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Full text of "Entwickelung und gegenwärtiger Stand der wissenschaftlichen Bibliotheken Deutsehlands mit ..."

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Dt 


BlBLIOTHEKSWIüSENSCHAFTLlCHER ARBEITEN i 

KARL DZIAT^KO. 
5. Her-. 


1 

1 


ENTWIOCEI.IJNCV 1 




GEGEN WÄI<TTr,FR STAND 


1 




ESrnHüFTümBIBLiOTHEeflEÖTSCHL« 






a^SONDt.RER BEROCKSICHTIOUNG 

PH KÜSSENS 


1 




KARL DZIATZKO. 






MIT 1 rABKLLK. 






• t-i- 






LEnpzia. 

Vl.KI.AC. VLiN M. SPIR-KATIS. 
Igllll. 













SAMMLUNG 



BIBLIOTHEKSWISSENSGflAFTLIGHER ARBEITEN 



HERAUSGEGEBEN 
VON 

KARL DZIATZKO, 

O. Ö. PBOPBSBOR DER BIBLIOTHBKSHÖLP8WIS8EN80HAFTBX UND OBERBIBLIOTHEKAK 

UER uniyersitXt OÖTTINOBM. 



T). HEFT. 

KARL. DZIATZKO: ENTWICKELUNG UND GEGENWÄRTIGER STAND 

DER WISSENSCHAFTLICHEN BIBLIOTHEKEN DEUTSCHLANDS MIT 

BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG PREUSSENS. 



LEIPZIG. 

VERLAG VON M. SPIRGATIS. 

189:1 



ENTWICKELUNG 

UNI) 

GEGENWÄRTIGER STAND 

DER H P (^i : 




E 






MIT 

BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG 

PBEUSSENS 

VON 

KARL DZIATZKO. 



MIT 1 TABELLE. 






LEIPZIG. 

VERLAC; VON M. SPIRCJATIS. 

1893. 



Vorwort. 



Die auf Anordnung des Königlich Preussischen Unter- 
richtsministeriums vorbereitete Betheiligung der grösseren 
Bibliotheken Preussens an der Bibliotheks-Ausstellung 
in Chicago, denen sich in sehr erfreulicher Weise zahlreiche 
andere Bibliotheken Deutschlands angeschlossen haben, legte 
der genannten Behörde den Wunsch nahe, als Einleitung 
gewissermassen in das Studium der deutschen Bibliotheks- 
Ausstellung und zu ihrer Ergänzung die Entwickelung der 
wissenschaftlichen Bibliotheken Deutschlands und ihren gegen- 
wärtigen Stand dargestellt zu sehen. Dem Unterzeichneten 
wurde ein entsprechender Auftrag zu Theil. Bei der Kürze 
der Zeit, welche weder Reisen noch selbst schriftüche Er- 
kundigungen in weiterem. Umfange oder das Versenden von 
Fragebogen gestattete, musste er freilich darauf verzichten, den 
Geschäftsbetrieb und alle nennenswerthen Einrichtungen der ver- 
schiedenen Bibliotheken eingehend zu behandeln. Er musste sich 
darauf beschränken, zunächst für ausserdeutsche Fachgenossen 
in allgemeinen Umrissen und kurzen Zügen dasjenige hervor- 
zuheben, was über den nächsten Wirkungskreis der einzelnen 
Bibliothek hinaus für die Gesammtentwickelung der grösseren 



Bibliotheken Deutschlands als bedeutungsvoll sich erwiesen hat 
und ihre Eigenart, soweit von solcher die Rede sein kann, 
verständlich macht. Für den deutschen Leser kann diese Skizze 
bei dem bisherigen Mangel an ähnlichen historischen Versuchen 
wenigstens zur schnellen Orientirung dienen und den Rahmen 
abgeben für die Einreihung und Gruppirung eines reicheren 
Materials. 

Göttingen, im April 1893. 

Karl Dziatzko. 




Die Grundlagen der wissenschaftlichen Bibliotheken Deutsch- 
i reichen wenigstens bis auf Karl den Grossen zurück, 
den schon ein jüngerer Zeitgenosse (Godesscalc) als Studiosus 
hl arte librorum (svoll Eifer im der Pflege der Bücher«) be- 
zeichnete: auf die von den ersten Sendboten des Christen- 
thums in den deutschen Gauen gegründeten Kirchen und 
Klöster, mit denen gewiss stets Schulen verbunden waren ; auf 
die Belebung wissenschaftlichen Sinnes unter der Geistlichkeit 
und im Laienstande, die von jenem Regenten ausging, sowie 
auf das Vorbild, welches einige blühende Klöster des west- 
fränkischen Reiches, wie die von Tours, Fontenelle, St. Denis, 
in Bezug auf Sammlung und Vermehrung von Handschriften 
gaben. Wie sehr auch andere A-ufgaben als gerade litterari- 
sche in Deutschland damals für den Klerus im Vordergrunde 
standen, entbehren konnte er des Rüstzeuges an Büchern nicht, 
wenn er selbst im Zusammenhang mit der kirchlichen Tradi- 
tion und dem Geistesleben der Vorzeit bleiben und Andere 
dazu hinfuhren wollte. Kirchen und Klöster, namentlich solche 
der BenediktJnerregel, sind es daher, von deren Bibliotheken 
wir am frühesten und durch mehrere Jahrhunderte fast aus- 
schliesslich auf deutschem Boden hören. Be nediktbeuren 
und Fulda erhielten nachweislich Bücherschenkungen von 
Karl d. Gr. ; in Salzburg brachte Erzbischof Arn (um 800) 
eine Sammlung von mehr als 150 Büchern zusammen und in 
der gleichen Zeit sorgte Erzbischof Hildebold von Köln (785 
—819) eifrig für die Anfertigung von Handschriften für die 
Bücherei seiner Kirche. Im 9. Jahrh, gab es ausserdem sicher 



bereits Büchersamnilungen, deren Inventare sich zum Theil er- 
halten haben, in Bamberg, Bergkirchen lin Bayern), 
Consta nz, Frei sing, Lorsch, Keichenau (im J. 822:415 
Bde), St. Gallen (428 u. m. Bdel, StaffeUee {in Bayern), 
Weissenburg und Würzburg (Stift Neumünster), auch 
Murbach (im Elsass) und Passau {9/10. Jahrh.), wobei wir 
die Grenzen Deutschlands den damaligen Verhältnissen ent- 
sprechend weit ansetzen. .Aus den folgenden Jahrhunderten 
sind die Urwähnungen mehr oder minder umfangreicher Bi- 
bliotheken, abgesehen von den schon erwähnten, noch zahl- 
reicher. Ich nenne nur von den bekannteren Orten Augsburg, 
Engelberg, Gandersheim, Hirschau, Kremsmünster, Pfaffers, 
Regensbiirg, SchafThausen und Speyer Von anderen Klöstern 
gleicher Bedeutung, wie z. B. -Corvey, Hersfeld u. s. w., fehlen 
gewiss nur zufällig so alte Nachrichten über ihre Bibhotheken. 
Von einzelnen Personen werden vor allem Fürsten als Begründer 
von Bibliotheken aus jener Zeit genannt: Kar! d. Gr., Ludwig 
der Fromme, Otto 11!., aber auch Geistliche und Edelleute aus 
dem Laienstande. Die Benutzung der Handschriften geschah 
natürlich ganz vorwiegend am gleichen Orte oder es war doch 
auf solche gerechnet; doch sind auch die Beispiele ihrer Ver- 
leihung nach auswärts, besonders an Klöster, nicht selten, um 
davon eine Abschrift anfertigen oder einen schon vorhandenen 
Codex darnach verbessern zu lassen. In der Regel wurde ein 
ITand für die richtige Rückgabe hinterlegt, häufig in Form 
gleich oder höher geschätzter Bücher; später wurde dies ganz 
allgemein gebräuchlich und .sogar in die Benutzungsordnungen 
aufgenommen. Der Kreis der Interessenten war klein und die 
Versendung der gewünschten Bücher von Ort zu Ort von 
grossen Schwierigkeiten begleitet. Gleichwohl erhält man aus 
den Nachrichten doch den Eindruck einer gewissen Bereit- 
willigkeit und Liberalität, die auf dem Bewusstsein der Gemein- 
samkeit geistiger Interessen beruhten. Die Anordnung der 
Codices in den zahlreichen noch erhaltenen alten Katalogen 
ist insoweit sachlich, als sie nach dem Inhalt in mehrere Grup- 
pen zerfallen: voran steht meist die biblische Litteratur, es 
folgen die Kirchenväter, kanonische und liturgische Bücher 



und eiidlicli die weltlichen Schriften. Daneben machten sich 
Rücksichten auf das Format der Bücher und auf die Zeitfolge 
ihrer Erwerbung geltend. Das Amt des Bibliothekars (arvia- 
riusj, mit dem auch die Aufsicht über die Schreiber verbunden 
war, galt als sehr wichtig und sollte nur an ältere und mit 
den Verhältnissen des Klosters vertraute Brüder übertragen 
werden (d'Achery, Spie. vet. scr. IV. S, 185). 

Die Zahl der Handschriften wuchs in den einzelnen Biblio- 
theken unter der Fürsorge zahlreicher eifriger Aebte und Brüder, 
wenn auch Verluste natürlich nicht ausblieben und namentlich 
vom 13. jahrh. an ein wesentlicher Umschlag in den Neigungen 
und der Bildung der Klosterbrüder und damit in der äusseren 
.-\usstattung und inneren Güte der Handschriften, auf einzelnen 
Gebieten auch in der Zahl ihrer Vermehrung sich bemerkbar 
macht Die Kreuzzüge, das Aufblühen der Städte und sonstige 
Verhältnisse brachten andere Klassen der Menschen und andere 
Interessen in den Vordergrund; die vornehmeren, mehr einem 
beschaulichen Leben und Studien gewidmeten Orden der Bene- 
diktiner, Cisterzienser und Karthäuser wurden zur Seite ge- 
drängt von den im Anfang des 13. Jahrh. gestifteten Orden 
der Prediger- und Bettelmönche, die auf die Bürger der Städte 
und die grossen Massen zu wirken begierig, vor allem Aus- 
bildung ihrer dialektif^chen Gewandtheit erstrebten, historisch- 
litterarischen Bestrebungen aber abhold waren. Daher be- 
zeichnen das 13. und 14. Jahrh. iür die vorerwähnten Biblio- 
theken eine Periode des Stillstandes oder des Rückgangs. Da 
indess in derselben Zeit Bildung und Kenntnisse Gemeingut 
weiterer Kreise wurden und z. Th. auch dem Inhalt nach sich 
popularisirten. nahm das Bedürfniss nach Büchern und nach 
Sammelstätten solcher nicht ab ; der Sitz dieser und ihr Cha- 
rakter wurden nur theilweise verändert. Aus früheren Kloster- 
schulen entstanden grössere Studienanstalten halb weithchen 
Charakters und als deren Elite die Universitäter, die meist 
nach dem Muster der Pariser Universität oder der italienischen 
organisirt, bei sehr grosser Studentenzahl auch ansehnlicher 
und geordneter Büchereien bedurften und für deren Verwal- 
tung und Benutzung bereits durch feste Ordnungen sorgten. 



4 — 



Das Aufkoininen des I.eineupapieres an Steile des Pcrtjainentes 
begünstigte das rasche Anwachsen der Sammlungen. 

Diesen Bibliothelcen wie den älteren ist die enge Verbin- 
dung mit den Genossenschaften eigen, auf deren Hedürfnisse 
sie zunächst berechnet waren, die ihren Inhalt imd ihre Hin- 
richtung bestimmten, ihnen aber auch eine gewisse Dauer und 
sicheren Bestand gewährleisteten. I'rivatbibliotheken von Be- 
deutung konnte es daneben fast nur im Besitze hoher Herren, 
welthcher oder geistlicher, geben, doch waren diese nach dem 
Tode des Besitzers meist den Wechselfällen des Zufalls aus- 
gesetzt. Seit dem 14. Jaiirh. nahm aber, entsprechend dem 
kräftigeren und freieren Hervortreten der Individuaütät im 
gesammten Geistesleben, auch die Lust liinzelner am Sammeln 
von Büchern sehr bemerkbar zu und erhielt auch durch die 
da und dort auftauchenden religiösen Bewegungen einen 
starken Anstoss. Die lebhafte Entwickelung des Handelsver- 
kehrs und der zunehmende Wohlstand leisteten .solchen Nei- 
gungen Vorschub und beförderten die Anlage namhafter 
Büchersamin hingen auch bei Privaten Von der Bewegung des 
Humanismus, welcher in Italien schon im 14. Jahrh. das Ver- 
langen nach Büchern mächtig gesteigert und die .\nla^e zahl- 
reicher Handschriften, Sammlungen, zunächst in den Händen von 
Privaten, hervorgerufen hatte, wurde Deutschland erst etwa 
ein Jahrhundert später ergriffen. Es kam die neue Kunst des 
Buchdrucks hinzu, welche die Preise der Bücher sofort auf 
höchstens ein Fünftel sinken Hess und den Erwerb von Büchern, 
die Gründung und Vermehrung der Bibliotheken so wesentlicli 
erleichterte, dass allein aus diesem Grunde eine neue Epoche 
des Bibliothekswesens von jener Erfindung (Mitte des 15 Jahrh.l 
zu datiren ist. 

Der bisherige enge Zusammenhang der Bibliotheken mit 
den Studieoanstalten jeder Art, mit religiösen Genossenschaften, 
Kirchen und Stiftern blieb, wie ganz natürlich ist, weiter be- 
stehen, und die zahlreichen Privatbibliotheken, die damals und 
weiterhin entstanden, fanden zuletzt in der Regel ihren Weg 
in eine jener Korporationsbibliotheken, sofern nicht Für.-.ten- 
geschlechter und begüterte .-^delsfamilien sich dauernd in ihrem 



Besitz zu erhalten wussteii. Aber eine neue Wendung in der 
Entwickelung des Bibliothekswesens brach sich damals Bahn. 
Schon Petrarca hatte 1362, als er seinen Wohnsitz nach Ve- 
nedig verlegte, der Republik angeboten, unter gewissen Be- 
dingungen ihr seine reiche Bibliothek zu vermachen, die in 
einem besondern, gegen Feuer und Unwetter gesicherten Hause 
dauernd aufgestellt werden sollte «zu Nutz und Frommen der 
Geistreichen und Edlen jener Stadt«. CoJuccio Salutati betonte 
ungefähr gleichzeitig die Nothwendigkeit der Anlage öffent- 
licher Bibliotheken grössten Umfanges aus Gründen der philo- 
logischen Kritik (Mehus, vit. Ambr. Trav., S. 291). Etwas 
früher bereits (1345) hatte Richard de Bury, der Freund Pe- 
trarcas, in seinem Philobiblon fc. iS, 19) die Absicht ausge- 
sprochen, seine grosse Büchersammlung der allgemeinen Be- 
nutzung zugänglich zu machen, Die erste öffentliche Bi- 
bliothek in modernem Sinne aber stiftete Niccolö Niccoli 
(f 1437). indem er seine reiche Handschriftensammlung der 
Stadt Florenz zum allgemeinen Gebrauche vermachte, wo sie 
später ( 1444) Cosmo di Medici in der neugegründeten Marciana 
unterbrachte. Kurz, die Vorstellung, dass es Büchersammlungen 
geben müsse, die ausdrücklich und dauernd dem allgemeinen 
Nutzen dienen sollten, kam im 14/15. Jahrh. zuerst auf; häufig 
ist seitdem von einer ibibUoiheca publica^ die Rede. Wir haben 
hierin eine der edelsten Früchte zu sehen, welche am Baume 
des Humanismus reiften und genährt waren von den aus dem 
Altcrthum gesogenen Ideen des Genieinsinnes und der allge- 
meinen Wohlfahrt. 

Wie in Italien, wenn auch später, boten in Deutschland 
die während der letzten Jahrhunderte des Mittelalters erstarkten 
städtischen Gemeinden der neuen Richtung des Bibliotheks- 
wesens einen günstigen Boden, In grosseren und kleineren 
Städten fanden sich auch noch vor der Reformation im 15. und 
16. Jahrh. begeisterte Freunde der Litteratur und Wi.ssenschaft, 
welche dem Ort, wo sie geboren waren oder gelebt hatten, 
ihre eigenen Bibliotheken oder die Mittel zur Anlajje solcher 
zum allgemeinen Gebrauche hinterliessen (vergl. Falk im Hist. 
Jahrb..I.V Au.s Heidelberji 114721, MicheUtadt (1499) und 



Wittenberg ^1514), vielleicht auch Ladenburg am Neckar I1503), 
erfahren wir noch vor dem ersten Auftreten Luthers von 1 
solchen Stiftungen. In Frankfurt a M. erfolgte sie ausdrücklich 

dem gemeyn volk zu notzc (1477) «iid ähnlich in Xanten I 
(1485]. Die von Kirchdorfsche Stiftung in Alzei (1409) und ' 
die Neithard'sche zu Ulm (1443 und 1516) dienten nnr einer 
beschränkteren Oeffentlichkeit , und bei anderen Stadt- oder ' 
Rathsbibliothekeo, welche wir kennen lernen, wie der von Nürn- 
berg (seit 1432), fehlt der Charakter der Oeffentlichkeit in noch 
höherem Grade oder er lässt sich nicht nachweisen, wie in 1 
Braunschweig (1413), Danzig [1413 und 1465), Hamburg {1469) \ 
und Schlettstadt Eigene Gebäude gab es für solche Büchereien ^ 
fast nirgends; von Fraol^furt a. M. wissen wir allerdings, dass 

1522 ein Bürger fjak. Heller) der Stadt 50 Goldgulden vermachte 1 
zur Erbauung einer Bibliothek. In der Regel wurden sie 1 
Kirchen oder Klöstern zur nächsten Obhut überwiesen. 

