und endlich erfolgt der Tod. Oft sehen wir auch vor
dem Aufbruche des Krebsknotens auf der Mitte der Geschwulst eine hohe,
meist konische Erhabenheit von der Grösse und Form eines Fingerhuts ent-
stehen , wie Verf. {Kuhrclce) zwei Fälle der Art beobachtete , welche allmä-
IJg sich vergrössert und, aufgebrochen, einem Schwamm ähnlich sieht, der
mit seiner breiten Basis festsitzt und in eme stumpfrunde Spitze ausläuft.
Diese Excrescenz nimmt an Grösse zu, drängt die Ränder des Geschwür!
auseinander und breitet sich in seinem Umfange anfangs immer mehr aus,
verliert sich aber in der Folge der Eiterung gänzlich. .Symptome de«
secundaren Krebses. Er entsteht aus einem gutartigen Geschwüre,
30-1 CANCER
das nicht auf hartem Grunde liegt, auch nicht mit harten, unebenen Rän-
dern umgeben ist , wenig Schmerzen macht und guten , gelblich - weissen
Kiter absondert. Wenn sich ein solches Geschwür in einer Peripherie ent-
zündet, wobei die nahegelegenen Weichgebilde hart und scirrhös werden,
die Haut derselben eine rothe , braune , bläulich - braune Farbe aiuiimmt,
sich juckende, brennende, stechende, sehr lästige Schmerzen einstellen, sich
statt des gutartigen Eiters die hässlich riechende Krebsjauche absondert und
das Ganze das Ansehn eines primitiven Krebsgeschwürs bekommt, so nennen
wir dieses ein Ulcus cancrosum secundarium. (Viele Ärzte und Wundärzte
nennen dieses zum Unterschiede des wahren Krebsgeschwürs den unächten
oder falschen Krebs, wohin wir jedes bösartige Geschwür, den sogenannten
Cancer Ifbiorum , oris , scroti , die Paedarthrocace , manche scrophulöse, sy-
philitische und Mercurialgeschwüre rechnen können. Wenn wir nicht end-
lich anfangen, verschiedenartige pathologische Zustände genauer zu unter-
scheiden, wenn wir noch so häufig die scirrhösen und cancrösen Verhärtun-
gen und Blutungen fälschlich als die Folge von Entzündungen ansehen , so
werden wir nie zu einer richtigen Einsicht in die Natur des Übels gelangen
und daher auch bei der Heilung im Finstern tappen. Vgl. HufdmuVs Jour-
nal Bd. LVI. St. 5. Most.) Die Erscheinungen, welche wir im Verlauf
dieser Krankheit wahrnehmen, sind von grosser Verschiedenheit. (Allerdings,
weil man so verschiedenartige Krankheitszustände zum secundären Krebse
rechnet. M.) Manchmal A-erläuft die Krankheit schnell , die Zerstörung des
ergriffenen Theils erfolgt rasch, manchmal aber so langsam, dass es den
Anschein hat, als wolle das Geschwür sich begrenzen und zuheilen. Bei
altern Subjecten und solchen von sanguinisch - cholerischem Temperamente
ist der Krebs in der Regel zerstörend , fressend , mit sehr harten Rändern
umgeben; bei jungem und phlegmatischen Subjecten finden wir dagegen das
Geschwür mit vielen schwammigen Excrescenzen besetzt. Die Krebsjauche
ist auch nicht bei jedem Individuum von gleicher Beschaffenheit. Mitunter
ist sie so scharf, dass sie die Oberhaut excoriirt, Leinwand zerfrisst, mitun-
ter aber auch sehr milde, so dass sie gar keine oder nur geringe zerstö-
rende Wirkungen zeigt. Ebenso verhält es sich mit dem Gerüche dieser
Jauche; zuweilen ist er höchst stinkend, zuweilen kaum riechbar. Wenn
diese Jauche auch nicht unmittelbar auf einen gesunden Körper ansteckend
einwirkt, wie dieses die Erfahrung und selbst Impflingsversuche gelehrt ha-
ben, so ist doch keinesweges die nachtheilige Einwirkung derselben auf den
Krebskranken durch Resorption, und auf andere Personen , wenn sie in gut-
artige Wunden und Geschwüre gebracht wird, gänzlich zu leugnen. Die
chemische Analyse des Krebsgewebes hat ergeben , dass dasselbe aus Ei-
weissstoff, Gallerte, aus fetter Substanz, Phosphor, Wasser und Salzen
bestehe (^CoUnril de Mnrtigny). Die Diagnose des Krebsgeschwürs ist
ebenso schwierig, als die des Cancer occultus , da sie keine so bestimmten
und charakteristischen Merkmale hat, dass nicht eine Verwechselung mit
andern vernachlässigten und bösartigen Geschwüren, z. B. scrophulösen und
syphilitischen , stattfinden könnte. Zur Diagnose dienen 1) die oben ange-
gebenen Symptome , verglichen mit den charakteristischen Zeichen anderer
Geschwüre (s. Ulcus syphiliticum, scrophulosum); 2) das Vorauf-
gehen des Cancer occultus; S) die genaueste Untersuchung des Geschwürs
selbst und der unter und um ihn sitzenden Geschwulst ; 4) die Art des Auf-
bruchs der letztern. Die Geschwulst bildet nämlich nach dem Aufplatzen
keine Höhle, keinen Eiterherd in ihrer Mitte, sondern, wie schon erwähnt,
Hautabschundungen , aus welchen die Jauche herausquillt , und diese dringt
erst bei vorschreitender Verschlimmerung allmälig in die Tiefe; 5) der Sitz
desselben in irgend einem drüsigen Thelle ; 6) die Beschaffenheit des Eiters
hinsichtlich seiner Farbe und seines Geruchs; 7) die Beschaffenheit der mus-
kulösen Theile des Geschwürs selbst. Es bildet sich nämlich im Mittel-
punkte desselben häufig eine körnige , plattgedrückte Masse von grauer
Farbe, welche, wenn sie gedrückt wird, etwas dicken Eiter von sich giebt.
Im Verlauf des Übels bekommen diese muskulösen Theile ein graues, blei-
CANCER 305
farbnes, zuletzt schwarzes Ansehn, wie verfaultes Fleisch; 8) beim wahrert
Krebs vermehren die reizenden Mittel stets die Schmerzen, während sanfte,
erweichende und besänftigende sie vermindern. (Zu einer rjclitigen Dia-
gnose, die selbst uns der Natur des Krebses näher führen kann, gehört die
vergleichende Anatomie der krebshaften und der entzündeten Gewebe [vgl.
Gendrbis Anat. Beschreib, d. Entzündung und ihrer Folgen ; Leipz. 1829,
übers, von Radius; Th. II., S. 499 u. f.]. Aus Gendritis schönen Unter-
suchungen geht hervor , dass der Krebs keinesweges , wie Brcscliet und Fer-
rus (Neues Diction. de Med. T. IV. p. 135} behaupten, Folge einer Ent-
zündung sey, und dass auch die Meinung, er bestehe ursprünglich in Hy-
datiden (Jlunter) oder in wirklicher Fäulniss (^Cratvford} , noch näher ge-
prüft zu werden verdient. Denn 1) die Zeichen des Krebses sind von de-
nen der Drüsenentzündung wesentlich verschieden. 2) Die Entzündung er-
klärt weder die Zufälle, noch die Veränderungen, welche den Krebs kenntlich
machen. 3) Er entsteht nie durch diejenigen Ursachen, welche der Ent-
zündung eigenthümlich sind. 4) Ihm geht die Bildung eines organisirten
Gewebes voran, welches seiner Natur und dem Ansehn nach von den durch
Entzündung veränderten Geweben verschieden ist. 5) Die Bildung dieses
Krebsgesvebes lässt sich einfach und natürlich durch Veränderung der Er-
nährung erklären , die durch Absonderung einer Substanz im kranken Theile
kenntlich wird, welche sich erst organisirt, später aber desorganisirt , in-
dem sie sich erweicht und zum Theil in eine breiartige Masse auflöst.
6) Die krebshafte Substanz ist sich in allen Theilen des Körpers gleich,
dagegen sind die Entzündungen und ihre Veränderungen verschieden nach
der Verschiedenheit des Gewebes und Systems ; denn die Entzündung wird
durch die eigenthümliche Lebenskraft und Organisation des Theils verändert,
der Krebs aber ist Folge von ursprünglicher Bildung einer krankhaften
Substanz, welche ihm eigenthümlich ist und ihn bildet, unabhängig von den
eigenthümlichen Geweben, in denen er entsteht, die er daher nur secundär
interessirt. Most). Ursachen des Krebsgeschwürs. Smd schon oben
bei Cancer occultus angegeben. Prognose. Ist stets ungünstig zu stel-
len , und zwar um so mehr , da in der Regel die Resox'ption des Krebsgiftes
bald allgemeine Dyskrasie herbeiführt (oder auch, da wir annehmen müssen,
dass Dyscrasia cancrosa häufig gleichzeitig mit dem Carcinom zugegen ist,
wobei letzteres öfter als Wirkung denn als Ursache jener Dyskrasie ange-
sehen werden dürfte, sobald wir es mit einem wahren Krebse zu thun ha-
ben. Most). Man berücksichtige bei der Prognose die Localität des afficir-
ten, Organs. Je grösser dieses ist, desto mehr ist zu fürchten, desgleichen
je grösser der Umfang des Geschwürs, je älter das Subject, je schwächli-
cher die Constitution und je bedeutender das Allgemeinleiden (z. B. Febris
hectica) ist. Cur des Carcinom s. Ist ebenfalls, wi^ bei Cancer occul-
tus, entweder eine radicale oder palliative. Radical kann die Heilung nur
da stattfinden , wo das Geschwür noch keine bedeutenden Desorganisationen
erzeugt hat, wo das. Übel erst kürzlich entstanden und vielleicht noch als
ein örtliches zu betrachten ist, wo die nahegelegenen Theile noch wenig
gelitten und keine allgemeine Dyskrasie vorhanden ist, wo keine bedeuten-
den Krankheitsanlagen zugegen sind, wenn der Kranke noch bei guten
Kräften , ohne Fieber und nicht zu alt ist. Finden wir aber die Anwesen-
heit der genannten Umstände und Symptome, so müssen wir die Krankheit
als ein Allgemeinleiden betrachten und uns nur auf die Palliativcur beschrän-
ken. Freilich wollen in neuern Zeiten manche Ärzte , z. B. Nicolai (s. Z^itT
Schrift für Natur- und Heilkunde d. med. -chir. Akad. in Dresden, Bd. V<.
Hft. 1), die Krankheit auch dann noch als örtlich betrachtet wissen; aber
man vergesse nicht, dass die Diagnose des wahren Krebses sehr schwierig
ist und manche nicht krebshafte Drüsenkrankheit , die nur die Folge einer
vorhergegangenen Entzündung war, noch heutiges Tages so häufig für Krebs
genommen wird. Die Radicalcur des Carcinoms geschieht entweder durch
die Operation, oder dmch Anwendung innerer und äusserer Mittel, die Pal-
liativcur durch die pharmaceutischen Mittel allein. Die Operation ist nur
Most Eacyklopädie. 2te Aufl. I. 20
306 CANCER
'da von Nutzen, wo die Zeichen einer günstigen, oben angegebenen Prognose
stattfinden ; fehlen diese und sind obendrein noch mehrere Krebsgeschwüro
zugegen, so ist die Krankheit nach allen bishex-igen Erfahrungen unheilbar.
Die bei dem Cancer occultus angegebenen Innern und äussern Arznei-
mittel werden im Allgemeinen auch gegen das Krebsgeschwür empfohlen.
Hierbei bemerken wir Folgendes: I. Man hat durch Arzneimittel, aus ser-
lich angewandt, nach der Erfahrung schon Krebsgeschwüre geheilt. Die
Caustica finden aber nur da ihre Anwendung, wo das Übel blos oberfläch-
lich ist und keine bedeutenden drüsigen Organe oder andere Gebilde ergrif-
fen hat; z. B. beim Hautkrebs. Hier muss das Causticum so angewandt
werden, dass es alles Krebshafte gänzlich zerstört. Das vorzüglichste Atz-
mittel ist hier der Arsenik , weniger anwendbar ist der Lap. infernal. , das
Kali caust. , der Sublimat etc. Besonders wrksam hat sich hier das Mittel
von (Josme, in neuester Zeit das Hellmund'sche Mittel bewiesen (s. unten).
Auch folgende Salbe, womit das Krebsgeschwür mittels damit bestrichener
Plumaceaux verbunden wird, ist zu empfehlen: F^ Arscnici nlhi gr. vj — x,
Ojni jmri gr. xjj — xx, Flor, zinci 3|^5 Butijr. recent. 5J, Cerne jlavae 51^«
Longa trituratione m. exactissime (^Harless'). II. Was die Innern Mittel
betrifft, so besitzen wir keine Specifica gegen den offenen Krebs. Wir
müssen den jedesmaligen individuellen Zustand des Kranken berücksichtigen
und die Mittel müssen danach ausgewählt werden. Doch scheint die thie-
rische Kohle, Morgens und Abends 2 — 3 Gran gereicht, nach Weise u. A.
etwas Specifisches zu besitzen. (Überhaupt habe ich Gnind zu glauben,
dass wir noch am ersten aus dem Thierreiche Specifica gegen den Krebs
werden kennen lernen. Alle Aufmerksamkeit verdient in dieser Hinsicht die
Eidechsencur , deren neuerlich Dr. Hinze zu Waidenburg (s. Casper^s Krit.
Repertor. Bd. XXIV. Hft. 1, 1829, S. 137) gedacht hat. Nach ihm heilte
der Spanier Jos. Ferrero mit drei Eidechsen einen Krebs an der Oberlippe,
Don Carlo Snnzi ein Geschwür an der Nase, das dreissig Jahre gedauert
hatte. Das Verfahren ist dieses : man schneidet der lebendigen Eidechse
Kopf, Schwanz und Füsse ab, öffnet ihr den Bauch, nimmt die Eingeweide
schjiell heraus , zieht die Haut ab und lässt den Kranken das lebende Fleisch,
in kleine Stücke zerhackt oder kauend, hinunterschlucken. Man wiederholt
dies alle Tage ein- bis dreimal, lässt also täglich eine bis drei Eidechsen
verzehren. Der ganze Körper kommt danach in heftige Hitze, es erfolgen
Brennen, starker Seh weiss, vermehrte Diuresis, das Krebsgeschwür verliert
den üblen Geruch und heilt (s. auch Römer, Vom Nutzen und Gebrauch
der Eidechsen im Krebs etc. Leipzig, 1788. BelVs Zusätze z. s. Chirurgie,
S. 241). Von der Tinct. arsenic. Fowleri, dreimal täglich 5 — 15 Tropfen,
daneben eine strenge Diät (Milchdiät), und äusserlich höchst gelinde Mit-
tel: Kärottenbrei angewandt, sah ich in zwei Fällen bei Brustkrebs herr-
liche Dienste. Die Geschwüre bekamen ein besseres Ansehn, der üble Ge-
ruch der Jauche verschwand, die Schmerzen wurden gelinder, einzelne Stel-
len heilten, nach und nach immer mehrere, und die Kranken erholten sich,
starben indessen «päter an hektischem Fieber, während der Krebs selbst in
der Besserung fortgeschritten war. Der tägliche reichliche Genuss des kal-
ten Wassers in Verbindung mit einer höchst einfachen Diät hat auch schon
oft zur Heilung von Krebsgeschwüren, besonders bei vorherrschenden Dys-
krasien, beigetragen. Audh der innerliche Gebrauch der Aqua calcis, de*
Mauerpfeffers , des Fucus helminthochorton ist von Einigen gerühmt worden
(Most)' Auch als äusseres Mittel ist die Carbo animalis mit Nutzen ange-
wandt worden. Man bestreuet mit der pulverisirten Kohle vorzüglich die
Ränder des Geschwürs, welche schnell danach weich werden und guten Ei-
ter geben sollen ; auch streuet man das Pulver in die ganze Wundfläche (s.
RusVs Magaz. Bd. XXII. Hft. 1, Bd. XXV. Hft. 1. Dierhach, Neueste
Entdeck, in der Materia medica, 1928, 2te Abthl. S. 546). Berühmt ge-
wordene Anticancrosa simplicia et composita sind folgende: 1) Das Hell-
mund'sche Mittel, das sich besonders bei Gesichtskrebs so wirksam bewie-
sen, besteht nach Dr. Betschier {Rusfs Maganz. Bd. XIX. Hft. 1) a) aus
CANCER 307
<)em Pulver: I^ Arsenici nlhi 5jj, Ciner. solear. calc. gr. xjj, San ff. draconis
gr. xvj , Cinnab. factit. 5jj- M. f. pulv. subt. S. Pulvis Cosmi s. arsenicalis ;
b) aus der balsamischen Salbe : lO Balsam, peruv, nigr. , Engtr. conü macu-
lati ana 5)v j Plumh. acet. jmr. cryst. 9iv , l'inct. opii crocat. ^jj , Unguent.
cerci 51A. M. f. 1. a. Unguent. S. Unguent. narcotico - balsamicum ; c) aus
der zusammengesetzten Arseniksalbe : fy Pulv. arscnical. (a) 5j ? Unguent.
iiarcot. hnlsam. (b) 5J. M. exactiss. S. Unguent. arsenicale compositum.
Die Amvendungsart dieses Mittels ist folgende : Nachdem man die erkrankte
Fläche durch Abspülen, Abwaschen etc. von Eiter und Eiterborken sorgfal-
tig gereinigt hat , belegt man diese mit Plumaceaux oder Bourdonnets , die
aus feiner, weicher, gekämmter Charpie angefertigt werden. Diese, deren
Zahl und Grösse der Form und Grösse des Geschwürs entsprechen müssen,
werden gleichmässig imd etwas dick mit der Arseniksalbe (c) bestrichen
und aufs Geschwür gelegt, aych in die Vertiefungen mit einem Myrtenblatte
egal eingedrückt. Es ist nöthig, dass die Charpie nicht allein das Ge-
schwür, sondern auch den gesunden Rand noch einen Strohhalm breit be-
deckt. S'oUten die Ränder zu dick und wulstig seyn, so trägt man die
Arseniksalbe erst mit dem Spatel auf dieselben auf. Auf diese Weise wird
der Verband täglich einmal erneuert, und zwar so lange, bis sich auf der
ganzen Fläche ein dicker Brandschorf gebildet hat. Es entsteht bald nach
dem ersten Verbände ein gelinder Schmerz, der mit der Wirkung der Salbe
an Heftigkeit zunimmt, es zeigt sich im Umfange des Geschwürs Entzün-
dung und Anschwellung , die sich am zweiten , dritten Tage schon verlie-
ren; das Geschwür selbst vergrössert sich, bekommt ein hässliches, schmu-
ziges Ansehn, imd so bildet sich zwischen dem fünften und zwölften Tage,
oft früher, oft noch S'päter, der wirkliche Brandschorf; man wendet daher
das Mittel so lange ärii^;;bis dieser sich gebildet hat und die Härte im Um-
fange gänzlich geschmolzen , somit die Geschwürsfläche ganz unkenntlich
geworden ist. Der Schorf darf nicht, wie andere Borken, abgenommen
\^ erden ; man muss ihn noch einige Tage mit der Arseniksalbe verbinden.
Der Schmerz und die Entzündung in der Peripherie des Geschwürs dienen
zur Bestimmung, ob die so bereitete Arseniksalbe verstärkt oder durch Zu-
satz von Unguent. basilic. flav. geschwächt werden muss. Letzteres ist
nothwendig, wenn der Arsenik auf die Körperconstitution nachtheilig ein-
wirkt. Ist der Brandschorf vollkommen ausgebildet, so verbindet man mit
dem oben angegebenen Unguent. narcot. balsamic. , welches etwas dick auf-
gestrichen wird. Die Heilung des Krebses erfolgt nach meinen Erfahrungen
in 5 -^-^'7 Wochen {^Kuhrcle}. Viele andere Erfahrungen sprechen gleichfalls
für die Wirksamkeit des Mittels. (Vergl. Chelius, Handbuch d. Chirurgie,
1829, Bd. II. Abth. 2. Heidelberger klin. Annal. Bd. HI. Hft. 3. Dier-
hach. Entdeck, in d. Mat. med. 2. Abth. Sac?is, Darstellung äusserer Heil-
mittel, Th. 1. Berliner Jahrbücher f. Pharmacie, Bd. XXII. Allgem. me-
dic. Annalen, 1818, S. 638, und 1821, S. 125. RusVs Magaz. Bd. XIX.
Hft. 3, Bd. XXII. Hft. 3, Bd. XXIII. Hft. 2, Bd. XXV. Hft. 1. Harless,
Rheinische Jahrbücher, Bd. VII. St. 8, Bd. XII. St. 2. Geiger's Magaz.
Bd. XI. FriedreicJi' s und Itessclhach^s Beiträge zur Natur- und Heilkunde,
Bd. II. Annalen der gesammt. Heilk. der Mitglieder der Badenschen Sani-
tätscommission, Jahrg. 3, Hft. 1). Das Hellmund'sche Mittel ist dem Cos-
•me'schen weit vorzuziehen , weil es sich an allen Stellen anbringen lässt
und man seine Wirkung willkürlich vermindern oder erhöhen kann ; es auch
nicht so viel Schmerzen erregt , gesunde Theile nicht angreift und eine
egale, glatte Narbe zurücklässt. 2) Das Cosme'sche Mittel ist ein Pulver,
bestehend aus Yy Cinnahar. artefact. 5J, Snnguin. dracon. 5)^, Jrsenici alhi,
Ciner. solear. calceament. ana 55- M. f. pulv. subtil. Dieses Pulver wird
mit Wasser oder Speichel zu einem Brei gemacht und mittels eines Spatels
auf die gut abgetrocknete Geschwürsfläche und auf deren Ränder aufgetra-
gen. Es entstehen heftige Schmerzen, Entzündung und Geschwulst. Durch
erweichende lauwarme Umschläge und aromatische Kräutersäckchen werden
diese Zufälle gemildert. Je heftiger das Mittel wirkt , desto sicherer ist die
20*
308 CANCER
Wirkung. Bleibt nach dem Abfallen des Brandscborfs noch eine unreine
Stelle zurück, so wird das Mittel wiederholt. Ist die Geschwürsfläche aber
rein, so befordern wir die Heilung durch die bekannten Mittel, wie bei
jedem reinen Geschwüre. 3) Das Plunket'sche Mittel. Es ist ein Causti-
cum arsenicale , bestehend aus Fol. ranunculi acris , Flammulae vulgaris,
Arsenici albi lae\igati ana 5j •, Flor, sulphuris 3iv. Beim Gebrauche wird
dasselbe gepulvert, mit Eidotter vermischt und mittels eines Stücks Schweins-
blase auf die Geschwürsfläche gelegt. Man lässt es so lange liegen , bis
sich der Schorf gelöst hat. Die Anwendung erfordert grosse Vorsicht, um
Arsenikvergiftung zu verhüten (s. Dierhnch, Entdeck, in der Mat. med. 2te
Abth. S. 709). 4) Das Carmichaersche Mittel ist Ferrum arsenicum. Man
vermischt dieses mit vier Theilen Ferrum phosphoric. und trägt es dünn auf
die Oberfläche des Geschw ürs , und zwar nicht auf eii\mal auf die ganze
Geschwürsfläche. Am zweckmässigsten wendet man es in Salbenform an,
z. B. I^ Ferri arsenici 5lv, Ferri phosphor. 3jj » Uniff. celacei 3vj (s. Med.-
chir. Pharmakop. S. 81 u. 190. Geiger's Magaz. 1826, S. 13. Dierhach
1. c. 2te Abth. S. 711). 5) Das Baumann'sche Mittel. Ist ein Pulver aus
gleichen Theilen Arsenik, Nitr. depurat., Kali subcarbon. purum und fein
pulverisirter Aronwurzel , welches mit so viel Kienruss vermischt wird ,. dass
es eine graue Farbe bekommt (s. Dierhach 1. c. 2te Abth. S. 707. Berliner
Jahrb. d. Pharmac. Bd. XXil. AUg. med. Annalen, 1818 u. 1821. Salzb.
med. chir. Zeit. 22ster Ergänz. -Bd.). Dieses Mittel leistet besonders bei
Lippen - und Gesichtskrebs gute Dienste. Ich kenne , gestützt auf das
Zeugniss eines hiesigen glaubwürdigen Mannes, des Hrn. Cantor Gi'npow,
mehrere glückliche Curen mit demselben. Man thut von diesem Pulver, das
um so wirksamer zu seyn pflegt , je länger es vor dem Gebrauche bereitet
ist , eine dem Umfange des Geschwürs angemessen£^ Menge in eine Thee-
tasse. Man macht aus Baumwolle ein hinlänglich grosses Plumaceau , um
das Geschwür ganz bedecken zu können , feuchtet es mit Speichel wohl an
und wälzt es so lange in dem Pulver herum , bis der Bauch davon wohl
durchdrungen ist. Nun reinigt man das Geschwür mit warmem Wasser,
legt den Bausch auf und befestigt Alles mit einer Binde. Nach 24 Stunden
entsteht heftige Entzündung und Geschw ulst , durch deren Heftigkeit sich
der Arzt nicht bewegen lassen muss eher überzuschlagen , als bis die che-
chenden Schmerzen unerträglich werden und die Grenzen der Trennung und
Absonderung der schadhaften Theile von den gesunden erscheinen. Es bil-
det sich am dritten Tage eine Furche, diese verbindet man mit gemeinem
%erpenthin und Eigelb (3JIV und Vitell. ovor. Nr. 1). Beim Verbinden darf
man kein Instrument von Metall gebrauchen. Sollte die Absonderung des
Krebsartigen nicht, wie gewöhnlich, den sechsten oder achten Tag erfol-
gen , so wendet man das Pulver auf das Schadhafte noch einmal an , be-
deckt aber die reinen Theile vorher mit Charpie. Nie darf man die Trennung
des Schorfes gewaltsam bewirken ; man muss abwarten^, bis sie von selbst
erfolgt. Die Heilung des Geschwürs bewirkt alsdann die Terpenthinsalbe.
Während der ganzen Cur muss das Verhalten antiphlogistisch seyn. An-
fangs bekommt die Milchdiät sehr gut; ausserdem gebe man gelinde bittere
Extracte und leichte Mittelsalze ; später muss endlich der Darmcanal wie-
derholt gereinigt werden, Most). 6) Justamond''s Mittel. Es besteht a) aus
einer Salbe : fy Arsenici albi gr. iv, Opü puri 3jl , Uiit/t. cerei 5j. M. f. 1. a.
Unguent. S. Sehr dünn auf Leinwand zu streichen. Sie wirkt langsam,
mildert aber die Schmerzen; b) aus einem Pulver von Arsenik und Schwe-
fel , womit die Geschwürsfläche bestreuet wird. Wir vermischen es auch
wol zur Hälfte mit Flor, zinci (s. JustamoniVs Chir. Schriften, a. d. Engl,
v. Michaelis; Leipz. 1791. BelPs Abb. v. d. Geschwüren. Zusätze S. 205).
7) Le Fc()ure''s Arsenikauflösung. JMan, reibt 2 Gran Arsenik mit Zucker
ab und löset dies in 2 S Wasser auf. Le Fehure lässt diese Solution äus-
serlich als Umschläge oder Waschmittel anwenden und zugleich innerlich
davon Morgens 1 Esslöflfel voll mifc einer halben Unze Milch und einer hal-
ben Drachme Syr, papav. nehmen (s. Samml. auserl. Abh. f. pr. Ärzte.
CANCER 309
Bd. II. St. 4. BelVs Zusätze, 1793, S. 243). 8) Die Krebsmittcl des Gra-
fen Arundel. Sie bestellen in Folgendem: a) ein Ätzpulver aus Arsenik 5jj»
Bolus armen. 5j ; b) ein glänzendes Atzpulver aus Auripigment, Merc. prae-
cip. ruber und Bolus armen, ana ; c) ein schwarzes Wasser, bestehend aus
Sublimat gj , Merc. praec. rubr. giv , Acetum vini ßvj , welches zusammen
gekocht wird; d) ein Ungt. virid. aus Terebinth. venet. 3Jjj, Colophon. gjiH,
Virid. aeris 3(s , Axung. porci 3xvjjj. M. f. 1. a. Ungt. (s. BclVs Abh. v. d.
Geschwüren. Zusätze S. 2^6. Justnmond a. a. O.). 9) Pnnncca antican-
crosn von Franz Xaver de Marc, oder Justamond^s Stahlmittel, bestehend
aus Eisen, Salmiak, Weingeist, Weinsteinöl und Vitriolgeist, womit die
Geschwürsflächen und deren Ränder angefeuchtet und zugleich innerlich die
Flor, salis ammoniaci martialis gegeben werden (s. Justamond a. a. O. Dess.
Tract. de Cancro , Vienn. 1777. Astruc v. Geschwülsten u, Geschwüren,
Bd. II. Fourcroy im Journ. de medec. Vol. I. Paris 1791), 10) Althoff^s
Mittel besteht aus folgender Salbe: ly» Arsenici albi gr. vjjj, Eartr. saturiii, —
cicutae, — chinnv ana 51V, Aq. destillat. 3jjj- M. f. Ungt. (s. B;<n/rtc/i's Arz-
neimittellehre). 11) Auch den Theer hat man äusserlich empfohlen. Es
wird Charpie damit bestrichen und auf das Geschwür gelegt.. Zugleich
lässt man innerlich das Theerwasser gebrauchen (s. Gazette sanitaire 1784.
Berchehnann Abh. v. Krebs, Leipz. 1756. BiirdaclCs Arzneimittellehre).
12) Goldpräparate. Angewandt werden a) Aurum Umatum s. puherisalum,
b) Aurum muriaticum. Beide Mittel werden innerlich und äusserlich ge-
braucht ; ersteres innerlich zu 2 — 5 Gran ; letzteres zu ^s 5 Vs 5 V4 ? V2 bis
4 Gran. Äusserlich nimmt man 4 Gran auf eine Unze Fett, und verbindet
mit dieser Salbe das Geschwür täglich 2 — 3mal (s. Dierbach 1. c. 2te Abth.
S. 620. Rusfs Magaz. Bd. XI. , XVI. , XVIII. , XXI. HufehnuVs Journ.
1823 , Juni. Med. chir. Zeit. 1823). 13) Zincxmi muriaticum , wird äusser-
lich in Pulverform angewandt. Man bestreuet die ganze Geschwürslläche
eine Linie dick damit, sichert die Grenzen desselben durch Heftpflaster,
belegt hierauf die ganz^ Fläche mit Heftpflaster, Compressen und Binden.
Die Wirkung soll in 6 — 8 Stunden erfolgen; der Schorf soll nach 8 Tagen
abfallen und sich eine gesunde Granulation zeigen (s. HufclaiuVs Journal,
1826, Mai. Auqusün''s Pharmac. extempor. Ed. 2. Bischof, Handb. d. Arz-
neimittellehre, i3d. II. p. 571. Dierhach l, c. 2te Abth. S. 694). 14) Cu-
prum sulphuricum in Verbindung mit Pulv. cort. chinae und Wasser, em-
pfiehlt äusserlich Coates , Arzt in Philadelphia. 15) Bleimittel , vorzüglich
als Zusatz zu Bädern , um die grossen Schmerzen zu lindern (s. Jänisch,
•Abhdl. V. Krebse, Petersb. 1777. Nya lärda tidningar, Stockh. 1775. Col-
lect. Soc. med. Hafn. Vol. I. 1774. BeIVs Zusätze. Hcc1;er's Lit. Annalen
d. ges. Heilkunde; 3r Jahrg. Septbr.). 16) Opiumpräparate sind in neuern
Zeiten wiederum gegen den Krebs empfohlen worden, besonders von Krü-
gelstein und Marcinhowsli (s. AUg. med. Annalen, 1827. Hft. 2). 17) Ca-
Jcmlula officinalis ist neuerdings von Stein und Westring gegen den Krebs
empfohlen. Ersterer wendet innerlich ein Decoct (5|v — 5j auf 5vijj Cola-
tur), auch die Mellago oder das Extract in Pillen an; äusserlich den Succ.
rec. express. des Krautes und der Blume und Blätter in Salbenform (s. An-
nal. der ges. Heilk. der Badensch. Sanitätscommiss. 3r Jahrg. Hft. 1. ITu-
feland^s Journ. 1821, Mai, 1824, p. 119. Rust's Magaz. Bd. XI. S. 350).
18) Das hydriodsaure Kali rühmt Prof. UUmann in Marburg. Er verbin-
det die Geschwüre mit Kali hydriod. 5)1, Axung. porci 5Jiv und nimmt
zuletzt 18 Gran auf 6 Drachmen Fett (s. v. Gräfe's Journal , IV. 2). (Er-
kundigungen, die ich 1823 in Marburg in einer der dortigen Apotheken über
das Mittel einzog, waren indessen durchaus nicht glänzender Art. Most^.
19) Das Chreston'sche Mittel wird besonders gegen Lippen - und Brust-
krebs gelobt. Es ist Folgendes: ^r Folior. laurocerasi rccent. 31V, Aquae
ehull. ßjj , infund. vas. cl. per horam. Col. adde Meli, despumat. 5IV. M.
Mit dieser Flüssigkeit feuchtet man Charpie und Compressen an und legt
sie auf die Geschwüre (s. Med. -chir. Pharmakop S. 100). Auch das Wa-
schen mit verdünnter officineller Blausäure wird bei Cancer maromar. et
3lO CANCER
uteri empfohlen (7Iorn''s Archiv, 1822, Bd. I. S. 34). 20) Blausaures Eisen
in Salbenform rühmen englische Wundärzte zum Verbmden bei offenem
Krebse, z. B. I^ Ferri hijdrocyanici pulv. 5 j , Vnguent. cetac. 3J. M. (s.
Brandes' Archiv, Bd. 1. Hft. 3. S. 215). 21) Segalns d'Etchepare rühmt
das Chlornatrum (Chlorure de soude) gegen Brust - und Mutterkrebs , to-
pisch aag^ewandt in verdünntem Zustande (s. Journ. de Chimie medicale,
1825, Juillet, -p. 271). 22) Auch das Feuer ist gegen Krebsgeschwüre mit
Erfolg gebraucht und in frühern Zeiten dem Atzmittel vorgezogen worden.
Man applicirte es mittels des Glüheiseiis , der Moxa , des Zunders , der glü-
henden Kohlen, des Brennglases. Hat der Krebs einen solchen Sitz, wel-
cher die Operation nicht gestattet, oder erfolgt nach wiederholter Exstir-
pation eine neue ktebshafte Degeneration, oder ist die Exstirpation ver-
säumt oder nicht gestattet worden, und hat die Anwendung der Ätzmittel
nichts gefruchtet, so können wir uns nur auf die Palliativcur beschränken.
Wir geben demnach innerlich solche Mittel, die dem jedesmaligen Zustande
angemessen sind , z. B. bei heftigen Schmerzen und Schlaflosigkeit Narco-
tica, besonders Opium, bei Erethismus und Blutwallungen Aq. laurocerasi
mit Elix. acid. Halleri, bei Febr. hectica gute Nutrientia, Valeriana, Ca-
lam. arom. , China etc. Äusserlich wirken sehr schmerzlindernd der frische
Karottenbrei , eine Solut. hepat. sulphuris mit Extr. hyoscyami , das Aufle-
gen der frischen Blätter von Hyoscyamus, Plantago etc. Der secundäre
Krebs erfordert bei der Cur die beim primitiven Krebse angegebenen Be-
rücksichtigungen. Man achte hier besonders auf die ursprüngliche Krank-
heit und gebe, wenn der Kranke nicht schon zu schwach ist, die dagegen
geeigneten Mittel. Die äussere reizende Curmethode ist hier nie zu Anfange
anzuwenden; nur die reizmildernde passt, z. B. laue Fomentationen und
Umschläge, die Application von Blutegeln, eine gelinde antiphlogistische
Behandlung, eine reizlose, nährende Diät, z. B. Milchdiät. Sollte aber
dennoch der secundäre Krebs fortschreiten , se kann man auch hier die beim
primitiven angegebene Curart in Anwendung bringen, und z. B. das Hell-
raund'sche Mittel, die Eidechsencur etc. versuchen. J. F. W. Kuhrchc.
Nachschrift des Herausgebers. Da der verehrte Verfasser obi-
ger Abhandlung verhindert worden, die einzelnen Krebsarten auszuarbeiten,
so ergänze ich diese hier in der Kürze, hier und da mit eigenen Erfahrun-
gen begleitet.
Cancer anthracicus, s. Cancer cutis.
Cancer aqunticus, der Wasser krebs. Ist keine krebshafte Affection,
sondern eine Art scorbutischer Mundfäule, die sich neben dem Leiden in
der Mundhöhle auf der Wange äussert, ein specifisch gangränöses Leiden,
das weder zur gewöhnlichen Gangrän, noch, wie Hesse Avill, zu den krank-
haften Erweichungen gehört (s. Stomacace gangraenosa infantum).
' Cancer cutis. Der Hautkrebs entwickelt sich aus keiner Drüse, wie
der Drüsenkrebs; er hat urspiünglich seinen Sitz in der Haut, und kann
daher an allen Theilen des Körpers, die mit Haut umkleidet sind, vorkom-
men. Die Lieblingsstellen des Hautkrebses sind : die Schleimhaut des Darni-
canals, zumal die des Pharynx, der Zunge, des Rectums, der Genitalien.
Seltener entspringt er aus dem Corium , und ergreift dann am öftersten
das Gesicht. Je gefässreicher , sensibler und edler das ergriffene Organ ist,
desto zerstörender sind seine Wirkungen, z, B. an den Augen, der Zunge,
in den Schleimhöhlen der Nase. Entspringt er aus dem Corium , so bildet
sich erst entweder eine kleine missfarbige, rauhe Warze (Warzenkrebs,
Cancroides} , oder eine schwärzliche, stark juckende, maulbeerartige Excre-
scenz (^Cancer anthrncicus} , oder er entsteht aus harten , verschieden ge-
färbten, mehr oder weniger zahlreichen Knollen (Kn ol 1 e nk rebs, Cancer
tuljcrcuJosus^ , oder aus tuberculösen , anfangs ganz schmerzlosen, violett
oder schwär'/.lich gefärbten Geschwülsten (^Cancer globosiis^ , oder endlich
aus einer ganz unbedeutend scheinenden Excoriation, woraus bald früher,
bald später ein Geschwür entsteht , welches mit den heftigsten , Tag und
Nacht anhaltenden Schmerzen alle Eigenthümlichkeiten des wahren Cancer
CANCER 311
aperius verbindet. In einzelnen .Fällen ist das Geschwür nur einen Gro-
schen gross , umgeben von peripherischer Röthe , sondert eine geringe Menge
Jauche ab, bedeckt sich mit graugelber Borke, die sich, so wie sie abge-
kratzt wird, aufs Neue bildet, und es vergrössert sich Jahre lang nicht im
mindesten. Da es von selbst nie heilt und durch unzweckmässige Behand-
lung ganz den Verlauf des wahren Krebses nimmt mit allen seinen Zufäl-
len: lancinirende Schmerzen, Bildung von Fungositäten, oft wiederkehrende
Blutungen, Anschwellung der benachbarten Drüsen und cancröse Zerstörun-
gen etc.; — so beweiset dieses hinlänglich seine Krebsnatur. — In andern
Fällen verbreitet sich das Geschwür mehr in die Breite , als in die Tiefe ;
es kriecht bald langsamer, bald schneller von einer Stelle zur andern (Ul-
cus carcinoidcs 1 Achilleum, Cacoethes, Chironium, Telephium), verursacht
äusserst heftige stechende, bohrende Schmerzen (Cancer terebrans, nach Ali-
hert) , destruirt dann erst die tiefer gelegenen Theile : das Zellgewebe , die
Muskeln, selbst die Knochen, zumal wenn es an Gegenden gekommen ist,
wo sich das Corium mit der Schleimhaut verbindet, wie z. B. die Nase,
Augen, Lippen, der After, das Ostium cutaneura urethrae (ßn^?c). Allen
diesen Geschwüren hat man auch wol den Namen : „Noli mc tnngcre'"'' gege-
ben ; die Franzosen nennen sie Ulccra cancrosa primitiva , im Gegensatz der
von ihnen sog. consecutiven, wo später bei vorwaltender Dinthesis cnr-
cinomatosa Ulcera venerea , scrophulosa , serpiginosa , herpetica , phagedae-
nica etc. in Carcinom übergehen. Bildet sich der Hautkrebs in den Schleim-
häuten, so gehen meist Polypen, Tuberkeln, verrucöse Auswüchse , Ulcera-
tion harter, callöser Stellen vorher. Die Cur ist die allgemeine des Kreb-
ses (s. Cancer).
Cancer ehurneus. Ist jeder Scirrhus, so lange er noch nicht in Erwei-
chung übergegangen ist und dann die bedeutende Härte, die ihn charakte-
risirt und der des Elfenbeins nahe kommt, zeigt.
Cancer encephaloidcs , s. Fungus medullär! s.
Cancer fungosus. So nennt man das spätere Stadium des Carcinoms,
wo sich in der Geschwürsfläche bereits Schwammgewüchse gebildet haben.
Oft sehen diese braunroth aus, erscheinen traubenförmig, bilden sich schnell
zu bedeutender Grösse (ich sah solche Fungositäten bei einem fetten, 66jäh-
rigen Manne , der an Cancer parotidis litt , binnen 24 Stunden sich um '/j
Zoll vergrössern , Most) , — bluten häufig und gehen in so absche\ilich stin-
kende Verjauchung über, dass man es in der Nähe des Kranken nicht aus-
halten kann. Übrigens soll der Cancer fungosus nicht so leicht secundäre
Scirrhen veranlassen, als dies beim Cancer genuinus der Fall ist (s. Rusfs
Handbuch der Chirurgie, Bd. III. S. 497).
Cancer Galeni. Ist keine Krankheit, sondern eine sechsköpfige Kopf-
binde , deren man sich schon lange mit Nutzen bei Kopfwunden bedient.
Cancer genuinus, der wahre, echte Krebs, im Gegensatz des Can-
cer spurius. Er kann sowol bei wohlgenährten fetten, als bei magern Per-
sonen entstehen, doch wol nur höchst selten vor dem SOsten, 40sten Le-
bensjahre. Wohl zu unterscheiden ist er von der sog. gutartigen Induration.
S. Induratio.
Cancer glandulae lacrymalis , s. Hydatls glandulae lacry-
m a H s.
Cancer glohosus. So nannte Alihert eine besondere Art des Krebses.
S. Can cer cutis.
Cancer haematodes, Blutkrebs, s. Fungus haematodes.
Cancer lahiorum, der Lippen krebs. Entsteht häufiger an der un-
tern als an der obern Lippe, und entwickelt sich entweder aus einem har-
ten Knoten in derselben, wobei die Lippe unförmlich anschwillt, oder aus
schorfigen , geschwürigen Stellen der Oberfläche. Höchst selten ist , Gott-
lob! dieser Krebs ein wahrer Krebs, meist nur ein bösartiges (syphiliti-
sches, von Caries der Zähne etc. herrührendes) Geschwür. Cur. Die Exci-
sion der schadhaften Stelle ist hier dem Causticum vorzuziehen. Sie gelingt
häufig, und es erfolgt selbst Heilung bei grossen Zerstörungen der Lippe
313 CANCER
und dea Mundes, sogar bei cariöser Affection der Maxiila (^'Divpwßren').
Häufig würde kein bösartiges Geschwür aus den schorfigen, geschwürigen
Hautexcoriationen entstanden seyn, hätte man diese nur mit einem milden
Öle und nicht mit reizenden Pflastern und Salben verbunden, und hätte
man dem Kranken eine kühlende Diät und alle 3 — 4 Tage ein kühlendes
Laxans aus Magnesia sulphurica verordnet (M.). Die Diagnose des wah-
ren Lippen krebs es von andern bösartig aussehenden Geschwüren er-
heischt eine sorgfältige Berücksichtigung aller bei Cancer in genere und bei
Cancer cutis aufgeführten Erscheinungen und des Verlaufs der Krankheit.
Die Oberlippe wird am häufigsten ergriffen , und das Carcinom geht bald
aus einem harten, ungleichen Knoten der Lippe unter heftigen, bohrenden
Schmerzen, bald aus einer blossen Excoriation hervor. Die Cur betref-
fend , so ist noch das Ausschneiden das beste Mittel. Auch hat sich inner-
lich das Decoct. Zittmanni in mehreren B^ällen von echten Lippenkrebsen
Rust heilsam bewiesen. Alle gerühmten Caustica, als das Cosme'sche und
Hellmund'sche Mittel, zeigten sich mehr schädlich als nützlich, doch leisten
sie bei Ulcus carcinoides herrliche Dienste. S. Cancer cutis. (Vergl.
Siark in LniujenhccV s Bibl. 1812, Bd. IV. St. 4. S. 559. — Baumann, E.
F. A. , Disscrt. de cancro etc. Lips. 1814, p. 49. — Richernnd in Histoire
des progres recens de la Chirurgie, p. 218. — v. Gräfe' s u. v. Wnlthers
Journal, Bd. XIL St. 3. S. 428, vom J. 1829).
Cancer linguae , der Zungenkrebs. Ist häufig ein wahrer Krebs,
beginnt mit einer harten , umschriebenen Geschwulst an der einen oder an-
dern Seite der Zunge; dann bricht nach kürzerer oder längerer Zeit die
Geschwulst auf, und die bekannten Zeichen des Carcinoms stellen sich ein.
Aber nicht alle Geschwülste und Geschwüre der Zunge sind krebsartig ;
häufig werden sie es erst secundär. Man achte daher auf Syphilis , Scor-
but, Caries dentium , maxillae. Cur. Man wende gelinde Mittel an, z.B.
Extr. cicutae mit Mel rosar. , zum Bepinseln, sorge für Reinlichkeit des
Mundes, lasse mit Infus, salviae oft gurgeln. Ist noch Cancer occultus da
und kerne allgemeine Dyskrasie zugegen, so exstirpire man, besonders wenn
nur ein kleiner Seitentheil der Zunge leidet. Bei oifenem Krebse leistete
in einem Falle das Weise'sche Mittel innerlich, und die Salbe aus Carbo
animalis zum Verbinden gute Dienste {Josephi^. Giftige Salben darf man
nicht zum Verbinden wählen. Entstehen Blutungen , so wende man das
Glüheisen vorsichtig an. Auch die so häufig bei Zungenkrebse beobachte-,
ten schwammigen Excrescenzen entfernt am besten das Glüheisen. Dass
das Übel , wenn es aus örtlichen Ursachen entstand, z. B. durch Druck,
Quetschung, leichter zu heilen ist, als wenn allgemeine Dyscrasia cancrosa
zum Grunde Hegt , versteht sich von selbst (vergl. v. Gräfe^s und v. If'al-
ther's Journ. d. Chirurg etc., Bd. IL St. 2, Bd. V. St. 2). Der Zungen-
krebs kommt an der Spitze und den Seitentheilen der Zunge, an den
Rändern derselben weit häufiger, als an der Oberfläche dieses Theils vor.
Oft ging Jahre lang eine harte, schmerzlose Geschwulst vorher, die dann
aber plötzlich unter den bekannten flüchtigen, stechenden Schmerzen, die
periodisch eintreten , zum Carcinom wird , indem sich an einer Stelle ein
fluctuirendes Bläschen bildet, das aufbricht und ein Geschwür zeigt, des-
sen Oberfläche hart und blau ist, von Zeit zu Zeit blutet, und eine dünn-
flüssige, scharfe, übel riechende, Ekel erregende Jauche entleert, immer
mehr um sich greift , B'ebris hectica erregt und binnen wenigen Monaten,
bevor kaum die Hälfte der Zunge zerstört worden, den Kranken tödtet.
Von der Hypertrophie der Zunge, die in seltenen Fällen auch an
der Spitze vorkommt, unterscheidet sich der wahre Krebs dadurch, dass
diese Hypertrophie bei Kindern entweder angeboren oder anerworben vor-
kommt, nicht in der Form eines kleinen harten Knotens auftritt, sondern
mehr die Zungenspitze in der Art einnimmt, dass die ganze Muskelsul)stanz
aufgeschwollen erscheint und zwischen den Lippen hervortritt, die Anschwel-
lung gleichmässig ist und ihre Oberfläche an Farbe und Struclur den übrigen
Zuiigentheilen gleicht, auch keine Schmerzen, nur bei bedeutender Grösse
CANCER 313
Hlndeniiss Im Sprechen und Schlingen verursacht. Auch die Vergrosse-
rung der Papillen auf dem Rücken der Zunge, schwammige Excrescen-
zen, entstanden in Folge Ton Syphilis' und Mercurialismus , müssen wohl
vom echten Zungenkrebse unterschieden werden. Die Exstirpation des
Krebses und innerlich , nach RnsCs Erfahrungen , das Decoctum Zittmanni,
selbst 4 Wochen und länger angewandt, leisten hier noch die beste Hülfe.
Nach Hcijfclder (s Schweizerische Zeitschrift für Natur- und Heilkunde,
1834, Hft. I. S. 84 ff.) ist das Carcinoma llnguae missfarbig, uneben, leicht
blutend, bei der leisesten Berührung, beim Genuss nicht flüssiger Speisen,
sehr empfindlich, es hat umgestülpte Ränder, später erregen die unerträg-
lichen Schmerzen , die Nacht und Tag quälen , Febris hectica und Tod.
Ist schon schleichendes Fieber eingetreten, so ist an eine Operation (das
einzige Rettungsmittel) nicht mehr zu denken. Hciffclder fand, dass das
von Recamiei' gelobte salpetersaure Quecksilber, 5j i" gj Acid. nitric. con-
centr. gelöst , wenig leistete. Er zieht den Schnitt der Ligatur und jedem
andern Verfahren vor. Das Verfahren bei der Operation ist bei Exstir-
patio cujus d. linguae partis angegeben (s. den Art.).
Cancer mammae fungosus , s. Fungus mammae.
Cancer mammaruni, Krebs der Brustdrüse. Entsteht nur höchst
selten bei Männern, am häufigsten bei Frauen, besonders in den vierziger
Jahren. Sein Verlauf ist zuweilen sehr langsam ; er kann unbeachtet viele
Jahre als Scirrhus, als ein anfangs runder, ebener, beweglicher Knoten in
der weiblichen Brust zugegen seyn , ohne dass darauf geachtet wird. Meist
erst dann, wenn er grösser, unebener, höckeriger wird, mit der Haut und
den Muskeln verwächst, seine Schiebbarkeit und Beweglichkeit verliert,
wenn periodisch stechende, schiessende Schmerzen sich einstellen, die durch
Druck und des Nachts zunehmen, wird das Leiden entdeckt. Werden nun
die Schmerzen heftiger, schwellen die Achseldrüsen an, röthet sich die Ober-
fläche der Geschwulst, vergrössern sich die nahe gelegenen Venen, zieht
sich die Brustwarze zurück und bildet eine Vertiefung, wird die Oberhatit
des Scirrhus roth und dünn, so wird der Cancer apertus nicht mehr fern
seyn. Die Haut bricht nun auf und bildet das eigenthümliche, oben be-
schriebene Krebsgeschwür. In andern Fällen entwickelt sich aus dem Scir-
rhus das Krebsgeschwür weit schneller; der Schmerz ist dann heftiger und
es treten bald die Symptome eines Allgemeinleidens hinzu. Diagnose.
Da ausser dem echten Krebse sich in der weiblichen Brust auch andere Ge-
schwüre bilden, so ist die Unterscheidung sehr wichtig. Dr. Cumin zu
Glasgow (Edinb. med. and surgic. Journ., April 1827) nimmt zwei Arten
von Brustkrebs an: ein Carcinoma tuherculosnm und oedematosum. Zeichen
des erstem sind: steinartige Härte bei unregelmässiger Oberfläche, ste-
chende, reissende Schmerzen, Unempfindlichkeit beim Druck, Eingeschrumpft-
seyn der Brustdrüse , zurückgezogene Warze ; das spätere Geschwür hat
eine ausgehöhlte Fläche mit harten, ungebogenen Rändern und blumenkohl-
artigen Auswüchsen. Die zweite Species hat einen raschern Verlauf und es
bildet sich das merkwürdige , A'on Justamond und Boyer genau beschriebene
Ödem. Dies giebt die Diagnose beider Species. Zur Diagnose des Übels
von andern Übeln dient: 1) jede harte oder härtliche Geschwulst, die nach
Entzündung oder Eiterung der Brustdrüse zurückbleibt, die beim Druck
bedeutend schmerzt, ist kein Scirrhus; denn diesem geht keine Mastitis vor-
her, und ein applicirter Druck auf ihn schmerzt sehr wenig. 2) Scrophu-
löse Geschwüre sehen oft dem Carcinom ähnlich; hier dient der Habitus
scrophulosus und das jugendliche Alter zur Diagnose, auch die Indicatio ex
juvantibus. 3) Gutartige Milchknoten sind oft eben so hart und uneben,
wie der Scirrhus; sie schmerzen aber mehr beim Druck als letztere, aus-
genommen wenn er schon in Cancer occultus übergegangen ist ; sie sind die
Folge von Störungen in der Milchsecretion , von Mastitis, von Druck,
Quetschungen, und der übrige Körper ist gesund, es ist keine Dyscrasia
cancrosa vorhanden. Auch bleiben die Milchknoten nicht immer gleich
gross. Sie nehmen zu bei Luna crescens, nehmen aber ab bei Luna de-
314 CANCER
crescens {Mosf), was der wahre Scirrhus nie that. Lauwarme Fomentatio-
nen von Sohitio salis tartari zertheilen sie oft in kurzer Zeit , desgleichen
Einreibungen von grüner Seife. 4) Balggeschwülste in der Brust unter-
scheiden sich durch ihre glatte Oberfläche; sie sind beweglich, meist weich
und ohne stechendes, schneidendes Schmerzgerühl. 5) Sind der Verhärtung
in der Tiefe der Brustdrüse Krankheiten der Brustwarze, chronische Exan-
theme: Herpes, Psydracie vorhergegangen, so ists auch kein wahrer Scir-
rhus. Wird in allen solchen Fällen, wo dem Leiden meist immer eine In-
flammatio chronica zum Grunde liegt, der Pseudoscirrhus verkehrt, reizend
etc. behandelt, so kann darauf der wahre Krebs folgen. 6) Wenn ein
Frauenzimmer in einer fruchtbaren Ehe lebte, nie an Anomalien der Men-
struation litt und noch nicht in der Periode der Decrepitität sich befindet,
>venn sie weder in Kummer, Gram und Elend lebte, noch einen ärgerlichen
Sinn besitzt, so halte man das Übel stets für einen Pseudoscirrhus. Cur.
Mehrere hier anempfohlene pharmaceutische Mittel sind schon oben beim
Krebs im Allgemeinen angegeben worden. Mau hat sie zwar sehr oft ge-
rühmt, doch bleibt nach der Erfahrung das einzige Mittel beim wahren
Brustkrebs, so lange er noch nicht aufgebrochen ist, die Operation; nur
muss sie nicht zu spät vorgenommen werden. Einzelne Knoten schält man
aus; ist aber der grösste Theil der Brust schon verhärtet, so ampiitirt man
die ganze Brust. Obgleich das frühe Operiren dein spätem vorzuziehen ist,
so operire man doch nie, wenn der Scirrhus sich sehr langsam entwickelt
und noch wenig Schmerzen macht ; sonst beschleunigt man nur durch ra-
sches Fortschreiten der Exulceration den schlimmen Ausgang (^Chelius^. Die
Operation des wahren Scirrhus mammarum hilft zwar in den wenigsten Fäl-
len; die meisten laufen nach meinen Beobachtungen unglücklich ab, indem
neue krebsartige Degenerationen sich bilden , aber dennoch bleibt sie noch
immer ceteris paribus das einzige Zufluchtsmittel, indem doch von zehn
Fällen wenigstens zwei einen glücklichen Erfolg haben (Mos/). Ist schon
Cancer apertus da, so versuche man das Hellmund'sche oder Baumann'sche
Mittel, wenn anders die Kranke nicht schon zu schwach ist. Erregung
einer heftigen Entzündung ist hier die Haiiptsache. In einem Falle, wo
diese eine scirrhöse Brust in der ganzen Peripherie ergriff und in Brand
überging, wurde der Scirrhus zerstört und es erfolgte Heilung (s. Richcrandy
Nosographie chirurgicale. Vol. L p. 516). Die diätetische und innere Be-
handlung ist schon oben angegeben. Ist die Kranke sehr schwach, sind
die Schmerzen unerträglich, so dienen die vom Prof. Halle gegen scirrhöse
Anschwellungen empfohlenen Umschläge. Man kocht Leinsamenmehl, Karot-
tenbrei und Karottensaft , setzt nach dem Kochen eine halbe Unze Schwei-
nefett hinzu, und streuet auf jeden warmen Umschlag kurz vor dem Auf-
legen 5J Pulv. herbae cicutae. Dieser Umschlag wird alle sechs Stunden
erneuert und auch innerlich 8 — 20 Gran Cicuta gegeben.
Cancer medullaris, s. Fungus medullaris.
Cancer vwlnnoticus , Carcinoma melanoiicum, s. Melanosis.
Cancer 7nilis , mollis ^ s. Fungus medullaris.
Cancer moUis , cerchriformis , s. Fungus medullaris.
Cancer nasi. Der Krebs an der Nase ist nicht g.anz selten. Er
kann in jedem Gebilde dieses Organs ursprünglich wurzeln, doch geht er
am häufigsten von der äussern, die Nase bedeckenden Haut, zumal
von der Gegfnd der Nasenflügel aus, wo er bald als wahrer Scirrhus aus
einem rundlichen, harten Knoten, bald aus Warzen und Ex<;rescenzen , zu-
weilen aus dunkolrothen, schwärzlichen Flecken, aus schorfigen Excoriatio-
nen entspringt. Ging kein Scirrhus vorher, so ist das Geschwür anfangs
nur oberflächlich, aber schmerzhaft, es zeigt nach der Anwendung der ge-
wöhnlichen Heilmittel keine Veränderung, greift bald langsamer, bald schnel-
ler um sich, schmerzt zu gewissen Zeiten weit stärker als zu andern, wor-
auf es jedesmal sich verschlimmert und etwas vergrösserl und selbst in die
Tiefe geht. Zuweilen bleibt es aber auch lange superficiell und auf einen
bestimmten Umfang besclu-änkt , auch die umgebende Haut wird oft wenig
CANCER 315
terändert, oder nur mit einer graulichen Kruste bedeckt, die sich nach
jeder Entfernung wieder erneuert. Hat aber das Geschwür den Nasenrand
erreicht, so vergrössert es sich schneller, greift in die Tiefe und zerstört
alle Theile ohne Unterschied ihrer Structur. Die stechenden Schmerzea
dauern fort, das Geschwür hat das complete Ansehn des Carcinoms, doch
jaucht es nur wenig, hat nicht bedeutend aufgeworfene Ränder, wenige
oder gar keine schwammige Auswüchse, die Nasenflügel schlagen sich hä«t-
fig nach innen um, die nahe gelegenen Drüsen werden ergriffen, geschwol-
len, erhärten sich, gehen auch wol in offenen Krebs über. In seltener»
Fällen wurde die ganze Nase zerstört und der Kranke starb unter hekti-
schem Fieber. — Eine andere Art des Nasenkrebses geht A'on der Schnei-
der'schen Schleimhaut aus, und tritt entweder in Form bösartiger Polypen
oder harter, warzenartiger Excrescenzcn oder als eine harte Verdickung der
Haut auf (^Ricliter) , worauf dann das Krebsgeschwür folgt. Auch von den
Nasenknochen kann das Übel ausgehen, wo es als Osteosarcom, Osteostea-
tom auftritt. Bei dieser Art , sowie auch bei der zweiten , ist die Jaucheab-
sonderung bedeutend stark und sehr übelriechend , die Ränder des Geschwürs
erscheinen umgeworfen , die Nase ist mit Fungositäten angefüllt und die
Sonde zeigt bei der letzten Art, bei welcher oft bedeutende Blutungen ein-
treten , durch die Untersuchung , dass der Knochen entblösst ist. Cur,
Beim Hautkrebse auf der äussern Oberfläche der Nase ist Pulv. Cosmicus,
bei grosser Ausdehnung des Geschwürs HcUmuniVs Mittel das beste. S.
Cancer. Warzen und bösaitige Polypen müssen vorher durch das Messer
und das Cauterium actuale entfernt werden, worauf dann die genannten ar-
senikalischen Mittel zur Umstimmung , um Heilung zu bewirken und Reci-
dive zu verhüten, nöthig sind (iJwsf). Geht der Krebs von dem Knochen
aus, so ist nur eine möglichst vollständige Exstirpation alles Krankhaften
durch das Messer im Stande, dem Übel Einhalt zu thun, und wenn es ir-
gend die Beschaffenheit der Wunde erlaubt, so muss auch auf sie der Ar-
senik applicirt werden (s. Rusfs Handb. d. Chirurgie, Bd. HI. S. 525. —
Richter, Chir. Bibl. B. XIT. S. 167, Bd. IX. S. 360).
Cancer occultus , s. Cancer.
Cancer oculi, Exophthahnia cnncrosn, Ophthalmia carcinomaiosn , Scir-
rhophthalmus , der Augapfelkrebs. Entsteht meist nur bei alten, abge-
lebten , kachektischen , mit allgemeiner Dyscrasia cancrosa begabten Leuten,
ergreift am häufigsten nur ein Auge, entsteht häufig secundär aus dem
Cancer palpebrarum, der Thränendiüse , der Thränencarunkel (s. Hyda-
tis glandulae lacrymalis), seltener primär in Folge schlecht behan-
delter Augenübel : des Cirsophthalmus , der Caruncula maligna , der Papula
rebellis , des Staphyloma totale, wol nie aber aus dem wahren Carcinoni
der Iris , welches Einige mit Fungus haematodes verwechselt haben. Scir-
rhositäten des Bulbus sollen jedesmal dem Übel vorhergehen. Symptome
sind: ein tiefsitzender, anfangs stumpfer, juckender, später reissender, klo-
pfender, durch kein Narcoticum zu besänftigender Schmerz in der Stirne
und im Auge, verbunden mit grosser Lichtscheu; Thränenfluss ; dabei nimmt
das Auge ohne Spur irgend einer Ophthalmie ein trübes, mattes, gelbliches
oder grauweisses Ansehn an, vergrössert sich durch eine harte, höckerige,
mit varicösen, blaulichen Gefässen bedeckte Geschwulst, verursacht dem
Kranken das Gefühl einer lästigen Schwere, ist in seiner Beweglichkeit be-
schränkt oder ganz behindert, und tritt endlich als eine bräunliche, feste,
von jeder Organisation entblösste Masse unter den wüthendsten Schmerzen
aus der Oibita hervor. Die leiseste Berührung scheint den Unglücklichen
bis zum Wahnsinn zu reizen ; auch ist ein lebhaftes hektisches Fieber zuge-
gen. Erfolgt nun der Übergang in Cancer apertus, so wird die Cornea an
mehreren Stellen wund , geschwürig , mit rothen , bleifarbenen , pilzartig
hervorwuchernden Schwämmen besetzt, es folgen unter Erleichterung der
Schmerzen Blutungen aus den varicösen Gefässen, welche zuletzt so häufig
und reichlich werden , dass Ohnmächten und plötzlicher Tod durch Blut-
verlust erfolgen können. Aus dem Bulbus fliesst eine stinkende, mit röthli-
316 CANCER
chen und grönllcTien Streifen vermischte Jauche in so grosser Menge und
von so ätzender ßeschafTenheit , dass sie den Rest der Kräfte verzehrt, die
Nachbarschaft corrodirt , das untere Augenlid , die Nase , Wange ergreift,
das ganze Gcsiclit in ödematöse Entzündung geräth u. s. w. Ists noch Can-
cer occ(dtus, eine blosse Exophthalmia scirrhosa , so kann man vielleicht
durch frühe Exstirpation des Auges dem Kranken das Leben retten, ists
aber schon Cancer apertus , so hilft auch diese nicht mehr , und der Kranke
ist ohne Rettung verloren, zumal wenn die allgemeine Dyscrasia caucrosa
zum Grunde liegt (vergl. Beer, Ijehre von den Augenkrankheiten, lid. JI.
§. 185; Wien, 1Ö17. — Rust's Magaz. Bd. VIII. Hft. 2. S. S2i , Ud. XXIV.
Hft. S. S. 553). S. auch die Art. Sarcoma, Staphylo ma, Fungus
haematodes, medullaris.
Cancer ossiiim, der Krebs der Knochen. Die altern Autoren nah-
men das Wort synon)m mit Sphin ventosa. Andere verstehen darunter eine
Varietät des Knocheiifrasses , die Cnrics cnncrosa ; nach den Ansichten der
Neuern soll das Osteosarcom dasselbe im Knochen seyn , was der Krebs in
den Weichgebilden ist. Aiif diese Unbestimmtheit der Begriffe der ohnehin
unrichtigen Benennung ,, Knochenkrebs" gestützt , schlägt mit Recht
Seife^'t (^RusCs Handb. d. Chirurgie, Bd. III. S. 529) vor, den Namen ganz
aus der chirurgischen Namendatur zu verbannen und dafür lieber ein Wort
zu wählen, durch welches irgend eine vorliegende, der krebshaften Entar-
tung der weichen Theiie in einzelnen Erscheinungen nicht unähnliche Kno-
chenkrankheit richtiger und bestimmter bezeichnet wird. Vergl. Spina
ventosa, Paedarthrocace.
Cancer pal pehrnrnm. Der Krebs der Augenlider entwickelt sich
in der Regel nur bei scrophulösen Snbjecten, in Folge eines verkehrt be-
handelten Chalazion, einer solchen oder vernachlässigten 1'ylosis , einer
durch unpassend angewandte Caustica bösartig gemachten Warze , einer
kleinen wiederholt gereizten, gekratzten Papula, oder aus Scirrhositäten,
welche sich in der Nachbarschaft der Augenlider befanden. Zeichen
sind: anfangs eine kleine, unscheinbare, schmerzlose, wenig gefärbte, mit
der Oberhaut verwachsene Geschwulst, welche durch unzweckmässige Rei-
zungen oder durch syphilitische, psorische , arthritische, scabiöse Djskrasie
nach und nach, zumal bei alten Leuten, in Cancer a[)ertus unter jenen cha-
rakteristischen Schmerzen übergeht und ausser andern Zeichen des Carci-
noms auch Fnngositäten zeigt. Zuletzt werden die Nachbartheile, selbst
der Bulbus oculi, mit ergriffen. Der Verlauf ist bald rasch, bald langsam,
wird aber meist durch Wochen , Monate lange Perioden initerbrorhen , in
welchen das Leiden nicht von der Stelle zu rücken und seine unerträglichen
Begleiter, die heftigen bohrenden Schmerzen, wie durch Zauberei verloren
zu haben scheint. Doch kaum ist dieser Zeitraum vorüber, so beginnt die
Qual mit erneuerter Stärke (^liiisCs Handb. d. Chirurgie, Bd. III'. S. 530).
Cur. Alle Versuche, den Scirrhus durch Einreibungen etc. zu zertheilen,
sind fruchtlos und schädlich. Man thnt am besten, alles Krankhafte mit
dem Messer zu exstirpiren und zurückbleibende Reste durchs Caustirum zu
zerstören. Auch ohne solche Reste cauterisire man unmittelbar nach der
Ausrottung des Knotens die VV^undfläche. Ancii beim Carcinom bleibt diese
Operation nur noch übrig, oft muss auch selbst das Auge exstirpirt werden,
wenn es an der krankhaften Entartung Theil genommen hat.
Cancer parotidis , Parotis scirrhosa, Scirrhus und Krebs der
Ohrspeicheldrüse. Symptome. Es bildet sich , ohne dass im ge-
ringsten Entzündung der Parotis vorhergegangen wäre, eine nicht sehr vo-
luminöse, steinharte, auf ihrer Oberttäche unebene, mit Furchen und Her-
vorragungen versehene Geschwulst, die sich mehr in die Tiefe als nach
aussen verbreitet , unbeweglich ist und worin sich von Zeit zu Zeit ste-
chende, schneidende Schmerzen einstellen. Der Hauptsilz der Geschwulst
ist zwischen dem Proress\is mastoideus und dem Raums ascendeiis maxillae
infcrioris, und sie treibt bei zuiiehmendcr Grösse das Ohr in die Höhe und
CANCER 317
glebt der leidenden Seite etwas Gespanntes, Verzerrtes in der Physiognomie.
Diese Zeichen dienen zur Diagnose des Übels von Fungus medullaris, In-
duration, Sarkom. Ging Entzündung vorher und ist die Geschwulst sehr
hart, so ists Induration; ist sie unter gleichen Umständen weich und be-
weglich: Sarkom; ist sie ungeheuer gross und hat sie sich schnell, binnen
wenigen Wochen gebildet, blutet sie nach dem Aufbruche häufig und bil-
den sich viele schwammige Wucherungen , so ists Markschwamm. Auch
Tumores cystici und scrophulöse Drüsenanschwellungen können sich in und
um die Parotis entwickeln. Ihre Form und das Vorhandenseyn des Allge-
meinleidens (Scrophulosis) dient zur Unterscheidung. Cur. So wie beim
Fungus medullaris ist auch beim Scirrhus der Parotis die Exstirpation der
letztern das einzige Rettungsmittel. Alle empfohlenen Resolventia : innerlich
Cicuta, Antimonium, Mercur, Terra ponderosa, äusserlich Unguent. mercu-
riale, Empl. nigr. Bechholzii, Belladonna, Straraonium etc. haben sich beim
echten Scirrhus nicht günstig bewiesen. Die Operation ist aber sehr schwie-
rig und wegen der zahlreichen wichtigen Gefässe und Nerven sehr gefähr-
lich; daher wir sie nur den geübtesten Operateurs überlassen (s. Richter^s
Anfangsgründe etc. Thl. IV, §.401. Gräfe' s und Wdlther's Journal f. Chi-
rurgie u. Ophthalm. Bd. I. St. 1. Kyll, Dissert. de indurat. et exstirpat.
glandulae parotid. 1822. Chelius, Handbuch d. Chirurgie, Bd. II. Abthl. 2.
S. 1330).
Cancer penis, Krebs des männlichen Gliedes. Entsteht fast
immer an der Eichel oder der Vorhaut, wo sich anfangs eine Warze oder
ein Knoten bildet, der hart anzufühlen und ohne Schmerz ist. Durch Rei-
ziuig oder auch von freien Stücken wird später dieser Theil schmerzhaft,
vergrössert sich, bricht auf, sondert hässliche Jauche ab; Zerstörung der
Urethra , starke Geschwulst der nahen Theile , Ausfliessen des Urins aus
mehreren Offnungen, fungöse Auswüchse mit umgeworfenen Rändern, An-
schwellung der Leistendrüsen sind häufig die Folgen, des Übels. Die Dia-
gnose ist schwierig, da häufig syphilitische Geschwüre em ähnliches An-
sehen bekommen. Die genaue Berücksichtigung des Allgeineinleidens und
der Anamnese ist hier nicht zu verabsäumen. Ist Syphilis Schuld, so muss
eine zweckmässige Mercurialcur eingeleitet Averden. Cur. Gestielte war-
zenförmige Auswüchse schneide man an der Basis ab und beize sie dann mit
Lapis infernalis ; leidet blos die Vorhaut, so mache man die Excision oder
Circumcision ; hat sich der Krebs schon über die Eichel verbreitet, so muss
der Penis amputirt werden. Dies rettet allein und der Erfolg ist , wenn
Hoden und Inguinaldrüsen noch gesund sind , in der Regel günstig. Über
das Verfahren bei der Operation ist der Artikel Amputatio penis nach-
zuschlagen. ,,,
Cancer purgntoris infumicnli, Schornsteinfegerkrebs, s. Cancer scro.ti*
Cancer seu Carcinoma recti , Krebs des Mastdarms. Ist in der
Regel unheilbar, da er keine Operation zulässt. Man verhalte sich daher
passiv, verbiete alles Reizende: Bier, Wein, Coitus, setze den Kranken auf
vegetabilische Kost , versuche allenfalls die Salbe aus Carbo animalis mittels
Bourdonnets eingebracht, zum Verbinden, reinige täglich den Darm durch
kleine Klystiere von Infus, salviae, sambuci etc.
Cancer scroti, Cancer purgntoris infumiculi, Russwarze, Krebs des
Hodensacks, Schornsteinfegerkrebs nach Pott. Ist eine cancröse
Entartung des Hodensacks, welche häufig in England unter den Schorn-
steinfegern vorkommt. Man giebt der Art des dortigen Steinkohlenrusses
und den engen Kaminen, wo die jungen Schornsteinfeger nackt hineinstei-
gen müssen, besonders Schuld an diesem Übel. Symptome. Am untern
Theile des Hodensacks entsteht eine oberflächliche, sehr schmerzhafte, übel
aussehende Ulceration , mit harten , aufgeworfenen Rändern ; schnell verbrei-
tet sich diese über den ganzen Hodensack, geht in die Tiefe, ergreift den
Testikel, der dick luid hart wird, geht zum Samenstrange, auf die Einge-
weide des Unterleibes; die Inguinaldrüsen schwellen an, die Schmerzen sind
Tag und Nacht fürchterlich, die Zerstörung sehr bedeutend, der Tod macht
318 CMCER
den Leiden ein Ende. Cur, Da das Übel meist nur junge gesunde Leute
befällt, so ist es oft für syphilitisch gehalten und mit Mercur behandelt
vorden , wodurch das Leiden schneller um sich greift und schlimmer wird.
Die Excision der geschwürigen Stelle , früh genug angewandt , ist das ein-
zige Mittel, das Fortschreiten der Krankheit zu verhüten und allen schlim-
men Folgezuständen vorzubeugen. Ist der Testikel schon angegriffen, so
hilft selbst die Castration nicht immer, und häufig zeigt sich nach Heilung
der Wunde das Übel, selbst nach Monaten, aufs Neue. Ist die Hülfe ver-
säumt , der Krebs schon im hohen Grade vorhanden , so können nur noch
palliative Mittel angewandt werden. Nach meiner Ansicht ist das Übel kein
%\ahrer Krebs; denn er kommt nur in England vor, und zwar nur bei
Schornsteinfegern, und fast immer nur an den Genitalien, höchst selten an
andern Theilen (s. PoiVs Chirurgical Works by Earle. Lond. 1808. Vol. HI.
p. 178) , Gründe genug , um meine Meinung zu unterstützen (s. Earle in
Med. and chirurg. Transact. Vol. II. p. 294, 1823). Nach A. Cooper (Ob-
serv. on the structure and diseases of the testis ; Lond. 1830) kommt der
Schornsteinfegerkrebs zuweilen auch auf der Wange vor. Zuerst bildet sich
eine auf der Oberfläche runde Warze. Wird sie fortgenommen, so sieht
man unter ihr die Papillen der Warze excorlirt , roth , es bildet sich eine
Kruste, später ein Geschwür mit harten, indurirten , nach aussen gekehrten
Rändern und blutigem Serum und Eiter; dabei lästig juckende, später die
specifisch schiessenden Schmerzen, Entzündung, Ulceration der Leistendrüsen,
tödtliche Blutungen der blossgelegten Schenkelgefässe, zuletzt meist Tod
durch Säftevei'lust. Cooper's Mittel sind Caustica , oder die Excision. Eine
Salbe von ^j Arsenik in gj Gerat, cetac. wird 12 Stunden lang aufgelegt,
dann folgt ein Breiumschlag. Die Salbe wird so oft applicirt, bis die Fläche
fein und gesund erscheint. Die Excision kann noch gemacht werden, wenn
auch die Leistendrüsen schon erkrankt sind.
Cancer sphacelosus. So nennen Einige jenes Stadium bei Cancer aper-
tug, wo die Zerstörung der Theile durch das um sich greifende mit üppig
Vvachsenden Fungositäten versehene Geschwür vor sich geht und dann jene
Schwämme wahrhaft brandig werden.
Cancer spurius. Ist eine unpassende Benennung für alle jene Indura-
tionen und Geschwüre, die nur dem Cancer genuinus und wahrem Carci-
liom ähneln.
t'V.. Cancer ierehrans, s, Cancer cutis.
t^i'--'- Cancer testicull, Krebs des Hoden. Der alte Gattungsname für alle
irtnfotiischen Anschwellungen des Hoden ist Sarcocele, Hernia carnosa,
Fl'ei's«bbr,u eh. Hierunter versteht man folgende verschiedene Leiden
des Testikels : Induratio scrophulosa, syphilitica, Degeneratio varicosa, sar-
«jomatosa , Fungus meduUaris und Scirrhus. Einige Schriftsteller nennen
Sarcocele die Elephantiasis des Scrotum , andere verstehen darunter unsere
hier abzuhandelnde Krankheit, Da das eigentliche Sarkom (Fleischge-
echwolst) stets Folge einer vorhergegangenen Entzündung ist , der wahre
primitive Krebs aber nie, so unterscheide ich beide Übel und handle vom
Sarkom des Testikels im engern Sinne anderswo (s. Sarcocele). Sym-
ptome. Der echte Scirrhus des Hoden ist höchst selten, in der Regel hat
Irtan andere Übel , Folgezüstände von Entzündung mit ihm verwechselt. Er
entsteht spontan, ohne eine in die Sinne fallende Ursache, ohne vorherge-
gangene Entzündung , ebenso wie die Bildung der Tuberkeln vor sich geht;
zuweilen gehen ziehende Schmerzen des Samenstranges vorher, der Hode
schwillt an , wird hart und bleibt lange in diesem Zustande, ohne bedeu-
tende Beschwerden zu erregen. Früher oder später, durch zufällige Rei-
zung oder spontan, wird nun die Geschwulst grösser, härter, ungleich,
höckerig ; dabei sind schneidende , stechende Schmerzen längs dem Funicu-
lus spermaticus bemerkbar. Auch letzterer schwillt an, wird dicker, kno-
tig, fest, höckerig. Nun verwächst die Haut des Hodensacks mit der Ge-
schwulst , diese bricht auf, bildet das speclfik aussehende Krebsgeschwür
mit stinkender Jauchesecretion , fungösen Auswüchen , und die Schmerzen im
CANCER 319
Samenstrange und In der Lendengegend werden täglich heftiger, die ganze
Constitution leidet, der Mensch bekommt Febris hectica und stirbt. Zuwei-
len bildet sich, ehe der Scirrhus aufbricht, in der Höhle der Scheidenhaut
eine Hydrocele , welche Complication gewöhnlich Hydrosarcocele genannt
wird. Die Section des scirrhösen Hoden lehrt, dass er aus einer harten,
speckartigen Masse besteht , die bräunlich oder grau aussieht und mit ein-
zelnen Zellen , worin stinkerjde Jauche befindlich, versehen ist. Diagnose.
Ist sehr wichtig. 1) Allen> Krankheiten des Hoden, denen Entzündung vor-
herging, kann kein wahrer Scirrhus folgen; er geht jeder Entzündung vor-
aus, und folgt diese, so bricht die Geschwulst auf und wix'd zum Cancer
apertus. Dadurch unterscheidet sich jede gutartige Scirrhosität vom wah-
ren Scirrhus (s. Induratio). 2) Die sarkomatöse Entartung des Hoden
unterscheidet sich durch die ihr eigenthümlichen Erscheinungen (ovale , na-
türliche Form des Hoden , später Abplattung desselben zu beiden Seiten,
Schmerzlosigkeit beim Gebrauch des Suspensorium etc.) hinlänglich vom
Scirrhus (s. Sarcoma). 3) Die Induratio telae cellulosae scroti ist vom
Krebse leicht zu unterscheiden durch die grosse, bedeutende Geschwulst
mit breiter Basis , worunter sich oft der ganze Penis verkriecht , die selbst
hundert Pfund gewogen hat, unschmerzhaft ist etc. 4) Der Wasserbruch
kann noch ^^eniger damit verwechselt werden, ebensowenig die Verdickung
der Tunica albuginea (s. Hydrocele und Fungus), wobei auch die
Anamnese Aufschluss giebt. 5) Auch der Markschwamm des Hoden bietet
ganz andere Erscheinungen (grösserer Umfang, Abwesenheit der Härte und
Unebenheit, höchst unbedeutender Schmerz etc.) dar (s. Fungus medul-
laris). Cur. Der scirrhöse Testikel muss exstirpirt werden, besonders
wenn noch kein Allgeradnieiden da ist, wenn der Samenstrang noch gesund
und die Schmerzen darin, sowie in der Lendengegend, unbedeutend sind.
Sind beide Testikel scirrhös, so ist dei* Erfolg der Castration höchst un-
sicher.
Cancer^ Carcinoma uteri. Gebärmutterkrebs. Scirrhus und Car-
cinoro kommen an der Gebärmutter leider! häufig vor; am häufigsten nach
dem 40sten Lebensjahre. Das Aufhören der Menstruation, oder richtiger
das, was es A^erursacht, scheint hier vielen Einfluss zu haben, wenigstens
den Fortgang und die schnellere Ausbildung des Übels sehr zu befördern.
Veranlassungen sind die allgemeinen des Krebses und, wie diese, noch
sehr im Dunkeln. Topisch wirken hier nicht selten nachtheilig Onanie,
nicht ganz getilgte venerische Krankheit, Verletzungen bei der Geburt, hef-
tige Reizung beim Beischlaf, kälte Einspritzungen und plötzliche Unter-
drückung des Blutflusses bei Metrorrhagien , schlechte Pessarien; auch frü-
here Anomalien der Menstruation, frühere Diathesis scrophulosa, häufiges
Abortiren, gewaltsames Lostrennen der Nachgeburt, das Stopfen habitueller
Leukorrhoe, Missbrauch der Emmenagoga rechnet man hierher. Mehrere
Fälle von Carcinoma uteri beobachtete ich an Frauen, die ausschweifende,
häufig an Tripper leidende Männer hatten (Afosf). Zuweilen finden wir das
Übel mit Scirrhus mammarum in Verbindung; alsdann ist es stets miheilbar
(Most). Im Allgemeinen nimmt der Mutterkrebs, besonders in grossen Städ-
ten, leider! mit jedem Jahre zu, wie dieses v. Siehold von Berlin nachweist
(s. dessen Journal für Geburtshülfe, Bd. VII. St. 2. S. 89), der auch der
Meinung ist, dass der Brustkrebs mit Carcinoma uteri im Wechselverhält-
niss stehe, und letzterer häufiger mit dem seltenern Auftreten des erstem
erscheine. Symptome. 1) Unordentliche, bald zu häufige, bald seltener
erscheinende , zugleich sehr schmerzhafte Menstruation , wobei stets hysteri-
sche Zufälle aller Art, bald Schmerzen im Kreuze und in den Schenkeln,
bald Blasenkrampf, Strangurie (aber nie Ischurie), Diarrhöe, abwechselnd
mit Obstructio alvi, Tenesmus, Nodus im Halse stattfinden. 2) Das abge-
hende Blut ist missfarbig , klumpig , später bräunlich , chokoladenfarben,
riecht bald wie alter Käse, bald höchst widerlich süsslich (Mos/)- 3) Zu-
weilen schwellen die Brüste an und enthalten eine milchige Flüssigkeit;
auch der Unterleib fühlt sich von aussen voll und gespannt an. 4) Nicht
320 CMCER
selten finden Obstructio alvi und wegen der Sympathie des Uterus mit dem
Magen Acrschiedene dyspeptische Beschwerden statt. Alle diese Zeichen
können aber auch ohne Scirrhus uteri vorkommen ; nur bei dem sichern
gleich zu gedenkenden Zeichen liaben sie Werth. 5) Das sicherste Rlittel
zur Erkenntniss und Diagnose ist \lie Untersuchung (s. Expl oratio ob-
stet ricia). Diese zeigt das Übel deutlich. Der Uterus hat sich gesenkt,
der äussere Muttermund ist ungleich, erweitert, und voll Schleim; drückt
man stärker daran, so kommt verdorbenes misj 'farbiges Blut. Das untere
Segment des Uterus ist dicker, mit einzelnen Erhabenheiten versehen, und
schmerzt beim Berühren sehr. Meist immer ist der Hals des Uterus ver-
dickt und geschwollen, aber die Geschwulst wird nie sehr gross (67rtr/.c).
6) Ist das Übel noch nicht weit fortgeschritten, so ist viel Geschlechtstrieb
zugegen ; die Person kann noch concipiren ; abortirt darauf aber fast jedes-
mal, seltene Fälle ausgenommen (^s. Lauhreis iiiSichold's Journal f. Geburts-
hülfe etc. , Bd. VII. St. 2) , wo zwar die Schwangerschaft und Entbindung
normal verlief, das Übel aber nachher desto schneller zum Tode führte,
indem Gangrän folgte. Nach und nach werden die scirrhösen Erhabenhei-
ten grösser , schmerzhafter beim Coitus oder beim Touchiren , es entsteht
ein Gefühl von Ameisenkriechen im Uterus , die Vaginalportion wird immer
kleiner, das Orifici\im erweitert sich immer mehr, eine grünliche, bräun-
liche , fressende Feuchtigkeit geht ab ; ausserdem stellen sich öfters zu be-
stimmten Zeiten Blutungen ein , bei jedesmaligem Touchiren kommt Blut
mit einem hässlichen Geruch , der so specifik ist , dass man ihn , hat man
ilm einmal gerochen, nie wieder verkennen wird. In manchen Höckern
des Muttermundes und Mutterhalses fühlt man deutlich Fluctuationen. Zu-
weilen hört der Ausfluss plötzlich auf ein paar Tage auf; alsdann entstehen
gewöhnlich hysterische Krämpfe. Nicht selten dauert das Übel Jahre lang;
im spätem Stadium wird häufig die Vagina durch die scharfe Jauche zer-
fressen, so dass der Mastdarm und die Harnblase sich darin öffnen und erst
Monate nachher ein elender Tod folgt. Nach v. Siehohl tritt das Übel bald
mehr als Drüsenkrebs , bald mehr als Blutkrebs auf, beschränkt sich , hat
es eine gemsse Höhe erreicht, nie auf den Uterus allein, sondern ergreift
auch die Vagina, die Ovarien, die Fallopischen Röhren, selbst die Harn-
blase und das Rectum. Höchst selten sind die Fälle, wo es ein trockner
Drüsenkrebs ohne Ausfluss von Blut oder stinkender Jauche ist. Vor eini-
gen Jahren starb mir eine 50jährige Frau an diesem Übel , bei welcher
Scheide, Os uteri und Rectum verengert und steinhart anzufühlen waren.
Nur nach jedesmaligem Touchiren floss dümies helles Blut aus, die übrige
Zeit nicht. Sie ging noch im Hause ihrer Arbeit nach, als eine hartnäckige
Harnverhaltung mit Fieber sie ergriff. Der Katheter allein vermochte den
JHarn zu entleeren, musste aber alle zwei bis drei Tage applicirt werden;
es trat Febris hectica hinzu und der Tod folgte nach fünf Wochen, ohne
dass das Übel selbst in bedeutende Verschwärung übergegangen wäre. In
der Regel wird dieses traurige Übel in der ersten Zeit übersehen,, und
wenn wir es erkennen, so ists schon unheilbar. Vor sechs Jahren bekam
ich eine Kranke der Art in die Cur. Der frühere Arzt hatte sie nicht ge-
burtshülfiich untei-sucht und , das Übel für Hysterie und Decrepititätszufälle
haltend, den wahren Zustand ganz übersehen. Eine genaue Untersuchung
mit den Fingern zeigte schon grosse Zerstörungen und die Frau starb, trotz
aller meiner Bemühungen, 1% Jahr später in dem jämmerlichsten Zustande
(^MosO- Cur. Ich bin des Glaubens, dass der echte Mutterkrebs unheil-
bar sey, und dass da, wo man ihn geheilt haben will, eine andere Krank-
heit stattgefunden hat. Eine zahlreiche Menge von Fällen in klinischen
Anstalten und in der eigenen Praxis haben diesen Glauben herbeigeführt.
Ein berühmter Arzt rühmte mir die lodine gegen Mutterkrebs , und nach
genauer Erkundigung fand ich , dass die Person an iiuem Mutterkrebse gar
keinen Schmerz, nur ein spannendes Gefühl gehabt habe; ich untersuchte
sie, fand die Reste eines Polypen, aber keinen Krebs. (Ausser dem inner-
lichen Gebrauche der lodine waren auch Injectionen von Infus, cham .liliae
CANCER 321
«nd Tinct,, opü gemacht worden.) Viel Verwirrung rührt daher, weil nicht
alle Ärzte Geburtshelfer sind und somit das Touchiren unterla£sen oder nicht
gründlich verstehen. Die Mittel, welche man innerlich, zum Theil auch als
Injectionen, empfohlen hat, sind: Mercur, Cicuta, Belladonna, Digitalis,
Sem. phellandr. aquat. , lodine, Goldpräparate nach Chrestien (s. Hufeland^ß
Journ. Bd. XLIV. St. 4. S. 103), Blausäure (thid. Bd. XLIV. St. 2. S. 55),
Infus, calendul. officinalis etc. Folgende Mittel haben mir gute Dienste ge-
leistet: 1) In den ersten Stadien des Übels: Einspritzungen von warmem
Wasser, von der Temperatur 86 — 90o Fahrenheit; bei Vollsaftigkeit ein
Aderlass am Arme, innerlich alle acht Tage ein Purgirmittel aus kühlenden
Purgirsalzen , z. B. Magnesia sulphurica, täglich zum Getränk Wasser mit
Crem, tartari, dabei eine kühlende Diät, abwechselnd auch wol Elix. acid.
Hallen in Wasser (s, Ch. M. ClnrTce, Über die Krankheiten des Weibes.
A. d. Engl, von Heineken. 2 Theile. Hannover 1818); ausserdem eine Brun-
nen - und Badecur zu Driburg, Pyrmont. 2) Bei fortgeschrittenem Übel
gebe ich innerlich Folgendes : 1^ Elix. acid. Halleri 5jj » -^(f- laurocerasi 3J.
M. S. Dreimal täglich 25 — 40 Tropfen in einer Tasse Wasser. Daneben
Einspritzungen von warmem (90" B'ahrenheit Wärme) Thee aus Flores sam-
buci und salviae zu gleichen Theilen. Ist der Geruch schon widerlich, so
setze ich einige Tropfen Liquamen myrrhae zu. 3) Adstringirende antisepti-
sche Einspritzungen wende ich in den frühern Stadien deshalb nicht an, weil
sie das Übel durch Beförderung der Cohäsion vermehren; nur in der spätem
Zeit , wo ich besonders vom Acidum pyrolignosum , mit Aqua salviae ( 5j
auf 5VJ ) verdünnt , die herrlichsten Wirkungen zur Vertreibung des Ge-
stanks, nicht aber zur Heilung des Übels wahrgenommen habe. Ich ver-
suchte die Holzsäure deshalb, weil sie beim Wasserkrebs so herrliche Dien-
ste thut (Klaatsch in Hufeland's Journal 1823. Jan. S. HO). Auch Calx
oxymuriatica 5j i'i Aqua 51V gelöst, vertreibt den Übeln Geruch sehr schnell.
Man hüte sich aber vor allen kalten Injectionen. Folgende Mittel sind noch
zur radicalen Heilung empfohlen und zuweilen auch mit glänzendem Erfolge
angewandt worden : 4) das Causticum. Man betupft die krebshaften Theile
mittels eines eigenen Speculum uteri mit Höllenstein oder Lapis causticus,
und rühmt dieses Verfahren besonders da, wo der Krebs noch keinen grossen
Umfang hat. Das Glüheisen, mittels eines Speculum uteri vorsichtig an den
schadhaften Theil gebracht, würde ich dem Causticum, das so leicht durchs
Zerttiessen gesunTle Theile verletzt, vorziehen. (Osi'mder, Recamicr, Du-
pwjtren ; s. auch Jf edemeyer, in LangenbecVs N. Bibl. f. Chirurgie u. Oph-
thalmol. Bd. II. St. 4. S. 576.) 5) Die Exstirpation. Man schneidet ent-
weder blos den krebshaften Theil, oder den ganzen Uterus aus. In letzterm
Falle befördern die meisten Operateurs vorher einen künstlichen Prolapsus
uteri. LnnijenhecTc exstirpirte den ganzen carcinomatösen Uterus per vaginam
bei einer Dame in Cassel , welche noch mehrere Jahre nachher lebte und
sich der vollkommensten Gesundheit erfreute. In allen Fällen , wo man den
Uterus nur partiell exstirpirte, sah ich einen ungünstigen Erfolg. Es sind
beide Methoden zwar von berühmten Operateurs genug verrichtet, haben
aber auch manche Nachtheile, und in zahlreichen Fällen den Tod befördert,
in seltenern dagegen die gewünschte Heilung herbeigeführt (s. Chelius Chi-
rurgie, Bd. II. Abth. 2. §. 2009 bis 2018. Göttinger gel. Anzeigen, 1808.
S. 1300. Bulletin de la Facult6 de M^d. de Paris, 1819. Nr. 6. Hufelntid's
Journal, Bd. XVI. St. 3. Bd. XLIV. St. 4. Bd. XLVIII. St. 1, 2 und 5.
Bd. LI. St. 3. Bd. LIII. St. 4. Bd. LV. St. 4. Bd. LVI. St. 2 und 5.
Bd. LVII. St. 6. Siehold in dessen Lucina, Bd. I. St. 3. Wenzel, Krank-
heiten des Uterus, 1816. Jörg, Aphor. üb. d. Krankheiten des Uterus, 1820).
6) Dr. Rummel in Merseburg empfiehlt Einreibungen an die carcinomatösen
Theile von Unguent. mercuriale und Laudanum liquidum, wodurch zuweilen
Besserung erfolgte (s. Sieliold's Journ. f. Geburtshülfe. Bd. VII. St. 2. S. 89).
7) Dr. Hennema/nn in Schwerin (s. Ilufeland^s Journ. 1823. Decbr ) gab in-
nerlich die Tinct. iodinae (gr. vj auf 3j Alkohol) Morgens und Abends zu
10 Tropfen mit grossem Nutzen. Das Übel war in seiner grössten Ausbil-
Mo8t Euc^^Uopädie. 2te Anfl. I. 21
322 CANCEROMA — CAMTIES
düng, der Muttermund knorpelartig verhärtet und die hintere Wand der
Vagina in eine schwammige, blumenkohlartigc Masse verwandelt. Damit
waren häufige ungeheure Blutungen und fürchterliche Schmerzen verbunden.
Die Kranke starb, und bei der Section fand man keine Spur mehr von
krebshafter Degeneration; der Tod erfolgte wahrscheinlich wegen des vor-
ausgegangenen ungeheuren Säftevcrlustes. Ganz diesen Erfahrungen entge-
gen bemerkt Dr. Gölis (Med. chir. Zeitung, Bd. II. S. 272) , dass die lo-
dine bei bejahrten Frauen und Jungfrauen den schnellen Übergang des Scir-
rhus uteri in Cancer apertus befördere und gefährliche Hämorrhagien erzeuge.
Dennoch verdient das Mittel alle Beachtung (s. auch Rvst''s Magaz Bd. XIII.
S. 290. Bd. XV. S. 137. HufelnmVs Journ. 1823, Febr. u. Decbr. , 1825,
Febr. Dresdener Zeitschrift f. Natur- und Heilkunde. Bd. V. H. 1. S. 91).
In vielen Fällen ist der Mutterkrebs Folge einer sogenannten venösen
Entzündung und die Constitution der Kranken eine solche mit erhöhter Ve-
nosität. Ist das Übel daher erst im Entstehen, so passen gelind auflösende
Mittel : Extr. graminis , taraxaci in Verbindung mit Liq. terrae foliat. tar-
tari, Kali tartaricum, Arcanum duplicatum, auch alle 2 — 3 Tage mit kleinen
Dosen Kalomel , 2 — 3mal V4 ^'s 'A Gran, interponirt. Französische Wund-
ärzte setzen auf das Collum uteri Blutegel durch das Speculum vaginae,
und Rust^s darüber in den Berliner Charite- Krankenhause angestellte Ver-
suche scheinen dafür zu sprechen (s. dess. Handbuch d. Chirurgie, Bd. III.
S. 561). Auch werden hier die Bäder von Marienbad , Karlsbad , Ems, die
Bitterwässer von Püllna, Seidschütz und der Kissinger Ragozzi- Brunnen
gelobt. Die warmen Bäder von Teplitz, Aachen und Wiesbaden sind in den
Fällen , wo der Scirrhus bereits begonnen hatte , für schädlich zu erachten.
Mit grosser Vorsicht sind die eisenhaltigen, viel Kohlensäure führenden Mi-
neralwasser zu gebrauchen; bei Frauen, wo Metrorrhagien mit dem Übel
■verbunden sind, schaden sie sehr. Beginnt die Zertheilung unter den ange-
gebenen Mitteln, so stellt sich periodisch Abgang von Blut und Schleim mit
jedesmaliger grosser Erleichterung der Zufälle ein. Um den schon mehr aus-
gebildeten Scirrhus uteri zu zertheilen, kommt es, wie von Amnion (^RusCs
Handb. d. Chirurgie, Bd. III. S. 562) mit Recht sogt, sehr darauf an, ge-
hörig zu individualisiren. Innerlich lobt man besonders die Cicuta, Calen-
dula, Belladonna, die Aqua laurocerasi , die Sabina, das Decoct. rad. sar-
saparillae, Antimonialia, Mercurialia, Aurura muriaticum, Ferrum rarboni-
c«m, selbst den Arsenik. Auch möchte das so wirksame Decoct. Zittmanni
zu versuchen seyn (ilost). Stellen sich bedeutende, entkräftende Blutungen
ein, so gebe man dagegen Elix. acid. Halleri mit Tinct. cinnamomi und
Laudanum, und bringe Schwämme, bestreuet mit Pulv. gurami^arab. et alu-
minis in die Vagina.
Cancer veiitriculi, Magenkrebs. Ist auch häufiger Induration als
Krebs, und befällt vorzüglich Cardia und Pylorus, vorzüglich den letztern.
(S. Inflammatio ventriculi chronica.) Eine gute Monographie dar-
über ist: Prus, Neue Untersuch, üb. Natur u. Behandl. des Magenkrebses.
A. d. Franz. m. Zusätzen von F. A. Balling. Würzburg, 1829.
Canceroma. Ist bei Celsus synonym mit Carcinoma.
Caucliaiiinius , der Lachkrampf, z. B. bei Hysterischen, das sar-
donische Lachen; s. Risus sardonius.
Cancrodes, der Warzenkrebs, s. Cancer cutis.
Canina convulsio» Hundskrampf, s. Tetanus.
Cnninn rnbies , Hunds wuth, s. Hydrophobia.
Canities» das Grau wer den. Ist Veränderung der Haare in weisse
Farbe, z. B. der Kopf- und Barthaare, die im hohen Alter gewöhnlich und
beim ersten Erscheinen als Zeichen des anfangenden Marasmus zu betrach-
ten ist. Deprimirende Leidenschaften: Gram, Kummer, plötzlicher, heftiger
Schreck, machen auch bei jungen Leuten die Haare zuweilen grau, sowio
überhaupt frühes Grauwerden auf Schwäche und Krankheit des Körpers
CÄNTHITIS ^ CAPSULITI3 323
schllessen lässt. Häufig sind Ausschweifungen in Baccho et Venete, Apol-
line et Minerva , sowie der Missbrauch des Mercurs Ursache des früheren
Grauwerdens. Cur. Bei alten Leuten ist das Übel unheilbar, bei jungen
Subjecten berücksichtige man die ganze Constitution, yerblete Alles, was
den Körper schwächt, gebe gute Nutrientia, Roborantia, sorge für Heiter-
keit des Gemüths etc. Will man die Haare färben , so ist eine Auflösung
von Hüllenstein in destillirtem Wasser (5jj auf ßj) das beste Mittel; nur
muss es vorsichtig angewandt werden, damit die Haut des Gesichts, des
Halses davon verschont bleibt, sonst erregt es hier schwarze Flecken. In
manchen Familien ist das frühe Grauwerden erblich, hier hilft kein inner-
liches Mittel , selbst kein präservirendes diätetisches Verhalten.
Cantbitis. Die Entzündung der Augenwinkel zeigt gicS als
eine, auf die Winkel der Augenspalte beschränkte, mit stechenden, jucken-
den Schmerzen verbundene Röthe und Anschwellung, die sich später auch
über die nächste Conjunctiva verbreitet und das Gefühl erregt , als befände
sich ein fremder Körper im Auge. Man theilt sie nach dem Sitze in Can-
iMtis nffsnlis und lemporaUs , je nachdem der innere oder äussere Augenwin-
kel leidet. Wichtiger ist die Eintheilung in C. iJiopathicn und Sympathien.
Die Veranlassungen zu ersterer sind: äussere Verletzungen, fremde, ins Auge
gekommene Körper, Insectenstiche. Ihr Verlauf ist schnell, und sie hat
grosse Neigung, in Eiterung überzugehen. Die sympathische Canthitis ist
ein Symptom der Ophthalmia catarrhalis , der geröthete Augenwinkel son-
dert eine helle, scharfe Lymphe ab, die des Nachts Krusten bildet; dabei
heftige, juckende Schmerzen, Lichtscheu, periodisches Thränen; des Abends
und Nachts nehmen die Zufälle zu. Oft wird das Übel chronisch, hart-
näckig , dauert Monate. Cur. Ist bei frischer Canthitis leicht ; man ent-
ferne die veranlassenden Ursachen, den Stachel des Insects, den man mit-
tels der Loupe leicht auffindet und mit Beer's Cilienpincette, soll keine Ei-
terung folgen, herauszieht. Dann Umschläge von kaltem Wasser, Aq. Gou-
lardi, bei stärkerer Entzündung Blutegel, bei bevorstehender Eiterung warme
Kataplasmen von Semmelkrummen, in Milch gekocht. Bei der Canthitis ca-
tarrhalis passt die Cur der Ophthalmia catarrhalis. Man vermeide jeden
Temperaturwechsel , gebe bei heftigen Zufallen neben den Diaphoreticis
Abends 5 — 6 Gran Pulv. ipecac. composit. , und wende örtlich folgende
Salbe an : I^ 7Anci sulphurici subtil, pulv. gr. jjj — iv , Axung. porci receiit.
3jj, Cerne allae liquefaci. gr. xjj. M. exactiss., wovon Abends eine Erbse
gross auf den geschlossenen Augenwinkel eingerieben wird ; des Morgens wird
die Salbe mit lauer Milch sorgfältig abgewaschen und das Auge gehörig
getrocknet. Bei chronischem Übel dient äusserlich 1 Gran Sublimat, in 8
Unzen Aq. destillata, lauwarm angewandt, bei grösserm Torpor Ünguent.
ophthalm. Richten Pharm. Hannov. , und innerlich Aethiops antimonialis.
Capistratio* Ist synonym mit Phimosis.
Capitiluviiim, das Kopfbad, das Waschen und Begiessen
des Kopfs, z. B. mit kaltem Wasser. Ist ein selir wirksames, leider!
in der Civilpraxis noch immer zu wenig gebräuchliches Mittel bei allen ent-
zündlichen und congestiven Kopfleiden, bei Encephalitis, Hydrocephalus acu-
tus, bei Scarlatina mit Delirien, Sopor, bei Schwindel, bei allen Kopfcon-
gestionen. Man setzt gewöhnlich den Kranken in ein laues Bad und be-
giesst ihn mit kaltem Wasser eimerweise ; in gelindern Fällen sind schon
die kalten Waschungen des Kopfs hinreichend, z. B. im ersten Stadium al-
ler acuten Exantheme (s. Ciirrie , Medical reports of the effects of wa-
ter, cold and warm, as a remedy in fever and other diseases etc. Deutsch
von Michaelis und Hegeiviscli. 2 Theile. Leipzig 1807. — FröJich, A. , Ab-
handl. über die kräftige , sichere und schnelle Wirkung der Übergiessungen
oder der Bäder von kaltem xmd lauwarmen Wasser, in Faul-, Nerven-,
Gallen-, Brenn- und Scharlachfieber, den Masern etc. Wien 1820).
CapsulittSj richtiger Capsitis, Entzündung der Linsenkapsel; a.
Lenti'tis.
21*
324 CAPUT OBSTIPmi — CÄRDIACA
** Caput Obstipum, TorticolUs, OhsHpitas, CcphaloloTta , Ohstlpa
cei'viXj schiefer Kopf, schiefer Hals. Dieses Übel, wobei der Kopf
schief, nach der einen oder andern Seite des Halses, nach vorn oder nach
iiinten (Obstipitas adnuens, renuens, lateralis, digtorta) gerichtet ist, findet
man in seltenen Fällen angeboren; häufiger entsteht es durch schiefe Hal-
tung des Körpers in sitzender Stellung beim Schreiben, Sticken, Nähen;
noch häufiger nach Verbrennungen des Halses mit Hinterlassung von grossen
Narben, durch Abscesse des Halses, unzweckmässiges Öffnen derselben mit
Veiletzung der Halsmuskeln; auch Gicht, Rhachitis, Krampf, anhaltende
Schmerzen an der einen Seite des Halses, grosse Tumores cystici in dieser
Gegend etc. sind oft Ursache ; desgleichen Luxationen , oder Ankylose der
Halswirbel als der glücklichste Ausgang in den höhern Stadien der Spon-
dylartlurocace (s. Arthrocace). Man unterscheidet, je nachdem der Kopf
dabei nach vorn^ zur Seite oder nach hinten geneigt ist, Obstipitas adnuens,
lateralis und renuens; ausserdem statuirt man noch eine Obstipitas g^sbosa,
dolorosa, muscularis, ossaria, spasmodica (bei Tetanus) und violenta (nach
heftigen Verletzungen); ferner Obstipitas vera, wo der Mensch den Kopf
wegen eines Leidens der Muskeln , Bänder oder Knochen , ohne dass heftige
Schmerzen stattfinden, nicht gerade halten oder bewegen kann, und Obsti-
pitas spuria, wo allein heftige Schmerzen Ursache sind. Cur. Sie richtet
sich nach den Ursachen. Rührt das Übel von den Knochen her und ist das
Subject bejahrt, so ists in den meisten Fällen unheilbar. Liegt der Fehler
aber nur in den "Weichgebilden, so lässt sich durch Beharrlichkeit in der
Anwendung zweckmässiger Mittel, die viele Monate lang angewandt werden
müssen, oft Heilung bewirken. In der Regel ist hier an derjenigen Seite,
wohiji der Kopf neigt, der Musculus sternocleidomastoideus verkürzt und
die Ursache der Contractur. Man wende hier fettige Salben: Unguent. al-
thaeae , Gänsefett , Pferde - oder Rindsmark an , die man des Tages einige-
mal erwärmt in den verkürzten Muskel stark einreiben lässt, dagegen lasse
man auf der entgegengesetzten Seite spirituöse Einreibungen von Rum, Arak,
Franzbranntwein, Kampherspiritus machen. Ausserdem wirke man auch me-
chanisch auf die Abnormität und unterstütze den Kopf durch zweckmässige
Bandagen, z.B. durch die Köhler'sche Mütze, durch den Richter'schen Ap-
parat, durch die Maschine von Jörg. Auch hat man Elektricität, Galvanis-
mus, Tropfbäder, künstliche Geschwüre, Moxa, Einreibungen von Tinct.
cantharidum, die Kälte, das Waschen mit Naphtha an der verlängerten Seite
des Halses , und an der entgegengesetzten Seite selbst die Durchschiieidung
des verkürzten Muskels empfohlen. (Es versteht sich von selbst , dass der
Musculus sternocleidomastoideus nicht ganz, sondern nur zum Theil imd nicht
auf ehimal, sondern von Zeit zu Zeit nur wenig Muskelfasern durchschnitten
werden dürfen. M.) Sind innere Ursachen zugegen, so müssen diese durch
zweckmässige innere Mittel beseitigt werden. Chiistiaii Hoppe.
Caput succedaneum rccens natorum, die Kopfgeschwulst Neugeborner,
s. Cephalo phy ma.
Capitis dolor, Kopfschmerz, s. Cephalalgia.
Car», s. Carosis.
CarbuiiculuiS, der Carbunkel (s, Anthrax). Die schwarze Blatter
bildet oft sehr schnell den Carbunculns malignus , ist aber gleich anfangs
nur ein Bläschen, das zum Brande neigt, daher denn auch der von Dr. C.
F. Schröder vorgeschlagene Name Fesiada gangrnenesccns der richtigste ist
(s. RusVs Magaz. Bd. XXIX. St. 2. S. -236 u. f., und den Artikel Anthrax).
CarcInodei§l, Cardmides. Ist jedes, dem Krebse ähnliche Leiden,
daher gleichbedeutend mit Cancer spurius, und umfasst die Induratio benigna,
das Skieroma und die Hypertrophie.
Carcinoma, das Krebsgeschwür, s. Cancer apertus.
Cardiaca, herzstärkende Mittel, darunter verstand man frü-
her reizend -stärkende und belebende Mittel, z. B. Wein mit gewürzhaften
Kräutern, die allerding» da., Herz beleben, sowie das ganze Blutsystem,
CARDIALGIA , 325
und daher bei wahrer Schwäche, Ohnmächten sehr nützlich sind, um den
permanent stärkenden Mitteln: China, guter Nahrung etc. den Eingang zu
verschaffen, wenn diese noch nicht vertragen werden (s. Amara}.
Cardinen pnssio, Magenkrampf; s. Cardialgia.
* Cardialg^ia , Gnstrodynia, Spasmus ventricuU., Dyspepsodynia , Cm'^
diogmus venIricuU, Morbus cardinais, Dolor cardialgicus, Perodynia, Cardiaca,
Cnrdilaca , Cardiacus affectus, Cardiodyne, Morsus vcnIricuU , Rosio stomnchi,
Cnrdiopalmus , Cardiognomum , Gasteralgia, Siomnchi exsohitio, Magen-
krampf, Herzdrücken, Magendrücken, Magenschmerz, Herz-
weh, Herzgespann. Ist eine dem Grade nach verschiedene schmerz-
hafte , fieberlose Empfindung in der Magengegend , die ihrer Natur nach
bald wirklich nervös seyn kann, bald aber entzündlich ist, oder von orga-
nischen Fehlern des Magens selbst oder der in seiner Nähe befindlichen
Theile veranlasst wird. Der nervöse Magenschmerz oder eigentliche
Magenkrampf, d.i. eine periodisch wiederkehrende schmerzhafte Zusam-
menziehung des Magens, beruhend auf eigener Convulsibilität der Magen-
nerven , und sich von der HerzgrMbe nach verschiedenen Richtungen , bald
in den Schlund, in die Brust, in den Rücken, bald in den Unterleib ver-
breitend, bald nur eine kleine Stelle einnehmend, macht eine selbstständigc
Krankheit aus. Daher verdiente er hier nur allein betrachtet zu werden.
Da aber bei jeder bedeutenden idiopathischen und sympathisehen Affection
der Magennerven eine convulsivische schmerzhafte Zusammenziehung des Ma-
gens erfolgt, da ferner ein heftiger nervöser Magenkrampf leicht entzündlich
wird, so scheint es zweckmässig zu seyn, die nach den veranlassenden Ur-
sachen verschiedenen Arten des Magenkrampfs mit ihren pathognomonischeu
Kennzeichen näher zu erörtern. Symptome und Diagnose. Gelindere
Grade der in Rede stehenden Krankheit belegt man mit dem Namen Ma-
genschmerz, Magendrücken. Wendt (Über den nosologischen und
therapeutischen Unterschied zwischen Gastrodynie und Kardialgie) sucht die
Verschiedenheit zwischen den beiden oben genannten Zuständen, nicht wie
Einige in der verschiedenen Heftigkeit der Zufalle, sondern in dem Wesen,
so dass in einem wegen seiner Nervengeflechte empfindlicheren Organ eine
Neuropathie entstehen und so nicht nur die schmerzhaftesten Empfindungen
erzeugen, sondern unter Umständen auch durch sogenannte Apoplexia ner-
vosa plötzlich tödten, oder doch bei längerer Dauer und grösserer Heftig-
keit und bei gleichzeitig vermehrter Reaction, im irritablen Leben, in Ent-
zündung übertreten kann. Die Gastrodynie entspringt nach ihm aus einem
schleichenden Erethismus , der seine Entstehung Diätfehlern, Gicht etc., Me-
tastasen oder Intoxication verdankt, und giebt die Prädisposition schon früh
durch Magensäure und Sodbrennen zu erkennen. Je mehr der Magenschmerz
periodisch , und zwar bald nach kurzer Ruhe , bald nur zu gewissen Tages-
zeiten, oder nach Wochen und Monaten wiederkehrt, je heftiger der Schmerz
ist und je plötzlicher er entsteht, je mehr ein auf die Magengegend ausge-
übter Druck die schmerzhafte Empfindung vermindert, desto mehi* ist das
Übel nervös und spastisch. Je mehr im Gegentheile der Schmerz unausge-
setzt fortdauert, bei der Berührung oder durch genommene Nahrungsmittel
vermehrt wird, der Kranke dabei ein Klopfen im Unterleibe oder in der
Magengegend empfindet, je mehr warme Nahrungsmittel und Getränke den
Schmerz erwecken, und vielleicht fieberhafte Symptome ihn begleiten, desto
mehr ist er als ein Symptom anderweitiger Krankheitszustände. als entzünd-
liche Reizung , organische Umänderung etc. zu betrachten. Die Unterschei-
dung des entzündlichen Magenschmerzes von dem nervösen ist für die Pra-
xis wichtig, aber oft sehr schwierig, besonders da beide in manchen Fällen
sehr nahe an einander grenzen und in einander übergehen. Die jedesmalige,
dem Schmerz zum Grunde liegende Ursache, die Körperconstitution des
Kranken, die Jahreszeit, der herrschende Krankheitscharakter, die Daner
und der Verlauf der Krankheit selbst, müssen nebst den angegebenen und
noch weiter unten zu erwähnenden Merkmalen die Diagnose leiten und sicherii.
In höhern Graden finden sich Kälte der Extremitäten, Angst, Dyspnoe, Übd-
326 CARDIALGIA
keit, Ausfluss eines wassrigen Speichels aus dem geöffneten Munde, Neigung
zu Ohnmächten , bei Männern Strangurie , Ischurie ein. Ist diese noch nicht
da, so ist der gelassene Urin ganz wasserhell, der Stuhlgang ist fast immer
träge, oft selbst Obstructio alvi da. In hartnäckigen anhaltenden Fällen
geht der Magenschmerz in wirklichen Magenkrampf über. Letzterem ge-
hen oft Gähnen, Frösteln Yorher. Der Schmerz ist äusserst heftig und wird
durch Abgang von Ructus und Flatus vermindert. Es stellen sich heftiges
Würgen luid Erbrechen mit Erleichterung, Zittern der Glieder, Ohnmäch-
ten, Zuckungen und allgemeine Krämpfe ein. Der Puls ist verschieden be-
schaffen , bald schnell , klein , meist zusammengezogen , oft recht langsam,
im höhern Grade fast gänzlich unterdrückt. Tritt der Magenschmerz als
Sjmptora eines verlarvten Wechselfiebers auf, so dient zur Diagnose die
regelmässige Wiederkehr, sowie die zuweilen nicht gänzlich fehlenden Beglei-
ter der Intermittens , als : Kopfschmerz , ziegelfarbiger Niederschlag im Urin,
•Gähnen und Ziehen in den Gliedern, ßlauwerden der Nägel etc. Der An-
fall endet mit Schweiss, Abgang von Blähungen, von vielem wasserhellen
Urin, mit Erbrechen, oder mit dem Eintritt einer Blutung, und die ganze
Krankheit entscheidet sich mitunter, indem sich Hautausschläge, Gelbsucht,
Gichtanfälle, Hämorrhoiden etc. ausbilden. Die Dauer des einzelnen Par-
oxysmus ist verschieden und erstreckt sich von einigen Minuten bis auf
mehrere Stunden , selbst Tage. Die heftigeren Anfälle dauern in der Regel
kürzere Zeit als die gelinderen, welche letztere daher auch oft eine chroni-
sche Entzündung des Magens anzeigen. Man hat diese länger dauernden
Anfälle des Magenschmerzes selbst mit dem Namen Cardialgia spuria belegt,
um ihren von der eigentlichen nervösen Kardialgie verschiedenen Charakter
dadurch anzudeuten; doch ist jene Benennung nur geeignet, Verwirrungen
zu veranlassen. ~ Zur Unterscheidung des Magenschmerzes von der Ma-
generweichung dient, dass letzteres Übel besonders bei Kindern vorkommt,
was selten vom Magenschmerz gilt , dass es mit heftigem anhaltenden Durst
und mit eigens beschaffenen, grünen Stuhlgängen, sowie mit eigenthümlicher
Geistesverstimmung, Schläfrigkeit und Benommenheit des Kopfs auftritt (s.
Gastrobrosis und Gastromalacia). Ursachen des Magenschmerzes.
Sind sehr mannigfaltig. Zu ihnen gehört Alles, was die Magennerven idio-
pathisch und sympathisch zu reizen vermag: der Ger.uss starker Säuren und
anderer scharfer Dinge, Erkältungen des ganzen Körpers oder des Magens
durch zu kalte Nahrungsmittel, kalte Getränke (Eis), Erhitzungen durch
erhitzende Getränke, anhaltender Genuss der letztern; Gallenreiz, Würm-
reiz , unterdrückte Menstruation und Hämorrhoiden , unterdrückte Hautaus-
schläge, Gicht, Rheumatismus, Verletzungen des Kopfs, organische Abnor-
mitäten des Pankreas, der Leber, Milz, des Mesenterium, des Uterus, der
Ovarien, des Herzens und Zwerchfells, Nieren- und Gallensteine etc. Sen-
sible Constitution, eine eigenthümliche Empfindlichkeit des Magens, wie bei
Hysterischen und Hypochondristen , geben zu der Kardialgie als nervös -
spastischem Übel die meiste Disposition. Diese findet sich daher vorzüglich
beim weiblichen Geschlecht und zwar besonders bei Unfruchtbaren, Unver-
heiratheten in den mittleren Jahren. In einigen Gegenden ist die Krank-
heit endemisch. Gelegentliche und veranlassende Ursachen sind: öfteres lan-
ges Hungern, Säfteverlust durch Blutungen, Ausschweifungen, Onanie, Fluor
albus, fortgesetzter Gebrauch schwächender Arzneien, warmer erschlaffender
Getränke, deprimirende Gemüthsbewegungen , Zorn, Ärger und Schrecken.
Prognose. Die Krankheit ist mehr hartnäckig als gefährlich, heftige Grade
ausgenommen, welche durch den Übergang in leicht gangränös werdende
Magenentzündungen gefährlich werden können. Die nächsten Anfalle kön-
nen wir meist unterdrücken, wenn wir die veranlassenden Ursachen aufzu-
finden im Stande sind. Wo diese aber schwer oder gar nicht entfernt wer-
den können, erregt der lange dauernde Schmerz Abzehrung, organische Ver-
bildung der Magenhäute , des Magensphinkters oder der nahe liegenden Or-
gane. Ist das Übel blos ein Symptom solcher organischen Fehler , so hängt
die Heilung allein von der Möglichkeit der Beseitigung derselben ab. Aber
CARDIALGIA 327
auch 111 dem Falle, wo die Prognose günstig ist und die Heilung des Kran-
ken zu erwarten steht, sind Rückfälle leicht möglich, wenn der Kranke
nicht alle Aufmerksamkeit auf seine Lebensweise verwendet. Behandlung.
Sowol die Behandlung der einzelnen Anfälle als auch die Radicalcur musa
sich nach den Veranlassungen richten. Da Magensäure eine häufige Veran-
lassung desselben ist , die nicht allein oft Ursache des Übels wird , sondern
sich auch bei jedem länger dauernden Magenschmerz einfindet und zur Ver-
schlimmerung desselben viel beiträgt, so dürfen wir diese nicht übersehen
(s. Anorexia und Absorbentia). Saures, ranziges Aufstossen, dabei
brennende , ätzende , schrumpfende Zusammenziehung im Magen und in der
Speiseröhre, besonders nach dem Genüsse fetter, schwerverdaulicher Spei-
sen; Erbrechen einer scharfen, zuweilen übelriechenden Flüssigkeit mit Er-
leichterung; diese Zeichen geben die Gegenwart der Magensäure zu erken-
nen. Der Magenschmerz tritt hier Morgens, nachdem der Kranke die ersten
Nahrungsmittel zu sich genommen hat, am häufigsten ein. Nicht blos pal-
liativ , sondern auch radical dienen hier die absorbirenden Arzneien , um die
Wiedererzeugung der Säure zu verhüten und das Gangliennervensystem zu
beruhigen (^Hufeland). Man verbindet sie zweckmässig mit bittern, robori-
renden Mitteln, z. B. mit Flavedo corticum aurantiorum. Sehr wirksam ist:
i^ Pulv. ligni qunssiae 51s, infund. c. Aqune cnicis vio. gvj, Stent in digest. p. ti
hör. Ebull. paulisp. CoL adde Aq. menth. pip. gjj , Sfyr. cort. aurnnt. 3II.
M. S. Zweistündlich 2 Esslöffel voll (^Richter). Zar Correction der Säure
dienen fefner , sowie zur Linderung des Schmerzes selbst , vegetabilische,
besonders Citronensäure, der Saft frischer Pomeranzen, das Ellxir. acid.
Hall., Elix. vitrioli Mynsichtl Noch wirksamer ist die oben (s. Absor-
bentia) angegebene Mixtur (M.). Nach Umständen interponirt man zu-
weilen ein Brechmittel ; späterhin werden Calam. aromat. , ^'aleriana , Cas-
carille , Rheum , Eisenpräparate und China angewandt ( s. A m a r a ). —
Entstand die Kardialgie durch Genuss scharfer, giftiger Stoffe, so müssen
diese nach Umständen ausgeleert, zersetzt oder eingehüllt werden (s. In-
toxicatio und Morbi toxici). Der nachbleibende Schmerz ist entzünd-
licher Natur und muss gelind antiphlogistisch , besänftigend , ableitend be-
handelt werden. — Die Kardialgie durch scharfe Galle giebt sich durch
den Status biliosus ( gelbliche Farbe der Conjunctiva , des Gesichts , Em-
pfindlichkeit der Lebergegend, besonders beim Druck, galliges Erbrechen,
gelb belegte Zunge, hochgefärbter, mit Salzsäure einen grünen Niederschlag
bildender Urin etc.) zu erkennen. Starke Gemüthsbewegungen : Ärger, Schre-
cken, und biliöse Luftconstitution begünstigen da& Übel. Gewöhnlich zeich-
net sich diese Art des Magenschmerzes durch den sie begleitenden heftigen
Durst oder Hunger (Fames canina) aus. Ist das Übel bereits vorgeschritten,
so leidet die innere Magenhaut, sie wird wund, und der Genuss von Nah-
rungsmitteln erregt Schmerz. Cur. Im Anfalle zur Milderung dsr schai'fen
Galle keine Brechmittel , sondern vegetabilische Säuren , noch bess er Pot.
Riverii mit Aq. chamomillae, Pulv. aerophorus. Oft wird wegen Erosion
der Magenhäute aller Arzneigebrauch unmöglich und man sieht sich genö-
thigt , zu den mildesten einhüllenden Mitteln , Mucilago salep. , Decoct. al-
thaeae , Ol. amygdal. dulc. rec, Eiweiss u. dergl. seine Zuflucht zu neh-
men , obgleich auch diese Mittel häufig nicht vertragen , und gleich nach
dem Genuss wieder ausgebrochen werden. Zur Radicalcur dienen zwar die
dem Status biliosus angemessenen Arzneien, jedoch müssen diese mit scho-
nender Vorsicht ausgewählt werden. Namentlich sind da, wo die scharfen
Secreta ein Wundseyn, oder nur eine bedeutende Reizung der Magenhäute
bewirkt haben, alle Brechmittel gänzlich zu vermeiden. Dasselbe gilt von
den reizenden Abführungsmlttelu , als Senna u. dergl. , an deren Statt fettö
Öle oder Tamarinden zu wählen sind. (Ausser den Anfallen dienen Vomitive,
Laxative von Rheum , Infus, sennae mit Antispasmodicis , und darauf bittere
Mittel mit Magnesia, Ocul. cancror. M.). — Die nach Unterdrückung der
Menstruation, der Hämorrhoiden entstandene Kardialgie hat häufig eine ent-
zündliche Natur, ist wenigstens congestiver Art, oft mit Fieber und so hef-
328 CARDIALGIA
tigen Schmerzen verbunden , dass die-leiseste äussere Berühning des Magens
die Schmerzen bedeutend vermehi't. Cur, Iin Anfalle Aderlassen, Blutegel
an den After, an die Schamlefzen, ableitende Fuss- und Handbäder, Vesi-
catorien , Sinapismen , Dampfbäder an die Genitalien und den After , Reiben
und Bürsten der Schenkel , warme Bähungen auf den Unterleib, erweichende
Klystiere. Innerlich passen milde schleimige Dinge : Emulsionen und Ölmix-
turen, Pot. Riverii mit vielem Gummi arabicum. — Bei dem nach unter-
drückten oder zurückgetretenen Hautausschlägen , Gichtanfällen , Rheumatis-
men etc. entstandenen Magenschmerze verfährt man während des Anfalls,
da meist ein entzündlicher Charakter zugegen ist , im Wesentlichen wie im
vorigen Falle, also antiphlogistisch, derivirend, setzt Blutegel in die Ma-
gengegend etc. Sind die Umstände dringend, so dienen schnell wirkende
Ableitungen auf die äussere Haut, z. B. durch Auflegen eines Flanellpolsters,
das mit siedendem Wasser getränkt ist, auf die Magengegend, blutige
Schröpfköpfe. Ein hier anwendbares, in manchen Gegenden gegen chro-
nisch - entzündlichen Magenschmerz sehr gebräuchliches Volksmittel besteht
in Folgendem. Man nimmt eine kleine Metallplatte, befestigt auf dieselbe
ein Stückchen Wachsstock, zündet diesen an, legt das Ganze auf die Herz-
grube und stürzt ein Gefäss von massiger Grösse, nachdem man die in dem-
selben enthaltene Luft durch die E'lamme des Wachsstocks sich hat ver-
dünnen lassen, darüber (s. Clnrtis u. Radius Wöch. Beltr. etc. Bd. HI. 8.).
Der Erfolg ist oft sehr überraschend. Nach Beendigung des Anfalls wen-
det man (mit Vorsicht und erst 72 Stunden nachher, Af. ) Antimonialia,
Dulcamara, Aconit, Guajak, äusserlich künstliche Geschwüre, Vesicatorien,
reizende Salben an. In einem solchen hartnäckigen Falle gab Sundelin das
milde salpetersaure Quecksilberoxydul mit bittern Mandeln und Opium in
Pillenform mit ausserordentlich gutem Erfolge. Die reizenderen dieser Mit-
tel, Guajak, Kampher etc., sowie die problematischen russischen Dampf-
bäder, passen nur da, wo man sicher vor jeder schleichenden Entzündung
ist, und sind mit um so grösserer, ungemessener Vorsicht zu verabreichen,
da ihrer Anwendung grösstentheils eine grob materielle Vorstellung von un-
erwiesenen Krankheitsstoffen zum Grunde liegt. (Kardialgie von zurückge-
tretenem Podagra erkennt man, nach Vogel, besonders daran, dass dem
Kranken der Viagen zu hängen , wie im Wasser zu schwimmen scheint , mit
einer besondern Empfindung von Kälte darin und Stumpfheit desselben ge-
gen alle Reize. Auch die Erblichkeit der Gicht, die Constitution und das
Alter (s. Arthritis) dient zur Diagnose dieses Magenkrampfs. Most^. Die
Diagnose dieser Gichtme'tastase würde nach den vorstehenden Kennzeichen
höchst unsicher seyn, denn wo giebt es wol eine schlechtere Diagnose als
da, wo man sie aus den subjectiven Gefühlen des Kranken erwähnter Art
entnehmen soll, und würde auch durch die von v. Vogel (Berl. Encyklop.
Wörterb. Art. Card. p. 705.) hinzugefügte Bemerkung über die lange Dauer
und endliche Tödtlichkeit des Übels, „wenn es der Natur durchaus an Ex-
pulsivkraft fehlt und die Glieder steif und unfähig sind, den podagrischen
Stoff wieder aufzunehmen, u. s. w." nicht erleichtert werden, wenn das
vorhergegangene Befinden des Kranken, das mehr oder weniger plötzliche
Verschwinden des Gichtanfalls, mit gleichzeitigem Auftreten des Magen-
schraerzes, keinen Aufschluss über die Natur des letzteren zu geben vermag.
Starker, schwarzer Kaffee, sowie Vitrioläther "sollen sich hier nützlich be-
wiesen haben; doch scheint ihre Anwendbarkeit einigem Zweifel unterwor-
fen werden zu müssen. — Kardialgie nach unterdrücktem Fussschweiss
sucht man durch Wiederherstellung der gewohnten Absonderungsthätigkeit
zu heben, wozu Reizungen mancherlei Art, an den Füssen angebracht, sich
eignen, z. B. Senf-, Laub-, trockne, warme Fussbäder, reizende Pflaster und
Salben, Einwickelung mit Wachstaffet etc. (s. Foetor pcduni). — Kar-
dialgie durch Erkältung erfordert äusserlich trockne Wärme (recht warme,
mit Pväucherpulver durchräucherte Flanelltücher auf den Unterleib), inner-
lich warmen Thee von Rad. valerianae, daneben Liq. anodynus, Liq. c. c.
öucc, Naphthea. Ausserdem nützen innerlich Kampheremulsioncu und ausser-
CARDIALGIA 329
lieh Linini. volat. camphorat. (Änwe in HufclaniVs Journal Bd. VII. St. 3).
Die herrschende Witterungs- und Krankheitsconstitution , die voraufgegan-
gene Schädlichkeit , die Geneigtheit des Kranken zu rheumatischen Affectio-
nen, dienen zur Diagnose. — Bei alten Kardialgien, entstanden durch Aus-
schweifungen , besonders durch Onanie , übermässigen Coitus , ist Kampher
innerlich ein herrliches Mittel. Kampher mit Nitrum und nebenbei China mit
Kalmus heilten eine inveterirte Kardialgie dieser Art (s. Bird in Hufeland's
Journal 1827. Decbr.). Ist der Schmerz bei der Erkältungskardialgie offen-
bar entzündlich, so müssen Blutegel angewandt werden. Ist das Übel chro-
nisch und die Ursache rheumatischer Art , so erkennt man dies vorzüglich
daran, dass rheumatische Schmerzen auch an andern Theilen vorkommen
und mit der Kardialgie zuweilen abwechseln. Solche Kranke befinden sich
bei leerem Magen am wohlsten, der Schmerzanfall stellt sich gewöhnlich
schon nach dem Frühstück ein und wiederholt sich nach der Mittagsmahl-
zeit. Äusserlich Vesicantia , Empl. de galb. crocat. mit Sal. c. c. , Opium
xuid Pulv, cantharid. (Hufeland'), Empl. de galbano croc. mit etwas Tart.
emeticus auf die Magengegend, ferner örtliche animalische Bäder, Schwefel-
bäder, das russische Dampfbad (Stmdelin) ', innerlich Vin. stibiat. mit Extr.
aconiti, Lac sulphuris, -Kampher , allein oder in Verbindung mit Merc. dulcis
sind hier am wirksamsten. In hartnäckigen Fällen passen besonders Opium,
Asa foetida, bittere Extracte, ein Brausepulver aus Ammonium carbonic.
pyro-oleos. und Acid. succinicum. — Kardialgie durch Wurmreiz erkennt
man besonders an dem frühern Abgange von Würmern. Zur Beruhigung
dienen im Anfange Ölmixturen, die durch den Zusatz von Kampher, wenn
dieser nicht durch allgemeinen oder örtlichen gereizten Zustand contraindicirt
seyn sollte, in ihrer Wirksamkeit erhöht werden (Berends). Sehr wirksam
bewies sich hier Inf. rad. valer. und Semin. cynae concentrat (Seh.). Soll-
ten diese Mittel nicht hinreichen, so räth Berends zur Anwendung des
Opiums. — Leiden Kranke neben der periodisch eintretenden Kardialgie an
anhaltender Gemüthsverstimmung , an heftig brennenden , oft anhaltenden
Leibschmerzen, an Erbrechen bei nüchternem Magen, oder nach dem Ge-
nuss irgend einer Speise, worauf sich Erleichterung einstellt, ist das Aus-
geleerte vielleicht von üblem Geruch (was freilich auch mitunter bei Ma-
gensäure vorkommt) und von übler Beschaffenheit, hat die Krankheit schon
lange gedauert, ist der Befallene dem Genüsse spirituöser Getränke ergeben,
ging eine Magenentzündung vorauf, zehrt der Kranke ab , hat er ein ka-
chektisches Ansehn , ist mitunter Fieber zugegen ; so deutet dies auf organi-
sche Fehler des Magens, der Leber etc. als ^Ursache der Kardialgie. Man
verräume nicht, den Leib bei leerem Magen und vornübergebogener Stel-
lung genau durch die Bauchdecken zu untersuchen. Man wird hier oft die
Desorganisation fühlen. Im Anfalle passen hier Blutentziehungen, am besten
durch Schröpfköpfe, auf die Magengegend gesetzt, besänftigende Ölemul-
sionen , Aqua laurocerasi. In der Regel muss man auch hier zum Opium
seine Zuflucht nehmen, wo man das Extr. opii aquos. vorzieht. Ausser dem
Anfalle behandle man das Grundübel (s. Scirrhositas ventriculi,
Physconia hepattg, lienis etc.). — Übermässige Empfindlichkeit des
ganzen Nervensystems (Habitus spasticus) und besonders der Magennerven
(Hyperaesthesis) ist eine der häufigsten Veranlassungen des Magenkrampfs
(Cardialgia spastica), ist Magenkrampf im engern Sinne des Worts. Die
Hyperaesthesis des Magens äussert sich bei den Schmerzanfällen dadurch,
dass letztere besonders des Morgens, ehe der Kranke etwas genossen hat,
und nach vollbrachter Verdauung eintreten, Ist die Empfindlichkeit sehr ge-
steigert, so werden die genossenen Nahrungsmittel leicht wieder ausgebro-
chen j wenn sie aber bleiben, so lindern sie die Schmerzen, welches letztere
auch durch starken äussern Druck der Magengegend bewirkt wird. Die
Esslust ist dabei oft nicht vermindert. ( Oft ist selbst Farnes canina und
Pica zugegen. M.). Zur Beseitigung des Anfalls dienen hier Narcotica,
Stupefacientia, Belladonna, Opium, Stramonium, Extr. hyoscyami, lactucae
^irosae, Acidum hydioc. vegetab., Nux vomica, das milde Brausepulver mit
330 CAKDIALGIA
Natr. carbon. acldul. , welches zugleich die Stuhlansleerting gelinde befor-
dert; ausser der Zeit Magist. bisnmthi , Flores ziiici , Zinc. cyanic. , selbst
Zinc. sulphur. , ferner Ipecacuanha in refr. dosi, die Olea aetherea, vorzüg-
lich Ol. cajep. , chamom. , menth. , und nienth. pip. , Valeriana , Chamomill.,
Herb, inelissae, Fol. aurantior. (und bei Neigung zu Obstr. ahi diese mit
Fol. sennae versetzt , und anhaltend als Thee gebraucht, M.). In dringen-
den Fällen passen beim Anfalle besonders Opium, äusserlich warme aroma-
tische, ätherische Überschläge von Infus, chamomillae, valerianae , Linim.
Tolat. camph. cum opio, Klystiere von Infus, valerianae mit Asa foetida.
Grossen Ruf hat sich die Eniulsio amygdal. comp. ph. Hann. erworben, die
nach Einigen (s. v. Vogel a. a. O.) noch wirksamer ist , wenn sie , in den
dazu geeigneten Fällen , mit Ol. amygd. dulc. rec. expr. vermischt wird.
Da die übermässig erhöhte Empfindlichkeit des Magens immer mit irritabler
Schwäche desselben verbunden ist, so muss man bei der Radicalcur auf letz-
tere sein Augenmerk richten. Anfangs passen hier Valeriana , Calam. aro-
mat. , Cort. cascarillae in leichten Infusionen, späterhin Rheum in kleinen
Dosen , Quassia und endlich China und Eisen. Ist Hyperästhese des ganzen
Nervensystems zugegen, so erkennt man diese an der allgemein spastischen
Körperconstitution (s. Hysteria und Spasmus). — ■ Die Kardialgie ist
häufig Symptom der Hysterie (Cardialgia hysterica). Sie glebt sich vor-
züglich dadurch zu erkennen, dass die Seh raerzanf alle bei nüchternem Ma-
gen durch Körperbewegung vermehrt werden. Kurz vor , mit oder beim
Eintritte der Menstruation erreichen sie oft einen ausserordentlichen Grad
von Heftigkeit; die Bauchdecken werden krampfhaft zurückgezogen, die
Kranken klagen über eine sehr empfindliche Kälte in allen Gliedern, oft
nur an einzelnen Theilen, z. B. am Kopfe ( Clavus hystericus); es treten
Zittern, kalte Schweisse vor der Stirn und allgemeine Krämpfe, zuweilen
auch Ohnmächten ein, aus denen die Kranken schwer zu erwecken sind.
Cur. Die der Hysterie ; also im Anfalle Tinct. asae foetid., — valerianae,
Liq. c. c. succ. , — anodyn. , Ol. chamomillae aether. in Spirit. nitri dulc.
gelöst, Elaeos. cajepuli, Klystiere von Asaut , Opium, mit Kampher, Ein-
reibungen ätherischer, spirituöser Mittel ; Derivantia: Teige von Senf, Meer-
rettig, Theriakpttaster mit Morphium aceticum {Mari/ot), auf die Herzgrube,
lauwarme aromatische Bäder, die Siütz'sche Cur mit den Kalibädern. Die
Behandlung ausser dem Anfalle ist ganz die der Hysterie (s. Hysteria und
Anthy sterica). — Der mineralisch^ Magnetismus hat zuweilen auffal-
lende Dienste bei dieser Art des Magenkrampfs geleistet. So erzählt Knauer
(s. Casper''s Wochenschr. f. d. ges. Heilk. 1835. Nr. 1.) einen Fall, wo alle
antispastische Mittel vergebens angewandt worden waren, und wo die Mag-
netisirung der Magengegend mit einem Magnet von 6 Pfund Ziehkraft grosse
Erleichterung, zuweilen völliges Verschwinden des Schmerzes bewirkte. An
den vorzüglich schmerzhaften Stellen bemerkte man, dass die Haut sich
dem Magnet mehr als eine Linie entgegen hob , und an demselben so fest
hing, dass die Trennung nur durch ziemliche Gewalt erfolgte. Hierbei
vsTirde die Haut geröthet, nahm aber nach und nach ihre natürliche Fär-
bung wieder an, wobei sich gewöhnlich der, während der Röthung ver-
schwundene, Schmerz wieder einstellte. Unschmerzhafte Stellen der Magen-
gegend folgten der Anziehung des Magnets nicht, und wurden durch ihn
nicht geröthet. Bei derSection zeigten sich Degenerationen des Magens, deren
Lage im Leben durch die angedeuteten Erscheinungen bezeichnet wurde. —
Die Leibesverstopfung erfordert bei der Kardialgie zwar immer einige Auf-
merksamkeit , indem dadurch die Zufälle oft verschlimmer! werden ; jedoch
hüte man sich besonders in der Zeit öfterer Anfälle vor eigentlichen Abfüh-
rungsmitteln , besonders wenn sie reizender Art sind. Welche grosse Nach-
theile der fortgesetzte und unvorsichtige Gebrauch der Folior. sennae her-
beizuführen vermag, hat mir ein Fall, der sich noch gegenwärtig in meiner
Behandlung findet, unwiderleglich dargethan. Diätetische Mittel, und im
Nothfall Klystiere, führen gemeiniglich zum Ziele. — In sehr hartnäckigen
Fällen des Magenkrampf» leistet das Einstreuen von Morphium acetic. auf
CARDUNASTROPHE — CARDIELCOSIS 331
kleine von der Oberhaut entblosste Stellen der Herzgrube oft schnelle, und
nicht selten radicale Heilung (s. Frictio). Der von Flatulenz entstehende
Magenschmerz (Cardialgia flatulenta) ist gewöhnlich ein Begleiter der Hy-
pochondrie. Symptome sind: Vollheit des Magens, worüber die Krankea
sich sehr beklagen und welche sich selbst durch äussere Aufgetriebenheit
der Magengegend zu erkennen giebt. Wenn Ructus und Flatus abgehen,
so erleichtert dies sehr. Cur. Die der Blähungskolik; mit den Carminati-
vis verbinde man zugleich auch Absorbentia (s. Colica flatulenta).
Vorzüglich wirksam sind Liq. c. c, succ. mit Infus, chamomillae und menth.
pip., Asantklystiere, Reiben der Magengegend mit %yarmen Avollenen Tu- i
ehern etc. Nach dem Anfalle passt das Solamen hypochondr. Kleinii (Kali
tartar. , Flav. cort. aurant., Rad. rhei, Sem. foeniculi ana 3 j j » Ol. cajeputä
gtt. vjjj. M. f. p. S. 2 — Smal täglich 1 Theelöffcl voll); s. Hypochon-
dria. Johann Schröder.
Nachschrift des Herausgebers. Wichtig ist der Unterschied der
Cardialgia acuta , non habitualis , und der C. chronica , habitualis. Die bei
letzterer nützlichen antispasmodischen und erhitzenden Arzneien sind bei er-
sterer, die ihren Grnnd häufig in Gastritis und Enteritis incipiens findet,
höchst schädlich, und manches unter Kolik und Magenkrampf behandelt«
Übel ist dadurch verschlimmert worden und hat böse P'olgen hinterlassen
(s. Convolvulus). Bei der rein spastischen, habituellen Kardialgie pas-
sen solche Mittel zwar im Anfalle, aber äussere Wärme auf den Unterleib
und eröffnende antispasmodische Klystiere sind nie dabei zu verabsäumen,
und ausser den Anfällen findet die Radicalcur erst durch Flor, zinci, Magist.
bismuthi, Asa foetida statt; dabei vergesse man nie, durch Fol. sennae,
Rheum und Absorbentia für tägliche Leibesöffnung zu sorgen und tägliche
Bewegung im Freien anzurathen. Bei der reinen Cardialgia hysterica ist
Folgendes ausser dem Anfalle sehr wirksam: ^.r Tinct. rhei aquos. gj, FAix.
viscer. Hojf'm., Tinct. cort. aurant. ana jlx, — castoiei, Naphth. vilrioli aua 5j«
M. S. Dreistündlich 1 Theelöffel voll (Dr. Bode in Bückeburg). Dabei täg-
lich 2 — 3 Klystiere aus Infus, valer. und Asa foet. Ausserdem bei Leibes-
yerstopfung des Abends 3 — 4 Stück Pil. aperient. Stahlii. Bei Kardialgie
mit Magensänre ist Folgendes im Anfange sehr zu empfehlen: I^; Gurnm.
mimos. , Ol. amijgdaL diilc. rec. ana 5vj, Aq. flor. chamomill. , — menth. piji.
ana 5Jjj, Maijnes. carbon. 3jjj? Tinct. rhei aquos., Syr. diacodü ana ^j, Spi-
fit. suJphur. aeth. 5j- M. S. Alle 1 — 2 Stunden stark umgeschüttelt 1- — 2
Esslöffel voll zu nehmen (^Most scn. ). Aus.ser dem Anfalle sind folgende
Pillen zu empfehlen : I^ Gnmm. asae foet. gj, Magist. bismuthi , Ol. valeria-
nae ana 3j. M. f. pil. gr, jj. Consperg. pulv. cort. aur. S. Alle 2 Stundea
6, 8 — 10 Stück (Dr. Albers in Wunstorf).
Cardianastrophe } Umkehrung, fehlerhafte Lage des
Herzens. Ist nur ein Vitium primae forraationis, das sehr selten vor-
kommt und bei der medicinisch- forensischen Beurtheilung der Tödtlichkeit
von Brustwunden wichtig ist. Man hat Beispiele, dass das Herz bei ein-
zelnen Indivinuen in der rechten Seite lag, und sie erreichten dennoch ohne
Beschwerden ein ziemlich hohes Alter.
Cardiecheina » Sonitus cardiacus, der Herz laut, den man mitteli»
des Laennec'schen Hölirrohrs vernimmt. S. Auscultatio.
CardielCOMS. Das Geschwür am Herzen. Man kann dasselbe
vermuthen, wenn nagende, brennende Schmerzen in der Herzgegend, hefti-
ges Herzklopfen, fürchterliche Angst, bedeutende Dyspnoe, schwacher Puls,
Ohnmächten etc., meist unmittelbar entstanden als metastatisches Übel, in
Folge von Unterdi-ückung gewohnter Secretionen, z. B. habitueller Fuss-
schweisse etc., plötzlich den Ki'anken ergreifen und durch ihre Dauer sich
von spastischen Übeln des Herzens unterscheiden. S. Cardiogmus und
Foetor pedum. Das einzige Mittel bleibt hier, jene Secretionen durch
reizende ableitende Mittel wieder herzustellen.
332 CARDIEURYSMA - CARIES
Cardieiurysina, krankhafte Erweiterung des Herzens, s. Aneu-
rysma internum.
Cardiocele, Herzbruch. Hier tritt das Herz entweder durchs
Zwerchfell iu die Bauchhöhle (Card, abdominalis, diaphragmatica , interna),
oder nach aussen, indem sich eine Geschwulst zwischen den Rippen bildet,
■worin ein Theil des Herzens enthalten ist (Card, externa, costalis). Die
Prognose dieses Übels ist in den meisten Fällen schlecht. Die Cur kann
nur durch Palliative, die jeder Arzt nach den Grundsätzen der allgemeinen
Pathologie und Therapie für den individuellen Fall auswählen wird, einige
Linderung verschaffen (s. Hernia cordis).
Cardiodyne, Cardiodynia, Schmerz am Herzen, am Magenmunde.
S. Morbus cordis und Cardialgia.
Cardiog^mus, Magenkrampf (s. Cardialgia). Mit Unrecht
nennt Knnekstiidt, gestützt auf manche Autoritäten (IVIedicinisch - chirurgisch-
terminologisches Wörterbuch, 4te Auflage, umgearbeitet von Lucas, Erfurt,
1821. S. 105), die verschiedenen, aus dynamischen , mechanischen und orga-
nischen Schädlichkeiten entstehenden Herzkrankheiten Cardiogmus. Ebenso
unterscheidet auch Schmalz in s. Diagnostik Cardiogmus verus und spurius,
und versteht unter ersterm eine wirkliche Herzkrankheit, unter letzterm
verschiedene spastische Beschwerden, welche eine Herzkrankheit fingiren
(s. Morbus cordis).
Car^ioinalacia, s. Malacosis cordis.
Cardiopalinus, Herzklopfen, s. Palpitatio cordis.
Cardiopathia« Ist irgend ein Leiden, eine Krankheit des Herzens,
8. Morbus cordis.
Cardiopericarditis» Entzündung des Herzens und des Herzbeu-
tels, s. Inflammatio cordis et pericardii.
Cardiopleg^la. Ist Lähmung des Herzens, des Magenmundes, mei-
stens eine krampfhafte Verschliessung des letztern (^Kraus).
Cardiorrliexis , Ruptnrn cordis , Zerreissung des Herzens.
Ist häufig die Folge des Aneurysma cardincum, zumal des Aneurysma cordis
passivum, und in der Regel mit plötzlichem Tode verbunden. Meist stür-
zen die Unglücklichen nach einer ungewöhnlichen Körperanstrengung, wel-
che eine Anhäufung des Bluts erregte, mit Facies hippocratica , Bewusst-
losigkeit und Marmorkälte der Glieder zu Boden und erleiden sogleich den
Tod, den ihnen schon im Augenblicke der Ruptur ein dunkles Gefühl an-
zeigte. Ist der Riss nur sehr klein, so folgt der Tod unter Beklemmung,
grosser Angst, Orthopnoe, dumpfen Schmerzen unter dem Sternum, oft erst
nach mehrern Stunden. Dass hier an keine Behandlung, die palliative aus-
genommen, zu denken sey, bedarf wol keiner Erwähnung.
Car diotromus » Herzzittern , s. Palpitatio cordis.
Carditis, Entzündung des Herzens, s. Inflammatio cordis.
Care1>aria, Cereharia, drückender Kopfschmerz. Ist Vor-
bote und Symptom vieler Krankheiten, besonders der verschiedenen Neuro-
.sen: Epilepsie, Apoplexie, der Kopfgicht, der Lues larvata, der entzünd-
lichen Krankheiten des Gehirns, des Magens, der Leber, der Gichtmetastase
zum Kopfe , ist Symptom von gastrischen , galligen Unreinigkeiten etc.
Caries, Ulcus et Gnngracna ossium, Necrosis, Tercdo , der Bei n-
frass, Knochenfrass, die Caries, die Beinfäule und Nekrose
(Knochenbrand). Die Knochen des thierischen Organismus können an
denselben Krankheiten leiden , denen die Aveichen Theile unterworfen sind ;
der ganze Unterschied besteht nur darin , dass die Knochenkrankheiten we-
gen der in den Knochen stattfindenden geringern Productionskraft einen
langsamem, chronischen Verlauf haben und nach ihrer besondern Structur
und Organisation manche diesen entsprechende Verschiedenheiten in patholo-
gischer Hinsicht darbieten. Unter der Benennung Beinfrass verstehen
CARIES ^ 333
wir im weitem- Sinne sowol das Knochengeschwür {Ulcus ossium^ Cnries')
als auch den Knochenbrand (^Gnngraena ossium, Necrosis'), Bei ersterm ist
die Knochensubstanz durch Eiterung mehr oder weniger zerstört , bei letz-
tem» liegt ein reines Absterben der Knochensubstanz zum Grunde. Diese
Verschiedenheiten dienen zur Unterscheidung des Beinfrases im engern Sinne
(Crtnc's) vom Knochenbrande (^Necrosisi). Oft ist die Diagnose selir schwie-
rig; ausserdem hat die Behandlung beider Krankheitszustände so viel Gleich-
artiges, dass ausgezeichnete Ärzte und Wundärzte sie unter dem allgemei-
nen Begriff des Beinfrasses zusammenfassen und in einem Capitel abhandela
(^Clieliis, Berndt II. A. ) , welche Methode wir auch hier befolgen wollen.
Symptome. Längere Zeit vor der Bildung der Beinfäule klagt der Kranke
über stumpfe, tief sitzende, periodisch oft recht heftige, sich weit verbrei-
tende Schmerzen in irgend einem Knochen, am häufigsten an den Gliedern,
am Kopfe, Schulterblatte, Brustbeine (s. Inflammatio ossium und Do-
lores osteocopi); allmälig bildet sich an solchen Theilen eine Geschwulst
ohne F'arbenveränderung der Weichtheile, die meist nur sehr langsam zu-
nimmt und worin sich zuletzt eine eiterartige Flüssigkeit ansammelt. Zu-
weilen liegt die Eitergeschwulst unmittelbar auf dem kranken Knochen, der
jedesmal durch einen Entzündungsprocess , entweder des Periosteums, oder
der Markhaut, oder der äussern Lamellen, oder des Knochenparenchyms,
in diese abnorme Metamorphose geräth; oder die Geschwulst liegt in der
Nähe desselben; häufig hängt sie mit dem Knochen selbst zusammen, be-
sonders wenn er mit wenigen Weichtheilen bedeckt ist. Alsdann ist die Ge-
schwulst in ihrer Basis mit einem harten Rande umgeben. Endlich vnrd
dieselbe bläulich, röthlich und bricht auf; es fliesst eine schlechte Jauche
von verschiedener Farbe, welche die silberne Sonde schwarz färbt und einen
üblen Geruch verbreitet , aus. Untersucht man mit der Sonde , so findet
man den Knochen entblösst, rauh, verschieden verändert, das Geschwür in
den Weichgebilden hat ein welkes, schlaffes Ansehn, hat häufig mehrere
kleinere und grössere Offnungen und grosse Neigung zu schwammigen Aus-
wüchsen, besonders im Umfange desselben. Eine Knochenentzündung ist die
nächste Ursache einer jeden Caries; beginnt erstere im Innern des Knochens,
so wird derselbe aufgetrieben, in eine spongiöse Masse verändert; erst spä-
terhin werden die nahen Weichgebilde aufgetrieben, der Kranke leidet an
heftigen nächtlichen Schmerzen, besonders in der Bettwärme, die Geschwulst
bricht auf und bildet fistulöse Geschwüre. Dieser Zustand erscheint zuerst
meist als Exostosis, und wird an einzelnen Knochen Spina ventosa, Paedivr-
ihrocace. Winddorn genannt (s. d. Artikel). Ist der kranke Knochen
von seinen Weichgebilden entblösst, sieht er ungewöhnlich weiss und trocken
aus, sondert er wenig oder gar keine Jauche ab, so ist dies der trockne
Knochen fr ass, Caries sicca, von Einigen schlechtweg Knochenbrand,
Necrosis genannt; lassen sich dagegen die Knochenlamellen mit der Sonde
leicht durchdringen, sind sie rauh, uneben, wie wurmstichig, zerbrechlich,
sieht der Knochen braun, schwärzlich aus, wird eine Menge stinkender,
bräunlicher, schwärzlicher, graulicher Jauche absondert, so nennen wir es
den feuchten Knochen fr ass, Caries humida , und wenn sich zugleich
viel schwammige, fleischige Auswüchse auf der Oberfläche des Geschwürs
bilden, Cnries sponffiosa. Der wahre Knochenbrand, Necrosis, ist der-
jenige Zustand, wo ein Theil des Knochens ganz oder grösstentheils abge-
storben und mehr oder weniger von den übrigen Theilen des Knochens ge-
trennt ist. Sind die Weichgebilde in der Nähe des kranken Knochens noch
nicht zerstört, ist noch äusserlich kein Geschwür da, wol aber schon im
Knochen selbst, so ist dies der verborgene Knochenfirass , Caries occulla,
im Gegensatze zu dem^ offenen, Cnries aperta, wo die Weichgebilde schon
mehr oder minder zerstört sind. Im erstem Falle ist, besonders bei tief-
liegenden Knochen, die Diagnose oft schwierig. Ursachen. Alles, was
Entzündung der Knochen hervorbringt, die in Eiterung übergeht, kann
Caries erzeugen. Daher gehören zu den äusserlichen Ursachen : äussere Ver-
letzungen, Stoss, Schlag, Knochenbrüche, Zerreissung der Knochenhaut,
334 CARIES 1
nnhaltentler Druck anf den Knochen, Eitemng in der Nähe desselhen, Bloss-
legung desselben, besonders bei freiem Luftzutritt und schlechter Behandlung.
Jiinere Ursachen sind: Gicht, Rheumatismus, Scrophulosis, Syphilis, Scorbut,
Riiachitis, unterdrückte Profluvien aller Art, Metastasen nach hitzigen und
cbronischen Hautausschlägen. Auch denke man bei den Syphilitischen an
Mercurialkrankheit ; diese ist häufig der einzige Grund der Caries , und in
solchen Fällen würde der innerliche Gebrauch des Mercurs das Übel ver-
schlimmern. Hier passt innerlich sehr gut die Phosphorsäure (s. unten).
Nach diesen Yerschiedenen Ursachen theilt man die Knochenfäule in Caries
scrophulosa, venerea, arthritica, scorbutica, metastatica etc. Bei der Caries
und Necrosis scrophulosa werden vorzüglich die Fuss - und Handwurzelkno-
chen, das Ellbogengelenk und die Wirbelbeine, bei Caries scorbutica mehr
die letztern, sowie das Sternum und die Beckenknochen ergriffen; dagegen
liebt die Caries venerea mehr die Mitte der Röhrenknochen, die ttachen
Knochen, das Stirn-, Brust- und Schienbein, sowie die Scapula. Die ver-
schiedenen genannten Dyskrasien sind die vorzüglichsten Ursachen der äch-
ten Knochenfäule, die äussern Ursachen erregen nur dann Caries, wenn sie
entweder solche Personen treffen, die keinen gesunden Körper haben, an
sogenannten scharfen Säften leiden, die eine ausschweifende, schwelgerische
Lebensart führen oder in Mangel und Elend leben, oder wenn gesunde Per-
sonen bei Knochenverletzungen schlecht behandelt werden. Was wir in den
Weichgebilden Ulcus nennen , ist die Caries am Knochen , und sowie dort
gutartige Eiterungen bei eiternden Wunden und Abscessen statthaben kön-
nen, ebenso ists auch hier. Es giebt eiternde Knochenwunden und Kno-
chenabscesse , welche wohl von der Caries unterschieden werden müssen,
und die ältere Eintheilung in rein'e und unreine Knochengeschwüre ist
von bestimmtem praktischen Werthe. Nur bei schlechter chirurgischer Be-
handlung wird am häufigsten aus ersterm das letztere, oder unsere Caries.
Prognose. Sie ist bei dem Knochenfrasse am schlimmsten, wenn dieser
die Nähe der Gelenke ergreift, wenn ein Allgemeinleiden entschieden vor-
handen und schon in hohem Grade entwickelt ist, z. B. die Scropheln, wenn
die Constitution schwach, wenn hektisches Fieber da ist und die Kräfte des
Kranken schon sehr gesunken sind. Hier rettet häufig nur noch die Ampu-
tation des Gliedes (^Chcliiis^. Zuweilen befördert sie aber auch den Tod,
indem ein heftiges adynaihisches Fieber hinzutritt, die Araputationswimde
ein schlechtes Ansehn bekommt, der Kranke delirirt und am siebenten, neun-
ten oder elften Tage nach der Operation stirbt. Die Section zeigt alsdann
häufig einen Metaschematismus nach den Lungen, Eitererguss in der Brust-
höhle, zuweilen auch das Lungenparenchym durch Tuberkeln verdorben
(^LangenhecJc , Mosi}. Am besten ist die Prognose bei jungen Subjecten , be-
sonders in der Pubertätsperiode, wo die Natur das Übel oft ohne alle Kunst
heilt, indem das Schadhafte am Knochen abgestossen oder resorbirt wird
(Exfoliatio scnsibilis et insensibilis). Das Übel ist meist immer langwierig,
kann mehrere Jahre dauern; zuweilen verhält sich die Caries wie eine Fon-
tanelle, wird den Menschen zur andern Natur und sie ertragen sie gut.
Bei sensiblen Naturen wird sie durch dns leichtere Hinzukommen des hekti-
schen Fiebers oft gefährlich , bei einzelnen Formen durch die Senkung des
Eiters, z. B. an den Schädelknochen, am Brustbeine, wo der Tod oft schon
vor Eintritt des Resorptionsfiebers erfolgt. Behandlung der Caries.
Man wirke durch zweckmässige innere Mittel gegen das etwa vorhandene
Allgemeinleiden, dessen Erkenntniss, Diagnose und Car anderswo gelehrt
worden (s. Scrophulosis, Syphilis, Rhachitis, Arthritis, Scor-
butus etc.), berücksichtige dabei den Zustand der Kräfte, gebe bei Schwä-
che gute Nutrientia , Roborantia und sorge vorzüglich fiir gesunde reine Luft
und für Reinlichkeit der Haut durch aromatische und andere Bäder, durch
Reinlichkeit des Zimmers , der Betten und Kleidung. Folgende Pillen wer-
den innerlich gegen Caries als specifik gerühmt: ^t Asne foetidae, Acid. pho8~
phor. sicci, Piilv. rnd. althaeae ana 5jj- M. f. c. aq. dest. q. s. pil. gr. jj.
S. Dreimal täglich 6 — 7 Stück (Ätw/). Wendt in Breslau verordnet gegen
CARIES 335
die dnrch Syphilis entstandene Caries folgende, auch gegen SpelchelttnSs
sehr wirksame Mixtur : £^ Decoct. sdlep. tenuior. gvj , Acid. phosphor^ dilut.
3jj, Syr. ruh. idaei gfy — jj. M. S. Alle 2 Stunden 1 EsslöffeV voll. Bei
der örtlichen Behandlung des Geschwürs sorge man für Reinlichkeit des
Verbandes, für freien Abfluss der Jauche, weshalb die GeschwürsöiFnungea
nicht selten dilatirt werden müssen , und schütze die cariöse Stelle vor dem
Zutritte der Luft. Nützlich sind Einspritzungen Ton lauwarmem Wasser,
von Infus, flor. charaomiliae, Herbae salviae, sabinae, Decoct. quercus, sali*-
cis , chinae , putara. nuc. jugland. , von Aqua calcis , Sublimatsolution , Acid,
phosphor. dilutum , z. B. ^ Decoct. cort. quercus, 51V ex 5J cort. quere,
lAqnor. mijrrhac 3iv. M. {Berndt}. Liegt der Knochen bloss und ist das
Geschwür sehr unrein und leblos , so verbindet man mit folgenden Salben»
auf Charpie gestrichen: I^ Ol. terelinth. 5jj, Vüell. ovor. No. iv. M. 1^ 17«-
guenf. hnsilici gj, Myrrhae 3jß- M. I^ Balsam. Arcnei 5J, Vitcll. ovor. q. s*
ut fiat cum Spirit. frumenti solutio. M. (Berndt). Ist das Geschwür aber rein,
so sind obige Einspritzungen von lauem Wasser, von Chamiüeninfusum hin-
reichend, und man verbindet die Öffnungen mit Ungnent. simpl., auf Char-
pie gestrichen. Man verbindet überhaupt dasselbe mit verschiedenen Mitteln,
je nachdem der Charakter des Geschwürs verschieden ist (s. Ulcus). So
z. B. spritzt man bei der scrophulösen Caries Inf. cal. arom. , sabinae , be-
sonders aber Decoct. herbae cicutae ein und verbindet mit Extr. cicutae, ia
Wasser aufgelöst, womit die Charpie angefeuchtet Avird. • Fettige Salbea
kann manche Caries gar nicht vertragen, besser sind die wässrigen Solutio-
nen (ÄtJ)i?2/); zuweilen ist das tägliclie Bedecken der fistulösen Öffnungen
mit frischen Blättern von Plantago latifolium wirksamer als alle Salben und
Pflaster (Most). Ausserdem hat man noch viele Mittel äusserlich und inner«
lieh gegen Caries empfohlen , die aber mehr schaden , als nützen. Chelius
sagt in s. Chirurgie Bd. I. S. 468 ed 1822 mit Recht: ,j Die vielen gegea
Caries empfohlenen Mittel: Asa foetida, Acid. phosphor.. Ruh. tinctOrum,
Terra ponderosa salita u. a. m. , sind durch die Erfahrung nicht bestätigt.
Die Anwendung der scharfen Mittel aber, wie der Tinct. euphorbii, aloes,
myrrhae , der scharfen ätherischen Öle etc. , um ein völliges Absterben des
kranken Knochens hervorzubringen, zu welchem Ende man auch das glü-
hende Eisen angewandt hat^' ist ganz zu verwerfen, indem sich ihre Wir-
kung nicht allein auf den kranken Knochen beschränkt , sondern auch auf
den darunterliegenden gesunden Knochen ausdehnen kann." Bei der Caries
humida mit Absonderung copiöser und sehr stinkender Jauche ist es oft nütz-
lich , ein Pulver aus Cort. chinae und Carb. lign. til. einzustreuen. Bei ver-
naclüässigter Caries empfiehlt Amman in seinem anonym erschienenen „ Re-
pertorium der besten Heilformeln" etc. 2te Auflage 1829. S. 65 Folgendes«
I^ Alum. crudi ^vjji, Ferri sulphvr. ^iv , Cupri sulphnr. 5JJ, Virid. aeris gf^,
Sal. ammon. dep. 3jj> Pulveris. misceant. et liquef. in vase clause, tunc refrig.
et pulveris. denuo post 24 horas. D. S. Hiervon 2 Loth in einer Kanne
Flusswasser aufzulösen, und lauwarm überzuschlagen. — Die Nekrose (^Ca-
ries sicca) , oder die Knochengangrän ist häufig die Folge der Caries humida.
Der Knochen ist hier im Absterben, oder er ist schon völlig abgestorben,
d. h. nicht der ganze Knochen, sondern meist nur die Oberfläche; er ist
daher trocken, rauh, und sieht zuweilen kreideweiss, zuweilen schwärzlich
aus, woran die angewandten Reizmittel oft Schuld sind. Das abgestorbene
Stück sondert , wie bei den weichen Theilen , die Natur allmälig ab , und
zwar entweder durch die merkliche Abblätterung , in welchem Falle wir
beim Sondiren das Knochenstück lose finden und es durch tägliches Rütteln
und vorsichtiges Ziehen entfernen, oder es verschwindet successive, ohne
dass man sieht, wo es bleibt. Im letztern Falle wird es zersetzt, aufgelöst
und geht als kleine schwarze Pünktchen in den Eiter über. Wir nennen
die Nekrose eine consecutive, wenn sie auf Entzündung und Eiterung
des Knochens folgt; eine primitive, wenn sie durch Zerstörung der Ver-
bindung der Ernährungsgefässe des Knochens entstand. Sowie die spongiö-
»en Knochen am häufigsten cariös werden, so werden die compacten Theile
336 CARIES
der Rohrenknochen, an der Tibia, am Femur, an der Maxilla inferior, Cla-
vicula, Hunierus, Radius, Ulna, Fibula; die platten Knochen: Scapula,
Sternura , Ossa cranii etc. am häufigsten nekrotisch , besonders bei Kindern
und in der Pubertät. Alles , was die Ernährung des Knochens , die durch
das Periosteum oder die IVIarkhaut geschieht , aufhebt , die Einwirkung der
ntmosphärischen Luft oder schädlicher reizender Mittel auf den blossliegen-
den cariösen Knochen, befördert dieses Absterben (^Necrosis). Sind innere
Ursachen, Dyskrasien Schuld, so geht jedesmal eine Entzündung vorher,
die bald acut und heftig, bald chronisch und mit geringern Schmerzen ver-
bunden seyn kann. Am heftigsten ist sie, wenn sie ihren Sitz im Innern
des Knochens hat; das Fieber ist dabei oft sehr bedeutend; es zeigt sich
eine harte, sich langsam ausbreitende, farblose Geschwulst; später bilden
sich an verschiedenen Stellen Abscesse, ohne dass sich der Umfang der Ge-
schwulst vermindert; sie brechen auf, entleeren stinkende Jauche, bilden
Astulöse Gänge , die zuletzt ganz callös werden ; oder sie schliessen sich,
und neue öfTnungen bilden sich hinterher. Ist das Knochenstück sichtbar,
ist es schwarz und lose, so ist die Diagnose der Nekrose leicht; ist es aber
weiss und trocken, so muss die Dauer der Krankheit und die Anamnese ent-
scheiden , ob es wirkliches Absterben oder nur Entblössung des Knochens
ist. Sind keine heftigen entzündlichen Zufalle vorhergegangen, so ists in
der Regel eine oberflächliche Nekrose, w obei zuweilen auch mehrere einzelne
Knochenblättchen abgestorben sind, weshalb genau untersucht werden muss.
Schlechter, stinkender Eiter ist kein bestimmtes Zeichen der Nekrose, ge-
wöhnlich ist die Eiterung gut und verschlimmert sich erst mit der Zunahme
de« Allgemeinleidens. Ebenso ist es kein sicheres Zeichen von Caries, wenn
der Eiter die silbernen Sonden schwarz färbt, da dies jede schlechte Eite-
rung thut. Durch den Process der Resorption bewerkstelligt die Natur die
Abtrennung des abgestorbenen Knochenstücks , Setjuester genannt ; zuweilen
ist dieser von einer Kapsel eingeschlossen, worin sich mehrere Öffnungen
befinden (Cloacae) , welche Kapsel nicht durch neu erzeugte Knochen , son-
dern durch die äussere Knochenlamelle gebildet wird (Richeraml). Das ver-
loren gegangene Knochenstück ersetzt die Naturkraft mittels des Knochen-
liäutchens und der Kloakenbildung durch Ansatz eines neuen Knochenstücks
(s. Kxfoliatio). Cur der Nekrose. 1) Berücksichtige man die Innern
Ursachen und hebe sie durch die gegen die einzelnen Dyskrasien wirksamen
innern Mittel (s. oben Caries). 2) Man unterstütze die Abstossung des
Sequesters und befördere diese durch Anwendung örtlicher milder Mittel,
durch reinigende, nicht reizende Injectionen mit Vermeidung aller reizenden
Mittel, wogegen schon bei Caries gewarn€ worden. Man bezweckt dadurch
schnellere Heilung durch ungestörte Bildung neuer Knocheusubstanz, indem
das Perio&teum nicht lädirt wird. Man verbinde die Fistelöffnungen mit Un-
guent, simpl. , auf Charpie gestrichen. Zuweilen muss der Sequester durch
die Kunst entfernt werden, z. B. wenn die Lage des Theils seiner Entfer-
nung hinderlich oder er in einer knöchernen Kapsel eingeschlossen ist. Oft
ist ein grosser Längeschnitt in die Weichgebilde dazu schon hinreichend,
zuweilen muss die Kapsel mit dem Trepan angebohrt oder das Knochenstück
mit Meissel und Hammer, oder mit der Hey 'sehen Säge entfernt >% erden.
Oft ist es vorzuziehen , den Sequester mit der Zange zu zerstückeln, beson-
ders wenn er seiir gross ist. 3) Man unterstütze die Kräfte des Kranken
durch Rüborantia und gute Nutrientia. 4) Communicirt die Höhle, in wel-
cher der Sequester liegt, mit den nahe gelegenen Gelenken, sind mehrere
Sequester da , wovon jeder seine eigene Höhle hat, oder liegt er so tief,
dass seine Entfernung nicht möglich ist, oder sind die Kräfte des Kranken
schon so gesunken, dass die Abstossung des Sequesters nicht abgewartet
werden' kann, so ist oft nur die Amputation das einzige Rettungsniittel
(Clielius). Man lasse sich durch die Schwäche de« Kranken nicht von der
Amputation zurückhalten; .schwache Kranke ertragen sie leichter als starke;
erstere werden oft ganz blühend und robust darnach und verlieren das hekti-
sche Fieber i>ehr bald (^Himhj)i doch sey man mit der Amputatioji nicht
CABIE3 337
ToreiHg, wenn das Allgemeinleiden , ofTenbar durch Irgend €fne Dyskrasis
entstanden, in hohem Grade vorhanden ist (Most)» denn oft zeigt sich, nach
einer solchen Amputation der Beinfrass an aiidem Knochen, und in andern
Fällen hätte manches Glied erhalten werden können, hätten wir den schade
haften Theil des Knochen angebohrt und weggeraeisselt. Es giebt scanda-
löse Fälle genug, wo berühmte Wundärzte durchaus die Amputation des
Gliedes vornehmen wollten , die Kranken sich ihr aber widersetzten und zu
euiem andern Wundarzte, oft selbst zu einem Pfuscher, Scharfrichter, al-
tem Weibe gingen, welche das Glied noch zu erhalten versprachen. Mir
sind mehrere Fälle bekatuit, wo Erhaltung des Gliedes allerdings der Er-
folg war, der hier nicht der Anwendung von Pflastern etc., sondern der
Vis medicatrix zugeschrieben werden musste, da die Wirkung eines einfa-
chen Bleipflasters oder Plantagoblattes , womit lediglich Monate lang ver-
bunden wurde, doch wol nur gering genannt werden muss (Afost). Sind
mehrere Sequester und Kloaken da, so muss man jede der letztern erwei-
tern, und wenn sie nicht communiciren , von der einen zur andern eine Öff-
nung machen. Man operire aber auf einmal nicht zu viel, und lieber nach
und nach, sonst ist der Blutverlust und der Schmerz oft zu stark (Himhj}*
Binzelne Arten der Caries verdienen hier noch angeführt zu werden:
Caries dentium, Beinfrass der Zähne, s. Odontalgia.
Caries fungosa, schwammige Caries. Ist ein Ulcus fupgosum im
Knochen , wo in der Höhlung desselben schwammiges, leicht blutendes Fleisch
wächst; s. Caries.
Caries carnosa , phagedaenica. Ist Exulceration des Knochens mit Osieo-
Barkose; s. Malacosisossium.
Caries verminosa Petit. Ist ein Ulcus fistulosum und sinuosum im Kno-
chen; s. Caries.
Caries gangraenosa , necrotica. So nannte Alex. Monro den ZustanH,
wo sich bei der Nekrose grössere Stücke absondern.
Caries maligna. So neimt man den eigentlichen Knochenkrebs; s. Can-
cer und Exostosis.
Caries sicca, hitmida, oferta, occulta^ venerea^ scor&uftca, tneta-statica,
orthritica, scrophulosa, s. Caries.
Caries ossium cranii, Beinfrass der Schädelknochen. Kann an
allen Theilen des Schädels vorkommen, besonders am Stirnbeine, am Hin-
terhaupte, am Zitzenfortsatze. Sind äussere Verletzungen, Blosslegung des
Knochens, schlechte Behandlung etc. Ursachen, so entwickelt sie sich an
der äusso-n Tafel des Cranium. Dasselbe ist der Fall, wenn ein Tophus,
eine Exostose stattfand, in Eiterung überging und schlecht behandelt wurde.
Hier ist die Diagnose leicht. Schwieriger ist sie, wenn die Caries von der
innern Tafel des Knochens ausgeht, wo der Eiter sich zwischen der Dura
mater und dem Schädel befindet. Hier entstehen gefahrliche Zufalle. Zuerst
klagt der Kranke über anhaltenden fixen Schmerz an irgend einer Stelle
des Kopfes, wo man jedoch äusserlich nichts wahrnehmen kann (s. Cepha-
lalgia). Später entstehen Schwindel, Convulsionen , Sopor; kurz alle
Symptome des Druckes aufs Gehirn (s. Commotio cerebri). Endlich
zeigt sich äusserlich an derjenigen Stelle, wo firüher die meisten Schmerzen
stattfanden, eine wenig schmerzhafte, gleich anfangs fluctuirende Geschwulst.
Ist diese durch die Kunst - oder Naturhülfe geöffnet , so findet man ein Loch
im Schädel, dessen Rand dünn und unregelmässig ist, indem die Zerstörung
mehr die innere als die äussere Tafel getroffen hat. Dabei fliesst bei den
Bewegungen des Gehirns stets eine grössere Menge Eiter aus , als man nach
dem Umfange des Geschwürs vermuthen sollte. Die Dura mater ist dabei
oft vom Knochen losgetrennt, sieht missfarbig aus, ist mit Caro luxurians
besetzt, oft selbst in Eiterung übergegangen. Ist die Caries am Processus
inastoideus , so erfolgt leicht Taubheit (s. Cophosis), indem sich der Eliter
in die Trommelhöhle ergiesst und selbst durch Uiceration das Trommelfell
I zerstören kann. Die vorzüglichsten Ursachen der Kopfknochencaries sind
ausser den oben bei Caries angegebenen : bei Kindern häuAg eine schlecht
Most Encj'klopädie. 2te Aufl. I. 22
338 CARMliNATlVA — CARUNCULAE ANOMALAE ^
behandelte oder vernäclilasslgte Kopfgeschwulst (s. Ecchymoma capitis
neonatorum), bei Erwachsenen vorzüglich Syphilis. Cur. Ist die allge-
meine der Caries. Hat sich das Übel an der Innern Knochenplatte entwickelt
nnd beide Tafeln zerstört , so muss oft noch trepanirt werden , thells um
den schadhaften -Knechen zu entfernen , theils um jede Eiteransammlung im
Gehirne zu verhüteh. Ist die harte Hirnhaut mit schwammigen Fleischwärz-
chen bedeckt, so t erbindö man mit Decoct. chinae, mit Äq. calcis. Bei
Caries processus mastoid. muss man letztern anbohren, damit der Eiter ge-
hörig abfliessen und' sich nicht in die Trommelhöhle ergiessen kann.
Caries sterni. Die vorzüglichsten Ursachen der Brustbeincaries sind Scor-
but, Syphilis, Scrophulosis. Meist immer ist zugleich Nekrose da, nicht
selten auch Tuberkelsucht in den Lungen. Die venerische Form beginnt
mit Periostose und Entzündung der äussern Fläche , die scrophulöse dagegen
rtiit solchem Leiden der inhern Flache des Brustbeins. Die Zerstörung ist
oft schon sehr bedeutend, besonders in der schwammigen Knochensubstäni!.
so dass viele fis'tulöse Gänge da sind und das Mediastinum mitleidet , ver-
dickt wird etc. Leidet der Kranke an Asthma, Husten mit vielem Auswurfj
So folgt meist der Tod durch Phthisis. Hier behandle man den Kranken
sanft und palliativ, erspare ihm auch schmerzhafte Operationen. Ist abßt
die Brust gesund und keine Complication mit Lungenleiden da , so kann man
dui'Ch Trepäniren , Abschaben, Glüheisen, durch Vergrösserung der FisteU
gänge und durch ttiftwegnahme der tranken Knochen partien, ■so^^'ie durch
gute Roborantia und andere gegen die Dyskrasie gerichtete Specifica das
Übel floch heileil. ......
Caries costarum. Der RippenbeinfrasS ist nicht ganz selten, häufig mit
Car. vertebrarum complicirt, und beg'ie'i'tet vom Ccfngestionsabscess. Auch
wenn der vordere Rippentheil leidet, bilden sich umschriebene Abscesse, did
bei ihrer Öffnung die Caries zeigen. Häufig liegt S'crophulo.sis zum Grunde.
Die Cur ist die allgemeine der Caries. Man sorge für gehörigen Eiteral)-
fluss, für Erhaltung der Kräfte, für gute Diät, reine Luft, entferne das
Cariöse durch Ab^ichaben , Absägen, Resectio costarum nach JfljcÄej'njKl , Vet-
iniäide aber das Glüheisen, um die Pleu'ra nicht zu reizen etc.
r... .Caries vertebrarum, Spondylarthrocace , ilas Pott'sche Übel, 8. Ar-
ihrocace.
Caries ossium pelvis. Sie kommt selten vor ; doch zeigt sie sich bei
dyskrasischen Personen oft in Folge eines Sturzes, Falles, worauf Entzün-
dung, Fieber, Congestionsabscess und der Beinfrass folgen. Die Diagnose
ist oft sehr schwierig ; die C u r anfangs und bei heftigen Schmerzen die
antiphlogistische , später die allgemeine der Caries.
r, . . CAnninativa (remedia), Blähungen treibende Mittel. Hier-
her gehören alle Ai'omatica , Aetherea, als Kaimus, Fenchel, Chamillen,
Kümmel, Coriander, Naphthen, Liquor, Madeira, Liqueure etc.
Caro lUXUrfanSy schwammil^es, wucherndes Fleisch, s. Ab sc es -
sus und Caustica. Vergl. auch Fungus ulceris.
CaroMfi) Cnrn , Betäubung, Schlafsucht, Eingenommenheit
des Kopfs durch Schlaf, Schmerz, Schwindel, Rausch etc.
Carpholog^ia , Crocidismiis , Floccilegium , das Flockenlesen,
Mückengreifen. Ist eine unwillkürliche Bewegung der Hände und Fin-
ger, wodurch es scheint, als suche oder zupfe der Kranke am Bette, suche
oder greife Mücken etc.; ein böses Zeichen in nervösen und putriden Fiebern.
Carpologria. Ist nach Einigen die Lehre vom Pulsö, richtiger die
Lehre von der Handwurzel.
Carunculae anoinalae, krankhafte Fleischwärzchen, dia
nicht, wie die Carunculae lacrymales, papilläres, vaginales etc., zur Nor- (
malität gehören. Am häufigsten kommen sie an der Cornea und Conjuncüva |
Tor als kleuie, rothe, fleischähnliche Auswüchse und Knötchen, die entwe-
der einfach, oder mit Ophthalmie, Ulcuü corneae etc. verbunden sind {PleiteJc,
CARUS 3^9
CJutmserit). Cur. Man versuche erst Einreibungen von grauer Mercurial-
salbe; hilft dies nicht, so muss man sie mit einem feinen Bistouri vorsichtig
ausschälen und die wunde Stelle mit Laudanum betupfen (3f.). Auch ian
Darmcanal zeigen sich oft in Folge von Gastritis und Enteritis, von Dya-
enterie kleine geschwürige Carunkeln.
Carus, Sopor caroticm, Stupor (^Celsus), Äphonia {Hippolrnies) , So-
por, Gravis dormitatio (^Rhazes), Schlafsucht, Todtenschlaf. Ist
ein Symptom vieler bedeutenden fieberhaften und fieberlosen Krankheiten,
z. B. der Febr. nervosa stupida, des letzten Stadiums des epileptischen
Insults, wo der Kranke kaum durch die stärksten Reize zu erwecken ist;
zuweilen aber auch eine selbstständige Krankheit (s. Carus idiopathi-
cus, chronicus). Jeder heftige, anhaltende, durch starke Ermüdung,
Strapazen, Nachtwachen etc. entstandene Schlaf gehört demnach nicht hier-
her, sondern nur der widernatürliche Schlaf, der Stunden, ja mehrere Tag«
währen kann , der häufig ein Vorbote , oft der Begleiter bedeutender Krank-
heiten ist, wobei oft das Gesicht roth, die Augen halb geschlossen und das
Athemholen frei ist , als Folge grosser Schwächung des Lebens im Cere-
bralsysteme, durch Entziehung der zum Nervenleben nöthlgen Requisite,
durch Unterdrückung freier Äusserung desselben, durch Druck aufs Gehirn
entstanden. Den niedern Grad nennt man Sopor, den höhern Stupor, den
höchsten aber Lethargie. In diagnostischer Hinsicht unterscheiden wir folr-
gende Arten der Schlafsucht :
Carus pyreücus , fehrüis (Sydenharti) , fehrkostts , Status soporosus (^Werl-
hof), die fieberhafte Schlafsucht. Sie unterscheidet sich von der
fieberlosen dadurch , dass sie stärker ist und dass ihr jedesmal ein Frösteln
vorhergeht. So beobachtete Sydcnham eine Epidemie , worin die Kranken
wochenlang soporös, und wo Aderlässe, Lavements und überhaupt Derivan-
tia nützlich waren. Die Febres intermittentes perniciosae, besonders die,
welche im Herbste herrschen, sowie die bösartigen Fieber, der Typhus,
haben häufig die fieberhafte Schlafsucht zum Begleiter, welche zuweilen
von einem Leiden der Speicheldrüse abhängig zu seyn scheint und durch
kritische Blutungen aus Nase und Ohren verschwindet. Bei der Febris in-
termittens perniciosa beobachtet man diese Schlafsucht bei dem ersten und
zweiten Anfalle, und der dritte endet dann oft schon mit dem Tode. Ver-
schwindet die Schlafsucht mit dem Anfalle nicht , ist den freien Zwischen-
raum hindurch der Kranke nicht frei davon, so folgt Typhomanie, Halb-
ßchlag etc. , und alle Hülfe ist umsonst , wenn nicht grosse Dosen China
oder Chinin und Kampher dem Übel vorbeugen (Af.).
Carus idiopathieus , chronicus. Diese Form von Schlafsucht muss als
eigenthümliche Krankheit, nicht als Symptom anderer Krankheiten betrach-
tet werden. Sie giebt sich durch einen excessiv tiefen und langen Schlaf
und durch die Abwesenheit primärer krankhafter Zustände , von denen sie
SjTiiptom seyn könnte, zu erkennen. Fälle der Art, wo das Übel mit ge-
ringen Unterbrechungen Monate, ja Jahre lang dauerte, sind in verschie-
denen Schriften aufgezeichnet (vergl. H. B. Schindler, Die idiopathische,
chronische Schlafsucht; Hirschberg, 1829). Oft ist diese Schlafsucht, be-
sonders von Frauenzimmern , simulirt worden ; daher hüte sich der Arzt vor
Täuschung und Betrug. Ist das Übel nur in geringem Grade vorhanden,
so können die Menschen trotz der öftern Wiederkehr der Anfälle doch ein
hohes Alter bei wenig gestörter Gesundheit erreichen (P. Frank, Marcquart'),
Der zweite Grad ^es Übels ist der, wo die Schlafanfälle länger dauern
und der Mensch noch schwerer zu erwecken ist als im ersten Grade. Die
Schlafsucht kommt meist plötzlich ohne alle Vorboten , oder es gehen Mü-
digkeit, Schwere in den Gliedern, Trägheit, Abspannung, Kopfschmerz vor-
her. Im Schlafe sind alle Muskeln ruhig, nur die obern Augenlider bewe-
gen sich zitternd , der Puls ist voll und langsam , der Athem ruhig und
sanft, die Hautwärme natürlich etc. Solche Anfälle können Tage, selbst
Wochen lang währen. Beim Erwachen erinnert sich der Kranke der Ver-
gangenheit nicht. Wiederholen sich die Anfälle nach freien Zwischenräumen
22*
340 CARUS
von Minuten, Stunden, Tagen und länger, ßo schwinden dio KrSfte, der
Kranke zehrt ab, spricht oft gar nicht {Schindler). Häufig sind solch«
Schlafzustände mit Soranambulisnuis , mit innerlichem Krämpfe , besonders
mit Katalepsis complicirt (M.). Cur. Währt der Schlaf sehr lange, sind
schon Tage und länger verflossen , ohne dass der Kianke durch die ge-
wöhnlichen Reize zu erwecken ist, so wendet man mit Nutzen die Elektri-
cität an. Noch wirksamer ist der Galvanismus , die Elektropunctur und
das Bestreichen mit einem starken Magnet. In einem chronischen Falle der
idiopathischen Schlafsucht half letzterer, von der Herzgrube aufwärts zum
Kopfe geführt und so 74 Stunde fortgefahren, so kräftig, dass Patientin
stets aufwachte und die Anfälle dadurch sehr abgekürzt wiu'den (ilf.) (&.
Becher, Der mineralische Magnetismus; 1829).
Carus ischuriosus. Ist zuweilen bei der wahren und falschen Ischurie
beobachtet worden (^Bannet), vielleicht herrührend vom Rückflusse des
Urins und von seiner Wirkung aufs Drüsen- und Nervensystem. Ist hef-
tiger Durst, Hitze der Eingeweide, Fieber, Flechsenspringen dabei, so ist
der Ausgang oft tödtlich (^Mnrcquart).
Carus iraumaticus , Wundschlafsucht. Sie begleitet heftige Ver-
wundungen, Contusionen, Brüche der Hirnschale, besonders wenn Comrao-
tio cerebri oder Hirnentzündung dadurch erregt worden sind (^Bonnet).
Carus arthriticus (^Musgrnve). wird zuweilen bei Gichtmetastasen zum
Gehirn beobachtet und verschwindet, sowie die Gicht wieder die Gelenko
befällt CMarcquart); s. Arthritis retrograda.
CarviS spontaneus , Apoplexia minor, Aphonia Hippocratis. Diese Schlaf-
sucht kündigt sich durch Kopfweh , Schwindel , Ekel und Erbrechen bd
reiner, nicht belegter Zunge, durch Röthe des Gesichts, Hitze des Körpers
und durch frequenten Puls an , dagegen ist in den meisten soporösen Krank-
heiten der Puls langsam und selten. Plethorische Subjecte, die wohlgenährt
sind und ein unthätiges Leben führen, sowie schwangere Frauen, bekom-
men oft diese spontane Schlafsucht. Das Übel ist nicht gefährlich; Deri-
vantia, Fussbäder, Senfteige an die Füsse, massige Blutausleerungen, rei-
zende Klystiere , gelinde Purganzen , überhaupt die Behandlung der Apo-
plexia sanguinea im niedern Grade sind hier zweckmässig. Auch das Auf-
rechtsitzen auf einem Stuhle und, wenn die Schwäche dies nicht immer er-
laubt, eine sitzende Stellung im Bette, also eine erhöhte Kopflage, ist zu-
gleich sehr zu empfehlen (Boerliaave).
Cm'us vemnnosus (^Sennert). Kinder, die an Würmern leiden, werden,
nach Sennert, zuweilen von tiefer Schlafsucht mit gelindem Fieber, flüchti-
ger Röthe der Wangen, süsslich- säuerlichem Geruch aus dem Munde er-
griffen, welche verschwindet, wenn man durch Evacuantia die Würmer ent-
fernt hat. Nicht selten ist die periodisch eintretende Schlafsucht der Kin-
der der Vorbote bedeutender Krankheiten, z. B. der Eklampsie (M.).
Carus hysiericus. Jeder heftige Anfall von Hysterie (aber auch von
Epilepsie) pflegt mit Schlafsucht oder doch mit einem ohnmachtähnlichen
Zustande zu enden; daher man auch diese Species von Carus angenommen
hat (Marcquari).
Carus variolosus. Bekanntlich haben die Convulsionen beim Ausbruche
der Menschenpocken wenig zu bedeuten, desto mehr aber die tiefe Schlaf-
sucht während der Efflorescenz, welche nur bei den bösai-tigen zusammen-
fliessenden Pocken beobachtet wird (^Sydenhani). — Was die Prognose der
Schlafsucht im Allgemeinen betriff't, so ist sie um so schlimmer, je wichti-
ger in prognostischer Hinsicht die Ursachen sind, woraus sie hervorgeht,
z. B. Kopfverletzungen etc. Die symptomatische Schlafsucht ist im Ganzen
also weit schlimmer als die idiopathische, periodische. Letztere ist oft ein
Fehler der Erziehung, indem sif^ r.h.s Verweichlichung, besonders bei gei-
stig und körperlich trägen Kindern hervorgeht, die sich tägliches langes
Schlafen angewöhnt haben. Hier muss man durch psychische Mittel, durch
Abgewöhnung das Übel, wenn es noch gelind ist, heilen. Was die Cur
der symptomatischen Schlafsucht betriÜt , so ist die Behandlung auf Heboog
I
CASTBATIO 341
der Ursachen gerichtet, -also sehr verschieden (s. Febrls, Cominotio
cerebri, Arthritiis, Morbus vertniuosus, Hysteria etc.). Aber
auch die idiopathische Schlafsucht, die durch ihre Hartnäckigkeit oft Jahre
lang dauert , ist , wenn auch kein lebensgefährliches , doch immer ein be-
deutendes Übel, das häufig Irreseyn , Ekstase, Katalepsie, Epilepsie hin-
terlässt oder damit complicirt ist und dadurch gefährlich werden kann (s.
Schindler^s oben angeführte Schrift).
Castratio , die Castration, Hodenaus schneidung, Ver-
schnei düng. Ist diejenige Operation, die in civilisirten Staaten nie bei
Gesunden , sondern fast immer nur wegen fehlerhafter Beschaffenheit eines
Hoden vorgenommen wird, besonders wenn derselbe ganz entartet, verhär-
tet, krebsartig etc. ist. Höchst interessant sind für Physiologie und Patho-
logie die Wirkungen der Castration auf die ganze geistige und körperliche
Beschaffenheit des Menschen (s. Benoit Mojon, Mem. sur les effets de la
castration dans le corps humain; Montpell. 1803). Alle männliche B'ormen
sind im Castraten verwischt. Werden die Hoden vor der Zeit der Mann-
barkeit weggeschnitten, so entwickelt sich der Bart nicht, auch die Glieder
erreichen nicht die schöne männliche Gestalt ; an den Muskeln bemerkt man
weniger Begrenzung und mehr Schwäche, und die Stimme bleibt fein und
weibisch. Ebenso haben Mädchen und Frauen, bei denen der Uterus und
die Ovarien nicht gehörig ausgebildet sind, viel Ähnliches mit Männern
(Virago). Die Castraten sind in psychischer, wie in physischer Hinsicht,
selbst was den Knochenbau anbetrifft, dem weiblichen Geschlechte ähnlich.
Die Verschnittenen des Orients sind feil , verschlagen , neidisch , egoistisch,
gchwachgcistig , sind träge an Geist und Körper, sie ergeben sich gern der
Faulheit und einem trägen, üppigen Leben. Häufig leidet ihr gesunder
Menschenverstand; ausserdem disponiren sie sehr zu Adiposis morbosa, die
leicht in Wassersucht übergeht, zu Blutflüssen und zur Gelbsucht, welche
besonders bei den Eunuchen in Persien schwer zu heilen ist. Auch die
Bleichsucht, die Hysterie und andere Nervenbeschwerden sind gewöhnliche
Krankheiten der Verschnittenen; dagegen leiden sie höchst selten an Gicht
und Rheumatismus, desgleichen an chronischen Hautausschlägen (^Mojon).
Interessant würde die Beantwortung folgender Fragen seyn : 1) In wiefeni
kann das häufige, wie das seltene Erscheinen mancher Krankheiten bei Ca-
straten Aufschluss über das Wesen und die Natur dieser Übel geben?
2) In welcher Beziehung stehen Gicht, Rheumatismus und die chronischen
Hautausschläge mit der Mannbarkeit ? Warum leiden die Castraten so sel-
ten daran? Vielleicht weil ihre Productionskraft im geschlechtlichen Leben
schlummert? Nach häufigem Coitus bemerkt der Mann in der Regel Zie-
hen und Reissen in den Gliedern, ähnlich den rheumatischen Zufällen; auch
eine Neigung zu Hautausschlägen, besonders im Gesichte (Venuspocken) ist
ein gewöhnliches Zeichen der Ausschweifungen in der Liebe. Sollten die
überhandnehmenden Ausschweifungen der Art bei der Jugend unserer Gene-
ration nicht ein Grund mit seyn, warum die rheumatischen und gichtischen
, Übel jetzt häufiger bemerkt werden als ehemals , wo mehr Keuschheit unter
der Jugend und mehr Züchtigkeit der Altern herrschte? 3) Warum leiden
Castraten so häufig an Gelbsucht und Wassersucht? In welcher Beziehung
stehen Leber, lymphatische Gefässe und Genitalien zu einander? Durch
unsere Diuretica : Squilla , Digitalis etc. wird nicht blos das Systema uro-
poeticum , sondern auch das Genitaliensystem erregt. Findet nicht auch
eine Sympathie zwischen letzterm und der Leber statt? Alle unsere resol-
virenden , sogenannte Stockungen auflösenden Mittel j die bittern Extracte
mit Tart. solubilis, tartarisatus etc., die eisenhaltigen und kohlensauren
Mineralwässer wirken zugleich diuretisch, und alle Diuretica beleben die
Geschlechtssphäre mehr oder weniger. 4) Sollte der ehelose Stand wol
eine besondere Disposition zu chronischen Unterleibsübeln geben? Man fin-
det verhältnissmässig mehr unverheirathete als verheirathete Personen , be-
sonders in den 30r — 40r Jahren, welche an Stockungen der Leber und
Milz, an Hypochondrie tiad Hysterie leiden, und nirgends bt letztere mehr
342 GASTllATIO
za Hause als bei alten Jungfern. Wenn die Gesundheit im Allgemeinen mir
in der harmonischen Übereinstimmung aller Organe des Organismus und in
gleichmässiger Thätigkeitsäusserung aller geistigen und körperlichen Fun-
ctionen bestehen kann, so ists natürlich, dass leicht Krankheit entstehen
muss, wenn bei vollendeter Mannbarkeit ein so vsichtiges Organensystem,
wie das der Genitalien ist, schlummert. Die Beispiele, wo die Ehe oft die
hartnäckigsten Krankheiten , besonders die Hysterie heilte , sind nicht selten.
5) Welche Krankheiten können durch die Castration bei Männern mit ge-
sunden Testikeln geheilt werden ? Es ist bekannt , dass die Priester der
Cybele die Manie dadurch heilten, und gewiss würde dieselbe noch jetzt
bei Wollüstlingen , die durch Ausschweifungen in Venere ihren Verstand ver-
loren haben , heilsam seyn , wenn die Verhältnisse des gesellschaftlichen Le-
bens diese Operation auszuüben mehr gestatteten. In Schweden heilt man
durch die Castration, nach Mojon, die Satyriasis, und bekannt ist es, dass
auch mancher Onanist durch sie allein geheilt werden könnte. Bei den ver-
schiedenen Krankheiten der Eunuchen und Castraten sind dieselben Curre-
geln zu berücksichtigen , welche die Krankheiten der Frauenzimmer im All-
gemeinen erfordern (s. Graviditas Nr. 28). Nach dem gegenwärtigen
Standpunkte der medic. - chirurg. Wissenschaft ist die Castration indicirt :
1) bei hoher Reizbarkeit des Hoden, Neuralgin testis (the irritable testicle,
nach Astley Coopcr^, so dass die leiseste Berührung, die geringste Bewegung,
dem Kranken unerträgliche Schmerzen verursacht, und er nur in der ruhigen
horizontalen Rückenlage existiren kann ; was ihm alle Lebensfreuden verbit-
tert , das Gemüth tief ergreift und die Constitution auffallend schwächt.
Wenn hier die Narcotica und andere zweckmässige pharmaceutische Mittel
fruchtlos angewendet worden sind , wenn etwa vorhandene Abdominal-
stockungen gehoben und keine specifische Dyskrasien aufzufinden sind, so
bleibt hier nur die Castration übrig, die in solchen Fällen von A. Cooper
und Delpech auch verrichtet wurde. Doch meint der Verfasser des Artikels
„Castratio" in Rtist^s Handbuche der Chirurgie, Bd. IV, S. 10, dass
vielleicht die Durchschneidung des Samenstranges oder die blosse Unterbin-
dung der Art. spermatica das Übel ohne Castration heilen möchte. — 2) Bei
Jndurnüo testis henigna, Incluratio simplex (CnUisen), einfacher chro-
nischer Anschwellung der Hoden (J. Cooper^, die in Folge trau-
matischer, sympathischer und dyskrasischer Hodenentzündung entstanden ist
(s. Inflammatio testiculi), damit das Übel nicht durch die Länge der
Zeit dem Kranken beschwerlicher werde und fernere krankhafte Metamor-
phosen eingehe. Doch kann man hier noch vorher, zumal wenn Lues ve-
nerea Schuld Avar, das Decoct. Zittmanni versuchen (Aergl. G. Behre in
Hecher's Wissenschaftlichen Annalen, 1833, Decbr. , S. 335 — -421). S) Bei
Hydro - Sarcocele henigna (^Hgdrosclerorcliis , Induratio testis cum Hgdrocele
tunicne vaginalis propriae). Während man hier behufs der Radicalcur der
Hydrocele den Hoden entblösst , kann man sich durch den Augenschein von
der Verderbtheit des Hoden und der nöthigen Entfernung desselben am be-
sten überzeugen. 4) Bei Orcheomalacosis. Die Hodenerweichung , gut be-
schrieben von Zimmermann (Dissert. de tesliculor. morbis ; Berol. 1824),
verwandelt die ganze Hodensubstanz in eine dickflüssige, braune, chokola-
denähnliche Masse und die Geschwulst, die jahrelang als Knoten unbedeu-
tend gewesen , erreicht dann oft schnell eine ausserordentliche Grösse.
6) Bei Cirsocele, wenn die Varicositaten nicht allein den Samenstrang, son«.
dern auch den ganzen Hoden und Nebenhoden einnehmen und der Samen-
strang durch Druck atrophisch geworden ist. Doch könnte man auch hier
die freilich in solchen Fällen nicht ganz leichte LTnterbindung der Art. sper-
matica vorher versuchen. 6) Bei Spcrmatocele (^Spermatica testis erpansio,
t\nch CalUscti). 7) Bei Hyda tiden des Hoden, wenn die Function keinen
Nutzen gftwahirte, der Hoden durch Druck gelitten hat, atrophisch geworden
ist und bösartige Exulceration zu erwarten steht. 8) Bei Hydrops testiSy
we;i!i die Puncrion das Übel nicht zu entfernen vermochte. 9) Bei Tuber-
keln des Hoden, worauf so leicht schlimme Exulceration folgt. 10) Bei
CASTRATIO 343
Fungus meilutlaris und haemntodes testis. Leider! zeigt skh ab.er der Mark-
schwamm später häufig aufs Neue, zumal am Sameiistraug und am Ductus
thoracicus, und tödtet später den Kranken, besonders wenn das Übel, wor-
über eine genaue Diagnose noch fehlt, nicht blo» örtlich, sondern allgemein
in der Constitution begründet ist (s. Rust in Horiis Archiv, 1815, Bd. 11.
S. 731). 11) Bei Scirrhus testis, der indessen als echter Krebsknoten sel-
ten vorkommt (J. Cooper). 12) Bei Carcinom des Hoden, sobald der
Samenstrang noch ziemlich gesund ist , keine allgemeine Dyscrasia cancrosa
obwaltet und keine scirrhöse Geschwülste im Unterleibe gleichzeitig da
sind. Im letztem Falle rettet auch die Castration den Kranken nicht.
13) Bei Hydroscirrhocelc, wo die Wasseransammlung etwas Secundäres ist.
14) Bei bedeutenden Verletzungen des Hoden mit Substanzverr
inst , zumal Schusswunden , gequetschten Wunden , wozu sich leicht Ner-
venzufälle gesellen und keine gutartige Eiterung zu erwarten ist , bei de-
nen der Samenstrang mit gelitten hat , bei Zermalmung der Hodensubstanz
durch starke Quetschungen, wenn gleichzeitig hier unbesiegbare Nervenzu-
fälle eintreten, 15) Bei chronischen Abscessen und Fisteln des
Hoden, die jedem Heilversuche Trotz geboten haben. Endlich 16) bei
bedeutender Haematocele, bei unheilbarem Erkranktseyn des Sa-
nienstrangs, bei primärem Scirrhus, Markschvvamm desselben, bei knorpe-
liger Verhärtung der Scheidenhaut des Hoden, welche häufig neben einer
Hydrocele vorkommt und leicht in krebshafte, sich auf den Hoden verbrei-
tende Entartung übergeht, bei Schornsteinfegerkrebs, Elephantiasis scroti.
Bei nicht zu hebender Onanie castrirte Mursinna auf inständiges Bitten ei-
nen Kranken , und der Erfolg war günstig. Doch wird hier wol die Unter-
bindung der Art. spermatica ausreichen. In frühern Zeiten verrichtete man
auch die Castration bei völlig gesunden Hoden , um andere schwere Übel
zu heilen, z. B. die Lepra, die Epilepsie, die Manie, selbst eingewurzelte
Gicht (^Artius, Ferneliiis, Schurifi , C'acl. Anrelinnns , Rmere), und zuweilen
war der Erfolg günstig Als im Allgemeinen die Castration contrain-
dicirende Umstände müssen folgende genannt werden: 1) Das Fortbe-
stehen derjenigen Krankh-eit im ganzen Körper, durch welche das Hoden-
leiden herbeigeführt wurde, ohne dass Aussicht vorhanden ist, dieselbe zu
heben oder durch Wegnahme des örtlichen Übels zu mindern. 2) Gänzliche
Unmöglichkeit, alles fungös und krebsig Entartete zu entfernen, wo also
der Krebs oder Markschwamm sehr vorgerückt ist. 3) Ein hoher Schwä-
chegrad des Kranken, entstanden sowol durch örtliche Leiden, durch den
Säfteverlust, z.B. bei Hodenabscessen, durch heftige Schmerzen und Schlaf-
mangel , wie bei Neuralgia testis , als auch durch andere Krankheiten , Dys-
krasien etc. 4) Ein hoher Grad von Vulnerabilität, grosse Reizbarkeit,
bedeutende Neigung zu Nervenzufällen. 5) Hohes Alter bei vorgerückten
drykrasischen Krankheiten.
Operationsverfahren der Castration. Instrumente hierzu
sind: 1) ein gerades Bistoui'ie; 2) eine stumpfspitzige Scheere, oder ein
gerades Knopfbistourie; 3) eine Hohlsonde; 4) Nadeln mit einem Faden-
bändchen , mehrere Unterbindungsfaden , besonders aber das v. Gräfe'sche
Unterbindungssläbchen; 5) Anenrysmanadel mit einem breiten Bündchen ver-
sehen. Ausserdem Charpie, kaltes und warmes Wasser, eine T-Binde,
Heftpflasterstreifen, auch der Apparat zur blutigen Nath. Die Lage de»
Kranken ist , wie bei der Radicalopeiation der Hydrocele. — Gehülfen sind
2 bis 3 erforderlich. Die Operation hat 3 Hauptmomente: 1) den Haut-
schnitt; 2) die Behandlung des Sanienstranges ; 3) die Ausschälung des Ho-
dens. Hiernach bilden sich wieder 2 Hauptmomente : erstens derjenige mit
Spannung der Hautdecken , und zweitens der ohne Spannung des Hodensacks.
Erster Moment. Die Haut ist entweder verwachsen und lässt sich in
keine Falte heben, oder sie ist beweglich und frei. Ist letzteres der Fall,
dann bildet man eine Hautfalte, und macht den Einschnitt, wie bei der
Hydrocele, so, dass er vom Bauchringe bis zum Grunde des Hodensacks
hinabgeht. Ist aber die Haut mit dem Hoden verwachsen, lässt sich keine
344 CASTRATIO
Falte bilden, oflet tet das Scrotum von scirrhSsen nnd krebshaHen Excre-
«cenzen ergriffen und demnächst seine Wegnahme nöthig , so muss dies
Krankhafte mit exstirpirt werden. Man spannt demnach die Haut über
dem krankhaften Testikel — bevor die Haare abgeschoren sind — mit dem
Daumen und Zeigefinger der linken Hand, und trennt sie durch 2 halbmond-
förmige Schnitte, in welchen alles Krankhafte begriffen seyn muss; dann
fasst man das über dem Samenstrange befindliche Zellgewebe, hebt es in
die Höhe und trennt es durch mehrere Schnitte, um jenen bioszulegen. —
Zweiter Moment. Der Samenstrang wird nun bald unterbanden, ehe
er abgeschnitten worden, oder er wird erst abgeschnitten und dann unter-
bunden , bald wird er abgeschnitten un4- nun ganz , oder seine Arterien al-
lein unterbunden, oder die Blutung durch die Tamponade gestillt. Über
dieses verschiedene Operationsverfahren sind nun die verschiedensten Mei-
nungen. Einige haben Convulsionen und Trismus von der gänzlichen Un-
terbindung des Samenstranges befürchtet {Bell, Morand). Nach Bilgiier
entstanden darnach Übelkeiten , Erbrechen , Spannung und Anschwellung
des ganzen Unterleibes , und eine brennende Empfindung in der Nierenge-
gend ; Abscesse im Zellgewebe des Samenstranges , in der Nierengegend
(77*crfcn) ; Andere haben diese Zufälle geleugnet {Mornnd, Mursinna, Im-
der's Chir. Journal, Bd. I.), und zu beweisen gesucht, dass sie nicht in
der Unterbindung, sondern in einer Krankheit des Gangliensystems, oder
in der krankhaften Constitution des Individuums selbst ihren Grund haben;
daher Mursinna der gänzlichen Unterbindung des Samenstranges huldigt. —
Dritter Moment. Unterbindet man den ganzen Samenstrang, so be-
nimmt man dem Kranken bei der Operation einen grossen Theil der Schmer-
zen. Man sondert ihn zu dem Ende frei vom Zellgewebe ab , schiebt einen
Faden mittels einer Aneurysmanadel unter ihn durch, zieht diesen hernach
so fest als möglich zusammen und schneidet ihn 1 Zoll breit unter der Un-
terbindung ab; dann fasst man den obern Theil des Hodens, hebt ihn her-
vor, präparirt ihn von oben nach unten aus seinem Zellgewebe, ^•illt das
■Scrotum mit Charpie aus und lässt nun die Wunde durch den Process der
Eiterung verheilen. Der isolirten Unterbindung giebt Rust den Vorzug, da
ihm die Unterbindung des ganzen Samenstranges grausam und unnöihig scheint.
Lnngenhccli operirt auf folgende Weise: Der Kranke wird in dieselbe Lage
wie beim Bruchschnitt gebracht; der Wundarzt stellt sich an die rechte
Seite desselben; der Hautschnitt wird mit einem convexen Scalpell gemacht,
und ist nach der Form des Übels verschieden. Je grösser die Geschwulst
ist, desto mehr muss man auch vom Scrotum wegnehmen, um Abscesse
und fistulöse Gänge zu verhüten. Sind zugleich die allgemeinen Bedeckun-
gen an einer Seite verdorben , so nimmt man besonders an dieser Stelle,
zumal durch einen Ovalschnitt, einen Theil derselben weg, wobei man mit
der linken Hand das Scrotum anspannt, was aber bei sehr runzligem Scro-
tum ein Gehülfe thun muss. Stets muss der Schnitt, er sey oval oder
länglich, sich über die gange Geschwulst erstrecken; er beginnt dicht am
Annulns, und endet am Fundus scroti; denn je näher man den Samenstrang
am Annulus blosslegt, desto sicherer wird sein Zurückziehen vermieden; und
spaltet man das Scrotum nicht bis zum Fundus, so folgen leicht Eiterseu-
kungen, die leicht Zerstörung anrichten, oder doch wenigstens ein neues
Aufschneiden erfordern. Nach vollbrachtem Hautschnitte entmckelt man den
Samenstrang, indem man das Zellgewebe unter dem Bauchringe mit der
Pincette fasst, in die Höhe hebt und durchschneidet, wobei man mit dem
Finger stets nachfühlen muss, wo der B'uniculus liegt, über welchem man
nur mit dem Scalpell agirt und sich zugleich vor dem Durchschneiden des
Septum scroti hütet. Ist der Samenstrang entwickelt, so hält ein Gehülfo
den kranken, oft schweren Testikel in die Höhe, der Kranke, welcher in
horizontaler Lage bleibt, muss die Beine an den Leib ziehen; man trennt
nun das vas deferens vom Funiculus durch einen Einschnitt, fuhrt den Zei-
gefinger in die Öffnung und setzt die Trennung fort bis zur Stelle, wo
der önmenstrang unterbunden und getrennt werden soll. Der Operateur
CASTRATIO MS
fasst mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand mittek emea Lemwand-
läppchens nun den Samenstrang am Annulus , und schneidet ihn durch, wäh-
rend der Gehülfe gelinde am Testikelende desselben zieht. Geht es an, so
wähle man die Durchschnittsstelle so tief als mi)glich. Man drückt, eho
man das Messer ansetzt, den Samenstrang mit den Fingern fest zusammen,
und schneidet den angespannten Theil dann von oben nach unten durch.
Jetzt lässt man das zerschnittene Ende mit einem Schwämme reinigen , er-
greift die obere Mündung der Arterie mit der Pincette, zieht sie aus den
übrigen Theilen des Samenstranges hervor und lässt so blos über sie die
Ligatur werfen. Ehe man die Ligatur zuzieht , streift man die übrigen
Theile mit den Fingern zurück, um auf solche Weise sicher zu seyn, das«
kein Nerve mit in die Ligatur kommt. Bei der Unterbindung kann man die
Arterien und Venen deutlich sehen ; sollte dieses nicht der Fall seyn , so lässt
man mit dem Drücken des Fingers nur ein wenig nach, und das Blut spritzt
hervor. Nach der Unterbindung unterbindet man auch das Vas deferen»,
welchem bisher dazu diente, den etwa zurückgezogenen Samenstrang wieder
hervorzuziehen; jetzt präparirt man den Testikel aus dem Scrotum heraus;
man muss jedes spritzende ^afäss unterbinden, weil sonst leicht Nachblu-
tungen folgen. Zuletzt stopft man das ganze Scrotum mit Charpie aus,
befestigt die Ligatur der Art. spermatica interna auf den äussern Bedeckun-
gen mit Heftpflaster, legt ein Suspensorium an und behandelt den Kranken
nach den Umständen mehr oder weniger antiphlogistisch. Der erste Ver-
band bleibt 48 Stunden liegen , alsdann verbindet man mit Unguentum dige-
stivum , und stopft die Wunde vom Grunde auf aus. Das schlaffe Scrotum
füllt sich bald mit Granulationen und die Wunde wird schnell flach. Offe
verbreitet sich die Entzündung über die benachbarten Theile , zuweilen ent-
steht Retentio urinae. Dann muss man den Katheter appliciren, schleimige
Getränke geben und warme aromatische Überschläge machen. Ist der
Kranke nicht zu schwach , so behandelt man ihn die ersten Tage hindurch
kühlend und sorgt für Leibesöffmmg, Die Lage des Kranken muss stets
eine horizontale seyn. Bei jedesmaliger Erneuerung des Verbandes stopft
man ein Plumaceau unter den Funiculus, damit derselbe nicht zu tief ins
Scrotum verwachse und der Kranke nach der Heilung sich gehörig aus-
strecken könne, sonst folgen mitunter heftige Nervenreize, z. B. Epilepsie;
welche ein neues Abtrennen des Samenstranges erforderlich machen. Den
ganzen Samenstrang zu unterbinden hält Lnngenheck für gefährlich, indem
durch die Nervenverbindung des Plexus spermaticus mit dem Plexus hypo-
gastricus und renalis leicht heftige Schmerzen in der Nierengegend, im
Schenkel , Tenesmus und Harnverhaltung folgen. Selbst Trismus und Te-
tanus hat man entstehen sehen, sobald die Nerven mit in die Ligatur ge-
fasst worden sind. Aus diesem Grunde muss man die Arterie allein unter-
binden und vorher dieselbe gehörig mit den Fingern von dem Nervenge-
flechte etc. abstreichen. Statt der Unterbindung , wie Theden will, zu tam-
poniren, passt auch deswegen nicht, weil der Druck nachtheilig auf die
Nerven wirkt. Oft ist der Verband nur wenig mit Blut gefärbt und den-
noch die Blutung aus den Scrotalarterien zuweilen sehr bedeutend, da da«
Blut hinten zum Scrotum hinaus zwischen den Schenkeln hinabfliesst. Man
muss deshalb den Operirten genau beobachten und mit der Hand unter dem
Scrotum nachfühlen , ob man keine Flüssigkeit entdeckt. Bei der gering-
steh Spur von Blutung muss man sogleich den ganzen Verband abnehmen
und das noch spritzende Gefäss unterbinden. Quillt aber das Blut aus
mehreren Stellen hervor, so lege man Fomentationen von eiskaltem Wasser
über das Scrotum. Erstreckt sich die Induration des Funiculus so weit nach
oben, dass nur ein kleiner Zwischenraum bis zum Bauchringe bleibt, so ist
es selten möglich , die Arterie allein zu unterbinden ; man muss dann vor
Durchschneidung des Samenstranges die Unterbindung des ganzen Funiculus
-vornehmen. Zieht sich die Arterie mit dem Samenstrang vor der Unterbin-
dung in den Annulus zurück, so versuche man mit der Pincette in den
Bauchring einzugehen und auf solche Weise den Samenstrang vorzuziehen.
346
CASTRATIO
Gelingt dieses nicht, so muss man zu diesem Endzwecke den Bauchring ein-
schneiden, um den Samenstrang fassen nnd unterbinden zu können. Sind
beide Testikel zugleich krank, so thut man am besten gleich beide wegzu-
nehmen. So verfährt Lnngenhce}; , der ^-iele Castrationen mit Glück vorge-
nommen hat. — Kern hält die Unterbindung vor dem Abschneiden des Sa-
luenstranges zu unternehmen für nöthig , indem derselbe sich leicht zurück-
zieht. Hat man aber den Samenstrang schon abgeschnitten , und hat er sich
auch schon zurückgezogen , so kann man dennoch die isolirte Unterbindung
vornehmen ; es darf für den Operateur keine so grosse Aufgabe seyn , die
Arterien zu unterbinden, wenn es nothwendig ist, da oft schon kaltes Was-
ser allein ihre Blut\uig stillt, oder sie auch nach Theden, Boucher und Po?«-
ienu durch die Tamponade gestillt werden kann, denn die Pulsader des Sa-
menstranges ist gemeiniglich so klein . dass es gar keiner Ligatur bedarf,
um die Blutung aus derselben zu stillen, und dass ein gelinder Druck oft
dazu hinreichend ist. Und dazu ist hier eine gute Gelegenheit, da die
Schambeine einen sehr be([uemen Unterstützungspunkt verschaffen. — Riist's
Methode ist: dass er vor der Operation darauf sieht, ob der Samenstrang
näher oder entfernter vom Banchringe gesund ist, etwa drei Finger breit,
und sich überzeugt, ob er vielleicht in die Bauchhöhle hineinschlüpfen kann;
ist dies der Fall , so lässt er durch einen Gehülfen den gesunden Hoden
anziehen, und schneidet nun den kranken Hoden durch einen Cirkelscluiitt
von oben nach unten ab. Ist dies geschehen, so untersucht er die Blu-
tung und ur.terbindet die Arterien. Ist der Hode gross und krankhaft und
der Anfang des Samenstranges mit ergriffen , so hebt er in der Gegend des
Bauchringes die Haut in eine Falte , schneidet sie mit einem Messer
durch , ohne dass der Schnitt bis auf den Grund des Hodensacks geht , iso-
iirt den Samenstrang, bringt unter das Zellgewebe desselben ein Bündchen,
hebt ihn damit in die Höhe , unterbindet nun die Arterien und entfernt so-
demn den Hoden sammt dem Scrotum. Ist aber der Samenstrang verhärtet,
ist es nicht möglich, die Arterien isolirt zu unterbinden, so isolirt man den
Samenstrang, untersticht ihn mit einem Fadenbändchen, unterbindet ihn
ganz und schneidet auch nun den Testikel mit dem Scrotum ab. Auch jetzt
kann man den Samenstrang noch vorziehen und die Arterien allein unter-
binden. Hat man das Septum scroti nicht durchschnitten, so stillt man die
Blutung aus den Scrotalgefässen , und vereinigt die Wunde durch Heftpfla-
sterstreifen. Fällt aber der gesunde Hode vor, so muss man, um Entzün-
dung und Anschwellung desselben zu verhüten, die blutige Vereinigung durch
5 bis 8 Hefte machen, diese durch Heftpflaster unterstützen, und nun eine
Compresse und eine T - Binde darüber legen. In diesem Falle erfolgt die
Heilung in 9 bis 12 Tagen, während sie bei der unblutigen Heftung 3 bis
4 Wochen , und in dem Falle , wo man das Scrotum stehen lässt , 5 bis 6
Wochen dauert. Die totale Unterbindung desFuniculus sper-
inaticus nach v. Gräfe' s Methode ist folgende: Er entblösst zuerst den
Funiciüus spermaticus , zieht ihn hervor und führt eine pfriemenförmige Na-
del , mit einer seidenen Schnur versehen , unter denselben durch , befestigt
diese beiden Enden in das von ihm angegebene Ligaturwerkzeug, zieht
es locker an und schnürt es zweimal um die an dem Instrumente betindliche
Gabel, und schraubt nun mit der Schraube an, dann kommt die Gabel iii
die Höhe und wird so zusammengeschnürt. Durch dieses Instrument, wel-
ches die Isolirung des Samenstranges von den Arterien entbehrlich macht,
kann man überhaupt rasch vorwärts operiren und den höchsten Grad von
Zusammenschnürung bewirken; die Blutung steht augenblicklich; auch kann
der Funiculus spermaticus nicht in die Bauchhöhle zurückschlüpfen, und der
Kranke wird sogleich wahrnehmen, dass der Schmerz aufhört. Ist die Ope-
i-Btion nun bis dahin beendet , so schneidet v. Gräfe sogleich den Testikel
ab, da ihm das Umdrehen des Testikels (Rusche) um seine eigene Axe,
und dadurch zu erzielendes Abfaulen vom Funiculus spermaticus theils zn
.schmerzhaft für den Kranken, theils aber auch ein unsauberes, schiiuiziges
Verfahren «u scjn scheint. Daa Lignturwerkzeug wird nun mittels einiger
CATACAUMA — CATALEPSIS 347
Heftpfiasterstreifen auf dem Unterleibe befestigt ; nach zweimal 24 Stunden
schneidet er mittels einer Scheere die Schnur von der einen Seite so nahe
als möglich an der Unterbindungsstelle ab , und nachdem die Schnur entfernt
ist , zieht er die Wundlefzen dicht zusammen und sucht nun die rasche Vcr-
heilung zu erzielen. — Nachbehandlung. Sollten partielle Blutungen
entstehen , die wenig von Belang sind , so soll man kalte Fomentationen
anwenden ; sollten sie hiernach nicht stehen , so muss man den Verband öff-
nen und das Gefäss unterbinden. Pott sagt : sie sind leicht tödtlich , wel-
ches aber nach v. Gräfe keine Gefahr hat ; wo aber parenchymatöse Blu-
tungen statt haben, soll es allerdings gefahrdrohend seyn. Pott wendet
dann innerlich Chinadecocte an, und den Verband befeuchtet er mit ver-
dünnter Schwefelsäure; v. Gräfe stimmt dieser Meinung nicht bei. Ver-
band. Pott und A. wollen per primam intentionem heilen, welches Ver-
fahren aber nicht bei der v. Gräfe'schen Operationsraethode anzuwenden ist,
indem das Ligaturwerkzeug bis zur Abtragung der Schnure daran hindert.
Ist indess das Zellgewebe gesund, nicht ödematös angeschwollen, nicht in-
durirt, sind keine varicöse Ausdehnungen zugegen, so kann man bis zu der
Stelle, wo das Ligaturwerkzeug Hegt, die schnelle Vereinigung vornehmen,
wo nicht, so stopft v. Gräfe die Wunde mit lockerer Charpie aus, und heilt
per secundam intentionem. Sollten Nervenzufälle entstehen, so ist, nach
V. Gräfe, der Nerve noch nicht ganz getödtet, und man muss die Schraube
des Ligaturwerkzeuges noch fester schrauben, alsdann werden sie, wenn
dies die alleinige Ursache seyn sollte, bald nachlassen. Es können aber
auch ausserdem Nervenzufälle entstehen , welche aber dann im Individuo
selbst liegen ; hier wendet man innerlich die bekannten Antispasmodica an,
äusserlich Vesicantia und kalte Umschläge etc. Lage des Kranken
nach der Operation. Marchai bemerkte , dass ein castrirter Kranker^
der während seiner Heilung unausgesetzt gerade im Bette gelegen, her-
nach nicht aufrecht stehen , noch sitzen konnte. Theden erzählt einen ähn-
lichen Fall , welcher Kranke sich nochmals operiren lassen musste. v. Gräfe
räth, dass man den Operirten in den ersten 24 Stunden etwas mit angezo-
genen Schenkeln liegen lassen solle ; hernach ganz gerade und so bis zur
gänzlichen Heilung abwechselnd. Ch. J, D. Wiedow.
Catacauiiiai 9 tiefe Verbrennung, s. Combustio.
Cataclasi.'ii* Ist Zerschmetterung eines Knochens; auch
versteht man darunter die krampfhafte Verschliessung der Augenlider, s.
Blepharospasmus.
Cataclisia, das Lager eines Kranken, einer Kreisenden, das zweck'-
raässig eingerichtete Geburtslager, s. Partus normalis.
Cataclysma', das Klystier, s. Clysma.
CatacIyiiimuSj Emhrocatio, das Tropfbad, s. Balneum.
Catag'Uia $ der Knochenbruch , s. Fractura ossiura.
* Catalepsis« Catoche (Catochus), Congclatio, Prehensio, JppreJien-
sio, Stupor vigiUms, Morbus attonütis , Contemplatio , die Katalepsie,
Starrsucht. Ist ein periodisch eintretendes Nervenübel, wo während des
Insults der Kranke diejenige Stellung und Lage beibehält, welche er im
Augenblicke des Anfalls angenommen hatte, ohne sie durch willkürliche Be-
wegungen verändern zu können, und deren pathognomonisches Kennzeichen
die sogenannte wachsartige Biegsamkeit der Glieder (Flexibilitas cerea) ist,
indem sich diese durch äussere Gewalt beugen und strecken lassen , und in
der gegebenen Richtung bis zu Ende des Anfalls verharren. Die Katalepsie
ist eine ziemlich seltene Krankheit , die Tissot niemals , und viele berühmte
Arzte, z.B. v. Vogel, in einer langen und häufigen Praxis verhältnissmässig
selten sahen. Es giebt jedoch mehrere, der hier besprochenen KrankÜeit
«hnliche, krampfhafte Zustände, die das eben erwähnte charakteristische
Merkmal, die wächserne Biegsamkeit der Glieder, nicht zeigen, und deshalb
den Namen Katalepsie nicht verdienen, obgleich sie oft damit belegt wer-
348 CiTALEPSIS \
den. Zn (llesen nicht kataleptischen Zuständen gehören z. B, die Ecstasw,
ferner eine dem Starrkrampf näher verwandte, und deshalb nii;ht hierher
gehörige Krankheit, der Catochus, bei welchem zwar die Glieder die ge-
gebene Stellung einige Augenblicke annehmen, dann aber wieder zu der
früheren zurückkehren. Verf. dieses sah die wahre Katalepsie nur einmal,
und zwar vor etwa 10 — 12 Jahren bei einer hysterischen Person, bei der
sie mit den gewöhnlichen Krampfzufällen einige Zeit hindurch wecliselte.
Später sind ihm zwar ähnliche, jedoch keine wahre Fälle dieser Art vorge-
kommen. Symptome. Zuweilen gehen dem Paroxysmus Zufälle vorher,
die jedoch dieser Krankheit nicht ausschliesslich zukommen, als Sciiwindel,
allgemein gereizter Zustand , oder ^frägheit and Schwere , schmerzhaftes
Gefühl in einzelnen Gliedern , besonders ziehende Schmerzen im Nacken und
in der Magengegend, in einzelnen Fällen eine Art Aura epileptica, die vom
Unterleibe auszugehen scheint. Zuweilen geht eine Abnormität in der psy-
chischen Thätigkeit den Anfällen vorher, z. B. Irrereden, Wahnsinn, Me-
lancholie etc., in andern Fällen sind andere Nervenkrankheiten die Vorbo-
ten, als Veitstanz, Somnambulismus, Epilepsie, Tetanus, Hysterie, Unruhe
in den Gliedern, die zu beständiger Bewegung derselben, zum unaufhörli-
chen Umhergehen etc. auffordert. Beim Anfalle selbst zeigt .sich besonders
die schon erwähnte wächserne Biegsamkeit der Glieder. War der Kranke
im Gehen begriffen, so bleibt er stehen, war er im Begriffe ein Licht an-
zuzünden, zu trinken etc., so bleibt er in der angenommenen Stellung bis
zu Ende des Anfalls ; dabei behält er leichte Gegenstände in den Händen,
schwere, die er gerade in den Händen hielt, lässt er fallen. Das Bewusst-
seyn ist aufgehoben, und wenn es nach beendigtem Paroxysmus nicht nach
und nach , sondern schnell wiederkehrt (meist is.t letzteres der Fall ; s. E p i -
lepsia, Aphor. I, 2. M.), so fahren die Kranken in ihren Reden, selbst
mit abgebrochenen Sylben , da fort, wo sie stehen geblieben sind. Die Em-
pfindlichkeit gegen äussere Einwirkungen , selbst gegen die stärksten Reize,
ist aufgehoben; die Pupille zeigt durchaus keine Beweglichkeit, wenn auch
die grösste Finsterniss und das hellste Sonnenlicht abwechselnd auf sie ein-
wirken ; die Respiration und der Blutumlauf dauern mit geringer oder ga»
keiner Abweichung vom Normalzustande fort (meist beobachtete ich eine
schwache, langsamere Respiration, blasses Gesicht und einen kleinen sehr
langsamen Puls , iVl.) , und die Temperatur des Körpers ist nur bei längerer
Dauer des Anfalls vermindert. Schlucken und Sprechen sind gänzlich ver-
hindert, die Kinnladen fest geschlossen. — So pflegt sich die Krankheit
gewöhnlich darzustellen, jedoch giebt es mancherlei Abweichungen von der
hier dargestellten Form. Der Puls ist zuweilen hart und gespannt oder ge-
gentheils schwach und langsam ; das Gesicht , anfangs stets roth und heiss,
während die Glieder kalt sind, erscheint später bei Einigen blass, geschwol-
len , und drückt bei Anderen ungewöhnliche Heiterkeit aus ; die Empfind-
lichkeit des Körpers ist manchmal nicht völlig aufgehoben , sondern währt
noch theil weise z.B. in den Fingerspitzen, in den Zehen, in der Herzgrube
fort oder befindet sich hier in einer Art von Exaltation, so dass sie, dem
Vorgeben mancher Kranken zufolge, die Sinnesthätigkeiten ersetzt. Auch
letztere, sowie die Geistesfunctionen , sind zuweilen nur auf unvollkommne-
ren Gebrauch beschränkt. — Der einzelne Krankheitsfall kehrt zuweilen
nach regelmässigem Typus zurück; gewöhnlich erscheint er aber bald häu-
figer, selbst zu 8 — 10 Malen des Tages, bald seltener nach Zwischenräu-
men von Tagen oder Wochen. Die Dauer desselben beträgt gewöhnlich
nur wenige Minuten, selten mehr als '/, Stunde, doch sind auch Fälle von
längerer Dauer, von mehreren Stunden, selbst eines Tages imd mehr beob-
achtet worden. Bei der von mir beobachteten Kranken endete der Anfall
allemal mit einer langen Exspiration , wobei die zum Nähen aufgehobene
Hand, der aufgerichtete Kopf, schnell niedersanken und worauf die sich
nunmehr bewusste Kranke über grosses, allgemeines Übelbeftnden klagte;
jedoch keine erheblichen Krankheitserscheinungen weiter darbot. In anderen
Fälleji endet der Paroxysmus mit Seufzen, Gähnen, Recken der Glieder,
CATALEPSIS 34d
Kricbeln und Stechen in diesen , wie nach dem sogenannten Binsclilafen der-
selben, init Redseligkeit, Kollern im Leibe, Knacken in den Gliedern, Er-
brechen etc., und lunterlässt entweder gar keine Unbequemlichkeiten, oder
nur geringe, wie Schläfrigkeit, Stumpfsinn, Reizbarkeit, Aufstossen, Schweiss.,
worauf die Functionen zur Norm zurückkehren. Über das Wesen dieser
seltenen (?3f.) Krankheit sind mancherlei Meinungen aufgestellt worden.
Man hielt den Kataleptischen für ganz unbeseelt , man identificirte das Übel
mit der Ekstase, mit welcher es allerdings, sowie mit Hysterie, Epilepsie
häufig complicirt vorkommt, von denen es sich aber durch die wächserne
Biegsamkeit, die in schweren kataleptischen Anfällen zuweilen das ein:dge
diagnostische Zeichen zwischen dem Übel und dem wirklichen Tode ist, un-
terscheidet. Andere suchten den Grund des Übels in Krampf und Compres-
sion der Nervenursprünge durch überfüllte Blutgefässe etc. (^Boerliaave,
Sauvages, Tissot, ZacMas, Fricdr. Hoff'mann , AcJicrmann, Wnlthcr). Die
Meinung von Uarlcss, nach welcher Überströmung eines galvanischen Flui-
dums aus dem Gehirn in die Nerven stattfinden soll , ist wol am meisten
eur Erklärung der hervorstechenden Symptome des Übels geeignet, und
wenn ich , um mich der Lösung dieses schwierigen Gegenstandes nicht gänz-
lich zu entziehen, meine Meinung hierüber aussprechen darf, so möchte ich
das Wesen der Katalepsie in einer plötzlichen , durch übergrosse Leitbarkeit
(Nervenempfindlichkeit) des Nervenprincips veranlassten Umkehrung des
zwischen Gehirn , Nerv und Muskel obwaltenden , durch die organisch«
Qualität dieser Organe und durch die Natur jenes Princips selbst bedingten
Polaritätsverhältnisses suchen, durch welche der hinsichtlich seiner Poteoa
positive, im Zustande relativer Passivität, leicht erregbarer innerer Beweg-
lichkeit sich befindende Pol des Gefühlsnerven in den activen und durch
äussere Einwirkung zu anderer innerer Activität beweglichen, hinsichtlich
geiner Potenz negativen Pol des Gangliennerven umgeändert und umgekehrt
worden ist; das Gehirn aber ist dabei in seiner normalen, bis zu einem ge-
wissen Grade ausgeführten, zwischen seinen absolutesten Polen und Nerven
stattfindenden Wechselwirkung (Gedanke, Bewusstseyn) unterbrochen und
gänzlich gestöi-t worden. Durch diese, hier nicht weiter auseinanderzu-
setzende, auf ähnliche Art, jedoch oft mit Einseitigkeit zur Erklärung der
letzten Ursachen physiologischer und pathologischer Erscheinungen ausge»
sprochene Annahme glaube ich berechtigt zu seyn : diejenigen Erscheinuiv»
gen, welche wir mit dem Namen Licht, Wärme (die thierische nicht aus-
genommen) , Galvanismus etc. belegen , als modificirte Zustände desselben
Princips zu betrachten, da sie sich, wie mich dünkt, auf eine ungezwungen«
Weise nach den bekannten Gesetzen der Natur erklären lassen, und nur
die leichtfertige Auffindung' unzähliger Naturkräfte die Ursache zu seyn
scheint, weshalb man die Umstände, unter welchen eine allgemein be-
kannte wirkt, genauer zu untersuchen und auf gewisse Gesetze zu reduci-
ren unterlüsst. Betrachtet man das Wesen der Katalepsie auf die ange-
, führte Weise , so scheint der Ausspruch früherer Naturphilosophen , nach
welchen bei dieser Krankheit das Licht in der Bewegung hervortritt, so
mystisch nicht, und jene eminenten Fälle, wo Kranke bei nicht völlig un-
terdrücktem Bewusstseyn mit Theilen des Körpers , z. B. mit der Magen-
gegend etc. zu sehen, riechen, schmecken versicherten, denen glaubwürdige
Beobachtungen zum Grunde liegen, scheinen auf keine andere Weise befrie-
digend erklärt werden zu können. Ursachen der Starrsucht. Prädispo-
sition zu dieser Krankheit besitzen zarte Frauenzimmer, vorzüglich hysteri-
sche oder solche, welche sich in der Periode der Pubertätsentwickelung be-
finden. Wie der Epilepsie , so sind die Juden auch der Katalepsie vorzüg-
lich ausgesetzt. Kinder werden leichter als alte Leute ergriffen , letztere
jedoch nicht ganz von ihr verschont. Gelegenheitsursachen sind alle dieje-
nigen Einflüsse, welche eine übergrosse Empfindlichkeit des Nervensystems
hervorzubringen im Stande sind, als: weichliche Erziehung, sitzende Le-
bensart, Leidenschaften, Zorn, Kummer, Gram, unbefriedigte Sehnsucht,
übermässige Geistesanstrengungen , Ausschweifungen der Phantasie , hoiT-
350 CATALEPSIS
nungslose Liebe , Onanie etc. , ferner Kopfverletzungen , ünterleibskranfc-
heiten , Nervenkrankheiten. Endlicii erscheinen kataleptische Anfälle auch
zuweilen im Verlauf hitziger Fieber. In einigen Fällen sind Unterdrückung
rer Hautausdünstung, der, Menstruation und sonstiger Ab- und Aussonde-
dungen, zurückgetretene Hautausschläge, organische Fehler der Ovarien,
des Uterus, Verhärtungen und Verknöcherungen des Gehirns und seiner
Hüllen die veranlassenden Ursachen. Prognose. In der Regel ist di«
Krankheit ohne Gefahr und nur selten durch hinzutretende Apoplexie tödt-
lich. Jahrelange Dauer der Krankheit kann den Übergang derselben in an-
dere, somatische und psychische Krankheiten zur Folge haben, und die
Vorhersage hängt dann von der nähern Beschaffenheit dieser Krankheitszu-
btände ab. Dasselbe ist der Fall, wenn organische Fehler zum Grunde lie-
gen. — Je mehr sich die Krankheit von dem hier entworfenen Bilde ent-
fernt und sich der Epilepsie, dem Tetanus etc nähert, desto mehr richtet
sich die Vorhersage nach der bei diesen angegebenen. Als blosser Beglei-
ter der Hysterie oder zur Zeit der PubertätsentwickeluJig hat die Krank-
heit,, wie bereits gesagt, geringe Bedeutung, so wie sie auch ausserdem
häutig ohne alle ärztliche Hülfe verschwindet. (Man nehme sie indessen ja
nicht zu leicht, da sie häufig nach meinen Erfahrungen der Vorbote einer
sehr hartnäckigen Epilepsie ist. 3f.). Cur. Während des Anfalls, um die-
sen abzukürzen, dienen krampfstillende Klystiere aus Valeriana, Fl. chamo-
millae, A^a foetida, Senfteige an die Füsse, bei anhaltender Dauer des
Anfalls Vesicatorien, warme aromatische Umschläge auf den Unterleib, aro-
matische Fuss- und ganze Bäder, Elektricität und Galvanismus. Sind ge-
fohrdrohende Congestionen zugegen, so sind, um Apoplexie zu verhüten,
allgemeine und örtliche Blutausleerungen nicht zu unterlassen. Zu ersterea
»vird von Einigen die Jugular - und Frontalvene oder die Temporalarteri«
Zu öffnen empfohlen. Ist das Schlucken nicht völlig verhindert, so dienen
bei rein nervösem Zustande oder nachdem die Congestionen beseitigt worden
sind, leicht erregende Mittel, z.B. kleine Gaben Tinct. valer. anodyna mit
Liq. c. c. succ. und Tinct. castorei. Infus, melissae, valerianae etc. Ist
der Anfall vorüber und befürchtet man die Wiederkehr eines zweiten , so
•wird dieser am besten durch ein kräftiges Vomitiv aus Tart. emeticus ver-
hütet (^Behrenils). Man sey aber mit der Anwendung dieser und ähnlicher
Arzneien nicht zu geschäftig, da sie oft keinen Nutzen, sondern nur Nacb-
theil stiften , und der Anfall ohne sie oft früher vorübergeht. — Die besänf-
tigende Wirkungen, welche die Berührung der Kranken mit verschiedenen
Metallen, Eisen, Kohle etc. zuweilen gehabt haben soll, wozu von Saclise
besondere Eisenstäbe, mit Handgriffen versehen, empfohlen wurden, hat
sich in anderen Fällen nicht bestätigt, und in noch anderen zeigte sich je-
der kalte , gut wärmeleitende Körper eben so wirksam. Anspritzungen mit
kaltem Wasser scheinen nach mehreren Beobachtungen dasselbe zu leisten.
Die Radicalcur ist die der Nervenkrankheiten überhaupt und muss zuerst
auf die etwa zum Grunde liegenden Krankheitszustände gerichtet seyiu
Tritt das Übel in Folge der Hysterie auf, sind Würmer, Anomalien der
Menstruation, Rheumatismen, metastatische Ablagerungen die Ursache, so
muss sie nach den bei diesen Krankheitszuständen angegebenen Kunstregeln
behandelt werden. Wenn nach Beseitigung derselben die Starrsucht den-
noch fortdauert, oder wenn sie gleich anfangs als reines Nervenübel auf-
tritt, so sind Nersina, Antispasmodica , Antihysterica angezeigt. In einem
mit Hysterie complicirten Falle zeigten sich mir folgende gleichzeitig ajUge-
wandte Zusammensetzungen heilsam, indem von Nr. 1 zweistündlich 1 E»s-
löffel voll , von Nr. 2 einmal täglich ein Pulver genommen wurde. Nr. 1 :
I^ Asne fociid. 5jlv ? VitcU. ov. q. s. , Aq. valerianae, — /?. chamom. ana
gjjj, solv. adde Liq. c. c. succ. 5j » Si/r. cinnam. ^j. M. Nr. 2: I^ Flor,
zinci gr. xv, Castor. sih. 5lv , Piilu. rnd. valer. ^iv, Ol. aiiim. Dipp. gtt. x.
M. f. pulv. divido in vjjj p. aeij. Ausser diesen Mitteln sind empfohlen
worden: Galbanum, Moschus, Cupr. ammoniacale, Hyoscyamus, Belladonna,
Stramoniura , Acid. hydroc. veget. , Flor, ziaci , Kampher , seltener Opium.
CATALEPSIS 351
' Bie besonderen Ihdicalioneh zu diesen Mitteln giebt die Verschiedenheit der
Ursachen, der Constitution etc. näher an (s. Spasmus). (Eine drei Jahre
dauernde Katalepsie, entstanden durch Menstruationsbeschwerden und Trauer
bei, einem jungen Mädchen trotzte dem Cupr. ammon. , Ol. animal. Dippelii,
den Floi-es zinci etc. Wegen Cougestion zuiti Kopfe wurden kleine Dosen
Tart. emet. mit Terschiedewen Laxanzen : Extr. aloes , Sal Glauben , anhal-
tend gebraucht und dadurch radicale Hülfe verschafft ^s. Dürr in HufelantTg
Journal, 1828, März, S. S9 — 80). Überhaupt leisten alle auf den Darm-
canal wirkende, Cougestion ableitende, das Gangliensystem irritirende Mit-
tel nach meinen Erfahrungen bei der Starrsucht um so mehr herrlichd
Dienste, je mehr sie mit Obstructio alvi verbunden ist. (Most). Löbciistein"
Löhel (s. Ricliter's Spec. Therap.) rühmt folgende Mischung: ^ Phosphori
gr. IV, Nnphih. vitr. 5tv, solve, tidde OU menthac, — valerian., — cnjeputi
ana ^j. M. , wovon höchstens 2 Tropfen auf Zucker und abwechselnd da-
zwischen Moschus gereicht werden. Eine Hauptrücksicht verdient auch
hier, wie bei allen Nervenkrankheiten, eine gehörige Lebensweise. Mas-
sige, tägliche Bewegung im Freien, leicht verdauliche, nahrhafte Diät, sorg-
fältige Vermeidung des schnellen Temperaturwechsels, aller Gemüthsaffecte,
überhaupt strenge geistige und körperliche Enthaltsamkeit sind unerlässliche
Bedingungen. Ferner sind zur Umänderung der krankhaften Diathese die
Bäder und Brunnen zu Pyrmont und laue alkalische Seifen-, auch Seebäder
8«hr wirksame Mittel. Das Driburger Wasser soll sich mehrmals nützlich
bewiesen haben. Zuweilen sah man die Krankheit als verlarvtes Wechsel
fieber auftreten. Auf den Darmcanal ableitende Mittel leisteten in diesem
Falle, sowie überhaupt wenn das Übel rein nervös ist, gar nichts, sondern
ein so behandelter Fall wurde tödtlich. Starbe Gaben Chinin führten Ge-
Mesung henbei. — Ein interessanter Fall, wo bei einer angeblich Katalepti*
sehen der Magnetismus auffallende Wirkungen hervorbrachte, der aber dem
Anschein nach keine reine Katalepsie war, wurde 1832 in Bologna von
tJnrrini Visconti und Mazzaroti beobachtet und beschrieben. Die Kranke
soll nach ihrer Wiedergenesung ihren Ärzten die Mittel kennen gelehrt ha-
ben, vermittels derer, bei den meisten Kranken ähhliche, kalaleptische (^-S.)
Zustände hervorgebracht werden können (s. Med. Zeit, des Ausl. v. Kalisch^
18:33, Nr. 16). Als Arten der Starrsucht nimmt man noch an;
Catalepsis hijsterica. Sie ist diejenige Art der Starrsucht, bei welcher
man die sogenannte hysterische Constitution , itäralich eine erhöhte oder doch
alienirtc Nervenempfindlichkeit hervorstechend beobachtet; s. Hysteria.
Catalef)sis t)arrula seu locfuax. Mit diesem Namen hat man diejenige
Art der Katalepsie belegt, bei welcher der starrsüclitige Zustand mit gros-
j>er Geschwätzigkeit , Singen , Pfeifen , Predigen , Hersagen langer Reime,
sogar mit Herumlaufen und Umherspringen abwechselt (s. v. Bihra im Journ.
von und für Deutschland, Th. I. St. 10, S. 225, Th. II. St. 4, S, 331.
Saumpes Nosol. T. II. p. 2. p. 418. Richter's Spec. Therap., Art. Ca-
talepsis).
Cntuhpsis spima. So hat man wol den Zustand genannt, welcher als
Schlafwachen nach der Anwendung des thierischen Magnetismus entsteht.
Andere nennen so die gemischte Starrsucht, wobei Krämpfe stattfinden lukl
das Bewusstseyn nicht ganz erloschen ist. Joh. Schröder.
Nachschrift des Herausgebers. Die Katalepsie ist eine so in-
teressante Krankheit, dass ich der vorstehenden Abhandlung meines verehr-
ten CoUegcn, des Hrn. Dr. Schröder, noch folgende Bemerkungen anhänge.
i) Die oben aufgestellte Theorie über das Wesen des Übels ist allerdings
sehr scharfsinnig zu nennen, sie hat aber den Fehler, dass sie zu allgemein
hingestellt worden ist und demnach auf mehrere Nervenübel passt. Selbst
die Erscheinungen des Mesmerismus lassen sich dadurch erklären. Allerdings
hat dieser grosse Ähnlichkeit mit der Starrsucht und verdient deshalb Ca-
talepsis spuria genannt zu werden; sowie ich auch überzeugt bin, dass wir
das Wesen des thierischen Magnetismus leichter erklären könnten, wäre
utjs <Jas Wesen der Katalepsie näher bekannt» Folgende Beobachtung mag
352 qiTALEPSIS
bder dnen Platz finden, um zu beweisen, wie leicht eino kataleptiächo Pc*^
80U soinnambul werden kann. Ein junges sensibles, schwächliches B^rauen^
zimmer von 24 Jahren litt seit ihrem achten Jahre an Katalepsie, welche u%
der Regel zur Zeit des Mondwechsels am häufigsten war. Die Anfalle ka-
men alsdann des Tages wol 20 — SOmal , dauerten höchstens V4 — % Minute
und wurden daher in den ersten Jahren von den Angehörigen fast gans
übersehen. Erst später, als sich im sechzehnten Jahre die wahre Epilepsia
bei der Kranken ausbildete, bemerkte ich die Complication mit der Kata-
lepsie, und erst durch mein Nachfragen wurden auf letztere die Angehörigen
aufmerksam gemacht. Da zwischen den epileptischen und kataleptischen An-
fällen ein Wechselverhältniss stattfand, so dass erstere seltener erschienen,
sowie letztere häufiger waren, und umgekehrt, so brachte ich es durch
meine Kunsthülfe dahin , dass die Epilepsie zuletzt ganz wegblieb , die Ka-
talepsie dagegen öfter erschien und die Dauer des einzelnen Anfalls wol
1 — 2 MLiuten betrug. Da ich häufig während der letztern zugegen war,
80 bemerkte ich, dass, wenn ich zufallig im Paroxysmo den Puls unter-
suchte, der Anfall, der sonst jedesmal plötzlich wie mit einem elektrischea
Schlage aufhörte, nun mit Schlaf endete. Ich dachte an magnetische Ein-
wirkung, legte daher meine Hand in die Herzgrube der Patientin , verweilt«
hier ein paar Minuten und fand mit grossem Erstaunen, dass die Kranke
völlig somnambul war, dass ich mich mit ihr unterhalten und sie mir mit
verschlossenen Augen Dinge (Schlüssel, Bücher, Bilder etc.), die ich ia
meiner Tasche hatte, ohne dass sie diese vorher gesehen oder nur im ge-
ringsten davon gewusst, sobald ich diese Dinge mit meiner andern in der
Tasche befindlichen Hand berührte , aufs genaueste nennen konnte. An Be-
trug war hier gar nicht zu denken , indem ich sehr vorsichtig war ; auch
hatte sie in ihrem Leben nie etwas vom thierischen Magnetismus gehört
oder gelesen. Ein einfacher Strich mit der Hand , von der Herzgrube nach
dem Kopfe zu, erweckte sie plötzlich aus ihrem Schlafzustande. Diesea
Versuch habe ich gewiss über hundertmal mit dieser Kranken gemacht , und
er ist mir jedesmal gelungen. Ich hatte keine Lust, dieselbe in höher«
magnetische Zustände zu bringen; es war mir genug, den kataleptischen
Anfall dadurch abzukürzen. Die Kranke, die sich jetzt ziemlich wohl be-
findet, weiss es durchaus nicht, dass ich jemals mit ihr im magnetischen
Rapport gestanden habe. 2) Die Starrsucht ist keine so seltene Krankheit,
wie man gewöhnlich annimmt. Der Grund dieser Annahme beruhet darauf^
dass man selten von ihr hört, weil der Kranke sie Jahre lang haben kann,
ohne davon zu wissen, und sie selbst fremder Wahrnehmung häufig entgeht,
indem der Anfall so kurze Zeit dauert und es oft nur scheint , als wenn der
Kranke in tiefen Gedanken sässe. S) Höchst selten ist das Übel idiopa-
tlüsch, meist nur Symptom eines eingewurzelten Fehlers des Gehirns, des
Rückenmarks etc. , oft allein ein Leiden des grossen sympathischen Nerven
(^Qeorget), sowie denn auch Onanislen leicht kataleptisch werden. Ich habe
die Starrsucht nie rein , stets als Complication der Epilep.^e beobachtet (s.
Epilepsia). 4) Eine Abart der Starrsucht ist die, welche man Catochus
nennt. Hier verharrt der Kranke zwar in derjenigen Stellung , in welcher
ihn der Anfall betrifft, aber es fehlt die Flexibilitas cerea. Häufig ist die
Epilepsie mit dieser Art der Katalepsie verbunden. 5) Die Prognose der
Starrsucht ist nicht so günstig , als man wol angenommen hat , da sie in
den meisten Fällen nur Symptom eines tiefer liegenden Übels ist. , 6) Man
kann, vsie bei der Epilepsie, eine Catalepsis perfecta und imperfecta anneh-
men; bei letzterer (wohin auch die Cat. garrula gehören mag, wenn sie
keine Complication mit Chorea ist) ist das ßewusstseyn und die Empfind-
lichkeit der Sinnesorgane nicht ganz unterdrückt. 7) In seltenen Fällen
hat man auch eine partielle Starrsucht beobachtet , die nur einzelne Glied-
massen oder die eine Körperhälfte befällt (van Swieten, de la Metherie, We-
üci-). 8) Folgen auf Katalepsie paralytische Zufälle, die bald nur transito-
risch, bald anhaltend sind, z. B. Schwerhörigkeit, Mangel an Geruch, Schwä-
che der Augen, Schielen etc., so ist das Übel fast immer, unheilbar (M.).
CATALOTICA — CATAPI^SMA 353
Aiie Mktel, welche in der Epilepsie bis jetzt noch das Meiste geleistet ha-
ben , sind auch die besten Anticataleptica« 9) Ein höchst wirksames Mittel,
-den Kataleptischen die im Anfalle oft stattfindenden innern und äussern
Krämpfe zu mindern, den Anfall selbst abzukürzen und so endlich radical
zu heilen, ist das Berühren und Bestreichen des Halses, der Glieder, der
Herzgrube mit metallischem Eisen (Vergl. Pfaff' n. Weber '\a MecTtcVs Archiv
für Physiologie, Bd. III. Hft. 2. S. 165. Sachse in Honis Archiv 1829.
März u. April S. 249 — 273). Besonders merkwürdig ist die Beobachtung
des Hrn. Med.-Raths Sachse, betreffend ein kataleptisches junges Frauen-
zimmer, welches durch das Bestreichen mit metallischem Eisen im Sommer
1828 unter dem günstigsten Erfolge in Dobberan behandelt wurde, und
worauf oft Schlaf folgte. Versuche mit Gold und Silber waren nicht »o
kräftig. Am kräftigsten möchte hier wol der künstliche Magnet wirken,
^ Catalotica (remedia'), zermalmende Mittel. So nannten ältere
Arzte diejenigen Mittel, welche zur Zerstörung, zur Vernichtung, zur Ver-
besserung alter, schlechter, entstellender, dicker Narben dienen, z. B. Lap.
causticus, — infernalis, Adstringentia, Bleimittel, Unguent. praecipit. alb. —
Nach Sundelin und andern Neuern soll der Chlorkalk bei Wunden und Ge-
schwüren, als Verbandmittel angewendet, eine gute Narbenbildung bewirken.
Catapbora, der tiefe Schlaf. Einige verstehen darunter den
niedern, Andere den höhern Grad des Carus. Schindler nennt so die idio-
pathische chronische Schlafsucht; s. Carus.
Cataphora magnetica , der magnetische Schlaf, 8. Magnetismus ani-
malis und Somnambulismus.
Cataplasma, der Breiumschlag. Er hat die Consistenz eines
weichen Pflasters und wird gewöhnlich bei äusserlichen Schäden : Absces-
sen etc. gebraucht, entweder um zu erweichen, oder um zu reizen, oder
um Schmerzen zu lindern ( Cataplasmata emollientia, irritantia, anodyna),
indem er warm auf den leidenden Theil gelegt wird. Ein Catapl. emoUiens
besteht aus Spec. emoUient. , mit Hafergrütze, Wasser und Milch gekocht^'
zu einem Catapl. irritans nimmt man Zwiebeln, Sauerteig, Senf, Leinsa-
men etc. ; ein schmerzlinderndes Cataplasma besteht aus Herb, cicutae, bel-
ladonnae, hyoscyami, mit Hafergrütze, Brotkrumen und Milch bereitet.
In den meisten Fällen ists am besten , wenn man die Breiumschläge nicht
unmittelbar auf den leidenden TheU legt, sondern sie vorher von allen Sei-
ten mit Leinwand umgiebt. Sie dürfen nur so heiss applicirt werden, dass
der Gesunde keinen brennenden Schmerz empfindet, wenn sie an das ge-
schlossene Auge gehalten werden. Ihr Umfang muss stets so gross seyn,
dass sie ausser dem leidenden Theile, der Eitergeschwulst etc. auch noch
die nächsten gesunden Theile bedecken; auch darf die Consistenz derselben
weder zu fest, noch zu flüssig seyn. Man kann in der Regel den erkalte-
ten Umschlag mehreremal durch neue Erwärmung anwenden. Für specielle
Fälle wenden wir an: 1) Cataplasma aceti. Gekochte Kartoffeln oder Brot-
krumen , mit hinreichendem Essig versetzt , finden kalt ihre Anwendung bei
Gelenkquetschungen, warm bei Sugillationen, Wasserergiessungen etc. Ge-
gen nervös- congestive Cephalalgie rühmt man einen Umschlag aus Brotkru-
men, Wacholderbeeren und Essig, auf Stirn und Schläfe gelegt. 2) Cata-
plasma Acetosae. Es wird aus den frischen zerstampften Blättern der Ru-
mex -Arten, von Rumex Acetosa und Acetosella bereitet; Anwendung, wie
bei Nr. 1. 3) Cataplasma acre. Der scharfe Breiumschlag nützt zur Zer-
theilung oder Zeitigung träger, torpider Abscesse, Absc. lymphat. , Bubo
inguinal, chronic, Bubo axillaris, z. B. die Kerndl'schen Umschläge (s. Ab-
scessus). Bei schmerzhaften, heftig entzündeten Drüsen passen sie nicht.
Warmer Umschläge, mit Senf, Zwiebeln, Ingwer, Pfeffer etc. geschärft, be-
dient man sich oft auch als revulsorisches , derivatorisches Mittel, wie die
Epispastica , um von innern Theilen abzuleiten. 4) Cataplasma adslringens,
C. tonicum, s. rolorans. Besteht aus Pulv. cort. quercus, Salicis,^ chinae,
rad. bistortae, Tormentillae , herb, Trifolii, flor. Rosar. rubrar. , mit Wein,
Wasser, Essig übergössen, zuweilen auch mit Zusatz von Alaun, Sacch.
Most Encjklopädie. 2te Aufl. I. 23
354 CATAPLEXI3
satiumi. Anwendung: Bei Krankheiten aus örtlicher Schwäche und Laxi-
tät, bei Schlaffheit der Grelenkbänder , Varicositäten, atonischen Blutungen,
Gangrän etc. 5) Cntaplasma aereum s. ncidi carhonici. Es wird dieser
Umschlag aus gährenden , Kohlensäure entwickelnden Substanzen bereitet.
Man nimmt Weizenmehl und Bieroberhefe zu gleichen Theilen, setzt die
Masse einer Temperatur von 18 — 20^ R. aus, und wendet den Umschläge
nachdem die Gährung eingetreten , an. Man kann auch Mehl und Weiiv*
hefe , in Gährung gesetzten Karottenbrei nehmen. Ihr Nutzen bei set^
schmerzhaften carciiiomatösen, bei fauligen, unreinen, brandigen Geschwü-
ren, ist bekannt. 6) Cntaplasma aluminis. Es wird Firniss mit einem
Stücke Alaun so lange geschlagen, bis ein Gelee daraus entsteht. Man
■wendet diesen Umschlag bei gewissen Augenentzündungen, bei Frostbeulen,
bei Varices etc. an. 7) Cntaplasma carbonis. Gepulverte Holzkohle mit
einem Zusatz von Leinsamen mehl wird mit irgend einer Flüssigkeit zur Brei~
consistenz zusammengemischt, und gegen Gangrän, unreine faulige Ge-
6ch\vüre, Carcinora, gegen Flechten, Kopfgrind etc. mit Nutzen angewandt.
8) Caiaplnsma cictitne. Das frische Kraut von Cicuta virosa, Conium ma-
culatum wird gequetscht oder mit Wasser und Leinsamenmehl zu Brei ge-
kocht und gegen hartnäckige schmerzhafte Hautausschläge, bei krebshaften
und scrophulösen Geschv\üren angewandt. 9) Cntnplnsma dnuci. Die ge-
schabten Wurzeln von Daucus Carota werden in einem Tiegel gelind ge-
braten und über den leidenden Theil gelegt. Es nützt dieser Umschlag bei
kxebshaften, fauligen Geschwüren, besonders schön bekommt er bei offenem
Brustkrebs zur Linderung der Schmerzen. • 10) Cntaplasma digitalis. Ein
Infus, oder Decoct. herbae digitalis wird mit Spec. ad Cataplasmata zum
Breie gemacht und in Fällen, wie bei Catapl. cicutae angewandt. 11) Ca~
taplasma emolUeiis. Die Spec. eraoUient. Ph. Boruss. rührt man mit kochen-
dem Wasser zu einem Brei an, oder man nimmt Brot, Semmel, Hafergrütze,
in Milch gekocht. Für Arme kann man den in Milch gekochten Kartoffel-
brei nehmen, der, nach Pitschaft, eben so wirksam zur Zeitigung der Ab-
scesse, zur Linderung localer Schmerzen etc. ist. Soll das Catapl. emoUiens
recht wirksam seyn, das heisst länger, als andere Substanzen die Wärme
anhalten , so ist dazu der Reisbrei am besten , weil dieser nur sehr langsam
erkaltet (Most). 12) Catnplasma fermenti panis. Der Sauerteig wird , wie
das Cataplasma aceti, cuigewandt, dem er in der Wirkung ähnlich ist.
13) Cataplasma muriatis sodne. Man nimmt gleiche Theile Pulv. sem. lini
iHid Mic. panis, und kocht sie in einer starken Kochsalzauflösung zum Brei.>
Wird gegen scrophulöse Geschwüre und Drüsenverhärtungen gerühmt. Mit
Zusatz von Acetum squillit. passt es bei Hydrocele der Kinder. 14) Cata-
plasma plumbicum, s. saturninum. Wird aus Brotkrumen und Aqua Goulardi
durch kurzes Aufsieden bereitet, und passt in allen Fällen , wo die dauernde
Einwirkung des Bleies indicirt ist. 15) Cataplasma qtiercits marinae. Man
quetscht frischen Seetang, zumal Fucus vesiculosus, und wendet den Um-
schlag gegen Tumor albus, kalte Geschwülste, scrophulöse Drüsen etc. an.
In Ermangelung der frischen Pflanze kann man dafür einen Brei aus Hafer-
mehl und Seewasser nehmen (Hnnter). 16) Cataplasma sopieiis, s. ««rcofi-
eum. Wird aus frischer Herba cicutae, Belladonnae, Hyoscyami, Capit.
paparer. bereitet. Wenig wirksam sind die Spec. emollient. mit Zusatz von
den Extracten der genannten Narcotica oder des Opiums, die man in Er-
mangelung der frischen Kräuter ninunt. Ihr Nutzen bei schmerzhaften äus-
sern Entzündungsgeschwülsten und bei entzündlich - krampfhaften Aifectionen
innerer Theile ist bekannt. 17) Cntaplasma stimiUans, s. crcitans. Hierzu
nimmt man Flor, charaomillae, Herba menthae, melissae, Serpylli , Roris-
marini; mit Mehl zum Breie gemischt, und heisses Wasser, Wein, Essig zu-
gesetzt. Es passen diese Umschläge sowol bei örtlichen als allgemeinen
Leiden, wo ein gelinder Reiz erforderlich ist.
Cataplexis, Stumpfwerden der Zähne in Folge von Säuren etc.
Dagegen nützen fy Sal tartari dep. 3j» Aq. fontan. fijjv- S. Zum Ausspülen
des Mundes. S. auch Haemodia.
CATARACTA 355
* Cataracta» Jfifjjochymn, Suffusio oculi, tli^chysisy Gutin ojtacay
der graue Staar. Hierunter versteht man jede Störung des Sehvermö-
gens, erzeugt durch Trübung des Linsensystems (d. h. der Linse, ihrer
Kapsel und des Liquor Morgagni), welche entweder in einem Theiie, oder
Jn mehreren Gebilden desselben zugleich ihren Sitz haben kann. Symptome
im Allgemeinen. Zu Anfange des sich ausbildenden Übels erscheinen dem
Kranken alle Gegenstände in Nebel gehüllt, schmuzig und staubig 5 er sieht
Kerzentlammen wie von einem regenbogenartigen Scheine umgeben, obgleich
hinter der Pupille kaum eine Trübung zu bemerken ist. Bei der weitern
Ausbildung des Staars wird im Verhältnisse zur Abnahme des Gesichts diese
bald grau, bald gelblich gefärbte Trübung immer sichtbarer, und am Rande
der Pupille zeigt sich eiu schwärzlicher Ring, der sogenannte Schlagschat-
ten. Begann der Staar, wie in den meisten Fällen, im Mittelpunkte der
Linse, so erkennt der Leidende die ihm gegenüberstehenden Objecte nur zur
Seite hin ; daher es denn auch kommt , dass dergleichen Kranke bei trübem
Himmel, im Halbdunkel, in der Abenddämmerung, oder im Schatten, z. B.
den Rücken gegen das Fenster gekehrt, während der vorgehaltene Körper
selbst vom Lichte beleuchtet und erhellt wird, also bei erweiterter Pupille,
besser sehen können als am hellen Tage, wo die Pupille mehr contrahirt ist.
Sobald aber die KrystalUinse völlig getrübt und der Staar ausgebildet ist,
sieht der Kranke bei heller Erleuchtung noch etwas besser, als in der Däm-
merung, indem das helle Licht immer noch einigermassen durch die getrübte
Linse bis zur Netzhaut dringt. Er kann somit Nacht und Tag noch recht
gut unterscheiden, und die Sonne erscheint ihm wie ein rother Fleck, was
bei ausgebildeter Amaurose nicht der Fall ist. Ursachen im Allgemeinen
sind vorzüglich das höhere Alter, Mangel an Ernährung (Marasmus), feine
und anhaltend die Augen anstrengende Arbeiten, heftige Anstrengung der
Augen bei starkem Lichtreize, chronische und mechanische Einwirkungen,
übermässiger Genuss geistiger Getränke, Congestionen zum Kopfe, nüasma'-
tische und kachektische Dyskrasien : Syphilis, Gicht etc. , Entzündungen der
Augen und deren Folgen , Exsudationen, unterdrückte Blutungen , besonders
Hämorrhoidal - und Menstrualfluss, chronische Exantheme. Öfters ist der
Staar auch erblich oder angeboren, wovon unter Andern Wardroj) u. Adams
Fälle aufgezeichnet haben; in einigen, namentlich feuchten, sumpfigen, ge-
birgigen Gegenden erscheint er auch endemisch (s. unten). Eintheiiung
des grauen Staars. L Nach dem Theiie des Linsensystems, welcher
getrübt erscheint, giebt es folgende Arten von Cataracta: 1) Cntatncta len^
ticularis s. crystnllina, der Linsenstaar. Er beginnt im Mittelpunkte der
Linse mit einer gelblich - grauen Farbe , die sich nach dem Rande au ver-
mischt', der Schlagschatten ist ziemlich brät, und die Lris expandirt und
contrahirt sich wie gewöhnlich. Dieser Staar ist fast immer bedeutend von
der Cornea entfernt und zeigt niemals in der Trübung hellweisse wolkige
Flocken. Reine Linsenstaare findet man am häufigsten bei altern Personen.
Sie sind von harter Beschaffenheit (Cataracta dura) und geringem Umfange ;
daher diese Staarkranken noch am besten sehen. 2) Cntnrncta capsularig
s. membrnnacca , der Kapselstaar. Hier ist nur die Kapsel getrübt , die
Linse aber ganz durchsichtig. Dieser Staar bildet sich selten von der Mitte
der Pupille aus, sondern meist von der Peripherie her, untf zwar in unbe-
stimmter Form, bald als weisse Punkte oder Streifen, bald als Flecke. Er
ist immer sehr hell gefärbt, aber niemals gleichmässig gesättigt, besteht nie
lange für sich allein , sondern geht gewöhnlich bald in den Kapsel - Linsen-
staar über, und ist überhaupt so selten, dass Beer ihn unter 9000 Staaren
nur einige Mal, Mursinna ihn unter SOO Staaren nur dreimal gesehen haben
will. Von der Cataracta capsularis giebt es drei Unterarten : a) der vor-
dere Kapselstaar, Cat. capsularis anterior. Hier ist blos die vordere Kap-
sel verdunkelt. Als Nebenunterart desselben kann man noch den dendriten-
artigen, bäumchenförniigen Staar (Catar. dendritico - arborescens nach Rich-
ter, s. dess. Chinurgie Bd. HL S. 174), und den Aderhautstaar (Catar.
chorioidalis) betrachten; b) der hintere Kapselstaar, Catar. capsularis po-
23*
356 .CATARACTA
steriori wenn blös die hintere Linsenkapsel verdunkelt tst; c) der voll-
kommne Kapselstaar, Catar. capsularis perfecta, der mit dem vordem Kap-
selstaar übereinstimmt. 3) Catar acta Morgagniana, der Morgagnische Staar,
auch Hydrops lentis crystallinae genannt, besteht in einer vorzüglich durch
chemische Einflüsse ( concentrirte Säuren ) verursachten, marmorirten Trü-
bung des Liquor Morgagni. Er kommt selten vor, und meist ist die vor-
dere Linsenkapsel und die Linse mit verdunkelt. Dieser Staar ist gross,
und daher das Sehvermögen fast gänzlich aufgehoben. Er ist schwer von
der Cat. lactea zu unterscheiden, doch nicht so kugelig als diese. Metasta-
sen des Weichselzopfs (Lafontaine) und heftige Ophthalmia gonorrhoica sol-
len ihn oft zur Folge haben (Himly), 4) Cataracta capsulo ~ lenticularis.
Beim Kapsel - Linsenstaar ist die Trübung ungleichmässig, zum Theil kreide-
weiss, zum Theil perlmutterärtig, an einigen' Stellen heller, an andern dunk*
1er gefärbt; er liegt ganz dicht und fest an der Traubenhaut; daher der
RaUm zwischen der Linse und- Iris kaum bemerkbar , der Schlagschatten
ganz unbedeutend und die Lichtempfindung des Kranken sehr undeutlich ist.
Die Pupille erscheint hier rund und die Iris fast unbeweglich. Bei dieser
am häufigsten vorkömmenden Staarart ist gewohnlich nur die vordere Lin-
senkapsei verdunkelt, selten die hintere, wais indessen erst nach der Opera-
.tion erkannt wird. Nach zufälligen Erscheinungen hat man noch folgende
-Unterarten des Kapsel -Linsenstaars statuirt: a) Cat. capsulo - lenticularis
marmoracea , : fenestrata , stellata, centralis. Die Trübung hat hier das An-
sehn, als bilde sie einen Stern, ist in der Mitte am stärksten, in der Peri-
pherie unbedeutend, der Kranke sieht zwar noch, nur erscheint ihm in der
Mitte der Gegenstände überall ein dunkler Fleck. Diese Form kommt häu-
fig bei jungen Leuten vor und bleibt lange unverändert, b) Cat. capsulo-
lenticularis punctata, djmidiata, pyramidata, ist vorzüglich arthritischen Ur-
sprungs, folgt fast immer auf. heftige Augenentzündung; die Pupille ist hier
^ckig, die Iris unbeweglich ,. die Farbe des Staars weiss, glänzend, kegel-
förmig, die Lichtempflndung ist dabei höchst schwach, oder mangelt gänz-
lich, c) Cat. capsulo - lenticularis cystica. Sieht schneeweiss aus, liegt der
Iris bald näher, bald entfernter, je nachdem der Kopf vorwärts oder rück-
•**ärts g€bogen wird. Manchmal erscheint diese Fonn als Zitterstaar (Cat.
tcemula) oder selbst schwimmend (Cat. natatilis). Als Ursache kann mau
heftige Erschütterungen .bei geschwächten Augen ansehen, wo sich zuweilen
die Linse mit der Kapsel vom Glaskörper losreisst , kataraktös wird und in
dem Humor aqueus der hintern Augenkammer schwimmt. AUmälig senkt sie
sich etwas durch ihre Schwere, die Pupille wird oben schwarz, der Kranke
sieht nur den obern Theil der Gegenstände. Zuweilen senkt sie sich so-
.weit, dass.die Pupille ganz frei wird und eine natürliche Depression erfolgt,
(d) Cat. Caps. ■- lent.i cum bursa ichorem continente. Hier befindet sich an
der hintern Kapsel wand ein kleiner, mit Eiter gefüllter Sack, den Adam
jSchtnidl zuerst beobachtet hat. Diese Form kommt nur als Folge von Dys->
krasien..M0Vi. sieht dünkelcitronengelb aus und ist sehr gross an Umfangt»;
Kachektischet Habitus, träge. Iris, geringe Wölbung derselben und der Man-
gel der hintern Augenkammer dienen zur Diagnose, e) Cat. caps. -lent. arida,
siliquata nach Schmidt, der trockenhülsige Kapsel -Linsenstaar. Kommt am
häu.figsteui bei Kindern vor, die viel an Krämpfen gelitten, wodurch die Lin-
«enkapäoliWim -Theil von ihren Verbindungen getrennt und daher die Linse
.laicht gehörig ernährt wird und somit vertrocknet und zusammenschrumpft.
GeringjerlUjnfajig und hellgraue, glänzende, gelblich - weissliche Farbe des
^taars-i freie Bewegung der Iris und ein völlig aufgehobenes Sehvermögen
ßind, Kennzeichen dieser Staarart, die bei Erwachsenen oft durch mechani-
sche Yeilptzungen entsteht, hier das Sehvermögen oft ganz aufhebt und so
spröde ist, dass die Linse beim Berühren mit der Staarnadel wie Glas zer-
springt. , f) Cat. caps. -lent. viridis. Der grüne Kapsel - Linsenstaar ist sel-
J^n;;. er .zeichnet sich durch eine grüne Farbe, die besonders Beer beobach-
.tpt, hat, aus., muss aber nicht mit der Cat. glaucomatosa verwechselt wer-
den. d{» er ohne Complication mit Glaucora existiren kann, eben •wie die
CATARACTA 357
Oat. glaucomatosa, die oft fälschlich viridis genänftt worden Ut. Sitzt die
kataraktöse Linse im Humor aqueus der vordem Augenkainmer , so nennt
man es Cat. in camera anteriore; erscheint der Staar gelblich und ist er
compliclrt mit einem auf der vordem Linsenkapselwand befindlichen Exsu-
date , so nennt man es Cat. puriformis. 11. Nach den Ursachen theilen wir
den Staar in Cat. idiopathica.undi sympatliica. Ersteren benennt man nach
den Ursachen , z. B. Cat. senilis , traumatica etc. , letztern nach den ver-
schiedenen Dyskrasien, X. Bv.Oat. arthritica, syphilitica etc. III. Nach der
Verbindung in Cat. simplejo und complicata. Bei ersterer Art besteht die
Störung des Sehvermögens allein, in der Trübung des Linsensystems, bei
letzterer sind ausser der Trübung desselben noch andere Augenfehler vor-
handen. Die häufigsten CompUcationen sind Amaurose, Glaukom, Verwach-
sung, Trübung der Corliea, Staphyloma sclerot., corporis ciliaris, Prolapsus
iridis in die vordere Augenka«a)mer (s. davon unten). IV. Nach der härtern
oder weichern Beschaffenheit unterscheiden wir 1) Cat. lactea, der Milch-
staar. Hier ist die Linse ganz aufgelöst, so flüssig wie Milch, zuWeilen
existirt aber noch ein fester Körn darin. Dieser Staar ist häufig eine Cat.
adnata, hat viel Ähnliches mit der Cat. caseosa, doch ist er kugeliger und
nie so gross als letzterer; er drängt sich mehr in die Pupille, sieht auch
mehr bläulich - weiss, der käsnge Staar dagegen mehr marmorirt aus. Letz-
terer verändert seinen Sitz nicht , wol aber der Milchstaar. 2) Cat. caseosa,
der käsige Staar, wovon, die Cat. gelatinosa eine Spielart ist. Symptome
desselben sind : grosse und kugelige Linse , die der Uvea nahe liegt, so das»
selbst kein Rand dazwischen, bemerkbar ist und die Iris hervorgetrieben
wird, Abwesenheit des schwarten Ringes, geringe Beweglichkeit, der Pu-
pille , weiter Augenstern , bedeutende Störung des Sehvermögens , marmorirt
geflecktes , speckartiges , glänzendes , milchfarbenes Ansehn des Staai's , un-
gleiche Saturation desselben , etwas Wolkiges , . ohne concentrische Richtun-
gen, wie bei der einen Art der Cat. dura. 3) Cat. rnollis. Ist von der
Grösse der Cat. caseosa, von Farbe weissgraulich , und die Trübung des-
selben in der Mitte am stärksten. 4) Cat. dura. Der harte Staar ist zu-
nächst Folge von vermehrtem Cohärenzgrade der Linse, welche daher klei-
ner, härter, selbst hornartig und verknöchert (in seltenen Fällen) gefunden
wird. Zeichen sind: a) man sieht den Staar ziemlich weit nach hinten lie-
gen; b) die Pupille ist oft erweitert und spielt sehr lebhaft beim Wechsel
des Lichts; c) Kleinheit des Staars, gelbliche Farbe desselben, wie gelb-
röthliches Hörn, besonders wenn er in hohem Grade hart ist; hier erscheint
den Kranken auch Alles röthlich. Doch giebt es auch eine Art der Cat.
dura, die unegal weiss aussieht, mit silberfarbnen Strahlen, die vom Cen-
trum nach der Peripherie gehen (//nii///) , und eine andere Art, wo man in
der Mitte das gelbröthliche Hörn sieht, nach den Rändern zu aber einen
weisslichen , käsigen Überzug ; d) die grösste Saturation des Staares ist in
der Mitte, die Ränder lassen noch viel Licht durch; daher der Mensch bei
erweiterter Pupille noch ziemlich gut sehen kann; e) man sieht recht deut-
lich einen schwarzen Ring (nicht den Schlagschatten) in der Peripherie des
Staars, der vom Centrum nach dem Rande der Linse geht; f) nicht jeder
alte oder reife Staar ist ein harter Staar, wie man früher wol angenommen
hat, doch aber ist derjenige Staar, der im höhern Alter als Folge des Ma-
rasmus oder durch denselben Process wie die Verknöcherung der Rippen-;
knorpel entsteht, stets ein harter, gelber' Staar. Wies wichtig der Unter-'
schied zwischen Cat. dura und mollis in Betreff der Operationsmethode ist,'
weiss jeder Augenarzt. V. Nach der Reife giebt es 1) Cat. matura , 2). Cat.
immatura. Unreif heisst der Staar, wenn die Ursachen, welche denselben
bildeten, noch fortwirken; reif ist er, sobald er keiner weitern Ausbildung
mehr fähig ist, er mag das Gesicht völlig aufheben oder nicht, und sobald)
die Ursachen gehoben sind und der Staar nur noch als Residuum zurückge-:
blieben ist. Ist der Ausgang einer Staaroperation nicht gajiz glücklich ge,-
wesen , so bleibt oft eine Trübung im Auge : Cataracta sectmdaria , Nach-
staar, zurück, Sie hat ihren Sitz in der hintern Augenkammer utid ist die
358 CATARACTA
Folge entweder von zurückgebHebenen LinsenstücTcen €>der von einer Iritu,
mit eiter - und lymphartigen Exsudationen. Die Prognose ist gut , wenn
der Naclistaar von Resten der Linse oder von der vordem Kapselwand her-
rührt; schlecht, wenn er in der hintern Kapselwand sitzt, noch schlechter,
sobald er Folge eines Exsudats ist. Ist die Entzündung ganz verschwun-
den und das Exsudat gering, so gelingt es oft, dieses durch Quecksilber-
einreibungen zu entfernen , bei Verdunkelung der Linsenkapsel muss meist
noch einmal operirt werden. Complicatiöhe'n des Staars. Sie sind
für die Prognose und Cur sehr wichtig. Die vorzüglichsten sind: 1) ab-
norme Adhäsionen des Staars (Cat. adhaerens)^ -Sie können doppelt seyn ;
a) am häufigsten ist die hintere Verwachsung (Synechia posterior). Die
Pupille ist hier unbeweglich, doch lasse man sich nicht durch Cat. caseosa
täuschen , wo dasselbe Symptom stattfindet, b) Die Adhäsion ist zwischen
Linse und Linsenkapsel, besonders bei Cat. dura mit der hintern Wand der
Kapsel. Dies ist vor der Operation, die dadurch sehr schwierig wird, schwer
zu erkennen. Sieht der Kranke bei einem scheinbar harten, reinen Linsen-
staar sehr wenig, ohne dass die Retina leidet, so lässt sich diese Compli-
cation verrauthen. 2) Adnm Schmidt'' s Kapselstaar mit einem Jauche ent-»
haltenden Säckchen (s. oben) ist gleichfalls eine schlimme Complication, die
die Operation des Staars fast immer durch darauffolgende Iritis vereitelU
S) Cataracta mit Amaurose complicirt. Ist sehr wichtig, nicht wegen der
Wahl der Operationsmethode, sondern deswegen, ob man hier überhaupt
operiren darf oder nicht. Diagnose, a) Ein Mensch, der weder Tag noch
Nacht unterscheiden kann , leidet nie blos an Cataracta , sondern auch an
Amaurose. Der Staarkranke rauss selbst bei ausgebildetem Übel doch noch
eben so viel sehen, als ein Gesunder mit geschlossenen Augenlidern, b) Un-
beweglichkeit der Pupille lässt nur vermuthen , dass Amaurose da ist , mehr
aber auch nicht; denn die Pupille kann ohne ein Leiden der Retina gelähmt
seyn, und sie kann recht gut bei Lähmung der Netzhaut spielen, sobald
die Ciliarnerven nur noch gesund sind. ;Nach jeder Staarextraction , nach
anhaltendem Druck, nach Quetschung, nach Anwendung der Narcotica er-
folgt eine Zeit lang ein geringerer oder stärkerer Grad von Lähmung der
Iris, c) Bedenklich ists , wenn der Kranke häufig Flammen, Funken, Blitze
vor den Augen sieht, wenn er viel spannenden, drückenden Schmerz im Auge,
in den Augenbraunen und in der Nasenwurzel hat , wenn der Augapfel zu
klein und zu weich wird, wenn der Staarkranke durch Druck, Stoss aufs
Auge nicht die bekannten farbigen, feurigen Erscheinungen wahrnimmt,
wenn das Sehvermögen, ohne dass Glaukom da war, schon vor Ausbildung
der Cataracta sehr schwach war etc. Diese Zeichen zusammengenommen
lassen auf Amaurose bei gleichzeitiger Cataracta schliessen, doch sagt ein
jedes einzelne Zeichen für sich nicht viel. 4) Complication der Cataracta
mit Allgemeinleiden. Ist sehr wichtig, weil letzteres oft noch mit dem
Staar in Verbindung steht und dagegen durch innerliche Mittel gewirkt
werden muss, ehe man operirt. Man achte daher besonders auf Arthritis,
Syphilis etc. und gebe die zweckdienlichen Mittel. Speciellere Ursa-
c|hen des grauen Staars. 1) Oft ist das Übel angeboren, besonders bei
Kindern , die venerische Altern hatten (Cat. adgenita) ; meist ists dann ein
Milchstaar, und das Sehvermögen ist noch nicht ganz getrübt. 2) Zuwei-
len ists eine Cat. acquisita , die erst in den ersten Lebensjahren entstand.
S) Es giebt eine Cat. haeieditaria subsequens. So werden in einzelnen Fa-
milien Leute erst bestimmte Jahre alt, z. B. 40 Jahre, und dann kommt
erst der Staar, der oft von Gicht herrührt. 4) Häufig sind örtliche Ver-
letzungen des Auges : Druck, Stoss, Quetschung, Stich etc. Ursache. 5) Kin-
der, die viel an Convulsionen litten,^ bekommen zuweilen den Staar, indem
durch den Krampf der Zusammenhang der Linse mit ihren Umgebungen ge-
stört werden kann, Avodurch die Ernährung der letztern leidet. 6) Häufig
entsteht der Sta'ar ganz schleichend in Folge allgemeiner Krankheiten , be-
sonders durch Gicht, Syphilis, Metastasen nach Blattern, Masern, Weich-
sclzopf. 7) In den meisten Fällen geht der Bildung des Staars Entzündung
CATARACTA 359
(lientilis) voraus (^Walther), doch nicht in allen, so z. B. nicht bei Cata-
racta senilis, haereditarla subsequens. Oft ist diese Entzündung schleichend
und ohne heftige Zufälle. Prognose. Jeder einfache idiopathische Staai:
giebt eine gute Prognose, und zwar um so mehr, je gesunder der Mensch
ist ; jeder sympathische Staar aber eine schlechte , weil man nie überzeugt
seyn kann , ob die allgemeine zum Grunde liegende Ursache völlig gehoben
ist oder nicht, ob nach Beseitigung der kranken Linse sich die andern Theile
trüben , besonders da solche Subjecte gewöhnlich sehr vulnerable Augen ha-
ben. Die beste Prognose giebt die Cat. senilis als Product des Marasmus,
schlimmer ist sie, wenn Dyskrasien zum Grunde liegen. Bex'ner kommt es
auf die Organisationsbeschaffenheit des Auges an, ob die indicirte Opera-
lionsmethode ausgeführt werden kann; auch verdient der Umfang des Staars
Berücksichtigung. Ein reiner Linsenstaar giebt eine bessere Prognose als
eine Cataracta Morgagniana und capsulo - lenticularis. Was die Härte be-
trifft, so sind weiche Staare besser wegen möglicher Beseitigung durch die
Resorption, als harte, besonders wenn sie ganz hart und zugleich klein sind.
Jede Complication , besonders aber die mit Amaurose und Glaukom, giebt
eine schlechte Prognose. Besser ist letztere bei der Cat. matura als bei der
immatura, indem durch die Operation der letztern die vorhandene Krankheit
sich leicht auf andere Theile desselben Auges und aufs andere Auge werfen
kann. Auch die günstigen oder ungünstigen Verhältnisse des Kranken, die
den Erfolg der Operation mit bestimmen, sind zu berücksichtigen. Cur
des grauen Staars. 1) Vielfach sind innere Mittel empfohlen worden,
und zwar recht stark auflösende: Belladonna, Laurocerasus, Mercur, Aconit,
Cicuta, Sal volat. c. c, Pulsatilla nigricans, die man empirisch anwandte,
weil sie besondern Ruf erlangt hatten. Diese Methode ist höchst proble-
matisch, sie schwächt obendrein die ganze Constitution und kann so für den
Kranken vielfach nachtheilig werden und selbst die Prognose bei der Ope-
ration trüben. Auf eine kranke Linse kann man gar nicht heilend >virken.
Doch können wir bei einem Kapselstaare wol durch innere Mittel etwas
ausrichten, wenn er noch in der Bildung begriffen ist und von einem All-
gemeinleiden herrührt, z. B. von Gicht, Syphilis. Hier haben kräftige Ant-
arthritica und Mercurialia oft schon Verdunkelung der Kapsel gehoben {Hinily).
Neuerlich haben v. Gräfe und Benedict den Innern Gebrauch der Pulsatilla
in Extract oder das Pulver der Blätter nützlich gefunden. Bei einer Ver-
dunkelung der Kapsel nach topischer Verletzung zeigte sich in einigen Fäl-
len der innerliche Gebrauch des Merciirs nützlich (flimij/), in andern ähn-
lichen Fällen die Anwendung der Elektricität und des Galvanismus (LoJcr,
Hinihj, V. Walther), so wol allgemein als örtlich angewandt, besonders bei
Arthritischen. 2) Örtliche Mittel. Bei einem angehenden grauen Staar
und noch bestehender Lentitis verschwand das Übel durch ein Augenwasser,
bestehend aus Extr. hyoscyami, Aq. rosar. und etwas Laudanum (Benedict).
Lentin empfiehlt Sublimat in Aq. laurocerasi aufgelöst zum Eintröpfeln, Ware
will durch Eintröpfeln von Naphtha vitrioli den grauen Staar zertheilt ha-
ben, was allerdings, wenn die Kapsel aufgelöst ist, stattfinden und nützlich
seyn kann. (Alle solche innere und äussere Mittel können nur da wirksam
seyn, wo wir es mit einer Cat. incipiens zu thun haben, die als Folge von
Augenentzündung zu betrachten und aus Innern Ursachen entstanden ist.
Most.) 3) Die Operation bleibt immer noch das einzige Mittel zur eini-
germassen sichern Beseitigung des grauen Staars. Wir operiren aber nicht
auf einerlei Weise: a) wir nehmen entweder die kranke Linse heraus, und
extrahiren sie und ihre Kapsel (die Extractionsmethode), wobei wir das Auge
durch einen Einschnitt in die Cornea öffnen; b) oder wir schieben die ver-
dunkelten Theile hinter der Pupille weg und begraben sie im Boden des
Auges, im Glaskörper (die Depressions-, Remotions-, Dislocationsmethode) ;
oder c) wir bearbeiten die verdunkelten Theile so mit den Listrumenten,
dasa sie dadurch der Auflösung fähig, durch den Humor aqueus aufgelöst
und mit ihm resorbirt werden (Keratonyxis). Jede dieser Operationsmetho-
den hat ihre Vorzüge und ilire Nachtheile, daher die Walil derselben für
360 CATARACTA
individuelle Fälle und fiir die besondern Arten des 8taar0 ron Seiten de«
Operateurs viel Scharfsinn erfordert. Da nicht ein jeder Arzt und Wund-
arzt operativer Augenarzt ist oder seyn kann, da überdera die verschiedenen
Operationsmethoden in allen guten Handbüchern der Ophthalmologie ausführ-
lich beschrieben worden, so will ich hier auf jene Schriften verweisen (s. die
ophthalmologischen Schriften von Saunders , Adam , James Wardrop , Becr^
Benedict und besonders noch folgende: Himh/s ophthalraolog. Bibliothek,
Richter' s Chirurgie, Weiler: die Krankheiten des menschlichen Auges. 2te
Aufl. Berlin, 1822). Aus allen noch so genau und ausführlich beschriebenen
Operationsmethoden kann jedoch nur derjenige Nutzen ziehen, der prakti-
sche Anleitung zu den Augenoperationen von tüchtigen Meistern (^Uimhj,,
t. Gräfe, Langenbeck , Rtist, Beer, Benedict etc.) erlangt hat. Für diesen
würde die genaue Beschreibung des Verfahrens überflüssig, für den Unkun-
digen aber mangelhaft seyn ; daher wir das Specielle dieses Gegenstandes
hier übergehen und nur noch einige wichtige Indicationen und Contraindica-
tionen zum Operiren überhaupt, sowie zur Wahl der besondern Operations-
methode erörtern wollen, a) Man hat die Frage aufgeworfen, ob man einen
Staarkranken, der nur auf einem Auge den Staar habe, operiren soll oder
nicht ? Einige wollen den Menschen erst ganz blind seyn lassen , dann sey
er dankbarer, man habe ein grösseres Verdienst und werde besser bezahlt;
ist ein schlechter, aus Eigennutz hervorgegangener Grund. Häufig leidet,
wenn der Staar durch mechanische Verletzungen entstand, das andere Auge
per consensum mit ; operirt man hier das kataraktöse Auge früh , so ist die«
nicht zu befürchten, b) Wenn auf beiden Augen der Staar ist, so ists nicht
gut, beide zugleich zu operiren (Him/y) , obgleich berühmte Augenärzte die-
ses thun; denn man veranlasst dadurch eine heftigere Entzündung, da ein
Auge mit dem andern leidet; auch riskirt man zu viel. Es giebt Unglücks-
fälle, die man nicht vorher sehen kann, z. B. der Operirte bekommt eine
Schrecken erregende Nachricht, es bricht Feuer im Hause aus etc., wo-
durch der günstige Erfolg der Operation vereitelt werden kann, c) Soll
man einen noch nicht völlig ausgebildeten Staar operiren? Gewöhnlich sagt
man Nein! oft aus Scheu, oft aus Eigennutz; denn je blinder der Mensch
ist , desto dankbarer ist er nachher ; wiederum ein schlechter Grund ! Hat
indessen der Mensch durch Gicht den Staar bekommen, so Hegt zu Anfange
der Bildung desselben noch Gicht zum Grunde. Hier muss erst die Gicht
gehoben und der Staair reif seyn, ehe man ihn operirt. Bei Cat. dura und
caseosa muss man früher operiren; denn der erstere geht durch die Länge
der Zeit oft Adhäsionen mit dem Auge ein , und letzterer wird immer grös-
ser und dicker, was die Operation oft schwierig macht, d) Beim angebor-
nen Staar war man früher der Meinung, nicht vor dem vierzehnten Jahre
zu operiren. Dies ist aber in anderer Hinsicht nachtheilig, indem das Kind
unerzogen bleibt. Die Extraction passt nicht gut bei Kindern , besser die
Depression oder Keratonyxis, weil im Kindesalter der Productionstrieb sehr
stark ist und auf die Extraction nicht selten Iritis folgt, e) Ist der Staar-
kranke schwächlich, gichtisch, herpetisch oder schon sehr alt, so extrahire
man gleichfalls nicht, besser ist hier die Reclination, wodurch das Auge
nicht so bedeutend verletzt wird, f) Ein harter Staar ist meist gut zu ex-
trahiren, weil er zugleich klein ist. Ist aber die Kapsel mit der Linse ver-
wachsen, so ziehe man sie seitwärts mit heraus, damit man den Glaskörper
nicht reize. Sticht man zu tief in den harten Staar, so zerspringt er oft
in mehrere Stücke, wodurch das Herausziehen schwierig wird, g) Die Ca-
taracta caseosa eignet sich weder zur Depression, noch zur Extraction, Am
besten ists, ihn zu zerstückeln und der Resorption zu übergeben. Man macht
hier die Keratonyxis, oder geht noch besser durch die Sclerotica mit der
Staarnadel ein, weil die Linsenkapsel auch verdunkelt ist (^Adnm Schmidt^.
h) Auch die Cataracta lactea muss der Resorption übergeben werden , wie
die caseosa , am besten ist hier also die Keratonyxis. i) Die Cat. cystica
lässt sich gut extrahircn, oft passt aber auch die Reclination durch die Scle-
rotica. k) Der verwaciisene Staar ist schwierig zu operiren. Oft ist die
CATARACTA 361
Verwachsung nnr zwischen Linse und Kapsel, zuweilen aber auch zwischen
Staar und Uvea. Um dies vorher zu erkennen, ist es gut, dass wir bei
allen Staarkranken vor der Operation einige Tage Belladonna- oder Bilsen-
krautextract , in Wasser gelöst (gr. vj in gj Wasser) ins Auge tröpfeln, wo-
durch die Pupille sich erweitert. Ist letztere dann eckig oder schief, so
deutet dies auf jene Adhäsionen. Ist die Verwachsung allgemein , so muss
die künstliche Pupillenbildung vorgenommen werden , ist sie aber nur par-
tiell, so mache man die Extraction. In einzelnen Fällen ist indessen die
Zerstückelung, indem man mit der Staarnadel durch die Sclerotica eingeht,
Torzuziehen (Himhj). Hier noch Einiges über die verschiedenen Operations-
inethoden. A. Die Depression. Sie ist dasjenige Verfahren, wo die
Linse durch einen auf den obern Linsenrand ausgeübten, mittels einer Staar-
nadel bewerkstelligten Druck (der in derselben Richtung, in der sich die
Linse im Auge befindet, geschieht) in den Grund des Glaskörpers herabge-
senkt wird. Gemacht wird diese Operation mit einer Staarnadel, die man
durch die Sclerotica einführt (Scleroticonyxis), nicht aber durch die Cornea,
wie man neuerlich vergeblich versucht hat. Diejenige Nadel ist die beste,
welche myrtenblattähnlich und so gekrümrat ist, dass sie dem Linsenrande
entspricht. Man macht den Einstich etwas über dem horizontalen Durch-
messer des Auges, ly, Linien vom Cornearande entfernt, führt die Nadel,
ohne das Corpus ciliare zu verletzen, zum obern Linsenrande, wendet mit
der Spitze einen Druck darauf an und drückt so den Staar ins Corpus
vitreum nach unten. Man hält nur einige Augenblicke die Linse mit der
Nadel in der Tiefe fest, bis dass der Raum vor der Pupille mit dem Glas-
körper gefüllt wird , zieht die Nadel in derselben Richtung etwas zurück
und ihre Spitze in die Höhe , so dass letztere vor der Pupille sichtbar wird,
zieht sie aber nicht gleich aus dem Auge, sondern beobachtet erst, ob •der
Staar auch wieder in die Höhe kommt; alsdann wiederholt man dasselbe
Manoeuvre, welches oft zwei- bis dreimal nöthig ist. Bleibt die Linse lie-
gen, so zieht man die Nadel vorsichtig heraus. Indicirt ist diese Methode
im Allgemeinen bei jedem harten Linsen- oder Kapsel -Linsenstaar, bei jun-
gen Subjecten , wo gesunde Augen und keine Krankheit des Glaskörpers
stattfinden, wo geringe Adhäsionen sind (Synechia posterior), die man zu-
gleich lösen will. Contraindicirt ist die Depression bei altern Subjecten, wo
es darauf ankommt , das Sehvermögen rasch wiederzugeben , indem man zu
befürchten hat, dass die Linse wieder aufsteigt und so Monate über die
Cur hingehen können; ferner bei krankem Glaskörper, bei sehr vulnerablen
Augen, wo die Resorption und Verschrumpfung der Linse im Glaskörper
langsam oder wol gar nicht vor sich geht. Übrigens gewährt die Depres-
sion den Vortheil , dass man dadurch die vordere Linsenkapsel wand entfernt,
ist also passend bei Cat. capsulo - lenticularis , doch müssen nach der Opera-
tion alle heftige Erschütterungen des Körpers und der Seele doppelt streng
vermieden werden, weil sonst der Staar leicht wieder in die Höhe steigt.
B. Die Extraction. Hier macht man zuerst einen Schnitt in die Horn-
haut, meist nach unten, in neuester Zeit auch nach oben (Keratomie), der
1/4 Linie von der Sclerotica entfernt die Hälfte der Hornhaut trifft, um sich
den Weg zur Linse zu bahnen; alsdann öffnet man, wenn es keine Cata-
racta cystica ist, die Kapsel, wo der Staar durch die Contraction der Au-
genmuskeln und durch gelinden Druck des Operateurs aus der Horiihautöff-
nung dann leicht heraustritt. Die Extraction erfordert die meiste Geschick-
lichkeit. Sie ist oft mit vieler Gefahr verbunden: die Iris kann leicht ver-
letzt werden, der Glaskörper kann hervortreten, die Iris vorfallen, die Narbe
nach der Heilung der Hornhautwunde die Cornea verdunkeln etc. Dahei*
misslingt diese Methode weit häufiger als die Depression. Richter heilte
durch Extraction von zehn kranken Augen nur sieben, Rolli verunglückte
das sechste Auge, Beer das achte, dagegen misslangen bei vorsichtiger Re-
clination Himly von dreissig Augen oft nicht eins. Die leichteste Methode
den Staar zu stechen ist C. die Keratonyxis. Man bringt die katara-
ktöse Linse durch Zerstückelung derselben aus ihren organischen Verbin-
362 CATAEHHALIS FEBRIS — CATARRHUS
düngen, wodurch sie allmälig vom Humor aqueus resorbirt wird. Diese
Methode ist sicherer als die Depression, denn bei letzterer kann der Staat
wieder in die Höhe steigen; aber die Resorption dauert, besonders bei be-
jahrten Subjecten, oft viele Wochen, und der Kranke bekommt nur allmä-
iig sein Gesicht wieder. Doch giebt es mehrere Arten von Kapselstaar,
z.B. die Cat. siliquosa arida, desgleichen die Cat. senilis, die sich gar nicht
resorbiren. Man tröpfelt 2 — 3 Stunden vor der Operation Solutio extr.
belladonnae ins Auge, damit die Pupille recht weit wird, nimmt dann eine
krumme lanzettförmige Nadel, z. B. die Langenbeck'sche, fuhrt sie am un-
tern Cornearande ins Auge, die convexe Fläche nach oben gerichtet, geht-
vorsichtig, ohne die Iris zu verletzen, durch die Pupille, zerreisst mit der
Spitze die vordere Kapsel wand, zerstückelt durch gelinde Bewegungen der
Nadel die Linse, und sucht einige Theile davon in die vordere Augenkam-
mer zu bringen, wo sie schneller als in der hintern resorbirt werden. Dies
geschieht, indem man jdie Nadel etwas zurückzieht, damit ein geringer Aus-
fluss des Humor aqueus entsteht; alsdann zieht man die Nadel vorsichtig
heraus, verschliesst das Auge, bedeckt es mit einem Heftpflasterstreifen und
lässt den Kranken in einem verdunkelten Zimmer verweilen und im Bette
viel auf dem Bauche mit vorgebeugtem Kopfe und Gesichte liegen , damit
die Staarreste vorzugsweise in die vordere Augenkaramer zu liegen kommen.
Selten erregt diese Operation heftige Zuölle; eine strenge kühlende und
knappe Diät verhütet diese; man sorge für tägliche Leibesöffnung und ver-
meide Erhitzung des Körpers und der Seele. Je weicher und flüssiger der
Staar und je jünger das Subject ist, desto besser ist der Ausgang dieser
Methode. Man kann die Zerstückelung des Staars aber auch durch die
Scleroticonyxis machen, wobei die Cornea wegen Verletzung und nachblei-
bender Trübung gar nicht in Gefahr kommt (^Adams). F. L. F. Köve.
Catarrbalis febris, Schnupfenfieber, s. Febris catarrhalis
und Blennorrhoea narium.
Catarrbeuma , der Katarrh, auch die Verschleimung , besonders in
der Brust; s. Blennorrhoea narium et pulmonum, Asthma pitui-
tosum.
Catarrbexis, ein Durchbruch nach unten, daher das Durchschlagen
eines Vomitivs nach unten, ein heftiger Durchfall; s. Diarrhoe a.
CatarrboscbesiiS, Unterdrückung oder Stopfung eines Katarrhs;
e. Blennorrhoea nasi.
Catarrbus» Katarrh, Nasenschi eimfiuss ; s. Blennorrhoea nasi.
Catarrhus nhdominalis, s. Blennorrhoea ventricuH.
Catnrrhus aestivus, der Sommerkatarrh, das Heufieber, das
Heuasthma. Diese sonderbare Krankheit ist erst seit wenigen Jahren
bekannt. Die englischen Arzte Bostoch, Gordon und Elliotson haben zuerst
darauf aufmerksam gemacht (Vergl. Medical Gazette. 1829. Aug. — London
Medic. Gazette. Mai 1833). Symptome sind: Zuerst Jucken der Augen-
lider, zumal in den Augenwinkeln, periodisch eintretende Anfälle von Nie-
sen, von Respirationsbeschwerden, Dyspnoe, wobei ein starker Ausfluss von
Schleim aus der Nase erfolgt, oft Röthe, GeschwTilst der Augenlider, ge-
röthete Conjunctiva oculi, Druck in der Stirn. Diese Anlalle kommen meist
des Morgens , y. Stunde nach dem Aufstehen , wobei das Niesen und be-
schwerliche Athmen das schlimmste Symptom sind. Zuweilen folgen nur ein
paar Anfalle , zuweilen kommen sie wochenlang täglich einigemal wieder ;
dann tritt auch wol Röthe und Trockenheit des Halses , der Nase hinzu.
Ursachen. Das Übel ist eine Verbindung von Katarrh und Asthma, ent-
standen durch einen in der Atmosphäre verbreiteten vegetabilischen Stoff,
der den Biüthen der Pflanzen, zumal des Grases entsteigt (^Elliotson). Es
zeigt sich nur in den Monaten Mai, Juni etc., zur Zeit, wo das Gras in
Blütho steht und Heu gemacht wird, befallt aber nie die arbeitende Classe,
sondern nur Vornehme, sowol Kinder als Erwachsene, die sich in der
Nähe solcher Wiesen oder auf denselben aufhalten. Einzelne Individuen
CATARRHÜS 363
scheinen grössere Anlage als andere zum Heufieber zu haben, und sie be-
kommen es jeden Sommer, nicht blos in England, sondern auch zur Zeit
der Heuernte im Auslande. Selbst dann schon werden sie davon ergriffen,
wenn sie selbst nicht einmal in der Nähe von solchen Wiesen gewesen sind,
sondern nur ein Anderer, der dort gewesen, sich ihnen bald darauf nähert.
Cur. Als Präservativ zur Zeit der Heuernte lobt Gordon ein kaltes Schauer-
bad und innerlich 3mal täglich ein Pulver aus 2 — 3 Gran Chinin, sulphuric.
und 1 Gran Ferrum sulphuricum. Gegen das Übel selbst dienen Spirit.
Mindereri, Pot. Riverü, Salmiak, kleine Dosen Tart. emet., äusserlich Augen-
wasser aus Zinc. acetic. und Aqua rosarum, ein sehr schwach bereitetes Un-
guent. hydrargyr. nitricum. Eine zu magere Diät sowie die freie Luft
sind , so lange das Übel dauert , schädlich. Als Schutzmittel dienen noch
die Seeluft und strenge Vermeidung der Nähe des blühenden Grases und
des frischen Heues. Yiele vornehme englische Landbewohner reisen daher
zur Zeit der Heuernte nach den Seeküsten. Nach Dr. Kind soll die Krank-
heit mitunter auch die niedere Volksclasse ergreifen. Das Besprengen des
Zimmers mit einer Solution von Chlornatrum , das Riechen daran , das , Wa-
schen des Gesichts damit, wirkte ganz vortrefflich, um das beschweriiche
Jucken der Augen, der Nase etc. zu heben (s. auch Behrendts Repertor.
1833. Nr. 8. S. 135 — 150).
Catnrrhus hroncliiorum , s. Blennorrhoea pulmonum.
Caiarrhm chronicus., s. Blennorrhoea narium.
Catnrrhus epidemicus, der epidemische Katarrh, die rassische
Krankheit; s. Influenza.
Catnrrhus laryngis, faucium, narium, etc., s. Blennorrhoea la-
ryngis etc.
Catarrhus pulmonum , Catarrhe pulmonaire. So nennt Laennec anpassend
die Bronchitis (s. d. Art.).
Catnrrhus scarlatinae, s. Scarlatina.
Catarrhus suffocativtis , Orthopnoea parahjtica, iorpida, Apoplexia sen
Parahjsis pulmonum , Stick fluss, Lunge nlähmung. Ist in den meisten
Fällen Symptom anderer Krankheiten, z. B. der höheren Grade des Asthma,
der Angina pectoris, des Asthma als Folge widernatürlicher Erweiterung
der Lungenzellen, des Lungenbrandes durch Milzbrandgift, als Folge ver-
nachlässigter Pneumonien ; auch ist der Stickfluss zuweilen Symptom ver-
schiedener organischer Herzkrankheiten , mehrerer Arten der Asphyxie , ver-
schiedener Verletzungen, Verwundungen der Lungen, besonders wenn Er-
giessungen von Blut, von Luft (Emphysema) die Lungen expandiren, wenn
wegen Lungenschwäche das Blut in ihnen stockt, oder wenn Krampf die
Ursache davon ist, wenn die Expectoration dadurch verhindert wird etc.
Symptome. Sind die der Dyspnoe im höhern Grade (s. Dyspnoea){
grosse Angst , Brustbeklemmung , höchst beschwerliches oder ganz gehemm-
tes Athmen, blaues, später leichönblasses Gesicht, kalte Extremitäten, schwa-
cher, kleiner, zitternder, unterdrückter Puls, Röcheln, Rasseln, Kochen in
der Brust, blutige, gelbliche, schaumige oder ganz unterdrückte Respira-
tion, Convulsionen aller Art und oft plötzlicher Tod. Cur. Sie ist nach
den Ursachen verschieden (s. Asthma spasticum adultorum). In vie-
len Fällen und da, wo noch kein wrklicher Lungenbrand stattfindet, sind
Aderlässe , selbst als symptomatisches Mittel , unumgänglich nothvvendig. Bei
wahrer Schwäche und blassem Gesichte dienen Moschus, Sal volatile, Cam-
phora, Sulphur auratum, Arnica, Senega, Phosphornaphtha etc. Wo orga-
nische Fehler, hohe Grade von Hydrothorax, von Stenokardie, Asphyxie,
von allgemeiner Apoplexie, oder bedeutende Ergiessungen von Blut, Serum,
Eiter in die Brusthöhle den Stickfluss erregen, ist das Übel fast immer
schnell tödtlich. J?. J. Graves giebt, wenn der viele Schleim aus Mattig-
keit nicht mehr ausgehustet werden kann, als Expectorans ein Klystier aus
10 Gran Chinin, sulphuric. mit 20 Tropfen Laudanum und 3jjj Amylum, in
Wasser gelöst; in dringender Gefahr auch ein Vomitiv. Wirkt aber die
gewöhnliche Dosis nicht, so soll man davon abstehen. Auch Folgendes lobt
364 CATARTISIS - CATULOTICA
er als wrksara: T\' Rad. ipecacuanliac gr. j, Sem. sinapeos gr. v. Alle 1 — 2
Stunden ein solches Pulver (s. Behrcnd''s Repertor. d. ausl. med. chirurg.
Journalistik. 1833. Decbr. S. 200). In einem desperaten Falle, wo bei ei-
ner 70jährigen Dame durcli Überladung des Magens der Anfall hervorge-
rufen ward, wo das Gesicht leichenblass aussah, Röcheln, Convulsionen
und Bewusstlosigkeit stattfand, halfen zwei Vomitive aus Ipccacuanha nichts;
»ie leisteten gar keine Wirkung. Nun gab ich alle 5 Minuten 1 Esslöffel
voll von einer Solution des Zinkvitriols, 10 Gran in 8 Unzen Aq. destill.,
es erfolgte zweimaliges Erbrechen, starke Expectoration und die Kranke
ward gerettet.
Cntnrrhns urethrne, s. Gonorrhoe a.
Catnrrhus vaijvinc, s. Leucorrhoea.
Catnrrhus vesicae urinnriae, s. Blennorrhoea ves. nrinariae.
Catartisis, Cainriismtis , die Einrichtung eines Bruches, einer Ver-
renkung etc.; s. Fractura und Luxatio.
Catastaltica , sind zurücktreibende, blutziehende, besonders blut-
stillende, auch wol beruhigende Mittel; s. Adstringentia, Styptica.
Catastasis» das andauernde Stehen, daher bei raedicinischen
Schriftstellern die andauernde eigenthümliche Körperbeschaffenheit eines Li-
dividuunis, die sogenannte Constitution.
Cathaeresiü^ , grosse Schwächung durch Herabstimmung
der Kräfte, Ertödtung, Zerätzung, daher
Cattaaeretica , stark schwächende, lebenzerstörende
Mittel.
Catharctica, Cathartkay Mittel, welche Catharsis bewirken; s.
P u r g a n t i a.
CatharsiSy Reinigung, Ausleerang (des Darmcanals) nach
unten.
CatlieterisiiS , Catheterisvitis , das Katheterisiren (bei den Alten
auch das Sondiren tiefer Wunden ). Ist diejenige chirurgische Operation,
wo man den aus Silber oder Gummi elasticum verfertigten Katheter nach
den Kunstregeln zum Ablassen des Urins bei gewissen Fällen von Harnver-
haltung , oder um Blasensteine zu entdecken , oder um Einspritzungen in
die Vesica urinaria zu machen, in die Harnblase bringt, wozu die operative
Chirurgie Anleitung giebt.
Catholicum , Panacen, eine Universal arzn ei, die gegen alle
Krankheiten dienen soll. In altern Zeiten gab man sich viele Mühe, eine
Panacee aufzufinden , bis man sich späterhin bei richtigerer Kenntniss des
Organismus imd seiner Krankheiten überzeugte, dass dieses nicht möglich
sey; s. auch Panacea.
Cathypnia, ein tiefer, fester Schlaf; s. Carus.
Catoche, Catochus, das Festhalten, Gebundenhalten, daher
die Starrsucht. Unter Catochns verstehen die Neuern ein chronisches,
allmälig entstehendes, der Katalepsie sich näherndes Übel, wobei die Glie-
der anhaltend steif und unempfindlich werden, durch fremde Gewalt aber
gebogen werden können, ohne die gegebene Richtung zu behalten, die Sinne
auch nicht gänzlich schwinden, obgleich eine grosse Unempfindlichkeit da
ist (^Schindler). (S. Catalepsis.) Auch nennt man so einen festen Schlaf
mit offenen Augen , desgleichen die Verhärtung des Zellgewebes der Kinder
(Induratio telae cellulosae).
Catoptosis, älterer Name für Fallsucht; s. Epilepsia.
Catoterica (rcmcdia). Darunter verstanden die Alten besonders
solche Purganzen , welche die Bilis hepatica durch den Stuhlgang abführten,
als Rheum, Aloe, Helleborus etc.
CatulotJca (remedia). Ist synonym mit Epulotica.
CAULEDON - CAUSTICA 565
Cauledon« Rhaphnncdon. Ist ein Qu erbrach (Fractura transver-
salis); s. Fractura.
Caulopleg^ia, Lähmung des Penis, besonders der Musculi ere-
ctores , wodurch jede Erection des Gliedes unmöglich wird. Sie ist Beglei-
terin der ApoplexieJ, besonders der Paraplegie der untern Körperhälfte, und
vielleicht nie eine idiopathische Krankheitsform. Cur. Die allgemeine und
Ertliche der Lähmung (s. Paralysis). In einem Falle hob gelindes Gal-
vanisiren des Penis, wobei die Kette an der rechten Hand geschlossen wur-
de, sechs Wochen hindurch täglich angewandt, die Cauloplegie (itf.).
Cauma, Causus, eine durch Feuer, Sonnenhitze etc. verbrannte Stelle,
auch Verbrennung; s. Combustio.
Causac morlti, Krankheitsursachen. Sind sehr mannigfaltig
und daher ist ihre (besonders ältere) Eintbeilung sehr complicirt; s, Dia-
t h e s i s und Morbus.
Caiuis* das Brennen, die Operation des Brennens; 8. CaustSca.
* Caustica, Cathaeretica , Corrodentia , Eschnroiica , beizende,
ätzende, anfressende Mittel. Hieher gehören alle diejenigen Mittel,
welche durch ihren Reiz auf die äussere Haut wirken und nach Verschie-
denheit des Grades ihrer reizenden Wirkung entweder nur Hautrothe erre-
gen (Rubefacientia) oder Bläschen und Blasen ziehen (Vesicantia, Epispa-
stica), oder chemisch zerstörend einwirken und die Fasern zerfressen (Cau-
Btica, Corrodentia im engern Sinne). Die vorzüglichsten Rubefacientia sind:
Sem. sinapeos, Rad. raphani rusticani, Folia ranunculi scelerati , heisses
Wasser, die Urtication. Epispastica sind: Cort. mezerei, Herba clemat.
erect. , Flammula Jovis , Euphorbium , Sera, sabadill. etc. Die Kanthariden
sind das vorzüglichste Vesicans, und unter die eigentlichen Caustica rechnen
wir Alumen ustum, Aerugo, Mercur. praecip. albus und ruber, Lapis cau-
sticus, infernalis, den Vitriol, die concentrirten Mineralsäuren , Butyrum an-
timonii, Calx viva etc. Die beste Bereitung dieser verschiedenen Mittel
und ihre Anwendung ist folgende: 1) der Senfteig, Senfpflaster (Eropl.
sinapeos) wird aus gleichen Theilen gestossenen Senfsamen und Sauerteig,
mit scharfem Essig durchknetet, bereitet. Setzt man Acetum squillit. oder
§jy Sal gemmae hinzu oder etwas Acid. aceticuin, so wird die Wirkung da-
durch sehr vermehrt. 2) Der Meerrettigteig. Er wirkt schneller als der
Senfteig, mit welchem man ihn auch vermischt anwenden kann, indem man
Rad. raph. rust. frisch reibt. Man streicht % bis % Zoll dick solche Teige
auf Leinwand oder Leder, legt sie an den bestimmten Theil des Körpers,
und lässt sie V4, V2 Stunde und länger liegen, bis sie ihre Wirkung gethan
haben. Die herrliche Wirkung dieser Mittel als Derivantia, um schädliche
Krankheitsreize vom Kopfe und von andern wichtigen Organen abzuleiten,
z. B. in asthenischen Fiebern, Pneumonien, bei Krämpfen, oder um zu be-
leben, z. B. bei örtlichen Lähmungen, bei Neuralgien, um Zahn- und Oh-
renschmerz etc. abzuleiten , bei Metastasen , Erysipelas retrogressum und in
vielen andern Krankheitszuständen , ist bekannt. 3) Die Rinde von Daphn«
mezereura legt man am besten frisch, einen Quadratzoll gross, mit ihrer In-
nern Fläche auf die zu reizende Hautstelle. In Ermangelung der frischen
Rinde weicht man die trockne vorher in Essig oder Wasser ein. Soll blo«
Röthe und keine Excoriation, kein Austtuss lymphatischer Feuchtigkeit und
keine Eiterung (Exutorium) entstehen , so nimmt man die Rinde ab , sobald
die Haut roth geworden ist , und bedeckt letztere mit Wachstuch. 4) Die
Wolfsmilch (Euphorbium) erregt schnell Röthe, Blasen, Entzündung, und
kann selbst den Brand zur Folge haben. Man streut das Pulv. euphorbii
auf cariöse Knochenstellen , um die Absonderung derselben vom Gesunden
zu bewirken, oder man bestreicht sie mit Tinct. euphorbii; um die Weich-
gebilde zu schonen, muss man diese vorher mit trockner Charpie bedecken.
5) Emplastrum cantharidum ordinarium und perpetuum. Das gewöhnliche
Spanische - Fliegenpflaster muss , wenn es kräftig wirken soll , frisch be-
reitet seyn. Lässt man es länger als zwei bis drei Stunden liegen, so ent-
366 CAUSTICA
stehen oft grosae Blasen und mitunter folgt darauf hartnSckige Eiterung,
besonders wenn man sie auf die obern Halswirbel applicirt und lange liegen
lässt, wodurch man selbst Caries entstehen sah (^SacJise"). Bei sehr reiz-
baren, sensiblen Subjecten ist es gut, statt des gewöhnlichen Empl. vesic.
eine Mischung von letzterm und von Empl. melilot. anzuwenden und die
Haut vorher mit feinem Nesseltuch zu belegen , um einer zu starken Wir-
kung vorzubeugen. Auch ists gut, die Hautstelle vorher von ihren feinen
Haaren zu befreien und beim spätem Verbinden dahin zu sehen, dass die
Oberhaut nicht abgezogen werde, sonst entstehen heftige Schmerzen durch
die Eimvirkung der Luft. Ists aber der Fall, dass zufällig die Stelle von
der Epidermis entblösst worden, so lindert am besten das Aufstreichen von
Ol. hyoscyami und das feine Aufstreuen von Sem, lycopodii oder Amylum.
Die Wirkung der Vesicatorien ist bekanntlich intensiver als die der Senf-
und Meerrettigteige , und sie haben den Vorzug, dass sie seröse und lym-
phatische Secretionen bewirken, wodurch auch materielle Krankheitsreize
entfernt werden können. Indicirt sind sie in allen Fällen , wie bei Nr. 1
und 2. Das Empl. cantharid. perpet. gebrauchen wir häufig zur Erregung
und Unterhaltung künstlicher Geschwüre, wo es dann viele Tage lang lie-
gen bleiben kann. 6) Alumen ustum. Der gebrannte Alaun eignet sich als
gelindes Ätzmittel zum Einstreuen in schwammige, unreine Geschwüre, be-
sonders auch zum Wegbeizen der schwammigen Auswüchse am Nabel klei-
ner Kinder. Hier wird er rein angewandt und jedesmal nur wenig davon
dünn ein - oder aufgestreuet. Mit gleichen Theilen pulverisirtem Zucker
vermischt und ins Auge geblasen , dient er zum Wegätzen von Augenfellen
(^Reil, Mem. clin. Vol. I. fasc. 1. p. 198). Die Anwendung der Alaunchar-
Eie, des Alaunwassers, der Alaunzäpfchen lehrt die Chirurgie. 7) Mercurialia.
>er rothe Präcipitat als Pulver oder in den Präparaten (Unguent. hydrargyr.
rubr., Bals. ophthalm. rubr.) ist ein sehr wirksames Ätzmittel, besonders bei
nicht venerischen Geschwüren und Auswüchsen, Dem weissen Präcipitat ge-
ben Viele bei venerischen äussern Übeln den Vorzug, doch bleibt hier die
innere Anwendung des Mercurs wol immer die Hauptsache, besonders bei
primären Chankern, wo letztere und deren völlige Heilung durch innere
Älittel als der Thermometer der gründlichen oder nicht gründlichen Cur der
Syphilis angesehen werden können. Die herrlichen Wirkungen des Merc.
praec. alb. und ruber in Form von Salben gegen verschiedene Augenübel
ist bekannt. 8) Acidum sulphuricum concentratum. Das Vitriolöl passt sehr
gut zum Wegätzen der Warzen, indem man vorsichtig einen kleinen Tro-
pfen mittels eines feinen Glasetäbchens auf die Warze fallen lässt und dies
täglich drei bis viermal wiederholt (Ä.), womach sie bald abstirbt. 9) La-
pis causticus, Ist ein vorzügliches Ätzmittel, welches bei unreinen Geschwü-
ren mit callösen Rändern, bei der schwarzen Blatter (s. Anthrax), bd
Carbunkel, beim Hospitalbrande zur Belebung der erloschenen Lebensthätig-
keit, bei vergifteten Wunden, zur Öffnung sogenannter kalter Abscesse
(s. Abscessus lymphaticus) etc. vielfache Anwendung findet. 10) La-
pis infernalis. Ist das bequemste von allen Ätzmitteln , das in vielen Fällen
vor dem Lap. causticus den Vorzug verdient. Schwammiges Fleisch beizt
man damit weg, indem man ihn in trockner Gestalt anwendet. Zur Öff-
nung eines Abscesses wendet man ihn oder den Lap. causticus pulverisirt
an, indem man eine Öffnung in ein Klebpflaster schneidet (Empl. fenestra-
tum), in diese Öffnung das Causticum legt, dieses mit einem zweiten Kleb-
piiaster bedeckt und das Ganze vier bis sechs Stunden liegen lässt. Bei
Abnahme des Pflasters fliesst der Eiter häufig schon von selbst aus , oder
man entfernt die Borke (Eschara) erst mit einer Sonde, oder man verbin-
det mit Digestivsalbe, welche die Borke losweicht (jB.). Wie herrlich eine
schwache Auflösung von Ijap. infernalis (5j auf jvj Aq. dest.) zur Heilung
alter unreiner Geschwüre, zur Exfoliation des Knochens bei Caries, zur Hei-
lung der Mercurialgeschwüre etc. wirkt-, ist bekannt. 11) Butyrum anti-
monü. Wirkt sehr stark ätzend , hat aber das Unbequeme , dass sie wegen
ihrer flüssigen Form nicht gut auf den Ort beschränkt werden kann, y/o
CAÜSTICA 307
fäie wirken soH. Man wendet sie bei Caries, zum Vertreiben von AnswGch-
sen etc. an. 12) Herba und Oleum sabinae. Werden als gelindes Causti-
cum äusserlich bei Knochenfrass empfohlen. 13) Aqua calcis und Liquor
kali carbonici. Sie wirken nur gelind reizend und werden äusserlich bei
langwierigen alten, jauchigen Fussgeschwüren und Fisteln, beim feuchten
Knochenfrass zur Verminderung der sich stark absondernden Jauche, gegen
Verbrennungen, gegen Nachtripper, und das Kali besonders gegen scrophu-
löse Geschwülste etc. empfohlen. C. J. F. Behrens.
Nachschrift des Herausgebers. Wir wenden die Ätzmittel an:
1) zur Zerstörung krankhaft entarteter, von aussen her zugänglicher organi-
scher Flächen, also bei Afterorganisation, 2) zur Zerstörung giftiger, in
Wunden, Geschwüre gebrachter Stoffe, 3) zur Erweckung eines hohem
Grades von Lebensthätigkeit in irgend einem organischen Theile, 4) zur
Eröffnung der Wandungen natürlicher oder krankhaft entstandener Höhlen,
5) zur Umstimmung krankhaft erregter Sensibilität nach dem Gesetze des
Contrastimnlus und Antagonismus , 6) zur Erregung künstlicher Geschwüre,
7) zur Stillung von Blutungen, z. B. Lap. causticus bei Blutegelstichen,
wenn diese zu lange und zu stark nachbluten. Indicirt sind demnach die
Caustica in manchen Fällen bei Krebs , Polypen , Muttermälern , kalten Ab-
scessen, Congestionsabscessen, bei Arthrocace und Tumor albus, bei paren-
chymatösen Blutungen etc. — Um Vesicatorien, Rubefacientia und Escharo-
tica zu ersetzen, hat Dr. Carlisle ein metallenes Instrument, ähnlich einem
gewöhnlichen Platteisen, das in Ermangelung jenes auch wol dieselben Dien-
ste thut, vorgeschlagen, welches in kochendem Wasser zu verschiedenen
Graden erhitzt und kürzere oder längere Zeit auf die Haut gelegt wird.
Will man Blasen ziehen , so lässt man es 5 Minuten lang in kochendem Was-
ser liegen, so dass es zu 212" Fahr, erhitizt worden, bedeckt den Theil mit
einem durch warmes Wasser nass gemachten Stück Seidenzeuch, drückt daa
Instrument drei bis vier Secunden leicht an , und die ganze Operation ist
beendigt. Zuerst entsteht Runzelung \md Blässe der Haut, dann Entzün-
dungsröthe, Absonderung eines Serums und Lostrennung der Epidermis. Man
trocknet den Theil nun gehörig ab, bedeckt ihn mit trockner Leinwand und
verbindet später die Stelle mit einem fetten Gerat. Soll das Instrument nur
als Rubefaciens wirken, so bedeckt man den Theil mit einem Stück trock-
nen Seidenzeuch, und bewegt es, als wenn man mit einem Platteisen plät«
tet, so lange langsam auf demselben hin und her, bis Röthe und Schmerz
entsteht (s. Dierbach, N. Entdeck, in d. Mat. med. 1828. Abth. 1. S. 70).
Allerdings verdient ein solches heisses Eisen (ich habe in Ermangelung des-
selben ein kleines Platteisen in manchen Fällen, um schnell einen Gegenreiz
zu bewirken, angewandt) oft den Vorzug vor den Kanthariden, besonders
da, wo die Nebenwirkungen der letztern auf die Harnwege zu befürchten
sind. Auch die Salpetersäure (Acid. nitri jj, Aq. dest. gf^) wenden engli-
sche Arzte als Hautreiz bei Krämpfen, in typhösem Fiebern auf die Magen-
gegend mit Nutzen an. Man bestreicht den Theil damit mittels einer Fe-
der, und wäscht ihn nachher, sowie der Kranke über Schmerzen klagt,
mit Kaliauflösung ab (s. Med. chir. Zeitung, 1821. Bd. I. S. 403 und II.
S. 404). Dr. Hüll in Ostindien lobt das Mittel in der Cholera, sowie in
allen Fällen, wo der rasche Verlauf des Fiebers in Verbindung mit Con-
gestionen den Kranken ins Grab fuhrt, bevor der Arzt Zeit hat, es zu be-
kämpfen. Folgende Mittel, die sehr zweckmässig als Hautreize angewandt
werden können, sind hier noch anzuführen: 1) Aqua sinapeos concentrata,
Macht schnell Hautröthe und selbst kleine Bläschen. Man legt es mit Cora-
pressen auf die Haut, besonders wo man gelähmte Theile reizen oder bei
Apoplexie deriviren will. Auch das Waschen damit ist gegen Krätze sehr
wirksam (^Fontenelle'). 2) Das anhaltende Auflegen von Seidelbast erregt
bekanntlich ein Hautgeschwür mit bedeutender peripherischer Röthe. Man
wählt gewöhnlich den Oberarm. Sehr wirksam ist sein Gebrauch, sowie
der der Fontanelle, gegen Anlage zu Hydrocephalus bei Kindern (^Sachse).
Statt der Rinde kann man bequemer die Pomade de Garou, den vom Apo-
368 CAÜSUS INFIJJVIMATORIÜS — CAUTERIUM
theker Dronat bereiteten blasenziehenden Taffet oder solches Papier in An-
wendung bringen (s. Med. chir. Zeit. 1820. II. S. S71). Das grüne Hara
der Daphne Mezer. ist der wirksamste scharfe Theil derselben. Folgende
Salbe ist als Rubefaciens sehr wirksam: I^ Axung. porci §x, Cerae flav, ^,
Liquefact, adde Resin. mezerei virid. 3(^' M. (s. Journ. de Pharmacie. Avril
18:25. p. 167. Dierbach, 1. c. Abth. 2. S. 62 u. f.). 3) Das Unguent. ve-
sicans, welches man zu Würzburg im Feldkrankenhause anwendet, zieht
schnell Blasen und ersetzt häufig das so furchtbar aussehende Glüheisen.
Es besteht aus Folgendem: I^ Unguent. basilici nigr. Sjjj, Pulv. cantharid.
gr. XXV, Merc. sublim, corros., Butgr. antimonii ana 3ß- M. Die Salbe rö-
thet schon nach % Stunde die Haut und erregt denselben Schmerz wie eine
Verbrennung. Gleich darauf erhebt sich eine Blase, und zwar um so schnel-
ler, je frischer die Salbe bereitet worden ist (s. Gerson und Julius Magaz.
Bd. II. S. 551.). 4) Das reine Kalium, die metallische Grundlage des Kali.
Man lässt sich vom Apotheker dasselbe bereiten und conservirt es, da es
bekanntlich sehr leicht in Oxydation übergeht, in Ol. petrae. Will man es
anwenden, so setzt man einen kleinen metallenen Cylinder, dessen Lumen
der Grösse der zu beizenden Stelle entspricht, auf den leidenden Theil,
fasst mit einer Pincette ein Stückchen des Kaliums, bringt es schnell in den
Cylinder und lässt etwa einen Tropfen Wasser nachfliessen. Es entsteht
alsdann durch den Oxydationsprocess eine Flamme und ein Brandschorf. In
der Gräfe'schen Klinik in Berlin ist neuerlich dies Causticum gegen Tumor
albus etc. angewandt worden (s. A. Th. L. Drummer, Dissert. de Kalio etc.
Rostoch. 1830). 5) Das Oleum sinapeos aethereum empfiehlt Dr. Meyer ia
Pr. Minden als schnellwirkendes rothmachendes und blasenziehendes Mittel.
Man nimmt davon 24 Tropfen, löst sie in 1 Unze Weingeist auf und reibt
dami bei zarten Personen etwas in die Haut, ist die Haut derb und wenig
empfindlich, so tränkt man Leinwandstreifen damit, die man auf die Haut-
stelle applicirt. Nach den in Berlin gemachten Versuchen mit diesem Mittel
(s. Wolf in d. Berliner medic. Zeitung des Vereins f. Heilk. etc. 1835. Nr. 41)
leistet dasselbe, 2 — 3mal täglich äusserlich angewandt, sehr gute Dienste bei
schmerzhaften subacuten rheumatischen Affectionen der Gelenke, Aponeuro-
sen und Muskeln, bei chronischem Rheuma, bei nervöser Otalgie, Odontal-
gie, Prosopalgie, Ischias, bei Lähmungen, falscher Ankylose, bei Gelenk-
anschwellungen, atonischer Wassersucht, als antagonistisches und Reizmittel.
CausiiS inflauunatorius f das Brennfieber, s. Febris inflam-
matoria.
CauterisatiOj das Kauterisiren, die Operation des Brennens,
S.Cauterium.
* Cauterium, ein Brennmittel, schnell wirkendes Ätzmit-
tel. Man unterscheidet hier
Cauterium nctuale und potcniinle. Ersteres ist ein aus Eisen, Gold, Sil-
ber etc. verfertigtes chirurgisches Instrument von verschiedener Form und
Grösse (Glüheisen), welches weiss - « 1er rothglühend als Ätzmittel z\ir Her-
Torbringung eines kräftigen Hautreizes, künstlicher Geschwüre, zur Stillung
von Blutungen, wo die Blutung aus dem Knochen, aus tiefliegenden, schwer
aufzufindenden Gefässen kommt, und in vielen andern Fällen (bei vergifte-
ten Wunden durch Hundswuth-, Vipern-, Schlangengift, bei Excrescenzen
des Zahnfleisches, Caries etc.) seine Anwendung findet. Letzteres (das Cau-
terium Potentiale) ist das Ätzen mittels verschiedener Beizmittel (s. Cau-
stica). Ausser dem Glüheisen rechnet man noch hierher die Moxa, das
Brennen mit Schiesspulver und die künstliche Wärme mittels der Brennglä-
ser \uid der glühenden Kohlen, die theils in den genannten Krankheiten,
theils auch (vorzüglich die Moxa) in localen rheumatischen und arthritischen
Beschwerden, besonders bei metastatischen Ablagerungen zu den Gelenken
mit Nutzen angewandt werden. Die Moxa, auch Brenncylinder genannt,
wird auf folgende Art bereitet. Man zerreibt trockne Blätter der Artemisia
vulgaris und bildet daraus einen kleinen Kegel, dessen stumpfes Ende man
CAUTERIUM 369
mUiels einer Flüssigkeit auf die Haut befestiget und anz&ndet. Aucli kann
man die Moxa aus Baumwolle, die man konisch zusammenrollt und mit
Zwirn fest umwickelt und durchnäht, verfertigen. Sehr gut ist es, wenn
man die Baumwolle konisch formt und lose mit BaurawoUengarn umwickelt,
und das Ganze etwas mit Ol. terebinth. und Spiritus anfeuchtet (Ä.)' (Das
Mark der Sonnenblume, oder Flachs, in concentrirter Solutio kali nitrici
getränkt oder getrocknet, oder, was das Kürzeste ist, die in der Apotheke
schon vorräthigen Räucherkerzchen passen besonders gut zur Moxa. M.).
Man zündet dieselbe an der Spitze an und lässt sie, indem man gelinde
bläst , bis auf den Grund abbrennen. Die entstandene Brandborke verbindet
man darauf mit Digestivsalbe, auf Charpie gestrichen. Das Abbrennen des
Schiesspulvers hat man wol bei Wunden, die durch den Biss toller Hunde
entstanden, angewandt, besonders bei furchtsamen Kranken, die das Glüh-
eisen scheuen. Man streuet Schiesspulver in die Wunde und zündet es an.
Die künstliche Wärme durch Brenngläser oder Glühkohlen wendet man nur
so an , dass angenehme Wärme entsteht und kein Schmerz , daher man die
Kohle nur in die Nähe des Theils bringt und den Focus des Brennglases
nicht zu klein nimmt. Man hat diese Mittel zur Heilung hartnäckiger Ge-
schwüre (nur nicht der scrophulösen) empfohlen, und sie zu diesem Zweck
täglich einigemal, % Stunde lang, angewandt. — Die actuellen Cauterien
unterscheiden sich von den potentiellen in mancher Hinsicht. Sie wirken
plötzlich , energisch , erschütternd , trocknen den Theil aus , mit dem sie in
Berührung kommen, sie verkohlen ihn und erzeugen eine trockne Brand-
kruste. Ihre Wirkung erstreckt sich im Augenblicke der Anwendung weit-
hin auf die Nachbartheile und der Organismus wird so wol in der sensiblen
und irritablen als in der vegetativen Sphäre in erhöhte Thätigkeit gebracht.
Sie wirken erhebend, reizend und erweckend durch Ausströmung des allbe-
lebenden Princips: des Wärmestoffs, daher die sich im Umfange der ge-
braunten Stelle weit verbreitende Entzündung eine active, arterielle ist.
Der durch sie bewirkte trockne Brand beschränkt sich stets auf die Stelle,
-wo das Eisen applicirt worden ist, der Brandschorf löst sich durch Eite-
rung, die eine reine Geschwürsfläche darbietet und Pus landabile absondert.
Der Schmerz, der das Brennen erregt, ist nicht anhaltend und lässt sich
ertragen, die Furcht davor ist meist übertrieben. Indicirt ist das Glühei-
sen, äas HippoTcrntes schon so sehr lobt, bei zahlreichen Innern und äussern
Gebrechen , als 1) bei allgemeinen Krankheitszuständen , die auf Depression
oder Verstimmung der Lebensthätigkeit beruhen , um eine schnelle Reaction,
Aufregung und Umstimmung der vitalen Kräfte herbeizuführen , als bei Fe-
brb typhosa, putrida, Typhus torpidus, bei Krampfübeln: Epilepsie, Hy-
drophobie, Chorea, Tetanus, Trismus, bei Syncope und Asphyxie. 2) Bei
Localleiden, denen organische Verletzungen, ein gesunkener, erhöhter oder
perverser Lebensprocess zum Grunde liegt, namentlich bei Paralysen: Amau-
rose, Cophosis, Aphonie, Obstipitas capitis, Blepharoptosis paralytica, Läh-
mung der obern und untern Extremitäten , bei Neuralgien : Ischias nervosa,
Prosopalgie, Hemicranie, Clavus, Cephalalgie, bei Hirnleiden, chronischem
Schwindel, Hydrocephalus, Apoplexia nervosa, serosa, Manie, Fatuität, bei
Atonie der Muskeln und Gelenkbänder und Luxatio habitualis, bei allen
kalten Geschwülsten, bei serösen Ergiessungen in die Rückenmarkshöhle,
bei kritischen , roetastatischen und Lymphabscessen , bei Gelenkkrankheiten,
bei allen Arthrocacen im zweiten und dritten Stadium (^Rust) , bei Hydrar-
thrus, bei putriden, atonischen, scorbutischen , fungösen, carcinomatösen,
brandigen und fistulösen Geschwüren , bei Caries fungosa und superficialis,
beim Carbunkel und Hospitalbrande, selbst bei Blasenscheidenfisteln (Dti-
puytren) , nach der Exstirpation des Krebses auf die frische Wundfläche
(^Rust), um den Krebszunder zu zerstören und den ganzen Organismus um-
zustiimnen, bei Aftergebilden und Parasiten: Polypen, Warzen, Kondylo-
men , Telangiectasien , beim Fungus in Antro Highmori , beim sarcomatösen
Ectropium , bei Trichiasis idiopathica , bei vergifteten Wunden , bei Blutun-
gen aus den Knochen , bei chronischem Astbma, bei solchen Katarrhen u. a. t
Most Encyklopädie. Zte Aufl. I. 24
310 CAÜTERJUM
In vielen Fällen ists auch gut, aus der Brandwunde ein künstliches Gc-
gchwür zu bilden und lange offen zu erhalten, Contraindicirt ist das
Brennen a) bei zarten, sensiblen reizbaren schwächliclien Subjcctcn , zarten
Kindern unter dem Alter von 4 Jahren , bei sensiblen Frauen ; b) bei allen
Übeln mit gesteigertem Lebensprocessc , mit arterieller Entzündung, sjno-
chischen Fiebern ; c) in Fällen , wo man eine profuse Secretion erzielt ; hier
ist der Lap. causticus passender; denn das Glüheisen trocknet mehr aus;
daher .es auch bei Necrose schädlich wirkt ( If ^eidmnnn) ; d) da, wo der
Kranke eine unüberwindliche Scheu vor dem Brennen hat und man noch
Hoffnung hat, durch ein milderes Verfahren zum Ziele zu gelangen. Den
Ort der Application betreffend, sagt Wilde (^Rmfs Hanbbuch d. Chirurgie^
Bd. IV, S. 311): „Bei Gehirnleiden, Geisteskrankheiten, Ohnmächten, Schein-
tod, Chorea, Epilepsie-, Schwindel, Hydrocephalus, Amaurose und Taub-
heit cauterisirt man den Nacken oder den Schädel am vordem und hintern
Ende der Sutura sagittalis. Bei Geisteskrankheiten empfiehlt Benüiardf
gleichzeitig den Scheitel und die Fusssohlen mit dem Glüheisen zu bestrei-
chen, und Valenlin räth, auf dem Scheitel oder von diesem herab nach dem
Nacken einen ziemlich breiten, 4 — 5 Zoll langen Brandschorf zu bewirken,
und im Nacken zugleich bis auf die Muskeln durchzubrennen. Nach Oeijij
(Uxifdand's Journ. , 1828, Scptbr.) kann man bei Geisteskrankheiten auch
einen 6 Zoll langen Streifen mit dem prismatischen Glüheisen zu beiden
Seiten der Wirbelsäule ziehen. Epileptische Anfälle, welche sich durch die
Aura epileptica Aerkünden, verhütete v. Pommcr dadurch, dass er zwischen
dem Nervencentrum und der Ausgangsstelle der Aura, etwa Vi — 2 Zoll
von dieser entfernt, Moxen setzte. Auf solche Weise soll die Weiterver-
breitung der Aura aufgehoben werden und deshalb der Anfall nicht zu
Stande kommen. Bei Typhus paralyticus und Trismus , bei Lähmungen, die
vom Rückenmark ausgehen, und bei Krankheiten der Wirbelsäule, z. B.
Spondylarthrocace , brennt man zu beiden Seiten der Processus spinosi 5 — 6
Zoll lange Streifen, und zwar bei Lähmungen der obem Extremitäten am
obern, bei denen der untern Extremitäten am untern Ende der Columna
vertebrarum. Bei Scheintodten bewirkt man die Ustion gewöhnlich auf der
Herzgrube. Neuralgien verfolgt man mit dem Cauterium nach dem Laufe
der leidenden Nerven, oder man cauterisirt an der Stelle, wo der Schmerz
am heftigsten ist, was auch bei rheumatischen und arthritischen Schmerzen
geschieht. Beim Zahnweh brennt man den schmerzenden Nerven selbst,
bei Kopfschmerzen im Nacken, bei Prosopalgie vor dem Processas mastoi-
deus oder unmittelbar auf der schmerzhaften Stelle, bei Ischias postica hin-
ter und unter dem grossen Trochanter. Bei der Hydrophobie cauterisirt
man die gebissene Stelle, nach Johnson Brust und Hals, oder, nach Siher-
gimdi, in der Regio epigastrica und in der Gegend des achten und neunten
Rückenwirbels, irnd, nach Rtist, die gebis.sene Stelle und den Nacken zu-
gleich. Bei der Amaurose wendet v. Castelln das Glüheisen ad sinciput an,
Larrey dagegen über dem kranken Auge, an den Schläfen und im Verlaufe
des Nervus facialis. Bei Taubheit appücirt man es auf den Processus ma-
stoideus oder auf den Schädel (J^cc/r); bei Aphonie in der Nähe des La-
rynx nach dem Verlaufe des Nervus recurrens , wenn auch der Galvanismu»
hier fruchtlos 6 — 8 Wochen lang, täglich einmal, angewendet worden ist,
und bei Blepharoptosis paralytica cauterisirten Schmidt und Ritst zwischen
dem Unterkiefer und dem Processus mastoideus, doch ist es nicht minder
zweckmässig, das kranke Augenlid selbst mit dem Cauterium zu berühren.
Bei Obstipitas capitis, wo der eine Sternocleidomastoideus paralysirt ist,
brennt man den gelähmten Muskel. Bei Gelenkkrankheiten cauterisirt man
dicht über dem kranken Gelenke , und bei Metastasen die früher afficirt ge-
wesene Stelle. In allen übrigen Krankheitszuständen , wie z. B. bei Mus-
kelrelaxationen, Loxarthrus, Luxatio atonica etc. wendet man es unmittel-
bar auf den leidenden Theil an." Die Form und Grösse der Eisen ist, je
nach den speciellen Fällen der Anwendung und der Localität verschieden.
Man hat sie von prismatischer, cylindrischer , konischer, knopfformiger.
CEDMA — GEPHALALGIÄ 371
dolch- und troikarßrmiger Gestalt, und führt das Eisen, ßoll es in H8b-
len cauterisiren , mittels einer koöchernen Röhre an den Theil. Ein grosses
Becken mit glühenden Kohlen nebst Blasebalg dient zum Glühendmachen des
Instruments, und alsdann bringt man es, je nach dem Zwecke, tald flüch-
tig, bald dauernder mit dem zu brennenden Theile in Contact, Zuweilen
wiederholt man öfterer die Berührung (Cauterisation par points).
C. J. F. Behrens.
Cedma» das chronische Gliederreissen, besonders im Hüft-
gelenke, die sogenannte Koxalgie; s. Arthrocace.
Cele (jj xrjXrf)^ der Bruch, s. Hernia.
Celoides* s. Keloides. Nach Ramherg ist Alilerfs Keloid kein
wahrer Krebs, sondern vielleicht eine Mittelform zwischen Krebs luid Flech-
ten; doch ist das Übel eben so hartnäckig als der Krebs. Frauen zwischen
den Jahren 30 und 50 sind dem Übel häufiger unterworfen, als Männer;
oft finden sich gleichzeitig mehrere Keloide bei einem Subjecte, oft erzeug-
ten sie sich nach der Exstirpation wieder. Ramherg glaubt, dass unter den
innern Mitteln das Decoct. Zittmanni wol wirksam seyn möchte (s. Rusi'a
Handb. d. Chirurgie, Bd. IV, S. 274).
Celotomias der Bruchschnitt, s. Herniotomia.
CcncliriaS) Hirsenflechte, s. Herpes miliaris.
Ceneang^a, Gefässleere, Mangel an Blut oder andern die Ge-
fasse im normalen Zustande füllenden Flüssigkeiten, zumal in Folge starker
Blutungen, grosser Aderlässe. S. Anaemia und Haemorrhagia.
Centrog^anipllitis» MyeloyanglUtis. Ist Entzündung des Rücken-
marks und der Ganglien. S. Inflammatio medullae et gangliorum.
Ceplialaea» ein andauernd heftiger, tiefer Kopfschmerz, 8. Ce-
phalalgi a.
Cephalaematoma« Kopfgeschwiilst der Neugebornen , s. Cepha-
lophyma und Ecchymoma.
Cepbalag^a;, die Kopfgicht, s. Arthritis.
Ceptaalalg^ia 9 Dolor capitis , Ecplexis ( fltppoXrnf es ) , Ecplimis
{Felix Fiater ^, der Kopfschmerz. Kein Übel giebt einen deut-
licheren Beweis davon , wie noth wendig und wichtig für den prakti-
schen Arzt eine gute generelle Pathologie und Therapie und eine genaue
Diagnostik ist, als gerade der Kopfschmerz, da die Ursachen desselben und
daher auch die rationellen Heilmittel dagegen so mannigfaltig und ver-
schieden sind. Man mache sich ein Bild von einem Übel, das in den mei-
sten Fällen nur etwas Symptomatisches, bald periodisch, bald anhaltend
ist, bald den ganzen Kopf, bald nur einen Theil desselben einnimmt, dem
bald Magenverderbniss , bald Fehler der ganzen Verdauung, Fehler de«
Magens, der Leber, der Milz, bald Gicht und Rheumatismus, bald Syphi-
lis, Anomalien der Hämorrhoiden und der Menstruation, dem hier Nerven-
reize aller Art: Hypochondrie, Hysterie, Leidenschaften, Ausschweifungen
in Baccho, Venere, Apolline et Minerva, . dort Vollblütigkeit, unterdrückte
Blutungen, Erkältung des Kopfs wie der. Füsse, verschiedene fieberhafte
Krankheiten, mechanische Kopfverletzungen, organische Fehler des Gehirns
und seiner Umgebungen , allgemeine Körperschwäche etc. zum Grunde lie-
gen , und man hat eine flüchtige Zeichnung von demjenigen Übel , welches wir
Kopfschmerz oder Kopfweh nennen. Demnach ist die Cephalafgie Symptom
bald acuter, fieberhafter, bald chronischer Krankheiten. Hier ist nur die
Rede vom Kopfschmerz im engern Sinne, der in der Regel fieberlos ist und
so vorwaltet, dass die Grundkrankheit sich fast allein durch ihn und seine
Wirkungen äussert (Äcm«««), daher die symptomatischen Kopfschmerzen
bei Fiebern, Entzündungen und fieberhaften Exanthemen, bei allgemeiner
VoUblütigkeit , bei örtlichen Blutanhäufungen im Kopfe als Folge heftiger
Bewegungen, unterdrückter Blutungen, des Nasenblutens, der I^morrhoi-
24*
372 CEPHALALGIA
den, als Symptom katarrhalischer, rheumatischer, arthritischer , Byphlliti-
scher Übel etc. hier nicht hergehören und nur beiläufig berührt werden
sollen. Ältere Ärzte unterscheiden Cephalaea und CephalaJtfin, Uemicrania
und Clavus. Die erste Art ist nach Snuvages ein Dolor capitis gravitatus,
die zweite ein Dolor capitis periodicus, diuturnus, tensivus. Die Hemikra-
nie (Migräne) , sowie der Clavus sind häufig Symptome der Hysterie und
gehören zum nervösen Kopfweh. In klinischer Hinsicht können wir folgende
Arten annehmen: , •
Cephalalgia iJiopathica. Ursachen sind: äussere Gewaltthätigkeiten
mit Verwundung, Quetschung der festen und weichen Theile, mit Ein-
drücken oder Brüchen, Splittern des Hirnschädels, Commotio cerebri, ein-
gedrungene fremde Körper im Gehirn , schneller Wechsel der Temperatur,
übermässige Einwirkung grosser Hitze, besonders der Sonnenstrahlen (Inso-
latio), heftige Gemüthsbewegungen , heftige Geistesanstrengung, Anhäufung
von Blut , Serum , Eiter , organische Fehler des Gehirns und seiner weichen
und knochigen Bedeckungen: Auswüchse, Verhärtungen, Geschwüre, Caries,
Knochenanschwellungen (Tophi) , Verknöcherungen der Hirnhäute , Missbil-
dung oder abnormer Bau des Schädels. Grosse Anlage zu dieser Cepha-
lalgie haben Personen mit Habitus apoplecticus (s. Apoplexia). ■ Cur.
Ist nach den Ursachen höchst verschieden. Je leichter diese zu heben sind,
desto eher ist die Heilung möglich. Eine 40jährige Frau litt seit vielen
Jahren an chronischen Blennorrhöen und an einem periodischen halbseitigen
Kopfschmerz, der in der Regio smus frontalis anfing und sich so über diei
ganze linke Kopfhälfte Verbreitete. Er fing des Morgens 10 Uhr an und
hörte erst nach 6 — 8 Stunden auf. Die Nasenhöhle der leidenden Seite
war selbst beim Katarrh stets trocken; wahrend der Anfalle ward Übelkeit,
Erbrechen , Abgang von wasserhellem Urin bemerkt. Auf eine zußllig ge-
nommene Prise Tabak musste sie heftig niesen, wobei ihr aus dem Nasen-
loche em steinartiges bohnengrosses Concrement flog , wodurch sie sich sehr
erleichtert fühlte. Ähnliches geschah einige- Monate später, sie entleerte
viel stinkenden Eiter aus der Nase ; der Ausflüss hörte auf und Patientin,
die jahrelang durch keine Kunsthülfe von ihrem Leiden befreit werden
konnte und sich schon in ihr Schicksal ergeben hatte , geniesst seit der Zeit
die beste Gesundheit (s. Acicerniann in Heidelberg, klin. Annalen v. Puchell,
CheUus etc., 1827, Bd. HI. Hft. 2. S. 400). ■.
CephaTalgia Sympathien. Ursachen sind: grosse Anstrengung der
Augen^ heftige, widrige Eindrücke auf die Sinne, besonders auf den Ge»^
ruchs- und Gehörssinn, gewaltsames wiederholtes Niesen, Gewaltthätigkei^
ten, auf die Magengegend ausgeübt, gastrische Reize: Würmer, Obstructii^
hepatis, lienis, alvi, narkotische Substanzen (Cephalalgia toxica), Aus-
schweifungen in Baccho et Venere, besonders Onanie. Cur. Man entferne
die Ursachen , berücksichtige die Constitution , deriviro , wo es nöthig ist,
und gebrauche, weinn dennoch der Kopfschmerz als reines nervöses Übel
zurückbleibt, Nervina, Antihysterica etc. Sehr wichtig ist die Diagnose
der verschiedenen Arten und des Sitzes der Cephalalgia , worüber im Allge-
meinen Folgendes zu bemerken ist. Der rheumatische Kopfschmera ist
gewöhnlich reissend, stechend, ziehend und remittirehd; er befällt häufig
die äussern Schädelbedeckungen, erregt Geschwulst, Röthe und Schmerz
beim äussern Druck. Der syphilitische Kopfschmerz nimmt häufig nur
eine kleine Stelle des Vorderkopfs, der Stirnhöhlen, der Nasenwurzel ein,
ist fix, zuweilen mit Schwindel, Niesen, Trockenheit der Nase, üblem Ge-
ruch etc. verbunden. Veraltete Katarrhe mit Scrophulosis inveterata , des-
gleichen Geschwüre, organische Fehler, Insecten und Würmer in den Stirn-
höhlen erregen indessen oft ähnliche Zufalle. Der gastrische Kopfschmerz
hat seinen Sitz gewöhnlich am Vorderkopfe, der hysterische entweder
an der einen Seite des Kopfs (Hemikranie), oder am Hinterkopfe, oder
nur an einer sehr kleinen Stelle des Kopfs (Clavus), und ist häufig mit dem
Gefühle von Kälte und Zusammenziehen begleitet (^Fogel^; sind organische
Fehler die Ursache des Kopfschmerzes, so ist er sehr hartnäckig, anhal-
CEPHALICA 373
tentl, zuweilen mit Erbrechen, Krampf und Zuckungen in den Kau-, Schlä-
fen - und Nackenmuskeln , mit periodischem Unvermögen zu sprechen , zu
kauen, zu schlingen, mit Schwindel, Phantasiren verbunden; ist Druck des
Gehirns von Wasser, Eiter, Blut, von Geschwülstea und Auswüchsen des
Craniums Schuld, so ist derselbe sehr heftig und meist immer mit convulsi-
vischen und paralytischen Beschwerden verbunden etc. Was die Cur im
Allgemeinen betrifft , so ist die radicale Hülfe häufig gar nicht zu verschaf-
fen, wenn nicht die Ursachen gehoben werden können. Dennoch vermag
auch hier ein symptomatisches Verfahren sehr viel , besonders eine gutö
Diät : Vermeidung aller starken und unangenehmen Eindrücke auf die
Geruchs - , Gehörs - und Sehorgane , Ruhe des Gemüths , Vermeidung aller
Geistesanstrengungen, Ruhe des Körpers, erhöhte Kopflage, gleichmässige,
massig warme Temperatur, einfache Speisen und Getränke, Sorge für, täg-
liche massige Bewegung im Freien, für tägliche Leibesöffnung, nach Be-
schaffenheit der Constitution bald mehr kühlende, schwächende, bald melir
antagonistische, derivirende und excitirende Mittel. Häufig hat es der Arzt
mit dem nervösen Kopfweh hysterischer Personen zu thun, wo als Palliative
Opium, Hyoscyamus, Aq. laurocerasi, selbst Stramonium zu Vk; — Yg Gran
oft nützlich sind. Hier leisten auch die Pilules contre la migraine ou anti-
cephalalgiques des Dr. Isoard (Journ. de Pharmacie , Mai, 1826, p. 255)
häufig gute Dienste. Sie bestehen aus : l^r Extr. hyoscyami gr. |>f , AceU
morphic. gr. Vi,, Oxyd, zinci suhlimnt. gr. %, pour une pilule argent^e,'
wovon 2 — Smal täglich eine solche Pille genommen wird (s. Hysteria und
Hemicrania). Ein empirisches Volksmittel in Mecklenburg, wovon ich
in mehreren Fällen des nervösen Kopfwehs gute Dienste sah, ist der pul-
verisirte Schwefel, in einem Beutel längere Zeit am Hinterkopfe getragen.
Auch bei dieser Art des Kopfschmerzes können zuweilen Congestionen zum
Kopfe stattfinden, welche die Anwendung von Blutegeln und gelinden Laxan-
zen nöthig machen. Der Doctor M. Prosper Martin in Paris (s. dess, Ab-
handL über die Migräne und andere Arten von Kopfweh, nebst deren Heil-
mitteln. A. d. Franz. von FlecJc; Ilmenau, 1830) nimmt 3 Arten von Mi-
gräne an: 1) in Folge von Plethora, 2) von Nervenreizbarkeit und 3) von
Unreinigkeiten der ersten Wege. Bei der letztern Art empfiehlt er ein Pul-
ver aus: I^ Aloes 3 j ) Sah nmmoniaci dqf)., Pnlv. rTiei, — Pulv. cMnnef
Sulphur. depur. , Pulv. rnd. vnlerian. ana 3jj j Pulv. rad. squillae gr. xvjj].
M. f. p. divide in xii part. aequal. S. Morgens ein Pulver zu nehmen.
Da auch bei der nervös scheinenden Migräne der Fi'auen häufig fehlerhafte
Beschaffenheit des Unterleibes , Stockungen darin , begünstigt durch enge
Kleidung , sitzende Lebensweise etc. , die Ursache ist , so kann man dieses
Pulver auch hier versuchen. Rccamier und Trousseau in Paris lassen bei
Migräne, ^owie bei Gesichtsschmerz, 4 Gran blausaures Kali in einer Unze
Aq. destillat auflösen und Compressen, damit angefeuchtet, auf die schmerz-
hafte Stelle legen.
Cephalalyia intermittcns. Zuweilen leiden Menschen Jahre lang alle 2,
3 , 4 Wochen ein paar Tage an heftigen Kopfschmerzen , die allen Mitteln
trotzten. In einzelnen Fällen fand ich das Übel erblich; zuweilen ist ein
organischer Fehler des Gehirns Schuld. In andern Fällen rührt es von ei-
ner lutcrmittens larvata her , oder es ist rein nervös. In dem letztern Falle
gab Hue (Revue medicale, 1833, Mai) 15 Gran Chinin in 4 Loth Schnupf-
tabak, wie gewöhnlich verschnupft, mit Nutzen. Auch innerlich Chinin
wird seine Wirkung nicht versagen. Nach John Scott tritt ein intermitti-
render Schmerz über einem Auge oft alle 3 oder 4 Stunden bei diesem Übel
ein. Die heftigste Form ist mit Entzündung der Membranen der Nase und der
Sinus frontales verbunden. Hier, wo die Nase trocken ist,- 'leisteh 3 Blutegel,
in jedes Nasenloch gesetzt, grosse Dienste. Hinterher ein tax^ns, später
anhaltend Chinin (s. Horti's Archiv, 1835, März u. April, S. 309). ,. ;
Cepbalica, Mittel, die besonders auf den Kopf iri^ken,
und zwar auf specifische Weise. Die Alten rechneten hierher viele Antf-
374 CEPHALITI9 — CERATONYXIS
spasroodica, Nervina, Diaphoretica , Irritantia, Roborantia, Aromatica, be-
sonders aus dem Pflanzenreiche, als Calam. aromat., Galanga, Imperatoria,
Serpentaria, Marrubium, Melissa, Mentha, Origanum, Rosmarinus, Lavan-
dula, Valeriana etc. (s. Encyclop. methodique, T. XL. p. 555).
CephalitlS» Entzündung des Gehirns, s. Inflammatio cerebri
et meningum.
Cephalitis externa. Is? die Entzündung der äussern Weichtheile des
Kopfs , entstanden durch Wunden , Verbrennungen , durch Arthritis ,
Rheuma etc.
Ceptaaloloxla» das schiefe Tragen des Kopfes, s. Caput ob-
stipum.
Cephalomyitis« Ist Entzündung der Kopfirauskeln.
Ceplialopilyma» Cephalaematoma, die äussere Kopfgeschwulst,
wobei keine Verletzung des Craniums und daher auch keine Hirnzufälle statt-
finden. Nicht selten findet sie sich bei Neugebornen, wo sie sich während
der Geburt an dem vorliegenden Theile des Kopfs besonders dann bildet,
wenn das Wasser früh abgeflossen ist (Caput succedaneum) , um den Mut-
termund zu erweitern. Sie dient auch dazu, um die Hebamme oder den
Geburtshelfer nach der Geburt des Kindes zu überzeugen , ob die Untersu-
chxmg in Betreff des Kopfstandes richtig war oder nicht. Häufig hat der
Kindeskopf dadurch ein schiefes Ansehen bekommen, wozu auch das Über-
einanderschieben der Kopfknochen zur Erleichterung der Geburt viel mit
beiträgt. Cur. Sehr zu tadeln ist das Zurechtschieben des Kopfs, das
noch hier und da die Hebammen vornehmen. Dies befördert oft selbst das
Übel , das durch die Zeichen der Contusion von Oblongati(» capitis sich
leicht unterscheiden lässt und nicht blos am Kopfe, sondern auch an andern
gedrückten Kindestheilen vorkommen kann. Auch muss Caput succedaneum
wol unterschieden werden von der Kopfblutgeschwulst der Kinder (s. Ec-
chymoma capitis neonatorum). Man wende bei Caput succedaneum
in den ersten drei Tagen weiter nichts als trockne aromatische Kräuter an,
und wenn diese nicht ausreichen, so verordne man keinen Wein zu \Ja\-
schlägen, denn dieser betäubt das Kind, sondern laues Wasser zum Wa-
schen oder Umschläge von lauem Essig und Wasser. In den meisten Fäl-
len verschwindet dadurch die Geschwulst. Ist dies nicht der Fall , ist die
Geschwulst sehr gross und ein bedeutendes Blutextravasat unter der Haut
da, fühlt sich die Beule weich und schwappend an, so öffne man sie, lasse
das Extravasat aus und verbinde mit Decoct. quercus die Wunde. Wird
dies vernachlässigt, so können Caries der Kopfknochen und dadurch Ge-
hirnaffection , Zuckungen und Tod die Folge seyn (s. Abcessus san-
guin eus).
CepbalopyosiSy Kopfabscess, s. Abcessus capitis.
Cepbaloseisis » Erschütterung des Kopfs; s. Commotio ca-
pitis.
Ceratiasis, das Behaftetseyn der Haut mit Hornauswüchsen , s.
Hystriciasis.
CeratitiSf Hornhautentzündung, s. Inflammatio corneae.
Ceratocele» Hornhautbruch, s. Staphyloma corneae.
CeratodeitiSy Hornhautentzündung, s. Inflammatio corneae.
Ceratoleucoma» das Hornhautleukom, s. Macula corneae.
Ceratoma* Ist jedes Horngewächs.
Ceratomening^itis» Entzündung der Hornhaut, s. Inflammatio
corneae.
Ceratonyxi/§l( die Keratonyxis, d. i. Durchstechung der Horn-
haut aur Depression des Staars; s. Cataracta.
CERATOPLASTICE — CHEILOPLASTICE 375 ^
Ceratoplastice 9 künstliche Hornhautbildung, s. Chirurgia cur-
torum.
Ceratotomia , der HornhaiLtschnitt, der bei der Operation
des Staphyloms, des grauen Staars mittels der Extraction, zum Entfernen
von Flüssigkeiten im Auge etc. angewandt wird,
CercosiiS« Ist ein schwanzförmiger Auswuchs an den weib-
lichen Genitalien, ein grosser Weichselzopf in den Schamhaaren, ein aus
dem Uterus hervortretender Mutterpolyp , endlich eine übermässig grosse
Klitoris ; s. Polypus uteri, Plica polonica.
Cerea, Achor, böser Kopfgrind, s. Tinea capitis.
Cerebaria, s. Carebaria.
Ccronia, eine Balggeschwulst mit wachsähnlichem Inhalte, s. Tu-
mor cysticus.
Cerostrosiis , s. Hystriciasis.
Clialasis» die Erschlaffung, Abspannung, Atonie.
Chalastica (remedia), erschlaffende Mittel, s. Relaxantia.
Ciialaziona das Hagelkorn. Ist eine Krankheit des Augenlides;
8. Hordeolum.
Cheilalg^ia, Lippenschmerz, ein schmerzhaftes Lippenübel, z.B.
Cheilocace, Cheilophyma etc.
Cheilocace» Lippengeschwulst, besonders chronischer, scrophulöser
Art, s. Sero p hulosis.
Cbeilocarcinoina» s. Cancer labiorum.
Cheilophyma, Li pp enge wachs , ein isolirter umschriebener
Auswuchs oder Knoten der Lippe, woraus oft krebsartige Geschwüre ent-
stehen (s. Cancer labiorum). Andere nennen so eine nachgiebige, öde-
matöse Lippengeschwulst.
Cheiloplastice» ChiloplnsUce («rs), die künstliche Bildung
neuer Lippen. Diese Operation hebt die schrecklichste Entstellung des
menschlichen Gesichts und eine Reihe anderer qualvoller Zustände vollkom-
men. Rust hatte Fälle beobachtet , wo durch Zerstörung der Lippen die
Kranken bedroht worden sind , dem Hungertode zu unterliegen , wo ein pest-
artiger Geruch aus der engen Mundöffnung strömte und sich an die Zähne
grosse Mengen Weinstein gelagert hatten. Indicirt ist die Lippenbildung
1) bei Zerstörung der rothen Lippensubstanz , bei Verengerung des Mundes,
wo die innere Schleimhaut über die neugebildete Öffnung verpflanzt wird.
2) Bei sehr bedeutendem Substanzverlust der Lippen , welcher nicht durch
Heranziehen der benachbarten Theile ergänzt werden kann. Weder die all-
mälige Erweiterung , noch das Aufschneiden eines bis auf ein rundliches,
callöses kleines Loch reducirten Mundes führen zum Ziel , da die Öffnung
immer wieder verwächst; nur die Operation, wodurch die innere Schleim-
haut bei der Zerstörung der rothen Lippensubstanz und bei Verengerung
des Mundes über die neugebildete Öffnung verpflanzt wird wird, führt zum
gewünschten Ziele. Diese Operation macht Dieffenhnch auf folgende Weise:
Das untere spitze Blatt einer kleinen , gebogenen Scheere wird in den obern
Winkel des kleinen, harten Mundloches nach der einen Seite hin zwischen
den Weichtheilen der Wange und der Schleimhaut des Mundes fortgescho-
ben, und die zwischen der concaven und convexen Schärfe der Scheeren-
blätter befindlichen Weichtheile durchschnitten. Sobald der Finger durch
die nach diesem Schnitte nachgiebiger gewordene Öffnung des Mundes ein-
geführt werden kann, dient derselbe als Leiter, um die Incision bis zu dem
Punkte , wo der Mundwinkel angelegt werden soll , fortzusetzen. Einen
zweiten, mit dem vorigen parallel laufenden Schnitt führt man von dem un-
tern Mundwinkel fort aus, und vereinigt beide an der entgegengesetzten
Seite durch eine nach mnen gekrümmte Schnittlinie. Der zwischen diesen
376 CHEILORRHAGIA — CHEMOSIS
Incisionen Hegende Haut- und Muskelknoten wird hierauf mit der Scheere
sorgfältig von der Schleimhaut getrennt. Ebenso verfährt man auf der an-
dern Seite der Mundöffnung. — Hierauf lässt man den Kranken den Unter-
kiefer herabziehen, um dadurch die noch unversehrte Schleimhaut, die auch
willig nachgiebt, stark anzuspannen, worauf man dieselbe mit der Scheere
ringsum von ihrer Innern Anheftung einige Linien weit lostrennt. Mit die-
ser Schleimhaut sollen nun die Ränder der Mundöffnung besäumt werden.
Man spaltet dann mit der Scheere die Schleimhaut nach beiden Seiten hin
drei Viertheile ihrer Länge, und lässt den äussersten, den runden Mundwin-
keln zunächst liegenden Theil undurchschnitten. Die Ränder des kleinen,
callösen Theiles der Mitte der Ober- und Unterlippe gleicht man durch
Querschnitte. Die auf diese Weise gebildeten, mit einer dicken Schicht
Zellgewebe versehenen Schleimhautlappen schlägt man über die Wundrän-
der nach aussen um , und vereinigt sie mit der äusseren Gesichtshaut durch
umschlungene Insectennadeln, deren Enden kurz am Faden abgeschnitten
werden. In den Zwischenräumen bringt man feine Knopfnähte an. Sehr
sorgfältig verfährt man besonders bei der Umsäumung der Mundwinkel, da
das Ausreissen der Nähte Eiterung und neue Verwachsung von diesem ge-
fahrlichen Punkte aus zur Folge haben würde (s. RiisVs Handb. d. Chirur-
gie, Bd. IV. S. 579). Die Bildung ganzer Lippen durch Überpflanzung
wird selten nöthig, da die benachbarten Weichtheile vermöge ihrer Dehn-
barkeit selbst einen bedeutenden Substanzverlust ohne Entstellung heben
lassen , zumal wenn man eine sehr starke Spannung durch einen seitlichen
Einschnitt durch die Wange entfernt. Fehlt aber so viel Substanz, dass
auch nicht durch die Eiterung die Blosse des Ober- oder Unterkiefers be-
deckt werden kann, oder sind die Weichtheile und die unter ihnen liegen-
den Knochen zerstört und haben grosse Lücken mit knorpelharten , unnach-
giebigen Rändern zurückgelassen, so wird die Überpflanzung aus der Nähe
oder Ferne nöthig. „Dies Verfahren, sagt Dieffenhach, ist viel einfacher,
als bei der Nasenbildung. Man trägt den harten Rand gehörig breit ab,
lässt ihn darauf möglichst weit von dem Knochen, und entnimmt dann, je
nach der Localität des Defects , einen entsprechend grossen Hautlappen ent-
weder aus dem mittlem oder untern Theile der Wange, dem Knie, der
Haut des Halses etc., lässt diesen durch eine Hautbrücke mit seiner Umge-
bung in Verbindung, drehet ihn um und heftet ihn in die Lücke ein. Der
durch Wegnahme des Lappens entstandenen Wunde giebt man eine zur
Vereinigung geschickte Form, und nähert bei einem grössern Substanzver-
lust die Ränder so viel als möglich, oder vereinigt sie, wenn es ausführbar
ist, durch die unblutige Naht. Die Nadeln werden nach der gehörigen
Verwachsung entfernt und die Brücke später exstirpirt." Mehrere solche
Überpflanzungen aus der Wange hat Dieffenhach mit Glück gemacht und
in einem Falle sogar von der entgegengesetzten Wange einen Hautlappen
auf eine nach Transplantation in der Nähe zurückgebliebene Öffnung mit
Erfolg übergepflanzt. Durch zwei Querschnitte unter der Nase wurde aus
dem obern Theile der Lippe die Brücke gebildet und die Wunde dann ver-
einigt. Auch Davics verrichtete dieselbe Operation, und Textor bildete eine
ganze Unterlippe aus der Haut unter dem Kinne , welche in die Höhe ge-
schlagen wurde (s. Ol-en's Isis, Bd. XXI. S. 496 ff., 1828). „Die Lippen-
bildung — sagt Dieffenhach — hat zwar ihren bedeutenden Werth, inso-
fern eine unangenehme Blosse des Kiefers dadurch bedeckt wird , ein natür-
liches Ansehen kann aber die neue Bildung erst dann gewinnen, wenn der
verpflanzte Lappen wenigstens in späterer Zeit mit rother Lippensubstanz
oder der Innern Schleimhaut der Wange besäumt wird."
Ctaeilorrhagia , Lippenblutung, s. Haemorrhagia.
Cheimetle« Cheimetlon, s. Pernio.
Clielysciuin, das Hüsteln, s. Tussis.
Clieuiosis» eine heftige Augenentzündung, s. Blepbarophthal-
m 1 1 i s.
CHEVION - CHIRUKGU 377
Chimon» Chdma, der Winter, daher ein heftiger Fieber frost; s.
Febris.
Chiragra» Gicht in den Händen, s. Arthritis.
diirartl&rocacet Entzündung und Beinfrass am Handgelenke, s.
Art hro c ace.
Chironeunif ein bösartiges, schwer zu heilendes Geschwur, s. Can-
cer cutis und Ulcus.
Ctairorrheuma, Rheumatismus, rheumatische Geschwulst an der
Hand, s. Rheumatismus.
Cbirurg^ia, die Wundarzneikunst, Wundarzneikunde,
Chirurgie. Ist derjenige Theil der gesammten Heilkunde, welchen ge-
wöhnlich der Wundarzt (Chirurgus) ausübt und der die Heilung der äusser-
lichen Krankheiten umfasst, wozu bald Instrumente, bald innere, bald äus-
sere Mittel , bald innere und äussere zugleich nothwendig sind ; daher die
Eintheilung in Chirurgia manualis seu instrumentalis , und in Chirurgia me-
dica (welche vorzugsweise in diesem Werke bearbeitet worden) entstanden
ist. Auch hat man die Chirurgie noch in Chirurgia legalis seu forensisj in
Chirurgia obstetricia und Chirurgia infusoria eingetheilt, obgleich letztere
nur eine chirurgische Operation ist. Dass die Medicin und Chirurgie nicht
getrennt werden können, dass der wahre Chirurg auch Kenntniss der In-
nern Heilkunde und der wahre Arzt operative und andere chirurgische
Kenntnisse (wenigstens theoretisch) besitzen müsse, ist eine Wahrheit , wel-
che öfters zum Schaden der Kunst und Wissenschaft nicht gehörig gewür--
digt worden ist. Auch die Anmassung der Ärzte, die Medicin höher zu
stellen als die Chirurgie , ist höchst lächerlich , da jede ihr grosses Verdienst
hat, auch besondere Talente erfordert, erstere mehr philosophischen Sinn
und praktischen Tact, letztere mehr echten Kunstsinn. Da sich diese Ei-
genschaften selten in einer Person vereinigt finden, so werden wir auch
selten einen grossen Arzt finden , der zugleich auch guter Operateur wäre,
und umgekehrt. Ein Mehreres darüber wird an einem andern Orte geredet
werden, s, Medicina. Reil dcfinirte die Chirurgie als denjenigen Theil
der Heilkunde, welcher Krankheiten durch mechanisch wirkende Mittel zu
beseitigen lehrt. Hierdurch ist aber die Grenze der Wundarzneikunst zu
eng gesteckt ; denn nicht nur die mechanischen , auch die chemisch - dyna-
mischen Mittel vermögen Veränderungen der Form zu bewirken , wie z. B.
die Zertheilung krankhafter Geschwülste durch pharmaceutische Heilmittel
beweist ; selbst psychische Einwirkungen sind dieses im Stande , wie z. B.
die Thatsache , dass Gemüthsaffecte den Turgor vitalis vermindern , darthut.
Andererseits kann auch die Medicin die mechanischen Mittel bei vielen Krank-
heiten nicht entbehren; man erinnere sich nur der Venaesection , der Um-
schnürungen der Glieder bei Febris intermittens , Aura epileptica etc. Wer
nur allein durch äussere mechanische Mittel heilen wollte, würde ein
schlechter Chirurg seyn; denn gerade darin zeigt sich der Werth des Chir-
urgen , dass er nicht blos eine geschickte Hand zur Anwendung der mecha-
nischen Mittel besitzt, sondern zugleich die Innern dynamischen Verhältnisse
einer gegebenen Krankheit in seinem Geiste aufzufassen und ihnen durch
kluge Entgegenstellung chemisch - dynamischer Mittel, durch entsprechende
Anordnung aller physischen und psychischen Einwirkungen zu begegnen
weiss (^Klasius). Auch sind die mechanischen Mittel ja selbst krankmachende
Potenzen , ihre Wirkung geht über das Räumliche hinaus , und sie fügen zu
der durch die Krankheit gesetzten Alienation der vitalen Verhältnisse eine
neue , welche in Verbindung mit jener zur Gesundheit oder zum Tode führt,
je nachdem der Chirurg sich auf den Calcul der Verhältnisse des Organis-
mus an sich und zur Aussenwelt versteht oder nicht. Mit der Eröffnung
des Uterus und der Wegnahme der Frucht beim Kaiserschnitt ist erst das
Wenigste geschehen; versteht der Chirurg nicht die eigenthümliche Lebens-
stimmung, welche der mütterliche Organismus als Bildner und Träger eines
zweiten erhält und welche sich im natürlichen Fortgange der Schwanger-
378 CHIRURGU
Schaft und Entbindung , im ungestörten Verlaufe des Wochenbetts ausgleicht,
zu würdigen , weiss er nicht , ihr gemäss , äussere Einwirkungen aller Art
hier abzuhalten , dort zu modificiren , dort neu auftreten^ zu lassen , It^nn
er nicht abschätzen, welche Reaction seine Operation in dem gerade auf
jene Weise disponirten Organismus erregt hat, — mit einem Worte, will
der Chirurg nur auf mechanischem Wege heilen, so hat er ein Leben, statt
zu retten, nur rascher und unter grössern Qualen dem Untergange zugeführt
(^Blasitis). — Höchst einseitig ist es, die Chirurgie als die Lehre von der
Anwendung chirurgischer IVIittel, d. h. geregelter Mechanismen, wie noch
jüngst Richerand (Dict. des scienc. m6d. T. V. p. 85) gethan , bestimmen
zu wollen. Dies würde auf den niedrigen Standpunkt der Chirurgie im
Mittelalter führen, und ohnedem wirken ja nicht alle chirurgischen Mittel
nur mechanisch, auch chemisch - dynamisch , z. B. Glüheisen, Lap. caust.,
infernalis. Der deutsche Name Wundarzneikunst ist freilich einseitig
und dem Gegenstande wenig entsprechend, weil der Wundarzt nicht blos
Wunden, auch Geschwüre, Brüche, Verrenkungen, Fracturen, Geschwülste
etc. zu heilen hat , doch deutet er richtig schon die pathologische Seite der
Chirurgie an. Eben so wenig kann man, wie Manche wollen, sagen, dass
die Chirurgie es nur mit den örtlichen, die Medicin dagegen mit den allge-
meinen Krankheiten zu thun habe. Es giebt in der Natur keine Grenze
zwischen localen und allgemeinen Krankheiten , nur in den Handbüchern der
Medicin, gemodelt nach dem jedesmal herrschenden Systeme der Medicm
und ihren Hypothesen und Theorien. Allgemeine Krankheiten ziehen leicht
ortliche und diese allgemeine nach sich, und daher hat die Medicin es eben
so gut mit örtlichen Übeln zu schaffen, als die Chirurgie. Ritjen {Rtisfa
Magazin, Bd. XXVIII. S. 3) setzt den Begriff der die Chirurgie betreffen-
den Krankheiten in eine vorzugsweise Störung des gesetzlichen äussern
Lebensverhältnisses, also des Mechanismus und Chemismus eines organischen
Theils, und hat überhaupt den Gegenstand allseitiger aufgefasst und die
pathologische und therapeutische Seite richtiger gewürdigt; doch dehnt er
den Begriff des Äusserlichen zu weit aus. Rust zieht zunächst aus der Wir-
kung der Mittel die Bestimmung der Beschaffenheit der Krankheiten , gegen
welche jene Mittel dienen; dazu kann aber nur diejenige Wirkung, auf
welcher die Heilung beruht, benutzt werden, und dies ist keinesweges im-
mer eine primäre (^Blasius) ; daher kann aus der mechanischen und chemi-
schen Wirkungsweise der chirurgischen Hülfe keinesweges auf die gleich-
namige Beschaffenheit der chirurgischen Krankheiten geschlossen werden.
Eine Sonderung des Materiellen und Dynamischen ist wegen ihres innigen
Zusammenhangs eben so falsch in der Theorie als zu nothvvendigen Miss-
griffen führend in der Praxis. Rein chemische Ki'ankheiten existiren gleich-
falls nicht in der Natur; auch Eiterungen und Geschwüre sind nicht, wie
Ritgen will , chemische Krankheiten. — Zw eierlei muss , nach Blashis (^Rust'a
Handb. d. Chirurgie, Bd. IV. S. 456), um die Grenzen der Cliiruigie zu
bestimmen, festgehalten werden : 1) dass eben deshalb, weil die Chirurgie die
vollständige, d. h. nach der pathologischen und therapeutischen Seite hin
gefasste Doctrin einer gewissen Classe von Krankheiten seyn muss, nicht
minder das chirurgische Heilwirken , als die chirurgischen Heilungsobjecte
berücksichtigt werden müssen, und 2) dass, wie die chirurgische Hülfe nie
auf mechanische , chemische oder sonstige primäre Wirkung beschränkt bleibt,
eben so bei den chirurgischen Krankheiten niemals die äussere, materielle
Seite des Organismus allein in Betracht kommt, sondern das organische
kranke Seyn, nach allen seinen Richtungen, als abnormes Äusseres und
abnormes Inneres, als Abweichung der Materie und der Kräfte, als Ano-
malie der Wechselbeziehung mit den übrigen Theilen des Organismus auf-
gefasst werden muss. — Nur auf diese Weise wird in der Theorie das
Band festgehalten, welches naturgemäss zwischen Medicin und Chirurgie,
und zwar sowol zwischen der pathologischen als der therapeutischen Seite
derselben besteht, und das nur eine Verfinsterung der Wissenschaften und
Künste zum Nachtheil der kranken Menschheit zerreissen konnte. Da Me-
CaURimGIA 379
diclo und Chlrargie ihrer Natur nach unzertrennlich sind, so muss jedi*
Versuch der Wissenschaft zu dieser Trennung als ein unnatürlicher erschei-
nen. Es giebt eine manuale und medicinische Chirurgie und eine
chirurgische Medicin , eine allgemeine und specielle Chirurgie,
doch finden wir selbst in guten Handbüchern der Wundarzneikunst nicht
immer eine wissenschaftliche Eintheilung der Chirurgie, z. ß. in denen von
Richter, Bell, Chelius, Langenheck, Boyer etc., nur v. Wdlth.cr's neueste
Schrift (System der Chirurgie etc.) macht eine lobenswerthe Ausnahme.
Einzelne Branchen der Chirurgie sind:
Chirurgia castrensis s. militaris, die Kriegsarzneikunde. Der Un-
terschied zwischen ihr und der gewöhnlichen Chirurgie liegt nur in den äus^
Sern Beziehungen. Eine gewisse Classe von Krankheiten kommt hier vor-
zugsweise zur Behandlung ; ferner sind zu berücksichtigen : die Umstände,
Hindernisse und Schwierigkeiten dieser Praxis, zumal im Kriege, die Stel-
lung des Militairarztes zum Staate, das Dienstverhältniss , das medicinisch-
polizeiliche Verhältniss , die zweckmässige Einrichtung von Hospitälern , Feld-
lazarethen, Feldapotheken etc. Das Interesse an allen diesen Gegenständen
hat eine Militair-Medicinalpolizeiwissenschaft zu Tage ge-
fördert, um welche sich Colomhier, Eichheimer, Niemtmn, JosepM, Beinl^
Omodei , Isfordink durch eigene Schriften , viele Andere durch Beiträge ver-
dient gemacht haben (s. Colomhier, Code de medecine militaire pour le Ser-
vice militaire ; Vol. V. 12. Par. 1772. — Eichheimer, Umfassende Darst. des
Militair - Medicinalwesens in allen seinen Beziehungen etc. 2 Bde. Augsburg,
1824, — Niemann, Taschenbuch der Militair -Medicinalpolizei ; Leipz. 1829. —
JosepM, Handb. d. Militair - Arzneikunde ; Berlin, 1829. — Beinl v. Bienen-
burg, Versuch einer militair. Staatsarzneikunde in Rücksicht auf die k. k.
österreichische Armee; Wien, 1804. — IsfordinTc, Militairische Gesundheits-
polizei etc. 2 Bde. 2. Aufl. Wien, 1827). ^
Chirurgin curtorum, Ch. anoflastica. Restitutio organica s. partium t^
perditarum, Transplantatio , MoriopJastice , organische Plastik, anbil-
dende Chirurgie, organischer Wiederersatz, Wiederher-
stellung verstümmelter Theile (Curta) des menschlichen Kör-
pers. Die Methode, verstümmelte Theile, zumal die Nase, wieder durch
organischen Ersatz herzustellen, ist schon sehr alt, doch blieb die Morio-
plastik bis auf die neuere und neueste Zeit, wo sie an Umfang gewann,
noch sehr unvollkommen. Sie stützt sich auf die interessante physiologische
Erscheinung , dass völlig oder beinahe getrennte Theile öfters mit derselben
oder einer andern Stelle des Körpers, ja selbst Etuf ein anderes Individuum
übertragen , eine neue Verbindung eingehen und fortleben (vergl. Haller^s
Physiologie , Bd. VIII.) , und zwar um so leichter , je niedriger die Organi-
sationsstufe ist, auf welcher der getrennte Theil steht. Federn, Klauen
und Sporen der Vögel, die Haare und Zähne der Säugethiere und Men-
schen , Hautlappen , vorzüglich die Enden prominirender Körpertheile , wie
Nasenspitzen , Stücke von der Ohrmuschel , heilen am leichtesten wieder an,
weit schwieriger ganze Finger. Dieffenbach glaubt, dass auch die Zunge
und die Eichel wol dazu geeignet wären und bedauert überhaupt, dass die
Beobachtungen über Transplantatio nur sparsam sind und die gesammte Chirur-
gia curtorum unter vielen Wundärzten nicht ihrer Wichtigkeit nach Beher-
zigung und Würdigung gefunden habe. Die eine Art der Morioplastik , die
darin besteht, völlig getrennte Theile wieder in organische, lebendige Ver-
bindung zu bringen, ist selbst von grossen Wundärzten, z. B. von Heister,
in Zweifel gezogen worden. Eine zweite Art der Verpflanzung ist diejenige,
wo der zum Ersatz dienende Theil durch eine ernährende Brücke mit sei-
nem Mutterboden noch einige Zeit in Verbindung erhalten wird. Ein ge-
ringer organischer Zusammenhang ist, wenn auch der Theil aus seinen übri-
gen Verbindungen getrennt und mit entferntem Gebilden der nämlichen
Gattung in blutige Berührung gebracht wird , hinreichend , den Ernährungs-
process in der ersten Zeit zu vermitteln und das Fortleben des Theils so
lange zu sichern, bis eine vollkommnere organische Verbindung zu Stande
380 CHIRURGIA
gekommen ist. Hierauf stützt sich , nach allen Erfahrungen , die ganze
Lehre vom organischen Wiederersatz (^DieffenhacK). In der Chirurgie gilt
der Grundsatz, Wunden nur erst, wenn die Blutung aufgehört hat und das
Stadium lymphaticum eingetreten ist, zu vereinigen; derselbe hat auch bei
der Morioplastik seine Gültigkeit. Bei getrennten Hauttheilen ergiebt sich
aus Dieffenhncli's Beobachtungen Folgendes : Unmittelbar nach der Umschrei-
bung eines Hautthcils mit dem Messer, noch ehe der Lappen einmal gänz-
lich aus seiner Verbindung getiennt ist, verwandelt sich in Folge des rei-
nen Nervenaffects , des spastischen Zustandes im Hautcapillargefässsysteme,
nicht in Folge der Entleerung der Blutgefässe, seine Röthe in eine Tod-
tenblässe, die sich nach einigen Minuten wol verringert, zumal durch ge-
lindes Reiben, aber doch nie in dem Grade, dass wirkliche Röthe wieder
eintritt. Aus den Rändern desXappens sickert anfangs rothes Blut, später
ein lymphatisches Exsudat. In der ersten Stunde ist noch Leben in dem
-getrennten Theile, später vertrocknen die Ränder, alle sichtbaren Spuren
des Lebens hören auf, und der Theil geht durch alle Stufen der Zersetzung
der Verwesung entgegen. Hautiappen von Leichnamen zeigen keine jener
bemerkten Erschütterungen , sondern ihre Schnittflächen vertrocknen schnell.
War aber der Tod erst vor wenigen Stunden erfolgt , so zeigte sich in
Schnittwunden eine B'euchtigkeit, welche lymphatische Feuchtigkeit zu seyn
schien. Bei jungen, kräftigen, vollsaftigen Leuten, bei solchen, die kurz
vor Trennung des Theils Spirituosa genossen , ist die Vitalität des getrenn-
ten Theils am deutlichsten und lebhaftesten. Letztere wird auch durch
trockne Wärme im Theile etwas verlängert, durch Kälte aber vernichtet.
Wasser, auch selbst wenn es lau ist, führt eine frühere Ertödtung herbei.
Gelingt die Vereinigung völlig getrennter Theile, so zeigt der agglutinirte
Theil Turgescenz , die Oberfläche der Epidermis wird glatter, glänzender,
die Farbe ist dabei bleich und spielt selten ins Röthliche, die Umgegend
des Bodens ist dagegen stark geröthet. — Bei der zweiten Art der Ver-
pflanzung, wo man einen Ableger der Haut überpflanzt imd die Ernährung
durch die sitzen gebliebene Brücke vermittelt wird, zeigen sich ähnliche
Erscheinungen. Der ganze Lappen wird auch hier blass, aber gegen die
Brücke hin erscheint die Haut geröthet, die Grenze ist zuweilen hochroth
und es findet deutlich eine starke Blutströraung, ein deutliches Pulsiren der
kleinen Hautarterien statt. Die oft an den Rändern dos Lappens sichtba-
ren, den Todtenflecken ähnlichen Flecke sind kleine Blutagnationen, die nach
der Vereinigung bald wieder verschwinden. Stets ist der Hautlappen , wenn
er auch bleich erscheint , eher mit Blut überfüllt , als zu arm daran ; er
contrahirt sich , besonders an den Rändern , nnd rollt sich zugleich gegen
die Zellgewebsseite etwas auf. Das Gefühlsvcrmögen scheint darin völlig
aufgehoben und der Nerveneinfluss nur als Vorsteher der Leitung der Blut-
zuführung und des Ernährungsprocesses fortzudauern ; doch zeigt sich gegen
die Brücke hin einige Empfindlichkeit. Binnen den ersten 6 — 12 Stunden
nach der Vereinigung schwillt der Lappen um so schneller und stärker auf,
je derber er ist. Schon wenige Stunden nach der Vereinigung beginnt der
Agglutinationsproccss, und in wenigen Tagen ist die A'^erwachsung vollen-
det. Er stirbt, war die Vereinigung nur nicht mangelhaft, selbst bei der
schlaffsten Haut nicht ab. Häufig ist am Absterben ein zu grosses Quan-
tum des zu ihm geströmten Blutes , dessen Rückfluss durch die in Folge der
Umdrehung der Brücke zusammengepresste Brücke gehemmt wird, Schuld,
zumal bei der aus der Stirnhaut gebildeten Nase, wo die Venen gegen das
Gesetz der Schwere das Blut in dem von oben nach unten herabge-
schlagenen Lappen durch die geprosstc Brücke hinaufführen müssen. Der
Hauttheil kann so sehr mit Blut überfüllt werden, dass er sich kugelig er-
hebt und dunkelblau wird. Hier muss man aus einer Stelle des freien Ran-
des oder durch Blutegel dem Blute Abfluss verschaffen und das fernere Zu-
«trömcn des Bluts durch Anwendung eines hohen Kältegrades massigen.
Vorgebeugt wird dieser örtlichen Plethora am besten dadurch , dass man
einen grössern, in den Lappen führenden Arterienast nicht« wie Delpech
CHIRURGIA 381
will, 2tt erhalten sucht, «ondern durchschneidet, da dann die pHanzenartiga
Ernährung desselben am ungestörtesten von statten geht. Mit der örtlichei»
und. aUgemeihen Reaction mäsaigt sich der Blutzu'flusis, die Geschwulst und
Spannung vermindern sich, die Oberhaut verliert ihren Glanz , wird faltig,
bekommt leichte Einrisse und schuppt sich am 8. — 10. Tage in Gestalt
kleiner Blättchen ab , . worunter eine festere , dichte ^ weisse Oberhaut ■■ er-
scheint. Ist der verpflanzte Theil ein behaarter, so gehen die Haare bei
der Abschuppung aus oder wachsen nur sparsam wieder; zuweilen zeigen
sich aber auf unbehaart gewesenen Theilen Haare , besonders wenn der
Theil nach einem entfernten Orte verpflanzt wird und mit eineih Fettpolstef
an seiner untern Fläche versehen ist , z. B» ibei aus > der Armhaut formirtei»
Nasen. In allen neu verpflanzten Theilen finden wir stets ein Streben»
sich nach eigenthümiichen Natiirgesetzen zu gestalten, und der damit ver~
traute Wundarzt wird bei der Morioplastik dieses Streben seinen Zwecken
gemäss zu benutzen wissen, es bald begünstigen, bald ihm entgegenarbei-»
ten. Dies erreicht man . aber weder durch Drücken , Pressen , noch durcl^
andere mechanische Vorrichtungen, denn die lebende Natur lässt sich nicht
in Formen zwängen. So lässt sich z. B. die Neigung eines neu gebildeten
Theils zur Kugelgestalt nur auf blutigem Wege, durch Wegnahme der
Substanz an der einen und Zulegen an: der andern Stellie erreichen. Oft
erst nach Monaten erireiaht der neugebildeie.iTheil einiges Gefühlvermogen^'
zuerst einen gewissen Grad Von undeutlichem Gefühl einer gewissen Unbe-'
haglichkeit, aber noch' nicht wirklichen Sdhmerz; nie erreicht er den nor>-<
malen Grad von Sensibilität. Über die Örtlichkeit des Schmerzes urtheilt
der Kranke in der ersten Zeit undeutlich, und er empfindet bei Reizung
des. Lappens den Schmerz an derjenigen Stelle, von wo der Theil entnom^
men wurde. So. fühlte Idsfranc^s Operirter, dem eine Nase aus der Stirn-»
haut gebildet worden .war ,. beim Stechen der Nase mit einer Nadel den
Schfuerz. in der Stirn, Kälte bringt leicht Frostbeulen mit Blasenbildung in
transplantirten Theilen hervor, und letztere werden oft bei allgemeinen
llbeln verschont, so dass in einem Falle der ganze Körper an Icterus litt»-
nur nicht die vor y, Jahre neu gebildete i Nase' (itfrtrtmi). - ..ir,
- , Die Chirurgia curtorum, die sich gegen\yäftig mit jedem Tage vervolM
konimnet, aber noch Vieles zu prüfen und zu entdecken übrig lässt j, umfasst
folgende Gegenstände der Kunst: 1) Rhihoplastice , öle Nasenbildungi-
ßie hat den höchsten Grad »der Vollendung i in unserer Zeit erreicht. Um
dieselbe haben sich grosse Verdienste erworben: w. Gräfe, Rüst, Dzondi,-
Lisfrmfc, Benedict, Chvlius, BecJc, Dieffenlach (s. dessen Schrift: Chirurg.
Erfahrungen über die Wiederherstellung zerstörter Theile des menschlichen
Körpers, nach neuen Methoden; 2 Thle. Berlin, 1829 u. 1830) und Andere..
Sie bezweckt jene Verunstaltungen der Nase, die durch örtliche oder all^;
gemeine Krank heitsaffectioncn entstanden sind, zu heben und dadurch dem
menschlichen Gesichte einen höchst wichtigen Theil, der alle Theile des
Antlitzes vereinigt und ein nothwendiges Requisit menschlicher Schönheit
ausmacht, wieder zu geben oder dessen Form zu verbessern. Zu den ort-,
liehen Ursachen der Nasenverunstaltung giehören : Verwundung mit scharfen
Instrumenten, platte, runde Körper, welche die Nase mit bedeutender Ge-»
walt treifen, Sturz aufs Gesicht; — örtliche Übel: Rose, Furunkel, Haut-;
brand , Krebswarzen an der Nase , Polypen , Blutschwamm in derselben..
Am häufigsten wird die Nase durch Allgemeinleiden , namentlich durch Dys-;
krasien, zerstört. Ist der vordere Theil der Nase zerstört und zeigt sich
keine .mit Trockenheit verbundene Röthe umher, so waren Scropheln das
vorherrschende Leiden; ist der Nasenstumpf an den Rändern roth, trocken^
zeigt sich eine ähnliche Beschaffenheit in der Umgegend, auf den Wangen^
erscheint die Nase gleichsam verwittert, so ist Herpes das Grimdleiden}
denn die Scropheln zerstören den vorderen Theil der Nase auf nassem, der
Herpes auf trocknem Wege. Ist zuerst das knöcherne Gerüste eingesunken,
besonders nach den . Jahren der Mannbarkeit , zumal wenn die Krankheit
vom Processus nasalis maxillae super, ausging , so ist Syphilis in der Regel
382 CniRURGIA
die Schuld des Einsinken« der Nascnw-urzel , worauf bei dca hohem Graden
der innern Zerstörung auch der knorpelige Theil nachfol^^, und endlich
säinmlliche Weichgebilde der Nase mit zerstört (^Rust, IHejf'enbnch). Auch
Menschenpocken, Mercurialkachexie und IMetastascn im Typhus zerstören
mitunter den vordem Theil der Nase. — Die Zahl und Axt der Operations-
methoden zur Rhinoplastik ist ^oss und verschieden , je nach den indivi-
duellen Umständen, Ist die Nase theilweise oder ganz vom Kör{ier ge-
trennt, z. B. durch Hieb, Schnitt, so halte Jemand das getrennte Stück
in der warmen Hand, und die Blutung des Stumpfes wird durch kaltci
Wasser gestillt. Ist schon einige Zeit verflossen und das getrennte Nasen-
stück schon erkaltet, so legt man es einige Minuten in lauen weissen Wein
und vereinigt es mit dem Nasenstumpfe erst dann, \venn bei letzterm das
Stad. lymphaticum eingetreten ist , durch die umschlungene Nath , in den
Ecken und Winkeln aber mittels krummer Nadeln und eines seidenen Fa-
dens. Wenigstens ein Drittheil der Nähte muss der bessern Befestigung we-
gen init durch die Knorpelränder geführt werden , die übrigen aber nur
durch die Haut. Die Nadeln müssen recht fein und nur 3 — 4 Linien von
einander entfernt seyn. Pflaster und andere V^erbandmittel sind luinöthig.
Nach der Reunion werden eiskalte Umschläge auf den Nasenstumpf gelegt,
die Nasenspitze aber mit einem in lauen Wein getauchten Läppchen bedeckt.
Tritt nach 12 — 24 Stunden am Nasenstumpfe starke Röthe und Geschwulst
ein, 60 setze man ohnweit des Randes 6 — 8 BlutegeL Am 2ten, Steii Tage
müssen die meisten Hefte entfernt werden. Bei bleichem, schlaifen Ansehen
der Nase fomentirt man sie anhaltend mit Wein und entferne selbst bei erd-»
fahlem Ansehen und üblem Geruch die Hefte nicht sogleich, da auch hier
Rooh Vereinigung erfolgen kann. Hier verbinde man mit einfacher Salbe. —
Eingesunkene Nasen hat Dieffeiibnch (Chirur. Erfahrungen, Abth. I. S. 7)
mit Glück durch Einschneiden der Nase und Lappenbildung wieder aufge-
bauet. Kleine, eingesunkene Partien derselben, quer über ihren Knorpel-
theii verlaufende Furchen kann man durch Excision derselben und Ausschnei-
den eines Keils oder OVals aus der Wangenhaut heilen', das verlorne Septum
aus der Oberlippe ersetzen , die Nasenflügel aus der Wangenhaut etc. (vgL
meffenbach in Rtisfs Magazin, Bd. XXVIIL Hft. 1, 18t8). Den Wie-
derersatz der Nase aus der Stirnhaut nennt man die erste in-«
dische Methode. Sie eignet sich für die schwersten Formen der Nasen-
verstümmelung, ist mit den geringsten Beschwerden des Kranken verbunden,
ersetzt die Nase am täuschendsten und gelingt am öftersten und weit leich-
ter, als die Nasenbildung aus dem Arme des Kranken (italienische, v. Gräfe'-
ßche Methode). Dieffcnhnch verrichtet sie auf folgende Weise: Zur Opera-
tion dient ihm ein sehr schmales, feines, kleines ScaipcU mit achteckigem
Stiele; die Spitze der Klinge befindet sich im Mittelpunkte zwischen Rücken
und Sciuieide; ferner eine feine Hakenpincette, einige feine krumme Heft-
naöeln und Faden etc. Zuerst klebt er drei Stück Heftpflaster auf einan-
der, faltet sie in der Mitte zusammen und schneidet daraus eine für die
Proportion des Gesichts bei sehr dünner Haut um ein Drittel , bei dicker
Haut um ein Viertel zu grosse Nase, giebt dem Soptuni die Breite von
1 Zoll, lässt es aber spitz zulaufen. Dies Pflnsterstück wird auf die Stirn
(K) aufgeklebt, dass die Spitze (des Septums) nach oben gerichtet ist. Dar-
auf werden die Ränder des Pflasterstücks umschnitten und hierauf der Lap-
Ejn von seiner Spitze aus bis nach unten zur Brücke und selbst diese voitt
öden getrennt. Jetzt schneidet man die Spitze de« Septums bis zu seiner
gleichmässigen Breite ab, so dass ein dreieckiges Stück entfernt wird. Der
Grund davon ist, die Stirn\vun<l« an dieser Stelle besser vereinigen zu kön-
nen. Nach gestillter Blutung wird die Stirnwunde zuerst durch Sutura no-
dosa od rr circamvoluta vereinigt, so weit <v» möglich ist; auch macht man
bei kräftigen Menschen wol ein paar seitliche Kinsr.hnitte vom Anfange des
Haarwuchses durch die Schläfenhaut. Hierauf wird der Lappen durch feine,
umwundene Insecteniiadeln , die nur 2 — 3 Linien entfernt liegen dürfen,
vereinigt. Jeder einzelne Faden, welcher eine Nadel umschlingt, NÄ-ird
CHIRURGIA 383
sammt den Nadelenden kurz am Knoten abgescluiif ten , nnd nur an Stellen,
wo die Ränder zwischen 2 Nadeln sich etwas erheben, die Fadenenden von
einer Nadel zur andern hinübergeführt. An den Nasenflügeln nimmt man
feine Knopfnähte zu Hülfe, aber das Septum muss, und zwar zuletzt, durch
8 oder 4 umwTindene Nähte, weil sich die Ränder leicht umkrempen, mit
<ler Oberlippe vereinigt w€rden. — Nachdem alle Theile nochmals vom
j Blute gereinigt worden siiwl, werden in die Nasenlöcher mit Charpie nia-
wickelte Federkie/e eingeführt. Ihre Ränder sind an einem Lichte vorher,
um sie stumpf zu machen, angebrannt. Sie dienen theils die beiden innem
Flächen des Septums sanft gegen einander anzudrücken, theils den Lappen
aufrecht z« erhalten , theils das Athmen durch die Nase zu erleichtern.
Nur bei sehr dünner, bleicher, laxer Hadt darf man am ersten Tage die
Nase mit Umschlägen von lauem Weine und Wasser bedecken ; so wie aber
Geschwulst eintritt, wende man sogleich kaltes Wasser an-, welches in der
Mehrzahl der Fälle immer den Vorzug verdient , um den Andrang des Blut^
nach dem Lappen zu massigen. Wird derselbe sogleich roth oder blau,
60 schneide man eine sehmale Schicht von dem äussersten Punkte der hw-"
vorragenden Spitze der Bi-ücfce oder auch von dem Rande eines NasenlochsJ
ab, oder öffne eine etwa torquirte Arterie, oder setze einige Blutegel auf
tden Lappen und unterhalte die Blutung mittels lauen Wassers. Dies wie-
I derholt man , so oft der Lappen vom Blute wiederum strotzt. "'An die stark
I geschwollene Gesichtshaut setzt man gleichfalls Blutegfel, und wenn der
Nasenrand nicht gehörig Blut giebt, auf die Nase selbst. Nach 24 — 30
Stunden werden «e ersten Nadeln entfernt, wobei die Blutung aus den
Nadelstichen unterhalten werden muss. Am 5ten Tage zieht man die letz-
ten Nadeln aus, bedeckt die Nase mit Bleiwasseramschlägen , bis die Hei-
hing vollendet ist, erneuert aber täglich die Federkiele. Mehteve Wochen
später, wenn die Nasenöffnungen sich wieder • ZU ■ verschliessen sti'feben, macht
mart von den Naswilöchem aus nach vorn zwei Inci;donen, \todUrch Haut-
läppchen gebildet werden , welche man in die Nase hineinzüheilen sucht,
indem man auf jedes Läppchen ein mehrere Linien grosses Bleiplättchen und
ein anderes auf den vordem Theil der Nasenspitze' legt, und durch bcide^
«owie durch die zwischen ihnen befindlichen Nasentheile, eine Insectennadel
führt, deren Spitzenende aufgerollt wird. Die Nadeln können oft 14 Tage
lang liegen bleiben. — Über die Verbesserung einzelner Nasentheile findet
isich das Wissenswertheste in Rusfs Chirurgie, Bd. IV. S. 528 — 674. —
! Ferner gehören in die Chirurgia curtorum 2) die Augenlidbilduhg, 8.
Ble pharop lästige, 3) B?cpÄnrido7)?rt«(tce, ItWisio ciliorunit die Augen-
wimperbildung. Über die Transplantation der Haare sind viele Ver-
suche angestellt , woraus hervorgeht , dass sie leicht verpflanzt werden kön-
nen. Dzondi versuchte zuerst , einem untern , aus der Wangenhaut gebil-
deten Augenlide Cilien einzupflanzen (s. Dieff'enbach in w. Grnfe's u. v, Wal-
fher^s Journ. Bd. V. WiesemnnH, De coalitu partium a reliq. corp. prors.
disjunct. Lips. 1824, p. 32). 4) Die Verschliessung der widerna-
türlichen Öffnung des Thränensacks durch Hautverpflan-
zung, die zuweilen nach der Operation der Thränenfistel bleibt und allen
Heilversuchen trotzt. Der Nasencanal darf sich hier aber nicht geschlossen
haben. 5) Ausfüllung der Orbita durch Hautüberpflanzung,
zumal nach der Exstirpation des Bulbus. 6) Kerntoplastice, Hornhaut-
bildung, Verpflanzung der Hornhaut. Reisinger fasste zuerst den
Gedanken, die vollkommen verdunkelte Hornhaut bei Menschen auszuschnd-
den und durch die gesunde Cornea eines Thieres zu ersetzen. Mössler's u.
iHeffenhach's bei Thieren deshalb angestellte Versuche blieben aber leider l
erfolglos (s. Mössler Diss. de conformat. pupill. artif. Tübing. 1825 , p, 46. —
». Ammon's Zeitschrift für OphthalmoL, Hft. 2. — Schön in Rust^s Magazin,
Bd. XXm. S. 352 — 365). 7) Die Lippenbildung, s. Cheilopla-
stice. 8) Die Wangenbildung, Meloplnstice. Selbst grossfe Sub-
stanzverluste der Wangen kann man durch Heranziehen der Umgegend und
ältliche Einschnitte ersetzen, v. Gräfe schloss indessen eine 1*/, Zoll lange
384 CHIRURGIA
und 1 Zoll breite Öffnung, die sich vom Nasenrücken jind dem Auge der
rechten Seite nach aussen und abwärts erstreckte, und durch welche man in
das Innere der Nase hineinblickte, durch Überpflanzung eijies Stimhaut-
lappens, welcher in seinem ganzen Umkreise zwei Linien mehr als die Öff-
nung mass und in schräger Richtung von oben herabgeschlagen wurde.
Der Erfolg war günstig. 9) Otoplastice , die Ohrbildung. Völlig vom
Kopfe getrennte Ohren wuchsen oft wieder an. TngHacozzi bildete indessen
Künstliche Oliren aus der benachbarten, hinter dem Stli»ipfe befindlichen
Kopfhaut» Da aber daraus weder für die Gestalt, noch für die SchalUei-
tung yorheil erwächst, da das neue Ohr nur einen entstellenden Hautlap-
peji bildet, so ist die Operation bei gänzlichem Mangel der Ohrmuschel
verwerflich. A,ndeirs verhält es sich, wenn nur ein Theil der letztern fehlt.
£inem Manne, dem mit einem Säbel ein Stück vom obern Theile des Ohrs,
l'/aOZoll gross, abgehauen worden, trug Dieffcnhach zuerst den Rand des
Ohrs mit der Scheere ab, machte darauf in derselben Richtung mit dera
Wuudr^ndp eiflen auf beiden Seiten über diesen hinausragenden Einschnitt
durch die Kopfbedeckungen bis auf das, Pericranium. An beiden Endpunk-
ten der Wunde wurden zwei 'A Zoll lange, nach oben stehende Querinci-
sion^n gemacht, und dieser schmale, lange Lappen vom Knochen getrenntr
Nach Stillung der Blutung vereinigte er denselben durch 5 — 6 umschlun-
gene Näht/s 'mit dem Ohr«, und zog unter ihm und der Hautbrücke ein
geöltes flaches Band dur^h. Als nach S Wochen die vollkommne Heilung
gelungen war, schnitt er einer» halbmondförmigen Lappen der Kopfbede-
ckung aus. Sp Tanförmlich dieser an seinen Rändern stark, wuchernde Lap-
pen auch ftu^ah, so, sehr verbessert^ sich seine Gestalt, als der Lappen
sk^: zu;. verkleinern und: die Ränder sich nach hinten umzukrempen began-
nen., Nach vollendeter Heilung hatte der ersetzte Theil eine sehr natür-
liche Bildung (s. iJuÄtV Handb. d. Chirurgie , Bd. IV. S. 583). Auf ähn-
liche. Weise lassen sich andere Theile des Ohrrandes ersetzen. Am voll-
kommensten gelingt , die Bildung des Ohrläppchens. 10) Vraniscoplasiice^
Gaumenbildung. Wir, versuchen sie bei angebornen Spaltungen des
weichen Gaumens ; bei Lücken desselben , in Folge von Geschwüren ent-
standen, wenden wir die Staphyloraphie an. Die Operation ist mit vielen
Schwierigkeiten verknüpft (s. DieffenhacK's Chirurg. Erfahrungen, Artikel
Urannorrhap he). 11) Transplantation der Zähne. Dieselbe
wurde schon vor Alters • gelehrt, da lein frisch ausgezogener Menschenzahn
sowol in die eigne als fremde Alyfsole eingesetzt , leicht wieder anwächst.
Huiiier verpflanzte selbst einen Menschenzahn auf den Kamm eines Hahns
mit Erfolg. , 12) Verpflanzung von Knochen stücken des Schä-
dels. Nicht blos in Verbindung gebliebene, selbst austrepanirte Knochen-
scheiben hat man wieder vereinigt gesehen, und zwar durch Callusbildung,
wie bei Fracturen (s. Merrem^ Animadv. quaedam chinirg. experiment. in
animalib. fact. Giess. 1810). Aus diesem Grunde piuss man selbst bei losen
Kaochenstücken , wenn sie nichts durch Druck Hirnzufalle erregen, nicht so-
gleich trepanireu. — Am Rumpfe hat man verschiedene Verpflanzungen
mit mehr od^r minder Glück versucht, als die Heilung von öfTnungen des
Kehlkopfes durch Hautüberpflanzung, des schiefen Halses nach Entartungen
und Verkürzungen der Cutis, die Einheilung eines Hautlappens in den
Bauchring um Hernien radical zu heilen, die Überpflanzung der Haut zur
Schliessung des künstlichen Afters und der Öffnungen in der Harnröhre,
und endlich die Bildung einer neuen Vorhaut. An den Extremitäten
hat man getrennte Finger und Zehen zuweilen mit Glück wieder angeheilt
(s. Rrnfs Handb. der Chirurgie, Bd. JV. S. 587 — 597. — Gasjmris Ta-
liacotii. De curtorum chirurgia per insitionem libri duo, recognov. et edid.
M: Troschel. Berol. 1831. Cum tabul. lithograph. — Rosen, De Chirurgine
curtorum possibilitate. Upsal. 1742. — J. Nep. Rust, Neue Methode ver-
stümmelte Nasen auszubessern, in dessen Magazin, 1817, Bd. II. Hft. 3. —
C. J. Gräfe f Rhinoplastik , oder die Kunst, den Verlust der Nase organisch
2u ersetzen etc. Berlin, 1818. 4. — v. Gräfe' s u. v. Walther's Joii»mal,
CHLOASMA ■- CHOLERA 385
Bd. II. Hft. 1, Bd. VII. Hft. 4, Bd. XII. Hft. 1. — Chelius in den Hei-
delberger klin. Annalen, 1830).
Chirurgia forensis, gerichtliche Wundarrzneikunde. Ihr Gebiet
ist nur sehr gering im Verhältniss zur Medicina forensis , und sie wird da-
her am besten Aom Lehrer mit letzterer verbunden vorgetragen.
Cbloasma, Leberfleck, s. Ephelides.
Chlorosis» Bleichsucht, s. Icterus albus.
Cboeras, Scrophelkrankheit , s. Scrophuiosis.
Cbolag^og^a, Mittel, welche die Galle ausleeren, z. B.
Vomitive, Laxantia, besonders die gelindern: Manna: Tamarinden, Sal
Seignette etc.
Cholecystitis f Gallenblasenentzündung, 8. Inflammatio vesi-
cae i'elleae.
CholelithiasiS; die- Gallensteinkrankheit , s. Icterus calculo-
ßus und Lithiasis.
Cliolcpyra, das Gallenfieber, s. Fe bris biliosa.
Cholera, Cholera morhus, CJiolerrJiftgia, Passio felliflua, Passio cho-
Icrica, Morbus fellifluus , die Gallenruhr, Brechruhr, der Brech-
durchfall. Ist nach Hause eine complicirte Krankheit, zusammengesetzt
aus Gallsucht, Polycholie, und erhöhter Sensibilität des Magens und der
Gedärme, daher neben heftigem Erbrechen und Purgiren auch bedeutende,
gleichzeitige Kolikschmei-zen stattfinden. Symptome. Fast immer kommt
die Krankheit plötzlich, mit Erbrechen und Durchfall. Seltener hat sie Vor-
boten, und auch diese, welche in Unbehaglichkeit , ikterischem Ansehn,
Druck, Krampf, Ziehen in der Magengegend, bitterm Geschmack, Kolik-
schmerz etc. bestehen, gehen höchstens nur 24 — 48 Stunden vorher. Die
wesentlichen Symptome des Übels sind die schon oben genannten. Der
Kranke erbricht schnell und zu oft wiederholten Malen zuerst Alles, was
er zuletzt genossen, dann eine wässerige, schleimige, zuletzt gallige Flüs-
sigkeit. Das Ausgebrochene ist der Quantität nach bald grösser, bald ge-
ringer, von Geruch höchst verschieden, bald bitter-, bald übelriechend,
von Farbe gelb, grün, braun, bisweilen schwärzlich, doch selten mit Blut
vermischt; von Geschmack hässlich, wie Schwefelleber, oder scharf, ätzend,
bisweilen so sauer, dass es die Zähne stumpf macht und mit Kalkerde auf-
braust. Zugleich mit dem JSrbrechcn stellen sich heftige und häufige Durch-
fälle (selbst 20 — 30 alle Stunden) mit brennenden, schneidenden, reissenden
Leibschmerzen an verschiedenen Stellen des Leibes , am heftigsten in der
Nabelgegend ein , die während der Ausleerungen den höchsten Grad errei-
chen. Der Puls ist spastisch, klein, zusammengezogen, oft kaum fühlbar,
oft frequent, in andern Fällen nicht übermässig schnell. Im höchsten Grade
der Krankheit erfolgen binnen 24 Stunden wol hundert und mehrere Aus-
leerungen nach oben und unten. Dabei schnelles Sinken des Pulses und der
Kräfte, unauslöschlicher Durst, allgemeine Krämpfe, besonders in den un-
tern Extremitäten, Strangurie, Ischurie, Tenesmus, Würgen, Singultus,
Flechsenspringen, kalte Glieder, eiskalte Schweisse, Dyspnoe, Bewusstlo-
sigkeit und Tod. Der Verlauf des Übels ist sehr rasch ; oft tödtet es schon
am ersten, zweiten Tage, und selten dauert es über den siebenten Tag.
Die Section zeigt Magen und Gedärme oft krampfhaft zusammengezogen,
oft auch aufgetrieben, von Luft ausgedehnt, entzündet, missfarbig, brandig,
mitrothen, blauen Flecken besetzt, die Gallenblase leer, oder mit gelb-
grüner, schwarzer, saurer, scharfer Galle angefüllt, oft die Leber entzün-
det, verhärtet, nüt Scirrhositäten und andern organischen Fehlern versehen.
Erfolgt Gesundheit , was in unsern Gegenden bei früher zweckmässiger Be-
handlung meist der Fall ist, so nehmen die Zufälle allmälig unter kritischen
allgemeinen Schvveissen und dickem Urin mit röthlichem Bodensatz, dessen
Abgtuig Brennen erregt, ab. Unter anderen Umständen folgt der Tod meist
am dritten, fünften, siebenten Tage, unter Erschöpfung oder Brand als
Most Encjklopädie. 2te Aufl. I. 25
386 CHOLERA
Folge chier hinzugetretenen Enteritis. Nachkrankheiten hinterlässt die Cho-
lera nur selten. Sie bestehen in krampfhafter Stulilverstopfung, in allerlei
dyspepliseheu Beschwerden, Magenkrampf, Koliken, Blascnkrampf , die pe-
riodisch wiederkehren, und selbst in paralytischen Zufällen, besonders an
den untern Gliedmassen. Diagnose. Von der Ruhr unterscheidet sich die
Cholera durch den plötzlichen Eintritt, den raschen Verlauf, durch das bei
ihr stets constante Erbrechen , durch die Abwesenheit des Fiebers und des
Tenesmus und durch ihr häufiges Erscheinen im heissen Sommer; von dem
auf der Küste von Koromandel und in Bengalen epidemisch herrschenden
Mal de terre oder Mort de ckien, das zur Febr. intermittens maligna gehört,
durch die Abwesenheit des deutlich nüt Frost und Exacerbationen erschei-
nenden Fiebers; von der Cholera orientalis, die leider I jetzt auch Europa
heimgesucht hat, unterscheidet sich die Cholera occidentalis und sporadica
in mancherlei Hinsicht (s. unten Cholera orientalis). Ursachen.
Die wahre Cholera {Cholera vera') ist stets ein endemisches oder epidemi-
sches Übel , hervorgebracht durch hohe Hitzgrade der Atmosphäre und Er-
kältung in kühlen Abenden und des Nachts , wodurch die Secretionsthätig-
keit der Leber verändert, die Gallenabsonderung vermehrt und die Reizbar-
keit des Unterleibes ungemein erhöht wird. Örtliche Reizungen der Unter-
leibsorgane durch Drastica, Mineralgifte etc. köinien wol äludiche Zufälle
(Cholera spui-ia, artificialis) erregen, desgleichen die Hysterie, die Hypo-
chondrie, die Gallensteinkrankheit, doch sind diese, die selbst habituell
werden können (Cholera habitualis), nicht mit der echten Gallenrahr zu
verwechseln. Höchst einseitig ist es indessen, sie mit Broussais und An-
dern, wie Dr. Gravier (^Broussais, Annal, de la Medeciue physiologique
Bd. II. S. 269) behauptet, eine Gastro - ent^rite epidemique de l'Inde zu
nennen, und sie mit Blutegeln in die Magengegend etc. zu behandeln, ob-
gleich es nicht geleugnet werden kann, dass die Section hier, ebenso Avie
bei der Febr. nervosa gastrica, jwelche im Herbst 1829 in und um Rostock
herrschte, nicht selten Darmgeschwüre zeigt. Die Narben solcher Geschwüre
charakterisiren sich nach J. T. H. Albers (^UufelaiuVs Journ. 1835. Juni.
S. 73.) 1) als kleine unregelmässige feste, harte Stellen, etwas unter dem
Niveau der Schleimhaut liegend, 2) durch den Älangel der Zotten jener
Haut , welche diese Stelle überzieht , 3) durch die strahlenförmige Ausbrei-
tung von Linien, 4) durch die beträchtlichere Dicke der Darrawände an
dieser Stelle , 5) durch die Röthe der eben bezeichneten Stelle , welche
Farbe aber nicht immer constant ist. — In heissen Klimaten ist die Brech-
ruhr fast immer endemisch, bei uns nur in sehr heissen Sommern, und dann
meist epidemisch. Das Wesentliche des Übels ist Erethismus (nicht Synocha,
auch nicht Paralysis) der Unterleibsorgane, wodurch die anomale Gallen-
secretion hervorgerufen wird, welche fast immer zu kohlenstoffhaltig ist.
Berends (s. dess. Vorlesungen etc. herausgegeben von Sundelin^ nennt die
Gallenruhr eine Epilepsie des Magens und der Gedärme, um anzudeuten,
dass hier das Spastische vorherrscht und daher zuerst Antispasmodica indi-
cirt sind. Er nimmt eine Cholera biliosa, rheumatica und nervosa an.
Merkwürdig ist, dass die indische Cholera alle Diejenigen verschont, welche
gerade mit Kuhpocken geimpft worden , sowie dies in Java beobachtet wor-
den ist (s. Busscil in Froriej>'s Notizen 1827. Nr. 1.); daher man dieses
Mittel bei noch nicht Vaccinirten als Präservativ versuchen kami. Prädis-
position zur Cholera geben: reizbare Körperconstitution , Habitus biliosus,
Hysterie, Hypochondrie, kindliches Alter, ärgerliches Temperament, Phys-
konie der Leber* Gelegenheitsursachen dazu giebt Alles, was die Reiz-
barkeit der Leber und des Digestionsapparats erhöhet: Erkältung in den
Abendstunden nach heissen, schwülen Sommertagen, schnelle Abkühlung der
heissen Luft durch starke Gemtter mit nachfolgendem, anhaltendem Regen.
Ferner heftige Leidenschaften : Zorn, Ärger, Erhitzungen des Körpers , Er-
kältung des Unterleibes, der Füsse, kaltes Trinken, kaltes Baden, zurück-
getretene Gicht, Hautausschläge etc. können die sporadische, und bei der
beschriebenen Luftbeschaffenheit die epidemische Cholera erregen. Auch der
CHOLERA 387
Genuss vieler fetten Fleischspeisen , des Caviars , des Rogens der Barben,
Hechte^ der Austern, des unreifen, sauren Obstes, der Weissbiere, Miss-
brauch der Purgirmittel kann sporadisch die Cholera bewirken. Prognose.
Ist im Allgemeinen schlimm, besonders bei Kindern, zarten Frauenzimmern
und schwächlichen Männern, und wenn das Übel schon über 48 Stunden
alt ist. Doch ist die Krankheit in den heissen Zonen weit verheerender als
bei uns. Cur. 1) Man erforsche und beseitige die erregenden Ursachen
der Krankheit, nud wirke gegen die Schädlichkeiten, die sie hervorbrachten
und unterhalten; z. B. man verhüte jede Erkältung, gebe bei der sporadi-
schen Gallenruhr, wenn sie durch heftige Drastica etc. entstand, die ge-
eigneten Gegenmittel. 2) Man wirke aufs schnellste und kräftigste gegen
die vorzüglichsten Symptome des Übels. Hier ist das Opium das erste und
grösste Mittel, überhaupt passen die kräftigsten Antispasmodica: Emuls.
Sern, hyoscyami, Extr. hyoscyami, Rad. belladonnae; doch macht das Opium
diese Mittel fast immer entbehrlich (Uaase}. Sehr wirksam ist folgende
Mischung: ly Pot. River, c. succo citri parat. 31V, Aq. valeriaiu^e , — chor-
moinillae, Mucil. yumm. arah. ana 5JJ , Liq. anoihjn. 5 j » Syr. cinnamomi ^.
M. (M.). Wovon alle Stunden 1 Esslöffel voll genommen und alle 2 — 3
Stunden ausserdem 10 — 15 Tropfen Tinct. opii gereicht werden. Auch
Pulv. aerophorus , desgleichen Magnesia carbon. , mit Citronensaft genom-
men, selbst Selterserwasser hat man empfohlen. Diese Mittel passen vor-
züglich da, wo das Ausgebrochene von scharfer und saurer Beschaffenheit
ist. Alle Brechmittel schaden in der gewöhnlichen Cholera, dagegen passen
kleine Dosen Ipecacuanha als Antispasmodicum , besondex-s mit Opium.
3) Man vergesse nie, die passenden äussern Mittel neben den Innern an-
zuwenden ; besonders nützlich sind aromatische , spirituöse Fomentationen
auf die Leber- und Magengegend, z. B. ein Kataplasma aus Brot, Wein,
Branntwein und Gewürzen, Empl. aromat. mit Opium, Kampher, Cicuta,
Hyoscyamus auf den ganzen Unterleib , Einreibungen von Linim. volat.
camph. mit Ol. hyoscyami und Laudanum, alle Stunden wiederholt, und
des Nachts das Empl. aromat. aufgelegt; auch schleimige Klystiere mit
Opium und laue aromatische Bäder erleichtern sehr. Die Diät muss durch-
aus schleimig und leichtverdaulich seyn und alle feste Speisen müssen, eben-
so wie bei der Ruhr , vermieden werden. Decoct. salep. , avenae excortic,
von AiTow-Root, Sago, Reis mit etwas Zimmt, auch wol alle V4 Stunden
kleine Gaben kalter frischer Milch oder Buttermilch ( Vogel) sind zu em-
pfehlen. Kaltes Wasser zum Trinken, kalte Umschläge auf den Unterleib
von Wasser, Salzauflösungen, und der innerliche Gebrauch des Kalomels,
welche Mittel bei der Cholera in heissen Zonen oft mit grossem Nutzen in
sehr schlimmen Fällen angewandt worden sind (^Rush, VogeVs Handbuch
Th. VI. S. 100 — 123. 1816.), finden in unserm kältern Klima bei der ge-
wöhnlichen Cholera keine Anwendung, da das Übel hier nicht so complicirt
und weniger gefährlich als dort ist, 4) Man sorge für eine tüchtige Dia-
phorese, decke den Kranken gut zu, gebe ihm warmen Thee von Flor,
chamomiil. , Herb, melissae, lege Wärmflaschen ins Bette, zumal wenn starke
Erkältung Ursache ist. Hier hilft oft schon ein Glas Glühwein mit Ge-
würz. 5) Ist der Kranke auf dem Wege der Besserung, so gebe man an-
fangs Elix. viscerale Hoffm. mit Tinct. opii, cmnamomi, Cort. aurantior.,
Tinct. rhei aquos. und vinosa in kleinen Dosen, und erst, wenn das Übel
ganz vorüber ist, stärkere Tonica, z. B. Gentiana, Quassia, Columbo, Cas-
carille, China, welche oft erst später vertragen werden. — Folgende Zu-
stände hat man noch mit diesem Namen benannt : '
Cliolcrn sicca. Ist nur Symptom der Flatulenz bei Hysterie, Hypochon-
drie, wo Blähungen nach oben und unten (durch Ructus und Flatus) ab-
gehen; s. Cardialgia. Die schlimmste Foinn der morgenländischen Brech-
ruhr ist die ohne alle Ausleerungen nach oben und unten; daher man diege
gleichfalls Cholera sicca genannt hat. S. unten Cholera orientalis.
Cholera humiJa. So hat man die wahre Galleniuhr zum Unterschiede
der Cholera sicca genannt.
25*
388 CHOLERA
Cholera hnhilualis. So benennt man wol die penodisch bei der Gallen-
steinkrankheit eintretende Kolik , wenn sie mit Erbrechen und Diirclifall be-
gleitet ist; s. Icterus calculosus und Coli ca.
Cholera t)era und .«;)?«•(« , s. C h o 1 e r a.
dholera orientalis, Cholera asinlica, Morbus oryzeus {Tytlcr) , CJwlera
inilicn, epidemica (^fAchtensliUlt) , Gangliotiitis peripherica et vieduUnris (^Nis-
sen), Trisplanchnia {Scip. Pinel.}, ClwJ er a morbus {Sinlenham) , die asiati-
sche, indische, epidemische, die morgenländische oder orien-
talische Brechruhr. Sie ist ein eigenthiimliches, epidemisch herrschen-
des, von der Cholera occidentalis, die auch ^ei uns vorkommt, wohl zu un-
terscheidendes Übel, das seit 1830 das Schrecken Europas geworden ist.
Aus diesem Grunde theile ich darüber das Neueste und Nothwendigste, nach
dem gegenwärtigen Standpunkte unsers Wissens, in der Kürze mit. Die
iflorgenländische Brechruhr, jenes noch immer so räthselhafte gefährliche
Übel, ist seit wenigen Jahren ein Gegenstand vom höchsten Interesse für
Europas Ärzte geworden , und die Literatur über diese Weltseuche zählt
mehrere hundert Monographien , theils schon vor mehreren Jahren von eng-
lisch-ostindischen, theils erst seit ein paar Jahren von deutschen, französi-
schen und anderen Ärzten verfasst. Es würde zu weitläufig seyn, hier die
ganze Literatur über diese Seuche aufzuführen. Ich nenne nur die altern
Schriften, welche Rob. Tijtler, James Bo iß e , IT'ill. Scol, J. Annesle}/, A. T.
Chriestic, Jam. Johnson, J. Ja7neso7i, John Mason Good \i. a. m. zu Ver-
fassern haben , indem ich von den neuesten Monographien und Abhandlun-
gen, Nachrichten etc. nur folgende als die vorzüglichsten anführe: Bnrrhe-
witz, Behaiidl. der Cholera in ihren verschiedenen Perioden und Graden.
Danzig, 1831. Casper^s Berliner Cholerazeitung. 1831. Choleraarchiv mit
Benutzung amtlicher Quellen, von Albers, Barcz, Uorn, Klug, Rust , if'ag-
ner etc. Bd I — IIL Berlin, 1832. Radius, Mittheilungen des Neuesten und
Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera. Leipz., 1831 — 1832. 5 Bände.
./. G. M. V. Rein, die orientalische Cholera. Jena, 1832. J. L. Casper,^ i\Q
Behandl. d. orient. Cholera durch Anwendung der Kälte etc. Berlin, 1832.
Harless, die indische Cholera in allen ihren Beziehungen. 2 Theile. 1831.
Holscher, Mittheilungen üb. d. asiat. Cholera. 1831. Lichfenstiidf , die asiat.
Cholera in Russland in den Jahren 1829 — 31. 3 Lieferungen. Berlin, 1830
bis 1831. Marx, Erkenntnis«, Verhütung und Heilung der ansteckenden
Cholera. 1831. Pierer^s Allgemeine medicinische Zeitung von 1831 u. 1832.
Protocollextracte sämmtlicher Rigaer Ärzte In Betreff der dort vom SO. Mai
bis 4. Juli 1831 herrschenden Cholera -Epidemie. Hamburg, 1831. Riecke,
Mittheilungen über die morgenländische Brechruhr. 3 Bände. Stuttgart, 1831
bis 1832. Tilesiu^, Über die Cholera und die kräftigsten Mittel dagegen.
2 Theile. 1831. Heiffelder, Betrachtungen über die Cholera (in Deutsch-
land und Frankreich). Bonn 1832. 2 Theile. Buch, H. W. , Die Verbrei-
tnngsweise der oriental. Cholera. Halle, 1832. Caspar, die Behandl. der
asiat. Cholera durch Anwendung der Kälte. Berlin, 1832. Phoebus, Über
den Ijeichenbefund in der orientalischen Cholera. Berlin, 1833, Froriep, R.,
Symptome der Cholera. Berlin, 1832. Mit Kupfern. Ausserdem enthalten
alle deutschen und französischen medicinischen Zeitschriften von den Jahren
1830 — 1835 zahlreiche Abhandlungen über die Cholera. Wir betrachten
dieselbe A) In ihrer Erscheinung. Sie ist eine, wenn auch nicht, in
allen Symptomen, doch ihrer Natur und dem Wesen nach ganz neue Krank-
heit, die wir erst seit dem Jahre 1817 aus englischen Schriften näher ken-
nen gelernt haben. Es wäre deshalb wol besser gewesen, ihr nicht den
Namen Cholera zu geben; vielleicht wäre in der Behandlung derselben dann
weniger gefehlt worden, als in unsern Zeiten, wo man sie selbst mit der
gewöhnlichen Cholera identificirte (^KriUjer - Hansen u. A.) und nun gleich
die Ausleerungen durch Opium etc. zu stopfen sich bemühete, was unsäg-
lichen Schaden gebracht hat (s. unten). Falsche Voraussetzungen, fiilsche
F'olgerungen ! Werliatje an .gewöhnlicher Cholera (Cholera nostras) selbst
bei den schlimmsten Zufällen eine Sterblichkeit, wie bei diesem Würgengel
CHOLERA 389
gesehen, die begründet ist in einer weit grossem Bösartigkeit und in einem
epidenn'schen Charakter, den die Ciiolera früherer Zeiten nur selten und
dann nur in weit beschränkterin Kreise hatte. Die asiatische Cholera ist
eine wahre Weltseuche, welche von Indien aus sich alhniüig über Russland,
Polen, Deutschland, England, Frankreich, Schweden, Italien etc. verbrei-
tet hat, vor 3 Jahren schon in Nordamerika erschien und gegenwärtig (1835)
auch in Ttalit^n, sowie Aviederum im südlichen Frankreich wüthet. Sie ist in
die.ser Hinsicht eine sehr verheerende Krankheit und deshalb der Pest und
dem gelben Fieber gleichzustellen; ja, sie übertrifft beide Seuchen noch
darin, dass sie a) sich an kein Klima bindet, b) dass sie in den meisten
Fällen, wo sie tödtlich wird, schon den ersten Tag, ja wol nach wenigen
Stunden tödtet. Dagegen ist sie aber keinesweges so verheerend , als Pest
und gelbes B'ieber, wenigstens ergriff sie in Deutschland von der Bevölke-
rung eiirer Gegend, einer Stadt oft von 100 Einwohnern kaum 2 — 4 Indi-
viduen, Sie zeigte sich in diesem bösartigen Charakter zuerst im Jahre 1817
in Ostindien, und bracJi seit jener Zeit dort öfters aufs Neue aus. Im
Durchschnitt kann man annehmen, dass seit jener Zeit 12 Millionen Men-
schen durch sie getödtet worden, indem kaum die Hälfte der von exquisiter
Cholera orientalis Befallenen zeither gerettet werden konnte. Die Haupt-
symptome der Seuche, die sich, wenigstens in unsern Gegenden von
Europa, theils auf miasmatischem, theils auf contagiösem Wege verbreitete,
sind: Nach kurzem Übelbefinden und Verdauungsstörungen, besonders nach
einem mehrtägigen Durchfall unbedeutender Art, zuweilen aber auch ohne
alle diese Vorboten, heftiges Purgiren vuid Erbrechen, mit dem Abgange
schleimiger, wässeriger, nicht galliger Feuchtigkeiten, ähnlich dem Reis-
wasser, worin weissliche Flocken schwimmen, die oft in grossen Quantitä-
ten ausgeleert werden. Dabei Präcoi'dialangst , kalte Haut, schAvache ei-
genthümlich heisere Stimme (Vox cbolerica) , bald klonische, bald tonische
Krämpfe, Hemmung der Lebensthätigkeit der Haut, bläuliches, gerunzelte.?
Ansehn derselben, kleiner, oft gar nicht fühlbarer Puls, Seufzen, Urinver-
haltung, grosse Schwäche, und in vielen Fällen baldiger Tod, oder Gene-
sung mit oder ohne darauf folgende Nachkrankheiten (s. unten). Die eiuT-
mal überstaudeue Krankheit schützt nicht vor eiuem abermaligen ErgrilTen-
werden in derselben oder einer spätem Epidemie. B) Ursprung, Gang
und Verbreitung. Die böse Cholera erzeugte sich in den südlichen Kü-
stengegenden Indiens, vielleicht auch Pei'sicns und Chinas, und zwar auf
ähnliche Weise, wie die levantische Pest in den Küstengegenden der Levante
und das gelbe Fieber in den Küstenländern des tropischen Amerikas. Seit
dem Jahre 18 17 hat das Übel mit geringen Unterbrechungen in Hindostan
und Dekhan gewüthet, sich von da nach Siam, Java, den Manillen und
Cliina verbreitet und im October 1821 Schiraz in Persien, Bassora, Bagdad
und Maskat heimgesucht. In der Provinz Fars tödtete die Seuche binnen
acht Wochen 60,000, in Bassora 50,000 Menschen. Im J. 1822 war sie bis
Aleppo in Syrien vorgerückt. Nachdem sie in wenigen Jahren in Asien
schon ein paar Millionen Menschen getödtet hatte, zeigte sie sich im Som-
mer 1823 zuerst an den Grenzen Russlands, am kaspischen Meere; wenig-
stens befanden sich im Hospitale zu Astrachan Kranke der Art; doch griff
sie damals nicht weiter um sich. Erst im Sommer 1829 suchte sie die Ein-
wohner der Provinz Orenburg , am Fusse des Ural, heim, wo das Übel
durch Karavanen aus den Kirgisensteppen eingeschleppt worden seyn soll.
Seit dieser Zeit drang sie ins Herz von Russland, gelangte nach Moskau,
Petersburg, Riga, nach Warschau, Königsberg, Danzig, Berlin, Magde-
burg, Prag, Wien, Hamburg, nach Paris, London etc., sie wüthete beson-
ders in Ungarn und Gallizien, und tödtete viele tausend Menschen. Ein
Blick auf die Charte überzeugt uns, dass diese Seuche, nicht, wie man
früher annahm, sich in bestimmter Richtung von SO. nach NNW., sondern
von Indien aus nach allen Weltgegenden hin verbreitet habe, wobei aber
der Umstand merkwürdig bleibt, dass sie dem Laufe der Flüsse gern folgt,
wie dies allenthalben, wo sie herrschte, der Fall war. C) Natur und
aOO CHOLEM
Wesen der asiat. Cholera. Hierüber sind die verschiedensten Meinun-
gen zn Tage gefördert, und selbst noch jetzt ist uns Vieles dunkel und
räthselhaft geblieben. Die Umstände , welche die Krankheit begünstigen,
sind die gewöhnlichen aller bösartigen Volkskrankheiten , als: Unreinlichkeit,
enge schlechte Wohnungen, Zusammenleben zahlreicher Familien in letztern,
schlechte Nahrung, Sumpfboden, schwächende Einflüsse durch Ausschwei-
fungen aller Art, unregelmässiges Leben, häufige Erkältung, heisse Jahres-
zeit, plötzlicher Witterungswechsel etc. Aber alle diese Dinge gebea uns
wenig Licht, weil sie a) nicht durchaus nothwendig zur Verbreitung der
asiat. Cholera sind, die sich an keine Jahreszeit bindet, da strenge Kälte
sie höchstens beschränkt, nicht ganz tilgt; b) weil sie auch alle andere
Volkskrankheiten befördern. Mehr Aufschluss geben die Resultate der Lei-
chenöffnungen und die genaue Berücksichtigung des herrschenden Krankheits-
genius. Der Sectionsbefund deutet nämlich darauf hin, dass alle zur Dige-
stion dienenden Organe: Magen, Gedärme, Milz, Leber etc. sich in einem
congestiven Zustande befinden in Folge -verminderter Thätigkeit des Gan-
liennervensystems und der Hemmung der Blutcirculation , dass das Blut selbst
sich chemisch zersetzt, und das Übel ein bald mehr spastisches, bald ere-
thistisches, bald mehr paralytisches Leiden ohne Entzündung und Fieber
darstellt. Constant sind hier die Anhäufungen dunklen Blutes in allen Or-
ganen des Unterleibes und im Gehirn; weniger constant, aber doch auch
nicht ganz selten, findet man Erweichung des Rückenmarks (s. Malaco-
sis meduUae spinalis) neben gleichzeitigen serösen Ergiessungen in den
Hirnhöhlen und Irübung der Arachnoidea. Letztere sind die schlimmsten
schnell tödtenden Fälle der Cholera, nach Burdach. Betrachten wir nun
die grosse Veränderung, welche seit dem Jahre 1826, wo die Epidemie der
kalten Fieber von den Küsten der Nord - und Ostsee über ganz Deutsch-
land drang , in der Krankheitsconstitution , nach den Aussprüchen und Be-
obachtungen erfahrner Männer stattgefunden (s. Constitutio), verglei-
chen wir damit die Anomalien der Witterung , die ungewöhnlichen Erschei-
nungen im Stande derselben, die vielen Meteore, Nordlichter, Erdbeben
nnd vulkanischen Eruptionen , welche in und ausser Europa kurz vor und
seit dem Erscheinen der Cholera in Indien beobachtet und von Naturfor-
gehern mit letzterer verglichen und als im Causalnexus bestehend betrachtet
worden sind (vergl. E. Noltc, Die grossen und merkwürd. kosmisch - tclluri-
schen Erscheinungen im Luftkreise der Erde in Beziehung zu der oriental.
Cholera. HannoA-er, 1831); so geht daraus wenigstens so\-iel hervor, dass
ohne diese oben genannten ungewöhnlichen Umstände die oriental. Cholera
sich schwerlich so weit verbreitet haben würde , als sie es bis jetzt wirk-
lich gethan, indem sie als prädisponirende ursächliche Momente derselben
betrachtet werden müssen. Ob hier auch andere Dinge, welche den Luft-
kreis anomal machen , als die Nähe und Constellation von Kometen , noch
mehr ungewöhnliche Ausdünstungen aus dem Innern der Erde in Folge von
vulkanischen Eruptionen, Rissen, Erdfällen, oder feinern, den Sinnen ent-
gangenen, mit den Blüssen in Verbindung gesetzte Exhalationen , welche
wiederum eine Anomalie im Normalstandpunkte der Luftelektricität zur Folge
haben konnten, noch anzuklagen sind, mögen Naturforscher näher unter-
suchen. Als merkwürdige Thatsache der Geschichte steht der Satz fest,
dass Revolutionen der Erde mit politischen und Staatsrevolutionen stets im
Connex und gleichzeitig beobachtet worden sind , wovon die neueste Zeit
(von 1829 — 1832) wiederum einen sehr deutlichen Beweis giebt. Auch die
Verbreitungsweise der asiatischen Cholera würde über ihre Natur viel Aus-
kunft geben , wenn wir sie nur genauer erkannt hätten ; aber leider ! ist
dieser Gegenstand noch einer von den problematischen, obgleich man sich
von der bedingten Contagiosität der Seuche sattsam überzeugt hat. Pierer
sagt: ,,Der vielseitig behaupteten Meinung, dass das Contagium durch die
Atmosphäre auf entfernte Orte übergehe, steht der Umstand entgegen, dass
nach hüufigen Beobachtungen die Krankheit in ihrer Verbreitung durchaus
nicht dem Luftzuge folgt, ja wol den Windströmungen entgegen an andere
CHOLERA 391
Orte gelangte. Auch in Übereinstimmung klimatischer Verhältnisse kann
der Grund dieses Fortganges der Krankheit wenigstens zunächst nicht lie-
gen, da unter den verschiedenartigsten Verhältnissen dieser Art die Krank-
heit gleichvvol häufig an Orten ausbrach , wo sie vorher nicht war. Die
Annahme eines ganz eigenen elektrischen Verhältnisses ist höchst precär,
und es ist durchaus keine Spur aufzufinden, die uns darauf hinleiten könnte.
Wenn man aber eine AiKilogie mit dem Erdmagnetismus darin hat auffinden
wollen, dass die Krankheit von Südost nach Nordwest sich verbreite, so
reicht ein Blick auf eine Weltcharte hin, um diese Ansicht zu widerlegen,
da die Krankheit von den Mündungen des Ganges, als ihi-em eigentlichen
Herde aus, eben so südlich nach Ceylon, als westlich bis zur Insel Bour-
bon , aber ebenso auch östlich nach Cochinchina , China , ja bis zu den
Philippinischen Inseln , als in nordwestlicher Richtung ihren Fortgang nahm,
und wenn dieser Strich auch im Allgemeinen in den spätem Jahi-en der-
jenige blieb, in welchem die weitere Verbreitung der Krankheit erfolgte, so
liegt Vier Grund davon offenbar darin, dass in dieser Richtung die Krank-
heit auf eine ausgedehnte, zusammenhängende und bevölkerte Ländermasse
traf. Auch ist nicht zu übersehen, dass, wenn dieser Zug der Krankheit
ein durch kosmische Verhältnisse bestimmter wäre, er an den Küsten des Eis-
meeres auslaufen und daher an Mitteleuropa seitwärts vorübergehen würde."
Die Erfahrungen aus der jüngsten Zeit haben sattsam bewiesen, dass dies
nicht der Fall gewesen. Auch die Influenza oder der russische Katarrh steht
ohnstreitig in gewisser Beziehung mit der morgenländischen Cholera; häufig
war diese fieberhafte katarrhalische Krankheit der Vorläufer derselben, z. B.
in Berlin, Paris etc., wo viele tausend Menschen einige Wochen vor dem
Ausbruche der Brechruhr davon ergriffen Avurden. Zwischen beiden Übeln
lässt sich manche Ähnlichkeit nachweisen, noch mehr aber zwischen Cholera
Orientalis und E^ebris intermittens , ja viele Ärzte halten die Cholera gerade-
zu für das Froststadium einer Intermittens perniciosa. Nie habe ich mehr
Gelegenheit gehabt, recht bösartige Wechselfieber in Menge zu beobachten,
als seit ein paar Jahren , und dies ist bis kurz vor der Rostocker Cholera-
Epidemie der Fall geblieben (s. deren Beschreibung unten). D) Verhü-
tung der Cholera. Die gegen diese Seuche zu ergreifenden Sicherheits-
massregeln sind theils polizeiliche, als Quarantainen, öffentliche Separa-
tion der Kranken von den Gesunden, Hospitäler etc., theils solche, die jeder
Mensch als persönliche zu beobachten hat, wohin besonders eine gere-
gelte Lebensweise gehört. Dass durch Quarantainen das Übel von Deutsch-
land, Frankreich etc. nicht abgewehrt werden konnte, ist leider! Jedem
bekannt. Die Ursache liegt theils in der Mangelhaftigkeit der Anstalten,
theils in atmosphärischen Einflüssen , welche die Disposition des Körpers für
diese Seuche erhöhen und in keines Menschen Gewalt stehen. Merkwürdig
ist es, dass die Krankheit gerade in Paris, wo «an viel massiger als in
London lebt, weit mehr Menschen ergriffen und weggerafft hat, als in letz-
terer Stadt. Auch dieser Umstand mag zum Beweise dienen , dass wir Ärzte
über die beste Art der Verhütung der Cholera noch wenig Bestimmtes wis-
sen, und nur Voreiligkeit und Unkenntniss der Sanitätsbehörden ist es zu
nennen;, wenn mau in den zahlreichen, öffentlich verbreiteten Belehrungen
über die Verhütung der Cholera liest, dass man starkes Bier, Wein, gute
Nahrung nur höchst massig in Cholerazeiten gemessen solle. Gerade diese
Dinge werden in London im Übermass genossen und dennoch war dort die
Cholera viel gelinder, als bei den nüchternen Parisern. Es scheint hier ein
ähnliches Verhältniss obzuwalten, wie bei den jetzt herrschenden Wechsel-
fiebern, Wer recht gute Nahrung, täglich kräftiges Bier, Wein, zuweilen
selbst Branntwein geniesst, wird seltener vom Wechselfieber befallen, als
der, bei dem dies nicht der Fall ist. Unter allen Präservativen gegen die
Cholera ist der tägliche Genuss der freien Luft, des frischen Wassers zum
öftern Waschen und Trinken , und das Tragen seidener oder wollener Hem-
den allen andern Schutzmitteln vorzuziehen. E) Was die Heilung der
Cholera betrifft, so erhellet aus allen Resultaten, da«« unsere Kunst bei der
392 CHOLERA
noch nicht ausgebildeten Krankheit sehr viel , bei der ausgebildeten aber nur
wenig vermag, indem zeither trotz der grossen Menge von angepriesenen
Heilmitteln fast immer die Hälfte der von letzterer Form der Krankheit Er-
griffenen dem Tode anheimfiel. Es ist merkwürdig, dass gerade grosse
Weltseuchen so verschiedene Grade von Leichtem und Schwerem zeigen,
z. B. die Kuhpocken, die asiat. Cholera, so dass ein Mensch wol lOOmal
leichter, als der andere erkrankt. Bei der noch nicht ausgebildeten Cholera
bedarf es kaum eines Arztes. Der Mensch muss sich nur in tfichtige Trans-
spiration durch Glühwein etc. setzen und keine stopfende oder schwächende
Mittel gebrauchen und — er ist bald gesund. Aber bei der ausgebildeten
Cholera ist häufig das Latein des Arztes schnell zu Ende. Menschliche
Kunst ist in grossen Weltseuchen überaus ohnmächtig , weil sie mit Natur-
kräften in Kampf geräth, die sie nicht kennt, und die, wenn sie dieselben
anch zu erkennen vermöchte, ihr doch stets unerreichbar bleiben würden.
Keine Krankheit der neuern Zeit hat uns Arzte so sehr die Kleinheit des
menschlichen Wissens und die Schwäche der ärztlichen Kunst fühlen lassen,
als gerade die orientalische Cholei-a. Keine wird aber auch wohlthätiger
auf die medicinische Wissenschaft wirken , indem sie das beste niederschla-
gende Pulver gegen den akademischen und sonstigen ärztlichen Dünkel ab-
giebt, als gerade diese gangetische Pest. Brechmittel, Waschen und Um-.
Schläge von kaltem Wasser, Trinken des kalten Wassers, Verschlucken von
Eis, Ammon. causticum innerlich, starker Kaffee mit Rum, guter Madeira-
wein, zur Belebung der Kräfte und in nicht zu kleinen Portionen, so dass
Wärme und Pulsschlag wii'der zurückkehren , — diese Dinge haben sich
allenthalben und auch in Rostock noch am kräftigsten bewiesen. Ja, mir
sind aus hiesiger Stadt zwei Fälle bekannt, die der excitirenden Methode
ganz besonders das Wort reden. Ein schon seit 4 Stunden blau und kalt
an Gesicht und Gliedern sich befindender Cholerakranker, ein Matrose, der
früher nicht an viele Spirituosa gewöhnt gewesen, trinkt in der Angst wäh-
rend der Krankheit in einem Zuge V2 Flasche starken Branntwein aus, —
er wird davon nicht berauscht, sondern fühlt sich nur wohler, wird warm
und — genest. Ein sonst massig lebender Schneider trinkt sogleich nach
dem Ergriffenseyn von der Cholera alle 5 Minuten einen kleinen Rum-
schnaps , im Ganzen 21 , als ich ihn zuerst sah. Er versicherte , dass er
gar nicht berauscht geworden und er sidi nur wohl fühle. Wärme und
Pulsschlag waren wieder da und der Mann in 2 Tagen völlig gesund.
Die Cholera ist, wie Thümmel (RusCs Magaz. 1832. S. 403) mit Recht
sagt, eine höchst acute, fieberlose, ihrem Wesen nach bis jetzt noch mehr
oder weniger geheimnissvolle Krankheit, welche, lässt man den Blick nur
auf den eignen beschränkten Wirkungskreis, die grossen allgemeinen Grup-
pirungen übersehend , fallen , grosse Ähnlichkeit mit einer miasmatisch - epi-
demischen Krankheit hat. Sie scheint in dem heissen Klima Indiens , wo
sie jährlich als Morbus stationarius ihre Opfer forderte, durch tellurische
und kosmische Veränderungen begünstigt, ihren heutigen Charakter gewon-
nen zu haben, mit dem sie auf bequemen Strassen von Ort zu Ort, von
Land zu Land langsam dahin wandernd, klimatische und Ortsverhälcnisse
verspottend, die Völker Europas erschreckte. Muss man auch zugeben,
dass die Ländersperren, denen in unsern civilisirten Staaten, wo dem ge-
schäftigen Handel und regen Verkehr die Pforten weit geöffnet sind, un-
übersteigliche Hindernisse entgegentreten, selbst bei den grössten Anstren-
gungen dem erwünschten Zwecke nicht zu entsprechen vermochten, so fin-
det doch — sagt Thümmel — die Idee der Anhänger des Miasmas, verliert
man sich nicht in das Reich der Hypothesen, wenig Anknüpfungspunkte,
und es scheint mit dem Gange und der Ausbreitung der Epidemie das Con-
tagium bei nicht wegzuleugnender Disposition mehr in Harmonie zu stehen.
Wenn Niemand leugnen wird, dass Klima und Witterungsconstitution auf
Gang, Ausbreitung und Charakter der Krankheit einen wesentlichen Ein-
fluss ausüben und wol hauptsächlich die Dispositionsfiihigkeit bedingen, so
fiadet doch der aufmerksame, vorurtheilslose Beobachter auch in gar vielen
CHOLERA 393
Fällen die Verschleppung und Übertragung des Contagiums zur Evidenz
heraus. Anzunehmen ist, dass dasselbe flüchtiger Natur, sowol durch Men-
schen als durch die init Giften imprägnirte Atmosphäre propagirt werden
könne, dass die Atmosphäre des Kranken schon ansteckend sey, jedoch nur
in der Ausbildung des Übels, und dass endlich mit dem Tode des Indivi-
duums auch der Tod des Contagiums herbeigeführt werde. Hierbei drängt
sich uns unwillkürlich die Vermuthung auf, dass der Organismus nicht aller
inficirten Individuen immer fähig sey, das in sich aufgenommene Krankheits-
gift wieder zu der Höhe zu potenziren, um das gleichnamige Übel in an-
dern hervorzurufen. Dies mag denn auch wol die Ursache seyn, warum in
Cholera- Epidemien viele Menschen nur so leicht erkranken. Wenigstens in
der Akme der Epidemie bin ich von der Ansteckbarkeit der Seuche durch
Contagion fest überzeugt. Formen der asiatischen Cholera nach
Thümmcl. Wenn es zu Anfange der Epidemie, sey es nun aus Unkunde des
Territoriums oder der 'grössern Rapidität des Übels wegen, so scheinen mag,
als walte nur eine Form der Krankheit in bald kürzern, bald längern Zeit-
räumen, welche diesem Individuum melir Zeit zu ihrer Ausbildung und Reihe-
folge gönnt, in jenem wieder das Bild verwirrend, ihr Opfer im schnellsten
Tempo zum unerwünschten Ziele führt, so kann man doch bei ruhigerer
Beobachtung einer Reihe von Krankheitsfällen bald zwei grosse Hauptfor-
men der Cholera vei-nehmen. I. Die Cholera erethistica. II. Die
Cholera paralytica. Beiden geht häufig, doch nicht immer (siehe un-
ten die Bemerkungen des Pariser Arztes) , längere oder kürzere Zeit eine
Äritte Form, die Diarrhoea cholerica voran, welche indess nicht selten
bei gehöriger Pflege und sorgsamer Erfüllung der nöthigen Vorsichtsmass-
regeln als selbstständige Krankheit günstig verläuft. Alter, Geschlecht, Con-
stitution und Gelegenheitsursachen mancherlei Art haben auf Dauer, Ver-
lauf, verschiedene Nuancirung der Symptomatologie dieser Krankheit sowol,
als auf Prognose ^und Therapie derselben einen wesentlichen Einfluss. Es
ist nicht zu leugnen, dass sich nicht immer und überall dem Beobachter
dieselben Erscheinungen bei den einzelnen Formen darbieten, dass die feh-
lenden durch andere ersetzt werden , und dass häufig die eine Form in die
andere schneller oder langsamer übergeht, so dass man wieder versucht
wird zu glauben, es nur mit einzelnen Stadien einer Krankheitsform zu
thun zu haben. Und dies scheint nicht blos so, wie Thümmel meint, son-
dern es ist wirklich so. Das Wesen der Krankheit ist sich überall gleich,
es ist begi'ündet in schneller Adynamie. Nur die Verschiedenheit der Lei-
besconstitution giebt Nuancen. Recht vollsaftige Personen werden sich durch
frische Luft , Trinken und Waschen von und mit kaltem Wasser , durch
Transspiration im Bette , schwächliche durch tüchtige Spirituosa und be-
lebende Diaphoretica, durch Amnion, caustic. , dieses auch gegen Intoxica-
tion mit Blausäure so wirksame Antidot- durch reine Luft, Sonnenschein,
durchs Trinken von kaltem Wasser, zumal nachdem der Turgor vitalis wie-
der zurückgekehrt ist, besser fühlen und, wenn sie consequent solcher Cur
\ folgen und das Ammonium nicht in zu grossen Zwischenräumen nehmen,
bald genesen. 1) Diarrhoea cholerica. Das Übel beginnt in der Re-
gel mit Abspannung, Mattigkeit, Schwindel, Druck in der Herzgrube, Durst,
zuweilen schmerzhaftem, nachher schmerzlosem Knurren , Kollern und eigen-
thümlichem Poltern im Leibe, welchem bald copiöse Abscheidung geruch-
loser, wässriger , anfangs gelblicher, nachher immer grauer und heller wer-
dender , mit grossen weissen , eiweissartigen Flocken untermischter F'lüssig-
keiten, die zuweilen chocoladenfarbig werden, folgen. Hiernächst nimmt
die Kraftlosigkeit zu, es stellen sich schmerzhafte, ziehende Empfindungen
in den Waden ein, die Augen werden matt, der Durst nimmt zu, dunkle
Ringe umgeben die Augen, es stellt sich ein eigenthümliches , knebelndes
(wolliges) Gefühl in den Fingern ein, der Puls sinkt, und die Harnabson-
derung fehlt. Aus dieser Form sieht man alle anderen sich entwickeln;
meist ist sie durch frühzeitig angewendete Hülfe schnell und glücklich zu
besiegen. Man halte aber nicht jede Diarrhöe in Cholerazeiten für Diarrhoea
894 CHOLERA
diolerica (s. unten die Diagnose der Cholera asiat. und Cholera nostras).
2) Cholera erethistica. Hier treten die Erscheinungen in einem ver-
stärkten Masse auf; die Kranken empfinden in der Kardia und den Präcor-
dien, besonders bei der Berührung, ein Brennen, der Schwindel nimmt zu,
die Angst «nd Beklemmung werden unaussprechlich gross , eine unbeschreib-
liche Unruhe mit beständigem Hin - und Herwerfen des Kopfes und der Be-
gierde nach Kühlung bemächtigt sich der Kranken, der Durst nach kaltem
Getränke ist unauslöschlich. Der Puls ist meist frequent und fadenförmig,
die Wärme nimmt ab , besonders sind die Extremitäten kühl und die pro-
minenten Theile des Gesichts kalt, während Stirn und Zunge noch eine
höhere Temperatur haben. Die Haut hat meist eine violette Färbung, ist
ohne Turgor, die Augen sind eingesunken, von dunklen Rändern umgeben,
und das Fett um den Bulbus scheint resorbirt. Das Gesicht verfällt, die
Krämpfe in den untern Extremitäten , besonders in den Waden , vermehren
eich und unter fortdauernder Verschlimmerung und Kräfteabnahme erfolgen
Vomituritionen, anhaltendes Erbrechen und Durchfall. Der Kranke hat beim
Erbrechen keine Anstrengung, über die rinnenartig gefaltete Zunge stürzt
die gelbliche, klare, mit braunen Flocken untermischte Flüssigkeit heraus,
und die Stuhlausleerung fliesst schmerzlos und ohne Drängen ab; dabei wird
die schwache Stimme immer heiserer, die Temperatur immer kälter, die
Haut zuweilen von klebrigen Schweissen bedeckt und unter leichten Deli-
rien liegt der Patient, nur zuweilen von der Verrichtung seiner natürlichen
Functionen unterbrochen, im Halbschlummer. 3) Cholera paralytica.
Der Kranke bietet in dieser Form das grösste Jammerbild dar. Das Ge-
sicht ist verfallen, die Ohren und Nasenknorpel welk, die Augen, von tie-
fen, schwarzen Rändern umgeben, sind tief eingefallen, die Cornea ist glän-
zend, die Pupille meist erweitert und unbeweglich, die Sclerotica schmuzig,
bläulich und mit schwarzen Punkten oder halbmondförmigen Flecken unten
an der Hornhaut versehen (welches seinen Grund darin zu finden scheint,
dass die Chorioidea durch die an diesen Stellen halb resorbirte Sclerotica
hindurchschimmert). Die Lippen sind bläulich, die Haut ist gelähmt, faltig,
die Falten bleiben lange stehen, die Extremitäten sind blau marmorirt, die
Finger mit longitudinellen Falten besetzt , die Nägel blau. Oft nimmt die
ganze Hautoberfläche eine livide Färbung, die ins Aschgraue fällt, an; der
Puls ist nicht mehr zu fühlen, das Athemholen ist sehr beengt, kurz, die
Stimme ganz heiser, beinahe unhörbar, unvernehmlich, schwach, die Zunge
ist bald ganz roth und rein, oder gelblich oder weisslich überstrichen, breit
Bnd kalt. Der Kranke liegt im beständigen Halbschlumraer mit halbbe-
deckten , nach oben gerollten Augen , bei eigentlich ungetrübter Besinnung,
auf den Rücken und zusammengesunken. Unnennbarer Durst peinigt ihn,
er klagt zuweilen über schmerzhafte Affection in den Präcordien, stöhnt
nnd seufzt, wirft sich wegen grosser innerer Hitze gern bloss, die Tempe-
ratur der Mundhöhle ist p. p. 15 — 18° R. und Durchfall und Erbrechen
haben bei aufgetriebenem teigigem Unterleibe in der Regel ganz aufgehört,
oder wenn noch Durchfall stattfindet, so werden nur klare, dem Urin ähn-
liche Flüssigkeiten mit grossen gelblichweissen oder aschgrauen Flocken un-
termischt, zuweilen auch röthlich- wolkige Massen ausgeleert; heftige Kräm-
Sfe der Waden und Lenden unterbrechen häufig den soporösen Zustand des
[ranken , die Angst nimmt von Minute zu Minute sichtlich zu , das Athmen
tvird immer mühsamer , der Kranke starrt mit weit geöffneten Augen dahin,
seine Besinnung schwindet, der Athem stockt, das Herz zuckt noch einige
Male krampfhaft , es erfolgen noch einige schwache Conamina zur Inspira-
tion und der Kranke stirbt. Die Leiche sieht einem Lebenden gleich, denn
weitgeöffnet sind die Augen. Oftmals hat Thümmel noch längere Zeit nach
dem Tode (ly. Stunden) Zuckungen der Lenden- und Wadenmuskeln und
Bewegungen der Zehen beobachtet. Dauer und Verlauf der Cholera.
Ich habe diese Krankheit — sagt Thümmel — nie anders zu beobachten
Gelegenheit gefunden , als wo einen oder mehrere Tage ein mehr oder we- '
niger heftiger Durchfall mit den oben angegebenen Erscheinungen voran-
CHOLERA 395
ging (dass dieses nicht stets der Fall sey , das9 efl auch eine Cholera sicca,
apopiectica gebe, die ohne Diarrhöe auftritt, darüber unten mehr); traten
aber die Sjymptome der ausgebildeten Cholera erst hervor, so dauerte die-
selbe 'nie über 72 Stunden bei einem ungünstigen Ausgange, und dies nur
in seltenen Fällen. Die Mehrzahl der Kranken endete schon innerhalb 24
Stunden. Doch bot die Rostocker Epidemie einzelne Fälle bei alten Leu-
ten dar, die 5 — 8 Tage lang kalt und blau da lagen, ehe der Tod ein-
trat. — Geht es zur Besserung, so geschieht dies oft sehr schnell, nach-
dem vorher Urinsecretion eingetreten , unter allgemeiner Wärme , Schvyeiss,
wiederkehrendem Hautturgor und lebhaft, ja oft härtlich werdendem Pulse.
Die Facies cholerica verliert sich bald, die Augen, obgleich noch von dunk-
len Rändern umgeben, treten etwas hervor und der Kranke hat das Anse-
hen eines Menschen, der Nächte durchschwärmte. Die Bindehaut des Auges
ist geröthet, ein erquickender Schlaf stärkt den Leidenden. Die Stuhlaus-
leerungen fangen bald an fäculent zu werden, und es stellt sich auch bald
wieder Esslust ein. Die Convalescenz dauert in der Regel nur wenige Ta-
ge , wenn nicht andere Krankheiten der Cholera vorangingen , welche den
Körper schwächten. Bei richtiger Behandlung folgen nur höchst selten der
Cholera Krankheiten, welche von grossem Emfluss sind und die Prognose
ungünstig machen. Zu den günstigen rechnet man die kritischen Ausschläge,
die bei Kindern und Erwachsenen vorkommen und einige Ähnlichkeit mit
den Masern haben , der Ausschlag steht mehrere Tage und die Haut schält
sich nach ihm kleienartig ab. Zu den ungünstigen gehören die mit Sopor,
Congestionen nach dem Kopfe, trockner, bräunlich belegter Zunge, bren-
nender Haut , schnellem gebundenem Pulse , und Delirien verbundenen Zu-
stände, welche gewöhnlich typhös genannt, eigentlich in nichts weiter als
einer passiven Congestion eines cruorreichen Blutes nach dem Gehirn zu
bestehen , und besonders gern bei denjenigen Individuen zu entstehen schei-
nen , welche lange vorher schon an Abdominalplethora litten , überhaupt bei
Vollblütigen , Hämorrhoidalischen , Gewohnheitstrinkern etc. Mehrmals hat
Thümmel in Berlin, was in Rostock nicht der Fall war^ wenigstens nicht
in meiner Praxis bei Cholerakranken, bei Erwachsenen, aber vorzugsweise
bei Kindern die Erfahrung gemacht, dass nach völlig beseitigter Cholfera
(guter Puls, Hautturgor, fäculente Stühle, Urin, freier Athem und Aufhören
der charakteristischen Ausleerungen) die Erscheinungen des Hydrocephalus
acutus eintraten, und gefunden, dass der Heiiplan, welcher gewöhnlich bei
dieser Krankheit angewendet wird , hier nicht die glücklichen Resultate lie-
fert , wie man sie sonst wol zu finden gewohnt ist , obgleich die Behand-
lung 6 — 8 Tage das Leben zu fristen scheint. In dieselbe Kategorie ge-
hören ferner die entzündlichen Brustaffectionen , welche sich unter der Form
wahrer Pneumonie oder Pleuro-Peripneumonie zu erkennen geben, und je-
derzeit die dreiste Anwendung des Aderlasses erfordern. Aber auch alte,
schwächliche Personen verfallen, wenn sie die Cholera glücklich überstan-
den und schon die beste Hoffnung zur Wiedergenesung geben, in eine be-
deutende Schwäche des Cerebralnervensystems, und sterben unter Torpor,
an Apoplexia nervosa oder Catarrhus pulmonum plötzlich. Thümmel hat kei-
nen Fall zu sehen Gelegenheit gehabt, wo der Cholera ein wahrer Typhus
oder ein Nervenfieber gefolgt wäre. Bei Vielen dauert die Convalescenz
lange , und er sah mehrmals wassersüchtige Anschwellungen der untern Ex-
tremitäten', besonders wo Wechselfieber vorangegangen waren. Dieses Oe-
dema pedum als Nachkrankheit der Cholera, sowie auch Ascites, fand man
in Warschau sehr häufig, hier in Rostock dagegen fast gar nicht. Auch
Brand der Extremitäten sah Pincl in Warschau sehr oft folgen (s, v. Grä-
fe's und v. Wnlther's Journ. f. Chirurgie etc. 18S0. Bd. XVI. Hft. 2. S. 268).
Dasselbe bestätigt mein College , der Hr. Dr. Fischer hieselbst, der während
der Cholera in den Hospitälern zu Warschau im Jahr 1830 fungirte. We-
sen der Cholera. Die erethistische Form der Cholera scheint Thümmel
vorzugsweise in einer erhöhten Thätigkeit des Unterleibsnervensystems, ei-
nem gereizten, gleichsam krampfhaften Zustande desselben zu beruhen, wel-
396 CHOLERA
ches durch den in der Regel schnellen, krampfliaft zusammengezogenen Puls,
die klonisclien Krämpfe der initorn Extromitäteii , die bcstäiidi^oii Vomituri-
tionen, das Erbrechen und den Durt^ht'all mit gleichsam kolikartigen .Schmer-
zen und den Blutandrang nach Kopf und Brust documentirt wird, wiihrend
die parahtische Form der Cholera in einer höclistverminderten, «iurch Über-
zeiz gesunkenen Thätigkeit des Gangliensystems des Unterleibes, also in
Lähmung desselben zu bestehen scheint. Den Beweis dafür liefern \vo[ die
allgemein verbreitete Eiskälte der ganzen HautoberHäche, die mit schwarzen
Rändern umgebenen, tief eingefallenen Augen, die schweigenden Au>leerun-
gen (jes Nahrungscanais , der fehlende Puls , der matte , schwankend unge-
wisse Herzschlag, die Bläue und Rugosität der Haut, die kalte Zunge, die,
gänzlich unterdrückte Harnabsonderung, die Erstarrung des Körpers und
überhaupt die Blitzesschnelle, mit welcher das Übel den beschriebenen Cha-
rakter gewinnt. Durch die mangelnde Energie und den lähmungsartigen
Zustand des Unterleibsnervensystems , woran späterhin offenbar auch die
Nerven des ^Rückenmarks iheilnehmen, scheint es zu geschehen, dass na-
mentlich bei schon bestehender Abdominalplethora die Organe der Brust und
des Unterleibes, diese Centralpunkte des Blutgofiisssystems , dem Andränge
des Blutes nach innen, welches ohnehin organisch und chemisch verändert
ist, nirht zu widerstehen vermögen, um so mehr als das Nervensystem, ge-
lähmt und machtlos geworden, die Blutgefässe zur Contraction zu erregen
unfähig ist, während die peripherischen Nerven noch immer so viel Kraft
besitzen, den geringen Antheil von Blut durch Einwirkung auf die Gefässe
nach Innen zu leiten. Die auffallende Injection der arteriellen und venösen
Gefasse des Nahrungscanais und der Blutreicht hum der Leber, des Herzens,
der Nieren etc. , welchen man immer in den l^eichen findet , sind Erschei-
nungen, welche hier und da wol zur Annahme bestandener Entzündung be-
rechtigten, aber durch passive Congestion leichter erklärlich werden (7'Ahhi-
mcJ, JV/o*'/). — Das in seiner freien Circulation gehemmte, stagnirende, stark
carbonksirte , venöse Blut erleidet gleichsam als halb lebloser Körper in den
Gefässen chemische Veränderungen. Der Cruor scheint sich vom Serum zu
scheiden, und letzteres noch durch den schwachen Rest der Circulation als
Abfall \md fremder Körper mit der freien Säure inid den lymphatischen Stof-
fen in den Nahrungscanal zur Abführung ausgeschieden zu werden, welcher
sich alsdann, mechanisch über die Gebühr ausgedehnt, seiner Bürde mit
Leichtigkeit entledigt. Ursache der Cholera. Es wird wol Niemand
leugnen, dass dieser insidiösen Krankheit, welche oft mit Blitzesschnelle den
G«sundesten befallt, und mit fürchterlicher Rapidität dem (jual vollen lieben
ein Eiide macht, aber auch nicht selten ebenso schnell zur Genesung führt,
uns bisher ganz unbekannte neue Ursachen zum Grunde liegen, welche von
Vielen in tellurischen und kosmischen Verhältnissen, in eigenthümücher Luft-
beschalTenheit gesucht werden. Zu schwach, durch überwiegende Gründe
einen unseligen und unfruchtbaren Streit zu schlichten, welches bessern Fe-
dern aufbehalten bleiben mag, glaubt Tliümmcl mit vielen .Andern, auf
niehrfaclie Erfahrung gestützt, ainiehmen zu müssen, dass die Cholera ei-
nem Hüchligen Contagium, welches hauptsächlich durch die Lungen seinen
Eingang in den Organismus findet, ihre Entstehung und Verbreitung zu
verdanken habe, dass aber Alter, Geschlecht, vorhergegangene Krankhei-
ten, die sich vorzugsweise auf das Nerven- und Blutgefässsystem beziehen,
und Diätfehler, sowie Witterungsveränderungen etc. zu Com|)licationen und
Formenverschiedenheit Veranlassung geben. So wird sich bei alten, gQ-
hchwächten Individuen vorzugsweise die paralytische Form, bei jüngeren,
volll)lüligen Sidijecten mehr die crethistische Form der Cholera ausbilden,
welche letztere bekanntlich oft und gern in die erstere überseht und mit
dem Tode endet. Der kindliche Organismus, welcher sich bekanntlich vor-
zugsweise durch vermehrten Säfteandrang nach dem Gehirne au.s/.eichnet,
«•rliegt gewöhnlich dieser Form, welche nicht selten in Hydrocephalus acutus
überf^eht und in der Regel einen unj^ünstigen Ausgang verspricht. Robuste
Mäiuier mit Plethora abdominalis bekommen, zumal nach heftiger Erkältung,
CHOLERA 397
am leichtesten die nnter der Benennung Cholera sicca auftretende apoplekti-
sche Form, die oft in den ersten 3 Stunden tödtet, aber wenn in dieser Zeit
Besserung eintritt, auch um so schneller zur Genesung führt. Prognose.