Wie in anderen Dingen zeigt die Reformation, wenn gleich j 
von anderen Ausgangspunkten her, auch hierin gleiche An- 
schauungen und Bestrebungen wie der Humanismus. In seiner | 
Schrift tAn die Rathsherren aller Städte deutschen Landes, dass 1 
sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen< (1524), 
mahnt Luther dieselben, welchen er die Schulen an.« Herz legt, 
eindringlich, »dass man Fleiss und Koste nicht spare, gute 
Librareien oder Bücherhäuser, sonderlich in den grossen Städten, 
die solichs wohl vermügen, zu verschaffen', und begründet es 
eingehend aus dem Neuen und Alten Tostament sowie aus der 
Geschichte (Erlanger Ausg. von L*s Werken Bd. 23 S. 194). 
Indem er kräftig die verkommenen Zustände der klösterlichen 
Bibliotheken schildert, unterlässt er nicht im einzelnen anzu- 
geben, was die empfohlenen Stadtbibliotheken an »recht- 
schatfenen Büchern, enthalten .sollten: es ist die Heihge Schrift 
in den wichtigsten Sprachen, ihre besten und ältesten Aus- 
leger, ferner was zur Erlernung der Sprachen nöthig ist, schone 
Litteratur. Künste, Jurisprudenz, Medizin und vor allem Gc- 1 
schichte. Dass er Erfolg luttte mit seiner Mahnung, beweist i 
Cheils die Neugründung vieler stadtischer Bibliotheken, wiel 
Augsburg ii537l, Kisleben (1542), Lindau (15281, Nürnberg J 



( 153^1 wohl auch Worms (vor 1531) und Zwickau, etwas 
später Danzig (i 582/91), Grimma ( 1 569), Halle (Marienbibl. 
1552/60), Lüneburg (1555), iheiis die vermehrte Fürsorge, die 
schon bestehenden Bibliotheken zu Thcil wurde. Die v. Reh- 
diger'sche Bibliothek in Breslau wurde Familienstiftung (i57Ö)r 
aber mit öffentlicher Benutzung. Zahlreiche Stifter und Klöster 
wurden in den reformirten Städten und Ländern säkularisirt ; 
ihre Büchersammlungen, welche übrigens italienische Humanisten 
bereits mancher kostbarer Stücke beraubt hatten, bildeten den 
Grundstock der neuen Bibliotheken oder einen erwünschten 
Zuwachs, ihre Gebäude für lange Zeit deren nächstliegende 
Stätte. 

Mit dem Maassstabe unserer öffentlichen Bibliotheken 
dürfen jene Anfänge solcher freilich nicht gemessen werden. 
Dafür war doch der Kreis der auf ihren Gebrauch Angewiesenen 
zu klein und der Sinn für Bücherweisheit gerade bei den Bürgern 
einer Stadt zu wenig verbreitet. Dass städtische Mittel zur 
Vermehrung und Verwaltung der Bücher verwendet wurden, 
geschah nur ganz ausnahmsweise. Die Oeffentlichkeit der Be- 
nutzung bestand meistens bloss darin, dass eine grössere Zahl 
von besonders interessirten Personen Schlüssel zur Bibhothek 
erhielten und damit das Recht für sich oder Andere Bücher 
zu entleihen, auch Andere in die Bibliothek einzuführen. Die 
Fremden mussten jedoch vor der Entnahme von Büchern Leih- 
und Bürgscheine, häufig sogar ein Faustpfand hinterlegen. 

Weit höher müssen wir für jene Zeiten die Wirksamkeit 
der Bibliotheken aller grösseren Studienanstalten, besonders 
der Universitäten, anschlagen, zumal wenn diese stark besucht 
waren und reger Eifer für gelehrte Studien an ihnen herrschte. 
Ersetzte da doch die grosse Zahl der Benutzer die fehlende 
Oeffentlichkeit. Nach dem Vorbild von Paris hatten die 
deutschen Universitäten, Prag an ihrer Spitze, von Anfang an 
Bibliotheken erhalten, Erfurt z. B. durch Amplonius Ratink 
1413 zugleich das Kollegium und seine Bibliothek (die Am- 
ploniana). Wie in Heidelberg [seit 1386) bestanden an der 
einzelnen Hochschule häufig zwei Bibliotheken, eine der Ar- 
tistenfakultät und eine allgemeine (conimimisl: ähnlich w.iren 



schon früher in den IClösteni eine Schul- und Kirchen-, oder 
äussere und innere Bibliothek unterschieden worden. Die 
Bücher durften in der Regel nur an Ort und Stelle benutzt 
werden, wo die kostbaren Stücke angekettet waren. Ausge- 
geben' wurden sie, um davon Abschriften machen zu lassen, 
oder gegen Hinterlegung eines Pfandes /.mn Studium. Mit 
besonderer Erlaubniss geschah dies auch Fremden gegenüber. 
Manche Benutzungsordnungen sind uns noch aus dieser Zeit 
erhalten und gewähren einen Einblick in den der Zeit ent- 
sprechenden schwerfälligen Gang der Verwaltung. 

In diese Zeit, zwischen Ausgang des Mittelalters und den 
dreissigjährigen Krieg, fällt auch die Begründung zahlreicher 
Bibliotheken regierender Füj-sten , reichsunmittelbarer Herren 
und anderer Personen des hohen .•\dels. Dass diese Sammel- 
lust meist nur an der einzelnen Person hing und nach ihrem 
Tode die Bibliothek sehr verminderte Pflege erfuhr, lag in der 
Natur der Sache. Gleichwohl schützten die gesicherte Lage 
der Familien und die traditionelle Achtung vor dem Ererbten 
die Bibliotheken in den meisten Fällen vor gänzlichem Unter- 
gang. Mit wechselnder Liebe fortgeführt bilden sie heute den 
Grundstock der zahlreichen Hof- und Staats-, Fideikommi.ss- 
und Familienbibliotheken, deren Deutschland sich gleich Italien 
noch zur Zeit erfreut. Freilich haben die Stürme der Zeiten, 
welche die politische Karte Deutschlands immer wieder gründ- 
lich veränderten, mit den vielen selbständigen Städten und 
Ländern auch viele jener mit Lust gesainnielten Bibliotheken 
vernichtet oder ihnen doch ihre Selbständigkeit geraubt. Von 
Familienbibliotheken der bezeiciineten Art, die zumeist im 
16. Jahrh. und im Anfang des 17. begründet wurden, zähle 
ich nur folgende auf: die des Markgrafen Joachim Ernst zu 
Ansbach (1603 — 1625), des Grafen Simon Vli. zur Lippe in 
Detmold (um 1Ö14), die der sächsischen Kurfürsten (um 1556 
angelegt, seit 1586 in Dresden), die des Kurfürsten Otto Hein- 
rich zu Heidelberg (Kurf, Landbibhothek 1553), des Land- 
grafen Wilhelm IV. d. Weisen zu Kassel (1580). des Herzogs 
Albrecht v. Brandenburg zu Königsberg (1534), des Herzogs 
Albrecht V, zu München II 550- 79), die Schtossbibhothek zu 







Ocis 1 1587, jetzt in Dresden 1, die des Herzogs Johann Albrecht i. 
V. Mecklenburg (seit 1789 in Rostock, vorher in Bützow), die 
der Herzöge Julius und besonders August d. J. von Braun- 
schweig (die Sammlung den Letzteren seit 1604 angelegt), jetzt 
in Wolfenbüttel. 

Richtung und Verwaltung dieser Sammlungen hingen natür- 
lich ganz von den individuellen Neigungen ihrer Besitzer, diese 
aber stets etwas von den Haiiptströmungeu ihrer Zeit ab. In 
der gedruckten Litteratur überwogen historische und genea- 
logische Werke, Land- und Seereisen, Unterhaltungslitteratur 
der verschiedenen Sprachen, praktische Theologie, Jurisprudenz 
und Naturwissenschaft. Von gelehrten theologischen und ju- 
ristischen Büchern pflegten nur Hauptwerke und andere nach 
Zufall vertreten zu sein, sehr zahlreich dagegen die Schriften 
der polemischen Theologie, besonders der Reformatoren und 
ihrer Gegner. 

Die trostlose Zeit des dreissigjährigen Krieges war natür- 
lich der Entwickeiung unserer deutschen Bibliotheken in hohem 
Grade naclitheilig. Auch diejenigen, welche nicht immittelbar 
durch Plünderung, Brand oder völlige Vernachlässigung Schaden 
litten, empfanden die Ungunst der Zeiten infolge der allge- 
meinen Verarmung. Wichtige Bibliotheken wanderten als 
Kriegsbeute nach dem Ausland: so die Palatina (Kurfürstliche 
I.andbibl.) aus Heidelberg nach Rom (1623), die Würzburger 
jesiiitenbibliothek nach L'psala (1631I, auch die Braunsberger 
Jesuitenbibliothek und die Breslauer Dombibliothek nach 
Schweden 11Ö22). Das gleiche Schicksal sollte die Kurmainz- 
ische Bibliothek haben, sie versank aber unterwegs in der 
Ostsee. Nach allen Seiten zerstreut wurden verschiedene 
Büchereien der Prov. Preussen, besonders des Ermlandes, durch 
die Schweden, andrerseits die der Stadt Magdeburg durch die 
Tilly 'sehen Schaaren (1631). Andere Bibliotheken erlitten 
wenigstens schwere Verluste, wie die von Bamberg (Kön. H., 
16341, München (Hof- u. Staats-B.), weshalb der Kurfürst von 
Bayern .sich durch Entfuhnuig der Bibliothek von Hohen- 
tübingen schadlos zu halten suclUe (1635), die von Paderborn 
und Zweibrücken. Die Bibliothek der Papste in Rom und die 



» 



der Konigin Christine von Schweden, welche selbst später durch 
Kauf in die Vaticana gelangte (1689), hatten nebst den Biblio- 
theken der nordischen Reiche den Hauptgewinn von diesen 
Beraiibungen deutscher Bibliotheken in jener Zeit. 

In die nächsten Jahrzehnte nach dem 30jährigen Kriege, 
wenigstens noch in das 1 7. Jahrh., fällt bemerkenswerther weise 
die erneuerte Organisation wichtiger moderner Landesbiblio- 
theken Deutschlands. Doch waren es jetzt nicht mehr die 
Städte, deren Macht und Wohlstand vielmehr durchaus 
gebrochen darnieder lag, sondern einsichtige und kraftvolle 
Fürsten, die ausser der Hebung der materiellen Wohlfahrt und 
der politischen Bedeutung ihrer Länder anch deren geistige 
Interessen sich angelegen sein Hessen und wie für Schulen und 
Kirchen auch für Kunstsammlungen und Büchereien sorgten. 
Der grosse Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg gab, 
während er gegen die Schweden im Felde lag, den Befehl zur 
Neuordnung der Kurfürstlichen Hausbibliolhek, womit die 
geringen Reste märkischer Klosterbibliotheken und einiger 
anderer vereinigt worden waren, und schon 1661 hatte der 
neue Bibliothekar Rave ihre Aufstellung in einem Saale und 
einem Zimmer des Schlosses vollendet und konnte das wahr- 
scheinlich bereits für die allgemeine Benutzung bestimmte Lese- 
zimmer eröffnen. Einige Dispens- und Strafgelder, durch drei 
Dezennien jährlich nur etwa 324 Thaler im Durchschnitt, waren 
die regelmässigen Einnahmen der Sammlung. Aehnlich sorgte 
Herz Friedrich I. für seine Bibliothek zu Altenburg [i636}, 
Landgr. Ludwig VI. (1661— 1Ö7S) für die zu Darm Stadt, Herz. 
Ernst d. Fromme (1640—75) für die zu Gotha, Herz. Johann 
Friedrich (1665 — 1679) für die zu Hannover, Herz. Bernhard I. 
(1680—1706) für die zu Meiningen, Herz. Wilhelm Ernst für 
die zu Weimar (u. 1691), auch Graf zu Solms-Laubach für die 
zu Laubach (u. 1680) u. A. 

Während so die Keime der jetzigen Hof- und Landes- 
bibliotheken wenn auch nicht gelegt, so doch neu entwickelt 
wurden, bestanden die alten Universitäts- und sonstigen Anstalts- 
bibliotheken weiter, erhielten aber — gleichfalls infolge der 
iKirch den grossen Krieg eingetretenen Zerrüttung — vielfach 



i 



II 



eine Neuordnung. Dass hierdurch die alten Grundlagen in 
Bezug auf Vermehrung, Einrichtung und Benutzung wesentlich 
verändert worden wären, lässt sich kaum nachweisen. Nur 
gestattete die stark gewachsene absolute Gewalt den einzelnen 
Landesherren die leichte Verschmelzung selbständiger Biblio- 
theken, die gar nicht seilen fast herrenlos geworden waren, 
und die Zuweisung solcher an jene Studienanstalten, Das 
Gleiche liess sich zur Dotirung der Bibliotheken mit ver- 
alteten Geldstiftungen vornehmen. In anderen Fällen ent- 
äusserten sich verarmte Kirchen und Klöster, sowie Privat- 
personen und Familien recht gern des unbequemen Besitzes 
von Bibliotheken, Es wurde z. B. die von Rehdiger'sche Fa- 
milienbibl. /.u Breslau (s. S. y) 1645 der Stadt überlassen. 
Noch zu anderen Stadt bibliotheken wurde in dieser Epoche 
dauernder Grund gelegt; so zu der von Bremen (1646), Ham- 
burg (1648) und Leipzig (1677) In Frankfurt a. M, fand ihre 
Reorganisation statt I1668) und in Kolberg die Gründung der 
Dombibliothek 11663) '^^^ ^1^^ Freunde der Wissenschaften 
usw.' Auf katholischer Seite erhielten besonders zahlreiche 
neuerstandene Jesuitenkollegien ihre liüchereien aus den Trüm- 
mern anderer Bibliotheken; sonst erwähne ich noch z. B. 
die Beverin'sche, welche 1681 an das Domkapitel zu Hildes- 
heim gelangte. In Bezug auf die Benutzung wurden die alten 
Vorsichtsmassregeln gewiss schon aus Bequemlichkeit gemil- 
dert Auch machte die rege Lehrthätigkeit, die an den mei- 
sten Universitäten herrschte luid in den zahllosen gedruckten 
Disputationen jener Zeit sich ausspricht, eine erleichterte Be- 
nutzung der Bibholheken zur unbedingten Notwendigkeit, 

Im iS. Jahrhundert entwickelten die Bibliotheken sich in 
gleicher Weise und gleicher Richtung weiter. Wie das ganze 
Jahrhundert, besonders von seinem zweiten Drittel an, den 
bibliographischen Arbeiten jeder Art eine besondere Vorliebe 
entgegenbrachte — ich erinnere auf deutschem Boden an 
Männer wie Joh Gott!. Im. Breitkopf, Joh. Mich. Cosm. Denis, 
K, Heinr, von Heinecken, Joh. Dav, Köhler, Ge. Wolfg. Panzer, 
Joh. Dan. Schoepflin, Ge. Wilh. Zapf und an die Anfänge der 
gros.sen Leipziger Bücher-Lexika — , so erfreuten sich auch die 



12 — 



I 



Bibliotlieken in gewissem Sinne besundercr Pflege und För- 
derung. Die Zahl der Schenkungen und Vermächtnisse be- 
deutender Privatbibliotheken an bestehende Institute Öffent- 
lichen Charakters ist innerhalb Deutschlands wohl in keinem 
Jahrhundert grösser gewesen als im vorigen. Aus der Zahl 
von Ge schenk gebern hebe ich nur einige hervor: Chr. Fr. v. 
Derschau (Ende des 18, Jhd.; in Aurich), W. B. Ad. v. 
Steinwehr (177O und Joh. K. K. Oelrichs (t 1799; in 
Frankfurt a. O., jetzt Breslau). Graf Heinr, II v. Bünau (1764I 
und Graf Heinr. v. Brühl {1768; in Dresden), Zach. K. v. 
Uffenbach (t 1734; Stadt-B.) und Joii. Chr, Sencken- 
berg {1763; S.'sche Stiftung in Frankfurt a. M.), Joach. R 
V. Bülow (1735/36), Joh. Fr. v, Uffenbach (1769) und 
Bar. V. Asch (1772 - 1806; in Göttingen), J o h. A. v. Ponickau 
0789; in Halle), die Brüder Joh. Christoph und Joh. 
Christian Wolf (1739; in Hamburg), Marqu. Gude (1710) 
und die Brüder Schiirzfleisch (1722; in Weimar) u. v. A. 
Im Ganzen war es für die Bibliotheken eine Zeit des 
Sammeins von Handschriften und guten Drucken, deren Werth 
man auf den verschiedensten Gebieten im Anschliiss einerseits 
an die aufkommenden historisch- und philologisch -kritischen 
Studien, andrerseits an die encyklopädische Richtung der Zeit 
kennen und schätzen gelernt katte. Da.s Streben, grosse imd 
inhaltlich bedeutende Büchersamnilungen zusammenzubringen 
machte sich an vielen Orten geltend. Und gewiss ist dies für 
Bibliotheken immer der be.ste Anfang. Binnen wenigen Jahren 
kann eine reiche, aber schlecht und engherzig verwaltete Bi- 
bliothek ihre Grundsätze vöUig zum Guten ändern, ja selbst der 
Katalogisirung soweit es noth thut, aufhelfen; dagegen ist es 
nur in den selteiisten Fällen möglich einer armen und unbe- 
deutenden Bibliothek in kurzer Frist, selbst mit reichen Mitteln, 
glcichmässig gute Bestände zu \'erschaffen. Wir dürfen es da- 
her mit besonderer Geniigthuung anerkennen, dass im vorigen 
Jahrhundert, wenn auch nicht in Beziig auf die Verwaltung, so 
doch fiir die Erhaltung und Vermehrimg lebensfähiger Biblio- 
theken in Deutschland ISedeiitendcs geschah. Und nach den 
VerUi.-iten de.-- dreissigjährigen Krieges und der folgenden 



kfa 



IS 



Kriej;;e gegen Schweden und gegen Frankreich that dies walir- 
lieh noth. Zunächst geschah freilich mehr für Privatsanim- ■ 
lungen als für öffentliche Bibliothelicn. Waren doch die Staaten 
meist zu arm oder von aiiderea Aufgaben in Anspruch ge- 
nommen, um grosse Mittel zum Ankauf von Büchern jenen 
zur Verfügung zu stellen. Indess Hessen die katholischen Staaten, 
besonders Baden und Bayern, 1773 die Gelegenheit der Auf- 
hebung des Jesuitenordens nicht unbenutzt, um ihre Landes- 
bibliotheken mit denen der Jesuiten, soweit sie nicht schon bei 
Seite gebracht waren, zu bereichern. Auch wurde gerade im 
vorigen Jahrhundert in den meisten oder doch den grösseren 
Staaten Deutschlands den Buchhändlern die Abgabe von Pflicht- 
exemplaren weniger aus Gründen der Censur als im Interesse 
der Landesbibhotheken neu oder in Wiederholung älterer Er- 
lasse auferlegt; z. H. in Preussen (1699), Schleswig-Holstein 
(i78i\ Bayern (1799 nach 1663^ 11. a Beim .Ankauf von Bü- 
chern und ganzen Bibhotheken war zwar Amerika noch nicht 
eingetreten in den Wettbetrieb, aber die P'ranzosen und Eng- 
länder machten um so gefährlicheve Konkurrenz. Ich brauche 
nur an die berühmten Bibliotheken Lord Speiicer's zu Althorp 
(seit 1S92 John Rylands Library In Manchester) und des 
Königs Georg III. von England sowie an die Anstrengungen 
zur Hebung der Königlichen Bibhothek in Paris zu erinnern. 
Privatpersonen fällt also, wie gesagt, im vorigen Jahrhun- 
dert innerhalb Deutschlands wohl das Haupt verdienst um Er- 
haltung der Bücherschätze zu. Eine öffentliche Bibliothek ^ 
macht jedoch schon vor der Mitte des Jahrhunderts eine ent- 
schiedene und sehr rühmliche .■\usnahme, die der 1736/37 neu 
gegründeten Universität Göttingen. Hier kam zum ersten 
Male in Deutschland mit vollem Bewusstsein der Plan zum 
Ausdruck und zur Ausführung, die gesammte wissenschaftlich 
bedeutsame Litteratur zu sammeln und der «freien und unbe- 
schwcrteu' Benutzung in weitem Kreise zugänglich zu machen. 
In weniger als drei Dezennien (17651 konnte man von ihr mit 
Recht rühmen, dass sie mit möglicher Vorbeylassung der ge- 
meinen und gewöhnlichen Handbücher, und anderer unbe- 
trächtlicher, oder doch solcher Bücher, mit welchen alle Buch- 