Ungünstig im Allgemeinen in der paralytischen Form, dubiös in, der erethi-
stischen, günstig aber bei der Diarrhoea cholerica. Die gänzliche Pulslosig-
keit bei allgemeiner Erstarrung, Kälte und Lähmung der Haut, welche über-
dies besonders an den rugösen Fingern, Zehen und den Extremitäten über-
haupt, blau marmorirt, oftmals aschgrau erscheint, die an Stimmlosigkeit
grenzende Heiserkeit, die unbeschreibliche Angst und Beklommenheit, das
Seufzen und Stöhnen bei fast jeder Respiration , die kalten , klebrigen
Schweisse an einzelnen Theilen, das gänzliche Aufhören des Durchfalls und
Erbrechens bei aufgetriebenem, teigigem, kluckerndem Unterleibe, oder san-
guinolente Stühle , der Verfall der Augen und des Gesichts etc. sind immer
böse Zeichen. Doch habe ich auch mehrere solcher Kranken durch das
kaustische Ammonium, 24 Stunden und länger gereicht (alle 5 — 10 Minu-
ten 15 — 30 Tropfen in kaltem Wasser), noch gerettet, die noch heute mun-
ter und wohl eiiihergehen. Von guter Vorbedeutung ist es liingegen, wenn
der Puls sich erhebt, schneller, deutlicher und voller wird, sich gleich-
massig verbreitet, feuchte Wärme, Hautturgor, Schlaf bei geschlossenen
Augenlidern und Harnabsonderung sich einstellt, auch später die Stuhlaus-
leerungen anfangs dünn, gallig, dunkel gefärbt, nachher breiig und zuletzt
consistent, fäculent werden und sich Schlaflosigkeit, der unauslöschliche
Durst, sowie die Angst, Beklommenheit und die verhinderte Respiration
nebst Heiserkeit verlieren. Behandlung. Die Indicationen zur Anwen-
dung der Arzneien erleiden offenbar nach den verschiedenen Formen , Gra-
den und Complicationen der Cholera verschiedene Modificationen und lassen
sich hauptsächlich im Allgemeinen auf Wiederherstellung des Gleichgewichts
des Unterleibs - und Cerebralnervensystems mit seinen peripherischen Aus-
breitungen zurückführen, wodurch auch gleichzeitig das untergeordnete Blut-
gefäss - und reproductive System allmälig zur Normalität geführt werden.
1. Bei der Diarrhoea cholerica scheint es mir besonders darauf anzukommen:
1) bei gastrischer Complication den Nahrungscanal von dem fremden Reiza
zu befreien ; 2) die krankhaft erhöhcte Thätigkeit des Gaagliensystems zu
beruhigen und 3) antagonistisch auf die Haut zu mrken. Die erste Indica-
tion wird in der Regel schon durch Emetica, säuretilgende, mild erregende
Mittel, Magnesia carbon., Kohlensäure; die zweite Indication durch Demul-
centia, die dritte Indication durch äussere Erwärmung, warme, Schweiss
erregende Getränke: heissen Rothwein mit Gewürz, Tiuct. aromatica, durch
Saturationen und die ammoniakalischen Mittel, hiq. ammon. acet., succ. etc.
erfüllt. II. Bei der Cholera erethistica sind im Allgemeinen dieselben Indi-
cationen zu befolgen , nur erheischt das tiefere Eingreifen des Übels kräfti-
gere Massregeln. Hier dienen vorzüglich ein starkes Vomitiv von reiner
Ipecacuanha, hinterher alle 5 — 10 Minuten grosse Dosen von Tinct, macid.,
— vauill. mit Litj. c. c. succ, und alle '/j Stunden 15 — 20 Tropfen kausti-
scher Salmiakgeist in Wasser; darneben öfteres Trinken von kaltem Was-
ser, Waschungen damit, ein Senfpflaster auf die Herzgrube, nachher Beför-
derung des Schweisses in warmen Betten. Dass hier viele Ärzte Kalomel und
Opium gereicht haben, ist bekannt. Ich kann beide Mittel nicht empfehlen,
obgleich sie von vielen Ärzten leider! als Hauptmittel in der Cholera ange-
sehen worden sind; die Gjünde dafür werde ich unten angeben. III. Die
Cholera paralytica bietet zunächst zwei Anknüpfungspunkte zur Stellung der
Indicationen für die Application der Heilmittel dar, und zwar: 1) zur Be-
lebung und Erregung des gänzlich gelähmten Ganglieasystems hat man viel-
fältig Kampher , Phosphoräther , heisse Weine etc. gereicht , mir leistete der
kaustische Salmiakgeist die besten Dienste, und wenn die Ausleerungen stock-
ten, ein Vomitiv. Weder Kampher, noch Moschus, noch andere Reizmittel
ersetzen hier den Salmiakgeist, wenn letzterer nur consequent und so lange
angewandt wird, bis Wärme und hinreichende Reaction des Blutsystems ein-
treten, wozu oft 1 — 2 Unzen erforderlich sind. 2) Zur Erweckung auta-
398
CHOLERA
goiiistischer Thätigkeh, der peripherischen Gefasso und Nerven i a) Waschuiv-
gen mit kaltem Wasser , Schnee , Eisumschläge ; b) Sturzbäder in trockener
Wanne, oder in warmem, reizendem Bade; c) Frictionen mit Kampher-,
Angelicaspiritus etc.; d) reizende Senfteige; e) Moxa (Glüheisen); f) rei-
zende Kiystiere. IV. Nachkrankheiten. Tliümmel hat nur zwei For-
men dexselben zu beobachten Gelegeniieit gehabt, nämlich: 1) die mit Sopor
begleiteten und fast der Enzündung ähnlichen Congestionszustände nach Kopf
und ßrust, und 2) die nervösen Airectionen des Gehirns und der Lungen,
nämlich Apoplexia nervosa und Catarrhus pulmonum. Bei der erstem leiste-
ten die Plasticität vermindernden und die kühlenden ableitenden Mittel er-
gpriessliche Dienste: a) allgemeine und locale Blutentziehungen, nicht selten
wiederholt angewendet; b) das Kalomel in kleiner Dosis; c) die kalten
Überschläge auf Kopf und Brust; d) Kiystiere. Der letzteren Form ver-
mochten die kräftig reizenden Mittel nicht zu widerstehen. Über seine Be-
handlungsweise der Cholerakranken in Berlin sagt Thümtnel (a. a. O.) Fol-
gendes: ,,Ich erlaube mir deiuaächst zur Aufzählung der einzelnen Mittel,
vrelche ich selbst bei den mir anvertrauten Cholerakranken anzuwenden Ge-
legenheit fand, überzugehen und meine individuelle Ansicht über ihre Wirk-
samkeit oder Wirkungslosigkeit auszusprechen. A. Innere Mittel. 1) Das
Opium. Ich betrachte es als eins der Hauptmittel bei der Cholera, und
fand dasselbe sowol bei den Prodromalzuständen , als auch bei der Cholera
erethistica und paralytica von wesentlichem Nutzen. Es scheint in den ge-
ringeren Graden des Übels, wo die Thätigkeit des Abdominalnervensystema
erhöht ist, von sehr beruhigender Wirkung, mit Demulcentibus in Verbin-
dung , zu seyn. Ich Hess dasselbe nur so lange in mittlerer Dosis reichen
(etwa alle halbe Stunden zu S — 5 Tropfen Tinct. thebaica) , bis sich nar-
kotische ^Erscheinungen einstellten, welche sofort durch Anwendung starken
schwarzen Kaffees, Brausepulver und allgemeine oder locale Blutentziehun-
gen nebst kalten Überschlägen auf der Stirn in der Regel sehr schnell be-
seitigt wurden. Rückfälle oder nicht gänzliche Tilgung des Übels forderten
mich zur Wiederholung des Verfahrens auf, und immer mit glücklichem Er-
folge. In der Cholera paralytica scheint das vollkommen gelähmte Unter-
leibsnervensystem die ganze Wirkung des in grossen Dosen augewendeten
Opiums (alle 2 Minuten bis % Stunden 5, 10 — 15 Tropfen Tinct. opii) zu
resorbiren , und erst nach dessen Sättigung narkotische Erscheinungen zu-
zulassen, ein Zustand, der mir immer von günstiger Vorbedeutung war,
besonders wenn man nun sogleich bedacht war, durch allgemeine oder lo-
cale Blutentziehunger, kalte Umschläge auf den Kopf, Brausepulver und
den Genuss von starkem schwarzen Kaffee dies Consecutivübel, welches ich
nicht direct der Wirkung des Opiums zuschreiben möchte , zu bekämpfen.
Ich habe die gedachten Erscheinungen auch nach der Anwendung des Kam-
phers, eines flüchtig reizenden Mittels von narkotischen Eigenschaften, mehr-
mals bemerkt und geglaubt, dass der Kampher in jenen Fällen das aufge-
hobene Gleichgewicht zwischen Abdominal- und Cerebralnervensystem, natür-
lich mit gleichzeitiger Erregung und Regulirung des Gefässsystems , gleich-
wie das Opium, herzustellen vermochte; bin aber überzeugt, dass dasselbe
dem Zwecke nicht mehr entspricht, sobald das angedeutete Ziel erreicht ist.
Es wurde von mir sowol in der Heilanstalt, als auch bei einigen in Fami-
lienhäusern wohnenden Kranken 57 Mal und zwar 43 Mal mit Glück, und
14 Mal ohne Erfolg gegeben. (Was über die Anwendung des Opiums spä-
tere Erfahrungen gelehrt haben , w ird unten bei Beschreibung der Rostocker
Epidemie mitgetheilt werden. M. ) 2) Emetica. Die Brechmitte! nehmen,
meinen geringen Erfahrungen zufolge, einen der ersten Plätze in der Reihe
der wirksamen und hülfreichen Arzneimittel ein. Sie wirken hier entweder
als ausleerende oder als umstimmende Mittel. In der Regel erfordern sie
kräftige Präparate, oder auch starke Gaben, selbst in den geringeren For-
men der Cholera, wo die peristallisclie Bewegung des Darnicanals gewaltig
erhöht ist, und die Organe sich schwer zu entgegengesetzter Thätigkeit
stimmen lassen. Ich habe Emetica, besonders bei gastrischer Complication,
CHOLERA 399
bei welssHch oder gelblich belegter Zunge , wo nachweislich Diätfehler oder
Erkältungen vorangegangen waren, meist in sehr starker Gabe (zu ^j bis
3jj Ipecacuanhae, gr. jjj — iv Tart. stibiat., noch lieber aber mit gr. jj — iv
Cupr. sulphur.) gereicht. Meist war eine einmalige oder öftere Wiederho-
lung derselben nöthig, und in der Mehrzahl der Fälle dies Verfahren mit
glücklichem Erfolge gekrönt. In der Cholera paralytica leisteten sie beson-
ders zu Anfange nichts, und erforderten immer erst, ausser den nöthigen
äusseren Hautreizen und Belebungsmitteln, die Anwendung flüchtiger Reiz-
mittel oder des Opiums, Ich habe sie überhaupt 35 Mal, und zwar 21 Mal
mit gutem Erfolge, 14 Mal erfolglos angewendet, d. h. theils ganz wir-
kungslos, theils bei einiger Wirkung ohne erwünsct^ee Resultat. 3) Der
Phosphoräther bewies sich in mehreren Fällen als ein ausgezeichnet beleben-
des Mittel bei der Cholera paralytica, und schien die Wirkung des Opiums
sehr erheblich zu unterstützen. Ich Hess ihn nur in solchen Fällen gebrau-
chen , wo nicht Complicationen zur Erfüllung anderer Indicationen berech-
tigten, 4 Mal mit günstigem, 2 Mal ohne Erfolg. 4) Das Chmin fand ich
nur 2 Mal zu geben Gelegenheit, wo offenbar eine Wechselfiebercomplica-
tion stattfand. Ich verband es mit starken Gaben Opium (Chinin, muriat.
gr. jjj — vj und Opii pur. gr. |J — j alle 2 Stunden), erfreute mich jedoch
nur 1 Mal eines günstigen Resultats. 5) Das Kalomel in grosser Dosis (zu
10 Gran, ein- bis zweistündlich). Die Anwendung dieses grossen und in
der That am passenden Orte sehr erfolgreichen Mittels , in Verbindung mit
kohlensaurer Magnesia, scheint von vorzüglichem Einflüsse auf die Gallen-
absonderung zu seyn. Ich sah Erbrechen und Durchfall schnell nach seiner
Application aufhören, die Stuhlausicerungen bald gallig, faculent und breiig
werden, der Puls erwachte bald zu neuer Thätigkeit und erforderte jedes-
mal theils allgemeine, theils örtliche Blutentziehungen. Die heilsame, acht
Tage dauernde Salivation pflegte sich schon am dritten oder vierten Tage
einzustellen. Ich wendete es überhaupt 5 Mal und zwar 3 Mal mit gutem
und 2 Mal ohne Erfolg an. Das Kalomel in kleiner Dosis zu 1 — 3 Gran,
ein - bis zweistündlich mit Magnesia carbonica gegeben , habe ich meisten-
theils nur in der erethistischen Form, vorzugsweise bei Kindern nach dem
Opium, dann in Anwendung gezogen, wenn ein bedeutender Orgasmus des
Blutes, fast ein entzündlicher, hydrocephalischer Zustand dazu aufforderten.
Wo nicht eine zu enorme Tendenz zur Ausschwitzung seröser Flüssigkeit
ins Gehirn vorhanden war , leistete es die herrlichsten Dienste. Ich gab es
überhaupt 10 Mal, 5 Mal mit gutem, 5 Mal ohne Erfolg. 6) Das Ferrum
carbonicum zu 5 — 10 Gran, ein- bis zweistündlich in Verbindung mit Ma-
gnesia carbonica angewendet. Ich gestehe , dass ich nach Analogie der An-
wendung der Tinct. fei-ri acet. aether. , deren vorzügliche Wirkungen hier
gelobt wurden, die fixe Form des Eisens vorzugsw eise gab. Ich wählte hier
Fälle erethistischer Cholera ohne alle Complication , und wurde schon an-
fangs sehr durch die guten Wirkungen des Mittels zu neuen Versuchen auf-
gemuntert. Das Mittel wird in der Regel gut vertragen, die Kranken bre-
chen es selten aus, und wenn die Stuhlausleerungen rothflockig werden,
hebt sich der Puls , stellt sich Wärme , Ruhe , Schlaf und Urin ein. In der
Regel folgen die bekannten an Entzündung grenzenden Congestionen nach
Kopf und Brust, welche sofort allgemeine oder locale Blutentziehungen er-
heischen. Ich gab es überhaupt 7 Mal, und zwar 3 Mal mit guten, 4 Mal
mit schlechtem Erfolge, 7) Ipecacuanha in kleiner Dosis wurde überhaupt
nur 2 Mal in Anwendung gezogen, und zwar 1 Mal mit, 1 Mal ohne Erfolg.
Es schien, als würden nach ihr die Vomituritionen beseitigt; jedoch schreibe
ich den einmaligen guten Erfolg der ^Wirksamkeit der kräftigen äusseren
Mittel zu. 8) Der Kampher. Ich kann dem Kampher, welchen ich wegen
seines grossen Rufes anfangs häutig in Gebrauch zu ziehen versucht wurde,
kemesweges das Wort reden. Ich verordnete ihn überhaupt 29 Mal, und
zwar 6 Mal mit gutem Erfolge und 23 Mal erfolglos. Ich gab ihn ui gros-
ser und kleiner Dosis, bald allein, bald als Leviseur'sche Emulsion, mit und
ohne Extract. hyoscyami, und habe ihn hauptsächlich nur bei alten oder
4t)0 CHOLERA
sehr schwächlichen Individuen mit tiefgesunkener Energie einige Male mit
gutem Erfolge angewendet. Er wird hä\irig nicht vertragen ; die Kranken
brechen nach jeder Gabe, und sinken immer mehr zusammen, ohne dass an-
dere flüchtige Reizmittel und die kräftigsten äusseren Mittel das gesunkene
Leben anzufachen vermöchten. Von sehr unterstützender Wirkung scheinen
Hingegen in der Cholera paralytica, und besonders bei alten Subjecten, Kly-
stiere mit Kampher zu seyn, wenn der Durchfall aufgehört hat. 9) Rad.
belladonnae. Ich vermag über die Wirksamkeit dieses ArzneistofTes in der
Cholera kein Urtheil zu fällen, da ich nur 2 Mal Gelegenheit fand, den-
selben in Anwendung zu setzen. Wenn auch der eine Kranke bei seinem
Gebrauche genas, so muss ich dies in diesem Falle mehr den guten Wir-
kungen der äusseren kräftigen Mittel zuschreiben. 10) Die Nux vomica.
Sie hat sich , obgleich freilich meist in verzweifelten Fällen 15 Mal ge-
braucht , mir am nutzlosesten bewiesen. Die Krankheit schritt bei ihrer
Anwendung unauflialtsam vorwärts und das Mittel, welches übrigens keine
Wirkungen äusserte, vermochte nicht den ungünstigen Ausgang zu verhüten.
Ich A'erordnete es theils in der Schnitzer'schen, theils in der Helling'schen
Form, aber immer erfolglos. 11) Moschus. Ich zweifle nicht, dass dieses
Mittel in Verbindung mit anderen kräftigen Arzneien , besonders bei hefti-
gen Krämpfen, eine unterstützende Wirkung zu äussern vermag. Ich habe
es 3 Mal, aber leider erfolglos angewendet, ohne dass es die erwünschte
Wirkung, die Krämpfe und die Vomituritionen zu stillen, hervorgebracht
hätte. 12) Die Tinctura veratri albi habe ich nur 1 Mal, jedoch ohne gün-
stigen Erfolg angewendet. 13) Die Tinctura castor. sibir. scheint mir ein
schätzbares Mittel bei dem oftmals vorkommenden erschöpfenden Slngultus
zu seyn. Ich habe sie mehrmals mit gutem Erfolge zu 4 — 8 Tropfen auf
Zucker benutzt. 14) Die Kohlensäure. Es ist dieses Mittel gewiss mit
Dankbarkeit zu erwähnen, welches als ein kühlendes, beruhigendes Medica-
ment, besonders in der erethistischen Form der Cholera, die wesentlichsten
Dienste leistete. Ich liess dasselbe sowol in Form der Brausepulver , als
auch als Selterserwasser nehmen , welches die Kranken ohnehin bei ihrem
unauslöschlichen Durste nach kaltem Getränk gern und begierig tranken,
ohne dass sich das Erbrechen danach in dem Masse wie nach gewöhnlichem
kaltem Getränke eingestellt hätte. B. Äussere Mittel. 15) Frictionen.
Wenn die äusseren Mittel überhaupt bei einer fortwährenden sorgsamen
Wartung und Pflege in dieser Krankheit von hoher Wichtigkeit sind, so
nehmen offenbar in den leichtesten wie in den schwersten Fällen die Rel-
bimgen, andauernd, oft viele Stunden hintereinander fortgesetzt, einen der
ersten Plätze unter diesen ein. Die peri})herischen Nerven sind vorzugs-
weise zu bethätigen , damit gleichzeitig die Arterlellltät, welche in dieser
Krankheit hauptsächlich daniederliegt, zu neuer Thätigkelt angeregt, allge-
meine Wärme wieder hervorgerufen und der Turgor erweckt werde. Die
beständig feuchte, kalte Haut, ja die mitunter starken, klebrigen Schweisse
beweisen die noch bestehende Thätigkelt der peripherischen Venen, und
deshalb habe ich namentlich späterhin Frictionen mit trockenen wollenen
Lappen, Filz, oder der blossen Hand vorgezogen, um nicht noch mehr
Kälte, welche sich beim Verdunsten der Spirltuosa entwickelt, hervorzu-
bringen, indem ich wol gleichzeitig an Erweckung von Elektricität bei
trockenen Reibungen dachte. (In der Rostocker Epidemie kam man von
den trockenen Frictionen , die den Kranken viel Qual , aber wenig Hülfe
brachten, bald zurück. M.) Ich habe indess mich auch des Kampherspiri-
tus, des Spir. angel. compos., selbst des Liq. ammon. caust. , und bei hef-
tigen Krämpfen des LlMuiientum ammouiato-camphoratum mit Opium bedient
und gefunden , dass , wenn die Haut die trockenen Reibungen verträgt und
dieselben dem Kranken nicht unerträglich schmerzhaft werden , diese jenen
vorzuziehen seyen. In gar vielen Fällen gelang es, selbst in den verzwei-
feltsten, den Puls wieder sichtbar zu machen, und einige Wärme unter
sichtlichem Nachlass der Erscheinungen hervorzurufen; bei allen Kranken,
welche ich herzustellen das Glück halte, wurden sie ohne Ausnahme unter
CHOLERA 401
verschiedenen Modlficatlonen angewendet. Ich erlaube mir hierbei gleich-
zeitig zu erwähneh, dass die Reibungen mit Schnee, kaltem Wasser (bei
den Sturzbädern in trockener Wanne) und die Frictionen im reizenden war-
men (Senf-) Bade ebenfalls von ausgezeichneter Wirksamkeit sich bewiesen.
16) Bhitentziehungen gehören, meinen geringen Erfahrungen zufolge, in
der Cholera zu den unentbehrlichsten Heilmitteln: a) der Aderlass. .Allge-
mein war hier die Klage, dj^ss selbst die geschickteste Hand sich oft bei,
Pulslosen j Paralytischen vergeblich bemüht habe, ßlut zu erhalten. Nach
stets vorausgeschickten anhaltenden Frictionen gelang es indess der Ge-
schicklichkeit meines thätigen Assistenten, des Wundarztes erster Classe,
Hrn. Beyer, immer, auch wenn, nach den Reibungen der Puls nicht fühlbar
wurde, grössere Quantitäten Blut zu entziehen. «) Über die Venaesectionen
im Anfalle. Alter, Geschlecht , und Constitution bestimmen unstreitig die
Indication zum Aderlass, weichet hier in doppelter Rücksicht seine Anwen-
dung findet , nämlich einmal die durch passive Congestion entstandene
enorme Überfüliung der Centralorgane des Kreislaufes zu vermindern und
die Arterien von einer unbesiegbaren Bürde zu l»;freien, andererseits aber
auch, um das Blut nach den Arterien der Peripherie zu leiten. Grosse
Vollblütigkeit und Vollsaftigkeit, heftige schmerzhafte Krämpfe, unbeschreib-
liche Herzensangst, Beklemmung und Kurzathmigkeit schienen mir stets
Aufforderungen zum Aderlass zu seyn, und selbst da, wo der Tod unver-
meidlich war, schafften sie sichtlich grosse Linderung. Von auffallendem
Nachtheile bewies er sich stets bei starken Branutweintrinkern , denen die
grossen Opiumdosen so vortrefQich zusagten. In d,en Fällen, wo die Blut-
entziehungen vollkommen passten, wurde mir mehrmals eine öftere Wieder-
holung desselben nöthig, und wenn das Blut beim ersten Aderlass in gerin-
ger Quantität floss , schwarz, theerartig aussah, zu einer homogenen Masse
gerann, ohne Serum abzusetzen, so geschah letzteres doch schon beim fol-
genden, verstärkte sich beim dritten, und der Blutkuchem überzog, sich wie
bei den allerhefcigsten Entzündungen mit einer starken Lederhaut. /S) Bei
den Nachkrankheiten. Nachdem die Cholera eigentlich als beseitigt ange-
sehen werden konnte, bildeten sich -nicht selten, heftige Congestionszustände
nach Kopf und Brust aus, welche in mehreren Fällen einen entschiedenen
entzündlichen Charakter annahmen. Delirien , wiederkehrender Sopor , vol-
ler , harter , oft auch sehr gebundener Puls , trockene heisse Haut und
Zunge bestimmten mich in solchen Fällen zu dreisten, allgemeinen und ört-
lichen Blutentziehungen. Fast immer war die Crusta inflammatoria auf dem
Blute anzutreffen. Die Kranken genasen indess rasch, ohne dass sich der
so gefürchtete typhöse Zustand jemals eingestellt hätte, bei einer kühlen-
den, allgemeinen Behandlung. Ebenso forderten zuweilen eintretende Stiche
bei tiefer Inspiration, oder lebhafte Schmerzen des Unterleibes und der
Kardia bei der Berührung immer die allgemeinen oder localen Biutentlee-
rungen, und bewiesen sich stets als hülfreich, b) Die Application der Blut-
egel vertrat bei Kindern, wo vorzugsweise eine Disposition zum Blutan-
drange nach dem Gehirne stattfindet, die Stelle der allgemeinen Blutent-
ziehungen, und ich habe öfters ihre vortreffliche Wirkung in Verbindung
mit kalten Umschlägen von Wasser oder Eis auf den Kopf, Begiessungen,
Sturzbädern in trockener Wanne uiid im heissen Senfbade, zu loben Gele-
genheit gehabt. Mit Glück wurden die Blutegel ferner bei Kindern und
Erwachsenen gegen schmerzhafte Affectionen der Brust und des Unterleibes
angewendet. 17) Die Anwendung der Kälte, auf welche hier wol zuerst
Herr Medicinalrath Dr. Ctisper aufmerksam machte, hat sich mir ebenfalls
als ein ganz ausgezeichnetes belebendes Mittel bei der Cholera bewiesen.;
Wenn mair übrigens bedenkt, dass die im heissesten Klima entsprossene,
Cholera bei ihrer Verbreitung in kältere Himmelsstriche sichtlich an Exten-
sität abnahm , mid der kalte Winter mit seinen schneebedeckten Feldern
kein treuer Pfleger dieser Seuche war, so ist es zu verwundern, dass man
nicht schon längst allgemehier auf dieses kräftige Heilmittel verfallen ist.
Most Eucykkpädie. 2te Aufl. I.> 26
402 CHOLERA
Sic hat sich mir iii Form der Reibungen mit Schnee, der kalten Übefi-
Bchläge, der Begiessungen lind Sturzbäder in trockener Wanne, bei gleich-
zeitigen ReibungeJi mit kaltem Wasser, selbst bei der schwersten Form der
paralytischen Cholera als höchst nützlich gezeigt. Der zusammengesunkene,
nur noch mühsam athmende , stimmlose , starre und pulslose Kranke , der
mit; jedem Augenblicke zu verscheiden droht, erwacht zu neuem Leben nach
der Anwendung der Sturzbäder (6-^ 12 Eimer), sein Puls wird etwas fühl-
bar, die Zunge und die prominenten Theile des Gesichts fangen an warm
zu werden , die Respiration wird freier , und die Stimme bei wiederkehren-
der Besinnlichkeit vernehmlicher. Die Besserung hält zuweilen, und zwar
in den schwierigsten Fällen , nicht lange an und nach einer, höchstens zwei
Stunden wird eine Wiederholung des Bades erforderlich. Schon nach dem
dritten oder vierten Bade wird oftmals das Gleichgewicht in dem zerrütte-
ten Organismus wieder hergestellt, und keine Fortsetzung mehr nöthig.
Zuweilen, und zwar in den Fällen, wo bei hohem Alter die Energie und
Lebenskraft zu tief gesunken war, äusserte die Kälte nur schwache Ver-
suche, den verlöschenden Lebensftinken wieder anzublasen. Nicbt weniger
ungünstig fand ich sie mehrmals da, wo copiöse 4ussch witzungen lymphati-
scher Feuchtigkeit ins Gehirn entstanden Waren. Ich wandte sie überhaupt
18 Mal, und zwar 9 Mal mit gutem, und 9 Mal mit ungünstigem Erfolge
an. 18) Die heissen Dämpfe. Die anfangs mit so grossem Lobe überschüt-
teten Dampfappai-ate , als Erwärmungs- und Pulserweckungsmittel, haben
«ich in der Erfahrung keinesweges als wirksam bewiesen und ihre Empfeh-
lungen gerechtfertigt. Ich bedaure es , nicht früher von ihrer Anwendung
abgestanden zu seyn , um sie mit der wundersam wirkenden Kälte und den.
trockenen Frictionen zu vertauschen. Die heissen, trockenen und feuchten
Dämpfe berühren den Kranken immer unangenehm, er glaubt zu verbren-
nen, seine Angst, Beklemmung und Reäpirationsbeschwerden steigern sich
zur Verzweiflung. Gewaltsam sucht er sich aus dieser Hölle zu befreien,
wenn dringende Bitten an die Umstehenden nichts helfen. Der venöse Theil
des Capillargefasssystems wird allerdings, aber nutzlos zur Thätigkeit an-
geregt. Der Kranke schwitzt, aber der Puls bleibt unter stets sich stei-
gernden bösen Zeichen meist unfühlbar. Stirbt einmal ein Kranker nicht
bei seiner Anwendung, so darf sich der Dampfapparat dessen nicht rühmen,
sondern die Wirksamkeit der anhaltenden Frictionen, Erwärmungsmittel,
Hautreize oder zweckmässige innere Arzneimittel retteten ihn gewiss. Ich
vtandte ihn überhaupt 16 Mal an und zwar 14 Mal mit schlechtem Erfolge.
19) Die warmen Bäder verdienen nach meiner unmassgeblichen Ansicht eben-
falls nicht in die erste Reihe der äusseren hülfreichen Mittel zu treten.
Von sehr unterstützender Wirkung fand ich sie, besonders mit Senfabko-
chung, in Verbindung mit kalten Übergiessungen auf Brust, Rücken und
Kopf. Nie aber erweckten sie bei Paralytischen den Puls. Ich habe sie
unter verschiedenen Formen, bald mit Mineralsäuren , bald mit aromatischen
Infusionen, oder reizenden Decocten in Anwendung gezogen und zwar über-
haupt 9 Mal, jedoch nur 2 Mal mit erwünschtem Erfolge. 20) Die Epi-
spastica. Die mit Tinct. cantharid. verstärkten, erwärmten Senfteige auf
die untern Extremitäten, Brust und Unterleib gelegt, habe ich fast nie an-
zuwenden vergessen und glaube mit Recht ihre unterstützende Wirksamkeit
rühmen zu dürfen. Die Moxa und der heisse Hammer erfüllten einige Male,
besonders bei tief gesunkener Energie, recht erwünschte Wirkungen , wenn
sie auch nicht im Staude waren, ein vollkommen günstiges Resultat herbei-
zuführen. 21) Die Getränke. Fast alle Kranke verlangen, je heftiger der
Gtad der Cholera ist, begierig nach kaltem Getränk. Da ich fand, das«
die Entziehung alles Getränks den Kranken unbeschreiblich lästig und qual-^
voll wurde, so liess ich zuerst warme aromatische Theeaufgüsse in kleinen
Quantitäten trinken. Indessen vertauschte ich mit grösserem Glücke diese
anfangs mit schleimigen sauren Getränken und später mit kaltem Wasset
und Selterwasser, welches die Kranken nicht nur sehr erquickte, sondern
auch die Vomituritionen und das Erbrechen zu stillen schien. In die Heil-
CHOLERA 403
anstalt Nr, V. wurden ron Ende Septembers bis Ea^le Novembers Cholera-
kranke aufgenommen: 112, dAvon genasen S8, starben 74."
So weit Hr. Dr. Thämmcl. Man ersieht aus den Beobachtungen des-
selben, dass Emetica, früh gereicht, und später die Anwendung der Kälte,
des kalten Wassers, der kalten Waschungen und des Ammon. caustic. noch
immer die ersten und grössten Heilmittel der asiatischen Cholera sind, wie
dieses auch die Beobachtungen in Ungarn, Gallizien, in Wien und an an-
deren Orten hinlänglich bestätigt haben, dass es aber für den denkenden
Arzt nur ein trauriges Gefühl eri'egen muss, wahrzunehmen, mit wie \'ielep
und verschiedenartigen Arzneien man bei der Cholera, zumal in den Hospi-
tälern, experimentirt hat, wovon viele, wenn sie auch an sich unschädlich,
doch durch Zeitverlust unersetzlichen Schaden gebracht haben.
Einiges über die CIiolera-Epidemie, welche im Som-
mef 1832 io Jlostock herrschte, nebst Bemerkungen
vom Herausgeher.
Seit längerer Zelt waren viele unserer praktischen Arzte (wir zählen
jetzt bei einer Seelenzahl von 20,000 sieben und zwanzig [!] derselben
in Rostock) durchs Lesen der so zahlreich erscheinenden Choleraschriften
dergestalt übersättigt worden, dass mehrere schon anfingen, nichts der Art
mehr zu lesen, als auf einmal der Gegenstand für uns alle ein zwar trau-
riges, aber doch grosses und neues Interesse gewann, indem am. 21. Juli
1832 in hiesiger Stadt die Seuche unvermuthet ausbrach, am 22. und 23.
neue Erkrankungen hinzukamen, und daher am letzten Tage die hier schon
früher gebildete Commission wegen der Cholera den Ausbruch der Krank-
heit als ausgemacht durch den Druck publicirte. Die mcistei} hiesigen
Ärzte überzeugten «ich bald , dass an dieser traurigen Wahrheit kein Zwei-
fel sey, und wenn einige unter- ihnen noch zweifelhaft blieben, so muss die
Ursache darin gesucht weiden, dass wir die fremdartige Krankheit nur a\|S
Beschreibungen kannten , dass es einzelne Kranke gab , die nicht an Cho-
lera exquisita litten, und manche Arzte die Kranken nicht vom Anfange ih-
res Leidens an , mehr in der Reconvalescenz , zuerst sahen. Binnen weni-
gen Tagen wurde hier ein Cholerahospital zweckmässig eingerichtet, worin
mein College, Herr Dr. Kopeke., Mitarbeiter an dieser Encyklopädie , fua-
girte, und mein Freuijd, der Stadtphysikus • Herr Dr. Krauel, die Oberauf-
-sicht fahrte. Seine Beobachtungen sind die reichhaltigsten und besten, die
wir über die Cholera in Mecklenburg besitzen (s. Spitta: Die asiatische
Cholera im Grossherzogthum Mecklenburg - Schwerin im Jahre 1832. Ro-
stock, 1833). Ohgleich die Zahl der Erkrankungen sich allraälig vermehrte,
so war sie doch anfangs nur unbedeutend; denn bis zum 9. August zählte
man nur 46 Kranke, und ein grosser Theil des Publicums, zumal die
Furchtsamen und der niedere Stand, iwar noch immer der Meinung, dass
die Ärzte sich täuschen könnten; 5* einzelne leugneten das Factum gerrj-
dezu, und es fehlte nicht an lieblosen Änsserungen über die Ärzte, so ^asa
man wol fragte , welcher Arzt denn der Erfinder der Rostocker Cholera
sey eto. Doch die Zeit ward die beste Lehrmeisteiin , — tentpits verita^is
filia — und die Spötter und Ignoranten verstummtw; denn die Krankheit
nahm so sehr zu, dass sämmtliche hiesige praktische Ärzte Tag und Nacht
beschäftigt waren, dass mehrere durch übermässige Körperanstrqngung und
Seelenschmerz (denn welcher gefühlvolle Arzt sollte diesen bei dem fort-
währenden Jammer der Kranken und den Klagen der Angehörigen über, d^
schnellen Stesrbefälle nicht empfunden haben?.) sißh äusserst erschöpft ^|iM~
ten, und sehr blas« und arigegriifon aussahen* Es. war nicht mögli<;h:i idie
vielen Kranken,, von denen jeder einzelne täglich wenigstens viermal ; nftth-
wendig des Arztes Gegenwart erheischte, andera als zu Wage« zu; bpsv-
chen. Die häufigen und schnellen Steirbefälle (die Zahl der Todten. nüee
26*
404 CHOLERA
ah e?nein Tage gelöst bis zu SO), die noch dazu oft libertriebenen Tfaü««!^-
nachiichten , wölcho (die leiclitziiitgige Stadtfama verbreitete, das 'fort wäl>i-
rende' G<?i'assel der Doctorwageii bei Tage, von denen man 'Oft g^€ich7,eitig
g bis 6 iiv einer Strasse halten oder fahren sah, und der Todteinvagen bei
Nadit', — alle diese Dinge wirkten auf einen grossen Theil unserer Mit-
■bürger dergestalit nachtheilig, dass ^iele an der sogenannten Choleraangst
litten uud durch Arzneien, durch Präservative, selbst durch Araulete sielt
tu schätzen suchten, wodurch indessen der Feind sich weniger, als durch
«ine güie Diät abwehi'eu liess. — Da die Cholera vorzüglich unter der är-
TTiern Völksclasse wüthete, so gesellten sich die Noth und der Mangel an
Pfle'^e ,iJWartung und Lebensbedürfnissen noch zu jenen Leiden. Doch die
Besie'i'ung dieses zweiten Feindes stand mehr in menschlicher Macht als die
des ersten. Rostocks edle Mitbürger, denen das Schicksal mehr zeitliche
Güter als andern geschenkt, — sie waren es nicht allein, die es durch die
That bewiesen, wie herrlich, gross und schön der fromme Sinn der Men-
•schenliebe und des Wohlthuns in der Zeit der Noth die Herzen beseele;
a\ich die minder Begüterten blieben nicht zurück ; sie legten nach Kräften
ihr Scherflein auf den Altar der Wohlthätigkeit, auf welchen der edle Lan-
desfürstj Friedrich Franz, ohnlängst eine ansehnliche Summe für un-
sere Nothleidenden deponirt hatte. So standen denn in wenig Tagen schon
über 2000 Thaler zur Disposition der unermüdet thätigen, fürs Wohl der
Rostocker aufs Beste sorgenden Stadtcommisüion, welche von unserm geach-
teten Bärgermeister , Herrn Dr. Smiiter, mit' Umsicht dirigirt worden, und
es ward ihr" möglich, den hülfsbedürftigen Cholcrakranken , die lieber ih ei-
gener Wohnung als im Spitale behandelt zu werden wünschten, nicht allein
•eine« Arzt, einen Krankenwärter und die Arznei gratis, sondern auch die
hflthigen Lebensbedürfnisse , vorzüglich Rothwein, Reis, Sago, Zucker,
Fleisch ü. s. w. in natura verabfolgen zu lassen. Die Ärzte hielten ausser-
'dem a'bwfechselnd Wachö, jede Nacht zwei, in einem Locale des Rathhau-
ses, vor welchem mit Pferden bespannte Wagen standen, um den plötzlich
'Övkranktfen sogleich bestehen zu können. — '- Gegen das Ende des Septera-
^börs riahiu die Cholera schon sehr ab, und in der Mitte Octobers ver-
schwand sie völlig und So spurlos, da.ss wir bis jetzt, also vom October
1832 bis" September 1835 , nicht das Geringste daA'on wieder in Rostock
'^hrg^Bommen haben. Doch hat die Seuche 11 Wochen hier geherrscht
'und in dieser kurzen Zeit fast eben so A'iele Menschen weggerafft, als hier
nach mittler Schätzung sonst wol in 9 Monaten zu sterben pflegen. — Der
Gang, die Verbreitung, die Zu- und Abnahme der Epidemie, das Yerhält-
■ niss- der Zahl der Genesenen zu der der Gestorbenen, die Gelegenheitsur-
' Sachen , welche ■ die Krankhfeit begünstigten , die diätetischen Mittel , welche
ärti sichersten schützten, -^ alle diese Dinge, die aus der Unzahl d^r Cho-
lerftschi-iften zu bekannt sind, als dass sie hier näher erörtert zu werden
' yteitlient^iti,' waren, hier ebten so Und ganz dieselben, wie an tausend andern,
' Von döf Seuche früher und später heimgesuchten Städten \md Ortschaften,
'tiHd das Resultat bleibt: dass dem Wesentlichen nach, und abgese-
"K^iV. von der verschiedenen Localität und Lebensweise^ von Jahreszeit, Kfi-
'fi»a' und Witterung , welthe auch bei jeder andern, sowol miasmatischen als
■cohtfigiösen, Seuche Mödificatibnen mancherlei .\rt hervorbringen können,
' dtfl 'asiatiiSehe C ho lera si ch allenthalben so ziemlich gleich
gtefclieben, dieselbe Bösartigkeit gezeigt, und allenthalben,
wö'sie hingekommen, Furcht -und Schrecken verbreitet habe.
'■Iit der' Umgegend Rostocks hat dieselbe nicht geherrscht, nur das an dem
•WalriVo'W'fluSse hart gojegene Dorf Kessln, eine halbe Stunde von hier ent-
'feriVf, hiftcht davon eine Ausnahme; denn hier sind mehrere Erkrankungen
wAÄ' Todesfalle vorgekommeii. ' Merkwürdig ists, dass die Cholera niclit
' iiteckf in andern , hart aii' diesem Strome oder, in seinem Flus.sbette liegen-
<lett"Dörfern sich gezeigt hat-, und ich vermuthe, dass nur Kessln deshalb
"Voh'ihr heimgesucht Worden , w«il die.ses Dorf- auf den Ruinen einer vor
ni<dhrefeh'</ahrhwidert>eh«ei'stöii*ten grossen Stadt aufgebauet worden ist; so
CHOLERA
405
wie wir denn die Thatsache, dass vorzng$wölse nur die grSssten, grassern
und mittlem, zuatal alten Stadt«, von der. Seuche, laut der Eclahrung,
am heftigsten heimgesucht werden , dahin deuten , dass hier na<;htheilige
Exhalationen des Bodens, der aus Schutt und verwesten animalischen und
vegetabilischen Substanzen mehr als anderswo besteht, gleich der ^ria cat-
tiva in Rom, von bedeutendem Einflüsse auf die eigenthümliche Wande-
rung und Verbreitung der Cholera sind, wobei denn die vielen st^ttgefun-
■den«»- Erdbeben , Erdersehütterungcn , die sich oft gleichzeitig über ganze
Welttheiie erstrecken und während des Jahrs 1817 häufiger als sonst beob-
^cht^t wurden, indem sie das Erdreich locker machen' und jenen ;Exhala-
tionen Ausgang verschaffen, niit von Einfluss sind (s. Nolie, Die groäsÄU
und merkwürdigen kosm.- tellur. Erscheinungen im Luftkreise unserer Erde
in Folge SOjähr. Beobachtungen , auch in Beziehung zu der im Laufe der
neuern Zeit herrschenden - orientalischen Cholera dargestellt und -beurtheilt.
Hannover, 18S1). ►
Folgende Notizen und Bemej'kungen theile Ich hier sowol über die
Rostocker Choleraepidemie im Aligemeinen , als <Hber die Natiur und Heilung
der Krankheit nach eigenen Erfahrungen mit:
I. ' Die engen und niedrig liegenden , anch mit Menschen überf511tei>
Strassen wurden am meisten heimgesucht, als: die Badstiiber-, Grapengies-
iser-, Fischer-, Himmelfahrts - und Baustrasse, die Kuhstrasse, die Strand-
'strassen nahe au der Warnow, die Wohnungen an einem die Alt- und
Mittelstadt trennenden Wassercanale, die Grube genannt, die harte Strasse,
die Fischbank, der Fischerbruch, die Molkenstrasse, die grosse und kleines
Lastadie, das Sperlingsnest. Dass aber auch hoch--- und freiliegende Stras^
sen und Plätze , die keinesweges nahe em Wasser liegen oder dumpf und
Ifeücht sind, nicht veischörtt blieben, bewiesen dfe' in der LangenstPa'sSe,
am Beguinenberge und am alten Markte vorgekommenen Erkrankungen.
Dasselbe beobachtet© J. H. L. Sachse jun. in Halle. Er sagt in seiner Dji-
sertation (De Cholem morbo observat. nonnullae. Rostock, 1831),-^p. jl8:
«^iHon sphuii enim in regionibus versatur (sc. Cholera) paludosis,6e3 eliaii»
in'aridil, siccis,' arenosis grassatür loci»; non sohun cöelo raiti, claro,*sfc-
'reno, s|d etiam' tempestate tristiv pluvia, türbalenta Cholera vidit^- «ftiera
■•'possit superare ; etc." 's '■ ■■: . I ^' j ''"
^' . iL Die Zahl der Erkraiikteifi, Genesenen und Gestorbenen wird ^ach
f^der Wochenzahl die unten folgende Tabelle, die anch noch einige anä(k;e
Städte mit einschliesst , näher bezeichnen. Unter den 396 in Rostock; an
(der Cholera Verstorbenen, welche sämmtlich 7 Fuss tief und auf einem! ab-
gesonderten Platze unser» neu angelegten, schönen? Friedhofs, und zwar in
der Nacht, beerdigt, worden sind, zählte man "j ,1 ' 5
i ' ' ' 1 * *
1) Kinder von Ibis 15 Jahren: männliche 33, weibliche 31, zu|am. ^64
2) Unverehelichte über 15 Jahre: — 46, — 84, --^- ;80
3) Verwittwete: — 21,- jj-^i' 64, — -85
4) Verheirathete: — 99,— |^' 68, — 167^
Summa: mämilich 199, weiblich 19?, zusam. S96.
Von den Verstorbenen waren zu rechnen:
1) zum Gewerbestande: männl. 89, weibl. 79, zusain.
2) zu den Arbeitsleuten J —
3) zu den Dienstmädchen u. Dienstknechten: —
4) zu den Matrosen : —
5) zu d. Handwerksgesellen u. Lehrburschen : —
6) i^um Kaufmannsstander —
7) zum Gelehrtenstande: —
8) zum Militair: ' —
51,
— 86,
1,
_- 24,
20,
20,
•. — -—
4,
- 3,
1,
- 5,
3'.
. -* —
16^
i47
25
2Ö
20
7
6
S
Suirana : männl. 199, wclbl. 197, iw^m. 396,
406
CHOLERA
Nach dem Alter waren dio Verstorben:
1) Ton 1 bis 15 Jahren: männlich 33, weiblich '51, znsam.
2) — 15 — 30 — — 33, — Sl, —
5) _ SO ~ 50 —
4) _ 50 — 70 —
5) _ 70 _ 80 _
6) über 80 Jahre :
67, -
48, _
12, -
1. —
45,
62, -
24, —
4. _
64
69
112
110
36
5
.. , Summa: miinnlich 1^9, weibl. 197, zusam. 3^6.
• ' Im Cholerahospital wurden im Ganzen unr 140 Kranke behandelt (dem
Viele fürchteten, sich dahin bringen zu lassen), nämlich:
1) männliche 84, davon genesen 38, gestorben 46
2) weibliche 56. — — 27, — 29
Summa: 140, genesen 65, gestorben 75.
Dieser officielle Bericht irft am 14. October von der Stadtcommission
wegen der Cholera in Nr. 33 der Rostocker Zeitung vom Jahre 1832 pu-
bliciit, und zugleich bemerkt worden, dass schon am 13. October die Cho-
lera erloschen und die Stadt als völlig rein und luiverdächtig angesehen
^cä-den könne.
ni. Interessant »t es, das Verhältniss zwischen den' an der Cholera
Erkrankten und Verstorbenen nach der Wochenzahl von mehreren Städten
ver-schiedener Grösse und Bevölkerung näher kennen zu lernen ; daher ich
hier folgende Tabelle , abgefasst nach genauen officiellen Nachrichten, worin
auch Rostock begriffen ist, mittheile:
o
■g
Pcters-
Moskau
Berlin
Ham-
"Wien
Prag
Lübeck
Rostock
bu
n
O
burg
M n
n
m
w
M
FT
m
iT
ä:oi
96
2i:5
97
64
o6
34
19
765
j03
"T
"6
2
2
24
"Ti
2.
1979
838 (.„^p.
1772 r"^^
508
163
107
178
88
442
153
25
9
2
1
8
7
3.
3492
336
162
269
138
391
200
69
31
10
6
34
21
4.
1655
884
1395
^77
ti?
153
152
91
509
274
379
144
61
41
128
73
5.
659
426
1069
^17
249
175
108
49
434
226
461
244
311
180
200
97
6.
302
217
650
394
251
195
52
32
339
228
272
142
224
138
119
75
7.
165
91
594
304
271
164
55
25
326
185
340
126
130
64
65
57
8.
80
52
430
203
239
(48
26
13
281
126
367
158
172
89
36
20
9.
99
40
213
95
135
104
15
8
—
—
338
149
225
108
36
21
10.
84
36
144
61
141
84
7
7
—
—
445
134
—
—
17
10
11.
41
29
107
75
64
49
5
2
—
—
249
106
—
—
13
2
Iß.
30
10
90
59
36
25
12
5
—
—
234
67
—
—
—
—
13.
18
9
88
57
22
11
12
4
—
—
112
42
—
—
14.
—
—
101
65
—
—
6
7
__
86
33
___
15.
—
—
89
63
—
—
7
3
—
—
—
—
—
-•
—
—
Anmerkung zu vorstehender Tabelle. Nur die erste Cho-
Veraepidemie ist hier bei jenen Städten, wo die Krankheit öfter aufgetreten,
e. B. Wien, Moskau, Berlin, Hamburg, angemerkt. Die Liste der Erkrank-
ten und Gestorbenen beschränkt sich fast durchgängig aufs Jahr 1831 , mit
Ausnahme von Lübeck und Rostock. Zu Hamburg zeigte sich , wie die
Tabelle lehrt, die Cholera im Jahr 1831 nur gelind in Hinsicht ihrer Aua-
breitung , weit stärker, hen-schte sie daselbst in den Monaten Juni bis
September 1832, wo über 8000 Menschen daran gestorben seyn sollen;
doch fehlen alle officielle Nachrichten. Was die Bevölkerung der angeführ-
ten Städte im Jahr 1831 betrifTt, so zählt, nach Cmmahkk's Geographie,
13. Auflage, 1832:
CHOLERA
Petersburg 446,895 Seelen,
Moskau
246,545
- (
wozu zurWint
Berlin
236,803
Hamburg
125,000
—
Wien
276,584
—
Prag
117,000
—
Lübeck
25,000
—
Rostock
19,024
—
407
Summa: 1,493,851.
Von dieser Gesammtbev51kerung von noch nicht 1'/, Millionen sind, wie Ate
Tabelle zeigt, in nicht vollen 2 Jahren an 20,000 Mensqhen durch die Cho-
lera dem Tode geopfert worden!
IV. Meine eigenen Beobachtungen und Erfahrungen über
die asiatische Cholera, gezogen aus der Rostocker Epidemie, will
ich hier, sowol was die Krankheit, als deren Behandlung betrifft, in der
Kürze mittheilen. Es war am 5. August 1832, als ich den ersten echten
Cholerakranken in eigene Behandlung bekam, nachdem ich schon früher
mehrere ähnliche , von andern Ärzten behandelte Kranke hieselbst in Augen-
schein genommen hatte. Bei meinem Nachbar, dem Nachtwächter Brücker
in der Badstüberstrasse , fand ich alle Zeichen der exquisiten Cholera. Er
hatte schon mehrere Tage an Diarrhöe gelitten, die aber, sowie auch das
Erbrechen seit der letzten Nacht, wo die schlimmen, unten unter Cholera
exquisita näher bezeichneten Zufälle aufgetreten waren, aufgehört hatte.
Ich gab ihm zuerst ein Vomitiv, worauf nur einmaliges Erbrechen eintrat,
obgleich es aus einer ganzen Drachme Ipecacuanhawurzel bestand, und ein
paar Stunden Erleichterung folgte. Er bekam dann Wismuth, Arnika, und
trank viel kaltes Wasser ; doch verschlimmerte sich der Zustand gegen
Abend iixuncr mehr, und Nachts 2^1-r, Uhr tr?it der Tod ein. Schon dieser
erste Krankheitsfall überzeugte mich von der anerkannten Wahrheit, das»
es Fälle von Cholera giebt, oder nur hohe Grade derselben, wogegen
menschliche Hülfe nichts vermag, und dass ein Zeitverlust von w^nigei|
Stunden (ich wurde erst des Morgens 7 Uhr verlangt, obgleich schon
Abends 6 Uhr Gliederkälte und blaue Hautfarbe sich eingestellt hatten),
wo die noch in der Bildung begriffene Krankheit vielleicht noch durch gute
Mittel hätte bekämpft werden können , oft schon hinreicht , die Fruchtlosig-
keit selbst der besten Gegenmittel keiuien zu lernen. In demselben Hause
starb zwei Tage später ein abgelebter Greis an der Cholera apoplektisch
binnen einer Stunde, und eine alte Frau, welche gleichfalls ergriffen wurde,
binnen 4 Stunden. Sie verschied auf der Tragbahre, die sie zum Cholera-
spitale bringen sollte. — Am 8. August bekam ich die Wittwe des an der
Cholera kürzlich verstorbenen Arbeitsmannes Meineck nebst ihren drei Kin-
dern mit derselben Krankheit in die Cur. Herr Hofmedicus Wittstock, der
gleichfalls die Kranken besuchte, genehmigte meine aus Magister, bismuthi
und etwas Opium bestehende Verordnung. Da indessen die Kranken die
Pulver mit Widerwillen nahmen, sie sogleich wieder ausbrachen und sich
augenscheinlich darnach verschlimmerten , so liess ich sie aussetzen und ver-
ordnete ihnen sämmtlich I^ Tinct. macid. , — vaiiillae ana 5^ , Tinct. aro-
iiud. 3Ji^. S. Halbstündlich SO — 40 Tropfen; darneben etwas Wein, und
warme Umschläge von Franzbranntwein auf den Unterleib. Die Kranken
besserten sich; sie purgirten und erbrachen zwar noch mehrere Tage hin-
durch , doch mässigten sich die Ausleerungen und wurden gallig. Sämmt-
liche Kranke tranken fleissig kaltes Wasser in kleinen Portionen, auch
schwarzen Kaffee mit etwas Rum, wozu sie Appetit bekamen, und ich hatte
die Freude , die drei Jüngern Patienten als Genesene anmelden zu können.
Die Mutter starb leider! nach 14 Tagen am Typhus, der trotz den Bemü-
hungen meines verehrten Collegen, des Herrn Hofmed. Wittstoch (ich war
damals selbst krank), den Tod herbeiführte. — Schon diese geringen Er-
fahrxu^geji überzeugten wich, d«s» mm «Üe Ausleerungen bei der asiatischen
408 CHOLERA
Cholera nicht unbedachtsam stopfen dürfe, und dass sie, wie auch mehrere
Autoren richtig bemei^t haben , oft als kritisch angesehen -werden müssen;
denn in den Fällen, wo sie mehrere Tage raässig anhielten und wieder gal-
lig wurden, erfolgte Genesung, und in denjenigen, wo sie von selbst oder
durch ärztliche Mittel plötzlich sistirten, sah ich, wenn ein Vomitiv nichts
mehr fruchtete , aUe Zufälle sich verschlimmern und den Tod eintreten.
Von dieser Zeit an habe ich in der wirklichen, d. h. asiatischen Cholera,
kein Opium fernerhin verordnet, was aus allen von mir in die Apotheke ge-
sandten Recepten für Cliolerakranke aus jener Zeit hervorgeht. Meine Heil-
mittel blieben: in leichtern Fällen die oben genanuten Gewürztropfen, mit
etwas Rum, Madeira, oder Portwein genommen; auch verordnete ich war-
men Rothwem mit Zimmt, starken, schwarzen, warmen Kaffee mit Rum;
dabei Wärmflaschen, Bedecken mit Betten und Vermeidung jeder Entblöa-
sung , damit das Stadium der Kälte bald vorübergehe , und allgemeine
Wärme und Schweiss folgen. ' Reibungen des Körpers, Dampf- und Was-
serbäder wandte ich, weil sie schlecht bekamen, nicht an. Denn die grosse
Ermattung des Kranken erföhl(?i-t Ruhe, die nothwendigen Entblössungen
beim Reiben, Baden sind sdiadlich, und obendrein befördert die äusserliche
Wärme wol Evaporation, aber nicht Transspira.tjon , auf welche es als le-
bendigen Act der wieder gehobenen Lebenskraft ja allein ankommt. Auch
bin ich der Meinung , dass durch das Transportiren der Cholerakranken
zum Hospitale und duich die dabei stattfindende Bewegung mancher Kranke
zum Tode befördert worden ist. — Waren die Wadenkrämpfe bedeutend,
so liess ich alle V4 Stunde unter der Bettdecke eine Mischung aus gleichen
Theilen Ol. terebinth. , Linim. volat. camphor. und Spirit. sal. ammon. caust.,
mit grossem Nutzen in die Waden und Schenkel reiben. — Der so sehr ge~
rühmte, von Leo in Warschau zuerst angepriesene Wismuth hat sich ba
uns und auch an vielen andern Orten oft als unwirksam bewiesen. In den
höhern Graden der Krankheit blieb der kaustische Salmiakgeist, alle
6 — 10 Minuten zu 15 — 30 Tropfen, in einer Obertasse kalten Wassers
gereicht, stets das Hauptmittel. Er ist die wahre Anchora sacra in der
Cholera, und ich habe, kräftig und schnell genug hinter einander ihn ge-
reicht , Wunder davon gesehen ; nur muss er rein mit Wasser (nicht , wie
es einige hiesige Ärzte machten, mit Syrup oder Schleim vermischt, wo-
cjurch er sich zersetzt) gereicht werden. Ich war übrigens der erste Arzt,
der ihn in Rostock gegen die Cholera anwandte ; und die Leblosigkeit der
ICranken, die blaue Hautfarbe, die Angst, die grosse Pneumatosis intesti-
nalis, die Kälte der Glieder schien ihn besonders zu indiciren. Zarten Kin-
dern und Frauen reichte ich meist folgende Mischung: ^f Liq. c, c. succ,
Liq. anodyni ana 5jjj ? Tinct. arotnat. 5JJ. S. Alle 5 — 10 Minuten 25 — 40
Tropfen, und so lange, bis allgemeine Körperwärme erfolgt. Trat diese
ein, bemerkte man allgemeinen warmen Schweiss, Gesichtsröthe, wieder-
kehrenden Turgor vitalis. Verschwinden der Haatrunzel-n an den Händen,
ward der Puls wieder fühlbar, voller, freier, dann setzte ich alle diese be-
lebenden gewürzhaften, nervinen Mittel bei Seite, und nun ^vurde das
kalte Quell- oder Brunnenwasser, alle 8 — 5 Minuten zu 4 — 8
Unzen , als Hauptmittel, nebenher auch wol eine Potio Riverii mit Aq.
rub. idaeS, angewandt. Diesem Umstände, dem Aussetzen aller reizenden
Arznei und dem Genüsse des frischen Quellwassers , schreibe ich es zu , dass
in Folge der Blutcongestionen zum Kopfe keine typhöse Zustände bei mei*-
nen Cholcrakranken als Nachkrankheit auftraten. Alle meine Cholerakran-
ken, selbst die, welche es in gesunden Tagen gescheuet, tranken Wasser
mit grosser Begierde, und ich sorgte dafür, dass es immer frisch und aus
einem guten Brunnen geschöpft wurde. Es beruhigte, kühlte, benahm das
Angstgefühl und beförderte die unterdrückt gewesene Harnabsonderung. Zu
grosse Quantitäten, auf einmal getrunken, wurden meist weder ausgebro-
chen ; ja manche Kranke durften pro dosi nur ein paar Schluck nehmen,
wenn kein Erbrechen folgen sollte. Diesen bekamen die Eispillen, von
der Grösse einer kleinen Wallnusa alle 10 Minuten gereicht, ganz beson-
CHOLEM 4m
ders gut. Wie sehr es bei einer so schnell tßdtenden Krankheft auf gehS^*
rige Benutzung der Zeit und auf öfteres Reichen der Gegenmittel ankommt,
ist einleuchtend , und nicht oline Tadel sah ich , dass einzelne Ärzte -Mixtu-
jen mit der Signatur: „Alle 2 Stunden 1 Esslöffel voll" schlendrianmässigv
verordneten , der Kranke aber kaum den sechsten Theil der Arznei verbrau-'
dien konnte, weil der Tod ihm daran hinderlich war, — Zeigte sich^ was
meist erst am zweiten, dritten Tage nach dem Insult der Fall war^ Appe-
tit zu Wein, Kaffee, Bouillon von Hühnern, Tauben, Kalbfleisch, so er-'
laubte ich dieses, und i-ichtete überhaupt mein Heilverfahren in diätetischear
und pharmaceutlscher Hinsicht, was stets bei allen, zumal neu auftretenden'
Seuchen zu beherzigen ist, nach dem Instincte der Kranken und der Eu-
phorie der Mittel. Feste Speisen: Fleisch, Kartoffeln, Brot, Mehlspeisen'
bekamen erst gut, nachdem mehrere Tage verflossen waren. Sehr ange-^
griffene Patienten ' tranken mit grossem Nutzen alle 2 Stunden eine Tasse
Kalbfleischbrühe, mit Gewürz und Eigelb, warm gereicht, auch abwech-
selnd etwas Madeirawein. Innerlich erhielten sie Chinin, sulphuric. 1 Grany
Pulv. aromat. 6 Gran, 4mal täglich, auch einigeinal täglich Tinct. chinäe-
compos. und Tinct. aromat. ana, zu 40 — 80 Tropfen mit Wein. Dieses!
war und blieb bis zu Ende der Epidemie meine einfache unveränderte B©^
handlang, wobei ich verhältnissmässig sehr glücklich war, wie ich <iieses
mit einer Menge Krankheitsgeschichten belegen könnte, wenn ich dies»
nicht der Kürze wegen' hier übergehen müsste. Auch mich selbst habe ich
bei einem bedeutenden Anfalle von Cholera nicht anders behandelt-; -Diesten'
mich selbst betreffenden Fall von Cholera werde ich unten ausführlich mit-
tlieilen. — (,, Siehe auch Allgem. medlc. Zeitung," April 18SS, Nr. S3).
Vom 5. August bis zum S. October 1832 behandelte ich laut meinem Tage*'
buche auf die angegebene Weise '
a) mit Cholera asiat. incipiens 49 Personen, genesen 45, gestorben 4 '
b) mit Cholera asiat. exquisita :
&eu paralytica 58 — — 36, — 22
♦ Summa: 107 — — sT, •— iö.
Unter den Verstorbenen befanden sich 2 Kranke, welche meine Hülfe erst'
1 Stunde, 5, welche sie 3 Stunden, 7, welche sie 4 Stunden vor dem>
Tode in Anspruch nahmen , und 12 und mehrere Stunden blau , kalt und
ohne Arzt geblieben waren. Ausserdem starben mir noch zwei Neugeborne,
resp. 2 und 3 Tage alt, in dieser Zeit schnell an Trismus und Convulsio-
nen , die wahrscheinlich auch Folge von Choleraaffection gewesen sind ;
denn die kleinen Leichen hatten ganz das Ansehen der Choleraleichen, und
bei dem einen Kinde konnte nachgewiesen werden , dass eine Wärterin,J
•welche so eben von Cholerakranken gekommen, dasselbe kurz vor dem Er-
kranken auf dem Arme getragen hatte. Auch muss ich noch bemerken,
dass ich in den 11 Wochen, in welcher Zeit hier die Cholera herrschte,
ungefähr 150 Personen verschiedenen Alters xind Geschlechts mit Pseudo-
cholera in die Cur bekommen habe, von denen aber die meisten Vorzugs^
■weise durch gute Diät, Schwitzen und Tinct. aromat. wieder hergestellt
wurden.
Diagnose zwischen der wahren, asiatischen, und der Pseado-
cholera.
1) Die Pseudocholera, falsche Cholera, ist mir die gewöhn**
liehe, nicht asiatische Sommercholera, welche hier im August und Septem-
ber öfters herrscht, wie denn dieses ein Jahr vor Ausbruch der asiatischen
Cholera besonders stark der Fall war, und sie sich auch während des Herr-
schens der letztern im hiesigen Orte vielfach zeigte. Sie hat die gewöhnli-
chen Zeichen der Cholera, es können bei ihr im höhern Grade kalte Glie-
der, Kriebeln darin und farbenlose Ausleerungen stattfinden, aber nie bil-
det «ich bei ihr die von Casper zuerst beobachtete charakteristische Haut-
falte (s. auch Romberg in Cnsper^a Wochenschrift der geaammten Heilkunde^,
410 CHOLERA
1S33, Nr. 84), die bei ausgebildeter Cholera orientalLs bemerkt wird. Diese
von mir so genannte Pseudocholera, von Andern Cholera acstiua, eiiropacn,
sporadica, Ch. nostras genannt, ist durchaus nicht Lösartig. Es litten im
Sommer 1831, auch 1833 und 1834, in Rostock über 500 Menschen daran;
die meisten gebrauchten keinen Arzt, hielten nur gute Diät, tranken warme,
schleimige Getränke, etwas Rothwein mit Muskatuuss , heiss gemacht, und
genasen. Viele erhielten vom Arzte einige Tropfen Opiumtinctur, die hier
so wirksam ist, und sie besserten sich gleichfalls schnell. Die gute Wir-
kung des Opiums in dieser Pseudocholera hat viele Ärzte, indem sie letz-
tere mit der asiatischen Cholera verwechelten, zu dem grossen Irrthume
verleitet, das Opium auch als Heilmittel in letzterer anzusehen. Namentlich
führe ich hier den Dr. Krüger- Hansen in Güstrow an (s. dessen Schrift:
Opium als Heilmittel in der Cholera. Rostock, 1832), der sich hier im Orte
xur Zeit der Choleraepidemie einige Wochen aufhielt, durch Austheilung
»einer aus Opium bestehenden Speclfica die Menschen vor der Krankheit
sowol schützen, als sie davon heilen wollte, dessen Curen aber einen sehr
ungünstigen Erfolg hatten, so dass vor dem Austheilen seiner Specifica das
Publicum, das ohnehin das Vertrauen zu ihm verloren, von Obrigkeitswe-
gen öffentlich gewarnt werden musste.
2) Die wirkliche asiatische Cholera. Selbst schon der Laie
sieht es ein, dass diese, fehlten auch alle andern diagnostischen Zeichen,
schon allein durch ihre grosse Bösartigkeit , durch die grosse Zahl der Ster-
befalle , von der gewöhnlichen Sommercholera unterschieden werden müsse.
Diese Cholera folgt allerdings, ist sie im Orte herrschend, leicht auf die
Pseudocholera, aber nicht deshalb, weil hier grosse Ähnlichkeit stattfände,
oder sie der gelindeste Grad der Chol, asiat. sey; dies ist, das Breqhen
■and Purgiren abgerechnet, gar nicht der Fall; — sondern weil die Auslee-
rungen auf gleiche Weise den Körper schwächen, wie dieses heftige Kör-
f>er- und Geistesanstrengungen, Indigestion, Erkältung, psychische Schäd-
ichkeiten , Ausschweifungen in Baccho et Venere, Nachtwachen u. s. w. zu
thun pflegen, wodurch nur die Empfänglichkeit und Disposition zu der asia-
tischen Cholera bedeutend gesteigert wird. Da nun letztere, herrscht sie
einmal im Orte, aus angegebenen Gründen leicht auf die Pseudocholera, wird
diese vernachlässigt, folgt; so hat dieser Umstand zahlreiche Ärzte zu der
irrigen Ansicht verleitet , dass zu den charakteristischen Vorboten und
Symptomen der Cholera a.siatica Durchfälle gehörten , so wie denn z. B.
Krüger - Hansen , selbst noch nachdem er in Rostock die böse Cholera gese-
hen, in seiner Einseitigkeit behauptet, dass, wer keine Entleerungen habe,
auch nicht an der Cholera leide, und dass die Rettung von der frühesten
Unterdrückung der Ausleerungen abhänge (s. dessen Brochure : Praktische
Erfahrungen (?) und Bemerkungen über die Cholera in Rostock, 1832;
S. 19). An die gute Wirkung der Vomitive bei gehemmten Ausleerungen
in der Cholera und dadurch gesteigerten Zufallen hat er hier eben so we-
nig gedacht, als daran, dass es, laut der Erfahrung, auch eine Cholera
asiat. sicca, njwpleciica gicbt, welche schnell ohne Ausleerungen tödten
kann, wird aber frühe Hülfe in Anwendung gebracht, auch sehr schnell
Eur Genesung führt. Ich habe in unserer Epidemie mehrere Fälle der Art
beobachtet, und mein eigner Krankheitsfall gehört gewissermassen h'.eher;
60 wie denn auch die besten Autoren dieser Cholera sicca gedenken (s.
JAchlenstädt : Die asiatische Cholera in Russland, S.Lieferung; Berlin, 1831,
S. 247, 258, 273. — Fr. Eclsteim Die epidemische Cholera, beobachtet in
Pesth; 1831. — v. Gräfe' s u. v. WaUher's Journal d. Chirurgie u. s. w.
Bd. XVI. Hft. 2, 3 und 4; S. 644). Rochoux, ein treuer Beobachter der
Cholera in Pari«, sagt (s. Archive« g^nerales de M6dec. T. XXX. Decbr.
1832 ; S. 441 und 443) , indem er mehrere Fälle der Art mit schnell folgen-
dem Tode mittheilt: „Voilä encoro un choleriquc qui a ^t6 brusquement
ittteint de sou mal, »ans avoir ^prouve la diarrh^e antec^dente. J'ai pu ob-'
Server un assez grand nombre de cas de ce geiure. II m'ont paru ötre au
ittoiiui de la proportwa d'un k troii, relativement h ceux qui «ont prec4de4i
CHOLERA ili
de diarrh^e." Auch in Berlin machte diese Cholera sicca, wobd die Am-
leerungen entweder ganz fehlten oder gering vraren, eine Haaptfo^m der
echten ausgebildeten Cholera aus (s. Hortis Archiv, 1833, Januar tmd Fe->
bruar, S. 3).
Constante, charakteristische Zeichen der asiatischen Cho-
lera sind , nach den Graden oder Stadien und meinen Beobachtungen : n) bei
Cholera asint. incipiens : Zuerst eigenthümlich ziehende , reissende , prik-
kelnde, stechende Schmerzen in den Gliedern, ähnlich dem knebelnden Ge-
fühl bei Raphanie , eine Art Bingeschlafenseyn und Ameisenkriechen , wie
bei Typhus versatiiis FranVs, welches Gefiihl periodisch, fast in jeder Mi-
nute, besonders bei Bewegungen des Körpers und der Seele, bei Tempera-
turwechsel, nach Entblössung des Körpers, nach dem Aufheben der Bett-
decke u. s. w. eintritt: öfteres Frösteln, überlaufende Schauder, abwech-
selnd mit Hitzegefühl, oft Hitze- und Frostgefühl gleichzeitig; Kollern iw
Leibe, grosse Neigung zu Ructus, beschwerlicher Abgang der Flatus, Druck
in der Herzgrube und um den Nabel, aber kein eigentlicher Schmerzi
Gesicht und Hände sehen anfangs blass, später geröthet aus, dabei kalte^
klebrige Schweisse. Die Schweisslöcher auf dem Rücken der Hände nnd
an den Unterarmen ersdieinen grösser, weil der vitale Turgor sich vermin-
dert , und die einzelnen Härchen der Haut an den Händen und Armen zei-
gen sich aufgerichtet und struppig, ganz so im Kleinen, wie im Grossen
beim Rückenhaar des Viehes, das an der Rindviehpest leidet; ausserdem
grosse Herzensangst, schnelles Sinken der Kräfte, grosses Verlangen nach
frischer Luft und kaltem Wasser , nach Wein und belebenden Mitteln. Durch
die abgebenden Ructus wird nicht aliein eine schwefelartig riechende Gasart
entfernt, sondern es werden durch sie auch ohne vorhergehende Nansea
Flüssigkeiten nach oben entleert. Doch ist das Erbrechen, wie wir schon
bemerkt haben, eben so wie die Diarrhöe, nicht immer constant , und bei
hohen Graden der Krankheit fehlen beide bald vom Anfange an, bald con-
stant am Ende (Cholera sicca, apoplectica, Cholera paralytica). Sind durch
die ersten Ausleerungen die Contenta des Darmcanals entleert, so werden
die Ausleerungen weisslichgrau , mit Flocken untermischt, gleich dem Reis-
wasser, wie dieses vielfältig als constantes Zeichen in den Choleraschriften
beschrieben worden ist. Bemerkungswerth war es mir, dass bei Cholera
asiat. in den Darmausleerungen nach Unten die bekannten Darmoercarien
die man in den Faeces der Gesunden stets antrifft (s. Burdach's Physiologie
als Erfahrangswissenschaft; Bd. I. S. 92) und welche ich auch bei Diar-
rhöen Tind Pseudocholera durchs Mikroskop gefunden, gänzlich fehlen. .
Wird nun diese in der Bildung noch begriffene Cholera nicht bald durch
zweckmässige, d. h. belebende, erwärmende, schweisstreibende (nicht sto-
pfende , Congestion zum Kopfe erregende und direct oder indirect schwä-
chende) Mittel gehoben, was oft schon in ein paar Stunden erreicht wer-
den kann, so geht sie in die nächste Form über, die aber auch in sehr
schlimmen , Gottlob ! aber seltenen Fällen augenblicklich und sogleich mit
dem Atiftreten der Kr-ankheit den Menschen ergreifen kann. 6) Cholera
nsiatica exquisita. Sie wird im höchsten Grade mit Recht Cholera paraly-
iica genannt, und hat folgende Zeichen: Marmorkälte der Glieder, später
auch des Gesichts und der Zunge, kalter Athem, bläuliche Farbe der
Glieder und des Gesichts, bläulich - weiss belegte Zunge, höchst sparsame,
später ganz unterdrückte Harnabsonderung, sehr grosse Herzensangst, die
anfangs alle 2 bis 5 Minuten mit besonderer Heftigkeit periodisch eintritt,
später dauernd wird, sehr grosser Durst, grosse Neigung viel kaltes Was-
ser zu trinken, Vox cholerica, trockne Nase, Stockschnupfen, tiefliegende
Augen, Facies Hippocratia, typhöser Blick, eine Art Betäubung mit Be-
wusstseyn, Gleichgültigkeit und Apathie gegen Alles, selbst was das Le-
ben und den Tod betrifft ; ^osser Coilapsus der Cellulosa , daher bedeu-
tende Runzeln auf der Haut der Finger und Hände, Stehenbleiben der
durch einen Andern am Arme, am Halse gebildeten Hautfalten, oft eine
ganze Minute lang, oft auf Jängwe Zeit; vermindertes oder ganz onter-
412 CHOLERA
äriickte* Brechen nnd Purfr'iren; kein Schlaf, keine Ruhe, daher Mtfere^
Uraherwerfen im Bette; Neignnf^, im Bette nach dem Küssende zu rutschen;
dabei jene eigenthümlichen, dem Hauptnerven in seinem Laufe folj^enden
Gliedersclimerzen , ähiüich der Ischias nervosa Cotunni, das bei Cholera in-:
dpiens beschriebene , prickehide , stechende Gefühl in der Haut , Krämpfe
in den Waden , seltener in den Lenden und den obern Gliedern , häutig in;
den Fingerspitzen, welche meist ganz taub und fiihllos sind, gleichsam al*
wären sie durch eine starke Auflösung von Calx muriatica abgestumpft, und
flire Haut dick und dahier fühllos gemacht (häufig bleibt dieses stumpfe Ge-
fühl in den Fingern iVoch mehrere Wochen nach überstandener Krankheit'
aurück, so dass man keine Feder, keine Stecknadel halten kann); endlich
kalte, klebrige Schweisse, zuweilen auch trockne, höchst ^^elke Haut..
Der Tod erfolgt meist binnen 6 — ^^18 Stunden, bei allen Leuten wol (ferst
nach mehreren Tagen; ihm kurz vorher gehen blande Delirien oder Raserei.
Der Puls ist meist gar nicht in der ausgebildeten Cholera zu fühlen. . Gute
Zeichen sind: \'>iederkehrendes Wärmegefühl, und Hautturgor, fühlbarer
Puls, verminderte Angst, allgemeiner warmer, duftender Schweiss, Ruhe,
Schlaf und Appetit zu Kaffee, Bouillon, Wein, wiederkehrendes Erbrechten,
daa nun gallig wird , giallige Diarrhöe von dunkler Farbe, i
V. Meine Ansichten über die Natur und Verbreitungsweise
der asiat. Chol er a habe ich anderswo weitläufig ausgesprochen (s. All-
gemeine medicinische Zeitung; Mai, 1833, Nr. 40, 41 u. 42). Als Resul-
tate des dort Mitgetheilten bemerke ich , dass ich die Cholera asiat. für eine
Entwickelungskrankheit des jetzt lebenden Menschengeschlechts, die das
Nervenleben bedeutend angreift und das Blut vergiftet, Krämpfe erregt und
durch Erschöpfung der Lebenskraft schnell tödtet, halte, dass schädliche
Exhalationen der Erde und dadurch verunreinigte Luft an ihrer Entstehung
und Verbreitung viel schuld seyn mögen, dass aber die Contagiosität des
Übels deswegen doch nicht geleugnet werden könne, — dass die asiatische
Cholera keine Febris intermittens perniciosa , wie Einige wollen , abgebe,
indem dieselbe alle Neigung zu Wechselfiebern aufhebt, oder richtiger,, die
die Cholera begünstigenden , atmosphärischen Einflüsse dieser Neigung ent-
gegengesetzt sind (die hier seit mehreren Jahren bedeutend herrschend ge-
wesenen Intermittentes hörten einige Wochen vor dem Ausbruche der Ro-
stocker Cholera völlig auf, also ungefähr vom ftlai 1832 an, und noch bis
jetzt [Septbr. 1835] gehören sie zu den seltenen und nur sporadisch erschei-
nenden Krankheiten unserer Stadt und der ganzen Umgegend) , — dass für
die Contagiosität der Krankheit die triftigsten Gründe sprechen, bei uns
Gottlob ! aber die Empfänglichkeit für dieselbe so gering ist , dass von 100
Einwohnern eines Ortes im Durchschnitt nur 4 zu erkranken pflegen , und
endlich, dass die gleichzeitig, vor oder nach Auftreten der asiatischen Cho-
lera bemerkte Influenza oder Grippe, welche ja gleichfalls seit 4 Jah-
ren ganze Welttheile durchwanderte, in einem besondern, noch nicht hin-
reichend erforschten Verhältnisse zur orientalischen Cholera stehe, diese In-
fluenza aber eben sowol durch Erkältung entsteht, als auch durch An-
steckung sich weiter verbreitet.
VI. Die zur Erwärmung des Körpers in der Cholera empfohlenen
Darapfapparate, so wie auch, wenigstens bei Cholera exquisita, das Rei-
ben, Bürsten, Frottiren der Haut und die warmen Wasserbäder, alle diese
Mittel hat die Erfahrung als völlig unnütz, ja selbst als schädlich (indem
sie den höchst ermatteten Kranken theils angreifen, theils leicht erkälten)
kennen gelehrt. Hätten die Ärzte strenger Evaporation und Trans-
spiration unterschieden, so würde dies schon a priori eingesehen worden
seyn. Erstere ist ein rein physischer Vorgang, der auch bei Cholerakran-
ken stattfindet, ohne dass dieses ein Zeichen der Besserung wäre. Es ist
du kalter Dunst, der kalte« Schweiss bildet, ein Zeichen tiefgesunkener
Lebenskraft, daher bei Sterbenden, bei Verblutungen, Ohnmächten n. s. w.
<*en so gut, wie bei der Cholera bemerkt wird. Dagegen ist die Trans-
spiratioii die Wirkung der lebendigen Thätigkeit des Organismus. Beide
CHOLERA 413
Arten liehen im Antagoiilsmus , was die eine vermindert, vermehrt die an-
dere, und umgekehrt (s. Edivitrds in v. Frori&iy's Notizen; Bd. VII. S. 273.
Itecker's Lit. Annalen, 1827, Septbr.). Schon Se</i«7i's Versuche (». MeckcVa
Archiv für Physiologie; Bd. VII. S. S59, und Bd. III. S. S85) hiitten uns
belehren sollen, wie unnütz und obendrein quälend in der paralytischen
Cholera die heissen Dampfbäder seyn müssen. Sie beweisen, dass die Aus-
dünstung ganz aufhört, sowie die den Körper umgebende Luftschicht mit
Feuchtigkeit gesättigt ist. Weit mehr begünstigen die Transspiration ala
organische Thätigkeit alle belebende Arzneien: feine Weine, Ammonium,
erhitzende Gewürze, und äusserlich schnell und periodisch angewandte kalte
Waschungen; ein Mittel, dessen grosse Wirksamkeit in der paralytischen
Cholera die Erfahrung hinlänglich bestätigt hat (JJaspcr'y.
VII. Eini constantes Symptom in der asiatischen Cholera, das meist
gleich zu Anfange bemerkt wird und nie fehlt, ist die merkwikdige , noch
nicht hinreichend gewürdigte Pneumatosis intestinalis. Wie solche Luftent-
wiokelungen im Darmcanal vor sich gehen, darüber fehlen noch genaue Un-
tersuchungen. NicM ohne Interesse ist daher die Beantwortung der Frage»
Auf welche Weise entwickeln sich in der Cholera orientalis die Gasarten im
Darmcanal ? Welclie .nachtheilige Wirkungen haben sie , und wie wird die-
sen am besten vorgebeugt?. Wenn wir bei Krämpfen, in adynaraischen
Fiebern, bei Febris' putrida, bei allen Leiden mit darniederliegenden Kräf-
ten, bei Kachexien und Dyskrasien mit bedeutender Störung der Digestiom
am häufigsten qualitativ und quantitativ veränderte Gasentvvickelungen , so-
wol innerlich, als ausserhalb des Darnicanals (Colica flatulenta, Tympanites
intestinalis, Meteorismus , Emphysema cellulare) wahrnehmen; so muss uns
dieser Umstand schon darauf führen, dass ein abnormer, periodisch oder
permanent zu schwacher, od«r sonst gestörter Nerveneinfluss mit der Zu-
nahme von jenen Gasentwickelungen in Connex stehen könne. Die patholo-
gische Darnipneuniatose. ist die stete Begleiterin gestörter Verdauvuig, welche
letztere nicht allein in organischen Fehlern einzelner oder aller zur Dige-
stion dienenden Eingeweide :(Magen, Darm, Leber, Milz, Pankreas), son-
dern auch in gestörtem Nerveneinflusse : in Erkältung des Körpers, in psy-
chischen Eingriffen (Schreck , Furcht, Angst, Zorn), in Mi.ssverhaltnissen
der organischen Elektricität , zumal bei Habitus spasticus (daher die oft
plötzlich eintretende Dian-höe solcher Personen zur Zeit eines Gewitters,
iiach heftigem Schreck, grosser Angst und Furcht u. s. w,), die nächste
Veranlassung findet. . Durch Zersclineidung des Stimmnerven wird nicht
allein die Verdauung völlig gestört (s. ReiVs Archiv für Physiologie; Bd. XI.
Hft. 2. S. 129), sonderu man bemerkt auch gleichzeitig eine bedeutend
starke. Gasentwickelung im Darmcanal, wie dieses Eimnert^s Versuche be-
Syiesen haben. Bei der Vdx cholerica sind wir alle darüber einig, dass
ihre nächste Ursache in einem Leiden des NerV. vagus und Raraus recur-
rens (vielleicht gleichzeitig auch des Nerv, accessor. Willisii?) liege. Der
Vagus entspringt bekanntlich vom obern Theile des verlängerten Hirnmarks,
jund . merkwürdig war mir die an mir selbst und andern Cholerakränken
währgenommene Beobachtung, dass man während der Krankheit im Nacken
einen tauben Schmerz- fühlt, der, sowie man bei der Recouvalesoenz zum
erstenmal wieder nieset, plötzlich in das höchste, sich durch alle Glieds
erstreckende Schmerzgefühl, gleichend einem elektrischen Schlage, über-
geht, aber nur wenige Augenblicke anhält (s. Allgem. med. Zeitung, 183^,
Nr. 33). — Dass bei der Cholera asiat. durch das lähmungsartige ErgrLf-
fenäeyn des N. vagus und sympathicus die Digestion in hohem Grade ge-
stört erscheint, dass in Folge dieses Leidens der Chemismus in den sonst
lebendigen Säften, ganz so wie bei putriden Fiebern, vorherrscht, daSB
daher abnorme Gasentwickelungen nothwendig folgen müssen, — dieses lässt
sich leicht einsehen. Eine andere Frage ist es dagegen, ob nun diese Gas-
arten, wenn sie nicht nach Obeii oder Unten entfernt, oder chemisch durch,
Künsthülfe im Darmcanal zersetzt und unschädlich gemacht werden, nicht
anderweitig durch Resorption in die Säfteraasse gelangen, und so dnen
m4 OSQLERA
grossea Antheä an de* bekannten Walignitat der Choleni, indem das Blut
vergiftet wird, hoben? Wissen wir au* MaseagnVs und Lippi's Versuchet»
(s. des Letztern lUustrazioni fisiologiche e patotogiche del sisteraa linfato-
chilifero etc.; Firenze, 1825), dass Tiele Lymphgefässe ins Blutadersystem
einmünden und dass besonders den Venen Resorptionskraft zugeschrieben
werden müsse, ferner, dass die Mucosa des Darmcanals gleichfalls resorbirt,
CO läast sich auch vermuthen , dass die so viel und so schnell bei beginnen-»
der Cholera asiat. sich entwickelnden Gasarten, deren giftige Natur, feh-
len uns darüber imoierhin auch noch die chemischen Analysen, schon aua
dem Schwefel- und moderartigen Gerüche, den die Ructus und Flatus ver-
breiten, hervorgeht, durch Resorption ins Blut gelangen und den ersten
Impuls zur bekamiten Blutzersetzung abzugeben im Stande sind. Unter»
»tützt wird diese Ansicht noch dadurch: a) dass die früh angewandten
Brechmittel, welche auch jene Gasarten entfernen und das zu geringe Le-
ben des Gangliennerveasystems kräftig anregen und den ganzen Körper er-r
»chnttern, sich stets als sehr heilsam in der orientalischen Cholera bewährt
haben. fl) Dieselben Resultate sahen wir nach lebenden, gewürzhaften,
carminativen Mitteln (die sich auch in Colica flatulenta so heilsam bewie-
sen), namentlich nach Tinct. aromatica, Liq. anodyn. mit Ol. menth. pip.,
Herba menthae etc. , wenn sie nicht zu spät , . d. h. noch vor Resorption
jener Gasarten ins Blut, angewandt wurden, c) Am wirksamsten zeigte sich
l)ier aber stets der Liquor nnimonü causticus in nicht zu kleinen und oft
wiederholten Gaben. Nehmen wir nun , gestützt auf den specifischen,
«chwefelartigen , fauligen Geruch der bei der Cholera asiat. abgehenden
Gasarten, vorläufig an, dass sie grösstentheils aus Schwefelwasserstoffgas
bestehen, so wissen wir, daas schon das gewöhnliche Trinkwasser dasselbe
absorbirt, und zwar absorbiren 100 Volumen Wasser 150 Volumen Gas, —
ferner der Alkohol , die Naphthen , alle gewürzhaften , Spirituosen Tinctu-
ren, vorzüglich aber der kaustische Ammonium. Auch das etwa vorhandene
kohlensaure Gas wird vom Wasser, Alkohol und Ammonium absorbirt. Ä^^•
aefeld (Physiol. Chemie, Th. II. S. 210) sagt: „Aus der Eigenschaft der
kaustischen Alkalien, der Kohle u. s. w. lässt es sich erklären, wie diese
Mittel mit Vortheil in der Trommelsucht des Menschen und des Viehes ge-
braucht werden, indem die Kohlensäure und das Schwefelwasserstoffgas von
den erstem chemisch, und diese und auch zum Theil die andern von der
Kohle (auch von Magnesia in grossen Gaben) mechanisch absorbirt werden.'*
Das kaustische Ammonium bleibt nun aber nach fremden und zahlreichen
eigenen Erfahrungen in der morgenländischen Cholera noch immer caeteris
paribus das grösste Heilmittel, d) Alle stopfenden, die Ausleerungen hem-
menden Mittel, besonders das Opium, verschlimmern dagegen die ©riental.
Cholera, weil sie die flüssigen und gasartigen Ausleerungen verhindern und
80 die Resorption der im Darmcanal befindlichen schädlichen Stoffe begün-
stigen , also die Blutzersetzung , die dunklere Färbung des Blutes , das nun
giftiger wird und Gehirn und Nerven völlig lähmt , beschleunigen. Wenn
Heyfelder (s. HesselhacKs Blbl. d. deutschen Medicin u. Chirurgie, 1832,
Hft. 3, S. 316) in Bezug auf das Opium in der Cholera sagt: „Unter den
Ärzten Berlins , Magdeburgs und aus andern von der Cholera heimgesuchten
Gegenden war fast nur eine Stimme; Alle verwarfen es, indem es Über-
gang in Typhus zu befördern schien;" so kann ich diesen Ausspruch völlig
und aus innerer Überzeugung unterschreiben. Auch ich habe nach Anwen*
düng desselben, die Herr Dr. Krüger - Hansen hier übte, so schnelle Ver-
schlimmerungen , Todesfälle oder Übergang in tödtlichen Typhus gesehen,
dass ich es für Pflicht hielt, öffentlich im Schweriner freimüthigen Abend*
blatte von 1832 gegen den Gebrauch des Opiums und der daraus bestehen-
den Pulver und Tropfen des genannten Arztes, die hier zahlreich von ihm
verabreicht wurden , zu warnen. Auch Vdpcaxi (Archives generale« de M6-
dec. T. XXIX. Juin. 1832, S. 227) sagt: L'Opiura a haute dose, aid6 »eu-
lement de bains, de frietions seches et de boissons delayantes, donn^ ä plu«
de vingt maladea, ne m'a jamaia paru offrir le raoindre avantage," Um so
CHOLERA 415
mehf «JUS9 man sich wurtdern , dass noch neuerlich Dr, Jafti {v, Gräfe' $ u.
V. Wallher's Journal, 18S2, Bd. XVIII. Hft. 4, S. 656) das Opium als sU
cheres Schutzmittel in der Cholera vorschlägt, um die Diarrhöe, den Vor-
läufer derselben , zu stillen , obgleich er es später selbst ein zweideutiges
Mittel nennt ; denn ««) eine Diarrhöe ist nicht immer der Vorläufer der
Cholera, und 66) die schlimmste Form der Krankheit ist die ohne Diarrhöe
(Cholera sicca, apoplectica) , endlich cc) mit Verschlimmerung der Krank-
heit , mehrere Stunden vor dem Tode , hören alle Ausleerungen von selbst
auf, dagegen zeigen sie sich oft noch Tage lang bei eintretender Besse-
rung. — Hiermit will ich meine Notizen und eigenen Erfahrungen über
Cholera orientalis schliessen. Da ich aber dieses Übel selbst überstan-
den habe, so will ich diesen Krankheitsfall hier noch zum Schluss in der
Kürze mittheilen. .
Cholera asiatica, an mir selbst beobachtet.
Tu ae cede malis , aed contra audentior Ho.
VirgiL
Am 17. August 1832, gerade als die Rostocker Choleraepideraie auf Ih-
rer höchsten Stufe stand und täglich 20 — 30 Sterbefälle vorkamen, wurde
auch ich, Morgens 7 Uhr, leider! von der bösen Krankheit ergriffen. Als
Gelegenheitsursachen nenne ich: gi-osse Anstrengung und eine kleine Ge-
müthsbewegung am vorhergegangenen Tage, mehrmalige Störung in der
Nacht durch das Besuchen 'V'on Kranken, mehrere Besuche am frühen Mor-
gen bei Cholerakraiiken in engen, schmnzigen, niedrigen, feuchten, die
Nacht hindurch nicht gelüfteten W^ohnungen. Auch hatte ich an diesem
Morgen wegen überhäufter Geschäfte zu frühstücken vergessen , da ich frü-
her jedesmal vor dem Besuchen der Kranken erst ein gewöhnliches Frühstück
zu mir zu nehmen pflegte. Zu den prädisponirenden Ursachen rechne ich:
Unterleibsstockungen , chronische Magenschwäche und Molimina haemorrhoi-
dalia, woran ich seit einigen Jahren um so mehr leide, da viele literarische
Arbeiten mich häufig an den Schreibtisch fesseln. Schon die ganze Zeit
hindurch, in welcher ich Cholerakrauke besuchte, empfand ich öfters de«
Nachts im Bette ein krampfhaftes Kriebeln , Kriechen und Ziehen {Sensm
formicationis, s. Myrrnecismus) in den Waden, später und bei Tage, beson-
ders gegen Abend , auch in den Händen , zumal in den Fingerspitzen. Der
Schlaf war schon seit mehreren Nächten unruhig, und ich erwachte mit
einem ungewöhnlichen Gefühl von Mattigkeit , das indessen nach dem Ge-
nuss von Kaffee und Weissbrot bald verschwand. Jedesmal, wenn ich Cho-
lerakrauke berührte, fühlte ich jenes kriechende , prickelnde Gefühl in der-
jenigen Hand , mit welcher ich den Puls solcher Kranken untersucht hatte,
und so folgte eine Art von Calor mordax , wie man diesen wol bei an Ty-
phus contaglosus, petechialis Darniederliegenden in der Vola manus empfin-
det. Bei allen an Pseudocholera Leidenden empfand ich bei der Berührung
dieses Gefühl durchaus nicht; dagegen war es bei solchen Cholerakranken
am heftigsten , die dem Tode sehr nahe waren oder im Sterben lagen.
Hier empfand ich es wie einen leichten elektrischen Schlag oder eine solche
Strömung bis zum Ellenbogen. Bemerken rauss ich noch, dass ich sehr em-
pfindlich für Witterungseinfiüsse bin und mich als Fremder an das hiesige
Klima noch nicht völlig gewöhnt habe ; besonders fühle ich bevorstehende
Gewittor oft schon 24 Stunden vor ihrem Ausbruche an einem eigenen ner-
vösen Ziehen im Körper. In jener Zeit der Cholera litt ich indessen weder
an Diarrhöe, noch an Obstructio aivi, denn meine Leibesöffnung war nor-
mal. — Schon um 6 Uhr Morgens bemerkte ich an mir das oben genannt«
Gefühl von Myrmecismus im höhern Grade , dabei Mattigkeit in den Glie-
dern , Flimmern vor den Augen , Ohrenklingen , Schwindel und bedeutende
Präcordialangst. Ich eilte daher schnell nach Hause. Hier angekommen
vermehrte sich die Angst, und ich fühlte deutlich gleichzeitig zwei gleich-
sam elektrische Schläge oder Erschütterungen im Unterleibe, die «ine in
416 CHOl^ERA
der Gegend des Plexus cöellacua, die andere In der des Plexus hypogastri^
cus , worauf ein 60( rasches , hohes Schwächegefühl folgte , dass ich nicht im
Stande war, mich selbst zu entkleiden und ohne Unterstützung ins Bette
jzu kommen. Die zweite, unmittelbar darauf folgende Erscheinung war eia
hörbares, fortwährendes, bedeutend starkes Kollern im Leibe, ein dumpfee,
spannender Schmerz, wahrscheinlich von der Auftreibung des Colon trans-
versum herrührend, und eine ungewöhnlich starlce Ei>tv\ickelung von schwe-
felarlig riechenden Gasarten, welche sich durch häufige Ructus nach Oben
zu entfernen suchten (ich hatte den Abend vorher nur Thee mit Rothwein
und Butterbrot , an diesem Morgen aber noch gar nichts genossen; daher
die nach faulen Eiern riechenden Ructus nicht von den genossenen Speisen
Lerrühreu konnten). Nachdem dieser Zustand eine Viertelstunde angehalten,
folgte einmaliges Erbrechen, Avorin »ich, da der Magen leer war, schon
die bekannten Flocken, auch etwas dunkles Blut zeigten. Diese Entlee-
rung nach Oben war ohne die geringste Übelkeit entstanden; ich konnte
deutlich. fühlen, wie ein grosses Quantum, Gas die ausgebx-ochene Flüssig-
keit'^n' 'die Höhe hob und nninittelbar nach dem Erbrechen in grosser Menge
aus deiti M'uhde strömte. Diarrhöe trat nicht ein, aber der Harn ward un-
terdrückt, dabei kalte Hände und Füsse, grosse Schweisslöcher auf den
Händen ,. verminderter Turgor vitalis, so dass sich an den Fingern kleine
Runzelnder Haut, wie bei .Wäscheruinen , zeigten; klebi'ige, kalte Schweisse,
bläulich -rothe Gesichtsfarbe, Gegen 4 bis 5 Stunden dauerte dieser Zu-
stand, der mit einem Gefühl von fürchterlicher Angst verbunden war. Diese
Angst ist durchaus nichts Psychisches, von Furcht oder Todesgedanken
Herrührendes, sie ist lediglich die Folge der gehemmten Blutcirculation,
gerade wie bei Orthopnoe , ohne dass hier aber gehinderte Respiration statt-
fände. — Bei allen diesen Zufällen blieb das Bewusstseyn völlig ungetrübt,
Äo dass ich selbst Alles zu meiner Cur Erforderliche anwenden konnte; doch
>var eine gewisse Ehigenomirtenheit des Kopfes dabei, die schwer zu be-
schreiben ist ; auch war die so schnell eingetretene Schwäche sehr gross,
so dass ich mich im Bette weder allein aufrichten, noch das Getränk selbst
zum Munde führen konnte. Die Stimme wurde ganz heiser, so dass meine
Umgebung mich kaum verstehen konnte; ich fühlte das Bedürfniss, tief za
athmen und besonders lange Exspirationen zu machen, gleichsam die aus-
geathmete Luft wegzublasen , auch gerade ausgestreckt auf dem Rücken
mit erhöhtem und unterstütztem Genick zu liegen und, wie dieses bei ady-
namischen Fieberkrankten bemerkt wird, stets im Bette nach dem Fussende
zu rutschen. So viele Mühe ich mir auch gab, still und unter dem Feder-
bette zu liegen, so liess das fortwährende Ziehen in den Gliedern, beson-
ders in den Armen, mir dennoch durchaus keine Ruhe, und ich musste mich
jeden Augenblick bewegen und die Hände anders placiren, ja oft war da*
Gefühl in letztern ganz taub, ungefähr so, als habe man sich stark an den
Ellenbogen gestossen; zuweilen wurden mir auch die Wadenmuskeln auf
Augenblicke in Folge eines tonischen Krampfes so hart wie Holz, ein selur
lästiges Gefühl , ein wahrer Crampus , ganz so wie man ihn zuweilen beim
Anziehen enger Stiefeln bemerkt. — Dieses ziehende, knebelnde, stechende
und mit Taubheit verbundene Gefühl habe ich in vermindertem Grade noch
volle 6 Wochen nach meiner Krankheit periodisch empfunden , besonders
beim Wechseln der Wäsche , des Morgens früh nach dem Aufstehen , nach
dem Waschen mit kaltem Wasser, nach Anstrengung des Geistes und Kör-
pers , nach dem Besuche von CUolerakranken. — Ich behandelte mich auf
folgende Weise: zuerst melirere Wäilnttaschen mit kochendem Wasser an
die Füsse , an den Leib und den Rücken , welche mir sehr wohl thaten.
Zugleich trank ich binnen einer Stunde mehrere Tassen Melissen- und Pfef-
fermünzthee , hinterher drei Tassen starken , schwarzen Kaffee , und zwi-
schendurch alle 'A Stunden ein kleines Spitzglas voll alcen guten Madeira-
-vsein. Diese Mittel erquickten und erwärmten mich zwar, so dass der
kleine spastische Puls voller wurde, doch wollte die grosse Angst gar nicht
weichen. Nun nahm ich alle 5 — 10 Minuten 15 — 25 Tropfen Spirit. sal.
CHOLERA 417
ammonjacl daiist., in einer Tasse kp.ltem Wass«r, auch abwechselnd von den
Gewürztropfen, und liess mir ein grosses Senfpflaster in die Herzgrube le-
gen, frisch bereitet von pulverisirtem Senf und kochendem Wasser, worauf
denn das Angstgefühl allmälig nachliess. Merkwürdig war mir der Umstand,
dass jedesmal unmittelbar nach dem Einnehmen des Salmiakgeistes ^ auf ein
paar Minuten diese Angst völlig verschwand, -während welcher Zeit ich mich
ganz wohl fühlte ; später schien die Wirkung verflogen und die Angst stellte
sich wieder ein. Zugleich muss ich bemerken, dass es mir nicht allein schien,
als wirke das kaustische Ammonium bei meinem Leiden belebend, sondern
eine andere wohlthätige Wirkung desselben war die, dass dadurch die Ent-
wickelung des Schwefelwasserstofl"gases im Darmcanal vermindert wurde, und
dass es mir vorkam, als absorbire das Mittel selbst das vorhandene Gas,
welches vielleicht sonst dem Blute mitgetheilt worden wäre und die Nar-
kose des Nervensystems verscWimmert haben würde. (Es ist bekannt, dass
die Veterinärärzte bei der Trommelsucht des Rindviehes^ in Folge des Ge-
nusses von grünem Klee innerlich das kaustische Ammonium in grossen Ga-
ben anwenden, und dass kein Mittel die Gasarten im Darmcanal so schnell
neutralisirt und absorbirt , als gerade dieses. ) Überhaupt scheint es mir,
dass man auf diese Pneumatosis intestinalis, worauf schon das Kollern im
Darmcanal, das bei allen Cholerakranken bemerkt wird, deutet, zeither zu
wenig beachtet und die m5glichen Folgen derselben aufs Blut - und Nerven-
system, die einer Vergiftung durch Narcotica ähneln, nicht ihrer Wichtig-
keit nach in Anschlag gebracht habe. Die kohlensaure Magnesia ist freilich
allenthalben bei leichten und schweren Fällen von Cholera als Adjuvaps
gereicht worden; doch kann dieses Mittel, theelöffel weise genommen,, wenig
absorbiren; man müsste eine Unze auf einmal nehmen, sollte es etwas leisten.
Nach ungefähr 4'/2 Stunde war das Kältestadium vorüber, das bläuliche
Antlitz wurde hochroth , der Turgor vitalis kehrte zurück , so dass die Haut-
runzeln der Finger und die grossen Schweisslöcher auf dem Handrücken ver-
schwanden, der fadenförmige, kleine Puls wurde gross, wellenförmig, voll,
und es trat ein allgemeiner warmer , duftender , etwas säuerlich riechender
Schweiss ein, der 26 Stunden anhielt. Jetzt setzte ich den Salmiakgeist,
die Gewürztropfen, den W^ein, Kaffee und. alle erhitzenden Dinge bei Seite,
Hess mir frisches Quellwass^r holen und trank davon alle 5 Minuten 2 — 4
Unzen mit grosser Begierde, so dass ich am ersten und zweiten Tage im
Ganzen wol 10 Mass oder iO Pfund des frischen, kalten Wassers zu mir
nahm, welches durchaus den Schweiss nicht uatfjrdrückte , sondern gegea-
theils ihn noch beförderte, auch die Se- und Exjcretion des Uri^^s, die an-
fangs mit etwas Strangurie verbunden war, bedeutend, begünstigte. Der ge-
lassene Urin sah zuerst ganz wasserhell avs, spätj?r zeigte er einen feine«
Stich ins Safrangelbe. — W^lch ein herrliches, e^^gijiickendes Mittel in der
Cholera das kalte Wasser sey, davon habe ich mich bei mir selbst und bei
allen meinen Cholerakranken recht innig überzeug^.' ^ Leider .hat das reine
Wasser mit der Tugend das gemein, dass es vi^l gelobt, aber wenig ge-
achtet wird , sowol : bei Gesunden als bei Kranken , bei Ärzten als Laien,
und der Prof. Oertcl in Änspach hat sich dadu^r.ch, dass er auf, den G^ebrauch
desselben in verschiedenen, Kfaiikheiten aufs Neue aufmerksam. gemacht, be-
stimmt ein grosses Verdiens]t,!erworben (s. Oeriel,l>ie aWerneue^ten Wasser-
curen. Nürnberg 1829 — 1831. 9 Hefte), ^"ch.ich habe in zahlreichen Krank-
heiten nichts als Wasser trinken lassen und sah den glänzendsten Erfolg, ^p
dass ich die Resultate meiner Wassercuren nächstens bekannt machen werde.
Ausser dem Wasser nahm ich, noch zur Beförderung der Gallenseci^etion eine
Mixtur aus Potio Riverii und^Aq. meliss?ie., Nachmittags trank ich mit, Ap-
petit einige Tassen Kalbfleischbouillon, mit Muskatnuss gewürzt.-— Den
18. August. In vergangener Nacht kaum eine halbe Stunde ge6chljij5rO.
Von 11 Uhr Abends bis gegen 3 Uhr Morgens stellte sich ein. ;Zweiter Chor
leraanfall mit Kälte der Glieder, unterdrücktem Urin , mit klebrigen , Jcalt^
Schweissen, Leibkollern, mit vielen Ructus, die schwefelartig jrochen , do^h
ohne bedeutende Angst ein, so dass mein Zustand erträglicher als das er&te-
Mo8t Encyklopädie. 2te Aufl. I. 27
418 CHOLERA
mal war. Jet'Ät kam ich auf den Einfall , einmal den Versuch zu machen,
wie hier das Opium wirke. Ich stallte aus Vorsicht das gQgen Opium wirk-
same Gegenmittel: das Acidum aceticum (vergl. WilUch, Lectures on Diet
and Regimen p. 339. Geujer's Magaz, 1825, Aug. S. 184), in Bereitschaft,
um es sogleich zur Hand zu haben, wenn Verschlimmerung einträte, und
wagte, angetrieben aus rein wissenschaftlichem Interesse, den Versuch: Ich
nahm '/^ Gran Opium purum mit etwas Zucker. In den ersten 5 Minuten
schien das Mittel sehr wohlthätig zu wirken; aber bald trat Verschlimme-
rung unter folgenden Zufällen ein: Klingen und Singen in den Ohren, Schwin-
del, Betäubung, Flirren und Flimmern vor den Augen, Gesichtshallucinatio-
nen, bedeutende Präcordialangst, ganz wie beim ersten Choleraanfall, ver-
minderter Motus peristalticus, und vermehrte Pneumatosis intestinalis, so
dass der Leib sichtbar auftrieb und weder Rüctüs , noch Flatus erfolgen
woUt-en ; nach ungefähr 20 Minuten nahm die Angst so sehr zu , dass ein
Zustand, der nahe aiV BeWusstlpsigkeit grenzte, eintrat. Es war ein Glück,
dass ich das Gegenmittel vor meinem Bette stehen hatte; kaum blieb mir,
obgleich ich alle mij zu' Gebote stehende Geisteskraft zusammennahm, so
viel Besinnung, um es ium Munde führen zu können. Ich nahm auf einmal
eine Drachme Acidum aceticum- in einem Glase Wasser, trank nebenher noch
Essig und Wasser, wusch mir das Gesicht mit. Essig, und in % Stunden
war die hässliche Wirkung des Opiums verschwunden, so dass ich mich eben
so leidlich wie vorher befand: Durch den Gebrauch des Ammoniums und
des kalten Wassers, durch recht heisse WärmÜaschen kam ich gegen 3 Uhr
in warmen Schweiss', und der Kopf wurde weder frei, sowie ich wieder
Uriu lassen konrtte, der wiederum ganz wasserhell aussah. Am heutigen
Tage trank ich viel kaltes Wasser; meine Nahrung bestand aus Kalbfleisch-
suppe und etwas altem Weissbrote. — • Den 19. August. In dieser Nacht
4 Stunden geschlafen; überhaupt Besserbefihden » doch blieb ein unangeneh-
mes Gefühl von Taubheit in den Fingerspitzen, so äi\ss ich beim Recept-
schreibeH kaum die Feder halten' konnte. Auch an den Seitentheilen der
ersten Fingerphalangen war dieses Gefühl beiherkbar und hatte Ähnlichkeit
mit dem Gefülü^, als sey zwischen den Fingern ein fremder Korper, etwa
■wie wenn man feine Händschuhe trägt, befindlich. Merkwürdig war mir
das grosse Bedürfniss des Lichts und der freien Luft für mein Nervensystem;
den ganzen Tag über rausste das Kammerfenster' offen stehen, und ich konnte
ohne alle Lichtscheu in die Mittagssonne schauen. An diesem Tage niesete
"ich zum erstenmal , \'*felche Erschütterung ein ' höchst schmerzhaftes Gefühl
in M^?f Gegend der MedüHa oblongata und der obern Partie des Rücken-
»mrks erregte , das wol 6 Secunden anhielt, sich gleich einem elektrischen
Schlage durch beide Arme längs des Laufs der Hauptnerven bis zu den Fin-
ffci'sHiczen erstreckte üdd mir einen lauten Schrei auspresste. Sputet habe
ich beim Niesen dieses höchst unangenehme Gefühl, worauf indessen allge-
meines WoMhehagen folgte, nicht Wieder, wahrgenommen. Nun wurde auch
die bisheP ti-bckne Nase flüssig, die Rauhigkeit und Heiserkeit der Brust
verschwaiid, ich konnte laUt husten, was ich früher nicht vermochte, und
auf meinem ganzen Körper; das Gesicht ausgenommen, zeigte sich ein frie-
selartiger Ausschlag, der Starkes Jucken erregte und erst nach 16 Tagen
völli"" ^ersch'xVand. Da ich\heate an Leibesverstopfung litt, so nahm ich
ein Lavemerrt aus lauem Wässer, Küchensalz und Asant, welches aber nur
sparsam kleine verhärtete Skybala entfernte, weshalb ich später noch Aloe-
pHlen einnahßi. — • Dtn 20; 'Aügast. Ziemliches Wohlbefinden; ich' ver-
suchte daher anfzustehönV fühlte mich aber darnach sehr matt und bekam
etwas Schwiiiäel. Dyiniöch setzte ich irüch, da das Wetter gut war, warm
ftngekteldet in dbh Wägien, um die vielen Cholerakranken, die meiner harr-
en, ia besudten; Obgleich das Ein- und Aussteigen, sowie das Geh^n uhd
vorzuglich d&s' Trfeßpertsteigen , mich ungemein angriffen , so bekam mir die
freie Luft dennoch sehr gut, und ich bin mit Gottes Hülfe seit dieser Zeit
kllmälig stäi'kÄr geworden, so dass ich meinen Berufsgeschäften vorstehen
tonnte. -^ 'Htn'zlichster , innigster 'Dank allen meinen theuren Herren Col-
CHOLERA 419
legen, die so fiele Theilnahme an meinem Leiden bevpiesen, und durch
freundschaftliche Besuche und angenehme Unterhaltung mir die Stunden des
Krankseins versüssten ! — Noch muss ich über meine Krankheit Folgen-
des bemerken : meine Gesichtsfarbe blieb noch 8 Tage lang etwas bläulich-
roth, und diese Farbe nahm gerade, wie bei Cyanosis, in kalter Luft zu;
auch stellte sich zuweilen eine Art Asthma ein , so dass ich das Bedürfhiss
fühlte , ins Freie zu gehen , um frische Luft zu schöpfen. — Am 22. August
schrieb ich eine Stunde lang des Morgens, worauf kalte Hände und Füsse,
stärkeres Ziehen in den Gliedern, etwas Angst, kalte klebrige Sohweisse,
vergrösserte Schweisslöcher auf den Händen , starkes Aufstossen und Abgang
von Blähungen schwefelwasserstoffartigen Gehalts nach Oben und Unten be-
merkt A\urden. Ich trank starken Kaffee, nahm ein paajr Gaben Gewüra-
tropfen , auch 20 Tropfen Liq. amm. caust. , und der Anfall war in einer
Stünde vorüber, so dass ich wieder meine noch zahlreichen Cholerakranken
besuchen konnte. Am 25. August stellte sich wiederum ein ähnlicher Anfall
ein, und es schien, als habe mein Übel sich eben so, wie dies beim Typhus
abdominalis Schönlein's der Fall ist , in eine Intermittens larvata verwandelt.
Ich nahm nun täglich dreimal einen Gran Chinin, sulphuricum mit Pulv.
aromat., auch Tinct. chinae composita mit Madeirawein, worauf nur noch
ein leichter Anfall am 10. Sept. , des Nachts zwischen 2 und 3 Uhr erfolgte,
später aber nicht wieder. Ähnliche Übergangsformen der Cholera in eine
intermittens beobachtete auch Dr. Zimmermann (s. HecJcer^s Annalen 1833.
Dec. S. 448 u. f.). — Höchst merkwürdig und neu war mir nun die Er-
scheinung, deren ich in sehr vielen Choleraschriften nicht gedacht finde,
dass meine Hände und Füsse ganz neue Oberhaut bekamen,
mdem dife alte sich, ungefähr wie bei Röthein, abschuppte. Diese Desqua-
mation bemerkte ich bei mir zuerst am 16. Sept. , und sie währte bis zum
24. desselben Monats , hatte sich also erst 4 Wochen nach dem ersten Cho-
leraanfall eingestellt. Ich wurde nun auf diesen Gegenstand 'aufmerksamer,
der mir noch mit zur Unterstützung meiner Ansicht von der Contagiosität
der Cholera dient , erkundigte mich deshalb bei meinen Cholerareconvalescen-
ten, und fand dieselbe Erscheinung fast bei allen. Je heftiger die Cholera
gewesen, desto bedeutender zeigte sich die Abschuppung, je gelinder jene,
desto unbedeutender war diese. Bei den Reconvalescenten von Pseudocho-
lera ward sie nicht bemerkt. Bemerkenswerth ist noch der Umstand, dass
sie sich bei den meisten von mir beobachteten an echter Cholera Leidenden
erst nach dem 16. Tage, vom Anfange der Krankheit an gerechnet, ein-
stellte, gleichviel, die Cholera mochte Typhus zurückgelassen haben, oder
hicht. Übrigens wurde bei allen meinen Kranken, einen ausgenommen, wa
Cholera und Delirium tremens sich complicirten und gegen letzteres Opium
gereicht worden, kein nachfolgender Typhus bemerkt. Viele der Genesenen
haben eine dauerhaftere Gesundheit nach überstandener Cholera bekommen,
als sie früher besassen. Ich selbst leide seit jener Zeit weit weniger an Ma-
genschwäche, Unterleibsstockungen und blinden Hämorrhoiden, als früher. —
Recht zu bedauern ist es, dass bis jetzt^ein Chemiker die sich im Darm-
canal bei Cholerakranken entwickelnden Gasarten, in welchen ich ausser
Schwefelwasserstoff auch Kohlenwasserstoff vermuthe, genau untersucht hat,
was z. B. mit den Darmausleerungen und dem Blute der Cholerakrank e;i
geschehen ist. Nach der Analyse des Dr. W. B. 0'' Shrtugnessy (s. London
trted. and phys. Journal. Mai 1832, und Berend's Med. chir. Journalistik d.
Auslandes, 1832. Juli. S. 4 u. f.) besteht das Serum des Cholerablutes aus
1) wenig Wasser, 2) ist darin ein Übergewicht von Albumen, 3) die unbe-
zweifelte Gegenwart von Ureum , 4) es mangeln darin die kohlensauren Al-
kalien, und 5) an Salzen ist auch grosser Mangel. — Bei der sporadischen
Cholera (Pseudocholera) dagegen , obgleich heftiges Purgiren und Erbrechen
stattfand, fand 0^ Shnugnessy keine Verminderung, sondern Vermehrung an
Wasser im Blute; auch war die Menge des Albumens geringer als bei ge-
sundem Blute. Die reisähnlichen Flocken in den Ausleerungen bestanden,
nach O'Shaugnessy, grösstentheils aus Eiweiss und Fibrine.
27*
420 CHOLERAPHOBU — CHOREA ST. VITI
CltolerapilloMa 9 die Furcht vor der Cholera, erregt durch
übertriebene Schilderung ihrer Gefahr, zumal bei Hypochondristen.
Cboleraptaone» Vox cAo7mc/>, die eigenthümliche Cholerastlinme ;
s. Cholera.
Cholerrltag^i» } s. Cholera.
Choloina» Cholasma. Ist, nach Hippolrates ^ jede Art von Ver-
renkung.
Cholorrboea; ein andauernder, habitueller Gallenerguss.
Ciioloses* Bedeutet die ganze Classe der Gallenkrankheiten
{Alilert).
ChoIosiS» Lahmheit, s. Paralysis.
Chondrocelef, richtiger Chondrodeocele (Krfius), der Knorpel-
fleisch bruch; ist ein Fleischbruch mit knorpeJälmlicher Masse; s. Sar-
cocel e.
Clion Aroer ASis, ein Knorpelleiden als drittes Stadium des morgen-
ländischen Aussatzes, s. Lepra.
Chondromalacia , Knorpelerweichung, s. Malacosis cartila-
g 1 n u m.
Chorda Tencris, acuta et chronka, der geschnürte Zustand de»
entzündeten Penis, s. Gonorrhoe a.
Ctiordapsius, innere Verschnürung der Gedärme, wodurch
oft Ileus entsteht, s. Convolvulus und Ileus. Eine Uraschlingung des
Gekröses (Chordapsus mesenterii) mit Zerreissung des grossen Netzes, ent-
standen durch heftige Bewegung «uid Sturz , endete bei einem jungen, sonst
gesunden Mädchen unter tympanitischen Zufällen am l6ten Tage der Krank-
heit mit dem Tode (s. J. Ch. A. Clmnis, De omenti laceratione et mesenterii
chordapso, Lipsiae 1830. Picrer's AUg. med. Zeitung 1831. Nr. 26. S. 406).
Chorea St. Viti, Saltus Viti, Chorea St. Modesti, Chorcomania^
Sceloti/rbc, Ejnlepsin saltatonn, Ballismus, Si/phita (Thenphr. Paracelsfis)y
Morbus snltatorhis, Scclotijrhe Tarantis7nus , der Veitstanz, die Tanz-
krankheit. Ist eine höchst merkwürdige Krankheit, die am häufigsten
junge, in der_ Pubertätsentwickelung begriffene Subjecte befällt und sich,
durch allgemeine klonische Krämpfe äussert, wodurch die seltsamsten Be-
wegungen des Körpers, die oft denen eines Tanzenden ähneln, hervorgehen.
Gewöhnlich leiden mehr oder weniger auch die Seelenkräfte des Kranken,
doch ist während der Anfalle, welche periodisch (oft 10 — 20mal des Tages)
kommen , das Bewusstseyn nicht immer aufgehoben , wenigstens in den mei-
sten Fällen nur, wie bei der Ekstase, zurückgedrängt. Vorboten des
ITbels. Sie fehlen niemals, gehen oft Wochen, ja Monate lang demselben
voiher, als Nervenzufälle aller Art: Kardialgie, Nausea, Angst, Brustbe-
klemmung, spastisches Herzklopfen, ein der Aura epileptica ähnliches Ge-
fühl in den Gliedern, Schwindel. Schwere, Wüstheit des Kopfs, Sinnes-
täuschungen, krampfhafter Puls,^Ine eigne Gemüthsstimmung, -wo Heiter-
keit und Traurigkeit mit Petulanz und Muthwillen abwechseln. Beim Aus-
bruche des Übels sind das erste und vorzüglichste Symptom die verschie-
denartigsten Convulsionen , die besonders in den obern und untern Gliedern
am stärksten sind, vom Kranken nicht unterdrückt werden können und die
mannigfaltigsten und sonderbarsten Gesticulationen, Stellungen und Verdre-
hungen des Körpers erregen, so dass die Kranken hüpfen, springen, tanzen,
laufen (Epilepsia procursiva), klettern, auf den Ofen, in Schiebladen, Com-
moden etc. kriechen, dann ein paar Secunden wie todt liegen, endlich plötz-
lich wieder aufspringen, auf Tischen, Stühlen, Bänken herumhüpfen etc.
Die Krä^npfe in den oberen Extremitäten erregen oft Gesticulationen, ähn-
lich dem Spinnen, Sägen, Holzhauen, dem Declamiren; der Krampf in der
Zunge macht erschwerte, stammelnde Sprache; die Kranken lachen, schreiei),
toben, äussern bald grosse Kraft, bald .Mattigkeit; werden sie festgehalten.
CHOREA ST, VITt 421
80 gcrathcn sie, ebenwie die Epileptisclien bei Unterdrückung des Anfalls,
Ja grosse Angst, Unruhe. In ihren Bewegungen und Drehungen herrscht
eine solche Behendigkeit und Schnelligkeit, dass es mitunter unmöglich ist,
diese mit den Augen genau zu verfolgen. Auch der Kopf nimmt gewöhnlich
an den Krämpfen Theil; daher das Zucken der Gesichtsmuskeln, das Ver-
drehen der Augen , das Sardonische Lachen, Gewöhnlich ist auch Krampf
im Halse zugegen; daher der Kranke nicht schlucken kann und beim Ver-
suche dazu krampfhaften Husten und Würgen bekommt. Die Stimme ist
meist verändert , oft sehr unnatürlich , und die Darm - und Urinsecretion ist
während des Insults entweder unterdrückt oder der Urin und Stuhlgang -
gehen unwillkürlich ab. Der Anfall dauert bald nur V2 Stunde, bald meh-
rere Stunden , ja zuweilen selbst ganze Tage (^Slark, R. A. Vogel, Berndt) ;
seine Rückkehr erfolgt auch sehr unbestimmt, wobei es merkwürdig ist,
dass der Regel nach die Nächte frei sind und fast immer nur bei Tage die
Anfälle kommen. Während der Intermissionen befinden sich die Kranken nie
so gut wie Epileptische ; sie klagen über Kopfschmerz, Angst, Unruhe, Eiu-
genununenheit des Kopfs, sind reizbar, empfindlich, wie Hysterische, und
haben des Nachts einen sehr unruhigen^ Schlaf. Auch scheint der \eitstanz-
paroxysmus selten etwas Kritisches zu haben, obgleich am Ende desselben
bei dem Gefühl von Mattigkeit und Abgespanntheit zuweilen Schlaf und ein
allgemeiner starker Schweiss eintreten. Der Verlauf des Übels als Eut-
wickelungskrankheit ist langsam, es kann hier Monate, selbst Jahre lang
währen; bei Personen, die nicht in der Pubertät begriffen sind, vergeht es
oft schneller (Jahn). Prognose. Ist in den meisten Fällen gut; deim bei
richtiger Behandlung verliert sich das Übel allmälig, die Seelenkräfte erlan-
gen ihre Stärke wieder und nur höchst selten bleiben andere Nervenübel
(Epilepsie, Paralysen) zurück. Ist der Veitstanz aber mit Amenorrhoe, mit
Febris hectica, Tabes dorsalis, Epilepsie, Blödsinn complicirt, sind die
Paroxysmen sehr anhaltend und heftig , hat das Übel schon über ein Jahr
gedauert, so ist die Prognose, wie sich dies von selbst versteht, nicht so
günstig, indem es oft schwer hält, die ursachlichen Verhältnisse des Übels
zu heben. Ursachen. Hierher gehören alle solche Dinge, die theils ört-
lich, theils allgemein die Reizbarkeit des Nervensystems erhöhen: die Pe-
riode der Pubertät, heftige Gemüthsbewegungen, Trauer, Schreck, Zorn,
heftige Leidenschaften, besonders unbefriedigte Liebe; ferner Onanie, Feh-
ler der Menstruation, Wurmreiz, unterdrückte clu-onische Hautausschläge,
heftige Erkältung des Körpers. Eigentlich epidemisch herrscht das Übel
nicht, indem die Fälle, wo es in älteren Zeiten als ein epidemisches Übel
angesehen wurde, der Raphanie zuzurechnen sind; doch lässt es sich nicht
leugnen, dass besondere Witterungseinflüsse einigen Antheil an dem häufigem
Erscheinen der Krankheit in gewissen Jahren haben (TFüÄnimm, Jahn); auch
beobachtet man sie häufiger an den Meeresküsten als im Binnenlande,' weil
dort der Wechsel der Witterung imd andere atmosphärische Einflüsse über-
haupt mehr chronische Nervenübel erregen. Diagnose. Man könnte den
Veitstanz wol mit der Raphanie, der indischen Beriberi und dem in Unter-
italien oft beobachteten Tarantismus verwechseln; doch unterscheiden sich
diese Übel theils durch ihre eigenthümlichen Symptome, theils durch die
-Verschiedenheit der ätiologischen Momente (s. diese Artikel), Das Wesen
der Krankheit beruhet auf Krampf als Folge hoher Reizbarkeit des Nerven-
systems, und daher haben junge, zarte, reizbare Subjecte , besonders junge
Mädchen von 10 — 15 Jahren, mit blondem Haar und blauen Augen, die
einen gracilen Körper haben, deren Altern an Epilepsie, Hysterie, Kardial-
gie litten , die meiste Anlage dazu. Kommen zu solcher Körperconstitution
und in diesem Alter einige der oben angegebenen Ursachen, besonders Trauer,
Schreck, Onanie, Amenorrhoe, Wurmreiz etc. hinzu, so sind alle Bedingun-
gen zur Entstehung des Übels da. Behandlung. 1) Man erforsche und
entferne die erregenden Ursachen ; behandle also nach den bekannten the-
rapeutischen Regeln Erkältung, Wurmreiz, unterdrückte i^Aanlhtmc, Ona-
nie etc. 2) Sind keine materielle Ursacheii da, ist das Übel eine reiu
#22 CHOREA ST. VITI
dynamische Krankheit des Nervensystems, z. B. durch heftige Gemüthsbe-
wegungen and zur Zeit der Pubertätsentwickelung entstanden , so dienen
vorzüglich Antispasmodica: Valeriana, Asa foetida, Castoreum, Flor, zinci,
Cuprum ammoniacale , Magisteriura bismuthi , Moschus , Camphora , Ol. ani- ^
male Dippelii, Opium, Belladonna. 3) Während des Gebrauchs solcher Mit- '
tel achte man stets auf den Unterleib. Leiden die Kranken, was häufig der
Fall ist, an Obstructio alvi, so gebe man alle 2 — 3 Tage ein reizendes
Purgans aus Rheum, Jalape und dergleichen; dies bewirkt auch eine wohl-
thätige Stimmung des Gangliennervensystems und führt schnellere Heilung
herbei (itf.); und an den übrigen Tagen setze man die genannten Antispasmo-
dica fort. 4) Äussere krampfstillende Mittel: Einreibungen flüchtiger Lini-
mente in den Rücken, Reiben des Körpers mit Flanell, Klystiere aus Asa
foetida imd Infus, yaleriaaae , laue aromatische Bäder , später Lohe - und
Stahlbäder, zidetzt (nach der Heilung) kalte Fluss - und Seebäder, sind
höchst wichtig zur Unterstützung einer radicalen Heilung. 5) Während des
Anfalls geben wir Moschus, Castoreum, Liq. c. c. succ. ; doch leisten diese
Mittel oft wenig; dagegen kürzt nichts schneller den einzelnen Anfall ab,
als das Berühren und Bestreichen des Kranken mit metallischem Eisen
(Starlc, Wichmann, Sachse, Most}, desgleichen magnetische Manipulationen;
sowie denn auch der Mesmerismus häufig schon radical heilte (H(iase').
6) Die Diät muss nach der Constitution des Kranken verschieden eingerich-
tet werden; bei Schwäche gute Nutrientia, sowie am Ende der Krankheit
Roborantia, China, Eisen nützlich sind. Doch stärke man hier ja nicht zu
früh; denn oft weicht das Übel dadurch nicht, sondern wird von Tage zu
Tage schlimmer. Mir sind in meiner Paxis unter andern drei Fälle vorge-
kommen, wo junge, magere, höchst reizbare Frauenzimmer von 10, 14 und
26 Jahren am Veitstanze schon Monate lang litten und die kräftigsten Anti-
spasmodica und Roborantia vergebens angewandt worden waren ; ich ver-
ordnete alle 8 Tage ein Vomitiv aus Ipecacuanha und Tartarus emeticus,
eine magere, reizlose Diät, und Hess täglich eine Portion von folgendem
Thee trinken : I^ Fol. sennnc 5j — 5jjj? — aurantior., Rad. vaJerianac, Ilerh.
chenop. ambr. ana 31^. M. c. c. dispens. dos. xjj , wonach gelindes Purgiren
entstand, und in kurzer Zeit das glänzendste Resultat: vollkommene Heilung
erfolgte , obgleich auch hier das Übel rein dynamischen Ursprungs , und
durch Schreck und Trauer, desgleichen durch krankhafte Pubertätsentwicke-
lung entstanden war (vergl. auch J. H. Schulze, Dissert. de natura, causis
et optima medendi methodo choreae St. Viti. Rostoch. 1831). J. H. Schleii's
Abhandl. über den Veitstanz, Wien 1825, ist eine deutsch bearbeitete und
vermehrte Auflage der Berndt'schen Monographie de chorea St. Viti. Johti
Stuart lobt bei dieser Krankheit die Blausäure , die indessen nur mit V^or-
sicht und nicht zu anhaltend gebraucht werden darf; besser wirkt noch der
von J. Elliotson auch gegen Tetanus empfohlene Eisenrost, alle 2 Stunden
zu ^^, doch ziehe ich hier das Ferrum carbonicum, zu 3 — 10 Gran p. d.
vor, darneben Stahlbäder, auch Schwefelleberbäder (Jadclot). Nicht immer
ist das Übel rein nervös, zuweilen tritt auch eine Carditis unter der Form
der Chorea auf, wie dieses Röser beobachtete, wo am lOten Tage der Tod
folgte (s. HufelamVs Journ. 1828. St. 5. S. 54). Ich habe noch jetzt ein
7jähriges, mageres, reizbares Mädchen in der Cur, das vor 4 Wochen in
Folge einer körperlichen Züchtigung täglich 10 — 15 Anfalle von Chorea be-
kam und ausserdem höchst linkisch und albern in Gang , Mienen , Geber-
den sich benahm, bald lachte, bald weinte etc. Bei den Anfallen Zittern
der Glieder, schnelle, ängstliche Respiration, allerlei Verdrehungen des Kör-
pers etc. Anfangs verordnete ich einige Klystiere von Asant und Valeriana.
Innerlich zum Thee Valeriana, Fol. aurantior. und Fol. sennae , so dass
2 — 3 Sedes täglich folgten, auch zum Einreiben Unguent. nervinum in die
Herzgrube und den Rücken. Als diese Mittel in den ersten 8 Tagen wenig
geleistet hatten, verordnete ich folgende Pulver: K' Feiri carhonici, Puh.
nmmat. ana gr. jj, Chinin, sulphurici gr. j, Rad. artcmui. vnl(j. ^j. M. f.
p. S. Di-eimai täglich ein Pulver. Später stieg ich mit dorn Eisen, lieas die
CHOREOMANIA — OCATRISATIO 423
Artemwia aber weg, und die Besserung schritt rasch vorwärts, ßo dass da»
Kind beinahe als gelieiit angeselien werdejji kann. Es gebraucht neben den
Pulvern jetzt auch noch Stahlbäder, wo zu jedem Bade gjjV Hepar sulphur.
calcar. kommen, welche sehr wirksam sind.
Chorea St. Vnlentini, s. Tarantismus apulus.
Choreoinaiiia, s. Chorea St. Viti.
Chorioideitis, Choriodeitis, Entzündung der Gefasshaut des Augeff,
s. Inflamraatiochorioideae.
Chromatismuus, s. M armorygae.
Cbromopsia , das Farbensehen, e. Visus coloratus.
Chronicus morbus» a. Morbus chronicus.
Chrupsia, das Farbensehen, s. Visus coloratus.
Cfiylectica, die Milchhektik, s. Febris hectica, Galactor-
rhoea, Tabes.
Chylidrosis, der Milchschweiss, das Milchscliwitzen, was
«uweilen bei Wöchnerinnen und bei Milchmetastasen als Krise erscheint.
Ciiyloelepsis , der langsame, schleichende Verlust des Chylus.
Chylodiabetes, die chylöse Harnruhr, s. Diabetes.
Chylodiarrlioeas der chylöse Bauch fluss, eine Form der
Milchhektik.
Cbyloleucorrlioea, der chylöse weisse Fluss, s. Leucorrhoea.
Cliylophtharsis. Ist Verderb niss des Chylus.
Chyloptyalisuius» der chylöse Speichel fluss, eine besondere
Form der Milchhektik.
Chylorrboea, krankhafte Ergiessung des Chylus, %. B. aus
eäner tieten Rückenwunde; auch nennt man so die Milchruhr; s. Fluxus
coeliacus.
CJiijJorrJioea tTiora<:ica, Ergiessung des Milchsaftes in die Bmsthohle,
8. Chylothorax.
Cbylotborax, Chylorrhoen tTiomcicn, pectoris, Hydrothorax chylosus,
Ergiessung des Milchsaftes in die Brust durch Zerreissung eines Milchge-
tiisses. Kommt zuweilen bei tiefen Wunden am obern Theile des Rückens
vor, wol selten ohne äussere Verletzungen. Die Zufalle sind älinlich dem
Pneumothorax imd Pyothorax ; s. E m p y e ra a.
Clbyluria» Dialetcs lacteus, Chylorrhoea renalis, minalis, Milch -
harnen, Abgang von Chylus durch den Urin. Hier geht der Urin
molkig , milchweiss ab , oder giebt einen weissen Bodensatz , ohne dass
Krankheitszufälle in den Nieren oder der Harnblase stattfinden. Will man
die wahre Harnruhr, wobei bekanntlich die wesentlichen Stoffe des Chylus
mit dem Urin abgehen, nicht Chylurie nennen, so existirt wol keine andere
Chylurie, indem der milchweisse Urin bei Wurmkrankheit xuid anderen fie-
berhaften Übeln diesen Namen nicht verdient. S. auch Galacturia.
Cbymeccbysis. Ist Ergiessung eines Saftes , in specie des
C h y m u s , z. ß. aus einer Darmwunde.
Cbymorrboea, s. Fluxus coeliacus.
Cbymosepsis. Ist Fäulnis» des Speisebreies, z. B. bei In-
digestion.
Cicatrisantia, Mittel, welche die Vernarbung (Cicatrisatio) am
Ende der Heilung von Wunden, Geschwüre«, Verbrennungen etc. bewirken;
8. Epulotica und Abscessus.
Cicatrisatio, die Vernarbung. Ist Regeneration der Cutis und
Epidermis bei der Heilung und Schliessung der Wunden, Abscesse und Ge-
schwüre. Bei der Heilung der beiden letztern geht dieser I'rocess In der
Art vor, indem sich die neu gebildeten Fleischwärzchen contrahli-en und
sich die umgebenden Hautränder von allen Seiten dem Mittelpunkte dei
424 CICATRISATIO
Eiterfläche nähern und sich selbst eine feine Haut bildet. Beginnt eine
Wunde zu heilen, so wird, nach John Hunter, die umgebende alte Haut
dicht an den Granulationen , welche sich zeither in einem entzüiidungsähn- '
liehen Zustande befanden, so dass sie roth und glänzend erscheinen, nun-
mehr glatt und erhcik ein weissliches Ansehn, einen weisslichen Überzug,
der nach dem vernarbenden Rande hin an Weisse immer mehr zunimmt.
So lange dagegen die eiternde Stelle noch ringsum einen rothen Rand hat,
befindet sie sich in einem gereizten Zustande , und es ist an Vernarbung
noch nicht zu denken. Die feine Haut der Narbe ist keine blosse Verlän-
gerung der alten Haut, sondern ein wirkliches neues Gebilde, zu deren
Bildung die Granulationen wesentlich beitragen, obgleich dies auch bei der
alten Haut der Fall ist; denn so lange letztere sich noch in einem krank-
Ixaften Zustande befindet, kommt keine Vernarbung zu Stande. Die Hin-
dernisse einer guten Veriiarbung sind entweder dynamische oder mecha-
nische. Erstere finden ihren Grund in qualitativ oder quantitativ fehler-
haftem (zu hohem oder zu geringem) Vitalitätszustande des Geschwürs , als
Dyskrasien, Kachexien, Varicosität, Fungosität, Callosität des Geschwürs etc.
Mechanische Hindernisse sind : fremde Körper , Knochensplitter im Theile,
Caries unter dem Geschwüre, fistulöse Gänge, runde Form des Ulcus, Um-
beugung seiner Ränder nach innen oder aussen , derbe f«ste Haut , Lage
desselben dicht auf dem Knochen , z. B. auf der Tibia. Die Behandlung
ist demnach verschieden; s. Ulcus. Im Allgemeinen befördern Cirkelbin-
den, bei zu starker Wucherung Solut. lap. infernal (5(y in Aq. chamomil-
lae 3vj) und Tinct. opii 5j)y» zum Verbinden, oder im Gesichte, um Fär-
bung der Haut zu verhüten, eine Solut. von Sublimat (12 Gran in 6 Unzen
Wasser) und 3j)S Tinct. opii , die Vernarbung ; auch die Heftpflaster lei-
Eten am Ende der Heilung bei Geschwüren und eiternden Wunden sehr viel,
indem man mittels derselben die Wundränder täglich näher an einander zieht.
Hat sich schon die Narbe gebildet, so befestigt und stärkt man die feine
Haut durch tägliches Waschen mit Aq. Goulardi, Branntwein oder Spirit.
»erpilli, lauwarm angewandt. An der Form, dem Umfange, der Dicke,
Festigkeit und Farbe der Narben von specifischen Geschwüren kann man
oft noch erkennen, welches von letzteren stattgefunden hat. Das scro-
phulöse Geschwür vernarbt von den Rändern aus, indem sich einzelne
Narbenrücken über dasselbe verbreiten, und zwar in ähnlicher Form, wie
die Eiskrystallisatlon gefrierender Fensterscheiben (Ä/iti/c). Die fertige
Narbe erscheint daher ungleich, faltig, gefurcht, strahlig, hat mehrere
vertiefce Piuikte, ist meist sehr weiss, glatt und glänzend, und oft von
Haaren und unebenen Wülsten umgeben. Nach Knocheneiterungen ist sie
mit dem krankgewesenen Knochen verwachsen, gegen diesen hin trichter-
förmig eingezogen, knotig und faltig. Das scorbutische Geschwür setzt
eeine Narbe von der MitLe aus an, während die Ränder oft noch bläulich,
schlaff und ödematös sind. Die fungösen , schlaffen Granulationen bedecken
sich an ihren Spitzen mit weisslichen Punkten, die allraälig deutlicher und
grösser werden, bis ihrer mehrere, sich ausdehnend, in einander übergehen
und inselfonaige Narbenstellen bilden, die sich wiederum unter einander mit
den Rändein verbinden, bis das ganze Geschwür bedeckt ist. Die Narbe
ist weich, erhaben, empfindlich, von dunkelblauer Farbe, und bricht leicht
wieder auf, indem mehrere Löcher einfallen und sich vergrössern. — Die
Narbe der gichtischen, r.uist nur an Gelenken und an den untern Ex-
tremitäten vorkommenden Geschwüre ist gross, unregelmässig, an den Rän-
dern zackig, uneben, voll Erhabenheiten und Vertiefungen; ihre Farbe ist
braunroth, bläulich, a^ch^rau, ihre Umgebung dunkelbraun, varicös, öfters
rosenartig entzündet, zumal zur Zeit der GiclUanlaiie. Die syphiliti-
schen Narben sind verschied ;i, je nachdem sie auf Drüsen- oder Haut-
geschwüren, auf trocknen odor auf Schleimhäufen vorkommen. Sie alle
charaktcrisiren sich durch deutlichen Substanzverlu.st der von ihnen bedeck-
ten Theile; sie ziehen sich über die vertieften Geschwürsstellcn fort, ehe
«leren Gra.nulatioii da« Niveau der Umgebung erreicht hat , so da^s sie
f
CIONITIS — CIRCUMCISIO PRAEPUTU 425
Sieichsam treppenformige Vertiefungen bilden. Die Drüsennarben, z. B. in
er Leistengegend nach einem in Eiterung übergegangenen ßiibo venereus,
sind uneben, wulstig, vertieft und eingezogen, härtllch, fest aufsitzend,
und von rothbräunlicher, kupferähnlicher Farbe. Die Narben auf der Haut
sind nicht gross, meist cirkelrund, von der Grösse eines Silbergroschens bis'
zu der eines Achtgroschenstücks , genau abgegrenzt , etwas vei;fieft und an-
fanglich stark braunroth ; ailmälig werden sie blasser und endlich matt bräun-
lich. Vorher bilden sich auf solchen Stellen, z. B. nach Hantchankern, zu-
weilen schmuzig graue Borken, auch wol weissliche trockne Borken. —
Herpetische Narben sind weit ausgebreitet, haben einen unregelmässigen,
ausgeschweiften Umfang, sind schmuzig rothbraun, mitunter ins Graue oder
Bläuliche spielend; sie haben in der Mitte oft eine der alten Haut gleich©
Färbung, welche, sowie die Narbe selbst, mit Schuppen oder Schilfern
bedeckt ist. Die Narben nach Krätzgeschwüren, welche meist nur am
Unterschenkel vorkommen, sind jenen nach Herpes ähnlich, meist aber et-
was über die Umgebung erhaben, von geringerm Umfange, höchstens etwa
Vi Zoll im Durchmesser; sie erscheinen fast cirkelrund und sehen schmuzig
blau - bräunlich aus. Alle chemischen Schädlichkeiten , das Feuer nicht aus-
geschlossen, hinterlassen oft grosse, unförmliche, vielgestaltete, ungleiche,
zackige Narben, die, ging die Zerstörung tief, eine Menge dicker, dunk-
ler, varicöser Gefässe zeigen. Grosse, bedeutende Verbrennungen hinter-
lassen oft die entstellendsten , mit Verwachsung der nahen Theile verbun-
denen Narben, besonders bei Verbrennungen mit Substanzverlust, deren
Heilung und Vernarbung man daher nie allein der Natur überlassen darf,
weil sie mancherlei Difformitäten , verschiedene Störungen in den Functio-
nen der betheiligten Organe etc. zur Folge haben, welche häufig nur durch
eine blutige Operation gehoben werden können, doch darf man letztere nie
früher als einige Monate nach vollendeter Vernarbung vornehmen. Auch
passt sie nicht, wenn durch die Verbrennung Muskeln und Sehnen zerstört
bind und sich Anchylosen gebildet haben (s. Dvfuytren in der Allgem. med.
Zeitung v. J. 1834. Nr. 22, 2S, 21 G. G. 0. Fiyulm, Dissert. de cicatri-
satione. Berol. 1830. Lichtenaner, Dissert. de cicatrisatione. Berol. 1826.
S. Cooper's Handb. d. Chirurgie. Artik. Cicatrisatio. Rust's Handb. d.
Chirurgie. Bd. V. S. 5 — 21).
Cionitisr^ Entzündung des Zäpfchens, s. Angina uvularis.
Circumciisio praeputii, die Beschneidung der Vorhaut.
Ist Entfernung der gesunden oder krankhaft entarteten männlichen Vorhaut
mittels Schiiittwerkzeugen, so dass die ganze Eichel blossgelegt wird. Diese
Operation ist sehr alt; sie war bei vielen Völkern des Alterthums im Ge-
brauche, ist es bei mehreren noch jetzt, z. B. bei den Juden, Türken etc.;
ihr Zweck war ein prophylaktischer , um unreinen Geschwüren am Penis
vorzubeugen, welche bei bedeckter Vorhaut ein warmes Klima bei Unrein-
lichkeit leicht befördert, und wurde als Religionsgebrauch angenommen. — ■
In chirurgischer Hinsicht ist die Beschneidung in folgenden Fällen indicirt:
1) Wenn bei kleinen Kindern die die Eichel bedeckende Vorhaut eine so
kleine Öffnung hat, dass die Urinexcretion dadurch erschwert wird, der
Harn sich zwischen Eichel und Vorhaut ansammelt und so die letztere so
ausdehnt, dass sie sich beuteiförmig vor der Eichel vei'längert. Hier ver-
schafft ein einfacher Schnitt zwar dem Urine Abttuss, aber das verengte
Praeputium zieht sich nicht gehörig zurück und bildet fortwälirend eine lä-
stige, beuteiförmige Entstellung, die die Beschneidung am besten verhütet.
S) Bei Degenerationen der Vorhaut in harte, knorpelige Masse, in Folge
von Verbrennungen, Narben, Geschwüren, so dass ein harter Ring die Eichel
verbirgt , die Erection des Gliedes schmerzhaft ist und deshalb der Beischlaf
nicht exercirt werden kann. Solche Verhärtungen des Praeputiums entste-
hen leicht nach dem Missbrauche der Bleimittel bei enticündlichen Zuständen
dieses Theils. 3) Auch scirrhöse Entartungen und krebshafte Geschwüre
der Vorhaut machen , wenn überhaupt noch eine Operation gestattet ist,
die Circumcision nöthig, oft auch schon deshalb, ura zu sehen ^ ob die
426 CmCÜMCISIO PRAEPUTU
Eichel noch gesund ist, oder nicht; desgleichen 4) Verwachsung der Eichel
mit der Vorhaut in Folge dagewesener Entzündungen, so dass sie nicht
entblösst werden kann und die Erection und der Coitus Schmerzen erregen;
endlich 5) bei angeborner oder erworbener Phimosis, welche Erectionen und
Coitus schmerzhaft machen. Die Operation wird am besten auf folgende
Weise verrichtet: Ein Gehülfe legt Daumen und Zeigefinger hinter der
Eichel, den einen oben, den andern unten an, und zieht das äussere Blatt
der Vorhaut möglichst zurück. Der Operateur fasst mit der linken Hand
den vordem Theil der Vorhaut und fülxrt mit der rechten eine Hohlsonde
zwischen Eichel und Vorhaut bis an die Krone der erstem. Auf der Hohl-
sonde bringt man das Pott'sche ungeknöpfte Bistouri ein und stösst es in
der Gegend der Eichelkrone durch die Vorhaut in die Sondenrinne, worauf
man es von hinten nach vorn zieht, und so beide Platten der Vorhaut bis
zu ihrem freien Rande spaltet. Man kann sich auch zu diesem Acte des
Savigny'schen Fistelmessers, oder eines schmalen, spitzigen, mit einem
Wachsknopfe versehenen Messerchens bedienen. Das erstere bringt man
mit der der Eichel zugekehrten Fläche und zurückgezogener Spitze unter
die Vorhaut bis zur Eichelkrone, schiebt dann die Lanze vor und sticht sie
nach aussen durch, worauf man die Klinge nachschiebt und, wie oben an-
gegeben, verfährt. Das letztere wird ohne Sonde eingeführt und dann die
Spitze durch Wachs und Vorhaut gedrückt. Auch einer Knopfscheere kann
man sich dazu bedienen. Blieb das innere Blatt vielleicht an einer kleinen
Stelle ungetrennt, so wird es hier mit der Scheere gespalten. Nachdem
die Spaltung auf eine oder die andere Art vollendet worden, fasst der Ope-
rateur die Vorhautlappen , einen nach dem andern , mit Daumen und Zeige-
finger der linken Hand oder mit der anatomischen Pincette, und trennt sie
mit der Cooper'schen Scheere vom obern Wundwinkel aus etwas schief nach
unten und vorn neben dem Frenulum gänzlich ab. Die beiden Platten müs-
sen bei den Schnitten fest gegen einander gedrückt und die Schecrenblätter
stets ganz senkrecht aufgesetzt werden. Die zurückgezogene Oberhaut wird
nach vollendeter Operation vorwärts über die ganze Wundfläche gezogen.
Mitunter ist eine Spaltung bis zur Hälfte der Vorhaut und Abtragung die-
ser Lappen hinreichend. Wenn das Frenulum gleichzeitig zu lang ist, so
löset man es vor dem Kreisschnitte so tief als möglich ab , aber nie darf
man di,e Oberhaut nach vorwärts ziehen, sonst wird von dem innern Blatte
derselben weniger als von dem äussern abgeschnitten; ersteres bedeckt oft
noch ganz die Eichel und man ist gezwungen , es mit einer untergeschobe-
nen stumpfspitzigen Scheere aufzuschlitzen und abzutragen. Ist die Vorhaut
mit der Eichel verwachsen, so hebt man an einer Stelle — wozu man, wenn
die Adhärenz nicht total ist, eine nicht verwachsene wählt, — das äussere
Blatt mit den Fingern oder zwei Pincetten in eine Falte auf, und trennt es
mittels Durchschneidung derselben einige Linien weit; alsdann verfährt man
eben so mit dem innern Blatte, führt von dieser Öffnung aus eine Hohl-
sonde gegen die Mündung der Vorhaut ein und, wo möglich, durch, luid
spaltet hierauf dieselbe bis zum freien Rande. Nach gestillter Blutung hebt
man zu jeder Seite die Ränder mit der Pincette auf, und präparirt sie mit
möglichster Schonung der Eichel, was langweilig und mühsam ist, bis zum
Frenulum ab, worauf man sie auf die vorhin angegebene Weise ganz ent-
fernt. Ist darauf die Blutung durch kaltes Wasser gestillt, so belegt man
die Wundflächen mit schmalen, trocknen Charpiebäuschchen, befestigt diese
mit Heftpflasterstreifen und legt die Compresse in Form des Malteserkreu-
zes so an , dass die Eichel durch die Öffnung der Compresse so weit her-
vordringt, um dem Abflüsse des Harns, ohne den Verband zu benetzen,
freien Lauf zu lassen. Folgt sehr starke Entzündung, so dienen kalte Um-
schläge; bei ödematöser Anschwellung und brandiger Beschaffenheit macht
man warme aromatische Fomentationen. Der Brand ist hier, laut der Elr-
fahrung , nicht gefährlich , indem er nicht fortschreitet. Der Verband muss
erneuert werden , so oft er vom Urin durchnässt oder sonst beschinuzt ist.
Das Glied wird nach dem Schambogen zu gelagert und passend befeelig*.
CIRUHAGRA - CLAÜBICATIO *27
Delpeck u. A. touchiren die Wundränder mit Höllenstein , damit eine Kruste
entsteht, die gie gegen den Urincontact schütz; doch ist bei gehöriger
Sorgfalt dieser Contact auch ohnedies zu vermeiden (s. Bock in Rust's
Handbuch d. Chirurgie. Bd. V. S. 28 — 39. Baud, Kunst, die Vorliaut
gehörig zu beschneiden. Breslau 1815. Horji's Archiv. Bd. X).
Cirrhagra» der Weichselzopf, s. Plica polo nica.
Cirsocele, Krampfaderbruch, s. Varicocele.
Cirsompbalus, Adergeschwulst am Nabel, s. Varix und Hernia
ambilioi.
Cirsophthalmia 5 ein varicöser Zustand des Augapfels, z. B. bei
Ophthalmia meiistrualis, haemorrhoidalls; s. Ophthalmia. Die varicSse
Entartung der Ge fasse des Auges als Folge heftiger Augenentzim-
dungen, zumal der Ophthalmia menstrualis , haemorrhoidalls, scrophulosa,
arthritica, scorbutica, bei Personen mit Abdorainalstockungen, mit Atrabilis,
ist als eine selbstständige und zwar sehr schlimme Krankheit, die leicht in
Augenkrebs übergeht, zu betrachten. Die Symptome sind, wie sie Jüng-
ken (^RusVs Handb. d. Chirurgie Bd. V. S. 41) angiebt, folgende: Der Aug-
apfel hat eine widernatürliche, ungewöhnliche Grösse erhalten , \md die Scle-
rotica ist mit blauen , begrenzten , knotigen Geschwülsten übersäet , welche
sich besonders um den Rand der Cornea, in der Gegend des Corpus ciliare
in grosser Menge zusammendrängen. Die Iris ist starr und unbeweglich,
und die Pupille weder verengt, noch erweitert. Nicht selten sind die Ge-
fässe der Iris mit ausgedehnt, und dann erscheinen auch in dieser Haut
blaue , wulstige Auftreibungen , durch welche sie sich gegen die Hornhaut
hervorwölbt. Das Sehvermögeu ist völlig erloschen, und das Auge bei die-
sem Zustande meist starr und unbeweglich. Gewöhnlich findet sich beim
Cirsophthalmos, wie das Übel auch genannt wird, hat er einmal einen
gewissen Grad von Ausbildung erreicht, auch Hydrops corporis vitrei, der
zur abnormen Vergrösserung des Auges beiträgt. Oft bleibt das Übel lange
Zeit auf einer gewissen Stufe der Ausbildung stehen, bis zufällig durch
schädliche Einflüsse : mechanische, chemische Reize, unpassende Arzneien etc.
neue Entzündung entsteht und das Auge plötzlich an Umfang zunimmt, ao
dass der Kranke die Augenlider nicht mehr schliessen kann, lästige, stechen-
de, spannende Schmerzen darin empfindet, das gesunde Auge per consensum
mitleidet, und die Krankheit rasch fortschreitet. Doch lassen auch hier noch
zuweilen alle Beschwerden plötzlich nach, indem einzelne, sehr ausgedehnte
Geschwülste der Sclerotica platzen , worauf Entleerung von Blut und Hu-
mor aqueus und CoUapsus bulbi eintreten. Diese Erleichterung dauert so
lange, bis sich jene Öffnungen wieder geschlossen haben. Die Prognose
ist schlecht, das Sehvermögen, oft auch die B'orm des Auges unv>iclerbring-
lich verloren und selbst Ausgang in Augenkrebs zu fürchten. Das Übel ist
iein wahres Noli me tangere. Alle örtlichen , zumal reizenden Mittel : Tinct.
opii, Augenwasser etc. sind schädlich. Das einzige örtliche Mittel, was
nützt, sind kalte Umschläge, täglich ein paarmal mittels auf Eis gelegter
kleiner Compressen angewandt; doch muss der Kranke die Kälte ertragen
können. Ausserdem nützten noch: ein Setaceum in den Nacken, Fontanel-
len auf den Oberarm der leidenden Seite, und innerlich gelinde, auf den
Darmcanal wirkende Abführungen.
Cirsotoinia, der Krampfaderschnitt. Ist diejenige Operation,
wodurch ßlutaderknoten geheilt werden; s. Varix.
Claudicatio, das Hinken. Diese auf einem Missverhältnisse in der
Brauchbarkeit beider untern Extremitäten beruhende Unregelmässigkeit des
Ganges ist keine besondere Krankheit, sondern nur ein blosses Krankheits-
symptom aller jener abnormen, theils angebornen, theils erworbenen Zu-
stände, die die Function der untern Gliedmassen stören, als: Deformitäten
derselben, fehlerhafte Krümmungen, Verkürzung des Fusses, Krümmung
oder Fehler der Zehen , schlecht geformtes Becken , — grosse , harte , ad-
härentc, nach Verwundungen, Verbrennungen zurückgebliebene Narben,
428 CLAWS HYSTERICUS
schmerzhafte ÄJTectioiien (Rheuma, Ischias nervosa Cotugni), Brüche des V
Schenkels, zumal des Schenkelhalses, Verrenkungen des Oberschenkels,
wenn solche verkannt oder übel behandelt wurden, widernatürliche Gelenke
in Folge schlecht behandelter Fracturen der untern Extremitäten, Contractu-
ren der Muskeln, Ankylosen, schiefstehendes Becken. Oft ist das Hinken
önziges Symptom der Coxarthrocace (s. Arthrocace); daher man letzte-
res Übel sehr unbestimmt Claudicaiio sjmntanea genannt hat. Passender
nennt man so das angeborne Hinken der Kinder, welches Camper in eini-
gen Gegenden Hollands häufig, selbst erblich, besonders bei kleinen Mäd-
chen, sah, was wahrscheinlich ein Fehler der ersten Bildung ist. Der eine
Schenkel ist gleich anfangs kürzer als der andere, doch tritt der Kranke
mit dem ganzen Fuss auf, und der Schenkel ist weder gelähmt, noch
schwächer oder magerer , als der andere. Er lässt sich ohne Schmerz und
Knarren zur natürlichen Länge ausdehnen, wird aber gleich wieder kürzer.
Die Zehen haben eine normale Richtung, der grosse Trochanter steht hoch
oben und mehr hervor, die Hinterbackenfalte steht eben so hoch als die
andere, ist aber von aussen nach oben gekrümmt; die ßeckenknochen sind
nicht verschoben. Das Übel verschlimmert sich eben so wenig als es sich
bessert. An eine Heilung desselben ist nicht zu denken, man sucht nur die
Deformität durch mechanische Mittel möglichst zu mindern. — Von dieser
Art der Claudicatio spontanea infantum unterscheidet Kortum (^HufcJamVs
Journ. 'Bd. XXXI. S. S8) noch eine andere, zu der ebenfalls vor dem Ge-
henlernen der Grund schon vorhanden, das Übel aber nur erst bei den
Versuchen zu gehen erkannt wird. Als Ursachen sieht er an: gewaltsame
Wendung auf die Füsse bei der Geburt, Überschlagen des Körpers vom
Arme der Wärterin, wobei von letzterer die untern Extremitäten, um das
Fallen zu verhüten , tixirt werden. Das beste Mittel ist , nach Kortum , die
Kinder Monate lang unbeweglich liegend im Bette zu erhalten, weil, je mehr
das Kind seine Füsse gebraucht, desto mehr das Übel zunimmt, bis der
Schenkel ganz ausgerenkt wird , sich eine neue Pfanne bildet , und die
Krankheit zwar einen Stillstand erreicht, aber der Mensch auch für die
ganze Lebenszeit hinkt. Übrigens sind die Kinder gesund , frei von Scro-
pheln, Rhachitis und andern Fehlern; Schmerz, Entzündung, Geschwulst
fehlen so gut im Hüft- als Kniegelenke. Cur der Ciaudicationen.
Sie richtet sich nach den Grundübeln (s. Arthrocace, Ancylosis,
Rhachitis), doch ist die Krankheit in den höhern Graden meist unheil-
bar, und der Mensch muss sich der Krücken, bei Verkürzung des Schen-
kels eines hohen Absatzes unter dem Schuhe oder Stiefel bedienen (s. JSocÄ;
in itwst's Handb. d. Chirurgie. Bd. V. S. 60 — 63. Alhers' u. Ficl;er's Preis-
Bchrift über das Hinken der Kinder. Wien 1819. Kraiise, De claudicatione
commentatio medico-chirurgica. Lips. 1809).
Clavus bystericuSy der hysterische Kopfschmerz, s. Cep.halal-
gia und Hysteria.
* Clavus pedis, Helos, Hühnerauge, Krähenauge. Ist eine harte,
trockne, gefühllose, schwielige, warzenähnliche Verhärtung der Haut, die
in Schichten übereinander liegt und durch äussern Druck entsteht, beson-
ders an solchen Theilen , wo die Epidermis mehr auf dem Knochen liegt.
Am häufigsten kommen die Hühneraugen an den Fusszehen und an der Fuss-
«ohle vor, desgleichen bei Frauenzimmern vom Druck der leidigen Schnür-
brüste am Hüftbeine (vergl. MosVs Moderner Todtentanz etc. 1823). Oft
»ind sie ohne Beschwerde ; zuweilen erregen sie indessen so viel Schmerze»,
dass das Gehen und Stehen sehr beschwerlich wird. Sie selbst schmerzen
nicht, sondern der Umfang der Stelle, die durch sie gedrückt wird. Harte
Strümpfe, enge Schuhe, starke Bewegung des Körpers, langes Stehen,
Weingenuss, heisses Wetter vermehren den Schmerz. Auch scheinen die
Hühneraugen unter dem Einflüsse der Witterung zu stehen und zur Zeit,
wo sich das Wetter verändern will , besonders stark zu schmerzen. Cur.
Unter allen äusserlich anzuwendenden Mitteln empfehlen sich vorzugsweise
Kmpl. cicutae, roercurial., sapon. , welche man auflegt. Sehr wirki>am ist:
CLEIDAGRA — CLTSMA #29
E^ Gttmm. nmmomnci, Cerac ßavne ana ^j, Acruginis 3jjj. M. f. empl. Des-
gleichen: I^' Empl. de Galhnno croc, — ammoniac, — lithnrgyr. c. Resin.
pini ana ^fy, Cnmphorne ^jj. M. f. empl. (ß). Man streicht von diesem
Pflaster etwas dick auf weiches Leder, schneidet es so gross, als das Hüh-
nerauge, das man damit bedeckt, und iahrt einige Zeit damit fort. Zur
gründlichen Cur ist es aber zugleich nothwendig, dass jeder äussere Druck,
als die vorzüglichste Gelegenheitsursache des Clavus : enges Schuhwerk etc,
entfernt werde. Man bestreicht daher auch ein Stück weiches, mit der
Narbe versehenes Leder von Handschuhmachern oder Weissgerbern dünn mit
Kmpl. de gumm. ammon., schneidet in dasselbe ein Loch von der Grosse des
Hühnerauges und legt es, nachdem zuvor ein Pussbad genommen und der
Clavus vorsichtig und ohne dass Blutung entsteht, mit einem Messer etwas
abgeschnitten worden, alle acht bis vierzehn Tage frisch auf. Alsdann kann
die Fussbekleidung keinen fernem Druck aufs Hühnerauge ausüben und es
verschwindet in \>enigen Wochen. Ist der Kranke von seinem Übel befreiet,
f!0 muss er sich vor allem fernem Druck auf den Theil hüteji. Man ver-
hütet dies am besten dadurch, dass man seinem Schuhmacher diejenige Stelle
der Fussbekleidung genau bezeichnet, welche den Druck veranlasste. Er
jnuss auf dem Leisten eine der Grösse des frühern Clavus entsprechende
Erhabenheit anbringen, darüber das nassgemachte Oberleder anspannen und
po trocken werden lassen. Diese Erhabenheit drückt sich in das Oberleder,
und man wird bei der nächsten Benutzung seiner Fussbekleidung sich von
allem Druck und Schmerz befreit fühlen. Ist das Hühnerauge an der Fuss-
sohle, so schneidet man ein Loch, entspre<;hend. der Grösse des Clavus, in
eine Filzsohle und legt sie in den Schuh. ' ' C. J. F. Behrens.
-■f , Cleidag^A, Gicht am Halse und. Schlüsselbeine. Theophr,
P^iracelsus nannte sie fälschlich Cleisagra} s. Arthritis.
ditoriisinus , Verlängerung des Kitzlers. Die Verlängerung
und Vergrösserung .dieses . sensiblea Organs ist zuweilen angeboren und . so
bedeutend , dass man die Clitoris für den Penis gehalten und auf männliches
Geschlecht bei Mädchen irrig geschlossen hat. In andern Fällen ist das
Übel erworben, und zwar durch Krankheit, zumal Nymphomanie, Onanie,
Geschlechtsausschweifungen, daher oft bei öffentlichen Freudenmädchen.
Dulois heilte die Nymphomanie durch Excision einer sehr grossen Clitoris.
Unter den Alten sind die Tribaden oder Fricatrices bekannt, welche mit
ihxer grossen Clitoris bei Frauen Unzucht trieben , indem sie die Stelle der
Männer vertraten. Zuweilen ist der Kitzler durch scirrhöse Verhärtung ver-
grössert. Auch hier bleibt die Amputation desselben das beste Mittel. In-
dessen ist die Operation nicht immer gefahrlos, und daher bei gesunder Cli-
toris junger Mädchen, sey sie auch übermässig gross,- blos, um zu grosse
Geilheit zu verhüten, nicht anzurathen, da der Mangel dieses Organs so
unempfindlich gegen die physische Liebe machen kann, dass Sterilität die
Folge ist (Ebermniei').
Clitoritis, Entzündung der Clitoris, s. Inflaramatio vaginae.
Clonicus Npasmus, der klonische Krampf, sJ Spasmus. '
'^'Clysma, Clyster, Clysterium, Enema, das Klystier. Ist ein flüs-
siges Arzneimittel, welches zu verschiedenen Zwecken und gegen mancherlei
Krankheitszufälle in den Mastdarm eingespritzt wird. Das gebräuchlichste
Werkzeug dazu ist bekanntlich eine zinnerne Klystierspritze ; im Nothfall
kann man sich dazu auch einer mit einem Röhrchen versehenen Rinds- oder
.Schweinsblase bedienen. Bei Application eines Klystiers muss sich der Kranke
auf die rechte Seite des Körpers legen , die Schenkel anziehen, eine etwas
gekrümmte Lage annehmen und den Athem anhalten. Man bringt nun das
ia\t Öl bestrichene Röhrchen der Spritze, nachdem letztere gefüllt, die Flüs-'
«igkeit die gehörige Temperatur (gewöhnlich 25 bis 28" R.). hat und alle
Luft aus der Spritze entfernt worden, so hoch als möglich in den Mastdarm,
giebt der Spritze eine solche Richtung, dass sie mit dem Rücken des Kran-
ken eine gerade Linie bildet, und spritzt dann , langsam den Stöpsel, dre-
430 CLYSMA
hend und drQckend, die Fl&«si(^keit ein. Tat die Spritze entleert, so zieht
man das Röhrchen langsam und vorsichtig zurück, der Kranke muss nicht
tief athmen und noch einige Zelt, wenn anders das Klystier nicht gleich
\Tieder abgehen soll, sich in der angenommenen Lage ruhig verhalten. Die
Quantität eines Klystiers rechnet man für einen Erwachsenen auf 8, für ein
Kind auf 4 — 5, für einen Neugebornen auf 2 — 3 Unzen. Die Temperatur
desselben prüft man auf die Art , dass man die gefüllte Spritze ans geschlo-i-
sene Auge hält. Kann man hier die Wärme ohne Schmerz ertragen, so ist
dieser Wärmegrad der beste. Wir bedienen uns der Klystiere am häufigsten
zur Beförderung der LeibesöfFnung bei Obstructio alvi, wo sie in vielen
Fällen , besonders bei Kindern und zarten Personen , den Vorzug vor inner-
lichen, auf die Öffnung wirkenden Mitteln haben. Aber auch als reizendes,
Congestion ableitendes, schmerzlinderndes, beruhigendes, nährendes, adstrin-
girendes Mittel ist das Klystier, je nachdem dazu verschieden wirkende In-
gredientieii genommen werden , ein höchst wichtiges Mittel gegen verschie-
dene Kraiikheitszustände , das nicht blos palliativ, sondern oft auch radical
heilt und von keinem ächten Praktiker vernachlässigt wird. Wir bedienen
bns zur Bereitung der vferschiedenartigen Klystiere der Solutionen, Mixta-
ten, Mischungen, Infusionen, Abkochungen, bereitet aus Wurzeln, Kräu-
tern, Rinden, Hölzern, aus Salzen, Extracten, Balsamen, Ölen, Harten,
Seife, Honig u. s. f. Wii* unterscheiden in dieser Hinsicht folgende Arten;
Cfijsvin ncre, irriians , das reizende Klystier. Es findet seine Aiv-
weritfung bei verschiedenen Arten des Scheintodes, bei manchen Vergiftun-
gen, bei Apoplexia sangiiinea etc. Man kann dazu , Mittclsalze , Tabaks-
blätter,. Seife, Tartarus emeticus', Essig und Wasser und andere reizende
Dinge itehmen, i. B. ^f Aqune f&Atdtitie §jjj , Accti vini •pi.'^]] , Srti.'culi-
iiar. 3i>. M. S. Zu einem Klystier, lauwarm oder kalt anzuwenden. Od«r^
^r Decoct. herb/nlthtteae ^\]^ Snl. Gliiuheri jfl , . Äipor». »oirt. 3]» Ol. Uni
5jj. -M. JDesgleichen ^» Fol. siccor. nieol. jjv , coq. -c^ aq. fontan. 3xjj, colnt.
i\}^ adde Tnrt. crnet. gr. y. S. Zum Lavemeut. - B^ Decoct, avaute excort.
§vj, Aci'ti villi 3Jj. M. S. Zua Klystier. i i.-., '■ ".' i ■>
fjf\jsmn rtd^itiffens. Wir gebrauchen das adstringir'ende Klystier bei
ProläpsU'3 ani , bei Schlaffheit' des Mastdarms etc. h; Aqu'ne cnlcis 5'^',
Tc»+np*jrt^«. 3jj. M. Auch Decoct. rort. quere, ^vj;, Yun robri ^ ist nicr
sehr "zjlvefcl^mäsiig; desgleichen ein Klystier von kaltem Wasser.
(yiusmanpürie7}.i^ cccovrofiami., hurmis, das' erö ffn cn de Klystier.
Eä'Wiru gewonnlich aus Hafersciileim , Salz und öl bereitet. I^ DccocL
tw'eiu\e excort. 3VJ, OL Uni 3Jj, SnJ. cutinar, ^Iv- ^^- Oder: I^ Scr. ladia
tninarinfl.\y]y l^al. jmlijchr. ^j>,' Of. ///li. 5J. M Bei hartnäckiger Yer-
stopftlng Ist es gut, zuer.^t ein erweichendes, und y. Stunde später ein er-
öffnendes Laveiiient iu geben (iW.)'. Kür kle'inc Kinder passt: I^ Sacchari
nlti 5jjj > TilcU. ovor. Nö, j. ' Aq. chamonitU. jjjj. M. S. Erwärmt anzu-
wenden, , . , ,
' 'if^fianin cHiaUicfiff, das erwffltrhertd e ' Klystier. Wird ims frfschcr
Kuhmilch- 5vJ und Leinöl 333 , t)der atis' P'ol'^eiideitt berritet: ^' Hcrft;' mal-
vnectmt.t'-t'loi^, rhamomll., Sem. Uni conhif. aiia ^üi coq. hatt. vacci». 3XVJ,
(ttl. $MJj ttMe Ol. Uni ^w. M. S. Zh 2 Klysticren.
' ' Clyxma Itnicvs , das jindcrnde Klystier, um die Schmerzen bei
Tcne.«mus, Hämorrhoiden, Leibschmerz, Koliken etc. zu lindem: K- Atnyli
5jfv. Prtucn tiqnn seorsim ilifttndirnlur et rnjitcntur, ut amyhtm conißohittum
dissolmlnr , q'uud dein ndritlic. Aqitac fontannc pur. %ti}]]. .\uch kann man
noch etwas Opium, Extr. hyoscyami etc. (von erstem 1 — 2, von letitet'rti
2 — 4 Gran) zusetzen. Diese Portion ist zu 2 — 8 Lavements hinreichend.
CUjsmn nu/ric»w, das nährende Klystier. Die Quantität darf nit^it
über S Unzen 'betragen, sonst, geht es zu schnell weder ab. Es werden
dazu nährende, starkende Ingredientien genommen, z. B. I^' Decoct. cort.
peruu. 3vjjj , Titicl. nm)dijn. compos. ^j , Gtimm. arnhici ^. M. S. Zu 4
Lavemcnti. f^ Vitclh oid No. jj. Jusc. cni^ia vitul. Sj, Vitd ^attici Jjj.
CLYSTERIUM — GOAÖÜiLUM 431
il. S. Zu 5 Lareraents. T^ Lact reveid. , Juso. cam. vital, ana 3J5 » GelaU
€. c. 5J. M. S. Zu 2 Klystieren.
Clysma antispasmodicum , das krampf stillende Klystier. Man ve»-
ordnet es gegen alle Äxten Krämpfe, auch gegen Leibesveratopfung , wenn
dieser ein Krampf zum Grunde liegt. Gewöhnlich nimmt man ein Infus,
flor. chamom. mit Haferschleim, von jedem 3 Unzen, löst darin 3j — 3jj Asa
Ibetida auf, und setzt 1 Un/e Leinöl zu. Auch passt folgende Formel:
R? Rmd. valerinnae gjj, Fol. aurantior., Herlj. milleful., Flor. chauionnU. ajna
5J , inf. aq. ferv. Sjj , col. ^xvj adde Gummi asae foet, 5jjj , Ol. Uni gjj.
M. S. Zu 3 Lavements. Gegen die Bleikolik ist in der Pariser Charit^
folgendes Clysma anodynum Standformcl: I^ Ol. nwc. jughmd S!)^, Vini rulri
ßj. M, (^ Richard^. Folgende Formeln und Bemerkungen mögen hier noch
Platz finden: 1) Specifik gegen epidemischen Durchfall wirkt ein Klystier
aus I^ Vitell. ov. No. j. terre cum Aquae cliamom. 5IV. M. S. Zum Lave-
ment (von Hildenlrandi). 2) Bei krampfhaften, schmerzhaften Hämorrhoi-
dalbeschwerden im Mastdarme., bei Verdickung desselben , gegen Askariden
empfiehlt , Dr. Kopp in Hanau,: fy Merc. dulc. gr. ] — iv, dumm. arah. 3^,
Aquae valcr. gjj^. M. exact. S. Zu 1 Larenient. Das Arzneiglas wird in
warmes Wasser gesetzt uad so das Klystier erwärmt. 3) Gegen heftige
chronische Ruhr empfiehlt Dr. ISiopp folgendes Klystier: ]^ Mcrc. sullim.
corros. gr. '/<, — %, Aquae destill. 3], Mucil. gunmi. arah. 3J1V5 Opii pur.
gr. j. M. d. ad vitr. S. Ein Glas voll erwärmt als Klystier zu geben.
4) Gegen Askariden bei Kindern von 6 — ^8 Jahren lobt derselbe: T^ Pub),
scm. santon. 5jj, inftind. aq. ferv. q. s., Cohct. refrlff. 3J|J- adde Merc. suhlim.
corros. gr. % — 'Z,, Mtic. gm. 'arah. Sjj. M. 5) Gegen colHquative Durch-
falle empfiehlt vanSwieten: t^ Terebinth. pwriss. viiell. ovi ^tini. suhadt. 5ß,
JElectunr. tlieriac. gf^, .!<'«'■(. tiaccin. rec. 51V. M* .&. I-Zttm Klystrer laiKwarui
zu geben. Auch passt hier : I^ Rad. snlep ruditer tusae ^j , Coq. , in &, if.
Aquae per V4 hör. Col. 3V3 'adde Mucil. gm» Y<r/»&. Sft,, Vitell., ovi, ^0. j.,
Tinct. opii ^j. M. S. Zu 3 Klystieren, 6), Dio; Bssigklystiere, die Klystiere
von Tabak,, von kaltem Wasser erlauben, sollen, sie ihre reizende Wiirkung
thiin, keinen ölzusatz. Die kalten Lavements bereitet man ganz einfach
aus kaltem Wasser (6 Unzen) und giebt sie gewöhnlich gleich nach erfolgter
Leibesöifnung. Bei lähmungsartigem Zustande des Dpmcanals (Apoplexie,
Scheintod,) leisten sie, alle 2 Stunden wiederholt, oft herrliche Dienste.
7) In der Charit^ zu Paris ist folgendes Clysma purgans Pictonum geg?n^
Bleikolik eine übliche Formel: I^f Fol. sennae ^ß,. coip^^ Aquae commun. aj,
col. adde Sal. Glauberi ^fj , Vini emctici 5IT. M. fttichnrd^s Formular- und
Recepttaschenbuch 1828. S. 373). 8) Die Täbaksrauchklystiere wferddn bei
■einigen Arten des Scheintodes oft mit Nutzen angewandt (s. Asp-hyxia).
Man bedient sich zum Einblasen des Rauchs in den Mastdarm der von Hei-
ster ^ Gaul, Lammcrsdorf , Hagen, Keilflug u. A. erfundenen und verbesser-
ten Tabaksrauchklystiermaschiuen. Im Nothfall kann man sich auch dazu
zweier kurzen irdenen Tabakspfeifen bedienen. Oder man steckt das Röhr-
chen einer Klystierspritze in den After und blässt durch ein Pfeifenrohr den
Dampf hinein. Ein Klystier von Tabaksdecoct (3j auf 3vjjj Col.) , mitiels
der Spritze applicirt, macht das Tabaksrauchklystier oft entbehrlich.
C. .f. F. Behrens.
Clysteriiun, s. Clysma.
Cnesma. Ist eine durch Zerkratzen auf vorhergegangenes Jucken
(Cnesmus) entstandene Hautwunde. ,
Cnidosis, das Jucken, Brennen. So nennen Einige den Ntssel-
ausschlag. Andere das Peitschen mit Brennnesseln ; s.. Urticaria ^. Vfti-
catio. . f .■.>.... >
■i ' ' ■■--•'',■■?
.^^ Cnfssoreg^miaf das ranzige, faulige Aufstoss^n, s. Rüc(v.^ hid,07
fosüs, rancidus.
Coa§fuluin, das Geronnene, eine durch Zusammenrinneii (Goagu-
latio) entstandene Masse, z. B. Coagolum sanguinis, lactis etc.
432 COCLES — GOLEOSITIS
Codes, Unoculus, Einäugig.
* Coclomyces. Ist eine Art schwammiger Gewöchse im Zellgewebe;
s. Fuiigus cellulosus.
Coctio, die Kochung. Bedeutet im physiologischen Sinne die Ver-
dauung (Digestio ciborum), im pathologischen nach älterm Begriffe die auf
entzündliche Brustleiden am Ende der Krankheit erfolgte freie Expectora-
tion von runden, gelblichweissen Sputis, die, als kritisch wohlthätig ange-
sehen werden muss , z. B. am siebenten , neunten Tage der Pneumonie.
Coecitas, Blindheit, Mangel des Sehvermögens. Dieses
Übel ist entweder angeboren, so dass der Mensch wegen irgend eines orga-
nischen Fehlers der Sehwerkzeuge blind auf die Welt kommt, oder, was
häufiger der B'all ist, erst späterhin durch verschiedene Augenfehler ent-
standen. Hierher gehören ganz vorzüglich der schwarze Staar, die völlige
Verdunkelung der Hornhaut, die Verwachsung der Pupille, der graue Staar
und andere theils dynamische, theils materielle, störend aufs Sehvermögen
wirkende Schädlichkeiten und deren Folgen (s. Amaurosis, Cataracta,
Glaucoma, Synizesis pupillae, Nubecula et Macula corneae,
Leucoma, etc.). Bald ist die Blindheit allgemein, bald nur partiell, bald
nur im niedern, bald im höhern Grade da , bald nur des Nachts , bald nur
bei Tage zugegen (s. Visus diurnus et nocturnus). Was die Be-
handlung der Blindheit betrifft, so beruhet sie aufrichtiger Erkenntnis»
und Cur des Grundübels.
Coccitas crepuscularis , s. Visus diurnus.
Coecilas diurna , s. Visus nocturnus.
Coelema , Hornhautgeschwür, s. Ulcuscorneae.
Coeliaca passio» der (weisse) BauchQuss, die Milchruhr, s. Flu-
xus coeliacus.
Coelittcn cnienta, s. Diarrhoea cruenta.
Coeliaca urinalis, s. Chyluria.
Coelialg^ia, Bauchschmerz. Einige verstehen unter dieser Be-
nennung jeden Schmerz des Bauches, der auf Entzündung, Krampf, Extra-
vasat oder Wasseransammlung des Unterleibs und seiner Eingeweide beru-
het; Andere nennen die Bauchwassersucht Coelialgia, noch Andere verstehen
darunter eine Unter leibskrankheit überhaupt, also unter Coelialgien
die ganze Gattung.
Coeliocele» Bauchbrach, s. Hernla ventral is.
Coeliocyosis « Bauchschwangerschaft, s. Graviditas.
Coelioncus. Ist eine feste, fixere Bauchgeschwulst, zum
Unterschiede von
Coeliopliyina , worunter man eine weiche, flüchtigere Ge-
sell wu Ist des Bauches versteht.
Coeliopyosis , Eiterung im Unterleibe, ein Dauchabscess , s. Ab-
ts c e s s u s abdominalis.
Coeloina', weniger richtig Coclcmn. Ist ein excavirtes Horn-
hautgeschwür. S. Ulcus corneae.
Cocnilosis, Blausucht, s. Cjanosis.
Coleitis, Entzündung der Mutterscheide, s. Inflammatio vaginae.
Coleocelo, Scheidenbruch, s. Her nia vaginalis.
Coleoedema, Geschwul.^t der Scheide.
Coleoptosis» Schcidenvorfall , s. Prolapsus vaglnae.
Coleorrhexi(9 , Zerreissung der Scheide. Sic kommt oft
gleichzeitig mit Zerreissung des Uterus , bei rohem Accouchement etc. vor
und ist dann sehr gefahrlich; s. Vulnera uteri.
ColCOSltls* Ist gleichbedeutend mit Coleilis.
COLEOSTEGNOSIS — COLICA 433
Cole08te§rnosi8 , die Verengerung der Scheide, s. Strictura va-
ginae.
* Collca, Colica Pnssio, Colicodynia, Dolores intestinorum, Enicrnlyia,
Bauchgrimmen, Kolik, Leibschneiden, Bauchweh, Darm-
schmerz. So nennen wir einen Krampf des Darmcanals, der sich durch
schneidende, kneipende, zusammenziehende, bald nachlassende, bald anhal-
tende, meistens vage, bisweilen aber auch fixe Schmerzen zu erkennen
giebt, fieberlos, und oft nur Symptom anderer Krankheitszustände ist.
Symptome im Allgemeinen. Die Kolik tritt oft mit, oft ohne alle Vorbo-
ten ein. Letztere sind : oft kürzere oder längere Zeit vorhergehender Ap-
petitmangel, Ekel, Erbrechen, flüchtige Stiche, Kollern und Druck im Un-
teileibe, Obstructio alvi oder Diarrhöe, trüber Harn etc. Die Kolikschmer-
zen selbst sind kneipend, schneidend, zusammenziehend, selbst so heftig,
wie bei Kardialgie, meistens wandernd, bisweilen aber eine Stelle des
Darmes vorzugsweise liebend , bald nachlassend , bald anhaltend ; der Unter-
leib ist entweder gespannt , aufgetrieben , wie bei Col. flatulenta , oder die
Bauchmuskeln sind stark gegen das Rückgrat gezogen, so dass der Unter-
leib ganz concav erscheint und sich hart anfühlt, wie z. B. bei Col. satiir-
nina. Häufig ist gleichzeitig dann der After geschwollen und in die Höhe
gezogen , wodurch die Application der Klystiere sehr erschwert wird. Dazu
gesellen sich Übelkeit, Erbrechen, Aufstossen, Verstopfung (Colica sicca),
oder Diarrhöe. Auch die Organe des Athmens und der Blutumlauf werden
consensuell afficirt; daher ängstliches, erschwertes Athmen, Krampfhusten,
kleiner, frequenter, krampfhafter Puls, Herzklopfen, Angst, Unruhe, bald
Röthe, bald Blässe des Gesichts, trockne Haut, kalte Schweisse, kalte
Extremitäten, bei sensiblen Personen selbst Ohnmächten, Delirien. Bei hö-
heren Graden nehmen alle beschriebenen Symptome zu ; es entsteht Harn-
verhaltung oder Drängen zum Harnen, Erectionen, Samenerguss, die Ho-
den schmerzen und werden durch Krampf gegen den Unterleib gezogen, bei
Weibern stellt sich Gefühl von Wehen, oder als wolle der Uterus einfallen,
ein. Der Krampf erstreckt sich selbst bis in die unteren Extremitäten, da-
her Gefühl von Lendenlahmheit, in einzelnen Fällen selbst wirkliche Para-
lyse der unteren Gliedmassen. Bei längerer Dauer und Zunahme des Übels
kann die Krankheit selbst in Entzündung der Unterleibsorgane, Ileus und
Brand übergehen und so den Tod herbeiführen. Was die Disposition
zur Kolik betrilft, so kann diese blos örtlich seyn, und auf erhöhter Reiz-
barkeit und Empfindlichkeit mit Schwäche des Darmcanals beruhen, oder
auch in organischen Fehlern der Unterleibsorgane ihren Grund haben, oder
sie ist auch, eben sowie die Kardialgie in einzelnen Fällen, in einer eignen
Stimmung des ganzen Nervensystems (Habitus spasticus) begründet. Sie
kann angeboren oder erworben seyn, sowie dies auch bei Hysterie und an-
deren Neurosen der Fall ist. Besonders geneigt zur Kolik sind jugendliche,
reizbare Subjecte, Hypochondristen , Hysterische, Onanisten und solche, die
in Baccho und Venere ausschweifen. Bei solchen Personen kann das Übel
selbst habituell werden , da überhaupt die Neigung zu Recidiven bei der
Kolik sehr gross ist. Was die Diagnose der Kolik im Allgemeinen be-
trifft, so gilt darüber das, was von der Unterscheidung des Magenkrampfs
oben gesagt worden ist (s. Cardialgia). Auch die Kolik ist in den mei-
sten Fällen nur Symptom eines tiefer liegenden Übels. Wir müssen daher
dieses stets aufzusuchen und zu entfernen uns bemühen und uns nicht mit
dem Namen Kolik und den gegen Colica spastica, flatulenta empfohlenen
Antispasmodicis begnügen. Vorzüglich wichtig ist es, Entzündungen der
Unterleibsorgane nicht für Kolik zu halten (s. Cardialgia, Convolvu-
lus, Gastritis, Enteritis). Nach den verschiedenen charakteristi-
schen Symptomen und nach den verschiedenen Ursachen der Kolik haben
die Praktiker verschiedene Arten des Übels angenommen, welche für die
Ätiologie, Diagnose und Curmethode von der grössten Wichtigkeit sind.
Colica arthritica. Ausser der gicbtischen , plötzlich durch Gichtmetastaso
entstandenen Form, giebt es noch eine andere aus gichtischen, vielleicht
Most Eucyklopädie. 2te Aufl. I. 28
434 COLICA
auch rheumatUclien Ursachen entstandene Kolik , welche Rc'tsintfer im Herbst
183S zu F'reystadt sogar endemisch beobachtet haben will (s. Medic. Jahrb.
des k. k. österr. Staates von A. J. v. Sti/ft etc. Wien, 1834. Neue Folge,
Bd. VH. St. 1, S. 123 ff.). Symptome. Dia Krankheit macht Exacer-
bationen und Remissionen. Erstere , von unbestimmter Zalü , s'md immer
des Nachts heftiger und halten Minuten bis Viertelstunden lang an. Der
Sitz des Schmerzes ist meist um und über dem Nabel, in den Rippenweichen,
selbst bis in die Regio pubis, ist nagend, brennend, schneidend, oft furcht-
bar heftig, fast immer ist Kreuz- und Rückenschmerz dabei, heisse Tem-
peratur des Unterleibes, hartnäckige Obstructio ahi, Ructus, Flatus, Angst,
zuweilen sichtbares Klopfen der Bauchaorta; im hohen Grade des Übels
heftiges Fieber mit rothem , klarem oder gleich anfangs weisslich trübem
Urin und kalten Extremitäten. Vor dem Ausbruche , oft gleichzeitig , Reiasen
und Stechen in den Gliedern oder an mehreren Gegenden des Stammes ;
auffallende Linderung der innern Schmerzen , wenn diese in den äussern
Theilen mehr hervortreten, und umgekehrt. Im gelindern Grade sind die
Schmerzen leidlicher , die Kranken fieberfrei , aber die Nächte schlaflos.
Ursachen und Prognose. Nasskalte Witterung, Erkältung, Diätfeh-
ler, besonders starke und späte Abendmahlzeiten, Mehl- und Milchspeisen,
Obst, KoWarten etc. verschlimmern oder erregen bei Gichtischen das Übel.
Die Krankheit, verkehrt behandelt oder vernachlässigt, dauert Wochen,
Monate, ja selbst Jahre lang, und verschlimmert sich im Herbst und Früh-
ling. Im höchsten Grade tödtet sie in einigen Tagen oder verläuft inner-
halb 3 — 4 Wochen. Hauptursachen sind nach R. abwechselnde na.sskalte
Witterung, schlechte, grobe Kost und Unreinlichkeit. Die Krankheit fand
R. am meisten bei armen Leuten, die schon über 40 Jahre alt sind. Fast
alle litten sie schon früher an Gelenk- und Gliedergicht, was die Diagnose
sehr erleichtert. In einigen Fällen war indessen keine Spur von früheren
Gichtleiden aufzufinden. Cur. Rcisinger stellt hier mit Recht folgende
Indicationen auf: Ausleerung der schädlichen Stotfe im Darmcanal, Herab-
stimmung der zu hohen Empfindlichkeit desselben , Ableitung des Gichtrei-
zes auf die äussern Theile und Befördenui^ der Hautausdünstung. Der
Kranke muss daher das Bette hüten und ein starkes Purgans aus Infus,
laxat. Vienn. mit Sal Glauberi und Syr. rhei nehmen, so dass mehrere
Stühle folgen. An den übrigen Tagen dienen Elect. lenitiv. mit Sal Glau-
beri, um täglich 2 — 3 Sedes zu bewirken; denn n»it der Wiederkehr der
Verstopfung kehren die Schmerzen zurück , wo alsdann wieder ehi Purgans,
zwischendurch auch Magnes. carbon. gereicht wird. Ausserdem giebt jR.
Abends und Morgens, nach Umständen selbst 4 — 6 Mal, täglich '/j — 1 Gran
Extr. opii, oder Pulv. Doweri. Dies luiterstützt nur die Wirkung der Pur-
ganzen , indem es den Krampf in den Därmen hebt, und befördert die Dia-
phorese. Kein anderes Mittel ersetzt hier das Opium. Zum Getränk dient
schwache Fleischbrühe , Thee aus Flor, sambuci und Flor, tiliorum. Gleich
zu Anfange legt R. auch ein grosses V.esicatonum auf den Unterleib und
legt heisse Tücher auf die kalten Füsse. In sehr hartnäckigen Fällen wer-
den alle 2 — 3 Tage die Vesicatorien wiederholt oder die Pustelsalbe ein-
gerieben. In der Reconvalescenz dient ein Infus, centaur. min. mit Tiiict.
rhei aquosa. Diese Curraethode war die einzig glückliche.
Colica hiliosa, die Gallenkolik. Sie entsteht von galligen Unreinig^
keiten der ersten Wege, und kommt theils sporadisch, nach Ärger, Zurii
und andern Gemüthsaffecten , theils epidemisch in heissen Sommertagen,
theils endemisch in heissen Klimaten vor (s. Cholera). Vorboten der»
selben sind die Zeichen der gestörten Leber - und Gallenfunction : bitterer^
galliger Geschmack, gelbbelegte Zunge, Ekel, Erbrechen, Appetitmangel,
Druck in der Magengegend etc. Der Kolikschmerz selbst ist sehr heftige,
scluieidend, zusammenschnürend, entsteht gewöhnlich zuerst in der Gegend
des Magens und zieht sich von da nach dem Rücken hin; dabei ist grosser
Durst, Angst, Unruhe, Schmerz in der Schulter, fader, bitterer Geschmack,
eine mit gelbem Schleim überzogene Zunge, gänzliche Appetitlosigkeit, gelb-
COLICA 435
licher Urin. Oft folgt galliges Erbrechen, Cholera., 'uVid dann lassen alle
Symptome etwas nach. Sehr häufig kommt diese Kolik mit BMeber verbuiv-
den vor, meist mit Febi-, biliosa; geht leicht-bei höheren Graden des Übels
oder bei verkehrter Behandlung in Entzündung der Unterleibsorgane über
und kann dadurch selbst tödtlich werden. Cur. Man suche hier 1) die
krampfhafte Reizung des Darmcanals zu heben , 2) idie scharfe Galle zu
ve^^essern und auszuführen, und 3) den Übergang in Entzündung zo VCF*
hüten. Um die erste Indication zu erfüllen , dienen ätherische Eini^eibnngen
in den Unterleib, v^arme aromatische Umschläge, ölige, nicht reizende,
krampfstillende Klystiere , innerlich kleine Dosen Ipecacuanha , desgleichen
Saccus citri mit fetten Ölen, esslöffel weise gereicht (Michaelis), auch Suc-
cus aurantiorum. Daher versuche man erst diese Mittel und bediene sich
des Opiums nur da, wo sie fehlschlagen, oder in sehr hartnäckigen Fällen
und bei sehr heftigen Schmerzen. Bei Vollblütigkeit passt ein kleiner Ader-
lass. Auch dienen hier örtliche Blutausicerungen durch Blutegel, daneben
innerlich Emulsionen, um Entzündung zu verhüten. Ist der Krampf besei-
tigt , so giebt man sanfte Emetica , am besten aus Ipecacuanha , auch ge-
lind reizende Abführungen: Ol. ricini, Pulpa tamarindorura, Manna, Ma-
gnesia mit Crem, tartari, Elect. leiütiv. , Tart. boraxatus etc. Ist schon
Gallenruhr oder Enteritis, Gastritis etc. vorhanden, dann muss man diese
behandeln; s. Cholera, Gastritis, Enteritis, Hepatitis.
Colica consensuaJis. Hiei- liegt die Ursache nicht im Darmcanale selbst,
sondern der Schmerz entsteht per consensum, z. B. durch das Einklemmen
der Gallen- und Nierensteine, wodurch eine krankhafte Reizung hervorge-
rufen vs'ird, die sich auf den mit diesen Organen so eng verbundenen Darm-
canal fortpflanzt. Daher ist hier zu betrachten a) Culka hepatica, ict'crica,
e cnlculis felJeis. Sie entsteht oft plötzlich nach heftiger Körperanstrengung,
Erschütterung, nach einer reichlichen Mahlzeit, und erregt die furchtbar-
sten Schmerzeh. In seltneren Fällen geht ein Gefühl von Druck, Schwere
in der Gallenblasengegend ^ Neigung zur Verstopfung nebst allen Zufallen
des Icterus vorher. Letztere, sowie die heftigen Schmerzen sind charakte-
ristische Zeichen des Übels , das in der Regel und bei passender Behandlung
den günstigen Ausgang nimmt, dass sich der oder die eingeklemmten Gal-
lensteine lösen und dann durch Erbrechen oder durch den Stuhlgang ent-
fernt werden ; damit hört dann auch die Kolik auf, aber sie kehrt häutig
nach einiger Zeit zurück und behauptet eine gewisse Periodicität. In die-
sem Falle haben sich neue Gallensteine gebildet und einen abermaligen Reiz
in den Gallengängen verursacht. Cur. Einige Ärzte haben zur Entfernung
der Steine Vomitive empfohlen; sie sind ein gewagtes Mittel, schaden häu-
fig, indem sie Entzündung erregen können, und sind daher nicht zu em-
pfehlen. Eben so wenig passen während der Kolik die sogenannten Lithon-
triptica ; denn sie verschaffen dem Kranken nicht schnell genug Erleichte-
rung, können auch durch ihren Reiz gleichfalls die Gefahr der Entzündung
steigern. Am besten beginnt man die Cur mit erweichenden, krampfstillen-
den Mitteln , macht erweichende Einreibungen in die Lebergegend , z. B.
von Uiiguent. althaeafe 3J, von Ol. hyoscyami, Linim. vol. camphor. ana ^j,
Laudani liquid. Sydenh. 5jj > Ol. terebinth. 5]^ warme Umschläge über den
ganzen Unterleib , wendet ein laues Bad an ; innerlich passen Castoreum,
Hyoscyamus, Opium, Erauls. amygdal. dulc. rec. expr. ; auch ist Folgendes
sehr wirksam : ]^ OL nmygdal. dulc. rec. expr. 3"*'j > VUell. ovi q. s. , AqiMe
chnmomillae , — vnlerinnae ana jtv , Eair. hyoscynmi 3j > Aqune Inurocerasi
Sil}, Syr. diacod. §j. M. f. Erauls. S. Alle y. Stunden 1 Esslöffel voll (Jlf.);
bei Vollblütigkeit versäume man vorher die Venaesection nicht , applicire auch
Blutegel in die Lebergegend. Nach Beseitigung des Krampfes und der
Schmerzen, ohngefähr 2 — 3 Tage nach Beendigung . der Kolik, suche man
die Gallensteine aufzulösen und zu entfernen, wozu das Durand'sche Mittel
vorzugsweise passt. Man gifebt es am besten in dieser F'orm : fy Nnphth.
vitrioU, Ol. terebinth. ana 51T. M. S. 3— 4mal täglich 20— 30 Tropfen- in
Zucker; fährt damit wochenlang fort und interpouirt alle acht TÄge ein
28*
436 ' COLICA
gelindes Laxans Zugleich achte man darauf, ob Steine abgehen, b) Co-
Uca renalis, tiephritica. Sie entsteht durch das Einklemmen der Nierensteine
in den Ureteren , wodurch Reizung hervorgerufen wird. Symptome.
Heftiger Schmerz, besonders in der Richtung der Harnleiter, der durch
heftige Erschütterung des Körpers, durch langes Stehen, starkes Beugen
des Körpers vermehrt ,wird. Der Schmerz zieht sich bis in den Schenkel
der leidenden Seite , worin das Gefühl von Taubheit oder Lahmheit emp&n-
den wird, die HodeA werden durch Krampf gegen den Bauchring gezo^n;
dabei ist Übelkeit , wirkliches Erbrechen , Angst , Unruhe , Kopfschmerz,
oft Schwindel, Brustschmerz, der sich bis in die Schulter der leidenden
Seite erstreckt, sparsamer, anfangs heller, später oft blutiger Urin. Cur.
Man beseitige zuerst den Krampf durch alle oben angegebene innere und
äussere Antispasmodica (s. Colica hepatica); später suche man den
Durchgang der Nierensteine zu befördern und diese selbst durch chemisch
wirkende Mittel aufzulösen; man gebe daher innerlich kaiische Mittel: Aqua
calcis , Conchae praepar. , Sapo medic. , Oculi cancror. , Magnesia etc. ; s.
LJ.thidisis.
-"'.: Colica flatulentn, die Blähungskolik. Sie entsteht durch Anhäufung
irgend emes Gases, am häufigsten durch kohlensaures oder Wasserstoffgas
im, Deurmcanale, bei Personen mit schwachem und sensiblem Digestionsappa-
rate, bei Hysterischen, Hypochondristen, bei Leuten, die duich Ausschwei-
fungen im Essen und Trinken , in Baccho , Venere , Minerva et Apolline
Magen und Gedärme geschwächt haben. Das Gas entwickelt sich meistens
aus den genossenen Speisen, besonders aus dem Chyraus von blähender
Kost, aus solchen Dingen, die leicht in Gährung übergehen und daher leicht
Gas erzeugen. Auch aus der allgemeinen Säftemasse kann sich Gas unter
sonst begünstigenden Umständen entwickeln. Veranlassende Ursachen die-
ser Kolik sind ausser blähenden Speisen bei schwacher Digestion vorzüglich
noch Erkältung des Leibes , der Füsse , Gemüthsaffecte : Ärger , Zorn , wo-
durch leicht ein krampfhafter Zustand des Darms hervorgerufen und der
Abgaaig dci- Blähungen durch partielle Krämpfe, besonders im Colon trans-
versum, verhindert wird. Auch das willkürliche Zurückhalten der Flatus
kann bei spastischen Subjecten eine krampfhafte Verschliessung eines Theils
des Darms und Störungen in der normalen Function des Motus peristalticus
bewirken , und so diese Kolik erzeugen. Daher denn auch Menschen , die
viel vdn Blähungen geplagt werden, wenn sie in Gesellschaft Anstands hal-
ber von dem Edict des Claudius: de mittendo crepitu ventris, nicht Ge-
brauch machen können, von diesem Übel nicht selten befallen werden.
Symptome. Herumziehende, periodisch zu- und abnehmende, oft heftig«
Leibschmerzen, bedeutend starke Auftreibung des Unterleibes, besonders
durch die Ausdehnung des Colon transversum, zuweilen selbst hervorgetrie-
bener Nabel , Kollern im Leibe , hartnäckige Leibesverstopfung ; die Ructus
und Flatus gehen gar nicht oder nur unbedeutend ab, ihr Abgang erleich-
tert sehr, besonders der nach unten. Auch Respirationsbeschwerden, Brust-
stiche, allgemeine Krämpfe, spastischer Puls, Heraufziehen der Hoden,
Harnbeschwerden, Erectionen, selbst Saraenerguss charakterisiren haupt-
häphlich diese Species. Cur. Die vorzüglichsteu Mittel sind hier Antispas-
modica und Carminativa: Infus, chamomill. , valerianae, melissae, menth.
pip. , Semin. anisi , . cam , foeniculi , Aq. cinnamomi , Liquor , Naphtha ,
Elaeos. cajeputi , rutae , cinnam. , valerianae, carvi etc.; ferner Tinct. au-
rantior. mit Spirit. nitri dulcis, bei spastischen, hysterischen, hypochondri-
schen Subjecten Tinct. asae foetidae , castorei , Ol. animale JDippelii mit
Liq. anodyn. Sind die Schmerzen sehr heftig, so kann man auch etwas
Opium geben. Auch die Absorbentia sind oft nützlich, besonders in Ver-
bindung mit den Anti§pasmodicis , z. B. Pulv. carbonum , Natr. carbon. di-
laps. , Potio Riverii in der Effervescenz. Dabei äusserlich Wärme auf den
Unterleib: warmgemachte Ziegel, Topfsteine, ein warmer Pfannkuchen,
Einreibungen von Linim. volat. camphorat. mit Laudanum, warme aroma-
tische Fomentationen , mit Flanell übergeschlageu. Auch setze man im An-
COLICA 437
falle alle V2 Stunden ein Klystier von Chamillen, Haferschleim, öl und
Gum. asae foetidae. Auch das Ausziehen des Gases mittels einer Kljstier-
spritze ist empfohlen (^Odier). Ist der Anfall vorüber, so denke man an die
Radicalcur. Eine strenge Diät, v/ie sie bei Krämpfen überhaupt passt (s.
Spasmus), tägliche Bewegung im Freien, Vermeidung aller blähenden,
sauren Speisen und Getränke, aller schwächenden Einflüsse, Sorge für täg-
liche Leibesöffnung, innerlich anhaltend gebraucht Gum. asae foetidae. Fei
taur., Rheum , mitunter Magnesia, Oculi cancror. , ein Thee von Fol. sen-
nae, aurantior. , Rad. valerianae, so dass tägliche gehörige Sedes folgen,
Flanellkleidung etc. sind wichtige Heilmittel. Zur Nachcur dienen die Was-
ser von Selters, Fachingen, Driburg, bittere und stärkende Mittel, ausge-
wählt nach dem Grade der Verdauungskräfte ; s. Amara und Roborantia.
Colictt metastntica. Gicht, Rheumatismen, plötzlich geheilte Geschwüre^
zurückgetretene Exantheme, nicht entwickelte oder unterdrückte Hämor-
rhoiden , unterdrückte Menstruation etc. erregen oft diese mit den heftigstert
Schmerzen verbundene Kolik. Die Diagnose ist leicht; die Anamnese,
das plötzliche Auftreten der Kolik nach dem Verschwinden der genannten
Übel giebt uns hinreichende Auskunft. Cur. Man wirke auf das Ursäch-
liche, suche daher Arthritis retrogressa, Exantheme, Gicht, Rheumatismus
etc. wieder auf die früher afficirt gewesenen Stellen zu bringen, wende des-
halb Vesicantia, Pustelsalben nach Auienrieth, Kofrp , reizende Bäder, Ein-
wickelungen in kamphorirte Tücher, innerlich Diaphoretica an. Geheilte
Fussgeschwüre setzt man durch Vesicantia, durch Brechweinsteinsalbe wie-
der in Eiterung, unterdrückte Hämorrhoiden und Menstruation regulirt man
durch Aderlässe , Blutegel ad anum, ad genitalia, durch reizende Fussbäder,
warme Umschläge etc. Man behandle also das zum Grunde liegende Übel
(s. Arthritis retrograda, MenstruatioetHaemorrhoidessup-
pressae etc.). Das symptomatische empirische Verfahren gegen die Schmer-
zen und den Krampf, was neben der ursächlichen Behandlung stattfinden
muss, ist schon oben angegeben; s. Colica fl atul enta.
Collen verminosa. Kommt meistens nur bei Kindern vor und wird durch
die Anhäufung von Würmern im Darmcanal erzeugt. Ihre Diagnose und
Cur ist die allgemeine der Wurmkrankheit , wovon sie ein Symptom ist (s.
Helminthiasis); im Anfalle passen Anodyna.
Colica satttrnina, Colicoplegin , Morhus metalHcus, die Bleikolik,
Malerkolik, Hüttenkatze. Sie entsteht durch Bleivergiftung. Das
Blei wird entweder durch Speisen und Getränke, die in bleiernen oder
schlecht glasurten Gefassen aufbewahrt worden, auch durch verfälschte
Weine, durch den Innern Gebrauch der Bleimittel in den Körper gebracht;
oder sie entsteht auch durchs Einathmen der Bleidämpfe; daher besonders
bei Hüttenarbeitern, Bergleuten, Zinngiessern , Arbeitern in Bleiweissfabri-
ken, bei Malern, Stahlpolirern , Anstreichern etc. Symptome. Die Krank-
heit befallt entweder langsam, oder plötzlich. Bisweilen gehen dumpfe
Schmerzen im Hypochondrio dextro, in der Nabelgegend vorher, dabei ekel-
hafter, süsslicher Geschmack, Neigung zum Erbrechen, Magenkrampf, Ko-
lik (s. Cardialgia et Colica toxica), Appetitmangel, Neigung zu Ob-
structio alvi, belegte Zunge, Angst, Unruhe. Diese Vorboten können bei
langsamer Vergiftung Tage und Wochen dauern, und sind als der geringere
Grad der Krankheit zu betrachten. Bei Zunahme des Übels, oder wenn
es durch grosse Dosen Blei plötzlich entstand, sind die Schmei-zen um den
Nabel herum oft so heftig, dass Ohnmächten, epileptische Krämpfe erfol-
gen, der Leib ganz platt gezogen wird, selbst concav, dass der Nabel mit
der Rückenseite wie verwachsen und der After aufwärtsgezogen erscheint.
Dabei ist stets hartnäckige Verstopfung , und was durch Kunst - oder Na-
turhülfe noch ausgeleert wird , geht in kleinen , schwärzlichen , dem Schaf-
koth ähnlichen Stückchen ab. Die Mundhöhle und Zunge ist entweder sehr
trocken, oder sie ist auch mit braunem, zähem, schmuzigem Schleim über-
zogen. Der Durst ist gross , der Pujs träge , klein , langsam , aussetzend
und krampfhaft, die Pupille zu Anfange der Krankheit sehr klein, in spä-
438 COLICA ,
tern Stadien sehr erweitert , unbeweglicli , unempfindlich gegen äussere
Reize , das Selivermögen nimmt ab , und nicht selten tritt wahre Amaurose
ein; ebenso ists mit dem Gehörorgane der Fall, der Mensch wird schwer-
hörig und leidet später an wirklicher Cophosis. Ausserdem fühlen die Kran-
ken Schmerz, Kälte, Unempfindlichkeit im Rücken, in den Gliedern, zu-
letzt völlige Lähmung, der Rückenschmerz erstreckt sich in die .Nieren,
worauf Harnverhaltung, Brustkrampf, Dyspnoe, Asthma, Husten, Stammeln
der Sprache, Schluchzen, allgemeine Krämpfe, krampfhaftes Heraufziehen
der Hoden etc. folgen, der Kranke magert ab, wird bleich, kachektisch,
mürrisch, niedergeschlagen, des Lebens überdrüssig, und der Tod erfolgt,
wenn die rechte Hülfe mangelt, allmälig durch völlige Auszehrung (Tabes
metallica), oder in anderen Fällen durch Enteritis, Miserere, wobei die
furchtbarsten Schmerzen und Erbrechen einer grünlichen Materie oder des
Darmunraths stattfinden. Geht die Krankheit in Genesung über, so blei-
ben doch häufig partielle Lähmungen der Glieder, Taubheit, Blindheit zu-
rück, sowie überhaupt die ihren Wirkungen nach den narkotischen Pflan-
zengiften ähnliche Bleivergiftung gern einen chronischen Verlauf nimmt.
Cur. Einige Praktiker rathen hier Brechmittel an, um das Gift zu ent-
leeren; all. in meistens ist das Blei schon in die allgemeine Säftemasse auf-
genommen , und oft ist auch die krampfhafte Owntraction des Darmcanals so
heftig , dass ihre Anwendung gefährlich werden könnte. Lst aber der Krampf
erst durch Oleosa, Opium ein wenig gehoben, so passt ein Vomitiv aus
Zinc. sulphur. sehr gut, indem bei Vergiftung durch essigsaures Blei der
schwefelsaure Zink selbst chemisch das Gift zersetzt. Man begiilnt also
am besten die Cur mit Antispasmodicis , mit erweichenden und öligen Mit-
teln: Oleum ricini, amygdalarum dulc, papaveris albi, Milch, Emulsionen
von Gum. arabic, Ol. ricini, crotonis, Sem. cannabis, und ganz vorzüglich
empfiehlt sich das Opium. Es hebt die krampfliafte Spannung des Darm-
cansJs und bewirkt meistens Öffnung. Ist dies aber nicht der Fall, ist
keine krampfhafte Spannung und erhöhte Reizbarkeit des Darmcanals zuge-
gen, leidet der Kranke mehr an Torpor und Lähmung dieser Organe, so
helfen zur Beförderung der Leibesöffnung alle Oleosa nichts. Hier sind
tüchtige Purganzen aus Rad. jalapae mit Merc. dulc, und wenn jene zu
schwach ist, selbst aus Resina jalapae von Nutzen {Ilimly'). Damit das
Opium nicht stopft , giebt man es gleichzeitig mit Oleosis in grossen Dosen,
z. B. alle 2 — 3 Stundea 1 Gran. Sehr wirksam ist eine Verbindung mit
Opium und Merc. dulc. (ana gr. j , täglich viermal in Pulverform). Das
Opium leistet mehr als Hyoscyamus, Kampher, welche Mittel gleichfalls
empfohlen sind. Auch der Alaun, allein oder in Verbindung mit Opium,
hat sich in der Bleikolik grossen Ruf erworben (^Chrashuys, Quarin, Pcrci-
val, Himhj). Letzterer sah von diesem Mittel, welches schon de Hnen em-
pfiehlt, die herrlichsten Dienste, selbst da, wo als Folge des Übels schon
Amaurose entstanden Avar. Man giebt p. d. ^j , 5 — 6mal täglich. Äussere
Mittel, welche die Cur sehr unterstützen, sind: Einreibungen von Linim.
volat. camph. mit Opium, von Unguent. mercur. einer. (^ClutterhucU) , Ol.
chamomill., hyoscyami in den Unterleib, ölige, abführende Klystiere, warme
Bäder, denen man später Seife, Hepar sulphuris zusetzen kann. Mit der
Anwendung dieser Mittel fahre man auch in der Genesung noch eine Zeit
lang fort, und gehe allmälig zu den stärkenden Mitteln über. Lst das Übel
plötzlich entstanden , so behandeln wir die Bleivergiftung nach den bekann-
ten Regeln , suchen das Blei zu zersetzen , noch besser gleich durch die
Weisse'sche Magenpumpe (s. Asphyxia durch Gift) auszuleeren, gebei^
zuerst Antispasmodica , dann ein Vomitiv aus Zinc. sulphur,, dann ein Pur-
girmittel aus Ol. ricini, crotonis mit Sal Glauberi etc. Auch die zurück-
gebliebenen Lähmungen erfordern die dagegen geeignete Cur (s. Intoxi-
catio, Antiparaly tica, Paralysis). Alle diejenigen Personen, welche
sich den sciiädiichen Einllüssen dos Bleies au.ssetzen müssen, präserviren
sich vor der Bleikolik oder vor den meist {lefälirlichen Rückfällen dadurch,
dass sie den Speichel öfters auswerfen, den Mund vor dem Genüsse der
COLICA 439
Speisen und Getränke ausspulen , alle Säuren , besonders die vegetabilischen,
meiden und viel Milch, fette Speisen, besonders fette öle geniessen (s.
Asthma metallicum). Ist die Vergiftung nicht durch Blei, sondern
durch Arsenik , Quecksilber etc. erfolgt , so niuss die Colica metallica seu
toxica nach der Natur des Giftes verschieden behandelt werden; s. In-
toxicatio.
Nachschrift des Herausgebers. Die Behandlung der Maler -
oder Bleikoiik nach der in der Charite zu Paris gebräuchlichen Methode ist
folgende. Am ersten Tage giebt man das Clysma purgans Pictonum (s.
Clysma), und zum täglichen Getränk erhält der Kranke die Aqua cassiae
cum granis ; sie besteht aus Aq. cassiae £jj , Sal Glauberi gj , Tart. emetic.
gr. jjj. Um fünf Uhr Abends giebt man das Clysma anodynum contra coli-
cam saturninam (s. Clysma); um acht Uhr folgenden Bolus: I^ Eleclunr.
theriac. 5j — ]^f^ Opii pvri gr. ß — j. Zweiter Tag. Zuerst ein Vomitiv
aus gr. vj Tart. emet. in 8 Unzen Wasser, wovon anfangs die Hälfte, nach
einer Stunde die andere Hälfte genommen wird. Erbricht der Kranke nicht
mehr, so lässt man ihn den übrigen Theil des Tages folgende schweisstrei-
^bende Tisane trinken: R/ lAgn. gnnjaci , Rad. chinne, — snssnparillne ana
5j, Aq. commun. ffij , col. ftj addc Ligni Sassafras 3J , Rad. liquirif. ^f».
Leniter coctum colctur. Abends giebt man das Clysma anodynum und den
Bolus. Dritter Tag. Der Kranke nimmt des Morgens auf viermal ßjj
der schweisstreibenden Tisane, worin noch 51 Fol. sennae digerirt worden.
Nachmittags trinkt er die einfache Tisana sudorifica; Abends vier Uhr das
Clysma purgans Pictonum, um sechs Uhr das Clysma anodynum, um acht
Uhr den Bolus mit Theriak. Vierter Tag. Man giebt die Potio pur-
gans Pictonum; sie besteht aus Infus, sennae 3VJ, Sal Glauberi 53, Pulv.
rad. jalap. 5j » Syr. rhamni cathartici ^ ; den übrigen Tag Tisana sudo-
rifica simpl., Abends fünf Uhr den Bolus. Fünfter Tag. Den Tag über
wird die Tisana sudorif. laxans genommen , Abends vier Uhr Clysma pur-
gans, sechs Uhr Clysma anodynum, acht Uhr der Bolus mit Theriak.
Sechster Tag. Potio purgans Pictonum, Tisana sudorifica simplex, Nach-
mittags Clysma anodynum, Abends der Bolus aus Theriak und Opium.
Selten dauert die Krankheit länger. Widersteht sie aber noch , so nimmt
man zu den Laxantibus und Purgantibus oleosis (Ol. crotonis, ricini) seine
Zuflucht, Erfolgt hiernach keine Öffnung, so giebt man die Boli purgantes
Pictonum, die aus Folgendem bestehen: I^ Diagrydii, Resin. jalap. ana
gr. X, Gunim. guttae gr. xjj, Confcctionis Hamcch. 3JlV? Syr. rhamni cathart.
q. s. ut iiant holi N. xjj , und wovon zweistündlich ein Bolus genommen
wird. In den ersten drei Tagen beobachten die Kranken eine strenge Diät ;
den vierten, fünften Tag fängt man an, Bouillon in einigen Löffeln alten
Weins zu geben. Man vermehrt stufenweise die Quantität der Nahrungs-
mittel , sowie die Symptome an Intensität abnehmen. Diese etwas compli-
cirte Cur habe ich als sehr wirksam kennen gelernt.
CoUca Pictonum, C. pictoniensis , C. Damnoniorum (^Rhachialgia einiger
Altem), die Kolik von Poitou, die Ciderkolik, Devonshirekolik.
Sie entsteht vorzüglich nach dem Genüsse junger, saurer, nicht ausgegohr-
ner oder mit Bleizucker versüsster , oder in bleiernen Gefässen aufbewahrter
Weine, nach dem Genüsse des sauren Obstweines, des sauren unreifen Ob-
stes , nach dem häufigen Genüsse des Punsches , des Citronensaftes , wobei
der schnelle Wechsel der Temperatur und Erkältung ihr Entstehen begün-
stiget. Ihr häufiges Vorkommen wird besonders in Frankreich in der Ge-
gend von Poitou , und in England in der Grafschaft Devonshire beobachtet;
doch soll sie auch in den niedern Gegenden von Frankreich, Holleind, selbst
in Deutschland nicht gar selten seyn. Symptome und Verlauf sind
dieselben , wie bei Col. saturnina. Sie bildet sich indessen langsamer aus
und dyspeptische Beschwerden gehen vorher. Übler Geruch aus dem Munde,
saures Aufstossen, Erbrecl^n von saurer, galliger Materie, späterhin Glie-
derschmerzen, ähnlich denen der Gicht, Unemptindiichkeit, Lälimungen,
grosse Neigung zu P^ecidiven bei den Reconvalescenten , Schwinden der
irSO COLICA
Muskeln des Daumens, knotige Härte der Knochen der Mittelhand, besoa-
«lers der in der Mitte liegenden, harte Knoten im Unterleibe, sind gewöhn-
liche Zeichen {Hanse), Nach Himhj soll sie sich von der Bleikolik durch
schnelleres Ausbrechen des Übels, durch plötzlich entstehende Lähmungen,
durch vorherrschendes Leiden der Harnblase (Incontinentia urinae), durch
Nichtaffection des Kopfs und der obern Extremitäten unterscheiden. Er
hält den Grund des tJbeis für Arthritis, worin er mit Sfeirch (Obs. de colic.
Picton. 1722) übereinstimmt. Cur. Die der Bleikolik. Ausserdem passen
hier noch Absorbentia, gelinde Diaphoretica und Laxantia oleosa.
Colica a catms locnlihus, mechmiicis , organicis. Mechanische Reize:
verhärtete Faeces, verschluckte Fischgräten, Knochenstücke, Kirsch- und
Obstkerne, organische Veränderungen im Unterleibe: Scirrhositäten , Ge-
schwülste, Verhärtungen der Unterleibsorgane (Colica physconiosa) , Ver-
wachsungen der Gedärme , Convolvulus , Callositäten , Zerreissung des
Darms, Hernia incarcerata (Colica herniosa) , Einklemmung des Hodens in
den Bauchring bei zu spätem Herabsteigen desselben ins Scrotum, oder
Einschnürung des Samenstranges in den Annulus abdominis bei Entzündun-
gen und Anschwellungen desselben etc. können Anlass zu der heftigsten Ko-
lik geben, die um so gefährlicher ist, da theils die Diagnose schwierig, theils
die Kunsthülfe, selbst bei richtiger Erkenntniss, oft nur wenig zu leisten
m Stande ist. Eine genaue Anamnese, eine sorgfältige Untersuchung des
Leibes, der Umstand, dass die Kolik allen angewandten Mitteln trotzte,
meist auf einer Stelle fixirt und mit Obstructio ahi verbunden ist, dass sie
lange anhält, diese Punkte müssen uns die Überzeugung geben, dass der
Grund des Übels tiefer liegt und die Kolik nur Symptom von jenem ist.
Sehr leicht folgt hier Enteritis, Miserere. Cur. Sie richtet sich nach den
Ursachen, die wir aufsuchen und, wo möglich, entfernen müssen. Mecha-
nische Reize stumpfen wir ab durch ölige Mittel, Emulsionen, und suchen
sie dann durch nicht reizende ölige Laxanzen und Klystiere zu entfernen.
Ist Neigung zu Entzündung und Vollblütigkeit da, so versäume man ja
nicht, einen Aderlass und Blutegel zu appliciren , was hier, sowie bei Co-
lica haemorrhoidalis , catamenialis und lochialis, zur Verhütung der Colica
sanguinea, richtiger Colica cum enteritide, so wichtig ist. Entstand die
Kolik durch organische Fehler, Scirrhositäten der Unterleibsorgane , so gebe
man zuerst Aq. laurocerasi, Emuls. amygd. mit Extr. hyoscyami, und hebe
.später das Grundübel durch Cicuta, Belladonna, Digitalis, Antimonialia,
Mercurialia etc. Äusserliche Umschläge von Hyoscyamus , Capit. papav. ,
Cicuta, Belladonna, laue Bäder, Einreibungen von Lin. volat. camph. cum»
opio sind hier wichtige Palliativmittel. Man sorge für LeibcsöfTnung durch
Laxantia oleosa und Clysmata emollientia, aperitiva , antispasmodica. Bei
Hernia incarcerata berücksichtige man die Natur der Einklemmung. Ist sie
entzündlich, dann Umschläge von kaltem Wasser, Eis, Schnee, Blutegel
im Umkreise des Bruchs, Venaesectio und die Versuche der Taxis oder,
will sie nicht gelingen, die Herniotomie. Ist die Incarceration krampfhaft,
dann innerlich Antispasmodica: Pulv. ipecac. compos. , Extr. hyoscyami,
Laxantia oleosa, Ol. ricini, crotonis, äusserlich Linim. volat. camph. cum
laudano, krampfstillende Klystiere von Asa foetida, Decoct. nicotianae,
warme ätherische Fomentationen auf den Bruch von Spec. aromat., Fl. cha-
momillae u. s. f. Sollten dann später noch Entzündungszufälle eintreten,
so verfahrt man mit Blutegeln, kalten Umschlägen, wie oben angegeben
worden, und operirt den Bruch, wenn dennoch die Reposition nicht gelingt
(r. Hernia incarcerata). Dasselbe Verfahren findet bei Einschnürung
des Samenstranges und der Hoden im Bauchringe statt.
Cohen gonorrhoica. Nach unterdrücktem Tripper, auch schon bei je-
dem recht heftigen Tripper zeigt sich die sog. Tripperkolik als Symptom
von entzündlicher Reizung und Inflannnation der Blase, zumal des Blasen-
halses. S. Gonorrhoe a.
Colica gravidarum , s. G r a v i d i t a s.
CoUtn JochiaUs, s. Fluxus lochiarum.
COLICODYNIA — COLLIQIUTIO 441
Colica physconiosa, herniosa, sanguinea, s. Colicaa caiisis loca-
libua etc. ,
Colica pituitosa , Kolik von Schi eiraanhäufung , s. Blennorrhoea veu-
triculietintestinorum.
Colica rheumntica , arthritica , s. Colica metastatica.
Colica siercoralis, Kolik von angehäuftem Darmkoth. Erfordert vor-
züglich^Clysmata emoUientes, aperientes; s. den Artikel.
Colica testiciilaris. Die sog. Hodenkolik kommt bei Inttammatio te-
sticuli als Symptom vor, indem sich die Reizung längs des Samenstranges
bis in die Bauchhöhle erstreckt (s. Inflammatio testiculi).
Colica toxica, a. Colica saturnin a.
Colica uterinn. Wir unterscheiden hier a) eine Colica mensirtinlis, die
besonders kurz ji^or dem Eintritte des Menses , zumal bei jungen Mädchen^
wenn die Regeln sich erst ein- oder einige Mal gezeigt haben, mit lebhaf-
ten Rücken - imd Leibschmerzen , Ohnmächten , selbst Krämpfen auftritt,
wogegen specifik ein Pulver aus ^2 Gran Kalomel und 3 bis 4 Gran Casto-
reum wirkt ; ferner b) Colica parturieniium , die sog. falschen oder Krampfr
wehen (s. Dolores ante partum); c) Colica lochialis, die durch Stö-
rungen des Wochenflusses bedingt wird (s. Fluxus lochialis suppres-
s u s) ; endlich d) Colica scortorum , die sog. Hurenkolik, entstanden durch
übermässige Geschlechtsanstrengung, durch zu häutigen, zu oft wiederholten
Coitus in kurzer Zeit, z. ß. bei öffentlichen Dirnen, denen in einer Nacht
mehrere Männer beiwohnten. Auch diese Kolik ist spastischer Natur und
erfordert besonders Asant, sowol in Klystieren als innerlich (^Neumanii). S.
H y s t e r i a.
Colica ventrictili, Magenkolik, ist Magenkrampf; s. Cardialgia.
Colicodjnia, s. Colica.
Colicopleg^ia, s. Colica saturnin a. Carl Kopeke.
Collapsus. Das Einsinken, Zusammenfallen, z. B. des Ge-
sichts , der Gefässe , des Zellgewebes , der Lebenskräfte ; daher Collapsus
faciei , vnsormn , cellulosae , viritim unterschieden werden , welche sämmtlich
Schwäche des Organismus, Abmagerung, auf Adynamie deutend, anzeigen.
Colletica (^medicamina) , Conglutinantia , Gluünantia. Ist synonyme
Benennung mit Agglutinantia.
ColiiC|uatio , die Zersetzung, pathologisch - chemische Verände-
rung im lebenden Organismus, so dass vorzüglich die flüssigen Theile, die
Säfte, ihre normale Beschaffenheit verlieren, in eine Art von Auflösung, so-
genannter Gährung gehen, und so durch Annäherung zum Anorganischen die
allgemeine Auflösung des Körpers, den Tod einleiten. Unter allen fäulniss-
wehrenden Mitteln ist die Lebenskraft das grösste und stärkste Antiputre-
dinosum (s. Autocratia). Je tiefer nun die Lebenskraft gesunken ist,
desto relativ stärker werden die Einflüsse der Aussenwelt, welche aufs In-
dividuum zerstörend einwirken , das Chemische bekommt ein Übergewicht
über das Djnamische, das Individuum beginnt gleichsam bei lebendigem
Leibe In Verwesung überzugehen, und der ganze Unterschied besteht nur
darin, dass dieser Process langsamer als nach dem Tode und durchs Dyna-
mische etwas modificirt von Statten geht, indem die noch existirende, wenn
auch schwache Lebenskraft dagegen anstrebt. Daher finden wir auch bei
allen Kranken, die unter Zufallen der CoUiquation starben, schnelle Verwe-
sung, oft schon wenige Stunden nach dem Tode. Alles, was direct oder
indirect die Lebenskraft schwächt: hitzige Fieber, innerliche Entzündungen,
bedeutende Eiterungen, Hektik, Mangel an guter Nahrung, schlechte Luft,
verschiedene Gifte, die das Blut zersetzen, bedeutender Säfteverlust durch
Blutungen, durch Verlust von Lymphe, hoher Hitzegrad, reizende und er-
hitzende Mittel bei entzündlichen, galligen und nervösen Fiebern im ersten
Stadium der Krankheit etc. , kann daher diesen Krankheitszustand erregen,
<ler den Fiebern den wahren putriden Charakter aufdrückt und den nahen
Tod bei vielen chronischen Krankheiten : bei Hydrops, Phthisis, Scorbut etc.
442 COLLÜTORIUM
bezeichnet. Die vorzuglichsten Zufälle der Colliquation sind: erschöpfende
Schweisse, Diarrhöen und passive Blutungen bei höchst gesunkener Lebens-
kraft, begleitet von Meteorismus, Stupor, emphysematischer Auftreibung
der Oberfläche des Körpers, von livider Hautfarbe. Dabei erscheinen Pe-
techien, die Vesicatorstellen werden brandig, die Zunge zittert, ist trocken,
schwärzlich , gerissen , das Athemholen höchst ängstlich , beschwerlich , der
Puls sehr klein, schnell, zitternd, der Stuhlgang und Urinabgang sind un-
willkürlich (s. Febris putrida im höchsten Grade). Die vorzüglichsten
Mittel gegen coUiquative Zufälle sind flüchtig reizende Arzneien, frische
Luft, Kälte, bei coUiquativen Schweissen und Blutungen Mineralsäuren, bei
solchen Diarrhöen Opium, Saccharum saturni etc. In der Regel helfen in-
dessen diese an sich grossen Mittel nur selten, da wir es nicht blos mit
diesen coUiquativen Zufällen, sondern meist immer zugleich mit bedeutenden
organischen Destructionen zu thun haben, mit Entzündung, Eiterung, Brand
edler Eingeweide, die den Tod unabwendbar herbeiführen. Ist dies aber
nicht der Fall, so vermögen die Mineralsänren in grossen Dosen, desglei-
chen kalte Sturzbäder dem anfangenden Verwesungsprocesse Grenzen zu
setzen, indem sie die Lebenskraft erhöhen und der Putrescenz entgegenwir-
ken. Leider sind aber diese Fälle selten ; wir haben es meist immer mit
jenen Destructionen zugleich zu thun , und hier würde es unmenschlich seyn,
die letzten Augenblicke des Lebens dem Kranken durch heroische Mittel zu
verbittern. Der wesentliche Vorgang der Auflösung des Körpers, so-
>yol in abzehrenden als fauligen Krankheiten, ist, nach Hecker, dass der
organische Stoff, nach entstandenen, sehr verschiedenartigen Verderbnissen,
in grösserer Menge zersetzt und ausgeschieden wird, als die Verdauung und
die Assimilation wiederzuerstatten vermögen, wovon denn Abmagerung und
endlich Tod, wird die Ursache der Colliquation nicht gehoben, die Folge
ist. Im Allgemeinen übermegen bei coUiquativen Zuständen der Schweiss,
die Haut- und Darciabsonderung , deren Producte zugleich die grössten,
noch nicht genau chemisch untersuchten Veränderungen erleiden ; passive
Blutungen aus den Schleimhäuten und aus wunden Stellen kommen nicht
selten hinzu, und der Kranke scheint im eigentlichen Verstände zu zerflies-
sen. „Von den hitzigen Krankheiten — sagt Hecler in RusVs Handb. der
Chirurgie, Bd. V. S. 94 — sind es vorzüglich das Faultieber und der nicht
faulige Typhus, welche dies Überwiegen der Rückbildung veranlassen, dem
jederzeit eine Entmischung der Bhitmasse vorausgeht, — von den chroni-
schen Abmagerungen oder Zehrkrankheiten vorzüglich diejenigen, die mit
einem örtlichen Schmelzungsprocesse , wie Eiterung, Tuberkelauflösung,
Krebs, Markschsvamm, Blutschwamm, Melanose und Schleimfluss, im letz-
ten Stadium verbunden sind ; auch ist hier der Scorbut zu nennen , der un-
ter den chronischen Krankheiten denselben Zustand darstellt, den das Faul-
fieber unter den acuten. Schon die durch übermässige äussere Eiterung her-
vorgebrachte Abzehrung (^Phthisis externa} kann an und für sich coUiquativ
werden und Zufälle der Schmelzung im übrigen Körper veranlassen , beson-
ders Schweiss und schnielzende Durchfälle ; um so leichter thun dies alle
innern und äussern Verjauchungen , bei denen die Entmischung der Blut-
masse fortwährend durch die Einsaugung des krankhaften Productes begün-
stigt wird. Der coUiquative Durchfall ist sehr häufig, besonders im fauli-
gen und nicht fauligen Typhus , sowie in der Tuberkelschv^indsucht , von
einem eigenthümlichen Darmleiden, der Dothinenteri e, begleitet, welche
erst von den Neuern genauer erkannt und richtiger gewürdigt worden ist.
Die sonstigen krankhaften Processe, die bei der Colliquation irgend in Be-
tracht kommen , hat die neueste Pathologie und pathologische Anatomie zum
Theil sehr gründlich erörtert."
Collutorium, das Mundwasser. Es dient zum Ausspülen des
Mundes oder um es eine gewisse Zeit im Munde zu halten , und es unter-
scheidet sich vom Gurgel Wasser dadurch, da.ss dieses mehr, indem man sich
damit gurgelt, auf Rachen, Pharynx und Kehlöffnung wirkt (s. Garga-
risma). Zum erweichendem Collutoriura und Gargarisma nimmt man
COLLUVIES — COLOBOMA 443
Infus, flor. sambuci, Decoct. rad. althacae , Feigen, Rosinen, 7um reizen-
den Infus, specier. arom. mit Wein, zum tonisirenden Cort. quercus,
China, Myrrhe, zum alterirendem Sublimatauflösung, Solut. cupri sul-
jthurici, Zinci sulphurici etc. Einige beliebte Formeln sind: 1) fy Flor,
mnlvae, Folior. salviac ana 5jjj ? infundc Aq. fervid. q. s. ad Colnl. 5VJJ.
Solve Snl. ammnniaci dep. 5jj ? Meli, crudi 5J . S. Gurgel wasser. 2) I^ Extr.
vv/rrh. nquos. 5j ? Aq. snlvine 3VJ, Meli, rosnti ^j. Solv. S. Gurgel wasser.
S) I^' Boracis Sjj^ Aq. rosarum gvjj , Meli, rosar. 5J. M. 4) l^r Aqune Calc.
vstae, Lnctis vaccini ana giv, Meli, rosat. gjj. M. 5) ^l Folior. sabinac 5vj,
infund. .iq. fervid. s. q. ut rem. col. 3VJ. Solve Merc. sullimat. corros. gr. j,
IM. 6) ^r Cort. Pcruvinn. mir. 5Js , coq. c. Aqune 3X ad Col. 5VJ , adde
Cnmphornc, gumm, arah. trit. gr. xj], Tinci. 'pimpinellae, PuJo. cort. clnnae
flav. anagfv, Meli, rosat. 3Jß. M. Nr. 1 passt zu Anfange, Nr. 2 am Ende
von Angina catarrhalis, bei Abscessen im Munde, bei Schmerzen dieser
Theile; Nr. 3 bei Schwämmchen und eiternden Halsentzündungen, und
Nr. 4 bei Aphthen und asthenischen Blennorrhöen, als Mund- und Gurgel-
wasser, auch als Injectionen angewandt. Nr. 5 empfiehlt Kopp besonders
gegen chronische Bräune , gegen Angina tonsillaris indurata , und Nr. 6
wandte Berends gegen brandige Aphthen und solche Bräune an. Kindern,
Delirirenden , Wahnsinnigen giebt man keine Gurgelwasser mit Bestandthei-
len, die beim Verschlucken nachtheilig werden können. Im entzündlichen
Stadium mancher Bräune verschlimmert das Gurgeln den Zustand, dagegen
erleichtert es sehr, wenn der Kranke das Mundwasser Nr. 1 oft erwärmt
einige Minuten im Munde hält. Bei heftiger Mandel geschwulst und starker
Absonderung zähen Schleims können die Kranken auch selten das Gurgeln
vertragen , hier sind die Injectionen an ihrer Stelle , wodurch viel Schleim
entfernt und grosse Erleichterung verschafft wird.
Colluvies« Bedeutet wörtlich Zusammenfluss von allerlei Unrath,
und bei altern Ärzten vorzüglich gastrische Unreinigkeit en in den
ersten Wegen (CoUuvies gastrica) , welche ausleerende Mittel indiciren.
Collyrium. Ist ein feuchtes, schleimiges Augenmittel,
z. B. A(|ua rosar. mit Mucil. guinmi arabici. Bei den Alten bedeutet es
eine cylindrische feste Arzneimasse zum Einbringen in die Ohren , in die
Nasenlöcher, den After, die Vagina.
Coloboma, abnorme Augenliderspalte. Ist dasselbe am Au-
genlide, was die Hasenscharte (Labium leporlnum) an der Oberlippe ist.
Das Übel kommt am häufigsten am obern Augenlide vor, und ist gleichfalls
zuweilen angeboren, so dass das Augenlid senkrecht durchschnitten ist; am
häufigsten ist es indessen die Folge einer schlecht behandelten perpendiculären
Verwundung dieses Theils. Die Folgen davon sind : hässliches Ansehen,
Umbiegung des Augenlids an seinen Rändern , Hervorragen der rothen Tu-
nica interna, mangelhafte Bedeckung des Auges (das sogenannte Haasen-
auge, Lagophthalmos) , mangelhafte Zusammenziehung des Muse, orbicula-
ris, der nicht als Einheit wirkt, sondern durch die Contraction, statt das
Auge zu schliessen, gerade das Gegentheil bewirkt. Cur. Die der Ha-
senscharte. Man macht die Ränder wund und vereinigt sie, wobei man
aber den Tarsus schonen muss. Am besten ists, man schneidet gar nichts
daran, sondern man berührt die Wundränder mit einer heissgemachten Na-
del und legt darauf zur Beförderung schneller Vereinigung nach Himli/s
Methode die blutige Naht an. Dieses Verfahren ist dem Ätzen mit Lap.
caust. oder infernalis deshalb vorzuziehen, weil man das Cauterlum poten-
tiale besser handhaben kann. ,'
Colohoma iridis, abnorme Spalte in der Regenbogenhaut. Ist als Vi-
tium congenitum zuweilen beobachtet worden, besonders am untern Rande
der Iris, bald nur an dem einen, bald an beiden Augen. Selten ists ein
Fehler der ersten Bildung, sondern erfolgt wahrscheinlich beim Zerstörungs-
process der Membrana pupillaris, wenn diese mit der Iris zu innig vereinigt
ist und so letztere theil weise, zuweilen auch ganz (Defectio iridis) mit ver-
444 COLOTOMIA - COMA
zehrt wird. Unsicherer Blick, Lichtscheu, Gesichtsschvväche sind die Fol-
gen. Die Cur ist wol unmöglich. Fälle der Art finden wir in Richter's
Bibl. Bd. II., IV. u. VII. ReiVs Archiv, Bd. V. Ephemer. N. C. VIII.
UorrCs Archiv, 1821. Sept. u. Oct. RusCs Magaz. Bd. VI. Dresdener Zeit-
schrift, Bd. II. Ausführlich handelt über den angeborenen, theilweisen und
gänzlichen Mangel der Iris Dr. Behr in Bernburg in Hecher^s Lit. Annalen,
1829, April, S. S73 u. f. Auch in v. Ammon^s Zeitschrift f. Ophthalmolo-
gie, Bd. I. S. 55, Bd. III. S. 277 u. 467, und Bd. IV. S. 436 finden sich
Fälle von solchem Coloboma, von Gescheidt auch Irido Schisma genannt,
und die anatomische Untersuchung derselben mitgetheilt.
Colohoma chorioideae. Ist in seltenen Fällen gleichfalls als Fehler der
ersten Bildung beobachtet worden , ebensowie ein Colohoma retinae , wor-
über V. Ammon interessante Beobachtungen nebst Abbildung raittheilt (s. v.
Ammotis Zeitschrift f. Ophthalmologie, 1830, Bd. I. Hft. 1. Pierer' s Allg.
med. Zeitung, 1831, Nr. 16).
Colotomia, die kunstgeraässe Eröffnung des Grimmdarms. S. La-
paro-Colotomia.
Colpalg^ia , Schmerz in der Mutterscheide. Mtiss nach den
Ursachen verschieden behandelt werden. Man untersuche deswegen genau,
ob Prolapsus uteri et vaginae , Hernia vaginalis , Elytroncus , Carcinoma,
Syphilis etc. da ist.
Colpatresia, Verwachsung der Scheide, s. Atresia vaginae.
Colpempliraxis. Ist Verstopfung der Scheide durch fremde
Korper, Mutterkränze, Polypen etc.
Colpitis, Elytriiis ^ Entzündung der Scheide, s. Inflammatio
vaginae.
Colpocele» Mutterscheidenbruch, s. Hernia vaginae.
Colpoptosis» Muttcrscheidenvoi'fall , s. Prolapsus vaginae.
Colporrbagia, Mutterscheidenbiutfluss , s. Haemorrhagia uteri
et vaginae.
Colporrbexis , Zerreissung der Mutterscheide. Wird, wie
Ruptura perinaei, womit das Übel in Folge eines rohen Accouchements oder
einer sehr schweren Entbindung zuweilen vorkommt, behandelt. Ruhige
Lage bei geschlossenen Schenkeln und die äussere Anwendung des kalten
Wassers in Verbindung mit einer kühlenden Diät vermögen hier oft viel,
und nur bei bedeutenden Einrissen ist die blutige Naht indicirt.
Colpos* Ist bei Galen ein Hohlgeschwür (Ulcus sinuosum), bei
Neuern die Mutterscheide.
Colposteg^nosis 9 Verengerung, Verwachsung der Mutterscheide,
s. Atresia.
Colpostenocboria. Ist Verengerung der Scheide. S. Atresia
vaginae.
ColpOf^ynizesis. Ist dasselbe, was Atresia vaginae ist.
Columella. So nennen Einige die Entzündung des Zapfens (s.
Angina uvularis), obgleich das Wort nur Uvula, bei Plinius die Epi-
glottis bedeutet.
Coma» die Schlafsucht, ein krankhafter, sehr fester Schlaf, ein
höherer Grad von Sopor (s. Carus). Einige ältere Ärzte verstehen dar-
unter auch Coma vigil oder Agrypnia. Im Allgemeinen ist Carus der hö-
here, Coma dagegen der niedere Grad von Schlafsucht, und unter Cata-
phora verstehen die Neuern nur eine anhaltende Schläfrigkeit, obgleich An-
dere damit den höhern Grad des Carus bezeichnen.
Coma viißl, Agrypnocoma , Typliomania, Typhonia , Wachschlaf-
sucht, wachende Schlafsucht. Hier erwacht der Kranke oft aus
der Schlummersucht, spricht verkehrt, pliantasirt und verfallt während des
Sprechens gleich wieder in tiefen Schlaf.
COMBUSTIO 445
* Comll^WStlo , Amüuslioy Adustio, Amhusiurrn, JE»crt«ste, die Ver-
brennung, der Brandschaden. So nennen wir dasjenige Übel, das
durch plötzliche Einwirkung eines die Temperatur des gesunden Menschen
(SO* R.) übersteigenden Wärmegrades erzeugt wird. Die schädlichen Poten-
zen als die veranlassende Ursache der Verbi'ennung sind theils trockne, theils
nasse Hitze: Feuer, heisses Wasser, geschmolzene Metalle und Harze, ferner
verschiedene scharfe , chemisch wirkende Substanzen , als concentrirte Säu-
ren , die kaustischen Alkalien , der Phosphor etc. Die reizende Wirkung der
Hitze , wie der chemischen Schärfen auf den thierischen Körper erregt eine
grössere oder geringere Reaction, je nachdem die Dauer der Einwirkung
verschieden und die Ausbreitung der Verbrennung grösser oder geringer ist.
örtliche Entzündung , die man mit Recht von jeder andern Hautentzündung,
unterscheiden muss , und (bei bedeutenden Verbrennungen) allgemeines Fie-
ber sind die Zeichen dieser Reaction. Die Entzündungen des Corium sind,
die Verbrennung ausgenommen, fast immer flüchtig und verändel*0 ihren SUz
(Pseudo - Erysipelas) , daher denn die Unterscheidung der Verbrennungsent-
zündung von jenen wichtig ist. Symptome. Die Zeichen der Verbren-
nung sind trotz der verschiedenen sie veranlassenden schädlichen Potenzen
sich im Allgemeinen gleich. Es entsteht im Augenblick der einwirkenden
Hitze heftiger, brennender Schmerz am leidenden Theile mit lebhafter Röthe
und Geschwulst des Corium, die Oberhaut erhebt sich an dieser Stelle in
Blasen , die sich mit einer serösen Flüssigkeit anfüllen und , wenn sie geöif-
iiet werden , oft Gelegenheit zu langwierigen Eiterungen geben. Bei Ein-
wirkung hoher Hitzgrade luid ätzender Stoffe , besonders bei andauernder
Einwirkung erlischt die Lebenskraft des leidenden Theils völlig, der Theii
wird chemisch zersetzt und brandig. Grade der Verbrennung. Sie
§ind nach den verschiedenen Symptomen unterschieden worden und sind in
klinischer Hinsicht von Wichtigkeit. Cotvper u. A. nehmen 3, Godefroy 6,
di^ meisten Wundärzte aber 4 Grade an. Erster Grad. Die schädliche
Potenz wirkte hier nur gelind ein, so dass blos vermehrter Zuiluss von Säf-
ten , Hitze , Röthe , Schmerz , Geschwulst , also die Zeichen einer leichten
Hautentzündung ohne Trennung der Epidermis vom Corion und nur selten
Fieberbewegungen erfolgen. Zweiter Grad. Stärkere Entzündung, Bil-
dung von Brandblasen mit seröser Feuchtigkeit , und bei grossen Verbren-
nungen und reizbarer, sensibler Constitution , bei Verbrennung nerven - und
gefässreicher Theile, z. B. des Auges, Mundes, Magens etc., deutliches Re-
actionsfieber , das einen entzündlichen Charakter hat. In diesem Grade ist
die Geneigtheit zu abnormen Verwachsungen zwischen den entzündeten und
der Epidermis beraubten Theilen, sobald sie sich berühren, sehr gross, und
erfordert von Seiten des Wundarztes die grösste Aufmerksamkeit. Dritter
Grad. Die Entzündung verbreitet sich tiefer, ergreift auch das Zellge-
webe und selbst tiefer liegende Theile unter dem Corion, so dass jedesmal
selbst bei der besten Kunsthülfe Eiterung entsteht , die bei der Heilung stets
Narben, welche zuweilen sehr entstellend und hässlich sind, hinterlässt. Der
Schmerz ist hier sehr heftig, brennend, klopfend, anhaltend, die Röthe dunk-
ler, die Geschwulst bedeutend, das inflammatorische Fieber bei einiger Aus-
dehnung der Verbrennung schon sehr stark, und häufig mit Nervenzufällen:
Convulsionen , Ohnmächten, die auf hohen Erethismus deuten, verbunden.
Die Eiterung, welche stets erfolgt, erzeugt leicht stark wuchernde Granu-
lationen. Vierter Grad. Hier erfolgt durch die heftige Einwirkung der
schädlichen Potenzen der vollkommene Brand (Gangraena), der bald feucht,
bald trocken ist. Ersteres ist der Fall, wenn feuchte Hitze, Alkalien, Phos-
phor; letzteres, wenn trockne Hitze, Lapis infernalis, Mineralsäuren etc.
einwirkten. Dieser Grad tritt nicht immer gleich nach der Verbrennung ein,
sondern ist häufig auch Folge von verkehrter Behandlung. Er bedingt im-,
mer Substanzverlust, indem durch Eiterung der brandige Theil abgestossea
werden muss. Rund um letztern bemerkt man den dritten Grad der, Ver-
brennung. Ist die Verbrennung in diesem Grade nur einigermassen bedeu-
tend, üo erfolgt heftiges Fieber mit Frost, Hitze, Durst, Kopfweh, Delirien,
446 COMBÜSTIO
mit schnellem, hartein Pulse, Conviilsionen. Häufig complicirt sich damit
ein Lungenleideu mit Dyspnoe, das selbst den Tod herbeiführen kann. Der
Grad der Verbrennung hängt ab 1) von der Heftigkeit der Einwirkung der
erregenden Ursachen; 2) von der längern oder kürzern Dauer der Einwir-
kung ; 3) von der Reizbarkeit der Constitution ; so kann z. B. bei Kindern
und zarten Frauen mit sensibler Haut, besonders bei Blondinen, ein Hitz-
grad, der bei anderen Personen nur den ersten Grad der Verbrennung er-
regt, hier schon den zweiten Grad hervorrufen; 4) von der Beschairenlieit
der Ursachen selbst; 5) von der mehr oder weniger zweckmässigen Behand-
lung. Ist diese z. B. fehlerhaft, so geht der erste Grad der Verbrennung
leicht in den zweiten, dieser in den dritten und letzterer leicht in den vier-
ten Grad über. Die Prognose ist sehr verschieden. Sie richtet sich nicht
allein nach den Graden der Verbrennung, sondern auch nach vielen anderen
Umständen. Grosse, sich über den ganzen Körper verbreitende Verbrennun-
gen werden in der Regel tödtlich , und zwar theils durch die Heftigkeit des
intlammatorischen Fiebers, theils durch den hohen Nervenreiz und die durch
die weite Ausdehnung der Entzündung bewirkte Unterdrückung der Haut-
transspiration , für welche die mit der Haut in Consens stehenden imiern
Organe, besonders die Lungen und die Hirnhäute vicariiren, und so Exsuda-
tion und Apoplexie erregen. Dagegen nehmen kleine Verbrennungen, selbst
in allen Graden, meist einen glücklichen Ausgang, indem im ersten Grade
sich die Oberhaut abschuppt, im zweiten die Blasen eintrocknen und sich
eine neue Oberhaut bildet, im dritten durch Granulationen und Narbenbil-
dung, im vierten durch Abstossung des Brandigen und durch Eiterung und
Granulationen der Heilungsprocess erfolgt. Dass die Gefahr bei innern Ver-
brennungen, wenn Augen, Mund, Schlund, Speiseröhi'e, Magen etc. ergriffen
sind, bed<5utender als bei äussern Verbrennungen ist, versteht sich von selbst.
Bei letztern hängt die meiste Gefahr von der Ausbreitung der Verbrennung
ab, weniger von dem Grade derselben, indem kleine Verbrennungen des
vierten Grades, selbst wenn sie sehr in die Tiefe dringen, nie die Gefahr
mit' sich führen, als ausgebreitete Verbrennungen des ersten und zweiten
Grades. Grosse Berücksichtigung verdient auch die Reizbarkeit des Kran-
ken ; ist diese sehr gross , so können selbst kleine Verbrennungen durch die
hinzukommenden Nervenzufälle und Fieberbewegungen bedenklich werden;
auch ist die Prognose xnigünstig, wenn schon erkrankte Organe eine Ver-
brennung erleiden, Behandlung. 1) Man entferne die Ursachen, wenn
sie noch einwirken, z. B. man neutralisire die scharfen Säuren durch ver-
dünnte Alkalien, hülle sie durch schleimige Mittel ein. Entstand die Ver-
brennung durch Alkalien, so wende man Leinöl an. Breiuiende Kleider
löscht man am besten, indem man das Feuer durch Umwickeln von Tüchern
dämpft; sind bekleidete Theile verbrannt, so schneide man die Kleider weg.
2) Die örtliche Behandlung richtet sich nach den Graden der Verbrennung.
Im ersten Grade ist das grösste Mittel; kaltes Wasser, mit mehrfach za-
sammengelegten Compresseii übergeschlagen. Es darf anfangs nicht zu kalt
seyn , ist oft selbst lauwarm anzuwenden und zwar in dem Grade , wonach
der Schmerz augenblicklich aufliört. Auch zerquetschte Kartoffeln , Mohr-
rüben, Solutio aluminis. Aqua saturnina thun hier herrliche Dienste. Um-
schläge von erwärmtem Branntwein, von Alkohol leisten Vorzügliches, in-
dem sie durch Verdunsten Kälte erregen. Andere Mittel wirken dadurch
schmerzlindernd, dass sie die Einwirkung der Luft abhalten, z. B. das Be-
streichen des Theils mit Leinöl, Eieröl, mit Eigelb, das Einhüllen in Baum-
wolle. Im zweiten Grade ist wiederum das kalte Wasser das erste und
beste Mittel. Die hier entstehenden Brandblasen öffne man , wenn sie klein
sind, gar nicht, und die grössern erst nach 6 — 8 Stunden, also wenn der
Schmers völlig beseitigt ist, und zwar mittels eines kleinen Einstichs, so-
bald sie viel Serum enthalten (^Hell). Alsdann wende man Hufelnmi's Brand-
salbe, bestehend aus frischem Leinöl, Eivveiss und Milchrahm, zu gleichen
Theilen , und stark durch einander gerührt, an , desgleichen das Linimentum
ex aqua calcis, welches aus «incr Mischung von Leinöl und Kalkwasacr be-
OOMBUSTIO 447
steht (Cliaumet, Tunier, Thomaon) und in England unter dem Namen Car-
ronoil bekannt ist. Späterhin kann man mit Blei - oder Zinksalbe verbinden.
Sind die Brandblasen gross und mit dunklem Wasser gefärbt , so gehen die
Stellen leicht in Eiterung über und haben grosse Neigung zur Bildung von
«vildem Fleische. Man verbinde solche mit Blei- oder Zinksalbe, dick auf
Läppchen gestrichen. Sind mehrere an einander liegende Finger oder Ze-
hen verbrannt, so verbinde man sie einzeln, und lege Läppchen, mit Blei-
salbe bcstrischen, dazwischen, um Verwachsungen zu verhüten. Im drit-
ten Grade wende man anfangs die im zweiten Grade genannten Mittel an,
späterhin aber, wenn sich die Entzündung gegeben hat und starke Granu-
lationen hervortreten , verbinde man mit Unguent. lapid. calaminaris , mit
trockner Charpie, und ist der Schmerz noch bedeutend, mit Linimentum ex
aqua calcis. Digestivsalben sind hier nicht anzuwenden. Ist die Wuche-
rung des schwammigen Fleisches bedeutend, so beize man es weg (s. Ab-
scessus und Caustica). Im vierten Grade ist die Cur, so lange be-
deutende Entzündung vorhanden ist, dieselbe, wie in den frühern Graden,
indem liier diese jedesmal neben dem vierten Grade stattfinden. Man wende
also zuerst kaltes Wasser etc. an. Späterhin sorge man dafür, dass sich
das Todte vom Lebendigen trennt. Erweichende warme Umschläge sind hier
am zweckmässigsten (I'Aonvson); späterhin auch zum Verbinden das Unguent.
digestivum. Ist die Trennung erfolgt, so verbinde man das Geschwür nach
den bekannten Regeln der Kunst. Sehr wirksam ist zu Anfange aller Ver-
brennungen folgendes Liniment: I^ Exir. saturni, Ol. hyoscyami codi aiva gj,
Aq, rosar, q. s. ut tritwrnndo fiat linimentum (^Knachstädt). Eitern später
die Stellen stark, so verbinde man sie mit folgender Salbe: I^ Flor, zinci
pulv., Lap. calam. pulv., Lycopodii ana 3j» Myrrhae, Sacchari saturni ana 3f?»
Äxung. porci, Aq. rosar. lot. ana gjf^« M. exactiss. (DorfniüHcr). 3) Bei
Verbrennungen mit Glüheisen, siedendem Wasser, Öl, Pech etc. empfiehlt
man neuerlich besonders den Chlorkalk in einer Auflösung von S Graden
nach Givy-hussac's Chlorometer als Umschlag {Lisfranc, Godefroy). 4) Bei
Verbrennungen innerer Theile: des Mundes, Schlundes, der Speiseröhre etc.
gebe man einhüllende schleimige Getränke, Mandelemulsionen mit Kalkwas-
ser, spritze bei Verbrennungen der Vagina ähnliche Mittel ein, verhüte die
leichtfolgende Atresie durch zwischengelegte mit Öl bestrichene Charpie, und
behandle zugleich den Kranken stets innerlich nach Beschaffenheit des Fie-
berzustandes. 5) Sind Hände und Finger verbrannt, so halte man sie Stun-
den lang in Branntwem, bis der Schmerz vorüber ist. 6) Ist der grösste
Theil des Körpers verbrannt, so bringe man den Kranken, nachdem ihm die
; Kleider vom Leibe geschnitten worden , in ein Bad , das aus 6 bis 8 Eimern
I voll kaltem Wasser, 1 Eimer voll saurer Milch und 2 bis 4 Pfund gestosse-
! nem Alaun besteht, und worin der Kranke 2 Stunden verweilen muss, nach-
( dem das Ganze gehörig gemischt worden. Erkältung ist hierbei nicht zu
I befürchten , gegentheils befindet sich der Kranke sehr erleichtert und freier
I von Schmerzen darin (M). 7) Ist ein Funken ins Auge gesprungen, z. B.
i bei Schmieden, Köchinnen etc. , so schlage man Compressen mit kaltem Was-
ser über das Auge, und erneuere sie alle 10 Minuten, bis der Schmerz nach-
lässt. Alsdann wende man folgendes Augenwasser an i ^f Mucil. gumm. ara-
hici et sem. cydonior. ana 3jj, Aq. rosar. gjj. M. 8) Sind Gelenkgegenden
verbrannt, so muss das Glied in gestreckter, nicht in gebogener Lage er-
halten werden. Auch muss es deshalb täglich etwas bewegt werden. 9)
Höchst wichtig ist bei allen bedeutenden Verbrennungen, sobald allgemeine
Fieberzufälle sich einstellen, die innere Behandlung des Kranken. Der Dr.
Siedmoyrotzici sagt darüber (Berliner medic. - chirurg. Encyklopädie, Bd. II.
S. 173.) nüt Recht : „ Wenn auch Kentish und nach ihm Mehrere reizende,
aufregende Mittel: Weingeist, Äther, Kampher, Opium als die Hauptmittel
anpreisen, so lasse man sich dadurch nicht verleiten, dieses Verfahren für
das immer passende zu L-alten. Nur dann, wenn ein nervöser, fauliger Zu-
i stand eintritt, oder der Kranke durch die starke Eiterung sehr entkräftet
1 ist und an einem hohen Grade von Erethismus leidet, kötmen dergleichen
448 COMBUSTIO
Mittel heilsam sejii. In der Mehrzahl der Fälle ist ein entzfmdliches All-
gemeinleiden zugegen, daher Aderlässe, wo es nöthig, mehrmals wiederholt,
innerlich Antiphlogistica, die Neutralsalze, ISarcotica frigida, eine sparsame
Diät. Wenn heftige Schmerzen das Fieber unterhalten und dem Kranken
alle Ruhe rauben, gebe man Opium und andere Sopientia, welche bei be-
deutendem Erethismus nie Tersäumt werden dürfen und oft allein im Stande
sind, emem unglücklichen Ausgange vorzubeugen. Selten wird man genö-
thigt seyn, stärkende, antiseptische Mittel gegen die schädlichen Einwirkun-
gen des Brandigen anwenden zu müssen. Sollte dies aber der Fall seyn,
SU reiche man, nur nicht früher, bevor nicht das entzündliche Fieber be-
seitigt ist, China, Säuren und andere Antiseptica, dabei eine kräftige, näh-
rende Diät." Bei Vollblütigen versäame man die Venaesection ja nicht , man
setze auch Blutegel an den Kopf und wirke , um die Kopf - und Lungen-
aftectionen durch eine andere abnorme Secretion zu verhüten, auf den Darm-
tanal durch kühlende Purgirsalze, z. B. 1^ Decoct. fruct. tamarindor. 3X,
Sal. Glttubcri 3] , Mtri depurati 5J3 , Mucil. gumm. arah. gjj. M. S. Alle
'•f-i'-l Stunde 1 Esslöffel voll. Ist die Constitution etwas schwächlich, so
lasse man den Salpeter weg. Neben dieser Arznei kann man bei vielen
Schmerzen und Schlaflosigkeit des Abends Pulv. Do wen mit Nutzen ge-
ben (M.). Sollte das Subject höchst schwächlich und reizbar seyn, so pas-
sen Infus, valerianae mit Opium, sowie besonders bei Convulsionen in sol-
chen Fällen der Moschus ein herrliches Mittel ist. Doch vergesse man auch
hier nicht, für tägliche Leibesöffnung, wenigstens durch reizende Kly stiere,
zu sorgen. Gegen Hautverbrennungen im ersten und zweiten , selbst an-
fangs im dritten Grade wirken ausserordentlich schön und schnell die Schmer-
zen lindernd Umschläge von Aq. kreosoti, welche ich nach eigenen Erfah-
rungen nicht genug loben kann. Auch das Betupfen der Brandblasen, an
allen Stellen , wo die Lymphe ausquillt, mit Lapis infernalls, nach J. E. Cox
und Dr. Fricke, ist ein vorzügliches Mittel, indem darauf in wenigen Minu-
ten der Schmerz verschwindet und die Brandstellen nicht in Eiterung über-
gehen, sondern bald vertrocknen und heilen (s. Gerson^s und Jtilim^s Maga-
zin. Hamburg, 18S3. Jan, u. Febr. S. 172).
Comhustiu spontanen, Empresinus, die Selbstentzündung und Selbst-
verbrennung des menschlichen Körpers. Ist eine sehr merkwür-
dige, in frühern Zeiten für fabelhaft gehaltene, jetzt aber durch glaubwür-
dige Beobachtungen treuer Naturforscher ausser allem Zweifel gesetzte Er-
scheinung, — eine schauderhafte, zum Glück der Menschheit aber seltene
Todesart! Die Erfahrung hat gelehrt, dass vorzugsweise bejahrte Personen
weiblichen Geschlechts, zumal solche, welche bei Trunksucht und Fettlei-
bigkeit ein körperlich unthätiges Leben führten, binnen kuraer Zeit von
einigen Minuten von selbst in Flammen geriethen und dergestalt verbrann-
ten , dass der grösste Theil ihres Körpers in Asche verwandelt wurde,
und sich nur Überreste der Glieder und des Schädels vorfanden. Beispiele
von solchen Todesarten findet man in folgenden Scluriften : Piepcnhrimf s
Archiv f. Pharmacie und ärztl. Naturkunde. Mayer's Sammlung physical.
Aufsätze. Intjeiihousz Miscell. physico - medica. Ed. Scherer. \ ienn. 1795.
•dozier Observations sur la physique. 1779. Vol. 12. Medio. Nationalzeitung.
1800. P. A. Lair, Essai sur les combustions humaines etc. Paris, 1800.
J. H. Kopp , Diss. de causis combustionis spontaneae. Jen. 1800. Pfeiffer,
Diss. de combustiune corborum tarn organicorum quam anorganicorum s[)on-
tanea. Goetting. 1809. — Die Meinungen über die Ursache dieser sponta-
nen Verbrennmig sind getheilt. Einige, z. B. Kopp u. A. behaupten, <las8
sich die Gasarten in den Höhlen des Körpers und im Zellgewebe, zumal
bei Fettleibigen, anhäufen und daiui durch Einwirkung der Luftelektricität
sich entzünden. Andere geben dem häufigen Genuss geistiger Getränke die
Schuld, und dies ist die ältere Meinung (s. TT. Ritter, Über Selbstentzün-
dung in organischen u. leblosen Körpern. 1804). Sehr gut lassen sich beide
Meinungen mit einander vereinigen. In sehr vielen Fällen waren die Per-
sonen dem Trünke ergeben und der Unglücksfall ereignete sich in der Nähe
COMBUSTIO 4i0
eines brennenden Lichts oder eines Feuers. Der Weingeist kann sich in
Gasform im menschlichen Körper aufhalten, zumal bei Trinkern, die an
Delirium tremens leiden , wie dieses Sectionen bewiesen haben. Er kann
sich sehr gut, zumal im nachgiebigen Zellgewebe fettleibiger Frauen und
in den Höhlen des Körpers aufhalten und durch ein nahestehendes Licht in
Entzündung und blaue Flamme gerathen. Selbst der Athem bei stark Be-
rauschten kann den gasförmigen Alkohol enthalten und dadurch der Körper
angezündet werden. — Die Kopp'sche Theorie (s. auch dessen DarstelL u>
Untersuchung der Selbstverbrennungen), der Kühn (De vcrisimili combustio-
nis corp. human, spontan, causa. 1811. Programm.) widerspricht, gewinnt
dadurch an Wahrscheinlichkeit, dass man auch Fälle beobachtet hat, wo
Menschen den Tod der Selbstverbrennung starben, ohne geistige Getränke
geliebt zu haben, und weil sich in den Höhlen des Körpers, zumal bei Fett-
leibigen,' vorzüglich im Darmcanal, solche Gasarten vorfinden, die durch
den elektrischen Funken entzündet werden können (s. den Artikel Borbo-
rygmi). Auch der Umstand, dass das Übel am häufigsten bei trockner
Winterkälte oder gewitterreicher Sommerluft, wo die Luftelektricität sehr
stark ist , vorkommt , dass die Entzündung schnell geschah und die Flamme
leicht beweglich, aber nicht durch Wasser zu löschen war, giebt der Kopp'-
schen Theorie viel Wahrscheinliches. (Vergl. Horn^s Archiv, 1817. Juli u.
Aug. S. 107.) — Das neueste mir bekannte Beispiel einer, freilich nur par-
tiellen spontanen Verbrennung, ereignete sich im Dorfe Leognan, 2 Meilen
von Bordeaux, am 5. Septbr. 1822, wie ich dieses damals in französischen
Blättern, von einem gewissen Leon, Kaufmann zu Bordeaux, mitgetheilt,
gelesen habe. Der Schmidt Reynateau aus Leognan machte am genannten
Tage eine kleine Fussreise nach Bordeaux. Der Tag war sehr hciss, das
Thermometer stand fast auf SO** R. , und das Ansehn des Himmels schien
ein Gewitter zu prophezeihen. Des Nachmittags tritt der Mann den Rück-
weg nach Hause an; er geht etwas schnell und der Weg ist ohne Schat-
ten, so dass die brennenden Sonnenstrahlen auf ihn einwirken. Die Klei-
dung des Schmidts bestand aus neuen Stoffen; er führte keine leicht ent-
zündliche Substanz, z. B. Vitriolöl, Scheidewasser etc. bei sich, hatte auch
nur ein massiges Mittagsmahl zu sich genommen, sowie er überhaupt massig
lebte , erst 40 Jahre alt war und nie geistige Getränke in Übermass genoss,
aber bei kräftigem Körper ein hervorstechend cholerisches Temperament be-
sass. Als der Mann nur noch % Stunde von seinem Hause (es war 4 Uhr
Nachmittags) entfernt ist, kommt es ihm bei einer Drehung des Körpers
vor , als ob er einen Schlag auf den rechten Oberschenkel erhielte ; darauf
bemerkt er am Zeigefinger der rechten Hand , welche am Schenkel herab-
hängt, eine bläuliche Flamme, die sich dem Mittelfinger der Hand raittheilt.
Augenblicklich fährt er mit den Fingern in der Absicht, die Flamme zu er-
sticken, au die Hose, die sich gleichfalls entzündet. R. wir^l sich nieder,
führt so schnell als möglich die Hand unter den Sand und steckt davon in
die Hosentasche, wohin das Feuer schon gedrungen war. Auch die Finger
der linken Hand fangen Feuer. Er kommt so zu Hause an, taucht die Fin-r
ger mehrmals in kaltes Wasser, kann die spielende blaue Flamme aber
nicht löschen. Erst durch Abhaltung der Luft gelingt es endlich. Volle 2
Monate vergingen, ehe die in Entzündung und Eiterung übergegangenen
Finger geheilt waren. Die Verbrennung beschränkte sich genau auf die
ersten Fingergelenke. — Diese Beobachtung ist deshalb , zumal für Medi-
cina forensis, wichtig, indem sie darthut, dass die spontane Verbrennung
auch unter Erscheinungen stattfinden kann, die von denen, die die Autoren
darüber mittheilen, bedeutend abweicht. Denn fast sämmtliche Schriftsteller,
welche bis jetzt Fälle der Art mittheilten, namentlich Kopp, Lnir , Pfeiffeify
Mnrc , Joh. Bataglia , Mayer , Rozier etc. , sind einstimmig darüber , dass
folgende allgemeine Bedingungen als begünstigend zur Hervorbringung der
Selbstverbrennung angenommen werden müssen : 1) das weibliche Geschlecht
ist derselben häufiger unterworfen, als das männliche, weil dessen Körper
mehr mit Fett durchwachsen und folglich entzündlicher ist. 2) ÄJtliche
Most Encyklopädic. 2te Aufl. J. 29
450 COMEDONES
Personen, fast durchgehends über 60 Jahre alt, waren ihr am meisten un-
terworfen. S) Sie führten ein unthätiges Leben und waren muskeiächwach.
4) Sie liebten häufig den Genuss geistiger Getränke. 5) Sie befanden sich
in der Nähe eines brennenden Körpers. 6) Die Erscheinung war, was bei
Ä.'s Fall nicht erzählt wird, mit einem brenzlichen, stinkenden Geruch be-
gleitet, und ereignete sich im Winter und bei trocknem Wetter und starker
Kälte, wo die erkältete Luft die Leitungsfahigkeit der Elektricität vermin-
dert und daher der thierische Körper den intensivsten Grad eigenthümlicher
Elektricität besitzt , eben so wie der Conductor einer in Bewegung gesetz-
ten Elektrisirmaschine aus demselben Grunde (wegen der schlechtem Lei-
tungsfähigkeit der trocknen Luft) alsdann die stärksten Funken beim Aus-
ziehen giebt. — Die kleinen Wirbelwinde, welche man bei heissem Wetter
und vor einem Gewitter im Sommer an Plätzen, wo sich Staub gesammelt,
beobachtet, deuten auf ungleiche Vertheilung der positiven oder negativen
Elektricität, die sich auf einzelnen Stellen stärker, als auf andern entladet.
Wenn nun im obigen mitgetheilten Falle die thierische Elektricität des R.
im Gegensatze mit der Erdelektricität sich befand, und der Mann eine sol-
che Stelle traf, so lässt sich diese Selbstentzündung als elektrisches Phäno-
men wol erklären. Nach Htinefeld {Horn's Archiv 1830. Juli n. Aug. S. 718
u. ff) ist der Empresmus das Product eines plötzlichen Übertritts jener von
dem Lebensprocesse gebundenen Potenzen: Licht, Wärme und Elektricität,
zur organischen Qualität und der Entzündung und Zersetzung, welche die-
selben zugleich mit Hülfe des Sauerstoffs der umgebenden Luft in den thie-
rischen Stoffen verursachen , so dass sie theils Verbrennung , theils faulniss-
artige Zersetzung nach sich zieht. L. A. Most.
^Comedones« Crhiones, Acne punctatn, Mitesser, Dürrmaden,
Zehrwürmer. Sind kleine, schwärzliche, erhabene Pünktchen in der
Haut, die aus dieser herausgedrückt werden können und dann wie Fäden,
den Maden ähnlich, aussehen, und aus verhärteter Lymphe mit Schmuz
vermischt bestehen. Ihr Sitz ist in den Folliculis sebaceis, und das Wescnt-
fiche häufig eine Anfüllung derselben von Sebum. Ursachen. Sie ent-
stehen am häufigsten durch Unreinlichkeit des Hautsystems und von unter-
drückter Hautausdünstung, z. B. wenn man sich das Gesicht, wo sie wie
am Nacken und auf der Brust häufig vorkommen, bei erhitztem Körper mit
kaltem Wasser wäscht. Sie sind bei atrophischen, verfutterten Kindern häu-
fig, über den ganzen Körper verbreitet, zu finden. ITier sind sie ein Sym-
[)tom der Atrophie und verschwinden mit dem Grundübel. In anderen Fäl-
en sind sie rein örtlich. Cur. Wo sie sehr entstellen, z. B. im Gegichte,
kann man sie einzeln mit einer Nadel herausgraben. Oft verschwinden sie
schon , wenn man den Theil mit Seifenwasser und Flanell abreibt ; oder man
nimmt 2 Esslöffel voll Weizenmehl, ebensoviel Bierhefen und 1 Esslöffel voll
Honig, salbt den leidenden Theil mit dieser Mischung ein und wäscht ihn
nachher mit Seifenwasser ab. Bei Kindern räth Jahn (System d. Kinder-
krankheiten. S. 273) an, die Kinder mit aromatischen Kräutern zu baden,
und besonders die am meisten mit Mitessern besetzten Theile mit Decoct.
herb, siderit. , agrimoniae, sapohariae, hyperici , mit Seifenwasser, Salzwas-
ser, Kleien, Wein und Wasser etc. zu waschen, indem wollene Läppchen
damit angefeuchtet und die Theile zugleich stark frottirt werden. Aufge--
fütterte, unreinlich gehaltene, mit grober Kost: Mehlspeisen etc. genährt^
Kinder leiden oft schon in den ersten Lebensmonaten an diesem Übel, be-
sonders unter der armen Volksclasse, wo Atrophie, Scropheln und Zebrfie-
ber 80 viele Kinder wegraffen. Die sicherste Behandlung ist hier die pro-
phylaktische. Die Hauptmittel sind: reinliches Verhalten, gute Pflege, ge-
sunde Mutter- oder Ammenmilch, beim Entwöhnen vermeide man alle unge-
sunde Nahrungsmittel , gewöhne die Kinder melir an animalische Kost , üftcl
lasse sie öfters, warm baden, besonders passen Bäder von Weizenkleie ijnd
zugleich Frottiren der Haut mit Flanell (Meissner s Kinderkrankheiten, 1828.
Th. I. S. 404). Die Stellen, wo sich die Mitesser befinden, lässt man mit
Nutzen kurz vor jedem Bade mit Honig einreiben {Heim), Christian Hoppe. ''
COMITIALIS MORBUS — COMMOTIO CEREBRl 451
*Comitiali8 morbus» Fallsucht, s. Epilepsia.
^Commotio cerebrl» die Gehirnerschütterung. Dieses Übel
kann durch jede auf den Körper einwirkende heftige äussere Gewalt, die
entweder unmittelbar den Kopf oder einen andern Theil des Körpers trifft,
entstehen. Jede plötzliche Erschütterung des Körpers (Commotio corporis),
z. B. durch Herabfallen von einer Anhöhe , sowol auf die Füsse als auf den
Kopf, durch Fall auf den Hintern , durch heftige Schläge auf den Kopf,
auf die Magengegend kann auch Gehirnerschütterung , die häufig mit Brust-
erschütterung (Commotio pectoris) verbunden ist, erregen. Die nächste
Wirkung der Commotion scheint eine Art Lähmung, und daher Schwächung
und Betäubung des Sensoriums zu seyn. Das Übel besteht also mehr in
einer gelinden Paralysirung des ganzen Nervensystems und besonders des
Centralorgans desselben, nicht aber in Entzündung, wie Einige angenom-
men haben, obgleich zugegeben werden muss, dass Entzündung und Eite-
rung auf Gehirnerschütterungen folgen können, besonders wenn die Zufälle
ein gemischtes Leiden: Extravasate etc. anzeigen. Symptome. Ist blos
eine reine Commotion da, so ist weder eine Zerreissung von Gefässen,
noch ein Extravasat im Gehirne da , sondern letzteres ist in seiner Substanz
erschüttert und das ganze Nervensystem gleichsam wie durch einen starken
elektrischen Schlag gelähmt. Gleich nach der Verletzung entsteht Betäu-
bung, der Kranke ist der Sinne beraubt, deren freier Gebrauch oft aber
schon bald wiederkehrt. Nun treten die Zufalle des Reizes hervor. Der
Kranke klagt über Schwindel, Ohrensausen, Funkenseben oder Verdunke-
lung des Gesichts, Gedächtnissschwächc , fühlt sich sehr matt, zerschlagen
in den Gliedern, wie gelähmt, einzelne Theile leiden wirklich an Lähmung,
er hat grosse Neigung zum Schlafe, die Sinne sind abgestumpft; der Puls,
der vorher weich und langsam ging, wird sehr frequent, das Gesicht ist
blass ; es treten Ohnmächten und Convulsionen hinzu. Späterhin stellen sich
oft noch in Folge der Congestioin zum Kopfe apoplektische Zufalle ein.
Diagnose. Höchst wichtig ist in klinischer Hinsicht die genaue Unter-
scheidung der Commotio cerebri von der Extravasation im GeÜrne, von den
Zufällen des Drucks aufs Gehirn und von der Intlammatio cerebri, sowol
von der frühen, als von der später hinzukommenden. Man muss hier meh-
rere Punkte mit einander vergleichen. Zu diesem Zweck berücksichtige man
X) die Natur der Krankheitserscheinungen. Diese sind a) entweder
Zufälle des Drucks aufs Gehirn, als Schwindel, Ekel, Erbrechen, er-
weiterte Pupille, Verlust des Gefühls und der willkürlichen Bewegungen,
apoplektische Zufalle, convulsivisches Zittern einzelner Theile, Lähmungen,
besonders an derjenigen Stelle des Körpers, die nicht verletzt worden, Nach-
lassen der Sphinkteren, Blutflüsse aus Augen, Nase, Ohren, unterdrückter
Puls, tiefe, schnarchende Respiration, Hemiplegie, Apoplexie. Oder es sind
b) mehr die Symptome des Reizes zugegen, als Zuckungen, sehr fre-
quentcr Puls , Ohrenklingen, Funkensehen , Fieber etc. Oder es sind c) die
Zufalle gemischter Art, also theils Zufalle des Drucks, theils des Rei-
zes: daher theils Lähmungen, theils Zuckungen, theils Betäubung, theils
Phantasien, theils Fieberbewegungen. Hier ist die Diagnose noch schwie-
riger. 2) Man achte darauf, wie die Krankheitserscheinungen der Zeit nach
eintreten, ob sie gleich mit der Verletzung, oder erst später, nach Stun-
den , Tagen entstehen, ob die Symptome des Drucks auf die des Reizes erst
folgen, a) Die Zufälle des Reizes entstehen, wenn Knochensplitter die Ur-
sache sind, gleich nach der Verletzung, und sie sind dann anfangs ohne
Fieber zugegen. Entstehen sie aber erst einige Tage nach der Verletzung
und sind sie mit Fieber begleitet, so sind sie Folge von Gehirnentzündung;
b) die Zufalle des Drucks entstehen bei der Depression sogleich, bei einem
Extravasat nach Verlauf von Minuten. Stellen sie sich aber erst nach meh-
reren Tagen und nachdem die Symptome des Reizes und der Entzündung
vorhergegangen , ein , so rühren sie von Eiterung her. In manchen Fällen
ist es leicht, die ZuHille der Commotion von denen des Extravasats zu un-
terscheiden; denn erstere erfolgen sogleich im Augenblick der Verletzung
29*
452 COMMOTIO CEREBRl
letztere erst einige Zeit nachher. Dies Zeichen ist jedoch nicht ganz zu-
verlässig, auch nicht in jedem Falle bemerklich; wenn z. B. der Kranke
bei der Verletzung allein war, so kann der Wundarzt nicht erfahren, ob
die Zufälle sogleich oder erst nach einigen Minuten erfolgt sind. Die Zu-
fälle der reinen Erschütterung können nach einer kurzen Zeit verschwinden
und bald darauf durch irgend eine Gelegenheitsursache wieder erscheinen
und nun leicht für die Folgen einer Extravasation gehalten werden. Hat
endlich der Kranke eine Extravasation und Hirnerschütterung zugleich er-
litten, wozu noch kommt, dass einige Zufälle der Erschütterung, z. B. Ekel,
Erbrechen, auch nicht immer gleich, sondern oft erst spät entstehen, so ist
die Sache noch schwieriger. Zuweilen leiten den "Wundarzt die ungemisch-
ten Zufälle der Extravasation : die oben beschriebenen Zufalle des Di-ucks,
die man bei bedeutenden Commotionen meist immer mit denen des Reizes
gemischt findet; ja zuweilen sind bei reinen Hirnerschütterungen die Zufälle
des Drucks so vorherrschend und die des Reizes so gering, dass man sie
leicht übersehen kann. Dass die Diagnose leichter ist, wenn äusserlich Ver-
letzungen des Schädels stattfinden, versteht sich von selbst, daher eine
höchst genaue Untersuchung des Kranken, besonders des Kopfes, nie un-
terlassen werden darf. Aus dem Obigen ergiebt sich nun, dass eine reine
Hirnerschütterung sehr wahrscheinlich zugegen ist, 1) wenn der Tod nicht
bald nach der Verletzung erfolgte, 2) wenn die Respiration frei und leicht
ist, S) wenn die Zufälle veränderlich, abwechselnd bald gelinder, bald stär-
ker sind. Behandlung. Sie richtet sich nach der Verschiedenheit der
Zufälle, muss aber immer mehr oder weniger excitirend seyn. Man mache
äusserlich keine kalte, sondern warme, ätherische, spirituöse Fomentationen
auf den Kopf, lasse den ganzen Körper, besonders den Rücken und die
Glieder, mit Flanell warm frottiren, gebe innerlich Naphtha, Wein, Infus,
flor. arnicae, Rad. valerianae, Sal volatile, und setze diese Behandlung so
lange fort , als das Gesicht des Kranken bleich , der Puls zitternd und Ohn-
mächten da sind. Findet man späterhin Sjinptome des Drucks, Annäherung
der Apoplexie, so setze man Blutegel an den Kopf, lasse auch wol ver-
suchsweise einige Unzen Blut am Arme ab , und versinkt der Kranke dann
wieder in die frühere Schwäche, so gebe man wieder Wein, Naphtha,
Arnica. Oft gehen die Zufälle der Hirnerschütterung dann in einigen Stun-
den oder Tagen vorüber. Doch sterben Menschen zuweilen noch nach meh-
reren Jahren an den Folgen der Commotionen, nachdem sie lange Zeit an
heftigen Kopfschmei'zen und Geistesgebrechen gelitten hatten. Man findet
bei der Section dann entweder Vereitenmg des Gehirns, oder es sind grosse
Portionen desselben in eine speckige Masse verändert. Die antiphlogistische
Methode : die bei Extravasation so nützlichen Aderlässe , die gerühmten Pur-
girsalze und Vomitive passen bei reinen Commotionen durchaus nicht , müs-
sen aber dennoch deshalb zuweilen angewandt werden , weil die Zufälle so
häufig gemischt sind. Sie thun bei vollem, gespanntem und geschwindem
Pulse, vorsichtig angewandt, oft gute Dienste; dagegen dienen bei kleinem,
gespanntem Pulse Antispasmodica, bei kleinem, sehr weichem und schwa-
chem Pulse Excitantia, Nervina. Ausserdem versteht es sich von selbst, dass
hierbei die Constitution berücksichtigt werden muss, dass man bei höchst
schwächlichen, bleichen, magern Personen mit den schwächenden Mitteln
weit vorsichtiger seyn muss als bei robusten, plethorischen Subjecten. Man
berücksichtige auch den Zustand des Kranken kurz vor der Verletzung.
Ging ein Rausch vorher, so können Vomitive, kühlende Abführungen und
Blutegel an den Kopf nützlich seyn ; ging eine starke Mahlzeit oder Zorn
vorher, so passen ehi Vomitiv und Laxativ; war Furcht und Schreck kurz
vorhergegangen , so passen die Nervina und Antispasmodica. Zuweilen sind
auch primäre Unreinigkeiten des DarmcanaU da, die nicht Product der all-
gemeinen Schwäche, sondern durch Unverdaulichkeit der Speisen entstanden
sind. Hier passen reizende Klystiere, ein Laxans aus Infus, sennae. Ein
Brechmittel aus Tart. emet. , noch besser aus Solutio vitrioli albi , ist in
dem Falle indicirt, wenn ein Betrunkener auf diese Weise verunglückt ist
COlVIMOTiO CEREBRI 453
und auf der Stelle gefühl- und bewegungslos daliegt, so dass man nicht
weiss, ob die ZuföUe den geistigen Getränken oder der Verletzung: den»
Falle etc. zuzuschreiben sind. Äusserliche^ Mittel bei reinen Commotionen
sind .noch : der Dunst von Spirit. sal. animon. caust. , Einreibungen dessel-
ben in die Schläfen, reizende Klj stiere von Essig und Wasser, Terpenthin
mit Eigelb und Wasser zu einer Emulsion gemacht. Ausser den aromatisch-
geistigen Foraentationen auf den Kopf kann man auch das Oldenroth'sche
Epispasticum volatile: I^ Ferment, panis acidi £j, Pulv. sem. sinnpeos 5J,
Sal. amnwniaci 3>j •> Sal. tartari öv. M. f. Epispast. , anwenden und dieses
alle 3 — 4 Stunden frisch erneuert auflegen. Während der ganzen Curzeit
muss der Kranke alle heftige Körper - und Geistesanstrengungen, sowie Ge-
raüthsbewegungen vermeiden und eine den angewandten Mitteln entspre-
chende Diät halten. Bleibt eine Schwäche oder Lähmung einzelner Theile
zurück j leidet der Kranke an Kopfschmerz, Gedächtnissschwäohe , so haben
sich oft die Ekelcur durch kleine Gaben Tart. emetic. , Vesicatorien auf
den Kopf, Elektricität , Galvanismus, Tropfbäder, ein Haarseil im Nacken,
lange Zeit im Fluss erhalte^n, nützlich bewiesen. C J F Behrens
Nachschrift des Herausgebers. Über die Behandlung der Com-
motio cerebri sind. Arzte und Wundärzte nicht einig. Einige, z. B. Langen-
heck, rathen zur antiphlogistischen Methode und lassen kalte Kopfumschläge
machen. Andere zur reizenden, excitirenden Methode, z. B, Himhj, welche
warme ätherische Fomentationen verordnen. Beide haben Recht auf einer
Seite; die Zufälle sind bei Commotionen verschieden, idie Complicationen
mit Fractur, Depression, später mit Encephalitis etc. nicht selten; daher
muss der praktische Arzt die individuellen Fälle wohl unterscheiden und da-
nach seinen Curplan einrichten und nach den im Verlauf der Krankheit ein-
tretenden Veränderungen der Krankheitserscheinungen gehöi'ig moderiren.
Vor allen Dingen vergesse er nie, sein Augenmerk auf den Kopf und den
Unterleib zu richten , bei Congestion zum Kopfe Blutegel , bei Obstructio
aivi gelind reizende Purgirmittel , reizende Klystiere zu verordnen, um die
Encephalitis und deren Begleiter: plastische und seröse Exsudationen, zu
verhüten. Ausserdem nützt bei den unverkennbaren Zeichen reiner Erschüt-
terung ganz vorzüglich die Arnica, und sie verdient den ihr von den Alten
beigelegten Namen Fallkraut mit vollem Rechte. Ich habe Fälle erlebt,
wo robuste Personen durch einen Sturz vom Heuboden betäubt danieder-
lagen. Ich Hess, da äusserlich keine Spur von Verletzung am Schädel zu
entdecken und Patient auf den Hintern gefallen war, sogleich zur Ader und
verordnete dann ein schwaches Infus, flor. arnicae (3jj auf 5 vjjj Col.) , mit
Sal Glauberi §j , wovon der Patient stündlich einen Esslöffel voll nahm,
verordnete reizende Klystiere, später die reine Arnica in Infusion, und in
14 Tagen war Patient völlig hergestellt. Selbst wenn Fracturen des Schä-
dels und Depressionen da sind, wo in der Regel die Zufälle gemischt er-
scheinen, habe ich nicht sogleich zum Trepan gegriffen, besonders nicht bei
jungen Personen, Im Jahre 1822 behandelte ich einen zwölfjährigen Kna-
ben, der durch Sturz von einer bedeutenden Anhöhe sich den Schädel der-
gestalt verletzt hatte, dass ein Stück des Os bregmatis von 5 Zoll Peri-
pherie deprimirt war. Erst zwei Tage nach der Verletzung wurde ich zu
Hülfe gerufen. Der Knabe litt an Zufallen von Cömmotion und Depression,
die indessen gelind waren. Ich verordnete kühlende Laxanzen, äusserlich
auf den Kopf die kalten Schmucker'schen Fonientationen , und declarirte den
Angehörigen, dass, wenn sich hierauf die Zufälle nicht bald legen würden,
ich am andern Morgen das Knochenstück in die Höhe heben und daher den
Kopf aufschneiden müsse. Ich rechnete darauf, dass die eigenthümliche Be-
wegung des Gehirns die Depression vielleicht ohne Operation heben würde.
Und so geschah es denn auch. Der Knabe befand sich am andern Tage
schon weit besser, das Knoehenstück hob sich allmälig, so dass man den
damit correspondirenden Rand des Craniiims immer weniger fühlen konnte,
und Patient ist ohne Operation geheilt und bis auf den heutigen Tag voll-
45* COmiOTIO
kommen gesund. Ausser der Hirnerschütterung sind hier noch folgende Com-
motionen zu betrachten:
Comnwiio musculorum intercostalium et pleurne. Sie erregt leicht Pleu-
ritis und Empyem, das oft grosse Sinus macht, ohne dass die Lunge daran
Theil nimmt. Nicht selten ergiesst sich der Eiter ins Cavum pleurae und
erregt Erstickung; bricht er nach Aussen hervor, so ist jedesmal Caiies
costarum zugleich damit complicirt. Cur. Muss streng antiphlogistisch sevn,
um diese schlimmen Folgen zu verhüten.
Commotio stemi et costnrum. Erregt leicht Caries. Die frühe Anwen-
dung der Blutegel, Schröpfköpfe, und später bei Zeiten eine Incision sind
hier indicirt (itf.).
Commotio cordis. Symptome sind: höchst irregulärer Puls, im hohem
Grade Ohnmächten. Cur. Aderlassen, selbst wenn Ohnmacht da ist, denn
das Blut ist hier moles movenda, die das geschwächte Herz nicht fortschaf-
fen kann, dann Tropfbäder auf Brust und Rückgrat. Entstehen wieder
Unordnungen im Pulse, so wiederhole man das Aderlassen, um Aneurysma
cordis passivum und Aiieur. aortae zu verhüten (Himhj).
Commotio pectoris. Bei der Brusterschütterung bleibt der Athem gleich
stehen, die Menschen wollen ersticken; folgt Blutsturz, so ist die Lunge
verletzt, da eher das Lungenparenchym, als die Gefösse der Pleura zer-
reissen. Die Folgen sind entweder Phthisis pulmonalis oder Hydrops pecto-
ris, häufig bleibt auch chronisches Asthma zurück. Cur. Man belebe zu-
erst die Respirationsorgane durch Riech - und Niesemittel , lasse dann gleich
zur Ader. Dauert des Blutspeien fort und ist es bedeutend , so gebe man
innerlich Säuren, mache kalte Umschläge auf die Brust und rathe strenge
Ruhe und schmale Diät an. Man achte bei allen solchen Commotionen auf
Rippenbrüche, Zerreissung der Lungen, welche Complicationen die Prognose
verschlimmern, und vergesse nicht, durch strenges, lange fortgesetztes Re-
gime den schlimmen Folgen vorzubeugen.
Commotio ahdominis. Die Erschütterung des Unterleibes kann durch
einen Fall oder Stoss gegen den Unterleib, durch Fusstritte, durch Schläge
auf den untern Theil des Rückens mit flachen Werkzeugen, durch einen
Fall mit dem Bauche auf eine Wasserfläche aus bedeutender Höhe etc. er-
folgen, wodurch dann die Abdominaleingeweide leiden. Zufälle sind:
Anschwellung, stumpfer Schmerz, Congestionen , Torpor, Stupor, Paralysis,
veränderte Secretionen der leidenden Organe: Erbrechen, Durchfall, Icterus,
Hambeschwerden. Die Lebererschütterungen kommen am häufigsten vor ;
ihre Folgen sind Hepatitis, Icterus, Anschoppungen, in schlimmen Fällen
baldiger Tod, wo die Section die Leber erschlafft, ihre Consistenz vermin-
dert, sie auch nicht selten geborsten zeigt. Die Prognose ist um so un-
günstiger, je mehr Magen, Leber, Milz, Niere, Blase etc. gelitten haben.
Cur. Äusserlich kalte Umschläge, hinterher warme aromatische Fomenta-
tionen und Bäder, reizende Einreibungen, Klystiere etc. Innerlich anfangs
belebende stärkende Mittel, später, wenn sich Zeichen von Gastritis, He-
patitis, Cystitis etc. einstellen, die bekannten Antiphlogistica.
Commotio meduUac spinalis, Erschütterung des Rückenmarks.
Sie folgt vorzüglich durch einen Fall auf den Rücken, auf den Hintern, auf
die Knie, auf die Füsse, durch heftige Stösse und Schläge auf die Wirbel-
säule. Auch soll die Wendung auf die Füsse bei Kindern durch Rücken-
markserschütterung oft Ursache ihres Todes während der Geburt seyn {Rcy-
dellet). Symptome sind : ausser den allgemeinen der Commotio corporis
Schmerz in der Lendengegend, unwillkürlicher Koth - und Harnabgang, man-
gelndes Bewegungs - und Empfindungsvermögen der untern Extremitäten oder
wenigstens Gefühl von Taubheit, Narcosis und Lähmung. Litten mehr die
vordem Stränge des Rückenmarks , so liegt mehr die Bewegung , litten vor-
züglich die hintern Stränge, die Empfindung darnieder. Zuweilen kommen
JP'älle vor, wo die Kranken an Obstructio alvi und Ischurie leiden, oder
nur an Stuhlverstopfung und Incontinentia urinae , oder 'auch an öftern
Erectionen des Penis (fttMt); doch beobachtete dieses bei Rückenraarksver-
C031M0TI0 455
letzungen nicht seltene Zeichen Ollivier nie bei Commotionen der Aledulla.
Der Puls ist in den meisten Fällen Iclein und langsam, oft nur S5 »Schläge
in der Minute {Rusfs Magaz. Bd. XIV. S. S59) , zumal in den ersten Stun-
den nach der Verletzung, dann wird er zuweilen auffallend frequent. Der
Appetit ist in der Regel gut, der Schlaf ruhig, der Durst massig. Die
Section der an Rückenmarkserschütterung Verstorbenen hat bis jetzt über
die Natur des Übels kein genügendes Resultat gegeben. In einigen Fällen
fand man die Medulla zusammengedrückt, so dass es unmöglich war, die
graue von der weissen Substanz zu unterscheiden; in andern fand man Blut-
erguss zwischen Dura mater und den Wirbelbeinen, oder die Häute waren
an einzelnen Stellen zemssen und durch diese Einrisse war die Substanz
des Rückenmarks vorgefallen. Dauert das Übel viele Wochen, Monate, so
findet man in der Regel Malacosis medullae spinalis. Die Prognose ist
besonders wegen der Folgen und Nachkrankheiten ungünstig; denn wenn
auch nur die Fälle selten sind, wo schneller Tod auf die Commotion folgt,
so kann doch bei vorherrschendem Leiden des obern Theils leicht eine En-
cephalitis sich ausbilden, und leidet mehr der untere Theil, so bleibt Läh-
mung der untern Glieder, der Harnblase, des Darmcanals, Caries vertebra-
rum , die allen Heilmitteln oft hartnäckig trotzen , zurück , es bildet sich
endlich eine Febris hectica aus und der Tod folgt durch Abzehrung und
Schwäche. Dachdecker, Maurer, Zimmerleute und Seiltänzer sind diesen
und andern Commotionen wegen ihres Geschäfts besonders ausgesetzt.
Gleichzeitig erlittene Fractur der Wirbelbeine, gleichzeitige Commotio ce-
rebri, pectoris et abdominis und bald darauf folgende Myelitis machen die
Prognose besonders schlimm. Cur. Bei kräftigen Subjecten dienen, sobald ,
die Ohnmächten und der Zustand von Torpor sich gegeben und der Puls
voller und schneller geworden , Aderlässe , Blutegel an die Wirbelsäule , um
der Blutcongestion , Irritation und Inflammation vorzubeugen. Auch kalte
Fomentationen auf den Rücken sind nützlich; späterhin trockne Schröpf-
köpfe , Vesicatorien , Einreibungen von Unguent. mercuriale in die Wirbel-
säule. Bei Harnverhaltung applicire man den Katheter, bei Obstructio alvi
dienen gelinde eröffnende Klystiere ; dabei innerlich Kalomel , Extr. hyoscy-
ami, kühlende Getränke, strenge Diät. Gegen die nachbleibenden Paraly-
sen nützen Moxa, allgemeine Bäder, reizende Einreibungen von Phosphor-
salbe, innerlich Nux vomica, Tinct. colocynthid. , Agaricus muscarius etc.
Commotio nervorum. Eine isolirte Nervenerschütterung aus mechani-
schen Ursachen giebt es gar nicht; vielleicht kann eine Schusswunde den
Hauptstamm des Nerven eines Gliedes treffen und den Nerven besonders
erschüttern. Gemüthsaffecte, sowie die elektrische und galvanische Kraft,
und Alles, was Commotio cerebri und andere Verletzungen des Gehirns er-
regt, haben am häufigsten allgemeine Nervenerschütterung im engern, stren-
gern Sinne zur Folge. Ist die Commotion mehr topisch, so entsteht im Au-
genblicke der Verletzung im ganzen Verlaufe des Nerven, aufwärts, vor-
züglich aber abwärts, ein reissender Schmerz, der bald stumpf wird und in
das lästige Gefühl der Betäubung übergeht. Die Function des Nerven in
Rücksicht auf die bewegende Kraft in den Muskeln und die Vitalität der
Organe überhaupt wird mehr oder weniger beschränkt, und der leidende
Theil selbst in den nämlichen Zustand versetzt, den alle Commotionen her-
vorbringen, als : geschwächte Empfindung und Bewegung, verminderte Tem-
peratur, liaxität etc. Bei heftiger äussern Gewalt folgt Paresis, selbst Pa-
raljsis. Wegen der ausgedehnten Nervenverbreitung kann die Nervencora-
motion sich an einer entferntem Stelle zeigen, als wo der Nerve von der
mechanischen Gewalt getroffen worden ist ; so könnte z. B. bei einem Schlage
auf die Seite des Halses durch die Erschütterung des N. vagus die Respi-
ration und die Function des Magens beeinträchtigt werden, sowie bei einer
Stichwunde in die Fossa supraorbitalis Blindheit eintreten kann. Ist der
Ort der Verletzung dem Gehirne nahe, so sind die Wirkungen ganz diesel-
ben einer jeden Commotion, sowie denn überhaupt bei allgemeiner Commo-
tio cerebri, pectoris, abdoroinig etc. das Nervensystem primär und Vorzugs-
456 COMMOTIO
weise leidet und daher jede Erschütterung eine Commotio nervorum mit ist;
die eintretenden Congestionen , Irritationen und Entzündungen sind dabei
stets das Secundäre. Sie treten nicht immer ein, und ein primär antiphlo-
gistisches Verfahren, zumal durch Blutlassen, passt hier im Allgemeinen nicht.
Ein gewisser Grad von Reaction des Organismus ist zur Heilung aller Com-
motioneii nothwendig, sowie wir ja denn auch wissen, dass ein aufgeregter
fieberhafter Zustand nach Apoplexie keine ungünstige Prognose giebt, der
Schlagfluss aber gewiss ohne Commotio nervorum nie stattfinden kann. Auch
die fieberhaften Exantheme, die Weltseuchen mit oder ohne contagiöse Ba-
sis erregen primär Commotio nervorum, und der einsichtsvolle Arzt sucht
die darauf folgende Reaction, d. i. das Fieber, die Entzündung, nur zu
massigen , wenn sie das Mass überschi'eiten und durch ihre Heftigkeit töd-
ten könnten, nie aber zu unterdrücken, indem er darin mit Recht das Na-
turbestreben zur Ausgleichung erblickt. Die Cur der Nervencommotionen
ist demnach dieselbe jeder andern Erschütterung, zumal der Hirnerschütte-
rung. Daher anfangs belebende Mittel, später, bei heftiger Reaction, küh-
lende, derivirende, antiphlogistische Mittel, nach dem Grade und der grös-
sern oder geringern Heftigkeit der Zufälle, den individuellen Fällen ange-
passt, in Anwendung zu bringen sind. Bei entblössten Nerven durch Ver-
wundungen muss die atmosphärische Luft abgehalten werden, auch sind
Knochensplitter und andere fremde Körper zu entfernen , damit sie den Ner-
ven nicht fortwährend reizen, Krämpfe erregen etc. Die nachbleibenden
Lähmungen behandelt man nach bekannten Regeln. S. Paralysis.
Commotio vasoriim. Auch die Erschütterung der Ge fasse kommt
wol nie für sich bestehend vor, doch kann eine äussere Gewalt bei Com-
motionen gleichzeitig mehr oder weniger die Blutgefässe, auch die Lymph-
gefässe, der Art erschüttern, dass eine vorübergehende oder bleibende man-
gelhafte, zu geringe oder gänzlich fehlende Circulation der Säfte stattfindet.
Hierauf deuten schon der langsame Puls und die träge, tiefe und langsame
Respiration bei Commotio cerebri, medullae spinalis, pectoris, bei Apople-
xie etc. zu Anfange solcher Übel hin. Die Folgen können seyn : krankhafte
Gefasserweiterungen , partielle Trennung des Zusammenhangs der Gefässe,
Congestionen nach dem leidenden Theile, indem das Blut nach den Gefäs-
sen, welche erschüttert werden, stärker andringt oder dort nicht kräftig
genug weitergeschafft werden kann, wodurch oft eine Entzündung bedingt
wird. Die Zeichen einer Commotio vasorum sind daher krankhafte Erwei-
terung oder Ruptur eines Gefösses, Aneurysma, und Entzündung. Eine Er-
schütterung einer Vene oder eines Lymphgefässes kann varicöse Erweiterung,
Angiectasie, auch Phleborrhesis und einen Lymphabscess zur Folge haben.
Gewöhnlich leiden wegen ihrer weniger nachgiebigen Textur und ihrer zalil-
reichern Nerven die Arterien bei Commotionen häufiger, als die venösen und
lymphatischen Gelasse, besonders die Arterien des Hirns, der Brust und des
Unterleibes. Besonders prädisponiren alte Leute und solche mit schlaffer
Faser, dyskrasische Personen, die an Scorbut, Scropheln, Psora, Mercuria-
lismus gelitten, die die Energie der Gefässe durch Trunksucht geschwächt
haben , zu solchen Commotionen. Auch sind Männer empfänglicher dafür als
Frauen und Kinder , weil bei letztern die Gefässwände elastischer sind.
,,Die Prognose — sagt Hei/feldcr in Rust^s Handb. d. Chirurgie, Bd. V.
S. 135 — ist bei Erschütterungen der Gefässe insofern immer ungünstig,
als sie wol nie allein vorkommen, und gleichzeitig auch der ganze tCör-
per oder doch ein zum Leben wichtiges Organ in einem hohen Grade durch
die äussere Gewalt mit erschüttert wurde. Sie ist besonders ungünstig,
wenn ein bedeutendes Gefäss im Gehirn, in der Brust, in der Bauchhöhle
oder im Rückenmarkscanale in Folge der Erschütterung platzt, wodurch
eine lebensgefährliche Blutung entstehen kann." Cur. Sie richtet sich
nach den Zufällen, welche die Erschütterung hervorruft. Ist ein sichtba-
res Geföss zerrissen, so muss es unterbnnden werden. Streng antiphlogisti-
sches Verfahren, Ruhe und knappe Diät beugen den üblen Folgen noch am
uicistcii vor.
COMPREHENSIO — CONCRETIO 457
ComprebensiOj Starrsucht, s. Catalepsis.
Concretio , Verwachsung. Hierunter versteht man 1) wenn na-
türliche Öffnungen des menschlichen Körpers: der Gehörgang, die Nasenlö-
cher, die Augenlider, die Scheide, der After etc. verwachsen sind (s. Atre-
sla), 2) wenn Theile, die von einander getrennt seyn müssen, an einander
gewachsen sind, z. B. Concretio articulorura!, digitorum manus et pedis, la-
biorum pudendorum, praeputii etc. Theils sind solche Verwachsungen au-
geboren, theils später nach Verwundungen, besonders Verbrennungen, durch
vernachlässigte Behandlung zurückgeblieben. Sie erfordern rein chirurgische
Hülfe, in den meisten Fällen durch schneidende Instrumente, wodurch die
zusammengewachsenen Theile getrennt oder neue Öffnungen gemacht und
dann diejenigen Regeln, welche ein neues Zusammenwachsen verhüten, be-
obachtet werden.
Concretio melanotica , s. Melanosis.
Concretio pohjpiformis in cnvitatihus cordis. Die Ursachen, Symptome
und den Verlauf der polypenförmigen Concretionen des Herzens, die zu
Zeiten des Königs Friedrich Wilhelm I. von Preussen eine grosse Rolle
als Todesursache spielten, zumal bei der grossen Potsdamer Garde, hat
P. Bland (Revue medicale, Novbr. et Decbr, 1833, und Behrendts Repert.
d. Journalist, des Auslandes. Mai 1834. S. 9 u. f.) aufs Neue einer genauen
Untersuchung gewürdigt. „Die fibrinösen Concretionen — sagt er — die in
den Höhlen des Herzeus angetroffen werden, sind bis jetzt nur als Neben-
ereignisse oder als von andern Affectionen abhängig betrachtet, aber nie als
eigne pathologische Vorgänge studirt worden (d. h. in unserer Zeit), und
wenn man sie unter den in den Leichen bemerkten Erscheinungen aufzählt,
so gedenkt man ihrer blos als der Resultate des Absterbens und keines-
weges als besonderer Störungen, die eigenthümliche Symptome und solchen
Verlauf zeigen, und selbstständig, von jeder andern Krankheit unabhängig
bestehen können. In der That sind diese Concretionen des Herzens aber
viel häufigt/, als man glaubt. Viele plötzliche Dyspnoen, unerwartet ein-
tretende Störungen der Circulation, asthmatische Zufälle, Herzpochen, die
sich ohne wahrnehmbare Ursache entwickeln, beruhen gewss oft auf der
Bildung polypenförmiger Massen im Innern des Herzens." Zum Beweise
dieser Behauptung erzählt Bland theils selbst erlebte, theils von Andern be-
obachtete F'älle der Art. Die Section zeigte in der Mehrzahl nur diese
Herzpolypen, und die Kranken waren bis dahin vollkommen gesund, kräf-
tig und blutreich. In der That scheinen diese Fälle deutlich zu beweisen,
dass das Übel in verschiedenen Herzhöhlen während des Lebens nicht nur
unter dem Einflüsse gewisser Krankheiten, sondern auch selbstständig und
unabhängig von jedem vorherbestehenden Leiden sich erzeugen könne, also
auch hierin unsere altern Ärzte, wenn sie auch manchen erst im Tode er-
zeugten Herzpolypen für Todesursache hielten , nicht immer Unrecht hatten.
Ursachen. Nach B. ists vorzüglich langsamere Strönmng des Bluts und
dadurch begünstigte Gerinnung desselben. Analog demjenigen Vorgange,
wodurch bei aufgehobener oder verzögerter Circulation in einer unterbunde-
nen Arterie über der Ligatur ein Blutpfropf und im aneurysmatischen Sacke
Ablagerungen sich bilden, erzeugen sich während des Absterbens in den letz-
ten Augenblicken des Lebens , sowie die Herzcontractionen immer schwächer
werden und sich das Blut in der rechten Herzhälfte anhäuft, Concretionen,
welche man fast in allen Cadavern, an welcher Krankheit sie auch gestor-
ben seyn mögen, antrifft. Jede Krankheit aber, welche die Blutströmung
beeinträchtigt und verzögert, kann demnach eben so zur Bildung dieser po-
lypösen Concretionen im Herzen Anlass geben. Acute und chronische Pe-
ripneumonie, Lungenkatarrhe, Afterorganisationen im Lungenparenchym, Hy-
drothorax, Hydrops pericardii, wiederholte langdauernde Ohnmächten etc.
können mehr oder minder beträchtliche Blutgerinnung in den Herzhöhlen
veranlassen, welche, wenn die ursprüngliche Krankheit verschwunden ist,
als der Kern einer polypösen Concretion verbleiben kann, deren Symptome
458 CONCRETIO
später in dem Masse hervortreten, wie diese Concretion durch neu hinzu-
gekommene Schichten sich vergrössert. Bei vielen Greisen, welche nach
einer chronischen Bronchitis einen asthmatischen Anfall bekommen , beruhen
diese Symptome gewiss nur auf der Gegenwart einer durch die erstere
Krankheit hervorgerufenen polypösen Concretion im Herzen. Im Aneurysma
cordis activum sind während des Lebens letztere darum selten, weil das
Herz, statt geschwächt zu seyn, ein Übermass von Bewegungskraft erlangt
hat. Im Aneur. cordis passivum beruhet die Gefahr der Krankheit besonders
auf der Ausdehnung, welche die Herzhöhlen durch die angehäuften Concre-
tionen erleiden. In manchen Fällen ist die Herzerweiterung nur scheinbar;
sie beruhet auf der Ausdehnung durch jene Concretionen , wovon B. zwei
Fälle beobachtet hat. — Ein übermässiger Blutreichthum , eine Plethora,
wie sie zuweilen nach grossen Amputationen bemerkt, wird, ist ebenfalls
Ursache des Übels , sowie ein zu consistentes , zu reiches oder verhältniss-
mässig mit zu viel Fibrin und zu wenig Serum versehenes Blut, welches
grosse Neigung zur Gerinnung hat. Auch Blutarmuth kann Ursache jener
Concretionen seyn, wie nach bedeutenden Hämorrhagien, wo für das geringe
Blut das ohnehin schwache Herz gleichsam zu weit ist. Die etwas aufge-
schossenen, schlanken, hagern Individuen haben im Allgemeinen eine weni-
ger kräftige Circulation und einen nicht so starken und häufigen Puls als
andere. Kalte Getränke bei schwitzendem Körper prädisponiren auch zu je-
nen Concretionen, sowie saure Weine, die zur Blutgerinnung Anlass geben;
ferner zu häufig verübter Coitus , traurige Gemüthsaffecte , Sorgen , anhal-
tender Kummer, plötzlicher Schreck. Das Mannes- und Greisenalter, so-
wie das männliche Geschlecht geben mehr Anlage dazu, als das Kindesalter
und das weibliche Geschlecht , — bei letzterm schützen die Menses. Nach
Fr. Uoifmann hat auch das Klima grossen EinÜuss. Die nördlichen Völker-
schaften , die viel gesalzene , gepökelte , feste Speisen, viel Fleisch und gro-
bes Brot geniessen , viel sauren Wein und starke Getränke trinken, sind der
Krankheit mehr, als südliche Völker unterworfen. — Hat sich das Übel in
einer oder mehreren Herzhöhlen gebildet, so folgt durch Verstopfung der
Gefässmündungen entweder ein schneller Tod oder die Concretion wird d»u"ch
allmäliges Anschiebten immer grösser, tritt mit den Wandungen des Her-
zens in Adhäsion, bildet Fleischbalken, Verästelungen, und dann stellen sich
folgende Zufälle an: mehr oder weniger anhaltendes Herzklopfen, das
schon durch Obstructio alvi , Gemüthseindrücke , blähende Speisen etc. sich
steigert, unregelmässige Herzbewegungen, un regelmässiger , intermittirender
Puls, Dyspnoe, grosse Angst, Ohnmächten, Coma, Scheintod, Druck in der
Herzgrube etc. In einzelnen Fällen scheint sich indessen das Herz an die
bestehende Concretion zu gewöluien ; denn die meisten Symptome verschwin-
den oft, kommen aber wieder. Vesnl fand bei einem Kranken, der ausser
einem sehr unregelmässigem Pulse mehrere Monate vor dem Tode keine be-
sondern Zufalle hatte, einen 2 ß schweren Polypen im linken Ventrikel des
Herzens. Ich kenne in hiesiger Stadt einen Weinhändler, dessen Puls stets
höchst Tinregelmässig geht und bei jedem vierten Schlage intermittirt. Nur
selten leidet er an Beklemmung und Angst, so dass er seinen Geschäften
gut vorstehen kann. In solchen Fällen giebt das Stethoskop allein hinrei-
chende Auskunft. Befindet sich nämlich eine polypöse Concretion im Her-
zen, so ist das sonst vernehmbare Geräusch dumpf oder gar nicht zu hören,
und da dieses sonst nur bei Hypertrophie der Herzwandungen zu gesche-
hen pflegt, diese Krankheit aber Erscheinungen hat, die bei den Blutcon-
cretionen im Herzen fehlen , als : gesteigerter Impuls des Herzens , Regel-
mässigkeit des Pulses, meist Abwesenheit der Dyspnoe, so kann man also
aus diesen Umständen auf die Anwesenheit dieser Blutconcretionen in den
Herzhöhlen schliessen. Die rechte Herzhälfte ist es vorzüglich, worin sie
»ich bilden , weil das trägere Venenblut leichter gerinnt. Hier giebt die
diesem Herztheile entsprechende Gegend bei der Percussion einen mattern
Ton, und die Auscultation lässt wahrnehmen, dass das Herz sich mit einem
dumpfem Geräusch contrahirt. Man gewahrt ein mit dem blossen Auge
CONDTI.OMA 459
sichtbares Rückströmen des Bluts in die Jugularvenen ; das Gesicht erscheint
bläuli<eh nnd mit Blut überfüllt. Allmälig wird die bläuliche Färbung dek
Gesichts immer stärker, und kurz vor dem Tode verändert sie sich oft
schnell. Kopfschmerz, Schwindel und Neigung zum Schlafe werden bei sol-
<ihen Kranken bemerkt. Die ganze Haut des Kranken wird dunkel, und 6r
stirbt apoplektisch. Sitzt die Concretion in der linken Herzhälfte, so ist,
ausser den angegebenen Zeichen durch die Percussion und Auscultation in
der entsprechenden Herzgegend, der kleine Kreislauf ganz besonders in Ver-
wirrung. Hier ist die Dyspnoe besonders stark, ausserdem Ohnmächten,
livide Färbung der Haut, Scheintod. Zuweilen wächst die Concretion sehr
schnell und es folgt schneller Tod; zuweilen bleibt sie stationär; die Cir-
culation erleidet keine Störung und der Kranke kann noch lange leben.
In andern Fällen scheinen sich bei sehr grosser Concretion die Circulation
und Respiration gewissermassen in ein Gleichgewicht zu setzen , so dass der
Kranke wenig oder gar nicht zu leiden scheint, bis die Verhältnisse einmal
plötzlich eine Veränderung erleiden und der Tod nun unerwartet erfolgt.
Zuweilen erfolgt aus der Stockung des Bluts in den Lungengefässen Hae-
moptysis, oft folgt auch Hydrothorax, Ascites, Anasarca vor dem Tode.
Die Section zeigt die eigenthümlichen Concretionen. Diese sind leicht von
den zufällig nach dem Tode gebildeten Blutgerinnseln zu unterscheiden.
Sie sind nämlich von weisser Farbe und enthalten in ihrem Gewebe
keine Partikeln von färbenden Theilen des Bluts. Wenn die äussere Fläche
oder die äussern Schichten zuweilen mit Blut geschwängert sind , so ent-
sieht dieses aus der Blutablagerung in den letzten Augenblicken des Lebens.
Die Textur der polypösen Concretionen besteht aus übereinandergelegten,
mehr oder weniger derben, consistenten , dem Druck widerstrebenden, fibri-
nösen Schichten, welche durch die Blutschicht, die sie färbt, ein fleischiges
Ansehn bekommen, aber durch Waschen ihre weisse Farbe wieder erhalten.
Je älter sie sind, desto mehr Consistenz haben sie. In acuten Fällen bei
schnell folgender Gerinnung und raschem Tode findet man die Concretion
gelblich, gallertartig, ähnlich dem gekochten Fette, die gleichsam frei in
der sie einschliessenden Höhle schwimmt. Eine festsitzende Concretion bringt
weniger Gefahr, als eine freie. Sitzt die Concretion in einem der Herzoh-
ren, so ist die Gefahr des baldigen Todes nicht so gross, als wenn sie sich
in den Kammern befindet. Sitzt die Concretion im rechten Herzen , so folgt
zuweilen der Tod durch Ruptur der Vena cava. Die Prognose ist im
Allgemeinen schlecht. Die Behandlung vermag auch wenig. Nur die
Prophylaxis findet noch ihre Geltung, und sie besteht einzig und allein in
sorgfaltigem Vermeiden der veranlassenden Krankheitsursachen. Eine strenge
magere, dünne, vegetabilische Diät, tägliche Sorge für LeibesöfFnung, Ver-
meidung aller hitzigen Speisen und Getränke, Ruhe des Körpers und der Seele
und der tägliche Genuss von vielem frischen Quellwasser sind anzurathen.
Condyloma, Auswuchs, Feigwarze. Die Alten verslanden dar-
unter jede vorstehende harte Geschwulst, z. B. Gelenkknöpfe, doppelte Glie-
der, Gichtknoten. Jetzt nennt man vorzugsweise jeden harten, festen Fleisch-
auswuchs aus venerischen Ursachen, besonders am After, an der weiblichen
"Scham ein Kondylom, und nimmt mehrere Arten derselben (Condylomata lata,
acuminata, porcellanea) an (s. Syphilis). Die spitzen venerischen
Feigwarzen können sowol ein Symptom der primären als der secundären
Syphilis seyn. Sie variiren sehr, je nachdem sie aus der Epidermis oder
aus den Schleimhäuten emporwachsen. Primär kommen sie am häufigsten
an der Vorhaut, hinter der Eichel, an der innern Fläche der kleinen Scham-
lefzen und am Eingange der Vagina vor, lassen jedoch keinen Theil der
Genitalien verschont; in heftigen Fällen gehen sie oft hoch in die Vagina
hinein. Sehr selten wurzeln sie in der Mündung der mäiuilichen oder weib-
lichen Harnröhre. Nach Dr. FWcJte's Bemerkung entwickeln sich häufig
Kondylome an der innern Seite der SchleimbeuteT der Vagina, wo sie oft
lange Zeit verborgen bleiben. Das spitze Kondylom entspringt stets aus
einer schmalen Wurzel, e« wird nach oben breiter und theilt sich in meh-
460 CONDYLOMA
rere Spitzen von weisser Faxbe, so dass es einem Hahnenlcamra ähnlich sieht.
Rothe Gefässe schimmern durch den Körper und die Spitzen desselben, die
der Länge nach liegen. Beim Verschwinden wird es erst welk, wie jede
andere Warze, und kann dann mit seiner Wurzel aus der Haut hervorge-
hoben werden, in welcher es eine Grube zurücklässt, die sich nach einigen
Stunden schliesst, ohne eine Narbe zurückzulassen. Die Verlängerungen der
Schleimdrüsen der innern Fläche der kleinen Schamlefzen, welche besonders
bei schwangern Weibern vorkommen, ähneln den spitzen Kondylomen sehr,
unterscheiden sich von letztern aber dadurch , dass sie nur eine (nicht mehr
rere) Spitzen haben, und viel zarter, durchsichtiger wid bläschenartig sind.
Die ganze innere Fläche der Nymphen ist hierbei rauh, wie Chagrin. —
Die Conihßomnta acuminntn secundaria, Symptom der Lues universalis, kom-
men an den Lippen, der Zunge, den Augenlidei-n, um die Brustwarzen , in
den Achselhöhlen und an der Iris vor. Sie haben die Form eines kleinen
Gerstenkorns, sind röthlichbraun , undurchsichtig, haben einen dünnen Stiel,
aber nur eine Spitze. An der Iris erscheinen sie als kleine rothe Punkte.
Die breiten Kondylome, auch Condylomata im engern Sinne, Dermophy-
mata venerea, Tuhercula venerea cutis genannt, sind Excrescenzen, beruhend
auf chronischer Entzündung und Wucherung des Coriums, die bald in sy-
philitische Exantheme, bald in Geschwüre übergehen können. Ihr Sitz sind
vorzüglich die Labia majora , die Haut des Penis , des Scrotums , die Ge-
gend um den After, der den Genitalien nahe gelegene Theil der Schenkel.
Sie sind rundlich, ziemlich hart, 1 — 3 Linien hoch, an den Rändern abge-
rundet, in der Älitte mehr flach und uneben; ihre Farbe ist blauroth, ku-
pferroth, glänzend. Stehen sie einzeln, so sind sie meist zirkelrund, con-
fluiren sie, so werden sie unrcgelmässig , sowie sie denn auch in der After-
spalte eine unregelmässige, vieleckige Form annehmen. Aus ihnen schwitzt
eine weisslich - gelbliche, klebrige, süsslich widerlich riechende, oft stinkende
Flüssigkeit, die so ausserordentlich ansteckend ist, dass ein anderer da-
mit in Berührung kommender Theil, z. B. die Schamlefee oder der Hinter-
backen der andern Seite, ebenfalls bald dieselben Kondylomen zeigt, daher
denn durch zwischengelegte Leinwand die noch nicht ergriffenen Theile
sorgfältig geschützt werden müsssn. Frichc und ich fanden, dass das Secret
dieser Kondylome auch Excoriationen und Chanker an den benachbarten
Theilen hervorrief; doch kommen darnach am häufigsten dieselben breiten
Feigwarzen. Sie bilden sich unter heftigem Jucken, indem sich ein Erythem,
ähnlich dem Fischrogen, zeigt, worauf dann dunkelrothe circumscripte Flecke
von der Grösse der künftigen Excrescenzen bemerkt werden; sie entwickeln
sich langsam, so dass oft ein Zeitraum von 4 — 6 Wochen erforderlich ist.
Ihre Zahl ist 5, 10, 20 Stück und mehr. Bei Personen, die auf ungewöhn-
liche Weise syphilitisch werden, folgt oft eine allgemeine exanthematische
Eruption , wie die der Condylomata lata, die aber nur auf der Haut braun-
rothe Flecke hinterlässt, dagegen sich in der Afterspalte breite Condylo-
mata bilden. So sah ich dies einst bei einem Accoucheur, der sich unbe-
deutend den Zeigefinger verletzt hatte, so dass auf der kleinen Wunde eine
Borke sass. Mit dieser Hand machte er bei einer verdächtigen Kreisenden
wegen fehlerhafter Lage des Kindes die Wendung, und da er fand, dass
bei dieser Gelegenheit die Borke von der wunden Stelle des Zeigefingers
abgestossen worden, so touchirte er aus Vorsicht, aber erst 8 Stunden nach
vollbrachtem Accouchement , die Stelle mit Lap. infernalis. Vierzehn Tage
gingen ohne Übelbefinden hin, aber die kleine Wunde heilte nicht. Sie
wurde im Umfange dunkelroth, binnen 24 Stunden schwollen die Hand und
das ganze Glied bedeutend an, dabei dunkelrothe Stränge längs des Laufs
der Blutgefässe, dunkle Röthe, Spannung und Schmerz des Gliedes, ganz
wie bei Pseudoerysipel, bei Verwundungen mittels des Messers, womit man
schon theilweise in Verwesung gegangene Cadaver secirt, — ferner Fieber,
Hitze, Durst, Kopfschmerz, Schwindel, Delirien, Erbrechen. Durch Infus,
valerian. und Spiritus Mindereri mit Extr. dulcam. , äusserlich durch Cata-
plasmata emollientia und Einreibungen von Unguent. raercuriale 3J5 Ol.
CONBYLOÄIA 461
hyoscyaml coct. , Unguent. althaeae ana ^\i , minderten sich die Fieberbe-
wegungen und die Geschwulst des Gliedes zertheilte sich. Nun zeigte sich
aber am ganzen Körper, zumal an der Brust und dem Unterleibe, jenes
Exanthem, das in wenigen Tagen jene dunklen Flecke zurückliess, die den-
jenigen nach Varioloiden und Variola vera zurückgebliebenen, wenn der
Mensch sich in der Kälte befindet, ähnlich sehen. In der Afterspalte ver-
schwand das Exanthem aber nicht, sondern es bildete mehrere Condylomata
lata. Zugleich zeigten sich venerische Geschwüre im Halse, an den Man-
deln, an der Öffnung der Eustachischen Röhre, erregten Ohrensausen,
Schmerz und andere Zufalle. Nur eine mehrwöchentliche strenge Cur (De-
coct. rad. sarsaparillae und Dzondi's Pillen) vermochte bei knapper Diät dem
so unschuldig inficirten Arzt die Gesundheit wieder zu geben. Das Ge-
schwür am Finger hatte ganz das Ansehn eines Ulcus venereum, und ver-
narbte auch so (s. Cicatrisatio). — Veraltete Hämorrhoidalknoten un-
terscheiden sich von breiten Kondylomen dadurch, dass erstere Verlänge-
rungen der die Öffnung des Afters sternförmig umgebenden Hautfalten sind,
und daher mit dem einen Ende in den After selbst überflies-
sen, welches letztere (die Condylomata lata), die nie im Einzelnen eine
längliche, sondern die Kreisform haben, niemals thun. Zuweilen sitzen aber
auch auf den entzündeten Falten und angeschwollenen Hämorrhoidalknoten
breite Kondylome, und so können auch aus letztern spitze wieder hervor-
wuchern. In der Regel gehören die breiten Kondylome in die erste Reihe
der Erscheinungen der secundären Syphilis , und Frauen haben fast immer
gleichzeitig Fluor albus venereus, Männer nicht selten auch schon Chanker
im Halse. Ob das Secret der spitzen Feigwarzen eben so, wie das der
breiten anstecke, ist sehr wahrscheinlich, aber noch nicht genau ermittelt,
eben so wenig, in welcher Beziehung der Chankereiter zur Erzeugung der
Kondylome stehe. Dass aber das Blut der spitzen Kondylome, gerade wie
bei andern Hautwarzen, wieder ähnliche Kondylome erzeuge, hat sich be-
stätigt. Prognose. Die Condylomata acuminata erfordern längere Zeit,
oft 6 bis 12 Wochen, zu ihrer Entfernung, als die Condylomata lata, da
diese in der Regel in 3 bis 4 Wochen bei angemessener Behandlung ver-
schwinden, und dann die Syphilis zugleich auch radical getilgt ist. Daher
geben die spitzen Feigwarzen, die so häufig auch nur das Symptom einer
tief eingewurzelten Syphilis sind (Condylomata acuminata secundaria) , auch
die ungünstigste Prognose, und sie kehren nach der Anwendung der Ätz-
mittel öfters wdeder. Einzelne spitze Kondylome, die gleichzeitig mit Chan-
kern , Tripper und breiten Kondylomen vorkommen , verschwinden nach An-
wendung der Caustica sehr bald. „Niemals folgt indessen den spitzen Feig-
warzen, wenn sie primär sind, auch wenn sie sehr extensiv und intensiv
auftreten, die secundäre Syphilis. Es scheint als wenn sich von ihrer Wur-
zel aus, da sie parasitischer Natur sind und demnach ein mehr selbstständi-
ges, in sich abgeschlossenes Leben führen, dieser Krankheitsprocess nicht
weiter verbreiten könne" (s. RitsVs Handb. d. Chirurgie. Bd. V. S. 212).
Werden Schwangere von Kondylomen befallen, so ist die Prognose ungün-
stig, da man hier, soll kein Abortus folgen, weder die Entziehungscur,
noch die Mercurialmittel mit der nothwendigen Strenge anwenden kann,
und ausserdem die Schwangerschaft wegen des starken Productionstriebes
in der Geschlechtssphäre auch das Wachsthum der Kondylome ungemein be-
günstigt. Nach der Entbindung sterben sie dagegen, eben weil nun jener
Trieb aufgehört hat, oft von selbst ab, oder sie lassen sich doch leicht
entfernen. Cur. Ich trage hier nach, was unter dem Artikel Syphilis
der Kürze wegen übergangen worden ist. Bei den spitzen primären, in Ver-
bindung mit Trippern , Fluor albus und Chankern vorkommenden Feigwar-
zen gebe man Abends und Morgens p. d. gr. )y Kalomel, und behandle sie
erst nach 8 bis 10 Tagen örtlich. Sind sie aber ein Symptom der univer-
sellen Lustseuche, so bleibt Dzondi's Cur am wirksamsten. Dabei knappe
Diät und besonders keine Spirituosa. Diese Cur halte ich für die wirksa-
mere, dagegen ist die nicht mercurielle Entziehungscur (knappe Diät, halbe
462 CONDYLOMA
Hungercur und täglich so viel Sal anglicum oder Sal Glauben, dass S bis
4 flüssige Sedes folgen) , die bei primärer Syphilis so wirksam ist, hier nicht
so sicher, obgleich viele Ärzte dieses behaupten. Was die örtliche Be-
handlung der spitzen B'eigwarzen betrifft, so ist diese um so noth wendiger,
da sie ein schon selbstständiges, parasitisches Leben führen und daher, nach
der Erfahrung, äusserst selten durch die allgemeine Behandlung verschwin-
den, was häufiger bei den breiten Feigwarzen der Fall ist. Ätzt man die
primären spitzen Kondylome nach 10- bis 14tägiger innerer Cur durch Lap.
caustic. , Solut. sublimati cum Camphora, weg, so wachsen sie nicht leicht
wieder, und hinterlassen nur einen kleinen, bald heilenden Chanker. Ätzt
man sie früher weg, so zeigen sie sich leicht wieder und sind dann hart-
näckiger fortzuschaffen. Indessen verdient die Ligatur vor den Ätzmit-
teln und der Scheere den Vorzug, und muss überhaupt da gehandhabt wer-
den, wo sie nur irgend anwendbar ist. Sie hat den Vortheil, dass diese
spitzen Kondylome dadurch, ohne dass ein Geschwür zurückbleibt, entfernt
werden und sie durchs Unterbinden vertilgt weit seltener zurückkehren.
In Gruppen stehende Feigwarzen nimmt man theil weise durch die l^igatur
weg , zu der man bei grossen Massen ein Paternosterwerkzeug oder ein
Gräfe'sches Unterbindungsstäbchen gebrauchen kann. Unter den Ätzmitteln
gegen die spitzen Feigwarzen ist der Höllenstein am wenigsten wirksam.
Sitzen sie auf der Schleimhaut, so passt eine starke Sublimatauflösung,
sitzen sie auf dem Corium , auf der Epidermis , das Ol. vitrioli am besten,
welche Mittel man mit Vorsicht anwendet, damit die gesunde Nachbarschaft
nicht leidet , und am besten mit einem Tuschpinsel , alle 2 bis 3 Tage ein-
mal, aufträgt. Nehmen die Kondylome eine grosse Fläche ein und sind sie
sehr klein, so ist die Ligatur beschwerlich anzuwenden. Hier verbinde man
mit I^r Pulv. herbne Sabinae 3jjj» Merc. prnec. rubr. )j, Unguent. simpl. 3vj. M.
Das Abschneiden der spitzen Kondylome mitteis der Scheere ist deshalb
verwerflich, weil sie dadurch nicht mit der Wurzel entfernt werden und die
dabei stattfindende Blutung neue Ansteckung in der Nachbarschaft zur Folge
hat. — Betschier empfiehlt als topisches Mittel Acetum saturninum. Es
condensirt zwar kleine Feigwarzen auf Schleimhäuten, macht dass sie zu-
sammenschrumpfen und dass man sie nach einigen Tagen mittels eines Zän-
gelchens sammt der Wurzel ausreissen kann, daher das Mittel wol bei sehr
sensiblen Personen, bei Schwangern, in Anwendung gebracht werden kann;
aber bei Feigwarzen auf trockner Haut leistet es nichts. Auch der Chlor-
kalk zerstört, in Pulverform angewandt, spitze Kondylome, indessen kann
man die gesunden Nachbartheile nicht so gut davor schützen, als mittels
der alcoholisirten Sublimatauflösung, die schnell verdunstet. Eine Drachni«
Chlorkalk in einem Pfunde Wasser aufgelöst und täglich in die Scheide
injicirt, ist ein wichtiges Hülfsmittel, die hier wuchernden Kondylome gleich-
zeitig mit dein immer damit verbundenen Fluor albus zu beseitigen. Weni-
ger leistet hier das Kalkwasser. Öftere Wiederkehr der Condylomata acu-
minata ist zuweilen in einer örtlichen Disposition der Haut begründet. Hier
nützen Fomentationen von Aq. phagedaen. flava oder schwacher Solut. Su-
blimat., mit Compressen angewandt. Die weggeätzten , aber wiedergekehr-
ten spitzen Feigwarzen haben eine eigenthümliche Form. Die auf dem Co-
rium sitzenden werden trocken, gespalten, hornartig, die der Schleimhaut
dagegen erscheinen in Form rundlicher Massen, welche an der Oberfläche
rauh, wie die innere Fläche des Hirschleders, sind. Sie bestehen aus ei-
ner Menge an der Basis verwachsener kleiner Kondylome, und erfordern
den kräftigen Gebrauch des Lapis causticus. In der Berliner Charit^ wandte
man bei mehreren an spitzen Kondylomen leidenden Personen ein bei andern
Warzen wirksames Volksmittel an. Es wurden nämlich die Feigwarzen alle
2 — 3 Tilge mit rohem, noch blutigem Rindfleische gerieben, und letzteres
dann weggeworfen. Der Erfolg des Mittels war, dass die Kondylome in den
meisten Fällen von den Spitzen nach der Basis zu abstarben , brandig wur-
den, bei einigen Kranken jedoch unverändert blieben. Auch kehrten sie in
den Fällen, wo sie gleich anfiEings in grosser Zahl vorbanden waren, nach
CONDYLOIVU 463
dem Absterben durch Brand, wol weil die syphilitigche Dyskrasie durch die*
ses Mittel nicht getilgt war, bald zurück. Um ein reines Resultat zu ge-
winnen, wurde bei diesen Versuchen anfangs die Anwendung anderer Mittel
unterlassen und den Kranken eine ganze Portion Speise gereicht; später je-
doch wurde die Entziehungscur damit verbunden und dadurch der Erfolg
des Mittels noch erhöht. Kamen die Kondylome nur einzeln und auf der
innern Fläche der Nymphen und des Praeputiums vor, so wurden die Kran-
ken durch das Reiben mit Fleisch allein hergestellt; wo sie jedoch in grös-
serer Anzahl vorhanden waren, mussten immer auch bei der gleichzeitigen
Anwendung der Entziehungscur Ätzmittel zugleich applicirt werden. Bei
spitzen Kondylomen der Vagina wurde im Charitekrankenhause zu Berlin in
zwei Fällen die Scheide mit gehacktem Fleische ausgefüllt, und dies bis zur
Fäulniss liegen gelassen. Der Erfolg war günstig; denn die Kondylome
verschwanden und kamen bei darauf gegen den Fluor albus in Anwendung
gebrachtem Chlorkalke nicht wieder. Die allgemeine Behandlung der Con-
dyloraata lata betreffend, heisst es in Rusfs Handb. der Chirurgie Bd. V.
>S. 218: „Unter den Mercurialmitteln ist der Kalomel, Morgens und Abends
zu '/^ bis 1 Gran gegeben, gegen die breiten Kondylome das wirksamste.
Eben so schnell und noch schneller, im Durchschnitt innerhalb $ Wochen,
werden dieselben durch die Entziehungscur entfernt, daher diese den Vor-
rang verdient. Da, wo sie aber zu allgemein verbreitet und mit dem syphi-
litischen Exanthem verbunden vorkommen, ist der rothe Präcipitat, in Form
der Berg'schen Cur angewendet, das vorzüglichste Mittel. Wo indessen
eine zarte Körperconstitution die Anwendung dieses eingreifenden Verfah-
rens nicht gestattet, muss das Decoct. Zittmanni in Anwendung gesetzt und
dessen Gebrauch auch mehrere Male wederholt werden." Hier ist der so
wirksamen Dzondi'schen Cur, die ich bei Kondylomen und venerischen Hals-
geschwüren so herrlich fand , nicht gedacht worden. Auch habe ich mit
Nutzen Wer folgende Mittel gereicht : 1^ Merc. stthlim. corros. , Sal. ammon.
dep. ana gr. iv. solve in Aquae dextillat. s. q. Mic. panis albi 5iji Sacch.
albi 3j- Mise, fiant pil. No. 90. S. Mittags gleich nach dem Essen 5, und
Abends 6 Stück. Ferner Hess ich täglich trinken : ly Rad. sarsaparill. 5'vj>
Spec. Ugiwrum 3|^, Sem. foeniculi 3jj f^ol. sennne ^j — ^jj. M. c. c. disp.
dos. IX. S. Täglich eine Portion mit 4 ffi Wasser bis zur Hälfte einzuko-
chen und den Tag über und Abends im Bette recht warm zu trinken. Da-
bei knappe Diät, keine Spirituosa, meist nur Wassersuppen, wenig Fleisch-
nahrung. Da die Kranken nach dem Thee täglich 3 bis 4 flüssige Sedes
bekommen und durch die Irritation das Wachsen der Kondylome, eben so
wie bei der Entziehungscur und den Purgirsalzen , befordert wird, so tou-
chire ich sie mit Lapis infernalis, damit sie sich mit einer trocknen Kruste
überziehen und wiederhole dies alle 4 bis 6 Tage, sobald in dieser Zeit ^e
Krusten sich abgestossen haben. In mehreren Fällen, wo die Feigwarzen
nur sparsam waren, reichte die einmalige Verordnung aus, in schlimmem
Fällen wurden Pillen und Thee noch einmal bis zur Heilung wiederholt.
Die breiten Kondylome bildeten sich nun eben so zurück, wie sie entstanden.
Sie verlieren ihren Glanz, ihr florides Ansehn, sinken dann allmälig ein,
verlieren an Breite und Höhe, bis sie mit der Haut in einer Ebne liegen
lind nur noch blanrothe, sich etwas härter als die umgebenden Theile an-
fühlende Flecke darstellen. Auch diese Härte verschwindet und die Flecke
werden schmuzig braunroth, welche Färbung das Zeichen der vollkommnen
Heilung ist. Nach Monaten und Jahren verschwindet erst diese braune
Färbung, und es bleibt dann eine eingetiefte, weisse Narbe zurück, wie
nach dem syphilitischen Exantheme. Auch bei Exulceration der breiten
Feigwarzen ist die Behandlung dieselbe; das Geschwür vernarbt hier vor
dem Rückbildangsprocesse. Das Beizen der Feigwarzen mit der starken
Sublimatsolution, z. B. mit Sublimat 3j, Camphorae gr. xjj, Alcohol vini ^]ir
ist zwar sehr wirksam, aber der Schmerz ist, da er oft über eine Stunde
anhält, recht quälend, indem es wie eine glühende Kohle brennt und der
Kranke vor Unruhe stets umherwandern muss. Weit kürzer dauert der
464 CONGELATIO — CONGESTIO
Schmerz, wenn man den Hollenstein gebraucht. In zwei Fällen, wo die
Kranken das Ätzen mit der starken Sublimatsolution nicht dulden konnten,
verschwanden die Condylomata lata nach mehrmaligem Einreiben von Pulv.
mercur. dulcis, wornach sie einschrumpften und abstarben, ohne dass das
IViittel den geringsten Schmerz erregte.
Congelatio, s. Catalepsis.
Cong^estiOs Congestion, Sie ist einer der ersten fundamentalen
Krankheitszustände, eine der wichtigsten Quellen mannigfaltiger Krankheiten
und daher eins der wichtigsten Heilungsobjecte. Wir verstehen darunter
jede abnorme Überfüllung eines Organs oder Systems mit Blut oder auch
mit anderen Säften (Uv,feland'). Dies ist der ächte Begriff der Congestion,
der aber gegenwärtig einerseits in dem Worte Inflammation , andererseits in
dem Worte Venosität unterzugehen in Gefahr ist. Arten der Congestion.
Nach ihrer Entstehungsweise nehmen wir drei Arten derselben an: 1) Pas-
sive Congestion; sie entsteht am häufigsten durch örtliche Schwäche eines
Theils , und die Blutausleerungen vermehren dieselbe. 2) Active Congestion ;
sie entsteht durch örtliche Reizung eines Theils, kann idiopathisch oder sym-
pathisch seyn, und letztere wieder consensuell oder antagonistisch. Hier sind
in vielen Fällen Blutausleerungen heilsam ; werden sie aber übertrieben , so
kann passive Congestion daraus entstehen. 3) Congestion durch mechanische
Ursachen, z. B, durch Unterbindung, Druck von Geschwülsten. Die Wir-
kungen der Congestion sind nach Verschiedenheit der leidenden Organe und
Systeme sehr verschieden, und eine grosse Menge von Krankheiten bedürfen
zu ihrer Heilung nichts Anderes als Entfernung der Congestion, worauf sie
beruhen. Man unterscheide aber genau Congestion von Irritation und In-
flammation (s. d. Art.), und mache sich nicht des Fehlers eines Broussais
schuldig. Aus Congestion kann Entzündung entstehen, jede Entzündung ist
mit Congestion verbunden, aber dennoch bleibt letztere von der Entzündung
wesentlich verschieden. Der Kopf und der Unterleib, desgleichen die Organe
der Brusthöhle sind es, die hinsichtlich der Congestion den Praktiker am
meisten interessiren. Die hämorrhoidalische Congestion ist eine fruchtbare
Quelle der chronischen Krankheiten in den mannigfaltigsten Formen, und
der Arzt, der auf sie keine Rücksicht nimmt, wird, wie Hufeland frei be-
kennt, nie zu einer richtigen Diagnostik und Behandlung der chronischen
Krankheiten gelangen. Die nächste Ursache des epileptischen Insults, der
Apoplexie, des Stickflusses, des Blutspeiens, der schnellern Ausbildung der
Phthisis, der hitzigen Kopfwassersucht der Kinder und zahlreicher anderer
Übel ist Congestion. Alles, was diese verhütet oder vermindert: knappe
Diät, massige Bewegung, gelinde auf den Unterleib wirkende, Obstructio
alvi verhütende Mittel, Blutegel an das leidende Organ, bei robusten Per-
sonen Aderlässe, verhütet und vermindert auch jene Krankheitszustände
(s. Haemorrhoides und Plethora abdominalis). Die Congestion ist
örtliche Anhäufung der sich im Kreislaufe bewegenden Säfte , daher sie auch
Plethora topica, Haemormesis zum Unterschiede von allgemeiner Plethora
genannt wird, und zwar vorzugsweise des Blutes in organisch unveränder-
ten Gefassen. Seröse oder lymphatische Congestionen gehören zum Oedem
oder zur Blennorrhoe. Hiedurch unterscheidet sich Congestion vom Extra-
vasat und von der Blutstagnation in varicösen und aneurysraatischen Ge-
fassen. Der Unterschied, den die Franzosen zwischen Congestion und Fluxion
machen , dass nämlich erstere zu ihrer Entstehung längerer Zeit bedürfe,
selten von acuter Entzündung begleitet und häufig seröser Natur sey, letz-
tere dagegen in plötzlicher Anhäufung der Säfte, bedingt durch mehr oder
weniger heftige Reize, bestehe, hat keinen allgemeinen Eingang gefunden,
weil er ein unwesentlicher ist. „Congestionen kommen — sagt Hccher (s.
Rtisfs Handb. der Chirurgie, Bd. V. S. 222.) — im gesunden Zustande als
normale Äusserungen der Thätigkeit des Blutsystems , sowie als Ursachen,
Symptome und Folgeübel von Krankheiten , sehr häufig und imter den ver-
sclüedenartigäten Verhältnissen vor; sie erheischen mithin unter allen Um-
CONGESTIO 465
stäntlen die gespannteste Aufmerksamkeit des Arztes. Jede vorwaltende Ent-
wickelung der Thätigkeit eines Theiles, wobei die reproductive Sphäre des
Blutsystems irgend in Anspruch genommen wird, verursacht einen starkem
Blutandrang nach diesem Theile. So erregt im gesunden Zustande die
Menstruation und die Schwangerschaft Blutandrang nach dem Genitalsystem,
das Zahngeschäft Congestion nach dem Kopfe, und in den Entwickeiungs-
stufen des menschlichen Körpers sehen wir zuerst im Kindesalter , wo die
Ausbildung des Gehirns vorherrscht, die Congestionen hierhin, im Jünglings-
alter nach der Brust, und im Mannesalter nach dem Unterleibe gerichtet.
Die Ursachen hiervon sind in dem innersten, Wesen der Reproduction, also
vorzüglich in den Gefässenden, welche den Stoffwechsel vermitteln, in der
Thätigkeit des Herzens, das mit dem peripherischen Theile des Gefasssy-
stems in der innigsten consensuellen und antagonistischen Verbindung steht,
und in den mannigfaltigen Innern Einrichtungen auf das Gefasssystem zu
suchen , die zum grossen Theile von den Nerven ausgehen , wobei noch
überdies die vitale und chemische Beschaffenheit des Blutes in Betracht
kommt. Reizung und Erschlaffung, jede für sich oder beide vereint, sind
bei allen Blutanhäufungen im nicht krankhaften Zustande in Anschlag zu
bringen, und es versteht sich von selbst, dass das verschirdene Verhalten
der Contractilität der Gefässe hierbei von wesentlichem Einflüsse ist. —
Kein anderer Kreis allgemeiner Ursachen liegt den krankhaften Congestio-
nen zum Grunde, Es bedarf nur irgend eines geeigneten Reizes auf einen
gefässreichen Theil , so zieht dieser das Blut in grösserer Menge an , wobei
nicht selten die Herzthätigkeit mit in Anspruch genommen wird; oder es
braucht nur das Blutsystem überhaupt stärker aufgeregt zu werden , so wird
sich das Blut in den relativ schwachen oder erschlafften Theilen ansammeln."
Nach dem Charakter unterscheidet Hecl-er ausser der activen (synochi-
schen , sthenischen) und der passiven (torpiden , asthenischen , typhösen ,
paralytischen) Congestion noch die Congestio erethica, nervosa, spnstica. Bei
letzterer waltet die Reizbarkeit des arteriellen Systems entschieden vor,
während sich die Energie desselben wenigstens nicht bis zu einer gleichen
Stufe erhebt, oder im gewöhnlichen Falle vermindert ist. Man erkennt sie
aus den allgemeinen Zeichen des Erethismus, aus der Wandelbarkeit, dem
raschen Entstehen und Verschwinden der Zufälle, aus der nervösen, reiz-
baren , spastischen Constitution , wo Gemüthsaffecte schnell und lebhaft wir-
ken und jede Aufregung und Anstrengung des Körpers und des Geistes
schnell Gesichtsröthe erregt. Die sog. spastischen Congestionen, die
man der erethistischen unterordnet, sind solche, die in Folge eines krampf-
haften Zustandes der Gefässe entstehen; dahin gehören die oft gefährlichen
Blutanhäufungen in Innern Theilen während des Fieberfrostes, der Cholera,
oder bei asthenischen Krankheiten, die nicht selten apoplektische Zustände
und schleichende innere Entzündungen zur Folge haben. Das Blut ist da-
her bei den spastischen Congestionen venöser, bei den erethischen dagegen
meist immer arterieller Natur. Bei den activen Congestionen lassen sich
zwei Unterarten in der Natur nachweisen, nämlich a) active Congestio-
nen, entstanden durch den blossen Impuls des kräftig angeregten Herzens;
b) active Congestionen als alleinige Folge ortlicher Reizung des in Conge-
stion gerathenen Theils.
Die Eintheilung in idiopathische, primäre und sympathische,
consensuelle, secundäre Congestionen ist endlich auch für klinische
Zwecke wichtig. Bei jenen entsteht die Anhäufung in dem unmittelbar af-
ficirten Theile , bei diesen wird sie durch das gleichartige Leiden eines ent-
fernten Theils vermittelt. Die venösen Congestionen, die Hämorrhoidal-
krankheit , die analogen Blutanhäufungen bei krankhafter Menstruation , die
Plethora abdominalis haben häufig consensuelle Congestionen nach dem Ko-
pfe , nach der Brust , nach dem Magen , der Milz etc. zur Folge , und es
ist für die Prognose und Cur hier besonders wichtig, diesen Ursprung con-
sensueller Congestionen genau zu ermitteln ; denn sie bringen trotz ihrer
Ausdehnung und Heftigkeit doch nicht im gleichen Grade so üble Folgen
MoBt Encjklepädie. 2te Aufl. I. 30
466 CONJUNCTIVITIS — CONSTITUTIO
hervor, wie die idiopathischen, so dass selbst die durch sie vermittelten
Blutfiüsse bei einigermassen richtiger Behandlung gefahrlos verlaufen {Uechcr).
Auch finden wir nicht selten gemischte Zustände in verschiedenartigen Be-
ziehungen bei den Congestionen , welche richtig zu erkennen und zu behan-
deln viel Scharfsinn und Gewandtheit des Arztes erfordert. (S. A. E. Büch-
ner, De congestionum natura, causis et effectibus. Hai. 1749. 4. — J. F.
Th. Goldhagen, De theoi-ia congestionum, quatenus praxi inservit, diss.
Hai. 1784. — F. J. Girard, De plethora et congestionibus sanguinis. Berl.
1819. — F. A. B. Puchelt, Das Venensystem in seinen krankhaften Verhält-
nissen dargestellt. Leipz, 1818. — J. Süegliiz , Pathologische Untersuchun-
gen. Hanuov. 18S3, Bd. I.).
Conjunctivitis, Entzündung der Conjunctiva oculi, s. Inflam-
matio conjunctivae.
Conopbthalnios 9 das Kegelauge, s. Staphyloma.
Consensus partium, der Consens, das Mitleiden der Theile.
Ist die Fähigkeit der Organe, durch die Reizung eines andern Organs affi-
cirt zu werden, diese Alfection zu percipiren und, gleichsam als Stimulus
proprius, mit zu reagiren. Wir können, nach Hufeland, folgende verschie-
dene Arten der consensuellen Verbindung annehmen : 1) den Consens durch
die Nerven; er ist der allgemeinste und stärkste; 2) den Consens durch die
Blutgefässe; S) den durch Contiguität, durch nahe Nachbarschaft; 4) den
Consens durch Ähnlichkeit der Structur; 5) den durch Ähnlichkeit der Fun-
ction und 6) durch Idiosynkrasie. Der Consens ist ein für die Praxis höchst
wichtiges Heilungsobject. Die ganze Lehre von gastrischen Krankheiten
und gastrischer Curart beruhet darauf. Bei einem Kranken , der lange Zeit,
besonders des Morgens an heftigem Schwindel litt, fand ich endlich, dass
dieser durch Reiz auf die Nerven, von Nierensteinen entstanden, herrührte.
Ein Anderer litt an heftigen periodischen Beängstigungen, die von Gallen-
steinen hei'iührten , deren Cur auch für jene Zufälle die beste war. Die
Lehre vom Consens ist für Physiologie und praktische Heilkunde höchst
wichtig. Füsse, Magen und Kopf stehen miteinander im Consens; Erkältung
der Tüsse macht Magen- und Kopfweh, Einreibungen von Opium in die
Fusssohlen macht müde. Durch den Consens wird aus einem örtlichen Übel
em allgemeines , durch ihn erklärt sich das Entstehen imd Verschwinden
vieler Krankheiten. Eigentlich besitzen alle Theile des menschlichen Kör-
pers Consens , nur nicht alle in einerlei Grade , und dadurch entsteht ge-
rade das harmonische Zusammenstimmen aller Theile, ein nothwendiges Re-i
quisit zur Erhaltung des Lebens und der Gesundheit. Ein Mehreres über
diesen Gegenstand findet sich bei den Ai'tikeln Antagoniismus, Sympa-
thia partium.
Consolidantia , die Heilung befördernde Mittel , besonders bei
Wunden, Geschwüren, Verbrennungen; s. Epulotica. .u'
Conistipantia , stopfende Mittel, z. B. Opium. •''
]^ ConstitutiOs die Constitution des Menschen. Ist em fester,
bestimmter Zustand der relativen Gesundheit eines Individuums, der sich
theils dm-ch äussere Merkmale , durch den sogenannten Habitus , theils
durch die Sti-uctur der Organe und die Mischung der Säfte zu erkennen
giebt. Die Constitution des Menschen in Verbindung mit dem Tempera-
mente machen dasjenige aus, was wir Organisation nennen. Der Grad des
Wirkungsverraögens des Organismus ist nach individuellen Umständen und
Anlage sehr verschieden, desgleichen nach dem Alter, daher unterscheiden
wir eine Constitution des Kindes, des Weibes, Jünglings, Mannes, Greises,
die alle zu besonderen Krankheiten Anlage geben (s. Diathesis); fetrnei;
eine Luftconstitution , d. i. eigenthümliche Veränderungen in der Atmosphäre
nach Klima, Jahreszeit, Witterung, welche eigenthümllch auf die Gesund-
heit der Menschen wirkt, den herrschenden Krankheitscharakter bildet und
bald zu katarrhfilischen , rheumatischen, bald zu rein inflammatorischen.
CONSTITUTIO 467
oder zo galligen, nervSsen und putriden Krankheiten, zn Wechselfiebern
etc. die Disposition giebt (s. Diathesis). Das innere Moment der meisten
fieberhaften acuten Krankheiten liegt in der verschiedenen Leibesconstitution
des Menschen, das äussere in den Einflüssen der Aussenwelt, besonders in
der verschiedenen, uns oft noch unerklärlichen Constitution der Atmosphäre.
Wie wichtig das Studium dieser Gegenstände zur richtigen Erkenntniss,
Diagnose und Heilung der Krankheiten ist, bedarf keines Beweises, daher
möge hier einiges Specielle darüber Platz finden. Nach dem Lebensalter
und Geschlecht unterscheiden wir:
Constituiio infantilis, die Constitution des Kindes. Das Kindesleben ist
ein rasches mit vorherrschender Production; Verdauung und Blutumlauf ge-
hen schnell von Statten, der Hunger stellt sich öfter ein, Wachen und
Schlafen wechseln schneller, ebenso Erschöpfung und Wiederersatz der
Kräfte. Der Kindesorganismus ist zart und unentwickelt, dabei höchst em-
pfanglich für die Eindrücke der Aussenwelt. Daher erkranken Kinder leicht,
aber die Krankheiten verschwinden auch schnell , sind , wenige Fälle ausge-
nommen, selten gefahrlich, sie verschwinden ohne Kunsthülfe bei richtigem
diätetischen Verhalten von selbst. Dies ist besonders bei Fiebern der Fall.
Da beim Kinde die Congestion zum Kopfe vorherrscht, so sind die gefähr-
lichsten Krankheiten die hitzige Kopfwassersucht und der Croup. Auch dsis
Hautsystem ist bei Kindern ungemein thätig, daher ist hier die Neigung zu
Hautkrankheiten (zu starke Production, Afterorganisation) sehr gross, und
Blattern, Masern, Scharlach, Crusta lactea, Tinea befallen vorzugsweise
Kinder. Zu berücksichtigen ist, dass die chronischen Exantheme häufig vor
Hydrocephalus und Croup schützen, indem der übermässige Productionstrieb
seine Richtung mehr nach der Haut, weniger nach Innen nimmt. Daher es
denn auch eine wichtige Regel ist, die chronischen Ausschläge der Kinder
als etwas Kritisches zu betrachten und nur vorsichtig, allmälig und meist
nur durch innere Mittel zu heilen. Eine zweckmässige Hautcultur verhütet
bei Kindern die meisten Krankheiten und macht sie gefahrlos. Wegen des
reizbaren Nervensystems leiden Kinder häufig an Krämpfen , die in der Re-
gel von Congestion zum Kopfe oder von Säure der Verdauungsorgane her-
rühren. Kühlende, derivirende, absorbirende Mittel sind hier fast immer
hinreichend. Erhitzende Antispasmodica, besonders aber die Narcotica , ver-
schlimmern in der Regel das Übel. Bei Kinderkrankheiten ist derjenige
Arzt der glücklichste, der sich passiv verhält, wenig verschreibt und viel
exspectando verfährt. Nur Hydrocephalus acutus , Asthma Millari und Croup
machen hier eine Ausnahme.
Constitutio juvenilis. Wenn beim Kinde Verdauung, Ernährung und
Wachsthum die Hauptaufgabe der Natur war , so ist es hier die Geschlechts-
sphäre. Der Process der Pubertät ist hier die wichtigste Erscheinung und,
besonders beim Mädchen , die Quelle vieler Krankheiten. Die Brusthöhle
erweitert sich, die Organe darin erreichen den höchsten Grad der Ausbil-
dung, die Blutcongestion zur Brust ist vorherrschend, und daher sind Lun-
genübel : Phthisis tuberculosa , iiorida , exulcei'ata , Blutspeien und Herz-
krankheiten an der Tagesordnung. Ein ruhiges Leben, kühle Diät, Ver-
meidung aller Erhitzungen, alles Desjenigen, was Congestion nach den
Lungen veranlasst, sind hier von der grössten Wichtigkeit.
Constitutio virilis. Im Mannesalter, dem Gipfel des Lebens, sind alle
Organe ausgebildet und alle Kräfte entwickelt; ein absoluter Stillstand ist
aber nicht da , er ist im Leben nicht denkbar , nur ein relativer im Verhält-
niss zu den frühern und spätem Lebensperioden. Das Knochengebäude des
Mannes ist von dem des Weibes sehr verschieden. Beim Weibe hat die
Bauchhöhle, beim Manne die Brusthöhle verhältnissmässig die grössere Aus-
dehnung, sein Körper ist stärker gebaut, seine Muskeln sind eckiger, seine
Stimme gröber, sein Herzschlag, sein Athemholen kräftiger. Die vorherr-
schenden Krankheiten des Mannes sind im Allgemeinen solche, die den Un-
terleib und das Nervensystem betreffen : Krankheiten des Magens , der Ge-
därme, Dyspepsien, Fehler der Lebfer, der Milz, des Pankreas, Häinorrhoi-
30*
468 CONSTITUTIO
den, Gicht mit allen Ihren protcusähnlirhen Znfilllen und Hypochondrie.
Eine strenge Diät, Mässipkeit iin Ks.scn und Trinken, in Bacrlio , Venere,
Apolline et Rlinerva, viel Bo\%c{;uni; im Kreit-n j>rä«erviren und lieilen dieM
Übel weit besser als alle Arzneien aus der Apotheke, doch unterstützen letz-
tere, richtig ausgewählt, die Cur.
Constitutin viulichris. Der Unterschied zwischen Mann und Frau ist in
somatischer und psychischer Hinsicht sehr gross; <lic Natur des Weibes ist
durchaus eine andere als die des Mannes. Das Weib hat, um seiner Be-
siimnuing als Gattin , IMutter und Hausfrau zu entsprechen , einen ganz
eigenthümlichen Charakter. Er drückt sich aus durch grosse Zartheit und
Reizbarkeit des Körpers, durch die Verschiedenheit der Sexualorgane und
deren EinHuss auf Geist und Körper. Die weibliche Organisation bleil)t
stets der des Kindes ähnlich, daher wir auch bei den Krauenzimmerkrank-
heiten im Allgemeinen ebenso, wie bei den Kiiulirkrankheiten verfahren und
uns vor eingreifenden, heroischen Mitteln hüten müssen. Das Weib ist weit
mehreren und grösseren Veränderungen und Revolutionen unterworfen, als
der Mann. Die Pubertät, die Schwangerschaft, das Gebären, das Stillungs-
geschäft und die Periode der Decrepitität sind diejenigen Momente, die oft
die Quelle zahlloser Krankheiten werden. Daher giebt es eine besondere
Diätetik fürs weibliche Geschlecht, die theils zur Verhütung dieser Krank-
heiten, theils als Bedürfniss der eigenthümlichen weiblichen Confititution an-
zusehen ist. 1) Da der Stolfwechsel beim Weibe, ebenso wie beim Kinde,
rascher als beim Manne ist, da Verdauung und Ernährung schneller vor
sich gehen, so stellt sich auch der Appetit öfter ein. Daher müssen Frauen-
zimmer öfter essen und trinken, und ihre Natur verträgt keinen so langen
Huuger und Durst als die unsrige; sie müs.sen wenigstens alle 3 — 4 Stun-
den Nahrung, aber nur in kleinen Portionen zu sich nehmen. Rohe Kost,
viele Kartolfeln, Hülsenfrüchte, Gewürze, starkgesalzene und geräucherte
Speisen, geistige Getränke: Wein, Branntwein, starke, bittere Biere sind,
täglich oder im Übermass genossen, höchst nachtheilig. Sie schaden der
Gesundheit und Schönheit, zerstören den weiblichen Zauber, alle Anmuth,
erregen heftige Affecten und Leidenschaften und Krämi)fe aller Art. Auch
der übermässige Genuss des KaiVees und Thees ist schädlich, verursacht
schlechten Teint, Ohnmächten, Krämpfe, Gliederzittern, Kardialgie, Lei-
besverstopfung. Leichte Fleischspeisen, Suppe« von Tauben-, Kalb- und
Hühnerfleisch, vorzüglich aber Milchspeisen, Milchsuppen, leichte Mehlspei-
sen , gutes leichtes Gemüse müssen die Hauptnahrung des weiblichen Ge-
schlechts, so\%ie der Kinder seyn. 2) Die Darmausleenuigen sind bei
Frauenzimmern an und fiir sich sparsamer als bei uns; daher müssen sie be-
sonders berücksichtigt und Alles vermieden werden, was zu Verstopfun|»,
einer häufigen Ursache der Krämpfe, der Kolik, geneigt macht, z. B. vie-
les Stillsitzen, Mangel an activer Be\>eg\ing in freier liuft , enge Schnür-
brüste. Zweckmässig ist: Gewöhnung der Natur zu den Ausleerungen an
c'mc bestimmte Stunde des Tages, .selbst im Nothfall Lavements, Thee von
Foh sennae. 3) Da beim schönen Geschlechte die Gefä.ssthätigkeit viel auf-
geregter ist als bei uns (daher die raschere Ulutcirculation und das reizba-
rere Nervensystem), so sind ül)ermässig<v Körper- \nul Geistesbewegungen,
enge Kleidung, reizende Getränke, Thre, Kaffee, Chocolade, heftige»
Tanzen, starke Gemüthsbewegungen hier doppelt srliädlich, indem sie den
ganzen Charakter der Weiblichkeit und die (rt-sundheit und Schönheit der
Frauen weit eher als die Gesundheit der Männer zerstören. 4) Die Athem-
wcrkzeuge sind beim Weibe verhältnissmäs.sig kleiner als beim Manne, da-
her ist auch die Neigiuig zu Brust krai\klieilen hier grösser, und daher Lit
CS doppelt wichtig. Alles, was «üe Lungenfnnctiun stören könnte, zu ver-
meiden, z. B. das Rinathmen kalt<T Luft bei erhitztem Körper, plötzliche
Al>kühlung «lurch kaltes 'l'rinken bei erhitzten» Körper, angestrengte* Sin-,
gen, heftiges Tanzen S<hon mam hes schöne, junge Frauenzimmer bat
daran glaiib<n und auf solche Weise «liirrh IMithisis ins Grab beisscn müssen.
5) Nicht allein in Hin.slclit des Stoil Wechsels, der schnellern \ erdauung.
CONSTITUTIO 469
sondern auch in Hinsicht der Hautfunction , sovvle, beiläufig gesagt, in ge-
luüthiicher Hinsicht, hat die Weibliche Natur mit der des Kindes viel Ähn-
lichkeit. Die Hautaussonderung ist thätiger als beim Manne, und daher
ist eine soi'gfältige Hautcultur: fleissiges Waschen und Baden, in kälterm
Klima warme Flanellkleidung nothwendig. Frauenzimmer erkälten sich weit
leichter als Männer , und da nun die leidige Mode obendrein ihnen eine weit
leichtere Kleidung als uns vorschreibt , so erklärt es sich , wie aus der
Vernachlässigung dieses Punktes beim schönen Geschlechte so vielfache Lei-
den hervorgehen. 6) Massigkeit und Ordnung, Mässigung in der Befriedi-
gung aller geistigen und körperlichen Bedürfnisse , Einfachheit im Leben,
im Denken und Handeln, in Mode, Sitte und Convenienz, Zufriedenheit mit
dem , was man besitzt , Vermeidung allzuheftiger Anstrengungen , heftiger,
ungewohnter Sinnesreize, Ruhe im Gemüthe, gieichmässige Übung inid Aus-
bildung des Körpers und Geistes sind den Frauen vorzüglich zu empfehlen,
und da das Gemüth bei ihnen an und für sich vorwaltet, so muss das
Hauptaugenmerk auf die Cultur des Verstandes, der Vernunft und Willens-
kraft gerichtet seyn. Alles, was nützlich, wahr, gut und schön ist, muss
bei der weiblichen Bildung berücksichtigt, der Sinn fürs Studium der Na-
tur- und Weltgeschichte geweckt, die Neigung zu Poesie, Romantik und
Mystik aber in den Schranken erhalten werden ; sonst entsteht leicht Über-
spannung des Nervensystems, Verwirrung des Verstandes, und manche an-
dere Übel des Körpers und der Seele.
Constitutio senilis. Im Greise nimmt zwar die Lebensthätigkeit ab und
die bildende Kraft im Geistigen und Körperlichen zieht sich immer mehr
zurück; aber dennoch würde man sehr irren, wenn man glaubte, dass der
Greis immer wahrhaft schwach sey und dass seine Krankheiten stets mit
dem Charakter der Schwäche begleitet wären. Dies ist höchst falsch; die
häufigste Krankheit der Greise ist die Apoplexie; wenigstens sterben von
hundert Greisen achtzig an diesem Übel. Häufig ist letzteres eine Apo-
plexia sanguinea, da die Congestion des Bluts im Greisenalter ebenso wie-
der zum Kopfe geht, wie dies im Kindesalter der Fall war, ausserdem auch
zwischen den Krankheiten der Greise und der Kinder eine grosse Analogie
stattfindet (./w/m); aus diesem Grunde ist die Scheu vor Blutausleerungen
bei alten , übrigens wohlgenährten Leuten höchst einseitig , denn es giebt
SchlagHüsse im hohen Alter, wo wir noch recht kräftig zur Ader lassen
müssen (itf.). Zu den Krankheiten der Greise gehören noch Gangraena se-
nilis, verschiedene Urinbeschwerden, ein höchst quälendes Hautjucken, ein
friesel- oder krätzartiger Hautausschlag, Asthma, Oedema pedum, Obstru-
ctio alvi oder Diarrhöe , Verknöcherungen der Gefässe , Verhärtungen des
Gehirns etc. Die Diät der Greise ist sehr wichtig. Je mehr wir uns dem
Alter nähern, je schwächlicher wir werden, desto mehr müssen wir unsern
Körper prüfen, was ihm dienlich oder schädlich ist, eine regelmässige Diät
beobachten, zur rechten Zeit schlafen und wachen, stets nach der Uhr le-
ben und uns keine Ausnahme von der Regel erlauben. Wir müssen uns
aber nicht verweichlichen, uns nicht von Licht und Luft entwöhnen, uns
täglich ein paar Stunden im Freien bewegen, leicht verdauliche Speisen,
mehr Suppen als feste Kost geniessen und geistige Geti^Snke nur massig zu
uns nehmen. Die Kleidung muss etwas wärmer als im Mannesalter seyn.
Reinlichkeit der Haut, öfteres Waschen des Kopfs, der Brust, der Glieder
mit lauem Wasser, wöchentlich einmal ein Bad von 25 — 2&'K., Külilhal-
ten des Kopfs, Warmhalten der Füsse, Vermeidung jeder engen Kleidung,
der heftigen Körperbewegungen, der Leidenschaften und ermüdenden Gei-
stesanstrengungen, des Beischlafs, der starken Weine und besonders der
bitteren Blere , die so leicht den Schlagfluss befördern , Umgang mit Kin-
dern, angenehme Beschäftigung und frohe Gemüthsstimmung , das Einreiben
der Haut mit wohlriechenden stärkenden Ölen : Ol. anthos , bergamott. ,
chamomillae, lavandulae, der tägliche Genuss von Zuckerwasser, ein ruhi-
ges Gewissen und ein echt religiöses Gemüth , diese Dinge erhalten den
Greis gesund und verlängern sein Leben.
470 CONSTITUTIO
Nach der verschiedenen Leibesbeschaffenheit, nach dem verschiedeueii
Grade der Körperkraft und nach der verschiedenen Mischung der Säfte,
sowie nach den atmosphärischen Einflüssen unterscheiden wir noch folgende
Constitutionen :
Constitutio fortis, robusta, sthenica, irrUnhilis, athletica. Die starke
kräftige Constitution giebt sich durch einen kräftig gebaueten Körper, durch
eine derbe und feste Organisation (nicht durch üppige Bildung, Laxität,
Fettleibigkeit) zu erkennen. Sie findet sich am häufigsten im mittlem Le-
bensalter und beim männlichen Geschlechte. Wir müssen uns hierbei aber
nicht blos auf den äusseren Habitus verlassen, die Anamnese, die Lebensart
des Menschen verdient bei Taxirung der Constitution grosse Berücksichti-
gung. Es giebt Menschen, die trotz ihres guten Aussehens und ihres stark
gebaueten Körpers nur einen geringen Grad von Lebenskraft und wenig
Haltung, wenig Festigkeit und Ausdauer in ihren Kraftäusserungen besitzen,
woran häufig Schwelgerei , besonders Trunksucht und Liederlichkeit , auch
vorhergegangene Krankheiten Schuld sind.
Constitutio dehilis, gracilis, asthenica. Sie giebt sich durch zarte Orga-
nisation und kümmerliche Ausbildung des Körpers als Folge chronischer
Krankheiten, Mangel an Nahrung etc. zu erkennen; sie findet sich am häu-
figsten bei schwachen, zarten Kindern, solchen Frauen und bei hohem Al-
ter (Marasmus). Sowie der Praktiker mehrere Arten der Schwäche unter-
scheidet (s. Adynamia), so giebt es hier mehrere Arten der schwachen
Constitution. 1) Die schwache und reizbare Constitution. Sie giebt sich
durch leichte Erregbarkeit, Mangel an Kraft und Ausdauer, durch Wan-
delbarkeit in den Thätigkeitsacten , durch zarte kümmerliche Körperorgani-
sation, bald mit bald ohne Säftefülle, zu erkennen. 2) Die schwache laxe
Constitution. Sie fallt gewöhnlich mit der venösen und lymphatischen Con-
stitution zusammen, und äussert sich durch starke Fettbildung, Säftefülle,
geringe Ausdauer an Kraft, und durch schnelle Erschöpfung nach körperli-
chen Anstrengungen. S) Die durch Überreizung entstandene schwache Con-
stitution. Sie findet sich besonders bei Trinkern, bei Anlage zum Delirium
tremens (s. d. Art.). Berndt sagt darüber (s. dess Methodik der ärztl.
Kunstausübung. Berlin, 1827, S. 407) mit Recht: „Auf diesen Umstand
kann ich junge Ärzte nicht genug aufmerksam machen, denn er liegt oft
sehr versteckt, und hat doch einen überaus entscheidenden Einfliuss auf die
Bildung und Heilung der Krankheiten." Der Puls geht hier auffallend fre-
quent, unregelmässig, ihm mangelt die Resistenz, die Kranken leiden an
Unruhe, Angst, Schlaflosigkeit, Gesichtstäuschungen. Alle Krankheiten bei
Leuten , die sich durch Spirituosa überreizt haben , die häufig unter der
trügerischen Maske von Entzündungen auftreten , nehmen sogleich eine ge-
fährliche Wendung durcti jedes bedeutend eingreifende antiphlogistische
Verfahren. Die säftearme und säftereiche Constitution giebt sich nicht im-
mer durch den Habitus und Puls allein zu erkennen. Hagere , nur nicht
gerade abgezehrte Menschen haben bei sonst guter Organisation oft mehr
Blut als fette Personen, da ihr Gefässsystem meist stärker ausgebildet ist,
und daher ihr Puls stark und kräftig geht. Bei vollblütigen und fetten
Personen finden wir den Puls oft recht schwach ; man unterscheide daher
die verschiedenen Arten der Vollblütigkeit (s. Plethora). Wirkliche Säf-
tearmuth zeigt sich durch Blässe, Schlaffheit, Magerkeit des Körpers und
tiefes Darniederliegen der Kräfte. Bei jungen, starken, vollblütigen Perso-
nen, die ein arbeitsames Leben führen, ist der Einfluss des arteriellen Ge-
fässsystems überwiegend und disponirt zu Entzündungen, die besonders bei
ti'ocknem kalten Wetter eine strenge Antiphlogosis erfordern (s. Diathe-
sis infl ammatoria). Bei laxen, zu Fettbildung geneigten Personen, bei
vita sedentaria und im Mannesalter ist
ConstitnÜo venosa, cum diiscrasin venosa, atrabilaris , zu Hause; sie
macht zu Blutstockungen , Hämorrhoiden , atrabilaristhen Krankheiten ge-
neigt. Der Habitua ^eigt dunkle, schmuzige, gelbliche Gesichtsfarbe, da-
CONSTITUTIO 471
bei bemerkt man Dyspepsien, Obstnictio alvi, mürrisches Wesen, chole-
risch-melancholisches Temperament (s- Haemorrhagia ventricull).
Constitutio nervosa. Grosse Empfänglichkeit für äussere Einflösse, hal-
tungsloser Zustand des Lebensprocesses , schneller Wechsel der Krankheits-
symptome, leichte Erschöpfung nach geringer Kraftanstrengung, zarte Or-
ganisation, lebhafte Imagination, schneller Wechsel von Freude und Leid«
heller Versland, schneller Wechsel im Pulse, in der Gesichtsfarbe, unstä-
tes, unruhiges Auge, vorhergegangene schwächende Einflüsse aller Art;
diese Zeichen geben die nervöse Constitution in gesunden und kranken Ta-
gen zu erkennen (s. Diathesis nervosa).
ConstiUitio lymphatica et cachectica. Sie tritt theils im kindlichen Alter,
theils im Mannesalter auf, und steigert sich durch Entartungen der Blut-
masse und verminderten Gehalt an Cruor zur Const. cachectica. Wir fin-
den hier bleiches, aufgedunsenes Ansehn, Schwäche, Schlaffheit der Faser,
Neigung zu ödematösen Anschwellungen, zu Blennorrhöen und Wassersucht.
Constitutio dyscratica. Sie beruhet auf Qualitätsfehlern der Säfte, auf
einer schlechten Mischung derselben, die alsdann als Schärfen oder wider-
natürliche Reize angesehen werden können. Chronische Exantheme, solche
Entzündungen und Eiterungen, krankhafte Veränderungen der Secretions-
vorgänge, Scirrhositäten , organische Fehler, selbst Krämpfe, Arthritis,
Scrophulosis , Herpes, Psora, Cancer, Syphilis leiten wir ihrer Natur nach
von Dyskrasien ab. Die eigenthümliche Beschaffenheit solcher Dyskrasien
ist uns zwar noch unbekannt, aber der echte Praktiker wird dennoch sein
Augenmerk darauf richten und das , was die Alten und die Erfahrung dar-
über Gutes gelehrt haben, bei der Ausübung am Krankenbette beherzigen
(s. Dy scrasia).
Constitutio morlorum sintionaria, annua, endemica, epidemica. Es ist
eine unwiderstreitbare Thatsache, hervorgegangen aus den treuen Nahir-
beobachtungen der Ärzte aller Zeiten, dass sich in der Krankheitsbildung,
besonders in der der acuten Krankheiten, zu verschiedenen Zeiten und in
verschiedenen Gegenden und Klimaten der Erde eine verschiedene allge-
meine Richtung wahrnehmen lässt, die sich sowol durch einen vorherrschen-
den gleichartigen Charakter der meisten Krankheiten, als auch durch das
Vorherrschen bestimmter Formen ausspricht. Diese Richtung nennen wir
die herrschende Krankheitsconstitution , den Genius der Krankheiten (If'o?-
fart). Berndt {Hufeland's Journal, 1828, Hft. 3, S. 78—110) redet ein
sehr wahres Wort über den jetzt (1828 u. 1829) herrschenden, besonders
in Norddeutschland beobachteten Krankheitsgenius, der sich als Constitutio
gtationaria gastrica ausspricht. Es giebt nach ihm bestimmte Richtungen iii
der Krankheitsbildung, die ohne Rücksicht auf Gegend, Klima und Witte-
rung eine längere Zeit hindurch vorherrschend bleiben (Constitutio morbo-
mm stationaria) , und deren Causalverhältniss mit Wahrscheinlichkeit in eine
periodische Abänderung des Wechsel Verhältnisses unsers Erdkörpers zu den
übrigen Planeten und in unverkennbare atmosphärische Veränderungen zu
setzen seyn dürfte. Unter dem Einflüsse dieser allgemeinsten Richtung in
der Krankheitsbildung macht sich der Einfluss der Jahreszeiten und der da-
von abhängigen Witterung auf die Stimmung des Lebensprocesses ebenfalls
geltend , und setzt untergeordnete vorübergehende Richtungen in der Krank-
heitsbildung (Constitutio annua), woraus die sogenannten Jahreskrankheiten
hervorgehen (s. Diathesis inflammatoria, gastrica, rheumatico-
erysipelatosa, catarrhalis etc.). Dazu tritt ferner die besondere
Stimmung des Lebensprocesses, die demselben durch das Klima und die
Eigenthümllchkeit der Gegend, in welcher der Mensch lebt, aufgedrückt
wird: Constit. endemica. Der Wechsel der Constit. stationaria hat gewiss
einen Haupteinfluss auf das Entstehen und Verschwinden neuer medicinischer
Theorien und daraus gesponnener Systeme. „Wir sind, sagt Berndt, von
der entzündlichen zur gastrischen Krankheitsconstitution übergegangen und
die Übergangsperiode hat mehrere Jahre gedauert, bis seit dem Jahre 1823
in Norddeutfidiland die gastrische Constitution in allmäligem Vorschreiten
472 CONSTITÜTIO
bis jetzt die Hauptriohtung in der Krankheitsbildung bestimmte, die sich
freilich nach Jahreszeit, Witterung und nach den ärztlichen Einflüssen in
verschiedener Intensität ausspricht, aber bei der Bildung von Fieberkrank-
heiten niemals ganz zurücktritt." Meine Beobachtungen geben ganz das-
selbe Resultat. Fast bei jedem nicht heftigen Fieber ohne Localentzündun-
gen gebe ich seit vier Jahren zu Anfange Potio Riverii, Salmiak, kleine
Dosen Tart. emet. , und ich bin dabei stets sehr glücklich gewesen. „Wech-
selfieber, heisst es weiter, waren eine Reihe von Jahren sehr selten gewe-
sen, bis sich das Wiedererscheinen einer weitern Ausbreitung derselben in-
nig an den vorrherrschenden Einttuss der Constit. gastrica anschloss. An-
fanglich waren sie gutartig und traten grösstentheils mit dem Tertiantypus
auf, später wurden sie hartnäckiger und bösartiger. Echte Gallenfieber
waren zur Zeit des Sommers nicht selten. Nervenfieber kamen zwar häu-
figer vor, aber sie waren keinesweges allgemeiner verbreitet, sondern gröss-
tentheils aus gastrisch - rheumatischen luid katarrhalischen Fiebern (auch aus
Febr. intermitt. larvata, ilf,) hervorgegangen. Fast immer erschienen sie
als leichte Febr. nervosa stupida, und wurden bei richtiger Behandlung
ziemlich sicher geheilt. Acute Rheumatismen waren nicht selten, meist mit
gastrischen Complicationen , und wurden am sichersten durch Brechmittel
geheilt. Ruhren waren selten. Das gastrische Fieber tritt bis jetzt häufi-
ger unter asthenischem Charakter auf, ohne ein eigentliches Nervenfieber
zu werden, und endet oft mit einem grossen Kräfteverfall und einer grossen
Schwäche der Digestionsorgane, so dass sich die Kranken äusserst langsam
erholen (dasselbe war auch im Herbste 18;i9 hier in und um Rostock der
Fall). Zu Anfange des Frühlings 1823 zeigte sich in der Gegend von
Greifswalde eine vielseitige Richtung in der Hervorbildong einzelner acuter
Krankheitsformen, auf deren Verlauf der Typus intermittens einen über-
wiegenden Einfluss ausübte; besonders auch der gastrisch -biliöse Zustand.
1) Häufig kam eine Febr. continua remittens gastrica biliosa vor, ganz wie
sie Richter so vortrefflich als Febr. hepatica beschrieben hat. 2) Noch
häufiger erschien sie als eine subcontinua, welche sich sehr häufig in Febr.
intermittens umwandelte. 3) Bei einzelnen Kranken trat kein vollständig
ausgebildetes Fieber hervor , allein grosses Hinsinken der Kräfte , und das
unvollkommene Bild einer nervosa stupida; auch hier musste die Cur mit
der gastrischen Methode eingeleitet werden. 4) Das Wechselfieber machte
die am häufigsten vorkommende Krankheit, gewöhnlich als tertiana, selte-
ner quotidlana , noch seltener quartana ; es war constant mit gastrischen
Symptomen verbunden, und wurde mit Brechmitteln , Chinin und China be-
handelt. 5) Am interessantesten waren die vielen unter der Maske einer
Intermittens larvata erscheinenden Krankheitsformen, die theils mit geregel-
tem Typus intermittens verliefen, theils den Gang einer Intermittens atypica
annahmen, a) Viele Kranke wurden von einer Präcordialangst befallen,
welche zu unbestimmten Zeiten exacerbirte und einen qualvollen Zustand
herbeiführte. Es gab Kranke, bei denen der Anfall eine Manie darstellte;
andere, die in der Angst und geistigen Verwirrung auf den Gedanken des
Selbstmordes geriethen. Von einer solchen Mania intermittens atypica gab
ein Tagelöhner ein Beispiel , welcher in einem solchen Anfalle einen furcht-
baren Mord beging, b) Ganz diesen Krankheitsformen entgegengesetzt ka-
men auch Fälle vor, dass soporöse Affectionen entweder ganz rein für sich,
oder in Verbindung mit einer ausgebildeten Intermittens erschienen, c) Häufig
kamen interraittirende Kardialgien vor, die gewöhnlich den Tertiantypus
hielten und nach tüchtigen galligen Ausleerungen durch Erbrechen und Ab-
führen und Chinin leicht geheilt wurden." So weit Berndt. Was dieser
treue Naturbeobachter hier als Resultat seiner jüngsten Beobachtungen aus
der Gegend von Greifswalde mitgetheilt hat, findet auch ganz seine An-
wendung auf den Ort und die Umgebung meiner Praxis. Bebres intermit-
tentes larvatae, desgleichen comatosae, perniciosae, wie sie Torti und Werl-
hof so herrlich beschrieben haben, hatte auch ich Gelegenheit genug seit
den letzten Jahren liier zu beobachten.
CONSTITUTIO 473
Der Begriff der Constitution wird bald im engern, bald im weitern
Sinne genommen ; daher wir Constituiio individualis , physica , und Con-
stitutio miivcrsalis, epidemica unterscheiden. Erstere bezeichnet die Kör-
perbeschaffenheit eines Menschen , letztere den Inbegriff der Verhält-
nisse , durch welche die Entstehung und Unterhaltung allgemein ver-
breiteter Krankheiten bedingt wird. Die individuelle Constitution ist am
häufigsten angeboren , d. h. dieselben körperlichen Beschaffenheiten und
Eigenschaften , die der Mensch bei der Geburt erhalten hat , bleiben
für die Dauer seines Lebens die vorwaltenden ; oft ist sie angeerbt , d. h.
vom Vater oder der Mutter bei der Erzeugung mitgetheilt, als z. B. die
Constitutio debilis, fortis, nervosa, phthisica, apoplectica, die sich durch
einen besondern Habitus zu erkennen giebt (s. Apoplexia, Phthisis).
In andern Fällen ist sie das Resultat vorhergegangener Krankheiten, die
den Organismus auf diese oder andere bestimmte Weise, in diesem oder je-
nem Systeme oder Organe verändert oder erschüttert haben; oder endlich
sie ist das Ergebniss der Lebensweise und der mancherlei heilsamen und
schädlichen Einflüsse, die fortwährend auf den Organismus einwirken. —
Vom Temperamente unterscheidet sich die individuelle Constitution dadurch^
dass sie mehr das Körperliche, das Temperament dagegen zugleich mit das
Geistige umfasst. „Jede Constitution — sagt Hecker in RusVs Handb. der
Chirurgie, Bd. V. S. 246 — begründet nicht nur eine eigenthümliche An-
lage zu Krankheiten, sondern sie bestimmt auch, als der Inbegriff der vor-
waltenden Eigenschaften des Körpers, deren Charakten und Verlauf. Es
muss also die ganze Aufmerksamkeit des Arztes auf sie gerichtet seyn, in-
dem aus ihr die wesentlichsten Modificationen der Behandlung hervorgehen;
das Individualisiren in der ärztlichen, wie in der chirurgischen Praxis be-
ruhet hauptsächlich auf einer genauen Erkenntniss der Körperbeschaffenheit
des Individuums, d. h. seiner Constitution." Wie wichtig es ist, bei ein
und derselben Krankheit in Betreff der Wahl, der grössern oder geringern
Dosis der Heilmittel, kurz der ganzen Behandlungsweise stets die Constitu-
tion des Kranken im Auge zu behalten, ob sie stark, plethorisch, athle-
tisch , arteriell , oder schwach , venös , biliös , nervös , kachektisch , lympha-
tisch etc. ist, weiss jeder praktische Arzt. Die allgemeine, epidemi-
sche, pandemische Constitution ist der Inbegriff oder die Summe
aller jener Ursachen , welche gewisse Krankheiten unter dem Volke erregen
und unterhalten. „Dieser Ursachen sind sehr viele — sagt Hecker a. a. O. —
und zwar sind es entweder die normalen, in der Atmosphäre enthaltenen
Einflüsse, welche durch ihr verändertes Verhältniss nachtheilig auf den Or-
ganismus einwirken, oder zum Theil sind es ungewöhnliche Beimischungen
zu der uns umgebenden Luft, die man Miasmen genannt hat. Bei der
Bestimmung der pandemischen Constitutionen müssen wir uns hauptsächlich
an ihre Wirkungen, das BefindeiP und die Krankheiten der Menschen hal-
ten, d. h. an die Reagenz des menschlichen Organismus; denn ungeachtet
fortgesetzter Bemühungen, seit Hippokrnies bis auf die neuesten Zeiten, ist
es der Physik noch nicht gelungen, die Atmosphäre in dieser Beziehung
nach einem grössern Masstabe zu erforschen. Man weiss nur , und dies auch
nicht einmal immer, auf welche Einflüsse es ankommt; aber die Entstehung,
Entwickelung und Verbreitung derselben ist in ein undurchdringliches Dun-
kel gehüllt, und unsere physikalischen Instrumente reichen hier nicht weit."
Vorzugsweise kommt es hier an: 1) auf den Druck der Atmosphäre,
auf den Barometerstand. Ist dieser eine Zeit lang auffallend hoch oder nie-
drig, so zeigen sich die Folgen dieses ungewöhnlichen Zustandes in dem
Hervortreten ungewöhnlicher Krankheiten oder in der Veränderung der vor-
handenen; 2) auf die Lufttemperatur, zumal auf deren schnellen oder
allmäligen Wechsel; 3) auf den Wassergehalt der Luft; 4) auf die
Winde; 5) auf die Elektricität der Atmosphäre; 6) auf den Ein-
fluss des Bodens und auf die ihn bedeckende Luft (Sumpfmiasmep) ;
endlich 7) auf die Ursachen, die aus den Verhältnissen der menschlichen
Gesellschaft selbst hervorgehen, als die besondere Stimmung der Gemüther,
474 CONSTITUTIO \
Noth aller Art, Krieg u. s. vr. — Die allgemeine Constitution zerfallt in
die epidemische und endemische. Erstere ist nicht, wie letztere, an
eine bestimmte Gegend gebunden, sondern sie entwickelt sich, regelmässig
oder ohne Ordnung wiederkehrend, durch einen Verein kosmischer und
menschlicher Verhältnisse, welcher zu gewissen Krankheiten disponirt, oder
sie auch selbst unmittelbar hervorruft. Die durch solche allgemein verbrei-
tete Ursachen erregten Krankheiten, z. B. Gallenfieber durch hohe Hitz-
grade, heisse Sommer, Entzündungen durch Kälte bei herrschenden Ost-
winden und trocknem Himmel etc., werden dann leicht epidemisch. Die epi-
demische Constitution wird wiederum in die stehende (^Const. epidemica
stationaria) und in die jährliche (^Const. ejndemica nnnun) eingetheilt.
,,Die allgemeinen Einflüsse, — sagt HecJcer — welche die stehende epide-
mische Constitution bewirken, sind einen längern Zeitabschnitt hindurch die
herrschenden, und weniger an sich selbst, als an ihrer Wirkung, dem
Charakter der herrschenden Krankheiten erkennbar. So neigen eine längere
Zeit hindurch, 10, 15, 20 Jahre, die Krankheiten zum entzündlichen, in
einer andern zum fauligen , zum gastrischen , zum nervösen Charakter. Man
hat so eine Constitutio stationaria inflnmmatoria , gastrica, nervosa etc., über
deren Wiederkehr oder etwanige Periodicität man jedoch noch weit entfernt
ist, etwas Bestimmtes erfahrungsgemäss festsetzen zu können; man spricht
auch in dieser Beziehung von einem Morhus stationarius. — Die jährliche
Constitution hängt von dem Charakter der Jahreszeit ab , und ist leichter
erkennbar, indem die Wirkung der mit dieser verbundenen allgemeinen Ein-
flüsse, wie der Kälte, der Hitze, der Trockenheit , der Feuchtigkeit, schon
genauer erforscht ist. Die Krankheiten, die von ihr abhängen, nennt man
jährliche epidemische Krankheiten (Morüi epidemici annui') , wie z. B. die
gastrischen Fieber im Sommer, die Entzündungen im Winter, Katarrhe und
Rheumatismen im Frühjahr und Herbst epidemisch vorzukommen pflegen.
Eine epidemische Krankheit ist keinesweges an und für sich ansteckend ;
Ansteckung und epidemische Verbreitung sind zwei ganz von einander ver-
schiedene Begriffe. Manche epidemische Krankheiten sind ansteckend (Aforft»
contagiosi) , wie z. B. der Typhus , die epidemische Augenentzündung , die
asiatische Cholera, die Pocken, — andere wieder nicht, wie z.B. die Lun-
genentzündungen , die Kriebelkrankheit , das Wechselfieber , ohne dieser
Verschiedenheit wegen weniger epidemisch zu seyn, und manche ansteckende
Krankheiten haben mit epidemischen Einflüssen gar nichts zu thun, wie
z. B. die Syphilis und die Krätze. (Ganz ohne Einfluss ist hier aber doch
wol die Atmosphäre und das Klima nicht. Man denke nur an die Verschlim-
merung der allgemeinen Syphilis zur Winterszeit, bei nasskaltem Frühlings-
vind Herbstwetter, an ihr epidemisches Vorkommen und solchen Ursprung
im 15. imd 16. Jahrhunderte, an die früher vorzugsweise exanthemische
Natur des Übels etc. Most^. — Doch entwickeln zuweilen Epidemien An-
steckungsstoffe (^Epidemia contagiosa^ und greifen durch diese weiter um
sich, wie ein anfänglich nicht ansteckender Typhus nach und nach an-
steckend werden kann, und unter gewissen günstigen Umständen können
sich ansteckende Krankheiten zu wirklichen Epidemien heranbilden, z.B. die
Pocken, die orientalische Pest etc." — i,Die endemische Constitu-
tion ist der Inbegriff der Krankheit erregenden Schädlichkelten an einem
bestimmten Orte oder in einer bestimmten Gegend. Die Krankheiten , welche
sie hervorbringt, nennt man endemische (^Morhi cndemici). Eine der häu-
figsten endemischen Ursachen ist die Sumpfiuft, die in vielen Gegenden
die Wechselfieber, die Wassersuchten und die Schleimflüsse endemisch macht.
Mit der Ansteckung verhält es sich hier ähnlich, wie bei den epidemischen
Krankheiten, d.h. es kann eine ursprünglich rein endemische Krankheit sich
durch Heftigkeit und tieferes Ergreifen der reproductiven Sphäre zur Con-
tagiosität erheben, und eine ursprünglich sporadische ansteckende Krankheit
endemisch werden, wie z. B. die meisten Syphlloide in sumpfigen Gegen-
genden." (Vergl. Hipfwlrates, De aerc, aquis et locis. Opp. omn. Edit.
l/indeH. T. l. — Jo. Uüxham, Observ. de aere et morbis cpidem. Lond.
CONSUMPTIQ ~ CONTAGIUM 475
175S, T. n. — ■ Th. Sijdeiiham, Opera univ. medica. Ed. Kühn. LIps. 1827. —
Ph, Fr. Hopfengivrtner , Beiträge zur allgem. u. besondern Theorie d. epid.
Krankheiten. Frankf. u. Leipz. 1795. — Fr. Schraud, De eo, quod in mor-
bii» epidemicum est. Pesth, 1802. — Fr. Schnurrer, Materialien zu einer alK
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Einfluss des Klimas auf chronische Krankheiten. A. d. Engl. Leipz. 1830. —
Ficker, De temperamentis hominum. Götting. 1791. — Finke, Versuch einer
allgem. med. prakt. Geographie. Leip. 1792 — 95. 3 Bände).
Consumptio, Auszehrung, Schwindsucht, s. Phthisis.
Cnnsumplio ossinm, s. Contabescentia.
ContabescentiA« Dörrsucht, s. Atrophia und Tabes.
Contabescentia ossium. Ein Schwinden der Knochensubstanz , bedeu-
tende Verminderung und Verdünnung ihrer Masse ohne primäre krankhafte
Veränderung in der Vitalität des Knochens folgt häufig auf anhaltenden,
lange Zeit fortdauernden mechanischen Druck auf den Knochen , z. B. durch
Aneurysmen, welche unmittelbar an der Knochenoberfläche liegen, durch
grosse Blutextravasate im Zellgewebe, durch Fleischgewächse, indem wahr-
scheinlich ein Theil des Periosteums durch gehinderte oder mangelnde Er-
nährung abstirbt. Nicht selten folgt dann Caries ; daher man die Ursache
dieses Knochenleidens zur rechten Zeit entfernen, äussere Pulsadergeschwülste
unterbinden, grosse Blutextravasate durch Incision, Geschwülste durch Ex-
cision entfernen muss.
Conta^iiun, ein thierisches Gift, ein Ansteckungsstoff,
der den coutagiösen Krankheiten zum Grunde liegt, sich im kranken Orga-
nismus entwickelt und durch mittelbare oder unmittelbare Berührung (daher
der Name von dem lateinischen Worte contäyo) auf gesunde, dafür empfäng-
liche Organismen übergetragen wird, und so durch Ansteckung die ähnliche
Krankheit erregt. Hierdurch unterscheidet sich Contagium von Miasma-
Letzteres beruhet auf einer schädlichen Luftbeschaffenheit, welche zu glei-
cher Zeit viele Menschen einer und derselben Gegend krank zu machen im
Stande ist, ohne dass ein thierischer, von einem Körper zum andern über-
tragener Ansteckungsstojff dabei nachgewiesen werden könnte. Beide ^ so-
wol Miasmen, als Contagien, erregen epidemische Krankheiten, wenigstens
ist dies bei allen flüchtigen Contagien der Fall (s. Epidemia und Con-
stitutio morborum). Der Pest, den Menschenpocken, den Masern, der
Febris petechialis purpurata , dem Faulfieber , dem Typhus - , Kerker - und
Hospitalfieber, dem Hospitalbrande liegt ganz bestimmt ein Contagium zum
Grunde ; dagegen ist es noch zweifelhaft , ob das gelbe Fieber , die Cholera
morbus, die Ruhr, das Scharlachfieber, die Röthein, Frieseln, die epide-
mische Influenza contagiöse oder miasmatische Krankheiten sind. Es ist
mehr als wahrscheinlich, dass alle diese Übel in der Regel miasmatisch auf-
treten und nur durch schädliche Nebeneinflüsse contagiös zu werden im
Stande sind. Die Lehre von den Contagien hat in neuern Zeiten viel Licht
erhalten. Man unterscheidet fixe und flüchtige Contagien. Allen con-
tagiös-epidemischen Krankheiten: Pest, Blattern, Fleckfieber etc., liegen
flüchtige Contagien zum Grunde. Unter die fixen Contagien zählen wir da-
gegen das Krebsgift, das die Hydrophobie erregende Wuthgift, das vene-
rische Gift, das Gift der Krätze, der Lepra, des Milzbrandes (s. Anthrax),
vielleicht auch das der wahren (tuberculösen) Schwindsucht zum Grunde
liegende Gift. In medicinisch - policeilicher Hinsicht erfordert es das Wohl
aller Staaten, dass bei wahrhaft contagiösen Krankheiten die Gesunden von
den Kranken streng getrennt werden, damit die Krankheit sich nicht weiter
verbreitet. Dies ist bei den flüchtigen Contagien doppelt nothwendig. Die
seit einem Jahrhundert so streng beobachteten Quarantainen in Betreff der
Pest (und auch des gelben Fiebers) sind eine unendliche Wohlthat für Eu-
ropa gewesen. Wer weiss aber nicht, wie bedeutend nachtheilig solche
Anstalten auf alle Triebfedern der menschlichen Gesellschaft, auf Handel,
Schifffahrt etc. einwirken! Doshalb ist ea die erste Pflicht der Ärzte, bei
476 COJNTAGIUM
epidemischen Kranklieiten genau zu untersuchen, ob sie contagios sind oder
nicht, und ob Sperrungen durchaus angeordnet werden müssen, oder ob sie
überflüssig sind. Man hat die Contagien in Contagiuin mortuum und vivum,
in ein Contagiuin verum et spurium, in Cont. in distans und Cont. per con-
tactum etc. eingetheilt, je nachdem der Ansteckungsstoif vom kranken Kör-
per aus mittelbar durch die Atmosphäre des Kranken , oder durch Stoffe,
welche davon imprägnirt sind: Wolle, Seide, thierische Felle, Baumwolle
etc., oder durch Insecten, z. B. beim Milzbrande, durch unmittelbare Be-
rührung etc, weitere Ansteckung zu Wege bringt. Diese Eintheilung be-
ruhet indessen auf Zufälligkeiten; denn es giebt wesentlich nur ein Conta-
gium, und nur die Eintheilung in ein fixes und flüchtiges Contagium ist die
der Natur am meisten entsprechende. Das Wesen der Contagien ist uns un-
bekannt; wir kennen sie nur aus ihren Wirkungen, aus den Krankheiten,
die sie hervorrufen und die bekanntlich höchst verschieden sind. Der Sauer-
stoff zerstört, der Stickstoff befördert die Contagien. Daher erklärt sich
der grosse Nutzen der reinen atmosphärischen Luft und der Übersalzsauren
Räucherungen bei allen contagiösen Übeln. — Bei der Ansteckung durch con-
tagiöse Schädlichkeiten gehen ohne Zweifel materielle Ausflüsse von dem
kranken auf den gesunden Körper über , doch haben die bisherigen physi-
kalisch - chemischen Untersuchungen noch wenig Ausbeute gegeben , ja , es
ist uns noch nicht einmal gelungen, irgend ein Contagium rem darzustellen,
d. h. von seinen Vehikeln , dem Schleim , Eiter , der Lymphe etc. , mit de-
nen sie so innig verbunden sind, zu befreien. Mit Recht werden die An-
steckungsstoffe als belebte Körper, als belebte Einflüsse eigenthümliclicr
Formen des abnormen Lebens, d. h. der Krankheiten, die sie entwickeln,
betrachtet, mit dem Samen thierischer und vegetabilischer Organismen ver-
glichen und der Act der Ansteckung als eine Art Generatio aequivoca an-
gesehen ; dadurch gewinnen wir eine lebendige Ansicht dieses noch dunklen
Vorganges. Wir würden indessen in letztern wol schon längst mehr Licht
gebracht haben , hätten wir nicht einseitig nur das Chemische bei der An-
steckung vor Augen gehabt und den dynamischen Process dabei zu unter-
suchen vernachlässigt. Sicher werden hier die neuerdings näher erforschten
elektro - magnetischen Verhältnisse , angewandt auf den Act und das Zustan-
dekommen der Ansteckung, von Wichtigkeit seyn , sowie wir denn ja auch
schon Contagien und selbst Arzneistoffe durch Elektricität von einem Kör-
per auf den andern, gesunden, übertragen haben (s. Gal vanismus). —
„Immer und überall — sagt Hecler — sind die Contagien nur als Gele-
genheitsursachen zu betrachten, die, um ihre vollständige Wirkung, d. h.
diejenigen Krankheiten hervorzubringen, durch welche sie sich selbst wieder
reproduciren , unerlässlich der Prädisposiiion bedürfen. Fehlt diese, dann
werden sie entweder gar nicht aufgenommen, oder, sind sie in den Körper
übergegangen, so werden sie ohne eine merkliche oder erhebliche AVirkung
assimilirt und wieder ausgeschieden , oder sie bringen nicht die vollständige
Krankheit, sondern nur eine unvollkommene Form derselben hervor, die
nicht im Stande ist, sie wieder zu entwickeln, oder ein unvollkommenes
Pioduct liefert, das, auf andere Körper übergetragen, noch unvollkommene
Krankheitsformen hervorbringt. Diese Prädisposition ist entweder eine indi-
viduelle, aus äussern Merkmalen vor der Ansteckung nicht erkennbar, die
nur aus der nicht erfolgten Wirkung des Ansteckungsstoffes zu ersehen ist,
oder sie ist eine allgemeine. Wie sehr es auf jene ankommt, beweisen die
vielen Fälle von Nichtansteckung durch die Pest , die Pocken , die Syphilis
und die übrigen intensiv ansteckenden Krankheiten, wenn Individuen der
Aufnahme der Contagien dieser Krankheiten sich absichtlich oder zufällig
ausgesetzt haben ; das öftere Nichthaften der Vaccine nach tadelloser Im-
pfung ist ein eben so redender Beweis der zuweilen nicht vorhandenen Em-
pfänglichkeit für Ansteckung. Die allgemeine Prädisposition zur Ansteckung
von dieser oder jener Krankheit hängt von dem Einflüsse der atmosphäri-
schen Constitution ab, welche die menschlichen Organismen für die Einwir-
kung der Contagien äo oder so vorbereitete. So sehen wir ansteckende
CONTAGIUM 477
Krankheiten, wie z. B. die Pocken und die orientaligche Pest,' iie sich bis
dahin nur sporadisch fortpflanzten, sich epidemisch verbreiten, sobald die
epidemische Constitution ihnen günstig geworden ist, und sogleich wieder
verschwinden oder zur sporadischen Verbreitungsart zurückkehren, sobald
diese Begünstigung aufgehört hat. Die endemische Constitution kann eben-
falls eine Geneigtheit zur Aufnahme von Contagien bewirken." — Bei eini-'
gen Contagien ist der ganze Körper fähig, sie aufzunehmen, bei andern
vermag dies nur die äussere Haut und die Schleimhaut, wobei dann wieder
grosse Verschiedenheiten stattfinden, so z. B. sind es bei Cholera orientalis
und Typhus vorzüglich nur die Schleimhäute der Respirationsorgane, durch
welche die Ansteckung vermittelt wird , sobald nämlich das in der nächsten
Atmosphäre um den Kranken sich befindende Contagium von Gesunden , die
hinreichende Empfänglichkeit besitzen , eingeathmet wird ; beim syphiliti-
schen Contagium sind es vorzüglich die Schleimhäute der Genitalien, ob-
gleich auch verwundete Stellen der äussern Haut, wie bei der Hydrophobie,
das Gift durch Einsaugung auftiehmen, indem die Resorptionskraft dei* ve-
nösen und lymphatischen Gefässe hier mit ins Spiel kommt. Ist nun der
Ansteckungsstoff irgendwo aufgenommen , so erregt er in dem zunächst af-
ficirten Theile, avo er entweder sogleich seine Thätigkeit äussert oder eine
längere oder kürzere Zeit ruhen , d. h. latent bleiben kann , einen eigen-
thümlichen Process , der sich bei mehreren, z. B, bei örtlichen syphilitischen
Ki'ankheitsformen , schon hier durch eine Wiedererzeugung äussert. Dieser
Process pflanzt sich nach den Gesetzen der Verwandtschaft und Sympathie
der Theile von Theil zu Theil fort, der Herd der Wiederbereitung des
Ansteckungsstoffs wird erweitert, es entsteht eine allgemeine contagiöse
Krankheit, und alle zur Reproduction des Contagiums nicht disponirten
Th«ile werden wenigstens secundär auf verschiedene Weise mit ergriffen , bis
die Krankheit durch die allgemeinen und eigenthümlichen Krisen wieder be-
seitigt wird. Dieser Process beruhet auf krankhafter Vegetation , auf eigen-
thümlichen krankhaften Metamorphosen, wie bei Schmarozerpflanzen , in-
dem dem Leben des Organismus ein heterogenes, der Fortpflanzung fähiges
Leben als etwas Fremdartiges aufgedrückt wird. Naumann (s. unten die
Literatur) ist zwar der Meinung, dass das Contagium nichts wirklich Be-
lebtes sey, doch hat er diese Ansicht keinesweges durch Widerlegung der
Gründe für die entgegengesetzte Meinung unterstützt. Er setzt den Bil-
dungsherd aller Contagien der acut verlaufenden Krankheiten ins Blut, wo-
bei der Nerveneinfluss aufs Blut nicht zu übersehen sey. Er statuirt drei
Classen von acuten Contagien: 1) solche, die einer vorbereitenden Incuba-
tionsperiode , um zur Reife zu gelangen, gar nicht bedürfen, z. B. die Bu-
bonenpest; 2) solche, wo dies erforderlich ist; 3) solche, die im Mutter-
körper gar keiner Incubation fähig sind, sondern diese nur ausserhalb des
erzeugenden Organismus unter dem Zusammentreffen günstiger Umstände
erfahren. Die permanenten Ansteckungsstoffe {Contagia permaneniia , primo-
genita, commnnicntiva') sind fähig, sich eine längere Zeit hindurch seibststän-
dig und unermüdet zu erhalten. Dahin gehören die orientalische Pest, die
Pocken, die Masern, die Syphilis, die Krätze u. a. m. , dagegen sind die
temporären Ansteckungsstoffe (^Contagia temporaria, accidentia, spontanen')
solche, welche unter ihnen ungünstigen Verhältnissen wieder auf kürzere
oder längere Zeit verschwinden, wohin die Contagien des idiopathischen
Frieseis, des Typhus, der Cholera orientalis, der Febris flava, des Hospi-
talbrandes u. a. gehören. Der Unterschied in permanente und temporäre
Contagien ist zwar kein wesentlicher, indem wahrscheinlich auch die erstem
bei ihrem ersten Ursprünge temporäre waren, dennoch ist er in medicinisch-
policeilicher Hinsicht sehr wichtig, indem erstere oft allgemeine Massregeln
erfordern, um Länder vor ihnen zn schützen, z. B. Cordons gegen die Pest
etc. Eben so wichtig ist der Unterschied zwischen flüchtigen An-
steckungsstoffen (Contagia volatilia, Contagia ad dislans) und fixen (Con~
tagia fixa , C. per foniitern) , je nachdem sie sich der umgebenden Atmosphäre
mittheilen und sich verflüchtigen, oder dieses nicht thun, und um zu haf-
478 CONTAGIOT
ien, blos den Aufenthalt In der Luft oder die unmittelbare Berührung er«
fordern. Viele Contagien sind flüchtig und fix zugleich , d. h. sie gestatten
eine Übertraglingsweise, wie die fixen, und gehen sngleicb in die Atmo-
sphäre des Kranken über. Zu den fixen Contagieh rechnet Hecicer: das
«yphilitische , das der Krätze, der Kuhpocken, der Lepra und Elephantiasis,
das der Radesyge und aller übrigen sogenannte Syphiloide , der Pellagra,
des Kopfgrindes , verschiedener Arten des Herpes , das des Krebses , der
Hydrophobie und mehrere andere thierische Contagien, z.B. das der Mauke,
des Rotzes, des Milzbrandes und der schwarzen Blattern. Zu den flüchti-
gen: das des Typhus, des gelben Fiebers, des Keuchhustens, des Hospi-
talbrandes u. a. m. Flüchtig und fix zugleich sind, nach ihm: die Conta-
gien der Pocken, der Varicellen, der Masern, vielleicht auch zuweilen die
des Scharlachs, der Bräune, des Katarrhs, der Schwindsucht, der epide-
misch - contagiösen Augenentzündung und der Cholera, auch die des Typhus,
des gelben Fiebers, der orientalischen Pest und der Ruhr. — „Einige Con-
tagien entwickeln sich — sagt Hecker — und haften unter allen Bedingun-
gen, bei hoher und bei niederer Temperatur, in reiner oder in unreiner
Luft , wie z. B. das der Syphilis , . der Krätze , der Pocken , der Vaccine ;
andere gedeihen nur in einer unreinen Atmosphäre und nur bei einer gewis-
sen Temperatur, wie z. B. das des gelben Fiebers, der Pest, des Typhus
und der Ruhr. In dieser Beziehung könnte der praktisch sehr wichtige
Unterschied von positiven und relativen Contagien aufgestellt wer-
den, indem es bei den letztern mehr darauf ankommt, gegen die sie begün-
stigenden Bedingungen, wo dies in unserer Macht steht, als gegen sie selbst
Massregeln zu ergreifen. Hier tritt die Lehre von der Ansteckung mit der
vom Miasma in die genaueste Verbindung , und es liegt der letztern ob, die
aeuern Erfahrungen und wahrscheinlichen Hypothesen über die miasmatisch-
contagiöse Verbreitungs weise der Krankheiten zu erörtern." Die medicini-
ßche Policei muss dafür sorgen , dass die Verbreitungsweise der Contagien
durch Isolirung, durch Absperrung der Kranken von den Gesunden, der
inticirten Länder und Orte von den gesunden, gehemmt werde, und zwar
um so mehr , da mehrere Contagien , als die des Typhus , der Febris flava,
Cholera Orientalis, der morgenländischen Pest, gesunden Menschen eine
Zeit lang anhaften und von diesen verschleppt werden können , ohne dass
sie Selbst erkranken, oder so, dass sie erst später ergriffen werden, woraus
die Nothwendigkeit von Quarantaineanstalten und Grenzsperrung hervorgeht.
Eben so wchtig ist es, für die Zerstörung der Contagien in giftfangenden
Gegenständen und in inficirten Häusern und Schiffen zu sorgen, in welcher
Hinsicht Lüftung, Reinigung mit Wasser, Durchräucherung mit Chlor und
Salpetersäure, in Anwendung zu bringen sind. Laut der Erfahrung können
einige Contagien, die an Kleidern und Waaren bei mangelndem Luftzutritte
haften, lange wirksam bleiben und so nach Jahren noch neue Ansteckung
verbreiten. So soll das Contagium der Pocken und der Pest unter günsti-
gen Umständen dreissig Jahre lang, das der Kuhpocken und des Typhus
drei Jahre lang Wirksamkeit behalten (Marx)', doch fehlt es hier an g«-'
nauen^ zuverlässigen Beobachtungen, die, wenn sie, wie Hecker sagt, von
jeder ansteckenden Krankheit vorhanden wären , den dunklen Ursprung man-
cher Epidemie, zumal der Pocken, der Masern und des Scharlachs, den'
man auf nicht befriedigende Weise aus atmosphärischer Constitution abzu-
leiten geneigt ist , . erklären könnten. Eine wahre Ausgeburt des homöopa-
thischen Unsinns, die zur Dreckapotheke der Alten führt, ist die neuerlich
von L«.r (s. dess. Isopathik der Contagionen; Leipz. 1833) aufgestellte An-
sicht , dass jedes Contagium , jede ansteckende Krankheit in ihrem eigenen'
Ansteckungsstoffe das Mittel zu ihrer Heilung finde. So soll man Men-
schenpocken mit homöopathisch potenzirtem Pockengift , Psora mit Krätzstoff,
Syphilis mit venerischem Gifte etc. heilen können (vergl. auch Allg. mcdic.
Zeitung, 1833, Nr. 61, S. 971). — Der Dr. philos. Ltix ist praktischer
Thierarzt in Leipzig. Er versichert, dass er seit 10 Jahren alle ihm an-
vertrauten Thiere homöopathisch mit Erfolg behandelt habe, dennoch ging
CONTORSIO UTEftI — CONTRACTUBA ARTÜÜM 479
er zur sogenanntea Isopathik fiber. Der Professor Hertwig bei der kSnIgl.
^hierarzneischule in Berlin stellte dagegen eine Reihe von Versuchen über
diesen Gegenstand an , und das Resultat war: dass das unbefangen
und consequent verfolgte Experiment von allen Verheissun-
gen auch gar nichts als die gänzliche Nichtigkeit aller An-
preisungen des Dr. Lux bestätigt hat (vergl. Medio. Zeituug
des Vereins für Heilkunde in Preussen, 1334, Nr. 14). Die besten hies-f
her gehörenden Schriften und Abhandlungen sind: C. F. H. Marx, Origines
contagii. Caroliruhae etBadae, 1824. — Dav. Hosnck^ Observat. on the lavfs
vhich govern the communication of contagious diseases etc. , in dessen Essays
on various subjects of medical science. Vol. I. New- York, 1824. — Banff.,
De dilTerentiis et effectibus contagiorum commentatio, in Soc. Havn. Collei^
Yol. I. — Unzer, Einleit. zur allgem. Pathologie d. ansteckend. Krankhei-
ten. Leipz. 1782. — Metzler, Über die ansteckenden Krankheiten. Ulm,
1787. - • Rcil , Pathologia morbor. contagiosor. generalis. Halae, 1789, —
J Aldcrson, An essay on the nature and origia of the contagion of fever».
HuU, 1788. — M. G. Jouard, Essai sur une nouvelle thöorie de la con-r
t^gion. Paris, 1805. — K. H. Dzondi, Über Contagien, Miasmen u. Gifte»
Leipz. 1822. — M. E. A. Naumann, Grundzüge der Contagienliehre. Bonn,
1833. — Steinheim, in der AUgem. medic. Zeitung. Altenb. 1831, Nr. 9.
Contorsio uteri, s. Hysteroloxia,
Contractio, s. Angusitatio.
Contractura artuum, Contractur, Krümmung der Ge-
lenke. Hier sind die Bänder, Sehnen und Muskeln eines Gliedes in ein«
abnorme , lang anhaltende Verkürzung gerathen , wodurch Steifigkeit und
Unbeweglichkeit des, Gliedes entsteht. Gewöhnlich ist das Übel mit
Ankylosis zugleich da, Die Contracturen sind entweder angeboren oder
später entstanden. Zu letztern geben Disposition : robuster Körper,
starke straffe Faser, Trockenheit derselben, wie im höhern Alter, Auf-^
enthalt in trockner und reiner , warmer Luft , Gewöhnung an rei-
zende und trockne Nahrungsmittel bei thätiger Lebensweise , zu spar-
samer Genuss des Wassers, starke körperliche Bewegungen, schwere Arbei-
ten. Gelegenheitsursachei> sind: verschiedene Krankheitsreize, welche eine
vermehrte Rigidität der Faser herbeiführen, wie: Entzündung, Rheuma,
Gicht , Ischias , Varbrennungen und Erfrierungen , Milchmetastasen , unter-
drückte Lochien , zurückgetriebene Krätze und Schweisse , abgeschnittener
Weichselzjopf, selbst heftige Gemüthsaffecte, besonders Zank und Schreck; —
Metallvergiftungen, zumal durch Arsenik, Blei und Quecksilber, daher diese
Übel bei Bergleuten, Hüttenarbeitern, Vergoldern, Malern, Töpfern öftere
erscheinen; ferner: Missbrauch stark adstringirender, austrocknender Kah-
rungsraittel und Arzneien, als der Säuren, des Branntweins, der kalten Bä-
dei;, des Goulard'scben Wassers auf grosse Wundflächen etc.- . endlich
mechanische fiinflüsse; starker Druck, Dehnung eines Theils durch Klei-
dungsstücke , anhaltendes Verweilen des Gliedes in derselben Lage durch
Gewöhnung, wie auf solch,e Weise schändliche Bettler, zumal in London
und Paris, junge gesunde Kinder contract machen, oder in Folge von Kno-
ohenbrüchen, Verrenkungen, Verwundungen,. Lähmungen. — Die allgemei-
nen Zeichen einer Contractur sind: allmäHg entstandene Steifheit und
Schwerbewegljchkeit mit Verkürzung , vermehrter Spannung und Härte, ohne
Schmerzhaftigkeit der afficiyteu Muskeln und Sehnen oder Häute; die mit
ihnen verbundenen beweglichen Gebilde befinden sich gegen die contrahir-
ten, besonders wenn diese Muskeln sind, hingezogen, und jeder Versuch,
durch äussere Gewalt diese Lage in die entgegengesetzte zuverändeni, ver-
anlasst einen heftigen Sc;hmer3! längs der contrahirten Theile. Durch die
langsame Entstehung, allmälige Zunahme und Schmerzlosigkeit unterscheidet
sich die Contractur eines Theils vom Spasmus tonicus ; sind bei ihr schon
Structurveränderungen eingetreten, sind Haut und Zellgewebe krankhaft
verändert, so ist auch Missfarbigkeit , Schwinden de» Theils, mangelnde
480 CONTRACTÜRA
Ernährung etc. bemerkbar. Cur. Häufige Contracturen sind meist leicht,
muskulöse und tendinöse schwieriger und die der Röhrenorgane am schwer-
ßten zu heilen, Indicationen sind 1) Entfernung der Ursachen, da-
her bei zu straffer Constitution relaxirende Mittel: erschlaffende, reizlose,
wässerige Nahrung, warme Dampf- imd Wasserbäder, viel Ruhe, Unthä-
tigkeit, langer Schlaf, • — richtige Behandlung der vorhandenen Krankheiten
durch Antiphlogistica , Antirheumatica , Antarthritica etc., wo topisch ad-
stringirende Mittel schädlich einwirkten, dienen Oleosa, Mucilaginosa. Bei
Fracturen und nach eingerichteten Luxationen vermeide man langes Verwei-
len des Gliedes in ein und derselben Stellung, nehme vorsichtig passive Be-
wegungen mit dem Gliede vor. — 2) Wir he1)en die Contractur
selbst, indem wir direct auf die contrahirten Theile Relaxantia: örtliche
laue Wasser- oder Dampfbäder, animalische Bäder, Cataplasmata emollien-
tia, Empl. saponatum, mercuriale, ölige Einreibungen, und da, wo Indu-
rationen'und Exsudationen obwalten, vor allem Ungueut. mercuriale, appli-
ciren. Wo alle diese Mittel fruchtlos sind , werden als letztes Refu'giura
mechanische Kräfte in Anwendung gebracht, die contrahirten Theile mittels
der Hände und Maschinen allmälig ausgedehnt und verlängert. 3) Wir be-
seitigen die Compli cationen, z. B. bei der Muskelcontractur die oft
gleichzeitig stattfindende Lähmung der Antagonisten. Nie darf die Cur zu
schnell beendigt werden, weil die, Cveneigtheit zu Recidiven sehr lange zu-
rückbleibt.
Contractur a femoris Pottii, die Pött'sche Lähmung, ist Unbrauch-
barkeit der untern Gliedmassen in Folge von Spondylarthrocace , daher keine
wahre Lähmung, sondern nur Symptom der Rückgratkrankheit (s. Arthro-
caCe). Das Über unterscheidet sich von Paralysis vera dadurch, dass zwar
der Gebrauch der Glieder gestört ist und das Gefühl darin zum Theil Ver-
loren geht, dass sie aber nicht schlaff und weich herabhängen, sondern eini-
gen Widerstand behalten und eine Art Steifigkeit in den Gelenken zeigen ;
dabei sind die Zehen abwärts gerichtet, so dass der Kranke den Fuss nicht
flach aufsetzen kann. Schon in der ersten Periode der Wirbelkrankheit
tritt das Übel als Gefühl von Ermüdung und Kraftlosigkeit in den untern
Extremitäten, bei Spondylarthrocace der Halswirbel auch in den Armen, auf.
' Contrnctura Utjnmentorum s. Ugnmentosa. Di6 Ligamente und aponeu-
rOtischen Ausbreitungen werden selbst für sich allein selten von Contractu-
ren befallen, doch können mechanische und chemische Eingriffe durch Ent-
zündung und Ulceration dasselbe bewirken. Am öftersten finden wir die
Ligamente in Folge von Muskelcontracturen verkürzt, indem die durch sie
verbundenen Theile lange Zeit hindurch einander fortwährend genähert er-
halten worden sind und sich so contrahiren , z. B. bei Ancylosis spuria.
Die Cur ist hier die der Muskelcontracturen.
' Contrnctura mcmhranarum s. memhranosa. Sie' kommt häufig vor, zu-
mal nach Verbrennungen , durch jede HautsuppUration von bedeutenderm Um-
fange mit beträchtlicher Narbenbildung der Cutis (s. Cicatrisati o, Ca-'
put obstipum). Die Contracturen der Schleimtnembranen erregen ver-
schiedene Angustationen, Atresien und Stricturen (s. Angustatio, Atre-
sia, Strictura).
Contractura mtisculorum s. musculosn. Sie iist sehr mannigfaltig und
häufig mit Sehnencontractur verbunden, erfordert die im Allgemeinen ge-
nannten Mittel und häufig auch mechanisch wirkende Apparate, öfteres Be-
wegen der Gliedmassen in der der Contractur entgegengesetzten Richtung,
das aber anfangs nur schwach und allmälig verstärkt geschehen muss, weil
sonst leicht Schmerz und Entzündung folgt und das Übel sich verschlim-
mert. Die Contractura Abductorum pedis ist das Wesentliche des Valgus;
die der Adductorum pedis erregt Varus (s. diese Art.). Die Contractur des_
M. biceps brachii ist weit seltener , als die der M. flexorum cruris , die Con-
tractura M. sternocleidomastoidei erregt Caput obstipum, wogegen die be-
kannten topischen, pharmaceutischen und mechanischen Mittel, Maschinen
etc. anzuwenden sind.
CONTRAFISSURA — CONTÜSIO 481
Coniraclura vasorum s. vascujpsc^. , Die Contractur der Geßsswandungen
bewirkt Verengerung ihres Lnmens und entsteht in Folge von allen ^itider-
nii»sen, die den Andrang der Säfte, des Blutes, nach dem leidenden Theile
hemmen. ~ Man begünstigt hier, ganz wie bei Unterbindung des Gefässes,
durch reizende belebende Mittel die Ausdehnung der Nebenzweige, entfernt
die Ursache , den Druck etc. (s. RichUr's Chirurg. Bibl. , Bd. VII. S. 605).
Contrafissurap » ein Gegenspalt, Gegenbruch, entsteht, wenn
ein Knochen durch äussere auf ihn einwirkende Gewaltthätigkeit nicht zer-
bricht , dagegen ein anderer ihm entgegengesetzter dadurch , obgleich auf
ihn unmittelbar die Gewalt nicht einwirkte, einen Riss oder Bruch bekommt.
Die meisten Contrafissuren finden an den Schädelknochen statt. Die Be-
handlung ist' die rein chirurgische der Fractur, und wenn der Hirnschädel
der leidende Theil ist, mit Berücksichtigung der etwa eintretenden allge-
meinen Zufalle. S. Commotiocerebri.
Contraindicatio , die Gegenanzeige. Hierunter versteht man
in der Medicin und Chirurgie diejenigen Dinge, welche in einem individuel-
len Falle bei unsern Kranken als Ausnahme von der Regel dasjenige verbie-
ten, was wir sonst hinsichtlich des Curplans thun würden. Wir werden
z. B. zu einem an Pneuilionie Leidenden gerufen, wo ein Aderlass indicirt
ist, der Kranke hat aber einen schon früher sehr geschwächten Körper; so
kianrt dieser Umstand die Venaesection contraindiciren. Zur gehörigen Taxi-
rung der verschiedenen Indicationen und Contraindicationen am Krankenbette
ist von Seiten des Heilkünstlers Scharfsinn , Umsicht , echte praktische
Kenntniss und Gemüthsruhe , ruhige Überlegung nothwendig. Oft ist die
Gegenanzeige grösser als die Aivzeige, oft wird ein contraindicirtes Mittel
diirch Zusatz eines andern Mittels weniger nachtheilig und indicirt (s. auch
Adjüvantia und Indicatiö)».
Contrastimulus» der Contrastimulus, die Lehre vom Contrastimu-
lus des Rasori, s. Medicina.
* ContiDSio» Quetschung. Ist eiine Zerrung oder Zerreissung klei-
nerer Gefässe in und unter der Haut, entstanden durch Einwirkung äusse-
rer Gewaltthätigkeiten , durch Druck, Stoss , Fall, Schlag etc., die eine
Blutergiesäung zur Folge hat , welche der Hautstelle ein röthliches , später
schwärzliches, bläuliches, grünliches Ansehn giebt (Ecchymoma, Sugilla-
tio). Jede Contusion bringt eine Veränderung im Gefässsysteme hervor.
Im ersten Grade entsteht vermehrte Röthe und Geschwulst, im zweiten
Sugillation: die Haut wird roth, bUu, grünlich, es ist ^in Austreten des
Blutes mittels Durchschwitzens (Ex,travasatio per diapedesin) da; im drit-
ten Grade sind Gefässe zenüssen (Extra vasatio per diaeresin). Diese Zer-
reissung kann , wenn sie Arterien getroffen , bedeutend seyn , und die. Ge-
schwulst ist alsdann klopfend. Die Folgen der Quetschung sind mehr > oder
weniger Paralysirung des leidenden, Theils ; Entzündung, Eiterung, ja selbst
Gangrän, wenn die Quetschung bedeutend ist oder verkehrt behandelt
wvrde. Die Gefahr ist nach der Wichtigkeit des gequetschten Theils b^ld
gross, bald gering. Behandlung. 1) Ist die Contusion bedeutend, hat
sie einen grossen und wichtigen Theil getroffen, so muss.inan den Kranken
anfangs wie. einen Ohnmächtigen behandeln, späterhin ist oft ein Aderlas»
und, kühlende Diät neben den äussern Mitteln nothwendig. 2) Da im ge-
quetschten Theile die Gefässe geschwächt sind, und an zu starker Ausdeh-
nung leiden , so sind anfangs Umschläge von Essig und kaltem Wasser und
ein etwas cpmprimirender Verband am zwecfcmässigsten ; auch kann man
diesen Fomentationen etwas Branntwein zusetzen. Sie haben das Gute,
dass sie Entzündung und Geschwulst verhüten, die durch die frühe Anwen-
dung von reizenden Mitteln so häufig befördert wird. Leider ! ist es näm-
licl> noch immer bei Wundärzten und Laien gebräuchlich, sogleich gegen
Quetschungen Spirit. camphoratus, Linim. volatile,. Alkohol etc. anzuwen-
den; diese Mittel sind erst einige Tage nach der Verletzung an ihrer Stelle,
um d^s Blut durch Resorption fortzuschaffen und den leidenden Theil zu
Most Encyklopädie. 2te Aufl. I. 3J[
482 CONYOLVÜLUS
stäi-ken. Hier ist Folgendes der Art sehr wirksam : I^ Spirit. sajionis, — vm,
camphorat. ana ^jiv, — snl. ammon. cnust. ^fil. M. S. Zum Einreiben. 3) Ist
viel Blutextravasat zugegen, so passen Umschläge von Infus, arnicae mit
Seife, oder mit einem Zusätze von Acetum sqnilliticum. Die Resorption des
Blutes erfolgt leichter, wenn es flüssig ist und in weichen Theilen sich be-
findet i als wenn es schon geronnen ist und in flechsigen Theilen , auf der
Dura mater etc. sitzt. 4) Zuweilen muss das ergossene Blut, wenn es nicht
resorbirt werden kann , herausgeschafft werden. Man macht alsdann einen
Einscluiitt mittels des Bistouris, drückt das Blut heraus, verbindet mit Char-
pie, in Wein getränkt, und wendet eine gelinde Compression an. Liegt da*
Blut aber über keinem wichtigen Theile, so braucht man mit der Operatioö
uichtzu eilen. Bei Blutklumpen öffne man etwas früher, und ist er gross,
so hole. Juan. ihn mit der Zarige heraus. 6) Ist ein grosses Gefäss zerrisseu^
nimmt die Geschwulst noch immer zu, so hilft die Compression nichts. Maa
schneide die Geschwulst dawi' gleich; auf und verbinde das Gefäss. Kann
man es nicht linden, so stopfe man das Ganze mit Charpie, in Essig ^e-r
tränkt, aus. 6) Allgemeine Bäder, Tropfbad, Douche , Einreibungen vaxi
Linim. volat. terebinth. , die Elektricität,. innerlich Infus, arnicae sind bei
bedeutenden Contusionen, wodurch der ganze Körper gelitten, am Ende der
Cur sehr heilsam. Sind Augen, Urinblase und andere Theile stark ge(|uet^cht,
so hinterlassen sie leipht Lahmung def ..'^^'jljj^ijljefli. 4»^ d,apn nacl^. 4e»v Kvmstxe-
geln , behandelt werben muss. ; .,;, ,'.'\.,i:..u'tUiil . . h^.A. Most.
* Convolvulus , Volvulus iTitiitinornm, ' Chordapsiis , intmstisceptiOj
EinSchiebung, i n n e r e Z u s a m Jn e n s c h n ü r u n g , V e r w i c k e 1 u n g
der Gedärme. Man versteht darunter diejeixige Krankheit, wo entweder
der obere Theil eines Darms in den untern , oder der untere ih den öberu
hineingedrängt und daselbst eingeschnürt wird. Als Ursache sieht liian vor-
züglich Krampf des Darmcanals, auch öftere Lei besverstop'fung an.- Letztere
ist häufig mit dem Übel, das im höchsten Grade mit dem Miserere endet,
coitiplicirt. Cur. Man hat iempfohlen , . den Unterleib zu. öffnen und die
verwickelten Gedäj'me wieder, in ihi'e natürliche Lage zu bring«i, auch mit
Beobachtiuigen die Nützlichkeit dieser Operation zu bestätigeri gesucht. Da
man aber kein dniges sicheres Zeichen hat, ob das ftiiserere von einer Ver-
wickelung oder Verwachsung der Gedärine herrührt (in Fällen, wo kein
eingeklemmter Bruch da ist), so ist die Operation nach allen Grüivden zu
widerrathen. ..iL-...../ ' C. J. F, 'Behrens, i.i
Nachschrvft des Herausgeb^ers.'' ©ie-Brkenntniss des Voivulns
ist, w«nn kein Vorfall ex ano damit verbunden ist (s. P'rolaps-us -atii
Lit. C), allerdings sehr schwierig; eine hai*tnäckige Leibes-verstopfiihg,-* äii^
haltendes Erbrechen, gelinde periodisch eintretende Leibschmerzen ^ öin ein-
lies Gefühl • von Zusammenschnüren im Leibe und die Abwesenheit eineS'
Brü'chs'etc. lassen ihn indessen vermuthen. Man hat in solchen' Fällen das
Argelltam vivum als mechanisch wirkendes Mittel, das Vermöge' söhierSchweir^
schnell dur<;h den Darmcanal läuft, vorgeschlagen und zuweilen "n\}t N^iitiien
angewandt. Man giebt eine Dosis von 6, 10 bis 12 Unzen, am besten mifi
Ölen, fetten Fleischsuppen, und zwar in horizontaler Lage des Kranken,
damit das Metall, den Widerstand des Oesophagus schnell überwindend,'
nicht zu heftig in den Magen hinabfällt. Die- Anwendung dieses Mittels ist
indessen nicht sicher, und man hat Entzündungen und Zerreissurigen der
Gedärme darnach beobachtet ( ^rncnuw*«'«- Materia medica von Kraus. 5te
Autt. S. 181), was indessen Smdelin (Handb. d; spec. Heilmitteltehre, Bd.I,'
1825. S. 206) bezweifelt. Zuweilen ist der Volvulus von einer solchen Be*
schafTenheit , dass die Leibesötfnung , wenn audi nur sparsam und unregel-
mässig, noch von Statten geht und der Kranke jahrelang an dem Übel -lei*'
det , bis andere Zufälle den Tod herbeifuhren. Vor vier Jahren starb hier
im Orte der Magister T. in einem Alter voh ohngefahr 56 Jahren. Er War
last nie in seinem Leben krank gewe.sen , lebte sehr massig, trank sehr viöl
Wasser, machte sich täglich 6 bis 8 Stunden Bewegung im Freien und schien
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die dauerhafteste Gesundheit au haben. Einige Jahre vor seinem Tode litt
er inde^iseii 2 — 3 Taye an Leibesverstopfung, die ihm aber wenig Be-»
schwerde machte und von iiiin daher auch nicht weiter berücksichtigt wurde.
Ohngefiihr 10 Wochen vor dem Tode klagte T. über Geschwulst der Füsse
und starkes Kuilern iin Unterleibe. Die Beschwerden waren indessen gering
und Patient konnte ausser dem Bette seyn. Das Ödem der Küsse nahm ab;
dagegen wurde der Unterleib aufgetrieben und zwar an der linken Seiten
Mehrere Ärzte, unter denen auch ich mich befand, hielten das Übel ein-
stimmig für Tyropanitis. Gelind erüflnende Mittel hielten den Leib offen,
und da weder die eine, noch die andere Function des Körpers gestört war,
Patient auch gar keine Schmerzen empfand, so wurden gute Nutrientia und
Wein verordnet. Merkv\ürdig war das tägliche geräuschvolle Kollern im
Leibe , das Patient scherzhafterweise seinen Courier nannte. So schien das
Übel weder zu- noch abzunehmen, als plötzlich Patient Schmerzen im Leibe
f\ihlt. Er niuss sich zu Bette legen, bekommt Fieber mit Schiväche und
stirbt nach vier Tagen. Die Seotion zeigte das Colon descendens dn ei-L
ner Stelle so sehr ausgedehnt, dass es grösser und geräumiger als ein Men*
schecmagen war, und die tympanitische Auftreibung der linken Unterleibs-
seite rührte davon her. Dieser widernatürlich ausgedehnte Darm war in der
Länge von mehreren Zollen geborsten, enthielt aber noch die Contents,
welche nicht ins Cavum abdominis getreten waren. An dem ob*rn und un-
tern Endo der sackförniigen Erweiterung war das Colon an me^A-eren Stel-
len sehr verengert. — Ein anderer Fall ist dieser. Am 30. Joni' 1829 be-'
kam ich die Frau des Matrosen Moll hieselbst, 44 Jabre alt, mager, abge^
zehrt, seit Ostern sehoni«n periodischen Leibschmerzen leidend, 'iiv die Cur.
Auf nähere Erkundigung erfuhr ich , dass die Kranke schon seit vielen Jah-
ren zuweilen an Kolik gelitten, dass früher Menstruatio niinia, jetzt retenta
bei ihr bemerklieb sevj dass sie seit einem Jahre an Verdauungsbeschvv^rdwn
leide und oft in 6 — 10 Tagen keine Leibesöffnung habe, dass die Kolik-
sclimeraen, wie sie es nan'.ite, oft so heftig seyen, dass sie des Nachts keine
Ruhe habe und oft laut aufschreien müsse. Ausserdem erfuhr ich noch dieses.
Patientin hat seit längerer Zeit schon einen andern Arzt gebraucht, der das
Übel wahrscheinlich für hysterische Beschwerden gehalten und vor- 8 Tagert
ein Vomitiv verordnet hatte. Dasselbe hatte stark gewirkt und Blutbrechen
zur Folge gehabt. Seit dieser Zeit brach Patientin Alles weg, was sie
genoss und die Leibesölfnung war in 10 Tagen nicht erfolgt; Nach genauof
Untersuchung fand ich in beiden Leistengegenden harte Geschwülste , die
man auf den ersten Anblick für Cruralbrüohe hätte halten können;' sie wa-
ren aber unschmerzhaft, nicht entzündet und iöh hielt si*, wie au^h deh
Hr. Stadtthirurgus Hoppe hieselbst, für geschwellenö Leistendrüsen, Vvai»
späterhin: auch die Section bestätigte. Es wurden eröffnende, später rei-
zende Kl y stiere, aber ohne Leibesölfnung zu bewirken, applicirt. Kein ein-
ziges Kiystier ging wieder ab, sie blieben alle bei der Patientin, und di(j
Zahl denselben bis zu ihrem Tode, der am 7. Juli, also nach 8 Tagen er-
folgte, betrug lO-r-12 Stück, ölemulsionen mit Aquft chamomillae und Sal
Glauberi, Ol. crotonis , ricini, Tinct. asae foetidae und andere Antispasmo-
dica, welche nach einem zuvor angewandien kleinen' Aderlass am Atme ver^^
ordnet würden, sowie alles Getränk, wurden weggebrochen. Drei Tage
vor dem Tode hörte das Erbrechen auf, der Leib ward höchst aufgetrieben,
die Leibschmerzen waren fürchterlich; kein Mittel, Vf^der aromatische , äthe-
rische Pomentationen, noch andere beruhigende Einreibungen von Ol. hyoscy-
ami, Linim. volat. opiftt. etc. vermochten kie zu Hhderh; rtur einige Stunden
vor dem Tode hörte der Schmerz auf, der Puls wurde immer schwätiher
und der von der Kranken sehnlichst gevvörtschte Tod endete die Leiden.
Seotioh. Sie geschah 22 Stunden nach dem Tode. Der Leichengeruch
war bedeutend, da die Lei«he bei den heissen Somraertagen schnell in Ver-
wesung, übergegangen war. Hr. Stadtchir«rgus Hoppe und ich, die wir die
Section verrichteten, wandten daher mit vielem Nutzen die Chlorkalkrt<(f-
lösuDg an , wodurch es uns möglich ward , bei der Leiche auszudsueni.' Die
31*
484 eONYOU^LUS
Öffnung des Unterleibes' ergab Folgendes: l) Fast der ganze Thictu« in«
testinorjum war .mit dein Omentum, dem Mageji und den andern Baucheiiige-
>;eiden so verwachsen^ dass es uns unmöglich war^ die Gedärme zu ent-
wickeln , wir hätten denn. Beide mehrere Stunden lang zum Abpräpariren uns
entschliejisen müssen... 2) Alle dicken Gedärme waren so sehr mit Koth und
Piüs*>igkeiteu angefiiUt ,, , dass. die Quantität .einen, ganzen WaSsereimer: voll
bet'rng. S.),J)as Colon transversum war sehr ausgedehnt und hatte an einee
SitfelU eioen Sack, wol zweimal so, gross als der Magen 4 gebildet, welchef
ß^Wj iro-jgjrössten Durchmesser 9 Zoll, in der ^Peripherie also über 2 Füsa
}nn^». . -■,4;),.Das. Colon sinistrum und dextrum waren. .an einzelnea Stellen
gleichfalls , sehr ausgedehnt, an ändern so verengert,. :dä.ss man kaum den
Jil5ei/)en, Finger durchfiihren. könnte. 5) Das Jejunuln war so stark ausge-
d.ebn,t,,.we.der Magen; letzteren, fanden wii* ganz leer^ Nirgends war eine
SpyCi ''SQli (Entzüijdung oder. Brand zu entdecken v'idr am Maigenmunde fah--
den vyjr;,ein>ge Voji dunklfem, Blute strotzende Gefiisse, wodurch er ein röthrr
lijchrfelane^.Ansehea b«kaiii. 6);Leber, Milz und Nieren waren gesund, die
i^.ajlenb'lase' entlüelt gesunde GaJle ohne Gallensteine. 7) In beiden Leisten-
gegenden zeiigten sich die geschwollenen Drüsen, deren oben gedaeht wor-
deJi.. AuÄ diesem Leichenbeftuide ersieht man, dass wol kein Mittel in der
Welt im> Stande gewesen .w^äre,^. die Patientin zu retten. Wahrscheiidich
ii4itten ;diß filüher häufig stattgefundenen sogenannten, Kolikschmenseni in bald
l^i.fjhteiiini,, ,teüd »chweteni Därmentzündungen bestanden, , welche allraälig und
dvirch,ihr^,;#ftei?e Ryck kehr i immer mehr und mehr die Verwachsungea det
CJedää^-m^y-^lg. Folgezustände durch Exsudation plastischer Lymphe .hervor^
Jbtrachti^nj.Klie verwachsenen Ställen verengerten sickuttd die nicht; ;ver>Yach-
seuen. dphyten sich daher zu der;, beschriebenen ungehßuj-en; Grösse, a«sij xnn
die Nahrungsmittel .aufnehmen zu. können;, .Der::Motuä peristalticiis. mu.sflto
daxjuixjh jiBjgaer mehr i" seiner Thätigkeit gelieraml und seine B^undtieoi äuö
letzjt.gani» unthätig werden; dahe«; dem» ajjch; die äpjilicirten ; Klyetiece nicht
^■vjiedei- ;?;bgingen, . Das zuletzt- ge*iommene Brechmittel .konnte .den, Zuütatul
nur. ?feijS*hilimmern und. diis heftigen. LeibschuiersSeiii fandeit wahrscheittiich,,iii4
fi^i\ ^fynd in Krämpfe,' entstanden, durch mechaAlscbe«. Druck aufs. Ganglien^
pery^system und durch die Störung und inimer Äunelimende Verringerung
4?^;, n.Qthw^ndjgen Motns peristalticus, der sich, dabier zuletzt in den anti-
jjeristalticus, wozu das Vomitiv .den Hauptiiitpuls gegeben, total verwandeln
«msste, und auch so lauge anhielt, bis die Kraft dazu mangelte und der
.Tod nahe war. ; Grossheim (^s. Medic. Zeitung von einem Vereine, für- Heilr
Jtundein Preussen, 1833. Nr. 13.) unterscheidet Jniiissuscejitio seu Invagmu'^
{10, if\tsslinorum descen^ens und ascendens , entsprechend dem Motus a«ti - und
pecistalticus , worüber,, er drei Fälle mittheilt. Symptome waren: .fixer an-r
iialtender Schmerz in, der mittlerji Bauchgegend , wenig, vermelirt durch Ber
Ifistung des Bauchs, Verstopfung des Leibes.; Übelkeit ;i Erbrechen, feuchfcev
.>y.ei^$Ji;^h belegte Zunge, »armes, .Gesicht, Puls. 80, .isoxjhroniscb, Urirt spar-r
s^m, und iVon in^l^ürlijciher Farbe, ,imeist,RücköDlage,. viel Unruhe, Besserbe-
|find?n:b%ii,»Ö!chterneni;]VIagen., bei Hungern- und Dürstön; — ein paiar Tage
.vor der JKfankheit h»tte. Patient ein Purgirsala. gegen' gastrische Beschwer^
.d£,n ge«9mjnen,., da4> 'aber,. kojafilieibesöffining erregt ihatte.. Der Kranlde
*tari) ^ufi'ünfteiv T^g« untpr ,g.?ofi?er Angst,, -.unEegelmässigem, kleinen Pul«e
und. kalte») ^5chv».eii?^einv.:,,Lgibt*>öi£(kung. wartpotz ajlleri dagegen gebraubhten
JVJittel tticht ;3Ffplgt-..,|J>ie^Seciei«n; feeigte Invaginatio intestini ascendens; eih
JM^teres Stück VrUiUiJi^tifliViytan,, auf eine Streicke iV.on ,4; Zoll sammt seinem
iM.ies^iiteriuin' in , die .Hölhie des-,(iber ihm gelegenen Stücks hineingettieben.
•Anbäufpiig .von:;fest;en, ,oder tlütjMgen Masi>i»ni,(fahd vfed«r.iunter, noch, über
.d€!?ji fiinklemraupg , s^at«!. -r,: .Der ander«^, Fall, betraf i. «in -jSSjährige». zarte*
Fr^iuenzimmer, das elixeniadhäfirondsii Crurelnctzbrüch hatte und durich) eih
yerprdfiejte». VoHfitiv die|.Kra«kheit bekam. DasiiJKrbiredhfcen währte fdrt^' nach
.3Q Stüiulen Kothbrech#j|,. .d(ir, Bav<ih war nicht schmerzhaft, auch üur wenig
Jiwsgedcjhnt; ; ungebeufle XJnruh^, Krämpfe;, nach 3 Tagen folgte Stuhlgang
.H(i(d Q(!^\pi\if]g, ^rrr ,1^^:; d»i.tt^ .JFitll^ der eineiL^SDjährigen Grenadier betraf,
CONVULSIBHJTAS ^ COPHOSIS 485
lief wiederum tßdtüch ab. — Ein sehr wichtiges, alle Anfmerksamkflit ver-
dienendes Mittel , dass sich in mehreren Fällen von Voivulus, wo selbst das
laufende Quecksilber keine Leibesötfnung erregte, höchst wirksam zeigte,'
ist' das I!*uftauspump en aus dem untern Theile des Darms,, indem maii
das ' Rährchen einer leeren ausgepumten Klystierspritze tief in^ Rectum bringt,
die Afterspalte alsdann genau durch eineU Gehülfen mittels seiner beiden
Hände verschliessen lässt, und dann den Klystierstöpsel so lange anzieht
und die Luft auszieht, bis er nlfcht weiter vorwärts wilL Der Kranke hat
darin bald das Gefühl, als wenn ihm im Leibe etwa ein Körper losgitigej
es folgt bald darauf hinreichende Leibesöffnung, und alle schlimmen Zufälle
rerschwinden. Auch das bei Ileus so nützliche Lufteinblasen -kann, wenn"
das Luftausziehen fruchtlos blieb, versucht werden (s. Kinr; in BeremVs Re^
pertor. der ausländ, med. chir. Journalistik, 1831. Decbr. S. 305).! Dieses>
LufteiAblasen möchte bei Invaginatio intestihorum descendens noch wirksamer»
als das Luftanspumpen seyn. . !>
'Convulsibilitas , Muscularanruhe, Convuls'ibilitSt. Si^
nennt man die Geneigtheit zu Cönvulsionen, besonders in fieberhaften Kranlc-;
heiten, die bekanntlich im Kindesalter, bei zarten, sensiblen Frauenzim-
mern etc. sehr gross ist, und sich durch Schreckhaftigkeit , Auffahren fiff
Schlafe, Ängstlichkeit, Gliederzittern etc. kund gicbt. ' ' ' ' '*
ConvuIsiOj Convtdsiones, Zuckuiig'en. Sie snid eine Specles des
äpasmus und gleichbedeutend mit Spasmus clbriicus ; s. Spasmüsi. .
li' , *CopllOSis, das schwere Gehör, die necvöse Taubheit. Ist
«Ine Verminderung oder gänzliche Aufhebung des Hörvermögens, welche
nach nenern .Ansichten vorzüglich durch ein Leiden des .Gehörnerven bedingt)
wird und daher auch von Beck (Krankheiten des Gehörorgans. Heidelberg
1827. S. 221) nervöse Taubheit, entstanden durch Störungen der Sensation^
genannt wird; dagegen ältere Ärzte unter Gophosis eine jede, auch aus an-
dern Ursachen entstandene Taubheit verstehen und das Wort mit Surdita*
gleichbedeutend nehmen. Bei, der nervösen Taubheit, die indessen Bech zu
weit ausdehnt, indem er auch eine erethistische Form derselben annimmt,
die richtiger Surditas vasculosa heissen könnte, findet die Leitung der Töne
zu den sensiblen Partien des Ohres zwar statt, allein das Receptionsvermö-.
gen ist verändert, und hat das Übel längere Zeit angehalten , so leidet
auch die Ernährung des Ohrs, die Secretion wird fehlerhaft, der äussere
Gehörgäng sehr trocken und leblos, ganz wie bei inveterirter Amauro.se das
Auge Glanz und Durchsichtigkeit wegen krankhafter Nutrition und Secre-
tion verliert. Symptome. Bei der nervösen Taubheit fehlen die Zeichen
eines solchen Fehlers, wodurch die Aufnahme und Fortpflanzung des Schalls,
verhindert würde, die Taubheit ist bald gelinder, bald stärker, ist sehr
veränderlich, verschieden nach den Tagszeiteri, nach der Witterung, ebenso
variabel wie die Sensibilität des Menschen , die auch bald mehr erhöhet,
bald vermindert wird {Beck, Snunders). Die Kranken leiden abwechselnd
an verschiedenen Sinnestäuschimgen , an Ohrensausen, Glockengetöse, oder
als wenn Wasser in den Ohren sprudelte. Eintheilung. Das Übel ist
entweder Cophosis perfecta oder imperfecta. Ältere Schriftsteller unterschei-
den 1) völlige Taubheit (Cophosis, Surditas) ; 2^) schweres Gehör (Obaudi-;
tio, gravis Auditus, Baryecoia, Dysecoia); 3) Ohrenklingen ( Tinnitus )i
Rosenthul (s. Nnsse^s Archiv. 1819, Juli, August. S. 9) nimmt folgende Grade
an: 1) gänzliche Taubheit (Cophosis), wo articulirte Töne durchaus nicht
mehr gehört werden; b) schweres Gehör (Dysecoia), wo articulirte Töne
nur mittels künstlicher Verstärkung wahrgenommen werden ; c) vermindertes
Gehör (Paracusis), wo die articulirten Töne nur undeutlich vernommen
werden. Jlord , der sich um die Gehörkrankheiten so verdient gemacht hat
(s. dessen Traite des maladies de Toreille et de l'audition. Paris ISSl.i'p. 464),
nimmt 5 Grade an: a) Hören der Rede, b) Hören, der Stimme , c) Hören
der Töne, d) Hören des Lärms, e) gänzlicher Mangel des Geh&rsj Jn kli-
nischer Hinsicht ist die Eintheilung der Cophosis nach ihrem €hai:£^kter in
486 . COPHOSIS
Cophosis erethistica und torpida sehr wichtig , wovon . unten ein Mehreres.
Ursachen der nervösen Taubheit. Sie kann angeerbt, angeboren, idio-
pathisch, symp' oinatisch und consensuell seyn. Krankheiten des Magens und
Zwerchfells, -esonders nervöse, gastrische Reize, vorzugsweise durch In-
testinalwi'' ..^1 (^Cnrtis), verschiedene Metastasen während oder nach dem
Typhus, nach Gicht, Masern, Scharlachfieber, unvorsichtige Behandlung,
zu schnelle Heilung Von Kopfausschlägen, Flechten, Krätze, Fontanellen,
von alten, zur Gewohnheit ge\^ordenen Beinschäden, unterdrückte Fuss-
schweisse, plötzliche Erkältung des Kopfs durch kaltes Baden, durchs Hiu'-
einstürzen in kaltes Wasser, die venerische Krankheit etc. können nervöse
Taubheit als Nachkraiikheit (^Epicophosis^ erregen. Die Cophosis traumatica
entsteht durch heftige Erschütterungen des Schädels, die C. paralytica durch
heftige Einwirkung des Schalls , durch Kanonenschüsse , die C. plcthorica
durch active und passive Überfüllung der Ohrgefässe, besonders durch Aus-
dehnung der Arteria auditoria interna; auch durch starken Blutverlust und
Collapsus der Gefässe kann Taubheit entstehen (^Abercromhie')', bei alten
Leuten ist sie ein Zeichen des Marasmus, oder sie ist eine Cophosis cere-
bralis, verbunden mit Störungen der Gehirnfunctionen , besonders des Ge-
dächtnisses. Der Verlauf des Übels ist verschieden, in den meisten Fäl-
len bei höherra Grade der Krankheit chronisch. Prognose. Sie richtet
sich nach den Ursachen der Taubheit ; so ist z. B. 4'e angebprne , ange-
er1t)te, durch Verletzungen der Gehörnerven entstandene "Taubheit fast im-
mer unheilbar, und die höhern Grade des Übels : die Copho.sis im engern
Sinne, geben eine ungunstigere Prognose , als Dysecoia und Paracusi», nicht
zu gedenken der nicht hierher gehörigen Taubheit durch Caries des knö*
ehernen Gehörorgans. Je gesunder der übrige Organismus ist, je weniger
der Mensch an andern Gebrechen , besonders an Kopfschmerzen leidet, je
besser die Geisteskräfte sind, desto eher ist noch Heilung zu erwarten,
desgleichen je besser die Säfte des Kranken sind. Behandlung. 1) Man
entferne wo möglich die nähern und entferntem Ursachen des Übels; stelle
daher unterdrückte Blutflüsse wieder her, bringe zurückgetriebene Ausschläge
wieder an ihren vorigen Ort, führe etwaige Unreinigkeiten der ersten
Wege aus, löse die Unterleibsstockungen, entferne die Intestinalwürmer.
Ist Vollblütigkeit, Congestion zum Kopfe da, welche die erethistische Co-
phosis begleiten, die sich ausser den Zeichen der Congestion durch erhöhete
Empfindlichkeit des Gehörorgans, durch Schmerz im Ohre nach hellen, star-
ken Tönen zu Anfange des Übels, durch Gesichtsröthe , Schwindel, Kopf-
schmerz, durch Pulsationen im Ohre zu erkennen giebt, so sind vor Allem
allgemeine und örtliche Blutentziehungen indicirt. Man hat bei dieser Form
auch kalte Kopfumschläge, Tropf bäder etc. empfohlen, doch erfordert ihre
Anwendung grosse Vorsicht, weil sie zuweilen Metastasen erregen, beson-
ders wenn eine hervorstechende Neigung zu Rheumatismen, Gicht, habituel-
len Blutflüssen und zu Katarrhen zugegen ist (^Itard}. Die Blutegel und
blutigen Schröpfköpfe setzt man hinter die Ohren oder auf den Nacken,
und wiederholt sie bei wiederkehrendem Blutandrange. Entsteht Cophosis
plethorica durch unterdrücktes Nasenbluten, so werden die Blutegel an die
Nasenlöcher, sind Menstruatio suppressa und unterdrückte Hämorrhoiden
Schuld, so werden sie an die Genitalien, ans Perinaeum, an den After ge-
setzt. 2) Höchst wirksam sind ableitende, rothmachende Mittel: Blasen-
pflaster, trockne Schröpfköpfe, Fussbäder von Salz und Asche, oder von
Senf, 2 Unzen auf ein Fussbad , das bis über die Waden reichen mnss,
welche Mittel besonders bei der erethistischen Taubheit, wenn Rheumatis-
men, Gicht etc. zugleich da sind, anhaltend gebraucht werden müssen.
S) Hat die Taubheit den torpiden Charakter (Cophosis parslytica) oder ist
der erethistische beseitigt, entstand sie nach schweren Nervenfiebern, ist
allgemeine Trägheit des Nervensystems da, wo sich das Gehör bfi starkem
Geräusche , beim Glockenläuten etc. verbessert, desgleichen bei allgemeiner
Aufregung durch Gemüthsbewegungen , Körperanstrengung, hitzige Geträn-
ke etc., so viiind reizende Mittel, die gegen Paralysen überhaupt empfohlen
COPHOSIS 487
werden , an ihrer Stelle. Man lasse hinter die Ohren das Unguent. mercu-
riale cinereuin, die Autenrieth'sche Pusteisalbe, die Kop[)''sclie Salbe etc.
(s. Amaurosis) einreiben. Ja man hat in solchen Fällen selbst mit Nutzen
die Moxa, das Glüheisen, die Elektrlcität und den Gahanisimis angewandt.
(Der letztere muss mit grosser Vorsicht, anfangs sehr schwach, allmälig
stärker bis zum Maximum, und dann wieder bei dpr Besserung allmälig
schwächer applicirt werden, um nicht zu überreizen. Man beginnt mit zehn
Plattenpaaren, lässt die Hand des Kranken mit dem Zisikpole der "Volta-r
Säule in Verbindung bringen und schliesst die Kette, indem man mitTdem
Conductor des Kupferpols, 3 — 4mal in der Minute, abwechselnd den T'ra-
gus, Antitragus, den Meatus externus und besonders den Procossus mastoi-
deus, welche Stellen mit Salzwasser angefeuchtet werden, iierührt, und
dies so lange fortsetzt, bis der Kranke Schmerz empfindet. Allmälig steigt
man während der Cur, die wenigstens 6 — 8 Wochen -täglich einmal ange-
wandt werden muss, bis zu 20, 30, 40 Doppelplatten, und fällt dann eben-
so wieder, wie man anfangs gestiegen ist. Most'). Auch der mineralische
ftlagnetismus ist in solchen Fällen zu versuchen (s. Bcclcr^s Schrift drüber
vom J. 1829). 4) Die Anwendung reizender Öle, iti den Gehörgang einge-
tröpfelt, z. B. Ol. succini rubri, majoran., camphorat., amygdalar. amärar.,
desgleichen warme Dämpfe von Chamillen- und Fliederthee, durch eine
Dampfmaschine ins Ohr geleitet, haben sich in manchen leichtern Fällern
und in Verbindung mit innerii Mitteln oft nützlich bewiesen. 5) Innerlich
sind Mercurialia und Antiraonialia nach allen EJrfahrungen die vorzüglichsten
Heilmittel gegen die Cophosis. Besonders indicirt sind sie, wenn das Übel
durch syphilitische oder andere Dyskrasien unterhalten wird. Gar häufig ist
Rheumatisipus Ursache; hier leistet besonders eine Verbindung von Mercur.
dulc. , Guajak und Sulph. aurat. gute Dienste (^Hufclnnd, Riqdel in tlufe-
/fim/'s Journ. 1822. Septbr.). Ausserdem wendet man hier auch noch Schnupf-
pulver, Niesemittel und hinter das Ohi das Empl, vesicat. perpet. Janini,
wochenlang getragen, an. Unter den innern Mitteln sind Abführungen von
Merc. dulc. und Jalape oder von Bittersalz, alle 4, 6 — 8 Tage eins, und
wochenlang fortgesetzt , von ganz vorüglichem Nutzen, indem sie durch Ver-
mehrung der Darmsecretion ableiten und als Derivatoria das Gehör verbes-
sern. Schon Hippokrntes, Celsus, Diemerhroeck , Lnnzom und neuerlich
Wright empfehlen sie sehr. 6) Eine strenge Diät, eine geregelte Lebens-i
weise, sorgfältige Vermeidung aller Schädlichkeiten, Vermeidung der Erkäl-
tung, besonders der Füsse, Beförderung und Belebung der Hautthätigkeit
durch warme Bäder, Flanellkleidung etc. sind zur Unterstützung der Cur
durchaus nothwendig. Christian Hoppe.
Nachschrift des Herausgebers. Erst seit ein paar Decennien
ist das Studium der Gehörkrankheiten durch deutsche, französische und eng-
lische Arzte zu derjenigen Stufe von Vollkommenheit, deren es sich gegen-
wärtig erfreuet, erhoben worden; früher, zu meiner Studirzeit, war dage-
gen das Gehörorgan in pathologischer Hinsicht fast eine terra incognita.
Die vorzüglichsten und neuesten Schriften darüber sind : die angeführte
Schrift von Itnrd, die von Bede und von Ruchnnnn (Institut, of acoustic
Surgery. Lond. 1825). Vielen praktischen Werth hat auch die Schrift von
John Hnrrison Cvrtis (A clinical rapport of the Royal Dispensary for disea-
ses of the ear. Lond. 1827). Weniv man nach London kommt, versäume
man ja nicht , die Anstalt des Hrn. Cnrtis, der ein artiger, zuvorkommender
Mann ist, zu besuchen. Sie wurde 1816 gestiftet, enthielt 1817 schon 367
Gehörkranke , wovon 89 geheilt , 75 gebessert wurden ; im J. 1828 waren
860 Kranke darin, wovon 473 geheilt, 205 gebessert entlassen wurden.
Sie nimmt aus dem ganzen Königreiche Kranke unentgeltlich auf, besonder."?
Arme, Dienstboten — In Betreff der Anwendung des Galvanismus gegen
Cophosis muss ich bemerken, dass ich in meiner Praxis zweimal bei torpi-
der Taubheit, entstanden aus rheumatischen Ursachen, denselben mit Nutzen
auf die oben angegebene Art angewandt habe. Nach meiner festen Über-
zeugung sind die verschiedenen ungünstigen Resultate der galvanischen Cur
488 COPOS — CORPORA ALIENA INSERTA
hier weniger dem Galvanismus, nur der zweckwidiigen Anwendungsraethode
zuzuschreiben, da eine zu starke Anwendung desselben das Übel nur für die
Folge verschlimmern kann , wenn dadurch auch für den Augenblick das Ge-
hör verbessert wird, indem der Torpor durch Überreizung zunimmt. Auch
passt der Galvanismus erst dann , w enn der erethistische und plethorisch«!
Charakter durch die oben angegebenen Mittel gehoben ist.
CopoS , Sensus dcdolaiionis , Gefühl von grosser Mattigkeit ; z. B. bei
hohen Graden der Schwäche, nach starken Körperanstrengungen etc.
Copracratia, unwillkürlicher Kothabgang, z. B. in para-r
lytJschen Fiebern, wo die Sphinkteren nachlassen; s. Paralysis.
Copremesis, das Kothbrechen. Ist das Hauptsyroptom beim
Ileus, Convolvulus und andern ähnlichen Übeln. v
Coprocritica , kothausleerende Mittel, z. B. eröffnende Kly-
stiere u. s. f.; s. Clysma aperiens.
Coprolithus, der Kothstein, s. Alvinae concretiones.
Coproplanesii? 9 die Verirrung, Austretung des Kothes
in andere Theile, z. B. mittels einer Darmfistel ins Becken.
Coprosclerosiisi , Kothverhärtung durch Leibesverstopfung und
andere Ursachen.
Coprostasia, gänzliche Verstopfung des Darmcanals, ß. Obstru-
ctio alvi.
Cordinema, Schwindel, Schwere des Kopfs, s. Vertigo.
Corectomia, Coredinhjsis (richtiger Iridectomin, Iridodialysis") ,
Coretonectomin , Coretomia , Coretodiahjsis , die künstliche Pupillen-
bildung. Ist eine Operation, die man bei Atresie der Pupille mit Nutzen
anwendet; s. Synizesis pupillae.
Comeitis, richtiger Ceratitis (^Krmis')^ Entzündung der Hornhaut
des Auges, s. Infi ammatio corneae.
Corpora aliena in.^erta, fremde, in den lebenden Orga-
nismus eingedrungene Körper. Hierunter versteht man im engem
Sinne das Eindringen fremder Körper in die natürlichen Ein - und Ausfüh-
rungsöffnungen von aussen her und ohne alle Nebenverietzung, so dass also
keine Verwundung da ist. Wir betrachten 1) fremde Körper in der
Nasenhöhle, als Erbsen, Bohnen, kleine Steine etc., welche sich Kinder
beim Spielen oft in die Nase stecken , oder bei Erwachsenen abgebrochene
Stücke von thönernen Pfeifen etc., die beim Stoss, Fall in die Nase dran-
gen, worauf Geschwulst, Entzündung der Nase, selbst Hirnzufälle, Fieber
folgen können. Man suche daher den fremden Körper schnell durch Her-
vorrufung des Niesens mittels Schnupftabak, indem zugleich das freie Na-
senloch zugehalten wird , durch kleine Zangen (Hakenpincette , Kornzange,
Daviel'scher Löffel) zu entfernen. Oft ist es schwer, den Ort, wo der
fremde Körper sitzt, aufzufinden. Hülsenfrüchte lassen sich am besten mit
dem Löffel entfernen. Der Kranke muss bei der Operation sitzen , nicht
liegen , sonst kann der fremde Körper in die Choanen gerathen oder gar in
die Luftröhre fallen. 2) Fremde Körper in der Kieferhöhle. Wegen
der versteckten Lage des Eingangs dieser Höhle ist es selten, dass fremde
Körper ohne Verletzung ihrer Wandungen in sie hineingelangen. Am häufig-
sten dringen durch cariöse Offnungen der zahnlos gewordenen Alveole kleine
Körper: Fruchtkerne, Knochenfragmente, selbst Backenzähne etc. hinein,
die die Schleimhaut in ihr reizen, Entzündung, Eiterung, Verdickung, Auf-
treibung und Caries des Antrums erregen. Aus diesen Gründen müssen sol-
che fremde Körper entfernt werden. Ist die schon vorhandene Öffnung zu
~"~^lein, so muss sie erweitert werden, oder fehlt sie, so wird eine neue Öff-
~^ gemacht (s.-rAbscessus an tri Highmori). 3) Fremde Körper
-ern Gehörgange. Fast eben so oft als in die Nasenlöcher kom-
•''^rn durch das nie zu duldende Spielen mit Erbsen, Bohnen,
r
CORPORA ALIENA INSERTA 489
Perlen etc. solche Dinge leicht ins Ohr; ausserdem kann bei Erwachsenen
das Ohrenschmalz sich verhärten oder, in- Baumwolle gedrurtgen , einen haf-»
ten Pflock bilden, und so als fremder Körper ir*eizen und harthörig mächeni
Die Zufölle sind: unangenehmes SumSfert, be^ndfers bei Bewegungen des
Kopfs, Schmerz, Fieber, selbst Delirien und Convulsionen , je na«H ■ d»et
Grösse und der reizenden Eigenschaft des fremden Körpers und deriReix*
barkeit der Constitution. Bei einem Mädchen war, wie Fabrielüs Hildawis
erzählt, eine Glasperle ins Ohr gekommen, deren Ausziehung durchaus nicht
hätte glücken wollen. Sie litt später in Folge des Reizes an Hemicranie,
an Betäubung der ganzen linken Körperhälfte , an Husten , Retentio men-
sium, Epilepsie und an Atrophie des linken Arms. Es glückte, später .die
Perle herauszuziehen , wonach allmälig alle Zufälle verschwanden. Nach
Dicffenhach (Rust^s Handb. d. Chirurgie, Bd. V. S. 288) bedient man sich
zur Untersuchung des Ohrs einer dick geknöpften Sonde, und zum Heraus-
ziehen des fremden Körpers eines starken Daviel'schen Löffels und einer: mit
einefin Häkchen versehenen Pincette. Eines vorsichtigen Verfahrens bedarf
es dabei, damit man mit den Instrumenten hinter den fremden Körper kommt^
ohne ihn tiefer in den Gehörgang zu stossen. Wenn solche Versuche ^icht
gelingen, so nehme man eine kleine Mundspritze, fülle sie mit lauem Was-
ser, lasse den Kopf des Kranken so halten, dass das leideridiB Ohr nach un-
ten steht, und spritze die Flüssigkeit mit einiger Gewalt ins' Ohr. In den
meisten Fällen hat man die Freude, dass der fremde Körper gleichzeitig mit
dem ausfliessenden Wasser ausgespült wird; bei Erbsen, Bohnen und Perlen
habe ich dieses Verfahren, welches ich von einem alten Wundarzte zuerst
mit Erfolg verrichten sah, mit Glück öfters ausgeübt. Bei verhärtetem
Ohrenschmalz, das oft nicht unbedeutende Harthörigkeit erregt, spritzen
wir vorher, ehe es mit dem Löffel entfernt wird, laues Seifenwasser eirt.
Ins Ohr gekrochene Insecten , Ohrwürmer tödtet man , indem man Baumöl
ins Ohr giesst und entfernt sie dann ; auch kann man Aq. Goulardi', Aq'.
laurocerasi, mit Wasser verdünnt, zu diesem Zwecke ins Ohr spritzen. Die
Nachbehandlung besteht darin, dass man reizmildernde Mittel: Oleosa, Mu-
cilaginosa noch einige Zeit ins Ohr bringt. Dieffenhnch erzählt folgenden
Fall: Ein achtzehnjähriges Mädchen hatte in seinem fünften Jahre an Caries
der Pars mastoidea des Ossis temporum gelitten; ^ie ganze Seite des Kopfs
im weiten Umkreise um das Ohr war aufgetrieben, aus dem Gehörgange
floss stinkende Jauche, von Schallwahrnehmung war auf dieser Seite keine
Spur. Er zog einen länglich kubischen Knochen von S Linien Dicke und
6 — 7 Linien Länge aus der Tiefe des Ohrs, beim Gebrauche von Breiumschlä-»'
gen und Chamillenthee (zum Einspritzen?) hörte alle Geschwulst auf, und
das Gehör kehrte vollkommen wieder zurück. — Sahntier beobachtete nach
einer im Ohre stecken gebliebenen Papierkugel halbseitigen Kopfschmerz,
typhöses Fieber und Tod. Die Section zeigte Caries im Innern des Ohrs
und Eitererguss in die Schädelhöhle, und Power erzählt, dass einKlümp-
chen zusammengeballter Wolle im Ohre hartnäckigen Speichelfluss und Atro-
phie herbeiführte. 4) Fremde Körper im Munde. Sie bleiben nur ste-
cken, wenn sie spitzig, scharf, eckig sind, und in die innere Fläche der
Wangen, in die Zunge, in den weichen und harten Gaumen oder zwisdheh
die Zähne und in das Zahnfleisch dringen. Auch können sie mitunter zwi-
schen zwei festen Punkten des Ober- und Unterkiefers sich einklemmen,
unbewegliches Offenstehen des Mundes und scheinbaren Trismus erregen.
Die Entfernung ist mittels der Pincette oder Kornzange leicht. 5) Fremde
Körper im Schlünde. Sie können hier bald wegen ihres Volumens,
bald wegen ihrer Härte oder ungleichen Oberfläche stecken bleiben; oft ver-
hindert auch Krampf oder Dysphagia paralytica das Hiiiuntersöhlingen eines
sonst nicht grossen fremden Körpers. Symptome sind : heftiger örtlicher
Schmerz, Würgen, Erbrechen, Angst, Erstickungszufälle, Ohnmächten,
Krämpfe, Scheintod. Sitzt ein ziemlich grosser fremder Körper dicht hinter
dem Kehlkopfe, so kann er diesen zusammendrücken und die Erstickung bis
zum höchsten Grade steigern, so dass der Tod folgt, wie man Beispiele der
490 CORPORA ALIENA INSERTA
Art hat, wo er durch ein im Schlünde stecken gebliebenes Sh'ick FleUcli,
durch ein ganzes hinuntergeschlucktes Ei, eine Kastanie, eine Birne, einen
Knochen etc. bewirkt wurde. Zur Diagnose, dass der fremde Körper
nicht in solchen Fällen in die Luftröhre gekommen, dient dieses: Ist der
Durchmesser des fremden Körpers über 10 pariser. Linien, .so kann er «icht
zwischen Kehlkopf und Stimmritze dnrchgeheix; auch fehlt der röchelnde,
quälende Athem, das zischende Geräusch des Hustens, und der Kranke
kann selbst keine flüssige Dinge hinunterschlucken. Im Kehlkopfe kann der
fremde Körper nie so fest eingekeilt seyn, wie im Schlünde, er würde dann
augenblicklichen Tod herbeiCühren. Ist der im Schlünde stecken gebliebene
fremde Körper spitzig, so ist der Schmerz besonders bei Berührung und
Bewegung des Halses recht lebhaft, sowie bei den Versuchen zu schlucken.
Je tiefer der fremde Körper sitzt , desto weniger stellen sich Erbrechen und
Dyspnoe ein; dagegen sind hier die Schmerzen sehr heftig, indem die Be-
wegungen des Zwerchfells, sowie das Auf- und Absteigen des Thorax, ir-
rend auf den leidenden Theil einwirken. Der Nervenreichthum des Schlun-
des macht, dass kleine spiizige, darin stecken gebliebene Körper oft die
stärksten Convulsionen und die fürchtedich.sten Zufälle und, werden sie nicht
bald entfernt, den Tod erregen. Nur in seltnen Fällen kapselt sich der
Körper ein und bildet an der leidenden Stelle einen Abscess, durch welchen
er später entfernt werden kann. Behandlung. Man suche den Körper
entweder nach oben herauszuziehen oder in den Magen zu stossen. Der
Sitz, die Form und Beschaffenheit des fremden Körpers erfordert bald das
eine, bald das andere Verfahren. Es wäre ebenso unklug — sagt Dieff'en-
bnch — wenn man ein im Schlünde steckendes Stück Glas in den Magen
hinabstos£:en, als wenn man ein sehniges Stück Fleisch, welches auf der
Cardia läge , nach oben herausziehen wollte. SitSit der fremde Körper hoch
oben im Schlünde, so sucht man ihn stets nach oben heraus zu entfernen.
Der Kranke setze sich gegen das Licht, öffne den Mund, mache eine tiefe
langsame Inspiration, wodurch Gaumensegel und Zäpfchen in die Höhe ge-
zogen werden, und man wird oft schon sogleich den fremden Körper hoch
oben im Schlünde erblicken und kann ihn oft mit den Fingern herausnehmen.
Sind es Nadeln, Fischgräten, kleine Knochensplitter, zumal von Gänsen, so
sind sie auf solche Weise wej^en ihrer Härte leicht zu entfernen. Gelingt
dies nicht, so bediene man sich des Bartes einer geölten Feder, oder einer
Korn - und Polypenzange zu ihrer Entfernung ; der durch die Feder erregte
Kitzel erregt oft Würgen, so dass der Körper ausgestossen wird. Das Volks-
mittel, in solchen Fällen ein Stück Brot, eine Kartoffel hinabzuschlucken,
um den Körper so in den Magen zu treiben, ist höchst verwerflich ; ebenso
der von einem Franzosen gegebene Rath, getrocknete Stücke Waschschwamra
zu verschlucken und dann Wasser nachzutrinken, woselbst der Schwamm
im Darmcanal schlimme Zufälle durchs Steckenbleiben erregen kann. Bei
grössern, stumpfen Körpern, welche krampfhaft vom Schlünde umschlungen
sind, ist das bekannte Klopfen in den Rücken oft schon hinreichend, den
Körper nach oben zu entfernen. Misslingen alle Versuche zur Entfernung
des fremden Körpers, so kann man sich bei kleinen Körpern eines Vomitivs
bedienen, worauf der Kranke das Weisse von 4 Eiern verschluckt. Ist er
aber gross, so kann der Kranke gar nicht schlucken; hier muss ein Vomitiv
in die Adern gespritzt werden , welches , da es schnell Erbrechen erregt,
nur noch allein das Leben retten kann. Man öffnet eine Armvene, nachdem
sie durch einen, 1 Zoll langen Haut schnitt biosgelegt worden, bringt in die
Öffnung eine l'/j Zoll lange Canule, setzt in diese das Rohr der das Vomitiv
enthaltenden Spritze , und entleert nun den Inhalt sehr langsam. Dieser be-
steht aus 3 bis 4 Gran Tart. emeticus, in 2 Unzen Aq. destillat. aufgelöst
und lauwarm gemacht. Die Einspritzung von Pulv. ipecac, mit Wasser ver-
mischt, würde schnellen Tod oder Vereiterung der Lungen zur Folge haben,
da es in den Capillargefassen der letztern stecken bleiben würde ; damit
keine Luft in die Vene komme, muss die Spritze ganz gefüllt seyn. Die
Armwunde >vird darauf mit Heftpflaster verbunden und, um Phlebitis zu
COEPOIU ALIENA INSERTA 491
verhüfmi.'^ fortwährend mit kaltem Wasser' fomentirt. Es folgt bald mit der»
Krbredhen der fremde Körper, worüber zahlreiche Beobachtungen gemacht
Mrorden sind (s. Scheel v. Dieff'enbnch, Über Transfusion des Blates und die
Einspritzung von Arzneien in die Ädernd 3 Bände. 1802 — 1828). Zur Aus*
Ziehung des fremden Körpers ans dem Schlünde hat man verschiedene Zani
gen und andere Werkzeuge (Drahtschlinge, Fanginstrumente, die sog. Blei'<"
baromer der Alten, z. B. der von Petit, Mei^nier) empfohlen, die nicht alle
zu empfehlen sind (s. Echoldt, Über das Ausziehen fremder Körper aus dem
Speisccanal und der Luftröhrö.' Kiel u. Leipz. 1799)^ Sitzt der fremde Kör^^
per hoch oben im Schlünde, so bleiben der Zeige - und Mittelfinger, eine
gewöhnliche Kornzange oder kleine Sleiuzange, mit' welchen man das Gör»-
pus delicti fasst und entfernt, die besten Geräthschaften. Aber für die Ent^
fernung :der in der Tiefe lies Schlundes steckenden fremden Körper ist das
brauchbarste Instrument der mit einem Schwämme versehene Fischbeinstah.
Im Nothfall leistet auch ein zusammengedrehter" Wachsstock gote Dienstö.
Man kann den fremden Körper nach Umständen damit herausziehen odier
auch in den Magen hinabstossen. „Das trefflichste Werkzeug — ■ sagt Dief^
fenhnch — ist der Schwanim an dem Fischbeinstabe; beide Stoffe sind aih
besten geeignet, in den eropfindiichen Rachen undi Schlund eingeföhrt zu
werden« Der geölte Schwamm gleitet über den fremden Körper, er mag
ein spitziger oder platter seyn, hinweg, und dieser setzt sich beim Zurück-
ziehen darin fest, besonders ist er bei Nadein und Gräten unentbehrlich.
Sitzt ein runder Körper, eine verschluckte Kugel, ein Fingerhut oder ein
Stück Fleisch tief im Schlünde, so stösst man diese Dinge leicht damit in
den Magen hinab. Die Erfindung dieser einfachen Einrichtung sollen wir
WilUs verdanken; PetiVs Künsteleien daran sind nicht zu loben. Ein äob-
cher Stab muss 13 bis 16 Zoll lang seyn , oben eine gehörige Dicke zuito
Anfassen haben, und hiei: viereckig geschnitten seyn; am untern Ende muss
er kaum den Durchmesser eines sehr dünnen Gänsekiels haben. Die Grössfe
des Schwamms, welcher sehr gena« mit ihm verbunden seyn muss , damit er
nicht abgleite und ebenfalls im Schlünde stecken .bleibe, beträgt für einen
Erwachsenen die Grösse einer massigen Wallnuss, für ein Kind die .einer
guten Haselnuss. Wird das Instrument, wobei der Kranke sitzt und den
Kopf weit nach hinten überbiegt, eingeführt, so muss man es sehr schnell
nach unten hinabschieben und es längsam zurückziehen; glaubt man den
fremden Körper in den Magen hinabstossen zu' müssen, so schiebt man es
langsam hinein, damit der Schwamm nicht über demselben fortgleite."
Zum Herausziehen von Geldmünzen ist der mit einem Doppelringe ver-
sehene Fiächbeinstab sehr nützlich; der Ring ist mit dem Stabe durch eine
Stahlfeder verbunden; daher muss man ihn sehr vorsichtig einbringen, da-
mit keine Excoriationen des Schlundes und Rachens erfolgen; auch muss
der Kranke vorher dicken Haferschleim , Mandelöl oder Eiweiss hinunter-
schlürfen. Misslingen alle diese Versuche und blieb auch das Einspritzen
eines Brechmittels in die Armvene fruchtlos', so muss bei fortdauernden
schlimmen Zufällen die Oesophagotoroie gemacht werden, und ist grosse Er-
stickungsgefahr da, so wird vorher erst noch die Tracheotomie nothwendig^^
Hahicot, Bell, Riist, Cnllisen-, Hichernnd u. a. berühmte Wundärzte ziehen
die letztere Operation der Eröffnung der Speiseröhre stets vor, weil sie
das dringend.ste Symptom; die Erstickung, beseitigt und man nun Zeit
hat, den fremden Körper mit mehr Ruhe und Leichtigkeit herauszuziehen
oder in den Magen hinabzustossen. 6) F'remde Körper im Magen
und Darmcanal. Sie können mechanisch und auch chemisch, je nachdem
sie sich auflösen oder nicht, nachtheilig wirken. Die Zufälle mechanischer
Art hängen von dem Sitze, dem Umfange und der Beschaffenheit des frem-
den Körpers ab. Häufig bleiben sie lange Zeit im Magen oder am Ende
des Dünndarms vor der Grimmdarmklappe haften. Oft machen sie Jahre
lang wenig Beschwerden, nur stumpfen Druck, Indigestionsbeschwerden.
Nach Heim jun. sind die heftigsten Schmerzen mit jahrelangem Leiden vor-
handen , wenn auch nur der kleinste fremde Körper in den Processus vermi-
»92 CORPORA ALTENA INSEIITÄ
formis geräth, wie dies eine Section neuerlich nocch bewiesen hat 5 doth' ma-
chen die kleinen Steine' in diesem Fortsatze , die ich ein paarmal gefunden,
nicht immer grosse Beschwerden. Die Patientin, deren Section vorhin er-*
wähnt wurde, litt Jahre lang ' an Unterleibsbeschwerden mit tiefem fixem,
heftigem Schmerz. Man fand eine '/, Zoll lange branriei Fischgräte im Wurm-
fortsatze. In dem Magen können verschluckt^^ Körper zu ungeheuren Quan-
titäten anwachsen, ehe sie tödten. Fotirnier berichtet, dass man bei einem
an Ileus verstorbenen Galeerenscläven 28 Holzstückchen, eimge kleine zin-
nerne Löffel, mehrere Nägel, Schnallen, in Allem 52 Stück, welche zusam-
men .1 Pfund und 20 Loth wogen, gefunden habe. Spitzige und eckige
Körper erregen leicht Verwundung, Entzündung, Brand oder Eiterung, Ma-
genfisteln etc. Nähnadeln wandern oft vom Magen und Darmcanal und kom-
men an entfernten Stellen, am Schenkel, Knie etc. Bum Vorschein; andere
spitzige Körper gehen oft in die Bauchhöhle, senken sich in die Blase, die
Scheide etc. Behandlung. Ist ein fremder Körper erst kürzlich in den
Magen gelangt, der mechanisch oder chemisch schädlich wirkt, so gieht man
ein Vomitiv, kann auch zuweilen , z. B. bei schon zum Theil aufgelösten
■Kupfermühfeen, die Magenpumpen von Weiss und. Rend in Anwendung bHn-
;gen^ Gelingt so die Entfernung nicht, so gebe man viel schleimige, ölige
Mittel, Firniss, Ol. ricini, um den fremden Körper einzuhüllen und den Ab-
gang desselben nach unten zu befördern. Oft geht er so mit dem Stuhl-
gange ab, ohne Darmentzündung zu erregen. Stellt sich letztere aber ein,
«ö versäume man das Aderlassen und die örtlichen Blutentziehungen nicht.
Zuweilen setzt er sich vor den Sphincter ahi-, und muss dann mit einer
Zange ausgezogen werden. Oft haben hier durch ihr längeres VerWeiUn,
indem man den örtlichen Schmerz für Hämorrhoiden hielt:, kleine Knochen,
Gräten, Nadeln, Obstgehäuse etc. Gelegenheit zur Bildung von Mastdarni-
fisteln gegeben. Bei im Darmcanal stecken gebliebenen grossen, unauflös-
lichen fremden Körpern, die heftige Zufalle erregen und deren Entfernung
nicht gelang, hat man den Bauchschnitt empfohlen; doch bleibt dieser eine
gefährliche Operation (s. Enterotomia). Sind lebendige Thiere, Blut-
egel, Schnecken,' Eidechsen, kleine Schlangen etc. in den Magen gelangt,
z. B. bei Schlafenden im Walde, wenn der Mund geöffnet ist; so tödte man
sie durch Salzwasser, Essig, und gebe hinterher ein Vomitiv. 7) Fremde
Körper im Mastdarme. Nicht blos vom Darmcanal her, auch von
aussen können sie ins Rectum gelangen, bald aus Muth>villen Anderer, bald
aus Ungeschicklichkeit und Unvorsichtigkeit. So brachte sich ein an Diar-
rhöe leidender Matrose einen grossen Korkstöpsel ins Rectum, der nur durch
Osinndcr^s Nachgeburtszange entfernt werden konnte. Einem Manne fuhr
bei Verrichtung des Bedürfnisses eine 7 Zoll lange Baumwurzel in den Mast-
darm, die V. Wnlthcr am vierten Tage mit der Zange auszog (s. v. Greife's
und V. WaJther's Journal Bd. I. u. Bd. IV.). Auch steinharte Excremente
können im Mastdarm alle Zufalle, wie jene fremde Körper, erregen. Diese
sind: Schmerz, Entzündung, Leibesverstopfung, -Brand und Tod, oder spä-
ter Eiterung, Verdickung, Entartung der Häute, Strictura recti etc. Vergl.
den Artikel Alvinae concretiones. — Hat man den fremden Körper
durchs Ausziehen, Zerstückeln etc. entfernt, so macht man Injectionen von
schleimigen Dingen mit kaltem Wasser, um alle Fragmente auszuspülen.
Auch bei Blutungen sind diese nützlich; später, bei eintretender Eiterung,
setzt man Kiystiere von Decoct. rad althaeae. Infus, sambuci , chamomill.
mit Öl. Der Leib wird durch Ol.: ricini, Sal Glauberi offen erhalten. Zu-
weilen wird , um den fremden Körper zu entfernen , ein Einschnitt in den
Sphinkter nöthig; dann mache man anhaltend kalte Umschläge und vermeide
jeden Verband. Ist ein Blutegel in den Mastdarm geschlüpft, so wirkt ein
Klystier von Salzwasser am besten, um ihn zu tödten und bald zu entfernen.
8) Fremde Körper im Kehlkopfe und in der Luftröhre. Sie
können in unbewachten Augenblicken während einer Inspiration, bei schnel-
lem Athmen, während des Sprechens, l^achens, Gähnens, Seufzens etc. in
den Kehlkopf oder die Luftröhre dringen. Kinder treiben oft das nie zu
CORPORA ALIENA INSERTA 495
I 4ul«Ien4e Spiel,. ^ea kleinen Körper, eiae Bohne, ein Stuckeben Holz auf
J die HaAd zu lugen, diese an den Mund zu bringen und, indem ß\e ^ne ti^f^
H Iiupiratiun mactien, gewaltsam den Körper, wegzublasen. Häufig schlüpft
I er hier bei der tiefen . Inspiration in den Kehlkopf. Au«h aus dem Scldund«^
I kennen fremde Körper heraufkommen und in die Luftröhre falten, sowie man
1 denn auch Fälle bat, wo S^Mklwürmer aus dem Schlünde in die Tracixea ge-;
krqpheq sind (Hnfler). Ei|l Körper, dessen Durchmesser ( nicht, dessen Per.
yiphejiie, wie Dieffhiha,ch in Bust's Handb. d. Chirurgie, Bd.' V. S. o04,.sagt)[
: öbw 1Q-— 12 pariser Linien XI Zoll) beträgt.,, kann, nicht :durch. die StimiOr.
fitze dringen. Die.Zu fälle .durch, fremde.. in, den Kehlkot)f .^Ijangte :Kßjp-;
per ^ind sehr heftiger.. Art». ;.aU: convujsivisches Husten-^ heisete , . ver äiil-n
derte Stimme, unbeschreibliche Angst und grosse,, Dyspnoe, die grösst«
£}r<>Qhöpfiing, Ohnmächten, .i'.^^ fitelleu siivh Remissiom^n idüa.,ldo.cb baldikeiU^.
reu die Anlalle iiüt erJiBuerter, Heftigkeit: aviiü.ck,. uudt^ÄO dauert dieser Zu-a
«tand .mit abwechselnd,er. Ab, 7. Ivnd Znnahiöe:> der Anfälle bJU zum iTode .foxt^
^lem bläulich aufjgedui)sßftes ; Göjjicht , stiere.^: glänzcyide, . heövorgfctriebene
Augen, stark geröthet:$ jCo^iJQdjV^lva^, z!ii!yv«)ileA JBmphyselu de& Haläes 'eiCc.
vprl^gehen. Selbst dieiklt^j^^^efti'frentdajrtigenSnbstanzen« welohe. in. K^H
köpf, und L^fM^öhre getartgeomjj^t^gen, b^i der« grossen Empfindlichkeit de*
erjiteirn'ihcftigen Kraölpfhi|st0tt.y der aber wieder , zu ihrer Ausstossung. in, der,
Reg^l, die»t; bleibt, ein fremde Körper .nur: kurzöi Zeit in der Stimmritze;
fest sitzen, so führt er unter Convulsiooen d,€in schrecklichsten Erstickuogs^
tod herbei. Fällt der fr^mdq Körper in die Luftröhre , so sind di<e Zufällci
jsy^aj' für den Augenblick weniger heftig, aber .dpch Siehr ängstlich. Ist dör
Körpc^^ leipht, ^p st«;igt :\Mid fällt er. bei der Ex^ und Inspiration. Ist, et.
ui <Üe Ventrikel des Lapynjs pde? in einen. Bronchus (am häufigsten; in dea
fechten, da dieser kürzer u.J^d,;Weiter ist) g«)-athen , , so ist der Husten nlchti
si^.stßfifi v."d anhakcjid, ...die, Stimme dbeKliOft 1 heiser^, der. Sehmei'z erträgliche
und dit^,,Krampfaiiölle, .ye^jcea nicht so, .oft» J^othtieind; sich die 1 Zufälle
nicht. .immer gleich T" allmäUg göwöhuen. sich selbst in einzelnen iFällen. .die
I^uf^wegean dei);,fremdartjgiBn Reiz, . das .Corpus, delicti dringt tiefer iadi»
Lungens^ib^tauz , erregt . chronische Eutzündwiigi vmd Eiterung,, .EhthisiSikkTi
fjngea, pulmonalis, und es.folgt nach MonSiteriidejf Tod. Nicht selten, zeigt
§ich aber auch Wer -.die grosse ' Naturheilkfiaft, Sudem, sich ein Abscess.in der,
Lunge l^ildet, der Husten mit dem Eiter den ix^mden Körper ausmcft. und,
daun die Heilung unter Schliessiung . der Yomica bald folgt. — , ;Bei ; Kindern
^ind die Zufälle von fremdet; liii die, I^yf;tr/öbcß gelangten Körpern oft sft
sonderbar, so periodisch, ^— ;,sagt fiiQff'eßh^hi -r- dass der Arzt, welcher
i)ich,t von dem, wap yorgegai^gen, untef.f},qhtf!t,_;VrQTden, zu deib Glaube»
yerl eitet,, werden kanp, ein^i Croup vor sich: «u^habetT. Einen, iijteutssantea
B'all der Axt erzählt Reiche in Jlvseß, M^g^z, Bdv XXVIL 8.1.58:. Emem
2'/>3ährigen Mädchen war, ein Stück eines ,. Wallnusskerns in die, Luftrölhie
gerathen. Der herbeigerujfeji^.iArzt erklÄriii? die periodisch- eiiitreteoden Zu.^'
falle yo« Orthopnoe fiir :Croiip. Erst ^a&hdem;,s.i<:tt eiö ungeheures Emphy-h
sem ai]» Halse gebildet iiatte, wurde die Krankheh; gfehörig erkannt; die als
nothwendig erachtete Tracheotomie lehnte inian aber ab. Als nun; am , näch->
sten Tage alle Erscheinungen den höchsten; Qrad, erreiicht hatteiv, wurdo
unvermuthet das Stück Wallnusskern ausgeworfen , worauf die, Zufalle so-
gleich nachliessen , und die Genesung allmälig, ieintrat. In dem Ameriqan
medical Recorder (April 18^3) , wird ein ,Fiall pfzjjblt.^ , wo nach neunjähri*-,
gern Leidem, welches man lyürmern im Dafoiqanell {ws.<:hrieib, ein :Stück .VQn
eiaer Bleifeder ausgehustet, wnr^e,, worauf ,allmälig, yptlkommne Ges^ndhe^
eintrat. Cur. „Alle, Mittel, welche der, Kunst zur Entfernung des freuen
den I^örpers ohne die blutige, Operation a,i}s d^A Luftwegen zu Gebptefi^n
hen, sind — e> Dieffeiihnch .—-.so unwirksam ,, dass sich dieselben fa&t)
einzig und allein auf ein schleuniges Emetici^m reduciren; durch diesem ge^
lingt es bisweilen, den. fremden Körper ;, h,^auszutreiben. Ausserdeni sind
zur Milderung der Zufalle eiji.e , streng ftntJphlogistiscJje und kraajipfistillend.e
Behandlung als Palliativcux , ang^eigt. " • In ,4er . .MeHr,:5^hl der. ; FftUe .■ i^mss
494 CORPORA AUENA INSERTA
Ate ErolTnung des Kehlkopfes oder der Luftrohre vorgenommen werden
(s. Laryngotomia). Sitzt aber der fremde Körper so hoch oben im
Kehlkopfe, dass man ihn erreichen kann, so lässt er sich mit den Fingern
oder einer Pincette herausziehen; zumal gelingt dies oft mit Nadeln, Gräten
und andern sich festsetzenden Körpern^ 9) Fremde Körper in dv
Harnröhre und Harnblase. Hiezu rechnet man nur solche, die vou
aussen in diese Theile gedrungen sind , also nicht die Harnsteine. Zufällig
können Nadeln, Kornähren, Holz, Bougies, Katheter hineingedrungen und
abgebrochen seyn; zumal kommt dies bei Krahken^ die an Urinbeschwerden
leiden, und dergleichen, um den Urin in Fluss zu bringen, hineinbrachten^
oft vor. • Durch einen in die Harnröhre gekommenen fremden Körper wird,
je nach seiner Dicke, die Harnabsonderung entweder völlig oder theil weise
gehemmt, nan kann den Körper von aussen meist durchfühlen, der Kranke
klagt über heftige Schmerzen, und der hinter dem Corpus delicti gelegene.
Theil der Harnröhre ist durch den Andrang des Harns, gerade wie bei der
Atresie der Harnröhre, strangartig ausgedehnt; auch senkt sich der Harn,
wird der fremde Körper nicht bald entfern«Vi'Wol in die Wandungen ein.
Di« Urethra' erweitert sich hier und der Ui*indtrahl erreicht die vorige Dicke
wieder j 'wie wol er meistens -eine schräge Richtung behält. Durch die Länge
der Zeit incnistirt der fremde Körper hier völlig. Zuweilen ist abfer die
Entzündung so heftige dass Eitet^irtg und Wanderung des fremden Körpers
nach aussen folgen , so dass nicht selten callöse Strictur öder Harnftstel sich
bilden. Die Zufälle -sind denen der in die Urethra gelangten Nierensteine
gleich (s. iiiithiasis)'.' Cur. Befindet sich der fremde Körper in d^i* Nähö
des äussern Orificium urethrafe, so kann man ihn mit einer langanlngen,
feinen Hakenpincette,: selbst aus' der Tiefe von' mehreren Zollen j hera^is-^
holen (DiertfonhacK). Hat man ihn gefasst, so nrass man denselben mit den
Fingern der linken Hand- bei umschlossenem Penis 'stark nach vorw dränge»;
Sehr gut ist auch zinn Herausaiehen //wj^«^'« gestielter, schmaler, mit eincnl
Schieber versehener DoppellöfFel , weniger brauchbar C'ibirt/e's ähnliches In-
strument, bestehend aus 4 Löffeln und einem Bohrer in der Mitte. Ktinil
man auf solche Weise den fremden Körper -nicht entfernen, so macht man
auf ihm einen Einschnitt in die Harnröhre und zieht ihn so heraus. Die in
der weiblichen Harnröhre oder Blase befindlichen- fremden Körper lassen
sich, da erstere Weiter und kürzer, auch gerade ist, selbiJt bei nicht unbe-
trächtlicher Grösse -des fremden Körpers, z. B. eines Steins, oft leicht durch
Zerstückelung und Herausziehen ertlfernen {il Lithontripsis), 10) Fremde
Körper -in der Vagina und dem Ut*rus." Sie kommen selten vor;
meibtniir bei' sehr wollüstigen oder psychisch kranken Frauenzimnterh oidei^
bei solchen y die sich Abortus' erregen Wollen und sie sich absichtlich hinein-
steckeb,: «.- B. Korkstöpsel. ' Ist der fremde Körper eckig , Scharf ,''äpiCzlgJ
so "kann heftige Entzüftdung und Verschwärung folgen. Mit dem H'eraus-
züet^it- muss man sehr behutsam zu Werke gehen und vorher für Entleerung
de3- Mastdarms und der Blase sorgen. Alle >ncrwstirtePes.sarien körtnfen oft
Versoh\V.ärung und üble Zufalle erregen. Ich entfernte einen sotchen bei
cmer- 70jährigen Frau, der 20 Jahre in der Scheide' gese'ssen hatte, so dass
die etwas' gedächtnissschwache Person sich nicht mehr an ihn erinnern konnte.
' Corpora nlienn ociilo illapsa. Fremde Körper können zwischen die Au*^
genlider und den Bulbus, bei grösserer Gewalt selbst in diese eindringen^
die heftigsten Schmerzen, Entzündung, Ulcus corneae', Leucom etc. erre-^
gen. Staub, Schnupftabak, kleine Insecten , Haare etc* verursachen durch
ihren' R«Jf bald Thräneniluss , mit welchem sie oft ausgespült werden. Ist
dies nicht der Fall, so streiche man behutsam die äussere Fläche der Au-
geiilider nach dem inneni Augenwinkel zu, 'oder halte, wenn dies nichts
fruchtet, die Augenlider CHI paar Minuten zu und comprimire mit dem Pili-*
ger massig den Thränensack, wodurch das Abfliessen der Thränen vd'hin-^
dert und ihre reichlichere Ansammlung zwischen den Lidern befördert wird;
Auch da« Baden des Auges in der hohlen Hand oder mit einem Schwämme
leistet bei 'kleinen Körpern, aläT Asche, Sand, Schnupftabak, gutelMenste;
CORPORA ALIENA INSERTA 495
desgleichen ein- in Milch oder Wasser getauchter Kameelhaarpinsel. Sitzt
der fremde Körper im Sinus des obern Augenlides , so muss man letzteres
meist umkehren, was bei einiger Übung keinen Schmerz eriegt^ und ent-r
feint dann den fremden Körper mit einer kleinen, stumpfen Piticette oder
dem Löffel. Auch die in die Hornhaut eingedrungenen fremden Körper ent-
fernt man so. Schmieden und Schlössern fliegen oft kleine Stücke Eisen iiis
Auge, zumal beim Schmieden. Hier entfernt dieselben oft am besten ein
uiehrere Pfunde tragender Magnet, nahe an die leidende Stelle gehalteiu
Sind scharfe Dinge: Kalk, Säuren, Pfeffer, Schnupftabak ins Auge gekoui-
'men, so leistet laue Milch, Muoil. gumm. arab. zum Ausspülen, die besten
Dienste. Die ins Innere des Auges gedrungenen fremden^ Körper ntä&t
«en: wenn sie eingekapselt sind, mit einer Staarnadel freigemacht und dann
entfernt werden. — Fumentafcionen von kaltem ' Wasser , ßleiwasser, bei
reizbaren Personen auch schleimige Augenwasser mit etwas Laiidaumm, sind
hinterher anzuwenden. Ist wirkliche finteündung eingetreten, dann auch
Blutausleerungen. •••"• , i
Corjiorn cnrtifäffinosn krticulorum, s. Corpora interarticularia, . s. Con-
ctetneiita tvrliculoriitii., sivi Mures in genu, fremde Körper in den Ge-r
lenken, Gele« kcö ncremente, Gelenkmäuse. Sind khorpelai^tige
oder knöcherne kleine Körper, welche isich zuwieilen in den < Gelenken , vor-
züglich im Kniegelenk, seltener in den Schulter-, Kinnbacken-, Elllenbogen,-
FuiJs- und Handgelenken erzeugen. Sie haben eine länglivh^platte, linsen-
förmige, in der Mitte vertiefte Form, wie Nux vomica, haben abgerundete
Ränder und, w<inn sie auch aus Knochen bestehen, einen knorpligen Über-
zug; oft findet ftian mehrere mit einander zusammenhängende Zuweilen
sind sie sehr weich, gahz unorganisch ;- am häufigsten findet man 1 bis 2^
«ellener mehrere^ selbst -bis 20 im Gelenice; ihre Grösse ist die einer Linse^
eines Traubenkerns bis zu der einer Mandel und .kleinen Kastanie (üeniM-
rwjJ, Morgnifiti, 'Haller ^ Desault). Me\st sind sie beweglich, zuweilen aber
auch nichlt frei im. Gelenke, sondern durch einen dünnen St*!^ >n die Ge-
lenkkapsel befestigt. Sind nie so fixirt und dabei klein, so können sie lauge
bestehen, ohue Beschwerden zu erregen. Im entgegengesetzten Fair hin-i-
dern sie die Bewegung des Gliedes, erregen .oft die heftigsten , Schmerjse^,
Ohnmächten uod plötzliche Unmöglichkeit > daü Gelenk zu bevyeggi). Be«
sonders ist dieses im Kniegelenk der Fall, .wertrt der fremde Körpcgr ^vvÄt
sehen die Geleukendeii geräth. Die ;der vorhergegangenen entgegengei^etzte
Bewegung treibt ihn aber oft schnell, wieder in eineii freien Kaun^. und
dann verschwinden plötzlich jene' SchSiierzen. Zuweilfen folgt^'felnc entzünd-
liche Anschwellung des Gelenks und übenfiäl^ige Anhäufung ^etf'^tfeid Was-
sers, was fälsfclilich' oft für eine rheumatische Affention gehaitea.wud) Im
Kniegelenke find^i sieh diie.se Körper> am häutigste« an der innere >Seit&;B(e-
ben der Flechse, der Bxtensoreii des Uniterscüenkels ; man fühlt sie kier^ioft
deutlich von aussen' undkäna sie verschiebjön. Diagnose.:. V«n!<iiheunla'-
tidcher Gelenka^eölioa.uatei-scheidet bioh das Übet dadurch, d«^ der, Kranke
bisher nicht zu Rheuma disponirte, dass der Schmerz plötzlithiünd-wach, ieir
ner Bewegung. des, Gelenks, oder, wenn der Kranke schon mebrere.iAnfälle
erlitt, immer ^ach einer l)estimmten Bewegung» enjUtand , :das*,«r, schweigt,
so lange das Glied in einer gewissen Lage ganz ruhig gehalteii wird, da-^
gegen durch Bevyegung und bei einer gewissen Lageveränderung sogleich
zurückkehrt , ohne dass hierbei Tages - oder Witterungswechsel von Eintlus^
wären, endlich dass nach einer zufällicqn Bewegung das Gelenk, plötzlich
wieder frei von Schmerzen wird. Ursachen, Über die "Ent^^hürfgsart
dieser Concremehte herrschen verschiedene Meinungen. Zuweilen grfrt! eine
äussere Gewaltthätigkeit vorher, zuweilen' nicht. Moin-o , Reinntrüs,; Löffier,
Mqhrcnheim, Cruifcshnnh halten sie für losgetrennte Stücke der Gelenfckfior^
pel oder Knochen, Fotd für Anhängsel und Wucherungen der Gelenkknöi-
pel, ITieden für gedrückte verhärtete GelenkdrOsen , Bichat für eine Verän-
derung der Synovralhaut des Knorpel«, 'Hunter für extravasirtes Blut, 'Stni-
der für Niederschläge aus dem Gliedwasser j Richerand und Schreget ^lau-
496 CORJRIGEN^m — COSMETICA
ben, dass sie bald unorganische, bakl organische Concretlonen , .krankhafte
Auswüchse der Synoyjalbaut seyen. Ohnstreitig bilden si^ sich auf verschie-
dene Weisß. Behandlung. Das sicherste Mittel ist: sie durch Erölfnung
der Gelenkkapsel zu entfernen, welche Operation gar nicht so gefährlich
ist, wie Manche glauben. Desault , Brodle , liust u. A. haben sie mit Glück
oft verrichtet. Doch ist sie, so lange der fremde Körper noch unbeweglich
oder das Gelenk entzündet und schmerzhaft ist, nicht vorzunehmen. Die
Operation am Kniegelenke wird folgendermassen verrichtet: Man legt de^
Kranken horizontal- ^"f*s*nen Tisch, bringt den beweglichen fremden Kör-
per an deuiobern und innern Theil des Gelenks, und fixirt ihn oder, wo
mehrere sind , sie alle mit den Fingern der linken Hand. Ein Gehülfe zieht
darauf die Haut möglichst stark nach aussen hin, und hält sie so angespannt.
Sodann macht . man mit ' einem gewölbten Bistouri einen senkrechten Ein-
äoimitt.auf.'den fremden. Körper mit einem Zuge durch die Haut und das
Kapselgelank 1 von solcher Länge, d?tss der Körper von selbst hervorspringt,
oder doch leicht herausgedrückt oder mittels einer PincettQ entfernt werden
fcahh. . Die liicision . müss daher wenigstens Vt Zoll oben und unten länger
sey'n, a^s^das zu entfernende, Concr.ement. , Entschlüpft dieses in dem Augen-
blicke, naohdem. der Schnitt;:geniacht ist, so. suche man es yyi^der zur Wunde
zurückzubriugeny schliesse. sie laber, sogleich, wenn es nicht leicht und^ctuiell
gelingt». So \vie der Zwgck -erreicht ist, wird die angpspannte Haut schnell
iosgelissen /.ünd jdurch ihre Verschiebung schli^sst sich die innere Wunde.
Die Hautvwunde wird mit. Heftpflaster genau vereinigt und schnell geheilt,
^Yaß, .wenn lf;eine Entzündung- des Geslenks folgt, in , wenigen Tagen gelingt.
Ruhe des Gliedes ist durchaus n^tbwendig ;; bei Anzeichen vpn Inflammation
(üeaen kalte Umschläge , Blutegel , ; Einreibungen , von Unguent. mercuriale
is..rCTicliioSi Handb. d. Chirurgie. a8§9. Bd. IJ. . S, 477. ßusVs Handb. d.
Chirui-gie. .Bd. ,V. S...S^3)..,:..; . ^: 'i.;, , ■. : ;.,.,....'. ; . .
„Corpora interarüculariai s,,.Cor.p,q.ra. .^SLTt'iXfigiiXOAXi axti^ulfjriim,
''" Cerrlg'entia» Säfte verbessernde Mittel. Dabin gehören nach
der '• altern l'athologie alle demulcirende, sogenannte blotreinigende Mittel,
die • Tisanen Von Spec. lignoriim,. Rad. graminis, bardanae, die frischen
Kräuterääfte-, die Molken etc. , welche Mittel neben einer strengen Diät in
vielen fc'hronischen Kranklteiten-' höchst heilsam iiind, mögen si« immerhin nur
mittelbar auf die Säfte wirken. . ' ...'. -
Corröborantia, stärkende Mittel, s;R ob oiratitiä.'
CorrodentiÄj ätzende Mittel, s. Caustica. ,*"./' '
Corrosiv», s.. Caustica. ,:,, j.; :..., , j ■.. ,,.,,
Corrtiptio, Zerstörung. IsA'^ntwedenpartiell^z^iB. bei Gangrän^
od«r allgemein bei der Verwesung, wo die Zerstörung des Organischen durcfc
den 'Chemismus der anorganischen Natur bedingt wird.: Auch durch dynanw^
sohö'undi- mechanische Schädlichkeiten können einzelne Theile, Organe dek
lebBndfeit'KörpiT&, wobei häufig noch die Integrität 'der übrigen Orcane er-
halten -warden; kann, zerstört werden. • i .. M
. . . CorrwpXxo liumomm ^ Säfteverderbniss , s. Cacocbymia.' > , n
' ■ 'Coi^l>»nti»8llMI8, Coryhnntisinus , ein wilder, tobender Ge^«
m^thszustand, ein Wahnsinn, oder auch ein fieberhafttes Delirium, brf
welchefti die Kranken von allerlei phantastischen Schreckbildern geplagt
werdrn urtd gar nicht oder mit offenen Augen schlafen.
Coryza, Catarrhus nasi, der Schnupfen, s. Blenrio'rr hoea nasil
€)osin^iica>5 Schmink mittel, z. B. um roth zu schminken, rothei;
Carmin, um weiss zu schminken, Magisterium bismuthi. J^lle Schminken
sind mehr oder minder der Gesundheit und Schönheit nachtheilig ; maucl^s
besteben sogar aus Arsenik und Sublimat, und können durch Resorption
allgenjeine Vergiftung und Tod erregen , wovon Herr Professor Lenhossek i|i
Wipn noch vor wenigen Jahren e'm Beispiel erlebte. Auch versteht maa
unter dein Namen Cosmetica Alles > was die Haut verschönert, z.B. Wasobr
COSMETICA 497
Wasser aus' Mandelmilch und Tinct. benzoes u. s. f. Im weitern Sinne ge-
hört zu den Schönheitsmitteln Alles, was dem Körper die beeinträch-
tigte Schönheit so viel als möglich wieder glebt und ihm, ohne der Gesund-'
heit zu schaden, grössere Wohlgefälligkeit verleihet, z. B. die ganze Mo-
rioplastik, besonders aber die Rhinoplastik. Da die menschliche
Schönheit ohne Gesundheit nicht gedacht werden kann, so macht die Cosme-
tik einen Theil der Diätetik aus; eben so macht sie einen Theil der Chi-
rurgie und der Innern Heilkunde aus , je nachdem sie durch verschiedene
Mittel, durch die Morioplastik , durch Streckapparate bei Krümmungen,
durch künstliche Augen, Nase, Gliedmassen etc. Fehler der Form, oder
durch innere Mittel Fehler der Hautfarbe, z. B. bei Icterus, Chlorosis etc,
verbessert. — Die populäre Cosmetik beschäftigt sich vorzugsweise mit der
auf richtige medicinische Grundsätze basirten Cültur der Haut, der Haare
und der Zähne. — Um die Reinheit und Glätte der Haut zn erhal-
ten , ist Reinlichkeit , öfteres Waschen und Baden das Hauptmittel. Regen-
und Flusswasser machen die Haut geschmeidiger', als Quellwasser. Auch
gute Seifen befördern die Schönheit der Haut , z.B. folgende cosmetische
Seife; man nehme: Gepulverte spanische Seife 1 ^, weisse TVIandelkleie 4Loth,
gereinigtes kohlensaures Kali 1 Loth, Moschus 10 Gran, Thymianöl 20 Tro-
pfen, Majorangeist 8 Loth. Alles wird gemischt, mit Tragantschleim und
Orangenblüthwasser zu einem Teige angestossen und nach Belieben Kugeln
davon formirt. Diese Seife nützt bei unreiner, -spröder, fleckiger Haut, bei
Sommersprossen, Leberflecken. Dagegen kann man auch ffwfe^fwjd's Wasch-
wasser benutzen. Eis besteht aus: Mandelkleie 1 Loth, Rosenwasser 16 Loth,
Borax 1 Quentchen, Benzoetinctur 2 Quentchen. In neuerer Zeit ist auch
der Chlorkalk zum Toilettengebrauch mit Vortheil benutzt worden, nament-
lich in Paris und andern Städten Frankreichs (s. Journ. de Chim. med.,
Octbr. 1827 u. Jan., 1828, w. Griife's u. v. WnJilier's Journ. f. Chirurg, etc.,
1831. Bd. XV. S. 311, Berliner Medic. Zeitung. 1835. Nr. 9). Fol-
gende Präparate sind als Mittel gegen Übeln Mundgeruch und gelbe, schwärz-
liche Zähne sehr zu empfehlen: Man nehme frisch bereiteten Chlorkalk eine
Drachme, löse ihn unter gelindem Reiben in S!vj Aq. destill, auf, Setz« 8
Unzen reinsten Alkohols hinzu, lasse das Ganze an einem kühlen Orfe 24
Stunden stehen, filtrire es hernach und bewahre es im gutverschlossenen
Glase auf.. Man gurgelt täglich 2 — 3 mal sich mit 2 Esslöffel voll dieser
Flüssigkeit. Zum Reinigen unreiner Zähne bedient man sich eines Zahnpul-
vers aus 16 Gran Chlorkalk und 1 Unze ptilverisirte rothe Korallen, Auch
als wirkliche Heilmittel, nicht blos als Präservative, bewähren sich diese
Compositionen — sagt Kluge in der angeführten Medic. Zeitung — sie si<-'
ehern die Zähne vor einer frühen Zei-störung, indem sie theils in alle Ver-
tiefungen und Zwischenräume der Zähne eindringen und hier den cariösen
Zersetzungsprocess beschränken, theils auch umstimmend auf die Schleim-
drüsen der Wangen und Lippen einwirken , von denen bisweilen ein scharfes
Secret abgesondert wird, das den Schmelz der Zähne angreift, denselben
ausfurcht und schwarz und rissig macht, welches Zahnleiden überhaupt in
dieser seiner ätiologischen Beziehung bisher noch wenig beachtet worden ist/
Durch das Waschen der Haut mit Chlorkalkwasser bekommt diese eine feine
weisse Farbe. — Gegen das Aufspringen der Haut dienen Rosenpomade
oder folgende Salbe zum Einreiben : I^ BoU Aninen. , Cernssne ana 5jj»
Gumm. Myrrh. 5j- M. f. pulv. cui admisce Unguent. rosnti ^]\}. Des Abends
werden die Hautrisse mit dieser Salbe bestrichen, und am andern Morgen
mit Mandelkleie und Wasser abgewaschen. Auch wirkt hier Tinct; myr-
rhae, mit Wasser vermischt, zum Waschen schon sehr gut. Die im Alter
und von Magerkeit entstehenden Runzeln lassen sich durch cosmetische;
Mittel, nicht vertreiben. Entstanden sie aus Vernachlässigung der Haut im
Gesichte bei Jüngern Personen, so rühmt man folgendes Wasch wasser dage"
gen: J^ Tinct. hnls. Pcfuv; nigri 3^j, Liriv. l'nli carhon. 3^, Aq. ruh. idäei
5vj, Villi gallici flavi vctusli 51V, M. Gegen Sommersprossen rühmt-matt;
ly Poiioa. ,Rivcr. c. succo citri pairnt. ^üj,- A(pinc rosarum ^}],"^ oanj-
MoBt Encyklopädie. 2te Aufl. I. 32
498 COSMETICA
nutrifU. §j , — floi\ «lopÄ. §y. M. Gegen Leberflecke wirken Camplior
und Alkalien am besten, z. B. I^ Sperm. ccti, Meli, dcjmr. ana 3], Cam~
phorae 5j- M. S. Saibe. Oder auch: fy FeU. tnun Sjj, Sapon. mgdk. 33,
Kali carhon. 3j» Ol. amygdalar. q. s. ut fiat pasin. M. S. Zum Waschen.
Sollen Stellen der Haut von Haaren befreiet werden, z. B. das Barthaaf
bei Frauenzimmern unter der Nase, am Knie etc, , so gebraucht man dage-'
gen folgendes Ätzmittel : I^ Attripiijmenti opt. suhlil. pulvcrati 5f^ ? Calcar.
ustnc aqua adspers. pnlv. 5jjft ) Mise, exactiss. et seiutim adde Aquae hul-
lientis 5vj- Tere ut fiat massa mollis. Serva vase bene obturato. Man rä-
nige zuvor durch mehrmaliges Waschen die Haut vom Fette , erwärme dann
das Mittel allmälig bis zu 24 Grad Reaum. und streiche es zu 3 Malen mit
einem Pinsel auf die behaarte Stelle, nachdem der vorhergehende Strich je-
desmal trocken geworden ist; endlich wische man das Ganze sammt den
Haaren ab und reinige die Haut mit Wasser. In vielen Fällen hat das oft
wiederholte Ausrupfen der Haare sammt den Wurzeln mittels einer kleinen,
kurzen Pincette und rasch vollführt, vor der Application dieses giftigen
Mittels den Vorzug. — Zu der weissen Schminke nimmt man gewöhn-
lich Bleiweiss und Wismuthoxyd, zur rothen Zinnober. Werden solche
Schminken oft gebraucht, so entstellen sie die Haut und können durch Re-
sorption dem Gesammtorganismus schaden. Zur weissen Schminke nimmt
man, soll sie nicht nachtheilig wirken, am besten den Talk in Seifen oder
Emulsionen , zur rothen den Carmin (^Flittner'), Auch das Pulv, irid. floren-
tin., dessen sich die Türkinnen häufig bedienen, ist ein unschädliches Cos-
meticum. Man reibt einige Minuten eine Prise mit der flachen Hand auf
die Wange, worauf natürliche Röthe folgt, die mehrere Tage anhält (».
Oppenheim in Gerson's u. J«?iws' Magaz. Hamburg, 1833, Jan. u. Febr.,
S. 44). Was die Cultur der Haare betrifft, so verlangt auch das Kopf-
haar Reinlichkeit; mai\ kämmt es täglich einmal mit iCiuss- oder Regen-
wasser durch, und nimmt, wenn es sehr fettig ist und die Kopfhaut unrein,
reine Pottasche, die m^n puiverisirt in das Haar streuet, und es dann mit
Regenwasser auswäscht; j^uch kann man statt der Pottasche Eiweiss neh-
men. Das tägliche ein- bis zweimalige Auskämmen des Kopfhaars mit kal-
tem Wasser, darneben das tägliche Trinken von 12 bis 20 Pfund gutem
frischen Quell wasser, befördern nach meinen Erfahrungen das Wachsen und
die Stärke des Kopfhaars bedeutend , worüber ich mehrere Beispiele bei
schwachhaarigen Blondinen und Brünetten habe (^Mosf). — Um graue oder
rothe Haare schwarz zu färben , reichen die gewöhnlichen Färbemittel nicht
hin. Man empfiehlt dagegen: das Kämmen mit einem bleiernen Kamme, d».'4
Waschen mit weissem Weine, in welchem Cort. Salicis, nuc. jugland etc.
digerirt werden; Pomaden mit Höllenstein und Kalkhydrat. Folgendes ist
sehr wirksam: f^ Calcar. listae ^iv, adspcrge solutionc Plumb. aceiici 3J,
solut. in Aquae destiUatac 3JJ, ut Calcarea in pulv. digeratur; quo facto
pars solutionis remanens addatur, et massa, addita aquae destillatae q. s. ,
terendo instar pulvis fiat. Man befreiet die Kopfhaare durch Waschen mit
Seif- und Kleiewasser und nachheriges Abtrocknen vom Fette, reibt dann
Abends vor dem Schlafengehen das Pigment mit Handschuhen ein, bedeckt
den Kopf des Nachts mit einer Wachstuchkappe und achtet darauf, dass
die unbehaarte Haut nicht benutzt werde ; denn diese wird wund , die be-
haarte nicht. Morgens kämmt man das trockne Pigment aus, reinigt diu
Haare mit Wasser und Branntwein, trocknet dieselben ab, und macht sie
mit öi glänzend. Per längere innerliche Gebrauch der Lugol'schen lod-
tlnctur, p. d. zu 6 Tropfen in Zu.ckerwasser, färbte in mehreren Fällen ro-
thes Haar dauernd kastanienbraun (^Clauzel in Revue medicale 1834, Novbr.,
p. 304, Gerson's u. Julius" Magaz. d. ausl. Lit. d. Heilk., Bd. XXIX. S. 159,
u. März u. Apr. Stück, 1835, S. 311). Auch Narcotica, Hyoscyamus, in-
nerlich gereicht, machen das helle Haar dunkler (Afost)» — Zur Reini-
gung der Zähne bedient man sich nur solcher Pulver, Latwergen und
Tincturen , die das Zahnfleisch gesund erhalten und dem Schmelze der
Zähne nicht naclitheilig werden , wie z. B. Essig , Salzsäure , Schwefelsäure.
COXAGRA — CRETINISMÜS 499
Tabaksa«che. Sehr gut Ljt folgendes Zahnpulver : I^ Puh. carlon. litpi. ti}.
3Jj, Pulv. cort. chinae flav. 3^^» OL caryophjllor. gtt. vj, M. Das einfachste
und beste Zahnpulver ist, nach Thomson, folgendes: ^t Carlon. lign. til. 3],
Rad. ratanhiae 3ÜJ. M. fiat Pulv. subtilissinius. Man muss nicht täglich,
nur wöchentlich 2 bis Smal mit solchen Zahnpulvern die Zähne putzen, da-
gegen sie täglich mit Flusswasser reinigen. Sehen sie gelb aus, so kann
man diese hässliche Farbe durch Citronen«aft wegschaffen. Ist viel Nei-.
gung zu Weinstein an den Zähnen da, so liegt oft Verschleimung und
Gicht zum Grunde, wogegen Interna nöthig werden. Äusserlich kann man
Zahnpulver, mit etwas Bolus vermischt, anwenden (s. Trommsdorf, Ka-
lopistria, oder die Kunst der Toilette. Erfurt, 1804. — Flittner, C. G.,
Unterricht, die weibliche Schönheit zu erhalten etc. Berlin, 1822. — Itein-
hard, Ch. F. E., Satyrisch - moralische Abhandl. v. den Krankheiten, die
aus der Toilette der Frauen hervorgehen. 2 Thle. Glogau, 1756. — Klct-r
ten, O. jB. , Versuch einer Geschichte des Verschönerungstriebes im weibli-
chen Geschlechte. 2 Thle. Gotha, 1792).
Coxag^ra« die Hüftgicht, s. Arthritis.
Coxalgia, Coxarthrocace , Hüftweh, sogenanntes freiwilliges Hin-
ken; 6. Arthrocace.
Coxalgia purulenta, 6. Abscessns ischiadicas.
Coxitis» Entzündung des Hüftgelenks. Ist vielleicht die
richtige Benennung für Coxarthrocace , da dieser jedesmal eine Entzündung
zum Grunde liegt und das erste Stadium der Krankheit ausmacht; s. Ar-
throcace.
Cl'ampuS} Grnmpus, Physosj}asmm , Spasmus cruris, der Klamm.
Ist ein Krampf einzelner Muskeln, besonders in den Extremitäten, z. B. in
der Wade, der häufig durch Zerrung und Reizung, durch ungewohnte An-
strengung einzelner Muskeln, z. B. beim Ausziehen enger Stiefel, entsteht,
und dann in wenigen Minuten von selbst verschwindet, besonders wenn man
die Wade frottirt. Häufig ists auch ein Symptom der asiatischen Cholera
und erfordert dann Einreibungen von Liniment, volat. camphorat., Ol. tere-
bintbinae, Bals. vitae Hoffm. etc.
Crapnla, der Rausch, Eingenommenheit des Kopfes, Kopfschmerz
nach einem Rausche.
Crepitatio, das Knarren oder Knirschen bei Knochenbrüchen.
Ist eins der sichersten Zeichen einer Fractur. Man hört dasselbe, während
man das Glied bewegt, und nimmt bei tiefliegenden Brüchen das Stethoskop
20 Hülfe (s. Auscultatio und Fractura). Vergl. auch v. Gräfe' s und
to. WaUher's Journ. f. Chirurgie etc. Bd. VI. Hft. S), S. 544,
Cretlnismus, der Cretinism. Ist ein hoher Grad von Blödsinn,
der bei den Bewohnern feuchter und warmer Gebirgsthäler endemisch ist (s.
Amentia). Cretins sind kleine, verkrüppelte, dickbäuchige Menschen, mit
blassgelbem, aufgedunsenem Gesichte, dicken, wulstigen Lippen, dicker
Zunge, unverständlicher Sprache, mit schwerem, stets herabgesenktem
Haupte , woran die Stirn beinahe ganz fehlt. Sie sind dumm , blödsinnig
und im höchsten Grade selbst ohne Sprache. Wir finden sie am häufigsten
in Mailand, Piemont, in den tiefen Thälem von Wallis, der Lombardei, in
den französischen und julischen Alpen, in Salzburg, der Mongolei, in Tibet,
Sumatra etc. (s, Iphofen, Der Cretinismus, philos. und meSc. untersucht,
1817. Maffei, De Fexismo, specie Cretinismi, 1819). Häufig finden wir
bei solchen Halbmenschen Rhachitis und Malacosis ossium; besonders aber
den Kropf, so dass zwischen Struma und Cretinismus ein Causalnexus statt-
finden soll. Doch zeigt sich jener oft ohne diesen , und wo beide Übel zu-
gleich stattfinden , ist der Kropf Folge eines gehemmten Umtriebes des Blu-
tes in der Carotis und der dadurch bedingten stärkern Congestionen von
Blut nach der Schilddrüse. Nach Richter finden sich Cretins ohne Kröpfe
nur als Ausnahmen, qnd niach Kupls >n Salzburg bestehen dort beide Übel
nicht ohne einander.
32*
500 CRINONES — CRUSTA
CriiioneS} Mitesser, s. Comedones.
Crisis» die Krise. Ist Entscheidung einer Krankheit, so dass es
sich mit dem Kranken bessert, vorzüglich wenn es eine fieberhafte Krank-
heit ist und sogenannte kritische Ausleerungen (durch Schweiss, Urin, Stuhl-
gang, Blutungen etc.) stattfinden (s. Febris). Nicht blos die acuten, auch
die chronischen Krankheiten haben ihre Krisen; nur werden dieselben, da
sie weniger sinnlich vernehmbar sind, oft übersehen. Auch versteht man
unter dem Worte Crisis irgend eine der kritischen Ausleerungen ; s. auch
Morbus. ,
Crocidismus 9 Flockenlesen, s. Carphologia.
Crotaphium, CephalnJf/ia pulsatilis, Sphifi;mocej)halus. Ist ein lästi-
ges Klopfen am Kopfe, besonders in der Schläfengegend, oft mit Schlaflosigi-
keit verbunden , und in der Regel ein Zeichen von Congestion , bei Cophosis
ein Symptom der Cophosis erethistica.
Cruditates ventriculi, Cruditäten im Magen, s. Febris bi^
liosa, gast rica, sab urralis.
Crupsia, Farbensehen, s. Marmorygae.
Crusta impeliginosn , s. Impetigo rubra Celsus.
Crusta inflammnioria, Cr. pleurilica, Eutzündungshaut auf detti
aus der Ader gelassenen Blute. Das sogenannte Entzündungs-
fell oder der speckige Überzug, der sich unter gewissen Umständen auf der
Oberfläche des aus der Ader gelassenen Blutes bildet, ist nicht immer ein
Zeichen von Entzündung. Der Faserstoff des Blutes, vorzugsweise bestimmt
7A\r Unterhaltung der organischen Bildung, scheidet, wenn sich die Crusta
inflammatoria auf dem aus der Ader gelassenen Blute bilden soll, den durch
die Vereinigung des Cruors gebildeten Blutkuchen und das Serum mit dem
darin befindlichen Eiweissstoffe aus, und so entsteht auf der Oberfläche des
erstem die bekannte graue, graugelbliche, speckähnliche Haut, welche zähe,
lederartig luid mehr oder Aveniger dick ist. Auf die stärkere oder schwä-
chere Bildung dieser Speckhaut haben manche Umstände Einfluss , die nicht
von der Mischung des Blutes selbst, sondern von äussern Umständen her-
rühren. Die genauesten Beobachtungen haben Folgendes darüber gelehrt:
Je mehr die atmosphärische Luft auf das aus der Ader gelassene Blut ein-
wirkt, desto weniger erfolgt eine schnelle Trennung des Blutes, und desto
unvollkommner wiid sie. Der ausgebreiteteie Zugajig der Luft bewerkstel-
ligt vielmehr eine schnelle und gleichmässige Gerinnung der ganzen Blut-
masse mit allmäliger Ausscheidung von wenigem Serum. Daher sind fol-
gende Umstände auf die Bildung des Corium phlogisticura von Einfluss:
1) Eine grössere Aderöfifnung und ein starker, rasch ausfliessender Blutstronf
ist der Einwirkung der Luft verhältuissmässig weniger ausgesetzt, als ein
aus einer kleinen Öffnung langsam ausfliessender. Die Gerinnung erfolgt
darum, wie Berndt mit Recht sagt (^RnsVs Handbuch d. Chirurgie, Bd. V.
S. 356), im erstem Falle langsamer, und dieser Zustand begünstigt die ge-
genseitige Anziehung und Consolidirung des Faserstoffes zu der in Red.
stehenden Haut, während im letztern Falle bei der schnellem, gleichmässi-
gen Gerinnung derselbe in dieser Ausscheidung gehemmt und in der Masse
des Cruors gebunden bleibt. 2) Aus demselben Grunde gerinnt das Blut,
wenn es in ein weites Geföss gelassen und mit einer grössern Fläche der
Einwirkung der Luft ausgesetzt wird, weit schneller, und die Ausscheidung
des Faserstoffs erfolgt unvollständiger, als wenn der Blutstrom in einem en-
gen Gefässe aufgefangen wird, welches der Luft eine kleinere Oberfläche
dai'bietet. 3) Auch die Temperatur der Luft ist nicht ohne Einfluss auf das
schnellere Gerinnen des Blutes und die dadurch behinderte Erzeugung der
Crusta inflammatoiia. — Bei dem Antheile, den die besondere Beschaffen-
heit des Blutes selbst an der Erzeugung luid besondern Beschaffenheit der
Speckhaut besitzt, unterscheidet Berndt folgende drei Umstände: 1) das
Blut hat eine Diathesis inflammatoria, d. i. grossen Reichthum an Faser-
stoff, eine grössere Tendenz zur organischen Bildung, und daher auch zur
CRUSTÄ 501
Bildung der Crusta inflammatoria, indem der Cruor sich zu einem fester zu-
sammenhängenden Bhitkuchen , der in einer verh.iltnissmässig grossem Menge
Serum schwimmt, vereinigt. Diese Diathese finden wir bei allen echten
Entzündungskrankheiten, aber auch ohne obwaltende Entzündung bei Kin-
dern, Schwangern, Wöchnerinnen und Säufern (^Most). 2) Ein zweiter Um-
stand, der auf die Erzeugung der Crusta inflammatoria einen Einfluss aus-
übt, ist die vorhergegangene grössere Frequenz und eine dabei stattgefnn-
ieae Gleichmässigkeit der Blutbewegung. Die Erfahrung lehrt, dass bei
Gesunden das nach starken Erhitzungen , heftigen Körper - und Gemütlis-
bewegungen, starken Märschen unmittelbar aus der Ader gelassene Blut
leicht eine Crusta inflammatoria erzeugt. Alles , was dagegen die Regol-
mässigkeit und Gleichmässigkeit der Blutcirculation hemmt, vermindert auch
die Bildung der Speckhaut. So z. B. zeigt sie sich bei Pneumonien häufig
beim ersten Aderlass nicht, wohl aber beim zweiten, wo der Kreislauf des
Bluts schon freier geworden ist, als bei dem ersten und zu Anfange der
Krankheit. 3) Ein dritter Umstand, der zwar die Bildung einer Speckhaut
auf dem Blute hin und wieder begünstigt, die Beschaffenheit derselben aber
sehr abändert, ergiebt sich im beginnenden Status putridtts. Hier, wo der
Chemismus, die Biutzersetzung schon in den Adern mehr oder weniger statt-
findet und vorherrscht, consolidirt sich der Faserstoff nicht mehr ganz fest,
und die Speckhaut erscheint daher dünn, breiig, durchsichtig, und schillert
ins Gelbliche und Röthliche oder mit mehreren Farben, und der Cruor und
das Serum scheiden sich höchst unvollständig. Nach allen diesen Umstän-
den ist die Bedeutung der Speckhaut verschieden , und es würde höchst ein-
seitig seyn , von ihrer Gegenwart sogleich auf Entzündung zu schliegsen, da-;
her denn auch der Name Crusta inflammatoria nicht bezeichnend genug iüt.
* Crtista lacica infantum, Achores in facie, Lnctuminn, Tinea fncici
Franl; Porrii/o larvnlis Willan, Milchborke, Milchschorf, Ansprung,
Preis am. Ist, wie die Tinea, ein herpetisches Exanthem, gehört zum
Herpes crustaceus , und steht der Tinea capitis am nächsten. Dieser lang-
wierige Ausschlag entsteht nur auf dem unbehaarten Theile des Kopfes,
vorzüglich auf den Wangen, am Kinn, verbreitet sich später auf die Stirn,
schleicht oft in die Augen, erregt dann recht bösartige Ophthalmien (Ophthal-
mia impetiginosa ) , weit seltener in die Mundhöhle, ergreift | häufig zuerst
nur eine Hälfte des Gesichts und beföllt fast allein nur Kinder zwischen dem
ersten und sechsten Lebensjahre. Zeichen und Diagnose. Zuerst ent-
stehen kleine Pusteln von der Grösse eines Stecknadelkopfs bis zu der einer
Linse. Diese bersten, geben eine klebrige Feuchtigkeit von sich; nach ei-
niger Zeit laufen sie zusammen, bilden dann gelblich, wie verbrannte Milch
aussehende Borken , die dicker sind als die Borken bei der Variola und dem
Pemphigus , einen grossen Umfang einnehmen , dann und wann abfallen, und
worunter die Haut roth aussieht. In dieser bemerkt man kleine runde Lö-
cherchen, woraus Lymphe hervorquillt, die sich dann wieder durch das
Oxygen der Luft verdickt und neue Borken bildet. Gewöhnlich juckt der
Ausschlag sehr; daher sich manche Kinder selbst blutig kratzen, in seitnern
Fällen ist kein Schmerz , kein Jucken da , die Kinder sind wohl und fett-
leibig dabei, und erst späterhin, wenn das Übel viele Monate gewährt hat,
magern sie etwas ab. Ursachen. 1) Das Übel ist oft erblich; entsteht
oft, wenn die stillende Mutter oder Amme früher scrophulös oder venerisch
war. Ammen , die in ihrer Jugend an Crusta lactea litten, theilen sie durch
die Milch dem Säuglinge mit. Man kann dies den Ammen ansehen, indem
auf den Wangen etwas Glattes, Glänzendes, Sanftes, Wolliges und beim
Rothwerden, z. B. bei der Schamröthe , etwas Buntscheckiges bemerkt wird,
2) Kinder, die die Milch einer alten Amme trinken, in seitnern Fällen einer
solchen Amme, die schon wieder menstruirt worden ist, die den Coitus zu
häufig übt, bekommen leicht das Übel. 3) Desgleichen wenn stillende Per-
sonen viel geistige Getränke trinken. 4) Alles, was Atrophie und Scrophdn
begünstigt, erregt auch leicht den Milchschorf, z. B. Unreiiilichkeit der
Wohnung und Kleidung, grobe Kost bei aufgefutterten Kindern, Säure der
502 CRUSTA
Digestionsorganc etc. 6) Das kindliche Alter disponirt wegen der vorherr"
sehenden Congestion zum Kopfe ebenso zu Crusta lactea, wie zu Hydroce-
phaluä etc., und es scheint in manchen Fällen, als wenn die Natur den
Milchschorf zur Verhütung schlimmerer Kopfübel oft hervorbringt (M. ).
Prognose und Cur. Das Übel ist gar nicht gefährlich, aber sehr be-
schwerlich und oft sehr langwierig, in seltnem fällen hält es selbst etwas
Periodisches, so dass es bald zu-, bald abnimmt {Feiler, Meissner}; zuwei-
len scheint es mit zunehmendem Monde zu-, mit abnehmendem abzuneh-
men (3f.); dabei hat es fast immer etwas Ansteckendes, so dass es von ei-
nem Kinde aufs andere übertragen werden kann (^Mcissner , M. ). 1) Man
erforsche die Ursachen und hebe sie. Daher schaffe man bei schlechter Am-
menmilch die Amme ab, gebe gegen Säuren Absorbentia, rathc Reinlichkeit,
gesunde Nahrung an etc. Man achte auf Scropheln Ist die Anlage zu die-
sen da , so gebe man Merc. dulc. mit Sulph. aurat., Aethiops antimonialis etc.
Diese Mittel haben mir überhaupt bei Crusta lactea stets das Meiste gelei-
stet. 2) Als Specificum hat man Herba jaceae tricolor. empfohlen (SfnrcA),
dreimal täglich 10 — 15 Gran in Substanz, mit Milch und Zwieback einge-
rührt, oder täglich 3j in Milch gekocht. Dieses Mittel wird zwar allgemein
gegeben , aber in vielen Fällen leistet es gar nichts ( Capuron , WnlUch^
Vf'edekind , Jahn, Himhj, 3/.), selbst nicht in folgender Verbindung, die
Jahn empfiehlt : I^ Herh. jaceae , Sacch, lactis ana 5jjj y Flor, sulphur.^
Magnes. carhon. ana 5(v. M. f. p. S. Viermal täglich Yi — 1 Theelöffel voll.
Hier fand ich sehr wirksam: T^ Aeih^ antimonial. gr. |^ — gr. j, Oc»/. can-
cror. gr. iv, Magnes. carhon. gr. jjj, Rhei Qricntal. gr. jj, Liqiiir. coctac 9j.
M. f. p. disp. dos. xjj, wovon 1 — 2jährigen Kindern dreimal täglich zuerst
V,, später ein ganzes Pulver in Milch gegeben wird. In einem Falle half
B'olgendes: I^ Uerh. jaceae, Sacch. lactis ana 3jjj» Magnes, alh. 5<>> Tsnct.
stilphur. ^jj, Sulph. mit. anrati gr. iv. M. f. p. S. Viermal täglich % Theelöffel
voll (M). Sind die Kinder noc^ an der Brust, so verordne ich der Mutter,
wenn die Ursache auch nicht an der Milch liegt, dennoch absorbirende Mit-
tel und eine strenge Diät (s. Cacogalactia), oft auch Roborantia: Quas-
sia, China. Überhaupt ist eine strenge Diät der Mutter und des Kindes
eine Hauptsache, und sie leistet in hartnäckigen Fällen oft mehr als Arzneien.
S) Viele Ärzte haben auch äussere Mittel empfohlen. Hahnemann heilte
die Milchborke ohne alle innere Mittel, blos durch Schwefel vvasser: R; Ucp.
sulphur. calcar. 5jj» solve in Decoct. rnd. nllhaeac 51V. M. S. Äusserlich
(Tf^cndt). Da häufig die Krankheit etwas Kritisches ist, um die übermässige
Congestion zum Kopfe zu massigen (s. Constitutio i nfantilis), so sey
man mit äusserlichen Mitteln vorsichtig. Gebraucht man aber zugleich in-
nerliche Mittel, z. B. Mercurialia, Antimonialia, so kann man sie, nur nicht
Zink und Blei , dreist anwenden , und man muss sie anwenden , will man
anders die locale Hautdesorganisation, die in chronischen Fällen rein örtlich
das Übel unterhält, heben. Hier passen theils solche Mittel, die den schäd-
lichen Einfluss der Luft abhalten, z. B. Ol. nuc. jugland. , theils austrock-
nende Mittel, besonders bei recht nässender Milchborke, z. B. Aq. calci«,
Decoct. herbae jaceae, Solut. hepat. sulphur., Calcariae oxymuriat., Decoct.
sem. lini in Milch mit Aq. calcis zu gleichen Theilcn , zuletzt , wenn der
Ausschlag schon von selbst trocken wird, Unguent. flor. zinci (9j zu jix
Ungt. pomad.), selbst Merc. praec. alb. ^j in 5J Axung. porci. Aber ohne
den Innern Gebrauch der Antimonialia und Mercurialia sind diese Mittel ge-
fährlich. Allgemeine Seifen- und Schwefelbäder unterstützen die Cur unge-
mein (s. Balneum). Sitzt der Ausschlag dicht am Auge, so ist, um die-
ses zu schützen, eine schwache Sublimatauflösung (gr. j in Aq. destill. 5VJ)
am besten {Himly). Auch eine Salbe aus Merc. praec. alb., Flor, zinci ana ^j.
Axung. porci Sjjj, ist oft sehr wirksam. Desgleichen folgendes Wasser, mit
Compressen überschlagen: I^f Flor, zinci 5j? solve in Aq. rosar. gvj. M. (M.).
Doch giebt es Fälle, wo weder fettige , noch wässerige Mittel passen. Hier
hilft oft noch dieses: Rr Amijgdalar. dulc. cxcnrtic. ^jv» A(piae rosar. q. s. ul fuit
cmuls.^v], oxi admisc.Ti7i£t. Icnzocsöih Aq.htmgaric.^i]\. M. S. VVaschwasscr.
L. A. Most.
CRYMODES — CYANOSIS 503
OrjMfrt hictca puerperanan ^ Mllchschorf der Kiadbettertmien , s. Febris
puerperarum.
* Crusta scrpiginosa , pr««ri|/i«os» , die fressende Borke nach Wich-
mnnn. Ist nach WicJimnnn eine Complication von Crusta lactea und Herpes
venereus. Diagnose. Die Pusteln sind sehr klein, wie bei Herpes milia-
ris, nässen stark, machen die Haut roth, zeigen sich zuerst vorn am Ohre,
auf der Wange, in der Nähe der Parotis, schleichen hinter das Ohr, zur
Stirn, die Borken hinterlassen keine Narben, sind dunkler und kleiner als
bei Crusta lactea, der Ausschlag juckt stark, verbreitet sich schnell auch
auf die Augenlider, nimmt selbst den behaarten Theil des Kopfes ein, des-
gleichen späterhin selbst den Rücken, die Lenden, die Glieder, wo er oft
noch weilt, wenn er im Gesichte schon verschwunden ist. Ehe der Aus-
schlag erscheint , zeigt sich die Wange oft schon geraume Zeit vorher heiss,
roth, glänzend; dagegen ist die Haut bei Crusta lactea vorher schilferig,
schmuzig, ähnlich der Furfura Willani (^Sachse'). Das Übel ist sehr hart-
näckig, kann Jahre lang währen, die Drüsen in der Achselgrube und Lei-
stengegend schwellen dabei oft an (^Atitcnrieth^, es bilden sich kleine Ab-
Bcesse, und zuletzt stirbt das Kind an Abzehrung nnd Febr. hectica. Ur-
sachen. Vorzüglich Syphilis: Gonorrhoea, Fluor albus oder Scabies der
Altern (^Autenrieth , Wichmnnn). Cur. Innerlich Mercurialia, Antimonialia,
vorzüglich Aethiops antimonialis, daneben Thee von Herb, jaceae, Stipit.
dulc. und Lignum guajaci, Spec. lignorum, später Infus, rad. caryophyllat
5vj, Tinct. rhei aquos, Elix. viscer. Hoffm. ana 3jj) 5 — 4mal täglich y, — 1
Essloffel voll. Äusserlich passen allgemeine Seifen-, Schwefel-, später aro-
matische, Lohe - und Stahlbäder. Neben den innerlichen Mitteln wende man
äusserlich Sublimatsolution mit Tinct. opü, Unguent. ophthalm. Richteri u.
dcrgl. an. L. A. Most.
Crymoilcs (Fetm). Ist, nach Acthts, ein Fieber mit anhaltendem
Froste, eine Febris algida, z. B. bei heftiger Lungenentzündung; s. Pneu-
m 0 n i a.
Cryinodynia, der kalte [Gliederiluss , a. Rheumatismus chro-
nicus frigidus.
Crypsorchis, CryptorcTiis , Testicondus. Ist an Mann mit verbor-
genen , im Unterleibe zurückgebliebenen Hoden.
Crystallitis, s. Lentitis.
Curatio, die Cur, Heilung einer Krankheit, s. Modela.
Cxiraüo diastaticay s. Galvanismus.
Citratio Jiomoeopathica , s. Homoeopathia.
Curntio mayneiica , s. Magnetismus.
Ctvraüo sympnthetica , g. Galvanismns.
* Cyanosis » Coerulosis , Cyanopathia , Morbus coeruleus , die blaue
Krankheit, die Biausucht, Kyanose. Ist dasjenige Übel, bei wel-
chem die Hautfarbe des ganzen Körpers, besonders aber der mit dünner
Oberhaut versehenen Theile stets mehr oder weniger blau ist, und welches
auf mangelhafter Entkohlung des Blutes in den Lungen wegen fehlerhafter
Beschaffenheit des Herzens oder der aus demselben entspringenden Gefässe
beruhet. Die blaue Farbe hängt von gehinderter Oxygenisation und Circu-
lation des Blutes durch die Langen, oder von unterbrochenem Rückflüsse
des Blutes nach dem Herzen und daher rührender Überfüllung der Venen
(übermässige Venosität, Cachexia venosa) her. Eine blaue Hautfarbe kommt
zwar bei vielen Krankheiten vor, doch ist sie bei keiner so constant, als
hier, z. B. bei den Lungenkrankheiten, bei Pneumonie, Hydrops pectoris,
Vomica pulmonum, Asthma, Chlorosis n. s. f. Die Blausucht hat als pa-
thognomonisches Zeichen die erwähnte blaue Hautfarbe in Verbin-
dung mit solchen Symptomen , die auf ein stattfindendes Herzleiden deuten.
Die blaue Farbe nimmt vorzuglich die Wangen, Augenlider, Lippen, Zunge,
die innere Seite der Glieder, die Finger- und Zehenspitzen einj sie ver-
504 CYANOSIS
schwindet zuweilen schnell, kommt aber ebenso schnell wieder zum Vor-
schein. Der Habitus der Blausüchtigen ist : schlanker Wuchs , auffallend
lange Arme, die letzten Finger- und Zehenglieder haben eine kolbige Form,
die Hauttemperatur ist vermindert, die Kranken sind sehr frostig, \erdriess-
lich, haben eine leidende Physiognomie, fühlen sich leicht ermüdet, klagen
periodisch über Mangel an Luft, obgleich sie frei, tief und ohne Schmerzen
athmen können. Nach und nach wird der Luftmangel stärker, dabei perio-
dische Angst, Dyspnoe, Orthopnoe, welche Zufälle besonders nach heftigen
Körperbewegungen, sowie in den Entwickelungsperioden der Dentition und
Pubertät schlimmer werden und dann Erstickungsgefahr drohen , wobei das
Anstemmen der Glieder und die Bauchlage etwas erleichtern. Der Puls und
Herzschlag sind unregelmässig , klein , aussetzend , und oft die Bewegung
des Herzens sehr stürmisch. Oft gesellen sich Convulsionen, Ohnmächten,
Scheintod hinzu, worauf entweder schneller Tod folgt, oder die Krankheit
endet allmälig durch überhandnehmende Kachexie und Wassersucht. Die
Anfälle kehren nach unbestimmten Zwischenräumen wieder, dauern V4 — V2
Stunde, während derselben ist die blaue Farbe am auffallendsten. Bei ge-
linder Temperatur und im Sommer befinden sich die Kranken besser als im
Winter. Die Esslust ist ausser den Anfallen wenig gestört, die Stuhlaus-
leerung in der Regel träge; zuweilen findet sich ein katarrhalischer Husten
ein , der das Übel sehr verschlimmert. Häufig leiden die Kranken an Blu-
tungen, oft während, oft ausser den Anfällen, wobei schwarzes Blut, meist
mit Erleichterung, aus Nase, Lunge, Mund, Ohren, Mastdarm ausgeleert
wird. Selbst das arterielle Blut zeigt eine venöse, aufgelöste Beschaffen-
heit. Die Verhinderung der Decarboiiisation des Blutes in den Lungen wird
veranlasst, indem der Eintritt des venösen Blutes in letztere beeinträchtigt
ist, z. B. durch Obliteration der Lungenarterie, durch Verkleinerung des
rechten Herzens, oder indem eine Vermischung des arteriellen Blutes mit
dem venösen stattfindet (durch Offenbleiben oder Wiederöffnung des Fora-
men ovale , oder des Ductus arteriös. Botalli , oder dadurch , dass das Herz
nur aus einer Höhle besteht [s. Maurnn in Philadelph. Journal Bd. XIV.
S. 253.] , oder durch Zerstörung der Valveln) ; oder endlich , indem Miss-
bildungen zugegen sind, z. B. es entspringt die Aorta aus beiden Ventrikeln
zugleich , oder die Lungenarterie entspringt da , Wo die Aorta gewöhnlich
ihren Ursprung nimmt , und umgekehrt. Welche von diesen Veranlassungen
vorhanden ist , dieses ist bei Lebzeiten des Kranken schwer zu ermitteln.
Gewöhnlich sind die der Kyanose zum Grunde liegenden Herzfehler ange-
boren; daher ist das Übel vorzüglich eine Kinderkrankheit, die häufig in
den ersten Lebenswochen, oft schon in den ersten Lebenstagen tödtet. Zu-
weilen entsteht die Blausucht aber erst später, und dann erscheint die blaue
Farbe des Gesichts allmälig , verschwindet periodisch , kehrt wieder und
bleibt endlich constant. Aber auch hier tödtet die Krankheit, meistens ge-
gen das elfte und dreizehnte Lebensjahr oder beim Eintritt der Mannbarkeit.
Auch in spätem Jahren kann die Blausucht in Folge von Carditis, Eiterung
der Scheidewand oder der Valveln des Herzens , oder durch Verhärtung,
Verknöcherung dieser Theile entstehen und dann um so eher tödten. Man
hat aber auch Durchlöcherungen des Septum cordis beobachtet, die weder
Blausucht, noch sonstige Zufälle veranlassten (s. Crampton in Transact. of
the Assoc. of Fellows etc. in Ii-eland Vol. V. Salzb. med. chir. Zeitung.
1828. Nr. 16). Cur. Ist nur palliativ (? M.). Man lässt die Kranken
eich sehr ruhig verhalten, warme, aber nicht enge Kleider tragen, bei war-
mer Witterung spazieren fahren oder tragen , häufig warme Bäder nehmen,
überhaupt sich oft dem Einflüsse nicht übermässiger Wärme aussetzen. Da-
bei passt eine reizlose vegetabilische oder Milchdiät, zuweilen ein kühlendes
Laxans , desgleichen , wenn der Kranke nicht sciion zu schwach ist , kleine
Blntentziehungen , bei Kindern durch Blutegel am Halse, bei Erwachsenen
Aderlässe am Arme. Zur Verhütung der Anfälle dient vorzüglich die Digi-
talis in grösseren, aber söltenen Gaben, und zwar hat sich mir das Oyy-
sacchar. digitalis wirksamer bewiesen, als das Pulver, das Extract oder die
CYANOSIS 505
Tiiictur. Die früher oft erwähnte Transfusion des Blutes, sowie das Ein-
athmen von Sauerstoffgas sind mit Recht vergessen. Auch der Galvanismas
ist vorgeschlagen worden , man rieth den positiven Pol auf ein blossgelegtes
Gefass zu appliciren ; schwerlich wird von dieser Anwendungsart etwas zu
erwarten seyn , eher vielleicht vom elektrischen Hauche. In schweren An-
fällen sind örtliche und allgemeine Blutentziehungen, Reiben des ganzen Kör-
pers mit erwärmtem Flanell , milde ausleerende Klystiere und kühlende Ab-
führungen von Sal Glauberi, Sal Seignette, welche durch Wirkuivg auf die
Leber der übermässigen Carbonisation entgegenwirken, höchst nothwendige
Mittel. Von den Antispasmodicis ist keine Linderung zu erwarten, und oft
sind sie sehr nachtheilig (^Corvisnri). Auch hat man empfohlen , die Kinder
oft und anhaltend schreien zu lassen, damit das Blut mehr nach den Lun-
gen hin und vom Duct. artei'ios. Botalli abgeleitet werde, und letzterer sich
verschliesse ( HufclancVs Journ. 1826. St. 5. Novbr. ). Die in spätem Zeit-
räumen entstandenen Wasseransammlungen weichen am besten der Digitalis;
aber auch Squilla und andere Diuretica sind passend. In der Regel ver-
schwinden diese Wassersuchten bald, kehren aber auch leicht weder zurück.
Leiden kleine Kinder, Säuglinge, an Blausucht, so nehmen sie ungern die
Brust, weil sie beim Trinken derselben leicht Erstickungszufälle bekommen.
Es ist daher gut, sie künstlich zu ernähren, am besten mit der Mutter-
milch. Johann Schröder.
Nachschrift des Herausgebers. Obgleich die Blausucht in den
meisten Fällen ein angebornes Übel und Folge verhinderter Verschliessung
des Foramen ovale ist , so sind die Fälle , wo sich letzteres erst in spätem
Jahren wieder öffnete, nicht ganz selten (s. Corvisart, Essais sur les mala-
dies et les lesions organiques du coeur etc. Paris, 1816. p. 272. Richernnd,
Elem. de physiologie. Paris, 1807. T. I. p. 292). Die bei der Section häu-
fig gefundenen Verengerungen der Art. pulmonalis sind meist erst Folge des
Offenbleibens des Duct. arteriös, und des Foramen ovale (Nasse, Burns,
vgl. ReiVs Archiv Bd. X. St. 1.), also nicht angeboren, sondern ein Vitium
acquisitum. Ist die Lvmgenarterie normal, so entsteht selbst bei offenem
Foramen ovale keine Blausucht (^Meclcel, Handbuch der pathol. Anatomie
Th. I. S. 426.), und es giebt wiederum Blausüchtige, bei denen das Fora-
men ovale nicht offen ist. So fand es Kneip (Harless, Rheinisch- westphäi.
Jahrbücher, Bd. IV. St. 1.) geschlossen, dagegen das Septum ventriculorum
so fehlerhaft gestellt, dass es die Aorta in zwei gleiche Hälften theilte, so
dfss diese ebenso viel venöses als arteriöses Blut aufnahm. Etwas Ähnliches
fand auch J. Dorsey (The New -England Journ. of Medicine and Surgery,
etc. Vol. I.); ja Dittmer {Hufeland^s Journ. 1826. Novbr.) behauptet wol
etwas übertrieben, dass man unter zehn Fällen von Blausucht neunmal den
Duct. arteriös. Botalli und nur einmal das Foramen ovale offen finde. Fol-
gende Bemerkungen füge ich noch hinzu : 1) Die Kyanose ist , Gott Lob l
eine seltene Krankheit und ich selbst habe nur elf Fälle der Art bis jetzt
beobachtet. In fünf Fällen waren die Kranken zwischen zehn und zwanzig
Jahre alt ; sie alle hatten eine mürrische Physiognomie , waren sehr gleich-
gültig, Freude und Leid wirkte wenig auf sie, und fast alle hatten sehr be-
schränkte Geisteskräfte. Keiner dieser Kranken konnte heftige Bewegung
und reizende Dinge, die den Blutunilauf beschleunigen, vertragen. Daher
glaube ich auch, dass sowol der Galvanismus, als die Elektricität für diese
Krankheit als ein reizendes Mittel mehr schadet als nützt. 2) Es giebt auch
eine Blausucht ohne alle Herzfehler, wie dieses Sectionen bewiesen haben.
Ein robustes neunzehnjähriges Mädchen litt an Menstruationsbeschwerden,
in Folge deren stellten sich Dyspnoe , seltenes , beschwerliches Urinlasseii
und blaue Farbe des Gesichts, der Lippen, Zunge, Arme und Nägel ein.
Ein Aderlass und achttägiger Gebrauch des Eiix. acid. Hall, milderten die
Beschwerden, der Gebrauch der Tinct. aromat. acida mit Tinct. opii crocat.,
nebst warmen Fussbädern stellten die Menstruation wieder her und machten
die blaue Farbe gänzlich verschwinden (s. Müller in Harless Jahrbüchern.
1826. Bd. XII. St. 3.). Meckel behandelte ein Mädchen von 21 Jahren,
506 CYANOSIS
welches dufcl» Erkältung der Fflsse in kaltem Wasser während der Menses
ein Asthma bekam, wobei die Hände schwollen und die Oberfläche des Kör-
per» ganz blau wurde. Bei der Section fand man ein gesundes Herz, aber
verwachsene Lungen. In einem andern Falle beobachtete Meckel gleichfalls
nach Menstruatio suppressa Blausucht, und nachdem drei Jahre später die
Kranke verstorben war, zeigte die Section gleichfalls ein gesundes Herz
und stark verwachsene Lungen. Ich habe Personen, die an habitueller
Pleuresie, an habitueller Gesichtsrose Jahre lang litten, beobachtet und
periodisch an ihnen eine förmliche Blausucht bemerkt, die Aderlässen und
Purganzen aus Sal Glauberi mit Infus, laxativ. wich. In zwei Fällen star-
ben diese Subjecte an Catarrhus suffocativus , der plötzlich zu der mit Ader-
lässen behandelten Pneumonie und Pleuropneumonie hinzukam. Die Section
zeigte durchaus keine Abnormitäten im Herzen, wohl aber Verwachsung der
Lungen und drei rechte Lungenlappen. In einem Falle von Phthisis pulmo-
nalis exulcerata bei einem jungen Bergmanne war die Venosität so über-
wiegend, dass Gesicht und Hände ganz blau aussahen. Dieser Zustand
dauerte ein halbes Jahr. Die Section zeigte ein gesundes Herz, aber höchst
ungesunde, mit Tuberkeln und Vomicis versehene, hepatisirte Lungen. Die
Complication der Lungenschwindsucht mit Blausucht (Pneumophthisis cyano-
tica) ist zwar selten, aber sie trübt die an sich schon ungünstige Prognose
dadurch nur noch mehr. Dieses Übel entwickelt sich vorzüglich in der Pu-
bertät und nimmt einen raschen Verlauf. Einen Fall der Art hat Dr. llrhan
{Hufelan(Vs Journ. 1827. St. 2. S. 100) beschrieben. Er empfiehlt mit Recht
bei solchen Personen eine prophylaktische Cur, um sie über die Pubertäts-
jahre, die die meiste Gefahr geben, hinauszuführen, und zwar a) durch Be-
schränkung des arteriellen Blutumlaufs im Körper überhaupt; b) durch Er-
satz der Lungenfunction in anderen Organen des Körpers mittels Erregung
der Thätigkeit der Nerven durch Digitalis, der Leber durch Kalomel und
kühlende Purgirsalze, und der Haut durch lauwarme, namentlich mit oxyge-
nirter Salzsäure geschwängerte Bäder; c) durch Abhaltung aller auf die
Lungen wirkenden schädlichen Potenzen. 3) Die Blausucht ist bekanntlich
eine chronische, fieberlose Krankheit mit Gegenwart einer Dyscrasia venosa.
Aber es giebt auch eine Blausucht mit Fieber, worauf besonders Gölis auf-
merksam gemacht hat, und welche auch ich dreimal beobachtet habe (s.
Hufela/nd''s Journal. 1825. April). Dieses Übel, das blaue BMeber, Fchris
caerulea Gölis, befällt vorzüglich Kinder von vier Monaten bis zu Ende
de« ersten Jahres , besonders Kinder armer Altern, die in Unreinlichkeit u »-l
bei schlechter Kost leben müssen. Es zeigt sich nach Gölis periodisch, die
Kinder respiriren ängstlich, haben einen kleinen, harten, krampfliaften Puls,
werden auf der ganzen Oberfläche des Körpers blau, und solche Anfälle
wiederholen sich bis zum erfolgenden Tode öfter. Die Section zeigt die
Blutgefässe vom Blute strotzend. Gölis hält dieses Übel, die Fieberbewe-
gungen ausgenommen, für einen Krampfanfall, giebt daher im Paroxysmiis
Antispasraodica: Liq. c. c. succ. in einem schleimigen Vehikel, laue Kali-
bäder, ausser den Anfällen Merc. dulc, Rheum, Magnesia. Die Fälle, wel-
che ich beobachtet habe, fanden bei Kindern statt, welche sehr schwach
organisirt waren , eine schwache Brust hatten , mit . grober Kost verfüttert
waren. Zwei Kinder, von resp. fünf und elf Monaten bekamen im Anfalle
Moschus, später Magnes., Rheum, Chinin, sulphur. und wurden dadurch ge-
heilt, eins von neun Monaten starb den Erstickungstod. Die Section zeigte
keine Abnormitäten, weder am Herzen, noch an den Lungen, sondern nur
von dunklem Blute strotzende Blutgefässe. Nach meiner Ansicht verdient
das Übel nicht blaues Fieber genannt zu werden, sondern es ist ein niede-
rer Grad vom Krampffisthma der Säuglinge (s. Asthma spasticum la-
ctcntiumWigandi), ein reiner Krampf, der oft nur V4 Stunde dauert.
Oft hat dieses Krampfübel Vorboten. Sie bestehen darin , dass das Kind
des Nachts im Schlafe zuweilen ungewöhnlich heftig aufschreit und bald an
Diarrhöe mit grünen Stöhlen, bald an Verstopfung leidet (3f.). 4) Es soll
auch einen Schweiss bei Kindern geben, wobei die Haut ein blaues Ansehn
CYANOSIS 507
gewinnt nnd gleichsam durchscheinend erschdtit. Dieser Zustand ßoU von
dem englischen Schwitzfieber (s. Anglicus sudor) ^-erschieden seyn und
ein^n mehr chronischen Verlauf machen. Man hat dagegen einen AuCguss
von China mit Milch innerlich , und äusserlich Einreibungen in die Haut von
Öl. amygdal. dulc. verordnet (s. Meissner^s Kinderkrankheiten. 18^8. Th, X,
S. SSI). Doch es fehlt sowol in Betreif des Sudor coeruleus, als der Eebris
cyanea noch an hinreichenden Beobachtungen. 5) Was die Behandlung der
wahren Blausucht, d. i. desjenigen Übels betrifft, wo der Duct. arter; Bo-
talli, das Foramen ovale etc. offen geblieben sind, «o ist diese nach' dem
gegenwärtigen Standpunkte unsers Wissens eine dreifache: eine prophy-
laktische, eine radicale und eine palliative. Meissner a. a. O. S, Siö
sagt: „In Betreff der prophylaktischen Behandlung können wir uns blos
auf Schweitjhänser's Ansicht berufen , welcher binne« fünf Jahren drei starke
und gesunde Kinder von einer Mutter gebären, aber alle nach zwei Tagen
an Blausucht sterben sah. Schweighätiser glaubt, dass sich die Natur in diesen
Fällen mehr mit der Bildung der äussern Theile beschäftigt, und schliesst
daraus, dass sich durch öftere Blutentziehungen der Mutter während der
Schwangerschaft , diirch starke Körperbewegung und eine besondere Diät
diesem Zufalle möchte vorbeugen lassen. " Man kann wenigstens den Ver-
such machen. Ich kenne eine Frau von gesundem Ansehn, wohlbeleibt, mit
vieler Gesichtsröthe, welche schon achtmal gesunde Kinder geboren hat, die
aber alle in den ersten Tagen nach der Geburt starben. Diese Frau bat
mich wegen dieser unglücklichen Fälle bei ihrer neunten Schwangerschaft
um Rath. Zugleich erfuhr ich, dass sie seit vielen Jahren an chronischer
Diarrhöe leide, welche nur durch grosse Dosen Opium auf kurze Zeit ge-
fitopft werden könne; sie befinde sich aber wohler bei der Diarrhöe, und
gebrauche daher nichts dagegen. Ich verordnete im siebenten Monate der
Schwangerschaft einen Aderlass und bestimmte, dass man mir, sobald die
gewöhnlich leichte Geburt erfolgt sey, Nachricht ertheilen möchte. Es
wurde zur rechten Zeit ein gesundes, etwas mageres Mädchen geboren.
Am vierten Tage des Wochenbettes bemerkte ich, dass das Kuid zuweilen
ängstlich aufschrie und dabei im Gesichte blau wurde, auch die Augen ver-
drehte und den Mund verzog. Es wurden Antispasmodica gereicht, und der
Zufall verschwand. Nach acht Wochen kehrte er mit grosser Heftigkeit zu-
rück und das Kind erstickte, ehe ich noch zur Hülfe herbeieilen konnte.
Die Section zeigte ein geschlossenes Foramen ovale, aber der Ductus arter.
Botalli war offen geblieben. Von den acht Kindern , die diese Frau gebo-
ren und thcils selbst gestillt, theils durch Ammen hat stillen lassen, hat
keins ein solches Alter von neun Wochen erreicht; die meisten starben in
der ersten Lebenswoche; dabei ist zu bemerken, dass die in der Schwan-
gerschaft angewandte Venaesection die erste war, der sich die Person unter-
zogen hat. Was die Radicalcur der Blausucht betrifft, so hat vor l'/a Jah-
ren Dr. Dittmer (s. Froriep^s Notizen 1827. Nr. 12.) dazu den ersten Vor-
schlag gcthan, der alle Aufmerksamkeit verdient. Nach ihm ist die gründ-
liche Heilung nur dann unmöglich , wenn das Foramen ovale offen ist, nicht
aber, was häufiger stattfinden soll, wenn nur der Ductus arteriosus allein
offen geblieben ist. Da man dies aber im Leben nicht unterscheiden kann,
so behandelt er alle blausüchtige Kinder auf folgende Weise. Er lässt ihnen
2 — 3 Tage lang wenig Ruhe, erlaubt ihnen keinen langen Schlaf und räth
an, sie dadurch oft im Schreien zu unterhalten, desgleichen durch öfteres
Entziehen der Mutterbrust. Dies soll bewirken , dass alles Blut der rechten
Herzkammer nach den Lungen hingeleitet wird, dass dadurch die Lungen-
gefässe sich allmälig erweitern und die Lunge zu ihrer Function geeigneter
wird. Dies sey das beste Mittel, den Botallischen Gang zu contrahiren,
indem während des Andrangs nach den Lungen ihm kein venöses Blut mehr
zufliesscn kann. In fünf Fällen will Dittmer den günstigen Erfolg dieses
Verfahrens beobachtet haben. In Betreff der schon oben angegebenen Pal-
Hativcur muss ich noch bemerken, dass mir kleine Aderlässe während der
Anfälle, reizende Fussbäder, Waschen der Brust und des Kopfes mit Essig
SÖ8 , CYESIOGNOSIS — CYPHOSIS
und Wasser, und innerlich EUx. acid. Halleri am meisten geleistet habenw
Verhütet werden die Anfälle durch Digitalis, durch kühlende Purganzen,'
Sal Glauberi und durch öftere Bäder, worein 2 — 3 Unzen Acid. oxyniuriat.
(für kleine Kinder) gegossen werden. Für Erwachsene kann man zu jedem
Bade 3VJ dieser Säure mischen. '
CYCSiognosis 9 Erkenntniss der Schwangerschaft, s. Graviditas.'
Cyesiolog^ia, die Lehre von der Schwangerschaft (Cj/cäis).
Ist, die Geburtslehre (^Tocoloijin^ mit eingeschlossen, der theoretische und
physiologische Theil der Entbindungskunst; s. Exploratio obstetricia,
Graviditas und Partus.
Cyllosis. Ist Lähmung wegen Verbiegung der Glieder, verbunden
mit watschelndem Gange.
Cynanche, Bräune, s. Angina.
Cynanche phnryn(/ca, s. Angina pharyngea.
Cynanche maligna, s. Angina gangraenosa.
Cynanche maxillaris, s. Inflammatio parotidis.
Cynanche thyreoidea, s. Angina thyreoidea.
Cynanche tonsillaris, s. Angina tonsillaris.
Cynanche trachealis infantum, s. Angina membranacea.
Cynanche trachealis spasmodica, s. Asthma Millari.
CynolySSA, die Hundswuth, bei Einigen auch der Tollwurm, die
Marchettischen Bläschen unter der Zunge; s. Hydrophobia.
Cynorexia, Cynorexis, Fames hvpina, canina, Wolfshunger,
Hundshunger. Ist ein krankhafter Appetit, wobei das Genossene wegea
Mangel an Digestionskraft unverdauet wieder ausgeworfen wird; s. Appe-r
titus morbosus und Dyspepsia.
CyoplioriA» die Schwangerschaft, die Dauer der Schwangerschaft,
s. Exploratio obstetricia und Graviditas.
Cyotocia, das Gebären, s. Partus und Dolores ad partum.
Cyotrophia, die Kyotrophie. Ist das Ernähren der Leibesfrucht
durch den mütterlichen Leib mittels des Nabelstranges und des Fruchtwassers.
Cyplioina, der Buckel, Höcker auf dem Rücken, s. Cyphosis.
*Cyphosis, Gibhositas, Gihherositas , Bildung eines Höckers,
Buckels (Cyphoma, Gibber, Gibbus). Jede widernatürliche Krümmung
der Wirbelbeine, des Brustbeins, der Rippen, des Schulterblatts kann man
im weitern Sinne Kyphose nennen. Im engern Sinne verstehen wir darunter
eine widernatürliche Krümmung nach hinten, und bezeichnen die Krümmung
nach vorn mit dem Namen Lordosis, die zur Seite mit der Benennung
Scoliosis. Die letztern beiden Arten sind nicht so häufig, als die Kyphose.
Ursachen dieser Verkrümmungen. In den meisten Fällen sind sie schon
dem Fötus im Mutterleibe eigen und ebenso , wie Caput obstipum , Talipe-
des, Vari, Valgi angeboren (s. Meissner^s Forschungen des löten Jahrhun-
derts etc. Th. III. S. 337); oft hängen sie von krankhafter Bildung des Ge-
hirns und Rückenmarks ab , wozu eine falsche Lage des Kindes und der
Missbrauch der Schnürbrüstc in der Schwangerschaft mit beitragen. Häufig
ist auch eine schwere Geburt Schuld , wo heftige Contractionen des Uterus
auf das falsch liegende oder in ungewöhnlicher Stellung sich befindende
Kind wirken, wodurch die Knochenbänder der einen Seite durch heftige
Ausdehnung so geschwächt werden , dass die Ligamente und Muskeln der
entgegengesetzten Seite das Übergewicht bekommen, Acquirirt werden die
Verkrümmungen, besonders im Kindesalter, durch jede äussere Gewalt aufs
Rückgrat und dessen Bänder ; auch Krämpfe, Krankheitsmetastasen , Anhäu-
fung von serösen, wässerigen Feuchtigkeiten nahe an den Wirbelbeinen luid
in der Wirbelsäule, Myelitis, Rhachitis, desgleichen Alles, was die Muskeln
und Bänder des Rückgrats auf einer oder der andern Seite schwächt oder
die Zwischenbänder der Wirbel drückt, hohes Alter (Gibbositas senilis)
CYRTOMA — CYSTAEMORBHOIDES 509
können veranlassende Ursachen der Verkrümmungen werden. Die Folgen,
dieser meist so hartnäckigen Übel wirken oft aufs ganze Leben. Sie sind
ausser der Unförmlichkeit des Körpers sehr verschieden, begünstigen Husten,
Habitus apoplecticus , Schlagtluss , Dyspnoe , Blutspeien , Hektik , Asthma,
Wassersucht, bei Frauen schwere Geburten wegen eines engen und verun-
stalteten Beckens , zuweilen Abmagerung wegen abnormen Laufes des Duct.
thoracicus , Lähmung der untern Extremitäten , Lähmung der Harnblase,
Brust Wassersucht ; Scoliosis erregt leicht Leberfehler, Nierenkrankheiten etc. ;
dodh giebt es auch einzelne Fälle von Verkrümmungen des Rückgrats iu
hohem Grade, wo die Menschen sich anscheinend gesund befinden und an
keinen der genannten Beschwerden leiden. Cur. Es kommt hier viel dar-
auf an, das Übel bei Zeiten zu entdecken, ehe es bedeutend geworden ist.
Man vergleiche deswegen die beiden Schultern mit einander. Man findet
bei genauer Untersuchung dann oft schon früh eine Ungleichheit ders,elben,
so dass das eine Schulterblatt höher als das andere steht, und w«in man
mit den Fingern auf die Processus spinosi der Wirbelsäule herunterstreicht,
findet man zuweilen schon die beginnende Krümmung. Die Heihmg ist stets
langwierig, dauert oft Jahre, ist um so schwieriger, je spitziger der Buckel,
je später er im schon vorgerückten Altec entstand, je grösser 'und in die
Augen fallender das Übel und je älter das Subject ist. Die vorzüglichste
Aufmerksamkeit muss bei der Cur auf die Gelegenheitsursacheri g'erichtet
werden. Diese durch zweckmässige innere Mittel und durch gute Diät zu
entfernen, bleibt die erste Indication. Um äusserlich auf mechäriiä^che Weise
der Verkrümmung zu begegnen , bedient man sich verschiedener Baiidageri,
Streckmaschinen, künstlich eingerichteter Betten, Schnürbrüste, '\^ovx)n Ab-
bildungen in verschiedenen Schriften vorhanden sind (s. JRicÄter's chirurg.
Bibl. Bd. I. St. 2. S. 60, und Bd. II. St. 2. S. 71. Jiernstein's Bandagen-
lehre. Jörg, Über Verkrümmungen des Körpers).' Gute Maschinert sind
nützlich, theils rim die Theile zu unterstützen, dafsis die- Biegung nicht zu-
nimmt, theils um den Kraiiken zu erinnern, dass er sich gerade hält. Öhrife
Berücksichtigung 'des Ällgemeinleidens durch zweckmässige Mittel schaden
sie aber mehr, als sie nützen. Man behandle daher die Rhachitis, Osteoma-
4acie, Spöndylarthrocace. Aiich der in spatem Jahsen durch MetaStaseh von
Exanthemen, Gicht, dm-ch Knochenerweichung e;itstehende Pott'sohe Buckel
erfordert innere Mittel, und äusserlich besonders Fontanelle, Glüheisen , nni
Caries zu verhüten,' . iPi: :Jfeiherg zu Ctirisüania j;s.- Gersonls uaA^.J^iUus'
Magazin. Hambyipg 1828.; ^uji, Aug. S. 81;]; Keilt die Rückgrat^yerki'ümniunT-
gen schnell und glücklich durch ein prismatisches Glüheisen, wodurch er
einen langen Brändstiiemen aiif der con'caven Seite der Krümmung, also bei
Scoliosis der rechten -Seite an der Wirbelsäule 'hit linken Seite "«ndl umge-
kehrt, hervorbringt. Ist die Krümmung noch nicht bedeutend, so zieht sich
der Rücken schon darnach , gerade , sonst Aviedechflit man das-iVerfahvöa alle
5— r,8 Tage,, selbst ,6— 78 Mal, und zieht gleich; hinterher deii Krankep,
Ausser der Zeit muss der Kranke horizontal auf R,osshaarpoJLstern - liegejgi.
Die Brandstriemen werden mit eineiq in Öl getränkten Läppchen verbunden.
Dieses Mittel verdient alle Aufmerksamkeit, ind^m fteilerg dadjircli Krankp
heilte, die aus der sonst berühmten ortjiopädischei), .Anstalt ä,ek I>r. JjeiilJiQff'
}n Lübeck ungeheilt' wieder entlassen worden waren. Ein Mehreres über
Verkrümmungen unji über :diese und ähnliche Anstalten in Deutschland und
Frankreich, in denen die Orthopädie charlatai]inässig und al3 Geldspecula-
iion getrieben wird, qhnedjss Theorie und ]^rfa,h|rung für di,e neue Streck-
methode sprächen, findet ipan in folgender Sphrjft^ LacÄrtis«,. Physiol. Ab-
handl. über die Verkrümmung der .\yi^|^elsa9je. .,A)is,-d. Franz. von Siebei^r
haaf. jLeipz. 1S%9. Most% ,„.,_ ..;.•.!;.: .'lii-i ■,>-■' .äi., . J' J^'.ß^'Jircn^. ,,/,
' Cfrtomtt gCyrtqsis,, Cyrtotcs. Öedenteft i') 4inen Hocker (ä. Cypho-
•^1*); ü) jede begi'enzte Geschwülst,' BenleV'äas' begrenzt« Emphysem ^c.
Cystaeinorrhqidcs , Cifstidaemorrhqidcs, die BlaseiihJimoiT'hoidep,
». Haemorrhoides vesicae urinariae.
510 CYSTALGIA — CYSTORRHEXIS
Cystalg^fa, Hafnblaßengchmerz. Ist Symptom verschiedener
Krankheiten der Harnblase.
Cystanastropbef Umkehrung der Harnblase, b. Inversio vesl-
cao urinariae.
' Cystauchenotomfa, der Blasenhalsschnitt, eine Art des
Steinschnittes . s. Lithotomia.
CystbitiSy Entzündung der Vagina und der äussern weiblichen Scham-
theile, s. Infiamraatio vaginae et labiorura vulvae.
Cysticercus cellulosae» der Blasenschwanz, die Finne.
I«t ein in einer Kapsel eingeschlossener, bei Menschen im Zellgewebe, auch
im Gehirne vorkommender Blasenwurm, der von der Hydatide noch ver-
echieden ist (Ärcmser, Über lebende Würmer etc. 1819. 4. S. 235).
Cystidelcosis y ein Harnblasengeschwür, &. Inflammatio und
UJcus vesicae urinariae.
CystidepatQlitbiasis, die Gallcnsteinkrankheit, s. Lithiafliip
Vn4 Colica consensualis. ,1
Cysttrrbag'ia, s. Haematuria vesicalis.
CystitlSy Entzündung der Harnblase, s. Inflammatio vesicae
iirlnariae.
,, • Cystoblennorrboea, Cystocatarrhusj Blasenkatarrh, s. Blennor-
Iflioea vesicae urinariae.
! Cystocele» Blasenbruch, 6. Hernia resicalia..
Cystocele hiliosa, s. Hydrops vesicae felleaej: -!■ ' »i
.;. CystolitbiasiSj die Harnbla^enstelnkrankhelt, 8. Xlthiasis.
i:v CystOMCUS, Harnblasengeschwulst, Anschwellung und Ver-
^ckpng der Blasenhäute als Folge chronischer Blennorrhöen oder ßlasen-
steiae, s. Blennorrboea vesicae, Cystostenocboria und Li-
thiasis,
'■•''■ Cystoparalysis» Cystoplegta ^ Harnblasenlähmung, & Inco.nti-
hentia urinae, Paralysis vesicae urinariae» Ischuria para-
iytica. ' ■ .
CystopbtbfsiSy Cystophthoe ^ Harnblasenschwindsucht, Aus-
zehrung durch Vereiterung der Harnblase, s. Phthisis vesicae. '
." 1 " Cyst Optosis » Harnblasenvorfall , s. Prolapsusvesicae.
.oi> : Cystorrliagia , Blutung aus der Harnblase, s. Haemorrhagia
fiVicae. , ;
'' • Cystort*bexl8 , Zerreissung der Harnblase. Kann bei sehr
Schweren Geburten aus Unkenntniss des Geburtshelfers , indem er die Blase
beim Zangenanlegen mit zwischen die Zange fasst , erfolgen , desgleichen
durch raechaidsche Verletzungen. Die Folgen sind heftige Schmerzen, Con-
vnlsioneh, Cystitis, unwilllcürlieher Abgang des Urins am ungewöhnlichen
Orte, -mangelnder .\bgang auf dem gewöhnlichen Wege. Cur. Strenge
"Ruhe, zweckmässige Lage, wodurch wo möglich die Wundränder vereinigt
t>leiben, Aderlässe, Blutegel, innerlich Ölemulsionen, Aqua laurocerasi und
strenge antiphlogistische Diät, Sorge für Leibesöffnung durch milde eröff-
nende , ölige iClystiere , für den Abfluss des Urins auf dem gewöhnlichen
Wege. Man bringt deshalb einen gewöhnlichen Katheder von Gummi ela-
gticum, 8 Linien im Durchmesser, in die Harnröhre, welcher Katheter mit
einem eine Linie Durchmesser haltenden angefeuchteten baumwollenen Dochte
inwendig versehen ist. Auf solche Weise fliesst der Harn allmälig und un-
unterbrochen ab , und dfis Eindringen der Luft in die Blase wird verhütet.
Segalas, der dieses Verfahren vorschlägt (s. Archives g^n^rales de M^decine.
T. XTI. Novbr. 1826), versichert, dass so binnen 24 Stunden oft 4 — 7
Finten Urin abfliessen. '
CYSTORRHOEA — CYSTOSPASMUS 511
Cystorrlioea. 60 nennen Einige die Harnruhr, Andere die BlennoB-
rhoea vesicae, noch Andere die Haemorrhagia vesicae (s. diese Artikel).
Cystosomatotomia, der Blasenkörperschnitt. Jtst, ^e die
Cystauciienotomia , eine Art des Bla^enschnitts zur Entfernung d<^ Steine,
s, Lithotomia und Llthiasis.
. Cystospasiuus, Ischuria fpasmodka, 4sr Blasenkrampf, die
krampfhafte Dysurie und Ischurie. Ist jede mit Schmerzen ver-
bundene abnorme , bald nur Minuten dauernde , bald Tage lang anhaltende
Contraction der Harnblase , die meist etwas Symptomatisches , selten, ein
primäres , idiopathisches Übel ist , in der Regel plötzlich befällt und etwas
Periodisches hat. Symptome. Das Hauptsymptom ist hier beschwerliches
oder ganz verhindertes Urinlassen , heftiger Schmerz in der Blase -, beson-
ders im Blasenhalse. Ausserdem erkennt man das Übel aus dem spastischen
Habitus des Kranken und aus den anamnestischen Zeichen» den, ursächlichen
Momenten. Der Krampf ist hier abhängig 1) vop einer rein dynamisch er-
höhten Reizbarkeit der Harnblase, besonders ihres Schliessn^ysJ^els ; 4?tker
diese Art der Urinverhältung häufig bei KindcrA in der D^i)titipns.pe;fiode,
bei Hysterischen, im Typhus versatUis, nach üBermässigem Cfoitus, nach
überstandenen Trippern vorkommt, oder 2) scharfe, reizende,,, vorzugsweise
iaufs Harnsystem einwirkende Substanzen: SqniUa, Colcliieujn, besonder^
aber Känthariden sind Ursache ; 3) organische Fehler der Bl^se und ilurer
Nachbarschaft, Indurationen, Scirrhen, GeschwürCj, Prolapsus orificii vesicae,
Hernia vesicalis, Krankheiten des Uterus , der • Ovarien , der iProstata , des
Mastdarms etc. erregen den Blasenkrampf; 4) fiuch der Reiz von Gries,
Sand, Steinen kann die Veranlassung seyn. Cur. Ist nach defl Ü;;sachea
verschieden. 1) Ist reiner Krampf da, dann die allgemeinen Antispasmor
dica; besonders wirksam sind hier Pulv. Doweri, Opium jnit Magnesia und
Gumm. arabicum (doch passt das Opium nicht b^i kleinen Kinderfi und ia
der Zahnperiode) , äusserlich Einreibungen ins Perifiaeum und in den Unter-
leib von Linim. volat. camph. , Ol. hyoscyami apa §], Laudan. liquid, Syd.
3jj. M. S. Recht warm einzureiben. Desgleichen warme aromatische und
narkotische Bähungen auf die Blasengegend, laue Bäder, Klystijere von In-
fus, vajer. mit Asa fuetida ynd Opium i^s. Clysima antispasmodicum).
Je heftiger der Krampf ist, desto mehr ist aucl> die Harnröhre krampfhaft
zusammengezogen, die Ürinsecretion völlig gehindert, der Schmerz unerträgr
lieh, und bei immer mehr ^ich ausdehnender Blase fürchterli^jh,.. Oft hilft
hier noch ein kleiner Aderläss , Blutegel ans Perinaeum, ein laues Bad und
gleich hinterher die Applicatiori eines kleinen Katheters von Gummi elast.,
der mit folgender Salbe, welche schnelle Ersch}aftung bewirkt, bestrichen
worden: R? AforphU acetici gr. j^, Axwuj. porci 3j (s. Lnllemand in Froriep^g
Notizen, 1827. Nr. 31). 2) Sind organische Fehler Ursache, sq giebt man
bis zur Hebung des Krampfes zuerst auch die .genannten Antispasmodica,
erforscht aber nachher, worin der Fehler besteht, verordnet gegen Scirrho-r
sitäten Cicuta , Digitalis , Belladonna , Mercurialia , .^timouialia , zmn Ein»
reiben Unguent. mercuriale. Rührt der Blasenkrampf von scharfen Diure-
ticis, besonders vom Missbrauche der Känthariden her, so wirken grosse
Ilpsen Kampher in Emulsion mit Aqua chamoiaülaÄ. und Eigelb am. besten
dagegen; sind Blasensteine Schuld, so geben wir stickstoffige, zersetzende
Mittel : Sapo medicat. , Aq. calcis , Magnesia , Lapid. cancrorum. Hier hebt
folgendes Mittel, welches auch im rein nervösen oder durch Erkältung ent-
standenen Blasenki-ampfe gute Dienst« thut, oft schnell den Krampf: ^• Sa!,
tart. depur., Exir. rutae ana 3jjj , Aq. melissae, — chnmomill., — valerianae
ana gjjfj, Spirit. sah dulc. 3Jlt M. S. Stündlich 1 Esslöffel voll mit Cha-
nälenthee (itf.)» ""d daneben die oben erwähntet Einreibungen von flüch-
tiger Kamphersalbe, Ol. hyoscyami infus, und Laudanum liq. Sydenhanx«.
3) Rührt das Übel von Erkältung her, so passen Diaphoretica,' besonders
Pulv. Doweri; sind ungegohrne Getränke Schuld, so reiche man Absorben-
tien, sind anomale Hämorrhoiden Ursache, so leistet ein Pulvef aus Crerai
512 CYSTOSTENOCHORIA — DACRYADENALGIA
tartarl, Schwefel und Magnesia gute Dienste. — Einige Arzte habea.. auch
den Krampf der Gallenblase (Spasmus cystidis felleae), der besonders von
eingeklemmten Gallensteinen herrührt, Cystospnsmus genannt; doch gebraucht
man diese Benennung fast durchgehends für den Harnblasenkrampf (s. die
Artikel Cardialgia, Colica consensualis, Colica hepatica- und
Spasmus).
Cystostenochoria, Verengerung der Harnblase durch Zu-
sammenziehung und besonders durch Verdickung der Häute. Die Al-
tern nannten diese Krankheit unrichtig oft Scirrhus, Scirrhositas vesicae,
Neuere Induratio, Ccassitudo, Callositas vesicae urinariae, Ischuria callosa,
Physconia vesicalis. Die vorzüglichsten Ursachen dieses langwierigen, oft
unheilbaren Übels sind : chronische Blennörrhöen der Blase , Harnsteine,
Scjrrhositäten, verschiedene Dyskrasien , und besonders Syphilis, Arthritis.
Die Krankheit entsteht daher nie plötzlich, nie bei vorher ganz gesundep
"Menschen , sondern die Anamnese zeigt , dass stets andere Nieren - und
Barhbeschwerden , Blasenkatarrhe, Retentio und Incontinentia urinae vor-
hergingen und periodisch die Krankheiten begleiten. Häufig leiden, solche
Personen daran, die in Baccho, besonders aber in Venere ausgeschweift
haben, die dadurch das Systema genitale et uropoeticum bedeutend schwäch-
ten , und Stimulantia, Diuretica und Aphrodisiaca gebrauchten , um sich zum
Geschlechtstriebe zu reizen. Nicht selten ist das Übel auch mit Fehlern,
Scirrhositäten des Mastdarms, der Prostata j mit Blasenhämorrhoiden , Poly-
■pen , mit Kitankheiten der Samenbläschen complicirt. Die Section zeigt
die Häute der Harnblase sehr verdickt, oft von der Stärke eines Pfeifea-
stiels, welche Verdickung' tnitunter ursprünglich in einer pathologischen Vei:-
'änderung der Schleimnaut der Harnblase ihren Grund findet; daher denn
auch die Cystitis zuweÜen das Übel zur Folge hat. In einzelnen Fällen
■findet man eine enorme Entwickelüng der Zotten der Blasenschleimhaut in
Gestalt dner Puderquaste und eine eigenthümiiche Ausdehnung der Schleim-
haut und Entwickelüng des Unterschleimhautzellstoffes, verbunden mit einer
Art wn Hydatidenbildung (s. Louis, Über pathologische Veränderung der
Schleimhaut der Harnblase , njitgetheilt in Heusmger^s Zeitschrift für organi-
sche Physik, 1827. Bd; I. Hft. 5). Zur Diagnose dient: Gefühl von
Druck , Schwere in. der Blase, die selbst äusserlich als harter Körper,
worin keine Urinfluctuätiort wahrgenommen wird, fühlbar ist, Narkosis der
Schenkel, selbst Lähmung derselben, Incontinentia urinae, welche Zeichen
im höchsten Grade des Übels nie fehlen , wozu sich auch noch Verwach-
sungen der Blase mit dem Rectum und Beschwerden beim Stuhlgange, fort-
währendes Zittern der Schenkel gesellen (s. v. Sömmerrini/ , Über die Krank-
heiten der Harnblase etc. 1809). Cur. In den meisten Fällen richten wir,
wenn anders das Übel schon einen hohen Grad erreicht hat, wehig aus.
Wir berücksichtigen die etwa Torhandenen Causalmomente und verordnen
dabei kräftige Resolventia: Antimonialia, Mercurialia, Digitalis, Aqua lauro-
cerasi, Oicuta, Belladonna, Einreibnpgenvo^ Quecksilbersalbe, voii Ünguent.
digital., Elektricität, Bäder etc.'''^'- ,'";', ^J'"
Cyistotomia, Blasenschnitt,;», Lithotomia und Lithiasis.
Cystotrachelotoinia, unpassender Name iur Cys tauch eno-
.,; i .'.: JÄnad .r.i..
Dacryadenalgia , Schmerz, Krankheft der Thräneh-
drüse. Die Krankheiten der Thräneadrüse und ihrer Ausführungswege
suid sehr verschieden. .|Hierher gehören theils Entzündung , Eiterung, Fi-
steln, Hydatiden und Scirrhus. derselben, theils. übermässige Thränenabson-
derung, Atonie des Thränens^cks , Verstoplung -des. NasencanaU etc.} s.
DACRYADENITIS — DACRTOCYSTITIS 513
Inflammatio, Hydatia, Scirrhus, Fistula glandulae lacryma-
lis, Epiphora.
üacryadenitis» Thränendrüsenentzundung, s. Inflammatio glan-
dulae lacrymalii».
Dacryaeinorrliysls» Thränenblutfluss. Entsteht in seltenen
Fällen durch tageianges Weinen, also aus moralischen Ursachen. Cur.
Man hebe die Trauer, den Gram etc. durch Zerstreuung, gute, liebevolle
Vorstellungen , was auch durch die Zeit am besten geschieht , und stärke die
erschlafften Sehorgane durch freie Luft, grüne Farben und kaltes Wasser.
Dacryalloeosis , Ausartung, schlechte Beschaffenheit
der Thränen. Ist jede Abnormität der Thränenfeuchtigkeit , entstanden
durch Beimischung fremdartiger Stoffe: Schleim, Serum, Blut, die nur sel-
ten in der Thränendrüse, am häufigsten zwischen dem Bulbus und den Au-
genlidern den Thränen beigemischt werden. So z. B. mischt sich der Schleim
der letztern oft aus den Cryptis sebaceis der Augenlidränder, aus den Mci-
bom'schen Drüsen, selbst aus der an Blennorrhoe leidenden Conjunctiva bei.
Zuweilen ist die Secretion der Thränenfeuchtigkeit selbst krankhaft, so dass
sie scharfe , reizende Stoffe enthält und eine wahre Lithiasis des Auges ent-
steht. Bei Ophthalmia menstrualis et haemorrhoidalis , bei vicarirenden Blu-
tungen kann die Thränenfeuchtigkeit blutig werden, das sogenannte Blut-
weinen (^Dacrynemorrhijsis) , wo die Thränendrüse selbst oder die Con-
junctiva das Blut hergeben, zumal bei scorbutischer Dyskrasie. Die Cur
ist die des Grundübels.
VacryoMennorrboea» Thränenschleimfluss , s. Epiphora ca-
tarrhalis.
Dacryocystalg^ia, Schmerz im Thränensacke, Krankheit
des Thränensacks. Am häufigsten ist die Entzündung des Thränen-
sacks , die zuweilen nur gering und von katarrhalischem Charakter ist , aber
leicht Atonia sacci lacrymalis, unrichtig Hydrops genannt, hinterlässt, mit-
unter auch zu Thränenfisteln Anlass giebt; 8. Dacryocystitis und Ei-
st ula lacrymali's.
Bacryocyst-'iis, Inflammatio sacci lacrymalis, Entzündung desV
Thränensacks. Symptome sind: Schmerz, Röthe und Geschwulst im
Innern Augenwinkel , oft aufgetriebener Thränensack , meist Trockenheit der
Nase an der leidenden Seite, katarrhalische Zufälle, blennorrhoische und
scrophulöse Constitution. Drückt man den Sack aus, so erregt es Schmerz,
die Thränen gehen dann, wenn man dabei den Thränenpunkt zuhält, durch
die Nase. Cur. Die Entzündung ist gewöhnlich nicht heftig; daher pas-
sen ein Vesicator hinter das Ohr der leidenden Seite, innerlich bei Katar-
rhen Diaphoretica , bei Scropheln Antiscrophulosa , äusserlich erweichende
Dampfbäder in die Nase, und in den entzündeten Thränensack etwas Un-
guent. mercuriale mit Unguent. althaeae eingerieben. Sehr leicht bleibt
Auftreibung des Thränensacks (Atonia sacci lacrymalis) zurück. Dieses Übel
ist oft recht hartnäckig. Es folgt aber nicht blos auf Entzündung des
Sacks, sondern entsteht auch durch viele andere Ursachen. Die Benennun-
gen Hydrops, Prolapsus, Hernia und Fistula lacrymalis, die man diesem
pathologischen Zustande gegeben hat, sind alle unrichtig. Am häufigsten
ist Atonie des Thränensacks, Blennorrhoe desselben zugegen. Cur. Ein
Vesicator im Nacken, und längere Zeit im Fluss erhalten, öfteres Aus-
drücken der im Thränensacke angehäuften Thränen nach unten, indem man
das Punctum lacrymale mit dem Finger zuhält, damit die Thränen durch
den Nasencanal, der sonst leicht obliterirt, gehen, Einreibungen von Un-
guent. mercur. einer., späterhin, um den Thränensack zu stärken, adstrin-
girende Mittel: Decoct. quercus, Salicis, mit Tinct. myrrhae, in hartnäcki-
gen Fällen Öffnung des Ductus nasalis durch die Mejan'sche Sonde, Ein-
spritzungen mittels der Anel'schen Spritze, Erweiterung durch Darmsaiten,
von unten eingebracht; dies sind noch die vorzüglichsten Mittel. Die chvo-
Most EacyUepädie. 2te Aufl. I. 33
51-1 DACRYOCYSTOELENlSfORRHOEA — DASYMA
iilsche Atonie ist sehr schwer grundlich zu heben. Geht der Thränensack
bei heftiger Entzündung in Eiterung über, was aber selten ist, so kann
eine wirkliche Thränentistel entstehen. (S. auch Prolapsus sacci la-
cr ymalis).
Daci'yocystoMennorrhoea , die Blennorrhoe des Thrä-
nensacks. Sie kommt am häufigsten bei scrophulösen , zuweilen auch bei
gichtischen Subjecten vor, ist häufig der Ausgang der katarrhalischen lang-
wierigen Entzündungen des Thränensacks, bei Personen, die oft jahrelang
an wiederholtem Nasenkatarrh , der sich nicht gehörig entwickelte, gelitten,
fast immer einen sogenannten Stockschnupfen haben und einen drückenden
Schmerz in dem einen Innern Augenwinkel empfinden (s. Dacryocysti«
tis und Atonia sacci lacrymalis).
Hacryoma. Ist Thränenfluss wegen Verwachsung derThränen-
punkte. S. Epiphora.
Dacryops, die Thänengeschwulst, Thränensackgeschwulst.
Ist eine dem Hygroma ähnliche Geschwulst im obern Augenlide nach dem
fiussern Augenwinkel zu, welche mit einem Ausführungsgange der Thränen-
drüse in Verbindung steht, und durch eine Verschliessung der Öffnung des
letztern entwickelt wird, indem sich die Wände des Ausfühi'ungsganges über
dieser Atresie zu einer sackartigen Geschwulst erweitern und zugleich eine
dem Sacke der Balggeschwülste ähnliche, eigene Vitalität erhalten (JiiHe/A'f«).
Ursachen sind : heftige , in Eiterung übergegangene Dacryocystitis , me-
chanische Verletzungen in der Nähe der Thränendrüse , welche Atresie der
Offnungen der Ductus excretorii zur Folge haben. Die Geschwulst erscheint
rund, erhaben, unschmerzhaft, fluctuirend, ist von der Grösse einer Bohne
bis zu der eines Taubeneies , die äussere Haut derselben ist gesund und
lässt sich auf ihr verschieben ; das Auge ist etwas trockener , als im gesun-
den Zustande , und die Gesch\vulst vergrössert sich augenblicklich , so wie
der Kranke weint. Später wird sie kleiner; das Sehvermögen leidet dabei
nicht, und in dieser Hinsicht ist das Übel gefahrlos. Cur. Radical heilt
man , indem man die Geschwulst so viel als möglich cxstirpirt , den Rest
<lurch ein Cauterium zerstört und durch einen Granulationsprocess die
Schliessung der ganzen Höhle und des Ausführungsganges bewirkt. Man
schält , wo möglich von der obern Conjunctivafalte aus , die Geschwulst
wie einen Tumor cysticus heraus, indem ein Gehülfe das obere Augenlid
stark in die Höhe und vom Bulbus hinwegzieht, worauf sich die Geschwulst
zwischen dem obern Augenlide und dem Augapfel hervordrängt. Misslingt
die Radicalcur und zeigt sich das Übel wieder , so verfährt man später pal-
liativ, indem man sie, sobald sie durch ihre Grösse dem Kranken lästig
wird , mit einer Aderlasslaiizette von der obern Conjunctivafalte aus punctirt,
und so entleert.
Dacryoptosis , s. Dacryocystitis und Prolapsus sacci la-
crymalis.
Dacryorrhysis , s. Epiphora.
Dacryosyrinx, Thränenfistel, s. Fistula lacrymalis.
Dactylitis, Fingerentzündung, s. Panaritium.
Daemonoinania, Wahnsinn, wobei die Kranken von bösen Gei-
slern geplagt zu werden glauben. Psychische Mittel: die Versuche, dem
Kranken richtige Vorstellungen zu verschaffen, helfen hier oft wenig. Äu.s-
sere schmerzerregende Mittel: Pustelsalbe, Vesicatorien , starke Vomitive,
und wenn Neigung zum Selbstmorde da ist, besonders Moschus und Opium
in grossen steigenden Dosen (^Odier, Esquirol^, haben noch das Meiste ge-
leistet; s. Melancholia.
Hasfyina » Dasytes , Verhärtung der Innern Fläche der Au-
genlider. Ist, nach altern Ärzten, Aufwulstung, Verhärtung der Innern
Fläche der Augenlider in Folge von scrophulösen, purulenten, herpetischen
Ophthalmien. Viele Andere nehmen das Wort gleichbedeutend mit Scleria-
DEBILITAS -r DECAPITATIO 515
sis, Trachoraa, Sycosis, Tylosis. Ursachen «indi Ophthalmia neonato-
rum, catarrhalis, gonorrhoica, aegyptiaca, scrophulosa, herpetica. Cur.
Am besten wirken rother oder weisser Präcipität in Salbenform. Ist noch
viel Schmerz zugegen, so wendet man vorher Solut. cupri acetici, sulpho-
rici mit Laudanum an. Ganz verhärtete, entartete Stücke der Conjunctiva
kann man mit dem Messer ausschneiden. Innerlich gebe man die gegen die
vorhandene Dyskrasie gerichteten Mittel, als Antimonialien , Mercurialien,
Cicuta etc.
DeliilitaSf Atoniaf Langmr, Atonie, Schwäche, Mattigkeit, ».
Adynamia.
* üecapitatio e. Amputatio epipJiysium^ Resectio articitlorumf djte
Resection der Gelenkenden, die Abnehmung der Gelenk-
theile der Knochen, die Amputation der Gelenkköpfe. Diese
Operation, welche zu den neuern Fortschritten der Chirurgie gehört, indem
sie zuerst um die Mitte des 18, Jahrhunderts von Vigaroux, David, Tho-
mas, und im J. 1769 von White verrichtet wurde, bezweckt die Entfer-
nung eines krankhaften Theils oder des ganzen Gelenks , um die Amput^
tion des ganzen Gliedes zu verhüten und dasselbe brauchbar zu erhalten.
Sie ist im Allgemeinen indicirt 1) bei complicirten Luxationen, wenn
der luxirte und durch die Haut hervorstehende Gelenkkopf nicht wieder re-
ponirt werden kann; 2) bei Pseudarthrosis, wenn der ausgetretene Gelenk-
kopf auf wichtige Gefässe und Nerven drückt und das Glied unbrauchbar
macht, z. B. bei der Lage des Oberschenkelkopfes auf den Ramns hoiizon-
talis ossis pubis. 3} Bei Ancylosis vera, wenn dadurch das Glied unbrauch-
bar oder hindernd ist, z. B. bei gestrecktem Arm oder gebeugtem Knie.
4) Bei Zerschmetterung der Gelenktheile ohne Zerstörung der
Continuität der Knochen und ohne Verletzung der Hauptnerven. Die Ver-
letzung des Hauptstammes der Arterie ist keine Contraindication , indem
auch complicirte Beinbrüche mit zerrissenen und unterbundenen Arterien-
stämmen heilen. 5) Bei Schuss wunden der Gelenke, wenn die Ku-
gel in einem Gelenkkopfe eingekeilt oder dieser zermalmt, der Körper des
Knochens aber weder zersplittert , noch ein - oder mehrmals seiner Länge
nach herabgcspalten ist. Doch fordert, nach Jäger, diese Indication grosse
Beschränkung, und der Gelenkkopf kann noch oft durch Entfernung der
Kugel erhalten werden. 6) Bei Caries, welche die Grenzen der Gelenk-
theile nicht überschreitet; doch machen die Gelenke der Oberextremität und
der Unterkinnlade davon eine Ausnahme, da man im erstem Falle selbst
einen TheU der Continuität mit Erfolg und Brauchbarkeit des Armes weg-
genooimen hat, und im zweiten Falle die Decapitatipn stets mit der Exci-
sion (Amputation) verbunden ist. 7) Bei Necrosis der Gelenktheile;
8) bei Entartung des: ganzen Gelenks durch Osteosarcom und
Osteosteatom (Spina ventosa , Fungus articuli , Fungus medullaris) , wenn
sie die Grenzen des G«lenks nicht überschreitet, Contraindicirt ist diese,
die Amputation so oft entbehrlich machende Operation: 1) bei Brüchen
unterhalb der Gelenkköpfe, wo noch Callusbildung erfolgt; 2) bei
nicht reponiblen Verrenkungen ohne Hau twunden und fal-
sche Gelenke, welche den, Gebrauch des Gliedes nicht ganz aufheben;
5) bei Zerschmetterungen der Gelenke, wenn sich die Splitter
durch die Kunst- und Naturhülfe leicht entfernen lassen, oder wenn sie mit
Fissuren der Röhrenknochen verbunden sind; 4) bei Caries und sarco-
matösejn Entartungen, welche die Grenzen der Gelenke der untern
Extremitäten überschreiten. Hier ists sicherer, die Amputation zu machen. —
Was die Prognose und Würdigung der Decapitation anbetrifft, so sagt
darüber Professor Jäger in Erlangen (^Rusfs Handb. d. Chirurgie, Bd. V.
S, 570 u. f.) Folgendes: „Gegen keine andere Operation, selbst nicht ge-
gen die wahrhaft fürchterliche Exarticulatio femoris und Exstirpatio uteri,
gegen die schwierige Operation der Scheidenblasenfistel und Gaumennaht etc.
hat man von Seiten der Hand,- und Lehrbücher so viele und schein-
33*
516 DECAPITATIO
bar wichtige BJtnwendungen gemacht, als gegen die Decapitation der Ge-
lenke. Schon Park sucht in seinem Briefe die gegen dieselben zu machen-
den Einwürfe zu beseitigen; doch kaum war seine Schrift erschienen (Lon-
don , 1783) , so trat Lnncelot Haine dagegen auf; die französ. Akademie der
Chirurgie und die medic. Facultät in Paris sind bis auf die neueste Zeit
Feinde derselben. Nicod stellte die Gefahren der Operation zusammen , und
Chntles Bell, Boyer, Richernnd, Sahatier, Pei-cy «md Laurent, Delpech,
Zinuj und Chelius sind im Allgemeinen gegen die Decapitation cariöser Ge-
lenke, mit alleiniger Ausnahme des Oberarmkopfes. Wer aber nur einmal
die des Ellenbogen - oder Kniegelenks hat verrichten sehen, oder selbst ge-
macht und den Verlauf der Heilung beobachtet hat, der ist ganz entgegen-
gesetzter Meinung, und findet Moreau's Angabe der gelinden Zufälle nach
der Operation vollkommen bestätigt, und ich kann versichern, dass jene
meiner klinischen Praktikanten , welche im Verlaufe eines halben Jahres
mehrere Decapitationen grosser Gelenke sahen, bei denselben weniger Be-
sorgnisse für die Ausführung und den Erfolg haben, als für die Heilung
eines grossen Abscesses im Psoas, oder unter den Muse glutaeis, oder zwi-
schen den Schenkelmuskeln." Delpech nennt die Decapitation eine der
schwierigsten Operationen; dies ist aber kein Grund, deshalb die Amputa-
tion vorzuziehen. Einen wesentlichen Unterschied macht die Verschieden-
heit der Operationsmethode, namentlich am Ellenbogen- und Kniegelenke.
In Beziehung auf die Ausübung stellt Jäger folgende Scala auf: Schulter-,
Knie-, Ellenbogen-, Hand-, Fuss-, Hüftgelenk, und sagt mit Recht:
„Die Schwierigkeit der Ausübung ist mehr in der Einbildung, und es ist
die Aufgabe der Operativchirurgie , die noch wirklich bestehende durch Ver-
besserung der Methoden so viel als möglich zu vermindern; nie kann sie
aber einen Grund abgeben, eine das Glied rettende Operation gegen eine
Verstümmelung zurückzusetzen." Die einzelnen Decapitationen, welche von
verschiedenen Wundärzten mit Glück vorgenommen worden sind , sind fol-
gende : 1) Decnpitatio maxillae inferioris , dieAbnehmung des Gelenk-
theils des Unterkiefers. Sie ist schon 1793 von Fischer, 1799 von
Mur6inna, 1820 von Palm, 1821 von v. Gräfe und später von Val. Mott,
von CnsacTt, Dzondi, Withusen, Roh. Liston, Langenheck und A. verrichtet
worden. Man operirt auf folgende Weise: das Gelenk wird nach den Um-
ständen und nach der Grösse des zu entfernenden Knochenstückes btossge-
legt; zuweilen ist ein Querschnitt vom Mundwinkel bis zum Ohre, oder
bis zum Winkel des Unterkiefers hinreichend ; in anderen Fällen bildet ma*i
einen Lappen , dessen Basis durch den Mundwinkel und das Gelenk begrenzt
und in die Höhe geschlagen wird. Bei einer grossen Geschwulst macht
man zwei halbmondförmige Schnitte, von denen der eine von dem unterri
Rande des Unterkiefers über den Ast bis zum Gelenke geht , der andere die
Geschwulst auf der andern Seite umkreist. Die Parotis und der Ductus
Stenonianus erfordern Schonung; die Blutung aus der Arteria maxillaris ex-
terna steht sehr leicht. Der Masseter wird hart am Knochen vom Unter-
kiefer abgeschnitten , und nun die ganze Partie nach oben so weit abgelöst
und umgeschlagen, bis das Gelenk frei liegt. Alsdann wird der Knochen
auf der durchzusägenden Stelle behutsam auf seiner Innern Seite mittels des
Scalpellstieles und des Fingers von den Weichtheilen befreiet, ein Stück
Leder durchgezogen, die Beinhaut, wie bei der Amputation, umschnitten
und der Knochen durchgesägt. Der zu entfernende Knochentheil wird nun
stark nach unten und hinten gedrückt und so der Processus condyloideuÄ
nach vorne luxirt. So trennt man den Musculus temporalis von Processus
coronoideus und dringt vorsichtig ins Gelenk ein. Man fasst nun den frei
gewordenen Gelenkkopf, zieht ihn stark an, befreiet ihn von den darunter
liegenden Weichtheilen und schält ihn ganz aus. Sollte die Arteria maxil-»
laris interna, oder die temporalis verletzt worden seyn, so muss ein Gehülfe
die Carotis sogleich kräftig comprimiren, die Operation beschleunigt und das
blutende Gefäss unterbunden werden; geht dies nicht an, und hat es sich
in die Flcischmasse zurückgezogen , «o muss ein Gehülfe das blutende Ge-
DECAPITATIO S17
ßsß der Gesichtswunde mit den Fingern comprlmlren und dte Carotis unter-
bunden werden. 2) Decapitatio claviculae in extrcmitate stemaU, Abneh-
niung des Schlüsselbeins an seinem Sternaltheile. Diese Ope-
ration ist erst seit wenigen Jahren bekannt , wo sie Davis, Wutzer und Vai.
Mott mit glücklichem Erfolge unternahmen; in Fällen von spontaner Luxa-
tion dieses Theils nach hinten, wo das Schlingen erschwert wurde, ferner
bei Caries des Schlüsselbeins und wegen osteosarcomatöser Auftreibung des-
selben. Das operative Verfahren wird jeder scharfsinnige Wundarzt nach
Umständen und nach Beschaffenheit des Falles einzurichten wissen (C W.
Wutzer, Bericht über die medicinisch - chirurgische Klinik zu Münster, 1825 —
1830. Münster, 1830. 8. Mit 1 Steindr. S. 92. Der Fall von Mott in:
Grosshehn's Operativer Chirurgie, Bd. IL, und Blasitis Akiurgie, Bd. 111.
S. 598. — A. Cooper, Vorlesungen über die Chirurgie. A. d. Engl, von
Tyrrel. Weimar, 1825—28. 8. Bd. III. S. 234). 3) Decapitatio ossis
Irnchii in articulo humcri. Abnehmung des Oberarmkopfs. Man hat
durch diese nützliche Operation, worauf nur selten Ankylose erfolgt, viele
glückliche Heilungen zu Wege gebracht, indem sehr häufig der Knochen-
stumpf sich zu einem, in der Cavitas glenoidalis articulirenden Gelenkkupfe
ambildet; zuweilen auch gegen die Rippen gezogen wird, wo dann ein
neues Gelenk, wie nach Luxationen, entsteht. Nach White und Orred hat
sich selbst der ganz ausgeschnittene Gelenkkopf regenerirt. Bei der Ent-
blössung des Gelenks ist es nothwendig , dass letzteres gehörig frei werde,
und dass der durch die Schnitte entstehende Fleischlappen nicht absterbe.
Das beste Verfahren ist das von Roux und Bayer; man macht hiernach vom
obern Ende der Schulter zwei oben 2 bis S'/i Zoll auseinanderstehende, par-
allel laufende, 5 Zoll lange Schnitte, und verbindet ihre untern Enden
durch einen Querschnitt. Eine passende Form des Lappens ist auch die
Gestalt des V (Snbatier) durch zwei 5 bis 6 Zoll lange, oben 2 bis 1% Zoll
auseinanderstehende , an den Rändern des Musculus deltoideus hinlaufende
Schnitte. — Dieser (obere , äussere) Lappen wird nun vom Knochen abge-
löst und nach oben geschlagen. Die blutenden Gefässe werden sogleich un-
terbunden. Langenheck empfiehlt für diesen Schnitt die Form des T , Brom-
field die umgekehrte (jl). Verwerflich ist der viereckige Lappen von Bent,
dessen Basis hinten (durch zwei parallele horizontale Schnitte, durch deren
vordere Enden ein verticaler Schnitt geht, gebildet), und der von Morcau,
dessen Basis unten liegt (durch zwei verticale Schnitte und einen horizon- ,
talen durch ihre obern Enden gebildet) ; denn beide Lappen sterben leicht
ab. — Jetzt beugt man den Unterarm , um die Muskeln zu erschlaffen , und
drückt den Ellenbogen stark an die Brust und nach oben, wodurch der
Oberarmkopf nach oben und aussen tritt. In dieser Stellung durchschneidet
man die Gelenkkapsel und die Sehnen und Bänder auf der äussern Seite,
geht mit den Fingern der linken Hand in die Gelenkhöhle, zieht den Kopf
hervor und trennt alsdann , die Schneide des Messers stets hart am Knochen
und mit gehöriger Rücksicht auf die Nerven und grossen Gefässe, auf der
innem Seite des Knochens die Kapsel, die Bänder etc. bis zur durchzusä-
genden Stelle ab. Um die Entzündung der Gelenkkapsel zu vermeiden,
schneidet man so viel von letzterer als möglich ist weg. Man umschneidet
zur Trennung der Beinhaut den Knochen auf der Sägestelle, sichert die
darunter liegenden Weichtheile durch ein untergeschobenes Stück Leder vor
der Säge, und durchsägt nun den Knochen, während der Ellenbogen fort-
während stark gegen die Brust gedrückt und fixirt, der Oberarmkopf aber
von der freien Hand des Operateurs stark angezogen und gehalten wird.
Nach vollkommener Blutstillung wird der Knochen der Gelenkfläche genä-,
hert, die Wunde geschlossen und ganz einfach verbunden. Zwischen Arm
und Brust schiebt man ein Polster und verbindet das Ganze, wie Desault
bei Fractura claviculae (Itisfrnnc in Arch, gen6r. de med. T. IL p. 47, sur
la resection de l'extremit^ sup^rieure de l'humerus. — Textor, im Neuen
Chiron, Bd. I, St. 3, S. 385 — 398, über das Absägen des obern Endes des
Humerus). 4) DecapiiiUio ossium in articulo cvhUi , Abnehinung des Ge-
518 DECAPITATIO
lenkkopfeA Im Ellcnbogengelenke. Den besten Erfolg Terspricht
diese Operation, wenn nur das Oberarmbein decapitirt wird. Erstreckt
sich die Operation auch auf die Knochen des Unterarmes, so richtet sich
die Prognose darnach , ob die Insertion des Musculus biceps am Radius und
die des Musculus brachialis internus an der UIna geschont werden können
oder nicht. Diese Schonung ist möglich, wenn nur Olecranon und Capitu-
lum radii entfernt werden ; können aber jene Insertionen nicht erhalten wer-
den, so ist die Prognose allerdings ziemlich ungünstig und daher wird die
Operation in diesem Falle von Langenheck ganz verworfen. In den andern
Fällen erlangen Hand und Vorderarm in der Regel wieder einen ziemlich
bedeutenden Grad von Beweglichkeit und Kraft. Bei der Blosslegung des
Gelenkes ist besonders wichtig zu erinnern, dass der Nervus ulnaris, durch
dessen Verletzung der kleine Finger steif wird , am Innern Rande des Ober-
arms herabläuft und am EMenbogengelenke zwschen dem Condylus internus
humeri und dem Olecranon, allein von der Haut und der Fascia antibrachii
bedeckt, liegt. Die Bildung eines viereckigen obern Lappens , die allerdings
für die Decapitation des Oberarmbeines und auch allenfalls für die Absä-
gung des Olecranons hinreicht , führt den Übelstand mit sich , dass , wenn
die weitere Decapitation der Knochen des Unterarms gleichfalls nöthig er-
scheint, die Längenschnitte abwärts verlängert werden müssen und im Gan-
zen ein Schnitt in Form des H {Crampton, Moreau, Dupui/tren u. A.), mit-
hin ein oberer und ein unterer Lappen entsteht , von denen der letztere
leicht abstirbt. Es scheint daher am zweckmässigsten , bei halbgebeugtem
Unterarme mit einem Quersclinitte hart über der Spitze des Olecranon zu
beginnen, wodurch die Sehne des Musculus triceps zerschnitten wird. Jetzt
untersucht man genau den Zustand der Knochen , und zeigt sich , dass ein
obei-er -xaereckiger Lappen für die nöthige Decapitation nicht hinreicht, so
kreuzt man den ersten Schnitt auf dem Olecranon durch einen zweiten,
4 Zoll langen Längenschnitt (^Parli^ ; ist es aber nicht nöthig, den Knochen
nach unten blosszulegen, so bildet man nun einen viereckigen obern Lap-
pen, indem man in die Enden des Querschnittes am äussern und Innern
Condylus von oben zwei 2 bis 2% Zoll lange Längenschnitte am äussern
und Innern Rande des Oberarmbeines fallen lässt. Nachdem die Lappen ge-
hörig vom Knochen abgetrennt und zurückgeschlagen worden sind , wodurch
die hintere Seite der Knochen frei wird, umgehe man das Oberarmbein auf
der Sägestelle und mache es (sich so viel als möglich des Scalpellstieles und
des Fingers bedienend) auch auf seiner vordem Seite von den Weichtheilen
los , sichere diese durch einen unter den Knochen geschobenen Spatel oder
Riemen, durchschneide die Beinhaut und verrichte die Absägung. Dann
wird das abgesägte Knochenstück von allen Weichtheilen befreiet und end-
lich aus seinem Gelenke mit dem Unterarme getrennt. Jetzt wird der Ra-
dius von der Ulna getrennt , von den Weichtheilen so weit als nötliig be-
freit und abgesägt, wobei besondere Rücksicht auf Sicherung der zwischen
beiden Vorderarmknochen liegenden Fleischmasse durch Zurückziehung der-
selben mittels Compressen' genommen werden muss. Den Schluss der Ope-
ration macht nöthigenfalls dife Decapitation der Ulna , bei welcher wie bei
dem Radius verfahren wird. Nach geschehenem Verbände wird der Arm
massig flectirt und auf ein Polster gelagert. 5) Decn^itatio ossium in arli-
culo manm , Abnehmung der Gelenkköpfe im Handgelenke (Ra-
dii et Ulnae). Diese Operation wird von den meisten Chirurgen (z. B.
LangenhecJc , Znng) ganz verworfen, da es fast unmöglich scheint, sie ohne
Verletzung bedeutender Arterien auszuführen. Doch nahm, nach Orrcd
(Philos. Transact. Vol. 69), ein Wundarzt schon 1797 vom untern Ende
der Ulna 3 Zoll ab, ohne dass die Bewegung der Hand dadurch gestört
wurde, und Moreau decapitirte das untere Ende des Radius bei einer Näii-
terin, die später wieder mit dieser Hand nähen konnte. — Übrigens zeigt
die anatomische Behandlung der Knochen , dass die Decapitation der Ulna
im Handgelenke leichter ist und bessern Erfolg verspricht, als die des Ra-
dius. Die Operation scheint am zweckmässigsten auf die von Jäger ange-
DECAPITATIO 519
gebene Weise Verrichtet zu werden: Man macht auf dem Siissern Rande des
nadius einen Längenschnitt bis zum Gelenke ; von dem untern am Gelenke
liegenden Winkel dieses Schnittes auf der Dorsalfläche der Hand einen
Querschnitt , ungeßhr über ein Drittheil der Breite des Gelenkes , so dass
das in der Mitte des Handrückens liegende Sehnenbündel unberührt bleibt,
präparirt diesen dreieckigen Lappen los , zieht das Sehnenbündel mit dem
stumpfen Haken zur Seite und behandelt dann den Knochen wie schon
mehrmals beschrieben, indem man nach Umständen den Radius entweder
erst durchsägt und dann luxirt, oder die Trennung des Gelenkes der Absä-
gung vorhergehen lässt. Die Decapitation der Ulna geschieht ganz auf die-
selbe Weise, so dass, wenn auch beide Knochen decapitirt sind, das Seh-
nenbündel auf der Dorsalfläche doch unverletzt und mit einer Hautbrücke
bedeckt bleibt. Jetzt untersucht man genau den Zustand des Carpus und
nimmt dessen etwa kranke Knochen mit der Knochenzange hinweg. Ge-
fasse, Nerven und Sehnen müssen während der ganzen Operation auf das
sorgfältigste geschont werden, und es dürfte daher nicht ungerathen seyn,
die Hautschnitte mittels Bildung von Hautfalten zu machen. 6) üecapitnlio
ossium metacarpi et phalangum digilonim , Abnehmung der Gelenk-
köpfe der Mittelhand und Finger. Wardrop schnitt das Os meta-
carpi des Mittelfingers dicht unter dem Handwurzelgelenke mittels einer
Trephine, an welcher zwei Di-itttheile der Krone gänzlich fehlten, durch
nnd löste es so aus , dass der Finger , wenn gleich verkürzt , so doch er-
halten wurde. Mit Ausnahme des Daumens , als des unentbehrlichsten Kör-
pertheils der Hand , ist diese Operation selten empfohlen und selten ausge-
führt worden. Die Operation anlangend, so wird ein Längenschnitt über
die Streckseite des Gelenkes immer zur Entblössung des Knochens genügen,
dessen Absägung nichts Bemerkenswerthes darbietet. 7) Decapitatio ossis
feinoris in articulo coxae. Abnehmung des Gelenkkopfes des Ober-
schenkels. Park schlug diese Operation vor , welche darauf von Vcr-
mandois, Wächter, Köhler und Chaussier an Thicren versucht worden ist.
Am lebenden Menschen ist sie eigentlich noch nie unternommen. Schmalz
nahm nur den cariösen durch die Natur selbst abgestossenen Kopf des Kno-
chens mittels eines Längenschnittes heraus , worauf der Trochanter major
ein neues Gelenk bildete Kluge soll die Operation im vierten Stadium der
Coxarthrocace unternommen haben und der Kranke nach zwei Tagen ge-
storben seyn. Die Meisten schlagen für die Operation einen Längenschnitt
von 5 bis 6 Zoll an der äussern Seite des Schenkels über den grossen Tro-
chanter vor, wobei stumpfe Haken zum Auseinanderhalten der Wundränder
sehr thätig seyn müssten. Roux und Percy wollen einen viereckigen nach
oben zu schlagenden, Jäger dagegen einen dreieckigen Lappen bilden, in-
dem er aus dem obern Ende des so eben beschriebenen Längenschnittes ei-
nen zweiten von 4 Zoll Länge nach hinten und unten führt. Dann wird
der Schenkelkopf durch Einwärtsbengungen des Knies luxirt , völlig gelöst
und der Hals auf untergelegtem Spatel oder Riemen durchsägt. Cariöse
Stellen der Pfanne wären mit dem Brenneisen zu berühren. 8) Decapitatio
ossium in articulo gcmt. Abnehmung des Gelenkkopfes im Knie-
gelenk. Parle machte sie zuerst und nach ihm die meisten derjenigen
Operateure , die überhaupt Decapitationen unternommen haben. ParVs Me-
thode scheint sehr zweckmässig. Er machte bei gestrecktem Knie einen
Kreuzschnitt, so dass der Längenschnitt S Zoll über der Kniescheibe begann
und 2 Zoll unter ihr endete, der Querschnitt dicht über der Kniescheibe
fast einen Halbkreis um das Gelenk beschrieb. Nach Lösung der Lappen
wurde die Kniescheibe ausgeschnitten, ein schmales Messer mit gehöriger
"Vorsicht dicht über den Kondylen des Schenkelbeines an dessen hinterer
Seite durchgeführt, an die Stelle des Messers ein elastischer Spatel ge-
schoben und der Knochen durchsägt. Das Knochenstück wurde jetzt sorg-
fältig ausgeschält, die Tibia mit Iieichtigkeit herausgedrückt und abgesägt,
vom Kapselligamente so viel als möglich entfernt und nur dessen huiterer,
die Gefäsae bedeckender Theil zurückgelassen. Mulder verfuhr eben so und
520 DECREMENTüM MORBI — DECUBITUS
sügte nicht nur die Tibia, sondern auch die Fibula ab. Das Operations-
verfahren von Moreau, dem Vater, ist comjjlicirter und verwundender, als
das von Park, daher weniger empfehlen«» erth. Crnmpton's Methode ist
ziemlich der Moreau'schen gleich. — Snnson und Jiegin rathen, wie es
scheint mit Rocht , den Querschnitt bei halbflerlirtem Gliede zu machen,
80 dass er mit einem Zuge das Ligamentum patellae und die Seitenbänder
trenne. 9) Decnpitntio ossium in arlicnlo pcdis, Abnehmung der Ge-
lenkköpfe im Fussgelenke. Obgleich man auch diese Dccapitation,
sowie die im Handgelenke, ohne Gefahrdung der Gcfasse für unausführbar
hielt, so hat die Erfahrung doch hier wie dort das Gegentheil gezeigt.
Geraeinhin erfolgt auf die Operation Ankylose, bisweilen stellt sich jedoch
wieder ein Grad von Beweglichkeit ein. Morenii, Vater und Sohn, haben
beide Knochen des Unterschenkels, Mtihlcr einmal die Fibula, B. ll'cücr
zweimal die Tibia im Fussgolcnke decapitirt, und Letzterer nimmt über-
haupt diese Operation sehr in Schutz. Morcau, der Vater, machte bei massig
gebeugtem Knie, während der kranke Schenkel auf seiner innern Fläciie
lag, auf dem hintern äussern Rande der Fibula einen Längenschnitt von
S Zoll und führte aus dessen unterm Ende , welches unter dem äussern
Knöchel lag, einen Schnitt nach vorn und oben (bis zum Musculus peroneus
tertius), präparirte diesen dreieckigen Lappen los und stemmte mit dem
Meissel das Ende der Fibula ab. Nachdem von dieser Wunde aus die äus-
sere Seite der Tibia möglichst von den Weichtheilen befreiet war, wurdo
der kranke Schenkel auf die äussere Seite gelegt, am hintern innern Rande
der Tibia ein Längenschnitt von 3 Zoll bis unter den innern Knöchel und
von hier ein Querschnitt nach vorn und etwas nach oben (bis zum Muscu-
lus tibialis anticus) geführt. Nachdem der so gebildete dreieckige vordere
Lappen abpräparirt und die hintere Fläche der Tibia umgangen und von
den Weichtheilen befreiet ist , wird der kranke Schenkel auf seine Vorder-
seite gelegt (was sehr unbequem, aber nicht unumgänglich nöthig seyn dürfte),
eine schmale Messersäge zwischen Fibula und Tibia gebracht , letztere durch-
sägt und endlich das abgesägte Knochenende ganz entfernt, wobei der Mus-
culus tibialis anticus und der Flcxor digitorum longus zu schonen sind.
Zum Schlüsse wird nun die Fibula der Tibia gleich gemacht. Etwanigo
schadhafte Theile des Talus sollen durch Meissel oder Knochenzange ent-
fernt werden. S. Hugo Park, An account of a new method of treating di-
seases of the joints of the knee and elbow in a letter to Mr. P. Pott. Lon-
don, 1783. 8. (Deutsch in: Neue Sammlung für Wundärzte, .St. 9; auch
als Anhang zu: C. Alanson, Praktische Bemerkungen über die Amputation;
a. d. Engl. Gotha, 1795; 2 Tide. 8.). Fran^. Chaiissicr , Über die Am-
putation kranker Gelcnkköpfe der Röhrenknochen ; in Magazin encyclop. an
V. Tom. VI. Nr. 24. Deutsch: Hufi'hmd's, Schrc<jcr''s und Ilarless' Journ.
für die ausländ, medic. Literatur , 1802 , S. 247, C. /■'. v. Griife , Normen
fTir die Ablösung grösserer Gliedmassen, nach Erfahrungsgrundsätzen ent-
worfen. Berlin, 1812, und A. Ch. J. D. 11'iedow.
üecrementuin liior1>i, Abnahme der Krankheit. Ist das-
jenige Stadium acuter Krankheiten, welches auf das Stadium acmes folgt;
8. A c m e.
* Decubitus, da« Aufliegen, Durchliegen. Diese« Übel be-
steht in einer rosenartigen tJntzündung der Haut durch Druck, z. B. am
Rücken, in der Kreuzgegend, besonders bei Kranken, die sehr lange lie-
gen müssen, deren Lebenskraft geschwächt ist, bei allen Leuten, in asthe-
nischen P'iebern etc. Zuerst wird die Haut roth, oft dunkelroth, dann
bilden sich oft schnell brandige Geschwüre, welche nicht selten grosse Zer-
störungen der WeichgebiUle bis auf den Knochen anrichten (Gangraena rx
decubitu). Wenn bei fieberhaften Krankheiten die Kranken .-«ich schnell
durchliegen, so ist dies ein .sicheres Zeichen, da.'ss hier wahre Schwäche
vorhanden und reizende, slÄrkende Mittel, Serpentnria, Valeriana, Kam-
pbcr, China etc. indicirt sind. Cur. Mari verhütet das Cbel dadurch.
DEFECTÜS LACTI3 — DELmiUM 521
1) dass man bei bettlägerigen Kranken jeden anhaltenden Druck auf eine
Stelle zu vermeiden sucht; so legt man z. B. einen von Pferdehaaren ge-
polsterten Kranz unter, sobald die Gegend des Os sacrum roth wird;
2) dass man das Lager so elastisch als möglich macht, z. B. durchs Schla-
fen auf Matrazzen , auf Rehleder , auf Wachstuch , unter das Betttuch ge-
legt; 3) dass man die Theile reinlich hält, bei langwierigen Übeln, in ty-
phösen Fiebern zwei Betten neben einander stehe§ hat, worein man dei»
Kranken abwechselnd legt und jedesmal das Bett gehörig reinigt und auf-
macht (was ausserdem im schweren Typhus äusserst wohlthätig ist) ; 4) dass
man bei den ersten Spuren des Übels, wenn die Haut röthlich, bläulich,/
schwärzlich aussieht, die betheiligten Stellen mit Spirit- camphorat. wäscht,
mit Decoct. quercus , Salicis , mit Zusatz von Branntwein ; auch eine Salbe
aus Unguent. althaeae, saturn. ana gj , Camphorae 3fl ist sehr vrirksain,
Ist das Übel schon da, so verbinde man mit folgender Salbe: I^ Album,
ovi N. I., Spirit. vini cnniph. gJlK, Sacch. saturni 3ß- (^Weickard^. M. S.
Auf feine Leinwand zu pinseln und aufzulegen. Sind die Geschwüre schon
stinkend , gross , brandig , so mache man keine Einschnitte , sondern ver-
binde mit: I^ Unguent. dii/estiv. , Bah. Arcnei ana ^ j , Ol. terehinih. 5fJ,
Camphorae 5j' M. ; streue Chinapulver ein , gebe innerlich China und Wein
und wasche den Umfang der Geschwüre, der in der Regel leblos ist, so-
wie den ganzen Rücken mit Kampherspiritus. Das Waschen der Stellen
mit Eau de Cologne, Acidum citri, mit Essig und Wasser zur Verhütung,
und, wenn das Übel schon da ist, mit Folgendem: fy Virid. aeris, Vitrioli
coerul. , — alhi ana 3jj , Coq. c. aq. fontan. q. s. ut rem. §vjjj. Col. (iVew^
«irtrtJ»), wird sehr empfohlen; doch ists gut, wenn letztere Mischung an-
fangs schwächer angewandt und noch verdünnt wird. Man versteht unter
Decubitus ausser dem Begriff ron rosenartiger, in Geschwüre und Brand
übergehender Entzündung auch die Lage des Kranken im Bette, ob
er auf dem Rücken oder dem Bauche etc. liegt (Decubitus supinus, D. pro-
nus) , desgleichen eine Ablagerung krankhafter Stoffe nach einzelnen Thei-
len , daher das Wort auch gleichbedeutend mit Metnstasis i«t , z. B. Decu-
bitus lactis (s. Metastasis). Ein sehr wirksames Mittel gegen das Durch-
liegen in adynamischen Fiebern und bei alten, schwachen Subjecten, ist da»
Plumbum tannicum, welches als Salbe, auf Leinwand gestrichen, angewandt
wird. Man lässt Decoct. quercus mit Extr. saturni präcipitiren und den
Niederschlag coiiren. Christian Bopj)e.
Decubitus lactis, s. Abscessus lacteus metastaticus.
DefectuS lACtis» Milchmangel, s. Agalactia.
Defectus mensium, s. Menstruatio retenta und suppressa.
Degeneratio 9 die Entartung. Ist jede bedeutende Structurver-
anderung eines Organs im Allgemeinen, ohne dass damit das Wesen solcher
krankhaften Veränderungen näher angegeben wird ; also ein allgemeiner Be-
griff von einem noch näher zu bezeichnenden pathologischen Zustande, ge-
rade wie das Wort Affectio.
Oe^^lutitio difficilis, laesa, impedita^ erschwertes Schlingen, s.
Dysp hagia.
Dejectio cruenta« nigra, blutiger, schwarzer Stuhlgang; ». Ca-
tarrhexis und Melaena,
Delacrymatio , Thränenfluss, s. Epiphora.
Delirium, Deliratio, Irrereden, Phantasiren, d. i. falsches
Urth^il über wahre oder vermeinte Empfindungen , ein Leiden des Innern
Sinnes, wodurch der Mensch verhindert wird, richtig zu empfinden und zu
urtheilen , und wobei Gedächtnis« und Phantasie verwirrt und verkehrt sind.
Das Irrereden ist eins der vorzüglichsten Symptome bei psychischen Krank-
heiten (Delirium chronicum), besonders bei Fatuitas, Amentia, Mania, Me-
lancholia; und manche psychische Ärzte unterscheiden ganz richtig dieses
Delirium als Äusserungen des gestörten Seelenlebens, insofern sie sich durch
522 DELIRIUM
Tcrschiedene ThätigVelten des Geistes zu erkennen geben, z. B. RiquiroJ,
wo das Wort Delirium den Irrwahn bezeichnet und vom gewöhnlichen De-
lirium unterschieden werden muss. Letzteres ist dagegen bei somatischen
tJbeln keine ganz seltene Erscheinung, besonders bei hitzigen Fiebern (De-
lirium febrile) mit Localentzündungen des Gehirns und anderer edlen Ein-
geweide. Jedes Delirium, sowol das Delirium acutum febrile, als das Del.
chronicum, ist ein sichres Zeichen von einem vorhandenen, bald idiopathi-
schen, bald sympathischen Reize in den Nerven und dem Gehirne, oder in
den Blutgefässen, oder in beiden zugleich, und deutet, besonders in Fie-
bern, auf beschleunigte Blufbewegung und Congestion zum Kopfe, auf
Grösse und Heftigkeit des Übels, nach den Umständen auf Gefahr, am
Ende der hitzigen Krankheiten und bei den übrigen Symptomen wahrer
Adynamie auf herannahenden Tod. Das Delirium ohne Fieber deutet auf
Krampf, auf scharfe Galle und sonstige Cruditäten in den Gedärmen. Hier,
sowie bei Epileptischen, Hysterischen, Kataleptischen, kurz vor oder bald
nach den Krampfanfällen, bei reizbaren, empfindlichen, sensiblen Personen,
Karten Kindern und Weibern , in Fiebern , wo es gegen Abend eintritt , ge-
gen Morgen aufhört, wo es mit Lachen und Weinen abwechselt, hat es
wenig zu bedeuten. Ist das Delirium in hitzigen Fiebern massig, nicht an-
haltend , so deutet es auf Besserung , das Gegentheil auf Verschlimmerung.
Zeichen des bevorstehenden Irreredens sind: verkehrtes Betragen dej»
Kranken in Handlung, Miene und Sprache, heftiger, anhaltender, pochen-
der Kopfschmerz, Röthe des Gesichts, wilder Blick, Ohrensausen, Schwer-
hörigkeit, anhaltendes Wachen, veränderter Puls, Mangel an Durst, Scham-
losigkeit, Zittern der Hände, der Sprache, anhaltendes Stillschweigen, oder
Schwatzhaftigkeit mit schneller , hastiger Sprache , furchtbare Träume , son-
derbare Gesticulationen etc. Höchst falsch ist die Ansicht mancher Ärzte,
welche annehmen , dass das Irrereden in fieberhaften Krankheiten stets wahre
Schwäche anzeige , und daher der Kranke reizend , incitirend behandelt wer-
den müsse ; dies ist nur beim sanften Irrereden mit Stupor und Sopor der
Fall. Wir unterscheiden daher in praktischer Hinsicht folgende Arten des
Irrered ens :
Delirium activnm, furiosum, alrox, wildes Irrereden mit heftiger
Kraftäusserung. Hier ist der Kranke wild, streitsüchtig, will fort, ohne
zu wissen wohin, spricht sehr lebhaft, aber ohne Zusammenhang, gesticu-
lirt viel. Hier ist in den meisten Fällen ein entzündlicher Zustand des Ge-
hirns, des ganzen Nervensystems : Encephalitis, Phrenitis, Hydrophobia;
auch bei der Febris synochica nervosa, bei der Scarlatina bemerken wir
oft dieses Delirium. Hier passen allgemeine Aderlässe, Blutegel an den
Kopf, kalte Kopfumschläge, innerlich Nitrum mit Sal anglic. zum Purgiren,
Merc. dulc. etc. Bei Geisteskranken zeigt ein solches Deliriu'n stets einen
heftigen Anfall von Manie an , der gleichfalls nicht selten eine ähnliche Be-
handlung erfordert.
Delirium pnssivum, hlnndum, iacHurnum, trnnriniUum, mussilnms , mite,
timidnm, stupidum , comatosum, sanftes Irrereden ohne Körperanstren-
gung, mit Schlafsucht, Flockenlesen, stillem Murmeln etc. Gewöhnlich ist
diese Form Folge oder Ausgang des Delirium activum, wenn die Krankheit
sehr heftig war, die frühe Hülfe fehlte oder der Arzt statt der antiphlogi-
stischen Cur reizende Arzneien: Kampher, Opium, Serpentaria, Arnica etc.
gab , oder wenn er die schwächende Behandlung übertrieb. Der Puls ist
hier klein, facile comprimendus, der Kranke höchst schwach, das Auge glä-
sern, der Patient sucht stets auf dem Lager etwas (s. Car pho logia ),
rutscht immer im Bette herunter, befindet sich nach seiner Angabe sehr
wohl, hat kalte, klebrige Schweisse, schwächende Durchfälle. Hier ist die
Gefahr sehr gross. Daher ists die erste Regel des Praktikers, diesen trau-
rigen Zustand, wo der Kranke dem Tode so nahe ist, durch zweckmässige
frühe antiphlogistische Cur zu verhüten. Die hier indicirten Excitantia:
Moschus, Sal volatile, Wein, Serpentaria, Opium, Kampher etc. vermögen
alle wenig; wir experimentircn freilich damit, und müssen es schulgerecltt
DELIRIUIW TREMENS 523
thnn; aber das Ende vom Liede ist in den allermeisten Fällen der Tod.
Frische Luft und kalte Sturzbäder erwecken, wenn keine organischen Zer-
störungen vorhanden sind, vielleicht hier noch am ersten das schwache, ge-
sunkene Leben und retten von dem Tode.
Delirium spastictim, ncrvosum, periodictim, das krampfhafte Irrere-»
den. Wir bemerken es nicht selten bei Epileptischen, bei Hysterismus und
Somnambulismus um die Zeit der Anfälle, wo ohnstreitig das Sensorium,
sowol idiopathisch, als sympathisch (vom Unterleibe aus) krankhaft ergrif-
fen ist. Diese Form ist meist ohne Gefahr, vergeht mit der Zeit von selbst.
Frische Luft, Waschen des Kopfs mit Essig, mit kaltem Wasser, innerlicb
einige Tropfen Eüx. acid. Halleri sind hinreichend. Sind heftige Congestio-
nen zum Kopfe dabei, z. ß. bei vollsaftigen Epileptischen, so dienen Blut-
egel an beide Schläfen, und vorzüglich reizende Senffussbäder (Poj-fai).
Delirium chronicum maniacum , anhaltendes , bald heftigeres , bald
schwächeres Irrereden der Wahnsinnigen. Es unterscheidet sich
wenig vom Delirium activum und erfordert die ableitende kühlende Behand-
lung; s. Mania.
Delirium senile. Irrereden im Greisenalter. Ist bei kindischen
Greisen nichts Seltenes. Das Übel ist unheilbar, daher baue man derosel*
ben vor. Hier ist das grösste Präservativ : tägliche Übung der Geistes-
kräfte zum Nutzen für Kunst, Wissenschaft und Leben im Jünglings- und
Mannesalter , massig und ohne Übertreibung fortgesetzt im Greisenalter,
mit gehöriger Abwechselung und Vermeidung eines jeden einseitigen Stu-
diums, ohne dabei die nöthige tägliche Körperbewegung zu vergessen. Nach
der Erfahrung werden Ärzte und Naturforscher am wenigsten , pure Mathe-
matiker und Philologen, Künstler, Maler, Bildhauer und Musiker am häu-
figsten im Alter kindisch, desgleichen weit mehr ungebildete Landleute als
gebildete Städter.
Delirium tremens » Oinomanin , Delirium potatorum , Säufer-
wahnsinn. Auf diese nicht seltene Krankheit sind die Ärzte erst in
neuem Zeiten vorzüglich aufmerksam geworden , nachdem dieselbe zuerst
von Th. Sutlon beschrieben, später durch Alhers , Lind, Göden, TitzschlaUy
und neuerlich besonders durch Dr. Barhhausen in Bremen ausführlich in wis-
senschaftlicher und therapeutischer Hinsicht den Ärzten bekannt geworden
ist. Sie ist dasjenige Übel, welches ein Individuum nur nach dem längere
Zeit fortgesetzten Missbrauche geistiger Getränke befällt , sich vorzugsweise
durch Störungen der Gehirn- und Nervenfunctionen, namentlich Schlatlo-
sigkeit, Delirien und Sinnestäuschungen eigenthümlicher Art, häufig auch
Zittern der Glieder charakterisirt , bald mit, bald ohne gleichzeitig verän-
derte Function des Blutgefässsystems , bald mit , bald ohne B ieber auftritt,
sich durch grosse Neigung zum Collapsus auszeichnet, und nur durch einen
kritischen Schlaf gehoben werden kann (^BnrMnusen). Die vorzüglichste
Ursache der Krankheit ist also der übermässige Genuss geistiger Getränke,
vorzüglich des schlechten Fuselbranntweins, des schlechten Rums, weniger
des guten Weins (Barkhntiseri) , dessen traurige Folgen für Geist und Kör-
per (die Trunksucht) besonders Trotter, Brühl- Cr amer und Andere be-
schrieben haben, und welche den Ärzten hinlänglich bekannt sind. Sym-
ptome. Anfangs Übelbefinden, Abneigung vor Speise, Schwäche, Mangel
an Ruhe , Kopfschmerz , zuweilen Erbrechen , oft leeres Würgen von zähem
Schleim, besonders des Morgens, Trägheit, Unlust, Ärgerlichkeit; der Pnls
geht anfangs schnell, oft schwankend, nachher träge und schleppend; dabei
belegte Zunge, heisse Haut, zitternde Hände. Dieser Zustand dauert meh-
rere Wochen , selbst Monate; alsdann tritt oft plötzlich, in der Nacht otler
bei Tage, Gedächtnisslosigkeit \md Verstandesverwirrung ein, besonders
wenn schwächende Einflüsse: Nachtwachen, heftiges Erbrechen und Purgi-
ren, häufiger Coitus, oder heftiger Ärger, plötzliche Enthaltung von Spiri-
tuosis , Einwirkung starker Kälte (Z^ind) vorhergingen : nicht selten schleicht
sich aber das Delirium auch allmälig ein. Der Kranke unterhält sich nur
524 DELIRIUM TREMENS
ober gleichgfilrige Dinge , schwatzt oft viel, sieht Mücken, Mäuse, Gesich-
ter, glaubt sich von Geistern geplagt, sucht mit den Händen auf der Bett-
decke herum , verfallt zuweilen wol in wahre epileptische Zufälle ; er ist
«ehr verdriesslich , zeigt oft grosse Ängstlichkeit für seine Geschäfte. Im
höchsten Grade stellen sich starke klebrige Schweisse ein, Flechsensprin-
gen, stetes Zittern der Hände, unwillkürlicher Abgang von Urin und Stuhl-
gang, und der Tod aus Erschöpfung und Nerveiischlag. Die Section zeigt
keine Spuren von Entzündung des Gehirns, häufig aber Verstopfungen der
Leber, der Milz. Bnrhhausen nimmt ein acutes und chronisches, idiopathi-
sches und symptomatisches, ein sthenisches und asthenisches Delirium tremens
an, welche Eintheilung nicht ohne Werth ist, insofern sie dem Praktiker
andeutet, dass bei voUsaftigen jungen Leuten das Übel die acute, stheni-
sche Form annehmen kann, wo mit Vorsicht kleine Blutentziehungen, vor-
züglich aber gelinde Purgirsalze, die Mineralsäuren und die Ekeicur pas-
sen , und erst später Opium , was in der asthenischen Form gleich anfangs
das Hauptmittel ist; dass jede Krankheit, die einen Säufer befallt, das De-
lirium tremens symptomaticum erregen kann (daher hier der Arzt vorsichtig
seyn und nicht durch sehr schwächende Mittel die Fieber und Entzündun-
gen der Säufer behandeln darf, um den CoUapsus zu verhüten) etc. Cur.
Frische Luft , das Gehen oder Fahren im Freien , Waschen des Kopfes mit
Essig, kaltem Wasser, innerlich 3 — 4mal täglich 30 Tropfen von folgender
Mischung: 1^ EHx. acid. Halleri 3jj , Laudan. liquid. Syd. 3 j , ElLT.'vitrioU
Mynsichti Sjjj- M. (M.); daneben der Genuss eines gut gehopften Biers, des
reinen starken Kaffees , des alten Weins (massig genossen) statt des Brannt-
weins, sind in den leichtern Fällen schon hinreichend. Ist der Kranke wohl-
genährt, hat er den Habitus apoplecticus , ein braunrothes Gesicht, leidet
er an Dyspnoe, an Congestionen zum Kopfe, so habe ich dreist einen klei-
nen Aderlass verordnet und darauf die Mineralsäuren mit Nutzen gegeben.
In höhern Graden des Übels, wo schon die Gesichtstäuschungen und das
fortwährende Zittern der Hände eingetreten sind , wo ewige Unruhe und
Schlaflosigkeit den Kranken quälen, gab ich mit Nutzen Folgendes: I^ In-
fus, rad. serpentariae 31V , Spirit. Minderen 5JJJ , Syr. lort. aurant. 3JJ ,
Liq. anodyn. , — c. c. succ, Laud. liquid. Syd. ana 5j- M. S. Alle 2 Stun-
den 1 Esslöffel voll; auch kann man statt der Serpentaria ein Decoct. rad.
imperatoriae nehmen, welches Mittel oft allein schon das Delirium heilt
(Kopeke, Wiedow, Spitta) , und daneben Abends ein Pulver aus I^ Opii
puriss. gr. jj — iv , Rad. ipecac. gr. |^ , Nitri depur. gr. iv , Sacchari ^j.
M. f. pulv. disp. dos. vj. Das Opium bleibt im Delirium tremens stets das
Hauptmittel. Nicht selten erregt es einen anhaltenden Schlaf vou 18 — 24
Stunden, mit Wärme des Körpers, warmen Schweissen, und der Kranke
erwacht gesund wieder. Überraass geistiger Getränke stürzt ihn aber öfter in
die Anfälle des Deliriums; alsdann wirkt auch das Opium weniger, nnd es er-
folgt zuletzt doch der Tod; daher ist es eine wichtige Regel, dass der Mensch
sich allmälig (doch nicht plötzlich , auf einmal) vom Genuss der Spirituosa
entwöhnt. Zur Nachcur dienen bei Physkonie der Eingeweide Lac ammo-
niacale, Asa foetida, dann Amara, zuletzt China, Quassia und Eisen, dabei
viel Bewegung im Freien, Vermeidung heftiger Kopfanstrengungen, der Ge-
müthsbewegungen etc. Die Arzte Pearson und Wehster wollen auch von
der Tinct. digitalis, alle 6 Stunden zu 60 Tropfen, im Delirium tremens
gute Wirkung gesehen haben (s. Med.-chirurg. Zeit., 1823, I. S. 86 u. 90).
Wichtig ist und alle Beherzigung verdient das, was Dr. Stookes zu Du-
blin, der das Delirium tremens im dortigen Meath - Hospitale häufig beob-
achtete (s. Lond. med. and surgical Journal, 1834, February, und Behrendts
Repertor. der med. -chir. Journalist, d. Auslandes. 1834, Mai, S. 86 ff.),
darüber raittlieilt, indem er sagt: ,, Viele haben Delirium tremens gesehen,
aber nur Wenige wissen , dass diese Krankheit sich unter zwei ganz
entgegengesetzten Verhältnissen entwickelt. In dem einen Falle bekonmit
ein Mensch , der die Gewohnheit hat , eine Menge Wein oder spirituöscr
Getränke zu sich zu nehmen, irgend eine Krankheit oder ein Fieber; er
DELIRIUM TREMENS 525
muss Im Bette bleiben, wird antiphlogistisch behandelt, auf eine antiphlo-
gistische Diät gesetzt, und bekommt nun statt Wein oder Branntwein Ha-
fergrütze oder Gerstenschleim. Da verfällt er in Del. tremens, und di«
Zeichen einer hohen Aufregung des Gehirns treten ein. Ein anderer Mensch,
nicht an täglichen Trunk gewöhnt, hat einigemal hintereinander Gelegen-
heit, sich zu berauschen, und wird vom Delirium tremens befallen. Im er-
sten Falle entsteht das Delirium offenbar aus dem Fehlen des gewohnten
Reizes ; im zweiten Falle aus ungewöhnlichem Übermasse desselben. In je-
dem ist die Ursache der Krankheit offenbar eine andere, und es wäre folg-
lich geradezu gegen die gesunde Vernunft gehandelt , beide Fälle auf eine
und dieselbe Weise zu behandeln. Dennoch aber glaube ich, dass dieser
Fehler häufig von Männern begangen wird, die ein hohes Ansehen in der
medicinischen Welt haben , weil sie sich von Systemsucht und dem Streben,
Namen zu haben für Dinge und nicht die Dinge selber, nicht losmachen
können. Der Kranke wird aufgenommen und eingeschrieben unter Delirium
tremens; die Krankheit wird behandelt nach der Gruppe von Symptomen,
die sich darstellen, aber die Ursache und die Art des Ursprungs Avird aus-
ser Acht gelassen. Welches sind aber die richtigen Principien der Behand-
lung? In der ersten Varietät, wo das Delirium durch das Fehlen des an-
gewöhnten Reizes entstanden ist, werden die Kranken geheilt und sind ge-
heilt worden durch Darreichung der gewöhnlichen Reizmittel , durch Wein,
Branntwein oder Opium. In der That scheint für diese Form der Krank-
heit dieses auch das beste Verfahren zu seyn. Alleiin für die zweite Varie-
tät? Hier würde ein solches Verfahren offenbar ein arger Missgriff seyn,
und doch — was geschieht so häufig in den Hospitälern? Ein Mann, der
kein Trunkenbold ist; sondern nach einer bedeutenden Schwelgerei von Del.
tremens befallen worden, bekommt auch Opium, spirituöse, erhitzende Ge-
tränke, Wein, Branntwein, Bier, und je schlechter er wird, desto mehr
Reizmittel werden gereicht. Dieses Verfahren ist offenbar eben so unver-
nünftig, als die alte Mode, Hydrophobie mit dem Haare des Hundes, wel-
cher gebissen hat , zu heileh; Wir wollen einmal die Sache genauer be-
trachten: eine grosse Menge reizender Flüssigkeiten Und in den Magen ge-
bracht worden; die Schleimhaut dieses Organs befindet sich in einem hohen
Grade von Reizung ; das Gehirn und Nervensystem sind entweder in Folge
der Absorption des Alkohols öder in Folge des sympathischen Einflusses der
Digestion in einem Zustande von übermässiger Aufregung. Sollten wir nun
dies« Reizung und Aufregung noch wöiter treiben ? Das Resultat würde
offenbar Gastritis, Enteritis, Encephalitis seyn. Vielen Praktikern kommt
das Hinzutreten von Hirn^ntBündung zum Delirium tremens gar nicht in den
Sinn, und sie geben Reizmittel auf Rieizmittel , nicht bedenkend, dass sie
eine entschiedene Gehirnkrankheit herbeiführen.*' StooTces ist zwar nicht
der Meinung des Bröussnis, dass jedesmal Gastritis bei der Krankheit zu-
gegen sey; doch fand er diese in allen Fällen, wo auf übermässige Schwel-
gerei und Berauschün«f das Delirium folgte, und man reizend behandelte^
durch die Section bestätigt. — ^ „Diese Complication des Del. trera. — sagt
er — ist auch noch in anderer Beziehung praktisch wichtig , indem sie näm-
lich zeigt, wie vollständig die örtlichen Erscheinungen während des Daseyns
einer allgemeinen sympathischen Aufregung und Reizung in den Hintergrund
treten und verhüllt werden können. Der Unterleib des Kranken ist nicht
gespannt, nicht empfindlich, die Zunge zeigt sich wenig afficirt, die Sym-
ptome deuten fast nur auf ein Hirnleiden, und doch ist ein hoher Grad von
Gastritis vorhanden; man' bekämpft die Gehirnsyraptome, ohne dass es wirk-
lich zuf Besserung geht, während alle auf ein Gehirnleiden deutende Er-
scheinungen sogleich verschwinden, sobald man die Gastritis allein zu beseU
tigen strebt. — Wir haben Fälle des heftigsten Del. tr. blos nach dem
Ansetzen von Blutegelu auf das Epigastrium und nach dem Genuss von kal-
tem Wasser mit Eis schnell zur Heilung gehen sehen, ohne das» wir eines
Tropfens Laudanum bedurften. — Meine durch Erfahrung und Beobachtung
gewonnenen Ansichten sind demnach diese: ht das Del. tr. durch plötzli-
526 DEMENTIA ~ DEMÜLCENTU
chcs Fehlen des durch angewöhnten Trunk täglich gewöhnten Reizes ent-
standen, so befolge man ein reizendes Verfahren, gebe Wein und Opiate, —
ist das Del. tr. aber die Folge einer zufälligen starken Schwelgerei oder
Berauschung, so ist jedes reizende Verfahren durchaus zu vermeiden und
die ganze Medication muss nur gegen die Reizung und den phlogistischea
Zustand des Magens gerichtet seyn, selbst wenn die bezeichnenden Sym-
Etome der Gastritis nicht da zu seyn scheinen." Dr. Stooles mag Recht
aben, wenn er glaubt, seinen Laudsleuten etwas Neues zu sagen. So
richtig der Unterschied und so zweckmässig seine Behandlungsweise bei den
beiden genannten Arten des Del. tr. auch ist, so kennt er doch nicht die
Literatur deutscher Arzte über diesen Gegenstand; sonst würde er seine
Ansichten darin, zumal in der Schrift von Bnrkhausen^ schon gelesen ha-
ben. Wenn bei Leuten, die keine Gewohnheitstrinker sind, durch zufälli-
gen übermässigen Genuss der Spirituosa die Krankheit entsteht , so geben
wir deutsche Ärzte auch kein Opium, keinen Wein, sondern viel kaltes
Wasser zu trinken, machen Eisumschläge auf den Kopf, sorgen für stete
frische Luft etc. , und das Übel verschwindet ohne Arzneien. Auch kalte
Waschungen über den ganzen Körper sind hier nützlich. Mehrtägige Hoch-
eeitsfeste auf dem Lande, wobei unsere Landleute oft ungewöhnlich viel
trinken und des Nachts nicht gehörig ausschlafen , so dass sie Tage lang ia
betäubendem Rausche sind, geben zu dieser Form des Del. tr. oft Veran-
lassung. — Die periodische Trunksucht scheint indessen Stoohes nicht zu
kennen (s. Dipsomania). Dass bei Branntweinsäufern das Blut zu sehr
carbonisirt sey, dass es von ziemlich dunkler Farbe und schwerer gerinnend
nach dem Aderlass gefunden w erde , dass der anhaltende Genuss spirituöser
Getränke die Mischung des Bluts überhaupt verändere, dasselbe offenbar,
wie durch Blausäure, vergifte, dass Säufer oft an Melaena leiden, desglei-
chen wegen ma,ngelnder Ernährung an Magerkeit, an Geistesstörungen etc.,
dies, sind Thatsachen, die nicht geleugnet werden können. Ich sah meh-
rere in Epilepsie, Narrheit, Apoplexie vei'sinken. — Die Natur heilt da»
Delirium tremens, wie, bekannt, durch einen anhaltenden, mit Transsplra-
tion verbundenen festen Schlaf, bei welchem das Blut ganz besonders seine
giftigen Bestandtheile auszuscheiden sich bestrebt. Da aber die meisten
Säufer , zumal , w enn sie noch wohl genährt «ind , an Übermass von Koh-
lenstoff leiden, so ist ein zu anhaltender Gebrauch des Opiums, besonders
iß zu grossen Dosen, nach meinen neuesten Erfahrungen, häufig schädlich,
indem es die passiven Congestionen zum Kopfe, zur Leber etc. vermehrt
naA die krankhaft erhöhte Venosität noch vergrössert. Hier ist ein starkes
Infusum digitalis vorzuziehen, wodurch schon manches Delirium treinens ge-
heilt worden ist. Man reicht es so lange bis Toxicationszufälle erscheinen,
worauf dann bald der kritische Schlaf eintritt {Cless in Allgem. med. Zeit,
Altenburg, 1835, Hft. 7, S. 793). — Da das Delirium tremens häufig Re-
cidive macht, sobald der Mensch wiederum sich dem Trünke ergiebt, so
ist natürlich ein massigeres Leben das beste Präservativ vor diesen Rück-
fällen. Der fleissige Genuss von vielem kalten Wasser, sowie Rheum und
Aloe , welche durch Anregung vermehrter Leberfunction und Gallenabsonde-
rung den übermässigen Kohlenstoff ausscheiden, sind hier sehr wichtig. Ich
kenne mehrere hiesige Gewohnheitstrinker, die vor 8 und mehreren Jahren
am Delirium tremens bedeutend gelitten haben ; trotz des übermässigen täg-
lichen Branntweingenusses seit jener Zeit aber nicht wieder davon ergriffen
worden sind, weil sie alle zwei Abende einen Schnaps, worin eine Mjschung
von Aloe, Rheum etc. befindlich, die hier auf der .Hirschapotheke Spec.
amar. usitat. heissen , getrunken (s. Amara); desgleichen täglich 6 bis 10
Flaschen Brunnenwasser.
Ilementia» Aberwitz, 8. Amentia.
DemuIcentiAj Involvcntia, Ohvnlveniin^ be,sänftlgende, lin-
dernde, einhüllende Mittel, z. B. Öl, Milch, Mandelmilch, schleimige
Dinge : Haferschleim , Q.uittenschleim etc. Sie dienen äusserlich bei heftigem
DENTITIQ ~ DEPILATI9 527
Hautreiz und Schmerz, bei Verbrennungen, abgeschundener Haut, bei I»-
Bectenstichen, um den Reiz durch Abhaltung der atmosphärlächen Luft, durch
Einhüllung und Zersetzung bei scharfen Stoffen etc. zu mindern. Innerlich
passen sie bei allen Vergiftungen durch scharfe, metallische Gifte, lun die
Leibschmerzen zu lindern und das Gift vorläufig, bis es entfernt -werden
kann, einzuhüllen. Hier sind Milch und Öl, in Menge genossen, für den'
ersten Augenblick die wichtigsten Hülfsmittel (^Hufeland) , doch passt das
öl nicht bei Kantharidenvergiftung (^Orfiln"). Auch bei heftigen Ruhren,
bei Enteritis, Gastritis sind die Demulcentia sehr wichtige Mittel, da zu
Anfange solcher Übel alle andere Mittel nicht vertragen werden oder scha-
den können, und auf sie, sowie auf die Blutentziehungen , unser ganzer
Heilapparat fast allein beschränkt ist.
DcntitiOy Odontiasis, das Zahnen. Sowol das erste Zahnen
(zwschen dem 6ten und lOten Monate des Lebens), als das zweite Zah-
nen (zwischen dem 7ten und 9ten Lebensjahre) sind an sich physiologische
Zustände und nichts Krankhaftes; sind nur ein Beweis von höherer Ent-
wickelung des Kindesorganisraus, wobei stärkere Production, Sanguification
und, bei gutgenährten Kindern, eine Diathesis inflammatoria stattfindet.
Daher ist die Geneigtheit zu entzündlichen und spasmodischen Leiden in
diesen Perioden oft sehr gross, besonders die Anlage zu Encephalitis beim
ersten und zum Croup beim zweiten Zahnen; vorzüglich wenn die Kinder
erkältet werden , wenn dadurch bei Säuglingen der so wohlthätige Speichel-
fluss unterdrückt wird. Nicht selten erfolgt hierauf heftiges Fieber mit
eklamptischen Zufällen, wogegen Blutegel und gelinde Abführungen, bei
Säure im Magen und grünen Stuhlgängen kaiische Mittel indicirt sind, nicht
aber die reizenden, erhitzenden Antispasmodica; am wenigsten passt in sol-
chen Fällen das Opium, da gelinde Diarrhöe hier höchst wohlthätig ist;
doch ist der Moschus als das einzige für Kinder passende Antispasmodlcura
irritans oft unentbehrlich, besonders bei zarten, schwächlichen, sensiblen
Kindern. Auch lobt man bei den Krämpfen während der Dentition, wenn
heftiges Reizfieber und Blutcongestion zugegen ist , ganz besonders die Aqua
oxyrauriatica {Kopp, l'oel). Siehe die Formel bei Erysipelas neona-
torum. Man kann sie mit destillirtera Wasser (5J^ auf 5vjjj) und Syrup
rgj) esslöffelweise geben {Uufelaml^. Wie wichtig es ist, beim Zahnen
der Kinder den Leib gehörig offen zu halten, wie herrlich hier die Klystiera
wirken, selbst bei guter Leibesöffnung als beruhigendes Mittel, z. B. bei
Karten Kindern die Abendklystiere aus Milch, Öl und Zucker, wie schneU
der Erethismus und die Fieberbewegungen dadurch vermindert werden, ist
unglaublich ! (M.)
Dentiuiu dolor, Zahnschmerz, s. Odontalgia.
Dentium bebetudo, Stumpfwerden der Zähne. Folgt oft
auf den Genuss saurer Dinge. Hier reibe man die Zähne mit Kreide oder
Magnesia. Wenn in bösartigen Fiebern grosse Dosen Mineralsäuren indicirt
sind, so muss man beim Eingeben dahin sehen, dass die Zähno geschont
werden. Man lässt daher vorher eine Tasse Haferschleim trinken , verdünnt
die Säure hinreichend mit Haferschleim, oder verdünnt sie mit Wasser uiid
lässt sie durch ein Röhrchen in den Schlund, damit die Zälme dftvon picht
berührt werden.
Dentium Stridor« Zahnknirschen, s. Brygmua,
Dentium vacillatio» das Wackeln der Zähne, ist bei alten
Leuten , wo der Alveolarrand allmälig resorbirt wird , upheilbar 5 die Zähno
werden immer loser und fallen zuletzt von selbst aus. Entsteht es von
Scorbut, von übermässigem Gebrauch des Mercurs, von Syphilis inveterata,
80 behandle man die Grundkrankheit und lasse adstringirende Decocte voii
Decoct, quercus mit Acid. sulphuric. , Borax, Tinct, myrrhae, Tiuct. kino,
catechu etc. als Gurgelwasser gebrauchen.
DepÜAtio» Kahlheit, s. Alopecia. Auch v^steht man unter die-
528 DEPRESSIO — DERIVATIQ
ser Benennung die Kunst, das Ausfallen der Haare zu Teranlas«
sen, z. B. an Stellen, wo sie nach dem verschiedenem Begriff einzelner
Völker über die Schönheit, dieser Abbruch thun. Zu diesem Zweck dienen
die Depilatoria (s. Cosmetica).
JtepTessio, Impressio, N iederdruckung, EindrücVung , beson-
ders der Kopfknochen (Depressio cranii, Phlnsis, Thlasvt(i), nach mechani-
schen Verletzungen durch Fall, Stoss, Schlag; bei Kindern ist sie meist
ohne, bei Erwachsenen mit Bruch des Hirnschädels (Depressio cranii cum
fractura) verbunden. So wie jeder abnorme Druck aufs Gehirn Betäubung,
Convulsionen , Erbrechen, Bewusstlosigkeit erregt, so ists meist auch hier
der Fall. Unter solchen Umständen ist eine chirurgische Operation : Auf-
hebung des niedergedrückten Knochenstücks, Entfernung der zerbrocheneu
Knochen, des etwaigen Blutextravasats , die Hauptsache; do(ii übereile man
sich bei Kindern nicht mit dieser Operation, indem hier die Bewegung des
Gehirns häufig die Depression hebt; die Zunahme der Zufälle nach 24 Stun-
deu indicirt oft nur dazu (Af.); s. Commotio cerebri.
Depurantia» reinigende, blutreinigende Mittel, s. Haematoca-
thartica.
Herivatio, die Ableitung. Ist der Erfolg der in der Heilkunst
selir wichtigen und wirksamen ableitenden Methode (Methodus derivatoria,
ontagonistica) , welche nach dem Grundsatze : ubi irritatio, ibi affluxus , den
schädlichen Krankheitsreiz und mit ihm das Übermass von Säften von einem
wichtigen Organe dadurch wegleitet , dass ein weniger wichtiger Theil an-
tagonistisch gereizt wird. Wie bedeutend und wichtig das Gesetz des An-
tagonismus für Pathologie und Therapie ist , ist schon oben gezeigt worden
(s. Antagonismus und Consensus). Die Grundidee bei der antago-
nistischen Methode ist : die Lebensthätigkeit eines Organs so zu erhöhen oder
zu vermindern, dass dadurch der entgegengesetzte Zustand der Lebensthä-
tigkeit in einem andern Organe erzeugt , und auf diese Weise der vorhan-
dene krankhafte Zustand aufgehoben werde (Hufeland). So z. B. heben wir
Diarrhöe durch Diaphoretica und warme Bedeckung, wir erregen bei Lei-
besverstopfung Öffnung des Leibes durch äussere kalte Umschläge auf den
Unterleib, indem die innere und die äussere Haut im Gegensatz zu einan-
der stehen, und die Unterdrückung der Thätigkeit der einen vermehrte
Thätigkelt der andern erregt. So leiten ferner Vesicatorien im Nacken den
rheumatischen, arthritischen, katarrhalischen Reiz von den entzündeten
Augen, Purganzen leiten die Blutcongestion vom Kopfe nach unten u. s. 1.
Auf ähnliche Weise wirken alle örtlich angewandten Hautreize. Auch giebt
es psychische Derivantia, so z. B. leitet die Richtung der Gedanken auf
einen fremdartigen Gegenstand die Aufmerksamkeit auf körperliche Leiden
wohlthätig ab, desgleichen der Eindruck der Furcht, des Schreckens, der
Freude, welche Mittel bei Hysterischen und andern Nervenkranken oft
ganz bedeutend sind, nur ist es Schade, dass wir die Dosis der letztem
für den individuellen Fall nicht immer so genau bestimmen können. Durch
Erregung von Leidenschaften sind schon die schwersten Übel geheilt wor-
den. Ein Hypochondrist verbrauchte jährlich wel für hundert Tha-
ler Arzneien. Ich brachte ihm eine leidenschaftliche Liebe zur Musik
bei; er lernte noch im 36sten Jahre Klavier spielen, und die jährliche Apo-
thekerrechnung betrug von nun an keine hundert Groschen mehr (Af.).
Die Entfernung oder Verminderung eines krankhaften Zustandes durch
künstliche Erweckung einer Affection in einem entferntem Theile, d. L
Derivation und derivirendes Heilverfahren, eignet sich vorzüglich für ört-
liche Krankheiten, und bei den allgemeinen nützt sie nur insofern, als
die Function irgend eines Theiles vorzugsweise dabei gestört ist, z. B. die
des Gehirns in Nervenfiebern, des Blutsystems, der Lungen etc., bei syno-
chischen Fiebern etc. Der Begriff von Derivation ist sehr umfassend; „denn
nicht nur jeder einzelne Theil des Organismus — sagt Heclcr — kann, wenn
er erkrankt ist, durch Ableitung behandelt werden, sondern auch alle ein-
DERIVATIO 529
fachen Krankheitszustäiide oder, wie man sie besser bezeichnet, die Ele-
mente der zusammengesetzten Krankheiten, wie Schmerz, Krampf, Entzün-
dung, Congestion, fehlerhafte Absonderung , Säfteverderbniss etc , gleich-
viel, wo sie ihren Sitz haben, werden mit Erfolg durch Erregung eines
krankhaften , oder wenigstens ungewöhnlichen Zustandes an einer andern
Stelle bekämpft. Alle Heilmethoden , alle Eingriffe in den Organismus , Wo
und wie sie auch immer wirken mögen, sind in gewisser Beziehung ablei-
tend, denn es lässt sich kein einziger denken, der nicht irgend eine Seite
des Organismus, irgend einen Theil desselben vorzugsweise in Anspruch
nähme, und eben dadurch einen andern erkrankten Theil, der mit diesem
in Verbindung steht, zu befreien oder zu erleichtern vermöchte. " (S. Ritsfs
Handb. d. Chirurgie, Bd. I. S. 2*). „Man hat sehr richtig — sagt der-
sel' - x»_. ferner — den Begriff von Ableitung auf den von Mitleidenschaft
und Antagon. ^us zurückgeführt; in der That enthält er auch nur die the-
rapeutische Beziehung des letzten, so dass die bekannten Gesetze der Mit-
leidenschaft und des Antagonismus mit unsern Kenntnissen von der Wirkung
ableitender Mittel in Verbindung gebracht werden. Eben dies ist, kann
man behaupten, der wesentlichste Theil der ärztlichen Kenntniss und Kiuist-
fertigkeit; schon Friedr. Hoffnimm war überzeugt, dass die praktische Thä-
tigkeit des Arztes auf dessen Bekanntschaft mit den consensuellen Verhält-
nissen der einzelnen Systeme und Organe gegründet seyn müsse, — ■ ein tie-
fes und nie zu vollendendes Studium! — Da man aber die Gesetze der
Mitleidenschaft früherhin fast nur nach den einseitigen dynamischen Syste-
men des vorigen Jahrhunderts bestimmte , vornehmlich nach der Erregungs-
theorie , die nur ein erweiterter Brownianisraus war , so glaubte man auch
die aus diesem entspringenden Gesetze der Ableitung allein darnach ordnen
zu können. Man hielt sich besonders an die beiden schon altern Grundsätze :
„Irritatio attrahit" und „ Debilitas attrahit", und nahm dabei nur auf Sen-
sibilität, Irritabilität, Erregbarkeit und dergleichen allgemeine Bestimmun-
gen Rücksicht, die, ungeachtet mancher scharfsinnigen Bearbeitungen, doch
auf der falschen Annahme beruheten, dass die Äusserungen des Lebens sifch
auf quantitative Verhältnisse zurückführen Hessen, und bei sogenannten all-
gemeinen Krankheiten eine und dieselbe Modificatiön des Lebens, z. B. er-
höht^ oder verminderte Erregbarkeit , in dem ganzen Organismus waltend
wäre. Die Berücksichtigung der Eigenthümlichkeit der Functionen und ih-
res in Krankheiten so höchst verschiedenen Verhältnisses zu einander, wor-
auf es doch für den Arzt am meisten ankommt , wurde hierbei ganz ver-
nachlässigt , und so kam es denn , dass man die Ableitung fast nur auf den
Begriff von Reiz und Congestion einschränkte, indem man nur krankhafte
Irritationen von edlen Theilen auf minder edle , oder Congestionen durch
Anlockung der Säfte nach entfernten Organen ableiten wollte. Diese An-
sicht ist schon genugsam als einseitig anerkartnt worden; die ganze Rich-
tung der ärztlichen Erforschung des Organismus ist ihr entgegen. Jeder
krankhafte Zustand, er sey einfach oder bestehe aus mehreren Elementen
und habe seinen Sitz, wo er nur immer wolle, kann abgeleitet werden,
und zwar entweder durch Erregung einer gleichartigen oder ungleichartigen
Affection, wie Schmerz durch Schmerz, Entzündung durch Entzündung,
Eiterung durch Eiterung, oder Krampf durch Schmerz, Zusammenziehung
durch Erschlaffung, krankhafte Absonderung durch Entzündung u. s. w.
Es ist nicht blos örtliche Reizung und Schwächung, mit denen wir es hiet
zu thun haben. Es bedarf hiernach kaum einer Erinnerung, dass die Lehre
von der Ableitung in das Gesammtgebiet der Pathologie und Therapie ein-
greift; alle unsere Kenntnisse über einfache und zusammengesetzte Krank-
heitszustände, über die Bedeutung der einzelnen Verrichtungen im normale^,
wie im krankhaften Zustande, über alle Eingriffe in den Organismus, die
uns nur irgend zustehen, kommen in ihr in Anwendung." — Im weitern
Sinne ist fast jeder therapeutische Eingriff, nach Hecker, ein ableitender,
im engern Sinne verstehen wir unter ableitenden Mitteln solclie, bei
denen die Derivation das AVesentlichste in ihrer Wirkung ist, so dass ihre
Mo et Eucyklopädie. 2te Aufl. I. 34
530 DERIYATIO
fibrigen therapeutischen Eigenschaften dagegen zurücktreten. Er unterschei-
det die djuaniisclie Ableitung von der materiellen. Dynamisch leitet
Jede Nervenalleetion ab, die nicht unmittelbar in die Reproduction eingreift,
{ils: Sinneseindrücke, der blosse Schmerz, das Gefühl von Ekel und Ge-
müthsbeweginigen. In allen Krankheiten ist die Derivatioii durch Gcmüths-
jjustände, die sich durch die eigne moralische Kraft des Kranken entwickeln,
»ehr wirksam ; aber auch jene durch die moralische Kraft eines Andern iin
Kranken angeregten Gemüt hszustände sind es nicht minder. Die Kraft des
Geistes leistet in Krankheiten Unglaubliches, und hier besitzt der Mensch
ein grosses Heilmittel in Krankheiten, das dem Thiere fehlt. Es giebt eine
Willensheilkunde! Der Wille und die Geisteskraft, das Verbannen al-
ler Furcht vor dem Tode, der Ängstlichkeit, der kleinlichen Sorgen, -r^
diese Dinge verhüten und heilen viele Krankheiten. Ich will hier noch fol-
gende Punkte anführen: a) der Wille, von der Vernunft ausgehend, bat
Gewalt über die Materie, über den Körper, selbst über die Lebenskraft,
h) Ein kraftiger Wille verhütet und heilt die meisten Krankheiten ; denn
der Grund sehr vieler Übel muss vorzüglich im Psychischen gesucht werden,
zumal der der IServenkrankheiten. c) Die Zahl der Krankheiten vermehrt
gich in jedem Staate in demselben Verhältnisse, so wie seine moralische Kraft
sinkt. Je mehr die Le.idenschaften und die Befriedigung sinnlicher Triebe
überhand nehmen, desto schwächer wird der Körper, wie der Geist, desto
geringer die Willenskraft, desto grösser das Heer der Krankheitien. d) Je
niedriger ein Volk oder eine Volksclasse auf der Stufe echter Cultur steht,
<lesto weniger widersteht es , da es ihm an intellectueller und njoralische?
Kraft gebricht, den ausseien nachtheiligen Eins^irkungen der Atmosphäre und
den Contagionen. In jenen Ländern, wo Despotismus, Barbarei und Skla^
vensinn der humanen Bildung henniiend in den Weg treten, wüthete laut
allen Nachrichten die böse Cholera am heftigsten ; dagegen wurden im civi-
iisirten Europa vorzugsweise nur die niedern Stände von ihr ergiiffen. Die
Krankheiten des Manschen, zumal aber die grossen Weltseuchen, stehen in
um so grosserer Abhängigkeit vom allgemehien Erdenjeben, je niedriger der
Charakter des Geschlechts ist. Ein höherer Charakter der Generation, der
Gattung, wie des Jndividuums, ein kräftigerer Wille, gestärkt durch die
Idee moralischer Freiheit und durch höhere intellectuelle und sittliche foäfte,
macht dagegen Aael unabhängiger von den EinÖüsseji der Aussen weit und des
Erdballs, weil unser unsterblicher Geist nach hölieren Gesetzen, als deiien
der Erdeiuiatur regißr;t wird, So findet auch das Physische, der Körper,
>vie jedes Niedere vom Höhern, seine Abhängigkeit vom Geistigen, Morali-
schen. So standen auch, wie SLlmuner schön darthut , in frühern Jahrhun,'-
derten die Seuchen der Menschen mit denen des Viehes in engerer Verbin-
dung; jetzt weniger; denn das Menschengeschlecht strebt im Ganzen immer
niehr nach Selbstständigkeit und höherer Persönlichkeit, wenn es auch al-
lenthalben und in allen Ständen Individuen, giebt , die davon nichts wissen
\Yollen und eine Ausnahme von der Regel machen, e) Ein schwacher Wille
erregt Furcht, und diese macht, wie die Erfalu-ung lehrt, am meisten an-
steckbar, indem sie die Receptivität erhöhet; dagegen kann der Muthigo
ohne Gefahr unter der Pest, der Cholera und dem gelben Fieber, diesem
nienschenwürgcnden Kleeblatte, einherwandeln. f) Bei Verrückten finden
wir oft eine recht starke, wenn gleich in falscher Richtung wirkende, Wil-
len.skraft, desgleichen bei Epileptischen und an einigen andern an Neurosen
leidenden Subjecten. Alle diese werden aber von ansteckenden Krankheiten
nur selten ergrilVcn. Auch können Erstere, selbst wenn sie zärtlich erzo-
gen worden. Wind und Wetter Trotz bieten, ohne dass sie durch Erkältung
leiden, g) Selbst der geschickteste Arzt ist, fieJlich oft unbewusst, die Ur-
sache der VerschlinnneruiLg vieler Krankheiten; denn die Idee, man sey so
krank , dass man durchaus einen Arzt nöthig habe und nicht dem eigenen,
nur dem fremden Willen gehorchen müsse, schwächt die Willenskraft.
Schon deshalb ist ein unmoralischer Arzt stets auch ein schlechter Arzt,
weil er nicht seinen von der Veruuufl ausgehenden, aondern nur e'uien.
DERIVATIO 531
durch niedere Beweggründe inodificirten Willen in Anwendung bringen kann.
i>ier sanfte, tröstende, HofTnuA^ erregende Ziw{miicI» des Arztesy 'i^iö' selir
erhebt dieser das GeinütU und leitet ab iVon den Gefühlen des •fechniei'zes
,iuld der Schwäche, .— wie -gros* ist nicht die Wirkung der Musik Auf niaii-
«Ue N«rvenkranke und Seelengestörtei (Vergll Lichlenthnl, Der imtkikaliiscifti
Atot. Wien, 1Ö07. Fr. Alb. St^nhtik , Diss; de Musices atque Pbeseos -vi
«älutari. Berol. 1826), wie wohlthätig überhau^jt die ganze Willens - HeÄ-
.kunde, die leider! in unserer Zeit von Är»ten und Laien zu sehr ■iernäcli-
lässigt wird. Wenn es endlich Thatsache ist,''das3 Gesunde aus Ftti'cht,
Äugst, Einbildmig krank werden können, dass viele Menschen feick einbil-
den krank zu sejn und es daher werden und Manche sdion aus Fmrcht «n
«terbeii gestorben sind, so muss fes eiiileuchfen , dass Muth und Fui'c'htlcfeig-
keit selbst bei Kranken unendlich viel vermögen und dass, wenn wir «iis
einbilden, gesund zu seyn, auch letzteres ein grosses Heilmittel seyn fnuss.
„Eindrücke auf den Gesichtssinn — sagt Meolxr — haben bei wieitwm nicht
die wohUhätige Wirkung, wie die Musik, land sind höchstens in chfonischeii
Jyfervenkrankheiten, aber auch da nur mit grosser Vorsicht, anzuw^den. —
Jil fieberhaften Krankheiten erregt der Anblick von Bildern, 'überhaupt V(hi
Gegeiiständen , die die^ Phahtasie in Anspruch ftfehmen, leicht Delirien, wes-
holb es schon wiwft/Wus für schädlich hielt, Fieberkr&nke in gematten Zim-
mern Hegen zu lassen. Das Gemeingefühl behufs der Ableitung krankhafter
Zwstäiide »n Aiwpruch zu nehmen, steht uns ein mächtige^, von dett Neuern
aber sehr venlachlässigtes Mittel, die Fr!i«lion',i itt Gebote. Die Alten
J)edienten> isich ihrer init Ydrliebe in fast alleh Krankheiten , und gewiss mit
grossem Erfolge (s, J. H. Schulst, De Abhietis veterum, eorum(jue diaeta
et habitu. Halae 1717. i,iH. J. Cohen, Diss. defrictionum usu apud veteres.
BerüL 1820). Abgesehen von dem mechanischen Binfluäse, der bei der BVi-
ivtiou,ji«eUr . in Anschlag konimtyi wirkt dio;je^ hauptsächlich auf d}e"j*^erven,
-uhdieiteti dadurch lu'ankhaifte i^ustände vort» Innern Theileh ab, wohl <Ame
Zweifel dufch den; itbieriscibten; Magnetismus loder, was eben so» viel sagen
will, d.UEC^ das uikbekanrttaAgens, das bei 'der Berührung von einem leben-
,deaiK«r;pr.r auf einen andern 4bergeht. Der thSerische Magnetismus hat in-
diesseia in seiner übprtrtebenea>. auf einseitigen Grundsätzen beruhende^ An-
wendung die Frictitfi* der Alten 'Lei weitein: nicht ersetzen köruienj 'Grössere
Aufmerksamkeit al6>:rein dynamSfeches Mittel verdient in der Thät- der sehr
vehmchläsjjigte minei-aKkcl*«» Magnetismus, der, wie andere ImponderAbllien,
uamientUich die Etekificität ündi ide^ GalvanisiniBS , unleugbar die Nerven in
einen, lihreju Verhältnisse 2tU.idia übrigen 'fiiystemen.und Organen ientspre-
.oheuderen Zustand zu versetzen vermag. Durch" llhatsachen kann märi sich
4üervMi »inl einer kÜKzücU erscirienenen , 'duecliv\'«g: isehr empfehlüngiVvei'theu
Schrift, (.(j-fi. A li<}üll**r^ .Der minei-alische Magnetisjümietc. 1829.)^ überzeit-
flen." ;.iß«i den meisten, derivlienden Mitteln^ die noch auf eine: andei-e' als
iwn .dynamische. W«Jsei wirken!, 'ai«u"'S aurJi d«r Schmerz in seinen vei'sbhie-
jdt-ntin Graden, die; Funcht, d,a* Ungewöhnliche , wodurch die AUfitiWksam-
keitidis >i>"ankeniiv«rt) dem /Leiden weg auf die neue leidende Steife gerich-
.te^ wird, iaiit in Anschlag gbbracht. werden. So wirlcen selbst die zeither
ala an sj(oh .unw u'ksam- betrafelftetenf symipathetischen Mittel , Afnulete etc.
*lei?ivir©nd U.«d. können. daidüeoh, i dass j siel die- i^itarttasie in Ansprudi nehmen
iWJld,'No.lrtfLe{deni.;ab»ielBe«.v iifcohlthätig werdfeh (s. Oalvanismus); doch
igiet)t.iö»»-:aüch- einei .-bis jetjpti afi'cnig erkanhi^i Wirksamkeit solchei^ Mittel,
iieifen.ich bei deiu eben' «itirten Artikel weitläuftiger gedacht habe. \tfecJt«'
-Jiagt •<»»■: ft. O. Bd. .1. 'S. SQ):4vyBirie fühlbar*. Zdchtigung beseitigt bei Kin-
-dfcjni flicht selten diei^Etturesis uHd Anfalle"\'(Mv Somnambulismus, sowie man-
4MgfeUiö3> . Ändere NdrVpaübeL Vorzüglich sirid es aber* krankhafte Zustände
tdftiri,ßö\v,«giingtnerven;y die hufdiifese Weis© ' (durch Schmerz) bekämpft wer-
.deftkönoea,, D^r AwtagömsmuÄi dieser Nerven mit den Gefühlsnerven tritt
liii^r wigeifcohmnlichiherTor, wie* Biesen anch die Naturheilungen von Para-
iiy%ei»,!,;dui"cU Schiiiei^B^n in. 'dorn leidenden- Theile genugsam beurkunden.
Wird ein ..gelähmter Tiieüvoa Schmerzen befallen, so läbüt sich seine Wie-
34*
532 BERIVATIO
dierherstellung mit einer Sicherheit , die mit dem Grade derselben in glei-
chem Verhältnisse steht, erwarten." — Die Wirksamkeit der Ekel cur
rechnet Hecher. zw den dynamisch - wirkenden derivirenden Mitteln. Sie be-
ruhet auf dem mächtigen und ausgebreiteten Consensus des Magens mit allen
edlen Theilen des Körpers. Beim schwarzen Staar ist diese Cur, der Ge-
brauch der Schmucker'schen Pillen, bei Orchitis die Ipecacuanha und d^
Tart. emeticus in kleinen Dosen von ausgezeichnetem Nutzen. Die Brech-«-
und Abführmittel machen den Übergang von den dynamischen zu deti
materiellen Derivatoriis. Nicht blos ihre nei-vÖse Wirkung auf Magen- und
Darmcanal, auch die in letztern erregte ungewöhnliche Absonderung, die
j Erschütterung des ganzen Körpers, der eigenthümliche Eindruck auf die
Reproduction, kommen hier in Betracht. Der Nutzen der Vomitive in rheu-
mati^che^, gichtischen und nervösen Übeln, sowie in manchen nicht - gastri-
schen, Fiebern und chronischen Lungenkrankheiten , ist bekannt. Der auf
Vomitjye; J'olgende Schweiss ist oft kritisch, und bei Asthmatischen befördert
nichts so, sehr die Expectoration und entfernt die Dyspnoe, als ein Brech-
mittel ,(s. A. DorxiS, Abhandl. über die Brechen erregende Methode etc.
.Bamberg u. Wür?burg. 1795). Die Abführmittel' sind noch wirlcsamer, um
.eiu;^ dynamisch -materielle Ableitung nach dem Dai-mcanal zu befördern, als
«l,ie Vomi,tive. „Mah kann behaupten, — s&^t Hecker — - dass hier dieNa^
t,ur, wenn auch weniger stürmisch, doch noch thätiger und unsicherer zn
Wetke geht, als beim Brechen, indem zu der beschleunigten peristaltischen
Bewegung, die eine nicht unbedeutende Ancegung des Gangliensystems vor^
aus^c^zt, eine sehe , iergiebige Absonderung ahsdeii Wänden des Darmcanaik
hini^ukqinmt, die unter zweckjnässig^r Leitung leicht den Charakter einer
künstlichen Krise annimmt , und , .was auch die. Ge.^er. einer geläuterten Hn-
moralp3tho|ügie dagegen, ein w,enden mögen,' vor allem geeignet i«t,- schad*-
liafte ßeifnischungen zu den Säften auszuführen. Wir reden hier nicht von
.d«r, A^jrW'thfi^ AWeitung, die; die Abführungen in chronischen Nervenkrank-
.heiten;h;^Vflfbringen rr- hieräber ist bei denn Aiteh dnd Neuern nur eine
_Stim4ne;7Tyi» wolleiv auch nicht i die Bedeutung de* kritischen Durchfalls über-
haupt; erörtern , — in den kächektischen Krankheiten aber, den Scropb*?lrs
der ßiu.chitis, der Gicht,, den Wassersüchten, 'überhaupt in allen, die mit
.einer vyrschlageivden. organischen. Verderbniss verbunden sind, ist jene ma*-
terieUe Ableitung von der höchsten Wichtigkeit, Und nicht ohne Grund nirf-^-
f;h^;d}e: Abführungen :cinen wesentlichen TheiL der Hungercur au8,Wie dies
i^iwt (s. dess. Magaz; ,Bd. l..;Hft.; 3. S. 354) y ihre vielseitige therapeutische
Be,de;i|itung scharfsinnig erkennend, mit Erfatouiigsgrundsätzen dargethan hat.
, l^t iiv,4i<i»fir Cur die Rößroducti^n einmal airf das Nothwendigste beschränkti,
,^Hi,yy|iji^lt,,sJe in der rückgängigen. Metamorphose als -Material KU d«n Kxcra-
jiijmj^n ! »UÄrst das Sch»^häftej und als dessen. ^ Vehi kel iWi^ihSt der Trtinsspira-
,<ipn,-4'*'' Darmabsondtrnng/'i Bin Fünfziger, der mehrere Jahre an Infarcteo,
»phljechVe« Verdauung .inid.Ob^trufctio alvi diabituafis nebst icteriscben Zufäl-
len. gelittpu, und viele .\r^neieh .'vergebais gebraucht' hatte, Avurdi 4lurch
.Purganzen, theils kühlender, !the»ls reizender. Art: .'Crem, tartari-, Hheüm,
tipuna ,.„jVlo5 «ftc. ,^ ,.>yoclien laogi' so. gebraucht, -da.ss täglich 6^^8'Se4eH
.lvJgt,eni,,,flpch kürzlich von mihjgründlich wieder hk>rgcstellt (Mo«<). — ^^ • Die
g^Wl"*'' W^k,samkeit -der kna^ipen Diät und . tägliche«i kohlenden Purganze'n
in piiitjäiei;, fiie herdiicheu (Wirkungen des ■ Decocti Zittmanni ; das ncibeii
tipn !Sc]^>y€^sen oft täglich 10, bis 20 Abfübrungep na'ch unten bewirkt ,'"ip
inyet^irt?^, sejcundärer.Syphüis, sowie b^i eingiewurzehem Herpes'etci siwd
bekaiji\^ (s. L,. ^J. >v'$(^iuvc, .Übec.Diäteiitziehhng (And Huhg^rcur in ■eingewur<'
.zelten,.chronisph^ni,i,nantentli«h>syphilitisdijen ü. psairdosyphilitischen Krank-
heiteji.. Aljpiia, l,8j2^)>-. ,4uch dii» Mittelsaiz^ aU Antiphiogistica wirkert ana-
log, uj^,, geben eiu^,;|«r,äftige Ableitung auf ideh :Dai<incanal. Ihre sogene note
^ühlel]de yVirkung m.u;>s gcösstentheils auf Derivätion zi/rückgeführt werde».
Sie fiiud ei.i^'nerrlicher Slimuluä >für den Darmcanal, leiten vom Kopfes 'Von
den Lungen ab und sind daher' bei Congestioneh , "bei aiiW EntHündtttvgen
ties K«pfs und tler Brust vom grössleu Nützen, indeiii'siG zugleich die öbe»-
DERMATITIS ~ DESCENSUS TESTICULI SEROTINUS 533
wiegende Plasticität des Blutes und dadurch die zu starke Thätigteit des
Herzens und der grossen Gefasse beschränken. Auch der von Neuem em-
pfohlene Gebrauch des Tart. emeticus in grossen Dosen gegnn Pneumoiiien,
sowie die scharfen Kly stiere aus Essig, Tabak etc. gehören als kräf-
tige Derivantia hieher, desgleichen die Niesemittel: Tabak, Kalömel,
Maiblumen, Rad. hellebori etc., die bei Augenübeln, Kopfkrankheiten durch
Vermehrung der Schleimsecretion der Schneider'schen Haut und dVirch hef-
tigen Nervenreiz wohlthätig wirken. — Die äussere Haut bietet eine grosse
Fläche dar, von innern Theilen abzuleiten. Alle Rubefacientia , Vesicantia
und Cauteria gehören zu den derivirenden Mitteln. Ihre vielfache Anwen-
dung in fieberhaften, entzündlichen, rheumatischen, sowie in vielen chroni-
schen Übeln, Exsudationen in den Gelenken, Lungeneiterungen, bei Meta-
stasen, kalten Abscessen etc. ist bekannt. Wie wirksam sind nicht d'^Kopp'-
schen und Autenrieth'schen Pustelsalben, von denen täglich auf die gewählte
Hautstelle ein kleiner Theelöffel voll eingerieben, diese mit Wachstafft be-
deckt und täglich wiederholt werden, bis Pusteln entstehen, beim chroni-
schen Hydrocephalus , bei der Epilepsia cerebralis u. s. w. ! Doch hat die
Kopp'sche Salbe, bestehend aus weissem Präcipitat, vor der Autenrieth'schen
manche Vorzüge. „Die künstlichen Eiterungen (durch Fontanellen,
Seidelbast, Haarseil) — sagt Hecler — nehmen unter den ableitenden Mit-
teln eine sehr hohe Stelle ein, sie wirken durch den eigenthüniHchen, in
vielen gefährlichen Krankheiten mit grossem Erfolge zu benutzeivden Heil-
process. Die eiternde Hautstelle wird ein sicherer Ablagerungsort füf, ^phäd-
liehe Beimischungen zu den Säften; selbst fixe Contagien finden T)iei" ihren
Ausweg, und wo irgend materielle Verderbnisse in den Säften stattfinden,
da entledigt sich die Natur des Schadhaften am leichtesten durch ein sol-
ches pathologisches Absonderungsorgan. Hieraus erklärt sich die Wirksam-
keit der Eiterung in der Vorbauungscur der Wasserscheu und in der B«-
handlung mancher kächektischen Übel, so wie die Gefahr der Unterdrückung
von selbst entstandener Eiterungen in eben solchen Übeln." (S. B, J. Ahrn-
hamson, Diss. de Cauteriis. Berol. 1832. Gerike , Dissert. Derivationis et
Revulsionis histoiia et praesidia. Jen. 1787, Goelicl-c, De Revellentibus ac
Derivantibus Veterum, eorumque rationali explicatione. Hai. 1709. Watts,
Dissert. on the ancient and new doctrine of revulsion and derivation. Lon-
don. 1784).
Dermatitis, Kylitis, Entzündung der Haut, s. Inflammatio cuti«)«,,
Dermatosclerosis* Ist gleichbedeutend mit Induratio teiae
cellulosae. (8. den Artikel).
Dermatotylus , die Hautschwiele, s. Calluscutis.
Dermophyinata venerea, s, Condylomata.
I>e8CeiU!(U8 testiculi serotinus. Obgleich bei neugeborneii Kna-
ben in der Regel die Testikel schon im Scrotum voi'gefunden werden, so ist
es doch nicht ganz selten, dass man letzteres leer findet und die Testikel
sich noch in der Bauchhöhle befinden , wo sie denn meist erst im 3ten, 4teir
Lebensjahre, oft aber auch noch viel später nach ihrem Bestimmungsorte
hinabsteigen. Die Zufölle bei diesem Process, der oft 8 Tage und länger
währt, sind: schmerzhafte Empfindungen, Geschwulst und Härte in der Lei-
stengegend, so dass der Unkundige einen neu entstandenen incarcerirten Lei-_
steAbruch vor sich zu sehen glaubt. Nicht selten sind Schmerz und Nerven-
reiz so bedeutend , dass Fieber, Delirien, Convulsionen hinzukommen . wobei
es merkwürdig ist, dass alle diese Zufälle oft völlig intermittiren , selbst bei
noch wenig hinuntergelangtem Testikel und zur bestimmten Stunde des Ta-.
ges wieder auftreten , so dass ich in einem Falle bei des Gastwirths Hnllicr
ojährigen Knaben hieselbst an eine Complicationi, mit Interinittens Jarvata
dachte und neben den äusserlichen Einreibungen von Ol. hyoscyaini und
Laudanum innerlich Chinin mit etwas Opium gab. Doch erst nach fünf-
maligem Anfall, der des Abends von 6 — 10 Uhr ^ sich einstellte, \>ar der
Testikel im Scrotum, und die Zufälle mit Fieber etc, blieben weg Doch
534 DESMOLOGIA — DIABETES MELLITUS
folgte gleich hinterher ein Leistenbruch, wogegen ein Bruchband nothwendig
ward. — Auch Dr. Tnistcdt berichtet in der Medic. Zeitung vom Verein
für Heilkunde in Preussen 1833. Nr. 10 von einem 15jährigen Knaben fast
ganz dasselbe. Dieser bekam täglich, Nachmittags 4 Uhr, schmerzhafte.
Empfindungen in dfir Leistengegend mit Zuckungen und Bewusstloisigkeit
von V2 Stunde Dauer, so dass man Chüiin fruchtlos gab. Der so spät her-
absteigende Hoden war nur bis zur untern Öffnung des Leistencanals ge-
langt. Die Krämpfe wurden durch den Schmerz iu dem herabsteigenden
Hoden erregt und durch blähende Speisen vermehrt. Man gab kurz vor
dem Eintritt derselben ein Klystier von Asant, und sie verschwanden. E»
waren Gedärme mit vorgefallen, die den Hoden hielten, daher letzterer frei-
gemacht, heruntergedrückt und später ein Bruchband angelegt wurde.
SesiuolOi^ia , s. Akiurgia.
Desmorrhexis , die Zerreissung der Bänder. Ist meist nulf'
Begleiter von Verrenkungen; zumal am Ellenbogen - und Kniegelenke (Ai„
Luxatio). Als eine für sich bestehende Krankheit ist die Zerreissung'
am Kniescheiben bände, das die Patella an das Schienbein befestigt^
zu betrachten. Der Kranke nimmt im Augenblicke der Zerreissung ein er^
genthümliches Geräusch wahr, empfindet Schmerz am -Knie, fallt zu Boden',-
und ist weder im Stande aufzustehen , noch sich auf den Fnss zu stützen
oder zu gehen. Das Knie ist, da dje Flexoren das Übergewicht erhalteri
haben, gebogen, u. s. f. (S. Ruptura ligamenti patellae)^
Hesquaiuatio cutis. Abschuppung der Haut. Nicht blö^
nach acuten Exanthemen: Blattern, Masern, Scharlach, sondern auch nach
der Rose, nach heftigen hitzigen Fiebern, selbst nach Anfällen der Gicht
und des Rheumatismus bemerken wir Desquamation, die bald niu örtlich,
bald allgemein, bald stärker, bald schwächer und ein Naturprocess , ähnlich
dem Mausern der V'ögel, dem Häuten mancher Amphibien etc., ist, wobei
die alte Oberhaut abstirbt und sich darunter eine neue bildet. Das Schar-
lachexanthem schuppt sich in grossen Stücken ab, besonders an den Händen
und Füssra, die Masern in kleinen Blättchen, kleienartig, die Röthein in
etwas grösseren Blättchen etc. Oft wird die Abschuppung übersehen, theils
weil sie unbedeutend ist, z. B. nach leicht überstandener cxanthematischer
Krankheit, theils weil starke Schweisse ihr Sichtbarwerden verhindern. Die
praktischen Cautelen für die Behandlung des Stad. desi|uamationis exanthe-
matischer Krankheiten, damit keine Nachkrankheiten entstehen, bestehen
darin, 1) dass man Erkältung verhütet, die Kinder ein paar Wochen im
Zimmer hält, sie in einem Bade von 25 — 27" R. Wäinie baden lässt und
ihren Körper mit Öl einreibt; 2) dass man in den yorhergehendäi Stadien
die an Masern, Scharlach etc. Leidenden nicht- zu. warm hält und sie massig
kühlend, antiphlogistisch behandelt ; alsdann ist die Abschuppung auch un-
bedeutend und Erkältung weniger zu befürchten. Doch ist diese nicht im-
mer Schuld an der auf Scharlach nicht selten folgenden Hautwassersucht,
die nach Anderer und meiner Erfahrung bei scrophulösen Kindern selten
ausbleibt, wenn sie nach überstandenem Scharlach auch' noch so sehr in
Acht;26^"o'^'"*^" werden.
Desquamatio ossium, das Abblättern der Knochen, s. Exfoliatio.
Detergentia, Mittel, die Wunden und Geschyvüre zu reinigen, s.
Abstergentia.
Deuteropatllia , Morbus sectmdarius , eine Folgekrankheit,
die als Folge einer vorhergegangenen Krankheit erscheint. So sind z. B.
die meisten chronischen Übel F'olge von acuten Krankheiten u. s. f.
Diabetes mellitus, vous, Diarrhoen uriiiosa , Dipsacus, Hydrops
nd matulam, P/i^/iisurirt, • die honigartige Harnruhr. Das Wesen die-
ser, in den meisten Fällen unheilbaren, höchst wichtigen Krankheit ist trotz
der zahlreichen Schriften lind Abhandlungen' über dieselbe bis jetzt noch
nicht hinreichend erfors\rt4it, und selbst über die Organe, welche primär da-
bei Idden , herrschen verschiedehe Ansichten, obgleich die Krar.kheit sehen
DIABETES 535
Cehus, Aretaetis, Th. JJ'iUiS und andere ältere Är/te kannten. Somit hat
denn in dieser, >vie auch in prognostischer und therapeutischer Hinsicht die
Harnruhr mit der ausgebildeten Epilepsie im Manaesalter grosse Ahnlicli-
keit; das Wesen beider ist noch nicht erforscht und beide sind sehr schwer
zu heilen, und wo die Heihuig anscheinend erfolgte, war sie in den meisten
Fällen nur temporär. Symptome. Das Hauptsymptom bei der wahren,
honigartigen Harnruhr ist : anhaltende und bedeutend yermehrte Se - un»!
Excretion eines Znckerstoff enthaltenden Harns, wo die Nahrungsstoffe ii
Gestalt des Harnzuckers (Saccharum diabeticum) ausgeführt werden, wo-
durch allgemeine Abzehi-ung des Körpers entsteht. Gewöhnlich gehen dem
Übel gewisse Vorboten vorher. Diese sind: gestörte Verdauung, Säure,
Sodbrennen, saures, schleimiges Erbrechen, kurzer Athem, trockner krampf-
hafter Husten, verstärkter Appetit bei regelmässiger Leibesöffnung, zuwei-
len kleine Hautausschläge, Drüsenanschwellung (Äci/)- Diese Vorboten
dauern oft viele Monate. Alsdann stellen sich zwei sehr constaute Sympto-
me: ein ungewöhnlicher, übermässiger Hunger und ein heftiger, die ganz.^
Krankheit anhaltender qualvoller Durst ein, der so bedeutend ist, das»
manche Kranke täglich 40, ja 60, sogar 100 ß Getränke zu sich nehme i
mussten (^Knebel, licil) ; dass dieser Durst die Menschen selbst aus dem
Schlafe weckt und , wenn er nicht befriedigt wird , Ohnmächten erregt.
Die Kranken sind dabei missmüthig, hypochondrisch, ihre Physiognomie
drückt etwas Bizarres, Verkehrtes, Pfiffiges aus, das schwer zu beschrei-
ben ist (itf.) ; auch verlieren sie durchgängig das Vermögen zum Beischlaf.
Bei völlig ausgebildeter Krankheit zeigt sich nun das schon oben genannte
Hauptsymptom: die qualitativ und quantitativ veränderte Harnabsonderung.
Die Quantität beträgt in 24 Stunden 30, 40, ja 100 und mehrere Pfunde,
meist mehr, als der Kranke trinkt; dieser Urin ist bald hell, blass, durch-
sichtig, bald trübe, molkig, riecht und schmeckt süsslich- säuerlich, und
die chemische Analyse desselben zeigt, dass der Zuckerstoff darin prädomi-
nirt, dagegen die phosphorsauren Salze, der Stickstoff vuid das Ammoniak
beinahe gänzlich darin fehlen. Der Zuckerstoff ist im diabetischen Harn so
gross, dass 36 Unzen, nachdem sie abgedampft worden, oft 4 — 6 Loth
Harnzucker geben. Die Resultate der chemischen Analysen des diabetische!!
Harnzuckers finden wir trefflich zusammengestellt in HüuefeliVs Phvsiolog.
Chemie 18^7. Th. H. S. 163 u. f. Die Absonderung des Urins ist am häu-
figsten zv>ischen Mittag und Mitternacht, und erfolgt oiuie Beschwerde,
doch empfinden manche Kranke dabei ein Kältegefiihl in der Lumbal- und
Blasengegend , ein brennendes Gefühl im Magen und in den Gedärmen , das
sich bis zu den Beinen hinzieht ; zuweilen ist auch Ischurie oder Inconti-
nentia urinae da. Es stellt sich nun trotz des starken Appetits und der
Menge des Genossenen bald Abmagerung des ganzen Körpers ein , obgleicli
die Digestion, eine Neigung zu Säure abgerechnet, gut ist. Dabei ist die
Hautausdünstung unterdrückt, die Haut rauh, spröde, trocken, stumpf,
heiss, oft mit Ausschlägen besetzt, die Zunge weisslich, mit rothen Rän-
dern, später schwärzUch, das Zahnfleisch geschwollen, die Zähne lose, oft
hässlicher Geruch aus dem M\nide, Blennorrhoea pulmonum, glandis , In-
flammatio praeputii , der Puls klein , selten , oder fre<|uent und leicht weg-
zudrücken; das aus der Ader gelassene Blut ist nicht zur Fäulniss, aber
zur sauren Gährung geneigt, es enthält viel Serum, wenig Faserstoff, kei-
nen Phosphor und kein Ammoniak (^GuedemUe, Nicolas); das Blutwasser ist
oft trübe, milchähnlich (^Ahcrncthi/, Dohso7i , Darwin) und schmeckt süsslicii
(^Dohson, Frank). So dauert das Übel oft Jahre lang, bis endlich grosse
Entkräftung, Stumpfsinn, Delirien, Sopor, Lähmungen, coUiquative Diar-
rhöen, Wassersucht und hektisches Fieber den Tod hei-beiführen. Nicht
selten macht die Krankheit in ihrem Verlaufe auch Re- und luternnssionen,
oder wechselt mit Diabetes insipidus ab. Die Sectio n zeigt die Nieren-
substanz krankhaft erschlafft, vergrössert , sehr blutreich, ulcerirt, und von
säuerlichem Geruch (Home), das Nierenbecken erweitert, voll eiterähnlicher
Materie, die Ureteren erweitert, die Häute der Blase verdickt, verhärtet;
536
DIABETES
doch fand man niemals Steine oder Abscesse in den Nieren, wohl aber hanfij;
Verhärtungen der Milz, der Leber, Vergrösserung der raesenterischen Drü-
sen, ungeheuer grosse Vasa mesaraica, SchlafTheit der Muskeln und des
Zellgewebes, seltener Resorption des Alveolarrandes (^Homc^, Knochener-
veichung (PoW), das Blut cliokoladefarbig, von süsslichem Geruch, die
grossen Venen mit Chylus angefüllt (^Michaelis') und den Leichnam wie Mo-
schus riechend. Ursachen. Die älteren Ärzte: Galen, Trallian, Arelacns,
Parncelsus , Hcltnont, suchten auf eine einseitige Weise die Ursache im Sy-
stema uropoeticum, andere in Schwäche der Nieren (^Boerhnave , Bursa'iiis,
BrendcV) , in einer zu grossen Dicke des Bluts (^Sijthnham} , in Auflösung
des Bluts (^ Willis, Oosterili/clc); andere hielten das Übel für etwas Spasti-
sches (^Richter, Sömmcrriiiij) , ^veil auch Hysterische oft viel Harn lassen;
andere suchten den Grund in krankhafter Thätigkeit der absorbirenden Ge-
fässe (Fr«7jA) , oder darin, dass der Chjlus nicht in den Ductus thoracicus,
sondern zu den Nieren gehe (önrttm), oder dass die Galle fehle und die
Hautausdünstung unterdrückt sey (^Kaiisch, KrnniUs, Ritter, Zipp ; HufclnmCs
Journal, Bd. LXV. St. 1.), oder dass die Harnsäure im Übermass da sey
(^HufelancT) u. s. f. Die richtigste Erklärungsart über das Wesen der Krank-
heit ist die, dass die Krankheit als das Gegenstück des Scorbuts in Hyper-
oxygenirung, entstanden durch Abdoniinalfehler, besonders der Milz und Le-
ber, bestehe (^Grant , Mend, Rollo, Hnnsc). Mit dieser Ansicht conveniren
die Symptome der Krankheit und die Natur der wirksamsten dagegen ver-
suchten Heilmittel. Das Übel entsteht aber nicht auf rein chemische , son-
dern auf dynamisch -chemische Weise, wobei durch Einttuss des Nerven-
systems die Thätigkeit des Magens zu sehr erhöht, desgleichen die Abson-
derung eines abnormen Magens"ftes zu stark ist. Auch ist es nicht zu leug-
nen, dass hier ein allgemeiner Productionsfehler zum Grunde liegt, vermöge
dessen das vegetative Leben von der höhern Stufe des Animalischen zum
Vegetabilischen heruntersinkt (^Himly); nur Schade, dass uns mit solchen
generellen Deductionen für die Praxis nicht immer gedient ist. Das Übel
kommt am häufigsten bei Männern vor, die an chronischen Krankheiten der
Milz und der Leber leiden, die hypochondrisch sind und eben, weil die
Function jener wichtigen Organe danieder liegt , ein Übermass von Säure
bekommen, weil die desoxydirenden Stoffe der Milz und Leber keinen Ge-
gensatz mit dem oxydirenden Magensafte mehr bilden; die Zuckerbildung
kommt wahrscheinlich schon in den ersten und zweiten Wegen, nicht erst
in den Nieren zu Stande; der Harnzucker ist daher schon in der Säftemasse
vorhanden, indem er schon im Magen und den Gedärmen gebildet wird
(ffaasc). Die prädisponirenden Ursachen sind: mittleres Alter, männliches
Geschlecht, häufig ärmliches Leben, Mangel an Fleischspeisen, übermässi-
ger Genuss von Kartoffeln , Mehlspeisen , sitzende unthätige Lebensweise,
seltener luxuriöse Lebensart; oft ist erbliche Anlage da (^Roiulelet, Morton,
Rollo, Fratik , Blumenbncli). Entferntere und gelegentliche Ursachen sind:
Erkältung, Missbrauch diuretischer Mittel, Missbrauch des Aderlassens, der
Genitalien, übermässiger Genuss zuckerhaltiger Pflanzenkost, des Weiss-
biers, der Gose, des Rhein- und Canarienweins (^Lisier, Willis^, Febris
intermittens, Gicht, Scrophulosis, zurückgetretene chronische Exantheme etc.
Prognose der Krankheit. Ist schlecht; Cullcn, FrniiJc und Currie halten
sie meist immer für unheilbar, andere Ärzte sind glücklicher gewesen. Ist
der Kranke jung, das Übel noch nicht alt, ist der Urin nur der Quantität,
nicht der Qualität nach verändert (Diabetes insipidus), wie dies vor ihrer
völligen Ausbildung meist der Fall ist, so ist noch Hoffnung zur Genesung
da. Cur. 1) Man entferne die erregenden Ursachen und etwanigen Com-
plicationen der Krankheit; gebe Diaphoretica : Antimonium, verordne warme
Bäder, wenn Erkältung vorherging, gebe bei Gicht- und Rheumatismus-
complicationen Antarthritica , Antirheumatica etc. 2) Sehr wichtig ist die
Diät. Der Kranke darf durchaus keine Pflanzenkost, kein Brod geuiessen,
sondern muss täglich Fleischsnppen essen und, wenn es der Magen verträgt,
\iel fettes, ranziges Fleisch, viel Fische, Wurst, Häringe, Käse geniessen.
DIABETES 537
auch kann er daneben etwas Schnaps oder Rothwein trinken, Bier passt
nicht, wohl aber, um den Durst zu löschen, viel süsse Milch mit etwas Rum
oder Alkohol, abwechselnd auch kaltes Wasser, mit etwas Aqua menth. pip.
und Eiweiss versetzt. Dabei muss der Kranke sich warm halten, in Schwe-
felwasser baden, Flanellkleidung tragen, und sich recht fleissig in freier
Luft bewegen. 3) Man suche die erhöhte Empfindlichkeit und Thätigkeit
der Nieren herunterzustimmen. Hier passen Antispasmodica, besonders daa
Opium, in Verbindung mit Magnesia, mit andern kaiischen Mitteln, z. B.
K' Tinct. antim. iartarisat. , — opii sitnpl. ana 5jj- M. S. Dreimal täglich
25 Tropfen (^Rollo). Auch Opium mit Kampher wird sehr empfohlen. Dr.
Shce heilte einen Diabetischen, der zugleich an spastischen und paralytischen
Zufällen litt , durch : I^ Cnmphorae Slv » Gumm. Idno ^jj , Pülv. aromnt. ^j,
Flor, zijici ^|> , Extr. trifol. q. s. tit fiant pilul. No. xx. S. Morgens und
Abends 2 Stück ; daneben nahm der Kranke ein Infus, valerianae und drei-
mal täglich 1 Unze von Tinct, gummi kino. Dr. Ware heilte einen andern
Kranken durch grosse Dosen Opium, 2 — 4mal täglich 2, 4 — 10 Gran Op,
pur., wobei der Stuhlgang ganz dünn wurde und der Kranke sich zusehends
besserte, Tommasini und Bailhj stiegen mit dem Opium selbst bis zu 60
Granen täglich mit Nutzen. Ferner sind empfohlen worden : Asa foetida,
Digitalis purpurea, Ipecacuanha in kleinen Dosen, das Cuprum ammoniacale,
das Extr. Nicotianac, die Antimonialpräparate , Merc. dulcis, Mercurialein-
reibungen und innerlich Opium, Cuprum ammon. und Tinct. cantharid. (Sco/f,
Jos. FranH). Doch ist der innerliche Gebrauch der Kanthariden zweifelhaft
i^Haase) und erfordert Vorsicht. Äusserlich dienen Vesicatorien , Fontanelle
in die Nierengegend , in die Kreuzgegend , allgemeine aromatische Bäder,
fettige Einreibungen des Leibes. 4) Man wirke gegen das chemische Mo-
ment der Krankheit durch desoxydirende Mittel. Dahin gehören Aq. calcis,
Älagnesia , Sal tartari mit aromatischem Wasser gereicht , vorzüglich aber
das Kali sulphuratum und der Liquor fumans Boylei (Hepar sulphur. volatile,
Ammon. hydrogenato - sulphuratum) , welche Mittel Redfearn und Rollo mit
glänzendem Erfolge anwandten. Von ersterm Mittel giebt man anfangs täg-
lich 5j ) später 5jj in einem Pfunde abgekochtem Wasser gelöst. Vom Liquor
fumans Boylei giebt man anfangs 2 — Sraal täglich 2 — 4 Tropfen in einer
Tasse Wasser, und steigt allmälig und vorsichtig damit, weil sonst leicht
die bekannten Zufälle von Narcotismus entstehen. Es ist im Diabetes, wenn
es anhaltend gebraucht wird, noch das wirksamste Mittel, das wir gleich
zu Anfange anwenden können und welches oft alle andere Mittel, selbst das
Opium entbehrlich macht, indem es die erhöhte Sensibilität herunterstimmt,
und sowol die Durstsucht (Dipsacus), als auch den übermässigen Hunger
(Bulimia) und die Hyperoxysis der Säfte am kräftigsten verbessert. 5) Blei-
ben nach der Genesung noch Stockungen in den Eingeweiden zurück, so
gebe man Resolventia: Asa foetida, Gummi ammoniacum, Rheum, und spä-
terhin zur Stärkung des ganzen Körpers und um die Laxität der Nieren und
der Blase zu heben: China, Ratanhia, Tormentilla, Uva ursi, Simaruba,
Liehen island., Myrrhe, Kino, Martialia. Diese Roborantia, Tonica passen
auch im letzten Stadium (im Stadio colliquativo , torpide) der Harnruhr,
desgleichen das Elix. acid. Halleri, doch sehe man danach und wähle sie so
aus, dass sie den Magen nicht incommodiren. Eine der neuesten Monogra-
phien über die Harnruhr ist folgende: A. W. von Stosch, Versuch einer Pa-
thologie und Therapie des Diabetes mellitus. Berlin, 1828, daher ich hier
das Wichtigste daraus in der Kürze für klinische Zwecke mittheile. Im
Cap. 1. spricht der gelehrte Verfasser fragmentarisch über Verdauung, Assi-
milation und Reproduction , im Cap. 2. von den Symptomen und dem Ver-
lauf der Krankheit, die, nach ihm, stets mit dem Gefühle von vermehrtem
Durste, der besonders des Nachts im Schlafe stört, beginnt, und der häu-
fig gelassene trübe Urin ungewöhnlich stark schäumt. Oft schleicht die
Krankheit so leise heran, dass die Kranken, welche nur bei Körperbewe-
gungen eine stärkere Müdigkeit, etwas ziehende Schmerzen im Kreuze und
in den Lenden, zuweilen neben dem Durste und dem starken Wasserlassen
^m
DUBETES
auch brennenden Schmerz im Epigastrium empfinden , kanm darauf achten.
Erst im höhern Grade der Krankheit schweigt die Geschlechtslust; bei dem
reichlichen Genuss von Nahrungsmitteln magern die Kranken dennoch sicht-
bar ab, die Kräfte schwinden mehr und mehr; dabei ein Gefühl von inner-
licher Hitze, verbunden mit einem Gefühl von äusserlicher Kälte, zumal im
Kreuze, in den Schenkeln. So wie das Zahnfleisch scorbutisch anschwillt,
eben so die Eichel und die Vorhaut; die Transspiration ist ganz unterdrückt,
die Haut pergamentähnlich trocken etc., die Kranken gehen mit Febris lenta
incipiens oft noch umher und ihren Geschäften nach, ohne das Gefahrliche
ihres Übels nur zu ahnen. Im Cap. 3. , wo der Verfasser von der nächsten
Ursache der Krankheit handelt und die verschieden(ri Theorien über das
Wesen des Diabetes, wie wir sie oben gehört haben, beleuchtet, bemerkt
er , dass man dabei zu wenig auf das nur geringe Vorhandensejn und nicht
selten gänzliche Fehlen des Harnstoffs im Urin Diabetischer geachtet habe.
Nachdem Cap. 4. die einzelnen Zeichen der Krankheit noch specieller be-
trachtet werden, redet er Cap. 5. von den entfernten äussern Ursachen der-
selben, wohin er besonders übermässige Geiste'Sanstrengung, deprimirendt^
Gemüthsbewegungen , Organisationsfehler des Gehirns und des Rückenmarks
in Folge traumatischer Veranlassungen, schlechte, rohe, vegetabilische,
schwerverdauliche Speisen und Getränke, Missbrauch harntreibender Mittel,
nasskalte Luft, schnellen Temperaturwechsel rechnet. Zu den innern ur-
sächlichen Momenten gehören die das System des sympathischen Nerven
direct treffenden Schädlichkeiten, als Onanie, Ausschweifungen in Venere.
Auch nimmt v. Stosch eine erbliche Anlage an. Prädisponirend wirken Hy-
sterie und Hypochondrie , auch statuirt er den häufig beobachteten Dinhetes
metastaiicus, nach zurückgetretener Gicht, 'Krätze, plötzlich gehemmten Fluor
albus, von zurückgetretenen übelriechenden Fussschweissen. Die Prognose
stellt der Verf. natürlich schlimm. Im 8ten Cap. handelt er von der The-
rapeutik. Die allgemeine hat 3 Momente zu beachten : 1) den lähmungs-
artigen Zustand im Centraltheile des automatischen Nervensystems zu heben
(durch Ammonium, Phosphor, Olea empyreumat. , Gummata fenilacea, Ter-
penthin, Kanthariden, Rheum, Aloe, Belladonna etc.), 2) die von demselben
abhängige Aufhebung venöser Resorption und die von dieser abhängigen Re-
tentionen und aus denselben entspringenden pathologischen Producte (durch
interponirte Emetica und Purganzen) zu beschwichtigen, 3) der Abzeh-
rung des Körpers vorzubeugen oder ihr abzuhelfen. IVlan sieht, dass bei
diesen gelehrten Sätzen eins schon in dem andern liegt und dass Herr v.
Stosch, um recht wissenschaftlich aufzutreten, zu viel für den Praktiker und
mehr, als es die Natur der Sache erfordert, trennt und eintheilt. Bei dem
aus zu opulenter, reizender Diät und Missbrauch der Spirituosa entstande-
nen Diabetes, wo Plethora abdominalis stattfindet, soll man die gegen letz-
tere nützlichen Resolventia anwenden und die Diät nicht exquisit thiorisch
-seyn. Im letzten Capitel theilt der Verf. drei Krankengeschichten mit. —
Als ein sehr bewährtes Mittel in der Harnruhr wird von den schwedischen
Ärzten Ronander und Ijftchcnilorph das Morphium accticum , p. d. zu '/:• — 1
Gran, gelobt, z. B. 12 Gran in 'f. Unze Aq. destillata gelöst und anfangs
Abends und Morgens 5 Tropfen und täglich 1 Tropfen mehr gegeben (s.
Rnst's Magazin. 1835. Bd. XXIV. Hft. 3. S. 496). Auch Bcrmlt (s. dessen
Klinische Mittheilungen etc. 1834.), der an 6 an Diabetes mellitus Leidenden
Beobachtungen anstellte, fand, nachdem ^nele gerühmte Mittel (Amnion car-
bonic. , Kali sulphurat. etc.) fruchtlos und Aqua oxymuriat. sogar schädlich
gefunden worden , noch den meisten Nutzen von Morphium acetic. , Kreosot
und Cupr. .sulphurico-ammoniat. (10 — 16 Gran täglich) neben einer strenge
durchgeführten Fleischdiät.
Dinhetes insipidus, simrins, die un seh mackhafte, falsche Harn-
ruhr. Hier fehlt der Zuckerstoff im Harne, obgleich er auch zu 40, 60
und mehreren Pfunden täglich abgesondert wird ; er enthält dagegen viel
Schleim und Eiwei.ssstoff , auch .scheint ein gummiähnlicher Stoff darin zu
seyn und eine noch unbekannte Materie {Hünefeld). Häufig ist diese Form
DIABETES 539
nnr da« erste Stadium der wahren Harnruhr. Cor. Man hat Wer Aq. cal-
ci», Magnesia , Uva ursi, Gummi kino empfohlen ; überhaupt ist die Behand-
lung wie bei Diabetes mellitus. Dass manche Schriftsteller die starken kri-
tischen Harnausleerungen bei der Wassersucht, in der kritischen Periode
der Fieber, der Entzündungen, im hysterischen Anfalle Diabetes insipidus
nennen, ist zu tadeln; nur die beginnende wahre Harnruhr verdient, sa
lauge der ZuckerstoflF im Harne fehlt, diesen Namen, und in dieser Hinsicht
wechseln beide Arten oft mit einander ab ; tritt Besserung ein , so wirdn
Diabetes insipidus, tritt Verschlinunerung ein, Diabetes mellitus (M.). — ■
Neumnnn (Medic. Conversationsblatt. Hildlmrghausen 1830. Nr. XVI.} tadelt
die Eintheilung in Diabetes melHtus und D. insipidus, indem die chronische
Vermehrung des Harnabgangs mit wahrem Diabetes nichts gemein habe, als
dass viel Urin gelassen wird, was bei letzteren nicht einmal beständig der
Fall ist. Es sind daher die Ärzte, welche den Grad der Krankheit darnach
abmessen , w ie viel Urin im Verhältniss zum Getränke abgehe , in grossen»
li-rthüine; denn auch bei verniindertem Harnabgänge dauert die Krankheit
fort, und wird jetzt erst recht lebensgefährlich. Zwei ganz andere 3jiu-
ptome sind dem Diabetes wesentlich und das Mass seines Grades: die Pro-
ductioh des Zuckers und die Prostration des Zeugungsvermögens. Der Zu-
cker ist nicht schon im Blute, nach Neumnnn, vorhanden, auch beruhet da»
Übel nicht auf Myelitis. Selten werden andere Menschen in Diabetes fal-
len als solche, die der Geschlechtslust reichlich geopfert haben. Bei der
Cur sieht A'^ auf kräftige Ernährung durch animalische Kost , Fische sind
besser als Fleisch , auch Kartoffeln , Morcheln , Trüffeln sind gut. Männer
jnüssen Tag und Nacht ein Suspensorium aus Lammfell mit nach inwendig
gekehrter VV'olle, um die Hoden etsvas zu reizen, Frauen Beinkleider und
Leibbinden tragen. Folgende Salbe wird In das Rückgrat eingerieben:
R' Uni/ucnt. rorismar. cömfos. jjj, Bnls. pcruv. nigr. Sjj, I'i(l- nmmon. caust.
giVj Tinct. canihnrid. 5jj- ^*:i\ Innern Gebrauch der Kanthariden hält N.
für gefährlich; dagegen lobt er die Solut, bals. peruv. in Äther, welches
Mittel am stärksten die gesunkene Zeugungskraft unterstützt, darneben Ge-
würze: Cubeben, Mnskatnuss , Ingwer, Calamns, Abends eine Dosis Opium,
später, bei der Be.sserung, China. — SundcUn (^Honi's Archiv 1830. Juli
ü. Aug. S. 653 ff.) hält dafür , dass die Phthisurie in einem Nervenleiden
begründet sey, und dass krankhaft erhöhte Venosität, Gicht und organische
Abdominalfehler oft dabei gefunden werden, ja auch metastatische Aflectio-
nen können Schuld seyn. Nach J. L. Bnrdsley ist bei Diabetes die Ab-
nahme der specifischen Schwere des Urins eins der ersten Zeichen der Bes-,
serung.
Dinbeies pcriodkus, die typische Harnruhr. So hat man wol die
Fälle genannt, wo das Übel drei Tage im Monate andauerte, wo es einen
Monat um den andern, oder alle acht Tage wiederkehrte (^MedkuSf WiUis,
Mend, Reil). T)iese Fälle sind wol mehr Krisen hysterischer Paroxysmen,
als wahre Harnruhr gewesen.
Dinhefes Simplex et composHus. In den meisten Fällen ist die Harnruhr
eine complicirte Krankheit, verbunden mit Physkonie der Leber, der Milz,
des Gekröses, mit Status atrabilarius , haemorrhoidaüs , später mit Ocdema
pedum, Anasarca, Febris hectica , welche theils Ursache, theils Folge des
Übels sind. Daher hat diese Eintheilung praktischen VVerth.
Binhetcs spnsticus, krampfhafte Harnruhr. Jede wahre Harnruhr
ist als Morbus incipiens mit Erethismus im Nervensysteme verbunden, wor-
aus sich auch die gute Wirkung der Antispasmodica, des Opiums, der kaii-
schen Mittel etc. erklärt, daher diese Eintheilung, welche Drcijssig, Sprcnifel,
Creuzwicser gemacht haben, keine besondere Species ausmacht. Dasselbe
gilt auch vom
Dinhetes torindns, der in den spätem Perioden mit allgemeiner Er-
schöpfung, Febris hectica und Cdlliquation eintritt.
Dialictes cum synocha. Obgleich diese Form von einem berühmten Arzte
{Reil) aufgestellt ist, so existirt sie doch nicht, oder es ist Diabetes spurius.
540 DIABROSIS - DIAETA
Jeder Diabetes verus ist mit Schwäche verbunden , Und die neuere Methode
der Engländer , hier Hungercur und Aderlässe anzuwenden , ist höchst ta-
delnswerth. i
Diabetes parnhßicüs. Ist Diabetes torpidus. f
Biahetes dccipicns. Diese Form nimmt P. Frank an ; der Urin soll hier'
von süsslicher Beschaffenheit seyn, aber sparsam abgesondert werden. Ob
diese Species wirklich vorkommt , bleibt spätem Beobachtungen überlassen.
Wenn man des Abends viel süssen Punsch trinkt , so sondert man in det
Regel am andern Morgen einen sparsamen, süsslich riechenden Urin ab (-M.)-
Dies wäre dann ein Diabetes decipiens periodicus. In verbis simus difficiliores !
Dialirosis 5 Zerfressung, s. Anabrosis. Verschiedene krankhafte
Processe können Zerstörung der Gefässwände veranlassen. „Obenan steht —
sagt Hecler — die Tuberkelbildung in den Lungen, wobei nach erfolgter
Erweichung der Tuberkeln , bei fortschreitender Verjauchung der Tubcrkel-
höhlen, selbst grössere Arterien sich öffnen, und die Lungen mit einer so
grossen Menge Blut überschütten können, dass augenblicklich Erstickung
folgt." Einen solchen Fall von Blutung beobachtete ich vor Jahren bei ei-
nem 30jährigen Chirurgen , der binnen 8 Tagen über 10 S) Blut aus den
Lungen entleerte. Zwei Jahre später starb er an Phthisis tuberculoso-ex-
ulcerata pulmonum, nachdem er kaum einige Wochen das Bette gehütet
hatte. Bei solcher Tuberkelerweichung erfolgt die Blutung stets aus dem.
abgestumpften Ende des Gefässes, nie an den Seitenwanduugen desselben.
Ausser den Krebsgeschwüren , die so häufig Blutung per Diabrosin erregen,
hat Carmichacl noch einen fressenden Chanker beobachtet, der zuweilen den
ganzen Penis zerstörte und die Unterbindung de^ stark blutenden Arterien
r.othwendig machte (s. auch Pfaffs Mittheilungen aus d. Gebiete d. Medicin,
Chirurgie u. Pharmacie. Kiel, 1833. 2ter Jahrgaug).
Diabrosis veniricuK^ s. Gastrobrosis.
Diadermiatria, die Heilung durch die Haut, durch Einreibun-,
gen, Bäder, endermatische Methode, s. Balneum, Frictio.
Diadocbe, Biadexis, Metatoptosis, Umwandlung einer Krank-
heit in eine andere von ganz anderm oder gar entgegengesetztem Charakter,
z. B. wenn aus einem inflammatorischen F'ieber durch zu schwächende oder
zu reizende Mittel etc. ein typhöses, putrides wird. Setzt sich eine Krank-
heit, eine Krankheitsform oder ein Krankheitsstoff von einem Theile auf ei-
nen andern und verschlimmert sich dadurch der Krankheitszustand, so nennt
man es Metastasis ; s. Antagonismus und Metaschematismus.
Diaeresis, Trennung, Zerreissung durch mechanische
Gewalt, z. B. eines oder mehrerer Blutgefässe (Haemorrhagia per diaere-
sin) , sowie es auch eine Blutung durch Zerstörung des Gefässes mittels
scharfer Jauche (Haemorrhagia per diabrosin) giebt.
Diaeta j Regimen, die Lebensweise, Diät. Ist im weitern (ärzt-
lichen) Sinne die ganze Lebensweise des Menschen, sowol in physischer,
als moralischer Hinsicht ; also die Berücksichtigung der sechs sogenannten
nicht natürlichen Dinge, des Schlafens und Wachens, der Bewegung und
Ruhe, des Essens und Trinkens, der Ausleerungen, der Affecte und Leiden-
schaften. Im engern Sinne ist Diät die ärztliche Vorschrift der Speisen und
Getränke und des übrigen Verhaltens gegen Kranke (Regimen). Auch ver-
stehen die meisten französischen Ärzte darunter einen niedern Grad der
Hungercur, wie sie ihn wol bei primärer Syphilis etc. anrathen. Wie wich-
tig die Diät in gesunden Tagen zur Verhütung zahlloser Krankheiten ist,
wie oft nur durch sie allein ein frohes, heiteres, zufriedenes Leben erhalten,
die Gestmdheit befestigt und das Leben selbst verlängert werden kann, dies
weiss jeder Arzt. Aber nicht alle richten sich nach den guten Lehren , die
sie predigen. ,, Thut nach meinen Worten, aber nicht nach meinen Wer-
ken!" so heisst es bei manchem Arzte, der durch Ausschweifungen in Bac-
cho et Venere seine Gesundheit ruinirt und sein elendes Leben, das er der
DIAETA 541
Kunst und Wissenschaft und dem Wohle der Leidendon nach Pflicht und
Gewissen widmen sollte, somit auf eine erbärmliche, jämmerliche, unmorali-
sche Weise verkürzt. Gegen die Diätetik für Gesunde wird mainuigfaltig ge-
fehlt; Avill daher der Arzt, dass es damit besser werden solle, so muss er
es d«rcb Wort und That an sich selbst beweisen, denn jede Verbesserung
muss bei uns selbst anfangen. Das Specielle dieser Diätetik gehört nicht hier-
her; doch muss ich noch bemerken, dass die meisten Arzte den Fehler be-
gehen, nicht genug auf die moralische Diät als Krankheitspräservativ zu
achten ; daher ich hier folgende wenige diätetische Regeln für Gesunde nicht
übergeheil wUl. Der wahre Arzt wird sie nicht blos in seinem Wirkungs-
kreise nach Kräften verbreiten, sondern auch bei sich selbst in Anwendung
bringen. 1) Halte Ordnung in allen Dingen; sey pünktlich und ordentlich
in Deinem Berufe als Mensch und Staatsbürger. Lebe nach der Uhr! Zur
rechten Zeit essen und trinken , schlafen und wachen , arbeiten und ruhen,
dies. erhält gesund. 2) Halte auf Treue und Redlichkeit in Deinem Dienste
als Staatiibürger, als Mensch (Gatte, Vater etc.). Wer treu seine Pflich-
ten , die er Gott , seinem Nächsten und sich selbst schuldig ist , erfüllt , hat
(Rühe' im Gemüthe, wer es nicht thut, geiräth in Unruhe und Angst, wo-
durch ei- in Fieber, Krämpfe, selbst SchlagflusS verfallen kann. Das böse
Gewissen , das Gefühl, dass er schuldig sey , die Vorstellung und die Furcht
'\ioc dei" Schande und Strafe, diese Dinge sind Gift fürs Leben und tödteii
oft -eben so sicher als das Typhusgift, oder sie bringen uns Seelenkrankheit
und elendes Leben. .S) Suche das Wahre in der Welt zu erforschen. Wer
^mparteiisch nach Wahrheit trachtet, die Wahrheit redet, den Irrthum hasst,
sich von allen Dingen in der Welt eine möglichst genaue Definition macht,
bei seinen Handlungen stets als Mensch denkt und redlich handelt, den wird
weder. JStülz, noch falsche Ehrliebe, noch Selbstsucht, noch Eitelkeit, noch
irgend leine andere Schwäche der Seele beunruhigen und krank machen.
Kr wirdi (endlich zu der grossen Wahrheit gelangt seyn, dass Alles unterm
Monde oiuvolikommen, unvollendet ist; er wird daher bescheiden seyn, und
.weder .an die Wissenschaften, noch ans Leben und an die Menschen zu grosse
Ansprüche machen; er wird nach nichts trachten, um dessen Besitz er das
Leben selbst einsetzen müsste; er wird alö ruhiger Philosoph bei einem mas-
sigen Grade von Stoicismus sich wohl befi^iden. 4) Hasse Zank' und Un-
einigkeit uhtei" Deinen Nebehmenschen. •' ■§) Bezähme Deine Leidenschaften;
sey Herr über Dich selbst, so hast Du Deinen grössten Feind besiegt.
6) Sey. massig im Essen und Trinken, ohne dabei ängstlich zu fragen, ob
iliesi odtfr jenes Dir gut sey- oder nicht. Prüfe Alles, behalte das Beste.
Waa..Dirv.gut schmeckt und-Dlr gut bekommt, schadet Dir nicht. Iss ein-
facheöäp^sen bei einer Mahlzeit, mache Dir die geistigen Getränke nicht
isuih täglichen/ Bedürfniiste , sey massig im' Cüitu!>. 7) Bewege Deinen Kör-
pec;.täglich einige Stunden im Freien, gewöhnte Dich an jede Art der Wit-
G^ung^ .'.liärte Dich 'mit Votsicht und allinälig ab; strenge den Geist nicht
:iu:viel aify aber la^s ihn nicht in Unthätigkeit versinken. Suche stets Har-
monie ^jsvfischen Seele 'und Lmb, zwischen Kopf und Herz zu erhalten. '—^
Wasjdie Diät in den verschiedenen acuien und chronischen Krankheiten be-
iritfUj ^liHt dieselbe in I diet»em Werke bei jeder leinzelnen Krankheit beson-
<lei-s (berücksichtigt worden. ' Das Allgemeine dairüber siehe bei Constitu-
ti'pi.; ■ iDie Vernachlässigung derselben in'unsei'n Zeitein verdient grossen Ta-
dte'l), KU» besonders • dje Jüngern' Arzte sie zn wenig berücksichtigen und ihr
«SbhtJ diejenige Aufriierksamkeit schenken ,' die sie von Rechtswegen verdient.
I>ai wareh unsere altern Ärzte Igan«;. andere-Präktiker! Sie erkannten die
gooi^e' 'Wahrheit, 4»ss eine gute Diät in aeutieu ' Krankheiten das Meiste
thu!liv''dass durch'iwiej4aliein 'Von löO Kranken 90 'curirt 'werden {ffufeland')
uhd'das« «le nach* der Erfatimingschon-manche chronische Krankheit heilte,
dM!'atten"Arzneiei>>t4<otzte!:und> die die Ärzte tnicht selten für unheilbar an-
eälken'.r IFolgende'Bemerkuhgeni'mögen im AUgeWinen ' hier noch Platz finden:
1) Der Aiizt^-studipe eil» V^euig. 4ie Kochbücher, damit er die verschiedenen
Süubeiieitängteti kennfe^ die Gewürze etc., die zu diesem oder jenem Gerichte
549
PIÄETA
kuuimeii, und gomll aus Unkeniitiiiss nichl etwa seinem Krauken etwas Sehidl-
liches eilaube. Er wird bei dieser Gelegenlieit auch ■ Qiijsehen , dass uu^etk
ganze heutige Kochkunst nur die grosse Kunst zum Endzwecke hat, ' dut'ch
reizende Dinge das Leben allmälig zu verkürzen. Selw lesenswerth ist, in
dieser Hinsicht folgende Schritt: Jos. Köuit/'s Geist der Kochkunst, 182^,
welche der geistreiche C. F. v. Rumohr geschrieben hat. ü) Er vepicbaffe
sicii richtige Kenntnisse über die chemischen Bestandtheile der geniessbareö
animalischen und vegetabilischen Kost, über ihre Leicht- und Sch\%erYer-
danlichkeit (^SpaUnnzani,, Gwip/üi, Tiedemitnn^ und über ihre sonstigen spe-
ciellea Beziehungen zu den verschiedenen Systemen des Organismus. 3) Er
gestatte nicht, dass bei chronischen Übeln der Kranke zu schuell von einer
ieizenden zu einer reizlosen Diät, oder umgekehrt übergehe, weil dadurch
manche Nachtheile (Arthritis atonica, örtliche Entzündungen, Plethora; Con-
gestionen etc.) befördert werden können. 4) Er berücksichtige stets den
Grad der Stärke oder Schwäche der Digestionsergane seiner Patieuten bei
Auswahl der Speisen und Getränke, wie bei der A/iswahl der Arzneien (s.
Amara). 5) Er verbiete zu Anfange fieberhafter Krankheiten, wo ohnehin
wenig Appetit ist, das Essen, nöthige dagegen desto mehr zum 'Triuköa
nicht erhitzender Getränke (höchst seltene Fälle ausgenommen). •— Die
Pflege der Augen als des edelsten Sinnesorgans macht in der populäre»
Ophthalmologie einen wichtigen Abscluiitt aus. Auch der Nichtarzt soll <iie
Schädlichkeiten kennen und vor ihnen gewarnt werden, die dem Auge Ge^
fahr bringen. Die Regeln der Augendiätetik werden um so nothwendiger, sie
verdienen um so mehr allgemein verbreitet und gekannt zu werden, je grös-
ser und zahlreicher die Schädlichkeiten sind, die in civilisiften, verfeinerten
Staaten durch Luxus, Schwelgerei, übermässiges Studiren, Nachtwaclieni,
bitzende Lebensart etc. das Sehvermögen der Menschen bestürmen. Aus die-
sem Grunde haben sich auch mehrere berühmte Männer durch populärie diä'
tetische Schi'iften, die sowol die Pflege gesunder Augen ,- als die diätetischfe
Behandlung schwacher und kranker Augen zum Gegenstande haben, verdient
gemacht (s. G. Beer, Pflege gesunder u. geschwächter Augen. Leipz. 1800.
(;/i. Hcnheni Ophthalmobiotik, odei- Regeln und Anweisungen zur Erhaltung
der Augen. Bremen u. Leipz. 1815, S. T/t. Sönimerrinff , Über einige wiclii-
tige Pflichten für die Augen. Franf. 1819. C- U. Weller, Diätetik gesunder
und schwacher Augen. Berlin 1821). Zu grelles Licht, heller iSohneu-
ßchein, zumal auf grosse, hellgefärbte Flächen, Sandebenen, Schneefelder^
>>eisse Häuser und Mauern, zu starke Zimmerbeleuchtung, consumirt die Er-
regbarkeit des Auges und kann torpide Schwäche desselben, selbst Atoaurose
zur Folge haben. Augenschirme, Schleier geben Schutz davor. Eitf 'merk-
würdiges Beispiel von Schneeblindheit ist aus den Memoirsofi General
Miller in BeltreniVs Repertor. d. n>ed. chir. Journalistik des AuslandesJ Juni
1834 S. 218. mitgetheilt, Eine ganze Divisioja: Soldaten, die von Cordovf
uac{h P.uno^ marschirte, wurde,: 3 Meilen von. jiedjer;Ojjenfichlichen AVphnnng,
von dein Übel befallen, weiches. die Einwohner voä Peru Surunipi aemmn,.
Diese temporäre Blindheit beruhet auf der üi)n»öglichkeit, die Augenlider
einen Augenblick zu öffnen, indem der geringste. Lichtstrahl durchauk. uner/-
txäglich ist; dabei heftig quälende Schmerzen^ die nur durchöj AuflegejL.Toa
Schnee ge^njldert werden. Einige gesund gebliebene Führer galoppirten vor+-
BUS nach einem Dorfe und brachten an 100 Indianei:, mit, um die'Uruppea
führen zu helfen. Viele Soldaten, Vor Schmer» rasend, hatten v-oA der .Co>*
loiuje sich verloren und starben vof der RückkeUr der Führer, die iuib Hülfe
der Indianer die Truppen aii langen Tauen leiteten. Mehrere Soldate» üä-
len. dabei in Abgründe; und waren rettungslos verlo)?«n>. , Von ■ SOCO • Mann
verlor die Division*über hundert. Gewöhnlich dauert^dia Schnaebliiidhait
nur 2 bis 4 Tage. — Das zu seh wache Lieh ti schadet theils dadui'chj
indem es einen nothwendlgen Lebeiisreia für den.) ganzen Organismus leicbini*
lert, theils dadurch, dass es die Reizbarkeit des. Auges,. eilböhet, so das» ^ie
gewöhnliche Beleuchtung nicht ertragen wijrd,;, Daher ist das Lesen« )u«d
Schreiben in der Däuuwerung so schädlich. . Jeder schnelle Weckael Vom
DIAETA 54?
Hellea ins Dunkle und umgekehrt, das Schlafen in einem finstern Zimmer
und der plötzliche Eindruck des hellen Tageslichts am Morgen , das Lesen
im wechselnden Schatten eines Baumes, das Schlafen mit dem Gesicht ge-
gen das Fenster , sind zu vermeiden. Die häufigste und grüsste Schädlich-
keit für die Augen ist: unz vv eckmässige Vertheilung des Lichts.
Ilei anhaltenden Beschäftigungen, z. B. am Schreibtische etc. muss das Licht
nicht von vorn, sondern von der Seite, am besten schräg von oben über
die Unke Schulter einfallen, well dann die rechte Hand keinen Schatten auf
die Arbeit vvirft. Arbeiter, wie Uhrmacher, die es nicht vermeiden können,
dem Lichte gegenüber zu sitzen, müssen sich durch einen, mit dünnem blass-
grünem Papier überzogenen Rahmen, den sie an das Fenster stellen, schützen.
Jede künstliche Beleuchtung , die nur einen Thell des Zimmers erhellt und
den übrigen ziemlich dunkel iässt, z. B. durch Klapplichtschirme, ist schäd-
lich. V^ achskerzen oder das Gaslicht (Ölbildendes Kohlenwasserstolfgas) au»
den Steinkohlen geben die beste Beleuchtung, well die Flamme gleichmässig
brennt. Taiglichte schaden den Augen am meisten, weil sie unglelchmässi-
ges Licht geben und Juan beim Putzen derselben genöthlgt ist, mit schon
angegrlUenen Augen in die Flamme zu sehen. Alle Lampen sind gänzlich
zu verwerfen , weil sie ein sehr concentrirtes , blendendes und dabei unan-
genehm (rothgelb) gefärbtes Licht geben (^Beer, ÜMSf), doch ist eine oben
an der Decke befestigte Argand'sche Lampe, weil sie ein weisses Tiicht von
oben glebt und einen hohlen cylindrischen Docht hat, für die Zimmererleuch-
tiuig sehr gut ; nur passt sie nicht für den Arbeitstisch ; hier sind die
Frank' sehen Studirlampen mit halbcylindrlschem Dochte und offenem Glas-
c) linder, nicht aber die alten, verwerflichen Market'schen Studirlampen
mit geradem Dochte, röthlicher Flamme nnd Blechschirm, nützlich. Jede
gute Lampe muss einen durchscheinenden Schirm haben, am besten von
Milchglas, der dem Auge den Anblick der Flamme erspart, ohne das Zim-
mer zu sehr zu verdunkeln. Grüne Glasschirme taugen eben so wenig, als
die grünen Brillen, indem sie den Gegenständen ein unangenehmes, entstel-
lendes Licht geben. Angen-ehm und wohlthätig fürs Auge sind die grünen
und blauen Farben, iudilierent die graue, dagegen die schwarze und weisse
Farbe ganz wie zu schwaches und zu helles Licht wirken. DI^ rothe und
die gelbe Farbe sind dem Auge, zumal bei starker Beleuchtung, nachtheilig,
ftlan muss daher dem Auge den Anblick unangenehmer Farben möglichst
ersp&ren und sie vopden Wänden des Wohnzimmers, den Möbeln etc. ver-
bannen. Obgleich die grüne und blaue Farbe dem Auge bei reflectirendem
Lichte wohlthätig ist, so bringen beide Farben bei durchgehendem Lichte
dem Ange dennoch Nachtheil. Daher sind die gefärbten , die grünen und
1/l^iupn Biillengläser zu verbannen, und es ist ein grosser, aber viel ver-
breiteter Irrthum, dass sie gesunden oder allen schwachen Augen nützlich
^ey^n. , Die weiss angetünchten Häuser und solche Wohnzimmer schaden oft
dadurch, dass sie das Sonnenlicht zu grell retlectiren, daher in manchen
Städten, z. B. in Rostock, es verboten ist, sein Haus weiss anzutünchen,
weil dadurch der gegenüber wohnende Nachbar, zumal wenn er zu den
sitzenden Ständen gehört, Schaden an den Augen nehmen kann. — Sehr
wohlthätig und stärkend wirkt aufs Auge reine, massig warme, trockne und
nicht zu heftig bewegte Luft. Ist sie durch Staub, Feuerrauch, Tabaks-
darapf, durch mineralische und andere scharfe Ausdünstungen verunreinigt,
zumal durch thierische Stoffe, so kann sie dem Auge grosse^ NachtheU
bringen. Die schlecht gelüfteten engen Schlafzimmer, die dunklen unrein-
lichen Kinderstuben, die grossen, mit Gardinen versehenen nicht gelüfteten
Himmelbetten, haben schon manches Auge verdorben. Leiden die Augen auf
Reisen durch starken Wind, durch grosse Sommerhitze an Röthung, Trocken-
heit und Schmerz, so dient dagegen fein Augenvvasser aus 4 Unzen Rosen-
wasser, 1 Quentchen Gummischleim und 15 Tropfen Bleiessig (^ßecr). Oft
sind auch schon Fomentatlonen und die Augendouche von kaltem Flusswas-
ser hinreichend. Jeder schnelle Wechsel der Temperatur, gleichviel dei-
atmosphärischen oder der Ziramerluft, schadet dem Auge, doch ist gross«
544 DIAETA
Wärme schädlicher, als Kälte; daher das Tragen dicht anschliessender Staub-
brillen im Summer, indem sie den Blutandrang zum Ange steigern , getadelt
werden muss. Aus gleichem Grunde schadet auch jede enge Bekleidung,
festes Schnüren des Leibes, enge Halsbinden, enge und schwere Hüte, an-
haltendes Blasen von Blaseinstrumenten etc. dem Auge , zumal im Sommer
und bei hohem Hitzegraden, nach körperlichen und geistigen Anstrengungen.
Nichts ruinirt schneller die gesundesten Angcn, als anhaltendes Nachtwachen
und das Studiren zur Nachtzeit und bei künstlicher Beleuchtung; denn das
Auge bedarf des Schlafs zur Erholung, uie der ganze Körper. Aber auch
ein zu langer Schlaf ist den Augen schädlich, besonders in dicken, war-
men Federbetten, in dunklen Schlafzimmern. In den langen Winternächten,
wo die meisten Menschen mehr als im Sommer schlafen, ist es daher selbst
gut , dem Auge nicht allen Lichtreiz zu entziehen , und daher eine Nacht-
lampe, deren Flamme aber weder das Auge des Schlafenden treffen, noch
die Luft des Schlafzimmers verunreinigen darf, brennen zu lassen (Beer).
Bei Säuglingen muss auf die Stellung der Wiege Rücksicht genommen wer-
den, soll das Schielen verhütet werden. Das Kind sieht oft unverwandt
nach dem Lichte oder nach glänzenden Gegenständen, und wiederholt sich
dieses täglich, während das Kind in der Wiege nicht schläft, ist z. B. ein
Fenster, ein Nachtlicht, eine Wanduhr, ein Spiegel an dem Kopfende oder
an einer oder der andern Seite der Wiege befindlich, so gewinnen die Mus-
keln, welche den Augapfel nach jener Seite hinbewegen, bald ein solches
Übergewicht über ihre Antagonisten, dass die Augen bald eine bleibende
Richtung nach dieser Seite oder nach Oben annehmen. Höchst nachtheilig
ist den Augen unserer Kinder das frühe Schulenbesuchen, das stundenlange
Einsperren in Schulstuben , das viele Lesen , Schreiben , Zeichnen , Sticken,
kurz das Ansehen kleiner, feiner und naher Objecte in einer Lebensperiode
und demjenigen Alter, wo eine stets wechselnde Beschäftigung und beson-
ders eine häufige Betrachtung ferner Gegenstände dem Auge zu seiner Aus-
bildung und Stärkung so nöthig ist. Diese naturwidrige Erziehungsweise
unserer Zeit, die den ersten und vorzüglichsten Grund zur Kurzsichtigkeit
legt , verdient grossen Tadel. Auch der schlechte Druck so mancher Schul-
bücher mit abgenutzten stumpfen Lettern ist mit anzuklagen , desgleichert
die unzweckmässige Beleuchtung und verdorbene Luft in manchen vollge-
pfropften Schulstuben. „Noch mehr als die Knaben sind aber, wie AscJterson
mit Recht bemerkt {Riist's Handb. d. Chirurgie, Bd. VL S. 14), die Mäd-
chen zu beklagen. Nicht nur, dass sie in ihrer engen, den Kreislauf hem- ,
menden Kleidung noch strenger an das Zimmer gefesselt werden, als die
Knaben, so sind sie durch die herrschende Mode zu Arbeiten verdammt, die
ganz eigends dazu erfunden scheinen , die Augen zu verderben. Da werden
die feinsten Gewebe, z. B. Batist, Spitzen, mit der Nähnadel nachgeahmt,
da wird auf Linon gestickt, Seidenmusaik gemacht, oder wie die brotlosen
Künste alle heissen mögen. Eine der häufigsten Beschäftigungen unerwach-
sener und erwachsener Frauenzimmer ist jetzt die Stickerei in bunter Wolle,
eine unverdienstliche mechanische Arbeit, bei welcher das Abzählen der ein-
zelnen Punkte des Musters die Augen eben so sehr anstrengt, als ihnen die
Betrachtung der blendenden Farben und der feine Wollstaub , der beim
Sticken erzeugt wird , jiachtheilig ist." Dazu kommt noch, dass die meisten
solcher Arbeiten in den kurzen Tagen vor Weihnachten und meist bei künst-
licher Beleuchtung verfertigt werden, um als Weihnachtsgeschenk zu dienen.
Nur erst nach vollendeter Entwickelung des Körpers kann das Auge grosse
und anhaltende Anstrengungen ohne Schaden ertragen. Daher sollten junge
Leute, die dazu bestimmt sind, eine das Sehvermögen sehr in Anspruch
nehmende Kunst zu erlernen, z. B. die des Juweliers, des Uhrmachers, Gold-
schmiedes, Kupferstechers etc. nie vor vollendeten Pubertätsjahren in die
Lehre gegeben werden, was Kitern und Vormünder noch zu wenig berück-
sichtigen.-r— Personen, die durch Krankheiten, Blutverlust, Wochenbette,
Nervenfieber, durch Eiterungen etc. geschwächt sind, müssen besonders ihre
Augen schonen. Das Bücherlesen und Sticken im Wochenbette taugt nichts;
DIAETA 545
auch ist es schon dein Auge des gesunden und kräftigen Menschen schäd-
lich, im reizbaren Zustande, gleich nach Gemüthsbewegungen, nach Er-
hitzungen des Körpers, nach einer reichlichen Mahlzeit, nach dem Aufstehen
vom Schlafe, dasselbe sehr anzustrengen. Auch das Lesen im Fahren oder
Gehen, zumal in Büchern mit kleinen und lateinischen Lettern und von
blendend weissem Papier, wie sie in England, und jetzt auch leider! in
Deutschland, Mode geworden, das Sehen durch Brillen oder Vergrösserungs-
gläser, die nicht vor dem Auge befestigt sind, durch Mikroskope mit einem
Auge, ohne mit dem andern abzuwechseln, ist höchst nachtheilig. Da das
Schreiben, wenn man schnell und nicht schön schreiben will, das Auge we-
niger anstrengt, als das Lesen, so richte es der Gelehrte so ein, dass er
bei Tage jnehr die Zeit zum Lesen, die des Abends mehr zum Schreiben
benutzt. Wer bei Tage seine Augen sehr anstrengen muss, wähle sich eine
mit massiger Bewegung verbundene Erholung, z. B. Spazierengehen, Rei-
ten , im Winter Billardspiel etc. ; das stundenlange Sitzen am Spieltische
oder am Schachbret ist fiir ihn unbedingt zu verwerfen. Aber nicht allein
die zu grosse Anstrengung, auch die Unthätigkeit, der zu geringe Ge-
brauch, z. B. durch zu langes Schlafen, durch das lange Verweilen im
Dunkeln, kann dem Auge schaden. Es giebt eine Art von Blindheit ,• wel-
che Beer den Au g en s chlaf nennt, und die wieder gehoben werden kann,
wenn man das gesunde Auge, wie bei Schielenden, eine Zeit lang verbin-
det und so das kranke zum Sehen zwingt. Wer schon geschwächte
Augen hat, muss alle angegebenen Regeln einer auf Theorie und Erfah-
rung gestützten Augendiätetik doppelt streng befolgen, will er nicht sein
Gesicht völlig verlieren. Die Zeichen schwacher Augen, bei denen es die
höchste Zeit ist , schonend mit ihnen umzugehen , sind folgende : Die Seh-
weite (Punctum distinctae visionis), d. i. das deutliche Sehen kleinerer Ge-
genstände, verringert sich merklich, oft, zuihal nach grossen Anstrengun-
gen, Nachtarbeiten etc. binnen wenigen Tagen um einige Zolle. Während
anhaltender und anstrengender Beschäftigungen fühlt man eine lästige Span-
nung in der Augengegend, die oft von einem Gefühl der Wärme und einer
Schwerbeweglichkeit des Augapfels und der Augenlider begleitet ist, auch
sich wol zu einem massigen, betäubenden Kopfschmerz steigert, der beson-
ders in der Augenbrauengegend ein drückendes Gefühl hervorbringt ; —
ferner: öfteres Thränen der Augen, Röthe und Geschwulst der Augenlid-
ränder, zumal bei blonden Personen, ausgedehnte Gefässe der Conjunctiva.
Endlich zeigt sich, und zwar oft plötzlich, ein dünner Nebel vor den Au-
gen, die Gegenstände verwirren sich, und ein beginnender Schwindel zvsingt
uns , die Augenlider zu schliessen. Öffnet man aber einige Secunden später
die Augen, so sieht man so deutlich, wie zuvor. Achtet nun der Mensch
nicht auf sich, schont er seine Augen nicht sorgfältiger, so stellen sich fol-
gende Zufälle ein : die Objecte scheinen einen Rand von Regenbogenfarben
zu haben, und öfters bewegen sie sich, in einen besonders lästigen Schim-
mer gehüllt, sehr geschwind von oben nach unten, oder umgekehrt, und
scheinen in einander zu fliessen. Alle diese beängstigenden Symptome las-
sen sich oft noch beseitigen, wenn der Kranke folgsam ist und sich allen
aufs Auge nachtheilig wirkenden Einflüssen entzieht und eine vernünftige
Ökonomie im Gebrauch derselben beobachtet. Schwache Augen müssen vor
der Einwirkung eines absolut oder relativ zu starken Lichtes durch einen
guten Augenschirm geschützt werden. Letzterer muss leicht und so an-
gefertigt seyn, dass er sich der Form des Kopfs anschmiegt, ohne zu drü-
cken oder zu belästigen ; er muss die Augen nicht blos von oben , sondern
anch von den Seiten her schützen, und von der Stirn an geradeaus laufen,
ähnlich den Schirmen, welche sich an den Sommerhüten der Damen befinden.
Für Wohlhabende lässt man solche Augenschirme am besten aus Sparterie
verfertigen , d. i. diejenige Masse, deren sich die Putzmacherinnen zur Form-
gebung und Haltbarkeit der Damenhüte bedienen, lässt sie dann mit einem
feinen biegsamen Putzmacherdraht einfassen und mit grünseidenem Tafft über-
ziehen. Für Ärmere nimmt man steifes Papier oder dünne Pap{>e dazu , di^
Most Eucjklopädie. 2te Aufl. I. 35
546 DIÄGNOSIS
tiitm mit pinnom, glanzlosiem Papier überzieht und mittels zweier daran be-<
festigtet iiäiider um den Kopf bindet. Umhüllung des Gesichts mit schwär^
zem Klohr schützt am besten auf Reisen in grossen Sandflächen, auf kahlen
Kreidebergen oder im glänzenden Schnee und bei Sonnenschein auf solche
Flächen. Die völlige Unthätigkeit, d. i. zu grosse Schonimg, steter Aufent-*
halt im Dunkeln etc., ist aber auch den schwachen Augen keinesweges rath-
sam; schon eine Abkürzung der zur Arbeit bestimmten Zeit, ein öfterer
Wechsel des Gegenstandes der Arbeit, das Vermeiden jeder anstrengenden
oder in die Morgenstunden fallenden Arbeit , das öftere , nur minutenlange
Schliessen der Augen, einige Bewegung im Zimmer oder in freier Luft, der
Anblick der freien und heitern Natur, bei Congestionen zum Kopfe Fuss-
bäder, zuweilen ein kühlendes Laxans bei Leibesverstopfung oder Neigung
dazu, das öftere Waschen der Augen mit kaltem Wasser, besonders die
Augendüuche, — wenn das Auge anders Kälte und Feuchtigkeit vertragen
kann, — diese Dinge sind zur Cur meist hinreichend , doch muss der Kranke
eine geregelte Lebensweise und Diät im ganzen Umfange des Worts führen,
im Essen und Trinken, Wachen und Schlafen, Bewegung und Ruhe stets
das richtige Mass beobachten und besonders Gemüthsbewcgungen und Aus-
schweifungen in Baccho et Venere , Minerva et ApoUiue vermeiden, wenn er
seine schwachen Augen nicht ganz zu Grunde richten will.
Diag^nosiSj die Diagnose, die gehörige Unterscheidung und
darauf beruhende Erkenntniss der Krankheiten. Ist ein höchst
wichtiger Gegenstand für den praktischen Arzt, und ohne richtige Kennt-
niss der Diagnostik (Diagnostica doctrina) kann kein rationeller Arzt ge-
dacht werden. Da jedes Erkennen schon ein Unterscheiden ist, so ist eine
richtige Symptomatologie die Hauptsache, und die Diagnose ist daher in den
Handbüchern der Medicin, wenn jene ausführlich bearbeitet worden, nur ein
Gegenüberstellen ähnlicher und unähnlicher Symptome (in Hinsicht des Ver-
laufs, der Anamnese etc.) zweier Krankheiten, die leicht verwechselt wer-
den könnten; also eine Wiederholung und nochmalige Recapitulation zur Er-
leichterung der Erkenntniss, deren der helldenkende Arzt, der sich seine
Diagnose selbst macht, nicht immer bedarf. Wie wichtig eine richtige Dia-
gnose der Krankheiten für Prognose und Cur ist, bedarf keines Beweises,
und die Verdienste eines Leiilin, Wichmann, Schmalz, Sachse, die diesen
Gegenstand in neuerer Zeit mit aller Sorgfalt bearbeiteten , sind bekannt.
Aber fast scheint es, als wenn unser Zeitalter die Diagnostik zum Lieblings-
gegenstande auf Kosten der Semiotik gemacht habe , w enigstens wird letz-
tere von vielen Ärzten mit grossem Unrechte vernachlässigt, und es zeigt
sich in der Diagnostik schon hier und da eine Mikrologie, die für Wissen-
schaft, wie fürs Leben, für den Arzt am Krankenbette gleich nachtheilig
werden kann , indem dadurch die genaue Begriffsbestimmung und die Ter-
minologie einzelner Krankheitsformen nur confundirt und das Studium der
Pathologie ohne Nutzen für die Praxis erschwert wird. Sehr wahr sagt in
dieser Hinsicht der Recensent der Schnft Fried reich* s: „Skizze einer allgeni.
Diagnostik, 1829" in Hecler's Lit. Annalen; 1830, März S.Sil: „Die neue-
sten Arzte haben es sich besonders angelegen seyn lassen , die Unterschei-
dung verschiedener Krankheiten durch Hülfe der Diagnostik zu erleichtern.
Wie sehr auch dieses Bestreben den Anschein praktischer Brauchbarkeit für
sich hat, so lässt es sich doch nicht verkennen, dass es bei der Richtung,
welche es nahm, mannigfaltige Nachtheile mit sich führte. Um ihren dia-
lektischen Scharfsinn zu zeigen, zersplitterten viele Diagnostiker die natür-
lichen Krankheitsgruppen in zahllose Formen, und verwirrten dadurch den
Blick, anstatt ihn auf die wesentlichen Krankheitszustände zu leiten, welche
das eigentliche Object der Heilung ausmachen. Abgesehen von den gelehr-
ten Streitigkeiten, die allemal unvermeidlich sind, wenn ein erkünsteltes Sy-
.stem andere subtile Denker zur Nacheiferung auffordert, brachte es schon
der diagnostische Sinn mit sich, aus den organisch zusammengesetzten Krank-
heitsbildern einzelne hervorspringende Züge abzusondern , also den Krank-
heitszustand uicht als ein Ganzes anzuschauen, sondern die Aufmerksamkeit
DIAGNOSIS 547
nur auf das schadhafteste Glied zu richten. Gerade deshalb ist in neuerer
Zeit so wenig für die Pathogenie gclhaa, so wenig Aussicht eröffnet wor-
den , dass die medicinischen Schulen , über ihr wesentliches Interesse aufge-^
klärt, dem natürlichen Hellprocess , wie es die Alten thaten, nachforschen
werden." Wozu nützt die kleinliche Beschreibung und Unterscheidung jedes
HautÜecks, jeder Pustel, die ohnehin an sich nichts Bestehendes, sondern
etwas im Verlaufe des Übels sich Veränderndes ist, wenn eine und dieselbe
Krankheitsursache allen zum Grunde liegt und die Cur, gegen das Wesen
des Übels gerichtet, dieselbe bleibt? Welcher wesentliche Unterscliied
herrscht in Betrelf der Behandlung zwischen Scorbut, Morbus maculosua
haemorrhagicus VVerlhofii und Petechiae secundariae, deren Diagnose in dem
Wichmann - Sachse'schen Werke Bd. J. 1827 mehrere Bogen gew idntet sind ?
Welchem Arzte wird es wol im Ernste einfallen, die Brandblasen nach Ver-
brennungen Pemphigus a veneno zu nennen (Ib. S, 136)? Sehr wahr sagt
Hufeland (Journ. d. prakt. Heilkunde, Januar, 1829): ,, Nicht, was gewöhn-
lich Krankheit genannt wird (die Krankheitsform, die Erscheinung derselben),
ist der Gegenstand der Heilung des rationellen Arztes, sondern das, waa
dieser Erscheinung zum Grunde liegt, die nächste Ursache der Krankheit,
die innere Abnormität .des Lebens selbst." Dies zu erkennen und zu untere
scheiden ist die wahre, ächte, praktische Diagnostik , die , insofern sie klare
und richtige Leitungsprincipien zum Handeln giebt, latrognomik genannt
wird. Jede andere Diagnostik führt zu symptomatischen Curarten , zur Em-
pirie und Homöopathie. Eine nominale, symptomatische, chemische Diagno-
stik passt nicht am Krankenbette. Die hypothetische Diagnostik ist die
schlechteste von allen , und d'e causale oder genetische , so wichtig sie fürs
Ganze ist, ist für sich allein nicht zureichend. Auf ersterer beruhet die
Broussais'sche Diagnostik und Praxis , an letztere allein hielt sich der
Brownianismus, was ein grosser Fehler war. Sowie der Mensch nur aus
dem Leben fürs Leben lernt , so kann und soll auch der Arzt Vieles fürs
praktische Leben nur aus dem Leben erlernen. So kann er in grossen
Hospitälern das ganze Heer der acuten und chronischen Exantheme, wenn
es ihm nicht an Kopf und scharfen Sinnen fehlt, in wenigen Tagen kennen
lernen, so dass er in eigner Praxis sich nicht leicht irren wird. Er ist
zwar nicht immer im Stande, sogleich von jedem einzelnen Ausschlage einn
genaue Definition zu geben, aber ein einziger Blick wird ihn in jedem ein-
zelnen Falle eben so das Richtige erkennen und unterscheiden lehren , wie
dies der Fall bei tausend andern Dingen im Leben ist. So z. B. können
Tausende von Menschen gehen, stehen, reden, sitzen, liegen, schlafen,
wachen, essen, trinken, weinen, lachen etc. , sie können dieses Alles er-
kennen und unterscheiden, aber nur wenige vermögen eine genaue Definl-'
tion davon zu geben. Da die Masse des nothwendig Wissenswürdio'en in'
der Heilkunst schon so gross ist, so muss es heilige Pflicht des praktischen
Arztes seyn, seine Zeit nicht mit nutzlosen Dingen zu tödten, der Akade-
miker und Schulgelehrte mag dahingegen deduciren und definiren, soviel er
will, er wird sich dadurch nie fürs Leben und zu einem acht praktischen
Arzte bilden; sein Hauptverdienst mag darin bestehen, das Ileich des Ideel-
len zu beleben, damit daraus für die nächste Generation vielleicht etwas
Reelles, für das Leben Brauchbares hervorgehe, wenn mit der Zeit die Er-
fahrung seine Hypothesen geprüft, gesichtet und aus dem Staube die ein-
zelnen Goldkörnchen herausgefunden hat. Was uns in gegenwärtiger Zeit
in Hinsicht der Diagnostik Noth thut, ist 1) eine mehr generelle Diagnostik,
welche uns alle, der Form nach verschiedene, dem Wesen und der Behand-
lung nach aber gleiche Krankheiten, unter einen Gesichtspunkt gebracht,
kennen und von andern Krankheitsgruppen unterscheiden lehrt; 2) eine
diagnostische Physiognomik für die wichtigsten chronischen Krankheiten;
S) eine strengere, genauere Diagnostik der verschiedenen Krankheitscha-
raktere der Fieber mit Angabe des häufigem oder seltenem Vorkommens
derselben in den verscliiedenen Gegenden der Erde und zu verschiedenen
Zeiten, wobei dieses Verhältniss durch Zahlen ausgedrückt werden könnte;
30*
548 DIAGNOSTICA DÖCTRINA — DIAPHORESIS
4) mehr Einfachheit in unserer gegenwärtigen Diagnostik , Reduction des
Mannigfaltigen auf einfache Pi-incipien mit Ausmerzung alles Unwesentlichen,
Unpraktischen, Kleinlichen; denn es ist nur eine kindische, kleinliche Ei-
genschaft des Geistes , seine Aufmerksamkeit auf das Unwesentliche und
Äussere allein zu richten und darüber das Wesentliche und Innere zu ver-
gessen. Erst dann können Avir uns Hoffnung zu einer richtigem Termino-
logie machen, woran es uns noch so sehr mangelt, und wozu auch dieses
Werk einen Beleg giebt. Die Physik verwirft viele für elementar gehaltene
Stoffe als Elemente, je grössere Fortschritte sie in ihrer Erkenntniss macht.
Ebenso geht es auch der Medicin. Sie wird dereinst das \>'ieder vereinigen,
was jetzt die engherzige Diagnostik trennt ; sie wird selbst dereinst die
Krankheiten der Seele und des Leibes als specifisch verschiedene Classen
verwerfen und nur Gradunterschiede und Symptomengruppen in ihnen er-
blicken. Besitzen wir erst eine bessere, mehr aufs Wesen der Krankheiten
gerichtete Diagnostik , so wird auch die Therapeutik besser werden und
wir werden uns, wie es jetzt noch so oft geschieht, nicht mehr damit be-
gnügen, bei Haverie eines Schiffes blos das Wasser aus dem Schiffe zu
entfernen, sondern wir werden uns mehr bemühen, das Loch, wodurch das
Wasser ins Schiff kam, aufzusuchen und zu repariren.
I>ia{E;no.stica doctrina, Diagnostik, s. Diagnosis.
Diaiysis, die Auflösung, das Zergehen, Zerfallen, das
Schwinden, die Erschöpfung der Kräfte. Ist Symptom jeder chro-
nischen Krankheit mit Körperschwäche, der Febris lenta, der Krankheiten
mit Säfteverlust etc.
Diainnes» Diurcsis nocturna, unwillkürlicher Urin ab gang
im Schlafe. Ists bei Kindern ohne sichtbare Fehler des Körpers der
Fall, so ist fehlerhafte Erziehung, zu vieles Essen und Trinken spät Abends,
>1angel an Wartung und Pflege oft Schuld; auch "Würmer, besonders Aska-
riden, sind oft durch ihren Reiz auf die Blase die Ursache vom Benetzen
des Bettes. Bei Erwachsenen sind häufig paralytische Zufälle, Würmer,
Schwäche des Blasenhalses, krampfhafte Constitution Ursache, wonach die
Cur eingerichtet werden muss (s. Incontinentia urinae).
Diapedej^is » das Durchschwitzen des Blutes. Ist mit Suda-
tio und Expressio der Alten von einerlei Bedeutung. In neuern Zeiten ver-
steht man darunter nur das Durchsickern des Bluts durch die Wan-
dungen grösserer Venenstämme oder durch Blutaderausdehnungen (^Gnubiuit),
eine noch problematische mechanische Ansicht, die die Erfahrung nicht be-
stätigt, indem es Thatsache ist, dass weder Blut-, noch Eiterkügelchen
durch die unverletzten Wandungen grösserer varicöser Gefässe , nur durch
die Vasa vasorum durchzugehen im Stande sind.
Siaplioresi.s , die Ausdünstung. Ist eine der wichtigsten Ver-
richtungen des Organismus, die sowol im gesunden, wie im kranken Zu-
stande stets und überall Berücksichtigung verdient. Schon die Alten unter-
schieden die unmerkliche Ausdünstung ( Pnenmntosis, Trnnsspirnlio
itisensihUis , Tivfriu«, aihjXog thani'oi]) und den Schweiss {Sudor , Iöqw^').
Snnclorins hat durch seine Versuche und Beobachtungen diese Annahme zu
einem physiologischen Hauptaxiom erhoben (s. SruHtoritis Sanctorü, Ars, de
«tatica IVledicina, Aphorismorum sectionib. Septem comprehensa. Venet 16I4).
Mit Recht unterscheiden neuere Physiologen, z. B. Milne Edwards (De l'in-
fluence des agens physiques sur la vie. Paris 1824.) u. A. Evaporation
und Trans sudation. Erstere ist ein physischer Vorgang, welcher auch
im todten Körper stattfindet. Nach Versuchen, welche mit gleichmässigem
Erfolge. an warm- und kaltblütigen Thieren angestellt wurden, fand Edwards,
dass Bewegung der Luft, also beständige Erneuerung der den Körper um-
gebenden Luftschichten, erhöhte Temperatur und Trockenheit derselben, die
Menge der verdunstenden (evaporirenden) Stoffe, vermehren , und die entge-
gengesetzten Verhältnisse die Evaporation stören und aufheben können. Die
Transsudation kommt nur dem lebendigen Organismus, wie ich schon oben
DIAPHORESIS 349
gezeigt habe (s. Cholera orientalis), als Wirkung «^hie? , lebendigeji
Thätigkeit zu, ihr Product beträgt aber doch nur etwa den sechsten The'il
des Ganzen. Beide Arten \on Transsjjiration stehen im Antagonismus. AVa«
die eine vermehrt, vermindert die andere, und umgekehrt. Die. auf dem
Wege der Hautausdünstung sowol in Gasgestalt als in flüssiger Form
(Schweiss) entweichenden Stoffe bestehen, chemisch betrachtet, aus Koh-
lenstoff, Stickstoff und vielen wässerigen Theilen. Thcnnrd will auch freie
Essigsäure und salzsaures Natrum darin gefunden haben. Die Mischung d«»
Schweisses ist sich nicht immer gleich ; selbst die Nahrungsmittel , die Ge-
tränke haben hier Einttuss ; desgleichen der Ort, wo die Transspiration vor
sich geht. So z. B. kann man, wenn man viel Kochsalz an Speisen genos-
sen und sich einige Stunden später tüchtig bewegt hat, dieses Salz auf der
schwitzenden Haut Aviederfinden. Nach dem Genuss von Schellfischen, Au-
stern etc. reagirt der Schweiss bedeutend animoniakalisch, der stinkende
Geruch des Schweisses in der Achselhöhle und an den Füssen mancher Per-
sonen muss auch noch andere Stoffe als der Schweiss an der Stirn , am
Halse besitzen ; dieses lässt schon der verschiedene Geruch vermuthen ; doch
fehlen bis jetzt darüber die chemischen Analysen. Höchst verschieden sind
die Bestandtheile der Transspiration in Krankheiten. Nach dem epilepti-
schen Insult bemerkt man an inveterirten Fallsüchtigen eine höchst wider-
liche, Ammonium und Phosphorwasserstoff enthaltende Transspiration; im
Frieselfieber, auch in manchen rheumatischen Fiebern riecht der Schweiss
sehr sauer, und er enthält überwiegend Milch- und Essigsäure, Hier wir-
ken Waschungen von alkalischen Mitteln sehr gut und die absorbiienden,
kaiischen Mittel: Oculi cancrorum, Magnesia, Nzttrum carbonicum, habe ich
auch mit Nutzen innerlich gegeben. Beim Scharlachfieber prädomiOtrt das
Annnoniiim in der Transspiration; daraus erklärt sich theilweise die herr-
liche Wirkung der kalten Waschungen von Wasser und Essig, das; Wohl-
thätige der kühlenden, säuerlichen Getränke etc. Im Seh weisse, xler Gichti-
schen kommt nach Dandolo Harnsäure vor, in der B'ebris putrida enthäll die
Hautausdünstung des Kranken Ammonium. Die sogenannte Erkältung
des Körpers ist die Mitur.sache der meisten Krankheiten, zumal in Nord-
deutschland und an den Küsten der Nord- und Ostsee. Man hat hierbei
aber einseitig nur die Unterdrückung der Hautansdünstung ins Auge g^fasst,
da hier doch nur vorzüglich die Transsudation, die .vitale Thätigkeit der
Hautnerven und der feinsten Hautgefässe unterdrückt oder sonst gfstjört ist,
nicht aber die Evaporation, die oft überwiegend stark dabei fortdauert, so
wie denn genaue und glaubwürdige Versuche von Keill, Stnrk und Iteil be-
wiesen haben, dass die gewöhnliche, genau von Snnctorius bestimmte Ge*
Wichtsverminderung durch, Hautausdünstung selbst in denjenigen Zuständen
noch fortdauert, die einer Unterdrückung der Transspiration, einer Erkäl-
tinig zugeschrieben wurden. Die neuerdings besonders durch RUter, Dzonili
U.A. aufgekommene materielle Ansicht von zurückgehaltener Thiersrhlacke
und den darans entstehenden skorischeu Krankheiten, ist nach diesen dy-
namischen Ansichten zu raodificiren. Die künstliche Anregung der Trans-
spiralion in Krankheiten zur Bewerkstelhnig heilsamer Krisen oder um die
natürlichen Krisen zu miterstützen , ist für den praktischen Arzt ein höchst
wichtiger Gegenstand. Die Methodus diapJwretica, d. i. die Art und Weise,
bald durch die mildern Diaphoretica , bald durch die stärker wirkenden Su-
dorifera, oder endlich durch die Alexipharmaca die Hautthätigkeit kräftig
anzuregen, ist eine der ausgebreitetsten Fundamentalmethoden der Therapie,
indem die Hautkrise die erste, grösste und wohlthä tigs te al-
ler Krisen, sowol in acuten als chroni.schen Krankheiten, ausmacht.
Es würde höchst einseitig seyii, nur bei katarrhalischen, rheumatischen und
gichtischen Übeln durch Diaphoretica auf die Haut zu wirken. Bei d^n mei-
sten Neurosen, bei Epilepsia, Veitstanz, Hysterie, Tetanus, bei den ersten
Zeichen der Angina, der Pneumonie und vieler ähnlicher Krankheiten ver-
mag ein früh gereichtes Diaphoreticum gleichfalls sehr viel , sowie bei den
ersteh Symptomen ansteckender Krankheiten, und wenn im 17ten Jahihun-
550
DIAPHÖRETICA
dcrte die diaphoretische Methode, zumal bei hitzigen l^lebern un^ isolcheh
Kxanthenten ntissbraucht wurde, so scheint es doch in unserer Zeit fast,
als wenn diese Methode , die zur rechten Zeit und am rechten Orte ange-
wandt, die gefährlichsten Krahkheiten verhüten, in ihren» Keime ersticken
und selbst heilen kann, von Ärgsten zu sehr vernachlässigt würde. In klini-
ßcher Hinsicht bleibt die Eintheilung der Diaphoretica in erhitzende und
nicht erhitzende (^Dinphorelica calida et früjidu) stets die beste, denn
talle Versuche, die einzelnen hieher gehörigen Mittel nach ihrer Wirkung be-
sonders einzutheilen. sind bis jetzt ohne Erfolg geblieben (s. Diaplioretica).
JDiaphoretiCA, schweiSiStreibende Mittel. Es gicbt beinahe
kein Arzneimittel, das nicht untör besondern Umständen ein Diaphoreticum
wäre, da alle diese Mittel nicht unmittelbar die Ausdünstung befördern,
Bondern nur mittelbar dadurch, dass sie im Hautsysteme gewisse, wenig be-
kannte Veränderungen hervorrufen, wovon die Ausdünstung nur Folge ist.
Ks ist hier dasselbe Verhältniss, wie mit der Erkältung, nur umgekelvrt ;
wir kennen auch hierbei nicht genau die Processe des Organismus , welche
die sogenannte Erkältung zu Stande bringen (s. Refrigeratio). Nach
einer alten Eintheilung unterscheidet man zwei Arten dieser Mittel : 1) Dia-
phoretica, d. i. Mittel zur Beförderung der unmerklichen, 2) Sudorifera,
Mittel zur Beförderung der merklichen Ausdünstung, des Schweisses. Aber
die Absicht des Arztes bei der Rlethodus diaphoretica soll keine andere seyn,
fkls Beförderung der dunstförmigen Hautsecretion (^Hufehind). Doch gicbt es
von die^r Regel einige wenige Ausnahmen (M.); s. unten. Die Diaphoresis
wird auf verschiedene Weise bewirkt: a) durch Entfernung mechanischer
Hindernisse, welche die Hautporen verstopfen, z. B. Schmuz, Rigidität,
Krampf der Haut. Hier passen warme Bäder, warmes Waschen, Relaxan-
tia , Antispasmodica ; b) durch Verminderung des Reizes , bei inflammatori-
schen Fiebern, acuten Exanthemen, örtlichen Entzündungen. Hier sind
Aderlässe, Blutegel, Nitrum, viel lauwarmes, wässeriges, säuerliches Getränk,
also Antiphlogistica die besten Diaphoretica; c) durch Vermehrung des Rei-
zes im Blut- und Nervensysteme, nach Erkältungen, bei chronischen Krank-
heiten mit Schwäche, Torpor, ohne entzündliches Fieber. Hier passen die
Diaphoretica im engern Sinne: Flor, sambuci, chamomillae, Stipit. dulcama-
rae, Spec. IJgnorum, Lign. guajaci, Sassaparilla, Mezereum, Antimonialia,
Schwefel, Kampher, Moschus, Opium, reizende Nahrung, warme Bedeckung,
Frictionen der Haut etc. Wir gebrauchen die Diaphoretica zur Hebung an-
tagonistischer Krankheiten: des Rheumatismus, der Ruhr, zur Ausleerung
schädlicher Stoffe im Blute , besonders gleich nach der Ansteckung durch
Contagien, wo die stärkern Diaphoretica, die Alexipharmaca der Alteji,
Wohl eine häufigere Anwendung verdienen als dies in unseni Zeiten ge-
schieht, z. B gegen Scharlach, Typhus, Biss von Schlangen, vom tollen
Hunde etc.; nur passen sie nicht, wenn solche Gifte schon Fieber und Ent-
zündung erregt haben, sondern nur in der ersten Zeit, wo sich durch Ner-
venverstimmung die geschehene Ansteckung offenbart. Hier kaiMi ich aus
eigener Erfahrui^g folgendes von mir häutig angewandte Pulv. sudorif. an-
ticontaglosus empfehlen. Der Kranke legt sich zu Bette, deckt sich warm
zu, nimmt alle Viertelstunden eins von diesen Pulvern und trinkt so lange
fleissig warmen Fliederthee nach, bis wirklicher Schweüss eintritt. Dieses
Pulver besteht aus: Kr Moschi opt., Cnstorei moscov., Cnmphorne ana gr. ]\,
Nitri depur. gr. iv, Rftd. arteniis, vulif. ^\'\, — ipecac. gr. ii, — serpettinrinc,
Elaeos. snccini ana gr. vj. M. f. pulv. dispens. dos. ^^}. In der Regol sind
2 — 4 Dosen schon hinreichend, um starken Seh weiss zu erregen. Bei
Migräne Hysterischer, bei Ischias Cotunni , Prosopalgie etc., wo Schwäche
ohne Erethismus des Blutes obwaltet, hat mir dies Pulver gleichfalls herr-
liche Dienste gethan. Hier la.sse ich aber nur alle 4 — 7 Tage einmal
schwitzen. Dass die Diaphoretica die besten Ableitungs- und Besänftigungs-
mittel zur Aufliebung krampfhafter Zustände sind, ist bekannt; nur vermeide
man bei entzündlichen Zuständen, bei Congestionen zum Kopfe, nach der
9rust, bei Kindern und jungen Subjecten, bei Plethora die erhitzenden
DIAPHRAGMITIS — DIAPLA6IS ^L
DiapKoreiica. Hier passt (für Erwachsene) Folgendes: ^; Spi^'^^]^i«^lem■i
gjlv , Aq. flor. snmhuci gvj , Roh. sninluci gj , Tart. emetic. gf. j. M. 8.
Stün<iligh 1 Esslöffel voll. Auch nach plötzlichen Erkältungen, l»ei:frischeu
katacrhalischeu und gelinden rheumatischen Beschwerden thut diese Mischung
herrliche Dienste, besonders wenn man auch noch 5.ij Salmiak hinzusetzt-
Gegen chronischen Rheumatismus ohne Fieber und Vollblütigkeit ist folgen-
des Pulver sehr wirksam zur Beförderung der Diaphoresls : iy Guuuüi >jnti-
jaci gr. X, Und. calnm. (irtinn. gr. vjjj , Mercur. dulc. , ünnvjjhorae atia gr. j.
M. f. pulv. disp. dos. xjj. S. 2 — Smal täglich ein Pulver Zunehmen (3lost seh.).
0ia<plirag^miti£l, DiaphrngmaUtis , Inflannnatio diaphragmatis, $epti
transversi , PnrnphrenUls ^ Paraphreuesis , Parnphrosyne , Entzündung defc
Zwerchfells. Diese Krankheit ist häufig mit Pneumonie und Pleuritis,
mit Hepatitis, Splenitis, Gastritis, Enteritis, verbunden, kommt meist nur
zu diesen hinzu , ist selten rein beobachtet worden ; die Alten nannten sie
Paraphre.nitis , weil die Heftigkeit der entzündlichen Zufälle oft Irrereden
veianlasst. Symptome. Heftiger, stechender Schmerz unter den Rippen,
der sich längs des Zwerchfells bis zu den Rückenwirbeln hin erstreckt, eiti^-
wäfts gezogene, sehr schmerzhafte Herzgrube, grosse Angst, die zur walir-
ren Verbrecherangst wird, erschwerte, schmerzhafte Inspiration, unerträg-
licher Schmerz bei jeder Bewegung des Körpers, beim Husten, Niesen, La-
chen, Erleichterung der Zufälle bei vorwärts gekrümmter Stellung, heftigex
Fieber, Convulsionen, Irrereden, Trismus, Tetanus, sardonisches Lachen,
kleiner, schneller Puls. Ursachen. Dieselben der Pneumonie, Hepatitis,
.Pleudtig , Splenitis , wovon sie meist nur Folge oder damit; complLcirt ist.
Gelegenlveit sollen geben heftige Anstrengungen beim Schreien, Singen, Blar-
«en der Blasinstrumente etc. Cur. Wie bei Pleuritis, Hepatitis. Aderlässe
und Blutegel sind die Hauptmittel, sind selbst bei kleinem Pulse, sardoni-
schem Lachen und Convulsionen indicirt. Das Heftige und Anhaltende der
Znfälle unterscheidet die Krankheit leicht von Kolik und hysterischer Kar-
dialgie. Wird nicht frühe Hülfe geleistet , ist die Diaphragmitis mit Pleu-
ritis etc. verbunden, so geht die Entzündung oft in Eiterung oder Erantl
über. Der Eiter ergiesst sich leicht in die Brust - oder Bauchhöhle ; es
folgt darauf Verstandesverwirrung, Brand und Tod. Erfolgt Genesung, so
.bl«ibt doch häutig ein gewisses Asthma mit «hronischen SchmerzeH unter
deji Rippen zurück, das Folge von Verwachsungen ist und in gewissen Ijh-
geu des Körpers zunimmt (M.). Um solche Adhäsionen nvit plastisdier Ex--
*udation zu verhüten, gebe man am Ende der Krankheit, wenn die Heftig-
keit der entzündlichen Zufälle vorüber ist, 8 — XO Tage lang Folgendes:
Rf Merc. dtilc, SnipJu aurati ana gr. jy, Extr. eicutne gr. j, Lifjuir. coctnc
^j. M. f. pulv. dispens. dos. xvjjj. S. Morgens und Abends ein Pulver inil
Wasser. Vor elf Jahren behandelte ich einen robusten Landmann mit Ha-
bitus apoplecticus , bei dem sich nach vorhergegangener heftiger Erkältung
die linke Lunge, die Pleura, die Milz und das ganze Zsverchfell entzündet
hatten. Der Unglückliche konnte weder liegen, noch sitzen, noch stehen,
noch gehörig athmen. Der Puls war klein, schnell, unterdrückt, die Hände
kalt, wie bei Carditis idiopathica, die Angst fürchterlich. Ich Hess zu
gleicher Zeit eine Ader am Fnsse und eine am Arme öffnen und so lange
Blut fliessen, bis Ohnmacht entstand. Die Quantität des Blutes betrug iu»
Ganzen 26 Unzen. Nach der Ohnmacht fühlte sich der Kranke sehr ■ er-
leichtert, er konnte jetzt im Bette liegen, der Puls ging stärker, war weir
eher und voller. Er bekam eine Emulsion mit Nitrum. Damit ward in
8 Tagen die Krankheit gehoben. Nach 14: Tagen fand ich den Patienten
»<chon wieder in der Schmiede, wo er seinem Geschäfte nachging; er war
schnell und gründlich geheilt. ' .
, Diapltragiuatocele j ZwerchfeUbruch , s. Hernia diaphrag-
m a t i s.
Diaplasis, Anaplasis, Conformatio. Ist Einrichtung in Idiege-
hörige Form, z. ß. bei Fracturen.
5d2 DIAPNOEA — DIARRHOEA
Dfapnoea» die unmerkliche Ausdünstung, besonders der Lung«, ,<
daher auch das Ausathnien.
Diapyema, Diapyesis, Yereiterungsprocess , s. Abscessus. Einige
nehmen das Wort auch gleichbedeutend mit Empycma, und die Benelinung
Diftpyetica (sc. remedia) ist synonym mit Suppurautin.
Dinpyema ocnli, Eiterauge, s. Hypopyon.
Diarrhoea, Alviprofluvium, AIvi fiuxus , Ventris proftuvium, Coelior-
rhea, Incontinentia, Dcfluxio aloi, Bauchfluss, Diarrhöe, Durchfall.
Ist abnorme, zu starke Thätigkeit der aushauchenden und zu geringe Thä-
tigkeit der resorbirenden Gefässe des Darmcanals, verbunden mit zu star-
kem Motus peristalticHS , wovon vermehrte, veränderte, zu häufige, zu flüs*-
sige Darmausleerung die Folge ist. Daher gehören die Lienterie, der Fluxui»
coeliacus und hepaticus , die Dysenterie und die Eiter - und Harnausleerun-
gen durch den Darmcanal nicht hierher, weil hierbei die Vasa exhalantia
intestinorum nicht abnorm secerniren und die Sedes nicht häufig und schnell
auf einander folgen. Die Lienterie ist Krankheit der Darmmuskeln , de^
Fluxus coeliacus Krankheit der Schleimdrüsen, der Fluxus hepaticus Pro^
duct krankhafter Secretionen der Leber, der MilZj des Pankreas, die Ruhr
theils Blennorrhoe, theils Blutung und Kolik der Gedärme. Symptome.
Häufig gehen gastrische Zeichen: belegte Zunge, Appetitlosigkeit, Druck,
Spannung in der Magengegend, Flatulenz, Kolik, Ekel, Erbrechen, Te-
nesmus, krampfhafter, intermittirender Puls vorher. Dann erfolgen unter
Bauchgrimmen und Flatulenz erst weiche, dann wässrige, häufige Sedes,
öfters mit Erleichterung der Beschwerden im Leibe , in seltenem Fällen
werden die Ausleerungen immer häufiger, wässriger, Angst, Unruhe, Ko-
likschmerzen nehmen zu , der höchst schmerzhafte Unterleib tritt in die
Höhe, es erfolgt Tenesmus , Trommelsucht und Meteorismus, dabei trockner
Mund, heftiger Durst, sparsamer wasserheller Urin, unterdrückte Trans-
(spiration , grosses Schwächegefühl. Die Ausleerungen betragen bald viel,
bald wenig, und erfolgen in 24 Stunden oft nur 4 — 8mal, oft 20, SOmal
und drüber, der Abgang ist meist kothig, wässrig, seltener schleimig, gal-
lig, blutig. Dauert das Übel länger als vier Tage, so magert der Kranke
schnell ab, fühlt sich sehr schwach, sieht blass und elend aus, der Appetit
fehlt, die Haut wird welk, es entstehen Ohnmächten aus Schwäche, Kräm-
pfe, später Geschwulst der Füsse, hektisches Fieber oder Tod durch Brand
in den Gedärmen. Dies ist das Bild des Übels, geschildert mit den grell-
sten Farben, wie es. Gottlob! nur selten vorkommt. Für die Praxis un-
terscheiden wir folgende Formen und Arten des Durchfalls :
Diarrhoen stcrcoralis, kothig er Durchfall. Ist die Folge von Un-
raässigkeit im Essen und Trinken , von übermässigem Genuss schwerer , un-
verdaulicher Speisen. Appetitlosigkeit , gespannter , aufgetriebener Leib,
Ekel , belegte Zunge , stinkende Ructus und Flatus , starke breiartige Se-
des, untermischt mit unverdauten Stoffen, Darmschleim und Serum, Jucken
und Brennen im Mastdarme, und die Anamnese geben das Übel zu erken-
nen. Cur. Da diese Diarrhöe wohlthätig ist, so stopfe man sie nicht, man
überlasse sie der Natur; in der Regel giebt sie sich bald von selbst. Man
untersage 1 — 2 Tage lang alle Speisen, lasse Zucker wasser, viel Hafer-
schleim mit etwas Zimmt trinken und den Kranken warm halten. Sind die
Sedes nur sparsam, halten die gastrischen und die Leibbeschwerden an, so
helfe man ein paar Tage lang etwas nach, verordne: l^ Infus. Inxnt. Victin.,
Aq. chamnmiU. ana 5jjj» 'S«?. Glauhcri, Tinit. rhci aquos., Syr. nUmnae ana
3vj. M. S. Alle 1 — 2 Stunden 1 EsslöfFel voll, gebe auch vorher, bei
Zeichen der Turgescenz nach oben , ein Vomitiv ; so ist in w enigen Tagen
das Übel gehoben.
Diarrhoen serosa, aquosn, wässriger Durchfall. Entsteht In der
Regel durch Erkältung der Füsse, des Bauchs, besonders im Herbste, wo
er oft epidemisch als Vorläufer der Ruhr herrscht. Symptome sind: em-
pfindliche^ reissende Leibschmerzen, Krämpfe, Würgen^ Übelkeit, plötzlich
DIARRHOEA 553
etnWetender Tenesmus , häufige , copiose , wässrige Ausleerurigen ohne Er-
leichterung, oft mit heftiger werdenden Kolikschmerzen. Dabei trockne
Haut, grosser Durst, Brennen am After, oft alle Viertelstunden Drang zum
Stuhlgehen. Cur. Warmes Verhalten , viel warmer Thee von Flor, sam-
buoi und chamomillae , Ipedacuanha in kleinen Dosen , 2 — Smal täglich gr.
|v — j Opium als Pulv. Doweri , warme Bäder, schleimige Klj stiere von Amyluni
jnit Opium; Linim. volat. mit Laudanum, in den Unterleib einzureiben.
Diarrhoen a dentitione, Zahndurchfall der Kinder. Ist oft recht
wohlthätig, man stopfe ihn daher ja nicht durch Opium (s. Dentitio);,
sondern gebe, da er in der Regel mit grünen Stuhlgängen verbunden ist,
Absorbentia, besonders Liq. kali carbon. 3\l ■, Aq. foeniculigj, Syr. rhei, —
liquirit. ana 3)v. Alle 2 — 3 Stunden 1 Theelöffel voll, oder etwas Magne-
sia, oder Pulv. Infant. Hufelandi. Hält die Diarrhöe länger als acht Tage
an, wird das Kind sehe welk, so gebe man Decoct. salep, columbo, und
lasse in den Unterleib Linim. volat. mit etwas Tinct. opii einreiben. Ist
ßie chronisch und bl .tig , das Kind sehr blass , welk und ohne congestive
Symptome , so kann man , wenn die letztgenannten Mittel fruchtlos ange-
wandt worden, mit Vorsicht 1 — Smal täglich einen, höchstens zwei Tro-
pfen Tinct. opii crocata geben. Aromatische Bäder sind hier von vortreff-
licher Wirkung. Trousseau giebt gegen zu starke Diarrhöe der Kinder
Magister, bismuthi , Smal täglich 2 — 3 Gran mit Zucker, Erwachsene be-
kommen bei chronischen Durchfallen., sowie bei Dothinenteritis p. d.' IS-
IS Gran (s. JiehrciuVs Repertor. 1834:, Januar, S. 43).
Diarrhoen ab nrihriiide retrogressa., gichtischer DurohfalL Ist
durch heftige Erkältung, durch Ärger etc. die Gicht plötzlich verschwun-
den und dadurch dies Übel entstanden, so sind die Zufälle meist, wie bei
.Diarrhoea serosa. Cur. Die Behandlung ist gleichfalls wie bei Diarrhoea
serosa; ausserdem lege man Sinapismen an den Ort, wo die Gicht früher
war, lasse warm baden etc. (s. Arthritis retrograd a).
Diarrhoea hiliosa-, galliger Durchfall. Ist ein complicirtes • Übel,
wobei, wie bei der Cholera, Polycholie zum Grunde liegt. Symptome
sind : 'Status biliosus , schleimig- gelb belegte' Zunge v Ekel, saueres, bitteres,
widerliches Aufstossea, bitterer Geschmack, gelbliche Gesichtsfarbe, Kolik,
grosser Durst, Tenesmus, häufige, gelblich -grüne, copiöse, unter Leib-
schmerz erfolgende Ausleerungen. Ursachen sind die der Cholera (s. d.
Art.), ausserdem heftige Gemüthsbewegungen , Ärger, heftige Erkältungen
in kühlen Sommernächten, im Bivouac, heisse, schwüle Sommer ,; heisse
Himmelsstriche; die Secretionsfunction ist hier sehr gesteigert^ daher der
starke Gallenerguss in den Darmcanal. Cur. Ist die Diarrhoea biliosa kri-
tisch, z. B. bei Febris biliosa, Hepatitis, Icterus, so dürfen wir nicht sto-
pfen; hier passen, um nachzuhelfen, Tamarinden, Oxymel, saure Molken,
Tart. depuratus, natronatus, boraxatus, schleimige Getränke, Klystierc aus
Chamillenthee mit Oxyra. simplex. Ist sie, wie bei der Cholera, nur sym-
ptomatisch, so giebt sie sich von selbst durch Hebung des primären Lcber-
leidens, der erhöhten Sensibilität der Leber, wogegen besonders das Opium
60 herrliche Dienste thut (s. Cholera).
Diarrhoen gravidarum, s. Gravid itas.
Diarrhoen chymosn, s. Fluxus coeliacus.
Diarrhoen putrido - coUiqiiativn , s. Febrisputrida.
Diarrhoen cholericn. Ist ein gelinder Grad der morgenländischen Brech-
ruhr, wobei der Abgang, wie Seifen wasser, gemischt mit weissen Flocken
erscheint (s. C h ol era ori entalis).
Diarrhoen niucosn , pituitosn, Schleimdurchfall. Ist häufig die Folge
von Diarrhoea stercoralis. Von Erkältung in nasskalter Witterung, in sum-
pfigen, niedrig gelegenen Gegenden , wo sie zuweilen endemisch oder epide-
misch herrscht; sie befällt am häufigsten Menschen mit pituitösem, blennor-
rhoischem Habitus (s. Bl en nor rhoea) , ist dann ein Symptom des Status
pituitosus intestinorum (s. B.lennorrhoea ventriculi), die Ausleerun-
gen sind dünn, zähe, gallertartig, erfolgen oft 20 Mal und öfter des Tages,
554 DIARRHOEA
oder, wenn das Übel ' chronisch geworden, nur taglich S — 4nial , wechseln
oft mit Obstniction ab; dabei verschiedene dyspeptische Beschwerden. Cur.
Sie riclitet sich nach den Ursachen und ist schon oben angegeben wordöll
(s. Blennorrhoea ventriculi et int est in or um). . "
■Diarrhoen verminosn, Wurm durch fall. Ist eine Abart der Diarrhoen
mucosa, die bei Kindern oft vorkonnnt. Der Abgang ist gallertartig, schlei'-
luig, übelriechend, mit todten Würmern, Askariden, Spulwürmern vermischt.
Cur. Man gebe erst Anthelminthica (s. Morbus verniinosus) und dann
Roborantia, Tonica: Galamus, Geuni urban. , Rheum, China, bei heftigen
Durchfallen mitunter etwas Opium. Dass das Übel zuweilen tödtlich ablau-
fen könne, darüber hat kürzlich noch MüUer {Harless^. Jahrbücher, 1827,
Bd. XJI. St. 3) einen Fall mitgetheilt.
Diarrhoen sanguinen, blutiger Durchfall. Hat verschiedene Ursa-
chen , daher wir folgende Varietäten unterscheiden :
Diarrhoen sanguinea metasinticn. Entsteht zuweilen nach unterdrückter
Menstruation , nach unterdrückten Lochien , Hämorrhoiden. Die Anamnese
macht hier die Erkenntniss leicht. Cur. Da hier die Diarrhöe ein wohl-
thätiges , kritisches Bestreben der Natur ist , der Kranke sicli durch sie er-
leichtert fühlt, so vermeide man alles Reizende, Erhitzende, verordne schlei-
mige, kühlende, leichtverdauliche Diät, suche durch Qüalmbäder, Fnssbä-
-der , ganze Bäder etc. die frühere Blutung wieder herzustellen und stopfe
.<lie Diarrhöe nicht gleich, um heftige Zufalle zu verhüten (s. Menstrua-
tio und Haemo rr hoides).
Diarrhoen sanguinea neonatmum. Kommt bei Neugebornen und Säng-
Hngen zuweilen vor. Hat das Kind keine Leibschmerzen dabei , ist das Blut
geronnen, mit dem Stuhlgänge vermischt, so konmit es oft von wunden
Brustwarzen, wo also das Blut mit der Mutterndlch verschluckt Svurde.
Hier hat es gar nichts zu bedeuten. Entsteht blutige Diarrhöe bei der
Zahnkrankheit der Säuglinge , hält diese mehrere Tage an , so gebe man
.Decoct. salep, Columbo etc. (s. Diarrhoea a dentitione und Den-
titio).
Diarrhoen sanguinen a melnena. Der Abgang des Blutes bei Morbus
niger, Melaena, ist oft bedeutend, die Farbe schwarz, späterhin fleischig,
wie ausgewaschenes Blut ; gewöhnlich ist Vomitus cruentus vorhergegangen.
Cur» Man behandle das Grundübel, vermeide erhitzeiwie Dinge , gebe Potio
Riverii, Decoctum tamarindorum, stopfe die Diarrhöe nicht; sie kört, wenn
■kein geronnenes Blut mehr da ist, von selbst auf. Man gebe dann Lac
ammoniacale etci (s. Morbus niger).
Diarrhoen sanguinea dysenterita. Ist Symptom der Ruhr, s. D ys an-
te ri a.
Diarrhoea sanguinea coViquativa. Ist zuweilen Symptom des putriden
Fiebers mit Auflösung des Blutes, oder Symptom der Fel)ns hectica im
höchsten Stadium der Schwäche, bei Phthisis pulmonalis. Cur. Die Be-
handlung des Grundübels mit Berücksichtigung des Krank heitscharaktera.
Ist Erethismus da, dann besonders Opivnn, bei Torpor Gewürze, Faba Pi-
churim , China , Simaruba , Alaun , Aniica etc.
Diarrhoea habitualis. Sie ist häufig Folge der Diarrh. biliosa, der
Ruhr, verschiedener Krankheiten der Digestionsorgane, unregehnässiger Diät
bei Diarrhöen; ist oft recht hartnäckig, kann selbst Jahre lang dauern, bei
Frauen Abortus erregen und überhaupt manche Nachtheile für die Gesund-
heit herbeiführen. Cur. Hier passen vorzüglich Amara: Quassia, Gentiana,
Calam. arom. , Simaruba, selbst China, anhaltend gebraucht; äusserlich Li-
nim. volat. , aromatische PHaster, warme Bäder, Flanellkleidiing, gewürz-
liafte Diät. Ist das Übel recht hartnäckig und mit Torpor verbunden, so
passen oft da» natürliche oder künstliche Emser Wasser und gänzliche Ver-
änderung der Lebensweise. Will das Übel diesen Mitteln nicht Aveichen,
»ind die Stuhlgange reichlich, schwach gefärbt, ähnlich dem Kalkwa.sser,
«0 leistet der anhaltende Gebrauch des Cupr. sulphuric , dreimal täglich
l'/a — 3 Gran mit '/^ — '/;. Gran Opium in Pillenform, sehr gute Dienste (vergl.
I
DIASTASIS — DFATHESIS B55
Etitomn irt Proricfl's Notiz. 1828, Nr. 9). Awch folgende Mlttd Bmd bei
torpider Schwäche des Darmcanals zu einpfehlten ; I^ Extr. Kgn. campech»
3jj , -4f/. cirinnm. s. v. V', 7'wcf. cntechn 3]\} , Si/r. cört. aurant. gj. M. S;
B — 4mal täglich 1 Esslöffel voll.' Desgleichen I^ Putv. Inno subtil., Bumnu
ttrnl/ici ana gfir. Redig : c. aq, mettth. jyip. q. s. in form. eled. M. S; Vi«^rinal
täglich 1 Theelöffel voll. Bei der Diarrhoea chronica infantum atrophischer)
besonders aber scrophulöser Subifecte wirkt oft gÄn* specifik : fy Rad. julap.
gr. j — jji, Nuc. moschat. gr. )>, Sem. foenicuH ^ii. M. f. pulv. disp, d'öil
xvj. S. Dreimal täglidi ein Püher (Dr. RftUch in Petersburg).
toimrlwen erethislicn; D. toi-jndn , Durchfall mit E rethisTnils odt^f
Torpor (Paralysls).' Die Unterscheidung des Charakters der Diarrhöe ist
fiir die Behandlung sehr wichtig. Des synuchische, hypersthenische Cha-
rakter ist hier wol höchst seifen, da dieser sich durch die Diarrhöe selbst
am ersten hebt, häufig dagegen der Charakter des Erethismus, 2. B. bei
Diarrh. biliosa, serosa, arthritica, mucosa, dysenterica, Cholera, bei Diar-
rhöe nach drastischen Mitteln etc. Er giebt sich durch Kolikschu'iei'z , durch
schmerzhafte Ausleerungen zu erkennen. Hier passen vorzüglich laue schM-
mige Getränke : Eidotter in Wasser gelöst', Decoct. althaeae, Salep, Hafer-,
Graupenschleim, und daneben das Opium, alle 2 — ^^S Stunden V2-^— 1 Grart
(doch bei Kindern mit grosser Vorsicht). Äusserlich Einreibungen von Ol,
fclmmoiti. , hyoscyami, Opium, Kampher, warme aromatische Fomentäüone'h
auf den Unterleib, Vermeidung aller Speisen und säuerlichen Getränke
Späterhin bei gemindertem Erethismus Tinct. rhei aquos , Elix. viscer.
Holfm. , Infus, oülumbo, Decoct. cascarill., angusturae mit Tinct. opii,' zu-
letzt Quassia, China, Martialia. Die Diarrhoea torpida, paralytica ist oft
Symptom des Typhus putridus, der Dysenteria putrida, auch die Diarrhoea
habitualis hat häufig diesen Charakter. Hier fehlen die Symptome der ere-
thistischen Diarrhöe, der Kranke ist schwach, mager, lax, reizlos etg.
Hier passen reizende, gewürzliafte Mittel :Zimmt,' Ingwer, Muskatnüsse,
Tiiict. cinnanjomi , aurantior. , Armcä , Naphthen , Paba Pichurim (dreimal
täglich ^]\- — j), Columbo , Kino, Simaruba , Ligtt- campechiense, Torm'en-
tilla, Alaun; auch Ol. terebinthinae., p. d. zu 8 — 10 Tropfen mit Eigellj
oder Syr.up (Copetand') , daneben stärkende, reizende Diät, animalische
Kost, Wein, Gewürze. ' ' '' '' ,
Diarrhoen criticn. Der Arzt vergesse tiie,' dass eii ailcih vifele Tcriiis'cHö
Diarrhöen giebt, welche, wenn sie früh gestopft werden, schlimme Folgen
hinterlassen. Hierher gehören die Diarrhoea stercoralis, a dentitione , D.
sanguinea metastatica , a melaena , die D. mucosa , verminosa , biliosa ; auch
die Durchfälle bei Hydrops, Icterus, Hypochondrie, Melancholie, Physconia
hepatis, bei Krämpfen mit Congestionen zum Kopfe etc. sind häufig kritisch;
Hier massige man den Durchfall durch gute Diät, Warmhalten, schleimige
Getränke und gebe das Opium nicht sogleich, sondern erst nach Verlauf von
S — 4 Tagen, wenn alsdann die Natur das Übel nicht schon gehoben hat.
Diastasis. Ist das Auseinanderweichen unbeweglich mit einander
verbundener Knochen; s. Luxatio.
Diastrophe» die Verdrehung, Verzerrung, z. B. der Glie-
der, des Rumpfs, der Gesichtszüge etc. durch Krampf, die Deformität der
Glieder nach Luxationen , Fracturen.
Diatliesis, Dispositio (ad morbum), Opportunitas , Anlage, Krank-
heitsanlage, Disposition zu dieser oder jener Krankheit; auch Causae
morbi internae, prädisponirende Ursachen genannt, im Gegensatz der Ge-
legenheitsursachen (Causae morbi externae). Hierbei kommen in Betracht ;
1) die Körperconstitution, d. i. ein fester, bestimmter Gesundheitszustand
des Individuums , der sich thells durch äussere Merkmale (sogenannter Ha-
bitus), theils durch die Structur der Organe und durch die Mischung der
Säfte (z. B. Kachexie , Dyskrasie) zu erkennen gie()t. Dem Arzte ist das
Studium dieser Gegenstünde höchst nöthig , er muss die verschiedene Con-
stitution und den Habitus des Menschen genau kennen (s. CoMstitu'tio),
558 DIATRIMMA ~ DICLIDOSTOSIS
desgleichen 2) das Temperament, wenn er richtige Einsicht in den vorfie-
genden Krankheitsfall sich verschaffen will; auch 3) die erbliche Anlage,
4) das Geschlecht, 5) das Alter und die bestimmten Lebensperioden, 6) die
Jahreszeiten und 7) die vorangegangenen Krankheiten sind bei Erforschung
der Causa morbi interna nicht zu übersehen. . B'olgendes Specielle finde hier
noch Platz.
Dinihesis inflammnioria , phlogistica , i/enuin n, Anlage zu Entzün-
dungen und entzündlichen Fiebern, Giebt die plethorische Con-
stitution, das jugendliche und männliche Alter, der Habitus apoplecticus (s.
Apoplexia und Infi a m m atio). Diese Diathcsis morbosa wird durch
anhaltende trockne Kälte und Ostwinde, besonders im Winter, leicht her-
vorgerufen. In ihr zeigt sich eine rein entzündliche Stimmung der Kräfte
und Säfte des Körpers, welche die antiphlogistische Methode in ihrem gan-
zen Umfange erfordert.
Diathesis plilotjisiica speciosa. Sie findet in jeder Jahreszeit durch schnel-
len Temperaturwechsel statt, und erfordert einen massigen antiphlogisti-
schen Apparat.
Diathesis apopleciica. Wird durch Habitys apoplecticus und Diathesis
inflammatdria begründet.
Diaihesis hneredHaria, erbliche An 1 jage zu verschiedenen Krankhei-
ten, durch Übertragung der sogenannten Constitutionen von den Altern auf
die Kinder. Hierher gehören die Anlage zu Monstrositäten, Hasenscharten
etc., Habitus phtbisicus , biliosus, pituitosus, apoplecticus, zu Hämorrhoi-
den, Krämpfen, Gicht, Steinbildung, Scropheln etc. (s. Habitus, Apo-
plexia, Phthisis etc.).
Diathesis .spos/ic« , giebt das jugendliche Alter, das weibliche Geschlecht,
sensible Constitution, sanguinisches Temperament (s. Spasmus).
Diathesis psorica, Anlage zu Hautkrankheiten, zu Ausschlägen, geben
das jugendliche Alter, die epidemische Constitution, verschiedene Contagien^
Syphilis, Atrophie, Scrophulosis', im männlichen Alter die venöse und atra-
bilarische Constitution etc. .;
Diathesis rheumatico - enjsipelatosa. Si? herrscht häufig im Herbsfe und
Frühjahre bei schnellem Wechsel von Kälte und. Wärme; i^t trockene Kälte
mehr vorherrschend , so entstehen leicht acute Rheumatismen , bei feuchter
Kälte verschiedene Exantheme und erysipelatöse Entzündungen.' !
Diathesis gastrica. Entsteht leicht , wenn feuchte Kälte plötzlich auf
anhaltend trockene Wärme folgt, die Verdauung stört und dad.urch gastri-
sche Turgescenz erregt.
Diathesis catarrhalis. Entsteht durch anhaltende . Nässe, welche die
Hautfunction stört und das lymphatische System und die Schleimhäute,, über-
laden mit Stoffen, die durch Transspiration entfernt werden sollten, reizt,
entzündet und zu stärkerer Secretion geschickt macht.
Diathesis epidemica, und endcmica , die epidemische und endemi-
sche Krankheitsanlage. Wird durch die verschiedenen Witt«rungs-
constitutionen begründet. Sie ist in den meisten Fällen eine Diathesis phlo-
gistica (besonders im Winter, bei Ostwinden), häufig auch eine Diathesis
catarrhalis, seltener Diathesis nervosa, typhosa.
Diathesis nervosa, ti/phosa, Anlage zu nervösen und typhöse)n
Fiebern. Wir finden sie am häufigsten bei zarten, schwächlichen , schlecht
genährten Subjecten. Hier bekonmien Entzündungen und Fieber nie einen
bedeutend synochischen Charakter, besonders wenn anhaltend nasskaltes
oder trockenes heisses Wetter obwaltet; daher wir nicht zu schwächend ver-
fahren dürfen.
i>iatriinina>9 Wundseyn der Haut durch Abreiben beim Gehen, Rei-
ten; s. I nie r t r igo.
Dichophyiaj das Doppeltwcrden, Spalten der Haarspitzen. Ist
häufig mit Kahlheit und Ausfallen der Haare verbunden; s. Alopecia.
HiclidostOHis ( Verknöcherung der Gefässklappen, zumal
" / DICTTITIS — DIPHTHERITIS 557
am Herzen^ z. B. bei Angina pectoris, bei alten asthmatischen Leuten, bei
Herzübein etc.
Bictyitis, Entzündung der Retina, «.Amaurosis.
Dies COnteinplantefil , indicnntes. Sind diejenigen Tage, welche,
nach' Jlippokrntes , die kritischen Tage und ihre Gefahr in Fiebern anzei-
gen, z. B. der vierte Tag ist der Index des siebenten, der elfte des vier-
zehnten. Diese treuen Hippokratischen Beobachtungen haben allerdings
etwas Wahres; es ist gut, wenn man an solchen Tagen keine Arznei giebt;
sowie es überhaupt eine gute Maxime ist, in hitzigen Fiebern, besonders in
denen, die man für typhös hält und reizend behandelt, zuweilen auf 24
Stunden alle Arznei auszusetzen , um zu sehen , wie der Kranke sich ohne
Arznei befindet. Ist sein Befinden besser, so sehe man noch 1 — 2 Tage zu
und lasse nur eine gute Diät halten. Dieses Verfahren spart viele Arznei
und verkürzt manches Fieber.
Dig^estio depravata, schlechte Verdauung, s. Dyspepsia.
JUgestiva, Digestivmittel. Sind solche, welche die Secretion
des Darmcanals, aber nur wenig die Excretion desselben vermehren, z. B.
kleine Dosen von Rheum, Tamarinden, Sal Glauberi, Sal amarum, Pulv.
liquir. compos. Ph. Boruss. , Crem, tartari, Magnesia, Sal Seignette, welche
Mittel bei Neigung zu Sordes etc. gebraucht werden, stockende Materien
im Darmcanal mobil machen und zur Ausleerung vorbereiten. Indem diese
Mittel Stockungen und Unreinigkeiten auflösen, sind sie auch Verdauung
stärkende Mittel. In der Chirurgie nennt man auch die Eiterung beför-
dernden Mittel (^Diapijeticn, Mnturnntia , Supptirantin^ Digestiva, daher auch
der Name des bekannten Unguent. digestivum. Vorzüglich rechnet man
hierher den Terpenthin.
IMhysteria. Dimetra, doppelte Scheide und Gebärmutter. Ist in
seltenen Fällen beobachtet worden. Vor einem Jahre accouchirte ich eine
24jährige Frau in hiesiger Stadt, die Zwillinge weiblichen Geschlechts ge-
bar. Da hinterher die festsitzende Placenta das Eingehen meiner Hand in
den Uterus nöthig machte, so fand ich zu meiner Verwunderung einen völ-
ligen Uterus bicornis, indem durch ein Septura die Gebärmutter in zwei
gleiche Hülften getheilt war. Diese Frau, erst seit 3 Jahren verheirathet,
hat schon 4 Kinder geboren; denn sie kam im ersten Wochenbette gleich-
ftills mit Zwillingen, und zwar männlichen Geschlechts, nieder.
Diluentia, verdünnende Mittel. Sie haben die Eigenschaft,
die Säfte des Körpers zu verdünnen. Hierher gehören alle warme, schlei-
mige , erschlaffende säuerliche Getränke , die in Fiebern zur Stillung des
Durstes dienlich sind und auf Schweiss und Stuhlgang wohlthätig wirken:
Hafer - , Graupenschleim , Gerstendecoct , Limonade etc.
Sinica, richtiger Antidinica, Mittel gegen den Schwindel. Sind
verschieden nach der Ursache des Übels (s. Vertigo).
Siorthosis , die Verbesserung abnormer Krümmungen des Rückgrats,
der Glieder (s. Orthop aedia).
Hioscurij Geschwulst der Ohrendrüse, s. Inflammatio par-
0 ti dis.
Dlphtberitis. Unter der Benennung Diphthdrite versteht Dr. Bre-
tonnenu (Des Inttammations specifiques du tissu muqueux, et en particulier
de la Diphtherite. Par. 1826) eine specifische , endemisch vorkommende Ent-
zündung der Schleimhaut des Mundes, Rachens und der Luftwege, in de-
ren Folge sich stets häutige Gebilde zeigen. Er begreift unter diesem Na-
men den Croup, die Angina maligna und die epidemische Mundfäule. Der
Name ist überflüssig und die Ansicht des Hrn. B. , sowie; seine Cur haben
wenig praktischen Werth (s. Heidelberger klin. Annalen, 1827, Bd. HI.
Hft. 3). Er räth z. B. beim Croup an, Alaunpulver in die Luftröhre zu
blasen {Froriep's Notiz. 1827, Bd. XVIU. No. 2), womit sich kein deut-
553 DIPLOPIA — DIPSOMANIÄ
scher Arzt begnügen wird. Auch C. II. Fuchs (Untersuchungen über AWgina
maligna und ihr Verhältnlss zum Scharlach und Croup, 1828) behauptet
höchst einseitig, dass der Croup eine Zwitterform von Angina maligna und
Scarlatina sey und vor dem Jahre 1745 nicht existirt habe. Er hätte sich
über diesen historischen Punkt aus Sachsens Schrift (Das Wissenswertheste
über .die häutige Bräune) besser belehren können.
DiplopiA» Dillopia, Visus duplex, Doppelsehen. Ist zuweilen
Folge heftiger Anstrengung der Augen durch zu helles Licht, wobei er-.
höhte Receptivität stattfindet. Hier giebt es sich bald von selbst durch
Ruhe und Schonung; in andern Fällen ists Wirkung des Schielens (Stra-
bismus) ; in noch andern ist es ein bedeutendes Symptom , das einen tief-
liegenden Nervenfehler, nahe bevorstehende Amaurose anzeigt, besonders
wenn es mit Chrnpsie, Photopsie, Oxyopie abwechselt oder verbunden ist.
In seltenen Fällen sieht man mit einem Auge doppelt, ja vier-, sechs-,
achtfach ; hier wollte man eine vicleckige Cornea gefunden haben. Cur.
Ist nach den Ursachen verschieden; oft ist das Übel unheilbar, Ists anhal-
tend, so nehme man die Sache nicht leicht, sondern forsche nach, ob auch
Amblyopie da ist. Wir sehen jedes Object doppelt, wenn die Gehirntheile,
welche der Perception der Gesichtseindrücke vorstehen, z. B. die Thalami
nervoruiu opticorum, ihre Thätigkeit ungleichmässig ausüben, oder wenn
die Receptivität der Regenbogenhäute nicht gleichniässig stark ist, oder end-
lich, wenn vermöge der abweichenden Richtung beider Augen, die aufs Ge-
hirn übertragenen Impressionen in einem ungleichen Verhältnisse stattfinden,
z. B. bei künstlichem Schielen , bei Strabismus incipiens. — Trunkenheit,
heftiger Zorn, Quetschungen des Auges , Coauiiotio cerebri, heftiger Schreck
können das Übel momentan hervorrufen. Liegen organische Fehler zum
Grunde, so ists meist unheilbar. Bei Schwangern kommt Visus duplicatus
häufig vor, eben so bei Hysterischen, Hypochondristen, wo es durch Re-
aolventia und gelinde auf den Unterleib wirkende Laxanzen meist verschwin-
det. Bei erstem heilt es schon alleui das Wochenbette. Prof. Becli theilt
in V. Ammon's Zeitschr. f. Ophthalra. 1835 , Bd. IV. S. 401 ff. einen inter-
essanten Fall mit, wo tuberculöse Entartung des Hirnanhanges die Ursache
der Diplopie und des Strabismus war.
JDipSACUS» Durstsucht. Ist ein Symptom bei hitzigen Fiebern,
wenn man bei diesen den vermehrten Durst so nennen will , vorzüglich aber
ein Symptom der Harnruhr, daher auch der Name gleichbedeutend genom-
men wird (s. Diabetes). Bei Hydrops ist heftiger und häufiger Durst
ein sehr schlimmes Zeichen.
DipSomaniA* So hat man wol die Trunksucht genannt (^Hufe-
land), richtiger ist wol der Name Methomania. Soll die Trunksucht nicht
die traurige Säuferkrankheit, das Delirium tremens bewirken, so muss der
Säufer sich die geistigen Getränke allmälig abgewöhnen, Bier, Kaffee,
Chocolade , Fleischbouillon und dergl. so oft geniessen , als ihm das Bedürf-
niss zum Trinken ankommt, und sich fleissig in der freien Luft bewegen.
Zugleich vergesse der Arzt nie , sein Augenmerk auf etwaige Abdominälfeh-
1er: Leber-, Milzverhärtungen etc. zu richten und danach die Cur einzu-
leiten (s Delirium tremens). Sind solche organische Fehler nicht da,
ist nur Blennorrhoe zugegen, so hilft oft meine Tinctura ebriorum (s. Aro-
matica), welche die Entwöhnung von geistigen Getränken bei standhaf-
tem Vorsatze weniger beschwerlich macht, auch die Constitution des Säu-
fers sehr verbessert. Dass die Krankheiten der Säufer in ihrer Behandlung
eine besondere Rüsksicht A'erdienen, dass wir bei Fiebern und Entzündun-
gen hier nicht streng antiphlogistisch verfahren dürfen, soll nicht ein schäd-
licher Collapsus und ein symptomatisches Delirium tremens erfolgen , darauf
ist schon oben (s. Delirium tremens) aufmerksam gemacht worden. Beson-
der« schön hat dieses Berndt (^hufelnnd's Journal, 1828, Octb.) dargethan,
und auf die Verschiedenheit der Krankheitsbildung, welche der Missbrauch
der Spirituosa veranlasst, aufmerksam gemacht, desgleichen, wie hierdurch
I DISCUTIENTIÄ - DISSOLVENTIA 559
die Symptome und der Verlauf der fieberhaften Krankheiten modificirt wer-
den. Es giebt bei euizehien Menschen eine periodische Trunksucht,
welche meist 14 Tage bis 4 Wochen, oft selbst Monate intermittirt , und
dann einige Tage dauert und oft anit VVuth verbunden ist. Derselben ge-
denken schon Brühl -Cramer und Erdmann (s. dess. Beiträge zur Kenntnis^
des Innern von Russland; Riga, 1823). Auch Henke macht darauf, zumal
in medicinisch - forensischer Hinsicht , aufmerksam (s. dess. Zeitschrift der
8taatsarzneikunde , 8tes Ergänz. - Heft , 1827, S. 181 u. f.). Ich kenne hier
im Orte ein paar recht fleissige, thätige, massige Männer, welche an die-
ser periodischen Methomanie leiden, und alle 8 — 12 Wochen mehrere Tace
hindurch so viel geistige Getränke trinken und volle Tage und Nächte in
den Wirthshäusern sich umliertreiben , dass sie oft ganz von Sinnen kom-
men, bis diese Periode vorüber ist. Oft kommt letztere gerade zur Zeit
des Neu - oder Vollmondes und bei bedeutend schnellem Witterungswechsel.
Ein oder zwei tüchtige Brechmittel, gleich anfangs während der Vorboter»
der Sauflust gereicht, präserviren häufig solchen periodischen Trunksucht-
anfall , desgleichen kalte Waschungen des ganzen Körpers.
Discutienti A (incdicamma) , Disciissivn , zertheilende Mittel,
gleichbedeutend mit Resolvcntin externa. Es gehören hierher die Spirituosen,
aromatischen, sauren, adstringirenden , salzigen Mittel, das kalte Wasser,
nm Congestionen , entzündliche Spannung und Extravasat in äussern Thei-
len zu entfernen.
DislocatiOf Verrenkung eines Knochens, s. Luxatio. Das Wor^
ist in der allgemeinsten Bedeutung synonym mit Abweichung, Orts-
veränderung, und schliesst daher die Begriüe Diastasis, Distorsio, Ecto-
jiin, Hemia, Luxatio, Prolnpsiis, Fraciura cum dislucatimie , Invnginntio und
Convolvuliis intestinorum etc. ein. Im engern Sinne versteht man darunter
die Verschiebung gebrochener Knochen und die Gelenkverrenkung.
Dispositio, Dispositio interna, Opportunitas , Krankheitsanlage; ».
Diathesis.
Sissolvcntia (medicamind) , Zertheilungsmittel. Sind solche^
die eine regelwidrige Ansammlung oder Ablagerung tropfbar flüssiger, gas-
förmiger oder verhärteter Stoffe in verschiedenen Theilen des Körpers be-
seitigen , ohne dass dieselben unmittelbar an Ort und Stelle entleert oder
fortgeschafft werden, indem hier mehr auf die Thätigkeit der resorbirenden
Gefässe , der Lymphgefasse und Venen , gerechnet wird , zumal in der Nach-
barschaft des leidenden Theils. Da jede Entzündung mit Congestion, Zu-
fluss und Anhäufung von Säften im eikrankten Theile verbunden ist, so
nennt man die Heilung derselben, wenn sie nicht in Eiterung, Ausschwitzung,
Verhärtung , Brand etc. übergeht , eine solche durch Z e r t h e i 1 u n g , die
bekanntlich den besten Ausgang dieses örtlichen Leidens ausmacht. Daher
alle Antiphlogistica auch Dissolventia sind, so wie denn letztere auch häufig
aus der Classe der entzündungsvvidrigen Mittel schon deshalb gewählt wer-
den müssen , weil bei vielen Geschwülsten ^ Ansammlungen etc. Entzündung
als primäre und fortwirkende Ursache zum Grunde liegt. Der Vitalitätszu-
stand des Organs; in welchem die zu zertheilende Ablagerung stattfindet,
die Cohäsion der Stoffe, ob sie fest, tropfbar, Öüssig oder gasförmig sind,
die höhere oder niedere Organisation der Stoife, ob es Bhit, Serum, Lym-
phe etc. ist, der Ort und die Structur der Theile, wo sie liegen, die Ur-
sache ihres Entstehens, — alle diese Dinge kommen hier in Betracht. Es
giebt daher, obgleich im engern Sinn die zertheilenden Mittel nur aus der
Classe der Reizmittel genommen werden, reizmildernde, kühlende, an-
tiphlogistische und reizende, reizvermehrende, irritirende Dissolventia. Zu
letztern gehören die Harze, die reizenden Pflaster, die reizenden Salben,
die Elektricität, der Galvanismus, die reizenden Dämpfe , Bäder, Umschläge
etc. — Zur Zertheilung normwidrig abgelagerter Stoffe giebt es noch drei
besondere Methoden : den mechanischen Druck , die Derivation und den Ge-
brauch derjenigen Interna , die , in die Blutmasse geführt , eine specifische
560 DISTENSIO — DISTORSIO
Zertheilungskraft besitzen, indem sie die Resorption beleben. Durch deii
Druck, die Compression, wird der erneuete Absatz der abnormen Materie
Bn den betroffenen Ort verhindert und die Ernährung gehemmt, wodurch
ein Schwinden der Partie bezweckt wird. Er lässt sich überall anbringen,
wo eine harte Unterlage ist, wo edle Organe nicht beeinträchtigt werden,
•wo die Theile nicht zu empfindlich sind und die Ansammlung nicht • dem
drückenden Material ausweichen kann. Wir heilen durch Compression mit
Glück Tumores cystici, Ganglien, Bubonen, den Callus fistulöser und si-
nuöser Geschwüre , Blutecchymosen am Kopfe etc. Dem Drucke ähnlich
wirkt die anhaltend einwirkende Kälte , indem sie die Vegetation hemmt.
Durch Elektricität kann man Warzen an den Händen (s. Sachs Berliner
med. Centralzeitung , 1834, Nr. 21, S. S33) heilen, kalte Geschwülste,
Tumor albus, selbst Kröpfe, Gichtknoten etc. zertheilen (s. MosVs Heil-
kräfte des Galvanismus etc. Lüneburg, 1823). — Auch die derivirenden
Mittel befördern die Zertheilung , indem durch sie die vegetative Thätigkeit
abgeleitet und eine andere natürliche Secretion vermehrt wird. Die Knt^-
ziehungs- und Hungercur, die Purganzen, Vomitive, das Decoct. Zittmanni,
die Ekelcur, die künstlichen Geschwüre in der Nähe der Geschwulst, — '
alle diese Derivantia zertheilen kalte Abscesse , Hydrocele, Sarcocele, Drü-
ßenvei'härtungen , Anschwellungen der Gelenke, Anschoppungen innerer Or-
gane etc. Als specifische Zertheilungsmittel stehen in grossem Ruf : das
lod (Tinct. iodin. innerlich , Unguent. kali hydriodln. äusserllch) , der Mer-
cur, Antimonium, Terra ponderosa salita, Salmiak, Cicuta, Belladonna etc.
(^6, auch Resol ventia).
JDistensiOj Ausdehnung, Ausstreckung. Ist gleichbedeutend
mit Distrnctioj Extrnctio , Extensio , und macht einen Act der Einrichtung
gebrochener und verschobener Knochen aus (s. Fractura und Luxatio).
Distorsio» Contorsio, Sulluxntio, Luxaiio imperfectn , Verdrehung,
Verstauchung, unvollkommene Verrenkung. Ist eine stattge-
fundene, durch die Wirkung der Ligamente und Muskeln von selbst wieder
eingerichtete Luxatio incompleta. Sie kann aus äussern mechanischen, sel-
tener aus innern Ursachen entstehen (s. Arthrocace). Die Verstauchung
des Fusses , der Hand wird häufig von Laien schon durch gelindes Ziehen
und Drehen des Gliedes gehoben. Schädlich ists , das Glied sogleich mit
Spirit. camphorat. , saponis , sal. aramon. caust. zu waschen ; besser sind Fo-
mentationen von Wasser und Essig, Bleiwasser, und erst späterhin, nach
Verlauf von acht Tagen, jene reizenden Dinge, die, früh angewandt, leicht
den Schmerz, die Geschwulst und Entzündung vermehren (s. Contusio
und Luxatio). Der allgemeine Begriff von dieser Benennung ist Verdre-
hung oder Verbieg ung der Glieder im Allgemeinen, mag dieselbe
entstanden seyn durch Rheuma, Gicht, Scropheln , Rhachitis, Krämpfen,
allgemeiner Schwäche , Contracturen der Muskeln , oder als Vitium primae
formationis vorkommen. Im engern Sinn ist Distorsio oder auch Contorsio
«ynonym mit Luxatio incompleta. Kommt eine solche an der Hand vor, so
heisst sie Verstauchung, am Fussgelenke Vertretung, an der Wir-
belsäule Verhebung oder Verbiegung. Oft sind dabei einzelne Ge-
lenkbänder zeiTissen , die Muskeln und deren Scheiden verschoben (Luxatio
musculorum) , und das Gelenk selbst und die Nachbarschaft bedeutend ge-
quetscht. Am häufigsten folgt das Übel durch heftige Muskelanstrengungen,
z. B. beim Tanzen , Springen , beim plötzlichen Greifen nach entfernt lie-
genden Gegenständen (Vergreifen), bei Wäscherinnen oft durch das Aus-
ringen grosser Stücke Wäsche, ferner durchs Fallen in ein Loch, durch
einen Fehltritt oder das Umknicken mit dem Fusse beim Springen und Tan-
zen , bei uns Verw rickein genannt, durchs Fallen auf die Hände.
Symptome. Plötzlich auftretende heftige Schmerzen im Gelenke , im
ganzen Gliede , gehinderte oder ganz aufgehobene Beweglichkeit desselben,
später, nach einigen Stunden, eine Entzündungsgeschwulst, die aber nicht,
wie A. L. Richter (fiwst's Handb. d. Chirurgie, Bd. VI. S. 49) meint, einen
DISTRICHIASIS — DIURESIS 561
asthenischen , sondern gegentheils , zumal bei robusten , jungen Subjecten,
einen echt inflammatorischen, sthenischen, arteriellen Charakter, wenigstens
in den ersten 7 Tagen , zeigt , wo daniv erst vermehrte Absonderung in den
Geleakmembranen und Flechsenscheiden als Folge jenes früher stattgefun-
denen Entzündungszustandes, der nun mehr den asthenischen Charakter nach
und nach annimmt, sich einsteift. Zuweilen ist auch die Form und Rich-
tung des Gliedes verändert , ein oder der andere Muskel und dessen Sehnen
hervorspringend. — Die Prognose ist, wenn die Häute, Bänder, Knorpel
und Sehnen des Gelenks bedeutend gelitten haben und schon entzündet
sind , ungünstig , indem dann leicht Tumor albus und Hydrarthrus die Folge
sind. „Wird auch durch eine zweckmässige Behandlung — sagt mit Recht
Richter — ein solcher ungünstiger Ausgang abgehalten, so dauert es doch
selir lange, oft viele Monate, bevor der Patient das Glied wieder gebrau-
chen kann , und die gehörige Kraft , Sicherheit und Festigkeit zurückkehrt,
da die das Gelenk zusammenhaltenden ßefestigungsmittel erst sehr spät den
geliörigen Grad von Festigkeit und Spannkraft wieder erhalten , und noch
lange eine erhöhte Reizbarkeit wahrnehmen lassen , welche besonders bei
Veränderung der Witterung bemerkbar wird." — Behandlung. Bei auf-
fallender Abweichung der Form und Richtung des Gliedes , bei Verschie-
bung der sich verbindenden Knochen , suche man durch Ziehen , durch Hin-
und Herbewegen , Drücken und Streichen , welches aber vorsichtig gesche-
hen muss, dem Gelenke seine gehörige Form wieder zu geben. Alsdann
dienen recht kalte Fomentationen von Eis , Eiswasser, Fomentatio frigida,
welche anhaltend, so lange Schmerzen da sind, angewandt werden müssen;
auch kann das Glied gleich nach der Verletzung mehrere Stunden lang in
recht kaltes Wasser getaucht werden, wenn anders der Kranke nicht gich-
tisch, rheumatisch oder gerade menstruirt ist. Im letztern Falle muss man
sich auf die kalten Umschläge beschränken. Später dienen Fomentationen
von lauwarmer Ai^ua Goulardi. Ist so der Entzündung nach 2 bis 3 Tagen
vorgebeugt, so dass keine Schmerzen mehr stattfinden, dann kann man
Spirit. vini camphorat. und Spiritus saponis einreiben und einen massig com-
primirenden Verband anlegen. Wird man erst einige Tage nach der Ver-
letzung zu dem Kranken gerufen , so hat dieser in der Regel schon reizende,
spirituöse Mittel angewandt und das Übel dadurch so verschlimmert, dass Ent-
zündung und heftiger Schmerz, Geschwulst etc. eingetreten sind. Hier die-
nen nach Umständen allgemeine und örtliche Blutausleerungen, kalte Um-
schläge, später lauwarme Fomentationen von Aq. Goulardi, Einreibungen
von Unguent. mercuriale einer., noch später der Gebrauch der Spirituosa
und der Contentivbinde , zuletzt thierische Bäder, massige Bewegung des
Gliedes. Folgen auf die Anwendung der Spirituosa noch Schmerzen , die
sich nach dem Gebrauche derselben vermehren, so kehre man zu den lauen
Fomentationen von Infus, specier. aromat. , Aq. saturni , zurück , bis der
Kranke jei>e Spirituosa vertragen kann ; alsdann kann man auch folgende
Salbe no<;h eine Zeitlang einreiben lassen : ^r Umjuent. mercurinl. einer. Zih
Vntjuent. nlthaene §j , Ol. hyoscyami, Linim. voTat. camphor. ana 5|v. M. S.
Abends und Morgens 1 — 2 Theelöffel voll davon in das Gelenk zu reiben.
Districhiasis, s. Trichiasis.
Sittopia. Ist synonym mit DipJopia.
Diuresis, Harnabsonderung. Sowie die übrigen Ausleerungen
(Stuhlgang, Schweiss), so ist auch die Diurese ein wichtiger Gegenstand
für Pathologie und Therapie, und ihr Resultat, der Harn, bei Krankheiten
in mehr als einer semiotischen und diagnostischen Hinsicht wichtig. Die
wichtigsten und häufigsten Krisen bei acuten Krankheiten geschehen durch
Diuresis und Diaphoresis , und selbst bei vielen chronischen Krankheiten
sind sie periodisch thätig , um Krisen zu bewirken. Ich erinnere hier nur
an die meisten entzündlichen Fieber, an Hydrops, Arthritis, Lithiasis, Scro-
phulosis etc. Aber auch da , wo die Natur keine Krisen durch den Harn
bewirkt, ist derselbe zur Erkenntniss und Unterscheidung der Krankheiten
MoBt Encyklopädie. 2te Aufl. I. 3g
562
DIURETICA
höchst wichtig . So dass kein echter Praktiker die Beschauung desselben ver-
nachlässigen wird (s. Uroscopia).
HiuretiCA» harntreibende, harnbefördernde MitLel. Die
Zahl dieser Mittel ist eben so gross , wie die Wirkung der einzelnen ver-
schieden ist; ein abermaliger Besveis, dass die Wirkung dieser, wiö' aller
andern Arzneikörper, nicht in ihnen allein liegt, sondern nur aus dem Zu-
sammentreffen (Reagiren) des kranken (oder gesunden) Organismus mit dem
Arzneimittel hervorgeht. Auch lehrt die Erfahrung, dass trotz des Antago-
nismus zwischen Diaphoresis und Diuresis dennoch viele Diaphoretica zu-
gleich Diuretica sind. Wir gebrauchen diese Mittel 1) bei verminderter
Nierenabsonderung und den davon entstehenden Fehlern der ganzen Mi-
schung; 2) zur Ausleerung krankhafter, schädlicher Stoffe in den Nieren
und der Urinblase, bei Blennorrhoea vesicae, Gries , Stein etc.; 3) zur Aus-
leerung v.ässeriger, lymphatischer Feuchtigkeiten im Zellgewebe und in den
Cavitäten des Körpers ; 4) zur antagonistischen Reizung und Ableitung bei
Krankheiten der Lunge : Asthma , Husten , Brustwassersucht , bei Krampfhu-
sten, bei allgemeinen Krämpfen etc. Viele sogenannte Brustmittel und An-
tispasmodica wirken nur durch ihre diuretischen Kräfte, sowie auch das häu-
fige Harnlassen bei Hysterischen schon auf die Sympathie der Nieren mit
dem Nervensystem, die gute Wirkung des Sulph. aurati, derSenega, Squilla,
Digitalis etc. in chronischem Asthma auf die gleiche Sympathie der Lungen
mit den Nieren schliessen lassen. Die Diuresis wird befördert 1) durch Ver-
meiu-ung der Menge von Flüssigkeiten im Körper. So vermehren alle war-
men und kalten Getränke: Thee, Kaffee, kaltes Wasser, viel Bier, alle
säuerlichen Getränke und Spirituosa die Harnabsonderung; 2) durch solche
Mittel, welche einen etwa vorhandenen krankhaften Reiz (Entzündung) in
den Harnwegen vermindern, z. B. durch Aderlässen, Blutegel, Ölemulsio-
nen mit Opium, Extr. hyoscyami , wodurch Strangurie, Dysurie, Ischurie
als Symptome jenes krankhaften Reizes gehoben und die Diuresis normal
wird; 3) durch solche Mittel, die theils allgemein, theils durch Specifica
die Nieren excitiren, z. B. bei atonischen, phlegmatischen, torpiden Sub-
jccten, die an Hydrops, jedoch ohne entzündliche Zufälle, leiden. Hier sind
die vorzüglichsten Mittel : Rad. squillae, senegae, Digit. purpur., E(|uisetum
arvense L. , Ballota lanata, Rad. caincae, Arundo calamagrostis, Millepedes,
Solidago virga aurea, der Harnstoff (Urea), Terebinthina, Petroleum, Can-
tharides, Alkali fixum, Acida, Sapo, Juniperus, Petroselinum etc. (Vergl.
Dierbncli's Neueste Entdeckungen in der Materia med. , 1828 , Abtheil. I.
S. 100 — 129). Die Wirkung dieser Mittel wird sehr vermehrt durch gleich-
zeitigen Gebrauch von Nitrum, Crem, tartarl, Crem, tartari solubilis, Potio
Riverii, Spirit. nitri dulcis, salis dulcis, Liq. c. c. succin. , durch häufiges
Trinken von Decocl. specier. lignorum etc. (s. Hydrops). Die scharfen
reizenden Diuretica pa.«sen nie bei Nephritis, höchst selten bei Blutharnen;
auch bei anfangenden Wassersüchten gebrauche man sie nicht, sondern ver-
suche erst Crem, tartari, Nitrum, aromatische Wasser, Spirit. nitri dulcis,
Potio Riverii mit Aqua juniperi und dergl Hier passt auch folgende sehr
wirksame Composition meines Vaters : R» Tnrt. de^mrnt. 3^j ? Lact, sulphnr.,
Besin. ijwtjaci nnt. ana 5jj i Mn(fm'S cnrhon., Flaved. cort. nurnnt. ana 5]»'
Rad. squillae gr. xjj — ^vjjj, Sulph. aurati gr. vj — xjj. M. f. pulv. S. Alle
3 — i Stunden 1 Theelöftel voll mit Wasser. Auch folgende Mischung hat
mir in solchen Fällen herrliche Dienste geleistet: I^ Decoct. digital. Leritini
§j, Aquae juniperi, — melissae, Oictjm. squillif. ana ^jjü , Crem, tartar. so-
luh. 5vj, Liq. c. c. succ , — anodyn. ana 5j. M. S. Alle 3 Stunden 2 Ess-
löffel voll (Stici/litz). Desgleichen die von Scliilling und Rehmnnn empfoh-
lene Ballota lanata, z. B. V^ Herb. Bnllot. lanat. sicc gross, pulv. gjj , Aquae
fontanne Sjj , Coque ut rinnan. ffj , col. ndde Tinct. cort. nurant. giv , Spirit.
sal. dulc. 5j, Laudan. liq. Sifd. gtt. xx. M. S Alle 2 Stunden 2 Esslöffel
voll. Dieses Mittel schätze ich ebenso hoch in der Wassersucht, als die
theure Rad. caincae (s. Hydrops). Indicirt sind endlich noch die harn-
treibenden Mittel, um die verminderten Geschlechtsfunctionen auf consen-
DIVARICATIO MAX. INF. — DOLOR 563
suellem Wege zu erhöhen; so z. B. shid die auf den Harn wirkenden Ge-
sundbrunnen von Karlsbad, Ems etc, auch als solche in Ruf gekommen, die
bei Frauen die Sterilität heben. Auch dienen einzelne auf Diuresis wirkende
Mittel als Derivantia vom Kopfe, bei Migräne, bei Melancholie, Epilepsie
etc., z. B. das Oleum terebinthinae, zu 10, 20 — 30 Tropfen, dreimal täg-
lich in einem Glase Zuckerwasser, und mehrere harntreibende Mittel ver-
mindern oder beschränken antagonistisch die zu starke Schleimabsonderung
in den Bronchialhäuten etc , daher der Nutzen der Squilla etc. bei Asthma-
tischen etc. Ein grosses noch sehr wenig von Ärzten und Laien beachtetes
Diureticum ist das kalte Wasser, in recht grossen Quantitäten getrun-
ken (vergl. Hy droiatria). Die heftigsten Kopfschmerzen habe ich oft
dadurch vertrieben , dass ich alle Viertelstunde 1 bis 2 Pfund frisches , kal-
tes Quellwasser trinken und damit 1 — 2 Tage täglich 6 — 8 Stunden con-
tinuiren und darneben eine recht knappe Diät halten Hess. Ja, der heftige
Kopfschmerz vermindert sich schon, sobald die Harnabsonderung sich auf-
fallend vermehrt und der Harn selbst durch das Wassertrinken wässerig,
klar wird, und seine Temperatur, die in der Regel gleich nach der Excre-
tion 24 — 25 Grad Reaum. beträgt, bis auf 20 Grad sich verminderte. End-
lich muss ich noch, gestützt auf eigene reiche Erfahrung, bemerken, dass
kein Arzneimittel schneller und kräftiger die bei Cholera asiatica verminderte
oder völlig unterdrückte Harn - , Se - und Excretion hebt , als das kalte
Wasser, worüber alle Beobachter nur eine Stimme haben. Bei Stockun-
gen in den Eingeweiden des Unterleibes, die jahrelang allen Mitteln aus
der Apotheke trotzten , habe ich durch das häutige Wassertrinken und die
dadurch verstärkte Diuresis und Diaphoresis die herrlichsten Wirkungen ge-
sehen; und auch bei Wassersuchten, besonders bei Hydrops inflaminatoriug
nach Scarlatina, verdient das kalte Wasser, täglich zu 15 — i:0 Pfunden ge-
trunken, vor der ekelhaften und oft gefährlichen Cur des warmen Wassers,
nach Cndet de Veaux, den Vorzug; sowie bei acuter Gicht.
Bivaricatio maxillae inferioris, Mund sperre. Ist die Folge
von Luxatio maxillae inferioris, von Krampf in den Muskeln, welche die
Maxiila inferior abwärts und herunterwärts ziehen. Cur. Ist das Übel an-
haltend, so setze man Blutegel hinter die Ohren, reibe Unguent. mercuriale
mit Linim. volat. , Tinct. opii ein. Man behandle also die Grundkrankheit,
gebe Antispasmodica, Emetica, Laxantia, richte die Luxation ein etc.
Socimasia pulmonum, die Lungenprube. Wird in medici-
nisch - forensischer Hinsicht bei todten Kindern angewandt, um zu entschei-
den, ob sie lebend oder todt zur Welt gekommen sind. Wir haben ver-
schiedene Methoden der Lungenprobe, die mehr oder weniger brauchbar sind,
z. B. die Lungen- und Athemproben von Plotiquet, Metzijer, Daniel, Roose.,
Wildherg (s. Henke, Lehrb. d. gerichtl. Medicin; 4te Aufl., 1824, S. 354
u. f.) ; doch geben sie alle kein positives , gewisses Resultat über das Leben
und den Tod eines Neugebornen , besonders da die Beispiele von Vagitus
uterinus nicht so ganz selten sind; sie machen nur das Urtheil über das
Leben oder Nichtleben eines todtgefundenen Kindes wahrscheinlicher, und
sind daher, besonders die Wildberg'sche Athemprobe, vom Gerichtsarzte
nicht zu vernachlässigen.
Docimasin medicamentorum et venenorum, Prüfung von Arzneien
und Giften. Es lehrt diese die Chemie durch die dazu geeigneten Rea-
gentien. Der gerichtliche Arzt muss in vorkommenden Fällen, will er sich
keines Vorwurfs schuldig machen, solche Prüfung einem geschickten Che-
miker überlassen und nur für gehörige vorsichtige Aufsuchung, Verwahrung
und Versiegelung des bei der Section oder im Hause der Angehörigen eines
Vergifteten vorgefundenen Giftes Sorge tragen.
Dolor» Algos, der Schmerz. Ist ein wichtiges Zeichen zur Er-
kenntniss und Diagnose der Krankheiten, macht aber kein Genus morborum
aus, wie Snuvages u. A. wollen. Der Arzt muss daher die Art des Schmer-
zes, seine Dauer, die Abwesenheit desselben, den Grad seiner Heftigkeit,
36*
564 DOLOR
seinen Ort etc. wohl untersuchen , auch dabei nicht vergessen , den schmerz •
haften Theil zu befühlen, um sich zu überzeu|j;en, dass der Kranke sich
nicht in der Angabe des Orts getäuscht habe. Hierbei ist zu berücksichti-
gen, dass man den fraglichen Ort anfangs sehr leise berühre, indem ein
heftiger Druck auf manchen leidenden Theil gleichsam lähmend wirkt, so
dass der Kranke auf diese Weise keinen Schmerz fühlt, dagegen ein leiser
Di'uck oft heftigen Schmerz erregt. Wir unterscheiden brennenden , ziehen-
den, drückenden, stechenden, fressenden, schneidenden etc. Schmerz (Dolor
tensivus, gravativus, punctorius, rodens, lancinans), der nach Verschieden-
heit des Localleidens verschieden ist , wie dies bei den einzelnen Fällen be-
sondex's angegeben und unter den Symptomen bemerkt worden.
Dolor articulomm , s. Arthritis.
Dolor aurium, s. Otalgia.
Dolor capitis, s. Cephalalgia.
Dolor cardinlgicit^ , s Cardialgia.
Dolor coUais, s. Coli ca.
Dolor dcntiitm, s. Odontalgia.
Dolor facici Fothergilli , Fothergill'scher Gesichtsschmerz , s. P r o -
sopalgia.
Dolores ad partum, Contractiones uteri, Geburtsschmerzen, We-
hen. Sie sind nothwendig zur Beförderung der Geburt, indem der Uterus
sich vom Grunde aus zusammenziehen und nach dem Muttermunde hin aus-
dehnen muss, wenn anders das Kind auf natürliche Weise zur Welt kom-
men soll. Diese Wehen sind nach den fünf verschiedenen Geburtsperioden
(s. Partus) verschieden: in der ersten Periode schnell vorübergehend, sel-
ten sich einstellend , erstrecken sich nur bis in den Schoos {Dolores ad par-
tum praesoglentes. Rupfer, Kneiper); in der zweiten Periode werden sie stär-
ker, kommen schon alle 10 — 15 Minuten {Dol- res praeparantes) ; in der
dritten sind sie noch stärker, heissen Treibwehen, Geburtswehen (^Dolores
ad partum proprie sie dicti} , sind mit Drängen auf Urin und Stuhlgang ver-
bunden ; in der vierten Periode sind sie am heftigsten , erschüttern den gan-
zen Körper, erregen Zittern, Schweisse, Angst, Geschrei (^Dolores con-
quassantes) , sie befördern das Kind oft schnell zur Welt. Für den Geburts-
helfer ist es nothwendig, dass er die Zeit der verschiedenen Geburtsperio-
den , ihre Zeichen und die Lage der Frucht im Mutterleibe genau kennt,
um ein richtiges Urtheil über das Normale oder Abnorme der Geburt fällen
zu können (s. Exploratio bbstetricia und Partus normalis und
abnormis); auch der Unterschied zwischen wahren und falschen
Wehen ist wichtig. Erstere entstehen in der Lendengegend, gehen von da
in den Schoos, in die Schenkel, der Muttermund öffnet sich während der-
selben und die Gebärende hat die Empfindung , als wolle etwas aus dem
Leibe herausdrängen. Die falschen Wehen sind dagegen schmerzhafte Em-
pfindungen, die den Muttermund nicht erweitern, sondern vielmehr noch
zusammenziehen. Sie sind etwas Krampfhaftes, erfordern bei vollsaftigen
Frauen einen Aderlass, bei schwächlichen , sensiblen Antispasmodica. Sym-
ptome der Krampfwehen sind: kleiner, zusammengezogener Puls, Ohn-
mächten, Zittern, angespannter, sehr empfindlicher Muttermund. Die häu-
figsten Ursachen sind: mechanische Hindernisse der Geburt (verkehrte
Lage der Frucht, enges Becken), schwächliche Constitution , Erkältung der
Sch^^angern, Gallenreiz, Ärger, Furcht, Schreck. Cur. Man entferne
die Ursachen, reibe am Muttermunde Opiatsalbe und Ol. hyoscyami ein,
lasse bei VollbUiligkeit zur Ader, gebe innerlich etwas Liquor, Tinct. opii,
noch besser Folgendes : H' Opii purissimi gr. jj , Rad. ipeeac. gr. j , Sacchnri
albi ^viij. M. f. pulv. divide in vjjj partes. S. Halbstündlich ein Pulver mit
Chaniiiieuthee und 15 Tropfen Liipior anodynus. Bei Rigidität des Mutter-
mundes aus Krampf, wie dies bei den Convulsionen der Gebärenden oft der
Fall ist, kann man mit Nutzen alle '/4 — '/, Stunde einer Bohne gross von
folgender Salbe am Muttermunde einreiben: I^; B^tr. hellndonnae gr. vj,
l/nyiient. rosat. 5|1. M.. (Dr. Mnndt). Oder das reine Extr. belladonnae
DOLOR 565
(jConquesf), oder auch folgende Salbe, welche Dr. Chmssier (Med.-diirurg.
Zeitung, 1825, III. S. 367) empfiehlt: I^ Extr. hellmlonnne 3jj v düue cum
aequali quanüiate aquae fontan. desiill. , dein admisce trihiravdo Axrnig. porc.
depur. 3J. M.
Dolores post partum, puerperarum , Nach wehen. Sind diejenigen pe-
riodischen Schmerzen, welche nie bei Erstgebärenden, wohl aber bei Mehr-
gebärenden in den ersten Tagen nach der Geburt eintreten , und i^ dey
Regel etwas Spastisches sind. Hier sind sie oft sehr heftig und schmerz-
haft. Cur. Sind keine Verletzungen (Zerreissen des Damms), unterdrückte
Lochien etc Ursache , so gebe man die obigen Pulver aus Opium und Ipe-
cacuanha (s. Dolores ad partum) oder: ^; Liq. c, c.succin., — miodyn.,
Tinct. cnstorci ana 5j- M. S. Halbstündlich 15 — 20 Tropfen mit Chaniil-
lenthee; sorge für Warmhalten und Beförderung der Diaphoresis,^ und das
Übel wird sich bald geben. Ausserdem passt ein Infus, vaierianae jni.t etwa*
Aqua laurocerasi, sowie in hartnäckigen Fällen die Blausäure (v. d. Btiscn
in Huffirt/KZ's Journal , 1826, Septbr. S. 95), z. B. Acidi hydrocyanici gütt.'
jj, Syr. sacchari 3Jj..M. S. Alle IV2 Stunden 1 Theelöffel voll. l)r. Mnn-
pes sah herrliche Wirkung von Tinct. castor. 5j » Tinct. thebaic. 3l>« M^ »4
Alle %, 1—2 Stunden 15 Tropfen, welche Mischung auch ich empfehlen kann.
Dolores ad parlum dehiles, seh wach e W ehe n, Mangel an We-
hen. Die Wehen folgen hier langsam, unvollkommen, sind unbedeutend,
und die ersten Geburtsperioden können Tage lang währen. Ursa^cheh
sind: allgemeine Schwäche, Kraftmangel der Kreisenden, todte Frucht etc.
Cur. Man reibe gelind äusserlich den Muttergrund, schiebe die vordere
Wand des Muttermundes in die Höhe, gebe Antispasmodica, etwas Weirt,
und verordne, wenn die Lage des Kindes, sein Kopfstand regelmässig 'ist;
Folgendes: ^.r Sccal. cornut. gr. xjj — xv, iSacchari albi ^j. M. f. pulv. disp;
dos. vj. S. Halbstündlich ein Pulver mit Chamillenthee ; dieses Mittel hat
sich in meiner geburtshülflichen Praxis oft bewährt ; die schlimmen Folgen,'
welche Andere davon gesehen haben : dass nämlich das Kind asphylitisch'
zur Welt komme, habe ich nicht bemerkt (vgl. Guerard in Rmt's Magaz.
Bd. XXIX. St. 1, S. 34, desgleichen Rusfs Krit. Repertor. Bd. XII. H. 1);
aber ich wende es auch nicht an , wo Vollblütigkeit oder Congestionen. nach
edlen Organen stattfinden , oder ich lasse erst eine Venaesection vorherge-
hen (s. Rusl^s Magaz. Bd. XXIII. Hft. 1). Noch muSs ich bemerken, da.ss'
in solchen Fällen von Plethoi-a der Borax, den auch Kopp und Rudolph' alä
Wehen beförderndes Mittel empfehlen, den Vorzug vor dem Mutterkorn ver^
dient, oder man giebt es in Verbindung mit Nitrum, Tart. vitriol. , Cr^ih.
tartari etc. C. Waller gab in vielen Fällen zur Förderung der Geburt mit
Nutzen 3j] Seeale cornutum mit giv kochendem Wasser 20 Minuten' .lang
infundirt und davon die eine Hälfte sogleich, die andere nach Y4 Stunde
genommen. Dagegen gab es Köhler nur stündlich zu 5 Gran, und 'eis 'wirkte
gleichfalls gut (s. Rusfs Magaz., 1827, Hft. 1, S. 104). Nach ' ihm vvirkt
es eben so specifik auf den Uterus, als Belladonna auf die Iris. Recht aus-
führlich über das Mutterkorn in historischer und medicinisch - physischter
Hinsicht hat Robert gehandelt, auch die chemische Analyse desselben mitg«^
theilt (s. Rusfs Magaz., 1827, Hft. 1 u. 2). ' : . ■ , < s .:' ,-/Z.
Dolores osteocopi , ■nocturni , Kn ochens'chraerzen ,> nächtli«'h^
Schmerzen. Sind grösstentheils venerisch(?n, Ursprungs, sind ein. Zöchcn
der Syphilis larvata oder inveterata, wenn dieselbe schon die Knochen er-
grilfen hat. Die Schmerzen sind an den Kopf- und Röhrenknochen am heftig-
sten, besonders in der Mitte der Röhrenknochen, und sind oft schv^er vyU
rheumatischen Schmerzen zu unterscheiden, sowie auch der Rhenniatismus
sich häufig mit Syphilis inveterata complicirt. Cur. Die der Syphilis, ^^es
Rheumatismus. Empirisch nützt das Pulv. Doweri, des Abends gegehen,
desgleichen die Spec. lignorum, des Tages über getrunken; auch ist fol-
gende Tisane empfohlen worden , wovon täglich eine Portion mit einer Kanne
Wasser gekocht und verbraucht wird : R> Corl. mezerci , Rad. althaeae ana
3jj« M. disp. dos. q. p. (^Hufeland).
566 DOTHmENTERIA — DYSBLENNIA
JDothinenteriA* Ist nach Bretonnenu dasselbe, was Dothinentcri-
tls , also ein pustulöses Exanthem des Darnicanals. Richtiger würden die
Benennungen Enterodothiema , EntherodothienosUi seyn (^Kraiis).
Dothinenteritis (^ Bretonnenu), Ileitis pustulosa (^Hufeland'). Ist
eine eigenthümliche , bald primäre, bald secundäre exanthematische, leicht
in Verschvvärung übergehende, daher nicht echt entzündliche AfTection der
Ileo-Coecalgegend (s. Febris neuropathi ca).
Dracunculus , s. Filaria Dracunculus.
Urastica, heftig wirkende Mittel, besonders starke Brech-
und Purgirmittel. Dass wir solche Mittel, um nach oben und unten
auszuleeren, in gewöhnlichen Fällen nicht gebrauchen dürfen, versteht sich
von selbst. Aber es giebt auch Fälle, wo die Sensibilität des Magens und
l>armcanals so gering ist, dass wir ohne sie nicht fertig werden können,
z. B. bei Vergiftungen durch Opium , Belladonna , Hyoscyamus etc. ; hier
würde es Zeitverlust seyn , erst Ipecacuanha zum Erbrechen zu geben und
nicht gleich den Zinkvitriol. Auch bei Angina merabranacea bedarf es oft
kräftiger Vomitive (s, den Art.). Drastische Mittel in kleinen Dosen, z. B.
Jalape, Gutti, wirken oft specitisch gegen chronische Nervenübel: Hysterie,
Epilepsie, Veitstanz, indem sie das Gaiigliennervensystem stimuliren und an-
tagonistisch vom Kopfe ableiten.
Dropaciinus. So nennt man das Ausziehen der Haare mit-
tels der Pechkappe. Man wandte dieses Mittel früherhin an, um durch
Reizung und Röthung der Haut unter ihr befindliche Geschwülste zu heilen.
In manchen Gegenden von Deutschland, zumal auf dem Lande, ist es noch
jetzt ein oft wirksames Volksmittel zur Heilung der Tinea maligna. Bs
werden aber täglich nur ein paar schmale Streifen Pechpflaster auf das kurz
abgeschnittene Kopfhaar gelegt und dann die Haare damit ausgerissen, in-
dem es für den Kranken zu schmerzhaft seyn würde, das gesammte Kopf-
haar in einem Tage auszureissen.
Dycliophyia, richtiger Dichophyia, s. Alopecia.
Synamica, die Dynamik, die Lehre von der Kraft (Dyna-
mis). ist die wissenschaftliche Ansicht, welche sich auf die Annahme einer
oder mehrerer Kräfte gründet. Die neuern Ärzte gebrauchen diesen Aus-
druck häufig; so redet man von dynamischen Ursachen der Krankheit, von
dynamischer Wirkung der Arzneien u. s. f. Eine richtige Ansicht von Kraft
und Materie ist daher um so nöthiger, da Missgriffe und falsche medicini-
sche Ansichten so oft die Folge von den mit beiden verbundenen verkehrten
Begriffen waren und noch sind. Kraft und Materie sind so innig mit ein
ander verbunden , dass wir uns eins ohne das andere nicht denken können
(s. Cacogalactia), und der praktische Arzt kann durch materielle Mittel
ebenso gut auf die Kräfte des Kranken wirken, als durch immaterielle Mit-
tel auf die Materie , auf die Säfte , das Blut , die Drüsen , Nerven etc. ; s.
Dyscrasia.
Hysaeinia» krankhafte Beschaffenheit des Bluts, z.B. bei
CoUiquation der Säfte, bei Kachexien, Dyskrasien etc.
Sysaeinorrlioides » Beschwerden von unterdrückten oder retenten
Hämorrhoiden, s. Molimina haemo rrho ida rum.
Dysaesthesia , Unempfindlichkeit der Sinne, z. B. bei
Torpor, bei Vergiftungen durch narkotische Stoffe, bei vielen Nervenübeln,
Apoplexie, Epilepsie, Katalepsie, Paralyse etc., kurz vor, während und
nach den Anfällen etc. Auch ists ein gewöhnliches Symptom des hohen Al-
ters. Die Cur ist nach den Ursachen verschieden ; man behandle also das
Grundübel.
Dysarthritis, unregelmässige Gicht, s. Arthritis anomal a.
l^yHblenuia 9 krankhafte Schlcimbildung , s. Blenuurrboea.
DYSCHOLIA — DYSENTERIA 587
DyscholiA» krankhafte Ö'es<shaffenheit, erschwerte oder vor-
minderte Absonderung der Galle, z. B. bei Gallensteinen.
DyiSCliroea y krankhafte Hautfarbe, z. B. bei Chlorosis,
Icterus etc.
JDy8Chylia>, krankhafte Beschaffenheit des Chylus.
Dyscbymia» üble Beschaffenheit des Chymus, z. B. bei
Atrophie, Surdes, Soda acida, rancida etc.
Dyscinesia, Schwerbeweglichkeit, Steifigkeit, z. B. bei
rheumatischen und paralytischen Beschwerden etc.
Hyscoclia, habituelles Leiden des Unterleibes, t. B. ha-
bituelle Diarrhöe , Verstopfung, Apepsie, Verschleimung, Hypochondrie, Hä-
morrhoiden.
Dyscrasia, Dyskrasie, schlechte Mischu n g der Säfte,
(bei den Alten auch schlechte Luftbeschaffenheit), woraus Kakochymie ent-
steht, fehlerhafte chemische Mischung der festen und flüssigen Theile. A/w-
felmul (Journ. der prakt. Heilkunde, 1829, Januar) handelt Dyskrasie und
Kachexie als specifische Affection , Chemismus, unter einer Rubrik ab. Er
sagt : „Gewissen Krankheitszuständen liegt ein eigenthümlicher Fehler in
den materiellen Verhältnissen des Organismus zum Grunde, ohne dessen
Entfernung sie nicht aufhören können. Hier wii-d also eine chemisch - orga-
nische Abnormität Object der Heilung. Diese Krankheiten heissen Dyskra-
sien , Schärfen , specifische Affectionen ; ja die ganze Classe der sogenann-
ten materiellen Krankheiten gehört hierher. Die Mittel dagegen heisseu
specifische. Da nun keine organische Veränderung des Dynamischen ohne
eine gleichmässige des damit unzertrennlich verbundenen chemischen Lebens-
processes gedacht werden kann, so lässt sich auch gewöhnlich diese chemi-
sche Veränderung durch Verbesserung des dynamischen Zustandes heben.
Doch befördert es gar oft die Heilung ungemein, wenn mit dem dynami-
schen Mittel zugleich direct auf den chemischen Fehler wirkende Mittel ver-
bunden werden. Aber in manchen Fällen sind alle allgemeinen dynamischen
Mittel zu schwach, Dahin gehören die Dyskrasien , miasmatische und nicht
miasmatische; ferner die abnormen Secretionsproducte, die Vergiftungen und
die örtliche Putrescenz " Eine Hauptanzeige bei der Cur chronischer
Krankheiten besteht darin , etwaige Dyskrasien aufzusuchen und zu heben,
z. B. Syphilis , Scrophulosis , Arthritis etc. Höchst wichtig ist z. B. die
Classe der materiellen Nervenkrankheiten. Sie gehört unter die-
sen Begriff, und nur der, sagt Hufeland, der an Schärfe glaubt, wird ein
richtiges Heilungsobject und also richtige Anzeige dabei haben. Manchen
Neurosen liegt nämlich die Metastase eines Krankheitsstoffs auf die Nerve«
zum Grunde, der ihre Thätigkeit aufhebt (Lähmung), oder anomal macht
(Spasmus, Convulsion, Wahnsinn). Hier ist also die Krankheitsursache et-
was Äusserliches , nicht im Nerven selbst Befindliches, und folglich auch
die Heilung eine negative, nicht eine unmittelbare Verbesserung der Ner-
venthätigkeit selbst. Hier ist besonders die miasmatische Dyskrasie oft la-
tent, und die Kunst des Arztes besteht vorzüglich alsdann darin, sie erst
frei, mobil zu machen und eine lebendige Reaction darauf zu erregen.
Dysdacrya., krankhafte Beschaffenheit der Thränen , s. Epiphora.
DyjsdyuainJa , krankhaft beschaffene Leb enst hätigkeit,
Krankheit (Bartels).
Dysecoia, Schwerhören, s. Cophosis.
Dyselcia. Ist schlechte Beschaffenheit, Unheilbarkeit
eines Geschwürs.
jDysenteria, Fluxus difsentericus , cruentus cum tenesmo, Rhetimatis-
mns mtestinorum , Tormina Cehi, Difficultns iniesfinorum, die Ruhr. Unter
dieser Benennung verstehen wir eine Krankheit mit Fieber, Leibschneiden,
Stuhlgang und Abgang seröser, schleimiger, blutiger Flüssigkeiten durch
568 DYSENTERU
den After, Die Symptome dieser oft leichten, oft aber auch gefährlichen
Krankheit sind im Allgemeinen folgende : Sie erscheint entweder plötzlich,
ohne Vorboten , z. ß. Dysenterie bei jungen , kräftigen , irritablen Personen
mit lebhaft entzündlichem Charakter , oder sie hat, z. B. 'die Dysenteria ga-
strica, biliosa, pituitosa und putrida, die Ruhr bei geschwächten Personen,
8 — 14 Tage lang gewisse Vorboten. Diese sind: Appetitmangel, Ekel,
Übelkeit, Neigung zum Erbrechen, schmuzig , gelblich, weiss, schleimig
belegte Zunge, hässlicher Geschmack, Druck in der Herzgrube und im Un-'
terleibe, Flatulenz, Neigung zu Diarrhöen, seltener Leibesverstopfung; da-
bei Unbist, Abspannung, unruhiger Schlaf, Ziehen in den Gliedern, er-,
höhte Empfindlichkeit gegen äussere Kälte, Frösteln, beschleunigter Puls.
Symptome der ausgebrochenen Ruhr sind: 1) vermehrte Stuhlausleerun-
gen , die meistens an Quantität nur l — 2 Esslöffel voll , oft noch weniger
betragen, aber wol 10-, 20-, ja lOOmal in 24 Stunden .erfolgen. Ihre
Farbe ist anfangs noch bräunlich, später V^^erden sie grünlich, gelblich, se-
rös, schleimig, weiss (Dysenteria alba), grau, eiterartig, schleimig -blutig,
rein blutig (Dysent. rubra), hochroth, schwärzlich, schwarz; bei längerer
Dauer gehen zugleich häutige Massen, Pseudomembranen: lymphatistih^ Ex-*
sudationen der Gedärme mit ab. Dabei dauern die Zeichen der gastrischen
Beschwerden fort und die Ausleerungen werden um so mehr übelriechend,
stinkend, je mehr sich die Ruhr der Dysent. pütiida nähert. 2) Mit jeder
Ausleerung sind Leibschneiden und Kolikschraerzen (Tormina) verbunden.
Sie sind meist schneidend , reissend , nehmen die Gegend des Nabels ein,
verbreiten sich von da über den ganzen Unterleib und sind desto heftigef,''
je höher die Krankheit den Darmcanal ergriffen hat, und je mehr sie' ent-
zündlicher Natur ist. 3) Kurz vor und mit der Ausleerung erfolgt Stuhl-
zwang (Tenesmus), der höchst unangenehm ist, wobei oft Vorfall des ent-
zündeten Mastdarms , Blasenkrampf und Harnschneiden auf Augenblicke er-
folgt. 4) Mit wirklicher Ruhr ist stets Fieber verbunden, das bald gering,
bald heftig ist und so den Thermometer für die wahre Natur des Übels und
den Grad seiner Heftigkeit , wie für seinen Charakter abgiebt. Eä ist ur-,
sprünglich remittirender Art und von rheumatisch - katarrhalischem Charaktet,'
nähert sich aber bald mehr der Synocha, bald mehr der Febris biliosa, pi-
tuitosa und putrida. Die Symptome desselben sind anfangs massiges, oft
wiederholtes Frösteln, massige Hitze, frequenter, gespannter, härtJicher,'
nicht voller Puls. Das Wesentliche der Ruhr ist Entzündung des Mast-
darms, die sich aber selbst bis zu den dünnen Gedärmen erstrecken kann,^
den rheumatisch -katarrhalischen Charakter hat und von einem Fieber mit
ähnlichem Charakter begleitet ist {Wedekind, Marcus, Richfer, Vogel, P.
Frank, Speyer, Haase}. Daher ist auch die reine ursprüngliche Form der
Ruhr stets eine Dysent. catarrhalis und pituitosa , die , nach Constitution,
Alter, Geschlecht, Lebensweise, Witterung etc., bald mehr als Dysent. in-
fiammatoria , bald mehr als biliosa, pituitosa, putrida, nervosa erscheint,*
und wonach die Behandlung, wie jeder Arzt weiss, verschieden seyn muss.
Hiernach kann man drei Hauptarten der Ruhr : die entzündliche , die gastri-
sche (im weitesten Sinne des Worts) und die nervöse Ruhr annehmen. Die
entzündliche Ruhr zerfällt in zwei Unterarten: in die Dysent. rheümatico-
catarrhalis und in die Dysent. inflammatoria proprie sie dicta seu hypersthe-
nica. Zur ga.strischen Ruhr rechnen wir die Dysent. biliosa, pituitosa, pu-
trida (primaria et secundaria). Die nervöse Ruhr ist stets etwas Secnndä-
res , wo der Status nervosus das letzte Stadium der Dysent. pituitosa und
putrida mit CoUiquation ausmacht. Von diesen Art«n der Ruhr wii'd unten
besonders gehandelt. Die altern Eintheilungen der Ruhr in Dysent. benigna,
maligna, sporadica, enderaica , epidemica, rubra, alba, simplex , composita
etc. haben für die Praxis weit geringern Werth. Ausgänge der Ruhr.
1) Genesung. Sie erfolgt langsam, selten unter Krisen, meist per lysin,
doch ist ein allgemeiner Seh weiss oft wohlthätig. Die Krankjieitssjmptome
verschwinden allmälig binnen 8, 14, 20 Tagen. 2) Übergang in andere
Krankheiten. So wird die Dysent. catairhalis , benigna bei verkehrter Be-
DYSENTERIA 569
hancllung leicht zur inilammatoria oder pituitosa, letztere geht zur bilibsa,
putrida, nervosa über. Nicht selten sind die Nachkrankheiten der Ruhr
Phthisis intestinalis , Fiuxus hepaticus ; Physkonie der Leber , Gelbsucht,
habituelle Diarrhöe, Fiuxus coeliacus, Scirrhositäten , Hydrops, Kardialgicii
etc. 3) Tod. Er erfolgt entweder durch Brand der Gedärme, besonders
Hei heftiger Dysent. inflamniatoria, biiiosa, nervosa, oder durch Erschöpfung
und Colliquation (bei Dysent. putrida) , oder durch CoUiquation und Brand,
zugleich (Dysent. putride - nervosa) , oder später durch Nachkrankheiten.
Die Section zeigt Entzündung, Brand, dicken Schleim, rothe, schwarze
Flecken, Verhärtungen, Verdickungen des Mastdarms, des ganzen Dick-
darms, selbst des Dünndarms und des Magens, höchst mürbe, durch Brand
zerstörte Tunica villosa, Verengerung der Gedärme, zuweilen Entzündung,
Brand der Leber, des Netzes, des Pankreas, Geschwüre, angeschwollene
lymphatische Drüsen, die Viscera abdominis mit stinkendem blutigen . Serum
erfüllt; daher auch die Leichen schnell in Fäulniss übergehen. Ursachen,
Äussere Prädisposition geben heisse , trockne Sommer, daher das Übel in
den Monaten Juli, August, September am häufigsten epidemisch erscheint,
wo es dann zu gleicher Zeit neben Durchfällen, Schleim- und Wechselfie-
bern herrscht, und zwar um so bösartiger ist, je heisser das Klima und je
südlicher die Lage des Landes ist. Selten ist die Ruhr sporadisch , meist
immer epidemisch oder endemisch, wo sie kein Alter und kein Geschlecht
vei*schont, besonders aber Kinder, Frauenzimmer, geschwächte Subjecte,
Reconvalcscenten von andern Krankheiten, blennorrhoische Subjecte und
Menschen mit schwacher Verdauung ergreift. Gelegentliche Ursachen sind
bei Vorherrschen der der Ruhr günstigen atmosphärischen Constitution der
Genuss eines herben, sauren, unreifen Obstes, des mit Mehl oder Honigthau
befallenen Gemüses , Unmässigkeit im Essen und Trinken, im Coitus, über-
mässige Körper - und Geistesanstrengungen , Ärger , Verdruss , drastische
Purganzen, Nachtschwärmen, kurz Alles, was die Function der Verdauungs-
organe stört und schwächt. Am häufigsten aber entsteht die Ruhr nach
Erkältung; daher erfolgt sie um so leichter, je heisser die Soramertage, je
kühler die Nächte sind , je leichter und kühlender die Bedeckung des Un-»
terleibes und der Füsse, je häufiger die Gelegenheit zu Erkältungen (kal-
tes Trinken bei erhitztem Körper, bei der Erntearbeit, Aufenthalt im Bi-
vouac, schneller Wechsel der Atmosphäre, plötzliche Abkühlung der war-
men Luft durch Gewitter und anhaltenden Regen) da ist. Hier wirkt die
Hitze prädisponirend, die Kälte erregend; dazu kommt noch, dass überhaupt
der Unterleib im Herbste mehr leidet, wo ebenso wie im Pflanzenreiche der
Trieb der Säfte nach unten (im Frühlinge nach oben) am stärksten, ist.
Die Constitutio annua und die Lidividualität bestimmen den verschiedenen
Charakter (Dysent. biiiosa, pituitosa, inflammatoria, putrida, nervosa) der
Ruhr, wie dieses mit so vielen andern fieberhaften Krankheiten der P'all ist.
Ein eigentliches Ruhrcontagium giebt es nicht (^Richter, P. Frwnk , Hörn,
Speyer, Voijel, Hnase} , die Krankheit steckt nicht an, doch macht der Um-
gang mit Ruhrki-anken , die Idee der ansteckenden Kraft receptiver, und
die Luftconstitution wirkt auf alle Menschen desselben Landes etc. zu glei-
cher Zeit nachiheilig, woraus sich das Epidemische der Ruhr, wie der Ka-
tarrhalfieber etc. recht gut erklären lässt. Je bösartiger indessen die Ruhr
ist, desto leichter wird sie im Verlauf der Epidemie cuntagiös; dies ist bei
der Dysent. putrida und putrido- nervosa ganz bestimmt der Fall. Hier kann
man die Krankheit ebenso gut auch Typhus contagiosus mit ruhrartigea
Durchfällen nennen. Äussere Unreinlichkeit , niedrige, dumpfe Wohnungen,
ungesunde Zimmerluft durch das Zusammendrängen vieler Ruhrkranken in
engen Zimmern, deprimirende Gemüthsbewegungen aller Art, Hungersnoth,
feuchte Witterung , besonders aber auch verkehrte reizende Behandlung der
Dysent. inflammatoria machen die Ruhr ansteckend. Hier stecken die Zim-
merluft, die Ausdünstung, der Urin und die Ausleerung des Kranken vor-
züglich an. Prognose. Die Dysent. catarrhalis ist die gutartigste, sie
tödtet als solche nie, nur erst durch den Übergang zur inflammatoria und
570 DYSENTERIA
pituitosa. Die Dysent. inflammatoria ist weit schlimmer, besonders bei irri-
tablen, kräftigen Subjecten. Sie entscheidet sich im glücklichsten Falle am
5ten, 7ten Tage durch kritische Schweisse, Urin, Blutungen und massige
Stuhlausleerungen, nicht selten tödtet sie zwischen dem 5ten und Uten
Tage durch Brand, oder sie geht in die biliosa über. Letztere ist gleich-
falls ein bedeutendes Übel, besonders wenn der Magen und die Leber mit
afficirt sind. Sie hat grosse Neigung , bald zur inilammatoria zu werden
und dann durch Brand, oder zur putrida überzugehen und durch Typhus
zu tödten. Am gefährlichsten ist die Dysent. putride -nervosa, weniger ge-
ßhrlich, aber oft recht langwierig, die Dysent. pituitosa. Starke kräftige
Männer werden nicht leicht von der Ruhr ergriffen ; ists aber der Fall , so
ist sie dafür auch schlimmer, nimmt den entzündlichen Charakter an und
kann durch Brand tödten. Torpiden, lymphatischen Subjecten wird die
Dysent. biliosa, pituitosa, putrida am gefahrlichsten, besonders wenn ein
langes Stadium prodromorum vorherging. Kindern, Greisen und Schwän-
gern ist die Ruhr im Allgemeinen am gefährlichsten, weil sie bei ihnen
leicht den putriden Charakter annimmt, sowie überhaupt dies der Fall ist,
>venn die oben angegebenen schädlichen Einflüsse die Ruhr contagiös ma-
chen. Daher ist auch die sporadische Ruhr nicht so gefährlich als die en-
demische und epidemische. Je beisser das Klima und die Jahreszeit ist,
desto schlimmer ist stets die Prognose im Allgemeinen. Je schneller die
Stuhlausleerungen oder Ruhrgänge (zum Unterschiede der Stuhlgänge,
da auch bei der Ruhr Obstructio alvi, ein schlimmes Symptom, zugegen
seyn kann) auf einander folgen, je unbedeutender sie sind, je weniger nach
ihnen die Kolikschmerzen sich mindern , je häufiger blos Tenesmus ohne fol-
genden Abgang (Dysent. sicca) da ist; ferner je copiöser, wässriger, stin-
kender, aashaiter, dunkler, purulenter die Ruhrgänge sind, desto schlim-
mer ist die individuelle Prognose. Cur. 1) Man entferne, soviel möglich,
die erregenden und die Krankheit unterhaltenden, verschlimmernden Ursa-
chen. Bei der Dysent. biliosa entleere man vorsichtig Magen und Gedärme
vom Übermass ergossener Galle, bei der putrida sehe man besonders auf
Reinlichkeit, reine Luft, gesundes Krankenzimmer. 2) Da die Ruhr stets
ein inflammatorisches Leiden der Digestionsorgane, besonders der dicken
Gedärme ist, so behandle man sie als solches, jedoch mit sorgfältiger, ge-
nauer Berücksichtigung des verschiedenen Charakters , den dieser Entzün-
dungszustand anzunehmen fähig ist. Auch die Erforschung des allgemeinen
epidemischen Charakters: ob er mehr katarrhalisch, oder biliös, oder pu-
trid und nervös ist, muss nicht unterlassen und dabei berücksichtigt wer-
den , dass er im Verlauf der Epidemie nicht immer derselbe bleibt. Leichte
katarrhalische Herbstruhren vergehen bei guter Diät , eben wie ein Katarrh
der Nase, oft von selbst; in bösartigen" Epidemien stirbt bei der besten Be-
handlung oft der lOte, ja der 5te Kranke, wie ich dieses in mehreren
Ruhrepidemien erfahren habe. S) Bei herrschenden Ruhrepidemien ge-
brauche man diejenigen Präservative, die, der Erfahrung nach, am meisten
vor der Ruhr schützen. In dieser Hinsicht kann ich aus eigner Erfahrung,
da ich mehrere Ruhrepidemien als Arzt erlebt habe, folgende Dinge empfeh-
len: a) Tragen von Flanellkleidung auf dem blossen Leibe; b) regelmässi-
ges Leben in allen Dingen mit Vermeidung aller schwächenden Einflüsse;
c) Vermeidung der Vomitive und Laxanzen ; d) bei den ersten Zeichen der
Ruhr, am ersten Tage, wo weder heftige Durchfälle, noch heftige Schmer-
7en im Leibe obwalten, wo nur Schwindel, Übelkeit, Mangel an Appetit,
Frösteln , Kollern im Leibe etc. stattfinden , lasse man sich ■/; — 1 Flasche
guten Rothwein heiss machen , worunter viel Zimmt und etwas Zucker ge-
mischt werden, lege sich zu Bette, trinke die Portion heiss aus, decke sich
gut zu und warte den Schweiss gehörig ab. So schädlich dies Mittel bei
der anfangenden wirklichen Ruhr ist, so nützlich ist es bei den allerersten
Vorboten derselben. Ich habe dreimal bei mir selbst dadurch die Ruhr ver-
hütet, gleichsam im Keime erstickt, und mich von meinen Beschwerden,
selbst wenn schon das erste Leibkneipen sich einstellte, binnen 24 Stunden
DYSENTERIA 571
curirt. 4) Ausserdem erfordert die Behandlung der Ruhr verschiedene Mit-
tel , welche für die speciellen Fälle und den Charakter der Krankheit ver-
schieden ausgewählt werden müssen, wie dieses die Aufzählung der hier fol-
genden verschiedenen Arten der Ruhr näher angiebt.
Dysenteria infininmaloria proprie sie dictn, hypersthenicn , bilioso-inflatn—
fimforta , r e 1 n entzündlicheRuhr. Symptome. Ausser den allge-
meinen Zeichen sind folgende charakteristisch : Die Krankheit tritt plötzlich,
ohne Vorboten, mit starkem Froste ein, darauf folgt trockne, brennende
Kitze des ganzen Körpers, frequenter, starker, völler, oft aber auch klei-
ner, krampfhafter, unterdrückter Puls, starker Durst, trockne Zunge Und
Haut, sparsamer, feuriger Urin, Crusta intlamniatoria des gelassenen Biutesf
das Fieber ist eine continua continens, die Constitution des Kranken robust,
vollsaftig , der Leib äusserst schmerzhaft , empfindlich ; ganz wie bei Ente-
ritis , ist aufgetrieben , verträgt keine Berührung , ist sehr heiss , brennend,
die Extremitäten dagegen sind kalt, der Tenesmus ist stark, die Sedes sind
bräunlich, oft reines Blnt, im höchsten Grade geht gar nichts ab, der Ma-
gen ist sehr empfindlich , daher wird alles Genossene wieder ausgebrochen.
Diese Form der Ruhr ist selten , doch wurden einzelne Epidemien mit dem
i"ein entzündlichen Charakter von Zimmermann, Stall (Dysent. erysipelatosa),
Mnrquet und Rndemncher beobachtet. Am häufigsten kommt sie in Gebirgs-
gegenden in der Schweiz, Tyrol etc. vor. Cur. Ist die der Enteritis.
Daher Blutausleerungen, ein Aderlass von 6, 8 — 12 Unzen Blut am Arme
(^Junl-cr, P. Frank, S. G. Voijel, A. G. Richter), Blutegel an den After,
ins Peiinaeum ; innerlich lauwarme schleimige Getränke : Haferschleim, Ger-
stenschleim, Sago, Salep, Mandelmilch, Diaphoretica : Infus, chamomillae,
sambuci mit Spirit. Minderen, auch bei reizbaren, sensiblen Subjecten und
trockner Haut Pulv^ Doweri, doch nie ohne vorhergegangene Blutauslee-
rungen und nie gleich zu Anfange des Übels, wo nur schleimige, milde
Dinge, und späterhin Solutionen von Manna, Tamarinden nützlich sind,
nicht aber Nitrum und andere Salze; nur das Natron nitricum (s. unten)
möchte hier eine zweckmässige Anwendung finden (3f.). Auch die Antimo-
nialmittel in kleinen Dosen passen hier nicht ; wol aber schleimige laue Kly-
stiere mit etwas Tinct. opii^ laue Fomentationen und Umschläge von Herb.
hyoscyami, cicutae, Flor, sambuci und Einreibungen des Leibes mit Ol.
hyoscyaini , wenn ihre Application keine Schmerzen erregt. Dabei muss der
Kranke das Bett hüten, sich warm bedecken, im massig warmen Zimmer
verweilen und jede Erkältung, sowie jeden Genuss von festen Speisen, Al-
les, was Reiz und Entzündung vermehrt, alles saure Getränk meiden j sich
blos auf Gersten- und Haferschleim ohne Salz beschränken. Doch passt
zuweilen der Genuss eines reifen gekochten Obstes, der reifen Weintrauben.
Bei dieser Behandlung wird das Fieber bald rqmittirend, die Zufalle wer-
den gelinder, die Stuhlausleerungen und Ruhrgänge vermindern sich und die
Genesung erfolgt in kurzer Zeit.
Dgsentcria rheumntico-catnrrhalis, Dysent. henignn, gelind entzünd-
liche, gutartige Ruhr. Ist die häufigste und ursprünglich reine Form<
herrscht bald nur sporadisch, häufiger noch epidemisch im Fruhlinge und
Herbste; unbeständiges Wetter, Überschwemmungen begünstigen sie. Sym-
ptome. Zuweilen gehen Vorboten: Gliederschmerz, Kopfweh, Schauder,
Unlust, Übelkeit vorher, zuweilen nicht. Die übrigen Zeichen sind die der
Dysent. inflaramatoria im niedern Grade: Fieber mit massigem Froste, star-
ker Hitze, grossem Durste mit Typus contin. remittens, rheumatische Schmer-
zen in den Gliedern, im Nacken, massiger Leibschmerz und Tenesmus, kein
stetes Erbrechen nach dem Genüsse von Nahrung, nicht zu häufige Ruhr-
gänge, schleimiger, schäumender, blutiger Abgang. Cur. Muss gelind an-
tiphlogistisch, diaphoretisch seyn. Aderlässe passen hier nicht, wohl aber
Spirit. Mindereri mit Aqua flor. sambuci, Decoct. salep, daneben 3 — 4mal
täglich 1 — 2 Gran Opium mit Y4 Gran Ipecacuanha; ist der Puls weich,
klein, die Haut trocken, mit Kampher vermischt. Manna, Tamarinden, Sal-
miak, Spirit. Mindereri vertragen manche Kranke nicht. Das Opium gebe
572 DYSENTERIA
man in sokhen Dosen, dass es Ruhe bewirkt. Daneben die angegebenen
äussern Mitteln (s. Dysent. inflainmatoria) , Dampfbäder ad anum.
Warmhalten, als Nahrungsmittel nichts weiter als Hafer-, Gersten-, Grau-
penschleim, nichts Kaltes, Saures, Salziges. Gewöhnlich tritt am 7ten,
9ten Tage unter kritischen Schweissen Genesung ein.
Dysenteria hiliosa , die gallige Ruhr. Symptome. Sie tritt selten
ohne Vorboten auf. Diese sind : Appetitlosigkeit , bitteres Aufstossen , gelbe
Gesichtsfarbe, trüber Urin. Die Krankheit Selbst kündigt sich durch Fie-
ber mit geringem Froste, aber starker Hitze an; dabei rothes Gesicht, star-
ker Kopfschmerz, frequenter, voller, härtlicher, gespannter Puls, Febris
<;ontinua remittens, mit Exacerbationen am Abend und Remissionen am Mor-
gen; Status biliosus: Angst, Unruhe, Di-uck in den Präcordien, Übelseyn,
bitterer Geschmack, grosser Durst,, grosses Verlangen nach säuerlichen Din-
gen, schleiitiige, gelb belegte Zunge, trüber, brauner Urin, Leibschmerz,
Starker Tenesmus; der Abgang ist gallig, grün, stinkend, erfolgt täglicR
woi 20mal , gim häufigsten in der Exacerbation ; der Verlauf des Übels währt
länger als bei der Dysent. benigna und inflammatoria ; oft folgt der Aus-
gang in eine Intcrniittens luliosa, wo die Ausleerungen während der Apy-
rexie schweigen. Bei schlechter Behandlung geht sie (bei reizender Me-
thode) entweder in die Dysent. inflammatoria, oder (bei übertriebener anti-
gastrischer Methode) in die putrida über. Feuchte Herbstluft nach trocknen
heissen Sommern giebt ganzen Epidemien oft den biliösen Charakter, indem
hier das Gallensystem in übermässige Thätigkeit gebracht, worden ist. Cur.
Da diese Ruhr stets mit Polycholie, mit übermässigem Gallenerguss in den
Darmcanal verbunden ist, die als fremdartiger Reiz das örtliche Leiden un-
terhält, so ist die Hauptindication, diese Complication zu heben und so das
Leiden in eine Dysent. simplex, benigna zu verwandeln. Man gebe zuerst
ein Brechmittel aus reiner Ipecacuanha, bei Torpidität des Magens mit Tart.
enietic. versetzt; besonders nöthig ist das Brechmittel bei galliger Turge-
scenz nach oben , wie dies z. B. in den heissen Sommermonaten der Fall ist.
Je früher man das Vomitiv nimmt, das bei neuer Gallenansammlung selbst
öfter wiederholt werden muss, desto mehr leistet dasselbe. Nach dem Er-
brechen geben wir blande, nicht reizende, säuerliche Abführmittel: Manna,
Tamarinden, Crem, tartari, Sal Seignette, Crem, tartari solubilis (aber kein
Sal Glauberi, Sal amarum, keine harzig -vegetabilischen Mittel). Hiernach
werden; die Dejectionen massig fäculcnt, biliös, und der Kranke fühlt sich
sehr erleichtert. Dünne, schleimige Dinge : Haferschleim mit Pflaumenbrühe,
Salep, auch Serum lactis tamarind., reifes Obst sind dem Kranken sehr dien-
lich. Äusserlich passen Einreibungen von Opium und Ol. hyoscyami, laue
Klystiere aus Serum lactis tamarind., Tamarindenmark, Honig. Sobald der
Status biliosus durch diese Mittel gehoben ist, was oft schon am 3ten, 4ten
Tage der Fall ist und sich durch Abwesenheit der oben angegebenen Zei-
chen offenbart, tritt die Behandlung der Dysent. rheumatico - catarrhalis ein.
Man gebe alsdann 3 — 4mal täglich Opium mit Ipecacuanha, oder Tinct.
opii 3 j » yini stibiat. 5jj- Alle 2 — 3 Stunden 20 — 30 Tropfen.
Dyseiiteria hepntica , s. Fluxus hepaticus.
Dysi^iterin pituitosa, die schleimige Ruhr. Hier ist keine Neigung
zur Dysent. inflammatoria ; dagegen zeigen sich die Erscheinungen des Sta-
tus pituitosus (s. Blennorrhoca ventriculi), die als Vorboten dieser
Ruhr oft selbst 14 Tage vor der Krankheit sich einstellen: bleiches Ge-
sicht, schleimig belegte Zunge, fader Geschmack, Flatulenz, trüber Urin;
die Ruhr tritt mit einem Fieber auf, das ganz der Febris pituitosa ähnlich
ist: geringes, oft wiederkehrendes Frösteln, starkfe Hitze, grosser Durst,
weicher, leerer, kleiner Puls, wahre Schwäche. Der Typus des Fiebers ist
eine continua remittens, mit nächtlichen Exacerbationen, Angst, Unruhe,
Delirien, wird aber, wenn die Kranklieit in die Dysent. putrido - nervosa
übergeht, eine continua continens. Der Unterleib ist tympanitisch aufgetrie-
ben, die Zunge mit dickem Schleime belegt, die Leibschmerzen und der
Tenesiuuä sind heftig, doch nicht so anhaltend, wie bei D}scnt. iniiaiunia-
DYSENTERIA 573
toria, die Ausleerungen sind sehr häufig, folgen oft alle 10 Minuten, ent-
kräften sehr , sind des Nachts am häufigsten , der Abgang ist zu Anfange
der Krankheit weisslich , geruchlos (Dvsent. alba) , oft nur mit wenig Blut
vermischt, wird erst faul, stinkend, blutig bei Eintritt des Übels in die
Dysent. putrida. Sowie bei der Dysent. biliosa mehr der obere Theii des
Darmcanals leidet, leidet hier mehr der untere. Der Verlauf der Krankheit
ist langsam, währt oft mehrere Wochen, entscheidet sich per lysin, hinter-
lässt gern chronische Krankheiten des Darmcanals, oder tödtet durch Dysent.
putrida. Besondere Ursachen sind niedrige, sumpfige Gegenden, wo das
Übel oft endemisch herrscht, nasskalte, feuchte Herbstwitterung, daher die
October - und No-vembermonate , dagegen die Dysent. biliosa mehr dem Au-
gust und September angehört. Cur. Man gebe hier gleich Opium, Kin-
dern Va, Vs, V4 Gran, Erwachsenen V2, 1 — 3 Gran alle 3 Stunden, mit
Mucilaginosis, Decoct. salep. , Sago etc. Dies ist das Hauptmittel. Alle
bei Dysent. inflammatoria und biliosa empfohlenen andern Mittel sind hier
schädlich. Die Diät muss schleimig, nährend, aber nicht kühlend, nicht
säuerlich seyn. Suppen aus Reis, Nudeln, Sago, starke Fleischbrühen,
weichgekochte Eier, Thee von Chamillen, Melisse mit etwas gutem Roth-
wein, grosse Reinlichkeit, Vermeidung aller Erkältung sind besonders zu
empfehlen. Äusserlich passen Linim. volat. camph. 3], Laudan. liquid. Syd.
5jj, alle 2 Stunden 1 Theelöffel voll warm in den Unterleib einzureiben,
desgleichen aromatische Bäder, anfangs schleimige Klystiere von Amylum,
Decoct. althaeae mit reichlichem Zusatz von Opium, gegen das Ende der
Krankheit aromatische , tonische Klystiere. Ausser dem Opium passt bei
Dysent. pituitosa besonders auch die Nux vomica, welche man, wenn djis
Übel langwierig werden will , einige Tage lang auf folgende Art verordnen
kann : I^ Nnc. vomic. 3j , Infimd. aq. ferv. q. s. diger. ■per V2 ^^or. ut reman,
5vj, col. ndde Tinct. opii simpl. 5j^. M. S. Alle 2 Stunden 1 EsslöfFel voll.
Dauert das Übel schon über 14 Tage, nimmt es einen chronischen Cha-
rakter an, oder ist der Kranke schon in der Reconvalescenz, so passen To-
nica mit Zusatz von Opium, vorzüglich Rheum, Columbo, Cascarille, um
den Ton des Darmcanals wieder herzustellen, daneben eine kräftige, näh-
rende, animalische und gewürzhafte Diät. Manche Ruhrkranke vertragen
die Tonica aber gar nicht; hier kann man bei chronischem Charakter De-
coct. rad. arnicae (5]^ auf ^vjjj Colatur) , auch Flor, zinci , alle 2 Stunden
1 — 3 Gran , Klystiere von Decoct. althaeae mit etwas Aq. veget. min. Gou-
lardi versuchen (^Himly).
Dysenteria putrida, die faulige Ruhr. Sie ist nur selten ein primä-
res Übel, entsteht meistens secundär aus der Dysent. pituitosa, besonders
bei schlechtem Verhalten des Kranken , bei grosser irritabler Schwäche.
Dysenteria putrida primaria. Ob diese Benennung, welche Haase sta-
tuirt, richtig ist, lasse ich dahin gestellt seyn, da der inflammatorische oder
wenigstens erethistische Charakter zu Anfange des Übels nicht zu verken-
nen ist. Sie tritt ohne Vorboten mit starkem, lebhaftem Froste auf, mit
grosser Hitze, heftigem Durste, frequentem, gespanntem, härtlichem Pulse,
heftigem Leibschmerz und Tenesmus , mehr unterdrückten als profusen Se-
cretionen , also mit allen Zeichen der Entzündung , gerade so wie die bran-
dige Scharlachbräune (s. Angina gangraenosa); späterhin alle Zeichen
der Febris putrida: schneller, schwacher, kleiner Puls, brennend trockne
Haut, oder klebrige Seh weisse, Betäubung, blande Delirien, Sopor, grosse
Erschöpfung, starkes Verlangen nach kalten, säuerlichen Getränken, Ekel,
Erbrechen, braim und schwarz belegte Zunge, cadaveröser Geruch aus dem
Munde, aufgetriebener Unterleib, faulig riechende, entartete Dejectionen,
der Leibschmerz und Tenesmus sind jetzt unbedeutend, hören im höchsten
Grade wol ganz auf, es erscheinen coUiquative Blutungen aus der Nase,
dem Munde , der Vagina , Urethra , Aphthen , Blasen auf der Haut , Pete-
chien, brauner, grüner, cadaveröser Urin. Cur. Man behandle zu Anfange
den Kranken ja nicht reizend, sondern antiphlogistisch, doch übertreibe man
das Schwächen nicht. Kleine Aderlässe, ein Vomitiv, säuerliche, kühlende
51i DYSENTERIA
Laxanzen, Salmiak mit Spirit. Minderen, bei Hitze und Trockenheit der
Haut Mineralsäuren. Ist der Charakter nicht mehr entzündlich , ist offenbar
Status putridus da, dann die Behandlung der Febris putrida und der Dys-
enteria putrida secundaria.
Dysenteria putrida secundaria. Sie bildet sich meist immer aus der
Dysent. pituitosa, vorzüglich bei schwachen Personen, schlechter Behand-
lung und andern ungünstigen Verhältnissen. Vorboten sind: der lang-
wierige Verlauf der Dysent. pituitosa, dabei grosse Entkräftung des Kran-
ken, schneller, kleiner, fast unfühlbarer Puls, trockne, braune, aufgesprun-
gene Zunge, profuse, übelriechende Dejectionen. Alsdann treten bald die
oben (s. Dysent. putrida primaria) genannten Zeichen des Status pu-
tridus ein. Der Tod erfolgt durch Erschöpfung und Brand der Gedärme.
Besondere Ursachen solcher fauligen Ruhren sind schädliche epidemische
und endemische Einflüsse, besonders heisses, feuchtes Klima und solche Jah-
reszeit ; daher das häufige Vorkommen der Dysent. putrida in Westindien,
in belagerten Städten , auf Schiffen , in Feldlagern , schlecht besorgten Spi-
tälern. Cur. Die Behandlung der Dysent. pituitosa, daneben besonders
Arnica, Serpentaria, Kampher, Columbo, Simaruba, Mineralsäuren, im höch-
sten Grade selbst kalte Sturzbäder nach Cmrie's Methode; bei der Recon-
valescenz Roborantia, Tonica, Adstringentia: Gewürze, spirituöse Tincturen,
China, stärkende Nahrung, reine, frische Luft.
Dysenteria nervosa, typhosa. Sie ist niemals etwas Primäres, sondern
ein Hinzutreten des Status nervosus zur Dysent. pituitosa und putrida, das
in der Regel den Tod anzeigt. Das Fieber ist eine continua continens, der
Puls höchst frequent, schwach, aussetzend, die früher heftigsten Leibschmer-
zen sind verschwunden , der Kranke ist stumpf, unempfindlich , soporös, zit-
tert mit den Händen, lässt Urin und Stuhlgang, die höchst stinkend sind,
ins Bette, hat Deliria blanda, kalte Extremitäten, schwarze, zitternde
Zunge , blaue Blecken auf der Haut etc Cur. Man giebt hier Valeriana,
Arnica, Serpentaria, Kampher, Opium, Sal volatile, Moschus, legt Sina-
pismen, Vesicatorien auf den Leib u. s. f. In der Regel hilft hier alles
Curiren nichts, daher ists besser, wenn dieser traurige Ausgang der Ruhr,
der nur die Nähe des Todes anzeigt, durch frühe, zweckmässige Qrlittel,
die schon oben bei Dysent. inflammatoria, biliosa, pituitosa genannt worden
sind, verhütet wird.
Im Jahre 1819 behandelte der Herausgeber, als er noch in Stadthagen
bei Hannover praktischer Arzt war, in und um seinen Wohnort vom Mo-
nate August bis zum December über 150 Ruhrkranke, die an Dysenteria
benigna epidemica litten. Masern, Scharlach, falsche Pocken , habituelle
Durchfalle , Apoplexien , Kardialgien herrschten theils vorher , theils gleich-
i^eitig. Die Ruhr ergriff jeden Stand , jedes Alter. Manche erkrankten
leicht, manche schwer. Fieber, starker Durst, häufige blutige und schlei-
mige Dejectionen , heftige Leibschmerzen waren die gewöhnlichen Symptome.
Meine Behandlung war diese: 1) Obgleich nur selten etwas Biliöses da war,
$0 gab ich doch in den ersten 2 — 3 Tagen des Übels ein Vomitiv aus
Ipecacuanha, ohne Brechweinstein. Darauf Decoct. rad. althaeae, oder
fi Emuls. nmygdal. dulc. rec. expr. ^vj , Syr. diacod. ^ , Tincf. opH simpl.
3)^ — j. S, Alle 2 — 3 Stunden 1 Esslöffel voll. Ausserdem noch Abends,
■wenn Ruhe fehlte, gr. j Opium mit gr. V4 Ipecac. und gr. vj Tart. vitriolat;
dabei strenge Diät, durchaus keine andere Nahrung als Haferschleim, Ger-
stenschleim, warmes Verhalten. 2) Manche erhielten kein Vomitiv , sondern
gleich anfangs 1^ Tinct. opü simpl. 3j < Vini stibiat. 3jj? wovon alle 3 Stun-
den 15 — 20 Tropfen mit Decoct. salep genommen wurden. Solche Kranke
litten meist 14 Tage, dagegen jene, die früh das Brechmittel genommen
hatten , binnen 8 Tagen hergestellt wurden. 3) Am 14ten Sept. 1819 be-
kam ich einen robusten Mann von 36 Jahren, von Temperament cholerisch,
von Constitution pituitös, mit Anlage zu Status pituitosus , der seit drei Ta-
gen an der Ruhr litt und ungefähr 30 blutige Sedes in 24 Stunden hatte,
Li die Cur. Er nahm obige Tropfen mit gutem Rothwein, trank am 15ten
DYSENTERISCHESIS — DYSODONTIASIS 575
eine ganze Flasche Portwein ohne mein Wissen, hatte am löten gar keine
Dejection, aber auch gar keine Beschwerden, am 17ten erfolgten 10 Aus-
leerungen von dickem , zähem , weissem Schleime , und am 18ten September
war er hergestellt, ohne Nachkrankheiten zu bekommen. 4) Das Hauptmit-
tel in dieser Epidemie war das Opium; ich gab es dreist und in steigender
Dosis, bis Rnhje erfolgte, wozu oft dreimal täglich p. d. gr. jj — jjj nölhig
waren. 5) Die Reconvalescenten vertrugen durchgehends keine Amara und
Araaro - adstringentia. Sie bekamen besonders nach Quassia, Simaruba, China,
Nux vomica, Extr. nuc. juglaiid., Extr. aurant. Recidive. Hier that, waren
die Kranken schwach, die Arnica herrliche Dienste. 6) Bei einem hagern
Manne, der seit acht Tagen an der Ruhr litt und täglich 20 — 25 schleimig-
blutige Dejectionen hatte, versuchte ich Loder^s Potio e cera flava. Das
IVlitlel verschlimmerte aber den Zustand. 7) Dagegen unterstützte bei vie-
len Kranken das Ledum palustre, täglich 51I des Krautes, als Thee getrun-
ken, sehr die Cur. 8) Nichts wirkte schädlicher in dieser Epidemie, als
Gram , Kummer , Trauer. In einem Hause , wo 5 Personen an der gutarti-
gen Ruhr litten, starb eine daran, da sie schon länger an Hektik gelitten.
Dieser Todesfall wirkte dergestalt auf die übrigen Kranken, dass bald der
Charakter des Übels trotz aller Mühe putrid und nervös wurde, und von den
4 Kranken noch 2 dem Tode anheim fielen. — Im Sommer 1822 herrschte
wiederum die Ruhr in jener Gegend epidemisch. Mein hochgeschätzter Freund,
Hr. Dr. Meyer in Bückeburg, theilt darüber (Hufelnnd's Journal, 1827. Bd.
LXIV. St. 4) einige Notizen mit. Der Charakter der Krankheit v/ar rheu-
matisch-katarrhalisch, das Fieber eine leichte Synocha mit Hinneigung zum
Typhus. Herrliche Dienste leistete in dieser Epidemie das von Dr. Rade-
mncher und v. Felsen empfohlene Natron nitricum (^(J — j in 3VJJJ Decoct.
althaeae). Es wirkte kühlend, gelind abführend, schweisstreibend , und
wurde auch von Kindern vertragen. In den meisten Fällen entfernte es die
wesentlichen Krankheitszufalle , selten war Vin. stibiat. und Tinct. opii nö-
thig. Auch mir hat das Mittel bei ruhrartigen Herbstdiarrhöen gute Dienste
geleistet. In und um meinen gegenwärtigen Wohnort Rostock hat die epi-
demische Ruhr seit 20 Jahren nicht geherrscht.
Dysenterit^ctaesis, Dysenteria sicca. Verhaltung der Dejectionen
bei Ruhr. Ist in der Regel Symptom der Dysenteria intiammatoria.
Dysepulotica (remedia}. Sind Mittel, welche die Vernarbung der
Geschwüre verhindern, z. B. ein zu comprimirender Verband, reizende Pfla-
ster und Salben bei recht schmerzhaften Geschwüren, Caustica, zu stark
bei der Heilung des Geschwürs angewandt; Praecip. rub., Cantharides, Lap.
causticus, infernalis, um die beginnende Vernarbung wieder zu zerstören,
wie dieses oft bei Betrügern, Recruten, die sich dem Militairdienste entzie-
hen wollen, bei Soldaten, die ihren Abschied wünschen etc. vorkommt, die
oft eine grosse Zahl anderer Krankheiten in gleicher Absicht simuliren.
Dysgalactia, fehlerhafte Beschaffenheit der Milch, 8. Cacoga-
lactia.
Dys^eusia, krankhafter, verminderter Geschmack, g. Ageusis.
Kyslalia, erschwertes Sprechen, s. Balbuties.
Ilyslochia, erschwerte oder unterdrückte Kindbettreini-
gung. Ist ein Symptom der Febris puerperarura.
Bysmenia, erschwerter Monatsfluss, s. Menstruatioretenta,
suppressa.
Dysmnesia, Gedächtnisschwäche, s. Amnesia.
Ilysneiiriae» die Dysneurien. Ist eine Unterabtheilung der Neu-
ropathien nach Greiner; s. Neuropathia.
Dysodia, Dysodmia, übler Geruch, z. B. der Ausleerungen, des
Stuhlganges, Schweisses etc.
DysodontiagiiSs Dentitio diffidlist schweres Zahnen, s. Dentitio.
576 DYSOPSIAE — DYSPHAGIA
Sysopsiae» die Krankheiten und Fehler des Sehvermö-
gens, als Ophthalmia, Cataracta, Amaurosis, Glaucoma, Macula corneae,
Synizesis pupillae etc.
Hysorexia, Appetitlosigkeit, s. Anorexia.
Dyspepsia, Apej)sia, Digestio deprnvata, diffidlis, Incsa, IndigesiiOj
Dyspepsie, Apepsie, Schwerverdaulichkeit, erschwerte,
üble, schwache Verdauung. Gewöhnlich verstehen wir darunter ein
chronisches Leiden der Digestionsorgane , mit unregelmässigem oder man-
gelndem Appetite, Unbehaglichkeit , Unlust, Trägheit des Körpers und des
Geistes, überhaupt mit allen Symptomen der Blennorrhoea ventriculi et in-
testinorura (s. den Artikel, desgl. die schöne Schrift von J. Abercromhie,
Pathologische und prakt. Untersuchungen. Th. II. Abschn. 3. Aus d. Engl,
von G. V. d. Busch. Bremen, 18S0). Cur. Sie ist nach den Ursachen ver-
schieden. Chronische Dyspepsie mit Abmagerung deutet stets auf wichtige
organische Fehler des Unterleibes, wogegen Mercurialia , Antunonialia, Sul-
phurata, resolvirende Extracte: Extr. taraxaci, graminis mit Tartar. tarta-
risat. , Gummata ferulacea etc. nützlich sind. Wer in solchen und den mei-
sten Fällen die Dyspepsie durch aromatische Tincturen: Tinct. aurantior.,
absinthii, quassiae, Tinct. chinae etc. zu heben glaubt, irrt sich sehr. Ist
die Dyspepsie Folge von Überladung des Magens, so passen Vomitive, Fa-
sten, und bei Turgescenz nach unten Laxative: Infus, sennae mit Sal Glau-
beri und Tinct. rhei aquos. Ist die Dyspepsie mit gesteigerter Sensibilität,
reizbarem Nervensystem, mit Schlaflosigkeit verbunden, z. B. bei Hysteri-
schen , so passt der Hopfen , z. B. I^ Extr. Jiximuli litjmli 5jj , Aquae Jium.
Jup. Sj, Tinct. hum. lup. gfv. M. S. S — 4mal täglich 1 Esslöffel voll (Stieg-
litz, M.). Auch thut dies Mittel bei Dyspepsie als Folge der Melaena herr-
liche Dienste (M.). Ist bei Apepsie der Stuhlgang regelmässig, so hat das
Übel nicht viel zu bedeuten, ist wenigstens nicht chronisch. Da übrigens
die Apepsie nur ein Symptom verschiedener Digestionsfehler ist, so muss
der Arzt diese zu erforschen und zu behandeln suchen, alsdann giebt sich
das Symptom von selbst. Man achte daher auf Physconia hepatis,^ lienis,
Scirrhositäten der Kardia, des Pylorus, auf Status pituitosus, gastricus,
biliosus, Arthritis, Icterus, Gallensteine, Induratio pancreatis, Diarrhoea
habitualis, Fluxus hepaticus, coeliacus etc., und behandle das Grundübel.
Häufig ist die Dyspepsie ein Vorbote der sich bildenden regulären Geieiik-
gicht in den Jahren 30 — 40, geht dieser viele Monate vorher und ver-
schwindet, sowie die Gelenke ergriffen werden (Most).
J^yspermatisinus 9 langsame oder gehinderte Ejaculation
des Samens. Ist Symptom mancher Übel der Prostata, der Stricturen
dec Harnröhre, der Paralyse, des Diabetes u. s. f.
Dyspliagia , Deglutiiio difßcilis , erschwertes Schlingen,
Schlucken. Ist ein Symptom verschiedener Krankheiten und Zufälle ;
bei ganz verhindertem Vermögen zu schlucken nennt man das Übel Aphngia
(s. d. Art.). Die Behandlung der Dysphagie ist nach den Ursachen ver-
schieden ; man bestrebe sich diese zu entfernen , also den Grund des Übels
zu heben, und das Symptom wird von selbst verschwinden. Nach den Ur-
sachen haben wir verschiedene Arten von Dysphagie angenommen :
Dysj)kngin alonica. Die Speiseröhre ist hier so schwach (wegen allge-
meiner oder örtlicher Übel), dass der Kranke nicht gut schlucken kann.
Dysphngia callosa, Stricturn oesophngi vern, callosa, Slenochorin oeso-
pjingi. Hier findet Verknöcherung und Verknorpelung der Wände der Spei-
seröhre und daher Verengerung derselben statt, ein trauriges, oft unheil-
bares Übel, das häufig selbst mit Aphagie verbunden ist. Ist das Übel
noch nicht zu alt, so versuche man äusserlich Einreibungen von Unguent.
mercuriale , gebe innerlich Resolventia : Antimonialia , Mercurialia , Cicuta,
Belladonna, Terra ponderosa, auch Salmiak (5ji in Roob sambuci und Sjt.
althaeae ana gjj. S. Alle 2 Stunden '/. Esslöffel voll) nach Dr. Fischer^s
und F(igcnsteche?s Rath, in schlimmen Fällen Sublimat, versuche auch wol
DYSPHAGIA 577
die Schmiercur etc. Gewohnlich ist die callöse, sowie auch scirrhose, durch
Verhärtungen, Scirrhositäten und Verengerung des Oesophagus gebildete
Dysphagie ursprünglich aus einer Angina pharyngea und der Oesophagitis
entstanden (s. Angina scirrhosa). Ist das Übel unheilbar, so kann man
nur durch Einbringung eines Röhrchens in den Schlund, wodurch der Un-
glückliche seine Speisen und Getränke in den Magen schafft, das Leben
fristen. Dr, DorfmüUer fand bei chronischer Dysphagie ein Pulver aus Lac
sulphur., Aeth. antimonialis und Belladonna nützlich. In einem sehr schlim-
men Falle brachte er einen Schwamm, an ein Bischbeinstäbchen befestigt,
in die Speiseröhre, bahnte den Weg, entfernte durch den Schwamm viel
Eiter, und die Kranke konnte nun mit Erleichterung schlingen. Er Hess
Unguent. nervin. , Bals. sapon. , Sal volat. , Kampher , Opium in den Hals
reiben , gab innerlich Extr. columbo , cicutae und myrrhae , wor?iuf grosse
Besserung erfolgte. Doch verschlimmerte später eine hinzugekommene Er-
kältung Alles wieder.
Dijsphagia scirrhosa, canina, Scirrhus oesophagi. Ist häufig mit Dysph.
callosa verbunden. Cur. Dieselbe der Dysphagia callosa.
Dijsphngia, sarcomatica , polgposn , Strictura oesophagi fungosa , sari^oma-
tica. Hier verengern schwammige, polypöse, warzige Gewächse die Speise-
röhre. Cur. Ist gleichfalls schwer zu heilen, wenn man die Ursache nicht
entfernen kann.
Dysphagia n deglutitis, Dysphagie, entstanden durch verschluckte und
im Schlünde steckengebliebene Körper, z. B. Knochen, Fleisch, Fischgräten;
8, Asphyxie durch mehanische Hindernisse im Schlünde.
Dysphagia devia , violenia. Entsteht durch Verschiebung der Halswir-
bel, des Zungenbeins, durch äussere Gewaltthätigkeit , Fall, Sturz, Erwür-
gen , Erhängen , auch durch andere Ursachen , z. B. durch Arthrocace der
obern Wirbeibeine, wonach die Behandlung verschieden ist.
Dysphagia fluidorum , Dyspotisnius , Hinderniss, Beschwerde im
Trinken. Ist ein häufiges Symptom der Hydrophobie, der Angina pha-
ryngea , der Glossitis, Angina tonsillaris, uvularis etc., wo bei hohen Gra-
den dieser Krankheiten weder feste, noch flüssige Nahrung verschluckt wer-
den kann. Cur. Man behandle das Grundübel, heile die Entzündung, so
legt sich auch die Geschwulst, und der Raum zum Durchgange der Nah-
rungsmittel wird wieder grösser, sowie der Schmerz dabei geringer.
Dysphagia inflammatoria. Ist Symptom der Angina pharyngea.
Dysphagia oesophagea. Ist Symptom der Oesophagitis und geht, wenn
letztere schlecht behandelt wird , leicht in die traurige Dysphagia callosa
und scirrhosa über.
Dysphagia oris, palatina. Hier ist die Ursache des Übels in- der Mund-
höhle.' Ist Entzündung da , so behandle man diese. Ist das Übel chronisch
und ohne Entzündung, so untersuche man, ob nicht Paralyse da ist; s.
Dysphagia paralytica.
; Dysphagia paralytica, torpida, Angina paralytica, Pharyngoplegia, Pha-
ryngolysis. Hier entstand die Dysphagie durch Lähmung der zum Schlingen
nöthigen Organe; in den meisten E^ällen ging Apoplexie vorher, die diese
Lähmung, gewöhnlich mit Lähmungen an andern Theilen verbunden, zu-
rückliess. Cur. Die der Paralysis. Herrliche Wirkung verschafft hier oft
der Galvanismus, vorsichtig, 4 — 6 Wochen lang, täglich zweimal dergestalt
angewandt, dass man die Füsse des Kranken mit dem Zinkpol einer (erst
30, dann 40, dann 50 Doppelplatten starken) Voltasäule in Verbindung
bringt und den Conductor vom Kupferpole 3 — 4mal in der Minute an den
Kehlkopf, an die innei'en Seiten der Zunge, an die Basis derselben, an die
Musculi glossopharyngei , überhaupt an die gelähmten Schlingorgane appli-
cirt, wodurch wohlthätige galvanische Erschütterungen hervorgebracht wer-
den, die mehr leisten als alle innere Antiparalytica (3f.).
Dysphagia hydrophohica, hygrophohica. Obgleich die Wasser- oder rich-
tiger Flüssigkeitscheu ein ziemlich constantes Symptom der Wuthkrankhcit
ist, eben sowie die Aerophobie, so giebt es doch Fälle, wo sie fehlt, und
Most Encyklopädie. 2te Aufl. I. 37
578 DYSPHAGIA
gegenthells andere Fälle, wo die Furcht und Einbildung; reizbarer Kranken
eine Dysphagia spastica erregen kann, die der hygrophobica älmlich ist.
Bei der waliren Hydrophobie verursacht jeder Versuch zum Trinken die
heftigsten Convulsionen des Schlundes, des ganzen Körpers, so dass das
Getränk mit Gewalt Aveggespuckt wird. Es erfolgen Erstickungszufälie,
unbeschreibliche Angst, heftiges Herzklopfen (Dysphagia lusoria, angiopla-
lücä. Cur. Die Behandlung der Hydrophobie.
Dysphagia lusoi'ia , angioplmiica, s. Dysph. hydrophobica. ';•.
Dysphagia pharyngocclica. Ist Symptom des sogenannten Schlund-
bruchs, wobei Erschlaffung der Häute des Schlundes und der Speiseröhre,
theih\eise Erweiterung derselben (daher Säcke, Beutel, Taschen, worin
sich die Speisen eine Zeit lang aufhalten) stattfindet (s. Hernia und Pro-
lapsusoesophagietpharyngis).
Dysphagia soUdorum, Unfähigkeit, feste Nahrungsmittel,
Arzneien zu schlucken. Ist häufiges Symptom der verschiedenen An-
ginen, der Stomacace (Dysph. stomatica) , des sogenannten Wasserkrebses
der Kinder, der Aphthen etc., wozu in den höhern Graden die Dysph. flui-
dorum hinzukommt. Dagegen können bei der chronischen Dysph. paralytica
oft noch feste Körper in Kugelform verschluckt werden, nicht aber flüssige
Körper. Cur. Man behandle das Grundübel.
Dysphagia spasmodica, Sirictura oesophagi spasmodica. Ist häufig Sym-<
^tom des hysterischen Anfalls, wo der Kranke das Gefühl hat, a4s stecke
ihm eine Kugel im Halse (Nodus hystericus). Cur. Das Übel hat wenig
zu bedeuten, verschwindet binnen wenigen Stunden durch Antispasmodica
(s. Hysteria). Zuweilen bleibt nach Oesophagitis eine Dysphagie mit
Nervenzüfällen zurück, wo jeder Versuch zum Schlingen Krämpfe erregt.
Hier sind laue Bäder, Opiateinreibungen und Milchdiät oft recht wirksam
(ü. CaslelJd).
Dysphagia toxica. Schwerschlingen durch Vergiftung. Ist
häufig Symptom der Vergiftung durch Narcotica, wodurch derselbe läh-
mungsartige Zustand und dieselbe Unempfindlichkeit, die im Magen statt-
finden (s. Drastica), auch die Schlingwerkzeuge afficirt. In andern Fäl-
len ists B'olge des heftigen Reizes und Schmerzes im Munde und Schlunde/y
z. B. bei Vergiftung durch concentrirte Säuren. Cur. Im erstem Falle
bringe man die bekannten Gegenmittel: Vomitiv, Säuren etc. mittels eines
in den Schlund gebiachten ela.stischen Röhrchens in den Magen; im letz-
tern Falle gebe man Oleosa , gegen concentrirtOi Säuren kaiische Mittel etc. ;
s. Intoxicatio.
Dysphagia ulcerosa, Dysphagie wegen Geschwüren und An-
fressungen des Schlundes. Oft giebt sich dak Übel zu Anfange nur
durch diese Dysphagie zu ei-kennen. Man untersuche genau und behandle
das Übel nach den Ursachen ; häufig ist Syphilis , Arthrocace der Wirbel
da , oder es ist Stomacace , Angina maligna etc. vorhergegangen.
Dysphagia Vdlsalviand. Ist Symptom dei: Verrenkung des Zangenbeins;
s. Luxatio ossis hyoidei. ■ .
Dysphagia a rigiditate nimia fbrartim. Es giebt eine gewisse Trocken-
heit der Drüsen und Fasern der Speiseröhre, bei welcher der Kranke kei-
nen Bissen hinunterzuschlingen im Stande ist, bevor er nicht vorher etwas
Flüssige« getrunken hat (Detharding , Morgttgm, van Gesims). Mucilaginosa,
Oleosa sind hier neben der Berücksichtigung der zum Grunde liegenden
Dyskrasie anzuwenden. Zuweilen ists aber blos ein spastisches Symptom,
zumal bei Hysterischen, das schnell kommt und oft eben so schnell ver-
schwindet (Mos*)'
Dysphagia oedeviatosut. Sie entsteht durch abnormen Zuflnss seröser
Säfte in dsis Zellgewebe der Speiseröhre, wovon Morgagm ein Beispiel an-
führt. ^
Dysphagia varicoSn. Entsteht bei altern Subjecten oft nach nnterdrück-
ten Hämorrhoiden, jbei Ataxien der Menses, in Folge von Varices oeso-
phagi (s. Varix).
DYSPHOBU — DYSPNOEA 579
Dysphngia a ruptnra oesophngi. Hier vermag die Kuitst nichts; denn
der Tod folgt in kurzer Zeit durch den Erguss des Genossenen in die Brust-
höhle. So starb Boerhnnven der Admiral v. Wnssenaer (s. Zimmermawit,
Von der Erfahrung. Bd. IL). Die besten Schriften und Abhandlungen über
Dysphagie sind: Spies, De deglutitione istiusqüe laesione. Heimst. 17^7.
Fr. Uofl'mami, De morbis oesophagi spasmodicis. Genev. 1748. Fol» ZincJcer-
nagel. De deglutitionis dif%. et impedita^ causi^ä abditis. Viteb. 1750. A.
de Hacn, De impeditus vel deglutitione, vel deglutitorum in cayuin ventfi-
culi descensu. Hagae Batav. 1750, Van Gemis in den Sammlungen auserles.
Abhandl. Bd. IV. S. 171. A. P. Nahuys, Ebendas. Bd. VI. S. 3. Bhuland^
Ebendas. Bd. IX. S. 676. Pohl la. BaUingers . k^szügen. Bd. I. S. 317.
Brande - Schippers , De deglutitione difticili. Giess. 1786. Engclhnrd , De
dysphagia. London 1796. Wichnianii's Ideen zur Diagnostik Th. III. S. 161.
Hui'ehmd's Journal 1811. Stück 5. v. Grlife^s u. v..WaUher's Journal 1820.
Hft. 3. Hünersdorf, De dysphagia. Marburg. 1806. Autenritlh, De dyspha-
gia lusoria. Tübing. 1806. J. D. Kalt, De dysphagia. Bonn. 1825. Boyer,
Abhandl. über die chirurg. Krankheiten etc. Aus d. .Französ. von Teoctor.
Bd. VIL S. 143. Würzburg, 1822.
Dyspholbia, unrichtige Benennung für Myopia, weil Kurzsichtige
sich selten vor den im Wege befindlichen Gegenständen fürchten.
Dysphonia, beschwerliche Sprache, rauhe, harte, wider-
liche Sprache. B'indet sich häufig^ bei alten Stotterern, s. Balbuties,
Dyspboria, Cacophoria, das schlechte Bekommen einer Arz-
nei, einer Cur, die Ungeduld beim Ertragen einer Krankheit, das wider-
liche Benehmen eines Arztes bei seinen Kranken. In diesen drei verschiede-
nen Bedeutungen finden wir dies Wort beim HippoJcrates und andern alten
Ärzten.
9yspionia>» fehlerhafte Beschaffenheit des Fettes, s. Adiposis.
Dyspnoea, Schwerathmen, Hinderniss im Atheraholen.
Ist ein Symptom vieler Krankheiten, und geht im höchsten Grade in völlige
Unterdrückung desselben und Erstickunggzufälle über. Muss der Kranke
dabei aufrecht sitzen , ist. das Übel so heftig, dass er gar nicht liegen kann,
so nennt man es Orthopnoea. Aber nicht jede Abnormität im Athemholen
nennen wir Dyspnoe, sondern nur diejenige, wo die Ursache in den B.espi-
rationsorganen oder im Herzen, in den grossen Blutgefässen, oder in allge-
meiner Fettleibigkeit (Adiposis) , Wassersucht , besonders Hydrops pectoris,
kurz in allen solchen Dingen liegt , die theils mittelbar , theils unmittelbar,
theils idiopathisch, theils sympathisch, entweder auf mechanische, oder che-
mische , oder dynamische Weise die Respirationsorgane an freier Ausübung
ihrer Function hindern. Gewiss ist das Athemholen in Krankheiten ein
ebenso wichtiges und in dcjr Rfegel noch zuverlässigeres Zeichen als der Puls,
mit welchem es in der genauesten Verbindung steht. Rechnen wir nun bei
Gesunden im ruhigen Körper - und Geisteszustände und im mittlem Lebens-
alter 4 — 5 Pulsschläge auf eine Respiration (In- und Exspiration), so giebt
dies den Massstab für das krankhafte Athmen ab, wovon die Dyspnoe eine
Art ist. Die anomale Respiration mag daher hier wegen ihrer Wichtigkeit
für Diagnose und Prognose in der Kürze ihren Platz finden. Schnelles
Athmen (Respiratio celeris), entstanden durch äussere Hitze, Körper- »uid
Gemüthsbewegungen, durch Krämpfe, Blähungen etc., hat wenig zu bedeu-
ten, vergeht meist von selbst; ists anhaltend, so deutet es auf grossen An-
drang des Blutes nach den Lungen , auf Hindernis^ im Blutumlauf; es ist
oft Zeichen von Brust - und Unterleibsentzündungen , und deutet am Ende
der Krankheit, wenn es schwach, klein, röchelnd, ungleich wird, wenn
Delirien etc. da sind, der Kranke höchst schwach ist, den baldigen Tod an.
Das grosse Athmen (Respiratio magna) zeigt Kraft und gesunde Lungen,
auch freie Blutcirculation an; in chronischen Krankheiten deutet das perio-
dische grosse Athmen auf Krampf im Unterleibe und Asthma krampfhafter
Art, in hitzigen Fiebern ists oft der Vorbote einer nahen Krise; bei andern
37 ^"
580 DtSPNOEA
schlechten Zeichen zeigt es nahen Tod an. Kleines, kurzes Athmen (Re-
spir. parva) deutet auf Hindernisse im Blutunilauf, auf Abnahme der Kräfte,
Lungenfehler , Phthisis. Kleine In - und grosse Exspirationen sind in hitzi-
gen Fiebern ein schlimmes Zeichen; bemerkt man sie im Schlafe sonst Ge-
sunder, so zeigen sie Neigung zu Kräiupfen an (31.). Starkes Athmcn
(Respir. fortis) zeigt freien Blutumlauf und glücklichen Ausgang der Krank-
heiten an, schwaches (Respir. debilis) deutet auf Schwäche und nahe
Ohnmacht. Beschwerliches Athmen (Respir. difficilis), worin die eigent-
liche Dyspnoe besteht, das ängstlich, keuchend, seufzend, pfei-
fend, röchelnd, mit Blutcongestion zum Kopfe, kalten Gliedern etc. ver-
bunden ist, zeigt mechanische oder andere Hindernisse im Ein- und Aus-
gehen der Luft: Bluty Eiter, Wasser, Verhärtungen in der Brust an; ist in
Krämpfen und Blähungen ohne Gefahr, bei Wöchnerinnen, bei Angina, Prteu-
monie bedeutungsvoller, bei Hydrops pectoris und Phthisis pulmonalis ein
Zeichen der Verschlimmerung. Zur Erkenntniss und Diagnose der
verschiedenen Arten von Dyspnoe ist die Auscultation mittels des Stetho-
skops ein herrliches Hülfsmittel (s. Auscultatio und Stethoscopium);
was die Cur des Übels betrifft, so ist diese nach den Ursachen verschie-
den. In den meisten Fällen schafft ein kleiner Aderlass am Arme vorläufig
Erleichterung, doch passt dies nicht bei Hydrops pectoris, bei Phthisis im
letzten Stadium etc. Man muss also das Grundübel behandeln. Frische
Luft , warme Dämpfe , aufrechte Lage , Fuss - und Handbäder sind allge-
meine Erleichterungsmittel. Auch folgende Tinctur, wovon einige Tropfen
in einen Theelöffel gethan und dieser so lange im Munde gehalten wird,
bis sie verdunstet sind, ist als Palliativ empfohlen: I^ Extr. cicutne 3l>5
solve in Naphth. vitrioli §f>. M. (s. Hänle Magaz. Bd. I. S. 198). Beson-
ilere Arten der Dyspnoe sind :
Dyspnoen adhaesiva, Schwerathmen von Verwachsung der Brusteinge-
weide, s. Adhaesio viscerum.
Dyspnoen adiposn, s. Adiposis.
Dyspnoen cnlculosn, PneumoIiiJiiasis, Dyspnoe durch Lungensteine
(s. Asthma pulverulentum). Oft ist die Neigung zu Lungensteinen,
die mit dem Husten nicht selten ausgeleert werden, mit allgemeiner Blen-
norrhoe verbunden, wo also die Behandlung dieses Allgemeinleidens die
Hauptsache ist; s. Blennorrhoea.
Dyspnoen convulsiva, s. Asthma spasticum adultorum.
Dyspnoen gangraenosn , Dyspnoe wegen Brand der Luftwege,
z. B. im letzten Stadium der Angina gangraenosa, der Pneumonia paralytica.
Hier ist alle Hülfe fruchtlos. Starke Excitantia: Kampher, Moschus, Sal
volatile, Vesicatorien erleichtern vielleicht ein wenig die letzten Lebens-
ütunden.
Dyspnoen hemiosn. Der innere sowol als der äussere Bnistbruch ist
hier die Ursache der Dyspnoe, s. Hernia stomachi, diaphragmatis.
Dyspnoen hydroihoracicn , Dyspnoe wegen Brustwassersucht,
f. st eins der quälendsten Symptome dieses schrecklichen Übels, so dass die
Kranken Tag und Nacht keine Ruhe haben und fortwährend aufrecht sitzen
müssen; s. Hydrops pectoris.
Dysj)»oen inflnmmnlorin. So hat man wol die Dyspnoe bei Angina,
Pneumonie und bei andern Entzündungen der Luftwege genannt.
Dyspnoen mwcos«, Schwerathmen wegen angehäuften Schleims in den
Jjuftwegen. Ist Symptom des Asthma huraidum, Catarrhus pulmonum,
Asthma ebriorum u. s. f.
Dyspnoen plethoricn. Allgemeine Vollblütigkeit erregt nicht selten
Schwerathmen , besonders nach starker Körperbewegung. Aderlassen,
knappe Diät , viel Körperarbeit , Wassertrinken , Vermeidung geistiger Ge-
tränke sind hier die Hauptmittel,
Dyspnoe pneumniicn, physothorncicn. Hier erregt das Emphysem eine
in der Regel sehr bedeutende Dyspnoe; s. Asthma aereura.
Dyspnoen purulentn, pyothorncica , «. Pneumonia suppuratoria.
DYSPOTISMÜS — ECCATHÄRTICA 581
Di/spnocn pulmonum pUuUosa chronica, Ist Asthma huinidum.
Dyspnoen trnumniica , Schwerathmen nach Erleidung von Ge-
vvaltthätigkeiten. Man untersuche hier, ob der Kranke Rippen ge-
brochen, ob innere Blut-, Luftergiessungen die Dyspnoe erregen, bringe
den Kranken in diejenige Lage, worin er sich am leidlichsten befindet und
hebe die Ursache der Dyspnoe , richte den Rippenbruch ein u. s. i, -—
Einige Schriftsteller betrachten die Dyspnoe als die leichtere Form von
Asthma , indem sie diesen Namen dem genetischen Begriff beilegen , Andere
nennen die anhaltende Engbrüstigkeit Dyspnoe , die krampfhafte aber , wel-
che periodisch auftritt, Asthma. Da jede Dyspnoe das Symptom eines tie-
fer liegenden Leidens ist und daher, wie oben gezeigt, mannigfaltige Ur-
sachen hat, so würde es vielleicht gut seyn, diese Benennung aus den Hand-
büchern der Pathologie zu verbannen. Indessen bleibt die Respiration doch
stets eine höchst wichtige Function des Organismus, und eine Zusammen-
stellung aller jener pathologischen Zustände, welche dieselbe behindern,
gewährt für den Anfänger den Vortheil, sich leichter zu orientiren, wenn
gleich eine besondere Aufführung der mit Dyspnoe verbundenen Leiden auch
schon an einem andern Orte in jenen Handbüchern nicht vermisst werden
darf, am wenigsten in Encyklopädien , wo gerade die Vielseitigkeit der
Darstellung von praktischem Gewinn ist.
Dyspotismus , Hinderniss und Beschwerde im Trinken, s. Dysph.
fluidorum und Dysph. hydrophobica.
Dysthelasia, das erschwerte Saugen, auch das erschwerte
Stillen, also Alles, was sowol von Seiten der Mutter, als des Kindes am
Stillungsgeschäft hinderlich ist oder dieses unmöglich macht; s. Absces-
«us lacteus, Agalactia, Aphthae infantum etc.
Dysthymia, Schwermuth, s. Melancholia.
Dystocia, schwere Geburt, s. Partus difficilis, abnorm is,
praeternaturalis und Dolores ad partum.
Dystoina bepaticuin, der Leberegel. Ist ein 1 — 4 Linien
langer , dünner , lanzettförmiger Wurm , der bei Menschen am häufigsten in
der Gallenblase, seltener in der Leber vorkommt (s. Bremser, Über lebend«
Würmer etc. 1819. 4. S. 229). Krankheitszufälle erregt er selten.
Dystrophia, schlechte Ernährung, z. B. wegen Mangel an
guter Nahrung, Fehler des Magens, der Leber, Milz etc.
Dysuresia, fehlerhafte Beschaffenheit des Harns, s. Uroscopia.
Dysuria, Difficultas wrinac, Schwerharnen. Ist eine besondere
Varietät der Urinverhaltung; s. Retentio urinae.
E.
Ecbloma, das Ausgeworfene; daher der durch Abortus ausge-
triebene Embryo oder Fötus; s. Abortus.
Ecbole, der Missfall, s. Abortus.
Ec1)Olia, weniger richtig JBcioKc«, fr ucbtab treibende Mittel, s.
Abortiva.
Ecbrasma, unordentlicher, plötzlich entstehender Aus-
schlag.
CücbyTSOina, Edyrsosis. Ist zu starkes Hervortreten eines Gelenks,
Hockers etc. Auch versteht man darunter eine abgeschabte Hautstelle.
S. Ecdarsis.
Kccathartica, CatharHca, reinigende, ausleerende Mittel,
t. B. Sudorifera, Purgantia.
582 ECCESMA - ECCHYMOMA
Eccesm», s. Eczema und Hidroa.
dcclaelysiS) das Aushusten (Expectoratio), welches durch ver-
schiedene Mittel befördert wird; s. Expectorantia.
dcciloresis» das Abweichen, der Stuhlgang. Letztern nennt
man in Wien noch jetzt das Abweichen, welche Benennung wenigstens bes-
ser ist als die gemeinen Worte des Dr. Krüger - Hansen : Stuhlen, Stuh-
lung, und ihre Gegensätze: Unstuhlen, Unstuhlung, was an das
Stallen des Viehes erinnert.
SiCChyinoina, Ecchjmosis, Blutunterlaufung, Blutergiessung.
Entsteht in Folge A^on Fiebern , Entzündungen , von Verwundungen , Quet-
schungen, Erschütterungen und daher entstandenen Blutungen, am häufig-
sten im Zellgewebe der Haut, aber auch im Gehirn, in der Brust- und
'Abdominalhöhle, im Scrotum; auch Dyskrasien, Blutzersetzung geben dazu
oft Anlass, z. B. bei secundären Petechien, Blutfleckenkrankheit; s. Hae-
morrhagia, Commotlo cerebri, pectoris, Contusio, Sugilla-
tio, Vulnus.
Ecchymomn capitis neonatorum, Kopfblutgeschwulst der Neu-
gebornen. Ist ein von der Kopfgeschwulst der Kinder (Caput succeda-
neum, Cephalophyma) ganz verschiedenes Übel, und unterscheidet sich von
letzterer dadurch, dass es nicht schon bei der Geburt vorhanden ist, son-
dern erst später, am häufigsten nach leichten Geburten und an der hintern
Seite der Scheitelknochen vorkommt (^Feiler, Schmalz, v. Froriep , Bccler,
tFendt, Carus, Jörg, Meissner^ Die Geschwulst ist, wie beim Hirnbruch,
umschrieben, die Hautfarbe unverändert, die äussere Berährung erregt kei-
nen Schmerz, Pulsation ist dabei nicht Avahrzunehmen, das Allgemeinbefinden
des Kindes ist zuweilen ganz gut (^Nägele) , zuweilen ist Sopor da (^Gölis).
Ursachen. Die Meinungen darüber sind verschieden. Erschlaflfung der
Kopfblutgefässe nehmen die meisten Geburtshelfer an. Einige wollen den
Sitz der Blutgeschwulst zwischen Cranium und Pericranium setzen , Andere
wollen selbst Zerstörung des Craniums gefunden haben, was wol häufiger
Folge als Ursache des Übels ist. Prognose und C u r. Gölis hält das
Übel nicht für gefährlich. Man mache anfangs und bei noch weicher Ge-
schwulst Foment. von Infus, spec. aromat., von Acet. squiUit, von Flor,
arnicae. Erfolgt die Zertheilung nicht bald , so öffne man durch einen Län-
genschnitt, lasse das Extravasat aus , vereinige die Wundränder durch Heft-
pflaster und überlasse das Übrige der Natur, indem man mit trockner Char-
pie verbindet {Osiander, Nägele, v. Siclold, Gölis, Wcndt). Wichtig und
oft schwierig ist die Diagnose dieses Übels vom Hirnbruch der Kinder,
s. Her nia cerebri.
Ecchjmoma, EccJigsis, Blutergiessung, Blutmal. Ist Austreten
des Blutes in seine nächste Umgebung, und, nach den Neuern, verschieden
von Sugillation, wobei das Blut nur in die feinsten Gefässendigungen , die
sonst nur weisse Säfte führen, eingetreten ist. Nach den Ursachen un-
terscheidet man E. spontanen , violcnta seu accidentalis , und sgmptomntica.
7iW ersterer rechnet man die Maculae Werlhoffii, Petechiae, Suffusiones,
Vibices, Stigmata, die Begleiter torpider Fieber und des Scorbuts, ferner
die blauen Ringel um die Augen der Weiber während der Reinigung. Die
E. violenta ist der gewöhnliche Begleiter der Contusionen, der gequetsch-
ten und gestochenen Wunden. Bei letztern begünstigt ganz so , wie bei
den Stichen von Flöhen, Blutegeln etc. die kleine, enge äussere Öffnung
die Blutunterlaufung. Die Farbe der Ecchymose bleibt nicht immer die-
selbe. Zuerst sieht sie roth, dunkelioth oder blau aus, am zweiten, drit-
ten Tage, oft erst noch später, wird sie livide, violett, am 5ten, 6teii, 8ten
Tage und später grün und gelb. Die Farbe des frischen Ecchymoms ist
umschrieben, dunkelroth oder blau, die des altern mehr verwischt, violett,
grün, gelb. In medic. gerichtlicher Hinsicht ist der Unterschied zwischen
Ecchyraoscn und Tod tenflecken oft wichtig. Letztere sind meist nur
oberflächlich unter der Haut gelegen, besonders am Rücken , man Andet,
ECCHYMOSIS 583
wenn mah einen Einschnitt macht, kein Blutextravasat," sondern, wie bei
Sugillationen , nur ein injicirtes Gefiissnetz. Ecchyraosen können auch der
Leiclve «ach dem Tode beigebracht worden seyn ; die lebhafte Röthe der
Flecke und die inangelnden Spuren einer Entzündung in der Umgebung
müssen alsdann den Beweis liefern, dass die Verletzung nicht bei Lebzeiten
geschehen ist (^Troschel). Ist bei der Ecchymose das Blut nur in die Um-
gebung infiltrirt, so ist die Prognose günstiger, als wenn es sich in einen
gi'ossen Sack ergossen, oder in innere Höhlen und Canäle, z. B. ins Gehirn
oder in die Pleurasäcke gedrungen ist. Die Cur ist verschieden. Bei der
E. spontanea behandeln wir das Grundübel; die Blutfleckenkrankheit, den
Scorbut , das Faulfieber etc. Bei der E. violenta als Folge der Contusion,
der Stichwunde findet die, Cur der letztern seine Anwendung (s. Contusio,
Vulnus). Gelingt die Zertheilung bei grossen äusserlichen Ecchymosen
nicly^, so muss man, um die Eiterung zu verhüten, das Blutextravasat durch
eiuen Einschnitt in die Haut entleeren (s. La Motte, Chirurg. Obs. H. 98. 99).
Eccliymosis , Extravasntio in cerebrum, Blutergiessung in den
ScHädel. Sie wird hervorgerufen 1) durch innere Ursachen, z. B. im
Verlauf der Hirnentzündung, des ansteckenden Typhus, der Intermittens
comatosa, des Keuchhustens, Scorbuts, des Morbus maculosus Werlhofii,
der Febris hydrocephalica, nach unterdrückten Blutflüssen aller Art, beson-
ders nach unterdrücktem Nasenbluten, JVIensibus, Hämorrhoiden, nach acti-
vcn und passiven Congestionen zum Kopfe, bei Apoplexie. Das Blut er-
giesst sich hier am häufigsten in die Hirnventrikel in Folge zu grosser Aus-
dehnung der Gefasse, Zerreissung, Durchschwitzung. Die Zufälle sind:
Betäubung, Schwindel, Sopor, Convulsionen , Schlagfluss, Lähmung. Cur.
Sie richtet sich nach den Ursachen und ist die Cur des Grundübels, da liier
das Extravasat nur Symptom ist (s. Apoplexia, Haemorrhagia ce-
rebri, Petechiae acutae, Morbus maculosus, Hydrops cerebri,
Inflaminatio cerebri etc.). 2) Äusserliche Schädlichkeiten: Fall,
Stoss, Schlag, Verwundung, sind Veranlassung, wobei bald die Schädel-
knochen, bald nur die Hirnhäute und Hirngefässe verletzt sind , worauf dann
die Zufälle des Drucks aufs Gehirn erfolgen, die bald früher, bald später
eintreten (s. Commoti.o cerebri). Die Cur ist hier nach den Zufällen
verschieden , wie oben bei Coramotio cerebri angegeben worden.
Ecchymosis in pectoris cavitntem, Blutergiessung in die Brust-
höhle. Sie folgt auf heftige Quetschungen, Erschütterungen der Brust,
Rippenbrüche , penetrirende Brustwunden , wobei die Arteria manunar. in-
terna, die Litercostales , selbst die grossen Gefösse und das Herz verletzt
seyn können; auch innere organische Brustfehler, das Platzen einer Puls-
adergeschwulst kann Schuld seyn. Das Blut ergiesst sich hier bald nur in
den einen, bald in beide Pleurasäcke. Die Zufälle sind die der iniiern
Blutungen in der Brust: Ohnmächten, kalte Glieder, Dyspnoe, Orthopnoe,
kleiner, kaum fühlbarer Puls, erschwertes, hastiges Reden, Übelkeit, Wür-
gen , Erbrechen , Schluchzen wegen Drucks auf das Zwerchfell , grössere
Ausdehnung der Rippen der leidenden Seite, Neigung nur auf dijeser zu
liegen, starkes Röcheln und Rauschen der Brust, die Untersuchung mit dem
Plessimeter lässt einen matten , dumpfen Ton hören. Der Tod erfolgt oft
schnell durch Verblutung, tödtliche Ohnmacht, oder durch Erstickung; die
Genesung bewirkt mitunter die Natur- oder auch die Kunsthülfe, indem
die eintretende Ohnmacht den Blutlauf mässigt, das gerinnende Blut die
Lungenwunde verklebt und später unbedeutende Extravasate selbst resorbirt
werden. Sind die Zufälle unbedeutend, war die Blutung gering, drang
keine Luft in die Brusthöhle, so verhalte man sich mehr passiv als activ,
sorge für Ruhe, Vermeidung jeder Bewegung, jeder erhitzenden Nahrung
oder Arznei. Sind die Zufälle aber gefähdich, so muss man, um den Tod
oder schlimme Nachkrankheiten (Phthisis puliuonalis, Pyothorax, Hydrotho-
rax, Hektik) zu verhüten, activ verfahren. Wir stillen zuerst die 'innere
Blutung nach den Kunstregeln (s. Vulnus pectoris), erweitem aber nur
dann die Brustwunde, wenn höher Grad von Orthopnoe den freien Blutfluss
584 ECCHYSIS — ECDARSIS
nothwendlg macht. Ist letzteres nicht der Fall, so vereinigt man die Wunde
durch Heftpflaster, Compressen und Binde , die um den Brustkasten in Cir-
keltouren geführt wird, wodurch der Blutabfluss verhindert und das Blut
in der Brusthöhle zu coaguliren und so die Blutung zu stillen genöthigt
wird (^Valentin, Larrey, Assalini). Dabei kalte Umschläge auf die leidende
Seite , innerlich viel kühlendes Getränk , kalte sclileimige Suppen , Obst-
brühen , Vermeidung des Redens , Niesens , Hustens , deä tiefen Athmens,
jeder Bewegung, Sorge für tägliche Leibesöffnung durch Manna, Tamarin-
den. Am vierten, fünften Tage nach der Verwundung und wenn man sicher
ist, dass die Blutug völlig gestillt ist, wird es, ist anders das Extravasat
bedeutend, nothwendig, es auszuleeren. Aufhören der Ohnmächten, voller
Puls, Wärme der Glieder und Ruhe des Gemüths sind Zeichen dieser Blut-
stillung. Man entleert nun das Blut entweder aus der bereits vorhandenen
Wunde oder man öffnet die Brusthöhle , wie beim Empyem , zwischen der
siebenten und achten, wenn es die rechte Seite ist, und zwischen der ach-
ten und neunten Rippe, wenn in der linken Pleura sich das Extravasat be-
findet. Hinterher muss durch Liegen auf der kranken Seite der allmälige
Abfluss befördert werden; das Aussaugen mittels Spritzen taugt nichts; da-
gegen passen, wenn das Blut schon in Fäulnis» übergegangen, vorsichtig
angewandte Injectionen von 29" warmem destiliirten Wasser. Der Verband
muss ganz einfach seyn. In die Wunde legt man ein an beiden Seiten aus-
gezupftes Bändchen, mit lauem Öl bestxichen.