14 



laden und Privat-Bibliothelven iiberschwemmet sind, . . . haupt- 
sächlich grosse oder kostbare Werke, als grosse Sammlungen, 
oder ausländische, schwer zu erhaltende, und seltene Schriften, 
... in sofern, als diese letztere von irgend einigem Nutzen seyn 
können . . ., soweit besass, -dass in keinem Fache die vor- 
nehmsten Hauptbücher leicht vermisset werden . . . • und dass 
überdies nichts versäumt wurde, 'um bey jeder günstigen Ge- 
legenheit einzelne Fächer auch mit kleineren Schriften so viel 
möglich vollständig zu machen. (Pütter I. S. 213), Im J. 1787 
zählte sie bereits 120000 Bochbinderbände. Das Hauptver- 
dienst hatte hierbei ohne Zweifel der Kurator der Universität, 
der Kammer-Präsident Exe. Gerl. Ad. Freih, v. Münchhausen, 
der, so lange er lebte ff 1770), von Hannover aus mit un- 
ermüdlicher Sorgfalt und grosser Umsicht die Ankäufe selbst 
leitete und durch seine hohen Verbindungen für die Bibliothek 
werthvoUe Geschenke vermittelte, .'^lle Professoren und ebenso 
die Bibliotheksbeamten hatten das Recht und die Pflicht, auf 
wichtige Bücher aufmerksam zu machen, damit für Anschaffung 
des Fehlenden gesorgt werde. In Hannover bediente sich 
V. Münchhausen bei den Büclierbestellungen besonders der 
Hülfe des bücherkundigen Registrators (d. i. Ministerialreferen- 
ten) Schlüter, von dem Joh. Dav. Miciiaelis versicherte (Raisonn. 
üb. prot. Univ. IV. S. 690; vergl. S. 691 f.), »dass er Auctions- 
Catalogos mit der Empfindung las, mit der ein Poet Hallers 
Gedichte hest . Die Benutzungsbestimmungen, namentlich 
auch in Bezug auf das Verleihen von Büchern an Professoren, 
andere angesessene Gelehrte und Studenten, waren für da- 
malige Verhältnisse von weitgehender Liberalität. So gelangte 
die Göttinger Bibliothek nocli im 18. Jahrli. zu einer Bedeu- 
tung, welche ihr eine angesehene Stellung neben den ersten 
europäischen und den Vorrang unter den deutschen Bibliothe- 
ken sicherte. Von grosseren ihr damals einverleibten Bücher- 
sammlungen nenne ich nur die des Hofraths F. W. v. Duve 
(1782}, deren Reichthum an Inkunabeln vergessen lässt, dass 
die Göttinger Bibliothek verhältni.-ismässig jung ist; ferner die 
Schenkungen des russ Staatsraths Baron Ge. v. Asch aus den 
Jahren 1772—1806 [s. S. 12). 



15 



Aber nicht nur durch die VullstJiiiditjkeit des Bücher- 
bestandes und eine allgemein gerühmte ZugängUchkeit zeich- 
nete sich die Göttinger Bibliothek schon im i8. Jahrh. aus 
sondern ebenso verdankte sie ihren treffUchen Oberbibliothe- 
kareu Joh, Matth. Gesner (1736—1761) und Chr, Gottlob 
Heyne (1763 — 18121 eine nach grossem und für lange Zeil 
mustergültigem Plane ausgeführte Einrichtung und Katalogisi- 
rung. Der erste alphabetische Katalog zwar, 1748 in 20 Bän- 
den durch den Professor d. Med., Ge. Matthiae, vollendet, er- 
wies sich der starken Vermehrung gegenüber bald als zu klein, 
sodass 1777 unter Heyne ein neuer, der noch jetzt gültige 
Katalog nach einem neuen Prinzip begonnen und 1789 in 
147 Bänden vollendet wurde. 1854 umfasste er nahezu 360, 
gegenwärtig 641 Foliobände. Et gewährt jedem Autor ein 
besonderes Blatt, unter Umständen mehrere, die auf Falzen 
eingeklebt werden, bis der Umfang des Bandes eine Theilung 
in zwei oder drei neue Bande verlangt. Auf diese Weise ver- 
einigt er die Vortheile des leichten Einschaltens und der Hand- 
lichkeit und gilt auch heute noch manchen K ach genossen als 
Ideal eines alphabetischen Kataloges. Jedenfalls leistet er, was 
wohl von keinem andern etwa 1 1 5 Jahre alten und stets stark 
vermehrten Katalog gelten wird , vollauf seine Schuldigkeit, 
wenn auch, abgesehen von manchen heute befremdlichen Be- 
sonderheiten in der alphabetischen Anordnung, sich auch 
wesentliche Uebelstände des Systems herausgestellt haben. 
Erstens nölhigte die Furcht vor einem zu starken Anschwellen 
des Kataloges zur Ausscheidung der Programme und Univer- 
sitätsschriften und deren Aufnahme in besondere alphabetische 
Kataloge und überdies zu einer grossen Sparsamkeit in Ver- 
weisungen. Ferner aber wird — und das gilt von allen ähn- 
lichen Katalogen — der für Eintragungen bestimmte Raum 
nicht genügend ausgenutzt, da etwa die Hälfte der Blätter nur 
je einen Titel enthält, so dass in absehbarer Zeit die Zahl der 
Bände übergross werden wird, — Auch der Realkatalog, über 
dessen Anlage sein Bearbeiter Ge. Matthiae 1755 öffendich 
berichtete und der 1788 aus 86 Bänden bestand, seit 1802 
aber in fortgesetzter Umarbeitung begriffen ist, wie sich bei 



Ifi 



Realkatalogen von selbst versteht, bot, und zwar von Anfang 
an, zwei wichtige und originelle Kinrichtungen. Einmal schliesst 
sich die Aufstellung der Bücher, von der Formatunterscheidung 
abgesehen, genau an die im ganzen streng systematische An- 
ordnung der Bücher an, so dass ein besonderer Standorts- 
katalog vermieden wird; und sodann erhielten die Bücher keine 
fortlaufenden Nummern als Signaturen, auch keine springenden, 
an welche man damals kaum dachte, sondern die Zahl des 
Blattes, auf welchem ein Buch im Sachkatalog eingetragen ist, 
diente und dient zum grÖssten Theile noch jetzt zugleich mit 
der abgekürzten Bezeichnung des betreffenden Bandes als einzige 
Signatur des Buches. Ersterer Grundsatz hat sich in Deutsch- 
land fast allgemein Bahn gebrochen; auch der letztere hat 
mehrseitige Nachahmung noch in unserm Jahrhimdert gefun- 
den, z. B. in Berlin, Bonn und Kiel, wird aber gegenwärtig 
in Göttingen selbst aufgegeben. 

Der günstige Umstand, dass auf diese Weise die Göttinger 
Bibliothek fast von Anfang an mit Umsicht gewählte und auf 
Dauer berechnete Einrichtungen erhielt, sicherte ihrer Ver- 
waltung eine Stetigkeit, welche sie auch durch Perioden länge- 
ren oder kürzeren Stillstandes ohne die Nothwendigkeit tief- 
greifender Umwälzungen hindurch führte. 

Kaum eine andere Bibliothek war im vorigen Jahrhundert 
in gleich glücklicher Lage wie Göttingen. Meist fehlte es am 
Gelde, in anderen Fällen an Einsicht, Thatkraft oder den ge- 
eigneten Personen. In Berlin wurde der Königlichen Bibliothek 
erst gegen Ende der Regierung Friedrich II. eine ansehnlichere 
Jahresdotation bewilligt, aber das .-\usleihen von Büchern, das 
seit langer Zeit streng auf einen sehr kleinen Kreis von Be- 
nutzern beschränkt gewesen war — unter Friedrich II. auf die 
Wirklichen Geheimen Räthe — , wurde 1783 nach der Ueber- 
siedelung der Sammlung in den jetzigen Bau ganz untersagt. 
Dagegen war der Lesesaal mit grosser Liberalität seit 1734 
täglich 6 Stunden, seit 1756 eine Stunde länger und seit 1783 
im Winter 9. im Sommer gar 13 Stunden täglich geöffnet. 
Man neigte damals entschieden /.um System der Präsenz- 
bibliotheken', ging jedoch unter Friedrich Wilhelm II. (1786} 



17 



Antrag der K. Akademie der Wissenschaft, den der Minister 
Graf von Herzberg befürwortete, zu einer etwas milderen Praxis 
hinsichtlich der Bücherverleihung über, während man zugleich 
die Oeffnungszeit des Lesesaales wesentlich einschränkte. Au 
Zahl der Bände (150000) ijbertraf sie danals [1786) und 
wohl dauernd die Göttinger Bibliothek, Für ihre Katalogisirung 
geschah nichts wesentliches. 

Die Umwälzungen, welche die französische Revolution und 
die daran sich anschliessenden Kriege über Deutschland brachten, 
blieben auch für das Bibliothekswesen nicht ohne wichtige 
Folgen. Vor allein wurde der Besitzstand der wissenschaft- 
lichen Bibliotheken sehr stark verändert und ihre Zahl und 
Verfassung im ganzen so festgestellt, wie sie heutzutage er- 
scheinen. Dass die mit den französischen Heeren eindringende 
französische Verwaltung aus den Öffentlichen und Korporations- 
Bibliotheken mancherlei entführte (z, B. aus Koblenz und Zwei- 
brücksn) und namentlich die Mainzer Bibliotheken fast aller 
Kostbarkeiten beraubte, war ein empfindlicher Verlust. Noch 
wichtiger ist aber, dass mit den zahlreichen reichsunmittelbaren 
kleinen Staaten und Städten vielfach ihre Bibliotheken, gleich 
oder im Laufe der Zeit, verschwanden, d. h. theils einer 

■ grösseren Bibliothek einverleibt theils vom bisherigen Be- 
sitzer veräussert wurden. Nur wenige Sammlungen, wie die 
zu Donaueschingen (Fürstl. Fürstenbergische Hofb.}, zu Fürsten- 
' stein in Schi, (der Fürsten von Pless), zu Maihingen in Bayern 

(Fürstl. Oettingen-Wallerstein'sche B.), zu Warmbrunn in Schi. 
(Reichsgräfl. Schaffgot'sche B) und zu Wernigerode (die fürstl. 
Stolberg- Wernigerode 's che B,], deren Besitzer sie nicht nur er- 
halten, sondern auch weiter entwickelt haben, machen eine 
^^ anerkeiinenswerthe Ausnahme. In Korvey a. d. Wes. wurde so- 
^^L;gar noch 1826 die sehr ansehnliche BibUothek der Herzöge von 
^^P Ratibor neu begründet. 

^^ Die Aufhebung der katholischen Stifter und Klöster in 

Preussen, Baden und Bayern, von denen einzelne, z, B. das 
Kloster von Polling in Bayern , mit rühmenswerthem Ver- 

tständniss für ihre Bücher gesorgt hatten, ermöglichte weiter 
eine Ansammlung wichtiger Bücherbestände zu grossen Central- 
, 



-- 18 



bibliotheken. Denn dazu war bereits längere Zeit entschieden 
Neigung und Richtung vorhanden gewesen. Das Vorbild der 
Königlichen Bibliotheken in Paris und Berlin und des in noch 
grösserem Rahmen angelegten Brittischen Museums sowie das 
Gedeihen der rasch aufgeblühten Göttinger Bibliothek luden dazu 
ein. In Breslau wurde i8io/i3 der Plan zur Gründung einer 
Schlesischen Centralbibliothek ins Werk gesetzt und aus den 
Beständen jener Art eine Sammlung von rund 175 — 180000 
Bänden zusammengebracht. Die Verlegung der Universität 
Frankfurt a. d. O- nach Breslau fiSii) gab der Gründung einen 
andern Charakter. In den andern Provinzen Preussens ging 
man in ähnlicher Weise vor. Zwei grössere Bibliotheken, näm- 
lich die von Breslau und Königsberg, erhielten zugleich mit 
dem Bücherzuwachs einen allgemeineren Charakter und wurden 
zur Königlichen und Univer.?i täts-Bibliothek. Ander- 
wärts gründete oder vermehrte man aus jenen Beständen in 
der Hauptstadt die Landesbibliothek neben den in andern 
Städten bestehenden Universitätsbibliotheken: so in Hannover, 
Darmstadt, Karlsruhe, Kassel, München, Stuttgart. 

Endlich räumte man in jener Zeit, in der radikale Um- 
wälzungen äusserer Verhältnisse durchaus gewöhnlich waren, 
gründlich auf mit der übergro.ssen Anzahl von Universitäten 
und ähnlichen Kollegien, die infolge der neuen Staatengruppirung 
oder der Gründung neuer Universitäten an günstiger gelegenen 
Centren entbehrhch erschienen. So wurden aufgehoben die 
Universitäten von Bamberg (173 5 — 18031, Bützow(i76o — 1789), 
Dilhngen(i552— 1804), Duisburg (1655 - 1806), Ellwangen (1720 
— 1817), Erfurt ,(1378/92— i8i6j, Helmstedt (1576—1809), Her- 
born {1584-1817), Köln (1388— 1801J, Mainz (147/ — '798)- 
Paderborn (161 4— 1819), Rinteln ivorher Stadthagen i6ig] 
(1621 — 1809), Trier {1472^1798) und die Carls- Hohe- Schule 
in Stuttgart (1781-1794). Verlegt wurden sie von Altdorf 
11623—1809) nach Erlangen, von Frankfurt a. O. (1506—1811) 
nach Breslau, von Ingolstadt ^I47l — 1800) nach Landshut und 
1826 nach München, von Wittenberg (1502— 1815) nach Halle; 
dagegen neu begründet Berlin (1811) und Bonn (1818). Die Bi- 
bliotheken theilten natürlich im ganzen das Schicksal der Hoch- 



19 



schulen, zu welchen sie gehörten, nur dass bei ihnen nicht 
Aufhebung, sondern meist Zuweisung an eine andere Bücherei 
eintrat. Manche eingreifende Aenderung, welche die westfälische 
Regierung theils vorgenommen, theÜs erst vorbereitet hatte, 
wurde nach 1813 wieder rückgängig gemacht. So musste 
Göttingen, für dessen Universität und Bibliothek sich König 
jerome sehr interessirt hatte, 1814 und später die auf seinen 
Befehl früher einverleibten BibUotheken von Braunschweig (Stift 
St. Blasii), Halberstadt, Hildesheim (Dom-B.). Magdeburg (Doni- 
stiftsb.) u. a., grösstentheils auch die von Helmstedt heraus- 
geben. Die 58 vollen Kisten, welche aus der zur Auflösung 
bestimmten Wolfen bütte 1er Bibliothek bereits nach Göttingen 
versandt waren, wanderten 18 14 unausgepackt wieder dorthin 
zurück. 

Im Ganzen haben die wissenschaftlichen BibUotheken 
Deutschlands ihren Charakter und die alten Bestände, wie sie 
sie in den ersten zwei Dezennien dieses Jahrhunderts besassen 
oder erhielten, mit sehr wenigen Ausnahmen nicht mehr ge- 
ändert. In dieser Hinsicht waren die umwälzenden Ereignisse, 
welche zuerst im Lande westlich des Rheins sich abspielten, 
von bestimmendem Einfluss auf unsere deutschen Bibliotheken 
gewesen; neu trat in Berlin 1831 die Universitätsbibliothek 
ins Leben. Nicht dasselbe lässt sich von ihrer Verwaltung 
und den Bibliothekseinrichtungen sagen. Zwar in einem Punkte 
war zugleich mit jenen Ereignissen ein Umschwung eingetreten. 
Man sah von selbst die aus den verschiedensten Quellen zu- 
sammengebrachten oder doch vermehrten Bibliotheken nicht 
mehr als den alleinigen Privatbesitz des einzelnen Fürsten oder 
der Korporation an, mit der sie gerade verbunden waren, son- 
dern die Idee der Oeffentlichkeit und die Ueberzeugung, dass 
die grossen Büchersammlungen über die nächstliegenden Zwecke 
liinaus auch dem allgemeinen Nutzen dienen sollten, brach sich 
immer mehr Bahn. Einen Ausdruck dieses Gedankens darf 
man u. A. in dem Versuche sehen, das Publikum über die jähr- 
lichen Erwerbungen der staathchen Bibliotheken zu unterrichten, 
was in Preussen durch einen Etlass des J. 1835 angeordnet 
wurde. Wenn die Berliner Königliche B. nur für die Jahre 



20 



1 835—39 Ziigangsverzeichnisse veröffentlichte und Bonn, Breslau, 
Greifewald, Halle und Königsberg auch nicht sehr lange damit 
fortfuhren, so lag der Grund in der 'auffallend geringen Theil 
nähme des Publikums,^ auf das es eben bei der Massregel ab 
gesehen war. Nachahmung fand das Vorgehen in Gottingen 
(1854 — 68) und in Tübingen. An letzterem Ort hat die Bi- 
bhothek (seit 1853) den Druck der Jahresverzeichnisse fortgesetzt 
bis zum J. iSSi und seit 1S54 daneben auch Theil e des syste- 
matischen Katalogs im Druck erscheinen lassen. Fürs erste 
hatte jedenfalls jene Wendung noch nicht viel zu bedeuten. 
Die Bibliotheken theÜten das Schicksal der Korporationen und 
Institute, mit denen sie verknüpft waren, und htten gleich diesen 
unter der allgemeinen Ermattung, welche nach den Drangsalen 
und Aufregungen der Napoleonischen Zeit und dem Aufschwung 
der Befreiungskriege eingetreten war, sowie unter der Kargheit 
der Geldmittel, welche für Bild ungszwecke zur Verfügung standen. 
Der Zuschnitt der Verwaltung war daher fast überall, wenn wir 
vielleicht von einzelnen Hof- und sehr wenigen Universitäts- 
bibliotheken absehen, ein ganz beschränkter. Indess ruhte auch 
damals nicht die stille, fruchtbare .Arbeit der Bibliotlieksbeamten. 
Fast überall wurden der Neugestaltung der Dinge entsprechend 
neue Bibliotheksordnungen erla.ssen, vor allem aber neue Kata- 
loge in Angriff genommen und, wenn auch z. Th. in sehr 
lang.saniem Tempo, ausgeführt Hierbei und bei der gesammten 
Organisation der Bibliotheken treten trotz der grösateii Mannig- 
faltigkeit im Einzelnen doch gewisse übereinstimmende Grund- 
züge deutlich hervor. Jene ergab sich aus der pohtischen Zer- 
splitterung Deutschlands uud der damit zusammenhängenden 
Neigung zum Partikularismvis, zum Theil aber auch aus dem 
Umstand, dass die meisten Bibliotheken von Bedeutung Uni- 
versitätsbibliotlieken waren, fast ausschliesslich von Universitäts- 
lehrern verwaltet wurden und Theil hatten an dem den Uni- 
versitäten zustehenden Maasse von Unabhängigkeit und Freiheit. 
Dass diese bunte Verschiedenheit und Ungebundenheit für das 
deutsche Bibliothekswesen ausser offenbaren Schäden doch auch 
wesentliche Vorzüge mit sich führte und namentlich die Mög- 
lichkeit bot mit ganz abweichenden Einrichtungen Erfahrungen 