Eccinjmosis in ahJomen , s. Vulnus abdominis.
Ecchymosis in orhilam. Die Blutergiessung in die Augenhöhle kann
durch Fissuren der Basis cranii und des Keilbeins aus dem Gehirn kommen
(schlimmes Zeichen) , oder sie ist die Folge von Contusionen der Orbital-
gegend, der Augenlider, von Osteomalacie der Orbitalknochen. Symptome
sind: Geschwulst und blaue Farbe, Hervortreibung des Auges, wie Ex-
ophthalmus (s. Hydatis glandulae lacrymalis), grosse Schmerzen,
das Auge unter den geschwollenen Augenlidern verborgen , Unbeweglichkeit
des Bulbus, Fieber, Erbrechen, Delirien. Cur. Muss streng antiphlogistisch
ßeyn, also Aderlässe, Blutegel, kalte Umschläge aufs Auge, auf den ganzen
Kopf, innerlich Kalomel, Purgirsalze, knappe Diät. Vor der dritten Woche
darf man keine reizenden Mittel anwenden. Blindheit des Auges bleibt oft
zurück.
Ecchymosis conjunctivae, s. Haeraalops.
Kcctiysis, s. Ecchymoma.
EcclisfiS» Ist gleichbedeutend mit Verrenkung im Allgemeinen oder
Verschiebung gebrochener Knochen. S. Luxatio und Fractura.
Kccoprotica, gelind wirkende Laxirmittel.
CiCCrisioschesis , Zurückhaltung kritischer Ausleer ung.
Eccrisls 9 die Ausscheidung des Schweisses, des Stuhlgangs, Lun-
genauswurfs etc. 5 in Krankheiten die Ausscheidung der Krankheitsstoffe ;
b. C r i"s i s.
Eccyesis, Schwangerschaft ausserhalb des Uterus, s. Gravidita s.
EdCdarsis, das Schinden, Abziehen, starke Wund werden
der Haut. Hier erregt die entblösste Haut durch den Zutritt der Luft
oft heftige Schmerzen , ganz auf dieselbe Art , wie nach Verbrennungen,
Application der Vesicatorien , sobald die Oberhaut, die die Blasen bildet,
unvorsichtiger Weise abgeht. Cur. Ist die wunde Stelle klein, unbedeu-
tend, die Haut nicht blutig, der Schmerz gering, so kann man etwas Wein,
Branntwein überschlagen. Es entsteht eine Borke, die Stelle trocknet aus
lind heilt bald. Ist die wunde Stelle grösser, der Schmerz bedeutend, so
streiche man reines laues Leinöl über , streue pulverisirtes Stärkemehl auf,
und verbinde später mit Blei - oder Zinksalbe. Diese Mittel sind auch beim
Wunds.eyn durch Reiben , z. B. bi-im sogenannten Wolf nach starkem Rei-
ten gut. Alle erweichenden, erschlaffenden Salben taugen nichts; sie er-
ECPEMIONOSOS - ECLAMPSIA 585
regen oft böse Geschwüre, wenn man z. B. das wundgestossene Schienbein
damit verbindet. Hier ist ein gutes Hausmittel die frische innere Haut aus
einem Hühnerei, die man auflegt und wodurch die Luft abgehalten wird.
Diese Eierhaut lässt man ruhig mehrere Tage liegen, wo gewöhnlich der
Schaden schon geheilt ist. S. auch Excoriatio.
Ecdemionosos , die sog. Reisekrankheit. Ist eine Art Reise-
sacht (^Ecdemiomniiin) , ein geistig krankhaftes Verlangen, ausser dem Va-
terlande zu seyn , also der Gegensatz vom Heimweh , — ein Übel , woran
reiche Engländer und arme Deutsche: Künstler, Handwerksburschen etc.
zuweilen leiden (^Kraus).
EiCilinophtlialmia. Ist die uralte Benennung für die bei manchen
Blepharophthalmien sich bildenden Unebenheiten der Augenlider , s, Pe-
ribrosis.
Echthysterocyesis. Ist gleichbedeutend mit Graviditas extraute-
rinn (s. den Artikel).
Gclampisia) Edactisma, Eclampsis, Epilepsia acuta, felrilis, infan-
tum, die Eklampsie, Epilepsie der Kinder, die Fraisen, Kräm-
pfe, Scheuerchen, Convulsionen der Kinder. Das Wort Eklam-
psie bedeutet im Allgemeinen convulsivische Beschwerden, gleichviel ob sie
aus dieser oder jener Ursache entstehen. So hat man eine Eclampsia toxica,
parturientium, fehricosa, neonatorum, sanguinea etc. angenommen, je nachdem
Gift, schwere Geburt, larvirtes Wechselfieber, Trismus neonatorum, Blut-
congestion etc. zum Grunde liegen. Wir verstehen unter Eklampsie eine
Epilepsia acuta und imperfecta der Kinder bis zum siebenten Lebensjahre,
wo sich das Übel häufig zur Epilepsia vera, perfecta ausbildet, wenn an-
ders eine innere Ursache zum Grunde liegt; bezeichnen dagegen alle bei
Erwachsenen gelegentlich entstehenden Krämpfe , z. B. die Krämpfe der
Gebärenden etc., nicht mit dem Namen Eklampsie, sondern nennen sie Con-
p^ulsionen oder klonische Krämpfe (s. Spasmus und Partus praeter-
v3|fituralis). Symptome. Nicht selten gehen Vorboten vorher. Diese
sind : schnelles Wechseln der Gesichtsfarbe zwischen Röthe und Blässe, Ver-
ziehen der Gesichtsmuskeln, Lächeln, Verdrehen der Augen, halb geöffnete
Augen im Schlafe. Der Säugling beisst ungewöhnlich viel und stark beim
Stillen auf die Brustwarzen, verschluckt sich oft beim Trinken, leidet an
unregclmässiger Leibesöffnung, Verstopfung oder Durchfall mit grünen, ge-
hackten Stuhlgängen. Der Anfall selbst hat viel Ähnlichkeit mit dem der
Epilepsie, äussert sich durch Bewusstlosigkeit , tonischen und klonischen
Krampf, Verdrehen der Glieder, rothes, bläuliches Gesicht, im höhern
Grade Gesichtsblässe , tetanischer Krampf. Die Dauer des Anfalls beträgt
oft nur einige Minuten, oft V2, 1, 3, 6 Stunden, oft mehrere Tage. Zu-
weilen tödtet schon der erste Anfall, besonders wenn die Brust sehr beengt
und die Congestion zum Kopfe gross ist. Erfolgt Genesung , so bleibt im-
mer grosse Anlage zu Recidiven zurück, und kommen diese öfter, so ist die
Grenzlinie zwischen der Eklampsia und Epilepsia imperfecta, incipiens schwer
zu ziehen und die Prognose ungünstig, indem dann in der Regel in spätem
Jahren die Epilepsia perfecta folgt. Von 300 Epileptischen, die mein Tage-
buch enthält, waren 210 in den ersten Lebensjahren von der Eklampsie er-
griffen gewesen. Der Hauptunterschied zwischen beiden Übeln ist vyol der,
dass die Eklampsie vorzüglich Kinder und zarte Frauen, sensible, der Kin-
dernatur ähnliche Naturen ergreift, die wahre Epilepsie abor mehr die Er-
wachsenen befällt vermöge der Disposition des Körpers, wenn wir nämlich
die Eclampsia toxica nicht Eklampsie nennen. Ursachen. Zwei Quellen:
der Darmcanal und plötzliche Erkältung sind es, die bei Säuglingen am
häufigsten Eklampsie erregen. Häufig ist die durch Diätfehler, Menstrua-
tion, Gemüthsbewegungen etc. verdorbene Muttermilch Schuld (s. Cfico-
galactia). Öfteres Erbrechen des Kindes, grüne Stuhlgänge, Leibschmer-
zen machen dies wahrscheinlich. Hier verbessere oder verändere man die
Muttermilch und gebe dem Kinde säuretilgende Mittel, die fast alle anti-
586 ECLAMPSIA
Bpasmodisch wirken, wie schon oben angegeben worden (s. Absorbentia,
Antispasmodica). Erkältung, Erhitzung der stillenden Mutter durch'
Tanzen etc. hat auch schon manchen Säugling durch Krämpfe getödtet,
desgleichen das leichte Bekleiden der Kinder, das Exponiren der Witterung
in jeder Jahreszeit ohne Rücksicht auf Wind und Wetter, worauf so häufig
Fieber, Entzündungen des Gehirns, der Luftröhre und Eklampsie folgen.
Nicht selten sind Würmer im Darmcanal Ursache; doch rauss man bei Kin-
derkrämpfen nicht zu häufig diese als Ursache annehmen. Bei Säuglingen
ist dies fast nie der Fall. Häufiger ist bei grössern Kindern die Erregung
heftiger Affecten als Folge falscher, verkehrter Erisiehung Schuld. Eigen-
sinnige Kinder sind in der Regel schon kränklich; nun sollen sie ihren Kopf
brechen, sollen aufhören zu schreien, man drohet mit Schlägen, mit Ein-
sperren etc. , da zittert das Kind am ganzen Leibe , einen Ruck weiter und
dae Eklampsie ist da. Beim Ausbruch der Zähne, der Menschenpocken, so-
■wie bei jedem heftigen Fieber, bekommen viele Kinder Eklampsie. Hier
vergehen durch richtige Behandlung des Grundübels die Krämpfe von selbst,
verschlimmern sich aber, wenn man dieses verabsäumt und, blos die Kräm-
pfe im Auge habend, sogenannte reizende Antispasmodica giebt. Man A'er-
gesse nie, dass nicht selten Blutegel und Antiphlogistica die besten krampf-
stillenden Mittel sind (s. Antispasmodica und Spasmus). Eine häufige
Ursache der Eklampsie wie der Epilepsie sind Krankheiten des Gehirns:
Hydrops cerebri etc. Cur. 1) Man erforsche und entferne die Ursache des
Übels. Bei Säuglingen denke man vorzüglich an Magensäure, gebe dage-
gen Liq. kali carbon. alle 1 — 2 Stunden zu 6, 8, 10 Tropfen mit Aqua
foeniculi und Syr. rhel, z. B. Folgendes: E^r Magnes. carhon. ^jj, Pulv. rad.
rhei ^j, Ariune foeniculi ^}^, Syr. simpl. ^ß. M. S. Umgeschüttelt alle 2 — 3
Stunden 1 Theelöffel voll (Berends). Oder auch dieses, theelöffelweise ge-
nommen: F^ Liq. hali carhon. ö]}, Aquae foenic, Syr. rhei ana ^j. M. (M.),
denke auch bei grössern Kindern an schädliche Abdominalreize , entferne die
Würmer durch Anthelminthica und hinterher Purganzen aus Merc. dulc. und
Rheum, vergesse ja die eröffnenden krampfstillenden Klystiere aus Chamil-
len, Valeriana, Milch, Zucker, Öl etc. nicht, die bei Kinderkrämpfen von
so grosser Wirkung sind. Ist Erkältung die Ursache der Eklampsie, so
passt Folgendes : ^! Spirit. Minderen 5jjj , Aquae foeniculi 5jj , Syr.- Uquirit.
5j , Vini stihiat. 3j. M. S. Zweistündlich y, — 1 Kinderlöffel voll (^Berends).
2) Man achte stets darauf, ob heftige Congestionen zum Kopfe, starkes
Fieber, kurzer, schneller Athem bei der Eklampsie sind. Hier passen einige
Blutegel an den Kopf, an die Brust, innerlich etwas Nitrum mit Manna,
z. B. ^ Nitri depur. ^j , Tart. viiriolat. 3jj , Mnnnae tuhulatae 5JI , Aquae
foeniculi 5Jf)<, Syr. mannae , — Uquirit. ana 5J. M. S. Alle 1 — 2 Stunden
1 Theelöffel voll (für 2 — Sjährige Kinder), daneben eröffnende Klystiere.
Erst dann, wenn 24 Stunden nach der Anwendung die Krämpfe nicht nach-
gelassen haben, passen die sogenannten Antispasmodica, besonders Moschus,
Flor, zinci und Valeriana. Andere Mittel, z. B. Liq. c. c. succin., Aether,
Opium, die bei den Krämpfen der Gebärenden, der Operirten so herrliche
Dienste thun, passen nie bei kleinen Kindern; sie schaden bestimmt immer,
wenn die Eklampsie Begleiter des Zahnens, der fieberhaften Ausschlags-
krankheit ist (s. Dentitio). 3) Äusserlich warme Umschläge von Fl. cha-
mom. auf den Leib , warme Salzfussbäder , beim Zahnen der Kinder auch
Klystiere von Kochsalz, Chamillenthee, von etwas Tart. emetic. sind oft
sehr wirksam. 4) Sind die Kinder, die an Eklampsie leiden, noch sehr
jung oder sind durchaus keine Zeichen von Blutcongestion zum Kopfe da,
oder sind diese vorher durch Antiphlogistica gehoben , so passt I^ Moschi
opt. gr. jjj — vj, Liq. c. c. succ. ^ j , Aquae foeniculi 3|v, Syr. aUhaeae 5J.
M. S. Zweistündlich 1 Theelöffel voll {Tortual), Halten die Krämpfe den-
noch an, so passen (für Kinder von 2 — 10 Jahren) folgende Mittel: ^t Mo-
schi opt. gr. vj — X, Aquae valerianac , Syr. althneae ana 5J. M. S. Alle
2 Stunden 1 — 2 Theelöffel voll. In der andern Stunde giebt man gr. V4?
V;, 1 — 2 Gran Flor, zinci mit Zucker, so dass man mit diesen Arzneien
ECLAMPSIA 58t
abwechselt. Diese Mittel haben mir in hartnäckigen Fällen stets das Meistti
geleistet. Bei der Eklampsie zarter, junger Kinder, sensibler Personen, wo
die Krämpfe nicht aus Überfüllung, sondern aus Entleerung entstehen , also
auch keine Blutcongestionen stattfinden, habe ich von magnetischen Manipu-
lationen grossen Nutzen gesehen. Ich hauchte in meine beiden Hände, legte
die eine Hand an den Hinterkopf, die andere in die Herzgrube des Kran-^
ken , führte jene Hand langsam über Kopf und Hals zur Herzgrube, brachte
dann im Bogen die andere Hand zum Hinterhaupte und wechselte so mit den
Händen 10 — 20mal binnen Y4 Stunde ab. Oft bedurfte es nur einer solchen
Session und das Kind war gesund. Bei Erwachsenen gab ich hier den Mo-
schus ganz rein mit grossem Nutzen. Bei der Eklampsie 1 — Sjähriger Kin-
der als reines Nervenübel ohne materielle Reize, oder, wenn diese vorher
entfernt worden sind, hat mir folgendes Pulver herrliche Dienste gethan:
^ Fl(n\ zinci gr. jj , Rad. ipecac. gr. j, — artemis, vulg. Sj, Liquirit cociae^
Elacos. foeniculi ana 51?« M. f. pulv. divide in xjj part. aequal. S. Stünd-
lich V2— 1 Pulver mit Wasser (AT.). Auch Dr. Wutzer lobt die Rad.
artemisiae bei krampfhaften Übeln der Säuglinge und grösserer Kinder (sf.
Hec1;er's Annalen Bd. XVII. S. 421). Mein Freund, der Dr. Biermann in
Peine, hält sie bei Eclampsia infantum in der Periode der Dentition für ein
wahres Specificum; er fand, dass man die Beifusswurzel in steigender Dosis
geben müsse, wenn die erste Dentition da und das Kind im ersten Lebens-
jahre ist. Er giebt hier zuerst %, nach 1 Stunde einen Gran, 1 Stunde
später 2 Gran, welche 3 Dosen meistens zur Beförderung der Krise: Ablei-
tung des im Gehirn angehäuften Nervenreizes, hinreicht, worauf die Kräm-
pfe verschwinden. Dauern sie fort, so giebt er alle 2 Stunden noch 1 — 2
Gran p. d., aber nicht mehr. Selbst starken, vollsaftigen Kindern schadet
das Mittel in solcher massigen Dosis nicht.
Eclampsia parlurientium. Di^ Convulsionen der Gebärenden sind
ein sehr schlimmes Übel, ein Bild des Jammers und Elends, wogegen unsere
Kunst oft wenig vermag. Symptome sind ganz dieselben eines epilepti-
schen Anfalls mit Blutcongestion zum Kopfe, grosser Angst, Verdrehungen
des Gesichts, Geschrei, Krämpfe klonischer und tonischer Art der Glieder,
Bewusstlosigkeit etc. Die Anfälle dauern von 2 — 10 Minuten, kehren bin-
nen wenigen Stunden oft 3 , 4 bis 6mal wieder , so dass das Bewusstseyn
oft ganz mangelt und unter Sopor der Tod der Mutter und des Kindes folgt.
Die Diagnose dieser von Wigaiid sogenannten schweren Convulsio-
nen von den leichten der Kreisenden ist diese: 1) Sie erscheinen plötzlich
vor Ende der Schwangerschaft und ehe noch die Wehenthätigkeit sich durch
irgend ein Merkmal kund gethan hat, die leichten Convulsionen befallen die
Gebärenden dagegen nur in der Mitte oder zu Ende der Geburt. 2) Die
Leidenden sind bei der schweren Form mit Eintritt des Anfalls völlig be-
wusstlos un4 kommen oft zwischen den einzelnen Paroxysmen gar nicht zu
sich, was bei der leichten Form nie der Fall ist. Auch wird bei letzterer
der Kopf nicht, wie bei ersterer, mit den Beginn des Anfalls auf die Seitie
gedrehet. 3) Bei den schweren Convulsionen wird das Gesicht grässlich
verzerrt, die Augen sind offen und hervorgetrieben, das Gesicht schwillt
auf, wird rothblau, sowie Zunge und Lippen, die Kranken gleichen Er-
drosselten, und die Krämpfe sind mehr tonisch als klonisch; bei der leich-
ten Form ist Gesichtsblässe und der Augapfel rollt unter dem geschlossenen
Auge langsam hin und her, richtet sich auch wohl ein wenig nach oben,
4) Bei der schweren Form tritt jeder Paroxysmus erst mit dem Ende einer
Wehe , bei der leichten dagegen mit dem Anfange einer Wehe ein. Letz-
tere stören den Geburtsact nicht, wie bei erstem, wo häufig der Uterus
von Starrkrampf ergriffen wird. Nach ScJiusler sind die schweren Convul-
sionen ein rein primäres, die leichten ein secundäres Nervenleiden, nur ab-
hängig von der begonnenen Geburtsthätigkeit. Vorzugsweise soll bei der
schweren Form der sympathische Nerv leiden (s. Berliner Med. Zeitung. Fol.
1835. Nr. 14), Behandlung. Mir sind mehrere Fälle von diesen anhal-
tenden und ungewöhnlichen' (Jör//) oder schweren Convulsio-
588 ECLEPISIS — ECPLEXIÄ
nen (^WigtttuT), von Carus eigentliche Zuckungen genannt. In der
Praxis vorgekommen, zumal bei Primiparis mit Habitus spasticus und sol-
chen , die schon früher an Kardialgie , selbst an einzelnen epileptischen An-
fallen gelitten hatten. Mein erstes Mittel war ein Aderlass am Arme, hin-
terher gab ich Moschus, Castoreum, Brausepulver etc. , Hess kalte Umschläge
um den Kopf machen. Aber die fürchterlichen Anfälle blieben nicht aus;
nach jeder Wehe traten sie ein. Daher entschloss ich mich zur künstlichen
Entbindung mittels der Zange oder der Wendung, und fand, dass die Ent-
leerung des Uterus das einzige Mittel blieb, den Krämpfen ein Ziel zu setzen,
wie dies auch Jorges und Carus^ Ansicht ist. Nur selten konnte ich das
Leben des Kindes, in den meisten Fällen aber das der Mutter auf solche
Weise erhalten. So rettete ich des Gastwirths B. Frau in Warnemünde,
indem ich mit der Zange, gleich nach Aufhören des Krampfanfalls das Kind
holte, ohne dass die Mutter davon vsusste, mich auch nachher nicht kannte,
als sie nach 5 Tagen die Besinnung wieder erhielt; mehrere andere Fälle,
wo der Anfall 6 — 8mal erfolgte, nicht zu gedenken. Doch rathe ich stets
einen Aderlass vor der Entbindung an, zumal beim gleichzeitigen Tetanus
uteri, und ausserdem mit der künstlichen Entbindung vor der dritten Ge-
burtsperiode nicht zu beginnen. Wenn Schuster (a. a. O.) sagt, dass man
hier nicht zur Kunsthülfe schreiten dürfe und die Erfahrung das Gegentheil
lehre, so irrt er; meine Erfahrungen sprechen für die Kunsthülfe, für die
baldige Entleerung des Uterus, ohne welche auch das von ihm vorgeschla-
gene, auf die Herzgrube anzuwendende Morphium aceticum (nach endermi-
scher Methode) , indem man durch ein heisses Eisen die Haut w und macht,
oft fruchtlos bleiben wird. Auch lief ja der von ihm mitgetheilte Fall , wo
nicht entbunden wurde, für Mutter und Kind tödtlich ab. Bei den leichten
Convulsionen Gebärender dienen kleine Dosen Pulv. Doweri, Liq. anodynus,
Liq. c. c. succ. ; auch Pulvis aerophor., Ph. Boruss, nov. , welches ein schö-
nes, nicht eriiitzendes Antispasmodicum ist.
Eclampsia t>/pJwdes, die Kriebelkrankheit, s. Raphania.
Eclampsia toxica, sanguinea, hysterocolica etc. , s. Spasmus,
fiClepisis, das Abschälen, s. Desquamatio und Exfoliatio.
Kclysis, Auflösung, Ohnmacht, Schwinden der Kräfte
(s. Asphyxia). Naumann tadelt in s. Handbuche der medic. Klinik, 1830.
Bd. II. S. 461, wo er den vom Pneumokardiacalsysteme ausgehenden Schein-
tod (^Echjsis pneumocardiaca^ abhandelt, den Ausdruck Asphyxie, weil er
nur ein einzelnes Symptom andeutet, und zieht den Ausdruck Eklysis vor.
Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht umhin , die Bemerkung einzuschalten,
dass der Titel dieses sonst schätzbaren Handbuches schlecht gewählt ist.
Er müsste heissen: Handbuch der theoretischen und praktischen
Heilkunde; denn man kann ein guter Kliniker (Praktiker) seyn, ohne
von der weltgeschichtlichen Bedeutung der Krankheiten und der mediciai-
«chen Literatur auch nur den SOsten Theil, der hier geboten wird, zu ken-
nen oder überhaupt dieses nöthig zu haben.
XiCnoia., Wahnwitz, Verstandesverrücktheit, die oft nur
partiell, in Beziehung auf einzelne Gegenstände vorhanden ist, wo andere
Begriffe und Urtheile aber nichts Abnormes verrathen.
XiCphraxis, die Verdünnung stockender Säfte im Korper.
Ecphyma, Auswuchs, s. Excrescentia.
Ecphysis* Ist Ecphyma, welcher Zustand sowol etwais Normale«
als etwas Krankhaftes seyn kann.
Ecpiesma. Ist Knochenzerschmetterung, wobei die Weich-
gebilde in dem Grade gleichzeitig mit verletzt sind, dass Knochenstücke her-
vorragen. S. Fractura.
EiCplexia , Ecplexis , plötzliches Erstarren durch Schrecken,
durch grosses Unglück und Widerwärtigkeit; das Gegentheil von Paricha-
ria (G«/c7().
ECPTOMA ~ ECTROPIUM 589
Ecptoma, vollkommene Verrenkung eines Gliedes, s. Luxatlo.
£cpyeina, ein gänzlich vereiterter Theil; Einige nennen so
auch ein Empyem.
SiCpyesis, die Vereiterung, die Bildung des Ecpyems.
EcsarcoinAj BMeischwucherung, ausgewachsenes, wildes
BMeisch (Caro luxurians) ; s. oben Abscessus No. 12. und Caustica.
^XiCStasis» Ecplexis, Catalcpsia spwrin, die Verrückung eines Ob-
jects aus seiner gewöhnlichen Lage, die Verrückung, Verzückung
des Geistes aus seiner gewöhnlichen Sphäre. Wenn ein bedeutender Ge-
genstand, vorzüglich ein übersinnlicher, unsern Geist ausschliesslich festhält,
so dass die Aufmerksamkeit allein auf ihn gerichtet ist, so entsteht leicht
ein solcher Zustand , wo die Seele allein in ihm lebt und webt (Wahnsinn
durch Entzückung), und das Bewusstseyn aller übrigen Dinge darüber ver-
loren geht. Menschen mit sehr lebhafter Phantasie und mangelnder, oder
fehlerhafter, einseitiger Geistesbildung sind im Allgemeinen dieser Seelen-
krankheit am meisten unterworfen. Ueinroth stellt folgende Arten der
Kcstase auf: > «i.:; .fu;;'.; ,■ ■
Ecstasis Simplex. Findet sich häufig bei ftrngeh, lebhaften, zu Über-
spannung geneigten Gemüthern.
■' Ecstasis pnranoica, Wahnsinn mit Verrücktheit,- wo der feine
Wahnsinn sich mit Verkehrtheit der Begriffe und IJrtheile verbindet.- ;" "
Ecstasis mnniacn, Wahnsinn mit Tollheit; z. B. wo sich z^'dbll
Zufällen des reinen Wahnsinns ein Zerstörungstrieb gesellt. ',".;
Ecstasis catholica, Wpihnsinn mit Verrücktheit und Tollheit',*
mit Verstandesverkehrtheit und Wildheit. ' -
Ecstasis melancJiolica, wo Wahnsinn sich mit Melancholie verbindet.
Ecstasis contemphttiva , die Vertiefung. Dieser Zustand, wo der
Mensch so sehr in tiefe Betrachtung irgend eines Gegenstandes versunken
ist, dass die übrige objective Körper - und Srnnenwelt gleichsam für ihn
todt ist, findet sich häufig bei Gelehrten, tiefen Denkern, ist periodisch
und besteht darin , dass durch die Lebhaftigkeit und Aufregunjg des innera
Sinnes die Thätigkeit der äussern Sinne unterdrückt ist. Die Cur der
Ecstase ist nach ihren Arten verschieden. Eine gehörige Leibes- und Gei-
«tesdiät ist zu Anfange des Übels die Hauptsache, L; A. Most.'':''
KctMyinina, eine durch Druqk entstandene Beschädi-
gung, besonders der Haut, Wundwerden der Haut durch Druck, Reiben,
(.Ecthlipsis) , z. B. der sogenannte Wojl^f nach dem. Reiten;,, ^/£«da,rsiii
und Excoriatio., .!-... , - • :;'
Ectliyina, Ausschlag der Haut, Pustel, Blatter^ z. B. bei
fieberhaften Exanthemen , bei Krätze , Flechten. Ist dasselbe wiiä Exan-
thema. Einige nehmen Ecthyma und Herpes für gleichbedeutend.
Ectopiae» die Krankheiten von veränderter Lage der
Theile.
:,, Ectriinmaf Intertrigo, eine abgeriebene, >vundgeriebene Hautstelle,
8. E cdar sis.
Ectroina, zu früh geborene Leibesfrucht, s. Abortus.
Ectropium , Inversio pnlpehrae , Blephnrhelosis , widernatürli-
ches Auswärtsstehen der Augenwimpern, das Blarrauge. Das
Augenlid ist hier nach aussen umgekehrt, man sieht die innere Fläche des-
selben , die Augenliderspalte macht bei geschlossenen Augen keine gerade,
sondern eine gebogene Linie; am häufigsten ist das Übel am untern Augen-
lide. Bedeutende Entstellung des Auges, fortwährender Thränenfluss, auf^
getriebene, geschwollene, entzündete Tunica palpebrarum interna, die oft
den ganzen Augapfel bedeckt, Jucken, Bluten und Borken am leidenden
Theile, späterhin oberflächliche Entzündung des Bulbus oculi sind die ge-
wöhnlichen Folgen dieses oft Jahre lang dauernden Übels, wenn es ohne
590 ECTROPIUM
Kunsthülfe sich selbst überlassen bleibt. Ursachen. Sind verschfeden,
woraus folgende Arten hervorgehen :
Ectropium durch Verkürzung der äussern Haut. Folgt zuwei-
len auf Menschenblattern, Verbrennungen, Blatterrose. Cur, Im gelindern
Grade reibe man Unguent. althaeae in die Narbe und ziehe dann das Au-
genlid durch Heftpflaster mit einiger Gewalt nach oben. Hilft dies nicht,
so schneide man die Narbe durch und verhüte die Schnelle Vereinigung der
Wunde , ziehe sie mit Heftpflaster auseinander , betupfe sie leicht mit Lap.
oaust, , wodurch Fleisch Wucherung und Verlängerung bewirkt wird.
Ectropium durch Anschwellung der Innern Haut. Liegt .sehr
häufig zum Grunde, wo nämlich Ophthalmia venerea, arthritica , haemor-
rhoidalis, menstrualis , congestiva (z. B. bei Säufern) , scrophulosa etc. diese
Anschwellung bewirkt. Cur. Man behandle hier das Grundübel durch in-
nere Mittel , rathe kühlende Diät , Vermeidung aller Spirituosa an, versuche
äusserlich adstringirende Mittel: Solutio zinci sulphurici, Decoct. chinae;
häufig helfen diese Mittel aber örst dann, wenn mau die innere Haut vorher
scarificirt und blutig gemacht , hat. Das öftere Bestreichen derselben mit
Tinct. opii, Sublimatsolution , mit rother Präcipitatsalbe, und, wenn sie
schon callös ist, mit letzterer Salbe, wozu man noch etwas Aerugo setzt,
hilft oft am besten. Auch passt hier (im gelinden Grade der Callosität)
folgende Salbe: F^ Axwiig. porci 5.ij» Jiutyr. aniimon. gr. jj — iv, Merc. prnec.
ruLr. gr. vjjj — xjj. M. exactiss. S. JZum Bestreichen des callösen Augenlides»
Ist die Callosität aber alt und gross, so muss man den Wulst mit einer
Scheere wegschneiden, die Fläche ausbluten lassen und alsdann das Augen-
lid durch Heftpflaster stark in die Höhe ziehen. Nach Adams liegt allen
chronischen Ektropien zu grosse Erschlaffung und Wölbung des Tarsus zum
Grunde. Er schneidet daher aus dem obern Augenlide nach dem Nasen-
winkpl zu zwei kleine Dreiecke und heftet dann die Wunden durch blutige
Naht genau zusammen.
Ectropium traumaticum. Hier ist die innere Commissur der Augenlider
durch eine Wunde (durch Verschwärung) getrennt, wodurch sich ein Ectro-
pium partiale an der Ecke des Auges bildet. Cur. Man vereinige hier die
Wvinde aufe sorgfältigste.
Ectropium wegen Blutgeschwulst oder eines andern kleinen Ge-
wächses, welches unter der innern Platte der Palpebra liegt. Cur. Man
schäle die Geschwulst aus.
Ectropiiim a carie marglnis orhltttlis. Bchr in Altena und v. Ammon
^I' dess. Zeitschr: für Ophthalmologie Bd. I. Hft. 1. S. 36) machten zuerst
auf diese Forni, die mit Lagophthalmos und Synechia palpebrae oft vor-
kommt , aufmerksam. Die Ursache ist hier eine chronische , dyskrasische
Britzündung der Periorbita, worauf Verwachsung mit irgend einem äussern
Theile der Augenlider und partielle Caries der Orbi ta folgt. Cur. Anfangs
massiges antiphlogistisches Verfahren gegen die Entzündung der Periorbita;
dann gegen die Dyskrasie, die Scropheln (Aq. laurocerasi. Terra ponderosa,
Clcuta); ist schoii Fluctuation da, Öff'nen des Abscesses, einfacher, nicht
reizender Verband, der Kranke darf die Augenlider nur sanft schliessen,
um so mehr, je entfernter die Öffnung vom Orbitalrände gemächt worden
(w. Amvwii).
Ectropiitm ex dchUitnte musc. orliculnris. Entsteht häufig im Alter, wo
alle Sphinkteren in zu geringer Erregung sind, desgleichen bei alten Gich-
tischen, alten Säufern, bei Hämorrhoidarien. Cur. Waschen und Bade»
des Auges mit kaltem Wasser, kalte Spritzbäder, spirituöse Einreibungen,
Elektricität, Acupunctur des Augenlides, Einreibungen von Unguent. nervin.
in die Augengegend. Hilft dieses nicht, so schneide man, besonders wenn
das Ektropiura schon wulstig geworden ist, der Länge nach ein Stückchen
aus der Conjunctiva palpebrarum, und vereinige die Wunde schnell, so dass
nur eine feine Narbe entsteht.
Ectropiuin als Folge eines Coloboma. Erfordert die Behandlung des
letztern; s. Coloboma,
EGTROSIS — ECZEMA 591
Ectropiitm factiiium simulaturti. Entsteht durch die Spielerei, mancher
Schulkinder, sich die Augenlider umzuklappen. Anfangs springen diese bald
wieder in ihre rechte Stellung, späterhin aber nicht. Cur. Man verbiete
die Unart, bringe, die Augenlider durch Heftpflaster wieder in die rechte
Lage , und wende Decoct. chinae an.
Ectropium »paslicum. Entsteht häufig durch gewaltsames Öffnen der
Augen bei Ophthalmia neonatorum und bei andern typhösen Augenentzün-
dungen, indem das Augenlid in Krampf geräth. Das Übel vergeht bald von
selbst; man muss solche Versuche nicht wiederholen.
Ectropium wegen Hydrophthalmos. Hier sind die Augenlider oft
gesund, werden aber durch die abnorme Grosse des Augapfels herausge-
trieben. Cur. Man behandle das Grundübel,
Ist das Ektropium durch Substanzverlust in der äussern Augenlid-
wand entstanden, so .suche man durch anhaltend fortgesetzte Einreibungen von
milden lauwarmen Ölen und gelindes Ziehen des Augenlides mittels der Fin-
ger, 3 bis 4mal täglich wiederholt, die straffe Haut allinälig auszudehnen
(^Benedipi). Hilft dies nicht, so muss man mittels eines auf der Schneide ge-
wölbten Bistouris die Narbe trennen, sie auch, wenn sie zu fest mit iier Bein-
haut verwachsen ist, eine Strecke ablösen, die Blutung mit kaltem Wasser
stillen, das Augenlid dann in die gehörige Lage ziehen, auf die Wiinde Char-
pie legen und durch Heftpflaster und Binde es iu der Lage erhalten^ Am Steil
Tage erneuert man den Verband, betupft, wertn es an Granulationen fehlt, die
Wunde mit Vitriolum coerul. , und verbindet mit einer reizenden Salbe , bis
hinreichende Granulation sichtbar wird. Häufig hilft diese Operation aber
nichts , weil die breite Wunde und später selbst die breite Narbe noch grosse
Neigung hat, sich z\i verschmälern. Weit besser ist daher die Bildung eines
neuen Augenlides (^Blejiharoplnstik^ nach Fr, Jäger m Wien und Jüngkcn in
Berlin. Man löst nämlich das ganze Augenlid mit einem Theile der Stirn- oder
Wangenhaut vom Stirn- oder Wangenbeine (eine Stelle ist oft bequemer,
als die andere) ab, und schiebt es dann, je nachdem es das obere oder das
untere ist, nach oben oder unten, bis es seine natürliche Lage erreicht und
der Rand des Tarsus seine normale Stellung einnimmt, welche Lage durch
sehr apcuraten Verband : Heftpflaster und Binden, erhalten werden muss
Ist die Conjunctiva oclili zugleich sehr aufgelockert, wie z. B. wenn Oph-
thalmia neonatorum, gonorrhoica etc. vorherging, so dass es also ein Ectro-
pium sarcomatosum ist, alsdann muss man ein V-förmiges Stück, dessen
Breite am Tarsal - und dessen Spitze nach dem Orbitalrande ger/chtet ist,
ausschneiden. Die Wundspalte vereinigt man mit äer Sutura circumvoluta,
nach Dieff'enhnch, und heilt sie per primara intentionem. Die aufgelockerte
sarcomatöse Conjunctiva muss mittels einer kleinen, an , der Fläche gökrümra-
ten Scheere stark ausgescluxitten werden. (Vergl. d; Art. Blepharopla-
sticev und Jmigketi's Lehre v. d. Augenkrankheiten. Berlin 1852. 8. 696.
Friclce: Die Bildung neuer Augenlider. Hamburg .1829). ;:• - •■
Ectrosis, Ecirosmus, das Zufrühgebären, Fehlgebären, s^. AbortllS.
it^ctrotica, fruchttreibende Mittel, s. Abortiv a.
, XJctylotica, Mittel gegen Schvyielenj, Höhneraugen, s. -ClaYas
pß4:is. ,.:,., . , ,,,.,, ... "r-. , :;„. „ .^,;,
iEczeina, Eezesma, Hitzblätterche'ni 'Sie entstehen durch Hki^
des Körpers, Blutwallungeri etc. Kühlende Diät, Vermeidung hitziger Ge-
tränke, innerlich Crem, tartari sind bei Erwachsenen zur Cur hinreichend.
Entstehen sie bei Säuglingen, so ist Erhitzung der Stillenden durch Tanzen,
Leidenschaften etc. daran Schuld. Hier passt Syr. mannae, rhei, Aq. foeni-
culi fürs Kind, und für die Mutter das Pulvis galactop. Rosensteinii , drei-'
mal täglich 1 Theelöftel voll mit Wasser. Nicht selten entstehen nach rheu-
matischen und nervösen Schmerzen in den Gliedern am Kopfe oft plötzlich
einige Hitzblätterchen , besonders in der Nacht, mit Erleichterung der frü-
hern Beschwerden. Sie enthalten eine scharfe Flüssigkeit, derjenigen gleich,
welche nach Acupuucturstichen , die man gegen Rheumatismus anwandte^
592 EFFLORESCENTIA — ELECTRICITAS
aiisfliesst. Diese Blätterchen , welche bald von selbst vertrocknen, scheinen
daher kritisch zu seyn (M.). Nach den Ursachen unterscheiden wir ver-
schiedene Hitzbläschen, als: 1) Eczema solare; es entsteht durch den Ein-
fluss der Sonnenhitze und daher besonders bei zarter Haut und an unbe-
deckten Theilen, am Gesichte, Halse, Nacken, an den Armen. 2) E. im-
petiißinodes. Es bildet sich aus dem E. solare, wenn die Blasen platzen,
schlecht oder gar nicht behandelt werden , und die veranlassenden Schäd-
lichkeiten fortwirken. Die Haut bekommt neben der Exulceration auch Risse
und Schorfe. 3) E. rubrum. Die Bläschen stehen hier dicht auf einer ge-
meinschaftlichen Area mit rothem Grunde, der oft mehrere Hände gross ist.
Ursachen sind Rheuma und Gicht, besonders locale Erkältung bei rheu-
matischer Disposition. 4) E. mercuriale. Ist nach Batemnn Folge des Mer-
cürgebraüchs , besonders wenn Sallvation eintreten will (s. Febris sali-
valis). Der Ausschlag kommt vorzüglich an den Schenkeln, am Scrotum,
an den obern Gliedern, oft aber auch am ganzen Körper vor. Die Bläs-
chen sind sehr durchsichtig, rauh, füllen sich nach 3 — 5 Tagen mit trübem
Serum, platzen und excoriiren durch ihren scharfen Inhalt die Haut. Spä-
ter entstehen oft neue Bläschen , so dass der Ausschlag 2 bis 3 Wochen , in
schlimmen Fällen Monate lang erscheint. Bei der Cur muss man in den
acuten Fällen die lauen Wasserbäder, in den chronischen die Schwefel - und
Laugenbäder nicht versäumen. DaS' Ätzen derselben nach der ekrotischen
Methode, die Bretonneau, Noble, Damiron und Romet bei Vlenschen-
|)ocken und venerischen Blattern zur primären und baldigen Unterdrückung
•dieser Krankheiten empfehlen, schadet nach BietVs Zeugnisse. In chroni-
schen Fällen kann man die gegen Pemphigus chronicus empfohlenen Mittel,
«elbst Kanthariden, Quecksilber und Arsenik versuchen (s. Troschel in RusVa
Theoret. prakt. Handbuche d. Chirurgie. Bd. VI. S. 126 u. f.).
Efflorescentia, blühender Ausschlag, z.B. bei Scharlach,
Masern, Blattern etc., daher man das Stadium derselben, wo der Ausschlag
am stärksten ist, Stadium efflorescentiae , das Stadium der Blüte, nennt;
s. auch Exanthema.
'•■ £jg^izoma» richtiger Ent/jsonm, Appropmjiiatio ossium cranü, Übcr-
^Vnan d erschiebung der Kopfknochen, z. B. bei starken Kopfver-
Ifetzungen, gewöhnlich auch bei der Geburt des Kindes, und im letztern
Falle, zumal bei engem Becken , etwas sehr Erwünschtes zur Beförderung
^fer Geburt. ' . ^
'^.,, ; Eisantbema. . Ist Exanfjiema internum.
*j!|., Klcosis, Verschwärung, s. Ulcus.
_,..- -Electricitas^ : die Elektricität. Dieses kräftige Fluidum wird
ebenso, wie der Galvanismus und Magnetismus, gegen verschiedene chroni-
•iche NerVfenübel mit Nutzen angewandt; s. Galvanismus und Magne-
tismus mineralis. Dr. Busch in Marburg lobt, gestützt auf vielfache
Versuche i angestellt in einer 51jährigen Praxis, die medicinische Elektrici-
tät, zumal wegen ihrer grossen Kraft bei Amaurosis (s. HufclaniVs^ Journ.
1832. Juli. S. 52). Er wandte sie mit Nutzen an 1) bei Paralysen. Hier
dienten vorzüglich das Funkenziehen oder Überleiten dnrch Flanell,- und
zuletzt einige gelinde Schläge vom ersten Grade des Elektrometers ■ hiittels
dei^ elektrischen Zange, die indessen nur selten angewandt wurde. 2) Bei
Anuttirosis torpida , pnralt^ica und Cntaracia incipicns. Hier zieht Busch das
das Überleiten des elektrischen Stromes durch die Holzspitze , und abwech-
selnd das Funkenziehen bei dem isolirten Kranken an den geschlossenen Au-
gen und dem Umfange der Augäpfel in Gebrauch, wobei man aus der Stelle
des Nerv, supraorbitalis vorzugsweise Funken zieht. 3) Bei Ophthalm. rlieu"
mnticn und bei Gesichtsschwäche. Hier ist sanftes Einströmen durch
die Holzspitzc sehr wirksam. 4) Bei Rheuma und Gicht. Hier passt
anfangs nur das elektrische Bad, so lange, bis der Kranke transspirirt, wo
er sich dann ins Bette legen muss. Funkenausziehen oder wirkliche Schläge
sind anfangs zu vermeiden. Später finden Busch's elektr. Bügeleisen ' oder
ELECTRICITAS 593
die elektrische Bürste ihre Anwendung. 5) Bei rheumat. Zahnweh
fand B. das Funkenausziehen mit der ^lechplatte durch Flanell am wirk-
samsten. 6) Zur Herstellung krankhaft unterdrückter Menses.
Hier dient das elektr. Bad und das Funkenausziehen durch Flanell mit dem
Bügeleisen, auf die Uteringegend applicirt, in hartnäckigen Fällen 6 — 8 ge-
linde Schläge durchs grosse Becken. 7) Bei Hemicrnnia rheumat. bedeckt
er die Stelle mit Flanell und zieht mit dem Bügeleisen Funken heraus.
8) Bei CopJiosis rheumat. et pnralytica zieht er Funken aus dem Zitzenfort-
satze und dem äussern Gehörgange. 9) Bei Atonie der Unterleibs-
organe, z. B. bei Hysterie, Hypochondrie etc., bei Flatulenz und Ver-
dauungsschwäche, wird der ganze Unterleib des auf dem Stuhle oder im
Bette isolirten Kranken mit Flanell bedeckt und täglich % Stunde lang mit
dem Bügeleisen bestrichen, was mehrere Wochen lang fortgesetzt werden
muss. 10) Gegen Band- und Spulwurmer sind gelinde Schläge des er-
sten, .höchstens des zweiten Grades des Elektrometers, mit der elektr,
Zange in verschiedenen Richtungen durchs Abdomen geführt, anwendbar,
wodurch die Würmer getödtet und dann durch ein Purgirmittel ausgeführt
werden. Mehrere Krankengeschichten bestätigen das Gesagte. — Im All-
gemeinen findet die Elektricität in allen jenen Krankheiten ihre Anwendung,
wo die des Galvanismus indicirt ist (s. diesen Art.). Dass beide , die Elektri-
cität und der Galvanismus, so häufig ohne Wirkung sind, rührt grössten-
theils davon her, 1) dass man statt des elektr. Bades so häufig elektr.
Schläge anwandte , die durch indirecte Asthenie des kranken Organs , welche
sie hervorriefen , schadeten , 2) dass man zu kurze Zeit das Mittel anwandte.
Es muss wenigstens 6 — 8 Wochen lang, täglich V4 — % Stunden, in An-
wendung gebracht werden, wobei stets der Grad der krankhaften Sensibi-
lität zu berücksichtigen ist. S) Auch noch folgender Umstand, den beson-
ders Marianini (s. Froriep's Notiz. Bd. XVII. 1830, Nr. II.) hervorhebt, ist
als physiologische Erscheinung zu berücksichtigen. Wenn ein elektr. Strom
einen Theil des thierischen Körpers durchläuft, so ist die Wirkung doppel-
ter Art, indem sie nämlich 1) aus Contractionen besteht, welche unmittel-
bar durch die Strömung in den Muskeln hervorgebracht werden ; dies sind
die idiopathischen, und 2) aus solchen Contractionen, welche die
Elektricität mittels der Nerven hervorbringt, welche M. sympathische
nennt. Die erstem werden ohne Rücksicht, in welcher Richtung die elektr.
Strömung durch die Muskeln hindurchgeht, letztere blos dann, wenn die
Strömung in der Richtung der Nervenverästelung geleitet werde, hervorge-
bracht. So kann es geschehen, dass, wenn eine elektr. Strömung sich
durch die Gliedmassen des thierischen Körpers fortsetzt, die beiden Er-
schütterungen gleichzeitig eintreten müssen, wenn die Elektricität sich in
der Richtung des Verlaufs der Nerven fortpflanzt , während die idiopathische
Contraction nur allein wird empfunden werden , sobald die Strömung in ent-
gegengesetzter Richtung sich fortpflanzt, dass folglich die Contractionen im
erstem Falle weit stärker, als im zweiten seyn müssen. Die Wirksamkeit
einer elektrischen Behandlung wird bedeutend durch die Richtung bedingt,
in welcher man die Strömung leitet. Endlich 4) wird häufig der Fehler
begangen, dass man willkürlich bald -f-E, bald — E anwendet, da beide
Elektricitäten doch schon in ihren physischen Eigenschaften verschieden sind.
Aus 360 bei Gesunden angestellten Versuchen (s. Ch. A. Struve , System der
medic. Elektricitätslehre etc. 2 Thle., 1802, mit Kupfern; Th. I. S. 103)
geht so viel zum wenigsten hervor, dass die negative Elektricität die posi-
tive häufig in ihrer Wirkung, zumal aufs Blutsystem (Beschleunigung des
Pulsschlages etc.) , übertriff"t , doch nicht in allen Fällen , dass es aber höchst
falsch sey , die beiden Elektricitäten , die beide etwas Actives , Positives sind
und nur in ihren Beziehimgen zu einander sich als -}- und — verhalten, in
ihren Wirkungen auf den Organismus als sich entgegengesetzt (sthenisirend
und asthenisirend — stärkend und schwächend — erhitzend und kühlend etc.)
zu denken. Beide Arten der Elektricität wirken reizend und die Lebens-
kraft erhöhend, doch in verschiedenen Graden und modificirt nach dem indi-
MoBt Encyklepädie. 2te Aufl. T. 3g
594 ELECTROPUNCTÜRA ~ ELYTROBLENNORRHOEA -,
vjduellen Zustande der Lebens'thätigkeit des zu elektrisirenden Subjects.
Kine spätere Zeit und zahlreich angestellte Versuche müssen die feinen Un-
terschiede in der Wirkung von -\- und — E erst aufklären. lin Ganzen
hat man die positive Elektricität zeither am häufigsten angewandt. Nicht
in lebenden, nur in todten Körpern verbreitet sich die Elektricität gleich-
massig. 1) Die grösste Anziehung hat sie zum Nervensystem , dessen Em-
pfindlichkeit und Beweglichkeit sie befördert und erregt. Wie bedeutend
wohlthätig wirkt nicht schon die reine, mit Elektricität geschwängerte Luft
auf die Nerven solcher, die an adynaniischen, acuten und chronischen Krank-
heiten leiden! 2) Sie wirkt mächtig aufs lymphatische System, auf Einsan-
gung, Absonderung, Ernährung und Assimilation , zertheilt Stockungen und
Verhärtungen in Drüsen , in den Digestionsorganen. S) Ebenso wirkt sie
aufs Blutsystem, wo die eigenthümliche Elektricität des Bluts unstreitig des-
sen Vitalität unterhält , auch bleibt elektrisirtes Blut länger flüssig , als an-
deres (y. Humboldt}. — Dass man aber die Elektricität ja nicht als ein
Universalmittel ansehen müsse, darauf hat schon JT. I/nsnrt' (Anwendung und
Wirksamkeit der Elektricität etc. A. d. Franz. v. Kühn. Leipzig, 1788;
Th. II. S. 207) mit Recht aufmerksam gemacht. Wenn derselbe aber meint,
dass durch Anwendung von — E dem Menschen Elektricität überhaupt ent-
zogen werde und dass alle Krankheiten von einem blossen Überflüsse oder
Mangel der Elektricität hergeleitet werden könnten , so irrt er .sehr. Sowot
ans -f-E, als aus — E, die beide für sich betrachtet etwas Positives sind,
strömt Feuer aus, obgleich der Strahl von -|- E länger, als von — E ist.
Man muss bei der Elektricität das wirkliche Vorhandenseyn von zwei elektr.
Flüssigkeiten annehmen , die fähig sind , sich gegenseitig zu neutralisiren und
deren Verbindung , in bestimmten Proportionen , den natürlichen Zustand
der meisten Körper ausmacht. Wir müssen die Benennungen positiv und
negativ nur in dem Sinne nehmen , wie sie die Geometrie nimmt. Beide
sind zwei Arten von Grössen, deren eine ebenso wol existirt als die andere,
die aber von der Beschaffenheit sind, dass sie, wenn sie gleiche absolute
Werthe haben , sich durch ihre Vereinigung wechselseitig vernichten. Die
Benennungen Glas- und Harzelektricität sind daher vielleicht vorzu-
ziehen, damit der Unkundige sich nicht so leicht über die Difl"erenzen bei-
der Arten der Elektricität irrt (s. Most, Über die grossen Heilkräfte des
Galvanisraus etc. Lüneburg, 1823; S. 317 — 4l2). — Über die Elektricität
in den Nerven und im Blute bei Lebenden und bei Leichen hat J. W. Stcr^
neberg (Experimenta quaedam ad cognoscendam vim electricam nervorum
atque sanguinis facta. Bonn. 1834) eine interessante Dissertation geschrie-
ben , die indessen mehr kritisch als erweiternd ist (s. Hecker's Wissensch.
Annalen, 1835, Hft. 4, S. 473 ff.).
Electropiinctura , die Elektropunctur. Ist eine Modifica-
tion der Acupunctur, indem die eingestochenen Nadeln mit einer kleineu
Voltasäule in Verbindung gebracht werden; s. Acupunctura und Gal-
Tanismu s
]lileplia>ntili» Elephantinsis , die Elephantiasis, Kno 11 sucht.
Dieses scheussliche Übel kommt bei uns nicht vor, wohl aber in Syrien,
Ägypten etc.; s. Lepra nodosa.
KlephantopiU, der Elephantenfuss , s. Lepra nodosa.
Klodes» Helodcs , Britntmiius sudor, Schwitzfieber, s. At>glicus
s udo r.
Elytratresifts mangelnde Öffnung der Mutterscheide; ist
häufig ein angebornes Übel. S. Atresia.
. Elytritis, Entzündung der Scheide, s. Inflammatio vaginae.
ElijtrUis maligna, Fluor albus maUgnuSy bösartiger weisser Fluss, s.
Leuco rrhoea.
ElytroMennorrboea) Schleimfluss aus der Scheide, s. Leu-
corrUoea.
ELYTRÖCELE — fiMBRYOTHLASIS 595
Elytrocele» Scheidenbrach, s. Herlifa Vaginalis.
"ElytTonCUS, Scheidengeschwulst, Anschwellung der
Scheide. Die Scheiden wände sind hier aufgetrieben und angeschwollen.
Obgleich der Name ursprünglich eine harte Geschwulst (Oncus) der Scheide
bedeutet, so hat man die Benennung dennoch auf verschiedene Anomalien
der Vagina ausgedehnt, und man unterscheidet daher folgende Arten:
Ehjtroncus cruentus, Thrombus vayinalis, Scheidenblutgeschwulst.
Sie entsteht bei schweren Geburten, durch Berstung eines Varix etc., ist
fast unschmerzhaft und fühlt sich weich, schwappend an. Cur. Man spritze
Decoct. quercus mit Alaun ein, feuchte Charpie mit Rothwein an und lege
dies in die Scheide. Will sich die GeschyVulst nicht zertheilen, 80 entleert
man das geronnene Blut durch Einschnitte.
Ehjtroncus emphysemnticus , Windgeschwulst der Scheide, Ist
elastisch, unschmerzhaft, kommt indessen selten vor. Cur. Man lasse die
Luft durch einen Einstich ausströmen und wende dann adstringirende Mittel
an. Sind Risse, Abscesse Ursache, so behandle man diese.
Eljjtroncus inflammaiorius , Elytritis, Entzündung der Scheide, s. In-
flammatio vaginae.
Ehjtroncus oedematosus , Oedem der Scheide. Entsteht vor oder in
der Schwangerschaft häufig bei Blondinen , die an Fluor albus , Haemorrha-
gia uteri litten, viel sitzen, eine schlaffe Constitution haben, vorher schon
kachektisch waren. Zuweilen ist die Wassergeschwulst sehr bedeutend , ver-
breitet sich über die grossen Schamlefzen , dehnt diese zu ungeheurer Grösse
aus; dabei sind gewöhnlich auch die Füsse stark geschwollen. Ist eine
solche Person ihrer Entbindung nahe, und stellen sich Wehen ein, so mnss
sie, um ihre Kräfte zu schonen, künstlich entbunden und ihr nach dem Wo-
chenbette zweckmässige Mittel gegen Hydrops verordnet werden (^Oslander).
Ehjtroncus pituUosus , Schleimgeschwulst der Scheide. Durch
anhaltende Blennorrhoe und Anhäufung von Schleim können die Häute der
Scheide ebenso , wie das Intestinum rectum durch chronische Ruhr , verdickt,
aufgetrieben , verhärtet werden ; oft kann auch eine grosse Schleimanhäufung
die Innern Häute der Scheide in die Höhe treiben, und so eine kalte, wei-
che, unschmerzhafte Geschwulst bilden. Cur. Die allgemeine der Blen-
norrhoe, der Leukorrhoe, daneben topisch adstringirende Mittel.
Elytroptosis , Scheidenvorfall, s. Prolaps ns vaginae.
Elytrorrhag^ia, s. Haemorrhagia vaginae.
Xülytrorrlioea , Blutfluss aus der Scheide, s, Haemorrhagia
Vagi na e , uteri.
dmaciatio» Abmagerung. Ist sowol Verminderung des Umfan-
ges und der ganzen Masse des Körpers , als auch einzelner Theile dessel-*
ben, beruhend auf einem Missverhältnisse zwischen Anbildung und Zer-
setzung der organischen Masse , so dass entweder jene gehindert , oder diese
zu sehr beschleunigt ist, oder beides stattfindet. Abmagerung kann erfol-
gen , wenn Digestion und Assimilation leiden , durch Mangel an Nahrung,
Krankheiten des Digestionsapparats , der Leber, der Lungen, des Blut- imd
Nervensystems, durch zu starke Ausleerungen etc. Sie ist ein häufig be-
gleitendes Symptom aller heftigen hitzigen und fast aller chronischen Krank-
heiten, besonders der Abzehrungen (Emaciationes), die eine eigne
Krankheitsciasse bilden (s, Tabes, Atrophia, Febris lenta, Phthi-
sis). Alle diese Zehrkrankheiten werden, sobald sie bedeutend sind, vom
hektischen Fieber begleitet (s. W. Snchtleben, Versuch einer Medicina cli-
nica, oder prakt. Pathologie u. Therapie der auszehrenden Krankheiten.
Danzig, 1792; 2 Thle.).
lEmibreginO' 9 Irrigatio, das Tropfbad, s. Balneum stilia-
titium.
Kinbrocatio 9 CatachjsmiK, das Tropfbad, s. Balneum.
Kmbryothlasis, das Zecst&ckeln des Fötus im Mutterleibe;
38*
596 EMBRYOTOCIA — EMETICA \
eine durch die Portschritte der Geburtshülfe Gott Lob! selten gewordene
Operation, die man früher häufig bei engem Becken vornahm, wo noch die
Wendung auf die Füsse hätte versucht werden sollen.
Xiinbryotocia. Ist das Gebäien eines Embryo, s. Abortus.
Ciinetica, VomiloiHa, Brechmittel. Die Hauptwirkung dieser
Mittel ist bekanntlich die, dass sie Erbrechen erregen. Dieses entsteht durch
Contraction und antiperistaltische Bewegung des Magens und Zwölffinger-
darms, wodurch beide unter Mitwirkung des Zwerchfells und der Bauch-
muskeln ihre Contenta nach oben entleeren. Die antiperistaltische Bewe-
gung theilt sich der Speiseröhre, selbst der Luftröhre mit, wahrscheinlich
auch den Bronchien und Bronchialästen , und so werden auch diese Theile
vom Schleim , etwaigem Eiter etc. befreit. Eine secundäre Wirkung der
Brechmittel ist der Stimulus auf alle Ab- und Aussonderungen, wie aufs
ganze Nervensystem durch die Erschütterung des Körpers , besonders der
Abdominaleingeweide. Auch die momentane Unterbrechung der Respiration,
wodurch der Rückfluss des Blutes vom Kopfe, auch wol vom Unterleibe
vorübergehend gehemmt wird und mithin vorübergehende Blutanhäufungen
in den genannten Theilen entstehen , ist nicht ohne Wirkung. Der Ekel
und die nagende Empfindung in der Herzgrube vor und während dem Er-
brechen, die allgemeine Abspannung des Körpers, der Eindruck, den der
erschütternde Act des Erbrechens erregt, alle diese Wirkungen der Brech-
mittel aufs Nervensystem beweisen, dass Vomitive sowol erschlaffend und
abspannend, krampfstillend, als aufreizend, erweckend, erschütternd auf die
Sensibilität wirken, dass sie daher auch wichtige antagonistische Mittel
sind , die , indem sie den Leib reizen , vom Gehirn ableiten. Auch auf das
ganze vegetative und reproductive System, auf Leber, Milz, Pankreas, aufs
Drüsensystem, auf die Schleimmembranen und resorbirenden Gefässe, aufs
Capillargefässsystem der Haut wirken Brechmittel erregend. Wir gebrau-
chen sie daher mit Nutzen 1) in Fiebern, besonders in gastrischen, biliösen,
pituitösen, wo sie in kleinen Dosen auflösen, in grössern das Aufgelöste
entfernen; zu Anfange exanthejnatischer, auch nervöser, typhöser, contagiö-
ser Fieber: des Scharlachs, der Masern, des Typhus, der Kriegspest, des
Faulfiebers etc. , wo sie einen gelinden Verlauf der Krankheit einleiten , auch
prophylaktisch oft das Übel im Keime ersticken. In Wechselfiebern mit
gastrischen und galligen Complicationen sind sie gleichfalls dringend noth-
wendig , sowie sie oft auch das reine Wechselfieber heilen ; 2) in Entzün-
dungen mit galligem Charakter , in mehreren Arten der Angina , besonders
der Angina gangraenosa und membranacea incfpiens; 3) in acuten und chro-
nischen Katarrhen, Blennorrhöen der Lunge, des Halses, des Magens; 4) in
Wassersuchten und Wurmkrankheiten; 5) in Stockungen der Leber und
Milz, Drüsengeschwülsten, Bubonen, Hodengeschwülsten; 6) zur Entfernung
fremder Körper aus der Luft- und Speiseröhre; 7) bei Anfällen der Hyste-
rie, Hypochondrie, bei Krämpfen der Wöchnerinnen, bei Asthma convulsi-
vum, Blasenkrampf, Fames canina, Apepsie, hier passen besonders die mil-
den Emetica aus Ipecacuanha. Höchst heilsam sind die Brechmittel 8) in
Seelenstörungen, in Manie und Melancholie, bei Trägheit und Stockungen
im Unterleibe; 9) in Lähmungen, besonders im Stickfluss, bei Lähmungen
der Glieder aus metastatischen Ursachen , unterdrückter Hautausdünstung ;
10) in der Apoplexie wohlbeleibter Leute , welche auf eine reichliche Mahl-
zeit folgt (nach vorhergegangenen Blutausleerungen) ; bei Taubheit und
Schwerhörigkeit. Dass es hier Fälle giebt, wo sie nicht passen, ergiebt
sich von selbst aus der nähern Betrachtung aller dieser Krankheiten. Drin-
gend nothwendig sind die stärkern Brechmittel : Vitriol, alb. , coerul. , bei
Vergiftungen durch narkotische Gifte. Aromatische, ätherische Mittel , Senf-
pflaster auf die Herzgrube, Bürsten der Glieder Avährend der Wirkung des
Brechmittels vei-mindern gleichfalls den hohen Grad von Torpor und Unem-
pfindlichkcit des Magens. 'Nur dann möchten die Vomitive in solchen Ver-
giftungen entbehrlich seyn, wenn durch frühzeitige Anwendung der Magen-
EMETICA 597
pampe vou Read oder John Weisse das Gift entleert wordöii ist. Folgende
praktische Cautelen mögen hier ihren Platz finden: 1) DaiS Erbrechen ist
stets ein heftiger EHngriff in die Ökonomie unsers Organismus; man gebe
daher nie ein Brechmittel ohne gehörige Indication. 2) Soll das Erbrechen
schnell und kräftig erfolgen , so giebt man wol Neutralsalze : Pot. Riverii,
Salmiak, Sal Glauberi (bei gastrischen und Schleimkrankheiten), oder ve-
getabilische Säuren, Tamarinden, Crem, tartari (bei galligen Krankheiten)
ad praeparandum , also ein paar Stunden oder einen Tag vor dem Einneh-
men des Vomitivs (^Sundelin). Auch kann man diese Mittel nach S. G. Vo~
geVs Rath mit einander verbinden , z. B. Sal Glauberi mit Ipecacuanha,
Cremor tartari mit Tart. emeticus, z. B. I^ Gtem. tart. 3ß > Tart. emetici
gr. jj — IV. M. S. Brechpulver auf ein- oder zweimal zu nehmen; oder
^ Pulv. rad. ipecac. ^ j , Snl Glauheri ^fjf, Tart. emetic. gr. jj. M. S.
Brechpulver, auf einmal mit Thee zu nehmen (vefgl. VogeVs Handbuch d.
prakt. Arzneiwissenschaft, Ste Ausgabe, Th. I. zu Ende). In unserer Ge-
gend ( Mecklenburg ) , wo die Blennon-höen des Magens und der Gedärme
recht zu Hause sind, gebe ich drei Tage lang Folgendes: ^ Pot, River, c.
succo citri parat. 3Jjj, Aquae cJiamomill.., — menth. crisp. ana 5Jj , Syr.
mannae 5J , Sal. ammon. dep., Succ. liquir. dep. ana 3jj) Spiril. sal. dulc. 3]-
M. S. Viermal täglich 1 — 2 Esslöffel voll, und lasse dann erst, wenn diese
Mixtur verbraucht ist, das Brechmittel (oder auch ein Laxativ) nehmen.
S) Bei entzündlichem Zustande des Magens passt kein Vomitiv; ist blos
Erethismus und Congestion des Magens da, so müssen Blutentziehungen,
Derivantia , Fussbäder , innerlich Mucilaginosa und Oleosa vorhergehen.
4) Verhindert ein krampfhafter Zustand der Digestionsorgane, erhöhte Sen-
sibilität derselben das Erbrechen, so nützen Valeriana, Mentha, Chamomilla
als Thee , mit Liquor , Naphtha , auch Opiateinreibungen in die Magenge-
gend. 5) Bei sensiblen Personen ist es gut, wenn sie des Nachmittags das
Brechmittel nehmen und einige Stunden vorher etwas Haferschleim , schwache
Kalbfleischbrühe trinken. 6) Man lasse nach jedesmaligem Erbrechen eine
Tasse laues Wasser oder schwachen Chamillenthee nachtrinken , damit etwas
im Magen ist. Ehe aber das Erbrechen noch nicht wirklich eingetreten ist,
darf nichts nachgetrunken werden, damit die Wirkung durch Verdünnung
des Mittels nicht geschwächt wird. 7) Erfolgt das Erbrechen nach genom-
menem Brechmittel zu heftig, so lasse man vorläufig lauwarmen Haferschleim
trinken und mache warme Fomentationen von Chamillen und Wein auf die
Magengegend. Hilft dies noch nicht, So gebe man alle % Stunden 1 Ess-
löffel voll PoCio Riverii im Aufbrausen , auch wol vorsichtig einige Tropfen
Opium. Bestand das Brechmittel aus Tart. emeticus, so nützt oft ein Chi-
nadecoct, welches chemisch den Brechweinstein zersetzt. 8) Contraindicirt
sind Vomitive bei dem sympathischen Erbrechen der Schwangern, bei dem,
wo organische Fehler des Magens , der Gedärme , des Pankreas , der Leber
z\igegen, vorzüglich aber, wo das Erbrechen von Entzündungen der Leber,
Milz, Nieren, des Uterus herrührt. Hier, sowie bei Vomitus cruentus,
Aneurysmen in inneren T heilen, können Vomitive plötzlich tödten. Auch die
bevorstehende Menstruation, Schwangerschaft, Prolapsus uteri, Bräche,
hartnäckige Leibesverstopfung, Geschwülste im Unterleibe, grosse Erschö-
pfung contraindiciren. Doch kann es bei Hernien und Schwangerschaft
Fälle geben, wo ein Vomitiv, mit Vorsicht gebraucht, nicht schadet. 9) Kin-
der und Frauenzimmer erbrechen leichter, als robuste, starke Männer, die
durch ein Vomitiv oft sehr angegriffen werden. 10) Das leichteste und
beste , am wenigsten nach unten wirkende Brechmittel ist die Ipecacuanha,
wovon die gewöhnliche Dosis für einen Erwachsenen % Drachme ist, z. B.
ly Rad. ipecac. pülv. 3ß , Jqtiae destill, simph ^jj- ^'^- S. Alle 8 Minuten
1 Esslöffel voll bis zur Wirkung. Für kleine Kinder passt Folgendes :
F^ Rad. ipecac. gr. xvjjj, Syr. althaene 3])^. M. S. Gut umgescluittelt, alle
Stimden 1 Theelöffel voll bis zur Wirkung ( Wendl ). Oder für grössere
Kinder : I^ Rad. ipecac. ^j , Aquae dcstill. , Oxym. squillit. ana 5J. M. S.
Wie oben. Bei Personen , welche schwer brechen , setzt man noch Brech-
598 EMETOCATHARSIS - E]\IPHYSEMA \
Weinstein hinzu: ^' Rad, ipecac. 3j5» Tart. emetici gr. jj — jjj , Aq. destüh
§jfv. M S. Alle 5 — 8 Minuten 1 Esslöffel voll bis zum Erbrechen. lat
grosse Torpidität des Magens da, z. B. bei Vergifteten durch Opium, Bei-
Jiadonna etc., so passen folgende Formeln: I^ Zinci sulphurici crystaU. ^j— r-
3j^, Aquae destill, simpl. gjj. M. S. Alle 5 — 10 Minuten 1 Esslöffel voll
J)is zur Wirkung; oder ^l Citjrn sulphurici cryst. gr. x, Aquae destillnt. ^jjj-
Wie oben. Über die besonders von altern Ärzten vielfach benutzten Brech-
mittel des Pflanzenreichs hat Dierhach zu Heidelberg in Uecher's Lit. AnnaJi.
d. ges. Heilkde., 1831, Novbr. , S. 273 fg. eiqe sehr iesenswerthe Abhand-
lung mitgetheilt, die alle Beherzigung verdient. Er theilt diese Emetica
nach ihren Wirkungen ein in Emetica resolventia , antispasraodica , diapho»-
retica, diuretica und alterantia seu nervina, und giebt die specielleren Fälle
für jede Art und ihre Anwendung genau an.
dmetocatltarsis » das Brechpurgiren, Ausleeren Jiaoh
oben und unten. Ist in vielen Fällen dem blossen Erbrechen nach oben
vorzuziehen, z.B. bei Blennorrhoea ventriculi et intestinorum, wenn Magen
und Gedärme voller Schleim sind, bei Wahnsinnigen etc. Hier passt vor-
züglich der Tart. emeticus , der erst nach oben , später auch nach un-
ten wirkt.
Eümetocathartica* Sind diejenigen Mittel, welche das Brech-
purgiren befördern.
Eimetomailia , Furor vpmendi, die Brechwuth. Ist die zu grosse
Vorliebe für Anwendung der Brechmittel , sowol von Seiten des Kranken,
als von Seiten des Arztes. Es lässt sich nicht leugnen, dass mit Brechmit-
teln oft Missbrauch getrieben wird , besonders bei Äi"zten , die der Meinung
öind, ein jeder Zungenbeleg indicirc in Fiebern ein Vomitiv, vergessend,
dass schon durch Enthaltsamkeit von Speisen die Zunge weisslich belegt
wird. Aber ebenso häufig werden sie verabsäumt j besonders zu Anfange
nervöser und gastrischer Fieber, wo sie mehr wohlthätig das gesammte
Nervensystem erschüttern, als Sordes entfernen sollen, und in solchen Fäl-
len, sowie auch bei manchen acuten Exanthemen, wenn sie nicht, was oft
geschieht, die Krankheit abkürzen, doch einen günstigen Verlauf derselbe^
den weder Valeriana , noch Serpentaria , Arnica oder Camphor zu Wege
bringen kann, bewirken (s. Emetica und Glossoscopia). Oft scheuet
der Arzt oder Kranke ohne Grund die Vomitive (Emetophohia') , und diese
Scheu ist bestimmt ebenso sehr als die Emetomanie anzuklagen. Medium
(enuere beati!
Elinetophobia, s. Eme.tomania,
Eininenag^Og^a, richtiger Emmeniagoga , Mittel^ die die Menstrua-
tion Defördern; s. JVlenstruatio retenta, suppressa.
Emollientia, erweichende, erschlaffende Mittel, s, Relaxantia.
Gnioliities OSsiuni» Knochenerweichung, s. Malacosis ossium.
Emotio* Ist dasselbe, was Luxatio.
Kniphraxis, s. Angustatio.
Eiinphyseina, Pneumatosis, Empneumatpsis, Sarcües faiuosus, Haut-
windsucht, Windgeschwulst, Luf tgcsch wulst. Ist eine an sich
wenig schmerzhafte Anschwellung , ein Aufgeblasensejn des ganzen Körper/»
oder irgend eines Theils desselben , verbunden mit Spannung und Elasticität,
wobei man, wenn man darauf drückt, nicht gelten ein, bald kollerndes,
bald mehr knisterndes Geräusch hört und die sich dadurch von Hydropa
unterscheidet, dass sich keine Gruben in die Geschwulst drücken lassen,
dass das Glied nicht so kalt und so schwer als bei Hydrops ist. Die nächste
Ursache ist stets extravasirtes Gas , das in dem leidenden Theile , in den
meisten Fällen im Zellgewebe , sich aufhält. Häufig sind die Luftansamm-
lungen im Zellgewebe, sowie in den Höhlen des Körpers, wodurch Aufblä-
hung entsteht, nur etwas Symptomatisches, 4as im gelinden Grade perio-
EMPHYSEMA 599
di^cU sdiott bei hefiigeii Anfallen der Hysterie, der Hypochondrie bemerkt
wird, wo die Gaseutwickelung oft schnell entsteht und schnell verschwin-
det, indem die Säftemasse die Luft ausscheidet und die einsaugenden Ge-*
lasse sie 'wieder resorbiren (fiicitcr) ; vielleicht auch, dass das Dunst- und
Gasförmige , was im Leben als etwas Normales die Höhlen erfüllt und nu»
im Tpde tropfbar flüssig wird , sich bei jenen Krampfbeschwerden im Über-
masse anhäuft. Ebenso i^st der Meteorismus des Leibes, der im StadiuEQ
colliquativum bösartiger Fieber bemerkt wird, nichts weiter als abnorm ent-
wickeltes und die Bauchhöhle anfüllendes Gas. Entwickelt sich die Luft
allmälig, entweder in der Bauchhöhle, oder in den Gedärmen, so dass dc)^
Unterleib elastisch gespannt ist und das Übel längere Zeit anhält, so nennt
man es Trommelsucht (s. Tympanitis), die m der Regel auch nur ein
Symptom des Hydrops, des Icterus, der Melanosis und bedeutender organi-
scher Fehler der Leber, der Milz etc. ist, wenn wir nämlich die uneigent-
lich sogenannte starke Luflentwickelung in den Gedärmen, die mit der
Windkülik, den langwierigen Verlauf abgerechnet. Alles gemein hat (Tym-
panitis intestinalis) , nicht zur wahren Trommelsucht zählen. Ursachen
des Emphysems. ]>ie nächste Ursache ist schon oben genannt worden ; Ge-
legenheitsursachen sind entweder innere, allgemeine, oder äussere, örtliche,
bald nur mechanische, bald dynamisch - chemische. So entsteht der Meteo-
rismus in bösartigen Fiebern durch die CoUiquation der Säfte , durch che-
mische Zersetzung und Neigung des Blutes zur Fäulniss, die ohne Gasent-
wickelung nicht erfolgt ; die wahre Trommelsuscht ist häufig mit Hydrops,
Melas Icterus verbunden, entsteht auch mehr auf chronische Weise; das
Emphysema pectoris, wodurch die fürchterlichsten Erstickungszufälle entstehen,
ist Folge mechanischer Verletzung der Lungenzellen, wodurch die eingeathmete
Luft in die Brust extravasirt; bei der Gangrän einzelner Theile ist gleichfalls
häufig etwas Eniphysematisches, weil auch hier die beginnende Fäulniss und
der partielle Tod nicht ohne Gäsentwickelung vor sich geht, etc. Cur;
Die des Emphysems im Allgemeinen ist nach den Ursachen sehr verschieden.
Man muss hier, (beim eigentlichen Emphysem, nicht bei Tympanitis, Me-
teorisnnis) stets die Luft durch Einstiche und Streichen zu entfernen suchen
und, wenn sie von Aussen ins Zellgewebe dringt, die Wege dadurch ver-
schllessen , dass man im Theile Entzündung erregt , und bei Emphys. uni-
versale ^m Ende der Cur stärkende Bäder und Einreibungen anwendet,
weil sonst leicht krankhafte Fettleibigkeit zurückbleibt (s. Adiposis). Fol-
gende Arten der Windgeschwulst sind hier noch zu bemerken:
Emphyaenut capitis , Physoeephalits , Windgeschwulst des Kopf 3.
Sie verbreitet sich über die allgemeinen Kopfdecken, ist häufig Symptom
von Hieb ^ und Stichwunden des Kopfs, mit oder ohne Verletzung der Galea
aponeuratica , wozu sich auch erysipelatöse Entzündungen gesellen. Cur.
Man behandle das Grundübel , dilatire Stichwunden etc.
Emphysema cellulnre. Es ist meist über den ganzen Körper verbreitet,
erregt ein höchst beschwerliches Asthma und erfordert die allgemeine, oben
angegebene Behandlung (s. Asthma aereum a pneumot ho race und
Tympanitis).
Emphysema intestini recti , Windgeschwulst des Mastdarms.
Hier tritt die innere Haut des Rectums, welche von Luft ausgedehnt ist,
zum After hei-aus und bildet eine elastische Geschwulst. Cur. Man lasse
die Luft durch kleine Einstiche heraus und behandle das Übel dann, wie
den Mastdarmvorfall (s. Prolapsus ani).
Emphysema mammnrum , Windgeschwulst der weiblichen Brüste , s.
Mastodynia emphysematica.
Emphysema pectoris , Brustwindsucht , s. Asthma aereum.
Emphysema scroti, Oscheocele fiatulentn, Hernia venfosa scroti, Pneuma-
tocele, Windbruch des Hodensacks. Ist entweder ein wahrer Darm-
bruch oder eine Art von Wassersucht {Pott). Es giebt aber ein Emphysema
scroti factitium simulatum, welches sich oft Militairpfllchtige machen, indem
sie durch eine feine Öffnung iii^ Zeilgewebe des Scrotums (oder auch wol
600 EMPNEIMATOSIS — EMPYEMl
in die In^inalgegend) Luft einblasen und dann die Öffnung schnell heilen
lassen. Dieser Betrug ist bald zu entdecken. Ein Mehreres über Emphy-
sema partiale s. bei Tympanitia.
Emphysemn vaginae y Windgeschwulst der Scheide, 8. Elytroncus
emphysemati cus.
EmpneuinatosiSf das Anfüllen mit Luft, daher dasselbe was
Emphyseina , Meteorismus , Tympanitis. Einige verstehen unter dem Worte
auch die Inspiration.
Emprostliotonia, Emphrosthotonus, Tetanus anticus, Starrkrampf
nrit Spannung aller Vorwärtsbeugemuskeln , s. Tetanus und Spasmus.
Emptoe» Emptois, Blutspeien, s. Haemorrhagia pulmonum.
Emptysis« Ist bei Aretaeus das Blutspeien, s. Haemorrhagia
pulmonum.
dnpyema , Empyema verum , Pyothorax , Pleurorrhoea purulenia,
JHapyema, Ecpyema, Ecpyesis, Empyem, Eiterbrust, Brustge-
ßchwür. Ist eine Ansammlung von Eiter in der Brusthöhle, welche dann
entsteht, wenn eine Lungenvomica platzt und sich in der Brusthöhle ent-
leert , oder wenn sich nach einer Pleuritis oder Peripneumonie , oder nach
Rippen- und Brustbeinbrüchen ein Abscess auf der Lunge erzeugt und die-
ser dann platzt; ferner nach penetrirenden Schusswuuden , nach Leberab-
ecessen, die sich einen Weg durch das Diaphragma in die Bauchhöhle bah-
nen, und endlich durch perverse Secretion. Diagnose. Diese ist oft
schwierig. Wenn die Zufalle irgend einer Entzündungskrankheit der Brust,
nachdem dieselben einen hohen Grad der Heftigkeit erreicht haben, schnell,
ohne vorhergegangene kritische Erscheinungen, und unter einem oft und pe-
liodisch wiederkehrenden Frösteln sich mindern, so hat man die grösste
Ursache zu vermuthen, dass sich Eiter in der Brust bilde. Bekommt nun
der Kranke nach einigen Tagen beim Athcmholen eine Beklemmung, Schwere
und Vollheit, wird derselbe kurzathraig, stellt sich Reiz zum Husten und
selbst ein trockner Husten ein, wird er matt und kränklich, so kann man
mit Gewissheit sagen, dass sich Eiter gebildet habe. Ist die Eiteransamm-
lung nur in einer Brusthöhle, so kann der Kranke nicht auf der gesunden
Seite, sondern nur auf der kranken liegen, indem beim Liegen auf der ge-
sunden Seite das Athemholen allemal sehr erschwert wird. Ist die Ansamm-
lung in beiden Höhlen, so kann der Kranke nur mit erhöhtem Oberkörper
auf dem Rücken liegen. Die Brust giebt beim Anschlagen an derselben ei-
ne« Ton sich, als wenn man an ein volles Fass schlüge. — Im höhern
Grade entsteht äusserlich eine ödematöse Geschwulst, es treten Zufalle des
Elektischen Fiebers, coUiquativer Schweiss, kleiner Puls, Aufgetriebenheit
des Gesichts und ödematöse Anschwellungen der obern Gliedmassen hinzu. —
Prognose. Ist stets schlimm. Sich selbst überlassen, endet dies Übel
immer mit dem Tode. Cur. Wenn keine offene Wunde da und die Dia-
gnose schwierig ist, so lege man Haarseile, Fontanellen und warme Breium-
schläge äusserlich auf die Brust, und innerlich wende man die bei Phthisis
gebräuchlichen Mittel an. Helfen diese Mittel nichts, so ist die Eröff-
nung der Brust (^Paracentesis thoracis , OperaÜo empyematis) noch das
einzige Rettungsmittel, aber dies auch nur dann noch, wenn das Empyem
nicht schon zu lange gedauert hat , oder nicht mit andern unheilbaren Brust-
krankheiten verbunden und der Kranke noch nicht zu alt ist. Instru-
mente zur Operation. Man gebraucht: 1) ein convex es Bistouri , 2) eine
Lanzette, 3) ein Knopfbistouri, 4) eine Röhre von Silber oder elastischem
Harze, 5) 'einen Schwamm, und 6) zum Verbände: ein beöltes halbausge-
franztes Leinwandläppchen , Heftpflasterstreifen , ein gefenstertes Pflaster-
stück, Compressen , Charpie und eine Brustbinde. Operation selbst.
Der Kranke lege sich auf die gesunde Seite gegen den Rand des Bettes,
und der Arm der kranken Seite werde nach vorne auf die Brust gelegt.
Man durchschneide nun mit dem convexen Bistouri die Haut , indem man sie
in eine Falte aufhebt, zwischen 2 Rippen, gerade in der Mitte zwischen
EMPYESIS — ENCANTHIS 601
dem Stemum und der Wirbelsäule, jedoch auf der linken Seite nur von der
fünften bis zui* achten und auf der rechten nur von der fünften bis zur sie-
benten Rippe, ja nicht tiefer, indem man sonst leicht das Diaphragma ver-
letzen kann. Der Hautschnitt muss mehrere Zoll lang seyn. Hat man den
Hautschnitt gemacht, so reinige man die Wunde mit einem Schwämme und
schneide die Intercostalmuskeln mit wiederholten und an Länge abnehmen-
den Messerzügen bis auf die Pleura behutsam durch, so dass die Wunde
ein kegelförmiges Ansehen erhält und die Pleura ungefähr einen Zoll bloss
liegt. Ist dies geschehen , so lässt man den Kranken sich etwas nach der
operirten Seite zu neigen, damit der Eiter sich daselbst ansammle; ist dies
geschehen, so bringt der Operateur einen Finger in die Wunde, und durch-
schneidet oder durchsticht behutsam mit der Lanzette die Pleura da, wo
die Fluctuation am deutlichsten bemerkbar ist. Ist die jetzt gemachte
Wunde zum Ausfluss des Eiters nicht gross genug, so muss man sie mit
dem Knopfbistouri etwas dilatiren und dann dem Kranken eine solche Lage
geben, dass der Ausfluss des Eiters dadurch begünstigt werde. Einige le-
gen, um den Ausfluss ununterbrochen zu erhalten, auch eine Röhre ein.
Verband und Nachbehandlung. Man lege zwischen die Wundränder
der Pleura ein beöltes oder ein mit Gerat bestrichenes halbausgefranztea
Leinwandläppchen , dessen Enden man aussen mit Heftpflasterstreifen befe-
stigt, darüber lege man ein Emplast. fenestratum, feine weiche Charpie und
eine leichte Compresse, und befestige das Ganze mit der Brustbinde. Der
Kranke muss sich ruhig halten, wenig sprechen und in einer trocknen und
warmen Stube sich befinden. Den Verband erneuere man so selten als mög-
lich. Wird der Eiter scharf, zähe, schlecht und stinkend, so wende man
Injectionen von milden schleimigen Decocten, mit einem ganz geringen Zu-
sätze von Salzsäure , oder auch leicht adstringirende Decocte an. Die son-
stige Nachbehandlung muss nach dem verschiedenen Zustande des Kranken
eingerichtet werden; sie sey entweder eine kühlende, antiphlogistische oder
restaurirende Behandlung. G. Neese.
Kmpyesis (oculi). Ist bei einigen Augenärzten die Eiteransamm-
lungimlnnerndesAuges.
dmpyocele» Eiterbruch, Eiteransammlung im Hoden-
sacke. Kann durch Abscesse in der Schamgegend entstehen, auch durch
Senkung des Eiters aus dem Unterleibe, wo er durch den Annulus tritt.
Cur. Man hebe die Ursache, behandle den Abscess, suche die Resorption
des Eiters im Hodensacke durch reizende Einreibungen, Umschläge zu be-
fördern ; gelingt dies nicht , so entferne man den Eiter durch die Lanzette
nach den Regeln der Kunst.
EiinpyoiinphaluSj Vereiterung am Nabel, Nabelgeschwür.
Ist am häutigsten die Folge von Kntzündung des Nabels , entstanden durcfi
äussere oder innere Ursachen. Zuweilen ists metastatischer Natur. Cur,.
Ist dieselbe jeder Eiterung im Aligemeinen, also Zeitigung des Abscesses»,
Reinigung des Geschwürs, Sorge für gute Granulation , alsdann trockner
Verband etc. S. Abscessus. ,
XSnaemon (remedium), ein blutstillendes Mittel, z. B. das
Tourniquet, die Ligatur, das kalte Wasser, das Pulvis stypticus; s. Hae»-
morrhagia.
Xüncanthis, Tumor carunculnc lacrymalis , Geschwu'st im Innern
Augenwinkel, gebildet durch Entzündung der Thränencarunkel , die sich
im höhern Grade bis auf die Membrana tertia und die innere Haut des obern
und untern Augenlids im Innern Augenwinkel erstreckt. Diese Geschwulst
sieht wie ein rother Knopf aus , der im letztern Falle zwei Flügel hat.
Entstellung des Auges, Entzündung und Schmerz des Bulbus, Thränenfluss,
partielles Ectropium sind die Folgen dieses Übels. Wir unterscheiden:
Encanthis acuta. Entsteht durch mechanische Schärfen , Erkältung des
Auges. Die Geschwulst entsteht schnell ; schon am zweiten , dritten Tage
bildet sich ein weisses Pünktchen, das aber ebenso wenig ein Abscess ist,
e02 ENCÄNTHIS
als es die weisslichen Punkte bei Angina tonsillaris. sInJ. C ur. Mali entr
ferne fremde Körper, wenn diese die Ursache sind, befördere die Zerthei-
lung durch Acjua Goulardi etc. Bildet sich ein wirklicher Abscess , se öffne
man bald, sonst eitert die ganze Carunkel bald weg (s. Rhyas).
Encanthis chronica. In den meisten Fällen sind allgemeine Ursachen;
Scrophulosis, Herpes, Arthritis, Congestio haemorrhoidalis etc. Schuld. Sie
unterhalten häufig die Entzündung , die nun aus der acuten in die chronir
«che Form übergegangen ist. Cur. Innerlich die Mittel gegen das Grund-'
übel. Da meist immer Wucherung und Laxität der Carunkel da ist, SO
muss ma« öfters etwas von der Geschwulst wegschneiden, doch nicht zu
viel, sonst entsteht Rhjas, Die Blutung stillt man am besten mit Feuerr
schwamm.
Encanthis carcinomaiosa. Der Krebs des Thräiienhügels hat eia
maulbeerförmiges, hahnenkammähuliches Ansehu. Cur s. bei Cancer ocuii.
Nach den Ursachen statuirt Jünglicn (s. Rust's Theor. prakt. Hand-
buch d. Chirurgie, 1832; Bd. VI. S. 209) : 1) E. biflammdlorin. Unter ste-
chenden, sich bei der Bewegung der Augenlider vermehrenden Schmerzen
zeigt sich eine hochrothe Geschwulst der Thränencarunkel und der Mem-
brana semilunaris, die sich auch über die Conjunctiva des Innern Augertr
winkeis verbreitet. „Unter Zunahme der Schmerzen —r- heiv^st es a. a. O. rrt-
erhebt sich die höchst empfindliche Thränencarunkel, und tritt aus dem In-
nern Augenwinkel hervor. Die Fortleitung der Thränenfeuchtigkeit ist theils
hierdurch, theils durch Mitleiden der Thränenpunkte gestört; die Nase der
leidenden Seite bleibt trocken, und die Thränen fliessen über die Wange
herab. Die entzündete Thränencarunkel ist höchst empfindlich und verträgt
nicht die leiseste Berührung, wodurch fSie sich wesentlich von der fungösep
Anschwellung dieses Organs unterscheidet. Bei heftiger Entijündung und
bei reizbaren Personen erscheint im Innern Augenwinkel eine ödematöse Ge-
schwulst, die sich über einen Theil der Augenlider verbreitet." Sie geht
gewöhnliclv in Eiterung über (E. opostcmatosa) ; dann wird die Geschwulst
grösser , dunkelroth , die stechenden Schmerzen werden klopfend , die Ge-
schwulst weicher, der Schmerz gelinder, der Meibom'sclie Drüsenschleimi
wird in grösserer Menge abgesondert un,d sammele sich an. den Au^enlidrän-
dern. Selten zeigt sich an der Oberfläche der ThränentfärQtrkei , gewöhnlich
zwischen letzterer und der Membrana semilunaris der Eiterpunkt. An die7
ser Stelle berstet der Abscess, der mit Blutstreifen' und jXellgewebsstoff'g^j
mischten Eiter unter Nachlass der Symptome und Verh>iiiderung der Ge-
schwülst entleert, worauf daä Geschwür schnell heilt. Der Verlauf der
iEntzüridung ist rasch, und höchstens binnen 9 Tagen vollendet. Ursa-
chen sind: mechanische Verletzungen durch Sandkörner, Haarspitzen, Glas-
splitter, Vvelche in die Augen gekommen sind, durch InsecfenMiehe, durch
cheniische Schädiidikciten: Kalk, Mineralsäure etc. Cur. Man entferne
die fremden Körper, die man mittels der Loupe entdeckt, durch die Pincette
oder den Daviel'schen Löffel (kleine Stücke von Eisen j die bei Schmiederi,
Schlossern zuweilen ins Auge fliegeh, entfernt man am besten dadurch,
dass man einen starken künstlichen Magnet nahe an die leidende Stelle der
Cornea häU; M.), appllcire Blutegel um den Innern Augenyvinkel und suche
<lurch Umschläge von kaltem Wasser , Bleiwasser , Zertheilung zu bewirkert'.
Ist das Übel schon mehrere Tage alt und ist bereits Eiterung eingetreten^
so befördert man dieselbe durch warme Umschläge von Semmeikrumen , in
Milch gekocht, und zeigt sich Fluctuation , so öffne man mittels einer fer-
nen Lanzette Die Umschläge werden, bis die Härte verschwunden ist , fort-
gesetzt, und dann die Cur durch Eintröpfeln einer schwachen Solutio zin«
sulphürici beendigt. Das Übel ist, selbst wenn Eiterung eintritt, unter sol-
cher Behandlung nicht von schlimmen Folgen. 2) E. ajwstemaiosa ; ist Aus-
gang der E. inflammatoria ; s. d. Art, 3) E. fungosa. Die fungöse An-
schwellung der Thränencarunkel folgt zuweilen auf die entzündliche Encan-
this. Sie ist eine Hypertrophie der Thränencarunkel, begründet in Wuche-
rung des Zeilstofüs. Symptome. Unschmerzhafte, weiche Geschwulst von
ENCATALEPSIS — ENCEPHALALGU 603
r^ther Farbe und ebener, glatter Oberfläche , welche ; sich flugelartig nach
oben und unten unter das obere und untere Augenlid verbreitet. Die Grösse
der Geschwulst ist die einer Haselnuss bis zja der eine^ Taubeneies 5 sie rag-t
dapn nus dem innern Augenwinkel hervor und ; vechindert das SpljU^^s^i der
Augenlider. Nun folgen stechende Schmerzen , die bei Bewegung der Afi^
genlid^r sich vermehren, der Augapfel wird empfiodlich- die Augenlidiläader
werden roth, die Schleiriiabsonderung vermehrt 'sich.'' Es bilaeit'^ich auf
dfer Geschwulst Erosionen, die Farbe derselben wird dunkelblau, der Schmerjs
heftiger, und zuletzt artet das Übel in Krebs aus. 'Ursachen sind: all-
gemeine scrophulöse Diathese, gänzliche VernachläsSiguög' der nieht gehörig
zertheiUen Entzündung dieses Organs. Die Prognose ist nur bei gäriz^
Jicher Vernachlässigung oder fehierhafter Bel\«|MHitt\g;iungünstig. — ^ Cur.
Bei frischem Übel gelingt dui^cb Ansetzen von ßlutegfein-uni den innern Aü^-
genwinkel, durch lauwarme Umschläge voh i^tj. saturn'uia, bei Schmerzen
mit Zusatz von Tinctura opii, durch Mercurialeinreibf^agen um d^n innera
Augenwinkel, durch Bepinseln der Geschwülst mit Qpiyjntinctür , die Zer-
tbeilung. Ist die Geschwulst aber schon von der Grösse einer Hasejnu^,
so hilft diese Cur nichts mehr ; man trägt hier die Geschwulst auf. e|n^,ifi
Messer oder der Scheere ab, welche Opei-ation weder schmerzhaft, noc^ ge-
iahrlich ist. Man schneidet, indem man mit einer Pincette die Geschwulst
hervorzieht, mittels der Cooper'schen Scheere reicjilich die Hälfte derselben,
bei grosser Encanthis selbst zwei Drittheile weg. Nimmt man mehr weg,
so folgt leicht Rhyas. Nach dfer Operation lasse man die Wunde stärk aus-
bluten und schlage dann Umschläge von kaltem Wasser oder ßleivvasser
über. Ist später die Wunde in Eiterung übergegangen und aller Schmerz
verschwunden , so heile man durch Eintröpfeln von schwacher Sblut.' zinci
sulphurici. Das Verfahren mancher Wundärzte, statt der genannten Ope'-
ration durch Ätzmittel die fungöse Geschwiflst. w'egzuschaffen , ist sehr zu
tadeln , indem das Übel dadurch leicht krebsartig wird und dann immer
neue und grössere FungQ§itätßn hervorschiess^n, 4) £. scirrJiosa ef- ^ap^ciiio-
malosa , Krebs der Thr änencarun t el. Symptome de^ Scirfhqs
sind: eine feste, unebene, höckerige, elfenbeinartige, höchst empflndli^^
Geschwulst mit einzelnen varicösen Gefässen, dunkle, bläuliche f'arbo der-
selben, germge Zunahme ihres Umfangs, oft" selbst Kleiner- unä'Häfter,-
werden derselben mit Zunahme der Schnierzen , die periodisch k'oriimen,
flüchtig, stechend sind und beim Versuche, die Augenlider zu schliessen,
zunehmen. Die innere Seite des Augapfels erscheint in P'olge der Gefäss-
varicositäten dunkehoth. Später werden die Schmerzen brennend , wie vpfi
glühenden Kohlen, es zeigen sich missfarbige Bläschen auf der Geschwülst,
diese bersten und hinterlassen auf dem scirrhösen Boden bösartige GesQh,würe,
mit deren Erscheinen das Garcinöm oder krebsgeschwür sich ausbildet. — •
Ursachen sind: die allgemeinen des KreKsesv 'verschiedene Kachexien und
darneben als Concausa eine fehlerhafte Behandlung der Encanthi* fungosh
durch erregende, ätzende Mittel. Prognose. Ist ungunstig. Cur. Ist
der Scirrhus noch in der Bildung begritfen , so operlre man; wie bei En-
canthis fungosa angegeben worden. Ists schon Oarcinom, so hilft selbst dite
totale Exstirpation der Thränencarunkel nichts inehr. Hier bleibt, um deft
Kranken zu retten , nur die Exstirpation des ganzen Auges übrig. Da aber
das Sehvermögen noch la»ge Zeit bei diesem Carcingm \ingetrübt bleibt, so
entschliessen sich selten die Kranken dazu. In diesem Falle bleibt nur eine
sanfte, nicht reizende Cura palllativa übrig. S. Cancer.
Gncatalepsi.S , Starrsucht, s. Catal«psis.
Encauisis, Verbrennung, s. Combustio. •'
Encepbalalg^ia, Hirnleiden, tiefer KopfscTitherü wegen irgend eines
Hirnleidens (s. Cep hal algia) ; daher man folgende Arten unterscheidet:
Encejjhalalgia cruenta , vitiosa, fehricoines , hydropicn, inf^nmmatoria , mecha-
mca, nervosa, pUlJwrica, purulenta, traumatica, je nachdem Bhitextravasat
im Gehirn , organische Hirnfehler, Fieber, Hirnwassersucht, I&nentzün-
604 ENCEPHALELCOSIS — ENCHRISTUM
düng, Verletzung, Eiterung, Plethora etc. zum Grunde liegen. iC^itTr' Ist
natürlich nach den Ursachen sehr verschieden. Kann man dieäfe entfernen,
60 verschwindet das Symptom von selbst.
XJncephalelcosis, inneres Kopfgeschwür, Hirngeschwür, s. In-
flammatio und Malacosis.
Encephalitis 9 Hirnentzündung. Ist im engern Sinne blos Entzün-
dung des Gehirns, im weitern Sinne auch Entzündung seiner Häute; s. In-
Clammatio cerebri et meningum, und Hydrops cerebri acutus.
'i Encephalocele » Hirnbruch, s. Hernia cerebri und Fungus
durae m at r is.
EncephalodialysilS, gänzliche Auflösung der Hirnmasse zu breiar-
tigem Wesen; s. Malacosiscerebri. Andere nennen, weniger richtig,
ebenso eine tiefe Verwundung des Gehirns. '
Encephaloides, Enccphalodes (tumor seu massfi). So nennt Xrten-
nec den Markschwamm , weil er in Hinsicht der, Structur , des Ansehn« und
der chemischen AnälySe mit der Hirnsubstanz Ähnlichkeit hat. S. Fungus
medull aris. . : .
Encephalolithiasis, Steinbildung im Gehirn. Steine und
Gries hat man nicht selten im Gehirn Apoplektischer, Epileptischer, Wahn-
sinniger etc. gefunden , besonders in der Zirbeldrüse. Da man sie aber
häufig auch bei Gesunden angetroffen hat , so ist man über ihre pathologi-
sche Bedeutung noch nicht im Reinen (^Morgagni, Lieuiaud, BaiUie^ Gre-
ding, Portal, Sömmcrring , IVenzeJ^.
Encephalomalacia » Gehirnerweichung , s. Malacosis ce-
rebri.
Encephalopathia, Hirnleiden. Ist die allgemeine Benennung
für alle pathologische Zustände des Gehirns.
Cjncepbaloplitharsia, Verdcrbniss des Gehirns durch Erweichung,
Eiterung etc. , s. Gastromalacia und Enteromalacia, desgl. Mala-
cosisencephali.
XiACephalophyma , Hirngeschwulst, Aftcrproduction im
Gehirn. Zuweilen tritt hier die Geschwulst von Innen heraus durch die
Hirnschale, ist schmerzlos, weich, umgrenzt, und von äussern Bedeckungen
eingeschlossen. Gewöhnlich liegt ein tieferes Leiden zum Grunde , daher
das Übel meist unheilbar ist. In den meisten Fällen ists der unheilbare
Hirnschwamm, falschlich Hirnbr\ich genannt (s. Füngus durae matris,
cerebri).
Encephalopyosis , s. Abscessus aurium.
£ncephalorrha§^ia, Hirnblutfluss, z.B. bei Verletzungen des
Gehirns ; auch die Blutergiessung bei Apoplexia sanguinea , bei Insultus epi-
lepticus in den Hirnhölilen, die sich durch die Symptome des Drucks aufs
Gehirn zu erkennen giebt, könnte man so benennen. Dieser Druck aufs
Gehirn erregt keine wirkliche Schlafsucht , sondern nur Zufälle , die dieser
ähnlich sehen (s. Schmäleres Schrift über idiopathische, chronische Schlaf-
sucht; Hirsf^iberg, 1829; und den Artikel Carus).
Encephaloscopia , die Untersuchung des Gehirns, des
Schädels, welche bei Kopfverletzungen, Commotio cerebri, bei Extrava-
sat im Schädel und um die Nothwendigkeit der Trepanation zu erforschen,
höchst wichtig ist. S. Auscultatio, Commotio cerebri, Vulnus
capitis, cerebri.
KincephaloBismu» , Hirnerschütterung, s. Commotio cerebri.
XInceplialotrauina, Hirnwunde, s. Vulnus cerebri.
Eincharaxis, das Schröpfen, s. Scarificatio.
Encliristuin. Ist ein Mittel zum Einreiben, ein Liniment, eine
Salbe etc.
ENCLYSMA — ENTERODIALYSIS 605
Knclysma, das Eingespritzte, das Klystier, s. Clysma.
CLncoelialg^a, Bauchschmerz, Schmerz im Unterleibe. Auch
die Bauchentzündung, Entzündung einzelner oder mehrei'er Baucheingeweide
(Encoelitis) nennt man so.
KncoelitiiS, s. Encoelialgia.
Endemia» die Endemie, d.i. einheimische Krankheit, Lan-
deskrankheit, welche bestimmten Gegenden eigen ist; so z. B. ist der
Weichseizopf in Polen, die Lepra nodosa in Ägypten, die Tertiana und
Quartana in Holland , Seeland , Mantua etc. Morbus cndemius , falschlich
endemicus genannt.
Endermosiis, Emlcrmismus, die Endermie, d. i. die Methode,
mittels der endermischen Manier äusserlich Arzneien anzuwenden, S. Frictio»
Slndodontitis » s. Odontalgia.
Ejiidosmosiis , s. Exosmosis.
Enecea, Enecin {felris), das anhaltende Fieber, s. Fe bris.
Enecbieiuia, Bomhus, Tinnitus aurium, Ohren kl in gen. Ist Sym-
ptom mancher Nervenübel, besonders der Hysterie, Katalepsie, Epilepsie,
wo es dem Insultus kurz vorherzugehen pflegt. Auch bei der nervösen und
rheumatischen Taubheit quält es oft Tage lang den Kranken (s. Copho-
ßis). Am häufigsten ist es rheumatischer und katarrhalischer Art, Vorläu-
fer des Schnupfens. Cur. Innerlich Antihysterica , Diaphoretica , Mittel
gegen die Taubheit: besonders Vesicantia, Derivantia, das Tragen von
Baumwolle in den Ohren etc. , je nachdem die Ursache verschieden ist.
dnerg^ia» die Thätigkeit, Energie, Thatkraft; ein häufig
gebrauchtes Wort in der Pathologie, das auch hier, wie im gemeinen Le-
ben, Kraft mit Ausdauer, sowol körperliche (besonders im Muskelsysteme),
als geistige (Willenskraft, Ausdauer) bezeichnet.
fingeisoma, s. Egizoma.
Enorinon (lö ivoQfxdiv). Ist nach Hippohrates die innere Lebens-
thätigkeit, die Lebenskraft , also dasselbe, was HelmonVs Archaeus, StaJiVs
Anima, die Vis plastica der Scholastiker, die Vis vitalis, der Grund des
Lebens, das unbekaante X desselben ist.
Knostosis, Knochenwucherung nach Innen, in die Markhöhle hinein,
s. Exostosis.
Enpiesma, eingedrückte Stelle, z. B. am Kopfe.
Enteralg^ia , Darmschmerz , s. C o 1 i c a.
Enter algia acuta, inflammntoria. Ist Enteritis.
Enter nlgia physodes, Ist Colica flatulent a.
SJnterang^emphraxia , Verstopfung der Darmgefasse, s. In-
farctus.
Enterelcosis, Darmgeschwür, s. Typhus abdominalis.
Euter epiplocele, Netzdarmbruch, s. Hernia inguinal] s.
Enterepiplomptaalocele, Netzdarmnabelbruch, s. Hernia um-
bilical is.
CSnteritifil» Darmentzündung, s. Inflammatio intestinorum.
Enteritis mesenterica , s. Inflammatio mesenterii.
Enterocele, Darmbruch, s. Hernia intestinalis.
Enterocystocele, Darm- und Harnblasenbruch, s. Hernia in-
testinalis et vesicalis.
UnterocystOfilClieocele* Ist eine Enterocystocele im Hodensacke.
Enterodialysis , gänzliche Durchtrennung eines Darms , z. B.
durch Verwundung, Brand; s. Vulnus intestinorum und Hernia in-
carcerata.
0^ ENTEROGASTROCELE - ENTHEOMANIA
Knterog'ai^trocele , s. iHernla abdomirtalis. '•'^
iBnterolitbiasis, Steinbildung im Darmcanale, fc^Ä im
Processus veriuilorniis ; findet zuweilen bei Status pituitosus statt^
SiBteromalacia, gallertartige Erweichung und daher entstehende'
Durchlöcherung der Gedärme; s. Gastromalacia.
Cinteromerocele 9 s. Hernia cruralis.
Enteromesenterica (fehris). So nennt Petit die Febris adynä-
Ituca, die Dothinenteria, den Typhus abdominalis.
Slnterompbalus, Nadeldarrabruch , s. Hernia umbilico- in-
testinalis.
Sinteropatbia, Darmlciden; Gattungsname für alle Krankheiten
der Eingeweide, besonders der Gedärme.
Enteropyria {fehris), das Dar mentzündungsfi eher, nach
Alihcrt, was Baglivi Febr. mesenterica und Petit Febr. enteromesente-
rica nennen.
!Kinterorrbag^ia, Blutfluss aus den Gedärmen, z. B. bei der
Rtihr , bei Hämorrhoiden , Melaena etc.
JBntero,sareocele» Darmfleischbruoh , s. Hernia scrotalls c&t-^
ridsa und Hernia intestinalis.
£iiter08Cbeocele , Darmhodensackbruch, s. Hernia scrotalis.
Knterospbigfina , Darmeinklemmung , s. Ilöus, Hernia in-
car cerat a.
ESntei^tomia, der Darmschnitt, auch Laparo - Enter oiotnin ge-
nannt. Ist diejenige wichtige und oft gefahrvoll ablaufende Operation, wo
rakn von der Bauchwandung her erst die Bauchhöhle öffnet , und alsdann ir-
gend einen Darmtheil, um sich zu dessen Höhle einen Weg zu bahnen.
Geschieht diese Operation am Magen, so heisst sie Gastro tomie oder
Laparo-Gastrotomie, ists das Colon: Colo tomie. In einzelnen Fällen
nur glückte dieser kühne Eingriff in den Organismus , in den meisten war
das Resultat dagegen schlecht; dies ist auch der Grund, warum Delpech
diese Operation ganz aus dem Gebiete der Chirurgie verbannt wissen will,
weil so häufig Enteritis, Peritonitis und Tod darauf folgt (s. Delpech, Pre-
cis elementaire , Bd. II. , p. 67 u. f.). Man hat als Indicationen da^u ange-
nommen verschiedene Zustände: 1) um fremde, durch den Mund und After
eingedrungene und festsitzende Körper, wenn sie lebensgefährliche Zufalle
erregen und auf andere Weise nicht entfernt werden können , dadurch weg-
zuschaffen, z. B. Messer, Stücke von Holz, Knochen, Glas, Gabeln, Nä-
gel, Steine, Münzen, Obstkerne; 2) um organische Stricturen, Verwach-
sungen des Darmcanals wegzuschaffen , z. B. bei hohen Stricturen des Mast-
darms (^Pring in London med. and physical Journ. , Jan 1831 ; Rusl's Ma-
gazin, Bd. XIII. S. 105). 3) Um Entartung und Brand des Darmcanals
bei eingeklemmten Brüchen zuvorzukommen. 4) Bei Atresia ani und völli-
gem Marigel des Rectums. Bei 3 und 4 sind die Indicationen ganz vorzüg-
lich gerechtfertigt , bei 2 ist der Ausgang, ebenso wie bei 1, sehr unge-
wiss. — Ein hoher Grad von Entzündung , Schw äche , Entkräftung und die
Ungewissheit über den Sitz des verschluckten fremden Körpers sind Con-
traindicationen. Das ganze Verfahren bei und nach der Operation bis zur
Heilung hat F. A. Wilde in Rusfs Handb. der Chirurgie, Bd. VI. S. 248 —
256 genau angegeben. Dass oft zwei und mehrere Fuss Länge der Ge-
därme ohne Schaden entfernt werden können, hat noch kürzlich mein akade-
mischer Freund, Dr. Steinmetz, bewiesen (s. Rust^s Magazin, 1828).
Bnterydrocele » ein Darm- und Wasserbruch. Hier sind die
Symptome der Hydrocele und Hern, intestinalis.
Entbeomania » der religiöse Wahnsinn. Ist eine Art Fana-
tismus, der sich nur auf religiöse Gegenstände bezieht, denn in Beziehung
ENTOPH'FÖALMIA — EPAGOGHTIS 607
atif andere ÖInge sind die Kranken oft ganz vernünftig. Ursachen sind:
Ausschweifungen in Venere, zumal in der Jugendzeit, einseitige Geistesbil-
dung, der Umgang mit unsern modern«», von Heuchelei und Scheinheilig-
keit eingenommenen Pietisten. Cur. Umgang mit vernünftigen, prakti-
schen Menschen, viel Körperarbeit, das Studium der Geographie, Weltge-
schichte und Physik , Musik.
EJntophthalmia. Ist Ophthalmia interna.
Entophthalmorrboea. Ist Blutiluss aus dem Innern des Auges.
Entotorrhoea. Ist Otorrhoea interna.
£ntoxicatio, Vergiftung, s. Intoxicatio.
Entoxicismus, Entoxismus, Vergiftung, s. Intoxicatio.
Slntozoogenesis. Ist Erzeugung der Eingeweidethiere.
Entropium, Palpebrarum plosis , Einwärtskehrung der Au-
genlider. Jst das Gegenstück zum Ectropium, kommt häufig an beiden
Augenlidern , besonders bei armen Leuten vor ,, die sich bei Augenübeln
nicht gehörig schonen können und sich dabei viel im Freien beschäftigen
müssen; desgleichen bei sitzender Lebensart, bei Schreibern , Gelehrten.
Meist bildet sich das Übel allmälig , dauert dann Jahre lang , wird erst be-
schwerlich und gefährlich durch hinzukommende Trichiasis, wo dann durch
den Reiz, den die Augenlidhaare auf den Bulbus machen, Corneitis , oft
völlige Verdunkelung der Hornhaut folgt. Ursachen. Man hat als solche
Verlängerung der äussern Haut des Augenlides , zu starke Krümmung des
Tarsus angesehen , was aber mehr Folge als Ursache ist. Die vorzüglichste
Ursache ist zu grosse Empfindlichkeit für Licht durch vorangehende Ent-
zündung , wodurch Krampf und ein Übergewicht des Musculus orbicularis
im Gegensatze zum Levator palpebr. errfegt wird (Himly). In seltenen Fäl-
len ist Atrophia ocuK , äussere Geschwulst des Augenlides Schuld. Cur.
Man verhütet das Übel am besten dmrch richtige Behandlung jeder Augen-
entzündung. Oft liegt dieser, wie dem Entropium , Gicht, Scrophulosis zum
Grunde, deren innere Behandlung die Hauptsache ist, sowie das Abhalten
der Lichtstrahlen , sobald bei Angenentzündungen Lichtscheu stattfindet. Um
das Entropium zu heilen , operirt man es gewöhnlich so , dass man ein ei-
rundes Stück aus dem Augenlide schneidet und es dann mit Nadel und Fa-
den genau heftet, wodurch das Augenlid schmaler wird. Häufig hilft aber
alles Operiren ohne die innere Behandlung des Grundübels nichts. A\ich die
Versuche, das Augenlid durch Heftpflaster anhaltend nach Aussen zu ziehen,
fruchten oft wenig, leisten meist nur palliative Hülfe; selbst die Methode,
den Tarsus durchzuschneiden , ist nicht immer wirksam. Zuweilen ist Er-
schlaffung und Ausdehnung der äussern Hautdecken und vielleicht auch des
Hebemuskels des obern Augenlides die Ursache des Entropiums. Hier ätzt
man mit ein paar Tropfen Acid. sulphuric. concentr. Y4 Zoll weit vom Rande
des Augenlides die äussere Haut in einem schwachen Querstriche. Man
trägt die Säure mit einem Glasstäbchen auf und sorgt, wenn es das Ober-
augeiilid ist, dafür, dass das Auge durch hinreichende Charpiebedeckung
vor der Säure völlig geschützt ist. Während der Einwirkung der Säure
wird das Augenlid ein paar Minuten vom Augapfel ab- oder aufwärts ge-
zogen. Ein weiterer Verband ist unnöthig ; die sich bildende Kruste fällt
nach 6 — 10 Tagen ab. Leichte Grade des Übels sind durch einmalige
Ätzung geheilt; in schlimmem Fällen wird dieselbe wiederholt (s. HelHmjf
Handb. d. Augenkrankheiten, Bd. I. S. S09', Hufeland'' s Journ. , Bd. XL.
S. 98). — Ist ein Tumor cysticus auf der äussern Fläche der Augenlider
Schuld, so muss man diesen exstirpiren; ist Ödem Ursache des Entropiums,
so zertheilt man dieses durch aromatische und spirituöse Infusionen.
Enucleatio« s. Amputatio.
Enuresis, Unvermögen, den Harn zu halten, s. Incontinentia
urinae.
Epag^ogUtis. Ist Inilammatio praeputü.
608 EPANASTASIS — EPHEMERA
EpanatstasiSy das Aufstehen, Erheben, daher der Ausbruch d-
nes Exanthems, das Entstehen einer Geschwulst.
Eplielcis. Ist die Decke, der Schorf eines Geschwürs (^Galen).
£plielides« Vitiligines , Lentigines, Phaci (fPaxoi), Maculae solares,
Sommerflecken, Sommersprossen. Sind die bekannten gelbbräun-
lichen Hautflecke, die bei Personen mit zarter Haut im Sommer an unbe-
deckten Theilen: im Gesichte, am Halse, an den Armen vorkommen, und
im Winter meist wieder verschwinden. C u r. Das wichstigste Mittel ist,
dass man die Sonne abhält, dass man sich durch weisse leinene Tücher,
durch weisse Sonnenschirme schützt. Ausserdem räth man an : das Einrei-
ben der Haut mit reinem Mandelöle, das Waschen mit Aqua petroselini, mit
Serum lactis, mit Lac sulphuris; noch wirksamer ist eine Solutio aluminis,
oder Vitrioli albi , oder eine schwache Sublimatsolution ; desgleichen : V^f Spi-
rit. catnphornt. 51, Emuls. amggdalar. y]. M. S. Unter das Waschwasser
1 Esslöffel voll zu mischen. Das Waschen mit Milch, mit Flusswasser, mit
Boraxsolution , und daneben alle Abende das Einreiben der Haut mit Opo-
peldoc ; desgleichen : ^> E7nuls. anvjgdal. nmarar. et dulc. ^yj , Bnracis ve~
netße 3jj- M. S. Davon täglich 2 Esslöffel voll unter das Wasch wasser
(^KJees) zu mischen, wird sehr empfohlen. Sehr ähnlich sind den Sommer-
sprossen die grössern Leberflecke (Chloasma, Maculae hepaticae}, die ebenso,
wie jene, einzelne Hypercarbonisirungen der Haut sind. Bei Frauenzimraeni
hängen sie oft mit Menstruationsfehlern zusammen (Chloasma amenorrhoi-
cum), sowie überhaupt mit Störungen in der Function der Leber, wogegen
innere Mittel zu gebrauchen sind. Die äussere Behandlung ist die der Som-
mersprossen. Zuweilen ist hier das Waschen mit Acid. muriat. oxygenat.
sehr wirksam (Af.). Die Cur der Sommerflecken bleibt trotz der Menge
der dagegen gerühmten Mittel oft erfolglos. Am besten ists sie bei Perso-
nen , die im Sommer daran leiden , im Frühling , wo sie meist zuerst durch
Einwirkung der Sonnenhitze wieder kommen, zu verhüten. Man wäscht
deshalb das Gesicht häufig mit kaltem Wasser, worin Eiweiss xaii etwas
Alaun oder Saccharum satumi aufgelöst ist. Sind sie schon da, so wirkt
P. FranVs Massa abstergens oft sehr gut. Sie besteht aus Folgendem:
I^ Amygdal. amarar. cont. ^jjj, Nucleor. pini gjj, Meli, depur. ^j, Vitell.
ovor. Nr. II. Mise. S. , davon täglich eine Bohne gross in warmem Wasser
zu lösen und das Gesicht etc. damit zu waschen. Zugleich ist es gut, alle
2 — 3 Tage ein gelindes Laxans aus Crem, tartari , Flor, sulphuris und
Rheum, bei vollblütigen Personen nur aus Sal Glauberi zu geben. Berthold
(Lehrbuch der Physiologie des Menschen , Th. II. S. 505) sagt : ,,Ich habe
öfters Sommersprossen so exstirpirt, dass ich mit einem Messer Epidermis
und Rete Malpighi zerstörte, worauf dann hinterher stets eine weisse, nie
eine gelbe Farbe entstand." Bei sehr zahlreichen Sommersprossen möchte
indessen diese Operation etwas Zeit erfordern und viel Schmerz machen.
Über die Entstehung dieses Hautübels sagt Berthold (a. a. O. Th. I. S. 378):
„Die Sommersprossen entstehen nur an Hautstellen , an welchen ein ausge-
tretenes Tröpfchen Schweiss vermöge seiner sphärischen Gestalt die Licht-
strahlen in einem Focus bricht, welcher gerade in das Malpighische Schleim-
netz fallt." Alsdann könnte man, was zu versuchen wäre, auch mittels ei-
nes Brennglases durch die Sonnenstrahlen Sommersprossen machen. — Nach
C. O. Neumann (Krankheiten des Menschen, Bd. III. Berlin, 1834) ver-
hütet und heilt das Waschen mit Tinct. hellebori albi , dreimal täglich , so-
■wol Sommersprossen als Leberflecke. Rothe Flecke vergehen nach Kam-
pherspiritus, kommen sie bei alten Personen vor, so nützt die Salbe aus
Plumbum tannicum. Gegen den nicht von Innern Ursachen herrührenden
Kupferausschlag lobt Neumann Einreibungen von Opodeldoc. S. auch
Cosmetica.
Ephelides scorbuticae, sijphiliticac , mercuriales, s. Scorbutus und Sy-
philis.
Ephemera« eintägiges Fieber mit gelind synochischem Charakter;
8. Febris ephemera.
EPHIALTES — EP1DIDY3IITIS 609
EpJiemera infammnioria, Ist der höhere Grad der Ephemera; s. Fe-
bris iiiflammatoria.
Slphialtes. Alpdrücken, s. Asthma nocturnum.
EplkiArosis» starkes Schwitzen, übler, nicht kritischer Schweiss
wegen Schwäche des Körpers und besonders des Hautorgans, z. B. im Sta-
dium colliquativum der Phthisis pulmonalis, der Tabes, Febris hectica. Cur.
Man behandle das Grundübel. Einige Tassen Salbeithee, Abends kalt ge-
trunken , sind hier gegen die schwächenden Schweisse oft sehr nützlich.
Kpiala (febris), ein bösartiges Fieber mit heftigem Froste und
(oft gleichzeitiger) gelinder Hitze.
Kpicanthiis. So nennt v. Amman (s. dess. Zeitschrift f. Ophthalr
mologie Bd. I. Hft. 4. S. 533) einen meist angebornen Fehler des innern
Augenwinkels, wo wegen Überfluss an Gesichtshaut sich auf dem Augen-
winkel eine Falte bildet, wodurch das Öffnen der Augen beschwerlich wird.
Er wendet dagegen mit Glück eine Operation an , die er RJiino^rnphe nennt
und a. a. O. beschrieben hat.
Epicerastica (^remedia}, mildernde, verdünnende Mittel, s. Di-
luentia. .
Kpicophosis , Taubheit, als Folge anderer vorhergegangener Krank-
I>piten, z. B. des Typhus; s. Cophosis.
Eptcrasis, d. i. langsames Zumischen; die Methode, durch
allmälige gelinde Abführungen, kleine Aderlässe die wirklichen oder ver-
meintlichen Schärfen in den Säften nach und nach zu verdünnen.
Xipicrisis, die Epikrise. Ist die wissenschaftliche Beurtheilung
eines Krankheitsfalles in Hinsicht auf Ursprung, Ausbildung, Charakter, Be-
handlung und Ausgang der Krankheit. Seltener gebraucht man das Wort
für diejenigen Erscheinungen, welche zu einer bereits erfolgten Krise hin-
zutreten.
Epicyeina. Ist eine Mola neben einer Leibesfrucht; ein seltener Fall.
EpicyesiSj Überfruchtuhg, s. Superfoetatio.
Epidciiiia, die Epidemie, Volkskrankheit. Die epidemischen
Krankheiten entstehen von allgemein wirkenden Ursachen, können zu allen
Jahreszeiten herrschein , bald nur in einem Orte , bald in mehreren Ländern
und Gegenden, selbst in ganzen Welttheilen, wovon die Influenza und Cho-
lera orientalis Beweise geben. Sie ergreifen bald nur ein gewisses Alter
und Geschlecht, bald jedes Alter, sind bald gelind, bald geföhrlich; wo sie
dann die grössten Zerstörungen unter dem Menschengeschlechte laut der
Geschichte anrichteten und noch anrichten. Häufig liegt ihnen ein thieri-
sches Gift, ein Ansteckungsstoff, der von einem thierischen Organismus zum
andern übertragen wird (Contagium), zum Grunde, ebenso oft aber auch
nur eine schädliche Lnftbeschaffenheit (Miasma), ja es giebt Epidemien,
die zugleich miasmatisch und contagiös sind. So z. B. ist die epidemische
Ruhr zu Anfange meist miasmatisch, wird aber durch zufällige Schädlich-
keiten später oft contagiös, ebenso ists mit Scarlatina, Keuchhusten und
Cholera asiatica der Fall. Ob überhaupt Contagium und Miasma in der
Natur so streng geschieden sind, als in uusern ins Abstracte gehenden Com-
pendien,, dies ist noch eine grosse Frage. Unter die epidemischen Übel
rechnen wir: Pest, Cholera morbus, gelbes Fieber, bösartige Typhus- und
Faulfieber , Petechialfieber (KriegSpest) , Blattern , Masern , Scharlach , Rö-
thein, Varicellen, Varioloiden, die Frühlings- und Herbstkatarrhalfieber,
Schleimfieber , Gallenfieber , den epidemischen Katarrh (Influenza) , manche
Arten von Angina, die Surapffieber (wenn sie ihre endemische Grenze über-
schreiten), die Frühlings- und Herbstwechselfieber etc. (s. auch Morbus,
Contagium, Miasma).
- I EpididyniitiiS , ' entzündliche Anschwellung des Nebenhoden. Ist
häufig neben der Entzündung des Testikels da (s. Inflam matio tcsti-
culi und Gonorrhoea). '
Most Encyklopädie. 2te Aufl. 1. 39
610 EPIDROME — EPILEPSIA
Epidromc» Congestion der Säfte, besonders des Blutes; s. Con-
gestio.
SJpigenesis, die spätere Erzeugung, das Hinzutreten einer
Krankheit zu einer andern, die beständig fortdauernd gedachte neue Erzeu-
gung, wie z. B. bei der Generatio aequivoca. Da das Leben ein fortwäh-
rendes Leben und Streben, Schaffen und Zerstören, also ein ewiges Wer-
den ist, so muss dies auch beim kranken Leben, also bei den Krankheiten
der Fall seyn. So ist demnach jede Krankheit etwas Werdendes, in "Bil-
dung oder Rückbildung stets Begriffenes , ein eignes Seyn , ein niederer
Lebcnsprocess, der nicht an sich, nur durch Krankheitssymptome erkennbar
iit, deren Wechsel (Zunahme, Abnahme) für das raschere oder langsamere
Leben der Krankheit zeugt, und absoluter Stillstand ist bei der Krankheit
nicht denkbar. Wie wichtig die Epigenese der Krankheiten für den prakti-
schen Arzt ist, bedarf daher keines Beweises. Sie erinnert ihn daran, dass
er am Krankenbette nie die Krankheit ebenso finden kann, als sie in den
Handbüchern der Medicin beschrieben steht, dass letztere nur ein Bild, ein
Schema der Krankheiten entwerfen können , welches den Krankheiten in der
Natur mehr oder weniger ähnlich sieht, dass die Natur die Krankheiten
nicht so trennt , als dies behufs der Wissenschaft in den Schriften der Ärzte
geschehen muss, dass sich in der Natur nirgends Gattungen und Arten der
Krankheiten finden , sondern dass diese nur reine Verstandesbegriffe sind,
wodurch ein gewisser Zustand der Lebensmetamorphose, keinesweges das
Leben selbst bezeichnet A-vird, Welcher Arzt wird z. B. nicht unter den
Kyanosen : venöse Congestionen , venöse Blutungen , Petechiae secundariae,
Morbus haemorrhag. Werlhofii, Stomacace scorbutica, Scorbut etc., dem
Wesen nach eine Krankheit erkennen, die nur dem Grade nach verschieden
ist? Ebenso ists der Fall mit vielen andern Krankheitsgruppen. Die Epi-
genese lehrt ferner, dass es die erste Pflicht des Praktikers sey, sich nicht
durch Nebensymptorae, die in der nächsten Stunde von selbst verschwunden
seyn können, von der Hauptsache, von den wesentlichen Symptomen der
Krankheit ableiten zu lassen und ein unglückliches symptomatisches Heilver-
fahren in Anwendung zu bringen, das der Ursache, dem Wesen der Krank-
lieit nicht entspricht, das Übel selbst vvol hartnäckig, ja tödtlich macht etc.
S^pig^lottitis, Kehldeckelentzündung, s. Angina epiglottidea.
Slpij^^lottorrhag^ia, s. Haemorrhagia pulmonum.
Sipilppsia, Mor'btis caducjt^ , comithiUs^ herculens, lu7iniicits , sacvr,
d'wintis, viridellits, Calopto^is, Ahhp.rin, Anrilepsin, F'allsuclit, Epilepsie,
Jammer, böses Wesen, schwere Noth. Diese traurige Krankheit,
die so häufig durch ihre Hartnäckigkeit und Unheilbarkeit aller Kunsthülfe
Trotz bietet, war seit vierzehn Jahren ein Gegenstand, den ich näher zu
erforschen und zu behandeln vielfache Gelegenheit halte (s. meine Schriften:
„Über ein neues etc. Heilmittel der Epilepsie etc. Hannover 1821" und:
„Über die Heilkräfte des Galvanismus etc. Lüneburg 1823;" desgleichen
Leipz. Abhandlungen f. prakt. Ärzte. 18 ?5. Bd VRI. St. 4 u. 5; Hom's
Archiv, 1825. Mai- u. Juni-, Juli-u Augustheft). Ich werde hier daher
das Pathologische und Therapeutische des Übels zuerst schulgerecht skizzi-
ren, und alsdann meine, an mehr als 400 Epileptischen gemachten Erfah-
rungen in der Kürze der Hauptsache nach folgen lassen. Die herrliche
Schrift PorlaVs über diese Krankheit, übersetzt' 1828 von Dr. HiUc, empfehle
ich ganz besonders zum Nachlesen. — Die Epilepsie ist eine sogenannte
periodische Nervenkrankheit, die bald grössere, bald kleinere freie Zwi-
schenräume macht, so dass der epileptische Aufall bald nur alle 2 — 3 Mo-
nate, bald nur alle 4, 3, 2 Wochen, bald alle 8 Tage, bald täglich ein-
oder mehreremal eintritt. Der Anfall äussert sich bei ausgebildetem Übel
(Epil. perfecta) durch Mangel an Empfindung und Bewusstseyn, und durch
eine Verbindung tonischer und klonischer Krämpfe (s. Spasmus). Sym-
ptome. Sie sind theils solche, welche constant sind (Habitus epilepticus,
spaäticus), theils solche, die den Anfällen vorhergehen, theils solche, die
' EPILEPSIA 611
den Paroxysmus bezeichnen. Die Physiognomie des Krampfes ist auch bei
Epileptischen wahrzunehmen, wenn das Übel schon alt ist (s. Spasmus).
Vorboten des Anfalls. Nicht immer geht ein Stadium prodromorum vor-
her, das in prognostischer Hinsicht wichtig ist, indem es gerade bei den
schwersten und unheilbai'sten Fällen fast immer fehlt, in leichtern Fällen
dagegen niemals mangelt. Es kündigt sich an durch schwere Träume,
düstere Laune, Verdriesslichkeit, Ideenverkehrtheit, Unbesinnlichkeit, Drän-
gen zum Urinlassen, kleine Zuckungen der Zunge, der Gesichtsmuskeln,
Lebhaftigkeit oder Trübsinn, ungewöhnliche Gesichtsröthe , Aufgeregtheit,
Sinnestäuschungen , Schielen , Flammensehen , Ohrensausen , Ameisenkriechen
in den Gliedern, mit dem Gefühle, als stiege ein gelinder Wind herauf
(Aura epileptica), der bald kalt, seltener warm ist und bis zum Herzen,
bis zum Kopfe geht, oft in den Füssen, häufig auch in den Händen, meist
nur an einer Seite beginnt und dem wahren Insultus kurz vorhergeht. Die-
ser tritt mit dem zweiten Stadium (Stad. convulsivum) ein. Die häufigsten
Zeichen desselben, wovon eins oder das andere in einzelnen Fällen fehlen
kann, sind diese: der Kranke bekommt tonische, später klonische Krämpfe,
verzerrt das Gesicht, verdreht Kopf, Hals und Glieder krampfhaft nach ei-
ner, meist nach der linken Seite, wird blass, braun, blau im Gesichte,
schreit, heult und stürzt zur Erde nieder. Das Auge ist in heftigem Kräm-
pfe, steht starr nach oben oder zur Seite, oder rollt langsam in der Orbita,
der Mund ist meist verschlossen, die Zähne stehen fest auf einander, zer-
quetschen oft die Zunge, oder der Mund steht offen, ist verzogen, verzerrt,
meist nach der linken Seite hin , der Puls geht anfangs höchst langsam,
oder ist, wie das Athmen, mehrere Secunden lang unterdrückt, geht später
schnell, klein, die Respiration wird ängstlich, schnell, am Ende des An-
falls mit Stöhnen , Seufzen verbunden. Viele Kranke haben die Daumen
eingeschlagen und Schaum vor dem Munde. Die Convulsionen sind höchst
verschieden, von den leichtern klonischen Krämpfen bis zum Tetanus, Em-
prosthotonus , Opisthotonus, Pleurothotonus ; die Empfindung und das ße-
wusstseyn fehlen während des Anfalls, der Vs, V4» % his % Stunden währt,
gänzlich. Am Ende desselben tritt das Stadium soporosum ein. Die Kräm-
pfe haben nun bedeutend nachgelassen, der Kranke ist in hohem Grade
reizlos, unempfindlich; er versinkt in einen tiefen, schnarchenden Schlaf,
der oft eine halbe, oft mehrere Stunden anhält. Der Puls wird nun regel-
mässiger, voller, es tritt ein copiöser, ammoniakalischer, höchst widerlich,
riechender Schweiss ein, dabei Leibkollern, Ructus, Flatus, oft Erbrechen
von grasgrüner Galle, verstörter Blick, beim Erwachen grosse Mattigkeit,
Unbesinnlichkeit, oft stammelnde Sprache. Prognose. Ist im Allgemei-
nen sehr schlimm. Die Krankheit , wovon der Anfall nur ein Hauptsyniptom
ist, kann viele Jahre, ja das ganze Leben hindurch währen; der Tod er-
folgt häufig durch Apoplexie, besonders im Frühling, wo die Anfälle am
heftigsten zu seyn pflegen, desgleichen zur Zeit des Herbstäquinoctiums.
Eintheilung. Man hat eine acute und chronische, eine typische und
atypische, symptomatische, kritische und idiopathische, eine Epilepsia cere-
bralis , abdominalis , extremitatum , haereditaria , acquisita etc. angenommen,
welche Eintheilungen bald mehr, bald weniger praktischen Werth haben
(s. unten die Aphorismen), Ursachen. Das Wesentliche der Krankheit
ist Krampf, der vorzüglich vom Gehirn ausgeht , oder wenigstens hier oder
im Rückenmarke seinen Sitz hat. Die von Greding , Morgagni, Wenzel,
Esquirol u. A. zahlreich angestellten Leichenöffnungen zeigten häufig bedeu-
tende Abnormitäten: seröse, blutige Extravasale, Mürbheit der Hirnmasse,
verdickte Hirnhäute, Verdickung und schiefe Stellung der Ossa cranii. Ver-
knöcherungen der Fortsätze der Dura mater, Hydatiden in der Arachnoidea
etc. , im Gehirne ; doch fehlten sie in andern Fällen gänzlich ; häufig waren
sie unstreitig nur Folge des jahrelangen Übels. Auch in der Brust - und
Bauchhöhle fanden sich nicht selten organische B^ehler vor. Reizbare,
schwächliche, zarte Subjecte, das Kindesalter und das weibliche Geschlecht
geben im Allgemeinen wol die meiste Anlage zur Epilepsie, doch finden
*39 *
612 EPILEPSLi
wir auch hfir.fi{2; recht robuste, voUsaflige Männer daran leiden, besonders
da, wo das Übel erblich ist und, wie die ßrfahrung lehrt, dann oft viele
Glieder einer Familie befällt. Gelegenheitsursachen. Sind höchst verschie-
den und thells locale, aufs Gehirn einwirkende, theils allgemeine, die das
ganze Nervensystem pathologisch afficiren. Zu den erstem gehören die
.schon genannten organischen Fehler des Gehirns: Verwundungen desselben
durch Schlag, Hieb, Sturz; Encephalitis mit ihren verschiedenen Ausgän-.
gen; zu den letztern rechnen wir heftige Leidenschaften: Schreck, Zorn,
Freude, Furcht; Entzündungen nervöser Theile, exanthematische Krank-
heiten, schwächende Einliüsse durch Onanie, Wollust, übermässiges Studi-
ren, Trinksucht, unterdrückte Blutungen, Gicht, Rheumatismus, plötzlich
geheilte Geschwüre, chronische Exantheme, Intestinalwürmer, Fehler der
Digestionsorgane etc. Auch die Pubertätsperiode begünstigt bei Habitus
spasticus das Übel. Cur. Man suche 1) das ätiologische Verhältniss der
Krankheit auf und hebe die entfernten Ursachen. Dies ist aber leider nach
dem gegenwärtigen Standpunkte der Heilkunst nicht immer möglich und wir
müssen häufig uns auf die rein empirische Cur beschränken (s. Spasmus),
2) Man suche die einzelnen Anfälle zu vex'hüten , sobald sich die Vorboten
derselben einstellen. Die nächste Ursache des Insultus ist Congestion zum
Kopfe, 4ie selbst bei wenig blutreichen Subjecten bemerkt wird. Man ver-
hüte, daher Alles , was Congestion befördert: Gemüthsbewegungen , heftige
Körperbewegung, geistige Getränke, reizende Nahrung, Leibesverstopfung;
setze bei rothem Gesichte einige Blutegel an den Kopf, verordne gelinde
Laxanzen, reizende Klystiere, reizende Senffussbäder , innerlich viel Limo-
nade, Zuckerwasser, Cremor tartari. Zuweilen verhütet ein Vomitiv den
Anfall {Hkhlcr , M.) etc. o) Man behandle den Kranken während des An-
falls auf die zweckmässigste Weise , schütze ihn vor Körperverletzungen,
vor Verletzung der Zunge , indem man ihm ein aufgerolltes Stück Leder
und dergleichen zwischen die Zähne steckt , löse ihm alle engen Kleidungs-
stücke etc. Das Festhalten der Glieder, das Ausreissen der eingeschlagenen
Daumen , die starken Riechmittel zur Verminderung der Convulsionen sind
schädlich. Auch die innern Mittel können nichts fruchten , da der Mensch
niclit schlucken kann. Äussere Mittel passen auch nicht immer. Die star-
ken Riechmittel vermehren oft die Congestion zum Kopfe , die kalten Kopf-
umschläge unterdrücken die wohlthätige Transspiration und geben oft zu
Erkältinig Anlass. Am besten ists , dass man reizende Klystiei'e., reizende
Fussbäder gleich nach dem Anfalle verordnet, und besonders für frische,
kühle Luft sorgt. Eine bis zwei Stunden nach dem Anfalle bekommt Cha-
niiüenthee mit etwas Wein am besten. 4) Bei den meisten eingewurzelten
Epilep.sien beschränkt sich unsere Hülfe meist nur auf empirische Mittel.
Hier besitzen wir eine grosse Menge sogenannter Antepileptica , die bald
mehr, bald weniger Ruf erlangt haben. Die vorzüglichsten sind: a) Metalli-
sche Mittel: Cupr. ammoniacale, Lapis infernalis, Tinctura arsenicalis Fow-
leri, Plumbum aceticum, Magist. bismuthi, Flor, zinci, Vitriolum album et
coeruleum, Ferrum hydrocyanicum, Zincum muriaticum, Stannum oxydatum;
b) alkalinische Mittel und Mineralsäuren: Ammonium carbonicnm , Lic|. c. c.
succ. , Sal tartari depur., Acid. nitric. , sulphuric. dilut., Elix. acid. Halleri ;
c) vegetabilische Mittel: Belladonna, Stramonium, Nux vomica, Faba St.
Ignatii, Opium, Helleborus niger, Acid. hydrocyanicum, Rad. valerianae,
paeoniae, artemis. vulg. , Fol. aurantior.. Herb, gratiolae, Sedum acre, Chi-
na, Asa foetida, Kampher, Ol. terebinth. , Olea aetherea, Digitalis, Seline
palustris, Campanula graminifolia, Chininum sulphuricum, der Saft von Zwie-
beln , unreifen Trauben etc. ; d) aus dem Thierreiche ; Moschus, Castoreum,
Phosphor, Carbo animalis (M.), Cantharides, Ol. aniniale Dippelü ; e) ver-
schiedene s} mpathetische Mittel ; f) Bäder, Elektricität, Galvauismus, Magne-
tismus; g) Ekelcnr, Brechmittel, künstliche Geschwüre; h) verschiedene
geheimgehaltene Mittel und andere Composita, z. B. das Ragolo>y'sche,
Waitz'sche Mittel etc. (s. unten). Folgende Aphorismen über das Ätiolo-
gische, Pat!n)logische und Therapeutische der Epilepsie mögen hier statt
EPILEPSIA 613
einer ausführlichen Abhandlung , die ich <icreiust als Monographie zu liefern
gedenke , Platz finden , woraus auch die speciellen Regeln für die Heilung
der einzelnen Fälle hervorgehen. Zuvor muss ich bemerken, dass, wenn
hier meine Ansichten über die Epilepsie nicht ganz mit den frühern über-
einstimmen, dies lediglich nur aus dem grössern Reichthume eigner Erfah-
rungen hervorgegangen ist. Ich lege hier die Beoba^itungen an 310 Epi-
leptischen zum Grunde und bemerke noch, dass die in Parenthese betind-
Hohen Zahlen die Zahl der im Satze angeführten Erfahrungen und diese ihr
Verhältniss zu 310 ausdrücken. Aphorismen. Die Epilepsie äussert sich
auf so mannigfaltige, verschiedene Weise, von der leichtern F^orm des Krampfs
bis zur schwersten, dass wir ohne genaue Unterscheidung der Unterarten in
unserer Curmethode für den einzelnen Fall nicht glücklich seyn werden.
Auch ist sie oft mit Hysterie, mit Katalepsie verbunden. Im erstem Falle
ist sie oft leicht, im letztern (wovon ich 31 Fälle habe) oft schwer zu hei-
len. Die Katalepsie wechselt hier mit dem Insultus epilepticus häufig ab.
Werden die epileptischen Anfälle seltner, so kommen die kataleptischen desto
häufiger, und umgekehrt; ja zuweilen substituirt die Katalepsie die Epilepsie
noch mehrere Monate nach ihrer Heilung (13 Fälle). ^) Die durch Onanie
entstandene Fallsucht ist sehr schwer zu heilen; sie complicirt sich gern mit
Katalepsie (24 Fälle) und bringt zuweilen eine ganz besondere Form des
Übels hervor, der ich keinen Namen zu geben weiss, die aber in Folgendem
besteht. Der Kranke bekommt alle 2,3 — 7 Tage einen oder täglich meh-
rere kataleptische Anfälle, unter denen bei weitem die meisten mit einem so
starken wässerigen Ausflüsse aus dem Munde verbunden sind, dass die Quan-
tijtät oft 1 S beträgt. Der zugleich stattfindende hör- und sichtbare kloni-
sche Krampf des Schlundes und Mundes deutet an, dass das Fluidum nach
Art der Wasserkolik aus dem Magen kommt. Von Qualität ist es so kau-
stisch alkalisch , dass es selbst die gefärbten Kleidungsstücke entfärbt. Ob
dieses Fluidum ein Secret des Magens oder des Pankreas sey, oder ob es
verschiedene Quellen habe, lasse ich dahin gestellt seyn, da mir leider Aus-
kunft durch SecLionen fehlt. Ausserdem sind die Glieder des Kranken schlaff,
die Pupille erweitert und unbeweglich, das Gesicht leichenblass, der Kranke
sinkt nicht zur Erde, lässt aber das, was er in den Händen hält, fallen j
der Anfall ist in 1—3 Minuten vorüber und es bleibt etwas Unbesinnlich-
keit zurück, so dass der Kranke verworren redet, aber es folgt kein Schlaf.
Alle 2, 3 öder 4 Wochen folgt auf diesen kataleptischen Anfall unmittelbar
ein heftiger epileptischer Insult, zuerst mit tonischem Krampf, besonders an
der linken Körperhälfte , später mit klonischem, worauf kein Schlaf, wenig-
stens nicht immer, häufiger ein Anfall von Manie, der einige Stunden an-
halten kann, folgt, so dass der Kranke weglaufen wll etc. Leibesversto-
pfung und kataleptische Anfälle folgen die nächsten Tage (4 Fälle), 3) Am-
moniakalisch reagirenden Speichel , der das Curcumapapier braunroth färbt,
findet man bei den meisten Epileptischen während des Anfalls (249 Fälle) ;
nur bei leichten Epilepsien ist er normal (41 Fälle), in seltenen Fällen rea-
girt er während des Insults säuerlich (20 Fälle). Hier ist die Krankheit oft
Folge von Abdominalfeldern und, können wir das Grundübel im Magen, in
der Leber , im Pankreas etc. heben , nicht unheilbar. 4) Bei allen ausg(^bil-
dcten Epilepsien riecht und reagirt der Schweiss nach dem Anfalle annno-
niakalisch, und schon früher ist eine widerliche Ausdünstung Vorbote des
nahen Anfalls. Auch im Urine herrscht das Ammonium alsdann vor, wie
dies die Reaction auf die Pflanzensäfte beweist. 5) Ist die Ausdünstung
des Kranken anhaltend, und also auch ausser den Anfällen widerlich, erd-
und moderartig, so ist das Übel schwer zu heilen und oft mit psychischen
Fehlern verbunden ; sowie bekanntlich viele psychisch Kranke eine höchst
widerliche Transspiration, die kelnesweges Folge der vernachlässigten Haut-
cultur ist, besitzen. 6) In der Regel ist die atypische Epilepsie, sowie die
Epilepsia diurna, leichter zu heilen, als die typische und die nocturna; doch
giebt es auch unheilbare atypische Fallsuchten, besonders dann^ wenn Ka-
talepsie sich mit dem Übel complicirt hat, oder wenn es eine Epilepsia
614 EPILEPSIA '
haeredltaria Ist. 7) Alle Fallsuchten, die zu ihrer Bildung ^-iele Jahre ge-
brauchen, wo z. B. eine periodische Kardialgie, solcher Schwindel oder Ka-
talepsie dem Übel Jahre lang vorhergehen, mit dem Erscheinen der Fall-
sucht aber verschwinden, sind schwer zu heilen. Tritt während der Cor
das frühere Übel ein, so ist Hoffnung zur Genesung da. 8) Alle Fallsuch-
ten, die nach dem 25sten Lebensjahre erscheinen, sind sehr schwer zu hei-
len, welcher Umstand, den schon Hippokrates bemerkt, häufig in den eben
(Nr. 7) genannten Ursachen seinen Grund hat. 9) Je länger das Stadium
prodromorum dauert, je länger der Insult selbst mit seinen Erscheinungen
anhält, je weniger tonische Krämpfe dabei bemerkt werden, je geringer die
Congestion zum Kopfe und das Stadium soporosum ist, je schneller Empfin-
dung und Bewusstseyn zurückkehren, desto leichter ist die Krankheit zu
heilen. 10) Bei manchen Fallsuchten folgt kein Stadium soporosum, son-
dern die Kranken erwachen plötzlich mit einem einzigen Ruck der Glieder,
der einem elektrischen Schlage gleicht. 11) Bei vielen Epileptischen fehlt
die Aura epileptica (123 Fälle), bei andern ist sie höchst unbedeutend (52
Fälle) ; bei denen , wo sie deutlich ist , beginnt sie am häufigsten in den
Füssen , und zwar vorzugsweise im linken Fusse , ist meist mit Kälte ver-
bunden, hat Ähnlichkeit mit einer elektrischen Strömung, verschwindet
schnell durchs elektrische Bad , indem man zugleich kleine Funken aus dem
Gliede zieht. Häufig verhütet man dadurch den bevorstehenden Anfall, ohne
dass der Kranke Beängstigung bekäme , wie dies wol beim Binden des Glie-
des, worin die Aura ist, vorkommt. 12) Bei der Cur der Epil. exquisita
erforsche man vor allen Dingen, ob es gut ist, die sogenannte Krankheit
(die epileptischen Anfälle) zu heilen, zu entfernen, oder nicht. In manchen
Fällen folgen auf die Heilung nach 6, 10, 15, ja 20 IVIinuten plötzlich sehr
zahlreiche epileptische Anfalle, besonders im Monate März und April, wozu
sich Apoplexie gesellt und so der Tod binnen 8 , 12 , 24 Stunden folgt (16
Fälle). Folgende Formen der Fallsucht sind mir daher jetzt ein Noli me
tangere: a) Epilepsie mit Blödsinn; b) Epilepsie bei Personen mit unge-
wöhnlich dickem, rundem Kopfe, starkem Muskelbau, viel Congestion und
gleichzeitiger Katalepsie; c) alle Epilepsien, wo der Anfall offenbar kritisch
ist (s. Nr. 14); d) die Epilepsia haeredltaria. 13) Die zahlreichen Abnor-
mitäten, die man im Gehirne Epileptischer gefunden hat, sind meist immer
Folge der häufigen Anfälle. Sie werden späterhin weder zur Ursache der
Unterhaltung und Unheilbarkeit des Übels. 14) Häufig ist der epileptische
Anfall ein wohlthätiges Bestreben der Natur, gewisse Disharmonien des Or-
ganismus auszugleichen, also etwas Kritisches. Dies erkennt man an fol-
genden Zeichen: a) Besserbefinden gleich nach dem Anfalle, als einige Zeit
vor demselben; b) die Anfälle sind um so heftiger und wiederholen sich bin-
nen 24 Stunden um so häufiger, je grösser die freie Zwischenzeit war, wo
sie ganz wegblieben; c) sie sind um so leichter und intensiv schwächer, je
öfter sie sich wiederholen, z. B. wenn sie alle 2 — 4 Tage kommen ; d) das
Stadium soporosum fehlt niemals. In solchen Fällen ist nur ein symptoma-
tisches , Congestion ableitendes , kühlendes Verfahren , kein eingreifendes,
weder durch metallische , noch durch narkotische oder dynamische (Elektri-
cität, Galvanismus) Mittel anzuwenden. Was überhaupt meine Behandlung
Epileptischer betrifft , so geht diese im Allgemeinen aus obigen Sätzen her-
vor. Sie ist theils eine rationell symptomatische, theils rein empirische, da
in den meisten Fällen diejenigen Umstände, auf welche ein rationeller Heil-
plan gegründet werden könnte, bei der Fallsucht verborgen liegen. Die
empirischen Antepileptica sind selbst auf rationelle Weise gar häufig indicirt,
indem die Epilepsie nur zu oft, wenn auch ihre ursächlichen Bedingungen
entfernt werden , als reine Nervenkrankheit durch die Macht der Gewöh-
nung fortdauert. Hier sind alle Antepileptica, indem sie das Nervensystem
umstimmen, indicirt; aber sie müssen, wie sich dies von selbst versteht, dem
individuellen Falle und der Constitution des Kranken angepasst werden. In
dieser Hinsicht unterscheide ich folger.de Arten der Krankheit:
Ejiilepsia verminosa. Sie ist am häufigsten die Folge von Bandwürmern,
EPILEPSIA 615
und daher in Mecklenburg, wo die Taenia lata i'echt zu Hause ist, nicht
selten. In vielen Fällen erregt der Bandwurm aber gar keine Krämpfe, be-
sonders nicht beim männlichen Geschlechte. Dagegen leiden zarte, reizbare
Frauenzimmer nicht selten an dieser Epilepsie. Symptome. 'Ausser den
Zeichen des Bandwurms folgende: atypische Paroxysmen, die oft alle 2^3
Tage, oft nur alle 10 — 20 Tage sich einstellen, wobei wenig tonischer,
mehr klonischer Krampf, Gesichtsblässe, Leibesverstopfung und kein Sta-
dium soporosum, sondern am Ende des Insults der oben bezeichnete elektri-
sche Schlag der Glieder und mit ihm Wiederkehr des Bewusstseyns und der
Empfindung bemerkt wird. Prognose. Ist im Allgemeinen günstig. Cur.
Man entferne den Bandwurm durch die so wirksame Bandwurmcur des Dr.
ScJimUU (RusVs Magaz. Bd. XXVII. Hft. 3. S. 503), |und gebe hinterher
eine Zeit lang Asa foetida in Pillenform. Spulwürmer erregen selten wahre
Epilepsie. Ists der Fall , so gebe man anfangs Anthelminthica , späterhin
eine Zeit lang Flor, zinci, Magister, bismuthi, Pillen aus Asa foetida und
Extr. nuc. vomicae , und Thee von Valeriana und Fol. aurantiorum.
Epilepsin mcnstrualis. Sie befällt junge reizbare, oft vollsaftige Frauen-
zimmer in der Pubertätsentwickelung durch Menstruatio retenta, auch spä-
terhin in seltenen Fällen wol nach Menstruatio suppressa, besonders wenn
Schreck, Erkältung der Füsse während der Regeln Schuld sind. Sym-
ptome. Das Übel zeigt sich in der Regel alle 4 Wochen, am häufigsten
zur Zeit des Neumondes, mit gleichzeitigen Zeichen der Molimina menstrua-
tionis. Cur. Bei Vollblütigen Aderlass am Fusse, Fuss - und Qualmbäder,
überhaupt die Behandlung des Grundübels; späterhin, wenn dieses gehoben
ist, Asa foetida, Flor, zinci, Zincum hydrocyanicum , dreimal täglich '/o, 1,
2 — 4 Gran, empfohlen von Hufcland, Henning, Müller ^ RosensHel gegen
verschiedene Neurosen : Kardialgie, Chorea St. Viti etc. ; mein Pulvis ante-
pilepticus (s. unten).
Epilepsia acuta cum irritahilitale. Die Berücksichtigung der Constitu-
tion des Kranken, ob er irritabel, vollsaftig, gut genährt, oder mager, reiz-
bar, wahrhaft schwach, oder torpid, stumpf an Gefühl, reizlos ist, bleibt
für den Arzt, er mag rationell oder symptomatisch verfahren, oder rein em-
pirisch handeln, stets sehr wichtig, indem hiernach die Heilmittel ausgewählt
werden müssen. Symptome. Robuste, starke Constitution, gut genährter
Körper, runder, dicker Kopf, öfters Leibesverstopfung; die Anfälle kommen
meist typisch, bei Männern zur Zeit des Neumondes, bei Frauen dagegen
zur Zeit des Vollmondes. Nasenbluten, starke Menstruation und andere
Blutungen erleichtern und verhüten zuweilen den Anfall. Cur. Blutegel an
den Kopf, selbst Aderlässe, kühlende Purganzen, später Mineralsäuren, rei-
zende Fussbäder , laue Bäder , aber ja keine kalten , und erst dann , wenn
das Übermass von Saft und Kraft gehoben worden , die eigentlichen Ante-
pileptica. Man vergesse nie, dass diese in der Regel hitzige Dinge enthal-
ten, die bei dieser Form der Fallsucht ohne die angegebene Vorbereitungs-
cur grossen Schaden anrichten.
Ejnlepsia vervosa, Epil. cum cretJiismo. Sie ist fast immer bei jungen,
zarten Subjecten und bei frischen Epilepsien zu finden. Symptome. Grosse
Lebhaftigkeit und Reizbarkeit des Kranken, sanguinisches Temperament, oft
viel Anlage und Talent zu schönen Künsten, Musik, Malerei, feine Haut,
schnell wechselnde Gesichtsfarbe , meist Röthe der Wangen , Habitus phthi-
sicus , graciler Körper. Die Anfälle kommen in der Regel zu unbestimmten
Zeiten, oft alle 5, 6, 10 Tage, bald früher, bald später. Cur. Hier passt
das antiphlogistische Verfahren nicht, aber auch die reizende, Congestion
befördernde Methode ist hier nicht an ihrer Stelle. Eine leichte, nicht er-
hitzende Diät, Sorge für tägliche LeibesöfTnung durch Fol. sennae, Sal
Glauberi , der unreife Traubensaft (^Frank, Sihergundt) , die Mineralsäuren,
die Digitalis sind hier an ihrer Stelle. Desgleichen Opium, Stramonium,
vorsichtig und nicht anhaltend gebraucht. Das Opium ist eins der besten
Mittel, die Epilepsia torpida und den Blödsinn zu verhüten (s. Neumann -
Maler in d. Annalen f. die gesammte Heilkunde. Karlsruhe 1828. Jahrg. S.
616 EPILEPSIA
Hft. 2). Späterhin passen erst die eigentlichen Antepileptica; doch wähle
man nicht den Lapis infernalis , weil dieser hier am leichtesten die Haut
schwarz färbt (6 Fälle).
Ejiilepsia torpida. Diese Form finden wir besonders bei inveterirtem
tJbel. Der Kranke hat den torpiden Habitus, ist cholerisch- melancholisch,
schwach am Gedächtniss, stumpf und blödsinnig, leidet an grosser Trägheit
des Darmcanals, zur Zeit der Anfälle oft an Manie. Cur. Man gebe zu-
erst ein Vomitiv und Laxativ, später den Tart. emeticus als Ekelcnr in re-
fracta dosi ; dann Gratiola , Helleborus mit Mercur. dulc. , das Extr. nuc.
vomicae, und wende zugleich Elektricität und Galvanismus an. Auch der
weisse und blaue Vitriol, das Ferrum hydrocyanicum, Ol. terebinthinae
(^Percival, Copelnnd, Nnsse), Ol. animale Dippelii, Phosphor, Carbo anima-
lis, z. B. nach Dr. JVeises Bereitungsart: }^r Cnrh. nnimnl. 5vj, Sacchari 3jj.
M. f. p. S. Dreimal täglich % Theelöffel voll in den Mund zu nehmen und
Wasser nachzutrinken , suid hier an ihrem Platze.
Epilepsin meduUaris. Sie ist nicht ganz selten, besonders bei Onani-
ßten, Wollüstlingen; die Anfälle kommen unregelmässig, sind häufig ohne Sta-
dium soporosum, haben Ähnlichkeit mit einem starken hysterischen Anfalle
(s. Hysteria); das Übel kommt häufig beim weiblichen Geschlechte vor,
ist zuweilen Folge schwerer Wochenbetten, der Myelitis. Cur. Man ver-
ordne eine wenig reizende Diät, laue Bäder, Elektricität und Galvanismus,
innerlich Asa foetida , Fol. sennae, Nux vomica , Faba St. Ignatii, Ekelcur,
ein Haarseil im Nacken. Zuweilen sind unterdriickte Exantheme Ursache.
Epi1ej)sin nocturna. Ist in der Regel sehr hartnäckig, häufig mit Epil.
diurna coraplicirt. Cur. Ist nach den Ursachen und der Körperconstitution
verschieden. Vermeidung des Schlafs zu den Zeiten der Nacht, wo das
Übel sich einzustellen pttegt, ein Wächter, der den Kranken bei den Vor-
boten des Insults aufweckt, innerlich die Ipecacuanha in kleinen Dosen sind
sehr nützlich. Ausserdem die Berücksichtigung der ursächlichen Momente,
und sind diese gehoben, ist das Übel eine reine Neurose, dann die soge-
nannten specifischen Antepileptica (s. meine citirten Schriften und Abhand-
lungen).
Epilepsin gastrica. Sie giebt sich durch den Status gastricus zu er-
kennen. Die Kranken haben eine gelbe, ikteriche Gesichtsfarbe, Druck in
der Lebergegend etc. Cur. Mittelsalze, Tart. emetic, Vinum stibiatum,
Extr. taraxaci, chelidon., später Asa foetida, Flor, zinci, Cuprum ammonia-
tura und, wenn hartnäckige kalte Fieber vorherhingen, Chininum sulphuri-
cum mit Opium. Ausser diesen Arten der Fallsucht hat man noch folgende
angenommen :
Epilqmn infantum, s. Eclampsia.
Epilepsin procursiva , s. Chorea St. Viti.
E])Uepsin simnlata, die verstellte Fallsucht, welche von Betnigem , um
das Mitleid der Menschen rege zu machen, um sich verdienten Strafen zu
entziehen, vom Militairdienst frei zu werden etc. , nachgeahmt wird. Das
Merkwürdigste dabei ist, dass solche Personen durch öftere Wiederholung
dieser Betrügerei zuletzt die wahre Epilepsie bekommen (^CnUcn, Sauvm/es,
Tissot, Jloerhanve, M.). Die Diagnose ist oft schwer, da es auch eine Epi-
lepsia imperfecta giebt, wobei das Hauptzeichen des Insults der Epil. per-
fecta : Mangel an Empfindung, fehlt. Die Unbeweglichkeit der Pupille wäh-
rend des Anfalls und eine durch öftere Verletzungen abnorme, oft an den
Seiten gezähnte Zunge setzen die wahre Epilepsie ausser Zweifel. Auch
vergesse man nie, dass der epileptische Anfall, so gut wie jedes andere
Übel, sein Incrementum, Status und Decrementum hat, dass also auch, selbst
wenn es keine Epil. imperfecta gäbe, das Kriterium des GcfTihUmangels nicht
för jedes Stadium des Anfalls passt, um nicht durch einseitiges Urtheil ei-
nen wahrhaft Epileptischen für cintMi Betrüger zu halten.
Die wirksunssJoii empirischen Antepileptica sind nach meinen bi.sherigen
Erfahrungen folgende Mittel, welche, sobald die Causalverhältnisse des Übels
entfernt worden sind oder verborgen liegen und keine rationellen Contrain-
EPILEPSIA 617
dicationeii ihre Anwendung verbieten, dreist angewandt werden können.
1) Elektricität und Galvanismus. Sie haben mir, theils in Verbindung, theiis
abwechselnd, 4 — 10 Wochen täglich oder alle 2, 3 Tage angewandt, bis
jetzt noch rramer das Meiste geleistet, und mehr als der Gebrauch aller in-
nern Mittel; doch unterstützen letztere die Cur ungemein (s. die oben an-
geführten Schriften und Abhandlungen). Man setze, ist die Constitution des
Kranken irritabel, bei Congestionen erst Blutegel an den Hals, verordne
kühlende Diät , gelind eröffnende Mittel , und wende dann anfangs täglich
'Yi, 1 — 2 Stunden das elektrische Bad an, ziehe Funken aus dem Nacken,
aus den Gliedern, wende dann einige Tage kleine galvanische Schläge, ab-
wechselnd mit Strömungen, aus einer Voltasäule von 40 — 80 Doppelplatten
durch die Glieder an, dann Avieder das elektrische Bad, und steige gradatim
und vorsichtig mit diesem Reizmittel. Vermehrt sich die Reizbarkeit des
Kranken, so gebe man zugleich 2 — Smal täglich 5—15 Tropfen Tinct.
semin. stramonii , setze bei Congestionen wiederum Blutegel an den Kopf,
verordne reizende Senffussbäder , und fahre so 8 — 10 Wochen fort. Ausser-
dem gebe man, zur Zeit des Mondwechsels, also alle 7 — 8 Tage, eine Do-
sis von meinem Pulvis antepilepticus Nr. I., während dessen Gebrauch der
Kranke das Bette hüten und die Transspiration abwarten rauss. Leidet der
Kranke an Epilepsia torpida , so bedarf die elektro - galvanische Cur gar
keiner andern Vorbereitung; man wende hier die dort empfohlenen Mittel
zugleich an (s. Epilepsia torpida); bei der Epil. nervoso - erethistica
muss man ja vorsichtig seyn , um nicht zu überreizen, und daher nur höchst
gelind Elektricität und Galvanismus anwenden. Überhaupt erfordert dieses
grosse und wirksame Mittel viel Umsicht und technische Kenntniss, soll an-
ders das Übel nicht schlimmer werden. Auch verband ich häufig mit Nutzen
Elektricität und Galvanismus, wodurch nach Art des Örsted'schen Elektro -
Magnetismus mineral - magnetische Erscheinungen hervorgehen. Auch das
Tragen von Magneten (Magnetringen an den Fingern) fand ich in einzelnen
Fällen nützlich (s. Galvanismus und Magnetismus). 2) Das Pulvis
antepilepticus besteht aus folgenden Formeln : Nr. I. I^' Rad. gcntian. rühr.,
Rad caJam. arom. ana g)I , Rad. artemis. vulijar. 5J|t, Rad. a/ri maculali,
Rad. zingiheris ana 5jjj, Herh. mari veri gj, Cort. aurantior., Elaeos. caje-
jmti, Natr. carhon. dilaps. ana 3vj. M. f. pulv. Die Dosis für einen Er-
wachsenen ist 5J1V — 5jj? welche des Morgens nüchtern im Bette genommen,
und warmer Thee von Fol. aurantior. und Rad. liquiritiae nachgetrunken
werden muss. Nr. II. I^; Flor, rosar. rühr., Rad. liquiritiae, Sacchari albi
ana 5"V , Cort. cinnamomi 5jjj ? Caryophyll. aromat. , Rad. zingiher. indic,
Rad. galangae, Sem. cynae, Cardamomi, Storac. calamit., Sem. apii tjraveol.
ana 5j- M. f. pulv. Nr. III. F^ Ferri hydrocyan. gr. ^ , Rad. artemis. vidij.
3fi(, Castorei siher. gr. v, Pulv. antepilept. Nr. ii. 3j. M. f. pulv. disp. dos.
xjj. Nr. I. wird in leichtern atypischen Fallsuchten, wie oben angegeben,
gebraucht, Nr. II. in etwas schwerern Fällen, Nr. III. in noch schwerern.
Letzteres Mittel wird an den Tagen des Neu- und Vollmondes genommen.
Man gicbt zwei Tage vorher ein gelindes Laxans, dann wird an genannten
Tagen Morgens 6 Uhr und Abends 6 Uhr eins der Pulver mit Aqua cerasor.
nigror. eingenommen. Dabei muss der Kranke im Zimmer bleiben und alle
blähende Speisen, auch geistige Getränke und süsse Milch vermeiden.
S) Ausser diesen Mitteln habe ich mit dem Extr. stramonii, mit Stannum
cxydat. (p. d. ^j — 5j Abends und Morgens und vier Tage nachher ein
Laxans), mit Cupr. ammoniacale, Argent. nitric. viele Versuche gemacjit,
desgleichen mit der Belladonna ; doch sind die Beobachtungen nicht rein,
indem häufig auch noch der Elektro - Galvanismus zugleich angewandt wurde.
In vielen Fällen ward die Heilung dadurch allein zu Stande gebracht. Auch
das Opium, vorsichtig und anhaltend angewandt, ist in manchen Epilepsien
ein herrliches Mittel. 4) Die verschiedenen Arcana und Geheiramittel gegen
Epilepsie findet man angegeben in Henniny^s Analecta Epile|)siam spectantia
und in L. VoyeVs Allg. med. Formel- oder Receptlexicon. Erfurt 1802 — 5.
5) Über die Diät für die einzelnen Fälle der Fallsucht bitte ich meine
618 EPILEPSIA
Schriften nachzulesen. Der rationelle Arzt wird sie sich schon selbst au»
den verschiedenen Arten und Curinethoden für die verschiedenen Zustände
des Kranken abstrahiren. WeiMi im Allgemeinen eine einfache, reizlose,
kühlende Diät nützlich ist, so dürfen wir doch nicht zu schnell von einer
reizenden zu einer reizlosen Lebensweise des Kranken übergehen, indem
dies das Übel leicht schlimmer macht. Auch passt die reizlose Diät nicht
bei der Epilepsia torpida. Ein Mehreres über das Diätetische und Thera-
peutische der Epilepsie werde ich später nachtragen bei Spasmus. —
Bedarf es vielleicht auch der Entschuldigung, wenn ich so zusammengesetzte
Arzneiformeln in der Epilepsie anwende? Mein Grundsatz ist der, nie von
einer Composition abzuweichen , welche mir verhältnissmässig nach der Er-
fahrung das Meiste geleistet hat, und dies ist gerade mit jenem Pulvis an-
tepilepticus der Fall ; sowie ich denn auch längst zu der Überzeugung ge-
langt bin, dass jedes Compositum nur eine eigenthümliche Wirkung besitzt,
und dass es für die leidende Menschheit besser ist, mit Nutzen zu compo-
nicen, als durch fortwährendes Wechseln der Simplicia ein Übel ungeheilt
zu lassen. Den neuesten Beleg zu meiner Behauptung giebt die neue ßand-
wurmcur des Dr. Schmidt , der mit seinen Compositionen längst bekannter
Mittel so glänzende Resultate liefert. — Gegen inveterirte Epilepsie rühmt
Dr. Cunnhujhnm (North- American Med. and surgic. Journal 18S!8 u. Oersoii's
und Julhis' Magaz. 1828. Juli u. Aug. S. 148) Smal täglich ^j Fol. daturae
stram. sicc. pulverisat. , welches Mittel indessen wegen der eintretenden Zu-
fälle von Narcosis mit Vorsicht anzuwenden ist. Auch das Indigopulver,
für Erwachsene p. d. 5lv, 6 bis Smal täglich, hat sich nach den Beobach-
tungen des Dr. von Sinhhj sen. in mehreren Fällen hier, sowie bei andern
Neurosen, wirksam bewiesen (s. v. Stahhj jun., Dissert. de epilepsia. Budae,
1832). Schweiss und Stuhlgang bekommen nach dem innerlichen Gebrauch
des Mittels eine blaue Farbe. Nach den Versuchen, welche Dr. Strahl in
Berlin kürzlich damit anstellte, leistet es bei Epilepsie und andern Krampf-
formen nichts, befördert aber die stockenden Menses. Iileler dagegen be-
richtet in der Medic. Zeitung. Berlin, 1835. Nr. 6. Fol. , dass er bei 26 Epi-
leptischen binnen einem Jahre den Indigo mit grossen Nutzen angewandt
habe. Sechs Kranke davon genasen völlig, drei wurden geheilt entlassen
und bekamen erst nach 8 — 12 Monaten einen Rückfall; elf Kranke besser-
ten sich bedeutend darnach. Nie sah er bedenkliche Zufälle nach dem Ge-
brauche des Mittels. Anfangs pflegen die Kranken sich häufig, doch ohne
da.ss die Verdauung litte, zu erbrechen; nach einigen Tagen hört dies auf
und es stellt sich ein Durchfall, 6 — 8mal , später 2 — Smal täglich ein, der
dann breiartig wird. Ein gutes Zeichen ists, wenn zu Anfange die epilepti-
schen Anfälle öfter wiederkehren. Man giebt den Indigo' am besten p. d.
^j bis Sj? 4 — 6mal täglich, und zwar in Latwergenform mit etwas Pulv.
aromaticus, Monate lang fortgesetzt. — Wessen Erfahrungen sind nun wol
die wahrhaftesten? — Ein sehr wirksames empirisches Mittel gegen Epi-
lepsie, sowol in frischen als inveterirten Fällen, wenn keine Hauptursacheu
des Übels bekannt oder diese entfernt sind , ist nach Dr. Siedler das Zink-
oxyd mit Extr. hyoscyami in steigenden Dosen , anhaltend , viele Monate
lang gebraucht (s. HufelmuVs Journal 18S3 u. 1834). Er giebt bei Erwach-
senen, nachdem bei Sordibus ein Vomitiv oder Laxativ vorhergegangen, zu-
erst folgendes Pulver: I^ Zinci oxydat. nlhi gr. vjjj, Extr. htfoscifami gr. j,
Pnlo. fol. aurnut., — rad. valerian. ana ^ß. M. f. p. dispens. dos. xjj. S.
Morgens u. Abends ein Pulver. Dann giebt man 6 Tage lang p. d. 12 Gran
Zink, dann 16 Gran und 2 Gran Extr. hyoscyami, worauf anfangs oft stär-
kere Anfälle folgen. Darauf p. d. ^j Zink und 2'/; Gran Extr. hyoscyami.
Kommt nun binnen 4 Wochen kein Anfall , so wird mit den Gaben nicht
gestiegen. Ists aber der Fall , so giebt man p. d. 5lV Zink und 4 Gran
Bllsonkraittextract, und zwar 6 Tage lang. Nun fällt man, wenn kein In-
sult aufs Neue erfolgt, alle 10 Tage um 5 Gran Zink und 1 Gran Hyoscy-
ainus p. d.; nach 24 Tagen wird nur alle Abend ein Pulver, nach den fol-
genden 24 Tagen nur alle 2 Abende ein Pulver genommen; 2-i Tage später
EPINYCTIDES — EPIPHORA ^ 619
nur alle 4 Abende, und zuletzt, nach wieder verflossener Frist alle 7 Abende.
Bei belegter Zunge wird ein Vomitiv zwischen der Cur gereicht, bei reiner
Zunge, aber bei Obstructio alvi habitualis giebt S. mitunter Folgendes:
I^ Magnes. sulphuricae 5J , Aq. mcnth. pip. 5JJJ , Tinct. amnrnc ^j. M. S.
Alle 2 Stunden 1 Esslöffel voll. Gegen die vom Gehirn ausgehende Epi-
lepsie lobte Pitschafl und Cohen (s. HtifelatuVs Journal. Septbr. 1833. und
Mai 1835 ) folgendes Pulver als sehr wirksam : 1^ Cinnnh. factit. , Magist.
lismuthi, Ucrh. Nicotinn. ana gr. xx, Extr. nloes aquos. gr. v. M. f. p. divido
in XX. p. aeq. S. Eine Stunde nach dem Frühstück und Abends ein (voa
Kindern '/, oder V4) Pulver zu nehmen.
Epinyctide(9 9 Peringctides , Na cht blättern. Ist ein pustuloser
Ausschlag, welcher während der Nacht entsteht, auch während derselben
durch Jucken besonders lästig wird. Oft scheint dieser Ausschlag kritisch
zu seyn, indem mit dem Erscheinen desselben frühere rheumatische und
nervöse Beschwerden (Migräne) verschwinden (3f.).
Epiphaenomena, später hinzukommende Krankheitserscheinungen,
die also im Verlauf der Krankheit sich erst zeigen.
KIpiphorAj Delacrijmatio , Dacryorrhysis, Lippitudo serosa, Ophthal-
mon , üculus lacrynians , Thränenauge, Thräncnfluss aus körperlich
pathologischen Ursachen. Ist Austiuss der normalen oder abnorm veränder-
ten Thränenfeuchtigkeit aus dem Auge, welche, weil die Thränenpunkte sie
nicht aufnehmen, über die Wangen fliesst, und woran deprimirende Leiden-
schaften: Gram, Traurigkeit, die durchs Weinen auch eine Art Epiphora
erregen, keinen Antheil haben. Verschiedene Zustände, hervorgegangen aus
mancherlei Krankheitsursachen , bezeichnen wir mit dem Namen Epiphora,
daher wir folgende Arten des Übels annehmen:
Epiphora cntnrrhalis. Die Ursache liegt hier, sowie bei vielen anderen
Arten der Epiphora, in der Thränendrüse. Diese Form ist die allergewöhn-
lichste. Ein Fehler in der Resorption findet nicht statt, nur die Function
der Thränendrüse ist zu stark, daher die Secretion übermässig. Cur. Das
Übel giebt sich von selbst, sowie der Katarrh verschwindet. Der Dunst
von Fliederthee, und, sind die Thränen sehr scharf, Bähungen der Augen
mit Fiiederblumen in Milch gekocht, erleichtern sehr.
Epiphora arthritica. Kommt nur nach den vierziger Jahren des Lebens
vor. Symptome. Druck und Spannung in der Gegend der Thränendrüse,
in der Nachbarschaft des Auges, in der Schläfe, im Jochbeine, die am hef-
tigsten des Nachts sind, sind gewöhnliche Vorboten. Alsdann lässt beim
Eintritt der Epiphora der Schmerz nach, die Thränenflüssigkeit ist oft so
Bcharf, dass sie die Haut excoriirt. Wird das meist sehr langwierige Übel
durch kaltes Wasser, Adstringentia, Spirituosa , durch Erkältung des schwi-
tzenden Kopfs plötzlich unterdrückt, so entsteht eine sehr heftige Ophthal-
mia arthritica. Cur. Ist die Epiphora noch nicht alt, so hemmt man sie
zuweilen durch ein Haarseil im Nacken, durch eine Fontanelle in die Schläfe,
durch Bedecken des Auges mit Gesundheitstaffet , vorzüglich des Nachts.
Ist das Übel schon älter, so reibe man in die Augengegend und Schläfen
dreimal täglich 20 Tropfen Balsam, peruv. niger, abwechselnd auch Unguent.
mercur. 5J1V» Opü puriss. ofv- M. exact. S. Abends eine Erbse gross einzu-
reiben (Hirnhj) , und gebe innerlich Antarthritica , besonders die gegen Ar-
thritis irregularis empfohlenen Mittel; s. Arthritis.
Epiphora contagiosa. Alle Contagien ergreifen gern die indifferenten
Organe, daher auch das Drüsensystem. So leidet häufig bei Masern, Blat-
tern, Lues venerea inveterata, Psydracie, Lepra, zuweilen auch bei Schar-
lach, Röthein etc. die Thränendrüse, und es entsteht somit eine Epiphora,
wobei der Bulbus nur secundär leidet, die aber viele Ärzte schlechtweg
Ophthalmia humida nennen, ohne dabei an den Sitz des Übels: an die Thrä-
nendrüse zu denken. Bei den acuten Contagien beobachten wir diese Epi-
phora in zwei Perioden : 1) beim Ausbruch des Exanthems , wo sie z. B.
wie bei den Masern um so eher verschwindet, je stärker das Exanthem die
620
EPIPHORA
Haut befällt, und daher wenig bedeutet; 2) als Nachkrankheit in der spä-
tem Periode. Hier ist sie bedeutender, wird oft langwierig, und darf da-
her der Natur nicht überlassen bleiben. Schwache Subjecte leiden am mei-
sten daran. Cur. Man verordne warme Bäder, innerlich Kampher mit Mer-
cur. dulc. und etwas Opium, lege ein Vesicator in den Nacken, bedecke das
Auge mit Kräutersäckchen, welche Flor, sambuci, Chamom. , Herb, menth.
crisp. und piper. enthalten , und des Nachts mit Wachstaffet. Unter den
chronischen Contagien hinterlassen die Psydracie und Syphilis leicht Epi-
phora. Bei ersterer Form behandle man das Grundübel, gebe innerlich Merc.
dulc. mit Sulph. aurat. , Aethiops antimonial., Spec. lignornm, und wende
äusserlich ein schv\aches Sublimatwasser mit Opium an. Bei der
Epiphora venerca Hegt stets eingewurzelte, veraltete Lues zum Grunde.
Cur. l)ie der Lues inTeterata, Äusserlich wende man lauwarm mit Com-
pressen folgendes Wasser an : I^ Merc. sublim, corros. gr. j , Aquae destiUnt.
§vj, Tinct. Opa vinos. 5jj — 5jjj- M. (ü»?i/y). Späterhin bringe man zwei-
mal täglich eine Linse gross von folgender Salbe in den innern Augenwin-
kel: I^ Turpeih. minor al. pulv. gr. xv, ßutyr. reccnt. insuls. S^j- M. exactis-
ßime {Schmidt}.
Epiphora scrophulosa. Sie ist oft recht hartnäckig und langwierig,
weicht oft nur dem reifern Alter. Symptome. Ausser den allgemeinen
der Scrophelkrankheit unterscheidet sich diese Epiphora dadurch, dass alle
2 — 3 Stunden periodisch ein Thränensturz kommt, in der Zwichenzeit aber
das Auge nur etwas feuchter ist; zugleich findet man, dass auch die Mei-
bomschen Drüsen leiden. Cur. Man gebe innerlich Antiscrophulosa , lege
ein Vesicator in den Nacken, unterhalte dies vier Wochen lang im Zuge,
lege Unguent. irritans in die Grube hinter das Ohr an den Process. mastoi-
deus (s. Amaurosis), unterhalte auch hier wochenlang die Eiterung,
verordne, lauwarm anzuwenden, das oben (Epiph. venerea) erwähnte Au-
genwasser, .späterhin, wenn die Besserung eintritt, Decoct. chinae mit
Opium, auch aromatische Kräuter mit Wein, mit Spirit. serpylli infundirt.
Dabei entwöhne man das Auge durch den Verband nicht von Licht und
Luft, hänge also die aromatischen Kräutersäckchen nur leicht über das Äuge.
Epiphora scorhtilica. Hier, sowie bei CoUiquation der Säfte in Faul-
fiebern , in seltnen Fällen bei anomaler Menstruation , wird selbst eine blu-
tige Flüssigkeit abgesondert (Epiphora cruenta, sanguinea). Man behandle
das Grundübel, bringe die Menses in Ordnung, gebe bei Scorbut, bei Febr.
putrida Mineralsäuren, China etc., und das Symptom wird sich von selbst
geben.
Ejnphorn, Thränenfluss. Jibiglcen (s. Rus^s Handbuch d. Chirurgie.
Bd. VL S. 405) meint, da dieses Übel nur Symptom anderer Übel sey, so
könne von einer besondern Cur der Epiphora nicht die Rede seyn. Diese
Ansicht ist aber grundfalsch. Es glebt unendlich viele Krankheitserschei-
nungen und Krankheitsformen, die nur Symptom eines tiefer liegenden Lei-
dens sind und deshalb dennoch verdienen , besonders in den Handbüchern
einzeln aufgeführt zu werden, weil sie als Hauptsymptora auf das Grund-
übel leiten. Haben wir doch auch Vcmitus, Dianhoea, Singultus, Dyspepsia,
Dysphagia, Cephalalgia, die ganze Gattung der Haemorrhagien, den Diabe-
tes, die Incontinentia urinae, die Ischurie, die Retentionen der Menses, die
.symptomati.ichen Amaurosen und Cataracten und zahlreiche andere Gebre-
chen , die nur die Symptome eines tiefer liegenden Leidens ausmachen und
nicht als selbstständige Krankheiten betrachtet werden können ( wie w enig
ist in der Natur und dem Wesen der Krankheiten, — die als eine Glieder-
kette zu betrachten sind, eine unendliclie Reihe Aon Ursachen und Kol<;en —
als sclbstständig zu betrachten , wie wenig wesentlich z. B. die Eintheilung
in Encanthis apostematosa, fungosa, scirrhosa und carcinomatosa , wenn sie
alle nur Folgen der inflammatorischen Form und einiger Nebenumständc
sind, — s. Rust's Handb. d. Chirurgie. Bd. VI. S. 209 u. f. ! !), -- und
dennoch muss von einer besondern Cur derselben die Rede seyn, weil für
den menschlichen Geis* nichts nothwendiger und heilsamer
EPIPLEGIA — EPISIOPHYMA 621
in Kunst und Wissenschaft ist, als die Vielseitigkeit des Le-
bens — gleichviel des gesunden oder des kranken Lebens — aufzu-
fassen und nie als Künstler den Versuch zu wagen, einem abstracten lo-
gischen Begriife zur Liebe sich von der Kunst und vom Leben zu entfernen.
Denn die Kunst ist eben so, wie das Leben , von welchem sie eine gewählte
Darstellung ist, vielseitig und unerschöpflich. Wie dürftig würden für die
ärztlichen und wundärztlichen Künstler unsere Handbücher der Medicin und
Chirurgie seyn, wenn sie nur dasjenige enthalten sollten, was sich streftge
vor dem Richterstuhl der Logik und der reinen Wissenschaft, welche beide
nur den Nordpol unsei'S geistigen Lebens repräsentiren , rechtfertigen liesse !
Warum schrieb Ilippolrntes in Aphorismen ? Warum versteht der Mathema-
tiker unter seinen negativen und positiven Grössen etwas ganz Anderes als
das, was der logische Begriff davon sagt? — ■
E]pipleg^aa, Halbschlag. Ist eine unrichtige Benennung für He-
miplegia.
füpiplocelC; Netzbruch, s. Hernia o mentalis.
Epiplocystosclieocele» Netzblasenhodensackbruch, wo
Netz und zum Theil die Harnblase im Hodensacke liegen; s. Hecnia.
Epiploenteroscheocele 5 Netzdarmhodensackbruch, s. Hernia
scrotalis.
£piploitis, Netzentzündung, g. Infl^mmatjocmenti.
Epiplomerocele, der Netz Schenkelbruch. Ist ein Schenkel-
bruch, worin sich ein Theil des Netzes befindet, daher bei der Einklem-
mung durch Spannung desselben ein so heftiger Schmerz um den Nabel ent-
steht, dass manche Kranke laut schreien. S. Hernia cruralis.
EpiploinpSialon, Netznabelbruch, & Hernia umbilicalis.
dpiplosarcoiuplialoii, Netznabelfleischbruch, s. Hernia um-
bilicalis.
Xlpiplosclieocele, Netzhodensackbruch, s. Hernia scrotalis.
Elpiporoina, eine oberflächliche Verhärtung, Schwiele, ein
nach Kiiochenbrüchen über die Grenzen des Knochens hinausgebildeter Callus,
Elpiischesis , krankhafte Zurückhaltung, z. B. eüier normalen
Auslt^eiung , des Harns, Stuhlgangs, der Menses etc.
dpiiseniasia , das Vorzeichen, besonders des nahe bevorstehenden
Fieberaafalles , z. ß. das Rieseln und Ziehen im Rücken und in den Glie-
dern kurz vor dem Paroxysmus der Intermittens.
Kpisioceles Schamlefzenbruch, s. Hernia labiorum vulvae.
XSpisioucusi, Schamlefzenanschwellung,', s/ Inflamm atio labio-
rum vulvae.
fipisiophyina, Episioncus cruenius, Schamlefzenbeule. Ist oft
Folge schwerer Geburten , nach Verletzungen. Cur. Die Behandlung der
Contusion. Zuweilen rührt das Übel von einem Varix her. Hier die Be-
handlung des Varix: Adstringentia, Decoct. quercus, Alaun; in schlimmen
Fällen die Operation des Varix. Ist das Übel schon vor der Geburt da,
nicht sehr bedeutend, und sind die Wehen kräftig, vergrössert und verdun-
kelt sich während derselben die Geschwulst nicht , sind keine Varices an den
Schenkeln zugegen, so kann man die Austreibung der Frucht der Natur
überlassen und während des Kreisens aromatische Fomentationen überschla-
gen. Ist die Geschwulst aber sehr gross, der Schmerz darin spannend, die
Farbe dunkelblau, ist die Wehenkraft geringe, so öffne man die Geschwulst
und befördere die Geburt auf schnelle Weise durch die Zange oder die
Wendung, we die Umstände es erfordern, wende auch hinterher Styptica
an, kalte Umschläge etc. Nicht selten folgt dann Eiterung, wobei der Ei-
ter recht übel riecht und wo mit Decoct. quercus, Myrrhe und Charpie ver-
bunden werden muss.
622 EPISIORHAPHIA -- EPULIS
dpisiorbaphia, die Schamlefzennaht. Diese Operation, bei
welcher man den gröbsten Theil der Schanilefzen wund macht, dann sie zu-
nähet und per primam inten tionem zu heilen sucht, verrichtete Hr. Dr. Friche
im Hamburger Krankenhause, und zwar, um so ohne den Gebrauch eines
Pessariums den Prolapsus uteri zu heilen. Nach vorn zu bleibt nur eine
Ideine ÖiFnung für die Menses, die Urinexcretion, das Eindringen des Penis.
Im Septbr. 1833 schlug die vom Dr. Frühe dort gemachte Operation indes-
sen öfters fehl, weil die bei altem Prolapsus uteri stets stattfindende Blen-
norrhoe die schnelle Vereinigung hindert und die Vereiterung begünstigt.
Episiorrbag^ia, Blutung aus den Schamlefzen, s. Haemorrhagia
labiorum vulvae.
Epispadiaeu.«! , s. Hypospadiaeus.
Epispastica, Zugmittel, z.B. spanische Fliegen; s. Cauatica.
SlpistaxiSj häufiges Tropfein des Blutes aus der Nase, Nasenbluten,
s. Haemorrhagia narium.
Epitasis, die Verstärkung (^tntciisio') eines Fiebers (JUppo-
lirntes).
Kpitbymia» die Begierde, das heftige, übermässige Verlangen
nach etwas, z. B. in Krankheiten, in Schwangerschaften nach dieser oder
jener Speise.
Kpizootia, Thierseuche, dasselbe unter dem Viehe, was Epide-
niia unter den Menschen ist.
Epulis» schwammiger Auswuchs am Zahnfleische. Ist eine
fleischartige Excrescenz des Zahnfleisches, die meist fühllos, oft knorpelig
ist (Sclerosarcoma) , und nicht selten von Caries des Zahns oder der Alveola
herrührt. Cur. Man schneidet sie weg und brennt hinterher den Grund
mit einem kleinen Glüheisen. Geschieht letzteres nicht, so wächst sie leicht
■wieder. Ist die Geschwulst sehr empfindlich , leicht blutend , geht sie in
Verschwärung über, so ists häufig Osteosteatom des Processus alveolaris;
s. d. Artikel.
Epulis, Excrescentia gingivne. In Rtisfs theoret. und prakt. Handbuche
der Chirurgie, Bd. VI. S. 418, werden verschiedene Arten des Zahnfieisch-
gewächses angenommen: 1) fungöse Wucherungen, die als Product
der Parulis zu betrachten sind und von einer cariösen oder nekrotischen
Zerstörung der Kinnlade oder eines Zahns herrührenl 2) Es sind poly-
pöse oder sarcomatöse Auswüchse, am häufigsten entstanden durch
venerische, scorbutische, mercurielle, rheumatische Dyskrasic , seltener durch
traumatische Ursachen. 3) Sie haben die Natur erectiler Geschwül-
ste, wie Naevus maternus, Telangiectasis ; sie pulsiren, haben ein hellro-
thes, festeres, elastisches Gewebe, weichen dem Fingerdrucke, erscheinen
aber gleich wieder; sie bluten, werden sie zufällig verletzt, oft bedeutend ;
ihre Entstehung ist oft nicht auszumitteln. 4) Die scirrhöse Epulis,
die schlimmste Form, ist hart, knorpelartig, leicht blutend, in spätem Sta-
dien oft recht schmerzhaft. Sie hat, wird sie nicht früh exstirpirt, grossQ
Neigung, in ein wirkliches Krebsgeschwür überzugehen. Die Grösse der
Zahnfleischgewächse variirt von der einer Linse bis zu der einer Pflaume,
die Form ist bald gestielt, bald ist die Basis derselben breit; ihr Sitz ist
bald der convexe , bald der concave Alveolarrand , bald finden sie sich im
Zwischenräume zweier Zähne ; doch zeigen sie sich häufiger an der untern,
als an der obern Kinnlade. Sie erregen , wenn sie grösser werden , ver-
schiedene Beschwerden im Kauen, Schlucken, Schmerzen, Entzündung, Eite-
rung, Verschwärung, Drüsenanschwellung in der Nachbarschaft, unerträg-
lichen Gestank etc. Da diese Zufälle oft sehr belästigend sind, auch die
scirrhöse Epulis leicht in Krebs ausarten kann, so erfordert das Übel stets
ein entsprechendes chirurgisches Verfahren : entweder die Unterbindung,
oder den Schnitt, oder die Cauterisation; darneben auch innere Mit-
tel gegen die etwa vorhandene Dyskrasie, Cariöse Zähne und solche, wel-
EPULOTICA - ERETHISMUS . 623
che die Operation hindern, müssen vorher entfernt werden. Sind sie gestielt,
so kann man sie unterbinden , indem man eine gerade Nadel mit doppeltem
Faden durch die Mitte der Basis sticht und je zwei Enden an jeder Seite
der Geschwulst fest zubindet. Ist Caries da oder starke Blutung zu be-
fürchten , so wendet man das Glüheisen an. Auch ist dieses in solchen Fäl-
len, wo die Exstirpation nichts fruchtete oder schwierig zu vollfuhren ist,
vorzuziehen. Man schiebt - vorher ein Stück Kork zwischen die Backenzähne,
entfernt die Zunge durch einen Mundspatel von der kranken Stelle und
schützt Lippe und Wangen durch eingelegte feuchte Pappstücke. Alsdann
bringt man das kugel - oder knopfförmige Glüheiisen mit der kranken Partie
in Berührung. Am schnellsten und gründlichsten entfernt man die Epulis
durch den Schnitt, entweder mittels eines geknöpften concaven Bistouris
oder mittels der Cooper'schen oder Richter'schen Scheere, oder durch Hülfe
beider, wie es am bequemsten ist. Man fixirt die Epulis mittels eines Ha-
kens oder einer Ansa, und führt die Scheere unter dem Schutze des freien
Zeigefingers. Blutet die Wunde stark, so wendet man sogleich das Glüh-
eisen an. Später dienen zuerst schleimige, zuletzt adstringirende Mundwas-
ser. Entstehen entzündliche Zulalle, so muss auch ein mehr oder weniger
strenges antiphlogistisches Verhalten beobachtet werden. Bilden sich später
neue Wucherungen, so kann man sie mit I^p. infernalis betupfen. Heyfel-
der (^Holinhnuiii's und Jahi^s Medic. Conversationsblatt. 1331. Nr. IV.) be-
obachtete bis jetzt nur zwei Formen von Epulis: 1) weiche Zahnfleischaus-
wüchse, welche Telangiectasien einer Alveolararterie sind, aus der Alveola
hervorwachsen , gewöhnlich 2 Zähne auseinander drängen (die zugleich lose
werden und höher stehen). Hier bildet der Auswuchs 2 Säcke , wovon der
eine vor, der andere hinter den Zähnen liegt. Ihre Farbe ist anfangs
roth , später braun, selbst schwarz ; sie bluten bei der geringsten Berührung.
Er unterbindet sie mit einem gewichsten seidenen Faden, worauf sie nach
5 — 7 Tagen abfallen, in keinem Fall wieder kommen; auch die Zähne ihre
frühere Stellung wieder einnahmen. 2) Feste, warzenartige, mit einer brei-
ten Fläche auf dem Zahnfleisch haftende, mit Caries alveolae verbundene
Auswüchse. Hier hilft nur das Glüheisen.
Epulotica, Cicairisantia^ vernarbende Mittel, welche die schnel-
lere Heilung und eine baldige gute Vernarbung bei Wunden und Geschwü-
ren befördern. Dahin gehören besonders zweckmässige Bindeil , am Ende
der Heilung trockuer Verband und leichtes Bestreichen der Wundränder mit
Lap. infernalis; s. Abscessus.
Eretbismus, Reizung, krankhaft erhöhte, ungleiche, abnorme Er-
regbarkeit, gereizte und vermehrte Tliätigkeit, z. B. bei Entzündungen,
Fiebern, die entweder örtlich, durch Reizmittel, incitirende Potenzen erregt
wird, oder durch allgemein einwirkende Reize den ganzen Organismus er-
griffnen haben kann. Wir unterscheiden Erethismus arteriostis und nervosus.
Ersterer findet statt bei sanguinischem Temperamente, jugendlichem Alter,
entzündlicher Diathesis; letzterer, den manche Neuere auch schlechtweg
Erethismus nennen, bei Habitus spasticus , bei Hysterie, Hypochondrie und
bei andern Neurosen, wo das Nervensystem krankhaft erregt wird und die
Constitution reizbar, sensibel, das Temperament lebhaft, das Subject zu
Congestionen und Blutwallung geneigt ist, ohne dass wahre Plethora statt-
findet. Hecier sagt in Rmfs Handbuch d. Chirurgie, Bd. VI. S. 423: „Es
ist eine gewöhnliche, sich noch vom Brownianismus und von der Erregungs-
theorie herschreibende Annahme, dass der Erethismus immer nur mit Schwä-
che verbunden sey, und zwar mit der sogenannten directen oder irritabeln,
die daher auch den Namen der erethistischen erhalten hat. Diese Annahme
hat in der medicinischen , wie in der chirurgischen Praxis grossen Schädeh
gethan , indem der Begriff von Schwäche zum Gebrauche verschiedener Reiz-
und Stärkungsmittel zu berechtigen schien. Sie erleidet aber grosse und
folgenrechte Einschränkungen , indem selbst ein bedeutender Grad von Wir-
kungsvermögen, also von athenischem Zustande, mit Erethismus verbunden
62-1 ERODENTIA — ERYSIPELAS
seyn und gerade das entgegengesetzte Heilverfahren , nämlich das antiphlo-
gistische, erfordern kann. " Der Erethismus der contractilen Theile , zumal
der Haut, wird Vulnerabilität genannt, d. i. derjenige Zustand, bei
dem nicht nur grössere Contractiiität stattfinden , sondern auch besondere
Anlage zu leicht entstehenden Entzündungen und eben so leichtem Über-
gange derselben in Eiterung und Brand, also dasselbe, was man im gemei-
nen Leben „eine schlechte Haut zu heilen" nennt.
Erodentia, s. Caustica.
Eroniania, Erotp,yi(inia , Amor insnnus, Liebeswahnsinn, wel-
cher in Verkehrtheit des , Vqrstellungsvermögens seinen Grund hat, häufig
im Jünglingsalter eintritt und meist immer von de;r Mitwirkung des Ge-
schlechtstriebes frei ist. Diese Seelenstörung, ist die heftigste Leidenschaft
für einen Gegenstand, der dem Kranken moralisch oder physisch unerreich-
bar scheint. Häufiges Romanenlesen und schwärmerische Phantasie beför-
dern das Übel. Cur. Muss psychisch seyn. Ernsthafte Beschäftigung, das
Studium der Geschichte, Geographie und einer ruhigen Lebensphilosophie
vermögen hier mit der Zeit sehr viel. Ist der geliebte Gegenstand erreich-
bar, so hilft oft. das Heirathen (s. auch Nymphomania).
Erosio ventriculi , s. Gastrobrosis.
Errlitna, Niesenüttel, s, Sternutatorium. '
Errliysis, Rieseln des Blutes, langsame Blutung, s. Haemorrhagia,
Erysipelas, Ignis sacer, Ignis St. Antonii, Brimus, Rosa, Erythema,
Rose, üothiauf. So nannte man in früherer Zeit verschiedene Hautent-
zündungen , die mehr oberflächlich sich längs der Haut verbreiten , sich we-
nig in die Tiefe erstrecken und , wenn sie auch nicht scharf begrenzt sind,
sich doch nur auf einzelne Hautstellen beschränken. Auch wahre phlegmo-
nöse Hautentzündung, so wie ein locales chronisches Krankseyn der Haut
mit Röthe, Empfindlichkeit und Jucken des Theils und ohne Fieber (Ery-
thema) ctyifundirte man mit dem Erysipelas. In neuerer Zeit hat man den
Begriff enger gestellt, um dadurch Missgriffe in der Diagnose und Heilung
der Rose zu verhüten. . Demnach ist Rothlauf dicsenige Entzündung der
Haut , welche in dem auf der Oberfläche der Lederhaut ausgebreiteten
Lymphgefässnetze , wahrscheinlich auch in den Hautschleimdrüschen und im
Malpighi'schen Schleimnetze ihren Sitz hat, immer nur stellenweise erscheint,
häufiger sich in der Hautoberfläche, als in der Fetthaut verbreitet, und mit
einem Leiden der Digestionsorgane, insbesondere der Leber, in ursächlicher
Verbindung steht (^Rtist, Raimnmi). Alle oberflächlichen Hautentzündungen,
die der Rose ähnlich sehen, durch Hitze, Kälte, chemische Schärfen, leichte
Verwundungen, von Entzündung sehniger Ausbreitungen, von metastatischer
Ablagerung auf die Zellhaut, Beinhaut und die Drüsen (K?w^c), von gastri-
schen, rheumatischen, arthritischen Beschwerden herrühren, sind demnach
nicht zum Erysipelas , sondern zum Pseudo - Erysipelas zu rechnen {Rust).
Richter (Therapie Bd. H.) unterscheidet in dieser Hinsicht Erjs locale und
universale, und versteht unter ersterm Pseudo - Erysipelas, unter letzterm
die WJilire Rose; die Benennungen sind aber unrichtig, denn auch ein All-
gemeinleiden (Arthritis) kann Pseudo - Erysipelas erregen , und die wahre
Rose, mag ihr immerhin ein Allgemeinleiden zum Grunde liegen , ist in den
meisten Fällen doch immer ein Localübel, das also nur diesen oder jenen
Theil, am häufigsten das Gesicht und die Glieder, befallt. Auch ists Un-
recht , wenn Richter die BVostbeulen eine Spielart der örtlichen Rose nennt
(s. Perniones). Symptome der wahren Rose. Zwei bis drei Tage
leidet der Kranke an katarrhalisch -gastrischem Fieber, Rothlau fsfi eher
(^Fcbris ergsipelncea) genannt ; alsdann entsteht an ir^nd einem Theile des
Körpers (das Übel kann jede Stelle der Hautoberfläche befallen) Röthe mit
Jucken, Brennen, Hitze; diese Röthe ist rosenroth , verbreitet sich von ei-
nem Punkte aus , ist blässer als bei andern Entzündungen , spielt an ihren
nicht scharfen Grenzen ins Gelbliche, verschwindet unter dem Druck des
\
ERYSIPELAS 025
Fingers, kehrt beim Nachlassen des Drucks schnell zurück; dabei ist eine
flache , massig harte , nach den Rändern hinlaufende Geschwulst und kein
klopfender, stechender, sondern ein brennender, juckender, spannender
Schmerz. Die leidende Hautstelle ist bald nur ein oder einige Hände gross,
zuweilen leidet ein ganzes Glied (Arm, Bein), in sehr seltenen Fällen ver-
breitet sich die Rose über den ganzen Körper. Sie ist zuweilen ■von sehr
flüchtiger Natur, verschwindet oft plötzlich, kommt ebenso schnell an än-
dern Stellen zum Vorschein, wobei ein neuer Fieberfrost eintritt, macht
mitunter Ver^zungen nach den Schleimhäuten, nach der Pia mater, und
erregt Encephalitis (s. Metastasis und Erysipelas retr og ressum).
Verlauf und Ausgänge. Der Gang der Rose ist rasch, gewöhnlicfr
zieht sie am siebenten , neunten Tage ab , das Fieber wird gelinder , hört
unter Krisen durch Haut und Urinwege auf, die Geschwulst, der Schmerz
und die Röthe des leidenden Theils verschwinden und die Oberhaut schuppt
sich kleienartig ab. Dies ist der gewöhnliche und beste Ausgang : die Z e r-
theilung. Weniger günstig ist der Ausgang in Eiterung, der durch
Missbrauch nasser und fettiger Dinge, durch kachektische Constitution, be-
sonders bei Erys. phlegmonodes oft erregt wird und oft schnelle Verjau-
chung, Zerstörung des Zellgewebes, der Muskeln , Fisteln, Caries zur Folge
hat. Noch schlimmer ist der Ausgang in Brand. Die zu nervösen und
putriden Fiebern sich gesellende Rose , die bei alten , geschwächten , was-
sersüchtigen Personen, die Rose, A*elche bei Kindern am Leibe, Nabel, an
den Genitalien erscheint, hat vorzüglich Neigung zum Brande. So ist auch
der sogenannte Hospitalbrand ursprünglich eine Rose, sowie die Furia infer-
nalis, welche oft die Soldaten im Bivouac ergreift, nichts weiter als eine
bösartige Rose mit Neigung zum Brande ist. Ein vierter Ausgang ist Ver-
härtung. Die Rose des Unterschenkels, die an drüsigen Theilen, an den
Brüsten, besonders wenn nasse, kalte, adstringirende Mittel gebraucht wer-
den , nimmt gern diesen Ausgang. Ein seltener , fünfter Ausgang ist der in
chronische Rose. Hier sind die Zufälle des Localleidens nur massig, zie-
hen sich in die Länge, die krankhafte Affection befällt nach und nach meh-
rere Stellen des Körpers, oder währt massig lange Zeit an ein und dersel-
ben Stelle fort. Gichtische, scrophulöse und solche Personen, die an grossen
Unordnungen im Pfortadersystem leiden , sind zu dieser Form der Rose am
geneigtesten. Ursachen. Personen mit reizbarer, empfindlicher, vollsaf-
tiger, durch Zimmerluft und Pelzwerk verweichlichter Haut, mit choleri-
schem Tempei-amente , Plethora abdominalis, venöser Dyskrasie, Hämorrhoi-
dalcongestion , die an Gicht, Adiposis morbosa, Leukophlegmatie , an ano-
malem Menstrual- und Hämorrhoidalflusse leiden, haben die meiste Neigung
zur Rose. Erkältung nach Erhitzung, schneller Temperaturwechsel, die-
selbe Luftbeschaffenheit, welche im Spätsommer und Herbst epidemische
Ruhren befördert (M.), gastrisch - gallige Reize, der Genuss zäher, fetter,
ranziger, reizender Dinge: der Muscheln, Austern, Krebse, des Gänseflei-
sches; heftiger Zorn, Ärger, Missbrauch geistiger Getränke veranlassen das
Übel bei jeder Hautbeschaffenheit sehr leicht. Prognose. Ist im Allge-
meinen und bei einfacher Rose gut; bei allgemeiner Kachexie, bei Hydrops,
Febris nervosa, putrida, oder wenn die Rose auf innere häutige Organe:
Gehirn, Mag^n, Gedärme übergeht, oder wenn sie schlecht behandelt wird,
ist die Krankheit nicht ohne Gefahr. Cur im Allgemeinen. 1) Man
entferne die etwa noch fortwirkenden Schädlichkeiten, vermeide Erkältung,
sorge für Reinlichkeit, massig warme Zimmertemperatur. 2) Man gebe
zuerst ein Brechmittel aus Ipecacuanha und Tart. emetic. , und darauf, um
die Diaphoresis und Diuresis zu befördern, Salmiak mit Aq. flor. sambuci
und Tart. emet. in refracta dosi, auch Vin. stibiat. mit Spirit. Minderer!
und Aq. flor. sambuci. Sind wenig Zeichen von Sordes da, so kann man
ohne Brechmittel fertig werden und gleich den Tart. emet. mit Salmiak ge-
ben. 3) Man vermeide alles Nasse und Kalte am leidenden Theile, wende
dagegen trockne Wärme: warmgemachtes, in der Pfaime gebranntes Mehl,
Kleien, mit Spec. resolvent., an, und empfehle Ruhe. 4) Man berücksich-
Mo8t Encyklopädie. 2te Aufl. I. 4Q
626 ERYSIPELAS
tige die Natnr des Fiebers, die Constitution des Kranken und die ßpeclelle l
Form des Übels. In dieser Hinsicht unterscheiden wir folgende Arten dei I
Rothlaufs. _ . l
ErysipeJns faciei, Gesichtsrose. Sie kommt am häufigsten -Tor, ist '
bei robusten Subjectcn meist mit starkem Fieber und gastrischen Beschwer-
den verbunden, das indessen beim Erscheinen des tJbels sich meist vermin-
dert. Das Gesicht ist oft stark geschwollen, die Röthe .saturirt, zuweilen
bilden sich Pusteln, Blasen. Dabei oft etwas Delirium, Sopor, und Leibes-
rerstopfung, heftig brennender Schmerz. Cur. Aderlassen '^t oft nöthig,
dabei innerlich Nitrum, Salmiak, bei heftiger Leibesversiopfung Infus, laxat.
Vienn. mit Sal Glauberi , um vom Kopfe abzuleiten und Encephalitis zu
verhüten. Ist die Heftigkeit des Fiebers und der Localzüfälle gehoben , dann
Salmiak, Spirit. Minderen, Tart. emetic. in kleinen Dosen. Örtlich passen
die oben erwähnten trocknen, warmen Umschläge. Nasse Mittel sind auch
hier schädlich (Af.).
Erysipelns syinptomnikum , die symptomatische Rose, unpassend
von Rtist Pseudo- Erysipelns genannt; s. Inflammatio telae cellulo-
sae s u b c u t a n e a e. Die Diagnose zwischen wahrer und falscher Rose ist
nach Rust (Theor. u. prakt. Handb. d. Chirurgie, Bd. VI. S. 463 u. f.) fol-
gende: Die wahre Rose entkeimt dem Digestionsapparate und ist ein ei-
genthümliches , durch Gallenreize bedingtes Leiden (^Kluyc in Rusl^s Magaz.
Bd. VIII. Hft. 3, S. 525). Geht sie in Verschwärung und Brand über, was
bei richtiger Behandlung selten der Fall ist', so ninnnt sie von der Ober-
fläche des Körpers nach den darunter gelegenen Theilen ihren Fortgang
und bildet daher nie einen fluctuirenden Aliscess , sondern immer nur eine
offene, weit ausgebreitete putride Geschwürsfiäche. — Dagegen stellt die
falsche oder unechte Rose eine fixe Hautentzündung mit geringer Röthe
(Erythema) dar, die an und für sich nie in Verschwärung oder Brand über-
geht , und von zweifacher Art seyn kann ; entweder a) Erysipelns spurium
idiopnthicum , das Erythema spurium idiopathicum, nach Khiye, eine Der-
matitis partialis , entstanden durch topische Reize, durch Kälte, scharfe
Dinge, leichte Verwundung, Verbrennung, scharfe animalische und vegeta-
bilische Stoffe (Stiche von Mücken, Bienen, Wespen, Wanzen etc., nach
deren Entfernung es wieder verschwindet; oder b) Eiysipelns (Erythema,
Kluge) spurium symplomnlicum , consensunle , vorzugsv^eise Pseudoci'ysipelns
genannt. Dieses ist der blosse Reflex eines anderweitigen Leidens der unter
der Haut gelegenen Gebilde, einer tiefer liegenden Entzündung, einer ver-
borgenen Eiterung etc. Die Haut hat hier nur den Schein eurer rosenarti-
gen Entzündung , das Übel kommt nie , wie die wahre Rose , im Gesichte
vor, fast immer an den Gliedern , besonders an den untern Extremitäten,—
die Röthe ist nicht so umschrieben, auch nicht so hell, wie bei E. verum,
mehr dunkler, violett, der leidende Theil ist nicht so heiss, fühlt sich tei-
gig an, der Schmerz ist mehr reissend, klopfend, als brennend, sitzt auch
tiefer, als bei E verum, das Fieber dabei ist selten echt gastrisch; — das
Übel ist gefährlicher, ähnelt mehr dem Carbunkel , geht leicht in Brandy in
brandige Entartung des Zellstoffs über und verbreitet sich zuweilen über
das ganze Glied. Die vorzüglichsten Ursachen sind : kachektischer Körper,
schlechte Säfte, Armuth, schneller Witterungswechsel, starke Einwirkung
der Kälte bei fieberhaften Krankheiten, Wochenbetten, vorgerücktes Alter,
besonders bei Greisen; doch sah ich es einst auch im Winter nach Erkäl-
tung bei einer 20jährigen Wöchnerin. Rust empfiehlt bei der Cur vorzüglich
örtliche Blutentziehungen und hinterher folgende Fomentation : ^r htfus. flor.
rhamomiU. (ex 53 parati) ftj , Aceü snturnini 53, Tinct. opii 5jjj- M. S. Lau-
warm umzuschlagen, wodurch selbst noch kleine Eiterdepots resorbirt wer-
den. Ist schon Fluctuation vorhanden, so muss man früh öffnen, sonst folgt
schnelle Zerstörung der tiefern Gebilde, der Sehnen, Muskeln, Knochen,
besonders aber des Zellstoffs zmschen allen diesen Theilen. Wo man geöff-
net hat , verschwindet bald die rosenartige Hautentzündung und starke Blu-
tung erfolgt höchst selten dabei. Ist schon Brand da , so dienen aromatische
ERYSIPELAS 627
Kräuter, in Wein gekocht, za Umschlägen, Streapiilver von ChamiUe»,
Kohle, Camphor und Myrrhe, später Aq. Kreosot!, Acetura pyro-lignosura,
Ol. terebinthinae. — Die luduratio telae cellulosae neonatorum, der Furun-
kel und Carbunkel werden als Varietäten des Pseudoerysipelas angesehen.
Erysipel as lullosnni, vcsiculnre, pustulosum, Blatterrose. Es bilden
sich hier oft schnell Blasen von der Grösse einer Linse, Erbse, oft rwch
grösser , die eine lymphatische Flüssigkeit enthalten , leicht platzen , gelbe,
braune Borken bilden und leicht in Verjauchung, selbst in Brand übergehen,
besonders bei alten, kachektischen Personen , in typhösen Fiebern. Cur.
Man Öifne die Blasen, entleere die Lymphe öfters mit einem Schwämme,
bestreiche die Theile mit etwas erwärmtem Mandelöl, verhüte alles Nass-
kalte, bedecke die Theile mit Spec. resolventes, erwärmtem Mehl, bei ty-
phösem Fiebercharakter mit Kampher vermischt, und behandle das Fieber
nach seinem Grundcharakter, gebe innerlich Spiiit. Minderen, Vinum sti-
biat. , nach Indication ein Vomitiv, bei wahrer Schwäche Valeriana, Kam-
pher. Aber nicht jede Blatterrose ist typhösen Charakters. Es giebt Fälle
in flenge , wo gelinde oder stärkere Antiphlogistica , und bei der Gesichts-
blatterrose besonders kühlende Purganzen höchst nothw endig sind. Eine be-
sondere Art der Blatterrose ist das Heilige-Antonsfeuer (^I<inis St, An-
t07iii, Hieropyr), welche sich zuweilen zu dem wahren Faulfieber gesellt,
wo sich an verschiedenen Stellen des Körpers nach und nach Blasen bilden
die schnell in Brand übergehen. Hier passen innerlich besonders Kampher,
Arnica, China, Mineralsäuren, äusserlich Verbinden der Blasen und Ver-
schwärungen mit Kamphersalbe, Ol. terebinthinae etc. Als eine andere Abart
der Blatterrose hat man den Gürtel (Zona), der am Unterleibe in der
Gegend der Herzgrube erscheint und den halben Leib wie ein Band um-
giebt, angesehen. Dieses Übel ist aber herpetischer Natur und keine Rose
{Himly), wenigstens dem Herpes (s. d. Art.) ähnlicher, wenn auch durch
das Eruptionsfieber etwas Unterschied stattfindet.
Erysipelas qndemicum. Zur Zeit, wo katarrhalisch - gastrische , katar-
rhalisch - gallige oder rheumatische Fieber herrschen , zeigt sich auch die Ros«
häufig epidemisch; besonders ist dies im Frühling und Herbst und in den
Jahren, wo die russische Influenza herrscht, der Fall. Cur. Man behandle
das Grundübel und vergesse die Vomitive zu Anfange der Rose nicht.
Erysipelas Neonatorum, Erysip. volaticum, Maculae volaticae, die Rose
der Neugebornen. Luft und Licht machen auf den Neugebornen einen
starken Reiz; daher zeigt sich bald nach der Geburt Röthe der Haut, die
später ins Gelbliche spielt ; besonders ist dies der Fall am Gesicht und an
den Gliedern. Dieser Zufall, der weder Rose, noch Gelbsucht ist, und in
der Regel von selbst vergeht, muss vom Erysipelas Neonatorum wohl un-
terschieden werden. Symptome. Höchst selten wird ein Kind mit dem
Übel geboren, gewöhnlich zeigt es sich in den ersten Lebenstagen bis zur
zwölften Lebenswoche. Die Krankheit kommt plötzlich, oft gehen Icterus
der Nabelgegend und der Genitalien , Frieselausschlag , Convulsionen , Tris-
mus Neonatorum vorher. Am häufigsten und heftigsten befällt sie das Ge-
weht und den Hals, selten die Regio umbilicalis und pubis. Zuerst zeigt
sich Röthe an einer kleinen Stelle , die sich bald ausbreitet, wol ganze
Glieder überzieht, dabei begrenzte Geschwulst, Hitze, und bei Berührung
Schmerz. Die Röthe wird dabei dunkel , spielt ins Blaue und hat grosse
Neigung brandig zu werden. Dabei bemerkt man zuweilen grosse Flüch-
tigkeit dieser Rose, so dass sie an einem Theile verschwindet und nach 24
Stunden und später an einem andern wieder auftritt; die Zunge ist weiss
belegt, das Abendfieber oft bedeutend. In den meisten Fällen folgt am
neunten Tage die Heilung unter Desquamation der Haut. Nur in seltenen
Fällen wird das Übel bösartig, wo dann im Verlaufe oft zerstörende Eite-
rungen, grüne Stuhlgänge, stinkender Durchfall , Gelbsucht, Aphthen, kurz
vor dem Tode oft Tetanus, Trismus eintreten. Die Dauer des Übels ist
7 — 21 Tage, auch wol länger; sehr gefährlich ist es, wenn es die Ge-
schlechtstheile ergreift, wo es oft schon am vierten Tage durch Brand töd-
40*
628 ERYSIPELAS
t«t, wie dies in den Spitälern Englands und Frankreichs von mir im Jahre
1817 einigemal beobachtet worden ; weit minder gefährlich , wenn es in der
Form der Blatterrose mit Blasen erscheint ; am gefalirlichsten , wenn der
ganze Körper davon befallen wird. Ursachen sind: verdorbene, mit fau-
len Dünsten angefüllte, feuchte Luft, daher das häufige Erscheinen der
Krankheit in Findelhäusern, schlecht eingerichteten Gebäranstalten, Spitä-
lern; rohe Behandlung der Nabelschnur; das Einwickeln der Kinder in
heisse und feuchte Tücher, das gewaltsame Hineindrücken des Nabels, um
den Nabelbruch zu verhüten, Unreinlichkeit, Erkältung, schlechte Kindes-
nahrung, reizende, erhitzende Diät, Zorn, Schreck, Geilheit der stillenden
Mutter oder Amme. Cur. In den meisten Fällen passen zu Anfange aus-
leerende Mittel , z. B. Tinct. rhei mit Vinum stibiatum (s. Ueijfeliler, Krank-
heiten der Neugebornen. Leipz. 1825, S. 59), oder aiich folgende Mixtur:
R; 7«fjts. In.ral. J'icnn. 5J , Aqutte foenictiU, Syr. rhei ana 3i)>. M. S. Stünd-
lich Vi — 1 Esslöliel voll. Daneben 2 — Sraal täglich gr. )\ — j Merc. dulc,
bei Krämpfen mit Moschus, Valerianainfusum; lauwanne aromatische Bäder)
bei grünen Stuhlgängen, wenn sie nicht von Merc. dulc. herrühren, Liq.
kali carbon. mit Aq. foenicuii und Syr. rhei. Äusserlich nützen trockne
warme Kräutersäckchen mit Spec. resoivent. und Kampher, nur bei wirklich
Bufangendem Brande wende man feuchte Dinge: Decoct. chinae mit Roth-
wein, Spirit. camphoratus, Solut. aluminis an. Gegen die zurückbleibende
Härte und Steifigkeit passen Linim. volat. mit etwas Unguent. mercuriale.
Ein sehr wirksames Mittel bei der Rose der Kinder ist die oxygenirte Salz-
säure, z. B. F^f Aqune oxijnmriat. 5jjj ? Decoct. nUliacne ^iv. M. S. Alle
2 Stunden Y2 — 1 Esslölfel voll, welches Mittel auch in der Gastromalacie
passt und hier von mir mit Erfolg gebraucht worden (A'o;»p und A.). Es
macht oft den Merc. dulc. entbehrlich, der sonst in der Rose so gute Dien-
ste thut.
Erijsipelas nmlulans , die wandernde Rose. Sie befällt plötzlich
bald diesen, bald jenen Theil des Körpers, ist Folge von Leberleiden und
kann oft schlimme Versetzungen machen , besonders wenn nasskalte Mittel
angewandt werden. Cur. Die aligemeine der Rose; ausserdem besonders
Vomitive, Ekelcur, Abends und Morgens gr. j Merc. dulc. mit gr. |>. Sulph.
auratum.
Ertjsipclas fixum, die st ät ige Rose. Hierher gehört vorzüglich die
Blatterrose, besonders die des Gesichts. Doch hüte man sich auch hier vor
nasskalten, zurücktreibenden Mittein; auch die brandige Rose (Erysipelas
typhodes, gangraenosum), gehört hierher» Bei letzlerer, die oft nur
Symptom des Faulfiebers ist, kann man dreist äusserlich feuchte Antiputre-
dinosa, Decoct. chinae, quercus, Spirit. camphorat., Pulv. chinae etc. an-
wenden.
Erijsipclus phlcfimofiodes , stark entzündliche Rose. Sic kommt
vorzüglich bei robusten Subjecten und im Gesichte vor, ist von dunkler
Röthe, ergreift auch die tiefer liegenden Theile, macht leicht heftiges Fie-
ber und Delirien. Cur. Wie bei Kry.sipelas faciei. Alan verordne hier also
Blutegel hinter die Ohren, allgemeine Aderlässe und dann folgende Mixtur:
]Hr Infiis. Injrnt. J'ieun., Aqune ^Inr. stnnhuci ana 5Jjj - Snl Olnnlcri , Sijr.
nuinnae ana 5J. M. (M.), wovon alle Stunden 1 — d EsslölTcl voll genom-
men werden. Sind gastrische Beschwerden da, dann nach dem Aderlass eiji
Vomitiv.
Eri/siiiclas ncrvosum. Der nervöse Charakter ist .selten der ursprüng-
liche der Rose. Gewöhnlich zeigt er sich erst gegen das Ende der katar-
rhalisch-rheumatischen Rose. !S>mptome. Blasse Röthe, starke Ge-
schwulst, kachektische, schwache Constitution, Schwächefieber. Cur, Äus-
serlich Spec. resolv. uüt Kanq)licr. Innerlich R/ Cninphorne, Merc. dulc.
ana gr. j, Sulph. aurnli gr. f> , Opii puriss. gr. 'jt, Liquir. cocfne -)j. M.^ f.
pulv. dispens. dos. xjj. Wovon o — 4uial täglich 1 Pulver genommen wird
(3/.). Daniben Infus, arnicae , \al('rinnao, bei wahrem Kaiilfieber China»
Mintralsäuren. Cvpclmul gab einem iOjälirigen Kranken , der an einer sol-
ERYSIPELAS 629
cheii Gesichtsrose litt und in Stupor und Coma verfiel , alle 3 Stunden
3 Drachmen Ol. terebinthinae mit Ol. ricini und Aq. cinnamomi , Hess Kly-
stiere aus Ol. olivar, und terebinth. ana 5vj reichen , worauf gelbe gallige
Ausleerungen erfolgten und der Kranke bald genas (Lond. med. Repository,
Apr. 1825). Geht das Erysipelas in Brand über, dann die Cur des Erysip.
gangraenosum; s. Erysipelas fixura.
Erysipelas reirotfressum , zurückgetretene Rose. Leichte Erkäl-
tung, der Missbrauch äusserlicher nasser, kalter, fettiger Mittel, der Ad-
stringentia , Gemüthsbewegungen , der Missbrauch des Aderlassens , der
Laxanzen bei der leichten katarrhalischen Rose, nicht bei Erysip. phlegmo-
nodes, sind vorzüglich Ursache dieser gefährlichen Form, wobei die Rose
am leidenden Theile plötzlich verschwindet und dagegen heftjge Fieberzu-
fälle mit Raserei, Sopor, Encephalitis, Gastritis, Enteritis etc. sich einstel-
len. Cur. Man suche die Rose durch Reizmittel: Einreibungen von Linim.
volatile gj , Tinct. cantharid. 5|^, durch trockne Schröpfköpfe, anhaltendes
Reiben mit Flanell etc; auf der alten Stelle wieder hervorzubringen. Auch
spanische Fliegen oder Senfteige in die Nähe derselben (nicht auf den lei-
denden Theil selbst , weil sie leicht den Brand befördern) , sind nützlich,
z. B. bei zurückgetretener Gesichtsrose in den Nacken. Innerlich passen,
wenn die Zufälle deutlich entzündlich sind, Nitrum, Tart. vitriolat. mit Aq.
flor. sambuci; in leichtern Fällen zuerst ein Brechmittel, dann Spiritus Min-
dereri mit Vinum stibiatum, bei wahrer Schwäche Kampher, Moschus, Sal
volatile. In vielen Fällen mag man auch wol Ursache und Wirkung ver-
wechselt und die innere Krankheit (Febris gastrica, hepatica) , indem sich
diese verschlimmerte oder einen andern Charakter (den typhösen, putriden)
annahm, mit welchem sich gleichzeitig das Symptom, die rosenartige Ent-
zündung, veränderte oder ganz verschwand, für die Zeichen des vermeint-
lichen Zurücktretens der Rose gehalten haben. In solchen Fällen mögen
dann vorzüglich Moschus, Sal volatile, Kampher gute Dienste geleistet ha-
ben (3f.). Zuweilen tritt die Rose zurück, ohne irgend beängstigende und
bedenkliche Zufälle zu erregen. Hier können wir, wie sich dies von selbst
versteht, wol exspectando verfahren und allenfalls die Cur mit einem Vo-
mitive bewenden lassen.
Erysipelas hahituale. Es ist gar nicht selten, dass die Rose ein Indi-
viduum mehreremal im Leben und eine Stelle des Körpers öfter afficirt,
wodurch sich dieses Übel von den acuten Exanthemen: Blattern, Masern,
Scharlach etc. vorzüglich unterscheidet. So bekommen manche Personen je-
den Herbst, andere jedes Frühjahr, noch andere 3 — 6mal im Jahre die
Rose, besonders die Gesichtsrose (M.); hierher gehört auch die bei alten
Leuten. Ursachen sind venöse Dyskrasie , Lcberfehler, Gicht, Men-
struatio et Haemorrhoides retentae, suppressae, örtliche erhöhte Empfind-
lichkeit des Hautsystems. Cur. Man behandle das Grundiibel, verordne
innerlich Extr. taraxaci , chelidon. , Tart. tartarisat. , Gummata ferulacea,
Sapo medic. , eine Brunnen- und Badecur, besonders Schwefelbäder, lege
Fontanellen, Haarseile, gebe bei den ersten Vorboten der wiederkehrenden
Rose ein Vomitiv, darauf 2 — 3 Tage lang Abends und Morgens folgendes
Pulver: ^ Mercnr. dulc. gr. j, Sulph. nurali gr. |y , Liquir. corUie ^j. M.
f. p. disp. dos. vj (M.) , und stärke ausser der Zeit der Wiederkehr das
Hautsystem behutsam durch allmälige Abhärtung, Exponiren an die freie
Luft, durch tägliche Bewegung, durchs Waschen mit kaltem Wasser, Spi-
ritus camphoratus (Richter). Häufig leiden Weiber in den Jahren , wo sie
ihre Menses verlieren, an habitueller Rose. Hier passen knappe Diät, viel
Bewegmig im Freien und der anhaltende Gebrauch des Elix. acid. Hallerl,
um die Wiederkehr des Übels zu verhüten. Ist dasselbe gerade eingetre-
ten, dann die gewöhnliche Cur des Erysipelas, wie oben angegeben worden.
Erysipelns ocdemniosum. Sie wird am häufigsten bei alten , kachekti-
fichen , hydropischen Subjecten , vorzugsweise wenn Oedenm pedum da ist,
an den Füssen beobachtet. Cur. Man wasche und fomentire die Theile
mit Aqua Goulardi, Aq. vulnerar. Thedenii {Richter). Hier braucht man
630 ERYSIPELAS
sich vor dem Zurücktreiben der Entzündung nicht zu ßrchten , da das Übel
meist aus örtlichen Ursachen entsteht.
Erysipelns intestinorum. So nennt S*te6e? (Bwst's Magaz. 1827, Bd. XXIV.
Hft. 1, S. 161) einen Krankheitszustand, der zuweilen im Stadio desqua-
roationis Scarlatinae eintritt und folgende Zeichen hat : Erbrechen , Purgi-
ren, späterhin Leibesverstopfung, Gesichtsblässe, Mangel an Appetit und
Durst, leidendes, hypochondrisches Ansehn, trockne Haut, unterdrückte
Harnabsonderung ; die Kranken lieben die gekiüramte Seitenlage ; welke
Bauchdecken , bei tiefem Druck auf dieselben höchst empfindlicher Schmerz.
Cur. Blutegel auf diese Stelle, innerlich Kampher, stündlich zu 2 Gran.
worauf reichlicher Schweiss und heller Harn erfolgt (^Stiehel^. Durch deii
Mangel hydropischer Zeichen, durch die fehlende Aufgetriebenheit des Un-
terleibes, durch die Schmerzlosigkeit der Nierengegend unterscheidet sich
das Übel von Peritonitis und Nephritis. Ob es Recht ist , diesen Krank-
heitszustand Rose zu nennen, lasse ich dahin gestellt seyn, da es noch gar
nicht ausgemacht ist, ob innere, der atmosphärischen Luft nicht ausgesetzte
Theile von Erysipelas befallen werden können (M.).
Erysipelns scirrhosum. So hat man wol den Ausgang der Rose in Ver-
härtung genannt. Cur. Innere und äussere Resolventia : Kamphersalbe,
Laugensalz mit Opium, Dämpfe von Weingeist, Succinum, öfteres starkes
Reiben mit Flanell , Flanellbedeekung , innerlich Opium , Sal volatile (^Rich-
ter). Vorzügliche Dienste leisten die oben angegebenen Pulver aus Merc.
dulc. , Kampher, Opium etc.; s. Erysipelas nervös um.
Erysipelas exulceratum. Geht die Rose in Eiterung über, so geschieht
dlei selten vor dem neunten Tage. Die Gelegenheitsursachen sind schon
oben bei den Ausgängen angegeben. Klopfender Schmerz , Horripilationen,
starke Geschwulst, Erhebung einzelner Hügel auf derselben, Härte im Um-
fange sind die Vorboten. Cur.' Man wende hier mit Verhütung der Er-
kältung äusserlich Cataplasmata emollientia an und öffne den Abscess oder
die einzelnen Abscesse bald Die Eiterung ist in der Regel langwierig; ge-
wöhnlich sondert sie einen schlechten Eiter , Jauche ab. Man verbinde hier
mit gewöhnlichem Waschschwamm, mit trockner Charpie, abwechselnd mit
Unguent. saturn. , vermischt mit etwas Unguent. praecip. rubr. Oft ist eine
grosse Masse verdorbenen Zellgewebes da, die Öffnung ist klein, es bilden
sich Fistelgänge. Hier erweitere man zeitig die Öffnung. Innerlich passen,
da gewöhnlich noch Sordes vorhanden sind, erst ein Laxans, später Anti-
monialia in kleinen Dosen , zuletzt Roborantia : Calamus aromat. , China.
Erysipelas cellulosum. So haben Einige die acute , wie die chronische
Entzündung des Zellgewebes genannt; Andere nennen unrichtig so Ver-
härtung des Zellgewebes (Endurcissement du Tissu cellulaire), die
vorzüglich als Allgemeinleiden bei Kindern beobachtet wird; s. Indu ratio
telae cellulosae Neonatorum.
Erysipelas gangraenosum, die brandige Rose. Dass diese Form bei
typhösen, putriden Fiebern, bei alten kachektischen Personen, bei Erys.
neonatorum und vesiculare, besonders bei falscher Behandlung leicht vor-
kommt , ist schon oben gesagt worden. Zuweilen entsteht diese Rose aber
sehr schnell ohne vorhergegangene Krankheit und schon binnen den ersten
24 Stunden ist Brand des leidenden Theils und nervöses Fieber mit grosser
Mattigkeit eingetreten. Hier ist die Rose wol nur eine V^arietät der schwar-
zen Blatter (s. Anthrax und Pustula maligna), wie dieses aus den
Beobachtungen der Doctoren Schmidt und Fischer hervorgeht (s. Hufeland's
Journ. 1828, Juni, S. 122). Bei der brandigen Rose ist die Localkrank-
heit, dieVesicula, ebenfalls wie bei der schwarzen Blatter vorhanden, scheint
aber in der Folge im Zellgewebe still zu stehen und wird in der Regel ge-
fährlicher und schneller tödtlich. Das Erys. gangraenosum entsteht ohne
alle Übertragung des Milzbrandgiftes, später; der Carbunkel ist das Ende
der Krankheit, und es geht ein typhöses Fieber voraus. Bei der wahren
schwarzen Blatter ist die Localkrankheit, die Vesicula, gleich anfangs vor-
handen und das typhöse Fieber entsteht erst später, wenn durch Verbrei-
ERTTHEMA — EUCRASIA 631
tung des Gifts , das eich schnell mittels der Säfte dem ganzen Körper mit-
theilt, aus dem örtlichen Übel ein Allgemeinleiden wird. Die Cur die«ör
brandigen Rose ist ganz die der schwarzen Blatter (s. Anthrax).
firytbeina, Hautrdthe, rosenartige Entzündung der
Haut aus örtlichen Ursachen, entstanden durch Reiben, reizende
Schärfen , Insectenstiche. Viele Ältere verstehen darunter schlechtweg l^ry-
sipelas , oder eine besondere Art desselben mit rosenrother Farbe. Einige
Neuere nennen Krysipelas oedematodes und jede Rose ohne P'ieber Ery-
thema (Kraus).
Esaphe« Ist das sog. Touchiren der Hebammen und Geburts-
helfer. S. Exploratio obstetricia.
Xlscll2u*a, Kruste, Schorf an Wunden, Geschwüren, chronischen
Hautausschlägen etc. Ist eine bald mehr trockne , bald mehr feuchte,
braune, gelbliche oder schwarze Rinde, welche zuweilen Geschwüre und
Wunden überzieht, indem der Austiuss von Lymphe, Blut etc., durch das
Oxygen der Atmosphäre hier consolidirt wird. " Auch Ätzmittel , Feuer etc.,
erregen bekanntlich durch ihre Einwirkung auf die Haut und auf Gefässe
eine Eschara, vermitteis welcher sie blutstillend wirken. Bei guten Säften,
sogenannter gut heilender Haut, heilen kleine Verwundungen ohne Kunst-
hülfe unter der von selbst sich bildenden Borke, welche, sowie der Hei-
lungsprocess beendigt ist, allmäiig trocken wird und abfällt; ist dies nicht
der Fall , so sondert erst die eintretende Eiterung die Borke ab , wo wir
jene zu behandeln haben.
Escharoticiun« ein Mittel, welches ätzend wirkt und so eine Eschara
bildet; s. Causticum.
EiSOChe, Esochos , Vertiefung, eine Af tergesch wul st , ein
Hämorrhoidalknoten am After.
Esphlasis, EnthJasis, ein Hirnschaleneindruck, z. B. nach
äussern Verletzungen; s. Depressio cranii.
Esscra, Morhus porcicuSf Porzellanfieber. Ist eine unwesent-
liche Modification in der Form der Nesselsucht, wo die rothen, breiten
Flecken wenig erhaben sind. Auch wird das Wort von vielen Schrift-
stellern gleichbedeutend mit Nesselsucht, Nesselfieber genommen; s. Ur-
ticaria.
Essera chronica , chronische , fieberlose Porzellankrankheit , «.Ur-
ticaria.
dsthiomenoiS 9 die fressende Flechte, s. Herpes exedens.
Citisis* So nennen unrichtiger Weise die Franzosen zuweilen die
Phthisis.
Gtroncufi» harte Unterleibsgeschwulst. Sie ist Folge von
verschiedenen Krankheitszuständen : Physkonie der Leber, Milz, Hydrops
ovarii, Vergrösserung des Eierstocks etc. (s. diese Art.).
Kuaemia, gute Beschaffenheit des Bluts, Die genaue Kennt-
nis« des Bluts und seiner Veränderung in Krankheiten ist in neueren Zeiten
mit Unrecht vernachlässigt worden , und es fehlen uns noch genaue chemi-
sche Untersuchungen des Bluts in Fiebern und andern Krankheiten , wie sie
kürzlich Dr. Reid Clanny (Edinburgh medical and surgical Journ. Jul. 1828)
über das Blut im Verlaufe der Febris continua continens anstellte, die alle
Nachahmung verdienen.
Euaesthesia» gute Beschaffenheit der Sinne und des Ge-
meingefühls.
Kuchroea, gute Hautfarbe.
Kucbylia« Euchjmia, gute Beschaffenheit des Milchsaftes,
Speisebreies, im Allgemeinen der Säfte.
Eucrasia, gute Gesundheit, gut« Säftemlschung ; das Gegen-
tlieil von Dyscrasia.
632 EUDYNAMIA — EUTHANASIA
Kudynamla, das specifisch - regelmässige Lebensver-
mögen {Bartels) ; also dem Grundbegriife nach gleichbedeutend mit E u -
c r a s i a.
Enexia, das gesunde blühende Ansehn, als Gegensatz der
Cachcxin, gesunder Zustand des Organismus, als äussere Erscheinung des-
selben (^Kraus).
Eiinuchus» ein Verschnittener, Eunuch, Castrat, s. Castratio.
Eupathia bedeutet 1) die Eigenschaft, durch Aussendinge leicht af-
ficirt zu werden, einen hohen Grad von Sensibilität und Receptivität, z. B.
bei Hypochondristen, Epileptischen, Hektischen 5 2) einen hohen Grad von
Wohlbefinden.
Eupepsia , gute Verdauung, auch Leichtverdaulichkeit einer
Speise.
Eüuphoria, das Wohlbefinden, auch das gute Bekommen einer
Arznei, Speise, einer Cur etc.
Eupnoea, Eupnöe, gute, freie Respiration.
Eurythmia, der ordentliche, regelmässige Puls.
Eiusitia, gute Esslust.
Kusplanchnia , gute Beschaffenheit der Eingeweide.
Eutlianasia , ein ruhiger, sanfter Tod. Die Sorge für ein
sanftes Ende des Sterbenden ist heilige Pflicht des Arztes. Da der Tod in
den meisten Fällen nicht plötzliche , sondern nur eine stufenweise Metamor-
phose vom Lebendigen zum Todten ist, der Mensch meist immer nur stück-
weise stirbt, und das Gehör am längsten behält, so lasse man jedem Ster-
benden Ruhe und verbittere ihm die letzten Augenblicke nicht durch lautes
Wehklagen. Der Arzt muss 1) den Zustand des rettungslosen Kranken durch
äussere sorgfältige Bedienung und durch angemessene ärztliche Behandlung
zu mildern suchen. 2) Er muss alles vermeiden, Avodurch nur immer das
Leiden gesteigert oder Schmerzen erregt werden können. Die unzweck-
mässige Anwendung von heftig vsirkenden Arzneien , Hautreizen , spanischen
Fliegen etc. verdient grossen Tadel. 3) Er muss Geist und Gemüth de«
Kranken durch Trost und Zuspruch , durch den Hinblick auf Gott und
Ewigkeit aufrichten und kräftig erhalten. 4) Er muss beständig Rücksicht
nehmen auf Zeit, Krankheitsart, Temperament und Alter. (Vgl. Marx in
Jleclxer's Lit. Annalen der gesammt. Heilkunde, 1827, Febr., S. 129 u. f.).
Dr. Klohss theilt über Euthanasia oder über die vom Arzte ausgehende Hülfe,
den Tod zu erleichtern , uns das Bruchstück einer grössern Schrift in Hufc-
land^s Journal, 1832, St. 1, S. 125 ff. mit und redet ausführlich von der
Sorge für Anordnung und HerbeischafTung aller den Tod und seine Qualen
wirklich erleichternden Mittel. Die Euthanasie umschliesst nicht blos phy-
sische, sondern fast noch mehr psychische Mittel, weil die Seele bei
Sterbenden ebenso sehr, und oft noch mehr, als der Körper leidet, und weil
gerade die Hülfe für jene im Ganzen wirksamer , anwendbarer und auch da
noch statthaft ist, wo die Mittel für diesen völlig erfolglos und vergeblich
sich zeigen. Aber unter keinen gedenkbaren Umständen steht dem Arzte
das Recht zu, das Leben eines Menschen, auch nicht des sterbenden, ab-
zukürzen oder zu vernichten, wie Hufeland in seinem Journal, 1823, S. 19,
da, \yo er von dem Rechte des Arztes über Leben und Tod redet, so wahr
bemerkt. Die Erleichterung des Todes von Seiten des Arztes darf daher
nie auf Kosten des Lebens geschehen, sonst wird sie, in Bezug auf die
göttlichen Gesetze, zur Sünde, und in Beziehung auf die menschlichen zum
V^erbrechen. Die den Tod erleichternden Mittel theilt Klohss in 3 Classen :
1) In solche, welche in Bezug auf das Regimen und die Diätetik der
dem Tode nahen Kranken und Sterbenden stehen. Hierher gehören: a) fri-
.sche, reine Luft im Krankenzimmer. In jeder Jahreszeit muss täg-
lich '/.. — 1 Stunde lang das Fenster geölTnet werden; der Zugwirid wird
durch Bettschirme abgehalten. Die gewöhnlichen Räucherungen, die mit
EUTHYMIA - EVACUANTIA 633
Essig ausgenommen, schaden, b) Sorge für Reinlichkeit in Wäsche,
Speise und Trank, c) Ein passendes, möglichst bequemes Lager.
Man lege im Allgemeinen Kranke und Sterbende , wie sie es selbst begeh-
ren. Letztere in der Regel etwas hoch mit Kopf und Brust, weil die mei-
sten schwer athmen. Manchen Kranken , z. B. die an Phthisis pulmonalis,
an Herzkrankheiten, Brustwassersncht leiden, ist das Sitzen angemessener,
als das Liegen, d) Gute, brauchbare und wohl unterrichtete
Krankenwärter (wozu sich gründlich geheilte Geisteskranke, nach Ide-
ler, am besten eignen), e) Passende Erquickungen durch Spei-
sen und noch mehr durch Getränke. Hier ist reines, frisches, kal-
tes Wasser, wenn es den Magen nicht beschwert oder Husten erregt,
das beste Labsal; für viele schwache Sterbende ist, öfters gereicht, 1 — 2
Esslöffel voll guter Rhein- oder alter B'ranzwein, mit Wasser und Him-
beersaft vermischt, vorzuziehen (^Most). Man muss Sterbenden alle paar
Minuten zu trinken anbieten. f) Angemess en e Sinnes eindrücke,
vorzüglich auf Auge und Ohr, welche sich am längsten bis zur voUkommnen
Vernichtung alles Lebens erhalten. Man vermeide, dass der Sterbende das
Jammergeschrei und Wehklagen der Umgebung hören kann. — 2) In die
zweite Classe gehören die psychischen, den Tod erleichternden
Mittel. Dazu gehören a) das Vertrauen des Kranken und Sterbenden
zum Arzte. Dieser soll die Hoffnung zur Erhaltung des Lebens erhalten,
stärken und beleben, wozu Menschenkenntniss, Klugheit und Gewandtheit
gehören. Aber auch durch (wenn auch nur stumme) Theilnahme und ge-
fühlvollen Antheil des Arztes und der Umgebung, und durch das Bewusst-
seyn der Sicherheit des Schicksals der Seinigen und die Anwesenheit gelieb-
ter Personen am Sterbetage wird der Tod dem Sterbenden sehr erleichtert.
Hier hat Klohss den grossen Trost, den die Religion bei guten edlen Men-
schen in der Todesstunde gewährt, und der, wenn er zufällig vom Arzte
kommt, oft mehr wirkt, als der absichtliche vom Geistlichen, ganz überse-
hen. 3) Rein ärztliche und pharmaceuti sehe Hülfsmittel. Sie
erleichtern den Tod, indem sie Schmerzen lindern und die schlimmen Zu-
fälle erleichtern und , wenn auch nicht dauernd , doch eine Zeit lang be-
schwichtigen. Ein specifisehes , den Tod in jedem Falle erleichterndes Mit-
tel giebt es nicht. Die Mittel sind daher nach den individuellen Umständen
verschieden, und können hier Opium, Blausäure, selbst ein Vomitiv, ein
Laxans seyn. Es versteht sich von selbst, dass Klohss letztere Mittel kei-
nem Sterbenden reichen wird , wo kaltes Wasser , frische Luft , edle Weine,
Ruhe von Seiten der Umgebung etc. die Hauptmittel sind. — Dass manche
Arzte aus Ignoranz oder um thätig zu erscheinen, dem ohne Hoffnung und
oft schon im Sterben liegenden Kranken noch hässlich schmeckende Arzneien
eingeben und ihn mit Senfpflastern, spanischen Fliegen etc. quälen, ist ab-
scheulich. Es macht weder ihren Kenntnissen , noch ihrem Herzen Ehre,
und beweist, dass sie schlechtere Prognostiker sind, als manche alte
Wartefrau.
Eutltymia, guter Gemüthszustand, gute, reine heitere Ge-
müthsbeschaffenheit. Ist bekanntlich ein gutes Zeichen in Krankheiten.
SiUtocia, das Leichtgebären, die gute Niederkunft, eine regel-
mässige Geburt (s. Partus normalis), eine leichte Geburt im Gegen-
satz der schweren (^Dystocia), nach Nägele (s. Partus). Ob mit der Auf-
stellung solcher höchst relativer Begriffe in concreto etwas gewonnen sey,
da sich eine grosse Anzahl Gradationen zwischen leicht und schwer anneh-
men lassen, dies ist noch die Frage. Auch bedeutet das Wort: Frucht-
barkeit, also das Gegentheil von Sterilitas.
Eutrophia» gute Ernährung, im Gegensatz der Atrophia.
Evacuantia, ausleerende Mittel (s. Emetica und Laxan-
tia). Die ausleerende Methode im weitern Sinne umfasst mehr als blosses
Ausleeren nach oben oder unten. Wir bewirken Ausleerung entweder durch
Beförderung natürlicher Absonderungen oder durch künstlich erzeugte Wege.
634 EVENTRATIO *- EXARTHROMATOLOGU
Alle Mittel, welche die Secretion des Darmcanals, der Haut, der Nieren,
der Lunge, der Speicheldrüsen, der Nasenschleimhaut befördern, sind Eva-
cuantia und werden speciell blutreinigende Mittel genannt. Dahin ge-
hören fleissige Körperbewegung, frohes Geniüth, massig trockne, warir.t;
Luft, vieles Wassertrinken, laue Bäder, unter den Arzneien Antiinonium,
Spec. lignorura , Taraxacum , Saponaria , Chelidonium , Guajak u. s. f.
Durch Methodus gastrica, durch Einetica und Purgantia, sowie durch die
Digestiva befördern wir die Secretion des Darmcanals , durch Methodus dia-
phoretica die Hautsecretion, durch Methodus diuretica, expectorans die Se-
cretion der Nieren, der Lungenschleimhaut etc. Zu den künstlich erzeujr-
ten Ausleerungen flüssiger Materien rechnen wir die Blutausleerungen durch
Aderlassen, Blutegel, Schröpfen, die Scarification, die Paracentese, die Ye-
sicantia , künstlichen Geschw üre etc. Wie wichtig also die ausleerende Me-
thode ist, bedarf keines Beweises. Ihre specielle Anwendung lehrt die prakti-
sche Heilkimde (vgl. Uufeland's System d. prakt. Heilk. Bd. I. Jena, 1800,
8.451 — 496). Unter die ausleerenden Mittel gehören demnach die Emetica,
Vomitoria, die Aperitiva, Cathartica, Digestiva, Eccoprotica, Laxantia, Pur-
gantia und Drastica, die Diaphoretica, die Diuretica, die Sialagoga, die
gchleimausleerenden Mittel durch die Nase (Errhina) und durch die Lungen
(Expectorantia); ferner die Mittel, welche die Ausleerung des Blutes auf
natürlichem Wege befördern (Haemagoga, Pellentla, Emaienagoga) , tue,
welche Blähungen treiben (Carminativa), endlich die Arteriotomie , Phlebo-
tomie, die Paracentese , die Anwendung der Schröpfköpfe und Blutegel etc.
Eventratio. Ist Prolapsus viscerum, in Folge penetrirender Bauch-
wunden ; auch die Hernia ventralis und den sogenannten Hätigebauch
durch Geschwülste, Relaxation der Bauchdecken, durch Wochenbetten etc,
hat man so genannt.
Exacei'lJatio » das Steigen, die Zunahme bei den nachlassen-
den Krankheiten, z. B. bei Febris reraittens (s. Fe bris).
Exaematosis » blutige Verwundung. Ist gleichbedeutend mit
Haematosis.
Exaemia« Blutleere, Blutmangel, s. Anaemia.
Exaeresis, Extractio, das Herausnehmen, z. B. des Steins au»
der Blase, des Kindes aus dem Uterus, eines Zahns aus dem Kinnbacken,
die Herausziehung des Staars etc.
Exalma» das Ausspringen, z.B. eines Rücken- oder Halswirbels.
Exain1>loma, Examhiosis, s. Abortus.
Exania« Vorfall aus dem After, s. Prolapsus intestini recli
et ani.
Exantbema, das Aufblühen, die Pustel, der Ausschlag.
Wir verstehen darunter die widernatürlich erhabenen oder flachen Flecken
Buf der Haut, welche von verschiedener Figur , Farbe und Dauer sind, und
jedesmal von Fieber begleitet werden, z. B. Blattern, Scharlach, Masern,
Röthein, Friesel, Petechialfieber etc. Ist kein Fieber dabei, so nennen wir
sie Impetigines. Die Eintheilung in acute und chronische Exantheme ist
weniger richtig , obgleich manche zuweilen chronisch, ohne Fieber sind, z.B.
der Nesselausschlag; s. Efflorescentia und Impetigo.
Exantltematophthalini», Ist eine durch Exantheme ent-
gtandene Augenentzündung; z. B. Ophthalmia variolosa, morbillosa,
iscarlatinosa etc. (s. Inflam matio oculi).
Exara^ma* Ist ein Knochenbruch mit Zersplitterung (s. Fractura).
Exarma. Ist eine sehr vorstehende Geschwulst (^Bcgiii).
Exarthroma » Exa: threma , das Ausgerenkte, aU Folge der
Exarthrosis.
Exarthromatolog^ia, e. Arthrocacologia.
EXARTHROSIS — EXCORIATIO 635
ExarthrosiiS, das Ausrenken, 8. Luxatio.
Kxarysis» Exhmtstio, die Erschöpfung der Kräfte durch Krank-
heit, Säfteveriust , Körperanstrengung, Hunger etc.
XiXCisio, Exstirpntio, das Ausschneiden, Ausschälen, Aus-
rotten. Ist diejenige chirurgische Operation, wo man einen Theil aus-
gcliält, ausschneidet oder ganz abschneidet, z.B. Exstirpatio tumoris, Exci-
sio humeri etc. , welches die operative Chirurgie lehrt.
Excitantta {remedia), erweckende, reizende, belebende
Mittel. Die Anzahl derjenigen Dinge, welche als Reiz auf den lebendei^
Organismus wirken, ist sehr gross. Seelenreize: Erregung angenehmer Af-
fecten und Leidenschaften, der Phantasie, des Willens; Sinnesreize: Licht,
Luft, Schall, Geruch; Muskularreize ; mechanische Reize: Friction, Er-
schütterung; Blutreiz durch gute Nutrientia; Wärme und Kälte, Elektri-
cität und Galvanismus ; alle diese Dinge gehören , insofern sie ihrer Wir-
kung nach theils Stimuli mentales, theils Stimuli dynamici , chemici aut me-
clianici sind, zu den reizenden, belebenden Mitteln. Unter den Arzneikör-
pern rechnen wir hierher a) flüchtig luid schnell , aber nicht andauernd rei-
zende : Sal. vol. c. c. , Naphthen , Wein , Moschus , Kampher , empyreuma-
lische Öle, Serpentaria, Valeriana, feine Gewürze , Phosphor etc. Sie sind
die belebenden Mittel im engern Sinne, und finden ihre Anwendung bei
wahrer Schwäche , in Ohnmächten , beim Scheintode , bei torpider Schwä-
che, bei typhösen und putriden Fiebern, und zwar hier so lange, bis der
Körper die tonischeren Reizmittel vertragen und verdauen kann ; b) anhal-
tend reizende Mittel. Hierher gehören die Amara, Amaro-Aetherea, Amaro-
Adstringentia, Tonica, gute Nutrientia (s. Amara und Tonica). Sie fin-
den ihre Anwendung bei Reconvalescenten, in wahren Schwächefiebern ohne
Anzeigen von Sordes, bei allen Zehikrankheiten zur Stärkung des Körpers,
wie dies die praktische Heilkunde lehrt. Hierbei vergesse der Arzt nie,
1) dass diese Arznei- und Nährmittel ohne die anderen belebeiiden Mittel:
Seelen- und Sinnesreize (froher Muth, muntere Laune, reine Luft, gutes
Licht, Wärme, massige und täglich vermehrte Körperbewegung, Reinlich-
keit) wenig zu leisten vermögen ; 2) dass die flüchtig reizenden Excitantia,
anhaltend gebraucht, durch Überreizung höchst nachtheilig wirken; daher
nur im Nothfall, bei Indicatio vitalis, und so lange anzuwenden sind, bis
die Tonica und Nutrientia vom Kranken vertragen werden können. Es ist
bei der Anwendung der flüchtigen, durchdringenden Excitantia nie ein wirk-
lich erschöpftes oder geschwächtes, nur ein schlummerndes Wirkungsvermö-
gen vorauszusetzen. Sie sind indicirt in allen Fällen, wo es einer raschen
Aufreizung bedarf, wo die torpide Schwäche an die sensible und krampf-
hafte grenzt oder bereits in Lähmung übergegangen ist (^Sundelin). Ammo-
nium, Phosphor und Elektricität sind hier vorzugsweise an ihrer Stelle.
Auch die Eintheilung der Excitantia in flüchtig -scharfe, bitter - scharfe und
harzig- scharfe ist von praktischem Nutzen. Flüchtig -scharf wirken Senf,
Rettige, Löffelkraut, Colchicum. Sie erwecken die Sensibilität, befördern
die Secretionen in den Gelenkbändern und Synoinalhäuten und wirken anti-
septisch und antiskorbutisch. Die bitter - scharfen (Squilla , Helleborus , Ko-
loquinthen) wirken auf den Darmcanal , auf die Unterleibs - und Rücken-
marksnerven , und sind in kleinern Gaben Diuretica , in grössern Purgantia
drastica. Dasselbe gilt zum Theil von den harzig -scharfen Reizmitteln;
Guajak, Jalape, Scammonium, Gutti. Unter den Gewürzen sind die schärf-
sten Reizmittel Pyrethrum und Capsicum. Sie passen in den höchsten Gra-
den des Torpors und der Lähmung , bei grosser Unthätigkeit der ab - und
aussondernden Organe und des gesammten Reproductionssystems.
^SiXCOriatio» Darsis, Diatrimma, AttrHus, Parairimma, Ectrimma,
die Hautabschälun g, das Roth- oder Wundwerden der Haut.
Ist eine Ablösung und Absonderung der Oberhaut von demCorion, oder des
letztern von den weichen Theilen. Ursachen sind: Unreinlichkeit , Anein-
anderreihen der Theile, scharfe ätzende Dinge, innere Schärfen. So zr» B.
636 ' EXCRESCENTIA — EXINANlTIO
leiden Säuglinge, die unreinlich gehalten werden, hänfig daran. Cur. Rein-
lichkeit durch kaltes Wasser, Waschen mit kaltem Wasser und etwas Brannt-
wein, das Aufstreuen von Sem. lycopodii. Am} Ion sind die vorzüglichsten
Mittel. Auch hat man das Aufstreuen von Ceriissa, Flor, zinci empfohlen.
Doch sey man mit diesen Mitteln bei grossen Wundflächen und bei Kindern
vorsichtig , damit keine Vergiftung durch Resorption erfolgt. Auch da , wo
die Excoriation aus innern Ursachen entsteht, z. B. bei dem chronischen
Wundseyn 2 — 7jähriger Kinder hinter den Ohren, passen solche zurücktrei-
bende Mittel nicht. Ist bei Säuglingen allgemeine Schwäche die Schuld
des Wundseyns, so wirken laue aromatische Bäder von Serpyllum, Rosma-
rin, Lavendel, Flor, chamomill. etc. besonders gut. (S. auch Ecdarsis).
Christian Hoppe.
XiXcrescentias Ecphyma', ein Auswuchs. Ist jede widernatürliche,
sowol in den weichen , als in den festen Theilen des Körpers stattfindende
Auswachsung; dahin gehören Warzen, Polypen, Knochenexcrescenzen etc.
Die nächste Ursache solcher Excrescenzen ist Afterorganisation (Organisatio
spuria) , relativ zu starke Production , fehlerhafte Modification der Repro-
duction (s. Pseudomorp hosis, und Röschlnii7j''s Magaz. Bd. VI. Hft. 1).
Bei der Cur solcher Excrescenzen untersuche man, ob sie auch von innern
Ursachen herrühren. Alsdann begnüge man sich nicht mit dem örtlichen
Wegschaffen derselben, wozu die Chirurgie die Mittel (Scheere, Bistouri,
Ligatur, Caustica) kennen lehrt, sondern wirke auch durch allgemeine, die
Production vermindernde Mittel auf die ganze Constitution des Kranken.
Übrigens bezieht sich der Name Auswuchs, worunter fast alle Pseudoorga-
nisationen gehören , nicht auf die Natur und das Wesen dieser Krankheiten,
daher er bei dereinstiger Revision unserer Terminologie wol gestrichen wer-
den kann. Nach Verschiedenheit der Organe und der Structur der Theile
unterscheiden wir Excrescentia carnosa, cartilaginosa, cerebri, corneae, fun-
gosa, ossea, scirrhosa, verrucosa etc. (s. Cancer, Fungus, Sarcoma).
Excrescentia gingivac, s. Epulis.
Exerasis» Exerasmus. Ist jede Ausleerung durch Erbrechen, Hu-
sten, Stuhlgang etc.
* Exfoliatio OSSium, die Abblätterung, Exfoliation der
Knochen. Ist Trennung abgestorbener Knochenlaraellen oder grösserer
Knochenstücke von der in ihrer Integrität gebliebenen Knochenmasse in Folge
der Nekrose. Diese abgestorbenen, in Form von Blättern, kleinen Spitzen,
Stacheln vorkommenden Theile , welche Sequester heissen , sind bei reiner
Nekrose gewöhnlich weiss; ging aber Caries vorher, oder die Anwendung
der Caustica, so sehen sie schwärzlich aus. Die Lostrennung ist nicht Folge
der Eiterung oder des Granulationsprocesses, sondern Folge der Resorption,
welche beim Stillstande des Ertödtungsprocesses an der Grenze des Todten
und Lebendigen sich geltend macht, einen Theil des letztern einsaugt, eine
Spalte veranlasst und somit die Oberfläche des Sequesters rauh , höckerig,
und von wurmstichigem Ansehn macht (^Vcidmnmi). Es findet somit in den
Knochen derselbe Process statt , wie in den weichen Theilen beim Brande,
nur mit dem Unterschiede , dass er weit langsamer von Statten geht. Die
Entfernung des Sequesters befördert die Natur häufig durch die Cloaken-
bildung (s. Caries und Necrosis). L. A. Most.
Exliaustio, Erschöpfung der Kräfte, s. Adynamia.
Slxinanitio, DqjJetio, übermässige und anhaltende Auslee-
rung, z. B. durch anhaltende schwächende Diarrhöe, chronisches Erbre-
chen, durch Phthisis pulmonalis, durch Ausschweifungen in Vene.re etc.
Die Folgen davon sind allgemeine Erschöpfung, Zehrfieber, Krämpfe ex
inanitione (Hippokrates) und zuletzt Tod durch Abzehrung. Die Cur sol-
cher Übel besteht darin , die übermässige Ausleerung zu massigen und den
Körper zu stärken durch Roborantia, Amara, gute Nutricntia, Bewegung
im Freien etc.
EXISCHOS — EXOSMOSIS 637
EiXischoS» s. Luxatio femoris.
Exoinetria, Umstülpung der Gebärmutter, s. Prolapsus uteri.
flxoiuplialus » Nabel Vorfall , s. Hernia umbilici.
Exomphalm nquosus. Ist eine wässerige , durchschneidende Geschwulst,
Brhebung des Nabels , die zuweilen bei Bauchwassersucht stattfindet , die
man auch Hydromphalus nennt. Man kann, wenn das Abzapfen des Was-
sers indicirt ist, diese Geschwulst mit der Lanzette leicht öffnen, welche
Operation die Paracentese mittels des Troikars überflüssig macht, und da-
her in diesem Falle durchaus den Vorzug verdient (M.).
Exomphalus callosus, Poromphalus , Nabelvorfall, der Verhärtungen,
Fett, Steine etc. enthält, s. Hernia umbilici.
Exomphnlus cruentiis , Haemalomphalon , Nabelblutbruch, wo der
Nabel durch ergossenes Blut hervorgetrieben ist. Cur. Man behandle das
Übel anfangs als eine Contusion, fomentire mit Essig, Wasser, Branntwein,
Aq. vulnerar. Thedenii; will darnach die Resorption nicht erfolgen, so öffne
man die Geschwulst , und verbinde mit Charpie, welche mit Decoct. chinae,
quercus, Alaunsolution , angefeuchtet worden.
Eivomphnlus poli/posus , s. Sarcomphalus.
Exomphalus pwrulentus, Nabelvorfall, welcher Eiter enthält. Wird
wie Abscess behandelt.
Exomplinlus vnricosus, Adergeschwulst des Nabels. Ist Gefdss-
ausdehnung dieses Theils ; s. Angiectasis.
Exomphnlus ventosus, Luftgeschwulst des Nabels. Ist zuweilen
Symptom der Tympanitis, des Hydrops abdominis. Cur. Die des Grund-
übels. Bei Säuglingen entsteht das Übel oft ohne wahrnehmbare Ursache
und vergeht ohne Mittel in wenigen Tagen von selbst (M).
Kxoneirog^iuus» Exoneirosis, nächtliche Samenergiessung im Traume,
s. Pollutio nocturna.
Exopbtlialinia, s. Exophthalmos.
Exoplttbalmia cancrosa, s. Canceroculi.
Kxophtlialiuos , Exophthalmia , Ochsenauge, Hervortreten und
Vergrösserung des Augapfels, s. Hydatis glandulae lacrymalis \md
Prolaps usbulbioculi.
üiXOr cismus , das sogenannte Beschwören und Austreiben. Ist
das auf Aberglauben beruhende, in frühern Jahrhunderten von Priestern oft
angewandte Verfahren , durch Beschwörungsformeln etc. einen vermeintli-
chen bösen Geist, eine Krankheit etc. aus dem Körper zu treiben, welches
besonders bei Epileptischen und psychisch Kranken in Anwendung gebracht
und durch Ableiten der Krankheitsideen , durch Aufregung der Phantasie zu-
weilen heilsam wurde.
füxorinia, Exormesis. So nennt P«Msani«s den Wahnsinn (s. Ma-
nia); Neuere verstehen darunter einen frieselartigen Hautausschlag,
besonders das sog. Grutum (itrnws).
EiXOSmosis, Extrusio, richtiger wol Exothesis, das Gegentheil von
Endosmosis , Intrusio. Beide Benennungen gebraucht Dutrochet für die an
organischen Häuten beobachtete Doppelerscheinung, dass verschiedene, an
beide Flächen einer solchen Haut vertheilte Flüssigkeiten dieselbe von bei-
den Seiten gleichzeitig, aber weniger oder mehr gleichmässig , durchdringen.
Diese Thatsache giebt neues Licht über die sogenannten Eitermetastasen
und deren pathologischen Vorgang. Nach Romherf] (s. Medic. Zeitung von
einem Verein f. Heilkunde in Preussen ; Berlin, 1834, Nr. 16) beruhen Aus-
scheidung, Aufsaugung und Absonderung theils auf dem Processe der Im-
bibition (wo die Quantität zweier Fluida, die durch ein organisches Ge-
webe, z.B. eine Haut, getrennt sind, sich nach hydraulischen Gesetzen ins
Gleichgewicht , auf gleiches Niveau setzen) , theils auf Endosraose und
Exosmose, d.i., wo die Ausgleichung der Qualität der Fluida ohne Rück-
638 EXOSTOSIS
sieht aufs Niveau 2wischen organischer Haut, von der Seite einer weniger
gesättigten Auflösung nach der andern Seite, vor sich geht, was auch bei
porösen metallischen Körpern geschieht. Eiterkügelchen gehen nicht durch
die Häute der Gefässe, weder von aussen, noch innen, noch umgekehrt.
Zur Erklärung der sogenannten Eitermetastasen reichen zvs^ei bekannte phy-
siologische Thätsachen aus: 1) die Erfahi-ung, dass, wenn sich an einer
Stelle eine abnorme Thäiigkeit, zumal Entzündung, äussert, die Absonde-
rung in andern Organen dadurch vermindert oder aufgehoben wird , es mö-
gen diese letztern nun normale Absonderungsorgane oder blos durch Krank-
heit zu solchen gemacht worden seyn, z.B. eine nach aussen geöffnete Ab-
«cesshöhle. 2) Diese Erfahrung hat auf die wichtige Lehre von der Deri-
vation und die ableitende VIethode (Glüheisen , Vesicantia , Rubefaclentia,
Vomitive, Laxanzen) geführt, wobei an einem gesunden Organe Reizung,
vermehrte Thätigkeit bewhkt wird, um die krankhafte Thätigkelt in einem
andern Organe zu beschränken. Beide sub Nr. 1 und 2 angeführte Erfah-
rungssätze erläutern, nach Ilomhertf , befriedigend die sog. Eitermetastasen,
Sie beschränken sich im Allgemeinen darauf, dass eine locale Eite-
rung an einem äussern T heile vorhanden ^yar, dass sich ne-
ben dieser auf einmal unbestimmte Zeichen eines Innern oder
allgemeinen Leidens entwickelten, dass nun zu gleicher Zeit
eine beträchtliche Störung des Allgemeinbefindens einer-
seits, und Verminderung oder völliger Stillstand der äus-
sern Eiterabsonderung andererseits bemerkt wurde, und
dass man nach dem nun erfolgten Tode eine Eiteransamm-
lung in irgend einem andern Organe fand (s. auch R. Froriep,
Über. Eitermetastasen, in Casper's Wochenschrift, 1834, Nr. 8 u. 9).
ExostosilS, Knochen aus wuchs, Beingewächs. Ist Product
des qualitativ und quantitativ irregulär thätigen Ernährungsgefässsystems.
Die Existenz der Exostosen ist bald dem Periosteum externum, bald der
Tela medullarls, den Bildungs- und Erhaltungsorganen der Knochen zuzu-
schreiben (s. LangenhecTc^s NeueBM. für Chirurgie u. Ophthalmologie , 1827,
Bd. IV. St. 3, Sv 532). Eine wirkliche Knochenmasse scheint sich nach
Langenheck nur an der Oberfläche der Knochen zu bilden. Das Übel ist
gewöhnlich sehr langwierig; seine nächste Ursache Ist ein Ausschwitzen des
Knochensaftes, der sich entweder auf die Oberfläche des Knochens ergiesst,
oder sich in der Nähe desselben ausbreitet, oder nach innen in die Mark-
höhle dringt. Im letztern Falle, der der seltenere und wobei das Übel mehr
knorpeliger Art ist, nennt man es Enostosis. Wird ein Knochen In seinem
ganzen Umfange dadurch ausgedehnt , was am häufigsten bei den kleinen
Knochen der Hände und Füsse der Fall Ist, so heisst das Übel flyperostosis.
Auch kann man die abnorme Verdickung der Kopfknochen bei manchen Epi-
leptischen hierher rechnen. Befällt das Übel einen Röhrenknochen Im gan-
zen Umfange, so heisst es Periostosis. Einige unterscheiden auch Exostosis
vera und spuria. Bei ersterer entsteht der Auswuchs durch den Knochen
selbst, bei letzterer durch das Periosteum Wichtiger Ist der Unterschied
zwischen Exostosis benigna und maligna. Letztere ist der wahre Knochen-
krebs, wenn auf demselben im Fleische der wirkliche Krebs stattfindet.
Diese Exostose ist von Anfang an mit heftigem klopfenden Schmerz verbun-
den ; auch fühlt sie sich weicher an als alle nicht bösartigen Exostosen,
Sie besteht aus einer knorpeligen Kapsel, worin ein fachiger Bau, gebildet
aus Knochenplättchen und untermischt mit speckartiger Masse, bemerkt wird,
worin Gallerte und später Jauche gefunden wird. Zuletzt bricht sie an ei-
ner einzelnen Stelle auf, sinkt aber auch dann nicht zusammen, sondern
treibt eine Menge glatter, glänzender Schwämme hervor, die ungemein viel
Jauche von durchsichtiger Farbe und scheusslichem Gestanke geben und
sehr leicht bluten, worauf bald hektisches Fieber und Tod folgen {Himhj).
Gottlob! ist dieses Übel, wo, wenn es der Theil erlaubt, vielleicht einzig
die Amputation retten kann, selten. Gewöhnlich sind alle Exostosen zn
Anfange weich und werden erst allmälig härter. Meist entstehen sie ganz
EXOSTOSIS 630
schleJchend, häufig ohne Schmerz, tler erst dann eintritt, wenn sie durch
ihre Grösse die benachbarten Theile beeinträchtigen. Alle Knochen des
Körpers können von Exostosen befallen werden, jedoch kommen sie am häu-
figsten an den Schädelknochen, am Unterkiefer, am Schlüssel - und Brust-
beine, an den Rippen und an den langen Knochen der Extremitäten vor.
Manchmal ist die Geschwulst auf einen kleinen Theil des Knochens be-
schränkt und bildet eine Masse von bald mehr runder, bald länglicher, stiel-
förrniger , bald kugeliger Gestalt. Ist die Exostose nicht sehr gross , so
verändert sie die weichen Theile fast gar nicht ; ist sie aber bedeutend,
monströs, so dehnt sie die Muskeln gleichsam aus und verdünnt sie. Selbst
kleine Knochenauswüchse können die Verrichtung gewisser Organe sehr hin-
dern. So hat man dadurch die Wirkung der Beugerauskeln des Unterschen-
kels gehindert gesehen, so erregt die Exostose in der Orbita Prolapsus
bulbi oculi, Hydrophthalmos, Buphthalmos etc. Gelegenheitsursachen
der Exostosen sind theils innere , theils äussere. Zu erstem gehören alle
kachektische Krankheitszustände, als Syphilis, Gicht, Scropheln, Krebs etc.
(Bei den Scropheln ist Exostosis meist der Vorläufer der Spina ventosa, der
Paedarthrocace; der Krebs macht Exostosis maligna etc. M). Zu den letz-
tern gehören alle äussere mechanische Einwirkungen, welche eine Ergies-
sung des Knochensaftes veranlassen, als Quetschungen, Beinbrüche etc. —
Die Symptome der Exostosen sind nach den verschiedenen Ursachen sehr
verschieden. Ist das Übel blos Folge örtlicher Veranlassung, so fehlen die
Schmerzen oft ganz. Entstand es aber aus innern Ursachen, liegt ihnen
eine chronische Knochenentzündung zum Grunde, so sind die Schmerzen oft
sehr heftig und werden durch Bettwärme unerträglich, so wie sie dann meist
des Nachts am heftigsten sind (s. Dolores osteocopi), und in den
meisten Fällen von Syphilis inveterata herrühren , auch den syphilitischen
Exostosen gewöhnlich schon vorhergehen. Cur. Sie ist nach Verschieden-
heit der Ur.'^achen, nach der Grösse und Lage der Exostosen und nach den
Zufällen, welche sie veranlassen, verschieden. Rührt die Knochengeschwulst
von äussern Ursachen her, ist sie noöh klein, noch nicht zur wahren Kno-
chenmasse verdickt, so lässt sich nicht allein ihre fernere Ausbildung ver-
hüten, sondern sie kann auch durch Eisumschläge, Tropfbäder, zertheilenda
Pflaster, z. B. Enipl. de gummi ammoniaco, E. mercuriale cum Camphora
et Opio, durch Unguentum hydrargyr. einer., durch Einreibungen von Ka-
lomel mit Speichel etc. zertheilt werden. Ist die durch äussere Ursachen
entstandene Exostose aber schon alt und hart, und helfen die genannten
Mittel nicht, so kann man sie, erregt sie keine üble Einwirkung auf die
benachbarten Theile, der Natur überlassen. Wächst sie aber bedeutend
fort , hindert sie die Function des leidenden Theils oder der Nachbarschaft,
80 muss zur Operation geschritten werden. Diese besteht darin, dass man
die Geschwulst von ihren Bedeckungen durch einen länglichen, ovalen oder
kreisförmigen Schnitt (nach Beschaffenheit des Theils) entblösst, und dann
mittels eines Trepans ödes eines Meisseis und Hammers den Auswuchs ent-
fernt. Ist aber eine innere Ursache vorhanden , so muss eine allgemeine ge-
gen das Grundübel (Arthritis, Syphilis, Scrophulosis) gerichtete Behand-
lung vorhergehen. In den meisten Fällen ist diese allein hinreichend und
es bedarf keiner Operation. Besonders achte man darauf, ob Lues zum
Grunde liegt; das syphilitische Exanthem oder Liehen syphilitic. giebt hier
oft Auskunft. In den meisten Fällen bedarf es hier der Louvrier-Rust'schen
Schmier- und Hungercur. Ausserdem sind als Specifica gegen Exostosen
noch im Ruf Cort. mezerei (s. Dolores osteocopi), welche sowol bei
Arthritischen als Venerischen nützlich ist; ferner die äusserliche Anwendung
der Mercurialsalbe , der El«ktricität. Bei Exostosis maligna sind zu Anfange
Anticrancrosa und später solche Mittel zu versuchen, welche die Schmerzen
stillen und die Kräfte unterstützen"; z.B. Opium, gute Nutrientia, China etc,
Synonyme der Exostosen , nach manchen Verschiedenheiten auch zu nähern
Bezeichnungen, sind ; Hyperostosis , Periostosis , OstcoscirrJnts , Osteophyma,
Osttoncus j Osteotyhts, Nodus, Nodus cahareus, Knochengeschwulst,
640 EXOSTOSIS
Knochenknoten, Kalkkn&tcn, Sandstein- oder Bimssteinge-
wächs, wie dieses schon aus dem Obigen näher hervorgeht. Geben diese
Geschwülste dem Fieberdrucke nach, so heissen sie Guimnnia , sind sie et-
was härter : Tophi {Böticher) ; andere Autoren nennen wieder nur die syphi-
litischen Knochenauswüchse Tophi und Gummata. Callisen unterscheidet mit
Recht: 1) Exostosis solida, vera. Sie entsteht häufiger aus örtlichen, als
aus allgemeinen Ursachen , macht wenig Schmerz , hat einen langsamen Ver-
lauf; die neugebildete Knochenmasse ist einfach, gleichartig, hart und wird
später selbst härter, als die gesunde Knochensubstanz, sogar wie Elfen-
bein. — 2) Exostosis cavernosa, spurin, Callisen. Sie bildet sich nur in
Folge allgemeiner Ursachen unter heftigen, anhaltenden Schmerzen, selbst
zuweilen unter B^ieber aus, und, wenn auch nicht immer, doch der Regel
nach, ist ihr Verlauf weit rascher, als bei Nr. 1. Sie enthält in ihrem In-
nern eine oder mehrere Höhlen, die von festen Knochenlamellen umschlossen
werden , oft eine ungleiche Ausdehnung haben und eine Materie von ver-
schiedener Consistenz und Beschaffenheit enthalten, zuweilen dünnflüssig,
wie Wasser (daher der Name Htjdrosteon), oft wie Gallerte oder knorpel-
artig beschaffen ist. — Auch die Eintheilung in idiopathische und sym-
pathische Exostosen behält stets ihren praktischen Werth ; denn erstere
sind rein örtliche, aus solchen Ursachen entstandene Knochenauswüchse,
letztere dagegen sind entweder ganz oder doch grösstentheils nur der ört-
liche Reflex eines allgemein durch den Organismus verbreiteten dyskrasi-
schen Leidens. Die Anamnestik und der Umstand , dass die Exostosis idio-
pathica späterhin als feste, solide, die E. sympathica aber mehr als caver-
nöse Knochengeschwulst auftritt, dienen zur Diagnose beider Arten. Unter
den sympathischen Exostosen sind die syphilitischen und scrophulösen wol
die häufigsten Unterarten. Seifert sagt darüber (s. üms^'ä Chirurgie , Bd. VI.
S. 580) mit Recht: „Wiewol für eine vollständige Diagnose wichtig und
für den einzuleitenden Heilplan unerlässlich , ist es doch oft sehr schvvierig,
mit Sicherheit zu bestimmen, ob irgend eine vorliegende sympathische Exo-
stose syphilitischen oder scrophulösen Ursprungs sey. Ausser der Zusam-
menstellung der aufzufindenden anamnestischen Zeichen und ausser der Be-
nutzung derjenigen gleichzeitig vorhandenen Kriterien, aus welchen man die
Gegenwart der einen oder der andern allgemeinen Dyskrasie zu erkennen
vermag, sind es besonders die Verschiedenheit des die Ausbildung der Kno-
chengeschwulst begleitenden Schmerzes und der ungleiche Sitz des örtlichen
Übels, durch welche die diagnostische Unterscheidung einer syphilitischen
Exostose von einer scrophulösen begründet wird. Denn bei jener sind die
Schmerzen sehr heftig, bohrend und in die Tiefe des Knochens eingreifend,
des Nachts in der Bettwärme am stärksten und gegen Morgen gewöhnlich
remittirend, dabei anfänglich über den ganzen Knochen verbreitet, und nur
später auf diejenige Stelle ausschliesslich beschränkt, an welcher die Ge-
schwulst sich hervorbildet; zugleich hat diese meist ihren Sitz in den här-
tei'n, compactem Knochentheilen , dort, wo sie nur von einer dünnen Lage
'von Weichgebilden bedeckt sind. Die scrophulöse Exostose dagegen pflegt
unter dumpfen , wenig heftigen , sich an kerne bestimmte Tageszeit binden-
den Schmerzen zu entstehen, und vorzugsweise die spongiösen, weniger fe-
sten Knochentheile zu befallen." — Die nächste Ursache der Exo-
stosen im Allgemeinen sucht Seifert in einem veränderten, mit krankhafter
Productivität verbundenen Ernährungsprocesse des Knochens, in Folge des-
sen eine zu grosse Menge phosphorsaurer Kalkerde in das Knochengewebe
abgesetzt und dadurch eine Vermehrung der Knochenmasse bedingt wird.
„Die Behandlung der Exostosen — sagt derselbe Verfasser — ist im-
mer mit vielen Schwierigkeiten verknüpft, und der Erfolg dieser Behand-
lung ist oft so unsicher und im Allgemeinen so wenig glänzend, dass es vor
dem Anfange derselben zweckmässig ist, durch die Erwägung der Umstände
zu ermitteln , ob überhaupt die Behandlung einer Knochengeschwulst zuläs-
sig und gerathen sey." Dies findet besonders auf die idiopathischen, aus
örtlichen Ursachen entstandenen Exostosen, die ohne Schaden oft das ganze
EXOTICHAEMATOSIS - EXPECTORANTIA 641
Leben hindurch getragen werden, seine Anwendung; — weniger auf die
sympathischen , mit heftigen Schmerzen verbundenen Knochenanswüchse.
Hier suchen wir a) die entfernten Ursachen, die allgemeine syphilitische,
scrophulöse, arthritische , scorbutische Dyskrasie, zu beseitigen (s. Arthri-
tis, Syphilis, Scrophulosis, Scorbutus), b) wir suchen, wenn es
noch angeht, nach vorhergegangener innerer Behandlung die Geschwulst zu
zertheilen, wozu Unguent. mercuriale, Linim. volat. camphorat., Empl. cicu-
tae , saponat. , mercuriale cum Camphora et Opio u. a. Mittel , nach etwa
vorhergegangener Anwendung von Blutegeln und kühlenden Fomentationen
(wenn Zeichen von acuter Osteitis da sind) empfohlen werden; c) wir ent-
fernen durch mechanische Mittel die Exostose oder einen Theil derselben.
Ist durch Ulceration die Knochensubstanz schon bedeutend zerstört und von
den sie bedeckenden Weichgebilden entblösst, so bleibt, um das Glied zu
retten und dessen Amputation vielleicht zu vermeiden, allein nur noch die
Anwendung des Glüheisens übrig (Richcrand, Boyer , Seifert).
E.vostosis Vera, Exostosis spuria, Exostosis maligna, s. Exostosis.
Exosfosis sicatomuiodcs , Knochenspeckgeschwulst, s. Osteosteatoma.
SiXotichaeinatosis, Überleitung fremden Blutes in den Körper,
s. Transfusio sanguinis.
flxoticosyinphysis. Ist Verwachsung eines fremden Körpers mit
dem Organismus^ wie z. B. bei der Rhinoplastik.
Expectorantia , Mittel, welche den Auswurf befördern.
Die Methodus expectorans wird auf ähnliche Weise , wie die Hautabsonde-
rung bewirkt, und die Mittel dazu sind nach den verschiedenen Zuständen
sehr verschieden. Hindert eine starke Reizung und Constriction den Aus-
wurf; z. B. bei Pleuiesie, Pneumonie, so sind Aderlässe, Nitrum mit Tar-
tar. vitriolatus und Ölemulsionen , häufiges Trinken lauen Getränks , z. B.
Graupenschleim mit Oxymel , die besten Expectorantia , indem sie die ab-
sondernden Lungengefässe schwächen, erschlaffen, und so die Reizung und
Entzündung vermindern. In andern Fällen sind Antispasmodica die besten
Expectorantia, wenn nämlich Krampf ohne Entzündung zum Grunde liegt,
wie z, B. bei Asthma spasmodicum Millari, im spastischen Stadio des Keuch-
hustens etc. Liegt wahi-e Schwäche und Atonie zum Grunde, z. B. bei
chronischem Asthma alter Leute , bei Hydropischen im vorgerückten Alter,
bei alten Säufern, so passen die sogenannten specifischen Expectorantia,
d. h. solche Mittel, die eine besonders reizende Beziehung auf die Lunge
haben. Dahin gehören Senega, Squilla, Liquiritia, Fenchel, Anis, Flor,
arnicae, sambuci, sulphuris, Salmiak, Sulph. auratum , Antimonium, Gummi
ammoniacum, Flor, benzoes, äusserlich Einreibungen reizender Mittel, so-
wie die Anwendung der Rubefacientia und Vesicantia auf den Thorax; auch
das Einathmen warmer, mit reizenden Stoffen imprägnirter Dämpfe gehört
hierher, desgleichen in manchen Fällen ein Vomitiv. — Alle diese Mittel
finden ihre Anwendung in solchen Fällen, wo die Absonderung in den Lun-
gen vermindert ist, oder wo sich schädliche Stoffe daselbst angehäuft haben,
deren Ausleerung nothwendig ist, z. B. zäher Schleim, Überreste coagulab-
1er Lymphe nach Pneumonien (Hufclaiut). Die reizenden Expectorantia sind
bei jeder wahren Lungenentzündung, wenn sie vor dem neunten Tage an-
gewandt werden, sowie im ersten Stadio des Keuchhustens, der Blennor-
rhoea pulmonum, überhaupt da, wo noch viel Entzündungsreiz obwaltet,
schädlich. Dagegen sind sie bei vielen andern Lungenübeln, angepasst den
verschiedenen Stadien und dem Zustande, worin das Übel und der Kranke
sich befinden, und ausgewählt nach ihrer mehr oder minder reizenden Wir-
kung, höchst nothwendige Mittel, die nicht allein zur Erleichterung, sondern
oft auch zur radicalen Heilung derselben sehr viel beitragen. Die nähern
Indicationen zur Anwendung der specifischen Expectorantia sind schon oben
angegeben (s. Antasthm ati ca, Antiphthisica, Asthma, Blennor-
rhoea narium, tracheae, pulmonum, Angina). Folgende Formeln
verdienen hier noch angeführt zu werden: 1) Pulvis pectorans WedeUi.
Most Encjklopädic. 2te Aufl. T. 4J^
642 EXPLORATIO
Es besteht aus ly Rad. Uquirit. , — h-cos fiorent. ana 33j , Flor, sulphnris
21^, — Bcnzoes ^j, Sacchari alhi 3JJ , Ol. volat. anisi, focmculi ana
glitt. X. Die Dosis ist 2 — Snial tä^^lich 5J5 ""^ es passt vorzüglich bei ato-
nischem Lungenleiden, bei alten, reizlosen asthmatischen Subjectcn. 2) Pi-
lulae expectorantes Southeij. fy Extr. myrrhae 5J!v, — hyoscijami,
Pulv. rad. squill. cxsicc. ana ölVj Aqune q. s. ut finnt PUulne No. xxx. Die
Dosis ist dreimal täglich 1 — 4: Stück. Sie passen bei atonischer Blennor-
rhoea pulmonum, die mit gesteigerter Reizbarkeit, viel Husten, schlaflosen
Nächten und Unruhe verbvmden ist. Anhaltend dürfen sie in chronischen
Fällen wegen des Hyoscyamus nicht gebraucht werden (s. Blennorrhoea
pulmonum). S) Pilulae expectorantes nach Marcus. ]^r Myi-rhac
eleclae, Bnhnm. peruvian. s. cunnd. ana Sjfv? Extr. opii 5l>. M. f. pil gr. jj.
Dosis: alle 2 Stunden 2 — S Stück; Gebrauch: wie bei No. 1, besonders
bei Phthisis pituitosa alter Säufer. 4) Linctus expectorans Uufelandi.
ly Pidv. rad. saiep ö\l, Solve l. a. in Aq. calid. ^]], Adde Syrnp. althaeae
3J, Extr, hyoscyami 5fj , Aq. fior. napli. 5j. M. S. Öfters einen Theelöffel
voll zu nehmen. Ist bei Krampfhusten und zur Erleichterung des quälenden
Hustens bei Phthisis sehr zu empfehlen. 5) Linctus expectorans nach
J. A. Schmidt. ^! Gummi ammoniac. 5j, Sulpli. aurati gr. vj, Syrup. althaeae
2Jjj. M. Dosis: alle 2 — 3 Stunden 1 bis 2 Theelöffel voll, vorher wohl
umgeschüttelt. Gebrauch: wie bei No. 1, besonders bei chronischem Asthma
arthritischer, hydropischer und alter Leute. 6) Pulvis expectorans
nach Behrens. ^' Sah ammoniaci Sjj, Camphorae gr. \ j , Flor, arnicae 3li»
Sacchari albi Svj. M. f. p. det. in vitr. Dosis: 3 — 4mal täglich einen Thee-
löffel voll. Dieses Brustpulver habe ich bei vernachlässigten Pneumonien mit
Schwäche, langsamem Pulse, verhinderter, oder bräunlicher, schaumiger
geringer Expectoration sehr nützlich gefunden, besonders wenn noch 5.i3J
Liquir. cocta zugesetzt wurden (M.). Dass alle mineralische und vegetabi-
lische Säuren, so wie das Opium (bei entzündlichen, so wie bei torpiden
Lungenleiden) die Expectoration hindern, desgleichen alle INIittel, welche
erkälten und Diarrhöe erregen, ist bekannt. Bei oft hartnäckigem, heftigem
und langwierigem Husten, den nicht selten die herrschende Influenza in Ber-
lin vor ein paar Jahren hinterliess, so wie bei jedem andern chronischen,
rheumatischen oder katarrhalischen Husten fand Hufeland (s. dess. Journ.
1835. St. 3. S. 124) folgende Mischung, die er Elix. anticatarrhale nennt,
sehr nützlich: Vy Exir. card. hcnedict. 3]-, Extr. duhamar. ^j, Aq. foeniculi
3J, Aq. lait/rocerasi. 5j. M. S. Täglich 4mal 60 Tropfen zu nehmen. Der
Husten verschwindet hierauf oft zur Verwunderung schnell in wenig Tagen,
was auch andere Ärzte bestätigt gefunden haben.
Explorartio , die Untersuchung, das Sondiren, Touchiren,
Vernehmen. Wir verstehen darunter die Art und Weise, wie durch Hülfe
von Instrumenten , Sonden , Kathetern und andern Werkzeugen , besonders
aber durchs Gehör (Auscultatio) und durchs Gefühl mittels der Finger krank-
hafte oder normale Zustände ( Schwangerschaft ) entdeckt werden können,
wenn die übrigen Sinne zur nähern Erforschung nicht hinreichen. Wir un-
terscheiden daher für Semiotik und Diagnose mehrere Arten der Exploration,
die für Chirurgie, Geburtshülfe, innere Heilkunde und Medicina forensis
höchst wichtig sind.
Exploratio medicinalis. Sie ist im weitern Sinne das Verfahren des Arz-
tes, mittels des äussern und Innern Sinnes Krankheitszustände gehörig wahr-
zunehmen, den Verlauf derselben genau zu beobachten und so zu ächten
Erfahrungen, theils über die Krankheit, theils über die Whkung der ange-
wandten Arzneien zu gelangen. Im engern Sinne können wir die Ausculta-
tion und Percussion mittels des Stethoskops und des Plessimeters z\im Behuf
der Untersuchung der Brust und des Unterleibes medicinische Exploration
nennen.
Exploratio chirurgica. Die wundärztliche Untersuchung im en-
gern Sinne gestattet eine ausgedehnte Anwendung, besonders bei Hieb-,
Stich- und Schusswunden, bei allen durch äussere Gewaltthätigkeit , durch
EXPLORATIO 643
chemische Schärfen, Gifte etc. veranlassten Verletziuigen und bei allen an-
dern in die Sinne fallenden Abnormitäten des Körpers. Die Tiefe, Grösse,
Länge und Breite einer Wunde , das Daseyn oder die Abwesenheit .ejnes
fremden Körpers in derselben, — den Umstand, ob sie penetrirt oder nicht
penetrirt, ob diese oder jene wichtige und edle, oder unwichtige und unedle
Theile verletzt sind oder nicht, — alles dieses entdeckt die genaue Unter-
suchung des Wundarztes, der dazu wo möglich stets den eigenen Finger
(Exploratio manualis, digitalis) und nur in seltneren Fällen die aus Silber
oder Cautchuk bereiteten Sonden (Exploratio Instrumentalis) und andere
ähnliche Instrumente gebrauchen wird. Die Art und Weise solcher Explo-
rationen lehrt die operative Chirurgie; doch ist hierbei noch zu bemerken,
dass das voreilige Untersuchen und Sondiren bei manchen bedeutenden Ver-
letzungen, besonders der Bx-ust - und Baucheingeweide , sowie bei bedeuten-
den Verletzungen des Gesichts und der Hirnschale , oft höchst nachtheilig
wird , und den rettungslosen Kranken unnöthige Schmerzen macht ; daher
vorher wohl zu überlegen ist, ob ein solches Verfahren zur möglichen Ret-
tung des Lebens nothwendig ist, oder ob blosse Wissbegierde uns dazu be-
wegt. Im letztern Falle erfordert die wahre Humanität, die Exploration
zu unterlassen.
Exploratio ohstetricia , die geburtshülfliche Untersuchung, das
Touchiren. Nichts ist für den praktischen Geburtshelfer von grösserer
Wichtigkeit als eine genaue Kenntniss dieses Gegenstandes , die erst durch
fleissiges Studium , genaue anatomische Kenntnisse und öftere Übung erlangt
werden kann. — Wir unterscheiden hier die ausser liehe und inner-
liche Untersuchung (Exploratio obstetricia externa und interna), und ver-
stehen unter letzterer das Touchiren im engern Sinne, was wiederum in die
Explor. manualis und instrumentalis eingetheilt werden kann. Die Unter-
suchung mittels Instrumenten hat man zur genauen Messung des Beckens
angewandt ; doch ist dieselbe entbehrlich , da die eignen Finger recht gut
als Massstab dienen können (^Osimulcr}. Sowol die äussere als die innere
Untersuchung dienen dazu , um in den meisten Fällen bei Schwangern nach
den verschiedenen Graden der Ausdehnung und Höhe des Leibes, nach der
Beschaffenheit des Nabels , nach An - oder Abwesenheit der Bewegung der
Frucht und nach dem verschiedenen Stande und der Form des Muttermun-
des etc. die Zeit der Schwangerschaft zu bestimmen; oder auch dazu, um
innere Krankheitszustände der Geschlechtsorgane zu erkennen ; ferner , um
in medicinisch - forensischen Fällen über das Schwanger - oder Nichtschwan-
gerseyn einer Person , über das Geboren - oder Nichtgeborenhaben dersel-
ben Auskunft zu geben; oder auch dazu, um sich bei Kreisenden über die
normale oder abnorme Beschaffenheit in Betreff der Weite oder Enge des
Beckens, der Lage der Frucht und anderer Umstände, welche die Kunst-
hülfe indiciren oder contraindiciren, zu überzeugen. — Das Technische der
Explor. externa und interna enthalten die folgenden nähern Bestimmungen.
A. Untersuchung einer Kreisenden. Wir untei'suchen hier, um
zu wissen, ob die Geburt bald erfolgen werde, oder nicht, und ob Hinder-
nisse, die eine unregelmässige. Kunsthülfe erfordernde Geburt verursachen,
zugegen sind, oder ob dieses nicht der Fall ist. Hier sind folgende Regeln
zu befolgen und die nachstehenden wichtigen Punkte zu berücksichtigen :
1) Man entblösse beim Untersuchen die Person nicht; denn man kann durchs
Gesicht nichts erforschen und ein solches Verfahren beleidigt die Schamhaf-
tigkeit. 2) Man erwärme im Winter vorher die Hände am Ofen oder durch
warmes Wasser, damit die Kreisende sich nicht durch die Kälte derselben
unangenehm berührt fühlt. S) Man untersuche stets zu Anfange mit der
trockenen Hand äusserlich den schwangern Leib , um sich über die Lage der
Frucht Auskunft zu verschaffen. Diese Untersuchung muss nicht oberfläch-
lich gemacht werden, man muss sich darin Übung verschaffen, da sie oft
viel Auskunft giebt (s. Wigand, Die Geburt des Menschen, Berlin, 1820).
Besonders ist es wichtig zu erforschen, wo die Füsse des Kindes liegen.
Meist befinden sie sich in der rechten Seite des Leibes unter der Lebergc-
4;t*
644 EXPLORATIO
gend; zuweilen findet man den einen Fuss in der rechten, den andern ia
der linken Seite. Hier miiss man nicht gleich Zwillinge vermuthen; denn
die Nabelschnur kann die Füsse auseinander gezogen haben (^CaruSy Jörg,
Osinniler, Stein, v. Frorief). Ferner erforsche man, ob der Bauch die ge-
hörige Rundung habe, oder ob er mehr nach der einen oder andern Seite
hinneigt, ob er vorn überhängt etc., woraus sich schon einige Schlüsse über
die Lage der Frucht, die Neigung des Beckens etc., machen lassen. Auch
überzeugt man sich durch die Bewegungen der Frucht, sowie durch die
Auscultation von dem Leben des Kindes. Zugleich vergesse man nicht, die
Schenkel zu untersuchen , ob auch Blutaderknoten daran zu fühlen sind.
(Sie deuten an, dass nicht selten nach der Geburt Metrorrhagie entsteht,
worauf man also schon vorher sich etwas gefasst machen kann). 4) Jetzt
schreitet man zur Innern Untersuchung. Man legt den Ring - und den Ohr-
finger in die flache Hand, streckt den Mittel- und Zeigefinger aus (bei
Erstgebärenden oder enger Vagina letztern allein), bestreicht diese mit Öl
oder Fett, Pomade etc.; den Bäumen richtet man in die Höhe, damit die-
ser einen rechten Winkel mit der Hand bildet, und führt vorsichtig und
langsam, ohne in den Schanihaaren zu zerren und ohne die Klitoris zu be-
rühren, den Zeige- und Mittelfinger in die Vagina. Man vergesse nicht,
nun die Weite des Beckens zu erforschen, besonders die Länge der Linea
conjugata auszumitteln, indem man den Daumen an die Symphysis ossium
pubis hält und den Zeige - oder Mittelfinger an das Promontorium ossis
sacri bringt, und durch einen Massstab nach dem Untersuchen an der Hand
diese Länge bei unverrückter Stellung der Hand abmisst. Der geübte Ac-
coucheur kennt das Mass seiner Hand schon vorher, so wie jede Länge zwi-
schen dem ausgestreckten oder an den Zeigefinger angelegten Daumen und
dessen Gelenken und der Spitze des Index. 5) Findet man, dass bei schnell
auf einander folgenden Wehen gerade eine Wehe während de^ Untersuchens
eintritt, so hält man mit den Fingern stille, und untersucht nicht eher
weiter , als bis dieselbe vorüber ist. 6) Fühlt man den Muttermund schon
mehrere Finger breit offen , hat sich schon eine Wasserblase von der Grösse
eines Gänseeies gebildet; so ist es an der Zeit, die Blase zu sprengen, und
die Geburt wird dann, wenn sie regelmässig ist, bald erfolgen (s. Partus
normalis). Ist sie unregelmässig, so erfordert sie oft ein anderes Verfah-
ren (s. Partus abnormis). Die Eihäute, welche die Blase im Mutter-
munde bilden und diesen erweitern helfen, sind zuweilen sehr dick; sie zer-
reissen dann nicht von selbst, das Kindeswasser lliesst nicht ab, es erfolgt
Reizung der Ränder des Muttermundes, Spannung des untern Segments und
Verzögerung der Geburt; oder das Kind wird mit den über den Kopf ge-
spannten Eihäuten geboren (sogenannte Glückshaube), wodurch die Placenta
gezerrt und Metrorrhagie erregt werden kann. Man sprengt die Blase am
besten mit den Fingern, indem man diese während einer Wehe an den pral-
len Theil derselben setzt und sie gegen den Schambügen hinaufdrückt. Ge-
lingt dies nicht, so bildet man mit der Unken Hand eine Falte in den Ei-
häuten, führt eine vorn abgestumpfte Nabelschnurscheere ein, und schneidet
die Falte damit durch. So verletzt man die vorliegenden Kindestheile am
wenigsten. Die Wassersprenger von Rödercr, Fried, Osinnder sind nicht so
sicher (^Cnnis). Atonie des Uterus, heftige Blutungen, gefährliche Ohnmäch-
ten , grosse Erschöpfung und Schwäche der Kreisenden, sowie die Wendung
und das Anlegen der Zange, machen die Trennung der Eihäute S'^lbst in-
nerhalb des Uterus oft noth wendig, wo sich also noch keine ordentliche
Blase gebildet hat. Hier geht man mit der konisch geformten , auswendig
mit öl bestrichenen Hand in die Vagina und den Uterus, und sprengt mit
dem Finger die Eihäute , indem man mit dem Daumen und Mittelfinger eine
Falte bildet und diese mit dem Zeigefinger sprengt. — Ist das Frucht-
wasser zu früh abgeflossen , z. B. w egen zarter Beschaffenheit der Eihäute,
so wird bei Erstgebärenden die Geburt dadurch sehr verzögert (bei Mehr-
gebärenden hat es weniger zu bedeuten), weil sich der Muttermund dann
nicht gehörig ausdehnen kann. Sind schon 6 — 8 Stunden nach dem Ab-
EXPLORATIO 615
flusse desselben verstrichen , so sind die innern Geburtstheile oft sehr heks,
trocken, und es stellen sich gern Krampfwehen ein (s. Dolores ad par-
tum). Hier wende man zuerst Qualnibäder, Einspritzungen von dünnem
Haferschleim an und suche dann die Geburt durch die Kunst zu befördern.
7) Findet man beim Touchiren oder in dem erweiterten Muttermunde eine
weiche , teig - oder breiartige Masse oder ein teigartiges unteres Segment
der Gebärmutter, hat die Kreisende schon in der Schwangerschaft, im 7ten,
8ten , 9ten Monate von Zeit zu Zeit Blut verloren, beginnt auch jetzt der
Geburtsact mit Blutung, erfolgt diese bei jeder Wehe stärker, kann man
von den Kindestheilen beim Untersuchen wenig oder gar nichts entdecken ;
60 ist dies ein Zeichen, dass der Mutterkuchen vorliegt (Placenta praevia).
(Man nehme, um sich nicht zu täuschen und etwa eine starke Kopfgeschwulst
des Kindes für die Placenta zu halten, alle Zeichen der Gegenwart und
Vergangenheit zusammen). Alsdann ist es nöthig, mit der ganzen, konisch
geformten Hand in die Geschlechtstheile einzugehen und den einen Rand der
Placenta da , wo sich die Eihäute fühlen lassen , mit der Spitze des Fingers
vorsichtig zu lösen, die ganze Placenta aber nicht zu entfernen (sie auch
nicht nach der altern verwerflichen Methode, wenn sie mitten auf dem Os
uteri sitzt , zu durchbohren , sondern nur an der Seite zvi lösen , wo die
Füsse des Kindes liegen) , den Muttermund künstlich zu erweitern , bei die-
ser Gelegenheit die Eihäute zu sprengen und durch die Wendung (in drin-
genden Fällen und bei Placenta praevia completa) auf die Füsse, selbst bei
vorliegendem Kopfe, die Geburt zu beschleunigen. Ist die Blutung nicht
stark , der Kopfstand regelmässig, und sitzt die Placenta mehr an der Seite
des Muttermundes, so kann man die Zangengebui-t vorziehen. Gewöhnlich
hört nach der Entleerung des Uterus die Blutung auf und die Placenta
trennt sich schnell von selbst. Sonst gebraucht man die bekannten blut-
stillenden Mittel, z. B. alle Y4 Stunde 15 Tropfen Elix. acid. Halleri mit
40 Tropfen Tinct. cinnamomi, kalte Umschläge etc^ (s. Haemorrhagia
uteri). Entdeckt man schon in der Schwangerschaft die Placenta praevia,
so rathe man kühles Verhalten, Ruhe der Seele und des Leibes an, und
lasse bei massigen Blutungen Acetum aromaticun\ mit Compressen über die
Geburtstheile legen. Stärkere Blutungen erfordern Stets das Accouchement
force (s. Partus praema^turus artificialis), weil kein anderes Mittel
die Blutung, wodurch das Leben der Mutter in grosse Gefahr kommt, zu
stillen im Stande ist. 8) Zuweilen rührt einp Blutung von varikösen Ge-
schwülsten in der Vagina und an den Schamlefzeh her, die bei der Geburt
bersten und nicht selten Tod durch Verblutung zur Folge haben. Ist die
Geburt noch nicht weit vorgerückt, hat sich noch keine Wasserblase ge-
bildet, so bringe man einen Schwamm ein, der mit folgendem I^ JJorac.
Vcnet. 5ijj.; solvc Aq. destill. 51V angefeuchtet ist, reibe die Geburtstheile
dann mit Ol ein und beendige die Geburt, selbst wenn sie normal ist, vor-
sichtig durch die Kunst, da alsdann die Knoten nicht so leicht platzen, als
wenn man die Geburt der Natur überlässt {Osiamler}. Dies verhütet am
besten die gefährliche Blutung, sowie schon früher in dem letzten Monate
der Schwangerschaft das Einbringen von Charpie, die mit Decoct. quercus
angefeuchtet worden, in die Vagina. 9) Findet der Geburtshelfer bei der
Untersuchung, dass die Geburt normal und die übrigen Umstände günstig
sind (s. Partus normalis). so muss er Alles der Natur überlassen. Er.
hat weiter nichts zu thun , als die Hindernisse zu entfernen , die dem Na-
turgeschäfte im Wege stehen könnten. Nichts ist nachtheiliger als voreilige
beschleunigte Kunsthülfe. Jedes Ding erfordert seine Zeit und eine sehr be-
schleunigte Geburt hat für die Mutter manche Nachtheile, woran denn oft
nicht gedacht wii'd. Das Sprüchwort: „Je leichter und schneller die Ge-
burt, desto schwerer und länger ist das Wochenbette" hat etwas Wahres.
Auch bei der künstlichen Geburt befolge man, wenn keine Lebensgefahr
durch heftige Blutung etc. da ist, eine gewisse Regelmässigkeit und Ord-
nung, um der Natur, die diese bei ihren Operationen stets befolgt, so viel
als möglich nachzuahmen. 10) Bemerkt man beim Touchiren Unregel massig-
646 EXPLORATIO
keiten der Geburt: vorgefallene Nabelschnur, vorgefallene Glieder, Vagina
clausa, Wassergeschwilste der Vagina, unverletztes Hymen, Hernia perinaci,
foraniinis ovalis, ein zu weites oder zu enges, oder verunstaltetes Becken,
Graviditas extrauterina etc., auf welche Dinge man wohl zu achten hat, da-
mit die frühe Kunsthülfe nicht versäumt werde (s. Partus abnormis);
so sage man es nicht sogleich der Kreisenden , gebe es auch nicht durch
Mienen den Umstehenden zu verstehen, um nicht Furcht und Angst, wo-
durch so leicht Krampf erregt wird, im Gemüthe der Kreisenden zu erwe-
cken. 11) Entdeckt man bei dei* Untersuchung eine volle Urmblase, so,
bringe man , ohne dass die Person es merkt , den weiblichen Katheter eui,
indem man nach geendigter Untersuchung im Begriff ist, den Finger her-
auszuziehen , und lasse das Wasser in ein vorgehaltenes Gefäss ab. Man
bestreiche den Katheter vorher mit Oleum hyoscyami, weil häufig Krampf
im Blasenhalse stattfindet. Drückt ein vorliegender Kindestheil die Harn-
blase, so schiebe man diesen während des Urinlassens in die Höhe. 12) Ist
der Mastdarm voll Unrath, so sind eröffnende Klystiere (s. Clysma) vor
der natürlichen wie vor der künstlichen Geburt durchaus nothwendig; sonst
erfolgt nicht allein eine schwere Geburt, sondern die Frau bekommt nach-
her auch Hämorrhoiden des Mastdarms (^Osiander , M. ). Hat Letztere seit
mehreren Tagen keine Leibesöffnung gehabt , so ist der Unrath oft so hart,
dass man ihn für ein Gewächs (Steatom) halten körinte. Hier sind Klystiere
auch für die Diagnose wichtig. Ausserdem befördert jedes Klystier von
blossem Haferschleim und Öl , indem es die über dem Uterus liegenden Ge-
därme reizt und den Motus peristalticus befördert, die Wehen, da diese eine
ähnliche Bewegung sind, und mit letzterem in genauer Verbindung stehen,
IS) Fast durchgehends muss man Kreisende , wenigstens wenn die zweite,
dritte Geburtsperiode schon eingetreten ist, im Liegen untersuchen, und
sich dazu die gehörige Zeit nehmen, um alles Regelmässige oder Unregel-
mässige der Geburt, worüber später ein Mehreres (s. Partus normalis
und abnormis), zu entdecken und darnach seine Kunsthülfe einzurichten.
Zuweilen muss der Geburtshelfer eine Person untersuchen, um zu bestim-
men, ob sie kürzlich geboren hat oder nicht. Dieser Gegenstand wixd un-
ten (s. Puerpera) abgehandelt werden.
B. Untersuchung einer Schwangern. Die meisten Zeichen der
Schwangerschaft sind unsicher, nur wenige (die Bewegung der Frucht
um die Hälfte der Schwangerschaft und das durch die Auscultation sicher
erkannte Leben derselben [s. Kergaradec, Über Auscultation etc. A. d. Fr.
Weim. 1822. Haus, Die Auscultation in Bezug auf Schwangerschaft. Würzb.
1823.]) sind sicher, da verschiedene krankhafte Zustände an den innern
Geschlechtstheilen ähnliche Zeichen darbieten können als diejenigen sind,
welche die Schwangerschaft gewöhnlich begleiten. Demnach ist das erste
sichere Zeichen die Bewegung der Frucht, die die Mutter im Leibe,
so wie die Hand des Untersuchenden auf demselben fühlen kann. Sie zeigt
sich meist erst um die Hälfte der Schwangerschaft (bei hysterischen Frauen
häufig schon im Sten, 4ten Monat (M.) , als eine schwache , spitzige, perio-
disch eintretende Bewegung am schwangern Leibe , besonders in der rechten
Seite in der Gegend unter der Leber, und unterscheidet sich dadurch von
der mehr wellenförmigen , mit Kollern verbundenen Bewegung , welche die
ausgedehnte Luft in den Gedärmen macht. Die Bewegung der letztern ist
mehr rund, wellenförmiger und nicht so spitzig, wiederholt .sich auch nicht
gerade 2 — 3mal aufeinander, wie die Bewegung der Frucht. Ein zweites
sicheres Zeichen, das aber Übung und feines Gehör von Seiten des Unter-
suchenden erfordert, ist die Auscultation , wo man die mittelbare, durchs
Stethoskop, der unmittelbaren durchs Anlegen des Ohrs mit Recht vorzie-
hen kann. Hier sind folgende Regeln zu beobachten: 1) Man untersucht
zuerst den Unterleib , um sich über die Lage des Fötus zu unterrichten,
und erkundigt sich, ob die Schwangere schon i\ber die Hälfte der Schwan-
gerschaftszeit (20 Wochen) hinaus sey. Man frage zugleich nach der Stelle,
wo die Schwangere die Bewegung der Frucht zuerst gefühlt hat. ii) Die
EXPLORATIO 647
Schwangere inuss sich ausgestreckt aufs Bette legen , damit sich die Bauch-
decken gehörig anspannen. Nachdem sie alle Kleidungsstücke gegen die
Brust aufwärts geschlagen hat , lässt man die entblössten Beine und den
Leib mit einem leinenen Tuche bedecken. 3) Man sorge für die grösste
Ruhe und Stille um sich her. 4) Man ersuche die Schwangere, so sanft
als möglich zu athmen. 5) Nun kniee man vor dem Bette nieder und neige
sein Ohr oder das Stethoskop nach der Stelle, wo die Bewegung des Kin-
des am meisten fühlbar war, und drücke das Ohr oder das Instrument -i«st
an. Letzteres hält man, nach Lnennec^s Yorschrift, ganz wie eine Schreib-
feder während des Schreibens und setzt das Ende, woran der kleine Trich-
ter mit der messingenen Canule ist, auf den Leib, das andere Ende hält'
man ans Ohr. Ist die Schwangerschaft vor der Hälfte, so wähle man die-
jenige Stelle des Unterleibes, wo man gewöhnlich die Paracentese macht,
d. i. in der Mitte zwischen dem Nabel und dem obern Rande des linken
Darmbeins. An dieser Stelle wird man eine doppelte Pulsation (den Herz-
schlag des Fötus) wahrnehmen, die von dem Pulse der Schwangern sehr
verschieden ist. 6) Man gewöhne sich an die verschiedenartigen Geräusche,
die man fast bei allen Subjecten mehr oder weniger wahrnimmt, als Kollern
und Knistern der Gedärme, und hüte sich sehr ein solches Geräusch für die
Pulsation zu halten. 7) Hört man endlich die Doppelpulsation , die dem
Ohre meist in dumpfen Schlägen, wie eine Sackuhr entgegenschallt, so ver-
weile man lange, um sich vollkommen von dem Tacte des Schiagens zu
überzeugen. Man entferne dann einige Mal das Ohr (oder Stethoskop) vom
Leibe der Schwangern und lege es alsdann wieder an, um sich in diesem
Verfahren zu üben. Man wird dann einen doppelten Schlag wahrnehmen,
wovon der eine stärker ist als der andere, welcher an Stärke zunimmt, so-
bald das Kind sich bewegt, und welcher seine Stelle verändert, sowie das
Kind durch die eigne oder der Mutter Bewegung eine andere Lage annimmt.
Die äussere genau von Wigtmd angegebene Untersuchung wird zeigen, dass
da, wo die doppelte Pulsation zu vernehmen ist, auch der Rumpf des Kin-
des liegt.. 8) Hört man die Pulsation recht deutlich, so versuche man, die
Schläge zu zählen und rechne von jeden 2 Schlägen nur den einen stärkern,
der die Systole des Fötüsherzens anzeigt. Man wird alsdann bemerken,
dass in einer Minute nie unter 120, selten über 165 Doppelschläge statt-
finden {iV Ovitrepont, Hatis). Eine Secundenuhr ist dabei durchaus nathwen-
dig. 9) Wenn bei der Geburt der Rumpf in- der Beckenhöhle steckt , so
verschwindet die Pulsation. 10) Ausserdem giebt es noch eine einfache Pul-
sation, die im Grunde des Uterus stattfindet und von der Placenta herrührt.
Sie ist indessen nicht leicht zu entdecken; hat man sie aber gefunden und
einmal gehört, so wird man sie nie wieder verkennen (^Hnus). Diese Pulsa-
tion stimmt mit dem Pulse der Schwangern überein, man versäume daher
nicht , diese damit zu vergleichen. Kürzlich stellte Paul Dulwis interessante
Beobachtungen über die Auscultation bei Schwangern und Kreisenden an,
woraus hervorgeht, dass vor dem vierten Monate die doppelte Pulsatiop
schwer zu entdecken, auch über Zwillingsschwangerschaften durchs Ste-
thoskop wenig zu erforschen, wol aber über Leben und Tod der Frucht
durch die Auscultation volle Gewissheit zu erhalten sey (s. Archives gen^-
rales de M^decine T. XXVII. Dec. 1831. p. 437). Zu den zahlreichen un-
sichern Zeichen der Schwangerschaft gehören folgende: «) Gleich nach
der Empfängniss Schauder, Ohnmacht, Mattigkeit, Neigung zum Schlaf,
Veränderung der Gesichtsfarbe, besonders Röthe der einen Wange; Abnei-
gung gegen den Zeugenden, i) Späterhin periodisch eintretende Ohnmäch-
ten, Schwindel, bald Morgens, bald Nachmittags Kopfschmerz, Magen-
drücken , Verstimmung des Gemüths , Neigung zum Weinen , besonders bei
sensibeln Frauen, zuweilen erhöhte Geschlechtslust, die selbst bis an Nym-
phomanie grenzen kann, besonders bei Personen, die vor der Ehe sehr
keusch lebten (M.). c) Ausschläge im Gesichte, am Kinn, an den Armen.
Litt die Schwangere in der Jugend daran , so kehren sie in der Schwanger-
schaft wieder und hdlen nie vor der Niederkunft (^Oslander). Blondinen
648 EXPLORATIO
bekommen in der Schwangerschaft leicht Leberflecke, und aus demselben
Grunde (wegen Anhäufung des Kohlenstoffes) werden die Brustwarzen in
ihrem Umfange braun. <i) Tiefliegende, matte Augen, Verschwinden lang-"
wieriger Augenentzündungen, heftige Zahnschmerzen, e) Dickerwerden des
Halses, besonders bei Scrophulösen; alle angebornen und nach der Geburt
entstandenen Hautauswüchse, Muttermäler etc. verändern Farbe und Grösse,
nehmen zu, und sind Haare darauf, so wachsen diese stärker, f) Prickeln
und Stechen in den Brustwarzen, welche bei Brünetten schwarzbraun, bei
Blondinen dunkelroth werden, y) Ausüiessen der Milch aus den Brustwar-
zen; doch ist dies Zeichen nicht sicher, da es in seltenen Fällen auch Jung-
fernmilch und Männermilch giebt (^Oslander), h) Magenweh, Gefühl Ton An-
schwellung des Magens, was häufig neben dem Erbrechen bemerkt A\ird;
Ekel vor gewissen Speisen, besonders vor solchen, die kurz vor der Em-
pfängniss genossen wurden; sonderbare Gelüste nach verschiedenen Speise»»
und Getränken, entweder Neigung zu sauern Dingen: zu Essig, Gui-kcnji
oder salzigen Speisen, oder zu kaiischen Dingen: Kreide, Kalk u. dgl.
Manche Frauen leiden auch an starkem Speichelfiuss (Osianticr). i) Perio-
disches und unregelmässiges Erbrechen. Das erstere zeigt sich gewöhnlich
des Morgens meist nüchtern, oder nach dem ersten Genuss des Kaffees,
Butterbrods u. dgl. Dieses Zeichen ist ziemlich sicher; dagegen leiden auch'
hysterische Personen an unregelmässigem Erbrechen, fc) Grosse Empfind-,
lichkeit des Nervensystems, besonders des Gcruchsinnes ; daher Idiosynkrasie
gegen gewisse riechende Dinge. ?) AUmäliges Dickerwerden des Leibes.
Es giebt indessen Fleischgewächse, Hydrops abdominis, ovarii, uteri, wo-
durch dieses Zeichen unsicher wird. Sicherer ist das periodische Eintreten
von Kolikschmerzen, Leibweh, besonders zur Zeit, wo die Menses wieder-
kehren sollten, also alle 4 Wochen, jji) Ausserdem hat man noch als Zei-
chen der Schwangerschaft angesehen: das Ausbieiben der Menses, Brennen
beim Harnlassen , Vajrices an den Füssen etc. , die alle für sich nicht sicher
sind. Nehmen wir indessen mehrere von n bis m genannte Zeichen zusam-
men , sind mehrere derselben zu gleicher Zeit da , so wii'd die Schwanger-
schaft dadurch wahrscheinlicher; jedes einzelne Zeichen für sich bedeutet
dagegen wenig. — Aus den genannten Zeichen kann man im Allgemeinen
nur erkennen, ob überhaupt Schwangerschaft da ist, oder nicht. Oft ists
indessen nölhig zu wissen, wie weit die Schwangerschaft vorgerückt sey
und im; wievielsten Monate der Schwangei'schaft sich eine Person befinde.
Hier giebt dann die Exploratio externa und interna folgende Resultate:
Ersler (Mondes-) Monat der Schwangerschaft. Der Unterleib
ist etwas voller als gewöhnlich; gerade so, wie bei dem Erscheinen der
Regeln; die Geburtstheile sind heiss und trocken, der Mutterhals etwas
dicker als gewöhnlich , die Mutterraundslippen sind etwas wulstig , und die
Längenspalte des Os uteri verwandelt sich allmälig in eine runde Form.
Zweiter Monat. Der früher aufgetriebene Leib ist kleiner geworden ;
er hat seine sanfte Wölbung verloren , ist platter als gewöhnlich ; der äus-
sere Muttermund ist tiefer in die Vagina herabgezogen, ist leichter mit dem
Finger zu erreichen als im ersten ftlonate, und seine Form ist deutlich rund
zu iülilen. Dritter Monat. Der Leib der Schwangern wird wieder et-
was voller, doch nicht so sehr, dass man über dem Schambeine etwas Har-
tes fühlen kann. Der rundliche Muttermund steht höher und ist daher nicht
so leicht zu erreichen wie im zweiten Monjite. Die Brüste schwellen an
und es finden leichte Stiche in ihnen statt (ü. Froriep). Vierter Monat.
D(ir rundliclie Muttermund ist noch schwerer zu erreichen als im dritten
ftlonate; die VVolbnng des Leibes ist stärker, und ist die Person nicht zu
fett, so fühlt man die harte Wölbung^ des Uterus einige Finger breit über
dci\j Schambeine. Der Hof um die Brustwarze wird dunkler, die Warze
selbst dicker und leicht aufgesprmigon. Fünfter Monat. Man fühlt die
Wölbung des Fundus uteri als eine harte Geschwulst zwischen dem Nabel
und dem Schoosbeine ; oberhalb des Fundus uteri fülilt man noch die Ge-
därme. Die Dicke des Leibes ist ohne starkes Zusammenschnüren nicht zu
EXPLORATIO 649.
verbergen und vorzüglich auch in den Seiten der Schwangern sichtbar.
Bei der Exploratio interna bemerkt man, dass der Muttermund höher, mehr
und mehr nach hinten , nach dem Heiligenbeine , hin gerichtet ist. Zu An-
fange dieses Monats, oft schon zu Ende des vorigen , nimmt man die ersten
leisen Bewegungen der Frucht -wahr. Sechster Monat. Der Mutter-
grund reicht jetzt bis an den Nabel; die Nabelgrube, welche früher gerade
aussah, hebt sich und fängt an von unten nach oben flach zu wei'den^ die
Bewegungen der Frucht werden fühlbar und sichtbar und bestehen im Aus-
dehrien und Ausstrecken der Füsse und im Drehen des Körpers um seine
Axe. Die Gedärme der Schwangern legen sich hinter den Uterus. Die Va-
ginalportion ist kürzer, höchstens V2 Zoll lang und weicher, als vorher.
Siebenter Monat. Der Fundus uteri reicht 2 — -S Finger breit über den
Nabel, die Nabelgrube verliert ihre Tiefe und wird flacher; der Mutter-
mund ist schwer zu erreichen , weil er noch tnehr nach hinten und oben,
gegen die Aushöhlung des Kreuzbeines , gerichtet ist ; die Vaginalpörtion '
desselben ist noch mehr verkürzt und erweicht. Vorn in der Mutterscheide
hinter den Schoosbeinen fühlt man durch das Vaginalgewölbe den sehr be^
weglichen, vorliegenden Kopf des Kindes. Die Venen der Brüste sind an-
geschwollen und scheinen bläulich durch die Epideimis, auch kann man oft
eine wässerige B'euchtigkeit aus den Brüsten herausdrücken Achter Mo-
nat.- Der Grund der Gebärmutter befindet sich jetzt zwischen dem Nabel
und der Herzgrube, die rechte Seite des ausgedehnten Leibes ist meist hö-
her als die linke , so dass der Bauch dadurch ein schiefes Ansehen bekommt ;
die Nabelgrube ist ganz flach und weich (der Nabel ist verstrichen), so
dass nur ein vertiefter Rand derselben dableibt. Die eine Hälfte des Mut-
terhalses ist durch die Ausdehnung der Gebärmutter, indem die Fibern des
Colli uteri dazu beitragen , verschwunden , und äusserlich, zur Seite des Na-
bels , fühlt man oft mehr oder weniger deutlich die hervorragenden Kindes-
theile. Der Muttermund ist schwer zu erreichen , die Vaginalportion dick
und verschwollen und im vordem Grunde der Vagina der Kindeskopf deut-
lich zu fühlen; er ist sehr beweglich und fliegt in die Höhe, wenn man mit
den. Fingern einen gelinden Druck nach oben anwendet, fällt dann aber
gleich wieder nieder. Neunter Monat. Dier Fundus uteri ist jetzt so
bofch in die Höhe gestiegen, als es die Bauchhöhle erlaubt, nämlich bis in'
die Herzgrube, so dass die grosse Ausdehnung und Höhe des Leibes das
Athmen erschweren würde, wenn das Weib nicht mehr durch Ausdehnung
der Brust nach Aussen als durch Herabsteigen des Zwerchfells athmete
(ü. Froriep'). Die Nabelgrube zeigt sich etWas gewölbter, fängt an sich
ein wenig zu heben, und die Kiridestheile fühlt man deutlicher neben dem
Nabel als im achten Monate. Die untere Hälfte des Muttermundes ist bis
auf % Zoll verkürzt, ist kaum zu erreichen, der Muttermund verbirgt sich
hinter dem vorn herabgedrängten Grunde der Scheide, was ein Unkundiger
für einen Prolapsus vaginae oder gar für Prolapsus uteri halten könnte.'
Der Kindeskopf ist als eine harte Halbkugel, und weniger beweglich als im
achten Monate, auf dem Eingänge des kleinen Beckens fühlbar. Zehnter
und letzter Monat. Der Gebärmuttergrund senkt sich bis auf diejenige
Stufe, welche er im achten Monate einnahm, kommt also wieder in die
Mitte zwischen Nabel und Herzgrube zu stehen und die Frau fühlt sich et-
was erleichtert ; der Nabel ist jetzt kegelförmig hervorgetrieben und die
Kindestheile sind äusserlich sehr deutlich zu fühlen; der Kindeskopf ist in
deiv Eingang des Beckens gesunken und ist nur wenig beweglich; das Schei-
dengewölbe ist durch ihn ausgedehnt, und ist ganz dünn, als wäre der Kopf
mit einer Blase umzogen, anzufühlen. Der Mutterhals ist ganz verschwun-
den und vom äussern Muttermunde ist nur noch ein Wulst der Lippen übrig,
welcher bei Erstgebärenden in den letzten Tagen der Schwangerschaft ganz
verschwindet, bei Mehrgebärenden hingegen bis zu anfangender Geburt bleibt.
Der innere und äussere Muttermund ist verschwunden; es ist nur ein Mut-
termund- da (^Osiaiulef) , man bemerkt also nur eine Öfl'nung; doch ist bei
Mchrgeschwängerten der unterschied des weniger oifnen harten , i n n e r n ,
650 EXPLORATIO
und des weiten, ganz welchen äussern Muttermundes noch deutlich (v. Fro-
riep). Man fühlt bei Erstgebärenden keine Öffnung des Muttermundes, son-
dern nur ein kleines, wenig merkliches Grübchen in dem dünnen, wie mit
einer Blase umzogenen Scheidengewölbe. Zuweilen ist selbst dieses Grüb-
chen so wenig zu bemerken, dass man glauben sollte, es sey gar kein Mut-
termund da, es habe sich derselbe ganz geöffnet und über den Kindeskopf
gezogen. Dies kommt daher , dass der untere Abschnitt des Uterus und die
Decke sehr dünn geworden sind; bei Mehrgeschwängerten hingegen ist der
äussere und innere Muttermund zuweilen schon 3 — 4 Wochen vor der Nie-
derkunft so weit geöffnet, dass man selbst mit einem oder mit beiden Fin-
gern eindringen und die Eihäute fühlen kann. Über das Sinken des Leibes
in der Schwangerschaft luid die darauf begründete Zeitrechnung hat Ricl-er
eine lesenswerthe Abhandlung in der neuen Zeitschrift für Geburtshülfe von
Busch, cfOntrepont und Ritgen, 1834, mitgetheilt. Er sagt darin S. 55, dass
die höchste Höhe des Uterus nur 2, 3, auch 4 Finger breit unter die Herz-
grube reiche und dass das , was darüber liege , die Leber sey. Auch senke
sich nicht 4, sondern 6 Wochen vor der Niederkunft der Leib wieder, wie
im achten Monate. Mein«- darüber angestellten Beobachtungen haben dieses
vollkommen bestätigt. — Zuweilen kommt es vor, dass der Geburtshelfer
deshalb eine Schwangere untersuchen soll, um zu bestimmen, ob sie mit ei-
ner oder mehreren Leibesfrüchten schwanger sey. Dafür giebt es aber keine
sichern Zeichern, doch machen folgende eine Zwillingsschwangerschaft wahr-
scheinlich: 1) sehr beträchtliche Ausdehnung des Leibes in den letzten Mo-
naten ; 2) früher wahrgenommene Bewegungen der Frucht , und zugleich das
Gefühl dieser Bewegungen in verschiedenen Richtungen; doch sind diese Be-
wegungen dem Ramne nach nie so gross und an Stärke zu Ende der Schwan-
gerschaft nie so bedeutend, als wenn nur ein Fötus im Uterus ist, weil
der Raum dazu fehlt (s. auch Graviditas); 3) eine Längenfurche auf der
Linea alba, welche den schwängern Leib in zwei Theile abtheilt; 4) grös-
sere Beschwerden am Ende der Schwangerschaft, als in den gewöhnlichen
Fällen (^Carus). Die Zeichen, welche das Geschlecht bestimmen sollen, sind
alle trüglich; die Zeichen vom Tode einer Frucht sind theils sichere,
theils unsichere. Zu erstem gehört die genau angestellte, einigemal bin- .
nen vier Wochen wiederholte Auscultation, angewandt in den letzten Moaa»-
ten der Schwangerschaft (s. oben). Lässt sich dadurch der bekannte Dop-
pelschlag nicht entdecken, so ist das Kind sicher todt, nur während der
Geburt, wenn der Leib des Kindes im Becken steckt, mangelt dieses Zei-
chen aus natürlichen Gründen auch bei lebenden Kindern. Zu den unsichem
Zeichen rechnen wir «) gewaltsame Erschütterungen und heftige Blutungen
der Schwangern, welche als Schädlichkeiten das Absterben der Frucht ver-
anlassen könnten ; t») Schauder und Frost der Schwangern , welcher beim
Tode der Frucht constant ist, von Zeit zu Zeit wiederkehrt und ein allge-
mein unbehagliches Gefühl hinterlässt; c) JNIangel an Appetit, fauligen Ge-
schmack im Munde, Schwäche des ganzen Körpers, kachektisches Ansehen ;
rf) Gefühl von Schwere und Kälte im Unterleibe; e) der Leib neigt sich
schnell auf diejenige Seite, auf welche sich die Schwangere niederlegt, und
fällt eben so leicht bei Wendung ihres Körpers auf die andere Seite; f) die
Brüste fallen zusammen und fühlen sich kälter als sonst an; </) auch in den
Geschlechtstheilen bemerkt man Kälte und aus ihnen oft einen Abfluss von
fauligem, stinkendem Wasser.
C. Untersuchung der Scheide und des Uterus wegen Krank-
heiten dieser Theile. Lisfranc theilt darüber aus seiner reichen Er-
fahrung in der Gazette medicale 1833 (vergl. auch Bclirend''s Allgem. Re-
nertor. d. med. chir. Journalistik des Auslandes 1834. Jan. S. 6 u. f.) fol-
gende Bemerkungen mit: 1) Will man mit dem einen oder mit beiden Fin-
gern untersuchen und hinterher, was off nothwendig ist, den Mntterspiegel
gebrauchen, so ist reines Öl zum Bestreichen der Finger weit besser, als
Fett oder Butter, Cerat, weil die letztern Dinge oft kleine Klüuipchen in
der Va-^ina hinterlassen, die man nachher für etwas Pathologisches halten
EXPLORATIO 651
k"innte. 2) Bei manchen Frauen steht das Collum uteri so hoch, dass man
CS nicht erreichen kann; die Ursachen sind oft Fettleibigkeit und starke
Entwickelung der Schamlefzen. Hier hat für die Untersuchung die Frau
die beste Stellung , wenn sie auf eine schiefe Ebene von 25 — SO Grad, wie
für den Steinschnitt, oder auf den Rand des Bettes mit auseinandergespreiz-
ten Beinen und den Füssen gegen zwei Stühle gestützt, gelagert \yird. Der
zwischen den Schenkeln stehende Wundarzt bringt dann mit Sorgfalt die,
grossen Lefzen auseinander , damit die Hand gerade zum Scheideneingange
gelangen könne; man gewinnt so fast einen Zoll. Es sind besonders diese,
Fälle, in denen man genau die allgemeinen Regeln beobachten muss , den
ausgestreckten und abgewandten Daumen zwischen die grossen Lefzen zu
bringen und die drei letzten ebenfalls ausgestreckten und vom Zeigefinger
abgewandten Finger zwischen die Hinterbacken und den Damm , welchen
der Mittelfinger zugleich ein wenig erheben kann, zu legen. Zu gleicher.
Zeit muss die Frau herunterdrängen, während man mit der linke» auf das.
Hypogastrium gelegten Hand die Baucheingeweide nach oben und die Ge-
bärmutter nach unten zu drücken sich bemühet. Bisweilen muss die Kranke
1 bis 2 Stunden vor der Exploration ruhen. So gelingt es oft, Polypen am-
CoUum uteri, die man sonst nicht erreichen kann, durch den Finger, noch,
mehr durch den Zeige- und Mittelfinger, zu entdecken. Im letztern Falle
muss man besonders mit schonender Langsamkeit zu Werke gehen ; so er-
weitert sich auch bei Nichtschwangern die Scheide allmälig, so dass man
selbst die ganze Hand einführen kann. 3) Bei der gewöhnlichen Tastung
muss man stets, so wie der Finger weiter eindringt, auch die Scheidenwan-
dungen in der ganzen Länge untersuchen und sie von oben nach unten um-
gehen, indem der Finger bogenförmige Bewegungen bildet. Bei scrophulö-
sen Frauen fühlt man, indem man nach hinten auf die Seitenwandungen der
Scheide drückt, zuweilen Knoten und Erhebungen, welche entzündete und
aufgetriebene Lymphdrüsen sind, die den Krankheiten der Scheide und des
Uterus analoge Zufälle erregen. 4) Vorzüglich ist es die Untersuchung des
Uterus, besonders des Collum, welche grosse Übung und vollkommne Kennt-
niss der Organe erfordert. Will man das ganze Collum uteri untersuchcin,
so muss man erst mit der rechten, dann mit der linken Hand, indem man
einen oder beide Finger einführt, untersuchen , da man mit einer Hand nicht
rund herum gehen kann und sonst das Resultat unvollkommen bleibt. Das
Collum uteri zeigt bei verschiedenen Frauen und auch bei einer und dersel-
ben Frau zu verschiedenen Zeiten eine Menge Verschiedenheiten. Zur Zeit
der Menses und einige Tage später, sowie nach häufig ausgeübtem Coitus
ist es dicker und weicher, als gewöhnlich. Während der Menstruation und
auch etwas vor - und nachher ist der Gebärmuttei'hals ziemlich erweitert,
um das letzte Fingerglied einzulassen , wo man damit ein glattes , gleichsam
peröses Gewebe fühlt. Zu jeder andern Zeit bedeutet das Offenstehen des
Collum uteri ein ernstes, entweder schon bestehendes oder drohendes Leiden.
Empfindet die in den Muttermund eingedrungene Fingerspitze ein Gefühl, wie
es die Schleimhaut des Magens bei der Betastung abgiebt, so ist ganz be-
stimmt etwas Pathologisches zugegen. 5) Es giebt Frauen, deren Uterus
von Natur unter der Gestalt eines verlängerten und mit der Spitze nach
unten stehenden Kegels sich darstellt und eine runde, wie mit einem Drill-
bohrer gemachte Oll'nung hat. Die Länge des Collum uteri ist sehr ver-
schieden und kann bis 1% Zoll betragen; auch sind die von den Geburts-
helfern über die Verkürzung und das allmälige Verschwinden desselben zu
den verschiedenen Perioden der Schwangerschaft gegebenen Indicationen
vielen Ausnahmen unterworfen. Die in Folge der Einrisse des Collum bei
der Entbindung entstehenden Narben darf man ebenfalls nicht für etwas
Krankhaftes halten. Sie sind hart, gerade, und fühlen sich wie ein kleiner
dünner Balken an , den man zwischen die beiden Ränder der Wunde einge-
setzt hätte. Bei alten Weibern schwindet und verengert sich der Gebäi'mut-
tei-hals noch mehr als der Uterus selbst. Zuweilen macht das Collum nach
vorn und hinten einen Vorspruiig, ohne dass Krankheit daran Schuld wäre.
652 EXPLORATIO
Wirkliche Auftreibung und Empfindlichkeit geben allein zur Diagnose das
Recht. Alle Frauenzimmer, die sich dem Coitus mit fielen Männern Preis
geben, haben ein etwas nach hinten durch die Glans penIs zurückgedräng-
tes Collum uteri und das Corpus uteri ist etwas vorwärts gebeugt. Ein
äusserer Dinick der Hand auf den untern Theil des Leibes von unten nach
oben mit der linken Hand, während man mit der rechten untersucht, führt
das Collum dem Finger näher. Die Weite der Vagina im obern Theile ge-
stattet, durch Abwendung des Fingers um Yj Zoll nach aussen, die Schei-
denwandungen weit genug in die Höhe zu heben und so meist die untere
Hälfte des Corpus uteri deutlich betasten zu können ; damit kann man das
Betasten durchs Rectum und Hypogastrium verbinden. Das Tasten durch
den Mastdarm erfordert , um Resultate zu erlangen , grosse Übung. Der
Uterus , den man mittelbar durch die Rectovaginalwandungen durchfühlt,
erscheint von grossem Umfange , den man kennen muss , um dadurch nicht
getäuscht zu werden. Durchs Rectum gelangt man bis zur Hälfte des Cor-,
pus uteri. Die breiten Mutterbänder lassen sich weit deutlicher durchs Re-
ctum, als durch die Vagina untersuchen. Die Betastung des Hypogastriums
giebt allein ein unvoll kommn es Resultat ; sie kann nur in gleichzeitiger Ver-
bindung mit dem Betasten per vaginam , um den Uterus schaukelnd zu be-
wegen und dadurch seine Masse und Schwere zu ermitteln, von Nutzen seyn.
Weit grössern Nutzen hat man, wenn man gleichzeitig per vaginam und per
rectum untersucht. 6) Jede in der Nähe des Uterus bestehende Reizung
treibt das Blut stärker zu ihm und vermehrt seine Masse, die bei Gravidi-
tas extrauterina , bei Scirrhus uteri etc. daher bedeutend zunimmt. Da sich
im Alter der Uterus bedeutend verkleinert und zu schwinden beginnt, so ist
«nne Verdickung und Vergrösserung des Collum uteri hier meist ein Zeichen
beträchtlicher Blutanhäufung und oft Contraindicatlon gegen eine etwa vor-
zunehmende Operation. 7) Die Lage und Stellung des Uterus ist auch,
ohne dass man die Ursache weiss, sehr verschieden. Bei Multiparls liegt er
niedriger, als bei andern, bei Huren ist das Corpus nach vorn geneigt. Die
sehr beträchtliche Lagenverschiedenheiten des Uterus , die man als Krank-
heiten für sich betrachtet, hält Lisfrnnc im Allgemeinen blos für ein ein-
zelnes Symptom von Blutanschoppung , wo die Ligamente durch die eigene
Schwere des Uterus heruntergezerrt werden. 8) Es giebt reizbare Frauen,
die bei gesunden Geschlechtstheilen eine solche Empfindlichkeit haben, dass
die geringste Berührung ein schmerzhaftes Kitzeln und selbst Nervenzufälle
bewirkt. Bäder, narkotische Klystiere, ein Aderlass am Arme sind dage-
gen gut. Um das Volumen, die Consistenz und Empfindlichkeit des Collum
uteri zu benrtheilen , ist die Betastung mit den Fingern nach Lisfranc hin-
reichend. Will man aber über Excoriatlonen , Ausschläge , syphilitische und
carcinomatöse Geschwüre am Gebärmutterhalse sich Auskunft verschaffen,
um die Grenzen solcher Verschsvärungen zu erkennen, so bedarf es des
Mutterspiegels. L. zieht den von liecamier vor, d. i. eine messingene,
leicht kegelförmige Röhre mit zugerundeter Melier'scher Schraube. Die Länge
des Spiegels von 5 Zoll Ist ihm zu kurz; er hat ihn um zwei Zoll verlän-
gert, und er verwirft als nutzlos das 4 — 5 Zoll lange durchbrochene und
nicht durchbrochene Schwanzende. Ein 1'//, Zoll langes Schwänzende reicht
vollkommen zur Handhabung des Instruments hin. Bei noch nicht schwan-
ger gewesenen Frauenzimmern bringt man es. um das Frennlum labiorum
majorum nicht zu reizen und somit den lebhaften Schmerz zu vermeiden,
von vorn nach hinten und zugleich leicht von unten nach oben ohngefähr in
einer Linie, die von der Mündung der Vagina nach der Spitze des Steiss-
beins hingezogen wäre, ein, weil der äussere Scheideneingang durch die
Falte nicht dieselbe Richtung als die Innere Scheide hat. Das Hymen oder
der Hymen, wie Oslander will, darf dabei auf keine Weise verletzt wer-
den. Selbst bei jungen Mädchen Ist die Vagina leicht zu erweitern, weni-
ger giebt sie bei Erwachsenen nach, am wenigsten bei Frauen über die
Periode der Menstruationszeit hinaus, wo sie oft hart ist und bei den ge-
ringsten Versuchen zur Erweiterung kreischend sich darstellt. Bei alten
EXPLORATIO 653
Jungfern ist sie oft so eng, dass man nicht den kleinen Finger hineinbrin-
gen kann. Man muss deshalb mehrere Specula von verschiedener Dicke
haben und höchst vorsichtig zu Werke gehen, um schwer zu vernarbende
Zerreissungen zu verhüten. In solchen Fällen kann man 8 — 14 Tage lang
vor der Einführung des Speculums den Canal mit Pressschwamm erweitern.
Besonders sind es die grossen Lefzen , die durch ihre Verkleinerung zur Er-
weiterung der Vagina und ihres Einganges selbst beitragen, was man bei
Entbindungen, wenn der Kindeskopf durch die Vagina tritt, wahrnehmen
kann. Es ist anzunehmen, dass sie dasselbe thun werden, wenn ein volu-
minöser Körper, statt aus der Vagina auszutreten, in dieselbe eingeführt
wird. Daher muss der die Lefzen auseinander haltende Gehülfe diese, so-
bald der Spiegel in die Vulva dringt, sogleich fahren lassen; sonst folgen
Zerrungen, und die Erweiterung der Scheide wird behindert. W^ill man das
Speculum appliciren, so lege man die Frau dergestalt quer über ein Bette,
dass die Tuberositäten des Sitzbeins auf den Rand des Bettes , jeder Fuss
auf einen Stuhl zu liegen kommt, und die Oberschenkel auseinandergesperrt
werden, damit der Wundarzt zwischen ihnen stehen kann; der Kopf muss
durch ein Kissen gestützt Averden, und ein anderes Kissen muss unter dem
Becken liegen, um zu verhindern, dass der Steiss in das Bette hineinsinke
und um_ eine feste horizontale Lage zu sichern. Das Instrument muss geölt
und gehörig erwärmt seyn ; vor dem Einbringen forscht man mit dem Fin-
ger nach der Stellung des Mutterhalses, um die rechte Richtung nicht zu
verfelilen. Mit der linken Hand bringt man die Haare und die Lefzen aus-
einander, mit der andern ergreift man den Mutterspiegel, indem man mit
dem Zeige - und Mittelfinger die Concavität des Schwanzendes umfasst und
den Daumen auf die Stelle, v^o das Schwanzende mit dem Körper des In-
struments zusammenhängt, setzt. Man bringe letzteres dann langsam und
so ein, dass das Schwanzende nach dem Schambeine gerichtet ist. Erstreckt
sich das Bändchen der grossen Schamlefzen ziemlich weit nach hinten, so
muss man den Damm nach hinten zu ziehen suchen , aber ja nicht in die
Quere spannen. Steht die Achse des Spiegels gegen die Mitte der Vagina,
so richtet man das Instrument in eine von der Mitte des Scheideneingangs
nach dem untern Theil des Steissbeins gedachte Linie , und ist man mit ihn*
etwa 1 Zoll tief eingedrungen, so macht man eine hebeiförmige Bewegung
und bringt es in die Richtung des Sacrovertebralwinkels. Bei Entzündun-
gen ist der Mutterhals brauner, als die Vagina; im gesunden Zustande ist
die Scheidenschleimhaut bleich , aber der Mutterhals ist noch bleicher. Bis-
weilen ist letzterer so nach hinten geneigt, dass man ihn nicht sehen kann;
alsdann ziehe man den Spiegel % Zoll zurück und richte, indem man seinen
Stiel nach oben und vorn hebt, sein anderes Ende so zwischen die hintere
Wand der Vagina und des Halses, dass man den Hals nach vorn erhebt
und seine innere Fläche der hintern Mündung des Spiegels entgegenstellt.
Ist der Spiegel gehörig angelegt, so bringt man in sein Inneres einen Pin-
sel , um die Theile gehörig abzutrocknen ; denn der Mutterhals ist selbst im
gesunden Zustande immer etwas mit Schleim bedeckt, der kleine Geschwüre
verhüllen könnte. Bisweilen verbergen die weichen und hypertrophischen,
genau aneinander liegenden Muttermundlefzen an ihrer innern Fläche Ge-
schwüre; man muss deshalb mit einem weiblichen Katheter oder mit einem
geknöpften Stilet die vordere dieser Lefzen erheben, um Tuberkeln und
kleine Geschwüre zu entdecken. Um die Beschauung mittels des Spiegels
deutlich anstellen zu können, muss die Kranke mit dem Gesicht gegen das
Fenster gelagert seyn, so dass die Lichtstrahlen ins Innere des Spiegeb
dringen können; sonst muss der Gehülfe mit einer brennenden Wachskerze
an der linken Seite stehn und das Licht so halten, dass es durch den Spie-
gel der Reihe nach alle Theile erleuchte. Man hat Spiegel mit zwei oder
mehreren Armen; die letztern müssen ein etwas längeres Schwanzende ha-
ben. Ist die Vagina der Sitz von Geschwülsten, so müssen diese vor der
Einbringung des Spiegels oft erst entfernt, auch ein zu grosses Hymen
durch einen Kreuzschnitt getrennt werden. Eine Vaginitis ist eine voll-
654 EXSCREATIO -^ EXSTIRPATIO
kommne Contraindication der Anwendung des Speculums ; auch die Gegen-
wart tiefer Verschwärungen des Collum uteri und der Vagina, wo sonst
leicht Zerreissungen und schwere Blutungen folgen. Ist das Collum mit
grossen Vegetationen besetzt, dass der Spiegel sie nicht umfassen kann, so
ist seine Einführung unnütz. Ist grosse Hypertrophie des Uterus mit sub-
inflammatorischem Zustande zugegen, so muss man die Einführung des Spie-
gels verschieben , weil man zu dieser Zeit doch nicht die Excoriationen und
oberflächlichen Geschwüre behandeln kann. So weit Lisfranc. — Wie wich-
tig in diagnostischer Hinsicht, zumal bei Syphilis, die noch so sehr vernach-
lässigte Anwendung des Mutterspiegels ist , hat neuerlich der verdienstvolle
Ricord durch zahlreiche Thatsachen bewiesen. Er fand bei liederlichen
Frauenzimmern, deren äussere Genitalien: Lefzen, Eingang der Scheide etc.
ganz gesund scheinen, oft syphilitische Geschwüre in der Tiefe, selbst am
Muttermunde, woraus hervorgeht, dass jeder Arzt imd Wundarzt, der die
öffentlichen Dirnen in Bordellen zu untersuchen hat , verpflichtet ist , auch
mit dem Speculum zu untei'suchen. Hr. Geheime Med.-Rath Sachse erzählt,
dass ihm zwei Freudenmädchen in Dobberan bekannt geworden, die bei äus-
serlich gesunden Genitalien dennoch mehreren Männern Chanker mitgetheilt
hätten (s. Caspers Wochenschrift für die gesammte Heilkunde. Berlin 1833.
Nr. 16. S. 297).
SiXSCreatio, Rascntio, das Räuspern. Ist ein bekanntes Symptom
bei Heiserkeit, Husten etc.
IiXsiccaiitia>, austrocknende Mittel. So nennt man in der
Chirurgie diejenigen Mittel, welche bei nässenden Geschwüren, Ausschlä-
gen etc. den leidenden Theil durch Einsaugung der Feuchtigkeiten, oder
indem sie die Secretion vermindern, trockner machen, wodurch eine oder
die andere Heilindication bezweckt wird. Man rechnet hierher trockne Char-
pie, Bleimittel, Zinksalbe etc. Auch der Pressschwamm, Pulv. ttor. cha-
momillae, Carbon, ligni, Bolus armena. Terra sigillata, Sanguis draconis
und sämmtliche Bleipräparate werden zu den austrocknenden Mitteln gezählt
und finden als Externa in der Chirurgie zahlreiche Anwendung.
*Exstirpati05 die Ausrottung, das Ausschälen, Ausschnei-
den, Wegschneiden. Ist in der Chirurgie diejenige Operation, mittels
■welcher wir Pseudoovganisationen , unbrauchbare , oder schädliche Körper-
theile partiell oder gänzlich aus ihrem organischen Zusammenhange trennen.
Daher wird das Wort Exstirpation als Gattungsname für die unterge-
ordneten Bezeichnungen Ahscissio , Amputatio , Decapitntio, Excisio , Exarti-
culatio, Resectio etc. gebraucht. Übrigens ist auch hier die Terminologie
nicht ganz ohne Verwirrung; denn Einige verstehen unter Exstirpation nur
die Wegnahme äusserer Körpertheile, Andere nur die Ausschälung eines
Theils aus einer natürlichen Höhle u. s. f. , die Wegschneidung eines Tumor
cysticus, eines Lipoms, Ganglions. Mit Glück hat man öfters den Kitzler
bei scirrhöser oder carcinomatöser Entartung exstirpirt, desgleichen eine Par-
tie des Mastdarms, wenn derselbe bedeutend prolabirt sich zeigte (s. Pro-
lapsus ani) oder auf der Schleimhaut desselben tuberculöse Excrescenzen
sich befinden, oder wenn Cancer intestini recti da war. Die grossen und
kleinen Schamlefzen sind zuweilen krankhaft entartet, hindern den Beischlaf,
das Harnlassen, und erfordern dann gleichfalls die Exstirpation. Auch die
Milz hat man in einzelnen Fällen bei tiefeingedi'ungenen Wunden in dieses
Organ , um einen tödtlich w erdenden Ausgang wegen der Gefahr eines Blut-
extravasats zu verhüten, mit Glück exstirpirt; in ein paar Fällen gelang
dies auch bei Phthisis lienis den Operateurs Ferrerius , Crüger , F. Clarlc,
B\ Home, Ferguson, v. Sdiönhcrg , v. Lenliosseli und Sclmltze. Nicht so
glücklich war der hiesige Professor Quittenlnum, der in einer benachbarten
Landstadt einer Frau ein grosses Gewächs am Bauche operirte und als er
fand, dass es die Milz sey, dieselbe wegschnitt; denn die Operirte starb
noch unter dem Messer. Höchst wichtig und nicht immer ohne Gefahr ist
die Exstirpatio parotidis, oculi, uteri und die der weiblichen Brust, fast alle
EXSTIRPATIO 655
grosstenthcils wegen krankhafter, zumal scirrhöser und carcinomatoser De-
generationen unternommen (s. Cancer mammae, parotidis, uteri).
Die Indicationen zu diesen wichtigen Operationen und das chirurgische Ver-
fahren dabei soll hier näher dargestellt und beschrieben werden.
Exstirpatio cujiisdam linguae partis, Abkürzung der Zunge. Diese
erst in neuern Zeiten üblich gewordene Operation hat man mit Glück bei
ficirrhösen, carcinomatösen, fungösen und varicösen Metamorphosen der Zunge,
sobald pharmaceutische Mittel nichts fruchteten, so wie bei angeborner zu
langer, über die Zähne hervorragender Zunge, die das Sprechen, Schlucken
erschwert, vorgenommen, indem die Erfahrung gelehrt hat, dass selbst beim
Verlust des grössei'n Theils dieses Oi-gans Sprache, Geschmack etc. fast gar
nicht leiden. Bei zu langer Zunge in Folge von Lähmung, wobei Bewe
gung und Geschmackssinn fehlen, bei allgemeinen Dyskrasien, bei Entartun-
gen, die auch die Zungenwurzel und die Nachbartheile ergriffen, ist diese
Operation nicht zu unternehmen. Die möglichst weit vorgestreckte Zunge
wird mit einer Zange oder Schlinge, d. i. ein durch den gesunden Theil
der Zunge gezogenes schmales Bändchen, fixirt, statt der altern Mundspie-
gel dem Kranken ein Korkstöpsel zwischen die Zähne gesteckt und, ist die
Zunge zu lang, durch einen Transversal- oder Bogenschnitt geradezu abge-
schnitten, oder man macht mit der Cooper'schen Scheere vom Rande aus
bis fast auf Vs Zoll von der Mittellinie der Ziuige einen Querschnitt, und
die spritzende Arterie wird unterbunden; eben so macht man es am andern
Rande der Zunge, und schneidet dann den in der Mitte noch zusamroenhäa-
genden Theil mit dem Bistouri gänzlich durch. Bei Scirrhus linguae ent-
fernt man den entarteten Theil mittels eines halbmondförmigen oder V-för-
migen Schnitts, und vereinigt dann die Seitenlappen durch die blutige Naht.
Steht die Blutung trotz der angelegten Ligaturen nicht, so wendet man
noch kaltes Wasser, im Nothfall das Glüheisen an. Die Diät muss in den
ersten 7 Tagen streng antiphlogistisch seyn, weil sonst leicht bedeutender
Zungenschmerz, starke Geschwulst, heftige Glossitis, Nachblutungen folgen.
Bei angiektatischen Zungendegenerationen ist die Ligatur, der heftigen
Blutung wegen, dem Schnitte oft vorzuziehen. Man zieht hier mit einer
Heftnadel hinter dem zu entfernenden Theile eine doppelte Ligatur ein, legt
sie auseinander, und schnürt die entsprechenden Enden an jeder Seite in
einer Schlinge zusammen, die man in einen Knoten knüpft oder in ein Li-
gaturstäbchen fügt, und täglich fester anzieht, bis der eingeschnürte Theil
abstirbt und abfällt. Die zurückbleibende Geschwürttäche wird mit Decoct.
chinae und Tinct. myrrhae zur Heilung gebracht (v. Waltlier, Rust, Lan~
genbeck, Louis).
Exstirpatio clitoridis, die Ausrottung des Kitzlers. Scirrhöse und
carcinomatöse Entartungen und ein solcher Grad von Clitorismus, dass da-
durch Störungen des Beischlafes, des ürinlassens u. s. w. herbeigeführt wer-
den, fordern häufiger zu dieser Operation auf als Nymphomanie, wogegen
sie Levret vorschlug und Duhois mit Glück unternahm, und unüberwindliche
Neigung zur Selbstbefleckung, welche v. Gräfe bei einer Blödsinnigen durch
Exstirpation dieses Theiles beseitigte. Hat man es mit dem Krebse der
weiblichen Ruthe zu thun, so wird man die totale Ausrottung (^Schmucker)
des Krankhaften im Auge haben und lieber die Operation unterlassen müs-
sen, wenn man sich von der Unmöglichkeit, alles Entartete wegzunehmen,
im Voraus überzeugt hält. Bei der Operation wird die Kranke quer über
ein Bett auf den Rücken mit ausgespreizten und flectirten Schenkeln so
gelagert, dass der Steiss auf dem Bettrande liegt, und in dieser Stellung
durch zwei Gehülfen, welche zugleich die .Schamlefzen gehörig auseinander
halten, fixirt. Nachdem sich der Operateur von dem Umfange des Entarte-
ten oder Überflüssigen überzeugt hat, zieht er dasselbe (mit dem Finger,
einem Haken, einer Ansa oder der Zange) möglichst stark hervor, und ex-
cidirt es nach Umständen entweder mit einer Cooper'schen Scheere oder ei-
nem convexen oder geraden, nicht zu grossen Scalpell, welches er von der
Seite oder von unten her einsenkt, und mit einem oder mehreren Zügen, je
656 EXSTIRPATIO
nach der Grosse des Wegzunehmenden, über diesem hinfuhrt. Kalte Um-
schläge , die Ligatur und nöthigenfalls die Compression oder das Ferrum
candens bringen die Blutung zum Stehen. Bei der Anlegung des Verbandes,
"WOZU trockne Plumaceaux, eine Compresse und die T-Binde gehören, hat
man darauf zu achten, dass die Mündung der Harnröhre frei bleibe, und
'somit dem freien Abfluss des Urins kein Hinderniss in den Weg gelegt werde.
Dies erreicht man am besten durch Spaltung der T-Binde und durch Kreu-
zung ihrer Enden am Orificium urethi'ae externum. In der ersten Zeit nach
der Operation lässt man die Kranke eine Rücken - oder Seitenlage beobach-
ten, und nimmt die Erneuerung des Verbandes wo möglich erst nach einge-
tretener Eiterung vor.
Exsiirpatio glandulne suhnaxillaris, Ausrottung der Unterkiefer-
drüse. Man hat diese Operation bei scirrhösen Entartungen der Glandula
submaxillaris und zwar entweder für sich allein oder in Verbindung mit der
Ausrottung der Ohrspeicheldrüse {Sturm) vollzogen, und dabei die Grund-
sätze befolgt, welche bei der Exstirpatio parotidis angerabthen worden sind,
wovon weiter unten die Rede seyn wird.
Exstirpatio intesHni recti, die Ausrottung einer Partie des Mast-
darms. Es sind besonders drei Krankheitszustände , bei denen sich diese
Operation hülfreich bewiesen hat, nämlich tuberculöse Excrescenzen der
Schleimhaut, Prolapsus und krebsartige Degeneration des Rectum. 1) Bei
tuberculösen Excrescenzen der Schleimhaut des Mastdarms
warnen Desault und Copeland vor der Exstirpation dieser Auswüchse mit
dem Messer, und empfehlen dagegen eine allmälig verstärkte Compression,
die Ersterer mit Wieken , Letzterer mit Tampons hervorzubringen und bis
zur vollständigen Schmelzung dieser PseudoOrganisationen fortzusetzen anräth.
Schrcgcr^s Erfahrungen haben indess gelehrt, dass man die Anwendung des
Messers ohne Grund fürchtet, und dass ihr in der Mehrzahl der Fälle die
Compression nachgesetzt wierden muss , was im Allgemeinen auch von der
Ligatur gilt, welche LantjenhccTc , wiewol starke Blutungen wegen der Ge-
fässarmuth dieser Auswüchse wol nur ausnahmsweise entstehen dürften , zur
Nachahmung anempfiehlt. Ist die Furcht vor einer lebhaften Hämorrhagie
aber gegründet, oder sitzen die Excrescenzen so hoch, dass man sie mit
Schnittwerkzeugen nicht erreichen kann, so wird man dennoch im ersten
Falle zum Abbinden, im zweiten zur Anwendung eines stufenweise vermehr-
ten Druckes seine Zuflucht nehmen müssen. Bei der Operation lässt man
die Excrescenzen durch starkes Pressen von Seiten des Kranken hervor-
drücken, fixirt sie sodann mittels einer Ansa oder Pincette, und schneidet
sie an ihrer Basis mit horizontalen Messeraügen ab. Der Verband und die
Nachbehandlung geschehen wie nach der Ausrottung der Hämorrhoidalknoten.
2) Verfahren beim Mastdarmvorfall. Bei veralteten, nicht reponiblen
oder zur Retention nicht geeigneten Mastdarmvorfällen , welche durch Ent-
zündung und Anschwellung zu schmerzhaften Stuhlausleerungen Anlass geben,
ist die partielle oder totale Ausrottung der vorgefallenen Partie indicirt.
Copeland und Rust empfehlen in den mehrsten Fällen die Abbindung. Letz-
terer räth an , wenn mehrere Wände des Mastdarms wulstig heiiorgetreten
sind, sie nach und nach abzubinden, und zwar die grössten Partien zuerst,
und so nach einander die übrigen Reste. Cheselden gab den von Hey, Rich-
ter, Dufuytren, Chelius, Kirhy u. A. unter verschiedenen Modificationen be-
folgten Rath, die vorgefallene Schleimhaut wegzuschneiden. Der meistens
unvollkommene Erfolg dieser Operationsweisen , namentlich die zurückblei-
bende Relaxation der Sphinkteren als die Hauptursache des Prolapsus , und
die üblen Begleiter (profuse Blutung) und Folgen (hartnäckige Eiterung)
der einfachen Excision der Schleimhaut Hessen Dupuytren von seiner frühe-
ren Methflde abgehen , und eine neue , nämlich die Abtragung der strahlen-
förmigen Falten des Mastdarms, ersinnen, welche sich, mehreren Erfahrun-
gen zufolge (ü. Amnion, Die/i'enhach u. A.), nicht allein gefahrlos, sondern
auch durch die verengende Cicatrisation des Afters vollkommen heilsam ge-
zeigt hat. Hat man einen Vorfall sämmtlicher Häute des Intestinum rectum
EXSTIRPATIO 657
und nicht blos der Schleimhaut zu behandeln , so kann man , nach Bride,
noch einen Schritt weiter gehen, und selbst noch eine Partie des Rectum
mit dem Messer abtragen. Das Operationsverfahren nach Diipnylren ist fol-
gendermassen : Man giebt dem Kranken, je nach der Individualität des Fal-
les, entweder eine Lage wie beim Steinschnitt, oder wie bei der Operation
der Afterfistel. Der Operateur zieht nun mit einer vorn etwas breiten , gut
fassenden Pincette den prolabirten Theil 1 — 1*/, Zoll aus dem After hervor
und schneidet mit einer Cowper'schen Scheere 4 — 7 der strahlenförmigen
Falten , welche vom Rande des Afters convergirend nach der Mitte hinge-
hen, aus, indem er sie einzeln mit der Pincette erhebt und möglichst hoch
in den Darm verfolgt. Hierauf nimmt man die Reposition des Wulstes vor
und stillt die Blutung durch kalte Fomentationen , oder, wenn sie arteriell
ist, durch die Ligatur oder Glüheisen. Bei der Behandlung ist es hier noth-
wendig, so lange als thunlich den Stuhlgang zu verhindern, z. B. durch
Opium. 3) Verfahren beim Mastdarmkrebs. Sind die Grenzen
der scirrhösen Entartungen noch mit dem Zeigefinger zu erreichen und ist
der untere Theil des Mastdarms noch beweglich, folglich das ihn umgebende
Zellgewebe noch gesund , so kann man von diesem operativen Verfahren
Hülfe erwarten, obgleich dennoch dasselbe misslich ist. Von 9 Kranken,
welche Lisfranc operirte. wurden 6 glücklich gerettet, während 3 den Fol-
gen dieser gefährlichen Operation , heftiger Entzündung und Eiterinfiltration,
unterlagen. Dem Kranken wird zunächst eine Lage wie bei der Sectio la-
teralis gegeben, und ihm zum Schutze der dabei interessirten Theile ein
Katheter eingeführt; bei Weibern erreicht man dies durch das Einbringen
des Fingers in die Scheide. Der Operateur bildet hierauf mit dem con-
vexen Scalpell 2 halbmondförmige, 1 Zoll vom After entfernte Schnitte,
welche sich vor und hinter diesem vereinigen , und das Rectum nach mehr-
maligen Wiederholungen von seinen Nachbargebilden möglichst genau loslö-
sen. Man zieht nun den Mastdarm mittels des eingebrachten gekrümmten
Zeigefingers hervor und stülpt ihn nach aussen um, um den Umfang der
Entartung zu erfahren. Ist diese mehr oberflächlich, so trennt man sie
durch einige Längenincisionen und schneidet die dadurch gebildeten Stücke
mit der Hohlscheere weg; erstreckt sich aber die Degeneration durch das
ganze Gewebe des Mastdarmes, so spaltet man dessen hintere, weniger ge-
fässreiche Wand mit einer starken Scheere der Länge nach bis über dl?.
Grenze des Krankhaften hinaus, lässt dieses durch Haken stark hervorzie-
hen und exstirpirt es möglichst genau. Blutungen werden durch die Ligatur
und nur im Nothfalle durch die Tamponade gestillt; der anfangs ganz ein-
fache Verband wird nach ein Paar Tagen, sobald die erste Reizung vor-
über ist , gegen ein starkes Bourdonnet vertauscht , welches man in den
After legt, und nach Lisfranc' s Erfahrungen selbst 2 — 3 Monate nach er-
folgter Heilung zur Verhütung einer Strictur anhaltend tragen lässt.
Exslirpnlio Jnhiorum pudcndi , die Ausrottung der grossen und
kleinen Schamlefzen. Die Operation ist indicirt : 1) beim Cancer, so
lange er noch kein constitutionelles Leiden veranlasst hat, und vollständig
ohne Zurücklassung eines Restes ausgerottet werden kann (KaUschtnidt und
A.). 2) Bei Telangiectasien , bedeutenden Degenerationen , sarcomatösen,
steatomatösen und andern Geschwülsten (Sömmerrinff , SnuceroUe, Listotv,
Hoff7n(tnn, Birrel, Kleuitz, Talrich und A.). 3) Bei ungewöhnlicher Grösse
und Länge einer Schamlippe , welche den Beischlaf und die Bewegungen in
dem Grade beeinträchtigt, dass die Frau ausdrücklich ihre Beschneidung ver-
langt (Mnuriceau, Wagner und A.). — Bei der Operation giebt man der
Kranken eine horizontale Rückenlage mit stark abducirten und flectirten
Schenkeln, so dass sich der Steiss dicht am Bettrande befindet, und lässt
sie von 2 Gehülfen gehörig fixiren, während ein dritter die Zureichung der
Instrumente übernimmt. Etwaige sich an der Operationsstelle befindende
Haare werden vorher abgeschnitten; erstreckt sich dirf Geschwulst bis dicht
an die Urethra , so führt man vor der Operation den Katheter ein. Der
zwischen den Schenkeln der Patientin stehende Operateur fasst nun mit den
Most Encyklopädie. 2te Aufl. I. 42
65d
EXSTIRPATIO
Fingern der linken Hand oder mit einer Pincette oder Zange die k»-ank(»
Lefize , zieht sie in eine zur Abtragung geeignete RicU,tung , und schneidet
sie durch einen oder mehrere Messerzüge, oder, falls die Entartung weniger
gross ist, mittels der Cowper'schen Scheere weg. Man beobachte hierbei
ja das richtige Maass, und entferne bei cancrösen Entartungen die Ge-
schwulst bis auf den letzten Rest, gehe dagegen mit grösserer Sparsamkeit
in den Fällen zu Werke, wo das Leiden gutartiger Natur ist, und bei to-
taler Ausrottung desselben grosse Verunstaltung und Störung in der Excre-
tion des Harnes entstehen kann. Blutstillung, Verband und Nachbehaad-
lung werden ganz nach den allgemeinen Regein besorgt; nur hat man dar-
auf zu sehen: 1) dass durch emen eingelegten und gehörig verstopften Ka-
theter die Entleerung der Blase von Zeit zu Zeit bewirkt und der Harn-
strahl von der Wunde abgeleitet wird ; 2) dass bei etwaiger Verwundung
der Scheide keine Atresie derselben zu Stande komme, was sich sehr leicht
durch einen dazwischen gelegten befeuchteten Leinwandstreifen verhindern
lässt. Trockne Charpie, Heftpflasterstreifen, eine gespaltene Corapresse und
eine T-Binde beschliessen die Operation.
Exstiiyatio lienis , die Ausrottung der Milz. Dass die neuere Chi-
rurgie diese Operation mit Stillschweigen übergeht, ist um so auffallender,
da schon in den ältesten Zeiten davon die Rede ist, und zahlreiche Bei-
spiele vorkommen, welche die Entbehrlichkeit dieses Organs bei Thieren
und bei Menschen hinlänglich beweisen. Themison, als Urheber dieser Ope-
ration, soll die Milz mit einem glühenden Eisen drei bis viermal zu durch-
stechen angerathen haben ; Plinius and Serenus Samonicus kannten Fälle von
gelungenen Exstirpationen. Adrian Znccarelln vollzog nach Fioravanti die
Ausrottung der Milz an einer Frau ohne Nachtheii, ebenso hatte die von
Ferrerius wegen Milzschwindsucht unternommene Operation einen glückli-
chen Erfolg. Ähnliche Fälle beschrieben D. Crüger, T. ClarUe, F. Home,
Ferguson, v. Schönherg, v. LcnhosseJ: , Schultze. Traumatische Verletzungen
der Milz , namentlich wenn sie tief in das Gewebe derselben eindringen , und
somit ein tödtliches Blutextravasat zu veranlassen drohen, bilden die vor-
nehmste Indication zur Exstirpatio lienis. Ist die Operationsstelle nicht durch
die Verwundung gegeben, so wii-d man sich am zweckmässigsten , nach
SchuUze, den äussern Rand des linken Rectus abdominis zur Incision wäh-
len, indem man das Messer, nach den bei der Laparotomia angegebenen
Grundsätzen, einen Finger breit imterhalb der Rippenknorpel aufsetzt und
es in einer Länge von 4 Zoll abwärts führt. Auf solche Weise würde die
Eröffnung der Bauchhöhle ohne Verletzung bedeutender Gefässe und des
Diaphragma geschehen, und man hätte eine Wunde, durch welche, falls
nicht krankhafte Vergrösserungen der Milz statt hätten , diese leicht hervor-
gezogen werden könnte, um die Unterbindung ihrer Gelasse ausserhalb der
Bauchhöhle zu bewirken. Zur Vermeidung allgemeiner Nervenaffectionen
giebt Schultze den zu befolgenden Rath , den Plexus lienalis vorher zu
durchschneiden und zurückzuschieben, damit er nicht mit in die Ligatur ge-
fasst werde (C. A. S. SchuUze, Über die Verrichtung der Milz und die Ex-
stirpation derselben bei Thieren luid Menschen; in Hecker' s Lit. Annalen,
Bd. Xn. S. 385.
Exstirpatio mammae, s. Aroputatio mammae,
Exstirpatio oculi, die Ausrottung des Auges. Man versteht hier-
unter die schnittweise Entfernung des entarteten Augapfels mit oder ohne
Erhaltung der Augenlider. — Die Krankheiten, welche die Exstirpation des
Augapfels bedingen, zerfallen nach Ihrem Sitze in drei Classen, indem sie
entweder die Augenlider und die übrigen den Augapfel umgebenden Weich-
gebilde, den Augapfel selbst, oder die knöchernen Augenwandungen befal-
len haben. Es werden demnach folgende krankhafte Zustände die Opera-
tion erfordern:
L Krankheiten der Augenlider und der übrigen den Aug-
apfel umgebenden Weichtheile. 1) Ist entweder durch eine zufäl-
lige äussere Verletzung oder eine ajidere krankhafte Destruction ein so
EXSTIRPATIO 659
grosser Defect des obem Augenlides entstanden , dass selbst eine Blepharo-
plastik den Verlust zu ersetzen nicht im Stande ist, so muss der Augapfel
entfernt werden ; denn dadurch , dass er diese Bedeckung verliert , wird er
allen äussern schädlichen Einflüssen ausgesetzt. Häufige, oft wiederkehrende
Entzündungen des Augapfels , welche zuletzt in Exulceration oder gänzli-
ches Absterben desselben übergehen, sind gar nicht zu vermeiden. Der
Kranke erblindet allmälig, und er hat dann nicht nur ein ihm nichts nützen-
des , sondern vielmehr ihn durch Schmerzen sehr belästigendes Auge.
2) Müssen die Augenlider wegen krebsai'tiger Metamorphose entfernt wer-
den, so findet auch hier zum Theil die erste Anzeige ihre Anwendung. Es
kommt hier aber noch ein anderer Umstand hinzu , welcher die unbedingte
Entfernung des oft scheinbar noch gesunde.i Auges erfordert. Es ist näm-
lich auch hier, wie bei jedem andern Krebsübel, nie genau zu bestimmen,
wie tief das Leiden schon gewurzelt hat. Gewöhnlich ist die Thränendrüse
und das den Augapfel umgebende Zellgewebe in Mitleidenschaft gezogen,
und wollte man hier dies zur Schnung des Auges sitzen lassen, so würde
man das Übel noch um vieles verschlimmern , und der Kranke leicht ein
Opfer dieser unzeitigen Schonung werden. Im günstigsten Falle müsste er
sich hinterher doch noch der gänzlichen Exstirpation unterwerfen, und so
unnöthigerweise zweimal eine höchst schmerzhafte Operation aushalten.
8) Nicht selten bilden sich an den den Augapfel umgebenden Weichtheilen
Balggeschwülste , schwammige Auswüchse , Verhärtungen des Zellgewebes,
Steatome und dergl. mehr, welche so an Grösse zunehmen, dass sie den
Augapfel ganz aus seiner Höhle drängen, so dass diese nun theils durch
fortwährende Einwirkung der Luft, theils durch andere, leicht zugängliche,
schädliche Einflüsse insultirt wird. Da nun diese mechanischen Hindernisse,
welche den Rücktritt des Auges in seine normale Lage nicht zulassen, uns
oft so unzugänglich sind, dass wir sie nicht ohne vorherige Wegnahme des
Augapfels entfernen können , ihre Entfernung aber der Bösartigkeit wegen
unumgänglich nothwendig ist, so müssen wir auch in diesem Falle den Aug-
apfel mitfortnehmen. Endlich ist dieses nothwendig 4) bei der Papula ma-
ligna, wenn das Übel nicht schon in seinem Entstehen unterdrückt werden
konnte , sobald sich stechende Schmerzen bis in die Orbita hinein erstrecken,
die Augenlider ■ sich zu entzünden und anzuschwellen anfangen, indem das
Übel sonst mit «iner furchtbaren Rapidität um sich greift, und zuletzt selbst
die totale Exstirpation nutzlos macht. — IL Krankheiten am Aug-
apfel selbst. 5) Wassersucht des Augapfels, Hydrophthalmus , beson-
ders im Glaskörper, ist häufig ein unheilbares Übel. Der Augapfel wird
ungewöhnlich vergrössert , und muss wegen Mangels an Raum seine nor-
male Lage in der Augenhöhle verlassen. Hierdurch entstehen oft wieder-
kehrende Entzündungen und Elxulcerationen, und nicht selten ist dies Übel
zugleich mit Varicositäten verbunden. Auf dieser Höhe der Krankheit er-
scheinen die unsäglichsten Schmerzen im entarteten Auge, und selbst das
gesunde leidet in solchem Grade mit, dass es unbrauchbar wird; endlich
platzt das hydropische Auge, verliert seine natürliche Form und geht unter
den furchtbarsten Schmerzen in carcinomatöse Verschwärung über. Sobald
der Kranke aller Sehkraft auf dem leidenden Auge beraubt und die krank-
hafte Metamorphose so weit fortgeschritten ist , dass man jenen schlechten
Ausgang der Krankheit mit Gewigsheit voraussehen kann, würde es unrecht
seyn, wenn man den Kranken noch lange Zeit mit einem langwierigen und
schmerzhaften Leiden quälen wollte. Man wird hier daher immer besser
thun, die Exstirpation des Auges lieber früher zu unternehmen, ehe noch
das Übel einen so bösartigen Charakter angenommen und den Gesamrator-
ganismus in einem solchen Grade in Mitleidenschaft gezogen hat, dass die
Operation den Zweck der Lebenserhaltung verlieren könnte. Auch kann
hier die Entstellung, welche durch den fehlenden Augapfel hervorgebracht
wii'd, sehr gut durch ein künstliches Auge ersetzt werden , welch(es in jedem
Falle einem krankhaft entarteten Augapfel vorzuziehen ist. 6) Cirsophthal-
mus , Staphyloma corneae totale , Carcinoma bulbi , Fungus haemtito-
42*
660 EXSTIRPATIO
des et meduUaris oculi erfordern ebenfalls die Exstirpation des Augapfels.
III. Krankheiten der Orbita. 7) Es sind diese Osteostcatomata, Exo-
stosen , Caries und Nekrose der Orbitalknochen. 8) Sind fremde Körper,
als Lanzen - oder Pfeilspitzen , Posten , gehacktes Blei etc. ins Auge einge-
drungen und haben sie dasselbe gänzlich zerstört , so ist die Exstirpation
desselben erforderlich. — Die Instrumente zur Operation sind: 1) Em
Augenlidhalter. 2) Zum Fixiren des Augapfels bedient man sich des Schmucker'-
schen Pfriemens oder, nach Richter, Beer und v. Gräfe, der Ansa. 3) Zur
Exstirpation des Augapfels selbst hat man vielerlei Messer und eigene Ex-
stirpatorien angegeben, wie das löffeiförmige von Bartisch, das geknöpfte
von Fahricius UUdamts, das myrtenförmige von Solitigcn, ferner zweischnei-
dige, auf der Fläche gekrümmte von Petit, Wenzel, Beer und v, Gräfe.
Am einfachsten und besten ist woi zu diesem Zwecke ein gewöhnliches bau-
chiges Scalpell , mit welchem man vollkommen ausreicht. 4) Zur Durch-
schneidung des Sehnerven und zur Entfernung des zurückgebliebenen krank-
haften Zellstoffes und der Thränendrüse bedient man sich der gekrümmten
stumpfspitzigen Cowper'schen Scheere. 5) Eine gute anatomische Pincette.
6) Gefässunterbindungsapparat. 7) Eine Wundspritze. 8) Feuer- und
Waschschwämme. 9) Kaltes und warmes Wasser und Eis. 10) Charpie,
Plumaceaux, Heftpflasterstreifen, eine Compresse und 2 Rollbinden. 11) Re-
staurantien. Sollte eine nicht zu stillende Blutung eintreten , so scheint es
nicht überflüssig, wenn ein Kohlenbecken nebst cylindrischen Eisen bei der
Hand sind. Gehülfen sind 3 bis 4 erforderlich, welche der Operateur, ohne
weitere Auseinandersetzung, anzustellen weiss.
Operation. Diese kann auf eine doppelte Weise gemacht werden:
entweder der Augapfel wird allein exstirpirt, oder es müssen die Augenlider
mit entfernt werden; Regel ist es jedoch, dass, wenn irgend die Augenli-
der ei'halten werden können, dies geschehen muss. I.) Entfernung des
Augapfels mit Erhaltung der Augenlider. Da, wo die Augenli-
der noch nicht erkrankt sind, ist diese Operation angezeigt, und zerfallt
dieselbe in vier Acte : als a) Trennung der äussern Augenlidcommissur ;
b) der Augapfel wird durch einen Kreisschnitt von seinen Verbindungen ge-
trennt ; c) Durchschneidung des Sehnerven ; d) Blutstillung und Verband. —
Act I. Lösung der äussern Augenwinkelcommissur. Der Kranke
sitzt auf einem Stuhle , ein hinter ihm stehender Gehülfe legt seine linke
Hand unter des Kranken Kinn, und drückt so dessen Kopf gegen seine
Brust, mit der rechten Hand hebt er das Augenlid mittels eines Augenlid -
halters in die Höhe , während ein zweiter Gehülfe das untere Augenlid her-
abzieht. Der Operateur stellt sich zwischen die Beine des Kranken, nimmt
ein gradspitzioes Scalpell zwischen Daumen und Zeigefinger, je nachdem
das zu operirende Auge das linke oder rechte ist, macht einen horizontalen
Einschnitt von der Länge eines halben bis ganzen Zolls. Sollte man hierbei
nicht Raum genug gewinnen, so kann man auch einen perpendiculären Ein-
schnitt in den Bulbus selbst machen, um den Augapfel dadurch zu coUabiren.
Act II. Trennung des Augapfels von seinen Verbindungen.
Bevor man zur Trennung des Augapfels von seinen Verbindungen übergeht,
muss man denselben erst exstirpiren. Jüngl;en bedient sich hierbei des
Schmucker'schen Pfriemens, v. Gräfe der schon beschriebenen Ansa. Hat
man nun den Augapfel gehörig fixirt, so lässt man von dem Gehülfen die
Augenlider stark von dem Auge abziehen , damit sie nicht verletzt werden,
nimmt dann ein geballtes Bistouri in die rechte Hand, und beginnt den
Schnitt, indem man den Augapfel nach oben zieht, an dem untern Theile.
Man hüte sich aber den Augapfel nicht gewaltsamer Weise aus der Or-
bita zu ziehen, indem man theils dem Kranken viele Schmerzen durch
diese Zerrung hervorbringen würde , theils aber auch Nervenzufälle er-
weckte. Man setzt die Spitze des Messers in dem dem Operirten zur Lin-
ken liegenden Augenwinkel ein, stösst es tief in die Örbita , umkreist
dann den Augapfel in sägefSrmigen Schnitten dicht am untern Augenlidrande,
führt den Schnitt bis etwas über die entgegengesetzten Augenwinkel hinaus.
EXSTIRPATIO 661
und nimmt dann das Messer wieder aus der Orbita heraus. Hierauf macht
man an dem obern Theile einen eben solchen Schnitt; indem man den Aug-
apfel nach unten zieht, setzt man das Messer entweder in den ersten Ein-
stichspunkt ein, oder etwas tiefer, so dass dieser gekreuzt wird, stösst das
Messer tief in die Orbita ein , umkreist nun ebenfalls den Augapfel in einem
sägeförmigen Schnitte dicht am obern Orbitalrande, und führt den Schnitt
so, dass er mit dem am entgegengesetzten Augenwinkel zusammenläuft, oder
ihn ebenfalls kreuzt. So -viel als thunlich entferne man sogleich alles Zell-
gewebe mit, hüte sich aber wohl die knöchernen Augenwandungen nicht zu
verletzen. Starke Blutungen während der Operation dürfen nicht beachtet
werden und nicht an der Vollendung derselben hindern. Act III. Durch-
schneidung des Sehnerven, Entfernung der Thränendrüse
und des noch übrigen krankhaften Zellgewebes. So wie der
Bulbus von allen seinen Verbindungen getrennt ist, geht man mit einer ge-
schlossenen krummen Cowper'schen Scheere ein in die Orbita und durch-
schneidet den Sehnerven; es versteht sich von selbst, der Bulbus ist mittels
Daumen und Zeigefinger der linken Hand oder auch durch Instrumentalhülfe
fixirt. Man beachte hierbei besonders, dass der Nerve möglichst dicht am
Foramen opticum abgeschnitten werde, was besonders bei fungösen Entar-
tungen des Auges von grosser Wichtigkeit ist. Hierauf reiniget man die
Wunde durch Einspritzen von kaltem Wasser, sieht nach ob noch krank-
hafte Theile vorhanden sind und entfernt selbige. Die Thränendrüse fasst
man mit einer gut schliessenden anatomischen Pincette und sucht sie durch
eine Scheere zu entfernen. Sollte die Blutung durch die gewöhnlichen
Styptica nicht gestillt werden können, so ziehe man das Brenneisen in An-
wendung. — Act IV. Verband. Ist die Blutung ganz gestillt, so füllt
man die Augenhöhle locker mit feiner krauser Charpie aus, nähert hierüber
die Augenlider einander, reinigt sie vom Blute und hält sie mit Heftpflaster-
streifen an einander. Auch da» gesunde Auge muss mittels englischem Pfla-
ster verklebt werden, indem bei der leisesten Bewegung Zerrung und Schmerz
in der verwundeten Seite entsteht. Hierauf wird der Kranke zur Ruhe ge-
bracht und kalte Umschläge über die leidende Stelle gemacht. II.) Ent-
fernung des Augapfels mit gleichzeitiger Fortnahme der Au-
genlider. Hierbei bedient man sich am besten des Schmucker'schen Pfrie-
mens oder der Ansa. Man trennt alsdann die Augenlider, indem man das Bi-
stouri in dem innern Augenwinkel einsetzt, den Schnitt längs des Orbital-
randes bis auf den Knochen erst am untern Augenlide bis zum entgegenge-
setzten Augenwinkel fortführt und dann so auf dieselbe Weise das obere
Augenlid trennt. Alles Krankhafte der Augenlider muss mit wegge-
nommen werden. Der Augapfel selbst wird auf oben beschriebene Weise
entfernt.
Exstirpaiio ovnrii , die Ausrottung des Eierstocks. Der erste
Act der Operation, die Eröffnung der Bauchhöhle, geschieht unter genauer
Beachtung derjenigen Cautelen , welche bei der Laparotomie nothwendig
sind. Die Lage und Hervorragung der Geschwulst bestimmen den Ort der
Incision, welche man indess, wo es nur irgend angeht, am zweckmässigsten
in der Linea alba verrichtet. Smith durchschnitt , einen Zoll unter dem Na-
bel, drei Zoll lang die Linea alba; MncdownVj^ neun Zoll langer Schnitt
wurde nach dem Verlaufe der Fasern des Musculus obliquus abdominis ge-
macht ; Martini begann den Schnitt drei Zoll unter dem Nabel , und dila-
tirte ihn dann auf dem Finger nach oben und unten bis auf eine Länge von
neun Zoll. Adhäsionen des Tumor mit den umliegenden Theilen , dem Omen-
tum, Peritonaeum, Uterus, Gedärmen etc. löst man vorsichtig mit den Fingern
oder dem Scalpellstiele, und sucht die Geschwulst aus der klaffenden Wunde
hervorzuziehen. Hierauf umgeht man den mit dem Uterus zusammenhängen-
den Stiel, schnürt ihn mit einer starken Ligatur fest zusammen und schnei-
det den Tumor einen halben bis ganzen Zoll von der umbuniienen Stelle
entfernt weg. Ist der Stiel etsvas breiter und hat man Ursachi^ ein Abglei-
ten der Lrtgatur zu befürchten, so durchsticht man seine Mitte mit eine*"
662 EXSTIRPATIO
Nadel, welche mit zwei Fäden versehen Ist, und bindet an jeder Seite die
entsprechenden Enden zusammen.
, Exstirpatio pnroiidis , die Ausrottung der Ohrspeicheldrüse.
Sie gehört imstreitig zu den schwierigsten und gefährlichsten Operationen,
wenn man die anatomische Lage, den Reichthum an Gefässen und Nerven
und die Wichtigkeit der Nachbargebilde bedenkt, welche dabei verletzt
werden und zu Blutungen , Krämpfen und Lähmungen Veranlass\ing geb^n
können. Die hauptsächlichsten Indicationen zur Exstirpation der Ohrspei-
cheldrüse sind: 1) der Krebs und 2) so bedeutende Anschwellungen und
Verhärtungen dieser Drüse, dass dadurch eine höchst nachtheilige und selbst
lebensgefährliche Compression der nahe liegenden Gebilde, besonders der
grossen Halsgefässe, erzeugt wiid. Man muss jedoch von der Operation
abstehen, wenn der Krebs bereits eine zu grosse Ausdehnung gewonnen und
namentlich die Umgebungen der Drüse so sehr ergriffen hat, dass an eine
voUkommne Entfernung des Entarteten nicht mehr gedacht werden darf.
Ebenso wenig kann von der Exstirpation noch die Rede seyn, wenn der
Cancer parotidis das Product einer carcinomatösen Dyskrasie ist , oder w enri
er schon ein solches Allgemeinleiden zu Wege gebracht hat. Nachdem man
den Operationsbedarf besorgt hat, lagert man den Kranken mit erhöhter
oberer Körperhälfte auf einen Tisch oder Bett, jedoch so, dass durch die
Senkung des Kopfes eine Erhöhung und Anspannung des Halses und somit
auch der kranken Partien erreicht wird. Kopf und Stamm werden von den
dabei angestellten Gehülfen fixirt , welche zugleich auf stark spritzende Ge-
fässe ihr Augenmerk zu richten und der Blutung durch die Compression zu
begegnen haben. Die Operation beginnt man durch einen hinlänglich grossen
Längen- oder Kreuzschnitt, vorausgesetzt, dass die den Tumor umkleidende
Haut vollkommen gesund ist; nimmt die letztere an der Entartung Theil,
oder ist sie so reichlich vorhanden, dass sie später nur hinderlich seyn
wurde, so umgeht man sie mit zwei halbmondförmigen Schnitten, um sin
hernach mit der Drüse zugleich wegzunehmen. Ist die Geschwulst von der
sie umgebenden Haut lospräparirt, so spaltet man ihre Kapsel, zieht sie mit
einer Ansa oder einem Haken hervor und löst sie mit einem Scalpellstiele,
den Fingern und nur im Nothfalle mit dem Messer vollständig heraus.
Hängt die Kapsel der Geschwulst aber so fest an, dass letztere nicht isofftt
herausgeschafft Averden kann , so muss jene mit exstirpivt werden. Ist die
Ausschälung des Tumors bis auf eine kleine Stelle geschehen , Welche mit
der Carotis so innig zusammenhängt, dass ihre Durchschneidung nothwendig
eine Verletzung der letztern nacüi sich ziehen muss , so begnügt man sich
damit, den Rest in eine l^igatnr (^Goodlnnd^ zu fassen, und vor dieser das
Corpus delicti abzuschneiden. Dieses darf jedoch nur bei einer gutartigen
Geschwulst der Ohrspeicheldrüse gestattet werden, bei einer bösartigen oder
scirrhösen muss man zur Unterbindung der Carotis communis seine Zuflucht
nehmen, und erst wenn man diese verrichtet hat, das mit dem Tumor ver-
wachsene Stück der Carotis facialis samiht jenem herausschneiden (^RicJic-
rarid , Tang) , ohne darauf die Unterbindung des obern Endes der Carotis
zu versäumen , weil dadurch heftige Blutungen entstehen können. Blieben
einzelne verdächtige Reste der Drüse oder ihrer Umgebung sitzen , so fasst
man sie nachträglich mit der Pincette und trägt sie mit flachgefuhrten Mes-
serzügen oder mit der Cowper'schen Scheere ab. Jetzt reinigt man die '
Wunde, sammelt die Ligaturen im untern Wuiidwinkel, reinigt die Ränder
dur^ch lange Heftpflasterstreifen und beendigt durch Charpie , Compressent
und eine Binde den Verband. Ist der S\ibstanzverlust der Haut so gross,
dass eine Annäherung der Wundränder nicht gelingt, so bleibt nur die Hei""
lüng per secundam intentionem übrig. ' '
Exslirpath tumorum, die Ausrottung der Geschwulste. Lupieh
und balglose Tumoren (Lipoma, Sarcoma, Steatoma etc.), welche das An-
sehen ungemein entstellen, den Kranken durch ihre Grösse und Schwere
belästigen, dre' Functionen einzelner Theile stören, oder wol gar dem Le-
ben Gefahr drohen, eignen sich zur Exstirpation, vorausgesetzt: l) das« die
EXSTIRPATIO 663
geringen KrSfte des Kranken dagegen keinen Einspruch thun; T) dass sich
der Tumor ohne Verletzung wichtiger Nachbargebilde entfernen lässt; 3) das»
derselbe nicht für das relative Wohlbefinden des Kranken Bedürfnis» gewor-
den ist, und 4) dass er ein rein örtliches Übel und nicht das Resultat einer
noch fortbestehenden Dyskrasie oder eines anderweitigen AJlgemeinleidens
ist, in welchem Falle der Operation eine angemessene allgemeine Cur vor-
ausgehen nniss. Je nach der verschiedenen Natur und Beschaffenheit des
Turners, nach seiner Grösse, seiner Form, seinem Sitze, seinem festern oder
lockern Zusammenhange mit den Nachbargebilden, nach der Verwundbar-
keit ^nd dem Kräftezustand des Patienten etc., nimmt man die Ausrottung
entweder mit dem Messer {Cehiis) , oder mit der Ligatur (Gmi/ v. Chttuliac,
Fabricius ah Aquapendente) , oder durch Erregung eines adhäsiven oder sup-
purativen Entzündungsprocesses (Cehus , Panl v. Aeißna), oder endlich da-
durch vor, dass man mehrere Mefthoden mit einander verbindet. I.) Aus-
rottung mit dem Messer. Diese Methode führt am schnellsten und
sichersten zum Ziele, und verdient deshalb auch den Vorzug vor den übri-
gen, welche nur unter besondern, später näher anzugebenden Umständen
zur Ausführung kommen dürfen. — Operationsbedarf. 1) Einige grade
und einige convexe Scalpelle mit einem fast schneidenden Stielende. 2) Eine
scharffassende Pincette und einen Schmucker'schen Pfriemen. 3) Zwei
stumpfe Rust'sche Haken. 4) Eine Hohlscheere. 5) ßlutstiJlungsapparat.
6) Heftnadeln nebst Fäden. 7) Schwämme mit kaltem und warmen Was-
ser. 8) Charpie, Compressen, Heftpttasterstreifen und Binde. Vorberei-
tung. Der Kranke sitzt oder Hegt, je nachdem es die Grösse und der Sitz
der Geschwulst erfordern , stets jedoch so , dass dem Operateur von allen
Seiten die nöthige Zugänglichkeit gestattet ist. Gehülfen sind 2 — 3, auch
im Nothfalle 4 erforderlich , Vielehe der Operateur zu beschäftigen weiss. —
Operation. Im Allgemeinen dient hierbei als Regel: 1) den Tumor so
vollständig wegzunehmen , als es nur irgend möglich ist. 2) Bei einer Lu-
pie den Balg nicht vor der Vollendung der Operation zu verletzen, weil
hinterher das Ausschälen desselben mit doppelten Schwierigkeiten verbunden
ist. 3) Bedeutende blutende Gefasse werden sogleich unterbunden. 4) Um
stets eine klare Einsicht in das Operationsobject zu erhalten , muss ein Ge-
hülfe während der Operation mittels Schwamm und Wasser ununterbrochen
die Reinigung der Wunde besorgen. 5) Was nur immer mit dem Finger
oder Soalpellstiele gelösst werden kann, muss stets den Vorzug vor dem
Messer haben. Nach Ritst soll man die Haut und den Balg mit einem
Schnitte spalten, und den letztern erst nach geschehener Entleerung seines
Inhalts auszuschneiden oder sonst zu entfernen suchen. Nach dem Sitze der
Geschwulst und seiner Ba.sis, nach der Grösse oder Kleinheit desselben und
der sie umkleidenden gesunden oder krankhaften Haut, trennt man den Balg
entweder perpendiculär oder macht einen Kreuzschnitt, und ist die überlie-
gende Haut mit ergriffen und degenerirt, so wird auch diese, bis auf das
Gesunde , mit weggenommen. Wo durch vorherzusehende totale Wegnahme
des Tumors edle Theile beeinträchtigt werden , muss eine theilweise Exstir-
pation statt haben und der Rest durch die Eiterung eerstört werden. Der
Verband und die Nachbehandlung ist höchst einfach. Die Wundränder wer-
den, wenn der Sack gänzlich entfernt ist, durch blutige Nähte vereinigt,
und, wenn eine theilweise Exstirpation statthatte, durch Vereiterung die
Heilung zu Stande gebracht. Bildet sich ein fistulöses Geschwür, so liegt
der Grund davon meistens in einem zurückgebliebenen Rest, den man bald-
möglichst durch das Messer oder Ätzmittel zu entfernen suchen muss. —
II.) Ausrottung durch die Ligatur. Wenn gleich dieso Methode der
vorigen bei weitem nachsteht, so verdient sie dennoch den Vorzug und Em-
pfehlung : 1) bei messerscheuen Personen , 2) bei Geschwülsten in der Nähe
edler Organe, deren Verletzung zu befürchten ist, und 3) bei Geschwül-
sten , welche mit zahlreichen und grossen Gefässen versehen sind. —
UI.) Ausrottung durch Erregung einer Entzündung in der
Geschwulst. Wenn die Anwendung des Messer» untersagt ist, der Tu-
664 EXSTIRPATIO
mor einen dünnen Balg und ein flüssiges Contentum hat, oder wenn seine
durch ein Aligemeinleiden bewirkte Genesis zwar erkannt, seine Entfernung
aber wegen lebensgefährlicher Zufälle, welche er erregt, dennoch dringend
erforderlich ist , so muss man zu dieser Methode seine Zutiucht nehmen.
Man erreicht diesen Zweck durch die Application eines Ätzmittels, durch
Injection eines reizenden Fiuidums und durch das Eiterband.
Eücstirpatio uteri, die Ausrottung der Gebärmutter. Ein nicht
reponirbarer, durch Prolapsus, Inversion oder durch beide zugleich aus sei-
ner ursprünglichen Lage gekommener Uterus eignet sich nur dann zur Ex-
stirpation, wenn damit unheilbare Destruction, heftiger Schmerz, wieder-
holte Blutungen etc. verbunden, und somit die wichtigsten und selbst das
Leben bedrohende Störungen des Körpers zu fürchten sind. Die Methode
der Exstirpation ist verschieden , je nachdem man es mit einem prolabir-
ten oder nicht prolabirten Uterus zu thun hat, je nachdem sie total oder
partiell seyn soll, und endlich je nachdem der Schnitt, die Ligatur oder
die Cauterisation nothwendig sind. Die hierzu erforderlichen Listrumente
sind: 1) Ein Exstirpatorium, d. h. entweder ein gewöhnliches gerades oder
sichelförmiges Bistouri, oder ein Herniotom etc. 2) Eine Scheere, z.B. die
Sauter'sche, Siebold'sche, Mill'sche etc. 3) Einige Polypenzangen von ver-
schiedener Grösse. 4) Gut fassende starke Pincetten und Haken. 5) Li-
faturen von verschiedener Stärke. 6) Ein Speculum. 7) Einige Katheter.
) Spritze, Schwämme, Charpie , Compresse, T-Binde, Pflasterstreifen,;
Wasser etc. Vor der Operation wird die Kranke auf em Queriager ge-
bracht, oder so auf einen Tisch gelegt, dass die Nates etwas über den
Rand desselben hervorragen und ihre Füsse auf untergestellte Stühle ge-
stützt werden können, also ähnlich wie bei der Lithotomie (s. dies. Art.).
Auf die dort beschriebene Weise muss auch im Allgemeinen die Anstellung
der Geliülfen und die Vorbereitung geschehen , wozu ganz besonders die
Entleerung der Blase und die Application eines Katheters gehören , um die
Harnröhre vor jeder Beleidigung zu schützen. Gescivieht die Exstirpation
innerhalb der Beckenhöhle, also bei nicht prolabirtem Uterus, so ist es
zweckmässig, den »Grund der Gebärmutter durch einen Druck auf die Bauch-
decken fixiren zu lassen. — I.) Totale Exstirpation. 1) Bei vor-
gefallener Gebärmutter. Das älteste und am häufigsten angewendete
Verfahren ist die Wegschneidung nach vorher applicirter Ligatur. Mit
Recht warnt aber schon Rotisset vor einer unvorsichtigen Anlegung der Li-
gatur, damit nicht die Blase oder vorgetriebene Gedärme, oder, wie in
dem von Hitgsch erzählten Falle, die Harnröhre mitgefeisst werde. Ah'je.
Hunter schnitt das Prolabirte unterhalb einer um den Hals angelegten Liga-
tur mit einem Cirkelschnitt weg. Beispiele, in welchen die Entfernung,
durch den Schnitt ohne vorherige Unterbindung versucht wurde, erzählen
Pare , van Uecr. A. Lnngenheck^s mit hoher Kunstfertigkeit bewirkte Ope-
ration betraf einen so weit vorgefallenen carcinomatösen Uterus, dass sein
Scheidentheil etwas über die Labia majora herausragte. Er löste zuerst
mit einem Scalpell unter Beihülfe der Pincette die herausgetriebene Scheide
von ihrer Verbindung mit der Gebärmutter los, präparirtc dann die letztere
aus dem Peritonaeum heraus , ohne dieses zu durchschneiden , und liess nur
ein unbedeutendes Stück des Fundus uteri an dem Bauchfell zurück. ISur mit
Mühe gelang es, die starke Blutung durch Unterbindung zu stillen, worauf
der durch da» Peritonaeum und die Vagina gebildete leere Beutel mit Charpie
ausgestopft wurde. Die Operirte genas vollkommen. Seltener als diese
Operationsweise wurde die blosse Ligatur angewendet, welche Mnrshal aber»
der.isie bei eif^m cancröseu vorgefallenen Uterus anwendete, durch heftig
eintretende Schmerzen am dritten Tage gegen den Schnitt vertauschen
musste. 2) Nach k ün st li ch bewirktem Prolapsus. Die Idee hierzu
entstand wahrscheinlich durch den günstigen Ausgang , den die meisten Ex-
stirpationen vorgefallener Gebärmütter nahmen; doch erinnert Sauter dage-
gen mit Recht, da.ss dieselbe in der Mehrzahl der Fälle deshalb niciit aus-
führbar kcy, weil die krebshafle Gebärmutter dabei gewaltsam aus den
EXSTIRPATIO 665
Verbindungen gerissen werden müsse, welche sich zwischen W\t und den
Nachbartheilen , namentlich der Blase und dem Rectum, in Folge chroni-
scher Entzündung gebildet hätten. Nach G. v. Siehold soll man nach Spal-
tung der hintern Commissur den Uterus mittels einer Hakenzange herabzie-
hen, die Trennung der Scheide von der Vaginalportion sowol vor- als hin-
terwärts durch eui rechtwinklig gebogenes Scalpell bewirken , in das Cavum
peritonaei durch das Bistouri cache eindringen, und die kreisförmige Los-
trennung durch eine stumpfe Kniescheere vollenden. 3) Ohne Prolapsus
von der untern Beckenapertur aus. Sattler war der Erste, der
diese Operation an einer 50jährigen Frau gegen ein wirkliches Carcinoma
uteri ausführte, welche jedoch tödtlich ablief. E. v. Siebohl verrichtete die
Operation das erste Mal an einer S8 jährigen, das zweite Mal an einer SOjäh-
rigen Frau. Zur Trennung der Scheide bediente er sich des Savigny'schen
Fistelmessers, zur Durchschneidung der runden und breiten Mutterbänder
einer kleinen Poljpenscheere. Da bei der ersten Operation unmittelbar nach
der Spaltung der Seitentheile der Scheide ein Zurückziehen des Uterus
stattgefunden hatte , so zog er bei der zweiten mittels einer gekrümmten
silbernen Nadel mit stählerner Spitze eine Ansa durch die Vaginalportion.
Beide Kranke unterlagen einer heftigen Peritonitis. — Holschcr^s und Langen-
heck's Fälle der Art endeten ebenfalls mit dem Tode. Bhmdcll spaltete erst
die hintere Wand der Vagina in querer Richtung mit einem eigenen Mes-
ser, zog den mit einem Doppelhaken erfassten Fundus uteri nach dem un-
tern Theil des Beckens herab, löste die Gebärmutter aus ihren übrigen
Verbindungen und endete mit Durchschneidung der breiten Mutterbänder.
Die Blutung war gering, ein Prolapsus intestinorum unterblieb und die
Kranke genas. 4) Nach vorgängiger Laparotomie. Der Vorschlag
Gttithcrlci' s , dem die Verfahrungsarten Osicmder's unanwendbar und zu ein-
seitig schienen, wurde zuerst von Langenheck (1825) an einer S.9 Jahr alten
Frau, welche bereits hektisches Fieber und ein ziemlich vorgeschrittenes
Carcinom der Gebärmutter hatte, ausgeführt. Er spaltete die Bauchwan-
dung in der Linea alba durch einen von der Symphysis ossium pubis bis
zwei Zoll unter den Nabel reichenden Schnitt , liess die Gedärme und die
Harnblase von einem Gehülfen zurückhalten, ergriff mit der linken Hand
die Gebärmutter und brachte mit der rechten eine lange , eigens dazu an-
gefertigte Scheere geschlossen in die Bauchhöhle , womit er zuerst das rechte
Ovarium und dann den Uterus nebst seinen scirrhösen Anhängen von der
Scheide losschnitt. Um die Reste und den letzten Zusammenhang mit einem
graden Scalpelle zu lösen, wurde die Gebärmutter aus der klaffenden Wund-
spalte hervorgezogen. In die Vagina wurde ein Schwamm eingeführt und
die Bauchwunde durch Heftpflasterstreifen vereinigt. Bei der Section der
8 Stunden darauf gestorbenen Kranken fand man die Zeichen der Peritonitis
exsudatoria, ein beträchtliches Blutextravasat , sphacelöse Veränderung des
Blasengrundes und eine von scirrhösen Partien vollständig gereinigte Wunde
vor. n.) Partielle Exstirpation. In Deutschland war es zuerst
Rilst, der die partielle Ausrottung der Gebärmutter bei einer 50jährigcn
Frau gegen einen faustgrossen carcinomatösen Auswuchs des Muttermundes
versuchte. Er überzeugte sich hierbei von der Unzulänglichkeit der von
Oslander zur Hemmung der Hämorrhagie empfohlenen Mittel, und hält es
für wahrscheinlich , dass die Kranke trotz der bereits entstandenen Kachexie
zu retten gewesen wäre, wenn man weniger Vertrauen zu jenen als unfehl-
bar angepriesenen Stypticis gehabt hätte, v. Griife lixirte den krebshaft
entarteten Hals der Gebärmutter mit der Hand, und trennte ihn durch wie-
derholte Incisionen mittels einer langgriffigen , stumpfspitzigen Hohlscheere.
Richeramd will die scirrhöse Vaginalportion mit einem Zangendrucke weg-
schneiden , oder falls sich der Uterus bis an die Schamspalte herabziehen
lässt , die Excision mit einem gewöhnlichen Bistouri bewirken. Bit/puglren,
hisfranc, Rccamier , Canella und A. bedienen sich in der Regel eines Spe-
culum vaginae, um die Wandungen der Scheide vor einer Verletzung zu si-
chern. Sie wenden dieses Instrument entweder blos in der Absicht an, um
666 EXTASIS - EXTRAVASATIO
binerhalb desselben die Vagiiialportion mit einem Haken, z.B. dem Muzeux'-
schen , zu fassen, oder aber, um zugleich im Räume desselben die Excision
vorzunehmen. Im ersten Falle wird das Instruntent, nachdem der Haken
eingegriffen hat , entfernt , und die Portio vaginalis bis a« den Scheidenein-
gang gezogen, um hier abgetragen zu werden; im zweiten bleibt der Cy-
Bnder so lange liegen, bis das Krankhafte mittels dazu geeigneter Werk-
zeuge excidirt worden ist. (S. Dietrichs, Von einem Vorfalle und glücklich
unternommener Absetzung der Gebärmutter. Regensburg, 1745. — Osiander
im Reichsanzeiger 1803, und im Göttinger gelehrten Anzeiger 1808. —
Struve in Hufeland's Journal, 1803, Bd. XVI. St. 3, S. 123. — El. v. Sie-
hold, in dess. Lucina, Bd. I. St. 3, S. 403. — Rtist , in der Salzb. med. -
chir. Zeitung, 1813, Bd. III. S. 188. — Dupuytren, Über Ätzung des car-
cinomatösen Orificiura uteri. In LnngenhecVs Neuer Bibliothek , Bd. II. St. 4,
S. 576. — V. Gräfe , Ausrottung des Gebärmutterhalses. In dessen und
o. Walther's Journal, Bd. VI. Hft. 1, S. 70. — Holscher, Völlige Ausrot-
tung der Gebärmutter. In v. Gräfe'' s u. v. WaUher''s Journal , Bd. VI. Hft. 4).
Ch. J. D. fViedow.
Extasis, die Extase, s. Ecstasis.
Extractio, das Ausziehen, Herausnehmeu , s. Exaeresis.
Extravasatio, die Ergiessung einer Feuchtigkeit. Ist)
Austritt einer gesunden Feuchtigkeit aus ihren Gefässen ins Zellgewebe oder
in die Höhlen des Körpers, z.B. des Bluts, Urins etc., auch der Luft, da-
her wir annehmen :
Extravnsntio sanguinis externa, welche bei Lebenden das Wesentliche
der Sugillation und des Ecchymoma macht (s. diese Art.).
Extravasatio sanguinis interna, innere Blutergiessung , s. Ecchymosis
in cerebrura, in pectoris cavitatem, Vulnus pectoris, abdo-
minis und Haem orr hagia.
Extravasatio aeris. Austreten von Luft, s. Emphysem a.
Extravasatio urinac, Austreten des Harns. Ist meist Folge Ton
Zerreissung oder anderer Verletzung der Harnwege (s. Lithiasis, Vul-
nus ureterum, vesicae urinariae, Fistula urinaria).
Manche Ärzte rechnen auch die Ansammlungen in Folge krankhafter Se-
cretionen , z. B. die Wasseransammlungen , zu den Extravasatlonen , jedoch
mit Unrecht. Die blutigen Extravasatlonen kommen am häufigsten vor ;
Alles, was Blutungen erregen kann, kann auch ein blutiges Extravasat her-
vorbringen, vorzüglich aber mechanische Gewaltthätigk^iten : Stoss, Fall,
Stichwunden , w odurch die Gefasswaudungen zerreisscn. Je mehr man den
Bluterguss sehen kann, desto unbedeutender ist er; je weniger dies derFall
ist, je mehr das Blut in die Höhlen des Kopfs, der Brust, des Unterleibes
getreten ist, desto schlimmer ist wegen der Wichtigkeit der betroffenen und
durch Druck in ihrer Function gestörten Organe die Prognose (s. Ecchy-
mosis). Die Cur beruht auf folgenden Indicationen ; 1) Verhütung des
fortdauernden Ergusses, zumal von Blut; 2) Hinwegschaffung des bereits
Ergossenen ; S) Beseitigung der Folgekrankheiten und Complicationen. Die
Natur thut auch hier viel , indem der Druck des schon ergossenen Blutes
häufig das blutende Gefäss zusammendrückt und dadurch einen fernem Blut-
erguss verhütet. Die Kunst geht dahin , etwaige Congestionen abzuleiten,
fremde Körper zu entfernen, Depressionen des Schädels zu heben, Knochen-
splitter auszuziehen, und durch Adstringentia, besonders durch Application
der Kälte, die Fasern zusammenzuziehen und so die Bildiing eines Blut-
propfes zu befördern, in welcher Hinsicht bei Blutungen die A<iua kreosoti
t^anz besonders wirksam ist, sowol innerlich als äusserlich angewandt. Die
hiesigen Doctoren Räder und Wiedow haben noch ganz neuerlich bei be-
deutender Metrorrhagie, bei heftigem Nasenbluten, bei einer Verwundung
nm Carpus mit Verletzung von Arterien die gute Wirkung dieser nachge-
machten Aqua Binelli wahrgenommen. Die frühe Anwendung reizender spi-
rituüser Mittel , sowie die zu frühe Öffnung der Blutgeschwulst sind »ehr
EXTRAVASATIO 667
zu (adeln (s. Contusio und Ecchymoma), die Kälte dagegen entspricht
den oben genannten drei Curindicationen in den meisten Rücksichten und
darf nie verabsäumt werden. Kann man Eis und Schnee nicht haben, so
wende man daher stets die frisch bereiteten Schmucker'schen kalten Fomen-
tationen an. Zuweilen folgen Entzündungen und Paralyse auf bedeutende
Quetschungen und Extravasate, welche dann die bekannte Behandlung er-
fordern. Sie werden am besten dadurch verhütet, da.ss man die ersten
7 Tage hindurch kalte Umschläge von Essig, Wasser, Nitrum und Salmiak
macht, bei heftigen Schmerzen allenfalls noch Blutegel applicirt, dann aro-
matische Fomentationen (Spec. aromaticae, Flor, arnicae, in Wein infundirt)
umschlägt und zuletzt die Cur mit geistigen Einreibungen beschliesst, z. B.
mit folgendem Spiritus: I^? Spirit. saponis , Spirit. vini camphorat. ana jjj,
Sphit. sah atiimon. caust. 51^. M. S. Zum Einreiben. Sehr selten sind
Extravasate des Chylus, indem die grössern lymphatischen Gelasse
nur Selten in Folge eines Rippenbruchs etc. verletzt werden , noch seltener
der Ductus thoracicus, wo sich dann vielleicht der Rust'sche Tumor lym-
phaticus bildet (s. Abscessus ly mphaticus). — Eiterige Extra-
vasate in Folge von Entzündung geben in allen drei Höhlen des Körpers
eiiie schlechte Prognose, weil schon die Entzündung der in ihnen liegendeiji
Organe an sich schlimm genug ist. Bei Caries vertebrarum, bei Abscessus
musc. psoas und der Niere erregt der Eiter häutig eine Peritonitis und bil-
det nach aussen einen sog. Congestionsabscess (s. Abscessus sympto-
maticus), und im Gehirn lähmt der Eiter die geistige Thätigkeit. Beide
Fälle geben eine schlechte Prognose. Künstliche Geschwüre in der Näho
der Ablagerung: Blasenpflaster, Ätzmittel, Haarseil, Glüheisen, innerlich
Abführungen aus Kalomel, Rheum, Jalape , Senna (wenn der Kranke nicht
gar zu schwach ist, alle 3 Tage wiederholt), leisten hier noch am meist«n.
Blutextravasate in den Augenkammern können durch mechanische
Verletzungen des Auges: bei der Staaroperation , durch Stoss, Stich, Schnitt,
durch Commotion , durch Encephalitis , durch CoHiquation der Säfte bei Fe-
bris putrida entstehen. Riist sah sie zweimal in Folge ungeregelter Menses,
besonders stark zur Zeit der Menstruation , hervortreten , sowie denn aucli
die Ophthalmia menstrualis ein sehr mit Blutgefässen injicirtes Auge zeigt
(s. Inflammatio oculi). Sehr häufig sind die Ecchymosen hinter der
Conjunctiva. Die Cur ist die, dass wir die etwa fortwirkenden Ursachen
bekämpfen, den Scorbut behandeln und durch Anwendung der Kälte und
später der Spirituosa die Resorption begünstigen (s. Haematophthal-
mos und Vulnus bulbi oculi). Blutextravasate in der Unter-
leibshöhle sind häufig Folge von penetrirenden Bauch wunden mit Ver-
letzung der Blutgefässe oder blutreicher Organe. Eine gute Lage des Kran-
ken nach der Seite hin , wo sich die Bauchwunde befindet und das Offen-
halten dieser Wunde mittels eines ausgefranzten Leinwandläppchens , leisten
hier schon etwas (s. Vulnus abdominis). Gallenextravasate in
Folge von Verletzung der Gallenblase und deren Gänge sind selten. Der
Reiz der Galle in der Bauchhöhle ist aber so bedeutend, dass der Kranke
unter Ohnmächten, kalten Gliedern, Ekel, Erbrechen, Dyspnoe oft schnell
stirbt. Auch hier ist die Cur die der Bauch wunden. Eiterextravasa te in
der Bauchhöhle, die man wol Ascites pumlentiis genannt hat und die von
Vereiterung irgend eines Organs der Bauch ^ oder Brusthöhle herrühren, in-
dem ein Abscess plötzlich berstet, sind wegen ihres Reizes, worauf Perito-
nitis und Tod folgen , sehr gefährlich , aber Gottlob ! auch selten ; denn der
Eiter wird hier oft in eine besondere Hülle eingeschlossen und entweder re-
sorbirt , oder er bahnt sich einen Weg nach aussen , ohne in das Cavum
abdominis zu gelangen , indem sich zwischen der Eiterhöhle und den äussern
Bedeckungen in Folge der bereits entstandenen Entzündung Adhäsionen ge-
bildet haben (s. Vulnus abdominis). Über die Blutextravasate
in die Brusthöhle ist schon unter dem Artikel Ecchymosis geredet wor-
den. Zur Diagnose dient noch, dass bei den durch den Druck des Extra-
vasat« hervorgebrachten Respirationsbeschwerden das Einathmen leichter
668 EXULCERATIO — FACIES HDPPOCRATICA
als das Ausathinen ist , dass der Kranke in der Rückenlage Erleichterung
fühlt und durchaus nicht auf der gesunden Seite liegen kann, dass der
Herzschlag zitternd und die Harnabsonderung sparsam ist oder ganz man-
gelt und dass man bei Application des Stethoskops und des Plessimeters den
Brustton an der leidenden Seite nicht wahrnimmt. In den Hodensack
können Extravasate von Blut, Eiter, Serum, Luft und Urin stattfinden (s.
Haeraatocele, Hydrops tunicarum scroti et testiculi, Pyo-
cele, Hernia ventosa scroti, Fistula vesicae urinariae). Zu-
weilen entsteht eine Hydrocele dadurch, dass die seröse Ergiessung durch
den geöffneten Leistencanal aus der Brusthölile kommt. Die Prognose ist
hier im Allgemeinen günstiger und die Cur leichter, als bei Extravasation
in der Kopf-, Brust- und Bauchhöhle. Der serösen Extravasate in
der Rückenmarkshöhle ist anderswo gedacht; s. Hydro rrhachitis, der
blutigen bei Vulnusmedullaespiralis.
KxulceratiOj Helcosis, Ulceraüo, Vers ch wärung. Ist ein in
den Weichgebilden durch äussere oder innere Ursachen, oder durch beide
zugleich entstandener Krankheitsprocess, wodurch sich ein Geschwür bildet
und unterhält , das sich durch Absonderung von Jauche von jeder gutartigen
Eiterung unterscheidet (s. Abscessus, Inflammatio, Suppuratio
und Ulcus). Die Verschwärung ist, nach Äi«l (s. dess. Chirurgie, Bd. VI.
S. 740), ein Pseudosuppurationsprocess mit vorwaltender Tendenz
zur Trennung und Zerstörung der organischen Gebilde, die Jauche dabei
das Product dieser krankhaften vital - chemischen Umbildung der organischen
Masse, die sich vom wahren Eiter dadurch unterscheidet, dass sie zerstö-
rend wirkt, der Eiterungsprocess dagegen das Verlorengegangene zu er-
setzen strebt. „Exulceration und Suppuration, heisst es a. a. O., sind da-
her von einander unterschieden wie Erkrankung von Genesung, wie Zer-
störung von Organisation."
ExuinliiJicatio* Ist veraltete Benennung für Uernin umlilicalis und
Prolapsus uinbilici.
Exutoriuin. Ist ein durch Seidelbast erregtes künstliches Ge-
schwür, s. Caustica.
F.
Facies üippocratica , das Hippokratische Gesicht. Der
ganze äussere Habitus des Kranken ist dem Arzte häutig zur Erkenntnis»
und Diagnose der Krankheiten von grosser Wichtigkeit; ebenso ists mit der
Physiognomie als dem äussern Ausdrucke eines jeden Leidens im Gesichte
der Fall. Sowie es daher eine physiologische und psychologische Physiogno-
mik giebt, so giebt es auch eine pathologische, die dem wahren prakti-
schen Arzte Aufschlüsse verschafft und ihn zu Einsichten führt, zu welchen
er ohne dieselbe nie gelangt seyn würde (s. Most und L. Nisle in llom''s
Archiv, 1826, Januar, und 1827, Juli. .7. Koppel, Dissertatio de Kaciei in
nonnuUis morbis mutationibus. Berol. 1829). Die Pathognomik, nach ü'islc,
oder die pathologische Physiognomik ist den Täuschungen des Beobachters
weniger unterworfen als die Physiognomik schlechtweg, d. i. die Physiogno-
mik der Gesunden; denn der gesunde IMensch kann sich leichter verstellen
als der Kranke, und daher behauptet sie in der Scmiotik der Krankheiten
mit Recht einen ehrenvollen Platz. Es ist hier nicht der Ort , diesen inter-
essanten Gegenstand, auf weichem grösstentheiU der aus vieljähriger Er-
fahrung hervorgegangene sogenannte praktische Tact aller wahren Praktiker
beruht, weiter auszuführen, da wir auf den Gegenstand .selbst verweisen
müssen (s. Physiognomia pat h o log i ca); nur des hippokratischen Ge-
sichts oder der Gesichtszüge eines dem Tode nahen Kranken , der an Fe-
FAMES CANINA — FEBRIS 669
bris nen'osa, typhosa, putrida leidet, im letzten Stadio der Phthisis u. s. £.
sich befindet, wollen wir hier gedenken. Ein eigenthümlicher, nicht selten
bald matter, bald Terklärter, überirdischer Blick, bei auffallender Entstel-
lung- des Gesichts durch Abmagerung, blasse, gelbe Farbe, und der allge-
meine Ausdruck des Leidens und Schmerzgefühls , oft auch der ruhigen Er-
gebung , geben sich hier dem Beobacher deutlich zu erkennen. Ausserdem .
bemerken wir matte, glanzlose, tiefliegende Augen, eingefallene Wangen,
spitze Nase , Breitwerden der Nasenflügel bei jedem Athemholen , zuweilen
kreideweise Nasenspitze, eine gelbliche, weissliche Färbung der Haut über
der Nase in Form einer Brille ; die Lippen sehen blass , bläulich aus , sind
schlaff, welk, dünn und mit Schmuz belegt, bedecken nicht ganz die Zähne;
der Mund steht häufig etwas offen, die Maxiila inferior hängt herab, häufig
beobachtet man auch zugleich Verzerrungen des Gesichts und klebrige,
kalte Schweisse an Kopf und Gliedern. Dieses sind die vorzüglichsten
Merkmale der Facies hippocratica , welche neben anderen schlimmen Zei-
chen (z. B. grosse Schwäche, sehr schneller, kleiner, sehr l^ht zu com-
primirender Puls, ängstliche, röchelnde, rasselnde, sehr schnelle Respiration)
den nahen Tod verkünden.
Farnes canina, bovina, Cynorexia, Bulimos, Bnlimin, Wolfs-»
hunger, Hundshunger. Ist ein krankhafter Appetit mit schlechter
Verdauung , häufig mit Erbrechen , Obstructio alvi etc. ; s. Appetitus
morbosus und Dyspepsia.
Fanatismus), der Fanatismus. Ist nach den gewöhnlichen Be-
griffen ein übertriebener Eifer, eine Leidenschaftlichkeit, welche sich an
dunkle Vorstellungen knüpft; also ein Eifer für wenig oder gar nicht ver-
standene Begriffe. Da dieses aber nur bei solchen Personen der Fall seyn
kann , welche ihren Verstasid nicht gehörig cultivirt und ihre Vernunft durch
Übercultur der Phantasie verdunkelt haben, so sind solche Menschen als
mehr oder weniger psychisch krank anzusehen. Der Fanatismus erzeugt und
unterhält demnach fortdauernd einen Wahnsinn (Amentia fanatica), und da-
her gebrauchen die psychischen Ärzte häufig das Wort Fanatismus für sol-
chen Wahnsinn; s. Amentia.
Fastidiiun, Ekel, s. Nausea.
Fatuitas, ImleciUitas ingenii, Amentia (^Snuvages, Sagar, Vogel),
Idioiismus (Pinel), Morosis (Ljn»je'), Blödsinn, Stumpfsinn. Dieses
Übel ist in den meisten Fällen angeboren , oder es entwickelt sich doch in
der Kindheit, wo die intellectuellen Fähigkeiten und das Empfindungsver-
mögen noch nicht ausgebildet sind ; daher denn die Krankheit fast immer
unheilbar ist. Esquirol (Pathologie u. Therapie d. Seelenstörungen. A. d.
Franz- von K. Cli. HiUe. Leiz. 18^7, S. 492) unterscheidet den angebornen
Blödsinn von dem erworbenen, in der Pubertät entstandenen, dem er den
Namen Verwirrtheit (dementia, demence) beilegt. Er nimmt verschiedene
Grade des Blödsinns an und betrachtet den Cretinismus als eine Varietät
desselben. (S. auch Amentia).
Favus , Wachsgrind ,s. Tinea capitis.
Febricula, das kleine, schwache Fieber, das Fieberchen, s. Fe-
brishectica.
Feliris» Pgretos, Pyr, Pyrexin, das Fieber. Ist derjenige Krank-
heitszustand, bei welchem widernatürlich Frost, Hitze, Übelbefinden, unre-
gelmässiger Puls, oft Mattigkeit, Durst, Angst, Schweiss, Beklommenheit
und Schmerzen bemerkt werden. Nach abstracten Begriffen giebt es nur
ein Fieber, sowie es nur eine Entzündung giebt; ja, wir können nach
jenem Begriffe mit demselben Rechte sagen: Es giebt nur eine Krankheit,
sowie es nur eine Gesundheit giebt. Mit solchen philosophischen Reflexio-
nen ist aber dem Praktiker nichts gedient ; er nimmt die Sache concret,
specialisirt und individualisirt, um so ein Regulativ zu bekommen, welches
ihn der Sache näher führt. Da die eigenthüraliche Natur und das Wesen
670 FEBRIS
des Fiebers uns ebenso unbekannt Ist wie das Wesen des Lebens, so ist,
wie auch Vogel schon bemerkt, nichts schwieriger, als eine völlig richtige.
Oberall passende Definition eines Fiebers zu geben. Nur eine Beschreibung
und genaue Zeichnung des Fiebers ist uns zu skizziren möglich , und damit
ist dem Praktiker denn auch Torzüglich gedient. Wir müssen uns dabei
aber wohl hüten, solche Beschreibungen für Definitionen zu halten. Es
giebt ja so Vieles in der Welt, was wir recht gut kennen, was wir zu lei-
ten, zu regieren, zu unserm Nutzen zu gebrauchen verstehen, ohne deshalb
das Wesen der Sache zu kennen; überhaupt ist alle unsere Kenntniss, all
unser Wissen in der Welt mehr ein formelles, empirisches, als ein rationel-
les , essentielles. Dies muss auch der praktische Arzt nicht vergessen und
sich daher stets bemühen , sich nützliche Kenntnisse fürs Leben zu verschaf-
fen, und dieses acht praktische Studium nicht durch transscendentale, hyper-
physische Speculationen, durchs Schaffen nutz- und fruchtloser Hypothesen
und Theorien vernachlässigen. Ich rede hier zuerst von den Fiebern im
Allgemeinen, und dann von den besondern Arten, Unterarten, wesentlichen
oder nicht wesentlichen Benennungen der Fieber, wie sie das Alphabet des
Beiwortes darbietet.
Von den Fiebern im Allgemeinen. Jedes Fieber giebt sich durch
Symptome zu erkennen , deren Gesammtheit uns , mögen immerhin einzelne
der anzugebenden Symptome fehlen, ein richtiges Bild dieser Cardinalkrank-
heit repräsentirt. Wir betrachten das Fieber in seinem ganzen Verlaufe
und nehmen fünf Stadien desselben an , ohne deswegen diejenigen zu tadeln,
die mehr oder weniger Fieberstadien statuiren ; denn diese Eintheilung ist
mehr zum Behufe der Wissenschaft, und die wissenschaftlichen Eintheilungs-
gründe können verschiedene Grundlagen haben. Erstes Stadium: Sta-
dium prodrnmorum seu opportunitntis , das Stadium der Vorboten. Es
giebt sich durch folgende Zeichen zu erkennen: Schwere in den Gliedern,
Gefühl von Wüstheit im Kopfe, Unruhe, traumvoller Schlaf, öfteres Gäh-
nen , Ohrensausen , Trübheit vor den Augen , Hohläugigkeit , oft Thränen-
fluss, veränderter, metallischer, bitterer, fader, pappiger, salziger etc. Ge-
schmack, Appetitlosigkeit, Trägheit, Gleichgültigkeit, Aufliören gewohnter
Schweisse, Trocken werden gewohnter Hautausschläge, überhaupt vermin-
derte Function der Haut, Ziehen, Dehnen, Recken in den Gliedern, im Rü-
cken, Schauder, schnell über die Haut fahrend. Frösteln, abwechselnd flie-
gende Hitze. Zweites Stadium: Stadium frigoris , das Stadium dea
Frostes. Aus dem Frösteln wird Fieberfrost, der in Hinsicht der Stärke
und Dauer sehr verschieden, bei einigen Fiebern sehr kurz und sehr gelind,
oft kaum bemerkbar, bei andern sehr stark und anhaltend ist, so dass er
oft Stunden lang währt, dass die Zähne klappern, die Glieder schlottern,
das Gesicht blass und bläulich wird, die Nägel und Lippen todtenbleich
aussehen. Dabei nimmt das Volumen des Körpers ab , die Finger werden
dünner, so dass selbst festsitzende Ringe abfallen; aber merkwürdig! da»
Thermometer zeigt keine Verminderung der thierischen Wärme, sondern
diese ist selbst bei dem stärksten Gefühl von Kälte oft noch erhöht und be-
trägt mehr als den normalen Stand von bekanntlich SO'^-j-R. (Äini/t/).
Einige Ärzte wollen zwar verminderten Calor animalis im Fieberfrost be-
merkt haben , z. B. Burserius bei Febris intermittens ; doch haben meine
genau angestellten Versuche gezeigt, dass die Temperatur verschiedener
Körpertheile zur Zeit des Frostes fast immer dieselbe sey wie einige Stun-
den vor dem Froste , und dass nur im Stadium der Hitze wirkliche Tem-
peraturerhöhung bemerkbar sey. Das Gefühl der Kälte und v^irkliche Kälte
sind zweierlei (M.), Der Puls ist in diesem Stadium klein, schnell, hart,
zuweilen wenig entwickelt, schleppend, selbst langsam, die Muskeln sind
mehr oder weniger in klonischem Krampf, das Hautsystem unempfindlicher,
die Respiration beengt, der Athem kurz, jagend. Das Blut ist von den
äussern Theilen, von der Peripherie zum Theil zurückgewichen, und strebt
mehr nach dem Centrum hin; daher ist die Congestion zu den Innern Thei-
len, zu dem Herzen und zu den lockern Eingew eiden, zu den Lungen, zum
FEBRIS 671
Gehirne, zu Milz und Leber oft sehr gross. Auch die iniiern Secretionen,
B. Stuhlgang und Urinabsonderung , sind aus diesem Grunde in der Frost-
periode oft verstärkt. Drittes Stadium: Stndium caloris, das Stadium
der Hitze. Manche bösartige Fieber erreichen dieses Stadium nicht; sie
tüdten schon im vorigen, unter den allgemeinen Zeichen der Erstarrung,
der Apoplexie und Paralyse. Doch ist dies Gottlob! sehr selten der Fall,
besonders in unsern Gegenden von Deutschland. In den meisten Fällen folgt
auf das Stadium des Frostes das der Hitze. Zuerst stellt sich die trockne
Hitze ein; dann folgt bei günstigem Verlaufe des Fiebers die feuchte
Hitze. Bei ersterer fülilt der Kranke oft noch Frostschauer, obgleich das
Gesicht schon röther aussieht; späterhin empfindet er selbst die Hitze, die
oft so stark ist, dass er klagt, er müsse verbrennen. Nun zeigen sich häu-
fig starker Durst, heftige Kopfschmei^zen , grosse Unruhe, selbst Delirien;
der Puls geht stärker, voller, freier als in der Periode des Frostes, die
Haut ist geröthet, besonders im Gesichte, an den Händen und auf der Brust;
ihre Temperatur ist erhöhet und zeigt am Thermometer 31 — 329 R, , bei
manchen Fiebern, z. B. beim Scharlach selbst 35 — SS^-J-R. Viertes
Stadium: Stadium criticum, das Stadium der Krise. Erreicht das
Fieber dieses Stadium, so ist der Tod, wenigstens in diesem Paroxysmus,
der Regel nach nicht zu befürchten. Der Puls wird nun breiter, weicher
und wogend, die Haut dünstet aus, wird feucht, es stellt sich starker
Schweiss ein, der sich wie Wassertropfen auf der Haut zeigt und auf ihr
fliessend wird. Der Patient fühlt sich beruhigt, sehr erleichtert, und ver-
fällt gewöhnlich in ruhigen Schlaf; die vorher meist trockne Zunge und
Nase werden feucht, und zuweilen stellt sich etwas Durchfall ein. In sel-
tenen, schlimmen Fällen bleibt die feuchte Hitze aus; es zeigen sich blaue
Flecken und Streifen (Ecchymosen, Vibices) auf der Haut; der Kranke
klagt weder über Frost, noch Hitze, fühlt sich ganz wohl, heiter, schwitzt
ganz kalt; der Puls ist sehr frequent, weich, ungleich, aussetzend; alsdann
folgt bald der Tod. — In diesen vier verschiedenen Stadien zeigt der Harn
bedeutende und merkwürdige Verschiedenheiten. Im ersten und zweiten Sta-
dium ist er gewöhnlich sehr hell und ohne Bodensatz , ganz wie der soge-
nannte Krampfurin hysterischer Personen; im dritten, besonders aber im
vierten Stadium wird er anfangs dunkler, röther und bildet einen Boden-
satz; späterhin erscheint er roth und trübe und bleibt so. Nach und nach,
im Verlaufe des Fiebers, wird er blasser und es bildet sich, hat er eine
Zeitlang gestanden, eine Wolke oben im Gefösse; sov\ie sich das Fieber der
Krise nähert, senkt sich diese Wolke im Urine und geht zuletzt in den Bo-
densatz über. Je voUkommner die Krise ist, desto stärker ist dieser Boden-
satz. Die chemische Analyse zeigt darin anfangs wenig Phosphorsäure und
gar keine Harnsäure. Letztere findet sich erst bei eintretender Krise, wo
auch die Phosphorsäure an Quantität zunimmt, darin (s. ReiVs Arch'iv f.
Physiolog. Bd. II.), Doch nicht bei allen Fiebern beobachtet man diese
Harnveränderungen, z. B. nicht bei den sogenannten nervösen Fiebern ; doch
fehlen bei den eigentlichen Nervenfiebern die Krisen nicht gänzlich , sie sind
nur nicht so auffeilend, bestehen oft in Darmausleerungen, später 'in Haut-
abschuppungen, wie die Exantheme; doch ist auch die Desquamation oft
gering, obgleich der spätere Verlust der Kopfhaare schon darauf deutet.
Fünftes Stadium: Stndium reconvalescentiae , das Stadium der Ge-
nesung. Der Fieberkranke fühlt sich meist ermattet, theils durch die hef-
tigen Fieberbewegungen im zweiten und dritten Stadium, theils durch die
Krisen (Schweiss, Durchfall etc.). Doch versichern auch viele Kranke, dass
sie sich jetzt wohler als vor Eintritt des Fiebers befinden; ja, nicht selten
ist das Fieber ein heilsames Mittel, das eine wohlthätige Revolution im
Körper bewirkt und dadurch oft hartnäckige Übel mancherlei Art heilt.
So wurden chronische Durchfälle, chronische Krankheiten der Leber, der
Milz, veraltete Wechselfieber, selbst schleichende Fieber, Lähmungen aller
Art, Convulsionen , Epilepsie, Hypochondrie, Rheumatismen, selbst Melan-
cholie, die allen Kunstbemühungen widerstanden, wie die Erfahrung gelehrt
672 , FEBRIS
hat, glücklich durch Fieber geheilt. Manche Fieber haben noch den Nutzen,
dass sie den Menschen vor ähnlichen Angriffen schützen, z. B. Blattern,
Masern , Scharlach , Fleckfieber ; selbst das gelinde Kuhpockenfieber. Doch
nicht jedes Fieber ist erwünscht; viele sind so bösartig, dass sie häufig den
Tod herbeifuhren, andere sind zwar gefahrlos, aber sie lassen Anlage zu
Recidiven zurück , z. B. Febris intermittens ; noch andere haben häufig noch
gchlimmere Folgen, z. B. die sogenannten Nervenfieber, welche nicht selten
sehr grosse Schwäche , Lähmungen : Blindheit , Taubheit etc. zur Folge ha-
ben, — Obgleich die genannten Symptome des Fiebers zusammengenommen
keinen Zweifel über die Anwesenheit eines Fiebers übrig lassen, so sind sie,
streng genommen, doch alle keine essentiellen Zeichen, da in einzelnen, wie-
wol nur seltenen Fällen , einzelne derselben fehlen können, obgleich ein Fie-
ber da ist. Weder Pulsus celer, noch frequens, weder der Frost, noch die
Hitze, noch beide zusammen sind wesentliche Fiebersymptome; denn ein
schneller und frequenter Puls findet sich häufig des Abends bei Gesunden,
ausserdem auch bei Chlorotischen ohne Fieber, und Frösteln und Hitze sind
Erscheinungen, die nicht selten bei Gesunden nach starken Mahlzeiten (sog.
Ochsenfieber) und des Abends beim zu Bette gehen und bei Eintritt der
Müdigkeit bemerkt werden. Gelegenheitsursachen der Fieber. Sie
sind sehr zahlreich, und theils solche, die im Menschen und seiner Natur,
seiner Constitution etc., theils solche, die in seiner Umgebung, in der Aus-
senwelt liegen. Eine hervorstechende Reizbarkeit des arteriellen Systems,
besonders des Herzens , wie bei Sanguinischen , grosse Empfindlichkeit des
Nervensystems, reizbares Gemüth, zarter Körper, weiche, feine, empfind-
liche Haut geben eine besondere Anlage zu Fiebern ; daher leiden Kinder,
zarte Frauenzimmer, solche, welche gerade menstruirt sind, Sanguiniker
und Reconvalescenten leichter an Fiebern , und sie werden schon durch ge-
ringere Ursachen davon ergriffen als Greise, robuste Männer und Phlegma-
tiker. Doch sind die Fieber bei letztern , sind sie einmal davon befallen,
auch heftiger , weil ihr Reactionsvermögen stärker ist. So z. B. leiden Kin-
der häufiger an Febris inflammatoria als Männer; aber die Krankheit ver-
läuft bei jenen schneller und das geringere Reactionsvermögen macht sie
weit gelinder als bei Personen zwischen 30 und 50 Jahren. Unter allen
Fiebern, sie mögen Namen haben, wie sie wollen, sind indessen diejenigen
mit gelinderm oder stärkerm entzündlichen Charakter die häufigsten, vor-
ausgesetzt, dass die Fieberkranken sonst gesund und kräftig sind. Innere
Gelegenheitsursachen der Fieber sind: jede widernatürliche, das Gefäss- und
Nervensystem treffende Reizung durch Verletzung, Entzündung, Verhärtung,
Degeneration, durch Vollblütigkeit (Plethora) oder örtliche Congestion der
Säftemasse, Mischungsveränderungen derselben (sog. schlechte Säfte), durch
Dyskrasien aller Art, durch verdorbene Speisen, Getränke, Wasser, Luft,
durch Mangel an Nahrung, Verderbniss der Galle, des Schleims, aller Se-
und Excretionen, durch ausgetretenes, ergossenes, stockendes Blut; reizende
Krankheitserzeugnisse : grosse Geschwülste , Gewächse , Auswüchse , Wür-
mer, Harn- und Gallensteine, reizende fremde Körper in Wunden und Ge-
schwüren, reizende Knochensplitter bei complicirten Beinbrüchen; heftige
Anstrengungen des Körpers und der Seele: Gemüthsbewegungen, anhalten-
des Studiren und Nachtwachen etc. Auch die Stufenjahre des Lebens sind
eine vorzügliche Gelegenheitsursache mancher krankhafter, oft fieberhafter
Zustände, die wir Entwickelungskrankheiten nennen. Sowie der Grund des
Lebens theils in uns, theils in der Aussenwelt liegt (inneres und äusseres
Lebensraoment) , ebenso ists auch mit dem Fieber der Fall. Das Leben
selbst giebt die eine Bedingung zu allen Krankheiten , also auch zu den
Fiebern; die andere Bedingung ist die Aussenwelt, die im Missverhältnisse
zu uns krank macht und tödtet, in Harmonie mit uns gesund erhält und
Krankheiten heilt. Die vorzüglichste äussere Gelegenheitsursache der fieber-
haften Krankheiten ist die Atmosphäre. Eine schädliche Beschaffenheit der-
selben, eine zu kalte, zu feuchte, zu warme, zu trockne Luft, unreine
Stoffe in derselben durch verdorbene Pflanzen, in Verwesung übergegangene
FEßRIS 673
thlerische Korper, durch thierische Gifte (Contagien) , durch faulendes Wasj-
«er, ungesunde, feuchte, dem Sonnenlichte nicht zugängliclie Wohnungei\,
plötzlicher Wechsel der Witterung, diese Dinge machen Tausende von Meiv
sehen krank und erregen die verschiedenen fieberhaften Krankheiten, die
bald entzündlich, nervös, faulig, bald epideniisch, endemisch, iuiasmatisch,
contagiös sind, von der einfachen Febris catarrhalis an bis zu dem bösarti-
gen Typhus, dem gelben Fieber, der Cholera morbus in Indien und der
orientalischen Pest. Aber sie sind nicht die einzige Ursache solcher Fieber;
ein tieferer Grund liegt noch in dem eigenthümlichen Leben der Atmosphäre,
das wir noch wenig kennen , in dem elektro - magnetischen Zustande der
Luft, in den noch wenig erforschten Veränderungen, die das Innere der
Erde auf die Luft ausübt, wovon oft der schnelle Temperatursvechsel die
Folge ist (vgl. Hufelmul, Über atmosphärische Krankheiten und atmosphär.
Ansteckung. Berlin 1823). Das Studium der grossen verheerenden Seuchen,
die seit vielen Jahrhunderten das Menschengeschlecht heimsuchten, die Ect^
forschung ihrer Ursachen , führt uns in die tiefsten Geheimnisjse der Natur,
wo unser Wissen immer Stückwerk bleiben wird. Die Erfahrung von Jahr-
tausenden hat uns über jene schrecklichen Seuchen viel Treffliches gelehrt,
so dass wir, wissen wir ihre Entstehung auch nicht genau, sie doch genau
erkennen können und manche herrliche, grosso Heilmittel dagegen anzuwen-
den im Stande sind. Unser verehrter Veteran, der Geh. Med. Rath S. G.
Vogel hieselbst, den ich so glücklich bin persönlich zu kennen, und dessen
freundschaftlichem Rathe bei der Cur mancher wichtiger Kranken ich selu*
viel zu verdanken habe, sagt in seinem vortrefflichen Handbuche der prajcr
tischen Arzneiwissenschaft über die Fieber im Allgemeinen noch FolgendeSi:
„Die Fieber verschonen kein Alter, selbst das Kind im Mutterleibe nicht,
kein Geschlecht, noch irgend eine Leibesbeschaffenheit, und keine Lebensart
und Vorsicht kann durchaus vor ihnen schützen, weil ihre allenthalben ob-
waltenden Ursachen uns beständig umgeben und mit unsern nöthigsten Be-
dürfnissen auf das Genaueste und Unvermeidlichste verwebt sind. Daher
bleiben auch nur wenige Menschen ihr Leben hindurch von dieser Krankheit
gänzlich verschont, und fast immer ist die letzte Scene des menschlichen
Lebens ein fieberhafter Zustand, wenn es nicht durch plötzliche Ursachen
plötzlich geraubt wird." Vor ungefähr 150 Jahren starben nach Sydenhant's
Berechnung von 100,000 Menschen in London 65,000 an Fiebern ; aber seit
Sydenhmii's Zeiten hat diese Sterblichkeit sehr abgenommen, und man rech-
net im Allgemeinen nur den lOten Theil der Menschen, der überhaupt durclj
Fieber getödtet wird , weil man sie seit jener Zeit weit vernünftiger und
glücklicher hat behandeln lernen. Die Fieber sind so alt als das Menschen-
geschlecht; sie können in jeder Weltgegend und in jedem Klima vorkommen,
sind aber jetzt nicht mehr so einfach und regelmässig, wie zu Hippolrntes
Zeiten, weil die Menschen jetzt weniger der Natur gemäss leben als damah;.
Rechnen wir alle Krankheiten mit Fieber, alle inneren und äusseren Ent-
zündungen etc. zum Fieber, so kann man annehmen, dass zwei Drittheile
aller Krankheiten, die das Menschengeschlecht heimsuchen, Fieber sind.
Doch hat es seine Nachtheile, wenn wir dem Fieber am Krankenbette einen
so weiten Spielraum geben, wovon unten ein Mehrere». Die einfachen Fie-
ber sind die häufigsten und natürlichsten Krankheiten des menschlichen Kör-
pers, sie sind Krankheitsaffectionen mit Fieber, wenigstens zu Anfange des
Erkrankens , wobei sich weder eine volle Form, noch ein eigentlicher Krank-
heitscharakter ausgeprägt oder ausgebildet hat, wobei kern hervorstechendes
Localleiden bemerkt wird, und welche Affectionen häufig ohne volle Aus-
bildung verschwinden, theils durch Naturhülfe und Diät, theils durch eine
empirische, symptomatische Behandlung des praktischen Arztes, die häuf,«;-
dann die glücklichste ist, wenn sie mehr negativ als positiv eingeleitet wird
(s. Febris simplex und Febris neuropathi ca). Eine gründliche
Kenntniss der allgemeinen Pathologie und Therapie, eine richtige Ei|isicht
in unsern Apparatus medicaminum ist hier schon hinreichend. Der Name
Fieber ist beinahe ebenso unbestimmt und allgemein als der Name Krank-
Moet Encyklopädie. 2te Aufl. I. 43
674 FEBRIS
heit. Es macht auch gar nichts, dem Übel einen bestimmten Namen zu ge-'
ben; ja, dieses Bestreben ist oft nachtheilig für die Praxis, denn es giebt
viele Tausend unbestimmte fieberhafte Affectionen , die wir empirisch am
glücklichsten heilen, wenn wir ihnen keinen speciellen Namen geben und so
freier von Vorurtheilen sind (s. Affectio). Der wahre Praktiker weiss,
dass alle Handbücher der prakiischen Heilkunde nur Schemata entwerfen,
dass sie das Bild der Krankheit in seiner Vollendung und in den möglichst,
höchsten Stufen, in der grössteii Ausbildung entwerfen und entwerfen müs-
sen; aber er weiss auch, dass er am Krankenbette nie die volle Zeichnung
des Kranklieitsbildes wiederlinden wird , eben weil in der lebenden Natur
nichts im Seyn, im Stillstande, sondern Alles im Werden, im Bilden und
Rückbilden, im Schaffen und Zerstören begriffen ist, weil das Leben selbst,
also auch das kranke Leben, ein ewiges Werden, nichts Bestehendes ist.
So sagt auch Hhhicr in seiner acht praktischen Therapie bei Gelegenheit
des entzündlichen Klebers ganz richtig: ,,Das nun zu entwerfende Bild (die-
ses Fiebers) wird vielleicht nie beobachtet. Allein seine Aufstellung ist höchst
nothwendig , um diese Fiebermodificalion In den verschiedenen Verhältnissen
stets wieder zu erkennen und bei den verschiedenen Arten Wiederholungen
zu vermeiden." Steht irgend ein Fieber in voller Ausbildung da, so ist es
PHicht des Arztes, sich mit der Benennung Fieber nie zu beruhigen , wenn
•gleich es in seltenen Fällen essentielle Fieber giebt; sindern er niuss dio
Krankheit näher erforschen und besonders darrtach sehen, ob irgend eine
Localaffection, irgend eine innere Entzündung dem Fieber zum Grunde liegt;
also genau untersuchen , ob das Fieber, was bei ausgebildetem Übel so häu-
fig der Fall ist, etwas Symptomatisches sey, oder nicht; denn es ist kei-
nem Zweifel mehr unterworfen, dass mit den Fortschritten der Pathologio
die Menge der Fieber in gleichem Verhältnisse abnehmen wird, wie wir zu
tiefern Blicken in die verschiedenen Krankheiten des Gefasssystems : der Ar-
terien, Venen und lymphatischen Gefasse, und der Eingeweide der Hirn-,
Brust- und Unterleibshöhle und zu einer richtigem Erkenntniss und Unter-
scheidung derselben gelangen Werden, und zum Theil schon gelangt sind.
Ich erinnere hier nur an die grosse Ähnlichkeit in den Zufallen bei Phlebi-
tis und Typhus, an die Häufigkeit des Vorkohimens von Geschwüren im
Dünndarm bei der letztern Fieberart (s. P. Ch. A. Louis, Recherches ana-
tomi(|ues, pathologiques et th^rapeutiques sur la nialadie connue sous le nom
de Gastro - Ent^rite , Fievre putride, adynami<lue etc. Par. 1829. Tom. I
et Ii.)> an die krankhaften Ziistäiule der J..eber und Milz bei P'ebris inter-
mittens , an das offenbare krankhafte Ergriffensej n der Blutmasse im Faul-
fieber, an die Febris puerperalis . die in vielen Fällen nur das Symptom ei-
ner Myelitis, Phlebitis, Peritonitis ist, an das heftige inflammatorische Fie-
ber, das in einzelnen Fällen, wo weder Pnenmonioj noch Carditis, noch ir-
gend eine topische Eingcweideontzündung damit complicirt ist, dennoch häu-
fig nur das Symptom einer Inflammatio, besonders der Arteriitis, nach neuem
Untersuchungen abgicbt ( l'ct. Frnnk , SihünU'iu und mehrere französische
Ärzte der neuern Zeit). Das Wesen und die nächste Ursache des
Fiebers kennen wir, wie schon oben gesagt worden, sehr wenig. Die Mei-
nungen darüber waren und sind erstaunt vielfach und weitläufig. Man hat
um so mehr darüber raisonnirt, je weniger man davon weiss. Mit dem
Wechsel der medicinischen Systeme ward jedesmal eine andere Fieberdefini-
tion zu Tage gefördert. Wollen wir das Fieber näher erforschen, so müs-
sen wir 1) uns nicht an ein oder das andere Fiebersymptoni halten, sondern
die Gesammtheit" aller Symptome ins Auge fassen. 2) Wir müssen uns nicht
zu weit in leere Speculationen einlassen , nicht zum Universum und den
Sonnensystemen hinaufsteigen, um ein Fieber z\i erklären; wir müssen hübsch
fein auf der Erde und bei dem lebenden Körper bleiben, und aus den phy-
siologischen und pathologischen Erscheinungen desselben Licht Schöpfen.
S) Wir müssen den ganzen Verlauf des Fiebers, seine Krisen etc. gehörig
berücksichtigen. Viele Erklärungen des Fiebers von sonst berühmten Ärz-
ten sind keine Erklärungen, sondern Wortspiele, wodurch die Sache niciit
FEBRIS 675
aufgehellt werden kann. Einige berühmte Autoren kommen ihr indessen nä-
her auf die Spur als andere. Boerhaave sagt: „Febris est velocior cordis
contractio cum aucta resistentia ad capillaria," und nennt auch das Fiefcer
einen Spasmus universalis; hier ist mehr der Frost als die Hitze ins Auge
gefasst. Burserhis beschreibt das Fieber so : „Totius corporis morbus, ple-
rasque functiones laedens, modo acutus, modo lentus, modo assiduus, modo
intermittens , et periodice recurrens, a rebus praeter naturam excitatus, ut-
plurimum cum viriura animalium imminutione, pulsu celeri aut crebro, calo-
risque naturalis mutatione conjunctus, coctione, aut critica excretione sol-
vendus, quando primarius est, et in salutem finitur. " Nach Spretigel ist
die nächste Ursache des Fiebers derjenige innere Zustand des Körpers , wo-
durch eine allgemeine Gegenwirkung der belebten festen Theile, deren Thä-
tigkeit vorher unterdrückt war, hervorgebracht wird. Demnach müssten
alle Fieber ursprünglich asthenisch seyn und dann zur Sthenie werden.
Dies ist aber durchaus irrig; denn die Thätigkeit der Functionen ist zu An-
fange des Fiebers nicht unterdrückt, sondern nur intensiver, und späterhin
wird sie mehr extensiv. Ein kleiner Puls ist nicht immer ein Zeichen von
Schwäche ; man muss wahre und scheinbare Schwäche wohl unterscheiden
(s. Adynamia). Cullen hat Manches richtiger aufgefasst. Er sagt: „Das
Fieber entsteht durch vermehrten Nervenreiz, Dieser äussert sich zuerst
am meisten in den kleinen und empfindlichem Gelassen. Dadurch entsteht
das Bleicherwerden und der Frost, und die Congestion des Bluts zum Her-
zen. Letzteres reagirt durch die vermehrte Reizung stärker, das Blut wird
mit grosser Kraft nach der Pei-ipherie getrieben, und so erklärt sich das
Stadium der Hitze." Manches davon ist einleuchtend, doch bleibt es noch
zu erklären, wie auf solche Weise ein Mensch, nachdem er eine kurze Zeit,
oft nur 15 Minuten , am Fieberfrost gelitten , 14 Tage und länger brennende
Fieberhitze haben kann'< Brown und Weickard geben schon darin eine Blosse,
dass sie nur Eine Art von Fiebern, die asthenischen, annehmen. Weickard
sagt ganz kurz: „Das Fieber ist eine Krankheit, bei welcher Reaction und
Hitze auf vorhergegangenen Torpor und Kälte folgt." Diese Definition passt
ebenso gut auf die Frostbeulen, als aufs Fieber. Reil nennt bekanntlich
jede Krankheit Fieber, und was Andere Fieber nennen, bezeichnet er mit
dem Namen Gefässfieber. Letzteres ist ihm eine allgemeine Krankheit der
thierischen Kräfte , des Herzens , aller Blutgefässe , besonders der Arterien.
Dies, ist viel zu allgemein genommen. Marcus sagt in seiner spec. Therapie,
Thl. I.: „Alle Fieber sind Krankheiten der Irritabilität und Entzündunga-
zustände; das Wesen beider ist eins, nämlich Contraction in den Arterien.'*
Demnach wäre die Systole des Herzens ein Fieber! Die einseitigen Ansich-
ten eines Ackermann und C. Ch. Reich, wovon ersterer in einem Übermass,
letzterer in Mangel an Sauerstoff das Wesentliche des Fiebers sucht, be-
dürfen keiner Widerlegung. Troxler erklärt das Fieber fast uneigentlich
für eine Krankheit, er hält es gegentheils für einen Ausdruck des Strebens
des Individuums nach einem identischen Zustande des Ganzen. ,, So geht,
sagt er, Entzündung in Fieber über, zu Eiterung der Lunge kommt Fie-
ber, weil die Naturkraft im lebenden Organismus nach Gleichgewicht und
Harmonie strebt." Hierin liegt viel Wahres und viel Falsches. In den er-
sten beiden Stadien des Fiebers ist allerdings grosse Differenz da, aber in
den spätem Stadien ist die Differenz aufgehoben. Die Missverhältnisse zwi-
schen Sensibilität und Irritabilität, die wir am Abende bei jedem Gesunden
wahrnehmen, werden durch nächtliche Ruhe und Schlaf gehoben; demnach
wäre auch der Schlaf der Tendenz nach eins und dasselbe mit dem Fieber.
Aber die Tendenz, der Endzweck einer Sache erhellet und erklärt noch
nicht das Wesen derselben. Der unsterbliche Pet. Frank betrachtet das
Fieber ganz richtig als den „Schatten einer Ki-ankheit;" es ist nach ihm
jedes Fieber nur der Ausdruck des Grades der Reaction des Gesammtorga-
nismus gegen die auf irgend ein Organ oder System des Körpers einwir-
kende schädliche Potenz. Immer nur zu einem bestimmten Organe oder
Systeme haben die äussern schädlichen Einflüsse ihre Beziehung, nie zum
43*
676 FEBRIS
ganzen Organisrnns, da im letztern Falle das Resultat Ihrer Einwirkung,
allgemeine Krankheit, nur Tod seyn könnte. Wäre ein F'ieber also wirk-
lich eine allgemeine Krankheit, die alle Systeme und Organe des Körpers
ergriffe, so müsste jeder Ficlierkranke sterben, indem die Vis medicatrix
naturae, oder, was einerlei ist, die Reaction des Gesamnitorgani.smus unter-
drückt wäre, mithin Heilung, die doch die Arznei ohne Autokratie der Na-
tur nicht herbeiführen kann, nicht erfolgen könnte. Dass Vitalitätsverände-
rungen im Herzen und den grossen Gefässen bei allen Fiebern stattfinden,
ist ausgemacht; auch vital- chemische Veränderungen im Blute der Fieber-
kranken lassen sich nachweisen, doch bleiben nähere Untersut:hungeu da&r
über «och eine Aufgabe der gegenwärtigen und künftigen Generation der
Ärzte (s. Fermentatio und Febris depurativa). Nach Himly (V'or-
lesungen der spec. Nosologie und Therapie, 1815. Mscrpt.) besteht das We-
sentliche des Fiebers in einem Wissverhältnisse zwischen Peripherie und Cen-
trum; anfangs mit grösserer Contractilität in der Peri;>herie, mit darauf fol-
gender grösserer Contractilität im Centrum. bis zum Überwinden jener Con-
tractilität in der Peripherie Er sagt: ,, Wir sehen dieses ganz deutlich in
den Blutgefässen; diese sind contrahirt; daher folgt Hatilblässe und die
schnelle Respiration. Das Herz reagirt nun gegen die Capillargefässe; diese
geben endlich nach; so wird aus der trocknen Hitze die feuchte: es stellt
^ich der Schweiss ein. Aber es scheint nicht allein in den Blutgefässen zu
liegen; wir bemerken im Fieberfrost grosse Unempfindlichkeit der Haut;
dass diese blos durch die Contractilität der Blutgefässe entstehen sollte, ist
nicht zu erwarten. Anfangs scheint die ganze Peripherie mehr in vermehr-
ter Contractilität zu seyn, nachher auch das Centrum, selbst das Nerven-
system und alle übrigen Systeme Daher entsteht in den ersten Perioden
Gefühllosigkeit, in dem Stadium der Hitze bei heftigem Fieber starker Kopf-
schmerz, Phantasiren etc. Warum sollten nicht fluch diese Antagonisten
existiren? Wir finden oft auch bei andern Krankheiten Disharmonie im irri-
tablen luid sensiblen Systeme, oder im sensiblen allein, z. B. Disharmonie
zwischen den Empfindungs - und Bewegungsnerven, oder auch im irritablen
System allein. In der Periode des Frostes scheint das Wirkungsvermögen
bei Fieberkranken vergrössert zu seyn; daher finden wir auch bei acht in-
flammatorischen Fiebern starken, bei acht typhösen dagegen höchst unbe-
deutenden Frost; auch bei zarten Kindern ist der Fieberfrost gering, selbst
bei Febris intermittens, bei alten Leuten dagegen recht stark." Wenn
durch diese Ansichten meines achtungswerthen Lehrers auch nicht das We-
gen des Fiebers erklärt worden, so verbreiten sie doch einiges Licht über
die Innern Zustände und Veränderungen, welche im Organismus zur Zeit
des Fiebers vor sich gehen. — Meine indi\nduelle Ansicht über das Wesen
und die nächste Ursache des Fiebers ist ungefähr folgende: 1) Im lebenden
Organismus herrscht ein Gesetz, das sich sowol im Geistigen als im Kör-
perlichen, auf gleichen Principien beruhend . offenbart und in Beziehung zum
Somatischen als innere Grundform für die Heilkraft der Natur (Autocratia)
angesehen werden kaiui. Es bleibt nämlich von jeder einigermassen voll-
kommen gebildeten Seelenthätigkeit im Innern der Seele eine Spur zurück,
und zwar unbewusst, welche nachher wieder in die Entwickelung des be-
wussten Seelenlebens eingehen kann. Femer befinden sich unsere bewussten
Seelenthätigkeiten , sowol unter sich, als gegen die unbewussten Spuren, in
einem steten Streben , die in ihnen beweglich gegebenen Elemente gegen
einander auszugleichen. Dasselbe finden wir im Körperlichen wieder. Denn
2) jedes Svstem des menschlichen Leibes besteht aus der Gesammtheit der
Spuren, welche von frühern jjebensentwickelungcn sich erhalten haben, aus
einer grossen Menge elementarischer Lebenskräfte, die zwar in innigor Ver-
bindung sind, und so ein Ganzes bilden, aber do<:h auch in gewisser Hin-
sicht als besondere Lebenskraft, jede einzeln, z. B. im Nerven, im Blutge-
fäaae, im Muskel, in der Drüse etc. fortbestehen. 3) Auch für diese Spuren
oder elementarischen Lebenskräfte giebt es einen ähnlichen Wechsel des An-
geregtaeyns und Nichtangeregtseyns, wie für die Seelenthätigkeiten. Beson-
i FEBRIS 677
dcrs bemerkbar rst dJeser Wechsel bei den Zustanden des Schlafs und des
Wachens, der Verdauung, bei starker Körperanstrengung, Geistesanstren-
gung etc., wobei wir ja auch so häufig eine Febricula bemerken, die durch
Ruhe des Körpers und des Geistes, durch den Schlaf, durch Vermeidung
aller Geistesanstrengungen verschwindet. 4) Alle Einwirkungen auf ein ge-
wisses organisches System treffen zunächst eine dieser verschiedenen elemen-
tarischen Lebenskräfte; von da pflanzen sie sich weiter auf die übrigen fort
und vermindern sich dadurch in dem zuerst ergriffenen Systeme. 5) Wirkt
nun irgend etwas krank machend auf irgend ein System oder Organ unse-
res Leibes , z. B. das , was wir Erkältung nennen , aufs Hautnervensysteni ;
80 zeigen sich die Spuren zuerst in diesem Systeme, verbreiten sich aber
später auf ein anderes System, wie z. B. bei den meisten Fiebern vom zu-
Ierst ergriffenen Nervensystem aufs Blutsystem, und vermindern sich dadurch
im Nervensystem; daher denn auch die Symptome des Stadii prodromorura
febris , welche alle auf Nervenverstimmung deuten , bei wirklich ausgebro-
chenem Fieber zum Theil verschwinden. Das Fieber selbst gleicht nun die
Disharmonien aus , die mit dem Ende desselben gehoben sind. Ist es aber
sehr heftig, ist die Einwirkung aufs ganze System zu stark gewesen, so
kann es entweder nicht zur Reaction kommen, und der Tod folgt plötzlich,
oder es wird eine zu heftige Reaction hervorgerufen , die einen zu heftigen
Aufwand von Lebenskräften erfordert, so dass keine volle Ausgleichung
stattfinden kann, und nun entweder der Tod oder Übergang in andere
Krankheiten erfolgt. So erklärt es sich, wie manche FMeber als Naturbe^
strebungen heilsam, andere tödtlich seyn können. Die Heilkraft der Natur
hat stets eine bestimmte Norm und einen bestimmten Endzweck ; sie besteht
in der Ausgleichung zwischen den gesund gebliebenen und den erkrankten
Spuren oder Kräften eines Systems des Körpers, oder des Menschen über-
haupt. (Vergl. G. F. Ch. Greincr: Der Arzt im Menschen, oder die Heil-
kraft der Natur, Bd. I. 1827. Allgemeine Lit. Zeit. Sept. 1829. Nr. 170.
F. E. BeneTcc in Hecher's Lit. Annal. Bd. XV. 1829).
Einth eilung der Fieber formen. Fu)jcl sagt mit Recht ^Hand-
buch der prakt. Arzneiwissenschaft Bd. I.): ,,Das ganze Heer der Fieber
lässt sich unstreitig unter wenige Classen bringen, wenn man den Grund
dazu in den allgemeinen Grundsätzen der Ätiologie, insofern diese eine un-
mittelbare Beziehung auf ihre Heilung hat, sucht; und diese Eintheilung
kann allein, ausser dass sie die Erkenntniss der Sache ohnehin ungemein
erleichtert, einen wahren praktischen Nutzen haben und den philosophischen
Zweck erfüllen, den man von Rechtswegen bei allen Distinctionen und Ab-
theilungen der Krankheiten beständig vor Augen haben sollte. " Er ordnet
alle Fieber, sie mögen in der Welt Namen haben, wie sie wollen, unter
sieben besondere Classen, welche Eintheilung für die Praxis vom grössten
Werthe ist. Hier finden noch folgende Bemerkungen statt. 1) Sehr wich-
tig ist die Eintheilung des Fiebers nach seinem Charakter; dieser ist
entweder mehr oder weniger entzündlich, oder nervös, oder faulig.
Bei dem entzündlichen Fieber (^Fehris injlammaiona synochicn, sihenicn^,
welches in unsern Gegenden von Norddeutschland häufig vorkommt, sind
die Organe des Kreislaufs gereizt und die Lebensthätigkeit ist erhöhet.
Beim sogenannten nervösen Fieber (Fehr. nervosa) , welches bei uns in der
Regel nie als solches , sondern als Folge anderer fieberhaften und nicht fie-
berhaften Krankheiten, besonders bei zu schwächender oder zu reizender Be-
handlung, auftritt, ist, neben der Reizung im Blutgefässsystem , vorzüglich
Gehirn und Nervensystem der leidende Theil ; der Kranke leidet an schein-
barer oder an wirklicher Schwäche, und diese Unterscheidung ist von der
grössten Wichtigkeit für die Behandlung (s. Adynamia). Dass man Ner-
venfieber auch asthenische oder typhöse Fieber nennt, ist unrichtig; weil
es keine primären Fieber mit wahrer Schwäche geben kann. Besser ist es
daher, die asthenischen Fieber vom Nervenfieber zu trennen, obgleich letz-
tere auch asthenische werden können. Mit Recht sagt Sundelin {Berends^s
Vorlesungen Bd. I. S. 112. Anmerk.): „Für die Praxis ist die EintJieilung
678 FEBRIS
d«r Fieber überhaupt In hypersthenlsche und asthenische, als in zwei grosse,
sich gewissermassen entgegengesetzte Hauptgeschlechter, sehr nachtheilig,
v.eil der Arzt dadurch nur allzu leicht zu einem einseitigen Verfahren ver-
leitet werden kann , oder wenigstens veranlasst wird vorauszusetzen , dass
ein jedes Fieber entweder hypersthenischer oder asthenischer Natur sey,
und deshalb entweder eine schwächende oder eine erregende, stärkende Be-
handlung erheische; da es doch eine grosse Anzahl von Fiebern giebt, wel-'
che weder zu den hypersthenischen, noch zu den asthenischen gehören, und'
daher weder schwächend, noch stärkend behandelt werden dürfen, wie die'
activen Fieber, die Reizfieber etc." Beim Faul fi eher (^Fchris ptttridn,
maligna, parahjticn etc.') ist nicht allein das Blutsystem gereizt, sondern'
auch die Säfteraasse hat eine besondere Neigung zur Auflösung und Ent-
mischung, wobei grosse Schwäche im Blut - und Nervensystem obwaltet.
Ausser bösartigen epidemischen Fiebern , die Gottlob ! höchst selten bei uns'
sind, tritt das Faulfieber fast nie als solches auf, ist aber oft die Folge ei-
nes entzündlichen oder Gallen-, Schleimfiebers, wenn der Kranke schlechte'
Säfte hat, Diätfehler begeht, ungesunde Luft athmet, oder der Arzt das
Fieber schlecht behandelt. — unter diesen verschiedenen Charakteren des
Fiebers muss man sich nichts Feststehendes denken. Verschiedene Einflösse'
können ein und dasselbe Fieber bei einem und demselben Kranken bald da-
hin verändern , dass der entzündliche Charakter in den nervösen oder fauli-
gen übergeht. Alle sogenannten Fieberformen sind im weitern Sinne ört-
fiche Übel ; ihr Variiren im Verlaufe kommt daher , weil der Grad der Ile-
action des Organismus variirt. Wir können hier drei Grade dieser Zustände
annehmen. Entweder die Reaction ist stärker als die einwirkende schädliche
Potenz (Synocha), oder sie steht mit letzterer in gleichem Verhältnisse
(Erethismus), oder die schädliche Potenz ist stärker, als die Reaction
und gewinnt die Oberhand über die letztere (Torpor, Paralysis). Diese
verschiedenen Reactionsweisen können aber bei ein und demselben Fieber
mannigfaltig variiren , und daher passt auch die Eintheilung der Fieber in
die mit irritabler, sensibler oder D o pp eise hwä che, die auch nur
das Verhältniss des Grades der Reaction gegen die einwirkende schädliche
Potenz anzeigt, für die Praxis nur insofern, als sie uns einen Massstab un-
seres Handelns abgiebt. Aber zu einer allseitigen und richtigen Einsicht in
die Fieber gehört weit mehr als die Berücksichtigung der Action und Re-
action. Das Fieber mag ein selbstständiges oder symptomatisches, ein an-
haltendes oder aussetzendes, ein Gallert-, Katarrhal- oder rheumatisches
Fieber seyn, im Anfange hat es in unsern Gegenden fast durchgängig einen
(in den meisten Fällen, wenn keine bedeutenden Localentzündungen zugegen
sind, gelinden) entzündlichen Charakter, wenigstens in den ersten 5 — 7 Ta-
gen, und eine strenge Diät neben gelinden, leichten Antiphlogisticis, z. B..
Pot. Riverii mit Aq. flor. sambuci, Cremor tartari etc. hat mir fast immer
einen günstigen Erfolg herbeigeführt. Es ist allerdings wahr, dass der ent-
zündliche Charakter im Verlauf des Fiebers oft plötzlich nervös oder putrid
werden kann ; aber dies ist doch nur die Ausnahme von der Regel , und
nach meiner innersten Überzeugung würden viele tausend Fieberkranke nicht
dem Tode geopfert worden seyn, hätte der Arzt, weniger voreilig, nicht
sogleich einen solchen nervösen oder putriden Charakter statuirt und wäre
er vorsichtiger in der Verordnung reizender, erhitzender Mittel gewesen.
Da nun aber der Fiebercharakter nichts Feststehendes bei ein und demsel-
ben Fieber ist, ja, da manches Fieber so golind und manches andere so
complicirt erscheint, dass man ihm keinen von den genannten drei Charakte-
ren beilegen kann, so ists auch falsch, wenn manche sonst berühmte Arzte
unserer Zeit in ihren Vorlesungen oder Handbüchern den Fiebercharakter
als obersten Eintheiiungsgrund aufstellen und darnach das ganze Fieberheer
unter die drei Genera: Fchris sifiiochica, Fehris liiphosa , Fchris parnhjtica,
'f u>ii(hi , zu bringen sich bestreben. 2) Man theilt die Fieber ferner ein :
it) :iac!» dem T) pus, d. i. die Ordnung und Zeitfolge, in welcher die An-
fdUe wiederkehren, in «) Fclres lypicnc, ß) Febtcs attjpkae , atncticnc , er-
FEBRIS_ 679
raHcac. Letztere haben gar keinen, festen Tj-pus. ^om ersteren giebt e»
drei Hauptarten: an) Fehris continua com/micjis, die entNveder eine b'enigna,
z- B. Bphemera (einfaches eintägiges Fieber), oder eine F. maligna seyn
kann, bb) Fehris continua remittens. Bei dieser findet eine Reihe von Fe-
bribus contiuuis statt, welche in das zweite und dritte Fjebierstadium zu-
rücktreten und Ijierdurch ein Stadium des Nachlasses (R.emissI6) machen;
sowie der Zunahme (Exacerbatio), wenn sie sich im dritten Stadium
befinden, cc") Felris intermitlens , das Wecliselfieber. Ist auch, wie
das vorige, ein componirtes Fieber, wobei die Krankheit auch in das erste
und fünfte Stadium tritt, also aussetzt und nicht wahrnehmbar ist. Diese
freie Zeit heisst Intermissio, der Anfall Paroxysmus. Bei den Arten
an und bb haben wir demnach zwei Typi zu betrachten: 1) den Typus ei-
nes jeden Anfalls für sich mit seinem incrementum und decrementum; 2) den
grossen Typus oder das Verhalten zu den vorigen und den folgenden Typis.