•21 



zu süiiimeln, darf man nicht verkennen. Jedenfalls wäre in dem 
damaligen unfertigen Zustande fast aller Bibliotheken eine Cen- 
tralisirung und Gleichniachiins^ höchst bedenklich gewesen. 
Gemeinsam waren auf der anderen Seite unseren grossen Bi- 
bliotheken, infolge der gemeinsamen Grvmdlagen, der gleich- 
artigen Entwickelung unter ähnlichen Verhältnissen, der im 
wesentlichen gleichen Bedürfnisse und der natürlich von Ort 
zu Ort reichenden Nachahmung, die besondere Fürsorge für 
gelehrte oder doch vorwiegend wissenschaftliche Studien bei 
der Vermehrung, die sachliche Anordnung und Aufstellung der 
Bücher, von der nur wenige jtner Bibhotheken absehen, die 
Gewährung freien Eintrittes in die Büchersäle an gewisse be- 
vorzugte Ben ut7.erk lassen, welche z. Th. jene Bücheraufstellung 
zur Voraussetzung hat, die ganz vorwiegende Berücksichtigung 
der häuslichen BücherbenutKung und dementsprechend eine ge- 
ringe tägliche Oeffnungszeit und vielfach ungenügende Lese- und 
Arbeitsräume für das Publikum. Indess noch eine andere wich- 
tige Folge hatte der vorwiegend streng wissen schaftiiclie Cha- 
rakter der Vermehmngen mit der systematischen Bücherauf- 
stellung auf der einen, und die sehr starke Bevorzugung des 
Ausleihverkehrs gegenüber der Lesesaal bemitzung auf der andern 
Seite, dass nämlich ftir erstere Zwecke fast allein wissenschaft- 
lich vorgebildete Beamte verwendbar, für letztere Zwecke aber 
ein wenig zahlreiches Unterpersonal aasreichend war. Wurde 
doch, um nur ein Beispiel anzuführen, in letzterer Hinsicht an 
der Königlichen B, in Berlin erst im j. 1 748, als sie seit langem 
bereits zwei Ribliotliekare hatte, ein Jahresgehalt für einen Diener 
bewiUigt. Die Vorzüge und Mängel des deutschen Bibliotheks- 
wesens, die bis zu einem gewissen Grade ihm noch in der 
Gegenwart zu eigen sind, tragen somit schon ein altes Datum. 
Massgebend für die innere Entwickelung der Bibliotheken 
waren fast nur die Hof- und die Universitätsbibliotheken, da 
CS nur im Bereiche dieser beider Klassen genügende Anregung 
gab, um ein Einrosten der Verwaltung zu verhindern. Beiden 
Klassen ist, namentlich in Bezug auf die Büchervermehrung, 
eine gewisse Einseitigkeit eigen, die auf den fest umgrenzten 
Zwecken beruht, für welche sie bestimmt sind. (Ibscluin diese 



22 



Grenzen bei den Universitätsbibliotheken vielleicht noch engere 
sind als bei Hofbibliothekeu, boten jene doch, wenn wir von 
den grössten der allgemeinen Landesbibliotheken, in Berlin, 
München, Dresden, Stuttgart u. s.w. absehen, eine 'sichrere Ge- 
währ lebendiger Entwicklung, schon weil sie bestimmt vor- 
liegenden und drängenden Bedürfnissen genügen mussten in' 
Wettkampfe der Universitäten und weil an letzteren sich bei de, 
engen Verbindung der Universitäten mit ihren Bibliotheken 
leichter Leute fanden, die auch ohne unmittelbare Stellung zur 
Bibliothek auf diese einen fördernden Einfluss ausüben konnten. 
Auf solche Anregungen ist es zurückzuführen, dass schon im 
J. 1817 eine Regelung des Schriftenaustausches der deutschen 
Universitäten und einiger ausländischer (damals Krakau, Dorpat, 
Lund und Warschau) stattfand. Marburg wurde bei der Grün- 
dung des Vereins die Stelle als Vorort zu Theil, eine Würde, 
die gegenwärtig ohne Bedeutung ist. 

Im Uebrigen verliefen die nächsten vier bis fünf Dezennien 
nach dem Friedensschluss von 1815 ohne lebhaftere Regung 
auf dem Gebiete des deutschen Bibliothekswesens. Insbeson- 
dere lässt sich nicht erkennen, dass die grossartige Reorgani- 
sation, welche seit 1837 <i'*^ Bibliothek des Brittischen Museums 
durch Antonio Panizzi (damals Keeper of the Printed Booksj 
erfuhr, von grösserem Einfluss auf unsere Bibliotheken gewesen 
sei. Wie vordem waren hier, wenn wir von München absehen, 
wo im j, 1858 die Bibliothek des französischen Orientalisten 
Et. M. Quatremere fiir 340000 fr. angekauft wurde, ferner 
von Berlin (Kon. B.), wo besonders unter Friedrich Wilhelm IV. 
verhältniss massig reiche Mittel für die Sammlung verwendet 
wurden und u. A. die von Meusebach'sche Bibliothek (36000 
Bde zum Preise von 30000 Thir.) als Geschenk des Königs in sie 
gelangte, und noch Göttingens und Dresdens Erwähnung thun, 
die Geldmittel nach allen Seiten hin, für sachliche und person- 
liche Ausgaben, so überaus knapp bemessen, dass zu durch- 
greifenden Veränderungen, die naturlich Geld erforderten, kaum 
der Gedanke aufsteigen durfte. Es galt noch lange Zeit als 
oberster Grundsatz, mit wenigen Mitteln möglichst vieles zu 
leisten. Eine gross angelegte Unternehmung allgemeinen Cha- 



L^ 



1^ 



rakters, zu welcher G. H. Pertz, der Leiter der Königlichen 
B. in Berlin, die Anregung gab, macht allerdings eine Aus- 
nahme und verdient Erwähnung. Gestützt auf einen Erlass 
des Ministers Eichhorn vom i. De/ 1844 suchte diese Biblio- 
thek in den Besitz eines vollständigen Verzeichnisses sämmt- 
licher in Preussen vorhandenen Handschriften bis zum ) 5. Jahrh. 
zu kommen. Durch Verhandlungen mit L'niversitäts- und Staats- 
bibliotheken und mit Hülfe zweier Erlasse des Unterrichts- 
ministeriums vom 4. Juli und 30. Okt 1846 an sämmtliche 
Provinzial-Schulkollegien, bezw. Regierungen und an die Pro- 
vinzialarchive gelang es ihm auch die Vorstände staatlicher, 
öffentlicher und Korporations-Bibliotheken jeder Art in weitem 
Umfange zur Einsendung der gewünschten Verzeichnisse zu 
veranlassen. Nach Provinzen geordnet, bilden sie seit 1851 in 
einer Sammlung von 8 Bänden ein sehr nützliches, wenn schon 
wenig gekanntes und natürlich auf den lokalen Gebrauch be- 
schränktes bibliographisches Hütfsmittel der Königlichen Biblio- 
thek Die Bearbeitung der Monumenta Germaiiiae historica 
wai' es gewiss zunächst, welche Pertz als Leiter ihrer Heraus- 
gabe durch jene Katalogarbeiten fördern wollte. Eine mehr 
nach ihrem Inhalt und- wissenschaftlichen VVerth als in allge- 
mein organisatorischer Hinsicht hervorragende Leistung waren 
Joh. Andr. Schmeller's Arbeiten fiir die Handschriften- 
katalogisirung der Hof- und Staatsbibhothek zu München, 
welche mit ihren besonders 1803 bis 1809 durch die Auf- 
hebung der Klöster sehr bereicherten Handschriften schätzen 
(zur Zeit über 40000 Bände = c. 36000 Nummern' unter den 
deutschen Bjbhotheken bei weitem den ersten Rang einnimmt. 
Während der Jahre 1829^52 führte er die Ordnung und aus- 
führiiche Beschreibung von etwa 27000 Handschriften aus und 
legte auf c. looooo Blättern einen Realkatalog über deren 
Inhalt an, die sogen. Repertorien, unter welchen sich auch der 
überaus nützliche Initien-lndex befindet. Diese Arbeiten bildeten 
die Grundtage der bald nachher durch den Bibliotheksdirektor 
Prof K. Halm mit Hülfe zahlreicher Gelehrter in Angriff ge- 
nommenen, von seinem Nachfolger K. Laubmann fortgesetzten 
und von 1858—81 im wesentlichen beendigten Drucklegung 





des Handschriftenkataloges. Sehr viel früher bereits (1832—43) 
hatte der kunstliebende König Ludwig I. dieser Bibliothek 
zugleich mit dem k. bayer. Reichsarchiv in einem Monumental- 
bau ein würdiges Heim geschaffen. Endlich darf ich nicht 
unterlassen, aus dem Anfang dieser Epoche noch Fried r. 
Ad. Ebert's (1791 — 1834) zu gedenken, der an verschiedenen 
Bibliotheken, in Leipzig, Wolfenbiittel (1823 — 25 Oberbiblio- 
thekar) und Dresden (seit 1828 als Oberbibl.j thälig, in der 
Praxis zwar bei der Kürze seines Lebens weniger eingreifend 
wirken konnte, sich aber sowohl durch sein noch immer sehr 
brauchbares, aus den Quellen gearbeitetes bibliographisches 
Lexikon [1821 u. 27) wie besonders durch seine Schriften über 
die Bibliotheksverwaltung, aus welchen eine hohe, begeisternde - 
Auffassung von seinem Berufe spricht, dauernde Verdienste 
erworben hat. 

Auch sonst fehlte es, wie schon angedeutet, an den Biblio- 
theken gewiss ebenso wenig an einzelnen tüchtigen Beamten, 
welche ihr Amt mit Eifer und Geschick versahen , wie au 
grösseren und nützlichen Arbeiten, welche zur Ausführung ge- 
langten: neue Realkataloge (in Berlin durch Pertz, in Breslau 
durch Unterholzner, in Leipzig durch Hartenstein und Gers- 
dorff, in München durch Föringer, in Hamburg durch Petersen 
und Isier, sowie anderwärts) und Spezialkataloge von Hand- 
schriften oder Inkunabeln wurden ausgearbeitet. Aber diese 
Arbeiten entbehrten des allgemeineren Interesses und der 
Wirkung auf das gesaramte Bibliothekswesen. Die Verbindung ■- 
des bibliothekarischen Amtes mit einem akademischen, wie sie 
damals ganz übhch war, war ohne Zweifel, insofern vom Biblio- 
theksbeamten gründliche Kenntnisse auf einem nicht zu engen 
Wissensgebiete zu verlangen sind, auch für die Bibliotheken 
werthvoU und jedenfalls war sie billig. Auf die Dauer aber 
und im Ganzen erwies sich die Einrichtung als grösseren Fort- 
schritten hinderlich. Einmal gaben bei der Wahl der Personen 
meist andere Rücksichten den Ausschlag als die auf Tüchtig- 
keit und Verwaltungsgeschick der in Frage kommenden 
Personen : für leitende Stellen suchte man vor allem nach 
namhaften Gelehrten und that dabei nicht selten starke Miss- 



griffe ; in tiie andern Stellen brachte man oft Leute, die als Do- 
zenten wenig Erfolg hatten und einer materieUen Hülfe be- 
durften. Sodann aber hatte die Doppelung der Aeniter die 
iibele Folge, dass häufig eines von ihnen, und zwar in der 
Regel das bibliothekarische als Nebensache betrachtet wurde 
und die Beamten, um für die Lehrthätigkeit und wissenschaft- 
lichen Arbeiten Zeit zu behalten, jeder Vermehrung der Öffent- 
lichen Dienststiinden, ja selbst Anträgen auf P>höhiing des 
Bücherfonds widerstrebten aus Furcht vor der für sie daraus 
sich ergebenden Mehrarbeit Wohl in richtigec Erwägung dieser 
Verhältnisse war man schon im J. 1850 an der Universitäts- 
bibliothek KU Würzburg von der alten Gewohnheit abgegangen 
und hatte den Fachbibliothekar Dr. theol. Ant. Ruland an 
die Spitze des Institutes gestellt, doch war dies Vorgehen un- 
beachtet geblieben und hatte jedenfalls für längere Zeit keine 
Nachahmung gefunden. 

Zunächst ging jedenfalls ein wesentlicher Fortschritt im 
Bibliothekswesen vön den Leistungen eines hochberühmten 
akademischen I^hrers an der Spitze einer Universitätsbibliothek 
aus. Ich meine Friedrich Ritschi, der als Leiter der- 
Booner Universitätsbibliothek (1854 bis 1865) diese, die da- 
mals etwa 120000 Buchbinderbände umfasste, einer durch- 
greifenden Neuordnung unterzog. Eindringender Scharfblick 
und lebhaft drängendes Temperament vereinigten sich in ihm 
mit ordnendem Sinn, fruchtbaren Gedanken und praktischem 
Takt. Das Vorbild der alexandrinischen Bibliothekare, deren 
Schöpfung er ja in einem eigenen Buche (1838} dargestellt 
hatte, wirkte gewiss bestimmend auf ihn bei Annahme und 
Führung jenes Amtes. Mit verhaltnissm aasig wenigen Beamten, 
zu denen später Prof. Schaarschmidt, der gegenwärtige 
Leiter jener Bibliothek, und Dr. Ant. Klette zählten, jedoch 
mit zahlreichen freiwilligen Hülfskräften wurde der ganze Zettel- 
bestand des alphabetischen Katalogs vervollständigt und ge- 
ordnet, es wurden neue Sachkataloge ausgearbeitet und der 
Bücherbestand in sachlicher Anordnung (in zwei Formatklassen),, 
aufgestellt. In Bezug auf die Numerirung der Bücher schloss 
■sich Ritschi dem Göttinger Sy.steui an, für die Signirung indess- 



36 



wurden mit Recht Buchstaben der Sachbezeichnung vorgezogen. 
Wie in Berlin (Kön. Bj wurde jeder Abtheilung des Sach- 
kataloges ein eigenes alphabetisches Register der Titel beige- 
geben (alphabetische Fachkataloge). Ihr Nutzen wiegt indess 
wohl die Mühe der Arbeit nicht auf und sie haben es jeden- 
falls nicht verhindert, dass ein durchgehendes alphabetisches 
Repertorium sich als nöthig herausstellte und 1882 (unter 
Seh aar Schmidt) in Angriff genommen wurde. Für die Zettel 
des alphabetischen Katalogs, den Ritschi zu einem einheit- 
lichen umgestaltete, führte er den Gebrauch festen Kartons 
ein und ihre Aufbewahrung in Schubläden, übrigens ohne 
Schutzvorrichtung. Die Leichtigkeit des F.inschalteus und 
.■\enderns bei dieser Form des Zettelkataloges sowie das An- 
sehen, welches Ritschl's Bibliotheksordiiung lange Zeit genoss, 
bewirkten, dass später an nicht wenigen Bibliotheken gerade 
diese Form nachgeahmt wurde. 

Nicht das kleinste Verdienst endlich der Ritschl'schen Re- 
organisation war, dass die Bibliotheken ausgesprochenermassen 
in den Dienst der Benutzer gestellt , dass neben Aufrccht- 
erhaltung einer strengen und für Manche sehr empfindlicheil 
Ordnung die grösste Liberalität geübt wurde, wo es galt wissen- 
schaftiiche Zwecke zu fördern. Darin i.st auch der Grund des 
grossen Erfolges zu sehen, dessen seine Organisations arbeit 
sich rühmen konnte. Wie vielseitig anregend sie wirkte, nament- 
lich auch in Personen fragen, kann hier nicht näher ausgeführt 
werden. Aber es (rat gerade, wenn man jenes Prinzip betonte, 
deutlich hervor, dass die bisherige Vereinigung zweier ver- 
.schiedener Aemter, des vollen akademischen Lehramtes und 
des bibliothekarischen, sich schwer dabei ausfuhren lasse. .\uch 
von Ritschl's wissenschaftlichem Personal haben zwei Beamte 
lediglich dem bibliothekarischen Berufe leben können. Und 
diese Nothwendigkeit musste je länger je mehr hervortreten, 
da die Bibliotheken von Jahr zu Jahr wuchsen, die Anschaffungs- 
fonds und die Anforderungen an ihre Leistungen auch von Seiten 
der Benutzer entsprechend zunahmen. Man fing daher gerade 
infolge einer idealeren .Auffassung von den Pflichten dieses 
Berufes an, die Verbindung der zwei .■\emter für unvereinbar 



Uli halten, zumal nicht Jeder über eine Arbeitskraft, einen weit- 
schauenden Blick und ein persönliches Ansehen verfugte wie 
Ritschi, und selbst dieser erklärt haben soll, dass sein Ober- 
bibliothekariat der Vollendung mancher wissenschaftlichen Pläne 
hinderlich gewesen sei. Dass man in Würzburg dies schon 
früher (1850) erkannt hatte, wurde bereits bemerkt (s. S. 25). 
Die nächste Universität, die sich zu einem Bruche mit der 
Vergangenheit entschloss und einen bibliothekarischen Fach-' 
mann an die Spitze ihrer Bibliothek berief, war Jena. Anton 
Klette, Ritschl's langjähriger Mitarbeiter bei der Reorgani- 
sation der Bonner Bibliothek, wurde leitender Bibliothekar 
(1870). Eine Broschüre, die bald darauf (lHjl) anonym er- 
schien und A. Klette zum Verfasser hatte, trat sehr entschieden 
und überzeugend für die neue Anschauung ein. Der Erfolg 
blieb nicht aus. In Freiburg i. Bad. trat der o. ö. Professor 
der Philologie Wilh. Brambach, welcher 1867 Oberbiblio- 
thekar im Nebenamt geworden war, von diesem 1870 freiwillig 
zurück und setzte eine entsprechende Statutenänderung durch, 
infolge deren Aug. Wilmanns leitender Bibliothekar wurde. 
Ein weiterer sehr wichtiger Schritt in der gleichen Richtung 
geschah bald darauf in Strassburg. Hier hatte K. Aug. Barack, 
Bibliothekar der Fürstl. Fürstenbcrgischen Bibliothek zu Donau- 
eschingen, sich um die Neubegründung der im J. 1870 (Nacht 
vom 24/25. Aug.) in Flammen aufgegangenen Bibliothek un- 
vergessliche Verdienste erworben. Was lag näher als dass er 
mit der Leitung der neuen Anstalt betraut wurde? Von allen 
Seiten mit Eifer gefördert, überflügelte sie unter ihm rasch die 
meisten der älteren Schwesterbibliotheken an Umfang und weit- 
reichender Wirksamkeit. 