Kommt die Exacerbation oder der Paroxysmus früher als das letzte Mal, so
heisst die^ Typus anticipans, im umgekehrten Fall Typus postpo-
nens. Sowol der kleine als der grosse Typus der Fieber hat feste Regeln;
denn auch in der kranken Natur findet dieselbe Ordnung und Gesetzmässig-
keit statt, die wir an der gesunden Natur bewundern. Wir finden hier
a) mehr oder weniger einen täglichen Typus ; daher muss der Arzt bei fie-
berhaften Krankheiten nicht blos Morgen und Abend, sondern gestern Mor-
gen und heute Morgen, gestern Abend und heute Abend, mit einander ver-
gleichen, um aufs Reine zu kommen, ob die Krankheit im Ganzen noch zu-
oder abnimmt, b) Wir bemerjcen bei Fiebern meist immer eine Differenz
oder einen Gegensatz zwischen zwei und zwei Tagen , wo die gleichen und
die ungleichen Tage , jede Reihe unter sich, einander entsprechen ; z. ß. die
Tage 1, 3, 5, 7, 9, 11, 13, 15 u. s, f. entsprechen sich und sina bekannt-
lich die schlimmsten; eben so entsprechen sich die leichtem und bessern
Krankheitstage 2, 4, 6, 8, 10, 12, 14 u. s. f. Dies liegt nicht an der Zahl,
sondern an den Zeiten und im Wechsel und Verlauf ^es Fiebers, c) Auch
für den grossen Typus giebt es verschieciene Zahlen. Die bedeutendsten
sind die Krankheitstage 7, 14 i^nd 21. Ohne Zweifel sind hier kosmische
und tellurische Einflüsse, Einwirkung des Mondes auf atmosphärische Ver-
änderungen etc., die wir nicht genauer angeben können, mit im Spiel, dass
gerade diese Tage die bedeutendsten für Leben und Tod des Kranken siiiä
(s. Richard McatVs und BnJfuur^s Schriften über EInfiuss des IVIondes aiif
Fieber etc.). b~) Nach der Verbindung des Fiebers mit oder ohne anderes
Leiden, nach den hervorstechenden Zufallen, nach seinem Verlaufe, nach
der Dauer, dem L^rsprunge, der Gelegenheitsursache, dem günstigen odef
ungünstigen Erfolge u. s. f. theilt man die Fieber noch ein in einfache; und
zusammengesetzte {Febr. siniplex et complicata') , in hitzige, schleich<fnde vuid
langwierige (F. acuta, Icnta, chronica, s. Acutus morbus); in selbst-
ständige und zufällige (F. substantiva, esscntialis, symptonuiticn); in ursprüng-
liche und abgeleitete (F. primaria, idiopathicä et secundaria, sympathica);
in epidemische, endemische, sporadische, gutartige, bösai'tige, in anstecken-
de, nicht ansteckende (f. epidemica, endemica, sporndien, benigna, mnli\ina,
contntjiosn, non contagiosa) u. s. w. Ein gewöhnliches leichtes, entzündliches
Fieber ohne Nebenleiden heisst ßphemera; ist aber eine innere Localentzün-
dung, Neigung zur Fäulniss der Säfte, hervorstechende Störung der Ver-
dauung, Nervenleiden, Katarrh, Rheumatismus etc. dabei, so ists schon
F'ebris complicata; auch das Wundfieber, Eiterungsfieber, Kindbettfieber
gehört hierher. Überhaupt sind die complicirten Fieber häufig und sehr
mannigfaltig, da wir in der Natur, und am Krankenbette selten das Ein-
fache wahrnehmen. Die Zeit ist nicht ohne Wechsel, so auch die Krank-
heiten und ihr Verlauf, und mannigfaltige Schattirungen finden hier statt,
die wie die B'arben der Abendröthe in einander verlaufen, und. dem Arzte
täglich Gelegenheit geben, seine Beobachtungsgabe und seineu Scharfsinn
zu prüfen. Der Name ist oft willkürlich, oder thut das Wenigste; nuf ihn
kommt es wahrlich am wenigsten an ! So hat man früherhin auch wol nach
680 FEBRIS
den bedeutendsten Zufällen, die mit dem Fieber verbunden jünd, Brech-
fieber, Schweissfieber, Schlaffieber (^Fehr. vomitorin, helodes, co-
mntosft) statuirt, wo es vielleicht besser gewesen wäre, die Krankheit ihrer
Ursache nach, woher das Erbrechen, Schwitzen, Schlafen kommt, und nicht
nach dem Zufalle zu benennen. — Was die selbst« tandigen, essentiel-
len Fieber betrifft, so cxistiren sie allerdings, obgleich viele Ärzte daran
gezweifelt haben; denn wenn es auch ausgemacht ist, dass die nicht selbst-
iständigen, sogenannten symptomatischen Fieber, z. B. das Pocken-, Schar-
lach-, Masern-, Pest- und Fleckfieber, das Eiterungs - , Zehr-, Wund-
und Wurmfieber etc. , die Mehrzahl der Fieber ausmachen , so lassen sich
dennoch jene selbstständigen Fieber, die als solche eine für sich bestehende
ganz eigene Krankheit sind und von keiner andern Krankheit abhängen, hin-
länglich am Krankenbette nachweisen (s. unten Febris neuropathica). —
Die epidemischen Fieber verbreiten sich oft sehr weit über ganze Län-
der etc., weil ihre Gelegenheitsursache: kalte, heisse, anhaltend trockna
Luft, schneller Wechsel des Wetters, Mangel an Nahrung, Misswachs,
Theuerung, schlechtes Getreide etc., sich ebenfalls über weite Länderstre-
cken ausdehnen kann. Von diesen Fiebern giebt es zwei Unterarten: a) die
stehenden oder Stand fi eher (^Febr. staiioiimna) , die unbestimmte Zeit
zu herrschen pflegen und deren Charakter bald entzündlich, gallig, bald
gelind nervös ist; b) die jährlichen oder Jahresfieber (Fehr. annu(i),
die den Jahreszeiten , ist die Witterung nicht ungewöhnlich , angemessen
sind (s. Constitutio). Ansteckende Fieber sind solche, denen ein
Contagium zum Grunde liegt; endemische solche, welche durch einhei-
misclie, fortdauernd wirkende schädliche Einflüsse hinsichtlich des Orts, der
Gegend, der Lage etc. entstehen , z. B. die Febris intermittens quartana in
sumpfigen Gegenden, wie in Mantua, Genua, Seeland, Holland (s. Con-
tagium, Endemia, Miasma). Sporadische Fieber kommen nur bei
einzelnen Menschen, durch besondere Gelegenheitsursachen veranlasst, vor;
das gutartige und bösartige Fieber findet in unsern Gegenden, wo
wir Gottlob! weder Pest, noch gelbes Fieber haben, mehr in den Köpfen
der Arzte als in der Wirklichkeit, einzelne Fälle ausgenommen, statt. —
Prognose der Fieber im Allgemeinen. Um diese richtig zu stellen,
müssen wir besonders die Complicationen des Fiebers, die Natur des Kran-
ken , seine Constitution und die aus dem ganzen Verlaufe und den Ursachen
hervorgehenden Eigenthümlichkeiten der Fieberart berücksichtigen. Im All-
gemeinen kann man annehmen , dass das Fieber um so bedeutender ist , je
heftiger und anhaltender der Frost und die darauf folgende Hitze erscheuien.
Alle Fieber mit örtlichen Entzündungen edler Organe: des Herzens, der
Jjunge, der Luftröhre, des Magens, des Gehirns, der Leber, Milz, Nieren
(^CardUis, Pneunwnia , Angina, Gastritis, Encephalitis, Hepatitis, Splenitis,
Nephritis) , also alle symptomatischen Fieber der Art oder richtiger alle Ent-
zündungen mit Fieber, sind gefährlicher als Fieber ohne entzündliche Com-
plicationen. Je unregelmässiger das Fieber erscheint, je stärker die Phan-
tasien, die Schlafsucht dabei sind, je mehr wir grosse Unruhe, Angst, Ver-
wirrung, Krämpfe, Ohnmächten, wahre Schwäche, heftige anhaltende
Durchfälle dabei bemerken , desto gefährlicher ist es. Schlimme Zeichen
sind: beständiges Irrereden, anhaltende Schlummersucht, grosse Schmerzen,
plötzliches Aufhören derselben mit Sinken der Kräfte, Röthe der Augen, ein
stierer, wilder oder sehr matter Blick, sehr trockne, schwarze, zitternde
Zunge, schwerer, röchelnder Athem , Härte, Zuiückgezogenheit und grosse
Empfindlichkeit der Magengegend, aufgetriebener Unterleib durch Luft
(Meteorismus), anhaltendes, schmerzhaftes, grünes, schwarzes Erbrechen
und solcher Durchfall u. s. w. Dass bei schwächlichen, vorher schon un-
gesunden, kachektischen , durch Alter, Krankheit und andere Ursachen er-
schöpften Personen, bei Schwangern, Wöchnerinnen, bei reizbaren Kindern
und Frauenzimmern , selbst einfache Fieber leichter gefährlich und bösartig
werden als bei andern gesunden Menschen, bedarf keiner Erwähnung. Doch
giebt es epidemische und contagiöse Fieber, wo Schwächlinge leichter durch-
FEBRIS 681
kommen als robuste und voHsaftJge Personen. Viele Fieber entscheiden sich
durch Krisen , denen fast immer manche scheinbar schlimme Zufälle voran-
gehen, deren Erkenntniss daher von Wichtigkeit ist. Dass aber auch Fie-
ber mit heftigem Froste und starker, mehrere Stunden anhaltender Hitze
nicht immer gefährlich sind, sondern oft den unbedeutendsten Mitteln wei-
chen, davon giebt uns die Intermittens den besten Beweis. Heute liegt viel-
leicht ein Bauer heftig krank daran nieder, er geht morgen zum Schulzen,
lässt sich das Fieber abschreiben und — es bleibt weg (s. Febris inter-
mittens). Solche Thatsachen müssen uns lehren, dass wir da, wo es
schlimm aussieht, nicht immer Gefahr ahnen und deshalb mit heroischen
Mitteln in den Kranken hineinfeuern ; auch gelinde Mittel vermögen oft recht
viel! — Kritische Ausleerungen der Fieber. Sie sind die Folgen
der schon im Innern des Körpers vorgegangenen Krisis oder Entscheidung
des Fiebers, oder, was seltener vorkommt, die Ursache der Entscheidung
und Besserung. Es würde falsch seyn anzunehmen, dass bei jedem Fieber
ein Fieberstoff obwalte, der die nächste Ursache des Fiebers sey und durch
die Krise aus dem Körper geschafft werde. Nur bei einzelnen Fiebern ist
dies der Fall; mag nun dieser Stoff Folge des Fiebers selbst und der Um-
Btimmung in der Production und Vegetation seyn oder nicht, mag er auch
nur in den seltensten Fällen die B'ieberursache abgeben, gegentheils häufi-
ger wol nur das Fieber unterhalten; genug, die Beobachtung am Kranken-
bette spricht dafür und beweist, dass ohne Stoffwechsel kein Fieber statt-
finden kann, sowie überhaupt im lebenden Organismus das Dynamische stets
das Materielle verändert, wie dieses schon die durch Gelnüthsbewegungen
Schnell veränderte Muttermilch beweist (s. Cacogalactia, Febris de-
purativa, Fermentati o). Oft aber ist dieser Stoffwechsel so zart, so
fein, dass er unsern Sinnen leicht entgeht und schwer zu entdecken ist.
Wir sehen deutlich, dass manche Stoffe im Fieber verhalten werden und
im Körper zurückbleiben , z. B. die Harnsäure im Fieberurin vor der Krise
( s. oben das vierte Stadium des Fiebers ) , woran vielleicht die Heftigkeit
der Fiebetbewegungen Schuld ist. — Die vorzüglichsten kritischen Auslee-
rungen sind: 1) Blutungen. Sie sind wahrhaft kritisch, wenn sie die
Folge übermässiger Erregung des Herzens und der grossen Gefässe sind;
sind daher stets wohlthätig bei entzündlichen, synochischen Fiebern und bei
jjngen, vollblütigen Subjecten, in den ersten sieben Tagen der Krankheit,
bei kräftigen Männern mit sanguinischem Temperamente, bei solchen Kran-
ken, wo unterdrückte Blutungen: Nasenbluten, Hämorrhoidalfluss , Men-
struation , vorhergingen , bei Personen , die flüchtige Reize : Spirituosa, Lei-
denschaften, auf sich wirken Hessen. Solche Blutungen können als kritisch
und wohlthätig betrachtet werden, theils, indem sie als allgemeine negative
Reize wirken, theils, indem sie das Entleerungsmittel übermässig gefüllter
Blutgefässe abgeben. Diesen günstigen Blutungen gehen folgende Zeichen
vorher: wogender, langsamer, oft doppelschlägiger Puls, heftiger Andrang
des Bluts zum Kopfe, Gesichtsröthe , Ohrensausen, Dunkelwerden vor den
Augen, Angst, Unruhe, Auffahren im Schlafe, Schwere und Jucken in der
Nase, oder Kreuzschmerzen, Leibweh etc., je nachdem der Ort der Blutung
verschieden ist. Während und nach der Blutung, wodurch ein natürlich aus-
sehendes Blut in massiger Quantität ausgeleert wird, fühlt sich der Kranke
sehr erleichtert, und es folgt meist ein angenehmer, ruhiger Schlaf. Es
giebt aber auch symptomatische, böse Hämorrhagien , welche das Zeichen
anfangender Paralyse sind. Hier ist der Puls sehr klein, schnell und weich,
der Kranke höchst matt und blass, und beim Nasenbluten tröpfelt nur sehr
langsam ein zu dünnes, dunkles, wässeriges, nicht gerinnendes Blut aus der
Nase. Die vorzüglichsten Blutungen sind: Nasenbluten, Hämorrhoidalfluss
und Menstruation. Kritisches Nasenbluten finden wir am häufigsten bei B'ie-
bern der Kinder, Weiber und solcher Personen, die viel mit dem Kopfe
arbeiten. Starkes Klopfen der Karotiden, der Arteria temporalis, drücken-
der Kopfschmerz, Nebel vor den Augen, rothes, heisses Gesicht, Jucken
der Nase, zuweilen auch Niesen, sind gewöhnliche Vorboten. Kritischen
682 FEBRIS '
Hämorrholdalfliiss bemerken wir meist bei Fieberkranken, ^ie sdion ober
SO Jahre alt sind, und weit häufiger bei Männern als bei Weibern. Vor-
boten sind: Brennen im, Kreuze, Jucken am After, Drängen zum Stuhlgange,
Schweisse in der Schamgegend, öfters auch Drängen zum Harnlassen. Die,
kritische INIenstruation tritt meistens dann ein, wenn die Fieberkrise ohnge-
fähr um die Zeit der Menses kommt. Vorboten sind: ziehende, dehnende.
Schmerzen in der Lendengegend, im Kreuze und Unterleibe, öfters Drängea
zum Harnlassen , Harnbreusen , Anschwellen der äussern Genitalien und an-
dere, dem Frauenzimmer bekannte Zeichen. Ausserdem können auch kriti-
sche Blutungen aus dem Magen, den Nieren, fast aus allen Organen, die
bei coraplicirten Fiebern mit leiden, entstehen. Verminderung der Fieber-
anfälle, Erleichterung und Ruhe sind stete Begleiter solcher wohlthätigen
kritischen Blutungen (s. Haem or r hagia). 2) Kritischer Schweiss.
Er tritt am Ende jeder Exacerbation am häufigsten ein. Vorher geht ein
Gefühl von Taubheit in der Haut , zuweilen ein Jucken , Prickeln darin.
Alsdann wird die Haut erst weich, gedunsen, später feucht, besonders zu-
erst in den Gelenkbeugen und am Halse; der Puls wird langsamer und vol-
ler und die Absonderung des Urins geringer; auch ist in der Regel Neigung
zum Schlafe da ; der Schweiss selbst ist warm und nur wenig klebrig. Ein
kalter Schweiss bei zusammengesunkener, nicht gedunsener Haut, wobei der
Puls sehr klein und frequent ist, giebt keine gute Krise ab, ist gar nicht
kritisch, sondern zeigt Gefahr und Verschlimmerung des Fiebers an. 3) Kri-
tischer Urin. Ist schon beim vierten Stadium des Fiebers erwähnt wor-
den. Er ist mehr qualitativ verändert als quantitativ verstärkt, sieht röth-
lich aus, die Wolke darin senkt sich, wird, wenn er ruhig steht, nach ei-r
nigen Stunden zum Bodensatze, der von weisslicher, gelblicher, röthlich-
brauner Farbe ist, zusammenhängt, kein bedeutendes Gewicht hat und über
welchem der Harn nicht stinkt. 4) Kritischer Durchfall. Wir beob-
achten diese Krise am häufigsten bei Fiebern mit hervorstechendem Leiden
des Darmcanals, wo die Zunge gelb belegt ist. Auch zu Anfange der Ma-
sern , des Scharlachfiebers ist er in den meisten Fällen ein gutes Zeichen,
und vermindert die Congestionen zum Kopfe, die Delirien und die Heftig-
keit des Fiebers. Vorboten sind: die trockne Zunge wird feucht, der Schleim
darauf löst sich, der Unterleib wird etwas gespannt, aufgetrieben, es ent-
steht Kollern und Kneipen im Leibe ; dabei eine gewisse Lahmheit in dea
untern Extremitäten und zuweilen ein aussetzender Puls. 5) Kritisches
Erbrechen. Ist bei manchen gastrischen Fiebern höchst wohlthätig. Ein
Gefühl von Kälte, Schauder, Zittern der Lippen, kalte Schwelsse an dex
Stirn, Schwindel, Ekel, Drücken, Beklemmung in der Magengegend, und
ein langsamer, aussetzender Puls gehen als Vorboten dieser wohlthätigen
Krise fast immer vorher. 6) Kritischer Speichelf luss. Ist eine sel-
tene Krise, die wir nur bei Pocken- und Fieckfiebern als wohlthätig be-
trachten , die aber auch beim Mercurialfieber als kritisch angesehen werden
kann, da mit völlig eingetretener Salivation dieses Fieber an Heftigkeit je-
desmal verliert (s. Febris salivalis). 7) Kritische Sputa aus den
Lungen. Werden nur bei Lungenentzündungen kritisch beobachtet (s. In-
flammatio pulmonum). 8) Hautentzündungen als Krise. Ära
9ten, Uten Tage der Krankheit zeigen sich bei manchen Fiebern kleine
Ausschläge an den Lippen , auch wohl kleine Furunkeln im Gesichte , am
Halse, leichte Entzündung der Parotiden oder anderer Drüsen am Halse,
welche als kritisch zu betrachten sind, wenigstens ein sicheres Zeichen von
wirklicher Verminderung des Fiebers geben. 9) Oedema pedum als Krise.
Ist höchst selten wahrhaft kritisch. Bemerken wir, dass bei Zunahme des
Fiebers plötzlich die Füsse anschwellen , so deutet dies auf bald eintretende
allgemeine Wassersucht. Übrigens finden wir am Ende der Fieber häufig
geschwollene Füsse, wo die Geschwulst nicht kritisch ist, sondern als Folge
der abhängigen Lage der untern Extremitäten und allgemeiner Schwäche
betrachtet werden muss. — Nicht alle Fieber entscheiden sich durch solche
Krisen; viele verschwinden allmäüg ohne dieselben (per Lysin), z. B.
FEBRIS 683
manche reine Nervenfieber. Je mehr ein Fieber das Gefasssystem heftig er-
regt hat , je stärker z. B. der Hautkranipf und je heftiger der Frost war,
desto stärkere und deutlichere Krisen werden erfolgen. Die Krisen zeigen
sich daher am meisten bei entzündlichen, inflammatorischen Fiebern und ge-
ben somit mehr Licht über den Charakter des Fiebers, als über seine Hef-
tigkeit; denn ein gewöhnliches Katarrhalfieber kann z. B. eine recht tüch-
tige Krise erregen, dagegen entscheiden sich die schwersten Nervenfieber
meist immer per Lysin , oder wenigstens durch solche Krisen , die , weil sie
undeutlich auftreten, oft übersehen werden, z. B. durch unbedeutende Ex-
antheme mit darauf folgender Desquamation und theilweisem Verlust der
Kopfhaare, durch gelinde Diarrhöen etc. Cur der Fieber im Allge-
meinen. Obgleich es keine allgemein gültige, für alle Fieber passende
Curmethode geben kann, da die Fieber ihrem Charakter und den Ursachen
nach sehr verschieden sind; so giebt es doch ein ärztliches Verfahren, das
in der Regel zu Anfange aller fieberhaften Krankheiten passend ist und am
Krankenbette , laut der täglichen Erfahrung, das meiste Heil bringt. Dieses
Verfahren beruhet auf dem Grundsatze: ,, bei jedem einfachen Fieber sich
mehr negativ als positiv zu verhalten, und bei den verwickelten heftigem
Fiebern zu Anfange ja kein Arzneimittel ohne gehörige Indication anzuwen-
den , kein Fieber aus wahrer Schwäche anzunehmen und lieber etwas Un-
wirksames oder gar nichts, als reizende eriiitzende Mittel zu verordnen."
Vor dem letztem MissgrilTe können Anfänger nicht genug gewarnt werden.
Es giebt bei uns keine primär asthenischen, nervösen, putriden Fieber bei
früher gesunden Naturen, und auch die ganze Gattung von Fiebern, wel-
che wir Nervenfieber nennen , sind zu Anfange der Krankheit nichts
•weniger als Schwächefieber. Sie verlaufen nach meiner Erfahrung da oft
am glücklichsten, wo gar kein Arzt hauset, wo die Armuth wohnt, die kei-
nen Arzt bezahlen will. Die allgemeine Behandlung der Fieber muss höchst
einfach seyn. Folgende Punkte werden dies näher erörtern: 1) Jeder Fie-
berkranke verhalte sich ruhig und still, spreche nicht viel, athme reine
Zimmerluft, Aermeide Erkältung, verweile in einem Zimmer, das dem Lichte
zugänglich, nach Süden gelegen, und im Winter nicht zu stark, nicht über
12° R., geheizt ist. 2) Tritt der Fieberfrost ein, so muss sich der Kranke
zu Bette begeben, sich massig warm zudecken und etwas warmen Thee
von Flor, sambuci, auch wohl mit etwas Zucker und Succus citri vermischt,
trinken. 3) Alle hitzige Speisen und Getränke sind bei Fieberkranken in
den ersten acht Tagen der Krankheit, wenigstens bei allen Fiebern in un-
serer Gegend, deren Charakter der Regel nach mehr oder weniger entzünd-
lich ist, höchst schädlich. Daher müssen Kaffee, Bier, Branntwein, Wein,,
Rum, Fleischspeisen, Eier, Mehlspeisen, frisches, grobes oder schlechte.-i
Brot , vermieden werden. Strenge Vermeidung aller reizenden , erhitzenden.
Arzneien giebt am Krankenbette, nach meiner Erfahrung, das grösste Glück.
Die Idee, dass gesunde Menschen schon in den ersten Tagen der Kri^nkiieit
an einem Fieber mit wahrer Schwäche leiden könnten, ist falsch. Dass die-
ses aber bei ungesunden, kachektischcn Körpern, bei Personen mit Dyskra-
sien , bei Säufern , bei zarten , sensibeln Frauenzimmern , besonders wenn
solche im Wochenbette liegen, der Fall seyn könne, leidet auch keinen
Zweifel. Hier führen selbst gelinde Antiphlogistica leicht einen Collapsus
herbei (s. Delirium tremens). Dies sind aber corrumpirte Fälle und
Ausnahmen von der Regel. 4) Doppelt schädlich sind alle hitzige Getränke
im Fieberanfalle, sowol in der Periode des Frostes, als in der Hitze; sie
können heftige und tödtliche innere Entzündungen erregen. Dieselben Nach-
theile führen die reizenden, erhitzenden Arzneien: Opium, Kampher, Vale-
riana, Serpentaria etc. herbei. Der Mensch darf im Fieberanfalle ganz und
gar nichts essen; mu.ss dagegen recht viel trinken: in der Zeit des Fieber-
frostes warmen Thee, in der Zeit der Fieberhitze kühlende Getränke, um
den Durst zu löschen. Hier ist, wenige Fälle ausgenommen, reines, fri-
sches Quellwasser, das weder gekocht, noch erwärmt, im Winter nur ein
paar Stunden im warmen Zimmer aufbewahrt werden muss, das allerbentc
684 FEBRIS
Getränk. Auch Zuclcerwas.SfT mit CitroiiPiisafl , Limonade , Obstbruhen,
Haferschleim, Brotwasser sind passend. Der Kranke darf, sollten heftige
Durchfälle nicht contraindiciren, recht viel von diesen Getränken trinken,
and er muss öfters dazu aufgefordert werden. Zur beliebigen Auswahl und
um abzuwechseln, da einerlei Getränk dem Kranken oft zuwider wird, die-
nen folgende in Richter^s Therapie angegebene, sehr passende Fiebergetränke:
I^r Rad. scorzover. , Pnssnlnr. minor, ana 5Jjj , Hord. decorticat. , Rnd. liqui-
rit. ana g)y, Conc. contus. coq. c. Aq. fontnnne S)iv, Col. refrig. adde Syr,
gucci citri 5JJ. M. S. Zum gewöhnlichen Getränk. I^ Hordei decortic. (1!ord,
perlat. , Aven. decort.} jjj , Coq. c. Aq. fontnn. Sv. p. V2 Jiorne. Col. adde
Succ. citri rec. expr. '5i\s , Sncch. hordei 3J. M. S. Vt prim. ^' Aqune fon~
tan. decoct. puriss, ffiv, Acet. vini seu Succ. citri gjjj, Syr. ruh. id. ^jj. S.
IJt prius (sehr kühlend). R; Roob. ribium s. cerasorum s. herber, s. moror.
^, inftmd. c. Aq. fcrvid. fijj — jjj. Stent ad sohtt. adde Succ. citri q. s. ad
grat. sapor. (für Damen). Bei Neigung zu Durchfällen passen folgende drei
verschiedene Formeln zu Getränken : I^f Sem. milii decoct. , Oryzac coniritae ,
ana 3J, Aqune fontan. ßv. Coq. per Y4 hör. Col. adde Sacch. nlbi q. p.
R Amygdal. dulc. excort. 3vj, Sem. papav. albi 5jjj t^re c. Aq. fontan. pur~
u], cui adde Syrup althaeae ^fy. I^ Ras. cornu cervi 5)^, Gxim. mimos.
3Jj > f^oq c. Aq. fontan. ßjjj , ut remaneant ffijj , col. adde Syr. althaeae §jj.
Ist Neigung zu Verstopfung da, so passen folgende Ptisanen : I^' Crem. tart.
BJi i infund. c. Aq. fönt, fervid. fi jj , Stent ad solut. , sub fin. adde Pulv. rad.
Uquirit. 3.ilv» col. adde Conserv. ros. ^vj. ^; Crem. tart. jjj, Passul. major,
contus. §ijf\, infunde c. Aq, fönt. ferv. fe'iv, ebnll. paulisper. Cola. ^< Pulp.
tamarind. 5IV, Post, althaeae 3JJ , infund. c. Aq. fönt, fervid. fijj, stent ad
eolut. Cola. 5) Hat ein Fieberkranker binnen 24 Stunden keine Leibesöff-
nung gehabt, so lasse man ihn nicht blos die zuletzt genannten Fieberge-
tränke ad libitum trinken, sondern man verordne auch ein eröffnendes Kly-
stier (s. Clysma aperiens). Ausserdem beobachte man eine sparsame,
wässerige, kühlende Diät. Arzneien bedarf es zu Anfange der gewöhnlichen
einfachen Fieber gar nicht. Richter sagt (Spec. Therapie Bd. L) mit Recht:
„Da sich im Anfange alle Fieber gleich sind und die durch Einwirkung der
Fieberursache erzeugten Zufälle des Reizes allein bemerkt werden, so sollte
man eigentlich so lange gar keine Arznei verordnen , bis sich eine deutliche
Indication zeigt. Um indessen den Kranken nicht ohne Recept zu lassen,
verordne man ein Mittel, welches gelind alle Absonderungen, besonders die
der Haut, befördert, kühlt und den Krampf im arteriellen System löst."
z. B. ^l Kali carbon. pur. 3^, Succ. citri q. s. ad saturationem , Aq. flor.
sambuci 3J^)j, Tart. emetici gr. j, Syr. cernsnr. 3J. M. S. Zweistündlich einen
Esslöffel voll. Ist aber ein Fieber sehr heftig und mit Localentzündungen
complicirt, dann erfordert es allerdings kräftige Mittel, 'Antiphlogistica etc.
(3. Inflammatio, Scarlatina, Variolae, Morbilli etc.). 6) Sobald
sich die Vorboten irgend einer wohlthätigen Krise einstellen, suche man letz-
tere durch zweckdienliche Mittel zu befördern, und störe sie gar nicht; z.B.
solches Nasenbluten und solche Diarrhöe dürfen nicht gestopft, solche
Schweisse durch ein kühles Verhalten nicht unterdrückt werden. 7) Höchst
wichtig ist noch die Regel, zur Zeit der Kri.sen , bei den Vorboten dersel-
ben , ein bis zwei Tage lang gar keine Arzneien zu geben , damit die be-
vorstehende Krise nicht gestört werde. Will sich z. B. das Fieber durch
Schweiss entscheiden, und man giebt eine Laxanz, so verdirbt man da.s,
was die Natur gut machen wollte. Überhaupt steht man sich bei allen
activcn, sich durch Krisen entscheidenden, nicht zu schweren, also der Hef-
tigkeit nach mittelmässigen Fiebern am besten , wenn man sich mehr passiv
verhält, weil hier ein gutes diätetisches Verfahren die Hauptsache ausmacht.
Von den einzelnen Fieberarten. Alles, was die Fieber im Be-
sondern betrifft, wird hier abgehandelt werden; da aber die Fiebereinthei-
hingen , deren zum Theil schon oben gedacht worden, oft auf unwesentli-
chen Dingen beruhen und daher ausscronlentlich viele Fiebernamen entstan-
den sind , wovon oft sehr viele auf ein und dasselbe Fieber zu gleicher Zeit
FEBRIS 685
passen, so will ich auch in den Beiwörtern die alphabetische Reihefolge bei-
behalten und hier nur soviel bemerken, dass ich als Hauptarten folgend«
Fieber statuire : Fehris inftammaiorxa . F. nervosa, F. neuropalhica , F. pu-
trida, F. tffistrica {saOurralis, biliosa, verminosa, pituitosa), F. intermittens
und F. hecHca ; ausserdem aber bei den gleichbedeutenden Benennungen auf
den gebräuchlichsten Namen, unter welchem ich das Fieber abgehandelt habe,
verweisen werde. Wenn ich blos auf Febris hinweise, so deutet dies an,
dass der Name schon unter der Abhandlung von dem Fieber im Allgemei-
nen vorgekommen und seiner Bedeutung gedacht worden ist.
Febris ahdominalis , splanchriica (^ Achermann'). Ist eine ungewöhnlich«
Benennung für das gastrische Fieber; s. Febris gastrica.
Febris acuta, acutissima, das hitzige und das sehr schnell verlaufend«
Fieber. Enteres kann 21 Tage, letzteres nur 2 — 3 Tage währen; s. Acu-
tus morbus.
Febris adenosa, Drüsen fi eben So hat man wol die Pest und jede«
bösartige Fieber genannt; s. Febris nervosa, putrida, Pestis.
Febris adynamica, Schwächefieber, s. Febris asthenica.
Febris aestiva emopaea, europäisches Sommerfieber, s. Febris inter-
mittens.
Febris alba. Ungewöhnliche und ältere Benennung für Bleichsucht; s.
Icterus albus.
Febris aniatoria, Liebesfieber. Auch so hat man die Bleichsacht
wol genannt, besonders wenn ein Schwächefieber, Febris hectica, hinzutritt;
s. Icterus albus.
Febris amphemerina, das tägliche kalte Fieber, s. Febris inter-
mittens quotidiana.
Febris amuia, Jahresfieber. Es herrscht zu einer bestimmten JaV
reszeit, entweder im Frühling (Febr. vernalis), oder im Herbste {Febr. au-
lumnalis), oder im Sommer (^Febr. aesHva) oder im Winter (^Febr. hijemalis).
Sein Charakter ist sehr verschieden und diese Eintheilung giebt uns darüber
allein keine Auskunft ; bald ist er stark entzündlich , bald katarrhalisch,
rheumatisch, gallig u. s. w. (s. Febris und Co ns ti tutio).
Febris auoinala, ist ein Fieber ohne festen Typus (s. Febris), wie
dies bei nervösen und Nervenfiebern am häufigsten der Fall ist.
Febris anlicipans und postponens. Ist ein Fieber mit Typus anticipan«i
oder postponens, wie dies bei der Febr. intermittens öfters vorkommt. Der
erstere Typus giebt eine bessere Prognose als der letztere (s. Febris).
Febris aphtliusa, das Aphthe ufi eher. Ist eine Abart des Nerven-
und Faulfiebers, das aus einem Gallenfieber entstand, und wobei die Aphthen
mitunter etwas Wesentliches sind (s. Febris putrida, B'ebr. neuro-
pathica),
Febris ardens, Causus, das Brennfieber. Galen nennt so die Febris
intermittens tertiana. Neuere verstehen darunter ein heftiges Bntzündungs-
fieber, eine Synocha im höhern Grade, wo brennende Hitze, sehr starker
Durst und Leberafiectionen zugegen sind (s. Febris inflammat oria).
Viele verstehen auch darunter die Synocha nervosa, wobei bekanntlich eine
hohe Temperatur des Körpers stattfindet. Ältere auch das Gallenfieber (s.
Febris biliosa).
Febris arieriosa, Febr. vasorum, Febr. cardiaca Ackermanni, Gefäss-
fieber. Ist ein solches Fieber, wo der Sitz besonders im Herzen und den
grossen Gefässen ist, also unser hypersthenisches , stark entzündliches Fie-
ber, unsere Synocha sanguinea, welche die neuern Franzosen Arteriitis,
Arterienentzüudung nennen und ganz aus den Fiebern wegstreichen. Da
wir aber dieses Fieber leichter als die etwa vorhandene Arteriitis erkennen
können, welche letztere nur die Section aufhellet, so bleiben wir in diesem
Handbuche dem alten Namen getreu und nennen es entzündliches Fieber
(s. Febris infl ammatoria), ohne deswegen eine dabei etwa stattfin-
dende Arteriitis, die doch wol nicht immer die nächste Ursache, sondern
oft auch Folge dieses Fiebers seyn mag, im geringsten zu leugnen.
686 'FEBRIS
Fehris asodes, Gallenfieber, s. Fcbris biliös a.
Febris asthenica, das asthenische Fieber. Ist dasjenige Ding, das
zur Zeit des Brownianisinus in Deutschland soviel in den Köpfen der Ärzte
gespukt hat und sie verleitete, recht tüchtig mit Wein, Valeriana, Arnica,
Serpentaria, Kampher etc. zu excitiren und dadurch Tausende von Fieber-
kranken ins Grab zu stürzen, die nach meiner Überzeugung gerettet wor-
den wären, hätten sie gar keine ärztliche Hülfe gehabt. Ein ursprüngliches
Schwächefieber (Febris asthenica seu adynauüca primaria) giebt es gar nicht;
dass indessen bei vorhandener wahrer Schwäche ein jedes Fieber leicht asthe-
nisch werden, d. h. die schon vorhandene Schwäche noch vermehren könne,
ist leicht zu begreifen, erklärt aber, wie Sundeliti ganz richtig sagt, kei-
neswegs das ursprünglich asthenische Fieber. Dass wir ferner bei den Fie-
bern schwächlicher, vorher schon ungesunder Naturen, wenn auch der Cha-
rakter des Fiebers entzündlich ist, nicht in dem Grade schwächen dürfen
wie bei andern robusten Personen, ist bekannt; es giebt hier Zustände, wo
wir weder schwächen noch reizen dürfen , z. B. beim eigentlichen Nerven-
fieber , und dennoch würde es höchst einseitig seyn , hier ein asthenisches
Fieber anzunehmen. Die Zeichen der wahren Schwäche bei Fiebern sind
bekannt (s. Adynamia). In diesem Sinne kann jedes Fieber in seinem
Verlaufe asthenisch werden. Dies ist besonders der Fall, 1) wenn die in-
tiammatorischen Fieber und die damit meist immer verbundenen Localent-
zündungen nicht streng genug antiphlogistisch behandelt wurden; 2) wenn
die schwächende Methode übertrieben worden war; 3) wenn man reizende,
erhitzende , sogenannte stärkende Mittel in der falschen Voraussetzung , von
Asthenie anwandte , wodurch erst eine sogenannte indirecte Asthenie hervor-
gerufen wurde. Die Eintheilung der Fieber nach Brown'schen Grundsätzen
in hypersthenische und asthenische ist für die Praxis, wie schon oben be-
merkt worden, sehr nachtheilig gewesen. Ebenso nachtheilig ist der falsche
Grundsatz, dass nervöse Fieber, Nervenfieber und Typhus, diese drei schon
unter sich wesentlich verschiedenen Krankheiten , asthenische Fieber wären.
Ich statuire nur solche Fieber letzterer Art, die es in ihrem Verlaufe unter
besondern Umständen, vorzüglich durch ein tiefes Leiden des Nervensystems
und darauf folgende Entmischung der Säfte, zumal des Blutes, werden.
So ist mir ein jedes ausgebildete Faulfieber, wenn die erste Periode des
Reizfiebers vorüber ist und alle Zeichen der Fäulniss, daneben ein grosser
CoUapsus vasorum, da sind, ein asthenisches Fieber (s. Febris putrida).
Wo dieses nicht der Fall ist, da hüte man sich ja, wahre Schwäche anzu-
nehmen ; denn nichts ist täuschender als das subjective Gefühl von Schwä-
che bei Fieberkranken und der sogenannte schwache Puls. Man beobachte
solche Kranke zu verschiedenen Tageszeiten und schon der Wechsel der Zu-
fälle , der Wechsel der Gefühle wird uns lehren , dass Schwäche hier kein
constantes Symptom ist. Ausserdem ist auch die Meinung, wirkliche Schwä-
che durch flüchtig reizende Mittel , durch Wein , Kampher, Serpentaria etc.
beben zu können, höchst falsch und einseitig. Solche Mittel sollen uns nur
dazu dienen , den Weg für die permanent stärkenden ftlittel : bittere Ex-
tracte, China, Nutrientia zu bahnen. Wenden wir sie anhaltend an, so
wird der Kranke dadurch immer schwächer, immer reizbedürfiiger, ebenso
wie der Säufer, der immer grösserer Dosen von Spiritiiosis bedarf und des-
sen Körper dennoch immer schwächer wird^ so dass CoUapsus vasorum und
Delirium tremens erfolgt.
Febris alrnbilaria, schwarz- galliges Fieber. So nennt Gate»
das viertägige Fieber (s. Febris intermittens quartana), welches die
alten Ärzte bekanntlich von der schwarzen Galle ableiteten. Andere ver-
stehen darunter ein secnndäres gastrisches Fieber, was die Neuern auch wol
venös -gastrisches Fieber nennen (^Grant, Bcrcnds).
Febris ati/picn, nlactica , crraticn. Ist ein Fieber ohne festen Typus,
also identisch mit Febris anomala (s. Febris). Das Wort atypisch wird
auch häufig füi* Febris nervosa, maligna genommen , deren Charakter nichts
Typisches hat (Uufehmd).
FEBRIS a87
Febüs 6(Wi</nrt, das g^iitarti^e Fieber, im' Ge^nsatze zu dem bösar-
tigen (FeUris maligna). Bei der benigna zeigen die Symptome gar keine, bei
der maligna viel Gefahr an. Da jedes gutartige Fieber durch zufällige Um-
stände bösartig werden kann, so lässt sich kein feststehendes Kriterium der
Bösartigkeit auffinden, und deshalb verwarf schon Sydenham mit Recht diese
Eintheilung. „Jedes heftige, grosse Fieber kann leicht gefährlich, also bös-
artig werdön , sagt Berends (Worles. von SundeUn Bd. II. S. 76). Einigt)
suchen das Kriterium der Bösartigkeit in einer Neigung zur Zersetzung der
organischen Substanz , welche bei einigen Fiebern sehr bald hervortritt
Andere in der contagiösen Natur, oder in einem bald hervortretenden Dar-
niederliegen der Kräfte ; wieder Andere in dem Hervortreten ganz ungewöhn-
licher Symptome oder in einer täuschenden Gelindigkeit, aus welcher plötz-
lich die bösesten Symptome und die grösste Gefahr hervorgehen. Allen die-
sen Bestimmungen liegt allerdings etwas Wahres zum Grunde, allein es ist
dennoch nicht hinreichend, um die bösartigen Fieber als ein eigenes Ge-
schlecht hinzustellen." Berends macht mit Recht darauf aufmerksam, dass
die Fäulniss so wenig wie die Contagiosität das Kriterium der Bösartigkeit
sey, obgleich ältere Ärzte das Faulfieber schlechtweg Febris maligna nen-
nen, sowie es denn auch sehr gutartige contagiöse Fieber, z. B. manche
Blattern- und Masernfieber, geben kann. Er nennt aber ein solches Fie-
ber besonders bösartig, das einen unregelmässigen Verlauf mit Symptomen«
die unter sich nicht übereinstimmen, nimmt. Aber auch dies ist kein siche-
res Kriterium; denn bei solchen Fiebern tritt zuweilen selbst sehr schnelia
Genesung ein, wie dies bei den nervös - erethistischen Fiebern der Wöchne-
rinnen, bei der sogenannten Febr. puerperalis incipiens oft der Fail ist (Mos// 1
\ogel sagt (Handb. d. prakt. Arzneiwissenschaft Th. I. S. 17): „Gutartige
B'ieber nenne ich solche, die an sich betrachtet keihe ungewöhnliche und
gefährliche Zufälle begleiten , und bei sonst gleichen Umständen unter einer
guten und der Krankheit angemessenen Behandlung einen guten Ausgang zu
haben pflegen. Bösartige sind diesen entgegengesetzt. Diesen möchte ich
noch einen dritten Zustand lünzusetzwi, wo gute uhd schlechte Zeichen so
mit einander vermischt sind, dass sie einander gleichsam die Wage halten
und dass aus dem Umfange aller Umstände weder für das Eine , noch für
das Andere etwas Bestimmtes fliesst. Übrigens können, nach meinen Be-
griffen, Gut- und Bösartigkeit in einander übergehen." Logisch richtiger
würde es seyn, wenn wir keine Febris benigna und maligna statuirten, son-
dern dafür die Ausdrücke: „Fieber mit laichten gefahrlosen Zufällen, oder
mit schweren, bedeutenden Symptomen" wählten, wobei wir denn ganz be-
sonders auf unserer Hut seyn müssen, scheinbar gefährliche Zufälle (man
denke an den epileptischen Insult) von wirklich Gefahr bringenden genau
und streng zu unterscheiden.
Fehris hiliosn, pohjchalicn, Sijnochits hiliosiis, Febr. asodes ^ Febr. cko-
lerica (^HofJ'mnnn^, Febr. mesenicrica (^Baißwi), Febr. gastricn i^Ballonim'),
Febr. intestinalis {Riedel, Heister), Febr. nrdens, Cmtsus der Altern, Febris
hejmtica Richteri, das Gallenfieber. Ist ein solches Fieber, wobei eine
vermehrte Gallenabsonderung entweder als Ursache oder als begleitendes
hervorstechendes Symptom, das oft erst im Verlaufe des Fiebers erscheint,
zugegen ist. Diese vermelirte Gallensecretion hat wieder ihren Grund in
einer krankhaften Reizung und Vollsaftigkeit der Leber , die bald idiopa-
thisch, bald sympathisch, vom Gehirn ausgehend, seyn kann. Zur Zeit
des in Deutschland herrschenden Gastricismus, jener Lehre, deren Repräsen-
tanten ein Tissot, Stoll, Richter und zum Theil auch Voyel waren, dehnte
man das Gebiet der gastrischen Fieber, worunter die Febris biliosa gehört,
sehr weit aus; daher ist es nothwendig, verschiedene hierher gerechnete
Fieberzustände genau zu unterscheiden. 1) Häufig ist von altern und neuern
Ärzten jedes heftige inflammatorische Fieber, besonders die Synocha nervosa
mit bedeutenden Hirnaffectionen, die sympathisch die Leber in t Mitleiden-
schaft ziehen, unrichtig erkannt und mit dem Namen Febris biliosa inflam-
matoria benannt worden. Auch- hat man Hepatitis nicht selten für Gallen-
688 FEBRIS
fieber gehalten. Diese Zustände sind aber sehr Tefschiedan. Bei FebrU
biliosa ist die Leber nur in einem gereizten, nicht entzündeten Zustande,
und die Synocha nervosa, die häufige Begleiterin der Encephalitis, unter-
scheidet sich hinreichend von dem eigentlichen Gallenfieber dadurch, dass
die gastrischen Zeichen gleich zu Anfange der Krankheit nur unbedeutend,
dagegen die Symptome der Kopfaffection hervorstechend sind. Berends sagt
(Vorles. Bd. II. S. 212): ,,Das Gallenfieber kann sich unter mancherlei
Krankheitsformen verstecken und kann als Encephalitis biliosa, als Gastritis,
Hepatitis biliosa, als Apoplexia biliosa. in Form von Krämpfen (Convulsio-
nes biliosae) , selbst als Amaurose , als Angina , Pneumonie , Pleuritis , als
Haemoptysis und Dysenteria biliosa auftreten ; acute und chronische Exan-
theme können ebenfalls den galligen Charakter haben. Auch Erysipelas,
Urticaria sind nicht selten biliös, ja es giebt auch gallige Flechtenaus-
Bchläge. Dergleichen verlarvte gallige Krankheiten kommen besonders in
gewissen Jahren vor, wo der gallige Genius epidemisch oder als stationäre
Krankheit herrscht." Allerdings liegt hierin für den Praktiker viel yVc.hre8.
Es giebt Zeiten, wo Leber- und Gehirnaffectionen zu jedem Fieber kom-
men können, desgleichen zu den acuten Exanthemen, zu Innern Entzündun-
gen, sowie auch die chronischen Hautausschläge und die Rose mit der Le-
berfunction fast immer in Verbindung stehen , daher auch Rust mit Recht
die ächte und falsche Rose unterscheidet (s. Erysipelas und Pseudo-
Brysipelas). In solchen Zelten entscheiden sich fast alle Fieber und Ent-
zündungen durch Leber- und Darmkrisen, so wie das Gallenfieber, aber
deswegen hat man noch kein Recht, jene Fieber und Entzündungen biliös
zu nennen, so wie es auch höchst falsch seyn würde, sie gleich anfangs mit
Brech - und Purgirmitteln zu behandeln und die oft höchst nöthlgen Blut-
ausleerungen und andern Antiphlogistica zu versäumen oder nicht vorherge-
hen zu lassen, wenn anders die Zeichen wiiklicher heftiger Entzündung,
nicht blos entzündlich - gallige Affectionen oder Reizungen neben dem Fieber
da sind. Im letztern Falle sind gelinde Brechmittel, Digestiv- und Purgif-
mittel hinreichend und auch indicirt; ja alle kühlende Salze, die diese Wir-
kung nicht haben, vermögen hier nicht so viel als kühlende Purgirsalze,
Sundelin sagt mit Recht in s. Anmerk. zu Berends' s Vorles. Bd. II. S. 212:
„ Man muss jene entzündlich - galligen Affectionen oder Reizungen , w eiche
der antiphlogistischen Behandlung keinesweges weichen , sondern nur erst
aufhören, wenn die Leber- und Darmkrise eingetreten ist, und deshalb den
Gebrauch der Digestiv-, Brech- und Purgirmittel erheischen, keinesweges
mit denjenigen symptomatischen Entzündungen verwechseln, welche in den
die kritischen Ausleerungen übernehmenden , und zu diesem Zweck von der
Naturkraft zu einer höhern, leicht excedirenden Thätigkeit angeregten Se-
cretionsorganen , in der Leber und im Darmcanal , entstehen und allerdings
örtliche Blutentziehungen, versüsstes Quecksilber und besonders Blasenpfiaster
erheischen," (Diese Zustände hat man wol Hepatitis chronica, Gastritis
chronica etc. genannt.) „Von beiden wieder verschieden sind die, in Folge
der Reizung der ersten Wege von den abgelagerten scharfen Stoffen ent-
stehenden, entzündlichen Affectionen der ersten Wege. Sie indiciren, nebst
einer möglichst raschen Ausleerung, ein demulcirendes Verfahren." Ganz so
beobachtete ich die sogenannten nervös -galligen Fieber, welche hier, in
und um Rostock, im Jahre 1829 epidejnisch herrschten, und wobei oft
vierzehn Tage, lang Durchfälle stattfanden. Ich gab anfangs ein Vomitiv,
nachher stets Emulsionen: Emuls. amygdalar., papaver. albi etc., meist ohne
allen andern Zusatz, zuweilen mit Natrum nitricum vermischt (s. Dysen-
teria), und rettete dadurch Personen, die schon Tage lang im Delirium
blandum und Sopor gelegen hatten. Alles heftige, active Verfahren war
nachtheilig, wie mehrere hiesige Ärzte leider! genug haben erfahren müssen.
2) Wir unterscheiden in der Praxis mehrere verschiedene Zustände von Gal-
lenfieber : a) Febris n coJIuvie biliosa ortn. Ist zu Anfange ein blosses Sa-
burralfieber, von Polycholie, von zu reichlichem Erguss der Galle in den
Magen und Zwölffingerdarm entstanden. Symptome. Gleich anfangs gelb
FEBRIS 689
belegte Zunge, bitterer Geschmack, Ekel vor Fleischnahrung, Brennen im
Mastdarm, trüber hochgefarbter Urin, grüne, dünne Stuhlgänge; die Krank-
iieit kommt sporadisch vor bei Subjecten, welche an Polycholie leiden.
Ursachen. Werden unten angegeben werden. Cur. Zuerst ein Vomitiv
aus gr. jj Tart. emet. und 5j Crem. tart. ; ist schon spontanes Erbrechen
erfolgt, so ist lauwarmer Chamillenthee, in Menge getrunken, sehr gut.
Nachher giebt man milde bittere Extracte : Extr. taraxaci , graminis mit
Tart. depur. , Crem, tartari etc. b) Febris liliosa secundaria, Febr. humo-
ralis, venosa der Alten, Febris hepaiica Richteri. Dieses Fieber ist das
wahre Gallenfieber und nicht so leicht als das vorige Fieber zu heilen.
Symptome. In den ersten Tagen der Krankheit oft kein Zeichen von
Gallenergiessung in den ersten Wegen; denn die Schärfe der Galle hat ei-
nen krampfhaften Zustand in den Gallengängen erregt, wodurch die Aas-
leerung der Galle in den Darmcanal verhindert wird (Äic/t/tr). Die Zunge
ist rein, die Präcordien sind frei, obgleich wol selten der bittere Geschmack
fehlt (^Berends). Das Fieber beginnt mit bedeutendem Froste , worauf an-
dauernde staike Hitze folgt; dabei heftiger, wüthender Durst, starker
Kopfschmerz , häufig mit Delirien und vorzüglich im Vorderkopfe. In vielen
Fällen sind die gastrischen Symptome aber schon gleichzeitig da: bitterer
Geschmack , gelbliche Gesichtsfarbe , übelriechender Athem , gelb belegte
Zunge, hochgefärbter Urin, der Leinwand safrangelb färbt und durch Zu-
satz von Acid. muriat. einen grünen Niederschlag (Zeichen von Gallenge-
halt) bildet. Die Fieberhitze ist brennend, der Puls breit, voll und weich,
zuweilen aussetzend , die Wangen färbt eine umschriebene , ins Gelbliche
spielende Röthe, ähnlich dem Minium rubr. , die Herzgrube ist geschwol-
len und schmerzhaft, zuweilen pulsirend. Die gelbliche Färbung erscheint
auch im Weissen des Auges , in den Mundwinkeln ■, an den Nasenflügeln.
Häufig stellt sich bitteres Aufstossen und galliges Erbrechen ein. Es er-
folgen heftige Schmerzen in den Hypochondrien, Brust- und Seitenstiche,
Auftreibung des Unterleibes , Obstructio alvi oder symptomatische Diarrhöe.
Das Fieber ist des Vormittags am heftigsten, sein Charakter am häufigsten
entzündlich, in seltenern Fällen und bei verkehrter Behandlung wird er
später faulig ; die Krise erfolgt durch galliges Erbrechen und Purgiren.
Heftiger Kopfschmerz, Ohrensausen, verstärkte Speichelabsonderung, Locker-
werden des Zungcnbelegs, häufige Schauder zeigen den Turgor nach Oben
an und indiciren zu einem Vomitiv ; Schwere und ziehende Schmerzen in
den Schenkeln, Kolikschmerz, intermittirender Puls deuten auf den Turgor
nach Unten. Meist folgt zuerst Erbrechen, später Durchfall. Die Auslee-
rungen sind bald dünn , bald dicker an Consistenz , sind gelblich , grünlich,
schwärzlich und zuweilen so scharf, dass sie Magenkrampf, Brennen im
Halse, Wundseyn des Afters, selbst Enteritis erregen können. Die Gene-
sung erfolgt nach hinreichenden durch Natur- oder Kunsthülfe hervorgeru-
fenen kritischen Darmausleerungen oft sehr schnell. Erfolgen diese Krisen
nicht, so stellen sich Brustschmerzen, trockner Husten, Zeichen von fal-
scher Pneumonie und Pleuritis ein. Ein reichlicher rother Bodensatz im
Urin und ein allgemeiner duftender Schweiss sind auch als kritisch heilsam
zu betrachten. Ursachen des Gallen fi eher s. Sind im Allgemeinen
dieselben der Gallenruhr (s. Cholera). Die Krankheit ist oft epidemisch,
oft endemisch; sporadisch erregen sie heftige Gemüthsbewegungen, grobe,
schwer zu verdauende Kost, Ubermass im Genuss der Spirituosa, verschie-
dene Gifte. „Endlich entsteht, sagt Berends, das Gallenfieber auch con-
sensuell vom Gehirn aus durch Hirn reizun gen , Hirnentzündung, Kopfver-
letzungen." Diagnose. Für die Praxis müssen wir genauer die Synocha
nervosa von der Febris biliosa unterscheiden. Bei jener treten die Zufalle
von Leberaffection erst am 5ten, 7ten Tage zu dem "heftigen, mit Kopfaf-
fection verbundenen Fieber. Dagegen nenne ich nur denjenigen Zustand
ein Gallenfieber, wo die Zeichen der PolyCholie schon am ersten Tage der
Krankheit mit auftreten. Hier sind die Vomitive bei massigem Fieber indi-
cirt , dort passen Kälte und kühlende Purganzen , und ein Vomitiv würde
.Most Encyklopädie, 2te Aafl, T. 44
690 FEBRIS
doi Hirnleiden Termehren, obgleich ich von der herrlichen Wirkung dessel-
ben im Stadium moibi fiencid und ehe heftiges Fieber da ist, besonders bei
der zur Synocha nervosa so sehr geneigten Scarlatina , mich öfters über-
zeugt habe. Cur des wahren Gallen fi eher s. Bei der Febris biliosa
secundaria suchen wir zuerst den Gallenstoff durch milde Mittel nach dem
Darmcanal zu locken, verordnen zum Getränk Cremor tartari und Zucker-
wasser in Menge ; ausserdem H/ ^o'- Riverii c. succo citri parat. 5Jjj , Aqua0
chnmouiill . , — melissne ana gjj , Syr. mannae 5J, Tart. emct. gr. j. M. 8.
Stündlich einen Esslöllel voll. Ist die Reizbarkeit des Darmcanals aber sehr
gross, so dass schon von selbst Erbrechen und Durchfall erfolgt, was oft
selbst zu Anfange der Krankheit der Fall ist und mehrere Tage anhalten
kann, sind Magen- und Leibschmerz bedeutend, so passen die genannten
Mittel nicht ; wir müssen sie hier wie eine Cholera ansehen , innerlich De-
coct. salep , althaeae , Emuls. amygdalar. , im Nothfalle selbst kleine Ga-
ben Opium geben, erweichende, schleimige, ölige Klystiere und äusserlicb
aromatische Fomentationen, selbst Senfteige auf den Unterleib anwenden,
bis die Reizung vorüber ist , alsdann passen die obigen Mittel : Pot, Riverii,
Crem, tartari etc. Häufig turgescirt die Galle zugleich nach Oben und Un-
ten. Hier gebe man nach Beseitigung des Reizes und Krampfs ein VomitiT
aus Ipecac. 3j und Tart. eniet. gr. j — jj , welches in 4 Theile getheilt und
davon alle V4 — Vi Stunden ein Theil genommen wird {BerenJs). Nach der
Ausleerung geben wir ein paar Tage viel Crem. tart. mit Zuckerwasser,
oder Ser. lact, tamarindorum , Decoct. fruct. tamarindorum. Wiederholung
dieser Brech- und Laxirmittel sind nur selten nothwendig. Bewirken sie
längere Remissionen des Fiebers, so sind sie indicirt gewesen. Nach gehö-
rigen Ausleerungen passen bis zur Genesung Extr. taraxaci , graminis , car-
dui bened. , rutae, gentianae, zuerst mit Aq. fontana und etwas Salmiak,
später mit aromatischen Wassern , am Ende mit Tinct. rhei vinosa und
aquosa, Infus, cal. aromatici. Die China wird hier nur spät und selten ver-
tragen, c) Zuweilen hat das Gallenfieber einen stark entzündlichen Cha-
rakter (Febris biliosa intlammatoria). Hier sind Blutausleerungen und an-
dere Antiphlogistica die ersten Mittel, besonders wenn Hirn- oder Lungen-
entzündungen zugegen sind (s. Febris inflammatoria), sonst nimmt
das Fieber leicht den putriden Charakter an. Aber auch hier sind Vomitive
oft neben den gelinden säuerlichen Laxativen zu Anfange die besten Mittel
(s. Febris putrid a). d) Unter die Febres biliosae malignae, putridae
hat man in frühern Zeiten eine ganze Classe bösartiger, miasmatischer, zum
Theil contagiöser Fieber: das westindische gelbe Fieber, die sogenannte
amerikanische Pest, die Sumpffieber des Pringle, die Cholera morbus, weil
hierbei bedeutende Leberaffectionen sind, gerechnet; hat die ebenso bedeu-
tenden Hirnaffectionen hier aber zu gering angeschlagen (s. Febris pu-
trida und Typhus), e) Alle nicht epidemischen, also sporadisch entste-
henden Gallenfieber sind, wenn sie nicht zu heftig auftreten, als wohlthä-
tige Natnrbestrebungen zu betrachten, die durchaus kein eingreifendes Ver-
fahren erdulden, sondern nur ein leitendes, milderndes, die Leber- und
Darmkrise beförderndes. Sie heben nämlich die sogenannte übermässige
Venosität des Körpers , entfernen Atrabilis , Lifarcten , Hämorrhoidal - und
Gichtdyskrasie , und sind somit im Mannesalter bei cholerischem Tempera-
mente , bei starker Leberfunction , bei Gelehrten , Hypochondristen , bei
Vita scdentaria oft sehr erwünschte Fieber. Ja, mir sind zwei Fälle vor-
gekommen, wo ein solches Gallenfieber eine mehrjährige Epilepsie nocturna
ex abdomine heilte.
Febris brevis, das kurze Zeit dauernde Fieber. Ist ein leichtes
gelindes Fieber, z. B. eine Ephemerea trium dierum, s. Febris simplex.
Febril britanuica scu gnviirncnosa , das englische, brandige Fie-
ber. Ein bösartiges, epidemisches Faulfieber, das öfters in England
herrschte , unter den heftigsten Symptomen auftrat und durch Brand schnell
tödtele; s. Febris putrid a.
Fuhris bullosa, das Blascnfieber , s. Pemphigus.
FEBRI3 691
Fehria cacoetJies. Ist ein hektisches Fieber durch bösartige Eiterung,
t. B. bei Carcinom; a. Febris hectica.
Fehris carcerum, das Gefängnissfieber, Kerkerfieber. Ist in
der Regel ein fauliges oder Fleckfieber (s. Febris putrida und P e t e -
chiae acutae). Verdorbene, ungesunde Luft, sohlechte Nahrung, Man-
gel an Licht, deprimirende Leidenschaften, Unreinlichkeit bringen es in den
Gefangnissen Europas , die zur Schande der Menschheit rorzugsweise bei
uns, weniger oder gar nicht im freien Amerika, noch immer för die Ge-
sundheit so nachtheilig sind, oft hervor.
Fehris castrensis, das Lagerfieber. Ist gleichfalls fast immer ein
Typhus- oder Faulfieber. Viele Tausend Soldaten sind von jeher durch
solche bösartige, aus ungesunder Luft, Aufenthalt in sumpfigen Gegenden^
unter freiem Himmel, im feuchten Bivouac, aus schlechter Nahrung, unge-
hundem Trinkwasser, Kummer, Noth und Mangel etc. entstehende Fieber
getödtet worden. Hierher gehört die Pest der Athener, welche Thuoydides
(De hello Peloponnes. Lib. VIII. Hist. 2, cap. 49) so schön beschrieben hat,
die ansteckenden Krankheiten unter den Östreichern in Itedien und beson-
ders das sogenannte ungarische Fieber (^Febris hungaricn, Theriodes^
Lues Ptmnoniae) , vulgo Cerehri vermis genannt, welches besonders von
SchenJc so gut beschrieben ist. Gewöhnlich befiel dieses Fieber des Nach-
mittags um 3 oder 4 Uhr die Menschen. Der Frost dabei war sehr gering,
die darauf folgende Hitze quälte Nacht und Tag. Heftige Kopfschmerzen,
Betäubung, Druck in der Herzgrube, wüthender Durst, am 2ten, 3ten Tage
heftige Delirien, trockne, dürre Zunge, häufig blutige Diarrhöen, oder eia
Abgang wie Fleischwasser, Koliken, Seitenstich, später Lähmungen, Pete-
chien, geschwollene Parotiden, waren die gewöhnlichen Symptome. Allö
Weintrinker starben sicher.
Fehris cntarrhalis , Cntarrhus acutus, das Katarrhalfieb er. Ist ein
solches Fieber, das als Reizfieber in gelinderm oder stärkerm Grade auftritt
und, wie das rheumatische Fieber, von Retentionen der Hautsecretion , nach
vorhergegangener Erhitzung, Erkältung und plötzlichem Witterungswechsel,
ausgeht imd meist immer mit entzündlicher vikärer Reizung der Schleim-'
membranen und der serösen und fibrösen Häute verbunden ist. Wir nennen
diese Reizung katarrhalische Entzündung , die nach Verschiedenheit des Orts
als Ophthalmia catarrhalis, Catarrhus nasi et pulmonum, Angina catarrhalis,
Catarrhus vcsicae urinariae etc. auftreten kann. Das diese AfFectionen be-
gleitende Fieber ist in der Regel gelind entzündlich, erfordert die gewöhn-
liche Fieberdiät, kühlende Fiebergetränke, innerlich gelinde und kühlende
Diaphoretica : Aq. flor. sambuci , Oxymel , Salmiak , kleine Dosen Tart.
emetic. etc. (s. Febris, und Blennorrhoea nasi, pulmonum, vesi-
cae urinariae, Angina catarrhalis etc.). Katarrhe und Katarrhal-
fieber herrschen bekanntlich am meisten im Frühling und Herbst, wo sie
epidemisch grassiren und zuweilen in verschiedenen Formen , nach Verschie-
denheit des herrschenden Krankheitsgenius, bald als Febres catarrhales in-
flammatoriae, bald als Febr. catarrh. gastricae, nervosae , pituitosae, pu-
tridae (Febris catarrhalis maligna) auftreten. Letzteres ist bei den grossen,
nur selten erscheinenden, dann aber ganze Welttheile heimsuchenden, Ka-
tarrhalepidemien besonders der Fall (s. Influenza).
Fehris chronica, ein langwieriges, langsam verlaufendes Fieber,
Z.B. die Zehrfieber, die symptomatischen Fieber bei innerlichen Eiterungen.
Fehris caerulea, das blaue Fieber; kommt vorzüglich bei zart^It '
Kindern vor und ist eine Abart der Blausucht; s. Cyanosis. ' ' ;■•''
Fehris comatosa, ein Bieber mit bedeutender Schlafsucht-"(^,
Febris intermittens comatosa und Carus. Ein solches schlafsüch-
tiges Fieber mit galligen Complicationen herrschte z. B. nach Sydenbain
(Opp. med. p. 241 u. 318) in den Jahren 1675 — 78 in England, das sich
mit der herrschenden Influenza verband ; ferner nach Grant (Ori the läte
Influenza etc.) im Jahre 1775 , wo gleichfalls eine Influenzepidemie in Eng-
land herrschte; auch in unserer, «n grossen Erscheinungen in der physi-
44*
692 FEBRIS
sehen und moralischen Welt so merkwürdigen und fruchlb ringenden Zeit
habe ich, besonders seit dem Jahre 182G, ähnliche Schlaffieber als Febres
intermittentes perniciosae beobachtet, vorzüglich im Jahre 1827 und 1829
(itfosO-
Fehris comitatn, ein mit Begleitung anderer Krankheit: Exanthem, Ent-
zündung etc. , auttretendes Fieber.
Fehris complicata, ein verwickeltes, mit andern Fiebern oder Lo-
calentzündnngen complicirtes Fieber. Oft sind letztere aber die Ursache
des Fiebers, wo es richtiger ein symptomatisches genannt wird.
Febria composita, ein zusammengesetztes Fieber, wo zu den
gewöhnlichen Zufällen sich noch andere wichtige, auf Complicationen deu-
tende Symptome gesellen.
Fehris contn{)iosa, ein ansteckendes Fieber, dem ein von einem
Körper zum andern sic4i fortpflanzender Krankheitsstoff zum Grunde liegt ;
8. Contagi u m.
Fehris coutimiis , ein anhaltendes Fieber, welches ohne bedeuten-
den Nachiass foi-tgeht, wie dies bei ganz leichten und bei schweren Fiebern
oft der Fall ist.
Fehris conlinua coiiUnens , s. Fe bris.
Fehris contimia rcmittens, s. Febris.
Fehris conlinua non pulvis, s. Febris inflammat oria.
Fehris dentitionis , das Zahnfieber. Ist ein Fieber, das zur Zeit des
ersten Zahnens der Kinder zuweilen eintritt, besonders bei sehr reizbaren
!uid vollsaftigen Kindern (s. Dentitio). Sowie man in frühem Zeiten fast
«die Kinderkrankheiten vom Zahngeschäft oder von Würmern abzuleiten sich
berechtigt glaubte, so gingen in der neuern Zeit mehrere Ärzte ins andere
Extrem über, und leugneten die Existenz der Zahnkrankheit völlig. Wenn,
mm der Durchbruch der Zähne bei Kindern ein rein physiologischer Vorgang
ist und zu den Entwickelungen des Körpers gehört , der ein neues Lebens-
stadium andeutet, wo wichtige Veränderungen im ganzen Organismus (Ent-
wickelung des Gehirns, vollkommnere Sinnesfunction, anfangende Geistes-
entwickelung) vor sich gehen, so ist es doch zugleich ausgemacht, dass
dieser Vorgang ebenso leicht als jede andere Eiitwickelung, z. B. als das
Hervortreten und das Verschwinden der Menses, krankhaft werden kann.
Fast alle Kinder leiden daher während des Durchbruchs der ersten Zähne
mehr oder weniger an anomal gesteigerter Sensibilität, an consensucliem^
Leiden des Darmcanals, an Durchfall, Ai)petitmangel , Abmagerung, Husten,
besonders aber an Congestion zum Kopfe , an kleinen Fieberbewegungen ;
sie sind eigensinnig, unruhig, bekommen leicht Krämpfe. Die Vorboten
des Zahndurchbruches sind deutliches Anschwellen und Breii erwerden des
Zahnfleisches, etwas Speichelfluss , weites Ölfnen des Mundes, Beissen auf
die Finger, die Brustwarze oder auf jeden andern, in den Mund gebrachten
Körper. Bei vollsaftigen Kindern wird das Naturbestreben der allgemeinen
Körperentwickelung, wovon der Zahnausbruch nur die Folge ist, leicht ex-
cc^jsiv zu stark, sie leiden deutlich an Fieberbewegungen, am sogenannten
Zahnfieber, das dann häufig mit Krämpfen begleitet ist. Schon oben (s.
Dentitio) habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass die hierbei eintre-
tenden, oft grünen Durchfälle als höchst wohlthätig und kritisch zu be-
trachten sind, ebenso wie <lie vermehrte Speichelabsonderung. In dieser
Zeit ist plötzliche Erkältung des Kindes , ebenso wie der Gebrauch stopfen-
der Mittel , doppelt gefährlich , befördert die Heftigkeit des Zahnhebers,
der Krämpfe, und die traurigen Folgen sind nicht selten Wasserkopf , Atro- _
phie, Epilepsie und Lähmungen. Höchst einseitig würde es seyn, wenn
man alle krankhaften Zufälle beim Zahnen von örtlicher Spannung und Aus-
dehnung des Zahnfleisches , seiner Gefässe und Nerven ableiten wollte. Die
Ursache liegt mehr in der meist immer zu s^hr gesteigerten, seltener ver-
minderten Vitalität der einzelnen Systeme des Kindesorgauisnius , welche. die
Natur durch die kritischen Bestrebungen ( Speichejfluss , Durchfall) ins
Gleichgewicht zu bringen sucht. Cur. ,Mau verjiaite t^ch bei der Zahn-
FEBRIS 695
krankhcit der Kinder melir passiv als aotiv. Man vermeide ErkäUnng, halte
die Kinder aber nicht zu warm, besonders den Kopf nicht, weil sonst die
Congestion zu ihm vermehrt wird ; man vermeide alle reizende, erhitzende
Nahrungsmittel. Sind die Augen roth und glänzend , ist das Kind vollsaftig,
die Congestion zum Gehirn bedeutend, so setze man ein paar Blutegel an
den Kopf, und gebe innerlich Emuls. amygdal. dulc. , allenfalls mit etwas
Nitrum, bei grünen Stuhlgängen Absorbentia; gebrauche aber höchstens
1 — 2 Tage solche Arzneien, und setze sie dann, wenn die Zufälle gelinder
sind, wieder aus. Ein ganz vorzügliches Mittel ist hier der Mercur. dulcis
in folgender Verbindung : ^> Mercur. dnlcis gr. ß , Mngnes. cnrhon. , Gumm.
arab. ana gr. v, Elaeosacch. foeniculi 9llf. M. f. p. dispens. dos. vj. S.
Dreimal täglich y, — 1 Pulver mit der Muttermilch (Af.). Auch die Con-
vulsionen der Kinder erfordern bei inflammatorischem Fieber eine solche
kühlende Behandlung. Aromatische Bäder, Absorbentia sind hier zweck-
mässig, nicht aber die erhitzenden Antispasmodica. Ist das Zahnfleisch sehr
gespannt, so hat man das Durchschneiden desselben angerathen, besonders
um zugleich stattfindende Convulsionen zu heben (^Ocsterlein). Ich fand hier
stets einige Blutegel hinter die Ohren hinreichend. Magern Kinder beim
Zahngeschäft sehr ab , werden sie ganz siech , fehlt es an Reaction , so kann
der Zahnausbruch nicht gehörig von Statten gehen. Hier ist die Vitalität
zu gering. In solchen Fällen erregte man eine allgemeine Reaction durch
das Einimpfen der Kuhpocken , worauf sichtbar neues Leben und Gedeihen
eintrat (s. Seiler in HitfclamVs Journ. 1822, Mai). Solche Fälle geben uns
die Lehre , dass wir überhaupt beim Zahnfieber als Naturbestreben nicht
activ eingreifen dürfen^ dass eine zu schwächende Behandlung, besonders
wenn sie mehrere Tage angewandt wird, leicht eine zu geringe Vitalität
hervorrufen und Abzehrung zur Folge haben kann , so wie gegentheils rei-
zende Mittel die Ausbildung einer Encephalitis befördern können.
Febris depurnlivn. Darunter verstehen wir ein sogenanntes reinigen-
des Fieber, welches nach den altern Begriffen den Fieberstoff aus dem
Körper schaffen soll. Daher theilte man die Fieber nach ihrem Verlaufe in
den Zeitraum der Rohheit, der Kochung und der Krise (^Stadium cniditntis,
Stad, coctiovis, Stad. criseos~), je nachdem der Fieberstott" noch roh, oder
schon geschickt zur Entscheidung, oder durch Krisen schon ausgeschieden
war. Diese etwas stark materielle Ansicht hat für die Praxis den grossen
Nutzen, dass wir die Fieber mehr als Naturbestrebungen ansehen, die durch
ein zu actives Verfahren leicht gestört werden können, und zwar nur auf
Kosten und zum grossen Schaden des Kranken. Es giebt viele Fieber, wo
materielle Fieberreize nachgewiesen werden können: Anomalien in der Mi-
schung, besonders der flüssigen Theile, die als Incitamente auf die festen
wirken. Dahin gehören verschiedene Dyskrasien des Blutes , eine zu grosse
Erregbarkeit desselben, eine vorherrschende Venosität darin, orgamsche
Abnormitäten und Degenerationen: Tuberkeln, Krebs, Markschwamm, quan-
titativ und qualitativ veränderte Secretionen aller Art , der Galle , des
Schleims etc. , welche materielle Fieberursachen werden können. „Wenn
wir auch diese Mischungsfehler, sagt mit Recht Sundclin, nicht genauer
kennen, so lehrt uns doch eine getreue Beobachtung, auf welche Weise die
Natur sie verbessert und ausgleicht. So wissen wir aus der Erfahrung,
dass die wahrscheinliche Mischungsabnormität des Blutes, welche den wah-
ren galligen und gastrischen B^iebern zum Grunde liegt, von der Naturkraft
durch vermehrte und veränderte Abscheidungen in der Leber und im Nah-
rungscanal ausgeglichen wird , und wir müssen daher dergleichen Abschei-
dungen zu befördern , zu regeln luid zu erleichtern suchen. Wenn uns be-
kaimt ist , dass bei der wahren Lungenschwindsucht die Entstehung von
Aftergebilden in der Lungensubstanz als ein feindseliger Reiz aufs Gefässsy-
stem wirkt, ein wahres Reizfieber hervorbringt; so werden wir" jede rei-
zende Einwirkung vermeiden, und im Gegentheil durch ein vorsichtiges
temperirendes Verfahren dem gereizten Zustande entgegen wirken. (S. Bc-
raids^ Vorles. Bd. II. S. 65, Anmerk.). Man nimmt freilich auch immate-
694 FEBRIS
rielle Reize als Flebemrsache an (JFebris sine rnnfcrJo). Da aber jeder !m
materielle Reiz, selbst der psychische nicht ausgenommen, sogleich die Ma-
terie Yerändert, besonders das Blut, die Lymphe, die Milch (s. Cacoga-
lactia); so werden auch dadurch schnell materielle Fieberreize hervorge-
rufen, welche nicht allein das Fieber unterhalten können, sondern auch ma-
terielle Krisen nothwendig machen. Nichts bringt schneller im Materiellen,
besonders in den Säften, anomale Veränderungen hervor als derjenige im-
ponderable Stoff, den wir Elektricität nennen. Der einfache Galvanismus,
7.. B. eine Zink- und Kupferplatte mit Verbindungsdraht, auf eine durch
Vesicatorien entblösste Hautstelle applicirt, hat die Folge, dass die ganz
milde, wässerige Secretion dieser Stelle augenblicklich so scharf und ätzend
wird, dass sie die gesunde Haut excoriirt. Nun wissen wir, dass bei allen
Fiebern das Normalverhältniss der Elektricität im Blute gestört ist; so das»
bei Febr. inflammatorin — E., bei wahren Schwächefiebern -{- E. vorwaltet,
wie dieses viele Versuche von Vasalli , Cmidi , Berlinghieri und von Pfaff in
Kiel bewiesen haben (s. Froriep's Notizen, 1828. Pfaff' in MeckeVs Archiv
für Physiologie, 1817, Bd. III. Hft. 2). Jede Störung des elektrischen
Verhältnisses hat aber stets eine Störung im chemischen Verhältnisse zur
Folge, da eins das andere bedingt. Schon deshalb sind wir berechtigt, in
Fiebern anomale Mischungsverhältnisse des Blutes, die freilich die cheniischo
Analyse nicht immer entdecken möchte, zu supponiren.
Fehris dupUcntn, das Doppelfieber. Ist ein solches Fieber, wo sich
Zwei Fieber so verbinden , dass jedes seinen eigenen Typus hält , wie dieu
beim Wechselfieber zuweilen der Fall ist; s. Febris intermittens.
Felris elodes, helodes , das Seh wi tzfieber. Ist in England als ein
gefahrliches epidemisches Fieber, wobei starker, stinkender, nicht kritischer
Seh weiss eintritt, beobachtet worden; s. Anglicus Sudor.
Felris endemica, das einheimische Fieber; s. Endemia und Febris.
Fehris epncmnstica , crescens. Ist dasjenige Fieber , wo die Krankheits-
erscheinungen im Verlauf bis zur Akme zunehmen : also das Gegentheil von
der Fehris parncmastica , decrescens, welche mit grosser Heftigkeit auftritt
und im fernem Verlaufe allmälig abnimmt. Verläuft dagegen ein Fieber seine
Stadien mit einer gewissen Gleichmässigkeit, Gleichförmigkeit und ohne son-
derliche Steigerung oder Abnahme der Symptome bis zur Reconvalescenz,
so nennen wir es Fehris homotonos , aequaliter decurrens.
Fehris ephemer a, EpJiemera, Fehris simplex, Ephemera diaria, legitimay
extensa, Felris lenignn, Siftiocha simplex, Pi/rexia simplex, Fehris neutriut
generi'i, das einfache Fieber, Tages fieber. Ist unter allen Fiebern
das einfachste , gelindeste und von kurzer Dauer ; kürzestens hält es 24
Stunden an, in den meisten Fällen dauert es aber mehrere Tage {Ephemera
trium dierum, plurium dierum, protracta), bis zum dritten, vierten Tage ist
es eine Febris continua , alsdann geht es entweder in Genesung oder in ein
anderes, oft inflammatorisches Fieber über und nimmt den remittirenden oder
intermittirenden Typus an. „Die Ephemera, sagt Berends, scheint die
Grundlage aller Fieber auszumachen, welche nur als Verlängerungen der-
selben betrachtet werden können." Dieser Satz enthält viel Wahres und
viel Falsches. Der Charakter der Ephemera ist der gelind entzündliche;
diese Natur haben bei uns freilich die meisten Fieber; doch giebt es in an-
dern Weltgegenden (und in einzelnen Jahren auch bei uns) epidemische Fie-
ber, die gleich mit ganz andern Symptomen als denen der Ephemera auf-
treten, z.B. die bösartigen Kerker- und Lagerfieber, das gelbe Fieber etc.
(s. Febris castrensis, Febris flava). Zeichen des einfachen
Fiebers. Gelinder Schauder, gelinder Frost von kurzer Dauer, worauf
bald gelinde feuchte Hitze folgt, dabei nur wenig Durst, wenig Kopfweh.
Die Krise erfolgt meist am dritten Tage durch Schweiss und Urin , seltener
durch Blutungen. Ursachen sind die allgemeinen des Fiebers, Erkältung,
gelinder Katarrh etc. Cur. Die Heilung bewerkstelligt unter gehöriger
Diät und Ruhe meist immer allein die Natur. Man verhalte sich daher pas-
siv, verordne höchstens die oben angegebenen gelinden Mittel, die Fieber-
FEBRIS 695
getränke, und halte auf eine «trenge Fieberdiät mit Beruck«*iclitigung einer
gelinden Diaphoresig (s. Febris).
Fehris epiala. So nannte man vrol ein bösartiges Fieber, da« mit hef-
tigem Froste und oft mit gleichzeitiger, aber gelinder Hitze auftritt, wie
dies bei manchen epidemischen Fiebern beobachtet worden ist.
Febris epidemica , das epidemische Fieber. Es befallt an einem
Orte und in einer Gegend mehrere Menschen auf einmal und auf einerlei
Weise. Solche Fieber können miasmatische oder contagiöse seyn. So herr-
schen bald katarrhalische, rheumatische, bald stark entzündliche, bald gal-
lige , bald gallig - faule , bald exanthematische Fieber epidemisch (s. £ p i -
demia, Contagium, Miasma, Constitutio, Febris).
Fehris erethisticn nervosa, das erethistische Reizfieber. Ist eine
neuere Benennung für entzündlich - nervöses Fieber; s. Febris inflam-
matoria nervosa.
Fehris erratica, s. Febris atypica.
Fehris erysipelatosa , das Rothlaufsfieber. Ist der Begleiter rosen-
artiger Entzündungen, besonders der Gesichtsrose, wo es wegen der Kopf-
affection recht heftig ist und ganz den Charakter der Synocha nervosa hat
(s. Febris inflammatoria). Gewöhnlich sind bei der Rose gastrische
Beschwerden; daher wir das Fieber oft durch Emetica zu Anfange verhüten
(s. Erysipelas). Ist es völlig ausgebildet und ohne Kopfaffectionen , z.B.
bei der Rose an den Gliedern , so passen Pot. Riverii mit Aq. flor. sambuci,
Salmiak und kleine Dosen Tart. emeticus.
Fehris exanthemalicn , Ausschlags fi eher. Ist der Vorläufer oder
Begleiter der verschiedenen acuten Exantheme, und hat zu Anfange in der
Regel einen mehr oder weniger entzündlichen Charakter, der aber im Ver-
lauf der Krankheit durch verschiedene zufällige Umstände nervös oder fau-
lig werden kann, wozu eine zu schwächende, oder zu früh, vor dem sie-
benten Tage, angewandte reizende Behandlung häufig beiträgt; s. Scat'^
iatina, Variolae, Varioloides, Morbilli, Petechiae.
Febris ßava, Americana, Fievre mafelotte, Ficvre Je Siam, Morbtis SiO'
mcTisis^ TypJms tropiciiSy Typhus ideroJes Indiarum occidentnlium , Pestis oc-
cidentalis, Vomitus tiiger, das gelbe Fieber. Diese verheerende Seuche
ist bis jetzt bei uns Gott Lob! noch nicht beobachtet worden. Sie ist ur-
sprünglich miasmatisch, entsteht durch atmosphärische Einflüsse, wird spä-
ter oft contagiös und alsdann durch andere atmosphärische Einflüsse wie-
derum beschränkt. Symptome. Sind im Allgemeinen die des nervösen
und fauligen Fiebers, zu Anfange aber oft die der Synocha nervosa. Nach
Fogel befällt sie vorzüglich Fremdlinge, besonders nach Erhitzung und EJr-
kältung , wozu die kühlen Nächte in den heissen Tropen so viel Gelegenheit
geben. Zuerst zeigen sich Gefühl von grosser Mattigkeit , Neigung zu Ohn-
mächten, Schwindel, Betäubung, Übelkeit, anhaltender, wüthender Kopf-
schmerz, dann Schauder, kalter Schweiss, worauf brennende Hitze, heftige
Angst, Brustbeklemmung, Druck in der Herzgrube , Dyspnoe, Gesichtsröthe,
brennende Augen , heftiges Gliederreissen , wüthender Durst , beständiger
Ekel, galliges Erbrechen, Diarrhöe, Schlaflosigkeit und unerträgliche Un-
ruhe folgen. Dabei ist der Puls sehr geschwind, weich, voll, nie hart, zu-
weilen schwach und unterdrückt; die Haut bald trocken, bald feucht; wäh-
rend der Ohnmächten werden die Kranken nicht blass , sondern gelb , wel-
ches sich nach der Ohnmacht wieder verliert. Nach wenigen Tagen, oft
schon am zweiten Tage, überzieht den ganzen Körper von Oben herunter
eine gelbe Farbe, welche Gelbsucht in seltenen Fällen, wenn sie später
kommt, auch kritisch ist. Hier aber nehmen die Zufälle mit und bei ihr
zu, der Puls sinkt immer mehr und mehr, wird schwächer, aussetzend und
dadurch oft langsamer, der Kranke fallt in Sopor, Delirien, Stupor, und
bekommt klebrige Seh weisse; auch die Zunge wird feucht, ohne dass die«
ein gutes Zeichen wäre, die Lippen und Mundhölile werden hochroth, e«
stellen sich passive, colliquative Blutungen aus allen Theilen des Körpers
ein, eine Menge schwarze», jauchiges Blut geht von Unten und Oben ab.
696 FEBRIS
Nun treten Zuckungen, Zittern, Kälte der Extremitäten, Petechiae secun-
dariae hinzu, und der Tod beschliesst die Trauerscene. Die Leichen gehen
schnell in Verwesung über; die Section zeigt Spuren von Entzündung und
Brand im Magen, in der Leber, Milz, im Gehirn, grosse schsvarze Flecken
daselbst, in der Gallenblase und ihren Gängen eine Menge stinkender, fau-
ler, schwarzer Galle und aufgelösten Blutes. — Eigenthümlich ist es, dass
diese schreckliche Krankheit, die oft schon binnen 48 Stunden unter Betäu-
bung und Lähmung tödtet , nach allen Erfahrungen nie weiter als zwischen
dem Äquator und dem 35sten Grade der Breite, und zwar nur der nördli-
chen, nicht der südlichen Breite, und auch da nur in der Nähe der Mee-
resküste, nicht über SO Meilen davon, entsteht. Auf dieselbe Weise hat
sich das gelbe Fieber, wenn es von Aussen hergebracht wurde, in Europa
gezeigt. Es hat sich nie weiter als in dieser Breite (in Spanien und Ita-
lien) , und auch da nur in der Nachbarschaft des Meeres , verbreiten kön-
nen, weil jenseits dieser Grenze in der Atmosphäre die (uns freilich ihrem
Wesen nach unbekannteo) Bedingungen fehlen, unter welchen sich die An-
■ steckung in der Luft selbst fortpflanzen kann. Seit einigen Jahren entstand
unter den Ärzten und Naturforschern , besonders in Frankreich , ein heftiger
Streit über die Frage, ob das gelbe Fieber anstecke oder nicht? Dieser
Streit ist noch nicht geschlichtet, und bedeutende Männer, die viele Jahre
und in verschiedenen Gegenden die Krankheit beobachteten , z. B. der franz.
Arzt Chervin, sprechen ihr alle Ansteckungsfähigkeit ab. Auch J. A. von
Beider (Unters, über d. epidem. Sumpffieber etc. Leipz. 1829), der mit
grosser Aufopferung 18 Jahi-e lang Untersuchungen über gelbes Fieber und
Sumpffieber anstellte, ist dieser Meinung. Er behauptet etwas einseitig,
dass sich die Febris flava ursprünglich nur auf Schiffen aus den Ausdün-
stungen des faulgewordenen Kiel - oder Grundwassers entwickele. Im All-
gemeinen sind die Ärzte einig über die Ursachen dieser Seuche. Ein heis-
ses , feuchtes Klima , besonders in der Nähe der See , die schädlichen Aus-
dünstungen an Orten, wo viele Menschen in engem, schlechtgelüftetem
Räume zusammengedrängt sind ; dies sind die Umstände , die eintreten müs-
sen, wenn sich die Krankheit erzeugen soll. Am stärksten wirken nun
diese schädlichen Einflüsse unter den Tropen und in den benachbarten
Landstrichen auf niedrigem, feuchtem Boden. Die Verheerungen der Seuche
beginnen hier mit der heissen Regenzeit und hören mit ihr auf. Darüber
sind alle Ärzte und Naturforscher einig. Missverhältnisse in der Luftelektri-
cität spielen hier eine grosse Rolle. Mit einem schnellen Wechsel von •\-
und — E. beginnt diese Regenzeit, und oft steht das Elektrometer bald
schnell auf 0, bald auf 5 Gi-ad. Während des Regens entladet sich die-
selbe, indem Wetterleuchten des Abends fast regelmässig eintritt (J. v,
Humboldt). Dazu kommt, dass Dr. Shecut in Charleston im Jahr 1817, als
daselbst das gelbe Fieber schrecklich wüthete, zufällig die Beobachtung
machte, dass die Operationen seiner Elektrisirmaschine mit dem Entstehen,
Fortschreiten und Abnehmen dos gelben Fiebers variirten , so dass , als das
Fieber in der Stadt zuerst erschien, ja schon einige Zeit vorher, die elektri-
sdien Kräfte offenbar abnahmen; als es am heftigsten wüthete, Funken
nicht gezogen werden konnten , und als es nach einem schweren Gewitter
gänzlich aufhörte, die Maschine sehr starke Wirkungen zeigte. Er leitet
daher von Mangel der Luftelektricität und von Missverhältnissen derselben
die Krankheit ab (s. HufelaiuVs Journal, Bd. LIX. St. 6, S. 141). Wie
pflanzt sich nun aber die einmal entwickelte Krankheit fort? Wie wandert
sie in oft entlegene Gegenden ? Überschreitet sie w irklich , und auf welche
Art, Berge, Ströme und Meere? Hierüber sind die Meinungen verschieden.
Bis zu Ende des vorigen Jahrhunderts nahm man allgemein an, dass das
gelbe Fieber anstecke, dass es auf einer gewissen Höhe der Verschlimme-
rung die Eigenschaft erlange , sich durch sich selbst fortzupflanzen , und
zwar unabhängig von den Ursachen ( in der Atmosphäre) , die es hervorge-
bracht haben ; dass dies mittels eines Keimes oder Giftstoffs , oder mittels
der Ausströmungen in Luftgcstalt, denen eine specifisch schädliche Eigen-
FEBRIS 697
Schaft uiwohiie, vor sich gehe. Nach dieser, die Ansteckung vertheidigen-
de» Theorie ist es also möglich, dass sich das Übel sowol durch mittelbare
als durch unmittelbare Berührung mit Gelbeufieberkranken fortpflanzt, und
dass es also in andere Länder verschleppt werden kann , wo es sich , wie
ßich dies von selbst versteht, um so leichter verbreitet und eine bösartige
Gestalt annimmt, je mehr der Ort unter solchen atmosphärischen Einflüssen
>gt«ht, die denen, welche es zu erzeugen im Stande, gleichkommen. Eine
hohe Temperatur ist der Verbreitung der Krankheit stets günstig gewesen;
dagegen hat heftige Kälte den stärksten Epidemien stets ein Ende gemacht.
Ist also das gelbe Fieber ansteckend , wovon auch Dr. Mntthäi (s. dess.
.Preisschr. über das gelbe Fieber) überzeugt ist und dafür triftige Gründe
angeführt hat; so ists durchaus nothwendig , 1) dass in Europa eine ge-
sunde Bevölkerung sogleich abgesondert werde, sobald die Krankheit er-
scheint, dass also Gesundheitscordons , Quarantaineanstalten etc. durchaus
nothwendig sind, und dass unser Sanitätssystem mit aller Strenge gehand-
habt, ja noch geschärft werden muss, um grosses Unglück zu verhüten;
denn wenn auch nicht jedes gelbe Fieber bei seinem ersten Entstehen con-
tagiös ist, so kann doch ein und dieselbe Epidemie zugleich mit und ohne
Contagion seyn, wie wir dieses in unsern Gegenden zuweilen selbst an
Ruhr - und Scharlachepidemien wahrnehmen. Cur des gelben Fiebers. Zu
Anfange ist der Fiebercharakter häufig eine Synocha nervosa, besonders bei
robusten, vollsaftigen Personen; daher kalte Kopfumschläge, Sturzbäder,
Entfernung der Plethora durch Aderlassen, Blutegel an den Kopf, durch
Laxanzen (doch nicht zu anhaltend und nicht zu stark, weil sonst die
Kräfte zu schnell sinken und wahre Adynamie eintritt) nothwendig sind.
Dies verhütet am besten den Übergang in Paralyse und Colliquation , der,
wenn er eingetreten ist, nach den bekannten Regeln behandelt werden muss
(s. Febris putrida), besonders durch Tonica, Antiseptica (s. Dan. Os-
yoody Schreiben über das gelbe Fieber etc., übers, von Heinecken; Bremen,
1822). Als Präservative rühmt Osgood Vermeidung eines jeden plötzlichen
Temperatur« echsels, jeder heftigen Körperbewegung, und Sorge für einen
gehörigen Grad von Perspiration und Urinsecretion , welche sorgfältig un-
terhalten wei-den müssen. Nach FAchhorn (s. dess. Schrift: Das gelbe Fie-
ber etc. Mit Vorrede von Julius. Berlin, 1833) zeigt sich beim gelben Fie-
ber besonders ein Leiden des Magens und des Zwölffingerdarms. Je hefti-
ger das Fieber ist, desto gelinder ist dieses Leiden, und umgekehrt. Er
nimmt fünf Formen der Krankheit an. In der ersten leidet hervorste-
chend der Magen. Hier beginnt das Übel meist plötzlich, zuweilen nach
einigen Tagen Übelbefinden , mit Kopfschmerz und gelindem Frost von kur-
zer Dauer. Meist erst mit dem Stadium der Hitze kommt das Erbrechen;
vorher geht ein eigenes Gefühl von Wundseyn und Hitze im Magen; dann
starke Hitze, heftig klopfender Kopfschmerz , rothes, ins Bläuliche spie-
lendes Gesicht, mattes Auge , Durst , der durchs Erbrechen heftiger
wird, schneller, weicher, oft sehr voller Puls, sparsamer, trüber, dunkler
Harn, feuchte, klebrig, schmierig anzufühlende Haut. Zwischen dem drit-
ten und fünften Tage ändert sich die Scene: der Puls wiid häufig und
klein , oft aber auch langsam (50 Schläge in der Minute) , der Urin ist un-»
terdrückt oder sieht wie Kaffee, Chocolade aus; dabei heftige Schweisse,
grosse Schwäche, Ohnmächten, stille Phantasien, Sopor, oder auch volles
Bewusstseyn bis zum Tode. In dieser Periode tritt das schwarze Erbrechen
ein; das Erbrechen entleert anfangs Schleim und Wasser, übertrifft, wie
bei der morgenländi-schen Cholera, das Genossene; später zeigen sich Blut-
punkte darin , und noch später besteht es blos aus dunklem Blute. Der
Tod folgt unter schwarzen Stuhlgängen , Schluchzen und Convulsionen. —
Cur. Keine schwächende Mittel. Dienlich sind Reizmittel , Mineralsäure,
zumal Schwefelsäure mit Opium , äusserlich Waschungen mit Essig , auch
wol mit recht kaltem Wasser. — Zweite Form: Hier ist das Gehirn-
leiden hervorstechend; man bemerkt alle Zeichen einer Encephalitis; spä-
ter gesellen sich Petechien, Sopor, schwarzes Erbrechen, kleiner Puls
608 FEBRIS
hinzu; der Tod erfolgt onter Convulsionen. Cur- Hier ht Kalomel In
grossen Gaben mit kleinen Dosen Opium das Hauptmittel. Ist in den er-
sten 5 Tagen das Kopfleiden nicht beseitigt, so ist der Kranke ohne Retf
tung verloren. Zuweilen sind hier auch acute Petechien. — Dritte Form:
Febris flava mit hervorstechendem Allgemeinleiden und mit geringem Leiden
einzelner Organe in der ersten Periode. — Vierte Form: Gelbes Fieber
mit hervorstechendem Leiden des arteriellen Systems (^Typhus vasculosus^.
Hier giebt E. vorzüglich Schwefelsäure und China. — Fünfte Form:
Febris flava mit hervorstechendem Leiden des Nervensystems. Diese ist die
schlimmste Form von allen. Vorboten sind: gelinde Schmerzen im Kopfe
und Kreuze; einige Stunden später bricht das Fieber unter leichtem Schau-
der auf. In den ersten Stunden zählt man 100, bald aber 130 — 140 Puls-
echläge in der Minute. Das Gesicht ist blass, die Wangen sind dunkelroth,
der Urin blass , sparsam , bald dunkel , doch ohne Bodensatz ; dabei grosse
Mattigkeit , wenig Durst , kein Magen - oder Leibschmerz. Gegen die
zwölfte Stunde werden die Augen roth, die Pupille sehr klein, es gesellen
sich Delirien, Sopor, zuweilen auch Agrypnie hinzu. Man bemerkt keine
Exacerbationen und Remissionen, wie bei den vier andern Formen. Der
Puls wird schon am Ende des ersten Tages langsam, sinkt bis auf 90.
Nun folgt leiser Schmerz im Magen , Erbrechen schleimiger, dfinner Massen ;
alle Secretionen vermindei'n sich , am Ende des dritten Tages hört der Urin-
fiuss gänzlich auf; ausserdem hartnäckige Obstructio alvi, braune trockne
Zunge, Dysphagie. Der Kranke hat kein Fieber, erbricht viel, bekommt
Schluchzen und — stirbt. Hier sind Nervina, Aetherea, gleich anfangs Ol.
terebinth. , in den Mund geschmiert , auch , wie bei der Cholera , der kau-
stische Salmiakgeist, alle 5 Minuten zu 15 — 25 Tropfen in einer Tasae
"Wasser, kalte Waschungen etc. zu versuchen.
Fchris gangraenosa, Brandfieber, s. Febris britannica und Febria
putrida.
Febris gasirica, aldominalis , intestinalis^ mescntericn, splanchnica (Acker-
mann, Bischoß} , das gastrische Fieber, auch Fc6m remittcns atttvmna-
lis genannt. Hierher rechnet man verschiedene Fieber , welche alle von Un-
reinigkeiten in den ersten Wegen , von örtlichen Leiden des Speisecanals und
Gallensystems, von den Störungen in den Functionen aller zur Verdauung
dienenden Organe (Milz, Pankreas etc.) entstehen, und sich, sollen sie gut
verlaufen, durch kritisches Erbrechen und kiitische Diarrhöe entscheiden
müssen. Symptome der Febris gastrica und des Status gastricus im All-
gemeinen sind: Schauer mit vorübergehender, oft abwechselnder Hitze , Ge-
fühl von Ermüdung, eigenthümliche, den rheumatischen ähnliche Glieder-
schmerzen, Appetitlosigkeit, widriger, unangenehmer Geruch aus dem Munde,
Geschmacklosigkeit oder fader, bitterer Geschmack, Leibesverstopfung, spä-
ter Neigung zu Durchfällen. Diese Zufälle machen oft das mehrere Tage
dauernde Stadium der Vorboten aus. Alsdann tritt ein heftiger Fieberfrost
ein, worauf Hitze, Durst, starker Kopfschmerz, Gesichtsröthe, die oft in»
Gelbliche spielt, folgen. Dabei Gefühl von grosser Mattigkeit, Nieder-
geschlagenheit; Schlaflosigkeit, Unruhe, Verdriesslichkeit , zuweilen des
Nachts Delirien; hochrother, blutigrother , brennender Harn mit röthlichem
Bodensatze, oder anfangs ein trüber Urin (JJrina jumentosa') mit kleienarti-
gem Bodensatze. Ist das Fieber heftig, so ists eine Continua, die aber
nach Eintritt der bekannten Krisen zur Remittens, selbst zur Intermittens
wird. Die Dauer der Krankheit ist nach dem verschiedenen Grade der Hef-
tigkeit und der mehr oder weniger richtigen (passiven, leitenden, die Kri-
sen befördernden) Behandlung verschieden, bald nur 5 — 7, bald 14 Tage
und länger. Die Diagnose ist nicht immer leicht. Die Anamnese, die
Gegenwart des Status gastricus , der herrschende Fiebercharakter geben die
beste Auskunft. Besonders herrscht diese Krankheit in feuchten, sumpfigen
Gegenden: Holland, Seeland, Holstein, Mecklenburg etc. Solche Fieber
sind oft epidemisch und endemisch. Man hüte sich ja und verwechsele sie
nicht mit echten nervösen, typhösen Fiebern ; denn jede active» zu reizende
FEBRIS 699
imd «tärkende Behandlung macht sie zu Faulfiebem. ür&achen. Sind
1) Sordes primarura viarum. Sie erregen das sporadische gastrische Fieber,
welches wir Sab urralfieber nennen (s. Febris saburralis, Febris
intestinalis im engern Sinne). 2) Auch das secundäre Gailenfieber,
S) das Schleimfieber, 4) das Wurmfieber, desgleichen das aus dem gastri-
schen Fieber entstandene Faulfieber gehören hierher (s. Febr. gastrica
secundaria s. biliosa, Febris pituitosa, Febris verminosa,
Febris putrida). Allgemeine Behandlung dieser Fiebergat-
tung. Man erforsche, ob man mit einem primären (Febris saburralis) oder
eecundären gastrischen Fieber zu thun habe. Im ersten Falle sind sogleich
Brech- und Purgirmittel zur Entferrung der schädlichen Stoffe, im zweiten
erst auflösende, reizmildernde Mittel anzuwenden (s. Febris biliosa),
und erst später, wenn sich der Turgor der schadhaften Materie nach Oben
oder Unten zeigt, sind die Evacuantia indicirt. Die specielle Behandlung
•wird bei den einzelnen Arten der Febris gastrica vorkommen (s. Febri«
biliosa, pituitosa, saburralis, verminosa etc).
Febris hecticn , Febris lenta, pJUkisica, Febris lenia nervosa ^ das Zehr-
fieber, schleichende Fieber, die Abzehrung, das Abzehrungs-
fieber. Obgleich dieses Fieber in den meisten Fällen nur ein Symptom
der hektischen Krankheilen, der Atrophien und Phthisen, und ebenso wie
die colliquativen Zufälle etwas Secundäres ist ; so handle ich dasselbe den-
noch hier ab, und zwar mit demselben Rechte, wie auch hier die Febri»
intlammatoria , typhosa unter den Fiebern vorkommen, die der strenge Sy-
stematiker immerhin aus der Fieberlehre streichen und unter die Artikel Ar-
teriitis, Phlebitis etc. bringen mag; denn ich schreibe für den Praktiker,
der sich an das Bestehende, Bewährte halten muss. Die Febris lenta er-
scheint häufiger am Ende als zu Anfange der Abzehrungen, ist auch nicht
die Ursache der letztern , sondern die Folge , ist stets ein sporadisches Übel,
hervorgegangen aus Organisationsvcrletzungen einzelner Systeme und Ge-
bilde. Für klinische Zwecke müssen wir mehrere Arten dieses Fiebers an-
nehmen, da nach der Erfahrung dasselbe bald als ein acuter Krankheitszu-'
Stand ohne stattgefundene vollkommne Krisen, bald durch abnorme Mischungs-
verhältnisse in der Säftemasse, bald durch erhöhte Reizbarkeit des Gefass-
nnd Nervensystems, bald durch mehrere dieser Ursachen zu gleicher Zeit
entstanden, angesehen werden muss. Symptome im Allgemeinen. Das
Fieber entsteht unmerklich , schleichend ; zuerst zeigen sich kleine Anfalle
von vermehrter Wärme mit schnellem, härtlichem, oft ungleichem Pulse, be-
sonders nach der Mittagsmahlzeit, nach dem Genuss warmer Getränke , nach
jeder bedeutenden Bewegung des Gemüths und des Körpers. Dabei bemerkt
man fast gar kein Stadium des Frostes, sondern nur Wärme, oft brennende,
trockne Haut , besonders in den Händen und unter den Fusssohlen , ver-
mehrten Durst, sparsamen Urin, schnellere Respiration, umschriebene Röthe
der Wangen, oft kurzen, trocknen Husten. Zieht das Fieber ab, so fol-
gen ermattende Schweisse, röthlicher Bodensatz im Urin; ausser der Exa-
cerbation zeigt der Urin oft eine Fetthaut auf der Oberfläche und an dem
Rande des Glases, und riecht wie Veilchen. Ausserdem beobachten wdr die
übrigen Zeichen der Abzehrung mehr oder weniger ; z. B. gestörte Ver-
dauung , Neigung zu Durchfallen , allgemeine Abmagerung des Körpers.
Weil der Fieberanfall häufig, besonders zu Anfange, höchst gelind ist, so
nennen es Einige schlechtweg Fieberchen, Febricula (SeJle, Mmminghanx).
Übrigens sind die Beschreibungen desselben verschieden , da ältere Arzte die
einzelnen Arten nicht genau unterschieden. Ursachen im Allgemeinen.
Sind sehr zahlreich. Junge zartgebaute Subjecte mit Habitus gracilis, phthi-
sicus, die eine sitzende Lebensart führen, den Geist mehr als den Körper
anstrengen, Kinder, Frauenzimmer und Jünglinge aus schwindsüchtigen Fa-
milien, mit platter Brust, umschriebener Gesichtsröthe, mit feiner Haut,
solche, die früher an Scropheln litten, disponiren am meisten zu diesem
Fieber. Auch gesellt es sich leicht zu verschiedenen Kachexien, kommt zu
Ende der Wassersucht, Krebssucht, Tuberkelsucht, Diabetes, zu Phthi&i»
700
FEBRIS
pvilmonalis, hepatica, mesenterica etc. Spärliche Nahrung, Mangel an Mut-
termilch bei Säuglingen, schlechte, grobe Kost bei Reconvalcscenten, unter-
drückte Hautausschläge, grosser Säfteverlust durch Abscessus lymphaticus,
durch starke Blutungen , durch Onanie, übermässige Geistesanstrengungen,
überhaupt Ausschweifungen in Baccho et V euere, Apolline et Minerva sind
die vorzüglichsten Ursachen. Prognose. Ist im Allgemeinen schlecht. So
wie alle Abzehrungen einen chronischen Verlauf haben , so auch das hektische
Fieber. Je schwerer die Ursache des Fiebers, in den meisten Fällen die
Hauptkrankheit, zu heben ist, desto geringere Hoffnung der Heilung ist da.
Ist das Fieber nach Säfteverlust, nach Ausschweifungen aller Art bei sonst
gesunden Subjecten entstanden , so ist die Prognose noch am günstigsten.
Cur im Allgemeinen. 1) Man erforsche und entferne wo möglich die Ur-
sachen, stille z. B. die heftigen Blutflüsse, verhüte den starken Samenver-
lust durch Enthaltsamkeit von Ausschweifungen , durch Unterlassung der
Manustupration , rathe dem Stubensitzer und Gelehrten mehr Bewegung im
Freien und mechanische Beschäftigungen an , man suche zurückgetretene
Hautausschläge durch Bäder, reizende Mittel: Knpp^s und Autcnrieth's Salbe
(s. Amaurosis), wieder auf die Haut zu leiten, stark eiternde Wunden
zu heilen etc. 2) Man suche den Körper zu stärken durch nährende, nicht
zu reizende, dem Körperzustande angemessene Nutrientia, Roborantia, Amara,
ausgewählt nach dem verschiedenen Charakter des Fiebers. — Wir nehmen
hier folgende einzelne Arten desselben an. 1) Fehris lenta inllnmmntoria,
das entzündliche Zehr fi eher. Es findet häufig statt bei chronisch
entzündlichen Zuständen der Lungen, der Bronchien, der Lymphdrüsen, und
tritt besonders bei der echten Schwindsucht, besonders bei der sogenannten
raschen, galoppirenden, bald längere Zeit anhaltend, bald nur mit Unter-
brechungen, von Zeit zu Zeit, sowie allmälig eine Partie der tuberkulösen
Linige nach der andern in Entzündung und Eiterung übergeht, ein. Sym-
ptome, Neben den oben genannten noch die eines massigen inflammatori-
schen Fiebers: grosse, trockne Hitze, lebhaftes Fieber, rothe, trockne
Zunge, sparsamer, feuriger Urin, Obstructio alvi, Bruststiche, Husten,
Angst, Beklemmung. Cur. Vermeidung alles Erhitzenden, des Weins, Biers,
Kaffees, der Fleischsuppen, ist höchst noth wendig. Passend sind gelind küh-
lende Mittel : Pot. Riverii mit Aq. flor. sambuci und Salmiak , Cremor tar-
tari mit Zuckerwasser, Limonade, wenn der Husten es erlaubt, Molken,
Selterwasser, kleine Dosen Salmiak, säuerliche Früchte, Gurkensaft, Tisa-
nen von schleimigen süsslichen Wurzeln, Rad. graminis, Althaeae, mit Mi-
neralwassern, strenge kühlende Diät, Obst, besonders aber als Nutriens
frische ungekochte, noch warme Kuhmilch, Eselsmilch, Buttermilch, Cho-
kolade ohne Gewürz, Suppen von Sago, Salep, Arrow -Root in Wasser
oder Milch. In der Regel verschwindet dieser inflammatorische Zustand bei
solcher Behandlung binnen 9 — 14 Tagen. Sind die Bruststiche sehr stark,
so lasse man dreist 4 — 6 Blutegel ans Sternum appliciren. 2) Fcbris Icnta
gastricn. Das gastrische Zehrfieber begleitet am häufigsten bedeu-
tende organische Leiden: Scirrhositäten der Leber, des Magens, Darmca-
nals, Pankreas, gesellt sich daher zuweilen auch zum Icterus. Symptome.
Anwesenheit des Status gastricus (s. P^ebris gastrica), schwächeres, ge-
linderes Fieber als bei der Lenta inflammatoria, remittirender Typus, lang-
samer Verlauf, gelbliche, graue, erdfahle Gesichtsfarbe, verdorbener Ge-
.schmack, schmuzig- schleimig belegte Zunge, Neigung zu Erbrechen und
Diarrhöe, Druck im Unterleibe. Cur. Man behandle die Grundkrankheit.
Sind zufällig Sordes da, so gebe man ein Laxaus aus Crem, tartari und
Rheum , und glaubt man gegen das Grundübel schon hinreichend durch so-
genannte Resolventia agirt zu haben , so verbinde man Resolventia und
Amara: Gumm. asae foetidae mit Rheum und Quassia, Extr. rutae, taraxaci,
gentianae mit Salmiak, Tinct. rhei in A(j. aurantior. gelöst, und dergl.
Man verordne guten Wein, massig genossen, und zweimal täglich 50 Tro-
pfen Elix. viscer. Hoffmauni oder Eiix. Hob. Whytt. darunter gemischt,
lasse aromatjäche, stärkende Bäder nehmen und rathe, wenn der Kranke
FEBRIS 701
sich bessert, Bewegung im Freien an. Die Nahrungsmittel können hier
kräftiger, gewürzreicli und animalisch seyn, doch mit Berücksichtigung der
Nervenzufälle, des etvvanigen Durchfalls, des Orgasmus im Blute, der Ob-
structio alvi. Man fange daher mit kleinen Portionen der Nahrungsmittel
an, 3) Fehris leula nervosa scnum , Mnraspomyra , das Entkräftungs-
fieber alter Leute. Auf diese Krankheit hatte man bisher wenig geach-
tet, bis neuerlich C. F. Nagel (Über das Entkräftungsfieber der alten Leute.
Altena, 18i!9) darauf aufmerksam machte (s. auch Uecler^s Lit. Annal. 1830,
Januar, S. 68). Symptome und Verlauf. Die Krankheit befällt mehr
Weiber als Männer. Ein langes Stadium prodromorum von 3 — 4 Wochen,
wo anhaltende Müdigkeit und Gefühl von Entkräftung Hauptsymptome sind,
geht vorher. Allmälig stellt sich ein tägliches Fieber, anfangs mit kürzern,
später mit längern Exacerbationen des V^ormittags, Abends, des Nachts,
gewöhnlich ohne Frost und Schweiss ein, wobei das sonst blasse, apathische
Gesicht dunkelroth aussieht , die Augen glänzend werden , die Kranken an
Unruhe und Delirien leiden, die blande sind; dabei Kopfschmerz im Vorder-
kopfe, Druck in der Herzgrube, Übelkeit, Würgen, Erbrechen. Fast im-
mer ist die Haut trocken , selbst kühl , nur in der Handfläche und an den
Fusssohlen breiuiend. Die Zunge ist in den ersten 14 Tagen mit einein
dünnen weissen Überzuge bedeckt, später wird sie röthlich mit Erhebung
der Papillen, wie bei Scarlatina. Der Puls ist normal, nur in den Anfäl-
len etwas beschleunigt; der Urin ist anfangs dick und bräunlich, wird spä-
ter klar, hell, strohgelb, bildet mitunter eine kleine Wolke, die sich bei
günstigem Ausgange in Bodensatz verwandelt. Häufig leiden die Kranken,
wenn die Kunst nichts dagegen thut, tagelang an Verstopfung, späterhin
an Diarrhöe. Geht der Urin unwillkürlicli ab , stellt sich wahres Koma eiiv,
wird das Gesicht sehr roth und aufgedunsen , so folgt der Tod binnen
ä — 4 Tagen. Die nächste Ursache der Krankheit sucht Nagel , gestützt
auf Sectionen, in Gastro - Enteritis. Gelegentliche Ursachen sind: Diätfeh-
ier,- Erkältungen, Surapfmiasma, die bekannten Schädlichkeiten der Som-
mer - und Herbstzeit , metastatische Rose. Cur. Strenge Diät , Vermei-
dung aller reizenden , schwerverdaulichen Speisen und Getränke. Frische
Luft, Reinlichkeit, häufiger Genuss des kalten Wassers, bei hervorstechen-
den entzündlichen Zufällen einige Blutegel an die Oberbauchgegend, inner-
lich Pot. Riverii mit Mucilaginosis und etwas Aq. laurocerasi, laue Bäder,
bei Obsti'uctio alvi täglich milde Klystiere, bei Abnahme der Krankheit Ka-
lomel (V4 Gran p. d.) , bei Congestionen und Delirien kalte Kopiumschläge ;
diese Mittel werden von Nagel vorzüglich empfohlen. In einem Falle en-
dete dies Übel mit Gangraena senilis (^Most). 4) Fehris lenta piltdtosn, das
Schleimzehr fieber. Es gesellt sich besonders zu Wassei'suchten und
Blennorrhöen aller Art, zu Status pituitosus, Phthisis pituitosa, Fluor albus
chronicus. Symptome. Gelindes Fieber mit remittirendem , selbst inter-
mittirendem Typus, sehr langsamer Verlauf, dabei blasses, aufgedunsenes
verfallenes Antlitz, gänzlicher Appetitmangel, grosse Störung der Digestion
und Assimilation, fader, schleimiger, seifenartiger Geschmack , Ructus, Fla-
tus, Oppression der Herzgrube , vermehrter Speichelfluss, Würgen, Vomltus
inanis; Dyspnoe, Mattigkeit, Stumpfheit, verdriessliches, mürrisches W^esen;
kurz alle Zeichen des Status pituitosus (s. Blennorrhoea ventriculi
et Intestinorum). Später geht das Fieber in eine Continua über, die
Schwäche wird immer grösser, es treten Oederaa pedum, Hydrops univer-
salis und colliquative Diarrhöen liinzu, und der Tod folgt durch aligemeine
Erschöpfung. Cur. Man behandle das Grundübel, die Blennorrhoe, die
Wassersucht, wirke auf den Unterleib durch Rheum, Quassia, gebe Robo-
rantia, Tonica , Cort. chinae, Winteranus mit Zimmt, Angelica, Ariüca,
Mallaga-, Madeirawein, besonders Rad. arnicae, bei grossem Torpor auch
Faba pichurim, selbst Cuprum und Ferrum sulphuricum, besonders bei den
Blennorrhöen (doch bei der Wassersucht die Tonica mit grosser Einschrän-
kung), .und die andern stärkenden Mittel, die bei Febris lenta gastrica an-
gegeben worden sind. 5) Fehris lenta nervosa, das nervöse Zehrfieber.
702 FEßPJS
Pfierzu prSdisponirt voraöglich der gracile, reizbare, schwächliche Habitus,
das zarte Frauenzimmer und die Kindernatur, auch der junge Onanist, da-
gegen die phlegmatische, torpide Constitution, der Hjpochondrist in de
vierziger Jahren mehr zur Febr, lenta gastrica und pituitosa, und das ro
buste , jugendliche , sanguinisch - cholerische Temperament mehr zur Febr.
lenta inllammatoria Anlage hat. Symptome. Sind denen der gelinden
Febr. nervosa, besonders im letzten Stadium, ähnlich. Der Puls ist klein,
schwach , ungleich , zitternd , hervorstechend die sogenannte Schwiiidsuchts-
rose, die Congestion zum Kopfe, der Kranke ist sehr reizbar für Sinnes-
eindrücke, besonders für die des Gesichts, ist schreckhaft, geistig sehr ver-
stimmt, wechselnd, niedergeschlagen, höchst abgespannt, leidet an ewiger
Unruhe, Herzklopfen, Schlaflosigkeit, delirirt, sieht Funken und Flecken
vor den Augen , leidet später an Gesichtstäuschungen , kleinen Krämpfen,
der Puls wird höchst klein , krampfhaft , es folgt grosse Unruhe , Zittern,
abwechselnd mit ruhigen Augenblicken, wo Ahnungsvermögen, geistiges Se-
hen in die Ferne, prophetischer Sinn eintreten. Später gesellen sich Zit-
tern des ganzen Körpers , Flechsenspringen , Flockenlesen hinzu , und der
Tod erfolgt durch grosse Erschöpfung und Paralyse wichtiger Organe.
Dieses Zehrfieber ist gewöhnlich am Ende einer jeden wahren Lungen-
schwindsucht da, wenn nicht viel Lungensubstanz mehr vorhanden ist, die
in Entzündung und Eiterung übergehen kann. Cur. Kann unter solchen
schlimmen Umständen nur palliativ seyn. Man mindere die Reizbarkeit
durch kleine Dosen Opium, durch Extr. hyoscyami , Digitalis, Extr. lactu-
cae virosae, welche auch einige Nachtruhe verschaffen, durch Aq. lauroce-
rasi etc. Ist keine Lungenschwindsucht da, so gehe man von diesen Mit-
teln allmälig zum Acidnm oxymuriaiicum, zum Elix. visceral. Hoffmanni, zu
den bittern Extracten, der Quassia, der China, in Verbindung mit Elix.
acid. Halleri, später zum Eisen über, und reiche gute leichte animalische
Kost; alsdann ist oft noch Hoffnung der Genesung da.
Fehris hemitriiaea, semilertiana, HemUritaeus. Ist die Verbindung einer
Febr. intermittcns quotidiana mit der Quartana; s. Febr. intermittens.
Felris hepatica Richteri, das Leberfieber nach Richter; s. Febria
b i 1 i o s a.
Fehris homotonos , gleichförmiges Fieber, s. Febris epacmastica.
Febris hydrocephalica. Das hydrocep haiische Fieber iüt Syn»^
ptom der acuten Hirnwassersucht; s. Inflammatiocerebri. '
Felris hypersthenica. Das hypersthenische Fieber, nach Broten
und den Erregungstheoretikern, ist jedes bedeutende inflammatorische Fie-
ber; 6. Febris inflammatoria.
Febris inflammntorin , hypersthenica, sthenica, Febr. synochica, Synochrt,
Synocha simplex, Synochus non pjitris (^Slahl , Cullen, JReiV), Febris continua
inflammatoria (P. Frank) , Fehris sepienaria {Platner) , Febris amjiosihenica
(Hildenbrand'), Phlogopyra, Sthenopyra (^Swediatir) , Fehris angeiotenica (Pi~
nel)'i auch von Alteren Febris continua non pniris, Febris contincns, homo~
tona , acinastica, anabasta , Synochus inflammatoria, Causus inflammaloritis
etc. genannt, das entzündliche, sthenische, synochische Fieber,
das Brennfieber der Älteren und Irritabilitätsfieber der Neueren.
Dieses Fieber ist in unsern Gegenden von Norddeutschland eins der häufig-
sten und ist mir bis jetzt ohne Localentzündungen, wohin besonders Pneu-
monie, Encephalitis, Diaphragmitis, Hepatitis gehören, noch nicht vorge-
kommen. Symptome. Nur selten tritt es mit Vorboten auf; sind sie da,
80 bestehen sie in Schwere, Trägheit, Steifheit in den Gliedern, zuweilen
etwas Schläfrigkeit zu ungewöhnlicher Zeit. Meist immer >tritt das Fieber
plötzlich, ohne Vorboten, mit starkem Froste ohne vorhergehenden Schau-
der auf, der % bis selbst % St\inden anhält und recht schüttelnd ist, so
dass die Zähne im Munde klappern. Ist die Gelegenheitsursache, was häu-
fig der Fall ist, Erkältung des Körpers nach Erhitzung, bei plötzlichem
Witterungswechsel , nach heftiger Körperanstrengung bei rauhen Ostwinden
etc., so pfleg;t dieser Fieberfrost meist 7, zuweilen auch erst 14, zuweilen
FEBRIS 703
21 Stunden oach der Erkältung, und häufiger gegen Abend oder in der
Nacht als zu andern Zeiten, nach raemen Beobachtungen^ ehizutreten (M.).
Auf das Froststadiura folgt grosse, brennende, gelinde Hitze, die sich aber
beim Befühlen des Dritten unter der Hand vermindert, also kein Calor mor-
dax, wie bei Febr. nervosa und putrida, ist. Dabei voller, starker, har-
ter, zuweilen unterdrückter, härtlicher und kleiner, aussetzender Puls,
schnelle Respiration , heisscr Athem , trockne , rothe Zunge , Röthe des Ge-
sichts, mitunter auch der Augen, feuerrother, heisser Urin, heftiger Durst,
Kopfschmerz, Unruhe, Schlaflosigkeit, oft heftige, wilde Raserei. Der Puli
geht stets nur massig schnell, bei Erwachsenen selten über 100 Schläge in
der Minute, behält stets eine gewisse Gleichförmigkeit, das Gesicht ist ge-
spannt, aber nicht schlaff, nicht aufgedunsen, die rothe Zunge ist oft ganz
leicht mit einem Weiss überzogen , als hätte man mit Kreide darüber ge-
wischt; der Harn ist roth, aber nicht trübe Meist immer ist Neigung zu
Leibesverstopfung da, zuweilen Magendrücken und Ekel, Neigung zum Er-
brechen , der Kopfschmerz sitzt mehr im Vorder - al^ im Hinterkopfe. Der
Typus des Fiebers ist eine continua remittens, die Remission kommt des
Morgens, die Exacerbation des Abends. Der Kranke hat in der Regel viel
Muth und äussert viel Lebenskraft, behält bei gelindem Grade des Fiebers,
das ganz einer starken Ephemera gleicht, völlig klares Bewusstseyn und
äussert nur Neigung zum Schlaf. Das aus der Ader gelassene Blut gerinnt
leicht und schnell, hat wenig Blutwasser, zeigt sich oft auf der Oberfläch«
schaumig (Kopp) und bildet die bekannte, aus den fibrösen Theilen dea
Bluts bestehende Speckhaut (Crusta inflammatoria , Corium pleuriticum).
Sie ist ziemlich gleichförmig weiss, wie Speck, sehr zähe, selbst schwer
mit dem Messer zu zerschneiden , und spielt , gegen das Licht gehalten,
nicht, wie die Crusta in Febr. nervosa und putrida, in Regenbogenfarben.
Die Dauer des Fiebers beträgt nach dem verschiedenen Grade der Heftig-
keit 5, 7, 11 — 14 Tage, wo es sich in der Regel unter kritischem Urin,
kritischem Erbrechen, Durchfall oder, was häufig ist, unter Blutungen ent-
scheidet. Diese Krisen erfolgen stets an den ungleichen Tagen, in der Re-
gel am 5ten, 7ten, 9ten Tage, wo dann die Heftigkeit des Fiebers bedeu-
tend nachlässt und somit der eigentliche entzündliche Charakter verschwin-
det. In schlimmen Fällen, besonders bei übermässig schwächender Behand-
lung, oder wenn die Krisen zu heftig und anhaltend sind, z. B. Blutungen,
Diarrhöen, oder wenn reizende erhitzende Mittel gegeben wurden, nimmt
das Fieber einen andern Charakter an. Alles übertriebene Schwächen, noch
mehr die reizende Methode , machen das Fieber leicht nervös, selbst putrid.
Letzteres ist besonders dann der Fall, wenn Opium gegeben wurde, wel-
ches Mittel so leicht schädliche Mischung&veränderungen im Blute hervor-
bringt {Hufeland). Der Tod erfolgt durch Übergang in Paralyse, oder
Apoplexie, oder durch innere, in Brand übergegangene bedeutende Entzün-
dungen, besonders in den Lungen, im Herzen , im Gehirn. Das entzündliche
Fieber geht um so schneller in ein typhöses, putrides über, 1) je heftiger
es auftritt; so z. B. hat das gelbe Fieber und die Pest nur ein sehr kurzem
Stadium inflammatorium und es folgt, wie bei allen febribus malignis, bald
Paralyse; 2) je schwächlicher die Constitution des Kranken ist; bei schwa-
chen Kindern folgt daher leicht der typhöse, bei Greisen mehr der paraly-
tische Charakter (s. Fe bris putrida), bei kräfdgen Naturen ist dagegen
der Übergang in Febris intermittens nicht ganz seifen. Ursachen. Prä-
disponirende sind: das kindliche, jugendliche und männliche Alter. Fast
alle Fieber sind bei Kindern inflammatorisch , nur dauern sie als solche nicht
lange, höchstens 5 — 7 Tage, weil es der Kindernatur an Energie fehlt.
Heftiges Nasenbluten, anhaltender Gebrauch schwächender Mittel macht si«
sehr leicht typhös. Dagegen haben alte Leute weniger Disposition zu die-
sem Fieber; hat sich dasselbe aber bei ihnen gebildet, so erreicht es meist
einen heftigen Grad und geht leicht in den putriden Charakter über. Dies
ist selbst bei bedeutender Febris catarrhalis der Greise nicht selten der
Fall. In der mittlem Perlode des Lebens entsteht die Krankheit nicht so
704 FEBRIS
leicht als in den Kinderjahren , aber doch leichter als bei Greisen. Sic
dauert hier als Synocha ain längsten, oft selbst 10 — 14 Tage, und die
frühe Anwendung der reizenden Mittel schadet hier am meisten, die der
schwächenden dagegen am weiugsten ; ja , in manchen bedeutenden Fällen,
z.B. bei Complication der Synocha mit Encephalitis, Pneumonie, sind selbst
S — 4mal wiederholte Aderlässe nothwendig, und zwar um so mehr, je ro-
buster die Constitution ist. Nur bei der VVohlgenährtheit und VoUsafligkeit
der Säufer findet diese Regel wegen des so leicht entstehenden CoUapsus,
der selbst das Delirium tremens befördern kann, eine Ausnahme. Das san-
guinische Temperament ist geneigt zu leichter Entstehung einer flüchtigen
Synocha, ^vie bei Kindern; das cholerische zu einer nicht so leicht ausge-
bildeten, aber alsdann auch sch\yeren Synocha. Das phlegmatische Tem-
perament disponirt am wenigsten zu seiner Ausbildimg und zu seiner längern
Dauer; bei Melancholischen entstehen diese Fieber nicht leicht, aber ^^enn
sie entstehen, so eri-eichen sie leicht einen sehr hohen Grad und gehen, wie
bei Greisen, nicht selten in Paralyse (Febr. putrida) über. Bei Weibern
verhält sich die Synocha wie bei Kindern ; sie werden leicht davon ergrif-
fen , besonders zur Zeit der Menstruation und der Schwangerschaft ; aber
die Kiankheit erreicht selten einen hohen Grad und dauert als Synocha sel-
ten länger als 5 — 7 Tage. Sie geht auch leicht in Typhus über, besonders
durch Missbrauch der Blutausleerungen. So behandelte einer unserer hie-
sigen Ärzte , ein eifriger Anhänger des Broussais , vor sechs Jahren einen
50jährigen Mann an Pneumonie und inflammatoi-ischem Fieber. Es wurde
binnen fünf Tagen dreimal zur Ader gelassen, auch bekam er einige 50 Blut-
egel an die Brust. Am neunten Tage starb der Mann. Eine Stunde vor
dem Tode verordnete der junge Arzt noch Rheinwein, Moschus etc., war
aber kaum aus der Thür, als der Tod die Verordnungen überflüssig machte.
Andere Fälle sind mir bekannt, wo diesem Arzte sonst gesunde Frauen an
der Synocha , die durch starke Venaesectionen und die Application von mehr
als 100 Blutegeln in ein wahres Schwächefieber überging , am siebenten
Tage starben. Am häufigsten kommt die Synocha vor bei trockner, kalter
Luft, bei anhaltend wehenden Ost- und Nordost\^inden; daher häufig bei
trocknen , strengen Wintern. Die leichtern Arten kommen im Frühling vor,
z. B. die leichtern Schnupfenfieber, die fast immer einen synochischen
Charakter haben. Was die Gegenden und das Klima betrifft, so finden
wir die echte Synocha am häufigsten in trocknen , hochliegenden und in
nördlichen Gegenden , weit seltener in feuchten tiefliegenden Gegenden und
in den heissen Zonen. Gelegentliche Ursachen sind alle solche Einflüsse,
welche die Irritabilität bedeutend erhöhen. Dahin gehören vorzüglich
1) Unterdrückung gewohnter Blutungen; 2) ungewohnt kräftige Nahrung;
5) heftige körperliche Bewegung, besonders bei gewohnter Vita sedentaria;
4) schneller VVechsel von Hitze und Kälte, sowol durch verschiedene Tem-
peratur im Winter , durch plötzlichen Wechsel von stark geheizten Zimmern
und Winterkälte, als auch durch plötzlichen Witterungswechsel, durch Er-
hitzung und darauf folgende Erkältung des Körpers , Avodurch die Hautaus-
dünstung plötzlich unterdrückt und das Hautnervensystem nachlheilig ver-
stimmt wird; 5) heftige Leidenschaften, besonders Zorn \md Schrecken;
6) Missbrauch geistiger Getränke und stark gewürzter Speisen; 7) verschie-
dene tliierische Contagien, besondei-s Blattern, Masern, Scharlach; 8) Ver-
wundungen und Quetschungen aller Art. 9) Auch die Luftconstitutlon hat
grossen Einfluss, inflammatorische Fieber allgemein herrschend zu machen,
so dass sie in ganzen Epidemien auftreten und allen übrigen fieberhaften
Krankheiten mehr oder weniger diesen Charakter mittheilen (s. Constitu-
tio). 10) Alle Exantheme acuter Art, sowie alle örtliche Eingeweideent-
zündungen sind bei uns und bei sonst gesunden Körpern mit einem Fieber
verbunden, welches der Regel nach bei . Erwachsenen bis zum siebenten
Tage synochisch ist, wovon nur zarte Kinder, schwache Weiber, Wöchne-
rinnen und Greise eine Ausnahme machen. Diagnose. Ist leicht. Sie
ergiebt sich aus den anaranestischcn und gegenwärtigen Zeichen des Fiebers,
FEBRIS 705
aus der Betrachtung der Constitution, der vorhergegangenen Schädlii:hkeiten
\tnd aus der Dauer des Krankseyns. Einzelnen Symptomen, wenn sie auch
noch so überzeugend scheinen , traue man nie ; nur die Gcsammtheit aller
charakteristischen Zeichen und anderer Eigenheiten dieses Fiebers, z. B. die
häutige Complication mit Pneumonie, acuten Exanthemen, besonders Scar-
latina, stellt die Diagnose fest. Prognose. Ist gut. Kein synochische«
Fieber kann als solches tödten; nur durch den Übergang in Febr. nervosa,
paralytica, oder durch Apoplexie ist dies möglich. Nur durch seine Verbin-
dungen, besonders durch Entzündung innerer Theile mit ungünstigem Aus-
gange (Eiterung, Brand), wird es am häufigsten tödtlich. Hat die Synocha
noch nicht länger als 5 — 7 Tage gewährt, so ist sie in unsern Gegenden
selbst bei anscheinend fürchterlichen Zufällen nicht gefährlich; auch täuscht
sie nie, wie manche Formen der Febr. nervosa, durch anscheinende Gutar-
tigkeit. Heftige anhaltende Kopfschmerzen oder Bauchschmerzen, heftige
Rasereien deuten auf Encephalitis oder Enteritis , und stellen die Prognose
weniger günstig. Ist gegen den 14ten Tag noch keine glückliche Krise
erfolgt, so ist der Übergang in Febris nervosa oder putrida zu fürchten
Schlimme Zeichen sind ein nicht kritisches Nasenbluten in einzelnen weni-
gen Tropfen, plötzliches Eintreten und Wiederverschwinden geschwollener
Parotiden, gehindertes Schlucken ohne Angina, innere Hitze bei äusserer
Kälte, und umgekehrt (/iic/iter). Behandlung. Ist sehr einfach. Wir
wenden alle entzündungswidrige Mittel, bald stärker, bald gelinder an, je
nachdem das Fieber heftiger oder gelinder ist. Die vorzüglichsten Mittel
suid Aderlassen, örtliche Blutausleerungen, innerlich Nitrum mit Tart. vi-
triolat. in Emulsion etc. (s. Antiphlogistica). Hierbei sind folgende
Cautelen zu berücksichtigen: 1) Ist das Fieber einfach und gelind, z. B
eine Febris continua benigna, ein leichtes katarrhalisches oder rheumiitisches
Fieber, und ohne bedeutende Localaffectionen , so bedarf es keiner grossen
Kunsthülfe; die Natur heilt es von selbst bei guter Diät (s. Febris ephe-
mera). Hat der Kranke aber eine schwache Brust und Habitus phthisicus,
so sey man aufmerksam selbst bei Katarrh und Angina, damit man bei oft
hinzukommender LungenafFectioii durch Antiphlogistica und strenge Diät der
Pneumonie vorbeugt. 2) Kunsthülfe wird dringend gefordert, sobald vor-
zügliche Neigung zu Pneumonie oder Encephalitis da ist, wo heftige fest-
sitzende Brustschmerzen, grosses Hinderniss in der Respiration , oder heftiger
Köpfschmerz, Phantasiren, Sopor etc. da ist. Hier achte man vorzüglich auf
den Puls, ob er hart, schnell, unterdrückt, und ob die Haut trocken ist.
Hier sind Aderlässe, Neutralsalze etc. höchst nothwendig. 3) Die Blut-
ausleerungen sind das erste und grösste Mittel. Sie müssen früh, in
deti ersten drei Tagen der Krankheit angewandt werden , besonders wenn
das Fieber Folge von Localentzündungen ist; Je stärker, härter und je
gleichraässiger der Puls, je robuster die Constitution, je trockner das Wet-
i ter und je näher der Kranke der mittlem Lebensperiode ist, je heftiger der
-Fieberfrost war, je stärker die Delirien, je röther die Augen, je heisscr,
ängstlicher und kürzer der Athem ist, desto nothwendiger sind sie. Die
Venaesection verdient hier den Vorzug vor den Blutegeln. Man lässt soviel
Blut weg, bis der Puls weicher und voller, oder, wo er nicht unterdrückt
war, weicher und kleiner wird. Besonders tottheilhaft ists, eine grosse
Aderöffnung zu machen, damit das Blut rasch äl)fliesst, wodurch ein wohl-
thätiger Collapsus vasorum hervorgerufen wird. Auch ist es bei recht hef-
tigen Fiebera mit Encephalitis, starker Pneumonie etc. sehr gut, dem Kran-
kea in vsitzender Stellung zur Ader zu lassen, wodurch leichter eine Ohn-
macht,' die hier so erwünscht ist und nicht gestört werdeit darf, hervorge-
rufen wird (3f.). Nach Umständen müssen 8, 12, 16 und mehrere Unzen
Blut gelassen werden. Nach den ßlutausleerungen giebt man bei Hirnaflfe-
ctionen (Febris synochica nervosa, Febris inflammatoria gastrica, Encepha-
litis, Phrenitis und wie sonst diese Zustände genannt worden sind) Purgir-
salze, z. B. bei der Scarlatina Sal Glauberi, Sal anglic. , bei Pneumonie
aber Nitrum mit Tart. vitriolat. , z. B. ^ Dccoct. rad. nlthneae gvjjj , Nitri
Mo 8t Encyklopädie. 2te Aufl. I. 45
•706 FEBRIS
üepurnü 5jj — ]]]■> Tart. viiriolaii gfy — 3vj, Syr. nlihaene 5). M. S. Stünd-
lich 1 Esslöffel voll. In folgenden Fällen nehme man sich mit dem Aderlass
aber in Acht : a) um so mehr , je länger die Krankheit schon gedauert hat,
z. B. wenn schon der 8te, 9te, lOte Tag der Krankheit da ist; b) wenn
schon längere Zeit im Stadio prodroraorum Esslust und Verdauung gestört
-waren; c) wenn anhaltender Durchfall da ist; d) wenn schon verschiedene
kritische Ausleerungen stattgefunden haben ; e) wenn die Constitution des
Kranken zu langer , feststehender Synocha nicht geneigt ist , wie dies bei
Kindern, bei Greisen, bei zarten Frauenzimmern, bei Wöchnerinnen etc. der
Fall ist; f) wenn die das Fieber erregenden Schädlichkeiten flüchtiger Art
waren, z. B. heftige Affecten, Rausch durch Spirituosa; g) wenn das Wet-
ter lange Zeit nass und feucht war, sowie denn ein trockner Winter und
Frühling mehr Indication zum Aderlassen giebt als ein heisser Sommer und
Herbst. Auch achte man auf den Genius der Epidemien, der öfters nicht
rein entzündlich ist (s. Cons titutio). 4) Um die Zeit der Krise sey man
ja vorsichtig, störe diese nicht, am wenigsten durch Blutlassen, das hier
oft schon nach drei Stunden tödten kann. Weiss man nicht , wohin die
Krise sich wenden wird , so verhalte man sich passiv oder gebe ganz ge-
linde Mittel, z. B. etwas Salmiak mit Aq. flor. sambuci, etwas Spirit. Min-
dereri mit Vin. antimon. Huxhami, um gelind auf Diaphoresis und Expecto-
ration (z. B. bei Febr. catarrhalis und Pneumonie) zu wirken. Ist die Haut
des Kranken trocken und das Fieber noch bedeutend, so bewirken diese
Mittel keinen Schweiss, nur kräftigere Antiphlogistica sind dies zu vermögen
im Stande. Hier ist aber auch noch keine nahe Krise zu erwarten. Ist
aber die Zeit da, wo die Krisen eintreten und zeigen sich die Vorboten der-
selben, so befördern wir das Nasenbluten durch warme in die Nase gezo-
gene Dämpfe, Menstrualblutung durch warme Dämpfe an die Genitalien,
durch Blutegel und Schröpfköpfe an die innere Seite der Schenkel, Hämor-
^rhoidalblutung durch Blutegel an den After etc. {^Berends) ; oft sind solche
Beförderungsmittel aber nicht einmal noth wendig, die Natiu: macht es ohne
uns meist schon recht gut; wir thun am besten uns mehr passiv zu verhal-
ten, wo kritische Tage und Vorboten der Krise sind {Most). 5) Übertrei-
ben wir die schwächende Methode , so stürzen wir den Kranken entweder
in ein typhöses, putrides Fieber, oder wir verlängern doch das Leiden, in-
dem wir die Kräfte zu sehr geschwächt haben. Die Action und Reaction
des Fiebers ist nicht hinreichend , um die sogenannte Kochung des Fiebers
zu .bewirken, die Krisen bleiben nun zurück, und es giebt Nachkrankheiten,
-6) Iji andern Fällen sind die Krisen zu heftig; z. B Blutungen, Diarrhöen,
Schvveisse. Hier müss.en wir sie durch strenge Diät , kühles Verhalten , bei
Diarrhöen durch w'ärmeres Verhalten, gelinde Diaphoretica, Mucilaginosa,
durch Vermeidung des Obstes, des Salzes, der Säuren etc. zu massigen su-
chen. Senst geht der intiiammatörische Fiebercharakter leicht in den nervö-
sfen oder putriden über. 7) Glauben wir aus den bekannten Zeichen diesen
sehlimraen tjT>ergang «ditig erkannt zu haben, so müssen wir dennoch
höchst vorsichtig mit den excitirenden Mitteln seyn. Kampher, Serpentaria,
Antica, Opium sind höchst gefährlich. Nur mit einem schwachen Infus,
yalerianae, calami aromatici, in Verbindung mit Salmiak und kleinen Dosen
. Tart. emeticus, oder init Lifus. valerianae .und Spirit. Mindereri köimen wir
einen Versuch machen, und dann muss der Erfolg uns lehren , ob wir damit
fortfahren dürfen. Reizen wir zu stark, so springt die Krankheit wieder
zur Synocha über, oder es erfolgt schnell Paralyse. Richten wir aber un-
ser Handeln so ein, dass wir weder reizen, noch schwächen, dass wir 24
Stunden und linger Dinge verordnen, die höchst gleichgültig sind, die z. B.
ut aliquid fecisse videatur, aus Syr. sacchari 3J, Aq. fontis 3VJ, Liq. ano-
dyn. 3j, bestehen, so fahren wir oft am besten und sehen, dass die Natur-
kraft bei allen Fiebern das Meiste thut. 8) Sind Localentzündungen mit
dem Fieber oomplicirt, so appliciren wir mit Nutzen Blutegel an den lei-
denden Theii , z. B. bei Angina an den Hals ; doch reichen diese bei Er-
wachsenen, bei robusten . Naturen uie allein aua und können das Aderlassen
FEBRIS 707
nicht entbehrlich machen. Auch durch Schröpfen und Scarificiren leeren
wir topisch oft Blut aus (s. Angina und Inflammatio) ; doch muss, wo
ein Aderlass indicirt ist, dieser vorhergehen (^Richter'). 9) Gegen den hef-
tigen Kopfschmerz und das Phantasiren , selbst gegen Sopor , der oft ein
reines Zeichen von Encephalitis mit Synocha nervosa ist , wenden wir sym-
utomatisch hohe Lage des Kopfes auf Matrazzen von Pferdehaaren, kalte
kopfumschläge , Blutegel in die Temporalgegenden und reizende Fussbäder
an (s. Balneum). Auch Senfpflaster an die Waden und Vesicatorien im
Nacken sind zweckmässig; doch passen sie durchaus nicht in den ersten
Tagen der Krankheit, am wenigsten ohne vorhergegangene hinreichende
Blutausleerungen. Erst wenn der Puls zwar noch schnell, aber nicht mehr
voll, gespannt und hart schlägt, wenn die Hitze nur noch massig ist, wenn
ein Hautkranipf stattfindet , wodurch die Haut dauernd trocken , rauh luid
spröde bleibt, sind sie von Nutzen (^Ricliter^. Viele junge Ärzte missbrau-
chen die äussern Reizmittel , wenden sie bei Fiebern zu früh, ohne gehörige
Indication an, und vermehren durch den örtlichen Reiz den allgemeinen im
Nerven- und Blutsystem, oder das Fieber. 10) Hat das inflammatorische
Fieber den Kranken unmittelbar nach einer starken Mahlzeit ergriffen , so
bleiben die Speisen unverdaut im Magen liegen und die Symptome von Sol-
des sind zugegen. Hier gebe man ein leichtes Brechmittel (s, Emetica),
doch erst nach voraufgegangenen hinlänglichen Blutausleerungen (^Richter,
Vogel). 11) Klystiere passen, wenn Obstructio alvi da ist, bei allen ent-
zündlichen Fiebern, nur bei den fieberhaften Zuständen der Wöchnerinnen
passen sie in den ersten 3 — 4 Tagen nach der Niederkunft nicht, weil sie
den Uterus, der der Ruhe bedarf, reizen. Höchst nothvvendig sind sie bei
den Fiebern der Kinder. Sie geben, des Abends applicirt, eine ruhige Nacht.
Man wendet sie auch bei den Fiebern zarter Frauenzimmer mit Nutzen an
(Af.), und bereitet sie aus erweichenden, kühlenden Dingen (s. Clysma
aperiens, refrigerans). 12) Was die Diät beim inflammatorischen Fie-
ber betrifft, so findet hier Alles, was darüber oben gesagt worden, seine
Anwendung (s. Fe bris). Besonders vergesse man die wohlthätigen Fieber-
getränke nicht. 13) Sehr wichtig ist es, zwei Verschiedenheiten des in-
flammatorischen Fiebers, die sich am Krankenbette genau nachweisen las-
ijen, zu unterscheiden, nämlich a) ob das Blutsystem hervorstechend leidet
{FeJjris synochica sanguinea, Himhj) oder b) ob mehr das sensible System
afficii-t worden ist (Fehris synochica nervosa, Himly). Zur Diagnose und
Behandlung dient Folgendes: «) Bei der Synocha nervosa (die weiter
nichts als ein Fieber mit Hirnaffectionen , mit anfangender oder schon aus-
gebildeter Encephalitis, oder solchem Hydrocephalus acutus ist, und wobei
sympathisch das Lebersystem leidet, daher einige Altere und Neuere es
Fehris inflammatoria gastrica, Fehris nervosa erethistica, erethistisches
Nerven fieber nennen; sowie einige Ältere es irrig als ein Nerven- und
Schwächefieber mit entzündlichem Fieber ansehen und Fehris nervosa inflam-
matoria nennen) sind alle Zeichen der Encephalitis: rege, lebhafte Phanta-
sien, blitzender Blick und Röthe der Augen, später Stupor, Zufalle der
Apoplexie, frequenter schneller Puls, oft 130 — 140 Schläge in der Minute,
trockne, heisse Haut, rother, feuriger Urin ohne Bodensatz, nicht selten
kleine Convulsionen der Gesichtsmuskeln, Reissen in den Gliedern, trockne
Nase, Leibesverstopfung, kein Gefühl von Mattigkeit, oft selbst nicht in
der Akme der Krankheit, Leberaffectionen : bitterer Geschmack, gelbe Zun-
ge, gallige Ausleerungen nach Oben und Unten, doch selten vor dem 5ten,
7ten Tage, wo in der Regel der synochische Zustand in Typhus oder so-
gldch in Paralyse übergeht, und entweder der Tod oder Nachkrankheiten:
Lähmungen aller Art, bei Kindern Hirnwassersucht, allgemeine Wassersucht,
bei Erwachsenen Adhäsionen zwischen dem Hirn und seinen Häuten, scir-
rhöse Klumpen in der Hirnmasse, Blindheit, Taubheit, Blödsinn etc. erfolgen.
Die vorzüglichsten Ursachen sind Contagien, besonders Scarlatina und
Fleckfieber; ungewohnter Genuss geistiger Getränke bei Kindern, der Nar-
cotica, der bittern Biere bei Erwachsenen, Sonnenstich, heftige Nerven-
45 '^
708 FEBRIS
reizungen, mechanische Reizungen des Kopfs, reizende Knochensplitter etc.,
anhaltender Gebrauch des Opiums, Hyoscyamus, des Kaniphers , der Amara
bei Typhusfiebern; Gemüthsbewegungen. Prädisponirend wirken sensible
Constitution, wie bei ftindern , Frauen, bei Künstlern, Gelehrten, bei Vita
sedentaria. 6) Bei der Sijnocha saniiuinen fehlen viele dieser Zeichen , da-
gegen sind die oben beschriebenen Symptome der hervorstechenden Affectiorf
des Bliitsystems prävalirend (s. Febris in flammatoria). Der Puls geht
nicht so schnell, ist weit regelmässiger, die Phantasien sind nicht so leb-
haft, es ist mehr Besinnungskraft und mehr Schläfrigkeit da; alle Symptome
sind nicht so stürmisch und harmoniren besser, der Zeit und dem Räume
nach; die Constitution ist mehr robust, muskelstark, wie in mittlem Jahren;
auch ein arbeitsames Leben mit Körperanstrengung in freier Luft disponirt
weit mehr dazu als eine Vita sedentaria. Ursachen sind vorzüglich: Blat-
tern und Masern, Verletzungen der Lunge durch Stichwunden, Pneumonie,
plötzlich gehemmte gewohnte Blutungen, Hämorrhoiden, Menstruation, schnel-
ler Temperaturweclisel , ungewohnte heftige Körperbewegung, ungewohnte,
stark nährende, reizende Kost, starke, trockne Winterkälte, anhaltende Ost-
winde u. s. f. r) Auch der Verlauf dient zur Diagnose. Die Synocha
sanguinea tödtet selten vor dem 7ten Tage , die Synocha nervosa mitunter
schon am Isten, 2ten, Sten Tage durch Apoplexie oder Paralyse; z. B. in
bösen Scharlachepidemien. Die Krisen und kritischen Tage sind bei der
S. sanguinea weit regelmässiger als bei der S. nervosa; ja, häufig geht letz-
tere per Lysin in Genesung über ; übrigens entscheidet sie sich selten durch
Schweiss, weit häufiger durch Nasenbluten; oft erfolgt sehr schnell Gene-
sung, zuweilen schleicht sie sich aber, besonders wenn heftiges Nasenbluten
und anhaltender Durchfall hinzukommen, in Typhus über. Sind die Augen
glänzend, lebhaft und roth (nicht matt und schmierig, wie beim Typhus),
■ist die Pupille sehr klein, der Blick stechend, das Phantasiren sehr lebhaft,
das Auge sehr empfindlich gegen Licht, die Nase ganz trocken und mit
trocknen dicken Eiterpfropfen verschlossen, so ist die Gefähr sehr gross,
und Stupor und die übrigen Zeichen der Paralyse sind sehr nahe, d) Die
Behandlung der Sifiiochn samjidnea ist die strenge antiphlogistische, wie
sie üben bei Febris infiammatoria angegeben worden. Aderlassen, Blutegel
und innerlich die Mixtur aus Nitrum und Tart. vitriolatus sind tincmtbehi'-
liche Heilmittel. Lässt man das erstemal recht viel Blut und aus einet
grossen Aderöffnung weg, so erspart man die wiederholten Aderlässe; be-
sonders nöthig ist dies, wenn unterdrückte Blutungen und sehr kräftige
Nahrung bei recht wohlgenährtem, robustem Körper schädlich einwirkten.
Häufig ist der Puls hier unterdrückt; man lasse so lange Blut laufen, bis
er weicher, grösser, voller, wogend wird. G^gen den Sten Tag , und wenn
sich das Fieber schon sehr gemässigt hat, verordne man kein Nitrum mehr,
sondern Salmiak in Fliederwasser, mit etwas Vinum stibiat. oder Tart. eme-
ticus. Dies befördert die Diaphoresis, die hier häufig als günstige Krise
eintritt. Auch begün.stigen diese Mittel die Krise durch den Urin. Fol-
gende Formel hat mir hier oft viel geleistet: ^r Sah ammon. dep., Shcc.
iiquir. ana 5jj — jjj » 'i<l- flor. smnhiivi gvjjj , Sijr. aUhficac 5J , Tart. emetici
gr. j. M. S. Stündlich einen Esslölfel voll, c) Was die Cur der Si/nochn
uervosrt , des erethistischen Fiebers betrifft, so muss auch hier im
Allgemeinen antiphlogistisch verfahren werden. Man vergesse nicht, dass
die Synocha sanguinea bei zarten Subjecten häufig in diese Form über-
'springt, sowie denn auch das Zunehmen bedeutender Localentzündinigen
andererseits aus der Synocha nervosa eine Synocha sanguinea machen kann.
Die Eigenthümlichkcit des entzündlich - nervösen Fiebers erfordert manche
Modificationen des antiphlogistischen Apparats und manche Rück.sichten , die
hier erörtert werden müssen. «) Etwa fortwirkende ursächliche Schädlich-
keiten , z. B. Knochensplitter des Craniums etc. entferne man, p) Man ver-
mindere alle Sinnesreize. Ein dunkles Zimmer, Geräuschlosigkeit, wenig
Umgebung, höchst reine Zimmerluft, kein Räuchern, kein Tabaksdampf,
sind nothweudig zu berücksichtigende Dinge. Doch vermeide man auch
' FEBRIS 709
Langeweile des Kranken; einen Gesellschafter zur ruhigen Unterhaltung
niuss er haben, sonst verfolgt er fixe Ideen , kommt auf Ideenjagd und sinkt
immer tiefer in seine Phantasien, y) Höchst wichtig ist kühle Luft, kühle
Temperatur, tägliche Erneuerung der Ziramerluft. Das Krankenzimmer darf
im Winter nicht über 10° R. geheizt werden, in den heissen Sommertagen
kühle man die Luft durch Einsprengen mit kaltem Wasser und Essig ab,
wo der Verdunstungsprocess Kälte zurücklässt, und wiederhole dies täglich
einige Mal. J) Man scheue bei jugendlichen robusten Subjecten weder die
allgemeinen, noch die örtlichen Blutausleerungen. Sie sind oft höchst noth-
wendig, besonders in den ersten 3 — 5 Tagen der Krankheit, doch handle
man mit Vorsicht und übertreibe das Schwächen nicht; oft reicht man schon
mit Blutegeln an die Schläfen aus. f) Innerlich passen vorzüglich Purgir-
salze, z. B. Sal Glauberi, Sal anglic. I^ Sah Glnuheri 5Jj, Aquae fontanae
föj» Oxym. simpl. 3Jjj. M. S. Stündlich 2 Esslöffel volL Sie leiten vor-
trefflich vom Kopfe ab und wirken zugleich wohlthätig auf die Leber, ent-
fernen auch die vielleicht schon übermässig abgesonderte Galle, die sonst
leicht als kranker Reiz die gastrischen Symptome vermehrt. C) Am 4ten,
5ten Tage der Krankheit, wenn sich das Fieber durch fortgesetztes Purgi-
reu gemässigt hat, passt besonders der Mercur. dulcis, Abends und Mor-
gens zu 1 — 2 Granen, oft auch mit Nutzen in Verbindung eines Graus
Herb, digitalis (Af.). Ausserdem sind hier auch die Mineralsäuren jetzt
sehr nützlich, besonders Acid. muriat. oxjgenat. , Elix. acid. Halleri, z. B.
I^ Elix. acid. Hallcri 5jj? Syr. ruh. idaei 5Jjj. M. S. Stündlich einen Thee-
löffel voll mit einem Glase kalten, frischen Wassers zu nehmen. Oder fol-
gende Formel: I^ Acid. muriat. oxygen. g)^ — 5J, Aquae destillatac 3vjjj,
Syr. simpt. ^j. M. det. in vitr. nigr. color, S. Stündlich 1 Esslöffel voll.
Doch wende man bis zum 5ten, 7ten Tage der Krankheit erst die vegetabi-
lischen Säuren, die Fiebergetränke in Menge an (s. Febris). /;) Der Kopf
des Kranken muss sehr kühl gehalten werden und hoch liegen , nicht in
F'ederkissen , sondern in Pferdehaarmatrazzen. Sind die ZuHille heftig, so
sind kalte Kopfumschläge von Eis, Schnee, Essig, Wasser, im Sommer mit
Nitrum und Salmiak, das als Pulver jedesmal vor dem Auflegen aufgestreut
wird, vermischt, die herrlichsten Mittel, die in jedem Stadium passen, nichts
weniger als schwächen und, früh angewandt, oft allen gefährlichen Folgen
vorbeugen. Vor Erkältung fürchte man sich nicht; denn in diesem Fieber
kann der Mensch sich ebenso wenig erkälten , als der Maniacus im Irren-
hause. Auch die kalten Sturzbäder nach C'«mc, Fröhlich u. A. sind hier
oft nothwendig (s. Scarlatina). i9) Man vermeide alle reizenden, er-
hitzenden Arzneien und Nahrungsmittel ; man richte sich genau nach dem
Verlaufe des Fiebers, und glaubt man aus den Zeichen auf den Übergang
des Krankheitscharakters in wahre Schwäche, auf sogenanntes typhöses,
nervöses Fieber schliessen zu dürfen, so fange man dennoch mit den leich-
testen excitirenden Mitteln au , gebe anfangs Aqua oxymuriatica mit Infus,
valerianae, oder Infus, valerianae mit Pot. Riverii, etwas Salmiak, Tart.
emeticus u. s. w.
Fchris ijitermitlens, Dialcipyra, das Wechselfieber, kalte P'ieber,
aussetzende Fieber, Fieber schlechtweg. Es giebt eine ganze Gat-
tung von aussetzenden Fiebern , die ihren Namen dem Typus verdanken,
der hier allerdings sehr merkwürdig ist und uns über die eigentliclie Natur
dieser Fieber durch Analogie Aufschluss giebt, indem wir das Wechselfieber
als den Neurosen sehr ähnlich finden , die , wie z. B. Epilepsie , Katalepsie,
Chorea etc. alle gleichfalls etwas Periodisches haben ; der Unterschied ist
vorzüglich der, dass bei der Febris intermittens in der Regel das G^nglien-
und Spinalnervensystem vorzugsweise krankhaft ergriffen ist , bei der Epi-
lepsie und Katalepsie dagegen mehr das Gehirn, daher der Mangel an Be-
wusstseyn; doch giebt es auch bösartige Wechselfieber, wobei sidi die
krankhafte Affection bis zum Gehirn dergestalt erstreckt, dass Phantasiren,
selbst heftige Raserei, Bewusstlosigkeit erfolgen. Symptome und Dia-
gnose dieser Fiebergattung. Die Intermittens zeichnet sich dadurch au«,
710 FEBRIS
dass der Kranko nach jedem Fieberaiifall, der sich durch starken, oft stun-
denlang anhaltenden Frost und mehrere Stunden dauernde Hitze zu erken-
nen giebt, eine freie Zwischenzeit hat, wo er sich anscheinend wohl be-
findet , und , wenige schlimme Fälle ausgenommen , seinen gewohnten Ge-
schäften nachgehen kann , wenn anders nicht schon durch die Länge der
Zeit und durch die öftere Wiederkehr der Anfalle der Körper zu schwach
geworden ist. Der Frost dauert selten über eine Stunde, ist recht heftig,
mit Blauwerden der Lippen, Kälte der Glieder, Blauwerden der Nägel und
Zähneklappern verbunden; dann stellt sich die trockne Hitze mit heftigem
Kopfschmerz, schnellem, ängstlichem Athraen, grossem Durstete, ein, dauert
S — 6 Stunden, worauf dann nach ein paar Stunden feuchte Hitze, reich-
licher Schweiss und Erleichterung von allen Beschwerden folgen. Gewöhn-
lich endet der Paroxysmus mit einem erquickenden Schlafe, und der Kranke
erwacht, einige Mattigkeit abgerechnet, ganz wohl und munter. Der Fie-
beranfall kommt entweder alle Tage , oder einen Tag um den andern , oder
noch seltener: darauf stützt sich die Eintheilung des kalten Fiebers in täg-
liches, dreitägliches, viertägliches Fieber (Febris intermittens
quotidiana, tertiana, quartana), welche wir auch schlechtweg Quotidiana,
Tertiana, Quartana nennen. Die Alten haben an der Eintheilung die-
ses Fiebers nach dem Typus viel subtilisirt, was für die Praxis wenig
Werth hat, und mancher akademische Lehrer thut sich selbst darauf etwas
zu Gute, in seinem Auditorium oder seiner Klinik stundenlang darüber zu
schwatzen , um dadurch seine Belesenheit an den Tag zu legen. Nur allein
für die Prognose hat der Typus einigen Werth; wdr wissen nämlich aus der
Erfahrung, dass in der Regel die Krankheit um so leichter geheilt werden
kann, je häufiger der Anfall kommt, ganz so, wie es mit der Epilepsie der
Fall ist; ferner, dass ein Wechselfieber mit Typus vagus und anticipans
leichter ist als mit Typus fixus und postponens, was eine zweite Ähnlich-
keit hinsichtlich der Prognose der Epilepsie abgiebt. Daher ist die Quoti-
diana leichter als die Tertiana, und diese leichter als die Quartana zu hei-
len , und Metamorphosen von der Quotidiana zur Tertiana und Quartana
zeigen Verschlimmerung, das Gegentheil Besserung an. Einige schulgerechte
Eintheilungen und Formen der Febr. intermittens nach dem Typus und den
oft nur supponirten Compositionen mehrerer dieser Fieber in einem Kran-
ken mögen hier Platz finden: 1) Febris intermittens quotidiana, das tägli-
che Wechselfi eher, fängt meist des Morgens an, der Frost dauert sel-
ten länger als «/, — % Stunde, seine Hitze zieht sich lange hin, so dass die
Apyrexie oft kaum 1 Stunde dauert. Häufig hat es den Typus anücipans
und geht leicht in eine Febr. remittens über. Sehr ähnlich sind sich die
einzelnen Anfälle an den Tagen 1, 3, 5, 7, 9, 11 etc., und wieder die
Paroxysmen an den Tagen 2, 4, 6, 8, 10, 12 etc., sowol in Betreff ihrer
Intensität, als ihres Typus, der Zeit ihres Beginnens etc. Daher kommt es,
dass Viele deshalb sagen , es sey eine Febr. tertiana duplicata , was ebenso
wenig der Fall ist, wie bei andern Fiebern, die an den ungleichen Tagen
heftiger als an den gleichen erscheinen (Himli/). Feuchte Kälte im Früh-
ling, im Herbst und in feuchten Wintern befördert die Quotidiana am mei-
sten. 2) Fehris intermittens tertiana, das dreitägliche (nicht dreitägige)
Wechselfieber; denn es kommt jeden dritten Tag und nur ein freier
Tag ist dazwischen. Es beginnt meist des Mittags, besonders gegen 11 Uhr
(M. ), mit starkem Froste, worauf heftige Hitze, starke Kopfschmerzen,
selbst Delirien folgen Es ist die häufigste Form von Wechselfieber und
ist bei uns meist immer mit gastrischen Beschwerdeu : gelb belegter Zunge,
Neigung zum Erbrechen etc. , verbundpn. Der ganze Paroxysmus dauert
meist 6 — 12 Stunden, dagegen er bei der Quotidiana wol 16 — 20 Stunden
und länger währt. Vorherrschend ist hier der Typus anticipans, wodurch
es sich der Quotidiana nähert. Gute Zeichen sind, wenn die Hitze bald
feucht wird, wenn die Apyrexie immer länger währt, wenn nach dem drit-
ten Paroxysmus ein honigartiger Ausschlag am Munde entsteht. Die Ter-
tiana macht die häufigsten Recidive, besonders an den Tagen 7, 14, 21.
FEBRIS 711
Sie kommt am meisten epidemisch, und dann Im Frühling und Herbste vor
Die Febr. interm. tertiana autumnalis hat oft einen Typus postponens und
nähert sich so der Quartana, wodurch die Krankheit hartnäckiger wird.
S) Fehris intermittens quartana, das viertägliche VVechselfieber, tritt
gewöhnlich gegen Abend und mit starkem, anhaltenden Proste ein, und der
ganze Paroxysmus dauert höchstens 8 — 10 Stunden. Es ist häufig ende-
misch, herrscht in sumpfigen Gegenden; die Menschen bekommen bald eine
schmuzig graue, bleiche Gesichtsfarbe, die Leber und Milz schwellen an,
daher Manche dieses Fieber auch Fehris hepaticn, splenica nannten. Dps
Übel dauert oft viele Monate. Trat es im Frühling auf, so vergeht es oft
im Sommer, trat es aber im Herbst auf, so währt es meist immer und ohne
kräftige Kunsthülfe den ganzen Winter hindurch. Menschen mit atrabilari-
gcher Constitution, mit Unterleibsfehlern, haben die meiste Anlage dazu;
doch habe ich in seltenen Fällen auch Kinder von 4 bis 8 Jahren daran
leiden sehen (M.), besonders atrophische Kinder. 4) Auch will man Fehris
interm. quintanae, sextanae, septanae, octanae beobachtet haben; doch hat
man hier wol häufig Recidive mit dem Typus verwechselt, oder es waren
irreguläre Tertian - und Quartanfieber. 5) Sind die Perioden beim Wech-
selfieber constant, so nennt man es Fehr. interm. regularis; wo aber das
Gegentheil stattfindet, Fehr. interm, irregularis, atypica , vaga, erratica.
Zuweilen folgt der zweite Paroxysmus, wenn die Fieberhitze des ersten
noch nicht ganz abgezogen ist {Fehr. interm. suhintrans); ist die Krankheit
so beschaffen, dass sie, wie in manchen schlimmen und complicirten Fällen,
in ein anhaltendes Fieber übergeht {Fehr. interm. stthcontinua^ , und ist der
Typus feststehend {Fehr. interm. fixa') , so giebt dies eine ungünstigere Pro-
gnose als wenn das Gegentheil stattfindet. 6) Man hat einfache und dop-
pelte, zusammengesetzte und verwickelte, gutartige und bösartige Wechsei-
fieber {Fehr. interm. simplex, dxi/plex vel triplex, composita, complexa, henigna
et maligna') statuirt. Kommen bei der Quotidiana in 24 Stunden zwei Par-
oxysmen, was sehr selten der Fall ist, so ists eine Fehr. interm. quotidiana
duplex; häufiger ist die Quartana duplex oder triplex, wo jeden Tag irgend
ein Fieberanfall vorkommt. Das Doppelfieber nennt man eine Fehr. com-
posita, die Verbindung der Quotidianfieber mit der Tertiana, oder der letz-
tern mit der Quartana eine Fehr. interm. complexa ( Hemitritaeus , Febr.
hemitritaea, Febr. mesenteria, tritaeophyia ) Diese Subtilitäten sind ohne
praktischen Werth, und dann ist es auch noch die grosse Frage, ob man
das Typische einer einfachen Quotidiana, Tertiana und Quartana, das nach
Mondwechsel etc. sich buntscheckig verändern kann , hier wol richtig ge-
deutet hat? Zu den bösartigen Wechselfiebern rechnet man die Febr. interm.
suhcontinuae und die Fehr. interm. comitatae, welche letztere meistens von
schlimmen Zufällen, von soporösen, apoplektischen, asthmatischen, synkopti-
schen und andern Affectionen, von übermässigen Schweissen etc. begleitet
sind , daher man sie Fehr. interm. soporosae, afoplecticae, sy7icopales, nsthma-
ticae, epialae genannt hat. Verschiedene bösartige epidemische, endemische
und miasmatische Fieber, z. B. die Sommer- und Stoppelfieber, welche in
den Jahren 1826 — 29 in Holland an den Küsten der Nordsee, im Ditmai-
schen , Oldenburgischen, Holsteinschen, ja hier und da in ganz Norddeutsch-
land herrschten, zum Theil selbst das ungarische Fieber, das englische
Schweissfieber, verschiedene fieberhafte Volkskrankheiten in Scandinavien,
Westindien u. s. f. gehören hierher 7) Es giebt offenbare und verlarvte
Wechselfieber ( Fehr. interm. manifestae et larvatae) , deren Diagnose sehr
wichtig ist. Wenn zu den verschiedenen Zeiten, wo im Allgemeinen der
Krankheitsgenius zur Intermittens neigt, wie dies z. B. hier in Mecklenburg
seit einigen Jahren der Fall ist, Kopfschmerz, Zahnschmerz, apoplektische
und soporöse Anfälle , Blindheit etc. einen intermittirenden und regelmässigen
Typus haben, so können und müssen wir annehmen, dass hier eine Febr.
interm. larvata stattfinde. Selbst wenn der Typus unregelmässig ist, bleibt
diese Annahme für die Praxis von Werth. 8) Den Unterschied in epide-
mische, sporadische und endemische VVechselfieber hat die tägliche
712 FEBRIS
Erfahrung als richtig bestätigt. Sowie in Holland die Krankheit an ver-
schiedenen Orten fast immer endemisch ist, so war sie seit einigen Jahren
nach der bösartigen Epidemie in Groningen fast in ganz Deutschland epide-
misch, und noch jetzt kommt sie in meiner Praxis sporadisch in jeder Jah-
reszeit, und im Frühling häufig epidemisch vor. 9) Höchst wichtig ist für
den Praktiker die Eintheilung der Wechselfieber nach der Natur und dem
Charakter derselben. Hier unterscheiden wir a) Fchr. interm, simplex , ¥.
interni. nervosa simplex (Frnjifc), das einfache, nicht mit ungewöhnlichen
Symptomen begleiiete Wechselfieber; i») Fchr. interm. composita. Zu dem
zusammengesetzten Wechselfieber rechnen wir «) die Febr. interm. inflam-
matoria, welche meist immer eine F. subcontinua ist, deutlich entzündliche
Zufälle äussert, und nach Umständen zu Anfange mehr oder weniger anti-
phlogistisch behandelt werden muss; /S) die F. interm. saburralis; y) die F.
interm. biliosa; d) die F. interm. pituitosa; s) die F. interm. atrabilaris s.
venosa; f) die F. interm. putrida ; tj) die F. interm. verminosa; &~) die F.
interm. maligna, c) Das örtliche Wechselfieber (F. interm. topica). Ist in
der Regel eine Febr. interm. larvata, rf) Das symptomatische Wechselfieber
(F. interm. symptomatica). Ist häufig ein Wurm - oder Wechselfieber mit
intermittirendem Typus. Weiterer Verlauf der Wechselfieber. 1) Ge-
radezu sind sie , die F. interm. malignae , perniciosae , comatosae , comitatae
ausgenommen, selten tödtlich. Letztere tödten zuweilen im Stadium des
Frostes durch Krampf, Apoplexie, oder im Stadium der Hitze, wie z. B.
der Anglicus sudor durch ungeheure Schweisse. Auch in den Epidemien der
Influenza , der Febr. catarrhalis maligna waren die bösartigen Wechselfieber
sehr häufig (s. Influenza). 2) Sehr oft gehen die intermittirenden Fie-
ber in remittirende über; besonders die Quotidiana cum typo anticipante;
und zu eingewurzelten Quartanis kommt leicht Febr. hectica. 3) Eine Febr.
jntermittens geht oft in die andere über, z. B. die Tertiana cum typo an-
ticipante in die Quotidiana, und durch den Typum postponentem in die
Quartana. 4) Oft verschwindet das Wechselfieber eine Zeit lang, kehrt
aber als Recidiv wieder. 5) Sehr häufig bilden sich sogenannte Fieberku-
chen, nämlich Geschwülste in der Milz, in der Leber, seltener im Pankreas
und den raesentferischen Drüsen. Sie vergrössern sich während des Anfalls
und bei Luna crescente, vermindern sich etwas während der Intermission
und bei Luna decrescente (Mos*)? zuweilen erreichen sie eine ungeheure
Grösse; so fand unter andern Monro eine 40 ß schwere Milz, die durch
eine hartnäckige Quartana sich so vergrössert hatte. In Mantua, wo die
Quartanae endemisch sind , tragen viele Menschen die ungeheuer grosse Le-
ber und Milz in einem Tragbeutel (Foderc). Bei der Quotidiana sind die
Fieberkuchen sehr selten , häufiger bei der Tertiana , am häufigsten bei der
Quartana. Je jünger der Kranke und je stärker und anhaltender hier der
Fieberfrost ist, desto leichter entstehen sie. Häufig zeigen sie sich erst
dann , wenn ein habituelles Fieber durch die China gehoben ist. 6) Bei
langwierigen Wechselfiebern entsteht leicht Wassersucht, sehr oft erst Oe-
dema pedum, später Hydrops abdominalis, pectoris, universalis, zum Theii
herrührend von den organischen Leber- und Milzleiden. Bei frischem Wech-
selfieber entsteht nach schneller Heilung desselben oft ein kritischer Hydrops
pedum sehr schnell, verschwindet aber, ohne dass ein Recidiv erfolgt, in
8 — 14 Tagen durch den Gebrauch von Wacholderthee und Calam. arom.
ohne Nachtheil (3fos0- ^ Zuweilen beobachtet man neben der vergrösscr-
ten Leber icterische Zufalle, oder ein Gemisch von Icterus und Chlorosis,
eine schmuzig- gelbliche, bleiche Erdfarbe, wobei die Augen oft weiss und
keine weissen Sedes da sind, sondern zuweilen ein grünlicher, galliger,
selbst kritischer, aus Polycholie hervorgegangener Durchfall. 8) Mit der
Verschlimmerung des Wech'selfiebers bricht zuweilen plötzlich ein krätzarti-
ger Ausschlag hervor , der sich von der wahren Krätze durch einen schnel-
len und allgemeinen Ausbruch unterscheidet. Zuweilen ist er blos Folge
vom starken Schwitzen und Unreinlichkeit, wo er weniger zu bedeuten hat.
In manchen bösartigen Fieberepidemien sah man auch FricselausscMag ne-
FEBRIS , 713
ben dem Wechselfieber. 9) Ein Wechselfieber kann, besonders bei Kindern,
in Epilepsie übergehen , wovon ich drei Fälle beobachtet habe. Auch fin-
den sich mehrere in altern Schriftstellern aufgezeichnet (s. Solenander, Con-
sil. med. Francof. 1596. Fol. Sect. 1. cons. 25. Beaumes von den Convuls.
der Kinder. 1791. S. 237. Ahlefeld, Diss. de Epilepsia febr. interm. comite.
Giess. 1765. Motion, Pyretol, Cap. 9. bist. l4. Lyso7i's prakt. Abhandl.
V. Wechselfieber. 1774. S. 107. Medicus, Samml. von Beobacht. Bd. 11.
S. S73, 387, 409. Zürich 1764). Andererseits hat manches Wechelfieber
auch Epilepsie geheilt. In andern Fällen entstand durch die öftern Con-
gestionen zum Kopfe während der Frostperiode bei jungen, zarten Subjecten
Stumpfsinn und Blödsinn. 10) Das sporadische Wechselfieber geht in der
Regel in Gesundheit über, wobei der letzte Anfall, ebenso wie bei Epilepsie,
in der Regel besonders stark ist. Nicht selten dauert die Krankheit bei
vernachlässigter Hülfe mehrere Wochen , und dann bleibt bei der Heilung
grosse Neigung zu Recidiven zurück. 11) In vielen B^ällen ist das Wechsel-
fieber das Heilmittel anderer chronischer Krankheiten (s. Febris). So heilt
die Quartana häufig die Gicht, die Hämorrhoiden, die Hypochondrie, In-
farcten und Verstopfungen in Leber und Milz, indem sie die sogenannte
venöse Dyskrasie, die krankhaft erhöhte, jenen Übeln zum Grunde liegende
Venosität, durch Ausgleichung hebt. Dieses wichtige Wechselfieber, das wir
bis zu einem gewissen Grade als ein Noli me tangere ansehen müssen, nen-
nen wir Febr. interm. atrabilaris. Aber auch jedes andere Wechselfieber,
z. B. die Quotidiana, Tertiana heilt solche Krankheiten, und es ist Regel,
dasselbe bei Epileptischen, bei Amaurose, Taubheit, Gicht, Abdominalübeln
vor dem 5ten bis lOten Anfalle nicht zu heilen. Ursachen der Febr. in-
termittens. Die Krankheit, besonders die epidemische Art, befällt jedes Al-
ter, jede Constitution, jedes Geschlecht; doch sind vorzüglich Menschen mit
sogenannten Verstopfungen der Leber, der Milz, und solche dazu prädispo-
nirt, welche schon früher an Wechselfiebern, auch an der Krätze gelitten
haben {Himly, van Hooven'). Auch chronische Exantheme anderer Art be-
günstigen, insofern sie mit der Leber in Verbindung stehen, die Intermittens,
desgleichen Erysipelas habituale, Urticaria (^Most). Kleine Kinder können
auch am Wechselfieber leiden; doch tritt es hier nicht leicht in seiner gan-
zen Form auf, wenigstens ist das Stadium frigoris fast immer gering. Un-
ter die gelegentlichen Ursachen rechneten die Alten Übermass von Schleim
bei der Quotidiana, von Galle bei der Tertiana, von atra bilis bei der
Quartana (Ce/sws, Galcnus), welche Ansicht jetzt freilich nicht mehr Mode,
aber dennoch nicht ohne praktischen Werth ist. So z. B. ist das mit Sa-
burral - und Wurmfieber auftretende sporadische Wechselfieber meist immer
bei Kindern eine Quotidiana, die Tertiana ist häufig mit gastrischen Be-
schwerden, die Quartana mit atrabilarischem Zustande, mit venöser Dyskra-
sie, verbunden (M.). — Eine vorzügliche, aber noch wenig ihrem Wesen
nach ergründete Ursache liegt in einer besondern Beschaffenheit der Atmo-
sphäre. Daher erklärt sich das häufige Erscheinen des kalten Fiebers in
den Jahren 1806, 1807 bis 1813, worauf es in vielen, nicht sumpfigen Ge-
genden Deutschlands eine Seltenheit wurde , bis es im Jahre 1826 , wo es
zum Theil recht bösartig und complicirt als europäisches Sommer - und
Herbstfieber in den Epidemien zu Groningen, im Oldenburgischen, Holstei-
nischen, Ditmarschen etc. auftrat, wieder erschien und bis jetzt, als Febr.
interm. vernalis und autumnalis, desgleichen hier und da sporadisch im Som-
mer und Winter zur Tagesordnung gehört. Es scheint selbst ausgemachte
Sache zu seyn, dass von der Zeit jener Epidemien an sogar der herrschende
Krankheitscharakter, der früher entzündlich war, sich mehr in den nervös -
gastrischen verwandelt habe (s. Cons ti tut io). L. /. Schmidtniann (Summa
observationum medicarum ex praxi clinica triginta anaor. depromtarum. 1819.
Vol. I. et II.) leitet die Ursache der Abnahme von Febris intermittens von
dem häufigem Genuss des Kaffees her, sich stützend auf seine Beobachtun-
gen , welche ergeben , dass in den Jahren , wo während der französischen
Invasion der theure Kaffee seltener getrunken wurde, die Wechselfieber im
714 . FEBRIS
Osnabrückschen häufiger waren, und wieder abnahmen, als nach dem Frie-
den der Kaffee durch seine Wohlfeilheit wieder mehr Eingang fand. Hier-
bei ist zu bemerken, dass der grosse Cyklus bedeutender Epidemien gerade
in jene Zeit der Continentalsperre fiel, der Kaffee also etwas Zufälliges war,
und wir 1826 trotz der Wohlfeilheit des Kaffees dennoch grosse Wechsel-
fieberepidemien erlebt haben. Dass ein eignes Miasma des kalten Fiebers
existire, ist wohl ziemlich gewiss. Dieses entwickelt sich vorzüglich in
feuchten Gegenden und durch Sumpfluft. So gingen den Epidemien voa
1826 grosse Überschwemmungen, welche Seen und Teiche stehenden Was-
sers bildeten, vorher; so weiss man, dass in einzelnen Städten die Intermit-
tens oft nur in einer Strasse, wo gerade ein stehendes Wasser in der Nähe
war, endemisch herrschte und mit der Austrocknung des Sumpfes, Grabens
etc. auf immer verschwand (Göttingen, Friedrichslust). Feuchte Luft und
Sumpfluft begünstigen das Miasma, aber letzteres kann sich auch in trock-
nen Sommern entwickeln , wie dies unsere Zeit hinlänglich bewiesen hat.
Die Intermittens ist durchaus eine eigenthümliche Krankheit, die von der
Remittens nicht blos dem Grade nach , sondern wesentlich verschieden ist.
Letztere kann zu allen Krankheiten hinzukommen, nicht aber die Intermit-
tens, obgleich sie, besonders die Quotidiana, in die Remittens übergehen
kann. Höchst wahrscheinlich ist das Wechselfieber, ebenso wie der epi-
leptische Insult, nur das Symptom einer tiefer liegenden Krankheit, beson-
ders des Gangliennervensystems und der parenchymatösen Eingeweide, die
bei jeder Intermittens leiden. Dies ist vorzugsweise bei der epidemischen
Form der Fall. Sporadische Wechselfieber sind in einzelnen Fällen , z. B.
die Intermittens atrabilaris, weiter nichts als kräftige Naturbesti'ebungen zur
Ausgleichung der erhöhten anomalen Venosität, sind also theils Präservative,
theils Heilmittel aller aus letzterer entstehenden chronischen Übel. Einige
Ärzte haben specifische Reize körperlicher Art angenommen, die W^echsel-
fiebcr erregen sollen. So will man von einem cariösen Zahne die Krankheit
entstehen gesehen haben. Hier war es wol Täuschung. Doch hat die Er-
fahrung hinlänglich bewiesen, dass Reizungen des Systema uropoeticum al-
lerdings Wechselfieber erregen können (s unten Febrisinterm. exir-
ritatione organornm uropoeticor u m). Prognose. Alle Wechsel-
fieber sind im Allgemeinen gutartige Krankheiten , wenn sie einzelu , spora-
disch vorkommen, nicht zu sehr vernachlässigt werden und die äussern Um-
stände nicht zu ungünstig sind. Eine grosse Ausnahme machen hiervon die
endemischen und die in grossen Epidemien auftretenden Wechselfieber. Er-
stere sind an demselben Orte, z. B. in Mantua, Seeland, Laland , Holland,
oft unheilbar , können mehrere Jahre den Menschen quälen , und nur der
Aufenthalt in einem andern, trocknen und hochliegenden Lande bleibt neben
dem Gebrauch kräftiger Mittel die einzige Hülfe. Die grossen Wechselfie-
berepidemien, wie z.B. das europäische Sommerfieber von 1826, sind gleich-
falls sehr bedeutend. Sie scheinen besonders alle 20 bis 25 Jahre mit neuer
Kraft aufzutreten und oft auf Jahre den Krankheitsgenius umzuändern ; we-
nigstens beobachtete ich dies bei den Epidemien von 1806 und 1826, wo
die Intermittens nie ganz rein , häufig mit gastrischen und nervösen , selbst
mit soporösen, synkoptischen und apoplektischen Zufällen complicirt erschien.
Am schlimmsten sind die in der Mitte der Epidemie auftretenden Wechsel-
fieber. Au.sserdem richtet sich die Prognose zum Theil nach dem kleinen
Typus. Die Tertianae sind im Ganzen besser als die Quotidianae. Letz-
tere entscheiden sich zwar früher, gehen aber leicht durch Typus anficipan.s
in eine Remittens über^ so dass die Apyrexie zuletzt ganz verschwindet und
das fortwährende Fiebern den Kranken .sehr angreift Am Iangwierig,sten
sind die Quartanae; bei ihnen ist die Neigung zu Recidiven am grössten.
Die Febr. interm. vernalis ist besser als die autumnulis. Erstere vergeht
bei guter Witterung und bei zweckmässiger Diät, wenn sie sonst eine Sim-
plex ist, mei.st von selbst, und der Ausschlag am Munde kündigt diesen
günstigen Ausgang an. Dagegen dürfen die Herbstfieber sich nicht selbst
überlassen bleiben, sonst werden sie hartnäckiger und schwer zu heilen.
FEBRIS 715
kennen den ganzen Winter dauern, in anhaltende Fieber fibergehen, end-
lich die Digestionsorgane schwächen , Fieberkuchen und Wassersuchten er-
regen und so den Tod durch Erschöpfung und Hektik herbeiführen. Die
Febr. interm. inflammatoria giebt eine gute , die mit putridem Charakter,
die Subcontinua, die Anomala und die Comitata dagegen eine schlimme
Prognose; doch sind letztere bei früher und richtiger Kunsthülfe schneller
zu heilen als manche sonst gutartige Tertiana und Quartana. Behandlung.
Sie muss theils gegen die Heftigkeit der Anfälle, theils gegen das Grund-
Sbel gerichtet seyn, ist also eine symptomatische und eine radicale.
1) Man vermeide den Genuss fester Speisen kurz vor dem Anfalle, weil
letzterer dadurch heftiger wird , der Magen aber im Fieberfroste nichts ver-
dauen kann, 2) Man lege sich beim Eintritte des Frostes zu Bette und
verhalte sich ruhig, wie bei jedem Fieber (s. Febris). Während des Fro-
stes muss warmer Thee von Flor, sambuci, Flor, chamomillae, aber nichts
Kaltes getrunken werden. Dauert dieses Stadium lange und ist das Fieber
keine Febr. interm. inflammatoria, so kürzen einige Tropfen Liq. anodyn.,
auch wol Tinct. opii den Anfall ab , und schaden nicht. Besonders wohl-
thätig ist dies für schwache Personen, für Schwangere (^Berends). Dr. Mehl-
hausen giebt, wenn vorher die ersten Wege gereinigt worden, kurz vor dem
Anfalle "4 bis l'/o Gran Opium, mit Zucker oder, wenn er China anwendet,
mit der letzten Dose derselben, wonach der Anfall meist ausblieb (s. Rusf»
Magaz. Bd. XXVI. Hft. 2. S. 385). Eine hartnäckige Tertiana, welch©
schon drei Recidive gemacht hatte, heilte ich bei einem 26jährigen Mädchen
durch eine Dosis des folgenden Pulvers . I^r Opii purissimi gr. j , Chinini
sulphurici gr. jj, Cort. cinnnmomi gr. vj, Maijnes. cnrhon. gr. iv, Sacchari
alli 5j. M. f. p. Dieses Pulver wurde kurz vor dem Anfalle genommen.
Es erfolgte allgemeine Wärme und der schon beginnende Frost verschwand.
Der nächste Anfall kam nicht wieder, auch späterhin kein Recidiv; doch
stellte sich nun Oedema pedum ein, was indessen binnen 14 Tagen durch
Wacholderthee verschwand. 3) Der Anfall wird sehr vermindert , ja wol
ganz verhütet, wenn man kurz vor seinem Eintritte ein laues Bad von Cha-
millen nimmt. Noch wirksamer ists, wenn man eine halbe Stunde vor dem
Anfalle (man sieht den bald eintretenden Paroxysmus schon um diese Zeit
an der veränderten bläulich - blassen Gesichtsfarbe) die in Paris zuerst be-
kannt gewordenen kreisföi-migen Umschnürungen der Glieder mittels 2 — 2'/3
Zoll breiter Bänder, oder die Compression der Arterien mittels eines Tour-
niquets anwendet (s. Bourgery: Quelques faits sur l'emploi des ligatures des
membres dans la plupart des maladies periodiques. Paris, 18^7. TroschcJ m
Gräfe's und Wnlther^s Journal der Chirurgie und Augenheilkunde, Bd. Xl.
Hft. 2. 1828. S. 322. Archiv, general. de M6dec. T. XV.). Beide Mittel
bewirken oft, dass der Anfall ganz ausbleibt, die Ligaturen sind indessen
der gewagtem Compression der Arterien vorzuziehen. Man hemmt dadurch
nur die Circulation in den oberflächlichen Venen und Arterien. Die Wir-
kung ist Gefühl von Taubheit, das sich selbst bis zum Schmerze steigert,
wo es alsdann Zeit ist die Binden zu lösen. In der Regel lässt man sie
nur eine halbe Stunde lang liegen, und löst sie dann allmälig von allen vier
Gliedmassen in Zwischenräumen von einigen Minuten. Bei der ersten An-
wendung bleibt häufig das Froststadium nur aus , bei der zweiten bei be-
vorstehendem folgenden Paroxysmus oft alle Fieberstadien. Nach Bourgery
ist das Binden in England, namentlich in Wales, schon lange ein Volksmittel.
Ich habe bei mehreren Kranken diese kreisförmigen Umschnürungen mit
Nutzen z>ir Abkürzung des Fieberanfalls angewandt, konnte aber nur iu
leichten Fällen das Fieber dadurch allein heilen (M.). 4) Ist der Fieber-
frost vorüber , tritt die Hitze ein , so müssen die säuerlichen Fiebergetränke
reichlich getrunken und der Schweiss abgewartet werden (s. Febris).
Auch das kalte Brunnenwasser, öfters und in kleinen Portionen getrunken,
kühlt ganz vortrefflich und schadet hier durchaus nicht. Ist das Fieber
abgezogen, so muss wegen des Schweisses mit Vorsicht die Leib- und Bett-
wäsche gewechselt werden. Dies erleichtert sehr und befördert Ruhe und
716 FEBRIS
Schlaf. 5) Ausser den schon genannten Mitteln zur Verminderung oder Ab-
haltung des nahe bevorstehenden Anfalls , die nicht immer blosse Palliative,
sondern zuweilen auch Radicalmittel sind, indem die Verhütung eines An-
falls schon einen bedeutenden Eingriff in das Typische, Periof^lsche der
Paroxysmen macht, den mächtigen Gewohnheitstrieb schwächt und so die
perverse Natur wohlthätig umstimmt, gehören hieher noch folgende oft sehr
wirksame Mittel: a) Ein Vomitiv aus Tart. emet. und Ipecacuanha kurz
vor dem Anfalle genommen; besonders nützlich bei gleichzeitigen gastrischen
Beschwerden. Man kann es eine Stunde vor dem Anfalle reichen, b) Ein
Hausmittel bei unsern Landleuten ist Branntwein und Pfeffer, zwei Stunden
vor dem Anfalle genommen, das häufig letztern verhütet. Doch passt es
nicht bei der Intermittens inflammatoria. c) In andern Fällen wurde der
Anfall vermindert oder abgehalten durch starken Kaffee, mit Wein infundirt,
durch Reiben und Bürsten des ganzen Körpers , durch Bewegung im Freien,
in warmer Luft, durch verschiedene sympathetische Mittel, die oft auf eine
wunderbare Weise höchst wirksam sind , wie ich in mehr als hundert Fäl-
len beobachtet habe, und deren unten gedacht werden soll; auch die Elektri-
cität und der Galvanismus , schon die einmalige Anwendung dieser Kräfte,
bewirkte in mehreren Fällen gründliche Heilung (Afosf). Radicalcur des
Wechselfiebers. Ein höchst wirksames Specificum ist bekanntlich die Chi-
narinde und die aus ihr bereiteten Präparate: das Extr. chinae frig. parat.,
besonders aber das Chininum sulphuricum und Chininum muriaticum. Da es
aber sehr viele Fälle giebt, wo wir höchst schlecht fahren würden, wenn
wir diese Specifica sogleich anwenden wollten, wo es überhaupt besser ist,
das Fieber eine Zeit lang als etwas Kritisches zu dulden, als es zu vertrei-
ben ; so werden folgende Cautelen hier am rechten Orte seyn : 1) Die Fälle,
wo ein Wechselfieber sehr heilsam gegen venöse Dyskrasie, gegen Neurosen
aller Art ist, sind schon oben angegeben worden. Hier dürfen wir vor dem
7ten, lOten Anfalle nichts gegen das Fieber thun, nur die symptomatischen
und palliativen Mittel: Fliederthee im Froste, Fiebergetränke in der Hitze,
sind hier an ihrer Stelle. Aber auch bei sonst gesunden Naturen stopfe
man ein gewöhnliches Wechselfieber ja nicht zu schnell , sonst entstehen
leicht manche B'olgekrankheiten; denn sowie die contagiösen acuten Exan-
theme, sind sie einmal eingetreten, ihren Verlauf machen müssen, der nie
ganz gestört, sondern in Betreff seiner Heftigkeit nur gemässigt werden darf,
ebenso ists mit dem miasmatischen Wechselfieber. Diese Meinung älterer
und zum Theil neuerer Ärzte (^Sydeiihnm, Marcus^ hat viel Wahres, und
daher ists bei mir Regel, vor dem 4ten Anfall keine China oder Chinasalze,,
sondern auflösende und ausleerende Mittel zu geben ; doch warte man auch
nicht zu lange damit; denn a) je länger das Fieber dauert, desto hartnäcki-
ger wird es; b) desto mehr zieht es tiefere Verderbniss: Kachexien, Fie-
berkuchen, Oedem, nach sich; c) desto schwerer ists nachher durch Chuia
zu heben, weil die Digestion schon sehr gelitten hat und die China dann
Durchfälle erregt ; d) weil alsdann die Neigung zu den luiangenehmen Reci-
diven grösser ist; e) weil die Febr. interm. comatosa dann schon manchmal
den Tod herbeigeführt hat. Man warte bei gesunden Personen und bei den
bedeutenden Wechselfiebern ja nicht zu lange mit der Radicalcur. 2) Um
radical zu heilen, suche man die gelegentlichen Ursachen, die die Krankheit
unterhalten, zuerst auf, und entferne sie. In den meisten Fällen passt zu-
erst ein gelindes auflösendes Mittel , z. B. Pot. Riverii mit Aq. tior. sam-
buci und Salmiak, dann ein Vomitiv; denn wenn es auch gerade keine
Intermittens gastrica ist, so stört der Fieberfrost doch immer etwas die
Verdauung, und leicht finden sich Sordes vor. Ausserdem wirkt das Vomi-
tiv auch als erschütterndes Mittel wohlthätig aufs Nervensystem. Bleibt das
Fieber dadurch noch nicht weg, so giebt man die China; z. B. die China
flava pulverisata, stündlich zu ^j — 5|>, oder auch Chininum muriaticum,
gr. jv — jj mit Zucker, 'wovon in jeder Apyrexie stündlich ein Pulver ge-
nommen wird. Gern .setze ich einige Gran Magnesia zu jeder Dosis des
Chinins, weil letzteres, meinen Beobachtungen zufolge, daduich v>irksauier
FEBRIS 717
•vjrd, sowie denn auch schon die Altern, z. B. Fr'iedr. Hoffinniin, Jf 'Ulis
u, A. kaiische Mittel zum Chinadecocte rein empirisch hinzufügten, z. B.
Ölv Sal essent. tartari zu 8 Unzen Decoct. Chinae, wodurch freilich wol eine
chemische Zersetzung, aber eben deswegen, nach meinen Beobachtungen,
ein höherer Grad der Wirksamkeit der China bezweckt wird (Most)- ^^
fielen B'ä'Ien habe ich bei armen Leuten mit kleinen Dosen China und Tart.
emeticus VVechselfieber, die schon 3 — 5 Wochen und länger dauerten, glück-
lich geheilt und dadurch Kosten erspart ; z. B. I^ Tart. emctici gr. jj , Chi-
nin, sulphur. gr. vj, Maines, carbon. 3j» Sacchari albi 5jj. M. f. pulv. Di-
vide in xjj p. aeq. S. Alle 1—2 Stunden 1 Pulver mit Wasser. 3) Bei
der Febr. intermittens inttammatoria ist während der Anfälle ein harter, vol-
ler Puls, viel Brustbeschwerde, Angst, Kopfschmerz, besonders heftige Hitze,
grosser Durst. Jugendliches Alter, sanguinische Constitution, trocknes, hel-
les Wetter im Februar, März und April begünstigen diese Form, die fast
immer eine Quotidiaua, selten eine Tertiana ist und wobei nur geringe Apy-
rexie stattfindet, indem die Anfälle sehr anhaltend sind. Cur. GeJind anti-
phlogistisch: Crem, tartari, Pot. Riverii mit Salmiak und Tart. emet. in refr.
dosi, Vermeidung alles Erhitzenden, täglich ableitende Klystiere, in der Fie-
berhitze die bekannten Fiebergetränke sind anzurathen. Später passen Infus-
flor. chamomillae, Elix. acid. Halleri, dreimal täglich 20 Tropfen in einem
Glase Wasser (M.), und erst, wenn keine entzündliche Diathese mehr da
ist, dient die China, aber nicht in Substanz, sondern als Decoct. Giebt
man sie früher , so bringt sie grossen Schaden. Sind die Bruststiche an-
haltend, besonders in den ersten drei Tagen der Krankheit, so müssen
selbst Aderlässe und Blutegel angewandt werden. Man scheue • sich, hier
nicht vor der Venaesection , denn neuere Erfahrungen haben gelehrt ; das«
sie selbst während des Frostes angewandt nützlich war, den Paroxysmus
abkürzte und die heftigen Congestionen zum Kopfe und zu deii Lungen mäs-
sigte (s. Macintosh in Edinb. med. änd surg. Journ. Apr. u. Octbr. 1827.
Hurn's Archiv, 1828. Mai u. Juni S. 508— 564. Reich in RusCs Magaz.
1830. Bd. XXXI. Hft. 2. S. 322 u. i.). Wenn Hr. Prof. Reich indessen so
weit geht, jedes Wechselfieber, sowol das frische als das veraltete, durch
Aderlassen curiren zu wollen, wenn er die Lungenentzündung mit der In-
termittens identificirt, so möchte diese Ansicht doch wol nur einseitig ge-
nannt werden. Zwar stützt er sich auf seine vieljährige Erfahrung und
versichert, dass die Venaesection hier allen schlimmen Folgen der Intermit-
tens vorbeuge. Aber dagegen wird öine grosse Menge anderer Praktiker
sich gleichfalls auf die Erfahrung berufen und versichern können, dass durch
ein Emeticum, durch China und Chinin ebenfalls Wechselfieber oluie schlimmo
Folgen geheilt worden sind. Ein Nichtarzt in hiesiger Gegend, der meh-
rere hundert Wechselfieber durch sympathetische Mittel geheilt haben will,
hat auch ein Recht sich auf seine Erfahrungen zu berufen. Hier müssen
>-vir doch einen Unterschied zwischen Erfahrung und Erfahrung machen.
Keine wahre Pneumonie wird durch Sympathie geheilt werden können, wol
aber ein Wechselfieber; der praktische Arzt unterscheidet genauer, und er
lässt in vorkommenden Fällen , bei heftigen Brustaffectionen und VoUsaftig-
keit auch bei der Intermittens dreist zur Ader, ohne deswegen jene Zufälle
gleich Pneumonie zu nennen ; aber er berücksichtigt auch den stationären
Krankheitsgenius und schwächt nicht ohne Noth (s. Constitutio). Die
neuesten Erfahrungen des Dr. William Stokes in Dublin (s. Edinb. med.
and surg. Journ. 1829. Jan. Horn^s Archiv, 1830. April und Mai S. 340),
betreifend das Aderlassen bei Wechselfiebern, sprechen gar nicht für die
allgemeine Anwendung desselben, we Hr. Reich es will, sondern eher für
das Gegentheil. 4) Die Febr. intermittens saburralis erfordert zuerst ein
Brechmittel, dann in den fieberfreien Tagen Abführungen von Infus, lax.
Vienn. , Aq. chamomill. und Tinct. rhei aquos., späterhin bittere Extracte.
Die Chinarinde ist hier selten nöthig (^Berends). 5) Die Febr. intermittens
gastrica, biliosa, muss gleichfalls mit einem Brechmittel behandelt werden,
das- man zwei Stunden vor dem Anfalle giebt. Häufig bleibt da« Fieber
718 FEBRIS
darnach schon aus. Im Frühling hat es zugleich oft eine entzündliche Na-
tur, die die Behandlung der Febr. interm. inflammatoria erfordert. Ist diese
entfernt oder nicht zugegen, so passt Decoct. cort. chiuae regiae mit Chi-
nin, sulphuricum. Das gallige Herbstwechselfieber nimmt leicht einen putri-
den Charakter an und wird eine continua, wenn wir das Vomitiv versäumen.
Nach Anwendung desselben geben wir die China in Substanz, alle 2 Stun-
den 3)V» und daneben in der andern freien Stunde jedesmal eins von fol-
genden Pulvern: ^; Chinhii murintici gr. j, Mngnes. carhon. , Cort. cinnamomi
ana gr. iv, Opii puri gr. 74, Sacchnri alhi 3j. M. f. p. (M.), wodurch es
in der Regel geheilt v>ird, wenn wir eine ganze Apyrexie hindurch Nacht
und Tag eingeben. 6) Die Febr. intermittens pituitosa erscheint gewöhn-
lich als Quotidiana oder Quartana, sie ist oft recht hartnäckig uud wird
leicht habituell und chronisch. Cur. Zuerst die Behandlung des Schleim-
fiebers (s. Febris pituitosa), dann Decoct. chinae reg. mit Salmiak und
Vin. stibiatum. 7) Die Febr. intermittens atrabilaris s. venosa erkennt man
an der atrabilarischen Constitution , an der erhöhten Venosität. Sie findet
sich am häufigsten bei gichtischen , hämorrhoidalischen , hypochondrischen
Personen mit chronischen Digestionsfehlern, gelblicher Gesichtsfarbe etc.
Cur. Man lasse mehrere Anfälle vorbeigehen, ehe man das Fieber durch
China und Chinin heilt, gebe anfangs Pot. Riverii, Aq. flor. chamomillae,
Salmiak und Tart. emet. in refr. dosi, später erst ein Vomitiv, dann erst
Cort. chinae, Chinin., aber noch in Verbindung mit Extr. graminis, taraxaci,
Salmiak u. dgl. 8) Febr. intermittens maligna, perniciosa, comitata, sopo-
rosa, apoplectica etc. Die bösartigen Wechselfieber zeigen sich vorzüglich
nur zur Zeit der epidemischen Intermittens. Da nun der Genius der Epi-
demie nicht immer derselbe ist, so passt auch nicht immer ein und dieselbe
Behandlung. Medicus gab zu seiner Zeit Nitrum mit China und Hess häufig
zur Ader. IVerlhof gab, wenn der Anfall kommen wollte, Ol. animale Dip-
pelii, Störcl{ liess die Kranken warm reiben und gab während des Frostes
Naphtha vitrioli p. d. Sj? wodurch eine heftige Erschütterung entstand, die
sich mit schleunigem Abziehen des Frostes in eine angenehme Wärme auf-
löste. Berencls sagt (Vorles. Bd. II. S. 250): „Bei diesen Fiebern kommt
alles darauf an, dass man bald eine richtige Diagnose gewinne. Selten über-
lebt ein Kranker den fünften Paroxysmus. Der herrschende, stationäre oder
epidemische Krankheitscharakter (s. Constitutio), die ungewöhnliche
Form der Krankheit, das Erscheinen eines ziegelrothen Bodensatzes im Urin,
welcher sich aber leider! oft erst zu spät zeigt, erleichtern die Diagnose."
Charakteristisch ist auch das plötzliche Auftreten eines bedeutenden Fiebers,
häufig schon in den ersten fünf Stunden, mit Raserei und andern heftigen
Zufällen etc. verbunden, welche bei zweckmässiger Behandlung bald abzie-
hen und wo der Kranke schon am andern Tage scheinbar hergestellt ist.
Behandlung, a) Indicatio vitalis ist, zuerst das lebensgefährliche Sym-
ptom im Paroxysmus: Apoplexie, Epilepsie, Katalepsie, Asthma bis zur Or-
thopnoe, Pneumonia intermittens, Sopor, Paralysis, Tetanus, Vomitus, Cho-
lera, Cardialgia etc., seiner Natur gemäss zu behandeln und dadurch den
Anfall zu vermindern und abzukürzen. Daher versäume man bei starken
Congestionen zum Kopfe, zu der Brust die Blutausleerungen ja nicht. Wo
bei vollsaftigen Naturen apoplektische, epileptische und asthmatische Zufälle
von Bedeutung sind, haben wir bei der seit 1826 nicht selten vorkommen-
den Febris interm. perniciosa mit grossem Nutzen eine massige Venaesection
am Arm und Blutegel an den Kopf appllcirt, daraufreizende Fussbäder und
Klystiere, und innerlich grosse Dosen Chinin mit V4 Gran Opium alle 1 — 2
Stunden gereicht (^Most^. Sind keine Blutcongestionen da, erscheinen kata-
leptische Zufälle, heftige Kardialgie, Cholera, Kolik, Erbrechen, so passen
freilich die Blutausleerungen selten, aber desto herrlichere Wirkung sieht
man von dem Opium als Pulv. Doweri, so dass der Kranke stündlich % — V2
Gran Opium bekommt, worauf bald ein wohlthätiger Schweiss folgt. Man
versäume hier aber auch einige andere sehr wohlthätige Mittel nicht, z. B.
bei Kopfcongestionen kalte Kopf umschlage von Eis, Schnee, Fomentat. fri-
FEBRIS 719
gidae Schmucken; warme aromatische, mit Wein bereitete Bähungen auf
'den Unterleib bei hervorstechendein Leiden des Darmcanals ; Senfteige an
die Waden, Vesicatorien in den Nacken und auf die Brust; bei Synkope
innerlich Moschus, Wein, Reiben und Bürsten des Körpers, Naphtha, Ol.
animale Dippelii u. s. f. b) Ist der Anfall im Abziehen , so müssen eiligst
solche Mittel verordnet werden , welche wo möglich den zweiten Anfall (der
Typus ist höchst selten ein Quotidian-, fast immer ein Tertian- oder Quar-
tantypus) verhüten. Hier passen folgende Mittel: I^ Cort. cldnae fusc,
regiae , — — rühr, ana gß , Aquae ferv. Sjj , infunde et coque ut re-
man. Sjll, Col. adde Vini Rhenani gvj. M. S. Zweistündlich 2 Esslöftel voll.
fy Chinini sulphurici gr. j — jj — \j, Opii purissitni gr. % — y, , Magncs. car-
bon. gr. vj, Cort. nuranlior., Sacchari alhi ^j>. M. f. pulv. dispens. dos. tal.
xvj. S. Zweistündlich ein Pulver. Mit diesen Arzneien wird gewechselt, so
dass der Kranke stündlich einnimmt. Ausserdem kann man alle drei Stun-
den ein Kljstier von Decoct. chinae mit 2 — 3 Gran Chinin, sulphui'ic. ap-
pliciren ; auch die durch Vesicatorien entblössten Hautstellen mit Chinasalz
bestreuen (nach Lesieurs Methode endermique ou emplastro - endermique,
vergl. Art. F r i c t i o ) , und daneben täglich drei Fussbäder von warmem
Wasser und Acid. nitrico - muriat. (man nimmt auf jedes Fussbad von jeder
concentrirten Säure 1 Esslöffel voll) anwenden (Klcincrfs Repert. 1828.
St. 7. S. 38; St. 8. S. 38, 139; St. 9. S. 121, 123). c) Zeigen sich trotz
dieser kräftigen Behandlung dennoch die Vorboten des zweiten Anfalls, so
gebe man auf einmal 20 — 40 Tropfen Laudan. liquid. Syd. und 40 Tropfen
Naphtha, applicire das erwärmte Eisen als Epispasticum und Rubefaciens
an beide Fusssohlen, an die Waden, selbst an den Rücken (s. Caustica),
und lege um die obern Extremitäten eine halbe Stunde lang die kreisförmi-
gen Binden (s. oben) , reiche auch , wenn gastrische Beschwerden da sind,
ein Brechmittel. Doch kam ich stets mit ersteren Mitteln aus; der zweite
Anfall ward dadurch in der Regel sehr vermindert und der dritte blieb bei
fortgesetztem Gebrauch der China und des Chinins, doch ohne Opium, stets
aus (iW.). Über die bösartigen Wechselfieber vergl. Werlhof in Comm. Nor.
Ann. 1732. Hatte, Molitor und Boerhaave in Halleri Diss. pract. Tom. V.
Torti, Therapeut, spec. ad febr. period. pernicios. Francof. et Lips. 1756.
Clegkorn, Beobacht. üb. epid. Krankh. in Minorka. A. d» Engl, von AcTcer-
mann. Gotha, 1756. Gerson u. JtiUus, Magaz. d. ausländ. Literat, d. ge».
Heilkunde, Jahrg. 1827, 1828 u. 1829. Desgleichen alle deutschen n^cdic,-
chirurg, Journale von 1827 — 1830). 9) Die Febr. intermittens putrida ist
eine Complication des Wechselfiebers mit putriden Zufällen (s. Febr. pu-
trida). Sie entsteht nur bei früher schon ungesunden, kachektischen Sub-v
jecten, bei herrschendem putriden Krankheitsgenius, und sporadisch nur dann
wenn bei Febr. intermittens gastrica die Evacuantia versäumt worden sind.
Cur. Zuerst, wenn der Kranke nicht schon zu schwach ist, ein Vomitiv
aus reiner Ipecacuanha, dann Decoct, chinae mit Elix. acid. Halleri Chi'
ninum sulphuric. mit Aq. cinnamomi ; und die Beha-ndlung des Faulfiebera
(s. Febr. putrida). Mit dem Opium muss man hier höchst vorsichtig
seyn, denn es befördert die Blutzersetzung und Putrescenz, wie jedes an-
dere Narcoticum. 10) Die Complication des Wöchselfiebers mit Wurmkrank-
heit (Febr. interm. verminosa) ist bei Kindern nicht ganz selten. Häufig
ist der Frost unbedeutend, die Hitze ist sehr stark, der Typus eine Ter-
tiana, nicht selten sind convulsivische und sopöröse Zufälle dabei. Cur.
Zuerst ein Infus, valerianae et sem. cynae , daneben dreimal täglich 1 — 2
Gran Merc. dulcis, worauf gewöhnlich schon Würmer abgehen. In der
Apyrexie reicht man darauf China in Decoct. mit Chinin, sulphuricum.
(Vergl. Leo, Magaz. f. pr. Heilkunde u. Naturwissensch. Warschau 1828,
Jahrg. 1. Hft. 1). 11) Die Febr. intermittens larvata wird gegenwärtig bei
uns seit dem Jahre 1826 häufiger als sonst beobachtet. Nicht selten ists
ein sog. örtliches Wechselfieber (Febr. interm. topica), das vorzugsweise
den Kopf ergreift und als periodischer heftiger Kopfschmerz, selbst mit Ra-
Berei, Sopor, als Prosopalgie, Zahnschmerz, Blindheit, zuweilen mit Erysipe-
720 , FEBRIS
las faciei verbunden erscheint. Der stationäre Genius, das epidemische Herr-
schen von Wechselfiebern und besonders der inter mittlren de Typus dienen
7.ur Diagnose. Letzterer ist häufiger Typus quotidianus und tertianus als
tjuartanus (M.). Im December 1821 bekam ich den ersten Fall der Art zu
beobachten. Eine robuste Frau, 48 Jahr alt, litt seit zwei Tagen an hef-
tigen periodischen Kopfschmerzen mit Delirien und Raserei, zugleich schwoll
die eine Seite des Gesichts rosenartig an. Der Paroxysmus kam jeden Mor-
gen um 5 Uhr mit heftigem Fieber, Frost und Hitze, Leibesverstopfung,
und dauerte bis 11 Uhr Vormittags. Alsdann trat Schweiss ein, es ver-
schwanden alle Beschwerden, selbst die Gesichtsgeschwulst, und Patientin
konnte aufstehen. Am 2ten, Sten, 4ten Tage stellte sich der Anfall jedes-
mal eine Stunde später ein und hörte eine Stunde später auf. Ich verord-
nete Sal anglic. mit Infus, laxativ. , später die China und ein Vesicatorium
im Nacken, und in 8 Tagen war die Kranke, deren Anfälle täglich gelin-
der wurden, vollkommen hergestellt (s. MosVs Geschichte des Scharlach-
fiebers. Leipz. 1826. Bd. II. S. 219). Späterhin fand ich bei der Febris
larvata zuerst ein Brechmittel , dann Chinin, sulphuric. mit Opium, alle diese
Mittel in der Apyrexie gereicht, am wirksamsten. 12) Die Febr. interm.
habitualis, chronica, diuturna, refractaria, erfordert zur glücklichen Heilung
viel Scharfsinn des Arztes. Eine schlechte Diät, Erkältung, Versäumniss
einer angemessenen Behandlung, besonders der Recidive, schlechte Nahrung,
feuchte Wohnun<Ten, Unreinlichkeit in Kleidung und Bettwäsche, Scropheln,
Gicht, Unterleibsstockungen, Infarcten, schlechte Verdauung und endemi-
sche Schädlichkeiten, wie in Holland, Seeland, Mantua; dies sind die vor-
züglichsten Ursachen, die die Intermittens chronisch und langwierig machen
und so zu den verschiedenen Folgekrankheiten, auch nach Hebung des Fie-
bers, am meisten beitragen. Bei atrophischen Kindern, bei phlegmatischen,
lymphatischen, an Blennorrhöen leidenden Constitutionen, bei alten Leuten
mit Asthma pituitosum, ist die Neigung zur chronischen Intermittens am
grössten. Cur. Eine schnelle Vertreibung des Fiebers ist hier in den mei-
sten Fällen schädlich. Dagegen- passen bei Status pitultosus erst Pot. Ri-
verii mit Salmiak , mit bittern Extracten , zuweilen eine Dosis Merc. dulcis
mit Rheum, dann erst die China, anfangs auch erst in Verbindung mit Sal-
miak. Zur Nachcur wähle man die am Ende der Schleimkrankheit dienen-
den Roborantia (s. Blennorrhoe a). Fast ebenso ist die Behandlung bei
der Complication mit Scropheln. Hier passen Merc. dulc. mit Sulphur. au-
rat. , Rheum, Magnesia, Eichelkaffee, und alsdann die China; hilft diese
nicht, so wirkt oft die Aqua antimiasmat. Köchlini noch hellsam. Beim
VVechselfieber mit Infarcten , Stockungen in Leber und Milz, bei Hypochon-
dristen mache man mit Kali tartarlc. und Extr. graminis, taraxaci, trifolii
den Anfang , gebe dann Gum. ammonlac. , Sapo stiblatus , bei grossem Tor-
por auch Extr. gratiolae, p. d. ^ü, Extr. hellebori nigr. p. d. gr. v, bei
bedeutendem Leberleiden auch Belladonna (^Berends^. Dabei leichtverdau-
liche animalische Kost. Erst späterhin passt , wenn das Fieber noch anhal-
ten sollte, die China, noch besser das Chinin mit Magnesia, und bei MUz-
anschwellungen Eisen mit China. — Empirisch hat man gegen hartnäckige,
eingewurzelte Wechselfieber noch empfohlen Cuprum ammonlacale und sul-
phurlcum, Ferrum sulphuricum, Argentum nitricum, selbst den Arsenik als
Tinctura Fowieri. Letzterer hellte in vielen Fällen Wechselfieber, die al-
len andern Mitteln trotzten (Jleim, Hnrless , Himhj). Manche Ärzte wollen
aber schlimme Folgen nach dem Gebrauche des Arseniks gesehen haben,
vorzüglich Wassersucht und Hektik. Grosse Vorsicht erfordert das Mittel
allerdings, doch ist es in den Händen des geschickten Arztes kein Gift. In
einem recht hartnäckigen Falle hellte ich durch folgendes Pulver: Kr Chinini
sulphurici gr. jj^, Opii puriss. gr. iv, Merc. dulcis., Extr. nuc. vomicae ana
gr. j, Magnes. carhon., Sacclinri albi ana ^i>. M. f. pulv. disp. dus. vjjj. S.
Alle 3 Stunden ein Pulver. IS) Obgleich die China und das Chinin als ein
Specificum gegen das Wechselfieber angesehen werden müssen, so hat doch
die Erfahrung genug bewiesen, dass auch viele andere Mittel das Fieber
? FEBRIS 721
heilten, und zwar theils Arznei-, theils Hausmittel. Hierher gehören Cort.
angusturae, anrantior. , bippocastani , Salicis, Herba rutae, absinthii, Ca-
lam. aroinat. , Gentiana , kurz fast alle Amara und Adstringentia , desglei-
chen manche Acria und Narcotica: Flor, arnicae, Rad. zingiberis, Piper ni-
grum , Spinnwebe , Belladonna , Hyoscyamus. Ein sehr wirksames russi-
sches Volksraittel ist Herba thlaspeos bursae pastoris, welches Dr. Gesling
(^Schcrcr's Nord. Annalen d. Chemie, Bd. VIII. Hft. 1, S. 30) empfiehlt.
Von S3 Fällen, worunter 21 Tertianae und 12 Quotidianae -waren, \vurden
24 , und von 69 andern , worunter 24 Quotidianae , 43 Tertianae und 2
Quartanae waren , wurden 19 Quotidianae , 56 Tertianae und 1 Quartana
durch dieses, allenthalben wild wachsende Kraut geheilt. Die Dosis der
Herba sicca ist 5ji , einige Minuten vorher in Kornbranntwein macerirt und
zwei Stunden vor, oder eine Stunde nach dem Paroxysmus gereicht. In
schlimmen Fällen giebt man 4 — 6 Dosen während einer Apyrexie. Bei reiz-
baren Personen entsteht darnach Übelkeit, Erbrechen und Laxiren. Hilft
es in einer Zeit von drei Apyrexien nicht, so hört man wegen gefährlicher
Nachkrankheit damit auf. Sind gastrische Unreinigkeiten da, so muss ein
Vomitiv dem Gebrauche vorhergehen; ist es eine Febr. interm. intlamma-
toria, so passt das Mittel nicht. — Was die neuern Erfahrungen über das
Chinin betrifft, so ists zwar bequemer für den Kranken, Chinin, als China
zu nehmen, doch verhütet die Cort. chinae mehr als das Chinin die Reci-
dive. Unter den Präparaten des letztern ist nach den Versuchen in der
berliner Charit^ das Chinin, muriat. wirksamer als das Chinin, sulphuricum.
14) Unter die zahlreichen Volksmittel gegen die Intermittens gehören noch
die sympathetischen Mittel, welche ich in mehr als hundert Fällen
als sehr wirksam , bei Kranken aller Art und aus den verschiedensten Stän-
den beobachtet habe. Das sympathetische Mittel bestehe nun, worin es
wolle, so hilft es, wenn der Kranke daran glaubt oder wenn er nur denkt,
dass man Sympathie gebrauche. In dieser Gegend ist das sogenannte Ab-
schreiben ein solches Mittel. Man schreibt Namen und Alter des Kran-
ken auf, und damit Punctum. Eine hiesige vornehme Dame leidet seit drei
Wochen an der Tertiana , die der Hausarzt vergebens mit Chinin, sulphur.
etc. zu bekämpfen sich bemühet. Sie erfährt, dass ein Mann in Stralsund
das Fieber durch Sympathie (welche? das wusste ich nicht) heilen könne,
sie schreibt an diesen Mann und schickt den Brief durch Gelegenheit mit
einem Kaufmann hin. Dieser ist nach Verlauf von 10 Tagen zurückge-
kehrt. Sie bedankt sich bei ihm für die gütige Besorgung des Briefes, in-
dem schon 4 Tage das Fieber ausgeblieben sey. Der Kaufmann hatte den
Brief aber vergessen , denn er fand sich noch in seiner Brieftafel , verschwieg
aber wohlweislich seine Nachlässigkeit, und — das Fieber kam nicht wie-
der. Ein Schultheiss in einem benachbarten Dorfe ohnweit Rostock stand
in grossem Rxife das Fieber abzuschreiben. Er half durch diese Sympathie
vielen Landleuten. Eine Frau in dem nahen Kirchdorfe leidet auch am
Wechselfieber. Der eine Sohn des Schulzen geht zur Kirche, wo ihn die
Frau beauftragt , dem Vater zu sagen , dass er ihr das Fieber abschreiben
möge. Der Knabe versprichts, vergisst es aber zu bestellen. Nach einigen
Tagen schickt die Frau, weil ihr das Fieber ausgeblieben, dem Schulzen
1 Schil., das gewöhnliche Honorar für seine Mühe. Dass der Grund der
Sympathie nicht blos im Glauben und in der Einbildung liege, beweist der
Umstand, dass auch kleinen zweijährigen Kindern, wie ich weiss, durch
Sympathie vom Fieber geholfen worden ist. Es ist hier nicht der Ort über
die Sympathie zu reden ; ich verweise auf eine meiner Volksschriften , wo
dieser Gegenstand weitläufig erörtert worden ist. (S. Mosfs Arzt als wah-
rer Hausfreund; Leipz. 18^9, ThI. II. S. 39 — 45). Gewiss ist es jetzt
wol an der Zeit, auch die Sympathie und den unleugbaren Zusammenhang,
worin alle lebende und leblose Körper zu und mit einander stehen, mehr
zu würdigen, einen tiefern Bück ins Naturleben zu werfen und einen Ge-
genstand, der vom höchsten Interesse ist, nicht, wie bisher fast durchge-
hends geschehen, als Unsinn zu belächeln, ohne ihn genau geprüft zu haben.
MoBt Encyklopädic. 2te Aufl. T. 4g
722 FEBRIS
15) Es giebt eine Febris intermittens ex irritatione organonim wropoetico-
rum, welche ich selbst einigemal als sporadisches Übel beobachtet habe.
Alles, was einen fremdartigen Reiz in der Urinblase, in den Nieren, in der
Harnröhre macht: Blasensteine, Gries , und deren häufige Folgen: Blen-
norrhoe, Mictus cruentus, ferner reizende Bougies , die man wegen Strictu-
ren in die Harnröhre bringt, können nach der Erfahrung ein Wechselfieber
erregen (s. Trnka de Krzowitz Histor. febr. interm. Vol. I. P. 1, cap. 5),
Ja, es giebt solche Wechselfieber, die als wohlthätig und kritisch betrach-
tet werden können. So behandle ich seit sieben Jahren einen 40jährigen
Mann mit atrabilarischer Constitution , der an einer chronischen Blennorrhoe
der Harnblase leidet, sich periodisch aber sehr gut befindet. Ohngefähr
dreimal im Jahre bekommt er Anfälle von Strangurie, Ischurie mit heftigen
Schmerzen; diese steigern sich, bis endlich ein wahres Wechselfieber, selbst
mit komatösen Zuföllen, mit Delirien sich einstellt, und zwar als Quotidiana,
worauf die Harnbeschwerden plötzlich verschwinden, der Urin gut fliesst
und sich, so lange das Fieber dauert, eine ungeheure Menge Schleim, der
weisslich und stinkend ist, absondert. Ich verordne dann Salmiak mit Pot.
Riverii, Aq. melissae und Extr. millefolü, worauf das Fieber binnen 10 Ta-
gen verschwindet und somit auch der ungeheure Schleimtiuss. Zur Nach-
cur erst bekommt der Kranke China , und zwar mit Salmiak. Drei bis Vier
Monate befindet dieser Mann sich nun ganz wohl. Dann fangen die Urin-
beschwerden wieder an, das Harnen wird sehr schwer und schmerzhaft.
Emulsionen mit Opium, Merc. dulc. mit Opium und Ipecacuanha vermögen
sehr wenig dagegen. Der Kranke liegt in den höchsten Schmerzen und
wünscht sich nichts sehnlicher als seinen Erretter, das Wechstlfieber , das
stets als eine Quotidiana erscheint und ihn nun schon zu zehn verschiede-
nen Zeiten besucht hat. Bemerken muss ich noch, dass genaue Untersuchun-
gen bei diesem Kranken bis jetzt keinen Blasenstein entdecken Hessen. Die
Cur dieses Wechselfiebers besteht darin, dasS man, wenn es nicht, wie im
vorliegenden Falle, kritisch ist, die reizenden Schädlichkeiten in der Harn-
röhre, der Blase, z. B. Bougies, Steine entfernt, oder vorläufig, bis dies
bewerkstelligt werden kann. Oleosa, Mucilaginosa , Emulsionen mit etwas
Opium giebt. Diese allein helfen in den meisten Fällen. Sollte aber das
Fieber aus reiner Gewohnheit und als Irapressio remanens zurückgeblieben
seyn, dann China und Chinin, 16) Bei der gründlichen Cur des Wechsel-
fiebers müssen wir nicht allein den Fieberanfall vertreiben, sondern auch
dafür sorgen, dass keine Recidive folgen. Nach der Erfahrung hat eine
Epidemie mehr Neigung, Recidive zu machen, als die andere; auch beob-
achten wir sie häufiger bei der Tertiana und Quartana als bei der Quoti-
diana, häufiger im Herbst als im BVühling, häufiger bei Weibern, wo das
Recidiv sehr leicht zur Zeit der Menstruation kommt, als bei Männern.
Auch kommt es sehr dara\if an , mit welchen Mitteln wir das Fieber geho-
ben haben. Alles was das Fieber schnell vertreibt: Opium, Vomitiv, Schreck,
Sympathie etc. , lässt auch leicht ein Recidiv zu ; dagegen ist die Neigung
zu Rückfällen viel geringer, wenn wir das Fieber successive und zwar durch
China heben. Selbst das Chinin hinterlässt leichter Recidive als die China ;
daher ich gern Decoct. chinae in Verbindung mit Chinin , und später Chinin
mit Pulvis chinae anwende. In gewissen Perioden kommt der Anfall leicht
wieder, besonders zur Zeit, wo der 7te , 14te oder 21 ste Anfall stattgefun-
den haben würde ; daher kommt die Tertiana am leichtesten 14 Tage , die
Quotidiana am leichtesten 7 Tage nach dem letzten Anfalle wieder, wenn
nicht zufällige Schädlichkeiten: Erkältung, Schrecken, Magenverderbniss
und Durchfall etc. , das Recidiv früher herbeiführten. Um Recidive zu ver-
hüten, muss man bei allen Wechselfiebern, die mehr als drei Anfälle mach-
ten, auch wenn das Fieber schon vorbei ist, noch längere Zeit China , doch
in kleinern Dosen, fortgebrauchen lassen, z. B. dreimal täglich 3lV Cort.
chinae, nach zwei Tagen setzt man etwas Rad. caryophyllat. zu, und giebt*
letztere später ganz rein. Kommt aber der 7te Fieberanfall, z. B. bei der
Quotidiana der 7te, bei der Tertiana der 14te, bei der Quartana der 2lsto
FEBRIS 723
Tag; 80 muss der Kranke eine grössere Dosis China, desgleichen 3 — 4 mal
täglich % — 1 Gran Chinin, sulphuric. nehmen. Man fange mit dieser gros-
sem Gabe schon 24 Stunden vor diesen wichtigen Tagen an und setze sie
erst 24 Standen nachher aus. In der Z\vischenzeit kann man die Arznei-
mittel eher ganz entbehren als gegen den 7ten Anfallstag. Man hat selbst
Fälle beobachtet, wo das Fieber gegen den 7ten Anfall wiederkam; man
war nun airfmerksam und gab die China, als der 14te Anfall kommen wollte,
nnd er blieb aus; aber zur Zeit des 21sten , als man schon gar nicht mehr
daran dachte und gar keine Arznei gab, kam er wieder (^Himly , Most").
Ich verhüte daher die Recidive auf diese Weise: a) Ists z. B. die Quoti-
diana und ist der Anfall am Isten Mäiz zuletzt gekoiümen , so bekommt der
Kranke gewöhnliche Dosen China oder Chinin am 6ten, 7ten und 8ten, dann
wieder am ISten, 14ten und I5ten und, will man recht vorsichtig seyn,
auch noch am 20sten, 21sten und 22sten März. Die übrige Zeit gebe ich
nur bei guter Diät Tinct. chin. comp, mit Wein, 1 — 2raal täglich 40 — 60
Tropfen. 6) Ists aber eine Tertiana , die am Isten März verschwand , so
bekommt der Kranke volle Dosen China und Chinin (alle 2 Stunden) am
iSten, 14ten und 15ten, am 27sten, 28sten und 29sten März, desgleichen
am. löten, Uten und 12ten April. An den andern Tagen nimmt er folgen-
des Pulver: ^r Flor, chamomill. , Rad. cnlnm. arom., — geiUimiae , — ca~
rijophyllat. ana ^j^, Cort. ciniiamomi, Piper, nigri ana 3j- M. f. pulv. S.
Dreimal täglich 1 Theelöffel voll mit etwas Wein oder Branntwein. Patien-
ten , die kein Pulver mögen , nehmen dafür Folgendes : R; Exir. ahsinthii
3vj , — gent. rühr. 3jj » -^(f- menth. er. , — cinnnm. s. v. ana ^v, Tinct. au-
rnntior. §ft. M. S. Dreimal täglich 1 Esslöffel voll, c) Ist bei der Quar-
tana der letzte Anfall auf den Isten März gefallen, und sind keine Folge-
krankheiten, die den Gebrauch der China contraindiciren, zugegen, so
nimmt der Kranke volle Dosen China und Chinin am ]9ten, SOsten, 21sten
und 22stenMärz, am 9ten, lOten, Uten und 12ten April, am SOsten April,
Isten, 2ten und 3ten Mai. In der Zwischenzeit gebraucht er die so eben
angegebenen Formeln , entweder das Pulver oder die bittere Mixtur. Alle
Schädlichkeiten, die Recidive befördern: Abendluft, Zugluft, nasse Witte-
rung, Sumpfluft, Überladung des Magens durch schwer verdauliche Kost,
saure und kalte Speisen und Getränke; Alles, W8is Durchfall und Erkältung
erregt, deprimirende Affecten, Purganzen, Coitus, Nachtwachen etc., muss
Streng vermieden werden. Auch der Anblick von Fieberkranken im Frost-
istadium wirkt psychisch nachtheilig. Entsteht dennoch ein Rückfall, so
gebe man bei Magenverderbniss erst ein Vomitiv, und dann kräftig China
und Chinin. Helfen diese Mittel nichts , so versuche man Cuprum ammonia-
cale, Magister, bismuthi und Eisenpräparate, in sehr hartnäckigen Fällen
als die letzte Zuflucht auch den Arsenik. Doch wende man alle diese Mit-
tel nur da an, wo die gewöhnlichen Ursachen des chronischen Wechselfie-
bers nicht mehr stattfinden (s. Febr. intermitt. habitualis). 17) Was
die Diät beim Wechselfieber betrifft, so lässt sich diese im Allgemeinen
kaum bestimmen. Sie muss mit den Arzneien gleichen Schritt gehen; beim
Gebrauche des Salmiaks, der Pot. Riverii, wie bei der Intermittens inflam-
matoria schmale, dünne Kost, beim Gebrauche der China gute animalische
Nahrung, doch, wie sich von selbst versteht, nicht im B'ieberanfalle. In
allen Fällen sind zu vermeiden schwer verdauliche Nahrung , besonders hart-
gekochte Eier, Mehlspeisen, grobe Fische, saure Kost, selbst Obst wegen
seiner Kälte und Säure. Sehr wichtig ist warme Bekleidung des Körpers,
Flanellkleidung, und Vermeidung jeder Erkältung. Bei der Intermittens in-
flammatoria passt auch der Wein in der Apyrexie nicht, dagegen ist er ein
gutes Präservativ gegen Sumpffieber, wenn man sich in sumpfigen Gegen-
den aufhalten muss, besonders wenn Herba absinthii darin infundirt worden
ist. Für Ärmere ist hier ein guter Wermuthbranntwein schon ein herrliches
Mittel. Bei der Intermittens biliosa passt in der ersten Zeit der Obstge-
nuss, desgleichen bei der Intermittens putrida incipiens, später der Wein,
besonders guter Medoc und Saint Julien. Bei der Intermittens perniciosa
46*
■324 FEBRIS
kann man , wenn die etwaigen Congestionen zum Kopfe schon gehoben sind
oder nicht stattfinden, die China mit Wein geben, besonders mit altem
Rheinwein; dies passt auch bei der gewöhnlichen Tertiana. Man verhütet
dadurch die von der China oft entstehenden Magenbeschwerden. Auch 10
Tropfen Naphtha vitrioli zu jeder Dosis der mit Wasser oder Wein einge-
rührten China kurz vor dem Einnehmen getröpfelt, verhütet die nach der
China leicht erfolgenden Durchfälle. Nur bei der Febr. interm. atrabilaris
sey man mit dem Weine, sowie auch mit der China vorsichtig. Auch stark
nährende Speisen passen hier nicht immer, man denke an die Grundkrank-
heit. Ist das Fieber gehoben , so rathe man massige Bewegung im Freien,
gute animalische Kost und Wein an. Enthaltung von kräftigen Nahrungs-
mitteln, daneben Stuben- oder gar Betthüten , Mangel an activer Bewegung
befördern nur die Recidive. 18) Was die Behandlung der Folgekra na-
belten bedeutender Wechselfieber betrifft, so sind hier folgende praktische
Cautelen zu beherzigen : «) Die häufigsten Nachkrankheiten sind die soge-
nannten Fieberkuchen und die Wassersucht, in seltenern Fällen
auch die Trommelsucht. Plethora abdominalis, besonders in Leber und
Milz , liegt ihnen ztnu Grunde, h) Am sichersten werden diese Nachkrank-
heiten verhütet, wenn man das Fieber nicht zu schnell, nicht vor dem Sten,
4ten Anfall, bei Hypochondristen und solchen mit atra bilis nicht vor dem
7ten, 8ten Anfalle, durch China heilt; ferner, wenn man neben der China
auch flüchtiger stärkende Mittel: Aromatica und Aetherea, z. B. Naphtha,
Wein, Calamus, Flor, chamomillae in Pulverform {Himhj, B'tscftoff in Wien),
Caryophyllata, Zimmt etc. giebt. c) Sind die Fieberkuchen schon da, so
passen anfangs Extr. taraxaci, rutae, gentianae mit aromatischen Wassern
und etwas Salmiak, später China mit Salmiak, zuletzt China mit Eisen,
daneben zuweilen ein Pulver aus Herb, belladonnae gr. jj und Merc. dulc.
gr. 3, Einreibungen von Opodeldok, Lin. volat. camphorat. mit etwas Un-
guent. mercur. in den Unterleib. Viel Bewegung im Freien, Reiten, aro-
matische Bäder unterstützen die Cur bedeutend. d} Ist die Wassersucht
Folgekrankheit, so passen bei Torpor .Stpiilla, Digitalis, Kanthariden, ab-
wechselnd mit Crem, tartari und Ol. juniperi gereicht, und erst zuletzt die
China, c) Ist Trommelsucht da, die in der Regel nur symptomatisch zur
Wassersucht und zu sehr bedeutenden Abdominalfehlern kommt, so ist we-
nig Hoffnung da. Die Cur ist dieselbe der Wassersucht. — Bei der Quoti-
diana wandte man mit Erfolg im Hotel Dien zu Paris neuerlich die cir-
kelförmigen Ligaturen um beide Oberarme, kurz vor dem Anfalle, an, wo-
durch der Anfall stets vermindert, oft gehoben ward. Sie müssen recht fest
angelegt werden. Klagt der Kranke über Congestionen , so löst man sie
alle 3 Minuten. — Gegen hartnäckige Quartanfieber, wogegen China und
Chinin oft nichts leisten, gab Berndt in vielen Fällen mit Nutzen das Extr.
hellebori nigri mit Salmiak. — Der Dr. Medwedew zu Mariampol in Russ-
land hat seit 25 Jahren alle Wechselfieber ohne Arzneien, blos durch Hun-
ger curirt. Der Kranke mnss drei Tage lang strenge hungern, sich jeder
Speise enthalten und nur viel kaltes Wasser trinken. Ist der Anfall aus-
geblieben, so gewöhnt er sich allmälig und vorsichtig wieder an leichte Nah-
rung (s. Cnspe^rs Wochenschrift, l^Si, Nr. 18, S. 86).
Fehris intestinalis, s. Febrisgastrica.
Febris Incten , Galactojryrn , das Milchfieber. Ist dasjenige, meist
immer gutartige Fieber, woran der Regel nach nur Wöchnerinnen leiden.
Symptome sind: leichte fieberhafte Zufälle, die sich zwischen dem 2ten
und 4ten Tage nach der Entbindung einstellen und von vielen Geburtshel-
fern und Hebammen von der in die Brüste eintretenden Milch abgeleitet
werden. Zuweilen beginnt es nur mit leichtem Schauer über den Rücken
und die obern Gliedmassen , der in wirklichen Frost übergeht, worauf Hitze
des ganzen Körpers, Durst, schneller Athem und solcher Puls, Kopfschmerz,
folgen. Die Brüste sind gewöhnlich hart und strotzen von Milch, der Lo-
chienfluss ist unterdiückt, der ganze Anfall dauert höchstens 8 — 12 Stunden
und endet mit allgemeinem Seh weisse, freier Milchsecretion , wo die Milch
FEBRIS 725
oft freiwillig aus den Brüsten fiiesst, und mit Wiederkehr des Lochienflusses,
der oft stärker als früher geworden ist. Ursachen. Sind nicht in der
nach den Brüsten eintretenden Milch, sondern in einem allgemeinen Leiden
des Blutsystems, selbst in Veränderung der Blutmasse, hervorgebracht durch
Überfluss von Säften , die zur Milchabsonderung bestimmt sind , zu suchen
(y. Froriep'). Dies ist besonders der Fall bei vollsaftigen Weibern und da,
■wo auf irgend eine Weise die Milcliausleerung versäumt oder gehindert wird.
Dafür sprechen folgende Umstände: 1) Nicht alle Wöchnerinnen leiden am
Milchfieber ; daher ists kein wesentlicher Zufall des Wochenbettes ; nur
solche Weiber, die das Kind zu spät anlegen, später als sechs Stunden
nach der Geburt, die, welche nicht selbst stillen, und endlich solche, die
sehr vollsaftig sind, einen sehr blutreichen Körper haben und deren Brüste
von Milch hart und strotzend erscheinen , sind fast immer diesem Fehler un-
terworfen. 2) Auch bei der, zumal plötzlichen Entwöhnung des Kindes
kann die Mutter ein wahres Milchfieber aus gleichen Ursachen, wie im
Wochenbette, bekommen. Prognose. Ist gut; das Fieber ist nicht ge-
fährlich und vergeht bei dünner, magerer und kühlender Diät in der Regel
ohne Kunsthülfe in wenigen Tagen ; nur bei Vernachlässigung oder verkehr-
ter erhitzender Behandlung luid solcher Diät können gefährliche Zufälle er-
folgen. Behandlung. 1) Am besten ist die Cura prophylactica; man
verhüte das Übel durch frühes Anlegen des Kindes, durch dünne, kühlende
Diät, Ruhe etc., welche Cur mit doppelter Aufmerksamkeit bei Müttern,
die nicht selbst stillen , angewandt werden muss ; doch entgehen diese sow ie
vollsaftige Wöchnerinnen der Krankheit selten (s. Ablactatio). Auch die
Entwöhnung von der Brust muss allmälig geschehen. 2) Ist das Fieber
schon da, so suche man die Hautthätigkeit zu unterstützen, gebe etwas
Spir. Minderen mit Aq. flor. sambuci und Syr. rub. id., oder Potio Riverii
mit Aq. flor. sambuci und Tart. emet. in refr. dosi, vermeide besonders Er-
kältung , und vermindere die Anhäufung der Milch in den Brüsten durch
Anlegung des Kindes. Kann dieses die Milch nicht verbrauchen , so nehme
man andere Säuglinge und im Nothfalle Milchpumpen zur Hülfe. 3) Sind
die Brüste sehr hart und schmerzhaft , so leite man lauwarme Dämpfe v6n
Fliederthee an dieselben und lege trocken gewärmte Servietten auf. 4) Da-
bei müssen die Brustwarzen gelind gerieben werden, auch die Wöchnerin
mehr auf der Seite als auf dem Rücken liegen, wobei mit grosser Erleich-
terung die Milch meist von selbst ausfliesst (ü. Froriep , Osthoff'}. 5) Dauert
ein solches Fieber bei dieser zweckmässigen Behandlung länger als vier Tage,
so ists kein Milchfieber, sondern es liegen andere Ursachen (Mastitis, Me-
tritis, Peritonitis, Myelitis etc.) zum Grunde.
Fehris larvata ^ verlarvtes Fieber; s. Febria interraittens lar-
vata.
Fehris lenta , das schleichende, auszehrende Fieber; s. Febris he-
c t i c a.
Fehris localis, topica, das örtliche Fieber. So hat man wol die
Febris intermittens larvata, wobei fast immer nur ein Theil des Körpers
vorzugsweise leidet, genannt (s. d. Art.).
Febris hjmphatica, das Saugader fi eher. So hat man wol das zu
Atrophie und Abscessus lymphaticus sich gesellende Zehrfieber genannt (s.
Febris hectica).
Febris maligna, das bösartige Fieber. Ist das Gegentheil vom
gutartigen Fieber; s. Febris benigna.
Febris merctirialis , das Mercurialfieber; s. Febris salivalis.
Febris mesenterica y das Gekr ös f ieber. Ist nach den Älteren die
Febris hemitritaea , nach den Neuern die Febris gastrica ; auch nennen Ei-
nige in unserer Zeit das zur Atrophie hinzukommende Fieber so (s. Atro-
phia infantilis, Febr. gastrica, Febr. intermittens).
Febris miliaris, das Frieselfieber; s. Miliaria. v
Febris nwrbillosa, das Masemfieber; s. Morbilli.
Febris neroosa, ty^^hosa, asthcnica, Febris typhodes, FeW. nilynamha ,
726 FEBRIS
Fchr. gastrica nervosa, Felr. maligna (der Älteren), Fchr. coni'mua nervosa
(P. Frnnit), Febr. ntncta (Seile), das nervöse, typhöse, asthenische
Fieber, weniger richtig Nervenfieber, Typhusfieber genannt; denn
der Typhus ist gleich den Menschenpocken und dem Scharlach ein Fieber
eigen thümlicher Art, welches mit Recht zu den Exanthemen gerechnet wird,
und so \vie die Pocken ein Eiterungsstadium haben , auch ein eigenes Sta-
dium nervosum in seinem Verlaufe beschreibt (^Bischoff). In der Beschrei-
bung , Diagnose und Heilung des nervösen Fiebers herrschte bisher ein
grosser Wirrwar, und dies ist zum Theil noch jetzt der Fall. Vorurtheile
der Ärzte, Systemsucht, falsche, auf der Subjectivität des Beobachters be-
ruhende Wahrnehmungen und tausend andere Dinge, wohin besonders Au-
toritätsglauben und blinde Nachbeterei gehören, haben hier für die specielle
Pathologie und Therapie gewaltige Irrthümer hervorgebracht , und es hat
sich ein ängstliches Bestreben zur Classification nach einem einseitigen Fun-
damente (Sthenie und Asthenie) eingeschlichen, welches den anfangenden
praktischen Ai'zt leicht verwirrt, die Aufmerksamkeit von dem Wesentlichen
der Krankheit , von der Hauptsache , abzieht , und leicht zu einem verkehr-
ten, nachtheiligen, eingreifenden und heroischen Heilverfahren verleitet.
Man vergleiche nur, wie verschiedenartig sonst berühmte Männer das Bild
dieses Fiebers zeichnen, wie widersprechend ihre Beschreibungen sind! —
Beweis genug , dass in der Natur und am Krankenbette die Sache sich an-
ders verhält als in den Köpfen und Handbüchern der Ärzte. Es ist eine
höchst falsche Tendenz , die Praxis, die Erfahrungen am Krankenbette nach
der Theorie zuzuschneiden; wir sollen als echte Minister der Natur nur die
Theorie nach der Erfahrung feststellen, die Erfahrung nur zur Theorie er-
heben, nicht aber die Theorie der Erfahrung mit Gewalt aufdrücken. Am
besten steht sich der praktische Arzt , wenn er von allen solchen theoreti-
schen Dingen und Fiebertheorien der neuern Zeiten gar keine Notiz nimmt,
wenn er dagegen seine Fieberkranken nach den gründlichen, auf Erfahrung
gestützten Kenntnissen , die ihm eine gute generelle Nosologie und Therapie
djirbietet, behandelt und bei allen Fiebern, die das Bild des inflammatori-
schen Fiebers nicht deutlich darbieten, sich vor jedem activcn, eingreifen-
den Verfahren , besonders vor einer reizenden, erhitzenden Behandlung, we-
nigstens in den ersten Tagen der Krankheit, in Acht nimmt. Supponirt er
zn früh ein wahres Schwächefieber, wo vielleicht nur eine Febris gastrica,
saburralis oder Febris inflammatoria nervosa obwaltet, so ist der Schade,
den diese Ansicht auf seine Curmethode hat, nicht zu berechnen. Denn es
ist ein wahres , grosses , ewiges Naturgesetz , dass aus dem Idealen das Reale
wird, dass die Idee die Welt regiert und umgestaltet. Dieses Gesetz lässt
sich im Moralischen, wie im Physischen nachweisen Man halte einen gu-
ten Menschen nur fortwährend für schlecht und böse, behandle ihn darnach,
und — er wird schlecht werden. Man halte nur in der Idee irgend ein
Fieber für eine wahre Febris typho.sa, man glaube nur, dass der Kranke
an wirklicher Schwäche leide, man behandle demnach ihn reizend, stimuli-
rend , stärkend, wo Antiphlugistica, Evacuantia, Antigastrica vielleicht die
wahren Mittel gewesen wären , und man wird bald dasjenige durch Kunst
oder richtiger durch Unkunst aus dem Fieber machen, was man fälschlich
supponirte gefunden zu haben , ehe es da war. Doch die Zeit ist endlich
gekommen, wo man diese Missgeburt, Reste des Brownianismus, zum Wohle
der Menschheit immer mehr und mehr auszurotten sich bestrebt. Ja, es
scheint sogar, als wenn man schon ins andere Extrem übergehen wollte;
wenigstens leiten unsere Jüngern Ärzte fast alle Nervenfiebnr von Exanthe-
men in den Gedärmen, in der Ileo- Coecalgegend, von Ileitis, Ileo- Ente-
ritis, Phlebitis ab, und glauben ohne Application von einem halben Schock
Blutegel an den Unterleib nicht fertig werden zu können , indem sie als
echte Anhänger von tiron^sais Diesem jetzt in Deutschland noch nachfolgen,
da er in Pnris, sowie in ganz Frankreich, längst als einseitiger Praktiker
erkannt worden i.st. Man hat mit dem Worte Nervenfieber verschie-
dene Begriffe verbunden, die leicht confundiren können, wenn man die An-
^ FEBRIS ^27
sieht des Autors nicht kennt. Einige verstehen dai'unter schlechtweg ein
asthenisches oder Schwächefieber (der schiechteste Begriif, der zahllose
Missgriire für die Praxis zur Folge gehabt hat und noch hat); Andere ein
Fieber mit hervorstechenden Nervensymptonien ; noch Andere ein Fieber mit
uiu'egehnässigem Verlauf, mit unzusauimenhängenden , ja sich widersprechen-
den Erscheinungen (Seile, Pyretologia, p. 266. P. Frank, Epitome. L. I.
p. 21, 56, 93). Für klinische Zwecke ist es durchaus nothwendig, ge-
wisse Unterschiede, die am Krankenbette nachgeAiesen werden können, an-
zunehmen. Demnach unterscheide ich 1) nervöses BMeber (^Febris ner-
vosa) und 2) Nervenfieber (Ftbm neuropathica^ , lege diesen Fiebern
aber nicht den Namen Seh wächefi eher bei, denn berühmte Autoren ge-
stchen, dass hier nicht immer wahre Schwäche stattfinde {Richter, Berends),
was auch die Erfahrung als richtig bestätigt. Wenn wir in den medicmi-
schen Schriften aus der Brown'schen Periode (vom Jahre 1796 — 1810) von
einem typhösen Fieber, von Febr. typhodes, Typhus lesen , so muss uns dies
nicht irre machen. In jener Zeit nannte man jedes Fieber mit Betäubung,
die ausgebildete Synocha nervosa, daher selbst das Fleckfieber Typhus (s.
Typhus). — 1) Febris ncrvusa, das nervöse Fieber. Ist ein Fieber
mit nervösem Charakter, d. h. mit irritabler Schwäche, mit Sinken der Le-
bensthätigkeit in einzelnen Systemen, besonders im Blut- und Muskelsysteni.
Dieses nervöse Fieber, oder richtiger: Fieber mit nervösen, typhö-
sen Zufällen, ist stets etwas Secundäres, ist Folge eines
andern vorausgehenden Fiebers, besonders Folge des entzündlichen,
synochischcn Fiebers, wenn dieses entweder zu schwächend (bei schwäch-
lichen Subjecten) , oder zu wenig schwächend (bei robusten Subjecten), oder
gar reizend, incitirend , stärkend behandelt wurde (s. oben Febris in-
flamra ator ia). Besondere Neigung zu diesem Fiebercharakter hat dio
Synocha nervosa bei erhitzender Behandlung ; auch die Febris biliosa secun-
daria und die saburralis wird leicht zur Febris nervosa, wenn die auslee-
renden und kühlenden Mittel versäumt , wenn hitzige Dinge angewandt
werden, und ein hoher Wärmegrad des Zimmers stattfindet. Symptome
des nervösen Fiebers und des Status nervosus sind: grosse Empfindlichkeit
der Sinne, traumvoller, unruhiger Schlaf, Eingenommenheit, Gefühl von
Leerheit des Kopfes, Schwindel, Ohrensausen, leichtes Irrereden, trockne
Zunge, Zittern der Glieder, Hastigkeit in allen Körperbewegimgen , doch
ohne Energie und Ausdauer, klarer, etwas röthlicher Urin, Gefühl von
Leichtigkeit , von flüchtigen, reissenden Schmerzen in den Gliedern , trockne,
heisse Haut, Calor mordax, Appetitmangel, Magenschmerz, Druck in der
Herzgrube , Empfindlichkeit der Lebergegend , bald viel , bald wenig Durst,
schneller, frequenter, weicher, aber nicht immer ganz schwacher, oft aber
unregelmässiger Puls, der wol 120 — 130 in der Minute zählt; klebrige
Schweisse, Neigung zu Diarrhöe. Ausserdem bemerken wjr alle Zeichen
wahrer Schwäche (s. Adynamia). Verlauf. Kann bei eintretender Ge-
nesung doch mehrere Wochen währen , ehe der Kranke wieder zu Kräften
kommt, selbst Hektik kann die Folge seyn. Erfolgt der Tod, so nimmt
das Fieber erst einen putriden Charakter an und der Mensch stirbt am
14ten, 17ten, Slsten, 25sten Tage an Paralvse. Nie erfolgt bei diesem
secundären , nervösen Fieber der Tod durch Apoplexie oder Convulsionen.
Ursachen. Weibliches Geschlecht, zarte Kinder, Wöchnerinnen, men-
struirte Frauenzimmer, schwächliche Männer bei Vita sedentaria, Personen,
die durch deprimirende Leidenschaften, durch Kummer und Elend gelitten,
haben die meiste Anlage dazu. Gelegentliche Ursachen sind ausser Diätfeh-
lern vorzüglich die verkehrte Behandlung entzündlicher und galliger Fieber,
ein zu actives Verfahren von Seiten des Arztes zur Zeit der bevorstehenden
Krisen, also am 5ten, 7ten, 9ten, Uten, 14ten Tage gewöhnlicher Fieber,
an welchen Tagen der entzündliche Fiebercharakter auch vorzugsweise in
den nervösen überzuspringen pflegt. Behandlung. 1) Am besten ists,
man verhüte durch richtige Behandlung des primären, nicht nervösen Fie-
bers dieses corrumpirte Ding: die Febris nervosa. Doch bteht dies nicht
728
FEBRIS
immer in unserer Gewalt. Auch der herrschende Krankheitsgenius spricht
etwas mit. Auch Diätfehler und heftige Gemüthsbewegungen können ohne
Schuld des Arztes bei zarten Subjecten die Metamorphose in Febris nervosa
bewirken. 2) Bei der Diagnose des wahren typhösen oder nervösen Cha-
rakters übereile man sich ja nicht; besonders halte man die Zeichen der
Synocha nervosa und die der bevorstehenden verschiedenen Krisen bei acti-
ven, inflammatorischen, mit Localentzündungen verbundenen Fiebern nicht
für die Zeichen der Febris nervosa (s. Febris und Febr. inflammato-
ria). Höchst wichtig ist es, die nervösen Zufälle, die im "Verlaufe der
exanthematischen Fieber, des Typhus petechialis , abdominalis, der Scarla-
tina, der Blattern, Masern, der Enteritis, Ileitis etc. eintreten können,
nicht sogleich für eine echte Nervosa zu halten und reizende, erhitzende
Mittel zu verordnen. Weit häufiger ist der Charakter hier synochisch- ner-
vös und erfordert ganz andere Arzneien (s. Febr. Inflam matoria ner-
vosa). Selbst die Febris miliaris, die Febr. aphthosa und Febr. petechia-
lis, welche Sinidelin (^Horiis Archiv, 1826, Jan. u. Febr., S. 6) exanthe-
matische Nervenfieber nennt, rechne ich nicht hierher, obgleich ihnen ein
Stadium nervosura zugeschrieben werden kann. Um alle Missgriffe zu ver-
meiden, verhalte man sich hier in den ersten Tagen mehr passiv als activ,
handle symptomatisch, verordne bei Durchfällen Emuls. sem. papav. albi,
ganz rein; sind keine Durchfälle da, so gebe man Infus, valerianae mit et-
was Spirit. Mindereri und Vin. stibiat. ; ist ein hoher Grad von Schlaflosig-
keit und Nervenreizbarkeit da, so gebe man des Abends eine Dosis Pulv.
Doweri. Vor dem anhaltenden Gebrauche des Opiums, der Valeriana, Ser-
pentaria, Arnica, besonders aber des Kamphers, hüte man sich sehr. Man
kann auch wol 24 Stunden und länger alle Arznei aussetzen oder etwas
Unwirksames verordnen, und beobachten, wie sich der Kranke befindet;
besonders ist dies nöthig, wenn unsere Reizmittel das Blutsystem sehr auf-
geregt haben. Nicht selten entsteht dann ein allgemeiner, warmer
Schweiss, der Puls hebt sich, wird langsamer und die Krankheit hat sich
hierdurch gebrochen (M.). Wichtig ist es, die hervorstechenden Symptome
der Febris nervosa während des Krankheitsverlaufes, die nach den ursäch-
lichen Momenten, nach Alter, Constitution etc. verschieden seyn können,
gehörig zu würdigen. Wir unterscheiden hier folgende Fälle : a) Febris
nervosa erethistica, subinflammntoria, sonst Typhus versntilis , Fehr. nervosa
versntilis (jFVrtJiA) genannt, das erethistische Nervenfieber. Es ent-
steht am häufigsten sporadisch, bei jungen, blühenden, reizbaren Kindern in
der Dentitionsperiode, bei Jünglingen und Mädchen in der Pubertät, bei
sensiblen Frauen während der Menstruation und im Wochenbette, wenn
schon vorher Kränklichkeit da war, oder wenn heftige Gemüthsbewegungen,
starke Erkältung, schwächende Einflüsse etc. einwirkten. Symptome.
Schneller Wechsel, grosse Mannigfaltigkeit und Widerspruch in allen Sym-
ptomen, heftige Delirien, bald von fröhlicher, bald von trauriger Art, hy-
sterische Verstimmung des Nervensystems, zuweilen Convulsionen , abwech-
selnd bald sehr schneller und kleiner, bald härtlicher Puls, der zuweilen
selbst normal, sogar langsamer geht, obgleich zugleich die Hauttemperatur
und Respiration oft verändert ist — dies sind charakteristische Zeichen.
Ausserdem mangeln die Zeichen irgend einer Localentzündung, und Diar-
rhöen sind nicht immer dabei. Cur. Die Krankheit ist nicht gefährlich,
verschwindet bei gelinden Mitteln oft in wenigen Tagen. In den meisten
Fällen passt ein temperirendes Verfahren , kühle Luft , reizlose Diät ; bei
Kindern Emulsio sem. papav. albi mit etwas Nitrum, Crem, tartari; bei
Erwachsenen zuerst oft ein Vomitiv, dann Pot. Riverii mit Infus, valeria-
nae, menth. crispae, Abends '/^ Gran Opium als Pulv. Doweri, höchstens
2 — 3 Abende gereicht, zum Getränk Elix. acid. Halleri mit Syr. rub. idaei,
mit Wasser vermischt. Bei etwaiger Leibesverstopfung versäume man die
Klystiere nicht, bei heftiger Diarrhöe gebe man Emuls. sem. papav. albi
5vjjj, Syr. diacod. gj. M. S. Stündlich 1 Esslöffel voll. Auf diese Weise
ährt man am besten. Sind heftige Convulsionen da, so gebe mau Flor.
1
FEBRIS 729
einci mk Castoreum und Thee von Flor, chamornillae. Arnica und Hyoscya-
mus , Kampher mit Serpentaria passen bei dieser Fieberform gar nicht.
Epidemisch entsteht diese Krankheit zuweilen bei exantheraatischen Fiebern,
indem die Synocha nervosa vorhergeht , deren richtige Behandlung das Übel
verhütet (s. Febris inf lammatoria). Dass SurtWc/in die Febris nervosa
erethistica von der Febr. nervosa versatilis Frnnk's trennt (s. Horiis Archiv,
1826, Jan. u. Febr., S. 4), dazu ist kein triftiger Grund vorhanden; es
sind zwei Stadien einer und derselben Krankheit , die im zweiten Stadium
den Gefässerethismus nur weniger heftig als im ersten zeigt (Mcs()- b) Fe-
hris nervosa lenta , das schleichende Nervenfieber, richtiger schlei-
chendes, hektisches Fieber mit nervösem Charakter. Ist
häufig der Begleiter der Auszehrung, besonders der Lungenschwindsucht (s.
Febris lenta nervosa); in andern Fällen entsteht es aus der Febris
nervosa acuta, richtiger Synocha nervosa, und kann dann in die Febris pa-
ralytica Himhj, d. i. Febris nervosa torpida, stupida, übergehen. Sym-
ptome und Cur; s. Febris hectica. c) Febris nervosa stupida, lor"
pida , nervöses Fieber mit Torpor ( Typhus cotnatodes Sauvages , Le-
thargus Vogel). Tritt wol niemals als primäres Leiden auf, ist in der Re-
gel ein böser Ausgang der Synocha inflammatoria, der Synocha nervosa, der
Febris lenta inilammatoria und nervosa; auch nehmen epidemische Schleim-
iieber, epidemische Gallentieber , die sich noch am 7ten, 9ten Tage nicht
durch Krisen entschieden, wo Fehler in der Diät und Behandlung stattfan-
den, wo die Evacuantia versäumt und durch narkotische und andere Mittel
Unheil angerichtet worden, leicht diesen Charakter an. Symptome.
Stumpfheit des Emptindungsvermögens und der Sinne, langsame oft stam-
melnde Sprache, trockne, mit kalten Schweissen bedeckte Haut, halbge-
schlossene, blasse, matte Augen, viel Schläfrigkeit, zuweilen noch Calor
mordax und hochrother Urin, veränderte Gesichtsfarbe. Der Puls geht an-
fangs noch frecjuent , später gleichmässig , langsam ; alsdann fehlt oft alle
Hitze. Die Kranken liegen in soporösera Schlummer, woraus sie schwer zu
ermuntern sind, sind höchst unbesinnlich, gleichgültig, träge, leiden oft an
Schwerhörigkeit, später an Friesel, Aphthen, an Leibesverstopfung, Me-
teorismus, Diarrhöen. Cur. 1) Man berücksichtige die anamnestischen
Zeichen. Ging Schleim- oder Gallenfieber vorher, so passt in den meisten
Fällen zuerst ein kräftiges Vomitiv, dann gebe man Arnica mit Salmiak und
lege ein Vesicatorium in den Nacken. Kommt darnach mehr Leben, mehr
Reactionsfieber, zeigen sich dabei Blutcongestionen zum Kopfe, so mache
man kalte Kopf umschlage , kalte Sturzbäder, die auch, wenn sie schnell und
periodisch, nicht anhaltend, dauernd angewandt werden, als kräftige Reize
zu betrachten sind. 2) Man behandle das hervorstechende Symptom: den
Torpor, Stupor, man excitire mit Serpentaria, Arnica, Wein, Sal volatile,
lege an verschiedene Stellen Vesicatorien und Senfteige , gebe bei trockner,
dünner Haut Kampher mit Gewürzen, Faba pichurim, Ol. cajeputi; und
wenn die Besserung fortschreitet, so verbinde man die flüchtigen Reizmittel
mit gewürzhaften, fixem, roborirenden Arzneien: Cort. Winteran, , auran-
tior. , chinae, Rad. cal. aromat. , galangae. Kubeben, Terpenthin, wie bei
Febris lenta pituitosa. Dabei sind gute Nutrientia, animalische Kost, Ge-
bratenes, heisse Weine, Madeira, Mallaga, frische Luft, Bewegung im
Sonnenscheine, stärkende Bäder, Frottiren des Körpers mit der englischen
Fleischbürste (s. Frictio) sehr zu empfehlen, d) Febris nervosa -ptitrida,
nervöses Fieber mit Zufällen von Fäulniss. Ist der Übergang
des nervösen Fiebers in Faulfieber, oder es geht eine Synocha nervosa,
eine Febris lenta inflammatoria durch falsche Behandlung und Diätfehler, be-
sonders durch heisse Zimmerluft, durch atmosphärische Verderbniss in die-
sen Zustand über. Cur. Die des Faultiebers; reine und kalte Luft, kalte
Sturzbäder und innerlich Mineralsäuren und China sind die Hauptmittel (s.
Febris putrida), 2) Febris neuropathica, das eigentliche Nervenfie-
ber. Ist ein Fieber mit primärem hervorstechenden Leiden des Nervensy-
stems, daher icli ea auch Febris neuropathica, nicht Febr. nervosa s. ty-
730 FEBRIS
phosa nenne, wegen der vorherrschenden Affection des Gehirns, des RGcken-
niarkä und der Gangliennerven, die aber nicht auf Adjnainie dieser Orga-
nenreilie beruhet. Daher ist es auch kein Sohwäoliefieber, obgleicii in sei-
nem Verlaufe wahre Schwäche, wie zu jeder Krankheit, limzukuaunen kann;
es ist ein Morbus sui generis, schon von Anfang an mit eigenthümlichem
Charakter, dessen Symptome nach Verschiedenheit der Constitution, der
Witterung, des herrschenden Krankheitsgenius manche Verscliiedenlieiten .
darbieten, — eine Krankheit, die in Betretf ihres eigenthämiichen Veiiaufs
viel Alinliches mit den acuten Exanthemen, besonders mit den primären Pe-
techien und der Scarlatina hat, und deren wesentliches Symptom die Ty-
phomanie ist. Sov^e das iniiammatorische Fieber in der Regel etwas Sym-
ptomatisches ist , dem verschiedenartige Localaffectionen , besonders Ent-
zündungen zum Grunde liegen : ebenso ist dieses Nervenfieber in allen sei-
nen verschiedenen Formen auch nur ein solches, wobei fast durchgängig to-
pische Aifectionen durch die Section nachgewiesen werden, z. B. bei der
Febris neuropathica abdominalis (^l^ijphus abdominalis Schüitlein, Typhus spo-
radiais Ponmier^ eme Exanthembildnng in der lleo-Coecalgegend des Darm-
canals , die , gleich andern Exanthemen , ihren bestimmten Verlauf nimmt
"und ohne Nachtheil für den Kranken weder durch eine eingreifende schwä-
chende, noch durch eine solche reizende Behandlung gestört werden darf
(s. Magnus, Dlssert. de Typho abdominali. VVürzb. 1826). Ebenso können
andere Localaffectionen beim Typhus cerebralis und icterodes (Phlebitis,
Arteriitis der Aorta descendens etc.) nachgewiesen werden. IVIan könnte also
mit Fug und Recht fast alle Fieber aus der Fieberlehre streichen und sie
würden demnach nur noch historischen Werth behalten. Dass dies Verfah-
ren für ein neues System der Krankheiten vielleicht zeitgemäss sey , kann
wol möglich seyn. Für den Praktiker und für eine mediciiiische Encyklo-
pädie ists aber besser, vorläufig noch beim Alten zu bleiben. Denn 1) das
Fieber bleibt doch immer das Hauptsymptom und zugleich der Thermometer
für die grössere oder geringere Heftigkeit der etwa obwaltenden Inflammatio
interna, occulta. 2) Es ist noch nicht ausgemacht, ob letztere jedesmal in
noth wendigem Causalnexus zum Nervenfieber steht, ob sie mitunter nicht
auch etwas Secundäres, Folge des Fiebers sey, das sich erst im Verlaufe
desselben ausbildet. Kann die Localaffection nicht auch als ein anderer
Morbus sich blos mit dem B'ieber verbinden ? Solche Complicationen kön-
nen in emer Zeit weit häufiger als in der andern vorkonunen ; ja, sie kön-
nen, wie die Jahre 1826 — 1829 gelehrt haben, in manchen Epidemien nie
fehlen; dennoch sind wir nicht berechtigt, das Wesen der Krankheit darin
zu suchen; denn es giebt auch Nervenfieber sine llco- Enteritide, sine En-
teritide occulta, sine Eacephalitide, Phlebitide etc. Daher steht es iftit die-
sen Entzündungen noch schlimm, luid nur die Section giebt ims volle Ge-
wissheit. Dies ist der Grund, dass ich hier das ältere Bewährte, das
praktisch Brauchbare dem Neuern, noch nicht genugsam Bestätigten vor-
ziehe. Auch scheint unsere Zeit, angeregt durch die Aufmerksamkeit, die
Brotissnis' Lehre auf den Darmcanal leitete, den Innern Entzündungen, den
Subinflammationen , der Inflammatio occulta, chronica eine zu grosse Aus-
dehnung zu geben, und es ist wahrlich Zeit, genauer zu unterscheiden, um
nicht jeden bei der Section aufgefundenen Blutflecken sogleich mit dem Na-
men Entzündung zu stempeln, sondern auch zu bedenken, dass viele
Veränderungen nach dem Tode in der Leiche vor sich gehen, die also
mit der Krankheit im Leben in keiner Verbindung standen (vgl. Spitta , Die
Leichenöffnung in Bezug auf Pathologie und Diagnostik. Stendal, 18-6).
Symptome des Nerven fiebers im Allgememen. Sind kaum zu be-
stimmen. Doch sind folgende fast allen Arten dieses Fiebers eigen : 1) ein
Stadium prodromorum, das 5, 7 bis 9 Tage währen kann, ehe die Krank-
heit selbst da ist. Man bemerkt Uiüust, Trägheit, Zerschlageiiheit in den
Gliedern, periodisch Unruhe, Angst, Verstimmung des Gemüths, Verdriess-
lichkeit, Schlaflosigkeit oder viel Schläfrigkeit, traumvollen Schlaf, der
gar nicht erquickt und nach welchem die Ivi'aukca höchst ermattet und ab-
FEBRIS 731
gpspannt erwachen. Ansscrdem ist Mangel an Esslust, Ekel, Druck in der
Herzgrube, Empfindlichkeit für Sinneseindrücke: grelles Licht, starkes Ge-
räusch, Idiosynkrasie des Geschmackssinns zugegen. 2) Diese Vorboten stei-
gern sich allraälig immer mehr, und nun bricht die Krankheit selbst mit
kurzem, unbedeutendem Froste und anhaltender, bald stärkerer, bald ge-
linderer Fieberhitze aus, welolies Fieber Ähnlichkeit mit einem Ka-
tarrhalfieber hat, wobei der Ki'anke mitunter schon delirirt, ohne ein-
mal das Bette zu hüten. 3) Im Verlaufe dieses Fiebers, das anfangs eine
Remittens, später eine Continua continens ist, sind die kritischen Tage und
wirkliche Krisen wenig zu bemerken, der ganze Gang der Krankheit zeigt
viel Unsicheres , Unbestimmtes , Unregelmässiges , durchaus nichts Festes,
Bestimmtes, wie bei echten inflammatorischen Fiebern. Die Exacerbationen
fallen mehr in die Morgenstunden , kommen mehr nach Mitternacht als des
Abends. Zuweilen klagen die Kranken über gar keine Schmerzen , zuwei-
len aber über Kopfschmerz, besonders im Hinterkopfe, in der Orbita, in
der Herzgrube, in der Lebergegend, in den Genitalien, wo Gefühl von
Dehnen und Ziehen stattfindet und wohin männliche Kranke besonders viel
greifen. Mitunter klagen die Kranken auch über Halsweh, Übelkeit, Ma-
gendiücken , über rheumatische Schmerzen in den Gliedern. Alle diese
schmerzhaften Affectionen wechseln sehr, so dass sie binnen 48 Stunden bald
dasind, bald verschwinden. Der Puls geht stets frequent, meist 130 Schläge
in der Minute, ist in einigen Fällen und zu Anfange der Krankheit mehr
härtlich und regelmässig als weich und schwach. Die Haut ist bald mit
klebrigen Schweissen bedeckt, bald dürr, brennend (Calor mordax), die
Zunge ist meist dürr und trocken, die Respiration schnell, der Durst im
geringern Grade der Krankheit gross , im höhern Grade fehlt er oft ganz ;
ja, es stellt sich selbst eine Art von Wasserscheu ein; daher die Altern die-
ses Fieber wol Hydrophobia spontanea nannten (^Sauvagesy In der Höhe
der Krankheit ist die Zunge nebst den Lippen oft mit braunen , schwarzen
Krusten überzogen; stets ist Neigung zu Diari-höe da, die Stuhlgänge sind
oft dünn , stinkend , schwärzlich , selbst blutig. Der Harn ist in den ersten
14 Tagen der Krankheit oft wenig verändert; er ist nicht ungewöhnlich rolh,
bleibt meist hell, blass, höchstens bildet sich eine kleine Wolke darin, die
eich aber nicht senkt. Nicht selten zeigen sich im Verlaufe der Krankheit
alle Zeichen wahrer Schwäche, also eine Complication des Nervenfiebers
mit nervösen Zufällen (s. Fe bris nervosa): grosse Mattigkeit, Zittern,
Sehnenhüpfen, Unvermögen sich aufrecht im Bette zu erhalten. Haben die
Kranken Neigung zum Schwitzen, so bekommen sie leicht weisses und rothes
Friesel (s. Miliaria, Purpura), desgleichen Schwämmchen im Munde
und in den Digestionsorganen, weshalb man die Krankheit dann wol Febris
miliaris nervosa, Febris aphthosa genannt hat. 4) Meist immer ist das Ner-
■venfieber ein solches, das sich lange hinzieht, und bei günstigem Ausgange
sind oft 8, 10 und mehrere Wochen nöthig, ehe der Kranke wieder zu
Kräften kommt. Anschwellungen der Parotiden, besonders aber der lympha-
tischen Drüsen in der Nähe der Parotis , hält man für ein gutes Zeichen
der Besserung ; werden sie aber plötzlich platt, verschwinden sie schnell, so
zeigt dies Gefahr an. Vor dem 17ten, SIsten, 28sten Tage, an welchen in
schlimmen Fällen am häufigsten der Tod folgt, findet fast gar keine Bes-
serung statt. Ja, es scheint fast gleichgültig für den Gang der Krankheit
zu seyn , wir mögen geben was für Mittel wir wollen. Bösartige Fieber
dieser Art , complicirt mit Encephalitis , Hepatitis , Enteritis occnlta , mit
Schleim- und Gallenfiebern , mit Petechien, mit Febr. putrida, z.B. die so-
genannten Lager-, Hospital-, Schiffs- und Kerkerfieber, die
Kriegspest, auch TyphitjS co7itagiosus , pctechialis , icicrodes , ahdominnUSy
Fehris nervosa jnitnda genannt, tödten oft schon am 3ten , 5ten , 7ten Tage
besonders wenn der Arzt positiv verfahrt und das Schwächen oder Exciti-
ren übertreibt. Der Tod erfolgt in den meisten Fällen unter Convulsionen
oder durch Apoplexie. Diagnose. Der Unterschied z\>ischen Nervenfie-
ber und nervösem Fieber ist für die Praxis sehr wichtig; denn ersteres er-
732 FEBRIS
fordert bei seinem Auftreten ein mehr negatives, letzteres, dessen Cha-
rakter wahre Schwäche ist, mehr ein positives Hellverfahren. Die Un-
terscheidung ist nicht ganz leicht, weil die Neuropathica häufig auch ein
Stadium nervosum (nach dem7ten, 9ten Tage) durchläuft, also alsdann alle
Zeichen der Febris nervosa darbietet. Die Constitution des Kranken, daa
Auftreten und der ganze Verlauf des Übels , die Eigenthümlichkeit seiner
besondern Arten und der herrschende Krankheitsgenius müssen hier wohl be-
rücksichtigt werden. Zur Diagnose dient: «) Nervöse Fieber sind stets
solche, denen andere fieberhafte Krankheiten vorhergingen; sind etwas Se-
cundäres, haben also kein Stadium prodromorum; die Nervenfieber sind da-
gegen etwas Primäres, die oft ein langes Stadium der Vorboten und einen
langsamem eigenthümlichen Verlauf haben ; nicht selten auch , wie die exan-
thematischen Fieber, sehr gut verlaufen, wenn nur jedes heftige, positive
Heilverfahren vermieden wird (s. Typhus abdominalis), b) Alle ner-
vöse Fieber sind corrumpirte Krankheiten , unglückliche Ausgänge gewöhn-
licher gutartiger Fieber , deren Ursachen meist immer in verkehrter Diät
und Behandlung liegen ; dagegen sind die Nervenfieber keine corrumpirteu
Krankheiten, keine Krankheitsausgänge, kein Übergang in wahre Schwäche,
sondern eine eigenthümliche Krankheit, begründet in primär hervorstechen-
dem Leiden des Nervensystems ohne walirc Adynamie. c) Die Febris neu-
ropathica erscheint in der Regel als epidemisches, miasmatisches oder con-
tagiöses Übel, seltener sporadisch; die Febr. nervosa ist stets etwas Spo-
radisches, d) Durch zweckmässig angewandte gelindere oder stärkere Exci-
tantia und Nervhia können wir, besonders bei der Nervosa stupida, torpida,
oft noch viel ausrichten ; bei der Febr. neuropathica passen sie zu Anfange
gar nicht, und auch im Verlaufe nur dann, wenn wirklich nervöse Sym-
ptome hinzutreten , aber auch hier noch mit der grössten Vorsicht. Mir sind
Epidemien der F'ebr. neuropathica vorgekommen , wo die Kranken bei ge-
linden kühlenden Mitteln: Cremor tartari, Molken, Buttermilch etc , ohne
Arzt am schnellsten und sichersten genasen; dagegen starben da, wo Arzte
gebraucht wurden, meist die Hälfte der Kranken, indem diese die Idee von
Asthenie und deren Gegengift: Wein, Kampher, Opium, Arnica etc. nicht
fahren lassen wollten. Auf diese Ärzte passt ganz das Ciceronianische : „ut
fuerit melius, non didicisse" (Tusc. quaest. Lib. IL), c) Die Febris ner-
vosa tödtet bei üblem Ausgange am häufigsten durch Erschöpfung oder un-
ter den Zeichen der Putrescenz , die Neuropathica häufiger durch Convul-
sionen und Apoplexie, besonders in den ersten 14 Tagen und bei reizender
Curmethode. f) Die Febris nervosa macht, wenn nicht zufällig ein wohl-
thätiger Schweiss eintritt, was selten der Fall ist, gar keine Krisen; die
Febris neuropathica macht dagegen Krisen, besonders durch den Darmcanal,
die nicht gestört werden dürfen (s. unten Febris neuropathica cum
Enteritide, Ileitide), und durch Hautausschlag, der indessen oft erst
am Ende der Krankheit erfolgt, wie ich dieses ganz so wie Dr. Heifjeldcr
(s. Hechcr's Annalen , 1830, Januar) in drei Fällen beobachtet habe. Auch
durch den Urin finden Krisen statt (s. Febris putrida). g) Obgleich
jede ausgebildete Febris neuropathica kürzere oder längere Zeit ein Stadium
nervosum zu durchlaufen pflegt, obgleich es einzelne Epidemien giebt, wo
dieses Stadium früh auftritt und sich lange hinzieht (s. Febris neuropa-
thica cum Febre nervosa), so bleibt das echte Nervenfieber dennoch
wesentlich von der Febr. nervosa verschieden und der Unterschied ist hier
ebenso gross , wie zwischen Febr. morbillosa und Febr. inflammatoria. /i) Zu
nervösen Fiebern prädisponiren nur schwächliche Naturen, zum Nerveiifieber
oft recht robuste, junge Subjecte, die ein Übermass von Saft und Kraft
besitzen, besonders solche, die sich in der Pubertätszeit befinden. Ursa-
chen des Nervenfiebers. Prädisposition geben das jugendliche und männ-
liche Aller, und sowol die robuste als die zarte Constitution. Kinder und
Greise bleiben am meisten davon verschont. Jünglinge und Mädchen in der
Pubertätsperiode bekommen die Krankheit am häufigsten; Frauen und Män-
uu' bis zu 40 Jalurea bleiben uuch nicht immer verschont. Die Krankheit
FEBRI3 733
herrscht am häufigsten epidemisch, selten rein, sehr oft mit gastrischen Be-
schwerden, mit Kopfaffectionen oder Exanthemen verbunden. Die einzelnen
Bpideroien bieten grosse Mannigfaltigkeiten dar; in einigen verschont die
Krankheit die robusten Naturell und greift die schwachen an, in andern ists
umgekehrt. Überhaupt wird bei uns das Nervenfieber durch den herrschen-
den Krankheitsgenius fast immer so moditicirt, dass uns nur eine richtige
Einsicht in diesen Genius bei der Behandlung solcher B'ieber richtig zu lei-
ten im Stande ist (s. Constitutio). Die vorzüglichste Ursache liegt in
unbekannten atmosphärischen Einflüssen , in der Luftconstitution , und eine
der ersten gelegentruihen Ursachen ist heftige Erkältung in solchen Zeiten.
Auch bedeutende Gemüthsbewegnngon, deprimirende Leidenschaften, Kum-
mer , Elend , unreine Luft in Thälern , die von Bergen eingeschlossen sind,
können dazu beitragen. Ausserdem scheint das epidemische Wechselfieber,
sowie die Influenza den ganzen Krankheitscharakter zur Neuropathica und
Gastrica auf mehrere Jahre verändern zu können. . Man vergleiche deshalb
nur die epidemischen Krankheiten der Jahre 1742 — 1746, 1762 — 1768,
1782—1789, 1802—1808, und 1826, wo das epidemische Wechselfieber
als europäisches Sommerfieber auftrat, bis in die letztern Jahre (1830 fg.),
mit einander, und man wird finden, das sich jedesmal nach den Jahren
1742, 1762, 1782, 1802 und 1826 der Krankheitsgenius geändert und aus
dem rein inflammatorischen der gastrisch - nervöse , richtiger gastrisch-
neuropathische, geworden ist. Prognose. Ist mehr gut als schlecht;
doch ist sie verschieden nach der Constitution , nach der Form des B'iebers,
nach den günstigen oder ungünstigen Lebensverhältnissen, nach der mehr
oder weniger zweckmässigen Behandlung etc. Behandlung. Lässt sich
im Allgemeinen kaum bestimmen. Sie ist nach Verschiedenheit der Fieber-
form, nach den verschiedenen Zeiträumen der Krankheit und nach den ver-
schiedenen Complicationen sehr verschieden ; bald derivirend , temperirend,
beruhigend, bald ausleerend, krampfstillend, reizend, excitirend. Für de^
Praktiker sind daher folgende Cautelen höchst wichtig: 1) Im Stadio pror-
dromorum können wir die ganze Krankheit oft unterdrücken, wenn wir dem
Unpässlichen ein Vomitiv geben , und hinterher ein Diaphoreticum aus Spir.
Mindereri, Vin. stibiat. und Aq. flor. sambuci. Ist das Übel aber schon
wirklich ausgebrochen, so dürfen wir ohne gehörige Indication nicht vomi-
ren lassen. Heftige Purgirmittel, die man wol als Präservative empfohlen
hat, sind dagegen höchst nachtheilig. Doch giebt es Fälle (ich selbst habe
dergleichen mehrere erlebt), wo die Krankheit bei den ersten Vorboten durch
Glühwein und Punsch mit darauf folgendem Rausche und starker Transspi-
ration im Keime erstickt wird. Männer, die an Wein gewöhnt sind, mö-
gen dies wol am ersten riskiren können , weniger Frauenzimmer und Kin-
der. Hier möchte das Nervenfieber dadurch zur Sjnocha nervosa mit ört^
liehen Entzündungen gesteigert werden. 2) In unsern Gegenden von Nord-
deutschland tritt das Nervenfieber oft mit gastrischen Beschwerden compli-
cirt auf (s. Fe bris neuropathica gastrica). Dies war besonders der
Fall in und um Rostock im Jahre 1829, besonders in der Sommer- und
Herbstzeit. Hier zeigen sich gleich neben den allgemeinen Symptomen gelb
und weisslich belegte Zunge, bitterer Geschmack, Übelkeit. Cur. Zuerst
ein Vomitiv aus reiner Jpecacuanha , später Potio Riverii mit Aq. flor. sam-
buci, bei anhaltenden Durchfällen Emuls. sem. papav. albi mit Syr. diaco^
dion. Man stopfe hier die Diarrhöe ja nicht zu früh durch Opium. 3) Häu-
fig ist das Nervenfieber mit Unterleibsleiden, besonders mit partieller eigen-
thümlicher Entzündung und Exanthembildung der lleo - Coecalgegend des
Darmcanals , welche Hufelnnd ganz richtig zuerst mit dem Namen Ileitis
pustulosa (s. dess. Journ., 1830, St. 4) bezeichnet, mit Enteritis und He-
patitis occulta verbunden. Daher ist es nothwendig, diese Verschiedenhei-
ten genau zu unterscheiden. 3) Fehris neuropathica cum EntcriiUle , Ileitide
(Typhus abdominalis der Neuern; s. dies. Art.). Das Nervenfieber mit so-
genannter Darmentzündung hat folgende Symptome: das Stadium der Vor-
boten ist nicht bedeutend , dauert höchstens 3 ■ — 5 Tage , die Nervenver-
' 734 FEDRIS
Stimmung ist auch nicht sehr gross, viele der angegebenen Zeichen dieses
Stadiums fehlen; dagegen sind als Vorboten katarrhalische AfFectionen, ge-
linde katarrhalische Fieberbewegungen, etwas Husten, Reiz zum Niesen,
trockne Nase , thränende Augen , Reiz zum Husten constant. Die eigent-
liche Krankheit tritt mit Frost und anhaltender Hitze, mit vielem Durste,
Angst, Unruhe, Kopfschmerz, Delirien auf, der Puls schlägt 120 bis 130,
ist nicht immer weich , die Schlaflosigkeit ist des Nachts recht quälend , der
Typus des Fiebers ist bis zum 7ten Tage eine Remittens, später erst eine Con-
tinua continens. Der Unterleib ist häufig gespannt; diese Spannung nimmt
zu bis zum Meteorismus. Berührt man den Unterleib, so findet man ihn
fast immer schmerzenfrei in der Oberbauchgegend und um den Nabel herum;
doch über den Schossbeinen, wo der innere, schräge Bauchmuskel mit dem
geraden zusammenstösst, macht ein angebrachter Druck, besonders wenn er
allroälig tiefer bis gegen die Lendenwirbel eindringt, bedeutenden Schmerz.
Kranke, die deliriren, verziehen alsdann die Gesichtsmuskeln, und dieser
Gesichtszug hat Ähnlichkeit mit dem Lächeln. Die Kranken leiden nicht an
wahrem Sopor oder Stupor, sondern an einer eigenthümlichen Betäubung
und Umnebelung des Innern Sinnes, die wir mit dem Namen Typhomanie be-
zeichnen (^Stmdelin ; s. auch Pommerns Beiträge zur nähern Kenntniss des
sporadischen Typhus. Tübing. 1821). Dieser Schmerz ist anhaltend, fest-
sitzend, giebt sich bei jedesmaliger Untersuchung des Leibes kund, und ist
eins der sichersten Zeichen der Darmentzündung (s. /. R. Bischoff, Darstel-
lung d. Heilungsmethode in d. medicin. Klinik zu Wien in d. Jahren 1826
u. 1827. Wien, 1829). Ausserdem klagen die Kranken ^iel über Kreuz-
schmerzen, die ziemlich anhaltend sind. Oft schon am 2ten , Sten Tage der
Krankheit gehen viele Blähungen ab, und es stellt sich Diarrhöe ein. Die
Sedes sind schleimig, gallig, blutig, schwärzlich, höchst stinkend, der Ab-
gang erleichtert wenig. Die Physiognomie des Gesichts bekommt etwas
Längliches, und dadurch wird die Miene ungewöhnlich auffallend. Die
Zunge ist anhaltend dürr, oft in der Mitte mit einem braunen Streifen ver-
sehen , zuweilen glühend roth, dann bald feucht, bald trocken, nach jedem
Trinken trocknet sie gleich wieder , der Bauch ist heiss , der Puls in den
Exacerbationen sehr schnell und gespannt. Der Sitz der Subinflammation
ist am häufigsten im Hüftdarm , Krummdarm , Ileum , an dessen Anfang
kleine, hie und da entzündete Maculae et Papulae sich befinden, die sich
später vermehren, endlich, wo das Ileum im Becken gegen die Wirbelsäule
zu liegt und sich gegen den Blinddarm erstreckt, ein allgemein verbreitetes
Exanthem mit Exulceration darstellen. Es erstreckt sich oft gegen das
Ende des Hüftdarms ununterbrochen so weit, dasr es 1 — 3 Zoll Länge ein-
nimmt. Das Exanthem pflanzt sich zuweilen tief in alle Darnihäute, nicht
blos in die Schleimhaut des Darms, fort; dieser wird schwärzlich, mit Ge-
schwüren bedeckt, die blutige Jauche absondern, wodurch selbst der Darm
durchfressen und Kothaustritt in die Unterleibshöhle die Folge seyn kann
(^Bisclioff). Bei gutem Ausgange der sogenannten Entzündung ist dies aber
nicht der Fall, nur in ungünstigen Fällen folgt Exulceration und Gangrän.
In guten Fällen vergeht diese Entzündung, die nie Suppuration oder Bil-
dung von Pseudomembranen hinterlässt, von selbst unter gutartigen Durch-
fällen , die hier als kritisch zu betrachten sind (s. Eischoff', Grundzüge zur
Erkenntniss und Behandlung der Fieber und Entzündungen. 2te Aufl. Wien,
1830; besonders aber folgende, sehr beachtenswerthe Schrift: F. Lesser,
Die Entzündung und Verschwärung der Schleimhaut des Verdauungscanais,
als seibstständige Krankheit , Grnndleiden vieler sog. Nervenfieber etc.
Berl. 1830). Behandlung. Darf durchaus nicht eingreifend, activ seyn.
Reizende, stärkende Mittel sind höchst schädlich, antiphlogistische Mittel
desgleichen. Höchstens setzen wir einige Blutegel an die leidende Stelle
des Unterleibes, und nur bei recht vollsaftigen Personen und nur in den
ersten 8 Tagen der Krankheit (nicht, wie Bischnff in Wien dies that, noch
am 18ten Tage!!) passt ein kleiner Aderlass. Nichts ist hier schädlicher
als die Übertreibung des antiphlogistischen Apparats ; denn wir haben es
FEBRIS 735
hier mit keiner echten Entzündung zu thun, dies beweisen schon die be-
ständigen Veränderungen der Gekrösdrüsen in den dei\ afficirtcn Theilen des
Darms entsprechenden Stellen; daher die Franzosen diesen entzündungsähn-
lichen Zustand Doihinenteritis nennen (^Louis, Bretonneau, Trousseau, Lan-
dini; 8. Uecker's Annal. Bd. XV. Hft. 4). Innerlich dienen solche Mittel,
welche die heftigen Durchfälle massigen, aber nicht stopfen, z. B. in der
ersten Zeit : ^r Emnls. sem. pnpnv. nlbi Sj , Natri nitrici ^jy , Syr. diacod,
§j. M. S. Alle 2 Stunden 1 Esslöffel voll. Dabei Vermeidung aller salzi-
gen , sauren und animalischen Kost. Nur schleimige Dinge : Sago , Salep,
Hafer-, Gersten- und Graupenschleim sind passend. Halten die Durchfälle
über acht Tage an , stellen sich bedeutende Schmerzen im Leibe , Angst,
Unruhe in höherm Grade ein , so gebe man des Abends Y4 — y, Gran Opium
als Pulv. Doweri , und ausserdem innerlich : I^ Eniuls. sem. papav. nihi 5vjij,
Land, liquid. Syd. ^jy , Sijr. emuls. 5J. M. S. Zweistündlich 1 Esslöffel yoU.
Auch der Salmiak ist hier ganz an seiner Stelle, z. B. ^' Decoct rnd. al-
</irtC«e 3VJ3J , SaJ. ammon. dep , Succ. liqnir. dep. ana 5jj — jjj ? Land, liquid.
Sijd. gtt. xjj , Syr. diacod. gj. M. S. Zweistündlich 1 Esslöifel voll (M.).
Diese einfache Behandlung hat mir im Jahre 1829 bei mehr als 40 solchen
Kranken die besten Dienste geleistet. Hören die Diarrhöen auf, tritt Bes-
serung, Verminderung des Fiebers, Verschwinden der Typhomanie eirt, dann
passen gelind stärkende Mittel, Decoct. columbo, Infus, rad. calam. aro-
matici mit bittern Extracten, Spirituosen Tincturen, zuletzt Decoct. chinae.
Alle äusserlichen und Innerlichen reizenden Mittel , selbst den Merc, dulcis
fand ich in den meisten Fällen schädlich. Höchst wichtig ist die Regel,
den Kranken im Nervenfieber nicht dursten zu lassen. Man reiche schlei-
mige und säuerliche Getränke in Menge und nöthige fleissig zum Trinken
(s. Hau, Über Erkenntniss und Heilung des Norvenfiebers, 1829), Ich
fand das Trinken von kaltem Wasser bei vielen Kranken nützlich ; selbst
da, wo zugleich Diarrhöen waren und es ohne mein Wissen reichlich ge-
nommen wurde, sah ich keinen Nachtheil davon. Sind starke Kopf- oder
Bru.stcongestionen da, so nützen kalte Umschläge (!?«?«). Lesser's Vor-
schlag, den IV^erc. dulc. in grossen Dosen zu geben, um die Krankheit
gleich anfangs zu unterdrücken , verdient Aufmerksamkeit ; in kleinen Dosen
bekam er meinen Kranken nicht gut (Mosl). b) Fehris neuropatliica cum
Uepatitide (^Typhus irterodes) , Nerven fi eher mit Leberleiden. Ist
in unsern Gegenden höchst selten , ist alsdann ein gelinder Grad des gelben
Fiebers und muss auch so behandelt werden (s. Febris flava). Kommt
das Leberleiden erst später zu dem Fieber, oder wird das mit Hepatitis
verbundene Fieber nervös, so sind dies secundäre Zustände, die nicht hier-
her gehören. Auch die bedeutenden Leberaffectionen bei der Synocha ner-
vosa sind etwas Secundäres , entstanden per consensum vom Gehirne aus
(s. Febris inflammatoria). c) Fehris neuropnthicn cum Encephalitide
(^Tifjihus cerehralis) , Nerven fi eher mit hervorstechendem Kopf-
leiden. Wir bemerken dasselbe vorzüglich beim Fleckfiebcr und bei hö-
hern Graden der Febris scarlatina. Es ist dieses Fieber identisch mit der
Synocha nervosa, und muss auch so behandelt werden. Besonders wirksam
sind kühlende Purganzen, kalte Luft, kalte Kopfumschläge, selbst Blutegel
an die Schläfen, Mineralsäuren (s. Febris inflammatoria und Inflam-
matio cerebri et meningum). d) Fehris nevropathica cum Fehre ner-
vosa sen lyphosa , Nervenfieber mit nervösen, typhösen Zufäl-
len. Jedes Nervenfieber kann in seinem Verlaufe diese Complication ein-
gehen, woran theils gelegentliche Ursachen : verkehrte Behandlung, Diät-
fehler, theils auch der Einfluss des herrschenden Krankheitsgenius Schuld
seyn können. Symptome und Behandlung gehen aus der Vergleichung
der Febr. nervosa und neuropathica hervor. Es giebt mitunter Epidemien,
wo diese schlimme Complication häufig auftritt, besonders wenn Furcht,
Angst vor der Ansteckung bei contagiösen Fiebern obwaltet. Charakteri-
stische Zeichen sind hier während des Fiebers : kleine Pupille, Empfindlich-
keit des Gemüths, Niedergeschlagenheit, Krampf im Schlünde, häufiges Wür-
738 FEBRIS
{jpn uud Erbrechen, Schmerz in der Herzgrube, Zittern der Gesichtsmus-
keln, der Gliedmassen, massig schneller, weicher, schwacher Puls, meist
nur 100 — 110 in der Minute, Flechsenspringen , wahre Schwäche. Das
Stadium prodromorum kann hier acht Tage und länger dauern, aber eben so
oft auch fehlen, und die Krankheit plötzlich (nach Erkältung, Nachtschwär-
nien, Rausch) einbrechen. Cur. Diese Fieberform, welche man auch Ty-
phus nervosus genannt hat (^Himly) , erfordert flüchtige Excitantia , vorerst
VVcin, Naphtha, Tinct. macidis, vanillae, cinnamomi, um die starke Em-
pfindlichkeit des Magens abzustumpfen und so das quälende Erbrechen zu
stillen , da ohnehin alle Arzneien weggebrochen werden. Dann passt Infus,
valerianae mit Tinct. valerianae anodyna, später Infus, cal. aroniat. mit
Extr. card. benedicti , Decoct. gel urbani , und wenn die grosse Em-
pfindlichkeit nicht mehr da ist, etwas Kampher, später China und gute
Nutrientia.
Fehris pnludosn, Malaria, das Marsch- oder Sumpffieber. Hier-
her rechnet man vorzüglich die Intermittens, die Biliosae epidemicae nervo-
sae et putridac, zum Theil auch die Febr. flava, die Dysenteria und Cho-
lera epidemica (s. diese Art.).
Fehris imrturieniium , das W o c h e n f i e b e r. Ist dasjenige Fieber,
welches die meisten Wöchnerinnen gleich nach der Entbindung, gewöhnlich
«/, — 1 Stunde nachher, befällt und die grösste Ähnlichkeit mit einer leich-
ten Intermittens hat. Es beginnt mit unbedeutendem Froste , der oft nur
*/4 Stunde dauert, worauf Hitze, Schweiss und Schlaf folgen. Beim Er-
wachen fühlt sich die Frau erquickt und denkt daran , dem Kinde die Brust
zu reichen. Bleibt die Placenta zurück, so wiederholt sich dies intermitti-
rende Fieber binnen 24 Stunden 2 — Smal , und der Frost hält oft über
eine Stunde an (s. Placenta uteri adnata et retenta). Ist dies
nicht der Fall, so dauert der ganze Paroxysmus nur 2 — 4 Stunden, ist
nicht gefährlich und kehrt auch bei guter Diät und Warmhalten nicht wie-
der. Dieses Fieber scheint ebenso sympathisch vom Reiz des Uterus zu ent-
stehen, als manches Wechselfieber vom Reiz der Harnwerkzeuge ausgeht.
Cur. Es bedarf gar keiner Arzneien. Die Wöchnerin muss sich warm zu-
decken , warmen Fliederthee trinken und den Schweiss gehörig abwarten,
was überhaupt in den ersten neun Tagen des Wochenbettes von Wichtig-
keit ist. Bei recht vollblütigen Frauen ist dieser Fieberanfall , besonders
das Froststadium, stärker als bei magern. Hält der Frost über eine halbe
Stunde an, kehrt er in 24 Stunden ebenso heftig wieder, so sind in der
Regel bedeutende Verletzungen der Geburtstheile zugegen, welche genauer
untersucht werden müssen.
P^ebris pcstilcnliaUs , Fehris pestilens, das Pestfieber. So nannte man
in alten Zeiten jedes bösartige Fieber, besonders wenn es epidemisch und
contagiös herrschte und einen nervösen und fauligen Charakter hatte. Im
engern Sinne und gegenwärtig versteht man darunter das die Pest beglei-
tende Fieber; s. Pestis.
Fehris fietcchialis , das Fleckfieber, Petechienfieber. Ist eine
exanthematische Krankheit; s. Petechiae acutae.
Fehris phlegmnticn , das Schleimfieber, s. Febris pituitosa.
Fehris phthisica , Fehris hecticn exulccrntn , das phthisische Fieber.
Ist ein Zehrfieber mit örtlichem Leiden, vorzüglich mit Vereiterung der Lun-
gen; s. Febris hectica und Phthisis pulmonalis.
Fehris pituitosn, ^lutinosa, phlegmnticn , Fehris nervosa (Thom. Glnss},
das Schleimfieber. Es entsteht von übermässiger Absonderung, zu star-
ker Anhäufung und fehlerhafter Mischung des Schleims in den Verdauungs-
organen, ist also eine Krankheit der Schleimhaut des Tubus intestinalis als
Folge unvollkommner Blutbereitnng; und diese ist wiederum Folge von un-
vollkommner Assimilation und Chylification , verursacht durch mangelhaften
EinHuss der organischen Nerven, sovvol des Nerv, splanchnicus als des va-
gus, auf den Chemismus der Assimilation. Das Schleimfieber sowie die
Schleimsucht sind langwierige Übel, wobei selbst das Blut der Kranken auf
FEBRIL 737
einer niedrigen Stufe der Organisation steht und me^ir Schleim und Eiweiss-
stoff, dagegen weniger Cruor, als bei Gesunden enthält. Daraus erklärt es
sich, warum Schleinifieber und Schleimsucht so leicht die Atrophien, die
Bleichsucht, die habituellen Wechselfieber begleiten, so dass schon Galen
die Intermittens quotidiana schlechtweg Febris pituitosa nennt; warum ver-
fütterte Kinder, überhaupt alle Menschen mit schwacher Nutrition so häufig
an Wurmlcrankheit , die mit Febris pituitosa und Schleimsucht dem Wesen
nach eins ist, leiden etc. 'Symptome. Im Frühling und Herbst, beson-
ders bei feuchter Witterung, zeigt sich die Krankheit am häufigsten, und
wird dann, vorzüglich in sumpfigen, morastigen Gegenden , leicht epidemisch.
Das Fieber hat stets ein langes Stadium prodromorum , das oft viele Wochen
währt und an Appetitlosigkeit, Neigung zu Aufstossen, schlechter Verdauung,
viel Schleimabsonderung im Munde, besonders des Morgens nach dem Auf-
stehen, an weissbelegter Zunge, fadem, pappigem Geschmack, an öfterm
Würgen, Durchföllen, Aufgetriebenheit des Leibes, Magendrücken etc. er-
kannt wird, welche Symptomengruppe Status pittiitosus heisst Cs. Blen-
norrhoea ventriculi et intestinorum). Der Anfang des Fiebers ist
dunkel; zuerst stellen sich des Abends leichte Frostschauer, abwechselnd
mit KUtze ein, worauf Schweiss folgt, nach welchem sich der Kranke sehr
ermattet fühlt. Später tritt das Fieber, das stets nur gelind scheint, wobei
der Puls oft nur wenig Frequenz hat, deutlicher ein; hat etwas Schleichen-
des , so dass Remission und Exacerbation kaum zu unterscheiden sind ; das
Gesicht schwillt häufig etwas leukophlegmatisch auf, es zeigen sich blaue
Ringe um die Augen, blaue Lippen; Zunge, Zähne und Zahnfleisch sind mit
Schleim überzogen, der Speichel bekommt eine schleimige Beschaffenheit;
dabei Druck in der Herzgrube, Ekel, Erbrechen, grosse Niedergeschlagen-
heit. Das aus der Ader gelassene Blut zeigt eine Schleimkruste, der Blut-
kuchen ist sehr locker, lässt sich leicht zerdrücken, selbst die Blasen der
gelegten Vesicatorien enthalten Schleim {Kerends). Das Übel dauert ohne
gehörige Kunsthülfe mehrere Wochen, und de«" Tod folgt häufig durch Ab-
zehrung und Wassersucht, Im Frühling hat das Schleimfieber zuweilen ei-
nen subinflammatorischen Charakter, wo indessen starke Antiphlogistica sel-
ten passen; im Sommer verbindet es sich zuweilen mit galligen Fiebern,
nimmt ndtunter auch den nervösen Charakter an. Zuweilen erzeugt es in
seinem Verlaufe passive Pneumonie, Hepatitis, Pharyngitis, welche bei schwä-
chender Behandlung leicht in Brand übergehen. Häufig gleicht sich die
Krankheit durch Erbrechen, massige Durchfälle und nächtliche Schweisse,
seltener durch Friesel und Speichelfluss aus; als ein glücklicher Metasche-
matismus ist der Übergang in die Intermittens, besonders in die Tertiana,
zu betrachten (^Berends). Die Genesung erfolgt stets sehr langsam, da das
Schleimfieber die Körper- und Geisteskräfte sehr angreift. Ursachen.
Sind im Allgemeinen die der Schleimsucht (s. Blennorrhoea). Spora-
disch erscheint die Krankheit am häufigsten bei Kindern und Greisen, bei
fihlegmatischem Temperamente, bei Vita sedentaria, durch Übermass reiz-
oser Nahnmg, der Mehlspeisen, Milchspeisen, der wässerigen, wenig Nah-
rungsstoff enthaltenden Vegetabilien. Auch der Missbrauch häufig genom-
mener starker Purgirmittel und der übermässige Genuss des Weissbiers be-
günstigen die Krankheit (Raimanri). Endemisch herrschen die Schleimfieber
in allen den Gegenden, wo die endemische Intermittens zu Hause ist. Auf
die Bildung des epidemischen Schleimfiebers hat die Constitutio annua einert
bedeutenden Einfluss. Als im Jahre 1764 die merkwürdige Epidemie de^
Art in Neapel herrschte (s. Sarcone, Geschichte d. Krarikh., welche 1764 irt
Neapel herrschten. Zürich, 1770), beobachtete man in ganz Italien, Frank-
reich und Deutschland viele Kardialgien , Koliken , Ruhren , selbst Nerven-
fieber mit pituitösem Charakter, Behandlung. Wir haben hier folgende
Indicationen 1) den Schleim zur Ausleerung geschickt zu machen und aus-
zuleeren, 2) die Verdauungsorgane zu stärken und die Grundkrankheit: die
Schleimsucht, durch zweckdienliche diätetische und pharraaceutische Mktel
zu heben, 3) die eigenthümlichen Krisen des Schleimfiebers zu berück^ichti-
MoBt Eucyklopädie. 2te Auil. T. 47
738 FEBRIS
gen und zu befordern. In den gewöhnlichen, nicht complicirten Fällen passt
zuerst ein auflösendes, sogenanntes einschneidendes Mittel, das den über-
mässig angehäuften Schleim in Magen und Gedärmen zur Ausleerung ge-
schickt macht; z. B. I^ Sal. aminon. dep., Succ. liquirit. dep, ana 3jj» ^9-
fior. chamomill. ^xj, Tnrf. emclici gr. jj, Oxym. simpl. 5J. M. S. Alle 2 — 3
Stunden 2 — 3 Esslöffel voll (^Rcrends). Alsdann giebt man ein Vomitiv aua
rehier Ipecacuanha, nach Umständen mit Tart. emet. versetzt, das man im
"Verlaufe des Fiebers, wenn von selbst nicht «ou Zeit zu Zeit Erbrechen
folgt, wiederholt. Geht der Turgor, was self^ener ist, mehr nach Unten,
so passt statt des Brechmittels Rheum mit Salmiak. Ist Wurmcomplication
zugegen , so gebe man mitunter eine Dosis Merc. dulc. mit Rheum. Man
setze aber den Gebrauch der Mittelsalze und des Quecksilbers nicht zu lauge
fort, sondern gehe bald zu Calam. arom , Valeriana, Senega und Arnica über.
Überhaupt behandle man den Kranken reizend roborirend , und unteistütze
die^e Cur durch eine gute Diät, wie dieses bei der Schleimkrankheit ange-
geben worden (s. Blennorrhoea im Allgemeinen, und insbesondere Blen-^
norrhoea ventriculi et intest inor u m). Was die Beförderung der
Krisen betrifft , so werden die des Digestioiw^pparats durch die genannten
Evacuantia und Laxantia befördert ; die fehiern Hautkrisen unterstützen wir
durch Infus, valerianae mit Spirit. Mindereri, bei bedeutender Höhe der
Krankheit auch durch Kampher. Eine kritische Salivation wird durch Senf-
molken, Infus. Herb, meath. pip., Flor, arnicae mit Senf als Gurgelwasser,
befördert (^Berends).
Fehris puerperalis , das Kindbetter infieber. Jedes Fieber der
Wöchnerinnen könnte man dem W orte nach hiehec rechnen , selbst die Febr.
parturientium, die Febr. lactea, die intermittens etc. Man hat wirklich
auch höchst verschiedene Krankheitszustände Kindbetterinfieber genannt und
dabei dennoch stets die Idee festgehalten, dass die Krankheit ein Morbus
sui generis sey. Dies ist nicht der Fall, und daher kommt es, dass sich
die Ärzte über das Wesen und die Natur dieses Fiebers nicht vereinigen
können , was , wenn die Febris puerperalis eine eigenthümliche Krankheit
wäre, doch ge>viss schon lange der Fall seyn müsste. Das Bestreben, we-
sentlich verschiedene Dinge zu identificiren , ist lächerlich und unpraktisch,
und eine Krankheit za statuiren , die , gleich dem Proteus , alle Gestalten
annimmt und unter allen Charakteren auftritt, ist ein Unding nach der Na-
tur und Logik, ist ein Chaos von Krankheitefi und Symptomen, die wol in
den Köpfen der Arzte , aber nicht in der Natur und am Krankenbette als
eine eigenthümliche Krankheitsform nachgewiesen werden können. So war
seit Brown die Febris nervosa, ebenso wie die Puerperalis, ein solches Un-
ding mit Proteusgestalten , fähig eine babylonische Sprachverwirrung unter
den Ärzten herbeizuführen, hätten scharfsinnige Naturbeobachter beide nicht
genauer njit der Natur verglichen und bessere Resultate zu Tage gefordert.
Ich könnte demnach das Kindbetterinfieber, das in Wahrheit das ganze Fie-
bergeschlecht paph seinen verschiedenen Charakteren der Synocha, der Ner-
vosa, Gastrica, Putiida, mit und ohne Localentzündungen umfasst, hier füg-
lich übergehen, indem ich auch keine Febris infantilis, virilis, senilis etc.
aufgeführt habe. Da. indessen alle Krankheiten, die eine Wöchnerin befallen
können, durch die Eigenthümlichkeit der weiblichen Constitution und durch
die Vorgänge xler Schwfingerschaft und des Wochenbettes eigenthümlich
modificirt erscheinen ; besonders alle Fieber und Localentzündungen, welche
daher ebenso, wie dies bei Säufern der B'all ist, eine besonders vorsichtige
und modificli-te Behandlung erfordern (s. Delirium tremens); so giebt
dies einen triftigen Grund, die Febris puerperalis nicht ganz zu übergehen.
Es wird hier also in der Kürze von sehr verschiedenen Krankheiten , die
man, wenn man will, Arten der Febris puerperalis nennen mag, die
Rede seyn , ins^ofern sie Wöchnerinnen befallen. Doch ehe die schulgerech-
ten Lehren über das Puerperalfieber im engern Sinne abgehandelt werden,
möge hier einiges Allgemeine über die Fieber der Wöchnerinnen Platz finden.
Um ^*i^ \v,eit^n und engsten Begriff der Febris puerperalis zu vermeiden.
FEBPtlS 739
defiiurt Rilgen (Gemeinsame deutsche Zeitschrift für Geburtshülfe Bd. V.
Hft. 1. S. 111 — 124) die Krankheit folgendermassen : „Jedes eine Kindbet-
terin befallende Fieber, welches mit Erweichung, Congestion und Entzün-
dung einiger innerhalb der drei Haupthöhlen gelegenen Gebilde so verbun-
den ist, dass das Fieber und dessen örtliche Complication dem Daseyn, oder
dem Grade, oder der besondern Eigenthüralichkeit nach, wenigstens zum
Theil als Folgen der eigenthümlichen Verhältnisse der gedachten Zeit ange-
sehen werden müssen , ist im engen Sinn — Kindbetterinfieber. *' Dass auch
dieser Definition Zwang angethan worden, sieht man leicht ein; obgleich ihr
einiger praktische Werth nicht abzusprechen ist. Wir wollen die Sache ganz
einfach betrachten: Fieber und Fieberbewegungen bei Wöchne-
rinnen sind gar nichts Seltenes; denn die Wöchnerin ist als eine Verwun-
dete zu betrachten. Alles, was störend in die kritischen Bewegungen des
Wochenbettes ( Wochenschweiss , Milchsecretion , Lochienfluss ) eingreift :
Schreck, Angst, Gemüthsbewegungen, besonders Furcht und Ärger, erregt
leicht Fieber. Ebenso schädlich sind Diätfehler, Erkältung. Nicht selten
fangen solche Fieber mit starkem Froste und folgender Hitze an, dabei
grosse Unruhe , Angst , schneller Puls etc. Cur. Man untersuche den Leib,
den Uterus, ob LocalafFectionen da sind. Ist dies nicht der Fall, so hüte
man sich ja vor einem eingreifenden Verfahren, besonders vor Blutauslee^
rungen; denn ächte inflammatorische Fieber, wie z, B. bei ausgebildeter
Pneumonie im vollsaftigen Körper des Mannes, kann keine Wöchnerin be-
kommen, wohl aber ein erethistisches, der p-ebris neuropathica ähnliches Fie-
ber. Ich habe solche Fieber mit scheinbar furchtbaren Zufällen auftreten
sehen und dennoch erfolgte bei nicht eingreifender Behandlung die Gene-
sung oft in wenigen Tagen (s. Febris nervosa erethistica). Hier
können Mineralsäuren und kleine Dosen Opium oft Wunder thun , wenn sonst
diese Mittel nicht contraindicirt sind. Blutausleerungen, überhaupt alle be-
deutend eingreifende Mittel, führen zwei grosse Nachtheile herbei; der be-
deutendste ist der: sie erregen Furcht und Angst im Gemüthe des Kranken
und sie sind durch ihre schädlichen Eingriffe in den Organismus, indem sie
schwächen oder überreizen, nachtheilig. Erfahrne Praktiker gestehen, dass
Entzündungen und Fieber der Wöchnerinnen (d. h. das sogenannte Kind-
betterinfieber) oft einen rapiden, zerstörenden Charakter zeigen und durch
das kräftigste antiphlogistische Verfahren selten oder gar nicht beschränkt
werden (s Pfeufer in Horn's Archiv 1824. März u. April S. 251. Froriep's
Geburtshülfe 1827. Th. II. S. 526. Busch a. a. O.). Ich setze hinzu: sie
würden in vielen Fällen geheilt worden seyn, hätte man weniger kräftig,
mehr exspectando verfahren, hätte man mehr bedacht, dass es auch Ent-
zündungen giebt, die kein kräftiges Blutlassen vertragen. In der Regel
haben die Fieber der Wöchnerinnen den Charakter der Synocha nervosa
der Febris nervosa erethistica. Eine diesen Fiebern angemessene Behand-
lung mit Berücksichtigung der Wochenbettskrisen führt hier das meiste Heil
herbei. ,iStatt der wohlthätigen Kälte passt hier demnach nur kühle und
gleichmäSlige Zimmertemperatur, statt der kühlenden Purgirsalze, die hier
den Wochenschweiss hemmen und durch Erregung von Durchfällen den Ute-
rus stören und ihm die Ruhe zur Heilung rauben würden, ölige Emulsionen,
besonders aber kleine Dosen Mineralsäuren, statt der Aderlässe häufig nur
Blutegel u. s. f. Das weibliche Geschlecht steht auch in physischer Hin-
sicht der Kindernatur weit näher als das männliche; und diese Kindernatur
spricht sich im Wochenbette, wo die Sensibilität erhöhet und die Reizbar-
keit gesteigert ist, noch stärker aus. So wie beim epidemischen Typhus
nichts so gewiss zum Tode führt, als Furcht, indem dadurch das ächte
Stadium nervosum schneller herbeigeführt wird, ebenso gewiss ist es auch
dass Tausende von Wöchnerinnen bei Febr. erethistica hätten gerettet wer-
den können, hätte man das Übel für weniger bedeutend gehalten. Alle
gute Schriftsteller halten die Febris puerperalis im engern Sinne für etwas
sehr Gefährliches. Allerdings kann dies im Verlauf desselben, sobald der
typhöse Charakter eintritt, der Fall werden. Sie bedenken aber nicht, das»
47»
740 FEBRJS
auch die Miene des Arztes am Krankenbette, die Miene der Angehörigen
deutlicher und lebendiger zu der Wöchnerin spricht als die beredteste Spra-
che. Diese Mienen sagen : die Krankheit ist bedeutend , ist gefährlich ; ihre
Wirkung ist Erregung von Furcht, und n»in erst wird sie gefährlich. Be-
rücksichtigen wir zugleich, dass es tausend und abertausend unbestimmte
Krankheitsaffeclionen giebt, die die Erfahrung als solche nachweist, die,
ohne eine bestimmte Krankheitsform angenommen zu haben , wieder ver-
schwinden, wie sie gekommen sind; ferner, dass jeder Krankheitsprocess eiYi
fortschreitender, im Bilden und Rückbilden begriffener ist, dass also auch
jedes Fieber der Wöchnerin sein Incrementum, Status und Decrementum hat,
dass es oft gar nicht zu einer bedeutenden Höhe kommt, dass in der leben-
den kranken Natur unzählige Mittelstufen stattfinden müssen , ehe der soge-
nannte sthenische Fiebercharakter zum wahrhaft asthenischen werde ; so ists
nachtheilig für den Kranken wie für den Arzt, die Malignität der Febris
puerperarum festzuhalten. Wer das Leben und Treiben der Ärzte kennen
gelernt hat, wird auch mit mir die Beobachtung gemacht haben, dass den-
jenigen Ärzten, die die sogenannte Malignität der Febris puerperalis nicht
festhalten, die wenigsten Wöchnerinnen an diesem Fieber sterben. Bei den
andern heisst es : Aus Furcht zu sterben, sind sie (die Kranken) gar gestor-
ben! Häufig sind die Fieber der Wöchnerinnen weiter nichts als Wund-
fieber, Folge der bei jeder Geburt stattfindenden Verletzung des Uterus;
wer hier durch Furcht und Aderlassen die schon an sich schwache Energie
schwächt, handelt ebenso verkehrt als derjenige, der die Lebenskräfte durch
Excitantia zu heben sich bestrebt und so örtliche Entzündungen veranlasst
(vergl. Febris vulaeraria). Die unglücklichen Ideen von Sthenie und
Asthenie schaden hier am meisten. Es ist schon ein grosser Tadel, wenn
man eine Keule aufhebt , um eine Laus zu tödten , noch mehr trifft dieser
Tadel diejenigen Ärzte, die scheinbar gefährliche Zufälle für gefährlich hal-
ten und dagegen heroische Mittel verordnen, die Öl ins Feuer giessen. Man
bedenke doch, wie gefährlich der epileptische Insujt aussieht, und dennoch
überstanden ihn Menschen viele tausend Mal, ohne dass er tödtete, ja ohne
dagegen zu mediciniren. Der Productionstrieb , der bei den Schwangern sich
auf den Fötus bezog, wird nach der Niederkunft ein äusserer. Eine er-
höhte plastische Thätigkeit als Nachhall der eben vollendeten Schöpfung
waltet noch fort und äussert sich als Absonderungsprocess (Wochenschweiss,
Lochien, Milchsecretion). Alles, was diesen Process plötzlich stört, hemmt,
unterdrückt, macht einen schlimmen Verlauf des Wochenbettes, und erregt
Fieber und Entzündungen, weil andere Organe vicariirend auftreten, worin
dieser Process nun als eine anomale Erscheinung auftritt. L\ den ersten 9
Tagen des Wochenbettes ist der plastische Trieb stärker als späterhin, die
Brüste allein genügen ihm nicht, auch Schweisse und Lochien müssen helfen.
Hier wirken also besonders Erkältung und Diätfehler schädlich, besonders
das Wechseln der Wäsche, der Genuss nährender, gewürzhafter, erhitzender
Speisen und Getränke. Auch die Gemüthsbewegungen sind hier so nach-
theilig, weil sie ganz besonders auf die Milchsecretion störend einwirken,
vor allen aber die Furcht und der Schreck. Alle sporadischen Fieber bei
Wöchnerinnen halte ich in den ersten Tagen der Krankheit für nicht ge-
fährlich. Etwas ganz Anderes ist es dagegen mit Febris puerperalis noso-
comialis,' \yo zufällige Schädlichkeiten, Typhuscontagium etc. dasselbe so
bösartig machen, wie ich dieses in Krankenhäusern genug beobachtet habe.
Schulgerecht nimmt man verschiedene Arten der Febris puerperalis sensu
strictiori an, welche Hr. Dr. Tott in Ribnitz auszuarbeiten die Güte hatte,
die ich also hier folgen lasse.
Fehnif pueiyernlis simpIex, Fehr. puerpernlis erysipelatosa, Febr. puerp.
serosa -inllammntoria, das einfache Kindbetterinfieber. Symptome
sind: vorwaltende Zeichen von Peritonitis, Epiploitis, Enteritis, Metritis,
Ganglionitis und Adenitis abdominalis (s. Inflammatio peritonaei,
intestinum m, uteri etc.), wenn die Unterleibshöhle ausschliesslich, —
oder von Phrenitis, Encephalitis, besonders Meningitis, wenn die harte Hii'u-
FEBRIS 741'
haut consensaell ergriffen ist, was am häufigsten bei Personen mit Anlage zu
Kopf-^ und Brustleiden stattfindet. Da man Bauchfellsentzündung hier am
häufigsten findet , so nennen Viele die Krankheit schlechtweg Peritoniiis
puerp^ralis. Charakteristisch ist daher auch ein topischer Schmerz an ir-
gend einer Stelle des Unterleibes, gewöhnlich in der Nabelgegcnd, anfäng-
lich vagirender Art, sich aber bald über das ganze Abdomen verbreitend
und bei äusserer Berührung sich vermehrend, je nach der Affection dieses
oder jenes Eingeweides oder Organs. Häufig folgen nun bald Ekel, Übel-
keit, Erbrechen, Angst, Kolikschmerz mit vermehrten oder verminderten
Stuhlgängen, hoher Grad von Empfindlichkeit des Unterleibes, besonders
wenn die Abdominalmuskeln leiden (Myositis abdominalis), Geschwulst des-
selben , Strangarie , Harnverhaltung , Tenesmus , bei Ganglionitis abdomina-
lis Marmorkälte der Extremitäten, Singultus, Sehnenhüpfen und andere Ner-
venzuflille, oft auch eine Art Hydrophobie, Aphonie (^ßerends); pneumoni-
sche, pleuritische, encephalitische Sym{)tome (im letztern Falle dumpfe
Kopfschmerzen, Sopor, Delirium); Unterdrückung der Lochien, oft gleich
anfänglich, oft erst im Verlaufe der Krankheit; seltener sind die Fälle, wo
sie fortfli essen (hier litt wol wenig oder gar nicht die Geschlechtssphäre);
verhinderter Eintritt der Milchsecretion oder Verschwinden der schon statt-
gefundenen, daher V^elk - und Schlaffwerden der Brüste , häufig auch Fort-
dauer der Milchsecretion , das Fieber ist dem Typus nach ein remittirendes,
oft an Intermittens grenzendes , gewöhnlich am Abende exacerbirendes , von
serös - entzündlicher Natur; jedoch mit kleinem, schnellem, variablem, den
Abdominalentzündungen eigenthümlichem Pulse, sowie mit entschiedener Nei-
gung zu Synochus und Typhus. Die Krankheit tritt bald früher, bald spä-
ter nach der Entbindung ein, oft unmittelbar nach dem Milchfieber, daher
am 2ten, Sten Tage nach derselben, oft aber auch erst nach 2 — 3 Wochen.
2) Fehtns puerpernlis vcre infiamnmtoria s. phlegnionodes, Synocha ptierpernlis.
Die örtlichen Zufälle der verschiedenen, bald dieses bald jenes Abdominal-
organ ergreifenden, späterhin sich selbst auf Lunge, Pleura und Hirnhäute
verbreitenden Entzündung sind hier wie bei Nr. 1; jedoch nicht, wie dort,
von entzündlicher Aifectiou der serösen und Schleimhäute ausgehend (daher
nicht Hymenitis, Meningitis, Neuritis, Adenitis), sondern durch Phlogose
der Arterien und Venen (? 31.), sowie der Muskelhaut der Organe bedingt,
also durch Angioitis im Allgemeinen und durch Arteriitis, Phlebitis, Myositis
insbesondere; dabei ein Fieber von wahrhaft entzündlichem, phlegmonösem,
vom Blutgefasssystem ausgehendem Charakter (s. Febris Inflam matoria),
das bei der diesen Fiebern eigenthümlichen Luftconstitution (trockne Luft,
Ostwinde) sich häufig von den serösen Gefässen auch auf die rothen fort-
pllanzt. S) Fehris puerperalis (jnstrica. Hier sind neben den örtlichen Sym-
ptomen, wie bei Nr. 1, die bekannten gastrischen Zufälle; bald ists mehr
eine Febris atrabilaris, bald mehr eine gastrico - venosa (s. oben Febris
gastrica und biliosa, desgl. Richter's Therapie Th. I. S. 298). Man
hüte sich hier aber ja vor Verwechselung der gastrischen Symptome mit den
consensuellen Signis gastricis als alleiniger Folge der entzündlichen AtTectioii
der gastrischen Organe. 4) Fehris puerperalis nervosa, Ti/phis puerperalis.
Hier sind die örtlichen Zufälle, wie bei Nr. 1, also die Zeichen von Hyme-
nitis, Ganglionitis, Adenitis abdominalis, und in weiterer Verbreitung auf
Kopf und Brust auch Adenitis thoracica und Meningitis , begleitet von einem
Fieber nervösen Charakters (gewöhnlich eine Febr. nervosa erethistica, nur
kurz vor dem Tode Febr. torpida, paralytica. M.), iu welches überzugehen
auch die Febr. puerperalis simplex grosse Neigung hat. 5) Fehris puerpe-
ralis putrida, endemicn, epidemica, nosacomialis , Synochus putridus, malignus
(^Harless). Auch hier sind die örtlichen Zufälle die der Febris puerperalis
simplex. Doch sind die Schmerzen im Unterleibe meist nur gering, häufig
nur in der Tiefe des Abdomens, dagegen die hier schon früh auftretenden
Brust - und Kopfaffectionen bedeutender ; das Fieber zeigt die Symptome
des putriden Charakters (s. Febr. putrida), herrscht in der Regel epide-
misch, sich entwickelnd aus einem Miasma, das häufig in überfüllten, un-
1^2 FEBRIS
reinlichen Kranken- und Gebärhäusern beobachtet \vird. Hier ist es zultetJst
selbst ansteckend, contagiös (Basedow, Tott) , obgleich Neumann diesem wi-
derspricht. Auch ausserhalb Kranken - und Gebäranstalten kann es , unter
ungünstigen, die Febris putrida befördernden Schädlichkeiten, zuweilen vor-
kommen. Typhöse GehirnafFectionen , Delirium blandum, Sopor, Ausfluss
einer fauligen, blutig -saniösen, unerträglich stinkenden, die Zimraerluft ver-
pestenden Feuchtigkeit aus den Genitalien, allgemeiner Frieselausschlag ohne
Krisen und Erleichterung, höchster Grad von Adynamie: dies sind die ge-
wöhnlichen Zeichen dieser schlimmen Form. Der Tod erfolgt gewöhnlich
zwischen dem 5ten und 9ten Tage, nur selten früher oder später, Genesung
nur unter unvollkommner Zertheilung der Abdominalentzündung und durch
Übergang in Phthisis puerperalis mit nicht ganz schwindendem Bauchschmerz,
der nicht selten Ascites purulentus oder aquosus folgt. Diagnose des
Puerperalfiebers. Ist nicht schwierig. Die eigenthümlichen örtlichen , ent-
zündlichen Affectionen des Unterleibes unterscheiden es leicht von andern
gastrischen, typhösen und synochischen Fiebern, desgleichen vom Friesel-
fieber. Man könnte es vielleicht mit dem Milchfieber ver\Vechseln. Dies isC
aber nur von kurzem Verlaufe, begleitet die eintretende Milchsecretion sym-
ptomatisch, erscheint besonders bei plethorischen Frauenzimmern, bei star-
ker Blutcongestion und nach 12 — 24stündiger Suppression der Lochien , bei
versäumter Milchausleerung, bei Mastitis; hier fehlen die Localaffectioneit
des Unterleibes, die bei Febr. puerperalis stets zugegen sind. Von eine?
ächten Peritonitis unterscheidet sich unsere Krankheit, nach Bums, durch
die charakteristische Niedergeschlagenheit, Schwäche und den Kopfschmerz,
durch die mindere Hitze und Röthe des Gesichts, durch den mindern Durst,
durch das nicht immer entzündliche Fieber, durch die Zeichen von Metritis;
dagegen ist bei Peritonitis der schnell zunehmende und fixe Leibschmerz das
Hauptsymptom. Von den Nachwehen unterscheidet sich die Krankheit durch
die eigenthümliche Beschaffenheit der Wochenbettsfunctionen, durch die Stelle,
die Periodicität des Unterleibsschmerzes, sowie durch die geringere Heftig-"
keit aller Zufälle. Die Kolik könnte man noch mit dem Puerperalfieber ver-
wechseln. Hier fehlt aber die heissere Haut, die trockne Zunge; auch ist
der Puls bei der Kolik weich, der Leib stärker aufgetrieben, es erfolgen
Ructus «nd Flatus ; auch sind die Füsse hier zuweilen schon anfangs kalt
(ßwms). Die reine Metritis -wird man gleichfalls mit Febr. puerperalis nicht
leicht verwechseln, da sie ihre eigenthümlichen Zeichen und Verlauf hat
(s. Inflammatio uteri). Ausgänge. «) Zertheilung erfolgt häufig
unter Wiedereintritt der etwa gehemmten Lochien- und Milchsecretion; oft
geht eine grosse Menge Blut , zuweilen |von lymphatischer , milchiger Be-
schaffenheit aus den Genitalien ab. Auch durch starke Darmausleerungeit
seröser Art, selbst durch kritische Schweisse, Urin, Salivation entscheidet
sich dieses Fieber; nicht selten vermindert es sich abor auch ohne deutliche
Krisen (^Mitjuef). h) Ausschwitzung, Ergiessung, Exsudation (Eccrisis idio-
statica, erronea. Fr. ab Hihleiihrand') einer eiterartigen, an Gestaltung,
Farbe, Consistenz nicht immer gleichen, meist weisslichen, der dicken oder
geronnenen Milch sehr ähnlichen, bald mehr käsigen, flockigen, bald eiweiss-
artigen Materie. Bei diesem ungünstigen Ausgange finden wir dieses Flui-
dum theils unter dem Bauchfelle, unter dem Netze, theils auf der Ober-
fläche der Leber, der Milz, als einer Continuation des Bauchfells vermöge
ihres serös- häutigen Epitheliums; ans demselben Grunde auch im Cavo uteri,
in schlimmen Fällen auch aus dem Brustfelle abgesetzt^ sogar in der Brust-
höhle über die Lungen ergossen, oder, aus der Arachnoidea kommend, auch
über das Gehirn und seine Höhlen verbreitet. Zuweilen finden sich in den
Leichen häufiger Spuren von Entzündung der Tuben und Ovarien als des
Uterus (^Nägele, Bums, Fandenznnde'). Die Exsudation geht am häufigsten
•von der Innern Fläche des Darmfells aus , wo sie am stärksten und bestimm-
testen (als Krise am unrechten Orte) erscheint. Zuweilen erfolgt statt die-
ser Exsudation purulenter Materie blos Ergiessung von limpidem Serum in
die Bauchhöhle (Ascites aquosus), worauf gar häufig Brand oder allraäli-
FEßRI» 743
ger Tod durch Abzehrung Mgt. Der Ausgang iii Rxsudation, welcher bei
dem tödtlich werdenden Puerpe^öilfiebfer nie fehlt (ffrtr?ess) und am häufig-
sten auf die Febr. puerp. simplex folgt, findet zwischen dem 5ten und lOten
Tage der Krankheit-, oft üner\*artet Schnell untei* Nachlass der örtlichen'
Beschwerden, also bei scheinbarer Besserung stöftt. Zeichen derselben sind:
weiche, nicht harte Auftreibnrtg des Unterlteibes (Meteorismus) , worin man'
eine Art von Fluctuation fühlt, desgleichen dunltelrothe, umschriebene Flecke
auf der Wange (Ä«scA). c) Metastasen, besonders auf die Lymphgefässc
(Bftscft) in Form von Drösenanschwellungfen ; d) Abscesse, Eiterungen im
Zellgewebe , Zerstörung einzelner Organe ; e) Melancholien, chronische Ent-
zündungefn, Verwachsungen, faulige AuflösiWg' d^t Eingeweide, Putrescentia
uteri, Phlhisis abdominalis pnerperalis, und f) Brand. Letzterer ist unter
den Ausgängen der Puerperal!* gar nicht selten, besonders wenn der Fie-
bercharakter nervös oder putrid ist, wenn sich die Entzündung auf den Ma-
gen und die Gedärme verbreitet,' die Unterleibsganglien ergreift etc. Ein
kleiner intermittirender Puls , kälte klebrige Seh weisse, Facies hippocratica,
Sopor, Delirien, Vermindefune 'd«r Schmerzen bis auf einen gewissen Grad
etc. deuten seinen Eintritt an r'desgleichen ein starker Schüttelfrost; M. ).
Ui'sachien. Pi-äd}s^ttirortd"AVn-kt AHdSj vväs die Ähhäufung der Säfte im
Urtterieibe während der'SdiWaH'gerschaft und' Entbindung befördert, die Un-.
tefflelbstirgane drückt urtd pfeSsff die Gefässmündun'gen verkleinert und sie
90 Unfflhig macht , ^em beim'dSJ^bäracte eintretenden starken Säfteandrange
zu widWstehen. Versäumte» UMWrbtützung des Unterleibes durch Leibbinden
»ach der'fereburt, bes'ö'n'derS 'bdi"'ganz'' jungen , bei laxen und altern Frauen,
rhetrmatis^h'e Leiden ^ chronische 'Diarrhöen , zu frühes und übermässiges Ver-'
arbeiten der Weh«*i^ zu kurzer' öder zu langer Verlauf des GebäraCtes, de-
primirendeAffecte,''Mis'ii;braach''grosser Gaben Opium bei der Geburt; strenge
Kälte, grosse Sortuniefhitze^nasskä'lte Witterung, herrschende Scharlach-
und Mäs«rhepidemien',' sitzende'^- weichliche Lebensart (daher die höhern
Stände)'^ desgleichen 'hiehr die ''nördlichen als südlichen Länder geben die
raeistÄ^ 'Disposition '*^ diesem' -Übeh • Gelegenheitsursachen sind: ganz vor-
züglich Erkältung vor und wjih*önd des Gebäractes, desgleichen im Wochen-
bette; hier besonders durch" sW 'kühles Getränk, durch unvorsichtigen und
z\i 'häufigen ''Wfechsel der LeifcXväsche,- zu heisse oder zu kalte Wochenstu-
b^'^' ferner plötzlicher' SchCeck', Ärger, ■ Missbrauch hitziger Getränke und
Atzheien ,1 schwere ühdl ftö'^htteWe Entbindungen, zu- Stark drückende Leib-
binden iftt Wochenbettfe',''-Pläcehtä l?etbnta, grobe Veirl'«t«!ngen der Genita-
lien d^ii»öh Hebartittj*«' und GJebiKt<tshelfer; '^ein sich iri Entbindungshäusern
entwi^költtdes , jöd6th ntir' b^sichrlinktinfitirendes, nicht durch andere Per-
sonen ausserhalb der' Anstalt- 'f#Jtzupflan!zehdes Contagium, das sich aber
auch ausserhalb Gebär -und ''Krankenhäusern aus gewissen epidemischen-
und endemischen Ursachlert'^' ans ^ner eigenen katarrhalisch - nervösen Witte-
rungsconslitution (Wc/jfe*^,' 'äusi dem Nerven- und Faulfiebercontagium ent-
wickeln känh. -^ Das ächte' ent'zünd liehe Puerperalfieber (Nr. 2.)
entsteht durch offenbare' Erkältung am häufigsten, zumal bei vorherrschen-
der enCzündlicher Wilterungsconstitution , bei plethorischen Frauen , häufig
bei derbsten Eritbindtthg',dur'€h Missbrauch erhitzender Speisen, Getränke
und Arzn'eiert^ du^ch plötzliche Suppression der Lochien, Verletzungen der
Genitalieft; die gästf isc he F'or m (Nr. 5.) am häufigsten im Herbst, be-
sdhdWs bei Status 'gastricus' und solcher Luftconstitution ; die nervöse
Form vöriöglfch durch Schrecken, Kummer, Sorge, bei sensibler, nervö-
ser K'SrperbeschafFenheit, bei' zarten, schwächlichen, jugendlichen Subjecten;
auch eigenes, in Kränkewhäuserri > sich entwickelndes Contagium, desgleichen
die' heissC'' Sommerzeit begünstigen die Puerperalis nervosa; sowie auch die
putride' Form durch eirt anderes Contagium in und ausserhalb den Spi-
tälern, begünstigt durch Luftbeschaffenheiten eigenthümlicher Art, leicht
hervorgerufen wird, was indessen Gottlob ! selten vorkommt (s. Febris
putrida). Wesen der Krankheit. Ist nach des Verfassers (JTo«)
Ansicht entzündliche Affection des gesammten serösen und 'mucösen Häute-
744 FEBRIS
nnd Gefässsystems , der grossen Nervengeflechte \m Uiiterleibe (Hyineniti«,
Adenitis, Ganglionitis abdominalis), und in weiterer Verbreitung auf die
Brusthöhle (bei Disposition zu Katarrhen, serösen Pneumonien), sowie auf
die Kopfhöhle, auch der Pleura und Dura mater (Hymcnitis thoracica et
Meningitis); oft aber auch Entzündung der arteriösen, venösen und der Mus-
kelpartien der Abdominalorgane (Arteriitis, Phlebitis, Myositis abdominalis),
besonders bei phlegmonösem Charakter des Fiebers. Die Puerperaüs hat
auch in ihrer einfachen Form entschiedene Neigung zum nervösen Charakter.
Busch, Hnrless und Andere halten die Krankheit für identisch mit Peritoni-
tis, häufig zugleich mit entzündlichen Localaffectionen in Bauch-, Brust-,
und Schädelhöhle, selbst in den Extremitäten als Phlegmatia alba dolens
(^^Husch, Gemeinsame deutsche Zeitschrift f. Geburtshülfe Bd. II. Hft. 3. S.
483 — 53.9). Doch scheint letztere eher ein Morbus sui generis zu seyn
(Tüf/). Sundelin^s neue, noch durch zu wenige Erfahrungen bestätigte An-
sicht ist diese: das Puerperalfieber ist ein«; eigenthümliche Krankheit, aus-
gehend von einer Alteration und abnormen Ki'asis und Vegetation der Ner-
ven-, besonders der Gangliensubstanz, sowol qualitativer als quantitativer
Art (s. Berends Vorlesungen von Sundelin Bd., VL AbtUeil. 2. S. ^7 fg.).
Behandlung. Ist nach des. Verf. (ü'aff) Ausicht. folgende: a) Prophy-
laktisch Vermeidung aller bei den Ursachen angegebenen Schädlichkeiten,
so >yeit uns dies möglich ist, sowol in der Schyvangerschaft,, als bei dert
Entbindung und dem Wochenbette; vorsichtige , und sorgfältige Leitung des
Nachgeburtsgeschäfts, gleichmässige Erhaltung: der Transspiration im Wo-
chenbette (Wochenschweiss), zeitiges Anlegen des Kindes, Vermeidung aHe.s
überflüssigen Arzneigebrauchs , Hebung etvvaniger Stuhlverstopfuug durch
ein . einfaches Lavement, nicht durch Salztränke (oder g»r durch Electiiar.
lenitivura , wie dies dumme Hebammen noch «o häufig ftm 2ten, 3ten Tage
nach der Geburt anordnen, worauf ich die ßchlimmst^ Zufalle folgen sah,.
Mosi)', bei unterdrücktem Lochien fluss am 2ten, 3ten T^ge nach d^' Geburt'
lauwarme Injeclionen von Infus, flor. chamomillae in die Scheide;, bei con-
tagiösem Charakter der Krankheit iiv Spit4l«ra etc.. strenge Reiitiictikeit,
Luftreinigung durch Ventilatoren und Isoliruog der Krauken; die sonst so
herrlichen Guyton-Morveau'schen Räucherungen erregeu leicht Pnieumonie,
und sind daher contraindicirt (^Busch , Tott). ,, (Zweckmässig möchte, hier die
Solutio calcar. oxymuriat. , womit Tücher angefeuchtet und im Zimmer aufii
gehangen werden, seyn. Vergl. d. Art. Gangraeaa iw>6ocomialis. iH.),*
Bei Neigung zu Leibesverstopfung in der Sohwangersf^haft passt Ol. .ricini
n)it Salz und Manna (noch besser der in dar That her;<-lich..>virkende Leou-
Iiard'sche Trank, oder, folgende gaitz ähnlich wirkende .>|ixtur: IV ^^^' Glau-
heri gjj, — nrnjUc. 5J, Atf. fönt, ftjj , Vini rühr, 5JJ. IM. S. Morgens .'/i — 1
Übertasse voll zu nehmen; Most'), bei plethori''>ohen Subjecten mit Brust-
und Kopfcongestionen einige Tage vor der Nicd,^rkunft .ein Aderlass am Ann.
Auch das Selbstsstillen, iluhe des Geistes und .des, Körpers im Wochenbette,
Vermeidung der Wochenvisiten, schützt vor der Kr4iikhc.it- (Die be:itcn
Präservative sind Sorge für die Krisen durch Schweiss, Lochieafluäs und
Milch, vor dem 7ten Tage kein Wechseln der Leib- und Bettwäsche; letir ,
ter^ müssen aufs vurslchtigste getrocknet uud erwärjnt iseyn ; fea»er keine'
Arzneien oder Lavements vor dem. vierten Ta^'« nach de^; Niederkunft, wenn
auch die Leibcsötlnung fehlt; strenge Diät, H^^ferschlejm, ^Brotsupi^^, nicht«
Festes vor dem 7ten Tage. Most). Die thera4)«u tis.chc Behandlung,,
der Fuerpcrnlis simpler erfordert Blutepel, 15 — 20 Stück, *n deiwUnter-;
leib, aber erst dann, wann die cnlzündlichcn Lotalleideu deutlich hervorgehe
treten sind. Man applicirt sie an die scIimerzhttfLesteu Stellen de.s Abdomen^«»
Mit dem Aderlässen scy mau vorsichtig, wiederhole es nie. Nach d«n BlutrS
ausleerungen passt innerlich Merc duicis und Extrr hyoscy.imi, p, d. gr. j, f
alle 4 Stunden gereicht (^Schuci/häiiscr), noch besser jfit Kalomel mit Digi-
talis (A/iV/Mc/), daneben innerlich l'ot. Riverii 511. Ai|. flor. sambuci gvj,
.stündlich 1 ICsslöffel voll, und zugleich wariuo Fomcnta'Jonen von Herb,
hjüscyami, ticutae, Cap. papav. uuf den Unterleib, späterhin Lin. volat.
FEBRIS 745
camphor. mit Tlnct. opü, mit Unguent. mercurlale zum Einreiben, besonn
ders wenn schon Ausschwitzung da ist (J\iligueV) ; bei metritischen Symptomen
und Meteorismus trockne Schröpfköpfe auf den Unterleib und Einspritzungen
von Herba cicutac 3JJ, mit 2 Schoppen Wasser- gekocht, in die Mutter-
scheide (^Autenrieth , Amelung^, bei bedeutenden Schmerzen kleine Dosen
Jpecacuanha, allenfalls mit Kalomel. Bei entzündlicher Affection der Brust-
höhle, entstanden (nach BuscJi) durch Rücktritt des venösen, im Uterus an-
gehäuften Blutes in die Lungenzellen oder durch gestörte Rückwirkung der
Gefössthätigkeit im Unterleibe auf die Brust, oft in Folge früherer Disposi-,
tion zu Brustleiden , sowie bei vorwaltendem Hirnleiden , passt die diesen
auch ausser dem Wochenbette vorkommenden Übeln angemessene Behand-
lung (s. Pneumonia, Encephalitis); also bei Meningitis Blutegel an
die Schläfe, dann kalte Kopfumschläge, innerlich Nitrum mit Lactucarium»;
später Merc. dulcis, alle 2 Stunden '/o — 1 Gran, Vesicatoria in den Nacken,
bei entzündlichem Brustleiden Aderlass, Blutegel, Nitrum mit Tart. vitrio-
lat. in einem Decoct, rad. alfhaeae u. s. f. (Man vergesse aber nicht, dass
man eine Wöchnerin vor sich hat, und schwäche nicht zu viel. .Most). . Eine
reizlose ,' nicht blähende Diät, Ruhe der Seele und des Körpers , teroperirte,
Stubenluft, leichte Bettdecken, Vermeidung des grellen Lichts, vorsichtiger
Wechsel der Wäsche, Sorge für gehövigei Sedes und Urinsecretion» gehörigia
Entfernung von Nachgeburtsresten : diese Dinge sind nicht zu übersehen.
Die Felr. puerperalis inflammataria erfordert, au^i^er den Blutegeln oft ein«».
Aderlass; doch nehme man sich sehr damit in Acht^ vyenn- die Krankheit
schon 5-T-8 Tage gedauert hat. Hier p?isse*i anfangs Nitrum, vegetabili-
sche Säuren, ein Pulver aus fy Tart, dcpwnti^j^, — natronat, ^V), ,—r-, eme-
tid gt: jj, Sacchari ^]}. M. f. p. Sj ZvveiKtündlich .einen Theelöffel voll mit
Wasser {WeicJcnrd); daneben lauwarme Umschläge yon Rad. althaeae und.
Jlad. consol. major, ana, auf den Unterleib (fufi/is). Die Febr. puerperalia
atrabilaris erfordert anfangs Resolventia frigida: JPot> Riyerii . mit Salmiak
und Tart. emet. in refr. dosi, dann Laxirmittel aus Tamarindem, Salzen;
bei bedeutenden Localalfectionen auch Blutausleerungen. Dieselbe Cur ;er-,
fordert anfangs die Febr. piierp. ^«s/r?co-tJt'»ios«, besonders Pot. River, cun»
siicco citri parat, mit, Sal amnion. und Tart. emetic. , bei Turgescenz der
.^(»rdes nach Obqn «in Vomitiv aus Ipecacuanha (doch «rst nach den nöthi-
gen Blutausleerungen) , bei Turgescenz nach Unten Laxantia aus Tamarin-
den, Salzen etc. Aber auch hier übersehe man die Localalfectionen , nicht,
sondern wende Blutegel- etc.. dagegen an. Auch bei der Febr. pmerp. nervosa
wende man letztere anfangs gegen die iLocalentzüi^dungen an, g^be inner-
lich Kalomel, maclie die genannten Unvi^phläge , vnd Einreibuiig^p auf den
Leib, verordne erst später Vesicatoria, Moschus, Liq«* c. c. succ., Valeriana^
Arnica, Kampher. ,( In 4er Regel waltet hier die erethistische Form vorf
hier passen vorzüglich .Mineralsäuren mit Lifus. yaler. und> kleine Dosen
Tinct. opü. Most.) Bei des: Ffbr. pucrp. pUtrida ipaaspn vorzüglich die Mi-
neafalsäurei) , die Valeriana , Arnica ( s. Eebris puttida), besonders die
Aqua oxymuriatica. — Eine etwas andere, zum Theil noch zu prüfende,
Curmcthode hat Bvsch empfohlen. Bei den ersten Zeichen der Febr. puer-f
peraüs mit entzüntjlichem Leiden des Unterleibes, räth er an: massig er-
wärmtes, mehr kühles, geräuschloses, verdunkeltes Krankenzimmer, ßedeckt-
lialten der Wöchnerin: alle 2, Stunden warme Einspritzungen in:,dJe Vagina
und den Uterus von Decoct., malvae et ieicutaft, Aufmunterung des Kindes
zum Saugen; zum Getränk Dfäicoct. flor, ma4vae,> bei kalten' Füssen, Reiben
derselben mit erwärmten Tüchern, Aderlässe mit grosser Vorsicht,, nur bei
den dringendsten Anzeigen und nie wiederholt, nur gleiche anfangs, ebensQ,
die Blutegel. Grosse Spannung und heftiger anhaltender Schmerz des Un-;
terleibes indiciren die Blutausleerung. Bei massigem Localleiden des Unjer-
l<5ibes erst am 2ten Tage Blutegel, anfangs innerlich Ol. ricini bonum oder
Ol. papav. albi in Emulsion und mit Extr. hyoscyami, Extr. belladonnae,
selten mit Opium, oder Aq. amygdal. amarar. in rfemlich grossen Gabeir,
oder mit Tart. emetic. , z, B. wenn keine andere Indication früher zu er-
746 FEBRIS
füllen war: 1^ Sem. pafav. albi ^^, fiat c. aq. comm. l. n. Kmufsjo ^^jj) ? «<W«
Ol nmyijdal. dule. 51, FuJv. igumm. viimns. ^Y], Extr. hyoscijnmi gr. vj — vjjj,
Tart. emeticl gr. j. M. S. Stündlich 1 Esslöffel voll ; zugleich Einreibungen
des Unterleibes mit erwärmtem Ol. hyoscyanii, bei Meteorismus mit etwas
Unguent mercur. einer, versetzt. Bauch und Brüste werden dabei mit er-
wärmtem Flanell bedeckt; bei Stuhlverhaltung gebe man ein Klystier. Nitrum
und Mittelsalze passen gar nicht, Brechmittel nur da, wo die Sordes <leut-
lich nach Oben turgesciren ^ nicht bei den so häufigen consensuell vorhan-
denen gastrischen Zeichen. Folgt am 2ten Tage der Krankheit nach dieser
Cur keine Linderung, oder ist schon gleich anfangs die Krankheit sehr hef-
tig; so passt Kalomel,' alle 2 Stunden */i, % — 1 Gran in steigenden Ga-
ben, b«i hohem Reizzustande in Verbindung mit Gumm. mimos. und Extr.
hyoscyami , ^ oder Y^ Gran Ipecacuanha, alternirend mit der obigen Olemnl-
sron. Eine hierauf folgende massige Diarrhöe schadet nicht. Am 2ten Tage
pasSt auch 'ein lauwarmes Bad mit einem Zusätze von 3 — 4 ffi Kochsalz.
(Ohno grosse Noth bade man keine Wöchnerin ; Vorurtheile und Hebammen
gind dagegen, erregen Angst und Furcht, und — schaden; ausserdem ists
auch gar nicht zu leugnen, dass Erkältung dabei leicht ^tattfindten und so
das Mittel ' mehr schaden als nützen kann. Most.) Tritt keine hervorste-
chende Reizung des Magens ein, sosteigt man mit den Brechweinsteingaben.
Am Sten Tage sind die Blutegel 2U 10-^15 Stück, wenn sie schon am er-
^en Tage gesetzt worden, ausfeilen zu wiederholen. Die innern Mittel
werdien fortgesetzt. Wird der Öürehfall heftig oder zftigen sich die Vor-
böten der SaliVation, so vermindert man die Gaben des Kalomelr; die In-
jectionen \Verden fortgesetzt. Ist die Haut sehr ti-öcken, So lege man Senf-
te^ige an die Waden, undr^eibe in den Unterleib- tmd an die innere, Fläche
delf- Schenkel Ungnent.' mercur. einer. Ekeln den Kranken jet2Jt die öKgetf
Mittel, so. gebe' man Decoct. rad. althaeae 5"^j, Tart. -ömet. gr j:; Extr^
hyoscyanii gr. yj, Syr. ■»mygdal. 51^ Mit diesen Mitteln fährt man w'äh-"
rehd der Dauer des entÄündiichen Zeitraums fort , giebt weder Valeriana,^
noch fthliliche Mittel, Setzt aber zu dem Kalomel, Wenn verstärkte nervöse
Erscheinungen eintreten, '/r, — '/^ — ^'/j Gran Kampher, Svlweilen eine kleine
Dosis Opium." Einer stärkenden' Nachcur bedarf es nicht; Bei drohender
odfer wirklic'h' eingetretener' Exsndation giebt Bii^'ich- K»1i\p\ier mit Kalomel,'
alternirend mit einem 'Infüso - Decöctnm Sertegae und Digitalis ,' läs.st diö
kleinen Dösert Tart. emet. foYUat^en , und das Ungniant./ mercur. mit Linim.-
Völ. camphoft; und 'Trn*ti cafnth4ridum einreJ'beiW' 'igelten ist vollkommene
Aü8s<!hNVitzHng zu heilen^ hier räth'er innerlich zum Oleum terebihth. , em-
pllflsch 'na«h ▼Öi'angeg^mgWien ;B>l<*itaftlslee4'uhgen von A'i/n<r empfohlen ; dabei
aar' Heb>ing der sitikendlenKräftö VäleriaiVavSei-pehtaria mit Liq. c. c. .succ.','
lNapluh3 »»Tc, über den Bauch eiii grosses 'VesicafOrium ,f boi nervöser,- putri-
der Complication aucli Öhlna, Moschus. Bei lanffsam'erfoigender Ausschwitzüng
dienen Diuretiea mit TortitiS', b'el. zurückgebliebener Verdickung und, Verhär-
tung des' Bauchfell*! tcfä'fcige MeriAirialeinreiböngen un<il innerlieh Sen(iga }
den reizende^l Heilplan«! »\ende^ man nie zn fi-üh an.' Bei" der PuerperaHs mit
Kiitizündnng der Brust<Mf^ane rnth '*r anfang.< einen Adevlass, daneben die*
Einspritzuhgfert' in'den''ütet'tl6,' innei^üch kli?\ne Dosen- Tkrt. emet., und! die!
Behandlung ,'i'vtie' bei Pfterperaliö cum Peritoniti'de'. Tritt die Krankheit
plötütliöh mit) Bnceph»'l'ilis''W»f, wobei Schmer/Iosigkeit des Leibes, aber'
gr^sfee- Unrtihe, Gescht^äftzigkeit,' Raserei' etci' stattfinden, dann soglfiich ein'
AdeiMt^is: von 'lO-i-ÜO Urizeiiy hinterher Rv Nf^'i depur. .5jj. Tnrtttr. emet.-
gr. jjj IjaPtUciirii ar. vj — ^vjjj, Emnls. acmJprif)^')): ^vj. M. S. Alle 8 Stnn-'
den 1 Esslölfel voll, alternirend damit alle 2 Stünden 1—3 Gran Kaldmtl^'
allfe 1^ — 2 St«nden die obigen wannen IrVjectionen in die Vagina; dabei hau-'
tiges Anlegen des Kind<*s; nur bei Stupor kalte Kopfunischläge, bei nicht
bald eintretender Bes.«<erung Blutegel an die innere Seite der Oberschenkel,
bei grosser Heftigkeit und Dauer der Raserei auch an den Kopf; selbst
Wiederholung des Aderlasses; bei trockner Haut neben dem Kalomel Sal-
miak mit Tart. stibiat, Sinapismen, ableitende Lavements; beim Stupor in
FEBRIS .1^17
der acuten Encephalitis Vertieidung äfö* Narcoticä, dagegeri n^lien den. an-
dern Innern Mitteln Fomeniiren der untern Extremitäten! mit warmem Senf-
autguss, in Flahelltüchern übergeschlagen, Injectionen in die Scheide, kalte
Kopfuriischläge, Sinapismen: an verschiedenen Stellen, . selbst in den Nacken
und auf die Oberarme; bei andauerndem Hirnleiden ist eine Vesicatoriums-
wunde im Nacken offen z?ü erhalten. Man sorge ausserdem für Wiederher-
stellung der Milchsecretion durch Waridhalten. de« Brüste, trockne Schröpf-
fcöpf«. Anlegen des Kindes etc. Die. eigentlichen Nervina excitantia sind
mit grosvser Vorsicht und erst spät anzavs"endeni; »Bei langsam eintretender
Encephalitis dienen innerlich Kalorael 'A^-l Grari in steigender Gabe; aus-
serdem Salmiak, Tart. emetv und Lactuoarium in einem Decoct. rad. althaeae;
in einigen Fallen passen daneben dreimal täglich 40 — ^50 Tropfen Aqua
lauro cerasi. Blutententziehungen sind hier selten, indicirt, häufiger ein
Fontanell am Arm zur Derivation vom Kopfe^ besonders bei Verstandesveir-
rückung. Bei den entzändlichen Localleideh 'der Extremitäten, die Busch
als eine Varietät der Puerperalis ansieht, räth er «) gegen die Lyinphg«-^
schwülste an einzelnen Stellen der Extremitäten • ausser den obigen innera
Mittel« äusserlich Einreibungen von Oli hyosöyami, warme Bedeckung mit?
Flanell, bei grossen Schmerzen Blutegel (Ädeijässesind selteh. nöthig.) , bei
schmerzhafter Geschwulst Empl. cicutae et m^rcnriah ana. ' Später die Be-;
handlung der etwaiiigen Lymphabscesse. (s.- Abs-cessus lymphaticus).
Oft sind diese Geschwülste kritisch öden raietastatirioh in der Pilerperalis curti
Peritonitide. Hier vermeide man, warine Bedeafcung tuid das Einireiben von
Ol. hyoscyami ausgenommen ,' jede örtliche Behandlung, fc) Bei d^r.' iPhIeij~'
malia alba dolens berücksichtigt er anfangs^ alsö.in der entzündlichdniiPe-'
riode, vorzüglich Wiederherstellung der WochenseAretion. durchudi© aiigege^,
benen Injectionen etc., bei sehr heftigem Fieber und plethorisrhem Körpe»
ein Aderlass, besser noch 20 Blutegel aii das leidende Glied; innerlich .sille
2 Stunden 1 — 2 Gran Kalomel mit Extr. hyoscyami ^ Einreiben des Schen-
kels mit Unguent. mercuriale und Ol., hydscyami^ aeben dem Kalomel auch
kleine Dosen Tart. emet. als Ekelcuu; Erbrechctt und Durchfall müssen
verhütet werden; Bei eintretender Ausschwitzong lege man sogleich ein'
grosses Vesicator auf die obere Wade (^noch besser i» Form -eines zwei Zoll
breiten Bandes rings um den Schenkel, oberhalt) des Kniees^ Most), halte
die Stelle durch reizende Salben 8 — 14 Tage offen ,• reibe Linim. völat. mit
Tinct. cantharid. in den Schenkel., gebe innerlich Kalomel mit Digitalis und
Tart. emeticus. Legen sich die Schmerzen, so vermindere man die Gaben/
dieser Mittel ; ist die Ausschwitzung chronisch geworden und nichts Ent-
zündliches mehr da, so passt innerlich .mit Vorsicht Ol. terebinthinae. Im
Verlaufe der Phlegmatia tritt oft ein Stadium nervosum ein. Hier Wechsel©
man oft die Vesicantia, gebe innerlich Senega, Arrnica, Tart. emet. in refr.
dosi; späterhin, wenn Paralysen zurückbleiben, wende man warme Schwe-
felbäder, Acupunctur, Elektricität an. Alie kalten oder warmen Fomenta-^
tionen sind bei der Phlegmatia verwerflich. — Auch die Putrescenlin uteri
hält Busch für eine Varietät' der Febris. puerperalis, obgleich sie wol rich-
tiger eine Hysteromalacie ist (^'l'ott , Most, RnmiscK). Seine Behandlung ist
die allgemeine der Puerperalis, erst bei wirklicher Putrescen» verbindet er
die genannten Injectionen mit Decoct. chinae; gesteht aber, dass hier leider!
alle Hülfe fast immer vergebens ist. Bei der Puerperalis mit gastrischem,
nervösem, putridem Fiebercharakter empfiehlt J5<asc/», dem auch Verf. (^Totty
beistimmt, die Localentzündungen nicht aus der Acht zu lassen, die Neriina,
Excitantia nicht zu früh zu gebrauchen; die Brechmittel nur bei dringender
Anzeige; in der putriden Form Vorsicht bei Anweridiuig der China, nur ne-
ben Kalomel und Tart. stibiatus; daneben Einspritzungen und fleissiges An-
legen des Säuglings, Sundelin (^Berends^s Vorlesungen. Bd. VI. Abtheil. 2.
S. 471 u. f.) empfiehlt besonders reine Zimmerluft, die höchste Reinlichkeit,
Isoliren der erkrankten Wöchnerinnen in Spitälern von den gesunden , als
Prophylactica ; bei wirklich ausgebrochener Krankheit als Morbus sui gene-
ris Erweckung der Tendenz der Krankheit zu den kritischen Ausscheidun-
748 FEBRIS
gen, je nach dem Charakter der Epidemie, Endemie, der Localität, der
Körperconstitution der Kranken, bald mittels eines antiphlogistischen, bald
antibiliösen, antigastrischen, antiseptischen, erregenden, krampfstillenden
Verfahrens; also Nachahmung der Naturbestrebungen im Kindbetterinfieber;
specieller aber ein Heilverfahren gegen die Alteration der Nervensubstanz
(sich aussprechend durch eine abnorm gesteigerte Vegetation derselben etc.).
Ein oder mehrere Brechmittel, das Chlor, das Quecksilber, die Kälte, bei
symptomatischer Peritonitis Blutegel, Fomentationen , Vesicantien %yerdea
empfohlen (s. Berends's Vorlesungen a. a. O.). C. A. Toit.
Nachschrift desIHerausgebers. Da ich über das Puerperalfie-
ber viele eigene Erfahrungen gemacht habe , welche in der Einleitung zu
diesem Artikel keinen Platz finden konnten, so will ich das Merwürdigste
daraus hier noch aphoristisch mittheilen. 1) Ein Puerperalfieber als Morbus
sui generis existirt nicht ; doch haben alle Fieber und Entzündungen im
Wochenbette einen eigenthümlicheri (erethistischen) Charakter; erfordern da-
her, wie. bei Säufern und Kindern, ein vorsichtiges, nicht eingreifendes Ver-
fahren. Alles, was die Wochenschweisse , die Milch - und Lochiensecretion
plötzlich stört; muss vermieden werden. Dies ist das grösste Präservativ
(vergl. Tonnalle in Archiv» geh^ral. de Medecine. T. XXII. 1830. Mars,
pagw 345). 2) Gewisse, noch nicht genau erforschte Luftbeschaffenheiten
erregen in gewissen Jahren die Puerperalfieber häufiger als in andern Jahren.
Die meisten Fälle beobachtete ich in den Jahren 1812, 1813, 1822, 1823,
1826 und 1827 (vergl. auch Miguel in Horn's Archiv, 1829, Jan. u. Febr.
Si 84r u. f. ■ A. V. Siehold's Pathol. -therap. Darstell, des Kindbettfieberä.
Frankf. : 1826. D'Oirfrcpont in Salzburg, med. -chirurg. Zeitung, 1821. Neu-
maim in SiehohVs Journ. f. Geburtshülfe, 1827. Bd. VII. St. 1. S. 53 — 84).
Wichtig ist noch der Umstand, dass Rückgratskrankheiten, besonders Mye-
hlis, im Wochenbette unter der F'orm der Puerperalis auftreten können
( s. J. Bintcrhergcr in der med. - chirurg. Zeitung, 1828. Nr. 54 etc. und in
HufelancCs Journ. 1830. Febr. S. 53), worüber auch ich eine Beobachtijng
gemacht habe. Vor dem' 4ten und nach dem 15ten Tage der Niederkunft
habe ich nie ein Puerperalfieber gesehen. 3) Am Isten, 2ten Tage eines
solchen Fiebers unterdrückte ich die ganze Krankheit in mehreren Fällen
durch folgendes Mittel ^ Y^t Elix. ncid. Halleri 5j» Laudnni lufuid. Syd. 5tv.
M. S. Alle 3 Stunden 15 — 25 Tropfen in einer Tasse Haferschleim. Diese
Tropfen werden nur 24 Stunden lang gegeben , alsdann setzt man sie aus
und beobachtet den Erfolg. Ich kann nach der strengsten Wahrheit ver-
sichern, dass dieses Mittel mir ausserordentliche Dienste geleistet hat. Zwei
Fälle will ich statt aller anführen. Frau K. , ?>S Jahre alt, von mittler
Constitution , bekommt am 6ten Tage nach einer etwas schweren Nieder-
kunft durch heftigen Ärger ein Fieber mit V2stündigeiu Froste; darauf starke
Hitze, Kopf- und Leibschmerz, grosser Durst, etwas Raserei, Puls 120 — 130,
Zittern, grosse Angst, keine gastrischen Zeichen, kein Durchfall, Leib etwas
weich und aufgetrieben, Uterus schmerzhaft, Lochien unterdrückt. Sie ge-
braucht obiges Mittel einen Tag lang, kommt in starken Schweiss, legt ihr
Kind fleissig an und ist am andern Tage gesund. Nach 2 Tagen kommt
derselbe B^ieberaiifall jnach heftigem Ärger. Ich erkläre das Ganze, um
keine Furcht zu erregen, wiederum für Kleinigkeit, verordne dieselben Tro-
pfen, und nach 24 Stunden ist das Puerperalfieber wiederum verschwunden.
Sie hat sich seitdem gesund und wohl befunden und stillte ihr Kind, das
gut gedieh, selbst. — Frau Seh., eine sensible, reizbare Person von 26
Jahren , bekommt , 5 Tage nach einer schweren Geburt, von einer Hebamme
Elect. lenitiv. zur Beförderung der Leibesöfl'nung. Es erfolgt Durchfall,
Verminderung der Milchsecretion, unterdrückter Wochensch weiss , Fieber
mit Frost, Hitze, Kopfschmerz, Übelkeit, aufgetriebenem, schmerzhaftem
Unterleibe, Puls 125; Abends Delirien. Sie gebraucht am Isten und 2ten
Tage der Krankheit obige Tropfen , die Diarrhöe und der Erethismus legen
sich ; sie ist nach 3 Tagen völlig wieder hergestellt und bis jetzt gesund.
4) Eine streng antiphlogistische Cur passt bei Puerperalfieber höchst selten.
FEßRIS 749
Denn o) gchwächliche, reizbare Frauen bekommen die Krankheit leichter
als robuste, vornehme leichter als Bauerweiber. 6) Sie folgt auch auf
starke Blutflüsse (veigl. Mende in Geuieins. deutsch. Zeitschrift f. Geburts-
hülfe. Bd. I. Hft. 3. 1827. S. 573 — 601). c) Sie tritt oft mit Diarrhöe ein,
welche bei acht inHainmatorischem B'ieber nicht stattfinden kann, gegentheil»
letzteres schon an sich vermindert. Die entzündlichen Localaffectionen müs-
sen uns nicht irre führen; sie sind oft secundär, oft passive Entzündungen;
die Blutausleerungen heben wol das Congestive, es tritt auf einige Stunden
scheinbare Besserung ein , aber hinterher vvirds desto schlimmer , weil der
CoUapsus darnach schneller eintritt. Wie herrlich eine nicht eingreifende
Cur wirke, beweisen die von Busch (a. a. O.) angeführten glücklichen Rer
sultate seiner sanften Methode. Dass aber ,sowol mit Acj. lauro cerasi, als
mit dem Kalomei hier viel Missbrauch getrieben wird, liegt am Tage, wenn
man sich nur entschliesst, bei solchen Kranken einmal auf 24 — 48 Stunden
alle diese Mittel auszusetzen und, ut aliquid fecisse videatur, eine reino
Emuls. sem. papav. albi zu verordnen. Es verhält sich hier ebenso wie mit
dem Nervenfieber, wo die Natur das Mederi besser versteht als ein ganzes
Consilium medicum (s. Febris neuropathica). 5) Die Phlegmatia alba
dolens kann ich mit Busch nicht als Varietät des Puerperalfiebers erkennen ;
denn sie kommt auch bei Männern vor (s. Horn's Archiv 1825. Mai u. Juni.
S. 532), und ich selbst beobachtete sie einst bei einer 73jährigen Frau.
Auch die Putrescentia uteri ist ebenso wenig eine Varietät der Puerperalis
als die Gastromalacie eine Varietät der Gastritis oder des mit Gastritis ver-
bundenen Fiebers. Sie ist von mir ohne bedeutendes Fieber beobachtet
worden, und ifch halte sie mit Jöri) für die Folge eines zu starken Abwel-
kungs - oder Absterbungsprocesses der Membrana decidua, wogegen inner-
lich Mineralsäuren, Wein, gute Nutrientia, antiseptische Einspritzungen zu
empfehlen sind, 6) Dass bei heftigen Fiebern der Wöchnerinnen leiclit Pe-
ritonitis, Encephalitis hinzukommen können, und zwar mit grosser Neigung
zu Exsudationen , ist Thatsache. In solchen Fällen habe ich auf den Merc.
dulc. mit Digitalis das meiste Vertrauen gesetzt. 7) Höchst einseitig würde
es seyn, das epidemische, contagiöse Nosocomialkindbetterinfieber als Norm
für alle Puerperalfieber aufzustellen. Hier, sowie im wirklichen Stadio ner-
voso und putrido der sporadischen Puerperalis, wo im Verlaufe der Krank-
heit und bei hohem Grade derselben Indicatio vitalis allen andern vorgeht,
mögen die von Stegmnnn (^florn^s Archiv, 1827, Mai u. Juni) empfohlenen
kalten Umschläge auf den Unterleib, die man sogar neben Aderlässen zu
Anfange der Krankheit , nebst dem Innern Gebrauche des Eises in kleinen
Stücken , mit Nutzen angewandt hat , indicirt seyn (^Jngielshj in RusVs Ma-
gaz. 1826. Bd. XXHI. Hft. 2. S. 335). 8) Mögen im Verlaufe des Puer-
peralfiebers verschiedene Localentzündungen stattfinden, wovon das B'ieber
theils Reflex, theils Ursache ist; mag immerhin bei der inflammatorischen
Form auch eine Arteriitis stattfinden, so zweifle ich doch daran, dass, wie
Dr. Tott will , inflammatorischer Charakter und Phlebitis gleichzeitig existi-
ren können, da diese alle Zeichen des Typhus hat. Tonnelle sagt in seiner
Abhandlung über Fievres puerperales (a. a. O.) , dass man bei dieser Krankr
heit am häufigsten Peritonitis und niur in seltenern Fällen Entzündung und
Eiterung der Venen und lymphatischen Gefässe des Uterus, worauf zuerst
Dance in Archiv, general. de Medecine aufmerksam gemacht, beobachte.
Die meisten Fälle endeten mit dem Tode, wahrscheinlich, weil man durch
öftere Aderlässe und öfters wiederholte Anwendung von jedesmal 50 (!!!)
Blutegeln die Kranken so sehr herunterbrachte, dass sie aus Erschöpfung
starben, welcher Missbrauch noch im Jahre 18i!9 im Hospital la Maternit^
zu Paris stattfand. Lesenswerth sind folgende Schriften : A. E. v. Siebold,
Versuch e. pathol. - therapeut. Darstellung des Kindbettfiebers, nebst Schil-
derung, wie es im Febr. bis April 1825 in der Gebäranstalt der kön. Uni-
versität zu Berlin geherrscht hat. Berlin 1826. A. C. Bnudelocque, AbhandK
über die Bauchfellentzündungen der Wöchnerinnen. A. d. Franz. mit Zu-
sätzen u. Anmerk. von Busch. Potsdam 1832.
750 FEBRIS
Felris purpurn miliaris, Purpurfrieselfieber, s. Purpura und Miliaria.
Fcbris putriän, Si/nochns putris (^Gnlen, Boerhanve, dem Stvieten), Typhtui
{CiiUen, Heil), Fehris condnua mnUijna (^Huxlumi) , Febriü conünens puiridn
{^Sclle), Fehris typhodes (J. Frnnl;)^ Fehris pulrida siiiiplex (^liichler), Fehris
pitiiitosa mnlitjna, Fehr. ptUi-ido-gasirica, Febr. pntrido -simjjuinen (^Syderihnm,
Oimbius, Stoll), Febr. paralytica {Himly), das Faulfieber, faulige Fie-
ber, Auch in der Lehre von diesem Fieber hen-scht, ebenso wie in der
Leiire vom Nervenfieber, eine grosse Verworren Weit, die für solche Arzte»
die an Worten und Namen kleben , leicht zu einer nachtheiligen Behandluni;
führen kann. Bereiids sagt (s/ dess Yorles. von SmideJin. Bd II. S. 165):
,,Das Faultieber gehört seiner Natur nach dem asthenischen Fieber an, ob-
gleich es gar nicht selten einen starkenAnstiich des entzündiichen und hy-
])ersihenis< hen zeigt, Charakterisirt wird dieses Fieber durch eine Neigung
der organischen Krasis, besonders in den Säften und vorzugsweise im Blute,
zur Zersetzung und Entmischung. Späterhin treten freilich auch Nervenzu-
fälle hervor , welche aber secundär und e'me Folge des vorhergegangenen
Krankheitszustandes sind." Hiermit ist allerdings das Wesentliche des Faul-
tiebers auseinandergesetzt. Aber auch an sich ist das F'aulfieber selten et-
was Primäres, in den meisten Fällen nur etwas Secuiidäres, ein hoher Grad
des Nervenfiebers , ein Ausgang desselben in Putrescenz , oder es ist die
Folge eines corrumpirten, schlecht behandelten gastrischen Ffebers, eines
8aburral - und VVurmfiebers, eines Schleiinfiebers, oder es ist Symptom des
B;andes bedeutender Theile, oder das Ende von phthisischen Krankheiten,
von Hydropsien bei einem hohen Grade von Dyskrasie, Kachexie, Kakochy-
inie. Ferner nehmen die Petecliial - und Aphihenfieber, die Febris neuropa-
thica cum Enteritide leicht einen fauligen Charakter an, besonders bei schäd-
lichen Luftbeschaffenheiten und bei dyskrasischen Subjecten. Sowie wir die
Frage aufwerfen können : Sind die Fieber überhaupt etwas Selbstständiges,
oder sind sie mehr etwas Symptomatisches? ebenso ists auch hier der Fall.
Primäre Nervenlieber, primäre Fieber mit Schwäche, mit Fäulniss findet
man in allen Handbüchern der Medicin , aber höchst sparsam am Kranken-
bette. Ich habe sie in einer 12jährigen, nicht unbedeutenden Praxis bis
jetzt nur selten gefunden. Wohl aber habe ich häufig Fieber beobachtet
und behandelt, die in ihrem Verlaufe, bald früher, bald später, einen soge-
nannten typhösen, nervösen oder putriden Charakter annahmen; doch war
das Verhälmiss zu dem inflammatorischen Charakter, wohin ich auch den
katarrhalischen und rheumatischen rechne (so dass also das Wort inflam-
matorisch ja nicht sogleich an Blutlassen und Nitrum erinnern darf), ge-
ring, ohngefähr 5 zu 100, so dass ich von 100 Fieberkranken, wenn ich
die Intermittens ausnehme, die man zu den Neurosen als Folge von Affection
des Gangliensysteras zählen kann, in der Regel 95 mit mehr oder weniger
starkem inflammatorischem Fiebercharakter und nur 5 mit dem nervösen
Charakter, oder mit dem putriden beobachtet habe, und obendrein letztern
Charakter nie als primär auftretend. Damit will ich aber nicht behaupten,
dass dies Verhältniss in andern Ländern Und Klimaten, besonders in sumpfi-
gen, morastigen Gegenden, auch so sey (vgl. MonlfnJcon , Über die Sümpfe
und die durch die Sumpfausdünstungen hervorgerufenen Krankheiten. A. d.
Franz. v. Heyfehler. Leipzig, 1825. Preisschrift) ; denn bei allen fieberhaften
Krankheiten ist der Einfluss des Klimas, der Gegend, der Luftbeschaffen-
heit, der Lebensart, der Nahrungsmittel nicht zu übersehen, wie dies die
generelle Nosologie hinreichend lehrt. Die nördlichen Theile Europas zeich-
nen sich durch Vorherrschen von Entzündungen und entzündlichen, sowie
gastrischen, rheumatischen Fiebern aus, was in Südeuropa und in den heis-
»en Zonen nicht der Fall ist. Doch hat es auch bei uns bösartige epidemi-
sche Fieber gegeben, die sich dadurch auszeichneten, dass sie oft schon
früh einen putriden Charakter annahmen. Die Zeichen dieses putriden
Charakters oder des sogenannten Faulfiebers sind im Allgemeinen fol-
gende: grosse, brennende Hitze (Calor mordax), kleiner, weicher, veränder-
licher Puls, grosse und wahre Schwäche (s. Adynamia), fauliger, stinken-
FEBRIS 751
der Geruch des Atheros, der Ausdünstung, des Urbs, Stuhlganges, selbst
des Blutes, Flecken, Petechien und Striemen auf der Haut, ßlutblasen auf
derselben, passive Blutungen aus Nase, Mund, After, aus der Harnröhre,
aus der Haut, höchst flüssiges, dunkles, zuweilen hellrothes, nicht gerina-
bares Blut, aufgetriebener Unterleib, Meteorismus, heftige Durchfälle mit
braunem, schwarzem, schaumigem, höchst stinkendem Abgange; trüber,
brauner, schwarzer Urin mit reichlichem Bodensatz, ähnlich den Bierhefen,
klebrige, kalte Schweisse. Die Kranken liegen sich leicht durch, die durch-
gelegenen Stellen ,. sowie 'die , wo früher Sinapismen und Vesicatorien gele-
gen haben, werden leicht brandig, der Tod erfolgt unter diesen Zufällen
meist binnen wenigen Tagen, selbst Stunden. Manche Kranke erbrechen
grasgrüne Galle, oder eine dem Kaffeesatz ähiiliche Masse, stark verkohlte»
Blut, z. B. beim gelben Fieber das sog. schwarze Erbrechen. Zuweilen
bildet das aus der Ader gelassene Blut eine schleimige, in Regenbogenfar-
ben spielende Crnsta pleuritica, oder das Blut sieht selbst chocoladefarben
aus. Sehr oft werden Zunge, Lippen und Nase schwarz, es entstehen bran-r
dige Geschwüre im Rachen, brandige Bubonen, Carbunkel, z. B. bei der
Pest; die Krankea rutschen im Bette herunter, können nicht auf der Seit»
liegen, sinken immer wieder auf den Rücken, dabei Sopor, Stupor, Delirium
blandum; aus den Augen fliesst grüngelblicher Schleim, die untere Kinn-
backe hängt herunter (zwei böse Zeichen); im letzten Stadium entsteht oft
ein starker Schweiss, der Puls wird immer langsamer; dabei Zittern der
Glieder, Spasmus cynicus, Convulsionen aller Art, die dem Tode kurz vor-
hergehen. Der Gang der Krankheit ist stets eine Febris continua contmens,
macht, also gar keine Remissionen, alle Symptome stimmen mit einander über-
ein, was bei Febris nervosa nicht der Fall ist. Die Leichen gehen schnell
in Verwesung über. Oft finden wir die untere Fläche der Leber blau, die
Milz sehr weich, häufig an dem Magen und den Gedärmen Stellen, die mit
dunklem Blute injicirt sind und wie entzündet aussehen. Eigentliche Krisen
fehlen beim Faulfieber. Tritt Besserung ein, so erkennt man dies daran,
dass sich die Kräfte heben, der Puls normaler wird , die Zeichen der Putre-
scenz sich vermindern, ein allgemeiner warmer Schweiss eintritt und sich
röthliche Kr j stalle im Urin (Arenulae) zeigen. Sie sind klein, röthlich und
glänzend, bestehen aus Harnsäure und rosiger Säure, zeigen sich auch als
Krisen bei der Febris neuropathica , nicht aber bei der Febris nervosa, so-
wie am Ende eines Gichtanfalls. Sind schon 14 Tage der Krankheit ver-
flossen und haben die Symptome noch viel Einklang, sind keine bedeuten-
den Ausleerungen da, so ist Hoffnung zur Genesung vorhanden. Ursachen
des Faulfiebers. Die Krankheit befällt ebenso häufig robuste, starke, als
schwache Personen, da sie sowol aus entzündlichen als aus nervösen P'iebern
entstehen kann. Gelegentliche Ursachen sind : verschiedene Luftverderbnisse,
feuchte, warme Witterung, schlechte Nahrungsmittel, Mangel an guter Nah-
rung , wie in den Jahren des Missw achses , der Noth , des Krieges , einge-
schlossene, schlechte, verdorbene Luft in Krankenhäusern, Lazarethen, Ker-
kern, Schiffsräumen, allgemeine Verderbniss der Säfte durch Kachexien,
schlechte Behandlung entzündlicher, galliger, pituitöser Fieber, besonders
aber der neuropathischen Fieber. Treffen mehrere solcher schädlichen Ein-
flüsse zusammen, so werden fast alle Fieber putrid. Am häufigsten aber
kommt das Faulfieber epidemisch vor, wo dann die nächste Ursache in der
Luft, in einem Miasma zu suchen ist, nicht aber in einem Contagium, ob-
gleich contagiöse Fieber aus Faulfiebern werden können, wodurch aber ihre
Natur verändert wird. Herrschen Faulfieber epidemisch, so nehmen fast alle
andere Krankheiten leicht den putriden Charakter an, besonders der Typhus
contagiosus, die acuten Exantheme, die Angina, Katarrhal-, Gallen- und
Schleimfieber, und die Ruhr (s. diese Artikel). Behandlung im Allge-
meinen. Äusserlich dienen Kälte, kalte Sturzbäder, kalte Zimmerluft, Ver-
besserung derselben durch die übersauren salzsauren Räucherungen, kalte
Waschungen; innerlich vegetabilische und später mineralische Säuren in
grossen Dosen, mit kaltem Wasser veraiischt und kalt getrunken, denn auch
752
FEBRIS
<las kalte Wasser ist ein herrliches und grosses Antisepticuni, das selbst bei
den Diarrhöen keinen Schaden bringt; ferner China, Chinin, später in Ver-
bindung mit excitirenden Mitteln, besonders mit Arnica. Nichts ist bei Faul-
liobern scliädlicher als die frühe Anwendung von reizenden, erhitzenden und
narkotischen Mitteln. Der vorhandene Fieberreiz im Blute und im ganzen
Gefässsystem wird dadurch vermehrt und die Neigung zur Zersetzung um
so eher befördert. Diese Mittel wirken ebenso, wie ein hoher Wärmegrad
des Zimmers, heisse Stubenluft, dicke Federbetten, höchst nachtheilig, be-
fördern wahre Adynamie, führen das Stadium nervosuui schneller herbei,
erregen secundäre Petechien, Vibices, passive Blutungen aller Art, und stür-
zen den Kranken ins Grab. Dagegen ist die Kälte das grösste Heilmittel,
das in allen Stadien der Krankheit passt, und früh angewandt, alle schlim-
men Zufälle im Verlaufe der Krankheit verhütet. Glaubt man späterhin am
6ten, 7ten, 9ten Tage der Krankheit excitiren zu müssen, so fange man mit
Infus, arnicae und Succus citri an und gehe dann zur China über. Die
Diät muss anfangs streng vegetabilisch, säuerlich seyn, da animalischo
Nahrungsmittel, wie narkotische Arzneien, die Putrescenz befördern. Man
verordne daher säuerliche Nahrungsmittel und Getränke, Obst, saure Früch-
te, mit Essig und Gewürzen eingemachte Früchte, als Gurken, Kirschen,
Pflaumen u. dgl. Nur bei der Reconvalescenz passt gute animalische Kost,
daneben Wein, bittere Extracte: Extr. rutae, Card, bened. , gentianae, in
aromatischen Wassern und mit Tinct. rhei vinosa, Decoct. chinae mit Elix.
viscer. Hoffmanni. Einzelne, oft Gefahr drohende Symptome der Krankheit
erfordern die besondere Aufmerksamkeit des Arztes und eine zweckmässige
symptomatische Behandlung. Diese sind: 1) Die Diarrhöe. Sie
ist zu Anfange des Faulfiebers, wenn dieses die Folge eines Gallen-, Sa-
burral-, Wurm-, Schleimfiebers ist, oft kritisch und darf nur mit Vorsicht
gestopft werden. Im einfachen primären Faulfieber ist sie häufiger sympto-
matisch, mässigt in den ersten paar Tagen die Heftigkeit des Reizfiebers,
schwächt aber bei längerm Anhalten nur zu schnell. Daher dürfen wir sie
hier nur kurze Zeit ansehen , und die übrigen Zeichen müssen uns lehren,
ob schon ein hoher Grad von Schwäche da ist, oder nicht. Ist wahre Ady-
namie unverkennbar, so verordnen wir gegen den Durchfall Decoct. rad.
columbo , salep , Extr. rad. arnicae , und hilft dieses noch nicht , so reichen
wir mit Vorsicht 1 — 2 Dosen Opium. Bei Diarrhöe mit dem Charakter
des Torpors, also nicht in den ersten Tagen des Faulfiebers, passen inner-
lich Alaun, Gummi kino, Infus, rad. arnicae mit Decoct. cort. chinae. Sehr
vorsichtig muss derjenige Durchfall behandelt werden, welcher sich im spä-
tem Verlauf, wenn die Krankheit bereits ihre Höhe überschritten hat, ein-
stellt. Hier verdient das Extract und der Aufguss der Arnica den Vorzug,
besonders wenn man zugleich schleimige Getränke, z. B. Decoct. rad. salep,
in Anwendung bringt (^BerenJs). 2) Aphthen. Sie deuten häufig auf ent-
zündliches Ergriffenseyn des Digestionsapparats, auf gastrische Ablagerungen,
und erfordern die vorsichtige Anwendung eines Brechmittels. Am häufigsten
erfolgen sie, wenn die Febris gastrica wegen versäumter Emetica zur Pu-
trida wird. Hier säume man nicht, zuerst ein Brechmittel zu geben. Zu-
weilen sind die Aphthen auch etwas Kritisches, wie die Dothinenteritis (Ilei-
tis pustulosa Uufeland) bei Febr. neuropathica, und hängen oft wesentlich
mit dem Fieber zusammen, z. B. bei Febr. aphthosa. Hier dürfen wir sie
nur mit Mucilaginosis behandeln. Sind sie blos etwas Symptomatisches,
sind keine gastrischen Zeichen daneben, so passen die gewöhnlichen Mittel
(s. Aphthae, Angina aphthosa), sind sie brandig, bösartig, so geben
wir Mineralsäuren, Solutio vitrioli albi, coerul., Decoct. chinae (s. Angina
gangraenosa), bei grosser Emplindlichkeit passt aber nur reines Decoct.
althaeae ohne tonische Mittel. 3) Exantheme. Sie gehören oft zur Na-
tur der Krankheit, z.B. bei der Febris petechialis , wenn diese einen fauli-
gen Charakter annimmt. Hier ists wichtig , die kritischen von den nicht
kritischen Petechien zu unterscheiden (s. Petechiae). Letztere, sowie
die Vibices, die in der Akme des Faulfiebera hinzukommen, oft erst am
FEBRIS 753
Uten, 14ten Tage, sind ein schlimmes, grosse Verderbniss des Blutes an-
deutendes Zeichen. Hier können die Antiseptica : China und Mlneralsäuien,
in grossen Dosen nur noch die meiste Hülfe geben. 4) Blutflüsse. Das
Nasenbluten ist hier weniger gefährlich als blutiger Stuhlgang und Urin ;
Lungenblutfluss zeigt sichern Tod an {Berends). Alle Blutungen im ausge-
bildeten Faulfieber müssen so schnell als möglich gestillt werden ; innerlich
Elix. acid. Halleri , Acid phosphor. , die Verbindung Yon Alaun mit Kino;
äusserlich, z. B. bei Nasenbluten, Charpie mit Acetum saturni angefeuchtet
in die Nase gebracht, bei blutigem Stuhlgange Klystiere von Hausenblase.
Daneben innerlich Wein, Decoct. chinae mit Elix acid Halleri, bei Blut-
husten besonders Opium (^Berends) ; doch nicht anhaltend. 5) Sind durch-
gelegene Stellen am Rücken etc. brandig geworden, so verbinde man
mit Camphora gumra. arab. trita. Reinlichkeit und Waschen mit Spiritus
camphoratus verhütet das Übel am besten. 6) Meteor ismus. Er gesellt
eich fast immer zu der Diarrhöe, erregt leicht Dyspnoe und ist ein gefähr-
liches Zeichen , hohen Grad der Paralyse und nahen Tod andeutend. Man
giebt dagegen krampfstillende Klystiere aus Valeriana, Chaniillen und Kam-
pher. Zuweilen erfolgt Meteorismus aus unvorsichtig und plötzlich unter-
drückter Diarrhöe, wenn Sordes, Wurmcolluvies da sind. Hier ist das
Symptom weniger gefährlich und verschwindet nach Decoct. fruct. tamarin-
dor. mit Crem, tartari; äusserlich passen aromatische Bähungen auf den
Unterleib. Ist der Meteorismus Folge von innerm Brande, so hat man kalte
Umschläge auf den Unterleib empfohlen ; doch ist hier alle Hülfe meist ver-
gebens. — Für die Praxis ist es noth wendig, die besondern Verschiedenhei-
ten und Complicationen der Febris putrida gehörig ins Auge zu fassen. Ich
unterscheide hier mit Sundelin (^Berends^ Vorlesungen, Bd. II. S. 167, An-
merk.) folgende Arten: a) Febris putrida primaria, simplecc. Es ist stets
ein epidemisches Übel, entsteht aus miasmatischen Einflüssen, befällt alle
Constitutionen ohne Unterschied, gründet sich auf eine ursprüngliche Nei-
gung zur Entmischung im Blute, erscheint anfangs als ein heftiges Reizfie-
ber, als ein wahres Blutfieber, worauf bald der Charakter der Schwäche
folgt. Ohnmächten, Schwäche und Gefühl von Betäubung, zuweilen auch
heftiger Fieberfrost , worauf oft schon schnell Sopor folgt , gehen dem Aus-
bruche vorher J» dann alle Zeichen der Putrida. Es giebt Länder und Ge-
genden in Europa, wo dieses primäre Faulfieber bis jetzt nie geherrscht
hat. In Deutschland ist es seit vielen Jahren nicht dagewesen. Die letz-
ten Epidemien herrschten im 17ten, sehr wenige im 18ten Jahrhunderte,
Cur. Kalte Luft, kalte Waschungen und Sturzbäder, innerlich anfangs ve-
getabilische , später Mineralsäuren in grossen Dosen ; noch später Valeriana^
Arnica, Serpentaria , Calam. arom. , Cort. chinae, Winteran. , Wein, Ge-
würze etc. Den Kampher wende man ja nicht zu früh an; nur bei deutli-
cher Schwäche im Arteriensystem, bei Collapsus vasorum, bei kühler, wel-
ker Haut , secundären Petechien , Ecchymosen , passiven Blutungen , ent-
standen aus lähmungsartiger Schwäche der Gefässenden , ist er indicirt.
Dagegen kann die Arnica in Verbindung mit Succ. citri , Acet. vini , weit
früher mit Nutzen angewandt werden, da sie sich selbst bei Complicationen
mit Gastricismus und Saburra verträgt (^Sundelin). b) Fehris puirido-ga-
strica, Fehr. putrido-venosa. Das gallig- gastrische, das venöse
Faulfieber entsteht secundär aus der Febr. gastrica, biliosa, durch
schlechte Behandlung, durch frühe Anwendung der Excitantia, Roborantia,
Tonica und bei Versäumniss der Evacuantia , wodurch die Ab - und Aus-
scheidung von Galle und Darmschleim , durch /eiche sich solche Fieber ent-
scheiden, unterdrückt wurde, und nun die Blutkrasis leidet. Symptome.
Sind die des Status gastricus und der Putrescenz. Die Anamnese dient zur
Diagnose. Cur. Anfangs antigastrisch, doch mit Vorsicht, um nicht zu
sehr zu schwächen. Man gebe ein Vomitiv, das nicht durchschlägt, sorge
bei Obstructio alvi für Leibesöffnung durch Klystiere von Ser. lactis tama-
rind., gebe innerlich vegetabilische Säuren, verordne kalte Waschungen, bei
höherem Grade der Fäulniss Wein, Arnica, Mineralsäurea ; doch die China
Most EneyUopädie. Zte Aufl. I. 43
^Si FEBRIS
mit Vortiicht und nie eher als bis die ersten Wege gereinigt sind. Wie
herrlich hier oft bei allen Zeichen der Schwäche ein Vomitiv als erregende»
und ausleerendes Mittel wirkt, ist unglaublich; ich habe die überraschend-
sten und glänzendsten Erfolge davon gesehen (M.). c) Fehris pulrido-ncr-
vosa , das nervöse Faulfieber. Bei nervösen und Nerventiebern, wo
vorzugsweise das organische Nervensystem, die Reproductions- und Gan-
gliennerven leiden , ist auch durch den verminderten Einfluss dieser Nerven
die Assimilation, Sanguification und Reproduction sehr verniindert. Daher
können sie, z. B. das nervöse Schleimheber, leicht einen fauligen Charakter
annehmen; besonders wenn solche Fieber, wie dieses häufig der B'all ist,
aus epidemischen Witterungseinttüssen und Luftverderbniss entstehen. So
z. B. nehmen die acuten Exantheme, die Scarlatina, Petechialis purpurata,
die Febris morbillosa, variolosa etc. bei früher Anwendung reizender erhi-
tzender Mittel zuerst einen nervösen Charakter an , indem durch die Exci-
tantia das Nerven- und Blutsystem so aufgeregt wurde, dass darauf Ab-
stumpfung, Sopor, Stupor folgt. Nun leidet die ganze Assimilation und
Blutbereitung , die ohne den gehörigen Einfluss des organischen Nervensy-
stems bekanntlich nicht von Statten gehen kann , und so folgt dann auf den
nervösen der faulige oder paralytische Fiebercharakter. Cur. Hier passen
besonders kalte Luft, kalte Sturzbäder, Besprengen mit kaltem Wasser, in-
nerlich Miueralsäuren, besonders Acidum muriat. oxygenat. und später Ar-
nica, Kampher, China, d) Febris putrido -■ asthenica sensu strictiori, das
asthenische Faulfieber, Z er se tzun gs fiebe r. Sowie das soge-
nannte primäre Faultieber ein solches ist, das anfangs fast immer ein in-
Uammatorisches Stadium, wenn auch nur zuweilen von kurzer Dauer, hat,
daher als Reizfieber auftritt , das bei unvorsichtiger schwächender oder bei
zu reizender Behandlung schnell den fauligen Charakter annimmt, so ist die-
ses Zersetzungsfieber nur dadurch vom primären Faulfieber verschieden, dass
es ursprüglich aus echt inflammatorischen Fiebern, wobei keine Neigung
zur Putrescenz war, im Verlaufe deshalb entstand, weil frühes Aderlassen
und die antiphlogistische Cur versäumt oder nicht strenge genug angewandt
wurde, und somit indirecte Asthenie im Gefass- und reproductiven System
entstand. Es kaiui also sporadisch entstehen, ohne dass die das eigentliche
Faultieber befördernden , miasmatischen Verhältnisse der lAft herrschend
gind. Auch am Ende der Zehrkrankheiten, der Wassersuchten, des Diabe-
tes, der Phthisis, aller Krankheiten, denen organische Verletzungen und
Leiden der Unterleibseingeweide zum Grunde liegen, beobachten wir es
liäufig , wo es eine wahre Zersetzung der Säfte und den nahen Tod
anzeigt. Es ist hier etwas Symptomatisches, ebenso wie beim Brande
wichtiger äusserer oder iimerer Theile , eine durch die noch stattfin-
dende schwache Lebenskraft modificirte Putrescenz , ein anfangender Pro-
cess der VervNesung, des Todes bei lebendigem Leibe. Die Cur besteht
darin, dass wir auch hier stark erregende, tonisirende Mittel, Antiseptica
gegen die allgemeine Zersetzung und Fäulniss der Säfte anwenden. Doch
sind hier alle unsere Bemühungen fast immer vergebens, da wir die Ursa-
chen , die organischen Zersetzungen nicht heben können, e) Febris putrido
symptomaticn. Ein symptomatisches Faulfieber nennt Sundelin ein
solches, was von grosser Verderbniss sogenannter ünreinigkeiten in den er-
sten Wegen (fauliges Satburral- und Wurmfieber), vom Brande grösserer
und wichtiger innerer Theile entsteht. Lu eigentlichen Sinne ist die Pu-
trescenz bei allen Faulfiebern, die secundär entstehen, gleichfalls nur ein
Symptom, dessen Ursache der Arzt zu erforschen und zu entfernea bat.
Daher ist diese Species als überflüssig zu betrachten.
Fehris remiUens , das nachlassende Fieber, s. Febris.
Fehris rubra pruriyinosa. Ist eine ältere Benennung des Nesselfiebers;
s. Urticaria.
Febris snhurralis, gastrica saburralis, das Saburralfieber, sog.
Unreinigkeits fiebe r. Ist eine Art de* gastrischen Fiebers, welches
durch ein Leiden des Majjens und Doriucanuls, herrührend von Nahrungs-,
FEBRIS 755
Ab- und Aussonderungsstoffen, verursacht und unterhalten wird. Alle Nah-
rungsmittel, welche wegen Schwerverdaulichkeit oder Schwäche des Ma-
gens nicht gehörig verdauet werden und so den Magen, die Gedärme, die
Leber, die Milz, die Bauchspeicheldrüse zu krankhaften Absonderungen ge-
neigt machen, indem sie als fremder Reiz zuerst die Digestionsorgane an-
greifen, worauf Schwäche derselben folgt, können dieses Fieber erregen.
Symptome. Mangel an Esslust, Widerwillen gegen Fleischspeisen, sau-
res, ranziges , fauliges Aufstossen , bitterer, schleimiger, saurer, fauliger etc.
Geschmack, Druck und Schwere im Magen, Aufgetriebenheit und Spannung
des Unterleibes, Übelkeit, Erbrechen, Abgang recht stinkender Blähungen,
lehmiger, trüber Urin, zuweilen recht stinkende Diarrhöe, ausserdem Kopf-
schmerz, Schwindeln, Frösteln und Kälte, worauf bald Hitze und übelrie^
«hender Schweiss folgen. Der Puls ist in der Fieberzeit bald stark, bald
schwach, meist unterdrückt, das Athemholen erschwert. Der Fiebercha-
rakter ist zu Anfange der Krankheit meist immer etwas entzündlich , hat aber
Neigung bald nervös bald faulig zu werden, besonders wenn die Krankheit
verkehrt behandelt wird (s. Febris nervosa und Febr. putrrda). Oft
hilft sich die Natur durch tüchtige kritische Ausleerungen nach Oben und
Unten, und das Übel verschwindet in wenig Tagen neben einer guten Diät
von selbst. Behandlung. Zuerst ein Vomitiv aus Tart. emet. und Ipe-
cacuanha, daneben Enthaltung von allen Fleischspeisen mehrere Tage lun-
durch. Dienlich sind viel wässerige, säuerliche Getränke (s. Febris), ge-
kochtes und ungekochtes Obst. Hat der Kranke hach dem Vomitiv, das
aus S — 4 Gran Tart. emet., 1 Scrupel Ipecacuanha, 4 Unzen Wasser und
1 Unze Oxym. squillit. bestehen muÄS (alle 5 Minuten 2 Esslöffel voll bis
zur Wirkung), nur wenig abgeführt, ist das Fieber heftig, mit Delirien
verbunden , so passt fy Infus, laxat. Vienn. 3Jj , Aqune fontan. jv , Sal
GJauheri, Syr. mnnnae ana gj. M. S, Stündlich 1 — 2 Esslöffel voll (itf.),
wodurch theils die Congestionen vom Kopfe abgeleitet, theils die schadhaf-
ten Stoffe im Darmcanal, die Sordes primarum viarum ausgeleert werden.
In leichtern Fällen verschwindet das Fieber bei solcher Behandlung schon
am 5ten, 7ten, in schwerern am 9ten Tage. Alsdann passt ein Infus, laxat.
Vienn. mit Aq. foeniculi ana 5Jj , Tinct. rhei aquos. 5)^ , alle Stunden ein
Esslöffel voll , wornach gelindes Purgiren folgt. Smd auf solche Weise
Magen und Gedärme gehörig gereinigt, dann passt Blix. viscer. Hoffmanni
oder Tinct. aurantior. composita, wovon dreimal täglich 50 Tropfen mit ei-
nem Glase Wein genommen werden. Wer vor gehöriger Reinigung des
Darracanals und in der Heftigkeit des Fiebers geistige Getränke und Fleisch-
suppen geniesst, stürzt sich in grosse Gefahr.
Fehris salivnlis, das Speichelfi eher. Ist ein Fieber mit hervorste-
chender Reizung der Speicheldrüsen , mit vermehrter und veränderter Abson-
derung des Speichels. Symptome. Schauder, Frost, oft mehrere Stun-
den lang, Hitze, häufiger, schneller Puls, Trockenheit der Haut, des Mun-
des, Durst; zuweilen beim Urinlassen schmerzhafte Empfindungen. Das
Fieber exacerbirt des Abends , macht zuweilen binnen 24 Stunden 2 Exa-
cerbationen; am 3ten oder 6ten Tage, auch wol noch später, entstehen
rheumatische Gelenkschmerzen, Reizung der Speicheldrüsen, Zunahme aller
Fiebersymptome, und ein oft bedeutender Speichelfluss , der sich gegen den
5ten, 7ten, 9ten Tag einstellt und mehrere Tage, selbst Wochen, anhal-
ten kann; dabei aufgelockertes, blutendes Zahnfleisch, Excoriation der
Zunge , Flecken , Pusteln und Geschwüre auf denselben und im Rachen,
Wackeln der Zähne, zuweilen Hautausschläge, Schwinden des Gehörs,
Ekel, Magenschmerz, Erbrechen, Durchfall, wenn der Speichel verschluckt
wird. Nicht selten erfolgen wässerige , schaumige Stühle als Folge von
krampfhafter, vermehrter Secretion des Succus pancreaticus, eine wahre
Diarrhoea pancreatica , wobei Brennen im Magen und krampfhafte Bewe-
gungen im Unterleibe stattfinden. Entsteht keine Ausleerung , so können
Entzündung innerer Theile, nervöser, fauliger Zustand und Tod folgen.
Die Krankheit verläuft binnen 7, 14, 21 Tagen; sie entscheidet sich dui'ch
48 *
^SQ FEBRIS
breiartige Stähle, starken Schweiss, durch Harn mit Bodensatz. Febri«
nervosa, putrida, hectica, Metastasen, Parotitis, Fluxus hepaticus, splene-
ticus, Ausfallen der Haare, Desquamatio cutis, linguae etc. sind beim hef-
tigen Speichelfieber nicht selten beobachtet worden. Dauert der Speichel-
fluss lange, so hört er oft plötzlich auf, es entsteht Blässe und Kälte des
Gesichts, Brand im Munde, kleiner, schwacher aussetzender Puls, Angst,
kalte Sch>Yeisse , Facies hippocratica, und der Tod binnen wenigen Stun-
den. Ursachen. Zuweilen ist das Speichelfieber weiter nichts als ein
Symptom de» bevorstehenden kritischen Speichelflusses, der bei Fleckfiebern,
beim Pockentieber als wohlthätig betrachtet werden muss. Aber auch hier
können die Bestrebungen der Natur und das Fieber so heftig auftreten, dass
wir es massigen müssen, wie dieses bei der Cur näher erörtert wird. Auch
der Missbraüch der Mercurialien , besonders der äussere Gebrauch der Queck-
silbersalbe gegen Krätze , Syphilis inveterata kann die Krankheit im hohen
Grade erregen. Das hier entstehende Mer c ur ialf i eb er ist ein wahres
Speichellieber, dessen Heftigkeit sich gewöhnlich mit dem Eintritte des
Speichelllusses bricht, häufig aber noch besonderer Heilmittel bedarf. Ei-
nige Contagien haben eine besondere Neigung, Fieber mit Affection der
Speicheldrüsen und Salivation hervorzubringen ; daher man miasmatische
Luftbeschatfenheit und sowol mittelbar als unmittelbar verschiedene Conta-
gien, vorzüglich das der Pocken, der Hundswuth, und in manchen Epide-
mien das des Typhus, zu den ursächlichen Momenten des Speichelfiebers
zählen kann. Anschwellungen der Speicheldrüsen beobachtete man häutig
in einzelnen Scharlachepidemien schon am 2ten, oten Tage der Krankheit
und späier starke Absonderung eines qualitativ veränderten Speichels (s.
Mosfs Geschichte des Scharlachfiebers. Bd. I. S. 1^1, 124, 129, 130).
Dies war besonders in denjenigen Epidemien der Fall, die zur Zeit herr-
schender Inlluenzepidemien wütheten (Ebendas ßd. 1. S. 176 — 185). Ge-
legentliche Ursachen des Speichelfiebers sind: langes Wachen, Fehler der
Phantasie, langer Hunger, Geraüthsbewegungen, Aufregung des Geschlechts-
triebes. Prädisposition geben kindliches Alters, weibliches Geschlecht, phleg-
matisches Temperament, lymphatische Constitution; auch Menschen mit Ha-
bitus apoplecticus , mit Buckel , mit dem Fehler des Wiederkauens haben
besondere Anlage und Neigung dazu. Behandlung. Sie richtet sich nach
den Zufällen. Bei entzündlicher Beschaffenheit des Fiebers , das häufig eine
Synocha nervosa ist, passen Antiphlogistica , selbst Aderlässe, kühlende Pur-
ganzen. Li der spätem Periode der Krankheit kommt oft Parotitis der ei-
nen Seite des Gesichts hinzu, die in der Regel, wenn auch die Zeichen
von Schwäche da sind, Blutegel erfordert. Zur Beförderung der Krisen
passt besonders Salmiak mit Tart, emet. in refr. dosi; bei krampfliaftem
Pulse , Zittern und Klopfen des Herzens Digitalis ; bei hohem Schwächegrade
dienen kräftige Reizmittel , besonders Rheinwein. Der Gebrauch des Mer-
curs erheischt Vorsicht, er muss bei den Vorboten des Speichelfiebers, selbst
wenn wir es absichtlich erregen und die sogenannte Schmiercur gegen Lues
inveterata gebrauchen, sogleich ausgesetzt werden. Dauert der Speichel-
' fluss aus Schwäche lange fort , so verordne man äusserlich Gurgelwasser aus
Decoct. columbo mit Tinct. catechu, innerlich Lifus. rad. arnicae, Decoct.
cascarillae, simarubae, welche Mittel auch beim Bauchspeichelfluss nützlich
sind; dabei ableitende Mittel, Vesicatorien in den Nacken, bei Bauchspei-
chelfluss auf den Unterleib. Tritt Besserung ein, mässigt sich durch die
genannten Krisen das Fieber, so verordne man stärkende Mittel, besonders
Decoct. chinae, und äusserlich Schwefelkalibäder bei Solchen, die durch
Mercurialvergiftung die Krankheit bekommen haben.
Febris scarlnlina, das Scharlachfieber, s. Scarlatina.
Felris Simplex , das einfache, gutartige Fieber, s. Febris ephemera.
Fehris soporosa , apoplecticn , ein Fieber mit Sopor, Apoplexie, s. Fe-
bris intermittens perniciosa.
Felris splanvhnka, das Eingeweidefieber, s. Febris gastrica.
FEBRIS 757
Fehris sporadica, da« sporadische Fieber, im Gegensatz des epi-
demischen , s. F e b r i s,
Febris slationaria , das feststehende Fieber, welches an einem
Orte oder in irgend einer Gegend beständig bleibt, bis ein anderer Krank-
heitsgenius auftritt; s. Febris und Constitutio.
Fehris sthenica f das sthenische, entzündliche Fieber, 8. Febris in-
flammatoria.
Febris stomachicii infiammatorin, das entzündliche Magen fieber.
So hat man wol die Gastritis genannt; s. Inflaramatio stomachi.
Febris subcontinua. Ist ein in eine Febris continua übergehendes Wech-
selfieber, s. Febris in t er mitten s.
Febris sitbcruenin , hepntica. So hat man ein mit Fluxus hepaticus com-
plicirtes Wechselfieber genannt.
Febris subintrnvs , ein einfallendes Fieber. Ist ein Wechselfieber,
wobei der Paroxysmus mit dem Aufhören des vorhergehenden, wie zuweilen
bei der Quotidiana, anfängt; s. Febris intermittcns.
Febris suppurntorin , das Eite rungsfieber. Ist ein solches, welches
den Übergang jeder nicht unbedeutenden Entzündung in Eiterung begleitet.
Symptome sind: die Zufalle des entzündlichen Fiebers lassen plötzlich
nach und der Kranke scheint sich zu bessern ; dies ist aber nur scheinbar ;
denn bald entsteht ein mehr oder weniger heftiger Frostanfall , der bald von
kürzerer, bald von längerer Dauer ist. Hierauf stellt sich zuerst trockne Hitze
mit brennendem Gefühl in den Wangen, in den Handtellern und Fusssohlen
ein , worauf feuchte Hitze und ein Sediment im Urin folgen. Diese Anfälle
wiederholen sich, wie eine Intermittens , so oft alle 24 Stunden, bis der Ei-
ter ausgeleert worden ist. Bei Innern Eiterungen gehen sie oft in Febris
hectica über. Die Cur ist die des Abscesses. Einige nennen auch das
hektische, mit Innern Eiterungen verbundene Fieber Febris suppuratoria.
Fehris synochica^ das synochische, entzündliche Fieber, s, Febris
inflammatoria.
Febris synocMca nervosa, das synochisch-nervöse Fieber. Ist
ein entzündliches Fieber mit heftigen KopfafFectionen , was Einige unrichtig
nervöses Fieber nennen; s. Febris inflammatoria.
Febris topicn, örtliches Fieber, s. Febris localis.
Fehris torpens, Unthätigkeitsfieber. Ist ein Fieber mit dem Cha-
rakter des Torpors , Avie dies im Verlaufe verschiedener Fieber, besonders
der Pituitosa, Nervosa, Neuropathica etc., zuweilen der Fall ist.
Febris urticata, das Nesselfieber, s. Urticaria.
Febris vngn, ein abweichendes Fieber. Ist gleichbedeutend mit
Febris anomal a.
Febris vnriolosa, das Blattern fieber, Pocken fieber. So nennen
wir im engern Sinne dasjenige Fieber, welches die Menschenpocken beglei-
tet. Im weitern Sinne des Worts kann man auch das zu den falschen, zu
den modificirten Pocken und zu den Kuhpocken sich gesellende Fieber so
nennen; s. Variolae,Varicellae, Varioloides, Vaccina.
Febris vtisorum, das Gefässfieber. Ist eine Krankheit der thieri-
schen Kräfte des Herzens und aller Blutgefässe, besonders der Arterien, ist
die häufigste Fieberform, die Febris inflammatoria, obgleich bei allen Fie-
bern das Herz und die grossen Blutgefässe, gelbst die Blutmasse, die qua-
litativ verändert ist, eine Hauptrolle spielen.
Fehris venosn, venöses oder Gefässfieber. So nennt Ballonius je-
des Fieber , das im Gefasssystem seüien Sitz hat und eich durch Schweiss
und Urin, sowie durch Blutungen entscheidet. Nach ihm ist es also iden-
tisch mit Febris vasorum. Neuere verstehen unter Febris venosa oft eine
Febris gastrica nervosa oder gastrica atrabilaris; s. Febris biliös a.
Fehris verminosn, das Wurmfieber. Gehört seiner Natur nach zum
Schleimfieber, entsteht am häufigsten bei Kindern, wenn Spulwürmer in
grosser Menge da sind. Symptome sind die des Status vermino.sus , als:
unreine Zunge, Appetitlosigkeit, Übelkeit, schneller Wechsel der Gesicht^-
758 FEBRIS "
färbe , Avobei oft ein© Wange roth , die nndere blass aasSieht , periodischer
Leibschmerz , besonders um den Nabel , trübe Stimmung , Verdriesslichkeit,
sauer riechende Schweisse, Ohrensausen, Kopfweh, des Abends etwas Hitze
mit schnellem Pulse, zuweilen Krämpfe, Ohnmächten. Der Charakter des
Fiebers ist selten stark entzündlich, gleicht mehr der Febr. pituitosa ner-
vosa, der Febr. lenta nervosa, es macht keine deutlichen Remissionen und
Exacerbationen , ist bald des Morgens , bald des Abends stark , hat wenig
Typisches und zieht sich oft in die Länge. Cur. Die Radicalcur ist die
der Wurmkrankheit und der Verschleimung (s. Helmint hiasis und Blen-
norrhoea); dooh passt diese Cur erst nach gehobenem Wurmfieber; denn
heftig wirkende Wurmmittel und drastische Purganzen würden das Fieber
verschlimmern und nachtheilig aufs Nervensystem -wirken. Folgendes Mittel
hat mir bei der Febr. verminosa anfangs stets gute Dienste geleistet: ^f In-
fus, rad. vnlerian. ordhi. ^vj , Potinn. Riverii 5Jß , Sah amtnon. dqi. , Succ.
liquir. dep. ana 3}-> Extr. taraxaci 3jj , Syr. mnnnae 5IV, Tart. emetici gr. fj-.
M. Hiervon erhalten, wohl umgeschüttelt, 2 — 5jährige Kinder alle 2' — 3
Stunden einen halben, ältere Kinder einen ganzen Esslöffel voll. Ausserdem
lasse man Morgens und Abends 1 TheelöfFel voll Linim. volat. camphor;
und Ol. hyoscyami infus, ana , in den Unterleib einreiben , verordne eind
wässerige Diät: Vermeidung von Mehl-, Milch- und Fleischspeisen, und
setze , -wenn Leibesverstopfung da ist , kleinen Kindern Klystiere aus Milch
und Öl , grössern aus Chamillenthee , Öl und Salz. Ist das Wurmfieber vor-
über, dann gebe man bei abnehmendem Monde die bekannten Wurmmittel
(s. Ant helmin thica und Helminthiasis) , und gebe hinterher bittere
Mittel : Kalmus , Ruta , Cort. aurant. mit Rheum , gegen die nachbleibende
Schwäche und Verschleiraung des Darmcanals (s. Bl ennorrhoea).
Fehris vesicularis , hullosa, das Blasenfieber, s. Pemphigus.
Fehris vulneraria, Fehris traumatica , das Wundfieber. Ist dasjenige
Fieber, welches sich zu bedeutenden Wunden, Quetschungen, complicirten
Beinbrüchen etc. gesellet. Himhj sagt in seinen Vorlesungen über medici-
nische Chirurgie (Mscpt. de 1815): „Das Wundfieber ist eine blosse Aus-
dehnung der topischen Entzündung, deswegen entsteht es desto leichter, je
grösser und bedeutender die Wunde und je sensibler die Constitution ist ;
weswegen auch durch eine sogenannte antiphlogistische Behandlung dasselbe
mehr befördert als abgehalten wird." Diese Ansicht enthält viel Wahres
und viel Falsches. Wir müssen hier mehrere Zustände , die sich durch die
Erfahrung nachweisen lassen , imterscheiden. 1) Das Wundfieber ist oft
weit mehr als eine blosse Ausdehnung der topischen Entzündung. Auch der
bedeutende Eingriff in den Organismus, der stets mit grossen Verletzungen
verbunden ist, der nachtheilige Nerveneindruck und die schädlichen psychi-
schen Einflüsse, die der Schmerz, die Furcht vor Operationen, die Unge-
wissheit des Erfolgs etc. hervorbringen , sind hier von hoher Bedeutung.
Je gebildeter und geistreicher der Verletzte ist, desto bedeutender wird un-
ter sonst gleichen Umständen das Wundfieber seyn, 2) Allerdings leiden
sensible P<.»rsonen leichter an Wundfieber als robuste, starke; denn bei er-
stem, z. B. bei Kindern, zarten Frauen, Wöchnerinnen, ist die Empfind-
lichkeit erhöhet und die Energie nur schwach. Dagegen können robuste,
zumal ungebildete Männer mehr a\ishalten , weil sie weniger zart fühlen.
Aus diesem Grunde ist auch das Benehmen derjenigen Operateurs zu tadeln,
die, in der falschen Voraussetzung dadurch das Wundfieber zu verhüten^
vor der 7u unternehmenden Operation durch Aderlassen , Purganzen und
knappe Diät den Kranken schwächen, ihn aber dadurch receptiver und em-
pfänglicher für das folgende Wnndfieber machen, abgesehen von dem zwei-
ten Nachtheile, der darin besteht, dass der Kranke die etwa später entste-
hende Eiterung weniger gut ertrafren kann, da es ihm an Kräften fehlt.
3) Robuste Subjecte bekommen nicht leicht Wundfieber ; nur bei bedeuten-
den Verletzungen, besonders bei solchen an nervenreichen Theilen , ist es
der Fall; sind sie aber einmal davon ergriffen, so ist das Fieber allemal
heftiger und anhaltender als bei sensiblen Personen , die zwar leichter da«
FEBRIS 759
von befallen werden, bei denen es aber weniger heftig auftritt und oft keine
48 Stunden anhält. So z. ß. bekommen Kinder und schwächliche Frauen
oft schon nach kleinen Verletzungen, nach unbedeutenden Verbrennungen
etwas Fieber, das aber in der Regel bald von selbst verschwindet und wo-
gegen Avir wenig zu thun nöthig haben, wo wir auch durch einen strengen
antiphlogistischen Apparat schlecht fahren würden. 4) Bei manchen sehr be-
deutenden Verletzungen, z.B. bei Zerschmetterungen der Glieder, bei hef-
tiger Reizung durch Knochensplitter etc., sind die Nervenaffeclionen oft so
bedeutend, dass es gar nicht einmal zu einem Wundfieber kommt. Das
Glied geräth in Convulsionen , es entstehen die fürchterlichsten allgemeinen
Nervenzufälle, Starrkrampf, und oft schon binnen 24 Stunden der Tod.
5) Bei sehr bedeutenden Verletzungen und Kränkungen der Seele kann
ebenso gut ein Wundtieber entstehen als bei bedeutenden Verletzungen des
Körpers, und das Nervensystem ist sowol hier als dort der primär leidende
Theil, dagegen leidet das Blutsystem erst secundär. Hieraus erhellet deut-
lich , dass sich sehr verschiedene Zustände beim Wundfieber gestalten kön-
nen, sowol nach Verschiedenheit der Constitution als nach den schädlichen
vorhergegangenen Ursachen. Es ist daher zu tadeln, wenn M, E. A. Nau-
mann in Bonn (s. dess. Handbuch der medicinischen Klinik; Bd. I.; Berlin,
1829) das Wundtieber schlechtweg für eine Varietät des entzündlichen Fie-
bers ansieht, da wir es mit demselben Rechte, wollen wir die Fälle zusam-
menzählen, zu der Febr. nervoso - erethistica rechnen könnten. Behand-
lung. Ist nach den Umständen , nach den Ursachen und der Constitution,
nach der grössern oder geringern Bedeutung der verletzten Orgaue etc. ver-
schieden. 1) Wir verhüten bei nothwendigen Operationen ein bedeutendes
Wundfieber am besten dadurch , «) dass wir den zu Operirenden , wenn er
auch robust und vollsaftig ist, weder durch Aderlässe, noch durch Purgan-
zen und knappe Diät schwächen , J) dass wir kurz vor , während und gleich
nach der Operation die Empfindlichkeit durch massigen Genuss des Weins
und durch eine gute Dosis Opium abstumpfen. Das Opium ist bei bedeu-
tenden Zerschmetterungen der Glieder nacn Entfernung der reizenden Kno-
chensplitter etc. das erste und grösste Mittel , den schrecklichen Tetanus
zu verhüten. Ebenso herrlich bewährt es sich bei bedeutenden höchst schmerz-
haften Verbrennnngen , bei sehr schweren Geburten , wo auch ein Glas gu-
ter Wein nicht schädlich ist. Es ist ein Vorurtheil , wenn Geburtshelfer der
schwer Kreisenden dieses Labsal versagen. Ich habe nie Nachtheile im
Wochenbette davon gesehen, sondern nurVortheil, das Wochen- und Milch-
fieber waren geringer, weil der Nerveneindruck der Wehen schwächer und
die Verwundung (denn jeder Uterus wird durchs Gebären verwundet) we-
niger fühlbar ward. 2) Ist das Wundfieber schon eingetreten, so erfordert
PS nach Verschiedenheit der Zufälle eine verschiedene Behandlung, o) Bei
den sensiblen Subjecten, bei zarten Kindern, Frauen, schwächlichen Män-
nern , ists in der Regel ein erethistisches Fieber , ein Gemisch von Fieber,
Nervenzufällen , Krampf und Kopfcongestion. Hier passen äusserlich kühle
Luft, kalte Waschungen des Kopfs, innerlich Limonade, Crem, tartari mit
vielem kalten Wasser und Zucker zum Getränk, bei Leibesverstopfung er-
öffnende Klystiere, bei stärkerer Neigung zu Obstructio alvi Decoct. fruct.
taroarindor. mit Sal Glauberi. Legen sich binnen 2 — 3 Tagen die Fieber-
znfälle nicht, so verordne man Infus, valerianae, des Abends Pnlv. Doweri,
Castoreum, Moschus und andere Antispasmodica. 7;) Bei irritablen Subjecten,
bei robusten vollsaftigcn Männern , ist dagegen oft eine strengere Antiphlo-
gosis nothwendig; besonders bei bedeutenden Verletzungen des Hirnschädels,
der Lungen. Hier sind oft Aderlässe, innerlich Nitrum mit Tart. tartari-
sat. , Tart. vitriolat. in Emuls. sem. papav. alb. nothwendig. Dabei achte
man ja auf die Kopfcongestionen und die Leibesverstopfung. Sind diese da,
so passen kühle Luft, kalte Waschungen, innerlich Purgirsalze u. s. f. (s.
Febr. inflammatoria nervosa). — c) Bei dem von mir sogenannten
Seelenwundfieber verordne man guten Muth, Trost, Ruhe des Kör-
pers und der Seele. Hier passt zu Anfange oft ein Brechnüttel, hinterher
760 FERMENTATIO
Wein, gute i'egetabilUche , «äuerllche Kost ; eind Nepenzulalle da, dann
Antispasmodica.
Fermentatlo ) die Gährung. Dieser pathologische Begriff ist aus
der Chemie entieimt. Die altern Ärzte, besonders Sylvius, leiteten fast alle
Krankheiten von Gährungsprocessen , >\obei entweder Acescenz oder Alca-
lescenz prävalire, ab; in unserer Zeit hat man über solche Hypothesen oft
riitleidig gelächelt , ohne im Grunde etwas Besseres dafür zu geben. Dass
die Säfte des Körpers , besonders das Blut , in vielen Krankheiten chemisch
verändert werden und Neigung zur Entmischung, Auflösung, Fäulniss be-
kommen können, ist Thatsache. Dieser ki'ankhafte Process kann nun lang-
sam oder geschwind vor sich gehen. Im erstem Falle, z. B, beim soge-
nannten putriden Fieber, können wir ihn mit Fug und Recht Fermentatio,
im letztein, z. B. bei Vergiftungen durch Vipern-, Schlangenbiss , Blau-
säure, Effervescenz nennen, und zwar aus folgenden wichtigen, wol noch
nicht hinreichend beachteten Gründen : 1) Jede Fermentation von vegetabi-
lischen und anin)alischen Stoffen in ihren verschiedenen Graden, der geisti-
gen, sauren und faulen Gährung, ist nach den neuern Entdeckungen in der
Physik ein elektrischer Process. Bei der geistigen Gährung ist das Ferment
der positive Erreger (Zijgom) , das, mikroskopisch betrachtet, aus kleinen
ISLÜgelchen besteht; der negative Erreger ist der Zucker, die Indifferenz
glebt das Wasser. Jedes wirksame Zygomküchelchen mit seiner Zuckerf
Wasseratmosphäre bildet eine Kette, so dass die ganze flüssige Masse (der
Gährung) als ein Meer galvanischer Ketten erscheint (s. A. KöUe , Über d.
vVesen und die Erscheinung des Ga Ivanismus etc. Stuttgart, 1825). 2) Rit-
ter hat bewiesen, dass ein beständiger Galvanismus den Lebensprocess im
Thierrelche unterhalte, und auch Prochas1:n (s. dess. Physiologie; Wien,
1820, Abschn. 3) leitet das Leben aus den Gesetzen des elektx-ischen Pro-
cesses ab. Der scharfsinnige Kreysig sagt (Kusf's Magaz. Bd. IX. Hft. 2,
1821, S. 337): „Ich behaupte, was die Geschichte des bebrüteten Hühn-
chens uns zeigt, dass die Einheit des Lebens, die in der Eifeuchtigkeit
«innlich dargestellt wird, durch das Bebrütetwerden in zwei sinnliche B'a-
ctoren zerfällt : in Blut und Nervenmark ; dass beide als die nächsten sinn-
lichen Factoren des organischen Lebens anzusehen sind , die immerfort nach
Wiedervereinigung streben und wirklich nur wie zwei Pole einer Kraft sich
verhalten, so dass alle sinnliche Thätigkelten des Lebens durch das gleich-
zeitige Zusammenwirken beider erst wirklich werden und dass relativ grös-
gere Abweichung des einen oder des andern von der Norm die oberste Be-
dingung alles Erkrankens und so der oberste Grund In der Würdigung al-
les Erkrankens in der thierisch - organischen Sphäre ist." 3) Wenn es nun
gleichvvol grosse Schwierigkeiten macht, die Elektricität zur Basis der Le-
benslehre (des normalen , wie des abnormen Lebens und der Krankheiten)
zu erheben ; so wissen wir doch , dass diese Kraft eine höchst nothwendige
Bedingung des Lebensprocesses ausmacht und dass z. B. bei allen Fiebern
das Normalverhältniss zwischen -f- E. und — E. in den Säften, besonders im
Blute, gestört ist (s. Febris depurativa), dass die Luftelektricität bei
epidemischen , miasmatischen und contagiösen Krankheiten eine sehr grosse
Rolle spielt (s. Febris flava); ferner, dass jeder chemische Process zu-
gleich einen dynamischen einschilesst und nur die Folge von dem gegensei-
tigen Wirken von -|-E. und — E. ist; endlich, dass die entgegengesetzten
Pole der galvanischen Säule sich auch chemisch als Säure und Kali entge-
gengesetzt sind. Nehmen wir nun alle diese Thatsachen zusammen, berück-
sichtigrii wir die grosse Wahrheit, dass immaterielle schädliche Einflüsse,
z.B. heftige Att'cte, augenblicklich (wahrscheinlich durch Störung des Nor-
malverhältnisses zwischen -\- und — E. im Körper) die Säftemasse verändern,
dass überhaupt jede Störung des Dynamischen ohne gleichzeitige Verände-
rung und Störung des Materiellen nicht gedacht werden kann, indem nach
den höchsten Forderungen der Vernunft Materie und Kraft dem Wesen nach
eins sind, da wir, wenn wir uns eins ohne das andere denken, auf einen
inhaltsleeren Begriff stossen ; eo erscheint uns der Materialismus eines Syl-
FIBULATIO — FILARIA DRACUNCULUS 761
viitn de le Boe, eines TTiom. Willis und Liidwig Hoffmann etc. nicht mehr
so crass. Sie waren treue Beobachter der kranken Natur und fanden em-
pirisch dasselbe, was wir durch das Fortschreiten der Naturwissenschaften
zugleich auf wissenschaftlichem Wege gefunden haben. Eine geläuterte Säf-
tepathologie, verbunden mit einer nicht übertriebenen Solidarpathologie, ist
für den echten Praktiker unerlässlich ; denn nur aus dem Ziisammenwirken
des Dynamischen und Materiellen , die sich wechselseitig bald als Ursache,
bald als Wirkung bedingen , lässt sich das Leben und seine Abnormität er-
kennen. Dip Lebensansichten eines Ritter, Prochnskn , Kreysig und vieler
andern grossen Männer unserer Zeit und ihre Theorien des Krankseyns ent-
halten grosse Wahrheiten ; aber sie sind ebenso einseitig aufs Dynamische
basirt, als die altern Ansichten eines Sylvius aufs Materielle. Letztere ha-
ben gerade eben soviel Werth als erstere; nur die Vereinigung beider führt
zu der richtigen , weniger einseitigen Ansicht. Bei der Lehre von den Fie-
bern, Kachexien und Dyskrasien wird jeder praktische Arzt aus der genauen
Betrachtung des Gesagten eine Menge Resultate ziehen , welche für die
Praxis höchst fruchtbar werden können , da die Thatsachen sich am Kran-;
kenbette nachweisen lassen.
Fibulatio, Infilulatio, Ancteriasmus. Ist Verwahrung der Geschlechts-
theile mittels mechanischfer Verrichtungen gegen die Ausübung des Beischlafs.
Einige afrikanische Völker infibuliren ihre Weiber und Töchter, indem sie
ihnen die Schamlefzen zusammennähen, und in Italien und Spanien bedienea
gich eifersüchtige Ehegatten lederner , mit Metallklappen und Vorlegeschloss
versehener Keuschheitsgürtel, welche die Form einer T-Binde haben. Die
Infibulation der Männer, zumal der Sänger und Schauspieler, auch der Kna-
ben und Jünglinge, die Onanie trieben, Avar schon bei den Römern in Ge-
hrauch (s. Celsns, De medicina, Lib. VIL Sect. 25. Mnrtial, Epigramm»
81, Lib. VII.). Man zog die Vorhaut hervor, durchstach sie vor der Ei-
chel und legte dann einen Metallring (die sogenannte Fibula) , der an
beiden Enden vereinigt wurde, ein, wodurch das Reiben der Eichel bei
Onanisten, beim Coitus beschwerlich und schmerzhaft und ganz unmöglich
gemacht wird. Für Onanisten empfiehlt S. G. Vogel (Unterricht für Altern
etc., wie das Laster der Selbstbetieckung zu verhüten etc. Stendal, 1786)
die Innbulation sehr warm. Weinhold (Von der Übervölkerung in Mittel-
turopa etc. Halle, 18<27) that den abenteuerlichen Vorschlag, alle unver-
heiratheten Männer zu infibuliren, um der Übervölkerung vorzubeugen; —
^n alle Moralität tödtendes Mittel! —
S^ilaria DracuncnliiS , F. medincnsis, Vena seu Gordius medinen"
eis, der Fadenwurm. Er kommt nicht in Europa, nur in heissen Ge-
genden, in Arabien, Persien, am Ganges, in Bombay, in Oberägypten , Gui-
nea, am Senegal vor, wo er als endemisch zu betrachten ist und Menschen
und Thiere heimsucht. Er ist einfach, weiss, oft nur wenig Zoll, oft 5 — 7
Ellen lang , hat einen kleinen Rüssel , nach Andern zwei kleine Hörner am
Kopfe; sein Sitz ist das Zellgewebe der Haut, besonders an den Gliedern;
er liegt bald ausgestreckt, bald gekrümmt, verursacht empfindliches Jucken
und Schmerz, späterhin Geschwulst an der kranken Stelle; es bildet sich
hier eine Pustel oder Abscess , wodurch der Wurm auf die Oberfläche aus-
bricht und leicht entfernt werden kann. Reisst der Wurm ab, so entstehen
schlimme Geschwüre ; am besten ists , ihn früh, ehe er sehr gross geworden,
auszuschneiden. Dieser Wurm ist nicht, wie es in iiusf's Chirurgie, Bd. VIL
S. 124 heisst, 1 — 3, sondern oft selbst 10 Fuss lang (s. Oppenheim in
Gerson's und Julius^ Magaz. Hamburg, 1833, April, S. 224 u. f.). Auch
ist es falsch, wenn derselbe mit der fabelhaften Furia infernalis (s. die».
Art.) in Rusfs Chirurgie, Bd. VII. S. 620, confundirt wird, welche letztere
ja auch nur in Schweden , Finnland und Esthland vorkommen soll. — Nach
Oppenheim, der den Fadenwurm mehreremal unter den Türken sah, kommt
er mehr bei Erwachsenen als bei Kindern vor, und zwar häufig an der In-
nern Seite der Wadenmuskeln, am Fussgelenke, in der Kniebeuge, am
762
FISSXmA — FISTULA
Oberarm. Ef erregt fürchterliche Schmerzen und , wie natürlich , gestörte
Function des leidenden Theils. Oft sind 2 — 3 Fadenwürnier bei einem und
demselben Kranken gleichzeitig da. Zuerst fühlt der Patient einen prikeln-
den Schmerz, dann folgt Röthe des leidenden Theils; nach 10 — 14 Tagen
erscheint ein kleines härtliches Pünktchen , das zu einer weisslich glänzen-
den, kleinen Geschwulst wird, die sehr heftig schmerzt und, wenn sie nicht
geöffnet wird, nach 8 — 14 Tagen aufbricht, etwas Eiter entleert, und sich
da das Ende des kleinen weissen Wurms zeigt. C n r. Sie besteht darin,
dass letzteres ausgezogen wird, was die Eingebornen mit viel Geschicklich-
keit yerrichten. Sie legen an das Endchen, das oft nur % Zoll lang zu
sehen ist, ein feines, in der Mitte sehr dünnes Hölzchen, um welches sich
sogleich von selbst das Ende des Wurms schlingt. Das Hölzchen wird nun
rasch , aber vorsichtig umgedrehet , und so wickelt man w ol 8 — 10 Zoll
lang den Wurm auf. Der dabei stattfindende heftige Schmerz erfordert,
dass man vorerst damit aufhört, die Rolle des Hölzchens an der Wunde be-
festigt und täglich mit dem Drehen fortfährt, welches bei langen Würmern
oft 4 Wochen Zeit erfordert, bis das Ende des Wurms heraus ist. Dass
der Wurm sich von der Rolle wieder losmache, ist nicht zu befürchten.
Nach Oppenheim kommt das Übel viel in Afrika, in Guinea vor, daher der
Name Guineawurm; es befällt jedes Alter, jeden Stand, jedes Geschlecht,,
jede Hautfarbe. Nach ihm ists bestimmt ein Wurm und nicht, ^yie man
früher glaubte, ein abgestorbenes Lymphgefäss, was noch kürzlich Arzte in
Bombay meinten (s. Edinb. medical and surgical Journal, 1831, Januar).
Reisst der Wurm bei der Operation ab , so kann das zurückgebliebene Ende
nur durch eine langwierige, oft Monate dauernde Eiterung, die man durch
erweichende Kataplasmen befördert , allmälig entfernt werden. Zuweilen
folgt der Brand auf das Abreissen des Wurms. Innere Mittel helfen wenig
gegen das Übel; allenfalls giebt man, der Schmerzen und Schlaflosigkeit zu
begegnen , Abends Pulv. Doweri. Äusserlich hilft zur Linderung der Schmer-
zen das Einreiben des Liniment, volatile camphorat. (l.öffler); vielleicht, um
den Wurm krank zu machen, selbst zu tödten, könnte man Unguent. mer-
curiale einreiben (Most).
Fissura, die Fissur, Spalte. Man statuirt ausser den anatomi-
schen Fissuren (Fissura orbitalis, spheno-maxillaris. glenoidalis etc.) auch
pathologische , in das Gebiet der Chirurgie gehörende , als : Fissura capilla-
ris , Haarbruch der Knochen; auch nennt man Fissuren leichte Risse, ober-
flächliche Verschvvärungen der Haut, besonders an den Lippen, an den'
Händen, am After, an der Brustwarze, also die sog. Hautschrunden,
aufgesprungene Haut (s. R ha g ad es).
Fistllla, die Fistel. Ist jede veraltete widernatürliche {)fFnung am
Organismus, durch welche sich Flüssigkeit aus irgend einer Höhle oder ei-
nem Ausführungsgange nach Aussen oder in eine andere Höhle entleert.
Dadurch unterscheidet sich das Übel von dem fistulösen Geschwür, was
man im gemeinen Leben noch jetzt, in der altern Chirurgie durchgrhends,
mit der Fistel zusammenwirft (s. Ulcus fistulosum)- Ursachen. Sind
mechanische oder chemiscbe Verletzungen solcher Höhlen, die zur Ansamm-
lung von Flüssigkeiten bestimmt sind, oder .solche Verletzungen ihrer Aus-
führungsgänge, Verstopfung derselben, wodurch sich die Flüssigkeiten in
zu grosser Menge ansammeln, Zerreissung, Entzündung, Eiterung, Brand
erregen, wobei das Fluidum ins Zellgewebe extravasirt und .sich widerna-
türliche Abflussöffnungen bilden. Auch kann Entzündung und Eitertmg an
oder in den Wandungen der Höhlen und Ausführungsgänge durch Zerstö-
rung dieser Gänge und Häute F'^isteln erregen. Am häutigsten sind die Fi-
steln Folge eines Absccsses, seltener Folge von Verwundungen. Beim Auf-
bruche der Biterge.schwulst entleert sich Eiter, vermischt mit derjenigen
Flüssigkeit (Speichel, Thränen , Galle, Urin etc.), welche die Höhle oder
der Ductus excretorius , womit der Abscess communicirt, gerade enthält.
Ziuweilcn sind mehrere, eu weilen nur eine Öffnung da. Ist der fifitulöse
FISTULA 763
Gang nur kurz, so rieht eich seine Öffnung, sowie dJe Entzfln^nng sich
mindert, etwas zusammen und seine Ränder vernarben, aber eine Öffnung
bleibt zurück. Ist aber der Fistelcanal länger, so zieht sich die äussere
Öffnung zusammen, um welche sich ein fungöser Wall bildet, der in seiner
Mitte eine sehr enge, oft kaum zu bemerkende Öffnung hat. Ein gewisser
Grad von Entzündung bleibt zurück, verwandelt den ganzen innern Über-
zug des Canals in ein schleimhäutiges Gewebe , der Canal wird bei längerer
Dauer callös, verhärtet, verwandelt sich in eine graulich- weisse, dicke,
harte Masse, die, wie bei jedem alten Ulcus fistulosum, zuletzt selbst knor-
pelig wird, und die Heilung ist alsdann manchen Schwierigkeiten unterwor-
fen. Kann man die Flüssigkeit noch durch den natürlichen Abführungscanal
ableiten, ist letzterer noch nicht verschrumpft, sein Lumen noch normal, die
Fistel noch nicht veraltet, so dass man keine künstliche Öffnung zu machen
braucht , so ist die Prognose günstiger als im entgegengesetzten Falle.
Cur. Im Allgemeinen sind hier folgende Indicationen zu berücksichtigen:
1) Wir stellen den natürlichen Austührungsgang wieder her und bewirken
dadurch, dass der widernatürliche, d.i. die Fistel, heilt. Wir leiten so die
Flüssigkeit von der Fistel ab , und dieses Verfahren gelingt fast immer bei
allen frischen Fisteln , wenn sich der mucöse Überzug oder die Callositäten
noch nicht gebildet haben. Hierzu dienen Aufschlitzen der Fistel , Compres-"
slon, reizende Mittel etc., um adhäsive Entzündung zu bewirken, wodurch
die Heilung bewirkt wird. 2) Ist die Herstellung des natürlichen Ausfüh-
rungsganges nicht mehr möglich, so bilden wir einen künstlichen, worauf
die Heilung der Fistel durch zweckmässige Mittel erreicht werden kann.
Das Nähere darüber wird bei den verschiedenen hier folgenden Arten von
Fisteln vorkommen , wo wir auch der übrigen , nach unserer Definition nichü
hierher gehörigen, uneigentHch sogenannten Fisteln, der Nachweisungen we-
gen, gedenken wollen.
Fistula ani, Archoryrinx, Mastdarmfistel. Ist jeder fistulöle eiternde
Gang in der Nähe des Mastdarms, der entweder mit der Höhle des letztern
communicirt oder wobei nur das die äussere Wand des Mastdarms umge-
bende Zellgewebe zerstört ist. Wir unterscheiden daher 1) Fislula ani com-
j)leta, vollständige Mastdarmfistel, wo äusserlich am After die eine, inwen-
dig in der Höhle des Mastdarms die andere Öffnung ist, die Fistel also
ganz durchgeht; 2) Fistula ani incompleta, wo nur eine Öffnung stattfindet,
entweder nach Aussen (F. ani incompleta externa) , oder allein im Mastdarm,
bald tiefer, bald höher herauf (F. ani incompleta interna, occulta,', 3) Ft-
stula ani simplex , wo nur ein Gang stattfindet ; 4) Fistula ani compositOy
wo mehrere Gänge da sind, die wiederum entweder communiciren oder meh-
rere Öffnungen haben; 5) Fistiila ani complicata, wenn Syphilis, Caries^
fremde Körper, Blasensteine, Krankheiten der Blase, Urethra, Vagina etc.
zu gleicher Zeit neben der Fistel bemerkt werden. Ursachen der Mast-
darmfisteln. Sind : 1) Eiternde Hämorrhoidalknoten , wodurch die Mast-»
darmschleimhaut zerstört wird. Die Fistelbildung geht hier langsam vor
sich; es geht lange Zeit Jucken am After vorher, ausserdem die Symptome
der Hämorrhoidaldiathese. Nun bildet sich im Umfange des Afters eine kno-
tige Geschwulst, welche sich oft nur durch eine kleine Öffnung entleert ;
oder die Fistel hat weniger Tendenz nach Aussen aufzubrechen, setzt sich
vielmehr nach Oben fort, und kann oben mit einer zweiten Öffnung im
Recto verbunden seyn (^Schreffcr , Chclius). 2) Mechanische Verletzungen
der Tunica interna recti durch fremde , mit dem Kothe abgehende Körper,
die Entzündung und Eiterung zur Folge haben kann ; desgleichen 3) Ent-
zündung und Eiterung des Mastdarms durch Päderastie, was in Italien und
Frankreich häufig , aber auch in Deutschland leider ! nicht selten die Ur-
sache von Mastdarmfisteln ist. 4) Eitergeschwüre in der Nähe des Mast-
darms oder metastatische Abscesse, welche durch Senkung des Eiters die
äussere Wandung des Mastdarms mehr oder weniger von seinem Zellgewebe
entblössen; z. B. häufig Leberabscesse , seltener Geschwüre der Lunge, die
ruweilen als kritisch angesehei» werden müssen. 5) Heftige Erschüttenui-
764 FISTULA
gen des Körpers durch starkes Reiten, Fahren können bei blinden Hämor-
rhoiden die erste Veranlassung zur Bildung der Mastdarrafistel seyn. Dia-
gnose. Erkannt und unterschieden werden diese Fisteln «) durch die Ana-
mnese, die Art ihrer Entstehung, durch ihre meist langsame Bildung und
ihren chronischen Verlauf; h) durch den Abgang von Darmgas, vom Koth,
von reinem Eiter oder Koth mit Eiter vermischt durch die Fistel ; c) vor-
züglich aber durch die Untersuchung mit dem Finger und der Sonde. Man
bestreicht erstem mit Öl , bringt ihn in den durch ein Klystier vom Koth
entleerten Mastdarm , nimmt dann eine etwas dicke Sonde , führt sie in den
Canal der Fistel (bei Weibern fast parallel mit dem Damm, bei Männern
mehr nach Oben gerichtet) , leitet sie nach dem untern Ende des Mastdarms
zu und fühlt dann mit dem Finger zu, ob sie in das Rectum gfedrungen ist.
Die innere Ölfnung der Fistel befindet sich am öftersten unmittelbar ober-
halb der Stelle , wo sich die innere Haut des Rectums mit der äussern ver-
einigt, selten etwas, doch nie höher als 5 — 6 Linien, also circa '/j Zoll
(^Sabntier , Rihcs, Larrey, Chelius). Die innere Fistelöffnung muss man ja
nicht im Grunde der Fistel suchen und hier viel sondiren , sonst macht mau
nur Fisteln, indem man den Mastdarm durchbohrt. Sind mehrere äussere
Fistelöffnungen da, so versäume man nicht, sie alle nach einander zu son-
diren, um zu erforschen, ob sie mit einander in Verbindung stehen. Man
untersuche öfters und in verschiedenen Lagen : auf dem Rücken mit ange-
zogenen Schenkeln, in der Seitenlage, stehend, mit vorn übergebeugtera
Körper, .um sich genau von der Gestalt der B'istel zu überzeugen, d) Zu-
weilen kann man die innere Fistelöffnung schon sehen, wenn der Kranke
den Mastdarm sehr hervordrängt, e) Die Application der Darmsaitenbougies
und der Injectionen gefärbter Flüssigkeiten dient zur nähern Erforschung
der Beschallenheit der F'istel, und ist, wo man nicht ganz sicher in der
Diagnose ist, nicht zu versäumen, f) Bei einer Fistula incompleta interna
untersuche maa vorzüglich die Stelle, wo der Kranke den heftigsten Schmerz
empfindet , oder merke sich denjenigen Punkt , der sich durch abnorme
Weichheit , Härte oder Schlaffheit auszeichnet , wozu ein feines Gefühl mit
dem Finger nothwendig ist. Alsdann sondiren wir mit einer hakenförmig
gebogeneu Sonde ; aber man muss auch mit geraden Sonden untersuchen,
da der Fistelcaual sich oft nach Oben fortsetzt (^Schreger) . Eine bläulich-
röthliche Stelle am After, welche beim Berühren meist härter und schmerz-
haft ist und nach angewandtem Druck Eiter in den Mastdarm ergiesst, giebt
den Grund der nach Aussen blinden Fistel zu erkennen. Prognose und
Cur. 1) Die Heilung ist nicht ganz leicht, weil die Function des Mast-
darms: der mechanische Druck der Excremente, die Unreinlichkeit dadurch
etc., oft störend einwirkt. 2) Sehr alte Mastdarmfistein , welche viele und
callöse Öffnungen haben, Brücken etc. bilden, sind unheilbar, besonders
wenn zugleich die innere Öffnung unerreichbar ist. S) Die Operation durch
den Schnitt oder die Ligatur ist das erste und beste Heilmittel. Aber wir
dürfen nicht jede Mastdarmfistel heilen. Sie ist zuweilen als ein wohlthäti-
ger Ausftuss, als ein vicariirendes Absonderungsorgan zu betrachten, das
andere Beschwerden gemindert und entfernt hat. Bei Coraplicationen mit
Krankheiten der Blase, Prostata, Caries der Beckenknochen, Phthisis, bei
chronischem schwerem Leberleiden darf man die Fistel weder durch Opera-
tion, noch auf andere Weise heilen. Die gehörige Behandlung des Allge-
meinleidens bleibt hier Hauptsache; wir erleichtern hier die von der Fistel
herrührenden Beschwerden durch Erweiterung der äussern P'istelöffnung und
durch Reinlichkeit. Bei jeder schon altern Fistel, selbst da, wo sie nicht
als ein vicariirendes Secretionsorgan angesehen werden kann , operire man
nie ohne vorher gesetzte Fontanellen. Auch darf die Operation nie gemacht
werden, wenn heftige Geschwulst und Entzündung in den der Fistel nahen
Weichgebilden da ist, sondern wir müssen diese vorher beseitigen. 4) Bei
Fistula incompleta interna ist die Heibuig nur durch Spaltung des Sphinkters
und der Scheidewand zwischen dem Fistelgange und dem Mastdarme mög-
lich. Es ist hinreichend, wenn die Spaltung von der inncrn Öffnung aa
FISTULA 765
begiiHit ; selbst da , wo der Canal sich höher hinauf erstreckt. Die Haupt-
sache ist hier die Trennung des Sphinkters, denn ohne diese kleben, weil
sich die Faeces im Mastdärme anhäufen , die Fistelwandungen nicht zusam-
men, heilen also auch nicht. 5) Bei Fistula incompleta externa brauchen
wir die Scheidewand nicht immer zu spalten. Wir sorgen nur dafür, dass
der Eiter gehörig abtüessen kann, und ist die EntblSssung des Mastdarms
nicht gross, so heilt bei Anwendung anderer noch zu erwähnender Mittel
die Fistelwandung mit den nahen Weichgebilden oft ohne Schwierigkeit zu-
sammen. 6) Besondere Rücksicht verdienen die in der Nähe des Mastdarms
sich bildenden Abscesse. Sind sie entzündlich, ist der Schmerz darin bren-
nend, klopfend und bedeutend stark, so setzen wir Blutegel an, lassen er-
weichende Kataplasmen überschlagen und öffnen den Abscess, damit der.
Eiter das Zellgewebe im Umfange des Mastdarms nicht zerstört, frühzeitig
mit der Lanzette. Dies verhütet die Entstehung der Fistel. Auch die klei-
nen, nicht sehr schmerzhaften, sich langsam bildenden furunkelartigen Ge-
schwülste , die in der Regel hart anzufühlen sind , bringen wir durch Cata-
plasniata emoUientia, irritantia, durchs Auflegen von Empl. diachyl. gum-
mös, des Nachts, in Eiterung, öffnen sie, und befördern dann die Heilung
nach den bekannten Regeln (s. Abscessus). Zuweilen bilden sich nach
vorausgegangenem Duichbruche der Mastdarmwand durch Anhäufung der
Faeces und des Eiters recht grosse Abscesse, die bei kachektischen Sub-
jecten starke Eiterung, Zehrheber, selbst brandige Zerstörung zur Folge
haben. Hier muss kein Kreuzschnitt gemacht, also die Mastdarm wand nicht
gespalten werden; es ist vorläufig genug, eine grosse Öffnung zu machen,
damit der Eiter frei abBiesst, und erst, wenn durch innere gute Nutrientia
und Roborantia die Kräfte gehoben , die Eiterung massiger und das Lumen
des Fistelganges kleiner geworden ist, dürfen wir die Scheidewand zwischen
Fistel und Mastdarm trennen. 7) Letzteres Verfahren ist auch nothwendig,
wenn bei der nach Innen blinden Mastdarmfistel die äussere Wand des Re-
ctums eine ziemliche Strecke weit entblösst ist. Ist dies nicht der Fall, so
heilen veraltete Fisteln der Art oft recht gut durch reizende Injectionen,
wozu schwache Solutionen von Lap. caust. , Lap. infernalis, Sublimat, mit
Liquam. myrrhae, Aq. calcis dienlich sind. 8) Zur Operation der Mast-
darmfisteln durch den Schnitt sind verschiedene Instrumente erfunden wor-
den, z. B. das Bistouri cache, verschiedene Syringotome, Fistelmesser von
Pott, Snvigni/, Remm, Dzondi und A. Man kann sie entbehren, da ein ge-
rades Bistouri, eine gerinnte Sonde ohne blindes Ende, und ein hölzernes
Gorgeret schon hinreichend sind (^Chelius} Zuerst reinigt man den Mast-
darm durch ein Klystier, entfernt die etwaigen Haare von der Fistelstelle
und lässt den Kranken eine solche Lage im Bette oder auf einem Tische
annehmen , dass der Körper auf die Seite zu liegen kommt , wo die Fistel
ist , wobei der Schenkel der leidenden Seite ausgestreckt , der andere gegeu
das Becken gebogen seyn muss. „Man bringt das geölte Gorgeret in den
Mastdarm bis über die innere Öffnung der Fistel , wenn eine solche zuge-
gen ist , die Aushöhlung des Gorgerets gegen die Seite der Fistel gerichtet.
Dann führt man die gerinnte Sonde durch den Canal der Fistel und durch
die innere Fistelöffnung auf das Gorgeret , was man deutlich fühlt , wenn
man mit der einen Hand das Gorgeret, mit der andern die Sonde fasst und
beide gegen einander bewegt. Die Sonde übergiebt man einem Gehülfen,
welcher zugleich die Hinterbacken anspannt, hält das Gorgeret selbst, im-
mer gegen die Sonde angedrückt, führt nun ein gerades Bistouri in der
Rinne der Sonde bis auf das Gorgeret, und durchschneidet im Zurückziehen
des Bistouris alle Theile, welche sich zwischen der Sonde und dem Gorge-
ret befinden; wovon man sich überzeugt, indem man nach vollendetem
Schnitte die Sonde und das Gorgeret, ohne sie aus ihrer gegenseitigen Be-
rührung zubringen, durch die Wunde auszieht" (s. Ckelius Chirurgie, 1828,.
Bd. I. Abth. 2, S. 597). Ein höheres Aufschneiden ist, wenn die Fistel
höher als die innere Fistelöffnung geht , überflüssig , wenigstens nicht immer,
wie Ältere wollen, nothwendig. Bei sehr tiefliegender iiuierer Fistelöffnung
766 FISTULA
kann man das Gorgeret enthehren, indem man die biegsame gerinnte Sonde
einbringt, durch die Fistel in den Mastdarm führt, das Ende derselben mit
dem Zeigefinger aus dem Recto leitet und die auf der Sonde liegenden
Theile durch ein auf der Rinne der letztern fortgeschobenes Bistouri durch-
schneidet. Bei einer Fistula ani incompleta externa wird , wenn man die
Operation nöthig erachtet, die Hohlsonde bis zum Grunde der Fistel ge-
bracht, gegen das im Mastdarm befindliche Gorgeret angedrückt und auf
angegebene Weise die Scheidewand mit dem geraden Bistouri durchschnit-
ten. 9) Nach der Operation reinigt man zuerst die Wunde mit lauem Was-
ser und Schwamm, alsdann führt man den Zeigefinger der linken Hand ins
Rectum bis an das obere Ende der Wunde ein und legt mittels einer Sondo
oder Kornzange eine mit Öl bestrichene Charpie\>ieke zwischen die Ränder
<ler ganzen Länge nach ein. Solcher Wieken werden auf diese Weise 60
viele eingebracht, als zur AufüUung der ganzen Wunde noth wendig sind.
Zuletzt legt man eine gehörig dicke Wieke in den Mastdarm, damit die an-
dern Wieken sich nicht verschieben, legt darüber noch ein Plumaceau, dann
Heftpflaster, darüber eine Compresse und zur Befestigung des Ganzen eine
T-Binde. Der Kranke muss im Bette zubringen und gleich nach der Ope-
ration etwas Opium nehmen. Alle 24 Stunden erneuert man den Verband,
sorgt dafür, dass täglich einmal Leibesöffnung folgt, wozu Klistiere voa
lauem Wasser zur Beförderung der Sedes dienen. Bei den nächsten Ver-
bänden werden die Wieken nicht mehr beölt ; auch stets kleinere eingelegt,
gowie sich die Wunde durch Granulation verengert. Salben sind zur Hei-
lung überflüssig ; trockner Verband und weiterhin das leise Berühren der
Wundränder mit Höllenstein zur Beförderung der Vernarbung sehr zu em-
pfehlen. 10) Während oder nach der Operation durch den Schnitt können
verschiedene Zufälle eintreten : n) Blutungen. Nur wenn sie bedeutend sind,
berücksicktigt man sie; wendet Pulv. stypticus an, unterbindet das blutende
Gefass ; hilft aber ersteres nicht und will die Ligatur nicht gelingen, so
muss man tamponniren. Man bringt einen festen Charpiepropf , der mit zwei
starken Fäden kreuzweise zusammengebunden ist, in den Mastdarm bis über
das blutende Gefass, lässt die Fäden zum Mastdarm heraushängen, und
stopft letztern ganz mit Charpiebäuschchen aus , die man mit den Fäden
zuletzt zusammenbindet. Bei Weibern muss man zugleich die Vagina tam-
prfnniren. l) Heftige Entzündung. Sie erfordert Blutegel , kalte Umschläge,
erweichende Klystiere , erweichende Kataplasmen (^Cooper') , Ölmixturen-
c) Ist später die Eiterung zu copiös, so gebe man innerlich Roborantia und
verbinde mit trockner Charpie, mit Aq. calcis, Liquam. myrrhae. d) Zu-
weilen stellen sich spastische Beschwerden: Kolik, Harnverhaltung etc. ein.
Hier dienen innerlich Ölmixturen mit Extr. hyoscyami , Opium ; äusserlich
warme Überschläge, besänftigende Klystiere. 11) Häufig heilen wir die
Mastdarmfisteln durch die Unterbindung. Sie hat viele Vorzüge vor dem
Schnitte; denn wenn bei letzterem die Heilung auch rascher erfolgt, so ist
der Schmerz bei der Unterbindung doch nur höchst gering , Blutungen sind
gar nicht zu fürchten , und der Kranke braucht nicht das Bette zu hüten.
Man wähle sie daher jedesmal in solchen Fällen, wo die Fistelötfnung hoch
steht, wo sehr erweiterte Hämorrhoidalgefässe sind, der Kranke an habi-
tuellen Diarrhöen leidet und vor dem Schnitte eine grosse Furcht hat. Ist
die innere Fistelöfi'nung aber nicht hoch, sind mehrere Nebengänge da, ist
eine bedeutende Entblössung des Mastdarms zugegen, ist die äussere Fistel-
öffnung vom After entfernt und das Subject bei guten Säften , nicht ka-
chektiscb, so verdient der Schnitt den Vorzug. 1<J) Bei der Unterbindung
bedient man sich mehrfach zusammengelegter hänfener oder seidener Fäden
oder einer geklöckelten seidenen Schnur, welche vor den em|)fohlenen Sil-
ber- und Bleidräthen den Vorzug verdient. IVIan zieht den Faden mittels
einer feinen biegsamen , mit einem Öhr versehenen Sonde oder , bei hoher
Innerer Fistelöffnung , mittels des Desault'schen , Schreger'schen oder Rei-
ßinger'schen Apparats etc. durch die Fistel und den Mastdarm, bindet beide
Enden des B'adens massig fest zusammen uiid zieht alle 2 — STage die Fä-
FISTÜLA ' 767
den durchs Zusammenbinden etwas fester an; so wird allmäUg die Scheide-
wand zwisciten Mastdarm und Fistel getrennt und die Fistel heilt von
Oben nach Unten allmälig, sowie der Theil successive durchschnitten wor-
den. Ists eine Fistel mit einer blinden Öffnung nach Oben, so stösst man
mit dem kleinen Troikar, der sich am Reisinger'schen Apparate befindet,
die Mastdarm wand erst durch, um den Faden durchziehen zu können.
Man muss die Fäden nur so fest zusammenbinden , dass der Kranke einen
gelinden Druck , aber keinen Schmerz empfindet. In den ersten Tagen
muss der Patient sich ruhig verhalten, aber später kann er seinen Geschäf<-
ten nachgehen. Mau sorge täglich für breiige Stuhlausleerung. Entsteht
heftiger Schmerz, so muss die Ligatur lockerer zusammengebunden werden.
Gegen die dritte Woche hin wird die Schnur leicht mürbe, man muss da-
her eine neue an die alte binden und sie damit einziehen, so dass die neue
Ligatur die alte weggenommene ersetzt. Ist der Theil ganz durchschnitten,
was mitunter erst in vier Wochen der Fall ist, so verbindet man die nach-
gebliebene kleine eiternde Stelle mit trockner Charpie und betupft die Rän-
der zuweilen leicht mit Lap. infernalis. — Thom. CopelmiiTs Schrift (Über
die vorzüglichsten Krankheiten des Mastdarms und des Afters. A. d. Engl,
von Friedreich. Halle, 1819; recens. Leipz. Lit.- Zeitung, 1819, Nr. 288,
S. 2300) ist sehr belehrend. Auch hat Nasse über die chronische Entzün-
dung des Mastdarms sehr schön geschrieben (s. Honi's Archiv, 1817, Hft. 1)
und besonders die Diagnose berücksichtigt, und auf den wurm- und kugel-
förmigen Kothabgang, auf die mit Tenesmus abgehenden eiterartigen Mas-
sen , auf die öftern Ructus bei Rectitis chronica aufmerksam gemacht. Nacii
Copelnnd leiden an letzterm Übel mehr Frauenzinuner , als Männer, gewiss
oft deshalb , weil sie von Hebammen nicht selten bei der Geburt unzweck-
mässig behandelt werden, in der vierten Geburtsperiode sich zu sehr durch
Drängen schaden und ihr Mastdarm nicht durch Klystiere vorher geleect
worden ist.
Fistula liliosn, Gallenfistel. Entsteht durch Trennung der Gal-
lenblase oder des Gallenganges, nachdem sich vorläufig Verwachsung der-
selben mit dem Bauchfelle gebildet hat. Der Sitz der Fistel, aus deren
Öffnung Galle fliesst, ist am häufigsten die Lebergegend, seltener entfernt
davon; der Gallenverlust ist oft bedeutend, ohne dass schlimme Zufalle ent-
stehen ; zuweilen heilt die Fistel , wenn ein Gallenstein abgegangen ist,
bricht aber oft wieder auf und der Kranke befindet sich besser als vorher.
Ursachen. Häufig Hydrops vesicae felleae , wo die schwappende Ge-
ecliwulst unter den kurzen Rippen zu fühlen ist (s. d. Art.), unter öftern
Zufällen von Kolik und Diarrhoea biliosa endlich aufbricht und das Ge-
schwür nun Galle entleert. Die Ursache der Anhäufung der Galle in der
Gallenblase (Hydrops vesicae felleae) sind fast immer Gallensteine (s. Li-
thiasis). Die Fälle, wo ohne Hydrops, durch Ulceration der Gallenblase
oder des Gallenganges in Folge eines Abscesses in der Nachbarschaft, z.B.
eines Leberabscesses , eine Gallenfistel entsteht, sind seltener. Cur. 1) Man
fiondire genau, und findet man einen Gallenstein in der Fistel, so suche
man ihn zu entfernen. Gewöhnlich müssen wir die Öffnung durch Quell-
meissel oder Darmsaiten (nie durch den Schnitt , denn dieser kann die schöna
Adhäsion mit dem Bauchfelle trennen) vorher erweitern. Den Stein ziehen
wir vorsichtig mit der Kornzange heraus, wobei man sich durchs Umdrehen
der den Stein fassenden Zange überzeugt, dass die Gallenblase nicht mic
gefasst worden ist. 2) Man gebe innerlich die gegen Gallensteine zweck-
dienlichen Mittel (s. Colica calculosa und L i t h i a s i s) , vor Allem daa
Durand'sche, und lasse die Fistelötfnung nicht eher zuheilen, bis alle Gal-
lensteine mechanisch oder chemisch entfernt worden sind. S) Ist dies der
Fall , so heilt die Fistel bei trocknem Verbände , gelinder Compression und
behutsamem Betupfen mit Lap. infernalis bald. 4) Da die Kranken in der
Regel schwach sind, so gebe man innerlich gute Nutrientia luid Roborantia
mit Berücksichtigung des Grades der Digestionskraft.
Fistula colli congenita , die angebor ne Hals fi sie 1. Hierüber hat
768 FISTULA
^schcrson eine kleine lesenswertlie Abiiandlung: „De fistulis colli congenitis
«tc. Berol. 1832" geschrieben. Er zählt 11 Fälle dieses bi# jetzt unbe-
kannt gebliebenen Bildungsfelilers auf. Symptome: Mau findet hier eine
Fistel an der Seite des Halses , zwischen den beiden Köpfen des Muse, ster-
jiocleido-mastoideus, oder am Innern Rande desselben; im ersten Fall dicht
em Schlüsselbein, im zweiten mehr oder weniger, jedoch selten mehr als
1 Zoll vom Brustbeine entfernt. Die Öffnung ist meist sehr eng, oft dabei
eine blosse Vertiefung der Haut , oder von einem röthlichen erhabenen
Rande umgeben. Ihr Secret ist durchsichtig, klebrig, ungefärbt, zuweilen
«iterartig , und die Quantität oft sehr gering. Jede Erhitzung des Körpers
vermehrt die Absonderung. Zuweilen folgt die Fistelöffnung den Bewegun-
gen des Schlundkopfs beim Schlucken. — Das Übel kommt angeboren und
erblich vor, und zwar entweder an einer Seite — meist der rechten — oder
an beiden Seiten des Halses. Es ist bei der Geburt oft unmerklich und
kommt erst später deutlicher zum Vorschein, wo die Fistel alsdann oft mit
<lem Schlundkopfe oder der Speiseröhre zusammenhängt. — Ais Ursache sta-
tuirt Aschersoii die Heinmungsblldung , wo die leidenden Theile auf einer
frühern Entwickelungsstufe, auf der des Embryo, wo, nach Rathke, Bur~
4lach und v. Bner, noch zur Seite des Halses sich die Kiemenspalten auch
beim menschlichen Embryo vorfinden, stehen geblieben sind. Cur. Da das
Übel keine grosse Beschwerden macht und aus wichtigen Gründen habi-
tuelle Absonderungen nicht immer ohne Gefahr gestopft werden dürfen, so
jsts am besten, nichts dagegen zu unternehmen. In einem Falle, wo man
die Fistel mit Atzmitteln zu heilen versucht hatte, entstand Anschwellung,
heftiger Schmerz und Dysphagie, und diese Zufälle hielten an, bis der Aus-
Jluss sich wieder herstellte. Ein anderer Heilungsversuch fiel selbst tödt-
lich aus , wie Ascherson erzählt (s. auch Dzondi , De fistulis tracheae con-
^enitis. Halae, 1829).
Fistuln corneae, Hornhautfistel. So hat man wol ein Geschwür
der Cornea, das entweder penetrirt oder nicht penetrirt, genannt. (S. In-
flammatio und Ulcus corneae). Nach Ji'mijlcen entsteht die Hornhaut-
üstel theils durch Eitersenkung bei Abscessen und veralteten Geschwüren,
die am obern Theile der Hornhaut sitzen , theils durch mechanische Ver-
letzungen , penetrirende Stichwunden etc. , die sich bei längerm Bestehen,
»chlechter Behandlung, oder in Folge obwaltender Dyskrasien und Kachexien
in Geschwüre verwandeln. „Sie erscheinen als trübe Streifen in der Horn-
haut, welche sich von Oben nach Unten erstrecken, und nach Unten mit
einer Eitersammlung im Parenchym der Hornhaut, mit einem Onyx oder
Unguis enden; ihre Öffnung liegt am obern Theile der Hornhaut, bald aa
der äussern, bald an der Innern Wand derselben." Diese B'isteln komraea
gelten, wie Jünyken versichert, vor, weil Hornhautwunden leicht heilen,
ausgenommen bei gichtischen und scrophulösen Personen. Die Prognose
ist hier, zumal wenn schon Collositäten zugegen sind, ungünstig, und der
geschickte, eben genannte Berliner Augenarzt spricht sich so aus: ,,Man
kann von Glück sagen — heisst es in RitsVs Chirurgie , Bd. VTI. S. 173, —
wenn das Sehvermögen theilweise erhalten oder nur so viel von der Horn-
haut gerettet wird, dass späterhin das Gesicht durch eine künstliche Pu-
pillenbildung wieder hergestellt werden kann. Nicht immer ist indess der
Erfolg der Cur ein so günstiger, und bisweilen endet das Übel mit gänzli-
cher Trübheit der Hornhaut." Er verwirft bei der Cur jeden mechanischen
Eingriff, jede Art von Operation, welche nicht blos früher, sondern noch
neuerdings von Ärzten empfohlen ist, indem dadurch stets der Zustand des
Augeg durch Steigerung der Entzündungserscheinungen und des anomalen
Vegetationsprocesses verschlimmert werde. Man soll sich daher mit phar-
jnaceutischen Heilmitteln, die den Charakter des Geschwürs umstimmen und
dem Vegetationsprocess des Auges eine andere, bessere Richtung geben»
begnügen und die Heilung der Fistel der Natur überlassen; überhaupt sie
■wie jedes Hornhautgeschwür behandeln. Aufmerksamkeit verdient die neue
Methode , Höllenstein auf Geschwike und Flecken der Hornhaut zu bringen.
FISTULA 769
welche Im Bulletin de Therapeutique 1832 (s. auch Behrendts Med.-chirurg.
Journalistik des Auslandes, 1832. Decbr. S. 277) angegeben worden ist.
Man nimmt nämlich eine silberne dicke Sonde, erhitzt das Ende derselben
einen Zoll lang an der Flamme eines Lichts, und bestreicht es dann mit
einem Stück Höllenstein. Dieser schmilzt sogleich und verbindet sich mit
der metallischen Oberfläche, indem er dieselbe mit einer dünnen Schicht de»
Ätzmittels überzieht. Hierauf lässt man das Instrument kalt werden , rei-
nigt und polirt es ein wenig , und hebt es zum Gebrauch auf.
Fistuln dentnlis, die sogenannte Zahnfistel. Ist auch keine eigent-
liche Fistel, sondern ein Ulcus fistulosum, entstanden durch einen Abscess
oder durch ein Geschwür am Zahnfleische , durch Caries der Zahnwurzel etc.
Vorher gehen längere Zeit Zahnschmerzen , die aber selten lange anhalten,
oft auch nur unbedeutend sind. Es bildet sich eine röthlich - weissliche Ge-
schwulst an der Stelle des kranken Zahns, dieser hebt sich merklich in die
Höhe , obgleich seine Krone oft noch ganz gesund ist ; es bildet sich nun
ein Abscess im Zahnfleische und ausserhalb des Mondes auf der Wange, und
der gesund scheinende Zahn schmerzt, wenn man ihn mit einer metallenen
Sonde berührt. Cur. Man muss zuerst den verdächtigen Zahn ausziehen
und dann adstringirende Mundwasser: Infus, salviae, Tinct. katechu etc. ge-
brauchen. Schliesst sich die Fistel nicht bald, so ist entweder eine, andere
cariöse Zahnwurzel schuld oder es ist Caries des Processus alveolaris zuge-
gen (s. Odontalgia und Caries). — Die Zahnfistel kommt häufiger an
der obern als untern Kinnlade vor, sie geht meist von den obern Augen-,
Schneide- und vordem Backzähnen, seltener von den hintern aus. Die Er-
kenntniss ist leicht. Der Schmerz, der Gebrauch der Sonde, der Ausflus»
von meist übelriechendem Eiter, der durchs Streichen in grösserer Menge
hervorquillt, geben sie zu erkennen. Zuweilen ist die Fistelöffnung ge-
schlossen, und dann zeigt sich an ihrer Stelle eine kleine, beim Druck
schmerzhafte Geschwulst; zuweilen sind mehrere Fistelöffnungen da, die
sich in der Tiefe in einen Punkt concentriren , zuweilen ists umgekehrt der
Fall. Nur selten durchbohrt die Fistel die Wangenhaut oder öffnet sich in
die Highmorshöhle, meist immer das Zahnfleisch ; der letztere Fall giebt da-
her auch eine günstigere Prognose, als die beiden erstem. — Schliesst sich
die Fistel nach der Entfernung des cariösen Zahnes nicht, so ist entweder
der benachbarte Zahn an der Wurzel krank , der dann gleichfalls entfernt
werden muss, oder es ist in Folge einer zu spät geöffneten Parulis Caries
der Kinnlade entstanden, wogegen das Glüheisen angewandt werden muss.
Nur an den voi'dern Zähnen des Oberkiefers bedarf es nicht sogleich der
Extraction des Zahns, da hier das Übel sich oft Jahre lang hinzieht, ohne
Caries des Alveolarrandes zu erregen; nur muss für gehörigen Ausfluss des
Eiters gesorgt werden. Ich kannte eine Dame, welche eine solche Zahn-
fistel 10 Jahre lang ohne Nachtheil trug, obgleich sie sich zum Auszie-
hen des Schneidezahns, der an der Krone gesund war, nicht entschliessen
wollte (M.).
Fistuln frontalis. Die Stirnhöhlen fistel folgt leicht aof geschwü-
rige Zerstörung der über der Stirnhöhle gelegenen Weichgebilde, zumal in
Folge allgemeiner Syphilis , oder es ist eine mechanische Verletzung Schuld.
Sie entleert meist Schleim oder Eiter, zuweilen aber auch Luft, die mitun-
ter unter die Gesichtshaut dringt und ein Emphysem veranlasst, z, B. ober-
halb der Nasenwurzel (Dtifuytren). In einem Falle communicirte die Rstel
mit den Respirationsorganen, und es entstand Orthopnoe, als man die vor-
dere Lamelle des Sinus frontalis entfernt hatte, die indessen dadurch',' Öasfe
man schnell diese- Öffnung mittels eines Pflasters bedeckte, schnell wieder
verschwand. Die Cur der Fistula frontalis ist di^ des etwanigen Grund-
üb«ls, der allgemeinen SyphiÜB etc. und die nach den Umständen gegert
Vulnus, Caries, Necrosis , Abscessm sinus frontalis erforderliche chirurgische
Hülfe (s. diese Artikel). - , :;i.
Fistula glandulae lacrytnaUs. Die Thränendrüsenfis tel ist selte-
ner al* die sog. Thrinenfistel ; doch können Stichwunden und Entzündung
Most Eucyklopädie. 2te Aufl. I. 49
770 FISTULA
der Thränendrüse sie veranlassen. Zeichen sind: ausser den anamnesti-
schen findet man am obern Augenlide nach Aussen hin eine kleine haarför-
mige ÖlTnung, an welcher gich fortwährend ein Tropfen einer hellen, klareo
Flüssigkeit: der Thränen, ansammelt, der, wenn man ihn wegAischt, bald
»ieder erscheint, und welche Absonderung, sobald der Kranke weint, ver-
mehrt wird. Später vyird die Fistel callös und bekommt einen kleinen aufr
geworfenen Ring in ihrem Umfange; zuweilen ist gleichzeitig Ectropiiun oder
Lagophthalmos zugegen, wo dann das Auge sehr trocken erscheint. Cur.
Ist nicht leicht, besonders wenn schon Callositätea da sind. Die Fistel schliesst
sich nur nach Zerstörung ihrer Öffnung mittels Lapis infernalis, wovon man
ein kleines konisch zugespitztes Stückchen in die Olfnung bringt, und so ei-
nen Brandschorf erregt. Die darauf folgende Entzünduijg mildert man durch
kalte Umschläge von Wasser, Bleiwasser und überlässt die Absonderung des
Schorfes der Natur. Ist diese erfolgt, so verschliesst mau die Öffnung mit
einem Klebpflaster, bedeckt das obere Augenlid in der Gegend der Thränen-
driise mit einer graduirten Cumpresse und befestigt diese durch einen Mono-f
culus, damit die Thränen abgehalten werden. Der Kranke muss jede Ver-
anlassung zum Weinen vermeiden und sich in heiterer Gemüihsstimmung er-
halten. Hat sich die Öffnung durch solches Verfahren nicht völlig geschlos-
sen, so wiederholt man die Cauterisation, Hilft diese nicht, so bleibt nur
noch die Anwendung des Glüheisens übrig (./«»(///ew).
Fiatula Iacr\fn(ilis, Dacryosyrinx , Thränenfistel. Man hat verschie-
dene Zustände Thränenfistel genannt und die Fälle nicht immer genau un-
terschieden. Bei der wahren Fistula sacci lacrymalis findet eine regelwidrige
Öffnung im Thränensacke statt, aus welcher Thränenfeuchtigkeit ausHiesst.
Wir unterscheiden hier a) Fistula lacrymalis eMcrua, wo sich äuss«rlich auf
der Wange die abnorme Olfnung, in Folge von VervNundungen, häufiger
noch durch Aufenthalt der Thränen im Thränensack wegen Atonie des Sacks,
Atresie der Ausführungsgänge etc. zeigt, b) Fistula, lacrymalis interna. Hier
geht die abnorme Öffnung in die Nase, der Kranke schneuzt Thränen aus;
der Thränensack hat ein abnormes, röthliches Änsehn, ist aufgetrieben, em-
pfindlich; nicht selten ist schon Caries im Grunde da, der Kreuike schneuzt
kleine Knochenstücke aus, ist syphilitisch, scrophulös etc. Da jede wahra
Thränensackfistel ein Geschwür der Schleimhaut des Thränensacks mit ei-
ner engen callösen Öffnung ist, das als Folge anderer Krankheiten des
Thräijensacks betrachtet vierden kann, so ist e& in praktischer Hinsicht
vrißhlig, bei der Untersuchung diejenigen Th^ile des Thränenorgans , wel-
che die Thränen vom Augapfel in die Nase leiten sollen, nicht ausser Acht
zu lassen, sondern ih.e etvvanigen Anomalien gehörig aufzusuchen. Vorzüg-
lich interessiren uns hier die Krankhcjiten der untern Partie des Thränen-
sacks und Nasencanais als ursächliche IVIomente der Thränenfistel. 1) Die
sügena^inte, Hernia sacci lacrymalis und der Hydrops desselben. Ist eine
blosse Ausdehnung des nicht schmerzhaften Thränensacks; drückt man dar-
auf, so gehen die Thränen in die Nase oder laufen auch auf die Wange
(ä, Dacryocystitis). 2) Späterhin gesellt sich Blennorrhoe hinzu, der
Thränensack wird roth, schmerzhaft, hart, der Druck darauf schmerzt sehr;
en entleert Thränen und Schleim. 3) Li diesem Zustande kann das Übel
Jaiice l^g verharren, ehe der Thränensack aufbricht und eine wirkliche
Thränenfistel ejitsteht. Kurz vor dem Aufbruche entstehen oft Gesichtsrose,
Fidner, GtjscKwulst, dos halben Kopfes, selbst Delirien, welche Zufalle mit
d,^ji^ Aufbruche sch^tiell ver^hwinden. 4) Nun geht der Thränensack in
wifjdicüe Vereitermig über,, da früher die entleerte Flüssigkeit nur krank-
liijft abgesonderter Schleim und Thränenfeuchtigkeit war. Es bilden sich
leicjit, Auswüchse, di© den ganzen Sack ausföUen , die hintere Fläche leidet^
/das Os unguis ver/^tjert, und nun gehen die Coatenta in die Nase. Der
Unkundige . hält diesea Zustand oft für einen chronischen Katarrh oder für
ein gewöhnliches Nasengeschwür. 5) Die durch Verletzung des ThräneOr
sacks «ntslandene Thr4nenfiütel hat nicht diesen langsamen Varlaufi Sie
heilt schnell bei gutof; ^feliandlung, dagegen die wahre Thränenfistel eia
FISTULA , 771
sehr langwieriges und lästiges Übel ist. Behandlung. Der Zustand der
Thiänenpunkte , der Thräaencanälchen und des Ductus nasalis muss zuerst
gehörig erforscht werden. 1) Die wahre Atresie der Thränenpunkte ist sel-
ten , häufig auch nicht 4'oss. Einspritzungen mit AneVs Spritze entdecken
sie , desgleichen die Anel'sche Sonde , die man vorsichtig einbringt. Durch
Entzündung kann sich ein Thränenpunkt schliessen; ist der andere noch
ollen, so versieht der die ganze Function. Operiren kann man hier nicht
gut. Oft ist Blepharoplegie Ursache. 2) Hat man sich überzeugt, dass das
Thränencanälchen nicht verwachsen ist, so untersucht man den Nasencanal
mit einer feinen fischbeinernen Sonde, die man horizontal in den geöffneten
Tiiränen^ck bringt, an der hintern Wand desselben perpendiculär hält und
go die Öffnung des Ductus nasalis aufsucht. Ist der Canal noch offen , so
lege man anfangs eine mit Mandelöl bestrichene E- Saite der Violine, später
A- Saiten, zuletzt D- Saiten ein, ungefähr 6 Zoll lang, und fahre damit
täglich fort (s. Weller, Krankheiten des menschl. Auges. S. 113). 3) Ist
die Schleimhaut des Sacks geschwollen und weich , so macht man Einspriz*
Zungen von schwacher Solut. lap. infern., Aq. Goulardi mit Laudanum; ist
sie aber hart und knotig, so verbinde man mit Präcipitatsalbe, womit man
die Darmsaite bestreicht. 4) Ist Caries zugleich da, zeigen sich schwarn-^
mige Excrescenzen, ist die Jauche schwarzkörnig, so verbinde man mit Asa
foetida und Myrrhe, und behandle das Grundübel. 5) Ein grosses Mittel,
Thränenfisteln zu verhüten, sind die Einreibungen von Mercurialsalbe bei
Dacryocystitis wegen allgemeiner Blennorrhoe aus Gicht, Scropheln und an-
dern Ursachen, z. B. ^ Mercur. solub. Hahnemanni $j, Unguent. simpl. 3j}.