In Preussen wurde 1873 unter dem Ministerium Falk der 
erste Versuch gemacht mit dem neuen Prinzip: Achenbach, 
damals Unterstaatssekretär im Unterrichtsministerium, schenkte 
dem Bibliothekswesen besonderes Interesse. Der Schreiber dieser 
Zeilen, der zuvor in Freiburg Nachfolger von Wilmanns ge- 
wesen war, wurde zum Oberbibliothekar der Königlichen und 
Universitätsbibliothek in Breslau ernannt; gleichzeitig wurden 
dort auch alle andern Stellen, welche bis dahin akademische 



^ 



Lehrer eingenommen hatten, mit FachbibHothekaren besetzt. 
Die günstige Finanzlage des Staates gestattete diese ein- 
schneidenden Aendeningen , ohne den ausscheidenden Pro- 
fessoren 7.U nahe zu treten. An andern Bibliotheken Preussens 
und anderer deutscher Staaten geschah mehr oder weniger 
schnell und durchgreifend dasselbe: so in Heidelberg (1873) 
mit Prof Zangemeister, in Giessen {1S73) mit Prof. Noack, 
in Berlin (Un.-B. 1874) mit Dr. W. Koner, in Würzburg {1875) 
mit Dr. Laubmann (seit 1878 in München Direktor der Hof- 
u. Staats-B.), in Kiel (1876) mit Dr. Steffenhagen, in Halle 
I1876) mit Dr. O. Hartwig, in Münster i. W. (1876) mit 
Dr. Jos. Staender (seit 1882 in Greifswald und seit 1886 in 
Breslau), in Erlangen (1878) mit Dr. Zucker an der Spitze. 
Auch in Königsberg (1S74] und Göttingen [1875) war Ober- 
bibliothekar Aug. Wilmanns nur im Nebenamt zugleich 
Professor, ähnlich wie Oberbibliothekar Prof. Schaarschmid t 
■ (1881) in Bonn. Von den der Leitung unterstellten Beamten, 
für welche sicii damals in Preussen die Rezeichnuug Kustoden 
festsetzte, gilt das Nämliche. Nur in Leipzig neigte man — 
wohl prinzipiell — dem entgegengesetzten Verfahren zu. 

Dass man im ganzen in den nächstbetheil igten Benutzer- 
kreisen mit der Neuordnung der Dinge zufrieden war, darf 
wohl behauptet werden, obschon in Jena selbst, wo Ant. Klette 
1879 aus persönlichen Gründen zurückgetreten war, zunächst 
ein gewisser Rückschlag erfolgte. Wenn auf der andern Seite 
mancheUniversitäten, welche noch Ji eine Bibliothekskomniissionen 
hatten, auf deren Bestellung drangen, um durch .sie die besonderen 
Interessen der Universität in der Bibliotheks Verwaltung zu 
wahren und die Verbindung der Körperschaft mit ihrem wichtig- 
sten allgemeinen Institute zu erhalten, so werden einsichtige 
Vorsteher einer Bibliothek dieser durchaus gerechten und dem 
modernen Prinzip, der Interessenvertretung entsprechenden Ein- 
lichtung sich nicht missgünstig gegenüber stellen. Nur müssen 
die Kompetenzen beider Theilc in der Weise richtig abgegrenzt 
sein, dass die Bibliotheksverwaitung nicht in der Exekutive, die 
Kommission nicht in dem Einblick in diese und in der Mög- 
lichkeit -steter Anregung beschrankt ist. Die eifrige Ver-, 



29 



wattung kann und wird meist noch vor der Universiläts- 
vevtretung Mängel und Lücken erkennen und soweit möglich, 
vnn sich aus auf ihre Abhülfe bedacht «ein, andernfalls an der 
Kommission eine wirksame Stütze nach den verschiedenen 
Seiten hin haben. In Freiburg i. Bad. trat die Kommission in- 
folge der richtigen Initiative der Verwaltung so wenig ernstlich 
in Function, dass sie 1888 trotz ihrer früheren weitgehenden 
Befugnisse einstimmig ihre eigene Auflösung beantragte und 
erreichte. Anderwärts, z. B. in Breslau und Berlin (Un.-B.), 
wurde von den nämlichen Vertretungen selbst eine Verminderung 
der Zahl ihrer Sitzungen beantragt. Zur Zeit bestehen Bibho- 
thekskommissionen in Deutschland an allen Universitäten mit 
Ausnahme von Bonn, Freiburg, Heidelberg, Münster, Tübingen 
und Würzburg. Süddeutschland ist also unter den Ausnahmen 
vorwiegend vertreten. 

Die neue Ordnung erwies zunächst sich für die Benutzer' 
segensreich in einer wesentlichen Vermehrung der Geschäfts 
stunden, in einer wesentlich grösseren Rücksichtnahme auf 
die Bedürfnisse der Studenten und endlich in der zeitgemässen 
Umarbeitung der vielfach veralteten Kataloge, zu der- bisher 
die Zeit der nur nebenamtlich beschäftigten Bibüotheksbeamteii 
nicht ausgereicht hatte. Die beiden ersten Punkte fanden in 
neuen Reglements und Benutzungsordnungen Ausdruck, welche 
zum grÖssten Theile aus den nächsten Jahren nach 1871 stam- 
men. Für KatalogisirungszwecT^e wurden an nicht wenigen 
Bibliotheken, besonders in Preussen, ausserordentliche Mittel 
flüssig gemacht. In Breslau stellte die Verwaltung in den 
Jahren 1874 bis [8S2 mit einem Kostenaufwand von rund 
35000 M. einen neuen alphabetischen Zettelkatalog her, im 
Aeusseren der Zettel wesentlich nach dem Bonner System. 
Seine Ergänzung durch die Programmenlitteratur wurde später 
vorgenommen. Die Aufbewahrung der Zettel erfolgte in Schub- 
läden (von Stehpulten^, die von oben durch ein in Frankreich 
.schon früher gebräuchliches Gitter von dünnen Metallstäben 
gegen das Herausnehmen der Zettel gesichert wurden. In 
Halle erfuhr die Verwaltung durch seinen gegenwärtigen Leiter 
ausser einer Umgestaltung der Verwaltung, wie sie wohl überall 



.111 de» durchgreifenden Personenwechsel sich anschloss, eint 
völlige Neukatalogisirung {1876 bis 1888), deren Ergebniss ein 
Realkatalog in Bänden und zwei übereinstimmende Exemplare 
eines alphabetischen Zettelkatalogs nach dem Marburger System 
(zusammengeschnürte Zettelpackete, die in Kapseln stecken) 
sind. Von letzteren steht eines im Lesesaal fiir das Publikum 
7.ur Verfügung, das andere dient für den Gebrauch der Beamten. 
Gleiche Arbeiten wurden an anderen Bibliotheken theils ange- 
fangen {-/.. B. Königsberg), theils durchgeführt {•£. B. Greifs- 
wald, Münster). 

Inzwischen hatte die lebhafte Bewegung auf dem Gebiete 
des Bibliothekswesens längst auch andere als Universitäts- 
bibliotheken ergrifien. In Karlsruhe i. Bad. wurde 1872 aus 
der Hofbibliothek eine Hof und Landesbibliothek, deren ver- 
änderte Bestimmung damit anerkannt war. Rasch erhielt sie 
unter der Leitung des neuen Oberbibliothekars Dr. Wiih. 
Brambach (s.S. 27) ausser vier handschriftlichen Katalogen, 
unter denen sich auch — für Deutschland eine Seltenheit — 
ein Reairepertorium befindet, gerade im Interesse der aus- 
wärtigen Benutzer einen gedruckten alphabetischen Katalog 
von musterhafter Knappheit und entwickelte auch seitdem 
unausgesetzt eine fruchtbare Thätigkeit durch bibliographische 
Publikationen. Einige Stadtbibliotheken jüngeren Datums, ich 
denke vor allem an die Murhardsche zu Kassel {unter Dr. 
Uhlworm) und an die zu Köln (unter Dr. Keysser), be- 
gannen im gleichen Zeitraum eine lebhafte und z. Th. origi- 
nelle organisatorische Thätigkeit, während andere Bibhotheken 
ihre vorhandenen Einrichtungen ausbauten. Mehrfach gingen 
sie übrigens dabei von alphabetischen Bandkatalogen zu Zettel 
kfttalogen über, z. B. die Hamburger Stadtbibliothek. Ganz 
eigenartig i.st die Einrichtung der Kon. OelTentlichen B. in 
Stuttgart, wo die Bücher in So verschiedenen sachlichen Ab- 
theilungen untergebracht und in diesen alphabetisch ohne Nume- 
rirung aufgestellt sind. Ebenso sind die Titel in dem einzigen 
Katalog von rund 600 Bänden verzeichnet, neben welchem an 
einem alphabetischen Stichwortregister gearbeitet wird. In 
Berlin zeigten sich die ein flu streichen Kreise zunächat der neuen 



31 — 



Bewegtfrg anscheinend wenig geneigt und diesem Umstände 
ist es wohl zuzuschreiben, dass an der Königlichen B. nach 
Pertz' Rücktritt (1873) nicht ein bibliothekarischer Fachmann, 
sondern wieder ein Gelehrter von höchstem Ansehen, Prof. 
Lepsius, sein Nachfolger wurde, dass aber auch die von 
vielen* Seiten gewünschte Reorganisation dieses Institutes 
hinauszog. Endlich wurde in dieser Zeit lebhafter, z. Th. be- 
geisterter Thätigkeit der Grund zu einigen bedeutenden Spe- 
zialbibliotheken in Deutschland gelegt, zunächst zu der des 
deutschen Reichstages in Berlin, welche bestimmt ist, Staats- 
wissenschaften, Politik und Geschichte in weitem Umfang und 
mit ansehnlichen Mitteln ( 30 000 M. Vermehrungsfonds) zu 
pflegen, und zu deren Leitung Dr. Potthast berufen wurde: 
ferner zu der in mancher Beziehung noch wichtigeren Biblio- 
thek des deutschen Reichsgerichts in Leipzig (1879; Vorsteher 
Prof Dr. K. Schulz). Eine ältere Schöpfung (1735,) ist die 
für alle Staats- und Handelswissenschaften, Geographie und 
Reisen, neue Geschichte und Hamburgensia sehr reichhaltige 
Kommerzbibliothek in Hamburg, die den dortigen Bedürfnissen 
in hohem Masse entspricht und stark benutzt wird. Alle drei 
hier genannten Bibliotheken sind im Besitze trefiflicher ge- 
druckter Kataloge über ihre Bestände. 

Eine Seite ist noch besonders hervorzuheben, nach wel- 
cher die seit dem glücklichen Ausgange des Krieges von 
1870/71 wirksam sich ausbreitende, wenn auch schon länger 
vorbereitete Neugestaltung des deutschen Bibbiiothekswesens 
ihre Thätigkeit entfaltete, nämlich das Gebiet der Bibliotheks- 
bauten. Die Erfahrungen und Einrichtungen des Brittischen 
Museums dienten dabei natürlich meist als Musler. Innerhalb 
Prcussens wurde, von kleineren Umbauten abgesehen, 1878/80 
in Halle ein Neubau mit Magazinirungssy Stern (durchbrochene 
Fussböden) ebenso sparsam wie zweckmässig hergestellt. Es 
folgte Greifswald (1882) nach dem gleichen System; Kiel 
|_i88i/83), Göttingen (1879/83J mit einem neuen Flügel im 
Galleriesystem und mit sehr zweckmässigem Lese- sowie Katalog- 
zimmer; Bonn 1^1892) mit einem vollständigen Umbau, während 
für Königsberg und Marburg Neubauten für die nächste Zeit 



— 32 



geplant sind. Von ausserpre»issischen Neubauten en\'l!hiic ich 
Rostock {1866/69), Karlsruhe (1873), Stuttgart (1882/85), Wolfen- 
büttel (1E8;), Breslau (Stadtb. 1891), Leipzig (1891) und Strass- 
burg (noch nicht bezogen), endlich die Stadtbibliotheken zu 
Augsburg (Neubau) und Frankfurt a. M, (An- und Umbau), 
beide noch unvollendet. 

Im ersten Dezennium nach dem Kriege wurden überdies 
an den meisten Bibliotheken die sachlichen Fonds, was uuer- 
lä;-slich war, sehr wesentlich verstärkt, die Gehälter der Be- 
amten erhöht und ihre Zahl vermehrt. Damit wären in kurze» 
Umrissen die Fortschritte dargelegt, welche in jenem Zeit- 
räume, der nur in Bezug auf die Bauten bereits bis auf die 
neueste Zeit weiter behandelt wurde, die staatlichen Bibliotheken 
Deutschlands machten. Im Einzelnen zunächst suchte da- 
mals die staatliche Leitung nach Kräften zu fördern und zu 
bessern. In Bezug auf Prinzipienfragen huldigten in Preussen 
das Ministerium Falk mit dem Dezernenten GOR. Dr. Göp- 
pert im Ganzen wohl dem Grundsatze. Fachbibhothekare an 
Stelle der akademischen Lehrer in die Beamtenstellen zu brin- 
gen; sonst blieb es Schritten zu einer allgemeinen Organisation 
des Bibliothekswesens möglichst fern. Die .Selbständigkeit und 
Unabhängigkeit der einzelnen Universitäten wurde traditionell 
auch auf die einzelnen Bibliotheken, die meistens ja zu Uni- 
versitäten gehörten, übertragea Doch fehlte es nicht ganz an 
einzelnen und zwar sehr zweckmässigen centralisirenden Mass- 
regeln. Einmal kam auf Anregung der deutschen Philologen- 
versammlung von 1872 und mit Hülfe des preussischen Unter- 
richtsministeriums ein Abkommen zwischen den deutschen 
höheren Schulen und der Verlagsbuchhandlung B, G. Teubner 
in Leipzig zu Stande, nach welchem diese seit 1875 den jähr- 
lichen Austausch der Jahresberichte jener Schulen nebst ihren 
Abhandlungen unter den Schulen selbst, sowie mit den Hocli- 
schulen, den Behörden usw. vermittelt und so zur Centralstelle 
für diesen Schriftenaustausch geworden ist. Für Bayern und 
Deutsch - Oesterreich erhielt das Abkommen, wenigstens so- 
weit die Universitätsbibliotheken dabei betheiligt sind, gleiche 
Gültigkeit. Auf demselben Gebiete liegt der im J. iSÜi durch 



Vermittelung der deutschen und französischen Regierung — 
auf Anregung der letzteren — zwischen den Universitäten 
beider Länder behufa regelmässigen Austausches ihrer Schriften 
abgeschlossene Vertrag, welchem später auch noch verschie- 
dene Universitäten anderer Länder beigetreten sind. Sonst 
wurde zwar noch im J, 18S2 die Frage einer einheitlichen 
und umfassenden Bibliotheksstatistik vom Ministerium aufge- 
worfen und eingehende Entwürfe zur Begutachtung versandt; 
doch folgte es darin anscheinend mehr einer äusseren An- 
regung, und da die Berichte sehr verschieden und zum Theil 
abweisend lauteten, so wurde der Sache keine weitere Folge 
gegeben und hatte wieder nur im Einzelnen das Ergebniss, 
dass manche Bibliotheken seit jener Zeit der Sammlung sta- 
tistischen Materials grössere Aufmerksamkeit schenken, aber 
fiir sich allein und ohne Ue berein Stimmung mit den Schwester- 
anstalten in Bezug auf die Grundlagen. 

Das Bedürfniss einer grösseren Annäherung der verschieden- 
artige» und mannigfaltigen Verwaltungspraxis und somit einer 
massigen Ceutralisirung innerhalb der einzelnen Staaten, wo 
sie ja allein durchführbar ist, bestand und besteht noch gleich- 
wohl unzweifelhaft. Es besteht im Interesse der Beamten, die 
bei jeder Versetzung sich an der andern Bibliothek in neue 
Gewohnheiten und Grundsätze einzuarbeiten haben, im Interesse 
der Bibliotheksverwaltung, deren Stetigkeit und Sicherheit durch 
jeden Personalwechsel für einige Zeit gefährdet wird, endlich 
auch im Interesse der Benutzer, die sich gleichfalls an jedem 
neuen Orte — und in akademischen Kreisen tritt Ortswechsel 
ja sehr häufig ein — an anders geführte Kataloge u. dergl. 
gewöhnen müssen. Einen wichtigen Schritt zur Vorbereitung 
grösserer Einheit, zum Nachweis ihrer Nützlichkeit und zur 
Klärung vieler verschiedener und z. Th. schroff gegenüber- 
stehender .Ansichten in Bibliotheksangelegenheiten bedeutete 
die auch sonst einem dringenden Bedürfniss entsprechende 
Gründung des Centralblattes für BibUothekswesen , welches 
seit 1884 von 0. Hartwig, dem Hallenser Oberblbliothekai 
herausgegeben wird. Während der zwei ersten Jahre stand 
ihm Prof. K. Schulz, Bibliothekar des Kais. Deutschen Reichs- 



d 



- 34 



Berichtes in Leipzig, in der Redaktion zur Seite. Vor allem 
aber ist es das Verdienst der preussischen Unterrichts Verwal- 
tung, insbesondere des Dezernenten für Universitätsangelegen- 
heiten GOR. Dr. Althoff, nach dieser Seite hin den vielfach 
in Bibliothekskreisen selbst empfundenen Bedürfnissen und aus 
diesen Kreisen gegebenen Anregungen entsprochen und or^a- 
nisirend eingegriffen zu haben. 

In Bezug auf Personalia wurde das Aufrücken sämmtlicher ■ 
wissenschafdicher Beamten der Universitätsbibliotheken inner- 
halb einer einzigen Reihe ctatsmässig möglich gemacht und 
dadurch einer grossen Ungleichmässigkeit im Avancement ab- 
geholfen {1889). Auch in Betreff der Assistenten (etatsmässige 
Hülfsarbeiter) und der Volontäre sind neuerdings die Grund- 
sätze einer gleichmässigen Anciennetat für die Zwecke der 
Behörde festgesetzt worden. 