M. exactiss. S. Abends und Morgens eine Erbse gross recht anhaltend in
den Tlu'änensack einzureiben. Dabei zweckmässige innere Mittel gegen das
Grundübel {Himhj , M.). 6) Statt der Darmsaiten hat man auch Bleidraht
empfohlen; er passt aber nur am Ende der Cur, wenn die Darmsaiten wo-
chenlang gebraucht worden sind.
Fistula lactea, die Milchfistel. Sie folgt zuweilen auf Mastitis oder
Lymphgeschwulst bei stillenden Frauen oder bei solchen, welche noch län-
gere Zeit nach dem Entwöhnen des Kindes Milch in den Brüsten behalten.
Häufig gehen die Fisteln in die Tiefe des drüsigen Parenchyms und entlee-
ren Eiter mit Milch vermischt; dabei fühlt man mehrere harte Stellen in der
leidenden Brust. Cur. Ist noch viel Entzündliches da, dann entzündungs-
widriges Verfahren (s. Inflammatio glandularum und Absoessus
lacteus), später dienen die bei Abscessus lacteus angegebenen Resolven-
tia; dabei die Behandlung der Fistel mittels Lapis infernalis, wie bei Fistula
glandulae lacrymalis angegeben worden.
Fistula laryngis et tracheae. Ausser den angebornen Fisteln des Kehl-
kopfs und der Luftröhre (s. oben Fistula colli congenita) können die-
selben auch durch Schuss-, Hieb-, Schnitt- und Stichwunden, durch syphi-
litische und scrophulöse Geschwüre, durch Abscesse etc. entstehen. Ist die
Luft, welche durch die Fistel geht, bedeutend, so folgt Aphonie, doch kann
der Mensch, sobald die Öffnung durch Vorwärtsbeugen des Kopfs geschlos-
sen wird , sogleich wieder reden , obgleich meist undeutlich , sobald nämlich
die Fistel unterhalb der Stimmritze ihren Sitz hat. Cur. Ist die Öffnung
klein, so kann man die Ränder der Fistel cauterisiren und durch den so
erregten Entzündungsprocess schliessen; ist sie aber sehr gross, so mnss
man sich damit begnügen , die Öffnung durch ein Klebpflaster und eine pas-
sende Metallplatte , welche der Mensch zeitlebens tragen muss, zu verschlies-
gen und so der unangenehmen Aphonie vorzubeugen, Velpeau theilte der
■Academie des Sciences zu Paris ( vergl. F. J. Behrend's Repertor. d. med.
chir. Journalistik des Auslandes. Jahrg. 3. 1833. Novbr. S. 198) eine neu*e
Methode, Luftröhrenfisteln mit Erfolg zu behandeln, mit. Ein 24 Jahr alter
Mann wollte sich durch Halsabschneiden tödten ; er wurde gleich von einem
Wundarzte behandelt; doch blieb eine Luftröhrenfistel von 3 Zoll Durch-
messer zurück. Der Kranke begab sich ins Hotel - Dieu , wo ihn Hr. Dtt-
puytren durch eine ähnliche Operation, wie bei Hasenscharte, heilen wollte,
49*
772 FISTULA
die VCTelnigung aber nicht gelang. Die Fistelöffiiung , worein man beijuc m
einen Finger führen konnte, befand sich /.wischen dem Zungenbein und dein
Schildknoipel. Nahrung und Getränke, sowie Sjieichel und ßronchialschiiiiu
liefen unaufhörlich aus der Öffnung heraus, der Kranke konnte nur mit vom
iibergesenktem Kopfe reden, dennoch war die Stimme rauh und stosseiid.
Die Wunde Iving mit dem Kehlkopfe und mit dem Rachen Ku.<)ammen. Fi/
pcnu sagt: „Ich beschloss, an die OlVnung nicht, wie dies l)ei der Na.-' ,
den Lippen geschieht, eine Decke anzunähen, sondern sie ihrer ganzen Tie'.u
iidch durch einen wirklichen Pfropf von lebenden Geweben auszufüllen \u\i]
zu schliessen. Ich schnitt zu diesem Behufe einen 1 Zoll breiten und 20 1.
liien langen Lappen vorn vor dem Larjnx aus, stülpte ihn von unten n;i
üben um und liess ihm nur einen 4 Linien breiten Stiel, rollte ihn auf sciik;
llautüberlläche auf, die dadurch nach innen kam, und machte endlich dar-
aus einen abgestumpften Kegel oder eine Art Cylinder, den ich senkretht
bis in den Grund des Loches, das ich kurz vorher wund gemacht hatte,
einbrachte. Durch das Ganze führte ich 2 lange Nadeln mit der umwu;
denen Naht durch." Die Vereinigung geschah von oben her volikomnn
nach einem Monat sah man keine Fistel mehr, und die Stimme war wiedi :
da; nur eine ganz kleine Fistelspalte, deren Heilung weder durch Höllen-
jslein, noch durch das Giüheisen zu erzielen war, blieb zurück.
Fistula jierinaei, die Mi ttelfleis chfistel. Sie ist entweder eine
Mastdarm - oder Harnw'egetistel , die sich hier öffnet (s. Fistula a n i und
Fistula urinaria). >
Fistula recii. Ist dasselbe, was Fistula anl. "
Fistula recto - urethrniis y Mastdarm-Blasenfistel, s. Fistula urinaria.
Fistula retto-va(jinaUs, Masidarm-Scheidenfistel, s. Fistula urinaria.
Fistula renalis, s. Fistula urinaria completa.
Fistula sacci lacrymalis, die T h räncn sack fi steh Ist die richtigere
Benennung für Thränenfistel. S. Fistula lacrymalis.
Fistula salivalis. Spei chel fistel. Ist eine mit callösen Rändern um-
gebene , meist sehr enge Öffnung in derjenigen Gegend der einen oder der
andern Backe, wo die Speicheldrüse oder der Ductus Stenonianu« liegt, aus
welcher Öffnung, besonders während des Kauens und Sprechens, Speichel
fliesst. Die Quantität desselben ist oft ganz bedeutend, so dass Appetit-
niangel, Störung in der Digestion und Abmagerung folgen. Ursachen
sind: 1) Verletzungen der Speicheldrüse oder des Speichelganges, Vernach-
lässigung der Heilung derselben per reunionem. 2) Verstopfung des Spei-
chelganges durch steinige Concretionen , besonders bei blennorrhoischen und
anhritischen Subjectea. Hier bildet sich nach dem Laufe des Ductus sali-
valis eine fluctuirende Geschwulst, die nur langsam, oft erst nach Verlauf
von 6 — 10 Wochen, grösser wird, und endlich aufbricht und den Speichel
entleert. Cilr. 1) Bei der Speicheldrüsenfistel wenden wir die Compression
und den Lap. infernalis an. Wir betupfen die Fistelöffnung alle 2 — 3 Tage
mit Höllenstein, legen täglich einen trocknen Verband und darüber eine l'/i
Zoll dicke Compresse an , die wir mit der Halfterbjnde hinreichend befesti-
gen, 2) Um die Fistel des Stenon'schen Ganges zu heilen, stellen wir ent-
^veder den natürru:hen Weg füi' den Speichel wieder her, oder bilden , wo
dies nicht melir angeht, einen künstlichen, wodurch der Speichel in den
IVIund abfliesst. Bei noch frischer Fistel wenden wir ersteres V erfahren an ;
denn hier ist das untere Ende des Ganges, wie die Sonde darüber Auskunft
giebt, noch offen. •«) Bei frischen Trennungen, Wunden, vereinigen wir
durch die umwundene Naht und legen nach Massgabe der Grösse der Ver-
letzung 1, 2 — 3 Stifte an. b) Wir führen eine seidene Schnur mittels ei-
ner feinen geöhrten Sonde durchs untere Ende des Stenon'schen Ganges bis
in die Fistel und lassen diese so lauge liegen, bis der Canal sich gehörig
erweitert hat. Geringe Speiolielsecrction aus der Fistel, Neigung zur Hei-
lung derselben und die bald erfolgte Heilung nach Anwendung des Lap. in-
Icrnaliß sind die Zeichen, dass dies Verfahren gelungen sey. c) Wnr be-
tupfeu ^achdiiicklich die Fistclöffnung mit Lap. infemulis, so dass sich ein
FISTULA • 773
Schorf bildet , den wir m'rt einer In Alkohol getauchten Compresse bedecken
und einen zweckmässigen, comprimirenden Verband darüber legen, d) Auch
die Compression des Stenon'schen Ganges von der Fistel bis zur Drüse, wo-
bei ödematöse, sich aber leicht zertheilende Anschwellung der Drüse und de-
ren Nachbarschaft erfolgen kann, ist empfohlen worden (^Massaneuve, Desault,
Hichter, Schreger, Vibonj), selbst in hartnäckigen Fällen die Compression der
Drüse selbst, wodurch diese ihre Function verliert und zusammenschrumpft
(^Desault, Richter). Allerdings ist die Speichelfistel wegen der Deformität
hn Gesichte, wegen des steten Nässens der Wange und selbst wegen des
Verlustes eines zur Digestion so nothwendigen Saftes ein unangenehmes Übel,
und alte Fisteln heilen sehr schwer; dennoch bedarf es einer solchen gewiss
nachtheiligen Compression der Parotis nicht, da uns, wenn alle andern Heü-
versuche misslingen, die von Vihnrg vorgeschlagene Unterbindung des bloss-
gelegten hintern Endes des Ductus Stenonianüs übcig bleibt (Most). 3) Ist
die Fistel alt, ihre Öffnung callös und das untere Ende des Ductus oblite-
rirt, hat das Causticum keinen günstigen Erfolg hervorgebracht, so muss
ein künstlicher Speichelgang gebahnt werden. Hierzu sind verschiedene
Operationsmethoden vorgeschlagen, a) Man durchbohrt im Grunde der Fi-
stel in schräger Richtung mit einem kleinen Troikar zweimal die Wangen-
haut, zieht durch diese Öffnungen einen Bleidrath, dessen mittlerer Theil
in den Grund der Wunde zu liegen kommt. Die in die Mundhöhle gerich-
teten Enden desselben werden zusammengedreht und nahe an der Innern
Fläche der Wange abgeschnitten; zugleich wird die äussere Wunde durch
die umschlungene Naht vereinigt (Deyuisc, Beclnrd). Der Speichel fliesst
nun an dem ßleidrahte in den Mund und die Schiingo desselben fällt nach
einiger Zeit von selbst ab ; auch die äussere Wunde schliesst sich schnell.
Ein wiederholter Verband ist hier gar nicht nothwendig; daher dies Ver-
fahren vor andern grosse Vortheile hat (Chclius). b) Üblicher ist folgende
Operationsmethode : Man frischt die «allösen Ränder der Fistel mit dem
Messer an, durchstösst dann mit einem kleinen Troikar sammt Röhre, nahe
an der hintern Mündung des Speichelganges etwas nach unten in schiefer
Richtung die Backe, indem man ein Stück Korkholz in den Mund bringt,
tim die Zunge nicht zu verletzen. Mau zieht nun das Stilet des Troikars
zurück , schiebt durch die liegenbleibende Canule eine Darmsaite ein und
entfernt die Canule. Man lässt jetzt den Kranken kauen, um die Mündung
des Speichelganges durch den ausfliessenden Speichel zu entdecken, und
schiebt das in der Wunde stehende Saitenende in diese Mündung und unge-
fähr V2 Zoll in derselben fort, worauf man den Kranken wieder kauen lässt,
um sich zn überzeugen, dass der Speichel noch zwischen der Saite und der
Wandung des Speichelganges austiiessen kann , widrigenfalls man eine dün-
nere Saite einführen müsste. Das im Munde hängende Saitenende biegt man
in dem Mundwinkel nach Aussen, und befestigt es mit Heftpflaster auf der
Wange. Die Wundränder vereinigt man aufs genaueste mit Heftpflaster,
bedeckt sie mit Charpie, legt Heftpflaster darüber und befestigt diesen Ver-
band durch ein unter dem Kinn angelegtes, auf dem Kopfe zusammengebun-
denes Tuch. Diesen Verband lässt man SO — 40 Stunden liegen, alsdann
haben sich die Wundränder vereinigt, und man kann nun auch die Darm-
saite herausziehen. Perctj nimmt mit Vortheil statt der Darmsaite einen Blei-
draht, dessen eines Ende in das obere Ende des Stenon'schen Ganges, das
andere in die künstliche Öffnung in den Mund gebracht, hier umgebogen
und durch den leichten Druck der Wange gegen die Zähne festgehalten wird.
Der Kranke darf, soll die äussere Fislelöffnung durch schnelle Vereinigung
heilen, weder kauen, noch reden; durch ein Röhrchen müssen ihm flüssige
Speisen eingeflösst werden, und er muss sich höchst ruhig verhalten. Das
Nichtbeachten dieser Regel ist häufig an dem Misslingen der Heilung schuld;
zuweilen ist auch ein cariöser Zahn die Ursache, der dann, ehe man die
Operation wiederholt, entfernt werden .muss. 4) Ist der Ductus^ Stenonianüs»
wegen Verstopfung durch steinartige Concremente zu einer fluctviirenden Ge-
schwulst angeschwollen , so öffne man vom Munde aus die Geschwulst mit
774 ^ riSTUI.A
der Lanzette und entferne den Stein durchs Ausschneiden. Ist kein Stein
da, so führe man eine feine Sonde in den Ductus, um so der etwanigen
Verstopfung und Anhäufung Luft zu verschaffen.
Fistula stercorea, Kothfistei. Dieses elcelhafte Übel besteht in einer
veralteten widernatürlichen Öffnung, die mit der Höhle des DarmcanaU com-
municirt und aus welcher Excremente oder Chylus, je nachdem die Fistel
an einem höhern oder tiefern Theile des Darms stattfindet, abgehen. Ent-
leeren sich alle Faeces durch dieselbe, hört die B^unction des Mastdarms
ganz auf, so nennt man es einen widernatürlichen After (^Anus proe-
iernnturalis) , der also als der höchste Grad der Kothfistei anzusehen ist.
Letztere ist im engern Sinn derjenige Zustand, wo theils auf dem natür-
lichen, theils auf dem widernatürlichen Wege der Koth ausgeleert wird.
Die äussere Öffnung der Fistel ist meist rund, eingezogen, mit strahligen
Runzeln der Haut umgeben , die Ränder derselben sind roth , etwas entzün
det; zuweilen sind mehrere Öffnungen da, die in einen Canal führen. Ge-
wöhnlich hängt die Haut fest mit den Muskeln zusammen , nur selten ist sie
degenerirt, wo sie sich zuweilen in Form einer Röhre erhebt und von den
Muskeln entfernt. In einzelnen Fällen hat sich der Darm zurückgezogen
und das Bauchfell bildet eine trichterförmige Verlängerung, häufiger sind
aber die Darmenden unmittelbar mit dem Peritonaeo verbunden. Je näher
die Kothfistei dem Magen liegt, desto bedeutender ist das Übel für den Ge-
sammtorganismus; denn der Appetit ist hier zwar stark, aber die Ernährung
ist gering, weil der Chylus abfiiesst, worauf Abmagerung und Zehrfieber
folgen können. Ist der künstliche , oder richtiger widernatürliche After am
untern Theile des Ileums oder Colons befindlich , so geht wirklicher Koth
ab und die Nutrition leidet weniger. Durchs Rectum wird in solchen Fäl-
len nur weisslicher, bald dickerer, bald dünnerer Schleim, das Secret der
dicken Gedärme, entfernt. Ein häufiger schlimmer Zufall ist der Darmvor-
fall, der sich bei Anus praeternaturalis zuweilen plötzlich in Folge heftiger
Anstrengung, oder langsam durch Einschiebung, Invagination, bildet und oft
von bedeutendem Umfange ist. Meist entsteht er nur an einem Darmende,
hat eine konische Gestalt, ist an der Basis zusammengezogen und an der
Spitze mit einer Öffnung versehen, aus welcher sich Koth entleert, oder
nur Schleim, wenn der Vorfall aus dem untern Darmende besteht. Der vor-
gefallene Theit sieht roth aus, späterhin oft schwärzlich, sondert stets Schleim
ab, verdickt sich, wird zuletzt ganz unempfindlich. Zuweilen bemerkt man
eine peristaltische Bewegung daran ; er vergrössert sich bei Anstrengungen,
gleich einer Hernia, vermindert sich in horizontaler Lage, oder tritt, wenn
er noch klein ist, ganz zurück. In alten Darmvorfällen finden häufig Ver-
wachsungen mit der Öffnung, durch die sie hervorgetreten sind, statt, avo-
durch selbst Einklemmung entstehen kann. In einzelnen Fällen sind zwei
Hervorragungen da, wo die Spitze der einen Koth, die der andern Schleim
entleert. Hier sind beide Darmenden prolabirt. Ursachen sind: 1) Pcnc-
trirende Bauchwunden, wobei die verletzten und vorgefallenen Gedärme bran-
dig geworden sind. 2) Eingeklemmte, in Brand übergegangene Hernien, wo
die Kothfistei das Leben rettete. 3) Bedeutende und tiefliegende Abscesse
am Unterleibe, die einen Theil oder den ganzen Darm zerstören und wobei
sich Verwachsung des lädlrten Darms mit dem Peritonaeum bildet, welche
den Austritt der Darracontenta in die Bauchhöhle und dessen tödtliche Fol-
gen verhütet. Behandlung. 1) Zuweilen bewirkt die Natur die Heilung,
indem sich derjenige Theil des Bauchfells, der mit dem verletzten Dann
verwachsen ist, allmälig in die Unterleibshöhle zurückzieht und eine trich-
terförmige Höhle zum Durchgange der Darmcontenta aus dem obern Darm-
ende ins untere bildet. Dies ist am häufigsten der Fall, wenn nur ein Theil
der Darmwandung, nicht eine ganze Darmschlinge (^Enlerndialysis^ , z. B.
durch Verwundung etc., zerstört ist. Im letztern Falle liegen die Darm-
enden oft parallel oder im spitzen Winkel, bilden so eine her\'orspringende
Scheidewand und verhindern die gewünschte Communication , die dann ohne
Kunsthülfe nicht erlangt werden kann. 2) Ist ein künstlicher After die
FISTULA 775
Folge von penetrirenden Öauchwunden, von grossen Nabel- oder Ba'jch-
brüclien; so hellt häufig der verletzte Darm mit den Rändern der äiissefri
Wunde zusammen, oder der Bruchsack verwächst mit den Äponfeüroscn tind
Bauchdecken, es kann sich, weil das ausdehnbare Zellgewebe hier fehlt,
keine trichterförmige Höhle bilden und sich so das Darmstück in den Un-
terleib zurückziehen. In solchert Fällen kann nur durch eine zweckmässige
Kunsthülfe geheilt werden. Was nun die Cur des künstlichen Afters betriift,
so versuchen wir jedesmal 3) zuerst die Exspectationscur. Wir sorg«n füt
gehörigen Abfluss des Kothes, bedecken die Öffnungen mit Charpie, ver-
meiden jeden Druck auf die Fistel , geben gut nährende leicht verdauliche
Speisen, und rathen öftere Klystiere und gelinde den Leib offen erhaltende
Mittel an. Sind mehrere fistulöse Gänge da, so vereinigen wir sie durch
den Schnitt in einen Gang. Ist Irritation und Entzündung zugegen, so le-
gen wir Cataplasmata emoUientia, wodurch auch leichte Callositäten geho-
ben werden, auf. Sind letztere aber hart, fest, trocken, so schneiden wir
sie mit dem Messer weg. Zu enge Öffnungen, wodurch der Köthabfliiss
verhindert wird , erweitern wir durch Pressschwamm. Ohne grosse Noth
schneide man nicht in die Fistel, weil man dadurch leicht die mögli'he Ver-
wachsung mit dem Bauchfelle trennen kann. Ist die Öffnung durch Press-
schwamm erweitert, so verhüten wir die neuen Verengerungen durchs Ein-
legen eines grossen Bourdonnets , was auch dem Darmvorfalle am besten
vorbeugt. Bei Gegenwart des letztem versuchen wir zuerst, den Darm zu-
rückzubringen, entweder mit den Fingern oder, wenn dies nicht gelingt,
durch anhaltenden Druck mittels einer Binde, wobei das Bette gehütet und
jede Körperanstrengung untersagt werden muss. Bei eingeklemmtem Vor-
falle schneiden wir die Strictur an der Wurzel des Prolapsus vorsichtig ein.
Bei einer solchen mehr passiven und sanften Behandlung hat man oft die
Freude , dass nach Verlauf von Wochen , Monaten etc. die Naturkraft die
Fistel auf die beschriebene Weise (s. Nr. 1.) hebt, dass die Excrcmeute
successive, ohne dass Kolikschmerzen entstehen, den natürlichen Weg neh-
men, und der Koth nur wenig und selten aus der Fistel kommt. Unter sol-
chen Zeichen kann man die Fistel allmälig, doch nie zu schnell , nie wenn
Kolikschmerz und Kothanhäufung in der Fistelgegend stattfinden, zuheilen
lassen. Entstehen aber bei ziemlich geheilter Fistel Übelkeit, Erbrechen,
Leibschmerz, besonders in der Fistelgegend, schmerzhafte Spannung des Un-
terleibes, dabei Obstructio alvi, so hat sich der Koth zwischen den beiden
Darmenden zu sehr angehäuft. Hier muss man durch Pressschwamm die
Fistelöffnung erweitern (in dringenden Fällen, wo gefährliche Zufälle durch
die Kothanhäufung entstehen, durch den Schnitt), eine elastische Röhre ins
obere Darmstück einführen und auf jede Weise den angehäuften Excremen-
ten Ausfluss verschaffen; sonst berstet der ausgedehnte Darm und die Con-
tenta gehen ins Cavum abdomlnis, erregen Enteritis, Gangrän und Tod.
4) Aber nicht immer erreicht man durch ein solches passives Verfahren sei-
nen Endzweck; die Darmfistel bleibt, weil eine Scheidewand da ist, welche
die Communication des obern Darmendes mit dem untern unmöglich macht ;
dies ist um so gewisser der Fall, je mehr wir mit Ausdauer das eben (Nr. 3.)
beschriebene verfahren anwandten, ohne unsern Endzweck zu erreichen.
Was in solchen Fällen zu thun sey, darüber haben uns die Erfahrungen
von Dupuytren und Snhntier viel Auskunft gegeben, welche ich hier mit
Chelius's Worten (Chirurgie 3te Aufl. 1828. Bd. I. Abth. 1. S. 587) wieder-
geben will. „Man untersucht (in solchen Fällen) zuerst die Lage der bei-
den Darmenden aufs genaueste mit geölten dicken Sonden oder mit den Fin-
gern, wozu oft vorläufige Erweiterung der äussern Öffiung durch Press-
schwamm nothwendig ist. Fleischwucheryngen, die jedoch genau von einem
Darmvorfalle unterschieden werden müssen, entfernt man durchs Ätzmittel,
durch die Unterbindung oder die Scheere. Bedient man sich dicker Sonden
(weiblicher Katheter) zur Untersuchung, so Tfereinige man sie, wenn sie in
das obere und untere Darmstück eingebracht sind, au.«isen mit einander und
drehe sie um ihre Axe, welche Bewegung durch die Scheidewand gehindert
7^76 FISTULA
wird. Hat man sich von der Lage der Darmenden überzeugt, so leite man
auf dem Finger oder der Hohlsonde die Arme der Dupuytren'schen Dariu-
Bcheere in die beiden Darmenden, so dass, wenn sie geschlossen sind, we-
nigstens 272 Zoll von der Scheidewand gefasst wird. Man mache mit den
eingebrachten Zangenarmen dieselbe Drehung, wie mit den Sonden, um sich
zu überzeugen, dass sie gehörig eingebracht sind. Durch die an den Grif-
fen der Scheere befindliche Schraube wird sie auf den Grad geschlossen,
dass nur geringer Schmerz entsteht ; die Griffe der Zange werden mit Lein-
wand umwickelt und an einer T-Binde befestigt. Jeden Tag wird die
Zange etwas fester geschraubt. Erfolgt geringer Schmerz , so ist es gut ;
stärkerer gebietet Lüftung der Zange. Der Kranke geniesst blos milde Nah-
rung; man gebe ihm erweichende Klystiere. Gegen heftige Leibschmerzen
wendet man Olmixturen , besänftigende Klystiere , Umschläge , und bei ent-
zündlichen Zufällen angemessene antiphlogistische Mittel an. "... „ Wenii
die Darmscheere die Scheidewand durchschnitten hat und sich löset, so müs-
sen immer ervveii-hende Klystiere fortgesetzt, und die Schliessung der Fistel
darf nur versucht werden , wenn der Stuhlgang auf natürlichem Wege sich
schon längere Zeit, auch ohne Klystiere, eingestellt hat. Die Schliessung
der Fistel (welche oft die schwierigste Aufgabe des ganzen Behandlung ist)
kann man bewirken durch ruhige Lage, durch einen massigen Druckverband
mit verschieden geformten Pelotten und durch ein elastisches Bruchband,
durchs Betupfen mit Höllenstein, durch das Zusammenpressen der Fistel-
ränder mittels einer eigenen , von Dupuytren angegebenen Klemme , durch
Heftpflaster, durch die blutige Naht, oder auch durch Abtragung des gan^
zen Cirkels der der Adhäsion widerstehenden Schleimhaut an der Mündung
der P'istel, und selbst durch Ablösung eines Theils der äussern Bedeckungen
oberhalb der Öffnung derselben. Gewöhnlich bleibt diese kleine fistulöse
Öffnung mehrere Jahre hindurch, indem nur periodenweise einige Tropfen
Darmunrath abttiessen, und schliesst sich endlich von selbst." 5) Lst der
künstliche After schon veraltet oder die Operation fruchtlos angewandt, so
muss der Mensch sein Übel, das, wenn wirkliche Faeces abgehen, ausser
der Ekelhaftigkeit und Unbequemlichkeit keine unangenehmen Folgen hatj
geduldig ertragen lernen. Ein guter Apparat zum Auffassen der Excremente
ist hier sehr wünschenswerth. Der zweckmässigste besteht aus einem Bruch-
bande, welches statt einer Pelotte mit einer elfenbeinernen Platte versehen
ist, die in der Mitte eine Öffnung hat und mittels eines Cylinders aus Gum-
mi elasticum mit einem silbernen Behälter zusammenhängt , aus welchem der
Rückfluss der Excremente durch eine Klappe verhindert wird.
Fistula ureterica, urelJwaiis, urcthro- vaginalis, s. Fistnla urinaria.
Fistula urinaria, Urias, Urinfistel, Harnfistel. Lst eigentlich ein
langes, enges, an irgend einer Stelle mit den Harnwegen communicirendes
Geschwür, aus welchem Harn üiesst; doch versteht man darunter auch ein
Ulcus sinuosum in der Nachbarschaft der Harnwege, das nicht mit letztem
coramunicirt und daher auch keinen Harn excernirt. Ersteres ist die voll-
kommne, letzteres die unvollkommne Harnfistel (Fistula urinaria
completa et incompleta), ganz nach der Ansicht der Mastdarmfisteln, ge-
nannt worden. In praktischer Hinsicht dürfen beide hier nicht getrennt
werden. 1) Fisiula urinaria incompleta. Ist entweder eine äussere, fal-
sche oder innere. Erstere entsteht dui'ch Abscesse, Geschwüre in der
Nähe des Harnröhrencanals , indem sich der Eiter hier ansammelt, nach ver-
schiedenen Richtungen senkt, das die Urethra oder die Blase umgebende
Zellgewebe zerstört , und sich so ein Ulcus sinuosum, oft complicirt mit In-
durationen , Caries der Beckenknochen etc. bildet , das ohne Kunsthülfe nicht
heilt Erkannt wird es theils aus der Anamnese, theils aus der Untersuchung
mit der Sonde, die nicht in die Harnröhre oder Blase eindringt, nicht mit
dem eingebrachten Katheter in Berührung kommt, wobei das Geschwür auch
nie Urin , die Harnröhre nie Eiter aussondert. Letztere (die Fistula urina-
ria incompleta interna) entsteht gewöhnlich auch an der Urethra, seltener
an der Blase oder den Ureteren, ist die Folge von Zerreissungen dieäer
FISTULA 777
Thelle dnrch Snssere Gewaltthätigkeiten , durch Zui-Gckhaltitng des Harns,
naheliegende Abscesse, durch eingeklemmte Steine, durch rohes Katheterisi-
ren, wobei die Pars membianacea durchstossen worden. Erkannt wird die-
selbe durch die anamnestischen Zeichen, durch das Gefühl von Schmerz
während und nach dem Harnlassen, durch blutigen, eiterartigen Ausfluss
aus der Harnröhre, besonders aber durch eine sich während des Uriniren^
vergrössernde Geschwulst, welche durch äussern Druck kleiner wird oder
ganz verschwindet, worauf Urin mit Eiter vermischt aus der Harnröhre oder
in das Zellgewebe fliesst , und im letztern Falle eine nicht begrenzte Urin-
ergiessung bildet. Ausserdem fehlt, wie schon der Name anzeigt, die äus-
sere Fistelöflnung. !2!) Fistula urinnria completn. Sie kommt am häufigsten
vor; ihre innere Öffnung mündet an irgend einem Punkte. des uropoetischeii
Systems , entspringt entweder aus der Niere , den Ureteren , der Blase oder
der Urethra; ihre äussere, mitunter von der innern sehr entfernte Öffnung
zeigt sich bald am Damme, bald am Hodensacke, an der Ruthe, am Hin-
terbacken, am Schenkel, an den Lenden, am Unterleibe, in der Vagina
oder iai Mastdarme. Der Fistelgang ist gewöhnlich ein krummer , mit har-
ten, callösen Wandungen; oft führen mehrere Gänge zu einer und derselben
innern FistelöfFnung, nur selten sind mehrere äussere und ebensoviel innere
Öffnungen zugegen. Zuweilen kommt die complete Urinfistel nicht zu Ta-
ge, steht mit dem Colon in Verbindung, wo der Urin mit dem Stuhlgange
aböiesst; oder mit der Vagina, oder gar mit dem Cavo abdominis; im letz-
tern Falle entsteht eine tödtliche Urinergiessung. Ursachen. Sind sehr
mannigfaltig; vorzüglich aber folgende: 1) Mechanische Schädlichkeiten s
Zerreissungen , Verletzungen der Blase etc. durch Blasensteine, Wunden,
besonders Stichwunden, durch schwere Geburten, rohes Accouchement, wenn
bei Zangengeburten, besonders bei Querlagen und bei vereitelten Versuchen
zur Wendung auf die Füsse die Zange an den Kindeskopf gelegt und zu-
gleich die Urinblase mit gefasst wird. Auch der Blasenstich durch den
Bauch oder durchs Rectum, der Steinschnitt etc. können unter ungünstigen
Umständen, mangelnder, verkehrter Behandlung Schuld seyn; desgleichen
grosse Nierensteine mit Nierenabscessen etc. '.^) Chemische Schädlichkeiten :
z. B. scharfe, corrodirende Jauche durch Carcinoma recti, vaginae, kann die
Häute der Blase etc. durchfressen und so die Fistel erregen. 3) Alles , wa.H
incomplete innere oder äussere Harnfisteln erregt: grosse Ausschweifung^
in Venere, Abscesse und Geschwüre im Mastdarm, Mastdarmfisteln, Ge-
schwülste und Geschwüre, in Eiterung übergegangene Verhärtungen in der
Nachbarschaft der Harnwege etc. , ist als entfernte Ursache der completeri
Harnfistel anzusehen, da aus der Fistula urinaria incompleta bei mangelnder
oder verkehrter Behandlung leicht eine Fistula urinaria completa wird.
Prognose. Sie hängt mehr von dem Sitze und der Dauer der Fistel, von
den ihr zum Grunde liegenden Ursachen, von der Constitution des Subjects,
ob dieses bei guten Säften, oder kachektisch: scrophulös, syphilitisch ist,
an Dyscrasia cancrosa, scorbutica, rhachitica etc. leidet, ab, als von der
Diagnose in Fistula completa et incompleta. Erstere heilt, wenn die innere
Öffnung mit keinem Substanzverlust verbunden ist, oft recht gut, die Fi-
stula urinaria urethralis heilt , unter . gleichen Umständen , leichter als die
Fist. urin. vesicalis. Ist die Urethra aber mit bedeutenden Stricturen be-
haftet und degenerirt, ist sie gänzlich verstopft und kann die Öffnung nicht
wieder hergestellt werden, so ist die Heilung unmöglich und der Kranke
kann zufrieden seyn, dass der Urin nur auf abnormem Wege abfliesst. Höchst
schwierig heilen diejenigen Fisteln , welche mit dem Colon , dem RectuiA
oder der Scheide communiciren. Dass Kachexien und Dyskraslen aller Art,
geschwächte Gesundheit, Abmagerung, Zehrfieber etc. ausserdem die Pro-
gnose sehr trüben, versteht sich von selbst. Cur. Sie erfordert genaue
Unterscheidung der Fälle, richtige anatomische und chirurgische Kenntnis.s,
Übung in technischer Anwendung von Instrumenten, Fertigkeit im Operiren
und — Geduld. 1) Höchst wichtig ist die Verhütung der Fistel, was in
vielen Fällen durch zweckmässge Behandlung der dem Übel vorhergehenden
778 FISTULA ,
Schäfllichkeiten: der Verwundungen, durch Vermeidung der Operatbnen an
der Blase kachektischer Steinkranken, durch richtige innere Cur der etwa
vorhandenen syphilidschen Dyskrasie etc. erlangt werden kann. Zeigen sich
Abscesse in der Nachbarschaft der Blase, der Harnröhre, so müssen diese
nicht zu spät geöffnet und der Krebs des Rectums j der Vagina nicht der
Natur überlassen , sondern für gehöriges Reinhalten , Abfluss der Jauche,
Verbesserung derselben durch Antiseptica etc. gesorgt werden. 2) Die in-
complete äussere Harnfistel behandeln wir wie jedes andere fistulöse Ge-
schwür. ErvYeiterung des meist engen Fistelganges durch den Schnitt in
konischer Gestalt, so dass die Spitze desselben gegen die Urethra oder die
Blase (nach Verschiedenheit der Direction der blinden Fistelöffnung) gerich-
tet ist, also Blosslegung des Eiterherdes, Örfnung eines jeden Nebenganges,
Sorge für gehörigen Abfluss des Eiters, und später ein comprimirender Ver-
band; dieses Verfahren reicht hier schon hin, um die Heilung zu bewirken.
Zugleich muss der Kranke massig leben, Spirituosa meiden, zuweilen ein
Laxans aus Rheum, Senna und Sal Glauberi nehmen, nährende, reizlose,
gewürzlose Kost genicssen und sich geistig und körperlich ruhig verhalten.
Sind Callositäten da, so erweichen wir diese durch Cataplasmata emolUentia,
nach Umständen mit gewissen Reizmitteln verbunden , durch Digestivmittel,
und achten darauf, ob Caries oder Dyskrasie: Syphilis, Arthritis, Scrophu-
losis, Rhachitis etc. da ist, wornach die innere Cur eingerichtet werden
muss. 3) Bei Fistula urinaria incompleta interna ist häufig die Harnröhre
verengt. Wir erweitern sie zuerst durch Application der Bougies , und le-
gen dann anhaltend einen Katheter von mittler Dicke ein, wodurch der freie
Abfluss des Urins befoi'dert und, bei frischem Übel, oft die Heilung allein
erlangt wird , indem wir so den Andrang des Urins zur Fistel verhüten.
Bei alten Fisteln gelingt dies aber selten. Hier müssen wir durch eine In-
cision aus der Fistula incompleta eine completa machen. Auch wenn be-
deutende Harninfiltrationen da sind , versäume man den Einschnitt nicht,
sonst entsteht durch die Harninfiltration, die durch Compression nicht im-
mer verhütet oder entfernt werden kann, der Brand dieser Theile. 4) Com-
plete Urinfisteln, deren innere Öffnung in die Nieren oder Harnleiter geht,
werden oft durch Nierensteine oder andere fremde Körper, oft allein durch
den gehinderten Abfluss des Urins aus der Blase, unterhalten. Durch Ent-
fernung der Ursachen^ z. B. durch Wegräumung des fremden Körpers, durch
Er\^eiterung der Harnröhre etc. gelingt hier oft die Heilung. Sind solche
Ursachen aber nicht zugegen, so ist die Heilung sehr schwierig, ja unmög-
lich. Dahin gehören z. B. die Urinfisteln als Vitium congenitum, wo in sel-
tenen Fällen der Urachus offen blieb und der Urin am Nabel ausfloss etc.
5) Bei der completen Harnröhrenfistel legen wir zuerst elastische Bougies
und Katheter nach Massgabe der Verengerung ein, und gehen suecessive von
den dünnern zu den dickern Kerzen und Kathetern über, um die Urethra
allmälig zu ihrem natürlichen Lumen zu bringen. Mitunter müssen wir die
Stricturen auch durch andere Mittel, durchs Causticuin, durch den Schnitt
etc. heben (s. Strictura urethrae). Zugleich sorgen wir für Reinlich-
keit der Fistel und der Umgebung derselben, wenden bei gereiztem Zustande
der leidenden Theile warme Umschläge, im Nothfalle Blutegel, warme Halb-
bäder an, entfernen etwanige fremde Körper aus der Fistel, berücksichtigen
das Allgemeinleiden, den Kräftezustand des Kranken und richten darnach
die innere Cur ein. Hiinter, Richter, Bell widerrathen zwar das Einlegen
des Katheters; doch bleibt er, wo Stricturen sind, stets nothwendig, um
den Urin auszuleeren, und wir lassen ihn deshalb auch liegen und befesti-
gen ihn mit einer T-Binde. Nur da, wo keine Stricturen sind, wo die
Fistel durch Ulceration der Harnröhre entstand , wo die letztere höchst reiz-
bar ist und das Katheterisiren viel Schmerz erregt und die allgemeine Rei-
ruug vermehrt, passt seine Anwendung nicht. 6) Haben wir auch den na-
türlichen Weg zum Abfluss des Harns g< bahnt und ist die Harnröhre bis zu
ihrem natürlichen Lumen erweitert worden, so heilt dennoch nicht immer
die Fistel, weil häufig der ganze Fistelgang callös ist. Hier führe man eine
FISTUJ.A 779
Hohlsönde in die Fistel, bringe sie mit der Rinne einer In die Blase -^e-
brachten gefurchten Sonde in Berührnng und erweitere die B'istel durch den
Schnitt mittels des Bistouris dergestalt, dass die Wunde eine Trichterform
erhält und mit ihrer Spitze der Innern Fistelöffnung entspricht. Callositäten
an den Rändern der letztem müssen scarificirt oder, nach A. Cooper, mit
Salpetersäure betupft, und dann die Wunde, wenn es der Sitz der Fistol
an der Harnröhre erlaubt, blutig vereinigt werden;, wo nicht, so stopfen
wir die Wunde mit Charpie oder mit Leinwandstreifen bis an die Wunde
<ler Harnröhre , nicht aber in diese , aus , verbinden mit Heftpflaster und
T - Binde, und sorgen dafür, dass durch gutes Verhalten und einfachen Ver-
band die Wunde vom Grunde aus durch Granulation sich schliesst. 7) Sind
mehrere Fistelölfnungen da, so müssen sie sämmtlich in solchen Fällen mit-
tels Hohlsonde und Bistouris getrennt werden. Sitzt die F'istel an der Seite
der Harnröhre, so bringen wir eine gefurchte Sonde in dieselbe, eine an-
dere in die Fistel, setzen beide in Berührung und erweitern darauf den Fi-
stelgang durch den Schnitt in konischer Form. 8) Sehr schlimm sind die
Harnfisieln mit einer solchen Strictur der Harnröhre, bei der völlige Ver-
"wachsung stattfindet. Hier erweitern wir erst die Fistel, und führt sie nicht
zur Strictur, so müssen alle sie bedeckende Weichgebildc in der Richtung
gegen die Spitze der Leitungssonde eingeschnitten und diese bis in die Blase
vorgeschoben werden. Diese Operation ist aber schwierig und wegen der
v-u fürchtenden bedeutenden Blutungen, der heftigen Entzündung, der oft
folgenden profusen Eiterung, die Zehrfieber erregen kann, nicht ohne Ge-
fahr. 9) Bei der Mastdar m - ßl asenfist el bringt man einen biegsamen
Katheter einen Zoll weit in die Blase, befestigt ihn gehörig mit einer T-
Binde, sorgt dafür, dass er sich nicht verstopfe, dass der Mastdarm täglich
durch Kljstiere entleert und gereinigt werde , und lässt den Kranken bei
strenger und stärkender Diät die Seitenlage im Bette beobachten. Dadurch
wird der Urin fortdauernd von der Fistel abgehalten und mitunter nach ei-
nigen Wochen strenger Beobachtung dieser Curregeln Heilung bewirkt.
Häufig ist diese Fistel Folge der Verletzung des Mastdarms beim Stein-
schnitte. Gelingt die Cur auf die genannte Weise nicht , so versuchen wir
erst die Atzmittel oder Glüheisen , appücirt an die Fistelöffnung im Mast-
darme, die das Speculum ani Dunuifireti's entdeckt, oder wir spalten das
Rectum vom Punkte der Verletzung bis zu seinem Ende {Desaull, Dttpuytren.
S. Animon, Parallele d. franz. u. deutschen Chirurgie. 182S. S. 111). Fünf
bis sechs Cauterisationen reichen oft hin , das Übel zu heilen oder zu ver-
bessern (s. Chelius, Chirurgie. Bd. L Abth. 2. S. 614). 10) Die Blasen-
Scheidenfistel ist ein sehr schlimmes Übel, leider! bei schweren Ge-
burten, rohem Accouchement durch unwissende Geburtshelfer und Hebammen,
deren Zahl unter Badern und alten Weibern in Deutschland noch immer
nicht gering ist, gar so selten nicht, indem Entzündung, Zerreissung, Brand
der Vagina dem Übel vorhergehen. Die Beschwerden dieser Fistel sind
höchst traurig, die Geschlechtstheile werden durch den stets austiiessenden
Urin entzündet, excoriirt, die reinlichsten Frauen bekommen einen ekelhaf-
ten Uringeruch, des eheliche Glück und die Zufriedenheit der Gattin wird
selbst oft getrübt; die Schamlefzen und Nymphen schwellen an, es bilden
sich Concremente zwischen ihnen, die Blase verliert nach und nach alle
Capacität, die Harnröhre verengert sich etc. Bei der Cur haben wir dahin
zu sehen , dass der Durchgang des Urins durch die Vagina verhindert und
dass Annäherung der Wundränder, soviel als möglich, bewirkt werde.
«) Bei frischer Fistel hilft oft folgendes, Monate lang fortgesetztes Verfah-
ren. Wir bringen einen dicken, biegsamen Katheter in die Blase, befesti-
gen diesen mittels eines verschiebbaren und mit einer Öffnung zur Aafnahme
des Katheters versehenen silbernen Stabes an eine bruchbandähnliche Ma-
schine. Zugleich suchen wir durch eine VVieke von Leinwand, durch einen
mit Charpie ausgestopften, mit Gummi elasticum oder Wachs überzogenen
Handschuhfinger, oder durch eine kleine Flasche von Gummi elasticum,
woran vorn ein dünnes Stück Schwamm befestigt, welche Dinge in die
780 FISTULA
Vagina gebracht werden , die Wundränder einander zu nähern , wobei die
Kranke die Rückenlage stets vermeiden muss (^üesault, Barnes}. Dabei mü.s-
gen die Tampons oft herausgenommen, gereinigt und durch neue ersetzt wer-
den, i) Bei alten Fisteln hilft die angegebene Curmethode nichts; hier ist
die FistelölTnung meist rund, callös. In diesem Falle, desgleichen da, wo
<iie Frau sich der bei a) angegebenen langweiligen Cur nicht unterwerfen,
«ondern schneller geheilt seyn will, müssen wir operiren. Für specielle
Fälle sind hier die verschiedenen Operationsmethoden von Roonhuysen , Nä-
gele, Dupuiflren, Lallemand u. A. in Anwendung zu bringen. Chelitis (a. a. O.)
sagt darüber Folgendes : ., 1) Nach vorangegangener Anfrischung der callö-
sen Ränder der Fistel suchen wir dieselbe blutig zu vereinigen, was nach
HoonhuysetCs Vorschlag Falio und Völler verrichtet, wozu Nägele verschie-
dene Technicismen (Vereinigung der Fistelränder durch die Vereinigungs-
zange ohne Ligatur, durch die Umstechung mittels einer Nadel und Einzie-
hung von Fäden, welche man zusammenwindet, durch die- Vereinigungszange
nebst einer Ligatur, und durch die umschlungene Naht) vorgeschlagen, und
welche Schreger (Annalen des chirurg. Klinikums zu Erlangen. 1817. S. 78)
durch die Kürschner - und die Knopfnaht mit glücklichem Erfolge neuerdings
ausgeführt hat. Nach vorgenommener Vereinigung der Fistelränder muss ein
Katheter anhaltend eingelegt werden («) und die Operirte die Rückenlage
vermeiden. Heilt die Fistel nicht völlig, so kann die Operation wiederholt,
oder die Schliessung der Fistelöffnung, wenn sie klein ist, durch vorsichtiges
Betupfen mit Höllenstein (vielleicht mit dem Glüheisen) und das Einbringen
von Tampons , welche mit Digestivmitteln bestrichen sind, versucht werden.
Wäre nach geheilter Fistel die Blase zusammengeschrumpft, so kann man
sie durch milde Einspritzungen auszudehnen suchen. 2) Dupuytren bringt
sein oben otfeues Speculum vaginae, mit dem Ausschnitte nach Oben ge-
richtet, in die Scheide, und dann das Glüheisen oder den Höllen- oder
Ätzstein, an einem dünnen Stabe befestigt, in den Cjlinder, berührt damit
die Fistelmündung während einer Minute und spritzt dann lauwarmes Was-
ser ein. Oft wird in 5 — 6 Tagen eine gleiche Application nothwendig.
Durch ein vorgehaltenes Licht kann man die Stelle der Fistel erleuchten
(s. Sntison in Sabatier^s Medecine op^ratoire. Nouv. ^dit. Vol. I. p. 49).
3) Lallemand {Froriep''s Notizen. Nr. 2S2. S. 186) macht zuerst mit einem
Modellirwachs einen Abdruck der Fistel, um den Umfang ihrer Öffnung und
ihre Entfernung von der Scheidenöffnung genau zu kennen. Hierauf werden
die Ränder der Fistel , mittels eines eigenen auf einen Ring befestigten Ätz-
niittelträgers , mit Höllenstein vorsichtig berührt und so zu einem gehörigen
Grade von Entzündung gebracht. Hat sich der Brandschorf gelöst und die
Ränder der Fistel sind roth, geschwollen und in Eiterung, so bringt Lnlle-
mand seinen Vereinigungskatheter ( Sonde -airigne) ein, welcher den Harn
aus der Blase ableitet und zugleich Haken enthält, die in den hintern Rand
der Fistel eingesetzt und wodurch die beiden BMstelränder einander genähert
und in Berührung gehalten werden. Reicht einmalige Berührung des Instru-
ments nicht hin, so wird es wiederholt angewandt. Die veränderte Beschaf-
fenheit der Fistelöffnung und ihre Vernarbung erfährt man durch wiederholte
Anwendung des Modellirwachscs. " So weit ChcJius. Da der Endzweck
dieser Operationsmethoden Vereinigung der Fistelränder durch Entzündung
bezweckt, so verdient auch Alter und Constitution des Kranken, wornach
sich bekanntlich jede Entzündung modificirt, Berücksichtigung. Bei jungon
vollsaftigen Frauen mag daher der Schnitt und die Vereinigung durch Liga-
turen, Nadel und Faden den Vorzug verdienen, bei altern, laxen, ge-
schwächten , kachektischen Weibern dagegen das Ätzmittel oder Glüheisen,
welches Mittel hier alle Aufmerksamkeit verdient.
FisluJa venIricuU, die Magenfistel. Sie folgt am häufigsten auf Ab-
scesse und Stichwunden, welche penetriren und eine Verwachsung zwischen
der Fistelöffnung und den naheliegenden Theilen erregen. Man hat Bei-
spiele, dass Menschen 12 Jahre, Andere S8 Jahre das Übel ohne Beschwerde
ertrugen, wenn anders die Fistelöffnung nur klein, nur einige Linien, V4 — '/■,
FLATULENTIA — FLUXUS 781
Zoll gtoas in der Peripherie, war; doch musste die Öffnung, sollten nicht
Speisen und Getränke ausfliessen, mittels eines Pfropfs verstopft werde»;
auch war das Tragen eines Bauchgürtels nothwendig. Klein, Wenler, Go-
tht, EHmüller, Menzel, Sicigertlinl u. A. haben solche Fälle beschrieben.
Cur. Verhütet wird das Übel durch richtige Behandlung der penetrirenden
Wundei (s. Vulnus ventriculi, abdominis); doch ist dies nicht immer
möglich, so .^ie mir denn auch ein Fall bekannt ist, wo ein junger Mensch
ein Messer verschluckt hatte, welches erst nach Jahren sich einen Weg
nach Aussen bahnte und eine Magentistel hinterliess. Das Radicalmittel
möchte darin bestehen, durch Hautüberptlanzung und nach Vclpenu's Me-
thode die Fistel zu heilen. S. Fistula laryngis et tracheae.
. ■ F^^^^«?« D<?sicrt/is, Harn blase nfistel. Ist eine nicht selten vorkom-
mende Art von Harnfistel, die am häufigsten an» Blasenhalse vorkommt, be-
sonders in Folge recht heftig entzündlicher Tripper, wenn Schonung und
Kühe fehlt oder gar keine oder verkehrte reizende Behandlung stattfindet.
Ich kenne einen Mann, der sich bei heftiger Gonorrhöe auf Reisen befand,
täglich mehrere Meilen fuhr, keine strenge Diät hielt und nach 4 Wochen
Hiebt allein sich bedeutende Stricturen der Harnröhre, sondein auch *ine
anii Mitteltteisch sich öffneiide Harnblasenfistel zuzog. Die Heilung der letz i
tern. gelang nicht; der Kiianlkflf; behielt noch Jahre lang sein Übel, beim
üciriiren hielt er indessen stels"den Finger auf die Öifnung, und so schlos«
sich dieselbe. zuletzt von selbst. S. auch Fistula urinaria.
Flatulentia, Flnlus, Blähungen, Winde im Leibe, in den Ge-
d-ärmen, Abgang dieser Winde. Ist Übermass von Gasentwickelung aus
Schwäche der Digestionsorgane, oft verbunden mit Krampf, wodurch ni3,n-
cherlei' Beschwerden entstehen (s. Co lica'fl atu lenta). Wir beobachten
die Flatulenz am häufigsten bei Hypochondrie, Hysterie, Kardialgie, Pyro-
»is, Icterus, Haematuresis, 'Infarctus, äträt Biiis und andern Übeln des Un-
terleibes , bei Krämpfen , Katalepsie , Chorea, Epilepsie etc. Zuweilen ruhi-t
diese Flatulenz gar nicht vom Darmcanale her,- sondern es ist eine Diathe-
sis pneumatosa des Zellgewebes, welche im höhern Grade Emphysema uni-
versale erregt (s. d. Art. Tympaniti;*), wogegen palliativ das Streichen
und Manipuliren hilft,
Flexio uteri, Beugung des Uterus, wo der Grund der Gebär-
mutter entweder vor-, rück- oder seitwärts geschoben ist; s. Hystero-
loxia.
FloccilegiuiQ} Floccorum venatus, das Flockenlesen, s. Carpho-
1 0 g i a.
Fluctuatio, das SchAvanken, Schwappen, die Fluctuation.
Hierunter versteht man in der Chirurgie das schwankende Gefühl , welche»
eich dem Finger oder der Hand darbietet, sobald man einen Theil des Kör-
pers untersucht, welcher widernatürliche Flüssigkeit: Eiter, Lymphe, Jau-
che etc. enthält. Die Wahrnehmung der B'luctuation ist bei Untersuchung
von Abscessen zur Diagnose nothwendig; doch gehört oft ein feines Gefühl
dazu. Flüssigkeiten, die sich in Folge abnormer Secretionen in der Brust-
und Bauchhöhle befinden, entdeckt man durch die Auscultation , durclu
Stethoskop und durch den Plessimeter (s. d. Artikel).
Flumen dysentericum , die Ruhr, s. Dysenteria.
Fluor albusi» muliebris, vayinae, uterinus, der weisse Fluss, s. lieu-
corrhoea. > , V
Fluxus , Fluwio. So nannten die Alten den Katarrh , worunter ^ie
mancherlei blennorrhoische und andere Übel verstanden,
Fluxio frigida. Ist der veraltete Name für Apoplexia.
Fluxio alvina, der Durchfall, s. Diarrhoea.
Fluxus aurium, Ohrenfluss, s. Otorrhoea. . : '.
Fltixm coeliacus, Coeliaca, Coeliaca Affeclio; CoeliacttPaisiö^ Pnaslo
veniriculosa , Diarrhoen chymosn, D. laden, D. chylosn , FlUfnis chlJlosJ^s,
782 FLÜXÜS
Murlns voelirtcus , Clußiiorrlwea , Chylorrhocn , Fluor nlhus inlestinonaiiy
Rlilchr iihr, weisse Ruhr, weisser Bauchfluss. Ist chronische
Blennorrhoe des tiefern Theils des Darmcanals, verbunden mit erhöhtet
Ueizbarkeit desselben (ähnlich dem Fluor albus der Frauenzimmer), mit
dem Abgange eines weisslichen oder weisslich - grauen Schleims aus dem
Mastdarme , der unter Tenesmus und so erfolgt , dass die natürliche und
gewöhnliche Leibesöffnung von dieser krankhaften Ausleerun;,' verschieden,
ganz für sich und zu anderer Zeit eintritt (^Hichter, Sommerring , Dreifssigi
Lhthoff). Die Alten glaubten, dass Chymus und Chylus abgehe, vermisch-
ten die chronischen Blennorrhöen der Digestionsorgane , die iiuiern Vereite-
rungen und die Lienterie mit diesem Übel (daher die verschiedenen unrich-
tigen Namen) , und nur in neuei'er Zeit unterschied man dasselbe genauer. -
Symptome und Verlatif. 1) Das Hauptsymptom ist der unter* Tenes-
mus erfolgende Abgang der geininnten weisslichen , milchartigen , dem Eiter
oder Chylus ähnlichen Flüssigkeit , der des Tages oft alle Stunden erfolgt,
jueist oluie die natürliche Leibesölfnung, zuweilen kurz vor dem Stuhlgange,
mitunter init kleinen Blutstreifen vermischt. Die Quantität beträgt höch-
6t<$^s 1' — 2 Esslölfel voll. 2) Dabei vermehrte Empfindlichkeit des Untor-
leil>ÄS, besonders in der Gegend des Colon träiisversum und Coecum. 3) Die
Krankheit entsteht nie bei Gesunden,, sondero^lbei kränklichen Menschen,, die
oft ^chwi lange vorher an Dyspepsie, Drucie*-in der Herzgrube, Flatulenz,
P^robis, Appetitlosigkeit, abwechselnd mit Appetitus jnorbosus , an Koliken,
Kardialgie etc. gelitten. 4) Das Übel ist langwierig und hartnäckig, kann
Jahre lang dauern, macht oft bedeutende Re t- und Intermissionen, besonders
in 4ßr schönen Sommer- und Herbstzeit, erscheint häufig nur als Symptom
tieferer Leiden der Digestion, welche stets gestört ist; dabei sind hysteri-
sche, spasmodische Beschx'yerden, Koliken, Blaisenkrarapf njcht selten; spä-
terhin magert der Kranke ab, die Kräfte sinken, er ist njürrisch, verdriess-
iich, laimig, der abgehende Schleim wird übelriechend, blutig, serös, die
H^ut ist trocken und dürr, die Krankheit endet, indem der Tod durcU
Febris hectica erfolgt. 5) Die Section zeigt vergrösserte , angeschwollene
Schleimdrüsen des Darmcanals,, solphe mesenterische Drüsen, Abnorn)itätßp
in der Leber, der Milz, dem Pankreas, wie bei Melaena, materieller Hypo-
chondrie. Ursachen sind: Hämorrhoidalcongestion, Menstruatio suppressa,
Status verminosus, besonders Askariden, Missbrauch drastischer Purgirmit-
tel, vorhergegangene Koliken, heftige Ruhren und Durchfälle, verschiedene
Desorganisationen der Abdominaleingeweide, anomale Gicht und Rheumatis-
mus, chronische Exantheme etc. Behandlung. IVfan unterscheide geimn
die Fälle «ach den Ursachen, untersuche den Zustand der ganzen Gesund-
heit des Kranken, berücksichtige die Dauer des Übels, das Localleiden und
curire den Kranken nicht geistlos empirisch, wie dies hier so oft geschieht,
sondern nach rationellen Grundsätzen. Hier sind folgende Punkte zu beher-
zigen: 1) Die Fälle, wo Askariden Schuld sind, sind selten, kommen nur
bei Kindern vor, erfordern Klystiere von kaltem Wasser, bei hoher Reiz^
barkejt des Mastdarms von Haferschleim etc. , um die Askariden zu entfer-
nen. iJ) Leiden abgezehrte, atrophische, scrophulöse junge Leute an der
Milchmbc, so ist sie Symptom jener Übel und verschwindet bei richtiger
Behandlung derselben. 3) Bei jungen Mädchen ist zuweilen Onanie Schuld.
4) Örtliche Reizungen des Mastdarms durch Päderastie, durch Ansteckung
von Tripperstoff, durch Geschwüre imd Fisteln, welche eine sogenannte
fäls(;he Milcbruhr erregen, heilen wir durch die dagegen zweckdienlichen
Mittel. 5) Hämorrhoidalbeschwerden sind bei Männern oft die Ursache des
Fluxus coeliacus , der hier weiter nichts ist als Schleimhämonhoiden im ho-
hem Theile des Darmcanals. Häufig verschwindet das Übel mit dem Ein-
tritt des blutigen Hämorrhoidalflusses. Die Cur ist hier ganz die der gold-
nen Ader; wir geben inneillch Crem, tartar. , Schwefel, bei Torpor Aloe,
Eisen etc. , um die Hämorrhoiden in Fluss zu bringen. 6) Häufig entsteht
da« Üb/ei durch anomale Gicht. Hier gebe man Guajak, Schwefel, Kalk-
vva«äer; späterhin Decoct. uvae ursi, täglich zu 3J — 3JJ auf 10 Unzen Co-
FLÜXUS 783
latur ; daneben Schwefelbadei und ander© Antarthritica 7) Steht das Übel
mit chronischen Exanthemen in Verbindung, mit denen es auweilen selbst
alternh-t., so thun allgemehie Bäder, Vesicatorien auf den Unterleib, inner-
lich Antimonialia und Mcrcurialia gute Dienste. 8) In hartnäckigen Fällen
achte man stets auf Plethoi-a abdominalis, atra Bilis, auch Anschoppungen
und Verhärtungen der Leber, der Milz, gebe innerlich Gunimata ferulaeea,
Asa foetida, Kxtr. chelidonü , taraxaci, mit Aloe, Sulph. praecip. etc.
(s, Haemorrhagia. ventriculi, Haemorrhoides, Infarctns)^. 9)Oft
ist allgemeiner Status pituitosus da, welchen wir behandeln müssen (s. Blen-
norrhoea ventriculi et intestinorum). 10) Äussere Mittel: reizende
Einreibungen in den Unterleib, allgemeine Bäder luid besonders zweckmässig;
ausgewählte Klystiere unterstützen sehr die Cur. Bei heftigen Anfällen von
Tenesfljus dienen Lavements von Salep, Stärkemehl, Milch, mit Zusatz von
Opijiijx, späterhin, von adstringirenden Decocten von Lign. campechiense,
Cort. ulmi «ampestr.;, mit. etwas Opium. In hartnäckigen Fällen passen
Klystiere aus kaltem Wasser, aus Aqua Goulardi mit Laudanum , anhaltend
gebraucht. In einem Falle der Art halfen folgende Klystiere : ^r Mercur.
&uhUm. corros. gr. iv, Aq. iialcis £j, Lnud-lüfuid. Syd. 5)y. M. S. Zu 6
Klystieren, täglich eins mit lauwarmer Milch zu setzen (^Most), welche acht
Wochen lang angewandt wurden, nachdem vorher und zugleich innerlich
anhaltend Rheum, Quassia, Gentiana rubn, Cort. cascarilL imd 'Simaruba
und zuletzt Pyrmonter Brunnen verordnet worden. .
Fluxus colliquntivus , s. Diarrhoea coUiquativa.
Fluxus cruenim cutn tenesmo. So nennen Einige nicht ganz unpassend
die Ruhr; s. Dysenteria.
FluxttiS Jinemorrhoidalis , s. Haemorrhoides.
Fluxus hepniicus, Hepatorrhoea, Dysenteritt Jiepaticn (^Gordoii), Diarrhoea
serosa - $a/)iguinea , Leberfluss. Unter diesen Benennungen versteht man
verschiedene langwierige Krankheitszustände , bei denen durch den After
serös -blutige, oft jauchige, ichoröse, eiterähnliche Flüssigkeit ohne Kolik-
schmerz und ohne Tenesmus abgeht. Wir unterscheiden hier 1) Fhixus
hepaticus verus. Hier sitzt das Übel wirklich in der Leber, diese sondert
statt wirklicher Galle blutige Galle ab. Vorboten sind Gefühl von Voll-
heit und Spannung in der Lebergegend, Leibesverstopfung, Übelkeit, zu-
weilen galliges Erbrechen, oft Ausleerung von Blut und Galle nach Oben.
Cur. Ist die der Leberkrankheiten, der Plethora abdominalis, Melaena etc.
(s, Haemorrhagia ventriculi). 2) Fluxus hepaticus spuritis. Hier ist
der Sitz nicht die Leber , sondern ein anderes Organ ; man nennt daher das
Übel häufiger und richtiger nach Verschiedenheit des leidenden llieils, wor-
in die blutige Secr.etion stattfindet , Fluxus pancreaticus, mesentericus, Flttxus
splencticus. Hier ists weiter nichts als Vomitus cruentus und Morbus niger
(s. Haemorrhagia ventriculi). In andern Fällen ist der falsche Leber-
Llutfluss kein blutiges Secret, sondern röthliche Jauche, welche aus Leber-
geschwüi-en kommt und. durch den Darmcanal ausgeführt wird (s. Inf lara-
in atio hepatis). Hieraus geht schon hervor, dass die Symptome de«
Übels nach Verschiedenheit des Grundübel* sehr verschieden seyn müssen.
Am häufigsten finden wir ausser dem beschriebenen Abgange folgende Zei-
chen: «) Chronische Dyspepsie, Ructus, Flatus, Pyrosis, Übelkeit, weiss-
lich, schmuzig belegte Zunge, unangenehme Gefühle im Unterleibe, schlechte
Gesichtsfarbe als Vorboten und Begleiter des .Übels. 6) Die entarteten Aus-
leerungen stellen, sich ganz alhnälig ein, erfolgen anfangs nur mit der Lei-
besöfl'nung und werden kaum bemerkt; später erscheinen sie auch ohne
Stuhlgang, doch nie öfter als 3 — 6mal den Tag, sind röthlich, gelblich
von Farbe, meist dünnflüssig, oft geruchlos, oft süsslich , faul, cadaverös
riechend, von Quantität verschieden, meist in grösserer Menge als bei Fluf
Jius coeliacus, c) Mit der Zunahme der zum Grunde liegenden organischen
Fehler entstehen nun icterische Zufalle-, Abmagerung, Febris hectica, zu-
letzt Wassersucht und der Tod. rf) Das Übel ist sehr langwierig, kann
Mpn^te^ ja selbst ein ganzes Jahr dauera, iiaacht mitunter R^- und Inter-
784 FLÜXUS
missionen , geht überhaupt gleichen Schritt mit der Besserung oder Ver-
sclilimnierung des Gruiidübels, und ist, kann letzteres nicht gehoben wer-
den, unheilbar. Ursachen sind: Plethora abdominalis, atra Bilis, krank-
haft erhöhte Venosität, und deren Begleiter und Folgen: Stockungen,
Verhärtungen in Leber, Milz, Infarcten; ferner Geschwüre der Leber, un-
terdrückte Hämorrhoiden, heftige Entzündungen der Eingeweide des Unter-
leibes, Scorbut, Faulfieber etc. Cur. Ist die der Grundkrankheit, deir
Melaena, der Hämorrhoiden, der unterdrückten Menses, der Stockungen in
Leber und Milz, der Infarcten, der Phthisis hepatica, lienalis. In letztem
Fällen passen innerlich bittere resolvirende Extracte, Alauamolken, Myrrhe^
Kaikwasser, Klystiere von Aq. calcis, Myrrhensolution; bei vorhandenea
Geschwüren Kalkwasser, Selterwasser mit Milch, die Milch- und Molken-
cur, später Cascarille, Simaruba, China, Lign. campechiense etc. mit Be-
rücksichtigung der individuellen Körperbeschaffenheit nach den allgemeinen
Heilregeln. Man könnte diesen Fluxus hepaticus füglich aus den Handbü-
chern der praktischen Heilkunde streichen, wenn es anders nützlich wäre,
bedeutende Symptome, die zur Diagnose des Grundübels dienen, nicht un-
ter allgemeine Gesichtspunkte zu fassen und das Studium der Alten zu ver-
nachlässigen.
Fluxus locMnlis suppressus. Lochin suppressa, Ischolochia , die unter-
drückte Kindbettreinigung^ Unter Lochienfloss verstehen wir den
aus den Geschlechtstheilen der Kindbetterin kommenden, zum normalen Ver-
lauf des Wochenbettes noth wendigen Blutfluss, der später, gegen den ach-
ten Tag nach der Geburt, blasser, wässeriger und schleimiger wird (Loclüa
primitiva seu rubra, und Lochia secundaria, alba seu lactea) und in dieser
Beschaffenheit 4 — 6 Wochen anhält. Durch Schreck, Ärger, Erkältung,
Diätfehler kann dieser Fiuss in den ersten Tagen des Wochenbettes plötz-
lich unterdrückt werden. Wenn wir nun auch mit manchen Geburtshelfern
nicht annehmen, dass diese Anomalie [die Ursache bedeutender Fieber und
Entzündungen der Wöchnerin sey, so ist doch soviel gewiss 1) dass di«
Unterdrückung der Lochien als Symptom manche bedeutende Fieber des
Wochenbettes begleiten kann (s. Febr. puerperal is); 2) dass sie auch
bei unbedeutenden Fiebern stattfindet (s. Febr. lactea); S) dass dieselbe
vvol häufiger begleitendes Symptom als Ursache , mehr Folge der durch
schädliche Einflüsse im Organismus, besonders im Nervensystem gesetzten
Verstimmungen und Revolutionen, die sich als Signa morbi fientis im Stadio
der Vorboten kund geben , als Ursache der Krankheit selbst ist. 4) Nach
meinen Erfahrungen hört bei manchen, besonders bei sensiblen Frauen, der
Lociiienfluss am 2ten, 3ten Tage oft ohne allen Nachtheil plötzlich auf,
ohne dass besondere Veranlassungen obgewaltet hätten, kommt aber am
5ten, 7ten Tage, che er ganz weisslich wird, noch einmal wieder. Ks be-
darf hier, da das Allgemeinbefinden gut ist, keiner Arzneien. Oft ist aber
die Frau ängstlich, glaubt, dass das plötzliche Aufhören der Lochien ge-
fährlich sey. In solchen B^ällen kann man durch folgende gelinde Arznei
binnen 24 Stunden den Fluss wieder herstellen : I^ Pol. Riverii succ. ciiri
pnraiae 3ij, Aq, Hör. Chamom., — Falerianac ana §3Jj, Tart. emetici gr. ^
M. S. Stündlich 1 Esslöffel voll (^Most'). Zuweilen treten dann mit dem
Lochialfluss , ebenso wie bei spastischen Frauen während der ersten Tage
des Wochenbettes , Leibschmerzen (Colica lochialis) ein , ähnlich den Nach-
wehen (s. Dolores post partum), wogegen wir die gewöhnlichen Anti-
spasmodica, z. B. Tinct. castorei, Liq. c. c. succin., Tinct. valerianae, opii
etc. mit Nutzen verordnen.
Fhixtis menstruus anomnhis, unregelmässige, zu geringe, zu starke,
unterdrückte oder zurückgehaltene Menstruation; s.Menstruatio dif-
ficilis, nimia, suppressa,retenta.
Fluxus niger et fuscus niuüerum, schwarzer, braöner Ausfluss
aus der Scheide. Ist Symptom von Carcinoma «terf, vaginae, "von
Metrorrhagia chronica etc. '■ ■' •
Fhtanis spleneticus, Müablutfluss, s. Haemorrhagia ventriculi.
FOETOR ORIS — FOETOR PEDUM 7g5
Foetor oris, stinkender Athem, übler Geruch aus dem Munde.
Ist 1) Symptom verschiedener Krankheiten des Mundes : der Stomacace scor-
butica, mercurialis, des Abscessus gingivalis, Cancer oris, Caries dentium;
2) bemerken wir ihn bei Angina gangraenosa, anch schon bei jeder andern
heftigen Angina ; 3) bei Status gastricus , bei Geschwüren in der Nasenhöhle,
am Kehlkopfe etc. ; 4) in andern Fällen ist das Übel chronisch , ohne das»
sichtbare Fehler der Mund-, Nasen- oder Rachenhöhle da sind, wo der
Appetit gut und die Zunge nicht belegt ist; ja zuweilen ists angeboren und
erblich; dabei der Geruch so widerlich, dass er Ekel und Erbrechen bei
einem Andern zu erregen im Stande ist. Cur. Bei Nr. 1, 2 und 3 behan-
deln wir das Grundübel, verordnen Gurgel wasser von Alaun, Vitriol, De-
coct. quercus, Tinct. myrrhae, Kino, Catechu, bei gastrischen Beschwer-
den Vomitive, Laxative etc. Ist aber der stinkende Athem ein altes Übel
(Nr. 4) , so helfen Gurgelwasser etc. nur palliativ. Hier rathe man öfteres
Ausspülen des Mundes mit kaltem Wasser, das Kauen von gewürzhaften
Dingen: Gewürznelke, Ingwer, Kalmus, Zimmt etc., täglich einigemal ge-
braucht, an. Aber auch diese Mittel sind fast immer nur Palliative; sie
helfen nur ein paar Stunden, indem ihr Geruch den Mundgeruch übertäubt
und nach dem Grundsatze: Lumen majus obscurat minus, verschwinden macht.
In einem Falle hob folgendes Mittel, anhaltend gebraucht, das chronische
Übel: I^ Calcur. oxymurint. 3jj, Aq. fontanne Sj. Solv. Cola. S. Zum Gur-
geln dreimal täglich anzuwenden (^Most^. Auch rathen französische Ärzte
Morsellen an , worin sich etwas Chlorkalk befindet. Dechamps empfiehlt hier
(s. Journ. de Chimie medic. , Janv. 18,8, p. 28) folgende Morsellen: R/ Cnl-
car. oxijmuriat. 5jj ■, Sacchari 3vjjj , Amyli 3J , Gtitnm. trngncanth. 3j 5 Car-
min. rühr. gr. jjj. M. f. l. a. Trochisc. pond. gr. jjj. S. Zweistündlich 5 — 6
Stück auf der Zunge zerschmelzen zu lassen. Folgende Mischung fand ich
bei einer Frau sehr nützlich : I^ Aqune oxymuriat. , — destillntne ana 5iv.
M. det. in vitr. charta nigr, involut. S. Zum Gurgeln. Selbst die reine
oxygenirte Salzsäure , nach der preussischen Pharmakopoe bereitet , habe ich
in schlimmen Fällen sehr wirksam gefunden. Sie wirkt nicht so nachtheilig
auf die Speicheldrüsen als Chlorkalk und Chlornatrum, welche daher nur
als schwache Solutionen in Gurgelwassern angewandt werden dürfen. Zu-
weilen scheint der üble Geruch aus dem Munde mit Ataxien der Menstrua-
tion , mit Fehlern der Innern Geschlechtstheile , bei Männern selbst mit Hä-
morrhüidaldiathese, mit chronischen Exanthemen in Verbindung zu stehen.
Nicht selten ist Schwäche der Digestion, chronische Verschleimung des Ma-
gens und der Gedärme schuld, häufig auch ein krankhafter Zustand der
Schleimhaut der Mund- und Rachenhöhle. In einem solchen Falle leistete
das Ol. therebinth. , dreimal täglich 10 Tropfen auf Zucker und mit Wasser
genommen, recht gute Dienste (^Mosf).
Foetor pediun, Sudor pedum foetidus, der stinken d'e Fuss-
schweiss, die sogenannten schwitzenden und stinkenden Fasse.
Dieser chronisch -pathologische Zustand, woran manche Personen Jahre lang
leiden, ist eigentlich mehr ein heilsames Naturbestreben, als eine Krankheit
zu nennen. Fast nie leiden Kinder daran, meist immer nur Erwachsene,
zumal in den Jahren 20 bis 50. Häufig sind die Menschen rheumatisch oder
noch mehr gichtisch, und die Gicht ist bei ihnen Morbus hereditarius. Hier
hat nicht allein der Fussschweiss, sondern auch der Seh weiss in den Ach-
^ seihöhlen einen starken , widerlichen Geruch , den die Menschen selbst bei
Beobachtung der grössten Reinlichkeit nicht vertreiben können. Solche
Schweisse scheinen freies Ammonium zu enthalten, doch sind mir chemische
Analysen darüber nicht bekannt. Höchst schädlich und gefährlich ist es,
den stinkenden Fussschweiss durch äussere kalte, adstringirende Mittel, durch
kaltes Baden der Füsse etc. zu vertreiben , weil die Unterdrückung der kri-
tischen Ausscheidung, wenn auch nicht immer, doch häufig gefährliche Me-
tastasen nach allen Innern oder äussern Organen zur Folge hat. Nach
fremden und eigenen Erfahrungen erregt der Foetor pedum suppressus nicht
selten 1) Amnmosis metastnticn , die plötzlich auftritt, so dass der Mensch
Most Encjklopädie. 2te Aufl. T. 5Q
786 FOMENTATIO
heute noch gesund, aber schon binnen ein paar Tagen stockblind ist (s.
Amblyopia und Amaurosis metastatica). In einem Falle wurden
nur trockne Fussbäder von heissem Sande angewandt, der Fussschweiss trat
bald wieder ein und die Amaurose verschwand ohne jedes andere Mittel.
Recht gut ist es, bei Foetor pedum suppressus ausser diesen Sandfussbä-
dern, die man mit Senfpulver schärfen kann, innerlich Diaphoretica, na-
mentlich Spiritus Minderen, Aq. flor. sambuci und Tart. emetic. in refracta
dosi, anfangs auch wol ein Vomitiv, bei Vollsaftigen Blutegel an die Augen
und hinterher derivirende Purganzen anzuwenden. 2) In einem Falle, wel-
chen ich in der Allgero. Medlc. Zeitung; Altenburg, 1334, Nr. 40 mitge-
theilt habe, erregte der unterdrückte Fussschweiss Angina pectoris, und die
Section zeigte eine beginnende Verknöcherung am Ursprünge der Aorta.
3) Auch hat man Verschwärung am Herzen als Folge der Unterdrückung
stinkender Fusssch weisse beobachtet (s. Cardielcosis).
FomentatiO} Fomentum, die Bähung, Fomentation. Ist die
Anwendung bald warmer und feuchter, bald kalter, trockner Arzneimittel
auf irgend eine Stelle der Hautoberfläche, und zwar mittels Compressen,
Beutel etc. Ist die Form breiig, so heisst es Cntaplasma, sind es Salben,
Öle, Gerate, Pflaster, so ist auch solche äusserliche Anwendung von dem
Begriff Foraentatio ausgeschlossen. Im engern Sinne versteht man unter
letzterer nur allein feuchte , sowol warme , als kalte Umschläge. Die Trä-
ger derselben sind Leinwand , Flanell , Charpie , Papier , Meerschwamm etc.
Zu warmen Fomentatiouen ist der Flanell als Träger, zu kalten die Lein-
wand, oder auch eine Rindsblase, worein Wasser, Eis kommen, vorzuziehen.
Bei letztern muss man stets mehrere Compressen in Bereitschaft haben, da-
mit bei der nothwendig öftern Erneuerung des Umschlages nicht die noch
wai'me , eben vom leidenden Theile entfernte Compresse , sondern eine an-
dere kältere zunächst übergeschlagen werden kann. Um das Lager und die
Kleider vor Nässe zu schützen, sind die Rindsblasen und Wachstuch anzu-
wenden. Letzteres , noch mehr der durchsichtige Wachstaffet nützen be-
sonders dazu, dass man bei Anwendung warmer Fomentationen diese damit
bedeckt (sowie auch Kataplasmen) , um ein zu schnelles Kaltwerden dersel-
ben zu verhüten. Sehr viele äusserliche Arzneimittel : Salze, Säuren, Wein-
geist, Infusa und Decocta von aromatischen, adstringirenden und andern Arz-
neistoffen lassen sich in Form fcnchter Bähungen benutzen und ihre Anwen-
dung ist weit bequemer und weniger lästig, als die der Kataplasmen. Man
wendet sie mittels flanellner oder leinener, vier- bis sechsfach zusammenge-
legter Compressen, welche in der Flüssigkeit getränkt worden, und auf die
Weise an, dass man zugleich die schon aufgelegte feuchte Compresse mit
dem Fomentum begiesst ; doch ist dies bei eiskalten Umschlägen , z. B. bei
Application der Schmucker'schen kalten Fomentationen., nicht so gut, als
jene Methode, wo man stets recht kalte Compressen nimmt, diese mit Essig
und Wasser anfeuchtet , mit Salmiak und Nitrum zugleich inwendig be-
streuet und dann auflegt. — Unter Bähung verstehen w ir vorzugsweise
die feuchten Fomentationen , die bald warm , bald lau , bald kühl angewandt
werden und in ihren Wirkungen sehr verschieden sind, daher wir erwei
chende, zertheilende, zusammenziehende, stärkende, be-
sänftigende, reizende, erschlaffende und andere Bähungen un-
terscheiden, die bei zahlreichen Übeln, namentlich bei Entzündungen, Eite-
rung, Brand, bei Verhärtung, Verdickung, Auflockerung, selbst bei allge-
meinen und innern Krankheiten, bei Krämpfen, Schwäche, Neuralgie, Hä-
morrhagien etc. mit Nutzen angewandt werden. Die Spec. emollientes, aro-
maticae, resolventes , ad Gargarisma, ad Fomentum, ad Enema etc. sind
aus jeder Pharmakopoe ihren Bestandtheilen nach bekannt. Sollen die Bä-
hungen zugleich schmerzstillend sejn, so kann man zu den Spec. emollienC.
Herba hyoacyami, cicutae, belladonnae zusetzen. Zn den zertheilenden
Bähungen zählt man Aq. Goulardi, Decoct. quercus, ulmi , Sohlt, alumink,
Aqua vnlnerar. Thedenii , obgleich diese eben so gut zu den adstringirenden
gerechivet werden können. Zu den reizenden Bähungen nimmt man Li-
FONTICÜLÜS 787
fusa und Decocta von Senfsamen , Essig , Meerrettig , spanischem Pfeifer mit
Zusatz von Acidum aceticum, Alkohol etc. • Die meisten Coliyria werden in
Form von B'omentationen angewandt; auch beruhet der glückliche Erfolg,
dessen sich der geniale Rust in der Behandlung der Geschwüre rühmen
darf (s. dessen Schrift über Helkologie) , grösstentheils auf der Vertauschung
der Salben älterer Wundärzte gegen die aromatischen, gelind erregenden,
besänftigenden und sonstigen Fomentationen. Eine beliebte Formel von
Rnst , welche bei falscher Rose, bei schmerzhaften Geschwüren etc. zur Be-
sänftigung und Zertheilung dient, ist folgende: I^ Aceti plumhici 5j, Infm.
ihr. chnmomiU. föj , Tinct. opii si7npl. Pharm. Bortiss. recent. 5jjj. M. ^.
Umgeschüttelt und lauwarm anzuwenden. — Rusfs reizendes Foment bei
schlaffen reizlosen Geschwüren und bei Gangrän ist dieses: ]^ Camphorne
iritae 3jj — Sjjj» Gummi mimos. pulv. 3jj? solve tereiido in Fini gnllici dlhi
5vjjj. Zur Belebung der Vitalität, zur Beschleunigung der Vernarbung und
zur Beschränkung wuchernder Vegetation verordnet derselbe folgende Fo-
mentation : I^ Ltifid. infernal, cryst. ^jv , solve in Aquae chamomill. jvj , adde
Tinct. opii Sjfl- M. S. Mit Läppchen aufzuschlagen und Wachstaffet dar-
über zu legen. hugoVs lodfomentationen gegen Scropheln , solche Geschwüre
etc. sind erst schwach, später stärker anzuwenden: ^i lodi gr. jj — iv, Kali
hydriodici gr. iv — vjjj , Aquae destillatae Sj. Auch lob^, er einen rothma-
chenden und kaustischen lodliquor (s. Kurtz in Rusfs Ma^az. Bd. XXXVII.
Hft. 1). Die kalten Fomentationen wirken wohlthätig j ur Verhütung von
Blutandrang und heftiger Entzündung bei Kopfverletzungen, Brustwunden,
grossen Quetschungen der Glieder, Beinbrüchen; sie conü- nsiren und stär-
ken die geschwächten Fasern und vermindern die Productio i und Nutrition,
sind daher bei allen activen Congestionen , Entzündung-.n , Blutungen etc.
indicirt. Man muss sie alle 5 — 10 Minuten erneuern und darnach sehen,
dass sie so kalt als möglich angewandt werden. Recht kaltes Brunnenwas-
ser, Eis und Schnee, Wasser, worein Eisstücke geworfen, sind am wirksam-
sten. Man muss ganze Eimer voll Wasser in der Nähe des Kranken und
bei der Hand haben, auch sie im Winter nicht zu lange im geheizten Zim-
mer stehen lassen , sondern wenigstens alle Stunden frisch erneuern. Zu
kalten Kopfumschlägen eignet sich eine Rindsblase, welche halb mit kaltem
Wasser und halb mit Schnee, Eisstücken gefüllt ist, besonders gut. Ist
weder Eis , noch Schnee zu haben , so sind die Schmucker'schen kalten Fo-
mentationen, stets frisch bereitet, dem kalten Wasser vorzuziehen. Man
schlägt drei Theile Salpeter und einen Theil Sal ammoniac. crud. , gröblich
zerstossen, in ein Tuch, legt es auf den leidenden Theil und befeuchtet es
mit 6 Theilen Essig und 12 — 24 Theilen kaltem Wasser; sind die Salze
geschmolzen, so erneuert man die F^mentation. Auch die Calcaria muria-
tica, wie das obige Pulver in ein Tuch geschlagen und auf den leidenden
Theil gelegt, alsdann die Compresse mit Wasser befeuchtet, bringt eine
Kälte hervor, die noch bedeutender, als die von der Auflösung des Salpor
ters und Salmiaks ist. — Die trocknen Fomentationen dienen theils zur Er-
wärmung , theils zur Verhütung der Erkältung irgend eines leidenden Theils.
Hierher gehören: erwärmte wollene Tücher, warme Watten, Asche, Sand,
Mehlj Wärmflaschen, warme Steine etc. Ihre Anwendung ist sehr ausge-
breitet, namentlich bei Rheumatismen, Rose, Krämpfen, Kolik, Magen-
krampf, zur Wiederbelebung Scheintodter (s. Asphyxia). Sie wirken er-
wärmend, belebend, die unmerkliche Hautausdünstung vermehrend. Auch
die Kräuterkissen, welche aromatische, zertheilende und andere Species mit
oder ohne Kampher enthalten , gehören hierher ; sowie die Kräutergürtel,
Kräutermützen , Kräuterunterbetten ; die Unterbetten , Matrazzen , gefällt
mit zermahlner Lohe bei schwächlichen kachektischen , scrophulösen Kin-
dern u. s. f.
Fonticulus, Fontanelltt , ein Font an eil. Ist ein künstliches Ge-
schwür, welches wir an verschiedenen Stellen des Körpers anbringen, ge-
wöhnlich aber diejenigen Stellen vorziehen , wo ein ziemlich dickes Zeilge-
webe und ein merklicher Zwischenraum zwischen den Mnskeln befindlich
50*
788 PORMICATIO
ist, z. B. am Arme zwischen den Muse, deltoides und biceps, anden Wa-
den zwischen dem Gastrocnemius internus und Solaeus, am Schenkel zwi-
schen dem Vastus intei'nus und Gracilis. An magern Theilen , auf blossen
Muskeln, reizen sie zu heftig und erregen oft bedeutende Entzündung,
Schmerz bei der Bewegung des Theiles, oder sie trocknen leichter aus. Je
näher wir künstliche Geschwüre an die Stelle legen , wo der Sitz der Krank-
heit ist, desto wirksamer sind sie. Es giebt zwei Methoden, Fontanelle~zu
machen. Die erste und bequemste ist diese: Ein Gehülfe fasst mit Daumen
und Zeigefinger die Haut auf der zu operirenden Stelle, bildet eine Falte
uod hebt sie etwas in die Höhe, der Operateur vergrössert, indem er
gleichfalls mit dem Daumen und Zeigefinger seiner linken Hand die Haut-
stelle anfasst, diese Falte, und schneidet alsdann mit einem Bistouri dieje-
nige Stelle der Hautfalte durch, welche sich zwischen seinen und des Ge-
hülfen Fingern befindet. Man legt eine oder mehrere Erbsen oder Bohnen,
mit Digestivsalbe bestrichen , in die Wunde , darüber Heftpflaster , eine
kleine Compresse und eine etwas fest anschliessende Binde. Auf solche
Weise wird das Fontanell in Fluss gebracht, täglich verbunden und durch
eingelegte Erbsen offen erhalten. Ist die Eiterung eingetreten, so bedarf
es nicht immer der Zugsalben; wir verbinden nur alle 2 — 3 Tage damit,
setzen auch wol , wenn aus Mangel an Reiz die Eitening aufhört, etwas
Pulv. cantharid. und Präcipitat zu der Digestivsalbe. Über die Fontanelle
legen wir Wachspapier, welches den übi'igen Verband , Compresse und Binde
reinlich erhält; auch müssen wir alle durch Eiter entstandene Unreinlich-
keit bei jedesmaligem Verbände durch Schwamm und laues Wasser entfer-
nen. Eine andere, bei furchtsamen Kranken anzuwendende Methode ist die,
dass man eine klehie spanische Fliege , wie ein Silbergroschen gross , noch
besser ein Empl. fenestratum mit Kali causticum auf die Hautstelle legt,
wo die Fontanelle gebildet werden soll. Am zweiten, dritten Tage verbin-
det man, indem man die Eschara entfernt hat, mit Erbse, Digestivsalbe
und legt den Verband auf die angegebene Weise an. Die künstlichen Ge-
schwüre , wohin die Fontanelle und Haarseile ( Setaceum) und alle andere,
absichtlich durchs Causticum, Glüheisen, durch Seidelbast, durch Unguen-
tura irritans, Unguent. tartari stibiati etc. erregten Geschwüre zu rechnen
sind , finden grosse Anwendung bei mancherlei äusserlichen und innerlichen
Übeln. Ihre allgemeine Wirkung ist, besonders im Anfange, re\Tilsorisch,
derivatorisch , vorzüglich aber die, dass sie die Vegetation und Production
umändern und so den krankhaften Bildungen aller Art, den Afterorganisa-
tionen in einzelnen Organen Schranken setzen, allen krankhaften Metamor-
phosen mit organischen Destructionen mehr oder weniger Einhalt thun,
durch den anhaltenden Reiz eine neue Action im Körper erregen und pa-
thologische Absonderungen zu Wege zu bringen, wodurch andere anomale
Secretionen , besonders die der Schleimhäute, der serösen und fibrösen Mem-
branen, gestillt werden können. Am meisten leisten die künstlichen Ge-
schwüre bei örtlichen Fehlern mit organischen Destructionen, mit und ohne
begleitendes Allgemeinleiden. Wir wenden sie daher an und lassen sie an-
haltend , Monate , Jahre lang gebrauchen : 1) bei Phthisis pulmonalis tuber-
culosa, ehe die Tuberkeln in Eiterung übergegangen sind. Hier leistet ein
grosses Fontanell auf die Brust , noch besser ein Haarseil zwischen den
Rippen, ausserordentlich -viel (^Most"). 2) Bei chronischem Asthma, bei
Phthisis pulmonalis pituitosa und Angina pectoris, gleichfalls auf die Brust
applicirt. 3) Bei veralteten rheumatischen Übeln der Glieder , bei Hüftweh.
4) Bei Tumor albus, Tumor lymphaticus. 5) Gegen Hydrocephalus chro-
nicus, Epilepsie, Taubheit, hartnäckige Augenfehler, Geschwüre in den
Ohren etc. legen wir mit Nutzen ein Haarseil in den Nacken. Ausserdem
benutzen wir die Haarseile noch zu vielen andern chirurgischen Zwecken
(s. Setaceum), z. B. zur Öffnung lymphatischer Abscesse, zur Heilung
der Hydrocele (^Pott) , der Schusswunden, Fisteln u. s. w.
PonnicatiOf Mifrmcciasis, Mijrmecismus, Mynneciasmtis , das Amei-
senlaufen. Ist ein juckendes, knebelndes Geluhi in der Haut, wie von
FRACTURA 789
Ameiäen, das periodisch bei Hysterie, Hypochondrie, Epilepsie und bei an-
dern sogenannten Nervenübeln zuweilen beobachtet wird und Folge von
Verstimmungen im Hautnervensysteme ist. Zuweilen geht es der Auia epi-
leptica kurz vorher. Reiben des leidenden Theils mit Flanell , mit erwärm-
ten Tüchern, mit reizenden, Spirituosen Dingen vertreibt den Zufall schnell.
Einige verstehen unter Myrmekiasis auch die Kriebelkrankheit (s. Raphania).
* !Fractura , der Bruch, der Knochenbruch, die Fractur.
Ist Trennung des Zusammenhanges eines Knochens, entstanden durch irgend
eine äussere Gewaltthätigkeit , also ganz dasselbe an den harten Theilen,
•was eine Wunde an den weichen ist. Auch die Trennung eines Knorpels
nennt man wol Bruch. Eintheilung der Knochenbrüche (^Fracturae os-
sluni). Wir theilen sie ein : 1) Nach dem Grade des Bruchs «) in Frnctura
completn, wenn der Knochen ganz durchbrochen ist, &) in Frnctura incom-
pJeta, wo entweder ein einzeln liegender Knochen nicht ganz, sondern nur
zum Theil , oder wo von zwei neben einander liegenden Knochen nur einer
zerbrochen ist , z.B. am Unterschenkel , am Vorderarm. 2) Nach der Rich-
tung der Fractur. Hier unterscheiden wir «) den Querbruch (Fractura
transversa), wo der Bruch quer durch den Knochen geht; &) den schie-
fen Bruch (Fr. ohliqua), wo der Knochen schief gebrochen ist; c) den
Spalt- oder Schlitz bruch (^Fr. longitudinnlis) , wo die Knochenfasern
der Länge nach getrennt sind, wie dies am häufigsten an den flachen Kno-
chen der Fall ist, z.B. an der Scapula, am Os ilei, an den Ossibus cranii.
3) In Hinsicht der An- oder Abwesenheit der Nebenverletzungen theilt man
die Fracturen o) in Frnctura simplex , &) Fr. cum comminutione , c) Fr. com-
plicata, je nachdem es ein einfacher Bruch ohne Nebenverletzungen, oder ein
solcher mit Knochenzersplitternng , oder mit andern Verletzungen, mit gleich-
zeitiger Luxation, Wunde, Verletzung einer Arterie etc. ist. 4) Endlich
unterscheiden wir, ob und wie die Knochenenden verschoben und verrückt
sind, den Bruch ohne Verrückung (^Fr. sine dislocatione) von dem Bruch
mit Verrückung (^Fr. cum dislocatione'). Ersterer findet vorzüglich an
den flachen Knochen statt , deren Bruch daher oft gar nicht erkannt wird ;
letzterer besonders an den Röhrenknochen , wo zuweilen die Dislocation auch
erst Folge der Bewegungen des Gliedes und vom untersuchenden Wundarzte
zur genauem Diagnose erregt wird, was indessen, da uns jetzt die Auscul-
tation zu Gebote steht, ein verwerfliches, den Kranken Schmerzen erregen-
des Verfahren genannt werden kann. Zuweilen sind die Knochenenden zur
Seite geschoben (Dislocatio ad latus) , oder sie liegen der Länge nach über
einander, so dass das Glied verkürzt erscheint (^Dislocatio ad aami), z. B.
beim Bruch der Tibia und Fibula, so dass die Zehen nach hinten, der Hacken
nach vorn zu stehen kommen. Diagnose. Die Erkennung und Unter-
scheidung eines Bruches ist oft sehr schwer, zumal wenn das Glied flei-
schig, stark geschwollen und entzündet ist, wenn an einem Gliede, wo sich
zw ei Knochen befinden , nur einer gebrochen ist und keine Dislocation statt-
findet. Zeichen eines Bruches sind im Allgemeinen folgende: n) Ungestalt-
h<!it des Gliedes ; U) Verkürzung desselben ; c) ungewöhnliche Biegsamkeit
oder Beugung des Gliedes an Stellen, wo kein Gelenk ist; <i!) wahrnehm-
bare Crepitationen beim vorsichtigen Rotiren des Gliedes. Man fühlt oft
das Geräusch , welches die an einander geriebenen Knochen verursachen,
mit der die leidende Stelle umfassenden Hand ; auch hört man es , wenn es
ruhig im Zimmer ist, oft deutlich. Kann man es nicht wahrnehmen, so un-
terlasse man ja nicht, das in dieser Hinsicht von Kergaradcc vorgeschlagene
Stethoskop anzuwenden , um sich durch die Auscultation von dem wirkli-
chen Vorhandenseyn der Fractur aufs vollkommenste zu überzeugen (s. Au-
scultatio und Stethoscopium); c) heftige stechende Schmerzen an der
gebrochenen Stelle , entstanden vom Reize und von der Verletzung der Mus-
keln und Nerven ; f) fortdauernde , zunehmende Zeichen der Quetschung ;
(/) Geschwulst des Gliedes , welche stets mit dem Schmerze im Verhältniss
steht. Nimmt man diese Symptome zusammen und berücksichtigt die bei
den einzelnen Arten der Fracturen noch stattfindenden speciellen Zeichen,
790 FRACTURA
so wird man einen obwaltenden Knochenbnich nicht leicht verkennen. Die
Folgen und Wirkungen einer Fractur sind : gestörte Function des Giiedes,
Verkürzung oder Verlängerung desselben, Ungestaltheil , Krümmung des ver-
letzten Theiles, Schmerzen, Entzündung, Fieber, oft Nervenzufölle , mit-
unter Eiterung, Brand. Zuweilen leiden in Folge der Comraotion, der ge-
waltsamen Erschütterung , auch entferntere Theile : Gehirn , Rückenmark,
Lungen (s. Comraotio) u. s. w. Prognose. Ein einfacher Bruch ist
natürlich leichter als ein complicirter zu heilen, ein Querbruch leichter als
ein schiefer, ein Bruch an einem kleinen Knochen leichter als im umgekehr-
ten Falle. An den Enden heilen die Knochen langsamer als in der Mitte.
Starke Quetschungen und Wunden , Reizung und Verletzung nervenreicher
Theile durch Knochensplitter, mit Verletzung der Blutgefässe, der Aponeu-
rosen etc. machen die Heilung immer schwierig. Auch richtet sich die Pro-
gnose nach dem Alter und der Constitution des Kranken. Bei jungen, star-
ken , gesunden Subjecten heilen Fracturen leichter und schneller als bei be-
jahrten, abgelebten, schwächlichen und kachektischen Personen. Bei Schwan-
gern soll die Heilung äusserst langsam vor sich gehen, ja man will behaup-
ten, dass sie nicht eher als bis nach der Entbindung erfolge. Die Jahres-
zeit ist ja auch nicht ohne Einfluss auf die Heilung, und im Sommer und
Herbste sind bei warmer Witterung mehr beschwerliche Zufälle zu befürch-
ten als in den übrigen Jahreszeiten. Im Allgemeinen dauert die Heilung ei-
nes Bruchs zwischen 4 und 8 Wochen. Behandlung. Wir haben bei
der Cur der Beinbrüche folgende Indicationen : 1) Sorge für einen zweck-
mässigen Transport des Kranken; 2) Einrichtung der Bruchenden, wenn
hie verrückt sind (^Reposilio) ; 3) Befestigung und Erhaltung des Knochens
in seiner natürlichen Lage durch guten Verband und zweckmässige Lage
des Gliedes; 4) Abwendung und Behandlung der den Bruch begleitenden lo-
calen und allgemeinen Zufälle. 1) Was den Transport des Kranken vom
Orte der Verletzung nach seiner Wohnung oder nach einem zweckmässigen
Lpcale anbetrifft, so muss besonders dafür gesorgt werden, dass Alles, was
den Schmerz vermehrt: Anstrengung des Gliedes, rohes Anfassen desselben,
Erschütterungen durch Fahren etc. , vermieden werde. Am besten sind
Tragbahren, worauf der Kranke, wenn untere Extremitäten verletzt sindj
fortgeschafft werde. Sehr zweckmässig sind die in folgenden Schriften nä-
her beschriebenen Maschinen zum Transportiren und zum sonstigen Gebrauch
aller schwer Verwundeten: M. S. Knoll, Beschreibung einer Bettmaschine,
eines Fahrsessels und einer Leibschüssel. Wien, 1798. — Bell, Lehrbuch
der Wundarzneikunst, Leipz. , 1793. — Richter, Anleit. zum Verbände. Bres-
lau, 1827. — Koppeiistädter , Erfindung einer Maschine, bei jeglichem Bein-
bruch passend. 2) Die Einrichtung des Bruches (Repositio) geschieht durch
die Ausdehnung des Gliedes (^Extensio) , die Gegenausdehnung (Con/rnorfcn-
sio) und durch die Wiedereinrichtung selbst (^Conformaüo). Erstere wird
durchs ümfasseqi des Gliedes unterhalb der Bruchstelle und durch gleich-
massiges Anziehen und Verlängern nach Unten bewerkstelligt , die Contraex-
tension durchs Umfassen und Zurückhalten des Gliedes oberhalb dör Bruch-
stelle, und letztere (die Conformation) verrichtet während und nach gesehe-
ner hinlänglicher Ex- und Contraextension der Operateur mit seiner Hand,
um den dislocirten Knochen wieder in seine natürliche Lage und Stellung
zu bringen, so ^iass das eine Knochenende gerade vor das andere zu stehen
kommt. Am besten und zweckmässigstcn ist es, bei der Reposition den
Kranken auf ein Bette zu legen , welches so eingerichtet seyn muss , dass
es nicht blos für den Kranken , sondern auch für den Operateur bequem ist,
damit letzterer bei der Operation des Einrichtens nicht ermüdet, wodurch
sonst leicht die Schmerzen der Kranken vermehrt, die Zeit der Reposition
verlängert , und ein Misslingen der letztern herbeigeführt werden. Hier
mochte ich die Maschine Von Koppenstädter (a. a. O.) besonders empfehlen,
da sie eine gute Ex- und Contraextension bcNvirkt, man nicht nöthig hat,'
eine Binde anzulegen, und sie für jeden Bruch passt (^Wicdow^. Um nun
den Knochenbrucli zwerkmässig einzurichten und in der gehöfigen Lage zu
FR.VCTÜRA 791
crliHlleii, verfährt inaji fulgeiidcrinassen : Naclidcm der Kranke vorsichtig
entkleidet worden, wobei Stiefel, Strümpfe, Beinkleid, Rockävmel am be-
sten durch Trennung in den Nähten entfernt, nicht mit Gewalt abgezogeit
werden müssen, stellt der Operateur drei kunstfertige, v»;rständige Perso-
nen, nach vorhergegangener genauer Instruction, als Gehülfen an, am be-
sten kunstverständige und muskelstarke Leute, wovon zwei die Ex- und
Contraextension machen, der dritte aber die schon vorher verfertigten und
in Ordnung hingelegten Bandagen dem Operateur darreicht. Der die Ex-
tension verrichtende Gehülfe umfasst mit beiden Händen das Glied unterhalb
der Bruchstelle , der die Contraextension machende oberhalb derselben. Sind
beide nun angestellt, so ziehen sie ganz langsam und in gerader Richtung,
nicht ruckweise, nach sich zu, und zwar so lange, bis das leidende Glied
etwas länger als das gesunde erscheint. Alsdann sucht der Operateur die
Bruchenden durch massiges Umfassen und Drücken der Bruchstelle an und
vor einander zu bringen und legt, um sie genau in dieser Lage zu erhalten,
den Verband an. Während letzteres geschieht, darf die Ex- und Contraex-
tension nicht ganz aufhören. Wii-d der Wundarzt lange nach geschehener
Verletzung, nach zwei, drei Tagen gerufen, ist schon starke Geschwulst,
heftige Entzündung da , so darf man unter keiner Bedingung die Reposition
vornehnMjn, denn ein solcher Versuch würde heftige Schmerzen, Vermeh-
rung der Entzündung , ja selbst Convulsionen herbeiführen. Hier muss erst
die Heftigkeit der Entzündung, der Geschwulst, der Schmerzen durch An-
tiphlogistica : Blutegel , kalte Umschläge , Nitrum innerlich , häufig auch
Pulv. Doweri gemindert werden, ehe man reponirt. 3) Der Verband be-
steht in Compressen , Binden , Schienen , Bändern , Strohladen , Maschinen
u. dgl. m. , je nachdem es die Umstände erfordern. Die Compressen dürfen
nicht zu dick zu seyn, höchstens zwei- bis vierfach, weil sie sonst die
W irkungen der darüber zu legenden Binden und Maschinen schwächen. Die
Binden, deren man sich gewöhnlich bedient, sind entweder einfache Cirkel-
binden, oder die vielköpfigen, 18- oder 22köpfigen Binden. Letztere ver-
dienen vor allen den Vorzug, weil bei ihrer Anlegung das Glied am wenig-
sten gerückt zu werden braucht. Die Schienen bestehen aus Pappe, Lin-
denholz und dergl. Sie werden genau der Form des Gliedes angepasst und
deshalb beschnitten und vor der Anlegung mit Compressen, die in kaltes
Wasser getaucht werden, ausgefüllt. Wir legen sie über die schon ange-
legten Compressen und Binden und befestigen sie mit Bändern. Was das
Übrige des Verbandes betrifft, so verweisie ich auf die angeführte neue
Schrift von Richter. Empfuidet der Kranke mehr Festigkeit im Gliede,
haben die Schmerzen bedeutend nachgelassen; so ist dies ein Zeichen, dass
die Reposition gut gelungen und der Verband zweckmässig angelegt worden
ist. Im entgegengesetzten Falle muss der Verband xvieder abgenommen,
der Bruch aufs Neue untersucht, etwa wieder reponirt und die Bandagen
aufs Neue und besser angelegt werden. Den ersten gut angelegten Ver-
band lässt man 5, 6 — 8 Tage liegen; nur wenn er früher zu lose oder
wegen heftiger Geschwulst zu fest geworden, erneuert man ihn früher, und
zwar ebenso vorsichtig, wie das erstemal, wobei man nachsieht, ob die
Lage des gebrochenen Knochens noch normal ist. Die schon den Alten be-
kannte, aber in Vergessenheit gerathene Methode, für die PVactnren der
Gliedmassen sich eines unveränderlichen, bis zur völligen Heilung liegen
bleibenden Verbandapparats zu bedienen, hat seit Kurzem wiederum die
Aufmerksamkeit des chirurgischen Publicum« erregt «nd die neuesten Er-
fahningen, die man damit in Paris, London und Berlin jüivgst gemacht,
sprechen sehr zu Giuvsten desselben. Dieff'enhnch hat einen solchen Verband
schon vor ein paar Jahren mit Nutzen bei Fiacturen angewandt, und Be-
rard jun. in Paris lobt ihn gleichfalls (s. Archives g^n^rales de M^ec. Juin
u. Novbr. , 1833). Nach ihm haben die Araber sich .schon eine« solchen
Verbandes bedient; die Griechen gebrauchen, nach Puuqiicville , eine Art
Mastix zu diesem Zweck. In Brasilien verbindet man Knochenbrüclie mit
biegsamem Schilfe oder Rohre, welches bis zur völligen Consolidation lie-
792 FRACTURA
gen bleibt. Assalini in Italien gebrauchte dazu angefeuchtete Pappe, und
«ach A. Jauhert verändern die persischen Ärzte fast niemals den bei Fra-
cturen zuerst angelegten Verband. In Spanien und Ägypten ist diese Me-
thode auch gebräuchlich und wahrscheinlich von den Mauren oder Arabei.
eingeführt worden. In der Chirurgie Europas war dieses Verfahren nui
wenig gekannt und geübt. Beiloste beschreibt 1697 einen Fall von einer
auf diese Weise geheilten Fractur; der Apparat bestand' aus Leinwand, die
in dne Mischung von Eiern, Rosenöl und etwas Weinessig getaucht aufge-
legt wurde ; Compressen , Rollbinden etc. wurden ebenfalls damit angefeuch-
tet; das Ganze wurde bald hart und blieb ruhig bis zur geschehenen Hei-
lung liegen. Moscnti ist der erste , dem wir eine Abhandlung über diesen
Gegenstand verdanken (s. Mem. de l'Acad. de Chir. Tom. IV.). Er ge-
brauchte ebenfalls Eiweiss dazu, um die Verbandstücke erhärten zu lassen.
Indessen ist es Larrey, dem wir die Wiedereinführung und Begründung die-
ser Verbandraethode verdanken. Seit der Zeit haben sich für und gegen
diesen Gegenstand eine Menge Stimmen erhoben, Larrey der Sohn hat
in seiner 1832 in Paris erschienenen Inauguraldissertation klar und deutlich
diese Methode geschildert. Berard sammelte Erfahrungen darüber. Wir
theilen das Wesentlichste aus seinem oben citirten Aufsatze mit. Sein Ver-
bandapparat besteht aus gewöhnlichen Zeugschienen (^drnp fanon) , einer
ISköpligen Binde, Longuetten, Coniprfessen, mit Bindfaden umwickelten Stroh-
schienen etc. Dieser Verband dient für alle Gliedmassen und wird nur we-
nig modificirt. So gehört zu den Fracturen des Unterschenkels noch ein
Fersenkissen von Werg und eine Binde zum Steigbügel j dagegen zu den Fra-
cturen des Unterarms noch eine schmale Rollbinde zur Bildung des Hand-
schuhs um Finger und Hand. Die Spitzen der Finger und Zehen bleiben
frei, damit man aus ihrer Wärme, Fai'be und Form den Zustand des ein-
gehüllten Gliedes erkennen könne. Nach gehöriger Ausdehnung und Ge-
genausdehnung und kunstgemässer Reduction der Fractur wird der Ver-
bandapparat auf die bekannte Weise angelegt. Jedes Verbandstück wird
zuvor in eine Mischung, die Larrey der Sohn Etowpade nennt und die aus
gleichen Theilen Eiweiss , Kampherspiritus und Bleiwasser (cau blanche') be-
steht , und mit dieser Mischung gehörig getränkt. Sowie der Verband an-
gelegt ist, wird das Ganze noch einmal durch und durch mit der Etoupade
benetzt und diese Flüssigkeit noch durch eine Art Besen (oder Pinsel)
gleichsam in alle Zwischenräume hineingefügt. Nach 24 Stunden ist die Flüs-
sigkeit erhärtet und bildet mit den Verbandstücken eine einzige feste Masse,
welche nur mit grosser Mühe zu trennen ist. Dieser Verband bleibt so
lange liegen, bis man eine völlige Consolidation der Fractur vermuthen
kann. Sov^^e diese eingetreten, giebt man dem Kranken ein alkalisches
Bad, wodurch der Verband vollkommen losgeweicht wird. Gewöhnlich ist
die Heilung so 'vollkommen geschehen, dass das Glied auch nicht die ge-
ringste Ungestalt zeigt. Es schliesst B. seine Abhandlung mit folgenden
Sätzen: 1) „Der bleibende und unveränderliche Verbandapparat passt für
die Behandlung sowol der einfachen als der complicirten Fracturen der
Röhrenknochen. 2) Mit Ausnahme des Falles , wo das fracturirte Glied eine
sehr bedeutende Anschwellung zeigt, kann man so früh als irgend möglich
nach geschehener Verletzung diesen Verband anlegen, und zwar sogleich,
wenn die Fractur einfach ist , und nachdem man den dringendsten Indica-
tionen genügt hat, wenn sie complicirt ist. 3) Vollkommnes Zusammenhal-
ten der Bruchenden, dauernde Unbeweglichkeit bis zur Heilung, Festigkeit
des Apparats, sodass der Kranke mit Sicherheit Lagenveränderungen vor-
nehmen kann, grösste Einfachheit, Zeitersparniss für den Wundarzt, indem
der Verband nicht gewechselt zu werden braucht, — das sind die Haupt-
vortheiie, welche diese Methode darbietet, und einige von diesen Vorthei-
len bekommen bei gewissen Complicationen , namentlich bei zugleich beste-
llenden äussern Wunden, einen ganz ungemeinen Werth" (s. auch BehrauVs
Repertor. d. ausl. med. -chir. Joiu-nalistik , 1834, Mai, S. 38 u. fg.). Bei
Fracturen des Unterschenkels, sowie zur Unterstützung gebrochener Glie-
FRACTURA 793
der , bei Ancylosis spuria bedient man sich auch mit Nutzen des trocknen-
oder feuchten Sandes. (Vgl. d. Art. Arenatio). 4) Die gewöhnlichsten
Zufalle bei Fracturen sind: Entzündung, Geschwulst, Spannung und einiger
Schmerz im Gliede , bei reizbaren, sensibeln Personen auch wol Fieber,
Auffahren im Schlafe, etwas Convulsivisches , wogegen innere Mittel noth-
wendig sind (s. Pebris erethistica, F. vulneraria und Inflamma-
tio). In solchen Fällen ist Abends Pulv. Doweri, p. d. gr. |^ — ]^ Opiumi
höchst wirksam. Die Diät muss in den ersten fünf Tagen dünn , später
nahrhaft, aber nicht reizend, nicht schwer verdaulich und blähend oder
Obstruction erregend seyn. Bei letzterer gebe man leichte eröffnende Mit-
tel: Sal Glauberi, Infus, sennae in gelinden Dosen, so dass kein eigentliches
Purgiren erfolgt. Bei einfachen Brüchen ist Begiessen des Verbandes mit kal-
tem Wasser hinreichend, selbst wenn bedeutende Quetschung da ist. Fehlt
diese, so heilt der Bruch auch bei trocknem Verbände recht gut, wie in
vielen Hospitälern solches Verfahren üblich ist. Auch verhütet man dadurch
am besten die Erzeugung von Maden im Verbände , die sich in den heisseiv
Sommertagen bei fleissigem Begiessen des Verbandes mit Spirituosen Dingen
oft schon einstellen, Avenn der erste Verband kaum vier Tage gelegen hat
(^Most). Indessen verordnet man häufig auch Fom. frigida Schmucken, Aq.
vuln. Thedenii, Aq. Goulardi, Mischungen aus Wasser, Essig und Salmiak,
bei heftigen Contusionen Decoote aromatischer Kräuter , besser Infusionen
derselben in Wein etc. (Viel Überflüssiges treiben hier die Wundärzte, wo
kaltes Wasser ausreichen würde; doch wollen ängstliche Kranke nicht im-
mer daran glauben; um das geängstete Gemüth zu bertihigen, mag es wol
zu verantworten seyn, den Apotheker zu bereichern. Most). Zuweilen un-
terhalten Knochensplitter die Entzündung, Hier müssen erweichende Kata-
plasmen bis zur Entfernung der Splitter angewendet werden. In solchen
Fällen, bei heftigen Schmerzen, heftiger Geschwulst entferne man schon am
2ten, Sten Tage den ersten Verband, um die Ursache der ungewöhnlichen
Zufälle zu entdecken und zn entfernen. Die Heilung des Bruchs bewirkt
die Natur durch die Callusbildung. Es quillt aus den Bruchenden des Kno-«
chens nach und nach ein gallertartiger , eiweissähnlicher Saft hervor , der
successive härter wird (Crt77»s) und die Bruchenden vereinigt. Bei jungeiv
Leuten und bei dünnen Knochen erfolgt dieser Process am ■ frühesten ; daher
heilt die Clavicula schon in 20, das Os femoris oft erst in 60 Tagen,
Blieben die Bruchenden nicht in gehöriger Vereinigung, so erfolgt eine un-
förmliche Bildung des Callus, was meist auch bei Fractura complicata der
Fall ist, wenn viele Knochensplitter da waren. Zuweilen bildet sich de^
Callus zu wenig oder die Vereinigung der Knochenenden findet wegen des
festen Verbandes, Mangels an Ruhe etc. nicht statt. Dieser Umstand bil-
det das sogenannte künstliche Gelenk, dessen Heilung durch Setaceum,
Operation etc. gehoben werden muss (s. Articulus praeternaturalis).
Jetzt von den einzelnen Brüchen, ihrer Erkenntniss und Behandlung nach
alphabetischer Ordnung.
Fractura anconnea , Bruch des Fortsatzes am Ellenbogen.
Entsteht leicht durch Fall, Stoss oder Schlag an die Ellenbogenspitze.
Die Diagnose ist nicht schwer; die Bewegung des Arms ist mit heftigen
Schmerzen verbunden, die sich bis in die Achselhöhle erstrecken. Der
Verband ist einfach; man legt ein Paar graduirte Compressen zur Seite,
bevor man das Knochenstück gehörig eingebracht het, führt dann eine Cir-
kelbinde darüber weg und giebt dem Arme eine halb gerade , halb gebQ-.
gene Richtung. ''
Fractura antihrachii , Bruch des Vorderarms. Es zerbricht hier
entweder der Radius allein , oder nur die Ulna , oder es sind beide Knochen
zerbrochen. Im letztern Falle ist die Diagnose am leichtesten. Der Kranke
kann den Arm weder beugen noch ausstrecken, auch keine Pronation und
Supination machen; es ist Geschwulst und Spannung da, die Gestalt des
Theils ist widernatürlich verändert, zuweilen der Vorderarm verkürzt, man
79* FfiACTURA
hürt beim Rotiren des Arms deutliche Crepitation etc. Ist der Radius ge-
brochen, so erkennt man dies, wenn ein Gehülfe den Vorderarm an der
Verbindung mit dem Obsrarra fasst und die Pronation und Supination vom
Wundarzte mit der einen Hand gemacht wird, während die Bruchstelle mit
der andern Hand umfasst worden. Am obern Theile des Radius ist eine
Fractur schwieriger zu erkennen. Bei einem Bruche der Ulna legt man die
Hand auf die Bruchstelle und lässt den Arm beugen und ausstrecken , wel-
ches dem Kranken zum Theil noch möglich ist; dann fühlt man den Bruch
und nimmt deulich die Crepitation wahr. Die Reposition muss in einer ge-
bogenen Lage des Arms geschehen, und zwar so, dass die flache Hand des
Kranken gegen die Brust gekehrt und der Daumen aufwärts, der kleine
Finger nach unten gerichtet ist. Die Aus - und Gegenausdehnung darf we-
gen der vielen Muskeln nicht am Gliede selbst, muss vielmehr an der Hand
und am Oberarme des Kranken vorgenommen werden. Dann suche man die
gebrochenen Knochenstücke mit den Fingern in ihre gehörige Lage zu brin-
gen und die Enden der Spindel und der Ellenbogenröhre, wenn sie sich an-
einander gelegt haben, gehörig zu entfernen. Was den Verband anbetrifft^
so muss selbiger so eingerichtet werden , dass die Knochenenden , nachdem
sie gehörig eingerichtet sind , in ihrer Normallage erhalten und das Anlegen
des einen an den andern Knochen verhütet werde. Zu diesem Zwecke sind
viele Methoden angegeben ; doch scheint mir folgende am zweckmässigsteu
zu seyn, indem ich mehrere Kranke auf diese Weise mit Glück behandelt
habe. Nachdem die Aus- und Gegenausdehnung gemacht worden ist, lege
ich eine gespaltene Compresse um die Bruchstelle, unmittelbar darauf zwei
graduirte Cumpressen von der Dicke eines Zolls auf jede Seite des Arms,
über diese dann eine Cirkelbinde. Die gespaltene Compresse dient dazu,
dass sich die graduirten Compressen nicht verschieben können , welches leicht
geschehen würde, wenn man sie auf den blossen Arm anlegte. Über die
Cirkelbinde befestige ich dann zwei Schienen von Holz, die ausgehöhlt und
vorher mit Leinwand ausgepolstert werden, und binde sie mit 3 — 4 Band»
chen von Leinwand zusamnien. Nun hat der Arm Festigkeit und hinrei-
chende Haltung. Sind beide Knochen gebrochen, so verfährt man auf eben
dieselbe Weise , nur dass man dann dem Arme mehr Festigkeit giebt durch
eine Strohlade, oder nach der Ririitung des Arms einen blechernen Kasten
anfertigen läsSt, worein der Arm gelegt und mittels eines Tuches um den
Hals des Kranken getragen wird. Ist der Bruch endlich complicirt , so wen-
det man statt der Cirkelbinde die ISköpfige Binde an und legt den Arm in
der angezeigten Lage auf ein Kissen.
Fractur a hrachit, Bruch des Oberarms. Die Erkenntniss dieses
Bruches ist in den meisten Fällen sehr leicht, indem man den Knochen von
allen Seiten untersuchen kann. Bei der Einrichtung des Bruches setzt man
den Kranken auf einen Stuhl , und hebt den Arm ganz vom Körper ab , so
dass man frei hinzukommen kann. Die Aus - und Gegenausdehnung ge-
schieht alsdann am obern und untern Ende des Armbeins; ist aber der
Bruch ganz unten, so geschieht die Ausdehnung am Vorderarm; der Ge-
hülfe, der die Gegenausdehnung macht, stellt sich an die entgegengesetzte
Seite des Kranken, umfasst denselben mit beiden Armen und legt seine
Hände gefaltet unterhalb der Achselgrube an. Um die Einrichtung zu er-
leichtern, müssen die Muskeln soviel wie möglich erschlafft, der Vorderarm
also massig gebogen seyn. Ist die Einrichtung geschehen imd befindet sich
der Bruch am mittlem Theile, so legt man auf die Bruchstelle eine ange-
feuchtete gespaltene Compresse. Hier ist die Cirkelbinde der ISköpfigen
vorzuziehen, weil man sie ohne Beschwerde an- und ablegen kann. Als-
dann legt man darüber zwei Schienen nach innen und aussen , von gehöri-
ger Länge, die genau nach der Gestalt des Theils eingerichtet sind, und
befestigt sie ebenfalls mit einer Binde oder mit Lein wand bändern. Der Vor-
derarm muss in eine Tragbinde oder noch besser in einen blechernen Ka-^
sten gelegt werden, und zwar so, dass er sich in der Mitte der Pronalio«
und Supination befindet. Ist der Bruch complicirt, 80 verdient die lökön
FRACTÜRA 795
pfige Binde allemal den Vorzug , weil man diese ab - und anlegen kann,
ohne den Ann zu verrücken.
FracUtra cartilai/ivis ihyreoideae, Bruch des schildförmigen Knor-
pels. Dieser zum Glück nicht oft vorkommende, aber wegen der Wichtig-
keit der Theile auch immer höchst gefährliche Bruch kann erfolgen durch
einen plötzlichen Fall mit diesem Theile auf eine scharfe Kante von Holz,
Eisen etc., und zwar dann am ersten, wenn der Hals ganz entblösst ist*
Die wenigen davon aufgezeichneten Fälle sind immer tödtlich gewesen. Die
Gefahr hängt vorzüglich von der durch die Verengerung der Luftröhre zu
befürchtenden Erstickung, von der Quetschung und Zerreissung der vielen
Nerven und Blutgefässe ab , die nothwendig Convulsionen und Blutungen
zur Folge haben müssen. In Ansehung der Hülfe lässt sich wenig bestim-
men. Man muss den Knorpel durch einen gelinden Druck mit den Fingern
wieder einzurichten suchen, und da sich keine Binde anlegen lässt, den
Bruch der Natur überlassen. Könnte man durch eine äussere Handanlegung
nicht auskommen, so würde die einzige Hoffnung, das Leben zu erhalten,
von einem frühzeitig gemachten Kehlschnitt abhängen, um den eingedrückten
Theil mittels einer dui'ch die Wunde eingebrachten Sonde nach' aussen zu
leiten. Der Patient müsste wegen des beschwerlichen Schluckens durch
Klystiere ernährt werden. < : ■
Frncttira claviculne, Bruch des iSchlüsselbeins. Dieser Bruch
kommt nicht selten vor; er kann bewirkt werden durch einen Fall, wobei
der Arm ausgestreckt ist, ausserdem aber auch durch einen Schlag, Stura
etc. Der Knochen bricht entweder an dem einen oder andern Ende, am
gewöhnlichsten aber in der Mitte. Der Bruch ist ferner einfach oder com-i
plicirt, entweder schief oder quer. Bei einem Querbruch verschieben sich
die Enden nicht leicht, die Diagnose ist daher in diesem Falle oft seh»
schwer, indem man keine Ungleichheit der Schulter sieht und die Bewegung
des Arms nicht sehr gehindert ist. Man bemerkt blos eine G^chwulst über
dem Schlüsselbeine, wobei der Kranke über Schmerzen klagt; beides wird
gewöhnlich übersehen und einer Quetschung zugeschrieben. Ist dagegen
der Knochen schief gebrochen, so ist die Diagnose leicht. Man fühlt nicht
aliein den Bruch deutlich, sondern sieht auch leicht die verschobenen En-
den und hört zuweilen ein Knarren derselben. Der Kranke kann den Obcr'r
arm nicht bewegen , es entsteht Geschwulst mit heftigen Schmerzen , die
Schulter Und der Arm sinken herab, fallen vorwärts auf die Brust Und ver-
ursachen eine grosse Ungestaltheit. Die Bruchenden sind dabei entweder
nach der Länge oder nach der Breite verschoben. Ein einfacher Bruch ist
gewöhnlich mit keinen schweren Zufallen verbunden , aber wal , wenn er
coraplicirt ist, wenn Erschütterungen der Luiigen und dadurch verursachte
Brustzufälle mancherlei Art entstehen; ist der Bruch splitterig, so können
die grossen Blutgefässe, welcfie unter der Clavicula liegen, verletzt wer-
den. Zuweilen erfolgen krampfhafte und fieberhafte Zufälle und eine hef-
tige Entzündung und Eiterung. Auch kann gleichzeitig eine Rippe niit ge-*
brechen seyn. Die Reposition dieses Bruches ist leicht ; aber schwer ists
denselben in seiner eingerichteten Lage zu erhalten. Alles kommt dahef
auf einen solchen Verband an, wodurch eine hinlänglich starke, gleichför-
mige und bis zur völligen Heilung fortgesetzte Ausdehnung bewirkt wird»
Man setzt den Kranken auf einen niedrigen Stuhl ohne Rückenlehne. Eiii
Gehülfe stellt sich hinter denselben, legt eine dicke Compresse zwischen die
Schulterblätter auf das Rückgrat und stwnmt sein rechtes Knie dagegen.
Mit beiden Händen fasst er alsdann die Schulter an der Articulation des
Arms und zieht dieselbe so stark, als nöthig ist, zurück. Der Wundarzt
sucht nun die Einrichtung zu bewirken. Ist dies geschehen , so werden die
Vertiefungen über und unter dem Schlüsselbeine mit angefeuchteter Charpie
ausgefüllt, ein Paar weiclie, längliche Compressen kreuzweise über «nander,
über diese eine grössere Compresse , längs des Schlüsselbeins aber eine
Pappschiene gelegt und alles mit einem schicklichen Verbände befestiget, wo-
bei der Ellenbogen der leidenden Seite zur Unterstützung in eine Tragbindc
796 FRAGTURA
gelegt werden muss. Mit diesem Verband reicht man Jn den meisten Fäl-
len aus, obgleich viele zweckmässige und nützliche Bandagen von Brasdory
Evers, Brmninghausen , Desault^ Flajani, Boy er und A. angegeben wor-
den sind.
Prnctura colli ossis Irachii, Bruch des Oberarmbeinhalses. Die-
ser Bruch ist freilich sehr selten , kommt aber doch zuweilen vor und hat
manches Eigene, Seine Erkenntniss ist oft sehr schwer, weil man fast nur
allein durch die Achselgrube hinzukommen kann. Noch schwieriger ist die
Diagnose, wenn keine Verrückung vorhanden ist. Ist der Hals des Ossis
brachii abgebrochen, so befindet sich der Bruch etwas über der Gegend,
wo der Deltamuskel sich ansetzt. Man wird ihn dadurch erkennen können,
dass der Arm unbeweglich ist, dass aber die Schulter dicht unter dem Acro-
miura und dem Processus coracoideus des Schulterblattes ihre runde Gestalt
behält und mit der andern Schulter gleich bleibt; der kranke Arm ist nicht
länger als der gesunde, und bei der Bewegung des Arms wird man, wenn
man die Finger auf den verletzten Ort, besonders in die Achselgrube legt,
ein Knarren der Bruchenden gewahr werden. Eben diese Kennzeichen wer-
den auch in Verbindung mit dem Alter des Kranken, indem der Kopf noch
lange und zuweilen bis ins SOste Jahr ein Ansatz bleibt , die Trennung dieses
Ansatzes zu erkennen geben, und den Bruch von der Verrenkung des Ober-
arms nach Unten , womit er am ersten verwechselt werden könnte , unter-
scheiden. Bei der Einrichtung und dem Verbände hat man vorzüglich dahin
zu sehen, dass das Armbein gehörig von der Brust entfernt gehalten werde,
weil sonst durch die Wirkung der Brustmuskeln der untere Theil des Kno-
chens gewöhnlich näher an die Brust herangezogen und auf diese Art der
Bruch verschoben wird. Bei der Ausdehnung hat man also dafür zu sorgen,
dass während derselben auch zu gleicher Zeit das obere Ende des Armbeins
vom Leibe abgezogen werde, wodurch zugleich die Einrichtung bewirkt
wird. Man fösst deshalb den Vorderarm beugen, um den Muse, biceps za
erschlaffen, und zugleich den Arm ein wenig in die Höhe heben. Es fasst
odann ein Gehülfe mit der einen Hand die Hand der kranken Seite, mit
seiner andern aber das Ellenbogengelenk , und extendirt auf solche Weise,
Ist eine Gegenausdehnung nöthig, so soll man, nach Desault, dieselbe am.
gesunden Arm vornehmen, der deshalb an dem obern Theile angefasst wird.
Die Einrichtung wrd auf diese Art leicht bewirkt und es bleibt Platz ge-
nug zur Anlegung des Verbandes übrig. Nach geschehener Einrichtung legt
man dann um den Arm eine 4 Zoll breite und ly, Fuss lange Binde, zwi-
schen ihn und die Rippen aber eine leinene Matrazze von der Dicke eines
Querfingers, worauf man den Arm sammt der Brust mit e" er 4 Zoll brei-
ten Binde umwickelt. Dies ist die Methode nach Lcdrcm. Mehrere von
Böttclur, Brünninghmisen , Desault u. A. angegebene Verbände sind nachzu-
sehen in Richter^s Anleitung zum Verbände. Breslau , 1827. >
Fractura colli ossis femoris , Bruch des Schenkelbeinhalses. Der
Schenkelhals zerbricht am öftersten durch einen Fall auf den grossen Tro-
chanter, einen Sturz vom Pferde oder auch durch einen Gegenstoss, wenn
jemand von einer Höhe herab mit geraden Beinen springt oder auf die Knie
fällt. Es entsteht dieser Bruch um so leichter, da der Schenkelbeinhals eine
schiefe Lage hat, von unten nach oben breiter als von hinten nach vorn ist,
hohle Flächen hat und von lockerer, schwammiger Substanz, auch überdem
wenig bedeckt und seiner schwammigen Textur wegen einer Caries von In-
nern Ursachen sehr ausgesetzt ist (s. Arthrocace). Bei jungen Leuten
ist er ein blosser Ansatz, bei Alten hingegen wird er spröde. Die Dia-
gnose ist gewöhnlich sehr schwer. Zu den wesentlichsten Kennzeichen
dieses Bruchs , wodurch er sich auch besonders von einer Verrenkung des
Schenkels , mit welcher er gar leicht verwechselt werden kaiui , unter-
terscheidet, gehören folgende: 1) der grosse Trochanter ist nach allen Sei-
ten hin sehr beweglich ; man bemerkt dies vorzüglich , wenn man mit der
einen Hand das Knie umfasst und die andere auf den Trochanter legt. Bei
einer Verrenkung ist der Trochanter nicht so beweglich , und ist der Bruch
FRACTURA 797
unter demselben , so bewegt er sich gar nicht. 2) Die Spitze des Fusses
lässt sich leicht nach Innen und Aussen wenden, -weil der Kopf nicht wi-
dersteht, sondern unbeweglich in seiner Pfanne bleibt. 3) Der Schenkel
lässt sich leicht bis zur gehörigen Länge ausdehnen; sobald aber die Aus-
dehnung nachgelassen wird, verkürzt er sich wieder. 4) Wenn der Fuss
nicht zu sehr verkürzt ist, die Bruchenden also nicht ganz von einander
gewichen sind, so hört man bei der Bewegung des Schenkels ein Knarren;
nur muss man eine solche Bewegung nicht ohne Noth machen , um die Ver-
rückung nicht zu vermehren. 5) Der kranke Schenkel lässt sich nicht ohne
Schmerz von dem gesunden entfernen ; nähert man ihn aber dem gesunden,
so spürt der Kranke Linderung. 6) Das Knie und die Fussspitze sind aus-
wärts gekehrt und das verletzte Bein ist kürzer als das gesunde. Überdem
empiindet der Kranke einen lebhaften Schmerz im Schenkelbuge und kann
<las Bein nicht aufheben, das Knie ist wenig gebogen und der Hinterbacken
auf dieser Seite dicker. Ist der Bruch stark verrückt, so steht der grosse
Trochanter nach Aussen zu über der äussern Fläche des Darmbeins. —
Eine Trennung des Schenkelkopfes vom Halse, womit der Bruch des Schen-
kelhalses auch verwechselt werden kann, lässt sich vermuthen, wenn der
Kranke noch sehr jung, und das Geräusch bei der Bewegung des Schenkels
dumpfer ist, als es bei dem Bruche zu seyn pflegt. Die Behandlung ist in-
dessen dieselbe. Die Heilung des Schenkelbeinhalsbruches ist immer sehr
schwierig, zumal bei alten, kachektischen Personen. Es bleibt häutig eine
Verkürzung des Fusses, Verunstaltung des Gliedes und Hinken zurück,
wiewol bei der jetzigen verbesserten Behandlung nicht so oft als ehemals,
wo man den Bruch nicht selten verkannte. Ergiessungen von Blut oder
andern Feuchtigkeiten am verletzten Gelenke, Vereiterungen und innere dis-
ponirende Ursachen machen, wenn sie stattfinden, die Prognose immer sehr
bedenklich. Nach der Heilung erfolgt gewöhnlich eine ödematöse Geschwulst
des Beins , die von einer Verengerung der Venen herrührt. Die Hauptsache
bei der Cur beruhet darauf, den auswärts gefallenen und verkürzten Schen-
kel wieder einwärts zu bringen und herunter zu ziehen, um dadurch die
von einander entfernten Knochenstücke aufs genaueste an einander zu brin-
gen. Man legt zu dem Ende den Patienten gerade ausgestreckt auf ^ine
Matrazze. Ist der Schenkel nicht verkürzt, so legt man sogleich die Ban-
dage an. Ist aber der Schenkel verkürzt und sind die Bruchstücke ver-
schoben, so macht man zuerst die Aus- und Gegenausdehnung. Man zieht
nämlich ein breites starkes Band , z. B. ein schmales Handtuch , zwischen
den Beinen durch über die gesunde Seite, und lässt es oben von einem Ge-
hülfen halten, ^in anderer umfasst das Knie. Nun greift man, wenn der
Bruch auf der rechten Seite ist, mit der linken Hand unter dem Schenkel
durch und legt sie oben auf dessen innere Seite. Mit der rechten Hand er-
greift man den Schenkel über dem Knie, und lässt nun die Gehülfen zie-
hen, indem man oben mit der linken Hand den Schenkel auswärts vom Kör-
per wegzieht, damit der rauhe Knochen die weichen Theile nicht reibe.
Hat das Glied seine gehörige Länge erhalten , so drückt man mit der linken
Hand auf den grossen Trochanter , mit der rechten aber das verletzte Glied
fest an das gesunde und lässt es in dieser Lage halten. Der Bruch ist nun
eingerichtet und bleibt so, wenn man auch allenfalls nur die Schenkel mit
einem Bande über den Knien zusammenbindet. Um nun aber diesen Bruch
möglichst gut und sicher zu heilen , erfand Hagedorn eine Maschine (s. des-
sen Abhandl. über den Bruch des Schenkelbeinhalses, nebst einer neuen Me-
thode, denselben leicht und sicher zu heilen. Leipzig, 1808). Auch hat
Brünninghausen (Über den Bruch des Schenkelbeinhalses. Würzburg, 1789)
eine sehr zweckmässige Maschine angegeben, sowie Boyer, v. Siebold, Älhan.
Fractura costarum, Bruch der Rippen. Die Rippen können durch
eine äussere Gewaltthätigkeit sowol an ihrem vordem, mittlem, als hintern
Theile brechen, und zwar so, dass der Bruch entweder da, wo die Gewalt
gewirkt hat, oder an einer davon entfernten Stelle stattfindet. Trifft näm«
lieh die Gewalt die vordem Enden der Rippen, so bricht gemeiniglich der
798 FRACTURA
mittlere Theil, wie z. B. beim Überfahren eines Wagens über die Biust,
bei einer Quetschung zwischen zwei harten Körpern oder bei einem Fall
von einer Anhöhe. Wenn aber ein Schlag oder Stoss den mittlem Theil
der Rippe trifft , so erfolgt der Bruch an dem Ort der Verletzung selbst.
Die wahren Rippen brechen indessen leichter als die falschen. Auch bre-
chen von jenen die zwei oder drei obersten , well sie von dem Schlüssel-
beine und den Brustmuskeln geschützt werden, nicht so leicht als die übri-
gen. Trifft die Gewalt mehrere Rippen zugleich , so brechen sie auch nicht
so leicht , als wenn nur eine davon getroffen wird , wiewol auch mehrere
Kippen zugleich brechen können. Die Bruchenden können entweder nach
Aussen oder nach Innen reichen. Im erstem Falle, welches freilich der
seltner* ist, hat man weiter keine Verletzungen der Innern Theile zu be-
fürchten , als die Folgen der Quetschung und Erschütterung. Wenn aber
die Bruchenden nach Innen gewichen sind, so werden auch gewöhnlich die
Innern Theile der Brust vei'letzt und es entstehen gefährliche Zufälle : Be-
klenunung der Brust, beschwerlicher Hasten, ein schäumender, blutiger Aus-
wurf, unoidentlicher , kaum merklicher Puls, Entzündung der Pleura und
der Lungen, Entzündungsfieber, Verwundung der Lunge und daher entste-
hende Austretung der Luft und drohende Erstickung, Windgeschwulst, Blut-
ergiessung in der Brust, Ergiessung des Eiters in die Brusthöhle, Geschwüre
und Verhärtungen in den Lungen, Pulsadergeschwulst und der Tod. Die
Diagnose ist, wenn die Bruchenden nach Aussen gewichen sind, leicht.
Im entgegengesetzten Falle aber ist die Erkenntniss um so schwieriger, wenn
der Bruch nahe an den Wirbelbeinen befindlich ist, wo man der starken
Muskeln wegen mit dem Gefühl nicht bis auf den Knochen dringen kann.
Auch wird die Entdeckung des Bruchs erschwert, wenn die Enden wenig
verschoben sind , wenn eine Windgeschwulst , eine beträchtliche Blutunter-
laufung oder starke Geschwulst zugegen sind. Das Knarren bei diesen
Brüchen ist zuweilen auch sehr unzuverlässig, weil die etwa gegenwärtige
Windgeschwulst beim Anfühlen ein ähnliches Geräusch macht. (Das Ge-
räusch der Crepitation einer Fractur ist von dem knisterndem Geräusche
beim Druck aufs Emphysem leicht zu unterscheiden. Most). Um indessen
den Bruch zu entdecken, muss man die verletzten Rippen an dem schmerz-
haften Orte der Länge nach untersuchen , einen abwechselnden Druck dar-
auf anwenden und Acht geben , ob man nicht ein Knarren unter den Fin-
gern bemerkt, das auch zum Theil durch das Athemholen oder die Bewe-
gung der Brust zu entstehen pflegt, und durch die aufgelegten Finger be-
Dierkbar wird , besonders wenn man das Ohr dicht daran legt. Die Grösse
der Gewaltthätigkeit und das Daseyn der übrigen Zufälle , die Windge-
schwulsi ausgenommen , lassen nie mit Sicherheit auf einen vorhandenen
Bruch schliessen. Der Ausgang eines Rippenbruchs hängt theils von dem
Bruche selbst , theils aber auch vorzüglich von den dabei verletzten Theilen
ab; die Prognose ist daher immer sehr vorsichtig zu stellen. Die Heilung
erfordert zuerst die Reposition. Sind die Bruchenden nach Aussen gewichen,
so sucht man sie mit den Fingern wieder in ihre natürliche Lage zu drücken.
Ist dies geschehen , so legt man eine Compresse , mit zertheilenden Mitteln
befeuchtet, darauf und befestigt sie mit einer breiten Binde, füllt auch wo],
damit die Bruchenden sich nicht verschieben können, vor der Anlegung der
Compresse den Zwischenraum ober- und unterhalb der Rippe mit Charpie
oder aufgerollten Leinwandstreifen sorgfältig aus. Der Kranke darf nicht
husten, muss sich sehr ruhig verhalten und auf dem Rücken oder auf der
gesunden Seite liegen. Ist die Rippe nach einwärts gebrochen, so gelingt
die Einrichtung zuweilen sehr gut , w enn beide Enden der gebrochenen
Rippe, sowol das vordere als das hintere, durch die Hände des Wundarztes
zusammengedrückt und etwas weniges erschüttert werden, wodurch man hof-
fen kann, dass sich die Bruchenden vermöge der Elasticität der Rippen und
.,der Mitwirkung der Muskeln in die Höhe heben. Wird aber die Aneinan-
derbringung der Bruchenden auf diese Art nicht erreicht, so ist es nöthig,
einen Schnitt durch die Intercostalmuskeln in der Mitte zweier Rippen, um
FRACTURA 799
die laturcostalgefässe nicht zu verletzen, nnt eben der Vorsicht, wie beim
Empyem zu maclien. Man bringt darauf ein Elevatorium oder einen Finger
in die gemachte. Öffnung, geht damit unter der gebrochenen Rippe fort und
sucht sie zu erheben. Die Wunde heilt bald wieder zu. Auf die Stelle de»
Bruch« legt man eine sehr dünne Compresse, auf das vordere und hintere
Ende der verletzten Rippe aber eine starke, wenigstens einen Zoll dicke
Longuette, um dadurch die Wirkung der nachher anzulegenden Bitj^lc auf
den Bruch selbst zu verhindern, und zu verhüten dass die Enden wieder
nach einwärts gepresst werden. Kann man wegen einer starken Sugillation
und Geschwulst keinen Bruch entdecken, ungeachtet mehrere der obigen
Zufälle nach geschehener Verletzung da sind, so muss man die Geschwulst
öffnen, die Rippe entblössen und sie genau untersuchen; weil die Zufalle,
wenn sie von einer zerbrochenen Rippe veranlasst oder von Knochensplit-
tern unterhalten werden, die Anwendung aller andern Mittel fruchtlos ma-
chen würden. Findet man daher spitzige Knochenstücke oder abgelöste
Splitter, die das Rippenfell und die Lungen reizen, so müssen sie mit einer
kleinen Zange, mit dem Finger, mit Haken, oder auf irgend eine andere
geschickte Weise herausgezogen werden, weil sonst der Kranke in Lebens-
gefahr bleibt. Was die Behandlung der Nebenzufälle betrifft, darüber sind
die Artikel Febris vulneraria, Emphysema, Dyspnoea, Pleuri-
tis, Pneumonia, Haemorrhagia pulmonum etc. nachzulesen.
Fracturn cruris, Bruch des Unterschenkels. Die Knochen des
Unterschenkels , das Schienbein (Tibia) und das Wadenbein (Fibula) kön-
nen entweder beide zugleich , und zwar an einer und derselben Stelle , oder
an verschiedenen Stellen brechen, oder es bricht auch nur ein Knochen für
sich allein. Der Bruch kann entweder einfach oder verwickelt, schief oder
quer seyn. Die Ursachen sind gewöhnlich ein Fall, ein Schlag zur Seite;
ein Sprung beim Voltigiren, Tanzen etc. Wenn beide Knochen an einer
und derselben Stelle gebrochen sind , so ist die Diagnose leicht. Der
Kranke kann den Fuss nicht bewegen , noch viel weniger darauf gehen oder
treten; man hört, wenn man das Bein sanft bewegt, ein Knarren der Bruch-
enden, die Oberfläche ist imgleich und angeschwollen. Ist das Schienbein
allein gebrochen, so hört man ebenfalls ein Knarren der Bruchenden, und
fühlt sehr leicht die Ungleichheiten vom Bruch, wenn man an dem vordem
scharfen Rande herunter streicht. Wenn aber das Wadenbein gebrochen
und das Schienbein unverletzt ist, so hält es schwerer, den Bruch zu ent-
decken. Der Kranke kann dann noch auf dem Fusse stehen und einige
Bewegung damit machen ; indessen ist das Auswärtsstehen des äussern Knö-
chels bei einem stärkern Drücken auf das Wadenbein, sowie das Knarren,
welches man bemerkt, wenn der Fuss abwechselnd von Innen nach Aussen
gedreht wird, ein ziemlich sicheres Kennzeichen. Auch entdeckt man zu-
weilen den Bruch, wenn man von dem äussern Knöchel nach Oben ztf
streicht, duixhs Gefühl. Die Prognose richtet sich nach der Beschaffen-
heit des Bruchs und der Zufalle. Gewöhnlich ist aber Zersplitterung da,
wodurch nicht selten bedenkliche Zufälle, zumal wenn der Kranke eine üble
Constitution hat , herbeigeführt werden. Behandlung. Nachdem man
vorher das Lager des Kranken bereitet und die Verbandstücke in Ordnung
gebracht hat, macht man die Einrichtung. Hierzu müssen die Muskeln er-
schlafft und das Knie massig gebogen seyn. Man erreicht dies , wenn der
kranke Unterschenkel auf ein besonderes Kissen oder eine Matrazze, die
überall hart und gleichmässig ausgestopft ist, gelegt wird, und zwar 80,
dass er einen Fuss höher als der übrige Körper zu liegen kommt, der
Oberschenkel also gegen den Leib gebqgen, und alle Muskeln in Ruhestand
versetzt sind. Diese Lage, wobei der Kranke übrigens auf dem Rücken
liegt, wird auch während der Heilung beibehalten. Die Ausdehnung wird
nun nahe am Knie, die Gegenausdehnung an den Knöcheln und dem Fusse
gemacht. Sind beide hinlänglich geschehen, so macht man die Einrichtung
und sucht Alles gleich und eben zu machen, weshalb man, um sich davon
Zu ftberzeugen, mit den Fingern an dem vordem Rand und der vordem
800 FRACTURA
Fläche des Schienbeins, sowie an der äussern Fläche des Wadenbeins lang-
sam herunter fährt. Ist nun die Einrichtung geschehen , so legt man den
Verband an, und sucht ebenso, wie bei einem Bruche des Vorderarms, das
Nebenaneinanderheilen der beiden Knochen zu verhüten. Man schlägt zu
dem Ende vor , zwei lange graduirte Compressen , die etwas unter dem Knie
anfangen und bis an die Knöchel gehen , 1 Zoll breit und V2 Zoll dick sind,
zwischen beide Knochen unmittelbar auf die Haut und in entgegengesetzter
Richtung , die eine an der äussern und vordem Seite , die andere aber nach
Hinten und Innen zu legen. Darauf wird die ISköpfige Binde angelegt und
dann die Schienen, welche die Länge des Gliedes haben und unten und oben
mit zwei Löchern für die hervorragenden Erhabenheiten versehen seyn müs-
sen. Die Schienen werden mit Leinwandbändern befestiget , und da der
Fuss beim Ende der Wade oft schnell an Dicke und B'leisch abnimmt, so
muss man die Zwischenräume mit Charpie behutsam ausfüllen. Man legt
alsdann den Fuss in die Strohlade, unter die Ferse eine hinlänglich dicke
Compresse, an die Fusssohle zur Unterstützung auch noch ein Brettchen und
macht dann zwei Reifen über das Bette, damit die Bettdecke den ki-anken
Fuss nicht belästige. Bei diesem Bruche verdienen übrigens die Maschine
von JSrnMM oäer Snuter , die Schwebemaschinen \on Faust , Gräfe, Dornhlüth,
in manchen Fällen auch das Fussbette von Posch vorzüglich angewendet zu
werden.
Fraciura femoris, Bruch des Oberschenkelbeins. Dieser Bruch
kommt wegen der Länge des Knochens und der spröden Beschaffenheit des-
selben ziemlich oft vor. Der Knochen kann zwar an jeder Stelle brechen,
am öftersten aber geschieht es in der Mitte. Der Bruch kann einfach oder
complicirt, quer oder schief seyn. Die Diagnose ist ziemlich leicht. Das
Glied ist gespannt und schmerzhaft ; man fühlt die Bruchenden , die gemei-
niglich nach Vorn , Hinten oder zur Seite gewichen sind , und hört ein Knar-
ren derselben ; das Bein ist verkürzt. Am obern Theile muss man schon die
grösste Aufraerksamkeie anwenden, um den Bruch zu erkennen. Um die
Einrichtung zu machen, lässt man den Kranken auf das vorher für ihn
bereitete Lager auf den Rücken legen und zwar so, dass die Muskeln des
Schenkels möglichst erschlafft werden. Die Aus - und Gegenausdehnung
darf daher nicht in ausgestreckter Lage, wie es sonst gebräuchlich war,
geschehen. Der Schenkel muss vielmehr einen stumpfen Winkel mit dem
Körper machen und das Knie massig gebogen seyn. Die Gegenausdehnung
macht ein Gehülfe mit beiden Händen an dem obern Theile des Schenkels,
oder man legt, wenn dies nicht lunreicht, zwischen die Schenkel, doch so,
dass der Hodensack nicht gedrückt werde, ein Handtuch. Oft erreicht man
auch seinen Zweck , wenn man während der Ausdehnung das Becken fest
gegen das Bette oder die Matrazze andrücken lässt. Die Ausdehnung wird
am untern Ende des Schenkels gemacht; sind aber, wie es gewöhnlich der
Fall ist, die Hände allein nicht hinreichend, so legt man über das Knie
ebenfalls ein schickliches Tuch an, um mit diesem die Ausdehnung zu ma-
chen, während dessen ein andrer Gehülfe den Fuss unten zuriickhält, damit
das Bein nicht in ausgestreckte Lage komme. Ist nun die Einrichtung ge-
schehen, so legt man den Verband an. Über den Bruch kommt eine ange-
feuchtete gespaltene Compresse zu liegen, worauf das ganze Glied von unten
bis oben mit der ISköpfigen Binde umwickelt wird. Man legt alsdann zu
beiden Seiten des Schenkels zwei Schienen, die der Länge und Breite des
Gliedes angemessen sind. Die innere Seitenschiene muss bis übers Knie ge-
hen und oben für die Schenkelbiegung halbmondförmig ausgeschnitten seyn.
Die äussere muss auch übers Knie herunter und nach oben über den Tro-
chanter gehen, für welchen , sowie iur die Erhabenheiten am Kniegelenke,
die Schienen eine passende Öffnung haben müssen. Unter den Schenkel
kommt ebenfalls eine Schiene zu liegen, die aber nicht bis ans Kniegelenk
gehen darf, damit der vordere Rand die Kniegelenke nicht drücke. Zur
gleichmässigen Anlage der Schienen stopft man die Höhlungen mit Charpie
aus. Man befestigt sie darauf mit drei oder mehreren Bandschleifen und
FRACTURA 80*1
Ipgt zu mehrerer Befestigung die Strohlade au. Der gaiize auf ^e>-ie Art
verbundene Schenkel wird auf eiq etwas erhabenes Kissen gelegt , das ge-
rade die Länge des Schenkels hat , bis in die Kniekehlen reicht und durch
z\Vei untergelegte Bänder unten und oben um den Schenkel befestigt wird.
Der Nutzen hiervon lässt sich leicht einsehen. Der Schenkel wird auf diese
Art nicht nur in einer horizontalen, ruhigen und sichern Lage erhalten, son-
dern beide Gelenke wei'den auch, wenn der Kranke mit dem Rücken etwas
erhaben liegt, in einer massigen Beugung erhalten. Es lässt sich auch zu-
gleich zur Ausleerung des Koths unter den erhabenen Schenkel bequem ein
Becken schieben und der Kranke kann sich überdem an ein über dem Bette
befestigtes Handtuch halten und aufrichten. Sehr zweckmässige Maschinen
sind, angegeben von Gooch, Aulen, Böttcher, Lanz, Laurer u. A.
Frnctura fstulne, Bruch des Wadenbeins, s. Fractura cruris.
Frnclura maxillae inferioris , Bruch der Unterkinnlade. Dieser
Bruch gehört wegen der grossen Festigkeit der Substanz des Knochens, und
weil die Untei'kinnlade so sehr beweglich ist, sich daher eher verrenkt als
dass sie bricht, unter die seltenern Knochenbrüche. Es muss daher schon
eine beträchtliche, von vorn gegen das Kinn kommende Gewalt seyn, wo-
durch die Kinnlade bricht. Sie bricht entweder an der einen Seite aliein,
an beiden Seiten zugleich, in der Mitte, oder sie wird auch ganz zermalmt.
Der Bruch ist entweder schief oder geht quer durch, ist entweder einfach
oder complicirt, mit oder ohne Verrückung. Ist die Kinnlade nur an einer
Seite gebrochen , so bemerkt man keine sonderliche Verschiebung ; doch wird
gemeiniglich das hintere Ende nach Innen gezogen und das Kinn nach Unten.
Ist sie an beiden Seiten zugleich gebrochen, so wird durch die Wiikung
der Muskeln das Kinn nach Unten und rückwärts gezogen, der Mund steht
offen, auf jeder Seite stehen die hintern Enden in die Höhe und die mitt-
lem Zähne stehen mit dem abgebrochenen Stücke tiefer. Ist der Knochen
auf beiden Seiten gebrochen, so ist die Diagnose leicht. Schwerer ist der
Bruch zu erkennen , wenn der Knochen nur an einer Seite gebrochen ist
und keine Dislocation stattfindet. Man kann sich jedoch von dessen Dasejn
überzeugen, wenn man einige Finger der einen Hand auswendig an das Kin;»
legt, den Kinnbacken damit nach Unten drückt, unterdessen aber mit der
andern Hand den hintern Theil der Bruchseite ergreift und damit den Un-
terkiefer an den Oberkiefer drückt. Die Bruchenden bewegen sich auf diese
Weise, reiben sich aneinander und verursachen ein Knarren, das die Gegen-
wart eines Bruchs zu erkennen giebt. Ist die Kinnlade auf beiden Seiten
gebrochen, so ist sie durch die Action der Muskeln ganz verschoben und
der Kranke hat ein schiefes Kinn. Die Reposition ist ziemlich leicht.
Man bringt ein paar Finger in den Mund, setzt sie auf den in die Höhe
gehobenen Theil der Kinnlade und drückt sie herunter; zu gleicher Zeit
aber drückt man den andern Theil derselben in die Höhe. Man richtet sich
dabei nach den Zähnen; wenn diese ganz natürlich und egal stehen, so be-
finden sich auch die Knochenstücke in ihrer natürlichen Lage, welches man
auch durch das äussere Gefühl am Rande der Kinnbacke erfahren kann.
Die losen Zähne werden gleich wieder an Ort und Stelle gedrückt; hat sich
aber ein Zahn zwischen die Bruchenden geklemmt und hindert die Einrich-
tung, so muss er weggenommen werden, Ist ein doppelter Bruch da, so
vei-fährt man auf der andern Seite ebenso. Es kommt nun darauf an, den
Bruch in der Einrichtung zu erhalten, um eine neue Verrückung zu verhüten.
Der Kranke muss deshalb nicht sprechen , nicht kauen , überhaupt die Kinn-
backe gar nicht bewegen und alle Gewalt von Aussen sorgfältig vermeiden.
Man legt alsdann eine befeuchtete Compresse unter die Kinnlade, über die
Compresse aber ein nach der Gestalt der Kinnlade geschnittenes und gebo-
genes Stück Pappe, welches vorher eingeweicht worden. Wo ein doppelter
Bruch stattfindet , muss diese Pappe die ganze Kinnlade genau umgeben ;
bei einem einfachen ist es schon zur Hälfte genug. Zur Unterstützung bin-
det man über die Pappschiene ein Tuch, das auf eben die Weise, wie bei
Zahnschmerzen , ilra das Kinn zu liegen kommt und oben auf dem Kopfe zu-
Mont Eiicyklopädie. 2te Aufl. I. 51.
802 FRACTÜRA
gebun«len wird, wobei man aber zuweilen nachsehen muss, ob es etwa locker
wird. Andere empfehlen die vierköpfige Binde oder auch das Capistrum
duplex. Oft hält es ausserordentlich schwer, den Knochen eingerichtet zu
erhalten. Man ratli daher, die nächsten Zähne jedes zerbrochenen Stück»
init einem Goldfaden zusammenzubinden, um so die Stücke mehr an einan-
der zu halten. Oft sind aber die Zähne zu locker, oder stehen zu nahe, so
dass es nicht ganz gelingt. Sind Splitter da, so müssen diese behutsam an-
gedrückt oder herausgenommen werden. Getrennte fleischige Theile, -wenn
üie zuvor in die gehörige Lage gebracht worden, heilen meistens wieder an,
ohne dass der Knochen an der äussern Fläche verdirbt. Entsteht aber Ab-
blätterung, so muss man diese abwarten und gehörig behandeln.
Fractura olecrnni, Bruch des Fortsatzes am Ellenbogen, s. Fractura
anconaea.
Fractura ossis cocaßjis , Bruch des Steissbeins. Die gewöhnlich-
jjten Veranlassungen zu diesem Bruche sind schwere Geburten und ein Fall
mit dem Hintern auf einen spitzen Körper. Man leistet hier dieselbe Hülfe,
wie beim Bruche des untern Theiles am Heiligenbeine , indem man durch
einen in den Mastdarm gebrachten , vorher mit Öl bestrichenen Finger den
Bruch zu reponiren sucht. Nach der Wiedereinrichtung sucht man durch
kreuzweise gelegte Heftpflasterstreifen den Knochen in die Höhe zu halten,
legt überdies noch zwei Longuetten auf beide Seiten, und eine grössere dar-
über an , und befestiget Alles mit einer T - Binde.
Fractura ossis hyuidei, Bruch des Zungenbeins. Wegen der tie-
fen Lage und grossen Beweglichkeit des Zungenbeins ist dieser Bruch ge-
wiss äusserst selten ; doch hat Herr Callisen ein Zungenbein gesehen , an
welchem unzweifelhafte Zeichen eines vorhergegangenen Bruchs und eina
deutliche Beinnarbe vorhanden waren. Dieff'enhach beobachtete eine Fractur
am rechten Hörne des Zungenbeins in Folge von Erhängen. Er entdeckt©
den Bruch bei der Untersuchung des Halses mit dem Finger. Bei kühlen-
der Behandlung erfolgte nach mehreren Wochen die Heilung. Ein besonde-
rer Verband >vurde nicht angelegt (s. Medic. Zeitung, v. e. Vereine f. Heil-
kunde in Preussen. 18S3. Nr. 15),
Fractura ossium manus, Bruch an den Knochen der Hand,
o) Bruch der Hand wurzelkno chen. Es gehört schon eine grosse
Gewalt dazu , wenn die Knochen der Handwurzel brechen sollen. Wegen
Ihrer Gewalt und ihrer Lage, die sie neben einander haben, bricht nicht
leicht ein einzelner Knochen , sondern es werden gewöhnlich mehrere der-
tielben zersplittert und zermalmt , w obei die weichen Theile mehr oder we-
niger beschädigt weiden. Gewöhnlich sind mit einer solchen Zermalmung
der Handwui'zelknochen heftige Entzündung, Quetschung, Wunden, Blutung
und allerlei Nervenzufälle verbunden. Die Folgen davon sind Eitcransamm-
lungen , Geschwüre, Brand und Caries, so dass nicht selten die Amputation
der ganzen Hand erforderlich ist. In Hinsicht der Cur sucht man vorläu-
fig» so gut es gehen will, die Knochen in ihre natürliche Lage zu drücken
und die Zufälle zu heben. In der ersten Zeit legt man blos eine zusam-
menhaltende Binde an, unterstützt aber dabei den Vorderarm gleichförmig
mittels einer mit Compressen bedeckten Schiene. Der Arm muss in eine
Tragbinde gelegt, die Hand zwischen der Pronation und Supination gehal-
ten und die möglichste Ruhe des Gliedes beobachtet werden. Hat die Hef-
tigkeit der Zufälle nachgelassen , so sucht man den verletzten Theilen eina
grössere Festigkeit zu verschaff'en , indem man auf und unter der Hand ein
Paar Schienen anbringt, die Ungleichheiten mit Charpie ausfüllt und die
Schienen nut einer Cirkelbinde befestigt. Gewöhnlich bleibt doch eine Stei-
figkeit und Verwachsung des Handgelenkes übrig , weshalb es nöthig ist,
dasselbe von Zeit zu Zeit zu bewegen, i) Bruch der Mittelhandkno-
chen. Dieser Bruch kommt schon häufiger vor als ein Bruch der Hand-
v*urzelknochen. Die Behandlung ist übrigens ganz dieselbe. Da indessen
diese Knochen bet>ser zu fühlen und auch grösser sind, so wird auch di»
Eänricbtung diese« Bruchs bequemer und voUständigor gemacht werden kÖQ-
frIctüra 803
nen, c) Bruch der Finger. Wenn ein Finger gebrochen wi und der
Wundarzt hält die Erhaltung desselb'en für möglich , so unternimmt er di«
Einrichtung, bei welcher selten eine Aus- und Gegenausdehnung nothig
seyn wird. Ist dies aber der Fall, so macht er die Ausdehnung am Finger,
die Gegenausdehnung am Ellenbogen. Ist nur ein Finger gebrochen, so
dient beim Verbände der andere zur Schiene. Sind alle Finger zerschmet-
tert, so legt man zwischen zwei Finger eine dünne, mit einer dünnen Coro-
presse umwickelte Schiene, und verbindet so zwei Finger zugleich. Wäre
der Daumen allein gebrochen, so könnte man auf seine obere und untere
Fläche eine dünne Schiene, oder auch zwischen ihn und den Zeigefinger
eine keilförmige Compresse legen, wovon das dicke Ende an die Spitze
desselben, der dünne Theil nach der Mittelhand zu gelegt werden müsste.
Der Daumen würde sodann an den Zeigefinger befestigt. Um die Steifig-
keit zu verhüten, müssen die Gelenke so bald als möglich gelind bewegl
werden.
Frnctura ossium nasi, Bruch der Nasenknochen. Die Nasenkno-
chen brechen nur selten an ihrem obern Theile , weit eher hingegen nach
Unten zu, wo sie breiter und dünner sind. Der Bruch kann sowol an einem
als an beiden Knochen der Nase stattfinden. Die Ursache ist entweder ein
Stoss oder Schlag von der Seite oder die Gewalt trifft die Nase von Vorn,
so dass beide Knochen einwärts gebrochen und zersplittert werden. Gemei-
niglich ist der Bruch complicirt und es ist theils eine Verrenkung des einen
oder andern Knochens, theils eine Verletzung der inwendigen Nasenknochen
zugleich mit zugegen. So lange noch keine Entzündung da ist, ist die
Diagnose leicht. Man sieht schon die Verunstaltung der Nase und er-
kennt den Bruch bei der Untersuchung durchs Gefühl. Schwerer aber ißt
sie, wenn schon starke Geschwulst in der Nase und den angrenzenden
Theilen da ist. Man bekommt in diesem Falle nur dann erst völlige Ge-
wissheit , wenn die Geschw ulst zertheilt ist. Die Cur erfordert zuerst die
Reposition. Man lässt den Kranken auf einem Stuhl ohne hohe Lehne sitzen
den Kopf von einem hinter demselben stehenden Gehülfen umfassen und un-
beweglich fest halten. Der Wundarzt bewickelt eine Sonde mit Charpie
oder Leinwand, taucht sie in Öl oder bestreicht sie mit einer Salbe, bringt
sie dann in die Nase und hebt den gebrochenen Knochen gelind in die Höhe,
wobei er zugleich den Zeige - und Mittelfinger der andern Hand auswärts
an die Nase legt, um einen Gegendruck zu bewirken. Man reponirt auf
diese Weise erst an der einen Seite, und im Fall der Bruch beide Knochen
getroffen hat, nachher auf der andern Seite. Der Wundarzt untersucht
darauf mit dem kleinen Finger, den er, wo möglich, in die Nase bringt,
ob auch die zerbrochene Scheidewand zugleich mit eingerichtet sey; ist die-
ses nicht der Fall, so bleibt er mit dem Finger auf der einen Seite der
Nase und führt in die andere die Sonde, um die Einrichtung zu vollenden
und Alles gleich und eben zu machen. Ist die Sinrichtung geschehen, so
legt man zu jeder Seite der Nase eine Compresse, die mit Wasser und Es-
sig, Aq. vulnerar. Thedenii etc. benetzt worden ist, bedeckt diese mit einer
grössern Compresse und befestigt Alles mit Heftpflasterstreifen, die sich an
der Nasenwurzel kreuzen müssen.
Frnctura ossimi pedis , Bruch an den Knochen des Fusses.
Wir unterscheiden hier, wie beim Bruch der Handknochen, verschiedene
Arten. Am häufigsten ist der Bruch der Fuss wu rzelknochen, und
unter diesen Brüchen erfordert der Bruch des Fersenbeins ganz vorzüglich
eine genaue Betrachtung. Das Fersenbein, besonders der Höcker desselben
(Tuberositas calcanei) , kann zuweilen durch eine äussere Gewaltthätigkeit,
nuch wol allein durch eine heftige Anstrengung der Muskeln , z. B. beim
»Springen, Tanzen etc. zerbrochen werden. Das obere Bruchstück wird hier-
bei in die Höhe gezogen, man fühlt äusserlich keine Ferse und der Kranke
kann weder gehen, noch auf den Fuss treten. Zur Wiedereinrichtung müs-
sen die Wadenmuskeln erschlaflft werden, indem man das Knie beugen, den
Fusi aber ausstrecken lässt und das nach Oben gewichene Knochenstfick
51*
804 FRACTORÄ
herunter and mll dem andern in Berührung zu bringen sucht. Man legt
alsdann eine etwas dicke Compresse über den Brnch und verbindet den ver-
letzten Theil mit einer zweiköpfigen Cirkelbinde, die sich über dem Fuss-
gelenke kreuzen muss. Ist dies geschehen, so wird eine Longuette, die von
der Mitte des Oberschenkels bis unten über die Zehen reicht, an die hintere
Seite des Schenkels angelegt, und mit einer Cirkelbinde befestiget, wobei
die Enden der Longuette, damit sie nicht nachgeben, umgeschlagen und mit
der Binde ebenfalls befestigt werden können. Die Vertiefungen neben der
Achillessehne werden mit Charpie ausgefüllt. Um die Ausstreckung des
Fusses noch mehr zu erhalten, kann man noch eine Schiene, welche von
der Wurzel der Zehen bis an den Unterschenkel herauf geht, anlegen und
diese mit einer Binde befestigen. Auch kann man sich eines ähnlichen Ver-
bandes wie bei der Zerreissung der Achillessehne bedienen. Die übrigen
Brüche der Knochen der Fusswurzel, des Mittel fusses und der Zehen wer-
den ebenso wie die Brüche der Handknochen und der Finger behandelt
(s. Fractura ossium manus).
Fr actum ossium pelvis , Bruch der Becken knochen. Sowol an
dem Darmbeine, als an dem Sitz- und Schambeine kann durch Überfahren
eines Wagens, durch einen Fall von einer Höhe, durch einen Schuss etc.
ein Bruch entstehen. Die Zufälle , mit denen ein solcher Bruch begleitet
ist, sind oft sehr bedeutend. Der Körper verliert dadurch das Gleichge-
wicht und der Kranke kann weder stehen noch gehen. Gewöhnlich ist da-
mit auch eine Erschütterung des untern Endes des Rückenmarks verbunden ;
es ei'folgt daher eine Lähmung der untern Extremitäten, Verhaltung oder
unwillkürlicher Abgang des Urins und des Kothes, und ausserdem oft Ent-
zündung der im Unterleibe liegenden Theile , wodurch Fieber, Schlaflosig-
keit, Schluchzen, Erbrechen, Vereiterung, Urinfisteln, ja Brand und Tod
veranlasst werden können. Beim Bruch des Sitz- und Schambeins ist die
Diagnose gemeiniglich sehr schwer, weil nicht leicht eine Verschiebung
und em Geräusch wahrgenommen wird, im Fall nicht etwa am Schambein
ein ganzes Stück des einen oder andern Astes abgetrennt ist. Ist das Darm-
bein gebrochen, so wird zuweilen das abgebrochene Stück nach der Bauch-
höhle getrieben, und dann ist der Bruch durch die entstandene Vertiefung
und ungleiche Beschaffenheit dieser Seite leicht zu erkennen. Wenn dies«
Kennzeichen fehlen, so lässt man, um das Daseyn eines Bruchs zu entdecken,
den Schenkel der kranken Seite gelind bewegen, während dessen der Wund-
arzt zugleich seine Hände an das Darmbein legt , um durch das Aneinander-
reihen und Knarren den Bruch möglichst zu erforschen. Nur muss diese
Untersuchung sehr behutsam geschehen, damit nicht auf diese Art eine Dis-
location entstehe , die vorher nicht da war. (Dass hier wie in allen zweifel-
haften Fällen von Fracturen das Stethoskop angewandt werden und daher je-
der) Arzt und Wundarzt Gewandtheit und Übung im Auscultiren haben müsse,
versteht sich von selbst. Most.^ Die Prognose beruhet vorzüglich in der
An- und Abwesenheit der Zufälle, die theils von der Erschütterung des
Rückenmarks, theils von der Entzündung der Innern Theile abhängen. Der
Bruch an und für sich betrachtet, ist nicht gefährlicher als jeder ander«
Bruch. Heilen aber die Bruchenden in verrückter Lage zusammen, so kann
dies bei Frauenzimmern sehr nachtheilige Folgen für das Geburtsgeschäft
haben. Die Cur erfordert demnach hauptsächlich, dass man sowol der Ent-
zündung, als auch den consensuelJen Zufällen ernstlich begegne. Was die
Reposition betrifft, so legt man den Kranken, wenn ein Stück des Darm-|
heins abgebrochen ist, auf den Rücken, und lässt den Körper nach der ge-
sunden Seite hin beugen, damit schon durch die Kraft der Beugemuskeln
der Kamm des Darmbeins mehr nach Oben und Innen gezogen werde. Der
Oberschenkel der leidenden Seite wird etwas nach Aussen und an den Leib
gebogen , um die Muskeln , welche das Darmstück nach Unten ziehen , da-
durch zu erschlaffen. Der Wundarzt legt dann an beide Hüften seine flache
Hand und drückt den Kamm des gebrochenen Darmstücks nach Innen und
Oben, gegen den Kamm des Knochens auf der gesunden Seile, um so di«.
FRACTURA 805
rflUSge Eliirichtung zu bewirken. Sind bei einem Bruch des Scham - oder
Sitzbeins die Bruchenden einwärts gedrückt, so könnte man bei Frauenzim-
mern die Reposition durch die Vagina, bei Mannspersonen vielleicht durch
das Intestinum rectum bewirken. Der Kranke muss darauf gerade ausge-
streckt auf dem Rücken liegen und in dieser Lage verharres. Der Verband
bei diesen Brüchen ist sehr einfach. Er besteht blos aus einigen mit einem
zweckmässigen zertheilenden Mittel angefeuchteten Compressen, die mit ei-
ner Serviette oder einer breiten Binde befestigt werden (9. C. C. Crevc,
Von den Krankheiten des weiblichen Beckens. Berl. 1795. Cooper's Chirurg.
Handbibliothek. Th. I. Abth. 1. S. 51. Duverney, Traitö des maladies des
OS. T. I. chap, 6. art. 7. p. 284. Heidelb. klin. Annalen. IV. S. S. 409.
A. L. Richter, Von den Brüchen u. Verrenkungen d. Knochen. Berl. 1828.
S. 184).
Fractura patcllne, Bruch der Knieschelbe. Die Kniescheibe zer-
bricht am leichtesten durch irgend eine Gewaltthätigkeit, einen Stoss, Schlag,
Schuss oder Fall aufs Knie. Oft aber zerbrich^ sie allein durch die gewalt-
same Action der Ausstreckemuskeln , die mit sehr starken Sehnen an der
Kniescheibe befestigt sind. Es giebt verschiedene Arten dieses Bruchs.
1) Die Kniescheibe ist in die Quere gebrochen , welches der häufigste Fall
ist. Die Diagnose ist hier leicht; man fühlt die Fractur deutlich; es ent-
steht eine Vertiefung auf dem Knie, weil das obere Bruchstück durch die
starke Wirkung der Ausstreckemuskeln in die Höhe gezogen wird , das an-
dere aber sitzen bleibt. Der Kranke kann den Fuss weder aufheben, noch
ausstrecken, und die Beugung des Kniees ist schmerzhaft. Es kommt bald
eine starke Geschwulst hinzu, 2) Der Bruch in der Länge ist sehr selteu
und die Diagnose , weil die Enden sich nicht verschieben, schwer. Ist noch
keine Geschwulst da, so fühlt man eine längliche Spalte und bei Aneinan-
derschieben der Bruchstücke die Crepitation. S) Der Bruch ist zersplittert,
wie dies oft bei Schnsswunden des Knies vorkommt. Die an den obern Aus-
streckemuskeln befindlichen Stücke gehen nun in die Höhe, die an den un-
tern bleiben sitzen. Es entsteht bald heftige Geschwulst und Entzündung.
4) Zuweilen zerreisst blos das Kniescheibenband, Die Ausstrgckemuskeln
ziehen dann die Kniescheibe in die Höhe und es entstehen alle Zufölle des
Querbruchs. Die Heilung des Kniescheibenbruchs besteht darin, dass man
die Knochenstürke in genaue Berührung mit einander bringt, sie in dieser
Lage zu erhalten und deshalb die Ausstreckemuskeln des Unterschenkels zn
erschlaffen sucht. Man lässt deshalb den Kranken sich auf einen Stuhl
setzen, den Fuss aber aussti-ecken und so in die Höhe heben, dass der
Schenkel mit dem Unterleibe einen rechten Winkel macht. Man legt dann
eine Cirkelbinde an, die vom Unterleibe bis zum Knie herabläuft, eine an-
dere Cirkelbinde aber wickelt man von den Fusszehen bis zum Kniegelenke
herauf. Erstere, als die Hauptbinde, welche das obere in die Höhe gezo-
gene Knochenstück der Patella wieder mit dem untern genau vereinigen soll,
muss etwas fest liegen; die zweite dient mehr zur Unterstützung. Erreicht
man den gewünschten Endzweck auf diese Weise noch nicht, so muss man,
wenn die Geschwulst und Entzündung sich gelegt haben, einen festern Ver-
band zu Hülfe nehmen. Man legt auf beiden Seiten der Kniescheibe ein
Paar feste, ungefähr ^4 Ellen lange Compressen, die mit einer über und
unter dem Knie angelegten Cirkelbinde befestiget werden. Zwischen die
Cirkelgänge wickelt man ein zwei Finger breites Stück Pappe ein, um Fal-
ten zu verhüten und die Binde oben und unten glatt zu erhalten. Die En-
den der Compressen werden hierauf über die Binde zurückgeschlagen, die
obern Theile herab, die untern aber aufwärts gebogen und durch weitere
Umwickelung der Cirkelbinde befestigt. Ausserdem sind über die verschie-
denen sehr zweckmässigen Verbandsarten beim Kniescheibenbruch nachzule-
sen Evers und Bücking, Mohrenheim, Schmalz, Bell, Böttcher , Boyer, Bui-
rer, Renge u. A.
Fractura radii, Bruch der Armspindel, s. Fractura antibrachii.
Fraciura scapulae, Brach des Schulterblattes. Da;> Schulterblatt
80(5 FRACTURA
zerbricht nicht «o leicht als andere Knochen des Körpers, theilä weil es keine
feste Verbindung hat, theils weil es mit fielen weichen Theilen bedeckt ist.
Es kann aber dennoch zuweilen durch äussere Gewaltthätigkeit an allen
Stellen brechen, und nach Verschiedenheit der Stellen zuweilen eine Dlslo-
cation stattfinden, zuweilen aber auch nicht. Ist keine Verschiebung da, so
erkennt man den Bruch fast gar nicht und kann ihn nur vermuthen. Aber
auch dann, wenn wirklich eine Dislocation vorhanden ist, ist der Bruch oft
schwer zu entdecken, weil man den Knochen nicht allenthalben untersuchen
kann. Um aber den Bruch in zweifelhaften Fällen zu entdecken, lässt man
den Arm der leidenden Seite durch einen Gehülfen gelind bewegen und legt
die Finger auf das Schulterblatt, wobei man, wenn wirklich ein Bruch da
ist, irgendwo eine widernatürliche Vertiefung und Beweglichkeit nebst ei-
nem Knarren durch die Bruchenden bemerken wird. Bei einem Bruche des
Acromiums sinkt überdem die Scliulter herab , und man fühlt eine Vertiefung
»n der Stelle, wo sich das Schlüsselbein mit dem Acromium verbindet. Mau
kann diesen Fall leicht mit einer Verrenkung des Oberarms verwechseln,
yrenn man nicht genau untersucht und besonders auf die widernatürliche Be-
■weglichkeit des Acromiums, wobei der Kranke den Arm bewegen kann, zu
wenig Rücksicht nimmt. Den Bruch am Processus coracoideus erkennt man
leicht. Ist der Hals des Schulterblattes gebrochen, so entdeckt man den
Bruch, wenn man die Finger unter die Achsel, besonders an den Ort legt,
wo die Grube befindlich ist, und den Arm zugleich bewegen lässt, wobei
man gewöhnlich eine widernatürliche Beweglichkeit und ein Knarren wahr-
nimmt. Der Bruch des Schulterblattes an und für sich ist nicht bedenklich,
wol aber sind es die Zufälle. Da dieser Bruch immer eine grosse Gewalt-
thätigkeit voraussetzt, so entsteht sehr leicht eine Erschütterung des Rücken-
marks und der Eingeweide der Brust, worauf gewöhnlich Blutspeien, Brust-
entzündung, ja Schwindsucht folgen kann. Unter dem Schulterblatte ent-
steht leicht Entzündung und Eiteransammlung, wodurch , im Fall nicht bald
dem Eiter ein Abiiuss verschafft wird, das Schulterblatt und die Rippen
cariös werden können. Bei einem Bruche des Halses und des Acromiums am
Schulterblatte folgt zuweilen Lähmung und ein Schwinden des Arms. Die
Reposition ist bei diesen Brüchen im Ganzen genommen sehr schwer,
und man muss bei derselben vorzüglich auf eine zweckmässige Wirkung der
Muskeln sein Augenmerk richten. Wenn der Körper und die Gräte des
Schulterblattes gebrochen sind, so lässt man den Arm der kranken Seite
durch einen Gehülfen aufwärts bewegen und langsam nach dem Kopfe füh-
ren, so dass die Stirn desselben in die Beugung des Armes zu liegen kommt.
Durch diese Lage werden der Musculus teres major und minor gespannt und
diese verrichten so die Ausdehnung; der Musculus rhomboideus inferior und
superior aber halten das Schulterblatt an der Grundfläche zurück und machen
die Gegenausdehnung. Man kann nun leicht mit den Fingern die Bruchen-
den in ihre gehörige Lage drücken. Ist dies geschehen, so legt man die
flache Hand auf die Stelle des Bruchs und lässt den Arm wieder herunter-
>Yärts an seine Stelle bewegen. An beiden Seiten der Gräte werden sodanu
ein paar Longuetten und darüber eine Compresse, auch wol über diese noch
eine nach der Figur des Schulterblattes geformte Schiene gelegt, und alles
mit einer Serviette oder mit einer einfachen Sternbinde befestigt. Der Ann
muss, um eine neue Verschiebung zu verhüten, in einer kurzen Armschlinge
getragen werden. — Wenn der obere und hintere Winkel des Schulter-
blattes gebrochen ist, so muss man, um die Einrichtung zu erleichtern, vor-
züglich suchen den Musculus levator anguli scapulae, wodurch das abge-
brochene Stück immer von den übrigen Knochen abwärts und in die Höhe
gezogen wird, zu erschlaffen. Man lässt deshalb den Kopf und den Hals
des Kranken nach der leidenden Seite hin beugen , oder auch blos den Kopf
räch hinten halten. Auch während der Cur muss diese Lage beibehalten
v> erden, welches man durch das Anlegen einer Binde, die über eine unter
dem Halse zugebundene Schlafmütze geht und angeirähet ist , von hier aber
unter di« kranke Achsel wieder nach dem Kopfe zu läuft, wo sie befestigt
FRACTURA 807
T?lrd, erreichen kann. Ist der Hals des Schulterblattä und der Processu«
coracoideus gebrochen , so lässt man , um den Bruch einzurichten , den Arm
des Kranken gerade und nach Vorn zu, von Unten nach Oben in die Höhe
heben, und drückt mit den Fingern die Bruchstücke in Ordnung. Ebenso
•verfährt man bei einem Bruche des Acromiums, wobei aber auch die Höhlen
und Vertiefungen wohl ausgefüllt werden müssen. Zum Verbände dient die
sogenannte aufsteigende Kornährenbinde. Auch bei diesen letztern Brüchen
muss nothwendig der Vorderarm, besonders der grosse Hocker des Ellen-
bogens in einer Armschlinge sorgfältig getragen werden (s. T. K. Ä. Vogt,
Abhandlung eines sehr seltenen zusammengesetzten Bruchs beider Schulter-
blätter und des rechten Schlüsselbeins. Leipz. 1800. Mit 2 Kupfertfln. 4.).
Frnctura Sterin, Bruch des Brustbeins. Das Brustbein kann durch
einen Schlag oder Stoss, durch einen Fall von einer Anhöhe, durch Über-
fahren eines Wagens etc., auf verschiedene Weise, entweder oben, in der
Mitte, oder unten brechen. Der Bruch geht entweder quer durch das Brust-
bein, oder es ist ein Sternbruch, wenn z. B. eine matte Kugel das Brust-
bein trifft. Wenn eine Verrückung da ist, so findet sie gewöhnlich einwärt«
statt, sehr selten auswärts. Oft aber entsteht keine Verrückung. Die
Diagnose ist, wenn eine Verrückung stattfindet , ziemlich leicht. Man
fühlt nämlich von der äussern Seite des Brustbeins eine Ungleichheit, und
hört beim Ein- undAusathmen des Kranken ein Knarren an der Bruchstelle,
welches noch deutlicher wird, wenn man die Hand auf das Brustbein legt.
Zuweilen schiebt sich auch bei jedesmaliger Respiration ein Stück des ge-
brochenen Brustbeins über das andere, und dann ist die Erkenntniss noch
leichter. Man untersuche aber auch in der Gegend der Verletzung alle
Köpfe der Rippen, um zu erfahren, ob der Knorpel einer Rippe sich abge-
trennt habe , auch ob die Rippen selbst gebrochen sind oder nicht. Wenn
keine Verrückung da ist, so bedarf es keiner Einrichtung und man hat wei-
ter nichts dabei zu thun, als den Zufällen durch eine zweckmässige Behand-
lung zu begegnen. Der Kranke muss sich indessen äusserst ruhig verhalten.
Am besten ist für ihn die Rückenlage, jedoch so, dass der Oberleib etwa»
nach Vorn gebeugt ist, weil in einer ganz geraden Lage die Bruahenden
leicht durch die Wirkung der Muskeln von einander gezogen werden können.
Sind aber die Bruchenden verschoben und einwärts gedrückt, so muss man
die Einrichtung derselben vornehmen. Man giebt in dieser Hinsicht den
Rath , den Kranken ausgestreckt auf den Rücken zu legen und die Rippen
zu beiden Seiten nieder zu drücken, wodurch man bewirken wirde, dass,
zumal bei einem abwechselnden Drucke, die Brnchenden wegen der Elasti-
cltät des Brustbeins von selbst in ihre gehörige Lage treten v^ürden. An-
dere lassen den Kranken auf einem Stuhl sitzen, die Schulterblätter von ei-
nem Gehülfen rückwärts ziehen und beide Seiten der Brust von dem Wund-
arzte etwas stark zusammendrücken, wodurch ebenfalls die Rippen gegen
den vordem Thell hingetrieben und die niedergedrückten Theile des Brust-
beins oft wieder in ihre natürliche Lage gebracht werden. Kann man auf
solche Weise den gewünschten Zweck nicht erreichen, so bleibt nichts An-
deres übrig als durch Trepanation die eingedrückten Knochenenden hervor-
zuziehen und in die normale Lage zu bringen. Der Verband muss einfach
seyn und, um das Atliemholen nicht noch mehr zu erschweren, nicht zu fest
anliegen. Man bedeckt den Bruch daher blos mit einer Compresse, die mit
epirituösen Dingen, mit Wasser und Essig, -Aq vulner. Thedenii etc. be-
leuchtet worden , und befestigt sie mit einer Serviette.
Fractnra iihiae, Bruch des Schienbeins, s. Fractura cruris.
Fraciura ulnae, Bruch des Ellenbogenknochens, s. Fractura anti-
brachii.
Fractura vertehrnrum , Bruch der Wirbelbeine. Die Wirbelbeine
können entweder an ihrem Körper, oder auch an den stacheligen Fortsätzen,
zuweilen auch an den Querfortsätzen brechen. Am häufigsten kommt der
Bruch an den Hals - und Lendenwirbeln, seltener an den Rückenwirbeln vor.
Ursachen sind: vorzüglich Schusswunden, ausserdem Sturz von beträcht-
80H FRAGIUTAS OSSIUM - FRICTIO
litJier Höhe, das Auffallen eines Balkens, eines Mauersteins etc. auf den
Kücken. Der Bruch des Processus spinosus wird , wenn nicht schon bedeu-
tende Geschv<^st da ist, durchs Gefühl leicht erkannt, die Fractur aui
Körper der Wirbelbeine ist dagegen schwerer zu entdecken, oft nur aus den
Zufällen and Folgen zu vermuthen. Ist bei einem Bruche des Stachelfort-
satzes Dislocation zugegen, so lässt sich die Einrichtung mit den Fin-
{2;ern leicht bewerkstelligen. Man legt dann zu beiden Seiten ein Paar
schmale, aber dicke Longuetten, und befestigt sie mit einer breiten Binde.
Dabei muss der Kranke während der Cur die Bauchlage beobachten , kann
aber abwechselnd auch auf der Seite liegen. Ist der Körper eines Wirbel-
beins gebrochen, so ist der Ausgang immer sehr bedenklich. Es können
echlimme Nervenzufälle mit nachfolgender Lähmung, besonders der untern
Extremitäten, und andere Beschwerden in Folge des Drucks und des Reizes
aufs Rückenmark entstehen. Man muss freilich suchen, den Bruch, wenn
Dislocation stattfindet, wieder einzurichten, bei gleichzeitiger Wunde die
losen Knochenstücke und alles Fremdartige zu entfernen; aber leider! er-
folgt, wenn der Tod nicht eintritt, häutig Caries und der Kranke stirbt,
war die Verletzung irgend bedeutend, später hektisch.
Ch. J. D. Wiedow.
FragilftftS OSSium» Osteopsnthß-osis , krankhafte Brüchig-
keit, sehr leichte Zerbrechlichkeit der Knochen wegen zu gros-
ser Sprödigkeit, Trockenheit. Zuweilen ist das Übel blos local, und wenn
man hier genau untersucht , so findet man , das schon lange vorher an der
Stelle, wo durch die geringfügigsten Ursachen ein Knochenbruch entstand,
Caries occulta stattfand. Aber auch als Allgemeinleiden findet man das
Übel mitunter. Hier brechen schon bei den kleinsten Bewegungen, oft
schon beim schnellen Umdrehen im Bette, ein oder mehrere Glieder, aber
merkwürdig 1 sie heilen auch leicht wieder, oft ohne alle Kunsthülfe, und
recht schnell. Die nächste Ursache dieses Leidens suchen Einige in einer
kaiischen Schärfe der Knochen, die die Lymphe und Knochengallerte auf-
löse, so dass wegen Mangel der letztern die Knochen spröde werden müss-
ten {Isenßamm'). Chemische Analysen haben diese Ansicht aber nicht be-
stätigt. Gelegentliche und veranlassende Ursachen sind: Ausschweifungen in
Baccho , Venere , ferner Scorbut , Syphilis und anomale Gicht. Fast nie
finden wir die Krankheit vor dem 40»ten, öOsten Jahre, nie bei Weibern,
stets nur bei Männern, sowie Emollities ossium stets nur bei erstem be-
obachtet wird. Ein Kranker der Art fiel vom Wagen und zerbrach sich
den Vorderarm in 17 Stücke; ein Anderer zerbrach neunmal die Knochen
der Extremitäten im Bette. Das Übel ist bis jetzt für unheilbar gehalten
worden, da man keine Specifica kennt, welche die krankhafte Sprödigkeit
und Brüchigkeit des Knochensystems zu heben vermochten. Liegt offenbar
Gicht, Scorbut oder Sypliiiis zum Grunde, so behandeln wir das Grundübel.
Oft ist die Fragilität blos Folge des Marasmus im hohen Alter und dajin
stets unheilbar.
Fraxil1>oefiia , die indianische Pocke, Erdbeerpocke , die Yaws, s.
Syphilis.
FrictIOf Fricatio , Atwtripsis , das Reiben, Einreiben. Ist eine
gewöhnliche Verfahrungsart, welche an verschiedenen äussern Körpertheilen
mittels der Hand oder eines andern Körpers und zu verschiedenen Zwecken,
als Palliativ- und Hellmittel, angewandt wird. So unbedeutend die Friclio-
nen zu seyn scheinen, so bedeutend und wichtig sind sie; ja sie sind bei
vielen äusserlichen und imierlichen Übeln unentbehrlich. Wir unterscheiden
hier 1) das Reiben eines Körperthcils mit der trocknen Hand eines Anderen.
Dass durchs Bestreichen und gelinde Reiben mit der Hand oder mit den
Händen eines Andern Kröpfe und andere Geschwülste geheilt worden sind,
dass diese Kraft den Königen von England, besonders Eduard dem Bekeu-
ncr, ingewohnt habe, desgleichen dem deutschen Grafen von Hasprug, dass
viele ander«<, gebildete und ungebildete Personen durch das blosse Berühren
FRICTIO a09
der Kranken mh Ihren Händen Heilung hervorgebracht haben, ist bekannt
(s. Kluge, Darsteli. d. animal. Magnetism. Berl. 1815. S. 21 u. f.). Wir
wollen nicht untersuchen, ob feine magnetische und elektrische Einflüsse
oder ob der psychische Eindruck hier gewirkt habe; indessen bleibt so viel
gewiss und eine Menge von eigenen Beobachtungen haben es als reine That-
sache bestätigt, dass das anhaltende Reiben und Bestreichen mittels der
blossen Hand eines Andei-n ein herrliches Palliativ sey: a) bei rheumatischen
Schmerzen der Glieder; &) bei allen Beschwerden und Schmerzen spastischer
Art, bei Hysterie, Hypochondrie, Migräne, besonders aber bei der Eklampsie
der Kinder. Hier dienen die bei Eklampsie (s. d. ) angegebenen magneti-
schen Striche auch als diagnostisches Zeichen. Sind z. B. durch die allge-
Hieinen Krämpfe die Augäpfel verdreht, nach Oben gerichtet, und bekom-
men sie nach '/^ständiger Anwendung jener Striche keine normale Richtung,
so ist dies ein Zeichen , dass materielle Ursachen , z. B. Exsudationen im
Gehirne als Folge von Encephalitis etc. zum Grunde liegen (Most), c) Bei
Kardialgie und Colica flatulenta; bei ersterer reibt man anhaltend von der
rechten zur linken Seite im Cirkel die Magengegend, bei letzterer den gan-
zen Unterleib , gleichfalls im Cirkel und nach dem Laufe der dicken Ge-
därme, rf) Von grosser Wirkung ist das Bestreichen mit der Hand bei den
Convulsionen hysterischer und epileptischer Personen. Man kann zuweilen
selbst den Ausbruch derselben durch Striche vom Kopfe zur Herzgrube ver-
hüten und den Anfall dadurch abkürzen (M.). e) Personen, die an perio-
dischem Schwindel leiden, fühlen jedesmal Erleichterung, wenn ein Anderer
ihnen anhaltend den Kopf streicht. 2) Das anhaltende Reiben , hei'vorge-
bracht durch die Friction eines wollenen oder seidenen Hemdes , auf dem
blossen Körper getragen. Es ist unglaublich, wie gross und herrlich die
Wirkungen der Flanellhemden in allen rheumatischen und gichtischen Übeln,
selbst bei chronischen Nervenbeschwerden, bei Abdominalleiden, Dyspepsie,
Plethora abdominalis, atra ßilis, bei Hysterie, Hypochondrie, bei Ataxien
der Menses und bei vielen ähnlichen Übeln sind. In unserm, dem schnellen
Witterungswechsel so sehr unterworfenen Klima, besonders in den Städten,'
die , wie mein Wohnort Rostock , an den Seeküsten liegen , entstehen eine
Menge rheumatischer, gichtischer und spastischer Übel, besonders epilepti-
sche Zufälle, selbst zuweilen Trismus und Tetanus, durch Erkältung. Nichts
präservirt hier besser als Flanellkleidung auf dem blossen Leibe, besonders
von blauem Flanell. Sie bewirkt durch die anhaltende Friction einen wohl-
thätigen Reiz aufs peripherische Nervensystem, vielleicht selbst durch Er-
weckung von thierischer Elektricität, hebt die Disharmonien zwischen die-
sem und dem Centralnervensystem , welche leider! durch den schnellen Wit-
terungs - und Temperaturwechsel (letzterer beträgt in Rostock sehr viel und
macht binnen 12 Stunden oft eine Differenz von 14 bis 20" R. aus) so häufig
sind, wobei auch die grossen und plötzlichen gleichzeitigen Variationen im
Zustande der Luftelektricität , des Elektro - Magnetismus etc., die wir fast
nur physikalisch, nur sehr wenig physiologisch kennen, wol nicht zu über-
sehen sind. Das Tragen seidener Hemden hat ausser der Friction noch die
grosse Wirkung, dass der Körper dadurch gleichsam isolirt wird, so das»
die Anomalien in der Luftelektricität und die nachtheiligen Wirkungen des
plötzlichen Witterungswechsels auf ihn weniger einwirken können. Man lässt
am besten Hemden von rothen seidenen Zeuchen, z. B. von recht schwerem
Satin turc, von schweren! Levantine etc. verfertigen, wozu für einen Er-
wachsenen 8 — 9 Ellen nothwendig sind, und wechselt damit alle acht Tage,
indem man sie fortwährend tragen lässt. Schade, dass die seidenen Zeuche
so theuer sind; denn die Elle von schwerem Satin turc ist nicht unter
1 Gulden zu kaufen, daher Arme sich dieselben nicht gut anschaffen können.
Die herrlichen Wirkungen dieser Hemden sind bekannt; am meisten sind sie
Hysterischen, Hypochondristen und Epileptischen zu empfehlen. 3) Das ab-
sichtliche Reiben mit erwärmten wollenen Tüchern. Ist bekanntlich ein vor-
zügliches Hülfsmittel zui" Wiederbelebung Scheintodter aller Art, desgleichen
das stärkere Reiben mittels weicher Bürsten (s. Asphyxia). In England
810 FRICTIO
ist die sogenannte Fleischbürste, eine welche mit einem Stiel Tersehcn«
Bürste, gegen rheumatische, gichtische und spastische Localschmerzen aller
Act, selbst als diätetisches und Präseivativmittel sehr im Gebrauch. Di©
Kranken bürsten sich selbst Morgens und Abends V4 — 1 Stunde lang die
leidenden TheUe, bei chronischen Unterleibsleiden selbst den Unterleib, und
die herrlichen Wirkungen dieses Verfahrens sind bekannt. In Deutschland
ist ihr Gebrauch mit Unrecht noch zu wenig eingeführt. Auch bei Blutcon-
gestionen zum Kopfe ist das Bürsten des Rückens, Nackens, der Brust und
der untern Extremitäten als derivatorisches , die ßlutcirculation gleichmässi-
ger machendes Mittel zu empfehlen, desgleichen bei erethistischen Blutungen
aus Nase und Lungen. Da die nächste Ursache eines jeden epileptischen In-
sults in vermehrter Congestion zum Gehirn zu suchen ist (s. Epilepsia),
so habe ich mit Nutzen bei den Vorboten des Anfalls die Nackengegend und
den Rücken kräftig bis zur Hautröthe bürsten lassen und dadurch zuweilen
den Ausbruch der Krämpfe verhütet (Müs<). 4) Die Frictionen und Ein-
reibungen von Arzneien in die Haut Qjiunctio, Illitio^ mittels der Hand oder
v?ollener Tücher etc. Jedem Arzte ist bekannt , dass Arzneistoffe aller Art
durch Application aufs Hautsjstem in den Körper gebracht werden können.
Die Action des Reibens, die Friction mit und ohne Arzneien ist als diäteti--
8ches Mittel zur Reinigung, Belebung und Stärkung der Haut höchst wich-^
tig, wird daher noch jetzt im Orient häufig angewandt, in Europa aber
noch immer zu sehr vernachlässigt, obgleich jeder Arzt weiss, wie gross ihr
Nutzen zur Verhütung der Gicht, zur Hellung bei Krankheiten aus Schwä-
che, bei Lähmungen, Stockungen aller Ait etc. ist. Manche Ärzte, beson-
ders aber auch die Wundärzte , übersehen bei der äussern Anwendung gifti-
ger Arzneien häufig die bedeutenden, durch Absorption hervorgebrachten
allgemeinen Wirkungen, oder vergessen zum Nachtheile der Kranken, dass
dergleichen stattfinden können. Die äussere An\\endiing des Arseniks, Queck-
silbers, des Bleies, Kupfers, der narkotischen Gifte etc. erregt nach der
Erfahrung nicht selten allgemeine Zufälle, welche ganz denen, die durch
den innern Gebrauch jener Gifte entstehen , ähnlich sind. Am leichtesten
und häufigsten ist das der Fall bei Kindern, zarten Frauen und bei Mäd-
chen und Jünglingen, welche in der Pubertät begriffen sind, desgleichen bei
allen geschwächten Subjecten, bei Greisen. Viele Wundärzte wissen es nicht,
dass giftige Stoffe, in Klystieren beigebracht, z. ß. Opium, Belladonna, Ta-
bak, Bilsenkraut etc. , oft die fürchterlichsten Zufälle erregen und dass da-
her in indicirten Fällen die Dosis jener Stoffe allemal nur klein seyn, nur
■wenig die durch den Mund zu reichende Gabe übersteigen darf. Es würde
zu wellläufig seyn, hier aller Fälle und Übel zu gedenken, wo wir mit
Nutzen äusserlich Arzneistoffe einreiben. Ich erinnere hier nur an die flüch-
tigen Salben, die ätherischen in Spiritus aufgelösten Öle bei Krämpfen, an
die Mercurialeinreibungen bei chronischen unschmerzhaften Drüsenverhärtun-
gen, bei Lues inveterata zur Erregung der Salivation als Louvrier- Rust'-
sche Schmiercur (s. Syphilis), an den Nutzen reizender Einreibungen bei
chronischen Gelenkleiden, beim Keuchhusten im zweiten Stadium, bei chro-
nischen Augenübeln, zur Zertheilung von Balggeschwülsten, an die erwei-
chenden äussern Mittel gegen Ankylose, Caput obstipum, gegen schmerz-
hafte Gelenkübel etc., an die fettigen Salben und fetten Öle mit Zusatz von
Opium , Hyoscyamus bei Kardialgien , Koliken , Krämpfen , bei Dolor faciei,
Ischias etc. Ebenso gross und ausgebreitet ist in den höhern Ständen der
Gebrauch der wohlriechenden Wasser, besonders der Eau de Cologne bei
Migräne und andern Nervenübeln, wobei zu bemerken, dass der tägliche
Gebrauch solcher Wasser bei Gesunden oft nachtheilig wirkt und durch
Überreizung des Geruchorgans selbst Nervenverstimmung und Diathesis spa-
stica befördert. Contraindicirt sind alle Frictionen, sowol das Reiben mit
der blossen Hand , als mit Arzneien , bei allen örtlichen acuten , innerlichen
und äusserlichen Entzündungen am leidenden Orte. Wohl aber passen si«
hier oft als reizerregende, derivatorische, revulsorische Mittel an Theileii,
die vom leidenden Organe efitfernt sind. AU Regel kann man aunejuiieiu
FRICTIO 811
dass FrictJonen da , wo sie heftige Schmerzen erregen , stets contraindicirt
sind, wovon wir nur die reizenden, Röthe, Pusteln oder Blasen erregenden
Salben und Waschwasser, applicirt an entferntere, dem leidenden Organo
nicht zu nahe liegende Theile, ausnehmen. Der Unfug, der mit der An-
wendung stark reizender Salben und spirltuöser Dinge bei Entzündungen,
bei frischen Quetschungen mit Geschwulst etc. von unwissenden Wundärzten
noch getrieben wird, wo Linim. volat. camph., Spirit. saponis, camphor.
gleich herhalten müssen, wenn nur kalte Fomentationen von Wasser, Essig,
Schnmcker's Fomentation indicirt sind, ist leider! immer noch sehr gross.
Jene Heilkünstler unterscheiden nicht gehörig das Stadium irritationis und
das Stad. relaxationis bei Verletzungen der Art. Die Alten hielten viel auf
Einreibungen bei chronischen Krankheiten; die Kranken wurden von einem
eigens dazu bestellten und instruirten Wundarzte und Bader, Salbarzt
(^laTQnktinirjc') , eingerieben, meist am ganzen Körper, womit häubg Bäder
und starke Leibesübungen verbunden wurden. Sowie die Methode er.dermi-
que noch neuerlich die Franzosen in Anwendung brachten, ♦im wirksame
Arzneien, auf die durch Vesicatorien entblössten Hautstellen applicirt, durch
Absorption in den Körper zu bringen; ebenso wichtig ist die Methode iatra-
liptique , wo wir unsere Arzneistotfe in die Oberhaut einreiben , bald in der
Absicht, dass sie absorbirt werden sollen, bald nur deshalb, damit sie di^
hohe Reizbarkeit und Empfänglichkeit des Hautsystems gegen schädlichQ
Einflüsse vermindern. Bekannt sind hier die guten Wirkungen der Ölein-
reibungen bei Hydrops , als Präservativ gegen die orientalische Pest , als
Radicalmittel gegen Scabies nach vorausgeschickten Waschungen mit Seifen-
Wasser, als Unterstützungsmittel bei herpetischen Ausschlägen (^HtifelanJy
Aatenrieth, Bischoff'^; auch im Stadio desquamationis scarlatinae zur Verhü-
tung der leicht folgenden Hautvvassersucht (s. Schröpf in HufelantVs Journ.
Bd. IV. S. 752. V. A. Brera, Anatripsologie, oder die Lehre v. d. Einrei-
bungen; übers, von Eyerd. Wien 1800, 1801. 2 Bde.). Über die durch
Lambert, Rkherand, PaiUard und Andere empfohlene Methode endermique
ou emplastro- endermique vgl. Nouv. Bibiiotheque medicale, 1826. Hecler^s
Lit. Annalen 1827. Juli. S. 68. Mnnsfehl, m d. Gemeins, deutschen Zeitschr.
f. Geburtshülfe. Bd. II. Hft. 2. S. 293. Lesieur, Bnlhj, Lisfrnnc, in Revue
medicale, Avr, et Sept. 1827. Diese ender mische Methode, welche
ungefähr seit 10 Jahren bekannt und ebenso lange häufig angewandt wor-
den ist, besteht bekanntlich darin, dass man auf eine oder die andere
durch ein Vesicatorium oder auf andere Weise von der Oberhaut entblösst©
Stelle verschiedene wirksame Arzneistoffe einstreuet oder letztere in anderer
Form auf dieselbe applicirt, damit sie durch Resorption in den Körper ge-
langen, um verschiedenen Heilzwecken zu entsprechen. Obgleich eine grosse
Menge von Versuchen selbst bei Gesunden , zumal in den Hospitälern Eng-
lands, Frankreichs und Deutschlands, darüber angestellt worden sind; so
sind die Stimmen über die Vortheile dieser Methode vor andern Heilmetho-r
den , zumal vor dem innerlichen Gebrauche der Arzneien , dennoch bis jetzt
getheilt. Bei allen Krankheiten, die den ganzen Organismus ergreifen, ver-
dient der , innerliche Gebrauch der Arzneien unstreitig den Vorzug, dagegen
die endermische Methode bei örtlichen, zumal chronischen Übeln, vielleicht
vorzuziehen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass jeder bedeutende Entr
zündungsprocess die Einsaugung mehr oder minder verhindert. Man hat
auch in Blutegelwunden, auf Hautstellen, die durch kaustischen Salmiak-
geist, durch concentr. Schwefelsäure entblösst worden, Arzneistoife appljcirt;
doch hat man dieses Verfahren nicht immer wirksam gefunden. Bei durch
Vesicatorien entblössten Hautstellen kann man ausserdem nicht sorgfältig
und häutig genug die Fläche abtrocknen, ehe man das Mittel anwende:,
sonst spült die ausquiliende Feuchtigkeit einen Theil des Arzneistoffs weg.
Aus diesen Gründen bedient sich J. A. Uoffmann (s. Httfeland^s Journ. 1833;
Jan. und Febr. S. 100 u. S. 33.) der Siedehitze. Er hält ein Messer^
bei kleinen Hautstellen nur eine Stricknadel, eine Minute lang in siedendes
und m Sieden unterhaltenes Wasser und applicirt sie heiss auf die Epidenui;».
812 FRICTIO
Es bildet sich fast augenblicklich ein Schorf, welcher ge,spalten vvh-d, und
Huf dessen darunter liegende, von der Oberhaut völlig entblösste wunde
Haut das Mittel mittels eines kleinen Hornspatels aufgetragen wird. Als
Vortheile dieses Verfahrens vor dem frühern giebt U. an: 1) dass es weit
weniger Umstände macht, 2) dass man sogleich und nur so viel, als man
braucht, Schorf bewirkt. Das Vesicatorium wirkt tiefer und mehr, als von
Nutzen ist;- der durch dasselbe erregte, oft bedeutende Entzündungszustand
vernichtet oder beschränkt wenigstens sehr die Aufsaugungsfähigkeit. 3) Ist
der Schmerz nicht sehr heftig, und ist schnell vorübergehend, und 4) kann
man damit die kleinste Hautstelle entblössen. Dieser Umstand empfiehlt das
Verfahren besonders an, wo stets neue Hautstellen entblösst werden müssen,
und weil nach LenibcrVs Erfahrung mehrere kleine Applicationsstellen vor-
theilhafter sind, als eine grosse, auch der beste Ort für Anwendung der en-
dermischen Methode der Verlauf der betreffenden Nerven ist. Der zweck-
massigste Verband, man mag die Haut entblössen, auf was für Art
man will, ist ein Stück Wachspapier, welches man unmittelbar auf die ent-
blösste, mit der Arznei bedeckte Fläche legt und es mit englischem Pflaster
oder Heftpflasterstreifen befestigt. Legt man irgend ein Pflaster unmittel-
bar auf die Applicationsstelle, so wirkt die Wegnahme des Verbandes zu
reizend und schmerzerregend. Die zweckmässigste Form der Arznei-
stoffe ist die des feinsten Pulvers, weniger wirksam ist die Salbenform (die
nur angewendet werden kann, wenn man es mit einer gar zu gereizten
Oberfläche oder mit einem die Haut sehr heftig reizenden Mittel zu thun
hat), wahrscheinlich weil sie die Mündungen gleichsam verklebt; am aller-
wenigsten aber wirkt dasselbe Mittel in flüssiger Form , z. B. als Tinctur,
vermuthlich weil entweder zu viel abfliesst oder zu viel in den Verband
dringt. Die besten Stellen für die Application sind die, welche dem
leidenden Theile und dessen Nerven am nächsten liegen ; sodann die Theile,
welche eine feinere Oberhaut oder eine stärkere Transspiration haben, mit
einem Worte, die im Allgemeinen schon empfindlichem; daher die vordem
Theile des Halses, die Stelle hinter den Ohren, die innem Theile der Arme,
Schenkel etc. Bei raschem Stoffwechsel, bei sanguinischem Temperamente
mit nicht trockner, spröder Haut, bei Kindern, Blondins, beim weiblichen
Geschlecht, bei zarter, wolliger Haut, ist die Aufsaugung am thätigsten,
bei Abend, sowie in der Nacht, und bei feucht- warmer Temperatur ara
bedeutendsten. Sie wird femer durch das möglichste Gleichgewicht aller
Functionen begünstigt, durch hervorstechendes Leiden irgend eines Organs
oder Systems, durch abnorme Thätigkeit im Blute, durch überwiegende
Plasticität (bei Entzündung, Eiterung, Schwangerschaft) und jedes einsei-
tige Hervortreten irgend einer Secretion (bei Durchfall, fliessenden Gold-
adern, partiellem Schweisse, Wassersucht) behindert oder gar aufgehoben.
Auch scheint die Wirkung bei grosser Hitze und wenn die Atmosphäre über-
reich an Elektricität ist, langsam und träge zu seyn. — Die Mittel, wel-
che Hoffnitmn anwandte, waren: 1) MorpMu7n sulphuricum, was er für kräf-
tiger und sicherer in der Wirkung, als das M. aceticura hält; er beginnt
mit V4 Gran und steigt höchstens bis l'/o Gran; die Wirkung folgt oft schon
binnen 10 Minuten, oft erst nach 4 — 6 Stunden. Das Morphium erzeugt
örtlich fast gar keinen Schmerz, die Applicationsstelle entzündet sich fast
gar nicht und heilt höchstens binnen 6 Tagen , wo dann eine neue gewählt
werden muss. Verstopfung war stets zugegen, und in 'allen Fällen, wo
Heilung oder Besserung folgte, fehlte auch nicht das charakteristische Na-
senjucken. Ausser Kopfweh und Schwindel wurde keine bedeutende Hirn-
aft'ection bemerkt. .Bei unheilbarem Carcinoma uteri wandte H. neben dem
innerlichen Gebrauche des Opiums das schwefelsaure Morphium nach'«nder-
mischer Methode an , und die fürchterlichen Schmerzen verminderten sich
bedeutend. Zuletzt halfen aber beide Älittel nichts mehr und nur Aqua
laurocerasi gab einige Linderung. Venerische Knochenschmerzen hob das
Morph, acetic. in der Dosis von '/■. — l'A Gran, abwechselnd auf den Ihiken
Oberschenkel and rechten Oberarm applicirt; binnen % — 2 Stunden k-at
FPJCTIO 813
Hfilfe auf 1 bis S Tage ein. In 4 Fällen von chronischen Kopfschmerzen
glückte es nur einmal, sie mit Morph, acetic. zu heben. Es wurde, nach-
dem 10 Blutegel applicirt worden, viermal, in Zwischenräumen von 2 — 5
Tagen, auf entblösste Hautstellen am Kopfe, zu I72 — S'/, Gran steigend,
angewandt und der Schmerz völlig beseitigt. In 7 Fällen von Gelenkrheuma
wurde das Morphium meist neben innerlicher Anwendung anderer Mittel
fünfmal ohne Erfolg applicirt. In 2 Fällen von Keuchhusten entstanden nach
Morph, acetic. und sulphuric. , sowie nach Extr. belladonnae neue Schmer-
zen, und zwar um so heftiger, wenn die Mittel rein und nicht in Salben-
form angewandt worden waren. In 2 Fällen von heftigem Kiampfhusten bei
Er^^achsenen half 1 Gran Morph, sulpuric. auf die von Vesicatorien am Halse
bewirkten wunden Stellen sehr schnell und vollkommen genügend. 2) Chi-
ninuni sulphuricum. Man muss es mit Unguent. rosatum anwenden. In rei-
ner Pulverform angewandt folgt bedeutende Hautentzündung im Umkreis«
von mehreren Zollen, häufigerer Puls etc. (Lembert, Martini), Gegen In-
termittens hat es zuweilen geholfen, doch ist hier der innerliche Gebrauch
vorzuziehen (Mosi). 3) Kermes mincrale wandte Hofj'mnnn dreimal bei chro-
nischen Katarrhen alter Leute, in die Mitte des Halses applicirt, an- In
emem Falle vermehrte sich die Expectoration wenige Stunden darauf, in
einem andern nicht. Bei allen dreien entstand Übelkeit und vermehrter
Stuhlgang. Das Mittel , täglich einmal zu V2 bis höchstens 2 Gran aufge-
legt, muss auch in Salbenform applicirt werden, sonst bilden sich bald
Krusten , deren Ablösung Schmerz und Mühe machen. 4) Flores zinci. Bei
einem 2'/23ährigen, an Krämpfen beim Zahndurchbruch leidenden Kinde be-
schwichtigte '/o Gran davon mit etwas Unguent. rosat. auf eine aufgezogene
wunde Stelle hinter den Ohren gelegt, diese Zufälle. Drei Tage darauf
erschien ein Backenzahn. Bei Epilepsie leistete das Mittel nichts. Es wirkt
auf die Hautstelle ebenso austrocknend als Kalomel , daher man oft neue
wählen muss. — Bei einer Haut- und Bauchwassersucht nach überstandenera
Scharlach brachte 1 Gran Kalomel, über den Nabel applicirt, nach l'/o Stun-
den mehrere wässerige Stühle hervor; hierauf wurden, bei Abwesenheit je-
der entzündlichen Reizung, 2 Gran Extr. squillae auf eine wunde Stelle in
der rechten Nierengegend gebracht , was heftigen Schmerz und hohe Rö-
thung der Stelle, aber keine vermehrte Diuresis erregte. Aloeextract zu
2 — 6 Gran, in die Herzgrube gebracht, hob stets binnen 4 — 12 Stunden
die durch Morphium acetic. und sulphuric. entstandene Stuhl Verstopfung ohne
Schmerz. — Nach Hoffmann passt die endexun. Methode in ihrem gegen-
wärtigen Zustande im Allgemeinen nur für einen symptomatischen Cur-
plan. Narcotica scheinen am sichersten zu wirken, und periodische Krank-
heiten, Neuralgien, sich am besten für dieselbe zu eignen, In Fällen, wo
Zeitverlust schaden kann, ist es räthlich, ein bereits erprobtes Verfahren
der enderm. Methode vorzuziehen, da sich die Resultate derselben häufig
widersprechen, selten auch ganz reine Versuche gemacht worden sind, und
man häufig dabei die gute derivirende Wirkung der Epispastica und Vesi-
cantia nicht mit in Anschlag gebracht hat. So sah z. B. Dr. Steverson
(s. Calcutta Transact. of the med. and physical Society. 18S1. Vol. V. und
Behrendts Repert. 1832. Mai. S. 156) seit mehreren Jahren grossen Nützen
von der Anwendung des Strychnins gegen Amaurose, als Streupulver auf
die nach Blasenpflastern entstandenen wunden Stellen in der Schläfe ange-
wandt, wo täglich Vi Gran verbraucht wurde. Dagegen versuchte gleich-
falls V. Amman das Strychnin auf endermische Weise gegen schwarzen Staar,
aber vergebens; er sah keinen Erfolg, fürchtet vielmehr geschadet zu haben
(s. dess. Zeitschr. f. Ophthalmologie. 1832. Bd. II. Hft. 4). — M. W. Gerhard
in Philadelphia macht« unter den Augen des Prof. Jaclson mehr als 200 en-
dermische Versuche mit tonischen, narkotischen, purgirenden,
harntreibenden und Brechmitteln, auch mit Quecksilber und
lodine. Chinin, sulphuricum reizte die durch Vesicatorien entblösste Haut
heftig, erregte aber kein Fieber, wirkte stärkend und unterdrückte Quoti-
dianen und Tertianen glücklich, angewandt während der Apyrexie in Pul-
814 FUIVnGATIO
Terform oder Gerat anf Jie wunde Stelle; doch erforderte jeder einzeln«
Fall 20 bis 112 Gran Chinin. (Mit der letztern grossen Dosis Chinin kann
man, das Mittel innerlich gereicht, wol 20 Kranke der Art heilen. Most.y
Es fand wahre Resorption statt. Chinaextract zeigte ähnliche, doch schwä-
chere Kräfte. Unter den Opium präparaten eignet sich, nach Gerhardy
der Opiumessig (hJncli (hops der Engländer) am besten zur enderniischeii
Methode. Es ergaben sich schnell schmerzstillende Wirkungen, schneller,
als beim innerlichen Gebrauche ; das Opium traf ja die Hautnerven selbst.
Schwefelsaures und essigsaures Morphin, besonders das erstere,
haben zu Folge ihrer concentrirten Kraft und Auflöslichkeit, vor alfen an-
dern Medicament'en , die durch die Haut wirken sollen, den Vorzug; denn
y, — 4 Gran schafften in Neuralgien und rheumatischen Alfectionen grossen
Nutzen. Auch Belladonna, Schierling und Stechapfel äusserten,
wie alle Narcotica, von hieraus angewandt, schnellere Kraft, als auf dem
"Wege des Darmcanals. — Unter den Purgirraitteln lässt die Aloe von
der Haut aus am vortheilhaftesten sich anwenden. Zehn Gran machten nach
einer Stunde mehrere Ausleerungen. Auch Gummig utt purgirt gut, irri-
tirt aber stärker, als die Aloe, llheum, Jalape und Elaterium blie-
ben ohne Wirkung. Das Ol. crotonis erzeugte selten Stühle, mehr lei-
stet p. d. zu 1 Scrupel das Extr. colocynthid. compos. Alle Diuretica
aus dem Pflanzenreiche, namentlich Squilla, Digitalis, wirkten stark auf den
Harn. Von den Brechmitteln wirken nur die vegetabilischen (Emetin zu 10
Gran , Tabaksöl u. s. f.) Brechen erregend. Tartarus emet. reizt zu sehr.
Mercur und lodine thun dieses nicht; sie verhalten sich, als wenn sie in
den Darmcanal eingeführt worden wären. Eine stärkere Dosis bleibt aber
stetes Erforderniss bei Anwendung der Methode endermique. Dasselbe ist
auch der Fall bei der iatraleptischen Methode, die daher viel Arznci-
8toff consumirt. So hat man wol Chinin, sulphuricum mit Unguent. rosal.
vermischt, sowol bei Febr. intermittens als bei andern verschiedenen irrita-
tiven Leiden mit anhaltendem Typus, entstanden durch den Einfluss von
Sumpfmiasma, mit Nutzen eingerieben, aber oft 12 Gran alle 3 Stunden,
wodurch die Cur A'iel theurer wird, als bei dem Innern Gebrauche desselben
Mittels (s. (ie Simoiii in Semanario da Sande publica- Rio de Janeiro 1832.
BehreniVs Repert. 1832. Octbr. S. 107). — Bei Gelenkrheumatismen wand-
ten Troiissenu und Honnef (Archives generales de Medec. 1831. Novbr. und
BehreniVs Repert. 1832. März. S. 383) in den von Recnmier dirigirten Kran-
kensälen die Morphiumpräparate an. Eine grosse Anzahl von Kranken, die
an genanntem Übel litten, sind durch die Anwendung von Morphium sul-
phuric. und M. miiriat. ohne alle weitere Mittel behandelt worden. Es wur-
den diese Präparate dem Morph, acetic. vorgezogen, weil dieses nicht so
schnell und viel schwerer absorbirt wird. Es wurde die Haut über d^n
Gelenken durch eine Ätzsalbe wund gemacht und dann auf die entblössto
Stelle nach Umständen 1 — 6 Gran der erwähnten Präparate eingestreuet,
und nur in seltenen Fällen eine geringe Dosis von diesen Mitteln innerlich
in Pillen gegeben. Sowie dadurch an einem Gelenk oder an einer Stelle
der Rheumatismus entfernt war, wurde derselbe überall verfolgt, wo er am
Körper hervortrat. Die meisten Fälle wurden geheilt. Die Ätzsalbe bestand
aus Ammon. caustic. concentr. 5J, Axung. porci 3J, Sev. ovi gjv. Troussenu
und Bonnet können diese Behandlungsweise nicht genug rühmen ; sie geste-
hen , dass dies die leichteste und sicherste Weise sey , die sog. Gelenkgicht
ohne materielle Ablagerung zu heilen, vergessen dabei aber den Antheil an
dem günstigen Erfolge der Cur, den das Unguent. irritans nothwendig hat,
mit in Anschlag zu bringen.
Fumig^atio, das Räuchern, Beräuchern. Ist diejenige Methode,
wo wir Arzneien auf glühenden Kohlen oder andern heissen Körpern ver-
brennen und den Rauch, der dadurch entsteht , an den ganzen Körper oder
an einzelne Körpertheile gehen lassen. Unter dem Volke ist das Räuchern
bei rheumatischen und gichtischen Übeln sehr gebräuchlich. Die Glieder
werden entblösst, ein Kohlenbecken mit glühenden Kohlen neben den Kran-
FÜMIGATIO 815
kcn gestellt und darauf Wacholderbeeren, Bernstein, Mastix etc. geworfen.
Damit der Rauch die leidenden Theile recht kräftig berühren könne, setzt
ßich der Kranke auf einen Stuhl und hängt sich eine grosse bis auf die
Erde reichende Decke oder solchen Mantel, worunter das Kohlenbecken be-
findlich ist, um. Solche Räucherungen sind äusserst wirksam ; ihre Wirkung
wird vermehrt, wenn man in Fällen, wo es vertragen wird, zugleich die
Frictionen mittels erwärmten und durchgeräucherten Flanells damit verbin-
det. Ebenso üblich sind bei den niedern Ständen Mecklenburgs die Urin-
räncherungen gegen Gicht und Rheumatismus. Man nimmt den Urin des
Kranken , giesst ihn successive auf ein heisses Eisen , und lässt den Dunst
davon an den leidenden Theil gehen. In mehreren Fällen sah ich auffal-
lende Wirkungen von diesem etwas ekelhaften Mittel; doch lasseich es da-
hin gestellt seyn, ob die guten Wirkungen nur den Wasserdämpfen oder
auch den besondern Bestandtheilen des Urins zugeschrieben werden müssen
(^Most). In medicinisch - chirurgischer Hinsicht betrachten wir folgende ver-
schiedene Fumigationen: 1) Schwefelräucherungen. Sie sind von
ausgezeichneter Wirksamkeit gegen Scabies , Psydracie , gegen verschiedene
chronische Hautausschläge. Man streuet gestossenen Schwefel auf glühende
Kohlen oder auf heisses Eisen und leitet den Dampf mit Vorsicht, damit die
Respirationsorgane nicht leiden, durch Röhren oder unmittelbar in dicht ver-
schlossene Kasten, worin sich das leidende Glied oder der ganze Körper mit
Ausnahme des Kopfes befindet. Sowol die Auswahl der dazu erforderlichen
Apparate, als auch die Art und Weise der Anwendung sind nach individuel-
len Umständen sehr verschieden, worüber folgende Schriften nähere Auskunft
geben: J. Wächter, Über den Gebrauch d. Bäder etc., nebst einem Berichte
über d. medicin, Werth der Schwefelräucherungen in verschiedenen Krank-
heiten des menschlichen Organismus. 2te Aufl. Wien, 1818. J. de Cnrro,
Anleit. z. Errichtung einer Räucherungsanstalt u. z. Anwendung der Schwe-
felräucherungen insbesondere. Wien, 1817. J. H. Karsten, Über die Krätze
etc. Hannover, 1818. Medic. - chirurg. Zeitung, 1821. S. 171, 182; 1822.
S. 312; 1822, III. S. 242. HufelamVs Journ. 1822. Jan. S. 115. Bd. LIV.
Hft. 1. Bd. LVII. St. 3. S. 81. Traite de la m^thode fumigatoire ou de
l'emploi medical des bains et douches de vapeurs, par T. Rapou, 1823 u.
1824. 2 Bde. Memoires, rapports et observations sur les fumigations sul-
fureuses; par J. C. Gales, 2te edit. Par. 1823, avec des planches coloriees.
2) Que cksi Ib err äuc hernngen. Sie wurden schon in frühern Zeiten
als Zinnoberräucherungen gegen Lues inveterata angewandt , später durch
die Mercurialschmiercur verdrängt , neuerlich aber von schwedischen und dä-
nischen Ärzten wiederum empfohlen (vgl. d. Art. Syphilis und HufelnmCs
Journ. Bd. LVII. St. 4. S. 54; desgl. Kleineres Repert. 1827. St. 2. S. 83.
St. 6. S. 29. St. 12. S. 65). Bei hartnäckigen syphilitischen Hals- und
Nasengeschwüren lässt Dicff'enhach in Berlin Tabak rauchen, der mit Zinno-
ber vermischt ist. Die Kranken müssen den Dampf oft durch die Nase lassen.
Man ninunt 3j ? später 5jj Zinnober , vermischt diese mit Wasser und feuch-
tet damit V4 Pfund Tabak an, trocknet ihn dann und lässt davon täglich
6 bis 8 Pfeifen verbrauchen (s. Froriep's Notizen. Bd. XVI. S. 304).
8) Theerräu cherungen Sie sind besonders gegen Lungenschwindsucht
empfohlen worden , haben sich aber nur in der Phthisis puimonalis pituitosa
und bei chronischen Brustkatarrhen nützlich gezeigt. Bei einem heftigen
Brustkrampfe waren Opium, Moschus etc. vergebens angewandt, der Kranke
roch zufällig in die Theerbüchse eines Kutschers, und der Krampf ver-
schwand auf der Stelle (s. Leo^s Magaz. f. Heilk. u. Naturwissensch. War-
schau, 1828. Jahrg. I. Hft. 1. S. 17 — 33). Bei Lungeaverschleimung, asth-
matischen Beschwerden und Phthisis pituitosa ohne Erethismus im Blutsystem
wirken die Theerdämpfe ganz vortrefflich. Der Kranke muss sich in einem
Zimmer (bei geschlossenen Thüren und Fenstern) aufhalten, worin man nach
der Grösse desselben sechs und mehrere flache porzellanene Teller placirt,
worauf alle 8 — 15 Minuten kleine Portionen siedend gemachten Theers ge-
gossen werden. Das Zimmer wird dadurch von dem verdampften Tbeer
816 FmnGATIO
tliirchdnmgen und dieser durchs Athmen in die Respirationswege gebraclit
(s. HufcJamVs Journ. Bd. XLVJ. St. 2. S. 85. Bd L. St. 1. S. ÜO. Bd. LH.
St. 5. S. 10. Bd. LV., St. 1. S. 55. Bd. LXV. St. 5. S. 46). Die auf solche
Weise angewandten Theerräucherungen gaben nach den vor wenigen Jahren
in dem Charit^ - Krankenhaluse zu Berlin angestellten Versuchen folgende Re-
sultate: Von 54 Lungensüchtigen, bei denen sie angewandt wurden, wurden
4 dadurch geheilt, 6 zum Theil merklich gebessert, 6 blieben unverändert,
12 wurden schlimmer und 16 starben (s. Henke's Zeitschrift f. Staatsarznei-
kunde. VIL Ergänzungsheft. 1827. S. 266 — 273). Wahrscheinlich litten
jene 4 Genesenen nicht an der wahren, d. i. an der auf Tuberkeln beruhen-
den Lungenschwindsucht. Da der äusserliche und innerliche Gebrauch des
Theers als Salbe gegen Tinea capitis, als Aqua picea gegen Gicht, gegen
verschiedene chronische Exantheme nicht ohne Wirksamkeit ist, so könnte
man auch in solchen Fällen die Theerdämpfe, sowol in die Respirationswega
als auf die blosse Haut angewandt, versuchen. 4) Narkotische Räu-
cherungen. Dass narkotische Mittel auch als Räucherungen sehr wirksam
sind und in starken Dosen ganz dieselben Zufälle der Vergiftung hervor-
bringen, die ihr innerer Gebrauch verursacht, ist ebenso bekannt, wie das
Verfahren der Diebe im Orient , gestützt auf diese Thatsachen , den Rauch
von Opium in die Schlafzimmer derjenigen, welche sie bestehlen wollen, zu
blasen, damit diese betäubt werden und dem Diebstahle kein Hinderniss iu
den Weg legen. Dass das Ki-aut vom Stechapfel, mit Tabak gemischt und
täglich geraucht, ein herrliches Mittel bei chronischem Krampfasthma sey,
ist schon oben erwähnt worden (s. Antasthmatica und Asthma). Auch
möchten starke Räucherungen von Datura stramonium in der Hydrophobie
wol besonders dann indicirt seyn, wenn der Kranke wegen bedeutenden
Schlundkrampfes das Extr. daturae, das hier zu den wirksamsten Mitteln
gehört, nicht mehr schlucken kann (s. Hnrless, Über d. Behandlung dor
Hundswuth, und insbes. über d. Wirksamkeit der Datura stramonium gegen
diese Krankheit. Frankf. a. M. 1809). Auch in der Epilepsie hat man die,-e
und andere narkotische Räucherungen mit Nutzen angewandt (s. HufelmiiVs
Journal. Bd. LV. St. 2. S. 86 — 93); doch passen sie nur in solchen Fällen,
wo der innerliche Gebrauch der Narcotica indicirt ist (s. Epilepsia), be-
sonders da, wo beträchtliche Störungen und Abweichungen der Thätigkeit
des Gehirns, hartnäckige Stockungen im Unterleibe und ein torpider läh-
mungsartiger Zustand der Abdominalnei-vengeflechte obwalten. In einem Falle
leisteten achtwöchentliche Räucherungen des Körpers mit 1 — 3 Quentchea
Herb. dat. slramon. , täglich angewandt, gegen hartnäckige Hysterie mit
Nymphomanie und psychischem Leiden die herrlichsten Dienste (Jtfos*)-
5) Räucherungen mit Chlorgas, sogenannte Chlorgasbäder. Der Ge-
brauch der Chlorine in flüssiger Form als Acid. muriat. oxygenatum inner-
lich gegen Scarlatina, Febris erethistica, Angina, Gastromalacie, Febris
dentitionis, gegen Diathesis phthisica (Göt/e«), Hydrophobie, thierische Con-
tagien, gegen chronische Leberfehler etc. ist bekannt. Der Engländer Will.
WaJlace versuchte gegen Hypochondrie mit Leberstockungen mit grossem
Nutzen das Chlorgas , wozu er eine eigene Vorrichtung erfand (vgl. Samm-
lung auserlesener Abhandlungen. Bd. XXX. S. 543 u. 660. Bd. XXXI. S. 1).
Der Apotheker Zeise in Altona wendet in seiner dort bestehenden Badean-
stalt seit 1825 die Chlorgasbäder mittels einer sehr sinnreich ausgedachten
Einrichtung in ähnlichen Fällen mit grossem Nutzen an. Die zur Anwen-
dung dieser Bäder mit dem gewöhnlichen Dampfbadapparate gemachten Ver-
änderungen bestanden darin, dass sämmtliche Thürritzen mit dünn geschnit-
tenem Badeschwamm bedeckt wurden, der beim Gebrauch mit einer Solutio
kali carbonici befeuchtet ward. Die Ö^nungen am Halse des Badenden
wurden gleichfalls mit Tüchern bedeckt, die in dieselbe Auflösung getaucht
waren, und zur grössern Vorsicht ward noch der ganze Apparat mit einem
mit der nämlichen Flüssigkeit benetzten Laken umgeben, auf welche Weise
man das eindringende Chlorgas durch die neutralisirende KaliauHösung un-
schädlicii machen konnte. Zu einem solchen Gasbade lässt man nun die
FUNGUS 817
Chlorine sich ebenso wie bei den Guyion - Morveau'schen Räucherungen (s.
unten) entwickeln. Man mischt nämlich 1 Loth piüverisirten Braunstein und
$ Loth Küchensalz , giesst darauf 2 Loth mit ebenso -viel Wasser verdünnte
Schwefelsäure, bringt diese in ein steinernes oder porzellanenes Gefäss,
welches auf einem Glühkohlenbecken erhitzt wird, und leitet die sich schnell
entwickelnden Dämpfe in die Bademaschine, worin der Kranke sich befin-
det. Die angegebene Portion ist zur Entwickelung des Gases für ein Bad
genug. Ehe das Gas hingeleitet wird, kann man die Temperatur der Luft
im Badekasten durch hineingelassene Wasserdämpfe bis auf 40'' Reaum. er-
höhen. Ln Bade steigt der Puls des Kranken oft bis auf ISO Schläge, die
Ausdünstung wird sehr stark und es stellt sich auf der Haut das Gefühl
ein , als kröchen eine Menge Kerbthiere , die hier und dort kleine Stiche
anbringen, darauf herum (s. Gerson und Julius Magazin; März u. Apr. 1826,
S. 181. J/ccA-er's Liter. Annalen , Febr. 1826. Huf el and' s Journ., Jul. 1826,
S. 1S6). Neuerlich hat man auch zur Auflösung und Heilung der Lungen-
tuberkeln das Athmen einer mit Chlorgas vermischten Stubenluft empfohlen,
oder auch das Chlorgas mittels des Gannal'schen, noch besser des Cotte-
reau'schen Apparates , beschrieben und abgebildet in Pierer^s AUgem. med.
Zeitung, 1831, Nr. 16, einathmen lassen, und die darüber von französischen
Ärzten angestellten Versuche scheinen Aufmerksamkeit zu verdienen (s. Ar-
chiv, general. de Medecine, 1830 u. 1831); doch muss die Folgezeit erst
entscheiden, ob dadurch wirklich die Schmelzung von Tuberkeln und so
radicaie Heilung der echten Lungenschwindsucht bewerkstelligt werden
könne oder nicht (s. Phthisis pulmonalis tuberculosa). Die Beob-
achtungen über den Nutzen des Kochsalzes in Lungenblutungen bei Hajbitus
phthisicus (s. Haemorrhagia pulmonum), desgleichen über die guten
Wirkungen , die die Ausdünstung des Seetangs (Fucus marinus) auf Schwind-
süchtige hat (s. Laennec in Revue medicale, Juin 1825), lassen vermuthen,
dass die Chlorine , welche jenen Mitteln an Wirkung nicht unähnlich ist,
hier auch nicht ohne Erfolg seyn müsse. 6) Die Guy ton-Morveau'-
schen Räucherungen, die Übersalzsauren oder Chlorineräucherungen
zur Reinigung der Luft in verpesteten und mit unreiner Luft angefüllten
Gemächern. Der grosse Nutzen dieser Räucherungen zur Zerstörung aller
Gontagien: des Typhus-, Faulfieber-, Scharlach-, Blattern-, Hospital-
brand-Contagiums etc., ist bekannt. Aber auch jede andere Luftverderbniss
in Zimmern , entstanden durch Überschwemmung , Gährung und Fäulnis»
vegetabilischer und animalischer Stoffe, wird durch dieselben, desgleichen
durch die so herrliche Chlorkalkauflösung (s. Gangraena nosocomia-
lis), am besten und schnellsten zerstört und gehoben. Um ein Zimmer von
10 Fuss Höhe , Tiefe und Breite zu reinigen , ist folgende Mischung , welche
kaum Vi Silbergroschen kostet , hinreichend : Man nimmt trocknes pulveri-
sirtes Küchensalz Öjjj » gutes Braunsteinoxyd 5j ) mischt beides und schüttet
es in einen Steintopf, den man in die Mitte des Zimmers stellt. Nun trö-
pfelt man folgende Mischung aümälig auf jenes Pulver : I^ Acidi sulphurici
conccnir. , Aqune destillat. ana 3j|v » setzt den Topf auf ein Becken mit glü-
henden Kohlen und rührt das Ganze fleissig mit einem Glasstabe um. Wäh-
rend der Gasentwickelung muss das Zimmer genau verschlossen und kein
Kranker darin befindlich seyn. Später öffnet man Thüren und Fenster ein
paar Stunden lang und transportirt die Kranken aus den verpesteten Zim-
Htern in die auf angegebene Weise gereinigten. Durch diese Räucherungen
■wurde einst 10,000 an Fleckfieber und Febris putrida leidenden Spaniern
das Leben gerettet (s. Bibliotheque medicale; T. XX. p. 125 und Annales
deChimie; T. LXXIII. p. 331). Sie sind neben der Anwendung des Chlor-
kalks allem andern Räuchern mit Essig, mit gewöhnlichen salzsauren und
salpetersauren Dämpfen u. s. f. vorzuziehen.
Kung^uSs Spongosis, Schwamm, Schwammgewächs. Unter die-
sem Namen versteht man im Allgemeinen einen jeden schwammigen, weich
anzufühlenden, weisslichen, bläulichen etc. Auswuchs, der an allen Theilen
des Körpers, selbst an den Knochen voiküauaea kann, und daher seiner
Most Encyklopädie. 2te Aufl. I. 52
818 . FUNGÜS
Form und Natur nach ebenso viele Verschiedenheiten darbietet, wie die ein-
zelnen Theile, Organe und Systeme des Körpers, an denen er vorkommt,
verschieden sind. Da die Ähnlichkeit mit einem Schwämme, mit einem
Pilze, durchaus keinen hinreichenden Grund giebt, darnach eine ganze Gat-
tung von Afterorganisationen zu bestimmen, wohin ebenso gut die Aphthen
und Polypen als der Tumor albus und der Markschwamm, diese oder jene
Exostosen , Caro luxurians und andere höchst verschiedene organische Lei-
den gerechnet werden könnten , so lassen wir den vagen und unbestimmten
Begriff von Fungus auf sich beruhen, hoffend, dass bei einer spätem und
bessern systematischen Bearbeitung der Chirurgie und Medicin ein scharfsin-
niger, genialer Kopf mehr Ordnung in diesen Wirrwarr bringen und auch
eine richtigere Terminologie schaffen werde , — folgen dem alten Sprach-
gebrauche, und führen hier alphabetisch alle diejenigen verschiedenen orga-
nischen Leiden, welche unter der Rubrik Fungus vorzukommen pflegen, der
Reihenfolge nach auf.
Funißus ariictdorum, Tumor nlhus tiriicnlorum , der Gliedschwaramr
Ist ein chronisches Geleiikiibel, welches von einem entzündlichen Leiden der
das Gelenk umgebenden Weichgebilde seinen Ursprung ninunt , ist also als
ein Ausgang der Inflammatio membranae synovialis, Lifl. tendinuui, Infi,
aponeurosium und besonders der Intt. ligamentorum zu betrachten, welche
Entzündungen bei recht acutem Verlaufe zu gleicher Zeit auftreten , bei
langsamerem Verlaufe allmälig von einem Gelenktheile zum andern überge-
hen, und eine gelatinöse Exsudation zur Folge haben. Mehrere Schriftstel-
ler unterscheiden den rheumatischen und den scrophulösen Gliedschwamm.
Diese Unterscheidung ist sowol ätiologisch als pathologisch onrichtig; sie
confundirt Inflammatio telac medullaris in ossium apophysibus und deren
Folgen (ArthrocacCj Luxatio spontanea) mit dem Tumor albus. Für diu
Praxis ist dies nicht so selu* von Bedeutung , da die Cur beider keine auf-
fallenden Verschiedenheiten darbietet. Symptome und Verlauf des Tu-
mor albus (Fung. articul. rheumaticus der Altern). Das Übel ergreift am
häufigsten das Kniegelenk (Tumor albus genu , Gonalgia), hat viel Ahnli-
ches mit Gonarthrocace (s. Arthrocace), und durchläuft drei Perioden.
Erstes Stadium. Mehr oder weniger heftiger Schmerz, der nicht blos
das ganze Gelenk einnimmt , sondern sich auch längs der Aponeurosen und
Flechsen, welche sich am Gelenke inseriren , erstreckt. Zugleich mit die-
sem Schmerze erscheint eine weiche, weisse, elastische, pulpöse, gleich-
massig über das ganze Gelenk verbreitete Geschwulst. In seltenen Fällen
entstand sie ohne Schmerz im leidenden GUede, oder nachdem ein heftiger
Schmerz in einem andern Gelenke plötzlich verschwunden war (Boyer).
Liegt dem Übel eine innere Ursache zum Grunde, so ereignet es sich nicht
selten, dass die Menschen sich des Abends anscheinend gesund zu Bette le-
gen, plötzlich in der Nacht durch heftige Schmerzen erweckt werden , und
des Morgens ist die bedeutende Geschwulst schon da. Die geringste Bewe-
gung vermehrt den Schmerz, die Kranken halten das Glied stets gebogen,
weil diese Lage noch am erträglichsten ist. Das Gelenk behält seine na-
türliche Farbe und Wärme, aber die Hautbedeckungen sind gespannt, und
die Geschwulst ist am stärksten ober- und unterhalb der Kniescheibe und
zur Seite des an die Tibia sich inserirenden Bandes, wo man oft ein* Art
Fluctuation bemerkt, ohne dass Flüssigkeit da ist. Das ganze Glied wird
durch die gekrümmte Lage und durch die mangelnde Bewegung in kurze«-
Zeit so steif und unbeweglich , dass man an eine wahre Ankylose denken
sollte. In diesem Zustande kann das Übel lange Zeit verharren, die
Schmerzen lassen nach, und es bleibt nur eine Art Taubheit und Unbeweg-
lichkeit' zurück. Häufiger schreitet es aber ohne Intermissionen fort , oder
die Schmerzen stellen sich nach geringen äusseren oder ohne alle wahrnehm-
bare Ursachen wieder ein, und es erfolgt nun das zweite Stadium. Die
Geschwulst nimmt allmälig so bedeutend zu, dass sich das Gelenk bis zum-
doppelten, dreifachen Umfange vergrössert, dass am Knie die Fossa poplit«|i
ganz ausgefüllt wird; die Hautbedeckungen werden blass, glänzend, orik
FUNGUS , %\^
varicosen, bläulichen Gefässen , selbst mit Blutaderknoten besetzt, Ober dert
Gelenke, oft auch unter demselben werden die Muskeln magerer, das Fleisch
schwindet und der Umfang des Gliedes vermindert sich an diesen Stellen,
theils weil die Blutcirculalion gehemmt , theils weil die Ernährung des Glie-
des gestört ist. Zuweilen tritt Ödem hinzu und dadurch wird die Mager-
keit des Gliedes weniger auffallend. Die Schmerzen sind noch immer hef-
tig, oft an einzelnen Stellen heftiger als in der ganzen Geschwulst, sie exa-
cerbiren des Abends, bei Bettwärme, Witterungswechsel; jede Bewegung
des Gliedes vermehrt sie aufs fürchterlichste. Die Lymphdrüsen in der Lei-
stengegend, bei Tumor albus der obern Extremitäten die unter den Ach-
seln, schwellen an, die Geschwulst selbst wird hart, je weiter das Übel
fortschreitet. Unter diesen stets heftiger werdenden quälenden Zufällen ver-
gehen Tage, Wochen, und so geht das Übel nun endlich in das dritte
Stadium über, in das Stadium suppurationis. Die Schmerzen im Gelenke
sind füixhterlich; einige Theile der Geschwulst werden hart, ungleich, roth
voa Farbe, und es bilden sich Abscesse, deren Richtung sehr verschieden
ist, die aber meist immer mit einander in Verbindung stehen. Es zeigt sich,
wenn der Eiterherd nicht zu tief liegt , deutliche Fluctuation , und der durch
die Natur oder Kunst geöffnete Abscess entleert eine grosse Menge Eiter';
dieser ist entweder zu Anfange von guter Beschaffenheit und wird erst Spal-
ter schlecht, jauchig, dünnflüssig, faulig; oder er ist gleich anfangs seröili
klebrig, eiterähnlich, es schwimmen weisse Flocken, wie geronnene MileU,
wie Eiweiss, darin. Der Eiterausfluss vermindert nicht den Umfang der
Geschwulst , der eine oder andere Abscess schliesst sich , aber es bilden sich
an andern Stellen neue, welche sich entweder ebenfalls schliessen oder tA
unheilbare fistulöse Geschwüre übergehen. Nun leidet wegen der heftigen
Schmerzen, des Schlafmangels und vielleicht wegen der Resorption des EJi-^
ters ins Blutsystem , besonders vermöge der Venen in und nahe bei deih
Gelenke, auch das früher noch ziemlich gute Allgemeinbefinden. Es tretefti
Appetitmangel , Febris hectica mit kleinem , schnellem , frequentem Pulse,
mit coUiquativen Schweissen und Diarrhöen ein , und der Tod folgt aus Ent-
kräftung und Kachexie. Diagnose, Zwischen Tumor albus und Arthro-
cace finden zwar viele Ähnlichkeiten der Symptome statt; doch wird eine
Vergleichung beider Übel in ihrem ganzen Verlaufe, der lange vor dem Er-
scheinen der Geschwulst auftretende Schmerz bei Arthrocace, der vorzüg-
lich an einer Stelle des Gelenks fixirt ist, die im zweiten Stadium nicht
über das ganze Gelenk verbreitete, nicht gleichmässige, nicht elastische,
mehr ungleiche , harte , am stärksten an den Tuberositäten des Knochens
sich befindende Geschwulst etc. die Diagnose erleichtern (s. unter Arthro-
cace besonders den Artikel Gonarthrocace). Dass Chelius in seinem Hand-
buche der Chirurgie noch beide Übel identificirt und z. B. Tumor albus
genu und Gonarthrocace für eins hält , verdient kein Lob. Überhaupt ist
der Artikel Tumor albus, sowie der der Arthrocace <lie schwächste Seite
des ganzen, sonst so brauchbaren, schätzbaren Buches. Ursachen. Die
nächste Ursache des Tumor albus ist eine chronische Entzündung der Sy-
novialmembram , der Bänder, Sehnen und Aponeurosen des Gelenks. Ver-
anlassungen dazu sind theils innere, theils äussere. Zu erstem gehört vor-
züglich der Rheumatismus, der, durch starke Erkältung und Witterungs-
wechsel veranlasst, am liebsten die grossem Gelenke ergreift, weshalb der
Tumor albus auch am häufigsten am Knie vorkommt. Auch scorbutische,
arthritiscbe, syphilitische Dyskrasie , Metastasen nach Blattern, Masern,
Flechten, plötzlich unterdrückte Hämorrhoiden und Menses rechnet man
hierher. Gelegentliche Ursachen sind bei gleichzeitiger Prädisposition be-
sonders mechanische Schädlichkeiten : Stoss , Schlag , Fall aufs Gelenk.
Prognose. Ist im Allgemeinen schlecht , besonders wenn das Übel schon
alt, das Subject kachektisch und frühe Hülfe versäumt worden ist, wenn
im Verlaufe der Krankheit durch die zerstörende Eiterung schon die Knor-
pel urtd Knochen ergriffen worden sind, wenn schon Febris hectica da ist.
Der glücklichste Ausgang ist hier allein die Ankylose dös Gelenks, wodurch
820 FmGUS
das Glied und das Leben erhalten werden (s. Cooper's Neuestes Handbuch
der Chirurgie; übers, von L. F. v. Froriep^ 1820; Bd. II. RtisVs Arthro-
kakologie, 1817. Boj/er'« Vorlesungen über Knochenkrankheiten ; herausgeg.
von Richerand; übers, von Spaiigenhert/ , 1804; Th. II.). Cur. Ist nach
den verschiedenen Stadien des Übels verschieden. Im ersten Stadium sind
Blutegel, Schröpf köpfe , selbst Aderlässe, warme Bäder, innerlich Antiphlo-
gistica höchst nothwendig. Im zweiten Stadium passen Fontanelle, Moxa,
Glüheisen ans Gelenk, innerlich Antimonialia , Mercurialia , Diaphoretica;
im dritten Stadium sorgen wir dafür, dass die Eiterung keine bedeutenden
Zerstörungen erregt, und behandeln das .Allgemeinleiden nach, bekannten
Kunstregeln (vgl. d. Art. Ar throcace und. Febris hectica).
fungtis cellulosus, der Zell schwamm. So beschreibt v. Gräfe (s.
Gräfe und Wahhcr's Journ. für Chirurgie etc. Bd. XUI. Hft. 1) einen zum
Gesclüecht der Zeilschwämme (^Coclomyces) gehörigen Schwamm, für wel-
chen er den Namen 7'?{ntor pneumonodes -vorschlägt. Er beobachtete ihn an»
Rücken eines Kranken als eine elastische, begrenzte, schmerzlose Geschwulst,
welche sich S Zoll breit vom: Schulterblatt bis zu den Lendenwirbeln er-
streckte und bei starkem Fingerdruck ein Knistern wahrnehmen liessi Dia
Oberhaut war dabei gesund ; auch kein Zusammenhang mit größsern Cavi-
täten vorhanden. Er exstirpirte dieses Aftergelenke , welches mit Lungen-»
Substanz die grösste Ähnlichkeit ihatte ) .daher er denn den neuen Namen
vorzuschlagen sich berechtigt hält. t • ■ . • ■ . • .
Fmigus cerelri, Ueiiiia cerehri dequisita. Chelius, der sogenannte
Hirn schwamm. Ist diejenige partielle Erhebung des Gehirns, welche
nach' Kopfverletzungen durch eine abnorme Öffnung der Hirnschale hervor-
tritt, sich auf letzterer etwas ausbreitet und so einem Seh waramge wachse
ähnelt , das oft zu einer ansehnlichen . Grösse wächst , besonders wenn es
nicht: von der harten Hirnhaut bedeckt wird, sondern diese verletzt ist.
Veranlassungen sind: niedrige Stelle der Hirnschalenölfnung , bedeu-
tende (prrösse der letztern, starke Congestion und bedeutendes Fieber bei
penetrirenden Kopfwunden, das Verbinden der Wunden jnit erschlaffenden
Mitteln. Das Übel darf nicht mit Heruia cei'cbri congenita und mit Ecchj-
mosis Neonatorum (s. d. Art.) verwechselt werden. Cur. Zur Verhütung
des Übels bei Verletzten dienen: massige Compression auf die entblösste
Stelle des Gehirns mittels eines weichen, dünnen, genau der ÖiTnung ent-
sprechenden Schwamraes, mittels des Belloste'schen Blechs. Am besten ist
der Schwamm, von welchem man bei jedem Verbände ein neues Stück auf-
legt, und das Ganze mit einer Binde befestigt. Verträgt der Kranke auch
diesen gelinden Druck nicht, so muss man es bei kühlender Diät, erhabe-
ner Kopflage, bei den Innern derivirenden , antiphlogistischen Mitteln, nebst
Vermeidung aller fetten , erschlafTendeu Salben , bewenden lassen. Ist der
Hirnschwamm schon entstanden, so wende man kalte Kopfumschläge, Ad-
stringentia, Solut. Aluminis, Vitriol! coerulei mit Wasser, Wein, Brannt-
wein an. Ist er sehr gross, so schneidet man ihn vorher mit dem Mes-
ser ^yeg, wendet darauf die Adstringentia an und legt einen massig com-
priipirenden Verbajad, desgleichen vorher den erwähnten Schwamm, auf die
Geschwulst.
Futifjiis cranii^ Hirnschädelschwamjn. Ist ein vom Pericranium und
dem Hirnschädel ausgehender Schwamm, eine wahre Knochenkrankheit, ähn-
lich in seinen Zufällen dem Fungus durae matris, nur mit dem Unterschiede,
ä&ss die Geschwulst härter ist, langsamer entsteht und häufig nicht so hef-
tige Schmerzen macht wie jener. Beide verhalten sich zusammen. wie Tu-
mor albus und Arthrocace; häufig sind beide Übel mit einander complicirt.
Symptome, Ursachen, Prognose und Cur sind ganz dieselben des
JFungus durae matris.
Fungus durae matris, schwammiger Auswuchs auf der harten
llirnhaut. Ist eine Afterorganisation auf der Oberfläche der Dura mater,
welche späterhin den darüberliegenden Theil des Craniums ditixh Druck und
Absorption zerstört, unter die äussern Bedeckungen tritt und daselbst eine
FUNGUS 821
gleiclimässfge, umschriebene, farblose, elastisch welche, oft compressible,
pulsirende Geschwulst bildet. Symptome und Verlauf, Die äusserst un-
eichern Vorboten sind; bald geringer, bald heftiger, periodischer, fixer
Kopfschmerz, der zuweilen auch den ganzen Kopf einnimmt, Schwindel, Be-
täubung, Erbrechen, Gesichtsblässe etc. erregt. Zuweilen fehlen alle diese
Vorboten. Nun zeigt sich die oben beschriebene Geschwulst mit folgenden
charakteristischen Zeichen: 1) Sie puisirt, doch nicht so lebhaft wie ein
Aneurysma. 2) Wir fühlen in ihrer Peripherie den Rand der Knochenlücke
mit seinen bald mehr spitzen, scharfen, bald stumpfen Hervorragungen.
S) Je weniger dieser Rand abgerundet ist, desto bedeutender schmerzt die
Geschwulst, je mehr er es gegentheils ist, desto weniger. 4) Zuweilen
lässt sich die Geschwulst reponiren , und alsdann hören plötzlich alle Schmer-
zen auf. 5) Nicht selten sind kleiner Puls, Erbrechen, Schluchzen, kalte
Glieder, kalte Schweisse, Ohnmächten secundäre Zufälle des Übels. 6) Im
höchsten Grade folgt Lähmung, Sinnlosigkeit, Verlust des Verstandes. 7) Je
grösser die Geschwulst wird , desto mehr vermindert sich die Pulsation ; die
Hautbedeckungen werden roth , entzündet, die Geschwulst bricht auf, be-
kommt fungöse Excrescenzen , welche häufig bluten und hässHche blutige
Jauche absondern. Alsdann tritt Febris hectica mit Colliquationen hinzu,
und der Tod folgt soporös, synkoptisch, nachdem die Sinne und Geistes-
kräfte schon länger gelähmt sind. Die Section zeigt, dass die Geschwulst
inwendig bräunlich , graulichweiss und an einzelnen Stellen aus Medullar-
substanz zusammengesetzt ist , dass viele Gefässe sie durchdringen , dass die
äussere Tafel des Craniums scharf begrenzt ist , die innere dagegen schief
ausläuft und in grösserm Umfange Zerstörung erlitten hat. Das Übel ist
»ehr selten angeboren, ist nach Snndifort, Siehold und Walther nicht blos
ein Leiden der Dura mater, sondern auch eine primäre Entartung des Cra-
niums und Pericraniums (s. Fungus osseus), welche Louis, Wenzelf
Chelim nur als Folgezustand betraichten. Wahrscheinlich giebt es auch hier
zwei verschiedene Formen, ganz wie Tumor albus und Arthrocace, wo im
erstem Falle der Fungus von den weichen Theilen , in\ zweiten von den
Knochen als EmoUities ossium, Osteosarcosis etc. ausgeht (Fungus cranii).
Ursachen des Fungus durae matris. Sind dieselben des Fungus articulo-
rum und der Arthrocace : Syphilis, Rheuma, Scropheln, äussere mechanische
Schädlichkeiten, Quetschungen, Commotio cerebri, Knochenbruch etc. ; doch
können letztere ohne innere Dyskrasien das Übel wol nie allein erregen.
Entstand es ohne alle äussere Veranlassung, so denke man stets an innere
Ursachen. Die Gegenwart mehrerer ähnlicher Afterorganisationen, dabei ein
ungesundes Ansehn, eine schlechte Digestion, Nutrition, ein schon früheres
langwieriges Siechthum des Körpers ; dieses sind die Zeichen , welche die
sogenannte Diathesis fungosa charakterisiren. Das erste Resultat , die nächste
Wirkung dieser Ursachen ist eine erysipelatöse, metastatische, typhöse, mit
passiven Congestionen verbundene Entzündung der Dura mater (bei Fungus
cranii des Pericraniums und Craniums , besonders der Diploe) , mit Neigiuig
zu plastischen Exsudationen und Stagnationen, mit Wucherung, Auflocke-
rung und fungösen Excrescenzen. Prognose. Ist sehr schlimm, in der
Regel folgt der Tod, die Heilung wird selten, ja selbst Linderung des
Übels nur in einzelnen Fällen bewirkt; denn die Krankheit ist ja fast immer
nur das Resultat von einer bedeutenden allgemeinen Dyskrasie , von grosser
Verderbniss der Säfte, wo jede Cur, sie mag Namen haben, wie sie wolle,
misslingt. Cur. Nur in den seltenen Fällen, wo die genannte Diathesis
fungosa fehlt, wo nur äussere Gewaltthätigkeiten das Übel erregten, kön-
nen wir Heilung hoffen. Hier dienen : 1) frühzeitig angewandte Aderlässe,
kalte Kopfumschläge, knappe Diät, kräftige Derivantia , Vesicatorien , La-
xanzen , im Stadio prodromorum angewandt. 2) Ist die Geschwulst schon
zum Vorschein gekommen , so helfen alle diese IVlittel gar nichts. Wir müs-
sen hier operiren, die Geschwulst biossiegen, die Knochenlücke vergrössern
und durchs Messer oder durch die Ligatur den Schwamm entfernen. Wir
tfeiuien die Haut durch ein&n Kreuzsohnitt , den wir auf jeder Seite einen
822 FUNGUS
Zoll länger machen als die Geschwulst selbst Ist. Dann löse man die Lap-
pen bis zu ihrer Basis ab, schlage sie um, trenne die Galea aponcurotica
nnd das Periosteum, wenn sie nicht verwachsen sind, gleichfalls durch ei-/
nen Kreuzschnitt, und lege das Schwammgewächs bloss; sind erstere ver-
wachsen, so mache man zwei Schnitte an der Basis der Geschwulst, wo-
durch der Rand der Knochenlücke blossgelegt wird. An letztern setze man
an verschiedenen Stellen die Trepankrone, erweitere hiermit und durch die
Hey'sche Säge (zur Entfernung der Brücken) die Knochenöffnung , um den
Schwamm an seiner Basis genau untersuchen zu können. Findet man den
Zusammenhang desselben mit der Dura mater nicht sehr fest , so trenne man
ihn mit den Fingern oder mit dem Stiel des Scalpells, im Gegentheil mit
dem letztern, und ist die Dura mater degenerirt, so schneide man auch das
degenerirte Stück aus, lege eine Ligatur an und binde diese gelind zusam-
men. Die Nachbehandlung ist die, welche nach der Trepanation angewandt
wird (s. Gräfe's und Wallher's Journ. f. Chirurgie, Bd. IL St. 2, S. 248).
Diese Operation kann allein noch retten, dagegen befördern die vorgeschla-
genen Einschnitte, die Compression und die Caustica den Tod. Zuweilen
ist der Hirnhautschwamm , nach Otto , mit Fungus cranii verbunden , Indem
dieser entweder die harte Hirnhaut in Mitleidenschaft zieht, oder, nur ihre
Fasern auseinander drängend, durch dieselben in die Schädelhöhle hinein-
wächst. Es ist daher, nach v. Amnion, anzunehmen, dass sowol der Fun-
gus cranii als der Fungus durae matris nur verschiedene, aber oft gleich-
zeitig vorkommende Formen einer und derselben Krankheit seyen. Die be-
sten Schriften über dieses Übel sind: Wenzel, Über die schwammigen Aus-
wüchse auf der harten Hirnhaut. Mainz, 1811; Fol. — Blasius, De fungi
durae matris accui-atiori distinctione. Hai., 1829. — Louis in den M^m. de
l'acad. de Clür. T. V. p. 4, T. XIH. p. 12. — Ebermaier, C. H., Über
den Schwamm der Schädelknochen und die schwammigen Auswüchse der
haxtea Hirnhaut. Mit 10 Abbildungen. Düsseldorf, 1829; 4.; (die beste
Monographie über diesen Gegenstand). •
Frnigus genu, der sogenannte Knieschwamm. Ist kein Fungus arti-
ciilorum, kein Tumor albus, sondern eine Krankheit der Schleimbeutel des
Knies; s. Hygroma.
Fungus haematodes , Fungtis cancrosus hacmatodes, Mclaena fungosa car-
fdnodcs, Aneurysma per nnnslomosin, Tumor fungosus sntignincus, Anem^jsma
S})07igiosum , Tclangieclasia , der Blutschwamm. Ist eine abnorme Aus-
dehnung der Capillargefässe irgend eines Theiles, ein rein örtliches Übel,
das mit der Telangiektasie einerlei ist und daher auch von Chclius so ge-
nannt wird. Da verschiedene Schriftsteller das Übel mit Krebs, mit Fun-
gus meduUaris verwechselt haben, so herrscht weder in der Terminologie,
noch in den Ansichten über die Natur des Blutschwamms Übereinstimmung.
/46erncf/i»/'s Medullarsarkom, John Burns^ schwammige Entzündung , Hnrless'
Fungus cancrosus sind nicht streng vom Blutschwamm geschieden; dagegen
nennen mehrere Engländer (s. B. Hey , Wardrop u. A.) den Markschwamm
höchst falsch Fungus haematodes, und Boyer und Brcschet verstehen wieder
unter Melanosis den Fungus meduUaris. Es ist also hier eine wahre Sprach-
verwirrung entstanden , und bevor nicht diese durch eine bestimmtere Ter-
minologie und Diagnose gehoben worden, ists für den Praktiker am besten,
sich an die Symptome und das Krankheitsbiid selbst zu halten , also an die
Sache und nicht an den Namen. Symptome des Fungus haematodes.
Das Übel, dessen Sitz ursprünglich in der Haut und dem unterliegenden
Zellgewebe befindlich ist, befällt am liäufigsten Kinder, seltener Erwach-
sene, ist öfters auch angeboren (hier gewöhnlich Nacvus mnlernus, N. hae-
mnlodes genannt). Es beginnt mit einem rothen oder bläulichen Flecken,
ist anfangs wenig oder gar nicht über die Haut erhaben , gestaltet sich aber
später zu einer röthlichen, bläulichen Geschwulst, die sich bei jeder hefti'-
gen Körperanstrengung vergrösscrt , lebhafter von Farbe wird, sich zum
Thell wegdrücken lässt, nach aufgehobenem Fingerdruck aber gleich wieder
erscheint, und worin der Kranke ein eigenes kriebeliidcs , oft klopfendes
FüNGUS 823
Gefühl wahrnimmt. Sieht die Geschwulst bläulich aus, 6o ists eine venSse,
sieht sie mehr röthlich aus, eine arterielle Angiektasie (s. d. Art.); ents§eht
das Übel nur im Zellgewebe unter der Haut , so bleibt diese anfangs län-
gere Zeit farblos, man bemerkt ein täuschendes Gefühl von-Fluctuation,
und erst später wird die Haut verändert. Besonders diese Form von Fun-
gus haematodes subcutanen« ist leicht mit Fungus meduUaris zu verwech-
seln. Im Verlaufe des Übels , oft erst allmälig und nach Jahren , nimmt der
Umfang des Blutschwammes zu , bis zur Grösse eines Hühnereies , eines Gän-
seeies, Kinderkopfes, indem sich einzelne fluctuirende Stellen erheben. Die
Haut wird nun dünn, oft durchsichtig, sie bricht auf und es entstehen aus
den krankhaft erweiterten, atonischen Capillarblutgefässen oft bedeutende,
schwer zu stillende, häufig wiederkehrende Blutungen. Zuweilen schliesst
sich die Öffnung durch eine anscheinend feste Narbe ; oft bilden sich darin
rothe, schwammige Wucherungen, welche blos aus geronnenem Blute beste-
hen. Überhaupt zeigt der Blutschwamm in seiner Substanz viel Ahnliches
mit der Placenta , also Convolute unzähliger Blutgefässe , lockeres Zellge-
webe, Blutklumpen, Fächer, Höhlen, traubenförmige Knötchen etc. Ur-
sachen. Das Übel entsteht in jedem Alter, bei jeder Constitution, am
häufigsten bei jungen , schwammigen Kindern und Frauen. Es befällt vor-
züglich die obern Theile des Körpers, kommt daher am häufigsten auf dem
Kopfe, an der Wange, am Halse, am Rücken, an den Augenlidern, an der
Lippe vor. Zuweilen giebt eine äussere Verletzung Veranlassung dazu.
(Vor 25 Jahren wurde dem Herausgeber dieses Werks zufällig ein Dornen-
stock in die Gegend der linken Schulter geworfen. Eine Zacke desselben
verletzte ein wenig die Haut, im Umfange zeigte sich Blutunterlaufung.
Das Übel verschwand bald nach Spirituosen Fomentationen , aber es bildete
sich ein kleiner bläulicher Fleck, welcher binnen 7 Jahren zur Grösse eines
Taubeneies heranwuchs ; die Geschwulst wurde für eine Telangiektasie er-
kannt. Vor 18 Jahren wurde das Übel in Göttingen von LnngenhecJc's er-
stem Hospitalwundarzte, Dr. PmtU., operirt. Die Blutung war unbedeutend,
aber es trat Anschwellung der Achseldrüsen und Fieber hinzu, so dass ich
drei Wochen das Bette hüten musste. Nachher wuchs der Blutschwamm
wieder. Er ist jetzt wol ein Gänseei gross, besteht aus 5 — 6 einzelnen
Partikeln, die Oberhaut ist dünn; Blutung ist noch nie entstanden, Schmerz
ist gar nicht eingetreten, meine Gesundheit ungetrübt, daher betrachte ich
das Geschwür als ein Noli me tangere , und werde es ohne die grösste Noth
nicht wieder schneiden lassen. Mosl). Prognose. Da der Blutschwamm
durchaus ein örtliches Übel ist, so ist die Prognose im Allgemeinen gut;
denn es fehlt hier eine specifische Degeneration, eine allgemeine Dyskrasie;
nur bedeutende Blutungen können das Allgemein leiden trüben. Die Verschie-
denheit nach dem Sitze, Umfange, nach der Grösse der Geschwulst, nach
Alter und Constitution des Kranken, giebt eine bald mehr, bald weniger
günstige Prognose. Oft vergrössert sich in dem Mannesalter der Schwamm
gar nicht, in der Pubertätszeit nimmt er dagegen am schnellsten zu. Cur.
Wir besitzen mehrere Mittel , die das Übel heilen ; doch müssen sie nach
den Umständen ausgewählt werden ; wir nennen hier folgende : 1) Wir wen-
den Adstringentia und Cgmpression an ; wir fomentiren z. B. mit kaltem Was-
ser, mit Solutio aluminis in Aq. rosarum (^Ahcrncthj) , mit Solutio vitrioli
coerulei (Mosi) , legen Eis auf, und bringen einen nach der Localität ver-
schieden eingerichteten comprimirenden Verband durch Pelotten, Platten etc.
an. Dieses Verfahren passt bei angebornen Muttermälern , bei kleinen Tel-
angiektasien. 2) Wir heilen durch die Ligatur; sie ist aber nur bei ge
stielten Blutschwämmen mit dünner Basis anzuwenden. S) Wir exstirpiren
die Geschwulst. Diese Methode ist allen übrigen vorzuziehen ; denn sie be-
wirkt am sichersten radicale Heilung ; nur darf nichts von der Geschwulst
sitzen bleiben und der Schnitt muss im ganzen Umfange des Fungus im ge-
sunden Fleische, in gehöriger Entfernung von allen krankhaft ausgedehnten
Gefässen, geschehen; sonst entsteht leicht heftige Blutung, und der Schwamm
wächst wieder. Kann man nicht die ganze Geschwulst entfernen, so nnt.«,s
824 FUNGUS
der Rest durch das GlQheisen oder durch Caustica aufs kräftigste zerstört
werden. 4) Ist die Exstirpation wegen der Localität und des grossen Um-
fanges des Blutschwamms nicht möglich , so zerstören wir ihn durchs Glüh-
eisen , wodurch wenigstens sein Fortschreiten in den meisten Fälleu "Verhin-
dert wird. 5) Telangiektasien, die eine grosse Ausbreitung, aber wenig j
Tiefe haben, zerstören wir am zweckmässigsten durchs Causticum, z. B.
durch Lapis causticus, Butyr. antimonii , Pulv. Cosmii etc. (s. Cancer).
6) Kleine Naevi materni versehenden bei Kindern schon dadurch, das-
man mehrere Kuhpocken durch frische Schutzpockenlymphe darauf hervor-
zubringen sucht. 7) Bei bedeutenden Blutschwämmen am Kopfe, am Auge,
am Knie etc. hat man die Unterbindung des Schlagaderstammes, mit dessen
Verzweigungen die Geschwulst in Verbindung steht , angerathen und in ein-
zelnen Fällen auch mit Glück ausgeführt (^Travers, Wardrop, Dripu>/tren.
S. Medico-chirurgical Transact. Vol. II. p. 1, Vol. VI. p. 111, Vol. IX.
p. 203. RusVs Magaz. Bd. VII. S. 161), Sind aber die Anastomosen be-
deutend, so reicht auch die Unterbindung nicht hin, und wir müssen hin-
terher noch die Compression anwenden (Ditpuijtren). 8) Helfen alle diese
Curmethoden nichts, steht wegen Grösse des Schsvamms ein Allgemeinleiden
zu befürchten, sind die Blutungen bedeutend, so bleibt zuletzt noch die
Amputation des leidenden Gliedes, um das Leben zu retten, übrig. Zum
Glück sind solche Fälle sehr selten; denn der Fungus haematodes cutaneus
und subcutaneus kommt am häufigsten vor.
Fungus mammae, Cancer mammae fungosus, der Brustschwamm.
Das wahre Krebsgeschwür der Brust ist höchst selten mit Schwamrabildung
verbunden, und oft ists dann weiter nichts als Fungus meduUaris (s d. Art.
und Cancer mammarum). Indessen sind die Fungositäten im Brustkrebs-
geschwür als secundäre Erscheinungen nicht ganz selten und es scheint im
höhern Grade des Übels oft eine Complication von Fungus und Carcinora
gtattzufinden. Nach Blasiiis QRusfs Cliirurgie, Bd. VII. S. 602) giebt es
zwei Arten von Brustkrebs, welche sich am öftersten mit Schwammbildung
verbinden. Die eine ist der Krebs des Warzenhofes, bei welchem im letz-
tern die Drüschen hart, knotig werden, sich excoriiren und in Ulceration
übergehen, die auch die Warze ergreift und zerstört. Auf der exulcerirten
Oberfläche erscheint ein weicher, sehr gefässreicher, leicht blutender Schwamm,
welcher sehr wuchert , und in dessen Umfang sich die Ulceration unter der
Haut verbreitet, die sich indessen verfärbt und das Geschwür wie mit einem
schwärzlichen Ringe umgiebt. Dabei ist ein heftiger brennender Schmerz an
der leidenden Stelle, und die ganze Brust, welche voll, rund und elastisch
erscheint, befindet sich in einem gereizten Zustande , der mit dem Schwamm
der Ulcerationsfläche in einem Verhältnisse zu stehen scheint , indem er
manchmal einstweilen verschwindet , sobald der freilich wieder rasch wach-
sende Schwamm abgebunden oder zerstört wird. Die Brust selbst pflegt
bis zum Tode gesund zu bleiben ; doch wird auch sie manchmal geschwürig
und mit schwammigen Auswüchsen besetzt. Das später hinzukommende All-
gemeinleiden führt häufig oft schon den Tod herbei , bevor bedeutende Zer-
störungen des leidenden Theils stattgefunden haben. — „Die zweite Art des
schwammigen Brustkrebses — sagt Blasius — ist der Tumor acutus fungosus
mammae, welcher sich durch seinen raschen Verli uf auszeichnet, und be-
sonders bei fetten Personen mit starken Brüsten vorkommt. Er ergreift die
fanze Brust, deren Ba.sis hart wird und in einen festeii Zusammenhang mit
em Pectoralmuskel tritt, während die Oberfläche derselben eine dunkle Pur-
purröthe bekommt. Bald scheint sich die Geschwulst an 3 — 4 Stellen zu-
zuspitzen, die Röthe wird tiefer und die Oberfläche mit Knötchen bedeckt;
es erfolgt Aufbruch der Geschwulst, aber diese ergicsst dabei keine Flüs- "^
sigkeit, sondern es wuchert aus ihr eine leicht und stark blutende fungöse
Masse von fibröser Besch.affenheit hervor." Dabei heftige brennende , klo-
pfende Schmerzen in der Brust, schnelles Sinken der Kräfte, besonders
durch den häufigen Blutverlust aus den Fungositäten, rasclies Fortschreiten,
des örtlichen Leidens, schnelle Zerstörung der Brust, die ganz weich und
, FIJNGUS 825
««f der Oberfläche brandig wird , — scheussHcher Gestank des Geschwürs,
Resorption der Jauche in die Biutmasse, Febris putrida, Delirien, mehrere
Tage lang Sopor, Torpor und — Tod. — Folgende Form des schwammi-
gen Auswuchses aus einer carcinomatösen Brust soll, nach Bell, am häufig-
sten vorkommen : Es bildet sich , wenn die Krebsgeschwulst an der Haut
haftet, ein Geschwür mit lappigen, verzogenen Rändern, uin welche die
Haut bleifarbig ist, die Venen sehr deutlich daliegen, und innerhalb rferen
»ich aus der Mitte des Geschwürs ein schwammiger Auswuchs erhebt, wel-
cher schnell aufwuchert, weich ist und eine dunkelschmuzige Farbe hat, so
dass er todter Substanz gleicht, auch sich an der Oberfläche in Hautläpp-
chen abschuppt. Das Geschwür sondert dünne, stinkende Jauche ab und
es folgen häufig bedeutende Blutungen. Cur. Ist bei vorgeschrittenem Übel
nur eine palliative, und zwar die des Krebses und des Fungus medullaris
(s. d. Art.). Leider I vermag die Kunst hier wenig. Zu versuchen ist noch,
wenn die Kräfte des Kranken es erlauben, die Entziehungscnr und das
Decoct. Zittmanni mit mehr, als gebräuchlich ist, Fol. sennae versetzt,
wie dieses O. Beiire anräth (s. Hecker's Wissenschaftl. Annalen, 18S3, De-
cember, S. 385 — 421).
Fungjis medullae spinnlis, Hernia meduUae spinalis, der Rückenmarks-
schwamm. Dieses dem Gehirnbruche analoge Übel kommt höchst selten
vor. Es besteht darin , dass das gesunde oder schwammig entartete Rücken-
mark durch eine anomale Spalte der Wirbelsäule tritt und hier eine nicht
fluctuirende Geschwulst bildet , wodurch es sich von Hydrorrhachis unter-
scheidet. Ursachen sind mechanische Verletzungen, Stoss, Fall. Oft
kommt das Übel erst Jahre lang nach einer solchen Veranlassung. Die Fol-
gen sind: Lähmung der Gliedmassen, zumal der untern, wenn anders die
Geschwulst am untern Theile des Rückens ihren Sitz hat, Lähmung der
Blase , des Mastdarms , Caries vertebrarum , zuletzt Febris hectica und Tod.
Cur. Ist dieselbe des Hirnschwamms (s. Fungus durae matris), mo-
dificirt nach individuellen Umständen.
* Fungus medullaris ^ Fungus cancrosus inedu,lJaris Harless, Snrcomtt
medulläre Ah ernethy, Spongoid infiammation Bums , Fungus ccrchralis,
Cancer cerehriforme , Encephaloide Laennec , Cancer mollis B eclard, Me-
lanosis (?) Boy er et Breschet, Tela accidcnialis viedullaris, Mark-
schwamm, krebsartiger Markschwamm, markartiges Fleisch-
gewächs, schwammige Entzündung, Medul larcarcinom (Laen-
nec^ , Hirnschwamm, hirn artiger Krebs, Encephaloidenge-
webe, weicher Krebs, Melanose. Ist eine Afterorganisation , ein
Schwammgewächs , welches aus einer dem Gehirn ähnlichen Masse , der
Form, Farbe und chemischen Analyse nach, besteht; jedoch ist die Sub-
stanz des Gehirns etwas weicher. Dieses Schwammgewächs findet sich ent-
weder frei vor, oder es erscheint in Form einer Infiltration, oder es ist in
häutigen Bälgen eingeschlossen. Symptome. Das Übel erscheint zuerst
als eine kleine, begrenzte, glatte, unebene, farblose, feste, doch nicht
harte Geschwulst , die später successive elastisch wird und ein täuschendes
Gefühl von Fluctuation darbietet. Jetzt wird allmälig die Oberhaut dünn,
verwächst mit der Geschwulst, bricht endlich auf, sondert blutige Jauche
ab , es bildet sich schnell Wucherung schwammiger Massen , letztere nehmen
zu , und so erscheint die runde Hautöffnung kleiner als das Schwammge-
wächs, welches an seiner Basis eingeschnürt worden ist. Diese fungöse
Excrescenz blutet bei der geringsten Berührung, ist immer sehr schmerz-
haft, das Allgemeinbefinden leidet, und das Übel verläuft im Allgemeinen
rascher als der Krebs. Da der Markschwamm noch manche Verschieden-
heiten darbietet, so hat man folgende Unterschiede angenommen: 1) Der
in häutige Bälge eingeschlossene Markschwamm , Fungus medullaris cysticus,
Encephaloide encystee Laennec. Er ist verschieden von Grösse, von der
einer Haselnuss bis zu der eines massig grossen Apfels , die eingeschlossenen
Bälge sind nicht über Vj Linie dick, weisslichgrau , silber- oder milchweiss
von Farbe , nach ihrer Dicke mehr oder weniger halbdurchsichtig , von knor-
826 FmGUS
pelartiger Textur, vom Schwämme selbst leicht zu trennen; dieser ist er-
kennbar durch feines, sehr gefässreiches Zellgewebe, das aus mehrfach ge-
trennten Lappen besteht und, schneidet man ihn an der Oberfläche in dünne
Scheiben, von zarten röthlichen Linien durchzogen ist. 2) Der freiliegende
Markschwamm. Er ist verschieden von Grösse, von der eines Hanfsamen-
korns bis zu der eines Fötuskopfes; seine Gestalt ist sphärisch, oft platt,
oval , unregelmässig ; er ist auf der Oberfläche durch melir oder minder tiefe
Einschnitte in Lappen getheilt, gleicht in seiner Innern Structur dem Fung.
meduUaris cysticus, doch ist er etwas härter von Consistenz, dem Speck
ähnlich, enthält aber kein Fett, und die Kysten oder Bälge fehlen. 3) Der
in Form einer Infiltration erscheinende Markschwamm. Er ist unregelraässig
von Gestalt, verliert sich allmälig in die Umgebungen, durchdringt die nor-
malen Gewebe in grösserer oder geringerer Menge, und gicbt diesen da.her
ein verschiedenartiges Ansehn. 4) Der in Form einer Hautwarze auftretende
Markschwamm. Er kommt am häufigsten an der Glans penis, am Augenlide
vor und geht erst später in eine Excrescenz mit fongöser Masse über (JL«n-
genbeclc). (Hier ist die Verwechselung mit Scirrhus und Carchiom am leich-
testen möglich ; vielleicht ist ein solches Übel auch mehr dem Carcinom als
dem Medullarsarkom anzureihen. Most^. 5) Der in maschenförmigen Gewe-
ben erscheinende Markschwamm (^Btirns}. Ist wol nur etwas Zufälliges.
Wenn die Arten Nr. 1 und 2 einen gewissen Grad von Entvvickelung er-
reicht haben, so zeigen sie folgende gemeinschaftliche Charaktere: Eine
gleichartige, der Marksubstanz des Gehirns ähnelnde milchw eisse Beschaff"en-
heit, von Consistenz gebundener als bei jener,' von stellenweise leicht ro-
senfarbigem Anstriche, auch wol ins Graue oder Gelbliche spielend, in
dünne Scheiben geschnitten halbdurchsichtig, in grössern Massen undurch-
sichtig; bei grössern Anhäufungen findet man darin eine grosse Zahl von
mit ihren Stämmen auf der Oberfläche laufenden, mit ihren Ästerf in die
Masse eindringenden, sehr dünnwandigen, leicht zerreissenden und dann
Extravasate in der Masse erzeugenden Blutgefässen. (Demnach sind die
dem Fungus haematodes ähnelnden Zeichen hier, nur etwas Secundäres.
Most}. Schon anfangs entstehen durch den Druck, durch die Spannung
der Geschwulst Störungen mancherlei Art , besonders in den nahe gelegenen
Organen: heftige durchschiessende Schmerzen, Stiche etc. Nach diesem
Stadium der Rohheit, das oft lange Zeit dauert, folgt nun das der Erwei-
chung; die Haut wird livid , rosenartig entzündet, sie bricht auf, es sickert
eine seröse, jauchige Flüssigkeit aus den entstandenen kleinen Offnungen,
diese vergrössern sich , es bilden sich äusserst schnell Fungositäten , die ro-
thes und abwechselnd schwarzes Blut ergiessen , in Fäulniss übergehen und
eine höchst übelriechende Jauche absondern. Häufig tritt nun Leber-, aber
auch Lungenleiden hinzu (ToH); der Kranke leidet an innern Schmerzen,
Angst, hat eine livide, erdfahle, selten glänzend gelbe Gesichtsfarbe, es
tritt Febris hectica, fortwährendes Erbrechen alles Genossenen, Oedera der
Füsse, oft allgemeine Wassersucht hinzu, und der Tod macht den Leiden
ein Ende. Bei dem infiltrirten Markschwamtn ist der Erweichungsprocess
mehr em Übergang in einen weichen Brei, und es bildet sich zuletzt ein
dicker Eiter; die erweichte Masse ist oft von extravasirtem Blute schwarz-
roth gefärbt, oder sie erscheint wegen des Faserstoffes , welchen das extra-
vasirte und zersetzte Blut darin absetzte, als ein trockner Teig; oft ist
hier die Erweichung bei hin und wieder unversehrt gebliebenen Lappen nur
partiell. Im Allgemeinen tritt der Erweichungsprocess des Markschwamiues
später ein aXß der der Tuberkeln und des Scirrhus, aber nie in solchen»
Grade, dass die erweichte Masse , wie z, B. das erweichte Tuberkelgewebe,
ausgeworfen wird; übrigens sind Blutungen im Stadium der Erweichung
häufig. Was den Sitz des Markschwamms betrilTt, so hat man ihn in al-
len Theilen und Organen des Körpers, mit alleiniger Ausnahme des Her-
zens und der grossen Gefässe, vorgefunden. (Dagegen spricht die Beob-
achttmg von Bartchj., vgl. dess. Observatio singtilaris fungi meduUaris in
corde. Halae, 182L Most). Man triift ihn an in den Lungen, in der Leber,
FUNGUS 827
im Zellgewebe des Mittelfelles (hier besonders nach Laennec den P. meduU.
«•Nsticus), aber auch zuweilen auf der äussern Haut, wo er häoßg als eine
weiche, fluctuirende Geschwulst erscheint, die aber beim Öffnen mit der
I^anzette nur wenig blutige Feuchtigkeit von sich giebt; ferner häufig in
dem copiösen und laxen Zellgewebe der Gliedmassen und der grossen Höh-
len, wo vorzugsweise der freiliegende Markschwamm gefunden wird, selte-
ner in der Substanz der innern Organe, zuweilen im Uterus, besonders hier
die als Infiltration erscheinende Form. Auch in der harten Hirnhaut kommt
er in verschiedenen Formen vor, besonders nach Schädelverletzungen (9.
Fung. durae matris; hier ist er aber nicht immer von allgemeiner Dys».
crasia neuro - fungosa bedingt, besonders wenn er nicht ursprünglich aus
der Diploe der Ossa cranii entspringt. M.) ; in der Augenhöhle , im Aug-
apfel, wo er sich von der Insertion des Nervus opticus bis ins Gehirn er-
streckt (^Panizza, Schayer - Eliason , Diss. de fungo medullari oculi. BeroL
1827); in den weiblichen Brüsten , wo er als eine weiche, scheinbar fluctui-
rende Geschwulst erscheint; in der Milz, in den Nieren, in den Hoden und
Nebenhoden (hier mit oder ohne Gefühl von Schwere in den Schenkeln,
glatt, oval von Gestalt, beim Druck nachgebend, elastisch, der Hydrocele
ähnlich, mit weichem, elastischem, zuweilen aber aufgetriebenem Samen-
strange, anfangs mit fehlenden, später mit bedeutenden Lendenschmerzen,
die besonders nach dem Essen stärker werden, mit tief nach Innen, in die
Gegend des Nabels und Quergrimmdarms bei magern Subjecten deutlich
fühlbaren Geschwülsten, wozu endlich Febris hectica, Hydrops und Tod,
welchen die Exstirpation des Hoden stets beschleunigt, kommt). Endlich
finden wir den Markschwamm auch am Duodenum, der Einmündung des
Gallenganges gegenüber, im Gekröse, im Netze, welches oft ganz in Mark-
schwamm verwandelt ist; in den Muskeln und lymphatischen Drüsen , in den
Knochen, zumal nach Contusionen und Fracturen. Nach Einigen kommt
das Übel an innern Organen nur deuteropathisch vor, nachdem die Ge-
schwulst sich äusserlich schon gezeigt hatte. Dafür spricht ein von mir
(To«) beobachteter Fall, wo nach exstirpirtem Fungus medullaris an der
rechten Lende das Übel sich nun in den Lungen entwickelte und den Tod
herbeiführte. (In solchen Fällen sind wir eher berechtigt anzunehmen , dass
die Dyscrasia neuro - fungosa , welche an einem Theile des Körpers in der
Producirung des Fungus medullaris gestört ward, nun eine andere Stelle
wählt, wohin sich der anomale Productionstrieb wendet. Most). Diagnose.
Ist beim innern Markschwamm sehr schwierig, und das Übel ist leicht zu
verwechseln mit den Zufällen von Scirrhen und andern organischen Entar-
tungen. Der äussere Markschwaram unterscheidet sich vom Scirrhus durch
folgende Zeichen: 1) Der Scirrhus (nicht die gutartige Induration) bildet
gleich anfangs eine harte, höckerige, feste, nicht zusammendrückbare , knor-
pelfurtige Geschwulst, deren Masse theils aus einer speckartigen harten,
theils aus einer weichen, bräunlichen, bläulich - schwärzlichen , grünlichen
Materie besteht. Der Markschwamm fühlt sich dagegen weicher, elasti-
scher, gespannter, gleichförmiger an, bekommt später eine verlängerte,
warzenähnliche Gestalt, wie ein konischer, hemisphärischer Lappen, und es
bilden sich mehrere solcher Anhänge, wovon jeder einzelne elastisch ist und
das trügerische Gefühl der Fluctuation darbietet. 2) Ein äusserlich ange-
brachter Druck vermindert den Schmerz beim Markschwamm, was beim
Scirrhus nicht der Fall ist (s. Horn's Archiv, 1828, September u. October,
S. 753 u. f.). S) Wird der Scirrhus zum Krebs, so sind die Schmerzen
äusserst heftig, stechend, brennend, die Verschwärung schreitet von Aussen
nach Innen, oder umgekehrt, es sondert sich sogleich eine höchst stinkende
Jauche ab. Dagegen sind die Schmerzen bei dem in Erweichung überge-
henden Markschwamm viel gelinder, nicht so brennend, und die erste Se-
cretion ist eine seröse Flüssigkeit , die erst später saniös und stinkend wird.
4) Scirrhus und Krebs kommt am häufigsten in drüsigen Theilen , Mark-
schwamm am häufigsten im Zellgewebe und in den fibrösen Membranen vor.
5) Der Krebs befällt vorzüglich Personen in den vierziger Jahren, beson-
828 FUNGÜS
ders In der Periode der Decrepltät; der Markschvramm dagegen häufig jün-
gere Subjecte, selbst Kinder. Von einem Tumor cysticus ist der Mark-
echwamm leichter zu unterscheiden , indem dieser oft ganz unschmei'zhait
ist, was man selbst zu Anfange des F. mediillaris nicht bemerkt. Zur
Diagnose zwischen Fungus medullaris und Fungus hacmatodes dient: 1) Der
F. medullaris beruhet auf einer specifischen Dy.>»krasie, breitet sich daher
auch auf entfernte Organe aus, der Fung. haematodes ist ein örtliches Übel
(eine wahre Telangiektasie), das, selbst wenn es aufgebrochen ist und fun-
göse Excrescenzen bildet , sich nie auf entfernte Theile fortpflanzt {CheUus},
2) Der F. haematodes ist stets ein primitives Übel des Capillargefässsystem.s,
der feinen Arterien oder Venen, was bei F. medullaris nie der Fall ist.
S) Vergleicht man alle charakteristischen Zeichen beider Übel genau mit-
einander (s. oben), so wird man sie nicht mit einander verwechseln. Ihre
Gegenüberstellung würde nur Wiederholung seyn. Ursachen des Mark-
schwamms. Sie liegen ziemlich im Dunkeln. In den meisten Fällen ent-
wickelt sich die Krankheit ohne eine wahrnehmbare entfernte Ursache, und
wir finden dann gewöhnlich, dass das Übel nicht local, sondern in mehreren
Organen vorhanden ist, dass eine allgemeine Dyskrasie da ist, die Befalle-
nen an Asthma, Dyspnoe, an ikterischen Beschwerden leiden. Übrigens
rechnet man unter die prädisponirenden Ursachen ausser jener eigenthümli-
chen DIathesis fungosa das jugendliche Alter, zumal mit scrophulöser Ka-
chexie; dagegen werden ältere Subjecte selten ergriffen. Ausserdem neigt
dazu die arthritische , leprotische, melanotische und syphilitische Kachexie
(^Harless, H'edemeyer) , die Periode der Pubertätsentwickelung, und bei
Weibern in der Decrepität. Gelegenheitsursachen sind: äussere Verletzun-
gen, Druck, Stoss (in einem Falle entstand das Übel durch den Stoss eine»
Schafbocks. Tott), Quetschung, heftige örtliche Reizung etc., die zu jener
allgemeinen Dyskrasie, als einem tief in der Vegetation wurzelnden Leiden,
das bald erblich, bald erworben ist, hinzukommen müssen, wenn der Mark-
schwamm entstehen soll. Wesen des Markschwamms. Ist nach Hartes*
eine Abart des weichen Krebses , nach ffey, M'rtrdrop, zum Theil auch nach
Maunoir und v. Walthcr nicht verschieden von Fungus haematodes, was wir
indessen nicht annehmen, sondern Chelius völlig beistimmen. Auch Dzondi
will unrichtiger Weise den Namen Markschwamra mit Blutschwamra ver-
tauscht wissen. Nach Kluge ist der Rlcdullarscbwamm ein aus den Nervcn-
scheiden entspringendes Parasitengewächs, nach Maunoir eine Umwandlung
der Organe in Nervenmark oder ein Extravasat des letztern; nach Pnnizzn
ein Product oder eine Wirkung der scrophulösen Constitution, nicht inuiier
im Nervenmark, sondern auch in den fibrösen Gebilden wurzelnd, welches
Übel am Auge mit dem Hordeolum anfange. Nach Lmipciiltcck ist der P'un-
gus medullaris das Product eines schleichenden , chronischen Entzündungs-
proce.sses, welcher statt der Induration in Auflockerung des Haargefässsy-
stems übergeht, mit Ausschwitzung eines schlechten Thierstoffes, aus wel-
chem eine fungöse, mit Caro luxurians zu vergleichende, weiche, aerreiss-
bare, der Hirnsubstanz analoge Masse gebildet wird; nach Dzondi ists eine
PseudoOrganisation einer fibrösen Membranenpartie in Folge einer Entzün-
dung; nach .S'wnrfc/jn das Product eines fehlerhaften, anomalen Reproductions-
und Vegetationsprocesses, der sich durch Ablagerung eines ei w eissartigen
Aftergewebes ausspricht, worauf dann ein Absterbungsprocess (die Erwei-
chung) erfolgt. (Diese Ansicht passt weit eher auf die Tuberkelsucht, als
auf den Markschwamm. Most). Zu den vorzüglichsten Ursachen rechnet er:
Einwirkung mechanischer Gewalt, Erregung des Gesammlorganismus durch
den Cenuss starker Gewürze, spirituöser Getränke, durch erschütternde
Geinüthsbewegungen, grosse Schnier/en, fieberhafte Krankliciten , besonders
aber die Anwendung erregender, reizender, vielleicht zur Zertheilung der
Geschwulst angewandter Mittel (s. Berends, Vorles. üb. prakt. Arzneiwi.s-
Ben.'^ch.; herausgcgeb. von Sundclin. Berlin, 18.9; Bd. VII. S. 2ß0 — SJfiS).
Prognose. Ist .sehr mi.sslich; .selbst das einzige Rettungsmittel, die E\-
Hlirpation, lüift nur, wenn sie frühzeitig angewandt wird, che sich selbat
FUNGUS 829
f die örtlichen Symptome vollständig entwickelt haben, ehe das Stadium der
! Erweichung eingetreten ist. Bei schon vorhandenem sichtbaren Allgemein-
leiden ist nur palliative Hülfe möglich. Häufig folgt selbst auf die Exstir-
pation des noch unentwickelten örtlichen Übels, bald Scirrhus oder selbst
Fungus medullaris der Lungen (^Wedemeyer, Tott) und schnellerer Tod durch
allgemeine Fortpllanzung des Leidens, durch Hektik, Hydrops. Besonders
schlimm ist der Fungus medullaris testiculi, und die Exstirpation hier miss-
lich. Cur. Man exstirpire die Geschwulst, ehe sie völlig ausgebildet ist
und ehe sich Allgemeinleiden eingefunden hat. Ist letzteres schon da , so
bleibt uns nur die palliative Cur übrig; wir geben Opium , Belladonna ,' Extr.
lactucae virosae, Hyoscyamus, Blausäure,: Aq. laurocerasi, um Schmerzen
zu lindern und Ruhe zu verschaüen. Äusserlich dienen nach Umständen
Blutegel, Cataplasmata emoUientia , anodyna , mit Opium, Aq. Goulardi,
Extr. belladonnae; dabei eine reizlose, nähiende Kost. Im Erweichungs-
gtadium machen innerlich Opium und Belladonna ^ um die Schmerzen zu be-
sänftigen , die Hauptsache aus. Jedes heroische Verfahren ist hier unver-
antwortlich, da es die kurz;e Lebensfrist des Unglücklichen nur verbittert.
Eine besondere Erwähnung verdient hier noch der Markschwamm in den
Lungen und im Uterus.
Fungus medulhtris 'pulmonum , PMhisie cancreuse Bayle, Encephaloides
des pouvwns Laennec, der Markschwamm in den Lungen, das En-
cephaloidengew^be derLungen. Symptome. Das Übel tritt sel-
ten mit Fieber auf , dagegen mit stets zunehmender Dyspnoe; späterhin stel-
len sich pleuritische und pneumonische Affectionen, auch eiterartige Sputa
ein, wobei die Esslust und Kräfte oft noch lange Zeit gut bleiben. Im
weitern Verlaufe des Übels zeigt sich, war es nicht schon früher der Fall,
häufig der Markschwamm an äussern Theilen , und es entwickelt sich in den
Lungen zugleich das Tuberkelgewebe; zuletzt kommen Abmagerung, Febris
hectica, Hydrops hinzu, «nd der Kranke stirbt an der Auszehrung. Zuwei-t
len erfolgt der Tod schon früher, ehe der Kranke abmagert, und zwar in
Folge des Drucks der Geschwulst auf die benachbarten Organe : aufs Herz,
auf die Lungen , wodurch Erstickung erfolgen . kann. Der Lungenmark-
schwamm erscheint am häufigsten in der eingebalgten Form, in der Grosso
von Haselnüssen oder Kastanien, jedoch zuweilen auch frei oder intiltrirt;
zugleich häufig auch in andern Partien, besonders in der Leber, im Ge-
hirne. Er nimmt rasch zu, verläuft ungefähr in 1 — 2 Jahren, und tödtet
meist auch schon vor dem Eintritt der Erweichung durch Erstickung. In
einem Falle bemerkte man stets eine tiefe Inspiration, verbunden mit einem
schnaufenden Geräusche, wie von einem Blasebalge, dabei bleiches, ängst-
liches Ansehen, Mangel an Schlaf etc. (Medical and phy.sical Journal, 1Ö27,
p. 1048 seq.). Ursachen. Das Übel kommt vorzüglich im Mannesalter
bei der venösen Constitution , bei Cachexia atrabilaris und Hämorrhoidaldia-
these vor (s. Haemorrhagia ventriculi); auch hat man es nach Ex-
stirpation des äusserlichen Markschwamms , nach Amputation damit behafte-
ter Glieder entstehen sehen. Cur. Sie kann wegen unvollkommner Kennt-
niss von diesem Lungenaftergewebe und den daher fehlenden Heilanzeigea
bis jetzt nicht angegeben werden. (S. Laennec , Die mittelbare Auscultation.
A. d. Franz. Weimar, 1822; Ai't. 6. Bayle, Recherches sur la Phthisie
pulmonaire; Sect. V. p. 21)2).
Fungus medullaris uteri, Markschwammgewebe, Encephaloi-
dengewebe im Uterus, der Blutkrebs des Uterus (ß.v. S.iehold').
Er erscheint nach Meckel (Handb. d. pathol. Anatomie , S. S16) ent>veder
in der Form einer Anschwellung und Vergrösserung der Gebärmuttersub-
stanz, oder in Form fungöser, dick gestielter, bei der Berührung leicht
blutender, nach geschehener Abbindung oder Excision sich bald wiederer-
zeugender Polypen , oder er sitzt um das Gewebe des Uterus selbst, in des-
sen Gesammtmasse oder nur im Körper , am häufigsten aber in der Schei-
denportion. Nach Baillie (Anatomie des krankhaften Baues des Uterus etc.
S. 213 — 216) kommt das Übel in Gestalt von Knoten, von der Grösse ei-
830 FUNGUS
ner Haselim^s bis zu der einer Faust und grösser vor, hat auf der Ober-
Qäche oder in der Substanz des Uterus seinen Sitz, ist rundlich von Form,
zeigt beim Aufschneiden eine weisse, feste, mit dicken, starken Flächen
durchzogene Substanz; oder es erscheint in Form einer gewissen Art ähn-
lich construirter Polypen. Sein Verlauf ist rascher als der des Tuberkel-
gewebes. Nähere Symptome sind: 1) im Stadium des nicht erweichte»
Markschwammes sehr schnelle Anschwellung und Vergrösserung des befedle-
nen Theils des Uterus , besonders des Scheidentheils ; in Folge dessen , so-
Avie in Folge des Druckes entstehen Schmerzen im Kreuze, Einschlafen der
Schenkel, Schmerz und Hinderniss beim Stuhlgange und Harnen, ein be-
deutendes Gefühl von Schwere im Becken, wie bei Carcinoma uteri. Ist die
Portio vaginalis vorzugsweise befallen, so ist diese colossal vergrössert, ver-
zerrt, bisweilen glatt und prall, noch öfter uneben, wulstig, fast immer
nachgebend, elastisch, welche Zeichen durch die innere Untersuchung deut-
lich erkannt werden. Leidet mehr das Corpus uteri, so dehnt sich der
Uterus bedeutend aus, er fühlt sich in der Vagina und im Recto als eine
weiche Geschwulst an und ragt zuweilen selbst über den Schambogen her-
vor. Beim weitem Fortschreiten des Übels sondert sich eine schleimige,
schon anfangs übelriechende, scharfe, oft mit Blut vermischte Flüssigkeit
ab; die Menses sind ungemein schmerzhaft, unregelmässig, oft sehr profus,
das Leiden verbreitet sich oft schon in diesem Stadium über die Scheide,
über die Ovarien, über die Harnblase und das Rectum, nicht selten linden
sich grosse Massen von Markschwamm in der Bauchhöhle, ausgehend vom
Darmfell, mit Auflockerung und Verwandlung desselben in schleimhautähn-
liche Gebilde vor {Sv/ndelin^. 2) Im Stadium der Erweichung oder des
Überganges in Carcinom, welcher sehr früh, früher als beim Scirrhus uteri
(gegen v. Sichold^ zu erfolgen pflegt, bemerken wir: unebene, höckerige
Beschaffenheit der Scheide; vom Uterus, besonders von der Vaginalportion,
sprossen polypenartige Excrescenzen , welche bei der geringsten Berührung
bluten ; periodisch einen reichlichen Ausfluss von scharfer , ätzender , übel-
riechender Flüssigkeit, welche die Schenkel und Genitalien excoriirt und
bösartige Geschwüre macht. Es bilden sich grosse blumenkohlartige, selbst
aus der Scheide hervorragende, leicht blutende Excrescenzen, nach Clarke
Convolute von den feinsten, sich auf der Oberfläche der Geschwulst befin-
denden Arterien , die sich krankhaft erweitern ; die schon lange stattfindende
Kachexie nimmt zu, die Abmagerung wird bedeutend, die hydropischen An-
schwellungen machen reissende Fortschritte, der stinkende Ausfluss ist mit
askaridenähnlichen , käseartigen Partikeln vermischt , der Mastdarm , die
Blase, die Scheide werden angefressen, das hektische Fieber wird bedeu-
tender, xmd der Tod erfolgt unter copiösen Blutergüssen. Ulsamer (v. Sie~
hoU's Journ. f. Geburtshülfe , 1828; Bd. VIII. St. 2, S. 461 u. f.) beobach-
tete in einem Falle ziehende Schmerzen in den Gliedern und in der Sacral-
gegcnd, grosse Schwäche, starke Blutflüsse mit Ohnmächten, Fluor albus,
erschwerte Stuhl - und Urinausleerung , zunehmende Entkräftung ; bei der
Untersuchung per vaginam eine glatte, runde, die Beckenhöhle ausfüllende,
schmerzlose, faustgrosse, birnförmige, schwammige Geschwulst; der Tod er-
folgte unter Convulsionen. Die Section ergab : Eiter im Becken , einen
harten, vergrösserten Uterus, eine die ganze Vagina ausfüllende hirnartige,
mit dünnen, feinen Blutgefässen durchzogene und durch mehrere vom Mut-
terhalse ausgehende Fasern zusammengehaltene Masse , Zerstörung der hin-
tern Wand des Mutterhalses , Verwandlung desselben in diese faserige Sub-
stanz, die vordere Wand nicht degenerirt, aber verkürzt und ganz ver-
krümmt, im Fundus uteri ebenfalls einen angehenden Markschwamm. Ru~
doJphi will noch nie im Uterus einen wahren Markschwamm gefunden ha-
ben. Ursachen. Sind im Ganzen wenig bekannt; nach v. Siehold sollen
Häniorrhoidalcongestionen nach dem Uterus und Plethora abdominalis das
Übel begünstigen. Sttndelin sah die Krankheit viermal bei jungen, laxen,
zugleich vollsaftigen , aufgedunsenen , scl>on verheiratlicten Frauen , die schon
geboren hatten und an Leukorriiöe und Metrorrhagie litten. Sie erfolgte
r FUNGÜS 831
spontan, ohne evidente Gelegenheitsursache, Cur. Ist im Allgemeinen wie
bei Scirrhus und Carcinoma uteri (s. Cancer). Bei der Innern Cur be-
rücksichtige man vorzüglich Scropheln, krankhaft erhöhte Venosität; man
vermeide alle reizende Einflüsse, rathe reizlose, nährende Diät und körper-
liche und geistige Ruhe an, Vermeidung des Coitus, setze zu Anfange des
Übels von Zeit zu Zeit Blutegel an die Schenkel, applicire Fontanelle da-
hin , sorge für gehörige Leibesöffnung durch milde Laxantia , gebe bei Leib-
schmerzen Oleosa, vermeide bei Koliken, Kardialgie, Erbrechen, bei Neur-
algie streng alle reizenden , erhitzenden Mittel , wende dagegen erweichende
Klystiere , laue Bäder, Aqua lauro cerasi , niemals Zink, Ipecacuanha,
Opium, Naphtha, Liq. c. c. succ. etc. an. Ist das Übel noch nicht weit
fortgeschritten, so versuche man die Radicalcur und verordne höchstens die
milden Resolvcntia: Seife, Taraxacum, milde Ferulacea , Gunim. ammonia-
cum, Li((uor digestivus , Kali tartaricum, aceticum, Obersalzbrunnen, Ma-
riakreuzbrunnen in kleinen Portionen, Aqua lauro cerasi. Herb, belladonnae
in kleinen Dosen, nie Kalorael. Beim Eintritte des Erweichungsprocesses
ist gewöhnlich eine- bedeutend starke entzündliche Reizung zugegen. Hier
vermeide man doppelt alles Reizende, Erhitzende, gebe külile, antiphlogi-
stische Mittel, setze wiederholt Blutegel an die Genitalien, an den After,
ifts Perinaeum, gebe bei starken Blutflüssen Mineralsäuren, besonders Acid.
phosphoricum, und suche durch reinigende, balsamische Injectionen den
häuslichen Ausfluss zu verbessern. (Hier leistet das sehr verdünnte Acid.
pyrolignosum , z. B. gj in jx Aq. salviae , mehr als alle Balsamica , die in
der Regel zu reizend sind. Most}. Fast immer sind alle diese Mittel nur
Palliative und es ist an keine Radicalcur zu denken. Die Exstirpation des
ergriffenen Theils oder des ganzen Uterus leistete nichts, sondern sie be-
schleunigte nur das Lebensende, C. A. Tott.
Nachschrift des Herausgebers. Der Fungus medullaris ist ein
so wichtiges und erst in neuern Zeitea gehörig gewürdigtes Übel, die Na-
tur desselben ist noch so wenig ergründet und die dagegen empfohlenen
Heilmittel lassen so sehr im Stich ; so Vieles über dies furchtbare Übel
bleibt noch den Untersuchungen einer spätem Zeit überlassen, dass es wol
nieht überflüssig ist, jeden Beitrag dazu zu sammeln, um zu richtigem Re-
sultaten zu gelangen. Folgende Bemerkungen, sowol das Resultat der
neuevn Forschungen als- der eigenen Erfahrungen, mögen daher hier noch
«ne Stelle finden. 1) Cheliua sagt in seinem echt praktischen Handbuche
der Chirurgie: ,^Gegen den Markschwamm vermag die Kunst wenig. Die
stärksten Ätzmittel vennögön nicht das Wachsthum desselben zu beschrän-
ken. Das einzige Mittel, das die Möglichkeit der Heilung gewährt, ist die
frühzeitige, voUkoramne Bxstirpatioji der Geschwulst, oder die Amputation
des Gliedes, an dem das Übel seinen Sitz hat. Doch ist auch dieses Ver-
fahren in den seltensten Fällen von einem glücklichen Erfolge gekrönt, in-
dem das Übel entweder an der Stelle seines frühern Sitzes, oder in einem
andern Organe wiederkommt, und schnellere Fortschritte macht. Die Zeit,
wann sich die Krankheit wiedfer zeigt, ist verschieden; oft wuchert schnell
aus der Operationswunde die: fungöse Masse wieder hervor ; oft erst im Sta-
^m der Cicatrisation ; oft erst, nachdem die Wunde einige Zeit geschlos-
sen ist." Diese Thatsachen.beweisen doch wol hinlänglich, dass das Übel
nur das Product eines Allgemeinleidens, einer Dyscrasia fungosa, oder rich-
tiger einer Dyscr, neuro -fungosa ist; und wir sollten daher von der Exstir-
pation, die wol einzig in den Fällen, wo eine «nrichtige Diagnose ein rein
örtliches Übel für Medullarschwamm ansah, nur Hülfe leistete, endlich ganz
abstehen. Worin besteht aber jene Dyskrasie? in welcher Verbindung steht
sie mit der Dyscrasia cancrosa , mit der Dyscr. scrophulosa , besonders in spä-
tem Jahren, wo letztere so verborgen und so räthselhaft in Form von ver-
schiedenen Lungen- und Leberleiden auftritt? — Vermag die Kunst auch
nichts gegen den Markschwamm als das Product eines schon bedeutend ge-
steigerten Grades der Dyscrasia neuro - fungosa , so vermag sie doch viel
gegen diese Dyskra;iie, um die örtliche Aftevorganisation in ihrer Bildung zu
832 FUNGUS
hemmen, die Bildung neuer Markschwämme zu rerhüten und so das Leben
lange Zeit zu erhalten. Es ist Thatsache, dass oft die bedeutendsten Ab-
normitäten der wichtigsten Organe ohne allen Einfluss auf die Bildung einer
namhaften Krankheit, oder auf die Herbeiführung des Todes selbst bleiben
können. Sectionen haben es hinreichend bewiesen, dass man in den Lei-
chen von Personen, deren Gesundheit wenig oder gar nicht im Leben ge-
trübt war, oft ein entartetes Gehirn, die Ventrikel desselben von Wasser
ausgedehnt , das Herz und die grossen Gefässe verknöchert , fehlerhaft ge-
bildet, abnorm gelagert, die Lungen grösstentheils in Eiter aufgelöst, mit
steinigen Concrementen und Melanosen angefüllt, den Magen, die Leber, die
Milz krankhaft verändert und andere bedeutende Abnormitäten vorgefunden
hat (S.- G. Vogel, AUg. med. -diagnostische Untersuchungen. Stendal, 18:2 i).
Ein stiller und ruhiger Gang des Lebens war hiiu'eichend , um den Orga-
nirsmus in den Grenzen der relativen Gesundheit zu erhalten und das Leben
nicht zu verkürzen. Sollten wir nun nicht auch bei der Dyscrasia neuro -
fungosa dadurch Vieles bewirken können? Allerdings! Eine strenge Diät,
ein ruhiges, einfaches, von jedem Extrem entferntes Leben, der Genusa
leichter Vegetabilien , die Vermeidung aller animalischen Kost, aller Spiri-
tuosa, aller Gewürze, Sorge für Ruhe des Körpers und der Seele, für reine
Luft, tägliche, massige Bewegung im Freien, der öftere Gebrauch der lauen
Bäder , und vorzüglich die strengste Vermeidung aller reizenden , erhitzenden
und narkotischen äussern und Innern Arzneien; — diese Dinge sind es vor-
züglich, auf welche ich hier um so mehr aufmerksam machen rauss, da viele
jüngere Ärzte sie zu wenig beachten. Durch eine solche Diät habe ich in
mehreren Fällen die Ausbreitung des Fungus medullaris auf entferntere Or-
gane und die Fortbildung des schon gebildeten Fungu* Jahre lang verhütet.
Zugleich will ich hier noch auf ein Mittel aufmerksam machen, dessen Wir-
kungen bei solchen Kranken sich mir' in zwei Fällen evident bewiesen ha-
ben. Es ist dieses das Acid. njtricum dilutum, dreimal täglich zu 10 — 15
Tropfen , und anhaltend , Monate lang gebraucht. Es vermindert den Ere-
thismus im Blut- und Nervensysteme solcher Kranken und verhütet dadurch
den Übergang des Markschwamms in Erweichung. Kennen wir auch nicht
genau die Natur dieses Übels , so wissen wir doch soviel , dass ein krank-
hafter Vegetationsprocess dasselbe hervorruft, dass es eine Afterorganisation
als Folge eines anomal erhöhten Productionstriebes sey, die deswegen auch
mehr bei Kindern und jungen Leuten vorkommt; also kein heterologes, son-
dern ein homologes, auf entzündlicher Stimmung und erhöhtem Bildungs-
triebe beruhendes Aftergewächs. Alles was daher den anomal erhöhten Bil-
dungstrieb herabsetzt: knappe Diät, vegetabilische Kost, Mineralsäuren etc.
muss hier von Nutzen seyn. Selbst die Entzündungs- oder Hungercur, mit
oder ohne gleichzeitige Anwendung der Louvrier- Rust'schen Schmiercur,
sind Mittel, die bei kräftigen Subjecten und in einzelnen Fällen angewandt
zu werden verdienten. 2) Die hirnartige Masse des Fungus medullaris
stimmt auch in ihrer chemischen Analyse mit der Gehirnsubstanz völlig über-
ein; beide bestehen aus Albumen, fettiger Materie, Osmazom, Kalkerde,
Magnesia, phosphorsaurem Kali, Schwefel und Phosphor (^Maunoir). Die
Hirnmasse ist aber eine organische Substanz höhei"er Ordnung j die nicht
durch Generatio aequivoca , nicht durch Verwelken , Absterben der Organe,
wie die Hydatiden in den Ovarien, der Krebs in den Brüsten etc., sondern
nur durch erhöhten Bildungstrieb, wir mögen ihn nun entzündliche
Stimmung, Irritation oder chronische Entzündung nennen, producirt wer-
den kann. Auch dieser umstand spricht für die gute Wirkung einer ma-
gern, knappen, reizlosen Diät. S) Da jede Afterorganisation im fortschrei-
tenden Bilden oder Rückbilden .begriffen ist, wodurch auch die auffallenden
Metamorphosen im Verlauf des Fungus medullaris hervorgebracht werden,
indem das primitive Leiden des Zellgewebes oder der Nervenscheiden sich
auf das Capillargefasssystem und auf die Häute verbreitet, so sieht man
leicht ein , dass nur eine Vergleichung alier anamnestischen und gegenwär-
tigen Zeichen , die strenge Berücksichtigung des Vorkommens und der Eigen-
FUNGUS 833
thümUchkeheii des Übels, die Diagnose zwischen Krebs, Fungus haeraato-
des und Fungus medullaris sicher machen können. Die Vernachlässigung
dieser Rücksichten ist die vorzüglichste Ursache von den verschiedenen An-
sichten und Meinungen über die genannten Übel, von der Verwechselung
des Fungus haematodes und Fungus medullaris und von der Sprachverwir-
rung in Betreff der Terminologie. Eine aufmerksame skeptische Lecture
folgender hieher gehörenden, für die Praxis höchst wichtigen Schriften und
Abhandlungen giebt für diesen Ausspruch die besten Belege: J. Wnrdrop,
ObserAat. on Fungus haematodes etc. 1809; übers, von Kühn. Leipz. 1817.
Ch. V. JValther, Über Verhärtung u. Scirrhus etc. in Dessen und v. Gräfe's
Journal f. Chirurgie u. Augenheilkunde. Berl. 1825. Bd. V. St. 2. A. Scnrpn,
SuUo Scirro e sul Cancro. Milano, 1821. AhernetJty-, Surgical Works. Vol. II.
Hey, Practical observations in Surgery. Edit. III. Lond. 1814. Chap. 6.
./. Jiunis, Diss. on inflammation. 1800. Vol. II. p. 302. Mmmoir, Abhandl.
über den Mark - und Blutschwamm. Aus d. Franz. Frankf. 1820. Lnennec
et Breschet in Dictionnaire des Sciences medicales. Art. Encephnloide et He-
mntodc. Nach ' Scnrpn unterscheidet sich der anfangende Fungus medullaris
vom Fungus haematodes durch die grössere Elasticität Nach ihm ist es
ziemlich schwer, einen anfangenden Fungus medullaris von einer scrophulö-
sen Geschwulst zu unterscheiden, die eine Drüse afficirt hat. Hier soll es
ausser der grössern Elasticität des Fungus medullaris kein anderes äusseres
diagnostisches Zeichen geben. 4) Höchst wichtig ist die richtige Diagnose
zwischen Scirrhus und Fungus medullaris testiculi. Ausser den bekannten
Zeichen dient , nach Scnrpa, besonders das zur Diagnose , dass der Scirrhus
j , der Medullarschwamm aber häufig zugleich den Nebenhoden ergreift.
Auch die Scropheln können die Hoden ergreifen, und zugleich können ähn-
liche Geschwülste im Gekröse stattfinden, wie bei Fungus medullaris testiculi.
Hier hat der Wundarzt sich besonders in Acht zu nehmen, den Testikel nicht
zu exstirpiren, will er nicht den Tod befördern (^Scnrpa, v. Froriep), der
oft erst % Jahr später durch Scirrhus der Gekrösdiüsen erfolgt. 5) Mark-
und Blutschwamm hält Kudolphi für verschiedene Formen ein und desselben
Übels, und auch Bernstein confundirt beide (s. v. SielohVs Journal f. Ge-
burtshülfe. Bd. VIII. St. 2. S. 461 — 467. Bernsteines Handbuch f. Wund-
ärzte. 1818. Bd. II. S. 286), und dennoch stehen die diagnostischen Zeichen
beider fest (s. o.); wozu noch der Umstand kommt, dass der Markschwamra
bis jetzt nur bei Menschen, der Blutschwamra und der Krebs aber häufig
auch bei Thieren : bei Pferden , Schafen , Ziegen , Schweinen , Hunden etc.
vorgefunden wird (s. B. A. Grcve, Erfahrungen und Betrachtungen über die
Krankheiten der Hausthiere im Vergleich mit den Krankheiten des Menschen.
1821. Bd. II.). An den Genitalien der Hunde und Pferde nnd an den Eu-
tern der Kühe habe ich selbst Scirrhen beobachtet, die in wahren Krebs
übergingen, desgleichen einen Fungus haematodes am Auge eines Pferdes,
aber noch nie einen Fungus mit hirnartiger Substanz (s. Cumin in Edinb.
med. and phys. Journ. Apr. 1827. Honi's Archiv, 1827. Juli und August.
S. 694 — 718). 6) Dass dem Markschwamm fast immer eine bald mehr
acute, bald mehr chronische Entzündung vorhergehe, haben zahlreiche Be-
obachtungen bewiesen, wozu auch Schindler {Rusfs Magaz. 1827, Bd. XXV.
Hft. 2. S. 251) einen merkwürdigen Fall liefert, wo Schmerz im Becken
und Fieber der für Psoitis gehaltenen Krankheit vorherging, der rechte Fuss
unbrauchbar blieb , und sich bei der 56jährigen Kranken am untern Rande
der innern Fläche des Poupart'schen Bandes eine haselnussgrosse Geschwulst
zeigte, die bald so gross wurde, dass sie die ganze innere Seite des Ober-
schenkels einnahm. Der kranke Schenkel übertraf an Umfang den gesunden
viermal, alle angewandten Mittel, selbst die Inunctionscur bis zur Saliva-
tion, halfen nichts, und die Kranke, welche am 12ten October 1821 sich
zuerst krank gefühlt, starb am lOten April 1822 unter immerwährenden Blu-
tungen aus der aufgebrochenen Geschwulst und aus den fungösen Excrescen-
zen an Febris hectica. Schindler unterscheidet (a. a. O ) der Natur getreu
den Markschwamm von der Melanose ; er betrachtet den Medullarschwamm
Most Eiicjklopädic. 2tc Aufl. T. - 53
834 FÜNGÜS
ganz richtig als eine Afterorganisation in Folge der En(zündung , und i^
Beobachtung beweist, dass derselbe nicht immer ohne Schmerzen entstell
auch dass er bei Personen vorkommen könne, die nie syphilitisch gewesen
sind. 7) Die Fungus raedullaris als Aftergebilde muss in seiner Bildung dtir< ii
knappe Diät, durch Hunger- und Inunctionscur vermindert werden. Alx r
er hat auch seine Vita propria; deshalb reicht jene allgemeine Entziehung>-
cur nicht allein aus: wii' müssen auch den Boden, worauf er wuchert, in
der Ernährung beschränken. So heilte Maunoir einen Fungus medulhiris
testiculi radical durch Unterbindung der Arteria spermatica; und ähnliche
Fälle beschreiben Schön und WnUmann. — Einen interessanten Fall von
Markschwamm am Kopfe einer Frau , der seinen ursprünglichen Sitz in der
Markhaut des Craniums, welche die Zellen der Diploe auskleidet, genom-
men, theilt Gr äff (^ Gräfe' s und WaJthers Journal f. Chirurgie etc. Bd. X.
Hft. 1. S. 76 — 140) mit; wo sich also die Schädelknochen selbst in Mark-
schwamm verwandelten. Auch hier half die Exstirpation nichts; denn der
Schwamm wuchs nach der Heilung der Wunde rascher wieder, und die
Frau starb in der traurigsten Lage unter Sopor und Lähmung. Ebenso le-
senswerth sind die drei Fälle von gleichfalls unglücklich abgelaufenem Mark-
schwamm, welche Professor Jäger zu Stuttgart (Heidelb. klin. Annalen.
Bd. IV. Hft. 1. 1828) mittheilt; desgleichen die von Chevalier, Ware, Fer-
guson und JVeher (s. Hortes Archiv. 1827, Nov. u. Dec. ; 1828, Jan. u. Febr.
MecTieVs Archiv f. Anat. u. Physiol. 1827. Nr. 2. Apr. — Juli, S. 198).
Fungus ossens, Fvmgus medullnris in ossihus, der Krebs- oder Mark-
schwamm in den Knochen. Ist dasselbe Übel in den Knochen, was in
den weichen Theilen der Fungus raedullaris ist. Unter den Benennungen
Exostosis, Spina ventosa, Osteosarcoma , findet man dasselbe häufig be-
schrieben (s. d. Art.). Es ist primär eine Entzündung der Knochenzellen-
haut, welche anschwillt, sich später verdickt und Fungositäten treibt. Ei-
nige verstehen unter Fungus osseus speciell den Krcbsschwamra über oder
unter dem Handgelenke, wo sich allmälig eine Geschwulst der Hand ohne
bedeutende Schmerzen bildet, die Hand steif wird und erst nach Jahren
plötzlich zu einer bedeutenden Grösse anwächst, die Haut sich verändert,
die Schweisslöcher grösser und schwarz werden, wie von eingebrannten
Pulverkörnern; dabei erhöhte Temperatur des Theils, der sich oft so hart
wie ein Knochen, oft wie Muskelfleisch anfühlt. Dem Übel liegt eine Dys-
rrasia neuro - fungosa , nach Einigen (z. B. Bauer) eine Dyscr. cancrosa zum
Grunde, und die gelegentliche Ursache ist häufig mechanische Gewaltthä-
tigkeit; daher erscheint es, ebenso wie der Fungus raedullaris, meist nach
der Amputation des leidenden Theils an andern Knochen wieder. Cur. Ist
die der Arthrocace, der Exostose. Man wende früh Blutegel, kalte Um-
schläge, innerlich Antiphlogistica an, um den schlimmen Ausgang in Fun-
gus osseus zu verhüten (s. Fungus durae matris, Sarcoma).
Fungus testiatli , Hodenschwamm, s. Fungus raedullaris. Den
Schwamm des Hoden hat man auch Fiingus tunicae alhugineac genannt;
Callisen nennt ihn Lipoma testiculi. Die Neuern nennen so eine gutartige
Geschwulst des Hoden , ähnlich der Sarcocele, w omit Ältere sie häufig con-
fundirt haben, welche iu ihrem Verlaufe aufbricht und wobei sich ein fün-
göser Auswuchs bildet, der nicht mit den ähnlichen Excrescenzen, die sich
in den höhern Stadien des Krebs - oder Markschwammgeschwürs zeigen,
verwechselt werden darf. Die Hautbedeckungen und der Zellstoff werden
verdickt, verhärtet und die Geschwulst ist oft bis zu der Grösse eines Gän-
seeies, ja eines Kinderkopfes gestiegen. Später röthet sich an einer Stelle
derselben die Haut, sie verdünnt sich, es bildet sich ein kleiner Abscess,
der keinen Eiter ergiesst, wobei Härte und Schmerzen, die früher statt-
fanden, aufhören, aus der Abscessöffnung aber ein schmerzloser, nur beim
Druck etwas schmerzender Fungus, der zuweilen blutet und oberflächlich
eine stinkende Jauche absondert, hervorschiesst. Wird der Schwamm weg-
genommen oder zerstört, so verwachsen die Hautbedeckungen darüber durch
eine Narbe, welche fest mjt dem Hoden verbunden ist. Lawrence hat die
FüNGüS , 835
Krankheit unter dem Namen Fungus testiculi im Edinburgh medic. and sur-
gical Journal for July I80S. p. 257 sehr gut beschrieben und eine genauö
Diagnose derselben angegeben. Nach ihm besteht das Übel anfangs in einer
entzündlichen Affection der drüsigen Substanz des Hoden, welche stark an-
schwillt, aber von der dichten, nicht nachgebenden Tunica albnginea ein-
geschlossen wird, und eben deswegen sich durch heftige Schmerzen und Härte
des Theils charakterisirt. Dann aber werden die Häute der Hoden und des
Scrotums in einer gewissen Ausdehnung aufgesogen und zerstört, dadurch
hebt sich die Einscimürung , der Schmerz hört auf und durch jene in der
Albuginea entstandene Öffnung gehen die Tubuli seminiferi mitten liindurch
in die fungöse Excrescenz. Diese steht deutlich in Verbindung mit der
breiigen Substanz des Hoden, von der oft nur die Hälfte, oft -/j zurück-
bleiben ; zuweilen hat man den Hoden gänzlich bis auf den Nebenhoden ver-
schwunden angetroffen. Zuweilen fand man dagegen den Hoden ganz ge-
sund und der Fungus entsprang aus der Tunica albuginea, daher der Name
Fungus tunicae albugineae, was aber Lmcrence nicht beobachtet haben will.
Ursachen sind zuweilen unbekannt; in einigen Fällen ging mechanische
Verletzung, starke Quetschung, in andern eine bedeutende Gonorrhöe vorher.
Was die Diagnose betrifft, so sagt Blnsiiis {Rust's Chirurgie. Bd. VII.
S. 607): ,,Man darf den Schwamm des Hoden nicht mit dem Vorfalle der
Hodensubstanz verwechseln, welcher bei Eiterungen des Hoden vorkommt
und sich unter der Form grauweisser, flockenartiger Körper, die sich her-
vorziehen lassen , darstellt. Andererseits muss man sich hüten , das Übel
mit Sarcocele und besonders mit der bösartigen, dem Carcinom, zu ver-
wechseln, wovon es sich durch die anfangs heftigen und nicht, wie beim
Krebse, lancinirenden Schmerzen, überhaupt durch den entzündlichen Zu-
stand des Hoden, später nach erfolgtem Aufbruche durch das Aussehn der
Ulceratiorisöffnung und des Fungus unterscheidet." Die Prognose ist gut.
Selbst ohne Hülfe wird die Geschwulst nach und nach kleiner, der Fungus
verschwindet und das Geschwür heilt, wenn auch sehr langsam. Cur. Im
ersten Stadio, bei der Heftigkeit der Schmerzen und Härte der noch nicht
aufgebrochenen Geschwulst dienen Blutegel und Antiphlogistica interna, knappe
Diät, äusserlich kalte Umschläge von Bleiwasser, oder lauwarme Umschläge
von Semmelkrumen und Bleiwasser, je nachdem diese oder jene die Eupho-
rie oder Kakophorie anzeigt. Im zweiten Stadio, wo sich nach dem Auf-
bruch der Geschwulst schon ein Fungus gebildet hat, schneidet man letz-
tern mit dem Messer so tief als möglich weg, verbindet die Wunde mit
einem einfachen, etwas comprimirenden Verbände, worauf sich die noch
übrige Hodenanschwellung verliei-t und die Wunde ohne Schwierigkeit heilt.
Den ganzen Hoden hier zu exstirpiren ist unnöthig und verwerflich. Auch
hat man durch die Ligatur, sowie durchs Causticum den Fungus zerstört;
doch verdient das Messer als das rascheste und schmerzloseste Mittel den
Vorzug. Sollte er aber nach dem Schnitt wieder wachsen, sp kann man
ihn mit Lapis infernalis wegbeizen und einen comprimirenden Verband mit-
tels Heftpflasterstreifen anwenden (s. S. Cooper's Handbuch d. Chirurgie.
Weimar, 1831. Bd. III. S. 235. CaUisen, Syst. chirurgiae hodiernae Edit.
1800. Vol. II. p. 145. Dict. des sciences medicales. Vol. L. Artik. Sarco-
cele). A. Cooper versteht in seiner Schrift: Observalions on the structure
and diseases of the testis. London 1830, recens. in Casper's krit. Repertor.
1833. Bd. XXXII. Hft. 3. S. 350 von Holscher, unter dem Namen Fungus
testiculi, auch fungoide Krankheit genannt, ein Hodenübel, das nicht
mit dem hier beschriebenen gutartigen Fungus zu verwechseln ist, sondern
wol nur ein Krebs- oder MeduUarschwamm des Hoden seyn muss. Es be-
ginnt, nach ihm, mit Auftreibung und Härte des Hoden, der schon in 3 — 4
Monaten durch und durch erkrankt ist; anfangs wenig schmerzt, später aber
mit flüchtigen, stechenden Schmerzen begleitet ist, worauf Aufbruch und
fungöse Auswüchse folgen. Bis jetzt half, nach Cooper, kein Mittel, selbst
nicht die Castration dagegen. Holscher meint , dass eine Hunger - und Ent-
aäehungscur dagegen zu versuchen sey.
53*
836 FUNGUS
Ftinijus tuiiicae alhutjinedc, s. Fuiigus testiculi.
Fuiiiius uiceris, der Schwamm in Geschwüren. Eine zu starke
Granulation in eiternden Wunden und Geschwüren, die dann Ulcera fungosa
genannt weiden (s. diesen Artikel), bezeichnet man mit den Benennungen
Caro luxurians , Ecsnrcotna, Hijpcrsarcosis, wildes Fleisch. Je nach der
Natur dieser Afterorganisationen unterscheiden wir Funi/us htxurians, Fungus
Imemorrhnyicus und Fumjus mdJiijnus. Der erstere ist blassroth, unempfind-
lich, schlaff, schleimig und sehr wuchernd, der zweite gelblich, blaiuoth,
.»;ch ."> arzblau , weich, uneippfindlich , und beider leisesten Berührung blutend.
Die dritte Form ist härter, blaurotii, glänzend, sehr empfindlich, schmerz-
haft, up.d sie blutet nicht allein sehr leicht bei der Berührung, sondern
häufig auch von selbst. Die Ursachen dieser Afterbildungen sind theüs
örtliche, theils allgemeine, als: schlechte Behandlung der Wunden und Ge-
.schwüre mit fettigen, erschlaffenden, zu reizenden Mitteln, Zulassung von
Eiteranhäufung, fremde reizende Körper, die man zu entfernen unterlassen:
Sehnen, Knochensplitter, Exfoliationen bei Caries, Nekrose; scorbutischc,
neuro -fungöse, carcinomatöse D}skrasie etc. Cur. Man suche zuei'st die
veranlassenden Ursachen, sovNeit sie bekannt sind, zu entfernen oder ihre
schädlichen Wirkungen zu mindern. Daher entferne man reizende Knochen-
splitter, behandle die Caries, Nekrose nach bekannten Regeln, vermeide
fette Salben, verbinde mit trockner Charpie und lege einen mehr compri-
mirenden Verband an. Als topische Mittel dienen , wenn das Übel nur ge-
ring und nur Caro luxurians da ist, verschiedene Adstringentia: Decoct.
Quercus, Ratanhiae, in Verbindung mit Aq. calcis, Solut. alurainis; im stär-
kern Grade wenden wir A(jua kreosoti, Solut. concentr. Vitrioli albi, coe-
rulei , Tinct. myrrhae, Tinct. opii; im noch stärkern Merc. praecipit. ruber
als Streupulver (nicht in Salbenform) an und verbinden trocken und com-
primirend , indem eine Compresse , darüber eine Bleiplatte und Binde oder
die von Baynton empfohlenen Elnwickelungen mit Heftpflasterstreifen ange-
wandt werden. Sind diese Mittel zur Minderung und Zerstörung der fun-
gösen Wiicherungen nicht hinreichend oder sind sie schon sehr bedeutend,
so entfernen wir sie durch den Schnitt, durch die Ligatur oder durch ein
Atzmittel, und wenden dann hinterher die oben genannten Adstringentia etc.
an. Jedes dieser zuletzt genannten Mittel hat seine besondern Indicationen.
1) Das Ätzmittel. Es nützt vorzüglich da, wo ganze Ulcerationsflächen
von mehr breiten als hohen Auswüchsen bedeckt sind. Wir streuen hier
entweder Alumen ustum oder rothen Präcipitat, oder Tart. emet. 3 — 5 Li-
nien dick auf, desgleichen als besonders wirksam bei stets wiederkehrenden
Wucherungen den Mercur. dulcis, oder wir bepinseln die wuchernde Fläche
mit Butjr. antimonii, oder, was weniger Schmerz macht, mit ConraiVs Salbe:
1|' Liq. slihii uiuriat. Sjjj, Cmn^horae gj^ , Ojni puri 5)^^ Axung. porci 5}].
M. S. Täglich 2mal auf die Fungositäten zu streichen. Rust rühmt folgen-
den Liquor: I^? Croci austrinci gr. x — xv, Acid. sulphur. concaiir. 3f>. M. S.
Mittels eines Charpiepinsels aufzutragen. Bevor die flüssigen Ätzmittel ap-
plicirt werden , muss die fungöse Fläche von Eiter und Jauche gereinigt
worden seyn; übrigens passen die flüssigen Caustica mehr bei festen Fun-
gositäten mit geringer, die trocknen Caustica dagegen besonders bei lockern
Auswüchsen mit starker Secretion. Bei sehr schmerzhaften carcinoraatösen
Wucherungen passt Tinct. opii, womit die Charpie befeuchtet wird, und,
wenn der Schmerz gelinder geworden, das Unguent. oorrosivum Graefii,
oder l/(??jnjM»<rs Unguent. arsenicale. 2) Das glühende Eisen. Seine An-
wendung ist in solchen Fällen vorzuziehen, wo man wegen der Localität
oder wegen zu befürchtender heftiger Blutung das Messer anzuwenden mit
Recht Bedenken trägt , und wo man zugleich wegen Torpor und Leblosig-
keit des Geschwürs eine recht starke Reaction zu erregen beabsichtigt.
Im Ganzen muss man dies Mittel selten anwenden ; denn gewöhnlich zer-
stört das Glüheisen, wird es von ungeübter Hand geführt, nicht tief genug,
da es sich durch Bildung einer Borke selbst eine Schranke setzt; ausserdem
schmerzt es behr, wirkt durch Furcht bei vielen Kranken psychisch nach-
FmGUS 837
theilig, und die Brandboike sitzt meist sehr lange fest, nicht zu gedenken,
dass sie bei schlechter Application oft am Glüheiseii sitzen bleibt, das man,
um dieses zu verhüten, nur stets bewegend, nicht stillhaltend, anwenden
darf. Am harten Gaumen, am Alveolarrande ist es andern Causticis vorzu-
ziehen, doch schneidet man bedeutende Excrescenzen erst mit dem Messer
weg und wendet gleich hinterher das Glüheisen an. S) Der Schnitt, fst
bei bedeutend grossen Fungositäten den andern Mitteln vorzuzie!»cn. Man
bedient sich dazu bei grossen Auswüchsen des Bistouris, bei kleinen der
Richter'schen oder Cooper'schen Scheere. 4) Die Unterbindung. Auch
sie ist, wie das Glüheisen, nur selten anwendbar; nur da, wo man heftige
Blutungen vermeiden will, wo sich der Kranke vor dem Messer sehr scheuet,
wo der Fungus einen Stiel, eine schmale Basis hat, bedient man sicli der-
selben, indem man um den Stiel des Fungus einen seidenen Faden oder ei-
nen Silberdraht so tief als möglich legt, diesen massig fest, so dass kein
Schmerz erfolgt, anzieht und dieses täglich stärker fortsetzt, bis der Aus-
wuchs abstirbt und abfällt. In sehr vielen Fällen verdient der Schnitt we-
gen seiner schnellern, sicherern und von geringern Nachtheilen begleiteten
Wirkung, selbst wegen der, der Zeit nach geringern Schmerzen, den Vor-
zug vor der Ligatur, sowie vor dem Glüheisen.
Fungus uteri, der Gebärmutter schwamm. Ist eine unbestimmte
Benennung für verschiedene, leicht blutende, bald weiche, bald härtliche,
bald bösartige, bald gutartige Auswüchse der Gebärmutter, die man als
überflüssig aus der med.-cair. Terminologie streichen könnte (s. Cancer
uteri, Polypus uteri).
Fungus vesicae urinariae, der Schwamm der Harnblase, „Hierun-
ter versteht man, sagt ßlasius in I{u!>t^s Chirurgie Bd. \I1. S. 615, weiche,
schw animige Auswüchse aus der Innern Fläche der Harnblase , w eiche eine
nicht seltene Ursache der Harnbeschwerden, besonders älterer Personen,
werden. Man muss dieselben nicht mit den sarcomatösen Excrescenzen der
Blase verwechseln, wie dies häufig geschehen ist und noch geschieht; sie
unterscheiden sich von denselben durch ihre geringere Consistenz, obgleich
die pathologische Anatomie noch nicht auf eine genügende Weise die Gren-
zen zwischen beiden Afterbildungen gezogen hat, und das von der Consi-
stenz hergenommene Merkmal häufig schwankend erscheinen muss. Bestimm-
ter zu trennen ist die Krankheit von den scirrhösen und anderartigen Ver-
dickungen der Blasenwäüde , wenigstens in anatomischer Hinsicht ; denn
freilich in diagnostischer Hinsicht ist auch hier noch grosse Ungewissheif,
um so mehr, als sich zum Schwamm Verdickung der Blasenhäute hinzuge-
scUen kann, wenn durch denselben das Harnlassen erschwert und gehemmt
wird." Die Diagnose dieser Schwämme ist im Leben sehr unsicher; man
kann aus den Symptomen nur auf organische F^ehler der Blase im Allgemei-
nen schliessen. Meist immer sind Harnbeschwerden, oft ähnlich denen, die
die Lithiasis begleiten, zugegen, nur in den seltenen Fällen, wo der Fun-
gus im Körper der Blase, nicht im Blasenhalse seinen Sitz hat, fehlen die
Zeichen der Dysurie, Ischurie, Strangurie. Sondirt man, so findet man
keinen Stein in der Blase, sitzt der Fungus aber am Blasenhalse, so findet
nicht allein öftei's gänzliche Harnverhaltung statt, sondern der Katheter
stösst auch auf ein Hinderniss. Ob dieses aber eine Verdickung der Blascn-
wandung, ein Fungus, oder eine Anschwellung der Prostata, oder ein Sar-
com ist, — dies lässt sich nicht unterscheiden. Nach dem Katheterisiren
entstehen durch den Reiz der Blase und der Schwämme oft heiliger Blasen -
schmerz, Schleimabgang mit dem Urin, Bluthai'nen, welche Zufälle sich
selbst bis zur Cystitis steigern können. Hat das Übel einen hohen Grad
Erreicht, worauf oft Jahre hingehen können, so folgen alle Sjinptouie der
Vschöpfung, und der Tod durch Febris hectica, Hydrops oder, was seltc-
•^ ist, durch hartnäckige Ischurie, macht dem unerkannten Leiden ein Ende.
I^XSection giebt dann erst volle Gewissheit. Die Schwämme, sagt lilc-
aiui entspringen von der Oberfläche, häufiger noch aus der Dicke der in-
neiiQaut ^m- Blase, bisweilen auch aus dem Zellgewebe unter der Schleiu.'
838 FUINICULUS VARICOSUS -~ FURIA INFERNALIS
haut, obgleich dies meistens Sarcorae sind ; häufig hat man sie auch mit der
Piüotata zusammenhängend gefunden , so dass sie aus dieser zu entspringen
schienen. Sie haben meistens eine schmale Basis und dehnen sich in der Blase
quastenförmig aus; manchmal sitzen sie auch mit breiter Basis auf, doch sind
diese breitbasigen Auswüchse viel häufiger sarcomatöser als schwammiger Art.
Sie haben eine weiche, ungleiche Oberfläche, welche fleischfarbig, von Ge-
fässen durchzogen, röther, selbst dunkelroth, manchmal auch ganz blass,
selbst milchweiss erscheint; durchschnitten zeigen sie sich gewöhnlich blas-
ser, bisweilen ganz weiss, sind locker, obschon von festerm Zusammenhange
als dem äussern Anfühlen nach, und von faseriger oder ganz homogener Be-
schaffenheit, wie die von weichem Süsskäse {Acrel), oder wie ein Stück
eingewässerter Placenta {Sömmerring'), oder wie et«as festes geronnenes Ei-
weiss {Blasius), dabei Aufwucherung an der kranken Stelle der Schleimhaut.
In einzelnen Fällen fand man den Fungus in Verschwärung, auf ihm, häufi-
ger in ihm Steine, und er schien sich um adhärente und eingesackte Steine
iierumzubilden. Die Grösse der Schwämme ist von der einer Erbse bis zu
der eines Gänseeies; meist ist nur ein Schwamm vorhanden, zuweilen aber
auch S, 6 und mehrere , die selbst die ganze Blase ausgefüllt haben ; oft ist
die ganze innere Fläche der Blase damit besetzt (^Desatdt), am häufigsten
kommen sie am Blasendreieck und am Blasenhalse vor, am seltensten im
Biasengrunde oder an der vordem Wand der Blase. Ursachen des Bla-
senschwamm s Sind ziemlich unbekannt; das Übel kommt häufiger bei
Männern und nach der Pubertät, als bei Weibern und Kindern vor; doch
fand Deschamps einst dasselbe bei einen an Lithiasis leidenden ISjäturigen
Knaben. Venöse Constitution, atra Bilis, Plethora abdominalis venosa, In-
l'arcten, Gicht, überhaupt Alles, was Gries und Stein erregt, begünstigt
auch dieses, oft nur secundär bei Blasenstein, Blasenhämorrhoiden , Mictus
cruentus vorkommende, so wenig mit Sicherheit im Leben zu erkennende
Übel. Cur. Wo die Diagnose so schlimm ist, lässt sich nicht viel curlren.
Innere Mittel gewährten bis jetzt, wie Blasius versichert, niemals Hülfe,
und äussere Mittel leisteten im Ganzen auch nur sehr wenig. Ist ein Bla-
senstein da und wird der Steinschnitt gemacht imd der Schwamm mit dem
Steine gefasst, so dass man erstem abreisst, so folgt, nach Chopm't, Morand,
Housfet und Guerin, in der Regel der Tod. Desault riss bei der Litliotomie
einen am Blasenhalse sitzenden Schwamm ohne Nachtheil drehend heraus.
Deschnmps Hess beim Steinschnitt in einem Falle den Schwamm unberührt
und er gab sich nachher j nachdem der Stein entfernt worden, durch keine
Zufälle weiter zu erkennen. ,,Wenn man daher, sagt Blasius, neben dem
Stein noch einen Fungus erkennt, so wird es wohl in der Regel am besten
seyn, gar nicht zu operiren; nur wenn der Stein mit dem Schwämme in gar
keiner- Cohäsion steht, kann es unter Umständen zweckmässig seyn, den
Stein mittels des ßlasenschnitts zu entfernen, den Schlamm aber unberührt
zu lassen." Übrigens sagt der Professor Blasius in Halle mit Recht, dass
uns nichts weiter als eine palliative Behandlung übrig bleibe : also sorgfäl-
tige Regulirung der Diät und Lebensweise, Beobachtung der Euphorie und
Kakophorie darin, Sorge für tägliche gute und hinreichende Excretio alvina,
Vermeidung der Spirituosa, der Excesse in Venere, darneben bei Hinder-
uiss in der Harnausleerung die Application eines elastischen Katheters, und
bei völliger Harnverhaltung, wenn das Katheterisiren nicht angeht und zu
viel Reiz erregt, auch die Ischurie einen hohen Grad erreicht hat, die Pun-
ctur der Blase; — dies sind noch die einzigen Mittel, die uns bei diesem
traurigen Übel anzuwenden übrig bleiben. /
FuniculilS varicosus, varicöser Saraenstrang, s. Varicocel '.
funiculi spermatici.
I^urf uratio » der Kleiengrind, 5. Herpes furfuraceus.
Furia infernalis, die HölUnfarie, der Tollwurm. Dar"ter
▼erstand man früher ein Thier, welches sich in den Körper der Me'<^hen
und Tlüere begeben und dann die heftigsten Schmerzeii bis zum To' ^^'""
FUROR ÜTERIINUS — FURUNCULUS 839
Ursachen sollte. Die Sage Ton diesem Thiere gtammt aus Schweden; dort
BoU es einheimisch seyn, ist aber noch nie beobachtet worden; nur ein
kleines , zartes , kaum 2 Linien langes , wurmförmiges , schon eingetrockne-
tes Insect, >velches man dem Ritler Linne vorzeigte, und für diese FurJa
ausgab, hat letztere einige Zeit im System erhalten. Auch in Liefland soll
die Fufia infei'nalis vorkommen. Professor Baer in Königsberg sagt darüber
(vgl. Froriejt's Notizen, 1828. Bd. XX. Nr. 2. Kleinen'' s Repertor. 1828.
Hft. 10. S, 16) Folgendes : „ Von Allem , was über die Furia infernalis ge-
fabelt worden, beschränkt sich das wirklich Beobachtete wol nur darauf,
dass Personen plötzlich einen Schmerz an einer Stelle des Körpers empfan-
den, und dass dann an dieser Stelle ein bösartiger Carbunkel entstand, auf
welchen ein allgemeines , oft sehr schnell tödtendes Fieber folgte. " Weder
m Esthland, noch in Liefland vernahm Baer jemals etwas von diesem Wur-
me, obgleich jetzt die Sache dort wieder aufgefrischt wird. An der blauen
Blatter sterben allein in Esthland jährlich über 100 Menschen , und es ist
sehr Avahrscheinlich , dass das Übel weiter nichts als unsere schwarze
Blatter sey, die ebenso wie die finnische Blatter und die Jaswa
in Sibirien (s. Altenburger med. Annalen. Apr. 1828. S. 575) durch Über-
tragung des Milzbrandgiftes entsteht. Da man weiss, dass Fliegen, Mücken
und andere Insecten, welche sich auf dem durch Milzbrand crepirten Vieh
befinden , das Gift verschleppen und durch ihren Stich auf Menschen und
Vieh übertragen können, so mag dieser Umstand wol die Sage von der
Furia infernalis erregt haben. Die Behandlung ist demnach die der
schwarzen Blatter (s. Anthrax).
Furor uterinuis» die Mutterwuth., s. Nymphomania.
*Vva:uxkCViA.u.»f Abscessus nucleaius, Furimcuhis stifpvratorim , verus,
leniijnus, Blutschwär, Furunkel, eiternder Blutschwär, Kern-
abscess. Ist eine erhabene, umgrenzte, harte, dunkelrothe, sehr schmerz-
hafte , empfindliche Entzündungsgeschwulst in der Haut , von der Grösse
einer Erbse , einer Wallnuss bis zu einer geballten Faust , mit grosser Nei-
gung zur Eiterung und Verhärtung. Der Furunkel entsteht an allen Thei-
len der Oberfläche des Körpers, am häufigsten aber an solchen Stellen, die
sich durch eine grössere Menge von Fett auszeichnen, z. B. auf den Wan-
gen, auf dem Rücken , an den Hinterbacken, am Schenkel etc. Zu Anfange
ist der Schmerz und die Geschwulst unbedeutend. Später werden sie olt
sehr vermehrt, und alle Symptome der Entzündung sind stark ausgeprägt.
Ist der Blutschwär gross und das befallene Subject empfindlich, zart, so
stellt sich auch wol Fieber ein, z. B. bei Kindern, zarten Frauen. Allmä-
lig spitzt sich die Geschwulst zu , sie wird an der Spitze weich , weisslich,
sie bricht endlich auf, und aus der Ölfnung fliesst Eiter, mit Blut vermischt.
Früher oder später kommt ein gelblicher Pfropf, der sogenannte Eiter-
pfropf, Eiterstock, zum Vorschein, nach dessen Entfernung oder Zer-
störung der Abscess bald heilt. Der Furunkel verläuft meist in S — 7 Ta-
gen , zuweilen nimmt er aber einen chronischen Verlauf und währt dann oft
mehrere Wochen. Dies ist besonders bei verkehrter Behandlung durch kalte,
adstrlngirende Mittel, welche eine Verhärtung befördern, der Fall. Ur-
sachen. Sind oft nicht aufzufinden, zuweilen entsteht das Übel bei sonst
ganz gesunden Leuten ; manche Subjecte haben eine grosse Anlage dazu und
werden oft von mehreren Furunkeln zu gleicher Zeit helmgesucht. Häufig
ist die Ursache im Unterleibe, in schlechter Assimilation zu suchen, oder
Scrophulosis, Ai'thritis, Scorbut, Syphilis, Mercurialkachcxie liegen zum
Grunde. Zuweilen ist der Furunkel offenbar kritisch; z.B. wenn er in der
Reconvalescenz hitziger Fieber, nach plötzlicher allgemeiner Erkältung des
Körpers, während der Menstruation entsteht. Über die nächste Ursache
oder das Wesen des Blutschwärs sind die Autoren sehr verschiedener Mei-
nung. Richter sucht sie in stockenden Säften und ausgetretenem Blute ; dle
meisten Wundärzte nehmen an, es sey eine Entzündung oder Entartung ei-
ner Hautdrüse, eine Art des Rust'schen Pseudo - Erysipelas , wo die Phleg-
840 FURWSCULUS
mone nur als Reflex jenes Leidens entstehe. Dass die Folliculi sebacei der
Sitz des Übels seyn sollen, dagegen spricht die häufig ausserordentliche
Grösse des Furunkels, der weit melir in die Tiefe geht, wogegen jene nur
oberflächlich liegen. Langenheck meint, es sey eine Entzündung der Haut-
drüse mit dem Blutschwär verbunden. Nach Ritter (s. Gräfe's u. Walthers
Journ. f. Chirurgie etc. Bd. III. Hft. 1. S. 81) soll das Übel allein in Folge
von Erkältung entstehen, indem die durch die Haut auszuscheidende Thier-
schlacke (der Kohlenstofi} durch Nervenleitung nach dem Innern des Oi'ga-
nismus gebracht und von dort wieder nach der Haut zurückgeworfen wei'de.
Diese Ansicht ist eben so einseitig als sein Vorschlag, den Furunkel durch
frühe Application blutiger Schröpfköpfe zu zertheilen. Langenhech hat diese
Ansicht in seiner Nosologie und Therapie der chirurgischen Krankheiten
gründlich widerlegt. Dupuytren stellt Folgendes über die Entstehung und
den Sitz des Furunkels auf: „Es erstrecken sich, sagt er, aus der tiefer
liegenden Schicht der Lederhaut viele faserige, zarte Scheidewände nach
Innen, und diese verbinden sich mit dem Zellgewebe unter der Haut. Diese
Wände begrenzen mehr oder weniger grosse Zellen, welche aus Fettgewebe,
aus Nerven - und Gefässverzweigungen bestehende Bündel einschliessen. In
der Entzündung eines oder mehrerer dieser Bündel besteht der Furunkel.
Das entzündete Bündel dehnt durch die Geschwulst die Zelle aus und es
wird durch die Reaction der fibrösen Wände gedrückt, daher die heftige
Entzündung^ die Spannung und der Schmerz." Behandlung. Nach allen
Erfahrungen darf man an keine Zertheilung des Fuiunkels denken, sondern
er muss in Eiterung gesetzt werden, damit der üble Ausgang in Verhärtung
nicht entstehe. Zu diesem Zwecke dienen Überschläge von einem Breie,
aus Semmel und Milch bestehend, welchem man zur Linderung der Schmer-
zen noch Herba cicutae, hyoscyami, Capita papaveris, Flores chamomillae etc.
zusetzt. Hat sich die Entzündung gemindert, hat der Schmerz nachgelassen,
so wählt man zur raschern Beförderung der Suppuration reizende Mittel,
z. B. einen Brei aus Roggenmehl mit Honig, geröstete Zwiebeln, Emplastr.
de gummi ammoniaco, Emplastr. diachyl. gummös, etc. Vor der Entfernung
des Eiterpfropfes kommt die gründliche Heilung nicht zu Stande; man kann
letztern oft leicht mit der Pincette hervorholen oder herausdrücken. Nach
Dupui/tren's Rath ist es oft zweckmässig, zu Anfange des Furunkels, wenn
grosse Spannung, bedeutender Schmerz und eine ganz rothe Entzündungs-
geschwulst da ist, einen einfachen oder einen Kreuzschnitt recht tief bis
zur Basis des Blutschvvärs zu machen. Ist aber das Übel schon älter, so
entsteht jedesmal Eiterung, und es ist besser, die Ölfnung des Abscesses
der Natur zu überlassen, als die Lanzette anzuwenden. Ist ein begleiten-
des Fieber da, so dienen gelinde antiphlogistische und sedative Mittel. Bei
Personen, welche zu Furunkeln disponirt sind, wirken wir auf den Darni-
canal durch gelinde Abführungen und behandeln die etwa zum Grunde lie-
gende Dyskrasie. C. Köpcle.
Nachschrift des Herausgebers. Man muss sich wundern, dass
die meisten altern und neuern Wundärzte den primären Sitz des Furunkels
in den Talgdrüsen , in den Cryptis sebaceis der Haut suchen. Selbst Lan-
genleck (Nosologie und Therapie d. chir. Krankheiten. Bd. I. S. 352) und
Clielius (Chirurgie, 2te Aufl. Bd. I. Abth. 1. S. 74) sind noch dieser Mei-
nung. Wir kennen mehrere chirurgische Übel , welche ihren Sitz bestimmt
in den Talgdrüsen, Cryptae sebaceae, auch Folliculi und Glandulae seba-
ceae genannt, haben. So besteht z. B. die Gutta rosacea, von den Fran-
zosen Couperose, von WUUm und Bntenian Acne genannt, und eine Art
der Sycosis menti offenbar in einer Entzündung der Talgdrüsen, und eben-
so giebt es Tumores cystici, die in den Crvptis sebaceis ihren Ursprung
nehmen, ohne dass wir deswegen alle Balggeschwülste aus ihnen, wie Sn-
hatier will, entstehen lassen oder den von ihm vorgeschlagenen Namen Tu-
mores sebaceos exlensos in Schutz nehmen (s. Snhuticr. Medecine operatoire
etc.; par Sanson et Bcgin. Paris. 1824. Tom. 111. p. 76). Man vergleiche
nun aber die Syntpiomc und den chronischen Verlauf dieser genaimtcn Übol
FURMCULUS 841
mit den Symptomen und Verlauf des Furunkels, und man wird schon durch
die grosse Verschiedenheit, welche zwischen Furunkel, Gutta rosacea und
Sycosis stattfindet , auf den Gedanken gerathen , dass die Talgdrüsen nicht
der Sitz des Furunkels seyn können. Dazu kommt, dass der sogenannte
Eiterpfropf wesentlich zu diesem Übel gehört , dass da , wo er fehlt , kein
wirklicher Furunkel existirt, dass die Bildung dieses Eiterpfropfes nur ein
Absterbungsprocess , eine Art Gangränescenz des Zellgewebes ist, und dass
die Ähnlichkeit des Furunkels und des Carbunkels dem Wesentlichen nach
grösser sey als man bisher geglaubt hat. Auch hier hatten die Alten Recht,
indem sie nur einen Furunculus benignus und Furunculus malignus (den
Anthrax) annahmen. Unstreitig hat Dupuytren die richtigste Ansicht vom
Furunkel. Mögen seine Worte, aus Sahatier (a. a. O. T. 11. S. 403) ent-
lehnt, hier noch ausführlicher als oben Platz finden: „La peau presente k
sa face profonde une multitude de cloisons fibreuses, qui se detachent du
derme et s'unissent au tissu cellulaire sous - cutane. Ces cloisons circunscri-
vent des loges plus ou raoins larges , qui renferment un paquet de tissu
adipeux et des rameaux nerveux et vasculaires, qui vont s'epanouir ä la
surface libre des tegumens. C'est dans l'intlammation isolee d'un ou d'uii
tres-petit nombre de ces paquets celluleux que consiste le furoncle. L'an-
thrax ne differe du furoncle que par son etendue et la multiplicite des pa-
quets celluleux qui sont enflammes a la fois. La phlogose debutant par 1«
tissu adipeux, eile tend a lui communiquer plus de volume, a l'etendre eu
lueme tems que la cloison fibreuse qui le contient reagit sur lui et Je com-
prime. II resulte de lä des accidens inflammatoires tres-violens et une gan-
grene de l'un et de l'autre organe. " Aus diesem Grunde sind die frühen
und tiefen Einschnitte sowol beim Furunkel als beim Carbunkel nützlicli.
Sie überheben den Kranken vieler unnöthiger Schmerzen, und meine eigene
Erfahrung stimmt dafür. Ausführlicher findet man die neuern und bessern
Ansichten über den Furunkel und dessen Behandlung in der Schrift eines
, meiner verehrungswüi'digsten Herren Collegen, des Hrn. Dr. C. Kruuel hie-
selbst, auseinandergesetzt. Sie führt den Titel: Commentatio de follicu-
lorum sebaceorum morbis. Rostochii 1828. — Rust nennt den Blutschwär -
eine Pseudophlegmone. knch Sommer (s. RusVs Chirurgie. Bd. VII. S. 6.1)
ist der Meinung, dass Dujmytren^s oben ausgesprochene Ansicht über den
Sitz des Übels die richtigere sey. Er statuirt ausser dem gewöhnlichen,
oben beschriebenen Blutschwär noch: 1) Furunculus haemorrJwidalis , d. i.
eine Entzündung der Häute und des umliegenden Zellgewebes einzelner Hä-
morrhoidalknoten und Säcke, mit umschriebener, faustgrpsser , brennend
heisser Geschwulst am Rande des Afters, welche leicht in Brand , bösartige
Geschwüre oder Fisteln übergeht. 2) Furunculus chronicus. Er erscheint
leicht bei kachektischen Personen , die heftig an Pocken, Masern, Syphilis
oder Mercurialmissbrauch gelitten haben, kommt am häufigsten an den Bei-
nen vor, hat dieselbe Grösse, wie der acute Blutschwär, seine Entzündungs-
symptome sind aber \yeniger ausgeprägt, Schmerz, Röthe, Hitze nur gerüig,
und die Eiterung ist erst in 3 — 4 Wochen vollständig. Im Umfange dieses,
oft zahlreich auftretenden Blutschwärs zeigt sich oft ein herpetischer Aus-
schlag. 3) Furunculus cnrlimculosus , in England von Foslroo'cc sporadisch
beobachtet, erscheint als dunkelrothe, plattgedrückte, linsenförmige Ge-
schwulst, die heftige Schmerzen erregt, anfangs ein durchsichtiges Serum
giebt, langsam zur Reife gelangt, einen kleinen Eiterpunkt mit harter Um-
gebung bildet, und nach Innen einen so lebhaften Entzündungsgrad erreicht,
dass das Zellgewebe in Form eines kleinen Brandschorfs abstirbt, wodurch
nach geschehener Heilung eine Grube zurückbleibt. — Was die Ursachen
dieses Übels betrifft, so sagt darüber der oben genannte Autor: „Fast im-
mer liegt irgend eine innere, wenn auch geringfügige Ursache dem Erschei-
nen des Blutschwärs zum Grunde. Diese besteht, zumal bei zahlreich auf
einmal erscheinenden Furunkeln , in jugendlicher Vollsaftigkeit , in eigen-
thümlicher Hautplethora bei gleichzeitiger Unreinlichkeit und gestörter Aus-
dünstung, in gichtischer, heipetischer , scrophulöser Anlage, Unordnungen
842 FIJRUNCÜLUS
im Unterleibe, hi der Menstruation. Gern kommt das Übel im Frülilingc ;
zuweilen erscheint es als Krise für andere, nicht geliörig ausgebildete^ Krank-
heiten." (Nach meinen Erfahrungen besonders bei Personen mit krankhaft
erhöhter Venosität, zumal im Mittelalter des Lebens, bei Anlage zu Gicht
und Goldadern, - - aber auch bei jungen Leuten in den zwanziger Jahren,
besonders wenn sie im Winter viel Schweinfleisch genossen , in den Monaten
Februar und März. Most.} „Auch ansteckend — fährt jener Autor fort —
will man das Übel beobachtet haben ; es giebt Per&onen mit eigenthfimlich
trockner, spröder, dunkel tingirter Haut, bei denen bisweilen eine Menge
kleiner Blutschwäre gleichzeitig mit einigen grössern erscheint , die den ge-
wöhnlichen Verlauf nehmen , deren Narben aber ein herpetisches Ansdui ge-
winnen, und borkige, nässende Geschwüre bilden. Die durch Erkältung
gestörte Hautfunction (die verhaltene Thierschlacke nach Ritter) ist eine
häufige Veranlassung der Entstehung der Blutschwäre, was besonders Riltcr
nachgewiesen hat (der indessen den Antheil, welchen daran die sog. scharfen
Säfte, besonders eine anomale Blutbereitung und Blutmischung haben, über-
sehen hat. Most.}. Auch als Volkskrankheit sah man, besonders bei schnel-
lem Temperaturwechsel der Atmosphäre, die Furunkel herrschen, in wel-
chem Falle sie die Periode der andern Erkältungsfieber, am öftersten von
14 oder 21 Tagen, zu halten pflegt, wie Ritter dies mehreremal im Jahre
1819 beobachtete. Wenn Furunkel beim Tumor albus unten am Knie zum
Vorschein kommen, so soll, nach Bramhilla, dadurch zuweilen die Krankheit
geheilt werden." Mein seliger Vater beobachtete in der Nähe von Hanno-
ver in den Jahren, wo das Brotkorn sehr theuer war, z. B. in den Jahren
1806, 1809, 1812, 1813, und die ärmere Volksclasse fast nur von Kartof-
feln lebte, häufiger Blutschwäre und andere chronische Ausschläge, als zu
andern Zeiten, zumal bei Kindern und alten Leuten, die oft gleichzeitig 8
bis 12 Stück Furunkel am Leibe hatten. Eine Verbesserung der Diät,
Brech - und Laxirmittel, Antimonialia und am Ende der Ciu- Robomntia
aniara leisteten hier neben der topischen Behandlung die besten Dienste.
„Die Prognose des Blutschwärs ist — sagt Sommer — im Allgemeinen
durchaus günstig, weil, sobald sich der Eiterstock gelöst hat, die Heilung
mit wenig Ausnahmen schnell erfolgt. Nur sehr grosse, an empfindlichen
Stellen sitzende, zahlreich auf einmal erscheinende Blutschwäre bei reizba-
ren geschwächten Kranken oder Kindern können zuweilen eirJge Bedenk-
lichkeiten (Fieber, Nervenzufälle, 3/.) erregen. Dasselbe kann erfolgen,
wenn der Blutschwär bei vorwaltender Kachexie in ein bösartiges Geschwür
übergeht, brandig wird oder, in Folge einer tiefliegenden Disposition, un-
aufliörlich wieder erscheint und der Pveflex eines wichtigen Innern Leidens
ist." Bei der Cur bemerkt Sommer ganz richtig, dass wir in den meisten
Fällen den Furunkel durch Eiterung zu heilen uns bestreben müssen. Ritter
lobt indessen , um hervortretende Furunkel In der Geburt zu ersticken, blu-
tige Schröpfköpfe, die man auf die leidende Stelle setzt. Vnzer will die
Zerthellung durch frühe Anwendung von Empl. cicutae, Empl. mercurlal. u.
Ol. petrae bewirkt haben. Am besten Ists, die Eiterung zu befördern uiid
zu diesem Zweck dienen die Umschläge von Spec. emoüientes , bei heftigen
Schmerzen mit Herb, cicutae, hyoscyami, Sem. papaver. , Opium versetzt;
bei Torpidität, Trägheit, chronischem Verlauf und Schmeralosigkelt dienen
die Kerndl'schen reizenden Umschläge (s. Abscessus). Die Entfernung
des Eiterpfropfs ist sowol bei dem künstlich als von selbst aufgebrocheren
Abscess stets zu berücksichtigen, sonst heilt der Blutschwär nicht. Die
warmen Umschläge müssen der Härte wegen auch noch nach der Öffnung
des Absc<»sses so lange, bis diese nachgelassen, fortgesetzt werden, wenig-
stens bei Tage, des Nachts Ists dagegen besser, wenn ein Emplast. diachyl.
statt der Kataplasmen übergelegt wird. Nicht selten bleibt selbst nach der
Heilung des Furunkels noch einige Härte im Thelle zurück ; alsdann kann
man Smal täglich etwas von folgender Mischung einreiben : I^- Uniiucnt. mer-
curial. einer. 5ij , Liiiim. volnt. camph. jj. M. Der chronische Blutschwär
wud ausser der Anwendung der reizenden Maturantien auch, nach .J. Pcti-rw»,
GALACTACRATIA 843
durch heisse Wasserdämpfe, die, so heiss es der Kranke vertraj^eii kann,
mittels einer Maschine, eines Trichters etc. an den Theil gelassen werden,
schneller zur Reife gebracht. Zuweilen verzögert sich dennoch, gerade wie
beim reizlosen Bubo inguinalis, wochenlang die Eiterung; alsdann kann man
mittels eines Kreuzschnitts den Blutschwär öffnen und selbst dann noch das
Ätzkali daVauf in derselben Art, wie bei Tumor albus, appliciren. Bei oft
wiederkehrendem, chronischem, constitutionellem Übel ist eine innere Cur
nothwendig , vorzüglich solche Mittel , welche die Säfte verbessern : Spec.
lignorum, Sarsaparille, Dulcamara, Schwefel, Pulv. Plummeri, Aethiops an-
-timonlalis (iiwsf)? dabei knappe Diät, Vermeidung des fetten Fleisches. Die
Landleute setzen mit Nutzen blutige Schröpfköpfe längs des Rückens und
der Schenkel und nehmen innerlich alle 8 Tage ein Laxans aus Rheum,-
Aloe, Jalape, welche Cur neben vielem Wassertrinken mit Vermeidung des
Weins, des starken Biers und Branntweins bei Männern mit Plethora abdo-
minalis venosa nach der Erfahrung sehr wirksam gegen solche constitutio-
nelle , mit Herpes haemorrhoidalis verbundene Furunkeln ist (^Most). Gegen
den Furunculus carbunculosus z*eigt sich innei'lich das Acid. sulphuric. dilu-
tum, Smal täglich 15 — 20 Tropfen in einem grossen Glase Wasser, sehr
wirksam (Foslroolcc). Vevgl. auch Ritter m v. Gräfe's u. v. Walther^s Journ.
d. Chirurgie etc. Bd. III. S. 81. Heim in Horii's Archiv. Bd. VII. S. 151.
Furunculus gangraenosus, mnJignus, s. Anthrax.
Furunculus palpchrnrum , der Blutschwär der Augenlider. Er
kommt am obern Augenlide häufiger als am untern vor, erregt lästiges
Spannen, Jucken, Geschwulst, die oft so gross ist, dass der Kranke das
Auge nicht öffnen kann. Durch die folgende Eiterung wird nicht selten e'm
grosses Stück Haut zerstört, so dass das Augenlid wegen Verkürzung sich
nach Aussen kehrt (s. Entropium). Zuweilen folgt Induration. Cur.
Anfangs lauwarme Katapiasmen von Spec. emoUientes mit Pulv. herbae-
hyoscjami; zeigt sich ein Eiterpunkt, so öffne man früh mit der Lancette
in der Richtung der Fasern des Kreismuskels, damit nicht bei alimäliger
Durchfressung ein grösseres Stück Haut verloren gehe. Am Ende der Cur
passen, um Erschlaffung des Augenlides zu verhüten, lauwarme Umschläge
von Herb, millefolii, Flor, chamomiliae; reizende Mittel, die wol, sitzt der
Furunkel an andern Stellen , indicirt wären , passen hier nicht , weil sie dem
Augapfel nachtheilig werden können. Das sog. Gerstenkorn am Rande
der Augenlider gegen den innern Winkel zu ist seiner Natur nach auch nur
ein kleiner Furunkel, der häufig bei scrophulösen Subjecten vorkommt. Bei
der Öffnung dieses Abscesses sey man vorsichtig, um die Thränenpunkte
und Thränenröhrchen im innern Augenwinkel nicht zu verletzen (s. auch d.
Artikel Hordeolum).
Furunculus spurius, s. pustulodes, der falsche Blutscliwär. So
nennt man die kleinen , zahlreich auf einmal vorkommenden , zuweilen den
Varicellen ähnlichen Furunkel , die von der Grösse einer Erbse oder Bohne
sind und Personen befallen, welche an Pocken, Syphilis, Scropheln gelitten
oder zu viel Mercur genommen haben. Cur. Ist die des Grundübels; in-
neriich dienen Spec. lignorum, Aeihiops antimonialis etc. (s. Furunculus);
äusserlich versäume man nicht, Bäder anzuwenden, besonders Salz- und
Schwefelbäder.
G.
Cralactacrati» j das übermässige Ausfliessen der Milch.
Entsteht in den meisten Fällen aus einem Fehler der Brustwarzen , wodurch
sie unvermögend werden, die Milch gehörig aufzuhalten; besonders ist dies
bei schlaffen, laxen Weibern, mehr bei Blondinen als bei Brünetten, der
Fall. Cur. Man wende äusserlich gelinde Adstringentia, Tonica: Decoct.
quercus, kaltes Wasser, Umschläge von Essig und Wasser auf die Warzen
844 GALACTAPOSTEMA — GALACTONCUS
an. Zuweilen ist die Galaktakratie nur Symptom der Polygalie oder einer
andern Krankheit der Brustdrüse etc., wo dann das Gruudübel behandelt
werden muss (s. Galactorrho ea, Abscessus lacteus). Ist die Milch-
absonderung zu copiös , weil die Mutter gesund und wohl genährt ist, kann
das Kind die Milch nicht alle verzehren , so fliesst sie in der Regel von
selbst weg. Aufbinden der Brüste, fleissige Körperbewegung, eine weniger
nährende Diät, zuweilen innerlich etwas Arcan. dupllcat. , äusserllch Einrei-
bungen von Linim. volat. , vermindern hier die Milchsecretion; doch wende
man diese Mittel nicht zu lange an, sonst folgt gänzlicher Milchmangel.
Crülactaposteilia. j Mllchabscess, s. Abscessus lacteus.
Oalactinocydes , richtiger Galactinuspnmjus , der Gailert-
schwamm. Ist ein Tumor mit gallertartiger Masse.
Oalactirrboea , übermässige Milchabsonderung , s. Galactor-
rho ea.
Oalactisctaesis» Galadoschesis , Milchverhaltung. Ist gehin-
derte Aussonderung der Muttermilch in den Brüsten wegen verschiedener
Krankheiten der letztern, oder wegen zu seltener Ausleerung der Milch
(s. Tnflammatio mammae, Abscessus lacteus, Ablactatio, Fe-
bris lactea). Einige verstehen darunter auch ein Hinderniss in der Milch-
secretion, also Mangel an Muttermilch, indem es an hinreichenden Säften
zur Galactopoesis fehlt; s. Abscessus lacteus.
Cralactodiaeta, die Milchdiät, welche bei vielen dyskrasiscben
Übeln, bei Phthisis vera, bei Arthritis inveterata etc. oft mehr als alle
Arzneien wirkt.
Oalactodiarrhoea. Ist ein milchähnlicher Durchfall.
Oalactoedeina* Ist die ödematöse Milchgeschwulst bei Milchrae-
tastasen.
Oalactoinetastaisis» Milchversetzung, s. Metastasis lactea.
Oalactoinetruin , der Milchmesser, Mi l c h g ü t e m e s s e r ,
Milchprüfer. Man hat zur Prüfung der Güte der Frauenmilch, beson-
ders in Betreff der Wahl der Ammen ^ verschiedene Instrumente erfunden,
wohin auch der Milchfettmesser (^Galnctofiomctruni) gehört. Derbeste
Milchprüfer bleibt immer der Säugling; bekommt ihm die Milch der Mutter
oder Amme gut, so ist dies ein Beweis ihrer Güte für ihn. Ist die Mut-
ter oder Amme gesund , ist die Milch der letztern nicht viel älter als der
Säugling, nicht zu fett und nicht zu wässerig, hat die Amme gesunde
Brustwarzen, ein ruhiges Temperament, liebt sie Ordnung und Reinlich-
keit, leidet sie weder an Syphilis, an Scropheln oder andern Dyskrasien,
noch an Epilepsie, Katalepsie, Hysterie, Hektik; so kann man annehmen,
dass ihre Milch dem Säuglinge gut bekommen werde. Die chemische Ana-
lyse der Milch kann uns über ihre gute oder schlechte Beschaffenheit
keine Auskunft geben. Sie zeigt uns wol die gröbern Bestandtheile der-
selben, aber nicht ihre feinern Verschiedenheiten, die bei der noch war-
men , eben aus den Brüsten abgesonderten Milch in einem vitalen Dufte,
in einem geistigen Principe bestehen. Daher erklärt sich der grosse Vorzug,
den die frische, noch warme Milch vor der schon altern kalt gewordenen,
nach aller Erfahrung, besitzt.
Oalactomyces. So nennen Einige den weichen Krebs; s. Fungus
medullaris.
OalactonCUS» Ist Tumor lacteus. Geschwülste , welche durch die
bedeckende Haut eine der Milch ganz ähnliche Flüssigkeit absondern, hat
man in seltenen Fällen als chronisches Leiden beobachtet. Fr. Koller (Di.--
sert. de lactls e scroto secretione anomala. Zürich 1833) berichtet von. einem
18jährigen Manne, der, seit 3 Jahren kränklich, periodisch an einem kiesel-
artigen Exanthem litt, worauf Geschwulst und bedeutende Grösse des Scro-
tums folgte. Dasselbe war mit Fett angefüllt und einer Weiberbrust nicht
unälmlich. Es zeigten sich periodisch Bläschen auf dem Scrotura, und
GALACTOPIIORA — GALACTORRHOEA 845
druckte man auf letzteres, so floss die milchige Flüssigkeit stäi'ker aus; die
.Secretion betrug sonst wol in wenigen Tagen 3 Pfund. Die mikroskopische
und clieniische Untersuchung zeigte, dass man es mit keiner lymphatischen,
sondern mit einer milchigen Flüssigkeit zu thun hatte.
Oalactophora, Gnladopoca (rcmedia), Milch machende Mittel.
Sind solche Mittel, welche die Erzeugung der Milch befördern und einen
stärkern Milchandrang nach den Brüsten hervorbringen. Da die Milchabson-
derung als die fortgesetzte Beziehung des Bildens und Producirens der Mut-
ter auf den Fötus betrachtet werden kann, indem sie das Mittel ist zur
fortdauernden Gemeinschaft der Mutter und des Neugebornen mittels des
ernährenden Stolfes, so sieht man leicht ein, dass Alles, was diesen pro-
«iuctiven Trieb stören kann : heftige Bewegungen des Körpers und der See-
le, häufiger Coitus, oft wiederkehrende Menstruation, Kranklieiten der Mut-
ter, Mangel an guter Nahrung etc., auch die Milchsecretion vermindert.
Die besten milchmachenden Mittel sind daher nicht in Specificis , sondern
darin zu suchen, dass wir Alles, was diesen Productionstrieb stört, aufsu-
chen und entfernen, und so das Normalverhältniss wieder herstellen. Ist
blos Mangel an Säften da, so sind gute Nutrientia, massige Bewegung im
Freien, frische Luft, Frohsinn, Alles, was den Körper nährt und stärkt,
die besten Mittel (s. Abscessus lacteus).
Oalactoplania. Ist Austreten der Milch und Verbreiten dersel-
ben in benachbarte Theile , z. B. durch Verletzung der Milchgefässe , durch
Milchabscess in den Brüsten, was auch Gelegenheit zu Milchfisteln geben
kann.
Cralactoplerosis, Milchüberfluss, die Überfüllung mit Milch.
Ist bei vollsaftigen Frauen im Wochenbette und in der Stillungsperlode nicht
selten; aber sie ist nur dann als Krankheit zu betrachten, wenn daraus für
die Mutter nachtheilige Folgen: Abmagerung, Hektik etc. hervorgehen; s.
Galactorrhoea.
Oalactopyra, Galnctopyretos, das Milchfieber, s, Febris lactea.
Oalactorrboea, GalacHrrhoea, Pohjgalia, übermässige Milch-
absonderung. Unter diesem Namen versteht man verschiedene Krank-
heitszustände : 1) Galactorrhoea vera. Sie findet allein nur aus den weib-
lichen Brüsten in der Periode nach der Entbindung statt. Ein absolutes
Mass der Milchsecretion lässt sich bei Stillenden nicht festsetzen. Nur dann,
wenn dadurch Nachtheile für Letztere eintreten: Abmagerung, Atrophie,
Kräfteverlust, Reizbarkeit der Nerven, Neigung zu Krämpfen, Gesichts-
blässe, reizende Schmerzen in den Gliedern, im Nacken und Rücken, Herz-
klopfen, Husten, wobei aus Mangel an Energie häufig die Milch ohne vor-
heriges Saugen des Kindes von selbst ausfliesst und die Wäsche benetzt
(Galactacratia) , können wir den Zustand als krankhaft ansehen. Hier ists
hohe Zeit dagegen zu wirken, sonst folgt hektisches Fieber, Abzehrung,
CoUiquation der Säfte und Tod. Ursachen. Zarte, sehr junge Frauen-
zimmer mit Habitus gracllis, phthisicus, solche, die hysterisch, schwächlich
und hektisch sind, die bei Schwäche des Körpers zwei Kinder oder zu lange
stillen, die den Säugling zu oft, häufiger als alle 2 — 3 Stunden anlegen,
die an anomaler Menstruation , an Krankheiten des Uterus und der Ovarien
leiden (Galactorrhoea composita), bei denen Erethismus vorwaltet, sind am
häufigsten zu dieser Krankheitsform prädisponirt. In der Regel ist hier die
Milch auch <jualitativ verändert; daher auch der Säugling leicht abmagert,
an Verstopfung, mit Diarrhöen abwechselnd, an Krämpfen etc. leidet. Cur.
Man verhütet das Übel bei den genannten Subjecten, die in der Regel um
so stärkere Milchsecretion haben, je kleiner die Brüste sind, durchs Nicht-
stillen ; der Säugling muss gleich nach der Geburt eine gute Amme haben.
Im niedern Grade der Krankheit muss das Kind seltener angelegt und, wenn
es schon 8 — 9 Monate alt ist, bald abgewöhnt werden; im höhern Grade
muss dies gleich geschehen, das Kind muss eine Amme haben und bei der
S4ß GALACTOSCHESIS — GÄLACTOTROPHIA
Mutter dahin gesehen werden, dass alle erregenden und entferntem Ui
oben der Krankheit verschwinden, dass Alles, was die Milchsecretion ve
inehrt, vermieden wird. Gescliieht dies nicht; so kann 2) Galactorrlun >
chronica erfolgen. Hier kann der Milchausfluss selbst nach dem Entwöhnt ;
Jahre lang währen und so Atrophie und Febr. hectica, selbst bei ziemli< i
robusten Frauen, zur Folge haben. Ja, man hat Beispiele, dass dann da^
Übel viele Jahre, in einem Falle selbst 15 Jahre, anhielt (s. Stnrlc's Klini-
sche Nachrichten. Th. II. Jena, 1789. S. 65). Hier bedarf es einer kräfti-
gen innerlichen Behandlung gegen den allgemeinen Krankheitszustand; stär-
kende Biere, gute Nutrienlia, innerlich Aromatica, Amara, China mit Elix.
acid. Halleri u. s. f. 3) Galaclorrhoea spuria, anoinaln, crronea. Hieher
rechnet man wiederum verschiedene Zustände, fi) Die Milchsecretion kommt
liier in solchen Lebensperioden vor, wo sie den Naturgesetzen gemäss nicht
stattfinden sollte, z. B. bei Neugebornen. Hier ist der Handgriff unwissen-
der Hebammen, durch Druck die milchartige Flüssigkeit aus den Brüsten zu
pressen, höchst schädlich. Wenn die kleinen Brüste nicht entzündet sind,
Jienen laue Fomentationen von Spec. aromatic, Einreibungen von Unguent.
camphorat., Unguent. digitalis, oft ist schon das Auflegen des Empl. diachyL
^immos. hinreichend. Ist aber schon bedeutende Entzündung da, so mache
man Umschläge von Semmelkrumen mit Milch, oder von Hafergrützbrei mit
einer sehr kleinen Quantität Aq. Goulardi. Zuweilen folgt darauf noch Zer-
theilung, \%o nicht, so hat der kleine Abscess wenig zu bedeuten; denn er
heilt bald und ist nicht gefährlich. — Die Galaktor rhöe der Schwan-
gern gehört auch hierher. Sie tritt zuweilen vor der Entbindung so stark
auf, dass daraus für Mutter und Kind Nachtheile: Abortus, schlechte Er-
nährung der Fi'ucht etc. entstehen. Cur, Die Brüste müssen in die Höhe
gebunden und in Baumwolle eingefüttert werden. Ausserdem Bähungen der-
selben mit lauem Wein, aromatischen Kräutern, massige Diät, zuweilen küh-
lende gelinde Laxanzen, trockne Schröpfköpfe an den Unterleib (ßeji).
Auch bei Nichtschwangern, bei Jungfern, bei Frauen nach dem Auf-
hören der Menstruation kann Galaktorrhöe stattfinden. Hier ist sie nur ein
Zeichen einer tiefer liegenden Krankheit , besonders als Symptom verschie-
dener Leiden des Uterus , der Ovarien , organischer Fehler derselben , der
anomalen Menstruation etc. zu betrachten. Behandlung. Ist die des
Grundübels mit Berücksichtigung der Constitution der Kranken. &) Auch
aus andern Organen als aus den Brüsten: durch Schweiss, durch die Spei-
cheldrüsen, durch den Nabel, durch die Augen etc. Avill man Milchtiuss be-
obachtet haben. Diese Galactorrhoea erronea im engern Sinn ist keine
wahre Milchmetastase; denn die Milch in den Brüsten war hier vor dem
Krankheitszustande ßit gar nicht vorhanden, die Brüste waren schlaff und
eingesunken, und das Secret ist dem Chylus, dem Schleim, der Lymph«
ähnlicher. Die Krankheit hat mit Diabetes mellitus mehr Ähnlichkeit und
muss auch, wenn sie chronisch ist, so behandelt werden (P. Frnnk , Reil^.
Dauert die Milchabsonderung noch mehrere Wochen nach dem Entwöhnen
fort, wie dies zuweilen bei schwammigen, laxen Frauen der Fall ist, so
nützen Pillen aus Extr. chinae frigid, parat., Ammon. muriat. martiat., Pulv.
aromat. und Alaun. (^Klutfe u. Nicolai in Casper^s Wochenschrift f. die ge-
sammte Heilkunde 1833. Nr. 18).
Cralactoschesis » Milchverhaltung, s. Galactischesis.
Cralactostasis. Ist Metastasis lactea.
Cralactotropbia, die Ernährung mit Milch. Die Milch ist im
ersten Lebensjahre die zweckmässigste Nahrung für den Menschen. Ausser-
dem ist sie, wenn sie warm aus dem Euter der Thiere und ungekocht ge-
nossen wird, wenn sie allein das einzige Nahrungsmittel ausmacht, zur Ver-
längerung des Lebens Sch\\indsüchtiger oft sehr wohlthätig. Ja, man hat
merkwürdige Bei.?piele, dass Jünglinge, die durch Onanie schon hektisch
geworden, durch kein Mittel schneller genasea als durch das Trinken der
Milch an der Brust einer Amme.
GALACTOZEMIA — GALYANIÖMÜS 847
j* Galactozcmia, der Milchrerlust, z. B. bei Gaiaktorrhöe, oder
die Verminderung der Alilch in den Bi üstcn aus andern Ursachen , durch
neue Schwangerschaft, Menstruation, Mangel an Nahrung. Cur. Ist nach
den Ursachen vei'scliieden. Bei neuer Schwangerschaft, bei öfterer "Wieder-
kehr der Regehl helfen alle milchmachenden Mittel nichts, das Kind muss
entwöhnt und gehörig mit leichter Nahrung genährt werden. Ists noch kein
halbes Jahr alt, so muss es eine Amme haben.
Cralacturia, Chjjluria, das sogenannte Milchha«nen. Ist Abgang
einer milcluihniichea Flüssigkeit durch die Harnwege, ein Fluxus coeliacus
per renes oder Diabetes chjfosus der Altern, eine modificirte Harnruhr, die
wie letztere behandelt werden muss (s. Diabetes, und Reifs Fieberlehre
Th. 111. S. 346). Häufig ists aber weiter nichts als Blennorrhoe der Harn-
blai,e (s. Blennorrhoea vesicae urinariae).
CS^alea^ die Glückshaube. Einige nennen so den drückenden Kopf-
schmerz. S. Cephalalgia.
CraleainaurosiiS* Ist Beer's amaurotisches -Katzenauge. S. Aman-
rosis.
Oaleancon, der sogenannte Katzen- oder Wieselarm. So nennt
man eine Verunstaltung des Arms, welche von Abnormitäten des Schulter-
gelenks herrührt.
Oalenica (remedia'). So nennt man die von Claud. Galenus empfoh-
lenen einfachen, meist vegetabilischen Arzneimittel im Gegensatz der Spa-
ylrica und Chemien (s. Claud. Galeni Opp. Edit. Kühn).
Craleropia, das Heitersehen. Ist ein Gesichtsfehler, der die
Gegenstände in einer heitern, zum Theil glänzenden Erleuchtung erscheinen
lässt; wie dies z. B. bei Myopie, wenn die Gegenstände dem Auge nahe
stehen, öfters der Fall ist, da bekanntlich Kurzsichtige in der Nähe ein
scharfes Gesicht , ein erhöhtes Sehvermögen (Oxyopia) besitzen.
OallicuSI morbus, die venerische Krankheit, s. Syphilis.
Cralvanisnins, der sogenannte Gal'vanismus. Ist eine Modifica-
tion der Elektricität, die von Gnlvnni, ihrem Entdecker, den Namen fuhrt.
Nach dem Ausspruche der grössten Naturforscher unserer Zeit, eines Alex.
V. Humboldt, BerzeHus u. A. m. , ist keine Entdeckung der Physik grösser,
glänzender und in ihren Folgen reicher gewesen als diese ; ja A. v. Humboldt
sagt in seinen Vorlesungen über die physikalische Geographie (in Mscpt.),
dass die Entdeckung des Galvanismus für die physische Welt ebenso hoch
anzuschlagen sey , als die Entdeckung von Amerika für die politische und
moralische. Ich schweige hier von der grossfen Entdeckung, die durch den
Galvanismus den berühmten Oersted vor wenigen Jahren auf den Elektro-
magnetismus führte, wodurch die Identität der Elektricität und des Magne-
tismus, die als Wirkungen einer und derselben Kraft angesehen werden kön-
nen, bewiesen ward, obgleich diese Kraft mit dem Leben und Krankseyn in
inniger Verbindung steht (s. Fermentatio), und es der gegenwärtigen
und nächstfolgenden Generation der Ärzte noch vorbehalten bleibt, für die
Praxis fruchtbringende Resultate aus diesen grossen Entdeckungen zu ziehen.
Ich rede hier nur von dem Galvanismus und der Elektricität im eugern
Sinne, insofern sie als Heilmittel betrachtet werden können. — Schon vor
40 Jahren erschien über die medicinische Anwendung der Elektricität fol-
gende höchst wichtige Schrift in deutscher Sprache : C. G. Kühn , An Wen-
dung und Wirksamkeit der Elektricität zur Erhaltung und Wiederher.^tel-
l'jng der Gesundheit des menschlichen Körpers. Aus d. Französ. des Abts
Bertholon de St.. Lnzare. Leipzig, 1788 u. 89. 2 Theile; worin eine M'enge
Thatsachen enthalten sind, welche den grossen Nutzen der vorsichtig ange-
v/andten .Elektricität in den hartnäckigsten Übeln , besonders in Epilepsie,
Katalepsie, Hysterie, in Paralysen aller Art darthun. Noch mehr ward dies
bestätigt durch folgende Schrift: Deiman, Über die gute Wirkung d. Elektr.
in verschiedenen Krankheiten, Mit Anraerk. und Zusätzen von Kühn. 1793.
848 GALVANISmiS
2 Thlp. Die Aufmerksamkeit der Ärzte auf die med. Anwendung der Eleklri-
oität in Krankheiten wurde hierdurch aufs Neue angeregt; denn was früher-
hin Arzte und Naturforscher darüber in einzelnen Schriften oder zerstreut
bekannt gemacht hatten, war fast im Strome der Zeit untergegangen. (Vgl.
Deshiis, Diss. de hemiplegia per electricitatem curata. 1749. Feurslein, Dis.-.
<le Epilepsia, p. 81. Franklin in Lond. Magazine, May, 1759. Mmujb ,
Histoire de l'electricite. P. 111. Par. 175^. p. 85. Morris in Gentleman"s
Magaz. for the year 1755. p. 379. Pomn et Aniaud in Journ. de Med.
Vol. LXXII. 1783. p. 214. Snuvnges, Suite des exp^riences. p. l39. SloH,
Rat. med. P. III. p. 410. WiUieim, Observat. elect. med. Wirceb. 177^.
p. 148. Rapport de M. M. Corricr, Mitloet, Darcet, Philipp, Je Prcux,
Dcsessnrz et PauJct sur les avantages reconnus de la nouvelle methode d'ad-
luinistrer l'electricite dans les maladies nerveuses, particulierement dans l'i'pi-
lepsie et catalepsie, par M. le Dru, connu sous le nom Camus. 1783). Die
Elektrisirmaschinen wurden nun in Deutschland am Krankenbette häufiger in
Bewegung gesetzt; aber die Ärzte selbst verstanden sich wenig auf das
Technische der Elektricität , auf die zweckmässigste Alt der Anwendung;
auch hatten sie nicht immer Lust, eine so beschwerliche, Geduld erfordernde
Behandlung selbst mit ins Werk zu setzen. Sie übertrugen die Anwendung
Nichtärzten oder ihren Wundärzten, versäumten darneben häufig die phar-
maceutischen Mittel, achteten nicht genug auf die Individualität des Kran-
ken, überreizten häufig durch das reizende elektrische Fluidum da, wo Blut-
entziehungen hätten vorhergehen müssen, wandten die Elektricität in den
meisten Fällen gleich anfangs zu stark an, setzten das Mittel nicht lange
genug fort; ku>z sie spielten so planlos mit diesem kräftigen Fluidum, dass
die buntscheckigsten Resultate herauskamen, und dass die Zahl der Fälle,
wo das Übel ungeheilt blieb oder sich wol gar darnach verschlimmerte, den
Fällen mit glänzendem Erfolge fast gleich kam. Nun wurde nicht die
verkehrte Application des Mittels , nein , das Mittel selbst wurde als ein sehr
zweideutiges und verdächtiges angeklagt und um so mehr in der Praxis ver-
nachlässigt, da es die Bequemlichkeit der Ärzte vorzieht, lieber ein Recept-
papier zu beschreiben , als stundenlang einen Kranken zu elektrisiren. So
standen die Sachen, als im Jahre 1791 der unsterbliche Aloijs Galvani, Leh-
rer der Arzneikunde zu Bologna , den nach ihm benannten Galvanismus ent-
deckte. Erst als im Jahre 1800 der Naturforscher Volta die schätzbare Er-
findung machte, den einfachen Galvanismus zu vervielfältigen, wodurch die
sogenannte Voltasäule hervortrat, fing man an den Galvanismus gegen
Krankheiten anzuwenden. Die Physiker gingen mit ihren Experimenten vor-
an, die Ärzte folgten nach. Es entstand in Deutschland in den Jahren
1802 — 1808 eine solche Wuth Kranke zu galvanisiren, da man dieses Mittel
für die wahre Ancora sacra hielt, es wurde so planlos dabei verfahren \uid
unwissende Laien missbrauchten den Galvanismus bei Kranken auf solche
Weise, dass auch dieser in Misscredit und Vergessenheit gerieth. Einen
grossen Antht-il daran hatten auch die darüber erschienenen Schriften, worin
weder eine richtige Anweisung zur zweckmässigen Anwendung, noch Über-
einstimmung in den Resultaten zu finden war (s. Auijnstin^s Versuch einer
vollständ. Geschichte d. galvan. Elektric. u. ihrer med. Anwendung. Berlin,
1801. Derselbe: Vom Galvanism. u. dess. Anwendung. 1801. Bischofl in
JlufcInmVs Journ. Bd. XXX. St. 2. Orapcngiesser, Versuche den Galvanis-
mus zur Heilung einiger Krankheiten anzuwenden. Berlin, 1802. Heihvag,
Über Galvanism. etc. Hamburg, 1802. Martens, Therapeut. Anwend. d.
Galvanism. 1803. Slrtwe, Syst. d. medic. Elektric. mit Rücksicht auf di>n
Galvanismus. 1802. Woll;e, Nachricht von den zu Jever durch die Galvani-
Yoltaische Gehörgebekunst beglückten Taubstummen etc. Osnabrück, 1802).
Seit mehreren Jahren prüfte ich die Kräfte des Galvanismus bei Thieron
und Menschen, bei Gesunden und Kranken; ich verband den Galvanismus
mit .der gewöhnlichen Elektricität, behandelte so Epilcptisclie und Paralyti-
sche, Hysterische, Gichtische etc. imd sah, da ich mit Ausdauer und mit
manchen nicht unbedeutenden Aufopferungen den Gegenstand als Lieblings-
GALVANISMUS 849
Sache betrieb, mich anch durch zahlreiche glänzende Resultate belohnt, die
ich späterhin ausfiihiiich bekannt machte (s. meine Schriften : Die Heilung
d. Epilepsie etc. Hannov. 1822; Über d. Heilkräfte d. Galvan. Lüneb. 1823,
und meine Abhandll. in Horn^s Archiv 1825, Mai bis August, und in der
Neuen Sammlung auserles. Abhandlungen f. prakt. Ärzte. Leipzig, 1825;
Bd. VIU. St. 4 und 5). Jedem praktischen Arzte und Wundarzte, der
Lust und Liebe hat, ein grosses, noch nicht in seinem ganzen Umfange ge-
würdigtes dynamisches Heilmittel kennen zu lernen, empfehle ich das Stu-
dium dieser Schriften und Abhandlungen ; denn die medicinische Anwendung
desselben erfordert viel Kenntniss, viel Übung und viel Geduld, sonst rich-
tet man mehr Schaden als Nutzen an. Dass der Galvanisraus kein Univer-
salmittel sey, versteht sich von selbst; dass aber die Fälle, wo er alle an-
dere Mittel an Wirksamkeit übertrifft , auch nicht ganz selten sind , dies
glaube ich aus vieljähriger Erfahrung mit Recht behaupten zu können. Ich
verweise, was das Specielle, sowie. das Theoretische betrifft, auf die ange-
führten Schriften , besonders auf die vom Galvanisraus. Da indessen der junge
Arzt wenig Gelegenheit hat, die Anwendung des Cralvanismus in klinischen
Anstalten und Hospitälern zu lernen (leider! wird auch hier dieselbe mit einer
höchst tadelnswerthen Nachlässigkeit betrieben, und häufig gar nicht unter den
Augen des Directors vorgenommen, sondern der Famulus betreibt sie ad libitum,
oder überlässt sie gar den Krankenwärtern, wie ich darüber Beispiele aus
den ersten klinischen Anstalten Deutschlands anführen könnte) , so werde ich
hier das AUernothwendigste in der Kürze mittheilen. 1) Die Constru-
ction der Voltasäule. Man lässt sich 80 — 100 Doppelplatten, die 2 '/j Zoll
Durchmesser haben und aus Zink und Kupfer, jede y^ Zoll dick, bestehen,
von einem Klempner mit Zinn zusammenlöthen. Diese Zahl ist hinreichend,
da sie bei gut aufgebauter Säule und verstärkt durch leitende Eisenstangen,
schon sehr grosse Wirkungen hervorbringt. Nun lässt man sich ein kleines
Gestell , das auf Glasfüssen steht , in der Mitte mit vier Glasröhren zum Ein-
legen der Platten und oben mit einer Schraube versehen ist, verfertigen.
Beim Aufbauen der Säule nimmt man zuerst unten eine Zinkplatte mit einem
Haken , worin ein Loch befindlich ist , in welchem man einen Leitungsdraht
von Messing, Kupfer oder Stahl befestigt, legt diese Platte zwischen die
Glassäulen, dann darauf ein ebenso grosses, mit Salzwasser wohl durchnäss-
tes Tuchläppchen, dann darauf die erste Doppelplatte so, dass die Kupfer-
seite unten zu liegen kommt , dann wieder ein feuchtes Tuchläppchen , dann
wieder die Doppelplatte mit der Kupferseite nach unten und so geht es fort,
bis alle 80 — 100 Doppelplatten, abwechselnd mit den Zwischenleitern, den
Feuchten Tuchlappen, auf einander geschichtet sind. Ist dies geschehen, so
legt man das letzte Tuchläppchen und zu allerletzt eine einfache Kupfer-
platte mit Haken und Loch, worin der andere Leitungsdraht befestigt wird,
auf, und schraubt dann die ganze Säule recht fest zu. Dabei ist zu be-
merken, n) dass alle Platten und Drähte bei jedesmaligem Aufbauen der
Säule recht rein poHrt, auf Brettern abgerieben und blank gescheuert seyn
müssen ; 6) dass man die Tuchläppchen einige Stunden vorher in einer höchst
concentrirten Auflösung des Kochsalzes in kochendem Wasser eingeweicht
haben muss ; c) dass die Läppchen kurz vor dem Aufstapeln der Platten so
stark als möglich ausgedrückt werden ; d) dass man die Doppelplatten kurz
vor dem Aufbauen der Säule am Feuer erwärmen muss, soll die Wirkung
anders recht stark seyn. e) Will man den ganzen Körper galvanisiren , so
befestigt man die Leitungsdrähte des obern und untern Pols der Säule durch
Umwickeln an 6 — 8 Fuss lange, dicke Eisenstangen; eine Erfindung von
mir, die die Wirkung bedeutend verstärkt. 2) Anwendungsmethoden
des Galvanisraus. Sind theils solche, die eine partielle, theils solche, die
eine allgemeine Wirkung haben. Will man den ganzen Körper galvani-
siren , so setzt der Kranke beide Füsse in ein laues Fussbad , worein die
Eisenstange vom untern Pol der Säule geleitet worden , befeuchtet die Hände
mit Salzwasser, nimmt eine kleine Eisenstange zur Hand und beinihrt damit
in kleinen Pausen die andere mit dem obern Pol der Säule in Verbindung
Most Enc^klopädte. 2te Aufl. I. ^ 54
850 GALVANISMUS
stehend« Stange. Die Wiikunp; ist, dass jedesmal eine allgemeine Korpcr-
erschütterung , wie durch einen elektrischt-n Schlag erfolgt, dass das Blnt-
und Nervensystem höchst aufgeregt wird und bei fortgesetztem Gebrauche
von Vi — 1 Stunde häufig Erliitzung und Schweiss erfolgt. Will man to-
jiisch den Galvanismus nur auf ein einzelnes Glied wirken lassen, z. B. auf
den Arm, auf den Schenkel; so muss der Kranke Hand oder Fuss mit Salz-
wasser anfeuchten, diese mit der Eisenstaiige des untern Pols in Verbin-
dung bringen , wo ~dann ein Gehülfe den Draht vom obern Pole an einen in
einer Glasröhre befindlichen Conductor befestigt, und diesen abwechselnd an
eine befeuchtete Stelle des Oberarms, des Schenkels bringt. Bei Applica-
tion des Galvanismus ans Auge, Ohr (gegen Amaurose, Surditas) muss man
sehr vorsichtig seyn ; man nimmt anfangs höchstens 6 — 10 Doppclplatten
zur Säule, lässt den untern Pol derselben mit der Hand des Kranken be-
rühren, und berührt dann mit dem Conductor des obern Säulenpols vorsich-
tig, ohngefahr 4 — lOmal in der Minute, die Ohrmuschel, den Meatus ex-
ternus, das Augenlid, die Augenbrauen etc. Täglich legt man eine Dop-
pclplatte zu bis auf 40 — 60, wendet das Mittel binnen 24 Stunden 1 — 2mal,
jedesmal 'ä — V2 Stunde an, und fällt dann wieder in der Plattenzahl bis
auf 6. Alles richtet sich hier nach individueller Reizempfänglichkeit. Bei
Sprachlosigkeit als Folge der Lähmung berührt der Kranke mit. der einen
Hand wieder den untern Säulenpol, und der Gehülfe bringt den Conductor
des obern Säulenpols abwechselnd an den Kehlkopf, an die Zungen wurzcl
etc. Ein Mehreres darüber findet sich in SitnJclin''s Anleit. z. med. Anwen-
dung der Elektric. u. d. Galvanismus. Berlin, 1822, und in Mosfs: Über
die Heilkräfte des Galvanismus. Noch muss ich bemerken , dass die zuerst
von mir angewandte Methode, dem Kranken das galvanische Fluidum in der
geschlossenen Kette durch Strömungen mitzutheilen, wo er ausser der er-
sten Erschütterung, die man auch gelind einrichten kann, nichts Schmerz-
haftes empfindet, in manchen Füllen vor den Erschütterungen durchs fort-
gesetzte Schliessen und Olfnen der Kette den Vorzug verdient. Man lässt
den Kranken V45 V2 — 1 Stunde ruhig in der geschlossenen Kette verweilen.
3) Indicationen und Co ntraindicationen des Galvanismus als Heil-
mittel-sind folgende: «) Bei allen entzündlichen Fiebern und entzündlichen
Affectionen, bei allen Nervenaflectionen mit Erethismus, bei allen Krämpfen
und Convulsionen der Art, passt der Galvanismus nicht. Entzündung, Fie-
ber und Erethismus müssen erst entfernt seyn, wenn er nützen soll. 6) Bei
allen frischen Lähmungen nach Apoplexia sanguinea passt er in den ersten
4 — 6 Wochen nicht, und dennoch erfordert seine Anwendung; viel Vorsicht,
häufig müssen gleichzeitig Blutausleerungen, derivirende, auf den Darmcanal
wirkende Mittel und eine kühlende knappe Diät angewandt werden, und dio
galvanische Behandlung eiideiten. t) Unbedingte Anwendung findet da.«»
Mittel bei Epilepsie und Paralysen mit dem Charakter des Torpor, bei ört-
licher Schs>äciie einzehier Theile und bei allen Affectionen, welchen Man-
gel an Thätigkeit und .Atouie zum Grunde liegt. (S. Lnbaume, llemarks on
the hi.story and philo.sophy, but particularly on the medical efficacy of Ele-
ctricity and Galvani.<ni in ihe eure of nervous and chronic disorders. Lon-
don, 1820). Unter Berücksichtigung dieser Cautelen wendet man den Gal-
vanismus mit Nutzen an: «) bei Hydrops topicus und universalis, besonder»
auch bei Hydrops saccatus abdominis ; denn der Galvanismus greift tief in
die Picproduction und bewirkt schnelle Resorption krankhafter Secretionen.
ß) Bein» chronischen Asthma im vorgerückten Alter. Hier wendet man auch
wol den einfachen Galvanismus (^MiuisfortCs Apparat) an, indem man eine
Kupferplatte auf den Rücken, die Zinkplatte aufs Stenium legt, nachdem
die Stellen der Haut durch Vesicatorien eutblösst worden, wo man dann )
durch einen Kupferdraht beide Platten mit einander verbindet inul Tag und i
Nacht tragen lässt. y) Bei Hcrnia incarcerata und Volvulus. Hier läs.st
man den einen Pol mittels ciiies Conductors in den After bringen , und mit
dem andern Pule berührt man, ohne den Innern Mund zu berühren, den
Pharyijx (i. Leroy iVEtioUci in Archiv. g«5nörai. de Medec. , Octbr. 182S,
GALVMISMUS 851
\x. Heclcr''s Lit. Annal., 1823, Januar), rf) Beim Schemtode (s. Asphyxia,
Acupunctura, E 1 ectropunctura). e) Bei eingewurzelten und leich-
tern Epilepsien, theils durch die Voltasäule (s. Epilcpsia), theils als
Mansford'scher Apparat (s. Mansford, Untersuchungen über die Natur und
Ursachen d. Epilepsie etc. A. d. Engl, von Cerutli. Leipzig, 1822. Vsher
Pearson in New England Journ. of Medicine and Surgery 1827. Pierer\'s
Alig. medic. Annalen, 1827, Juli. Gerson und Julius Magaz. der ausländ.
Lit. d. ges. Heilkunde, 1827, Juli u. August). Doch nützt dieser Apparat
nur in leichtern Fällen, f ) Auch gegen chronische , atonische Gicht , zur
Zertheilung von Gichtknoten , gegen Hemiplegia , Sprachlosigkeit , gegen'
Struma, Hydrocephalus chronicus, Fungus articulorum habe ich den Galva-
nismus nicht ohne Nutzen angewandt (s. meine Schrift über Galvanismus,
S. 18 — 60). TJ) Bei Fehi'is intermittens wirkt der Galvanismus in der Apy-
rexie ausserordentlich, und ist daher besonders bei der habituellen Form zu
empfehlen (s. Febris intermittens). ^) Nach meinen Ansichten und
Schlüssen aus der Analogie kann man den Galvanismus cum conditione (mit
Berücksichtigung des individuellen Körperzustandes) noch versuchen bei ano-
maler Menstruation, bei Impotenz und Steiilität, bei Contracturen , Anky-
losen, Spina bifida, Hydrucele, bei Abscessus lymphaticus, bei chronischer
Migräne, bei Harn- und Blasensteinen, um diese aufzulösen, bei Atrophie
und Gastromalacie, bei Hydrophobie. Auch habe ich bemerkt, dass die all-
gemeine Anwendung des Galvanismus bei «ironischer Dyspepsie, bei Schlaf-
losigkeit und Neigung zu Obstructio alvi herrliche Dienste thut.
Der Galvanismus , der früherhin auch M e t a 1 1 r e i z oder thierische
Elektricität genannt worden, und die gewöhnliche, durch Reibwerk-
zeuge hervorgerufene Elektricität, erregen gegenwärtig aufs Neue das ärzt-
liche Publicum auf eine höchst interessante Weise , und werden, sollten sich
die kürzlich in England gemachten Erfahrungen bestätigen , vielleicht in
Kurzem das IVlittel abgeben, einen tiefern Blick in die Ökonomie des Orga-
nismus, des normalen und abnormen Lebensprocesses, zu gewähren, als es
bis jetzt dem scharfsinnigsten Naturforscher möglich war. Ich bin gegen-
wärtig zwar nicht mehr der Meinung Ritter's, Procliaskn's und A. , die das
Leben im Organischen nur für einen elektrischen oder galvanischen Process
hielten und aus den Gesetzen des ietztei-n alle Lebensverrichtungen zu er-
klären sich bemühten. Auch ist die thierische Elektricität von der gemei-
nen noch verschieden , wofür eine Menge Thatsachen sprechen , obgleich
wir die feinen Unterschiede genau anzugeben bis jetzt nicht im Stande ge-
wesen sind (s. Bertliold's Lehrbuch d. Physiol. des Menschen, Bd. I., 1829,
S. 80) , und wenn früherhin manche Anhänger SchelUng^s den Kreislauf des
Bluts und andere Lebensfunctionen geradezu und nur allein für elektrische
und magnetische Äusserungen hielten (s. PA. F. TFflWtcr's Physiologie , 1807,
Bd. II. S. 9 u. fg.), so wissen wir jetzt genauer, wie viel und wie wenig
von ihren transcendentalen Speculationen zu halten sey. Selbst der grosse
Naturforscher G. R. Trcviranus (Die Erscheinungen u. Gesetze des organ.
Lebens. Bremen, 1831; Bd. I. S. 412) sagte noch jüngst: „Wärme und Licht
sind die äussern Bedingungen des Lebens. Dass das Leben auch durch
elektrische Einflüsse bedingt sey, lässt sich nicht darthun,
doch können sie zur Erreichung gewisser Zwecke des Lebens dienen." In-
dessen lässt sich nach allen Thatsachen an dem Vorhandenseyn elektrischer
Strömungen im lebenden organischen Wesen und deren Begründung durch
den Gegensatz alkalischer und saurer Reactionen , worauf Donne (s. Jour-
nal hebdomad. und Behrendts Repertor. der med. -chir. Jourucdist. des Aus-
landes, 1834, Juni, S. 182) noch neuerlich aufmerksam macht, nicht zwei-
feln , z. B. zwischen der äussern Haut (saurer Pol ) und dem Darmcanal
(alkalischer Pol) , zw ischen Magen und Leber etc. ; auch sind viele Gründe
für die Identität des galvanischen und des Nervenfluidums vorhanden, wor-
auf ich schon vor Jahren und kürzlich noch A. P. W. Phillip aufmerksam
gemacht haben (s. dess. Abhandl. in London medic. Gazette, Mai, 1834, u.
Behrendts Repertor., Juni, 1834, S. 127. — Most, Über die Heilkräfte des
54*
852
GALVANISMÜS
etc. Galvanismus, 1823, S. S72). Diese der galvanischen Kraft so älm-
liche Nerventhätigkeit , die mit ersterer fast identisch genannt werden kann,
vermittelt nun aber bekanntlich die Bewegungen der willkürlichen und nn-
willkürlichen Muskeln und alle Secretionen, sie steht auch der Assimilation
vor und begründet die Entwickelung der thierischen Wärme. Auch haben
es Versuche sattsam bewiesen, dass der Voltaismus, wenn er wie die Ner-
venthätigkeit angewendet wird, aus dem Blute analoge Secretionen zu er-
zeugen und selbst thierische Wärme, nach Phillip, zu entwickeln im Stande
ist, — alles Thatsachen, die auf die hohe Bedeutung unsers Gegenstandes, der
noch fernerer Untersuchungen in Menge bedarf, aufmerksam machen. — Ob
in seinen feinsten Wirkungen der Galvanismus mit der Elektricität eins oder
verschieden sey, wollen wir hier nicht untersuchen. Wir wissen, dass der-
selbe mit der Reibungselektricität alle wesentliche Merkmale überein habe,
dass man ebenso gut mit dem galvanischen als mit dem elektrischen Flui-
dum leidener Flaschen elektrisch laden, mit beiden einen Menschen ins elektri-
.sche Bad stellen kann etc. Wir könnten daher beide (E. und G.) als eine
Kraft ansehen, wie es die meisten Naturforscher thun, doch wird die Zeit
nicht mehr fern seyn , wo aus den verschiedenen Wirkungen , die der Gal-
vanismus , die Elektricität und der mineralische Magnetismus im Organischen
hervorbringen, auch ihre Differenzen uns klarer vor Augen liegen werden.
Nach den kürzlich angestellten Beobachtungen von Hodgkin (s. Medico - chi-
rurgical Review, January 1832, und BehrencVs Repertorium der med.-chir.
Journalistik des Auslandes, Decbr. 1832 und Novbr. 1833) kann man durch
elektrische Einwirkung Krankheiten von einem Individuum auf ein anderes
übertragen. Ein seit 4 Monaten an einem Wechselfieber leidender Kranke
wurde auf das Isolatorium gebracht und durch eine Verbindung mit dem
elektrischen Conductor positiv elektrisirt , und zwar im Stadium der Fieber-
hitze, Herr P. Sviith hielt die Kugel, mit welcher dem im elektrischen
Bade sich befindenden Fieberkranken Funken entzogen wurden. Der Er-
folg war, dass das Wechselfieber bei letzterm ausblieb, dagegen wurde Hr.
Smith schon des Abends unwohl und bekam eine Intermittens ; als er sieben
Anfälle erlitten, heilte er sich nun durch dieselbe elektrische Cur. HoihjMn
machte noch andere Versuche. Er vaccinirte ein Kind auf die gewöhnliche
Weise ; der Erfolg war günstig. Als die Kuhpocken am Sten Tage zum
Weiterimpfen geschickt waren, öffnete er eine Pustel, setzte nun den \ac-
cii'.irten aufs Isolatorium , machte einem noch nicht Vaccinirten mit einer
neuen , durchaus nicht mit Schutzpockenlymphe versehenen Lancette eine
kleine Stichwunde in den Oberarm, und applicirte dann einen 4 Zoll lan-
gen, in einer Glasröhre befindlichen Draht so zwischen beide Individuen,
dass das eine Ende des Drahts in die geölfnete Kuhpocke , das andere in
die Stichwunde des nicht auf dem Isolatorium sich befindenden Knaben zu
stehen kam Nun wurde die Elektrisirmaschine 8 Minuten lang in Bewe-
gung gesetzt. Es fand vollkommene Vaccination mit regelmässigem Ver-
laufe der Kuhpocken statt. Als man aber von dieser durch elektrische Strö-
mung hervorgebrachten Kuhpocke wieder zwei Kinder auf elektrische Weise
impfte, so fand man, dass daraus nur unechte Kuhpocken entstanden. —
Dieser Umstand von Krankheitsübertragung durch elektrische Einwirkung
(der uns bei Anwendung der Elektricität in Krankheiten zur Vorsicht auf-
fordert, damit wir beim Abnehmen der Funken aus dem Körper des im
elektrischen Bade sitzenden Kranken unserm eigenen Körper keine Krank-
heitsstoffe zuführen) erinnert an die sog. magnetischen und sympa-
thetischen Curen älterer und neuerer Zeit, welche wir oft früherhin, be-
vor wir die grossen Wirkungen der Elektricität, des Galvanismus und Mi-
neralmagnetismus auf Gesunde und Kranke und ihre durch synthetischen
und analytischen Beweis von Ocrsted, Farndny und A. dargcthanen wech-
selseitigen Beziehungen und ihre grosse, fast auf Identität deutende Ver-
wandtschaft näher kennen gelernt haben, in un.sercr Einfielt milleidig belä-
chelten , ohne den tiefen Grund zu ahnen , worauf ihre grossen , oft so räth-
selliaften Wirkungen, die als Thatsachen feststehen, beruhen. Die Fort-
GÄLVÄNISMUS 853
silultte In der Physiologie und Physik haben zu dem schon oben erwähnten
frrossen Resultate geführt, dass die Nerventhätigkeit , die Muskeibewegung
und der Calor animalis nur als Producte der elektrischen Actionen betrach-
tet werden können, dass das Blut beide Arten der ElektricitäC äussere, und
dass daher einige Secrctionen, z. B. Milch, Chylus, Urin, Schweiss, saurer
Natur, andere, wie Galle, Speichel, alkalischer Natur sind und so die bei-
den Pole der Voltasäule bildlich darstellen (s. Edwards in the medico-chi-
rurgical Re"view, Jun. 1832), ferner, dass die Eiektricität und der Magne-
tismus allen Körpern in der ganzen Natur anhaften, dass schon Differenzen
in der Temperatur eines und desselben oder des andern Metalles (Thermo>-
magnetismus) dies offenbaren; dass die latente Eiektricität wahrscheinlich
ebenso gut, wie der latente Galvanismus (bei geschlossener Kette) die
merkwürdigsten , nie geahaeten Erscheinungen hervorzubringen im Stande
ist, endlich, dass, wie Ritter so schön dargethan , wahrscheinlich ein fort-
währender galvanischer Process die Lebensverrichtungen im Thierreiche und
im Pflanzenreiche unterhalte ; — aus der Pathologie wissen wir, wie schnell
und kräftig wir oft die heftigsten nervösen und rheumatischen Schmerzen,
stockende Säfte, Ansammlungen lymphatischer und seröser Feuchtigkeiten-
4urch Elektropunctur, Eiektricität und durchs Bestreichen mit dem Magnet,
selbst mit blossen Eisenstäben, worüber der Geheimerath Snchge eine inter-
essante Beobachtung bei einem Veitstanzkranken in Dobberan angestellt
(s. Chorea St. Viti), heilen können; — kurz, diese und viele andere
wichtige Thatsachen, wohin auch die der sympathetischen, zeither nur
Schäfern , Schmieden und alten Weibern überlassenen Curen gehören , mah-
nen uns auf die dringendste Weise, diesem so sehr vergessenen Gegenstande,
den die Alten kannten und so gründlich, schön und richtig beschrieben,;
unsere volle Aufmerksamkeit zn schenken. In dieser Hinsicht will ich hier
eines längstvergessenen Autors gedenken , dessen Buch gerade vor mir liegt.
Der Titel ist: Sehastiani Wirdig, ,M. D. et P. P. Nova mediana spirituura.
curiosa, scientia et doctrina , unanimiter hucusque neglecta etc. Hamburg!,
1688. Hier finden wir Cap. 26 des 2ten Buches überschrieben : De cura-
tione spirituum diastatica. Die diastatische Curmethode ist nach ihm mit
der sympathetischen , welche auch die magnetische heisst , identisch. Sie
wird — sagt er — bewerkstelligt 1) durch sympathetische Pflaster, Salben
und Pulver, 2) durch die vier Elemente: Feuer, Luft, Wasser, Erde,
3) durch Thiere: Schlangen, Hunde, Schweine, Blutegel, Vögel, Ameisen,
Fische, 4) durch Pflanzen, was Transplnntniio genannt wird, und in semi-
natione, implantatione, insitione , irrotatione geschieht. 5) Die im engern
Sinn magnetische Cur per attractionem , und endlich 6) diejenige, welche
per contactum et »ffrictionem bewerkstelligt wird. S. 190 u. fg. heisst es j
„Quid sit magnetismus et sympatheisnius ? superius sufficienter peculiari tit.
dictum : Est nimirum nobis magnetismus mutuus et communis s^iirituum sen-
8us seu consensus. Curatio itaque magnetica et sympathetica , fit et perfi-
citur mutuo et coramuni Spirituum sensu : Dum enim Spiritus in sanguine vel
mumia quadara extravasata curantur, curiose tractantur, deligantur, in tem-
perato loco foventur, a putredine et aeris injuria conservantur , vegetantur,
in animali sano et robusto bene sese habent, libere flagrant et radiant; ean-
dem curiosam curationem una sentiunt et consentiunt etiam reüqui universi
corporis Spiritus, eademque alacritate vitulantur, eadem serenitate flagrant,
radiant: dum autem male et crudeliter tractantur, eandem injuriam sentiunt
et reliqui in reliquo corpore Spiritus." Wirdig versichert nun , dass er bei
verschiedenen Krankheiten von sympathetischen Curen ausserordentlichen
Erfolg gesehen habe und führt einzelne Fälle und den Gebrauch solcher
Mittel an. Das folgende Capitel führt die Überschrift: De curatione spiri-
tuum morbidorum per transplantationes , und das letzte handelt de amuletis;
beide gehören bekanntlich auch zu den sympathetischen Mitteln, und ich
kann versichern, dass ich sowol von der Transplantation als von den Amu-
leten, wobei allerdings elektrische, mineralmagnetische Einflüsse in den mei-
sten Fällen mit im Spiele seyn und die Hauptwirkung hervorbringen mügen.
854 GALYANISMUS
herrliche, Wirkungen in verschiedenen Übebi gesehen habe. Ja in hiesiger
Stadt, sowie in ganz Mecklenburg, ist der Glaube an die "Wirksamkeit
eyropathetischer Mittel sehr gross, und zwar nicht allein das Volk, die nie-
dern Stände, auch ein grosser Theil der höhern Classen glaubt daran, und
dies hat seinen guten Grund. Es sey mir erlaubt, hier noch einige Worte
ober diesen Gegenstand zu verlieren und meine Ansichten darüber auszu-
sprechen. Unter dem Worte Sympathie verstehen wir den nähern Zu-
sammenhang zwischen jedem Einzelwesen mit den übrigen, welcher durch
unmittelbare Wahrnehmung im Gefühl des in diesen Zusammenhang Ge-
brachten, oder in Beobachtungen und Wirkungen erkannt wird, ohne das*
dabei der nähere Grund dieser gegenseitigen Gemeinschaft, wodurch dieselbe
vermittelt wird, bis jetzt angegeben werden konnte. Das Gebiet der Sym-
pathie von früherhin weit grösser als jetzt ; die ganze Astrologie beruhete
auf ihr; die Annahme einer geheimen Sympatliie zwischen Naturwesen war
aber dennoch im Glauben der Völker von jeher ziemlich allgemein verbrei-'
tet, und dieser Glaube ist auch jetzt noch ^■\el grösser, als man gewöhnlich
anzunehmen pflegt. Dass sympathetische Rlittel und überhaupt sympatheti-
sche Curen oft sehr wirksam sind, dies ist eine Thatsache, die sich nicht
leugnen lässt. Sollen wir nun Thatsachen, in denen ein Eintluss hervortritt,
zu dessen Erklärung die wissenschaftlich aufgestellten schulgerechten Erklä-
rungsprincipe bis jetzt nicht hinreichen , ganz und gar leugnen ? Dies hiessc'
doch wahrlich den Eigendünkel aufs Höchste treiben ! Der einsichtsvolle,
und bescheidene Naturforscher muss dagegen eingestehen, dass unsere Kennt-
nisse über die Naturkräfte noch nicht so weit vorgerückt sind, um überall
eine befriedigende Erklärung ertheilen zu können. Wirken geistiges und
körperliches Leben in ihrer Verbindung gegenseitig nicht auch ausser sich"?
Kann der Mesmerismus als Thatsache geleugnet werden? Unser Wissen ist
hier sehr mangelhaft, und daher geziemt es uns wol, ein scharfes und ent-
scheidendes Urtheil über so Manches, was nach dem Volksglauben in Sym-
pathie durch das allgemeine Naturleben noch eine Stütze hat, vorläufig,
noch zurückzuhalten; dagegen ists Pflicht, die Thatsachen zu sammeln, sie
kritisch zu sichten und mit Umsicht und Vorsicht zu versuchen, sie wissen-
schaftlich zu deuten. Wenn wir beobachten , dass heftige Eindrücke auf
unsere Seele: Trauer, Schrecken, Furcht, Angst, die an sich nichts Ma-
terielles sind , die grössten materiellen Veränderungen im Körper erregen
können und somit oft die traurigsten, langwierigsten Krankheiten zur Folge
haben , — wenn wir als Thatsache wissen , dass heftiger Ärger der stillen-
den Mutter die vor wenigen Minuten noch ganz gesunde Muttermilch der-
gestalt zu einem Gift umzuändern im Stande ist, dass der Säugling, der da-
von trinkt, plötzlich an Zuckungen stirbt, — wie dergleichen Beispiele an-
geführt werden können , — wenn wir ferner wahrnehmen , wie Ansteckungs-
stoft'e auf eine oft so feine und daher noch räthselhafte Weise sich verbrei-
ten, oft Jahre lang in fremden Hüllen wirksam bleiben und aufs Neue Epi-
demien erregen können ; so müssen wir auch annehmen , dass sehr ^iele
Krankheiten , die durch solche imd andere feine schädliche Einflüsse entste-
hen , durch ähnliche feine, aber entgegengesetzt wirkende, also wohlthätige
Einflüsse und' ohne Arzneien aus der Apotheke entfernt werden können.
Mende sagt (s. Mnsins' Modic. Kalender, 1814, S. 93) mit Recht: „Die
sympathetischen Curen haben einen zu grossen Einfluss aufs allgemeine
Wohl, als dass wir sie ganz mit Stillschweigen übergehen könnten. Man
hat nicht ohne Ursache getadelt, dass meistens Selbsttäuschung oder gar
Betrügerei dabei zum Grunde liege, dass die verordneten Mittel mit der
gehofften Wirkung auf vernünftige Weise durchaus in keinen ursächlichen
Zusammenhang zu bringen seyen, und dass während des Gebrauchs dieser
Mittel die beste Zeit zu einer schnellen und gründlichen Heilung versäumt
werde. So richtig diese Vorwürfe im Allgemeinen sind, so wird dennoch
dabei auf die unleugbare Wirksamkeit solcher Curen zu we-
nig Rücksicht genommen, und es giebt daher noch einen andern Ge-
sichtspunkt , von dem aus man sie nothwcndig betrachten muss. Man kann
GALVANISMÜS - 855
es als gewiss annehmen, dass Einflüsse, die unter gewissen Umständen eine
wohlthätige Wirkung auf den inenschliciien Körper äusserten, unter andern
Umständen eine naciitheilige liervorbringen können. Sympathetische Curen
kann man, wenn man nicht allen Thatsachen Hohn sprechen will, ihre
Heilkraft in einzelnen Fällen durchaus nicht absprechen." Diese Kraft ent-
springt, nach Meiule, hauptsächlich aus drei \ erscliiedenen Ursachen. Die
erste ist die Wirkung dieser Curen auf das geistige Vermögen des Men-
schen. Die Aufmerksamkeit wird von der Krankheit ab - und auf einen an-
dern Gegenstand geleitet, nämlich auf das Heilverfahren ; seine Einbildungs-
kraft wird beschäftigt und die Kraft des Willens aufgerufen. Die zweite
Ursache liegt in der Entfernung aller andern Mittel, was bei jeder sympa-
thetischen Cur Bedingung ist. Betrachtet man das Heilverfahren des gemei-
nen Mannes, ja selbst bisweilen die Mittel, die von unsern privilegirten
Ärzten verordnet werden, so findet man häufig, dass sie die Krankheit, ge-
gen die man sie anwandte, nicht heilen, sondern gegentheils verschlimmern
musstcn. Man denke nur an die unzählbaren Salben und Pflaster, die ge-
gen alle Geschwüre gebraucht werden, an die Menge abführender und
schvveisstreibender Mittel , mit denen der Landmann seinen Körper bestürmt,
um sich leicht zu überzeugen, dass eine Enthaltung von allen diesen, so
häufig schädUchen Dingen die Heilung seines Übels sehr befördern kann. —
Eine dritte Ursache der wohlthätigen Wirkung der Sympathie liegt in
gleichzeitig angewandten und zur Cur gehörigen Nebenmitteln, die aber für
unwichtig gehalten und meist übersehen werden. Bei den Mundschwämm-
chen bespricht man z. B. das Übel, lässt aber den Mund zugleich mit einer
schwachen Auflösung von Alaun ausspülen'; die Rose wird gestillt, d. h.
man schlägt aus Stahl und Stein Funken auf den kranken Theil ; dann wird
alle Nässe vermieden und Papier aufgelegt , worin Bleiweiss gewickelt ge-
wesen war. Fussschäden werden mit einem Öl bestrichen , lose bedeckt und
zugleich Ruhe, gute Diät, Enthaltung von Spirituosis, von gesalzenen,
schwerverdaulichen Speisen etc. empfohlen. Welcher Einsichtsvolle wird
hier den wahren Grund der Besserung übersehen? Curen der Art haben
daher auch , zumal beim gemeinen Manne , oft Wunder gethan , w eil sie
nothwendige Bedingungen der Heilung herbeiführten, die vorher versäumt
■wurden} in den höhern Ständen leisteten sie dagegen oft nichts, weil diese
Bedingungen ohnedies schon erfüllt waren und die Hindernisse der Besse-
rung in ganz andern Umständen lagen. Nach Mende vnd Masius giebt es ausser
diesen drei mitwirkenden Ursachen der Wirksamkeit sympathetischer Rlittel
noch eine vierte, die freilich von Manchen geleugnet wird, aber dennoch alle
Aufmerksamkeit verdient. Dies ist die unzuberechneude Wirkung,
die aus dem Innern Zusammenhange aller Dinge und aus ih-
rer, wenn gleich verborgenen Sympathie hervorgehend, im
menschlichen Körper oft die grössten und unerwartetsten
Veränderungen hervorbringt." Die erhabensten Geister, sagt
Mende, haben einen solchen Zusammenhang nicht blos geahnet, sondern sie
haben bewiesen , dass die Weltordnüng und die Erhaltung derselben darauf
mit gegründet sind. Wie klein und jämmerlich erscheint der Klügler, der
unter lauter Wundern mit seinem schwachen Ve'rstande allenthalben an der
Grenze des Unbegreiflichen steht und der dennoch das Wunderbare keck zu
leugnen wagt! Wenn auch nicht die Elektricität, der Galvanismus und
selbst die Erscheinungen am Magnet, uns den Blick in ein unermessliches
Reich von Wirkungen und Veränderungen eröifnet hätten , deren innete Ur-
sache wir nicht keimen; so würde es doch lächerlich seyn, verborgene
Kräfte zu leugnen, blos, weil wir sie nicht vollkommen in unserer Gewalt
haben und das, was sie hervorbringt, nicht erklären können. Und mit die-
sen Kräften wagen wir leichtsinnig umzugehen ; ja ! wir vertrauen ihre Ver-
waltung den rohesten und unwissendsten Menschen! Gleichen wir nicht
hierin den Kindern, die mit dem Feuer spielen, ohne seine verderbliche
Wirkung zu ahnen? Die Klugen unter uns zucken dabei die Schultern,
ohne dass sie es der Miihe werth halten, auf eine so wichtige Sache nur
856 GALYANISMUS
einmal ihre Aufmerksamkeit zu richten. Betrachte man die sympathetischen
Curen von welcher Seite man will , so sind sie für das Wohl und das Wehe
der Menschen von grosser Bedeutung; sie müssen aber, sowie sie jetzt be-
nutzt werden, unfehlbar öfters Unheil anrichten. Nur dann erst, wenn sie
den Pfuschern und dem Pöbel überhaupt entrissen sind , wenn unsere Arzte
eie zu Gegenständen imer Untersuchung und Prüfung machen und wenn
daä , was von ihnen unter bestimmten Umständen zu halten ist . in unsern
heilkundigen Schulen gelehrt und erörtert wird; nur dann erst dürfen
Kranke den grössten Nutzen davon erwarten." Masitis a. a. O. sagt , dass
er völlig derselben Meinung sey, und setzt hinzu: „Es giebt freilich selbst
Ärzte , die über Sympathie absprechen , wie ein Dorfküster ; solche Arzte
hätten aber besser gethan, Dorfküster zu werden, als Ärzte." — Wirkten
sympathetische Mittel nur auf Erwachsene heilkräftig ein , so könnte man
sagen, dass hier die psychischen Einflüsse, der Glaube, das Vertrauen zur
Cur etc., dte Hauptsache wären. Was soll man aber dazu sagen, wenn
solche Mittel auch bei kleinen Kindern, die doch weder Glaubens-, noch
hinreichende Phantasie - oder Verstandeskraft besitzen, ebenso wirksam sind?
Ich kenne drei verschiedene sympathetische Mittel gegen Leisten - und Ho-
densacksbrüche, welche ich bei mehreren '/o, 1- bis 5jährlgen Kindern mit
dem grössten Nutzen anwenden sah, und die ich nachher selbst als wirksam
erprobt habe , so dass von jener Zeit an die Brüche dieser Kinder ver-
schwanden und das so beschwerliche Tragen eines Bruchbandes nicht nöthig
war. Alle diese sympathetischen Mittel sind nach meiner Überzeugung nur
durch Hervorrufung elektrischer und magnetischer Kräfte wirksam; man be-
haupte aber ja nicht, dass diese Kräfte hier fehlen müssten, weil sie nicht
grobsirmlich in die Augen fallen ; vor Oersted glaubte man auch , dass die
geschlossene Kette der Voltasäule keine Thätigkeit äussere, und jetzt wis-»
sen wir, dass gerade sie allein die merkwürdigsten elektro - magnetischen
Erscheinungen darbietet. In derThat, Wirdig (a. a. O.) hat nicht unrecht,
wenn er die diastatische und sympathetische Cur mit der magnetischen iden-
tificirt. Ich bin der festen Überzeugung, dass, wenn jemals eine wissen-
schaftliche Begründung dieser Cur möglich ist, wir ausser gehöriger kriti^
scher Sichtung der Thatsachen diese durch Anwendung der anerkannten und
noch zu entdeckenden elektrischen und magnetischen Gesetze auf diese Cu-
ren möglich machen werden. Ich kenne ein sehr feines Reagens, welchem
zur Prüfung der sympathetischen Mittel auf elektro - magnetische Kräfte sehr
nützlich ist, und schliesse diese Abhandlung mit der Bemerkung, dass ich
durch vieles Nachforschen verschiedene sympathetische Mittel gegen Nerven-
übel, Blutflüsse aller Art, gegen Warzen, Balggeschwülste, Krämpfe, ge-
gen Gicht, 'Rheumatismus, Veitstanz, fallende Sucht, gegen Gewächse,
Gliedschwamm , Blutschwamm , Krebs und andere Krankheiten . genau ken-
nen gelernt und mich selbst in mehreren Fällen von ihrer Wirksamkeit über-
zeugt habe; auch bin ich gern erbötig, denen, welche diesen Gegenstand
aus besonderm Interesse genauer kennen zu lernen wünschen , hinreichende
nähere Auskunft zu geben. — Über die Anwendung des Galvanismus zur
Heilung der Stummen und Taubstummen ist eine interessante Schrift vor-
handen, betitelt: C. H, Wolle, Nachricht von den zu Jever durch die Gai-
vani - Voltaische Gehör -Gebe- Kunst beglückten Taubstummen, und von
S}rre!i</er''s Methode, sie durch die Voltaische Elektricität auszuüben. Olden-
burg, 1802. Das Buch belichtet von mehr als 30 Taubstummen, welche
fast alle durch recht starke Anwendung galvanischer Schläge durch Ohren
und Glieder ihr Gehör wieder erhielten. Die Säule war 70 Düppelplatten
stark und die tägliche Zahl der Schläge betrug 600 — 1000. Dass hier-
durch eine ausserordentliche Aufregung des Gehörorgans erfolgen musste,
die eine Zeit lang wohlthätig wirkte, so lange der künstbWie Reiz conti-
nuirt wurde, ist natürlich. Mündliche Nachrichten, welche ich aber aus
Jever erhielt, berichteten leider, dass die meisten jener Taubstummen bald
wieder in die frühere Taubheit zurückgefallen seyen. Mir selbst fehlt es an
hinreichenden Erfahrungen über diesen Gegenstand; doch glaube ich, dass
GAMMISMUS — GANGLION 857
der Galvanismus bei Surditas torpida, crescendo und später decrescendo
api)licirt, recht viel leistet, und ich fordere daher meine CoUegen zu Ver-
suchen auf.
Oaminisiuus, s. Arenatio.
Cran^liitis (nicht GnngUonitis). Ist jede Ganglienentzündnng.
Nissen nennt die Cholera orientalis im höhern Grade Gnvylionitis medullnris,
centralis, den gelindern Grad derselben Gnnglionitis neurilematis seu periphe-
rica. Viele chronische Krampfübel sind von Entzündungen der Nerven und
Ganglien des Unterleibes abhängig, z. B. von einer Entzündung einzelner
Partien des Vagus, Sympathicus, die man früher, als man noch nicht so
genau secirte, für Spasmi sine materia hielt.
* Ga^n^lioHt Ganglium, das Überbein. Ist eine kleine, meist
runde, etwas harte Geschwulst, ^Yelche am häutigsten an den Extensoren
der Hände, seltener an den Füssen entsteht, von der Grösse einer Hasel-
nuss bis Wallnuss ist und an den langen Flechsen, die eine eigene Scheide
haben, sitzt. Die Geschwulst ist in der Regel elastisch und schmerzlos und
nur bei allmäliger Zunahme macht sie zuweilen Störung in der Function des
Gliedes durch äussern Druck , entzündet sich und erregt oft heftige , sich
dem ganzen Glicde mittheilende Schmerzen. Bei der anatomischen Untersu-
chung der Geschwulst findet man einen eigenen flechsigen , auf der Flech-
senscheide sitzenden Sack, häufig auch eine Spalte in letzterer, und im
Sacke eine eiweissartige Flüssigkeit, die aus dem ergossenen Flechsensafte
zu bestehen scheint. In seltenern Fällen ists blos eine Erweiterung der
Flechsenhaut. Die häufigste Veranlassung ist mechanische Gewaltthä-
tigkeit ; bei Frauenzimmern entsteht das Übel am häufigsten , besonders
durch Anstrengungen der Hand beim Waschen , beim Öffnen schwerer
Schlösser etc. Cur. Bei einem kleinen, noch nicht zu alten Überbein sirtd
reizende Einreibungen von Opodeldok , Liniment, volat. camphor. , beson-
ders aber von Unguent. saponato-camphoratum, verbunden mit einem etwas
starken Druck auf die Geschwulst, hinreichend. Man befördert dadurch die
Resorption und die Verwachsung der leidenden Stelle. Der Druck wird
auf die Weise applicirt , dass man eine plattgedrückte Bleikugel in Lein^
wand wickelt und mittels einer Cirkel binde recht fest auf , die kleine Ge-
schwulst bindet. Ist die Geschwulst schon gross und alt, so versuche, man
folgende Salbe zum Einreiben: I^ Sapon. dumestivi ^(^, Tere Uquef. cl nq.
fönt. q. s. adde Spirit. cnmphorat., — sal. amnion. caust. ana §lli. M. Da-
neben verordne man die. oben beschriebeiie Comprcssion, die man focfwäh-i
rend anwenden und dabei dreimal täglich die Salbe recht warm einreibea
lässt. Hilft dieses Mittel binnen vier Wochen nicht, so schlage man mit
einem Hammer auf das Ganglion, wodurch es oft plötzlich platzt und sich,
zertheilt. Besser aber ist es, dieses heroische Verfahren zu vermeiden und
statt dessen die Haut über dem Ganglion zu verschieben, mit der Lanzette
einzustechen, die Feuchtigkeit in die benachbarte Cellulosa zu drucken, da-
bei reizende Einreibungen anzuwenden, die Wunde schnell durch Heftpfla-
ster zu vereinigen und dann Compression anzuwenden. Auf diese Weise
heilt man das Ganglion oft sehr schnell und die Wunde heilt durch schnelle
Vereinigung ohne Eiterung. Christian Hoppe.
Nachschrift des Herausgebers. Selten wird das Überbein,
auch von Altern Nervenknoten genannt, grösser, als ein Taubenei.
Der einzige Schriftsteller, der eines von der Grösse eines Kindeskopfes er-
wähnt, ist, wie Heijfcldcr behauptet-^ Jidcs Cloquct. Ihr vorzüglichster Sitz
ist der Rücken der Hand und die Handwurzel. Bei Dienstmädchen kommen
sie zuweilen unter der Kniescheibe, in der Kniekehle, an der Tuberositas
tibiae vor, sowie bei Leuten, die viel auf den Knien beten oder arbeiten.
Zuweilen bleibt das Übel Jahre lang schmerzlos und ohne Veränderung,
selbst 20 — SO Jahre liindurch (./m?. Cioquef^, Zuweilen sind ausser den
mechanischen Ursaclien oder, wo diese fehlen, innere Schuld, besonders
rheumatische , gichtische , gonorrhoische Schärfe ; alsdann zeigen sich meh^
858 GANGRAENA
rere Gaiif^lion, und sie nehmen rasch an Grösse zu. Auch auf mctastatische
Weise können sie entstehen. JE ine krallige, vollblütige, vierzigjährige Frau,
erzählt Ucijfeldcr (^liusfs Chirurgie, Bd. VJl. S. 651), entwöhnte ihr Klud
und gebrauchte, um die drückende Milch schnell aus den Brüsten zu besei-
tigen, mehrere Stunden kalte .Umschläge auf die strotzenden Brüste. Bald
darauf fühlte sie heftiges Gliederreissen , das nach 48 Stunden zwar nach-
iess, v\orauf indessen auf beiden Handrücken mehi-ere Geschwülste sich bil-
deten, die den Ganglien durchaus ähnlich waren, bei der leisesten Berüh-
rung schmerzten und eine röthliche Flüssigkeit enthielten, wie ein Einstich
in dieselben mich überzeugte. Ahnliche Geschwülste entstanden bei einem
28jährigen Älanne, der den Tripperausfluss durch kalte Umschläge wäh-
rend der Entzündungsperiode unterdrückt hatte. — Die Diagnose der
Ganglien ist leicht. Ihr Sitz, ihre Gestalt, Farbe, Beweglichkeit, und ihre
Unempfindlichkeit in den meisten B^ällen , sowie ihre Verbindung mit einer
Flechse, sichern vor Irrthum. „Hat ein Ganglion, sagt Heijfddcr, seinen
Sitz in der Synovialhaut, welche die Tendiiies der Flexoren der Finger
umgiebt, so ptiegt es wol aus zwei Abtheilungen zu bestehen, von welchen
die eine in die Handfläche hinabsteigt, während die andere über dem Liga-
mentum carpi annulare auf den Vorderarm hinaufsteigt. Sucht man in ei-
nem solchen Falle die obere Partie zu comprimiren, so wird die untere
grösser und mehr gespannt; comprimirt man dagegen die untere, so er-»
scheint die obere mehr gespannt ; dabei fühlt man. deutlich eine Art Fluctua-
tion, und enthält das Ganglion auch jene knorpelartigen Körperchen, so
bemerkt man ganz deutlich ein Rauschen von dem Durchgang derselben
durch den engen Canal, welcher beide Geschwulstpartien mit euiander ver-
bindet." Eine Verwechselung der überl>eine mit kleinen Balggeschwülsten
kann nicht gut stattfinden, weil letztere höchst selten in der Nähe eines
Tcndo gefunden werden und nie mit ihm zusammenhängen. Jules Cluqtiet
■warnt vor einer Verwechselung mit Synovialge.schwülsten , welche in der
Nähe der Gelenke von der Anhäufung des Synovialschleims in einem Bruch-
sacke entstehen, der sich dadurch bildet, dass die Synovialhaut durch eine
Öffnung der benachbarten Bänder vorfällt. Man erkennt diese Geschwülste
am besten daran , dass sie unter einem von allen Seiten angebrachten Druck
gänzlich verschwinden. — Die Curmethodeu der Überbeine sind, je nach
den Umständen: Zertheilung, Compression, Injection, Exstir-
pation, das Haarseil oder die Zerdrückung. Jules Chquct liess Ka-
lihandbäder nehmen und drei Monate lang graue Quecksilbersalbe einreiben,
und die Zertheilung erfolgte. Denselben guten Erfolg sah iiiist schon nach
dem anhaltenden Tragen eines stark klebenden Pflasters. Soll die Zeithei-
lung rascher bewirkt werden, so muss stets gleichzeitig Compression
angewandt werden. Die Zerrelssung des Sacks ist wegen des Drucks
schmerzhaft, auch pa.sst sie nicht, wenn im Balge knorpelige Theil-
chen enthalten sind, weil diese sehr schwierig, resorblrt werden. Die An-
wendung des Haarseils hinterlässt oft bösartige Geschwüre, weit bes-
ser ist in den Fällen, wo die Zertheilungsversuche fehlschlugen, der
Einstich, wodurch das Fluidum aus dem Balge entfernt und dann
durch Einspritzen von warmem Rothwein , wie bei Hydrocele , adhäsive
Entzündung und radicale Heilung bewirkt wird (^HeiffeUler). Sind die Gan-
glien gross, schmerzhaft und hindern sie die freie Function des Gliedes, so
kann man sie, wenn jene Jnjcctionen nichts fruchteten, auch völlig exstir-
j)iren, gerade wie eine Bnlggoschwulst, worauf man per prunam inlentionem
zu heilen sucht, oder sie in Eiterung setzt; doch ist ersteres vorauziehen,
•weil leicht üble Geschwüre folgen. Macht das Überbein keine Beschwerde,
so i.sts am besten, es ruhig sitzen 7.\i lassen, zumal wenn sein Sitz die hohle
Hand ist oder die Sehnen der Beugemuskeln der Fhiger , weil Ste'dheit des
Gliedes darauf folgen kann.
Ciaiiji^i'nena/ et l^^iiliacclus, der heissc und der kalte Brand.
Unter Bmiid im Allgemeinen verstehen wir partiellen Tod (Mortificatio),
wo das Subjcct noch Icbt^ ubor ein 'i'heil des Körpers zu Cadaver gewor-
GÄNGRAENA 859
Ite ist; dagegen nennen die Alten auch das Carcinom, den Herpes exedens
und verschiedene bösartige Geschwüre Gangrän. Für die Praxis ist dio
genane Unterscheidung zwischen Gangrän und Sphacelus sehr wichtig, und
mit Unrecht haben die neuern Wundärzte diese von den Alten angenommene
Eintheilung zu wenig berücksichtigt. Denn bei der Gangrän ist im leiden-
den Theile noch Empfindung, Biutumlauf, und es ist noch möglich, diesen
Theil zu retten j beim Sphacelus ist der leidende Theil verloren, er ist todt
und unsex-e Behandlung muss nur dahin gerichtet seyn/ die noch lebenden
benachbarten Theile zu schützen, dass sie nicht gleichfalls in Brand über^-
gehen (^Kraus). Der praktische Arzt und Wundarzt muss es sich vorzüglich
angelegen seyn lassen , sich ein treues Bild von dem ganzen Verlaufe des
Brandes, von dem Übergange gewisser Entzündungen in den heissen Brand»
von der Bildung dieses Brandes (^Gani/racnosis') sowol mit als ohne vorher-
gegangene Entzündung, und von dem av eitern Verlaufe desselben bis zum
wirklichen Absterben (^Sphacelus) zu entwerfen, um früh genug diese Zufälle
zu erkennen und die zweckmässigsten Mittel zur Erhaltung des leidenden
Thcils anzuwenden. Der Brand im engern Sinne, d. i. der kalte Brand, so^
vVol in den weichen als festen Theilen (Sphacelus; Necrosis) ist demnach
der örtliche Tod eines Körpertheils , d. i, derjenige Zustand , wo in ihm alle
organische, sensible sowol als vegetative, Lebenskraft aufliört und nun der
Chemismus in dem vom Leben Abgeschiedenen freies Walten bekommt (Tfl
Sprengel^. Hierdurch unterscheidet sich der Brand auf das schärfste vod
der Lähmung und der örtlichen Asphyxie , bei w eichen Zuständen einige or'+
ganische Thätigkeit noch fortdauert, wenn sie auch äusserlich wenig sicht-
bar ist und oft kaum bemerkt werden kann; wobei namentlich das vegetar-
tive Leben stets noch in solchem Grade zugegen ist , dass der Chemismus
keine Gewalt über den ergriffenen Theil erhalten), ' und also keine Verwe-
sung eintreten kann. Eintheilung des Brandes.^ i^Ist sehr wichtig. 1) Mjui
theilt den Brand in den feuchten und trocknen , 'ufeint erstem Gangraena,
letztern Sphacelus; besser ists aber, uuter Gangrän den heissen Brandj
wo die Lebenskräfte noch nicht völlig erloschen sind und der in der Regel die
Folge vorhergegangener Entzündung ist, unter Sphacelus aber den trock-,
nen Brand, d. i. den völligen partiellen Tod zu verstehen {CfieUiis). [Noch
besser ists, wenn wir den feuchten Brand Gangraena humida, Sphacelus
humidus, den trocknen Gangraena sicca, Sphacelus siccus nennen; denn
mancher Brand ist auch in seinem ganzen Verlaufe entweder ein feuchter
oder ein trockner. Most]. Beim feuchten Brande wird das Todte auf eine
Weise entmischt und zersetzt, welche ganz analog ist der feuchten Verwe-
sung bei vollsaftigen Leichen ; beim trocknen dagegen findet keine wirkliche
faulige Verwesung, sondern mehr Austrocknung, Verdorrung statt, analog
dem Zustande von Leichen magerer und trockner Personen , die in Bieikel-
lern oder sonst an Orten aufbewahrt werden , wo die zur Fäulniss noth-
wendigen Bedingungen fehlen. Er entsteht am häufigsten, wenige Fälle
ausgenommen , ohne alle vorhergegangene Entzündung. 2) Es giebt einen
entzündlichen und nicht entzündlichen Brand. Ersterer ist häufig
nur ein hoher Grad von Entzündung, die in Gangrän überzugehen. Miene
macht. S) Der wichtigste Unterschied bezieht sich auf die Ursachen, und
wir müssen demnach zwei Reihen von Arten des Brandes aufstellen, deren
erste solche Brandarten enthält, welche aus örtlichen, gewöhnlich mechani-
schen oder chemisch- dynamischen Ursachen hervorgehen, während in der
zweiten diejenigen Brandarten zusammengefasst werden, welche aus innerti
allgemeinen und gewöhnlich rein adynamischen Ursachen erzeugt werden. In
beiden kommt Gangrän und Sphacelus, entzündlicher und nicht entzündli-
cher Brand vor. Symptome und Diagnose. Die charakteristischen
Zeichen des wirklichen Brandes sind dieselben der Verwesung : der brandige
Theil hat Gefühl, Empfindung, Wärme verloren, \Yird missfarbig und meist
faul und stinkend. Da der Brand häufig der Ausgang der Entzündung ist,
so interessirt uns die Gangrän weit mehr als der Sphacelus. Der sehr
schmerzhafte, heftig entzündete Theil verliert plötzlich allen Schmerz, wird
860 GANGRAENA
<lunkelroth, bleifarbig, schwärzlich, verliert den Turgor vitalis , ist teigig
anzufühlen, so dass ein angewandter Druck mit dem Finger Gruben darii
zurücklässt. Es bilden sich kleine Blasen, welche ein schwarzes Wassei
enthalten , die Epidermis lässt sich mit leichter Mühe wegnehmen , oft aucl:
folgen tiefer liegende Theile nach, ohne dass der Kranke schmerzhafte Em-
pfindungen äussert. Der Theil verliert neben seiner Spannkraft auch seint
Function , verbreitet einen aashaften Geruch , der Kranke ist sehr erschöpft
und sehnt sich nach Ruhe. Zuweilen fühlt er sich aber auch ganz wohl,
glaubt, dass es sich mit ihm bessere, weil der Schmerz nachgelassen, ver-
nachlässigt daher oft den Brandschaden, ist ziemlich gleichgültig; der Puls
klein, schnell, aussetzend; dabei abwechselnde kleine Frostschauer, kalte
Extremitäten , kalte Schweisse , Sehnenhüpfen. Hier ist die Lebensgefahr
sehr gross. Ursachen. Alles, was einen zu heftigen Grad von Entzün-
dung, Hemmung der Circulation, Schwäche, Unterdrückung der Nerven-
thätigkeit und dadurch Verminderung und Erlöschen der Lebenskraft in ir-
gend einem Theile des Organismus bewirkt , kann Brand erregen , z. B. ein
hoher Grad von Entzündung, besonders der rosenartigen, wenn diese mit
nassen Umschlägen , mit reizenden Pflastern und Salben behandelt wird ;
complicirte Beinbrüche, Schusswunden mit Knochenzersplitterung, bedeu-
tende Verbrennungen, Frostbeulen, grosse Quetschungen, bedeutende, mit
Commotio corporis verbundene Verwundungen , alle diese Übel werden leicht
brandig, besonders wenn zugleich unreine Luft im Krankenzimmer einwirkt,
oder gar eine Contagion (Hospitalbrand), wenn der Kranke schwächlich und
erschöpft ist und seine Lebenskraft durch schwächende Einflüsse aller Art:
Ausschweifungen, Hunger, Noth, Elend, Furcht, Säfteverlust, Status pi-
tuitosus, gastricus, Faulfieber gelitten hat oder noch leidet. Auch das Al-
ter und seine Gebrechen (Marasmus) sind häufig die alleinige Ursache des
Brandes; desgleichen Zerstörung der Erregbarkeit eines Theils durch starke
Reize: Blitzstrahl, dui^ch verschiedene thierische, vegetabilische und minera-
lische Gifte, durch Raphanie, durch den Genuss des Mutterkorns, des Tau-
niellolchs etc. Behandlung des Brandes. Wir haben hier fünf Indica-
tionen zu erfüllen : «) die prophylaktische. Sie ist höchst wichtig ; wir
müssen den Brand verhüten , wo sein Eintreten zu befürchten steht. Eine
richtige Behandlung der Entzündung, wo wir weder übermässig schwächen;
noch zu früh reizen, bleibt hier Hauptsache (s. Infi ammatio). fc) Die
palliative Behandlung , d. i. wir beschränken das Fortschreiten des schon
eingetretenen Brandes; c) Beförderung der Abstossung und Entfernung des
Brandigen, Abhaltung seines Einflusses auf die gesunden benachbarten Theile;
d) Unterstützung der Lebenskräfte, überhaupt Berücksichtigung des Allge-
meinbefindens durch zweckmässige innere Mittel ; c) endlich sorgen wir für
die Heilung des zurückgebliebenen Geschwürs und suchen wo möglich den
Substanzverlust zu er.setzen. Dass wir vor Allem die etwa noch einwirken-
den schädlichen Ursachen des Brandes entfernen müssen , versteht sich von
selbst. Ausserdem ist hier Folgendes zu berücksichtigen: 1) Man hüte sich
ja, den Theil für schon völlig brandig zu halten, wenn nur Gangränescenz
da ist. Ging eine heftige Entzündung vorher und ein inflammatorisches
Fieber, ist das Subject jung und kräftig, entstand die Gangrän nach äus-
sern Verletzungen, ist noch nicht alle Wärme und Empfindung im leidenden
Theile verschwunden , so kann nur ein angemessenes antiphlogistisches Ver-
fahren und der Gebrauch erweichender Überschläge das Fortschreiten des
Brandes verhüten (^Chelins}. 3) Wird ein entzündeter Theil durch unnach-
giebige Aponeurosen eingeschnürt, so können allein tiefe und grosse Ein-
schnitte der Entwickelung und weitern Ausbreitung des Brandes Grenzen
setzen. 3) Um das wirklich Todte von den gesunden Theilen zu trennen,
sind Einschnitte, Umschläge, antiseptische und eiterbefördernde Mittel etc.
nach Umständen nothwendig. Die Einschnitte mache man bis auf die ge-
sunden Theile, antputire aber nicht, wie ehemals üblich war, den brandi-
gen Theil, da die Natur die Grenze zwischen dem Lebendigen und Todten
besser als die Kunst kennt. In diese Einschnitte streuen wir Pulv*>r aus
GANGRAENA 861
^hina, Kampher, Salmiak, Myrrhe, Cort. salic. , quercus, Alaun u. dergl. ;
B. bei feuchtem Brande folgendes: ^f Snl. anvnoniaci dep., Gumm. viyr-
hac, Camphorae ana Sjj- M. f. pulv. S. Zum Einstreuen in die Einschnitte
Hoppe). Ausserdem wenden wir Foraentationen von Decoct. chinae, quer-
us, salic, hippocast. , mit Zusatz von Roth wein, Spirit. camphorat., Tinct.
>der Extr. myrrhae, von Acid. citri, muriat. , sulphuric. dilut. an. Auch
ler rohe Holzessig ist neuerlich ganz vorzüglich empfohlen worden ; ferner
st das Pulv carbon. ligni til. bei feuchtem Brande sehr gut zum Einstreuen,
ihd dabei gährende Breie, welche Kohlensäure entwickeln, z. B. Bierhefen
u Umschlägen {Most). 4) In vielen Fällen reichen aromatische und feucht-
varme Überschläge und gehörige Reinigung bei jedesmaliger Erneuerung
les Verbandes aus. Dadurch wird am besten der cadaverose Geruch ver-
nindert; dagegen vermehrt ihn häufig das Einstreuen der genannten anti-
eptisehen Pulver, sobald diese nicht bei jedem Verbände entfernt werden;
l^nn wenn sie theil weise vertrocknen und in den Einschnitten sitzen blei-
)en, verhindern sie nur den freien Ausfluss der Brandjauche (CÄe/iws).
)) Wenn der Brand trocken ist, so passen weder Einschnitte, noch nasse
Zementationen; auch die Salze zum Einstreuen sind hier schädlich. Man
.erbinde hier mit Salben reizender Art, mit Unguent. de styrace, Bals. Ar-
;aei , Ol. terebinthinae {Himlij). 6) Hat sich das Todte von dem Gesun-
ien getrennt, was die Furche in der Peripherie des Brandigen anzeigt, so
rerbindet man mit Unguent. digestivum, damit die Eiterung besser von
■Statten geht, der brandige Theil immer mehr zusammenkriecht, zuletzt ab-
fällt und ein reines Geschwür mit Granulationen zurückbleibt, dessen Hel-
ung nach den bekannten Kunstregeln befördert wird (s. Abscessus und
Ulcus). 7) Was die innere Behandlung betrifft, so ist der Brand häufig
mit allgemeiner Entkräftung, Febris nervosa, putrida verbunden; daher hier
besonders Decoct. chinae mit Infus, arnicae, valerianae, serpentarlae, Wein,
Kampher, MineraLsäuren etc. nothwendig sind (s. Febris putrida). Sind
zu Anfange des Brandes Sordes primarum viarum da, so versäume man ja
das Brechmittel nicht. Entsteht nach dem Genüsse des Weins, nach den
reizenden Arzneien, nach Serpentaria , Kampher, schneller Puls, grosse
Unruhe, starke Fieberhitze, so passen sie nicht. Hier dienen innerlich Ar-
nica, Mineralsäuren und eine weniger reizende Diät. Zuweilen ist beim
Brande eine Febris nervosa ercthistica, besonders bei zarten Subjecten, wo
spasmodische Zufälle eintreten. Hier passen Moschus , kleine Dosen Pulv.
Doweri, Sal volatile , Mineralsäuren {Most). Die besondern Arten des
Brandes erfordern manche Modificationen und genauere Berücksichtigun-
gen in der Wahl der Heilmittel; daher ihrer hier besonders gedacht wer-
den muss.
Gangrnena aqunticn. So hat man wol den sogenannten Cancer aquati-
cus oris genannt, der mit der Gastromalacie, der Putrescentia uteri viel
Ahnliches hat, ohne vorhergegangene Entzündung entsteht und wodurch der
leidende Theil in seinen organischen Gebilden ohne Unterschied der Stru-
ctur in eine glutinöse, graulich - weisse oder ulceröse Masse , was auch beim
Hospitalbrande der Fall ist, verwandelt wird (s. Stomacace). Einige
nennen diese Gangrän auch Gangrnena alhescens {Qnesnay) und haben sie
nach starken Blutflüssen als Folge der Depletion und neben allgemeiner
Wassersucht ohne vorhergegangene Entzündung entstehen sehen {Most).
Gnngraena contagiosa. Der contagiöse Brand entsteht entweder
durch Milzbrandgift, oder durch ein schädliches Miasma in Hospitälern, oder
durch Typhuscontagium bei den Verwundeten ; s. Gangraena ex pustula
maligna und Gangr. nosocomialis.
Gangraena ex arlhritide anomaln, der schmerzhafte Brand an den
Füs.sen, entstanden durch anomale Gicht, der Pott'sche Brand. Dieser Brand
ist durch Pott und KirMand zuerst beschrieben (s. PotVs Sänimtl. chir. Werke;
Bd. II.). Er befällt schon Männer, nicht, wie die Gangraena senilis, nur
Greise, besonders solche, welche früher schon an Podagra und Gicht gelit-
ten haben und von Natur sensibel, reizbar sind. Symptome. Heftige
862 GANGRAENA
reissende, brennende Schmerzen am Fusse, als wolle sich dos Podagra ein-
stellen, die oft 8 — 14 Tage dauern. Es erhebt sich nun eine geringe öde-
matöse Geschwulst, die Oberhaut trennt sich bald ab und es bildet sich
ein brandiges Geschwür. Dabei stets Schwächefieber, heftige Schmerzen im
Fusse , keine Ruhe bei Tage und Nacht , sehr frequenter Puls , grosse Mat-
tigkeit und oft schon der Tod durch Erschöpfung , ehe noch der Brand weit
um sich gegriffen hat. Ursache. Anomale, schlecht entwickelte Gicht
bei schwachen, reizbaren Subjecten. Kleine Verletzungen des Fusses, einer
Zehe etc. geben oft die erste Veranlassung. Cur. Innerlich grosse Dosen
Opium (^Pott), äusserlich Breiumschläge von Capit. papav. in Milch gekocht.
KirlJanä gab Opium , abwechselnd mit Kalomel. Die China und die anti-
septischen äusserlichen Fomentationen sind stets nachtheilig.
Gangrnenn ex comImsHonc , Brand durch Verbrennung, durch
Feuer, durch andere chemische Schädlichkeiten: Vitriolöl , kaustisches Kali
etc. Ist in der Regel trocken , erfordert die Cur der Verbrennung im vier-
ten Grade und zu Anfange antiphlogistische und eitermachende Mittel; 8.
Combustio.
Gangraciia ex decuJjüu, Deculitus gangraenosnis , Brand vom Durch-
liegen, Aufliegen, entstanden durch Druck, besonders am untern Thcile
des Rückens bei langwierigem Krankenlager, allgemeiner Schwäche, bösar-
tigen Fiebern, Marasmus. Cur. Man verhütet das Übel durch zweckmässige
äussere und innere Mittel (s. Decubitus). Um verschwärende Resorption
zu verhüten , verbindet man mit Zink - und Bleisalben , vermischt mit Kam-
pher und Opium; bei tiefer Exulcei'ation passen aromatische Überschläge
von Flor, chamomillae, Herb, roris marini, bei wirklichem Brande eine Salbe
aus Eigelb, Ol. terebinthinae und Kampher. Daneben die innere Behand-
lung des Allgemeinleidens.
Gangraenn ex impedita sanguinis circulaiione , Brand durch aufge-
hobenen Kreislauf. Entsteht, wenn Blutgefässe und Nervenstämme ei-
nem zu lange anhaltenden Drucke (durch festen Verband, durch die Ligatur
und Torsion grosser Gcfässe zur Heilung des Aneurysma, durch Tourni(iuet,
grosse Gewächse etc.) ausgesetzt sind, woduich das Fortstroraen des Bluts
verhindert und Tödtung der Nerven veranlasst wird. Cur. Man suche,
wo möglich, die den Kreislauf stöi-enden Hindernisse zu entfernen und die
gleichsam paralysirten Theile durch reizende Eini'eibungen und Fomentatio-
nen zu beleben. Zuweilen gelingt es so , das Auastomosiren der kleinern
Arterien wieder herzustellen, womit schon viel gewonnen ist. Ist schon
Gangrän wirklich da, so behandle man diese, mache aromatische Fomenta-
tionen etc.
Gangraenn ex sugillatione, Brand nach Quetschungen. Entsteht,
wenn ein Theil des Körpers durch bedeutende Gewalt zerstört oder verletzt
worden ist, z. B. wenn durch grobes Geschütz ein Glied ganz weggerissen,
oder bei Scbusswunden Knochen verletzt sind, und dabei die erste Behand-
lung nicht zweckmässig war, oder auch, wenn bedeutende Quetschungen
und Blutunterlaufungen schlecht behandelt worden (s. Ecchymoma). Cur.
Zu Anfange muss das Verfahren im Allgemeinen antiphlogistisch seyn; ört-
lich dienen kalte Umschläge; allmälig gehe man zu den sanft reizenden und
belebenden Mitteln über, wende aromatische spirituöse Fomentationen an,
bis sich gute Eiterung einstellt. Sind Theile ganz weggerissen, so muss
man oft amputiren, und zwar so hoch am Gliede, als man gewiss seyn kann,
dass die Erschütterung und Zersplitterung nicht bis dahin gedrungen i.st.
Knochensplitter und fremde Körper suche man auf gelinde und schickliche
Weise zu entfernen, sonst erregen sie allein oft den Brand, der dann nach
den allgemeinen Regeln zu behandeln ist.
Gangraenn ex pernionihtis , Brand nach Frostbeulen, durch Er-
frieren. Er entsteht am häufigsten dadurch , dass die erfrornen Theile oder
der erfrorne ganze Körper zu schnell dem Wechsel von der Kälte zur Wärme
ausgesetzt worden , was natürlich den örtlichen oder allgemeinen Tod zur
Folge haben muss. Cur. Ist die der in Brand übergehenden Entzündung,
r GANGRAENA 863
also anfangs noch die Antiphlogosis mit Berücksichtigung der Erfrierung (s.
Asphyxie durch Frost und Perniones).
GoAigraena ex pitstnla maliijnn , ex vesicula gnngraenescenic. Der Brand
durch die sogenannte schwarze Blatter oder bösartige Pustel,
welcher mit der Gangraena nosocomialis als Gangraena contagiosa bezeichnet
werden kann , ist Folge der örtlichen Ansteckung durch Milzbrandcontagium.
Zuerst zeigt sich ein rother Punkt, worauf sich schnell ein schwärzliche«
Bläschen , mit weisslichem , \iolettcm Rande und ödematöser Geschwulst um-
geben , bildet. Dabei wenig örtlicher Schmerz , aber heftiges Fieber mit Ir-
rereden, Erbrechen, Ohnmächten. Da die Wolle und das Fell des an dem
Milzbrande oder der Blutseuche crepirten Viehes die Ansteckung mittheilt,
so leiden am häufigsten Metzger, Hirten, Gerber, Wollarbeiter an der
Krankheit. Zuweilen ist nicht immer unmittelbare Berührung zur Ansteckung
noth wendig; der Genuss des Fleisches von solchem kranken Vieh brachte
manchmal gar keine, manchmal sehr gefährliche Zufälle hervor. Ob das
Gift von Älenschen übertragen werden könne, ist noch ungewiss. Cur.
Örtlich Ausschneiden der Pustel, Beizen mit Höllenstein , Glüheisen, Fomen-
tationen von Acid. oxymurlat., Calcar. oxymuriat. ; innerlich anfangs ein Vo-
mitiv oder Tart. emetic. in refr. dosi, bei Sinken der Kräfte Arnica, Ser-
pentaria, Mineralsäuren. Ein Mehreres darüber siehe bei Anthrax.
Gangraena externa. Die Prognose des äussern Brandes ist im
Allgemeinen besser als die des inner n, wo in Folge heftiger ICntzündun-
gen edle Eingeweide in Zerstörung übergehen; doch ist der Brand, wenn
er ein ganzes Glied ergrilfen , häufig auch tödtlich. Der Brand des Ma-
gens, des Gehii-ns, der Lungen kommt in der Praxis höchst selten vor,
weil in der Regel die Heftigkeit der vorangegangenen Entzündung den Tod
herbeiführt, ehe es zum Brande kommen kann. Dagegen ist partieller
Brand der Gedärme, besonders als Folge einer Hernia incarcerata, weit
häufiger. Die wirkliche Gangrän der Innern Theile muss wohl von Mala-
cosis und Melanosis unterschieden werden (^Most) (s. diese Art. und Gan-
graena interna).
Gangraena heluonum , Brand der Schlemmer. Er entsteht nur sel-
ten, stets nur bei Personen, die bei einer sitzenden Lebensart sehr gut es-
sen und trinken. Lange Zeit vorher bemerken solche Menschen viel Träg-
heit, Schläfrigkeit; sie bekommen leicht Adiposis raorbosa und die Symptome
des Brandes sind dann ganz so, wie bei Gangraena senilis (s. unten), nur
mit dem Unterschiede , dass der Verlauf schneller und das Übel meist un-
heilbar ist. Ursachen. Alles, was frühes Alter herbeiführt, besonders
Onanie, Ausschweifungen im Coitus. Auch bei höchst liederlichen Subjecten,
bei Freudenmädchen , bei Päderasten hat man wol diesen Brand nach leich-
ten Quetschungen an den Gliedern , besonders am Fusse , gesehen. Cur.
Innerlich Excitantia, Roborantia, China, gute Nutrientia, Elix. acid. Hal-
leri, stärkende Bäder, daneben äusserlich spirituöse aromatische Mittel.
Gangraena Immida, der feuchte Brand. Er unterscheidet sich vom
trocknen Brande dadurch, dass sich Brandblasen mit reissfarbigem Wasser
bilden, welche platzen und raissfarbige brandige Geschwüre, mit vieler stin-
kenden, die nahen Theile zerstörenden Jauche erfüllt, bilden. Werden diese
fauligen Säfte in die allgemeine Säftemasse des Körpers eingesogen, so kann
dadurch secundär ein recht bösartiges Faulfieber entstehen, das dann meist
mit dem Tode endet. Um diese Resorption zu verhüten, wenden wir die
austrocknenden antiseptischen Pulver zum Einstreuen an, z. B. i^ Carhoiu
lign. tu., Gummi myrrh. , Cort. chinac rulr. ana 5jj- M. f. p. , und sorgen
dafür, dass die Jauche durch tägliche Reinigung des Verbandes und der
Einschnitte gehörig abfiiessen kann. Ausserdem leistet Folgendes zugleich
als Fomentation gute Dienste : I^ Cort. quere, concin. ^jjj , Coq. c. aq. fon-
tan. gjj, ut rem. fij, col. adele Acidi pyro-lignosi 5J. M. S. Mit Compres-
ßcn überzuschlagen (M.).
Gangraena interna. Der innere Brand kann in allen Höhlen und
Eingeweiden stattfinden als Folge eines hohen Grades von Entzündung.
864 GANGRAENA
Einige nennen auch die Malakosen, die neuroparalytischcn Entzündungen
(nach Auteitrielh) , die Neurophlogosen (nach Schöiücin) Gangnän , aber mit
Unrecht, z. B. die Franzosen die Lungenerweichung Gangiene du pouniou
(Lacnnec, Gendrin, Bayle) ; denn hier geht keine Entzündung vorher, ebenso
wenig als bei der Gasti'omalacia infantum (s. Malacosis pulmonum etc.).
Die Symptome, welche den Übergang heftiger innerer Entzündungen in
Brand anzeigen, sind: plötzliches Verschwinden aller Schmerzen, ein gerin-
gerer oder stärkerer Schüttelfrost, das täuschende Gefühl von Wohlbefin-
den, Heiterkeit des Gemüths, Geistesklarheit (besonders bei Gangrän im
Unterleibe), sehr kleiner, schwacher, kaum zu fühlender Puls, kalte Extre-
mitäten, kalte Schweisse etc. und der Tod binnen 2* Stunden. Cur. An
Rettung des Kranken ist bei wirklich eingetretenem Innern Brande nicht zu
denken, nur durch Verhütung dieses Zustandes, durch richtige Behandlung
der Inüammatio interna, der Pneumonie, Gastritis, Hepatitis, Enteritis,
Encephalitis etc. können wir das Leben retten. Dass der Lungenbrand nicht
immer die Folge eines hohen Grades von Pneumonie, sondern zuweilen nur
in einer eigenthümlichen Modification der Entzündung begründet sey, dafür
sprechen die Beobachtungen, dass robuste Männer wochenlang an Blutspeien
und Husten ohne bedeutendes Fieber litten , und plötzlich die Expectoration
höchst stinkend wurde und durch kein Mittel zu verbessern war, worauf
bald der Tod folgte und die Section den Lungenbrand nachwies (s. .7. L.
C. Schröder van der Kolk, Observat. anatondco - pathologici et practici ar-
gumenti. Amstelod. 1826. Fascicul. I.).
Gangracna metnstatica , der metastatische Brand. Ist eine sehr
seltene Erscheinung, tritt fast immer schmerzlos auf und macht sich da-
durch bemerkbar, dass er mit dem Gefühl von Kälte, Taubheit, Einge-
schlafenseyn und Schwere des Gliedes erscheint, worauf dann gewöhnlich
schon eine bedeutende Portion der untern Extremität missfarbig und kalt
gefunden wird. Dieser Brand beginnt an den Fusszehen , geht bald über
den ganzen Fuss , schreitet nach Oben über das Knie , der ganze Schenkel
wird bleifarbig uud schwarz, beim Einschneiden kommt nur wenig schmu-
zige Jauche ; er ist also ganz dem Sphacelus analog , der ohne vorherge-
gangene Entzündung entsteht. Cur. Innerlich und äusserlich die kräftig-
sten Excitantia, Roborantia, Antiseptica (s. Cooper's Handb. d. Chirurgie;
Art. Mortification. Tho7nson, Über die Entzündung. A. d. Engl, von
Kruclenhcrg. Halle, 1820 u. 1821; Bd. II. S. 288).
Gangraenn nosocomialis , der Hospitalbrand. Er entsteht gewöhn-
lich an solchen Orten, wo viele Kranke und Verwundete zusammengedrängt
sind und wo das Contagium des Typhus , Fleckfiebers , auf die Wunden und
Geschwüre der V'erwundeten einwirkt, daher vorzüglich in grossen Lazare-
then , Hospitälern , zur Kriegszeit. Aber auch ausserdem kann durch inficirte
Kleidungsstücke, Bandagen, Charpie das Contagium verschleppt werden
und, kommt es mit Wunden in Berührung, die leichteste Verwundung,, das
unbedeutendste Geschwür brandig machen. Dass Luftconstitution , Witte-
rung und Klima auf die Entwickelung und den Charakter des Hospitalbran-
des Einfluss haben, leidet keinen Zweifel; ja, zuweilen scheint sich neben
Unreinllchkeit dadurch allein ein Miasma zu entwickeln, das diesen Brand
erregt, ohne dass ein wirkliches Typhuscontagium nachgewiesen werden
kann (Most). Der Verlauf dieses Brandes ist im Allgemeinen folgender:
Die wunden Stellen werden schmerzhaft , die Ränder schwellen an , werfen
sich etwas um und bekommen ein röthlich- blaues, violettes, schwärzliches
Ansehn, und der Grund der so inficirten Wun(^en und Geschwüre ist mit
einem klebrigen, schmuzigen , aschgrauen Schleime überzogen, der eine
wirkliche, halb durchsichtige, mit der Oberfläche der Wunde ziemlich fest
zusammenhängende Membran bildet, welche an Dichtigkeit und Ausdehnung
zunimmt und die Ursache des graulich- weissen Ansehns der Wunde ist.