Nach dem Tode von Lepsius (1884) geschahen alsbald 
Schritte, um auch der Königlichen Bibliothek in Berlin, Haupt- 
stadt des Deutschen Reiches und Mittelpunkt so vieler und 
bedeutender geistiger Interessen, eine diesen Verhältnissen ent- 
-sprechende Verfassung zu geben. Durch Allerhöchsten Erlass 
vom 16. Nov. 1885 erhielt die Könighche B. zu Berlin eine 
neue Organisation. Es wurde als ihre Aufgabe festgestellt, "in 
möglichster Vollständigkeit die deutsche und in angemessener 
Auswahl auch die ausländische Litteratur zu sammeln, dieselbe 
geordnet aufzubewahren und der allgemeinen Benutzung zu- 
gänglich zu machen« (§ 1), ein Kuratorium eingesetzt, welches 
»ohne unmittelbares Eingreifen in den Gang der Geschäfte« 
(§ 7) idie Interessen der Bibliothek ijberall wahrzunehmen und 
dafür zu sorgen hat, dass .sie stets auf der Höhe ihrer Bestim- 
mung bleibe« (§ $\ Ein Fachbibliothekar, Prof Dr. Aug. 
Wilmanns, der vorher Oberbibliothekar in Freiburg in Bad. 
(s. S. 27), Königsberg und Göttingen (S. 28) gewesen war, wurde 
zu ihrem General-Direktor ernannt, und, was sehr noth that, 
dem Institute im Verlauf der nächsten Jahre eine angemessene 
finanzielle Ausstattung verliehen. Die heilsamen Folgen dieser 
Massregeln, die sich zunächst in einer ausserordentlich gestei- 
gerten Benutzung zeigen, werden allgemein anerkannt. Zugleich 



k 



I 



wurde dadurch faktisch, wenn auch nicht nommeU, für Preussen 
eine Cell tralst eile geschaffen, die, ähnhch wie das Brittische 
Museum in England und die BibUotheque Nationale in Frank- 
reich nach vielen Seiten hin, selbst über Preussen hinaus, an- 
regend und ausgleichend wirken kann. Mit grosser Vorsicht 
lind thunlicher Rücksicht auf die berechtigte Selbständigkeit 
und Eigenart der einzelnen Bibliotheken ist dies bisher ge- 
schehen. Eine der ersten Unternehmungen, durch welche sich 
die Königliche B. zu Berhn in den Dienst aller deutschen grös- 
seren Bibliotheken und damit in ihren Mittelpunkt stellte, war 
seit i88g die Herausgabe gedrucTiter Jahres- Verzeichnisse der 
an den Deutschen Universitäten erschienenen Schriften, zu 
welcher ein Aufsatz im Centralblatt f. Bibl. II (1885) S. 231 ff. 
die Anregung gegeben hatte. Sieben Jahrgänge sind bis jetzt 
erschienen, alle Schriften seit dem 15. Aug. 1&84 umfassend. 
Dazu werden periodische Sachregister veröffentlicht, das erste 
1891 für die ersten fünf Jahrgänge. Mit dankenswerthem Ent- 
gegenkommen haben die au ss erpreu ssischen Hochschulen 
Deutschlands sich dem nützlichen Schritte an geschlossen, der 
sonst nur zu einem Stückwerke geführt hätte. Ebenso werden 
seit 1889 von der Berliner General- Direktion im Anschluss an 
den bestehenden Program meuaustausch (s. S. 32) gedruckte 
Jahres -Verzeichnisse der an den deutschen Schutanstalten er- 
.^chienenen Abhandlungen herausgegeben, so dass für die kleinere 
wissenschaftliche Litteratur Deutschlands, die bisher die crux 
der Bibliothekare und Gelehrten war, gegenwärtig bibliographisch 
aufs beste gesorgt ist. Freilich gilt dieses Lob zunächst nur 
den Schriften der jüngsten Zeit. Doch sind für die akademi- 
schen Schriften der einzelnen Universitäten aus der Zeit vor 
dem 15, Aug. 1884 entsprechende Kataloge an mehreren Uni- 
versitäts-Bibliotheken bereits in Arbeit — so in Berlin, Göt- 
tingen und Halle — , und es läset sich hoffen , dass auch die 
andern interessirten Bibliotheken bald nachfolgen werden; fiir 
Strassburg (seit 1872) ist er bereits erschienen (1892). 

Den vielseitigen Klagen über die Lückenhaftigkeit der 
Bücherbestände auf wichtigen Gebieten suchte die Regierurig 
in den Jahren 1885 bis 1890 durch ausserordentliche Geldmittel 



m 



im Betrage von 450000 Mk. (zusammen) abzuhelfen, welche 
der preussische Landtag bereitwilligst zur Verfugung stellte 
und die zugleich dazu dienten, die an mehreren Bibliotheken 
dringend nöthigen Katalogisirungsarbeiten der Vollendung näher 
oder doch in schnelleren Gang zu bringen. Was für die Berliner 
Königliche B. allein während dieser Zeit ausserordentücherweLse 
geschah, ist dabei nicht in Rechnung gebracht. 

In der gleichen Richtung ist es als ein Schritt zu einer 
freiwilligen Annäherung der Ansichten und Einrichtungen im 
Bibliothekswesen und vor allem als Ausdruck der modernen 
Anschauungen von den eigenartigen Aufgaben und der Selb- 
ständigkeit des bibliothekarischen Berufes die Errichtung einer 
eigenen Professur für Bibliothekshülfs Wissenschaften an der Uni- 
versität Göttingen (1886) anzusehen. Dem Vertreter dieses 
Faches, der zugleich Vorsteher der dortigen Universitätsbi- 
bliothek und als solcher in steter lebendiger Verbindung mit 
der Praxis ist, liegt es ob, zur Ergänzung der auf den Univer- 
sitäten bereits gelehrten allgemeinen Disziplinen mit besonderer 
Rücksicht auf die Bedürfnisse der künftigen Bibliotheksbeamten 
über die Geschichte des Buchwesens und der Bibhotheken, die 
Geschichte der Buchdruckerkunst und des Buchhandels und die 
Einrichtung und Verwaltung von Bibliotheken Vorlesungen und 
entsprechende Uebungen zu halten. Historisch ist hierbei daran 
zu erinnern, dass in Göttiiigen bereits Ge. Matthiae (t 1773'', 
Professor der Medizin und der erste Bibliothekar der Univer- 
sität, ausser .Anderem auch "notitiam auctorum et librorum 
medicorum«, also medizinische Bücherkunde dozirte. 

Auf das Innere der Verwaltung erstreckte sich das Streben 
nach Uniformirung am spatesten; für ganz Deutschland kann 
darin überhaupt nur mit der freien Zustimmung der einzelnen 
Staaten etwas geschehen. In Preussen wurde sie erleichtert 
durch häufig gewordene Versetzungen der Bibliotheksbeamten. 
Auf einzelnen Gebieten war ihnen auch litterarisch vorgearbeitet 
worden , wie in Bezug auf die Auswahl der Ordnungs Wörter 
und die alphabetische Ordnung der Katalogtitel durch C. 
Dziatzko's Breslauer Instruction (Berlin 1886), für die Real- 
katalogisirung durch K. Zangemeister's System der Heidel- 



berger B. (1885) und 0. Hartwig's entsprechendes Schema 
der Hallischen B. (1888); auf kleineren Gebieten durch Auf- 
sätze und Vorschläge im Centralblatt für Bibliothekswesen. Nicht 
weniger wirksam hatten im gleichen Sinne sich schon vorher 
einige gedruckte Kataloge von Fachbibliotheken erwiesen, be- 
sonders derjenige der Reichsgerichtsbibliothek zu Leipzig von 
K. Schulz (1882 und 90.) 

Einen bedeutsamen Schritt zur Herbeiführung grösserer 
Einheitlichkeit bei den Titelaufnahmen, wofür sie ja in erster 
Linie zu wünschen ist, bedeutet der Erlass des Preuss. Unter- 
richtsministeriums vom 29 Februar 1 892, durch den die Grund- 
sätze festgestellt werden, nach welchen jene vom i. April d. J. 
an zunächst für alphabetische Zettelkataloge, weiter aber auch 
für die übrigen Kataloge, soweit dies ohne Bedenken geschehen 
kann, an den staatlichen Bibliotheken erfolgen sollen. Begleitet 
war der Erlass von einer gedruckten »Instruktion für die Her- 
stellung der Zettel des alphabetischen Kataloges« (Burg b. M. 
11892), in welcher für die verschiedenen Arten der Zettel Um- 
fang und Art der Titelaufnahme, Seiten- und Bandzählung, 
feste Unterscheidung der Formatklassen u. dergl. unter Bei- 
gabe von Proben festgesetzt und zugleich ein Schema zur 
Transscription von 1 2 besonderen Schriftarten (vom Russischen 
bis zum Georgischen) aufgestellt wird. Gleichzeitig begann die 
General-Direktion der Kon, Bibliothek für die Zeit vom 1. Jan. 
1892 an die Titel ihrer Eingänge und ergänzungs weise die der 
Berliner Universitätsbibl an neuen Büchern mit Ausschluss der 
Zeitschriften und Fortsetzungswerke, welche in besonderen 
Listen verzeichnet werden sollen, zu drucken und den anderen 
Bibliotheken zu übersenden. An beiden genannten Bibliotheken 
werden — zunächst probeweise — die gedruckten Titel zum 
Ersatz der handschriftlichen Eintragungen verwendet. Zugleich 
hofft man, dass auch anderen Bibliotheken sich die Titeldrucke 
in gleicher Weise oder wenigstens als bibliographisches Hülfs- 
niittel nützlich erweisen werden. Jedenfalls ist damit der erste 
Schritt gethan zur Einführung gedruckter Katalogtitel, welche 
in dieser oder jener Form als unabweisbares Bedürfniss für die 
Verwaltung jeder grossen Bibliothek anzusehen sind. 



In vielen l-'rageti, besondere wenn es sich um Neu- oder 
Umbauten, um ausserordentliche Katalogs sirun gen oder um die 
Vermehrung des Beamtenpersonals handelte , stellte sich die 
Unsicherheit über den wirklichen Umfang des Bücherbestandes 
an den einzelnen Bibliotheken als höchst störend heraus. Fast 
ohne Ausnahme kannte man ihn nur schätzungsweise oder nach 
älteren Zählungen, über deren Grundlage man vielfach nicht 
unterrichtet war und die nach subjektivem Ermessen ergänzt 
wurden. Es wurde daher vom preussischen Unterrichtsmini- 
sterium im Febr. 1890 für die staatlichen Bibliotheken eine 
Zählung der Buchbinderbände für den März d, J. angeordnet 
und diese dementsprechend vorgenommen. Ungebundene kleine 
Schriften wurden von den Verwaltungen entweder faszikelweise 
oder bei Einzelzählung besonders verzeichnet, so daas eine 
Umrechnung in Buchbinderbände ~ 15 kleine Schriften gleich 
1 Buchbinderband nach Schwenke's Adressbuch ~ leicht er- 
folgen kann. Das Ergebniss dieser Zählung ist z. Th, aus der 
im Folgenden (S. 46) mitgetheilten Tabelle zu ersehen, 

Wohl dem Vorbild der italienischen Universitätsbibliotheken 
verdankt eine andere von der preussischen Unterrichts Verwaltung 
ins Leben gerufene Massregel ihre erste Anregung, die engere 
Verbindung nämhch, in welche die Seminar- und Instituts- 
bibliotheken der einzelnen Universitäten mit den allgemeinen 
Büchersaiiimlungen gebracht werden sollen. Zuerst in Strass- 
burg, dann aber auch an anderen Universifätcii waren gut aus- 
gestattete und sehr bequeme Spezialbibliotheken (iir die wichtig- 
sten Studienfach er, meist im Anschluss an die einzelnen Se- 
minarien, Institute u. dergl. geschaffen worden. Bis weit in die 
Nacht hinein stehen da täglich den betheiligten Studirenden 
geeignete Lese- und Arbeitsräume und z. Th. umfangreiche 
Buche rsammlun gen für ihre Fachstudien zur freiesten Verfügung. 
Da die allgemeinen Bibliotheken in Bezug auf ausreichende 
Lesesäle und Handbibliotheken, sofortiges Herbeiholen der ge- 
wünschten Bücher und Lange der Oeffnungszeit, besonders in 
den Abendstunden, den Bedürfnissen der Benutzer fast nirgends 
mit Ausnahme von Berlin völlig entsprechen, müssen jene 
Spezialbibliotheken als eine nothwendige Ergänzung der Uni- 



versitätsbibliutheken bezeichnet werden und werden es zum 
Theil auch bleiben, wenn die Ausstattung der letzteren nach 
jenen Seiten eine vollkommenere werden sollte. Den Vortheil 
der Leitung und Uebcrwachung der Studien durch die Fach- 
professoren, der engen Gemeinschaft mit den näheren Studien- 
genossen, abgeschlossene Sonderräume und Fachlitteratur in 
gleichem Umfang und ebenso unmittelbarer Nähe werden die 
allgemeinen Bibliotheken den Studirenden niemals bieten können. 
Es ist nun die Absicht der Regierung die Bestände dieser zahl- 
reichen und z. Th. recht ansehnlichen Fachbibliotheken all- 
gemeiner bekannt und nutzbar zu machen. Zu dem Zwecke 
ist zunächst in Berlin und Bonn mit ihrer Katalogisirung in 
Zettelform der Anfang gemacht worden. Ein durchgehender 
und stets auf dem Laufenden erhaltener Katalog soll je in der 
allgemeinen Bibliothek Aufschluss über jene Bestände geben 
und namentlich bei Zeitschriften und theuereii Werken unter 
Umständen dafür sorgen, dass die Anschaffung zweiter Exemplare 
vermieden wird. Um eine Vorstellung von dem Umfang dieser 
Katalogisirungsarbeit zu geben, füge ich hinzu, dass an den 
preussischen Universitäten die Gesammtzahl der Buchbinder- 
bände (oder Nummern) jener Institutsbibliotheken wenigstens 
330000 beträgt, schwankend zwischen 17582 in Marburg, von 
Münster abgesehen, und 72000 in Breslau. Der Durchschnitt 
beträgt, wenn wir wieder von Münster absehen, nmd 3630O 
Bände. Unter den ausserpreussischen Universitäten ist sie nur 
von vieren durch Schwenke's Adressbuch bekannt geworden 
und beträgt da rund 840OO, im Durchschnitt also 21 000 Bände. 
Die allgemeinen Grundsätze der Benutzung sind im wesent- 
hchen die gleichen gebheben wie bisher, wenn auch die Liberahtät 
vielfache Erweiterungen erfahren hat. An etwa der Hälfte der 
Bibliotheken, nämüch an den süddeutschen, aber auch in Jena, 
Halle, Kiel und selbst in dem grossen Berlin (Un.-B.) ist die 
Forderung eines persönlichen Biirgscheines zum Entleihen von 
Büchern den Studenten gegenüber in Wegfall gekommen und, 
soweit es sich übersehen lasst, ohne nachtheilige Folgen für 
die Bibliotheken. An der Zahl der an den Einzelnen verliehe- 
nen Bücher wird, wenn sie auch reglementmüssig feststeht, 



40 



nirgends mit AeugstUchkeit festgehalten. Den Zutritt zu den 
Katalogen sucht man auch da thunlichst zu erleichtern, wo 
man aus lokalen Gründen ihn dem Publikum nicht völlig frei- 
geben kann. Man trägt Sorge für umfangreiche Handbibliotheken 
in den Lesesälen und für den Druck ihrer Kataloge (z. B. Bres- 
lau [K. u. Un. B.], bereits veraltet, Göttingen, Berlin [Un. B.]). 
An einzelnen Bibliotheken — ich habe nur die grösseren hier 
im Auge — ist sogar ein Katalog des Gesammtbestandes ge- 
druckt (so in Karlsruhe i. Bad. ; s. S, 30), besonders an Spezial- 
bibliotheken (vergl. S. 31). An anderen ist die gleiche Arbeit 
noch im Gange, so in Kassel (Murhardsche B. und Ständische 
Landes-B.), Tübingen und Wolfenbütte!. Zugangs Verzeichnisse 
werden z. B. in Köln <Stadt-B.) gedruckt 

In einem Punkte waren die meisten deutschen Bibliotheken 
gegen Frankreich und z. Th. gegen England auffallend zurück- 
geblieben, nämlich in der Herausgabe gedruckter Han d Schriften - 
kafaloge, ohne welche die Benutzung der Manuscripte ja äusserst 
erschwert ist. Die Hof- und Staatsbibliothek von München mit 
ihren mehr als 40000 Handschriften (etwa 26000 Nummern) 
macht nebst wenigen andern eine rühmenswerthe Ausnahme. 







Zahl 
der 


Zahi der H 


andbchriften 




ID gedruckten 


nicbl in gedr. 






Katalogen 


Katalogen 




Iheken*; 


beschrieben 


enthalten**) 


Königr. Preussen .... 


34 


2744s 


38558 


„ Bayern . . . 




J7 


47287 


8543 


„ Sachsen . . . 




6 


7500 


5438 


„ Württemberg . 




3 


1373 


5930 


Grossherz. Baden . . 




6 


1729 


7306 


„ Hessen . . 




3 


I 400 


4400 


Reichsland Elsass-Lothr. 




5 


,446 


4890 


Uebrige deutsche Staaten 


19 


6701 


20822 


Deutsches Re 


ch 


93 


94880 


95 887 



•) Bibliotheken 1 
atE geblieben. 
*•) Dahin sind ai 



il ganz geringfügigen HanilschriftenbeslSnden sind atts 
h die an zcrslreiilen Orten (Zeilscbriflen u. tUrg].) v 



41 



Aus vorstehender Tabtlle, welche Bibliothekar Dr. Schwenke 
aus seinen für das Adressbuch deutscher B. gesammelten 
Materialien freundlichst zusammengestellt hat, ist das Maass des 
für gedruckte Handschriftenkataloge in den grössten deutschen 
Ländern und in ganz Deutschland bereits Geleisteten und des 
noch zu Leistenden leicht zu übersehen (vergl. auch S. 33), 
Die Absicht der Förderung des Katalogdruckes scheint in 
Preussen bereits das Ministerium Falk gehabt zu haben. Wenig- 
stens wurden durch Rescript vom 20 Nov, 1874 die Provinzlal- 
Schulkollegien veranlasst, auf die Anstalten ihres Ressorts da- 
hin zu wirken, dass sie in den Programmen ihrer Schule oder 
in geeigneten Zeitschriften von kundiger Hand ausser einem Be- 
richt über wichtige alte Drucke eine vollständige Aufzählung 
und gedrängte Beschreibung der etwa vorhandenen Hand- 
schriften geben lassen. Das Ergebniss dieser Anregung war in 
Bezug auf die Art der Handschriftenbeschreibung unbefriedigend, 
doch gewann man durch die darauf erfolgten Veröffentlichungen 
immerhin eine Uebersiclit über den Bestand jener kleinen Hand- 
-schriftenvorräthe und eine Grundlage für eine zweckmässige 
Beschreibung. Neu erörtert wurde der Plan im weitesten Um- 
fange 1885 bei Gelegenheit der Reorganisation der Könighchen 
B. in Berlin, zur Ausfiihnrng kam er aber erst 1889, indem 
das Ministerium, dem die General- Verwaltung der Kön. Biblio- 
thek berathend zur Seite steht, dem Prof. Wilh. Meyer von 
Göttingen, der früher an der Bearbeitung des Münchener Hand- 
schriftenkatalogs durch viele Jahre Theil genommen hatte, Ur- 
laub und den Auftrag ertheüte, mit Hülfe einiger Assistenten 
von den in Preussens Bibliotheken befindlichen Handschriften, 
soweit sie zugänglich sind, gedruckte Kataloge zu veröffentlichen. 
Mit den Handschriften Göttingens wird der Anfang gemacht. 
Von Bonn [Un, B.) waren schon viel früher durch Ant Klette, 
Jos. Staender und Joh. Gildemeister 1858/76, von Erfurt (Kön. 
B.) durch W. Schum 1887, von Münster i, W. [Paulin, B.) durch 
Jos. Staender (und Leop. Cohn) 1889 gedruckte Handschriften- 
kataloge erschienen. Ebenso ist die Königliche B, in Berlin im 

in gaui »eralleten Katalogen beschrietiencii Handschriflen geiechnel. ; dagegen 
ist von Bibliotlielten mit neuerem ef "iiiiHlialaloB '^" il an ■! Schriften 

iler gnnzp gegenwärtig Br- nnimeii. 



42 



Besitz gedruckter Kataloge über reichlich den dritten Theil 
ihrer Handschriften, in i i Bänden, welche alle mit Ausnahme 
eines (1853) seit 1S78 erschienen sind. 

Während bei dieser Kata.logisirung der Handschriften Ein- 
heitlichkeit der Grundsätze bis jetzt nicht vorgesehen ist, ordnet 
ein Erlass der preussischen Unterrichtsverwaltung vom 8. Jan. 
1890 gemeinsame Bestimmungen fiir das Versenden von Druck- 
und Handschriften an ausserpreussische Bibliotheken an Unter 
der Bedingung der Gegenseitigkeit und mit Ausschluss solcher 
Stücke, welche auf Grund besonderer Vorschriften nicht ver- 
schickt werden dürfen (z. B. Unika u dergl.), wird die direkte 
Versendung von Druck- und Handschriften selbst ausserhalb 
Deutschlands an staatliche oder unter Staatsaufsicht stehende 
BibUotheken gestattet. Das angestrebte Ziel ist ein interna- 
tionaler Verband möglichst vieler öffentlicher Bibliotheken zum 
direkten leihweisen .Austausch ihrer Schätze und zur Förderung 
der Studien ihrer Benutzer durch die fremden Sammlungen 
gleich den eignen. Freilich wurde in der Praxis von Seiten 
der deutschen Bibliotheksverwaltungen solche Liberalität sehr 
häufig bereits früher geübt, wie übrigens auch von der nach 
freien Gesichtspunkten verwalteten Universitäts-B. zu Leiden 
und manchen anderen Bibliotheken des Auslandes; aber dem 
Auslande gegenüber fehlte es in Preussen z. Th. an der 
wün Sehens wert hen amtlichen Ermächtigung, vor allem aber au 
der Grundlage für eine Regelung dieses Leih Verkehres. 

Aber auch im inneren Verkehr der preussischen Univer- 
sitätsbibliotheken unter sich und mit der Königlichen Bibliothek 
in Berlin werden seit kurzem — in diesem Falle nach dem 
Vorgange anderer Länder und deutscher Staaten — die Bücher- 
schätze der einzelnen BibUothek einer ausgedehnteren Benutz- 
ung als bisher zugänglich gemacht, iudem zunächst Göttingen 
und Marburg (seit Mai 1892), dann aber auch Bonn und Mün- 
ster, Königsberg imd Braunsberg {seit Januar 1893) zu einem 
engeren Verbände mit regelmässigem allwöchentlichen Leih- 
verkehr vereinigt worden sind. Die Kosten tragen theils die 
Entleiher theils die Universitäten. Yen der neuen Einrichtung, 
welche zunächst wohl Sparsamkeitsrücksichten entsprungen ist, 



43 



wird ein starker Gebrauch gemacht, natürlich aber vorwiegend 
von Seiten der kleineren Bibliothek. Das gleiche Verhältniss 
ist seit dem 27. Jan. 1893 auch zwischen der Königlichen B. 
in Berlin und allen preussischen Universitätsbibliotheken mit 
geringfügigen Abweichungen in Kraft getreten. 

Erst beabsichtigt und vorbereitet ist die Regelung der Vor- 
bedingungen zum Eintritt in die wissenschaftliche Bibhotheksl auf- 
bahn für die staatlichen Bibliotheken Preussens. Im wesent- 
lichen sollen die Forderungen, welche für die Gymnasial lauf bahn 
gestellt werden, massgebend sein, jedoch die Wahl der Fakultät 
imd das Fach der ersten Staatsprüfung frei gegeben werden, 
die Doktorpromotion, eine zweijährige Volontärzeit und nach 
deren Ablauf eine kurze bibliotheks technische Prüfung obliga- 
torisch sein. Dass die Fülle der Anforderungen abschreckend 
wirken werde, ist zur Zeit bei dem grossen Andrang zu dieser 
Laufbahn nicht zu befürchten; jedenfalls bietet sie die Gewähr, 
dass der Beruf nach wie vor als ein wissenschaftlicher aufgc- 
fasst werde und die Beamten der grossen, für wissenschaftliche 
Zwecke bestimmten Bibliotheken sich fähig erweisen, ebenso 
ihren wissenschaftlichen wie den rein technischen Aufgaben 
gerecht zu werden. 

Hiermit wäre erschöpft, was sich von wichtigeren organi- 
satorischen Massnahmen auf dem Gebiete des preussischen 
Bibliothekswesens aus dem letzten Dezennium berichten lässt. 
Natürlich nehmen auch die Landes- und Universitätsbibliotheken 
der ausserpreussischen Staaten einen mehr oder weniger leb- 
haften Antheil an dieser Bewegung; indess betrifft, was an 
ihnen Bedeutendes oder doch Beachtenswerthes geleistet wird 
— ich erinnere nur an die Neuschöpfung der Strassburger 
Bibliothek —, vorwiegend die einzelne Anstalt und diese blieben 
auch im Vorhergehenden zumeist unberücksichtigt. Würde ich 
doch nicht umhin können über viele der zu erwähnenden Ein- 
richtungen, die zum Theil noch nicht einmal durchgeführt sind, 
Urtheile zu fällen, die in der Ferne sich mit Sicherheit zu 
bilden schwierig ist und die jedenfalls einer eingehenden, hier 
viel zu weit führenden Begründung bedürften. Soweit es auf 
Thatsachen ankommt, sind sie zu einem gros.sen Theile in 



44 



Schwenke's Adressbuch der deutschen Bibliotheken verzeichnet, 
Anderes findet sich in der am Schlüsse dieser Schrift beige- 
gebenen Tabelle. Dass die grosseren Städte Deutschlands 
trotz hervorragender Leistuogen auf vielen Gebieten der Selbst- 
verwaltung fiir öffentliche Bibliotheken verhaltniss massig noch 
wenig gethan haben und namenthch die mächtige Bewegung 
Tür die (Free) Public (oder Town} Libraries, welche seit 
1845/50 in den Städten Englands und Nordamerikas in stei- 
gendem Maasse sich geltend macht, bei uns nur geringe Nach- 
achtung gefunden hat, ist eine befremdliche Thatsache. Bleibt 
doch infolge dessen die allgemeine Bildung, soweit sie nicht 
auf unsern Schulen beruht, und damit auch das Verständniss 
für politische und soziale Fragen bei einem grossen Theile der 
Bürger offenbar zurück, so dass das Durch seh nittsniveau der 
allgemeinen Bildung in jenen Städten als höher gilt und 
wissenschaftliche Werke populären Charakters dort auf einen 
grösseren Leserkreis rechnen dürfen als bei uns. Eine Er- 
klärung findet jene Thatsaclie vielleicht in dem Umstand, dass 
die grösseren StadtbibUotheken sich im ganzen gern die Uni- 
versitätsbibliotheken mit ihrer gelehrten und streng fachwissen- 
schaftlichen Richtung zum Muster nehmen, wie in der Regel 
auch die alten Bestände beider Arten von Bibliotheken der 
gleichen Art sind. Oefinungszeit, Lesevorrichtungen und Be- 
nutzungsbedingungen, z. B. in Bezug auf die Vorausbestellung 
von Büchern, genügen meist ebenso wenig wie der Bücher- 
bestand der richtig erfassten Aufgabe einer Stadtbibliothek. 
Die Vermehrungsfonds sind, wenn wir etwa Hamburg (26cxxjM.) 
ausnehmen, meist sehr gering, z, B. in Bremen 6000 M. Sehen 
wir freilich davon ab und von der zu engen Begrenzung ihrer 
Aufgabe, so sind mehrere unserer Stadtbibliotheken in aner- 
kennenswert her Weise thätig und strebsam (vergl. S. 30 ff. 40). 
Kassel (Murhard'sche Stadt-B. seit 1863) lässt die Katalogtitel 
drucken (s, S. 40I und verwendet sie für verschiedenartige 
Kataloge; überdies sind dort die Zettel der Kataloge in kleine 
Bände vereinigt mittelst einer bequemen, bereits auf anderen 
Bibliotheken nachgeahmten, allerdings sie nicht völlig sichern- 
den Vorrichtung. Breslau (Stadt-B.) hat einen sehr guten 



45 



alphabetischen Bandkatalog, und Kwar, was nicht überall der 
Fall ist, gleich Kassel zur freien Benutzung des Publikums, 
Von Neu- oder Umbauten war schon vorher die Rede (s. S. 32). 
Am nächsten kommen dem Vorbild der Public Libraries inner- 
halb Deutschlands die Bibliothek der zur Heranbildung von 
Männern fiir das ölTenthche Leben bestimmten Gehe ■ Stiftung 
in Dresden (1882; Bibl. 1884) und die Freiherrl. Karl von 
Rothschild'sche öffentliche Bibhothek zu Frankfurt a. M. (1887), 
obschon auch diese ursprünglich wissenschaftlichen Studien 
dienen und nur daneben den Bedürfnissen des grösseren Pu- 
blikums Rechnung tragen sollte. Seit Anfang 1889 ist indess 
das Ziel ein wenig geändert und die Bibliothek "ernster Be- 
lehrung und wissenschaftlicher Arbeit« gewidmet. — Weitere 
Klassen von Bibliotheken hi den Kreis der Darstellung zu 
ziehen liegt nicht im Zweck dieser Zeilen. 

Fassen wir nunmehr in Kürze das Ergebniss der voraus- 
gehenden Besprechung zusammen , so ist entsprechend der 
politischen und Kulturentwickeiung Deutschlands die Zahl 
umfangreicher wissenschaftlicher Bibliotheken, die theils als 
Hof- und Landes-, theils als Universitäts- und (zum geringeren 
Theile) als Stadtbibliotheken bestehen, in diesem Lande unge- 
wohnhch gross und wird, wenn es auch an einer Central- 
bibliothek von der Grösse der Bibliotheque Nationale oder 
des British Museum fehlt, im ganzen kaum von einem andern 
Lande übertroffen. Den Reichthuni Deutschlands an solchen 
Büchersammlungen, übrigens auch den der andern Kulturländer 
Europas, im Vergleich mit seinem Heimathlande rühmte — frei- 
lich in sehr viel früherer Zeit — schon J. L. Motley in einem 
Briefe an seine Mutter vom Sept. 1833. Dass das Lob aber 
auch heute noch von Deutschland gilt, möge folgende dem 
-Adressbuch d. deutsch. Bibl, von I'. Schwenke {1893) entnom- 
mene Zusammenstellung von Bibliotheken zur Anschauung 
bringen, die einen Bestand von 200000 Bänden und mehr 
(Buchbinderbände) au Druckschriften haben, wobei ich be- 
merke, dass die nicht mit einem Stern versehenen Zahlen nicht 
auf besonderer Zählung beruhen und daher in einzelnen Fällen 
wohl eine Ueberschätzung eingetreten sein mag. 



46 — 



FortUnf. 


Bezeichnung 


der Bibliothek 


Zähl der 
Druck- 


Nammer 


Ort 


Name 


schriften 


I 


München 


Hof- u. Staatsbibl. 


900000 


2 


Berlin 


Königl. Bibl. 


*8ooooo 


3 


Strassburp^ 


Univ.- u. Landesb. 


*6oiooo 


4 


Hamburg 


Stadtbibl. 


500000 


5 


Göttingen 


Univ.-Bibl. 


*44i 500 


6 


Leipzig 


Univ.-Bibl. 


438000 


7 


Dresden 


Königl. öff. Bibl. 


410000 


8 


Heidelberg 


Univ.-Bibl. 


400000 


9 


München 


Univ.-Bibl. 


*37iooo 


10 


Würzburg 


Univ.-Bibl. 


320000 


II 


Bamberg 


Königl. Bibl. 


*30S 186 


12 


Stuttgart 


Königl. öff. Bibl. 


*303 58S 


13 


Wolfenbüttel 


Herzogl. Bibl 


300000 


H 


Darmstadt 


Hofbibl. 


300000 


15 


Breslau 


Kgl. u Univ.-Bibl. 


* 247 739 


i6 


Tübingen 


Univ.-Bibl. 


*287000 


17 


Giessen 


Univ.-Bibl. 


250000 


lg 


Freiburg i. B. 


Univ.-Bibl. 


250000 


19 


Weimar 


Grossherzogl. Bibl. 1 


225000 


20 


Bonn 


Univ.-Bibl. 


♦219000 


21 


Königsberg 


Kgl. u. Univ. Bibl. 


*2IOO00 


22 


Jena 


Univ.-Bibl. 


210000 


23 


Gotha 


Herzogl. Bibl. i 


200000 


24 


Augsburg 


Kreis- u. Stadtbibl. 


200000 



Zusammen enthalten diese 24 Bibliotheken 8739010 Bände 
an Druckschriften; die nächsten 27 Bibl. aber (zwischen 100 
und 200000 Bde.) 3843332 Bde.; die nächsten 45 Bibl. endlich 
(zwischen 50 und 100 000 Bde.) haben deren 2839819. — Im 
Ganzen zählt nach Schwenke das Deutsche Reich 1609 grössere 
Bibliotheken mit 27091288 Bänden bei einer Einwohnerzahl 
von r. 50 Millionen, während Amerika (Ver. St.) im J. 1884/5: 
5338 öffentliche Bibliotheken (mit je 300 und mehr Bänden) mit 
einer Bändezahl von 20622076 besass (jetzige Einwohnerzahl 



47 



r 66 Millionen). Obschou Schwenke's Adressbuch sich aus- 
drücklicli vorzugsweise auf Büchersammlungen mit wissenschaft- 
licher Benutzung beschränkt und daher die Bibliotheken zur 
Unterhaltung und Volksbelehrung (Lesevereins- und Volks- 
bibliotheken) sowie solche zu praktischen und technischen 
Zwecken, desgleichen die reinen Musik und Kunstbibtiotheken 
ausschliesst , so dass jene Vergleichung nur sehr begrenzte 
Gültigkeit haben kann, beweisen die Zahlen doch den abso- 
luten Bücherreich th um der deutschen Bibliotheken. Im Ein- 
zelnen enthalten jene Gesammtzahlen bei Schwenke: 

I. Oeffentliche Bibliotheken: 130 mit 147S4115 Bdn. 

II. B. der höheren Schulen: 

III. E. anderer wissensch. Anst.: 

IV. Behördenbibliolheken: 
V. Kirchliche Bibliotheken: 

VI. Militärbibliotheken : 
VII, Vereinsbibliotheken: 
VIII. Privat -(Famii ien-)B.: 



53° , 


3172761 


■42 , 


2 073 51 1 


330 , 


2 562 los 


201 , 


■ 4SS 76s 


61 , 


616 789 


128 , 


927 83s 


87 „ 


I 498 407 



Zusammen: 1609 B.m. 27 091 288 Bdn. 

Die 130 öffentlichen Bibliotheken haben also durchschnittlich 
je mehr als looooo Bände. Dass dabei die alten Bestände 
eine grosse Rolle spielen, möchte ich aus der schon erwähnten 
Thatsache schliessen, dass die Zahl der Bibliotheken mit 200o;o 
Bänden und mehr fast ebenso gross ist (24) wie die Zahl 
solcher, die zwischen lOO und 200000 Bde. zählen (27). Auch 
an Bibliotheken, mit einer Zahl von icooc) bis 50000 Bdn. ab- 
wärts führt Schwenke (S ^g^. 396) auch nur 45 an, von denen 
bei genauer Bandzählung gewiss noch manche in Wegfall 
kommen würden. Es scheint darnach an einem Nachwuchs 
ansehnlicher neuer Bibliotheken gegenüber den vielen grossen 
mit alten Beständen in Deutschland etwas zu fehlen. 

Natürlich verleihen diese alten Bestände den Bibliotheken 
zunächst einen vorwiegenden Werth für historische Studien 
im weitesten Umfange, doch hat auch — namentlich in den zwei 
letzten Dezennien ^ die neuere wissenschaftliche Litteratur 
auf den verschiedenen Gebieten gebührende Berücksichtigung 
gefunden. Einzelne besser dotirte Bibliotheken hielten schon 



früher einige rniassen darin Schritt; ich erinnere an München 
und Göttingen, wo z. B. das Fach der beschreibenden Natur- 
wissenschaften sehr gut vertreten ist, oder an Bonn, wo das- 
selbe i. B. von der Archäologie gilt. Für die preussischen Uni- 
versitäts-B. mit Einschluss der Königlichen Bibliothek in Berlin 
bin ich in der Lage durch eine von dem Göttinger Bibliotheks- 
Wustos Dr. A. R o q u e 1 1 e ausgearbeitete Tabelle das An- 
wachsen der Vermehrungsfonds von lO zu to Jahren sowohl im 
Ganzen wie in Vrozenten, aber auch die Zunahme des Geld- 
werthes der litterarischen Produktion in Deutschland allein 
(mit Ausschluss der Musikalien und politischen Zeitungen) 
nach Hinrichs' halbjährigen Bücherverzeichnissen zu veran- 
schaulichen. 