Man kann diese Masse nicht von letzterer abstreifen , da sie mit ihr fest zu-
sammenhängt. Die Eiterung hört auf, statt ihrer tritt eine bedeutend starke '
Absonderung von Jauche ein, die einen hö<:hst ekelhaften, eigenthümlichen
GANGRAENA 865
Geruch hat , dei- nicht zu verkennen ist , wenn m^ ihn einmal gerochen-
hat. Die Verderbniss der umliegenden Theile greift nun rasch um sich, sie
gerathen schnell in einen höchst aufgelöi^ten Zustand,- es treten bedeutende
Blutungen ein, die zuweilen tödten;- doch stirbt der Kranke meist an dem
Allgemeinleiden, an dem herrschenden Typhus contagiosus. Das Fieber,
■welches sich bald mit den örtlichen Erscheinungen des Brandes verbindet,
kündigt sich nämlich zuerst an durch Appetitlosigkeit, Druck in der Herz-
grube, Ekel, Erbrechen, Schlaflosigkeit, schnellen, mehr schwachen als
vollen Puls, heisse Haut, grosse Angst, Unruhe, Delirien, anfangs Leibes-
verstopfung, später durch erschöpfende Durchfälle, bei längerer Dauer de«,
Übels durch Febris hectica mit den Zufällen der CoUiquation. Der Hospi-
.^talbrand ist von den scorbutischen Complicationen der Wunden und Ge-
schwüre ganz verschieden; in einigen Fällen sah man ihn ohne vorherge-
gangene Verletzungen in Form kleiner entzündeter Blüthen oder Bläschen
entstehen (Thomson}; in andern Fällen war der Charakter des Übels, wahr-
scheinlich durch den Einfluss der rein entzündlichen Luftconstitution , ent-
zündlich. In solchen Fällen zeigt sich ein rother Ring um die Wunde, der
Schmerz ist heftig und klopfend, der Puls schnell und gespannt, und die
eintretenden Blutungen erleichtern sehr. Die Prognose ist im Allgemei-
nen schlimm , weil in den meisten Fällen die ganze Säftemasse vom Typhus-
contagium ergriffen ist. Cur. 1) Das Wichtigste ist Verhütung des Hospi-
talbrandes als einer schlimmen Complication zu Wunden und Geschwüren.
Höchst nothwendig ist hier die Sorge für Reinigung der Luft durch Venti-
latoren, durch übersalzsaure Räucherungen, durchs Aufhängen grosser, in
Solutio calcariae oxymuriaticae angefeuchteter Tücher in den Krankenzim-
mern , sobald sich die ersten Spuren des Nosocomialbrandes zeigen , durch
die grösste Reinlichkeit beim Verbände. Die Chlorkalkauflösung wird bef
jedesmaligem Eintauchen der Tücher stark umgeschüttelt oder umgerührte
Sie besteht aus: fy Calcariae chloratae (seu Calc. oxtjmurint., seu Ckloti
calcariae I'h. Borttss.') Sf^, Aquae fontan. Sx — xjj. M. 2) Äussern sich an
der Wunde die ersten Symptome des Brandes, so gebe man innerlich, be-
sonders wenn gastrische Sordes da sind , ein Vomitiv , hirtterher ein gelin-
des Laxans aus Lifus. sennae, Rheum und Sal Glauberi (Pouteau, Ditssatis-
soj/), wodurch wir oft allein dem Fortschreiten der Krankheit Einhalt thünt
Hinterher passen innerlich Wein in kleinen Portionen, Mtneralsäuren. S) Was
die örtliche Behandlung der Wimde betrifft , so passen zu Anfange Wasdhuö-*
gen und Verbinden mit gutem Essig, worin die Charpie angefeuchtet 'wor-
den. Ist der rothe Rand da, so mache man zugleich Umschläge von Cä-
rottenbrei , Bierhefen. Schreitet das Übel dennoch fort oder ist das Ansefiti
der Wunde mehr ödeniatös als entzündlich, so verbinde man mit Chlorkalk-
auflösung, z. B. I^ Calcar. oxymurint. 3II, solve Aquae fontanae ^xvj, Cbl'a:^
Auch das Acid. pyro-lignosura hat man hier mit Nützen angewandt^ des-
gleichen eine Solutio arsenici albi. Bekommt die' Wunde darnach keiii bes-
seres Ansehn , so säume man ja nicht , das Glüheisen anzuvyenden , und .zwar
recht kräftig auf die ganze Oberfläche der geschwürigen Stelle. Den Brand-
schorf verbindet man dann mit einer Salbe aus Terpenthin und Chinaj^ulver
mit etwas Salmiak, z. B. ^f Ol, ierehinthinae ^ij, Cort. cJnnae pM?i>. 3jjj,
Sal. ammon. dep. 5j- M. f. unguent. S. Zum Verbinden. Hat er sich gi?r-
löst und das Geschwür ein schlechtes Ansehn , so wiederholt man dije Ap-
flicatlon des, Glüheisens oder betupft die ganze Fläche mit Lapis infernahs.
st aber das Ansehn des Geschwürs besser, so verbindet man nlit BälSf. Ar-
caei , wozu etwas Präcipitat gemischt worden. Einschnitte dürfen hier liie-
mals gemacht werden, ebenso wenig wie bei der Gangraena senilis.
Gnngraena senilis, der schmerzlose Brand an den FuSszehen
der Greise. Er befällt meist nur abgelebte Greise im hohen Alter- oder
solche , die früh alt geworden sind und am Marasmus senilis leiden. Er
tritt fast immer ohne Entzündung auf, fast immer zuerst an der grossen
Zehe, seltener am Knöchel. Ein Gefühl von Lähmung, Schwere, Kälte im
Gliede geht vorher, die schmerzlose Stelle wird schwarz, brandig, ohne
Most Encyklopädi«. 2te Aafl. I. 55
8G6 GANGRÄENESCENTIA — GASTERALGIA
dass der Kranke es einmal g'ewahr wird; gie schrumpft zusammen, winl
aschgrau j mumienartig. Ursachen. Sind die des Marasmus senilis, die
Gebrochen des Alters: Abnahme der Lebenskraft, der Recepti\'ilät, Ver-
knöcherung der kleinen Blutgefässe, Störung in der Circulation etc ; die
nächste Ursache dieses Brandes ist also Atrophie, Absterben des Gefäss-
systems durch Rückbildung, besonders ein Absterben des arteriellen Systems
(s. Ballinif in v. Grafe^s und Wnlthers Journal f. Chirurgie etc Bd. XFV.
Hft. 1. S. 32. 1830). Gewöhnlich fühlen sich solche Greise vor dem Aus-
bruche des Übels schon längere Zeit kalt, stumpfsinnig; sie sind reizlo*,
mürrisch, schläfrig, leiden an Leibesverstoi)fung. Männer sind dem Übel
häufiger unterworfen als Frauen. Cur. Das Übel ist zwar nicht plötzlich
lödtlich, kann gegentheils viele Wochen dauern; aber dennoch ist es sel-
ten heilbar , sondern ein Vorbote des Todes aus Altersschwäche. Kräftige
Fleischbrühen, guter alter Wein, aromatische Bäder, der tägliche Genuss
der freien Luft verhüten bei Greisen diesen Brand am ersten. Ist er da,
so geben wir innerlich belebende, stärkende Mittel: Wein, China, gute
Nutrientia, verbinden äusserlich mit Bals Arcaei , Unguent. de styrace, wo-
durch das Leben wol noch einige Zeit hingehalten wird.
Gnvijrncna scorhuiica. Er kommt bei höhern Graden des Scorbuts vor,
besonders im Munde, darf nicht mit der brandigen Scharlachbräune ver-
wechselt werden (s. Angina gangraenosa, maligna) und erfordert
die antisrorbutische Behandhing (s. Scorbutus), innerlich China und Mi-
neralsäuren , äusserlich Decoct. quercus mit Alaun etc.
. Gnngraena sicca, s. Gangraena,
Ganyraena spnsmodica , der krampfhafte Brand, auch der Whytt'-
sche Brand genannt, weil Dr. U'hytt ihn zuerst beschrieben. Er befallt
schwache reizbare Subjecte, die durch Säfteverlust aller Art: grosse Eite-
rungen, Samenverlust, durch anhaltendes Nachtwachen etc. höchst ge-
schwächt worden sind. Symptome. Oft nach vorhergegangener, höchst
unbedeutender Verletzung, oft ohne diese, entstehen heftige Schmerzen im
Gliedp, Geschwulst, Röthe, schneller Brand; dabei harter, kleiner, ge-
schwinder Puls, dürre, trockne Haut, eben solche Zunge, Ekel, Erbrechen,
Druck in der Herzgrube, es folgen schnell Delirien, Ohnmächten, Sehnen-
liüpfen, allgemeine Convulsionen und alle Zufälle, wie bei Gangraena ex
jjustula maligna. Cur. Innerlich flüchtige Excitantia, z.B. \^' Moschi ojiti-
mi, Snl. vtilnt. c. c. ana gr. iv, Sncihnri aVii 9j. M. f. p. disp. dos. xjj. S.
Stündlich ein Pulver mit Wasser. Erfolgt ein allgemeiner warmer Schweiss
darnach, so steht der Brand still, der Kranke ist gerettet und bedarf nun
reizend -stärkender Mittel: Valeriana mit Calam. arom. als Infusion, mit
Decoct. chinae , Wein etc. Äusserlich wenden wir anfangs die Pott'schen
Breiumschläge von Mohnköpfen in Milch gekocht an; später die andern,
nach den Liuständen auszuwählenden Aniiseptica. Cliristinn Hoftpe.
■ " ^' Clang^raeneseeittla, Ganffrncnosis. Ist der anfangende heisse Brand,
«.•'Gangr a ena.
Ct^ar^alismns, das Kitzeln, besonders das naturwidrige, wie die
Onanie, Nymphomanie. Einige Neuere verstehen darunter auch den thieri-
8chen Magnetismus; s. Titillatio, Onania, Nymphomania, Magne-
ti.smuä animalls.
. Ciarg^arisina » ein Mittel zum Gurgeln (Gargarismus), z. B.
Mund- und Gurgelwasser, die zur Reinigung des Älundes von Schleiua,
Blutete bei Krankheiten der Mundhöhle, bei Angina, Stomacace, Morbus
haemorrhagicus Werlhofü etc. angewandt werden (s. d. Artikel).
Oasteralg^ia , Mügenschmers. Unter dieser unbeMimmten Be-
nennung, die viele ftlen.schen überhaupt für Bauchschmerz, Bauchweh neW-
luen , vorstehen Einige jeden heftigen Magenschmerz ohne Neigung zu Ohn-
mächten und ohne Fieber (Gastrodynia), der von Digestionsfehlorn, durch
gastrische Reize ; Sordes, Magensäure, scharfe Galle, Überladung mit schwer-
GASTERANGEMPHRAXIS — GASTRERETHISIA 867
verdaulichen Speisen, Wurmreiz etc entsteht. Andere nennen so den voa
organischen Fehlern , von Scirrhositäten des Magens , von Magensteinen her-
rührenden Magenschraerz. Der praktische Arzt wird sich nicht blos an das
Symptom , den Schmerz halten , sondern die Ursachen desselben erforschen
und dagegen seinen Curplan richten. Mac Adam (s. Behrendts Repertor.
1834. S. 63) sagt mit Recht: „Was die Gastrodynia neuralgica betrifft, so
ist sie oft mit Gastritis verwechselt und dem Kranken dadurch viel Unheil
zugefügt worden, da die Behandlung, welche für letztere passt, gegen er-
stere Nachtheil bringt. In der Gastr. neuralg. wird der Schmerz durch
äussern Druck eher gemindert, als vermehrt oder gesteigert, — er macht
regelmässige Intermissionen, die Zunge ist weiss, der Appetit meist stärker,
als gewöhnlich, der Schmerz wird durchs Essen oft gemindert, — er er-
neuert sich alle 2 Stunden nach dem Essen, Diarrhöe ist selten, meist hart-
näckige Obstr. alvi zugegen ; der Urin ist bleich , wird häufig und in klei-
nen Portionen gelassen. Die Krankheit dauert Jahre lang ohne besonderes
AJlgemeiuleiden oder Fieber; zuweilen sind Dyspnoe, Herzklopfen, ziehende
Schmerzen in den Armen da. Bei Gastrodynia inflammatoria (Gastritis) ist
der Schmerz selten so heftig als bei der Gastrodynia nervosa ; er steigert
sich durch Druck, hat keine deutlichen Intermissionen, verschwindet nie ganz;
die Zunge ist dick belegt mit rother Spitze und solchen Rändern; der Durst
nach kalten Getränken ist sehr gross, der Appetit ist schlecht, die Zufälle
verschlimmern sich gleich nach genossener Nahrung, der Urin ist hochroth
und häufig, und oft ist Diarrhöe zugegen."
Clasterang^emptiraxiiSl, Gasterangiemphmwis, der Magenin farct-
Ist Überfüliung der Blutgefässe des Magens, wodurch der sog. Infarctus
dieses Theils entsteht; s. Infarctus.
Oasterataxia. Ist jeder krankhafte Zus^find der Gewebe der Ma-
genhäute.
Oastrencliyta, die Magen spritze. Ist ein höchst nützliches In-
strument zum Einspritzen und Auspumpen, um schädliche Stoffe und Flüssig-
keiten, die sich im Magen befinden, zu verdünnen und auszuleeren. Ein
elastisches Rohr von Gummi elasticum, welches mit Öl bestrichen und dann
in den Magen gebracht wird, befindet sich an der metallenen Spritze, wo-
durch man z. B. bei verschluckten Giften zuerst lauwarmes Wasser einspritzt,
dasselbe dann wieder heraufholt, wieder Wasser einspritzt, und so mit dem
Einspritzen und Heraufholen bei ruhig liegen bleibendem Rohr (denn die
Construction der Spritze ist schon dazu eingerichtet) so lange fortfährt, bis
die Einspritzungen ohne fremdartige Stoffe ganz rein wieder heraufkommen.
Sehr vorzüglich ist die Magenpumpe vom Mechanicus Weiss in London, von
deren Zweckmässigkeit ich mich in mehreren Fällen von Vergiftung selbst
überzeugt habe (vgl. Asphyxia durch Gift und Intoxicatio).
C^astrenteromalacia. Ist Erweichung des Magens und der Därme.
S. Gastr ontalacia.
Gastrepatitis* Ist Complication einer Gastritis mit Hepatitis.
Oastrerettlisia , Irrilatio systematis gastrici y krankhafte Rei-
zung des gastrischen Systems, d. i. des Magens und der übrigen
■Verdauungswerkzeuge. Sie ist häufig die Veranlassung zu gastrischen Lei-
den, zu Entzündungen des gastrischen Systems, kann primär oder secundär
seyn , ist häufig gleichzeitig bei gastrischen Leiden zugegen , ohne letztere
veranlasst zu haben, häufig die Folge von Sordes primarum viarum, von
Saburra etc. Nur insofern verdient sie die Berücksichtigung des Arztes, als
die Heilmittel bei gastrischen Leiden nach dem stärkern oder schwächern
Grade dieser Reizung ausgewählt werden müssen. Rührt sie von scharfen
und unverdauten Stoffen her, so wird sie durch ein Vomitiv und durch
Emulsionen, die später gereicht werden, am besten gehoben (s. Febris
biliosa, gastrica). Bei entzündlichen Leiden des Darmcanals ist sie ein
ät«ter Gesellschafter, der mit Hebung der Entzündung in der Regel ver-
55*
86B GASTRICISIVTÜS — GASTROBROSIS
Bchvrindet. Oft bleibt aber noch eine Gastrerethisia spastica zurück , wel-
che durch gelinde demulcirende Mittel: Emuls. amygdal. dulc. , Einuls. seni.
papav. albi, und' durch eine vorsichtig ausgewählte Diät mit Vermeidung
aller schwerverdaulichen, sauren, salzigen und scharfen Dinge, am besten
gehoben wird.
CrastriciSfnus» der Gastricismus. Ist diejenige medicinische An-
sicht, weiche alle oder doch die meisten Krankheiten von Unreinigkeiten im
Magen und Darmcanal, die die Gastriker selbst mit dem Worte Gastricismus
bezeichnen, herleitet, und durch Brech - und Purgirmittel zu heilen sucht.
Mag diese Lehre von Brownianern und Naturphilosophen immerhin dem
Spotte preisgegeben worden seyn , so lehrt doch eine ruhige Beobachtung
der Krankheiten in verschiedenen Weltgegenden und die Erfahrung hoch-
verdienter Ärzte, eines Tissot, Richter, Sloll, Vogel u. A., wenigstens Folgen-
des: 1) Es giebt Zeiten und Witterungseinttüsse , welche den gastrischen
Krankheiten so ausserordentlich günstig sind, dass alle fieberhaften, zum
Theil auch viele chronische Krankheiten den gastrischen Charakter anneh-
men (s. Constitutio). Dies war z. B. in Nord- und Westdeutschland
besonders in den Jahren 1760 — 1790 der Fall, und gegenwärtig herrscht
dieser Charakter, vermischt mit dem nervösen, wiederum seit dem Jahre
18:26 vor (s. Febris nervosa u. Febris inter mitten s). 2) Es giebt
Länder und Gegenden , wo die Unmässigkeit im Essen und Trinken recht
zu Hause ist. Dahin rechne ich vorzüglich Norddeutschland, besonders Ham-
burg, Lübeck, Mecklenburg, Pommern, den ganzen Länderstrich an der Ost-
see bis Königsberg und weiter hinauf. Hier sind die gastrischen Übel stets
Torherrschend. Dagegen beobachtet man sie seltener in Sachsen, Baiern,
Würtemberg, in ganz Süddeutschland und in Frankreich, wo die Menschen
massiger leben und ein froheres Gemüth, leichtes Blut und leichten 8inn
besitzen. 3) Die grossen Influenzepidemien, wie sie in den Jahren 1742,
3762, 1782 u. f. herrschten, scheinen die Neigung zum gastrischen Krank-
heitsgenius zu begünstigen , sowie denn auch die Epidemie vom Jahre 1782
häufig galliger Natur war (vgl. S. G. VogeVs Handbuch d. prakt. Arznei-
wissenschaft. Th. n. S. 278). 4) Dasselbe scheint bei jedesmaligem Auf-
treten der grossen Wechselfiebcrepidemien , die ungefähr in 20 — ;i5 Jahien
zeither ihren Cyklus machten, der Fall zu seyn (s. F'ebr. intermittens).
OastrifSmiU , weniger richtig Gastricismus. So nennt man die
ÜberiüUung des Magens und die dadurch entstandenen Unreinigkeiten; s.
Febris gastrica, saburralis.
C^astritis, die Magenentzündung, s. Inflammatio ventriculi.
Crastroataxia acida, Pyrosis, S ä u r e b i I d u n g in den Digestions-
organen. Sie kommt am häutigsten bei Kindern und Greisen , ausserdem bei
spastischen Constitutionen, bei Hysterischen, bei Hjpochundristen vor. Eine
gute, mehr animalische Diät, der innere Gebrauch der Magnesia, der Ocul.
cancror. , besonders aber der bitle;n Extracte mit etwas Sal tartari nnd
Tinct. rhei in aromatischen Wassern sind die besten Hülfsmittel (s. Absor-
bentia, Amara, Dyspepsia).
GastrolirOKis et £nterobro.<^is , Buptura seu Perforatio ventri-
culi et Ruptura inlestinoruin , Durchlöcherung des Magens, Durch-
löcherung der Gedärme. Diese ähnlichen Übel können entweder durch
mechanische Verletzungen des Magens und der Gedärme, oder spontan durch
Krankheit der Magen - und Darmhäute entstehen. Die erstere Art überge-
hen wir hier (s. V'uln er a stom a,c hi, in t esti no rum) und betrachten
uur die spontane Durchlöcherung der genannten Theile (Gastrobrosis und
Enterolrosis npoiitancn). Am häufigsten ist die spontane, aus Innern Ursa-
chen entstehende Durchlöcherung des Magens, diese äusserst merkwürdige,
\)'is zur neuesten Zeit noch wenig aufgehellte pathologische Erscheinung,
beobachtet, die Enterobrosis spontanea dagegen seltener gesehen worden.
Ein Fall der letztern ist anderswo in diesem Werke aufgeführt worden
GASTROBROSIS 869
(s. ConTolvulns). Mehrere Fälle der Gastrobrosis spontanea finden wit
unter den Benennungen Pcrforatio, Diabrosis, Erosio ventriculi in altern und
neuern Schriften aufgeführt (s. v. Swieten, Comment. in Boerhaavii Aphor.
T. III. Hildburgh. 1754, p. 150, Misceil, german. Vol. III. cas. 3. p, 170,
P. BoreUus, Observ. med. phys. Cent. I. obs. 66. A. Wenclcer, Diss. sistens
observ. de virgine, ventriculum per viginti tres annos perforatum alente. 1735.
Olberg in ReiVs Archiv f. Physiologie. Bd. IV. S. 380. Lovell in American
Recorder. 18 i5. Corrinl in Journ. des Savans. an. 1688. Bonnet, Sepulchret.
Lib. III. sect. 7. obs. S. Braun in Sammlung auserlesener Abhandlungen f.
prakt. Ärzte. Bd. VII. S. 622). Die ausführlichsten Nachrichten über die-
ses merkwürdige Übel, woran auch Napoleon auf St. Helena seinen Tod
fand (s. Napoleon Buonaparte's Krankheit, Tod und Leiche. Nach dem
Berichte seines Leibarztes Arnott etc. A<is d. Engl. ül)ers. Leipzig, 1823.
S. 25), finden sich in folgenden Scliriften: Dictionnaire des Sciences m6di-
cales. Tom. XL. Art. Perforation. Medecine legale, par Ledmx , Renard,
Lesne et Rieux, Paris, 1819. Becker in Hufelancfs Journ. 1827. St. 3, 4 u. 5.
Der Geh. Medicinalrath Becker zu Parchim theilt hier einen merkwürdigen
Fall mit, wo ein 23jähriges Mädchen durch spontane Durchlöcherung des
Magens einen schnellen Tod fand. Seine dieser Krankengeschichte ange-
hängten Bemerkungen über Gastrobrosis überhaupt und ihre verschiedenen
Arten sind mit vielem Scharfsinne entworfen, und verdienen dort von jedem
Arzte nachgelesen zu werden. Ich werde das Wichtigste daraus hier im
Auszuge mittheilen ; denn wenn auch die spontane Gastrobrosis eigentlich
nur das Finale verschiedener Magenleiden ist, und fast immer hier die Hülfe
des Arztes, besonders wenn die Magencontenta erst in die Bauchhöhle ge-
treten sind , zu spät kommt, so ist es doch höchst wichtig , die aus den bis-
herigen Erfahrungen entlehnten Resultate kennen zu lernen, die diesen un-
glücklichen Ausgang verkünden. Nur auf diese Weise wird es möglich seyn,
ihm vielleicht durch zeitige Kunsthülfe vorzubeugen. Symptome der
Gastrobrosis und Enterolfl'osis spontanea, als Folge des Ergusses der Con-
tenta in die Bauchhöhle. Sie sind so constant, eigenthümlich und charakte-
ristisch, dass man das Übel nicht verkennen wird. 1) Ein plötzlich, häufig
bei vollem Gefühle des Wohlseyns entstehender, anfangs dem Gefühle dea
Kranken nach blos auf eine kleine Stelle sich beschränkender, ganz eigen-
thümlicher Schmerz, der sich von den oft früher erlittenen Magen - und
Kolikschmerzen deutlich unterscheidet, äusserst heftig ist, sich allmälig über
den ganzen Unterleib, zuweilen auch nach dem Rücken und den Schultern
hin verbreitet und ohne irgend eine Unterbrechung bis zum Tode, der in
der Regel innerhalb 24 Stunden erfolgt, fortdauert. Kein äusseres oder in-
neres Mittel vermag diesen Schmerz zu heben, ja nicht einmal zu lindern.
Während dieses fürchterlichen Schmerzgefühls bleibt das Bewusstseyn klar
bis zum Tode, wie dies bei allen acuten und chronischen reinen Unterleibs-
übeln der Fall zu seyn pflegt {Most). 2) Eine eigene Entstellung und Ver-
zerrung der Gesichtszüge als Folge dieses Schmerzes. 3) Schon beim ersten
Entstehen des Schmerzes hat der Kranke gleichzeitig das Gefühl einer tiefen,
tödtlichen Verletzung, einer plötzlichen Vernichtung der Kräfte, mit dem
Vorgefühl des bald erfolgenden Todes. 4) War Würgen und Erbrechen ein
Vorbote der Gastrobrose, was oft der Fall ist, so hört es mit dem eigeu-
thümlichen Schmerze fast immer auf. 5) Gleichzeitig mit dem Anfalle de«
Schmerzes ziehen sich die Bauchmuskeln krampfhaft zusammen, und der
Unterleib fühlt sich anfangs steif und hart an. Späterhin wird er ganz
weich und tympanitisch aufgetrieben (Folge der ins Cavum abdominis er-
gossenen Stoffe, der genossenen Nahrungsmittel, der Getränke, Arzneien,
der Gasarten etc.). 6) Häufig ist der Durst unauslöschlich; viele Kranke
empfinden beim Trinken Erstickungsgefühl, wenn sie dabei aufrecht sitzen.
Es entsteht Dyspnoe als Folge der Tympanitis , und , hat der Kranke viel
getrunken, ein sonderbares, eigenthümiiches Gefühl des augenblicklichen
Nachfolgens einer schweren Masse im Unterleibe nach der Seite, auf wel-
che der Kranke sich im Liegen wendet. 7) Gefühl von Kälte im Unterleihe,
870 GASTROBROSIS
kühle Haut, Marmorkälte der Extremitäten. 8) Der Puls ist anfangs oft
normal, späterhin jedesmal schnell, bald härtlich, bald schwach. Ausgänge.
Bei wirklichem Erguss der Contenta in die Bauchhöhle erfolgt immer der
Tod und kein Mittel in der Welt kann die Qualen des Unglücklichen lin-
dern. Die Section zeigt deutlich die nach den Ursachen und Arten der
Gastrobrosis verschieden beschaffene Durchlöcherung einer oder mehrerer
Stellen des Magens, oder des Darms, besonders des Dünndarms (Louts),
den Erguss der Contenta und in Folge dessen zuweilen Spuren von Ent-
zündung (s. unten). Erfolgte der Erguss der Contenta aber nicht, in wel-
chen Fällen die Krankheit weniger heftige Symptome (keine Zufälle von
Tympanitis, Dyspnoe etc.) äussert, traten besondere Umstände ein, die den
Erguss verhüteten, so wurde wenigstens der plötzlich erfolgende Tod ab-
gewandt und in einzelnen Fällen lebten die Kranken noch Jahre lang nach-
her. „Untersuchen wir, sagt Becker a. a. O. , diese Umstände genauer, so
werden sich folgende verschiedene hierbei stattfindende Fälle unterscheiden
lassen; 1) Wenn eine phlegmonöse, erysipelatöse , ia selbst, wie dies meh-
rere der bekannt gemachten, wiewol seltneren Beobachtungen beweisen,
eine chronische Gastritis an einer oder mehreren Stellen in Ulceration über-
ging , vor dem Beginn der Eiterung aber , oder gleichzeitig mit dieser,
durch die Exsudation der coagulablen Lymphe eine Adhäsion der Magen-
häute mit den benachbarten Theilen bewirkt w ard. Geschieht dies , so ist
überhaupt der Erfolg doppelt: entweder zerstört der Eiter, wenn der Eite-
rungsprocess fortschi-eitet , nachdem die Magenhäute durchfressen sind, nun
auch diejenigen Theile, mit denen die Adhäsion derselben stattfand, \»vraus
sehr mannigfaltige Erfolge entstehen können ; oder das Fortschreiten der Ei-
terung wird unter sehr günstigen Umständen beschränkt, aufgehalten, und
es entsteht durch die Heilkraft der Natur eine wirkliche Anheilung und Ver-
narbung der perforirten Stelle. In den Fällen, in denen eine Adhäsion der
Magenhäute mit den benachbarten Theilen stattfand, lassen sich, nach der
Verschiedenheit der Stelle der Adhäsion sowol als der von der Ulceration
ergriffenen Theile , den bekannten Beobachtungen gemäss , mehrere ganz
verschiedene Zustände unterscheiden." Hier führt Becher folgende an :
fl) War die vordere Wand des Magens der Sitz des Abscesses oder der
chronischen Exulceration , und war in Folge der entzündlichen Adhäsion eine
Verwachsung der vordem Magenwand mit dem Peritonealüberzug derselben
und dadurch mit den Bauchmuskeln erfolgt, so bahnt sich der Eiter einen
Weg nach Aussen und es bildet sich eine Magen fistel, wobei der Mensch
Jahre lang leben kann, h) War die der Leber zugekehrte Seite des Ma-
gens der Sitz der Vereiterung und der dadurch veranlassten Gastrobrose,
so fand man nicht selten eine Verwachsung der Magenhäute mit der Leber,
wodurch der Erguss der Contenta verhütet und das Leben gerettet ward,
c) In mehreren Fällen fand man Verwachsung der Magenhäute mit dem
Pankreas, d) Seltener erfolgte Verwachsung des Magens an seinem Milz-
ende mit dem Zwerchfell. Es erfolgt bei dieser Gastrobrose kein Erguss
der Contenta, es sey denn, dass die Zerfressung auch an der correspondi-
renden Stelle des Diaphragma stattfindet, wo durch Austretung des Magen-
inhalts in die Brusthöhle der baldige Tod durch Erstickung erfolgt, e) Hal-
1er fand einst eine Verwachsung des Magens mit dem Colon, wo die per-
forirte Stelle des Magens sich ins Colon endete und deshalb kein Erguss in
die Bauchhöhle stattfinden konnte, f) Verschliessung des Lochs im Magen
durch die vereiternde Milz, wo höchst wahrscheinlich die Vereiterung vom
Magen zur Milz übergegangen war. 2) In andern Fällen wurde der Erguss
der Contenta in die Bauchhöhle dadurch verhindert, dass eine Geschwulst
die durchlöcherte Stelle des Magens verstopfte, worüber merkwürdige Fälle
aus den Schriften verschiedener Autoren bei Becker nachzulesen sind. Ja
einem seltenen Falle endete die perforirte Stelle des Magens in einen häu-
tigen Sack , und dieser verhinderte das Austreten der Conteutaj (s. Henning
in Hufelnnd's Journal, Bd. XXV. St. 1 , S. 130). 3) Einzelne Fälle sind
beobachtet, wo bei Gastrobrcse keiner der angeführten Umstände zur Ver-
GASTROBROSIS 871
bütung des Ergusses dor Contenta stattfand, und dieser Erguss, merkwür-
dig genug, dennoch nicht erfolgte (s. Morgaiini, De sedibus et causis mor-
borum. Epist. XXIX. Nr. 14. Salzb. medic. - chirurg. Zeitung, 1816;
Bd. II. S. 29). 4) Nicht immer zeigte die Section eine eigentliche Durch-
löcherung der Magenhäute, sondern zuweilen nur einen Riss, der den Py-
Jorus vom Duodenum trennte, wodurch die Contenta des Magens sich in die
Bauchhöhle ergossen (s. Rahii's Briefwechsel; Samml. 2, S. 440). Ein-
theilung der Gastrobrosen. Man kann nach den verschiedenen Ur-
eachen folgende Arten dieser Krankheit, nach Becher, festsetzen.
I. Gastrobrosis per accidens, die äussere, nicht im Organismus selbst
begründete und durch keine organisch -dynamischen Ursachen bedingte Ga-
strobrose. Sie kann erfolgen A) durch alle auf den Magen einwirkende ver-
letzende Schädlichkeilen: 1) durch Verwundungen, durch schneidende, ste-
chende Instrumente (^Gasirobrosis tmumatica^; 2) durch äussere Gewaltthä-
tigkeiten, Stösse, Schläge auf die Magengegend , durch heftiges Erbrechen,
durch Fall, Sturz, unnatürliche Drehungen des Körpers (^Gaslrobrosis vio-
Jenta, Laceratio ventriculi^ , durch Heben schwerer Lasten bei chronischen
Magenfehlern, durch Unmässigkeit im Essen und Trinken, besonders wenn
schon vorher ein chronischer Entzündungszustand des Magens die Häuie
desselben verändert, verdünnt etc. hatte; 3) durch plötzliche Entwickelung
von Gasarten, als Folge reichlicher, blähender Nahrung. Solche Pralle hat
man nach übermässigem Genuss von Weintrauben, grünen Pflaumen, Sauer-
kraut , frischem Obste , Frischem Biere beobachtet (^Rhodius , Camerarius^
Acrel, Richter^. B) Durch chemische Einwirkung verschluckter Gifte auf
den Magen veranlasste Gastrobrose (^Gust^^obrosis venenaia seu toxica) ; z. B.
durch Arsenik, Sublimat, Aurum muriat. , durch Antimonialpräparate, Ku-
pfergifte, concentrirte Mineralsäuren. Man findet hier Spuren von Entzün-
dung , Gangränescenz des Magens , bald geringere Perforation , bald gar
keine wirkliche Durchlöcherung; ferner Spuren des verschluckten Giftes etc.
II. Gastrobrosis sponttmeu. Sie entsteht durch innere, dynamisch- che-
mische, im Organismus selbst begründete Krankheitszustände, kommt weit
häufiger vor als die Gastrobrosis per accidens, und erscheint unter verschie-
denen Umständen. Daher 6 Unterarten derselben angenommen werden kön-
nen. 1) Gastrobrosis gangraenosa , durch Gangränescenz verursachte Gastro-
brose. Sie kann entstehen o) in Folge der Gastritis acuta, die in Brand
übergeht. Diese ist fast immer partiell, nur auf einen kleinen Theil des
Magens beschränkt, denn wenn bei der Entzündung des ganzen Magens
Brand erfolgt, so tödtet dieser, bevor es zur Perforation kommen kann
(RicAffr). Die Diagnose dieser Gottlob! seltenen Gastritis acuta partialis
ist schwierig (s. Richter's Chir. Bibliothek, Bd. XII. St. 214. Ilufeland's
Neueste Annalen d. franz. Heilkunde, Bd. II. S, 30 und den Art. Inflam-
matio ventriculi). /<) In Folge von Metastasen, die Entzündung des Ma-
gens mit grosser Neigung zum Brande, oder Gastromalacie erregen; beson-
ders rechnet man hierher Erysipelas retropulsum, Masern, Frieselinetastasen.
c) Gastrobrose als Folge einer sogenannten chronischen Gastritis mit darauf
folgendem Brande. Sie wird am häufigsten beachtet bei der Pest , bei dem
gelben Fieber, dem contagiösen und sporadischen Typhus (vergl, BecJcer
a. a. O. S. 53 u. f.). 2) Gastrobrosis ulcerosa. Die durch Vereiterung der
Magenhäute verursachte Gastrobrosis ist seltener als die Gastrobrosis gan-
graenosa. Sie ist rt) Folge von Gastritis acuta, wo der Eiter entweder
durch eine Magenfistel, oder durch eine sich öfters füllende und entleerende
Vomica ventriculi entleert und im günstigsten Falle Heilung und Vernarbung
des Abscesses folgt. Oder der Eiter zerstört die Magenhäute, die Contenta
gehen in die Bauchhöhle, oder es bilden sich Adhäsionen mit der Leber,
Milz, dem Zwerchfelle, wodurch der schnelle Tod abgewendet wird, b) Sie
ist Folge der Gastritis chronica, wobei in der Regel auch die Ulceratiou
einen chronischen Charakter hat (s. Inflammatio ventriculi). c) Ga-
strobrosis als Folge schon vorhandener krankhafter Vegetationen der Ma-
genhäute, z. B. kldner Geschwülste, Pusteln, Tuberkeln etc., die durch
872 GASTROBROSIS
irgend eine Veranlassung in Entzündung und Eiterung tibergingen. Diese
Form der Gastrobrose ist nicht ganz selten. 3) Gastrobrosis scirrhosa, cnr-
vinomatosa. Ist häufig die Folge von Scirrhus und Carcinora des Magens.
Am häufigsten ist der Sitz des Übels am Pylorus, seltener im Fundus ven-
triculi. Jst Vereiterung und wirklicher Magenkrebs schon da, so ist alle
Hülfe umsonst. Napoleon's Krankheit a, a. O. Schäffer in Hufeland's Journ.
1816. April. S. 18. SchencJ:, ebend. Bd. XXVII St. 1. S. 85. Ahercromhie
in N. Samml. auserles. Abhandl. f. prakt. Ärzte. Bd. VIII. S. 544). 4) Gastro-
Irosis durch Verdünnung der Magenhäute. Letztere ist eine Art Atrophie ohne
Entzündung, ursprünglich ein Leiden der Schleimhaut, zuweilen bei Grei-
sen vorkommend und vielleicht nur durch den chronischen Verlauf von der
Gastromalacie der Kinder verschieden (^Scoutetten, RaucJi) ; oft zugleich neben
Scirrhus pylori zugegen (s. Rolhi, der Magen, seine Structur und Verrieb-
tung. 1823. S. 128. Hopfengärtner in Hufeland's Journ. 1819. Oct. S. 7),
Zuweilen kann diese Verdünnung auch angeboren seyn. Diese Gastrobrose
macht am häufigsten cirkelrunde Löcher ohne Spuren von Entzündung.
5) Gastrobrosis per gastromalaciam. Ist leider ! fast immer da , wenn die
Magen er weichung der Kinder tödtet (s Gas tromal acia). 6) Gnstrobro-
ftis als Folge eines kaustischen , auf chemische Weise die Magenhäute zer-
störenden wahren organischen Septicums, nicht selten durch Flechtenschärfe
hervorgerufen. Mehrere Thatsachen sprechen für die Selbsterzeugung ani-
malischer Gifte im lebenden Körper (s. Hufeland's Neueste Annalen d. franz.
Arzneikunde. Bd. I. S. 462. Bd. II. S. 32. Sammlung auserles. Abhandl. f.
prakt. Ärzte. Bd. VII. S. 34). Selbst chemische Analysen des abnormen
Magensaftes haben dies bewiesen. 7) Gastrobrosis verminosa. Diese durch
Würmer erzeugt seyn sollende Perforation des Magens (oder der Gedärme)
haben zwar Einige angenommen; doch ist dies nicht wahrscheinlich, da
nach Rudolphi und Bremser den Eingeweidewürmern die dazu nothwendigen
Bohrwerkzeuge fehlen; indessen wird ein Fall der Art, wo sich Spulwür-
mer in einer Geschwulst der Inguinalgegend bei einer 44jährigen Frau be-
fanden, vom Dr. J. B. de Castro - Torrciras im Diario general de las cien-
cias medicas. Barcell. 1827, März, mitgetheilt. Auch sind in der neuesten
Zeit mehrere Fälle bekannt geworden , wo Spulwürmer die Gedärme durch-
fressen haben. Vgl. d. Art. Helminthiasis. Cur der verschiedenen
spontanen Gastrobrosen. 1) Bei der schon eingetretenen wirklichen
Durchlöcherung des Magens und der Gedärme ist wol alle Hülfe zur Ret-
tung des Kranken vergebens , besonders wenn der bedeutende Meteorismus
den Austritt der Contenta ins Cavum abdominis anzeigt. Hier rauss der Arzt
durch sanfte und beruhigende Mittel die Qualen des Unglücklichen zu er-
leichtern suchen und für die Euthanasie diejenige Sorge tragen , die Mitleid
und Menschlichkeit erheischen. Da der Genuss aller inneren Mittel die
Schmerzen vergrössert, selbst das mildeste Öl, so beschränke man sich auf
äussere Mittel , lasse bei Vollblütigen zur Ader , setze Blutegel in die Ma-
gengegend, reibe Opiatsalben in die Glieder und in den ganzen Rücken und
wende, um den quälenden Durst zu stillen, laue Bäder an. Auch die Me-
thode endermicjue nach Lembert u. A. (vgl. Rtist's u. Cnsper's krit. Reper-
torjum Bd. XXV. Hft. 1. 1830.) möchte hier wol an ihrer Stelle seyn, um
Opiate durch Hauteinsaugung in den Körper zu bringen und so die Leiden
zu mildern. 2) Höchst Avichtig ist die Präservativcur. Man verhütet in
vielen Fällen die Gastrobrose durch frühe und zweckmässige Behandlung
der vorhergehenden Krankheit, wie dieses anderswo gelehrt worden (s. Ga-
stritis, Enteritis, Ga stro malacia, Intoxicatio etc.). 3) Man
richte sein Augenmerk voizüglich auf etwanige Metastasen durch plötzlich
geheilte Flechten, solche habituelle Fussgeschwüre, Erysipelas habituale,
Miliaria retrogressa, durch rheumatische und gichtische Schärfen etc., be-
sonders wenn die Kranken schon früher an allerlei dyspeptischen Beschwer-
den, an Koliken, Kardialgien etc. litten. Hier versäume man ja nicht, an-
fangs Blutegel in die Magengegend, dann äusserlich Vesicantia, Pustelsalbe
etc. anzuwenden, und später Fontanellen zu setzen. 4) Man achte auf Ga-
GASTROCATHARSIS — GÄSTROMALACIA 873
stritis chronica partialis und occulta, und verwechsle diese nicht mit Kolik,
mit Kardialgie; auf Gastromalacie , auf Scirrhositäten des Magens, und be-
handle diese nach den Regeln der Kunst (s. die verschiedenen Artikel dieser
und aller andern Übel, die Gastrobrose zur Folge haben können).
CJ^astrocatharsis , richtiger Gaslmnabole. Ist der Magenau«-
wurf, z. B. durch Erbrechen, Wiederkauen etc.
Crastrocele, Magenbruch, s. Hernia ven tricuH. ' '
Crastrocolitis* Ist Magenentzündung mit Entzündung des Colon^
C^astrocystitis* Ist eine Gastritis, complicirt mit Cystitis.
Crai^trodynia , Magenschmerz, s. Gasteralgia.
Oastro-l^nteritis Bronssnis, s. Inflammatio ventriculi, In-
fi am matio intestinorum.
G^astrolitbiasisr. Ist die durch Magensteine (^Gastrolithi) verur-
sachte Krankheit; s. Calculus und Lithiasis.
* Gastromalacia et Snteromalacia, Pseudophlogosis ventrkuH
interioris et tJitestinorum resolutiva et culliquntiva {?), Resolutio et Dinhrosi9
viembranarum ventriculi (^Harless) , Gastropnthia (firemwc/t), gallertartige
Magengrund - und Darmerweichung, atonisch - k achekti sehe
Pseudophlogosis der Innern Haut des Magens und der Gedärme mit
Aufweichung und endlichem Sphacelismus derselben (^Harless). Ist eine der
häufigsten speciellen Formen der krankhaften Ei-weichung (s. Malacosis).
Symptome. Gewöhnlich anfangs gänzliche Appetitlosigkeit als alleinige
Vorboten, zuweilen vorhergegangene Gastritis acuta oder chronica, zugleich
mehr oder weniger anhaltende Diarrhöe. Die Excremente sehen grünlich,
•wie Spinat, oder auch schleimig, wässerig, faulig aus, sind copiös und von
sehr üblem Gerüche. Oft ist eine Art von Lienterie dabei. Gewöhnlich '
lässt dieser Durchfall erst kurz vor dem Tode nach. Bei Erwachsenen äus-
sert sich das Übel in der Form der Phthisis gastrica et intestinalis (Hnrless).
Hier bemerken wir statt der Durchfälle Melaena, heftigen Dnrst, Hinfällig-
keit , ein eigenthümliches inneres Leiden , das sich in der Physiognomie aller
Abdominalkranken ausdrückt (eingefallenes Gesicht, tiefliegende, aber unge-
mein klare, ausdrucksvolle, schmachtende Augen, Neigung zum häufigen
Reiben der Nase, Verdrossenheit, Gefühl von Angst und Scheu), und wel-
ches auf den ersten Blick zu erkennen ist (^Criiveilhier, Tott^. Säuglinge
sind sehr mürrisch, verlangen nur nach der Mutterbrust, verschmähen jede
andere Nahrung, wollen stets umhergetragen werden; grössere Kinder sind
unwillig, wenn man sie anblickt, sind in der Regel sehr unruhig, schreien
viel, ziehen die Schenkel an den Leib, haben anfangs Fieber mit sehr fre-
quentem Pulse, der schnell und härtlich ist und bis zum Tode immer klei-
ner wird. Dabei heisse Zunge, trockne Lippen, sehr heisse Hände, später
Wechsel zwischen Hitze und Kälte, zuletzt wahre Leichenkälte, oft schon
in den ersten Tagen der Krankheit. Charakteristisch ist noch das Erbrechen.
Es ist fast immer zugegen, fehlt selten, cessirt nur kurz vor dem Tode.
Alle Nahrungsmittel und Getränke werden weggebrochen; ausserdem spon-
tanes Erbrechen saurer, grünlicher, brauner Stoffe, oder einer schleimigen,
galligen Materie, bei Erwachsenen zuweilen Blutbrechen; Säuren, Wein,
Zimmtwasser verweilen noch am längsten im Magen. Zuweilen ist, wenn
die Krankheit langsam verläuft, ein eigener, sehr schmerzhafter Magenhu-
sten zugegen. Die Respiration ist in einzelnen Fällen beengt, in andern
frei bis kurz vor dem Tode. Der Unterleib ist, wenige Fälle ausgenommen,
aufgetrieben und schmerzhaft. Fast immer finden wir, dass kleine Kinder
schnell abmagern, oft schon nach wenigen Tagen der Krankheit, der Hals
wird schnell runzelig, das Gesicht eingefallen, die Glieder sehr mager. Zu
Anfange des Übels schreien die Kinder häufig, späterhin verwandelt sich
das Geschrei in ein schmerzliches Stöhnen und Wimmern, die Kinder wer-
den nun ruhiger, können gut auf dem Rücken liegen, sind in steter schein-'
barer Betäubung mit halbgeschlossenen Augen und leichter ErweckbarkeH,
874 GASTROMALACIA
also in einer Art Coma vi^il ( Aprypnocoma mit sclinuizig blassem Gesicht
und Mangel an Turgor vitalis, gerade dem Sopur entgegengesetzt, nacU
fremden und eigenen Beobachtungen ein nie fehlendes , oft schon in den er-
sten Tagen der Krankheit stattfindendes Zeichen, Tgl. Blttsiiis in Rusfg
Magaz. Bd. XXVII. Hft. 3. S. 453. >/.). Auch jetzt dauert der Durst noch
fort, die Kranken trinken in grossen Zügen nüt Gier und Hastigkeit, habeu
zu Säuren und Wein die meiste Neigung (nach Blasius fehlte in einem Falle
sowol der Durst als die grünliche Diarrhöe, aber das Agrjpnocoma war
da; 3f.), und der Tod folgt oft schnell unter Convulsionen, Verdrehen der
Augen, oder ganz sanft unter den Symptomen der Erschöpfung, nicht sel-
ten bei ungetrübten, zuweilen gar gesteigerten Geisteskräften. Sind aber
Complicationen mit hydrocepliaüschen Leiden da, so stirbt der Kranke un-
ter Delirien und Sopor. Die Krankheit dauert in den seltenern acuten Fäl-
len oft kaum 24 Stunden {Camerer) , gewöhnlich 3, 5, 8 — lO Tage, ja zu-
weilen selbst 2 — 4 MtMiate (Hesse), befällt vorzug"sweise Kinder von 4 Mo-
naten bis IV2 Jahren (^Jni/er') , aber auch ältere, besonders zahnende Kinder.
Erwachsene werden gar nicht {CriweiUner) oder nur mit Complicationen von
Hirn- und Brustleiden vom Übel befallen (S. G. Vogel). Es kann spora-
disch und epidemisch vorkommen , beginnt in seiner einfachen Gestalt mit
Erscheinungen von Unterleibsentzündungen und herrscht epidemisch am häu-
figsten, wenn Durchfälle, Dysenterien und Wechselfieber häufig sind (Cru-
veilhier). Abweichend von dem nach Camerer, (JruveiUäer, Hesse, Jäger,
S. G. Vogel, Harlcss, Pilschnft , Richter, Fleischmann, Chaussier, Maas und
Wiesmnnn oben entworfenen Krankheitsbilde sind die Zeichen der Krankheit
nach Rhades (s. JJorii's Archiv 1822. Sept. u. Octbr.). In einem Falle tra-
ten zuerst entzündliche Brusfaffectionen mit ziemlich heftigem Fieber auf,
alle Zeichen von Abdominal- und Magenleiden fehlten, späterhin stellten sich
hydrocephaülische Symptome: Krämpfe mit Bewusstlosigkeit und Anästhesie,
Wechsel von Frost und Hitze, erschwertes Schlingen, aber weder Durch-
fall, noch Erbrechen ein, und der Tod erfolgte unter Convulsionen. In ei-
nem andern Falle entstand zuerst Durchfall, bald Erbrechen, der Durst war
nur massig imd nahm erst später an Heftigkeit zu. Der Tod erfolgte unter
anhaltendem Erbrechen und weder kalte Gliedmassen , noch bedeutendes
Fieber, noch Unterleibsschmerzen wurden bemerkt. In einem dritten Falle
waren hydrocephalische Symptome zugegen. Die Symptome der Entero-
inalacie, die nicht selten zugleich mit der Gastromalacie auftritt, kennen
wir nicht genau ; sie sind zu Anfange denen der letztern ähnlich. Das Übel
erTeift am häufigsten Kinder, seltener Erwachsene (^Hesse) , befällt entwe-
der den ganzen Darmcanal oder einzelne Theile desselben (^Ramisch, Bums)i
dabei anhaltendes leichtes Fieber , bald heftige anhaltende , bald massige
oder gar keine Diarrhöe; die Leibschmerzen sind nur gering und vorüber-
gehend , der Verlauf ist fast immer acut , selten chronisch ( Louis beobach-
tete nur einen Fall letzterer Art). Der Tod erfolgt häufig plötzlich durch
Ruptur des Darms und Austreten der Contenta in die Bauchhöhle. Im glück-
lichsten Falle entsteht Peritonitis (s. unten). Diagnose. Die Gastromala-
cie unterscheidet sich von Encephalitis hydrocephalica durch den ihr eigen-
thümlichen höhern Grad von übler Laune der Kranken , durch nur schein-
baren mehr dem Coma vigil gleichenden Sopor, der in der Hirnhöhlen Was-
sersucht als wirklicher Sopor erscheint. In letzterer sind die Kinder nur
schwer zu erwecken, in der Gastromalacie aber sehr leicht, obschon sie
gleich wieder in ihren apathischen Zustand der Schläfrigkeit zurücksinken
(Blnsius, Tod, Most). Hydrocephalische Kinder fordern keinesweges Ge-
tränke oder Speisen, sie verschlingen sie zwar auch im soporösen Stadium,
leeren sie aber nur dann durch Erbrechen aus , wenn sie aufgenommen und
umhergetragen, also gerüttelt werden. Sie fiebern meistens anhaltend , sind
sehr warm, selbst heiss, schwitzen stark, zumal am Kopfe. Bei der Gastro-
malacie sind die Kinder im Stadio soporoso , oft schon in den ersten Tagen
der Krankheit, leichenkalt, ihr Puls ist frequent, klein, unzählbar; im Sta-
dio soporoso hydrocephaü zwar auch frequent, aber nicht selten auch träge.
GASTROMALACIA 875
höchst ungleich, oft mehr oder weniger voll. Wenn bei Oastronialacie die
Kinder wimmern, winseln, stöhnen und der Ton ein mühsames erschwertes
Schreien mit einem wenig gehaltenen, gleichsam ersterbenden Laut endigend
ist (//JWrtn/); so bemerkt man dagegen bei Hydrocephalus ein periodisches,
gellendes, mehr unarticulirtes thierisches Aufschreien, auch fehlt bei letz-
terra das Anziehen der Schenkel an den Unterleib Eine echte acute Gastri-
tis und Enteritis der Kinder charakterisirt sich durch Verstopfung, Schmerz-
haftigkeit und Auftreibung des Unterleibes , und durch bedeutenderes Fie-
ber; bei Helminthiasis fehlt das anhaltende heftige Fieber, der verzehrende
Durst, das Erbrechen und das wichtige Zeichen der schnellen Abmagerung
imd des Agrypnocoma. Ursachen. Prädisposition geben vorzüglich das
kindliche Alter von der Geburt an bis zum zweiten Jahre (//esse), beson-
ders die Dentitionsperiode, auch die Zeit des Entwöhnens (CVt/jicrcj). Nach
Vo(jcl können Kinder in jedem Alter befallen werden, nach Harless beson^-
ders zwischen dem 5ten und lOten Lebensjahre. Bei magern abgezehrten
Kindern ist das Übel häufiger als bei robusten , starken beobachtet worden,
besonders bei solchen, die sich von Natur oder durch zu frühe Reizung
der Geistesfunctionen zu schnell entwickelten. Gewisse Witterungseinflüsse,
schneller Temperaturwechsel , besonders im Spätsommer, gastrisch - rheuma-
tischer Krankheitsgenius , erbliche Anlage in einzelnen Familien (^Gnitidner),
verschiedene chronische Fehler des Magens scheinen das Übel , das in selt-
nem Fällen auch im Mannes- und Greisenalter vorkommen kann (//esse,
VoijcT) , zu begünstigen. Gelegenheitsursachen sind : schlechte Mutter - und
Ammenmilch, zu schnelles oder unvorsichtiges Entwöhnen, Auffüttern der
Kinder ohne Brust (das Verhältniss des Vorkommens der Krankheit bei Säug-
lingen und Aufgefütterten ist nach Rnmherg wie 1 : 4. Most), Ernährung mit
rohen Speisen, saurem, grobem Brote, gestörte Hautthätigkeit, Metastasefi
der Masern, des Frieseis (^ Hesse, ZcJlcr), unterdrückte Eruption der letz-
tern, AfFectionen anderer Organe, besonders Hydrocephalus acutus (./««/er.
Zeller, Cnmerer, Rhtuh's) , Febr. verminosa, intermittens , bösartige faulige,
adynamische Fieber, Vergiftungen durch metallische oder andere Gifte, Ein-
A\irkung heisser Sonnenstrahlen auf den Kopf (^Caincrer) , gastrische Leiden
aller Art, hitzige Gallenfieber, Cholera, Diarrhöe (Poinmer). Auch die Milz-
erweichung (^Si>1e7ioTnHlaci(i) will man als Ursache der Erweichung des Car-
diaUheils des Magens beobachtet haben; doch ist die Splenomalacie wol
öfter Folge als Ursache der Gastromalacie. Wesen der Gastro- und
Enteromalacie. Darüber herrschen sehr verschiedene Ansichten. Nach
J. Hiinler, Allan Bums, Adams, Wilson Philipp und Treviramis ists eine Art
Selbstverdauung (^Autopepsia) des Magens, Product der auflösenden und noch
nach dem Tode fortwirkenden Kraft eines chemisch allzuscharfen Magensaf-
tes, wodurch die Magenhäute aufgelöst werden sollen, also eine Digestio
post mortem. Fr. Hoffmann hält die Krankheit für Aufätzung des Magens
durch scharfe Galle, Andere leiten sie ab von einem übermässig alkalischen
Magensafte; Cruihshank nennt sie eine Zerstörung des Magens durch ver-
stärkte Einsaugungskraft der resorbirenden, Gefässe ; Jäger eine Zerstörung
des Magens durch eine in Folge einer Lähmung der Magennerven, beson-
ders des Nerv, vagus, krankhaft und im Übermass abgesonderte Essigsäure
als perverses Analogon des Magensaftes. Nach Fleischmann entsteht die
Gastromalacie durch eine qualitative Vei'stimmung der Vitalität des Magens,
•wobei er eine Störung des polarischen Gegensatzes zwischen der Hydrogen
bildenden Milz und dem Oxygen erzeugenden Magen (daher die Erweichung
im Fundus ventriculi) annimmt. Meclel sagt: „Es ist eine Verdauung der
Magenhäute durch den Magensaft in Folge einer vom Nervensystem ausge-
henden Schwächung des Magens und einer höhern Steigerung der sauren
Beschaffenheit des Magensaftes zur Essigsäure, die wol immer erst nach
dem Tode eintritt und sich allraälig ausbreitet. " Nach Cruveilhier ists eine
Umbildung des Magens in Folge einer Reizung durch die auf denselben ab-
gelagerte Materia perspirabilis retenta ; nach Chaussier und Laisne eine Zer-
■törung des Magens durch eine Erosion oder Ulceration, wobei ein bei der
876 GASTROMALACIA
Berührung die letztere noch vermehrender Ichor abgesondert werden soll.
Nach Spiltn ists ein wahrer Reconstructionsprocess , ein Rückgang auf eine
frühere Bildungsstufe in einer Periode, wo die grösste Receptivität und wich-
tigste Bedeutung des Nahrungscanais einen kräftigen ununterbrochenen Ner-
veneintluss erheische, aber gerade nun desselben beraubt werde; nach Leu-
hossel: wirkt ein Hirnleiden sympathisch auf den Magen und verändert einer-
seits dessen Organisation so, dass sie der auflösenden Kraft der thierischen
Säfte nicht länger widerstehen kann; andererseits macht jenes Leiden die
Säfte des Darmcanals ungewöhnlich scharf und ätzend, wahrscheinlich durch
übermässige Entwickelung von Essigsäure, welche abnorme Secretion eine
vicariirende , mit dem Hautorgan in Bezug stehende seyn soll. (Dass das
Frieselexanthera eine der Essigsäure ähnliche Säure aus dem Körper schei-
det, ist bekannt, und schon der Geruch deutet darauf hin. Da nun Milia-
ria retropulsa der Gastromalacie oft vorhergeht, da überhaupt nur Kinder
Ton atrophischem Habitus mit vorwaltender Acescenz des Digestionsapparats
an der Magenerweichung nach meinen Erfahrungen leiden ; so verdient diese
chemische Ansicht noch näher geprüft zu werden. Most}. Richter hält , fast
wie Spitta, die Gastromalacie für das Resultat eines Rückbildungsprocesses,
da überhaupt das kindliche Alter auch zu Umbildungen anderer Organe
disponire; Cnmerer für die Folge des wegen entzündlicher Affection unter-
brochenen Einflusses des Nervus vagus auf den Magen ; Blnsius u. Ramkch
für einen Morbus sui generis ; Hesse bald und öfters für die Ursache der
Gastritis chronica oder acuta, bald und öfters für ein aus fehlerhafter Er-
nährung, Desorganisation zu erklärendes Übel; JiiUard für die Wirkung ei-
ner acuten Gastritis, wenn das Übel weit verbreitet, einer chronischen,
wenn es sich partiell beschränkt; Wendt für das zufällige Product einer
Gastritis überhaupt; Gödecke und Rudolphi für das der blossen thierischen
Fäulniss ; Harlcss für eine adynamische Pseudophlogosis der innern Magen-
haut mit rascherm oder langsamerem Übergange in eine krankhafte Abson-
derung eines fast kaustisch werdenden Gemisches von Schleim und plasti-
scher Lymphe, woraus sich zuletzt eine wahre sphacelöse Kachexie entspinne;
Sundelin endlich für das Product eines abnormen biochemischen Einflusses
des in seiner Vegetation hiebei alterirten oder auch nur dynamisch verstimm-
ten Nervus vagus auf den Magen, zu welchem abnormen Nerveneinflusse
besonders Metastasen des Frieselexanthems , verhinderte Eruption desselben,
rheumatische Versetzungen , Dyskrasien und Kachexien Veranlassung geben
sollen. Für die Richtigkeit dieser Ansicht von der Gastromalacie als einem
ursprünglichen Nervenleiden sprechen der plötzliche, unerwartete Ausbruch
der Krankheit bei scheinbar gesunden und kräftigen Kindern, die Disposition
solcher Kinder zu dieser Krankheit, deren geistige Sphäre sehr früh in An-
spruch genommen wiirde, die ungemein böse Laune und grosse Reizbarkeit,
die äusserst schnell eintretende Hinfälligkeit, das Hinzutreten des Übels zu
Gehirnleiden , besonders zur hitzigen Hirnhöhlenwassersucht ; tür den meta-
statischen Ursprung derselben die Eigenthümlichkeit des Frieselcontagiums,
den Nervus vagus zu attaqulren , das von CruveUhicr zugleich bei der Ga-
stromalacie beobachtete blatternähnliche Exanthem auf der Schleimhaut des
Magens; endlich der Umstand, dass Dyskrasien und Kachexien auf die Kra-
sis und Vegetation einzelner Nervenzweige pathologisch einzuwirken und
Alteration in ihnen hervorzubringen im Stande sind. Die Entstehung der
Darmerweichung erklärt Hnrless wie die der Gastromalacie ; Camerer leitet
sie ab aus der Einwirkung einer durch krankhaft aufgehobenen Einfluss des
Nerv, sympathicns bedingten Säure auf den Darmcanal. Gewiss liegt der
Grund zu diesem Übel in einem abnormen biochemischen Einflüsse des in
seiner vegetativen Sphäre alterirten, vielleicht auch nur dynamisch verstimm-
ten Abdominalnervensystems auf die Darmhäute , veranlasst, wie die Gastro-
malacie, durch Frieselmetastasen , verhinderten Ausbruch dieses Exanthems,
Versetzungen von Rheuma, Dyskrasien und Kachexien, was sich aus den
oben bei Magenerweichung angegebenen Umständen, besonders auch aus dem
auf der Darmschleirabaut gefundenem variolösem Exanthem erklären lässt.
GASTROMALÄCIA 877
Weiterer Verlauf der Gastro- und Enteromalacle. Bei der plötzlich
auftretenden und ausgebildeten Gastromalacie folgt häufig der Tod; doch
nicht so oft als bei Enteronialucie, indem die Magenliäute zerreisscn (Gastro-
brosis) und die Contenta austreten. Nur dann wird das Leben gefristet,
wenn nach Abstossung der erweiterten Partien der Magen mit einem be-
nachbarten Organ (häufig mit der Milz) verwächst. Eine blos erweichte
Schleimhaut bei Integrität der übrigen Häute kann wol sich abstossen und
dann regenerirt werden. Bei der Darmerweichung ist der Ausgang in Durch-
bohrung häufiger (Lowis). Er verkündet sich durch plötzlich eintretende,
durch kein Mittel sich vermindernde, heftige Schmerzen , Einfallen des Ge-
sichts, Übelkeit, Erbrechen, Delirien, und der Tod erfolgt 20 — 48 Stunden
nach der Perforation. Letztere befand sich stets in der Mitte der erweich-
ten Stelle, wobei kein übler Geruch des erweichten Darms bemerkbar ward.
Zuweilen fand man in den Leichen eine allgemeine, öfter aber nur eine theil-
weise Autlösung der Magen - und Darmhäute, bald mit bald ohne Durch-
löcherung (s. Gastrobrosis). Treten die Contenta in die Bauchhöhle,
so erfolgt schneller Tod , doch hat man Fälle gefunden , wo eine Peritonitis
hinzutrat, sich exsudative Ljmphe ergoss , wodurch die Darmöflnung heilte,
und so das Leben erhalten ward, indem die Darmstelle mit dem Bauchfelle
zusammenwuchs. Cur. Als Präservativ betrachtet Camerer Blutegel an den
Kopf, Entfernung der Magensäure, innerlich bei schwachen blutarmen Sub-
jecten Ferr. muriat. , bei Zusammenhang mit exanthematischen Processen
Moschus, unter Umständen Baryt, muriat. und äussere Hautreize. Ausser-
dem rälh er an: weniges Trinken, erneuertes Anlegen des Kindes an die
Brust. Ist die Krankheit Familienübel, so muss eine gute Amme gewähU
und das Kind sehr lange gestillt, auch nur allmälig, entwöhnt und vorsichtig
an andere Nahrung gewöhnt werden. Nach CVjilei/Äier dient als Prophy-
lacticum eine gesunde Amme, -wo möglich von eiiueia, dein der Äiterii entge-
gengesetzten Temperamente, spätes Entwöhnen, zur Nahrung Fleischbrühe
mit Milch, bei schon eingetreleuem Durchfalle Vermeidung aller Arzneien,
besonders der Anthelminthica. Befällt der Durchfall ein eben entwöhnte*
Kind, bekommt dieses^ brennenden Durst, magert es schnell ab , will es nur
wässerige Kost, so gebe man ihm schnell die alte oder eine andere passende
Amme wieder. Bei ausgebrochener Krankheit soll man dem Kinde nur .we-
nig zu trinken geben , am besten passt frische , ungekochte , noch warm©
Thiermilch, bei kleinen Kindern die Mutterbrust, in kleinen Portionen ge-
reicht. Blutentziehungen, Evacuantia und Vesicantia sind nach Cruveilhier
schädlich. Innerlich giebt er kleine Dosen Opium, besonders Extr. opii
aquos. , bei Gastromalacie in Klystieren , bei Enteromalacie durch den Mund,
und äusserlich lobt er warme aromatische Bäder, die einen solchen Wärme-
grad haben, dass das Kind in Seh weiss geräth. Jäger giebt zurBeschrän-«
kung des Übels eine .Mischung aus Licj. kali carbon. , Tinct. rhei aquo>vS.,
Extr. fruct. aurant. immaturor. , Syr. diacod. und Aq. foeniculi , und rätb
Eichelkaffee und eine gute Amme an. Wiesnumn^ (J. Vogel (in Weimar);
und Hufeland empfehlen innerlich das Opium; Sundelin sow.ol innerlich als
in Klystieren, auch vorsichtig sehr kleine Dosen Morphium acetic. und sulr
phuricum. Nasse die Salpetei-Säure, Rhades und Blasius die Aq. oxymuria--
tica: R/ Decoct. rad. nlthaene 5ijj, Aquae oxymunat. 5)!, Sgr. althaene gj-
M. S. Stündlich 1-1—2 Theelötiel voll. Dabei ein einfaches warmes Bad,
warme aromatisch - ätherische Fomcntationen auf den Unterleib, zum Getränk
Kuhmilch mit Fenchelthee, späterhin EichelkaffeCi Nach Pommer dienen
kalte Kopfumschläge, warme Fomentationen der Magengegend mit Decoct.
chinae rubr. , salic, quercus., Spec. aromatic. , in Roth wein, infundirt, und
innerlich salzsaures Eisen: 1^ Decoct. rad. althaeae gjj, Giimm. nMJijos. 5jj»
Ferri muriatici oxydulaü ^\i, Si/r. althaeae 5vj- M. S. Z\>eistündlich t The€>^
löffel voll. C. Fo.(/ci .räth statt der Milch als Prophylaciicum Salepschleini
und Eichelkaffee an. Nehmen die Kinder* nur ungern die künstliche Nah-
rung, bekommen sie nach dem Genüsse derselben weissliche, hellgraue ge-
hackte Sedeä, leiden sk; aii öfterer Stuhlveihaitung , au Blähungen, Leib~
878 GASTROMALACIA
schmerz, Abmagerung, späterhin an öfterm Erbrechen, wobei die genossene
Milch nicht sauer oder geronnen aufstösst, ist der Durst bedeutend, so räth
er Roth« ein in kleinen Portionen an Nach Pitschaft passen laue Bäder,
ein ruhiges Verhalten, versüsster Gerstenschleim in kleinen Portionen, auch
Fenchel - und Anisthee , und innerlich I^ Aq. flor. nurnnt. gjj , Acidi pyro-
iiynosi 5] ? Sijr. emuls. 53. M. S. Stündlich 72 Esslüffel voll. Sundelin lobt
kaltes Fomentiren des Kopfes, laue Bäder, Milchnahrung, höchst massige
Befriedigung des Durstes; bei kleinen Kindern soll man einen Saugbcutel
uiit Apfel- oder Mohrrübenbrei füllen, und sie daran saugen lassen. In
schlimmen Fällen soll man auch vorsichtig kleine Dosen Kampher innerlich
in Emulsioneu mit Gummi arabicum, auch in Klystieren reichen. Bei der
Darmerweichung passt im Allgemeinen dieselbe Curmethode. Zur weitera
Belehrung über die noch nicht hinreichend erforschte Gastro- und Eniero-
liialacle sind nachzulesen: Bercnds' Vorlesungen von SundeHn. Berlin, 18^9.
Bd. Vil. fcj. 421, sowie die daselbst citirten Schriften; ausserdem: Cruveil~
hier. Über d. gallertartige Magengrunderweichung etc. A. d. Französ. mit
Anmerk. v, C. Vogel. Liegnitz, 1823. Camerer, Über die Natur der krank-
haften Magenerweichung. Mit Vorrede von Autenricth. Stuttgart, 1828.
Hesse, Über die Erweichung der Gewebe und Organe d. menschl. Körpers.
Leipzig, 1827. S, 174—189 u. S. 205 seq. C. Billard, Die 'Schleimhaut
des Magens und des Darmcanals im gesunden und kranken Zustande. A. d.
Franz. mit Anmerk. von Urban. Leipz. 1828. Ph. C. A. I.ouis, Anat. path.
Untersuch, üb. d. Erweichung mit Verdünnung u. Zerstörung der Schleim-
haut des Magens Aus d Französ. v. Bünger. Berl. 1827. Raniisch , De
gastromalacia et gastropathia infantum. Prag, 1825; ferner die Abhandlun-
gen von Andral, Krieg, Bums, Cloquet , Allen, Adams, Wilson Philipp^
Fleischmann, Lenhosse):, Chnussier, Maas, Zeller und Pohl über diesen Ge-
genstand (s. Rust's Magaz. Bd. XXVI. Hft. 2. Bd. XXX. Hft. l. N. Ab-
handl. f. prakt. Ärzte. Bd. XII. St. 1). C. A. Tott.
Nachschrift des Herausgebers. Die Erweichung des Magens,
wie die der Gedärme, ist eine so wichtige Krankheit, die Ansichten über
das Wesen derselben und die WaJil der Mittel sind so verschieden, dass ich
einige Zusätze zu obigem Artikel um so mehr für nöthig erachte, da jeder
Beitrag zu dieser noch nicht hinreichend erforschten Krankheit wünschens-
werth »eyn muss, ich aber in meiner Praxis mehrere Krankheitsfälle der Art
zu beobachten Gelegenheit gehabt habe. Höchst wichtig ist vor Allem eine
genaue Diagnose Zwischen Fehris dentitionis, Fehris hgdrocephalica , Fehris
vervlinosa, Febris lenta mit Atrophie und zwischen der Gastromalacie finden
manche ähnliche Symptome statt, die die Unterscheidung um so schwieriger
machen, da jeue Übel nicht selten mit diesem coraplicirt erscheinen, häufig
die Magenerweichung wol auch nur Folge jener Übel, al.so etwas Secundä-
res ist; denn fast immer zeigte die Section ausser der bekannten Erweichung
des Magens und der. etwauigen Gastrobrosis merkwürdige Abnormitäten in
andern Gebihlen: im Gehirn, in den Lungen, in der Leber, in den Nieren,
in der Milz (s. Fleisckmnvn und unten die erste Beobachtung). Da die
Symptome und der Verlauf der Krankheit nicht immer gleich sind, so ist es
für klinische Zwecke nöthig , mehrere verschiedenartige Zustände genauer
zu beleuchten. Ganz richtig sagt Becker in seiner schönen Abhandlung über
Gastrobrosis (s. HufelniuVs Journal 1827. St. 3, 4 und 5), die, obgleich
grö&stentheils aus: „ Medecine legale par Lecieux , Renard, Lesnc et Rieux,
Paris, 1819 " entlehnt, doch auch viele eigene Ansichten entwickelt, dass
die Natur dieser wahrhaft proteusartigen Krankheit durch die bisherigen
Untersuchungen keinesweges schon genügend erläutert worden sey, obgleich
Jäger' s, Chaussier's und Cruveilhier's Verdienste um diesen Gegenstand alle
Anerkennung verdienen. Auch er wirft dabei die gewiss nicht überflüssige
Frage auf, ob die Gastromalacie wirklich als ein primäres Leiden des Ma-
gens, wodurch die übrigen krankhaft gefundenen Eingeweide nur in Mit-
leidenschaft gezogen würden, oder ob sie als ein secundäres, als Reflex
krankhafter Zustände anderer Gebilde, zu betrachten sey'? Ich unterscheide
GASTROMALACIA 879
daher folgende Arten: 1) Gnstromnlacia primaria seu acuta. Ist, wie die
Cr. chronica, nur eine Kinderkrankheit, eine Unterart der Gastrobrosis und
ein Morbus siii generis. Bei robusten Kindern tritt sie mit mehr oder we-
niger entzündlichen Zufällen, ähnlich der Gastritis und Encephaütid hydro-
cephalica auf; bei schwächlichen dagegen wie die G. chronica, nur mit dem
Unterschiede, dass sie rascher verläuft und dass die Bauchdecken gespannt
und hei SS, nicht, wie in den gewöhnlichen Fällen der Gastromalacie, läh-
mungsartig erschlafft sind (M.) , welches Gespanntseyn entzündliche Aifection
des Bauchfells und der Gedärme verrauthen lässt. Weder Genuss von Gif-
ten, noch andere in die Sinne fallende Schädlichkeiten sind vorhergegangen.
Die Krankheit kann schon in wenigen Stunden tödten (s. unten den ersten
Krankheitsfall), besonders bei blutreichen Kindern. Bei Schwäclilingen ver-
läuft sie in 5 bis 9 Tagen, wo entweder schnelle Genesung oder Tod folgt.
Hier tritt sie als ein reines Nervenleiden auf, zeigt keine entzündlichen Zu-
fälle, erregt sehr schnelle Abmagerung, daneben Erbrechen, grüne, weiss-
lich- gelbe stinkende Sedes, und oft schon am Isten, 2len, 3i,en Tage jenes
nie fehlende eigenthümliche Agrypnocoma. Cur. Bei wirklich entzündlichen
Zufällen einige Blutegel an den Kopf, an. die Magen gegend ; dann innerlich
Decoct. althaeae mit Aq. oxymurialica (s. oben). Fehlen die Zeichen ent-
zündlicher Affectionen, dann gebe man sogleioh die let^ztgenannten Mittel,
lasse recht warme Fomentationen von Spec. aroraat. auf den Unterleib ma-
chen, gebe bei der Besserung Decoct. rad. colambo, cascarilL, und zuletzt
Tinct. Bestucheffii, nachher Tinct. ferri muriatici. 2) Gastramalacin secun-
daria seu chronica. Sie kann zu chronischen Hirnleiden, zu Atcophia intan-
tum, zur Dentitionsperiode bei schwächlichen Kindern hinzukommen. Auch
aufgefütterte, schlecht genährte, plötzlich entwöhnte Kinder, die zä Scro-
phulosis neigen, haben Disposition dazu. Vorboten sind; Mangel an Esslüst,
unregelmässige, bald zu häufige, bald zu seltene, dabei sehr veränderte, oft
grünliche Sedes, periodisches. Erbrechen etc. Cur. Im Stadio prodromorum
pas.sen Liq. kali carbon. ^j , Aq. foenicuü , Syr. rhei ana gj. Alle 2 Stunden
l Theelöffel voll. Dabei Reiben desHiganzen Körpers mit erwärmtem Flanell,
aromatische Bäder, recht warm applicrrt, gesunde Mutter- oder Aniinenmilch,
später Eichelkaffee. Bei wirklich ausgebrochenem Übel hat auch hier an-
fangs die Aq. oxymuriatica nach Blnsius, später Rheum, Columbo, Simaruba
und Eisen die besten Dienste geleistet. In einigen Fällen gab ich, wenn
keine Diarrhöen stattfanden, dreimal täglich % — ^ Vi Gran Merc. dulcis mit
einigen Granen Magnes. carbon. und Zucker, welche Pulver einen gallert-
artigen bräunlich- gelben Schleim (der wie Kalbtleischgelee bei d«r Berüh-
rung zitterte), mit den Sedes vermischt, entfernten, worauf schnelle Besse-
rung folgte. Wenn der agrypnocomatöse Zustand bei der Gastromalacie
deutlich den verminderten Nerveneinlluss auf die splanchnischen Eingeweide
als etwas der Krankheit. Wesentliches a'us.spricht , wenn wir ferner wissen,
dass nichts so kräftig die Nerven wiederum belebt, als der Galvanismus, so
könnte man in Versuchung geratheii , solche Kinder vorsichtig» zu galvanisi-
ren. Dies ist zwar bis jetzt von mir nicht geschehen, wohl aber habe ich
abwechselnd Säuren und Kalien (die Aq. oxymüriüt. und Liquor kali carbon.,
Magnesia) gegeben, weiche Gegensätze gleichfalls im Magen eine der gal-
vanischen ähnliche belebende Wirkung hervorbringen; und ich muss geste-
hen, das.s der gute Erfolg dieser scheinbar incönsequenten Cur meine Er-
wartungen noch übertraf. Auch Nagel fand, wie ich in den Neuen bres-
iauer Sammlungen a. d. Gebiete d, Heilkunde, 1829. Bd. L, lese, Merc.
dulc. mit Magnesia in der Gastromalacie nützlich. 3) Gasiromalneia »puria.
So nenne ich denjenigen Zustand, wo kleine Kinder beim Zahnen (schnell
abmagern, sich häufig erbrechen und grüne Stuhlgänge haben. Die Neue-
ren mögen solche Zustände oft für Gastromalacie gehalten haben, aber mit
grossem Unrecht Bei. der wirklichen Gastromalacie fehlt das Agryfnoeoma
und das Gefühl von Kälfe der Glieder, also <lie Abwesenheit jeder Fieber-
hitze niemals, desgleichen die grünliehen Sedes, obgleich das Erbrechen
fehlen kann ; nur die Giisir omni acta acuUt oder acutissima , welche Gottlob !
880 GASTROMALACIA
selten erscheint (ich habe nur einen Fall der Art gesehen; siehe den ersten
Krankheitsfall) , mag hiervon eine Ausnahme machen , wenn nicht auch sie
vielleicht ein secundärer, vom Gehirn und Rückenmark ausgehender Zustand
ist. Wie schnell Kinder -beim Zahnen abmagei'n können, wie schnell sie
bich aber auch wieder zu erholen im Stande sind, selbst ohne Arzneien,
dies kann der Praktiker in der Kinderpi'axis genug beobachten. Aber hif-r
fehlt durchaus das Agrypnocoma, dagegen sind hier Convulsionen : Eklampsie
etc.j häufiger. Man hüte sich ja, solchen Kindern in der Meinung, der C>a-
stromalacie damit zu begegnen, Opium zu geben. Selbst in d«r wirkliche'!
Gastromalacie halte ich es innerlich für ein zweideutiges Mittel, wenigstens
habe ich es hier nur äusserlich als Unguent. oder Empl, opiat. ange>\anclt.
4) Was das Wesen oder die nächste Ursache der Gastromalacie betrilft, so
ists weit besser, dass wir geradezu sagen: es ist ein Morbus sui generis,
d. h. wir kennen das Wesentliche der Krankheit nicht , als dass wir im ge-
lehrten Tone uns mit Definitionen in Worten behelfen, die uns wiedeinmi,
tie zu erklären , viele Mühe machen würden, ohne dass das Ganze nur im
mindesten fruchtbringend für die Praxis wäre. Wie verschieden die Ansich-
ten darüber sind, haben wir oben schon gehört. Sundelins Ansicht scheint
noch den meisten, die Spitta^s dagegen den wenigsten praktischen Werth zu
haben; denn der Ausspruch: „die Krankheit ist ein Rückbildungsprocess "
erklärt nichts Wesentliches, da wir überhaupt von dem Wesen aller Bildung
wenig wissen, sobald wir nur die schulgerechten Kunstausdrücke aus unse-
rer Sprache streichen, die uns in der Täuschung des Vielwissens nur zum
Nachtheile der Praxis erhalten. Auch die Rhachitis ist, wenn wir wollen,
ein Rückbildungsprocess, uud dennoch , wie gross müssen die Differenzen
dieses Processes seyn, wenn er so verschiedenai-tige Producte hervorbringt! —
Sehr wahr sagt Becker {HufelmuVs Journ. 1827. St. 5. S. 25): „Nicht min-
der ungewiss (als die Diagnose) und schwankend ist unser Wissen über das
eigentliche Wesen, die nächste Ursache der Krankheit. Dies beweisen diu
widersprechenden Ansichten daüber, sowol der altern als der neuern Ärzte.
Unter letztern machte bereits Jäger awf die Analogie aufmerksam, welche
zW'ischen der von Boer zuerst beschriebenen Putrescenz der Gebärmutter,
dem Spitalkrebse und manchen phagedänischen Geschwüren und der gallert-
artigen Magenervveichung stattfindet." Herr Med. -Rath Klnalsch in ßeilin
(^Uufdaad's Journ. 1823. Jan. u. Febr.) hat diese Idee mit vielem Schart-
hinn weiter, verfolgt und aufs Neue auf die unverkennbare Analogie, welche
zwischen Cancer aquaticus, Putrescentia uteri und <iastromalacia stattfindet,
ebenfalls hingewiesen. In diesen Krankheitsformen findet eine wirkliche or-
ganische Zersetzung, eine wahre Auflösung der nächsten organischen Be-
jjtandtheile und dann erst nachfolgende Zerstörung statt , w eiche durchaus
von der eigentlichen Gangränes:cen& in ihrem Wesen abweicht und mit die-
ser nicht zu ver\\echseln ist. Wird; freilich durch diese sich auf Analogie
gründende Idee das Wesen der Krankheit ebenfalls nicht aufgehellt, so ge-
währt sie doch ,$uwol ein Regulativ für die fernere Untersuchung dieser
dunklea pathologischen Zustände, als zugleich eine Hindeutung auf eine
sichere und zweckmässigere Heilart, und verdient in dieser Hinsicht mehr
Berücksichtigung und Beifall als die, soviel i mir bekannt, zuerst von dem
Herrn Recensenten der Schrift Cruveilhier^s: Medecinc pratiijue eclairee.
Paris, 1821. C^h. 1. in der Allg. Halleschen Literaturzeitung, 1824. Nr. 57.
S. 454 ausgesprochene , nachhei' von Mehreren beifallig angenommene Hj-po-
these einer, bei dieser Krankheit sowol, als bei der ähnlichen Erweichung
anderer Gewebe des Körpers stattfindenden Rückbildung, oder Rückschrei-
ten auf die frühere Bildungsstufe. ,Denn durch diese Annahme wird das
Wesen dieser Krankheit ebenfalls nicht positiv, sondern nur negativ oder
insofern erläutert , dass das Vorhergehen eines entzündlichen Zustandes als
ursächliches Moment gänzlich ausgeschlossen , und auf den Zustand eines
sehr hohen Grades von Schwäche hingedeutet wird. Die neuesten Erfah-
rungen über die gute Wirkung der Holzsäure, besonders aber der Salpeter-
säure und des Chlora in der Gastromalacie sprechen sehr zu Gunsten der
GASTROMALACIA 881
Jäger'schen Ansicht (vergl. Pitschafl in Rnst's Magazin. Bd. XXI. S. 203.
Wiesmann in Hom^s Archiv, 1824. Sept., Octbr. S. 205. Blasius in Rus^s
Magazin, ß.l. XXVII. Hft. 3. S. 453. BnumgnrUm, Dissert. de Gastro- et
Knteromalacia infantum. Berol. 1831). Auch sind meine eignen Erfahrungen
höchst günstig dafür, besonders für die Aq. oxymuriatica , wie dies in den
unten angehängten Krankengeschichten näher erörtert worden ist. Betrach-
ten wir die Umstände und Fälle, unter denen die Gastromalacie am häufig-
sten auftritt, genauer, so finden wir, dass schlecht genährte Kinder, be-
sonders vom 4ten bis zum löten Lebensmonate die meiste Neigung dazu ha-
ben. Zugleich sagen uns die Resultate der Sectionen, dass entweder eine
kaustische Schärfe, die chemisch zerstörend auf die Magenhänte einwirkte,
stattfand, oder dass das Übel in wahre Gangränescenz in Folge von Meta-
stasen (besonders Masern, Friesel, Erysipelas) überging. Der tödtliche Aus-
gang durch Gastrobrosis ist demnach Folge entweder von Gangrän oder
von einem wahren organischen Septicura. Die Gastrobrose ist daher eigen-
thümlicher Art , ist verschieden von jeder andern bei Erwachsenen beobach-
teten Durchlöcherung des Magens, ist durchaus nicht die Folge von Ent^-
zündung, wie die Sectionen bewiesen haben, da man nur höchst selten Spu-
ren von Congestion und nie von Entzündung am leidenden Organe fand
(vgl. Becker a. a. O. -fbi. 5. S. 31). Dr. Romberg in Berlin (s. Rust's Ma-
gazin, Bd. XXX. Hft. 1. S. 144) fand folgendes Verhältniss des häufigem
oder seltenern Auftretens der Krankheit : Unter 50 Fällen kommen nur 6 auf
ein späteres Alter als über das 2te Lebensjahr, nämlich vom Isten bis 3ten
Monate (incl.) 6 Fälle, vom 4ten bis 6ten M. 17 F., vom 7ten bis Uten
M. 7 F., vom Isten bis 2ten Jahre 14 F., vom 3ten bis 5ten Jahre 6 F.
Alle diese Umstände berechtigen zu der Annahme , dass die eigentliche gal-
lertartige Erweichung der Magenhäute stets nur eine Kinderkrankheit eigen-
thümlicher Art constituire, die auch ohne wirkliche Gastrobrose in Folge
allgemeiner der Chlorosis ähnlicher Kachexie tödten könne, und durchaus nicht
auf Entzündung, sondern vielmehr auf unvollkoraraner Assimilation, Chymi-
fication und Sanguification in Folge eines mangelhaften Einflusses der orga-
nischen Nenen , besonders des Vagus und Sympathicus maximus , beruhe,
wodurch der Chemismus der Assimilation nicht gehörig von Statten geht.
So bemerken wir bei Status pituitosus , besonders bei chronischer Blennor-
rhoe der Gedärme, nicht selten Abgang eines sehr scharfen kaustischen
Schleims , und die epidemischen Einflüsse , welche auch bei der Gastromala-
cie nicht ganz übersehen werden dürfen, sind, der Erfahrung gemäss, oft
Ursache, dass pituitöse Fieber einen putriden Charakter annehmen. Sowie
ferner Helminthiasis und Atrophie Schleimfieber begünstigen, die auch in ih-
rem, freilich langsamem Verlaufe manche Ähnlichkeit mit der, besonders
chronischen Gastromalacie darbieten (Frostgefuhl , kalte Extremitäten, kalte
Schweisse, Apathie, Ermattung), so sind atrophische und an Wurmkrank-
heit leidende Kinder besonders auch zur Magenerweichung disponirt. Nur
Säuglinge mit blondem Haar und blauen Augen waren nach meinen Beob-
achtungen der Gastromalacie unterworfen, nicht aber solche mit dunklem
Teint. Wenn Pohl in seiner übrigens schätzbaren Dissertation: CoUectanea
sistens de Gastritidis morborumque, qui eam sequuntur, pathologia. Lips.
1822, die Gastromalacia infantum von einer vorhergegangenen Gastritis
acuta aut chronica ableitet, so irrt er darin laut den Resultaten aus den
Leichenöffnungen und allen Symptomen der Krankheit offenbar. Auch F.
Lesser leitet in seiner gehaltvollen Schrift: Die Entzündung und Verschwä-
rung der Schleimhaut des Verdauungscanais. Berlin, 1820. Abschn. 6, die
Gastromalacie von Entzündung der Magenschleimhaut ab, aber leider ist in
unserer Zeit der Begriff von Inflaromation so sehr ausgedehnt worden, dass
er allen Werth am Krankenbette verlieren muss. Wie wenig dieses auf
Wahrheit gegründet ist, lehrt schon der Umstand, dass die Magengegend
oft gar nicht schmerzt , wie ich es oft wahrgenommen , desgleichen Dr.
Wolf hei einem Kinde, das 3 Wochen krank war, aber nicht erbrach, nur
grüne Sedes hatte, oft alle Stunden Extr. nuc. vom. und Columbo bekam,
Most Bncyklopädi«. Ste Aufl. I. 55
g82 GASTR0MALAC1A
aber dennoch etarb (s. Rusfs Magaz. , 1827, Hft. 1, 8. 99). Weit rkbö-
ger is^t Carl VogeVs Ansicht, dass die Krankheit wesentlich der Chlorosis
ähnlich sey ; daher er denn auch Rothwein, Eichelkaffee, und im hohen
Grade täglich 1 — 2 Tropfen Tinct. opii crocata anräth (s. Rus€s Magazin,
1828, Hft. 2, S. S15). Wundern muss man sich, dass Winter (s. Rnsf*
Magaz., Bd. XXXIII. Hft. 2, S. 2S2— 327) in seiner übrigens guten Ab-
handlung gleichfalls das Wesen der Krankheit in Entzündung in Folge ye-
nöser Congestion sucht. Meissner, der in seinem Handbuche der Kinder-
krankheiten richtig bemerkt , dass die Zeichen dieser Krankheit , woran auch
alte Branntweintrinker leiden können, oft trügerisch und die Diagnose schwer
sey, hält das Übel fiir ein der Putrescentia uteri Boer's ähnliches; er lobt
besonders innerlich : I^ Aq. fior. nnphne §jj , Acid. pyroUgnosi 3jj , Sijr. emul-
siv. §]. M. S. Alle Stunden einen halben Esslöfiei voll. Eine genaue Be-
schreibung und Kritik, desgleichen eine ausführliche Literatur der Magen-
erweichung findet man in folgender Schrift: C. Fr. Pletiner, De Gastroma-
lacia dissert. Berol. 1827. — Zum Beschluss mögen hier einige Krankheits-
falle noch Platz finden.
'Erster Fall. Garlrotnalacia amlissima. Im Jahre 1826 bekam ich
das leicht geborene Kind des Musicus W. hieselbst, 1 Tag alt, wegen an-
haltenden Schreiens in die Cur. Das Kind wollte die Brust der sensiblen,
blonden, an Hysterie leidenden Mutter nicht anfassen. Ich fand die Brüste
sehr hart und aufgetrieben von Milch, Hess sie durch eine andere Person
aussaugen, so dass der Säugling, ein Knabe mit blondem Teint, die War-
zen fassen konnte, und das Geschäft ging gut von Statten; das Schreien
unterblieb , sowie der Hunger gestillt war. Später fing der Knabe an sehr
wohlgenährt zu werden , litt indessen fortwährend an Hartleibigkeit , hatte,
wenn er nicht klystiert wurde, nur alle zwei Tage Öffnung, die Sedes wa-
ren hart, oft weisslich, zähe und gehackt; dabei des Nachts sehr unruhiger
Schlaf und mitunter leichte Convulsionen. Eröffnende Laveraents , laue Bä-
der, zuweilen etwas Syr. rhei , mannae mit Aq. foeniculi änderten den Zu-
stand nicht auf die Dauer. Die nächtliche Unruhe nahm zu, der Leib musste
stets durch Klystiere offen erhalten werden , und das Kind wurde dennoch
immer wohlgenährter. Es entwickelten sich die Sinne für sein Alter ziem-
lich rasch; das Kind war weder reizbar, noch schläfrig, und machte der
Mutter, das ewige nächtliche Schreien abgerechnet, \'iel Freude. Die Lei-
besöffnung wurde allmälig regelmässiger, und auch des Nachts schlief das
Kind weit ruhiger. Die Sedes waren zuweilen etwas grünlich; doch war
die» nur selten der Fall. Periodisch, besonders alle 7 — 8 Tage, trat wie-
der eine sehr unruhige Nacht mit Aufschreien aus dem Schlafe , doch ohne
Convulsionen , ein. Das Kind blieb wohlgenährt und dem Anscheine nach
gesund bis zum dritten Monate. Hier werde ich eines Morgens früh eilig
zu demselben verlangt, finde es aber bei meiner Ankunft schon todt. Es
hatte die Nacht über bis gegen 5 Uhr ruhig geschlafen, war dann mit
einem heftigen Geschrei aufgewacht, hatte mit den Gliedern gezuckt, wu-
am Kopfe und au den Extremitäten kalt geworden und binnen einer Stunde
gestorben. Section. Sie wurde 12 Stunden nach dem Tode gemacht.
Der äussere Habitus der Leiche war ein blasses, aufgedunsenes, leukophle-
gmatisches Ansehn , Schlaffheit aller Muskeln ; das Blut war in allen Ge-
fassen dünnßüssig und arm an Cruor. Das Gehirn war im normalsten Zu-
stande, weder Spuren von Entzündung, noch von Extravasat oder Exsudat
zu finden, die Brusthöhle zeigte gleichfalls nichts Abnormes; der Unterleib
wurde geöffnet und der Magen inwendig in seinem ganzen Fundus mit einer
gallertartigen Masse, mit Zerstörung der Schleimhaut und grosser Mürbig^
keit, so dass man ohne Mühe mit dem Finger alle Magenhäute durchstossen
konnte, gefunden. Dieselbe Rlürbigkeit fand sich an mehreren Stellen de«
Darmcanals, der leer und von Luft aufgetrieben war. Auffallend mürbe
war auch die Leber, die Milz, das Herz und die linke Niere, welche zu-
gleich nox--h einmal so gross als die rechte war. Der Pylorus war rund um-
her Von rothen Blut^efäsaen wie injicirt, zeigte indessen keine Spur von
GASTROMÄLACIA 883
Entzündung. Seit 14 Tagen hatte das Kind , wie ich ron der Mutter er-
fuhr, sich oft erbrochen j seit 8 Tagen war es mitunter gefüttert worden,
und hatte besonders den Tag vor dem Tode eine grosse Quantität Milch
und Semmel genossen, welche Masse eine Stunde vor dem Tode wieder
. durch Erbrechen ausgeleert worden war. Hier lag also durchaus nicht nur
ein topisches Leiden, sondern ein Allgemeinleiden, eine wahre Cachexia ma-
lacosa, ähnlich der Cachexia chlorotica, wie der aufgedunsene Habitus und
die Section bewiesen, klar am Tage.
Zweiter Fall. Grtstromalncia acuta. Am lOten Decbr. 1828 bekam
ich den kleinen Sohn des Hrn. M. hieselbst, 8 Tage alt, blond, mager, mit
folgenden Zufällen in die Cur. Öfteres Erbrechen seit 3 Tagen , schneller,
kleiner Puls, Gesichtsblässe, kalte Glieder, kalter Kopf, Agrypnocoma,
ausserordentlich schnelle Abmagerung und Schwäche, grünliche, stinkende
Diarrhöe. Vor 3 Tagen, wo das Übel begonnen hatte, war das Kind noch
ganz wohl gewesen, hatte aber vielen Durst gezeigt, und am ersten Abend,
aber nicht später, etwas brennende Hände gehabt. Die Anamnese ergab
Folgendes : Die Mutter des Kindes ist 26 Jahre alt , hat schon dreimal ge-
boren, ist mager, blass und hysterisch, hat in ihrer Kindheit an Rhachitis,
in der Pubertätszeit aber mehrere Jahre an Anomalien der Menstruation und
Chlorosis gelitten. Cur. Das Übel hielt ich für Gastromalacie , verordnete
innerlich die Aq. oxymuriatica in Decoct. rad. althaeae nach Blasius, Hess
den Unterleib mit warmen aromatischen Kräutern und Wein fomentiren, den
Rücken mit Avarmen trocknen Flanelltüchern reiben und verordnete laue äthe-
rische Bäder. Der Erfolg war sehr günstig. Das Erbrechen liess nach,
das blasse apathische Gesicht bekam Röthe und Leben, die grünen, gehack-
ten Stuhlgänge wurden gelblich und von normaler Beschaffenheit, und das
Kind erholte sich schnell wieder. Später gab ich Decoct. salep, etwas Tinct.
rhei mit Aq. foeniculi , und liess drei Stahibäder nehmen. Die Mutter wollte
sich, so sehr ich auch darauf drang, nicht zur Anschaffung einer Amme ent-
schliessen. Sie hat den Knaben fortgestillt, der sich bis zum heutigen Tage,
einige Digestionsschwäche und Neigung zu Obstrüctio alvi abgerechnet, ganz
wohl befindet und auch beim Zahnen (er hat jetzt 10 Zähne) nur Vvenig
gelitten hat. Er soll jetzt (April 1830) mit Vorsicht entwöhnt werden.
Dieser Fall beweist, dass auch Kinder in den ersten Lebenstagen das Übel
bekommen können.
Nachschrift. Ende Aprils wurde der Knabe, obgleich er sehr vor-
sichtig entwöhnt und nur mit der leichtesten Milchnahrung genährt worden,
dennoch noch einmal, 8 Tage nach dem Entwöhnen, von der schrecklichen
Gastromalacie befallen. Er magerte so schnell ab und alle bekannten Zu-
fälle : der grosse Durst , die Gier , womit er trank , die Schnelligkeit des
Pulses, das Agrypnocoma, das Erbrechen waren so bedeutend, dabei mehr
Neigung zu Obstrüctio alvi, Sedes grün, gelblich, zähe, gehackt, dass ich
für sein Leben fürchtete. Ausser aromatischen, warmen Bädern und Aq.
oxymuriatica , welche in den ersten 4 Tagen wenig leisteten , besserte sich
der Zustand auf 24 Stunden durch den Genuss von Rothwein (alle 2 Stun-
den 1 Theelöffel voll) bedeutend. Am andern Tage Verschlimmerung. Jetzt
gab ich 6 Dosen aus: ly Merc. dulc. gr. ß, Mngnes. cnrhon. gr. v, Giimm.
arab., Sacchari albi ana gr. vj. Alle 3 Stunden % — 1 Pulver. Hiernach
entschied sich die Krankheit. Es ging durch den Stuhlgang der gallertar-
tige Schleim ab; der Knabe bekam nun Tinct. nervina Bestucheff, , dreimal
täglich 5 — 8 Tropfen mitRothvvein, ist jetzt wieder gesund und wohl, und
hat bis heute (24sten Juli) 12 Pfund an Gewicht zugenommen.
Dritter Fall. Gastromalada chronica. Am 6ten Juli 1829 bekam
ich das 6 Monate alte, magere, abgezehrte, aufgefütterte Kind des Mau-
rers St. mit dieser Krankheit in die Cur. Es hatte schon seit mehreren
Wochen an schlechter Verdauung , an öftern grünen , gehackten Dui'chfällen,
Erbrechen von Schleim etc. gelitten. Auch jetzt waren die Sedes ganz wie
Spinat, von sehr üblem Geruch, der Puls klein, schnell und schwach, das
884. GASTROMALACIA
Gesicht und die Glieder kalt, kalte Seh weisse; dabei stetes Wimmern , hSchst
verfallnes Gesicht , Agrypnocoma , aber kein Erbrechen , der Leib etwas
aufgetrieben , aber nicht schmerzhaft. Die Anamnese ergab dieses : die Mut-
ter des Kindes ist höchst ungesund, leidet an Krämpfen, an habitueller Ver-
stopfung des Leibes, war in der Kindheit rhac.hitisch , später höchst schwäch-
lich, reizbar, an Verkehrtheiten, Melancholien leidend. Im Wochenbette
trat heftiges Fieber mit Mania puerperalis ein. Deshalb bekam das Kind
keine Brust , sondern wurde mit Milch - und Mehlspeisen , mit grober Kost,
selbst mit Biersuppen und andern schädlichen Dingen gefüttert. Behand-
lung. Zuerst ein w armes Bad mit Spec. aromat. , wonach aber kein
Schweiss folgte; innerlich I^f Liq. Jcali carbon. ö\ij -Ai). foeniculi 3J(^, Syr.
rhei §j. M. S. Stündlich 1 Theelöffel voll ; äusserlich zum Einreiben dee
Leibes Linim. volat. camph. gj , Laudani liquid. Syd. 5tV. Den 7tenr Juli.
Etwas Besserung. Die Sedes haben eine natürliche gelbliche Farbe bekom-
men , die Glieder sind wärmer geworden , der schlafwache Zustand ist ver-
schwunden; auch die Stimme ist kräftiger geworden, so dass das Kind
nicht mehr wimmert, sondern periodisch laut schreiet. Bedeutenden Durst
hat das Kind nicht; es bekommt Haferschleim mit etwas Zimmt zum Ge-
tränke. Den lOten Juli. Da sich der kleine Patient nach diesen Mitteln
ziemlich erholt hatte, so verordnete ich jetzt nur eine strenge Diät, frische,
ungekochte, noch warme Kuhmilch, und mitunter etwas Kalbfleischbouillon
zur Nahrung, alle 2 Tage ein laues Bad von aromatischen Kräutern mit
Calam. arom. , und innerlich Tinct. nervina Bestuchetf. , dreimal täglich
4 — 6 Tropfen in Salepschleim. Ich rieth, diese Mittel mehrere Wochen
lang fortzusetzen, besonders da sie dem Kinde so gut bekamen, dass es au-
genscheinlich an Munterkeit und Kräften zunahm, und die schwächenden
Diarrhöen verschwunden waren. Mein Rath wurde nur in den ersten 8 Ta-
gen befolgt. Dann unterblieb das Mediciniren wie das Baden. Auch die
Diät wurde nicht streng beobachtet; das Kind bekam wieder grobe Kost
und fing wieder an magerer zu werden. Meine Vorstellungen fnichteten
wenig; so ermüdete ich und blieb weg. Den SOsten August. Heute werde
ich vdederum zu meiner kleinen Patientin verlangt. Die Zufalle waren wie-
derum ganz dieselben wie am 6ten Juli, aber in einem noch höhern Grade;
die Gesichtszüge höchst leidend, die Augen tief in der Augenhöhle, der
Körper war seit wenigen Tagen höchst mager und welk geworden ; das
Agrypnocoma war bedeutend. Warme aromatische und ätherische Fomenta-
tionen auf den Unterleib , innerlich Aq. oxymuriatica nach Blasius. Den
Slsten August. Keine Besserung des Krankheitszustandes, obgleich ^\\ Chlor
verbraucht ist und die grünen Sedes gelblich geworden sind. Ich verord-
nete nun das Acid. pyro -lignosum nach Pitschaft (s. oben), und Hess die
warmen Foraentationen fortsetzen. Den 22sten August. Verschlimmerung.
Höchst kleiner, schneller, kaum fühlbarer Puls, kalte Schweisse, aufgetrie-
bener Unterleib , schrecklicher Durst und die cigenthümliche Physiognomie
der Gastrobrose (s. den Art.). In der Nacht zwischen 2 und 3 Uhr folgte
der Tod. Section. Ich verrichtete sie 16 Stunden nach dem Tode, und
fand einen höchst abgemagerten Körper, am Rücken Todtentlecke, höchst
mürbes, weiches Herz, eben solche Leber, Milz; das untere Ende des
Oesophagus, der Magengrund und mehrere Stellen des Dünndarms zeigten
einen Überzug von gelblich- bräunlichem Schleime (ganz ähnlich dem gal-
lertartigen, zitternden Schleime, der bei der Besserung abzugehen und sich
durch Stuhlgang zu entleeren pflegt. Siehe oben den zweiten Fall), ein-
zelne dunkle mistfarbige Stellen , die so mürbe waren , dass man alle Ma-
gen- und Darmhäute an diesen Stellen mit den Fingern zerreiben konnte;
ausserdem im Fundo ventriculi ein wirkliches Loch von der Grösse eines
Silbergroschens, Die Gedärme waren, wie der Magen, leer, und erstere
durch Luft aufgetrieben , letztere zusammengefallen. Nirgends war eine
Spur von Entzündung zu bemerken. Der Kopf wurde, weil die Angehöri-
gen dies nicht zugeben wollten, nicht geöffnet. Noch muss ich bemerken,
dasä der Magen an einer kleinen Stelle im Grunde desselben mit der Milz
QASTROMETROTOMIA — GASTRQSCOPU 885
adh^nvte, welche Stelle deutlich eine Vernarbung zeigte uud gegenwärtig
nicht so missfarbig als andere Stellen der Magenschleimhaut erschien.
Vierter Fall. Gnstromnlacin invipiens. Am 24sten November 1829
wurde ich zu dem hiesigen Schneidermeister P. verlangt, um dessen Kind,
ein Mädchen von 9 Monaten, mager, blass, das schon längere Zeit an al-
lerlei Digestionsfehlern gelitten, in die Cur zu nehmen. Die Mutter leitete
das Übel von den Zähnen her , indem gerade zwei Zähne durchgeschossen
waren, erzählte, dass sie das Unglück gehabt, schon ein Kind ganz an der-
selben Krankheit zu verlieren, dem ein älterer hiesiger Arzt ein Brechmittel
verordnet habe, worauf es binnen einer Stunde gestorben sey. Sie bat
mich deshalb, diesem Kinde doch ja kein Vomitiv zu verschreiben. Alle
Zufälle sprachen deutlich die anfangende Gastromalacie aus. Die Hände et-
was heiss , der Leib und Kopf kühl , die Sedes häufig , dünn und grünlich,
das Kind lag, wie die Mutter sich ausdrückte, stets im halben Schlummer,
trank häufig und viel, erbrach aber nur selten. Behandlung. Ein war-
mes Bad von 28 Grad Reaum. , bestehend aus Flor, chamomillae , Herba ro-
rismar., salviae und ähnlichen Dingen, Innerlich Aq. oxymuriat. in Decoct.
rad. althaeae; ausserdem Einreibungen des ganzen Unterleibes mit Linim.
volat. terebinthinatum. Da die Mutter gesund zu seyn schien, so untersagte
ich ausser der Muttermilch, die oft und in kleinen Portionen gereicht wurde,
jec^e andere Nahrung. Das Resultat war , dass bei genauer Befolgung aller
gemachten Verordnungen das Kind sich von Stunde an besserte und in vier
Tagen völlig hergestellt war. Zur Nachcur wurden erst Kalmusbäder, dann
Stahlbäder verordnet und innerlich die Tinct. ferri muriat. , täglich 2 — Smal
1 — 3 Tropfen in Haferschleim gereicht. Es war eine rechte Freude, die
schnell© Zunahme des Gedeihens bei diesem Kinde zu sehen. Es wurde
späterhin mit Vorsicht entwöhnt, allmälig an leichte Nahrung gewöhnt, und
ist bis zum heutigen Tage ein gesundes blühendes Kind und wohlgenährt
und munter. — Ausser den hier mitgetheilten Fällen von Gastromalacie sind
mir noch 5 ähnliche vorgekommen; in zweien folgte der Tod schon 3 Stun-
den nachdem ich die Kinder in die Behandlung bekommen, und die Section
zeigte nur alleinige Gastromalacie, ohne Erweichung des Oesophagus, in
den andern S Fällen genasen die Kleinen. Sie waren durch schlechte Nah-
rung schon längere Zeit abgemagert. Leider ist es das Loos der unglück-
lichen unehelichen Kinder, dass sie von der eigenen Mutter, die sich fast
immer als Amme vermiethet, stiefmütterlich behandelt und alten Weibern in
die Kost gegeben werden, wo sie in Unreinlichkeit und durch Verfüttern
den frühen Tod finden. Wann wird die Zeit kommen , wo der Staat auch
diesen langsamen Kindermord bestraft?
dastrometrotomia, der Kaiserschnitt, s. Gastrotomia.
Crastrono<>(OS* Ist jedes Magen- oder Unterleibsleiden, aber keine
gastrische Krankheit.
O^astropathia, Magenleiden. Jedes noch nicht hinreichend er-
kannte Magenleiden, jede krankhafte Affection desselben pflegt man Gastro-
pathie zu nennen. Letztere dient daher zur Polterkammer für jeden nicht
genau erkannten Krankheitszustand des Magens, wo es also besser ist die-
sen genau zu untersuchen, als sich mit jenem Worte zu begnügen. Dafts
Ramisch die Gastromalacie so nennt, verdient getadelt zu werden.
Gastroplltbisis. Ist Phthisis abdominalis.
G^astrorrhag^ia, Magenblutung, s. Haemorrhagia ventriculi,
Vomitus cruentus.
C^astrorrbapbia , die Bauchnaht. Ist eine Art der chirurgi-
schen blutigen Nähte, welche bei Bauch- und Darm wunden angewandt wird ;
8. Vulnus.
Oastroscopia» die Untersuchung des Unterleibes, die
Bauch sc hau. Ist, wie das Untersuchen des Bauches mit der Hand, zur
Erkenntniss und Unterscheidung der Zeit der Schwangerschaft, mancher
886 GASTROSES — GERONTOXON
Fieber mit Entzündungen der Lebw, des Magens, der Gedärme, desglei-
ctien mancher chronischer Übel von Wichtigkeit. Bei Febris nervosa, neu-
ropathica, bei Icterus, bei den verschiedenen Leiden der Leber, der Milz,
des Magens , Pankreas , des Uterus , der Ovarien , des Mastdarms etc. ver-
säume man die Untersuchung durchs Gefühl und Gesicht ja nicht.
OastroseiS, die Gastrosen. Ist der Gattungsname für alle Magen-
krankheiten, welche Alihert (Nosologie naturelle; T. I. Paris, 1807) unter
die Trophopathien subsumirt. So nennt daher derselbe die ganze Classe
der Magenleiden.
Oastrotomia, s. Hysterotomia.
Oeniantralgia* Ist jedes schmerzhafte Leiden der Oberkinnbacken-
hShle, das seinen Grund in Entzündung, Eiterung, Polypen, Exostosen ira
Antro Highmori, entstanden durch fremde Körper, Würmer, die sich hin-
einbegeben können, durch Verletzung beim Ausziehen des dritten und vier-
ten Backenzahns , durch syphilitische Dyskrasie etc. , hat und nach der
Grundkrankheit behandelt werden muss.
Oenneticocnesmus • krankhaftes Jucken der Zeugungs-
t heile. Ist oft ein recht lästiges Übel, besonders bei Frauen (Pruritus
vulvae), wo häufig Fluor albus dazu Gelegenheit giebt. Ein wirksames
Mittel ist hier der innere Gebrauch des Bals. copaivae, dreimal täglich zu
20 Tropfen. Er verschaffte die schnellste und vollkommenste Heilung , wo
schon viele äussere und innere Mittel, selbst Opiate, fruchtlos angewandt
worden waren. In zwei andern Fällen, wo der Copaivabalsam nichts half,
waren Waschungen mit Solutio boracis , in einem dritten das Bestreuen der
heftig gereizten und aufgekratzten Theile mit einem Pulver aus Amylum und
Lap. calaminaris nützlich (s. Ruan in North American medical and surgical
Jüurn. Octbr. 1828. Hufeland's Journ. 1830, Januar, S. 139). Bei Haut-
excoriationen durch Fluor albus fand ich Zinksalbe sehr nützlich. Bei Män-
nern entsteht ein beschwerliches Jucken der Geschlechtstheile, besonders in
den Schamhaaren, durch Sudor perinaei, durch ähnlichen Schweiss am
Schooshügel. Dieser rührt oft von Gicht und Hämorrhoiden her, scheint
oft kritisch zu seyn und darf nicht durch kalte und zurücktreibende Mittel
vertrieben werden. In mehreren Fällen half hier innerlich ein Pulver aus
Crem, tartari und Flor, sulphur. Sind Filzläuse die Ursache, so vertreibt
man diese durch die bekannten Mittel (s. Antiphthiriaca). Bei einem
anhaltenden Jucken an der Glans penis achte man auf allgemeine Blennor-
rhoe, behandle den sogenannten Eicheltripper durch öfteres Waschen der
Eichel und Vorhaut mit kaltem Wasser, mit Kalkwasser, mit einer höchst
schwachen Solutio vitrioli coerulei (3(?f in Sj Wasser), und durch innere
Mittel gegen die Blennorrhoe. Ausserdem übersehe man nicht , dass fremde
Reize in der Blase, Blasensteine, oft ein anhaltendes und beschwerlichea
Jucken an der Eichel verursachen, wo denn das Grundübel zu behandeln ist.
CTeochosia, das Erdbad, s. Balnium.
Oerontopia, schwaches Gesicht der Alten.
Oerontoplithalniia. Ist Ophthalmia senilis.
Oerontoxon, Gcrontotoxon , Macula nrcuata, Arcus senilis, der
Gr eisenbog en, Altersbogen. Ist eine bei alten Leuten oft entste-
hende bogenförmige Verdunkelung am untern Rande der Cornea, die sich
nicht blos bei Menschen , sondern auch bei Thieren findet. Das Übel ge-
hört zu den Gebrechen des Alters , zum Marasmus senilis , und ist unheil-
bar, weil es das Product desselben Processes ist, der die Arterien, Knor-
pel etc. in Knochenmaterie verwandelt. Zuweilen findet sich die Macula
oculi areuata aber auch bei jungen Leuten (^Mohrcnhcim , Si/hd, Waiulrop,
vgl. Weilers Krankheiten des Auges, 1822; S. 133); ja, sie kann sogar
angeboren seyn. Hier versuche man die gegen Hornhautttecke empfohlenen
Mittel (s. Macula corneae), wenn das Sehvermögen dadurch beeinträch-
tigt werden sollte, wem indessen nur selten der Fall ist.
GEUSröDYSPHORlA -- GLAUCEDO 887
Oeufiifoclysphoria. Ist jede zu starke, schmerzhafte Affection
durch schnieckbare Gegenstände; z. B. bei Aphthen im Munde. Hier ma-
chen scharfe, salzige, saure Dinge, scharfe Arzneien, Mund- und Gurgel-
wasser oft heftige Schmerzen. Sie müssen in solchen Fällen blos aus schlei-
migen Dingen bestehen (s. Angina aphthosa und Febris putrida).
Ola^ucedo, Glaucoma, Oculus caesiws, Catnrncta viridis, Cat. glau-
comnlosa, das Glaukom, der sog. grüne Staar. Ist eine graugrünliche
Trübung des Glaskörpers mit gleichzeitig oder schon früher vermindertem,
später ganz aufgehobenem Sehvermögen. Diese Trübung des Glaskörpern
geht gewöhnlich sehr langsam vor sich , aber die Abnahme des Gesichts oft
sehr schnell, oft augenblicklich; sie steht wenigstens mit der Trübheit des
Corpus vitrei in keinem Verhältnis«. Da nun letztere nur ein Grünsehen
aller Gegenstände, nicht völlige Blindheit zur Folge haben würde, so muss
man den Grund des gänzlichen Mangels an Sehvermögen in den sensiblen
Theilen des Auges suchen. Daher nennt auch TJ^eUer das Glaukom keine
Krankheit besonderer Art, sondern eine recht schlimme Form von Amaurose.
Auch Ilimly sagt mit Recht: „Wo Glaukom ist, da ist auch schwarzer und
nicht selten zugleich grauer Staar." Symptome, Ursachen und Ver-
lauf. Am häufigsten ist das Übel arthritischen Ursprungs. Hier geht ent-
weder eine acute oder eine schleichende arthritische Augapfelentzündung vor-
her. Erstere giebt sich durch bohrende, reissende, den Augapfel gleichsam
spaltende Schmerzen zu erkennen. Der Kranke leidet zugleich an Mücken-
sehen, die Pupille erweitert sich, wird der Pupille wiederkäuender Thiere
ähnlich, so dass ihr horizontaler Durchmesser sich erweitert. Diese Form
behält die Pupille und das Gesicht wird, selbst bei höchbt geringer Trü-
bung des Glaskörpers , immer schwächer (^Henediclj Himlij, Langenhecli).
Bei der schleichenden Ophthalmia arthritica sind die schmerzhafter. Alfectio-
nen oft so gering, dass nur ein scharfer Beobachter die wahre Krankheit
entdecken kann. Bei jungen Leuten kommt das Übel fast nie vor, nur bei
Personen zwischen 30 und 60 Jahren. Im weitern Verlaufe des Glaukom;*
wird der Glaskörper immer durchsichtiger; dabei trübt sich häufig die Linse
(Cataracta viridis, glaucomatosa) , sieht grau - grünlich aus, wächst in ih-
rem Umfange, füllt die hintere Augenkammer aus, drängt die Iris hervor,
legt sich in die erweiterte Pupille und verkleineft die vordere Augenkam-
mer. Nun wird das Auge atrophisch , die Augendeckel fallen ein und schlies-
sen sich für immer {Vt'eUei-). Diagnose. Ist nicht immer leicht. Zu An-
fange des Übels sieht die Pupille oft graulich aus und hat Ähnlichkeit mit
Cataracta. Hier dient zur Unterscheidung 1) dass die Verdunkelung tiefer
liegt; 2) dass der Kranke weit schlechter sieht als er bei Cataracta inci-
piens, bei leichter Verdunkelung der Linse sehen würde; 3) man findet den
höchsten Verdunkelungspunkt nicht, wie bei Cataracta, in der Mitte der
Linse, sondern sehr variabel, immer an der andern Seite, als wie man selbst
beim Beschauen des Auges steht. Jeder graue Staar ist in der Mitte satu-
rirter, wir mögen das Auge besehen, von welcher Seite wir wollen, bei
Glaukom ist eine tiefere Spiegelung im Auge (Hmily). Bei fortgeschritte-
nem Übel ist die Diagnose leichter. Die Erweiterung der nach beiden Au-
genwinkeln in die Länge gezogenen Pupille ist sehr bedeutend, so dass man
oft den ganzen Umfang des hinzugekommenen grünen Staars sehen und bei
genauer Besichtigung noch einen zweiten grünen Ring um diesen entdecken
kann. Dabei ist der Mensch total blind, oft die Farbe selbst meergrün,
selbst die der Cornea, und die Sclerotica zeigt grosse variköse Gefässe.
Cur. Das ausgebildete Glaukom ist unheilbar". Durch eine zweckmässige
Behandlung der Ophthalmia, der Iritis arthritica (Einreibungen von Linim.
volat. camph. und Laudan. ana in die A\igengegend, Vesicatorien in den
Nacken, aufs Auge warme aromatische Kräuter, Einreibungen der Brech-
■weinsteinsalbe hinter die Ohren , innerlich Merc. dulc. , Sulph. aurat. und
Guajak) verhütet man am besten diesen schlimmen Ausgang. Ebenso muss
anck die Behaiidlung seyn , wenn auf einem Auge schon ein Glaukom da
iat, damit nicht auch das andere Auge ergriffen wird and verloren geht.
888 GLAUCOSIS — GLOSSOSCOPU
. Hier wende man besonders eine recht kräftige innere Cur gegen die Gicht
an (s. Antarthritica und Arthritis). Äusserlich versuche man das
Strychuin nach der Methode emplastro - endermique , worüber der Artikel
Amaurosis nachzulesen ist.
Olaucosis. Ist der das Glaukom hervorbringende Process, die Bil-
dung oder Entstehung des Glaukoms; also nicht einerlei mit Glancomn.
Crlenitis* So nennt Hnrlcss die Entzündung der KrystalUinse ; 8
Len litis.
CrlobuiS liystericus , Nodus hystericus, hysterische Kugel,
hysterischer Knoten. Ist das Gefühl Hysterischer, als ob ein Pfropf
im Halse stecke, hervorgebracht durch Krampf der Halsmuskeln, das oft
nnd periodisch eintritt, aber nie tagelang mit gleicher Heftigkeit anhält («.
Hys teria).
G^losi^agpra, Glossalgia, Zungenschmerz. Einige verstehen dar-
unter jedes Zungenübel mit Schmerz, Andere blos Zungenschmerz ohne be-
deutende Entzündung und Geschwulst. Bei Milz - und Leberfehlern , bei
Sordes primaium viarum , desgleichen nach dem Insult der Epilepsie schmerzt
nicht selten die Zungenspitze, ohne dass Verletzung durchs ßeissen vorher-
gegangen wäre. Später zeigen sich ganz kleine Bläschen, die in der Regel
mit dem Zungenschmerz binnen ein paar Tagen von selbst verschwinden-
Bei Hysterischen, bei Leber- und Milzfehlern fand ich häufig einen perio-
dischen Zungenschmer?; neben den kritisch scheinenden Bläschen ; auch beob-
achtete ich, dass junge Mädchen, die über periodischen Schmerz der Zun-
genspitze klagten, häufig onanirten (^Most).
CMossanthraX, bösartige Zungenblatter, Zungencarbun-
kel. Ist zuweilen ein Symptom der Angina gangraenosa, besonders bei
höchst kachektischen Personen. In einzelnen Fällen beobachtet man sie als
Folge des Milzbrandgiftes; s. Anthrax, Febris putrida und Vesi-
cula gangraenescens.
C^lossitiSj Glossonciis inflammatorius , Angina lUtgunria, Zungenent-
zündung, s. Inflammatio linguae.
C^lossocarcinoina, Zungenkrebs, s. Cancer linguae.
C^lossocele, Prolapsus linguae, Zungenvorfall. So hat man
wol den Zufall genannt, wo die Zunge wegen eines Bildungsfehlers, wegen
Glossoplegie aus dem Munde stark hervortretend erscheint; s. auch Bal-
buties.
dossolysis und Olossopleg^ia , Zungenlähmung. Der erste
Name bezeichnet Lähmung der Zunge mit Erschlaffung , der andere eine
Lähmung derselben mit Krampf und Steifheit. Das Übel, das wegen der
Wichtigkeit des Organs in Betreff der Sprache und des Speisengenusses
höchst traurig ist, erscheint am häufigsten in Gesellschaft anderer Paraly-
sen und als Folge der Apoplexie. Bei der Glossoplegie, die zuweilen als
Ausgang einer Glossitis auftritt, nehme man sich anfangs mit den reizenden
Mitteln in Acht, bei der Glossolysis passen sie früher. Die Cur ist wie
bei jeder Paralyse. Der Galvanismus verdient hier besonders angewandt zu
werden (s. Galvanismus und Paralysis).
Olossorrliag^ia , bedeutende Zungenblutung, s. Haemorrhagia.
€rl<- SSOScirrhuus Zungenkrebs, s. Cancer.
Olossoscopia, die Untersuchung der Zunge. Das Beschauen
und Befühlen der Zunge ist zur Erkenntnis» und Diagnose vieler Krankhei-
ten ebenso wichtig, als die Untersuchung des Pulses Sowol die verschie-
dene Gestalt und Haltung der Zunge als auch der Zungenbeleg sind es, die
uns am meisten interessiren ; daher mögen hier folgende Notizen Platz fin-
den: Eine rothe und aufgeschwollene Zunge deutet auf Glossitis, eine auf-
geschwollene trockne Zunge mit stammelnder Sprache auf nahe bevorste-
hende Delirien ; vermindertes Volumen der Zange mit ungewöhnlicher Weich-
■ GLOSSOSCOPIA 889
heit und Beugsamkeit finden wir häufig bei Hektischen , mid eine gegen den
Schlund zurückgebogene Zunge soll Krämpfe andeuten. Unbeweglichkeit
der Zunge ist entweder Folge von Krampf oder von Lähmung, besonders
nach Schlagfluss. Das Zittern der Zunge betrachten wir a) bei vermehr-
tem Blutreiz, 6) bei gastrischen Fiebern mit Unreinigkeiten der ersten Wege,
die nach oben turgiren, c) bei Nervenfiebern als Folge der erhöhten Sensi-
bilität und geringen Irritabilität. Im letzten Stadium der Schwindsucht sieht
die ganz dünne, magere Zunge gewöhnlich hellroth und rein aus, wenn ge-
rade keine Aphthen da sind. — Vom grössten VVerthe ist für den Praktiker
die richtige Deutung des Zungenbelegs, wie diese» die ältesten Ärzte schon
einsahen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Beschaffenheit der Ab-
sonderung auf der Zunge häufig auch im gesunden Zustande nicht bei allen
Menschen dieselbe ist. So haben starke Tabaksraucher, Tabakskauer fast
immer eine belegte Zunge , und bei den meisten Menschen , die an eine rei-
zende, gewürzhafte Nahrung und an geistige Getränke gewöhnt sind, fin-
den wir eine feuchte , an der Wurzel mit Schleim überzogene Zunge. Im
Allgemeinen unterscheiden wir: 1) die reine und rot he Zunge. Sie deu-
tet, wenn sie zugleich feucht ist, auf Gesundheit, wenigstens auf Mangel
an Fieber und nicht stattfindende Krankheiten der Digestionsorgane. Bei
gastrischen Fiebern, bei chronischen Krankheiten der Leber, Milz, bei
Gichtdyskrasie zeigt das Reinenverden der früher belegt gewesenen Zunge
eine eintretende Entscheidung der Krankheit an. Ist die Zunge rein, roth
und zugleich trocken, so deutet dies entweder auf Krampf oder auf hef-
tige Localentzündungen , zuweilen aber nur auf Plethora abdominalis, Fla-
tulenz, Unterleibskrämpfe. Eine sehr rot he und spitze Zunge ohne Be-
leg lässt schon, ehe die Eruption da ist, die Scarlatina vorhersagen. Auch
bei Menschen mit Anlage zu Blutspeien ist die Zunge sehr roth. 2) Die
feuchte, mit schmierigem, weiss lieh -gelblichem, übel-
flchmeckendem Schleime belegte Zunge, verbunden mit vermehr-
ter Speichelabsonderung und häufigem Spucken, deutet auf gastrische Be-
schwerden, auf Sordes primarum viarum. 3) Eine trockne Zunge ist be|
gesunden Leuten des Morgens bemerkbar, wenn sie des Nachts mit oifenera
Munde schlafen. Ausserdem finden wir sie bei Plethora abdominalis , bei
Flatulenz, bei Krämpfen ex abdomine. In letzterm Falle richten sich die
Zungenpapillen oft wie Borsten in die Höhe. Bei Febris ienta nervosa, bei
Febris synochica nervosa mit Subsultus tendinum und Krampfzufällen, sowie
bei heftigen innern Entzündungen ist die Zunge fast immer hochroth und
trocken. Bei allen Nerven - und Faulfiebern im Stadio der wahren Schwäche
ist sie trocken und mit einem schmuzigen Beleg überzogen. Im höchsten
Grade der Trockenheit bilden sich Risse und Spalten, welche in hitzigen
Fiebern Gefahr anzeigen. *) Nicht jede belegte Zunge deutet auf Dige-
stionskrankheiten, nur wenn auch die übrigen Zeichen des Status gastricus
da sind , hat sie Bedeutung. Denn der Zungcnbeleg kann von örtlicher
Affection der Zunge, von veränderter und vermehrter Schleimabsonderung,
von Aphthen, Angina, von Reizungen der Respirationsorgane etc. herrühren.
Es war ein grosser Fehler der Gastriker, von belegter Zunge sogleich auf
Gastricismus zu schliessen. Ein weisser, dünner, leichter Zungenbeleg
mit durchschimmernder Röthe findet sich beinahe im Verlaufe eines jeden
Fiebers, sowie häufig auch bei gesunden Menschen. Der gelbliche Zun-
genüberzug deutet auf Beimischung des Farbestoffs der Galle, zeigt sich
aber auch bei den Krisen der Pneumonie. Die weissbelegte Zunge wird des
Morgens gleich nach dem Genuss von Kaffee gleichfalls gelb, was uns aber
nicht täuschen darf. Ist die Zunge aber von Anfange der Krankheit an mit
einem gelben, zähen Schleim überzogen, so kann man mit Sicherheit an-
nehmen, dass Gallencomplicationen da sind. In Fiebern mit sehr grosser
Hitze trocknet durch letztere der schleimige Zungenbeleg auf, wodurch die
Zunge erdfahl , bläulich , bleifarben im Überzuge erscheint. Bei atra Bilis,
Hypochondrie, Infarcten, Stockungen in der Vena portarum, die die Alten
auch Porta malorum nannten, bei Scorbut und andern Dyskrafiien, finden
890 GLOSSOSPASMÜS — GONOCELE
wir gleichfalla den letztgenannten Überzug, der selbst firnissartig, in Fm-
ben schillernd angetroffen wird. Eine speckartige, mit dickem, weis»-
lich- grauem, schmuzigera Überzuge belastete Zunge finden wir bei Status
pituitosus, bei Febr. intermittens quartana, chronica, bei Infarcten ; eine
braunbelegte Zunge bei heftiger Febr. biliosa, bei Icterus flavus chro-
nicus, bei Febris putrida. Hier ist sie meist zugleich trocken und in schlim-
men Fällen der Putrescenz sogar schwarz. 5) Was die einzelnen Theile der
Zunge betrifft, so ist der Zungenbeleg jedesmal an der Zungenwurzel stär-
ker als anderswo, weil hier die meisten Schleimdrüsen liegen. Ist nur die
rechte Hälfte der Zunge belegt, so deutet dies mitunter auf Leberfeh-
ler, auf Prosopalgie und Migräne der rechten Seite des Kopfs, ists die
linke Hälfte der Zunge, so soll es Milzfehler und die andern genannten
Übel an der linken Körperhälfte anzeigen. Einige Arzte legen viel Werth
auf den Umstand, ob die Zunge bei stattfindenden Krisen vom Rande oder
von der Mitte aus rein wird. Im letztern Falle können wir wenigstens eine
voUkommnere Krise als im erstem Falle annehmen. 6) Dass bei der Unter-
suchung der Zunge der Arzt sich vor Täuschungen durch zuFällige Dinge:
Genuss von Heidelbeeren, Kirschen, Kaffee, Milch, wodurch rothe, gelbe,
weissliche Überzüge auf kurze Zeit erfolgen, in Acht zu nehmen habe, ver-
steht sich von selbst. So macht auch der GenuSs von Rothwein die Zunge
gleich hinterher bläulich, schwarz, wenn sie früher nur sehr leicht mit ei-
nem weissem Schleime überzogen war.
CrloiS($OSpa!i(inus 5 Glossocoma, der Zungenkrampf. Ist ein to-
Sischer Krampf, der zuweilen bei oder gleich nach einem heftigen Anfalle
er Epilepsie und Hysterie bemerkt wird , wobei die Zunge sich bewegt,
sich krampfhaft zusammenzieht oder gar tetanisch steif wird. Häufig ver-
geht dieser Zufall von selbst, in seltenern Fällen bleibt stammelnde Sprache
und ein gewisser Grad von Lähmung zurück. Cur. Ist die allgemeine an-
tispasraodische ; s. Spasmus.
Cruathancylosis , die Ankylose der Kinnbacken. Es giebt
kein Gelenk des Körpers, was nicht ankylotisch werden könnte. Völlige
Unbeweglichkeit der Maxiila inferior finden wir Gott Lob! selten; häufiger
Lsts Ancyiosis spuria, deren Behandlung nach den verschiedenen Ursachen
(Entzündung, Eiterung, Quetschung des Gelenks, lose Koiorpel in demsel-
ben, P'ractur, Luxation etc.) verschieden seyu muss.
Onathoplastice , die Wangenbildung, s. Chirurgia curtorum.
Onatborrliag'ia« Ist bedeutende Blutung aus der Innern Fläche
der Wangen, z. B, bei Scorbut , Morbus Werlhofii etc.; s. Haeraor-
r h a g i a.
Cromplliasis ) Gomphiasmus , das Stumpfwerden, Fühlbar-
werden der Zähne, z. B. nach dem Genuss von Säuren. Einige ver-
stehen darunter auch das Losewerden, das Wackeln der Zähne, den Zahn-
schmerz. Bei Faulfiebern, wo der häufige Genuss von Säuren indiciit wer-
den muss , muss man diese , um die Zähne zu schonen , mit schleimigen Din-
gen und sehr verdünnt oder mit Wasser vermischt mittels eines Röhrchens
eingeben, so dass die Zähne davon nicht berührt werden. Ist dies doch
geschehen , so hilft gleich nachher das Abreiben der Zähne mit Magnesia.
Oona^a, richtiger Gonymjra, die Kniegicht, s. Arthritis.
Oonal^ia, besser Gony algin, Knieschmerz. So wird häufig der
rheumatische oder gichtische Schmerz im Knie genannt. Einige nennen sehr
unbestimmt so auch den Tumor albus genu, die Gonarthrocace und andere
Übel am Knie (s. d. Art.).
Gonceystitis. Ist Entzündung der Samenbläschen.
Oonobolia. Ist bei Ploncqnet PoUutio diurna.
Ctonocele, sogenannter Samenbruch. Ist Ergics9ung de» Sa-
men« aus den zerrissenen Samenbläschen ins Zellgewebe.
GONORRHOEA 891
Oonorrlioeai» ßlennorrhoen urethrne , Urethritis, Ureihralyia, Medor-
hoea viiilis, Cntmrhus urethrac , Phallorrhoea , Profluviuni mucomm urethrae,
der Tripper, die Gonorrhöe. Lst im Allgemeinen jeder auf Entzün-
dung der Harnröhre folgende, bald durch syphilitische Ansteckung in Folge
des unreinen Beischlafs, bald ohne diese stattfindende, längere Zeit anhiil-
tende Schleimfluss der Urethra , der ebenso wie andere Blennorrhöen durch
einen subinflammatorischen Zustand der Schleimhaut dieser Theile unterlviil-
ten wird. Symptome und Verlauf. Wie jede Blennorrhoe durchläuft
auch der Tripper verschiedene Stadien , die für die Diagnose und Cur Toa
Wichtigkeit sind. 1) Stadium invasionis, das der Ansteckung. Es beginnt
mit letzterer und hat eine Dauer von 3,5, selten 8 — 14 Tagen , ehe das
2te Stadium eintritt. In seltenen Fällen dauert es bei recht virulenter An-
steckung nur einige Stunden, aber es können in andern seltnen Fällen selbst
14 — 21 Tage vergehen, ehe der eigentliche Tripper losbricht. Vor dem
Slsten Tage kann daher Niemand nach dem in Bordellen gepflogenen Bei-
schlafe ganz sicher davor seyn. Die Symptome dieses Stadiums als die Vor-
boten des Trippers sind: unangenehme, juckende, kitzelnde Empfindung an
der Eichel, besonders an der Ölfnung der Harnröhre, zuweilen stärkerer
Reiz zum Coitus , Erectionen , selbst Pollutionen , Trieb zum öftern Urin-
lassen. Nach einigen Tagen nimmt dies unangenehme Gefühl dergestalt zu,
dass es lästig und schmerzhaft wird; dazu kommt Hitze, Brennen, flüchfeige
Stiche in der Harnröhre, Röthe und etwas geschwollene Ränder ihrer Off-,
nung ; der Schmerz ist besonders beim Uriniren des Morgens früh am stärk-
sten; auch die Erectionen werden jetzt schmerzhaft und es zeigt sich meist
am Sten, 4ten Tage nach der Ansteckung in der Öffnung der Harnröhro
etwas serös -schleimige Feuchtigkeit, wie Ei weiss, die beim Uriniren abgeht
und sich in der Zwischenzeit wieder einfindet. Bei reizbaren Kranken be-
merkt man oft Frösteln und ein drückendes Gefühl in den Augenhöhlen, ähn-
lich dem vor Ausbruche eines Katarrhs. Jetzt beginnt das 2te Stadium,
Stadium inflammatoriutn , wo die Entzündung der Harnröhre nach Ver.jchie-»
denheit der mehr oder weniger virulenten Ansteckung und der mehr oder
weniger irritablen Constitution des Kranken bald stärker, bald gelinder ist
and hierin ihren höchsten Grad erreicht. In den niedern und gelindem Gra-
den des Übels nehmen die Beschwerden des ersten Stadiums nicht bedeu-
tend zu, das Brennen stellt sich nur beim Urinlassen ein, beschränkt sich
nur auf den vordem Theil der Harnröhre , der Au.sttuss wird nicht bedeu-
tend stark nnd verschwindet bei guter Diät oft ohne Kunsthülfe binnen ei-
nigen Tagen. Im höhern Grade ist nicht blos Brennen, sondern vAahrer
Schmerz da, der sich über die ganze Harnröhre erstreckt und besonders zu
Anfange des Urinirens jedesmal höchst empfindlich ist , desgleichen , wenn
der Kranke die letzten Tropfen Harn aus|)resst; der Tripperausflu.ss wird
mehr schleimig, macht in der Wäsche gelblich -grüne Flecken, ist des Mor-
gens am stärksten und zuweilen selb.st mit Blutstreifen gemischt. Anfangs
ist er dünn und scharf, reizt dadurch die kranken Theile und vermehrt so
den Schmerz, welcher allmälig, sowie der Austluss dicker, milder und eiter-
artiger wird, abnimmt. Im höchsten Grade der Entzündung, in der Akme
der Krankheit, ist der Schmerz am heftigsten, verbreitet sich oft über das
Perinaeum , in seltenen Fällen selbst bis in den Unterleib , dabei starke Hitze
des Penis, bedeutendere Geschwulst des Orificii urethrae, sowie der ganzen
Harnröhre, daher denn der Urin in einem dünnen Strahle abgeht; der Kranke
kann nur mit ausgespreizten Beinen gehen und stehen ; des Abends zeigt
sich deutlich ein Fieber, das in der Nacht am stärksten ist und den Typus
einer Continua remittens hat. Nun hört, wie bei jeder sehr heftigen Ent-
zündung der Schleimhaut, die Secretion oft auf (t rockner Tripper,
Gonorrhoen sicca) , die Entzündung verbreitet sich auf die benachbarten
Theile; es folgen Cystitis, Dysurie, Strangurie, Ischurie, Krümmung des
Gliedes (^Gonorrhoen chordnfn, Chorda veiwris), besonders nach unten, die
Vorhaut entzündet sich, die Eichel schwillt bedeutend an (Phimosis'), die
entzündet« Vorlwut rieht sich hinter die Eichel zurück, schnürt diese ein
892 GONORKHOEA v
und erregt die heftigste Geschwulst der letztern, Indem sie nicht wicd^
herübergeht (^Paraphimosis) , worauf wegen Hemmung der Blutcirculation de,
Brand der Eichel folgen kann. Nicht selten schwellen nun auch die Lymph-
drüsen längs des Penis, die Leistendrüsen an, bilden consensuelle und sym-
E tomatische Bubonen, die sich yon dem Bubo syphiliticus durch nichts als
los durch die Abwesenheit des primitiven Chankers unterscheiden (s. Sy-
philis) und nicht selten die Grösse eines Hühnereies erreichen, in der Re-
gel sich zertheilen, seltener in Eiterung übergehen, häufiger noch Indura-
tion hinterlassen. Bei der Gonorrhoea sicca zeigt sich mitunter auch Ent-
zündung und Geschwulst der Nebenhoden (^Epididi/mitis^ , unpassend auch
Hernia humoralis, Gonorrhoea in scrotum genannt, wobei ziehende, drük-
kende Schmerzen im Scrotum, im Unterleibe, in den Lenden und dem Rücken
bemerkt werden ; oder auch die Tunica vaginalis und selbst der Hode schwillt
an, desgleichen der Ductus spermaticus, der sich im ßauchringe, besonders
■wenn die Venae spermaticae zugleich varikös ausgedehnt sind , mitunter ein-
klemmt und hier die heftigsten Schmerzen erregt. Die Entzündung dieser
Terschiedenen Theile macht nun allerlei consensuelle Beschwerden: Ekel,
Erbrechen, Kolik, Magenkrampf und andere spasmodische Zufalle, Diar-
rhöen, der Mensch kann weder gehen noch stehen, er muss das Bette hü-
ten. Die Geschwulst des einen Hoden geht auch auf den andern über, ver-
schwindet oft plötzlich, sowie der Tripper wieder fliesst, hinterlässt oft In-
duration, Hydrocele, und bei unzweckmässiger oder versäumter Hülfe kann
selbst Gangrän folgen. Zuweilen zeigt sich in diesem Stadium , besonders
bei plötzlich unterdrücktem Tripper, nicht selten eine heftige Augenentzün-
dung , welche das Auge schnell zerstören kann , und die von der durch zu-
täliiges Einbringen des Tripperschleims ins Auge entstandenen unterschieden
werden muss (s. Ophthalmia gonorrhoica). 3) Stadium relaxationis.
Es tritt ein, sobald das entzündliche Stadium 8 — 14 Tage gedauert hat
und nun die Heftigkeit aller Zufälle abnimmt. Es sondert sich ein dickli-
cher, weisslich - gelber , zuweilen grün- gelblicher Schleim ab, bald in grös-
serer , bald in geringerer Menge , der gegen das Ende des Trippers sich
oft in Fäden ziehen lässt und sich immer mehr vermindert, so dass er bei
günstigem Ausgange binnen 8 — 14 Tagen ganz verschwindet und somit das
Übel als geheilt angesehen werden kann. Doch erscheint, wenn der Kranke
Diätfehler beging oder unzweckmässig behandelt wurde, oder wenn er schon
öfters an Trippern litt, sehr leicht ein 4tes' Stadium, der sogenannte Nach-
tripper (^Gonorrhoen secundaria), als eine reine chronische Blennorrhoe,
die zuweilen Monate, selbst Jahre lang dauern kann. Hier sind keine ent-
zündlichen Zufalle mehr da und nur nach Diätfehlern inid bei reizbaren Sub-
jecten erregt das Harnen etwas Brennen; aber es fliesst etwas Schleim, meist
in kleinen Quantitäten, gewöhnlich weisslich, klebrig, hell, eiweissartig,
mild, ohne Geruch und Schärfe ab, der beim Erwachen des Morgens oft
die Öffnung des Penis zuklebt und von vielen Kranken kaum beachtet wird,
bis sie seine anhaltende Dauer von Monaten aufmerksam und bedenklich
macht; alsdann ist das Übel in den meisten Fällen schon sehr hartnäckig.
Einthe^ilung und Diagnose. Nach dem Verlaufe hat man eine Gonor-
rhoea acuta, slhenica, und eine G. chronica, hahitualis, passiva, asthenica,
ntonica; nach der An- oder Abwesenheit von andern Übeln eine G. arthii-
tica , haemorrhoidalis , scrophuhsa oder G. simplex^ nach den Symptomen
eine G. sicca oder fluidn ; endlich nach den verschiedenen Organen , die an
Blennorrhoe leiden, eine G. vern, interna, urethralis oder G. sjmria, ex~
lerna , Balanohlennorrhoea (sogen. Eicheltripper) angenommen. Die
Diagnose des Trippers ist sehr leicht. Obgleich Gicht, Hämorrhoiden und
Scropheln, heftige Erkältung der Genitalien zuweilen einen Tripper erre-
gen, so können wir dennoch fast mit Gewissheit annehmen, dass er von
unreinem Beischlafe und Ansteckung, mag der Kranke immerhin dieses leug-
nen, entstanden sey, 1) wenn er bei jungen Leuten mit heftigen Zufällen
auftritt und nicht langsam und schleichend erscheint, 2) wenn im Stadium
inflammationis eine oder mehrere jener heftigen entzündlichen Affectioncn der
GONORRHOBA 893
enachbarten Theile oder des Penis selbst bemerkt werd^. Doch giebt es
luch junge Leute mit schlaffer, lymphatischer Körperbeschafifenheit , ^wo
auch der durch Ansteckung erfolgte Tripper ohne heftige Zufälle, ohne Ent-
zündungen der Geschlechtstheile und fast ohne alle Schmerzen auftritt und
bei guter Diät so verläuft. Die alte Eintheilung in Gonorrhoen bcnigna und
maligna, wobei angenommen wurde, dass erstere ohne, letztere durch ve-
nerische Ansteckung erfolgt sey, hat keinen praktischen Werth, da wir ei-
nen jeden acuten Tripper zu Anfange mehr oder weniger antiphlogistisch
behandeln müssen, und zwar um so mehr, je heftiger das Stad. inÜamma-
tionis und die entzündlichen Affectionen des Penis und der Umgegend auf-
treten. Prognose. Ist bei zweckmässiger Behandlung günstig. Bei ge-
lindem Grade des Trippers bleibt die Krankheit rein örtlich und hinterlässt^
ausser dem etwa folgenden Nachtripper, keine üblen Folgen und keine or-
ganischen Fehler; auch tritt wahre Eiterung nicht ein. Die höhern Grade
des Trippers sind dagegen wegen der leicht eintretenden heftigen entzünd-
lichen Zufälle (Chorda, InHammatio testiculi, Epididymitis, Ophthalmitis)
und ihrer Folgen (Hydrocele, Varicocele, Spermatocele , Strictura urethrae,
Induratio colli vesicae urinäriae, prostatae, testis etc.), selbst wegen des
eintretenden Brandes, der den Tod herbeiführen kann, sehr gefährlich; be-
sonders wenn hier frühe und zweckmässige , d. i. antiphlogistische Hülfe ver-
säumt wurde. Bei jungen Leuten lässt sich übrigens der Tripper leichter
heilen als bei alten, wo überhaupt die Neigung zu chronischen Schleimflüs-
sen grösser ist. Der Eieheltripper als örtliches Übel ist leicht zu heilen;
oft ist er aber reines Symptom der Gicht , der allgemeinen Blennorrhoe , des
Steins und dann hartnäckig (s. Balanoblennorrhoea). Jeder acute
Tripper giebt im Allgemeinen eine günstigere Prognose als der chronische,
und zwar um so mehr, je weniger die tiefern Theile der Urethra leiden r
doch ist letzterer wiederum um so ungünstiger, je mehr allgemeiner Habitus
pituitosus , Arthritis , Haemorrhoides , Scropheln zugleich zugegen sind , oder
wenn Stricturen, Induratio prostatae die Gonorrhöe habituell machen. Cur.
Sie erfordert viel Scharfsinn von Seiten des Arztes und eine richtige Wür-
digung sowol der verschiedenen Stadien des Übels als der Körperconstita-
tion des Kranken und vieler andern Nebenumstände. In dieser Hinsicht sind
folgende Cautelen, die ich mir aus eigener vieljähriger, glücklicher Praxis
abstrahirt habe , wohl zu berücksichtigen : 1) Bei den ersten Zeichen eines
bevorstehenden Trippers, also im Stadio invasionis und höchstens 1 — 24
Stunden nach der Ansteckung durch den unreinen Beischlaf, wo weder
Schmerz beim Uriniren, noch andere entzündliche Zufälle zugegen sind, wo
nur eine juckende, kitzelnde Empfindung an der Öffnung der Harnröhre und
vermehrte Röthe ihrer Lefzen den bevorstehenden Tripper verrauthen lassen,
habe ich durch folgende Mittel den Ausbruch des Übels ohne nachtheilige
Folgen oft gänzlich verhütet: n) durch öfteres Waschen und Baden des
Gliedes mit kaltem Wasser und Acid. oxymuriaticum zu gleichen Theilen,
wobei auch die Kälte , welche jedes Contagiura , also auch das des Trippers,
zerstört, in Anschlag zu bringen ist; h) durchs Eintröpfeln folgender Flüs-
sigkeit in die mit den Fingern auseinandergezogene Öffnung der Harnröhre,
alle 2 — S Stunden, wobei man durchs Aufrechthalten des Penis darauf sieht,
dass die wenigen eingetröpfelten Tropfen einige Minuten in der Harnröhre
bleiben: I^ Cnlcar. oxymuriat. Sji, Aquae rosnrum 51 v, Post solut. col. add^
Tinct. opii Richteri 5jj. M. S. Äusserlich. Alle Einspritzungen zur Zerstö-
rung des sogenannten Trippergiftes, z. B. die von Girtanner empfohlenen
Solutionen von Lap. infernalis, Grünspan, Sublimat etc. sind nachtheilig;
sie reizen theils chemisch, theils mechanisch durchs Einbringen der Spritze
die Harnröhre, und vermehren so die Entzündung und den Tripper, der
dadurch oft nur heftiger wird. Dass indessen schwache Auflösungen von
Lap. caustic. , Lap. infernalis , von Sublimat mit Opium , zur rechten Zeit
und zum Eintröpfeln und Waschen des Gliedes angewandt, den folgenden
Tripper verhüten können, will ich nicht in Abrede stellen; doch habe ich
keine solchen Erfahrungen darüber als über den Chlorkalk, der aber. in je-
994 GONORRHOEA
ner Auflösung am besten gleich nach dem Beischlafe, nachdem das Indi_
duum -vorher den Penis gewaschen und auch durchs baldige Urinlassen u
Harnröhre von etwa haften gebliebenem Ansteckungsstoffe gereinigt hat, an
gewandt werden rauss. Ich lasse dann das Mittel 2 — 3 Tage fortsetzen,
worauf häufig jene Vorboten verschwinden und kein Tripper folgt. Neh-
men die Zufälle aber zu oder sind sie schon in dem Grade vorhanden, dass
etwas dünne, scharfe Feuchtigkeit in der Harnröhre sitzt, so findet jenes
Präservativ keine Anwendung mehr, der Tripper darf nicht mehr unter-
drückt werden , sondern er muss seine Zeit fliessen , damit andern schliinmen
Folgen vorgebeugt wird. 2) Sehr wichtig ist eine gute Diät im Stadio in-
fiammationis , ja schon früher beim Heftigerwerden der Zufälle im Stadio
invasionis. Sie allein heilt manchen Tripper ohne alle Arznei. Alle er-
hitzende, stark nährende, feste, blähende, salzige und saure Speisen, alle
Spirituosa, Bier, Kaffee und Thee müssen vermieden, dagegen viel wässe-
rige und schleimige einhüllende Suppen: Haferschleim, Graupenschleim, Sa-
lep , Sago , Reissmehl genossen und viel kaltes Wasser getrunken werden.
Ausserdem muss der Kranke ein Suspensorium tragen , damit der Hodensack
nicht herunterhängt, was sonst leicht Entzündung und Anschwellung der
Hoden bewirken kann, sich so wenig als möglich bewegen, den Penis oft
in lauwarmer Milch baden und überhaupt Reinlichkeit der Genitalien beob-
achten. Ich kenne einen jungen Mann, der durch eine solche strenge Diät
zu Anfange der Gonorrhöe diese jedesmal binnen 14 Tagen und ohne alle
Arznei geheilt hat. Ein solches zweckmässiges Regimen gewähnt den gros-
sen Vortheil , dass dadurch alle gefahrliche Zufälle , die in der Entzündungs-
periode sonst so leicht eintreten , verhütet werden und der ganze Verlauf
des Übels höchst gelind und gutartig bleibt. Damit der Arzt hier doch et-
was verschreibt, was zugleich als schleimiges Mittel einhüllt und nützlich
wirkt , gebe ich innerlich Emuls. sem. papav. albi oder amygdalarum dul-
cium ohne andern Zusatz esslöffclweise , und ausserdem des Abends einen
Theeläifel voll Magnesia carbon. oder Ocul. cancrorum. Ist der Ausfluss
noch bedeutend, der Schmerz aber nur noch gering, so gebe ich folgendes
Pulver, welches gelind diaphoretisch wirkt: Rr Sacchnri lactis 5J , Ocul.
cnncror. , Maines, carbon. ana 3j » Sacchari alhi 51^ , Sulph. aurnti gr. yjjj.
M. f. pulv. , wovon 3 — 4mal täglich ein guter Theelöffel voll mit Wasser
genommen und Haferschleim nachgetrunken wird. Ist dieses Pulver ver-
braucht und die Entzündung nui' noch gering, ihr Charakter mehr venös
als synochal , was in der Regel bei schlaffen, lymphatischen Subjecten, bei
vorgerücktem Alter und bei den meisten Kranken, die vom Anfange der
Krankheit an strenge Diät hielten , der Fall ist ; so gebe ich jetzt die Ku-
beben : Vy Pipern, cubehar. 5JJ , Ocul. cancror. 5jj , EUicos. focnicuU 3fJ. M.
f. pulv. S. 3 — 6mal täglich 1 — 2 Theelöffel voll. Bei dieser Behandlung
habe ich binnen 14 Tagen, höchstens 3 — 4 Wochen, fast immer die Go- -
norrhöe ohne nachtheilige Folgen geheilt. Alle Einspritzungen halte ich bei
acuten Trippern für schädlich und auch bei dem chronischen oder Nach-
tripper erfordert ihre Anwendung alle Vorsicht. Hinsichtlich der Diät ist
noch zu bemerken, dass auch hier die Fälle wohl zu unterscheiden sind,
Männer, die an sehr reizende Nahrung und an geistige Getränke so ge-
wöhnt sind, dass sie in gesunden Tagen täglich wol 2 — 3 Flaschen Wein
trinken , dürfen nicht ganz auf eine wässerige Diät gesetzt werden. Sie
können wol 2 — 3 Gläser Wein des Tages trinken, wenn anders keine be-
deutenden Schmerzen und entzündlichen Zufälle vorhanden sind; sonst folgt
leicht Nachtripper. 3) Aber nicht immer bekommt man Tripperkranke vom
Anfange des Übels an in die Cur. Bei manchen ist die gute Diät vernach-
lässigt, sie haben sich viel bewegt, sind gefahren, geritten, haben Spiri-
tuosa, Fleischsuppen, Gewürze, geräuchertes, gesalzenes Fleisch etc. genos-
sen , wol gar den Coitus während des Übels exercirt. Hier sind oft schon
heftige entzündliche Zufälle aufgetreten, die Entzündung hat den synocha-
len Charakter und erfordert vor allem den ganzen antiphlogistischen Appa-
rat. Hier versäume man bei robusten Subjecten ja den Aderlass nicht; in
GONORRHOEA 895
andern Fällen reichen Blutegel ans Scrotum, an die Schenkel, ans Perl-
naeum, selbst an den Penis (z. B. bei Gonorrhoea sicca und chordata) aus.
Dabei innerlich 1^7 Emuls. amygilnl. duh. 3vjjj , Nitri depurati 3jj ■> Tart. vi-
triolali 5|i , Syr. cmuhiv. gj. M. S. Stündlich 1 — 2 Esslöffel voll; dane-
ben strenge antiphlogistische Diät und Ruhe. AJle Einspritzungen und da«
Einbringen von Bougies sind hier doppelt nachtheilig. Dagegen passen hier
ganz besonders erweichende Bähungen und Baden des Gliedes mit warmer
Milch, Decoct. flor. sambuci, Sem. lini, Herb, und Rad. althaeae, warme
Breiumschläge aus Hafergrütze, Leinsamenraehl und Milch, bei heftigen
Schmerzen mit Zusatz von Herb, hyoscyami, cicutae. Doch wende man
diese Mittel nur so lange an, bis der Ausfluss stärker geworden und die
heftigen Schmerzen nachgelassen haben; sonst erschlaffen sie zu sehr und
befördern dadurch den Nachtripper. Ein Tragbeutel muss hier anzulegen
ja nicht versäumt werden, sonst entsteht sehr leicht Hodengeschwulst.
4) Bei zarten, sensiblen Subjecten hat die Entzündung selten einen echt in-
flammatorischen , mehr den erethistischen , erysipelatösen , sensiblen Charak-
ter; die Schmerzen sind hier oft bedeutend, erregen Fieber mit kleinen
spasniodischen Zufällen, ohne dass bedeutende topische Entzündung und
Geschwulst zugegen ist. Hier passen innerlich die genannten Emulsionen
ohne Nitrum, dagegen wirkt hier ein Zusatz von Extr. hyoscyami sehr wirk-
sam; z. B. I^ Emuls. sem. papav. alb. gx, Ewtr. hyoscyami gr. x. M. Su
Stündlich 1 Esslöffel voll; und ausserdem des Abends vor dem Schlafenge-
hen eins der folgenden Pulver: I^ Rad. ipccac. gr. V4, Camphorae gr, j^,
Opii purissimi gr. %, SaciJiari alhi ^j. M. f. pulv. disp. dos. vj. In der
Regel reichen diese Mittel in der angegebenen Dosis aus, um die erhöhte
Reizbarkeit im leidenden Theile zu beschränken; zuweilen müssen wir aber
mit der Gabe steigen und, um den baldigen erwünschten Erfolg zu sehen,
alle 3 Stunden 1 Gran Kampher und Abends und Morgens '^ — 1 Grau
Opium reichen. 5) Bei der Gonorrhoea sicca, als dem höchsten Grade der
synochalen Entzündung, giebt es nur eine Methode, den plötzlich ver-
schwundenen Tripperfluss wieder hervorzurufen. Sie besteht in der stren-
gen Anwendung antiphlogistischer Mittel, wie oben Nr. 3 angegeben worr
den. Blutegel , laue erschlaffende Bähungen und Breiumschläge sind hier
durchaus nothwendig, desgleichen innerlich Nitrum in Emulsion. Sobald
der Ausfluss sich wieder gehörig gezeigt hat (nicht früher), passt Opium mit
Emuls. sem. papav. albi, und man lässt dann das Nitrum weg. 6) Ebenso
streng antiphlogistisch muss bei dem Fortschreiten der Harnröhrenentzün-
dung zum Blasenhalse, zur Blase, zur Prostata verfahren werden, sonst
folgt leicht Induration oder Eiterung dieser Theile. 7) Ist Urinverhaltung
Symptom des Trippers, so ist diese in der Regel entzündlich- spastischer
Natur. Daher passen zuerst Blutegel, bei recht Robusten ein Aderla.ss,
darauf ein allgemeines Bad von 27» R. Wärme, hinterher Emuls. sem. pa-
pav. albi mit Extr. hyoscyami, auch Morgens und Abends Folgendes:
fy Mercur. dtilc. , Cfunphurac ana gr. )w , Opii pmi gr. 74 , Liquir. coctae )j.
M. f. p. Ausserdem erweichende Klystiere, laue Fomentationen, Einreibun-
gen von Linim. volat. carophor. und Laudanura in die Blasengegend, Inses-
sus von krampfstillenden Kräutern. Das Nitrum passt hier nicht, ebenso
wenig das Einbringen des Katheters ; ja man muss im Nothfalle und hei
fruchtloser Anwendung der genannten Mittel , wenn durch die anhaltende
Urinverhaltung die Zufälle heftig werden, eher zmn Troikar greifen und
den Blasenstich machen, als zum/ Katheter. Zuweilen ist die ürinverhal^
tung rein krampfhaft, es ist Cystospasmus da; alsdann passen gleich an-
fangs die genannten Antipasmodica. 8) Die Gonorrhoea chordata ist gleich-
falls häufig entzündlich -spastischen Ursprungs und erfordert ganz die Cur,
wie die Urinverhaltung; doch kann man hier innerlich das Nitrum in Emul-»
sionen geben. Man setzt Blutegel an den Penis, macht Fomentationen von
Chamillen , Valeriana , Bilsenkraut ; wendet mit grossem Nutzen örtliche
Dampf- und Wasserbäder, auch allgemeine laue Bäder an, und giebt spä-
ter innerlich etwas Extr. hyoscyami, Opium etc. Zuweilen folgen Blutui;-
896 GONORRHOEA
gen aus der Harnröhre, die sehr erleichtern und n(cht ohne grosse Noth g«-
stopft werden müssen (s. Haematuria stillatitia). Die Diät muss
hier, wie auch bei Nr. 3, 4, 5, 6 und 7, mehr oder weniger antiphlogi-
stisch seyn. Schleimige einhüllende Getränke, Zuckerwasser, Brot- und
Wassersuppen sind allein dienlich. 9) Consensuelle, nicht syphilitische Bu-
bonen, überhaupt alle Entzündungen der Leistendrüsen bei Trippern ohne
gleichzeitige Chanker, müssen zertheilt werden. Äusserlich dienen hier
kalte Umschläge auf den Bubo von Aq. Goulardi, mit dicken, schweren
Compressen übergeschlagen, auch selbst die Compression ist hier zu An-
fange recht wirksam. Ist die Entzündung der Drüse aber schon ausgebildet,
ist der Schmerz sehr heftig, so setze man erst Blutegel an und mache dann
laue Fomentationen von aromatischen Kräutern , allenfalls noch mit Bleiwas-
ser vermischt. Doch lasse man letzteres weg, sobald Spuren von Eiterung
da sind. Alsdann passen warme erweichende Breiumschläge (s. Cata-
plasma), denen man noch Herb, hyoscyami, cicutae zusetzt. Ist sehr
■wenig Reiz und Leben im Bubo , ist er schon über acht Tage alt und will
ersieh nicht zertheilen, so passen reizende Umschläge von gebratenen Zwie-
beln, Seife, Senf, z. B. das Kerndl'sche Kataplasma: I^ Pulv. sem. Sinnp.,
Cepar. assntnr. ana ^jj , S(vpon. nigri gj. Coc. c. aq. fontnn. q. s. ad con-
sist. catnplasm. Diese Masse wird einen Zoll dick auf die geschwollene leb-
lose Leistendrüse gelegt und dann dieselbe unmittelbar mit einem heissen
Cataplasma emolliens bedeckt. Der Umschlag wird nur einmal täglich ge-
wechselt und des Nachts der Bubo mit Empl. diachyl. gummös, bedeckt
Die Ölfnung des Abscesses überlässt man gern der Natur; in Fällen, wo
die Kerndl'schen Umschläge passen, bedient man sich mit Nutzen dazu oft
des Causticums (s. Abscessus). Ein anfangender consensueller Bubo zer-
theilt sich am besten bei früh angewandten kalten Bleiwasserfomentationen,
Compression und dem innerlichen Gebrauche des Tart. emeticus in refr. dosi.
10) Was die Behandlung der Phimosis betrifft, so können wir ihrer Ausbil-
dung anfangs durch kalte Fomentationen von Essig und Wasser, von Blei-
wasser oft Grenzen setzen. Ist sie aber schon ausgebildet und der entzünd-
liche Charakter heftig, so müssen 3 — 6 Blutegel an die Vorhaut gesetzt und
innerlich Nitrum in Emulsion gegeben werden. Ist das Subject robust, so
passt selbst nach Umständen ein Aderlass. Äusserlich dienen hier laue Bä-
der aus Milch, solche Fomentationen und Umschläge von Hafergrütze, Al-
thaea, Malva, Verbascum, bei heftigen Schmerzen mit Zusatz von Schier-
ling und Bilsenkraut. Ist Verdacht syphilitischer Ansteckung da, so bringe
man eine Hohlsonde unter die Vorhaut und schlitze sie mit dem Bistouri
auf, wo man dann häufig schon Chanker unter derselben wahrnimmt (Rjwt).
Die Blutung dabei erleichtert sehr und überhebt uns der Application der
Blutegel; auch verhütet das Aufschneiden (das am besten so geschieht, dass
man äusserlich auf der untergebrachten Hohlsonde die Spitze des Messers
aufsetzt und so nach unten ziehend die Vorhaut trennt) die sonst leicht er-
folgende Verwachsung zwischen Vorhaut und Eichel und macht die umständ-
lichen Einspritzungen unter der Vorhaut zur Reinigung der Theile überflüs-
sig. Ist die Heftigkeit der Entzündung vorüber, oder hat diese von Haus
aus mehr den erethistischen , spastischen , erysipelatösen , sensiblen Charak-
ter, so passen äusserlich trockne aromatische Kräuterkissen, später selbst
mit Kampher versetzt, z. B. die Spec. resolvent, externae, und innerlich
dienen Emulsionen mit Kampher und Abends Pulv. Doweri. Zuweilen ist
die Entzündung mehr ödematös und die Anschwellung der Vorhaut bläulich-
blass von Farbe und dabei von bedeutendem Umfange. Hier passen Fo-
mentationen von aromatischen Kräutern mit Wein, Branntwein, Spirit. la-
vandulae versetzt. 11) Jede Paraphimosis ist schlimmer, als eine Phimosis,
da hier leicht Brand folgen kann. Ist die Geschwulst noch nicht bedeutend,
so kann man durch Ansetzen von Blutegeln, durch schnelles Wechseln von
warmen und eiskalten Fomentationen die Eichel oft dergestalt verkleinern,
dass sich die Vorhaut herüberziehen lässt. Häufig gelingt dies nicht, und
es ist auch nicht einmal gut, solche Versuche wiederholt anzustellen; das
GONORRHOEA 897
beste Hülfsmittel bleibt die Operation. Man hebt nämlich die Vorhaut in
der Nähe der Einklemmung in die Höhe, bringt eine Hohlsonde ein, und
spaltet auf dieser den einklemmenden Ring der Vorhaut durch. Dies Ver-
fahren versäume man bei bedeutender Anschwellung und bläulicher Färb«
der Eichel, bei gleichzeitiger Harnverhaltung ja nicht, sonst tritt Gangrän
ein , die Corpora cavernosa penis werden davon ergriffen und die Eichel geht
trotz aller antiseptischen Mittel dann oft verloren. 12) Bei der anfangen-
den Entzündung der Nebenhoden zertheilt man diese oft rasch durch ein
Vomitiv, durch kalte Fomentationen von Aq. Goulardi, von Essig und Was-
ser. Hört der TripperausHuss zugleich auf, so sind oft Blutegel und innere
Antiphlogistica nöthig. Bei jeder ausgebildeten Epididymitis passen aber jene
kalten Umschläge nicht; hier sind bei Robusten oft Aderlässe, bei Andern
stets Blutegel ans Scrotum nothwendig , hinterher warme Fomentationen
und Umschläge von Spec. emoUientes mit Aq. Goulardi, Herb, hyoscyami,
Opium, Ciocus; dabei sorge man durch Clysmata aperientia für gehörige
Leibesöffnung und gebe innerlich Nitrum und Tart. vitriolat. mit Emuls.
jsem. Papaver. albi. Zuweilen ist die Entzündung nicht rein inflammatorisch,
mehr erethistisch , spastisch, erysipelatös , die Härte des Hoden ist bedeu-
tend, die Geschwulst von grossem Umfange; der Patient ist reizbar, leidet
an Blasenkrampf, Kolikschmerz, Übelkeit etc. Hier passen äusserlich lau-
warme Umschläge von Flor, chamomillae. Herb, cicutae, hyoscyami, Spec.
aromatic., des Nachts Empl. cicutae et hyoscyami, innerlich 1^ Opü pmis-
simi gr. \\, Rad. ipecnc. gr. Y4, Tart. vitriolat. gr. vj, Sacchari alhi ^j.
M. f. pu]v. disp. dos. xjj. S. Alle 2 Stunden V2 — 1 Pulver mit Wasser.
.Späterhin bei erfolgter Zertheilung muss der Hode noch immer in einem
Suspensorio getragen und dieses mit einem Pulver aus aromatischen Kräutern
ausgefüttert werden. Selten bildet sich hier ein Abscess, ists aber der Fall,
so muss man frühzeitig öffnen und Injectionen von Aq. salviae mit Liquam.
niyrrhae und Tinct. opü anwenden, damit der Hode nicht durch die um
üich greifende Eiterung zerstört wird. Alle früh angewandte reizende Ein-
reibungen von Linim. volat. caraph., Unguent. mercuriale, Unguent. digitalis,
Unguent. kali hydriod., die später zur Zertheilung der chronischen Härte
sehr wirksam sind , sind im entzündlichen Stadium höchst nachtheilig , über-
haupt schadet hier schon jedes Einreiben auf mechanische Weise, und nähme
man selbst das mildeste Ol dazu. 13) Die nach plötzlich verschwundenem
Tripper entstandene Augenentzündung erfordert schnelle Hülfe: Blutegel in
die Schläfe, Vesicatorien in den Nacken, warme Fussbäder, antiphlogisti-
sche Diät, dunkles Zimmer, äusserlich lauwärme Umschläge von Merc. Subli-
mat, corros. gr. j, Aq. destillat. 5VJ, Tinct opü Richten Sjj, innerlich Merc.
dulc. mit Opium. Dass bei dieser, sowie bei ähnlichen Metastasen des Trip-
pergifts auf andere Schleimhäute als die Conjunctiva, z. B. auf die Lungen,
auf die Nasenschleimhaut , in den Gehörgang ; auf fibröse Häute : Blase,
Gelenke, Dura mater etc., ein Hervorrufen des Trippers in der Harnröhre
oft überflüssig ist, um solche Versetzungen zu heilen, dies habe ich öfters
erfahren (s. Inflammatio oculi venerea). 14) Bei gesunden und kräf-
tigen Personen bedarf das Stad. relaxationis fast gar keiner Mittel mehr;
denn die Natur allein heilt den Tripper, sowie die Entzündungszufälle ver-
schwunden sind. Ist der Kranke aber schwächlich oder schon bei Jahren,
so muss er zur Verhütung des Nachtrippers mediciniren. Da die Entzün-
dungszufalle hier nicht mehr obwalten, so passen die antiphlogistischen Mit-
tel nicht mehr, sie verschlimmern die Blennorrhoe durch Hervorrufung von
' Erschlaffung und Atonie; dagegen sind hier die Balsam, naturalia: Balsam,
copaivae, peruvian. nigr., Tereb. venet. , Kubeben, recht an ihrer Stelle;
z. B. Bals. copaivae 2 — Smal täglich 20 — 30 Tropfen in Zuckerwasser,
oder I^ Tereb. venet. 3jj , Rooh samhuci, — junipcri ana gj. M. f. Electuar.
S. 3 — 4mal täglich 1 — 2 Theelöffel voll. Die pulverisirten Kubeben geben
•wir ganz rein, 3 — 4 mal tägüch 1 — 2 Theelöffel voll; doch nicht alle
Kranke vertragen sie; manche reizbare sanguinische Personen bekommen
Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Ohnmächten darnach, und wir müssen sie
Most Encyklopädie. 2te Aufl. 1. 57
898 GONORREOEA
deshalb anssetzen. Zuweilen werden sie in solchen Fällen In folgender Ver-
bindung hesser vertragen: R- Pijier. cuhehnr. 5JIV, Ocul. cano'or. 3jj» -W/i-
gncs. cnrijon. 3]. Sacchari idclis g)^. M. f. p. S. Alle 2 — 3 Stunden 1 — 2
Theelöffel voll (3f.)' ^^^ Wdi m diesem Stadio inuss nährend, aber nicht
reizend, erhitzend seyn. Gute Fleischbouillons, bei Schwächlichen etwa»
Rothwein, Decoct. chinae, Chinin., Cort. aurantior, , sind oft allein hinrei-
chend , den Tripper ohne alle reizende balsamische Mittel zu heilen. In-
dessen ist dies nicht immer der Fall, sondern es bedarf der kräftigsten An-
wendung derselben,- besonders wenn der Nachtripper schon im Anzüge ist.
Hier sind verschiedene Formeln berühmt geworden : I^r Aq. menth. crisp.,
Spir'it. viin, Bnls. copaivae , Syr. iior. auravt. ana §jj, Aq. ßor. anrmit. §],
Spirit. nilri duJc. 5jj. M. S. Morgens 2, Mittags und Abends 1 Theelöffel
voll, vorher stark umgeschüttelt zu nehmen (s. Chopart u. Ansinux in RtisCs
Magaz. ßd XII. S. 274). ^f Bnls. copnivnc, — tohiiam ana ^^, Aq. rostir.
ruhrar. §vj , Gumm. minws. giv , Spirit. nitri dulc. 5jj- M. S. Dreimal täg-
lich 1 Esslöffel voll. DelpecJi wendet gegen Gonorrhöe sogleich im entzünd-
lichen Stadium Folgendes an, was aber besser im Stadium relaxationis passt:
1|' Aq. mcnihnc, — flor. aurnnlii, Syr. citri, Bnls. copnivae ana 5J , Acid,
svlphuric. 3j. M. S. 4 — 5mal täglich 1 Theelöffel voll in Haferschleim.
Jnmes Thorn (vgl. Gerson^s u. Julius^ Magaz. d. ausländ. Lit. d. Heilkunde.
1828. Jan. u. Febr. S. 158) giebt bei Tripper ein aus Copaivbalsani berei-
tetes Präparat, wo blos durch die Destillation das Öl getrennt worden, und
von der reinen Resina baisam. peruv. dreimal täglich 10 — 20 Gran in Pil-
lenform genommen werden. Nach ihm passt das Mittel in allen Stadien des
Trippers, und es beschwert den Magen nie. Gegen den Nachtripper em-
pfiehlt James Thorn Extr. rad. tormentill. 3'h i" 6 Unzen Wasser aufgelöst,
zum Einspritzen. 15) Wenn der Tripper 2 — S Wochen lang gewährt hat
und sich der Ausfluss, nachdem er sich schon vermindert hatte, wieder ver-
mehrt und nicht rund, eiterähnlich, sondern eiweissartig ist, so können wir
ihn für eine Gonorrhoea secundaria incipiens halten. Hier passen der an-
haltende Gebrauch der oben (Nr. 14) angegebenen balsamischen Mittel.
Zuweilen hat man von grossen Dosen Bals. copaivae Nutzen gesehen; ja
einige französische Ärzte, z. B. Moulaud, Ducros, Diigos, Martin in Marseille
geben ihn sogar esslöffelweise. Doch ist dies nicht zu rathen; es entsteht
Ekel, Erbrechen und oft anhaltende Magenschwäche darnach (Most). Höchst
wichtig ist es, beim Nachtripper die Fälle gehörig zu unterscheiden, n) Bei
reizbaren, zarten Subjecten mit Erethismus, wo noch Jucken und Brennen
den Ausfluss begleiten, passt am besten Decoct. chinae, Tinct. nervina Be-
stucheffii, Calam. aromaticus, oder folgende Mixtur: R' Rad. cal. aromat.f
— cnryophyllat. , Cort. chinae fnv. ana ^jlt , infnnd. nq. fontan. ^xvjjj ut rem.
^xj , col. adde Tinct. aurantior. 3jj , Laud. liquid. Syd 31^- M. S. Alle S
Stunden 1 — 2 Esslöffel voll (M.). Dabei äusserlich Baden der Genitalien
in Rothwein, Einreibungen ins Perinaeum von Linim. volat. , desgleichen
R» Aqnne Goulardi gjj, Tinct. opii simpl. ^\\. M. S. Lauwarm davon in
die Harnröhre täglich dreimal etwas einzutröpfeln. Dann passt vorzüglich
Ef Vitell. ovor. No jj, Aceti vini, Ol. olivnr. ana gjjj, Bals. peruv. "5"^']. M. S.
Zweistündlich 1 Esslöffel voll zu nehmen (Dr. Friche in Hamburg). Erst
später dienen innerlich Myrrhe, Kino und Ferrum sulphuricum. ü») Haben
phlegmatische, torpide Constitutionen durch eine zu dünne knappe Diät,
durch antiphlogistische und schwächende Mittel zu Anfange des Trippers
ihre Genitalien zu sehr erschlafft, hat der Arzt sich hier vor früher Anwen-
dung der Balsame, der Kubeben, die hier selbst gleich zu Anfange dreist
gegeben werden können (wenn anders keine heftigen entzündlichen Zufälle
da sind) zu sehr gefürchtet . so entsteht leicht ein schw er zu heilender Nach-
tripper. Hier sind folgende Pillen sehr wirksam: I^ Terel. venet., Extr.
pentianae, Gum. Mno, Fcrri sulphurici ana 5jj- M. f. pil. pond. gr. jj. Con-
.'>pei-(f. pulv Jiquir. S. Dreimal täglich 5 — 8 Stück. Durch diese Pillen
wurde ein achtwöchentlicher Nachtripper bei einem etwas phlegmatischen,
26jährigen Manne binnen acht Tagen geheilt, nachdem folgende Mfachung,
GONORRHOEA 899
die sonst in gewöhnlichen Fällen auch recht wirksam ist, fruchtlos ange-
wandt worden war: I^ Balsam, copaivae 5J, Vitell. ovor. q. s., Syr. emul-
siv, 5Jj , Aq. foeniculi 5VJ, Tinct. opü sitnpl. gtt. xx. M. S. Gut umgeschüt-
telt alle 3 Stunden 1 Esslöjffel voll (^Martini). In sehr hartnäckigen Fällen
und bei Abwesenheit alles Erethismus ist auch die Tinct. cantharid. , drei-
mal täglich 5 — 10 Tropfen in Haferschleim empfohlen worden ; doch erfor-
dert dies Mittel Vorsicht. Man setze es sogleich aus, wenn entzündliche
Zufalle und Harnbeschwerden entstehen. So nachtheilig die Einspritzungen
bei allen acuten Trippern sind, so nützlich sind sie beim Nachtripper, nur
muss man eine vorn ganz abgestumpfte Tripperspritze dazu gebrauchen. Zu
den Einspritzungen empfehlen sich folgende Formeln, welche man der Reihe-
folge nach, je nachdem das Übel noch frisch oder älter ist, anwendet; denn
wo noch viel Reiz ist, passt anfangs am besten Blei, später Zincum sul-
phuricum, Sublimat, Myrrhe, in sehr hartnäckigen Fällen Zincum aceticum
und blausaures Quecksilber. I^ Sacchari saturni ^j, Aq. rosarum 5JJJ, Tinct.
thchaic. 5jjj- M. S. Lauwarm einzuspritzen. I^ Merc. suhlimat. corros. gr. \^,
Aq. desülhUae ^j], Tinct. opii vinos. öjj- M. S. Ut supra. ^r Sacchari satumi
5|x> Aq. rosarum 3JJII, Tinct. thehaic. "5]% ■> Liquam. myrrh. ^fv — 5J. M. S.
Zum Einspritzen. ^ Hydrargyri boruss. gr. jj, solve in Aquae deslUlat. 3xiv,
— lauroccrnsi 5jj- M. S. Zum Einspritzen. (^Honi). I^ Zinci sulphurici gr. iv,
Aq. rosar. 31V. M. S. Wie oben. I^ Zinci ncetici gr. iv, Aq. rosar. 3IV.
M. S. Wie oben. In sehr hartnäckigen Fällen hat man auch von 2 Zoll
lang eingebrachten Bougies, mit Bleimitteln bestrichen, noch Nutzen gesehen.
16) Obgleich viele Arzte in neuern Zeiten sowol die Kubeben als den Co-
paivbalsam gleich anfangs beim Tripper und oft in grossen Dosen gebrau-
chen (^ James Adams, Crawford, Broughton, Alex. H. Stevens, Milis Marhj,
W. Crane, H. Jeffreys, Dupuytren, Bourqueiot, Ducros, Dugos, Delpech,
EJcelundy die Ärzte der berliner Charite und nach ihnen viele andere Ärzte
Deutschlands), so passen sie doch nur in solchen Fällen, wo der Charakter
der Entzündung mehr erysipelatös und die Constitution mehr lymphatisch
als irritabel ist. Nach meinen Erfahrungen passen sie nicht bei Habitus
phthisicus, bei Blutcongestion zum Kopfe, z. B. bei Habitus apoplecticus,
nicht bei Diathesis haemorrhoidalis. Auch zeigen sie sich nicht wirksam,
wenn ein Kranker schon einmal durch Kubeben vom Tripper befreit und
nun aufis Neue befallen worden ist. Dass das Mittel oft in acht Tagen die
Gonorrhöe heilt, habe ich selbst genug erfahren, aber es ist die grosse
Frage, ob nicht, wenn das Übel durch Syphilis entstand, secundäre vene-
rische Beschwerden durch ein so schnelles Heilen des Trippers nachfolgen;
ausserdem haben die Kubeben vor dem Bals. copaivae gar keinen Vorzug
und es giebt einzelne Fälle genug, wo während ihres Gebrauchs dennoch
der Tripper drei Wochen und länger anhielt (s. auch Ru.<it's Magaz. Bd. XII.
S. 271. Bd. XV. S. 57), ja bei manchen Kranken leisteten sie gar nichts
(s. HecJier^s Lit. Annalen 1826. März S. 350. Gräfe^s und Wnlther''s Journ.
f. Chirurgie Bd. II). Dagegen habe ich bei einer guten Diät binnen 14 Ta-
gen oft allein durch folgende Mittel die Krankheit gehoben : I^ Fol. malvae
31V, Rad. althaeae ^j, Sem. cannalis gjjj. M. C. C. S. Zwei Esslöffel voll
mit 4 — 6 Tassen Wasser V4 Stunde zu kochen und täglich zu verbrauchen
{Tode); daneben IV Tinct. lialinae 5jj , Aq. laurocerasi^^^. M. S. Alle 2
Stunden 30 — 40 Tropfen mit Haferschleim (Friclce). Überhaupt scheinen
die kaiischen Mittel zu Anfange des Trippers sehr viel zu leisten, z. B.
Magnesia carbon., Ocul. cancrorum; auch Sal. tartari 3j in ^vjjj Emuls.
Bern, papav. albi hat mir oft herrliche Dienste gethan. Über die von Eini-
gen gerühmte Anwendung der Kubeben und des Copaivbalsams in Klystieren
nach Velpeau u. A. habe ich keine eignen Erfahrungen. Vielleicht ist dieses
Verfahren bei grosser Magenschwäche und hoher Reizbarkeit des Hautsy-
stems zur Verhütung des eigenthümlichen , nach grossen Dosen Bals. copaiv.
leicht entstehenden Exanthems (s. Kopp in HufelnmVs Journ. 1827. S. 82),
das den» Nesselausschlage .ähnejt, anzuwenden. Ein Mittel,, das versucht zu
erden verdient, sind bei Tripper die Einspritzungen von Höllensteinanf-
57*
900 GONORRHOEA
losung, die schon Carmichnel empfahl, doch sie aus Furcht Tor den Folgen,
die er in heftige Entzündung setzte, nicht selbst anwandte. Diese Furcht
ist eben so ungegründet als die vor der Application des Lapis infemalis bei
frischen Verbrennungen. Dies haben zahlreiche Erfahrungen bestätigt. Ph't-
Upp Burnclt Lucas (London Med Gaz. 183S. Apr. BehreniVs Repertor. d.
Journalistik d. Auslandes. Aug. 1833. S. 99) erzählt mehrere Fälle von ge-
hörig nachgewiesenen Trippern im ersten Stadium, wovon er mehrere durch
Einspritzung von 10 Gran Lap. infernal, in 1 Unze Rosenwasser sehr schnell
und gründlich binnen ein paar Tagen heilte. Die erste Einspritzung machte
gewöhnlich im Augenblicke einen heftigen Schmerz , der ungefähr 20 Minu-
ten anhielt und auch beim Urinlassen sich noch zeigte. Gleich darauf wurde
die Absonderung dicker und sparsamer, und nach einer zweiten Einspritzung
verschwand sie gleich, und der Kranke war geheilt. Meistens reichten
2 Einspritzungen hin , bisweilen aber mussten sie wiederholt werden. Im
P'Jachtripper leistete das INIittel gar nichts. Der Arzt muss selbst und zwar
der Art die Injection machen, dass er die Spitze der gefüllten knöchernen
Spritze mit der rechten Hand ins Orificium penis führt und mit der linken
zugleich die Harnröhre etwa 2% Zoll unter ihrer Mündung zusammendrückt,
dajnit die Einspritzung nicht zu hoch hinauf gehe. Merkwürdig und neu ist
die Thatsache, dass der Tripperschleim, innerlich unter Nahrungsmitteln ge
geben, bei Gesunden gleichfalls Gonorrhöe erregt (s. Kleincrt^s Repertor.
1834. Nüvbr. S. 51). 17) Nach oft überstandenen Trippern bleiben häufig
Verengerungen der Harnröhre, welche das Uriniren mehr oder weniger be-
schwerlich machen , zurück. Man heilt sie durch das Einbringen der Darm-
saiten, später der Bougies von Gummi elasticum oder durch das Ätzmittel
(s. Strictura Urethra e). 18) Unordentliches, oft beschwerliches, oft
unterdrücktes Harnlassen ist zuweilen Folge von heftigen Trippern, wenn
diese Induratio prostatae oder Ind. colli vesicae urinar. erregten. Hier pas-
sen innerlich Mercurialia, Antimonialia, Extr. cicutae, belladonnae, digital,
purp.; äusserlich Linim. volat. camphor. mit Unguent. mercuriale, Elektri-
cität, Bäder. Der Urin muss hier öfters durch den Katheter abgelassen
werden ; geht dips nicht, so muss im Nothfall der Blasenstich den Urin ent-
fernen. Ist die Urinverhaltung rein spastisch, ohne organische Fehler, dann
innerlich Pulv. Doweri, Extr. hyoscyami, Clysmata, Cataplasmata et Fomen-
tationes antispasmodicae (s. Cy s tos pasmus). 19) Bleibt nach der Gonor-
rhöe Krümmung des Penis (Chorda chronica) zurück, so sind in der Regel
organische Fehler: Narben, Verhärtungen etc. Schuld.; daher das Übel oft
schwer zu heilen ist. Einreibungen des Penis mit Unguent. mercuriale und
jjinim. volat. camphorat.; ausserdem folgendes Pflaster: ^/ Empl. 7ncrcurial.
3jjj — otcMfrtc 5ß:, — dinchijl. gummös. Sjß, Pulv, rad. helladonn. 3lv- M. f.
empl., welches anhaltend gebraucht wird, dabei innerlich Cicuta, Aconit,
Digitalis, Morc. dulcis mit Sulph'ur. aurat. , ausserdem Douche, Elektricität,
Balnea su;phurata et alcalina, leisten noch das Meiste. 5:0) Bei der nach
Phimosis zuweilen zurückbleibenden ödematösen Geschwulst der Vorhaut
(Phimosis chronica) dienen Waschmittel von Spirit. Serpylli, Sp. vini cam-
phor., Solut. aluminis, Vitrioli coerulei. 21) Die nachbleibenden Verhärtun-
gen der Prostata, der Inguinaldrüsen und Hoden sind um so schwerer zu
heilen, je älter sie schon sind. Bei frischem Übel passt I^ Extr. cicutae )j,
— hcUadoiiiKie ^fv , — aconiti 3jv, Aqune menth. crisp. 5vjjj , — Imi/rocerasi
5J^, Tnrt. emciici gr if>. M. S. 2 — Smal täglich 1 Esslöffel voll; dabei
äusserlich Empl. cicutae, belladonnae, mercuriale. Gewöhnlich folgt binnen
14 Tagen bei anhaltendem Gebrauche dieser Mittel Zertheilung bis auf ei-
nen gewissen Grad. Alsdann gebe ich innerlich Spongia usta mit Magnesia
und Cicuta, z. B. }^ Herh. cicutae gr. iv — vj , Sponifiac ustae 5(> — •)]»
Magnes. cnrhon. gr. vj , Cort. auraittior. , Sacchari alhi ana ^fl- M. f. pulv.
dispens. dos. xxiv. S. 2 — Smal täglich ein Pulver; zugleich wird äusserlich
1^ Knli hgdriod. 3ß — )j , Vngueiit. simplic. jft. M. f. Unguent. S. Dreimal
täglich eine Erbse gross eingerieben. Ist die Induration der Hoden, der
Prostata schon veraltet, haben die eben genannten Mittel nichts geleistet,
QPNORRHOEA 901
so helfen oft noch allgemeine Schwefel - Aind Kalibäder, die Kopp'schen
Gichtbäder (s. Arthritis), die örtliche Anwendung des Galvanismus, der
Elektricität ; besonders bei Prostata indurata ein Haarseil durchs Perinaeuin,
V4 Jahr lang im Fluss erhalten. Hier uiuss auch der Katheter öfters appli-
cirt und bei Hodenverhärtung stets ein Suspensorium getragen werden.
Folgende, oft sehr unwesentliche Unterschiede und Arten des Trippers müs-
sen hier der Vollständigkeit wegen noch alphabetisch aufgeführt werden.
Gonorrhoen acuta, interna. Ist eine wahre Entzündung der Harnröhre,
besonders des untern Theils, also jeder frische Tripper.
Gonorrhoen henigna, Blennorr'hajjia. Ist jeder gelinde Schleimausfluss,
Howol aus den männlichen als weiblichen Genitalien. Häutig versteht man
darunter auch den nicht venerischen Ti'ipper im Gegensatze der G. mnlüjna
seu stfjihililicn. S. Gonorrhoeainsons.
Gonorrhoen chordnta, Tripper mit (meist entzündlich -spastischer) Krüm-
mung des Gliedes (s, oben).
Gonorrhoen chordntn chronicn, Krümmung des Gliedes als Folge der
durch den Tripper nachgebliebenen organischen Abnormitäten (s. oben).
Gonorrhoen feminnrum, Gonorrhoen seu Mcdorrhoea sexus sequioris, weib-
licher Tripper. Ist veralteter Name für weisser Fl uss; s. Leucorrhoea.
Gonorrhoen hnbitualis , chronicn virornm, habitueller Tripper. Ist
ein anhaltender, oft Jahre lang dauernder, habituell gewordener Nachlripper,
dem theils allgemeine Ursachen: Blennorrhoe, theils örtliche Schwäche und
Laxität der Genitalien zum Grunde liegt. In der Regel sind hier Verhär-
tungen der Vorsteherdrüse, des Blasenhalses etc. zugegen. Das Gummi am-
moniacum , die Rad. senegae und der Salmiak leisten hier, wie bei jedem
chronischen Tripper, werden sie anhaltend gebraucht, oft noch die besten
Dienste, wofür Eisenmnim^s und auch meine Erfahrungen sprechen.
Gonorrhoen insons, nicht venerischer Tripper. Entsteht durch
verschiedene Ursachen, durch den Beischlaf mit nicht venerischen, aber un-
reinlichen , an Fluor albus leidenden Frauenzimmern , durch Metastasen von
Gicht, Rheuma, Scropheln, Erkältung (Gonorrhoen melnstnticn, arthriticaf
rheuiitnlicn , scrophulosa^ , oder consensuell durch Blasensteine, Hämorrhoiden
(G. conscnsualis, hnemorrhoidnlis), welche Zustände richtiger Urethrohlennor-
rhoen ex causa arthritica, rheumatica, ex haemorrhoidibus mucosis etc. ge-
nannt werden. Die Symptome der Grundkrankheit: bei Gicht, Stein, der
gleichzeitige Abgang von Gries, von Xanthoxyd und rosiger Säure im Harne,
bei Hämorrhoiden die gleichzeJtigen Zeichen dieser Diathese, müssen neben
den gelinden, wenig entzündlichen Zufällen und dem mehr chronischen Ver-
laufe der Blennorrhoe zur Diagnose dienen. Auch mechanische und chemi-
sche Reize: öfteres Katheterisiren, reizende Bougies, der Durchgang kleiner
Blasensteine, Onanie etc. können eine sogenannte Gonorrhoea insons erregen.
Gonorrhoen nasnlis. So hat man wol den chronischen Nasenkatarrh
(9. Blennorrhoea narium) oder den Ausfluss aus venerischen Nasenge-
schwüren (G. nnsntis veneren) genannt.
Gonorrhoea nigrn, der sogenannte schwarze Tripper. Hiermit hat
man wol den übel gefärbten schwärzlichen Schleimabgang nach heftiger
Harnröhrenentzündung mit Blutungen oder den nach chronischen Blennor-
rhöen der Blase, nach Haematuresis bezeichnet. Vor mehrern Jahren kam
durch Nichtärzte das Gerücht hierher, dass sich in Hamburg ein bösartiger
Tripper mit schwärzlichem Abgange und grosser Neigung zum Brande ge-
zeigt habe, der dort durch die Freudenmädchen verbreitet werde und sich
von Leipzig aus nach Hamburg verpflanzt habe, indem ein damit behafteter
Orientale ihn nach der Leipziger Messe gebracht. Da man bis jetzt nichts
darüber in öffentlichen Blättern vernommen hat, so scheint dasselbe ein lee-
res Gerücht gewesen zu seyn.
Gonorrhoea prostnticn. Ist ein oft chronischer Ausfluss aus der Harn-
röhre von krankhaft abgesondertem Liquor prostaticus, häufig eine Art des
Nachtrippers als Folge organischer, durch acute Tripper entstandener Ab-
normitäten der Prostata. Der Ausfluss ist nicht bedeutend, aber sehr hart-,
902 GONORRHOEA
nackig, weicht den gewohnlichen Mitteln gegen Nachtripper nur selten;
seine Quelle ist theils die Prostata, thells die Gruppe der Drüsen der Harn-
röhre, und das Secret ist häufig eiweissartig oder milchig; dabei fehlen alle
Zeichen von Entzündung; und die Geschlechtstheile sind höchst atonisch und
erschlafft. In diesen Fällen leisten leichte galvanische Schläge durch die
Harnröhre sehr viel. Man errichtet eine VoUasäule von 10, 15, allmälig bi^
20 Doppelplatten (s. Gal vanismu s), legt den Conductor des Zinkpols in
ein Gefäss mit lauem Wasser, worein auch der Penis gehalten wird. Zu-
gleich berührt der Kranke mit einem Metallstabe, den er in der angefeuch-
teten Hand hält, alle V4 — ' Minute den Kupferpol der Säule. Man wende.
auf diese Weise den Galvanismus 3 — 4 Wochen lang, täglich '/^ — % Stunde
lang an ('t/osf). Auch ein Vesicatorium aufs Os sacrum oder in die Damm
gegend gelegt und einige Zeit im Zuge erhalten, haben englische Ärzte
hier sehr wirksam gefunden.
Gonorrhoen secundaria, posthuina, inveterata, Fluor urethrae, der Nach-
t ripper; s. oben.
GonorrJioea sicca, der sogenannte trockne Tripper; richtiger In-
flammalio urethrae violenta, activa, sthenica; s. oben.
Gonorrhoea sexus sequioris , s. Leucorrhoea.
Gonorrhoen sjmrinj externa, Blennorrhagia spurin, notha, hnlani virorum,
G. spuria Inhialis fcmiuarum , falscher, unächter, Eichel- oder
Schamlefzentripper. Ist chronische Blennorrhoe der Eichel und bei
Frauenzimmern der Nymphen und äussern Schamlefzen (s. Balanoblen-
norrhoea und Leucorrhoea).
Gonorrhoen strictorin, Verengerungstripper. Ist ein WundseMi
der Harnröhre durch Stricturen, oft ein gelinder Nachtripper, der aucli
durch verborgene, in der Hai-nröhre sich befindende Chanker unterhalten
werden kann. Nicht selten erregen letztere, wenn sie bedeutend sind , eiiu
Gonorrhoea ulcerosa, puritlenta, Pyuria urethralis, wobei die eiterähnliclie
Flüssigkeit aus kleinen Geschwüren der Art, die häufig die Folge zu schnell
geheilter und unterdrückter Tripper sind , entspringt. Hier bedarf es anti-
syphilitischer Mittel.
Gonorrhoea veneren, syphilitica, virulenta, maligna, impura , contagiosa,
der wahre venerische Tripper, entstanden durch syphilitische An-
steckung Obgleich viele Autoren die Gonorrhöe zu den venerischen Übeln
rechnen (Ajidrc, Swedinur, Girlanncr, Fritze, Walch), so haben doch Andere
(Dwwcrtn, Tode, P. Frn7ik, Hörn) durch triftige Gründe bewiesen, dass Trip-
per und Chanker zwei ganz verschiedene Krankheiten sind. Dass die Sy-
philis aus Trippern entstehen kann , lässt sich zwar nicht leugnen , ebenso
wenig als dass die Gonorrhöe häufig die Folge des Coitus mit syphilitischen
Dirnen ist. Damit ist aber noch nicht bewiesen, dass das Übel selbst ein
venerisches sey. Auch werden wir ohne Mercur bei der Heilung des Trip-
pers fertig, und wir können mit Bestimmtheit annehmen, dass auf jeden gut
geheilten Tripper, d. h. einen solchen, wo wir den kritischen Austluss nicht
plötzlich unterdrücken, wo der Verlauf seine drei bis vier Wochen dauert,
keine anderweiten syphilitischen Beschwerden folgen werden. Ganz anders
verhält es sich aber bei dem durch Kubeben und Copaivbalsam zu schnell
geheilten Tripper, gleichviel ob das Übel allein oder vielleicht mit einem in
der Harnröhre verborgenen Chanker zugleich existirt. Letzteren statuire ich
in solchen Fällen, wo sich zugleich neben der Gonorrhöe schnell Buboiien
bilden. Hier können nach der Erfahrung später alle höhern Grade der Sy-
philis folgen. Deswegen haben wir aber dennoch beim acuten Tripper kei-
nen Mercur nöthig. Denn 1) wir heilen jeden Tripper schon allein durch
eine gute Diät und gelinde antiphlogistische Mittel zu Anfange des Übels,
und später durch alle diejenigen Äliltel, welche bei chronischen BIcnnorrhöen
wirksam sind. 2) Mag immerhin venerisches Gift den Tripper verursacht
haben, so bedürfen wir hier dennoch um so weniger des Mercurs, da wir
mit andern Mitteln füglich ausreichen und selbst die S}|)hilis nach zahlrei-
chen Erfahrungen ohne Mercur geheilt werden kann (Oppenheim, Desruelles,
GONOSCHEOCELE -. GRAVEDO 903
von Fering [ Syphilido - Therapie, Wien 1826] u. A. m.). Obgleich ich nun
gerade dieser Cur nicht unbedingt das Wort reden kann, so lassen sich die
Thatsachen, die in grosser Menge vorhanden sind, dennoch keines weges
leugnen. Es kommen mitunter Fälle vor, wo Tripper und Chanker zu glei-
cher Zeit ein und denselben Kranken nach dem Beischlaf mit verdächtigen
Frauenzimmern befallen ; ich selbst habe dieses zweimal beobachtet. Hier
gebe ich die schleimigen Emulsionen, die kaiischen Mittel, ausserdem Abends
und Morgens V2 — 1 Gran Kalomel mit % Gran Opium, und lasse strenge
Diät hallen. Unter solcher Behandlung heilten Tripper und Chanker binnen
3 — 4 Wochen, ohne dass schlimme Folgen entstanden wären (vgl. Syphi-
lis). Auch bei Nachtrippern, denen mitunter wol ein verborgener Chanker
zum Grunde liegen mag, habe ich von 12 — 16 Gran Merc. dulc. mit 6 Gran
Opium, in 3 Tagen verbraucht, oft herrliche Dienste gesehen. Zum Nach-
lesen empfehle ich als die neuesten, vollständigsten und besten Schriften:
Eiscnmmin , der Tripper in allen seinen Formen und in allen seinen Folgen.
2 Theile. Erlangen 1830, und Simon jun., Geschichte des Trippers. 1829.
Gonorrhoen Vera, libidinosn, wirklicher Samenfluss, dem Worte
»nd der Sache nach. Ist gleichbedeutend mit PoUutio.
Oonoscbeocele* Ist dasselbe, was Spermntoccle.
Cronozemaa. Ist häufiger Samenverlust, s. Pollutio.
Oonyag^ra, die Kniegicht, s. Arthritis. "^
Qonyalg^ia, der Knieschmerz; unrichtig häufig mit Gonyagra
gleichbedeutend genommen, obgleich jedes örtliche Leiden des Knies: Fra-
ctura pateliae, Fungus etc., mit Schmerzen verbunden seyn kann.
Gonyancon, krankhafte Krümmung des Knies, z. B. bei
Ancylosis, nach mechanischen Verletzungen des Schenkels etc.
Oonyocele» sogenannter Kniebruch. So nannte man ehemals eine
bedeutende Geschwulst des Kniegelenks, die richtiger Gonyoncus genannt wird.
Cronyorrbeuina. Ist rheumatischer Knieschmerz.
Orainia, zäher Schiein» der Augenlider, wie bei manchen Blephar-
ophthahuien; sogenannte Augenbutter, besonders in den Augenwinkeln, und
am stärksten des Morgens nach dem Erwachen ; gleichbedeutend mit Epi-
phora sebacea, Leraositas.
Crrampus» Cmmpus, derGrampf, Ramm, Klamm. Ist ein plötz-
lich durch Druck oder gezwungene Bewegung und Stellung eines Gliedes
entstandenes Gefühl von Kriebeln, Kälte und Steifigkeit in irgend einer Ex-
tremität, das in wenig Minuten durch Reiben des Theils von selbst ver-
schwindet. Rheumatische und spastische Constitutionen leiden am häufigsten
daran. Frottiren und Bürsten des Theils hilft dem Zufalle bald ab.
Orasugf, der Achselgestank, Bocksgeruch. Ist ein, manchen
Personen eigenthümlicher , übelriechender Schweiss unter den Achseln, auch
an den Füssen, im Perinaeum. Er findet sich besonders bei Gichtischen,
bei Hämorrhoidariis und bei Frauenzimmern mit Ataxien der Menstruation,
besteht aus stinkendem Ammonium und brenzlicher Säure; reagirt alkalisch,
und ist fast immer als kritisch anzusehen. Plötzliches Vertreiben desselben
durch kaltes Wasser, Bleiwasser etc. hatte Blindheit, Taubheit und andere
schlimme Zufälle zur Folge (Most).
Gravedo, der Stockschnupfen, als Vorläufer des füessenden
Schnupfens (^Destillatio Celsi, s. Blennorrhoea narium). Ist jedesmal
ein Zeichen von einem höhern Grade der Entzündung der Nasenschleimhaut,
erfordert kühlende Diät, kühlende Diaphoretica und äusserlich Dampfbäder
von Flores sambuci. Auch der Dunst von heissem Kaffee erleichtert die Be-
schwerden des Stockschnupfens sehr. Ist er chronisch, so denke man an
Krankheiten der Thränenwege, an Polypen.
Gravedo neonatortim, Rhinani/ia, Kinderschnupfen, Verstopfang
der Nase. Hieran leiden Kinder gewöhnlich schon in den ersten Tagen
904 GRAVIDITAS
nach der Geburt. Sie athmen dann mit offenem Munde , geben einen pfei-/
fenden, kreischenden Ton von sich und man hört deutlich, dass das Hin-
derniss des Afhmens in der Nase steckt. Diese ist gewöhnlich voll Schleim,
der in den Mund und den Schlund zurückfiiesst, sich vor die Luftröhre setzt
und Erstickung veranlassen kann. Cur. Man halte das Kind sogleich in
die Höhe , nehme es aus der Wiege, und reize die Nase inwendig mit einer
in Ol getauchten Feder, wodurch ein Niesen entsteht und durch Entfernung
des Schleims die Nase frei wird. Nachher bringe man täglich etwas Majo-
ranbutter mit einer Feder in die Nase. Zuweilen ist ein Fehler der ersten
Bildung an der Nasen Verengerung Schuld, dem alsdann schwer abzuhelfen isti,
Oraviditas, Cyesis, die Schwangerschaft. Ist derjenige Zu-i
stand des weiblichen Körpers (vom Augenblick der Empfangniss bis zur Ge-^
burt , mei.st eine Zeit von 40 Wochen) , wo sich das Product eines frucht-
baren Beischlafs in ihm befindet und sich in ihm ernähren und zu einem rei-
fen Fötus entwickeln kann. Obgleich die regelmässige Schwangerschaft:
der Vorgang der Conception, die Ausbildung des Embryo und seiner Hüllei
mit der Placenta , etwas rein Physiologisches ist und demnach nicht in dia
Pathologie gehört, so giebt es doch theils solche regelwidrige Schwanger-
schaften, die der praktische Arzt als Krankheit ansieht, theils ist auch die
normale Schwangerschaft Veranlassung mancher pathologischer Erscheinun-
gen; daher dieser Gegenstand hier nicht ganz übergangen werden darf.
Wir betrachten zuerst die verschiedenen Arten der Schwangerschaft: 1) Grn-
viditas normalis, reguhtris, uterina, die regelmässige Gebärmutterschwanger-
schaft. Ist die häufigste Art, dauert 275 bis 280 Tage, wenn kein Abor-
tus oder Partus praematurus oder serotinus erfolgt; im letztern Falle kann
sie sich bis spätestens 44 bis 45 Wochen verlängern. Sie kann eine Gra^i-
ditas Simplex oder multiplex, cum gemellis, trigeminis etc. seyn. 2) Gra-
viditas anomala, irregularis, exiraufcrina , Paraojesis, regelwidrige
Schwangerschaft am unrechten Orte, welche in einigen Fällen
viele Jahre dauern kann , wo sich zuweilen ein sog. Lithopnedion bildet,
übrigens folgende Unterarten begreift: «) Conccptio et Grnviditas ovnria,
Empfangniss und Schwangerschaft im Eierstocke; b) ConcepÜo et Grnviditns
tubnrin, wo das kleine Ei in die Muttertrompete aufgenommen wird und da-
selbst verweilt ; c) Conccptio et grnviditns tuho - titerinn , inid Conceptio et
Grnviditas in uteri suhstantia s. intcrstitinlis. Hier dringt das Ei durch die
Muttertrompete bis zur Mündung derselben in die Wandung des Uterus,
und bleibt innerhalb der Substanz des letztern; d) Conceptio et Grnviditas
ventrnlis seu abdominalis , wo das Eichen aus dem Eierstocke kommt , aber
nicht von der Tuba aufgenommen wird , sondern in der Bauchhöhle bleibt ;
f) Grnviditas ahdominnlis secundaria. Sie entsteht, wenn später durch Zer-
reissung des Uterus und der Scheide, oder (war es eine G. tubaria oder
Ovaria) durch Zerreissung der Muttertrompete oder des Eierstocks bei schon
früherer Entwickelung des Fötus dieser in die Bauchhöhle dringt. Ausser-
dem unterscheidet man noch folgende Arten : 3) Graviditns vaginalis, wo sich
der Fötus in der Vagina befinden soll , was mit Recht Vjele bezweifeln ;
4) Crraviditas mixta, ist (unpassend benannt) diejenige Schwangerschaft,
wenn neben einer wahren und normalen Graviditas ein Mondkalb oder ein
in der Ausbildung zurückgebliebener Fötus vorhanden ist ; 5) Graviditas
sitnplex und multiplex, je nachdem eine oder mehrere Früchte zu gleicher
Zeit da sind; 6) G. vera, nnturnlis. Ist Graviditas normalis (s. oben);
7) 6f. praeternaturalis. Ist jede G. extrauterina ; 8) Grnvitidns sptirin, fal-
sche Schwangerschaft. Ist diejenige, wo eine Mola, Mondkalb oder ein
anderer widernatürlicher Körper ohne einen wahren Fötus sich im Uterus
befindet; 9) Grnviditas vesicularis, hydatica, Ist eine Graviditas spuria, ent-
standen durch Blasenmolen, Mola vesicularis, Mola racemosa etc.
Zeichen der Schwangerschaft, Sie sind bei der Graviditas normal!*,
die Auscultation und die fühlbaren und sichtbaren Bewegungen des Fötus
ausgenommen, alle unsicher (s. Exploratio obstetricia). Was die
Zeichen der Graviditas extrauterina betrifft, so sa^t darüber v. Froriep:
QRAYIDITAS 905
„Die (gar nicht bestSiidigen ) Erscheinungen, welche die Gegenwart einer
Schwangerschaft ausserhalb des Uterus vermuthen lassen und die man da-
her als Zeichen annimmt, sind folgende: die Geschwulst des Unterleibes
ist, mit einem Gefühl von Schwere und Druck (bei gewissen Arten dieser
Schwangerschaft mit heftigen Schmerzen), nur in einer Seite befindlich, von
•welcher Seite auch gewöhnlich der Fuss wie taub ist; der leere Uterus wird,
yerhältnissmässig zur Dicke des Leibes, wenig ausgedehnt; die Vaginalpor-
tion erleidet eine Veränderung, wie im zweiten Monate der regelmässigen
Schwangerschaft und hat eine schiefe Richtung nach der Seite des beschwän-
gerten Organs hin (^Feiler) ; die anfangs etwas angeschwollenen Brüste wer-
den bald welk, und enthalten gar keine milchige Feuchtigkeit. In Rück-
sicht der Menstruation findet grosse Verschiedenheit statt, sie kann fehlen
und (regelmässig oder regelwidrig) vorhanden seyn ; dabei stellen sich häu-
fig fieberhafte Zufälle etc. ein. Die Bewegung der Frucht findet an einem
ganz ungewöhnlichen Orte statt; die Frucht ist bei Bauchschwangerschaften
deutlicher (anders als bei der Gebärmutterschwangerschaft} durch die Bauch-
decken, die Vagina oder den Mastdarm zu fühlen. Früher oder später
finden sich, bei wenig oder mehr verändertem Muttermunde, vergebliche
heftige Geburtsschmerzen ein (ßoer). Für die einzelnen Arten der Schwan-
gerschaft am unrechten Orte kennt man keine besonderen Zeichen; doch
sdll der Abgang einer schleimigen und blutigen Feuchtigkeit von schwärz-
licher Farbe zur Zeit, wo sonst die Menstrualperiode euizutreten pflegte,
die Schwangerschaft in der Tuba begleiten , die besonders auch mit einer
sehr heftig schmerzenden Spannung in der Seite verbunden ist und wo dann
die Frau gewöhnlich an der mit dem Bersten der Muttertrompete verbunde-
nen Blutung stirbt (s. Heim in Horn's Archiv 1812. Jan. u. Febr.). Ebenso
sollen bei Graviditas ovaria beständig heftige Schmerzen vorhanden seyn.'
Nur beim Abgange der Frucht, oder wenn diese im Körper zurüpkbleibt,
nach dem Tode der Schwangern, wird die Diagnose völlig entscheidend.'*
Es hat die Physiognomie der an Graviditas extrauterina leidenden Frauen
etwas ganz Eigenthümliches , Frappantes. Der Blick ist angstvoll, furcht-
sam, in sich gekehrt, die Gesichtszüge haben etwas Hängendes, Leidendes,
die Gesichtsfarbe ist blass, und ein auffallender Zug um die Mundwinkel
bemerkbar (^Mosl}. Die Behandlung einer solchen Unglücklichen in der
Schwangerschaft muss sich vorzüglich auf ein gutes diätetisches Verhalten,
möglichste Ruhe , Vermeidung alles Erhitzenden, Erweckung von Muth, Ver-
heimlichen ihres Zustandes, auf den Gebrauch gelinder Arzneien, welche die
etwanigen Schmerzen lindern und den Leib oifen erhalten, beschränken.
Nähert sidi der Zeitraum der Geburt, so muss häufig, wenn das Kind lebt,
oder das todte Kind schlimme. Zufälle für die Mutter erregt, der Kaiser-
schnitt gemacht werden (s. Gastrotomia), sonst kann die Schwanger-
schaft Jahre lang dauern , der Fötus sich durch Geschwüre aus dem Körper
schaffen oder, meist ohne Nachtheil für die Mutter, die todte Frucht sich
mit einer kalkartigen Kruste überziehen (Litlwpaedion). Ists eine Graviditas
Ovaria oder tubaria, so bildet sich die Frucht selten vollständig aus, sie
stirbt entweder vor der Zeit ab, oder die Mutter findet in heftiger Hae-
morrhagia interna, durch Bersten der Tuba den Tod. Ein Mehreres dar-
über siehe in den mitgetheilten Fällen, welche beschrieben sind in Hont's
Archiv 1812, 1817, 1818, in Ehrhnrd''s Sammlung von Beobacht. Hft. 1, in
SiehohVs Journ. f. Geburtshülfe , Bd. IL St 2, ferner bei W. Josephi, Über
Schwangerschaft ausserhalb der Gebärmutter etc. 1803, Noel in ScheikharcVs
Magazin f. Geburtshülfe Bd. L, KleinerVs Repertoriura 1827. Hit. 8. S. 40.,
Hft. 10. S. 20 — 23, 52. — 1828. Hft. 2. S. 27., Hft. 3. S. 108., Hfl. 4.
S. 82, 83., Hft. 8. S. 72., Hft. 9. S. 54 — 62, 79., Hft. 11. S. 79. — Was
die Diät und Lebensweise der Schwangern im Allgemeinen betrifft, so
sind alle ihnen zu empfehlende Regeln in folgendem Satze enthalten: „Eine
Schwangere sey massig und halte sich in Allem, was sie vornimmt, im Es-
sen und Trinken, beim Schlafen und Wachen, bei Arbeit und Ruhe, im
Vergnügen und bei ernsthaften Beschäftigungen an den mittleren Grad."
906 GRAVIDITAS \
Dieses wird um so noth wendiger, je wahrscheinlicher es ist, dass eine GraX
viditas praeternaturalis stattfindet. Hier ists besonders wichtig, ohne Nothl
der Schwangern nicht alle Genüsse zu versagen, die ihr unschädlich sind,!
damit sie nicht durch die ungewöhnlich strengen Vorschriften aufmerksam
gemacht wird, ihren Zustand ahnet und in Furcht geräth. ■ — Folgende spe-
cielle diätetische und medicinische Regeln finden hier noch für Schwangere
statt: 1) Eine ängstliche, übertriebene Befolgung der Diät ist höchst nach-
theilig ; denn die Schwangerschaft ist keine Krankheit. Wer daran gewöhnt
ist, kann massig Kaffee, Thee , Wein, schwaches Bier gemessen. Starke
Gewürze, stark gesalzene und geräucherte Speisen sind schädlich. Dienlich
dagegen leichte Suppen von Tauben-, Kalb - und Hühnertieisch, Brot- oder
Wassersuppen, auch besonders Milchspeisen, leichte Mehlspeisen, gute Klose,
leichtes, gutes Gemüse, kein fi'isches, grobes, schlechtes Brot; alle diese
Dinge müssen in kleinen Portionen genossen und wenigstens alle 3 — 4 Stun-
den dem Munde etwas geboten werden. Doch richte man sich nach der
bisherigen Gewohnheit und ändere diese nicht ohne Noth ab. 2) Höchst
schädlich ist der Genuss von Branntwein, Bitterbier, Wein und Kaffee im
Übermass, wodurch Congestionen und Abortus befördert werden können.
Dagegen ist der Genuss verdünnender, erfrischender Getränke, der Milch,
der Obstbrühen , der Limonade , besonders in heissen Sommertagen , sehr zu
empfehlen. Sie sind dem Gedeihen der Frucht nützlich und verhüten man-
che andere Beschwerden der Schwangerschaft: Übelkeit, Erbrechen etc.
S) Nie entferne sich die Schwangere plötzlich von ihrer früher gewohnten
Lebensordnung, gehe nicht plötzlich aus gewohnter Thätigkeit zu müssiger
Ruhe über u. s. w. ; .doch vermeide sie alle rasche, angreifende Bewegung
und jede heftige Anstrengung des Körpers. 4) Jede Schwangere mache es
sich zur Regel, täglich die frische Luft zu geniessen, spazieren zu gehen
und nicht viel zu Hause zu sitzen. Die meisten schwangern Frauen in den
grössern Städten vernachlässigen den Genuss der reinen atmosphärischen Luft,
und dies ist der Hauptgrund von ihrem Übelbefinden. Nur bei sehr heissem,
sehr kaltem, stürmischem und regnigem Wetter leidet das Spazierengehen
eine Ausnahme. 5) Schädlich sind zu stark geheizte, mit unreiner Luft und
mit stark duftenden Blumen angefüllte Wohn- und Schlafzimmer, sowie je-
der schnelle Wechsel der Temperatur. 6) Die Kleidung der Schwangern
sey einfach, warm und gehörig weit und bequem, damit. sie den Leib nicht
einpresse. Alle Schnürleiber , Corsets müssen verbannt werden , denn sie
tödten oft Mutter und Kind (s. Mosfs moderner Todtentanz etc. , Hannov.
1824). Besonders müssen die Brüste, der Unterleib und die Füsse vor Er-
kältung geschützt und wärmer als ausser der Schwangerschaft gehalten wer-
den. Daher passen keine baumwollenen, sondern wollene Strümpfe, keine
am Halse ausgeschnittenen Kleider, sondern besser ein gehörig weiter Ober-
rock. Recht gut ists, wenn in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft eine
gute, von Barchent oder Rehleder verfertigte, der Wölbung des Leibes an-
passende Leibbinde, weiche vor Erkältung schützt und die durch die Last
des Unterleibes entstehenden Beschwerden am besten erleichtert , getragen
wird. Am meisten bedürfen derselben corpulente Frauen. 7) Vieles Sitzen
schadet; denn es engt den Leib zu sehr ein und hindert die Entwickelung
des Kindes. Daher ists, besonders in den letzten Monaten der Schwanger-
schaft, sehr gut, dass die Schwangere, wenn sie der Ruhe bedarf, sich zu-
weilen ausgestreckt aufs Sopha lege. Dass indessen Bewegung und Ruhe
abwechseln müssen, dass ein mehrstündiges Liegen auf dem Sopha oder gar
im Bette nichts taugt, ist schon oben gesagt worden. 8) Ebenso schädlich
sind heftige Körperbewegungen: Tanzen, Laufen, Springen, Fahren auf un-
ebenen Wegen und in schlechten Fuhrwerken. Noch schlimmer sind heftige
Gemü t hs be wegungen. Sie sind physisch und moralisch nachtheilig für
die Frucht und für die Mutter. 9) Was das sog. Versehen der Schwan-
gern betrifft, so kann dies in seltenen Fällen wol stattfinden, obgleich viele
Erzählungen der Art nur zu den Kindermärchen und Fabeln gehören. Am
häufigsten sind nach meinen Beobachtungen recht leidenschaftliche Schwan-
GRÄVIDITAS 907
gere diesem Versehen unterworfen ; daher es für sie doppelt wichtig ist, sich
zu beherrschen und die für ihre und des Kindes Gesundheit so wohltliätige
Gemüthsruhe zu bewahren. 10) Der Schlaf ist für Schwangere ein Ge-
genstand von höchster Wichtigkeit. Im Schlafe ist bekanntlich die Vegeta-
tion und Production am kräftigsten. Da nun das Leben der Schwangern
auf diese Functionen besonders gerichtet seyn muss, damit Bildung und
Wachsthum der Frucht befördert werde, so ist die Sorge für einen ruhigen
Schlaf höchst nothwendig. Eine heitere und ruhige Gemüthsstimmung, hin-
reichende Bewegung den Tag über , ein gutes , geräumiges , ruhiges Schlaf-
zimmer, die Vermeidung grosser Abendgesellschaften, die das Nervensystem
nur reizen, der späten und grossen Soupers, alle diese Dinge sind wohl zu
berücksichtigen; auch ists gut, wenn jede Schwangere täglich 1 — 2 Stun-
den länger schläft, als sie ausser der Schwangerschaft gewohnt ist. 11) Die
Brüste der Schwangern erfordern eine besondere Pflege. Sie sollen nach
der Geburt das Kind ernähren und werden in dieser Absicht schon in der
Schwangerschaft zum Stillungsgeschäfte vorbereitet , indem sich die Milch-
gefässe darin stärker ausbilden , lockerer werden und anschwellen. Der
Nachtheil einer nicht vor Erkältung schützenden, zu kühlen Bekleidung der-
selben und das Schädliche jeder drückenden Kleidung erklärt sich aus die-
sem Umstände. Vier bis sechs Wochen vor der Entbindung erfordern, be-
sonders bei Erstgebärenden, die Brustwarzen eine besondere Pflege. Sie
sind gewöhnlich weich, fein, sehr dünn, klein und eingezogen. Daher müs-
sen sie täglich einigemal mit einem Saugglase oder mit einer thönernen Pfeife
hervorgesogen, mit einer Mischung aus Rum oder Franzbranntwein und
Wasser zu gleichen Theilen gewaschen und mit einem aus Lindenholz ver-
fertigten Warzenhütchen, worin die Warze gehörigen Raum hat, bedeckt
w^erden ; sonst kann später das Kind die Warzen nicht fassen , sie werden
bald wund gesogen, und das Stillen wird dadurch schmerzhaft, oft ganz
unmöglich. Auch die in Paris verfei-tigten Warzenhütchen von Gummi ela-
sticum sind sehr zu empfehlen und verdienen, weil sie bequemer und wei-
cher sind, vor den hölzernen noch den Vorzug (s. Abscessus lacteus).
12) Nie darf eine Schwangere weder die Urin -, noch die Stuhlausleerungen
aufhalten oder unterdrücken. Daher muss sie lieber die Gesellschaften und
den Aufenthalt an öffentlichen Orten , wo die Schamhaftigkeit mit den Ver-
richtungen dieser natürlichen Bedürfnisse contrastirt, vermeiden, als sich da-
durch diejenigen Nachtheile zuziehen , die darauf stets folgen , als Beängsti-
gungen, Leibschmerz, Magenweh, Kopfschmerz etc. 13) Sehr gut ists,
wenn sich Schwangere alle 2 — 3 Tage die Genitalien und Schenkel mittels
Schwamms und lauen Wassers abwaschen und sich ebenso oft, zumal in den
letzten vier Wochen der Schwangerschaft, mit Ol. amygdalar. , Pomade,
Gänsefett das Pei-inaeum einreiben. 14) Leibesverstopfung darf nie länger
als 24 Stunden geduldet werden; alsdann ist ein Clysma aperiens, emolliens
nothwendig. Da die meisten Frauenzimmer aus Schamhaftigkeit das Klystie-
ren von Andern scheuen, so ists gut, wenn sie sich eine Spritze mit krum-
mem Röhrchen anschaffen und es so selbst verrichten können. 15) Haben
Schwangere vor gewissen Speisen oder Getränken einen Widerwillen,
so müssen sie den Genuss derselben vermeiden. Dagegen dürfen nicht alle
ungewöhnliche Gelüste zu verschiedenen Dingen befriedigt werden, wenn
sie sonst nachtheilig sind. Der Glaube, dass dies geschehen müsse, ist
falsch; denn die Frucht leidet dadurch nichts (^Most^. 16) Jede Schwan-
gere darf nur massig den Genuss der physischen Liebe sich erlauben. Aus-
schweifungen im Coitus befördern in der ersten Hälfte der Schwangerschaft
leicht Abortus, und in der zweiten Hälfte erregen sie in der Rückenlage
leicht Kolik; am besten ist, wenn der Mann den Coitus hier nur alle 8 — 14
Tage einmal und a dorso ausübt. 17) Am Vomitus gravidarum leiden man-
che Frauen in der ersten Hälfte der Schwangerschaft sehr viel. Ursachen
sind Überladung des Magens, häufiger allein hohe Reizbarkeit der Digestions-
organe, spastische Constitution. Zuweilen ist Vollblütigkeit, Neigung zu
Obstructio aivi, enge Kleidung Schuld. Cur. Man entferne die Ursachen,
908 GRAYIDITAS
rathe gute Diät an*, rermeide Alles, was Krampf verursacht: bei Vollblviti-
gen dienen kühlende Mittelsalze, Fussbäder, zuweilen selbst ein kleiner
Aderlass, dabei Vermeidung des Weins, der Fleischspeisen, des Kaffees,
Thees. Ist die Person aber blass, schwächlich, hatte sie früher schon Nei-
gung zu Krämpfen, so dienen des Morgens Thee aus Herb, menth. pip. mit
etwas Zimmt, mit Weissbrot genossen. Diese Nahrung wird oft vom Ma-
gen zurückbehalten, wenn Kaffee und grüner Thee stets ausgebrochen wer-
den. Überhaupt müssen solche Schwangere jedesmal nur wenig, dagegen
öfter des Tages etwas gemessen, und oft mehr leicht verdauliche feste als
flüssige Kost. Einreibungen der Magengegend mit Unguent. nervinum wir-
ken hier auch sehr gut (vgl. auch Nr. 18), 18) An Säureerregung und
Sodbrennen leiden viele Schwangere. Die Ursachen sind meist immer
dieselben des periodischen Erbrechens. C u i'. In vielen Fällen passt zuerst :
^.' Infus, laxat'w. Vienn. gjj , Aqune chamomill. 31V , Syr. mannae §j , Tinct.
rhei nquos. 5jj> SnJ. Glauberi 3jjj> M. S. Alle 5 — 10 Minuten 1 Esslöffel
voll bis zur Diarrhöe. Die folgenden Tage gebe man I^ lind, cdlnm. nrom..,
lAgn. quassiae , lind, gentimine rühr., Ocul. cnncror. ana 5jj» Mnijncs. car-
hon. 3j) Elaeosacch. citr. 5jjj. M. f, pulv. S. Dreimal täglich 1 Theelöffel
voll mit Wasser. Ausserlich dienen : ^! Bnls. peruv. nigri, OL succini, — ro-
rismarin. , — Invandulne ana gtt. x, mixtis adde Spirit. serpyUi 51V, — viui
rectificnt. 53, Tinct. opii shnpl. 5j. M. S. Gut umgeschüttelt dreimal täglich
y, Esslöffel voll in -die Magengegend einzureiben. Ohne eine strenge Diät,
ohne Sorge für tägliche hinlängliche Körperbewegung und Excretio alvi ist
dies tibel, sowie auch das periodische Erbrechen nicht zu bekämpfen.
19) Diarrhöen. Kommen vorzüglich in der ersten Hälfte der Schwanger-
schaft, selbst bei Frauen vor, die regelmässig leben und sich nicht erkältet
haben, weil die erhöhte Thätigkeit des Uterus sympathisch auch die des
Darmcanals erhöht. Cur. Dauert der Durchfall schon acht Tage, beson-
ders wenn Tenesmus, Blutabgang dabei ist , so kann leicht Abortus entste-
hen. Man massige sie daher durch Decoct. salep, , columbo , etwas Tinct.
rhei, im Nothfall Opium, und lasse strenge Diät beobachten (s. Diarrhoea).
20) Obstrucüo alvi stellt sich vorzüglich in den letzten Monaten der Schwan-
gerschaft ein. Ursachen sind tiefliegender Kindeskopf, weites Becken,
falsche Lagen des Uterus , vieles Stillsitzen , schwerverdauliche Nahrung.
Die Folgen sind Angst, Herzklopfen, Congestion zum Kopfe, Fieber. Cur.
Sparsame vegetabilische Diät, öftere Klystiere, kühlende Salze, Sal Glau-
beri, Zuckerwasser, Limonade. Ausserdem die gegen die Ursachen wirken-
den Mittel. 21) Die Koliken der Schwangern bemerkt man am häufigsten
bei hysterischen Weibern. Thee von Flor, chamomill. , Herb, menth. crisp.
und Sem. foeniculi , einige Tropfen Liquor anodyn. und Liq. c. c. succin.,
bei Obstructio alvi Clysma antispasmod. mit Asa foetida heben den Anfall
bald (s. Colica). 22) Schwangere mit Habitus apoplecticus, mit Habitus
phthisicus müssen wegen der oft bedeutenden Congestion zu Kopf und Brust
recht strenge Diät hallen, starke Körperbewegung meiden, desgleichen %>arme
Zimmer, warme Federbetten, beengende Kleidung, Fleischspeisen und Spi-
rituosa. Sorge für tägliche gehörige Leibesöffnung, häutiges Trinken von
Zuckerwasser, Limonade, Afjua crystallina, Kühlhalten des Kopfs, Abends
ein warmes Fussbad von Senf und Kochsalz, bei starken Congestionen selbst
Blutegel, kleüie Aderlässe etc. sind hier nach Umständen nothwendig Ent-
stehen bei solchen Personen Blutungen: Nasenbluten, Bluthu.sten, ßlutbre-
chen, Hämorrhoidal - und Menstrualblutfluss; so stille man diese ja nicht
voreilig, sondern beobachte das Allgemeinbefinden, das sich in der Regel
darnach bessert. Nur bei den Zufällen der Depletion wende man .solche
«topfende Mittel an (s. Haemorr hagia). 25) An Blutaderknoten der
Schenkel und der Geburtstheile leiden manche Schwangere, besonders die
mit blondem Teint , und ältere Frauen. Sie erregen Druck , Spannung,
Schmerzen , verhindern den freien Gebrauch des leidenden Gliedes und kön-
nen durch zufallige Verletzungen aufspringen, gefahrliche Blutungen und
^äter schlimme Geschwüre hinterlassen. Die vorzüglichsten Ursachen
GRAYIDITAS 909
sind: Druck des schwangern Uterus und Schwäche des Venensystems,
sitzende Lebensart, Neigung zu Obstructio alvi , schiefe Lage der Gebär-
mutter, laxe Körperconstitution , Quetschungen der Schamlippen, allgemein«
Anlage zu Varikositäten, krankhaft erhöhte Venosität (s. Varix im Allge-
meinen). Cur, Ist nach den Ursachen verschieden. Schiefe Lage des Ut^
rus verhüten und verbessern wir durch zweckmässige Leibbinden , bei Ob-
»tructio alvi passt der massige Gebrauch des Pülnaer Wassers, dabei küh-
lende, wenig nährende Diät. Äusserlich dienen spirituöse Waschungen des
leidenden .Gliedes, kalte Waschungen, Solut. aluminis, Schnürstrümpfe von
Barchent, bei Tage getragen und des Nachts abgelegt, bei Blutungen aus
den Knoten Essig, Char[)ie und Druck, TJieden's Einwickelungen des ganzen
Gliedes, horizontale Lage desselben. Nach Bhtff ist die Radicalcur am
zweckmässigsten während des Wochenbettes durch innerlich kühlende Mit-
tel, äusserlich durch adstringirende Decocte, kaltes Wasser und durch Cora-
pression (nicht durch Eröffnung der Knoten) und Einwickelung des ganzen
Gliedes zu erlangen (s. v. Gräfe in der Vorrede zu BelVs System der Chi-
rurgie S. VIII). 24) Auch Husten und asthmatische Beschwerden
sind in der Schwangerschaft nichts Seltenes. Ein blosser Erkältungshustei»
weicht schon durch warmes Verhalten, Thee von Flor, sambuci, Spec. pe-
ctoral. Zuweilen ists ein Krampfhusten, besonders zu Anfange oder am
Ende der Schwangerschaft. Hier lasse man die Brust mit erwärmtem Fla-
nell reiben , Flanellkleidung anlegen und Thee von Melisse , Menth, crisp.
und Sem. foeniculi trinken. Ist der Husten aber anhaltend, ist Asthma und
starke Expectoration damit verbunden, so ist das Übel bedenklich und er-
fordert schnelle Hülfe; bald ausleerende, ableitende, kühlende, bald beruhi-
gende, krampfstillende Mittel; sonst können durch den Säfteverlust, durch
die heftigen Erschütterungen , die der Husten auf den schwangern Leib er-
regt , leicht schlimme Folgen entstehen. 25) Die örtlichen Schmerzen der
Schwangern: Kopf- und Zahnweh, Ohrenschmerz, Rückenweh,
entstehen entweder von Congestionen oder Krampf, und erfordern Derivantia,
Revulsoria, Antispasmodica. 26) An Convulsionen, an Strangurie,
Dysurie und Ischurie leiden manche Schwangere; sie erfordern die da-
gegen wirksamen Mittel (s. diese Artikel) , doch vergesse man nicht, dass
örtliche Congestionen , abnorme Lage des Uterus und der Frucht oft Ur-
sache sind, dass in solchen Fällen kühlende Mittel allein passen, die er-
hitzenden und starken Antispasmodica aber fast immer das Übel verschlim-
mern. 27) Zu den Gott Lob ! seltenern Übeln der Schwangern gehören
Metritis, Rheumatismus uteri, Hydrops uteri, Metrorrhagia , welche gefahr-
liche Zufälle erregen. Die Erkenntniss und Cur dieser Übel wird anderswo
gelehrt werden (s. diese Artikel). 28) Höchst wichtig ist für die Weiber-
praxis noch die Regel, dass wir hier alle Arzneien in kleinen Dosen geben
müssen, besonders in der Schwangerschaft, wollen wir davon, besonders
von den heroischen , nicht die heftigsten Wirkungen erleben. Die Dosis musa
der gleich seyn, welche bei 9 — 12jährigen Kindern passt. Überhaupt mache
man sichs bei allen nicht bedeutenden Zufällen der Schwangern zur Regel,
mehr passiv als activ zu verfahren, und mehr auf ein gutes diätetisches Ver-
halten als auf viele Arzneien zu sehen; denn der Nachtheil des häufigen
Arzneigebrauchs liegt hier am Tage, und die Volksmeinung, eine Schwan-
gere dürfe nicht mediciniren, hat hierin zum Theil ihren Grund. 29) Nach
meinen zahlreichen Beobachtungen ist es für die Gesundheit der Mutter und
für die kräftigere Ausbildung der Frucht von grossem Vortheil , wenn die
Schwangere so spät als möglich mit ihrer Schwangerschaft bekannt gemacht
wird. Es ist früh genug, wenn die Bewegungen der Frucht sie darüber
belehren. Die Eindrücke, welche Gemüthsbewegungen und AfFecte der Mut-
ter auf die Frucht etwa äussern, haben in der ersten Hälfte der Schwanger-
schaft die nachtheiligste Wirkung und die n^eiste Gewalt. Bei der Zwillings-
schwangerschaft ist der Umstand, dass die einzelnen Bewegungen der Frucht
dem Räume nach nicht so gross und auch nicht so stark sind, als bei ge-
wöhnlicher Schwangerschaft, selbst nicht am Ende derselben und bei sonst
910 GRITALOPEX — HABITUS
bedeutender Ausdehnung des Unterleibes, ein wichtiges diagnostisches Zei-
chen, welches nie fehlt. Diese Bewegungen der Früchte erregen nie, we-
der in der rechten, noch in der linken Seite des schwängern Leibes so be-
deutende sichtbare Erhöhungen, als es der Fall ist, wenn im Uterus nur
ein Kind betlndlich ist.
Ol'3^alopex. Ist ein durch Onanie, durch zu häufigen Coitus
schwindsüchtig Gewordener { Hij^imkrates ) , was bei jungen Leuten leider!
so häufig der Fall ist, wo jeder Reiz grössere Blutcongestion zu den Lun-
gen macht.
Gryposis, s. Onychogryposis.
Ouinmata, Gummigewächse am menschlichen Körper. Sind
chronische, mehr oder weniger elastische Geschwülste, vorzüglich an den
Gelenken, die bald venerischen, bald gichtischen Ursprungs sind, sich bald
schneller, bald langsamer ausbilden und oft mit Auftreibung des Knochens
verb\mden sind. Cur. Ist die des Grundübels (s. Arthritis, l^yphilis,
Exostosis, Osteomalacia). Die Gummata venerea befallen vorzüglich
die Ossa cranii, die Scapula, das Sternum und die Tibia.
Crunalgia, Knieschmerz, s. Gonalgia.
Gutta rOi^acea, Acne Willan, die Couperose (Jont^t), der
sog. Kupferhandel, Finnen im Gesichte. Ist ein chronischer, bräun-
lich, kupferig aussehender, auf der Spitze der Nase beginnender Ausschlag
im Gesichte, entsteht vorzüglich durch Missbrauch geistiger Getränke, durch
Ataxien der Menses, durch scharfe Säfte etc. Cur. Innerlich Haeraatoca-
thartica, gute Diät, Antimonialia, Sulphurata; zugleich äusserlich mit Vorsicht
Salben von Zink , Blei , Vitriol , kleine Dosen Mercur etc. Auch folgendes
Waschwasser ist hier oft sehr wirksam : ^' Aquae Goulardi, — rosarum ana
31V, Sulphur. pulü. 5jj- M. S. Stark umgeschüttelt Abends und Morgens an-
zuwenden. Heim empfiehlt innerlich: ^f Liquor sapoiiis stibiati 5jj» Tinct,
colocynihid. 5J. M. S. Dreimal täglich 30 — 40 Tropfen in Haferschleim, wel-
ches auch ich sehr wirksam fand (s. Herpes, Tinea, Crusta lactea).
Gutta opacn, der graue Staar, s. Cataracta.
Gutta serena, der schwarze Staar, s. Amaurosis.
Crynaecia. Ist bei Hippohrates die Menstruation.
Crynaecolog^ia* Ist die Lehre von der Natur, der Schwangerschaft,
der Geburt und den Krankheiten des Weibes.
Gynaecoinaston« Ist übermässige Ausdehnung der weiblichen Brü-
ste durch Fett etc.
Crynandros. Ist ein sog. Zwitter.
Cryuatresia» Ist Vagina clausa^ a. Atresia vulvae.
H.
Habitus* der Habitus. Ist der in die Sinne fallende Ausdruck der
formellen und organischen BeschafTenheit des Körpers, wobei Grösse, Um-
fang, Form, Farbe, Haltung, Lage und Stellung des Individuums, welche
Dinge der Begriff des Habitus in sich fasst, besonders in Betracht kommen.
Der Habitus ist als der Reflex des innern Zustandes des Lebensprocesses
anzusehen und daher für die Erforschung von Krankheiten höchst wichtig.
Er giebt häufig dem Arzte die erste Idee von der Anlage zu dieser oder
jener Krankheitsform oder von der schon wirklich stattfindenden Krankheit.
Der gesunde Mensch zeigt einen seinem relativen Gesundheitszustande ange-
messenen Habitus, und je weniger letzterer in Krankheiten bedeutende Ver-
änderungen erleidet, desto weniger hat die Krankheit zu bedeuten. Wenn
HABITUS 911
in Fiebern das Gesicht des Kranken plötzlich verfällt, wenn seine Haltung
Hnd sein ganzes äusseres Gepräge dergestalt verändert erscheint, dass selbst
die Bekannten des Kranken sagen: „Wir kennen ihn kaum wieder," so ist
das Leiden bedeutend und nicht selten folgt der Tod (s. Facies hippo-
cratica). Auch auf das Temperament und die G«müthsbeschafl"enheit des
Menschen (^Hahitus animi} lässt der Habitus, d. i. schlechtweg der äussere
Habitus (^Habitus corporis) schliessen. Ein Mensch, der weder edle Haltung,
noch Anstand hat, der nachlässig im Stehen und Gehen, nachlässig in Klei-
dung, linkisch im Reden und in seinen Handlungen ist , ein solcher Mensch
-hat Anlage zu Seelenleiden, die sich früher oder später entwickeln, beson-
ders zu Dummheit, Stumpfsinn, Blödsinn. Uns interessirt hier vorzüglich der
Habitus morbosiis, wodurch sich entweder die Anlage oder die schon ent-
wickelte Form irgend einer Krankheit ausspricht, die sowol aus Fehlern
der Mischung, als aus denen der Organisation entstehen kann. Die Scro-
pheln, die Rhachitis, die Bleichsucht, der Schlagfluss, die wahre Lungen-
schwindsucht, die Krankheiten aus Fehlern der Mischung: Dyskrasien, Ka-
chexien aller Art und viele andere Übel, geben sich durch den Habitus auf
den ersten Blick zu erkennen. Allen Ärzten ist der Habitus scrophulosus,
chloroticus, apoplccticus , phthisicus, der Habitus spasticus, arthriticus etc.
bekannt (s. Scrophul osis, Icterus albus, Apoplexia, Phthisis,
Spasmus, Arthritis). Auch die eingewurzelte Syphilis: die Wasser-
sucht, die Atrophie, die Herzkrankheiten geben sich durch einen bestimm-
ten Habitus, besonders durch den Ausdruck des Gesichts zu erkennen. So
erkennt der aufmerksame Kinderazt auch an den verschiedenen Gesichtszügen
des Kindes, ob sein Leiden im Kopfe, in der Brust- oder in der Bauchhöhle
seinen Sitz hat (^Veron, Maladies des enfans. Paris, 1825). Nicht blos das
allgemeine formelle und organische Verhältniss des ganzen Körpers, sondern
auch das eines jeden einzelnen in die Sinne fallenden Theils ist bei Betrach-
tung des Habitus zu berücksichtigen; daher der verschiedene Ausdruck des
Gesichts, die Stellung und Haltung der Gliedmassen etc. (Phjsiognomia pa-
ihoJoi/icn, Facies hifipocraticn). Im Allgemeinen betrachten wir hier 1) die
Veränderungen des körperlichen Umfanges als Zeichen vorhandener
Krankheitsverhältnisse. Der grössere oder geringere Körperumfang gründet
»ich auf den Zustand des Nutritionsprocesses, auf ungewöhnliche Anhäufung
von Säften , auf starken Antrieb derselben nach der äussern Körperttäche.
ft) Vergrössertes Körpervolumen entsteht entweder durch üppige
Vegetation, besonders der Fettbildung, oder als Folge eines vermehrten
Säftetriebes nach Aussen, oder als Folge von Krankheiten, wo entweder ein-
Kelne Theile oder der ganze Körper voluminöser erscheinen (Wassersucht,
Emphysem etc.). Fettleibige Personen sind in der Regel muskelschwach,
bie werden durch hitzige Krankheiten weit schneller erschöpft als magere
Subjecte; auch lehrt die Erfahrung, dass frühe Fettleibigkeit bei Kindern,
Jünglingen und jungen Mädchen kein gutes Zeichen ist und auf kein hohes
Lebensalter schliessen lässt. Fettleibige haben laxe Faser, sind zu Krank-
heiten der Blutkrasis, zu Bleichsucht und Wassersucht disponirt; auch bei
vorherrschenden Leiden des Unterleibes zu Schlagflüssen. Bekom.nen sie
Fieber und Entzündungen, so darf man nur mit Vorsicht schwächen, sonst
entsteht leicht Collapsus vasorum (s. Delirium tremens). Im Mannes-
alter bei vorherrschender Plethora abdominalis ist ein gewisser Grad von
Fettleibigkeit oft mit Hämorrhoidalkrankheit, mit Digestionsfehlern, Arthri-
tis und Hypochondrie verbunden. Schnelle Zunahme der Fettleibigkeit bei
Männern und Frauen deutet häufig auf bald erfolgende Gicht, auf Hämor-
rhoiden und Blutbrechen. Eine schwammige Auftreibung des Unterleibes mit
Gesichtsblässe ist bei Frauenzimmern ein Zeichen von anomaler Menstrua-
tion, bei Männern deutet sie auf Excesse in Baccho et Venere, und auf
Schwäche der Unterleibsorgane, auf Neigung zu Wassersucht. Anschwel-
lung des Körpers durch vermehrten Säfteandrang nach der Haut, durcb ge-
steigerten Turgor vitalis bemerken wir schon bei Gesunden in heissen Soro-
mertagcn; ausserdem besonders bei acuten Exanthemen, bei Blatter«, Masern,
912 HABITUS
Scharlach { auch die Congestion des Bluts zum Kopfe kann Anschwellung des
Haupts erregen, wie wir dies bei der Gesichtsrose wahrnehmen. Der dicke
Kopl" bei Habitus apoplecticus ist gleichfalls Folge des habituellen starkem
Blutandrangs zum Kopfe, in Folge dessen übermässige Ernährung und ein
zu starker Bildungstrieb daselbst staltfindet. Congestion und Entzündung
begründen am häufigsten topische Anschwellungen des Körpers, verbunden
mit den ihnen eigenthüralichen Zeichen (s. Congestio und Inflammatio).
Nicht selten sind sie aber auch Folge von Eiteransammlungen, von Emphy-
sem als Symptom des bösartigen Faulfiebers, als Folge von Brustverletziiii-
gen. Die allgemeine hydropische Anschwellung ist an dem allgemeinen Ha-
bitus hydropicus, an dem bleichen, gedunsenen Ansehn, an der schlaffen
Faser, an den in der Geschwulst einige Zeit zurückbleibenden, durch Fin-
gerdruck verursachten Gruben etc. leicht zu erkennen, fc) Vermindertes
Körpervolumen ist das Resultat eines zu schwachen organischen Bil-
dungsprocesses. Bedeutende Magerkeit deutet bei Kindern auf Krankheit
des Lymph- und Drüsensystems, bei Greisen auf ^Marasmus, bei jüngst Ver-
heiratheten auf übermässigen Geschlechtsgenuss (späterhin folgt bei gutem
Leben oft Adiposis). Wohl zu unterscheiden von der eigentlichen Abmage-
rung ist diejenige Abnahme des Körperumfanges , die in Krankheiten nach
Unterdrückung des Turgor vitalis entsteht und Collnpsus heisst. Bei bös-
artigen Faulfiebern , beim Brande innerer Theile , bei bedeutendem Blutver-
lust, bei Herz-, Magen- und Darmentzündungen, selbst bei heftigen Pneu-
monien finden wir ihn bald früher , bald später eintretend. Er zeigt eine
tief gesunkene Lebenskraft an und tritt um so früher ein, je schwächlicher
das Subject an sich und je bedeutender das Leiden irgend eines zu den Le-
bensverrichtungen wichtigen Organs ist. Eine übermässige oder zu spät an-
gewandte antiphlogistische Methode führt hier den CoUapsus, der dann
Kampher und andere Reizmittel indicirt, häufig herbei. 2) Abweichun-
gen in dem Verhältnisse des Körpers, der Grösse und Form
nach. Ihre Erforschung und Deutung ist zur Erkenntniss der Krankheiten
mit Habitus morbosus höchst wichtig. Wer lang und schmächtig gewachsen
ist, hat in der Regel eine schwächliche Constitution mit erhöhter Sensibilität.
Erfolgt bei jungen Leuten sehr schnelles Wachsthum, so ist immer dabei
eine gesteigerte Sensibilität und eine ungleiche , mit Congestionen nach dem
Kopfe oder der Brust verbundene Blutcirculation. Sind Kinder für ihr Alter
im Wachsthum sehr zurückgeblieben, so kann man auf Krankheiten des
Lymph- und Drüsensystems, auf Scropheln, Rhachitis, Atrophie mit Gewiss-
heit rechnen; vorausgesetzt, dass sie zur rechten Zeit und von gesunden
Altern geboren worden sind, die nicht auffallend die sogenannte Zwergsta-
tur besitzen. Wichtiger als das allgemeine Grössenverhältniss des ganzen
Körpers ist das der einzelnen Theile zu einander, und jede Formabweichung
vom normalen Verhältnisse, das sich nach Alter und Geschlecht arithmetisch
in Zahlen ausdrücken lässt (wie dies die Anatomie und die latromathematik
lehrt) , ist ein Zeichen von irgend einem krankhaften Zustande. Ein grosser
Kopf deutet bei Säuglingen auf übermässigen Säfteandrang nach demselben
und auf vorherrschende Bildung der Gehirnsubstanz mit Neigung zu Wasser-
kopf. Ein langer Wuchs mit langem, dünnem Halse, mit engem, flachem
und kurzem Brustkasten , mit hervorstechenden Schulterblättern , klaren,
wässerigen Augen, weisslichen, guten Zähnen beurkundet den Habitus phtlü-
bicus mit Congestion nach den Lungen und Neigung zu Blutspeien und
Schwindsucht. Den Habitus apoplecticus erkennt man an einem dicken Ko-
pfe , an kurzem , dickem Halse , an kurzen Gliedern , an Congestio capitis.
Auch zu Hämorrhoiden, Blutbrechen und Gicht, nicht blos zu Schlagfluss,
haben solche Leute Neigung. Auffallende Kleinheit des Schädels deutet auif
mangelhafte Entwickelung des Gehirns und auf Neigung zu Blödsinn, wenig-
stens auf beschränkte Geisteskräfte. Vollkommne Verkrüppelung des Kör-
pers ist stets Folge bedeutender Störungen im Vegetationsprocesse. Ausser-
dem begünstigen die Krümmungen einzelner Theile mannigfaltige Krankheits-
bildungen, besonders die Cyphosis; sowie denn ein missgestaltete» Becken
HABITUS . 913
bei Frauen leicht das Gebären erschwert, ja zuweilen selbst unmöglich
macht (s. Hy st erotomia). 3) Der Grad der grössern oder geringem
Straffheit oder Laxität des Zellgewebes, überhaupt des Zusammen-
hanges im organischen Gewebe, wovon die Extreme die -sogenannte Fibra
striata et laxa der Alten ausmachen, ist gleichfalls zur Erkenntniss der
Krankheitsanlagen und der Krankheiten von Wichtigkeit (s. Constitutio)
4) Dasselbe findet in Betreff der Haltung und Lage des Körpers statt.
«) Ist sie normal und in allen Theilen gleichmässig, so deutet dies im All-
gemeinen auf einen gleichmässigen , ungestörten Fortgang des Lebensproces-
ses. Ist eine besondere Lebhaftigkeit und ein schneller Wechsel in Haltung
und Stellung des Körpers da, so ist das Erregungsverhältniss ungleichmäs-
sig, z. B. bei Erethismus und den daher rührenden Übeln. 6) „Die ruhige
Lage eines Kranken (sagt Berndt} , wenn sie mit Gleichmässigkeit in d«r
Haltung und einem gewissen Grade vitaler Spannung und des Lebenstur-
gors in dem organischen Gewebe der einzelnen Theile verbunden ist, giebt
darum ein Zeichen, dass die vorhandene Krankheit mit keinem bedeutenden
Aufruhr und besonders tiefem Eingriffe in den Lebensprrocess verbunden
sey." c) Wesentlich verschieden von b ist das passive Darniederliegen, das
wir bei bösartigen Fiebern als Folge eines vergiftenden Eingriffs aufs Ner-
vensystem, oder als Folge eines Drucks aufs Gehirn (hier mit Mangel an
Bewusstseyn und Empfindung) wahrnehmen. Das schlaffe Niedersinken des
Kopfes auf die Brust , das Herabsinken des Körpers nach dem Fussende
und an die Seitenwände des Bettes , das gegenseitige Anstützen der Schen-
kel im Kniegelenke bei sonst gleichzeitiger passiver Lage, das passive Da-
liegen der Arme, das Zittern der Glieder, der Lippen, der Zunge, des
Unterkiefers; alle diese Zeichen des gesunkenen Lebens und des vitalen
Turgors zeigen hohen Schwächegrad und Lebensgefahr an. d) Die unru-
hige Lage und Haltung des Kranken ist stets ein Zeichen von gesteigerter
Erregung ; sie geht , mit Angst verbunden , unter den unter c angegebenen
Zufällen häufig dem Tode kurz vorher. Dennoch ist das unruhige Verhal-
ten der Kranken nur im Vergleich mit anderweitigen Krankheitserscheinun-
gen zu deuten, und erscheint bald als Folge einer durch Anstrengung im
Gefässsystem gesetzten Reizung und davon herrührenden Spannung, vorzüg-
lich ausgehend vom Gehirne und vom Unterleibe , bald als Folge eines Hin-
dernisses in dem ungestörten Fortgange des Lebensprocesses in irgend einem
Organe, wie z. B. bei Herzkrankheiten (Berndt) ; oder endlich ist es Folge
eines Ausfallens der Thätigkeit irgend eines wichtigen Organs aus der all-
gemeinen Lebenskette der Organenreihe , und des daraus hervorgehenden,
ungleichmässigen Wechselverhältnisses derselben. Bei reizbaren Subjecten
und in der Akme der Krankheit als Vorläufer der Krisen ist die Unruhe des
Kranken weniger bedeutend. Tritt sie in der Reconvalescenz ein, so zeigt
sie oft den Eintritt eines Recidivs an. e) Bei der besondern Lage des
Kranken nehme man auf die Gewohnheit in gesunden Tagen Rücksicht.
Nur die davon abweichende Lage des Kranken verdient vom Arzte in Be-
treff der Deutung des Übels berücksichtigt zu werden. Die ungev* öhnliche
Lage auf einer Seite mit Unvermögen auf der entgegengesetzten liegen zu
können, deutet an, dass der Sitz der Krankheit, wenn dieser tiefer liegend
vermuthet werden kann, auf derjenigen Seite, auf welcher der Kranke liegt,
befindlich sey. So liegen z. B. die Kranken j die an nicht heftiger Hepati-
tis , an massiger Pneumonie der rechten Lunge leiden , meist auf der rechten
Seite. Ist indessen ein schmerzhaftes Übel oberflächlich oder ein tiefer lie-
g^endes mit heftiger Entzündung und Geschwulst verbunden, so wird der
Druck darauf beim Liegen nicht wohl vertragen. Bei Entzündung und Was-
sersucht des Herzbeutels findet man einen steten Wechsel in der Seitenlage,
weil keine derselben eine dauernde Erleichterung giebt. Die Bauchlage deu-
tet an, dass acute oder chronische Krankheiten (Flatulenz, Plethora abdo-
minalis, Magen-, Milz-, Leberübel) in der Bauchhöhle stattfinden. Bei Cy-
stitis beugt sich der Kranke nach vorwärts gegen das Becken zu. Das An-
ziehen der Schenkel findet man bei Kindern , wenn sie an Schmerzen in desR
Most Encyklopädie. 2tc Aufl. I. 58
914 HABITUS
Bauchhöhle leiden. Bei Plethora, Anschoppungen, Physkonie in der Leber,
in der Milz suchen die Kranken oft zu Anfange des Übels die Lage auf der
leidenden Seite. Die ungewöhnliche horizontale Rückenlage bemerken A-vir
im adynamischen Stadium der Fieber, wenn es den Kranken an Kraft fehlt
sich in eine andere Lage zu begeben (ein schlimmes Zeichen) ; auch bei vie-
len organischen Herzkrankheiten suchen die Kranken diese Lage (^Kreysig').
Nicht selten nehmen solche Unglückliche aber auch die sitzende Lage, selbst
nach vorn herübergebückt , die Arme auf die Knie und das Gesicht in beide
Hände gelegt, an. Eine mehr sitzende Lage mit erhobener Brust finden
wir bei allen Krankheiten, bei denen ein bedeutendes Hindernlss in der Re-
spiration und im kleinen Blutumlaufe stattfindet; desgleichen bei Leuten mit
Blutcongestionen zum Kopfe. Können bei Pleuritis, Pneumonie, bei Hy-
drops pectoris, Phthisis exulcerata die Kranken gar nicht mehr liegen, müs-
sen sie Nacht und Tag sitzen, so ist die Krankheit schon in bedeutendem
Grade da. f) Auch Stellung, Gang und Haltung des nicht bettlägerigen
Kranken sind von Bedeutung in Beziehung auf die Krankheitserforschung.
Wenn Knaben, Jünglinge und junge Mädchen an allerlei Zufallen von er-
höhter Sensibilität , gesunkener Irritabilität , an Erethismus , Abmagerung,
Dyspepsien etc. leiden, bald auf einem Beine, bald mit gebogenen Knien
stehen. Hang zum Anlehnen, zum Stützen, zum Sitzen haben, den Kopf
auf eine Seite hängen lassen , gebückt gehen etc. , so kann man auf Onanie
mit Wahrscheinlichkeit schliessen (Ä. G. Vogel^. Aus der Neigung junger,
zarter Kinder von 7 — 10 Jahren , allerlei verschiedene linkische Bewegun-
gen zu machen, wobei unwillkürliche, nicht vom Willen hinlänglich gelei-
tete Haltungen, Stellungen, Fallenlassen der in den Händen gehaltenen Ge-
genstände, Mangel an Ruhe beim Sitzen, abwechselnde, bald fröhliche,
muthwillige, bald misslaunige, trübe Gemüthsstimmung stattfinden, kann
man schon im voraus Nervenübel: besonders Chorea, Katalepsia, Epilepsie,
prognosticiren (^Most^. Um bestimmte Körperdeformitäten zu erforschen,
muss gleichfalls die Haltung und der Gang des Menschen betrachtet wer-
den. Eine schiefe Haltung des Körpers mit watschelndem Gange, mit auf-
fallendem Hintenausstecken der Posteriora, mit Hinken etc., deutet auf De-
formitäten des Beckens, auf Krümmungen des Rückgrats, auf Coxarthrocacc.
Bei der Untersuchung müssen solche Kranke ganz entkleidet und der Kör-
per so gestellt werden, dass sich beide Fersen und beide innere Kondyü
der Kniegelenke berühren, dass der Kopf, gerade gerichtet mit dem Kinn,'
mit dem Mittelpunkte des Manubrii sterni in einer senkrechten Linie steht,
beide Arme aber gerade auf die Hüften hinabgesenkt werden Nach Be-
trachtung dieser geraden Körperstellung iässt man den Kopf senken und den
ganzen Körper allmälig nach Vorn in gerader Linie beugen. Die Gräten-
fortsätze des Rückgrats treten somit mehr hervor, und man wird ihre Ab-
weichungen entdecken. Auch die Art und Weise, wie solche Kranke lie-
gen, gehen, stehen, sich im Bette aufrichten, dient zur Diagnose (s. Ar'-'
throcace, Cyphosis, Lordosis). 5) Sehr wichtig ist die F'arbe d'6s
Körpers und deren Abweichung vom Normalen zur nähern Erforschung
des Krankheitszustandes. Durch Alienationen , gesteigerte oder gesunkene,
Thätigkeit im Gefässsysteme , häufig durch modificirten Nerveneinfluss (Af-
fecten) hervorgerufen, entsteht veränderter Säfteantrieb nach der Haut: die
nächste Ursache jeder Anomalie der Körperfarbe. Hier ist Folgendes zu
bemerken: n) Häufigen Wechsel der Gesichtsfarbe bemerken wir am öfter-
sten in den Evolutionsperioden des Lebens als blosse Folge veränderter dy-
namischer Wechselverhältnisse zwischen den einzelnen Systemen und Orga-
nen, z. B. bei Kindern in der Dentitionsperiode , bei jungen Mädchen kurz
vor dem Eintritte der Regeln, oder auch bald nach der Conception, über-
haupt da, wo Erethismus vorwaltet, bei exanthematischen Fiebern, bei den
Krämpfen junger Subjecte, wo das Erregungsverhältniss im Nervensysteme
schwankt; ein Zustand, der zwischen krampfimfter Spannung und Erschlaf-
fung wechselt, wo jedes positive und heroische Eingreifen mit Arzneien
Irüchst nachtheilig ist (s. Febris nervosa erethistica, Febr. neuro-
HABITUS 915
pathica, Febr. puerperalis). /;) Eine plötzliche und dauernde Verän-
derung der Hautfarbe zeigt bedeutende Anomalien im Blutsysteme, ausge-
hend vom Nervensysteme, an. So hat man in seltenen Fällen Neger weiss
und Weisse schwarz sehen werden ; in letzterm Falle ist dies von Verhaltung
des Venenbluts, von übermässiger Ansammlung desselben in den feinsten
Gefassen , wodurch Übermass von Kohlenstoff unter die Haut abgesetzt wird,
im erstem von bedeutenden Kachexien , besonders Chlorosis , abzuleiten.
Auch die Veränderung der Farbe des Kopfhaars ist nicht ohne Bedeutung.
Hysterische Frauenzimmer mit blondem Haar nähern sich der Genesung,
wenn ihr Haar dunkler wird, ja, in der Ehe und durch öftere Schwanger-
schaften wird ihr blondes Haar oft ganz braun wegen des bei Gravidität
stets stattfindenden Übermasses von Kohlenstoff, der zugleich auch die Areola
der Brustwarzen dunkler färbt (Mos*)- c) Die rothe Farbe der Haut ist
Folge vermehrten Antriebs des arteriellen Blutes zur Peripherie ; die Tinten
dieser Farbe sind um so heller, je zarter; um so dunkler, je derber die
Haut ist. Röthe ist ein meist immer stattfindendes Zeichen von Entzündung
gefässreicher Theile , ist daher Symptom acuter Exantheme etc. Bei Ga-
stritis, Enteritis, Carditis ist die Farbe der Haut oft bleich, weil in ihr als
Folge des dynamischen Wechselverhältnisses Krampf obwaltet. Im letzten
Stadium der Pneumonie erbleicht die Haut nicht selten wegen der be-
schränkten Blutbewegung und der Hindernisse in der Respiration, rf) Die
bleiche Farbe, die Hautblässe deutet auf wässerig- schleimigen Zustand des
Blutes und auf mangelhafte Oxydation desselben, auf Chlorosis, Blennor-
rhoe , auf Krankheit der Vegetation : Atrophie , Gastromalacie , Hydrops,
auf mangelhafte Nutrition , Assimilation und Sanguification. Oft ist sie aber
auch Folge von Hautkrampf, z. B. beim Fieberfrost. Bleiche Farbe zu An-
fange acuter, bösartiger, contagiöser Krankheiten und bei früher gesunden
Subjecten deutet tiefe Verletzung des Nervensystems und , ist sie constant,
ein Fieber mit wahrer Adynamie an ; auch ist dieselbe ein steter Begleiter
der Ohnmacht. Bei Chlorosis und Leucorrhoea chronica ist die Gesichts-
farbe oft kreideweiss , wie das Gesicht einer Kinderleiche ; eigenthümllch
ist diese Farbe den Albinos, den Kakerlaken, e) Die erdfahle und Bleifarbe
sind Abarten der bleichen Farbe, die ins schmuzige Braun oder Olivengrün
spielen. Bei Kachexien , bei Obstructio hepatis , lienis , bei Colica saturnina
bemerken wir sie. Bei bösartigen Fiebern im adynamischen Stadium und
im Verlaufe anderer acuter Krankheiten tritt sie oft plötzlich mit der Facies
hippocratica kurz vor dem Tode ein. f) Die gelbe Farbe als Anomalie
deutet auf Anhäufung, Zurückhaltung des GallenstofFs im Blute und auf
Absetzung desselben ins Hautgewebe, setzt jedesmal Störungen in der Gal-
lensecretion voraus, und begleitet daher fast alle Krankheiten der Leber.
Bei bedeutenden Pneumonien sieht das Gesicht des Kranken oft schmuzig-
gelb und erdfahl aus wegen Hinderniss in der Blutcirculation, der Respira-
tion und wegen der davon abhängenden unvollkommnen Entkohlung des Blu-
tes, g) Die grünliche Hautfarbe deutet auf Milzkrankheiten ; die gelblich-
schwarze, mulattenähnliche auf unheilbare Gelbsucht, auf bedeutende Stok-
kungen im Pfortadersystem, auf Übermass von Kohlenstoff im Blute, auf
venöse Dyskrasien. K) Die bläuliche, ins Dunkelrothe und grell Blaue spie-
lende Farbe deutet vorherrschende Venosität des Blutes an , findet sich bei
organischen Fehlern des Herzens, bei Cyanose constant, und tritt bei chro-
nischen Lungenübeln, bei Asthma, Hydrothorax, bei Tussis convulsiva pe-
riodisch ein. Auch Branntwein - und Weintrinker bekommen , besonders im
Winter und durch Kälte, eine blaurothe Gesichtsfarbe, i) Die schwärzliche
Farbe einzelner Hautstellen ist oft Folge von Quetschungen, von Melanose,
von bedeutendem Icterus, erfolgt zuweilen auch nach kurz vorhergegfuige-
nen heft'.j en Gichtanßllen , ist Symptom des Scorbuts, der PhtBisis cyano-
tico-pulmonalis, des Milzbrandes, des Anthrax, des Vipernbisses, der In-
toxikation durch narkotische Gifte etc. 6) Auch die Schwere oder Leich-
tigkeit des Körpei-s ist bei Krankheiten zu berücksichtigen. Bei Hektik
und Atrophie werden Menschen mit zartem Knochenbau oft ungewöhnlich
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916 HAEMADONOSIS — HAEMATISTHMUS
leicht, indem ein grosser Theils des Fetts und der Muskelsubstanz aufgezehrt
wird. Wenn zarte Kinder den Wärterinnen sehr schwer, wie ein Bleikluinpen,
beim Tragen vorkommen, so sagt das Volk, dass das Kind sich nach dem
Grabe hinziehe; daran ist etwas Wahres, denn dies Symptom zeigt in hitzi-
gen Krankheiten einen tief gesunkenen Kräftezustaud an, wobei der Mensch
sich selbst aufrecht zu halten unvermögend ist. Eine ungewöhnliche Schwere
und Unbehülflichkeit bei nicht fieberhaften Zuständen der Kinder deutet auf
übermässige VoUsaftigkeit und Anhäufung von Stoffen im Unterleibe, auf
bald folgende Atrophie , Scrophein und Digestionsfehler aller Art.
HAeinadonOSiS » Haematangionosis , Haematangionusos. So nennt
man jede Krankheit der Blutgefässe; im engern Sinne die Aneu-
rysmen, Anglektasien etc. Im weitern Sinne kann man auch die bei Syn-
ocha oft stattfindende Arteriitis, die bei Typhus beobachtete Phlebitis und
andere ähnliche Zustände : Eiterung und Brand der Venen etc. , hierher
rechnen.
Haemadostosis $ Blutgefässverknöcherung. Findet häufig
bei alten Leuten statt , besonders an den untern Extremitäten , worauf dann
häufig Gangraena senilis folgt ; desgleichen in der Nähe des Herzens , wo
periodische Angst, Herzklopfen, Pulsus irregularis als Zufalle erscheinen.
Auch bei Angina pectoris , bei verschiedenen organischen Herzfehlern findet
man nicht selten solche Hämadostosen (s. Morbi cordis).
Haemag^Og^a (remedin), biutausleerende Mittel; z. B. Ader-
lassen, Blutegel, Scarificationen, Schröpfen, bekanntlich die ersten und
stärksten Antiphlogistica.
Haeinalops, Haemntomma, Hypliaema, Hi/poaema, SugiUatio, die
Blutunterlautung. Ist jedes Austreten von Blut durch mechanische
Verletzungen, wie bei Quetschungen (s. Contusio, Sugillatio, Ec-
chymosis). Im engern Sinne versteht man darunter die Blutunterlaufinig
des Auges, das sog. Blutauge (^HnemntopJithahnos und Ecchyinosis in or-
bitani). Cur. Kalte Umschläge von Wasser, Schnee, Wasser und Essig,
Bleiwasser, wie bei jeder Quetschung. Erfolgt keine baldige Resorption,
ist die Blutunterlaufung bedeutend, sind wichtige Theile in der Nähe, ist
durch Eiterung Caries zu befürchten, so lasse man das Blut durch einen
Einschnitt aus (s Ecchymoma capitis neonatorum).
Haciuaporia, richtiger Olignem'm, Blutmangel, s. Anaemia.
Haeuiataug^ionosis, s. Haemadonosis.
Haematapostcina , ein Blutabscess , s. Abscessus und F u -
runcul u s
Haeiuatemesis j Blutbrechen, s. Haemorrhagia ventriculi et
int est i n omni.
Haematencephalon , Blutung im Schädel, Hirnblutung.
Ist häufig , selbst wenn sie nicht durch äussere Verletzungen entstand, die
nächste Ursache des Schlagflusses (s. Apoplexia), häufig Folge starker
epileptischer Anfälle, wo hinterher oft tagelang Betäubung, Sopor, Unbe-
sinnlichkeit, so lange bis durch Resorption des Blutes der Druck aufs Ge-
hirn aufhört, stattfinden (vgl. Comniotio cerebri und Epilepsia).
Haeinatepig^astriuin. IstBlutergiessung zwischen dem Bauch-
felle und den Baucliiiiuskeln.
Haematepischesis , krankhafte Verhaltung des Blutes,
z. B. bei Menstruaiio retenta, suppressa, Fluxus lochiorum suppressus.
HaemathidrOfSis , das Blutschwitzen. Ist in seltenen Fällen
bedeutender Menstrualanomalien und als Folge von fürchterlicher Todes-
angst beobachtet worden Zuweilen ists Symptom böser Faulfieber und ein
Zeichen des höchsten Grades der CoUiijuation und des nahen Todes.
Haeniatisthinus , Blutergiessung im Rachen. Kann bei
Verwundungen, bei dem Scorbut, bei der Blutfleckenkrankheit stattfinden.
HAEMATOCATHiVRTICA — HAEMATOCELE 917
und dann Würgen , Erbrechen, Husten, selbst Erstickung«gefahr, wenn Blut
in die Luftröiire dringt, erregen. Cur. Die allgemeine der Blutungen (s.
Haemorrhagia), mit Berücksichtigung des leidenden Organs, dessen
Function und der mehr oder weniger gefährlichen Folgen.
BEaematocathartica (remedia), blut reinigen de Mittel. Sie
wirken diaphoretisch und diuretisch, wurden von altern Ärzten hochge-
schätzt, von Neuern aber oft mit Unrecht verachtet. Man rechnet hierher
Rad. graminis , bardanae , graminis majoris (von Carex arenaria) , sarsapa-
rillae, smilac. chinae, Lignum guajaci , Cort. mezerei; auch die Antimonial-
schwefelverbindungen. Wenn diese theils erregenden , reizenden , theils
scharfen und auflösenden Mittel bei einem warmen Verhalten und zweck-
mässiger Diät lange und andauernd gebraucht werden, und zwar in Form
lauer Getränke , so wirken sie nicht blos diaphoretisch und diuretisch , son-
dern sie greifen auch in die gesammte Ernährung und Vegetation ein , in-
dem sie die Resorption steigern , die Secretionen der Schleimmembranen , be-
sonders der Synovialhäute, der serösen und fibrösen Häute befördern, um-
stimmen und verbessern, und zugleich die Assimilation und Nutrition auf
eine heilsame Weise herabsetzen luid unterbrechen. Solche blutreinigende
Species, 3 — 6 Wochen lang bei magerer Diät und Warmhalten des Kör-
pers gebraucht, leisten die herrlichsten Dienste bei hartnäckigen und alten
Ablagerungen und Stockungen in den Drüsen und secernirenden Membra-
nen , bei eingewurzelten Abnormitäten und Krankheiten der Vegetation über-
haupt, bei hartnäckigen Kachexien und Dyskrasien, denen keine wahre
Schwäche, sondern abnorme, vegetative und reproductive Thätigkeit zum
Grunde liegt, z. B. bei veralteten und eingewurzelten rheumatischen, gich-
tischen , scrophulösen , herpetischen , leprösen , psorischen Kachexien und
Dyskrasien, bei Syphilis inveterata, depravata, bei allen aus solchen Übeln
entstandenen chronischen Hautübein , Knochenanschwellungen. Bei hohem
Grade der Schwäche der Digestionsorgane und des ganzen Körpers als
Folge jener Übel, sowie bei fauliger und scorbutischer Dyskrasie, bei Nei-
gung zu colliquativen Schweissen und Diarrhöen, bei Diabetes, Phthisis etc.
sind sie contraindicirt. Frictionen, warme Bäder und Bähungen, höhere
Zimmertemperatur unterstützen die guten Wirkungen der hämatokatharti-
schen Mittel. Folgende blutreinigende Species haben mir bei eingewurzel-
ter Gicht, bei chronischen Exanthemen, bei hartnäckigem Herpes und bei
Syphilis inveterata, 4 — 6 Wochen lang in) Monate Mai gebraucht, mit dar-
auf folgender Kräuter-, Brunnen- und Badecur die herrlichsten Dienste ge-
leistet: I^ Lign. guajaci §jj , Bad. bardanae, -'— saponariae , — chinae ana
§jjj , — liquiritiae, — snrsapariUae, — graminis, — caric. arenar. ana 3J(v,
Cort. mezerei , Ptitam: nuc. jugland. immatur. ana gj , Fol. sennne 5|^ , Herb,
trifol. fibr. gjj , Rad. calnm. arom. 5J|^. M. f. c. c. Spec. Divide in vjjj part.
aequal. S. Täglich eine Portion mit 5 Pfd. Wasser bis auf 3 Pfd. einzu-
kochen und den Tag über zu verbrauchen. Ich selbst gebrauche jährlich
14 Tage lang eine .solche Cur gegen chronische und erbliche Gicht, und
präservire mich so auf Jahresfrist vor allen Leiden, die die Gicht mit sich
führen und die mich früher oft des Jahres mehrere Monate lang quälten und
zu Geschäften unfähig machten. Bei gutem Wetter fange ich diese Cur bei
einer höchst einfachen, leicht nährenden Diät (leichte Fleischsuppen, kein
Fleisch, keinen Wein, keinen Kaffee, Thee , keine Gewürze, dagegen viel
gekochte weiche Eier, Brot- und Wassersuppen), schon Ende Aprils an (itf.)«
Haeinatocele 9 Haemaioscbeum, Oscheocele crucnia, Bluthoden-
sacksbruch, Blutbruch. Ist Verderbniss der Hodensubstanz, ein Blut-
schwamm des Hoden (Fungus haematodes testiculi) , wodurch dieser in eine
schwammige Masse , ähnlich den Corporibus cavernosis penis , wenn diese
mit Blut angefüllt sind (Erection), verwandelt wird. Man fühlt den Testi-
kel im Grunde des Hodensacks nicht in seiner natürlichen Festigkeit, son-
dern teigig, schwammig; dabei ist die ganze Tunica vaginalis mit einer blu-
tigen , braunrothen , chocoladeähnlichen Masse angefüllt , und die Tunica
918 HAEMATOCOLPUS — HAEMATOPHOBIA
vaginalis propria lederartig anzufühlen. An der vordem Fläche, wo sie den
Hoden umgiebt, fühlt man eine harte, gespannte Geschwulst, die wenig
elastisch ist, wenig fluctuirt. Örtliche Gewaltthätigkeiten, mit Entzündung
des Testikels begleitet , veranlassen das Übel am häufigsten. Cur. Man
mache die Operation , wie bei der Radicalcur der Hydrocele , und findet
man den Testikel verdorben , so castrirt man (s. auch Fungus haema-
todes testiculi). Von diesem sogenannten Blutbruche muss die Blut-
unterlaufung des Hodensacks, die nicht, wie jener, ein chronisches Übel ist
(Haematocele oedemntosa, cellularis, Ocdemn scroti cruentuni) , wohl unter-
schieden werden. Sie folgt oft schnell unter Ohnmächten, Krämpfen etc.
auf Quetschungen des Hoden, und besteht in einer Ergiessung des Blutes
ins Zellgewebe des Hodensacks, welcher blau und dunkelroth aussieht, so-
wol in Folge von Quetschung als von Extravasateinsenkung. Sie erfordert
die Cur der Quetschungen, und, wenn keine Resorption erfolgt. Öffnen
und Auslassen des Bhitcoagulums. Anfangs kalte Umschläge, später Infus,
arnicae mit Spirit. caniphoratus, bei heftiger frischer Quetschung und be-
deutenden Schmerzen selbst Blutegel etc., damit der Übergang in Brand
verhütet werde. Auch einen Krampfaderbruch (^Haematocele varicosa') hat
man angenommen, der nichts weiter als ein hoher Grad von Varicocele ist,
wo eins der ausgedehnten Blutgefässe geplatzt und die vasculöse Substanz
des Hoden höchst erschlafft ist. Cur. Die der Varicocele.
Haema/tocolpus« So nennt man bald eine Blutergiessung , bald
eine Ansammlung von Blut oder Menstrualsecret in der nach Aussen ver-
schlossenen Mutterscheide (s. Atresia).
fiaematocystis. Ist Blutergiessung in der Harn- oder Gallenblase,
die verschiedene Ursachen haben kann , vorzüglich aber durch mechanische
Verletzungen entsteht. Einige nennen auch die Blutblase, besonders die so-
genannte Hydatis cruenta, Haematocystis.
Haematog'aster} Blutergiessung in dem Magen, s. Haemorrha-
giaventriculi.
Maematoma, die Blutgeschwulst, besonders am Kopfe Neu-
geborner; s. Ecchymoma.
Ifacmatouiediastiiiuin, Blutergiessung in dem Mittelfell, s. Hae-
morrhagia.
Haeinatoinma, Blutauge, s. Haemalops.
Macuiatoniphalon, Haematomplialus, der sogenannte Nabelblut-
bruch. Ist eine Hervortieibung des Nabels durch ergossenes Blut, oft
auch durch blutiges Serum, was man durch eine Öffnung des Nabels,
ebenso wie bei Ascites mit hervorgetriebenem Nabel das Wasser, leicht ent-
fernen kann.
Hacinatomyces* So nennt Ritgen den Fungus haematodes. Rich-
tiger wäre Haemaloncus , nach Kraus, doch ist zu bedenken, dass der Blut-
schwamm sich nie hart anfühlt.
Haematonosos. Ist jede Blutkrankheit , z. B. Chlorosis , Scor-
but etc.
ffiaeinatopedesis. Ist Durchschwitzen von Blut, s. Haemi-
drosis.
Haematopericardium, Blutergiessung in dem Herzbeu-
tel. Entsteht am häutigsten durch Verwundungen und erregt, wenn das
Blut nicht freien Abfluss hat, Angst, Erstickungszufälle, kurz alle Zeichen
des Hydrops pericardii.
Hacmatopholtia, UnemophoUa, die Blut scheu. Ist die Abnei-
gung vieler Personen, Blut zu sehen. Solche werden fast immer ohnmäch-
tig beim Anblicke desselben. Diese Idiosynkrasie findet sich häufig bei recht
robusten vollsaftigen Menschen, die nichts weniger als reizbare Nerven ha-
HAEMATOPHTHALIWUS — HAEMATURU 919
bell. Ja, Ich kenne einen athletischen Schlächter, der täglich Thierblut se-
hen kann, beim Anblick von Menschenblut aber stets ohnmächtig wird.
Maematoplltlialmus , Blutauge (s. Haemalops und Ecchy-
mosis iii orbitam). Kraus will, dass man die Blutergiessung ins Innere
des Auges Haemntophthahnos oder Haemophthnhnos , die ausserhalb des Aug-
apfels Ärtcjjinl'ops oder Unemntontma nennen soll (s dess. Etymologisch - me-
dicinisches Lexikon. 2te Aufl. 1826. S. 379). Er hat, obgleich der Gegen-
stand nicht unwichtig ist, bis jetzt keine Nachahmer darin gefunden.
Haeinatoplanesitsi. Ist Verirrung des Blutes, d. h. es tritt
in Theile über, wohin es nicht gehört, bei Entzündungen in die feinsten
lymphatischen Gefösse etc.
IZaeinatops» s. Haemalops.
Maematoptysia 5 Blutspeien, s. Haemorrhagia pulmonum.
Hacmatorrlioea , Blutfluss, s. Haemorrhagia.
Haeinatoi^clieum , Bluthodensacksbruch , s. Haematocele.
Haeinatoscopia, s. Haemorrhoscopia.
Haeinatosepsis* Ist Annäherung des Bluts zur Fäulniss, z. B.
bei Febris putrida.
Haematospilia. Ist Morbus maculosus haemorrhagicus Werlhofil,
nach Aiihcrt.
MaematospongitS. Ist gleichbedeutend mit Fungus haematodes,
und besser als Haematoncus.
Haematostaticaf Styptka (remedia), Ischaema, blutstillende IVlit-
tel , s. Haemorrhagia.
Maematosteon. Ist Bluterguss in die Zellen und Hohlen
der Knochen, wie dies z. B. bei manchen Arten von Caries der B'all ist.
HaeinatothoraX. Ist innere, verborgene, sich in die Brust-
hohle ergiessende Lungenblutung, und meist immer Folge einer
äussern Gewaltthätigkeit. Zufälle und Cur s. bei Vulnus pectoris.
Haeiuatozemla* So nennt man jeden chronischen , habituellen
Blutverlust.
Hacmaturia, Haematuresis, Mictus crtiientus, smignineus, Urina san-
guinea, das Blutharnen. Manche verstehen darunter jeden Blutabgang
aus der Harnröhre ; dies ist falsch ; denn eine Haemorrhagia penis kann
stattfinden, die vom eigentlichen Blutharnen sehr verschieden ist. Bei der
Hnematuria vera muss die Blutung hinter dem Sphincter vesicae urinariae
herkommen, also entweder eine Haematuria vcsicalis oder renalis (Nephror-
rhagia) seyn ; alle anderen Blutungen aus der Urethra gehören zur Haema-
turia spuria. Symptome der Haematuria vera. Der mit Blut vermischte
Harn geht mit einigen Schmerzen, mit Drängen und einiger Anstrengung ab,
ist mit dem Harn innig gemischt , präcipitirt und coagulirt sich nicht , färbt
aber die hineingelegte Leinwand röthlich. Diese Zeichen dienen zur Dia-
gnose; denn nicht jeder blutig aussehende, röthliche Harn ist Blutharnen.
Auch nach dem Genuss von rothen Rüben, Rubia tinctorum, Rheum , Him-
beeren wird ein röthlicher Harn abgesondert, aber die Excretion geht hier
ohne alle Schmerzen vor sich. In hitzigen Fiebern ist der Urin gleichfalls
röthlich; diese Färbung spielt aber ins Gelbliche, und die Leinwand wird
dadurch nicht roth, sondern gelb gefärbt. Wir unterscheiden zwei Arten
der wahren Hämaturie: es ist entweder eine blutige Secretion des Harns,
da, oder das Blut wurde dem Harn erst hinterher beigemischt. 1) Secretio
vrinae sanguinolenta. Der Harn sieht hier blutig , röthlich aus , ist mit dem
Blute innig gemischt, färbt die Leinwand roth , coagulirt und präcipitirt kein
Blut< Ursachen. «) Missbrauch reizender diuretischer Mittel, der Kan-
thariden , des Terpenthins ; bei Schwäche der Theile erregen schon Spargel,
Sellerie, Rettige Mictus cruentus. 6) Starke Erschütterungen, heftiges
920 HAEMATURIA
Reiten, schweres Tragen, anhaltendes Fahren auf unebenen Wegen, c) In
seltenen Fällen entsteht sie als Anomalie der Menstruation , wo sie dann pe-
riodisch alle 3 — 4 Wochen eintritt. d) Im höhern Grade des Scorbuts,
der Petechien , im coUiquativen Stadium bösartiger Fieber : der Masern,
Blattern , Pest , der Febris putrida etc. kann sie symptomatisch erfolgen
Behandlung. Richtet sich nach den Ursachen. Wo Acria einwirkten,
gebe man Kampher mit Opium, Ölemulsionen; setze aber, wenn die Schmer-
zen heftig und entzündliche Zufälle da sind, vorher Blutegel an die Nieren-
gegend War mechanische Gewalt die Ursache, so lasse man kräftig zur
Ader ; wenn die Constitution schwach ist , so dient ein kleiner Aderlass ;
hinterher kalte Umschläge in die Nierengegend, Ruhe, knappe Diät, schlei-
mige Getränke, innerlich Ölemulsionen ohne Salze. Entwickelt sich das
Übel allmälig, so ist es sehr schwer zu heben und endet häufig mit Verei-
terung der Nieren Man beseitige hier die entfernten Ursachen , regulire
z.B. die stockende Menstruation, setze Blutegel an die Genitalien, bei hef-
tigen Schmerzen innerlich Eraulsio sem. papav. albi mit etwas Opium ; spä-
ter Uva ursi, China, Myrrhe (s. Blennorrhoea vesicae). In bösarti-
gen Fiebern wende man die gegen colliquative Blutungen geeigneten Mittel an
(s. Febris putrida). 2) Bei der zweiten Art des Mictus cruentus ist die
Harns ecretion normal, das Blut wird dem Urine erst in der Blase
beigemischt. In diesem Falle coagulirt und präcipitirt sich das Blut aus
dem Urin im Uringlase. Hier entsteht leicht Harnverhaltung , indem sich
die Blutpfröpfe vor den Schliessmuskel der Blase legen, was selbst das Ein-
bringen des Katheters schwierig machen kann. Verweilt das coagulirte
Blut länger in der Blase, so wird der Cruor vom Urine ausgewaschen, der
fibröse Theil bleibt zurück, und geht er durch die Urethra ab, so erscheint
das Blut weisslich in Gestalt eines Wurms, was schon zu dem Irrthume,
es sey ein wirklicher Wurm abgegangen , Anlass gegeben hat. Auch in den
Nieren kann das Blut durch Erschütterungen , Verwundungen , Nierensteine
etc. extravasiren , wo es dann gleichfalls dem Harne nicht ordentlich beige-
mischt ist. Am häufigsten kommt diese Beimischung durch Blasenhämorrhoi-
den, durch Blasensteine. Bei letztem lassen die Kranken oft kaffeebraunen
Harn, der auch von Beimischung des Blutes herrührt. Die schmerzhafte
Stelle lehrt, woher das Extravasat kommt. Cur. Ist die der Grundkrank-
heit (s. Lithiasis, Haemorrhoides vesicae etc.). Nach den Ursa-
chen und dem Orte der Blutung hat man noch folgende Arten angenommen:
Haematnrin haemorrhoidniis , wenn Blasenhämorrhoiden Schuld sind.
Haemnturia prostaticn , Stymntosis prostaticn, wenn die Blutung aus der
Prosta^ kommt, z.B. als Folge übermässigen Beischlafs bei sehr geschwäch-
ten Genitalien, als Folge von Krankheiten der Vorsteherdrüse, wo in der
Gegend derselben vorzüglich Schmerz empfunden wird; mitunter ein Nach-
hall der öfters überstandenen Gonorrhöe.
UaemnUirin renalis, Nephrorrhayia , Haemorrhagia renum, Nierenblu-
tung, die häuligste Art des Blutharnens. Die oft bedeutenden Nieren- und
Lendenschmerzen nnd der Abgang eines meist hellrothen , mit Blut innig ge-
mischten Urins , der mit einiger Beschwerde abgeht , lassen das Übel leicht
erkennen.
Haematurin seminalis , Stymatosis seminalis , Blutung aus den Sa-
menbläschen.
Hacmaturia spuria seu simulatu , scheinbares Blutharnen, z.B. wo
der Genuss von färbenden Stoffen den Harn roth färbt (s. oben).
Haemaluria stiUatitia, urethralis, Stymatosis, Hnemorrhngin peni$ s- urc~
thrne, Urelhrorrhagia , Phnllorrhagia , Harn r ö hren b In t un g. Ist keine
wahre Hämaturie, die Blutung entsteht meist unwillkürlich, das Blut geht
ohne Drängen, ohne Schmerz und ohne Harn, oft, nur tropfenweise ans der
Harnröhre ab; seine Quelle können die Urethra, die Prostata, der Hode
oder die Samenbläschen seyn. Die Krankheit befällt höchst selten Weiber,
fast immer nur Männer wegen der bei ihnen längern Harnröhre, wo zuwei-
len an einer Stelle ein örtlicher Schmerz, selbst mit wollustähiilicUer Em-
HAEMATUS — HAEMIDROSIS 921
pfindung und Erectio penis, vorhanden ist. Die Blutung ist in der Regel
gering. 1) Ist der Sitz die Harnröhre (Urethrorrhagia) , so fehlen die Zu-
fälle der Hämaturie in der Blase oder den Nieren, das Blut fliesst unwill-
kürlich ab; daher auch im Schlafe und bei erschlafftem Penis, nie bei Ere-
ctionen. Das Übel kann wochenlang dauern und rührt häufig von Hämor-
rhoiden und vom Tripper, von scharfen Aphrodisiacis her. Cur. In den
meisten Fällen, wenn keine Entzündung da ist, innerlich Mineralsäuren mit
Opium. Mit äussei'lich stopfenden Mitteln sey man vorsichtig, besonders
•wenn Hämorrhoiden, organische Fehler der Prostata Schuld sind. Waren
scharfe Mittel Ursache, so passen schleimige und ölige Mittel. Ist die Blu-
tung aber paralytischer Art, z. B. bei Scorbut, Febris putrida, oder aus
reiner Atonie der Genitalien entstanden, so passen kaltes Baden der Geni-
talien, kalte Injectionen von Solutio sacch. saturni, aluminis , vitrioli albi,
von Aqua Goulardi. 2) Ist die Blutung am äussern Penis durch Verwun-
dungen etc. entstanden (Phallorrhagia) , so muss man diese nach den Regeln
der Chirurgie behandeln (s. Vulnus penis). 3) Bei Stymatosis seminalis
kommt blos mit oder gleich nach Ejaculatio seminis das Blut. Ausschwei-
fende Jünglinge , wollüstige Haeraorrhoidarii und Solche, die an organischen
Fehlei'n , besonders Geschwüren der Samenbläschen leiden , haben die meiste
Anlage dazu. Cur. Wir behandeln die Blutupg nach ihrem verschiedenen
Charakter und ihren Complicationen. Allgemeine stärkende Mittel in Ver-
bindung mit örtlichen Bädern und Enthaltsamkeit geben den geschwächten
Theilen wiederum den gehörigen Grad von Kraft.
Haematuria testicularis, Stynintosis tcsticulnris , Hodenblutung.
Uaemnturia ureterica , Harnleiterblutung. Kann als wahres Blut-
harnen vom Reiz und Druck eines durch die Harnleiter gedrängten Nieren-
steins entstehen. Strangurie und Schmerz ia der Lendengegend nach dem
Laufe der Ureteren sind Symptome derselben (s. Lithiasis).
Hnemntiiria vesicalis, Cyslorrhagin seu Hnemorrhngin vesicne urinnriae,
H a r n b 1 a s e n b 1 u t u n g. Ist die zweite Art des Mictus cruentus , wo das
Blut dem normal secernirten Urine beigemischt ist , oft als Fasern , Schleim,
Fleischklümpchen abgeht, sich im Urine zu Boden setzt, coagulirt, und
wobei Schmerzen, Cystospasmus , Strangurie, selbst Urinverhaltung beob-
achtet werden (s. oben).
Haeinatus, Blutergiessung in das innere Ohr, s. Haemorrhagia.
Haemaxis. Ist Blutlassen, Schröpfen.
Maeiuidrosis , Hnemorrhngia per cutem illaesam , das Blut-
schwitzen. Ist Transsudation eines aus kranken Hautgefässen ergosse-
nen Blutes durch die unverletzte Oberhaut; eine Blutsecretion, die nur sel-
ten vorkommt, meist partiell: im Gesichte, an der Brust, an den Fingern,
Zehen, in der Dorsal- oder Volarfläche der Hand, an der Fusssohie, weit
seltener an der gesammten Hautoberfläche. Ursachen. Gewöhnlich ists
ein vicariirender oder constitutioneller Blutfluss, der am häufigsten bei Wei-
bern vorkommt und die Stelle der Menses vertritt, wo er dann den vierwö-
chentlichen Typus hat. Zuweilen folgt er auf deprimirende Gemüthsaffecte,
auf hohen Grad von Furcht, Angst, Schreck, wie uns denn die Geschichte
einzelner christlicher Märtyrer erzählt, dass sie unter den von römischen
Kaisern und Christenverfolgern ihnen verhängten langsamen Todesstrafen
mitunter Blut geschwitzt haben sollen. In bösartigen putriden Fiebern ist
das Blutschwitzen als Folge eines hohen Grades von Blutkrasis der Vorbote
des nahen Todes, und dann zeigen sich gleichzeitig andere passive Blutun-
gen, z. B. aus Nase, Lungen, After etc. (s. Febris putrida). Dia-
gnose. Ist leicht. Man sieht die Haut mit einem blutigen Thau bedeckt,
wischt man diesen weg, so tritt bald darauf aufs Neue wieder Blut hervor.
In seltenen Fällen schwitzte der Mensch aber kein Blut, sondern rothen
Schweiss auf den Genuss von Rothwein (^Bartholinus) , sowie wir denn auch
wissen, dass nach dem, neuerlich von Dr. v. Stahly jun. gegen Epilepsie
und_andere Neurosen empfohleneu Innern Gebrauche des Indigo der Kranke
922 HAEMISCHESIS — HAEMORRHAGIA
blauen Schweiss bemerkt. Prognose. Ist bei Solchen, wo der Blutr
schweiss partiell ist und für die Menses yicariirt, gut; schlimmer ist das
nach deprimirenden Affecten entstandene Übel, am schlimmsten, wenn es zu
Febris putrida tritt. Ist es Folge heftiger Anstrengungen , z. B. nach Con-
vulsionen, so hat es nicht viel zu bedeuten (Äicm). Cur. Bei vicarHren-i-
dem Blutschweisse regulire man die retenten oder unterdrückten Menses (s.
Menstruatio retenta, suppressa), bei der nach Schreck etc. ent-
standenen Krankheit dienen Opium, Wein und andere Antispasmodica , bd
Blutschwitzen in Folge bösartiger Fieber äusserlich Waschungen mit kaltem
Wasser, Wein, innerlich Kampher, Arnica etc. In altern Schriften finden
wir mehrere Beispiele periodischer , örtlicher und allgemeiner Hamid rosen.
S. Acta med. Berolinens. Dec. I. Tom. IV. Cap. 3. BarthoUnits , Histor.
anat rar. Cent. I., hist. 13, Cent. IV. , bist. 62. Pezold, Observ. med. chir.
select. Obs. 64. Fliitius , Hist. natural. Libr. 3, cap. 19, Tom. I. p. 620.
Auch Karl IX. wurde vor seinem Tode von einem aligemeinen Blutschweisse
befallen (s. Dict. des sciences medicales; T. XX. p. 34;4-).
Haemischesis« Ist Verhaltung eines normalen oder sonst nothi-
gen Blutabganges.
Haeinodia, Hehetudo dentium, das sog. Stumpfs eyn, Empfind-
lichseyn der Zähne, wie nach dem Genüsse von Säuren, von saurem
Obste. Abreiben der Zähne mit pulverisirter Kreide, Krebsaugen, Magnesia
etc. hilft dem Übel schnell ab.
Ifaeinopbo1>ia, Blutscheu, s. Haematophobia.
Hacmophthalinos 9 s. Haemalops.
Kaeinoptye^is , Blutspeien, s. Haemorrhagia pulmonum^
Haemorinefsiis« s. Co n gestio.
Haeinorrhag^ia , Haemorrhoea , Profusio sanguinis , B 1 u t f I u 9 s ,
Hämorrhagie, Blutung. Wir verstehen darunter jeden Austritt des
Blutes aus den Blutgelassen, Nicht jede Blutung ist etwas Krankhaftes;
es giebt auch physiologische Blutungen, wie es solche Congestionen giebt
(die normale Menstruation , der Lochialfluss , die Turgescenz des Uterus
kurz vor den Regeln, die Turgescenz des Penis bei der Erection, die
Schamröthe etc.). Eigentlich ist jeder Blutttuss für sich keine Krankheit
zu nennen, er ist nur das Symptom eines krankhaften Zustandes der blu-
tenden Gefdsse oder des ganzen Gefässsystems , und hat nicht selten ört-
liche oder allgemeine Störungen in den Functionen der leidenden Organe zur
Folge. Ausser der Menstrual- und Lochialblutung rechnen Manche auch
den Hämorrhüidalfluss zu den normalen Blutungen. Da aber dieser, mag er
immerhin für den Kranken wohlthätig seyn, nur das Symptom der Hämor-
rhoidaldyskrasie ist , so gehört er ebensowol als die kritischen Blutungen
bei der Synocha in die Pathologie. Diagnose der Blutungen. Ist nur bei
Innern Blutungen sch\^ierig, besonders wenn sie in den Höhlen des Körpers
ohne Ausweg nach Aussen stattfinden. Die Vorboten , die den meisten Blu-
tungen vorhergehen und, bei bedeutender innerer Blutung, die Zeichen des
Blutverlustes: Gesichtsblässe, kalte Glieder, Ohnmächten, sehr kleiner,
schwacher Puls etc. müssen hier leiten. Symptome der Blutungen im
Allgemeinen. Häufig, besonders bei activen Blutungen, gehen Vorboten vor-
her, die sich durch die Zeichen der Congestion und des Erethismus, durch
Gefühl von Druck, Schwere, Jucken und Prickeln im leidenden Theile,
durch erhöhte Temperatur, Röthe, Geschwulst, Gefühl von Klopfen und
Spannung, durch unruhigen, Iraumvollen Schlaf , Schwindel, schwere Träu-
me etc. zu erkennen geben (s. Congestio, Erethismus, Plethora).
Der Blutfluss selbst, das Hauptsymptom der Krankheit, erfolgt, wenn die
genannten Vorboten ihre Höhe erreicht haben. Die Farbe des ausflies.sen-
den Blutes ist bei Verletzung von Gefässen an den obern Theilen des Kör-
pers und bei verletzten Arterien melrr hellroth, aus Venen, au untern Thei-
len des Körpers und bei längerm Aufenthalt in Höhlen mehr dunkel und
HAEMORKHAGIA Ö23
schwärzlich; z. B. bei Morbus niger, bei Metrorrhagia habitualis. Ausser-
dem sind die Zufalle nach dem Orte der Blutung sehr verschieden, bei
Haematencephalon Betäubung, Sopor, Apoplexie, Paralyse; bei Haemopty-
sis Husten , Räuspern , Bruststiche , Asthma ; bei Vomitus cruentus Druck
und Spannung in der Herzgrube , Übelkeit , Erbi-echen , Ohnmächten etc.
Auch die Quantität des Blutverlustes, die Wichtigkeit des blutenden Organs,
der verschiedene Charakter der Blutungen , das Alter und die Constitution
des Kranken, der schnellere oder langsamere Blutverlust, welche Umstände
auch die Prognose begründen, modificiren die Zufälle mannigfaltig. Män-
ner von mittlem Jahren, von plethorischer, robuster Constitution ertragea
einen schnellen und grossen Blutverlust noch am leichtesten. Weiber in der
Decrepitätszeit können dagegen den grössten Blutverlust, wenn er nur all-
mälig stattfindet, ohne grossen Schaden, und leichter als Männer ertragen.
Beträgt die Quantität eines schnellen Blutverlustes mehrere Pfunde , so kann
der Tod entweder auf der Stelle unter allen Zeichen der Oligämie (Ge-
sichtsblässe, schwacher, matter, höchst kleiner, intermittirender Puls, kalte
Schweisse, Ohnmächten, Krämpfe) eintreten, oder es erfolgen andere schlim-
me Zufälle durch die gesunkene Lebenskraft im Nervensystem , im irritablen
und productiven Systeme, wo wegen grosser Störung in der Niitrition, As-
similation und Sanguification Febris lenta, Kachexien, besonders Chlorosis
und Hydrops den Kranken späterhin tödten. Eintheilung der Blutungen.
Ist sehr mannigfaltig, je nachdem der bald mehr, bald weniger für die Kli-
nik wichtige Eintheilungsgrund nach Entstehung, Charakter und Localität
der Bluttiüsse dabei berücksichtigt worden ist. 1) Haemorrhagia per Ana~
stomosin. Hier geht das Blut in solche Gefässe über, die im normalen Zu-
stande kein Blut führen, z. ß. in secernirende Gefässe, aus welchen es als
blutiges Secret abgeht. Das Blutharnen und der Bluthusten sind häufig die-
ser Art, und wir finden fast immer Anomalien in der Structur dieser Theile
(s. Haematuria, Haemorrhagia pulmonum). 2) Haemorrhagia per
Dinpedesin. Die Blutungen vom Durchschwitzen des Blutes, welche die Al-
ten zu viel statuirten, sind sehr selten; häufiger sind es blutige Secretio-
nen. Nur bei Paralyse , in bösartigen Fiebern finden kurz vor dem Tode
wahre Haemathidrosen statt, 3) Haemorrhagia per Rhexin et Diaeresin. Ist
diejenige Blutung , wo ein Gefäss durch Dehnung nach Innen oder durch
äussere mechanische Gewalt zerrissen ist. 4) Haemorrhagia per Diabrosin^
Blutung durch Verätzen , Zerfressen der Gefässe ; z. B. durch scharfe Mine-
ralsäuren , auch nicht selten durch carcinomatöse Jauche , z. B. bei Cancer
oris, mammae; höchst selten wol durch gutartige Eiterung. 5) Haemor-
rhagia interna et externa. Erstere kann in allen Höhlen des Körpers, vom
Gehirn bis zu der Scheidenhaut des Hoden, desgleichen im ganzen Zellge-
webe stattfinden (Petechiae, Vibices, Sugillatio); letztere an allen äussern
Theilen des Körpers (s. Ecchymosis). 6) Haemorrhagia arteriosa et ve-
nosa. Ihrer ist schon oben gedacht. Nicht jedes dunkelrothe Blut kommt
aus Venen. Bei den Innern Blutungen bekommt auch das Arterienblut eine
dunkle Farbe, wenn es längere Zeit im Körper stockt und dadurch carbo-
nisirt wird. 7) Haemorrhagia ex causis topicis et ex causis imiversalibus.
Dieser Unterschied ist für die Praxis sehr wichtig ; denn bei ersterer be-
darf es oft nur örtlicher, bei letzterer ausserdem stets auch innerer allge-
meiner Mittel. Alle kritische und nicht kritische Blutungen in Fiebern ent-
stehen aus allgemeinen Ursachen (s. Febris, Febr. infla m mato ria,
F. putrida). Auch sind in der Regel alle Metrorrhagien, wenn nicht et-
wa eine Verwundung oder schwere Geburt vorherging , aus allgemeinen
Ursachen abzuleiten. Man kann hier auch eine Haemorrhagia mixta unter-
scheiden; wo nämlich allgemeine Anlage zu Blutungen stattfindet, ein Theil
aber besonders krank und schwächlich ist , an weichem daher vorzugsweise
die Blutung eintritt. So z. B. ist der Bluthusten , besonders wenn er bei
Habitus phthisicus erfolgt, oft eine solche Blutung gemischter Art. 8) Hae-
morrhagia periodica. Periodisch eintretende Blutungen aus verschiedenen Or-
ganen hängen häufig mit Anomalien der Menstruation zusammen ; so z. B.
924 HAEMORRHAGIA
bekommen Frauenzimmer bei Menstruatio retenta et suppressa zuweilen al-
ler vier Wochen Nasenbluten , Bluthusten etc. Auch der Hämorrhoidalblut-
fluss hat bei Männern zuweilen etwas Periodisches (s. Ha emor r hoides).
9) Von der grössten Wichtigkeit ist die Eintheilung der Blutungen nach ih-
rem verschiedenen Charakter. Hier unterscheiden wir a) Hnemorrhngin
activa, sthenica, hypersthenicn , synochica, irrilabilis, Blutung aus Übermass
■von Saft und Kraft, entstanden durch active Congestion, gutes Leben,
wohlgenährten Körper, durch rein entzündliche Fieber etc. b) Haemorrhagia
erethisticn, durch Erethismus der Blutgefässe entstanden , z. B. bei Habitus
phthisicus, bei Kindern, sensiblen Frauenzimmern, schwächlichen, sanguini-
schen Jünglingen, c) Haemorrhagia passiva, asthe7iica, typhosa, paralylica,
Blutung aus Schwäche, passiver Congestion, aus Mangel an Lebenskraft,
aus Doppelschwäche, z. B. bei Febr. putrida im Stadium der Colliquation,
im hohen Grade verschiedener Kachexien, des Scorbuts, der symptomati-
schen Petechien, der Blutfieckenkrankheit etc. 10) Haemorrhagia haeredi-
taria, Blutung aus erblichen Ursachen, Nach der Erfahrung giebt es zu-
weilen sogenannte Bluterfamilien, wo alle Mitglieder derselben an Blu-
tungen leiden und oft bei geringen äussern Verletzungen , besonders aber
beim Ausziehen eines Zahns, durch Verblutung ihren Tod finden, weil es
den Blutgefässen an natürlicher Contractionskraft fehlt und man daher die
Blutung oft gar nicht stillen kann. Ausserdem kann man auch eine erbliche
Disposition zu Blutungen aus verschiedenen Organen, besonders zu Vomitus
cruentus, Haemoptysis und Haemorrhoides fluentes annehmen, da die Er-
fahrung solche in einzelnen Familien nachweist, wo alle Glieder in den ver-
schiedenen Lebensperioden daran leiden, sowie es auch Familien giebt, wo
alle Mitglieder ihren Tod an Apoplexie finden. 11) Haemorrhagia simpIex
et composila. Ist eine ausser wesentliche , zum Eintheilungsgrund benutzte
Differenz der Blutungen. Die Haem. compositae kommen am häufigsten bei
Fiebern und Entzündungen, bald kritisch, bald symptomatisch, bald mit
dem synochischen, bald mit dem erethistischen oder paralytischen Charakter
■vor. 12) Haemorrhagia vicaria et non vicaria. Hierher gehören die Fälle,
wo z. B. Hämorrhoiden vicariirend für die Menstruation erscheinen, und
umgekehrt, wo Nasensenbluten , Bluthusten stellvertretend für Menses, für
Haemorrhoides fluentes auftreten , wo für die Menstruation periodisch Blu-
tungen aus den Fingerspitzen , den Brustwarzen , aus der Haut erfolgten.
Ursachen der Hämorrhagien. Sie gehen zum Theil schon aus der auf-
geführten Eintheilung hervor. Prädisposition geben erbliche Anlage , eine
hervorstechende erhöhte Reizbarkeit des Gefässsystems, die angeboren, er-
erbt oder acquirirt seyn kann, Deformitäten des Thorax und organische
Fehler der Lungen, des Herzens, Obstructio hepatis, lienis. Jünglinge und
Männer sind den Blutungen mehr unterworfen als Greise. Da die Conge-
stion während der verschiedenen Lebensperioden vom Kopfe zur Brust, und
von da zum Unterleibe geht; so leiden Kinder auch am häufigsten an Na-
senbluten, Jünglinge an Blutspeien, Männer an Hämorrhoiden. Was die
Körperconstitution und das Temperament betrifft, so sind robuste, vollsaf-
tige und gutgenährte Subjecte, Sanguiniker zu activen Blutflüssen, schwa-
che, reizbare Kinder , Frauen und Jünglinge zu den erethistischen, schwam-
mige, torpide Phlegmatiker aber zu den passiven Hämorrhagien disponirt.
Dass manche Blutflüsse häufiger als andere vorkommen , z. ß. Nasenbluten
öfter, als Blutbrechen, dies liegt theils in dem verschiedenen Bau der Or-
gane, in dem Verhältniss der Menge der kleinern Blutgefässe zu den grös-
sern, theils in der Beziehung , in welcher gewisse Orgaue in bestimmten Pe-
rioden des Lebens zum ganzen Organismus stehen (Ausbildung des Kopfs,
der Brust, der Geschlechtssphäre in der Evolution). Auch eine hervorste-
chende, erhöhte Reizbarkeit in den Gefassen einzelner Organe trägt dazu
bei, z. B. das Blutspeien bei Schs\indsüchtigen, die Metrorrhagie bei reiz-
baren hysterischen Weibern entstehen mit aus dieser Ursache; sowie denn
auch manche Einflüsse specifisch gewisse Organe zu reizen und in ihnen
Congostionen und Blutungen hervorzurufen im Stande sind; so z. B. erre-
HAEMORRHAGIA 925
gen Kanthariden oft Hämaturie, Onanie und übermässiger Coltus Metror-
rhagie etc. Gelegenheitsursachen sind dieselben der Congestion. Schneller
Temperaturwechsel , Alles , was die Blutcirculation beschleunigt : heftige
Körperbewegungen , Gemüthsbewegungen , hitzige Getränke , reizende Nah-
rung , erhitzende Arzneien : Juniperus , Ol. cajeputi , terebinth. , Sassafras,
Sabina , Balsame etc. ; Alles , was als äussere oder innere Ursache den Blut-
umlauf hemmt : enge Kleidungsstücke , organische Fehler der Gefässe , Druck
grosser Geschwülste auf einzelne Blutgefösse ; plötzliche Entfernung der äus-
sern Unterstützung der Gefässe, wie nach plötzlich vermindertem Druck der
Atmosphäre, wie die passive Metrorrhagie nach einer zu schnellen Geburt.
Ferner geben Gelegenheitsursachen: Unterdrückung gewohnter activer Blu-
tungen, der Menses, der Haemorrhoides fluentes, Krankheiten des Gefass-
systems-, Fieber und Entzündungen (Arteriitis, Phlebitis bei Fiebern); end-
lich alle Schädlichkeiten , welche direct die Organisation der Gefässe zerstö-
ren : mechanische Verletzungen , Hieb - , Stich - , Schusswunden , Verletzung
der Gefässe per Rhexin, Diabrosin et Diaeresin. Prognose der Blutun-
gen. Wird bestimmt durch den Charakter der Blutung; active Hämorrha-
gien sind besser als erethistische , diese besser als paralytische; ferner durch
Alter und Constitution des Kranken. Verstimmung der Reizbarkeit und Ab-
normitäten in der Verrichtung des Gefäss - und Nervensystems deuten im
Kindesalter oft schon Dispositio phthisica , im Greisenalter Apoplexie an.
Die Quantität des Blutverlustes bestimmt nicht immer die Gefahr, unbedeu-
tende Blutungen des Gehirns, der Lungen, des Magens geben eine schlech-
tere Prognose als bedeutender Blutverlust durch Verwundungen, bei Nasen-
bluten etc. Auch der Umstand , ob die Hämorrhagie kritisch , symptoma-
tisch oder vicariirend ist, darf nicht übersehen werden. Behandlung im
Allgemeinen.. Ist theils eine klinische, theils eine chirurgische, bald mehr
eine symptomatische, bald mehr eine radicale. Die einzelnen Arten der
Blutungen erfordern bald mehr diese , bald jene , bald die Verbindung bei-
der. Die klinische Cur stützt sich auf folgende Indicationen: 1) Hebung
der entfernten Ursachen ; 2) richtige Behandlung der Blutung nach ihrem
Charakter als Synocha , Erethismus oder Paralyse ; 3) Berücksichtigung der
Organe, worin sie stattfindet; 4) Berücksichtigung zufalliger Differenzen
und Verhältnisse , unter denen sich Blutungen vorfinden können. Ad 1. Die
häufig stattfindende Plethora können wir wol für den Augenblick durch
Aderlässe heben, und müssen dies in dringenden Fällen thun. Aber die zur
Gewohnheit gewoi'denen Aderlässe machen die Plethora immer schlimmer.
Es ist daher besser, die Bildung der Blutmenge durch magere Kost, viel
Bewegung, wenig Schlaf zu hindern. Bei excedirender Reizbarkeit des Ge-
fässsystems ohne gleichzeitige Energie desselben passen besonders Digitalis,
Valeriana , laue Bäder , kühlende , nährende Diät , gelinde eröffnende Mittel,
bei hoher Reizbarkeit zuweilen auch eine Dose Opium oder Extr. hyoscyami.
Sind Missbildungen einzelner Organe da , so können wir nur palliativ durch
strenge Diät und durch von Zeit zu Zeit angestellte Blutausleerungen die
Congestion und Disposition zu Blutungen mindern. Bei erhöhter Reizbarkeit
einzelner Organe, z. B, der Lungen, des Uterus, macht eine strenge Diät,
zuweilen etwas Hy ose jamus, Opium, neben kühlenden, derivirenden Mitteln
die Hauptsache aus (s. Haemorrhagia pulmonum, uteri). Daneben
müssen alle die Blutung erregenden oder noch unterhaltenden besondern Ein-
flüsse : schneller Temperaturwechsel , drückende Kleidung etc. beseitigt wer-
den. Ad 2. Der Gattungscharakter der Blutungen wird zwar als synochi-
scher, activer, erethistischer und paralytischer, ebenso wie die Fieber, be-
stimmt. Das Bild einer jeden dieser Blutungen findet sich aber ebenso we-
nig rein in der Natur, als das Bild des rein inflammatorischen, des ent-
zündlich-nervösen und putriden Fiebers, kann daher auch nur als Schema
dem Arzte dienen (s. unten die Gattungen der Hämorrhagien). Ad 3. Noth-
wendig ist die Berücksichtigung des blutenden Organs, theils weil letzteres
mitunter den Charakter der Blutung bestimmt, theils weil von dem Organe
und seiner alienirten Function manche Symptome abhängen, die der Arzt
926 HAEMORRHAGU
entfernen muss , und ausserdem manche Mittel gegera einzelne Arten dei
Blutung specifisch -wirken. So z. B. muss bei Haemoptysis auch der die
Schliessung der blutenden Gefässe hindernde Husten, bei Vomitus cruentus
aus gleichem Grunde das Erbrechen berücksichtigt werden. Bei Metror-
rhagie wirkt Tinct. cinnamomi specifik, bei Epistaxis der Kinder vermeiden
wir das bei erethistischen Hämorrhagien sonst so schön wirkende Opium,
weil es hier besonders die Congestionen zum Kopfe vermehrt. Hier wirken
ganz besonders die Säuren, vorzugsweise die Aqua oxymuriatica , ^ß in svj
Aqua destillata, so herrlich. Ad 4. Das Verhältniss der Blutung zu andern
Übeln ist gleichfalls nicht zu übersehen. Kritische Blutungen dürfen weder
unterdrückt, noch gestopft werden; auch die vicariirenden, relativ heilsamen
nur erst dann, wenn die frühere Blutung wiederhergestellt ist. Symptoma-
tische, nicht kritische, paralytische Blutungen müssen wir so schnell als
möglich stopfen , da hier die Kräfte sonst schnell sinken und das Übel lang-
wieriger und schlimmer wird , wenn anders auch das Leben erhalten wurde. —
Von grossem Nutzen sind ableitende, revulsorische Mittel bei Blutungen acti-
ver Art. Dahin gehören 1) Blutausleerungen an entfernten Stellen, die bei
den Vorboten der Krankheit und zu Anfange derselben das Meiste leisten.
Hier kann der Aderlass weder durch Blutegel, noch durchs Schröpfen er-
setzt werden; z. B. bei Menstruatio und Haemorrhois suppressa, bei den
Vorboten des Abortus und der daher rührenden Metrorrhagie , bei Epistaxis,
Haemoptysis und andern Blutungen oberhalb des Zwerchfells. 2) Abfüh-
rungen. Sie passen auch nur bei activen Blutungen und bei denen, wo
Blutausleerungen angezeigt sind; besonders aber bei gastrischen Symptomen,
bei gleichzeitiger Obstructio alvi und daher entstandener Congestion zum
Kopfe und zu den Lungen , doch können sie den Aderlass nie ersetzen. Die
kühlenden Purgirsalze passen nicht bei Abdominalblutungen; nur bei Me-
laena geben wir wol Tamarinden und Manna ; doch nicht als ^e^'ulsorische,
sondern als ausleerende Mittel , um das coagulirte Blut aus den Gedärmen
zu entfernen. 3) Vesicatorien und trockne Schröpfköpfe , warme Umschläge
und Localbäder an die mit dem blutenden Organe in Antagonismus stehen-
den Theile, z. B. bei erethistischem Nasenbluten, bei solcher profuser Men-
gtruation an die untern Gliedmassen. 4) Kleine Dosen Ipecacuanha und
Tart. emeticus. — Die äussere Behandlung der Blutflüsse besteht in
der Stopfung der Hämorrhagie durch äussere Mittel. Dass nicht alle Blu-
tungen plötzlich gestopft werden dürfen , dass viele kritisch sind und die
Plethora und Congestion heben, ist bekannt. Nur da, wo örtliche Ursa-
chen, mechanische, örtliche Verletzung der Gefässe vorhergingen; da, wo
die Blutungen in wichtigen, edlen Organen (Lungen, Gehirn) stattfinden,
wo sie heftig sind und die Zufälle der Depletion herbeiführen, wo sie den
paralytischen Charakter an sich tragen (colliquative Blutflüsse in Febris pu-
trida etc.) , sind die stopfenden Mittel dringend indicirt. Letztere wirken
dadurch, o) dass sie einen Blutpfropf bilden, wodurch der Austritt des
Bluts aus dem Gefässe verhindert wird , &) indem sie die Contraction in den
blutenden Gefässmündungen erhöhen und so die Öffnung der Gefässe ver-
gchliessen, c) endlich dadurch, dass sie den Zufluss des Blutes zur bluten-
den Stelle unterbrechen. Zu den ersten gehören klebende Mittel: Amylura,
Gummi arab. , Charpie , Schwamm, auch Ätz- und Brennmittel. Zu der
zweiten Art rechnen wir alle Adstringentia: kalte Luft, kaltes Wasser, Es-
sig, Foment. frigida Schmuckeri , Eis, Schnee, in Form von Umschlägen,
Einspritzungen; desgleichen verdünnte Mineralsäuren, Bolus, Lapis haema-
tites , Terra catechu , bei paralyti.';chen Blutungen besonders die verdünnte
Schwefelsäure etc. Zu den mechanisch stopfenden Mitteln gehört besonders
der äussere Druck , Compression des blutenden Theils oder der Hauptader
desselben durchs Tourniquet, die Unterbindung der Gefässe durch die Li-
gatur und bei Arterienblutung die neuerlich sehr empfohlene, der Ligatur
noch vorzuziehende Torsion der Arterie, die darin besteht, dass man das
blutende Gefäss blosslegt, mit einer Pincette anfasst, und diese dann 12 —
20mal umdreht, bis die Pincette vom zugedrehten Gefässe abspringt. Herr
HAEMORRHAGIA 927
Dr. Fric7:e, Vorsteher des Hamburger allgem. Krankenhauses, welcher im
Jahre 1831 die Güte hatte, mir dort mehrere Amputirte zu zeigen, versi-
cherte, dass er die Torsion stets mit Nutzen angewandt habe. Dagegen
ist die Ligatur zur Heilung von Aneurysmen oft ganz unentbehrlich (s. G.
L. Dielerich'. Das Aufsuchen der Schlagadern behufs der Unterbindung etc.
Nürnb. 1831).
Gattungen der Hämorrhagien. Da alle Blutungen, sie mögen
heissen wie sie wollen, entweder den Charakter der Synocha, oder den
des Erethismus , oder den der Paralyse an sich tragen , welcher Umstand bei
der Behandlung von grösster Wichtigkeit ist; so giebt dies ein vollkommnes
Recht, darnach die Blutungen in drei verschiedene Gattungen einzutheilen.
I. Hnemorrhauin synochica, activa, sthenicn, Blutung mit dem Cha-
rakter der Synocha. Symptome. Die Vorboten der Congestion sind
hier am deutlichsten (s. oben); Unruhe, Schlaflosigkeit oder grosse Neigung
zum Schlaf, schreckhafte Träume, dabei etwas Febrilisches, abwechselnd
Frost und Hitze, vermehrter, frequenter, harter, voller Puls, doch nicht
so frequent, aber voller, wogender als bei sthenischen Entzündungen , häutig
auch Pulsus dicrotus; rother Urin, Druck, Schwere, Hitze, Jucken in den
Theilen, aus welchen die Blutung erfolgen wird, oft Röthe, vermehrtes Vo-
lumen, höhere Temperatur derselben. Die Blutung selbst erfolgt, sowie
diese Prodromi den höchsten Grad erreicht haben. Diagnose. Active
Blutungen erfolgen am häufigsten bei robusten, gut genährten, vollsaftigen,
starken, kräftigen Personen mit Habitus apoplecticus und im mittlem Le-
bensalter, besonders bei vorherrschender Diathesis inflammatoria , bei dem
Wechsel der Jahreszeiten, bei trocknen Ostwinden, bei plötzlichem Tempe-
raturwechsel, Luftveränderungen, zumal wenn heftige Körperbewegungen,
hitzige Speisen und Getränke, starke Biere, Wein, reizende Arzneien, Ge-
müthsbewegungen, heftiges Tanzen bei enger Kleidung etc., kurz Alles, was
Congestion und Orgasmus im arteriellen Systeme erregt, hinzukommen. Auch
die Kindernatur neigt zu activen Blutungen , besonders Nasenbluten ; aber
es verhält sich hier ebenso wie bei inflammatorischen Fiebern. Der syno-
chische Charakter ist nicht dauernd , hält meist nur kurze Zeit an , der
Blutfluss selbst hebt ihn, und alle heftig eingreifenden Mittel, sowol anti-
phlogistische als reizende, sind hier doppelt schädlich ; eine negative Be-
handlung, passives Verhalten, Entfernung aller schädlichen Einflüsse, Ver-
meidung der stopfenden Mittel, wenn nicht Indicatio vitalis da ist, kühle
Luft, magere Diät sind besonders zu empfehlen. Die activen Blutungen fin-
den wir bei vorwaltender Reizbarkeit des Gefässsystems , bei Diathesis in-
flammatoria, bei gleichzeitiger normaler, oft selbst excessiver Energie de»
Blutgefässsystems. Cur. Strenge antiphlogistische Diät, derivirende küh-
lende Mittel beseitigen am besten die prädisponirenden und erregenden Ur-
sachen dieser Blutungen, indem sie den subinflammatorischen Zustand der
Gefässe und die Congestion heben. Präservirende Aderlässe nehme man
nicht ohne Noth vor; sie sind freilich, wenn der Mensch schon daran ge-
wöhnt ist, bei drohenden Zufällen, z. B. bei den Vorboten der Apoplexia
als Haemorrhagia cerebri , nothwendig , aber man suche hinterher durch
strenge, knappe Diät, .selbst durch Digitalis mit Crem, tartari, dabei täg-
lich recht vieles Trinken von frisch geschöpftem kalten Quellwasser (6 — 12
Mass oder Pott binnen 24 Stunden, wodurch oft aller Arzneigebrauch über-
flüssig wird) den Kranken allmälig von dem häufigen Blutlassen zu entwöh*'
Den. Bei der schon eingetretenen activen Blutung selbst haben wir Folgen-
des zu beachten: 1) Im Allgemeinen ist diese Blutung etwas Kritisches, ein
wohlthätiges Bestreben der Natur, die Beschwerden der Congestion und
Plethora, die ihr vorhergehen , zu entfernen. Sie beseitigt sich also dadurch
selbst, hört von selbst durch gute Diät und Ruhe des Körpers auf, oder
kann wenigstens als synochische Blutung nicht lauge stattfinden. Nur das
blutende Organ muss vorzüglich hier berücksichtigt werden. Kritische Blu-
tungen aus der Nase, dem Uterus, den Hämorrhoidalgefassen überlassen
wir, wenn Indicatio vitalis nicht da ist, der Natur, befördern sie wol selbst.
928 HAEMORRHAGIA
Bei Haemorrhagia cerebri, pulmonum etc. dagegen müssen wir der Blutung
Grenzen setzen , weil sie durch Störung der B^uiiction und Organisation die-
ser edlen Organe sonst leicht gefährliche Nachkrankheiten hinterlassen. Un-
ter solchen Umständen bedienen wir uns im Anfalle der Blutung selbst
n) der ßlutausleerungen : wir lassen dem leidenden Theile so nahe als mög-
lich zur Ader. Eine recht tüchtige Venaesection ist besser als grössere
Quantitäten Blut , wiederholt entzogen , da erstere einen bessern CoUapsus
macht. Blutegel und Schröpfen können hier ebenso wenig als bei Congestio-
nen den Aderlass ersetzen. Bei anomalen Hämorrhoiden und solcher Men-
struation, z.B. bei Haemoptysis aus Menstruatio oder Haemorrhois suppressa,
lässt man gern am Fuss zur Ader. 6) Daneben ist oft der ganze innere an-
tiphlogistische Apparat : Nitrum mit Crem, tartari, mit Tart. vitriolat, säuer-
liche kühlende Laxanzen von Tamarinden , Cassia, Elect. lenitiv. , unter den
Salzen Natrum tartaricum , Kali aceticum , Sal Glauberi (aber keine drasti-
schen Purganzen) nothwendig , die indessen nicht zu anhaltend angewandt
werden dürfen, besonders nicht bei Kindern, zarten Jünglingen und Frauen
nicht bei Säufern und solchen Personen, die bei sonstiger Fettleibigkeit
häufig muskelschwach sind, weil hier der Übergang in Erethismus ohnehin
leicht erfolgt und jene Mittel die Paralyse befördern können, c) Die äus-
sern styptischen Mittel: kaltes Wasser, Gummi arab. etc. passen zu An-
fange synochischer Blutungen nicht, erst beim Übergange in Erethismus fin-
den sie ihre Anwendung, d) Unentbehrlich sind dagegen die Derivantia und
Revulsoria, Sinapismen an die Füsse, Fussbäder etc. 2) Die Diät und das
Verhalten muss streng antiphlogistisch seyn. Dienlich sind kühlende, säuer-
liche Getränke, Limonade, Speisen ohne Gewürz und leicht verdaulicher,
vegetabilischer Art, Zuckerwasser; kühle Zimmerluft, erhöhte Lage des
blutenden Theils, Körper- und Geistesruhe, strenge Vermeidung alles Er-
hitzenden; alle Speisen und Getränke müssen kühl, nicht warm genossen
werden. 3) Einige Modificationen dieser Behandlung erfordern die Blutun-
gen aus den Lungen, dem Magen etc. (s. unten). 4) Die Besserung activer
Blutungen erfolgt bald; denn der Charakter der Synocha ist nur kurz, wes-
halb eine anhaltende Antiphlogosis auch nicht passt. Einer stärkenden Nach-
cur bedarf es gar nicht , oft ist dieselbe selbst schädlich und befördert neue
Plethora und Congestion. Magere Diät, kühlende Getränke, mitunter re-
vulsorische Mittel sind oft auch in der Reconvalescenz als Präservative vor
Recidiven nothwendig. Bei activen Blutungen aus Nase, Lunge, Magen,
Gebärmutter etc. geben G. Spnjrami, Cuhini und andere italienische Ärzte
1 — 2mal 5ft Seeale cornutum, was sehr wirksam seyn soll, indem es den
Puls langsam macht und selbst die thierische Wärme vermindert. Beim Blut-
brechen gab Sp. alle Stunden 6 Gran, bei Metrorrhagia gravidarum im Sten
Monate binnen 24 Stunden sogar 1 Unze Mutterkorn mit Nutzen. Er sagt,
dass das Mittel nicht specifik auf den Uterus, sondern aufs ganze Blutsy-
stem, und zwar deprimirend , wie Belladonna, wirke (s. BehrentTs Reper-
tor., 1834, Januar, S. 44).
IL Haemorrhagia erethisHca. Der Blutfluss mit dem Charakter
des Erethismus hat ähnliche Vorboten wie der der Synocha; doch
wechseln jene Symptome öfter und stimmen nicht mit einander so überein
als bei der ersten Gattung. Der Puls ist hier nicht so voll und hart , mehr
härtlich, klein, spastisch, zusammengezogen, ungleich, sowie die Blutcircu-
lation ungleicher ist, so dass einzelne Theile an Congestion, die Glieder
aber an Blutleere leiden, Hände und Füsse oft kalt, blass und mit kalten,
klebrigen Schweissen bedeckt sind. Die Stelle, woraus die Blutung erfol-
gen wird, kann an allen Theilen des Körpers vorkommen, die Hitze darin
ist stechend, nicht juckend, kitzelnd, die Röthe derselben saturirter, dabei
das Gefühl von unangenehmer Überfüllung und lästiger Pulsation. Die Reiz-
barkeit des Nervensystems , das Spastische , besonders im Hautsystem , das
Gefühl von Ängstlichkeit, Ermattung, Aufgeregtheit, selbst der wasserhelle
Urin und das Auftreten klonischer Krämpfe dienen zur Diagnose. Der Blut-
fluss selbst bildet sich entweder durch blutige Secretion oder durch Anasto-
IIAEMORRHAGIA 929
mose, ist der Quantität nach sehi- verschieden, erleichtert zwar anfangs die
Zufälle der Congestion , aber nur zu bald fühlt der Kranke sich sciiwach
und abgespannt durch den Blutverlust, was bei der activen Blutung nie zu
Anfange, oder so lange sie als solche existirt, der Fall ist. Die Zeichen
der Vorboten dauern oft auch während der Blutung noch fort, ja werden
zuweilen noch heftiger als früher, so dass sehr kleiner Puls, Krämpfe, Zit-
tern, Kälte der Glieder, während andere Theile heiss und brennend sind
etc. , eintreten und alle Zeichen auf wahre Schwäche hindeuten. Reizbare,
sensible, schwächliche, hysterische Personen, scrophulöse Kinder, Jünglinge
und Mädchen, besonders auch solche, die schnell gewachsen sind, die den
Habitus phthisicus zeigen, sind am meisten, Männer weit seltener, und Greise
gar nicht zu den erethistischen Blutungen disponirt, die häufig als Haemor-
rhagia narium, pulmonum, bei Typhus, Blattern, Masern etc. vorkommen,
auch aus jeder activen Blutung entstehen , sobald der Blutverlust nicht ganz
unbedeutend war, indem so die Energie sinkt, die Reizbarkeit des Gefäss-
systems aber erhöht wird. Bildet sich die Blutung durch Anastomose, so
.sind die Symptome heftiger , als wenn eine blutige Secretion zum Grundo
liegt. Stärker ist dann die Blutwallung, der Wechsel von Frost und Hitze,
das Pulsiren der Gefässe, der Blutverlust ist grösser, die Hitze des leiden-
den Theils stechend, die Farbe des weniger gerinnbaren Blutes dunkler;
dabei Calor mordax, Gefühl von Ermattung und im höhern Grade oft Über-
gang in Paralyse. Ursachen. Sind die allgemeinen der Blutungen; be-
sonders aber Erkältung einzelner Theile, vorzüglich wenn gewohnte ßlut-
tiüsse dadurch unterdrückt wurden ; acute Krankheiten mit erethistischem
Charakter, bei Kindern Blattern, Masern, Scharlach; bei Erwachsenen Fe-
bris nervosa versatilis ; starker Säfteverlust durch anhaltende Diarrhöen,
Tabes dorsalis, Onanie, Galaktorrhöe, überhaupt Alles, was aufgeregten,
spastischen Zustand befördert, wie dieser bei Dispositio phthisica schon von
Haus aus stattfindet. Cur. Die Anlage zu erethistischen Blutungen heilen
wir durch solche Mittel , die , ohne zu überreizen , die Energie stärken und
die grosse Reizbarkeit im Gefäss - und Nervensysteme herunterstimmen. Va-
leriana, mit Vorsicht und nicht zu anhaltend Hyoscyamus und Opium, be-
sonders die Digitalis, späterhin leichte Amara, zuletzt China und Eisen sind
hier neben lauen Bädern, reizloser, nährender Kost zu wählen. Diese Mit-
tel, ausser der Zeit der Blutung angewandt, heilen das Allgemeinleiden oft
auch radical. Im Anfalle der Blutung &.lbst macht man anfangs zuweilen
mit Vorsicht einen kleinen revulsorischen Aderlass, besonders bei Blutung
wegen Abortus, bei Menstruatio suppressa. Häufiger sind in andern Fällen
Blutegel, so nahe als möglich an das leidende Organ gesetzt, hinreichend,
um den Bluterguss in wichtige Organe (Gehirn , Brusthöhle) zu verhüten.
Innerlich passen vorzüglich Elix. acid. Halleri mit Tinct. digitalis, etwas
Tuict. opii, Acid. phosphoricum zu 20 — 40 Tropfen iu Valerianathee , alle
Va Stunden gereicht. Bei chronischen Blutungen dieser Art passen vorzüg-
lich Tinct. digitalis. Herb, digital, mit Sacch. saturni und etwas Opium,
Abends und Morgens gereicht, Extr. hyoscyami. Die Eisenpräparate pas-
sen oft erst spät und nur da, wo keine Überreizung mehr zu befürchten ist.;
Wir wählen dann erst die leichtern Präparate, z. B. Tinct. Bestucheftii,
Tinct. ferri cydoniat. , ferri muriat. Ist während solcher Blutungen der
spastische Zustand vorherrschend, z. B. bei den Metrorrhagien Hysterischef,
so nützen ausser dem Opium, Hyoscyamus, der Digitalis besonders Ipeca-
cuanha in refr. dosi, Castoreum, Moschus, bis dieser Zustand und die Blu-
tung nachlässt. Hat diese aufgehört, so gebe man das Elix. acid. Halleri
noch fort, wähle dann Elix. vitrioli Mynsichti, Infus, cal. arom. , caryo-
phyllat, quassiae, später Tinct. chinae composita, die Brunnen von Fachin-
gen , Driburg , Pyrmont , Spaa , Schwalbach , künstliche und natürliche Ei-
senbäder. Periodisch zeigt sich während dieser Cur zuweilen noch etwas
Spastisches, besonders bei Hysterischen, wo wir dann Digitalis, Opium,
Castoreum den Tonicis interponiien müssen. Übrigens muss dies allgemeine
Heilverfahren nach der Art der Blutung in Hinsicht des blutenden Organ»
Most Encyklopiidie. 2te Aufl. i. \ 59
930 HAEMORRHIGU
besonders niodificirt werden ; dabei berücksichtige man das Causalverhältniss,
den Typus der Blutung. Unter den äussern Mitteln boi erethistischen Blu-
tungen nehmen die revulsorischen den ersten Platz ein ; doch passt der
Aderlass nur zu Anfange, besonders wenn die Hämorrhagie durch Unter-
drückung normaler oder relativ wohlthätiger Blutungen entstand. Hier
schaden alle reizenden, erhitzenden Mittel: Opium, Castoreum etc., und
die Erfahrung zeigt, dass sie oluie eine vorhergegangene Venaesection nichts
leisten. Vesicatorien , Siuapisiuen an dieFüsse, Fussbäder, trockne Schröpf-
köpfe sind als Derivantia nicht zu vergessen. Stopfende Mittel passen bei
d'ethistischen Blutungen durch Blutsecretion nicht. Der Blutverlust ist hier
nicht bedeutend, hört oft von selbst auf, und sie erregen daher nicht sel-
ten Blutstockungen, z. B. in den Lungen, im Uterus, Magen, die zu
schlimmen Folgekrankheiten Anlass geben. Überhaupt kann man mit diesen
Mitteln, wohin auch der innere Gebrauch der Mineralsäuren gehört, bei
Haemoptysis mit phthisischer Anlage, bei manchen Metrorrhagien nicht vor-
sichtig genug seyn , denn nur zu häufig ist Phthisis pulmon. exulcerata, Car-
cinoma uteri die unglückliche Folge vom voreiligen Stopfen der Blutung
dieser Theile. Die Diät bei erethistischen Häraorrhagien muss reizlos und
nährend seyn. Schleimige Dinge : Sago, Salep, Hafer- und Gerstenschleim,
Fleischbrühen , weiche Eier sind dienlich. Bier und Wein passen nicht zu
Anfange und auch später nur in kleinen Portionen. Häufig^ wird aber alles
Erhitzende nicht vertragen. Die Genesung geht immer langsam von Stat-
ten ; hat der Kranke viel Blut verloren , so kommen die Kräfte nur langsam
wieder , weil die Nutrition , Sanguification und Reproduction leidet und die
Nervenreizbarkeit noch immer fortdauert. Daher kommen, wenn die mit
Vorsicht und Scharfsinn eingeleitete Radicalcur versäumt wird , leicht Reci-
dive. Liehen Island., China, bei hoher Reizbarkeit besonders Digitalis , Ipe-
cacuanha, allgemeine aromatische und stärkende Bäder , gute Nutrientia müs-
seti daher in Gebrauch gezogen werden.
in. Haemorrhnyin parnhjtica. Bei den Blutungen mit dem Cha-
rakter der Paralyse ist schon längere Zeit ein bedeutendes Leiden der
Reproduction vorhergegangen, wie Scorbut, Faul- und Fleckfieber, Pete-
chiae secundariae , Morbus maculosus Werlhofii ; sowie denn Seotionen be-
wiesen haben, dass vorzüglich dem letztern Übel Milz- und Leberleiden
häufig zum Grunde liegen (s. F. J. Uergi , Dissert. über WcrVwfs Blut-
fleckenkrankheit ; 1823). Die paralytische Blutung besteht nie als Krank-
heit für sich, sondern stets als Symptom und im Gefolge anderer Krank-
heitsforuien mit dem Charakter der Doppelschwäche. Ihr fehlen daher auch
die gewöhnlichen Prodromi der activen und erethistischen Blutujig : die
Symptome der Congestion und Plethora. Die Blutung selbst hat folgende
eigenthümliche Symptome: 1) Sie stellt sich häufig in mehreren Organen
zu gleicher Zeit ein , besonders da , wo das ganze Gefässsystem paralysirt
ist (s. Febr. putrida, Petechiae, Scorbutus). i) Der Puls ist
klein, zitternd, ungleich, iiitermittirend, sehr weich, schwappend, facillime
comprimendus, 3) Das Blut selbst ist wässerig, gelblichbraun, schwärzlich,
gerinnt nicht , ist oft übelriechend , geht leicht in Fäulniss über. 4) Die
Blutung ist schwer zu stillen , weil der CoUapsus vasorum so bedeutend und
wahre Adynamle zugegen ist. 5) Sie erleichtert den Kranken gar nicht, ist
also nicht kriiiscb, macht ihn gegentheils immer kränker, schwächer, hin-
falliger, vermehrt in acuten Fiebern die Zufalle von Calor mordax, und es
folgen bald La hmungt^n, Sopor, Stupor, Tyrapanitis , Marmorkälte der Glie-
der, kalte klebrige Schweisse , Erschlaffung der Sphinkteren. Die nächste
Ursache ist: Parplyse derGefässe, hervorgegangen bald aus fauliger Dys-
krasie des Bluts , bald aus mangelhafter Oxydation , aus zu schwacher Er-
regung des Gefässsystems. Priidisposition giebt eine laxe, schlalVe, phle-
gmatische Körperconstitution , aufgedunsener, schwammiger Körperbau, das
mittlere Lebensalter mit torpider Constitution, ganz vorzüglich aber das
Greiseaaker. Gelegentliche Ursachen sind feuchte, verdorbene, an Sauer-
slüfV arme Atmosphäre, sumpfige Gegenden, unreine Luft in Gefängnissen,
HAEMORRHAGU 931
kura Alles, was Scorbut, Typhus carcerura, Febr. putrida liervorbringt.
Übrigens kann bei Gesunden jeder grosse Blutverlust, jede zu starke aotiv«
und erethistische Blutung , Alles , was die Nutrition stört und die Kraft«
schnell aufreibt, die paralytische Blutung erregen. Dahin gehören Mangel
an guter Nahrung, an Körperbewegung, deprimirende Affecten, besonders
Kummer, Furcht, Schreck; narkotische Pflanzengifte, besonders der Miss-
brauch des Opiums, des Laurocerasus in Febris puerperalis, Febr. putrida;
animalische Gifte: Schlangen- und Viperngift, die chemisch das Blut zer-
setzen; heftige Einwirkung der Elektricität, Blitzstrahl; plötzliche Entfer-
nung äusserer Unterstützung der Gefässe , z. B. der paralytische Mutter-
bluttiuss durch schnelle übereilte Geburten bei laxen Weibern, wo in der
Schwangerschaft das Tragen der Leibbinden versäumt worden etc. Pro-
gnose. Ist im Allgemeinen schlimmer als bei andern Blutung-en. Die Na-
tur heilt den Bhitiiuas nie, häutig vermag ihn selbst alle Kunsthnlfe nicht
zu stillen. Je grösser die Quantität des verloren gegangenen Blutes ist,
desto schlimmer steht es um den Kranken; besonders schlimm sind die sym-
ptomatischen Blutungen in Faulfiebern, Typhus putridus (s. Febris pu-
trida), zumal wenn ausser andern Theilen auch die Lungen bluten. Cur.
Die Hauptmittel sind hier Mineralsäuren in grossen Dosen, Wein, China,
Alaun, Gewürze; kalte Luft, recht kaltes Wasser innerlich, mitunter Blei
(s, Febris putrida). Folgende Punkte müssen hier besonders berück-
sichtigt werden : 1) Um die Prädisposition für paralytische Blutungen bei
laxen, torpiden Subjecten zu vermindern, dienen Gewürze, Ol. aetherea,
Balsam, natural. , Tonica, Amara, China, Caryophyllat. , Angustura, Kal-
mus, Quassia, Martialia, animalische, reizende Diät, Weingenuss, besonders
Rothwein, bittere Biere, Bewegung im Freien, gesunde Luft, gesunde, nach
Süden liegende Wohn- und Schlafzimmer, gesunde Nahrung, Verhütung al-
ler oben angegebenen schädlichen Gelegenheitsursachen. 2) Bei der Blu-
tung selbst geben wir zuerst, um nur so schnell als möglich dieselbe zu
stopfen, die Mineralsäuren, vorzüglich Acid. sulphuric. , Aqua oxymuriat. ,
Elix. acid. Halleri, mit Haferschleim, mit Syrup versetzt, z. B. i^ Acid.
oxymwriat. jjy , Syr. ruh. idaei gjjj , Aq. cinnamomi s. v. gvj. M. S. Halb-
stündlich 1 — 2 Esslöffel voll in einer Tasse Haferschleim. 1^ Eliic. acid.
Halleri 3jj, Syr. cinnamomi^], Atf. tnenih. pip, , crisp. ana 51V. M. S.
Wie oben. Sehr wirksam ist fy Elix. vitrioli Mynsichli 5J, — acid. Halleri
3J3, Aq. cardnmomi 3IV, Syr. cinnamomi 5J. M. S. Wie oben. IV Acidi
phosphorki Fh. Boruss. gjjj. S. Alle V2 Stunden 10 — 20 Tropfen in einer
Tasse Haferschleim. 3) Dabei Berücksichtigung des Grundübels : bei Febr.
putrida und Collapsus vasorum Arnica, Kampher, Angelica , Serpentaria.
4) Ein Hauptmittel ist die China, indem sie die gesunkene Energie des
Blutsystems hebt, der Erschlaffung Grenzen setzt und die Contraction be-
fördert. Sobald nur durch Mineralsäuren, Kälte und die unten angegebenen
äussern stopfenden Mittel die Blutung etwas gelinder geworden, findet sie
ihre Anwendung. Wir verordnen Decoct. chinae flav. oder rubr. mit Elix.
acid. Halleri. Auch die ebenfalls nicht so rasch wirkenden Adstringentia:
Gummi kino , Succ. catechu , besonders aber Decoct. lign. Campech. , Gort.
Salicis, quercus, Alaun sind in Anwendung zu bringen, namentlich wo die
paralytische Blutung einen chronischen Verlauf hat: bei Scorbut, Morbus
VVerlhofii etc. 5) Wir müssen diese Mittel nach den Arten der Blutung be-
sonders auswählen ; so passt nach der Erfahrung bei Haemorrhagia paraly-
tica uteri besonders Tinct. cinnamomi mit Elix. acid. Halleri, bei der des
Darmcanals Ligu. Campechiense , bei paralytischen Blutungen der Nierea
und Harnblase Alaunmolken, bei Lungenblutungen Opium (doch mit Vor-
sicht und nur bei Indicatio vitalis , weil es die Blutzersetzung nur befördert).
6) Höchst wichtig sind die topischen Mittel. Wir können hier alle bekann-
ten Styptica dreist anwenden , und müssen dies thun , da die innern Mittel
allein nicht ausreichen. Momentanes Einwirken der Kälte, des kalten Was-
sers, des Eises; die Solutionen von Alaun, Vitriol, alb. et coerul., Decoct.
querciu mit Alkohol, Wein, bei Blutungen des Mundes verschiedene r^ei-
50*
932 HAEMORRHAGIA
zeiide und adsuingirende Gurgelwasser von Alaun, Calechu, Ferr. «ulphu-
ric. , selbst Blei, bei Darmblutungen ähnliche Klystiere, alle diese Mittel
müssen nicht unversucht bleiben. Auch reizende, belebende, ätherische,
aromatische Mittel in der Nähe des blutenden Theils , v\ armes Wasser c\U
Epispasticura (nur keine Vesicatorien und Sinax)ismen , weil sie leicht bran •
dige Geschwüre machen), Fomentationen von warmem Wein, Branntwein,
Einreibungen von Linim. volat. cainphorat und terebinthinatum, besonders
auf den Unterleib bei paralytischer Metrorrhagie, sind von grossem Nutzen.
7) Trockne, kühle, reine Luft, Verbesserung derselben durch übersalzsaure
Räucherungen , Chlorkalkauflösung , strenge Beobachtung der Reinlichkeit,
öfteres Öffnen und Besprengen der Zimmer mit Essig, mit Acet. aromaticum
unterstützen die Cur. 8) Die Diät muss kräftig, nährend, reizend, bele-
bend seyn. Kräftige Bouillons , Eier , Wein , Gewürze , Zimmt , Pomeran-
zen , Bischof. Liegt der Kranke in Sopor, so muss er zum Einnehmen der
Arzneien, der Getränke angehalten und geweckt werden. 9) Die Genesung
geht stets sehr langsam von Statten, weil die Kräfte so sehr gesunken sind,
Ein rheumatisch- nervöses Ziehen im Nacken, Gefühl von Kälte im Occiput
und dumpfer Kopfschmerz bleiben noch lange Zeit nach. Der anhaltend
fortgesetzte Gebrauch des Eisens , des Elix. vitrioli Mynsichti , der China^
der Stahlbäder, der tonischen und bitlern Roborantia mit steter Rücksicht
auf den Grad der geschwächten Verdauungskräfte und mit Vermeidung der
schwächenden Durchfälle, sind immer zur Nahrung nothwendig. — Was die
einzelnen Ai'ten der Blutungen betrifft, so kommen einige schon an andern
Stellen dieses Werkes vor; doch sollen sie mit den gehörigen Nach Weisun-
gen, der Vollständigkeit wegen, hier alle alphabetisch aufgeführt und auch
der abgeh£uidelten Gattungen noch einmal namentlich gedacht werden.
Hueniorrhagia alba, Lymphorrhoea. So hat man wol Blutung aus weis-
sen Gefassen , Lymphfluss, durch Verletzung, Zerreissung eines lympha-
tischen Gefässes, besonders bei krankhafter Ausdehnung desselben (s. Ab-
scessus lymphaticus, Hydrops uteri) genannt. Richtiger ist hier
die Benennung Lymphorrliagia (^Most).
Haemorrhatiiii activa , s. oben Haemorrhagia synochica.
Uaemorrhagia nlveolaris , Phatnorrhngia , Zahnhöhlenblut fluss.
Folgt zuweilen auf das Ausziehen eines Zahnes , indem das blutende , im
Alveolarrande der Maxiila befindliche Gefäss sich weder zurückzieht, noch
oontrahirt. Die gewöhnlich unbedeutende Blutung nach der Operation des
Zahnausziehens ist hier oft beträchtlich, in andern Fällen zwar die Quanti-
tät, welche binnen einer Viertelstunde verloren geht, nur gering; aber die
Blutung hört nicht auf, währt Tag und Nacht, lässt dem Menschen keine
Ruhe zum Schlafen, keine Zeit zum Essen, ja, sie kann ihn blass und ohn-
mächtig machen. Cur. Anfangs versuche man kaltes Wasser, Essig und
Wasser, was man in den Mund nimmt, bringe Baumwolle, mit Acid. sul-
phur. dilut. angefeuchtet, in die Zahnhöhle, oder Tinct. ferri muriatici.
Hilft dies Alles nicht, so ist das Wirksamste, die blutende Stelle, die in
der Regel nur ein kleiner Punkt ist, mit einem glühenden Diahte zu ätzen,
nachdem sie kurz vorher abgetrocknet worden ist.
Hnemort'hagin am, Uaemorrhagia ex ano, After blutfl uss. Früher-
hin nannte man fast jeden Bluttluss aus dem After Hämorrhoiden. Jetzt mi-
terscheiden wir richtiger folgende Blutungen aus dem After: 1) Anomale
Menstrualblutung aus dem Mastdarme. Sie kann bei Menstruatio suppressa
stattfinden. Auch kann sie normal seyn, wenigstens findet man bei den
profusen Katamenien vollsaftiger und sehr wollüstiger Weiber, dass sie oft
zu gleicher Zeit per vaginam und per anum menstr)iiren. 2) Häufig ists
Hämorrhoidalblutfluss aus allgemeiner Hämorrhoidaldyskrasie (s. Haemor-
rhoi|d<^s) oder wegen localer Hämorrhoiden. Für die Praxis würde es viel-
leicht gut seyn, letztere ganz von erstem zu trennen und ihi>€n einen an-
dern Namen zu geben, da ohnehin der Begriff Hämorrhoiden in dem ge-
wöhnlichen Sinne mehi' umfasst , als er dem Worte nach bedeuten sollte.
S) Wir unterscheiden Prociwrknyia , d. i. jede Blutung aus dem After, von
HAEMORRHAGI.l 933
Hnematochezia , d. i. blutiger Stuhlgang. Letzterm kann Diarrhoea cruenta,
Dysenterie, colli<|uative Blutung des ganzen Darmcanals (Enterorrbagia pa-
ralytica), wie bei bösartigen Faulfiebern, zum Grunde liegen. 4) Der blu-
tige Stuhlgang kann von Morbus niger herrühren (s. Haemorrhagia ren-
triculi). 5) Verschiedene mechanische Verletzungen können die Ursache
seyn. Die Cur ist in, diesen verschiedenen Fällen, we sich von selbst ver-
sieht, verschieden, mit Berücksichtigung des Grundübels und des Charak-
ters der Blutung. Sind mechanische, traumatische Verletzungen oder Ope-
rationen die Ursaehe der Mastdarmblutung (^Archorrhagia sangtiinea^ , so
mache man Einspritzungen von Wasser S Theile, Essig 1 Theil und Brannt-
wein '/n Theil, von Solut. alumin. , Decoct. quercus, und bringe damit ge-
tränkte Charpie oder Waschschvvamm ein.
Hncuiorr hagin arlenaruw. Der Blutliuss aus Arterien kann äusserlich
oder innerlich aus verschiedenen Ursachen, die entweder locale oder allge-
meine sind, stattfinden. Verletzungen bedeutender Arterien durch Verwun-
dungen , das Bersten eines innerlichen Aneurysma etc. führen oft den Tod
,"?choa binnen v\enigen Augenblicken herbei, bei äussern Blutungen durch die
Symptome der Depletion , bei den Innern zugleich durch die augenblicklichen
Folgen des in die Kopf- , Brust- oder Bauchhöhle extravasirten Blutes, die
bald Apoplexie, Orthopnoe etc. erregen (s. Aneurysma, Valnus, Hae-
morrhagia ex causistopicis, Apoplexia).
llnctHonhayia dsihenica So nennen Einige fälschlich die erethistische
Blutung, obgleich bei letzterer keine wahre Schwäche, nur etwas Spasti-
sches , zuni Grunde liegt , und daher zu Anfange ein kleiner revulsorischer
Aderlass in sehr vielen Fällen passt. Nur. die paralytische Blutung kann
man mit Recht Haenioirhägia asiheiiica nennen, da ihr allein wahre Schwäche
der Lebenskraft (Doppelschwäche) zum Grunde liegt. •>
Hnemorrhiigia auriuvi, Otorrhagia, OtonThoea snnguinoleuta, Ohr ett"
blutfluss. Blutungen aus dem Innern Ohre sind selten. Sie können statt-
finden 1) bei Commotio cerebri, als Folge der heftigen Erschütterung, me-
chanischer Verletzung der Schläfenbeine , wodurch Zerreissungen des Trom-
melfells entstehen. In solchen Fällen ist die Prognose sehr schlimm, denn
weini auch die Blutung, wie immer, aus den Ohren nicht gefährlich ist, so
ists doch hier die ihr zum Grunde liegende Ursache. Oft kommt dabei we-
nig Blut aus dem äussern Ohre, aber die Otorrhagia interna ist um so be-
deutender, und das Blut fliesst durch die Eustachische Röhre und aus Nase
und Mund. Auch kann es eine blutige Cerebralotorrhöe seyn, die dann auf
bedeutende organi.-iche Verletzung des Gehirns , auf Fractur des Schädels,
Zerreissung der Gehirngefässe, Commotio cerebri mit darauf folgendem Blut-
cxtravasat etc. schliessen lässt. 2) Der Ohrenblutfluss ist durch äussere
Verletzung des Gehörorganes, durch eine Stichwunde, durch fremde Körper
im Ohre etc. entstanden; ist dabei das Trommelfell nicht verletzt, so ists
nur eine Otorrhagia externa und der Blutverlust meist unbedeutend. Geht
die Verletzung aber tiefer, so kann Otitis, Otorrhoea purulenta, Taubheit
die Folge seyn (s. Schumncher's Med.-chir. Bemerk. 1800; S. 151, 162).
3) Jii seltenen Fällen ist anomale Menstruation als periodische Blutung aus
den Ohren beobachtet worden. Auch Haemorrhoides suppressae können sie
erregen (^s. K. J. Heck, Krankheiten des Gehörorgans; 18ii7; S. 159). 4) Im
höchsten Grade bösartiger Fieber mit Colliquation , im höchsten Grade des
Scorbuts kann neben den Blutungen aus andern Organen das aufgelöste Blut
auch aus den Ohren fliessen. Cur. Jst nach den Ursachen verschieden.
Man behandle das Grundübel und .stopfe die Blutung, Nr. 4 ausgenommen,
ja nicht ohne die grö.sste Noth, da leicht organische Fehler des so zarten
Gehörorgans darauf folgen.
Haemorrhagia cerelri, Gehirnblutungi Sie macht das Wesentliche
der Apoplexia sanguinea aus , und der franz. Arzt Rochoux hat das Verdienst,
hierauf aufs Neue aufmerksam gemacht zu haben , obgleich die Sache selbst
nicht neu ist; denn schon Fr. Ho jf mann nennt den Schlagfluss Haemorrhagia
«erebri interstitialis (s. die Nachschi-ift zu dem Artikel Apoplexia).
934 HAEMORKHAGIA
Haemorrkfiglrt dentvtm, Blutungen aus der Krone kranker Zähne ent-
stehen zuweilen bei Hydrops , bei scorbutischer Kachexie. Sie können mit-
onter bedeutend werden. Cur. Man tamponire mit Charpie und Wund was-
ser, Pulv. stypticus, welche in den hohlen Zahn gebracht werden. Ist die
Krone des Zahns ganz weg, so bringe man Gumm. sandarach. , in Alkohol
gelöst, mit Baumsvülle auf die blutenden Wurzeln; dieses Mittel wird, in-
dem der Alkohol verttiegt , bald hart und bildet einen Kitt. Am bedeutend-
sten sind stets die Blutungen aus dem Halse der Zähne, der bei jungen
Leuten mit dem Zahnfleisch bedeckt ist, wenn dieser cariös geworden.
Diese Blutung kann sowol bei gesunden als bei kachektischen Personen vor-
kommen und selbst Tage lang anhalten. Hier versuche man erst das Plom-
biren, dann Glühdraht, helfen diese Mittel nichts, so muss bei Nichtkachek-
tischen der Zahn ausgezogen werden (s. Haemorrhagia oris),
Hnemorrhagia erethistica , s. oben Haemorrhagia.
Haemorrhagia ex caitsis iopicis, Blutung aus örtlichen Ursachen,
örtliche Blutung, entstanden durch organische Verletzung. Sie interessirt
vorzüglich den Wundatzt und Operateur; aber auch der Arzt muss sie ge-
nau kennen , und sie darf daher nicht , wde Cullen und Reil wollen , von den
klinischen Abhandlungen der Blutungen ausgeschlossen werden , was Hanse
ganz richtig bemerkt. Da die örtlichen Blutungen meistens von mechani-
schen Ursachen herrühren; so fehlen hier alle Vorboten. Die Diagnose
ist leicht, wo die Blutung in äussern Organen stattfindet und das Blut zu
Tage kommt, schwieriger sind die örtlichen Blutungen in innern Organen.
Ist der Blutfluss bedeutend , das Blut hellroth , springt es in einem grossen
Bogen und in Absätzen hervor, so deutet dies auf Verletzung einer nicht
ganz unbedeutenden Pulsader; aber auch das dunkle Venenblot kommt oft
sprungweise aus dem Gefässe, wenn unter der blutenden Vene gerade eine
Pulsader liegt. Dass unter Umständen auch arterielles Blut dunkel ausse-
hen kann, z. B. in bösartigen Faulfiebern, oder wenn es lange in Höhlen
des Körpers verweilt, ist schon oben erwähnt worden. Zerschnittene Ge-
fässe bluten weit stärker als zerrissene oder gequetschte; ja man darf bis-
weilen das geöffnete Gefäss nur quetschen und die Blutung steht sogleich.
Die nächste Ursache aller Localblutllüsse ist Trennung der Continuität,
am häufigsten per Diaeresin, seltener per Rhexin, noch seltener per Dia-
brosin hervorgebracht, also durch äussere Verwundungen aller Art, durch
Hieb-, Schnitt-, Stich- und Schusswunden; durch Knochensplitter, Nie-
ren - , Blasen - und Gallensteine ; durch heftige Körperanstrengungen :
Schreien, Rufen, Lachen, Singen, heftige Anstrengung beim Heben und
Tragen schwerer Lasten, beim Coitus , bei der Entbindung; durch mecha-
nische Hindernisse für den Blutumlauf: grosse Geschwülste, Steatome,
Schwangerschaft, enge Kleidungsstücke; durch kaustische Mittel, Krebs-
jauche etc. In manchen F'ällen finden wir zugleich als Prädisposition eine
gewisse Mürbigkeit der Blutgefässe, nicht selten sind auch organische Herz-
und Lungenfehler. Varices, Aneurysmen Ursache örtlicher Blutungen. Die
Prognose ist im Allgemeinen kaum zu bestimmen. Die Blutflüsse per
Rhexin et Diabrosin sind oft gefährlicher als die per Diaeresin, da ihre Ur-
sachen (Krebs) sie oft unheilbar machen. Die grössere oder geringere Quan-
tität des Blutverlustes, die Grösse und Wichtigkeit des blutenden Gefässes
und Organs, der schnelle oder langsame Blutverlust, das Alter und die
Constitution, alle diese Dinge verdienen hier grosse Berücksichtigung. Die
Cur ist mehr chirurgisch als klinisch. Letztere findet besonders ihre An-
wendung, wenn heftige Congestionen sie erregten, oder wenn die Zufälle
des Blutverlustes: Ohnmächten etc. entstehen (s, Asphyxia durch IMut-
verlust, Haemorrhagia synochica, erethistica). Blutungen durch
Verletztuigen äusserer Theile müssen, wenn sie sehr bedeutend sind, schnell
durch Compression , durchs Tourniquet, durchs Tamponiren für den ersten
Augenblick gestillt werden. Die sichersten Mittel sind aber die Ligatur und
die Torsion der Arterie, welche blutet. Da viele Verwundungen heftige
Kntzündung und Fieber fur Folge haben, so stopfe man die Blutung, wenn
HAEMORRHAGIA »35
«je nicht b«deutend ist, ja nicht; sonst ist man oft genSthigt , späterhin
noch znr Ader zu lassen (s. Vulniiis). Bei Blutungen innerhalb der Schä-
delhöhle müssen wir diese schnell stillen, und durch Aderlässe, Bhitegel,
kalte Umschläge, Fussbäder , Senfteige, Laxanzen kühlender Art etc. das
Extravasat verhüten oder entfernen. Späterhin befördert man die Resorption
desselben durch Arnica, durch Kaloniel mit Digitalis, p. d. Vi — 1 Gran.
Was bei den Blutungen der Lungen, des Magens, der Leber, Milz etc. als
Folge mechanischer Verletzung zu thun ist, lehrt der Artikel Ton den Wun-
den (s. Vulnus).
Haemorrhtujia tx causis tmivcrsalibus. Die Blutungen aus allgemeinen
Ursachen: Congestion, Pletlwra, scorbutischer Dyskrasie, Diathesis haemor-
rhoidalis etc sind vorzüglich das Object des Arztes (s. oben Haemorrha-
gia, Haemorrhoides etc.).
Haenwrrhngin hnn-editnrin, Blutung wegen erblicher Anlage.
Ihrer ist zum Theil schon oben gedacht worden. Die männlichen Individuen
einer Familie werden häuliger mit der Neigung zu diesem Übel angetroifen
als die weiblichen. Häufig findet man bei diesen Unglücklichen blondes
Haar, feine Haut, Habitus scrophulosus, Arthritis, blaue Flecke an den
Gliedern etc. Cur. Obgleich bis jetzt solche Kranke sowol nach äussern
Blutungen durch geringe Verletzungen, als auch nach innern Hämorrhagien
fast immer starben , da wegen des mangelnden Tonus des Blutgefässsystems
die Blutung nicht gestillt werden konnte; so ist das Übel doch wol nicht
immer unheilbar, wenn wir die allgemeine Diathes© als die Ursache, nicht
blos das zufällige Symptom: die Blutung, zu behandeln uns bemühen. Hier
sind zn empfehlen: Siillen solcher Kinder durch eine gesunde brünette Am-
me, Salz-, Soolen- und Seebäder, anfangs lau, allmälig kalt, bei grössern
Kranken ausser solchen Bädern besonders noch innerlich anhaltend Elix. acid.
Halleri mit Deco(;tuin chinae (Ai.) (s. Haemorrhagia. Vergl. auch Keller,
Diss. de haemorrh. haereditaria, Wirceb. 18-^4. Precht, Di»», de haemorrh.
haered., Wirceb. 1827. Hecker^s Lit. Annalen d. gesammt. Heilkunde 1829.
H. C. Richen's Neue Untersuchungen in Betreff der erblichen Neigung zu
tödüichen Blutungen. Frf. 1829).
Ilaemort-hai/ia interna seu occuUa. Ist eine solche Blutung, wo das er-
gossene Blut nicht nach Aussen ablliesst, sondern der Erguss innerhalb der
Schädel-, Brust- oder Bauchhöhle, im Magen, Uterus , in der Harnblase
(bei Steinoperation) stattfindeL EUiofson (s. Medico chirurg. transactions
1825, p. 2 ) theilt einen Fall von tödtlicher occulter Magenblutung mit, ohne
dass man eine deutliche Ruptur eines Blutgefässes bei der Section auffinden
konnte; nur an einer Stelle fand man eine unbedeutende Corrosion dei"
Schleinihaut. Zuweilen folgt gleicii nach der Ausstossung der Frucht eine
innere Gebärmutterblutung, wobei der Uterus weich, gross (nicht
contrahirt als eine harte Kugel) anzufühlen ist und der Ausfiuss wegei
krampfhafter Constriction des Muttermundes nicht erfolgen kann. Die Ge-
bärmutter bleibt weich, dehnt sich aber immer mehr aus und die Kranke
hat alle Zufälle bedeutender Hämorrhagien: Ohnmächten, kalte SchWeisse,
kleinen, schnellen, zusammengezog^enen, matten Puls, Schluchzen, Erbrechen,
grosse Angst etc. Selbst in der Schwangerschaft kann eine Metroi'rhagia
interna , ohne dass gerade stets ein Theil der Placenta sich gelöst hätte,
vorkommen. In einem von Will. Henderson Cnoufoot (s. Edinb. med. and
surgical Journal 1824. Octbr. ) mitgetheilten Falle wurde eine im 7tcn Mo-
nate der Schwangerschaft sich befindende, in ihrem Zimmer ruhig sitzende
Dame plötzlich von einer ansserordentlichen Schwäche und von Ohnmächten
befallen. Ohne Wehen zu haben klagt sie über ein Gefühl von Ausdehnung
im untern Theile des Bauches, fühlt fortwährend die Bewegung des Kindes,
hat eine Todtenblässe des Gesichts und einen sehr kleinen Puls. Bei der
Untersuchung fand man den Gebärmuttermund geschlossen , die Kindestheile
in der rechten Seite, in der linken dagegen eine ausgedehnte, weiche und
leicht zusammendrückbare Geschwulst Endlich erfolgte die Geburt ganz
regelmässig, nur ging nach der Ausstossung des Kindes eine nicht unbedeu-
938 HAEMORRHAGIA
tende Menge coagnlirten Blutes ab, worauf der Uterus sich zusammenzog
und keine Nachblutung folgte. — Ich behandelte einst ein junges Frauen-
zimmer, welches im dritten Monate schwanger war, mit einem fast ähnlichen
Übel. Die Zufälle waren: drückender Schmerz im Bauche: schnelle Auf-
treibung desselben , Ohnmächten , kalte Schweisse etc. Belebende Mittel
wirkten wohlthätig , bald darauf trat eine bedeutende Metrorrhagie ein und
das Blut ging theils flüssig, theils coagulirt ab. Abortus folgte, merkwür-
dig genug, nicht; die Frau erholte sich ailmälig durch gute animalisch^
Kost und China, und sie gebar zur rechten Zeit einen gesunden, starker.
Knaben. — Ist die Metrorrhagie bei Wöchnerinnen bedeutend gewesen und
die Constitution schwach, so kann der Körper sich nicht von dem Blutver-
lust erholen ; es tritt trotz der besten nährenden und stärkenden Mittel
ndynamisches Fieber ein und meist folgt der Tod am 5ten, 7ten Tage unter
Erschöpfung und Convulsionen ex inanitione. Die gefährlichsten Innern Blu-
tungen sind die, welche auf das Bersten eines Innern Aneurysma folgen.
Das plötzliche Auftreten aller Zufälle innerer Blutungen, besonders die Tod-
teublässe des Gesichts und der Lippen, die Ohnmächten und Convulsionen,
so wie die Anwendung des Stethoskops und Plessimeters geben hier Aus-
kunft. Die Cur ist die der Häraorrhagie im Allgemeinen ; in der Regel pas-
sen belebende, analeptische Mittel (s. Haemo rr hagia).
Haemorrhagia intesiinorum , Blutung der Gedärme, s. Haemorrhagia
ventriculi.
Haemorrhagia irritalilis , active Blutung , s. oben Haemorrhagia
isynochica.
Haemorrhagia narium, Epistaxis, Rhinorrhagia , Haemorrhinia , auch
schlechtweg bei Hippolcrates nur Haemorrhagia genannt, das Nasenbluten.
Es kommt in der Regel nur aus einem Nasenloche, meist nur tropfenweise,
zuweilen aber auch wol in massigem Strome. Gewöhnlich sieht das Blut
hochroth aus; der Blntfluss ist in gewöhnlichen Fällen nicht von langer
Dauer, in seltenern Fällen dauert er Stunden, ja Tage lang und der Blut-
verlust beträgt mehrere Pfunde. Zuweilen ttiesst das Blut viel nach hinten
in den Rachen (^Choanorrhagia^ , wird im Schlafe, besonders von Kindern,
verschluckt und dann weggebrochen, welcher Umstand bei der Diagnose
nicht zu übersehen ist. Besonders sind Jucken, Kitzel in der Nase, Niesen,
brennendes Gefühl in den Nasenlöchern, neben den Zufällen der Congestion
zum Kopfe die Vorboten des Nasenblutens, Veranlassungen. 1) Am
häufigsten kommt das Übel im kindlichen Alter und zur Zeit der Pubertät
vor. 2) Durch äussere Verletzungen, besonders Quetschungen der Nase
durch Schlag, Fall, Stoss etc., kann es in jedem Alter entstehen. 3) Alles
was Congestion zum Kopfe macht : heftiges Niesen, Husten , starke Erschüt-
terungen durch Ohrfeigen , Keuchhusten , kann es erregen. 4) Bei Neigung
dazu sind oft starke Gerüche, Glockenläuten, Einwirkung der Sonnenstrah-
len auf den Kopf, Erkältung der Füsse, schneller Wechsel von der Kälte
zur Wärme, heisse Stuben, Frühlingsluft, besonders bei uns Ende Aprils
und Anfang Mais, schon V^eranlassung. 5) Bei Kindern sind oft Würmer
Schuld. 6) Bei alten Leuten kommen Blutungen aus dem rechten Nasen-
loche oft bei chronischen Leberleiden, aus dem linken Nasenloche bei sol-
chen Milzleiden vor. 7) Bei inflammatorischen Fiebern macht das Nasen-
bluten oft eine gute Krise (s. Febris); dagegen ist es beim bösartigen
Typhus, bei Febr. putrida oft ein sehr lästiges, oft schwer zu stillendes
Symptom, desgleichen bei Scorbut, Morbus haemorrhagicus WerHiofü. Die
Prognose ist verschieden. Nasenbluten bei sonst gesunden Kindern und
Jünglingen oder Mädchen ist an sich in der Regel nicht gefährlich; doch
wer als Kind viel Nasenbluten hatte, bekommt in spätem Jahren leicht
Blutspeien und Schwindsucht, und oft nach den 40er Jahren Hämorrhoiden.
Das kritische Nasenbluten ist bis zu einem gewissen Grade und bei inflarai-
matorischen Fiebern höchst wohlthätig , das symptomatische in bösartigen
Fiebern und Kachexien aber sehr schlimm (s. Febris in fla m mat o ria,
F. putrida). Behandlung. Blutstillende, styptische Mittel : Einschnau-
HAEMORRHAGU 937
bon von kaltem Wasser, von Essig und Wasser, Einspritzungen davon, kalte
Umschläge auf die Nasengegend, innerlich kühlende säuerliche Getränke und,
wenn dies noch nicht hilft, Zustopfen der Nase mit Charpie, diese die Blu-
tung allerdings oft stillenden Mittel haben wir freilich in unserer Gewalt,
und voreilige Praktiker sind gleich damit bei der Hand ; aber 6in solches
Verfahren richtet oft viel Unheil, für die Folge an. In folgenden Fällea ist
ein frühzeitiges, übereiltes Stopfen des Nasenblutens höchst nachtheilig und
gefährlich, l 1) Wenn die Blutung bei jungen Leuten durch starke Erhitzung:
Laufen, Fechten, Reiten, Tanzen, besonders bei enger Körperkleidung,
durch den ungewohnten Genuss der Spirituosa , durch starkes Bitterbier,
durch Narcotica, besonders Opium, Belladonna, durch heftige AflFecten:
Zorn und Wuth; kurz durch Alles, was heftige Congestion zum Kopfe
macht, entstand. Solche Blutungen haben den synochischen Charakter,
dürfen nicht gestopft werden, wenn nicht der Blutverlust nach Verlauf von
ein paar Stunden noch bedeutend ist; sonst folgt Apoplexie, Taubheit, Blind-
heit, Bluthusten , Schwindsucht. 2) Höchst wichtig ists, das Nasenbluten
junger Leute mit Habitus phthisicus nicht zu stopfen ; sonst geht die Gon-
gestion nach den Lungen, es folgt um so schneller Haemoptysis und Phthisis.
S) Das Nasenbluten in inflammatorischen und erethistischen Fiebern ,. bei
Blattern, Masern, Scharlach etc. ist in den ersten 8 Tagen der Krankheit
kritisch und darf nicht gestopft werden. Selbst zu Anfange der Krankheit
ist es oft sehr wohlthätig. Man verlialte sich hier passiv, lasse das Blut
fliessen, wenn es auch ein Pfund und mehr bringen sollte (denn an Ver-
blutung ist bei jungen Leuten nicht zu denken), rathe Ruhe, kühle Luft,
säuerliches kühles Getränk und Ablegung aller Kleidungsstücke an. Stopft
man das Nasenbluten in den ersten 5—8 Tagen bei Scharlach oder Fleck-
fieber, so kann der Tod durch Apoplexie erfolgen. Auch das Nasenbluten
durch Plethora abdominalis , bei Icterus, Hämorrhoiden, wegen unordentli-
cher Plutcirculation darf ohne Noth nicht gestopft werden. Wir geben hier
innerlich mit Nutzen Kalomel mit Digitalis, setzen Blutegel an den After
etc. (s. Haemorrhoides). — Früh stillen müssen wir dagegen jedes zu
heftige erethislische und jedes paralytische Nasenbluten (s. oben Haeni.
erethistica und paralytica), also 1) das scorbutische Nasenbluten.
2) Das, was bei heftigen typhösen und putriden Fiebern sich gegen den
iSten , 14ten Tag einstellt und gewöhnlich mit jeder Fieberexacerbation ein
Recidiv macht. Häutig ist hier der Arzt selbst Schuld daran, wenn er in
solchen Fiebern, besonders bei Typhus petechialis , ohne gehörige Indication
und zu früh Kampher, Opium und Aiiiara verordnet. Hier muss die innere
Behandlung der paralytischen Blutung (s. o.) stattfinden; desgleichen sind
örtlich die Styptica höchst nothwendig, selbst Solut. aluminis , vitrioli albi,
Aq. Goulardi. In diesen Fällen darf man sich nicht begnügen, die Nasen-
löcher zuzustopfen ; denn die Blutung läuft auch nach hinten durch die Cho-
anae. Man schiebt hier eine Darmsaite durch die Nase in letztere, und zieht
sie aus dem Munde heraus. An dieses Ende knüpft man einen starken Fa-
den, und daran einen grossen Bausch Charpie, mit Essig angefeuchtet, zieht
alsdann die Darmsaite am Nasenloche wieder an und klemmt so die Charpie
in die Choanae. Sind so die hintern Öffnungen der Nasenlöcher verstopft,
so stopft man auch die vordem mit Chai-pie zu, indem man kurz vorher Aq.
vulner. Thedenii in die Nase gespritzt hat ; die Fäden befestigt man auf
der Wange mit Heftpflaster. Wenn die Blutung mit der B'ieberexacerbation
kommt, so muss der Apparat bis zur nächsten Exacerbation liegen bleiben.
Hat er in andern Fällen 12 Stunden gelegen, so nimmt man ihn, indem man
schon zum neuen Anlegen ein anderes Fadenende daran geknüpft hat, her-
aus, und legt neue Charpie ein, die weniger als die blutig gewordene den
Kranken inconimodirt. 3) Bei jedem Nasenbluten nach traumatischen Ver-
letzungen verlasse man sich nicht auf innere Mittel allein, sondern wende,
ist es bedeutend , auch äusserlich Styptica an : Wasser und Branntwein,
Essig, Arqnebusade^ Solut. alum. zum Einschnauben, desgleichen dynamisch-
sympathetische: plötzliches, unerwartetes Spritzen von Wasser ins Gesicht,
038 HAEMORRHÄGIA
pegen die. Genitalien; auch kann man, nach Bromßehl, einen mit kaltem
Wasser gefüllten Schafdcum in die Nase bringen. — Was das aus innern
Ursachen entstandene Nasenbluten betrifft, so würde es überflüssig seyn,
die verschiedenen Charaktere dieses Nasenblutens (Synocha,* Erethismus,
Paralysis) hier anzugeben, da darüber schon oben gehandelt worden ist.
Daher nur noch dieses: «) Das synochische Nasenbiulen hat die bekannten
Vorboten der Kupfcongestion: Gesichtsröthe, Schwindel, Ohrenklingen, star-
kes Pulsiren der Karotiden , gespannten , frequenten , harten und wogenden
Puls etc. Es ist die häufigste Form und weit häufiger als das passive pa-
ralytische Nasenbluten, zeigt sich fast immer tropfenweise {Slilliridinm)^
höchst selten im Strahle, das Blut sieht hellroth aus, coagulirt schnell, bil-
det Blutpfröpfe, die oft aus der Nase heraushängen; der Kranke fühlt sich
dadurch sehr erleichtert, und viele vorangegangene Beschwerden verschwin-
den. Das kritische Nasenbluten in Fiebern ist oft so gering, dass wir e»
künstlich befördern müssen (s. Febris). Ist dieses acüve Nasenbluten hin-
reichend, um Congestion, Plethora, Fieber und Entzündungen zu entfernen,
so überlassen wir es der Natur; ist es nicht hinreichend kritisch, so müssen
wir noch zur Ader lassen und den antiphlogistischen Apparat anwenden;
bei Pneumonie, Encephalitis und Angina mit zu schwachem Nasenbluten pas-
sen daher Aderlass, Blutegel, innerlich Nitrum, Crem tartar., bei galliger
Complication mit Tamarinden, Infus, laxativ. mit Sal. Glauben, mit Salmiak
tind Tart. emetic. u. s. w. 6) Das erethistische Nasenbluten hat die be-
kannten Zeichen dieser Blutung (s. oben). Es erscheint tropfenweise oder
im Strahle, erleichtert bald die Zufälle der Kopfcongestion, bald nicht, ver-
schlimmert sie bei starkem Blutverlust jedesmal, je nachdem es eine Secre-
tio sanguinolenta oder eine Haemorrhagia narium per Anastomosin ist. Spasmo-
dische Zufälle, Kälte und Blässe der Haut, besonders der Glieder, Angst,
Zittern, Sinnestäuschungen, Neigung zum Erbrechen, diese Zufälle erschei-
nen um so eher, je heftiger und andauernder der Blutverlust ist. Acute
Exantheme bei zarten Kindern erregen diese Blutung oft. Die Quantität
des vergossenen Blutes ist hier bedeutender als bei der synochischen Form,
welche letztere zuweilen am Ende auch erethistischer Natur werden kann.
Cur. Ists blutige Secretion und sind die Kopfcongestiuihen bedeutend, so
dient ein kleiner revulsorischer Aderlass; zuweilen reichen Blutegel in die
Schläfe, an den Hals, aus. Daneben innerlich Mineralsäuren, Ipecacuanha
in refr. dosi , Digitalis, bei Krämpfen Antispasmodica u. s. w. Mitunter hat
das erethistische Nasenbluten einen intermittirenden Typus. In diesem Falle
passt das Chinin, sulphuricum oder die China (s. Heidelberger klinische An-
iialen 18:28. Bd. IV, Supplementheft 1. S. 143— IßO). c) Das paralytische
Nasenbluten erfordert ausser den angegebenen topischen Mitteln innerlich
Mineralsäuren in grossen Dosen, China, Acid. oxymuriat. , Alaun, Ferrum
sulphuric. etc.
Haeuwrrhnf/in ocnli interni, Blutung im Innern des Augapfels.
Entsteht vorzüglich durch mechanische und chemische Schädlichkeiten (i.
Yulnus biilbi ocu li).
Unemorrhngin oesophmji, Blutung aus dem Schlünde, 8. Haemorrha-
gia vent ricul i.
Hnewnrrhaijin orhitne, Blutung au» der Augenhöhle. Erfolgt in
seltenen Phallen als Anomalie der Menstruation, oder neben den Blutungen
aus andern Organen als höchster Grad der Paralyse in Febris putrida. .Am
häufigsten sind aber Verwundungen der Augenhöhle Schuld (s. Vulnus
orbitae) • _
Ilnemnrrhrtipn on>, Stomatoithnftin, Blutung aus emem oder dem an-
dern Theile der Mundhöhle. Hierbei hat man in Betreff der blutenden
Stelle sehr subtilisirt und verschiedene unwesentliche Namen erfunden, ohne
deren Kountniss wir den Mundblutfliiss sehr gut erkennen und heilen kön-
nen, wenn wir nur wissen, welcher Ursache und Charakters er ist. Wenn
das Zahnfleisch die Quelle ist, so heisst die Blutung Ulorrha;rin ; ists die
Zahnhöhle: Phatnorrhaj;ia ; ist» der Gaumen und Rachen: i^'morrhni/ia ; die
HAEMORRHAGIA »39
innere Fläche der Wangen: Gnathorrnffia ', kommt sie aus der Zunge! Glos^
sorrhagia; aus den Lippen: Clieilnrthngia; aus dem Schlünde: Pharyinjorrha-
gin. Ursaclien. 1) Örtliche Verletzungen der Zunge, des Zahnfleisches,
der innern Wange, z. B. beim Beissen und Fehibeissen auf fremde Körper,
beim epileptischen Insult; durch Wunden, durch Brand in der Mundhöhle,
durch Angina gangraenosa. 2) Häufig ist die Blutung Symptom von AUge-
meinleiden, von typhösen und paralytischen Fiebern, Scorbut, Morbus ma-
culos. Werlhofii, Mercurialkrankheit , Febris salivalis. Auch der schvrarze
Zungenbeleg in jenen schlimmen Fiebern entsteht nach meinen genauen Un-
tersuchungen oft von blutigem Durchschwitzen (^Most^. 3) Zuweilen ists
blos Folge von dem sogenannten örtlichen Scorbute am Zahnfleische , ent-
standen durch Missbrauch schlechter Zahnpulver, kalischer Mittel, Tabaks-
asche, Unreinlichkeit, vom übermässigen Genuss animalischer Kost in heissen
Sommertagen. Diagnose. Ist leicht. Man lässt den Kranken den Mund
ausspülen und untersucht dann die blutende Stelle, die so oft sichtbar wird
nnd mitunter etwas schmerzt. Auch lässt man ihn mit geschlossenem Munde
saugen und dann ausspeien, worauf das Bluten sich stärker zeigt, oder den
Mund mit Essig ausspülen , worauf es sich vermindert oder ganz aufhört ;
ausserdem kommt das Blut ohne Husten , höchstens mit etwas Räuspern,
wodurch die Diagnose von Haemoptysis leicht wird. Cur. Oft hilft schon
Ausspülen des Mundes mit kaltem Wasser und Essig. Ist die Blutung
symptomatisch, z. B. bei Scorbut, Morbus Werlhofii, Mercurialkrankheit^
80 wenden wir örtlich Gurgelwasser von Decoct. chinae, Alaun und Brannt-
wein, von Essig, von Tinct. myrrhae, Tinct. catechu ana p. dosi 60 Tro-
pfen in einer Tasse Wasser, an, und behandeln durch gute innere Mitteil
das Grundübel. Entstand die Blutung durch Verletzungen, Operationen, so
lässt man den Mund mit drei Theilen kaltem Wasser und einem Theile
Branntwein ausspülen; bei bedeutenden Zungenblutungen dient das Com-
pressorium von Lnmpe , bei Zahnblutung, wenn andere Mittel nichts fruch-
ten, das Glüheisen; doch versuche man vorher die Compression mittels des
Korks in die blutende Zahnhöhle, die Aqua vulner. Theden. , mit Charpie
eingedrückt.
Hnemorrlini/ia penis , virgae viriUs. Die Blutung aus dem Penis in Folge
von Verletzungen oder chirurgischer Operationen oder bösartiger Geschwür«,
bei Gonorrhoea chordata, Gangrän etc., sind oft sehr bedeutend, ja Schnitt-
wunden oder Amputatio penis können durch Blutverlust tödten, besonder.»
wenn die Verletzung mehr an der Symphyse stattfindet und der ganze Penis
abgeschnitten ist, wobei die Corpora cavernosa sich zurückziehen und die
Gefässe so nicht aufgefunden und unterbunden werden können. Man mache
hier eiskalte Umschläge, streue Pulv. stypticus auf, suche durch einen Fin-
gerdruck im Perinaeum den Stumpf wieder hervorzutreiben und verhüte bei
Amputatio penis das Zurückziehen des Stumpfs durch das vorher angelegte
Bleiband, das auch so lange liegen bleibt, bis die Gefahr der Nachblutung
vorüber ist (t). Gräfe). Ausser der durch mechanische Ursachen entstande-
nen Blutung des Penis kann sie auch im entzündlichen Stadium des Trip-
pers (s. Gonorrhoea), durch Kanthariden , durch Scorbut, bei Febri«
putrida (s. Haematuria), aus den Gefässen der innern Harnröhrenhaut,
aus den Samenbläschen, den Ductibus deferentibus als Harnröhrenblutung
stattfinden. Bei alten Hämorrhoidariis , die in der Onanie und physischen
Liebe viel ausgeschweift haben, die häufig an Trippern gelitten und starke
Weine: Burgunder, Portwein, Ungarwein lieben, finden wir häufig Blut-
Tind Schleimflüsse aus dem Penis, sowie denn auch diese Hämorrhagie oft
für unterdrückte Hämorrhoiden vicariirend auftritt. Die Behandlung ist
nach den Ursachen, die zu entfernen sind, sowie nach dem Charakter der
Blutung verschieden. Im acuten Stadium des Trippers antiphlogistisch, bei
passivem Charakter, oder in Folge mechanischer Verletzung, bei geschwäch-
ten Genitalien, bei angiektasischer Ausdehnung der Gefässe, kalte Um-
schläge von Eiswasser, Solut. aiuminis, Aq. Goulardi etc. , innerlich viel
kaltes Wasser u. 8. w. Die Blutungen aus den Samenbläschen und den
940 HAEMOREIIAGIA
Ductibus deforentibus erfolgen nur bei und gleich nach der Samenergiessuiig,
besonders bei geschwächten Wollüstlingen, welche sich durch Aphrodisiaca
reizen, oder wenn der Beischlaf unmässig, zu oft und schnell hinter einan-.
der getrieben wird. Die Cur ist die so eben beschriebene, dabei innerlicb
China, Mineralsäjiren. vi
Unemorrhaiiia petechinlis , Blutung durch die Blutfleckenkrankheit, tb
Haeraorrhagia oris und Mor b u s inacul os us Werl h o fii.
Hacmorrhtiijia pulmonum, Pneumonorrhngin , ffnemoplißis , Hncmopiismws,
Haemoptoe, Emploe, Emptmjs, Sputum cruenlum, Smu/uinis fainr , Blutung
aus den J^ungen, Bluthusten, Blut speien, Blutaus fluss, Lun-
gen b 1 utfluss. Hierunter versteht man Blutung nicht blos aus den Lun-
gen, sondern auch aus andern Respirationsorganen, aus dem Kehlkopf, der
Luftröhre, den Bronchien, die man dann wol in specie Lanjngorrhnijin,
Tracheorrhaijia, Ep'ujloUürrhaijia nennen könnte,. um sie von der eigentlichen
Lungenblutung, Pnca,non()rrhn(jia, zu unterscheiden. Einige .\rzte nenneiv
die Blutung aus der Luftröhre, Mundhöhle, Z^nge, aus den Choanen Hae-
moptoe oder Sputum cruentum , die aus den Lungen dagegen Hnemopttfsis
(Gß/ciiMS, Riverius , Ludwig, Fr. Ho/]'mnnn, Z. Platrier). Viele verstehen
unter Sputum crucnlmn auch den blutigen Auswurf bei Pneumonie. Dia-
gnose. Tracheorrhagie ist nicht immer leicht von Haemoptysis z\i unter-
scheiden, da die gewöhnlichen Zeichen der erstem: Gefühl von Kitzel und
Schmerz in der Luftröhre, und zwar an einer bestimmten Stelle, Blutans-
wurf mit blossem Räuspern, oft auch bei letzterer sind. Zudem ist die
Tracheorrhagie auch oft niit Husten verbunden., wenn das vergossene Blut
in die Lungen' herabfällt. In vielen Fällen sind beide Blutungen zugleich
da, und ausserdem hat die Diagnose nur für die Folgeznstände , die sie am
besten aufhellen, Wichtigkeit. Zuweilen werfen manche Kranke etwas Grau-
schwärzliches , Bräunliches des Morgens aus, was man irrig für Blut gehal-
ten. Es ist aber ein der Farbe nach veränderter Bronchialdrüsensaft, ent-
standen durch den Rnss der Nachtöllampe. Die Blutungen aus den Choanis
können, wenn das Blut auf die Glottis fällt, für Bluthusten gehalten wer-
den; aber hier dient der Mangel aller Brustbeschwerden zur Diagnose; auch
steht die Blutung, wenn man Essig und Wasser in die Nase spritzt. Bei
heftigen Lungenblutungen kann etwas Blut durchs Verschlucken in den Ma-
gen kommen und ausgebrochen werden, oder der heftige Husten erregt
sympathisch Erbrechen, was auch nicht übersehen werden muss. Bei den
Blutungen aus der Mundhöhle ist die Unterscheidung leicht (s. Haeraor-
rhagia oris). Symptome. Die Vorboten sind hier sowol bei der acti-
Tcn , als bei der erethistischen Form die gewöhnlichen Zeichen der Conge-
htion: abwechselnd Angst, Frost, Hitze, voller harter Puls, Herzklopfen,
sparsamer Urin, beschwerliches Athemholen, besonders beim Inspiriren, Reiz
zum Husten, Bruststiche, Brennen und Wärme unter dem Brustbeine, über-
haupt bei der Pnenmonorrhagia synochica fast alle Zeichen anfangender
Pneumonie; dagegen sind diese bei der Pn. erethistica nicht so bedeu:end,
sondern die spastischen Zufälle mehr hervorstechend, als: blasser, wasser-
heller Urin, Congostion zum Kopfe mit circumscripter Röthe auf den *VVan-
gen, dabei bald kalte, trockne Haut, bald Hitze, besonders in der vola
manus und planta pedis, freijuenter, schneller, kleiner, härtlicher, zusammen-
gezogener Puls etc. Diese Zufälle nehmen bis zum wirklichen Bluthusten zu.
kurz vor dem Eintritt des letztern stellt sich ein meist süsslicher, selten
salzi<Ter Geschmack ein, dabei das Gefühl einer wallenden, kochenden, nicht
unangenehmen Wärme in der Brust, ein Kitzeln in der Luftröhre und im
Kehlkopfe, das dann zum Husten reizt, unter welchem der Blutauswurf selbst
erfolgt. Die Quelle des Bluts sind zuweilen die Bronchialgefässe , häufiger
aber ists eine Secretio sanguinolenta aus den sogenannten Lungenbläschen.
Das Blut ist meist hellroth , also arteriell, wenigstens sieht es beim ersten
Anblicke so aus; was an spätem Tagen ausgehustet wird, ist oft verkohlt,
.sieht daher dunkler aus, was ebenso wenig eine venöse Blutung anzeigt,
als das ausgewaschene Blut, das dem rohen Fleische ähnelt, und auch im
HAEMORRHAGIA 911
Verlaufe unter den Sputis vorkommen kann, auf ausgehustete Lungenstficke
deutet. Zu Anfange kommt meist reines Blut, beim Nachlasse ists mit Schleim
yermischt. Die Quantität beträgt in den meisten Fällen nur einige Esslöflel
voll, in seitnern Fällen ein Pfund und mehr. Dann ist die Respiration stei»
zischend, rasselnd und von sehr unangenehmem, Angst erregendem Tone.
Die Auscultation mittels des Stethoskops zeigt auch bei unbedeutender, lang-
samer Blutung (Haemoptysis) diesen bei Lungenblutsturz (Haemorrhagia pul-
monum) schoii ohne Stethoskop bemerkbaren Ton. Der Verlauf des Übels
ist in den meisten Fällen chronisch, und es bleibt grosse Neigung zu Reci-
diven zurück; bei heftigem Blutverlust kann indessen unter den Symptomen
der Deplelion und Erstickung der Tod folgen. Bei erethistischem Bluthu-
sten ist das Quantum des vergossenen Blutes meist bedeutender als bei der
synochischen Form; es coagulirt nicht so schnell und bildet auch keine so
bedeutende Speckhaut als bei recht activen Blutungen. Die Erleichterung
des Kranken während der Blutung, die Menge des Blutverlustes und seine
ßeschalfenheit dienen zur Diagnose, ob es eine blutige Secretion ist oder
ob es durch Anastomose erfolgte (s. oben). Die paralytischen Lungenblu-
tnngen finden nur bei hohem Grade von Kachexie, bei alten, abgelebten
Leuten , als Symptom der Febris putrida , der Petechien , des Scorbuts etc.
statt. Das Blut sieht schwarz, dünn, aufgelöst, braungelb aus, der Atheia
ist, wie beim Lungenbrande, röchelnd und stinkend; dabei alle übrigen Zei-
ehen der Adynämie und CoUiquation. Der Typus der Hämoptysis ist last
immer intermittirend, die Intermissionen sind meist von unbestimmter Dauer,
kehren indessen zuweilen auch regelmässig wieder, z. B. wenn die Blutung
in den FJxacerbationen der Fieber oder als Haemorrhagia vicaria auftritt.
Bei organischen Fehlern wird das Blutspeien oft habituell, dagegen ist ei
bei mechanischen Verletzungen meist nur von kurzer Dauer, Ursachen.
Verschiedene Dinge geben Prädisposition z« Bluthusten , deren Unterschei-
dung wichtig ist. 1) Eine besondere Anlage dazu giebt der Habitus phthi-
sicus, wo umschriebene Gesichtsröthe (sog. Schwindsuchtrose) neben den
übrigen Zeichen: langgestreckter Wuchs, langer Hals, platte Brust etc.
(s. Habitus und Phthisis) stattfindet. Wir finden hier meist blonde»
Haar, blaue Augen, sehr schnellen Puls, sehr weisse Zähne. 2) Prädispo-
nirt dazu das jugendliche Alter, wenn das kindliche Alter und die damit
verbundene Neigung zu Epistaxis vorüber ist. 3) Einigen Eintluss haben
die Tageszeiten. Die meisten Anfälle des Bluthustens konnuen in der Nacht
oder des Morgens ; im ersten Falle am häufigsten zwischen 2 und 3 Uhr,
im letztern gegen 11 Uhr Vormittags. Veränderter Druck der Atmosphäre
und elektromagnetische Processe können hier von Einfluss seyn. (Nicht blos
Blutungen, auch die Paroxysmen der Gicht, der 'Epilepsie, Hysterie etc.
fallen , merkwürdig genug ! nach meiner Beobachtung häufig in die Stunden
von 2 bis 3 des Nachts, und von 10 bis 11 des Vormittags, wo, nach
Jlansteeii's jahrelangen, trefflichen Beobachtungen die Intensität des Erd-
magnetismus gerade ihr Maximum und Minimum erreicht. Most.y Auch hö-
here 'J.'emperatur des Körpers, in Schlafzimmern, die klein und dumpfig
sind, selbst die niedrige Lage des Körpers, oft auch der Coltus, können
des Nachts Veranlassung geben. 4) Ein fehlerhafter Bau und Deformitäten
des Brustkastens : Buckel, Rückgratskrümmungen, oft mit gleichzeitigen Ver-
wachsungen der Lungen, prädisponiren in einzelnen Fällen zu Blutspeien , in
andern Fällen aber gar nicht ; die verschiedenen Formen von Kyphosis,
Skoliosis und Lordosis machen den Unterschied, indem die Lungen hier bald
mehr ' oder weniger, bald gar nicht durch Beengung des Raums leiden.
5) Am häufigsten finden wir Haemoptysis aus aligemeinen Ursachen , Con-
gestion zur Brust in der Entwickelungsperiode vom Jünglings - zum Man- i
nesalter, also zwischen den Jahren 14 und SO, bei Frauenzimmern am häu-
figsten zwischen den Jahren 14 und 20. Erscheint das Übel erst gegen das
40ste Jahr, so ists gewöhnlich Folge anderer ungeregelter Blutungen, der
Hämorrhoiden, Menstruation, oder Folge organischer Fehler, besonders der
Varicea pulmonum. Gelegentliche Ursachen. Sind gleichfalls selir zahlreich.
942 HAEMORRHAGIA
1) Heftige körperliche Anstrengungen: Heben, Laufen, Schieben, Reitei^
besonders aber starke Anstrengung der Lungen: starkes Schreien, vieles
lautes Reden , wie bei Schauspielern , Declamatoren , Predigern , Ausrufern ;
Commotio cerebri et pectoris durch Sturz , Anstrengungen der Lungen beim
Blasen der Trompete, Posaune etc. 2) Schneller Wechsel der Temperatur,
starke Winterkälte und heisse Stuben, Alles, was Pneumonie macht, kalte,
trockne Nord- und Nordostwinde, welche besonders neben andern gelegent-
lichen Schädlichkeiten: Erhitzung durch Spirituosa, Erkältung, heftige Kör-
perbewegung, etc., active, synochische Lungenblutung erregen. So kann
selbst eine Haemoptysis epidemica durch die Witterungsconstitution begrün-
det werden (^Sydenham, Opp. omn. Sect. VL cap. 7,). 3) Das Ausbleiben
gewohnter Blutungen, der Menses, der Hämorrhoiden (s. Haemor rhoides
und Menstruatio retenta). 4) Zuweilen ist ein tuberkulöser Zustand
der Lungen, wodurch die Blutcirculation in letztern beeinträchtigt wird,
Ursache. Es platzen einzelne Tuberkeln , welche venöses , dunkles Blut
durchs Aushusten entleeren, ohne dass dasselbe lange gelegen hat. Bei
Lungengesc'jwüren und Brustkrebs kann auch per Diabrosin diese Blutung
erfolgen. 5) Müller, Friseurs, Steinmetze, Hütten- und Metallarbeiter lei-
den wegen ihrer den Lungen nachtheiligen Profession nicht selten Ein ere-
thistischen Lungenblutungen. 6) In seitnern Fällen sind Verwundungen den
Brust, Stichwunden, Rippenbrüche die einzige Ursache, und die Disposition
braucht hier gar nicht stattzufinden (s. Fractura costarum). 7) Pneii-
monien haben fast immer einige blutige Secretion (Sputa cruenta) zur Folge.
Bei bedeutenden Lungenentzündungen mit Neigung zum Lungenbrande ent-
steht durch die grosse Quantität des secernirten und aufgelösten Blutes
häufig der Tod durch Erstickung. (Dass der Lungenbrand nicht, we
Laennec behauptet, jedesmal ein dem Anthrax und der Pustula maligna ähn-
licher Morbus sui generis sey, sondern zuweilen auch als schlimmer Ausgang
heftiger Pneumonien erfolge, haben Beobachtungen von Andral, Nicod u. A.
[s. Leipzig. Abhandl. f. prakt. Ärzte. Bd. XH. St. 1. 18i8.] noch neuerlich
wiederum bestätigt; vgl. auch Gangraena interna). 8) Organische Feh-
ler des Herzens und der Aorta, Verhärtungen grosser Abdominaleingeweide,
Schwangerschaft, enge Kleidung bei starker Körperbewegung, z. B. Schnür-
leiber beim Tanze , kurz Alles, was die Blutcirculation in einzelnen Theilen
hemmt und so Congestion in dem schwammigen, lockern Lungenparenchym
macht, kann Blutungen der Lungen erregen. Prognose. Ist mehr schlimm
als gut, weil das blutende Organ ein so höchst wichtiges ist und jede Lun-
genblutung ein Leiden dieses Organs als Folgekrankheit hinterlassen kann,
sowie denn manche Hämoptysis schon auf ein solches schliessen lässt. 1) Die
Gefahr des Verblutens ist nicht gross; freilich sieht das Blutspeien, noch
mehr der Blutsturz, oft sehr gefährlich aus, doch blutet sich der Kranke
nie todt; nur bei einem heftigen Rippenbruche, wo das Rippenstück einen
grossen Theil der Lunge verletzt, sowie bei andern bedeutenden mechani-
schen Verletzungen dieses Organs kann Verblutung und Tod stattfinden
(s. Fractura costarum). 2) Höchst selten erfolgt auf diese Blutung
Erstickung. Nur bei bedeutenden organischen Lungenfehlern oder bei V^er-
wundungen der Lunge mit gleichzeitiger grosser Bewusstlosigkeit, Sopor,
wo der Mensch aus Schwäche oder Unbesinnlichkeit nicht mehr aufhustea
kann , oder bei Coraplication anderer Verletzungen, z. B. der Luftröhre, des
Mundes, besonders bei gleichzeitigem Emphysem, bei organischen Fehlern
des Herzens , des Herzbeutels etc. , ist bei sonst bedeutender Hämoptysis
Erstickung zu befürchten. S) Für sich ist das Blutspeien nicht gefährlich;
aber in sehr vielen Fällen ists ein böses Zeichen von phthisischer Anlage,
von der Gegenwart der Lungentuberkeln und von bald erfolgender Lungen-
eiterung. Dabei ist es höchst wichtig, die Veranlassung der Blutung ge-
hörig zu würdigen. Je bedeutender und heftiger die äussere gelegentliche
schädliche Einwirkung war, eine desto bessere Prognose kann man stellen.
Wenn z. B. Jemand nach starker Körperbewegung, nach einem Sturz vom
Pferde etc. Blutspeien bekommt, so ist dies nicht so gefährlich, ab> wenn es
HAE:\IORilHAeaA 943
Yon selbst , durch eine geringe Veranlassung , z. B. nach einer kleinen Ga-
müthsbewegung , durchs Bücken zur Erde etc. erfolgt. 4) Das Blutspeien
ist um sfr böser, je öfter ein Recidiv kommt, z. B. bei Phthisischen; dage-
gen hat es bei Schwängern, bei Frauen in der Decrepilätsperiode , bei den
Haemorrhoidibus retentis alter Leute weniger zu bedeuten. 5) Die blutigen
Sputa in den ersten 3 — 5 Tagen der Pneumonie bedeuten nichts Schlim-
mes ; sie gehören zum normalen Verlauf der Krankheit ; nur wenn die Sputa
noch gegen den 7ten, 9lcn Tag hin nicht rund, eiterartig (Sputa cocta),
sondern noch Sputa cruenta sind, wenn die andern Krisen im Urine fehlen,
ist \^egen nicht gehöriger Entscheidung der Krankheit, wegen möglicher
Folgen von Lungeneiterung , Verhärtung etc. Gefahr zu fürchten. Über-
haupt ist die bei Fiebern und Entzündungen, aus örtlichen und momentanen
Congestionen der Lunge abhängige, meist active Blutung weniger von Be-
deutung als die erethistische Hämoptysis der jungen Leute mit Habitus scro-
phulosus, tuberculosus, phthisicus. 6) Daher ist auch das Alter des Kran-
ken von Bedeutung. Besonders schlimm ist das Blutspeien in den Pubertäts-
jahren, wo ohnehin die Congestion zur Brust so bedeutend und die Lungen-
gefässe noch nicht kräftig genug ausgebildet sind, zumed wenn phthisische
Anlage vorhanden ist. 7) So\%ie die Quantität des Blutverlustes, besonders
bei Recidiven, die Prognose mit bestimmt, ebenso ist auch die Qualität des
ausge\sorfenen Blutes nicht ohne Bedeutung. Ists hellroth, bildet es bald
Coagulum und eine Speckhaat, so deutet es auf Synocha und Blutsecretion,
wie z. B. bei Blutsturz nach mechanischen Gewaltthätigkeiten; giebt also
eine bessere Prognose, als wenn es hellroth, dünn und flüssig bleibt und in
grösserer Quantität secernirt wird (Zeichen der erethistischen Blutung); am
schlimmsten ist das dünne, aufgelöste, dunkle, missfarbige Blut bei Paralyse
(s. Gangraena pulmonum). 8) Ein hefiiger Husten, ein festsitzender
Schmerz unter dem Brustbeine, bedeutendes Asthma: Umstände, die organp-
sche Fehler vermuthen lassen; ferner starker Eiterauswurf, heftiges, noch
nach der Blutung anhaltendes Fieber mit kleinem, frequentem, spastischem
Pulse, mit Schwindsuchtsrose, Gefühl von Schwäche, Hinfälligkeit, Nacht-
schweisse, sind schlimme Zeichen. Dass ausserdem die Complicationen von
Scorbut, organischen Fehlern und Eiterungen in der Brust, von Pneuraonva
typhosa, Typhus, Febris putrida etc., die schlimmste Prognose bei Lungen-
biutungen stellen, versteht sich von selbst. Behandlung. Ist höchst ver-
schieden, je nachdem es eine »ynochlsche, erethistische oder paralytisch«
Lungenblutung ist. Die herrlichsten und hülfreichsten Mittel bei der ersten
Art tödten bei der letztern und umgekehrt. 1) Bei Haemopdjuis synochica
ist Aderlassen das erste und wichtigste Mittel, gerade wie bei Pneumonie
Man lässt während der Blutung 8, 15, ja 16 Unzen Blut am Arme, beson-
ders bei Robusten, bei starker Oppressio pectoris, starkem Röcheln und
Kochen in der Brust, bei vorhergegangenen mechanischen Schädlichkeiten,
Sturz, Fall, wenn der Kranke durch Überfahren eines Wagens über di«
Brust Blutsturz bekommen hat. Aber auch ohne solche Veranlassungen ist
zu Anfange des Blutspeiens bei sonst gesunden Subjecten das Aderlassen ja
nicht zu versäumen, denn nur dadurch können wir den schlimmen Folgen
am besten vorbeugen. Waren unterdrückte Menses, Hämorrhoiden Schuldi,
so zieht man die ^'enaesection am Fnsse vor; setzt auch wol Blutegel an
die Schenkel. In andern Fällen können letztere deis Aderlassen nie ersetzen
und die Broussais'sche Blutegelpraxis hat durch Versäumuiss des Aderlassena
bei Blutspeien und Pneumonie viel zu verantworten. „Würde es nur ein«
Methode geben das Blutspeien zu behandeln , sagt mit vollem Rechte Himhj,
80 würden sich beim Aderlassen mehrere Kranke besser befinden als beim
Opium und bei den Säuren;" allerdings, denn die synochalen und erethisti-
schen Lungenblutungen kommen am häufigsten vor. Hinterher geben wir
Nitrum mit Tart. vitriolatus in Emulsionen, später erst Salmiak (weil er
anfangs zu sehr zum Husten reizt). Auch die vegetabilischen Säuren dienen
zu Anfange nicht rein, sondern in schleimigen Vehikeln , z. B. I^ Sal. essen-
iinl. tnrUiri öih M' ^'''<^^ idaci ^\'}% Alle '^ Stunden 1 Esslöüei voll in
944 HAEMORRHAGIA
Haferschleim. Vor dem frühen Gebrauche der Mineralsäuren, des Zixnmts,
des Opiums hüte man sich. Dagegen passen laue Hand- und Fussbäder,
revulsorische Mittel, Epispastica an die Füsse, auf die Brust, eröifnende
Klystiere- Höchst gefährlich sind äussere kalte Umschläge von Essig, Was-
ser etc. auf die Brust; sie können heftige Pneumonie durch plötzliches Un-
terdrücken der Blutung erregen , besonders wenn diese durch starke Er-
lützung veranlasst wurde; nur wo der Blutsturz ungeheuer stark ist, wo
schon mehrere Pfunde Blut verloren gegangen sind , wo also Indicatio vita-
lls jede andere Rücksicht verdrängt, dürfen wir sie, als leidige Rettungs-
inittel für den Augenblick, anwenden. Hier mögen denn auch innerlich kal-
tes Wasser, Mineralsäuren gereicht werden. Die Diät ist die allgemeine der
Haemorrhagia synochica (s. oben). Der Kranke niuss mehr sitzen als lie-
gen , sich höchst passiv verhalten , Alles , w as die Sinne und das Gemüth
reizt, vermeiden, kühle, reine Luft athmen, viel schleimige Dinge: Emuls.
sem. papav., amygdalar., Decoct. rad. althaeae etc., zu sich nehmen und alle
heissen oder ganz kalten Getränke vermeiden ; auch alle enge Kleidung ab-
legen und keinen Tabak rauchen. <J) Bei Uaemopiijsis erethislica ist ein klei-
ner Aderlass von 4 — 6 Unzen zu Anfange in den meisten Fällen gleichfall»
nothwendig , besonders wenn es Secretio sanguinolenta ist. Versäumt man
den hier so treiflich wirkenden revulsorischen kleinen Aderlass, so wird di«
Blutung durch Übergang von der Blutsecretion in Haemorrhagia per Ana-
stomosin oft sehr coplös. Bei Neuheit des Übels , bei starken Blutcongestio-
nen, unterdrückten Regeln und Hämorrhoiden zögere man ja nicht damit.
Nach dem Aderlass oder, wo dieser nicht nöthig war, gleich anfangs, sind
Säuren innerlich, mit vielem Haferschleim vermischt, unentbehrlich (s. oben
Haemorrhagia); desgleichen bei Convulsionen besonders Opium, z. B.
Tinct. opii zu 2 — 6 Tropfen, Extr. hyoscyami oder Ol. hyoscyami gj, Ol.
amygdal. dulc. gjj. Täglich zweimal 2 — 3 Theelöffel voll {Harless) , vor-
züglich aber die Digitalis, am besten aber in folgender Verbindung: iy Tinct.
ofui simpl. 5ll> — digital. 5jj- M. S. Abends und Morgens 10, 15 — 20 Tro-
pfen. Auch wirkt hier folgendes Pulver sehr gut: I^ Caslorei gr. jj , Herb,
digit. purp. gr. j , Tart. tartarisai. gr. vj , Gumm. arab. , Sacchnri albi ana
■^1^. M. f. p. S. Dreimal täglich ein Pulver mit Wasser (^Most). Die bei
Metrorrhagien so vortreffliche Ipecacuanha eiTegt leicht Erbrechen; auch
Nicoliana, Arnica und Senega, desgleichen Kampher und Moschus passen
hier durchaus nicht. Wir haben es hier mit Lungeublutung zu thun ; Alles,
was Magen und Lunge reizt, schadet, und gegen das symptomatische Spa-
stische haben wir Opium, Digitalis und Castoreum, auch das Infus, valeria-
nae, die ohne schädliche Nebenwirkung vollkommen hinreichen. Den Reiz
zum unnöthigen Husten mildern wir am besten durch Extr. hyoscyami,
Opium, Mucilaginosa und Oleosa. Letztere schwächen indessen, anhaltend
gebraucht, leicht den Magen. Revulsorische Mittel: reizende Fussbäder,
Senf- und Meerret tigteige an die Füsse, auf die Brust, an die Oberarme
sind sehr nützliche Nebenraittel. Mit den äussern kalten und den innerlich
stopfenden Mitteln sey man auch bei dem erethistischen Blutspeien sehr vor-
sichiig; besonders nachtheilig ists bei Habitus phthisicus, wo die schlimmen
Folgen davon nie ausbleiben. Nur bei Indicatio vitalis dürfen wir hier zu
kalten Getränken , kalten Umschlägen greifen. Bei spastischem Reizhusten
verordnen wir Linim. volat. camph. mit Ol. hyoscyami und Laudanum zum
Einreiben in die Brust, vermeiden aber die sonst nützlichen antispasmodi-
.schen Fomentationen , weil sie die Brust durch mechanischen Druck oppri-
liiiren und dem Kranken stets lästig sind. 3) Bei Haemoptgsis parahjtica als
Symptom bösartiger Fieber passen vorzüglich grosse Dosen Mineralsäuren
mit China (s. oben Haemorrhagia paralytica), im Scorbut besonders
Myrrhe, Kino, Terra catcchu , Alaun, schwefelsaures Eisen und Kupfer,
z. B. 1^ Vitrioli coerulei gr. xv, A(f. destill. Ü]], Gumm. arab. 5jj- M. S.
Stündlich y, — 1 Esslöffel voll. Dabei behandle man das Grundübel, den
Scorbut, den Typhus, das Faulfiober , wo also innerlich Serpentaria, Se-
nega, Arnica, Kampher, Moschus, Bals. vitae Hoffm. , Tinct. zingiberis.
HAEMORRHAGIA 9-15
ciiinamoini , myrrhae, Wein etc, nothwendig sind. Ausserdem wende man
äusserllch reizende Mittel : Linim. volat. canijWi. , terebinth., mit Tinct. can-
tharidura zu Einreibungen, und die kräftigsten adstringirenden und stypti-
schen Mittel: starken Essig, verdünnte Schwefelsäure, Solut. vitrioH coerulei,
aluminis in Form kalter Umschläge auf die Brust an. Die revulsorisohen
Mittel finden hier keine Anwendung ; die Diät muss reizend und kräftig seyn
(s. Haemorrhagia paralytica). — Ausser der wichtigen Indication,
die Hämoptysis ihrem Charakter nach zu behandeln, wie eben gezeigt wor-
den , ist eine zweite Anzeige die Hebung der entferntem Ursache ; eine
dritte: Verhütung der Recidive; eine vierte: Berücksichtigung der Compli-
cationen. Alle diese Indicationen erfüllen wir durch zweckmässige diäteti-
sche und pharraaceutische Mittel sowol während der Blutung als bei der
Reconvalescenz , wie dieses aus folgenden praktischen Cautelen näher her-f
vorgeht, a) Die Zimmerluft des Kranken muss weder zu kalt, noch heiss
seyn. Sie muss nicht durch Staub , Sand , Auskehren etc. verunreinigt wer-
den, ft) Alle Anstrengungen der Lungen durch lautes Reden, alle reizende
Speisen und Getränke sind, die seltene paralytische Hämoptysis ausgenom-
men, sorgfältig zu vermeiden, c) Haeraoptysis habitualis finden wir am häu-
figsten bei Schwindsüchtigen; nur die radicale Cur der letztern, die freilich
meist pium desiderium ist, vermag sie radical zu heilen (s. Phthisis pul-
monalis). d) Bei Blutspeien wegen Pneumonie oder als Haemorrhois et
Menstruatio vicaria passen innerlich keine Mineralsäuren, sondern Mucilagi-
nosa. Oleosa neben Aderlassen, Blutegeln ad anum etc., bei synocliischem
Zustande auch Nitrum. e) Die unmittelbare Beseitigung der Blutung, die
allerdings uns im Anfalle der Hämoptysis beschäftigt und mit gehöriger Vor-
sicht und Rücksicht auf das Grundübel und die Folgen beschafft werden
muss, ist ganz und gar nicht die Hauptsache. Der wichtigste Gegenstand
der Cur ist die Behandlung im Zeiträume der sogenannten Reconvalescenz
oder richtiger im Zeiträume, wo das Lungenübel oder jedes andere Übel,
wovon das ßlutspeien nur das Symptom ist, ohne Haemorrhagia pulmonum
unsere ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht. Hier giebt es verschiedene Zu-
stände, a) Die Constitution ist plethorisch, die Anlage zu synochischer
Hämoptysis da. Vermeidung alles dessen, was Congestion macht, magere
Diät, vegetabilische Kost, Vermeidung schnellen Temperaturwechsels, hef-
tiger Körperbewegungen , der Anstrengung der Lungen , aber viel Wasser-
trinken, Sorge für gute Leibesöffnung durch gelinde kühlende Laxanzen:
Sal Glauberi, Tamarinden, viel Limonade, aber kein Bier, keinen Wein,
keine Gewürze, im Nothfall einen Aderlass ; diese Mittel sind hier Haupt-
mittel. Auch das Kochsalz, dreimal täglich ^j in Pulverform, wirkt hier
ganz vortrefflich, indem es die Leibesöffnung befördert und zum Wassertrin-
ken nöthigt. Die mittlem und niedern Stände glauben nicht an die wohl-
thätigen Wirkungen des Wassertrinkens ; ja Viele haben eine wahre psychi-
sche Wasserscheu. Hier verordne ich Syr. rub id., wovon alle 2 Stunden
1 Theelöffel voll, mit einem Glase Wasser gemischt, genommen werden muss.
/8) In den meisten Fällen ists Haemoptysis erethistica bei Dispositio phthisica.
Auch hier muss das ganze Regimen streng kühlend, die Nahrung nicht rei-
zend, nicht erhitzend, sondern gutnährend und leicht seyn (vegetabilische
Kost, Milchdiät, Landluft). Alles, was die Congestion zu den Lungen ver-
mehrt, muss streng vermieden werden. Linerlich passt hier besonders Digi-
talis mit Crem, tartari. Litt die Nutrition durch den Blutverlust, ist det
Kranke mager, sensibel, sehr reizbar, so thut die China im Decoct, das
Chinin, neben leichten Fleischsuppen herrliche Dienste (M); auch die Ex-
Iracte von Card, bened. , Trifol. , Quassia , mit Vorsicht die Stahlbrnnnen
von Spaa, Schwalbach, Driburg, Pyrmont leisten hier sehr viel. Mit dem
innerlichen Gebrauche der Eisenpräparate sey man ja recht vorsichtig.
Junge Subjecte mit Habitus phthisicus vertragen sie höchst selten, wegen
ihrer reizenden Wirkung aufs Blutsystem. Laue Bäder, anfangs antispasmo-
dische, später Salzbäder, besonders wenn die Phthisis sich aus Scropheln
entwickelte, zuletzt Lohe- und Stahlbäder, sind nicht zu vernachlässigen
Most Encyklopädie. 2tc Aufl. I. QQ
946 HAEMORRHAGIA
(s. Phthisis, Scrophulosis). y) Nach paralytischem Blutspeien pas-
sen zur Nachcur besonders China, Cascarille, Angusstura, Ziuimt, Pomeran-
zen, Ingwer, Balsania natiiralia und vorzüglich die Eisenpräparate (s. Amara).
Nicht selten sind die Lungen höchst reizlos , es sammelt sich übermässig
Schleim darin an, w\e bei ßlennorrhoea chronica. Hier dienen Flor, benzoes
mit Sulph. aurat. , Senega, Squilla, Tinct. guajaci volat. , Asa foetida.
f} Endlich giebt es auch noch eine Menge empirischer Mittel , die bei
Häraoptvsis in besonderm Rufe stehen. Dahin gehören mi) grosse Dosen
Nitriim. Sie passen in sehr vielen Fällen bei synochischem und erethisti-
schcm Blutspeien zu Anfange der Krankheit und bei jungen Subjecten.
Es giebt Fälle bei letzterer Art, wo sie die Venaesection entbehrlich ma-
chen. Am besten bekommt das Nitrum mit Decoct. rad. althaeae und Ha-
ferschleim. 66) Sperma ceti verordneten häufig ältere Ärzte in Auflösung,
z. B. 3jj in 8 Unzen Wasser gelöst und mit Eidotter abgerieben. Es wirkt
ausserordentlich schmerzlindernd bei heftigen Brustschmerzen und kann durch
die Öle von Mandeln, Mohnsamen etc. nicht ganz ersetzt werden (iW.) , da-
her dies Mittel mit Unrecht als obsolet betrachtet wird, cc) Tägliche Kly-
stiere eröffnender und reizender Art passen vorzüglich, wenn das Blut-
speien mit Hämorrhoidal - und Menstrualataxien zusammenhängt, dd) Florcs
zi7ui und Sacchaium snlurni hat man mit Nutzen bei chronischem Blutspeien
alter Schwindsüchtiger gebraucht. Bei hoher Receptivität müssen diese Mit-
tel aber mit Opium verbunden werden, ec) Vitrioltim mariis. Passt nur bei
lebensgefährlichen paralytischen Lungenblutungen , p. d. 2 Gran alle 1 — 2
Stunden in Haferschleim. Bei synochischen und erethistischen Blutungen
würden wir schlecht damit fahren. /^') Snl ammonincum. Man giebt alle
2 Stunden y] — 5l^ mit Pulv. liquiritiae, beharrlich fortgesetzt, bei erethi-
stischem , bedeutendem, Gefahr drohendem Blutsturz, wodurch der Blutung,
den Recidiven und B^olgekranklieiten oft gesteuert wird (^Sparigenherij, Fischer,
cfr. nuf^hiiid's Journal, 1827. Febr. S. 117 — 128); selbst da, wo Mineral-
säuren fruchtlos waren, leistete er zur Stillung des Bluts noch gute Dienste.
«/</) Sympathetische Mittel. Sie sind beim Blutspeien, sowie bei vie-
len andern Hämorrhagien nach meinen zufälligen Beobachtungen oft recht
wirksam; z, B. man bindet ein rothes Band um beide Hände, man bespricht
das Blut etc. Das Mittel wirkt durch veränderten Nerveneindruck und auf
psychische Weise. Ebenso sah ich von erregter Furcht, von plötzlichem
Schrecken Blutungen augenblicklich stehen.
Hnemorrhtigia retunn , s. Haeniaturia.
Hnemorrhayin scorhutica, s. Haemorrhagia paralytica und Scor-
butus.
Haemorrhagia sthcnica, active, sthenische Blutung, s. oben Haemor-
rhagia s y n o c h i c a.
Haemorrhagia synochica, synochischer Blutfluss. Ist schon oben
beschrieben worden; s. Haemorrhagia.
Haemorrhagia trachene, Trachcorrhagia , Blutung aus der Trachea, s.
Haemorrhagia pulmonum. Entstand diese Blutung durch Verwun-
dungen, durch verschluckte fremde Körper oder durch die Operation der
Laryngo- oder Tracheotomie, ward die Arteria thyreoidea superior oder in-
ferior z. B. beim Halsabschneiden der Selbstmörder verletzt, so müssen diese
Gefasse, sowoi Arterien als Venen, ist die Blutung bedeutend, unterbunden
werden; ist sie nicht bedeutend, so ist der Blutfluss oft selbst nützlich,
a. B. bei Laryngotomie.
Haemorrhagia urethrae, Harnröhrenblutung, s. Haematuria stil-
latitia.
Haemorrhagia uteri, Metrorrhagia , Metrorrhoea sanguinolcnta, Hijsteror-
rhagia, der Gebärmutterblu tfluss, die Mutterblutung. Ist jeda
krankhafte Blutung aus den Innern weiblichen Genitalien , verschieden von
dem Menstrual- und Lochialblutfluss, dessen Ataxien freilich zur Metrorrha-
gie führen können. Jede krankhafte Blutung aus den Gelassen des Uterus
und der Vagina (Haontorrhagia uteri sensu ülxictiori und Haem. vaginae ücu
HAEMORRHAGIA 947
Cotporrhagia) , die Qualität und Quantität des abgehenden Blutes mug^
seyn wie sie wollen, z. B. Menstruatio niinia, profusa etc., gehören hier-
her; also jeder Blutfluss dieser Organe mit Störung des relativen Wohlbe-
findens des Individuums. Die Quelle des BIuLes sind meist immer die Ge-
fässe des Uterus, seltener die der Vagina allein, häufiger noch beide zo
gleicher Zeit. Demnach sind die Erscheinungen der Metrorrhagie und Col-
porrhagie, wie die Cur beider, sich gleich und dieselben (^Hnase). Dia-
gnose. Ist leicht; denn fast immer fliesst das Blut aus ( Metrorrhagia
aperta), und die Fälle, wo es sich im Uterus sammelt oder gar in die
Bauchhöhle tritt, z. B. bei V^ulva clausa, bei Ruptura uteri, sind selten;
doch kann auch Placenta praevia, der vorliegende Kindeskopf, Spasmus
orificii uteri, Blutcoagulum, das Blut im Uterus zurückhalten. Die Sym-
ptome der Metrorrhagia occulta, interna sind: dumpfer Schmerz am Orte
der Ergiessung, Auftreibung des Unterleibes, kleiner, schneller, schwacher
Puls, Gesichtsblässe, Ohnmächten, kalte Extremitäten und die übrigen Zei-
chen eines jeden starken Blutverlustes (s. oben). Die Symptome der
Metrorrhagie im Allgemeinen sind sehr verschieden nach den verschiedenen
Ursachen und der Art nnd dem Charakter des Blutflusses; nur der letztere
ist das allgemeinste und constanteste Symptom. Seine Quantität beträgt
bald nur einige Unzen, bald mehrere Pfunde, die Farbe des Blutes ist bald
rothlich, arteriell, bald dunkel, venös, carbonisirt; bald gehen, wie bei
activen Metrorrhagien, Vorboten vorher, bald fehlen dieselben. Aus diesem
Grunde gehe ich sogleich zu den verschiedenen Arten der Mutterblutung,
die sich auf den Charakter, die Entstehungsweise und die Ursachen des
Übels gründen, über. 1) Metrorrhagie durch Blutsecretion. Sie
kommt am seltensten vor ; vorher gehen die Symptome der Congestion nach
«Jen Geschlechtstheilen : Schwere in den Beinen, Druck, Spannung, Schmerz
im Kreuze, Lendenziehen, etwas Strangurie, Hitze und Aufgetriebenheit des
Unterleibes, erhöhter Geschlechtstrieb, Anschwellung der Genitalien etc.
Alsdann sondert sich zuerst eine gelblich -schleimige Feuchtigkeit ab, di«
allmälig röther wird und wo zuletzt reines arterielles Blut abgeht, das lang-
sam, in Absätzen, und ohne tumultuarische Zufälle, meist auch nur in ge-
ringen Quantitäten, secernirt wird. ^ Fliesst das Blut wegen Hinderniss nicht
aus , so bildet es im Uterus ein Coagulum , später wie eine fleischige , po-
lypöse Masse aussehend, und wird durch Wehen ausgestossen. Hört diese
Art Metrorrhagie auf, so folgt Erleichterung aller Zufälle, sanfter Schweiss
und Schlaf; so lange der Puls aber noch hart, voll und geschwind ist, die
krankhaften Gefühle in den Genitalien und die Kreuz- und Rückenschmer-
zen sich nicht gelegt haben, kann man die baldige Wiederkehr der Blutung
v«rmuthen. 2) Metrorrhagie durch Anastomose. Sie hat die Sym-
ptome der erethistischen Blutungen. Vorboten sind: Schauder, Frösteln,
abwechselnd Hitze, spasmodische und kleine febrilische Zufälle, abwechselnd
bald blasses, kaltes, bald rothes, heisses Gesicht, kalte Hände und Füsse,
Sinnestäuschungen, drückender Kopfschmerz, Kreuzschmerzen, Auftreibung
des Unterleibes, Stiche im Mastdarm und Perinaeum ; kleiner, zusammenge-
zogener, unregelmässiger, oft intermittirender Puls, exaltirte Phantasie, mit-
unter selbst kleine Delirien, hohe Reizbarkeit und Empfindlichkeit der Sinne,
Herzklopfen, Nausea, Vomitus, Kardialgie, Husten und andere sympathi-
sche spasmodische Zufälle , heftiges Drängen , spannender Schmerz und Hitze
im Uterus, wobei die äussere Haut des Körpers oft ganz kalt wird, die
Glieder zittern und die Kranke kalt schwitzt Der Blutfluss ist weit stär-
ker als bei Nr. 1, er erleichtert fast nie, vermehrt dagegen alle heftigen
vorangegangenen Zufälle ; es können bei bedeutender Blutung die fürchter-
lichsten Krämpfe, Ohnmächten, Marmorkälte der Gliedei', Sopor, ja Schein-
tod durch Depletion entstehen. Auch wenn die Blutung vorüber ist, befin-
det sich die Kranke immer weit schwächer und abgespannter als bei andern
Blutungen der Art. Die Metrorrhagie durch Anastomose kommt sehr häufig
vor; sie hat den erethistischen Charakter, der überhaupt bei Mntterblut-
iiüssen , mit Einschluss des paralytischen , am öftersten gefunden wird.
60»
918 HAE'tlORRIIAGIA
5) Metrorrhagie durch Paralyse. Sie hat alle Symptumc der Hae-
Kiorrhagia paralytica und koiiuuL sowol mit aU ohne Fieber vor; z. B bei
Febris putrida, bei Scorbut , Blutfleckenkrankheit. Schwammige, aufgedun-
sene, leukophlegmatische Weiber mit Atunie der Abdominaiblutgefiisse lei-
den, besonders nach überstandenen schweren Geburten, am meisten daran.
4) Melrorrhagia non gravidarum. Im ungeschwängerten Zustande erscheint
dieselbe bald als Menstruatio praematura, bald als Menstruatio nimia oder
aia Älenstr. serotina und profusa in der Periode der Decrepität (s. diese Art.),
5} Melrorrhagia gravidarum. Zuweilen haben Schwangere noch ihre Regeln,
am häuiigaten \\\ der ersten Hälfte der Schwangerschaft. Sie erscheinen
pciiodiäch zur bestimmten Zeit, die Blutung ist gering, stört das Wohlbe-
finden sehr wenig, der Muttermund ist dabei verschlossen etc. Diese Blu-
tung ist kein Gegenstand der Pathologie. Die häufigsten Ursachen der wah-
ren Melrorrhagia gravidarum sind: «) in der ersten Hälfte der Schwanger-
fcciiaft Alles, was Fehlgeburten macht (s. Abortus); by in der zweiten
Hälfte der Schwangerschaft Placenta praevia und Partus praematurus.
6) Melrorrhagia parturientium et puerperarum. Der Mutterblutfluss während
oder nach der Entbindung entsteht am häufigsten durch örtliches Leiden de»
Uterus, ist oft sehr stark, so dass, wenn nicht schnelle Hülfe geleistet wird,
der Tod durch Verblutung erfolgen kann. Ursachen. Diese Blutung ent-
siehi während der Entbindung n) durch zu frühe, theiUveise oder gänzliche
Treuiumg der Placenta , wo dann bei vorliegendem Kopfe oder Steisse des
Kindes das Blut nicht abCiiesst, sondern den Uterus auftreibt, die Wehen
nachbleiben und alle Zufälle einer Innern Blutung : kleiner Puls, kaltes Ge-
sicht, kalte Glieder, Ohnmächten, Convulsionen etc. erfolgen; 6) durch Zer-
reibsung des Nabelstranges vor der Geburt; c) durch Ruptur eines Varix
im Uterus; d) durch Zerreissung der Gebärmutter. Gleich nach der Ent-
bindung gehört der Blutabgang bei der Geburt des Kindes, wie bei der
Lostreunung der Placenta , zum normalen Hergange des Gebui'tsgeschäfts.
Die schnell folgenden Contractionen des Uterus stillen diese Blutung in we-
nig Augenblicken. Ist aber der Uterus vorgefallen , oder befinden sich
fremde Körper : abgerissene Theile des Kindes , Reste von Eihäuten oder
von der Placenta, darin, oder ist Placenta clausa zugegen, so dass die Con-
tractionen nicht gehörig oder gar nicht erfolgen können , so entsteht diese
Art der Metrorrhagie. Häufig erfolgt sie auch aus reiner Atonie und Läh-
mung des Uterus, aus Mangel an Kraft zu Contractionen, welche Atonie,
wenn sie allgemeh» ist und sich nicht blos auf einen Theil des Uterus be-
schränkt, die fürchterlichsten Blutungen und den Tod binnen wenigen Mi-
nuten erregen kann. Besonders schlimm ists hier, wenn die Placenta schon
vor Eintritt der heftigen Blutung abgegangen war. Die Ursachen sind hier:
schlaue, schv>ache, kachekiische Constitution, übermässige Ausdehnung des
Uterus durch Zwillingsschwangerschaften, grosse Pla:en a, viel Kinds w asser,
besonders aber eine sehr schwere oder sehr schnell erfolgte Entbindinig.
7) Metrorrhagie als Folge organischer Krankheiten. Ausser
der Zeit der Katamenien, der Schwangerschaft und der Entbindung sind
Blutungen aus Uterus und Vagina nicht selten Symptom von Carcinoma
uteri, Polypen und andern Gewächsen und organischen Fehlern der Innern
Geschlechtstheile (s. diese Artikel), die bald der Diaeresis , bald der Rhexis
oder Diab^•o^is ihr Entstehen verdanken. 8) Metrorrhagie als Sym-
ptom der Metritis. Kann oft kritisch und wohlthätig seyn (s. In-
t'lgiinaiatio uteri).
Ursachen der Metror.'hagien. 1) Das Übel ist rein topisch, eine ört-
liche Krankheit des Uterus, z. B. entstanden durch mechanische Verletzun-
gen, durch rohe Hebammen, Geburtshelfer, durch heftige Körperanstren-
gung: Heben schwerer La.sten , übermässige Anstrengung bei der Geburt,
durclt mechanische Hindernisse in der Circulation , durch Verhärtungen iin
ßf'cken, harten Daimunrath, oder durch Geschwüre, Scirrhus , Krebs de«
I torus, durch Polypen, Steatome. 2) Bei Schwangern ist vorzüglich par-
tielle oder allgemeine Trennung des Eies und der Placenta , also Abortus
HAEMORRHAGIA 949
Ursache. S) Bei Gebärenden am häufigsten 7^^ frfihe Trennung der Placenta,
Zerreissung eines Varix, des Nabelstranges vor erfolgter Entbindung, sel-
tener Ruptura uteri. 4) Nach der Entbindung am häufigsten Schwäche nnd
Lähmung des Uterus, Placenta clausa, Spasmus uteri, später zu frühes Auf-
stehen aus dem Wochenbette; ausserdem geistige Getränke, erhitzende Arz-
neien und hoher Temperaturgrad während der Wochenzeit. 6) Wenn die
Menstruation vor Alter ausbleiben will, so schlägt sie oft einen Monat über,
es entsteht statt ihrer die sogenannte fliegende Hitze. Dann kommt auf ein-
mal eine sehr profuse Menstruation, wo ein kleiner Aderlass und Minerai-
säuren mit etwas Opium und Zimmt herrliche Dienste thun. 6) Häufig sind
Metrorrhagien rein dynamischen Ursprungs, hervorgegangen aus allgemeiner
Anlage zu Blutungen. Ihre nächste Ursache ist Erethismus oder Paralyse
der Uteringefässe , höchst selten Synocha. Nur bei robusten Weibern, bei
Diathesis phlogistica, wenn zur Zeit der Dccrepität durch nährende, ge-
würzhafte Kost, durch hitzige Getränke Metrorrhagie entstand, kann sie an-
fangs den synochischen Charakter haben und der Kranken Erleichterung
verschaffen. Die erethistische Mutterblutung finden wir am häufigsten bei
schwächlichen, hysterischen, an Fluor albus leidenden Frauen, und die Dis-
position dazu kann erblich, angeboren oder durch schädliche Einflüsse und
solches Regimen erworben seyn. Disposition zu Mutterblutflüssen giebt er-
höhte Reizbarkeit des gesammten weiblichen Körpers, besonders der Geni-
talien , wie bei schwächlichen , hysterischen , magern , blassen Personen , bei
Vita sedentaria , Onanie, wodurch leicht erethistische Blutungen erfolgen.
Dagegen machen fehlerhafte Lagen des Uterus, besonders bei reizlosen,
schwammigen, phlegmatischen Frauen leicht Blutungen des Uterus mit pa-
ralytischem Charakter. Organische Krankheiten des Uterus, unterdrückte
Hämorrhoiden und eine reizende, erhitzende Lebensweise begünstigen gleich-
falls die Anlage zu diesen Blutungen. Wollüstige Ausschweifungen, Miss-
brauch geistiger, reizender Getränke, Enimenagoga, heftige excitirende
Affecten, Metritis, Erysipelas genitalium, starke Körperbewegungen, in
seitnern Fällen inflammatorische Fieber, erregen bei robusten Frauen im
mittlem Lebensalter am häufigsten synochische, kritische Metrorrhagien, die
bis zu einem gewissen Grade als heilsam zu betrachten sind. Sie nehmen
aber bald, wenn sie irgend bedeutend waren, den erethistischen Charakter
an und erfordern dann die unten angegebenen innern Mittel. Die paralyti-
sche Metrorrhagie erregen vorzüglich unreine, feuchte, kalte Luft, feuchte,
enge, dumpfe Wohnzimmer, Vita sedentaria, träges, luxuriöses Leben, zu
warmes Verhalten der Genitalien, langes Schlafen, Missbrauch der Kohlen-
becken, deprimirende Affecten , viel schleimige, pappige, fade, mehlige Nah-
ning, grosser Säfteverlust durch häufige Laxanzen , Aderlässe, besonders
durch öftere frühere Metrorrhagien, Abortus, Fluor albus etc. Prognose.
Jede bedeutende Metrorrhagie muss wegen des grossen Blutverlustes,, wegen
ihrer Folgen hinsichtlich der gestörten Nutrition und Assimilation, wegen der
zu grossen Neigung zu Recidiven und wegen anderer schlimmen Zufälle als
eine höchst wichtige Krankheit betrachtet werden. 1) Die aus örtlichen
Ursachen, organischen Fehlern und Verletzungen entstandene Metrorrhagie
ist schlimmer als die aus reinen dynamischen Missverhältnissen entstandene,
weil wir die Ursache der erstem oft gar nicht entfernen können. 2) Die
Metrorrhagia synochica ist oft kritisch und giebt dann eine günstige Pro-
gnose; die Metrorrhagia erethistica ex secretione sanguinolenta orta ist, weil
der Blutverlust massig und also keine Folgen des Verblutens eintreten, auch
nicht sehr schlimm; aber sie hinterläs.'^t Neigung zu Recidiven, wodurch das
Übel oft chronisch wird. Gefährlicher ist die Metrorrhagia erethistica per
Anastomosin; denn der Blutverlust ist hier schnelle- und grösser, die spas-
modischen Beschwerden sind bedeutender; und folgt bei zeitiger Hülfe auch
höchst selten der Tod durch Depletion, so hinterlässt sie doch, besonders
durch die häufigen Becidive, leicht Hektik, Wassersucht und organisch©
Fehler des Uterus. An letztern sind vorzüglich die voreiligen Ärzte Schuld,
wenn sie die Blutungen durch kalte Einspritzungen stopfen. Die Metrov-
950 HAEMOPtRHAGIA
rhag'ia paralytica ist am allerschlimmsteii ; sie tödtet oft plötzlich durch
Verblutung oder nimmt, wo sie symptomatisch bei Scorbut, Blutflecken-
krankheit etc. auftritt, einen chronischen Verlauf und tödtet durch höhern
Grad von Kachexie. 3) Weiber in der Periode der Decrepität ertragen am
leichtesten bedeutende Metrorrhagien ; junge und ganz alte Subjecte weit
weniger. 4) Die Menstruation während der Schwangerschaft, wo die Blu-
tung aus der Vagina als eine vicarürende anzusehen ist, hat man ohne Nach-
theil für Mutter und Kind häufig beobachtet. 5) Wegen der grössern Ge-
fahr der Verblutung sind alle plötzlich entstehenden Mutterblutflüsse schlim-
mer als die, welche allmälig erfolgen. 6) Je höher die Nervenreizbarkeit
der Kranken, je stärker die Convulsionen oder der folgende Sopor, die Ohn-
mächten und die übrigen Zeichen der Verblutung sind, desto lebensgefähr-
licher ist die Blutung. 7) Jede noch so geringe Metrorrhagie der Schwan-
gern ist bedeutend und meist immer Vorbote des Abortus. Sie ist um so
schlimmer, je weiter die Schwangerschaft vorgerückt ist, ferner wenn Pel-
lentia, Abortiva einwirkten, wenn organische Fehler des Uterus Schuld sind.
Wird die Blutung auch gestillt und der Abortus verhütet , so stirbt doch
die Frucht im Mutterleibe leicht ab. 8) Höchst gefährlich ist die Metror-
rhagie während der Entbindung, besonders ^^enn die Placenta concentrisch
auf dem Muttermunde sitzt oder sich im Fundus uteri zu früh löst. Eine
Ruptura uteri completa ist absolut tödtlich, eine incompleta vernarbt zuwei-
len, hinterlässt aber dann oft noch organische Fehler des Uterus, Neigung
zu Abortus, Blutimgen, Vereiterungen. 9) Auch die Metrorrhagie gleich
nach der Entbindung, entstanden durch ungleiche Zusammenziehungen des
Uterus, ist schlimm, wenn man die Ursache: Placenta incarcerata, adhae-
rens, lacerata, nicht schnell heben kann. Am schlimmsten ist die Metror-
rhagie aus allgemeiner Atonie und Paralyse des Uterus. Cur. 1) Bei der
Metrorrhagia synochica, die selten vorkommt, können wir uns passiv ver-
halten. Ruhe, horizontale, kühle Lage, säuerliche Getränke, Crem, tartari
sind hinreichend. Bei starken, robusten Personen mit vollem, hartem Pulse,
besonders wenn etwas Febrilisches da ist, bei Metritis incipiens dient Ader-
lass, Nitrura in Emulsion. Ist dies nicht der Fall, ist die Blutung bedeu-
tend, so nimmt sie bald den erethistischen Charakter an und erleichtert
dann gar nicht mehr, sondern es stellen sich die spasmodischen Beschwer-
den etc. ein. Hier passt besonders Ipecac. in refr. dosi und Sal culinare
(Af.), später Elix. acid. Halleri mit Tinct. opii und Tinct. cinnamomi (s.
Nr. 2). 2) Bei Metrorrhagia erethistica wirkt specifisch: R» Elix. acid.
Halleri 5jj|l, Latidnn. liquid. Syd. 5ß , Tincl. ciimamomi gj. M. S. Alle
Vi — 1 Stunde 2j, 30 — 50 Tropfen in Haferschleim. Bei sehr hohen Gra-
den der Reizbarkeit passt: ^r Cttslorei opt, gr. iv, Rad. ipecac. gr. jj, Opii
puriss. gr. j, Elaeos. cinn(t7nomi 5jj- M. f. pulv. divide in xjj p. aequal. S.
Alle 74) Vz — 1 Stunde ein Pulver mit Wasser. Besonders wirksam sind diese
Pulver, wenn der Puls höchst klein, ungleich und zusammengezogen, die
Gesichtsfarbe blass , die Haut kalt und trocken , der Urin was.-serhell ist,
■wenn die Blutung bei gracilem, zartem Körperhabitus stattfindet. Hier
wirkt auch, abwechselnd mit obigem Pulver gereicht. Folgendes sehr gut:
1^ Herb, digital, purpnr. gr. j. Crem, tartari, Sacchari albi ana ^(s. M. f.
p. disp. dos. xjj. S. 2 — 3mal täglich ein Pulver mit Wasser (M.). Es giebt
indessen Fälle, wo wir, wie unten angegeben, den Zimmt bei frischen Blu-
tungen der Art vermeiden, alles Erhitzende untersagen und selbst einen
kleinen revulsorischen Aderlass, z. B. bei Metrorrhagia abortiva, anwenden
müssen. Dagegen sind diese Pulver um so dringender indicirt, je bedeuten-
der die Zufälle der Depletion sind. 3) Die Metrorrhagia paralytica erfor-
dert Mineralsäuren in grossen Dosen, besonders bei schnellen, bedeutenden
Blutungen; desgl. Naphthen, Valeriana, Ol. cinnamomi )j in Naphth. vi-
trioli 5jj gelöst, alle '/i Stunde 15 — 30 Tropfen, ferner Tinct. valer. mit
Tinct. cinnamomi. Ist die Blutung mehr chronisch, dann Alaun, p. d. 5 — 10
Gran, Decoct. chinae, Ferrum sulphuricum, heisse Weine, kräftige, gewürz-
hafte Nutrientia. S) Die zu frühe und die zu stark fliessende Menstruation
HAEMORRHAGIA 951
erfordert roraOglich eine strenge innerliche Behandlung (s. Menstruat io
praematura et profusa). 4) Bei der Metrorrhagie in der Periode dea
Aufhörens der Menstruation dienen bei robusten Frauen oft ein revulsori-
scher Aderlass, innerlich Crem, tartari, Nitrum, kühlende Getränke, anti-
phlogistische Diät. Häufig ist der Charakter aber nicht synochisch, die
Constitution ist schwächlich, reizbar, hysterisch. Hier müssen die gegen
Metrorrhagia erethistica dienlichen Mittel: Eüx. acid. Halleri mit Tinct.
cinnamomi, Tinct. opii, später allgemeine aromatische und tonische Bäder,
innerlich Amara roborantia: Calam. aromat., Quassia, China, Stahlbrunnen
etc., verordnet werden. Nicht selten hat diese Blutung, \^enn sie langwie-
rig geworden, bei schwammigen, aufgedunsenen Weibern den paralytischen
Charakter. Hier passen innerlich anfangs Elix. acid. Halleri mit Tinct. cin-
oamomi . später, und wenn die Blutung wochenlang dauert, innerlich Tinct.
ferri muriat. , selbst im iSothfall Ol. martis, p. d. zu 1 — 2 Tropfen in Ha-
ferschleim. Eine solche chronische paralytische Metrorrhagie, die allen Mit-
teln trotzte, wich nach dem anhaltenden innern Gebrauche des Sacchari
saturni mit Opium (Af.). Vor stopfenden Mitteln , Injectionen hüte man sich
hier ja; sie erregen Stockungen in den Gefässen des Uterus, Scirrhus und
Carcinoma uteri ; ausserdem verblutet sich eine solche Frau bei chronischfei-
Blutung dieser Art fast nie. 5) Bei Metrorrhagia abortiva in der ersten
Hälfte der Sch■^^a^gerschai't ist ein revulsorischer kleiner Aderlass nebst ge-
linden antiphlogistischen Mitteln, selbst bei spasmodischen BescUwerdon, Co-
lica abortiva, zu Anfange allen andern Mitteln vorzuziehen (s. Abortus).
6) Bei Placenta praevia ist Ruhe, horizontale Lage, innerlich kühlende säuer-
liche Getränke, Elix. acid. Halleri, ein mit Essig angefeuchteter Schwamm
in die Vagina, kalte B'oiuentationen der Genitalien, des Unterleibes, bei
spasmodischen Beschwerden kleine Dosen Opium abwechselnd mit den Säu-
ren anzuwenden. Ist die Blutung sehr stark, drohet sie Lebensgefahr, so
muss die Mutter künstlich entbunden werden. 7) Die Metrorrhagie während
der Entbindung ist von allen Mutterblut Aussen die gefährlichste Art. Hier
haben wir Folgendes zu beachten: n) Bei zu früh gelöster Placenta, bei
zerrissenem Nabelstrange , bei geborstenem Varix muss die Mutter so schnell
als möglich künstlich entbunden werden, damit der Uterus sich contrahireii
kann. Nur auf diese Weise ist hier das Leben zu retten. Leider wiid der
Geburtshelfer aber oft schon zu spät gerufen. Leidet eine Frau zu Ende
der Schwangerschaft an vielen Blutaderknoten, so kann man auch Varice«
uteri voraussetzen, und es muss daher, zur Verhütung der möglichen Gefahr,
die Mutter selbst bei der normalen Lage des Kindes künstlich entbunden
werden (Oslander). Nebenbei und hinterher passen Elix. acid. Halleri mit
Tinct. cinnamomi und etwas Opium. 6) Bei Ruptura uteri können wir,
wenn sie bedeutend ist, nur palliative Hülfe durch Anodyna und andere
sanfte Mittel leisten. Ist sie nicht bedeutend, so kann oft noch chirurgi-
sche Hülfe retten (s. Buer's Abhandl. Bd. I. Buch 1. S. 24. Steiiis Anna-
len. St. 1. S. 101. Klose in SiehohVs Journ. f. Geburtshülfe Bd. I. St. 1.
S. 80. Gehler's Klein. Schriften. Th. H. S. 122) , besonders wenn nur das
Os uteri und die Vagina zerrissen sind, c) Bei Atonie des Uterus sind die
Wehen oft sehr schwach, die Geburtsarbeit zieht sich in die Länge, die
Wehen bleiben zuletzt ganz aus und dabei verliert die Kreisende sviccessive
oft viel Blut. Hier passen ganz besonders die bei n genannten Tropfen.
Auch kann man p. d. 40 — 60 Tropfen Tinct cinnamomi ganz rein, und
abwechselnd 15 — 20 Tropfen Hallersches Sauer, jede '/i Stunde geben. Ist
die Geburt regelmäs.sig, so hilft hier das Seeale cornutum oft zur Beförde-
rung der Wehen und zur Beendigung der Geburt, mit welcher der Blut-
fluss in der Regel aufhört, d) Alle Einspritzungen von adstrlngirenden,
lauwarmen oder gar kalten Dingen in den noch nicht von der Frucht und
der Nachgeburt befreiten Uterus sind unnütz und obendrein schädlich.
8) Auch die gleich nach der Entbindung sich ein.stcllende Metrorrhagie kann
sehr gefährlich werden, n) Sind hier fremde Körper, Reste der Placenta etc.
Schuld, so entferne man diese so schnell als möglich, indem man mit der
952 HAEMORRIIAGIA
Hand wie bei der Wendung auf die FQsse eingeht. Ists eine Placenta ad-
nata und lacerata, so löse man diese nach den bekannten Regebi der Kunst.
Zuweilen ist das Eingehen mit der Hand wegen Krampfes im Muttermunde
unmöglich. Hier müssen innere Mittel : Opium in kleinen Dosen , Ipecac.
und Tart. emetic. in refr. dosi (^Froriep}, und änsserlich Opiatsalbe, laue
aromatische Umschläge auf den Unterleib, Einreibungen von Unguent. opii,
von einer Salbe aus Fett und Pulv. herbae belladonnae in den Muttermund
angewendet werden. Dasselbe ist der Fall bei Placenta incarcerata, wenn
Krampf den Uterus zur Hälfte in der Mitte verschlossen hat, so dass man
leicht dadurch getäuscht werden und glauben könnte, der Uterus sey leer.
Hier bestreiche man seine äussere Handfläche mit erwärmtem Ol. h^oscyam.
und Land, liquid, ana, gehe dann in die Gebärmutter ein und suche durch
Einreibungen an der Stelle, wo der Nabelstrang an den Uterus gewachsen
zu seyn scheint, den Krampf zu heben und dann die Placenta zu entfernen.
Ist kein Krampf da, so kann man sogleich die Reste der Placenta und et-
wanige Blutklumpen durch Injectionen von lauem Wasser mittels einer Mut-
terspritze entfernen; doch ists besser, mit der Hand einzugehen; denn oft
verschliessen die Blutklumpen Vagina und Muttermund, und die Blutung
kann im Uterus noch ganz bedeutend fortdauern, besonders wenn zugleich
Atonie zum Grunde liegt. Hier bewirkt auch der Reiz der eingebrachten
Hand die regelmässigen Contractionen, worüber uns die Untersuchung des
Unterleibes, wo der Uterus als eine harte Kugel anzufühlen ist, Auskunft,
giebt. Doch traue man diesem Zeichen nicht allein ; der untere Abschnitt
des Uterus kann schlaff und ausgedehnt bleiben und die alleinige, kaum
geahnte Ursache tödtlicher Blutungen werden (ßwsc/t, Mendc in d. Gemeins.
deutsch. Zeitschrift f. Geburtskunde. Bd. I. Hft. 2. S. 315). 6) Ist der
Uterus von allen fi'emden Körpern leer und hängt die Blutung lediglich von
Atonie und Lähmung desselben ab, so gebe man innerlich abwechselnd, alle
10 — 15 Minuten, grosse Dosen Naphtha, Mineralsäuren, starke, durchdrin-
gende , erhitzende Weine , besonders aber Tinct. cinnamomi , theelöffelweise.
Auch Folgendes ist sehr wirksam: I^ Ol. cinnmnomi 5lV5 Naphth. vUrioIi^^.
M. S, Alle 15 Minuten 25 — 30 Tropfen. Dabei ist die örtliche Behandlung
höchst wichtig. Dahin gehören: «) Starke Einreibungen in den Unterleib
von Spirit. camphoratus, Linim. volatile. /S) Reiben des Muttermundes und
der Klitoris als Reizmittel, um die Contractionen zu bewirken (Spangenherg,
Wigand). y) Wir wenden änsserlich einen anhaltenden Druck auf den gan-
zen Unterleib an, der den ausgedehnten, erschlafften Uterus compriniirt und
so nicht selten die gewünschten Contractionen, ohne welche die Blutung
nicht stehen kann , sehr schnell hei-vorruft ; z. B. wir füllen einen Beutel
mit etwa SO — 40 Pfund trocknera, erwärmtem Sande, legen, indem wir
gleichzeitig mit der ganzen Hand die innere Gebärmutterwand betasten, die-
sen auf und lassen ihn nach herausgezogener Hand noch längere Zeit liegen
iKluge in SiehoUs Journ. f. Geburtshülfe etc. 1821. Bd. VH. St. 1. S. 143
bis 154). J) Helfen auch diese Mittel nichts, alsdann greife man zu den
bekannten Injectionen, die leider, wenn sie unvorsichtig oder ohne die grösste
Noth angewandt werden, oft die nachtheiligsten Folgen: Scirrhus , Carci-
noma uteri, hinterlassen. Man spritze lauwarmes Wasser 3 Theile, mit
1 Theil Rothwein oder halb so viel Branntwein vermischt, mittels der Mut-
terspritze in den Uterus, und ziehe das Röhrchen der Spritze nicht gleich
nachher heraus, damit die Flüssigkeit länger in der Gebärmutter verweilen
kann. Euispritzungen von kaltem Wasser, von Essig und Wasser, Solutio
aluminis, vitrioli etc. wandte man früher viel an; sie sind aber aus zwei
Gründen gänzlich zu verwerfen: erstens, weil der Blutfluss, wenn er auch
augenblicklich darnach steht, leicht von Neuem wiederkommt (^Froricp');
zweitens, weil sie die genannten schlimmen Folgen haben und Verhärtungen
und Krebs der Gebärmutter erzeugen; ja d'Oulrepont in VVürzburg leitet
die häufig auf Metrorrhagien folgende Metritis von den kalten Einspritzun-
gen ab, und er sah letzteres Übel seit der Zeit, wo er keinen Gebrauch
mehr davon machte, nach solchen Blutungen nie folgen (s. Gemeins, deut-
HAEMORRHAGIA 953
sehe Zeitsclir. f. Geburfskunde. 1821. Bd. IV, Hft. 1. S. 40). Dagegen sind
die lauwarmen Einspritzungen oft sehr wirksam, ohne jene Nachtheile her-
beizuführen (^Proriep). Ist die Gefahr sehr gross, so kann man momentan
wirkende recht kalte Umschläge von Wasser, Fomentatio frigida Schmucken
zugleich äusserlich auf den Unterleib anwenden. Sie müssen aber plötzlich
angewandt und oft erneuert werden. Die lauen Injectionen kann man alle
5 — 10 Minuten, bis die Blutung steht, wiederholen, f) In sehr schlimmen
Fällen hat man in der Gebäranstalt zu Berlin auch die Aorta descendens
von dem äussern Unterleibe oder, noch besser, von der GebärmutterhShle
aus durch einen kräftigen Druck mittels des Zeige- und Mittelfingers com-
primirt (^Siehold) , und hiervon Nutzen gesehen. Dagegen blieb das anem-
pfohlene Binden der obern und untern Extremitäten oft ohne Erfolg (^Froriep)^
sowie auch das Einbringen des Tampons in den Uterus, was selbst nachthei-
lig werden kann, indem der fremde Körper die gleichmässigen Contractionefi
verhindert. Sind alle Zeichen der Verblutung nach grossem Blutverlust ein-
getreten, so bleibt uns nur ein einziges RettuHgsmittel : die Transfusion
des Blutes, übrig, welche in den neuesten Zeiten die glänzendsten Re-
snltate geliefert hat. Durch sie allein wurde schon manche Frau , die im
Scheintode durch Verblutung lag, aus den Armen des Todes gerissen. Am
besten ists, man spritzt alle 5 — 8 Minuten bei Erwachsenen 12 — 15 Drach-
men so eben von gesunden Personen abgezapftes Blut nach Obßn zu in die
Armvene. Eine 5 - bis 6malige Wiederholung war oft schon hinreichend
(s. Scheel, Über Transfusion des Blutes; neue Ausg. nebst Forts, von Dief-
fetihach. Berlin, 1827. HufelamVs Journal. Bd. LXV. St 5. S. 92—102.
Brigham u. Douglas Fox in London med. and phys. Journ. Bd. LVIII. S. 45.
Gersoiis u. Julius^ Magaz. d. ausländ. Lit. d. Heilk. 1827. Juli u. August
S. 61 — 91. Froriep's Notizen. Bd. XVI. St. 22. Nr. 22). Durch dieses
langsame Einspritzen werden die Zufalle von Angst, Dyspnoe etc. verhütet.
f) Entsteht die Metrorrhagie gleich nach der Entbindung und ist die Pla-
centa noch nicht abgegangen , so kann man sowol die Placenta schnell lö-
sen, als auch die Blutung stillen durch das neue Mojon'sche Verfahren.
Es besteht darin, eine Mischung aus kaltem Wasser und Essig durch die
Nabelschnurvene in den noch festhangenden Mutterkuchen mittels einer
Spritze einzuspritzen. Die Dosis ist von jedem 2 — 3 Unzen. Auch lau-
warmes Wasser und Branntwein ana §jjj zu einer Einspritzung sind mit
Nutzen angewandt worden. Der günstige Erfolg dieses Verfahrens wurde
in vielen Fällen bestätigt C'vgl« Legras in Froriep^s Notizen, 1828. Nr. 2.
Hoffmann in HusCs Magazin, 1827. Hft. 1. S. 105. Gerson's und J»7?W
Magazin. 1827. Mai u. Juni. Froricp's Notizen, 1826. Juli. S. 250. Gemein-
same deutsche Zeitschrift f. Geburtskunde. Bd. I. S. 621. Taroni in den
Annali universali di medlcina. Milano, 1827). 9) Bei der Metrorrhagia vi-
caria, welche zuweilen statt der Hämorrhoiden sich einstellt, suche man
letztere als eine in ihren Folgen weniger gefährliche Blutung durch Attra-
hentia etc. zu befördern (s. Haemorrhoides). 10) Ist die Metrorrhagie
Folge von Prolapsus , Inversio oder Retroversio uteri , so bringt man den
Uterus nach den Regeln der Geburtshülfe in seine normale Lage, erhält
diese bei Prolapsus durch zweckmässige Pessarien und macht Einspritzun-r
gen von lauem Wein, Essig, Wasser (s. Hysteroloxia und Prolapsus
uteri). Rührt die Blutung von Polypen her, so müssen diese durch Liga-
tur oder Schnitt entfernt werden; ist Scirrhus und Carcinoma uteri Schuld,'
so behandeln wir auch hier das Grundübel, geben innerlich Cicuta, Mercur,
Belladonna, Laurocerasus , Digitalis, bei Krämpfen Opium, und machen bei
den Blutflüssen Einspritzungen von Infus, herb, cicutae, hyoscyami, Myrrha,
Acid. pyro-lignos. etc. (s. Scirrhus und Carcinoma uteri). 11) Sind
Verhärtungen der Abdominaleingeweide die Ursache der Metrorrhagie, so
behandle man diese durch die bekannten Resolventia. In solchen Fällen
leisteten mir folgende Tropfen: IV- Extr. cicutae, — dulcamarac ana 3j» ^7-
lanrocerasi gj^, Tn'»'i. emetici gr. jj. M. S. Dreimal täglich 20 — SO Tropfen,
anhaltend gebraucht, heiTÜche Dienste und die symptomatische Metrorrhagie
954 HAEMORRHAGIA
•wurde grändiich geheilt (Most). 12) In der Roconvalescenz dienen zur
Nachciir der Metiorrhngien gute Roborantia, Nutrlentia, Amara u. s. f.
(s. oben Haemorrhagia) Diese Mittel müssen nach dem Charakter der
Blutung vorsichtig ausgewählt werden. Dasselbe ist mit der Diät der Fall.
Bei synochalen und erethistischen Mutterbluttlüssen hüte man sich ja vor
früher Anwendung der China und des Eisens; denn diese Mittel hinterlassen
leicht neue Congestionen, Anschoppungen, Indurationen in den Abdominalein-
geweiden und andere Übel. Selbst bei paralytischen Blutungen, wo sie in-
dicirt sind, hinterlassen sie oft eine so gewaltige Magenschsväche, besonders
das Ol. niartis, dass Monate darauf hingehen, ehe die Verdauungsorgane
wieder stärker werden (Afosf). IS) Die Lebensordnung und das Verhalten
der an Metrorrhagie Leidenden ist zwar dasselbe, wie bei Häniorrhagien
überhaupt; doch ist hier noch Folgendes zu bemerken: n) Die Kranken
müssen auf Matrazzen oder Stroh liegen, mit dem Kopfe sehr niedrig, mit
dem Hintern und den Füssen hoch. Besonders nothwendig ist dies bei den
Zeichen der Depletion, zur Verhütung der Ohnmächten. Am besten ist die
Rückenlage mit übergeschlagenen oder nahe an einander gelegten Schenkeln.
Alle warme Bedeckungen, besonders Federbetten, sind schädlich, desgleichen
jede körperliche Belegung; der Unterkörper muss kühl und ruhig erhalten
werden. 6) Reine, kühle Zimmerluft ist höchst nothwendig. c) Bei schwa-
chen, reizbaren Kranken müssen alle starke Sinnesreize, Besuche, vieles
Reden, starkes Geräusch, grelles Licht, Alles, was Schreck erregt, ver-
mieden werden, rf) Bei Leibesverstopfung sind Klystiere wegen der dabei
nachtheiligen Körperbewegung schädlich. Man befördere sie lieber durch
Crem, tartari, Electuar leniriv, und stellt sich das Bedürfniss zum Stuhl-
gange ein , so bediene man sich eines Steckbeckens, e) Der Schlaf ist bei
erethistischen Blutungen des Uterus nicht zu verweigern; man befördere ihn
durch Stille und Dunkelheit des Zimmers. Aber man unters\iche von Zeit
zu Zeit, wie sich die Blutung verhält, ob sie steht, wiederkehrt und zu-
nimmt, oder nicht. Man halte ja Ohnmächten nicht für Schlaf; der Puls
und die Blutung muss hier zur Diagnose dienen. Bei paralytischen Blutun-
gen darf die Kranke während des Blutflusses so wenig als möglich schlafen.
14) Zur Verhütung der Wiederkehr von Metrorrhagien, besonders wenn sie
schon öfters sich eingestellt haben , ist eine strenge anhaltend fortgesetzte
Diät im weitern Sinne des Worts, dem jedesmaligen Charakter der voraus-
gegangenen Blutung gemäss , durchaus nothwendig. Da die recidivirende
Metrorrhagie in der Regel eine erethistische ist, so dient ein massig warmes
Verhalten des Unterleibes, Vermeidung der Erkältung der Füsse, der war-
men Betten, massige Bewegung und Aufenthalt in freier, warmer Luft.
Alles, was die Genitalien reizt, lebhafte Phantasie, schlüpfrige Romane,
Coitus muss vermieden werden. Die Diät muss nährend , aber durchaus
nicht reizend seyn. Aromatische und Eisenbäder, Einreibungen des Unter-
leibes mit Kampher, Bals. peruv. und ätherischen Ölen, in Spir. serpylli ge-
löst (s. Amaurosis), A'orsichtiger Gebrauch der China in Tincturen, De-
cocten, der Ratanhia, später der leichtern Eisentincturen etc. sind zu em-
pfehlen. 15) Empirische Mittel bei Metrorrhagie sind: n) Brechmittel, be-
sonders bei oft wiederkehrendem Übel (s. v. Froriep^s Notizen, 1828. Bd.
XXII. Nr. 19). Sie können nachtheilige Folgen haben; besser ist der an-
haltende, wochenlange Gebrauch des Tart. emetic. in refr. dosi als Ekelcur.
i) Die Tampons als Stypticum in den Uterus gebracht. Sie sind durchaus
in jeder Metrorrhagie zu verwerfen; denn sie hindern den Ausfluss des Blu-
tes, die Contractionen des Uterus, und schaden, indem sie so die Blutung
unterhalten (y. Froricp, Mcndc, Hanse), c) Nützlich ist das Anlegen einer
Leibbinde, besonders bei schlaffen Subjecten nach paralytischen Blutungen.
Hier auch in der Schwangerschaft. Auch hat man beim habituellen Verlauf
paralytischer Piletrorrhagien mit Nutzen einen Kräutergürtel um den Unter-
leib, angefüllt mit Spec. aromat., Pulv. cort. quercus, Chinae, Gall. turcic,
der des Tages zweimal in Rothwein oder Branntwein getaucht wird, anhal-
tend tragen lassen, if) Bei paralytischer Metrorrhagie dienen zur Nachcur und
HAEMORRHAGIA 955
um Recldive zu verhüten Decoct. rad. ratanhiae, besonders aber bei noch
fortwährender Blutung Cort. adstringens brasil., anhaltend gebraucht. Man
giebt alle 2 Stunden 1 Esslöffel vom Decoct ( 53 auf gvjjj Colatur) ; auch
die geistige Tinctur der Rinde ist sehr wirksam (^Brimner in N. Jahrbüchern
d. deutsch. Medicin von Harless. Supplementband 2; S. 131 — 151). Diese
Rinde leistete dem Dr. Brunner in l4 Fällen die ausgezeichnetsten Dieste.
Bei langwierigen, passiven Gebärmutterflüssen, bei Metrorrhagia habitualis,
welche nicht selten jahrelang währt, indem periodisch ein heftiger Blutfluss
entsteht und ausser der Zeit ein dünnflüssiges, missfarbiges Blut von üblem
Gerüche in kleinen Quantitäten ausfliesst, das Gesicht erdfahl, livid ist etc.,
ist die Sabina, nach v. Wedeländ^s und Feisfs neuern Beobachtungen, sehr
wirksam , z. B. I^ Pulv. lierh. sahinne 5jjj , Extr. sahinae 5jj , Ol. sahinaa
(lest. 5j. M. f. pil. pond. gr. jjj. Consp. lycopod. S. Dreimal täglich 4,
5 — 10 Stück zu nehmen (s. Gemeins, deutsche Zeitschr. f. Geburtskiuide.
Bd. IV, Hft. 4, S 618). Diese Pillen erhöhen die Thätigkeit der Schleim-
haut des Uterus, steigern die Contractionen der Gefässwandungen und ver-
mehren den Bkitumtrieb und die Zusammenziehungskraft der Bewegfasern.
Daher passen sie bei Atonie des Uterus und deren Folgen : Metrorrhagie,
Fluor albus etc. , ganz besonders, e) Räucherungen der Geschlechtstheile
mit Bacc. juniperi, Mastix, Bernstein, Myrrhe etc., desgleichen Fomenta-
tionen von Spiritus aromaticus sind bei der paralytischen Metrorrhagie zu-
weilen nützlich gewesen, f) Sehr wirksam ist das anhaltende Reiben und
Frottiren des Unterleibes, besonders in der Gegend des Muttergrundes, des-
gleichen des Os uteri und der Klitoris bei Atonie des Uterus und daher rüh-
»ender Blutung, g) Bei erethistischer Metrorrhagie sind 2 — 4 Schröpfköpfe,
auf die Brust gesetzt, als revulsorisches Mittel oft recht heilsam. Innerlich
hat man hier grosse Dosen Kochsalz und Wasser empfohlen, die aber mehr
bei synochalen Blutungen passen.
Haemorrhngin vngmae, Colporrhngia, Elytrorrhagia, Hnematocolpiis, Hae~
tnorrhoen vnginnlis, die Scheide nblutung. Sie ist eben nicht selten,
kann verschiedene Ursachen haben, muss aber von dem Menstrual- und
Wochentiuss wohl unterschieden werden. Die örtliche Untersuchung mittels
des Fingers und eines guten Speculum vaginae (vgl. die Art. Aedoebpsia
und Exploratio obs tetricia), mitunter auch Injectionen, um die Scheide
vom Blute zu reinigen und so leichter die blutende Stelle zu entdecken, die-
nen zur Diagnose, sowie wir zugleich aus der Anamnese die ursächlichen
Momente näher kennen lernen. Diese sind : häufig mechanische Ver-
letzungen, Verwundungen, Blutaderknoten und andere Gefässausdehnungeii
der Scheide ; auch anomale Menses und Hämorrhoiden können hier vicarii-
rend periodische Blutung erregen. Sind Varices Ursache, so findet man
diese nicht allein in der Scheide, sondern auch an den Schenkeln, den
grossen Schamlefzen, welche kleiner werden, sowie das stets dunkle Blut
aus der Scheide fliesst. Selten ist diese Blutung so stark, dass sie tödtlich
wird, es müsste denn ein recht grosser Varix seyn. Zuweilen berstet ein
solcher, ohne dass Blutung nach Aussen folgt, indem das venöse Blut zwi-
schen die Häute der Scheide und die benachbarten Weichtheile tritt. Es
bildet sich dann oft ein bedeutend grosses, durch Druck und Spannung lä-
stig werdendes Extravasat, ein sog. Thrombus vaginalis, der später gleich-
falls berstet und Erguss von Eiter und verderbtem Blute veranlassan kann
(^Bruherger^. Bei jeder chronischen, oft Wochen, Monate lang anhaltenden, oft
nur ein paar Tage cessirenden, meist nicht sehr profusen Blutung aus der
Scheide, untersuche man diese genau (s. Exploratio obstetricia), da-
mit die Quelle des Blutes entdeckt werde ; häufig finden wir dann Krebs
des Uterus, carcinomatöse und condylomatöse Auswüchse, veraltete Chanker
am Muttermunde, im Scheidengrunde, Prolapsus vaginae, uteri etc. In ge-
richtlicher Hinsicht, bei Untersuchung, ob Coitus violentus und Entjungfe-
rung stattgefunden, ist die an sich unbedeutende, durch Zerstörung des
Hymen entstandene Colporrhagie, die aber oft auch künstlich nachgemacht
wird 5 wichtig. Man achte daher zugleich auf das Zeichen , ob die kleinen.
95ß HAEMORRHAGIA
meist narh der Lange rerraufer.den Einrisse am Eingänge der Scheide da
sind, ob sie frisch sind etc. Zu den gefährlichsten, Gott Lob! seltenen
Colporrhagien geliört die , welche durch Zerreissung der Scheide in Folge
eines /u starken Wehenandrangs (aber, nach Goldson, am Endo der Schwan-
gerschaft auch ohne diesen) entsteht, wobei oft ein deutliches Geräusch
wahrgenommen v.ird, plötzlich Nerveiizufälle : Ohnmächten, kalte Glieder,
Todtenblässe folgen, die Gedärme vorfallen, die Frucht in die Unterleibs-
höhle tritt und unter beträchtlichem Blutsturz oft in wenig Minuten der Tod
folgt, wie ich vor 7 Jahren hier in Rostock einen solchen traurigen Fall
erlebt habe (M.), auch C. E. Th. v. Sichold in E. C. J. v. Siehold's Jour-
nal für Geburtshülfe, Bd. XIII. St. 1 , 1833, S. 46 einen solchen, der tödt-
üch ablief, beschrieben hat. Die Behandlung der Scheidenblutung lässt
sich im Allgemeinen kaum bestimmen. Ist die Blutung bedeutend , so mu.ss
man diese zuerst zu stillen suchen, also symptomatisch verfahren, weiche
Schwämme, Charpiebäusche mit styptischen Mitteln, mit kaltem Wasser,
Solut. aluminis etc. befeuchtet, einbringen, später aber vor Allem darnach
sehen, dass man die Ursache der Blutung entfernt. Ists Metrorrhagie, so
kann ein solches Ausstopfen der Scheide, wie dies die meisten Hebammen
thun, wenig nützen, wohl aber dadurch schaden, dass das Blut, weil sein
Abfluss somit nicht erfolgen kann, sich nun im Uterus anhäuft.
Haemorrlingia ventrirtcli, ocsophaiji, intestinornm lenuium, lienis et hejin-
tis, Hacmaiemeslg, Vomitus crueutus, Gasterorrhaijia, Oesophagorrhagia, Me-
laena, Morbus nigcr Hippocralis, Fltixiis spletictiius , Blutung des Ma-
gens, des Darnicanals, oft auch des Oesophagus, der Leber, der
Milz; schwarze Krankheit. Hierunter verstehen \'Nir den Blutfluss aus
den Gefässen des Magens, des dünnen Darms und der diesen nahe gelege-
nen Organe, bei welchem das ergossene Blut durch Erbrechen oder auch
gleichzeitig durch den Stuhlgang ausgeleert wird (ffnnsc). Die Blutungen
aus den genannten verschiedenen Organen kann man unter einen Gesichts-
punkt fassen, da die Häiuorrhagie hier jedesmal ein Symptom von einem
tiefern Leiden der Unterleibsorgane ist, sobald wir dasjenige ßlutbrechen,
welches plötzlich bei früher Gesunden nach mechanischen und chemischen
Verletzungen (Giften) des Darmcanals eintritt, nicht mitrechnen. Viele
Ärzte halten Vomitus cruentus und Morbus niger für zwei verschiedene
Krankheiten, Andere für die acute und chronische Form ein und desselben
Übels {Spnngenherg , Über die Bluttlüsse in medicin. Hinsicht; 1805. S. 391),
noch Andere, z. B Marcus (Entwurf der spec. Therapie; T. II. 1810;
S. 361), suchen nachzuweisen, dass diejenige Krankheit, welche den Namen
Vomitus cruentus oder Melaena trägt, in den bei weitem meisten Fällen
gar keine für sich bestehende Krankheitsform, sondern weit öfter eine Milz-
entzündung sey, für welche das Bluterbrechen nur ein pathognomonisches
Zeichen abgebe. Allerdings wird der praktische Arzt bei Untersuchung sol-
cher Kranken sich nicht allein mit dem Symptom (der Blutung) begnügen,
sondern denjenigen Dingen nachforschen , die sie erregen oder von denen sie
Folge ist. Die Erfahrung bestätigt es auch, dass Milzleiden hier häufig mit
im Spiele sind ; aber auch auf die Leber müssen wir unsere Aufmerksamkeit
richten, vor allen Dingen aber den krankhaften Zustand der Blutgefässe des
Magens und Dünndarms selbst nicht übersehen. Überdem sind die Fälle
gar nicht selten, dass die Leber und Milz nur an Plethora, nicht an wirk-
licher Entzündung leiden, wo dann das Blutbrechen als Krise für diese Ple-
thora, ebenso wie der Fluxus haemorrhoidalis als Krise für die Dialhesis
haemorrhoidalis, anzusehen ist. Ja, der Vomitus cruentus ist oft weiter
nichts als eine Übertragung der Menstrual- oder Hämorrhoidalcongestion,
und erscheint dann als Haemorrhagia vicaria für jene Blutungen. Die Se-
ctionen der an Blntbrechen Verstorbenen haben hinlänglich bewiesen , dass
hier Abnormitäten im Magen, in der Leber, Milz, selbst im Pankreas statt-
fanden, wodurch Hindernisse in der Blutcirculation und Blutanhäufung im
Pfortadersysteme, in den Vasis brevibus ventriculi, die nächste Ursache des
Bluterj^usses, entstehen musstcn. Aus demselben Grunde ist das Blutbrc-
HAEMORRHAGIA 957
che» auch symptomatisch oft bei Splenitis und Hepatitis beobachtet worden,
und unstreitig rührt das Blutbrechen bei der Febris flava zunächst von einer
hierbei constanten Hepatitis her (s. diese Art.). Überhaupt sind die Resul-
tate der Leichenöffnungen nach Vomitus cruentus im Allgemeinen fol^
geude : 1) Ausgezeichnete Blutleere in der "Vena cava und Vena portaruui,
besonders in den grossen Gefässen des Pfortadersystems. 2) Verhärtungen,
Scirrhositäten der Leber und Milz, bald kleine, harte Milz und sehr grosse,
ange.schwollene Leber, bald umgekehrt kleine Leber und sehr grosse Milz,
die sehr vseich und mürbe war. Häufiger ist indessen letztere klein, mit
hornartigen Concretionen auf ihrer Oberfläche besetzt, äusserlich weisslich,
oft knorpelartig und so hart, dass man sie kaum mit dem Messer durch-
schneiden kann ( Munjagni , P, Frank , Fr. Hoffmanii). S) Der Magen ist
mit schwarzem Blute angefüllt, die innere Haut desselben von dunkelrother
Farbe, mit schwarzen Flecken, die beim Druck schwarze Materie ergiessen.