Bezeichnung der 

Bibliotheken 


Vermehrungsfonds 

(in M.rk) 


Zunahme 




1870 I8B0 ' 1890 ] 189a 


mMirk In'/. 


Beriin, Königl. Bibl. 


54615 96000' ! sooool I soooo 


95385 "74,6 


„ Univers.-Bibl. 


4050 10500t 10500 10500 
13860 24655! 28300 28300 


6450 1 59.2 


Bonn 


14440104.2 


Breslau „ 


9183, 3II63 37632 27590 


1S4O7 200,4 


Göttingen „ 


20000 38110; 37110: 40110 


201 IO| 100,5 


Greifswald „ „ 


10260 14000' 17000 


17000 


6740 65.7 


Halle 


10786' 17236 22220 


22220 


11434106 


Kiel 


8500, 14500, 14500 


16000 


7500! 88,2 


Königsberg „ 


10300' 2IIOO 21100 


2260c 


!230o'!l9,4 


Marburg „ „ 


10612 16612I 17660 


1766c 


70506643 


Münster, Paul. Bibl. 


3630 II330I 11330 


11330 


7700212,1 


Zusammen: 


i5S796!2852o6|3573533633io 


207514; ä.t 








Deutschland ersch, Bücher 


33278, 65158! 86797 


^ 


535191160,8 



Im Ganzen wird (nach Schwenke) gegenwärtig zum 
Ankauf und Binden von Büchern ausgegeben für 



^ 



- 49 — 

i ■ i. Deutsch. Reich : dav. i. Preuss.: in Bayern: 

I. Oeffentliche Bibl.: 1075 220 Mk. 458 201 Mk. 148 165 Mk. 
n. Bibl. d. h. Schulen : 315729 „ 198679 „ 30570 „ 

III. B.and. wiss. Anst: 31 1490 „ 155 210 „ 48514 ,, 

IV. Behördenbibl. : 425903 „ 268720 „ 44992 „ 
VI. Mi litärb i bl. : 7 1 570 „ 50900 „ 5870 „ 

Aus Staatsmitteln zus.: 2 199912 „ i 131 710 „ 278 1 1 1 „ 

V. Kirchliche Bibl: 29896 „ 16 631 „ 4114 w 

VII. Vereinsbibl.: 71875 „ 36830 „ 1280 „ 

VIIL Privat-(Familien-)B. : 21 418 „ 5135 ., 5CXX) „ 

Im Ganzen: 2323 loi „ i 190306 „ 288 505 „ 

Wir dürfen annehmen, dass, von den grossen Landes- 
bibliotheken abgesehen, nur etwa ein reichliches Drittel der 
neuen litterarischen Erscheinungen fiir die besonderen Zwecke 
der wissenschaftlichen Bibliotheken — ich denke vor allem an 
die Universitätsbibliotheken — von Werth ist (imj. 1 890 also 
c. 30000 M.), dass ferner von dieser Summe ein ansehnlicher 
Theil, etwa ein reichliches Sechstel, den Bibliotheken, wenigstens 
vielen, in Form von Pflichtexemplaren, Geschenken oder im 
Austausch unentgeltlich zugeht, dass endlich der gleiche Betrag 
wie für deutsche Verlagsartikel allein für den Ankauf von 
Büchern aller ausserdeutschen Länder zusammen erforderlich 
ist. Es ist darnach zu bemessen, in welchem Umfange die 
eigenen Bücherbestände der Bibliotheken für ihre wissenschaft- 
liche Benutzung ausreichen und wie weit die Bestände anderer 
Bibliotheken und Privatsammlungen leihweise eintreten müssen 
(vergl. S. 42 f.). 

Charakteristisch ist den deutschen Bibliotheken und "einer 
ihrer Hauptvorzüge die Verwaltung durch Beamte mit voller 
Universitätsbildung, welche sie ebenso zu einer zweckmässigen 
• Vermehrung des Bücherbestandes wie zu dessen systematischer 
Ordnung und Katalogisirung, vor allem aber zur sachkundigen 
schriftlichen und mündlichen Unterstützung der Bibliotheksbe- 
nutzer befähigt. Gerade nach dieser Seite hin werden an 
deutschen Bibliotheken mehr wohl als anderwärts tagtäglich 
weitgehende Anforderungen an die Verwaltung gestellt und 
von dieser auch in der Regel befriedigt. Schon dass das Sig- 

4 



50 



nircn der gewünschten Bücher an den meisten Bibliotheken 
durch wissenschaftliche Beamte erfolgt, ist ein Ausfluss Jener 
Fürsoi^c und bietet zugleich reiche Gelegenheit zur Berich- 
tigung falscher oder unvollständiger Titelangaben, zu litterari- 
schen Nachweisen und somit zur Belehrung der Benutzer. 
Daraus erklärt es sich , dass die Zahl der wissenschaftlichen 
Beamten an deutschen Bibliotheken die der anderen Klassen 
stark überwiegt. An den 24 früher aufgezählten Bibliotheken 
sind neben iS Subaltern- und 93 Unterbeamten nicht weniger 
als 165 wissenschaftliche Beamte angestellt, und noch auffalliger 
würde das Vcrhältniss, wenn wir die sehr zahlreichen Volon- 
täre mit in Rechnung bringen würden. Vergleicht man mit 
jenen Zahlen z. B. die entsprechenden, 32 staatlichen Biblio- 
theken Italiens (Bestand vom 1. März 1892) entnommenen 
Zahlen (in der I. und II. Kategorie 132 wissenschaftliche, in 
der III. und IV. Kat. 142 Subalternbeamte und etwa 93 Unter- 
beamte [so im J. 1887]), so z:eigt sich auf den ersten Blick die 
stark abweichende Praxis der italienischen Bibliotheken. Dass 
mit dieser Eigenthümlichkcit deutscher Bibliotheken die syste- 
matische Anordnung ihrer Bücherbestände, welche an den 
grösseren Anstalten die Regel ist, in einem gewissen inneren 
Zusammenhange steht, wurde bereits erwähnt. Ueber deren 
Nothwendigkeit oder Wunschbarkett sind die Ansichten der 
Fachleute getheüt. Dass jedoch systematische Kataloge, bei 
uns meist Realkataloge genannt, ein sehr nützlicher Besitz für 
eine Bibliothek sind, darüber besteht wohl kein Zweifel, und 
dessen dürfen sich , wie aus der beigegebenen Liste erhellt, 
wenigstens die grösseren Bibliotheken Deutschlands alle mit 
nur sehr wenigen Ausnahmen rühmen. 

Sodann aber ist die Liberalität der deutschen Bibliotheken 
beim Verleihen von Büchern am Orte selbst und nach auswärts 
grösser als irgendwo sonst. Wissenschaftliche Studien zu be- 
treiben ist hier daher nicht an einzelne Städte mit grossen 
Bibliotheken gebunden noch auch beschränkt auf Personen, 
welche in der Lage sind sich alle erforderliche Litteratur selbst 
zu kaufen. Sogenannte Präsenzbibliotheken finden in Deutach- 
land nur wenige Vertheidiger und es ist deshalb für uns eine 



^ 51 - 

erfreuliche Erscheinung, dass auch in andern Ländern, in 
Oesterreich, Italien und Frankreich, vor allem aber in Amerika 
(Ver. St), zahlreiche und a^ Th. sehr bedeutende Bibliotheken 
seit einiger Zeit bereits dem Ausleihesystem immer grossere 
Zugeständnisse machen. In England, wo das Verleihen von 
Büchern noch die Ausnahme bildet, macht sich wenigstens 
eine Bewegung dafür bemerklich. Und wenn man die Schnellig- 
keit und Billigkeit bedenkt, mit welcher heutzutage ausgeliehene 
Bücher in dringenden Fällen durch die Post zurückerlangt 
werden können, so wird man theoretisch selbst den grössten 
Bibliotheken nicht gern eine Ausnahmestellung als berechtigt 
zugestehen wollen. Zur Vergleichung wähle ich wieder Italien, 
dessen öffentliche Bibliotheken nach ihrer Bestimmung Aehnlich- 
kdt mit den unsrigen haben und über deren Benutzungsstatistik 
wir genau unterrichtet sind. 

Darnach wurden 1891 dort ausgeliehen: 

2 R N C^nt *°^ ^^ "*^^^ auswärts (näml. in Italien ; ins Ausland) 

5 B. Nas. und 

10 and. B. Governative: 20759 Bde. 4075 Bde. (= 4045 Bde. 30 Bde.) 

I« B. Universit.: 15774 „ 1205 „ (= 1 203 „ 2 „ ) 

Zusammen an 29 B.: 30533 n 5 280 „ (= 5 248 „ 32 „ ) 

Im Ganzen: 41 813 Bde. 
In Deutschland dagegen wurden ausgeliehen (meist nach 
dem Durchschnitt mehrerer Jahre) : 

an 10 Landes- (Hof- usw.) B. : 377 31 1 Bde. 40493 Bde. (nicht weiter unterschieden) 

i9Universitäts-B.: 4^9302 „ 34819 « « 

(ohne München, dag. mit Münster) 

Zusammen an 29 B.: 796613 „ 75312 „ „ 

Im Ganzen 871925 Bde., also etwa 20,8 mal mehr als in 
Italien. Natürlich steht dem eine geringe Benutzung unserer 
Lesesäle gegenüber, die ja bei uns in der Regel nicht im Mittel- 
punkte der bibliothekarischen Wirksamkeit stehen. Es sind (ohne 
die Handschriften) an obigen 29 deutschen B. 459 8 1 8 Bde. gegen 
I 141 731 Bde., also etwa 2,5 mal weniger als in Italien gezählt 

worden. 

Es würde dem Zwecke dieser Arbeit, welche auf dem 

Hintergrunde der geschichtlichen Entwickelung der grösseren 

Bibliotheken Deutschlands in Umri.ssen ein Bild ihres gegen- 

4* 



wärtigen Standes geben will, nicht entsprechen, wenn ich an 
dieser Stelle nicht auch diejenigen Punkte erwähnte, in Bezug 
auf welche unsere Bibliotheken entweder hinter denen anderer 
Länder noch theilweise zurückstehen oder doch nicht gleich- 
massig fortgeschritten sind. Als wünschenswerth möchte ich 
demnach in Bezug auf die deutschen Bibliotheken bezeichnen 
die unbedingte und leichte Zugänglichkeit der Kataloge für 
alle Benutzer, Fürsorge für alphabetische Stichwortregister zur 
Ergänzung unserer systematischen Kataloge, sofortige Er- 
ledigung der Bücherbestellungen während der Geschäftsslunden. 
erweiterte Oeffnungszeit [mit Ausnahme der Königlichen B, in 
Berlin, welche darin allen billigen Ansprüchen durchaus genügt), 
z. Th, grössere Leseräume und Nachschlagebibliotheken sowie 
Einheitlichkeit der Katalogisirungsgrundsätze, Dass dieses Pro- 
gramm weit gesteckt und nicht in kurzer Zeit auszuführen ist, 
kann ich nicht verhehlen. 

Eine durchgeführte Vergleichung der Leistungen unserer 
deutschen Bibliotheken mit denen 'anderer Länder ist so gut 
wie unmöglich, ja selbst für jene unter sich nur mangelhaft 
ausfuhrbar. Zunäclist lassen im Grunde nur die Bibliotheken 
gleicher Kategorie sich nach den verschiedenen Seiten ihrer 
Wirksamkeit vergleichen, nicht aber z. B. eine Volksbibliothek 
mit der des Reichsgerichts oder einer Universitätsbibliothek. 
Aber auch bei gleichartigen Büchersammlungen ist Vieles was 
sich einer Vergleichung entzieht, das aber gleichwohl mit ihren 
Leistungen aufs engste zusammenhängt. Zahl und Güte der 
Kataloge können sehr verschieden sein und bilden doch, ohne 
dass über sie Buch geführt wird, einen wichtigen Faktor 
bei Beurtheilung der Leistungen einer Bibliothek. Ob an einer 
Univ.-Bibüothek mehr im Hinblick auf die jüngeren Benutzer 
Lehrbücher und Kommentare, vielleicht sogar in mehr- 
facher Anzahl, oder vorwiegend nur Bücher von dauerndem 
Werthe angeschafft werden , beeinflusst sehr wesentlich die 
ßenutzungszahlen und dainit scheinbar das Ergebniss der 
Leistungen der betreffenden. Bibliotheken. Nicht minder ver- 
.schieben sich jene Zahlen, je nachdem das AUersminimum der 
Benutzer auf i6 oder i8 Jahre — Ersteres gilt von einigen 



italienischen Staatabibliolheken — oder gar auf 2i Jahre wie 
im Brittischen Museum festgesetzt wird Und doch sind die 
Zahlen über die Vermehrung und die Ausgaben sowie über 
die Benutzung nach ihren verschiedenen Seiten, ergänzt etwa 
durch Angaben über die Zahl und Art der Kataloge und 
sonstige besondere Arbeiten das Einzige, wonach wir die 
Leistungen der Behörden auf dereinen Seite und die der Biblio 
theken auf der andern Seite bemessen und unter sich ver- 
gleichen können. Dafür aber ist wiederum Einheitlichkeit der 
. Grundsätze für die Statistik erforderlich. Gegenwärtig sind 
diese nicht einmal für unsere Bibliotheken gleichniässig und 
übereinstimmend. Alle Versuche einer vergleichenden Statistik 
müssen daher entweder auf einzelne Bibliotheken und wenige 
Punkte beschränkt bleiben und jedenfalls kann ihnen nur ein 
bedingter Werth zugesprochen werden. Indess wäre eine all- 
gemeine Verständigung über die wichtigsten Grundlagen der 
Statistik sehr erwünscht Als zweckmässige Zählungseinheit 
wäre für die Vermehrungsstatistik die bibliographische Einheit, 
nach Bänden und kleinen Schriften (bis zu loo Seiten) anzusehen, 
für die Benutzungsstatistik aber der Buchbinderband [nicht das 
Werk oder der bibliographische Band) und andrerseits seine 
einmalige zusammenhängende Tagesbenutzung. Dadurch würde 
namentlich eine Vergleichung der Leistungen sogen. Ausleihe- 
bibliotheken mit denen der Präsenzbibliotheken wenigstens 
äusserlich und zahlengemäss ermöglicht. Für jeden ins Haus 
geliehenen Band ist eine mehrmalige Tagesbenutzung anzusetzen; 
der Multiplikator kann natürlich nur auf Grund allgemeiner 
Erwägungen gewählt werden unter Berücksichtigung aller Ent- 
leihungsbedingungen, müsste in jedem Falle aber in der statisti- 
schen Tabelle bekannt gegeben sein. Für deutsche Ver- 
hältnisse möchte ich jede Verleihung eines Bandes ins Haus 
einer 4maligen Tagesbenutzung gleichsetzen, und wenn sie nach 
auswärts erfolgt ist, einer 6maligen. Letzteres gilt auch von 
Bänden, die aus fremden Bibliotheken zu Benutzungszwecken 
entliehen werden. In Bezug auf die Handbibliotheken der Lese- 
säle, zu welchen ja fast überall freier Zutritt gestattet ist, können 
wiederholte Stichproben die Durchschnittszahl der Bände, er- 



— 54 



mittcln, welche täglich von je einem Besucher gebraucht wer- 
den, so dass die Jahresziffer der Benutzung sich daraus mit 
Leichtigkeit ergiebl, falls überhaupt die Besucher des Lesesaales 
gezählt werden. Endlich ist aber fiir deutsche Verhältnisse in 
der Rege! noch mit einer andern Form der Benutzung zu 
rechnen, welche gegenwärtig in den Benutzungstabellen ganz 
ausser Betracht bleibt. Ich meine die in den Rücherräumen 
selbst von den dazu Berechtigten benutzten Bände, wobei von 
ihrem Gebrauche durch die Beamten zu dienstlichen Zwecken 
abzusehen ist. An vielen Universitäten, wie z. B. in Göttingen, 
ist jene Art der Benutzung eine so häufige und ausgedehnte, 
lumal im Sommer, dass die Vorstellung von den Leistungen 
einer Bibliotlek wesentlich abgescliwäclit wird, wenn die Zahlen 
dieser Benutzung ausser Ansatz bleiben. Für Göttingen darf 
sie auf die einmalige Benutzung von mindestens 18000 Bänden 
im Jahre berechnet werden, wenn wir nämlich 300 Tage mit 
Je l<; täglichen Benutzern und je 4 Bänden in Ansatz bringen. 
Wir wUrden so, um nur ein Beispiel anzuführen, von der jähr- 
lichen Benutzung der Göttinger Universitätsbibliothek die Ge- 
HAnmUnahl von .^00719 einmalig benutzter Bände (im Durch- 
Nchnitl der letzten Jahre) und damit ein richtigeres Bild von 
ihrer Gesammtbenutzung gewinnen, als wenn die Zahlen der 
verliehenen Hände und der einmalig auf dem Lesezimmer be- 
nutzten unterschiedslas addirt werden. Im Einzelnen setzt jene 
Zahl aich aus folgenden Posten zusammen : 
I. Am Orl verliühcn. 36 J43 B Je. niilje 4mBliBerBeniiiiuin; 145371 Hilt. 

II. Nach «iKwIrlii veniindt: 7 169 ^ „ „ äm.iliger tknutiung: 43014 „ 
)lt. Im I.i»fi««1 bsnulit: 19119 , „ „ einmalig 1>enutit; 39129 „ 
IV, Aund. l.c.c»«lWblioihckje4Bd«.vün 16301 T»gesl ■etlichem , 65^04 „ 
V. lo ili'ii HUcherrHuiinrii benutzt von den Hertchligten : 18 000 „ 

ZUMUumeu eiamitig im Jahre: 300719 Bde. 

Mit Nulchen Zahlen, deren Berechtigung man anerkennen 
wird, nähern sich unsere grösseren Bibliotheken durchaus den 
BenutzungszilTcrn ausländischer Präsenzbibliotheken, deren Höhe 
Andernfalls die Leistungen unserer Büchersanimlungen unge- 
rechterweisc in einem sehr ungünstigen Lichte erscheinen lässt. 

Eine lange, wechselvolle Vergangenheit haben die deutschen 
Kibliothckcn hinter sich. Die Thatsache, dass es auch in den 



— 5Ö — 

trübsten Zeiten schwerer politischer Noth oder geistigen Siech« 
thums nie an Männern voll Liebe zu den Büchern und dem in 
ihnen niedergelegten geistigen Erbe der Väter gefehlt hat, 
giebt uns die zuversichtliche Hoffnung, dass unsere Bibliotheken 
auch künftig in der Lage sein werden, die ihnen anvertrauten 
Schatze zu erhalten, zu mehren und stets in zeitgemässer 
Weise nutzbar zu machen. 




I 





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