Seltener fand man Spuren von Entzündung des Magens. 4) Die Gedärme
sind ausgedehnt und oft mit schwarzer, pecharliger, klebriger Materie (der
atra Bllis der Alten) angefüllt. 5) Die Gefässe des Unterleibes sind in ih-
fer Ausdehnung sehr verändert. Die Art. coronar. ventriculi ist grösser als
die beiden Aste der Art. coeliaca, die Vasa brevia sind fingersdick, die Ve-
nac mesaraicae und mesocolicae ausgedehnt bis zum Umfange eines dünnen
Darras , mit grossen Varices versehen , welche atra Bllis enthalten ; auch die
Hämorrhoidalgefässe sind zuweilen varikös ausgedehnt und voll von jenem
schwarzen Blute. 6) In der Bauchhöhle findet man eine grosse Ansammlung
von gelbem Serum. Aus solchem Leichenbefunde ersieht man, dass Alles,
was Plethora abdominalis macht, besonders aber Desorganisationen in den
Unterleibsorganen zum ßlutbrechen Disposition geben. Alle diese Dinge
können aber auch Hämorrhoiden zu Stande bringen. Für eine systematische
Bearbeitung der speciellen Nosologie und Therapie, die in Encyklopädien
aus bekannten Gründen nicht stattfinden kann , ist es daher zweckmässig,
alle Krankheiten des Darmcanals, wobei derselbe als blutführendes Organ
leidet, also die Haemorrhagiae tubi intestinalis im weitern Sinne, unter ei-
nen Gesichtspunkt zu fas.sen Hier unterscheiden wir am besten und für
klinische Zwecke die meist acuten Hämorrhagien von den chronischen, oft
wiederkehrenden, auf Plethora abdominalis und atra Bilis beruhenden Blu-
tungen. Letztere würden seyn : 1) Vomitus cruentus chronicus, auch Mor-
bus niger, Flu.xus spleneticus genannt. 2) Fluxus hepaticas verus als chro-
nische .Secretio sanguinolenta Hepatis (s, Fluxus hepaticus). 3) Die
Hämorrhoiden aus allgemeiner Hämorrhoidaldyskrasie (s. d. Art.). Zu den
acuten Blutungen des Darmcanals können wir zählen : 1) die örtlichen Hä-
morrhoiden (s. d. Art.) , 2) Vomitus cruentus acutus als Folge mechanischer
und chemischer Schädlichkeiten: Quetschungen der Magengegend, der Le-
ber, Milz, Genuss scharfer Gifte etc. 3) Die Blutungen als Folge acuter
Splenitis , Hepatitis , Enteritis , Dysenteria , die colliquativen , paralytischen
Blutungen des Darmcanals bei bösartigen Fiebern. Allen chronischen Blu-
tungen des gesammten Darmcanals liegt Plethora abdominalis und atra Bilis
(erhöhte Venosität der Neuern) zum Grunde. Sie sind die Quelle der zahl-
reichsten chronischen Übel im Mannesalter und ihre genaue Würdigung für
die Praxis daher höchst wichtig. Es ist hier also wol der passendste Ort
von der Plethora abdominalis, sowie von der atra Bilis besonders zu reden.
1. Plethora ahdominalis. Ihre mannigfaltigen Symptome, die in grös-
sern oder kleinern Intervallen den Blutungen oft jahrelang vorhergehen , sind
1) Gefühl von Vollheit, Aufgetriebenheit, Spannung im Unterleibe, Flatu-
lenz. 2) Zuweilen eine nicht von Blähungen herrührende, oft tagelang an-
haltende, mit dem Aderschiage an der Hand correspondirende Pulsation in
der Magengegend, ohne dass ein Aneurysma da ist, herrührend von der
Überfüllung der Coeliaca, der Magenarterien etc. mit Blut. 3) Bedeutende
Empfindlichkeit des Unterleibes, besonders der Magengegend, für Druck
von Aussen , durch enge Kleider etc. 4) Bei genauer Untersuchung des Un-
terleibes, wobei der Kranke horizontal mit angezogenen Schenkeln und er-
gSjJ HAEMORRHAGU
schlafften Bauchmuskeln liegen muss, findet man die Leber-, oft auch die
Milzgegend deutlich aufgetrieben, und diese nie zu unterlassende Untersu-
chung giebt bei einiger Übung viel Auskunft. 5) Zuweilen flüchtige Stiche
im LJnterleibe, sogenanntes Milzstechen, besonders nach der Mahlzeit, nach
starker Körper - und Gemüthsbewegung. Es rührt bald von plötzlicher
Hemmung der Circulation des Bluts in der Leber oder Milz , bald nur von
Flatulenz her. 6) Das erste Gefühl von Vollheit, was beim Aufstehen des
Morgens bemerkt wix-d, verliert sich gewöhnlich nach dem Frühstück, im
hohem Grade ist das Gefühl stärker nach der Mahlzeit, im mittlem Grade
in der Regel am schlimmsten 2 — 3 Stunden nach dem Mittagsessen, oft
gleich nach dem Mittagsschlafe, verbunden mit verdriesslicher Gemüthsstim^
mung. 7) Appetit und Verdauung sind anfangs noch ziemlich gut, später
aber schlecht. Der Kranke leidet an übermässiger Gallensecretion , Mageiv-
säure , Flatulenz, Obstructio alvi, abwechselnd mit Diarrhöe, welche mo-
mentan erleichtert, sowie der Genuss von etwas Wein, Branntwein, Litjuor
etc. gleichfalls augenblickliche Erleichterung giebt. Blähende Kost : Kohl,
Rüben, Mehlspeisen, besonders Klösse , Pfannkuchen, frisches Brot und sehr
feite Speisen , besonders Schweinefleisch , bekommen am schlechtestea.
8) Sehr charakteristisch ist die Zunge. Sie sieht weisslich aus , als wäre
üie leicht mit Kreide überstrichen, ist meist dürre, trocken, und es finden
gich tiefliegende, bald longitudinale, bald transversale Runzeln oder Risse,
S, 5, 7 und mehrere an der Zahl, oft V4 Zoll lang, auf derselben (.W.).
9) Nicht so charakteristisch ist der Puls ; nur in den höhern Graden der
Plethora geht er träge, langsam, schleppend, ist etwas hart und intermittirt
zuweilen (Pulsus abdominalis morborum chronicorum). 10) Ungleiche Blut-
vertheilung, daher oft kalte Glieder, heisses Gesicht, aufgetriebene, heisse
Magengegend. 11) Ausserdem verschiedene Anomalien des Nervensystems,
der Sinneseindrücke, Verdriesslichkeit, eine Empfindung als sey ein Schnu-
pfen im Anzüge (Af.), ohne dass es zum Katarrh kommt, Pulsationen im
Kopfe, im Nacken, Mouches volantes, Ohrenklingen, Verstimmung des Gei-
stes (s. Haemorrhoidum Diathesis). Die vorzüglichsten Veranlas-
sungen sind: 1) der eigene Bau des Unterleibes, wo fast alles Venenblut
durch die Vena portarum muss, da hier zwei Arterien auf eine Vene kom-
men , in andern Theilen des Körpers aber das umgekehrte Verhältniss statt-
findet; auch der eigne Bau der Pfortader, die keine Klappen hat, erschwert
die ßlutcirculation. 2) Der Darmcanal ist den verschiedenen Einwirkungen
der roheslen und reizendsten Diät ausgesetzt, welche durch mechanische und
chemische Reize Plethoj-a und Disposition zu Blutungen erregen. Die Quan-
tität und Qualität der mehr oder minder reizenden Speisen, der Gewürze,
der Spirituosa ist hier in Anschlag zu bringen. 3) Auch der Missbrauch
reizender Arzneien, der Aloe, des Eisens, der reizenden Klystiere gehört
hierher. 4) Erbliche Anlage , Mannesalter, Vita sedentaria, enge Kleidungs-
stücke, 5) das Tragen schwerer Lasten, zu vieles Reiten, Fahren; Unter-
drückung anderer gewohnter Blutungen.
11. Airn Bilis. Hierunter verstehen wir theils das Product, die soge-
nannte, häufig durch Plethora abdominalis entstandene schwarze Galle, d.i.
denjenigen SlofF, der bald heller, meist aber dunkelgrün bis zur Tinten-
bchvsärze aussieht, bald mehr dünn, meist aber zähe, dick, theerartig ist,
wie flüssiges Pech, einen eigenthümlich widerlichen, raoderartigen, aashaf-
ten Geruch hat, bald allein aus reiner Galle, bald aus Galle, Fett, Schleim,
Blut und Harzen besteht, sich im Darmcanal und der Nachbarschaft befin-
det und im glücklichen Falle durch Erbrechen oder Stuhlgang ausgeleert
wird; theils nennen wir so auch die Krankheit selbst, den Morbus atrabi-
larius, Cachexia, Intempcries atrabilaria oder die zu ihr disponirende Kör-
perbcschalTenheit (Constitutio atrabilaria). Da der Morbus niger Hippocrati»
mit den schwar/galligen Krankheiten in eine Classe gehört, so werde ich
auch der atra Biiis hier besonders und um so mehr gedenken, da neuere
Ärzte sogar die Existenz derselben geleugnet haben , die aber wichtige That-
»achcn der Erfahrung am Krankenbette nicht zu kennen :<cheinen, noniit
HAEMORUHAGLi 959
der ehrwürdige Veteran S. G. Vogel seine unübertreffliche Abhandlnng über
atra Bilis (Berliner med. - chir. Encyklopädie, Bd. III. S. 653 — 681) erst
neuerlich bereichert und diesen wichtigen Gegenstand wiederum in seine al-
ten Reclite eingesetzt hat. Die Symptome der atra Bilis im niedern
Grade sind ganz die der Plethora. Vogel sagt: „Zu den beständigsten und
gewöhnlichsten Zufällen und Zeichen eines atrabilarischen Zustandes, die
jedoch bei weitem nicht immer sämmtlich, oft nur einzeln und unter getvis-
sen Bedingungen zugegen sind, und deren relatives Zusammentreffen nur
dem verständigen DiaguosLiker das wahre Bild vor Augen stellt , gehören
mehr oder weniger und in verschiedenen Graden folgende : 1) Alle diejeni-
gen , welche Unordnungen und Abnormitäten in der Function der Ver-
dauungswerkzeuge , in den Präcordien und im Unterleibe , zu erkennen ge-
ben, als unreiner Mund, saurer Speichel, verdorbener, saurer, fader oder
bitterer, fauler Geschmack, solches Aufstossen, Sodbrennen, verdorbena
Zähne, lockeres, entfärbtes Zahnfleisch, öfteres Spucken, Beängstigungen
und Unruhe, übelriechender Athem, iWangel an Esslust, oder widernatürlich
scharfer Appetit, dessen Befriedigung zuweilen eine kurze Linderung ver-
schafft, meistens aber schnelle Sättigung herbeiführt oder übel bekommt,
Aufblähung nach jedem Genüsse, Übelkeiten und Erbrechen, grosser Durst,
mehr oder weniger gelblich oder schwärzlich belegte Zunge, Schmerz und
Wundseyn der zuweilen ganz reinen Zunge mit rother Spitze und rothen
Rändern, Aphthen; Schwindel, Ohrensausen, eingenommener, schwerer Kopf,
Beschwerden, Spannung, Empfindlichkeic der Präcordien, eines oder beider
Hypochondrien, Klopfen in den Präcordien, im Unterleibe, Flatulenz, Ko-
liken, Seufzer, Herzklopfen, Schläfrigkeit, Schluchzen; Stuhlzwang, Ver-
stopfung, oder kleine, wässerige, stinkende, unbefriedigte Stühle, oder
trockner, harter, zäher, schwärzlicher, abgerundeter Stuhlgang; Brand und
Hitze im Leibe, Hämorrhoiden; Schlaflosigkeit; dunkel gefärbter, trüber,
dicker, lehmiger, zuweilen schwarzer oder wässeriger Urin; gelblichgrün-
liche Augen , anfangs bleiches, dann braunes, dunkles, gelbliches, schwärz-
liches, trübes Gesicht, ein finsterer, mürrischer Blick, tiefliegende, glanz-
lose, mit blauen Ringen umgebene Augen; äusserlich fühlbare Anschwellung,
Verhärtung der Milz, der Leber, der Gebärmutter etc. 2) Die Beschaffen-
heit und die Functionen des Haut- und Nervensystems, das Gemeingefühl,
die Integrität der Sinne, werden so oft von dem Leiden des Unterleibes al-
lerirt, dass sie sich auch theils für sich, theils in ihren mannigfaltigen Ver-
bindungen , einander verrathen und zu Merkmalen dienen. Daher die dunkle,
braune, gelbliche Farbe der Haut, Neigung zu kalten Extremitäten, über-
haupt ein frostiges Wesen, blasse, steife, träge Lippen, blasse Nägel,
trockne, keiner bedeutenden Ausdünstung fähige Haut, oder klebrige, übel-
riechende Schweisse, Nachtsch weisse, Aderknoten, besonders an den untern
Gliedmassen, blaue Adern, Jucken in der Haut, Ausschläge auf derselben,
Geschwüre, zuweilen schwärzlich gefärbte Verhärtungen und Geschwülste
daselbst, Kälte hie und da in der Haut, die der Kranke nicht fühlt, Kälte
auf dem Scheitel, die sich nach dem Nacken herunterzieht, Abmagerung,
Brennen in den Händen und Fusssohlen, fliegende Hitze , ein lästiges Ziehen
und Schmerzen in allen Gliedern , Einschlafen derselben. Schwere und Träg-
heit des ganzen Körpers, Empfindlichkeit gegen die Luft, Zittern der Glie-
der und Zuckungen, Genitalreiz, Schmerzen in den Füssen und Waden,
Ausfallen der Haare , Ausschläge und Schweisse , Jucken an den Geburts-
theilen, viel Urinlassen, dunkelbrauner, schwarzer Harn. S) Mehr oder
weniger leiden daher auch der Puls und der Athem, welche beide meistens,
wenn kein Fieber sie beschleunigt, langsamer als gewöhnlich sind. Der
Puls weicht auch nicht selten von seiner Ordnung ab , wird unregelmässig,
ungleich aussetzend." — Die Classe der chronischen Übel, welche nach
Vogel eine Wirkung der sogenannten schwarzen Galle seyn , zum Theil auch
diese hervorbringen können, ist sehr gross. Er rechnet hierher: Hypochon-
drie, Melancholie, Manie, Melaena, Nervenkrankheiten aller Art, selbst Epi-
lepsie, Katalepsie, Tetanus; Gicht, hartnäckige Rheumatismen, Blultlüsse,
969
HAEMORRHAGIA
Geschwüre, Flechten und andere Hautübel, Migräne, Prosopalgie, Amau-
rose, Asthma, Schwindsucht, chronischen Husten mit grünlichem, eiterarti-
^em, dunklem, schwärzlichem, erdigem Auswurfe, Trommelsucht, anginöse
Halsbeschwerden, Blennorrhöen, Anschwellungen der Milz, Leber, d^s Ute-
rus, Ataxien der Menstruation, Urinbeschwerden etc. Die atrabiJarische
Materie kann, ohne dass sie eine bedeutende Schärfe annimmt und heftige
Erscheinungen hervorbringt, lange Zeit an irgend einem Orte im Unterleibe
stocken, bis sie durch die Kunst oder duixh zufällige Ursachen aufgelöst
und mobil gemacht wird. Zuweilen ist sie so scharf, säuerlich, ätzend, das«
sie Blutgefässe, worin sie stockt, zerfrisst, Farben zerstört, mit Erden
aufbraust und beim Erbrechen Schlund und Mund angreift und die Zähne
^tumpf macht (VogeV). Ich fand sie bei einem Manne, wo sie nach einer Apo-
plexie durch den Stuhlgang ausgeleert wurde, so scharf, dass sie die Haut
um den After herum corrodirte und eine Entzündung , wie von Vesicatorien,
und Hautblasen erregte. Sie befand sich zwischen dem grünlichen dünneu
Stuhlgange , der mit schwarzen , dünnen pechartigen Partikeln untermischt
war". Der atrabilarische Stoff wird nicht immer aus Galle gebildet , er
herrscht , wie letztere , oft auch schon im Blute vor , und kann durch die
Vasa brevia aus der Milz in den Magen gelangen, und der Morbus niger
Hippocratis wird vorzüglich durch schwarzgailige Infarcten hervorgerufeu
( Voijel). Man halte aber nicht voreilig jeden Stuhlgang mit Abgang schwar-
zer Stoffe für atra Bilis, Auch Eisenmittel , gerbestoffhaltige Arzneien,
Rothwein, Heidelbeeren, Kirschen, brauner Kohl etc., können die schwarze
Färbung verursachen. Was die Disposition und Veranlassungen
zum Morbus atrabilarius betrifft, so sind Männer mehr als Frauen dazu dis-
pouirt, besonders die von melancholischem Temperamente, trockner Haut,
dunklem starken Haar, mit tiefliegenden, hohlen Augen, gespannter reizba-
rer Faser, schlechter Verdauung, mit schwärzlicher Gesichtsfarbe; zank-
süchtige, zornige, empfindliche Pei'sonen, oft von tiefdenkendem Geiste, zu
grossen Untersuchungen fähige Köpfe, die an heftigen Gemüthsbewegungen,
Obstructio alvi leiden und eine sitzende Lebensart führen. Fast nur allein
Li den mittlem Jahren und bei herannahendem Alter kommt die Krankheit
vor. Die nächste Ursache ist mangelhafte Decarbonisation des Bluts; die
sogenannte erhöhte Venosität Puchetfs und die Symptome des Morbus atra-
bilarius sind ein und dasselbe. Die Gelegenheitsursachen sind dieselben dex
Plethora abdominalis (s. oben) , wozu noch folgende zu rechnen sind : depri-
mirende Affecten, gestörte Fieberkrisen, schlecht behandelte Wechselfieber,
unterdrückte Hämorrhoiden und Katamenien, schnelles Unterlassen gewohn-
ter Thäligkeit, Reichthum nach Armuth, grosse Hitze, plötzlicher Wechsel
d«r Lufttemperatur, Sumpfluft, grobe, pappige Kost, starke Bitterbiere,
manche Contaglen, die dephlogistisirend und giftig auf den Körper wirken,
endlich eine eigenthümllche Luflbeschairenheit : die atrabilarische Luftcon-
stitution, die, nach Voijcl , 1801 und 1803 und wiederum 1826 an den nord-
westlichen Küsten von Holland etc. geherrscht haben soll, also mit der ei-
genthümlichen Luftconstitution der grossen Epidemien der Intermittens und
der Influenza, worauf ich anderswo hingedeutet habe (s. Febr. intermit-
tens), vielleicht auch mit der die Cholera orientalis begünstigenden Luft-
constitution einerlei ist. Dass hier ein anomales Blut, das nicht blos rei-
zend, sondern auch deprimirend, narkotisch, wie Kohlendampf auf Gehirn
vnid Nervensystem wirkt und dadurch manche Erscheinungen der erhöhten
Venosität hervorruft, dass ein solches überkohltes Blut hier die Hauptrolle
spielt, liegt am Tage und bedarf keines fernem Bev>elses. Behandlung
der Plethora abdominalis und atra Biiis. Wir wenden sie an , ausser der
prophylaktischen Cur, gegen alle anderen daraus entstehenden, oben ge-
nannten Übel, auch zur Verhütung des Vomitus cruentus und Morbus niger,
sowol zur Verhütung der Krankheit selbst, als zur Verhütung ihrer Reci-
dive. Hier sind folgende Regeln von Wichtigkeit: 1) Vermeidung aller
Schädlichkeiten, welche Plethora erregen, Vermeidung des vielen Sitzens,
jeder unz^eckmüssigca Kost , der Spirituosa, dagegen tägliche massige Kör-
HAEMORRHAGU 961
peibewegungen, viel Wassertrinken. Der Kranke muss gutes, frisches, eben
geschöpttes kaltes Quellwasser täglich in grossen Quantitäten, zu 6, S,
selbst 12 Mass oder Pott, aläo 12, 16 bis t-i ^ nach dem Civilgewicht, zu
jeder Tageszeit , nur nicht während des iVlittagsessens , erst 2 Stunden nach-
iier, zu sich nehmen. Dies ist das grösste Mittel zur Verbesserung des
kranken, dicken, zähen, schwarzen, hie und da stockenden Blutes. Schäd-
lich sind dagegen Kaffee, Branntwein, Wein, starkes Bier, blähende Kost,
enge Kleidung, Erkältung, besonders der Füsse, alle deprimirenden Affecte.
2) Innerlich passen , besonders im Frühling und Herbst , auflösende Extracte
und Neulralsalze ; z. B. Extr. taraxaci, graminis, chclidonii maj. , Tart.
tartarisat. , Tart. solubilis, Sal aninioniacum ; desgleichen die Brunnen von
Karlsbad, Schwalheim, Driburg, Pyrmont. Bei eingewurzeltem Übel sind
auch Gummi ammoniac. , Asa foetida , Fei taur. anzurathen. 3) Ist die Ple-
thora abdominalis bedeutend und ereignen sich keine Blutungen , so stockt
zum Theil das venöse Blut in den Gefässen, zum Theil ist auch die ganze
Blutmasse zu reich an Kohlenstoff, und es entwickelt sich so der eigent-
liche atrabilarische Zustand als Folge oder höherer Grad der Plethora.
Hier ist nur vom chronischen Morbus atrabilarius die Rede, nicht von dem
fieberhaften und acuten als B^olge kohlenstoffhaltiger Gifte, flüchtiger Con-
tagien und Miasmen. Bei diesem langwierigen Krankheitszustande ist Fol-
gendes zu berücksichtigen : a) Bekommt ein solcher Mensch irgend ein Fie-
ber und sind die Zufälle nicht heftig und gefährlich , so müssen alle hitzige,
reizende, aufregende, auch alle auflösende und ausleerende Mittel nach Mög-
lichkeit vermieden weräen. Das Fieber selbst, besonders wenn es ein Wech-
selfieber ist, ist hier oft sehr heilsam, ist als kritisches Naturbestreben zur
Entfernung der Plethora abdominalis und Hebung der Cachexia atrabilaria
zu betrachten, indem dadurch die atra Bilis zur Auflösung und Ausleerung
fähig gemacht wird. Das Fieber ist hier also blos in seinen Grenzen zu
halten , aber nicht zu hemmen oder zu unterdrücken , weim seine Bösartig-
keit und Gefahr kein anderes Verfahren gebietet ( Vogel). 6) Ist kein Fie-
ber zufällig eingetreten, so berücksichtige man, ob die atrabilarischeJMate-
rie beweglich, turgescirend und zur Ausleerung geschickt ist, oder nicht.
Ist sie noch zähe, verdickt, fest anhängend, so wenden wir nach Umstän-
den bald mildere, bald schärfere ilesolventia an, und die Cur erfordert viel
Zeit, Geduld und Umsicht. Ist sie aber zur Ausleerung geschickt, so ge-
ben wir wiederholt mildere oder derbere, kräftigere Ausleerungsmittel. „Un-
ter diesen (auflösenden und ausleerenden) Mitteln, sagt Vogel, verdienen
besonders die Mellagines und Extr. tarax. , graminis, chelid. maj., fumariae,
uiarrub. albi, millefolii, cicutae, belladonnae , die Terra foliat. tartari, das
Kalomel, der Goldschvvefel , Brechweinstein (refr. dosi), Molken, Butter-
milch , das Hydromel , Seiter - , Fachinger - Wasser etc. den Vorzug. Zu
den scharfem und eindringenden, bei kalten, feuchten Constitutionen beson-
ders anwendbaren gehören die Gummata ferulacea , die Arnica , der Tart.
tartarisat., die Squilla, Kermes mineral., die Karlsbader Wasser, der Seid-
schutzer und Püllnaer Brunnen etc. Häufig müssen hierbei laue Bäder, Ein-
reibungen von kräftigen Linimenten, vieles Getränk von verdünnenden, ein-
schneidenden Tisanen , eine sehr angemessene Diät , Klystiere , zuweilen
Blutegel, warme Umschläge etc. zu Hülfe genommen werden. Zu merken
ist, dass die schwarze Galle immer eine Vorbereitung erfordert, ehe sie
ausgeleert werden kann. Steckt sie in den Präcordien, so wird sie oft
schon von selbst ausgebrochen, oder doch nach einer leichten Hülfe. Es
gelingt oft vortrefflich, nach einigen Dosen Kalomel am andern Tage ein
passendes Abführungsmittel zu geben, wodurch zugleich dia schwarze Galle,
wenn sie vielleicht noch nicht recht deutlich war, nicht selten zum Vor-
schein kommt." c) Besteht die schwarze Galle mehr aus Blut als aus Galle,
so nehme man sich ja mit Brechmitteln in Acht, um Blutausbi-üche zu ver-
hüten. Besonders ist dies wichtig, wenn blos die Zufälle der Plethora ab-
dominalis und die Vorboten von Vomitus cruentus da sind, wenn die soge-
nannte atrabilarische Materie nichts Scharfem enthält, wenn sie weder säuer-
Most ^ncj'klopädie. litc Aufl. I. Q£
d62
HAEMORRHAGU
lieh , noch alkalisch reagirt. — Nach diesen einleitenden Betrachtungen
gehe ich zu unserer Krankheit, sowol zu der acuten als chronischen Form,
selbst über.
A) Vomitus cruentus, acute Form, B) Morlus niger, chronische Form.
Bei beiden wird Blut in den Darmcanal ergossen und dann ausgeführt. Hier
müssen wir zuerst untersuchen, ob es wirklich Blut ist, ferner ob dieses
der Kranke nicht etwa verschluckt oder eingesogen hat, wie dies bei Kin-
dern zuweilen, wenn die Brustwarzen der stillenden Mutter bluten oder
wenn sie an Nasenbluten leiden, der Fall ist. Ist es wirklich secernirt, so
forsche man nach, ob es aus der Nase (den Choanis), dem Magen oder den
Lungen kommt, was nicht immer leicht auszumitteln ist. Denn ist eine Blu-
tung stark, so entsteht häufig zugleich Erbrechen und Husten durch den
consensuellen Reiz beider Organe, sowol bei Lungen-, als bei Magenblu-
tungen. Die chemische Untersuchung des Blutes haben hier Einige als dia-
gnostisches Zeichen vorgeschlagen, behauptend, dass das Blut aus dem Ma-
gen säuerlich reagire. Allerdings ist dies oft der Fall, sobald der hinzu-
kommende Succus gastricus vorherrschend sauer ist. Da aber auch bei Hä-
moptysis Erbrechen und also auch Beimischung des Magensaftes zum ausge-
leerten Blute stattfinden kann , so ist dies Zeichen nicht sicher. Das ein-
zige sichere Unterscheidungszeichen giebt die Affection der leidenden Stelle.
Die Vorempfindungen und Vorboten der Magenblutungen sind Druck , Bren-
nen in den Präcordien , Magenkrampf, Übelkeit , Gefühl von bedeutender
Schwäche und Mattigkeit. Alsdann folgen zuerst Erbrechen, wodurch Blut
ausgeleert wird. Ein paar Tage später macht der Abgang des schwarzen
Blutes durch den Stuhlgang die Diagnose noch gewisser. Was die Beschaf-
fenheit des ausgebrochenen Blutes betrifft, so ist dieses zuweilen hellroth
und flüssig Hier ists erst frisch in den Magen ergossen, z. B. bei dem
acuten Blntbrechen , und seine Quelle sind die Kranzadern des Magens.
Häufiger wird es in dicken Klumpen ausgeworfen, ist schwarz oder, wenn
der Cruor ausgewaschen ist, weisslich, röthlich, wie Leber- oder Fleisch-
stücke aussehend. In andern Fällen, wo Morbus atrabilarius zum Grunde
liegt, sieht es wie Wagent beer, Roob sambuci aus, ist klebrig, zähe, pech-
artig , sowol der Abgang nach Oben , als nach Unten. Die Quantität ist
sehr verschieden. Ists eine zufällige Haemorrhagia oesophagi oder kommt
es aus dem Rachen, so bringt es oft sehr wenig, beim wahren Morbu.s ni-
ger dagegen binnen 24 Stunden oft 2, 3 und mehrere Pfunde. Im letztem
Falle liegt es zuweilen schon lange vorher im Magen, wie die Ohnmachen
und übrigen dem Erbrechen oft vorhergehenden Zufälle einer Haemorrhagia
interna dieses beweisen. Häufig ist die Milz hier die Quelle der Blutung,
und genaue Beobachtungen beweisen, dass dieses Organ sehr oft vor der
Blutung anschwillt, nach dem Blutabgange aber wieder kleiner wird; auch
<Ue Vasa brevia geben bei jedem chronischen Blutbrechen das Elut mit her,
desgleichen die Gefässe des Dünndarms. Arten des Blutbrechens. 1) Das
acute Leiden. Ist häufig rasche Folge von mechanischen oder chiemi-
schen Verletzungen des Magens, entsteht durch Stösse auf die Magenge-
gend, wie beim Boxen, durch verschlucktes Glas, Blutegel, durch Arsenik
und andere scharfe Gifte; auch plötzlich unterdrückte Hämorrhoiden und
Menstruation können bei vorwaltender Magenschwäche das acute Blu'brechen
erregen, besonders da, wo allgemeine Anlage zu Hämorrhagien s' atifindet.
In allen diesen Fällen ists kein Morbus niger, sondern Vomitus cruentns.
Cur. Da die Gefahr Wegen leicht entstehender Gastritis und Enteritis sehr
gross ist, so vermeide man alle Styptica, und gebe weder kaltes Getränk,
noch Säuren. Bei heftigen Zufällen versäume man Aderlassen und Blutegel
nicht ; ist die Blutung nicht stark , so machen wir blos kalte Umschläge auf
die Magengegend. Gegen Arsenik passt viel Milch, Öl, später Hepar sul-
phuris , bei Sublimatvergiftung eine Solution von Amylum (s. Intoxica-
t i o) , sind verschluckte Blutegel Schuld , so lassen wir eine Auflösung von
KQch.sal:^ trinken etc. Sind unterdrückte Menses Ursache, dann gleich ein
Aderlass' am Fuss und innerlich schleimige Getränke^ äusserlich kalte Um-
HAEMORRHAGIA 963
schlage; bei sehr starker Blutung in der Decrepitätsperiode oft einen star-
ken Aderlass, innerlich Crem, tartari, später mit Flor, sulphuris vermischt;
auch Blutegel an den Mastdarm, an die Genitalien, bei Schwächlichen aber,
wo die Blutung den erethistischeii Charakter hat, Elix. acid. Halleri in Ha-
ferschleim. 2) Blutbrechen als Symptom anderer allgemeliier Leiden,
z. B. bei Febr. flava, Scorbut, Morbus Werlhofii, Febr. putrida.- Cur.
Ist die des Grundübels und in den meisten Fällen die der paralytischen
Blutungen (s. Haemorrhagia paralytica), also Elix. acid. Halleri,
Tinct. cinnamomi, Alannmolken, Kochsalz (K. RusK) , Decoct. chinae, Ol.
terebinth. mit Eidotter etc. 3) Das chronische Blutbrechen, Bei
der Melaena Hippocratis ist ein chronisches topisches Leiden im Magen
selbst, am häufigsten und vorzüglichsten aber in der Milz. Der Kranke ist
hier oft gar nicht plethorisch, meist hager, blassgelblich, erdfahl von Farbe,
leidet schon seit langer Zeit an dyspeptischen Beschwerden aller Art, aa
Magendrücken, Übelkeit, saurem Erbrechen, an Geniüthsverstimmung , kurz
an den Zufällen der atra Bilis, ist schon über 40 Jahre alt, litt an depri-
mirenden Affecten , an hartnäckigem Wechselfieber etc. Er fühlt sich end-
lich einige Tage sehr matt, ohnmächtig, nun geht die Ausleerung des dunk-
len, oft theerähnlichen Blutes von Oben und Unten vor sich. Es erfolgen
oft tiefe Ohnmächten und starker Blutverlust ; doch tödten beide höchst sel-
ten plötzlich. Nach der Entfernung jener blutigen und atrabilarischen Mas-
sen befindet sich der Kranke nun besser , fühlt sich sehr erleichtert , seine
Hypochondrie ist weg, seine Verdauung wird besser. Aber in der Regel
macht das Übel Recidive, die anfangs erst nach 2 — S Jahren, dann öfter,
selbst 2 — Smal im Jahre kommen, worauf der Tod durch Schwäche, Ab-
zehrung und Wassersucht folgt. Die Section zeigt dann die oben beschrie-
benen organischen Fehler der Abdominaleingeweide. Cur. Man lasse sich
ia nicht verleiten, vor dem Eintritte der Blutung dem Kranken stärkende
Mittel zu geben. Sowie der Kranke bricht, so muss es fort, weil das Blut
oft schon lange im Magen und Darmcanal gelegen hat. Gewöhnlich erfolgt
Erbrechen von selbst ; ist dies aber nicht der Fall , so gebe man dennoch
ja kein Vomitiv, sondern suche durch Klystiere und gelind eröffnende Mittel
das Blut und die schwarze Galle nach Unten auszuführen. Bei dem Er-
brechen gebe man innerlich so wenig Arzneien wie möglich, lasse höchstens
kalten Thee von Herb, melissae , menthae trinken , gebe bei den Ohnmäch-
ten etwas Liquor. In der Regel hört das Erbrechen schon nach 24 Stun-
den auf. Alsdann verordne man innerlich Serum lactis tartarisat. oder ta-
marindor. , mache ätherische , warme Umschläge auf den Unterleib , lasse
strenge Diät halten, gebe keine heissen Speisen und Getränke, nichts Fe-
stes, auch keine Arzneien in Pulver- oder Pillenform, keine grossen Quan-
titäten von Nahrungsmitteln, kein grobes, kein frisches Brot etc.; dagegen
Obstsuppen, schleimige Dinge, leichte Bouillons, und lasse, wenn keine
schwarzen Massen mehr abgehen , viel weichgekochte Eier , Hirschhorngal-
lerte, gute Fleischbrühen etc. geniessen. Hält der Blutabgang aber meh-
rere Wochen an, wird der Kranke immer schwächer, so gebe man innerlich
Ser. lactis aluminosum. Mit den Amaris, den stärkenden, adstringirenden
Mitteln sey man auch hier sehr vorsichtig. Ist der Stuhlgang mehrere Wo-
chen mit Blut vermischt, nimmt der Blutabgang gar kein Ende, zeigen sich
die Symptome der paralytischen Hämorrhagie , so gebe man innerlich :
R; Aquae Inurocerasi ^^ , Tinct. cinnamomi 5j- M- S- Viermal täglich 50 —
60 Tropfen {Most); auch Eisenpräparate, selbst Ol. martis, p. d. 1 — 2
Tropfen alle 2 Stunden in Haferschleim, desgleichen Ol. terebinthinae, alle
2 Stunden 20 — 30 Tropfen, sind hier oft recht wirksam. Indessen sind
die Fälle einer solchen habituellen, chronischen Melaena nur selten. Weit
häufiger kommt es vor, dass der Blutabgang in 8 — 10 Tagen vorüber und
der Kranke gerade nicht sehr schwach darnach geworden ist. Hier achte
man ja auf Plethora abdominalis und atra Bilis, und verordne bei Anzeigen
dazu, um Recidive zu verhüten, Extr. graminis, taraxaci, weiterhin anhal-
tend Lac auimoniacale, dreimal täglich 2 Esslöffel voll, und halte auf eine
61*
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gute animalische, leichtyerdauliche Nahrung, auf tägliche massige Bewegung
iiu Freien und zu Fuss, und wähle nach den individuellen 'Umständen die
oben bei Plethora abdominalis und atra Bilis empfohlenen Mittel, gebe in-
dessen nur mit Vorsicht die Antimonialia , Mercurialia und Sulphurata, die
Squilla, Arnica, v.eil sie in den meisten Fällen zu reizend sind; nur da, wo
offenbare Leber - und Milzauftreibungen stattfinden , geben wir sie w ol ab-
wechselnd mit Extr. tarax. , chelid. , cicutae , digitalis ; aber hier hat mir
der anhaltende Gebrauch von Lac ammoniacale stets eben so gute Dienste
geleistet ; desgleichen die Herb, belladonnae , 10 und mehrere Wochen an-
haltend gebraucht (Most). Noch späterhin leistet das Elix. vitrioli Myn-
sichti, anhaltend gebraucht, oft noch sehr viel. Dagegen versäume man den
Gebrauch der genannten Mineralwasser ja nicht, worunter Karlsbad obenan
steht. Höchst selten gelingt, wenn das Übel schon Recidive gemacht, die
Radicalcur, doch kann man das Leben des Kranken durch gute Diät und
gelinde Arzneien lange erhalten , besonders wenn die gegen Plethora abdo-
fliinalis so nützlichen sogenannten Frühlingscuren nicht versäumt werden.
* Haemorr holdes, Morlus hncmorrhoidnlis , Fluxus hnemorrhoidalis
(yeraihet Ha emorrhoisis, Haemorrhois, HneinorrJintiin inlcstini recti), die Hä-
morrhoiden, Hä ni or rh oidal kran k heit, die sogen, güldene Ader,
Goldader fluss, Gol'daderk rankheit. Man unterscheidet hier 1) Hä-
morrhoidalbesthv\ erden , 2) blinde Hämorrhoiden, 3) Hämorrhoidalfluss,
4) Schleimhämorrhoiden , anomale Hämorrhoiden.
I. Diathesis hncmorrhoidalis , Motus haemorrhoidales , Molimina Jiaemor~
rhoidalin , Hämorrhoidaltriebe, Hämorrhoidalanlage, Hämor-
rhoidalbeschw erden. Symptome. Sind als Vorläufer der Uaeinor-
rJioides tlucnies {crucntae, tnucosne') und coecne zu betrachten, bestehen n) in
entfernten, imbestimmten, auch der Gicht, Lithiasis etc. zukonnnenden Be-
&'fchwerden der krankhaft erhöhten Venosität (der atra Bilis, Af.) , die Mo-
nate, selbst Jahre lang den h gedachten örtlichen Zufällen, periodisch kom-
mend und gehend, vorhergehen können, als: Druck, Schwere, ängstliches
Gefühl, Brennen im Unteileibe, Dyspepsie, Flatulenz, besonders nach blä-
hender Kost, Nausea, Ructus acidus, bald Obstructio alvi, bald Durchfall,
zuweilen Kolik, Kardialgie, Kopfweh, Wüstigkeit des Kopfs, Schwindel,
mit Schleim bedeckte Zunge, Schläfrigkeit, schreckhafte Träume, Klingen
und Sausen in den Ohren , tiefliegende Augen mit blaulichen Ringen , Herz-
klopfen , Flimmern , schwarze Punkte vor den Augen , Neigung zum Husten,
Katarrh ohne vorhergegangene Veranlassung, mitunter Dyspnoe, förmliches
Asthma, zumal bei Gcmüthsbewegungen, nach starker Mahlzeit, Bergstei-
gen ; Erleichterung dieser Beschwerden bei massiger Bewegung zu Fusse,
zu Pferde, weniger Erleichterung, oft Vermehrung beim Fahren ( Toü) 5
Rauhigkeit im Halse, Räuspern, Brennen, Schmerz in der Brust , Schauder,
fliegende Hitze, starke Schweisse nach leichten Bewegungen, Seufzen, erd-
fahle, bleiche, gelbliche Gesichtsfarbe; Schwere, Mattigkeit, Einschlafen
der Glieder, Ameisenkriechen und andere Zufälle kranken Gemeingefühls,
Ärgei'lichkeit , Verdriesslichkeit, hyppchondrische Stimmung. In Folge des
nach dem Recto turgescirenden Blutes und der dadurch entstandenen Rei-
zung der HämoiThoidal - , sowie der mit ihnen connectirenden Gefässe der
Harnwerkzeuge, Geschlechtstheile, überhaupt des Gefässapparats des Becken»,
erfolgen endlich Z») die örtlichen, nähern Beschwerden, welche schon siche-
rer die Tendenz der Naturkraft zur Entladung der erhöhten Venosität durch
Haetnorrhoides coecne et fiuculcs verkünden, mitunter aber auch nur als Be-
gleiter verborgener öicht, Lithiasis angesehen «erden können (weil Hämor-
rhoiden und Steinbildung nach meiner Anaicfit niu' ungünstige Krisen der
Gicht sind, sobald die wahren Krisen durch Schweiss ur.d Urin nicht hin-
reichen. Most). Diese sind: Gefühl von Vollheit ui.d Hitze, Schwere,
Reissen, Stiche, Krampf im Mastdarme, Tenesmus, Reissen, Ziehen und
Klopfen im Kreuze, Os sacrum, im ganzen Rücken, Pruritus podicis ohne
Askiuidcn, Colica haemorrhoidalis , starker Trieb zum Coicus, oft ohu« die-
iiae:\iorrhoiües 965
spn Trieb Erectionen , nächtliche Pollutionen , Jacken an der Eichel , in der
Harnröhre, leichte Anschwellung des Praeputii und der Hoden, Schmer?!,
Spannung darin, Blennorrhoea urethrae, Dysurie, trüber, schleimiger oder
mit orangefarbenem (harnsaurem) oder rosenrothem (Xanthoxyd enthalten-
dem) Bodensatz versehener Urin , oft selbst Ischurie , Schleimabgang aus
dem Mastdärme ohne Pressen, wodurch er sich von den Schleimhämorrhoi-
den unterscheidet, Schweisse, Ausschläge am Perinaeum. Ursachen. Prä-
disposilion giebt erbliche Anlage, besonders das Lebensalter zwischen den
Jahren 30 und 52; um so mehr, je stärker die Gelegenheitsursachen ein-
wirken. Diese Alllage geht aus einer ursprünglichen Diathesis morbosa der
zur Ausscheidung kohlenwasserstoffiger Verbindungen aus der Blutmasse be-
stimmten , dem ßlutgefässsystera angehängten , Colatorien oder Reinigungs-
oi'gane (der Lungen , welche in Gasgestalt den Kohlenwasserstoff ausfüh-
ren, der Nitren, der äussern Haut, welche im Harn, im Schweisse, der
Leber, welche in der Galle, der Darmschleimhaut, welche im Schleime die
Blutreinigung bewerkstelligen). Gelegenheitsursachen sind alle solche Dinge,
welche jene Ausscheidung des Kohlenwasserstoffs aus dem Blute durch die
genannten Organe beeinträchtigen und direct zur Vermehrung jenes Stoffes
beitragen; als: übermässiger Genuss fetter, mehliger, viel Kohlenwasserstoff
enthaltender Speisen, der Gewürze, schweren Biere, des Kaffees, der Spi-
rituosa; sitzende Lebensart, Mangel an Körperbewegung, wie bei Gelehr-
ten, Künstlern, Schreibern, Schustern, Schneidern; Störungen in den Fun-
ctionen der genannten Reinigungsorgane, besonders durch Erkältung, Auf-
enthalt in feuchten, heissen Klimaten, in kältern Seegegenden , in dunkeln,
feuchten, nicht nach Mittag gelegenen Wohnungen; deprimirende Affecten
und Leidenschaften aller Art, Excesse im Schlafen und Wachen, im Bei-
schlafe, oder auch zn grosse Enthaltsamkeit (^Puchclt) , Onanie, Schwan-
gerschaft, Cessation der Katamenien im Alter der Decrepität. Wesen.
Hämorrhoidaltriebe sind als ein Bestreben der Natur zu betrachten, eine
durch die krankhaft erhöhte Venosität gesetzte Störung in der harmonischen
Wechselwirkung der organischen Systeme durch Antrieb des Blutes nach
den Gefässen des Mastdarms (wol nur secundär, primär aber zum Pfortader-
system , Most') zu heben , oder , mit andern Worten : die krankhaft erhöhte
Venosität, wie in andern Fällen durch Gicht, Stein etc., hier bei vorhan-
dener Anlage durch einen congestiven Zustand der Hämorrhoidalgefässe von
combustibeln Stoffen zu entladen und so gleichsam eine Krise für anderwei-
tige Leiden herbeizuführen. Ausgänge. Häufig folgen Haemorrhoides
fluentes, oder coecae; zuweilen verschwinden die Molimina ohne weitere
Folgen; mitunter bilden sich anderweitige Leiden: allgemeine Kachexie,
Gelbsucht, Leber-, Magenverhärtung, Hypochondrie, Neurosen aller Art,
Haemoptysis, Haematemesis, BlutHüsse aus andern Theilen als Folgewir-
kung der Regurgitation des Blutes von den Hämorrhoidalgefässen nach an-
dern, meistentheils in krankhafter Anlage begriffenen Organen. Cur. War
noch kein Hämorrhoidalfluss früher da , ist durch letztern kein anderweiti-
ges Übel zu beseitigen , so können wir die Hämorrhoidalanlage , ohne die
Haeniorrh. fluentes zu befördern , dreist heilen Bei starken Trieben , bei
robusten, plethorischen Subjecten, bei Frauen in der Decrepität, in der
Schwangerschaft, nach vorhergegangenen Erkältungen, Erhitzungen, und
bei vollem hartem Pulse passt ein Aderlass am Fuss ; bei weniger dringen-
den Anzeigen dazu Blutegel ad anum, perinaeum, bei fehlenden Indicationen
zu Blutausleerungen oder nach diesen innerlich alle 2 — 3 Stunden 1 Thee-
löffel voll Crem, tartari 2 Theile mit Flor, sulphuris 1 Theil, auch mit
Magnes. carbon. versetzt. Bei vielen Wallungen und Neigung zum Ent-
zündlichen, bei fieberhaftem Zustande giebt man Crem, tartari ganz rein mit
Wasser, bis einige Stühle erfolgen. Bei spastischen Beschwerden ohne be-
deutende Reizung im Gefässsystera wirken Flor, sulphur. mit Rheum, Pulv.
ecphract. Sellii, auch Folgendes; I^ Magnes. sulphnric. jj, Aq. melissne,
Tincf. rhei aqtios. ana jjj. M. S. Morgens und Abends die Hälfte, sehr gut;
desgleichen Flor, sulphur. mit Extr. hyoscyanü, mit Pulvia rad valer. , Flor.
966 HAEMORRHOIDES
charaomillae, äusseilich krainpfstillende Umschläge, Eini-eibuiigen , ein Kli-
stier von 1, 2 — 6 Gran Kalomel, Aq. valer. jjiv, Guram. arab. 5J>. (^Ko^yp).
Bef krampfhafter Coustrictio recti passen kleine Klystiere mit Extr. hyoscyami;
bei grossem Torpor innerlich zweimal täglich 1 Gran Extr. aloes aquos. mit
,Sal amar. — Sind schon früher fliessende Hämorrhoiden da gewesen, hat
man Hoffnung , andere Leiden durch Beförderung eines Hämorrhoidalflusses
zu beseitigen, dann passen Laxantia aus Priores sulphuris, Blutegel ad anum,
Fussbäder, warme Dämpfe , Dampfbäder, bei krampfhaftem Zustande im
Unterleibe innerlich zugleich Extr hyoscyami, Flor, chamomillae, Rad. va-
lerianae. Passives Verhalten, reizlose Diät im Herbst und Frühling sind,
zumal bei kritisch sich verkündenden Hämorrhoidaltrieben , oft das beste
Mittel, um die Beschwerden anderer Axt zu heben und einen heilsamen Hä-
morrhoidalfluss unter fieberhaften Reactionen zu befördern. Will man die-
sen nicht befcirdern, so passen zur radicalen Beseitigung der Molimina Extr.
tarax , gramlnis, saponariae, chelidonii in grossen Gaben, desgleichen Gumm.
ammoniac. , Asa foetid. , bei spastischen Beschwerden mit kleinen Dosen Fei
taur. , Aloe; ausserdem Eger- , Mariakreuz-, Obersalzbrunnen, im Frühling
bei Robusten PüUnaer Wasser, später Karlsbader Brunnen (natürlicher oder
der künstliche), anhaltender Gebrauch von Kali tartaricum und aceticum mit
den genannten resolvirenden Extracten. (Sehr wirksam sind auch blutrei-
nigende Species [s. Haemat ocathartica], desgleichen der sechswöchent-
liche Gebrauch der Aq. soterin GJiigini, welche vom Med.-Rath Votjel, so-
wie von mir oft mit grossem Nutzen verordnet worden. Sie besteht aus
}y Magnes. cnrhon. 3jjj, solve in Aq. fontnn. frigid, fijjß, agitnndo sensim
fidmisce Acidi sulphur. diluli 5ix. M. S. Dreimal täglich ein ßierglas voll.
Die Verdünnung der Schwefelsäure ist Acid. sulph. concentr. 1 Theil, Was-
f-er 6 Theile, Most). Auch Fran1;^s salzig - gasartiges Mineralwasser zu
8 — 10 Unzen binnen einer halben Stunde des Morgens nüchtern, 4 — 5 Wo-
chen lang getrunken, die Spec. lignor. , das Decoct. Zittraanni sind in sol-
chen Fällen nützlich. Höchst wichtig ist die Diät, sowol während der Mo-
limina, als zu andern Zeiten, zur radicalen Cur. Ruhe des Körpers und
der Seele, horizontale Lage, Matrazzen, nur massig warme Bedeckung,
Vermeidung aller geistigen Getränke, des Branntweins, Weins, Kaffees,
Thees, der Chokolade, dagegen viel kaltes Wasser, schwache Limonade,
schwaches gutes Bier, leichte reizlose Diät, Wassersuppen, Compots von
säuerlichen Früchten , leichte Fleisohsuppen , keine stark gewürzten , kräf-
tigen , blähenden Speisen ; Äiässigkeit im Essen während der Molimina ist
oft allein hinreichend , um die Anfälle zu beseitigen ; ausser der Zeit der
Triebe fleissige Bewegung im Freien , körperliche Arbeit , Vermeidung aller
Spirituosa, alles Fetten, Sauren, Ge\^ürzten, Blähenden, Erhitzenden, eine
leicht nährende Kost, zum Getränk am besten Brunnenwasser; heitere, ru-
hige Gemüthsstimmung.
IL Hnemorrhoides coecae , Varices vasoriim haemorrhoidnlium, blinde
Hämorrhoiden, Hämoirhoidaladerknoten. Sym-ptome. Häufig die Vor-
boten der Molimina, die in einzelnen Fällen, wo örtliche Schädlichkelten
(Reizungen des Mastdarms, durch scharfe Klystiere, schwere Geburten etc.)
stattfanden, fehlen. Es zeigen sich am Mastdarm oder in demselben {Hae-
morrh. externne et internne) kleine , Spargelköpfen gleichende , bläuliche,
bleifarbene, glänzend dunkelrothe , oft beuteiförmige (//. snccatnc) , weiche,
glatte, oft lederartig hart werdende (ff. scirrhosne) Geschwülste von der
Grösse einer Erbse bis zu der einer Faust, sich bildend in der Schleimhaut
des Mastdarms und von mannigfaltiger Gestalt (ff. itvnlcs, morif armes , ver-
rncosne, vcsicnles), mit bald breiter, bald stielförmiger Basis, häufig eine
schleimige, übelriechende Feuchtigkeit secernirend ; anfänglich zeigt sich
nur ein Knoten, später kommen mehrere, oft zuletzt ein ganzer Knoten-
wulst um die Mastdarmöffnung, ein förmlicher Klumpen von Knoten. In
Folge dieser Geschwülste (mehr der nach Aussen als der nach Innen gele-
genen) entsteht Spannung und Druck , bei zunehmender Grösse derselben
Tcuesmns , dabei fast immer Obstructio alvi, heftiger Schmerz beim Stuhl
HAEMORRHOIDES 067
gange wegen der harten Kothstücke, platte, nicht cirkelrunde Form de»
nicht zu starken Abgangs. Bei heftigem Drängen kommen die Haeraorrh.
internae oft hervor , treten anfangs zurück , bleiben späterhin vor dem Ano
liegen, sind nur durch Kunst zurückzubringen, schwellen zur Zeit der Mo-
limina, aber auch nach jeder reizenden Diät, nach Debauchen in Baccho
(^Tott) an, und dürfen nicht mit andern Geschwülsten, Warzen, Kondylo-
men am After verwechselt werden. Zur Diagnose dienen die Molimina, selbst
bei scirrhösem Zustande ; bei den rein örtlichen Knoten ist die Diagnose '
schwieriger. Ursachen. Ausser den genannten der Molimina bei allge-
meiner Diathese, entstehe^ diese Knoten oft auch aus örtlichen Ursachen:
durch hartnäckige Leibesverstopfung, Vita sedentaria. Missbrauch der Kly-
stiere, Stuhlzäpfcjien , der Purgirmittel, des Schwefels , durch Päderastie,
Schwangerschaft, häutige Geburten; häufig ist auch erbliche topische Schwäche
des Mastdarms Schuld. Das Wesen der blinden Hämorrhoiden ist variköse
Ausdehnung und Erweiterung der Hämorrhoidalvenen und dadurch anfäng-
lich der Schleim- und zuletzt auch der äussern Haut des Mastdarms , welche
die Hülle der Varices bilden, als Folge entN^eder der Diathesis haemorrhoi-
dalis, oder, wie bei den topischen Leiden , aus einer Schwächung, Erschlaf-
fung der Hämorrhoidalvenen und dadurch veranlasster passiver Congestion
nach diesen, Anhäufung von Blut in ihnen. Ausgänge. Häufig Hämor-
rhoidaltluss ; oft verschwinden sie , wechseln mit den fliessenden , kehren pe-
riodisch wieder, verbinden sich mit denselben, es bleiben auch ausser der
Zeit der Molimina, hier der Anschwellung der Hämorrhoidalvenen (finemorrh,
iMjnento genannt) , erschlaffte, blutleere Gesphwülste, oft mit geronnenem
Blute gefüllt und dann zuweilen sehr gross werdend, zurück; öfter harte
Indurationen der Knoten, fälschlich Haemorrhoides scirrhosae genannt, nicht
selten Entzündung derselben (ff. furentes , inflammatae , dolenies), mit wü-
thendem Brennen und Schmerz im Recto, Fieber, selbst Gonvulsionen, ent-
stehend durch starke Bewegung, Missbrauch der Spirituosa, reizende Spei-
sen, Obstructio alvi , Gallenreiz, wobei auch consensuelle Schmerzen im
vRecto, Perinaeo, im Kreuze stattfinden. Die Knoten gehen dann oft in Ei-
terung über, es bilden sich Fisteln in ihnen und im Mastdarm (s. Fistula
ani), oder es folgt auf die heftige Entzündung tödtlicher Brand, oder In-
duration mit bösartiger Exulceration , fälschlich Carcinoma recti genannt,
wobei häufig Prolapsus ex ano, Fistelbildung vorkommt. Im günstigsten
Falle heilen durch Hämorrhoidalfluss und örtliche Behandlung die Knoten.
Cur. «) Bei den aus der Diathesis haemorrhoidalis entspringenden Knoten
gebe man innerlich anhaltend Kali tartaric. , Kali acetic. , mit bittern auflö-
senden Extracten , Eger - , Mariakreuz - , Karlsbader - , Obersalzbrunnen,
auflösende Visceralklystiere neben reizloser Diät (s. oben Diathesis hae-
morrhoidalis). Zur Zeit der Anschwellung der Knoten dienen beson-
ders Ruhe, reizlose Diät, gelinde Laxantia, ganz vorzüglich Kali tartaric,
Magnes, sulphurica, Natrum phosphoric. mit Flor, sulphuris , im Nothfall
Blutegel in der Nähe der Knoten, noch besser Öffnung derselben durch
Lanzettenstich; bei entzündeten Varices nach Umständen Aderlass, Blutegel
ans Perinaeum etc., Schröpfköpfe an die Oberschenkel, örtliche laue Däm-
pfe , erweichende Fomentationen , solche Insessus mit Zusatz von Herba
hyoscjamij schleimige Injectionen ins Rectum, bei heftigem Brennen aus
2 — 4 Loth frischem Leinöl, Bestreichen der Knoten mit Milchrahm, Eieröl,
ungesalzener Butter; weniger zu empfehlen ist Unguent. althaeae mit Opium
(1'ott); späterhin bei Nachlass der Schmerzen die obigen Fomentationen mit
Zusatz von Acet. saturni , Verbinden mit Gerat, saturni, Unguent. linariae,
mercuriale cum opio ; innerlich nach gehobener Diathesis inflammatoria zur
Beruhigung Extr. hyoscyami, Opium; bei zurückbleibendem Torpor der
Knoten nach gehobener Entzündung RiisVs Mischung: 1^ Unguent. satumin.
5f], , Alum. crudi 3jj , Opii puri 5j^. M. S. Mittels Leinwandläppchen auf-
zulegen. Auch Linira. saponato - terebinth. , in Aq. chamomill. oder Acj. sa-
turni gelöst und warm aufgelegt (ßereriJs) , oder auch eine Salbe aus
I^' Butyr. rec. msithi 2Jj, Alum. criuli 3j, v\ eiche Mittel auch bei leeren,
988 HAE^.IORRHOIDES
schlaffen Knoten passen , sind zu empfehlen. Die mit geronnenem Blute ge-
füllten Knoten öffnet man mit der Lanzette ; bei starker Entzündung und
drohender Eiterung der Varices , wenn die Schmerzen klopfend sind , dienen
erweichende Breie, baldiges Öffnen mit der Lanzette, Verbinden mit Blei-
salbe; bei starken Blutungen Ausrottung des Knotens durch den Schnitt (s.
Thom. CopclaiuVs Bemerk, über die vorzügl. Krankh. des Mastdarms etc.
A. d. Engl, von Friedreich. Halle, 1819. Richter' s Anfangsgr. d. Wundarz-
neikunst; Bd. VI. S. 397); auch als Palliativ mache man diese Operation
ausser der Z*it der Molimina. Sind während des Stuhlgangs Knoten vorge-
fallen, so zieht man die Nates auseinander, und bringt jene durch einen
sanften, anhaltenden Druck mit der flachen Hand oder mittels des mit Öl
bestrichenen Fingers zurück; bei eingeklemmten Knoten erweitert man den
After mittels eines Speculnm ani mit sehr dünnen Branchen, worauf man die
Knoten reponirt; oft müssen letztere aber vorher geöffnet und vom Blute
befreit werden, fc) Auch die aus örtlichen Ursachen entstandenen Hämor-
rhoidalknoten werden nach Verschiedenheit der Umstände (Entzündung, Ei-
terung etc.) ebenso behandelt. Bei starken Blutungen kann man hier dreist
kaltes Wasser zu Umschlägen, Einspritzungen anwenden; radical heilen wir
sie durch die Exstirpation, besonders wenn sie schon indurirt sind. Über-
haupt wenden wir hier zur Heilung täglich kalte Klystiere, jedesmal unmit-
telbar nach erfolgter Leibesöffnung, anfangs temperirt, nach und nach käl-
ter, 14 Tage und länger an, anfangs zu 3 — 4- Unzen, nach und nach bei
horizontaler Lage auf der linken Seite in grössern Portionen. Doch vermei-
den wir sie bei Flnxus haemorrhoidalis, bei Blutspeien, Blutbrechen, Habi-
tus apoplecticus, weil sie leicht schädliche Folgen hinterlassen (s. Sommer
Diss. de haemorrhoidis coecis. Berol. 1821).
ni. Flmvus haemorrhoidnlis , Hnemorrhoides fJiientes , Hämorrhoidal-
fluss, Go Id aderf In SS, fliessende Hämorrhoiden. Symptome.
Nachdem Monate, Jahre lang die verschiedenen Vorboten der oben beschrie-
benen Molimina stattgefunden, vermehren sich diese bedeutend: als Kolik,
Strangurie, Tenesmus, Herzklopfen, Angst etc. , es zeigt sich nun der Blut-
abgang per anum nach der Kothausleerung, zuweilen mit dem Kothe ver-
mischt, öfters ohne 'Pressen und Schmerzen, wenn nämlich die blutenden
Gefässe unter dem Schliessmuskel am äussern Rande des Afters sitzen. Die
Menge des abgehenden Blutes ist sehr verschieden , oft nur wenige Tropfen,
nur Blutstreifen auf den Faeces, diese oft nur mit blutigem Schleim über-
zogen, oft 2 Unzen, oft mehrere Pfunde (^Haemorrh. profusne). Ist der
Blutfluss zu gering, so fühlt der Kranke sich nicht von den frühern Be-
schwerden erleichtert; ist er zu stark, so zeigen sich andere unangenehme
Folgen; ein bestimmtes Mas,s des kritischen Btutttusses lässt sich nicht an-
geben, da die Individualität des Menschen verschieden ist. Das abgehende
Blut ist beim Abgange und bald nach der Ergiessung roth und flüssig, bei
längerem Verweilen sieht es schwarz und geronnen aus, riecht widerlich
(ähnlich dem Lochienfluss, Most), fliesst entweder nur wenige Minuten, häu-
figer einige Tage lang unter Wiederholung bei jedem Stuhlgange. Die Blu-
tung kehrt oft regelmässig, oft atypisch, jährlich zwei, drei und mehrere
Male , häufig in? Frühling und Herbst , wo Evolutionen im Makrokosmus
stattfinden, alle halbe Jahre, alle drei Monate, selbst wöchentlich zurück;
oft ists nur eine einzige Blutung im ganzen Leben, selten habitueller Blut-
verlust. Jeder neuen Blutung gehen die Molimina vorher, werden aber im-
mer seltener, je mehr sich der Fluss regulirt (stellen sich indessen bei dem
Aufhören des jedesmaligen Flusses ebenso oft ein, als sie ihm vorhergehen,
Most), und dieser erfolgt zuletzt selbst öfter ohne Empfindung {Tott).
Nach dem Blutabgange fühlt sich der Kranke erleichtert, wenn derselbe
hinreichend für ihn, also kritisch war; symptomatischer oder örtlicher Hä-
morrhoidalfluss erleichtert fast gar nicht; der kritische Fluss wechselt mit
Gicht, Stein etc. häufig ab, lindert oder beseitigt die durch diese erregten
Beschwerden, begleitet diese Übel aber oft nur als Complication , mit ihnen
aus einer Quelle entsprungen. Diagnose. Die Ruhr unterscheidet sich
HAE'^IORPtHOIDES 9Ö9
Ton dfim GoWaderflass dnrch den Abgang des reinen Blutes, der oft alle
10 Minuten folgt, mit stärkerem Tenesmiis, oft mit Fieber, jedesmal mit
vorhergehender Kolik verbunden ist, und wo Ruhr- und Stuhlgänge deut-
lich unterschieden sind. Auch das Epidemische der Krankheit, das oft feh-
lende Stadium der Vorboten der Hämorrhoiden (Diathesis haemorrhoidalis),
die fehlenden Varices, die mangelnde Periodicität, das den Hämorrhoiden
nicht immer gemässe Alter, der fehlende eigenthümliche Geruch des Hämor-
rhoidalblutes etc., dienen zur Unterscheidung (^Drcijssi(f). Ursachen. Al-
les, was die Hämorrhoidaldiathese steigert, befördert den Fluxus als Folge
allgemeiner Ursachen. Diätfehler, besonders Erkältung, Erhitzung, Ob-
structio alvi, erhitzende Speisen und Getränke, auch Witterungswechsel,
kosmische und tellnri.<che Einflüsse, die Evolutionen der Jahreszeiten neben
vorherrschender Plethora abdominalis, atra Bilis , gehören hierher. Ursa-
chen der zu sparsam ttiessenden Hämorrhoiden sind: Missbrauch kalter, ad-
stringirender Klystiere, aller Dinge, welche den Fluss stopfen (s. Hae-
morrh. suppressae), aber auch wol die noch nicht vollendete Fähigkeit
der Naturkraft, den Übergang der Diathesis haemorrhoidalis in den Hämor-
rhoidalttuss zu bewirken, woran ein fehlerhaftes Regimen, zu vieler Arznei-
gebrauch, grosse Nervenreizbarkeit und Anspannung des Nervensystems
Schuld seyn kann. Wesen. Der Hämorrhoidalblutfluss ist eine Krise für
anderweitige Leiden; er entsteht, wenn die Molimina den höchsten Grad
erreicht haben, gleichsam als eine Auflösung jener in ihm, wodurch die Dis-
harmonien, weiche die erhöhte Venosität erzeugte, gehoben werden. Das
Periodische hat seinen Grund in der Lebensweise , .wie in der Periodicität
atmosphärischer Einflüsse. 'Ausgänge. Der Hämorrhoidälfluss wird kri-
tisch für die erhöhte Venosität und deren Beschwerden, wenn er stark ge-
nug ist; der Kranke kann dann bei zweckmässiger Lebensweise ein hohes
Alter dabei erreichen. Bei Kindern , Jünglingen folgt leicht Wassersucht,
Gelbsucht und andere Kachexien; im höhern Alter in Folge des Verschwin-
dens der Hämorrhoiden kommen leicht apoplektische , paralytische Zufälle,
innere tödtliche Entzündungen, in Folge zu starker Hämorrhoiden leicht
Kachexien: , Hydrops, Febr. hectica, wenn man sie aber mä.ssigen will, Apo-
plexie vor. Sind die Goldadern zu sparsam fliessend , so zeigen sich nicht
selten Hypochondrie, Vomitus cruentus. Blutspeien, Obstruclionen der Le-
ber, der Milz. Bei Schwangern folgt auf Hämorrhoidälfluss leicht Abortus;
bei Complicationen mit andern bedeutenden Krankheitsformen ist der Aus-
gä,ng oft bös, und es zeigen sich theils örtliche Krankheiten des Mastdarms,
theils auch die Zufälle der Haemorrh. suppressae. Cur. 1) Sie muss je-
desmal, sobald der Blutfluss dem Kranken Erleichterung der den Molimini-
bus eigenen Beschwerden verschafft , eine passive seyn, lediglich eine reiz-
lo.se , nährende , bei Orgasmus im Gefässsystem eine wässerige , schmale
Diät, Ruhe des Körpers in horizontaler Lage, Geraüthsruhe, Vermeidung
zu grosser Wärme und Kälte, schneller Abwechslung beider, der Erkältung
der Füsse und des Unterleibes, Vermeidung kalter, zugiger Abtritte. Arz-
neimittel passen gar nicht, höchstens bei Obstruction ein eröffnendes Kly-
stier. 2) Dagegen gebrauchen wir bei den rein örtlichen fliessenden Hä-
morrhoiden mit Nutzen kalte Klystiere, später Decoct. salic. , quere, Alaun,
kalte Umschläge auf den After, um den Fluss zu unterdrücken. 3) Nicht
immer sind die Hämorrhoiden bei Schwangern etwas Ortliches ; gewiss hat
auch die erhöhte Venosität in der Schwangerschaft einigen Antheil daran.
Daher sey man hier vorsichtig mit dem activen topischen Verfahren (^Tott^.
4) Bei den zu sparsamen Hämorrhoiden, nach oben aufgestellten Begriffen,
wendet man dieselben Mittel, wie bei den unterdrückten (s. d.) an, beson-
ders wenn Gicht, Hypochondrie, psychische Leiden, Neurosen da sind,
welche nach geregelten Hämorrhoiden, der Erfahrung gemäss, nicht selten
verschwinden. 5) Zeigen sich die Hämorrhoiden schon im Kindes- oder
Jünglingsalter, so schiebe man ihre Entwicklung so viel wie möglich durch
die gegen die krankhaft erhöhte Venosität gerichteten Mittel hinaus, 6) Bei
profusem Hämorrhoidälfluss^ d. h. bei solchem, wo sich die Folgen starker
970 HAEMORRnOIDES
Blutuopen : Gesiclitsblässe , Flimmern vor den Atigeii , Ohrensausen , bei
fangsamer und starker, oft wiederkehrender Blutung Dyspepsie, Anorexie,
Magerkeit, Febris hectica etc. zeigen (s. H ae m or rhagia), muss man
nach Umständen den Fluss massigen, anhalten, selbst unterdrücken; doch
letzteres nur bei drohender Lebensgefahr. 7) In seltenen Fällen ist bei ro-
busten Leuten selbst während des Flusses der entzündliche Charakter vor-
waltend. Hier strenge und knappe Diät, Fasten, Wassertriuken , Alaun-
inolken , Crem, tartari, Pot. lliverii , selbst Nitrum, ein kleiner Aderla.ss am
Arm, Vermeidung aller örtlichen Mittel. 8) In den mei:äten Fällen begleiten
spastische Zufälle den Fluss. Kleine Dosen Ipecacuanha, kleine öabeu
Opiumtinctur , oft wiederholt, bei Hypochondristen Pillen aus Asant und
Castoreum, wirken hier am besten. Hiufig .sind Blutwallungen und spasti-
sche Beschwerden zugleich da und der Biutfluss ist sehr profus. Hier pas-
sen Eiix. acid. Halleri mit Tinct. cinnam. und Tinct. opii ; au.s.«erdem die-
nen Frictionen der Arme mit warmen Tüchern, Armbäder, cirkelformige
Um.schnürungen , trocknes Schröpfen der Herzgrube, Linim volat. camph.
in den Unterleib eingerieben, innerlich Valeciana mit Äther. Ist aber der
Blutflnss massig, so passen solche Mittel nicht, >veil sonst die Symptome
der Haemorrh. suppressae eintreten. 9) Bei dem selten vorkommenden pas-
siven, atonisclien HämorrhoidalHusse gebe man Thee von Herb, millet'olii,
Elix. acid. Halleri, Tinct. cinnamomi, Ol. cinnamomi, Acid. phosphor. , Ra-
tanhia, Tormentilla, Alaun, Catechu , China, selbst Eisen, \ erbindungen
dieser Mittel mit Kalmus , Cort. aurantior. ; äusserlich passen kalte Um-
schläf^e, kalte Klysiiere, Fomentationen von warmem Branntwein, Aq. vul-
nerar. Theden., Klystiere von Gumm. arab. und Tinct. opii, selbst von
Säuren; bei Lebensgefahr Einbringen von Tampons, mit Sol. aluminis, Aci«
Goulardl befeuchiet , besonders bei örtlichen Hämorrhoiden. Sind gro».se
Hämorrhoidalsäcke da, so muss man sie durch einen Schnitt entfernen. Hat
die Blutung ihr Ende erreicht, ist das Übel nicht veraltet, das Subject
nicht kachektisch, so versuchen wir die Radicalcur (s. Haemorrh. coe-
cae). In andern Fällen beschränken wir uns auf ein gutes Regimen, näh-
rende, nicht erhitzende Diät, massige Bewegung im Freien, Sitzen auf har-
ten Holzrohrstühlen , auf pferdehaarnen , mit Leder überzogenen Polstern,
Vermeidung warmer Betten ; zum täglichen Getränke kaltes Wasser^ reines,
nicht starkes, gut gegohrnes Malzbier ohne alle künstliche Zusätze , leichter,
rother Wein ausser der Zeit des Blutflusses (Toll). 10) Nicht selten sind
"Würmer , Milz - und Leberverstopfungen Ursachen des profusen Flusses.
Nach beendigter Blutung wirke man dagegen, verordne Gummata ferulacea,
Anthelminthica , bei Nervenreizbarkeit Valeriana, bei Gefa.ss^chwächp M'Ile-
folium , Quassia, Trifolium, China, und mit > ersieht Eisen.
IV. Ilncmorrhoides ohstrnctne, Fhunts hnemorrhoidulis cessavs , der sich
a 1 1 m ä l i g m i n d <^ r n d e H ä m o r r h o i d a l f 1 u s s , und Hncinorrhnidcs sup-
pressae, der unterdrückte Hämorrhoi dal fluss. 1) Die fliessenden
Hämorrhoiden verm'.ndern sich entweder nach und nach ohne weitere Fol-
gen, z B im höhern Alter, oder es entsteht daraus Hypochondrie, Hyste-
rie, Kardialgie, Flatuler^z, Obstruction , Dyspepsie, Leber- und Milzleiden,
Melaena, Asthma, Hydrothorax, Phthisis pulmonalis exulcerata , pituitosa,
Haemoptysis, Herzklopfen, Paralyse, Apoplexie, Arthritis, Lumbago, Ischias,
Neuralgien aller Art Ursachen der Minderung des Blutflusses. Fehler-
haftes Regimen, Erhitzung, Erkältung, zu reizende Diät, Gemüthsbe.ve-
gungen, gastrische Reize, Dyscrasia arthritica, venerea, Ausschlag.-^metasta-
sen, Fieber, Missbrauch kalter und adstringirender Lavements, solcher Bä-
der und Fomentationen ; aber auch Mangel an Naturkraft zur Bestreitung
des Blutflusses, zu hohe Ncrvenreizbarkeit im Unterleibe, dadurch Irrujigen
zwischen der Wech-^clwirkung des Gefäss - und Nervensystems, gestörter
Entladnngsproces'* aus den Hämorrhoidalgefässen , mit ihren oben genannten
Fol''»*n oft aus gemeinschafüicher (^nelle entspringend, daher beide nur
Coelfect einer und denselben L-rsache sind. Cur. Regelmässige Wiederher-
stellun'» des Flusses ist nur bei noch vorhandenen IVlvlimii)ibus möglich, so-
HÄEMORRHOiDES 971
bald die Ursachen der Retention entfernt sind. Wir geben . hier bei hoher
Nervenreizbarkeit Antispasmodica, innerlich und äusserlich; bei mangelnder
Naturkraft und Abwesenheit jenes gereizten Zustandes im Unterleibe die so-
genannten Pellentia : Aloe , Myrrhe , Elix. aperitiv. Clauderi , proprietatis,
longae vitae , Sabina , Helleborus , Crocus , Borax , Pil. Stahlii , Bacheri,
Dampfbäder ad anum , warme Fussbäder , öfters Blutegel an den After,
-trockne Schröpfköpfe an die innere Seite der Schenkel, erweichende Kli-
stiere, Reiben der untern Gliedsnassen, im Sonuner warme Halbbäder etc.
Finden aber gar keine Hämorrhoidaltriebe statt, so stehe man überhaupt
von allem Mediciniren ab. Man verfahre mit Umsicht ; bei erhöhter Gefäss-
reizbarkeit passen die Innern Pellentia gar nicht. 2) Die Haeniorrhoides
suppressae entstehen am häufigsten durch plötzliche starke Erkältung , be-
sonders der Nates, der Füsse, durch Schreck, Zorn, Excesse in Baccho,
starkes Reiten, Fahren, Laufen, Ihre gefährlichen Folgen sind: Krämpfe,
Congestionen, Entzündungen innerer Organe, Lähmungen, Amaurose, Schlag-
fluas, Blutungen des Magens, der Lungen, und besonders die der Enteritis
sehr nahe stehende Collca haemorrhoidalis, wobei Angst, Würgen, Erbre-
chen, Dyspnoe, Leibesverstopfung, Neigung zu Ohnmächten, kalte Extre-
miiäten, Übergang in Enteritis beobachtet werden. Cur. In den meisten
Fällen zuerst Aderlass, Blutegel, Dampfbäder ad anum, innerlich Ahtiphlo-
gistica, nachher Ipecacuanha, Extr, hyoscyami , Opium mit Kalomel. Bei
der Hämorrhoidalkolik sogleich ein Aderlass am Fuss, innerlich Mucilaginosa,
Oleosa, Mandelmilch mit Extr. hyoscyami (auch mit Opium, Most), erwei-
chende Umschläge auf den Unterleib, warme Fussbäder, bei Zeichen von
Enteritis sogleich Blutegel an den Unterleib, innerlich Kalomel mit Extr.
hyoscyami, Oleosa etc. Zugleich suche man den unterdrückten Fluss durch
Blutegel, Dampfbäder ad anum, durch Schröpfen der Kreazgegend, erwe'-
chende Klystiere , warme Fussbäder, wieder herzustellen. Die Diät muss
reizlos und antiphlogistisch seyn. Häufig verschwinden dann, selbst ohae
dass der Fluss wiederkommt, die gefährlichen Zufälle. Alsdann passt die
Cur der sich allmälig mindernden Hämorrhoiden (s. oben). Stellen sich statt
der Mastdarmhämorrhoiden andere Zufälle: Neurosen, krankhafte Affectio •
nen des Gehirns, der Brust- und Unterleibsorgane, Blutflüsse aus andern
Organen, Hämorrhoidalaffectionen der Genitalien : Geschwulst der Hoden,
Cystitis etc. , entzündliche Fieber , jedoch mit fast immer remittirendem Ty-
pns , acute oder chronische Affectionen des Gehirns , der Lungen , der Becken-
organe etc. ein , oder mit andern Worten : lösen sich Hämorrhoidaltriebe in
sie auf, woran bei Jüngern, kräftigern Subjecten sehr oft ein hoher Grad
von venöser Plethora und dadurch bedingte venöse Congestionen nach ein-
zelnen Theilen, aber auch eine im sensibeln System erwachende, wiewol
noch immer einer bestimmten Richtung ermangelnde, kritische, auf die Aus-
gleichung der durch die erhöhte Venosität hervorgerufenen Beschwerden ge-
richtete Erregung, eine in ihren Bestrebungen gleichsam unschlüssig zu nen-
nende Naturkraft Schuld ist, so heisst man diesen Zustand
V. Haemorrhoides anomalnc , anomale Hämorrhoiden. Auch die
auf das allmälige Cessiren der fliessenden Hämorrhoiden folgenden Beschwer-
den gehören gewissermassen hierher, wenn wir unter anomalen Hämorrhoi-
den nicht lieber Stellvertreter in der Anlage und Entwickelung begriffener,
noch nicht da gewesener Hämorrhoiden verstehen wollen. Cur der Hämor-
rhoidalanoma'ie. Man regulire und entwickele den Hämorrhoidalfluss (s. oben
Haemorrh. retentae) und gebrauche die Pellentia nur bei deutlich im
Unterleibe entwickelter Affection und nur da, wo weder das Blut-, noch
das Nervensystem besondei'S aufgeregt ist. Am häutigsten passen reizlose
Diät, tägliche Fussbewegung im Freien, Reiten, Molkencur, die Wasser
von Eger, Mariakreuzbrunnen, Karlsbad, wiederholte Blutegel ad anum,
Vermeidung alles stürmischsn Eingreifens durch Arzneien, bei Entzündungen
Antiphlogistica, bei chronischen Blennorrhöen der Lunge Fontanelle auf die
Brust , Selterwasser , Obersalzbrunnen. Bei den verschiedenen Blutungen
der Lunge, des Magens etc. stopfe man diese ja nicht, nur bei Lidicatio
972 IL\E:\IORRnOIDES
vitalis pelio man kühlende, goliiul dorlvironde MUtol mit steter Bprück>ich-
tigiinff des auf sanfte Art zu befördernden Hämorrlioidalflusses. Besondere
Betrachtung verdienen hier die
Hacvion'hnides organorum urnpneticnrum et genUnlium. Symptome der-
selben sind rt) Molimina haemorrhoidalia: heftige Schmerzen in den Genita-
lien, den Nieren, der Harnblase, Krampf in den Kremasteren, schmerzhaf-
tes in die Hohe Ziehen der Hoden, Incontinentia urinae, Ischnria, heftige
Strangnrie, lästiges Jucken an der Eichel, schmerzhafte Erectionen, bedeu-
tendes Gefässfieber, Tenesmns, Meteorisnnis, Erysipeias genitalium, furun-
kulöse Geschwülste an den grossen Schamlefzen, entzündliche Anschwellnng
der Hoden, Ingninaldrüsen, bei Weibern das Gefühl als werde der Uterus
mit Gewalt in das Becken hinabgezogen, überhaupt ein Gemisch entzünd-t
lieh -spastischer Affection. b} Haemorrhoides coecae. Bliii<le Hämor;hoiden
der Geschlechts- und Urinwerkzeuge geben sich kund durch heftige Schmer-
zen in der Blase, bei Anschwellung der Varices durch Ischurie. theils durch
Entzündung, krampfhafte Constric:ion, theils durch mechanische Verschlies-
sung der Blasenöffniing; durch Anschwellung der Prostatagefasse und daher
entstehende Ischurie, wo Hinderniss beim Katheterisiren und fühlbare Ge-
schwulst der Prostata bei Untersuchung mit dem in den Mastdarm gebrach-
ten Finger bemerkbar sind; seltener sind die aus Varices urethrae herrüh-
renden Urinbeschwerden. Auch Ausdehnungen der Vena spermatica (Cirso-
et Varicocele) , in der \ agina , am Os uteri, welche letztere am besten durch
ein Speculum vaginae, auch durchs Touchiren zu ermitteln, gehören hier-
her, f) Haemorrhoides tluen^es. Sie kommen am häutigsten aus dem Bla-
senhalse, geben sich durch gleichzeitige oder vorhergehende Molimina, durch
Abgang von Blut mit dem Urin, das coagulirt und präcipitirt und mit Schmerz
abgeht (s. Haematuria) zu erkennen. Zuweilen sind wüthende Schmer-
zen, Strangune, Ischurie, selbst allgemeine Convulsionen , starker Blutver-
lust dabei Zuweilen geht Blut tropfenweise ohne Harnanstrengung imd mit
leichten Bewegungen ab (Haematuria stillatitia) , dabei öfters Erectio penis,
Brennen und Zusammenziehen darin, Schmerz beim Druck des Gliedes, vor,
während oder gleich nach dem Uriniren. Wesen. Ist gleich dem der nor-
malen Hämorrhoiden, nur mit dem Unterschiede, dass hier die Turgescenz
des Venenblutes nach den Gelassen der Genitalien und Urinwerkzeuge geht,
woran Dispositio haereditaria, besonders aber Onanie, Excesse in Venere.
Missbrauch der Diuretica, der Aphrodisiaca, syphilitische, arthritiscbe und
rheumatische Affectionen Schuld seyn können. Ausgänge. Gefährliche
Ischurie, Cystitis mit ihren F'olgen: Eiterung, Verdickung der Häute, Brand,
Induratio et Exulceratio testium, der Inguinaldrüsen, Febris hectica durch
starken Blutverlust, Exulceratio uteri, vaginae ; blinde Hämorrhoiden des
Urin- und Genitaliensystems verursachen oft Hinderniss in der Ausübung
desCoitus, und die plötzliche Unterdrückung der Hiessenden kann dieselben
gefährlichen ZuHille erregen wie die Unterdrückung der normalen Hiessenden
Hämorrhoiden. Cur. 1) Während der Schmerzanfälle gebe man in den
mehr entzündlichen Zuständen (welche Form indessen seltener ist) nach an-
gewandtem Aderlassen und Blutegeln ad anum und perinaeum innerlich Crem,
tart. als Laxans; bei den mehr spastischen (häutigem) Zuständen ohne vor-
hergehende Blutausleerungen Oleosa, Mucilaginosa mit Extr. hyoscyami,
Opium, Castoreum , Ipecac. in refr. dosi , krampfstillende Einreibungen,
Umschläge, solche Klystiere, selbst mit Zusatz von Opium, warme anti-
spasmodische Bäder; bei Ischurie als Symptom der Cjstitis Aderlass , Blut-
egel, innerlich Oleosa; bei Verstopfung des Blasenhalses durch Blutgerinnsel
erweichende Injoctionen durch den Katheter; bei spastischer Ischurie Oleosa
und Hvoscyamus. Ausserdem schiebe man die A|)plication des Katheters,
sobald das antiphlogistische und antispastische Verfahren fruchtlos angewen-
det worden, und die Umdrehung um seine Axe gelingt, nicht zu lange auf.
Mifislingt die Anwendung, so muss man oft die Punction machen. Sind Ere-
ctionen der Knthe und nächtliche Pollutionen häufig, so gebe man Abend«
eine kleine Dosis Kam[)hcr, bei viel Spastischem mit Opium versetet. Beim
HAEMORRIiOlDES 973
Ervsipelas der Schauigegeiid und Genitalien passen zuerst meist Blutegel,
späier warme Fonientationen von Hyoscjamus und Cicuta, noch später Ein-
reibungen von Unguent raercuriale; bei Neigung zu Eiterung maturirende
Umschläge, Öffnung des Abscesses etc. 2) Radical heilen wir durch mög-
iichste Hervorrutung von Hämorrhoiden im Recto; doch gelingt dies nur bei
frischem Übel und wenn schon früher Mastdarraknoten da waien. Dazu die-
nen innerlich kleine Dosen Lac sulphuris, öfters Blutegel ad anum, erwei-
chende Dämpfe und Breiumschläge dahin und aufs Perinaeum, kalte Um-
schläge von Waaser, Easig , Eis, Schnee auf die äussern Geburtstheile eu;.
(s. Owrinn, Observat. circa morbos varios. T. II.).
VI. Uncmorrhumes mucosae, nlhae, Schleimhämorrhoiden, weisse,
Hämorrhoiden. Symptome. Abgang eines bald milden, eiweiss-, gallert-
artigen, dicken, fettigen, gläsernen, frosclilaichartigen, bald sehr scharf
fiesaenden, elgenlhümlich , wie Fussschweiss stinkenden, grünen, gelben,
eiterartigen, mit Bhitstreifen gemischten Schleims aus dem After, nach dem
Stuhlgange , unter Brennen , Gefühl eines Pflockes im Mastdarm , Pressen
und Stuhlzsvang, oft auch, wenn blinde Hämorrhoiden den Schleim abson-
dern , ausser der Zeit der Stuhlausleerung und ohne bedeutende Empfindung,
dann auch in nicht beträchtlicher Menge; sonst oft zu Esslöffeln, emige Tage
lang. Dabei allmäUge Verminderung des Allgemeinleidens, zuletzt Aufhören
des Schieimflusses , gewöhnlich zuerst typisciies, späterhin atypisches Ein-
treten, zuletzt oft Habituellwerden desselben. Die Vorboten, die bei dea
örtlichen, nicht typisch erscheinenden Blennorrhöen des Mastdarms fehlen,
sind hier Spannung , schmerzhafte Gefühle in den Gedärmen , Dyspepsie,
Flatulenz , Kreuz - und Lendenschmerz , Kolik , Krämpfe in den Genitalien,
Strangurie, Prurigo podicis, überhaupt die Symptome der Diathesis haemor-
rhoidalis ; herpetische Ausschläge, Excoriationen am After und den Genita-
lien, starkes Jucken am Perinaeum, starke übelriechende Seh weisse dieser
Theile (der Sudor perinaei fehlt selten, selbst bei den blutigen Hämorrhoi-
den ist er da, sowie bei der Diathese und den blinden Hämorrhoiden. Wird
er plötzlich durch kaltes Waschen unterdrückt, so können dadurch dieselben
gefährlichen Zufälle, wie bei Haemorrh. suppressis und bei den stinkenden
Fussschvveissen entstehen, Most). Diagnose. Von Blennorrhöen des Mast-
darms, Fluxus coeliacus, von Eitererguss tief in demselben liegender Abscesse
und von Mastdarmfisteln unterscheidet man die nicht örtlichen Schleimhämor-
rhoiden durch die Dispositio haemorrhoidalis , durch die auch den Haemoirh.
fluentes et coecae vorhergehenden örtlichen Molimina; auch das häufige Al-
terniren oder Complicirtseyn mit blinden oder tliessenden Hämorrhoiden un-
terscheidet sie von den sogenannten örtlichen Schleimhämorrhoiden, die rich-
tiger BlennorrJwea inteslini rccti heissen (s. Blennorrhoea). Ursachen.
Sind die allgemeinen der Hämorrhoiden. Warum in einem Falle aus der
Diathesis haemorrhoidalis blutige, im andern Schleimhämorrhoiden entstehen,
ist schwer anzugeben ; vielleicht liegt der Grund dazu in einer eigenthüm-
lichen Tendenz der erhöhten Venosität selbst, sich hier durch verstärkte
Thätigkeit der Schleimmembranen, dort durch Ausscheidung von Blut zu
enüaden. (Solche Erklärungen sagen sehr wenig, und es wäre daher zu
wünschen, dass die specielle Nosologie und Therapie gänzlich davon gerei-
nigt würde. Most}. Päderastie, unterdrückte Katarrhe, rheumatische, arthri-
tioche, herpetische Metastasen, Ruhr, Erkältung, chronische Entzündung des
Mastdarms etc. erregen am häufigsten die sogenannten örtlichen Schleim-
hämorrhoiden (s. Blennorrhoea ventriculi et intestinorura). Aus-
gänge. Gewöhnlich chronischer Verlauf, häufig Intermissionen, periodische
Wiederkehr, oft Habituell werden. Gefährlich sind die Schleimhämorrhoideu
an und für sich nicht; nur bei Unterdrückung und Stockung, z. B. im ho-
hen Alter, folgt leicht Schleimasthma, bei Complicationen mit Dyskrasien
häufig Tod durch Hektik, Hydrops, oder chronische Entzündung, Ver-
dickung des Rectums, Anschwellung und Auflockerung seiner Häute, con-
sensuelle Affection der Conjunctiva oculi, der Schleimhäute der Nase, des
Halses, Ohis, des Schlundes, Strictureu, Exulceration und FisLeln des Mast-
974 HAEMORRHOIDES
darms etc. Cur. Gehen die Schleimhämorrhoideii dem blutigen Hämüirhol-
daiflusäe voraus oder zeigen sich angeschwollene Varices, so befördere man
im ersten Falle dieselben (s. oben) ; im letzLern dienen Blutegel an die Kno-
ten. Besteht der Schleimfluss für sich , so gebe man zuerst Extr. tarax ,
trifol. , millefol., centaur. min.. Herb. lieh. Island., später Lign. campech.,
Simaruba, Catechu, Quassia, China, Eisen; auch Klystiere aus Decoct.
herb, millefol. oder lieh, island. sind nützlich. Zugleich berücksichtige man
etwanige Complicationen, gebe bei Unterdrückung oder Stockung des Schleim-
ilusses Clysmata emoUientia, Bähungen, innerlich Lac suiphuris, hüte sich
vor dem Gebrauch der bei Excoriationen und Sudor peiinael gebräuchlichen
zurücktreibenden Mittel, beobachte nur Reinlichkeit, öfteres Waschen mit
lauem Wasser, bei starkem Jucken Öleinreibungen. Bei allgemeiner Blen-
norrhoe dienen innerlich besonders Salmiak in grossen Dosen , zuweilen eine
oder ein paar Dosen Kalomel, etwas Rheum, Senega, Kalmus (s. Blen-
norrhoea). , Dieselbe Behandlung erfordern die als. Biasenkatarrh, als
Schleimfluss aus der Scheide, dem Uterus auftretenden anomalen Hämor-
rhoiden, sowie der sogenannte Hämorrhoidaltripper (s. Blennorrhoea
vesicae urinariae, Leucorrhoea, Gonorrhoea benigna).
C. A. Tott.
Nachschrift des Herausgebers. Folgende Bemerkungen, hervor-
gegangen aus der Praxis, mögen hier noch eine Stelle finden. 1) Wichtig ist die
Unterscheidung der Hämorrhoiden nach ihren ursächlichen Momenten. Hier
unterscheide ich a) die rein topischen, V) die symptomatischen,
aus allgemeiner Anlage zu Hämorrhagien hervorgehenden und c) die aus tie-
fern Fehlern der Unterleibsorgane herrührenden Goldadern. Die erste Art
kann bei Kindern und jungen Leuten durch örtliche Reize , Prolapsus ani,
Blasensteine, scharfe Klystiere etc. vorkommen. Bei h gingen in der Kind-
heit und Jugend oft Nasenbluten, Asthma, Blutspeien vorher, die Conge-
stion geht im Mannesalter mehr nach dem Unterleibe, erregt Plethora ab-
dominalis, wovon dann der Hämorrhoidalttuss die Krise ist. Bei c haben wir
es vorzüglich mit Milz- und Leberleiden, Icterus etc. zu thun. Hiernach
muss also die Cur verschieden seyn. 2) Wenn bei den örtlichen Hämorrhoi-
den äusserliche , zurücktreibende Mittel: kaltes ^Vasser, Adstringentia indi-
cirt sind, so finden sie die grösste Contraindiction n) bei allgemeiner Anlage
zu Blut\ingen, It) bei Abdominalfehlern, <) bei allen plethorischen, auch son;jt
gesunden Subjecten, d) bei Manie, Melancholie, Hypochondrie, Epilepsie;
denn häufig entfernen sie solche schlimme Übel, oder erregen in andern
Fällen, wenn wir sie örtlich zurücktreiben, gefährliche Blutungen des Ma-
gens, der Lungen, Schlagfluss, Lähmungen etc. Hat dagegen ein Mensch
die Hämorrhoiden noch nicht lange, sind bei mangelnder allgemeiner Anlage
Äu Blutungen seine Unterleibsorgane gesund, hat er z. B. nur viel kftimm
gesessen, viel und heftig geritten, so .sind die darauffolgenden fliessenden
Hämorrhoiden solche, die bei kühlenden Mitteln bald von selbst auihörcn.
Es bedarf hier keiner äussern Mittel, und, kommt der Fluss später nicht
wieder, auch keiner Attrahentia und Pellentia. 3) Die allgemeine Hämor-
rhoidaldyskrasie macht drei verschiedene Stadien; das erste bezeichnet die
Molimina, das zweite das Stadium criticum: die Haeraorrh. fluentes, und
das dritte sind wieder die Molimina. Man nuiss also nur bei den vorherge-
henden, nicht bei den dem Fluxus nachfolgenden Trieben die Haemurrh.
fluentes befördern wollen. 4) Die dazu empfohlenen innerlichen erhitzenden
Pellentia stiften in den meisten Fällen mehr Schaden als Nutzen. Nur bei
torpiden Subjecten, wo weder das Blut-, noch das Nervensystem aufgeregt
ist, wo '/ngleieh hartnäckige Obstrnctio alvi stattfindet, pa.ssen Aloe, Eisen,
Elektricität und ähnliche Mittel. Bei Männern im vorgerückten Alter blei-
ben wegen allgemeinen oder topischen Torpors die gewohnten Hämorrhoiden
oft stehen. Hier leisteten Flor, suiphuris, ganz rein, dreimal täglich 1 Thee-
Iöfi"el voll , desgleichen Extr. aloi-s .uiuos. , Crocus , p. d. zu 2 bis 6 Gran,
Pillen aus Guin. ammon., Asa foetid. und Extr. aloes aquos., desgleichen
alle 8 Tage ein Gran Merc. dulc. mit Crocus, die herrlichsten Dienste
HAEMORRHÖIDES 975
5) Die so sehr gerühmte, kühlende, velzlose, gervürzlosc Diät, passt nicht
bei allen Hämorrhoidariis. Man muss die Fälle genau unterscheiden , und
die Diät muss mit den Arzneien gleichen Schritt halten. Bei torpiden Sub-
jccten passt eine reizende, gevvürzhafte Diät. Bei jungen, vollsaftigen, an
reizende Speisen und Spiiituosa gewöhnten Personen ist zwar beim Hämor-
rhoidalfluss, besonders wenn er profus und schmerzhaft ist, die kühlende,
magere Diät durchaus nothwendig. Aber etwas Anderes ists bei der Hä-
moiihoidalanlage. Lebt der Mensch hier zu mager, zu enthaltsam im Essen
und Trinken, so fehlt es der Natur an Kraft zur Hervorbiingung der Hae-_
morrh. fluentes; er v\ird sich viele Jahre mit den Moliminibus quälen; ja es
können anomale Hämorrhoiden daraus entstehen , ebenso wie bei wirklich
Schwächlichen keine regelmässige Gicht (Podagra etc.), sondern Arthiitis
irregularis sich zu bilden pflegt. Ich kenne einen 32jährigen, nicht sehr
vollsafiigen Mann, der schon mehrere Jahre an Diathesis haemorrhoidalis
leidet, ohne dass die Hämorrhoiden in Fluss kommen. Strenge magere Diät
vermehrte die Beschwerden mehr als dass sie sie vermindert hätte. Ich rieth,
einmal auf einen Tag recht tüchtig Wein zu trinken und bis Mitternacht
zu schwärmen. Am andern Tage fühlte sich beim Erwachen der Kranke so
leicht und wohl , als es seit langer Zeit nicht der Fall gewesen war. Es
stellte sich gallige Diarrhöe, untermischt mit schwärzlichen Pünktchen ein,
welche ihm alle Hämorrhoidalbesch werden auf mehrere Monate verschwinden
machte und also kritisch zu seyn schien. Sowie sich nachher dieselben Be-
schwerden bei dem übrigens massig lebenden Manne wieder ehistellten, ge-
brauchte er dieselbe Weincur, und der Erfolg war sich stets gleich. Auf
diese Weise sind schon mehrere Jahre verflossen, ohne dass sich Hämorrhoi-
dalfluss eingestellt hätte, das künstlich erregte Rauschfieber und die folgende
kritische Diarrhöe scheint die Diathese hier ebenso periodisch aufzuheben, als
die Haemorrh. fluentes dieses bei Ä.ndern zu thun pflegen. Und ist denn
das bei Plethora abdominalis und atra Bilis eintretende wohlthätige soge-
nannte Reinigungsfieber, das auch bei der Gichtdiathese zu den erwünsch-
ten Errcheinungen gehört, ist die Febris gastrico- venosa mit ihren wohl-
thätigen Lober- und Darmkrisen nicht gleichfalls auf ähnliche Weise, wie
jenes künstlich erregte Fieber, wirksam ? 6) Die grösste Berücksichtigung
verdient ^o^vol bei der Diathesis haemorrhoidalis als bei den blinden Zacken
die Leibesöffnung. Ist sie zu sparsam oder hart, so leiden die Kranken sehr
viel. Ich verordne daher in der Regel folgendes Pulver, wovon Abends vor
dem Schlafengehen 1 — 2 Theelöffel voll genommen werden: I^ Crem, tar-
iari 3J , Flor, sulphur. gf, , Elaeos focnic. 5jj. M. f. p. Dies bewirkt für
den andern Morgen eine gute breiige Ausleerung. Ausserdem des Morgens
ein Glas kaltes Wasser und zum Frühstück Salzgurken und Weissbrot.
7) Bei den fliessenden Hämorrhoiden finden wir selten einen acht synochi-
schen Zustand, der Aderlässen erforderte. Ist der Blutfluss zu stark, so
liegt in der Regel Erethismus oder Schwäche zum Grunde. Anfangs gebe
ich bei knapper Diät Tart. tartarisat. , auch Sal essent. tartari, später Mil-
Iefoli\un, Cort. aurantior, ein Glas Bischof, Tinct. cinnamomi, noch später
und bei Reizlosigkeit Rheum, etwas Aloe neben einer etwas reizenden Diät.
8) Die Zufälle der durch Erkältung, Schreck, starke Erhitzungen unter-
drückten Hämorrhoiden sind oft so hefiig, dass bei mangelhafter Hülfe schon
binnen 24 Stunden der Tod folgen kann. Ohne Aderlassen habe ich hier
nicht fertig w erden können , selbst wenn die Subjecte nicht sehr vollblütig
waren; der Aderlass am Fuss verdient hier den Vorzug. Klystiere von Sei-
fenwasser sind hier sehr nützlich. In drei Fällen sah ich von plötzlich un-
terdrücktem Sudor perinaei Anschwellung des Testikels, einmal Blindheit und
einmal die hefligste Kolik entstehen. Fomentationen des Perinaeums mic
Senfdecoct, mit Seifenwasser neben innerlichen kühlenden, derivirenden
Mitteln, Blutegeln etc. leisteten schnelle Hülfe. 9) Bei den nicht zur ge-
wöhnlichen Zeit eintretenden Goldadern (Haemorrh. retentae) ist höchst
selten ein Aderlass indicirt. Er stört das Naturbestehen zu Hervorrufung
der Haemorrh. fluentes. Blutegel an den After, Fussbäder , Dampfbäder,
976 HAEMOßllHOSCOrU
Klysllere und andere Attrahentia leisten in solchen Fällen, wo die Retention
bei Plethora andere Blutungen aus Magen, Lunge etc. befürchten lässt, die
besten Dienste. Innerliche Mittel passen hier selten ; ich gebe gewöhnlich
Thee von Flor, chainom. und Herba melissae; die sogenannten Pellenlia sind
in solchen Fällen, v\o Magen oder Lungen schwach sind, höchst gefährliche
JVUttel.
Haemorrhoides uteri, Metrorrhagia haemorrhoidalis , Menorrhagia e ma-
riscis, die Mutterhäinorr hoid en. Dieses IJbei, welches schon Celsus,
Jetivs u. a. ältere Ärzte kannten , verdient hier noch einer besondern Er-
wähnung. Es tritt anfangs als blinde Hämorrhoiden auf, die vorzüglich am
Halse der Gebärmutter sitzen und varicöse Venenerweiterungen sind. Auch
im Innern des Uterus, am innern Muttermunde, so wie am Fundus uteri,
iiönnen sie ihren Sitz haben. Seltener findet man sie am äussern Mutter-
munde, wo sie dann leicht durchs Touchiren , durchs Speculum vaginae ent-
deckt werden. Ausser den gewöhnlichen Hämorrhoidalbeschwerden erregen
sie oft noch Unfruchtbarkeit und beschweren zur Zeit der Ausleerungen, wo
ein hämorrhoidalischer Blut- und SchleimHuss erfolgt, durch ein lästiges
pressendes, drückendes Gefühl in der Lendengegend. — Die Diagnose
ist wichtig ; denn häufig wird das Übel verkannt oder mit andern Krank-
heiten verwechselt. Auskunft geben, wenn man durchs Touchiren nichts
entdeckt und die varicösen Gefässausdchnungen im Innern des Uterus stalt-
iinden, die Periodicität der Zufälle, die nicht den vierwöchentlichen Typus
der Menses haben, das gleichzeitige Vorhandenseyn der Afterbeschwerdeii
oder das Alterniren mit letztern. Zuweilen folgen sie als vicariirende Blu-
tung auf plötzlich unterdrückte Mastdarmhämorrhoiden. Die Kranken füh-
len, zumal beim Coitus und zur Zeit der Menses Druck, Spannung im Ute-
rus, ein wehenartiges Drängen, als wolle die Gebärmutter aus der Scheide
prolabiren. Untersucht man alsdann, so findet man oft mehrere kleine Kno-
ten am Muttermunde, die bei der Berührung, da sie oft entzündet sind,
heftig schmerzen und böse Geschwüre, Verhärtung, Krebs zur Folge haben
können, so wie denn das Carcirioma uteri nicht selten hämorrhoidalischeii
Ursprungs ist, überhaupt Personen mit atrabilarischer, hämorrhoidalischer
Constitution zur Diathesis cancrosa am meisten disponiren (s. Cancer).
Kessler {Husl's Chirurgie. Bd. VIII. S. l2!0) sagt ganz richtig: „Treten
die Mutterhämorrhoiden unter der Form des Blutflusses auf, so ist die Quan-
tität des Bluts meist nur gering; er tritt ausser der Zeit der monatlichen
Reinigung ein, die häufig ganz ausbleibt; er erleichtert oder hebt die ihia
vorhergehenden Hämorrhoidaltriebe. Entweder tliesst reines Blut oder BluC
mit Schleim vermischt, oder aber es geht auch nur Schleim ab (Leucorrhoea
haemorrhoidalis)." Ursachen sind: Atonie und erhöhte Reizbarkeit des
Uterus, spastische Constitution, allgemein erhöhte krankhafte Venosität.
Zu häufiger Coitus, Onanie, Missbranch der Emmenagoga , enge Schnür-
brüste, Druck des Kindeskopfs bei der Geburt geben bei solcher Anlage häu-
fig Veranlassung des Übels. — Die Prognose ist nicht die beste, da
das Übel oft recht hartnäckig und chronisch ist. Bei der Cur müssen wir
vorzüglich die ganze Constitution durch ein regelmässiges Leben , durch gute
Diät, vieles Wassertrinken, durch auflösende, auf den Unterleib wirkende
Mittel zu verbessern suchen (s. Haemorrhoides und Haemorrhagia
ventriculi). Nützlich ist der Gebrauch von Crem, tartari und Flores
äulphuris in kleinen Dosen ; alle stark treibende, reizende Mittel sind schäd-
lich. Waren früher Mastdarmhämorrhoiden da, so lasse man warme Dämpfe
ad anum, verordne erweichende Klystiere und mache gleichzeitig Injectionen
in die Scheide von kaltem Wasser, Essig. Hilft dies nicht, so bleibt nur
noch die symptomatische Behandlung der krampfhaften und entzündlichen
Zufälle übrig.
IlaemorrllOSCOpiA» die Blutschau. Ist die Beurtheilung des
aufgefangenen Biuies, um daraus auf den Znstand des Organismus zu
schüeääca. Der Grad der Geriiuibarkeit oder Flüssigkeit des Blutes, das
HAEMORRHOSCOPIA 977
Verhältniss des Cruors znm Serum , die Farbe desselben , sein Geruch , die
Bildung oder Abwesenheit des Blutschaums, der trichter- oder becherförmi-
gen Gestalt auf der Oberfläche des aus der Ader gelassenen Blutes , seine
Temperatur, Elektricität , grössere oder geringere Neigung zur Fiiulniss;
diese und viele andere Beschaffenheiten desselben sind für den praktischen
Arzt von Wichtigkeit (s. Lauer, Über die Verschiedenheit des Blutes, in
Hecker's Liter. Annalen , 1830. Novbr. S. 265 u. f.; desgleichen die Artikel
Febris inflammatoria , Febr. biliosa, Febr. depurativa, Icte-
rus albus et flavus etc.). Die Blutschau wird am richtigsten Hnemn-
toscopia genannt. Schon die ältesten Ärzte achteten mit Recht auf die Ei-
genschaften des Blutes, aber sie übertrieben dieses Studium, so dass sie,
gerade wie die Astrologen und Chiromanten, die Lebensverhältnisse, die
Todesart, die Krankheiten und das Temperament des Menschen aus dem
Blute prognosticirten (Haematomnn(in) , und hierüber manche abenteuerliche
Meinung hegten. Die Fortschritte, welche die analytische Chemie in neue-
rer Zeit durch zahlreiche Untersuchungen des Blutes von Gesunden und
Kranken gemacht, haben theils zur Berichtigung der frühern falschen An-
sichten beigetragen, theils aber auch das Resultat geliefert, dass man ge-
sundes und krankes Blut nicht immer chemisch unterscheiden kann. Dadurch
wird aber keinesweges, wie Kessler meint, die semiotische Bedeutung des
Blutes beschränkt (/jM.<?fs Chirurgie. Bd. VIII. S. 130); denn es würde
höchst einseitig seyn, der Chemie das Vorrecht, jede Differenz zwischen den
Fluidis allein zu bestimmen, einzuräumen, oder überhaupt, wie Manche der
irrigen Meinung sind, anzunehmen, dass, wo die Chemie nichts finde, auch
nichts vorhanden sey. Gegentheils müssen die Beobachtungen von gefähr-
lichen Zufallen, die nach der Infusion und Transfusion des Thierbluts im
menschlichen Körper constant erfolgen, dadurch aber, dass man Menschen-
blut dazu nimmt, verhütet werden, auf grosse, nicht durch die Chemie zu
entdeckende Verschiedenheiten des Bluts zwischen jeder Thiergattung, ja
zwischen jedem Individuum, schliessen lassen, welche vielleicht erst später
durch feinere Reagentien als die, welche zeither die Chemie besitzt, wer-
den entdeckt werden. Dass ein Überfluss an Serum, Farblosigkeit des Blut-
kuchens und die Abwesenheit der Crusta pleuritica das Nichtvorhandenseyn
einer Entzündung, dagegen eine geringere Menge von Serum, ein Überfluss
an Cruor, vermehrte Consistenz, eine intensiv rothe Farbe, verbunden mit
einer dicken, festen Speckhaut, die Gegenwart einer Entzündung andeute,
dass die gelbgrünliche Färbung des Blutserums das Vorherrschen der Galle,
die safrangelbe Farbe aber Icterus anzeige etc., dies wussten schon die Al-
ten ohne unsere neuere Chemie. Sie wussten aber auch viel Gutes über die
Fluida, zumal übar das Blut, was in neuern Zeiten, wo man die Humoral-
pathologie mit Unrecht vernachlässigte, übersehen oder vergessen worden ist
(s. Harvcifs Exercitationes de generatione animalium. Wolfs Theoria ge-
nerationis. WinterVs Darstellung der 4 Bestandtheile der anorgan. Natur;
übersetzt von Schuster. Jena, 1804). Wäre unsere Kenntniss über das Blut
und seine Metamorphosen vollkommner, so würde der Streit, ob es ein Ca-
pillargefässsystem giebt oder nicht, längst geschlichtet seyn, und wir müs-
sen die Alten auch darin loben, dass sie kein solches System, sondern nur
ein Intermediäres, ein Pareuchym statuirten, in welcherA die Umwandlung
des arteriellen ins venöse Blut vor sich geht (s. H. Koch, Comment. de
parenchymate et vasor. capillarium systemate. Rost. 1834). Es ist ausge-
macht, dass Blut und Chylus die beiden Urflüssigkeiten des höhern Thier-
leibes der Wirbelthiere sind, dass alle Secreta als secundäre Flüssigkeiten,
sowie alle Bildung aus diesen beiden Urfluidis hei-vorgehen ; dass die zu-
erst im Embryo sich bildenden Gefässe venöse sind; dass das Venenblut
für das höhere Thier das Urblut abgiebt; dass das blosse Verweilen des
Bluts in Arterien dasselbe dunkler macht, wie dieses an aneurysmatischen
Erweiterungen einer Arterie unterhalb des Sacks zu sehen ist ; dass die
Venosität den Hauptcharakter des männlichen, die Arteriellität den des ju-
gendlichen Alters ausmachen; dass bei Phthisis pulmonalis vera oft ein
Most Encjklopädie. 2te Aufl. T. 62
978 HAEMURESIS — HEHÖYCHROUM
«Hrocter Übergang des arteriellen Bluts in die Venen stattfindet, dagegen
hei vorherrschender Venosität, bei atra Bilis, Infarcten, bei morgenländi-
schcr Cholera auch in den Arterien dunkles Blut gefunden wird , u. s. f.
Eine in dieser Hinsicht sehr lesenswerthe, mit vielem Scharfsinn abgefasste,
in echt philosophischem Geiste bearbeitete Schrift ist: S. L. Steiiiheim, Die
Humoralpathologie ; ein kritisch -didaktischer Versuch. Schleswig, 1826. —
Dass auch das Blut eine Expansionskraft besitze, so dass dasselbe Blutquan-
tum nach Umständen bald einön grössern, bald einen kleinern Raum ein-
nehme, was unsere treu beobachtenden Alten schon mit ihrer Plethora
rarefacta seu ad volumen andeuteten, erleidet keinen Zweifei. Diese Blut-
expansion findet man bei Synocha nervosa, bei manchen Exanthemen, bei
Reizfiebern alter Trinker, wo der volle und anscheinend kräftige Puls zum
Aderlass zu indiciren scheint, der echte Praktiker aber Blutausleerungen,
weil sie hier offenbar schaden, nicht anwendet, sondern lieber die Kälte,
die Mineralsäuren etc. (s. Spitln: Von der Expansion des Blutes. Rostock,
1835. 4.).
Maemurcsis» Blutharnen, s. Haematuria.
Hallucmationes» Alucinntiones , Täuschungen der Sinne
durch zu lebhafte Imagination, durch krankes Gemeingefühl, besonders Täu-
.schungen de» Gesichts und Gehörs, z. B. bei psychisch Kranken, während
des Phantasirens bei hitzigen Fiebern , im Delirium tremens , wo die Kran-
ken Gesichter und andere nicht existirende Dinge, fremde Stimmen etc. zu
sehen, zu hören glauben und dadurch oft ausserordentlich unruhig werden.
Maiuartbritis. Ist bei Caclius AurcUanus die allgemeine Gicht;
richtiger Nväre Holarthritis oder Catholarihrilis. S. Arthritis universalis,
Haplopathia. Ist jede einfache (nicht complicirte) Krankheit.
Hainularia subcomiiressa Riidolphi, der Fühl wurm. Ist
ein im menschlichea Körper, besonders bei Kachektischen vorkommender
Wurm, der in kranken Bronchialdrüsen gefunden worden, nur einen Zoll
lang ist, rundlich, schwarzbraun, von der Seite eingedrückt erscheint, übri-
gens wol nur selten vorkommt und im Leben fast nie erkannt wird.
Helietuclo dentiusn, Stumpfseyn der Zähne, s. Haemodia.
Ilchctudo Visus, schwaches Gesicht, Blödsichtigkeit, s. Visus hebetudo.
Hcctica (^Fehric), HecCtsis der Franzosen, Tales nervosa, Hektik,
schleichendes Fieber, s. Febris lenta, hectica.
Ilectica aldominnlis , chloroiica, cxulccrata, nervosa, s. Phthisis ab-
dominalis, Chlorosis, Tabes, Phthisis pulmonalis.
Hecticopyra » hektisches Fieber, s. Febris hectica.
Medroccle, Bruch am Gesäss, s. Hernia intestini recti.
Hcdychrouin (jncdicamen') , ein Arzneimittel von angenehmer
Farbe. So unbedeutend die Farbe der verordneten Arznei für manchen
Arzt scheinen mag, so wichtig ist »le of^ dem Kranken, der bekanntlich
auch psychisch anders reagirt als der Gesunde. Bei Kindern, bei sensiblen,
hysterischen Frauen, bei Hypochondristen muss man auch den psyclüschen
Eindruck, den die Farbe der Arzneien auf sie macht, wohl berücksichtigen.
Unter den Pulvern machen die grell blauen, rothen, grauen und schwarzen,
überhaupt alle reine Farben einen unangenelimcn Eindruck beim Einnehmen,
z. B. Cupr. ammoniat., Ferrum hydrocyanic. , Kermes miner., Suiph. aurat.,
Aethiops, Antira. crud., Pulv. carbon. ; weniger Eindruck machen die gelb-
lichen, hellgrauen, weisslichen, und am liebsten werden die ganz weissen
Pulver genommen. Bei den Mixturen ists ebenso. Je auffallender die Farbe
ist, desto mehr Eindruck macht sie; man hält die Arznei für eine unge-
wöhnliche, seltene, sc^hliesst daraus, dass auch die Krankheit wol etwas Un-
gowölwilichcs, Seltenes, Gefahrvolles, Unheilbares etc. eey, und was der-
gleichen Grillen mehr sind. Viele Kranke bekommen schon einen Wider-
willen beim Anblick einer jeden dicken, dunkeln Mixtur, daher auch die
HEDYSMA — HELCOMA 979
Auswahl des Sy/ups als Zusatz nicht gleichgültig ist. Andere glauben, dass
eine wahre, wasserhelle Mixtur, z. B. Pot. Riverii mit Aq. melissae ohne
Zusatz, unwirksam und nur ein wenig Wasser sey etc., daher der Arzt auf
solche Idiosynkrasien und Vorurtheile, die bei der Heilung oft unglaublich
viel thun, Rücksicht nehmen muss. Man berücksichtige daher beim Recept-
verschreiben auch die chemische Reaction und Färbung der ArzneistofFe •
setzt man z. B. zu einer Mixtur, worin Spirit. sal. ammon. anisat. ist, Syr.
papav. rhoead. , so wird die Farbe schmuzig grün und sieht hcässlich aus;
dagegen die Verbindung von diesem Syrup mit Mineral- und Pflanzensäuren
eine schone rothe Farbe annimmt.
Hedysma, das Versüssungsmittel, Soll ein solches den Ge-
schmack einer unangenehmen Arznei wirklich verbessern ( Corrigens ) , so
muss man dahin sehen, dass es den reinen Geschmack nicht verwischt. So
z. B. macht der Zusatz süsser Syrupe zu bittern Exti'acten letztere nur wi-
derlicher. (S. Adjuvantia).
Helcoinaj Helcosis, Helcydrion, richtiger Helcoma corneae, Horn-
hautgeschwür. Die Helkome der Hornhaut sind oberllächliche Geschwüre,
die neben den Hornhautflecken (Nubecula, Macula corneae, Leucoma) als
Folge vorhergegangener oder noch statttindender Ophthalmien zu betrachten
sind ; auch auf Verwundungen, Quetschungen des Auges, besonders bei gleich-
zeitiger Arthritis, Scrophulosis, Gonorrhöe, Impetigo etc. folgen dieselben mit-
unter, indem die einfache Wunde, der Abscess zum Ulcus wird (s. Ophthal-
mia rheumatica, exanthematica, arthritica, aegyptiaca etc.).
In den meisten Fällen passt das Betupfen des kleinen Geschwürs mittels ei-
nes kleinen, anfangs mit sehr verdünntem , später mit reinem Laudanum liq.
Syd. angefeuchteten Pinsels; dabei Berücksichtigung des Grundübels durch
innerliche zweckmässige Mittel. Oft machen letztere die Hauptsache aus,
und wir dürfen dann topisch nicht zu kräftig verfahren, höchstens passt et-
was Tinct. opii mit Aq. destill, und Gumm. arab. als Augenwasser. Der
Zusatz von Sublimat ist bei tiefgehendem Ulcus gefährlich, der der Blei-
mittel passt auch nicht, weil die zurückbleibenden Narben darnach trüber
werden {Himly). Sind die Geschwüre aber alt und wenig empfindlich, so
passt Sublimat, rother Präcipitat, Aerugo in Salbenform, bei callösem Cha-
rakter Solut. salis tartari. Zuweilen ists ein Ulcus fungosum mit grossen
Blutgefässen in der Peripherie. Hier verordne man eine schwache Solut.
lap. infernalis. Ists ein Ulcus varicosum mit dicken, aufgetriebenen Venen
so steche man diese auf und wende Solut. vitrioli albi, aluminis an. Mitun-
ter haben diese Geschwüre einen sphacelösen Charakter, z. B. bei Ophthal-
mia neonatorum. Es bildet sich eine Art Kruste auf dem Geschwüre, die
sich abstösst und worauf die Oberfläche des Geschwürs ganz weiss wird.
Bessert sich ein solches Geschwür , so geht die weisse Oberfläche in kleinen
Läppchen fort; bildet sich aber zum zweitenmal eine Kruste, so wird die
Cornea meist durchfres-sen und so das Auge zerstört. Hier müssen äusser-
lich Opium, Sol. aluminis, Decoct. chinae angewandt werden. Die Dia-
gnose der Hornhautgeschwüre ist gar nicht leicht. iDer Ausfluss kann kein
Zeichen geben, da er zu gering ist und mit der Thränenfeuchtigkeit und
dem Meibom'schen Schleim gemengt wird. Zu vermuthen ist ein Helkom,
wenn das Auge sehr empfindlich, bedeutend lichtscheu ist und häufig thränt.
Durch die Autopsie, besonders wenn man das kranke Auge im Profil beob-
achtet, wird es erst völlig erkannt; aber auch hier entdeckt man es, wenn
es am obern Rande der Cornea sitzt, oft erst spät. Häufig gehen viele
kleine Blutgefässe nach dem Punkte der Cornea, wo das kleine Geschwür,
das von der Seite angesehen eine Vertiefung zeigt, sitzt. Die Folgen sind
oft sehr schlimm. Abgerechnet die hohe Empfindlichkeit und den Schmerz
des Auges, bleibt im günstigsten Falle doch stets als Folge der Vernarbung
eine geringe Trübung der Hornhaut zurück, im ungünstigen penetrirt das
Geschwür, der Humor aqueus fliesst aus, es folgt Prolapsus iridis, wol gar
Vorfall der Krystalllinse, hinterher Atrophie und Verlust des Auges. Ausser-
62*
1)80 HELCOS - HELMINTHUSIS
dem geht die Heilung solcher Geschwüre stets sehr langsam vor sich, und
das Auge muss besonders geschont werden, und zwar bis zur völligen Hei-
lung des Helkoms.
Welcos» das Geschwür, s. Ulcus. Die Alten verstanden unter Uxof
jede örtliche Verletzung und den dadurch verursachten Schmerz.
Melcoisis, s. Helcoma.
ISelctica (retnedia), Zugmittel, s. Epispastica.
Melcydrion, ein kleines Hornhautgeschwür, s. Helcoma.
* llellasis, Heliosis^ Apricatio, das Sonnen, der wohlthätige Einfluss
des Sonnenlichts auf den Körper (s. Balneum aereum, solare). Im
engem Sinne versteht man darunter auch den Sonnenstich; s. Insolatio.
Melniintbag^Og^a y Helminthica (^remcdia') , besser Anthelminthica,
Wurmmittel, wurmtreibende Mittel, s. Authelminthica und Hel-
rainthiasis.
'''Helmintlliasis» Scoleciasis, Morbus verminosus, Status vemdnosus,
Saljurra verminosn, Vermitio, die Wurmkrankheit, die Wurmsucht.
Ist dasjenige Leiden, welches durch eine zu grosse Menge Intestinalwürmer
erregt wird, eine Kachexie, nahestehend der allgemeinen Schleimsucht, wo
neben den der Blennorrhoe des Darmcanals eigenthümlichen allgemeinen
Symptomen (s. Blennorrhoea ventriculi et intestinorum, Febris
pituitosa) noch besondere Erscheinungen hinzutreten, die auf das Daseyn
von Würmern in den ersten Wegen hindeuten. Obgleich der menschliche
Organismus in seiner Gesammtheit den Grund und Boden für Würmer ab-
giebt, so ist es doch dem Zwecke dieser Abhandlung nicht angemessen, die
bis jetzt im menschlichen Körper aufgefundenen Wurmarten einer speciellen
Betrachtung zu würdigen; nur die im Darmcanal vorkommenden und durch
ihre Einwirkung auf den Körper die Hülfe der Therapie in Anspruch neh-
menden sind es, die hier unsere Aufmerksamkeit verdienen. (Über die im
meinschlichen Körper und mitunter auch bei den Thieren ausserhalb des
Darmcanals vorkommenden Würmer sind die Artikel: Filaria Dracun-
culus, Strongulus Gigas, Distoma hepaticum, Polystoma
pinguicula, Cysticercus cellulosae, Hamularia subcompressa
und Hydatides nachzulesen. Most). Die Helminthologen haben uns mit
iünf Wurmarten bekannt gemacht, die nur innerhalb des Darmcanals an-
getroffen, und darum vorzugsweise Darmwürmer genannt werden. Diese
verschiedenen Arten sind nun folgende: 1) der Peitschenwurm, Haar-
kopf, Trichocephnlus dispar, 'fr. hominis. Der Aufenthalt dieser Species
sind die dicken Gedärme, vorzüglich der Blinddarm. Man erkennt die-
sen Wuim an folgenden Zeichen. Er hat einen walzenrunden, peitschen-^
förmigen , sehr elastischen Körper , der an seinem Vordertheile sehr dünn
und haarförmig verläuft, am Hintertheile aber sich bedeutend verdickt
und keulenartig endet; die Mundöii'nung ist cirkelrund und wegen Klein-
heit oft kaum wahrzunehmen. Das Hintertheil des Männchens ist dach
spiralförmig aufgerollt, und hat an seinem Ende eine Röhre, aus welcher
das Zeuguugsgiied hervorragt. Dagegen zeichnet sich das Weibchen ausser
der etwas bedeutendem Länge durch einen längern haarförmigen Vorderthcii
aus; der weniger eingekrümmte Hintertheil enthält die Eierstöcke mit den
elliptisch geformten Eiern, um den Darmcanal liegend, und am Ende eine
kleine Öffnung, welche nach der Ansicht des verdienten Bremser als After
und Scheide zu betrachten ist. Die ganze Länge des Peitscheii''.vurmes be-
tfägt selten über zwei Zoll {Bremser} ; er ist gewöhnlich weiss von Farbe,
selten gefärbt. 2) Der Pfriemenschwanz, Springwurm, Maden-
wurift, die Askaride, Oxijims vermiculnris , Ascnris vermicularis, Helmin-
thion. Er hält sich immer nur im Dickdarm, vorzüglich im Mastdarm, auf,
sucht am häufigsten Kinder, seltener Erwachsene heim. Er charakterisirt
sich durch einen walzenrunden, sehr elastischen Körper, der pfriemenförmig '
in eine äusserst feine Schwanzspitze ausläuft, und durch eine deutliche cirkel-
iörmige Mund Öffnung. Das stumpf zulaufende Schwanzende ie» Mäniichens^
HELMINTHUSIS 981
kt flach . spiralförmig aufgei'oUt, beim Weibchen Ist es gerade und pfriemeii-
fönnig. Diese im Menschen vorkommende Art der Askariden zeichnet sich
ausserdem noch durch die. Eigenthümlichkeit aus, dass am abgestumpften
Körperende an beiden Seiten blasenförmige Seitenmembranen hervortreten,
zwischen denen der Schlqnd als linienförmige Röhre verläuft. Der Spring-
wurm ist selten länger als V4 2oll; er geht oft in unzählbarer Menge mit
den Excrementen des Kranken ab, und macht sich durch seine springende
Bewegung, sowie durch seine weisse, fadenförmige Gestalt leicht bemerkbar.
8) Der Spulyvurm, Ascaris lumhricoides , Hehnins, üblicher in der Mehr-
zahl Uelndnthcs. Sein Aufenthaltsort sind vorzüglich die dünnen Gedärme,
von wo aus er, wenn er in grosser Menge vorhanden ist, zuweilen auch in
den Magen dringt und dann oft durch Erbrechen entlteert wird. "Dieser
Wurm ist Ärzten und Laien so bekannt, dass eine Beschreibung beinahe
überflüssig ist. Es ist 3 — 12 Zoll lang, oft so dick wie eine Federspule,
hat einen walzenrunden, elastischen, an beiden Enden etwas zugespitzten
Körper, ein etwas dünneres Vorder- als Hinterende; um seine Mundöffnung
stehen in B'orm eines Dreiecks drei kleine kugelförmige Erhabenheiten, 'eine
Art von fleischiger Warzen oder Knötchen, hinter welchen sich ein Oirkel-
schnitt betindet. Er weicht in Hinsicht seiner Fai'be bedeutend ab , so da«s
man ihn oft weisslich, fleischfarben, bald aber braunroth, bald blaurotU an«
trifft; ist er abgestorben, so hat er eine strohgelbe Farbe. Die beiden Sei-
ten seines Körpers sind mit einer herablaufenden kleinen Furche bezeichne^,
und das Kopfende wird deutlich von dem übrigen Körper durch eine. kreis-
förmige Einsenkung getrennt. Das Männchen, gewöhnlich kleiner als das
Weibchen, hat ein gekrümmtes Schwanzende, aus dem das doppelte männ-
liche Glied hervorragt; das Weibchen, bei welchem die Zeugungsorgane
die ganze Körpermasse in Anspruch nehmen , hat zur Aufnahme des doppel-
ten männlichen Zeu^ungsgliedea eine diesem entsprechende doppelte Öffnung;
das Schwanzende ist gleichfalls gerade ausgestreckt. Unter allen Wurmarleii
kommt der Spulwurm am häufigsten vor, und man trifft ihn, besonders bei
schwächlichen Subjecten, oft in unglaublicher Menge an. 4) Der Band-
wurm, der breite oder kurzgegliederte Bandwurm, der Grub en-T>
köpf, Bothriocephalus latus Bremser, Tacnia lata Bloch, Tae*'ia vitltjavis.
Das Charakteristische dieses Wurmes ist der weiche, langgezogene, .flache,
gedrückte, gegliederte, bandförmige Körper mit zwei oder vier verschieden
gestalteten Gruben oder auch blumenförmigen Lappen an dem bewaffneten
oder auch unbewaffneten Kopfende. Selten wird dieser Wurm in Deutsch-
land beobachtet; dagegen scheint Russland, das angrenzende Preussen^ Po-'
len, die Schweiz und einige Gegenden von Frankreich sein eigentliches Va-
terland zu seyn. Beobachtete man ihn in Deutschland, so ward er nur bei
solchen Individuen gefunden, die aus den genannten Gegenden herstammten^
Der Aufenthalt der Taenia lata sind die dünnen Gedärme; der Kopf und
die Randgruben des Wurmes sind länglich, und die auf denselben sich be-
findenden Eindrücke oder Gruben werden Aon Rudoiphi für den Anfang der
Nahrungswege gehalten, wogegen Bremser behauptet, dass sich zwischen
den grubenartigen Vertiefungen eine einfache Mundöffnung befinde. Der
Hals ist oft kaum unterscheidbar; doch ist die Grenze zwischen Kopf und
Hals in vielen Fällen durch eine Furche deutlich bezeichnet und der faden-
förmige Hals verläuft oft mehrere Zoll lang, bevor er sich in den breitem
sogenannten Körper des Wurmes verliert. Die vordersten Glieder sind' run-
zelförraig, die folgenden zahlreichern kurz, mehr breit als lang, fast vier*^
eckig; dagegen haben die hintern Glieder ein mehr längliches Ansehn. Bei
den Bandwürmern findet keine Geschlechtstrennung statt; denn die einzel-^
npn Glieder haben in ihrer Mitte eine deutliche Öffnung oder Grube, aus
der eine zapfenartige Hervorragung tritt (das männliche Glied nach Bremser),
in deren Nähe die Eierstöcke blumenartig gelagert sind, so dass. also jede»
Glied als ein besonderes Thier betrachtet werden könnte. Die Länge des
Grubenkopfes weicht sehr ab, da maii dieselbe von 15, 20 — 60 Fuss und
darüber beobachtet hat; die grösste Breite desselben steigt von % bis. auf
982 * HELMINTHIASIS
1 Zoll. Seine Farbe ist ursprünglich weiss, obgleich auch Schattirungen ins
Weissgraue vorkommen. 5) Der Kettenwurm, Kürbiswurm, Kürbis-
bandwurm, der langgegliederte Bandwurm, Taenia solium Brem-
ser, Rudolphi, Taeiiin cucurhitina Pallas. Auch er bewohnt nur die
dünnen Gedärme des Menschen und wird bei allen europäischen Völkern,
jedoch mit Ausnahme derjenigen, wo der Grubenkopf vorkommt, gefunden.
Die dieser Art zukommenden Kennzeichen, wodurch sie von dem Gruben-
kopf, mit dem sie in frühern Zeiten verwechselt wurde ^ leicht zu unter-
scheiden ist, sind folgende: ein beinahe halbkugelförmiger, scharf begrenz-
ter Kopf, ein abgestumpfter Saugrüssel , ein nach Vorn zunehmender Hals
mit Gliedern, welche nach Vorn sehr kurz, in der darauf folgenden Strecke
fast viereckig, nach Hinten (am Hintertheile des Wurms) länglich, alle aber
unmerklich abgestumpft und mit Randlöchern versehen sind, die ohne Ord-
nung wechselseitig stehen. Der Kopf ist mit vier Saugmündungen versehen,
in deren Mitte findet man eine gewölbte Hervorragung, um welche kreis-
förmig doppelte Reihen kleiner Häkchen bemerkt werden, was n\ir, da der
Kopf sehr klein ist, das bewaffnete Auge wahrzunehmen im Stande ist. Der
Hals ist ebenfalls sehr dünn, bald kürzer, bald länger. Die Glieder des
Körpers sind anfangs schmal und sehr kurz, verlängern sich aber immer
mehr, je mehr sie sich vom Kopfende entfernen. An ihrem Seitenrande bie-
ten sie bald rechts, bald links, ohne bestimmte Ordnung, kleine warzen-
förmige Hervorragungen dar, welche in der Mitte eine deutliche Öffnung
haben, die zu den Eierbehältern führt. Die ganze Länge des Wurmes be-
trägt bald nur 10, bald 20, 30, selbst 40 Ellen. Seine Breite ist sehr ab-
weichend ; am Kopfende beträgt sie oft nicht mehr als die Dicke eines Pfer-
dehaars, am Schwanzende und Körper wohl V4 Zoll; auch hat hierauf das
Contractions - und Expansionsvermögen des Thieres Einfluss, weshalb der
Wurm oft bald dünner, durchscheinend, bald dicker, undurchsichtiger er-
scheint. Sowol der Bandwurm als der Kettenwurm besitzen die Zeugungs-
organe beiderlei Geschlechts in den meisten ihrer einzelnen Glieder, mithin
ist ihnen das Selbstbefi-uchtungsvermögen eigen. Aus dieser Eigenthümlich-
keit des Baues erklärt es sich, wie die Bandwürmer sich so sehr vermehren
können. Was aber ihre Reproductionskraft hinsichtlich der einzelnen Glie-
der betrifft, wornach sich ganze Strecken abgerissener Glieder wieder bil-
den sollen, so ist solche Annahme nicht sehr wahrscheinlich, bleibt wenig-
stens fernem Untersuchungen vorbehalten.
Genesis der Intestinalwürmer. Über das Entstehen der Ein-
geweidewürmer, sowie über ihren ganzen thierischen Haushalt , ist noch ein
tiefes Dunkel verbreitet. Die sonderbarsten und widersprechendsten Ideen
wurden aufgestellt, um die Entstehung dieser Thierart zu erklären Alle
lassen sich jedoch auf zwei Hauptvorstellungsweisen zurückführen. Nach
der einen werden nämlich alle Eingeweidewürmer von Würmern derselben
Art erzeugt; nach der andern können sie sowol bei Menschen als Thieren
ohne Zuthun von Altern, durch ursprüngliche Zeugung, primitive Zeugung
nach Bremser (Generatio aequivoca, spontanea, originaria) entstehen. Die
Meinung älterer Naturforscher war allgemein die, dass diese Thiere mittels
der Speisen und Getränke durch den Mund in den thierischen Körper kämen,
indem sie als ausgemacht annahmen, dass auch ausserhalb des Körpers, in
Flüssigkeiten, im Wasser etc. Thiere angetroffen würden, die den Intesti-
nalwürmern ganz ähnlich seyen. Andere Naturforscher nahmen an, dass
nur die Eier solcher Thiere auf irgend eine Weise in den Körper gelangten.
Brera behauptet, dass die aus der Erde und dem Wasser in den thierischen
Organismus geführten Wärmer durch den Wechsel ihres Aufenthaltsorts eine
totale Bildungs - und Formveränderung erlitten. Dagegen meinten Andere,
dass die Wurmeier in den Zeugungssäften von den Altern der organischen
Substanz des Fötus, des Kindes beigemischt würden. Das Unhaltbare die-
ser Hypothesen bestimmte neuere Naturforscher zu einer andern Ansicht
überzugehen, und sie glaubten, in der Generatio aequivoca eine genügende
Erklärung zu finden. Die Erfahrung lehrt nämlich, dass organische Sab-
HELMINTHIASIS 983
stanzen: Pflpnzenlheile , Samen, Korner, Stücken Fleisch etc. mit Wasser
Übergossen und dem Einflüsse des Liclits und der Wärme ausgesetzt, in
kürzerer oder längerer Zeit aus sich selbst und ohne Zuthun von Keimen
kleine Thlerchen, die Infusorien, Infusionsthiere, die durchs Mi-
kroskop deutlich wahrzunehmen sind, bilden, was nian daher Generatio
primaria s. aer^uivoca genannt hat. So gut wie vom Organismus unter be-
sondern Umstäiiden fremdartige Körper aufgenommen und zu homogenen
Theilen verarbeitet werden , ebenso gut können sich integrirende Theile des
Organismus wieder von ihm trennen. Die Schriftsteller bezeichnen als den
GrundstolF, aus welchem diese ursprüngliche Bildung hervorgeht, bald be-
stimmt geartete Säfte des Thierkörpers, bald das Zellgewebe. Um nun
diesen Vorgang an andere Erscheinungen der thierischen Ökonomie anzu-
reihen luid auf die allgemeinen Bedingungen zurückzurühren , wodurch und
unter welchen Umständen thierisch - organische Massen ins Daseyn gerufen
werden , ist es erforderlich, die der Wurnibilduug wahrscheinlich zum Grunde
liegenden Momente näher zu betrachten. Hier nimmt nun unstreitig die ver-
änderte Verrichtung des Darmcanals einen wesentlichen Platz ein. Die Er-
fahrung lehrt nämlich, dass die Wurmerzeugung vorzugsweise in solchen
Individuen tiorirt, die an Energiemangel des Darmcanals leiden, bei denen
mithin eine fehlerhafte für die thierische Ökonomie nicht genügende Chyli-
fication erfolgt, die nothwendig Abweichungen in den normalen Mischungs-
verhältnissen des Chylus hervorbringt und gleichzeitig auf die Function der
einsaugenden Gefässe einen nachtheiligen Einlluss äussern muss. Um diesen
abnormen Zustand hervorzurufen, sind nach der Erfahrung verschiedene
Schädlichkeiten als ursächliche Momente der Wurmbildung zu be-
trachten. Dahin gehören besonders der häufige, übermässige Genuss zäher,
schwerverdaulicher, schleimiger, fetter, mehliger Nahrungsmittel; ferner un-
thätige Lebensweise, Mangel an Bewegung, Aufenthalt in feuchter, kühler,
nebliger oder regniger Witterung, in einem solchen Klima, Lichtmangel etc.,
kurz Alles, was Blennorrhoe macht. Da nun unter solchen obwaltenden
Einflüssen der gesammte Vegetationspro cess durch quantitativ und qualitativ
veränderte, allen Lebensverrichtungen zum Grunde liegende Chylltication auf
eine niedrigere Stufe der thierischen Ausbildung gestellt wird, so ist es er-
klärbar, warum nun die Entwickclung des höhern thierischen Charakters
gehemmt wird und dagegen die Bildung plastischer, der iiiedern Thiergat-
tung ähnelnder Stoffe erfolgt. Wir sehen ähnliche Vorgänge, wenn die aus-
bildende Metamorphose auf einer so niedern Stufe verweilt, dass sie ihre
Producte nicht über die Püanzennatur erheben kann, und finden in dieser
Hinsicht die auffallendsten Beweise in der Harnruhr (s. Diabetes), wo
die pflanzliche Zuckerbildung vorherrschend ist, im Hydrops, wo es zuwei-
len nur zur Ausbildung seröser Flüssigkeiten kommt etc. Sind somit die
Bedingungen gestellt, die ein eigenes, selbstständiges thierisches Leben bil-
den können, so bedarf es weiter nichts als der Einwirkung der wechselsei-
tigen Verhältnisse, die den nun einmal angelachten Lebensfunken ferner un-
terhalten und ausbilden. (Ausserdem ist es hinlänglich bewiesen, dass viele
Thiere niederer Organisation sich durch Generatio aequivoca erzeugen und
später geschlechtlich fortpflanzen können ; dahin gehören die Endobranchen,
die Helminthen, die Eingeweidewürmer, und wahrscheinlich auch die Poly-
pen. Most.) Diagnose der Wurmkrankheit. Sie ist sowol im Allgemeinen
als im Besondern leider noch so unsicher und unzuverlässig, dass man, aus-
ser dem wirklichen Abgange der Darmwürmer selbst, aus der grossen Masse
der von den SchrifuStellern aiifgestellten und die Gegenwart der Würmer be-
»eichnenden Symptome nicht ein einziges als xmtrüglich für klinische Zwecke
aufführen kann. Dazu kommt noch der Übclstand, dass die den Intestinal-
würmern zugeschriebenen Symptome zum Theil auch andern Krankheitszu-
ständen eigenthümlich sind, namentlich den Scropheln, der Atrophie, dem
Status gastricus, pituitosus, dem Hydrocephalus chronicus u. a. m. (Alles
dieses beweist, dass Scropheln, Atrophie, Blennorrhoe und Helminthiasis
wesentlich picht verschieden sind, dasa letztere daher häufig mit erstem
984 ' HELMINTHIASIS
compUcirt und die radicale Cur: Verbesserung der zu schwachen Chylifica-
tion und Nutrition, bei allen eine und dieselbe ist. Most}. Sehr häußg
werden einzelne Darmwürmer von übrigens ganz gesunden Individuen, und
ohne Zeichen irgend einer Störung des allgemeinen Wohlbefindens zu ver-
anlassen, entleert. Häufen sie sich aber in grösserer Anzahl in den ersten
Wegen an , oder werden sie in sehr reizbaren Subjecten erzeugt, so erregen
sie allerdings mancherlei Beschwerden, die bald gelinder, bald heftiger und
dann als die Symptome der Helminthiasis zu betrachten sind. Diese sind:
Oft und schnell wechselnde, veränderliche, bald blasse, bald rothe Gesichts-
farbe, blaue Ringe um die Augen, Jucken und Kitzeln in der Nase, öfteres
und schnelles Ansammeln eines heilen Wassers im Munde, Ausfluss des Spei-
chels aus demselben während der Nachtzeit, ungleiche, bald verminderte,
gewöhnlich aber gesteigerte Esslust, grosse Vorliebe für feste, besonders
mehlige Speisen; ein süsslich fader, übler, oft fauliger Geruch aus dem
Munde, schleimiger Überzug der Zunge, Ekel, Übelkeit, vorzüglich bei
leerem Magen oder nach dem Genuss süsslicher Dinge, wirkliches Erbrechen
einer wasserhellen Flüssigkeit, Übelbefinden nach dem Genuss von Senf,
Zwiebeln, Meerrettig, aufgelockertes Zahnfleisch, cariöse Zähne, Druck,
Schmerz im Unterleibe, in der Nabelgegend, periodisch eintretende Collca
verminosa mit Auftreibung, Spannung des Abdomens, Gefühl einer kriechen-
den, nagenden, kneipenden Empfindung daselbst, oft harter, aufgetriebener
Bauch bei magern Gliedern, Anschwellung der Oberlippe, der Nase. Hierzu
gesellen sich mancherlei Störungen der Digestion: seröse, schleimige Diar-
rhöe, Tenesmus , Jucken am After, abwechselnd Obstructio alvi; periodisch
Kopfschmerzen, besonders bald nach der Mahlzeit, unruhiger Schlaf, ängst-
liche Träume, Sprechen im Schlaf, Zähneknirschen, selbst Somnambulismus,
Täuschungen des Geruchs, gestörtes Sehvermögen, erweiterte Pupille, Di-
plopie, Chromopsie, vorübergehende Blindheit, Klingen, Sausen und Brau-
sen in den Ohren, Krämpfe der Augenmuskeln, Verdrehen der Augäpfel,
Angst, Herzklopfen, Unruhe, periodisch Dyspnoe, ein kurzer, trockner,
krampfhafter Husten, höchst veränderlicher, krampfliafter , oft interraittiren-
der Puls; Abgang eines blassen, molkigen, milchweissen Urins, sauer rie-
chende Schweisse. In heftigen Graden ist die Wurmkrankheit die Ursache
von Convulsionen aller Art, von Chorea, Epilepsie, Katalepsie, von Sopor,
Delirien, Lähmung, Sprachlosigkeit, von Schmerzen in den Gliedern, die
den rheumatischen ähneln, von Verstimmufig des Geistes, Trübsinn, von
hypochondrischen und hysterischen Beschwerden aller Art. Kinder mit vie-
len Spulwürmern leiden gewöhnlich an übler Laune, und es gesellen sich
leicht fieberhafte Zufälle, oft begleitet von Krämpfen aller Art, hinzu (s.
Febris verminosa). Endlich können bei längerer Dauer und Vernach-
lässigung des Übels Abmagerung und Febris hectica mit den bekannten Fol-
gen eintreten, Prognose der Wurn.krankheit. Das Daseyn und die An-
wesenheit der Würmer giebt an und für sich keine bedenkliche Aussicht für
die Zukunft des Kranken; wol aber wird sie durch den Umstand bedenk-
lich, dass der Wurnierzeugung selbst ein Leiden der gesammlen Reprodu-
ction, welches tief in ihre Verrichtungen eingreift (die Cachexia pituitoso-
verminosa, M.) , zum Grunde liegt, und dieses im Verein mit den Würmern
kann allerdings Erscheinungen hervorrufen und Ausgänge herbeiführen, die
für den Kranken von übler Bedeutung sind. Die Erfahrung lehrt täglich,
dass Individuen von ihrer Kindheit bis zum Greisenalter Würmer ohne Stö-
rung ihrer Gesundheit beherbergen. Aber nur bei geringer Anzahl ist dies
der Fall ; ist ihre Menge zu gross , so entsteht allemal Krankheit. Dass die
alte Ansicht, Eingeweidewürmer könnten die Gedärme durcbbohren und da-
durch schlimme Zufälle ßrregen, nicht irrig sey, bedarf keines Beweises;
doch sind die Fälle selten. In der medic. Zeitung d. Auslandes 1833. Nr. 62
wird die Beobachtung mitgetheilt , dass aus verschiedenen Theilen des Kör-
pers sich Würmer entl&eDt -hätten; Dr. Siehenhaar erwähnt einer Durchboh-
rung der Gedärme durch Spulwürmer (s. Hufeland's Journ. 183+, April) und
Professor Vlvi^hmunH sen. hl Erlangen theilt in demselben Journ, 1835, Juni,
HELMINTHIASIS 985
(ünen interessanten Fall mit, wo bei einem 4jährigen Mädchen durch Spul-
würmer das Ileum durchbohrt wurde und nach S Wochen der Tod folgte,
nachdem sich in der Regio umbilicalis ein Abscess gebildet, woraus ein starker
Spulwurm hervorgekrochen. Die Section bestätigte die Darmdurchbohrung.
Ganz richtig bemerkt Fleischinann , was viele gute Praktiker gleichfalls be-,
obachtet haben, dass die Sp\*würmer zuweilen lange den anthelminthischen
und abführenden Arzneien widerstehen, dass endlich aber nach 10 — 14tägi-
ger consequenter P'ortbehandlung dieselben auf einen Klumpen zusammenge-
häuft oder eigentlich gerollt, mit einander auf einmal abgehen. In einem
solchen Kfläuel fand Fleischmnnn einmal S7 , ein anderes Mal 23 todte Spul^T.
würmer. Am häufigsten finden wir die Wurm besch werden bei Kindern, sel-
tener bei Erwachsenen (hier vorzüglich nur Taenia), häufiger bei Kindern(
der niedera Stände als bei denen der Vornehmen, woran die Lebensweise
und die die Würmer erzeugende Nahrung bei erstem vorzüglich Schuld ist,-
wogegen bei den Kindern der Vornehmen mehr Fieischnahrung, die dei;
Wurmerzeugung nicht günstig ist, stattfindet. Inwiefern nun der Arzt fähig
ist, viel oder wenig auf die Lebensverhältnisse seiner Kranken einzuwirken,
mehr oder weniger den gestörten luul gesunkenen Digestions- und Assimila-
tionszustand des Darmcanais zu erregen , vorsichtig zu stärken und zur nor-
malen Thäligkeit zurückzutühten, inwiefern es in seiner Macht steht, auf
den Aufenthalt, das Gemüth, auf Luft, Licht, Nahrung, Wohnung und Klei-
dung des Kranken wohlthätig einwirken zu können, cnler ijicht, insofern wird
es ihm auch möglich werden, eine schnellere, spätere oder gar keine radi-
cale Heilung zu verkünden. Je jünger der Kranke. ist;, je länger das Übel
.schon gewährt hat, um so ungünstiger ist die Prognose; besser ist sie bei
Erwachsenen und bei erst kürzlich ausgebildetem Übel. Auch ist die Vor-
hersage verschieden nach Verschiedenheit der Wurmarten. Besser ist sie be^
Spulwürmern als bei Askariden, weil diese sich so schnell , regenerii'en, bes-
ser wieder bei letztern als bei. der Taenia, weil diese oft sehr schwer zu
entfernen und die Anlage zu neuer Bandwurmbildung noch schwerer zu he-
ben ist. Behandlung. Die Cur der Wurmkraukheit im Allgemeinen er-
fordert nicht allein die Entfernung der Würmer, sondern ihre wesentliche
Aufgabe ist: die vorhandene Dispositio pituitoso-verminosa aufzuheben und
die gesunkene Vitalität des Darmcanais und der ganzen Nutrition und Chy-
lification durch zweckmässige Mittel zu erregen und zu stärken. Diesen ge-
gebenen Curindicationen genügt nun die Anwendung verschiedener Arzneien,
durch deren Wirkung wir entweder , den kachektischen Zustand beseitigen
wollen; oder es sind solche Mittel, die specifisch und mechanisch auf die
Würmer einwirken , wodurch sie erkranken oder getödtet und somit leicht
ausgeführt werden können. Hierzu sind die Anthelminthica und Laxantia in
Gebrauch; unter letztern besonders solche, die eine heftige peristaltische
Bewegung hervorrufen und dadurch den Schleim und die Würmer leichter
aus dem Darmcanal entfernen. Um die Disposition zu Intestinalwünnern auf-
zuheben, dienen Amara und Amaro-aetherea, Aromatica, desgleichen solchß
Arzneistoffe, die die angehäul'cen lymphatischen und schleimigen Stoffe verr
ändern , ausleeren oder für die Resoi|)tiün tauglicher machen. Hieher gehö-
ren alle gegen Blennorrhoea ventricuii empfohlenen Mittel, besonders kleine
Dosen Neutralsalze, kleine Gaben des Merc. dulc. , des Rheum, der milden
Antimonialia. Eine angemessene Diät macht auch hier, wie bei Febris pi-
tuitosa und Blennorihöe, die Hauptsache aus. Die Classe der Anthelminthica
ist sehr gross. Alle Amara, Amaro-aetherea, alle Acria, alle. Arzneien , die
ein widerlich riechendes ätherisclies Öl enthalten, sind den Würmern zuwi-
der. Dahin gehören vorzüglich: Sem. santonici, sabadilli, Rad. filicis maria,
Semen, herba et flores tanaceti, Rad. allii sativi et allii cepae, Putam. nuc.
jugland., Cort. Geoffr. Surinamens., Rad. valer. minor,, Conferva helmintho-
chort., Gumm. asae foetidae, Camphora, Petroleum, Ol. jtejrebinth., Ol. c. c.
empyreumat. et rectificat. s. Dippelii, endlich Kalojnel , .Merc. vivus. , Tart»
emetic. in refr. dosi, Baryta muriatica, Sal. ammoniac. , Aq. calcis, Flor.
zinci, reichliche Quantitäten des kalten Wassers, massige Dosen der salini-
986 HELMINTHIASIS
sehen Mineralwasser u. a. m. Zu den abführenden Mitteln , welche entwe-
der mit den Anthelminthicis in kleinen Dosen, um den Torpor des Darin-
canals zu entfernen , gereicht , oder nach vorhergegangenem Gebrauch der
wurmwidrigen Mittel zur Entfernung der erkrankten Würmer in Anwendung
gebracht werden, gehören: Sal Glauberi, Kalomel in grossen Dosen, Rad.
jalap. , Rad. rhei, Folia sennae, Herb, gratiolae, Rad. heilebori nigri, Grana
tiglii, Ol. crotonis, Aloe, Scammonium, Gummi gutt., fette Öle, Ol. oliva-
rum, ricini u. a. m. Dass ausser diesen Mitteln bei vorhandenen Krämpfei»
und andern nervösen Leiden die besänftigenden und krampfstillenden Mittel
gleichzeitig ihre Anwendung finden , dass bei bedeutender Verschleimung der
ersten Wege, den Umständen gemäss, bald auflösende, bald Brech - und
Laxirmittel vorausgehen oder gleichzeitig in Gebrauch gezogen werden müs-
sen, versteht sich wol von selbst. Die äusserliche Anwendung mancher Mit-
tel begünstigt oft auffallend die Wirkung der innern Anlhelminthica , z. ß.
Einreibungen von Ol. cajeputi, tanaceti, absinthii, petrolei mit Succ. allii
sativi und Fei taur. recens., Umschläge von Knoblauch mit Tanacetum , von
Wermuth mit Essig, Salben aus Sapo venet. mit Kampher, Aloe etc.; auch
Klystiere von solchen Mitteln verdienen empfohlen zu werden. Die Diät
bei allen Wurmkrankheiten erfordert den Genuss animalischer Speisen, und
zwar wählt man die zartern Fleischarten: Fleischbrühen von Tauben, Hüh-
nern, Kalbfleisch; junges Gemüse, was reichlich gewürzt wird, besonders
in Verbindung mit Zwiebeln, Knoblauch, Meerrettig etc. Auch ein gut aus-
gegohrnes Bier und der massige Genuss des rothen Weins sind zu empfeh-
len. Schädlich sind alle Mehlspeisen, alle Kartoffeln, alle Hülsenfrüchte,
alle Klösse, Pfannkuchen, jedes fette Backwerk, das schwarze, schwerver-
dauliche oder jedes fi-ische und feuchte Brot, die Butter, die fetten Fleisch-
nnd Fischspeisen.
Diagnose und Behandlung der Helminthiasis in Betreff der einzel-
nen Wurmarten. 1) Trichocephalus. Für die Gegenwart des Peit-
schenwurms giebt es keine Symptome, die ihn bestimmt anzeigten; er macht
auch fast nie Beschwerden. Selten geht er mit den Excrementen ab; am
häufigsten findet man ihn in Leichen. Zuweilen waren die Menschen im
Leben ganz gesund, häufiger aber litten sie an chronischen Übeln der Di-
gestionsorgane mit überv\iegender Neigung zum Status pituitosus. 2) Die
Askariden. Sie geben sichere diagnostische Zeichen ab. Diese sind: ein
höchst lästiges Jucken im Mastdarm und am After, das .sich des Abends
und in der Bett wärme vermehrt, oft so heftig wird, dass Tenesmus, Kräm-
pfe, Ohnmächten, bei Weibern übermässige Geschlechtslust erfolgen und
dass selbst die Vagina und beim männlichen Geschlechte die Urethra schmer-
zen, jucken und brennen; ferner oft Abgang durch den Stuhl in grosser
Menge; zuweilen kriechen sie trocken aus dem Rectum, gehen in die Va-
gina, geben Anlass zu Onanie, zu Fluor albus etc. Cur. Eine grosse
Menge Mittel sind empfohlen worden, theils zu ihrer Entfernung, theils um
ihre Regeneration zu verhüten. Wir verordnen zweimal täglich ein Klysticr
von Knoblauch und Haferschleim, von Infus, absinthii, von Decoot. quassiae
mit Asa foetida (p. d. ^^ — j), von einer schwachen Sublimatsolution ; zu
jedem Klystier für Kinder nur V4 Gran Sublimat. Auch frische, reichlich
kohlensaures Gas enthaltende Mineralwasser sind als Klystiere recht wirk •
sara. Sind die Askariden bei Erwachsenen in grosser Menge vorhanden, so
sind sie stets ein Zeichen von Blennorrhoe oder Gicht. Hier entfernen wir
sie am besten dur<-h Klystiere von kaltem Wasser, noch besser mittels der
sich an den meisten Badeörtern befindenden Douche ascendeirte, wodurch
alle dicken Gedärme rein ausgespült werden. Hinterher behandeln wir das
Grurtdübel (s. Blennorrhoea und Arthritis). Auch bei Kindern erfor-
dert die Verschleimung allgemeine Mittel, z. B. abwechselnd etwas Rheum,
Mercur. dulc. , anhaltend Amaro-aetherea, Araara, Calam. aromat. , Geum
urbanum, Ruta, Gentiana, Cascarille, Trifolium, Quassia, zuletzt China
und Eisen. Die innerlichen Anthelminthica passen bei Askariden weniger
?ls bei Spulwürmern, weil sie sich nur im untern Theile des Dickdarms
HELMINTHUSIS ^ 987
aufhalten. Zur Entfernung derselben reichen die angegebenen Lavements
völlig hin; doch ist dabei Folgendes zu beobachten: o) sie müssen so kalt
applicirt werden , als es der Kranke nur vertragen kann ; 6) die Quantität
derselben darf nur gering, höchstens 3 — 4 Unzen (für Kinder 2 Unzen)
seyn, damit sie länger im Darmcanal verweilen; c) sie dürfen nicht zu sel-
ten, müssen wenigstens 2 — Smal täglich applicirt werden. Statt der Kly-
stiere hat man auch warme Bähungen des Afters mit Knoblauch und Milch,
Valeriana, Asant etc. empfohlen, desgleichen Stuhlzäpfchen von Speck, von
Honig oder Seife mit Aloe, von Charpie mit Unguent. mercuriale bestri-
chen etc.; doch leisten die Lavements nach allen Erfahrungen das Meiste.
Vermuthet man die Askariden auch in dem obern Theile des Dickdarms, so
kann man, nach Bremser, von der Störck'schen Wurmlatwerge Abends und
Morgens einen Theelöffel voll geben, und das Verhältniss der Rad. jalap.
darin der Art verändern, dass leichte Abführungen erfolgen. Nachdem da-
mit 3 — 4 Tage continuirt worden, giebt man gelinde bittere, stärkende Mit-
tel: Extr. rutae, trifolii, card. benedict. mit aromatischen Wassern, Tinct.
rhei u. dergl. 3) Spulwürmer. Ihre Gegenwart wird nur durch Ein
sicheres Zeichen : durch ihren Abgang mit den Excrementen oder nach oben
durch Erbrechen, erkannt. Alle übrigen Zeichen sind ungewiss; da ihr Sitz
indessen die dünnen Gedärme sind, so müssen auch die diesen Theilen zu-
nächst liegenden Gebilde von ihren feindseligen Einwirkungen am meisten
afficirt werden , und daher ist nach der Behauptung vieler geachteten Auto-
ren nächst dem Abgange der Spulwürmer von allen übrigen Zeichen das der
schmerzhaften, nagenden Empfindungen in der Nabelgegend noch das wahr-
scheinlichste Symptom ihres Daseyns. Cur. Die Spulwürmer lassen sich
unter allen Intestinalwürmern am leichtesten entfernen , wozu indessen vor-
züglich innerliche Arzneien erfordert werden. Am leichtesten gehen sie nach
allen Erfahrungen bei abnehmendem Monde weg; in dieser Zeit reicht oft
schon der Gebrauch roher Möhren , des Morgens nüchtern genossen , zu ih-
rem Abgange hin. Unter den übrigen Anthelminthicis stehen hier Sem. cynae,
Rad. valerian., Sem. tanaceti, Asa foetida, Extr. rutae, Extr. nuc. jugland.
immaturor. oben an, z. B. I^ Pulv. Sem. cynae, — rad. valcrinnnc ana 3jfl>
Rooh dauci q. s. ut fint Electuar. S. Täglich 3 — 4mal 1 Theelöffel voll. Ist
diese Latwerge verbraucht, so giebt man 2 — 3 Tage lang jeden Morgen
folgende Purganz: ^ Merc dulc. gr. jj — iv, Rnd. rhei gr. vj, — jalap. gr.
X — XV, FAaeosacchari valerian. 3j^- M. f. pulv. disp. dos. jjj. Kinder von
3 — 4 Jahren nehmen täglich einmal die Hälfte eines solchen Pulvers. In
manchen Fällen gehen die Würmer leichter ab, wenn man Anthelminthica
und Purgantia mit einander verbindet; z. B. 1^ Sem. sanlonici gr. xv, Rad.
rhei gr. xjj , Alocs lucid. gr. vj , Merc. dulc. gr. jjj , Rad. ipecac. gr. j,
Elaeos. anisi 5J1k- M. f. pulv. divide in jjj part. S. Jeden Morgen nüchtern
ein Pulver (^Andry), welche Dosis für 3 — 4jährige Kinder passt. Sehr wirk-
sam ist auch SlörcVs Wurmlatwerge : I^ Pulv. rad. jalap., valerianae,
Tort, natronati ana 3j, Oxym. squillit. jjj. M. f. Eleciuar. S. 4 — 6mal täg-
lich 1 Theelöffel voll; desgleichen die Latwerge von Jahn und Oslander'.
^ Aethiop. antimon. 5j ? Sem. santonic. , Rad. jalap. ana ö]l , Oxym. squillit.
q. s. Mt ßat Electuar. S. Wie oben. Auch die Corapositionen von Selle^
Rosenstein u. A. sind sehr in Ruf (s. Haase, Chronische Krankheiten. Bd. III.
Abth. 2. S. 693 u. f.). [Die Erfahrung bestätigt es täglich, dass die Spul-
würmer nach einfachen Mitteln oft gar nicht abgehen, sondern dass durch
verschiedene Zusammensetzungen erst ein glänzender Erfolg bewirkt wird.
Ich theile daher hier zwei Corapositionen mit, die mich nie im Stiche ge-
lassen haben. Zuerst reiche ich folgende Mixtur: ^t Sem. smitonid, Rad.
valerian. ana 3jjj» infu/nd. aq. fönt. q. s. ut rem. col. ^vj, ndde Extr. nuc.
fugland. immatur. Sjjl, Tinct. valerian. anodyn. 3j, Meli, despumat. §j, Sah
ammoniac. 3]%y Oxym. squillit. ^fir. ^M. S. Zweistündlich 1 Esslöffel voll.
Ist diese Mixtur verbraucht, so gebe ich drei Tage lang Kindern von 8 — 14
Jahren einen ganzen, Jüngern zur Zeit % Theelöffel voll von folgender Lat-
werge: fy Pulv. sem. santon. 5jjj, — rad. valerianae, — — jalap. ana 3j,
988 ^ , - HELItfINTHIASIS
Jethiop. tnfnern}. ^\^, Meli, despumat. §jjj, M. f. Elect. S. Drefmal täglich
Vi — 1 Theelöffel voll wohlumgerührt zu nehmen. In mehf als hundert Fäl-
len hat sich mir die ausgezeichnete Wirkung dieser Mittel bestätigt , nnr
müssen sie bei abnehmendem Monde verordnet werden. Zugleich inuss i<;h
noch die Bemerkung machen, dass hier an der Küste des baltischen Meeres
unter Kindern sehr viel Spulwürmer , unter Erwachsenen sehr viel Band-
würmer (nach Geh. Rath Sachse leidet hier der lOte Mensch an Taenia)
herrschen, was in meinem frühern Wohnorte unweit Hannover durchaus
nicht stattfand. Junge Ärzte mögen sich besonders hüten, in diesem Punkte'
einseitig zu urtheilen, und selbst von Laien kann der Arzt protitiren ; nur
muss man es nicht wie jener Arzt machen, der ein Kind mit heftiger Febris
verminosa behandelte, es für Febris nervosa hielt, dem vernünftigen , Vater
des Kindes , der ihn auf Würmer aufmerksam machten wollte , barsch ant-
wortete: „Ich bin kein Wurmdoctor," und daher abgeschatft, dem Kinde
aber durch Anthelminthica 32 Spulwürmer binnen 8 Tagen entfernt wurd^j
worauf es schnell von seiner Febris nervosa befreit ward. Jeder Arzt, uqd
wäre er der gescheuteste, muss bei Veränderung seines Wohnortes, seiner
Gegend, wiederum die Localität des neuen Domicils studiren. Most.] Sehr
wohlthuend sind auch äusserliche Mittel: warme Umschläge aus Infus, sera,
santon. und tanaceti über den Unterleib, Einreibungen von Ol. tanaceti,
Absinthii, Cajeputi, von Linim. volat. caniphor. mit Ol. terebinth. , Ol. c. c.
foetid. u. a. m., z. B. I^ Ol. tanaceti 5j, Aximg. porci 51V M. S. Zum Ein-
reiben. (^Himly^. ^! Ol. terebinth.., — tanaceti, — c c. foelid., — succini
ana 5j? Linim. volat. camph., Spiril. sah amnio7i. crtMs^ ana 3!^. M. S.
Wohlumgeschüttelt dreimal täglich 1 Theelöffel voll in den Unterleib ein^
zurelben (Most'). In hiesiger Stadt (Rostock) ist ein äusserliches Haus-
oder Volksmittel gegen Spulwürmer schlechtweg unter dem Namen: „das
Umbinden gegen Würmer" bekannt, welches häufig bei Wurmübel der Kin-
der mit Nutzen gebraucht wird und in einzelnen Fällen die Würmer ab-
trieb, die vorher allen andern, innerlich gereichten Mitteln trotzten {Most}.
Da dieses Mittel als ein sympathetisches angesehen wird, so halten mehrere
unserer Ärzte nichts davon, vergessen aber, dass es sehr wirksame Bestand-
tlieile enthält und dass durch Frictionen, durch Lemhert's Methode emplastro-
endermique etc. , die örtlichen Mittel mehr als örtliche Wirkungen äussern.
Der hiesige Schuhmacher Rieper, sehr berühmt im Umbinden gegen die Wür-i
mer , verrichtet dies auf folgende Art : er nimmt Asant, Kampher, schwarzen
Kümmel und Knoblauch, von jedem Theile für Y2 Schilling, ausserdem eine
Messerspitze voll Küchensalz, eben soviel Schiesspulver und 7 Körner schwar-
zen Pfeffer. Alles wird, gehörig gestossen, gequetscht und vermischt, in
einen kleinen, feinen, leinenen Beutel gethan, und dieser mittels etwas Wa-
gentheers auf den Nabel geklebt und daselbst durch Binden fest erhalten.
Man wendet das Mittel neun Tage lang bei abnehmendem Monde an; das.
Kind bekommt in dieser Zeit keine reine Wäsche, wird auch nicht gewa-
schen. Am 8ten Tage wird Infus, fol. sennae zum Purgiren gereicht, am
9ten wird der Beutel abgenommen und verbrannt. 4) Taenia. Die Dia-
gnose des Band- und Kettenwurms ist mit manchen Schwierigkeiten ver-
knüpft: denn obgleich es in der Eigenthümlichkeit dieser Art Intestinal wür-
mer liegt, dass sich ihre hintern, mit reifen Eiern versehenen Glieder leicht
vom Körpei'stück trennen und mit den Darmausleerungen ausgeleert werden
(sogenannte Kürbiskerne) und somit erkannt werden könnten, so ist es doch
selten, dass die Aufmerksamkeit des Patienten darauf geleitet wird. Aus
der grossen Anzahl trügerischer Zeichen haben folgende in der Erfahrung
sich noch als die sichersten bewährt. Die Kranken empfinden oft und plötz-
lich in der obern Bauch - , und besonders in der Magengegend ein Gefühl,
das von ihnen als stechend oder beissend beschrieben wird; sie versichern
ferner, dass sie oft die Empfindung eines Druckes, eines schweren, kalten,
seinen Ort verändernden, gleichsam !.nrabfallenden Körpers wahrnehmen,
wodurch Schauder erregt und Fieberkälte über den Unterleib und den Rük-
ken hervorgebracht wird. Auch wollen solche Kranke zu betitimmten Zei-
HELMINTHIASIS 989
tca periodisch eine wellenföi-jnige Bewegung, die sich auf einen Punkt fixirt
und daselbst wie eine zusammengezogene Masse, gleich einem Knaul, ver-
weilt, empfunden haben. Alle diese Erscheinungen vermehren sich nach
dem Genuss saurer, bitterer Substanzen, und sie werden zuweilen so heftig,
dass Schwindel, Angst, Gefühl von Berauschung, Sinnestäuschungen, Ohn-
mächten, Krämpfe, Kriebeln und Jucken in den Händen und Füssen etc.
erfolgen. Behandlung. Sie erheischt bei beiden Bandwurmarten kräftige
Anthelmhithica und Purgantia; daneben eine leicht verdauliche und gut ge-
salzene Nahrung von animalischen Speisen, namentlich Fleischbrühen, Sar-
dellen , Heringe. Innerlich empfiehlt man starke Dosen von Rad. tilic. maris,
von Stannum granulatura, Ol. filic. mar., Ol. animale Dippelii, Ol. Chaberti,
Ol. ricini, Kalomel, Resina jalap. , Gummi gutt., Scammonium, Koloquin-
then, Ol. crotonis; auch Klystiere von einem Decoct der frischen Wallnuss-
schalen, von Asant; Einreibungen von Ol. terebinth. , Kampher, Ol. Ra-
berti etc. Die berühmtesten ältesten Methoden, die genannten und ähnliche
Mittel in angemessenen, zweckmässigen Verbindungen und in richtigen Zeit-
räumen anzuwenden, sind die Methoden von Aiston, von Beck, Bremsert
Clx)ssius, Goumt, Richard von Hautesierk, Herrensvliwand^ Hufeland, Laborde,
Lagene, Mathieu, Nuffer, Odier, Plnter, Ratier, Rougere, Renaud, Rosensicin,
Seile, Vieussens, Weigel und Werlhof. Eine genaue Angabe dieser Specifica
und eine ausführliche Beschreibung ihrer Anwendung würde hier am unrech-
ten Orte stehen; man findet sie fast in jedem Handbuche der Therapie (s.
Haasc, Chron. Krankheiten. Bd. HI. Abth. 2. Leipzig, 1824. S. 693—710.
Richter, Spec. Therapie im Auszuge. Berlin, 1823. Bd. II. S. 395 u. f.).
Viele dieser Specifica helfen doch nicht in allen Fällen ; obendrein sind die
meisten Curen dieser Art oft weit schlimmer als die Krankheit selbst, in-
dem die heroischen, heftig wirkenden Drastica den Kranken oft gewaltig
angreifen und die Würmer doch nicht immer abgeh&ii. Man ist daher in
neuern Zeiten mit Recht von den heroischen Mitteln ziemlich zurückgekom-
men, man hat eingesehen, dass auch gelinde Anthelminthica den Bandwurm
abtieiben, wenn sie nur recht anhaltend gebraucht werden und der Kranke
dabei ein gutes diätetisches Verhalten beobachtet; ausserdem würde man
höchst unpraktisch verfahren, wenn niau bei der Wahl der Mittel die Con-
stitution des Kranken nicht berücksichtigte. Wenn ein unempfindlicher, tor-
pider Körper recht gut Gummi gutt. , Resina jalap. und Koloquinthen ver-
trägt, so ist dies bei sensiblen, reizbaren Subjecten ganz und gar nicht der
B^all. Es bleibt daher in individuellen Fällen allein dem Scharfsinne des
Arztes überlassen , seine Behandlungjai;t und die gegen Bandwurm famös
gewordenen Specifica nach richtigen pathologischen und therapeutischen
Kenntnissen auszuwählen und die feinen Nuancen in der Wirkung solcher
Arzneien gehörig in Anschlag zu bringen. Auch ist es , da der Bandwurm
ja kein lebensgefährliches Übel ist, weit besser, wenn wir erst mit gelinden
Mitteln die Cur beginnen und ein gutes Regimen höher dabei taxiren, als
bis jetzt von den Ärzten geschehen ist. Das diätetische Verhalten
bei Taenia besteht darin, dass Alles, was diesem Wurme zuwider ist, der
Kranke befolgen, was ihm angenehm ist, dagegen vermeiden möge, a') Strenge
Vermeidung aller schleimigen Speisen; der Mehl- und Milchspeisen, der Kar-
toffeln, der Klösse, des Pfannkuchens, des frischen Käses. 6) Der Kranke
muss soviel als möglich stachelige Dinge geniessen : Fische mit Gräten , He-
ringssalat, Sardellen. Auch die Juckfaseln (Stizolobiuin) wirken auf ähnliche
mechanische Weise; desgleichen alle körnige Dinge: Erdbeeren, Himbeeren,
Stachel - und Johannisbeeren , Kirschen mit den Kernen verschluckt ; ferner
langgeschnittenes Gemüse von gelben Wurzeln, Steckrüben, Vitsbohnen,
Sauerkraut, c) Das Spielen auf der Maultrommel , auf der Orgel , die
Elektricität durch den Leib, der Galvanismus durch die obern und untern
Glieder, alle diese Erschütterungen sind den Bandwürmern zuwider, und
er geht, wenn wir sie zugleich mit den Bandwurmmitteln anwenden, viel
leichter als unter andern Umständen ab. </) Der Kranke muss des Morgens
nüchtern binnen einer Stunde 3 — 4 Gläser recht kaltes Wasser trinkeu.
990 HELMINTHIASIS
e) Er muss dann und wann ein Klystier von lauer Milch nehmen, um den
Wurm herunter zu locken, f) Die beste Zeit zur Abtreibung des Wurms
ist der abnehmende Mond oder die Periode, wo der Wurm sich häufig in
einen Klumpen zusammenzieht. Alsdann entfernt ihn oft schon ein gewöhn-
liches Purgaus aus Jalape und Kalomel. Was nun den Gebrauch der Heil-
mittel und die Wirksamkeit einiger vorzüglicher Specifica und Methoden be-
trifft, so theilen wir darüber nur das Wichtigste und Bewährteste mit.
«) Closshis's Methode. Um sich von der Gegenwart des Bandwurms zu
überzeugen , giebt man zuerst folgendes Probirmittel : ^f TereUnth. venet. 3j»
VUeU. oüor. q. s. Aq. menth. pip. 3IV. M. f. Emuls. S. Esslöffelweise. Nach
dem Gebrauch dieses Mittels gehen in der Regel einige Bandwurmglieder,
die sogenannten Kürbiskerne, ab. Alsdann verordnete Clossius eine bestimmte
Diät, die vorzüglich darin bestand, dass der Kranke in einem Zeiträume von
vier Wochen durchaus nichts Anderes geniessen durfte als scharfe gesalzene
Speisen, scharfen Käse, gesalzene Fische, Pökelfleisch, rohen Schinken etc.,
und zugleich mehr Wein als gewöhnlich trinken musste. Hierauf gab er
3 — 4 Tage Abends einen Gran Opium, darauf ein Pulver aus 12 Gran Ka-
lomel und eben soviel Lapid. cancr. ppt. , mit 6 Gran Pulv, aromat. , und
2 Stunden später, vor dem Schlafengehen, ^^ — j Ol. amygd. dulc. rec.
expr. ; am folgenden Morgen wird eins von diesen Pulvern genommen :
R Pulv. gummi gnit. gr. xxxvj, — rad. angelicae gr. vjjj, — herb. cnrd.
hened. , — epileptic. Mnrchion. ana ^j. M. Divid. in tres partes. S. Nach
Vorschrift. Das erste dieser Pulver erregt gewöhnlich innerhalb 2 Stunden
2 — Smaliges Erbrechen und einige Stuhlgänge, die durch dünne Fleischbrühe
oder Thee von Herb. card. bened. erleichtert werden. Ist der Wuiin in-
nerhalb zwei Stunden nicht völlig abgegangen, so giebt man ein zweites
Pulver und ist auch dieses ohne Erfolg, so wird nach einigen Stunden die
dritte und letzte Dosis gereicht, worauf erst in den folgenden Tagen der
Wurm abgeht. Das Alter und die Constitution des Kranken erfordern ou,
dass man kleinere Dosen des Mittels giebt. i) Himhj's, vom Dr. Most sehr
wirksam befundene Curmethode ist diese: Haben die Bandwurmkranken län-
gere Zeit nichts gebraucht, so wird erst ad praeparandum, um den Schleim
aus dem Darmcanal zu entfernen, ein Laxans aus Merc. dulc, Rad. jalap.
und Ol. valer. destillat. gegeben. Einen Tag später nimmt der Kranke fol-
gende Pillen so lange bis sie verbraucht sind : I^ Fell, tniir. insjrissat. , Te~
rchinth. venet. , Asne foetidac ana 5jj , Extr. alocs aquos 5j. M. f. pil. p.
gr. jj. S. 2 — Smal täglich 10 — 15 Stück, oder soviel, dass täglich drei
breiige Stühle folgen. 2 — 3 Tage nach Gebrauch dieses Mittels ge-
hen gewöhnlich schon die sogenannten Kürbiskerne ab. Nach 14 Tagen
gewöhnt sich der Wurm etwas an das Mittel; man wechselt daher die Arz-
nei, was bei jeder Bandwurmcur von Wichtigkeit ist, und giebt Folgendes:
Rr Stanni graimlaü 51^, Sem. snntonici 5jj, Extr. nhsinthii 5j, Meli, cntdi.
q. s. ad Electuar. M. S. Viermal täglich 1 — 2 Theelöffel voll; nach 8 Ta-
gen setzt man 3)^ Rad. filic. mar., und 8 Tage später eine Unze Oxymel.
squIUit hinzu ; dann gehen gewölmlich noch mehrere Enden des Wurms ab.
Geschieht dies nicht mehr, so giebt man nun: 1^ Ol. nsphalti 5]}, Nnphth.
vitrioli q. s. ad pei-fect. sohlt. S. Morgens und Abends 20 — 25 Tropfen.
Hinterher passen bittere Extracte und ganz zuletzt Eisenmittel. Was die
Radicalcur anlangt, so sagt Himhj darüber Folgendes: „Sie ist oft schwer
zu bewerkstelligen, denn wir kennen die Verhältnisse nicht genau, die die
Taeniabildung bedingen. In verschiedenen Gegenden, sowol in der Schweiz
als an den Küsten der Ostsee, ist der Bandwurm vorzüglich zu Hause; in
beiden Gegenden geniesst man sehr fette Kost. Viele leiten den Ursprung
der Wurmbildung vom Wasser ab; darin liegt aber der Keim bestimmt nicht,
ebenso wenig wie in der Luft. Der Kranke muss alle wurmerzeugende Spei-
sen und Getränke: Mehlspeisen, Pfannkuchen, Klösse, Milchspeisen etc. ver-
meiden, sein Darmcanal muss angeregt und gestärkt werden durch Calamus
aromat., Rheura, später besonders durch Martialia. Um sicher zu seyn, dass
sich der Wurm nicht wieder reproducirt, gebe man zuweilen etwas Stannum
HELMINTHIASIS 991
grantilatum mit Sem. cjnae und Filix mas in Latwergenform; dadnrch wird
der Wurm krank und geht dann in einzelnen Stücken vveg. Eine Verände-
rung des Wohnorts ist unnöthig, wenn der Kranke nur seine Lebensweise
verändert (s. Htmly^s Vorles. über spec. Nosol. u. Therapie. Mnscpt. de 1815).
c) HufeJnnd's Methode (s. dess. Journal d. pr. Heilkunde. Bd. Xi St., 3.)
ist folgende: Er lässt alle Morgen nüchtern eine Abkochung von Knoblauch
in Milch trinken, und dabei täglich dreimal einen Esslöffel voll Ol. ricini,
ausserdem täglich eine halbe Unze Limatura stanni mit Conserva rosarura
nehmen, dabei täglich einigemal den Unterleib recht stark mit Petroleum
einreiben , viel salzige und scharfe Speisen gemessen , und des Abends noch
ein Milchklystier setzen. Diese Methode wird mehrere Wochen hindurch
anhaltend und überhaupt so lange fortgesetzt, bis das Kopfende des Wurms
erscheint; späterhin muss der Kranke anhaltend Pyrmonter- oder Driburger-
brunnen trinken, li) Sehr wirksam und berühmt ist, vorzugsweise gegen
Taenia lata, Nuffer's Mittel, welches nach genauer Prüfung die franz. Re-
gierung im J. 1775 für 18,000 Livres kaufte und, wie folgt, öffentlich be-
kannt machte. Der Kranke geniesst, nachdem keine besondere Vorbereitung
vorausgegangen, des Abends eine leichte Suppe, die aus l'/j fö Wasser,
4 — 5 Loth frischer Butter, 4 Loth Weissbrot und etwas Salz besteht, und
nimmt, wenn er am selbigen Tage keine Leibesöffnung hatte, Abends ein
erölfiiendes Kly stier aus Decoct. flor. malvae et herb, althaeae, mit etwas
Kochsalz und 4 Loth Provenceröl. Gleich am andern Morgen sehr früh und,
der Vorschrift nach, noch im Bette liegend, nimmt der Kranke das soge-
nannte Specificum, nämlich K? Pulv. rad. filic. mar. 3jj ? Aq. fiUc. mar. scu
Aq. fior. til. dest. yv — 3VJ. M. S. Auf einmal zu nehmen. Der hierauf er-
folgende Ekel und die Neigung zum Erbrechen lassen sich oft durch das
Kauen der eingemachten Citronen - oder Pomeranzenschalen beseitigen. Wo
jedoch das Pulver weggebrochen wird, muss es, sobald der Ekel vorüber
ist, aufs Neue in der angegebenen Quantität gegeben werden. Hat nun
aber der Kranke dieses Pulver zwei Stunden bei sich behalten, so nimmt
er einen drastischen Bolus, dieser besteht aus ^> Mercur. dulcis, Scnmtnonii
ana gr. x, Gummi gutt, gr. vj, Conserv. hyacinth. q. s. fiat Bolus, und trinkt
allmälig eine Tasse leichten Thees hinterher. Dieses thut er auch, sobald
das Mittel zu wirken anfängt, und bis dahin, wo der Wurm abgeht. Dann
nimmt er eine Tasse Fleischbrühe oder eine leichte Suppe, und hält eine
massige Mittagsmahlzeit. Sollte aber der Kranke den obigen Bolus nicht
ganz bei sich behalten , so nimmt er nach vier Stunden noch einige Drach-
m€in bis zu 1 Unze Seidschützer Bittersalz, in heissem Wasser aufgelöst.
Meistens geht der Wurm noch an demselben Tage ab , in welchem Falle
der Kranke auf dem Nachtstuhle sitzen bleibt, an dem Wurme durchaus
nicht zieht, von Zeit zu Zeit eine Tasse Thee trinkt oder noch etwas Bit-
tersalz nimmt, und den Nachtstuhl nicht eher verlässt als bis der Abgang
des Wurms erfolgt ist. Wo jedoch der Wurm entweder gar nicht, oder
nur stückweise abgeht, wird gleich am folgenden Tage das ganze Verfah-
ren, wie es angegeben ist, aufs Neue wiederholt. Doch machen ein zartes
Alter und grosse Reizbarkeit des Kranken oft eine Verminderung der Gabe,
besonders in Bezug auf den drastischen Bolus, nothwendig. Dies ist auch
der Fall, wo der Wurm schon auf das Farrnkrautpulver, und noch vorher,
ehe der drastische Bolus genommen ist , vom Kranken abgeht, e) Gar nicht
angreifend und doch oft recht wirksam ist, besonders bei blutreichen Sub-
jecten , WeigeVs Methode. Sie ist ganz einfach und besteht darin, dass der
Kranke anhaltend, selbst Monate lang , jeden Abend eine Tasse von Folgen-
den nimmt: ^t Sal. Glnuberi 5!^ — j, Aq. fontanae Sjj. M. Ausserdem nimmt
er des Tages über zweimal SO Tropfen Elix. vitrioli Myns. in Wasser,
f) Die Curmethode des Herrn Dr. Most besteht nach dessen mündlichen
Mittheilungen darin, dass er bei der oben angegebenen strengen Diät robu-
sten, jugendlichen und reizbaren Subjecten Folgendes verordnet: ^^ Sah
Glauben 5J, — anglic. 3^:, — culinar. 3jj» Aq. fontan. Sjj, Elix. acid,
Hallen 5j. M. S., Morgena früh, nüchtern V2 — 1 Obertasse voll. Dieses
I^a
HELMINTHIASIS
Mittel wird S — 4 Wochen lang gebraucht. Geht der Bandwurm ab, so
wird an dem Ende nicht gezogen , dasselbe aber mit reiner Blausäure be-
tupft oder der Schlag einer galvanischen Batterie durch das Wurmende und
die Hand des Kranken geleitet; alsdann kann man sicher seyn, dass dadurch
der ganze Wurm getödtet worden ist und sicher durch ein Purgans aus In-
fus, sennae und Tinct. rhei aquos. abgehen wird. In mehr als 40 Fällen
half obige Mixtur, nachdem schon vorher die heftigsten Drastica von andern
Ärzten fruchtlos gegeben worden waren. Sind die Kranken nicht reizbar,
blutreich, sondern mehr torpide, so gebrauchen sie nur vier Tage lang obige
Mixtur und nehmen dann 3 — 4 Tage abwechselnd, und dann ebenso lange
ausgesetzt, folgende Pillen: Iv Tcrebinth. vcnct. öh Sripon. jalap. 5)^, Cnni~
phorne ^fj, Merc. dujc. gr. vjjj, Extr. hjoacynmi gr. vj. M. f. pil. pond.
gr. jj. S. Alle 3 Stunden 2 — 4 Stück zu nehmen, Haben die Kranken ein
sehr reizbares Nervensystem, sind es z. B. sensible, zu Convulsionen dispo-
nirte Frauen; so nehmen sie abwechselnd zwei Tage lang die Salzmixtur
und jeden dritten Tag die folgenden Pillen : ]^r Gumm. asae foetid. ^j^,
Md'c. dnlcis gr. x, Sap. medicat. 5]l- M. f. pilul. pond. gr. jj, consp. Lycop.
S. Dreimal täglich 10 — 20 Stück, und ausserdem Abends und Morgens:
Rr Naphth. vitrioli ojj) Ol. ricini gj. M. S. Theelöffelweise. Auch vertra-
gen solche Kranke sehr gut das Crotonöl, z. B. l^ Ol. croton. tUjl. opt.
gtt. X, Alcoh. vini gj^. M. S. Dreimal täglich 25 — 40 Tropfen, wodurch
Purgiren erregt wird und der Bandwurm oft sehr leicht abgeht. «;) Eine
neue Curmethode ist die vou Peschier (s. HufelaiuVs Journal. 1825, Decbr.
S. 143. Gerson's und Julius' Magaz. 18:^6. Jan. u. Febr. S. 133). Da er
mit Hufeland n. A. das Polypodium filix mas für das beste Bandwurmmittel
hält, die Wurzel aber, in Substanz gereicht, oft unangenehme Nebenwir-
kungen hat, so suchte er das wirksame Princip derselben aufzufinden und
ward so der Erfinder eines Präparats, welches höchst wirksam ist. Er ge-
wann nämlich aus der Wurzel durch Destillation im Sandbade ein fettes
bräunliches Öl von empyreumatisch - ätherischem Gerüche, welches er in
Pillenform gegen den Bandwurm verordnete: I^ Olei flic mar. gtt. xxxvj,
Pulü. rad. filic. mar. , Conserv. rosar. ana q. s. ut fiant pilul. No. xx. S.
Des Abends alle % Stunden 5 Stück, bis sie verbraucht sind. Am andern
Morgen wird ein leichtes Laxans genommen und der Wurm geht dann un-
vermerkt mit dem ersten Stuhlgange ab. Mehr als 80 Bandwürmer wurden
auf diese Weise binnen fünf Monaten abgetrieben. Das Öl erregt weder
Magendrücken noch Kolik ; es muss aber aus der frischen Wurzel bereitet
werden. Die neuesten Erfahrungen sprechen sehr zu Gunsien dieses schon
In vielen Apotheken officinellen Öls, dessen genaue Bereitungsart in Ge'ujcr^s
Magaz. 1827. S. 78 und in PoDgendorfs Annal. 1827. St. 1. S. 122 angege-
ben ist. /() Endlich erwähnen wir noch der neuen Heilmethode von Schmidt,
wodurch der Bandwurm in 3 — 5 Tagen abgetrieben wird, ohne dass die
Cur den Kranken angreift. Im Berliner Krankenhause wurden auf Befehl
des Ministeriums Versuche mit diesem Geheimmittel angestellt, welche so
güiistige Resultate herbeiführten , dass dem Dr. Schmidt für die Bekannt-
machung seiner Curmethode vom Könige von Preussen ein Jahrgehalt von
nu'lireren hundert Thalern auf Lebenszeit bewilligt worden ist. Das ganze
Heilverfahren ist in Rusfs Magaz, Bd. XXVII. Hft. 3. S. 505 fg. ausführ-
lich bekannt gemacht. Es bestätigt die rein empirische Thatsache, dass die
Anthelminthica , einzeln angewandt, durchaus nicht so wirksam sind, als
wenn sie in sehr zusammengesetzten Receptformeln verordnet werden. Die
Cur selbst ist diese: Zuerst nimmt der Krarrke des Morgens I^ Pulv. rad.
valerian. min. 5v! , Fol. sennae 5jj ■, inf. aq. ferv. Col. xvj. adde Sal. Glau~
hcri crijstall. 5j.ij > Syr. mannae gjj, Elaeos. tanaceti 5jj> M. S, Alle zwei
Stunden 2 Esslöflel voll; dabei muss der Kranke viel schwarzen Kaffee mit
Syr. commun, odor Zucker trinken. So wird bis Abends 7 Uhr fortgefah-
ren. Des Mittags wird eine dünne Mehlsuppe genossen und des Nachmit-
tags einige Stück Hering mit Heringsmilch. Des Abends 8 Uhr muss der
Kranke Heringssalat, mit gehacktem rohen Sclünken und recht viel Öl und
HELMINTHICA — HEMITRITAEUS 993
Zucker vermischt, genlessen. Hierijach gehen oft schon Glieder des Band-
wurms ab. Am nächsten Morgen nimmt der Kranke um 6 Uhr stündlich
von folgenden Pillen: ^lJsa foctidae, Extr. yraminis ana Sjjj? Pulo. t/utti, —
rad. rhei,_ jnlap. ana 5jj, ipccac. , — Jierb. digit. purp., Sulph.
aurati ana ^j? , Merc. dulcis ^jj , Ol. tanaceti aethcr. , — anisi — ana gtt.
XV. M. f. 1. a. pil. pond. gr. jj. Consp. Lycop. et dent. ad vitr. bene ob-
turat. S. Stündlich 6 Pillen mit einem Theelöffel voll gewöhnlichen Syrup.
Eine halbe Stunde nach der ersten Dosis reicht man dem Kranken 1 Ess-
löfFel voll Ol. ricini. In der Zwischenzeit wird des Tages über viel schwar-
zer Kaffee mit Zucker getrunken. Nachmittags 2 Uhr geht gewöhnlich der
ganze Wurm ab ; alsdann wird mit den Pillen nicht weiter fortgefahren.
Gehen aber nur einzelne Stücke weg, so continuirt man mit der Arznei und
giebt den 2ten Esslöffel voll Ol. ricini mit gestossenem Zucker. Zu Mittag
wird Fleischbrühe, Abends eine Fleischsuppe genossen. Am andern Tage
giebt man aus Vorsicht noch dreimal 6 Pillen, Morgens, Mittags und Abends.
Dies ist das ganze complicirte Verfahren , wo die glänzenden Resultate mehr
in der Zusammensetzung bekannter Mittel als in neuen Mitteln selbst zu
suchen sind. (Diese Curraethode hat sich hundertfältig bewährt; sie giebt,
besonders den jungen Ärzten, eine grosse Lehre, nämlich die: ja nicht über
die oft Jiöchst mannigfaltigen Receptcompositionen älterer erfahrener Ärzte
voreilig und lieblos zu urtheilen, selbst wenn sie gegen die Schulregeln der
Receptirkunst streiten und Stoffe darin zusammengemischt werden, die sich
decomponiren ; denn gerade die Verbindung verschiedener Stoffe bringt oft
nur jin wiiksames Tertium hervor, das in den einfachen Arzneikörpern viel-
leicht nie zu finden ist; ja häufig ist gerade das Decomponirende das wirk-
sar ste Princip. Most^. C. Kopeke.
Helminthica (remedia), Wurmmittel; unrichtige Benennung für
Anthelminthica.
HeUnlntllopyra , HelmintJiopyretos , das Wurmfieber, s. Febris
verrainosa.
Helopyra, Helopyretos, das Sumpffieber, s. Febris paludosa.
Helos OCuli« Ist Prolapsus iridis. Am Fusse bedeutet es Cla-
vus pedis.
Helosis, HcJotis. So nennt man wegen des Verdrehtseyns am Auge
das Schielen, am Augenlide das Ec- und Entropium; aas gleichem Grunde
nennen Einige so auch die Plica polonica.
Hemer alopia, die Nachtblindheit im Gegensatze der Nyctalopia,
s. Visus diurnus et nocturnus.
Henuantbropia. Ist ein schwerer Wahnsinn, wobei der Men3ch
mehr Thier, nur ein halber Mensch ist.
Hemicephalus. Ist eine Missgeburt mit einem (wirklich oder
scheinbar) halben Kopfe, ein Seitenstück zum Acephalus.
Heiuicrania, halbseitiges Kopfweh, Migräne, s. Cephalalgia.
Hemiopia, Hemiopsia, Vistis dimidiahis, Halbsichtigkeit, ein
Gesichtsfehler, wo der Kranke den vor sich habenden Gegenstand nur halb
sieht; z. B. bei Macula corneae, Amblyopia amaurotica, Cataracta etc.
Hemlpagia« Ist Clavus hystericus, s. Hysteria.
VLemiplesia f Hemiplexla, Epiplegia, der Halbschlag, die He-
miplegie. Ist einseitige, halbseitige Lähmung als Folge der Apoplexie (s.
Apoplexia, Epilepsia, Paralysis), die, häufiger an der rechten als
an der linken Körperhälfte vorkommend, dann oft vorRecidiven des Schlag-
flusses schützt und das Leben der Kranken auf solche Weise manchmal, frei-
lich sehr mangelhaft, lange erhält iM.}.
Hemitritaeus, das halbdreitägliche Wechselfi eher, s. Febris in-
termittens, semitertiana, Febr. hemitritaeus.
Most Encyklopädie. 2te Aufl. I. ß^
9^4
HEPATALGIA — nERNU
Hepatalgfla » der Leb er schmerz. Ist die vage, unbestimmte Be-
nennung für die verschiedenen Leiden der Leber und Gallenblase; daher
man eine Hepatalgia arthritica, caiculosa , emphractica, muscularis, phleg-
monoidea, sarcomatica etc. statuirt hat, je nachdem Gichtmetastasen, Gal-
lensteine, Infarcten, Entzündung der Bauchdecken in der Lebergegend, Le-
berentzündung , Fleischgeschwülste die Leber krankhaft ergriffen haben.
Hepatapostema , Leberabscess, s. [nflammatio hepatis, Li-
thiasis,Fisiula biliös a.
Hepatempliraxis , sogenannte Verstopfung der Leber, s. Phy-
sconia hepatis.
Hepathyderos* Ist eine durch Leberleiden veranlasste partielle
oder allgemeine Wassersucht.
Hepatisatio« Ist Verwan*dlung der Lungensubstanz in eine leber-
ähnliche Masse, wie z. ß. bei Phthisis tuberculosa pulmonum.
Hepatitis, Leberentzündung, s. Inflammatio hepatis.
Mepatocele, Leberbruch, s. Hernia hepatis,
IEepatolitliia(>iis , CnJculm hepalis, Steinbildungskrankheit,
steinige Coiicremente in der Leber; s. Lithiasis.
BLepatoncus, Lebergeschwulst. Ist Physconia hepatis, welche höchst
unrichtig einige Neuere Hepatitis chronica nennen.
Hepatoplltlioe , Leberschwindsucht, s. Phthisis hepatica.
Ilepatosplenitis* Ist acute oder chronische Entzündung der Le-
ber und Milz.
HeracleiiS morbus, die fallende Sucht, s. Epilepsia.
Herculeus morbus. Ist gleichbedeutend mit Epilepsie.
Kereditarius morbus, eine erbliche Krankheit, welche von
Altern und Grossäitern , am häufigsten durch eine krankhafte Disposition,
auf die Kinder übertragen wird, s. Constitutio, Habitus, Morbus.
Hermapbroditus , ein Zwitter, Hermaphrodit. Unter die-
ser Benennung versteht man diejenigen Individuen , welche , angeblich oder
scheinbar, die Zeugungstheile beider Geschlechter mit einander vereinigen.
Neuere Untersuchungen haben aber trotz der vielen Fabeleien einer frühem
Zeit gelehrt, das es unter Menschen durchaus keine wahre Zwitter, h. h.
solche Subjecte giebt, die völlig ausgebildete Zeugungstheile beider Ge-
schlechter, wie bei einigen Thierclassen beobachtet wird, besässen. Alle
angeblichen Beobachtungen darüber sind ohne Beweiskraft. Alle beobach-
teten Fälle lassen sich auf zwei Classen zurückführen. Die erste und am
häufigsten vorkommende ist die, wo das Geschlecht nur beim ersten Anblick
wegen Missbildung der äussern Geschlechtstheile zweifelhaft ist, bei genauer
Untersuchung aber unwidersprechlich sich kundgiebt; dahin gehören die
Männer mit gespaltenen Hoden (^Androgyni) mit oder ohne Hi/^pospaJiae^is,
die Gijnandri mit dicker verlängerter Klitoris etc. Zu der zweiten Classe
gehören die, wo die äussern Genitalien so missgebildet sind, dass sich dar-
aus der Geschlechtscharakter nicht bestimmen lässt (s. Henke''s Gerichtliche
Medicin; 18 4; S. 115 — 124).
Hernia, Rnmex, Cele, Rupturn^ Ectopia Jierniosat der Bruch (in
den weichen Theilen), der sogenannte Leib schaden. Ist derjenige ab-
norme Zustand , der durch das Austreten eines Eingeweides aus seiner Höhle
in das umliegende Zellgewebe oder in eine andere Höhle entsteht. Da die-
ses in allen drei Höhlen des Körpers mit den darin befindlichen Eingevvei-
den der Fall seyn kann, so thcilt man alle Hernien in drei Classen: in
Kopf-, Brust- und Bauchbrüche (^Ilcrnin capitis, pectoris und abdo-
minalis; ('liclius^ , wovon die letztern bekanntlich am häufigsten vorkommen,
besonders an denjenigen Stellen dos Unterleibes, wo schon Öffnungen des
Bauchfells zum Durchgange von Gefässen , Nerven etc. stattfinden. Die
HERNIA 095
Lehre von den Brüchen ist in den neuern Zelten durch die Fortschritte in
der pathologischen Anatomie sehr vervollkommnet worden, und die Behand-
lung derselben in unserer Zeit weit rationeller als früher, wo man mit Pfla-
stern , Salben und Kräutern sie noch zu heilen wähnte , wo noch sogenannte
Bruchschneider (Herniotomi) im Lande umherstreiften, die als unwis-
sende Charlatans und Betrüger die Bruchkranken um Leben und Gesundheit
brachten. — Die Eintheilung der Hernien ist sehr mannigfaltig; sie stützt
sich bald auf die Localität des Theils, woran ein Bruch entstand, bald auf
diejenigen Theile, die der Bruch enthält, bald auf die Complicationen und
Zufalle, die dabei stattfinden u. s. f., 'worüber das Speciellere unten bei
Aufzählung der einzelnen Arten der Brüche vorkommen wird. Symptome
im Allgemeinen. Da es keine Symptomatologie giebt, die auf alle Brüche
passt und zur Erkenntniss derselben hinreichte, so verweise ich auch hier
auf die besondern Arten , um Wiederholungen zu vermeiden. Dass die Brüche
im Allgemeinen am häufigsten vorkommen besonders in der Leistengegend,
am Nabel , an den Schamlefzen und am obern und vordem Theile des Ober-
schenkels (^Hernia mguhmlis, H. umbilicalis, H. labii pudendi externi, H. cru~
ralis), dass die meisten Bräche entweder einen Theil des Netzes oder einen
Theil des Darmcanals, oder beide zugleich enthalten (H. intestinalis , H.
omentaJis, Enteruepiploccle)', dass ein solcher Bruch, wenn er nicht ange-
wachsen oder eingeklemmt ist , eine schmerzlose , farbenlose , mehr oder
weniger elastische Geschwulst an einer der bezeichneten Stellen des Unter-
leibes darbietet, dass diese Geschwulst bald grösser, bald kleiner wird, je
nachdem der Kranke horizontal liegt oder aufrecht steht, dass sie bei jedem
Nisus, beim Husten, Lachen, bei Verrichtung der Excretio alvina grösser
wird, sich bei der Rückenlage oft zurückbringen lässt; dass die Kranken
zuweilen an Blähungen, Kolik, Obstructio alvi leiden; diese Zeichen mögen
hier im Allgemeinen genannt wei'den. Ursachen der Brüche im Allgemei-
nen. Prädisposition giebt die schlaffe Constitution mit laxem Zellgewebe,
ein gewisser Grad von Fettleibigkeit, ein schlaffes, verlängertes Mesente-
rium, das zu sehr nachgiebt; ferner sind Subjecte, die fettleibig waren und
schnell mager wurden , sehr zu Brüchen disponirt {Scarpa}. Vorzügliche
Anlage giebt das Jünglings- und Mannesalter; Blondinen und Männer von
hellem Kopfhaar leiden häufiger an Brüchen, als Brünetten und Männer mit
dunklem Teint. Bei Männern kommen die Inguinalbrüche am häufigsten
vor, weil bei ihnen der Bauchring weiter als bei Frauen ist; dagegen lei-
den letztere häufiger an Cruralbrüchen, da bei ihnen der Raum unter dem
Poupart'schen Bande grösser ist. Was das Verhältniss des häufigem oder
seltenern Vorkommens der Leisten - und Schenkelbrüche zwischen der rech-
ten und linken Seite des Körpers bei beiden Geschlechtern betrifft, so er-
gah eine Anzahl von 4155 Bruchkranken Folgendes: 1) An Leistenbrüchen
der rechten Seite litten : Männer 1710, Frauen 35 , Summa 1745. 2) Aa
Leistenbrüchen der linken Seite litten: Männer 921, Frauen 84, Summa
1005. 3) An doppelten Leistenbrüchen litten : Männer lOOS , Frauen 47,
Summa 1053. , 4) Schenkelbrüche der rechten Seite fanden sich vor: 31 bei
Männern, dagegen 150 bei Frauen, Summa 181. 5) Schenkelbrüche der
linken Seite hatten 18 Männer und 96 Frauen, Summa 114. 6) Die Schen-
kelbrüche, welche an beiden Seiten stattfanden, waren bei Männern höchst
selten; denn unter 57 Fällen waren 53 weiblichen Geschlechts. (S. C F.
E. Mehlis Comment. de morbis hominis dextri et sinistri. Gotting. 1818.
[Preisschrift] S. 89). Gelegentliche Ursachen der Brüche sind alle diejeni-
gen Dinge, welche eine kräftige Thätigkeit der Abdominalmuskeln und des
Zwerchfells auf die Gedärme hei'vorbringen, als: jeder Nisus des Körpers,
Anstrengungen durch Springen, Lachen, Schreien, durchs Heben und Tra-
gen schwerer Lasten, beim Erbrechen, beim Gebären, bei der Leibesöffnung,
zumal wenn Hartleibigkeit da ist, beim Husten, Niesen etc, Je unbedeu-
tender die Veranlassung eines Bruches ist, desto gewisser finden wir bei
dem Kranken die oben beschriebene Dispositio herniosa. Nicht jeder Bruch
erscheint plötzlich , häufig allraälig , so dass der Kranke die Zeit seines Er-
63=^
996 HERNIA
scheinens nicht bestimmen kann. Ist aber ersteres der Fall, fio empfindet
dev Kranke an der Bruchstelle plötzlich etwas Schmerz , verbunden mit dem
Gefühl als ob an dieser Steile etwas nachgebe {Lawrence). Zuweilen füh-
len die Kranken schon lange vor dem Erscheinen des Bruches eine Schwäche,
Vollheit und Nachgiebigkeit in der Gegend des Bauchringes. Prognose.
Jeder wahre Bruch (s. Hernia vera im Gegensatze der H. spuria) ist
ein bedeutendes Übel, das Jahre lang, ja das ganze Leben hindurch dauern
kann , manche Beschwerden mit sich führt und unter Umständen selbst le-
bensgefährlich werden kann '(s. Hernia incarcerata). Übrigens ist die
Prognose nach Alter und Constitution des Kranken , nach der Dauer des
Übels, nach dem Freisein oder der Einschnürung des Bruchs, nach der
An- oder Abwesenheit der Entzündung und ihrer Folgen, nach den gleich-
zeitig stattfindenden oder felileuden Complicationen und nach andern Um-
ständen sehr verschieden. Die Innern Brüche, der Lungenbruch bei Fi'actura
costarum, die Herniae cerebri, stoiiiachi, überhaupt alle Brüche, worin
wichtige Theile, edle Organe befindlich sind, geben eine schlechtere Pro-
gnose als da, wo dieses nicht der Fall ist. Die Brüche bei Kindern sind
meist ohne Gefahr, denn sie sind wegen Weichheit und Dehnbarkeit der
Fasern leicht zu reponiren, und sie klemmen sich nur selten ein (CooptT);
auch sind die B^olgen einer vernachlässigten oder verkehrten Behandlung hier
nicht so bedeutend als bei Erwachsenen , wo weit leichter Enteiitis und
Brand zu befürchten ist. Bei alten Leuten, deren Zellgewebe gewöhnlich
auch schon schlaff ist, sind selbst bedeutende, nicht mehr reponible Brüche
selten gefährlich; doch kann hier leichter als bei Kindern Entzündung und
Kinklemmung entstehen, und die allgemeine Schwäche des hohen Alters er-
heischt dann eine sehr vorsichtige Behandlung. Behandlung im Allgemei-
nen. Die erste Indication bei allen beweglichen Brüchen, bei allen gewöhn-
lichen Abdominalhernien , ist die Zurückbringung des Bruchs (7'rtxfs,
BeposUio h^rmne); die zweite besteht darin, dass der reponirte Bruch fort-
dauernd durch ein gutes Bruchband zurückgehalten werde. Die Taxis
gelingt am besten des Morgens, bei leeren Gedärmen, in der Rückenlage
mit erhöhtem Hintern, angezogenen, gebogenen Schenkeln, und mit der
Neigung des Körpers nach der Seite des Bruches hin. Mastdarm und Harn-
blase müssen zuvor entleert werden. In solcher Lage geht der Bruch bei
Application eines massigen Drucks mit der Hand in der Richtung, die der
Bruch beim Heraustreten nahm, leicht zurück. Nach der Taxis wird un-
mittelbar das Bruchband angelegt, um so eine fortdauernde gleichmässig«
Compression gegen die Bruchöffnung zu bezwecken. Ein gutes Bruchband
i^Brachcriuni) rauss eine elastische Feder haben und eine Pelotte, die genau
der Bruchöffnung entspricht. Auch die Bruchbänder bei Kindern müssen
elastisch seyn, denn alle .nicht elastischen Bruchbänder taugen nichts. Die
Feder muss von Stahl gemacht ^Yerden und einen Halbcirkel bilden. An
das eine Ende der Feder ist eine Platte von Eisen genietet, \^ eiche zur
Pelotte dient, indem ihre innere Fläche mit Wolle oder Rosshaar ausgepol-
stert wird und so eine schwache Wölbung erhält. Diese, sowie das ganze
Bruchband wird mit Leder überzogen, und in manchen Fällen noch ein Er-
gänzungsriemen , der zwischen die Schenkel durch zu liegen kommt, daran
befestigt. Ein Bruchband mit beweglicher Pelotte, mit der Schiaul)e ohne
Ende, hat manche Vorzüge vor dem mit unbeweglicher Pelotte. Überhaupt
muss für jeden einzelnen Fall das Bruchband nach einem genauen Masse (s.
Hernia inguinalis) vom Mechanicus verfertigt und dann in derselben
Lage, worin die Taxis geschehen, dem Kranken angelegt werden, wobei
dahin zu sehen ist, dass kein Theil der Bruchcontenta ausgetreten sey und
so vom Bruchbande gedrückt werde, was so häufig die Veranlassung zu
Hernia adnata giebt. Die Stellen, wo das Bruchband anliegt, müssen wö-
chentlich 2 — Smal mit Spirit. camphoratus gewaschen werden; entsteht den-
noch Excoriation, so dient Aqua Goulardi. (Vergl. Brimningliauscn , Unter-
richt über Brüche, Bruchbänder etc. Würzburg, 1811. J. J. Lafotxl , Snr
les bandages herniaires usitees jusqu'u ce jour et les bandages renixigrades
HERNU . 997
ou nourelle espt-c« de brayer, Par. 1818. Jmllle, Abh. ßber Bruchbänder.
A. d. Franz v. Schrajcr. INIit 14 Kiipfeni. Nürnberg, 1800). Contraindl-
drt ist der Gebrauch des Bruchbandes in folgenden Fällen; 1) Bei allen
sehr grossen j nicht reponibeln Scrotalbrüchen, wo nur ein Suspensorium
passt. 2) Bei jeder vollständigen Hernia adiiata. Ist indessen die Verwach-
sung nur partiell , so passt zuweilen noch ein Bruchband mit ausgehöhlter
Pelotte. S) Bei allen coinplicirten Brüchen , wo das compliciite neben dem
Bruche stattfindende Übel durch die Compression leiden und sich dadurch
verschlimmern würde. 4) Bei jeder Hernia inflammata, incarcerata, gan-
graenosa, wodurch nur die Entzündung, die Geschwulst, der Schmerz und
die Gangränescenz befördert werden würde. In manchen Fällen wird durch
ein gutes, fortwährend gut anliegendes Bruchband der Bruch selbst radical
geheilt, worüber 6Vie?iHS (Chirurgie , Bd. I. Abth. 1, S. 692) Folgendes sagt:
„Wenn die Eingeweide durch das Bruchband gehörig zurückgehalten wer-
den, so zieht sich der ßruchsack nach und nacli zusammen, zugleich ent-
steht durch den anhaltenden Druck des Bruchbandes eine schleichende Ent-
zündung, wodurch völlige Verwachsung des Bruchsackhalses und auf diese
Weise Radicalcur bewirkt wird. Die« geschieht gewöhnlich bei Kindern,
häufig bei Erwachsenen, aber nie bei altern Subjecten. Wegen dieser all-
mäligeji Verengerung des Bruchsack halses beim fortgesetzten Tragen des
Bruchbandes darf dasselbe nicht wieder abgelegt werden, wenn man nicht
gewiss gu seyn glaubt, dass Radicalcur entstanden ist, weil sonst beim Wie-
dervorfallen der Eingeweide sogleich Einklemmung durch den verengerten
Bruclisackhals entsteht. Während der Kranke das Bruchband trägt, muss
er jede heftige Anstrengung vermeiden." Da indessen der ßruchkranke nicht
ein und dasselbe Bruchband Jahre lang tragen kann, indem das Leder vom
Schweisse etc. leidet und leicht mürbe wird, zuweilen auch die Feder springt,
so muss derselbe sich mehrere gleich gute Bracherien in Vorrath halten und
beim Wechseln derselben in horizontaler Körperlage alle Vorsicht beobach-
ten. Auch ohne Bruchband erfolgt bei manchen Brüchen schon durch eine
anhaltende horizontale Lage , durch knappe Diät und kalte Fomentationen
nicht selten Radicalcur. Nach FaJmcius Hildanus (Opp. Cent. V. Observ.
58) heilte ein sechswöchentliches Betthüteu radical einen schon 20 Jahr al-
ten Bruch, hedran und Arnaud erzählen ähnliche Fälle. Grosse Biüche,
die nur zum Theil reponibel waren, wurden durchs Betthüten, durch Ader-
lässe, wiederholte Laxanzen und knappe Diät zuv\eilen so sehr an Umfang
vermindert, dass sie sich völlig reponiren Hessen (^flcij, Pract. Observ. in
Surgery, p. 219); doch ist dieses V^erfahren bei alten Leuten nicht anzu-
wenden. Dass nach der Taxis grosser Brüche zusveilen allgemeine Zufälle:
Kolik, Ekel^ Erbrechen entstehen, die nur durch Entfernung des Bruch-
bandes gehoben werden können, dieses leiten Einige davon her, dass die
Capacität des Unterleibes sich vermindert habe und den zurückgebrachten
Bruchcontentis nicht Raum genug bliebe. Häutiger mögen hier aber Ent-
zündung des Netzes, eines Theils des Darms, Adhäsionen, unvollkommne
Taxis Schuld seyn. (S. Schmuciccr's Cliir. Wahrnehmuugen , Th. II. S. 243).
Nach Ravin (Essai sur la theorie des hernies etc. Par. 1822) kann ein Bruch
nur durch Obliteration des Bruchsacks und der aponeurotischen Öffnung ra-
dical geheilt werden. Er empfiehlt dazu eine fortgesetzte Rückenlage und
die Application eines mit Alaunwasser befeuchteten Druckapparats. Lantjen-
iecTc (Abhandl. von den Leisten- und Schenkelbrüchen, S. 121) räth zu die-
sem Zwecke ein elastisches Bruchband mit einer konischen Pelotte an, die
fest in den Bauchring drückt. Der Kranke muss dabei vier Wochen lang
die Rückenlage beobachten; entsteht oberflächliche Exulceration, so verbin-
det man mit Bleicerat; später wird noch ein Bruchband mit gewöhnlicher
Pelotto eine Zeit lang getragen. Dass diese Methoden in vielen Fällen un-
zureichend und zuweilen selbst gefährlich seyn können, haben mehrere B^älle
bewiesen. Schon in den altern Zeiten wollte man die reponibeln Brüche,
besonders die Hernia inguinalis, bald durch ein Causticum an der Bruch-
öffnung, bald durch Ligatur, durch die bkitige Nacht, bald durch eine nur
998 HERJNIA
bei Hernta incarcerata indiclrte Operation heilen. Man ist aber davon mit
Recht zurückgekommen, weil diese Methoden oft lebensgefährlich sind und
dennoch die beabsichtigte Schliessung des Bauchringes etc. nicht immer er-
reicht wird. Ausserdem besitzen wir in unserer Zeit so vollendete, ihrem
Endzweck ganz entsprechende Bruchbänder, dass darin nichts zu wünschen
übrig bleibt, und die Erfahrung lehrt, dass bei jungen Leuten und bei an-
haltendem jahrelangen Tragen dieser Bracherien auch nicht selten der Bruch
radical geheilt wird. Indessen giebt es doch einzelne besondere Fälle, wo
auch bei nicht eingeklemmten Brüchen ein operatives Verfahren nothwendig
wird. Chelius (a. a. O., Bd. I. Abth. 1, S. 705) sagt darüber Folgendes:
„Wenn nun gleich die sogenannte Radicaloperation der Brüche als allgemei-
nes Verfahren ganz verwerflich ist, so kann doch bei Brüchen, auch ohne
Einklemmung , die Operation manche Vortheile gewähren und angezeigt
.seyn : a) Um bestimmte Localzustände zu beseitigen und die Anlegung eines
Bruchbandes möglich zu machen ; z. B. bei der Complication eines Leisten-
bruches mit Hydrocele und zwar mit einem gemeinschaftlichen Brucksacke;
bei jungen Subjecten, die an grossen Brüchen leiden, welche durch kein
Bruchband gehörig zurückgehalten werden können;, bei partiellen Verwach-
sungen zwischen den vorgefallenen Theilen und dem Bruchsacke oder dem
Hoden bei angeborenem Leistenbruche. 6) Wenn keine genaue, sichere,
gleichmässige Wirkung des Bruchbandes möglich ist , wo durch die Opera^
tion das Vortreten des Bruches vielleicht so beschränkt werden kann , dass
auch bei einer weniger sichern Anlage des Bruchbandes, z. B bei sehr fet-
ten oder sehr magern Personen , wo das Bruchband sich immer verrückt etc.,
der Bruch zurückgehalten wird, c) Wenn weder vor, noch nach der Ope-
ration ein Bruchband getragen werden kann ; z. B. bei Hinkenden , oder
wenn der Hode beständig in der Weiche liegt, d) ScJireger (Chirurg. Ver-
suche, Th. I. S. 160) wirft überdies noch die Frage auf: ob nicht bei
Schenkelbrüchen diese Operation vielleicht angezeigt wäre, weil bei diesen
durch die unsichere Lage des Bruchbandes so v\enig genützt wird und sie
bei entstehender Einklemmung so leicht brandig werden. Auch wäre bei
diesen Brüchen nach der Operation nicht so leicht Rückfall wie beim Lei-
stenbruche zu befürchten , weil nicht ein unverwachsener Theil des Bruch-
sackes hinter dem Ligamente zurückbleibt; was die Erfahrung bestätigt, da
man nach der Operation der Schenkelbrüche auch ohne Gebrauch des Bruch-
bandes selten Recidive beobachtet." Die Operation wird ganz so wie bei
Hernia incarcerata verrichtet, nur mit dem Unterschiede, dass man nach
zurückgebrachten Eingeweiden sich bemühet, im Bruchsackhalse durch Sa-
rificationen , Ausstopfen mit Charpie etc. , Entzündung , und später durch
fortgesetzte Compression Verwachsung desselben zu bewirken. So giebt es
CheUits an, setzt aber ganz richtig hinzu, dass die Gefahr, welche stets
mit der Herniotomie verbunden ist, und der Ungewisse Erfolg, welchen die
Erfahrung in den meisten Fällen dargethan hat, die Operation nur auf die-
jenigen Fälle beschränken müssen , wo dadurch irgend ein der Application
des Bruchbandes entgegenstehendes Hinderniss entfernt werden kann. Höchst
wichtig ist die Behandlung derjenigen Zufälle, welche sich zu einem Bruche
gesellen können, wohin vor Allem die Einklemmung des Bruchs ge-
hört (s. Hernia cruralis, inguinalis, umbilicalis, H. incarce-
rata). Nach diesen allgemeinen Betrachtungen gehe ich zum Speciellern
über, um das Heer der Brüche alphabetisch aufzuführen, und bei jeder Art
das Nöthige zu bemerken. Eine kurze Aufzählung der vorzüglichstea Schrif-
ten und Abhandlungen möge den Übergang bilden. — G. Vogel, Abhandl.
aller Arten von Brüchen. Leipz. 1764. P. Potl, Abhandl. von den Brüchen;
in der.5. Sämmtl. chirurg, Werken. Berlin, 1787; Bd. L S. 219. Goin, Es-
sai sur difft-rentes hernies. Par. 176S, A. G. Richter, Abh. von d. Brüchen.
2te Aufl. Göttingen, 1785. Gauthier, Diss. sur l'usage des caustiques pour
la gudrison radicale des hernies. Lond. et Paris, 1774. A. Scarpn, Ana-
tom. - Chirurg Abhandl. über die Brüche. A. d. Ital. mit Zusätzen von B.
W. Seiler. 2te Ausg. mit 21 Kupfertafeln. Leipz. , 1822. IV. Lawrence,
HBRNIA 999
Abh. Ton d, Brüchen etc. A. d. Engl, von G. v. d. Busch. Bremen, 1818.
Jos. u. Karl Wendel in Lader' s Journ. f. Chirurgie, Bd. III. St. 2. S.217 u. f.
Asiley Cooper, Anatomie und chirurg. Behandlung der Leistenbrüche und der
angeborenen Brüche. Herausgegeb. v. J. F. M. Krütttje; 1819. C. J. M.
Laitgenheck , Commentat. de structura peritonaei etc. Gotting. , 1817; mit
20 Kupfertafeln. J. Cloquet, Recherches anatoinir|ues sur les Hernies de
l'abdomen. Par. , 1817. Snm. Cooper, Han^b. der Chirurgie. A. d. Engl,
von L. F. V. Froriep-, 1820; Bd. IL S. 281—375. P. Camper , 'i«on. her-
niar. inguinal. Ed. Sövimerring. Francof. , 1801. F. C. Hesselhach, Anat.-
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anatom. - patholog. Untersuch, über die Leisten- und Schenkelbrüche. Mit
15 Kupfern. Würzb. , 1815. Langenhech , Abh. von d. Leisten- und Schen-
kelbrüchen. Mit 8 Kupfern. Götting., 1821. J. F. Meckel, Tract. de morbo
hernios. congenito etc. Berol., 1772. Wrisherg , Obs. anat. de testiculor.
ex abdomine in scrotum descensu etc. in Commeat. Soc. Reg. Scient. Got-
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eines männlichen Schenkelbruches zu schonen hat. Amsterd. , 1801. A. Monro
in LangenlecFs Bibl., Bd. I. St. 3. Hüll in v. Siehold's Chiron., Bd. IL
St. 1. LangenhecVs Neue Bibliothek, Bd. IL St. 1. Scarpa , Neue Abhandl.
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Breschet, Considerations anatomitjues et pathologiques sur la hernie femorale.
Par., 1819. A. de Ghnhernnl, Neue Methode, den Schenkelbruch zu ope-
riren; übers, a. d. Span, von Schreger; 1817. S. T. Sömmerring, Über die
Ursache, Erkenntniss und Behandlung der Nabelbrüche; 1811. OJcen's Preis-
schrift üb. Nabelbrüche; 1810. Timm in SiehohVs Chiron., Bd. IL St. 2, 3.
RiOJce in Rusfs Magazin, Bd. VIII. Hft. 1. S. T. Sömmerring, Über die
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bruch etc. in Hufeland's Journ., 1822, Mai.
Hernia abdominalis, Enterogastroccle , Unterleibsbruch, Darm-
bauchbruch. Ist ein jeder Bruch, der sich im Umfange der Bauchwand
bildet. Früher verstand man darunter nur die Hernia ventralis , die H. ?i-
neae alhae, letzt unterscheidet man richtiger die H. ventralis von der H.
abdominalis als Gattungsname für alle am Unterleibe stattfindenden Brüche
(s. Chelius a. a, O. Bd. I. Abth. 1, S. 674 und 739. Bernstein, Pr. Hand-
buch für Wundärzte; 1818; Bd. IL S. 467)., Es gehören demnach hierher
1) die durch den Leistencanal hervortretende Hernia inguinalis ; 2) die un-
ter dem Ligamentum Poupartii sich zeigende Hernia crurnlis; 3) die Herma
umhilicnlis ; 4) die H. foraminis ovnlis ; 5) die Hernia ventralis , welche im
Umfange des LTnterleibes durch abnorme Öffnungen hervortritt ; 6) die H.
ischindica ; 7) die H. perinaei ; 8) die H. vaginalis ; 9) die H. iniestini recti
(s. diese Art.). Unter allen diesen Brüchen sind die Leisten-, Schenkel -
und Nabelbrüche am häufigsten. Sie enthalten in der Regel einen Theil
des Netzes oder der dünnen Gedärme (ff. intestinalis, omentalis); seltener
einen Theil des Dickdarms, oder des Magens, der Harnblase, der inner»
Genitalien {H. ventriculi, vesicae, ovarii etc.). Beim Hervortreten solcher
Theile aus der Cavität des Unterleibes verlängert sich das Bauchfell und
bildet so einen Sack, den Brucksack, worin sich die Contenta des Bruch»
befinden. Nur in seltenen Fällen fehlt dieser Bruchsack, nämlich 1) nur da,
wo durch heftige Gewalt, durch Verletzung , durch unzweckmässige Anwen-
dung des Causticum«, angewandt zur vermeintlichen Radicalcur nach Gau-
ihier und A. , der den Bruchsack bildende Theil des Peritonaeums verletzt
ward. 2) Der Bruchsack kann von selbst durch Absorption zerstört oder
wegen Zartheit ohne grosse Gewalt zerrissen worden seyn. 8) Es fehlt der
Bruchsack, weil das vorgefallene Eingeweide ausserhalb dem Bauchfelle in
der Cavität des Unterleibes lag, z. B. die Harnblase, der Blinddarm etc.
1000 HERMIÄ
Die Öffnung, wodurch der Bruchsack mit der Bauchhöhle in Verbindung
steht, heisst Bruchsackmündung, der Theil zwischen dieser und dem
Fundus des Bruchsacks: Bruch sackhals; den übrigen Theil des Bruchs
nennt man Körper, sein blindes Ende den Boden des Bruchsacks.
Durch die Länge der Zeit verändert sich der Bruchsack sehr häufig; man
findet ihn verdickt, lederartig, aus mehreren Schichten gebildet, woran häu-
figer eine Induration des ausserhalb des Bruchsackes sich befindenden Zell-
gewebes als eine Degeneration des Bauchfells selbst Schuld ist, veranlasst
durch unpassende, drückende Bruchbänder, durch schlechtes Anlegen der-
selben u. s. w. Die Unterleibsbrüche sind von verschiedener Grösse. Oft
sind sie wegen Kleinheit kaum zu entdecken , und diese Fälle gehören zu
den schlimmsten ; denn solche Brüche lassen sich schwer reponiren , incar-
ceriren aber leicht, daher ist auch die Prognose im Allgemeinen bei kleinen
Brüchen ungünstiger als bei grossen, die sich nicht so leicht einklemmen
{Hey, Poit, Hesselhach, Langenhecli) , wol aber zuweilen eine solche Grösse
ei"langen , dass der grösste Theil der Gedärme sich darin befindet , dass z. B.
Scrotalbrüche bis an die Kniee reichen und das Gehen höchst beschwerlich
machen. Bei grossen Nabelbrüchen ist der Bruchsack oft sehr dünn, bei
kleinen Cruralbrüchen oft sehr dick; durch die Länge der Zeit können sich
Stricturen darin bilden , die Gedärme durch Subintlammation und darauf fol-
gende Exsudation mit dem Bruchsacke verwachsen (Ilernia ndnata) und da-
durch Hindernisse in der Anwendung der Bracherien entstehen. INlan mache
es sich daher zur Regel , jeden Bruchkranken , der durch irgend eine Ver-
anlassung im Bruche Schmerzen empfindet, sogleich antiphlogistisch zu be-
handeln, die Rückenlage anzurathen und auf den Bruch nach Umständen
Blutegel und hinterher kalte Fomentationen zu appliciren. Die Existenz der
oben beschriebenen Dispositio herniosa beweist vorzüglich der Umstand, dasa
an ein und demselben Subjecte nicht selten mehrere Brüche an verschiede-
nen Stellen vorkommen. Lttiujcnbeck sagt darüber (s. dessen Vorlesungen
über Chirurgie, Mscpt. de 1815): „Ein jeder Mensch hat Anlage zu Brüchen,
vorzüglich aber Menschen mit laxem Zellgewebe, fettleibige Personen, be-
sonders wenn sie nachher mehr oder weniger abgemagert sind." Snm. Coo-
per sagt : „Unter die prädisponirenden Ursachen der Brüche rechnen die
Schriftsteller eine A^idernatürliche Grösse der Öffnungen, durch welche die
Därme sich hervordrängen, ein ungewöhnlich langes Mesenterium oder Omen-
tum etc. Es ist wahr, dass in Betreff des Bauchringes die transversalen,
tendinösen Fasern, die von Natur den obern und äussern Theil desselben
durchkreuzen und verstärken, bei einigen Personen weit schsvächer als bei
andern sind. Die Vorstellung, dass der reichliche Genuss des Öls als Nah-
rung das Vorkommen der Brüche sehr begünstige, ist in vielen Schriften
vorherrschend. (Dann müssten die Jaden mehr an Brüchen leiden als die
Christen , was die Erfahrung nicht bestätigt. 3J.). Einige von den ange-
führten prädisponirenden Ursachen dürften wol Zweifel erregen; es giebt
indessen manche Umstände, welche beweisen, dass ein natürlicher Mangel
des Widerstandes an irgend einem Thciie der Wandungen des Unterleibes
bestimmt unter diese Ursachen aufzunehmen ist. W^ir brauchen nur zu be-
merken, wie leicht Personen, denen das Bauchfell verwundet worden, die-
sem Übel unterworfen sind (s. Richcrand's Nosographie chirurgicale , T. III.
p. 317. Schmuclcer^s Vermischte chir. Schriften , Bd. I. S. 107) ; und wie
Männer weit häufiger einen Leistenbruch bekommen als Weiber, und dies
offenbar wegen der grossen Weite des Bauchringes bei erstem, sowie aus
gleicher Ursache, wegen des grössern Raumes unter dem Poupart'schen
Bande, die Weiber häufiger den Schenkelbrüchen unterworfen sind." Auch
Chelius ist im Allgemeinen derselben Meinung. „Die Prädisposition zu Un-
terleibsbrüchen (sagt er), welche angeboren oder erworben seyn kann, be-
steht in einer Erschlaffung oder Schwäche der Bauchwandungen und in ei-
ner grössern Ausdehnung der natürlichen Öffnungen am Unterleibe. Dies
kann hervorgebracht werden: durch Dickleibigkeit, durch starke Ausdehnung
der Bauchwand bei Wassersucht oder Schwangerschaft | durch schnelles Ma-i
HERMA 1001
gerwerden, durch Narben nach Wunden, besonders wenn die Verletzung
der Bauch wand mit Quetschung verbunden war; durch krankhafte Verände-
rung der Eingeweide des Unterleibes, durch Überfüllung derselben mit ro-
hen Nahrungsmitteln , durch übermässigen Genuss erschlaffender Getränke
u. s. w." Bei den ursprünglich ohne Bruchsack vorkommenden Abdominal-
brüchen durch Vorfall des Coecums , der Urinblase etc. bildet sich leicht
hinter dem Bruche , indem das daran adhärirende Bauchfell nachgezogen
wird, ein Bruchsack, in welchen nicht selten die im Cavo peritcmaei befind-
lichen Eingeweide treten, worauf man zu achten hat, weil dadurch oft sehr
schlimme Zufälle erregt werden. Doch sind diese Brüche Gott Lob! selten.
Ist ein Bruch unbeweglich , nicht reponibel , ist zugleich weder Entzündung,
noch Schmerz zugegen, leidet der Mensch weder an Obstructio alvi, noch
an Erbrechen, so ist es ein angewachsener Bruch (Hernia adnata) ; im ent-
gegengesetzten Falle ein eingeklemmter (Hernia incarcerata). Bei der H. *
adnata sind die Eingeweide unter sich verwachsen , oder die Verwachsung
findet nur mit dem Bruchsacke statt. Die Ursachen und Präservationscur
sind schon oben angegeben worden. Klemmt sich ein solcher Bruch ein, so
ist die Prognose bei der Herniotomie höchst unsicher, besonders bei alten
Adhäsionen zwischen den Gedärmen unter sich, welche sehr schwer loszu-
präpariren sind. Ist ein solcher Bruch nicht eingeklemmt, so lässt man , ists
eine H. scrotalis, nur ein Suspensorium tragen, und man vermeidet, selbst
wenn es Inguinalbruch ist , das Anlegen des Bruchbandes aus bekannten
Gründen. Nicht selten vergrössert sich ein solcher Bruch auch nur wenig,
weil die Adhäsionen es verhüten. Die dagegen empfohlenen Bruchbänder
mit ausgehöhlter Pelotte entsprechen selten ihrem Endzwecke. Weit besser
ists, eine lange fortgesetzte Rückenlage, sparsame Kost, öftere Abführun-
gen, und auf den Bruch kalte Fomentationen zu empfehlen, wodurch in
zwei Fällen die allmälige Resorption grosser und verwachsener Brüche ge-
lang und so das Anlegen eines Bruchbandes möglich und nützlich ward
(^Chelius).
Hernia acquisitn, ein erworbener Bruch, im Gegensatze des an-
geborenen Bruches (^Hernia congenita'). Ist ein solcher, der durch
besondere Gelegenheitsursachen , mit oder ohne Dispositio herniosa, längere
oder kürzere Zeit nach der Geburt entstand, wo also die Fortsätze des
Bauchfells , die bei der H. congenita noch offen geblieben und die Einge-
weide durchliessen , schon verschlossen sind; der sich also hier aufs Neue
oder an einer andern Stelle bildet, nachdem der Processus peritonaei nach
dem Descensus testiculi längst geschlossen ist. Die Hernia congenita ist in
den meisten Fällen entweder ein Leisten- oder ein Hodensacksbruch, der
sich dadurch von ähnlichen Brüchen unterscheidet, dass die vorgefallenen
Theile: Darm, Netz, unmittelbar an den Hoden anliegen, also kein beson-
derer Bruchsack vorhanden ist, sondern die besondere nächste Hülle des
Hoden sowol die Bruchcontenta als den Testikel enthält (s. Hernia ingui-
nalis). Auch die H. umbilicalis und H. dorsalis sind zuweilen angeboren.
Hernia adlposn, lApnrocele, Sieatocele, sogen. Fettbruch. Hierunter
versteht man 1) die Netzbrüche; 2) die aus reinen B'ettklumpen bestehen-
den Nabel- und Inguinalbrüche; S) die pyramidenförmigen Anhänge, welche
sich zuweilen an der Lamina externa peritonaei bilden und dann durch die
verschiedenen Offnungen der Unterleibsgegend hervortreten ; 4) die Fettan-
häufung im Samenstrange (s. Hernia pinguedinosa).
Hernia adnata, agnata, concrcta, ein angewachsener Bruch; ». Her-
nia und Hernia abdominalis.
Hernia a'crea umhilici , Pneumatomphalus G aleni, Pneumatomphalocele,
der Wind nah elbruch. Ist Auftreibung des Nabels durch Luftentwicke-
lung im Zellgewebe daselbst, erscheint zuweilen bei Hydrops abdominis, um-
bilici, auch als Complication mit Hernia aquosa intestinalis umbilici, mit
Tympanitis ; mitunter bemerkt man das Übel auch in den letzten Monaten
der Schwangerschaft (^Most). Cur. Ist die des Grundübels, der Zufall
hat weit weniger zu bedeuten als der wahre Nabelbruch. Ist die Auftrei-
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1} ung bedeutend , so kann man die Luft durch Acupunctur eatleeren und dann
aromatische Fomentationen anwenden.
Hemia annularis, Bauchringbruch. Ist jeder durch den Annulus
abdominalis und über dem Poupart'schen Bande hervortretende Bruch (s.
Hernia inguinalis). Viele nennen so auch jeden anfangenden, noch
kl.einen, pyramidenförmigen Bruch in der Gegend des Bauchringes, der spä-
tecf zum completen Inguinal - und Scrotalbruch wird.
Hernia ammU umbilicalis, N abelTingbruch. So nennt man wol den
wahren Nabelbruch zum Unterschiede von dem falschen, wo die Ge-
därme nicht durch den Nabelring selbst, sondern im Umfange desselben her-
vortreten (s. Hernia umbilicalis).
Hernia aquosa intestinalis umhilici, Hydrenteromphalns , Enterohydrotn-
p^alns, der Wasserdarmnabelbruch. Ist ein gewöhnlicher Nabel-
bruch, bei welchem sich im Bruchsacke eine wässerige Feuchtigkeit befin-
det, was zuweilen bei Hydropischen der Fall ist. Cur. Ist die der Her-
nia umbilicalis. Bei bedeutender Wasseransammlung öffnet man vorsichtig
die Nabelspitze, und entleert das Wasser (s. Hydrops umbilicalis).
Hernia aquosa scroti , Hodensackwasserbruch. Ist Wasseransamm-
lung im Hodensacke, welche man früher zu den falschen Brüchen rechnete
(s. Hydrops tuuicarum scroti).
Hernia aquosa umhilici. So hat man ehemals den Hydrops umbilicalis
genannt.
Hernia arteriae. Ist von Älteren zuweilen gleichbedeutend mit An&t-
rysma genommen.
Hernia hroncliinlis , Hernia gulturalis, Bronchocele , Tracheocele, der so-
gen. Windkropt", Luftröhrenbruch. So hat man bald eine Art des
Kropfes, bald eine Windgeschwulst am Halse, die ich einst nach starkem
Erbrechen plötzlich entstehen und bald wieder verschwinden sah, genannt
(s. E m p h y s e m a und S t r u m a).
Hernia cnfitis, Kopfbruch, Bruch am Kopfe. Kommt vorzüglich
nur als Hernia cerebri vor, wenn wir die uneigentlich sogenannte Hernia
oculi (^Prolnpsus hiMi, Exophihalmos') , und die Hernia sacci lacrymalis (Da-
cryocystitis , Atonia sacci lacrymalis) nicht hierher rechnen.
Hernia cnrnosa scroti, der sogen. Fleischbruch des Tes«tikels
oder des ganzen Hodensacks. So hat man bald die scrophulöse oder syphi-
litische Hodenanschvvellung, bald den Scirrhus, bald den Fungus raeduUaris
testiculi, bald eine Varietät der Elephantiasis in der Haut des Hodensacks
genannt (s. Sarcocele).
Hernia cereh'i, Encephalocele , der Hirnbruch. Ist ein angebornes
Übel , das der Form und den Symptomen nach mit dem Hirnschwamm , den
Einige Hernia cerebri acquisita nennen, übereinkommt (s. Fungus cere-
bri). Diese angeborne Krankheit ist die Folge von unvollkommener Aus-
bildung der Schädelknochen , erscheint am häufigsten in der Sutura sagitta-
lis, an der hintern Fontanelle, zuweilen auch an den andern Fontanellen;
sie charakterisirt sich durch eine anfangs kleine , später grössere , spitze,
elastische, fluctuirende Geschwulst, welche von den Integumenten des Schä-
dels bedeckt ist, die aber an ihrer Spitze dünn und ohne Haare erscheinen.
Der Hirnbruch vermindert sich durch angewandten Druck, erscheint aber
nach Aufhören desselben schnell wieder, er pulsirt öfters, und man bemerkt
daran ein Erheben und Niedersinken beim Aus- und Einathmen; die Öff-
nung, durch welche er tritt, fühlt sich unregelmässig an. Prognose und
Cur. Kinder mit grossen Hirnbrüchen sterben in der Regel bald; sie lie-
gen in Betäubung, erbrechen sich häufig, und der Tod folgt unter Convul-
sionen und Lähmung in Folge des Drucks aufs Gehirn. Die Section 7eigt
Umänderungen der Galea aponeurotica und der Dura mater in eine gleich-
artige Masse als Bruchsack, worin eine Portion Gehirn, überzogen von der
Pia mater und Arachnoidea, sich befindet, ausserdem nicht selten Hydroce-
phalus internus, Hydrops veatriculorum, Hydrorrhachitis, wovon der Hirn-
bruch häufig nur ein Symptom ist. Da die Hirnmassc nicht selten beim Hirn-
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brache ausserordentlich weich gefunden worden, so ists oft wol nur eine
wahre Encephalomalacie, die als nächste Ursache des Übels betrachtet wer-
den kann (s. Rostan, Recherches sur le ramoUissement du cerveau. Par. 1820).
Dadurch unterscheidet sich dasselbe wesentlich von der sogenannten Hernia
cerebri acquisita (s. Fungas cerebri), wobei das Parenchym des Gehirns
an sich gesund ist, die etwanige mechanische Verletzung ausgenommen. Bei
grossen Hirnbrüchen verhalten wir uns passiv, wenden keine Compression
an , verwahren die Geschwulst nur gegen äussere Eindrücke. In einzelnen
Fällen hat man die Function gemacht und die Flüssigkeit entleert, wodurch
sich der oft bedeutende Umfang des Bruches sehr vermindert, in der Regel
aber ein schnellerer Tod befördert wird. Vielleicht möchte ein sehr lang-
sames, allmäliges Entleeren durch Acupunctur weniger gefährlich seyn (s,
Hydrops capitis interni, Hy d r orrhachitis). Ist der Hirnbruch
noch neu und klein, so hat man die Compression und das Zurückbringen
desselben wie bei Fungus cerebri empfohlen , auch dadurch in einzelnen Fäl-
len das Übel geheilt. Doch achte man dabei auf das Grundübel und setze
diese Curart, wenn Sopor, Convulsionen und andere Zufälle des Drucks
entstehen sollten , nicht fort. Die Kopfblutgeschwulst der Neugeborenen
unterscheidet sich vom Hirnbruche 1) dadurch , dass sie meist Immer an den
Ossibus bregmatis, nie in der Gegend der Fontanellen, vorkommt, 2) dass
gie nicht pulsirt und sich beim Athemholen nicht abwechselnd erhebt und
fällt, 3) dass sie nicht, wie der Hirnbruch, die Symptome des Drucks aufs
Gehirn erregt.
Hernia compJetn, ein vollkommener Bruch. Ist, im Gegensatze
der H. incompleta, ein solcher, der schon einen bedeutenden Umfang erlangt
hat und in welchem der ganze Canal oder Umfang eines Darms liegt. Ei-
nige nennen auch die Hernia inguinalis, sobald sie zur Hernia scrotalis ge-
worden, eine Hernia completa; ehe aber dies der Fall ist, Hernia incompleta.
Ilernia concreta, s. Hernia adnata.
Hernia congenita, angeborener Bruch, s. Hernia acquisita.
Hernia cordis, Cardiocele , Herzbruch. So hat man wol den Vorfall
oder das Herabsinken des Herzens durch das Zwerchfell in die Bauchhöhle
(Cardiocele abdominalis , diaphragmatica , interna) , desgleichen das Hervor-
drängen eines Theils des Herzbeutels und des Herzens in^Folge eines Rip-
penbruches (Cardiocele externa , costalis) genannt. Die Behandlung die-
ses gefährlichen Übels ist meist nur eine palliative, sedative, mit Vermei-
dung activen Verfahrens (s. Hernia pulmonum und Fractura co-
starum).
Hernia cruralis , Hern, femornlis, Merocele, der Schenkelbruch-
Ist derjenige Bruch, welcher durch den Schenkelring (Annulus cruralis), ge-
wöhnlich an der Innern Seite der Schenkelgefässe , seltener an der äussern
Seite derselben , hervortritt , und am häufigsten bei Weibern vorkommt (s.
Hernia). Da die Öffnung des Schenkelringes grösser als die des Bauch-
ringes ist, so würden, könnten die Eingeweide hier so unmittelbar als bei
letzterem gegen die Öffnung andrücken, die Schenkelbrüche häufiger als die
Leistenbrüche vorkommen, was indessen theils wegen der genannten Ursa-
che, theils auch deshalb, weil der Annulus cruralis keine Gefässe durchlässt
und ursprünglich nicht offen ist , nicht stattfindet. Symptome des Cru-
ralbruches. Zuerst zeigt sich eine kleine, runde, tiefliegende Geschwulst
unter dem Poupart'schen Bande, die bei ihrer allmäligen Vergrösserung eine
breite Basis bekommt und deren grösster Durchmesser der schiefen Richtung
der Weiche entspricht. Nie wird dieser Bruch so gross als ein Leisten-
bruch. Zuweilen entsteht das Gefühl von Taubheit und eine ödematöse
Anschwellung des Schenkels , besonders des Fusses , sobald der Bruch bei
grösserer Ausbreitung auf die Schenkelgefässe und Nerven drückt. Die
Diagnose zwischen Hernia cruralis und H. inguinalis ist beim Manne
leicht; denn die H. inguinalis folgt hier der Richtung des Samenstranges;
schwieriger ist sie bei Frauen, weil hier der Samenstrang fehlt und der
Bauchring dem Schenkelringe nälier liegt. Beim Maime umfasat der Funi-
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culus ßpennaticus den obcrn Theil des Bruchsackhalses des Cruralbiuches,
indem der Samenstrang einen halben Cirkci nach Innen beschreibt ; daher
liegt der Hals der Schenkelbrüche mitten zwischen der Arteria epigastrica
und dem Funiculus. Erstere liegt fast immer nach Aussen, wenigstens bei
jeder Hernia cruralis interna; nur bei der höchst seltenen Hernia cruralis
externa, die an der äussern Seite der Schcnkelgefässe vorkommt (^Cloqtwty
HcssclhacJi) , liegt sie nach Innen. Die Bedeckungen des Schenkelbruches
sind: die äussere Haut, dann das oft sehr dicke, mit Fett angefüllte Zell-
gewebe und die Drüsen; dann folgt das oberflächliche Blatt der Fascia lala,
dann der Bruchsack als der hervorgetriebene Theil des Peritonaeums , der
auf seiner Oberfläche mit lockerem Zellgewebe bedeckt ist. Ein grosser
Schenkelbruch tritt oft durch die Öffnung hervor , durch welche die Vena
saphena geht; alsdann ist er meist nur von der Haut und dem Zellgewebe ■
bedeckt. Sein Inhalt ist am häufigsten ein Theil des Krumnidarms, seltener
ein Theil der Blase. Die besonderen Zeichen der Hernia intestinalis , omen-
talis und der Hernia vesicae urinariae dienen hier zur Diagnose. Wegen
der Ähnlichkeit in der Form kann dieser Bruch mit einem Bubo, mit einer
angeschwollenen grossen Glandula inguinalis verwechselt werden. Zum Un-
terschiede dienen hier die allgemeinen Zeichen des Bruches (s. oben). Kr
lässt sich, da Verwachsung nicht möglich ist, stets rcj)oniren, nur nicht bei
der Incarceration , die dann aus ihren eigenthümlichen Zeichen erkannt wird,
als Obstructio alvi, Erbrechen, Schmerz, Kolik etc. Zuweilen ist ein ei-
ternder Netzbruch da , der von einem eiternden Bubo nur durch die Ana-
mnese unterschieden werden kann. Eben diese muss uns bei der Diagnose
zwischen Hernia cruralis und Abscessus lumbalis leiten. In seltenen Fällen
ist ein geschwollener Bubo und eine kleine Hernia cruralis zugleich da;
hier ist die Erkenntniss, so lange keine Incarceration da ist, schwierig.
Der Bruch kann hier hinter der Drüse liegen, und die Operation, die bei
bedeutenden allgemeinen ZuHillen von Incarceration stets indicirt ist, ent-
deckt erst das präsumirte Übel. In einem Falle fand ich einen Bubo, aber
keinen Bruch. Die Zufälle des Ileus dauerten fort, und der Kranke starb.
Die Section zeigte einen bedeutenden Convolvulus. Behandlung. Sie
besteht in der Taxis und in der Anlegung eines guten Bruchbandes. Die
Taxis ist oft schwierig. Ist der Bruch klein, so gelingt sie am besten
durch einen Druck, ge.'-ade von Vorn nach Hinten; ist er gross, so repo-
nirt man erst von Unten nach Oben und dann von Vorn nach Hinten, wäh-
rend der Schenkel in der Weiche gebogen ist. Das Bruchband nniss einen
kürzern Hals (der der Richtung des Püupart'schcn Bandes entspricht) als
das Leistenbruchband haben , und die Pelotte darf nicht über die Biegung
der Weiche herabreichen; das ganze Bruchband nuiss besonders gut und
stark anschliessen. Lunijcnhcch ( Vorles. üb. Chirurgie, Msrpt. 1815) sagt:
„Gewöhnlich glaubt man, die Einklemmung geschehe durch das Lig. Pou-
partii ; allein die Spalte unter demselben scheint viel zu gross und es gehen
zu viele wichtige Thcile durch dieselbe, als dass man glauben könnte, es
sey hier eine Einklemmung möglich. Diese geschieht ganz allein durch die
Fascia lata und zwar auf folgende Weise: Es hat näudich die Fascia lata
dicht unter dem Poupart'schen Bande mehrere kleine Öffnungen , die mit
Fettmasse ausgefüllt sind; durch diese ÖÜnungen dringt der Bruchsack mit
Keinem Inhalte, so dass er gleich unter den allgemeinen Bedeckungen liegt.
Die Einklemmung ist gewöhnlich stärker als bei Leistenbrüchen , eine lang
fortgesetzte Taxis hier gefährlich, weil es gewöhnlich Darmbrüche sind.
Daher schiebe man die Operation ja nicht lange auf," CItcUus sagt (a. a.
()., Bd. \. Ablh. 1, S. 728): „Der Schenkelbruch kann in der äussern und
innern Lüi^ke der Schonkelgefässe eingeklemmt werden. Die Einklemmung
ist gewöhnlich si-hr heftig, und wenn die Zurückbringung nicht gtlingt, die
Operation bald angezeigt." Letztcrc geschieht auf folgende Weise: Man
macht den Hautschnitt in schiefer Richtung, entsprechend dem Laufe dea
Lig Poupartii, und verlängert ihn 'A Zoll über die Bruchgoschwulst gegen
die ä^)ina ilei und die Sjiuph. ossiuni pubis. Nun trennt man das Zellge-
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webe nach der Richtung des Hautschnitts, wie bei djiv Operation der Her-
nia inguinalis incarcerata, entfernt mit Schonung der Drüsen die oft bedeu-
tend angehäufte, fast netzartige Fettinasse, schneidet dann das oberfläch-
liche Blatt der Fascia lata ein , legt den Bruchsack bloss , und öffnet ihn
vorsichtig. Zuweilen stösst man nach Durchschneidung der Haut und dea
Zellgewebes, was daher sehr behutsam geschehen muss, unmittelbar auf den
Bruchsack; hier ist der Bruch durch die Öffnungen des obern Blattes der
Fascia lata hervorgetreten. Bei Öffnung des Bruchsacks kann man leicht
den Darm verletzen, da er hier in Form einer kleinen Schlinge, ohne vom
Netze bedeckt zu seyn, meist unmittelbar unter dem Sacke liegt. „Wenn
die Einklemmung, sagt Chelitis, von der äussern Lücke der Schenkelgefösse
oder von der Öffnung des äussern Blattes der Fascia lata verursacht wird,
so muss der sehnige Rand dieser Öffnung mit Vorsicht eingeschnitten wer-
den. Besteht aber die Einklemmung in dem Schenkelringe, so sind ver-
schiedene Verfahrungsweisen angegeben : a) Man soll bei Weibern die Spitze
des linken Zeigefingers oder die Hohlsonde zwischen den Bruchsackhals und
die Eingeweide einführen, das geknöpfte Bistouri einleiten, und das Lei-
stenband in der Richtung nach innen und oben einschneiden. &) Bei Män-
nern soll zur Schonung des Samenstranges das geknöpfte Bistouri auf der
an der Innern Seite eingeführten Hohlsonde eingeleitet und das Leistenband
an seiner Ansetzung an die Gräte des Schambeins (^Gimhemafs Band) ho-
rizontal nach Innen oder vielmehr ein wenig schräg abwärts 2 oder 3 Li-
nien tief eingeschnitten werden (^Scarpa). Dupuytren schneidet schräg von
Unten nach Oben längs des Randes des äussern Leistenbandes hin, in der
Richtung, in welcher der Samenstrang herabläuft, c) Um die Verletzung
der Arteria epigastrica oder der Art. obturatoria sicher zu vermeiden, soll
man den Arnaud'schen Haken unter das Leistenband einführen, und es da-
mit schräg nach dem Nabel (in dieser Richtung) in die Höhe ziehen, wäh-
rend man die Kraft des Zuges durch den unter das Poüpart'sche Band ein-
dringenden Finger unterstützt und die Eingeweide zurückschiebt. Würde
dadurch das Leistenband nicht hinlänglich ausgedehnt, so soll man mehrere
seichte, nur 1 Linie tiefe Einschnitte in den Rand des Leistenbandes ma-
chen, und dann mit dem Arnaud'schcn Haken dasselbe in die Höhe ziehen
(^Sclircger'). In derselben Absicht wandte man das Dilalorium von Lehlanc
an. Auch soll man durch Eindrängen des Zeigefingers zwischen die innerex
Fläche des Bruchsackes und den Rand des Gimbernal'schen Bandes dieses
ausdehnen oder auch zerreissen (Äwsf und A.)." Über diese verschiedenen
Methoden giebt Ckelius sein kritisches Urtheil dahin ab, dass bei a und b
leicht die Artex'Ia epigastrica und obturatoria verletzt werden könne (wo-
durch bedeutende Blutung, selbst Bluterguss in die Bauchhöhle, die weder
durch Pnlv. -styptic. , noch durch Pressschwamm, Charpie, noch durch die
Compression von Hesselhach und A, allemal habe gestillt werden können,
entsteht), dass bei c wegen der unblutigen Erweiterung und des Mangels
an folgender Entzündung die Wiedereutstehung des Bruchs begünstigt werde,
dass sie oft zur Entfernung der Einklemmung nicht hinreiche, und ausser-
dem die Theile leicht gequetscht werden könnten. Dies habe auch Hessel-
hach zu einem andern Verfahren bewogen, das darin besteht, den blossge-
Icgten untern Rand des Leistenbandes mit der Pincette zu fassen und schich-
tenweise von Unten nach Oben, 2 Linien tief einzuschneiden, und den Zei-
gefinger zwischen die Eingeweide und die Stelle der Einklemmung einzu-
führen. Reicht dieser Schnitt nicht aus, so wird er durch die Fasern der
Aponeurose des äussern schiefen Bauchmuskels über den Samenstrang hin
verlängert, der Samenstrang von einem Gehülfen nach Oben geschoben,
und das innere Leistenband auf diese Weise eingeschnitten. Diese Methode
ist freilich sicher, aber bei Fettleibigen sehr schwer auszuführen. Deshalb
giebt Chelius dem Verfahren von Scarpa und Dupuytren den Vorzug, wobei
er auf folgende Punkte aufmerksam macht : 1) Man schiebe die Spitze des
Zeigefingers so zwischen die vorgefallenen Theile und das Gimbernat'sche
Band, dass man den Nagel hinter den scharfen Rand dieses Bandes bringt.
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thefls um mit dem Finger das Pulsiren zu bemerken, theils um mit dem
Nagel das Gefäss vom hintern Rande des Bandes wegzuschieben. 2) Auf
dem Finger leite man die sondenförmige Spitze des Cooper'schen Hernio-
toms hinter den sichelförmigen Rand des Gimbernat'schen Bandes , so dasg
die Schneide nicht über diesen hinausragt. Mit der Volarßäche des Zeige-
fingers drücke man die Schneide gegen das Gimbernat'sche Band, um die
Trennung durch Druck und nicht durch Zug zu bewirken. Auch ein klei-
ner Schnitt erweitert sich oft durch das Eindringen mit dem Finger hinrei-
chend, um die vorgefallenen Theile zurückbrmgen zu können. Lnnijenhedt
sagt: „Man kann bei der Operation des Schenkelbruchs leicht die Ai'teria
epigastrica und, ist er klein, auch die cruralis verletzen. Sie liegt gerade
auf dem ßruchsack, zuweilen auch an der äussern Seite desselben; bei
Männern verletzt man auch leicht den Samenstrang. Deshalb sind die Mei-
nungen über die Richtung des Schnitts sehr verschieden, nämlich ob er
nach Innen oder nach Aussen gerichtet werden soll. Allein es gilt hier die-
selbe Regel, wie beim Leistenbruche: wo nämlich der Bruch selbst liegt,
da liegen keine grossen Gefässe, weil sie vom Bruche auf die Seite gescho-
ben werden. Man mache daher die Einschneidung der eiförmigen Öffnung
der Fascia lata wie beim Bauchringe, d. h. mitten über dem Bruche, ge-
rade nach Oben, weder nach Aussen, noch nach Innen. In der Regel be-
darf es auch nur eines kleinen Einschnitts. Ein grosser Schnitt , der bis
ins Ligam. Poupartli ginge, könnte allerdings den Samenstrang und beson-
ders das Vas deferens verletzen." Nach Langenbecli's Methode habe ich
zweimal den Cruralbruch mit Glück operirt. Dass indessen in dem höchst
geltenen Falle, wo der Bruch auf der äussern Seite der Schenkelgefässö
liegt , der Schnitt nach Aussen und Oben , gegen den obern Darmbeinstachel,
gerichtet werden müsse, versteht sich von selbst. Man bringt die Einge-
weide ganz so wie beim Leistenbruch zurück , wobei man sich besonders zu
hüten hat, die Fascia propria des Muse, obliquus externus nicht für den
Bruchsack anzusehen, und diesen, in der Meinung ihn schon geöffnet zu
haben , ungeöffnet einzubringen (^A. Coopet'). Auch der Verband und die
Behandlung nach der Operation sind ganz wie beim Leistenbruche (s. Her-
nia inguinalis). Langcnhecl; empfiehlt als Radicalcur nicht eingeklemm-
ter Schenkelbrüche noch eine Operation mittels der Ligatur, die hier weit
leichter als bei Hernia inguinalis seyn soll. Das Verfahren dabei s. Her-
nia inguinalis.
Hernia cystica, s. Hernia vesicae urinariae.
Uernia dolorosa. So haben Einige wol die mit Schmerzen verbundene
Hernia incarcerata, die Kolik dabei etc. genannt.
Hernia dorsalis, Hern, ischiadicn, Ischiocele, der sog. Rückenbrucli,
richtiger Hüftbeinbruch. Ist derjenige, nur selten vorkommende Bruch,
welcher zwischen dem Sitzbeinausschnitt , über den Ligamentis sacroischia-
dicis und dem Musculus glutaeus hervortritt , oft eine bedeutende Grösse er-
reicht, so wol bei Männern als bei Frauen vorkommt, und zw^r häufiger auf
der rechten als auf der linken Seite, zuweilen angeboren, am häufigsten
aber erworben ist, und dessen Inhalt bald blos Gedärme, sowol dünne als
dicke, bald die Urinblase, bald der Uterus, bald mehrere dieser Theile zu-
gleich sind. Fälle der Art sind beobachtet ^\orden von Popen, Bertrnndi,
Camper, Lassus, Richerand, ScJireger, Monro und Bezahl. In einzelnen
Fällen sind es wol weiter nichts als vergrösserte Schambrüche (bei Weibern)
und Mittelfleischbrüche (bei Männern) gewesen (^Scarpa}. Symptome.
So lange der Bruch klein ist und ihn die Musculi glutaei bedecken, ist er
sehr schwer zu erkennen. Chelius sagt : „Man berücksichtige bei der Dia-
gnose zuerst den Sitz der Geschwulst. Der Verdacht eines Bruches wird
um so grösser, wenn dieselbe angeboren ist und eine Gestalt hat, welche
andere Geschwülste nicht leicht zu haben pflegen, z. B. eine kegelförmige.
Zur Überzeugung kommt es nur, wenn man die Därme in dem Bruche fühlt,
welche sich zurückbringen lassen und wieder vorfallen. Bei kleinen Brüchen
kann man die Waldungen der Därme keines weges fühlen. Auch ohne Ver-
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wachsung kann die Zurückbringung dieser Brüche wegen £2nge der Öffnung,
durch welche der Bruch hervortritt, unmöglich seyn. Bei grossen Brüchen
findet man eine Leerheit des Unterleibes. Der angeborne Hüftbeinbruch
geht im Anfange mit einer breiten Basis vom Körper ab; bei grossen Brü-
chen ist der Hals schmäler als der Grund. Da die Harnblase allein im
Rückenbruche liegen kann , so müssen die Erscheinungen des ßlasenbruchs
bei der Diagnose berücksichtigt werden (s. Hernia vesicae urinariae).
Die Unterscheidung dieses Bruches von einer Fett - oder Balggeschwulst
kann schwierig seyn ; für einen Abscess kann er leicht gehalten werden,
wenn er in Eiterung übergeht. Die Spina bifida unterscheidet sich von die-
sem Bruche durch ihren Sitz in der Mitte des Kreuzbeines , durch ihre FIu-
ctuation und ihre Durchsichtigkeit in den meisten Fällen" Cur. Ist der
Bruch klein, so lässt er sich leicht zurückbringen und durch ein zweckmäs-
sig eingerichtetes Bracherium in dieser Lage erhalten. Bei grossen Brüchen
ist die Taxis oft schwer; sie gelingt aber, wenn man sie allmälig vornimmt,
wobei eine anhaltende horizontale Lage im Bette, eine knappe Diät und äus-
serlich kalte Umschläge zur Beförderung des guten Erfolgs viel beitragen.
Eine Bruchbandage mit hohler Pelotte, eingerichtet nach Grösse und Um-
fang der Geschwulst, ist dabei oft sehr nützlich. „Das Zurücktreten des
Bruches kann unmöglich seyn (sagt Chelius) , wegen Verwachsung , oder,
wenn die meisten Organe des Unterleibes im Bruche liegen, wegen Zusam-
menziehung der Bauchwand. Nach A. Cooper soll, wenn die Hernia ischla-
dica die Operation noth\^ endig machte, die Mündung des Sacks geradezu
nach Vorn erweitert werden ; doch fand Junes die Mündung des Bruchsackä
vor der Airteria iliaca interna, unter der Art. obturatoria, aber oberhalb
der Vene." Diese Brüche werden oft ausserordentlich gross, und alsdann
ist eine fortgesetzte horizontale Lage im Bette und das diätetische Verhal-
ten, nebst Sorge für tägliche gehörige Leibesöffnung und Harnabfluss, die
Hauptsache (s. Papen, Epist. ad Alb. de Haller de stupenda hernia dorsali.
Gotting., 1750. Bezold in Horn's Archiv, 1810; Bd. I. Hft. 1. v. SiehoMa
Chirurg. Beobacht. u. Erfahrungen. Arnstadt, 1812; Bd. HI. S. 292),
Hernia duplex, ein doppelter Bruch, Ist entweder ein Leisten-^
oder Scrotalbruch in beiden Seiten des Körpers, oder auch ein solcher, dci;
mit einem andern Bruche complicirt ist.
Hernia externa, ein äusserer Bruch. Ist eine äusserlich am Kör-
per sich befindende Hernia, im Gegensatz der Hernia interna., wohin z. B.^
die Cardiocele abdominalis gehört (s. Hernia cordis).
Hernia fenmralis, Schenkelbruch, s, Hernia cruralis.
Hernia foraminis ovalis, Hern, ovalaris , Hern, ovalaris oiluratoria, E»~i
terocele ovalaris, Oodeocele, der Bruch des eirunden oder eiförmigen
Loches, Ist derjenige Bruch, wo das Bauchfell und die einzelnen Coa-
tenta durch die kleine Öffnung des Ligam. obturatorium hervortreten ; zu-
weilen können auch die Musculi obturatorii mit einem Theile der Membrana
obturatoria hervorgetrieben werden (Langenhecli). Wir finden hier eine Ge-
schwulst mit dem allgemeinen Charakter des Bruches unter dem Ramus
ascfendens ossis pubis, neben der Symphysis. Das Schambein liegt vor dem
Bruchsackhalse ; der untere , innere und äussere Theil desselben ist vom Li-
gam, obturatorium umgeben. Der Fundus des Bruchsacks liegt entweder
zwischen den vordem Köpfen des Muse, adduetor , oder zwischen Muse, p«-
ctinaeus und Adduetor brevis. Die Vasa obturatoria liegen an der äussern
und hintern Seite, was indessen dann, wenn die Arteria obturatoria und
epigastrica gemeinschaftlich entspringen, nicht immer der Fall ist. Dieser
Bruch ist selten, er entsteht häufiger bei Weibern als bei Männern, kann
Därme, Netz und selbst die Urinblase enthalten, wird aber jedesmal nur
dann sichtbar, wenn er schon eine bedeutende Grösse erlangt hat und eine
Menge Darmtheile etc. vorgefallen sind. Der bezeichnete Sitz der Ge-
schwulst, die Art der Entstehung, die besondere elastische Spannung def-
gelben, die Möglichkeit der Reposition, die übrigen Zeichen des Bruchs,
die häufig hierbei bemerkbaren gastrischen Beschwerden etc. dienen zur
1008 HERNU
Diagnose. Cur. Man bringt den Bruch in gehöriger Korperlage des Kran-
ken zurück und legt dann graduirte Conipressen und Spica inguinalis an.
Noch zweckmässiger ist ein Leistenbruchband, dessen Hals mehr nach Un-
ten verlängert , und dessen Pelotte unmittelbar unter dem Querast des
Schambeines auf den Ursprung des Muse, pectinaeus zu stehen kommt.
Entsteht Einklemmung, so behandelt man diese durch die für jeden Fall
geeigneten Innern und äussern Mittel (s. Hernia ine ar cerata). Bleiben
alle Mittel ohne Erfolg , so muss die Operation nach allgemeinen Regeln
gemacht , die Erweiterung der eingeklemmten Stelle aber durch stumpfe
Haken, von Innen nach Aussen und Unten bewerkstelligt werden, da sonst
\Negen Verletzung der bedeutenden Gefässe und des Nervus obturatorius
leicht gefährliche Zufälle erfolgen. — Hat sich ein kleiner, äusserlich noch
nicht sichtbarer Eilochbruch eingeklemmt, so ist die Diagnose sehr schwie-
rig. Die hier auftretenden allgemeinen Symptome des Ileus, der Schmerz
im eirunden Loche , der durch den Fingerdruck vermehrt wird und sich von
dieser Stelle aus über den ganzen Unterleib verbreitet, diese Zeichen, ne-
ben denen der Anamnese, lassen den Bruch nur vermuthen. Und daher ist
der Rath, durch einen tiefen Einschnitt den Unterleib nahe über den Scham-
beinen zu öifnen, den Einige gegeben haben, höchst gefähi-lich und tollkühn,
da die Diagnose so schwierig ist und der Ileus auch von Convolvulus und
Intussusceptio herrühren kann. Es bleibt hier also nichts übrig, als strenge
Anwendung pharmaceutischer Mittel neben fortwährender horizontaler Lage
mit erhöhtem Hintern. (Mariini, Chirurg. Streitschriften; Abth. 4, S. 61.
mickel in Salzb. med. - chir. Zeitung,. 1816; Bd. III. S. 427).
Hernia funicuU umhiliculis, Nabelstrangbruch. Ist eine Hernia
umbilicalis congenita als Fehler der ersten Bildung , indem die im dritten
Monate des Fötus zum Theil noch im Nabelstrange liegenden Gedärme in
den spätern Monaten und bei der Geburt noch nicht völlig in die Bauch-
höhle zurückgezogen sind (s. Hernia umbilicalis).
Hernia ganyrucnosa , brandiger Bruch. Gangrän entsteht vorzüg-
lich dann in irgend einem Bruche, wenn er incarcerirt ist und ein mehr
oder weniger bedeutender Grad von Entzündung vorhergeht. Die Fälle.
wo der Brand in einem Bruche aus freien Stücken und ohne alle vorherge-
oangene Entzündung und Einklemmung entstehen soll, wie Bernstein (Hand-
buch f. Wundärzte, 181S; Bd. II. S. 452) will, mögen wol auf Täuschun-
gen beruhen. Die vorhergegangene Einklemmung, der Ileus, das plötzliche
Aufhören des Schmerzes im Bruche , die äussern Zeichen des Brandes (s.
Gangraena) an demselben, die welke, bleifarbene Beschaffenheit der Ge-
schwulst, das Aufhören des Erbrechens, des Singultus, das frei\>illige Zu-
rücktreten des incarcerirten Bruches, die von selbst erfolgenden, früher we-
der durch Klysliere, noch durch Ol. ricini, Ol. crotonis zu bewirkenden
Sedes, der kleine, schnelle Puls, mitunter die grosse Heiterkeit und das
täuschende Gefühl von Besserung; alle diese Zeichen dienen zur Diagnose.
Der Ausgang ist entweder Tod durch innern Brand, oder die Geschwulst
wird schwarz, stinkend, bricht auf, entleert Winde, Koth, und der Kranke
wird gerettet, behält aber eine Fistula stercoralis. Cur. Das Hauptmittel
bleibt Verhütung des Brandes durch Verhütung oder frühe und zweckmäs-
sige Behandlung der Incarceration , durch eine zur rechten Zeit verrichtete
Herniotomie, die leider von den nicht operirenden Ärzten und Wundärzten,
besonders bei Cruralbrüchen, häufig gar nicht oder zu spät angewandt wird.
Das Speciellere bei der Cur des brandigen Bruches wird unten vorkommen
(s. Hernia incar cerata).
Hernia {lutturalis , s. Hernia bronchialis.
Hernia hcpntis, Leberbruch. Ist höchst selten, oft verwechselt mit
Physconia hepatis, mit einer Hernia ventralis. Ein innerer Leberbruch kann
bei Verletzung des Zwerchfells stattfinden.
Hernia Jinmornlis , Hern, vcneris. So hat man höchst unpassend wol die
bei Tripper und Clianker vorkommende Hodengesch%vulst genannt; 6. Got
norrhoea, Inflammatio testiculi, Syphilis.
HERNIA 1009
Heritia incnrcerata , der eingeklemmte Bruch. Wird die Commu-
nication zwischen Bauchhöhle und Bruch wegen zunehmenden Volumens der
Hernia oder wegen Enge der Bauchöffnung (des Annulus abdominalis, crura-
lis etc.) unterbrochen, so entsteht derjenige, stets sehr bedeutende und ge-
fährliche Zustand, den wir Einklemmung (Invarceratio) nennen, wobei
stets ein Missverhältniss zwischen dem Bruchinhalte und dem Bruchsacke
stattfindet. Eine Hernia incarcerata ist demnach der Zustand , wenn die in
den Bruchsack herabgefallenen Eingeweide im Halse des Bruchsacks oder
an irgend einer andern Stelle im Bruche, vom Bauchringe oder einem andern
Theile, wie von einem Bande zusammengeschnürt werden, so dass die Her-
nia nicht, wie gewöhnlich, zu reponiren ist, der Durchgang des Kothes,
der Winde etc. in den meisten Fällen gehemmt wird, eine hartnäckige Lei-
besverstopfung, Übelkeit, Erbrechen und alle Symptome des Ileus oder Mi-
serere entstehen, die Bruchtheile entzündet werden; und, wird frühe und
zweckmässige Hülfe versäumt , der Bruche gangränös wird , worauf der Tod
oder eine Kothfistel folgt. „Die Schwierigkeit der Reduction (sagt Pott~)
kann hier von verschiedenen Ursachen herrühren. Die Grösse des Netz-
stückes oder der entzündete Zustand desselben , die Menge von Därmen und
Mesenterium, eine Entzündung des Darms oder eine Ausdehnung desselben
durch Koth, oder durch Luft, oder die Kleinheit der Öffn-ung des Tendo,
durch welchen der Bruch hervorgedrungen ist: bald kann diese, bald jene
Ursache Schuld seyn ; gleichviel ; — lässt sich der Bruch nicht zurückbrin-
gen, leidet der Patient an Schmerzen im Bruche und an Leibesverstopfung,
80 nennen wir dies eine Hernia incarcerata. " Symptome der Hernia in-
carcerata. Sie sind kürzlich folgende: Ungewöhnliche Schmerzen im Bruche,
die durch äussern Druck, durch Niesen, Husten und andere Erschütterun-
gen vermehrt werden , zuerst nur am Bruchhalse und Annulus stattfinden,
später sich über den ganzen Bruch, noch später über den ganzen Unterleib
verbreiten. Sie sind anfangs vagirend und periodisch, kolikartig (Colica
herniosa), später fix, und der Bruch erscheint gespannt, später aufgetrie-
ben, selbst roth, entzündet; dabei hartnäckige, nicht zu bezwingende Lei-
besverstopfung, Übelkeit, Erbrechen, wodurch anfangs Speisen, nachher
Galle, Getränke, endlich Koth entleert wird (^Miserere). Der Kranke hat
grosse Angst , Unruhe , Fieber mit kleinem , schnellem , zusammengezogenem
Pulse. Im höchsten Grade des Übels sind die Extremitäten kalt , der Leib
wird tynipanitisch aufgetrieben, oft bis zur Grösse einer Schwangern im
neunten Monate , es entstehen Schluchzen , kalter Athem , kalte Schweisse,
höchst kleiner Puls, die Symptome des Brandes im Bruche werden sichtbar
und fühlbar , und nun erfolgt meist der Tod oder eine Kothfistel unter den
oben genannten Zufällen. Ursachen. Die Einklemmung kann hervorge-
bracht werden n) durch einen ungewöhnlichen, vermehrten Vorfall der Ein-
geweide, z. B. nach heftigen, ungewohnten Körperbewegungen, bei versäum-
ter Anlegung des Bruchbandes ; li) durch Überfüllung der im Bruche befind-
lichen Därme durch Faeces , wie nach starken Mahlzeiten etc. ; c) durch
Ausdehnung der Gedärme mittels Luftentwickelung, z. B. nach dem Genuss
blähender Speisen: der Kohlarten, trockner Hülsenfrüchte, einer Menge
grünen Obstes; rf) dui'ch Verwickelung der Eingeweide, Convolvulus;
e) durch entzündliche Anschwellung des Bruches und Bauchringes in Folge
mechanischer Verletzungen etc. „Die Erkenntniss der speciellen Ursache
der Einklemmung (sagt Chelius) ist oft schwierig, oft unmöglich. Folgende
Umstände können den Arzt leiten: 1) Bei Brüchen, weiche schnell, durch
heftige Gewaltthätigkeiten entstehen, oder wo bei geringer Ausdehnbarkeit
der Öffnung, durch welche dieselben treten, eine grössere Portion Einge-
weide plötzlich hervorfallen, wird die Unnachgiebigkeit dieser Öffnung mei-
stentheils die Ursache der Einklemmung seyu. 2) Dass die Einklemmung
im Bruchsackhalse bestehe, kann man mit aller Wahrscheinlichkeit vcrmu-
then bei Brüchen, die, lange durch ein Bruchband zurückgehalten, plötz-
lich wieder vorfallen; wenn die Öffnung, durch die der Bruch herausgetre-
ten, nicht gespannt ist, wenn die, obgleich selir gespannte, Bruchgeschwulst
Moet Encyklopädie. 2te Aufl. I. 04
1010 HERNIA
beweglich ist tind beim Versuche der Zurückbringung hinter der Bauchvran-
dung eine Geschwulst entsteht. S) Die Zerreissung des Bruchsacks , oder
die entzündliche Affection der im Bruche liegenden Theile, als Ursache der
Einklemmung, vermuthet man durch die Gewaltthätigkeit, welche auf den
Bruch selbst gewirkt hat. 4) Die Überfüllung der Eingeweide durch Inte-
stinalmaterie verursacht die Einklemmung meist nur langsam, bei alten Brü-
chen, durch allmälige Anhäufung der Faeces , oder durch Überladung des
Magens. 5) Die Verwickelungen der Eingeweide unter sich und die dadurch
bewirkte Einklemmung kann man vor der Operation nicht bestimmen." Die
Einklemmung a^K Annulus abdominalis und Annulus cruralis kommt am häu-
figsten vor; sJe ist meist sehr heftig und acut. Zuweilen kann das Zellge-
webe, welches den Hals des Bruchsacks umgiebt und nicht selten allmälig
in einen hohen Grad von Induration übergeht, die alleinige Ursache der
Incarceration seyn. Ebenso kann die im Bruchsack befindliche Portion Netz
sich verhärten oder den Darm einschnüren, oder der Darm kann sich um-
drehen (^Scarpa) und die Einklemmung erregen. Hier kann anfänglich der
Bruch unter allen Zufällen der Incaarceration oft noch zurückgebracht wer-
den, aber die Zufälle verschwinden nicht, und es erfolgt keine Leibesöff-
nung. Zuweilen geht ein harter, unvorsichtig verschluckter Körper durch
den Darmcanal glücklich bis zum Bauchringe, bleibt aber hier stecken und
erregt so die Einklemmung; bei Innern Entzündungen des Unterleibes, bei
Peritonitis puerperalis kann selbst als Folgezustand Incarceration entstehen.
Nach den verschiedenen Ursachen und nach den Zufällen und dem Verlaufe
der Einklemmung unterscheiden wir drei Arten derselben : 1) die acute Ein-
klemmung mit entzündlichem Charakter; 2) die krampfhafte Einklemmung
mit erethistischem, spastischem Charakter; 3) die chronische, langsam ent-
stehende Incarceration mit dem primären Charakter des Torpors und dem
secundären der Entzündung im Bruche. Die Prognose ist bei jeder Her-
nia incarcerata ungewiss , doch bei der spastischen und chronischen Form
etwas günstiger als bei der acuten, wo die Entzündung bald in Brand über-
geht, brigens richtet sie sich sehr nach den individuellen Fällen, nach
den verschiedenen, bei jeder Prognose zu berücksichtigenden Umständen,
nach dem Grade des Übels, ob frühe Hülfe gesucht wurde oder nicht, ob
pharmaceutische Mittel und die Taxis das Übel entfernten, oder ob operirt
werden muss, in welchem Falle man die Vorhersagung nicht zu günstig
stellen darf, da man nicht immer weiss, was sich bei der Herniotomie er-
eignen kann. Behandlung der Hernia incarcerata. Sie erfordert viel
Umsicht, eine genaue Diagnose, strenge Berücksichtigung der Natur der
Einklemmung und eine gehörige Auswahl der theils chirurgischen, theils
pharmaceutischen Innern und äussern Mittel , ausgewählt nach den verschie-
denen Umständen, nach der Dauer des Übels u. s. f. Folgende Punkte
werden dieses genauer bestimmen. 1) Ist der Bruch nicht sehr gross, em-
pfindet der Kranke darin gleich anfangs heftigen Schmerz , verbreitet sich
dieser bald über den ganzen Unterleib, wird auch letzterer gespannt, auf-
getrieben, bei der Berührung schmerzhaft, ist die Bruchgeschwulst sehr ge-
spannt, mitunter wol gar schon geröthet, erfolgen schon binnen den ersten
24 — 28 Stunden Erbrechen, Fieber, Obkructio alvi, nehmen alle diese
Zufälle schnell zu, so haben wir eine acute Einklemmung (^Incarceratio
acuta, inflammntorin) vor uns. Sie erfolgt am häufigsten bei neu entstan-
denen, überhaupt bei noch kleinen Inguinal- und Cruralbrüchen , und das
jugendliche und Mannesalter disponirt am meisten dazu. Doch lasse man
sich nicht duixhs Alter irre leiten, man halte sicli mehr an die Zufälle;
denn es giebt auch kräftige Greise, bei denen die acute Form vorkommen
kann. Hülfs mittel. Das erste ist hier ein Aderlass; bei Robusten lässt
man eine grosse Quantität bis zur Ohnmacht, am besten aus einer grossen
Aderölfnung am Arme. Gleich darauf setzen wir Blutegel in die Umgegend
des Bruches, und schlagen hinterher alle 5 Minuten eiskalte F'omentationen
über: kaltes Wasser, worin Eis befindlich, jedesmal frisch bereitete Fomen-
tatio frigida Schmucken, gestossenes Eis in Compressen, Schnee etc Sind
HERNU 1011
diese Mittel bei nihlgcr horizontaler Lage des Kranken y, — 1 Stunde, un-
mittelbar nach dem Aderlass, anhaltend gebraucht worden, so ists Zeit, di«
Taxis zu versuchen. Man verrichte sie, wie oben angegeben worden (s. oben
Hernia). Gelingt der erste Versuch nicht, so lasse man durch zwei Ge-
hülfen die Schenkel des Kranken in die Höhe heben, als wolle man ihn bei
dem Beine aufhängen, und versuche so noch einmal vorsichtig die Reposi-
tion, doch ohne Gewalt zu gebrauchen. Länger als eine Viertelstunde darf
der jedesmalige Versuch zur Taxis nicht dauern (J. Cooper, Scnrpa'). Sind
die Schmerzen im Bruche noch sehr heftig , haben sie durchs Aderlassen und
durch Anwendung der Fomentationen nicht bedeutend nachgelassen, so stehe
man ganz von der Taxis ab, setze eröffnende, nicht reizende Klj stiere und
fahre mit den kalten Fomentationen fort. Nach 4 — 6 Stunden mache man
einen zweiten Versuch der Taxis. Gelingt auch dieser nicht, so wende
man bei Robusten einen zweiten Aderlass an und versuche die Reposition
unmittelbar nach dem darauf folgenden CoUapsus. Kleiner Puls , kalte Glie-
der, blasses Gesicht und die übrigen, allen heftigen Unterleibsentzündungen
eigenen Symptome, besonders der die Anfänger leicht täuschende kleine und
geschwinde Pulsus abdominalis, dürfen in den ersten 2 bis 3 Tagen der In-
carceration nicht vom Aderlass abhalten. Alle innere Mittel, alle erhitzende,
nährende Speisen und Getränke, alle Naphthen und sogenannten krampfstil-
lenden Tropfen sind bei dieser Einklemmung durchaus schädlich. Ist die
Taxis gelungen , was man leicht durch das Gefühl mit den Fingern , ^urch
den freigewordenen Bauchring, durch das Geräusch von Kollern beim Zu-
rücktreten des Darms etc. erkennt, so lasse man den Kranken noch einige
Stunden horizontal liegen, setze so lange die kalten Umschläge noch fort,
und lege dann , wenn aller Leibschmerz verschwunden ist , em gutes Bruch-
band an. Oft wiederholte Versuche zur Reposition taugen nichts ; erregen
sie heftigen Schmerz oder werden sie , bevor dieser sich bedeutend vermin-
dert hat, angewandt, so verschlimmern sie die Entzündung. Sind 24, höch-
stens 28 Stvuiden fruchtlos verflossen, so muss zur Operation geschritten
werden , deren Ausgang um so glücklicher ist , je früher sie angewandt wird
und je weniger Versuche zur Taxis gemacht worden sind (s. unten). Nach
der Taxis passen zur Beförderung der Leibesöffnung eine Mixtur mit Glau-
bersalz, z. B. I^ Ol. Uni 2Jlf, Vitell. ov. q. s., Aq. fontan. 3vjjj, fiat Emuls.
ndde Snl. Glmileri , Syr. rhei ana gj. M. S. Stündlich 2 Esslöffel voll.
2) Die krampfhafte Einklemmung (Incarceraüo spastica, spasmodicn)
hat folgende Symptome: Der Bruch ist gespannt, aber nicht schmerzhaft,
der Leib ist verstopft, das Erbrechen fehlt oder folgt nur unmittelbar nach
dem Genuss von Getränken, der Puls ist klein, spastisch, zusammengezo-
gen, die Respiration ängstlich, die Kranken wechseln oft die Gesichtsfarbe,
es entstehen oft schnell allerlei bedenkliche Zufälle , wie bei Febris erethi-
stica; aber diese lassen schon in 1 — 2 Stunden nach, machen Remissionen,
ja in seltenen Fällen selbst Intermissionen (^Most^. Die Kranken haben den
Habitus spasticus, die sensible Constitution; oft hängt die Einklemmung mit
gleichzeitigen Krämpfen, mit Helminthiasis, mit Kolik, Kardialgie zusammen;
oft gingen Erkältung der Füsse, besonders schnelle Wetterveränderung,
Colica flatulenta als Schädlichkeiten vorher. Hülfs mittel. Hier dienen
warme Bäder, aromatische Einreibungen und Umschläge auf den Unterleib;
zur Hebung des Krampfes zugleich innerlich kleine Dosen Ipecacuanha und
Tart. emetic. , desgleichen Abführungen von englischem Salze ; aber vor dem
Gebrauche des Opiums hüte man sich, obgleich es in andern Fällen von
Krampf oft recht herrlich wirkt; denn es vermehrt hier die schon an sich
80 schlimme Leibesverstopfung. Folgende Formeln sind aus eigner Praxis :
^/ Rad. ipecac. gr. jj, Tart. emetici gr. j, Sacchari albi ^vjjj. M. f. p. di-
vido in vjjj p. S. Alle % — % Stunde ein Pulver. I^ Linim. volat. camphor.y
Ol. hyoscyami infus, ana gj , Land, liquid. Syd. 3jj- M. S. Stark umgeschüt-
telt alle V2 Stunde 2 Theelöffel voll in den ganzen Unterleib einzureiben.
Nach dem Verbrauche obiger Pulver dient folgendes Laxans : I^ Ol. Uni §j,
Vitell. ovi q. s., Aq. cJiamomillae gvjj. M. f. Emuls, adde Sal. anglic. gj,
64*
1012 HERNIA
Syi\ mmna« §jjl. M. S. Alle V2 Stunde 1 — 2 Essloffel voll. Über den
Bruch werden von Einigen kalte, von Andern warme aromatische Fomen-
tationen angerathen. Nach meinen Erfahrungen ists am besten , abwech-
selnd bald kalt, bald warm den Bruch zu fomentiren ; denn der schnelle
Wechsel von Kälte und Wärme (Thermoraagnetisraus) bringt ähnliche Wir-
kungen auf die Muskel - und Nervenfaser hervor wie der Galvanismus, weon
gleich in schwächerra Grade; und dass dieser hier sehr wixksam sey, dafür
si)rechen Leroi (VEtiolles^ Erfahrungen, welcher unten gedacht werden soll
(Most). Einige rathen Klystiere von Tabaksrauch, von Decoct. nicotianae
(5fi auf 1 S Colatur) an. Aber ihre Anwendung erfordert Vorsicht. Ich
sah bei einem jungen sensiblen Manne tetanische Zufälle darnach entstehen;
besser sind die gewöhnlichen krampfstillenden Lavements (s. Clysma an-
tispasmodicum). Nicht immer ist die Einklemmung rein krampfhaft,
oft ist etwas Entzündliches dabei, besonders wenn die Einklemmung schon
über 24 Stunden dauerte, indem die Entzündung als secundäre Erscheinung
auftritt. Hier vermeide man die warmen Fomentationen auf den Bruch,
mache recht kalte Umschläge, setze Blutegel an, oind versäume, ist der
Bruch nur irgend schmerzhaft, den Aderlass nicht, der hier am besten im
warmen Bade oder gleich nachher angewandt wird. Über die Anwendung
der Innern Arzneien muss die Euphorie entscheiden. Bricht der Kranke die
genomiuene Arznei jedesmal wieder weg, so setze man sie aus. Die Taxis
wird auf angegebene Art, unmittelbar nach dem waimen Bade und dem
Aderlass, verrichtet. Sie gelingt hier weit häutiger als bei der entzündli-
chen Einklemmung ; daher hier die Operation seltener nothwendig wird.
3) Die chronische Einklemmung. Sie entsteht vorzüglich bei alten
Iienten durch Überfüllung der im Bruch liegenden Därme, bei sehr grossen
Brüchen, wo die Bauchöffnung alle Elasticität verloren hat. Häufig geht
eine mehrtägige Leibesverstopfung, der Genuss reichlicher, blähender Spei-
sen vorher, und im Bruche hat sich Koth angehäuft. Die Hernia ist nicht
sehr gespannt, ist nicht schmerzhaft, verträgt bei der Taxis selbst starken
Druck, der Leib ist etwas aufgetrieben, aber er schmerzt nicht. Die Kran-
ken leiden nicht an Fieber, der Puls geht selbst langsam, wohl aber an
Ructus, Flatus, an Übelkeit, Erbrechen und Obstructio alvi. Der Verlauf
des Übels ist langsam, oft schicken die Leute erst zum Arzte, wenn acht
Tage und länger verflossen sind ; oft macht das Übel Remissionen , es er-
folgt mitunter etwas Stuhlgang, das Erbrechen hört ein paar Tage auf,
stellt sich später aber wieder ein. Die Hü Ifs mittel sind hier Purganzen
aus Ol. ricini, Ol. crotonis, reizende Klystiere von Essig, Wasser, mit Sal-
zen, Tart. emeticus, Klystiere von Tabaksrauch, von Decoct. nicotianae,
abwechselnd kalte und warme Fomentationen auf den Bruch. Bei der Taxis
muss man den Bruch etwas zusammendrücken, um so einen Theil der im
Bruche sich befindenden Faeces in den Unterleib zurückzubringen. Gelingt
die Reposition nicht, so bleibt auch hier nur die Operation übrig; doch
braucht man hier damit nicht so sehr zu eilen als bei der acuten Form ;
man kann es immer ein paar Tage ansehen, besonders wenn die Zufälle
nicht heftig und bedenklich sind. — Überhaupt lässt sich bei jeder Art von
Einklemmung die Zeit, wann die Operation indicu't ist, nicht im Allgemei-
nen bestimmen. Es giebt Fälle, wo bei jungen, robusten Leuten, beson-
ders bei kleinen, plötzlich und erst jüngst entstandenen Brüchen, bei sol-
chen, wo die Einklemmung im Bruchsackhalse besteht, schon nach Verlauf
von 8 bis 12 Stunden die Operation nothwendig wird ; ein längeres Zögern
Jbringt hier nur Gefahr und macht den guten Erfolg der Operation ^unsicher.
Höchst schädlich sind hier die oft wiederholten Versuche zur Taxis, und
Desault^s Rath, lieber ganz davon abzustehen und bald zu operiren, ist wohl
zu beherzigen. Auch bei der spastischen und chronischen Incarceration ist
die Operation, sobald Entzündungszufälle hinzutreten, die sich nicht in we^
nigen Stunden beseitigen lassen, indicirt. Wir besitzen indes.sen noch ein
sehr wirksames Mittel bei der spastischen und chroni.schen Einklemmung,
das wir, sind keine bedeutenden secundären Entzündungszufälle zugegen.
IIERNIA 1013
stets erst vor der Operation versuchen sollten. Es ist dieses der Galva-
nismus, zu diesem Zwecke von Leroi iVEiioKes empfohlen und mit Glück
angewandt (s. Archiv, gen^ral. de M^decine. Oct. 1826. Frorie-p's Notizen.
Novbr. 1826. Nr. 332. Heclcr's Literar. Annalen, 1828. Jan. S. 105), Man
nimmt eine frisch aufgerichtete Voltasäule von 12 — 20 anderthalb Zoll im
Durchmesser haltenden Doppelplatten, bringt den einen Pol der Säule in den
After und schliesst die Kette durch Berührung des Pharynx mit dem Con-
ductor. Es entsteht dadurch ein schneller Motus peristalticus, das Darm-
stück wird, ist es nicht angewachsen, zurückgezogen, es erfolgt Diarrhöe,
und alle bedenkliche Zufälle des Ileus hören auf. 4) Die Operation der
Hernia incarcerata besteht aus folgenden Acten: a) Einschneidung der Haut;
6) Blosslegung des Bruchsacks; c) Erweiterung des Bruchsackhalses oder
der Bauchöirnung; ti) Zurückbringung der Eingeweide. Wer kein geschick-
ter, geübter und gewandter Operateur ist, bleibe davon. Übrigens ist das
Verfahren dabei nach Verschiedenheit des Bruchs verschieden ; daher hier
keine nähere Beschreibung desselben , die man in jedem guten Handbuche
der Chirurgie findet, die aus Büchern aber nie allein erlernt werden kann,
folgt (s. Hernia cruralis, H. inguinalis). 5) Ist die frühe Anwen-
dung der Operation versäumt, so erfolgt auf die vorhergegangene Entzün-
dung Gangränescenz im Bruche (s. Hernia gangraenosa), und zwar am
häufigsten bei der acuten Einklemmung, dagegen kann bei der chronischen
Form in seltenen Fällen Übergang in Eiterung stattfinden. Häufig muss
man auch dann noch, um das Leben zu retten, die Operation machen.
Findet man nun bei letzterer, dass die Gedärme dunkel, violett, schwärz-
lich aussehen, dass ihre Wärme vermindert ist, so ist freilich schon die an-
fangende -Gangränescenz da , aber die Gedärme können noch erhalten wer-
den; man muss sie daher in den Unterleib zurückbringen, wo sie bald wie-
der Leben und Wärme bekommen. Ist ein Theil des Darms durch Brand
zerstört , so entsteht leicht eine Kothfistel , besonders wenn das ganze Lu-
men desselben sphacelös geworden ist. „Besteht wirklicher Brand (sagt
Chelius), welcher sich durch Verlust des Glanzes, durch aschgraue Farbe,
mürbe Beschaffenheit der äussern Haut des Darms charakterisirt , so muss,
wenn die brandige Stelle nur klein ist, dieselbe mit der Lanzette angesto-
chen , eine Gekrösschlinge angelegt, der Darm zurückgebracht und die bran-
dige Stelle in einer der Bauchöffnung entsprechenden Lage festgehalten wer-
den. Ist eine Darmschlinge vom Brande ergriffen, folglich die Continuität
des Darmcanals aufgehoben, so werde blos das Brandige mit der Scheere
abgetragen, da durch die vorausgegangene Entzündung schon Verwachsung
des übrigen Darmes mit dem Bruche zu Stande gekommen ist, welche jede
Ergiessung des Kothes in den Unterleib verhütet." Dies ist aber nicht im-
mer der Fall. Es giebt gangränöse Brüche, bei denen eine grosse Partie
Darm brandig geworden ist, wo wir alles Brandige wegschneiden müssen,
bis wir an gesunden Darm kommen, wo dann durch JohcrCs Verfahren leicht
Heilung folgt, ohne dass eine Kothfistel zurückbleibt (s. Johert, Mem. sur
les plaies du canal intestinal. 1827. Heclcer^s Literar. Annalen, 1827. Juli.
S. 351). Johert lässt bei ganz durchschnittenen Gedärmen den Kranken
gefärbtes Mandelöl trinken, um abzuwarten , bis es sich am Darmende zeigt,
wodurch man das obere Ende erkennt. Alsdann wird eine, gerade Nadel
von Innen nach Aussen an jeder Seite des Darms durchgestochen und, nach-
dem alles mit warmem Wasser gereinigt worden, das untere Ende des Dar-
mes einen Zoll liineingeschoben , und dann das obere Ende in dieses hinein-
geschobene Ende gebracht, so dass die seröse Haut die innere Fläche des
untern Darmstücks bildet und die seröse Haut des obern Endes damit in
Berührung kommt. Auf diese Weise heilen die Gedärme sehr leicht zusam-
men ; bringt man aber die innere und die äussere Fläche zusammen, so heilt
der Darm niemals; denn nur homogene Theile heilen leicht und schnell zu-
sammen, nicht heterogene, wie z. B. seröse und mucöse Häute. Oft hat
sich die brandige Zerstörung auch schon über die Bauchdecken, wenigsten«
in der Nähe der Bruchöffnung, verbreitet. Hier ist an keine Adhäsion zu
M14 HERmA
denkeiiu Biet schneide man alles Brandige weg, bis man an gesunden Darm
kommt, den man dann nach Jobert vereinigt. Dass mehrere Zoll Darm ohne
Schaden verloren gehen können, ist bekannt, ja, mein Freund, Dr. Stein-
metz, rettete einst eine Frau, der er sogar 4 Fuss brandigen Darm weg-
geschnitten hatte (s. RusVs Magazin, 1828. Bd. XXVII. Hft, 2. S. 381.
Hufcland's Journ. 1830. St. 5. S. 24 — 34). Dass man ausserdem einen sol-
chen Bruch ganz wie Gangrän zu behandeln und also Antiseptica anzuvTen-
den habe, versteht sich von selbst. Der Dr. Fräiikel (s. v. Gräfe's und
t). Walthcr's Journal für Chirurgie etc. 1834. Bd. XX. Hft. 4. S. 537 f.)
sagt: „Die gewöhnlichste Ursache der Einklemmung eines Bruches ist die
relativ zu grosse Ausdehnung desselben durch fäculente Stoffe, durch Darm-
gas oder fremde Körper, welche sich anhäufen und endlich in vollkommne
Stockung gerathen ; aber die hinzukommende Inflammation ist nicht Ursache,
sondern Folge der Einklemmung, deshalb ihr Ausgang, ohne ärztliche Hülfe,
brandige Zerstörung des der Einschnürung preisgegebenen Darmstücks. Die
fibrösen, die Einschnürung bewirkenden Gebilde besitzen überhaupt eine ge-
ringere Neigung zur Entzündung, als die eingeschnürten Theile. Bei Netz-
brüchen findet in der Regel die Einklemmung nur dann statt , wenn zur
Epiplocele noch eine Portion Netz sich hinzugesellt. Auch eine für sich
bestehende Zusammenziehung der aponeurotischen Gebilde der Leistenspalte
und des Ligam. Poupartii kann für die Ursache der Einklemmung gelten, so
lange wir keines Bessern belehrt sind. Manchmal tritt der eingeklemmte
Bruch gleich nach Eröffnung des Bruchsacks und ohne Einschnitt des Bauch-
ringes von selbst zurück, und dieser Einschnitt braucht höchst selten mehr
als einige Linien zu betragen , um den Bruch durchzulassen. Die Einklem-
mung hört vom Augenblicke an auf, wo die Spannung oder Contraction im
eingeklemmten Theile nachlässt." Die Entzündung und der Krampf, meint
Frünlcel, bewährten sich nur selten als die wahren Factoren der Einklem-
mung. Doch erleidet dieser Satz in Betreff des Krampfs grosse Einschrän-
kung, Beide hören auf, wenn die Reduction des Bruchs gelungen ist. Die
etwa nachfolgende Peritonitis hängt von dem Grade der Vulnerabilität des
Kranken ab und ist die Folge des blutigen Eingriffs. „Die Incarceration,
sagt Fräiikel , ist ursprünglich nur ein mechanischer Zustand , und die da-
durch gestörten Verhältnisse in der Wechselwirkung zwischen einklemmen-
den und eingeklemmten Theilen bringen jene Affectionen zu Stande. Hier,
wie dort, folgt der Einklemmung ein Zustand der örtlichen Lähmung in der
peristaltischen Thätigkeit und überhaupt eine Hemmung des Kreislaufs, wo-
bei übrigens viel aufs Alter des Bruchs und die Reizbarkeit des Kranken an-
kommt. Mit dem Aufhören der Incarceration tritt in der Regel der normale
Zustand wieder ein und die Gefahr hat ein Ende. Allein in einem so vor-
theilhaften Lichte auch die Herniotomie, von diesem Gesichtspunkte betrach-
tet, erscheint; so hat sie doch auch ihre grossen Nachtheile: lange währen-
des Krankenlager, oft folgende Peritonitis, die nicht selten einen exsudati-
ven Charakter annimmt und leicht tödtlich wird etc. Auch kann leicht ein
Darmstück verletzt werden, und der widernatürliche After ist wol eben so
oft die Folge der Operation als der Gangrän. Endlich rauss noch der Ver-
letzungen des Samenstranges und bedeutender Arterien gedacht werden.
Um so mehr ist es zu beklagen, dass bis jetzt noch kein allgemeines Krite-
rium bekannt ist, welches der Wahl der Älittel und überhaupt der ärztlichen
Handlungsweise die passende und heilbringende Richtung zu geben im Stande
wäre. Unter den gebräuchlichen Mitteln gegen Incarceration nehmen die
Blutentziehungen eine bedeutende Stelle ein, indem sie erschlaffen, die Ent-
zündung massigen und den Krampf lösen. Da aber die Entzündung auf
mechanischen Verhältnissen beruhet und nur selten idiopathisch ist; so kann
die Fortsetzung eines kräftigen antiphlogistischen Verfahrens hier um so ge-
fährlicher werden, je leichter und merklicher diese Entzündung in Brand
übergeht. Deshalb hat ein Nachlass der Symptome keine grössere indici-
rende Wichtigkeit, als eine Steigerung derselben, da die Extreme sich hier
einander innig berühren. Alsdann kann die Operation entweder überflüssig
HERNIA 1015
pder auch zu spät seyn, und oft thut der Chirurg wohl, mildere Mittel an-
zuwenden." Li dieser Hinsicht empfiehlt Fränkel vorzüglich das Extractum
belladonnae (3j auf gjj Unguent. althaeae), wovon alle Stunden auf die
Bruchstelle und den ganzen Unterleib eingerieben wird. In 6 Fällen von
Einklemmung (es waren alle Cruralbrüche ^bei Weibern) sah er davon den
glänzendsten Erfolg. Auch bei einem Nabelbruch half das Mittel; doch gin-
gen Blutausleerungen voran , die er eben so wenig , als die warmen Bäder,
kalten Umschläge, Einreibungen von Ol. crotonis etc. verwirft. Besonders
in solchen Fällen, wo man zum Messer zu greifen pflegt, will er, dass man
das Belladonnaextract vorher erst versuchen solle. Die Einreibungen, die
sanft applicirt werden müssen, zieht er den Fomentationen des Extracts, in
Wasser gelöst, vor; doch wandte Fngol Diipoujet letztere, gleichfalls mit
günstigem Erfolge, in vier Fällen von Hern, incarc an (s. Revue medicale
1831. Novbr.). — Die Erfahrung lehrt, dass r*ian oft schon die Hernio-
tomie für unumgänglich nöthig hielt, und dennoch trat von selbst oder durch
unbedeutende Mittel, selbst Gemüthsbewegungen etc. der Bruch zurück
(s. De Haen, Praelect. ed. IVasserbcrg. Ann. II. p. 158), Seit einigen Jah-
ren wende ich zur Reposition eingeklemmter Brüche folgende, in der AUg.
medic. Zeitung, AlLenburg 1834. Nr. 35. näher beschriebene neue Metho-
de, worauf ich zufällig gekommen, mit vielem Glücke, zumal bei einge-
klemmten Leistenbrüchen der Kinder, wo sie mir stets, selbst nach 24stün-
diger Einklemmung und 40 — SOmaligem Erbrechen, gelang, an. Die Re-
position des Bruchs geschieht auf folgende Weise: Der Kranke wird so auf
einen Tisch gelegt, dass die Lenden ein paar Fuss höher, als der Kopf zu
liegen kommen. Alsdann reibe ich langsam mit der einen Hand (ist der
Bruch rechts mit der rechten, ist er links mit der linken Hand) 6 — 10 Mi-
nuten lang erwärmtes Ol. hyoscyami mit Extr. belladonn. (3ft auf 5J Ol)
in die Bruchstelle, wende dann einen massigen Druck mit der Hand auf den
Bruch an, indem ich ihn so zwischen die Finger fasse, als wenn man einen
Beutel von Gumm. elastic. ausdrücken will, lasse vorher die beiden Schen-
kel dicht an den Unterleib ziehen , so dass die Plattfüsse auf den Tisch zu
stehen kommen, ergreife nun plötzlich während des fortgesetzten Drucks
mit der einen Hand den Unterschenkel der leidenden Seite, mit der andern
Hand hebe ich ihn einen Fuss hoch in die Höhe und stosse ihn schnell und
mit einiger Kraft wieder auf den Tisch, so dass der Plattfuss letztern hart
berührt. In demselben Augenblicke springt der Bruch , oft mit hörbarem
Geräusch, zurück. Auch ohne die genannten Einreibungen ist mir dieses
Manöver von erwünschtem Erfolg gewesen. Ob der Schreck oder die Er-
schütterung und die dadurch veränderte Lage und Bewegung der Därme im
Verhältniss zum Bauchringe, oder eine Bewegung des letztem selbst, die
nächste Ursache dieser glücklichen Repositionsmethode sey? — dies lasse
ich dahin gestellt seyn. ■ — Auch die glücklichen Resultate, welche die An-
wendung der Saugpumpe bei eingeklemmten Brüchen geliefert, wodurch
nicht selten dann selbst noch die Reposition gelang, wenn die Operation
mittels des Messers dringend indicirt schien, fordern den Praktiker auf,
diese vor der Herniotomie nicht unversucht zu lassen. Zahlreiche Beobach-
tungen theilen darüber mit: Btesch in HufelamVs Journal. 1832. St. 7. und
L. Köhler in Hecker's Wissenschaftl. Annalen der ges. Heilk. 1835. Hft. 4.
Schon durch Anwendung eines grossen trocknen Schröpfkopfs, wodurch die
Luft auf der Bruchstelle, die er bedeckt, verdünnt wird, gelang in einzel-
nen Fällen die Reposition. Noch wirksamer ist die Saugpumpe, welche aus
einer Glasglocke besteht, die man auf die Bruchstelle setzt, und woran sich
eine kleine Luftpumpe (mit Stempel und Stiefel) befindet. Nach einigen 10
bis 20 Stempelzügen tritt der eingeklemmte Bruch, meist mit nicht unbe-
deutendem Schmerz für den Kranken, natürlich noch stärker hervor. _ Dann
nimmt man die Glasglocke weg und versucht die Taxis, welche meist au-
genblicklich gelingt. In Ermangelung der Säugpumpe kann man ein Bier-
glas in der Art, wie einen Schröpfkopf, d. i. nachdem man durch eine Licht-
flamme die Luft darin verdünnt hat, auf die Bruchstelle setzen, und darauf
1016 HERNIA
die Taxis versuchen. Köhler zählt 23 Fälle, wo ihm die Saugpumpe die
herrlichsten Dienste bei eingeklemmten Brüchen leistete.
Hernia iiicomplein , pnriialis, ein unvollkommner Bruch, auch nach
unwesentlichen Verschiedenheiten Hernia hiteraHs, parva, LiUrica, perstri-
ctoria, sacciformis , appcndiailaris genannt, welche Namen sich meist alle
auf kleine Leistenbrüche beziehen (s. auch Hernia completa); oder man
nennt auch eine noch nicht aus dein Annulus hervorgetretene Hernia ingui-
nalis externa eine Hernia incompleta.
Hernia inflammatay. der entzündete Bruch. So hat map wol die
acute Einklemmung genannt; s. Hernia incarcerata.
Hernia inguinalis , Buhonocele , der Leistenbruch. Ist ein solcher
Bruch, der durch den Bauchring tritt, sich anfangs in der Weiche zeigt,
bei Männern aber, wenn Hülfe versäumt worden, sich später in den Hoden-
sack begiebt (^Hernia scr^nlis , Oscheocele^, bei Weibern dagegen sich in
die äussei-e Schamlippe senkt (^ Hernia lahii puilendi externi) und diese her-
abdrückt. Sehr wichtig ist die Eintheilung in äussern und innern Lei-
stenbruch (^Hernia inguinaJis externa und Hernia inguinalis interna}. Die
Diagnose beider ist nur unter genauen anatomischen Kenntnissen möglich.
Man bemerkt innerhalb der Beckenhöhle in der Gegend des Bauchringes
zwei Gruben , die äussere und die innere Leistengrube ( Fovea processus
vaginalis und Fovea inguinalis interna). Die erstere wird an der äussern
Seite von der Spina anterior superior cristae ossis ilei und an der innern
von der Art. epigastrica begrenzt; sie ist bestimmt zum Durchgange des
Samenstrangs, der in einem Fortsätze des Peritonaeums : Tunica vaginalis
communis genannt, eingeschlossen ist. Fallen die Gedärme nun durch diese,
auch Foramen processus peritonaei genannte, Grube, so entsteht der äus-
sere Leistenbruch. Die innere Leistengrube am Annulus abdominalis wird
begrenzt an der äussern Seite von der Art. epigastrica, an der innern Seite
von der zum Ligament gewordenen Art. umbilicalis , welche jetzt als ein
Leistenband angesehen werden muss. Die Art. epigastrica liegt also im nor-
malen Zustande, wenn kein Bruch vorhanden ist, zwischen beiden genann-
ten Gruben. Beide Gruben theilen den Bauchring oder richtiger Leisten-
canal gleichsam in zwei Hälften, so dass man durch jede Grube in den ohn-
gefähr IV2 Zoll^langen Annulus|hineinfahren kann. Fallen nun Därme durch
die Fovea inguinalis interna, so entsteht der innere Leistenbruch. Die
Hernia inguinalis externa entsteht demnach an der Stelle des nur seltea
völlig obliterirten Canals der Scheidenhaut. ., Dieser Bruch, sagt Chelius,
steigt von Oben und Aussen nach Innen und Unten, in der Richtung des
Samenstranges, als eine cylindrische Geschwulst herab, der Samenstrang «,^
liegt an ihrer innern und hintern Seite, die Epigastrica steigt unter dem
Bruchsackhalse und an seiner innern Seite herauf; wenn man ihn zurück-
bringt, so hört man ein eigenthümliches Gurren." Lnngenhecl; sagt: „Der
äussere Leistenbruch entsteht, wenn nach der Schliessung des Pcocessus
peritonaei (Tunica vaginal, communis) ein Eingeweide des Unterleibes in die
äussere Leistengrube sich senkt, diese nach und nach hinunterdrückt, das
Peritonaeum an dieser Stelle verlängert und so einen neuen abnormen Bauch-
fellfortsatz : den Bruchsack bildet , welcher nun nach und nach durch den
Bauchring hinuntersteigt. Wird nun aus diesem Bruche eine Hernia scrota-
lis, so gleitet der Fundus des Bruchsacks auf der Tunica vaginalis propria
hinunter, die die gemeinschaftliche Scheidenhaut umschliesst. in letzterer
befinden sich also folgende Theile eingeschlossen: der Testikel mit der Tu-
nica vaginalis propria, der Funiculus spermaticus und der Bruchsack mit sei-
nem Inhalte: Darm, Netz etc. Bei der Herniotomie findet man, Avenn es
ein Scrotalbruch ist, diejTheile., in folgender Ordnung: zuerst die vordere
Wand des Hodensacks mit dem Zellgewebe, dann der Muse, creniaster, dann
d e vordere Wand der Tunicafvaginalis communis. Sie ist derb und fest,
wie ein Bruchsack, und lässt sich mit Leichtigkeit abpräpariren. Nun folgt
die vprdcre Wand des Bruchsacks; dann der vorgefallene Theil und endlich
das Netz, Gehtjnan weiter fort nach Hinten, so; kommt erst dio hintere
HERNIA 1017
Wand des Bruchsacks, hinter dieser der Saraenstrang, dann die hintere
Wand der Tunica vaginalis communis, darauf die hintere Partie des Krema-
ster etc. Vor Verletzung des Samenstranges braucht man sich bei der Ope-
ration des äussern Leistenbruches gar nicht zu fürchten. Zur Diagnose des
Bruches dient, dass er von der äussern Seite der Weiche, von der Gegend
der Spina anterior superior cristae ossis ilei her sich zeigt und schräg nach
Innen geht. Häufig kann man ihn schön früh, ehe er durch den Bauchring
hervorgetreten, oberhalb des Lig. Poupartii sehen, besonders wenn der
Kranke hustet; denn die Tunica vaginalis communis bildet schon innerhalb
der Bauchhöhle eine Scheide für den äussern Leistenbruch , noch ehe er zum
Annulus abdom. kommt. Die Art. epigastrica liegt hier an der Innern Seite
des Bruchsacks , und der grösser werdende Bruch nach der Symphysis os-
sium pubis hin; daher muss der Bauchring bei Incarceration dieses Bruches
in der Richtung nach Aussen eingeschnitten werden." Der innere Leisten-
bruch, von A. Cooper veniro - inguinal Hernia (Bauchbruch) genannt, wo der
Bruchsack als abnormer Fortsatz des Bauchfells in die innere Leistengrube
zwischen die Art. epigastrica und die obliterirte Art. umbilicalis hinabge-
drückt wird (also nicht dahin, wo der Funiculus spermaticus liegt), üat
das Charakteristische, dass er aus der Leistengrube gerade von Innen nach
Aussen durch den äussern Leistenring hervortritt. Er ist daher runder an
Gestalt, hat einen kürzern Hals; er hebt den Innern Schenkel des Bauch-
ringes stärker in die Höhe; der Samenstrang mit der Tunica vaginalis liegt
frei an der äussern Seite des Bruchsacks, und beim Zurückbringen hört
man kein Gurren (^Chelius')', auch wird er nie so gross an Umfang als die
Hernia inguinalis externa. Je älter die Leistenbrüche sind, desto schwieri-
ger ist die Diagnose zwischen dem äussern und Innern Inguinalbruche; denn
ersterer hat oft völlig seine cylindrische Form und seinen schiefen langen
Hals verloren und tritt gerade aus der Bauchhöhle nach Aussen. Auch die
Lage des Samenstranges verändert sich bei alten und grossen äussern Lei-
stenbrüchen nicht selten , und der Druck der Geschwulst drängt die Gefässe
desselben ott auseinander. Der Inhalt der Leistenbrüche ist am häufigsten
der Krummdarm , seltener der Blinddarm und der Wurmfortsatz. Netz fin-
det man häufig in diesen Brüchen, vorzüglich an der linken Seite; höchst
selten und meist nur bei Weibern tritt in den Innern Leistenbruch ein Theil
der Harnblase oder der Innern Geschlechtstheile. Zuweilen ist der Leisten-
bruch angeboren (Hernia inguinalis congenita). Er entsteht, wenn mit dem
Testikel zugleich oder doch gleich nach seinem FleBabsteigen ein Theil der
Eingeweide flurch den noch otfen gebliebenen Scheiden'iautcanal hervortritt
und der Darm also die Tunica albuginea testiculi , mit welcher er auch zu-
weilen verwächst, berührt. Veranlassungen zu diesem Bruche geben: ein
längeres Liegenbleiben des Hoden im äussern Leistenringe und Verwachsun-
gen des Hoden mit dem Netze. Langcnheck's scharfsinnige Ansicht über das
Peritonaeum, seine Duplicaturen und Fortsätze hat über die Entstehungs-
weise dieser, wie der Hernia inguinalis accjuisita, viel Licht verbreitet (s.
Dess. Abhdl. v. den Leisten- und Schenkelbrüchen 1821, und Dess. Com-
ment. de structura peritonaei 1817). Beim angebornen Leistenbruche bildet
die Tunica vaginalis propria den Bruchsack, er ist meist immer ein Darra-
bruch und verhält sich ganz so, wie die Henm inguinalis externa, nur mit
dem Unterschiede, dass er sich, weil sich hier kein Bruchsack zu bilden
braucht, schneller entwickelt und die Eingeweide mit dem Hoden selbst in
Berührung kommen. Die Diagnose der Leistenbrüche von andern in der
Leistengegend vorkommenden Geschwülsten, namentlich von Hydrocele, Va-
ricocele, Funiculus spermaticus inflammatus , von Incarceration des Testikels
im Bauchringe, von der Fettanhäufung des Zellgewebes im Samenstrange
(s. Hernia pinguedinosa scroti), von Eiteransammlung etc. , ist nicht
schwierig, wenn wir die Anamnese, die charakteristischen Zeichen der Lei-
stenbrüche und der genannten Geschwülste (s. diese Art.) genau mit einan-
der vergleichen. Ist der Leistenbruch ein Netzbruch (Hernia omentalis, Epi-
plocele) , wo er sich teigig, ungleich, strangartig anfühlt, ^ine breitere Basis
1018 HERmA
hat, sich langsamer entwickelt, schwerer zu reponh-en ist und oft ein lästi-
ges ziehendes Gefühl im Unterleibe erregt, so ähnelt er zwar dem Krampf-
aderbruche. Zur Untersucheidung dient aber, dass bei letzterem der Bauch-
ring nicht ausgedehnt ist, dass man die einzelnen Stränge der geschwollenen
Gefösse zwischen den Fingern fühlt und ein starker Druck auf Augenblicke
die Geschwulst sehr verkleinert, ohne dass man nöthig hat, sie in den Un-
terleib zu schieben. Legt man den Kranken auf den Rücken und bringt die
Geschwulst zurück, lässt man, während man auf den Bauchring drückt, den
Kranken sich aufrichten, so erscheint dennoch die Geschwulst wieder, was
bei der Hernia nicht der Fall ist. Bei Hydrocele ist der Annulus frei und
die Rückenlage, sowie jeder Nisus, hat auf die Geschwulst keinen Eintluss.
Über das späte Herabsteigen des Hoden giebt der Mangel des Testikels an
dieser Seite des Hodensacks bei kleinen Knaben Aufschluss. Bei der ent-
zündlichen Geschwulst des Samenstranges, die freilich durch ähnliche Schäd-
lichkeiten wie der Bruch entstehen kann, dringt die Geschwulst oft zum
Bauchringe und steigt bis zum Testikel herab, sie ist prall, schmerzhaft,
der Kranke leidet an Fieber, selbst consensuell an Übelkeit, Erbrechen,
Obstructio alvi. Ist nun schon früher ein Bruch zugegen; so ist die Dia-
gnose oft recht schvsderig. Der Mangel an hartnäckiger Leibesversto-
pfung und an fortwährendem Erbrechen ist hier aber nicht zu übersehen.
Bei der Fettanhäufung im Zellgewebe des Samenstranges tritt das Fett oft
aus dem Bauchringe heraus und bildet eine Geschw\ilst, die die Alten Her-
nia adiposa nannten, die übrigens gar keine Beschwerde macht. Behand-
lung der Leistenbrüche. Wenn ein Leistenbruch sich selbst überlassen,
bleibt, so schwebt der Kranke wegen der zu befürchtenden Einklemmung
in steter Gefahr; ausserdem wird der Bruch immer grösser, er tritt ins
Scrotum, zuletzt fallen alle dünnen Gedärme und das ganze Netz in den
Bruch ; die vorgefallenen Theile verwachsen häufig mit dem Bruchsacke,
er kann nicht mehr zurückgebracht werden; die Kranken leiden öfters an
Digestionsfehlern, an Verstopfung, bei grossen Brüchen an Excoriationen,
an Entzündung und Geschwüren des Scrotums, kurz, das Übel ist ein be-
deutendes, ein langwieriges und oft lebensgefährliches. Daher ist hier ein
gutes Bruchband das erste Hülfsmittel. Am besten ists, dass man für jeden
einzelnen Fall genau das Mass nimmt und darnach die Stahlfeder und das
ganze Bruchband machen lässt. Das Mass nimmt Langcnhcck auf folgende
Weise. Der Bruch wird reponirt, dann legt man das eine Ende des Mas-
ses (wozu sich ein Streifen dünnen Bleies am besten eignet) auf den Bauch-
ring, führt das andere Ende über das Darmbein hinweg, oberhalb des gros-
sen Trochanters und unterhalb der Crista ossis ilei, bis zur hintern Fläche
des Ossis sacri. Über diese Theile kommt die Stahlfeder zu liegen; das
einhüllende Leder aber geht von der Mitte des heiligen Beines noch weiter
um die gesunde Seite; es endigt sich in einen Riemen, der vorn auf der
Bruchstelle an der Pelotte befestigt wird. Beim äussern Leistenbruche muss
letztere etwas länger seyn , weil der Processus vaginalis schräg von der
Aussenseite nach dem Annulus hingeht. Bei Richter , Brünniiii/hauscn und
Juville (s. oben Hernia) findet man gute Abbildungen von Bruchbändern.
Sind an beiden Seiten Brüche, so muss man zwei besondere Federn machen
lassen, die mit ein und demselben Riemen überzogen werden. Soll ein gut
nässendes Bruchband den Bruch radical heilen , so muss letzterer noch nicht
zu alt und auch der Kranke noch nicht über das Rlannesaltcr hinaus seyn,
das Band selbst aber mehre Jahre unausgesetzt, bei unruhig liegenden Per-
sonen selbst des Nachts getragen werden. „Die Einklemmung der Leisten-
brüche, sagt Clielüis, kann an dem äussern oder Innern Leistenringe, in dem
Bruchsackhalse, oder in Stricturen des Bruchsackkörpers ihren Sitz haben."
Wenn diese auf keine Weise durch die angegebenen Mittel gehoben werden
kann (s. Hernia incarcer ata), so muss der Bruch operirt werden. Be-
sonders säume man damit nicht, wenn der Bruch elastisch, gespannt, gleich-
förmig ausgedehnt und höchst schnterzhaft, also eine Enteroccle incarcerata
ist. Ists ein eingcklenuuter Netzbruch (Epiplocele incarcerata), so ist die
J
HERMA 1019
Geschwulst mehr weich, teigig, die Schmerzen sind nicht bedeutend, man
kann die Geschwulst etwas zusammendrücken, aber es geht nichts in den
Unterleib zurück, und der Kranke hält die Incarceration länger aus. Die
Herniotomie besteht in der Eröffnung des Bruchsacks und in der Erweite-
rung des Annulus oder der eingeklemmten Stelle. Zum Apparatus instru-
mentorum gehören: ein Unterbindungsapparat, eine Pincette, ein convexes
und ein gerades Scalpell, eine Scheere, eine Hohlsonde, ein Bruchmesser
von Richter oder Cooper, ein Schwamm, und kaltes Wasser. Der Kranke
■wird auf einen Tisch gelegt, worauf sich eine Matrazze befindet. Ist der
Bruch gross , schon ein Scrotalbruch , so bildet man vor dem Einschnitte
eine Hautfalte, bei kleinen Brüchen spannt man die Haut vorher an. Man
fange den Schnitt oben auf dem Annulus, wo der Bruch am schmälsten ist,
an, und zwar in der Mittellinie der Geschwulst. Alsdann überzeuge man
sich erst von der Lage des Samenstranges, ehe man den Hautschnitt nach
Unten verlängert. Man sey überhaupt beim Hautschnitt recht vorsichtig,
übereile sich ja nicht, mache ihn mit einem recht scharfen convexen Scal-
pell, und hüte sich bei der Hernia inguinalis interna vor Verletzung des
Samenstranges. Hat man die Haut durchgeschnitten, so trifft man bei äus-
serem Leistenbruch den Kremaster. Sind die Arteriae scrotales durchschnit-
ten, so unterbindet man sie sogleich und ehe man weiter operirt. Man fasst
nun die Bedeckungen des Bruchsacks mit der Pincette, hebt sie hügelförmig
in die Höhe und schneidet so nach und nach mit einem flach gehaltenen ge-
raden Scalpell so lange davon ab, bis man auf diese Weise den ganzen vor-
dem Theil des Bruchsacks abpräparirt und blossgelegt hat, wobei man sich
ganz ruhig Zeit lässt. Der Bruchsack wird auf dieselbe Weise aufgehoben
und eingeschnitten; man sucht eine kleine Falte desselben mit der Pincette
zu fassen, hebt sie dann in die Höhe und schneidet sie mit einem sehr klei-
nen, scharfen, convexen Scalpell mit dünnem Stiel flach durch. Welche
Rücksichten man hierbei ausserdem zu nehmen hat, geht von selbst aus der
oben beschi-iebenen Verschiedenheit in Betreff der Construction der Hernia
inguinalis externa, interna und congenita hervor. Die Hauptsache bleibt,
jedesmal zu wissen, welchen Theil man vor sich hat. Der Bruchsack ist
von weissem, glänzendem, glattem Ansehn, er lässt sich schwer mit der Pin-
cette fassen, die leicht darauf abgleitet, was beim Zellgewebe und der
Tunica vaginalis communis nicht der Fall ist. Kann man mit dem Finger
nicht unter den Innern Schenkel des Bauchringes kommen, so ist dies ein
Zeichen, dass der ungeöffnete Bruchsack vorliegt. Je älter die Brüche sind,
je länger die Einklemmung dauerte , desto mehr Bruchwasser enthalten sie
(was Manche irrig für eine Complication mit Hydrocele angesehen haben)
und desto weniger ist Gefahr bei Eröffnung zu befürchten ; je kleiner der
Bruch ist, oder je mehr die Därme mit dem Bruchsacke verwachsen sind,
desto eher können sie verletzt werden. Ist der Bruchsack ein klein wenig
geöffnet, so hebt man den Rand der Öffnung mit der Pincette in die Höhe
und erweitert die Öffnung mit einer stumpfspitzigen Scheere, bis man einen
Finger in die Bruchsackhöhle bringen kann ; auf diesem erweitert man den
ganzen Bruchsack durch den Schnitt mittels der Scheere nach Oben und
Unten. Sind Adhäsionen da, so muss man diese mit den Fingern, und wenn
dies nicht gelingt, vorsichtig mit dem Messer trennen, und sich vor Ver-
letzung der Gedärme hüten. Nach Eröffnung des Bruchsacks versuche man
die~ allmälige Reposition durch Entwickelung der einzelnen Theile und durchs
Hineinschieben in den Unterleib ; sind die Därme sehr durch Luft ausge-
dehnt, so kann man diese durch Acupunctur herauslassen, und dann die
Reposition versuchen. Gelingt diese nicht, so muss man den Bauchring er-
weitern und zwar an der eingeklemmten Stelle und mit Vermeidung von
Verletzung der Epigastrica, wozu man sich des Richter'schen, Cooper'schen
oder Dupuytren'schen Messers oder auch eines geknöpften Bistouris bedie-
nen kann. „Bei der Erweiterung verfährt man, sagt Cheliiis , auf folgende
Weise. Man lässt die Eingeweide von der Stelle, wo man die Incision
machen will, von dem Gehülfen auf schonende Weise entfernen, zieht oüt
1020 HERNIA
dem Daumen nnd Zeigefinger der rechten Hand den Bruchsack etwas nach
Aussen, und führt die Spitze des Zeigefingers der linken Hand zwischen die
Eingeweide und den Bruchsackhals, leitet auf diesem Finger ein gekrümm-
tes schmales, mit einem stumpfen Knöpfchen versehenes Bistouri, flach auf
dem Finger aufliegend, ein , richtet die Schneide desselben gegen die Stelle,
wo der Einschnitt geschehen soll, uad schneidet diese Stelle der Einklem-
mung ein, indem man den Griff des Messers hebt oder mit dem Finger der
linken Hand die Schneide desselben andrückt. Ist aber die Einklemmung
so bedeutend, dass der Finger nicht eingeführt werden kann, so bringe man,
nachdem man den Bruchsackhals etwas hervorgezogen hat, eine geölte, nach
Massgabe der Umstände etwas gebogene Hohlsonde zwischen die Eingeweide
und die Stelle der Einklemmung, richte die Rinne gegen die Stelle, wo der
Einschnitt geschehen soll, fasse ihren Handgriff mit den Fingern der linken
Hand so, dass diese die Eingeweide ^*on der Sonde entfernen, gebe ihr
eine solche Lage, dass ihre Spitze gegen die innere Fläche des Darmfells
anliegt, und schiebe auf ihrer Rinne das geknöpfte Bistouri ein. Liegt die
Stelle der Einklemmung tief, so kann es sicherer seyn, die Einge\Veide et-
was anzuziehen, um auch diese Stelle sehen zu können. Die Richtung des
Schnitts muss immer eine solche seyn , dass wichtige Verletzungen vermie-
den werden; die Grösse desselben sey von der Art, dass der Zeigefinger
ohne Gewalt über die Stelle, wo die Strictur bestand, eingeführt werden
kann. Durch den bis in die Bauchhöhle eingebrachten Finger überzeuge
man sich, ob keine zweite Einklemmung zugegen ist, welche eine zweite
Erweiterung erfordert." Ist eine grössere Erweiterung nöthig, so räth
Chelius, mit dem Finger, mit kleinen stumpfen Haken, also unblutig zu er-
weitern, um die Epigastrica nicht zu verletzen und doch soviel Raum zu
gewinnen, als zur Reposition des] Bruchinhalts nothwendig ist. Allerdings
giebt es bei grossen Brüchen mit Verhärtung, Degeneration des Netzes, mit
vielen Gedärmen etc. Fälle, wo ein kleiner Einschnitt nicht hinreicht, mit
jeder kleinen Erweiterung aber die Gefahr der Verletzung der Epigastrica
vvächst. Man erweitere also die Öffnung ja nicht, bevor man sich nicht
mit dem Finger durchs Pulsiren der Epigastrica von ihrer Lage überzeugt
hat, wo denn der Einschnitt des Annulus nach der freien Seite hin gemacht
■werden muss. Die unblutige Erweiterung hat auch hier dieselben Nach-
theile, wie beim Schenkelbruch (s. Hernie cruralis) angegeben worden.
Langenheck verfährt daher in Fällen, wo wegen Vergrösserung des Ein-
schnitts die Epigastrica verletzt werden könnte, auf folgende Weise: Er
schneidet successive den Bauchring von Aussen nach Innen ein, d. h. er
präparirt den Bauchring von Aussen ganz frei, so dass man seine beiden
Schenkel sehen kann, hebt dann mit der Pincette die einzelnen Lagen des
innern Schenkels in die Höhe und schneidet sie behutsam und nach und
nach in kleinen Partikeln mit dem Scalpell durch. Auf solche Weise ver-
letzt man weder das Peritonaeum, noch die Epigastrica, nur die Art. abdo-
minalis Halleri wird verletzt. Durchschnitte man etsva dennoch die Epiga-
strica, so hat man sie frei vor sich Hegen und kann sie sogleich unterbinden
(s. Vulnus abdominalis). Bei der Reposition der Bruchcontenta wer-
den die dem Bauchringe zunächst liegenden Theile zuerst , die andern s|)ä-
ter in den Unterleib gebracht. Bei einer Hernia intestinali-omentalis repo-
nirt man erst die Därme und hält das Netz so lange zurück, damit es nicht
zugleich mit hineindringt und Umschlingungen und Einschnürungen macht.
Die Reposition selbst macht man mit den beiden beölten Zeigefingern so,
dass man den einen Finger so lange auf dem zuerst hineingeschobenen Theile
ruhen lässt, bis der zweite Zeigefinger den andern Theil nachgeschoben hat,
und so ai)wechselnd, bis Alles eingebracht ist, fortfahrt. Gelingt die Re-
position a\if diese Weise nicht, so umfasst man die ganze Geschwulst mit
den Fingern, drückt sie, wie bei der Taxis, gelind zusammen, und sucht
sie drehend und schiebend in den Unterleib zu bringen, was bei kleinen
Brüchen besonders leicht gelingt. Ists ein äusserer Leistenbruch, so ists
nicht genug, die Theile blos durch den Annulus zu bringen, man muss sie
HERNIA 1021
auch noch gegen die Spina anterior ßuperior cristae ossis ilei wegschieben,
weil sie durch die Fovea processus vaginalis und schon über dem Poupart'-
schen Bande in den Bruchcanal gekommen sind. Die Einklemmung kann,
wenn man dies versäumt, sonst fortdauern. Bei einem innern Leistenbruche
ist dies zwar nicht nöthig, doch ists der Vorsicht wegen besser, bei jeder
Reposition die Finger so tief als möglich hinter den reponirten Theilen hin-
aufzuschieben, um sicher zu seyn, dass wenigstens nicht noch in der Nähe
des Bauchringes Einklemmung oder Verschlingung stattfindet (Langenhecli).
Nach vollendeter Reposition schiebt man zuerst einen in feine beölte Lein-
wand gewickelten Charpiebausch gegen den Bauchring hinauf, füllt dann
das Übrige mit Charpie aus, und befestigt Alles mit Compressen und Spica
inguinalis. So heilt die Wund© vom Grunde aus. Der erste Verband bleibt
2 — 3 Tage liegen, dann erneuert man ihn täglich und füllt stets, um alle
oberflächliche Heilung zu verhüten, die Wunde genau mit Charpie aus.
Man setzt erweichende ölige Klystiere, lässt die ölige Salzmixtur (s. oben)
gebrauchen, und folgt darauf reichlicher Stuhlgang, so kann man den Kran-
ken schon für gerettet halten. — Langenheck' s Radicalcur nicht ein-
geklemmter Brüche, die indessen ein gutes Bruchband entbehrlich macht,
besteht darin, durch eine Ligatur im Bruchsacke eine Liflammatio adhaesiva
zu errregen , worauf Verwachsung erfolgt. Sein Verfahren ist kürzlich die-
ses : Zuerst Durchschneidung der allgemeinen Bedeckungen auf dem Annulu5,
bei grossen Brüchen verlängert man den Schnitt nach Oben und Unten um
3 Zoll; dann, bei Hernia inguinalis externa, Abpräpariren der Kremasteren,
wie oben gezeigt, und des Zellgewebes; dann schneidet man die Tunica
vaginalis durch und trennt sie ganz, nicht stückweise, vom Bruchsacke ab,
den man ganz blosslegt und reinigt. Er wird nicht geöffnet, man bringt
nur die Gedärme in den Unterleib. Nun fasst man, während ein Gehülfe
die Lamellen der Tunica vaginalis communis zur Seite hält, den Bruchsack
und zieht ihn dicht unter den Bauchring; das Zellgewebe, was den Funi-
culus am Annulus befestigt, ist leicht zu trennen, man streicht es mit dem
Stiel des Scalpells vom Bruchsacks ab, um den Samenstrang nicht zu ver-«
letzen. • Ebenso befreiet man den Bruchsack an seiner hintern Wand, so
dass dieser ganz frei und vom Saraenstrange und Vas deferens nicht mehr
durch Zellgewebe gehalten wird. Man führt nun zwischen den Funiculus
und Bruchsack eine stumpfe silberne Sonde, in deren Öhr sich eine aus drei
Fäden bestehende Ligatur befindet. Der Wundarzt fasst den Bruchsack,
nachdem er sich nochmals von der völligen Leere desselben überzeugt hat,
mit seinen fünf Fingern, und der Gehülfe zieht die so hoch als möglich an-
gelegte Ligatur massig fest zusammen. Ists eine Hernia scrotalis, so trennt
man nicht den ganzen Bruchsack, sondern nur den Bruchsackhals, so nahe
am Annulus wie möglich, reponirt die Contenta vorsichtig und genau und
legt dann die Ligatur an. Zieht man diese zu fest an und besteht sie nicht
aus drei aneinandergelegten gewichsten Fäden, so kann man selbst den
Bruchsack durchschneiden. Dass weder Gedärme, noch der Funiculus mit
gefasst worden, davon überzeugt man sich durch die Abwesenheit von Leib-
schmerz , Übelkeit, durch den Mangel des bei Castration, sobald der Samea-
strang unterbunden worden, eintretenden eigenthümlichen Schmerzes. Die
Ligatur wird sanft zugezogen , in eine Schleife gebunden und am Rande
der Wunde mit Heftpflastern befestigt; auf die Wunde legt man Charpie,
und der Kranke muss ein Suspensorium tragen und horizontal , mit angezo-
genen Schenkeln , sich ruhig im Bette verhalten. Dabei dünne Diät und
innerlich Crem, tartari, und fehlt die Leibesöffnung, Sal Glauberi; bei hef-
tigen Entzündungszufällen und Fieber muss zur Ader gelassen werden. Ge-
wöhnlich entsteht Eiterung, wie bei der Radicalcur der Hydrocele. Die
Ligatur wird aller zwei Tage etwas fester gezogen, und sie muss oft 3 — 4
Wochen liegen bleiben, bis sie den Bruchhals ganz durchschnitten hat. Ent-
stehen Abscesse am Scroto, so bringe man diese durch erweichende Brei-
umschläge zur Reife. Von 20 Operirten der Art starben LangenlecJc zwei.
Der eine war von Natur sehr ängstlich und starb nach 14 Tagen , indem ein
1022 HERNU
Brief ihn in Schrecken gesetzt hatte. Es entstand plötzlich Schwinden des nicht
entzündeten Scrotums, kleiner Puls, Delirien und binnen 2"! Stunden der Tod.
Bei dein andern war der Bruch schon geheilt, es entstand aber ein Abscess
am Rücken und der Kranke starb an Febr. nervosa erethistica. Man sieht
also, dass die Radicalcur nach Langenhech nicht immer günstig abläuft.
Hcrnia interna, innerlicher Bruch, s. Hernia externa.
Hcrnia intesünalis , Enterocele, ein Darmbruch, s. Hernia cruralis,
inguinalis, umbilicalis.
Hernia inteslinali- ommtalis , EntcroepiploceJe , Darmnetzbruch, ß, Her-
niainguinalis. ,
Hernia intestini recti, Archocele, Hedrocele, der Mastdarmbruch.
Ist ein Prolapsus ani, der Yorgetretene Darmtheile enthält. Personen mit
nach rückwärts geneigtem Becken, mit geringem Vorsprung des Promonto-
riums und mit geringer Krümmung des Ossis sacri haben die meiste Nei-
gung dazu. Die Hartnäckigkeit und bedeutende Grösse des Prolapsus, die
Ungleichartigkeit der Geschwulst, die an einer Seite grösser, elastischer,
derber als an der andern ist , die platte Form des obern Bauches, das Grös-
serwerden der Geschwulst beim Husten, die Möglichkeit der Reposition, daa
kollernde Geräusch dabei, diese Zeichen 'dienen mit Ausnahme des ange-
wachsenen Bruches zur Diagnose. C u r. Sie besteht in der Reposition und
in den Mitteln, den Bruch in guter Lage zu erhalten (s. Prolapsus ani).
Bei sehr grossen angewachsenen , verdickten Brüchen bleibt ni«:hts übrig,
als die Theile vor Druck und Reiz zu schützen.
Uernia invetcrata, ein veralteter Bruch. Ist ein solcher, der, weil er
schon zu lange vorhanden, nicht mehr zu reponiren ist, z. B. ein grosser Scrotal-
bruch, weil Adhäsionen darin stattfinden; s. Hernia u. Hernia inguinalis.
Hernia iscliiadica , Hüftbeinbruch, s. Hernia dorsalis.
Hernia Jahii pudendi externi, Episiocele, der Schamlefzenbruch.
Ist eine Hernia inguinalis, die sich bei Weibern entweder in die äussere
Schamlefze oder hinter die Öffnung der Mutterscheide herabsenkt. Die
pudendal Hernia nach A. Cooper, der hintere Schamlefzenbruch nach Seiler,
ist eine Varietät des Mittelfleischbruches (s. Hernia inguinalis und
Hernia perinaei) wobei man den Annulus ganz frei fühlt.
Hcrnia lacrymalis inflammnta, fisUdosa. So hat man höchst unrichtig
die Entzündung oder den Abscess im Augenwinkel genannt; 6. Anchilops
und Aegilops.
Hernia lateralis, Seitenbruch, s. Hernia incompleta.
Hernia lienalis, Sphnocele, Milzbruch, s. Hernia ventralis.
Hernia lineae alhae, s. Hernia Ventralis.
Hernia Liltrica. Der kleine oder JAttre'sche Bruch ist ein solcher, bei
■welchem nicht der 'ganze Darm, sondern nur eine Wand desselben in der
Brnchöflfnung liegt, so dass der Canal des Darms zwar verengert, aber, so
lange keine Einklemmung stattfindet, doch nicht ganz undurchgänglich ist.
Am meisten findet man ihn als Hernia inguinalis, cruralis und ventralis, und
zwar nur von der Grösse einer Mandel bis zu der einer Olive (s. Hernia
incompleta).
Hcrnia lumlalis, Lendenbruch, So hat man eine Geschwulst an
den Lenden, entstanden durch Hypertrophie und Prolapsus der Nieren, ge-
nannt, lu einem Falle war diese Geschwulst unschmerzhaft, gespannt, sie
Hess sich zurückbringen und es folgte eine stärkere Urinsecretion.
Uernia medullae spinaJis, s. Fungus medullae spinalis.
Hernia mesenterica, Gekrösbruch. So nennt A. Cooper den Zustand, .
wenn eine von den Lagen des Mesenteriums durch äussere Gewalt verletzt
wird , während die andere den natürlichen Zustand beibehält , so dass die
Gedärme sich in die Öffnung drängen und eine Art von Bruch bilden.
Hernia mcsocoUca. Der Bruch des Mesokolons entsteht nach A. Cooper,
wenn im Abdomen die Därme z>vischen die Lagen des Rlesokolons eingleitea
(s. A. Cooper, On crural Hernia etc. p. 85). Die Diagnose ist im Leben
oft sehr schwierig.
HERNIA 1023
Hemia ocuK, s. Hernia capitis.
Hernia oesophagea, Pharyngoccie. So haben die Alteren verschieden«
Geschwülste am Halse genannt, besonders den sogenannten Prolapsus oeÄO-
phagi vel pharyngis, die Vertiefungen und Beutel im obern Theile des
Schlundes, die oft mit Dysphagie verbunden sind; s. Prolapsus oeso-
phagi et pharyngis.
Hernia omentaUs, Epiplocele, Netzbruch, s. Hernia cruralis, in-
guinalis, umbilicalis.
Hernia ovalaris, s. Hernia foraminis ovalis.
Hernia ovarii, der Eierstockbruch. So hat man die höchst öeltene
Hernia genannt, worin sich ein Theil des Eierstocks befand.
Hernia partialis, s. Hernia incompl et a.
Hernia pectoris, Hernia thoracica, Brustbruch. Diese Brüche kom-
men Gott Lob! selten vor. in der Regel sind es Lungenbrüche, seltener
Herzbrüche; s. Hernia cordis, Hernia pulmonum, Hernia phrenica.
Hernia perinaei, Hernia perinaealis, Perinaeocele , der Mittelfleisch-»
bruch, der Dammbruch. Ist ein solcher Bruch, der sich äusserlich am
Perinaeum bildet und nach Verschiedenheit des Geschlechts hinsichtlich sei-
ner Entstehungsart einige Modificationen darbietet. Bei Frauen bildet er
sich , wenn Eingeweide zwischen den Mastdarm und die Scheide herunter-
treten und nun zwischen letzterer und dem After der Bruch erscheint, der
in der Regel mit einer Hernia vaginalis coraplicirt ist. Bei Männern kommt
er seltener vor; hier zeigt sich die Geschwulst am häufigsten in der Gegend
des Blasenhalses, und der Inhalt des Bruchs, der bald Darm, bald Netz,
bald ein Theil der Harnblase ist, bahnt sich hier den Weg zwischen der
Blase und dem Mastdarm, und erregt, was bei Weibern seltener der Fall
ist, häufig Urinbeschwerden. „Der Mittelfleischbruch, sagt Chelius, ist sel-
ten, und wird nur möglich bei einem beträchtlichen Drange der Eingeweide
nach Unten, bei grossem Widerstände der Bauchdecken, bei starker Er-
schlaffung der Bauchfellfalte zwischen Scheide und Mastdarm oder Rectum
und Blase; bei einer vermehrten Inclination des Beckens nach rückwärts.
Der Mittelfleischbruch , welcher die Blase enthält , entsteht besonders in der
Schwangerschaft, wo durch den ausgedehnten Uterus die Blase nach Unten
und Aussen gedrängt wird." (Wie sehr letzteres besonders im 8ten, 9tea
Monate der Schwangerschaft der Fall ist, davon kann schon die Erschei-
nung einen Beweis geben, dass die Schwangere, wenn der Kopf vorliegt
und man diesen etwas in die Höhe schiebt, bald nach der Untersuchung
dicken Harn mit Bodensatz lässt, wenn dieser vorher auch ganz klar war,
indem sich oft Gries zwischen dem gedx'ückten Theile der Blase aufhält. M.)
Cur des Mittelfleischbruchs. Er kann ohne grosse Mühe reponirt werden;
alsdann legen wir eine Bandage an, welche aus einer das Becken umschlies-
senden Feder besteht, von deren hinterm Theile eine gekrümmte Feder her-
abgeht, an deren Ende eine konische Pelotte befestigt ist, welche gerade
auf die Bruchstelle zu liegen kommt und durch die Ki-aft der Fedei» und
einen elastischen Beinriemen in ihrer Lage erhalten wird. Chelius sagti
„Würde dieser Bruch eingeklemmt und wäre die Reposition beim Gebrauch
angemessener Mittel nicht möglich , so würde die Operation weder schwer,
noch gefährlich seyn, da sich die Öffnung des Bruchsackes immer fast aus-
serhalb des untern Bodens des Beckens befindet, nach geöffnetem Bruch-
sacKe ein geknöpftes Bistouri zwischen den Darm und den harten Rand des
Bruchsacks eingeschoben und durch einen kleinen Einschnitt von Unten nach
Oben in schräger Richtung nach der Seite die Einklemmung gehoben wer-
den könnte." Gehen die Eingeweide bei Weibern, besonders bei schwän-
gern Frauen , längs der Mutterscheide herab und treten sie zwischen ihr und
dem Muse, levator ani hervor und bilden an der untern Hälfte der Scham-
lippe eine Geschwulst, so entsteht der Cooper'sche Schambruch (^pudendal
Hernia'). Er muss vom Leistenbruche, d«r sich bei Vergrösserung auch in
die Schamlefze senkt, wohl unterschieden werden (s. Hernia labii pu-
1024 HERNIA
dcndi externi). Der hier freie Bauchring und die Untci'suchiing durch
die Scheide, wo man deutlich an der Seite derselben fühlt, ^^ie .sich dei'
Bruch in die Höhe erstreckt, dienen zur Diagnose von der Hernia inguinali-
labialis. Die Cur ist, lässt sich der Bruch reponiren, NNie beim Vaginalbruche.
Henüa pJircnica, Zwerchfellbruch. Ist eine innerliche Hernia pe-
ctoris, wo die Eingeweide des Unterleibes durch die natürlichen ÖITnungea
des Zwerchfells oder durch abnorme (bei Fehlern der ersten Bildung, bei
Verwundungen) in die Brusthöhle treten. Die Diagnose ist, wenn äussere
Verletzungen mangeln, höchst schwierig, die hefngen Beschwerden der llo-
spiraiion: Dyspnoe, Orthopnoe, Herzklopfen, Angst, fuhren oft schnellen Tod
herbei und nur erst die Section giebt Auskunft. .
Hernia pingtieiUnosn scroti, LiparoccJc, der sogenannte Fettbruch
des Hoden sack s. Ist kein eigentlicher Bruch, sondern Fettanhäufung in
der Cellulosa des Samenstranges, welches Fett durch den Bauchring heraus-
ti"itt. Da das Übel gar keine Beschwerde macht, so kann mau es dulden.
Auch am Nabel trifft man zuweilen dieselbe Erscheinung (^Lipamphalus).
Hernia pulmonaUs, Hernia pulmonum, der Lungenbruch. Ist elii
Brustbruch, in welchem sich ein Theil der Lunge befindet. Zuweilen ist
das Übel angeboren, wo man eine unvollkommene Entwickelung der Brust-
höhlenwandungen als Fehler der ersten Bildung antrifft. In andern Fällen
ists eine Hernia acquisita als Folge von mechanischen Verletzungen , von
bedeutenden Rippenbrüchen, von Zerreissung der Intercostalmuskeln bei-hef-
tigem Husten, von Caries costarum, stcrni etc. Der Bruch zeigt sich als
eine sich allmälig vergrössernde , weiche, elastische Geschwulst, welche bei
den Bewegungen des Thorax und des Athemliolens periodisch mit jeder In-
spiration etwas kleiner, mit jeder Exspiration etwas grösser wird und ein
schmerzhaftes Ziehen hervorbringt, welches nach der Reposition der Ge-
schwulst stets verschwindet. Cur. Man sucht die Bruchcontenta zu repo-
niren und dann durch anhaltende Compression zurück zu halten.
Hernia purulenta scroti, Empyocele, Oscheocele pm^h'nta, Eiterbruch
des Hodensacks. So hat man wol eine Ansammlung von Eiter innerhalb
des Hodensacks oder in der Substanz des Hoden selbst genannt.
Hernia renalis, Ncphrocele, Nierenbruch. So nannten die Alten' un-
eigentlich jede Geschwulst in der Nierengegend mit Störung der Nieren-
function , z. B. Hypertrophie , Entzündung»geschwulst der Nieren , Nieren-
abscess in Folge von Calculus renalis etc.
Hernia rupta. Ist jeder Bruch, bei welchem der Bruchsack zerrissen
ist, wozu meist mechanische Schädlichkeiten Anlass geben.
Hernia sacci lacnjinalis, Thränensack bru eh. So hat man uneigent-
Uch die Entzündung und Auftreibung des Thränensacks mit darauf folgen-
der Verhärtung oder mit Thränenfistcl genannt; s. Dacryocystitis,
F i s t u 1 a 1 a c r y m a 1 i s.
Hernia sajiguinea scroti, Hacmctocele, der sogenannte Blutbruch des
Hodensacks. Ist widernatürliche Anhäufung von ßlutextravasat im Ho-
densacke, bald mit, bald ohne Krankheit des Testikels; s. Haematocele.
Hernia sclcroticae, Bruch der Sclerotica des Auges. So hat man
uneigentlich das Staphyloma sclcroticae genannt (s. d. Art.), welches meist
nur ein Symptom der Wassersucht des Glaskörpers ist; s. Hydrops oculi.
Hernia scrotalis , Oscheocele, Uscheophi/ma , Enterooscheocele , der Ho-
densa c k i> ruch. Ist ein grosser ins Scrotum herabgestiegener Leisten-
bruch; s. Hernia inguinalis.
Hernia scrotalis ciirnosa, s. Hernia carnosa scroti, Sarcocele.
Hernia seminalis scroti, der sogenannte Samenbruch des Hodensacks;
8. S p e r m a t o c e 1 e.
Hanta Spinae. So hat man wol die Rückgratswassersucht genannt;
8. H y d r o r r h a c h i t i s.
Hernia splenis , Splenoccle, Milzbruch. Ist eine seltene Hernia ven-
tralis, wurin sich ein Theil der Milz befindet. Häufig haben Ältere auch
die JVUlzphyskonie nach der Intennittcns irriger Weise so genannt.
HERNIA 1025
Hernia jtpitria, ein falscher Bruch. So nannten die Alten jede Ge-
schwulst, welche mit einem Bruche Ähnlichkeit hat, daher bald Balg- und
Drüsengeschwülste, bald verschiedene Prolapsus, bald und ganz vorzüglich
die verschiedenen Krankheiten des Hodensacks, des Testikels und Samen-
Stranges; z.B. Hydrocele, Haematocele, Sarcocele, Fungus medullaris scroti,
Varicocele, Spermatocele etc. Clielius nimmt, wie wir oben gehört haben,
ganz richtig an, dass an allen drei Höhlen des Körpers wahre Brüche ent-
stehen können, Andere beziehen diesen Begriff enger nur auf die Unterleibs-
brüche. So sagt Langenheck'. „Ein wahrer Bruch (Hernia vera) ist das
Heraustreten eines Baucheingeweides aus dem Unterleibe ohne Verletzung
des Bauchfells und der äussern Bedeckungen," welcher Definition mit eini-
gen Einschränkungen auch S. Cooper (a. a. O.) beitritt. Dagegen ist Che-
lius'' Erklärung weit umfassender und bestimmter für den Begriff von Hernia
im Allgemeinen, und nicht blos auf die Abdominalbrüche beschränkt.
Hernia thoracica, s. Hernia pectoris.
Hernia umhilicalis, Exomphalos, Omphalocele, EnterompJialos , Hernia
annuU umhilicalis, der wahre Nabelbruch. Er tritt durch die Öffnung
des Nabelringes; dagegen bilden sich die sogenannten falschen Nabelbrüche
im Umfange des Nabels (s. Hernia ventralis, Hernia lineae albae).
Wir unterscheiden Hernia umbilicalis congenita und acquisita. Der auge-
borne Nabelbruch als Folge zu langsamer Ausbildung der Bauchmuskeln im
B'ötus, wo der Situs viscerum des dritten Monats noch später als gewöhn-
lich fortdauert, ist, mit Ausnahme sehies Grundes, durclisichtig, vom zelli-
gen Gew ebe des Nabelstranges und von einem Bruchsacke umgeben ; er liefet
in einem dreieckigen Räume, der durch das Voneinanderweichen der Nabel-
stranggefässe gebildet ward , wobei die beiden Arterien stets unten oder zur
Seite, die Vena umbilicalis aber oben liegt. Dieser Bruch enthält fast im-
mer dünne Gedärme, seltener Dickdarm, Netz, noch seltener den Magen,
die Leber, die Milz. Der Exomphalos acquisitus entsteht am häufigsten bei
Kindern von der Geburt an bis zur 12ten, löten Woche, wo der Nabelring
zum Theil noch offen oder doch nur schwach obliterirt ist. Wo der Bruch
erst im spätem Lebensalter erscheint, da hat man in der Regel übersehen,
dass früher schon ein ganz kleiner Bruch da war. Veranlassungen bei
Kindern sind : beständiges Schreien , Unruhe , Leibweh, Blähungen ; bei Er-
wachsenen, wo voi-zugsweise, Weiber daran leiden: Schwangerschaft, Hy-
drops abdominis, Adiposis mörbosa. Bei Kindern und bei kleinen Nabei-
brüchen hat die Geschwulst eine cylindrische , konische Gestalt, bei grös-
sern Brüchen eine runde Form und eine ganz verstrichene Nabelnarbe ; der
Grund ist fast immer circulär. Bedeckt wird der Bruch 1) von der äussern
Haut, 2) von der feinen, die äussere Fläche der Abdominalmuskein umklei-
denden Aponeurose ; dann gelangt man 3) an den Fundus des Bruchsacks,
der vom verlängerten Bauchfelle gebildet wird ; er ist sehr dünn , und mit
den Bedeckungen und Eingeweiden an der Spitze der Geschwulst öfters ver-
wachsen; der stets sehr kurze Bruchsackhals hängt mit dem sehnigen Na-
belringe innig zusammen. Häufig finden hier, besonders bei alten und gros-
sen Brüchen, Verwachsungen statt; daher bei Erwachsenen die Reposition
fast immer schwierig, oft unmöglich ist; der Darminhalt geht dann nur mit
Schwierigkeit durch , er häuft sich zwischen Bruch und Nabel im Darmtheile
an, erregt Kolik, fürchterliche Leibschmerzen, Erbrechen, Krämpfe, ohne
dass stets wirkliche Einklemmung stattfindet. So behandelte ich in meinem
frühern Wohnorte Stadthagen binnen vier Jahren fünfmal eine sehr corpu-
lente Gastwirthin mit Nabelbruch. Warme Fomentationen von Infus, cha-
momillae auf den Bruch und innerlich eine ölige Salzmixtur zum Purgiren
hoben das Übel jedesmal binnen 24 Stunden. Nachher trat, während ich
abwesend war und ein anderer Arzt die Kranke behandelte, eine wirkliche
Incarceration mit schnell folgendem Brande ein und die Frau starb in Ver-
lauf von drei Tagen. Wie schwierig hier die Operation wegen der bedeu-
tenden Verwachsungen ist, brauche ich nicht zu bemerken. Cur der Na-
belbrüche. 1) Beim angebornen Exomphalos reponiren wr vorsichtig den
MoRt vBncyklopädie. 2te Aufl. I. Q^
1026 HERNIA
Bruch, legen graduirte Coiiipresseu über, die mit HeftpHaster und Leibbin-
den befestigt werden. Ist der Bruch aber gross , so lässt er sich schwierig
reponiren , und die Kinder sterben bald nach der Geburt , indem die Haut
sich vom Bruche ablöst und die Eingeweide bloss zu liegen kommen. Hier
sichern wir die Geschwulst gegen äussern Druck; zuweilen bilden sich
Fleischwärzchen, wodurch die Stelle allmiilig mit einer festen Haut bedeckt
wird. 2) Leichter ist der in den ersten Lebensmonaten entstandene Bruch
zu heilen , da er sich ohne Schwierigkeit reponiren lässt. Eine convexe
Pelotte Yon Lindenholz, mit weichem Leder überzogen, mit Heftpflaster
und Binde befestigt und anhaltend in guter Lage erhalten, heilt das Übel
bei der natürlichen Tendenz des Nabelringes zur Obliteration in wenig Wo-
chen. Auch kann man, nach Hbnli/ und Langenbecl;, einen kleinen Lein-
wandbeutel in Form einer Pelotte, etwas grösser als der Bruch, verferti-
gen, diesen mit folgendem adstringirenden Pulver: R> Alum. crudi, Gumm.
Inno, GaJlar. turcic. ana 5jj ? Cort. chinae 51'^. M. f. p. gross., ausfüllen, in
Rothwein tauchen und mit Heftpflasterstreifen und Binde auf dem Nabel
befestigen. Alle Tage lässt man etwas Rothwein an dieses Beutelchen trö-
pfeln. In 14 Tagen heilt darnach in der Regel der Bruch (Most), nur
muss der Verband gut anliegen und bei Unruhe des Kindes öfters nachge-
sehen werden. 3) Erwachsene müssen ein Bruchband mit elastischen Rie-
men, wie bei den Hosentragbändern , tragen, wodurch die Bewegungen des
Leibes nicht beschränkt werden und die Pelotte doch stets anschliesset.
„Vor den vielen, zum Theil sehr complicirten Nabelbruchbändern, sagt
ChcJius, verdient ein elastisches Bruchband nach Art der Leistenbruchbän-
der, dessen Feder genau der Wölbung des Bauches angemessen ist und des-
sen Pelotte in gerader Richtung' von der JFeder abgeht , den Vorzug ; oder
eine etwas concave metallene Platte, an welcher mit einer Feder eine Pe-
lotte befestigt ist, und die durch einen elastischen Gürtel, welcher an den
beiden Enden der Platte angehängt wird, in gehöriger Lage erhalten wird.''
4) Lässt sich ein grosser Nabelbruch nicht reponiren, so muss die Pelotte
des Bruchbandes ausgehöhlt seyn, wodurch der Bruch wenigstens in seiner
sonst immer zunehmenden A^eigrösserung beschränkt wird. Doch halte man
nicht jeden grossen Nabelbruch für irreponibel. Eine 14tägige horizontale
Lage, knappe Diät und kalte Umschläge, darneben öftere vorsichtige sanfte
Versuche zur Reposition vermögen oft viel, besonders bei gleichzeitiger An-
wendung kühlender Laxanzen (M.). 5) Die Radicalcur des nicht einge-
klemmten Nabelbruches, nach Dcsault und Langenhecli , ist in den meisten
Fällen aus triftigen Gründen verwerflich (s. CJieliiis Chirurgie , Bd. I.
Abth. 1, S. 738); nur bei mehrere Zoll langen, beuteiförmig hervorstehen-
den Nabelbrüchen, wodurch die feste Anlage des Bruchbandes verhindert
wird , kann die Ligatur zweckmässig seyn. 6) Ist bei Hernia umbilicalis
incarcerata die Operation indicirt, so muss auch hier der Hautschnitt mit
grosser Vorsicht gemacht werden ; denn die Bedeckungen sind dünn und der
Bruchsack ist häufig verwachsen oder zerrissen. Der Einschnitt geschieht
in senkrechter Richtung; lassen sich die Bruchcontenta nach Eröifuung des
Bruchsacks nicht so reponiren , so schneidet man mittels Hohlsonde und
Knopfbistouri den Nabelring nach Unten ein. Man operire hier aber nicht
zu früh ; oft wirken Abführungen und kalte Umschläge noch gut und ma-
chen die ausserdem so schwierige Operation überflüssig.
Hernia umbilicalis spuria. s. Hernia ventralis.
Hernia umhilici a carne fnnijoaa, Sarcomphahis. Ist eine Geschwulst,
ein Abscess am Nabel mit schwammigen Fleischwucherungen.
Hernia umhilici purulenta, Empyomphalocelc. So hat man höchst un-
richtig einen Nabelabscess genannt. Dasselbe ist auch der Fall mit der
ßlutunterlaufung am Nabel , welche man
Hernia umhilici snnguinea , Hnemaiomphalocelc olim zu nennen beliebte.
Hernia uteri , Hi/sterocele, Gebärrautt erb rnc li. Früher nannte man
80 den Prolapsus uteri , jetzt versteht man darunter einen jeden Bruch,
worin sich ein Theil des dislocirten Uterus befindet.
HERNa 1027
Hernia vaginalis, Elytrocele, der Scheidenbruch, Mutt e ischei-
denbruch. Er zeigt sich am häufigsten an der einen oder andern Seite
der Scheide, seltener an der vox'dern oder hintern Wand derselben, als eine
gespannte, elastische, unschmerzhafte, beim Husten sich vergrössernde , bei
der Rückenlage sich vermindernde Geschwulst, welcher bei allmriliger Ver-
grösserung zwischen die Schamlefzen tritt, wie ein Prolapsus uteri aussieht
und von Unkundigen auch oft damit verwechselt worden ist. Dieser Bruch
entsteht, indem die Eingeweide in der Falte des Bauchfells zwischen Ute-
rus und Rectum oder zwischen Uterus und Blase nach Unten getrieben
werden. Zur Diagnose dient, dass man den Muttermund ganz frei fühlt,
was bei Prolapsus und Inversio uteri nicht der Fall ist. Auch bei Polypen
des Uterus und der Vagina ist der Muttermund nicht normal; man kann
letztere nicht zurückschieben, man fühlt deutlich ihre Insertionspunkte , da-
gegen lässt sich die elastische Hernia vaginalis völlig nach der Spitze zu
reponiren, aber sie tritt in ihrer vorigen Gestalt wieder heraus, sowie man
die Finger weglässt. Ist der Bruch an der hintern Scheidenwand , so steht
er gewöhnlich tiefer als an der vordem; meist ist die Blase dabei dislocirt,
und daher treten verschiedene Harnbeschwerden auf. Entstand der Bruch
schnell, so hat die Kranke das Gefühl, als wäre etwas in der Seite zerris-
sen; es treten Kolikschmerzen ein, die später periodisch wiederkehren.
Nicht selten ist mit grossen Vaginalbrüchen ein Prolapsus ani complicirt.
Ursachen. Bei schlaffen, laxen Weibern, bei Blondinen, bei grosser
Laxität der Scheide durch viele Geburten und Abortus, bei Neigung des
Beckens nach rückwärts entsteht das Übel leicht, wenn heftige Geburts-
anstrengungen stattfinden. Bei Unverheiratheten ist dieser Bruch sehr selten.
Cur. Man applicirt efn eröffnendes Klystier, lässt die Harnblase sich ent-
leeren, die Frau die Rückenlage annehmen, und reponirt mit den Fingern,
indem man bis zum Muttermunde geht, den Bruch. Alsdann legt man ein
cylindrisch geformtes, aus adstringirenden Mitteln und Traganthgurami ver-
fertigtes Pessarium ein , welches man mit einer T - Binde befestigt. Adstrin-
girende Einspritzungen , anhaltende Rückenlage und obiges Pessarium heilen
den frischen Scheidenbruch oft radical. Tritt er während der Geburt vor,
so hält man ihn anhaltend mit beiden in die Vagina gebrachten Fingern so
lange zurück, bis der Kopf vorliegt, legt alsdann die Zange an und be-
schleunigt die Geburt. In höchst seltenen Fällen klemmt sich während der
Schwangerschaft und durch anhaltende Leibesverstopfung der Bruch ein.
Gelinde Laxanzen , Rückenlage und kalte Fomentationen bewirken in der
Regel soviel , dass er wieder reponirt werden kann , da die Theile sehr
nachgiebig sind und daher die Einklemmung nie bedeutend wird-,
Hernia varicosa , Krampfaderbruch , s. Varicocele.
Hernia venarum. So nannten Ältere mitunter die varikösen Auftreibun-
gen der Blutadern; s. Angiectasia und Varices.
Hernia veneris. Ist eine alte Benennung für Inflammatio testiculi vene-
rea; s. Gonorrhoea und Syphilis.
Hernia veniosa scroti, Pneumatocele, Oscheocele Haiulenta, der sogenannte
Windbruch des Hodensacks. Einen eigentlichen Windbruch giebt es
nicht; was man dafür hielt, war entweder eine Hydrocele oder Hernia in-
guinalis congenita (Po«)j oder noch öfter ein Emphysem des Scrotums; s.
Emphysema.
Hernia ventrnlis, Laparocele, der Bauchbruch. Ist jeder Bruch, der
an der Vorderfläche oder an den Seiten des Unterleibes durch widernatür-
liche Öffnungen hervortritt. Das Übel kommt selten vor, alsdann am häu-
figsten in den Zwischenräumen der geraden Bauchmuskeln, seltener an den
Seiten des Unterleibes vom Darmbeine bis zu den untern Rippen , noch sel-
tener in der Lendengegend (Hernia lumbalis). Veranlassungen sind die-
selben der Hernia vaginalis, ausserdem Bauchwunden, in welchem Falle
meist der -Bruchsack fehlt. Die Brüche der weissen Linie (Hernia lineae al-
bae), die mehr oberhalb als unterhalb des Nabels vorkommen, gehöi-en
hierher. Ihr Contentura ist fast immer Netz ; die unter dem Nabel befind-
65*
1028 ^ HERNIOTOMIA
Hellen cnthaUcii auch Dünndarm, zuweilen einen Thcil der Blase, des Ute-
rus. Da sie stets durch eine längliche Spalte hervortreten , so ist ihre Ge-
stalt oval, besonders am Bruchsackhalse, der daher sehr eng und klein im
Ver^iloich zun Fundus ist, wodurch sie sich, sowie durch den Ort, wo sie
vorkonuncn und durch den freien Nabelring, von den Nabelbrüchen unter-
scheiden. Wenn sie indessen nahe am Nabel vorkommen, so können sie die-
sen oft bedecken; daher man genau untersuchen niuss. Solche Brüche nann-
ten die Alten Herniae unibilicales spuriae. Diese Brüche entstehen am häu-
ligstjcn bei Frauenzimmern , besonders die in der Linea alba; ilue Bedeckun-
gen sind dieselben der Hernia umbilicalis. Die Hernia ventralis muss von
den sogenannten Fettbrüchen der weissen Linie (s. Hernia adiposa,
pi ng u cdin 0 sa"), d, i. eine Portion Fett, welche sich durch eine Spalte
der weissen Linie hervordrängt, was gar keine Beschwerde macht, wohl
unterschieden werden, damit, wenn zufällig bei solchen Subjecten Kolik ent-
steht, man das Übel nicht für Hernia incarcerata hält und zu einem unnö-
thigen Verfahren schreitet. Auch der sogenannte Magen bruch (^Hernia
voitriculi, Gastrocclc} gehört zu den Bauchbrüchen. Er entsteht an der
linken Seite des Processus ensiformis , ist meist nur eine Wallnuss gross,
erregt Leibweh, Kolik, Erbrechen, grosse Empfindlichkeit der Magengrube,
Schluchzen , besonders bald nach der Mahlzeit , enthält aber gew öhnlich nur
einen Theil des Colon transversum , höchst selten einen Theil des Magens.
Oft entdeckt man- die Geschwulst nur beim Stehen, beim Überbeugen , beim
Husten; die Ziifälle vermindern sich in horizontaler Lage, bei leerem Ma-
gen. Cur der Bauchbniche. Man i'eponirt sie bei horizontaler Lage des
Kranken und logt ähnliche Bandagen wie bei Hernia umbilicalis an. Selten
erfolgt radicale Heilung. Entsteht Einklemmung, so erweitert man die
Bauchöffnung nach einer Seite, wo keine bedeutenden Gefässe liegen. Der
Magenbruch luuss schnell reponirt und durch eine Pelotte zurückgehalten
werden, die nicht zu klein ist und an ein Fischbeincorset befestigt wird.
Jlcrnia vcniriculi, Mageubruch, s. Hernia ventralis.
Hernia vcsicae urinnriac , Cystocelc , der H a r n b 1 a s e n b r u c h. Die
Harnblase kann bei schlaffen Subjecten uiid bei schlaffer Adhäsion der Nach-
bartheile theilweise durch den Bauchring als Hernia inguinalis vorfallen, zu-
weilen auch in einem Cruralbruche, am häufigsten aber in einer Hernia pe-
rinaei, seltener in der Hernia vaginalis vorkommen. Je grösser die Ge-
schwulst ist, desto stärker sind die Harnbeschwerden: Strangurie, Ischurie,
Incontinentia urinae. Drückt man auf die Geschwulst, so empfindet der
Kranke Drang zum Harnlassen, und es Hlesst dicker, triiber Urin weg.
Applicirt man den Katheter, so fäl/t die Geschwulst, während der Harn
llicsst, zusammen. Cur. Bei nicht eingeklemmtem Bruche reponiren wir
diesen und halten ihn durch ein passendes Bruchband, das verschieden nach
der Art des Bruches eingerichtet sejn muss, zurück. Lässt sich der Bruch
ni<:ht leicht reponireu, so applicirt man den Katheter und entleert so die
Blase, worauf die Reposition leicht, selbst bei Einklemmungen erfolgt. Ist
Urinverhaltmig da , so muss gleichfalls die baldige Anwendung des Kathe-
ters nicht vcr.säumt werden. Ist der abgettosscne Urin dick und trübe, wie
Bierhefen oder Lehmwasser, so zeigt dies einen längern Aufenthalt dessel-
ben in dem eingeklemmten Theile der Harnblase an.
Hcniiotoinia , 6Wofo7ma, der Bruchschnitt, dieHernioto-
mie. Ist diejenige Operation, welche wegen ihrer Wichtigkeit und ihrer
oft bedeutenden Folgen in unsern Tagen vorzüglich nur bei eingeklemmten
Brüchen , um Braiul und Tod zu verhüten , angewendet wird , dagegen bei
nicht eingekl««imten Brüchen , als sogenannte Radicalcur, aus triftigen Grün-
den und vorzüglicli deswegen zn a erwerfen ist , w eil nach meinen Zählun-
gen von I2 Operirten wenigstens Einer stirbt, gleichviel ob an der Opera-
tion .selbst o<ler an zufälligen Schädlichkeiten während der ersten sechs Wo-
chen (/u'.). Das Verfahren bei der Herniotomie ist schon oben beschrieben
werden; s. Hernia cruralis, Hernia inguinalis, Hernia incar-
cerata, Hernia umbilicalis.
HEPvPES 1029
* Herpes» Serpiyo (zu eng Iinpelii;o, zu allgemein LkJicn genannt),
Flechte, Schwinden. Ist ein chronisches Exanthem, wo auf einer
meist rothen Grundfläche (Area) der Haut mehrere Bläschen, Blätterchen
stehen, also nicht jedes einzelne Bläschen, wie beim Friese! und andern
Hautausschlägen, eine besondere Area hat. Symptome im Allgemeinen.
Bei nur selten gleichzeitigem, meist immer nur secundärem, als Folge de»
Hautreizes entstehendem Fieber, welches ohne entschiedenen Charakter ist
und meist nacji verschwundener erster Reizung aufhört oder nur den Cha-
rakter der Lenta annimmt, bilden «sich sehr langwierige, Monate, Jahro
dauernde, oft bald verschwindende, bei schnellem Witterungswechsel aber
leicht wiederkehrende Knötchen, Quaddeln*, Bläschen, Pusteln
auf dieser oder jeuer Stelle der Haut, die auf eine vorhergegangene Der-
matitis folgen und beim Verschwinden derselben in Borken, Krusten, Grin-
der übergehen. Diese Bläschen sind oft nur mit bewalfnetem Auge wahr-
nehmbar, verschonen keinen Theil des Körpers, we«;hselu zuweilen ihren
Ort , treten unter mannigfaltigen Formen auf ; aus ihnen quillt , sobald sie
gekratzt werden und aufspringen, eine klebrige, oft scharfe Feuchügkeit,
aber nie wahrer Eiter; sie vermehren sich alsdaiui an der leidenden Stelle,
und verursachen Jucken, Brennen, Hautröthe. Die Blechten verschonen
kein Alter, kein Geschlecht, zeigen sich bei Kindern am häufigsten am
Kopfe und im Gesichte, in der Pubertätszeit mehr auf der Brust, im mitt-
lem Alter mehr am Bauche, im Greisenalter an den Beinen. Ausserdem
lieben sie die Gelenke und die Zwischenräume zwischen den Fingern, be-
fallen die Hände selbst aber nur selten, sind zuweilen vagirend und ergrei-
fen dann wol successive alle Theile des Körpers; doch breiten sie sich in
der Regel langsam aus, gemeiniglich kreisförmig von einem, bei noch lei-
dendem Umfange, oft reinen, gesunden, wol verschieden gefärbten Mittel-
punkte. Zuweilen wandern sie so rasch weiter , dass von ihnen die ganze
Hautoberfläche überzogen wird (galoppirende Flechte) , und erscheinen dann
unter fürchterlicher Form (^Tott); dabei wol ganz callöse Entartung der
Haut mit darauf folgender erschwerter Bewegung der Glieder. (So sah
ich diese schlimme Form als Erb-- und Familienübel bei einer SOjährigcn
unverheiratheten Person. Keine Stelle des Körpers blieb verschont, das
Gesicht war scheusslich entstellt, die Haut allenthalbeu callös, röth!l<-h,
spröde, selbst die Vagina war callös Und verengert; die Menses fehlten,
jede Bewegung des Körpers war schmerzhaft, die Verdauung litt, und der
Tod folgte nach jahrelangem Leiden durch Hektik. Most). Oder die Haut
wird dünn, wie verbrannt, die Haare verändern ihre Farbe und fallen aus,
der Ausschlag kriecht wol selbst unter die Nägel, stösst diese ab, es son-
dert sich eine ekelhaft riechende, herpetische Flüssigkeit in Menge ab, die
Haut scheint sich in Suppuration zu befinden. Aber nur selten ist der lier-
petische Ausschlag allgemein, gewöhnlich beschränkt er sich nur auf ein-
zelne Theile, geht rund um den Hals, um das Kinn, oder nur ait das Prae-
putium, besonders an die innere Fläche, oder an die Lippe, vorzifiglich au
die Unterlippe (^Hcrj)cs coUmis, periscelis, praeputialis, lalkalis), gewöhnlich
dann nur als Folge entzündlicher Reize. Das bei allen B'lechtert constanle
Symptom des Juckens und Brennens ist zu gewissen Tageszeiten und bei
gewissen Witterungszuständen so heftig, dass selbst der feste Vorsatz des
Kranken, nicht kratzen und -reiben zu wollen, öcheitert, dass sogar Erslik-
kungszufälle entstehen. So sah ich bei einem an Herpes haemorrholdalis
scroti leidenden Juden melancholische All'ectiunen durch den heftigen Haut-
reiz erfolgen (Tort), desgleichen eben dadurch erhöhten Geschlechtstrieb.
Die übrigen F'unctionen des Körpers leiden nur bei Flechten aus innern Ur-
sachen, oder bei Complicationen mit andern Leiden; ist dies nicht der Fall,
so dauert die sonstige Gesundheit, selbst unter den fürchterlichsten Zufäl-
len des Herpes , vollkommen fort ; nur erst spät entsteht Abmagerung und
Febris hectica; dabei dann auch wol luduratio hepatis, lienis, Brustleiden,
Anasarca universalis, bei längerer Dauer Verbreitung des Ausschlags nach
Innen; daher Affection der iuncrn Schleimhäute, besonders der Vagina, wo-
1030 HERPES
durch hier eine ganz eigene lästige Form der Leukorrhoe erzeugt wird;
ferner Affection der Schneider'schen Membran, der innern Haut des Mundes
und Larynx, Ophthalmia impetiginosa , Otorrhöe. Auch befällt der Herpes
wol primär die innern Schleimhäute, erregt dann Banchflüsse aller Art, Blen-
norrhöen aus der Scheide, aus andern Theilen, Phthisis trachealis, die sog.
Flechtenbräune (Angina herpetica) etc. Letztere befällt gern Kinder und
Frauenzimmer , meist nach vorhergegangenen leichten Fieberbewegungen , er-
regt Schlingbeschwerden, zahlreiche, truppweise stehende Pusteln , von den
Tonsillen ausgehend; sie pflanzt sich oft nach den Lippen fort, gegen den
siebenten Tag platzen diese Pusteln , bilden kleine Geschwüre im Munde,
an den Lippen , welche Borken bekommen , bei deren Abfallen sie bald hei-
len (Tott). D.iagnose. Der Herpes unterscheidet sich von andern Exan-
themen durch, das Vorhergehen einer eigenen, gelinden, chronischen Entzün-
dung irgend einer Hautstelle, die etwas aufgetrieben, röthlich, spannend,
juckend, brennend ist; durch die bald mehr gedrängte, bald mehr zerstreute
Form des Exanthems, das immer truppweise zusammensteht, eine gemein-
schaftliche Area hat, sich mit einer harten, cirkelrunden Grundfläche er-
hebt, anfangs hellroth, später blassgelblich aussieht, in der Kälte nicht,
wie Scabies, verschwindet, wobei die Knötchen sich später in kleine, un-
durchsichtige, stets circumscripte, oft ovale, halbmondförmige, trianguläre,
den Figuren der Schriftzüge gleichende Bläschen verwandeln, umgeben von
einer rothen Area, welche von der im Umfange fortdauernden chronischen
Entzündung herrührt. Der Ausschlag wird nicht blasser nach angewandtem
Fingerdruck, juckt und brennt, secernirt oft scharfe, schmierige, brenzlich,
faulig riechende Feuchtigkeit, wodurch Exulceration der Haut und Krusten-
bildung entsteht. Unter den verhärteten Krusten dauert die abnorme Se-
cretion fort; daher das rasche Regeneriren der Borken, wenn sie auch oft
abfallen. Weniger umfassend und nicht auf alle Herpesspecies passend sind
die von Vogel (Beiträge zur Natur der Flechtenkrankheit, in den Allgem.
medic. Annalen , 1818; Januar, S. 21) angegebenen diagnostischen Merkmale,
als: Sprödigkeit, Zerspringen der Oberhaut, wodurch eine schuppenartige,
für sich fortbestehende Degeneration derselben bedingt wird, primäre (bei
andern Exanthemen secundäre) Desquamation , eigentlich nur ein beständiger
Verschuppungsprocess der Oberhaut, beständiges Eintreten von Runzeln in
Folge der Flechten , fast immer das Erscheinen derselben an den von Natur
zum Faltenschlagen geneigten Theilen, an den Gelenken, den Kopfintegu-
menten , am Knie , an der Nase , dem Scrotum , an den Sphinkteren des
Afters, Mundes, der Augenlider. (Die Diagnose des Herpes, seiner Arten,
wie aller acuten und chronischen Exantheme, lernt man am besten und
schnellsten durch die Autopsie. Schon deshalb allein ists für den jungen
Arzt so unumgänglich nothwendig , grosse klinische Anstalten , grosse Hospi-
täler und Krankenhäuser, z.B. in Hamburg, Berlin, Würzburg, Wien, Pa-
ris etc. , zu besuchen ; und daher ists wahrhaft zu bedauern , dass so manche
junge Doctoren ins praktische Leben treten, ohne irgend solche Anstalten
besucht zu haben, wovon auch Rostock, dessen medicinisch - klinische An-
stalten erst seit ein paar Jahren in der Entwickelung begriffen und bis jetzt
höchst dürftig sind, leider! noch neue Beweise liefert. Mosf). Ausgänge
des Herpes. Die Heilung erfolgt durch Kunst- oder Naturhülfe. Letzteres
findet statt beim Wiedereintritt unterdrückter Ausleerungen ; auch wol nach
Fiebern, Rose. Nicht selten tritt der Herpes zurück, worauf Affection der
innern Schleimhäute, hartnäckige, oft lebensgefährliche Bauchttüsse aller Art,
Blennopththoe, chronische Katarrhe, Asthma humidum, Otorrhöe, Catarrhus
vesicae, Leukorrhoe etc., Anschwellungen, Verhärtungen der Leber, Milz,
des Uterus, der Mesenterialdrüsen, der Harnblase, und als Folge hiervon
wieder Hydrops, Icterus, Ophthalmien, Gastritis, Otitis, Pleuritis, Pneu-
monie, organische Krankheiten des Herzens und der grossen Gefässe, Epi-
lepsie, Apoplexie, Melancholie, Manie, Amaurose, Paralysen anderer Theile,
Hypochondrie, Hysterie, spastische Brustaifectionen , Herzklopfen etc. ent-
stehen köunci!. Durch die Heftigkeit, Bö.sartigkeit und lange Dauer des
HERPES 1031
Übels, durch die zuletzt allgemeine Verbreitung desselben wird ein grosser
Theil der allgemeinen Bedeckungen entartet, es folgt selbst Ulceratlon der
Haut, Induration des Zellgewebes, und als Folge liier\'on wieder Oedema
pedum, Anasarca universalis, Knochenkrankheiten, Abmagerung, Febris-
lenta, Tod. Ursachen. 1) Prädisposition giebt das höhere Alter, die
Pubertätszeit , die Periode der Decrepität , zumal bei BVauenzimraern ; fer-
ner: erbliche Anlage, überstandene Vaccine bei Kindern, Dyscrasia syphili-
tica, scorbutica, serophulosa, impetiginosa , haeraorrhoidalis , endemische
Constitution (daher häufig in der Lombardei), cholerisches Temperament,
Neigung zu Leberkrankheiten und Ei"ysipelas. 2) Gelegentliche Ursachen
sind: «) örtliche: langsam oder plötzlich unterdrückte Hautausdünstung,
Unreinlichkeit , feuchtes Zimmer , feuchtes Klima , zu seltener Wechsel der
Leib- und Bettwäsche,- Beschäftigung mit Verarbeitung der Wolle und des
Öls (daher leicht bei Webein und Wollspinnern Herpes entsteht), das Be-
wohnen neuer Häuser, zu enge Kleidungsstücke, schneller Temperaturwech-
sel, Nachtluft, starke Sonnenhitze, wie in heissen Zonen, Arbeiten in Berg-
werken, Gruben, am Feuer, im Sommer an der freien Luft, sehr *auhe»
stark reibende und die Haut reizende wollene, haarige Bekleidung, beson-
ders bei starker Körperbewegung und an Theilen, die stark ausdünsten,
anhaltende Frictionen der Haut, zu kaltes Baden, reizende Salben und
Pflaster, Contusionen mit Hautexcoriation etc. 6) Allgemein wirkende
Gelegenheitsursachen sind : fehlerhafte Gallenabsonderung , gallige Infarcten,
Gelbsucht, Zorn, Ärger, Schrecken, anhaltender Kummer, Verdruss, ga-
strische Unreinigkeiten aller Art, Missbrauch der Spirituosa, der scharfen, ge-
salzenen , gewürzten , geräucherten Speisen , des fetten Schweinefleisches,
Übermass animalischer Kost , verdorbene Nahrung ; Schwelgerei , besonders
auch der schnelle Übergang von ihr zu einer frugalen Lebensweise , bei
Kindern schlechte Muttermilch, Mangel derselben, schlechte Nahrung, Atro-
phie; Erschlaffung, Verhärtung der Leber und Milz, sehr unthätige sitzende
Lebensart, verminderte Urinabsonderung (häufig Ursache der Flechten bei
alten Leuten) , unterdrückte Lochien , Hämorrhoiden , Katamenien , Fuss-
schweisse, Schleimflüsse, Milchabsonderung, schnell geheilte natürliche und
künstliche Geschwüre, sehr entkräftende Ausleerungen, Excesse in Venere,
Onanie, gewaltsame Unterdrückung oder unregelmässige (bald eine Zeit
lang gar keine, dann zu viel) Befriedigung des Geschlechtstriebes. Die
meisten dieser Schädlichkeiten finden sich bei Kriegsheeren , in belagerten
Städten, in Gefängnissen, Arbeitshäusern, auf Schiften, in engen, schmu-
zigen Gassen grosser Städte; daher unter diesen Umständen so häufig Flech-
ten vorkommen. Wesen. Die Flechten sind nach Sicndeliri's und Anderer
richtiger Ansicht Aftergebilde , Aftervegetationen auf und in der Haut, welche
gleichsam als Parasiten ein eigenthümliches , vegetatives Leben führen und
sich zu einer bestimmten Form und Gestaltung ausbilden. (Dies sind auch
alle andern acuten und chronischen Exantheme. Most~). Andere nehmen ein
eigenes Contagium herpeticum , welches nach humoralpathologischen Ansich-
ten die Flechtenschärfe (Dyscrasia herpetica) erzeugt, an; doch ist letztere
wol nur secundär (^Tott^. Noch Andere suchen die nächste Ursache des
Herpes in verhinderter Excretion des Harnstoffes , in Erzeugung animali-
scher Schärfe in der Haut als Folge einer übermässig starken Verdauung
und Schärfe des Magensaftes. Nach der Naturlehre ists ein anomaler Or-
ganisationszustand der leidenden Haut, wodurch diese ihren animalischen
Charakter verliert, und daher nicht mehr zur Hautreproduction schicklich
bleibt; Mangel an thierischeni Leim, Übermass an Thonerde in der Haut
mit der Bildung von Animalmoosen auf diesem thonigen Boden; welche
Theorie für die Praxis gänzlich imbrauchbar ist. Cur. 1) Bei frischen oder
aus örtlichen Ursachen entsprungenen Flechten reichen örtliche Mittel aus,
welche bei schon lange daiiernden, habituellen, bei denen, woran alte,
kränkliche, kachektische , dyspeptische Personen leiden, nur mit grosser,
Vorsicht, nie ohne gleichzeitige innere, gegen das Allgemeinleiden gerich-
tete Mittel angewandt werden dürfen ; zugleich müssen sie die Flechten
1032 HERPES
mehr beschränken, mildern, als vertreiben. 2) Bei consensuellem Heroes
berücksichtigen wir zuerst die innere Ursache, und wenden äussere Mittel
erst spät, allmälig und mit Behutsamkeit an, anfänglich noch in Verbindung
mit iimern Mitteln. 3) Auch bei den symptomatischen Flechten ist dies
Verfahren nothvvendig ; dabei Berücksichtigung der allgemeinen oder örtli-
chen, bald mit erhöhter, bald mit verminderter Empfindlichkeit verbundenen
Hautschwäche, der Plethora, des Gefässerethismus im Hautsystem. 4) Bei
solchen Flechten, die für das Allgemeinbefinden wohlthätig sind, die ein
vicariirendes Absonderungsorgan für andere Leiden abgeben , nach dei'en
Verschwinden die sonstige Gesundheit zerstört wird, z. B. Asthma, Sclüeim-
husten folgt (^Tott), wie beim Herpes senum, passen nur gelinde äussere
Mittel, welche den Reiz mildern, wie Oleosa; die innere Behandlung ist
hier Hauptsache. 5) Dass wir in allen ii^ällen die oben angegebenen prä-
disponirenden und gelegentlichen Ursachen bei der Cur möglichst entfernen
oder abimlten müssen, versteht sich von selbst. 6) Die Diät muss einfach
und streng seyn mit Vermeidung aller fetten, salzigen, scharfen, geräucher-
ten Nahrung. Sehr wohlthätig ist der Genuss des Obstes, der säuerlichen
Früchte , der Erdbeeren , Weintrauben ; die Sorge für gehörige Hautcultur
durch Waschen, Baden, bei chronischen Flechten der nicht anhaltende Ge-
brauch von Sool - und Seebädern , der Stahlbäder , vorzüglich aber der
Schwefelbäder. Das Regimen muss auch nach Hebung des Übels noch lange
Zeit beibehalten werden. 7) Entstehen nach schnellem Verschwinden der
Flechten schlimme allgemeine Zufälle (Flechtennietastase) , so behandeln wir
diese nach den bekannten Regeln, sorgen für baldige Wiederherstellung des
Ausschlags durch Einreibungen von Tinct. cantharidum , Unguent. tartari
cmetici, durch Reiben, Bürsten der Hautstelle, wo die Flechte früher statt-
fand, wenden warme Schwefelbäder, innerlich Schwefel, Antimonium an,
legen künstliche Geschwüre, Fontanellen etc. Bei Leucorrhoea a metastasi
herpetica empfiehlt Wcinhold besonders den Graphit innerlich. 8) Die In-
nern gegen Flechten empfohlenen Mittel , mit denen wir von Zeit zu Zeit
wechseln, theils, damit der Kranke sich nicht an ein einzelnes gewöhnt,
theils , um vielleicht empirisch das passendste zu finden , sind folgende :
Frisch ausgepresste Kräutersäfte von Taraxacum, Chelidonium, Furaaria
(^Tott), Dulcaniara, sowol das Decoct der Stipites als das Extiact ," Abko-
chungen von Rad. bardanae, sapouariae, überhaupt alle sogenannten blut-
reinigenden Species (s. Haema to cat harti ca). Sehr wirksam ist auch
das Decoctum Zittmanni, wodurch von mir, neben angewandter Entzie-
hungscur nach Siruve, eine neunjährige grindige Flechte im Gesichte, die
allen Mitteln trotzte , gründlich geheilt ward (7'oH) ; desgleichen Guajak mit
Antimonium und Schwefel; bei bösartigem, ccrrodiiendem, fast carcinoma-
tösem Charakter der Flechte passen Aconit, Belladonna, Helleborus, Pul-
satilla; auch sind in diesen Fällen innerlich Mineral- und Pflanzensäuren
empfohlen wozden : Acid. nitric. , Acid. citr. , besonders bei Erethismus vas-
culosus cutaneus, bei Dyscrasia scorbutica {Pclcra). Auch das Sal Glauberi,
gelind and anhaltend gebraucht, wurde beim Herpes mit Hautgefässerethis-
mus nützlich gefunden (Koj)p). Bei syphilitischer Dyskrasie, Plethora, Nei-
gung zu Blutungen sind die Säuren gleichfalls sehr nützlich; hier ist der
innere Gebrauch des Schwefels contraindicirt. Bei den Flechten im Man-
nesalter ist häufig atra Bilis, Infarctus, Diathesis haemorrhoidalis die Ur-
sache. Hier behandle man das Grundübel, vermeide äussere Mittel, gebe
innerlich Crem, tartari, Tart. tartarisat. , Flor, sulphuris, mitunter Mercu-
rialia, Antimonialia etc. Bei allgemeiner Schwäche im Hautsystem, bei Di-
gestionsschwäche passen nach etwaniger Entfernung von Sordes Amara, Fei
taur. , Aloe, bei scrophulöser Dyskrasie besonders Tinct. iodü , Baryta mu-
riatica etc. Einzelne gerühmte Mischungen sind folgende: ^f Rad. caric.
arenar. gfv , — lujuiriiiae 5li •> Cort. ulmi ^jj , coq. c. Aq. fontim. q. s. ut re-
man. ff j ; col. udde Salis thermar. CaroUnens. 5j , Natri cnrhonici öfi- M- S.
Täglich zu verbrauchen, und zwar 3 — 4 Wochen lang {Hcini). (Leistete
mir wenig Dienste. Totl), ly Liquor, snpon. stiiiat. 5vj , Tinct. colocynthid.
HERPES 1033
5ij. M. S. Alle 3 Stunden 20 Tropfen in Haferschleim (Heim). I^ Aelhiop.
milimonidl. 3j ■> Exir. dulcanutr. , Gtimm. (ßiajnci ana 5jj- M.. f. l. a. pilul.
gr. jj. consp. jmlv.corl. cinnani. S. Täglich 5 — 8 Stück (ilwst). 1^ Aclliiop.
antimoniah , Gumm, guajuci ana öjj i Exir. dulcamnr. 51^. M. f. inJ. pond.
gr. ij. consp. pulo. rad. liquir. S. Dreimal täglich 6 — 12 Stück zu nehmen
(J. Franli). ]^ Graphit, pim, Fl. sulphiris, Antim. crudi ana 3IV, Merc. so-
luh. Hahncmnnni ^j, Extr. dulcarnnr., — pulsatilL niijr., Piilv. lierh. Jaccac
ana 5JJ5 Citmphorae 5j- M. f. c. Syrup. fumar. Electuar. S. In 8 Tagen zu
verbrauchen ( Weinhold^, Dem Graphit gebührt wol wenig Antheil an den
gelungenen Heilungen ( Tott). ly Aelhiop. yvaphitial. 5jj , Sacchari alln 3ti.
M. f. pulv. divid. in xjj p. aeijual. S. Alle 3 Stunden ein Pulver. (Der
Graphitmohr besteht aus Argent. viv. und Graphit zu gleichen Theilen,
durch anhaltendes Reiben vermischt). 9) Die äusserlich gegen Flechten em-
pfohlenen Mittel, Avelche, je nach Umständen, ganz zu vermeiden sind, in
andern Fällen aber allein, in noch andern mit inuern Mitteln verbunden,
vorsichtig und behutsam angewandt werden müssen, sind sehr zahlreich.
Besonders zu empfehlen sind: Einfache warme Wasser- oder Seifenbäder,
bei heftigem Hautjucken mit Zusatz von Amjlum, Sem. lini, Decoct. flor.
malvae; selbst örtliche Milch- und Ölbäder, künstliche und natürliche
Schwefelbäder, besonders Elisen, Nenndorf, Aachen, die Bäder zu Warm-
brunn, Landeck, Baden, Wiesbaden, Salzhausen in Hessen; bei Schwäche
und zum Schluss der Cur Eisen- und Soolbäder, desgleichen Seebäder.
Sehr wirksam bewiesen sich die Soolbäder zu Sülz in Alecklenburg und die
Bäder der Ostsee (7'oH). Bei harten, trocknen, schuppigen Flechten die-
nen ortliche Dampfbäder, Gales" Schwefelräucherungen (s. Fumigatio),
Foraentationen aus erweichenden Decocten von Althaea , Malva , Sem. lini,
b'ei heftigen Schmerzen mit Zusatz von Herb, hyoscyami, Milch, Öl; bei
reizlosem Zustande Einreibungen von Fett, bei den Flechten alter Leute
Ol. nuc. jugland. , amygdal. dulc. , zu gleichen Theilen mit Aq. saturnina.
Ausserdem lobt man, nach verschiedener Beschaffenheit der Flechten, fet-
tige Salben, vermischt mit Graphit, Schwefel, Manganesium, oder mit Blei,
Kohlenpulver, Vitriol, alb. , Unguent. mercur. alb., rubr. , Unguent. oxy-
genat. Allioni ; in hartnäckigen Fällen ist die Rust'sche Schmiercur sehr
wirksam; desgleichen die Cosme'sche und Helmund'sche Salbe (s. Can-
cer); oder auch ly Sulphuris depjir. , Arsenici alhi ana 5j? Acct. destUL,
Unguent. ceruss. ana 53. M. f. Unguent. Mit diesem , sowie mit den Blei-
mitteln, mnss bei der Anwendung sehr vorsichtig umgegangen werden.
Ferner hat man empfohlen als äussere Mittel: Waschungen und Einreibun-
gen von Acid. oxymuriat. dilut. , von Album graec. in Milch gekocht (^Cons •
JjTUcli), Antimonialschwefelwasser , Decocte von Dulcamara, Cicuta, Jacea,
Nicotiana, Digitalis, bei eiterartiger Absonderung von Aq. calc. ustae, De-
coct. putam. nuc. jugland., Solut. aluminis, vitrioli albi, Sacch. saturni,
Mercur. sublim, corros. , Aij. phagedaenica. Aqua nigra (Kalomel in Kalk-
wasser gelöst); in hartnäckigen Fällen dienen Solut. hepat. sulphur. , De-
coct. herb, sabin. , Succ. nicotian., Acet. destillat. , Aufstreuen von Pulv.
carbon. , cretae albae, und hepat. sulphur. (Schelucr') , von Metall- und an-
dern Salzen {Richter). Bei den borkigen, rissigen Flechten lobt man Pfla-
ster aus Graphit mit Empl. lithargyr. , ein Vesicans, das Auflegen der fri-
schen Blätter von Chenopod. bon. Henric. , Breiumschläge von Solanum ni-
grum , besonders bei gleichzeitigen heftigen Schmerzen (^Alibcrt) , künstliche
Geschwüre in der Nähe der Flechten, theils, um das Weiterkriechen dea
Herpes zu verhindern, theils, um von edlern auf unedlere Theile abzuleiten.
Ist die Flechte geheilt, so dienen zur Reinigung des Hautorgans Waschun-
gen von Borax, in Aq. ros. gelöst. Die Wahl dieser verschiedenen Mittel
richtet sich nach dem mehr oder weniger reizlosen oder gereizten Zustande
der Flechten und ihrer Peripherie, nach den ihnen zum Grunde liegenden
Ursachen (Scrophulosis , Syphilis, Arthritis, Scabies), wo sie neben den
innern Mitteln angewandt werden; nach dem Alter und der Hartnäckigkeit
des Übels etc. Gerühmte Mischungen zuiji äusserlichen Gebrauche sind:
1034 HERPES
^> Mucil. sem. cydonior. s. PsijUii , foen. gracci ana 5J , Camphorne,
Mastich. ana q. s. ut f. Vmjiieni. (Ist besonders gut bei veraltetem Herpes).
I^ Liquor. caJcar. chlorvi. Sjjj — v, Ol. oUvrir. rec. 5\i> W. S. Wohl uni-
geschüttelt dreimal täglich mit einem Pinsel elvva.s davon auf die afficirte
Stelle zu streichen. (Ist, nach Kojxf), neben zweckmässigen innern Mitteln
sowol bei trocknen, als bei nassen Flechten wirksam). 1^' Axung. jmrcl 53],
Ol. amygdal. dulc. 5vi, Cnlcnr. chlorin. 3jjji Hydrargijr. sulfhurici 5jj- M. f.
Unguent. S. Z\un Einreiben. I^ Lad. sulphuris 5], Sacch. saturni ^j, Aq.
rosnrum 5vüj. M. S. Früh und Abends die P'Iechten damit zu benetzen
(^BelV). ¥y Merc. tinhlim. corros. gr. vjjj , Aq. rosar. 5VJ — vjjj , Lad. siil-
phuT. 5J3 ? Sacch. saturni öii- M. S. Wohl umgescliüttelt dreimal täglich die
Flechten damit zu benetzen, auch damit beleuchtete Leinwandcompressen
aufzulegen. — Jetzt von den einzelnen Arten der Flechten.
Herpes aleppiniis , s. Lepra o c c i d e n t a 1 i s.
Herpes crustaceus , crui^tosus , die schorfige, borkenartige
Flechte. Symptome. Gelbe oder weissliche , bräunlich- oder grün-
lich-gelbe Borken, welche sich aus einer honig- oder gummiartigen Aus-
schwitzung bilden, kürzere oder längere Zeit auf der Haut sitzen, dann ab-
fallen, sich aber bald wieder aufs Neue erzeugen. iMehrere Arten des Im-
petigo Willan und der Psijdracia P. Frank gehören hierher. Zuerst bil-
den sich eine Menge kleiner Bläschen (Herpes miliaris) , am häufigsten auf
der Wange, aber auch aut den Gliedern, am Bauche, seltener am Halse,
zuweilen am ganzen Körper, welche platzen, jene Borken bilden, wegen
der darunter angesammelten Jauche in die Tiefe fressen, oft glatt, oft rauh,
glänzend aussehen, heftiges Jucken erregen, und grosse Neigung zu Recidi-
ven hinterlassen. Von dieser Art ist auch derjenige Herpes labialis am Rande
der obei:n und untern Lippe, welcher aus einem Halbkreis oder aus einem
ganzen Kreise von Bläschen rund um den Mund herum besteht, grosse Nei-
gung zur Kiterung hat, mit Geschwulst, Härte, Röthe, Steifigkeit, Schmerz
und Fieber verbunden ist. Nach S — 4 Tagen bilden sich aus den Bläs-
chen dicke dunkle Borken, welche bald abfallen und oft Eiterung hinter-
lassen , wobei meist Angina uvularis oder tonsillaris herpetica zugegen ist.
Das Übel entsteht als Folge der Erkältung, oder es ist Symptom von Ab-
dominalleiden, oft kritisch bei Gallenfiebern, Gallenruhr, Febr. intermittcns,
bei heftigen Katarrhen, bei Abdominalentzündangen etc. Cur. Bei der kri-
tischen, symptomatischen Form behandle man das Grundübel und wende
äusserlich gelinde Mittel : Oleosa , an , in andern Fällen und wenn schon
Exulceration da ist, verbinde man mit Unguent. corros. Graefii , in veralte-
ten Fällen mit Unguent. Cosmic. , Helmundii (s. Cancer).
Herpes eclhjnia , Herpcs jilcerostis, die eiternd« Flechte. Sym-
ptome. Entzündliche confluirende Areolae, mit gelblichen, gleichfalls zu-
sammcnfliessenden Blätterchen bedeckt, die nur an den Lippen und im
Schlünde eine pustulöse Form annehmen, gleichsam Aphthen darstellen, nach
drei Tagen in braune Krusten übergehen, wobei die Zunge mit einem gelb-
weissen, eiterähnlichen Pelze überzogen, der ganze Schlund roh und wund
und das Schlucken unmöglich ist. Dabei oft symptomatischer Speichelfluss
mit Auswurf einer Menge häutiger, zerstörter Theile ; am fünften Tage wirft
der Lippenausschlag unter steter Erleichterung eine Menge dicker Eiterkru-
sten ab, der neue Ausschlag rückt immer wieder nach, die Schwämmchen
im Munde etc. fangen an sich zu schälen, und die Heilung erfolgt nach
10 — 12 Tagen, wobei unter Brennen und Tenesmus ziegelrother Harn und
Abgang dünner Sedes bemerkt werden. Nach Tilesiits (^Rust's Magazin,
Bd. XXVII. Hft. 1) hat Baleman diesen Ausschlag unter Phhjzncin beschrie-
ben; er ist mit Crusta bctea verwandt, von ihm zur Mundfäule nur ein
blosser Übergang, ist oft kritisch und erscheint am häufigsten unter der
Nase , an den Lippen und im ganzen Innern des Miuides und Halses.
Cur. Innerlich Mercur. dulc. zum Purgiren, äusserlich die Mittel, welche
bei Crusta lactea und Stomacace empfohlen worden.
Herpes cxedens, rodens, phagedncnicm , Estiouienos, Lupus vornx, For-
HERPES 1035
mica corrosiva, Ulcus herpetkum, Nomn (^Ignis sacer'), fressende Flechte.
Symptome. Auf einem oder mehreren Theilen der Haut entsteht ein Knöt-
chen oder eine Pustel, die bald in ein fressendes, immer weiter um sich
greifendes Geschwür (Noma) übergeht, welches stinkende, zähe, hässliche
Jauche absondert. Zuweilen ist die saniöse Eiterung nur gering und die
Zerstörung der Weichgebilde mehr Folge der dicken , feuchten , von Zeit zu
Zeit abfallenden, sich aber bald und in grösserm Umfange regenerirenden
Krusten. In ihrem Fortschreiten beschränkt sich diese Flechte nicht blos
auf die Haut, sondern sie ergreift auch die Muükeln , Knorpel, Knochen.
Gewöhnlich zeigt sich zuerst dunkle Röthe , tauber , tief sitzender Schmerz
oder heftiges Jucken, beim Kratzen Zunahme desselben; dai'auf erhebt sich
die Epidermis und sondert sich in Lappen ab , es bildet sich eine grosse,
mit klebriger, stark brennender Jauche gefüllte Blase, und nun geht die
beschriebene Zerstörung vor sich. Die allgemeinen Zufälle dabei sind:
Schlaflosigkeit, Dyspepsie, erschöpfende Durchfälle, Anschwellung der Le-
ber, allgemeine Kachexie, Febris lenta mit Colliquescenz, örtlicher und all-
gemeiner Hydrops etc. Das Übel beiallt jedes Geschlecht, jeden Stand,
meist aber scrophulöse Subjecte, seltener robuste, gesunde; es liebt vor-
zugsweise das Gesicht, die Oberlippe, die Nasenflügel, auch wol das Kinn
(Meniagra) , verbreitet sich auf die Stirn, überzieht das ganze Gesicht, die
Augenlider ausgenommen. Seltener zeigt es sich an andern Theilen, zuwei-
len ists vagirend oder allgemein verbreitet, die Schmerzen sind heftig bren-
nend, die Ränder des Ausschlags und Geschwürs stark geröthet, mit weit
verbreiteter Entzündung umgeben und mit vielen juckenden Bläschen be-
setzt. Ursachen sind fast immer Cachexia scrophulosa, syphilitica, atra-
bilaris, arthritica, wonach die Form des Herpes verschieden modilicirt er-
scheint (s. Hufeland's Journ. , Bd. IL St. 2). Cur. Bei Erwachsenen wen-
det man die Inunctionscur an (^Helni) , äusserlich dient Natrum chlorin. in
Wasser gelöst (^Lisfranc) ; das Bestreichen mit Folgendem : K; Hijdrargyr,
nitric. crystall. 5j » solve in Acidi nitrici 5J , mittels eines Pinsels ; oder man
verbindet mit Unguent. corros. Graefii (s. Sachs, Darstellung der gebräuch-
lichen äussern Heilmittel, §. 122). Folgt auf diese Flechte, was nicht sel-
ten im Gesichte der Fall Ist, der Hautkrebs, so geben wir innerlich Tinct.
arsenic. Fowleri seu Harlessii, und verbinden äusserlich mit Cosme's oder
Helmimd's Mittel (s. Cancer).
Herpes furfuraceus, farinosus, Porrijjo, Aspredo, Herpes siniplcar, Fur-
fiirntio , Pityriasis, die kteienartige, mehlige, einfache Flechte,
Hautkleie, Kleiengrind. Symptome. Zuerst ein ganz feiner Her-
pes miliaris, zuweilen selbst Ähnlichkeit mit Scabies; die ganz kleinen ober-
flächlichen Bläschen enthalten eine milde Feuchtigkeit, trocknen bald, und
die Oberhaut schuppt sich dann wie feine Kleie oder Mehl ab. An zarten
Hautstellen und bei zartem Hautsystem kommt diese Flechte häufig vor;
z. ß. im Gesicht , an den Ohren , am Kinn , am Halse , und häufiger bei
Blondinen als bei Brünetten, am häufigsten bei Kindern und zarten Frauen;
auch auf dem Kopfe, am After, an den Genitalien kann sie vorkommen. In
der Regel ist sie rein örtlichen Ursprungs , bricht ohne F"'ieber aus , hat vor-
züglich nur in der Epidermis ihren Sitz, entspricht der Pityriasis Will a 71,
ist oft flüchtig, vagirend (Herpes fugax), kriecht zuweilen rasch fort, und
bildet in bedeutenden Fällen runde Flächen mit erhabenen, umschriebenen
Rändeni. Cur. Oft reichen örtliche schleimige Mittel aus; in schlimmen
Fällen dient ly Nntri horacic. 5jf^, solve in Aq. destilJat. 3J. M. S. Zum Wa-
schen (^Reinhardf) , oder auch i^ Acidi hydrocyan. Ph. horuss. 5j? AlcoJiol.
vini, Aq. rosarum ana gjjj. M. S. Wie oben. In zwei Fällen entstand diese
Flechte auf dem behaarten Theile des Kopfs durch Übertragung des Hun-
deräudecontaglums bei zwei Kindern. Innerlich Aethlops antimon. und Ci-
cuta, äusserlich Sublimat, Sacch. saturni und Lac sulphur. in Aqua rosar.
heilten das Übel bald (s. Tott in Horn's Archiv, Mai und Juni 1828).
Herpes niadidtis, Herpes squnmoso - hmiidits , feuchte, schuppige
Flechte. Ist eine Abart der Herpcs squamostis (s. unten), vvo sich eine
1036 HERPES
grosse Menge Jauche aus den ki'ankcn Hautstellen absondert, so dass die
Leibwäsche durchnässt wird ; dabei zeigen sich Spalten in der streifig aus-
sehenden Haut, die grossen sich bildenden Schuppen extoliircn nur am Rande
der Flechte , bleiben daher lappenförmig an der Haut hängen 5 zugleich vm-
erträgliches Hautjucken , starke Hautröthe von carminartiger Färbung, fürch-
terliches Brennen, Excoriation der gesunden Haut durch die scharfe Jauche.
Zuweilen hört periodisch das Jucken auf, kommt aber bei der geringsten
Veranlassung wieder, und ist besonders peinigend, wenn innere Schleimhäute,
besonders die Vagina, ergriffen worden sind. Die meisten Arten von Wil-
lan's Ecthyma gehören hierher.
Herpcs pusiulosus , miliaris , phlyciacnodes (Larry) , die, f r i e s e 1 a r t i g e
Flechte. Sie hat mit dem Friesel viel Ahnliches, unterscheidet sich da-
von aber durch die gemeinschaftliche Area , worauf die kleinen Bläschen , die
eine wässerige, klebrige Feuchtigkeit enthalten, sitzen. Zuweilen ist letz-
tere scharf, übelriechend, es bilden sich ungleiche, rauhe, gelblich -braune
Borken, und der Ausschlag juckt und brennt bedeutend, besonders des Nachts
und nach Erhitzung. Am häufigsten erscheint dieser Herpes auf dem Hand-
rücken, an den Armen, Schenkeln, zuweilen an allen Theilen des Körpers,
an der Vorhaut, wo er leicht mit Chankern verwechselt werden kann, an
der Eichel etc. , wo indessen Gerat, calamin. leicht Heilung bewirkt ; bei
Weibern kommt er oft als Herpes genitalium vor (v. Froricp') , bei Männern,
die an Hämorrhoiden leiden, an den Geschlechtstheilen ; höchst selten befällt
er indessen das Gesicht. Ursachen sind häufig Abdominalleidcn, Leber-
verhärtung, Missbrauch reizender Speisen, spirituöser Getränke, Ataxien der
Menses etc. Willnn und Bntcman beschränken die Benennung der Flechten
allein auf diese Art; auch ihr Eczema gehört hierher.
Herpcs squamosus, schuppige Flechte, von Manchen auch Liehen
ferax genannt, in höherm Grade Fsoru Jeprosa, nach Bateman und IVillnn
nach den verschiedenen Graden Ecthyma, Rhypia , Psoriasis. Symptome.
Zuerst Hautentzündung, carminartige Röthe der Haut, Jucken, Brennen;
dann an verschiedenen Stellen Pusteln, welche sich rasch vermehren, eine
scharfe, jauchige, übel, wie verbranntes Mehl, riechende Feuchtigkeit er-
giessen; dann sondert sich die Epidermis in breiten, durchsichtigen, feuch-
ten, sich stets regenerirenden Schuppen ab. In einem Falle sah ich diesen
Herpes an den Augenlidern (Tott), zuweilen kommt er an das Scrotum, an
die Vorhaut, wo er leicht Phimosis erregt etc. Die Schuppen sind verschie-
den geformt, an der Innern Handfläche oft kreisförmig (Herpes sijuamosus
circinnatus) , sind trocken, lederartig und dünn, zumal an der Hand- und
Fnsswurzel, unter dem Fusse, um die Hand; sind gelblich - grün , wie der
Liehen an den Baumrinden; nicht selten werden dann oft die Nägel ergrif-
fen, welche hornaitig indurirt werden, eine schlechte Form annehmen und
abfallen. Zu dieser Art des Herpes gesellet sich häufig AUgemeinleideu,
besonders Ödem des Gesichts , Wassersucht in verschiedenen Cavitäten,
dann Nachlass des Schmerzes und des Juckens (vielleicht als Folge einer
Metastase des Flechtenstoffs nach Innen ? Tott') ; bei ungünsti(!;em Ausgange
tiefe Vereiterung, Febris hectica, Tod; bei günstigem Ausgange entsteht
Heilung häufig unter Eintritt anderer Leiden. Die gelindeste Form dieser
Art ist der Herpes stjuamosus centrifugus an den Händen, welcher nach
mehrmaliger Desquamation von selbst schwindet.
Herpes Zoster, Zona, lynis sacer, Ilieropyr, der Gürtel. Sympton»e.
Zuerst heftiges Fieber, worauf ein hochrother, feuriger Streifen am Rücken,
bandförmig und sehr regelmässig, bald ganz, bald nur auf der einen Seite
des Unterleibes bis zum Nabel, bis zur Cardia sich herumzieht; seltener
zieht dieser Gürtel hinauf nach der Brust gegen den Hals. Der leidende
Theil schmerzt sehr, besonders bei äusserer Berührung; es schiessen bald
kleine, der Blatterrose ganz ähnliche Blasen auf der entzündeten Hautstelle
auf, welche ein klebriges Serum enthalten, platzen und den leidenden Theil
mit einer Kruste überziehen. Dessenungeachtet dauern die Schmerzen fort,
selbst nach Abfall der Krusten, unter welchen oft eine oberfläclüiche Sup-
HERPES 1037
puratioii stattfindet. Diagnose. Frmih, Richter, HenVcy Consbruch u. A.
zähl eil den Zoster zur Blatterrose, Wichmann, Hufeltmd, Bcrends, Larrey,
Dupuijlrcn mit meluerem Rechte zum Herpes. Er unterscheidet sich vom
Erjgipelas pustulosum durch seine Beschränktheit und bandartige Form , durch
die schnellere Blasenbildung, durch die grössere Schmerzhaftigkeit ( Tf 'ic/j-
mmm''s Diagnost. Bd. I. S. 71) , durch die einzelne Bildung von Krusten aus
den successiv, nicht >\ie bei Blatterrose auf einmal, platzenden Blasen , durch
die längere und unbestimmte Dauer, durch das später unbedeutende Fieber
(^jUttrscrii Institut. n>ed. pr. Lips. 1787. T. II. p. 40). Vom Pemphigus ist
der Zoster gleichfalls verschieden (s. d. Art. und Wichmann 1. c. Bd. IL).
Ursachen und Wesen, Wie bei andern Arten von Herpes ^ nach Burse-
rius ist die materielle Ursache ein sehr kaustischer Stoff, nach Andern ist»
eine eigenthümliche Störung der Leberfunction, der Gallenabsonderung ; nach
IJ'ichjiiaim ein specifisches Miasma (?). Cur. Zuerst gelinde Evacuantia
und Diaphoretica (^Wichmann, Conshruch) , ausserdem viel verdünnende Ti-
sanen von Gramen , Lapath. acut. , Bardana , Molken , Antimonialia (^Bitrse-
ritis). Meidung aller starken Ausleerungen und der äussern Repellentia, nach
Dcsault Emetica und äusserlich Bleiwasser (??), nach Richter ausleerende
diaphoretisciie Mittel: Antimonialia, Mercurialia, Tamarindenmolken, Spe-
cies lignorum; nach Marcus, der die Zona mit starkem Fieber vmd acut
verlaufen sah, passen antiphlogistisch - diaphoretische Mittel; äusserlich
Breiumschläge , Decoct. malvae , Älucil, gummi arab. , süsser Milchrahm,
selbst Bleiwasser zur Linderung der grossen Schmerzen. Die Krusten er-
weicht man am besten mit süssem Mandelöl , damit sie bald abfallen und
die darunter befindliche scharfe Materie nicht weiter um sich fresse. Die
französischen Ärzte Jiretonneau , Velfcau, Serres, Clement, Gucrscnt und
Geoffroy haben Ätzungen mit Höllenstein beim Zoster mit Erfolg angewandt.
Man sticht vorher die Pusteln auf, lässt das Serum ausfliessen und betupft sie
dann mit dem durch Wasser befeuchteten Lapis infernalis. C. A. Tott.
Nachschrift des Herausgebers. Der Herpes ist häufig sehr
schwierig zu heilen, weil wir die Fälle nicht genau unterscheiden und auf
die Ätiologie und Cur, in Betreff der unterhaltenden Schädlichkeiten und
der feinen Nuancen in der Wirkung der Arzneien, oft zu wenig Rücksicht
nehmen. Folgende Bemerkungen, aus dem eigenen ärztlichen Wirken ge-
nommen, mögen daher hier noch Platz finden. 1) Schlechte Verdauung,
gestörte Hautfunction und solche Anomalien in der Nierenfunction finden
wir häufig bei allen chronischen Flechten. Hier sind letztere oft weiter
nichts als das Symptom eines Leber- oder Milzleidens, der atra Bills, der
Gicht, Lithiasis. Eine gute Behandlung des Grundübels (bei Dyspepsie
und Leberfehiern: Extr. Gram., Tarax. , Gumm. asae foet. , Fei taur. , Tart.
tartarisat., zuweilen eine Dosis Merc. dulc. mit Rheum ; bei Arthritis und
anomaler Diaphoresis: Schwefel, Guajak, Antimonium, Kampher etc.) macht
hier die Hauptsache aus. 2) Von den Schwefelbädern zu Elisen und Nenn-
dorf habe ich bei inveterirtem Herpes überraschende Wirkungen gesehen;
besonders von den dortigen Schlammbädern in Verbindung mit dem Trinken
des Schwefclw assers. 3) Ohne strenge Diät ist keine alte und allgemeine
Flechte, wenn ihr Umfang irgend bedeutend ist, zu heilen. Der übermäs-
sige Genuss von Wein, Bier, Branntwein, der tägliche Genusa des Flei-
sches, besonders des fetten, sowie des Kaffees, vereitelt oft alle Bemühun-
gen des Arztes. In schlimmen Fällen muss der Kranke wenig essen, 3 — 4
VVochen lediglich entweder nur Milch, oder Weintrauben oder anderes Obst
geniessen, und täglich 3 — 4ß l'isanen von Dulcam. , Sarsaparill,, Bardana,
Saponaiia, Sassafras, Cort. ulrai med., von Malztrank trinken. Bei obiger
Diät und diesen Arzneien heilten Flechten, die mehrere Jahre alt waren (M.).
4) Ataxien der Menstruation, desgleichen Onanie, sind bei jungen Mädchen
oft Ursache des Übels. 5) Die venerischen Flechten erscheinen als roth-
gelbe, dunkelblaue Flecken, welche keine Feuchtigkeit enthalten, sich ge-
schwind ausbreiten und vorzüglich die Geburtstheile, das Gesicht und die
Brustwarzen, seltener den Hals und die Brust einnehmen. Man muss die
1038 HERPES
ähnlich ausfeehenden , von Dyspepsie , Leberfehlern , Hämorrhoidaldiathese
herrührenden flechtenartigen Ausschläge auf der Brust und dem Halse ja
nicht mit dem syphilitischen Herpes verwechseln. Letzterer erfordert Aethiops
antimonialis , Merc. solub. Hahnemanni, in schlimmen Fällen die Schmier -
und Hungercur, ersterer kann bei guter Diät durch Tisanen allein geheilt
Werden (s. Haematocathartica). 6) Sehr wirksam ist bei sonst ge-
sunden Personen gegen nicht localen Herpes Folgendes : I^ Sah culinnr.
3J3, — Glauben 5II, Aq. fontnn. Sj. M. S. Davon täglich soviel getrun-
ken, dass 2 — 3 Stühle erfolgen. Dieses Mittel muss vier Wochen anhal-
tend gebraucht werden. 7) In allen hartnäckigen Fällen verordne ich
1^ Aetliiop. antimoninl. gr. v — x, Magnes. carhon. gr. iv, Lact, sulphuris,
Gumm. guttjaci ana gr. vjjj , Sacchari ^j- M. f. pulv. disp. dos. xxrv. S.
Dreimal täglich ein Pulver (für Erwachsene) und damit 6 — 12 Wochen fort-
gefahren. 8) Da ich sehr viele Ärzte kenne, welche den Graphit ohne al-
len Nutzen anwandten , so habe ich bis jetzt keine Lust gehabt , denselben
zu versuchen, besonders da ich mit andern Mitteln, wurden sie mit Aus-
dauer angewandt , stets ausreichte. 9) Chronische Flechten aus allgemeinen
Ursachen werden durch innere Mittel allein selten völlig geheilt; sie blei-
ben in gelindem Grade stehen , machen , wenn auch die Ursache gehoben
ist, in der Heilung keine Fortschritte, weil theils die Hautstellen desorga-
nisirt sind, theils letztere bei dem Wechsel der Witterung und der Tempe-
ratur stets aufs Neue leiden. Es bedarf also der örtlichen Mittel, die
nicht blos nach dem Standpunkte der Reizempfänglichkeit der leidenden
Hautstelle , sondern auch nach andern Indicationen ausgewählt werden müs-
sen. Hier hat die Erfahrung mich Folgendes gelehrt : r/) Bei gleichzeitigem
Gebrauche innerer Mittel, des Antimons, des Aethiops, der Spec. lignorum,
bei strenger Diät und Vermeidung der Erkältung können wir die Externa
ohne Gefahr vor Metastasen anwenden. Von allen Arzneien ist das Blei
noch am meisten zu fürchten; die Gefahr verschwindet aber völlig und die
Flechte wird nicht zurückgetrieben , w enn man , bei grossem Umfange der-
selben, täglich die Bleiraittel nur auf einen kleinen Theil der Hautstelle an-
wendet. 6) Im Allgemeinen leisten bei feuchter Flechte die austrocknen-
den und condensirenden Mittel, z.B. Blei, Zink, Kohle; bei trocknem Her-
pes dagegen mehr die auflockernden und öligen: Mei'cur, Schwefel, Aq.
calcis, Ol. nuc. jugland. gute Dienste, c) Viele Flechten vertragen durch-
aus keine fettigen Mittel, keine Öle, keine Salben. Dies ist besonders bei
reizbarem Hautsystem der Blondinen der Fall, wo oft schon Empl. diachyl.
gummös. Ausschlag erregt. Hier geben wir Blei , Quecksilber , Schwefel
und die andern indicirten Externa in Solutionen oder Schüttelmixturen.
d) Bei rein localen Flechten wirkt das Waschen mit kaltem Wasser, mit
Essig, Citronensaft oft recht herrlich. Sie entstehen häufig durch Reiben
und Unreinlichkeit, desgleichen durch Einwirkung starker Hitze oder Kälte.
In der Regel sind solche Flechten trocken, mehlig, die Haut ist spröde,
sie schuppt sich ab und regenerirt sich krankhaft. Hier leistet das Nussöi
die herrlichsten Dienste. Entstehen die Flechten an vielen Stellen des Kör-
pers zu gleicher Zeit , befallen sie bald diesen , bald jenen Theil , hat der
Urin einen auffallenden Geruch, wird er ohne bekannte Veranlassungen bald
sparsam , bald zu häufig abgesondert , ist das Hautsystem in Unordnung,
fehlt die Transspiration , die gehörige Weichheit und Geschmeidigkeit der
Haut, leidet die Digestion, cessiren während der Flechten andere Beschwer-
den: Hämorrhoiden, Magenkrampf, Gliederreissen , Schwindel, erscheinen
diese wieder, sowie die Flechten verschwinden; so ists ausgemacht, dass
wir es mit keinem örtlichen Übel zu thun haben , die innere Cur also die
Hauptsache ausmachen muss. 10) Der Herpes centrifugus (Dartre centrifuge
Alibert') ist eine Abart der Kleienflechte. Er heilt meist immer schon
nach Anwendung örtlicher Mittel. Das Wirksamste ist eine Zinksalbe, in
den Umfiing derselben, und eine Salbe aus rothem Präcipitat (51^ auf gfj
Fett) in d.Mi rtüttolpunkt eingerieben {Most'). 11) Bei Herpes squamosus
.siccus, sowie bei jedem Herpes inveteratus ist neuerlich das Pulver der
HERPES 1039
Treba Jap.an sehr empfohlen worden. Man reibt dasselbe mit Essig an,
streicht die Mischung auf Leinwand oder Leder, und bedeckt dainit des
Abends die trockne Flechte. Am andern Morgen wird der Umschlag ent-
fernt , und die Schuppen werden mit einer Bürste abgerieben. In hartnäcki-
gen Fällen wiederholt man den Umschlag einigemal und giebt innerlich eine
Purganz. Oft heilt die Flechte schon nach einmaliger Anwendung des Mit-
tels (s. HufelamVs Journ., 1820, Jan.; Uortis Archiv, 1829, Septbr. und
Octbr.). 12) Eine 6 Jahr alte hartnäckige trockne Flechte im Gesicht und
an den Gliedern trotzte dem anhaltenden Gebrauche von Aethiops, Guajak,
Schwefel etc. innerlich ; auch die Aq. phagedaenica zum Waschen leistete
nichts. Es wurde nun neben dem innerlichen Gebrauche der Holztränke
folgendes Wasf"*- -^aer verordnet, worauf das Übel in vier Wochen völlig
geheilt ward; I^ Merc. dulcis öÜ, — sulJim. corros. 9fJ, Aq. calcis Sj.
M. S. Zum Waschen (Most sen.). Bei einer achtjährigen, sehr hartnäckigen
Borkenttechte wurde durch achtwöchentlichen Innern Gebrauch der Tinct.
cantharidum, p. d. 4 — 8 Tropfen in Haferschleim, Heilung bewirkt (M.).
Bei einer feuchten , fürchterlich fressenden Flechte leistete mir Folgendes
die herrlichsten Dienste : I^^ Exir. cicutae 5jjj » — helladonnae 5j ^ Mercitr.
suhJm. corros. ^j, Aq. rosnrum 'S'j. M. S. Zu Umschlägen. 13) Bei Herpes
Zoster, der zwischen Blatterrose und Herpes in der Mitte steht und wobei
oft die Leberfunction leidet , leistet folgende Cur das Meiste. Zuerst und
bei dem fieberhaften Zustande : K/ Pot. liiverii c. aceto vini 5Jjj , Aq. ßor.
sambuci 51V, Tnrt. emetic. gr. j. M. S. Stündlich 1 Esslöffel voll mit Flie-
derMiee. Hat sich der Ausschlag gebildet und die Heftigkeit des Fiebers
gebrochen, dann ein Vomitiv aus Tart. emet. und Ipecac. ; zuletzt eine Mix-
tur aus Salmiak mit Tart. emet. in refr. dosi Äusserlich wende ich blos
Oleosa mit Decoct. malvae , am Ende , nach acht Tagen mit etwas Aq.
Goulardi vermischt, an. I4) Was die verschiedenen Benennungen und die
oft kleinlichen Unterschiede der Flechten nach Bateman , Alibert und Wil-
Inn betrifft, so zeigen diese mehr die verschiedenen Stufen und Grade des
Übels als das Wesentliche desselben an, und der praktische Arzt, der ra-
tionell nach den Ursachen die E'lechten innerlich zu behandeln weiss, und
die feinen Nuancen in der Wirkung der Arzneien und Arzneicompositionen
genau zu taxiren versteht, If uarf jenes Studiums nicht immer, da dieses
mehr auf das gelehrte Wisserf als auf die Praxis gerichtet ist , sowie über-
haupt unsere Diagnostiker mehr scharfsinnige Dialektiker als Praktiker sind,
indem sie unwesentliche Dinge gewaltsam trennen (s. Diagnostica do-
c t r i n a). Als empirisches Mittel gegen 'trockne Flechten lobt man neuer-
lich noch die wässerige Auflösung der Cocusnussöl- Sodaseife, welche
schon allenthalben als Toilettenartikel im Handel vorkommt (s. HufelnniVs
Journ., 1832; St. 6, S. 137). Als ein noch wirksameres Mittel kann ich
Bäder von Flusswasser, worin gjjj Acid. muriat. und 3JJ Acid. nitric. ge-
schüttet , alle 2 Tage ein solches Bad ; auch Waschungen der Stellen mit
öjj der erstem und 5j der letztern Säure in 1 ß warmem Wasser , alle
Abend angewandt, empfehlen. — Folgende Spielarten der Flechte verdienen
noch genannt zu werden: 1) Herpes iris, die Irisflechte. Sie kommt
selten und dann meist nur auf dem Rücken der Hand vor. Es bilden sich
nämlich hier ein oder mehrere kreisförmige Flecken, von der Grösse eines
Silbergroschen , auf denen vom zweiten Tage an Bläschen erscheinen , und
deren jeder Fleck aus vier concentrischen Ringen von verschiedener Farbe
besteht. In der Mitte ist nämlich ein Bläschen, welches nach 2 — 3 Tagen
sich abflacht, trübe wird und eine gelblich weisse Farbe bekommt; um das-
selbe läuft ein dunkler oder braunrother Ring , um diesen ein zweiter gelb-
*nh weisser Ring, ihn umgiebt ein dritter Ring, der schmäler als der an-
d«. /^ ist, dunkelroth aussieht und von einem vierten Ringe, der am 7. — 9.
Tage erscheint und rosenroth, später fleischfarben ist, umgeben wird. Acht
Tage später sind die Bläschen ganz verschwunden und es haben sich dünne
Krusten gebildet, die bald abfallen. Das Allgemeinbefinden wird durch diese
Flechte gar nicht gestört. 2) Herpes labialis, die Lippenflechte, Sie
1040 HETEROCIUISIA — HIDROTOPOEA
kommt liäufig vor, indem sich bald an der obern , bald an der unterm Lippe,
bald an den Mundwinkeln Gruppen von Bläschen bilden, die auf einer ge-
meinschaftlichen Area sitzen, zuweilen einen halben, selbst einen ganzen
Kreis um den Mund fornüren , auch sich oft bis zum Kinn , bis zur Wange,
zu den Nasenflügeln forterstrecken; dabei brennende Hitze, harte, rothe,
glänzende Geschw ulst der Lippe , Schmerz bei der Berührung. Die mit kla-
rer Lymphe gefüllten Bläschen werden am 2ten Tage undurchsichtig, das
Fluidum darin trübe, gelblich weiss; sie platzen nach 3 — 4 Tagen, die
Geschwulst mindert sich, es bilden sich bräunliche Borken , welche in 4 — 5
Tagen abfallen und noch einige Zeit eine geröthete Hautfläche hinterlassen.
Das ganze Übel dauert höchstens 14 Tage, bei reiabaren Personen ist an-
fangs etwas Fieber dabei, auch etwas Angina. Die Cur ist zuerst anti-
phlogistisch, antigastrisch, gelinde Laxanzen sind nützlich; örtliche Mit-
tel sind, das Bestreichen mit reinem Öl, mit Milchrahra abgerechnet, nicht
nothwendig , ja öfters schädlich , da das Übel bei Gallenfiebern , bei der In-
ter^nittens, bei Ruhr, bei heftigen Katarrhen oft als Krise erscheint. Ist
dies nicht der Fall, ist der Herpes rein örtlich, so kann man eine schwache
Solutio vitrioli albi anwenden, später eine Auflösung von Cuprum sulphuri-
cum. 3) Her/ies pmeputialis. Es erscheinen hier an der Innern Fläche der
Vorhaut kleine Bläschen auf einem rothen, nur einen Silbergroschen gros-
sem Grunde, welche durchsichtig sind, sich in 1 — 2 Tagen vergrössern,
trübe und gelbweisslich werden, dann platzen, mitunter zusammenäies«en
und so am 4. — 6. Tage schon kleine Geschwüre bilden. Diese haben einen
vveisslichen Grund, flache Ränder, erregen etwas Biennen, heilen abe» bei
Vermeidung von Erhitzung und strenger Reinlichkeit binnen 10 Tagen von
selbst. Man muss diese Geschwüre nicht mit syphilitischen Geschwüren ver-
wechseln. Die Ursachen sind oft unbekannt. Häufig kommt das Übel
bei kleinen Knaben, oft aber auch bei Jünglingen und Männern vor, beson-
ders wenn scharfe Säfte da sind und der Mensch in Baccho ausschweift;
zuweilen ist chronische Balanitis und überhaupt Blennorrhoe Schuld, vor
Allem aber vernachlässigtes Waschen und Reinigen der Eichel und Vorhaut
bei Personen , die blennorrhoisch , arthritisch sind oder an Lithiasis leiden.
Cur. Man reinige die Eichel und Vorhaut gehörig mit kaltem Wasser,
touchire dann oberflächlich die Bläschen, verbinde mit trockner Charpie und
lasse diese 2 — 3 Tage liegen. Alsdann ist das kleine Geschwür oft schon
in der besten Heilung, die bei trocknem Verbände in 4 — 6 Tagen vollendet
ist. Auf diese Weise habe ich diesen Herpes stets schnell geheilt. Recidive
kommen aber häufig wieder; man verhütet sie dadurch, dass man bei den
ersten Spuren von Röthe und Jucken Bleiwasser anwendet und Pulv. cort.
quercus zum Bestreuen hinterher gebraucht (^Most).
Meter ocraiiia » halbseitiges Kopfweh, s. Cephalalgia.
Meter® litlia, das unrichtige Sprechen, das sich Verspre-
chen; auch die abnorme Stimme wixd so genannt, richtiger Hctcrojihonia.
Meterorexiftj fremdartiger Appetit, wie Pica, Malacia etc.
Alihcrt nennt so die ganze Classe der dyspeptischen , mit Appetitus morbosiu
(s. d.) verbundenen Krankheiten.
Hexis^j der habituelle Körperzustand, die Constitution , das ge-
sunde oder kranke Befinden eines Menschen (s. Constitutio und Habitus).
Midroa» Ilidroln, auch Hi/dron, Aestntes, Sudamina, Eccesmata, Pa-
pulae siulurnlcs, die Hitz- oder Schweissblätterchen. Sind kleine,
spitzige Hautbläschen mit röthlichem Umfange, welche bei zarten Personen
nach heftigen Erhitzungen, im Sommer, bei heisser Witterung, nach über-
mässigem Ganzen , Weintrinken etc. meist plötzlich entstehen, besonders an
der slirn, am Halse. Cur. Öfteres Waschen mit kaltem Wasser, mit Spirit.
camphorat. vertreibt sie bald. Innerlich passt Crem, tartari, Limonade und
kühlende Diät (s. Miliaria chronica).
Hidropyrn. das Schweissfieber , s. Anglicus sudor.
Midrotopocn (^rcmvdia), seh weissraach^nde Mittel, s. Diaphoretica.
. mOPTR — HOMOEOPATHIA 1041
Hieropyr, ^ eilige Feuer, der Gürtel, s. Herpes Zoster.
Hiinautouia , t^.innntosis, die Verlängerung des Zäpfchens.
Ist ein beschwerliches Symptom bei Angina uvularis, wodurch das Gefühl
von Schlucken und Würgen entsteht (s. Angina uvularis).
Hippus pupillae« So nennt man das merkwürdige Zittern der Iris
und die daher entstehenden, schnell wechselnden Erweiterungen und Verenge-
rungen der Pupille. Es ist meist Symptom bei anfangender Amaurose spasti-
scher Personen, bei Epileptischen, Hypochondristen, Hysterischen, nicht sel-
ten complicirt mit Rollen des Bulbus , Nictitatio , Nystagmus. In einzelnen
Fällen sah ich Hippus periodisch kurz vor dem hysterischen Anfalle nach
vorhergegangener sehr verengerter Pupille entstehen. Cur. Die des Grund- -
Übels, der Amblyopie, der Krämpfe, daher Antispasmodica etc.
Homoeopathia» nach Kmm richtiger HomoeopatJiogeniolJierapifi,
die Homöopathie (d. i. gleichartiges Leiden), die Hahnemann 'sehe
Curmethode. Ist dasjenige Heilverfahren, nach welchem ein EinfluSf?,
der bei Gesunden eine bestimmte Krankheitsform hervorbringt, gegen ebcu
diese Krankheit, wo sie sich von selbst ausgebildet zeigt, angewandt wer-
den soll. Seit zwei Decennien hat diese neue Lehre in Deutschlaftd die
meiste Epoche gemacht, sich viele Anhänger, besonders in der Gegend von
Leipzig, Dresden und in diesen Städten selbst verschafft; aber die I^eftrzahi
der praktischen Ärzte huldigt ihr aus triftigen Gründen nicht ; sie werden
von den Anhängern flaJmemami's, der als Greis noch neuerdings in Paris lebt,
Allopathen genannt. Nach dieser Lehre gilt der, grosse EiIl.sc^lränkun-
gen bedürfende Grundsatz: Similia similibus curnntur; sie verachtet alle
Anatomie und Physiologie, alle Ätiologie; man soll sich blos an die Krank-
heitssymptome halten und darnach diejenige Arznei auswählen, welche in
Gesunden die ähnlichen Symptome hervorbringt. Die Vis naturae conser-
vatrix et medicatrix soll bei allen Krankheiten nichts, die homöopathischen
Arzneien, welche in unendlich kleiner Dose, ganz den Contrastimulisten und
Anhängern Rnsori's in Italien entgegen, selbst in der Gabe von Decillioii-
theilchen eines Grans gereicht werden- dagegen Alles thun. Es würde zu
weitläufig seyn , das Ganze dieser paradoxen Lehre hier darzustellen. Da-
her mag es genügei^^uf folgende Abhandlungen und Schriften Hahnemann s
und seiner Anhänger zu verweisen : S. Hahnemann in Hufeland'' s Journal
Bd. II. St. 3. S. 391. St. 4. S. 465. Bd. III. S. 138. Bd. IV. S. 772. Bd. V.
S. 3. Bd. VII. S. HO. Bd. X. S. 195. Bd. XXVI. St. 2. S. 5. S. Hahne-
mann, Fragmenta de viribus medicamentorum positivis sive in sano corp. hum.
observatis. II. Vol. Lips. 1805. Dess. Heilkunde der Erfahrung, Berl. 1806.
Hess. Organon der rationellen Heilkunde. 3te Aufl. Dresd. 1824. Bess. Reine
Arzneimittellehre. 6 Theile. Dresd. 1821. Dess. Chronische Krankheiten, ihrf
eigenthümliche Natur und homöopathische Heilung. Dresd. 1828 und 18291
4 Theile. CasparCs Erfahrungen in der Homöopathie. Leipz. 1823. Dcsi
Homöop. Dispensatorium. Leipz. 1829. 3te Aufl. E. Stapf^s Archiv f. d.
homöopath. Heilk. Bd. I — VIII. (Wird fortges.) Schönherg, ll sistema me-
dico del Dr. Hahnemann. Neap. 1823. Rati, Über den Werth des homöo-
path. Heilverfahrens. Heidelb. 1824. G. A. Weher's Systematische Darstel-
lung der antipsorischen Arzneimittel in ihren reinen Wirkungen. Nach Hah-
nemann bearbeitet. Braunschw. 1830. — Es konnte nicht ausbleiben : eine
solche einseitige Lehre musste gerechten Tadel finden, um so n»!hr, da sie
allf Krankheiten sicher und gründlich zu heilen sich anmasste. Widerlegun-
gen der Homöopathie finden sich nebst scharfsinnigen Kritiken in folgenden
Schriften : Allgem. med. Annalen. 1822. S. 524. S. Hahnemann's Homöopa-
thie, gewürdigt von J. Ch. G. Jörg. Leipz. 1822. Neues Journal d. Erfin-
dungen, Theorien u. Widersprüche. Bd. I. St. 3. Intellig. Bl. S. 37. Heclier's
Lit. Annal. Bd. IL 1810. S. 31. S- 191. Kranzfehler, Symbola ad criticen
novae theoriae homoeopathicae dictae. Erlang. 1812. Puchclt in HufelaniVs
Journ. Bd. XLIX. St. 6. Bischoff"' s Ansichten über das bisherige Heilver-
fahren und über die ersten Grundsätze der homöopathischen Krankheitslehre.
Prag, 1819. Abgenöthigte Belege zu den in den Werken der FinstemLss
erzählten Thatsachen. Altenb. 1824. Jorges kritische Hefte f. Ärzte und
Most Encyklopädie. 2te Aufl. T. ()ß
1042 HOMOEOPATHIA
•Nichtärzte. Hft. 2. S. 49. Hl. F. Niefsch's Bemerkungen über Homöopatliie,
vorziifrlich für Nichtärate. Hanau, 1825. F. A. Simon jnn., S. HalineniHnn,
Psendomessias medicus der Verdünner etc. Für Arzte u. Nichtärzte. Ham-
burg, 1830. — Dr. Krmts in Göttingen, mein yerehrungswürdiger Lehrer,
sagt in seinem Et) moi.-medic. Lexikon, 2te Aufl. 1826. S. 403 u. f.. über
die Homöopathie: „Unglücklicher Weise hat Hahneraann mit dem dazu gar
nicht passenden Worte eine Irrlehre bezeichnet, welche zwar eher unterge-
lien wird als die Kenntniss des Worts in der frisch geschafTenen Bedeutung
— denn über diese ^^^rd man noch nach Jahrhunderten lachen, bemitleidend
die Schwäche unsers Zeitalters — , welche aber in den Händen, in welche
sie nach und nach zu gerathen anfängt, erst noch manches Unheil anrichten
wird. Hahnemann ist ein anerkannt guter Pharmaceut, und hatte sich als
solcher durch Darstellung seines sogenannten Mercurius solubilis und zum
Theil durch seine Abhandlung über Arsenikvergiftung, wenn gleich nach ihm
diese Lehre um ein Bedeutendes vervollkommnet ist, unverwelkliche Lorbee-
ren erworben. Zum eigenen Schaden zertritt er den wohlerworbenen Ruhm
durch das Hhiüberpfuschen in Regionen, die er gar nicht kennt. Er ist nicht
Physiolog und kann also auch ni«:ht Arzt seyn. Indem er in dieser Lage
organische Erscheinungen beurtheilen wollte, musste ihm begegnen, was in
ähnlichen Fällen so häutig begegnet: die Schale für den Kern, die todte
Form für den Geist zu nehmen. Er übersah auf diese Weise, ohne es zu
ahnen, dass dieselben organischen Erscheinungen der Form nach einen völlig
entgegengesetzten Grundcharakter haben, dass also Krankheiten, welche
dem Äussern nach als dieselben erscheinen, ihrem wahren Wesen nach sich
völlig entgegengesetzt seyn können. So können z. B. die beiden der Form
nach einander entgegengesetzten Krankheiten: Ischurie und Enurese
dem Wesen nach sich völlig gleich seyn , da die eine wie die andere ent-
weder von Paralyse oder von Überspannung der Kräfte und Turgescenz der
Säfte herrühren kann. Ebenso hat umgekehrt der Arzt nicht selten mehrere
Fälle derselben Krankheitsform: Durchfälle, Anginen, Ophthalmien etc. zu
behandeln, von denen einzelne, ihrem Innern Wesen nach, das voUkommne
Widerspiel ihrer selbst sind. So haben die anginösen Erscheinungen bei der
Wasserscheu und bei manchen hysterischen Zufällen den sensiblen Grund-
charakter und sind also formelle und wesentliche Homöopathien (im rechten
Sinne des Wortes). Ebenso sind die Anginen beim echten Scharlach und
beim Narkotismus durch Belladonna Homöopathien, weil beide vorherr-
schende Irritabilität oder Muscular - und ßlutthätigkeit zum Grundcharakter
haben ; beide Arten von Anginen bilden aber gegen einander die entschie-
densten Antipathien und erfordern zur gründlichen Cur geradezu entgegen-
gesetzte Mittel, so dass Contrnrin contrarüs, nicht, wie Hahnemann will,
SitiüUa similibus einander entgegengesetzt werden müssen, um die gewünschte
Heilung zu bewirken, und dass es nur rohen, unwissenden, dummdreisten
und gewissenlosen Quacksalbern oder armen verblendeten Unwissenden ein-
fallen kann, gegen Scharlach Belladonna geben zu wollen. Dass hin und
wieder einige Besitzer von medicinischen Doctordiplomen, welche auf ihren
Namen lauten, der neuen Irrlehre beigetreten sind, kann dieser bei Ver-
nünftigen und Besonnenen keinen Vorschub leisten : denn wol kaum ist noch
etwas Tolles und Aberwitziges zu ersinnen, dem nicht schon einmal soge-
nannte Ärzte nachgelaufen wären. Auch der Hahnemann'schen Irrlehre müs-
sen, nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge, noch Viele nachtreten, ehe
sie ihren Culminationspunkt erreicht haben und ilu'en Hinuntergang machen
wird. Wie könnte es auch anders kommen , da unter 100 sogenannten Ärz-
ten selten 2 oder 3 sind, welche diesen Namen verdienen, welche nach ge-
höriger Vorbereitung durch eine geläuterte Physiologie und die unerlässlicb
dazu gehörige Physik und Psychologie ihre eigentlich medicinischen Studien
begonnen haben " — Indessen bekam die Homöopathie von Tage zu Tage
mehr Anhänger, so wol im In- als Auslande, unter denen bedeutende Namen
glänzen, von denen ich nur Uufeland in Berlin, FT o//" in Warschau, Rau in
Giessen, M'iedemann in München, Mühlcnbcin und Weher in Braunschweig,
Mm: Mülki' in Leipzig et«, nenne. Der würdige Veteran Hufelmtd zeigte,
HOMOEOPATHIA 1043
dass es unrecht sey, die Lehre geradezu zu verwerfeo oder mit Spott und
Hohn zn verfolgen (s. Hufelnnd's Journal, 1826. 1828, Juni). Eine fernere
Erklärung über Homöopathie ist wiederum ganz neuerlich von ihm in seinem
Journ. d. prakt. Heilk. 1830, Febr. abgedruckt, und da die Stimme eines
flufelnnd in Dingen, worüber noch pro und contra gestritten wird, gewiss
als eine gewichtige angesehen werden muss, so will ich hier die Ansichten
des grossen berliner Lehrers in der Kürze mittheilen, die jeder ruhig den-
kende und humane Arzt im Ganzen unterschreiben wird. 1) „Prüfet Alles
und das Gute behaltet! Das ist und bleibt das erste Gebot in allen Wis-
senschaften und in der Medicin besonders. Wir haben aus den gemeinsten
Volkssagen und Volksmitteln, ja aus Charlatanerien und Irrthümern, manche
heilsame Wahrheit erlernt und uns zugeeignet ; warum also nicht auch aus
der Honu)opathie?" 2) „Die Medicin ist eine Erfahrungswissenschaft, die
Praxis ein fortdauerndes Experiment, mit der Menschheit angestellt. Und
das Experiment ist noch nicht geschlossen. Haben wir es den Brownianera
erlaubt und erlauben es noch den Contrastimulisten, das Opium und alle
andere heroische Mittel in ungeheuer grossen Dosen anzuwenden, warum
sollten die Homöopathen nicht die Erlaubniss haben, sie in ungeheuer klei-
nen Dosen anzuwenden?" S) „Unser höchstes Palladium ist Freiheit des
Denkens, Freiheit der Wissenschaft. Nur so kommen wir weiter! Keine
Art von Despotie, keine Alleinherrschaft, kein Druck des Glaubenszwanges!)
Selbst die Regierung darf in wissenschaftliche Gegenstände nicht eingreifen,/
weder hemmend, noch eine Meinung begünstigend; denn beides schadetJ
Nur Prüfung durch Erfahrung, Rede und Gegenrede, fortgesetzte freimü-
thige Untersuchung, und die Zeit, können und werden sicher am Ende das
Wahre von dem Falschen, das Brauchbare vom Unbrauchbaren sondern."
4) „Es giebt auch in der Medicin mehrere Wege zum Ziele. Der eine führt
langsamer, schwerer, gefährlicher, der andere schneller, sicherer, gefahrloser
dahin. Ja, scheinbar entgegengesetzte Behandlungsarten können dasselbe
Resultat hervorbringen. Die Ursache ist das Medium, wodurch Alles im
lebenden Körper geschieht, und so auch die Wirkung der Heilmittel ver-
mittelt wird: die innere Heilkraft, die Autokratie und Autonomie
der lebenden Natur selbst. So heilen Verbrennungen ebenso gut durch kal-
tes Wasser als durch Hitze und erhitzende Dinge, durch Verraittelnng der
Erregbarkeit und des Lebensprocesses ; die eine Methode heilt auf directem,
die andere auf indirectem Wege, die eine durch Entreizung, die andere durch
Überreizung. So heilt der Eine katarrhalische Fieber durch kühlende Mit-
tel, der Andere durch erhitzende und schwe^^^^treibende." 5) „Je älter wir
werden, desto mehr sehen wir ein, wie wenig >. vissen; aber die Erkennt-
niss des Nichtwissens ist auch schon ein hoher Grad des Wissens. Sie macht
uns bescheiden und nachsichtig, billigdcnkend gegen anders Denkende."
6) „Die Homöopathie ist durchaus zu verwerfen als allgemeines Princip der
ganzen Heilkunde. Ja, sie würde als solches, in ihrer ersten rohen Gestalt
angenommen, das Grab der Wissenschaft und auch der Menschheit werden.
Aber sie ist beachtenswerth und nicht zu verwerfen als eine eigene Heilungs-
methode für bestimmte Krankheitsfälle, und untergeordnet den höhern Priii-
cipien der rationellen Medicin. Dies spreche ich, sagt Hufelund, mit eben
so vollkommner Überzeugung aus, wie das erste, und ich bin es der Wahr-
heit schuldig, der allein ich huldige. Ohne mich liier darauf einzulassen,
•welchen Antheii die Diät oder die unendlich kleinen Dosen der Heilmittel a»
der Cur haben , ist es doch nicht zu leugnen , und nicht blos die Erfahrun-
gen anderer achtbarer Männer, sondern auch eigene Beobachtungen haben
mich überzeugt, dass sie nicht selten, und zuweilen höchst auffallend, und
nach vergeblichem Gebrauch anderer kräftiger Heilmethoden , Hülfe geleistet
hat." 7) „Die Homöopathie ist eine directe Cur, die Cur der Krankheit
an sich. Aber die Sache ist nicht neu ; von jeher gab es Arzte , welche die
Krankheit an sich, d. h. die innere Lebensveränderung, welche den Krankr-
beitserscheinungen zunächst zum Grunde liegt, zum Gegenstande der Cur
machten. Dahin gehören z. B. alle specidsche Curarten: die Cur der Sy-
philis, der Scabies, der Wechselfieber durch die Specifica Mercur, Schwe-
66*
1044 HOMOEOPATHIA
fei, China etc. Auch die diagnostische Bestimmung ist nicht neu; denn es
war der älteste und natürlichste Weg der Erkenntniss, die Symptome zu
beachten und zum Grunde zu legen, und aus den wesentlichen Symptomen
die nächste Ursache der Krankheit zu construiren. Aber der Unterschied
ist der, dass die rationelle Medicin ausser den Phänomenen noch ganz an-
dere höchst wichtige Quellen der Diagnose hat und benutz^, nämlich die
Genesis und die Reagenz, wodurch nothwendig die Diagnose viel umfassen-
der, tiefer und sicherer wird ,, als dies bei der Homöopathie der Fall ist.
Letztere legt sämmtliche Symptome, die rationelle Medicin aber nur die
wesentlichen und constanten Symptome zum Grunde der Diagnose und Cur.
Die Homöopathie ist also reine Empirie." 8) „Immer bleibt die Homöopa-
thie eine symptomatische Curart, und ihr bleibt daher das Schicksal
jeder symptomatischen Behandlung. Sie kann die Symptome, z. B. den
Schmerz etc. heben, aber die Krankheit bleibt, und es treten nun dieselben
Symptome wieder auf oder die Krankheit nimmt eine gefährlichere Form an.'*
Die Hülfe ist, auch nach HufelaniVs Erfahrungen, bei solchem homöopathi-
.schen Verfahren oft nur temporär, nicht dauerhaft. Bekanntlich achten die
Homöopathen durchaus nicht auf die Ursachen der Krankheiten, weil Hah-
nemann die Ätiologie verachtete. Seit ein paar Jahren hat indessen dieser
geniale Kopf Manches in seiner Lehre verändert. So z. B. werden allen
chronischen Krankheiten drei Krankheitsursachen zugeschrieben, nämlich ent-
weder Psora, oder Syphilis, oder Sycosis. Ist erstere da, so werden die
antipsorischen Arzneien , jedoch in den winzigen homöopathischen Dosen ge-
reicht, ist Syphilis Schuld, so heilt eine homöopathische Gabe Mercur, und
rührt das Übel von Sycosis her, so hilft allein der Succus thujae articulatae
(s. Hahnemnmis Chronische Krankheiten etc. ). So einseitig immerhin diese
Ansicht ist, so deutet sie doch an, dass die Homöopathen es selbst wohl
fühlen, wie traurig es um die Heilkunst steht, wenn wir alle Ätiologie ver-
achten. 9) „Man sage, was man will, fährt Hufeland fort, die eii^zige
gründliche Cur einer Krankheit ist und wird ewig bleiben (wie es auch
schon der Wortverstand giebt) diejenige, welche das Übel in der Wurzel
angreift, und so den Grund desselben hebt, d. h., welche zuerst die
Innern und äussern Verhältnisse aufsucht, durch welche das Übel erzeugt
ist oder unterhalten und genährt wird, und diese hebt; das Verhältniss der
verschiedenen coexistirenden Krankheitszustände erforscht , die einander we-
sentlich bedingen, und diese beseitigt; immer zuerst die reizende Ursache
entfernt, ehe sie an die Aufhebung der Reizung geht; und nun erst, wenn
dieses alles beseitigt ist und das Übel dennoch, selbstständig geworden,
fortdauert, oder wenn gar keine entfernten Ursachen zu entdecken sind, die
Krankheit an sich zum Gegenstande der Behandlung macht. Wie oft be-
handelt der Arzt die Wassersucht, die Hypochondrie, Hysterie, das Asthma
etc. durch die kräftigsten, gegen die Krankheit unmittelbar gerichteten Mit-
tel lange vergebens! Endlich entdeckt er, dass eine verborgene Scabies
öder Syphilis , oder eine Obstruction der Unterleibseingeweide zum Grunde
liegt. Er wendet nun Sulphur, Mercur, Resolventia an, und die Heilung
gelingt. Die ganze, für die Praxis so wichtige Eintheilung der Nerven-
krankheiten in Morlms cum et sine mnteria, beruhet darauf." 10) ,,Ein
Haujitfehler der Homöopathie ist das gänzliche Ausschliessen und Nichtach-
ten der Autonomie und Autokratie der Natur, die allen Helloperationen zum
Grunde liegt, sie unterstützt, leitet, modificirt, ja oft ganz allein bewirkt.
Diese Heilkraft der Natur, diese Selbsthülfe, die sich oft so herrlich bestä-
tigt, das ganze grosse Werk, was wir unter dem Worte Krisis , innerer
Heilungsprocess, begreifen, und für das jeder Arzt den tiefsten Respcct ha-
ben muss , fehlt in der Homöopathie gänzlich , und dies halten wir für eine
ebenso unbegreifliche ! al;; verderbliche Lücke. Sind nicht selbst viele .sogC;-
nannte Krankheiten oft gerade die heilsamsten kritischen Bestrebungen der
Natur zur radicalen Heilung? Man denke nur an die Wpchselfieber."
11) „Die Homöopathie übt eine solche nachtheiiige und beschränkende Herr-
schaft über die Geister aus, die jedes einseitige System haben muss, und die
wii" während der Herrschaft des ßrown'schen Systems genug zu beklagen
HOMOEOPATHIA 1045
Ursache hatten. Sie erzeugt Verblendung, Beschränktheit und Befangen-
heit, auch bei den Bessern, die sich ihr ganz ergeben. Sie übersehen die
wichtigsten Umstände, die dringendsten Aufforderungen der Natur zur Hülfe,
die deutlichsten Indicationen, weil sie nicht in das einmal von ihnen selbst
geformte Krankheitsbild passen. Auch dieses hat mir die bisherige Erfah-
rung schon hinlänglich bewiesen. Mit Erstaunen und herzlichem Bedauern
habe ich gesehen , dass auch die Besten , völlig blind gegen jene deutlichen
Aufforderungen und gegen ihre bessern Einsichten, sich dennoch ängstlich
an die vorgeschriebene Denkform und an das dictatorische Wort des Mei-
sters hielten und darnach handelten. Es ist bekannt, dass die Homöopathie
es vorzüglich zum Gesetz macht, die Nachwirkung der Mittel nicht zu stö-
ren. Nun dauert diese aber nach der Angabe des Stifters oft 8, 14, ja 40,
50 Tage, und ich habe schon gesehen, dass man in dieser ganzen langen
Zeit, selbst bei den wichtigsten Erscheinungen und Veränderungen, gar nichts
zu thun wagte, blos aus blindem Respect vor jenem doch nur problemati-
schen Gesetze. Vor nichts sollte sich doch der Mensch mehr hüten, als vor
Geistesgefangenschaft." Der Hauptfehler der Homöopathie ist, dass sie ihr
Princip zu dem allein gültigen der Heilkunst und jeder gründlichen, sichern
Heilung machen will, sich aber dadurch — durch blosses Auffassen des Ein-
zelnen und Mannigfaltigen , sowol in Bezug auf die Wirkung der Arzneien,
als auf die Krankheitserscheinungen — in ein unabsehbares Labyrinth ver-*
loren hat, wie dieses ganz richtig der Recensent in Piercr's Allgemeinen
medicinischen Annalen, 1828. Aug. bemerkt. Die frühere Homöopathie, wel-
che keine Krankheitsursachen und folglich keine dem Wesen dieser Ursachen
zeitlich und räumlich entsprechende Erscheinung anerkennt, der alles Sym-
ptom und Symptoniengruppe war, hat durch die spätere Annahme tinhne-
manii's, nach welcher ein inneres, höchst problematisches Grund wesen der
chronischen Krankheiten (Psora, Syphilis, Sycosis) statuirt wird, erst einen
wirklichen, wenn auch sehr flachen und. unhaltbaren Boden bekommen. So-
wie nun die alte Homöopathie hierdurch in ihrer Grundansicht verändert
worden ist, so muss dies natürlich auch in Bezug auf die Heilung oder
vielmehr auf die Arneiwirkungen geschehen. Doch will Hahnemann dieses
vermeiden, und die alte Homöopathie mit der^neuen verbinden, indem er
die Mittel trotz jener Annahme doch immer noch nach der Ähnlichkeit ihrer
Wirkung mit den Ki'ankheitserscheinungen anwenden lässt, was ein blosser
Nothbehelf genannt werden muss (s. Picrers Allg. med. Annalen, 1828. Aug.).
12) „Aber am traurigsten, sagt Hufcland weiter, ja wahrhaft furchtbar,
kann diese Einseitigkeit der Ansicht und Beschränktheit des Geistes hervor-
treten, wenn von lebensgefährlichen Momenten, von schnell verlaufenden und
schnell tödtlichen Krankheiten die Rede ist, und überhaupt, wo es «ich um
Rettung des Lebens handelt. Hier wünschte ich meine Stimme recht
laut und zur Donnerstimme erheben zu können! Was bei langwierigen,
nicht lebensgefährlichen Fällen ein erlaubtes, gleichgültiges, leicht nachzu-
S€ihendes Verfahren und Temporisiren seyn kann , das wird in solchen Fällen
ein Verbrechen. Wer da, wo das lieben auf dem Spiele steht, aus Vor-
liebe für eine Methode die von der tausendjährigen Erfahrung als das beste
Rettungsmittel anerkannte Hülfe versäumt, wer z. B. da, wo der Mensch
in seinem eigenen Blute zu ersticken in Gefahr ist, wer bei pneumonischen,
apoplektischen, encephalitischen Affectionen , überhaupt bei Entzündungen
edler Organe, die Blntentziehung verriachlässigt, worauf der Tod oder eine
langwierige ebenso unheilbare Krankheit folgt, der hat eine schwere Blut-
schuld aufsein Gewissen geladen, die, wenn er sie auch nicht gleich em-
pfindet, doch einst, wenn der Rausch der Befangenheit verschwunden ist,
furchtbar auf ihm lasten wird , der fällt der Gerechtigkeit zur Bestrafung
und, wenn auch nicht d«m irdischen, doch dem höhern Richter anheira;
denn er ist ein Mörder durch Unterlassung, so gut wie derjenige, der seinen
Nächsten, der zu ertrinke^i in, Gefahr ist, nicht aus dem Wasser zieht." —
So weit Hufeland. Möchten seine Warnungen tief ins Gemüth eines jeden
Arztes eindringen ! besonders ins Gemüth der jungen Ärzte ; denn der ältere
Praktiker huldigt den Systemen nicht mehr blindüngs, er benutzt das Gute
1046 HOMOEOPATHIA
jedes einzelnen Systems, ohne sich dem einen oder andern ganz zu ergeben.
Ohne Nutzen ist die Homöopathie keinesweges, wir müssen sie nur, wie
Hufclnnd ganz richtig bemerkt, als eine besondere, der rationellen Medicin
untergeordnete, für specieile Fälle anwendbare Curmethode und nur dafür
allein ansehen. In allen chronischen Übeln , in allen chronisclien sogenann-
ten Nervenkrankheiten : Hysterie, Katalepsie, Epilepsie, Hypochondrie, wenn
keine materiellen Ursachen aufzufinden oder diese schon entfernt sind, ver-
dient sie um so eher Beachtung, je mehr unsere gewöhnlichen Mittel uns
im Stiche gelassen haben. Wir brauchen dabei ja auch nicht immer die
winzig kleinen Dosen zu geben ; wir können ja bei unsern gewöhnlichen
Dosen bleiben und so modificirt homöopathisch hellen. Ausserdem hat die
Hahnemann\sche Lehre manches noch wenig beachtete Gute. «) Wir ver-
danken ihr manche nähere und bessere Bestimmungen über die Wirkungen
einzelner wichtiger Arzneikörper, /y) Sie hat unstreitig das Gute, dem Miss-
brauche, heroische Arzneien in grossen Dosen und in Menge zu verordnen,
wohlthätig "entgegenzuwirken. Betrachtet man das Leben und Treiben vie-
ler unserer heutigen Ärzte, so scheint es beinahe, als wenn sie von Natur-
autokratie {^ar nichts wüssten. Wenigstens dünken sie sich Herren der kran-
ken Natur, glauben stets positiv eingreifen zu müssen, schreiben ihren Mit-
teln, ist ihi\en eine Cur gelungen, allein die Heilung zu, ist sie misslungen
und der Tod erfolgt, so glauben sie noch dieses oder jenes heroische Mittel
versäumt zu haben. Dass sie aber leider nicht selten durch das Plus ihrer
Kunst oder Unkunst den Kranken getödtet haben , dass dieser nicht an der
Krankheit, sondern an der Menge der Araneien gestorben ist, daran denken
sie wol sehr selten ! c) Die Homöopathie mit ihrer strengen Diät und mit
dem Nichts ihrer Arzneien giebt den deutlich.sten Beweis, wie gross, wie
herrlich , wie göttlich die Vis naturae medicatrix sey. Ohne diese wäi'e die
Homöopathie längst zu Grabe getragen, d) Auch beweist die Hahnemann'-
8che Lehre aufs bündigste , dass die sympathetischen Mittel von Wirksam-
keit und bis jetzt von den Ärzten zu wenig beachtet worden sind. Ja, ich
bin der Meinung, dass die auffallenden Wirkungen, die man von dem Ein-
nehmen unendlich kleiner Arzneigaben gesehen hat, nicht der Homöopathie,
sondern der Sympathie, dem unerklärbaren Zusammenhange, worin alle
Erdkörper mit einander stehen , zugeschrieben werden müssen , wobei der
Glaube, die Einbildungskraft des Kranken, das auf blinden Glauben ge-
stützte, positiv und sicher scheinende Benehmen des homöopathischen Arztes
etc. mit in Anschlag gebracht werden müssen. Man mache ein Expcrimen-
tum crucis, verspreche z. B. einer hysterischen Frau durch Homöopathie
sichere Heilung; setze 20 und noch mehrere Gläser auf den Tisch, fülle sie
mit destillirtem Wasser, unter den Augen der Kranken , tröpfle und schütte
aus einem Glase ins andere, mache eine wichtige Miene dabei, gebe aber
aus dem letzten Glase keine verdünnte Arznei, sondern rein destillirtes Was-
ser (der Betrug, in das letzte Glas von der verdünnten Arznei nichts ge-
tröpfelt zu haben , ist erlaubt) , und man wird — ich habe dergleichen er-
lebt — Wunder sehen ! Die Krämpfe sind wie weggeblasen und cessiren
vielleicht 8, ja 14: Tage; aber sie kommen wieder und das zweite homöo-
pathische Nichtsthun hilft nichts, weil der psychische Eindruck und so die
Sympathie nun schon weit geringer ist. Möchte es doch den in Ostreich
und Russland gegenwärtig behufs der Homöopathie ernannten Commissionen,
um das Wahre oder Falsche der Sache streng zu prüfen, gefallen, ähnliche
Experimente als Gegenproben zu machen ! Der Mensch hängt in jeder Zeit
von Eindrücken ab, und das Psychische hat, wie wir täglich im gemeinen
Leben und am Krankenbette sehen , einen bedeutenden Einfluss aufs Soma-
tische. Ja dieser Einfluss ist so gross, dass z. B. wollüstige Gedanken die
Heilung eines Beinschadens stören und plötzlicher Ärger gesunde Muttermilch
giftig machen kann (s. Cacogalactia und Fermcntatio). Lesenswerth
sind Hoppes Erfahrungen über die Homöopathie (s, dess. Denkwürdigkeiten
aus der ärztl. Praxis. Bd. IL). Er sagt hier, dass die Behandlung mit ho-
möopathischen (und antipsorischen) Mitteln nach seiner Erfahrung im Gan-
zen mehr Nieten ergebe, als eine vorsichtigere — bedeutendere Arznei-
HORDEOLUM 1047
krankheiten verhütende — allopathische. Was indessen Kopp an der Ho-
möopathie lobt, und warum er dies thut, ist in emer neuern Schrift von
«Simo« jun. der Art beleuchtet worden, dass es auf Selbsttäuschung und fal-
schen Schlüssen beruhe. Recht scharfsinnig ist die im J. 1835 von Stieglitz
erschienene Schrift über Homöopathie geschrieben , die kein Arzt ungelesen
lassen sollte. Schliesslich bemerke ich, dass vor einigen Jahren es den An-
schein hatte, als würde die Homöopathie auch hier in Mecklenburg unter
einzelnen Ärzten Beifall finden, doch sind diese bald wieder auf die Bahn
der Allöopathie gelangt, und kein einziger Arzt Mecklenburg - Schwerins ist
ein Homöopath; nur hie und da findet sich wol ein hypochondrischer Phi-
lolog oder sonstiger Stubensitzer, der vom Auslande her sich homöopathi-
sches Nichts in Streukügelchen gegen seine vollwichtigen Friedrichsd'or kom-
men lässt. Ein solcher war es auch, der vor wenigen Jahren in einem un-
serer Blätter als eifriger Verfechter der Homöopathie auftrat, den ich aber
gehörig zurecht gewiesen habe (s. Schweriner freimüth. Abendblatt. 183S.
Nr. 743, 746 und 750 u. 751).
Hordeolum 9 Hordeum, CritJi€y das Gerstenkorn, und «ler höhere
Grad des Übels: Chnlnzion, Chalas-ia , Vhnlazeosis, Grnndo , Porosis, To~
plnis , Lylhynsis, das Hagelkorn, die Hagelgeschwulst. Ist eine be-
schränkte Entzündung am Augenlide, welche Ähnlichkeit mit einem kleinen
Furunkel hat und leicht in Eiterung und Verhärtung übergeht. Der Sitz
des Gerstenkorns soll eine Meibom'sche Drüse seyn ; doch ist dies wol nicht
immer öt Fall; denn oft sitzt es dazu zu weit nach Vorn und Atissen, und
es ist daher ursprünglich das Zellgewebe der leidende Theil und wahrschein-
lich der Sitz in den Folliculis sebaceis. Symptome. Unter Spacmung und
heftigem Jucken bildet sich oft in einer Nacht an einem Augenlidrande jene
kleine , entzündete , auf den Raum einer Linse , Erbse beschränkte Beule,
welche schnell an Grösse zunimmt, die Bewegung des Augenlides hindert
und dunkelroth, hart und empfindlich ist. Am zweiten, dritten Tage wird
die Geschwulst mehr rund und bohnenförmig , glänzend, erhebt sich gleich-
massig, zeigt später an der Spitze einen gelblichen Punkt (daher d'er Name
Gerstenkorn), der sich öffnet, Eiter entleert, worauf der kleine Abscess
bedeutend zusamraenfiillt ; dabei verkleben des Nachts die Augenlider ge-
wöhnlich ein wenig. Der kleine Abscess heilt meist schnell; doch l)leibt in
den meisten Fällen etwas Härte und Neigung zu Recidiven zurück. Diese
erfolgen leicht nach Erhitzung , Erkältung und nach mechanischer fileizung.
Mit jedem Recidive vergrössert sich die Geschwulst, und wenn sie da« erste-
mal nicht gehörig rein ausgeeitert hat, so thut sie dies auch das zweite und
die folgenden Male nicht; sie bleibt dann härter, dicker (^Hordeolum sctrrÄo-
sum, richtiger Jford. indurntuni) und selbst so gross als eine Erbse {Cha-
lazion'). Ursachen. 1) Zuweilen topische Reize durch Kratzen, durch
gewaltsames Abreissen der trocknen Borken bei Blepharophthalraien, wenn
des Morgens die Augen zugeklebt sind. 2) Häufig giebt Erkältung Veran-
lassung, wenn wir bei erhitztem Körper und schwitzendem Antlitze die Au-
gen mit kaltem "Wasser waschen, oder uns bei Nachtschwärmerei, Tanzen
und Weintrinken ohne vorherige Abkühlung des Körpers der Nachtluft, der
Zugluft aussetzen. 3) Ausschweifungen in Baccho und Venere, welche Con-
gestion zum Kopfe, Ausschläge im Gesichte und somit auch Hordeolum er-
regen. 4) In vielen Fällen ist Scrophulosis , Arthritis, Syphilis inveterata
Schuld. Cur. Sehr schwer ist das Hordeolum zu zertheilen; dies hat es
mit dem Furunkel gemein; der beste {Ausgang ist, wenn es herauseitert.
Anfangs kann man die Zertheilung versuchen und Spirit. Mindereri 5J, Aq.
rosar. ^j, lauwarm überschlagen (Äeer), oder Umschläge von Eis, von
Oxykrat machen. In der Regel wird man aber zu spät gerufen. Dann
passen, um die Eiterung zu befördern, Semmelkrumen und Milch, mit et-
was Pulv. foen. graec. vermischt (3fo«0> welche Umschläge man auch nach
freiwilligem Offnen des Absccsses, um ein Hordeolum induratum zu verhüten,
fortsetzt. Bleibt dennoch Härte zurück, so lasse man von folgender Salbe,
dreimal täglich eine Erbse gross, mit der Spitze des Fingers einreiben:
fy Unguent. hydraxt^yr. dn. fort. 5j j CttmpkmcM: trU. , Eoftr. ckuiae ana gr.
1048 HORROR — HUMECTANTIA
xjj. M. exacliss. (^IVcller'). Noch wirksamer ist, auf gleiche Art angewandt,
folgende Salbe: I^r Mcrciir. soluh. Halmcm. gr. AJ, Axmig. porci 3]- M. ex-
actiss. {HirnJi)). Liegt die Geschwulst mehr nach Aussen, so kann man
auch Empl. diachyl. gummös,, de Galbano crocat. auflegen. Ist das Ger-
stenkorn sehr entzündet und schmerzhaft, so vermeide . man diese Pflaster
und lege lauwarme Kataplasmen von folgender Mischung auf: 1^7 Herb.
hi/osci)(nni, — cicutae, Far.^scni:. Uni ana 5)>. Cotj. c. suftic. ([uant. a(iuae
ad consist. Ca(aj)l. {v. Gräfe). Dabei achte man auf das etwanige Allge-
meinlciden, gebe bei venerischer Dyskrasie Spec. lignor., Mercur, bei Scro-
pheln Cicuta, Merc. dulc. und Sulph. aurat. , bei Gicht Guajak und Spec.
lignor. etc. Hat sich schon ein Hordeolum indurattjm gebildet, so ist eine
tüchtige Eiterung zu wünschen. Diese hält aber oft schwer; das Ding ent-
zündet sich zwar oft, aber es erfolgt wegen Mangels an Reiz selten ge-
hörige Eiterung. Hier berühre man die .Stelle mit einer heissen Nadel, oder
reize sie mit Spirit. sal. ammon. a(|uos. Man kann, um die Härte zu heben,
das Gerstenkorn auch, nachdem der Eiter ausgedrückt worden, mit Spirit.
nitri fumans oder mit Höllenstein vorsichtig berühren (/fo/rfcj/) und Empl.
diachyl., mit Pulv. cantharid. vermischt, auflegen. Hat sich schon ein wirk-
liches Chalazion gebildet, so ists am besten, die ganze harte Geschwulst
mit dem Messer .auszuschälen, sonst vergrössert sie sich immer mehr, und es
entsteht ztiletzt eii^e Verwachsung mit dem Tarsus. In seltenen Flllen ent-
steht Exulceration, die Stelle sondert schlechte Jauche ab und das Ganze
bekommt einen bösartigen, carcinomatösen Charakter (s. Cancer oculi).
Ist dies noch nicht der Fall, fürchtet sich der Kranke vor dem Operiren,
so kann man eine Zeit lang folgendes Pflaster, welches mitunter Zertheilung
bewirkt , versuchen : Kr EmpL cicutae 5j , ^- heihtdonn. ^j , — cerussne ^iv.
Malax. exactiss. S. Sehr dünn auf feine Leinwand zu streichen (y. Gräfe').
Bei sehr verhärteten Gerstenkörnern, wo keine ordentliche Eiterung zu Stande
kommt, leistet der anhaltende Gebrauch einer recht starken Quecksilbersalbe
oft noch j>ute Dienste {Wallis, Himhj', Most), wo z. B. 12 Gran Merc. solub.
Hahnem. auf .^j Fett genommen werden
Horror , Horripilatio , der Schauder, der Frostschauder. Ist
ein gesvöhnliches Symptom im Froststadium der Fieber (s. Febris). Je
heftiger der Frost in Fiebern ist, <iesto mehr haben diese im Allgemeinen
den inflammatorischen Charakter, desto eher sind bedeutende Localentzün-
dungen zu fürchten und strenge Antiphlogistica anzuwenden, z. ß. bei an-
fangender Pneumonie. Kommt im Verlaufe der Fieber, am 9ten, Uten Tage,
und bei Innern Entzündungen, z. 13. bei Enteritis, Metritis, ein ungewöhn-
licher und heftiger Frostanfall, so ist innerer Brand zu befürchten (s. Gan-
graena interna). Zeigt sich ein Fieberfrost mit darauffolgender Hitze
im Verlaufe eines Krampfanfalls , z. B. bei Hysterischen , bei Ejtilepsie,
Chorea etc., so ist dies ein gutes Zeichen und deutet an , dass der Krampf-
anfall abzieht. Kommen statt der epileptischen Anfälle zur Zeit, wo diese
periodisch einzutreten pflegen, nur Frostanfälle, so hat man HolTnung, dass
das Übel geheilt werden könne, was in solchen Fällen durch Chinin mit
Magnesia, durch Decoct. chinae mit etwas Sal tartari (s. Febris int«r-
mittens) am besten und schnellsten erlangt wird {Most).
Huinectantia {rcmcdia), anfeuchtende Mittel. Sind solche
Mittel, welche den Theil, auf welchen man sie anwendet, benetzen und
feucht machen. Dahin gehören kaltes und warmes Wasser, Milch, die ver-
schiedenen feuchten Überschläge, die Dccocte von schleimigen Samen und
Pflanzen , die ausgepre.s.sten Öle , Mucil. gumm. arabici, Sem. cydonior. etc.
Auch die Dunst- und Qualmbäder gehören hierher (s. Balneum, Cata-
plasnia, Fomentatio, Frictio). Alle diese Mittel finden vielfache An-
wendung Irei Trockenheit des Mundes, des Halses, der Nase, der Augen,
der Vagina, bei Trockenheit und Steifigkeit der Gelenke, bei trockner, sprö-
der Haut, bei trocknen Wtniden, Geschwüren. Sie sind äusserst wohlthä-
tige und in vielen Fällen schmerziindernde, selbst krampfstillende Mittel.
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